Alarmstimmung in Washington. Das Pentagon erlebt die wohl dramatischste Krise seiner Geschichte: Dem Strategie Air Comma...
152 downloads
904 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Alarmstimmung in Washington. Das Pentagon erlebt die wohl dramatischste Krise seiner Geschichte: Dem Strategie Air Command droht tödliche Gefahr. Und der Feind kommt von innen ... Ein kleiner Indianerstamm beruft sich auf alte Verträge und bringt damit das Kernstück der amerikanischen Verteidigung ins Wanken ... (Backcover) ISBN 3-453-06433-X WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN HEYNE ALLGEMEINE REIHE Nr. 01/8792 Titel der Originalausgabe THE ROAD TO OMAHA Die Originalausgabe erschien 1991 bei HarperCollins, New York/London 10. Auflage Copyright © 1992 by Robert Ludlum Copyright © der deutschen Ausgabe 1992 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany 1996 Die Hardcover-Ausgabe ist im Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, erschienen Umschlagillustration: The Image Bank/Harald Sund, München Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Gesamtherstellung: Eisnerdruck, Berlin
Für Henry Sutton,
unseren lieben Freund seit so vielen Jahren und wirklich
großartigen Menschen.
Auf Charlie, den Burmesen!
Inhalt VORWORT.............................................................................. 4
DRAMATIS PERSONAE......................................................... 7
PROLOG............................................................................... 10
1. KAPITEL............................................................................ 11
2. KAPITEL............................................................................ 18
3. KAPITEL............................................................................ 33
4. KAPITEL............................................................................ 54
5. KAPITEL............................................................................ 71
6. KAPITEL............................................................................ 94
7. KAPITEL.......................................................................... 114
8. KAPITEL.......................................................................... 141
9. KAPITEL.......................................................................... 160
10. KAPITEL........................................................................ 185
11. KAPITEL........................................................................ 203
12. KAPITEL........................................................................ 223
13. KAPITEL........................................................................ 245
14. KAPITEL........................................................................ 277
15. KAPITEL........................................................................ 306
16. KAPITEL........................................................................ 326
17. KAPITEL........................................................................ 343
18. KAPITEL........................................................................ 362
19. KAPITEL........................................................................ 387
20. KAPITEL........................................................................ 408
21. KAPITEL........................................................................ 431
22. KAPITEL........................................................................ 450
23. KAPITEL........................................................................ 471
24. KAPITEL........................................................................ 497
25. KAPITEL........................................................................ 519
26. KAPITEL........................................................................ 546
27. KAPITEL........................................................................ 571
28. KAPITEL........................................................................ 603
29. KAPITEL........................................................................ 625
30. KAPITEL........................................................................ 640
31. KAPITEL........................................................................ 663
EPILOG ............................................................................... 705
VORWORT Vor ein paar Jahren schrieb ich einen Roman mit dem Titel Der Gandolfo-Anschlag. Selbiger basierte auf einer wirklich atemberaubenden Prämisse, einem Konzept, das den Erdkreis in seinen Grundfesten erschüttern und dessen Donnergrollen der Menschheit noch nach Äonen in den Ohren klingen sollte ... und wo findet man so was heutzutage noch? Erzählt werden sollte die Geschichte von Dämonen - die Heerscharen Satans sollten aus der Hölle hervorbrechen und ein so schändliches Verbrechen begehen, daß die Welt nur mit einem einzigen Aufschrei darauf reagieren konnte. Sie sollten einen vernichtenden Schlag gegen alle gläubigen Menschen führen, Männer wie Frauen und ungeachtet der Religion, der sie im einzelnen angehörten: Es sollte nämlich gezeigt werden, wie verwundbar die großen religiösen Führer unserer Zeit sind. Allem Unwesentlichen entkleidet, ging es in der Geschichte um die Entführung des römischen Pontifex Maximum, des geliebten compagnuolo, der, ein wahrer Mann Gottes und selber aus dem Volke stammend, die Hoffnung der einfachen Leute auf der ganzen Welt war - Papst Francesco I. Alles klar soweit? Ich meine, das war doch wirklich der Stoff für einen Knüller, oder? ... Irgendwas allerdings lief schief. Der arme Tropf von Autor spähte um die Ecken, warf einen Blick hinter die Kulissen und fing, zu seiner ewigwährenden Schande, an zu kichern - und zu denken, was für einen Erzähler immer gefährlich ist. Damit kam das Was-ist-wennSyndrom ins Spiel. Was, wenn es sich bei dem Anstifter zu diesem fürchterlichen Verbrechen gar nicht um einen richtigen Bösewicht handelte, sondern um einen bereits zur Legende gewordenen hohen Offizier, den die Politiker kaltgestellt hatten, weil er lautstark gegen ihre Heuchelei Sturm gelaufen war ... Und was, wenn der geliebte Papst de facto gar nichts dagegen hatte, entführt zu werden, solange sein Vetter (ein nicht sonderlich heller Kopf und Komparse an der Mailänder Scala, der ihm wie aus dem -4
Gesicht geschnitten war) seinen Platz einnahm und der wahre Stellvertreter Christi auf Erden die Geschicke des Heiligen Stuhls aus der Ferne lenken konnte - und zwar ohne die nervtötenden Terminpläne vatikanischer Politik und die endlose Abfolge von Segenserteilungen Bittstellern gegenüber, die dachten, sich mittels Gaben für den Klingelbeutel den Weg in den Himmel erkaufen zu können. Nun, da sah die Sache ja ganz anders aus! Ich höre euch, ja, ich höre euch: Da geht jemand in den eigenen Fluten baden. (Fragt sich nur, wo: im Styx, im Nil oder im Amazonas? Im Colorado jedenfalls nicht, denn da würde er an den weißumschäumten Felsen zerschellen.) Nun, vielleicht bin ich tatsächlich baden gegangen, vielleicht aber auch nicht. Ich weiß nur, daß mich eine ganze Reihe von Lesern seitdem unter unverhohlener Androhung von körperlicher Gewalt gefragt hat: Was ist eigentlich aus diesen Hampelmännern geworden? (Den Entführern, nicht dem willigen Opfer.) Ehrlich gesagt, die Hampelmänner haben nur auf eine weitere atemberaubende Prämisse für eine Romanhandlung gewartet. Und da hat vor etwa einem Jahr, spätabends, die spinnertste meiner unbedeutenden Musen gekreischt: Beim Jupiter - du hast's! (Ich bin mir ganz sicher, daß dieser Satz nicht auf ihrem eigenen Mist gewachsen ist. Sie hat ihn bestimmt irgendwo geklaut.) Nun ja, hatte sich der arme Tor von Autor schon im GandolfoAnschlag gewisse Freiheiten im Bereich von Religion und Ökonomie herausgenommen, so gibt er hiermit freimütig zu, sich in dem vorliegenden gelehrten Werk ähnliches erlaubt zu haben, diesmal jedoch in Hinblick auf Rechtsprechung und die Gerichte des Landes. Doch wer tut das nicht? Selbstverständlich mein Anwalt nicht und Ihrer nicht, aber doch wohl die Anwälte aller anderen! Die sorgfältige Verarbeitung authentischer und durch keinerlei Dokumente belegter Historie von fragwürdiger Herkunft in einem Roman macht es nun mal erforderlich, daß die Muse auf -5
der Suche nach unwahrscheinlichen Wahrheiten ohne sonst tiefverwurzelte Regeln auskommen muß. Dies gilt besonders, wo es um Blackstone geht. Aber nur keine Bange, die Geschichte hat natürlich auch eine Moral: Man meide jeden Gerichtssaal, es sei denn, der Richter ist käuflich. Oder es gelingt Ihnen, meinen Anwalt anzuheuern, was aber leider nicht geht, weil er alle Hände voll zu tun hat, mich aus dem Gefängnis herauszuhalten. Infolgedessen ersuche ich die Anwälte unter meinen Freunden (die entweder Anwälte, Schauspieler oder Killer sind - sollte es da eine große Gemeinsamkeit geben?) über die feineren Punkte der Gesetze hinwegzusehen, die weder fein noch Punkte sind. Wobei es durchaus möglich ist, daß sie zu Unrecht recht haben. Robert Ludlum (Was Robert Ludlum unterschlägt, ist, daß Der GandolfoAnschlag auf Anhieb in achtzehn verschiedenen Ländern ein
Bestseller wurde.
Die Leser entdeckten voller Entzücken, daß seine Begabung für
das Komische seinem Talent, unterhaltsame und doch gehaltvolle Thriller zu schreiben, in nichts nachstand.)
-6
DRAMATIS PERSONAE MacKenzi Lochinvar Hawkins ehemaliger General der Army, ehemalig auf Drängen des Weißen Hauses, des Pentagon, des State Department und vor allem Washingtons, zweimal ausgezeichnet mit der Ehrenmedaille des Kongresses, alias Madman Mac the Hawk, der Falke. Samuel Lansing Devereaux brillanter junger Anwalt, Absolvent der Harvard Law School, Soldat (widerstrebend), Rechtsbeistand des Falken in China (desaströs). Sunrise Jennifer Redwing ebenfalls Anwältin, ebenfalls brillant, über alle Maßen prächtig aussehend und eine loyale Tochter der Wopotami. Aaron Pinkus edler Gigant Bostoner Juristenkreise, staatsmännisch denkender Anwalt schlechthin und zufällig auch Arbeitgeber von Sam Devereaux (unglücklicherweise). Desi Arnaz I. verarmter Schurke aus Puerto Rico, der dem Falken verfällt und eines Tages zum Direktor der Central Intelligence Agency werden könnte. Deso Arnaz II. siehe oben, dabei weniger eine Führernatur als ein genialer Mechaniker, wenn es um das Kurzschließen von Autos, das Knacken von Schlössern, die Reparatur von Skiliften und das Bestreben geht, eine Pasta-Soße in ein Anästhetikum zu verwandeln. Vincent Mangecavallo der wahre Chef der CIA, dank der Mafia-Paten von Palermo bis Brooklyn, Geheimwaffe einer jeden Administration. Warren Pease
-7
Außenminister, Rohrkrepierer einer jeden Administration, dafür aber ehemaliger Privatschulfreund des Präsidenten. Cyrus M. schwarzer Söldner mit einem Doktorhut als Chemiker, von Washington verraten und mit zunehmendem Gefallen an den Rechtsauffassungen des Falken. Roman Z. serbokroatischer Zigeuner und Zellengenosse des Letztgenannten, mit einer Vorliebe für absolutes Chaos, solange er selbst die Nase vorn hat. Sir Henry Irving Sutton einer der größten Charakterdarsteller des modernen Theaters und, wie es der Zufall wollte, Held des Nordafrikafeldzuges, weil »es da keine miesen Regisseure gab, die einem die Vorstellung versauen konnten«. Hyman Goldfarb der größte Linebacker, der je die Footballfelder der National Football League bespielt hat, stößt auf seine alten Tage auf katastrophale Weise mit dem Falken zusammen. »Die Selbstmörderischen Sechs«: Duke, Dustin, Marion, Sir Larry, Sly und Telly Berufsschauspieler mit Army-Engagement, die als die beste Antiterroreinheit gelten, die das Militär je hervorgebracht hat, ohne daß sie bisher auch nur einen einzigen Schuß abgegeben haben. Die Mitglieder des Fawning Country Club: Bricky, Doozie, Froggie, Moose, Smythie - edle Menschen aus den richtigen Kreisen, die leidenschaftlich für die Interessen des Landes eintreten, solange die ihren dabei vorne anstehen. Johnny Kalbsnase Informationsoffizier der Wopotami, der das Telefon beantwortet, gewöhnlich lügt und Sunrise Jennifer immer noch Geld für eine Kaution schuldet. Was sonst ließe sich über ihn sagen? Arnold Subagaloo -8
Stabschef des Weißen Hauses, rastet völlig aus (und schnallt sich auch in Regierungsmaschinen nicht an), wenn man erwähnt, daß er nicht der Präsident ist. Was ließe sich sonst überhaupt noch über ihn sagen? Der Rest der Handelnden mag von weniger großer Wichtigkeit sein, doch ist es entscheidend, im Gedächtnis zu behalten, daß es niemals kleine Rollen gibt, nur kleine Darsteller, wobei in unserem Falle niemand in diese schändliche Kategorie zu zählen ist. Alle sind sie Träger der großen Tradition der Thespis, geben ihr Bestes für das Stück, wie brüchig die Vorlage auch sein mag: »Im Spiele werden wir zu Königen!« Manche vielleicht tatsächlich.
-9
PROLOG Hoch loderten die Flammen in den Nachthimmel und warfen
zuckende Schatten auf die Kriegsbemalung der um das Feuer
versammelten Indianer. Da erhob sich der mit den
Zeremonialgewändern seines Stammes angetane Häuptling,
und der gefiederte Kopfschmuck fiel in schönem Schwung vom
hochgereckten Haupt des ungewöhnlich großen Mannes bis
hinab auf den Boden. Mit geradezu königlichem Gebaren erhob
er die Stimme.
»Ich trete vor euch hin, um euch zu sagen, daß dem Weißen
Mann seine Sünden nichts anderes eingetragen haben als die
Konfrontation mit den bösen Geistern! Sie werden ihn
verschlingen und hinabschicken ins Feuer der ewigen
Verdammnis! Glaubt mir, meine Brüder, Söhne, Schwestern
und Töchter, der Tag der Abrechnung und Vergeltung steht
unmittelbar bevor, und er wird im Triumph heraufziehen.«
Das einzige Problem für viele unter seinen Zuhörern bestand
darin, daß der Häuptling ein Weißer war.
»Aus was für einer Keksdose ist der denn entsprungen?«
wandte ein älterer Angehöriger des Stammes der Wopotami
sich an die Squaw, die neben ihm saß.
»Psssttt!« sagte das Weib. »Er hat uns eine Wagenladung
Souvenirs aus China und Japan gebracht. Mach uns die Sache
jetzt nicht kaputt, Adlerauge!«
-1 0
1. KAPITEL Das armselige Büro im Obergeschoß des Regierungsgebäudes entstammte einem anderen Zeitalter, was bedeutet, daß es seit vierundsechzig Jahren und acht Monaten kein Mensch außer dem Mann benutzt hatte, der auch augenblicklich darin arbeitete. Nicht, daß die Mauern dunkle Geheimnisse geborgen oder böse Geister aus der Vergangenheit unter der schäbigen Decke ihr Unwesen getrieben hätten, es war einfach so, daß kein Mensch es benutzen wollte. Und noch etwas muß klargestellt werden. Das Büro lag nicht im obersten Stockwerk, sondern darüber und war nur über eine schmale Holzstiege zu erreichen, ähnlich denen, die die Frauen der Walfänger aus New Bedford erklommen, um oben von den Baikonen meistens jedenfalls - nach vertrauten Schiffen Ausschau zu halten, die die Rückkehr ihres Kapitän Ahab signalisierten. Den Sommer über herrschte in dem Büro eine drückende Schwüle, denn es wies nur ein einziges kleines Fenster auf. Im Winter dagegen fror man darin, denn die Holzwände waren nicht isoliert: Das Fenster klapperte unablässig, da half kein Kalfatern, und die kalten Winde fuhren fauchend durchs Innere, als hätte man sie eigens dazu eingeladen. Im wesentlichen stellte der Raum, dieses antiquierte Oberstübchen mit seinen spärlichen, um die Jahrhundertwende herum erstandenen Möbeln, das Sibirien jener Regierungsbehörde dar, in oder auf der es untergebracht war. Bei dem letzten Angestellten, der sich dort abgerackert hatte, hatte es sich um einen mißtrauisch beäugten nordamerikanischen Indianer gehandelt, der die Stirn besaß, englisch sprechen und lesen zu lernen und seine Vorgesetzten, die kaum lesen konnten, darauf hinzuweisen, daß bestimmte Beschränkungen, die einem Navajo-Reservat auferlegt worden waren, unzulässig streng seien. Der Mann soll im kalten Januar des Jahres 1927 in dem Büro gestorben sein, was jedoch erst im Mai entdeckt wurde, als es mit zunehmender Wärme plötzlich anfing zu riechen. Bei der Behörde handelte es sich selbstverständlich um das Büro für
-1 1
Indianerangelegenheiten der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Für denjenigen, der im Augenblick hier arbeitete, war das, was sich damals abgespielt hatte, kein Hinderungsgrund, sondern eher ein Ansporn. Bei der einsamen Gestalt, die in ihrem nichtssagenden grauen Anzug da am Schreibtisch hockte, der eigentlich kaum noch einer war, da ihm sämtliche Schubladen fehlten und der Rolladen auf Halbmast klemmte, handelte es sich um General MacKenzie Hawkins, einen legendären Haudegen und Helden dreier Kriege, der zweimal mit der Ehrenmedaille des Kongresses ausgezeichnet worden war. Dieser riesenhafte Mann, dessen hagere, muskulöse Gestalt und dessen stahlblaue Augen sein Alter Lügen straften, dessen wettergegerbtes Gesicht einige derselben aber vielleicht bestätigte, war wieder einmal in den Kampf gezogen. Allerdings zum erstenmal in seinem Leben nicht gegen die Feinde seiner geliebten Vereinigten Staaten von Amerika, sondern gegen die Regierung der Vereinigten Staaten selbst. Und zwar wegen etwas, das vor einhundertundzwölf Jahren geschehen war. Wann genau, spielt aber weiter keine Rolle, dachte er, als er sich quietschend auf seinem alten Drehstuhl einem daneben aufgestellten Tisch zuwandte, auf dem hochgetürmt alte, ledergebundene Bände und Karten lagen. Es ging um die gleichen Gauner und Windhunde, die ihm das Leben zur Hölle gemacht, ihn abgehalftert und gezwungen hatten, die Uniform auszuziehen! Da war doch einer wie der andere, ob nun im rüschenbesetzten Gehrock des vorigen Jahrhunderts oder in einem der scheißeleganten, körperbetont geschnittenen Nadelstreifenanzüge von heute! Alle waren sie Gauner und Windhunde! Auf das Zeitalter kam es nicht an, einzig darauf, sie festzunageln! Der General zog an der Kette der Tischlampe mit dem grünen Schirm und dem schwanenhalsförmigen Ständer - ungefähr frühe zwanziger Jahre - und studierte eine Karte, wobei er ein riesiges Vergrößerungsglas in der Rechten hielt. Dann fuhr er wieder zu seinem wackligen Rolltisch herum und las nochmals den Absatz durch, den er in einem der Bände mit den -1 2
altersbrüchigen Rücken angestrichen hatte. Plötzlich weiteten
sich seine sonst ständig zusammengekniffenen Augen, und vor
Erregung leuchtete es in ihnen auf. Er griff nach dem einzigen
Kommunikationsmittel, das ihm zur Verfügung stand, da die
Installierung eines Telefons seine durch mehr als
wissenschaftlichen Forscherdrang bedingte Anwesenheit in
diesem Büro hätte verraten können. Es handelte sich um einen
kleinen, an einem Schlauch befestigten Trichter, in den er jetzt
zweimal hineinpustete - das verabredete Signal. Dann wartete
er auf die Antwort, die ihn binnen achtunddreißig Sekunden
über das primitive Instrument erreichte.
»Mac?« ließ sich eine krächzende Stimme durch das
vorsintflutliche Gerät vernehmen.
»Heseltine, ich hab's!«
»Um Gottes willen, pusten Sie ein bißchen weniger stark da
rein, ja? Meine Sekretärin muß ja gedacht haben, ich pfeife aus
dem letzten Loch!»
»Ist sie jetzt weg?«
»Ja, ja, schon gut«, bestätigte Heseltine Brokemichael, der
Direktor des Büros für Indianerangelegenheiten. »Was gibt's?«
»Hab ich doch grade eben gesagt - ich hab's gefunden!«
»Haben was gefunden?«
»Das größte Räuberstück, das die Gauner und Windhunde
jemals über die Bühne gezogen haben - dieselben Gauner und
Windhunde, die uns gezwungen haben, Zivil zu tragen,
Kamerad!«
»Oh, was für ein Vergnügen es mir wäre, diese Kerle endlich
beim Schlafittchen zu kriegen! Wo ist es passiert und wann?«
»In Nebraska. Vor hundertundzwölf Jahren.«
Schweigen. Dann: »Mac! Damals haben wir noch nicht gelebt.
Nicht mal Sie!«
»Das spielt keine Rolle, Heseltine. Immerhin ist es die gleiche
unverfrorene Gemeinheit! Die gleichen Schweine, die denen
das angetan haben, haben es auch uns angetan, und das
hundert Jahre später!«
-1 3
»Was verstehen Sie unter denen?«
»Eine Untergruppierung der Mohawks, einen Stamm, der sich
Wopotami nennt. Die sind Mitte des vorigen Jahrhunderts nach
Nebraska gezogen.«
»Na, und?«
»Es wird Zeit, sich an die Geheimarchive zu machen, General
Brokemichael.«
»Hören Sie auf damit! Das darf keiner!«
»Aber Sie dürfen es, General. Ich brauche den endgültigen und
unwiderlegbaren Beweis. Ich muß bloß ein paar Dinge klären,
die noch nicht recht ins Bild passen wollen.«
»Aber wozu? Warum?«
»Weil die Wopotami vielleicht immer noch die rechtmäßigen
Besitzer des Landes und der Luft in und um Omaha, Nebraska,
herum sind.«
»Sie sind ja wahnsinnig, Mac! Da sitzt der SAC, das
Oberkommando der Air Force!«
»Nur ein paar Dinge, die noch fehlen, ein paar verstaubte
Fragmente, und die Fakten liegen auf dem Tisch ... Wir treffen
uns im Keller, vorm Archivgewölbe, General Brokemichael.
Oder sollte ich Sie genauso wie mich Co-Chairman der
Vereinigten Stabschefs nennen, Heseltine? Wenn ich recht
habe - und ich weiß verdammt genau, daß ich recht habe -,
dann haben wir die Achse Weißes Haus und Pentagon so im
Schwitzkasten, daß kein Schwanz von denen sich aus dem
Staub machen kann, ehe wir ihnen nicht die Erlaubnis dazu
geben.«
Schweigen.
»Ich werd Sie reinlassen, Mac, aber dann verdrück ich mich, bis
Sie mir sagen, daß ich meine Uniform wieder anziehen darf.«
»Nichts dagegen zu sagen. Übrigens, ich pack alles, was ich
hier hab, zusammen und bring es rüber in meine Wohnung in
Arlington. Das arme Schwein, das in diesem Rattenloch hier
eingegangen ist und nicht gefunden wurde, bis sein
-1 4
Wohlgeruch sich bemerkbar gemacht hat, ist nicht umsonst
gestorben!«
Die beiden Generale staksten zwischen den Metallregalen des
modrig riechenden Geheimarchivs hindurch, die
spinnwebverhangenen Lampen waren so dämmrig, daß sie
sich auf ihre Taschenlampen verlassen mußten. Im siebten
Gang blieb MacKenzie Hawkins stehen und richtete den
Lichtstrahl auf ein uraltes Buch, dessen Ledereinband knisterte.
»Ich glaube, der ist es, Heseltine.«
»Gut. Aber mit rausnehmen können Sie ihn nicht.«
»Das verstehe ich, General. Deshalb werde ich auch bloß ein
paar Aufnahmen machen und ihn wieder hinstellen.« Hawkins
entnahm einer Tasche seines grauen Anzugs eine winzige
Spionagekamera.
»Wie viele Filme haben Sie mit?« fragte General a. D.
Heseltine Brokemichael, als MacKenzie das riesige Buch zu
einem Stahltisch am Ende des Ganges trug.
»Acht«, erwiderte Hawkins und schlug den Band mit den
vergilbten Seiten an der Stelle auf, die er brauchte.
»Ich hab auch noch ein paar dabei, falls Sie welche brauchen«,
sagte Heseltine. »Obwohl ich nicht restlos Feuer und Flamme
für all das bin, was Sie glauben gefunden zu haben, aber wenn
es eine Möglichkeit gibt, es diesem Ethelred heimzuzahlen,
werde ich sie ergreifen.«
»Ich dachte, Sie beide hätten sich ausgesöhnt«, ließ
MacKenzie verlauten, während er die Seiten umschlug und
knipste.
»Niemals!«
»Es war nicht Ethelreds Schuld, sondern die von diesem durch
und durch verkommenen Juristen im Büro des
Generalinspekteurs, diesem Harvard-Bürschchen, das noch
nicht ganz trocken hinter den Ohren war, Devereaux, Sam
Devereaux. Auf den geht der Fehler zurück, nicht auf Brokey
Tausendsassa. Zwei Brokemichaels, die er miteinander
verwechselt hat, das ist alles.«
-1 5
»Quatsch! Brokey-Zwo hat mit dem Finger auf mich gezeigt.«
»Ich glaube, da liegen Sie falsch, doch das ist nicht der Grund,
weswegen ich hier bin, und Sie auch nicht. Brokey, ich brauch
den Band, der neben diesem oder ganz in der Nähe steht. Auf
dem Einband müßte CXII stehen. Ob Sie mir den mal herholen
würden?« Während der Leiter des Büros für
Indianerangelegenheiten zum Regal zurückmarschierte, nahm
Hawkins ein altmodisches Rasiermesser aus der Tasche und
trennte fünfzehn Seiten aus dem Archivband heraus. Ohne die
kostbaren Blätter zusammenzufalten, schob er sie sich unter
den Rock.
»Ich kann ihn nicht finden«, sagte Brokemichael.
»Ach, lassen wir es dabei. Ich glaube, was ich habe, genügt.«
»Und was jetzt, Mac?«
»Es wird lange dauern, Heseltine, vielleicht sogar sehr lange,
möglicherweise ein ganzes Jahr, aber ich muß alles hieb- und
stichfest haben. Das Ganze darf keine einzige Lücke
aufweisen, keine einzige kleine Lücke.«
»Keine Lücke in was?«
»In der Klage, die ich gegen die Regierung der Vereinigten
Staaten anzustrengen gedenke«, erwiderte Hawkins, zog eine
verstümmelte Zigarre aus der Tasche und steckte sie sich mit
einem Zippo-Feuerzeug aus dem Zweiten Weltkrieg an.
Warten Sie's nur ab, Brokey-Eins, warten Sie's nur ab!«
»Guter Gott, was? Machen Sie doch die Zigarre aus! Hier
drinnen dürfen Sie nicht rauchen!«
»Ach, Brokey, Sie und ihr Vetter Ethelred sind immer zu sehr
nach dem Buchstaben des Gesetzes gegangen, und wenn der
nicht mit dem Tatbestand übereinstimmte, haben Sie nach
anderen Büchern Ausschau gehalten. Dabei liegt das Heil nicht
in den Büchern, Heseltine, jedenfalls nicht in denen, die man
lesen kann. So was hat man im Bauch! Manches ist recht und
manches ist unrecht, so einfach ist das. Und ob das eine oder
das andere, das sagt einem der Bauch!«
»Wovon reden Sie überhaupt?«
-1 6
»Und Ihr Bauch rät Ihnen, wenn schon, nach Büchern Ausschau zu halten, die zu lesen einem verboten ist! Nach solchen, in denen Geheimnisse vergraben liegen - wie in diesem hier!« »Mac, was Sie da reden, ist Unsinn.« »Geben Sie mir ein Jahr oder auch zwei, Brokey, dann werden sie schon verstehen. Ich muß es richtig machen. Unangreifbar richtig.« General MacKenzie Hawkins trat zwischen den Metallregalen des Geheimarchivs hervor und ging auf den Ausgang zu. »Himmelherrgottnochmal!« sagte er sich. »Jetzt muß ich mich wirklich ans Werk machen. Macht euch bereit für mich, ihr prächtigen Wopotami! Ich gehöre euch!" Einundzwanzig Monate gingen ins Land, und keiner war bereit für Donnerhaupt, Häuptling der Wopotami.
-1 7
2. KAPITEL Die stechenden Augen stur geradeaus gerichtet, beschleunigte
der Präsident der Vereinigten Staaten im stahlgrauen Korridor
des Labyrinths unter dem Weißen Haus die Schritte. Im Nu
hatte er sein Gefolge hinter sich gelassen. Die
hochgewachsene, hagere Gestalt vorgebeugt, als kämpfte er
gegen einen Sturmwind an, verriet er große Ungeduld und
wirkte wie jemand, dem nur daran gelegen war, die
sturmumtosten Zinnen der Festung zu erreichen, sich einen
Überblick über die blutigen Auswirkungen des Krieges zu
verschaffen und eine Strategie zu erarbeiten, um die Horden
zurückzudrängen, die gegen sein Reich anbrandeten. Er war
Jean d'Arc, und sein rasend arbeitender Verstand entwickelte
einen Gegenangriff bei Orleans, war Heinrich V., der wußte,
daß die Schlacht von Azincourt jeden Augenblick bevorstand.
Im Moment jedoch galt seine unmittelbare Sorge dem nichts
Gutes verheißenden Lageraum tief unten in den untersten
Bereichen des Weißen Hauses. Er erreichte eine Tür, riß sie
auf und trat mit weitausgreifendem Schritt durch sie hindurch,
während seine Untergebenen, die mittlerweile keuchten und in
Trab gefallen waren, wie ein Mann hinter ihm herliefen.
»Okay, Leute!« brüllte er, »legen wir uns also in die Riemen!«
Dieser Aufforderung folgte ein betretenes Schweigen, das
schließlich von der zitternden und erregten Stimme einer
Referentin beendet wurde, die sagte »Doch gewiß nicht hier,
Mr. President«.
»Was? Warum nicht?«
»Das hier ist die Herrentoilette, Sir.«
»So? Ja, und was haben Sie dann hier zu suchen?«
»Ich bin Ihnen gefolgt, Sir.«
»Mein Gott! Falsche Tür. Tut mir leid. Gehen wir! Raus!«
Der große runde Tisch im Lageraum schimmerte im Schein der
indirekten Beleuchtung und reflektierte die Schatten der Leiber
jener, die um ihn herum Platz genommen hatten. Die
-1 8
Schattengebilde auf dem polierten Holz blieben genauso unbewegt wie die verdatterten Mienen der Gesichter, die fassungslos den ausgemergelten und bebrillten Mann anstarrten, der hinter dem Präsidenten vor der Wandtafel stand, auf die er mit bunter Kreide graphische Darstellungen gezeichnet hatte. Diese visuellen Hilfen waren ziemlich verschenkt, da zwei Mann aus dem Krisenstab farbenblind waren. Der verstörte Ausdruck auf dem Gesicht des jugendlichen Vizepräsidenten war allerdings keinem neu und konnte mithin übersehen werden, doch über die wachsende Erregung auf seiten des Vorsitzenden der Joint Chiefs of Staff konnte man nicht so ohne weiteres hinweggehen. »Verdammt noch mal, Washbum, ich ...« »Ich heiße Washburn, General.« »Sehr erfreut. Ich kann der juristischen Linie nicht folgen.« »Das ist die orangefarbene, Sir.« »Und welche ist das?« »Das habe ich doch gerade eben erklärt - die mit orangefarbener Kreide gezeichnete.« »Bitte, zeigen Sie sie mir!« Köpfe drehten sich um. Der Präsident sprach: »Aber, Zack, können Sie das denn nicht erkennen?« »Es ist recht dunkel hier drin, Mr. Präsident.« »So dunkel aber auch wieder nicht, Zack. Schließlich kann ich sie noch deutlich erkennen.« »Nun, mit meinen Augen stimmt was nicht so ganz«, sagte der General und senkte unvermittelt die Stimme. »Ich kann bestimmte Farben nicht unterscheiden.« »Wie bitte, Zack?« »Ich habe ihn verstanden«, rief der kugelköpfige Vizepräsident, der neben dem Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs saß. »Er ist farbenblind, Sir.« »Herrgott noch mal, Zack, aber Sie sind doch Soldat!« »Sie ist erst spät festgestellt worden - die Farbenblindheit, meine ich, Mr. Präsident.« »Bei mir schon früh«, erklärte der erregbare Erbe des Oval Office. »De facto haben sie mich bei der Army deshalb nicht genommen. Ich hätte alles drum gegeben, wenn ich das hätte ändern können.«
-1 9
»Hören Sie schon auf mit dem Geseire«, sagte der
tiefgebräunte Direktor der CIA leise, die dunklen Augen
vielsagend halb geschlossen. »Der Scheiß-Wahlkampf ist doch
längst vorbei.«
»Aber wirklich, Vincent, das ist noch lange kein Grund, sich
solcher Sprache zu befleißigen«, mischte sich der Präsident
ein. »Wir haben schließlich eine Lady dabei.«
»Wer's glaubt, wird selig, Mr. Präsident. Die Lady, um die es
hier geht, kennt sich schließlich bestens aus in der lingua
franca.« Stirnrunzelnd lächelte der CIA-Direktor die ihn wütend
anfunkelnde Referentin an und wandte sich dann wieder dem
Mann namens Washburn zu, der neben seiner Wandtafel
stand. »Sie, der Sie hier unser juristischer Experte sind, was für
ein ... ein Problem steht uns denn ins Haus?«
»Das hört sich schon besser an, Vinnie«, setzte der Präsident
noch hinzu. »Solche Sprache lob ich mir.«
»Aber bitte schön ... Fahren Sie fort, Herr Anwalt. Auf was für
einen Riesenschlamassel steuern wir wirklich zu?«
»Sehr hübsch gesagt, Vinnie.«
»Bitte, Großer Mann, wir hier sind alle ein bißchen gestreßt.«
Nichts Gutes ahnend, lehnte der Direktor sich vor und sah den
juristischen Berater des Weißen Hauses erwartungsvoll an.
»Lassen Sie mal die Kreide beiseite«, fuhr er fort, »und legen
Sie die Fakten auf den Tisch. Und tun Sie mir einen Gefallen:
Kommen Sie gleich zur Sache, okay?«
»Wie Sie wünschen, Mr. Mangecavallo«, sagte der Hausjurist
und deponierte die farbigen Kreiden auf der Ablage der
Wandtafel. »Ich habe nur versucht, die Vorgänge, die historisch
gesehen zu den Gesetzesänderungen bezüglich der auf dem
Gebiet der Vereinigten Staaten lebenden indianischen Nationen
geführt haben, sinnfällig darzustellen.«
»Was heißt hier Nationen?« fragte der Vizepräsident mit einer
Spur von Arroganz in der Stimme. »Es handelt sich doch wohl
um Stämme und nicht um Länder.«
-2 0
»Fahren Sie fort«, unterbrach ihn der Direktor. »Er kennt sich da nicht besonders aus.« »Nun, Sie erinnern sich gewiß an jene Information, die wir von unserem Maulwurf beim Obersten Gericht haben und in der es um einen obskuren, heruntergekommenen Indianerstamm geht, der bei Gericht wegen eines angeblichen Vertrages mit der Bundesregierung eingekommen ist, der dem Vernehmen nach verlorengegangen oder von Bundesbeamten gestohlen worden sein soll. Eines Vertrages, der - sollte er je aufgefunden werden - sie wieder in ihre Rechte über bestimmte Gebiete einsetzen würde, auf denen gegenwärtig eminent wichtige militärische Einrichtungen untergebracht sind.« »Oh, ja«, sagte der Präsident. »Darüber haben wir uns ausgeschüttet vor Lachen. Sie haben dem Gericht sogar einen irre langen Klagesatz zugestellt, den kein Mensch lesen wollte.« »Manche tun tatsächlich alles, um einen Job zu bekommen!« stimmte der Vize ihm zu. »Das ist manchmal wirklich zum Lachen.« »Unser Jurist scheint aber nicht darüber lachen zu können«, bemerkte der Direktor. »Nein, das kann ich nicht, Sir. Unser Maulwurf hat uns wissen lassen, daß es da so was wie Gerüchte gegeben hat, die vielleicht nichts, aber auch gar nichts bedeuten, doch anscheinend waren fünf oder sechs Richter des Obersten Gerichtshofs von besagtem Anklagesatz dermaßen beeindruckt, daß darüber sogar in den Kammern diskutiert wurde. Einige meinen, der verlorengegangene Vertrag von 1878, den der Stamm der Wopotami mit dem vierzehnten Kongreß abgeschlossen hat, könnte, juristisch gesehen, für die Regierung der Vereinigten Staaten bindend sein.« »Sind Sie noch zu retten!« brüllte Mangecavallo. »Das können die doch nicht machen!«
»Das wäre völlig unannehmbar«, kam es von dem bissigen
Außenminister in seinem Nadelstreifenanzug. »Diese
-2 1
Paragraphenhengste würden die nächsten Wahlen niemals überleben.« »Ich glaube, das brauchen sie auch nicht, Warren.« Der Präsident schüttelte bedächtig den Kopf. »Aber ich verstehe, was Sie meinen. Wie ein großer Kommunikator es mir wieder gesagt hat: Diese Schwächlinge könnten in Ben Hur keine Rollen als Statisten kriegen.« »Äußerst tiefsinnig«, sagte der Vizepräsident und nickte. »Damit ist alles erklärt. Wer ist dieser Benjamin Hur übrigens?« »Vergessen Sie's«, bedeutete ihm der Justizminister mit der beginnenden Glatze, der vom Dauerlauf durch die unterirdischen Korridore noch immer schnaufte. »Die Sache ist, daß sie ihre Jobs auf Lebenszeit haben, und da können selbst wir nichts dran ändern.« »Es sei denn, wir unterschieben ihnen allen was«, meinte näselnd Außenminister Warren Pease, dessen schmallippiges Lächeln jede Gutmütigkeit vermissen ließ. »Vergessen Sie auch das«, hielt ihm der Justizminister entgegen. »Die haben nicht nur eine weiße Weste, sondern auch einen völlig fleckenlosen schwarzen Rock. Ich hab die ganze Bande überprüfen lassen, als diese Klugscheißer uns ihre negative Entscheidung bezüglich der Wahlsteuer haben fressen lassen.« »Das war einfach grotesk! « ereiferte sich der Vizepräsident, die Augen beifallheischend aufgerissen. »Was sind schon fünfhundert Dollar für das Recht zu wählen?« »Wie wahr, wie wahr!« pflichtete ihm der Mann bei, der über das Oval Office gebot. »Schließlich hätten die Leute das von ihren Zinseinnahmen absetzen können. Da war zum Beispiel ein Artikel von einem sehr gewieften Wirtschaftsfachmann, übrigens ein ehemaliger Student von mir, im Bank Street Journal, in dem dargelegt wurde, wie man seine Aktiva in Unterabteilung C in zu erwartende Verluste umwandelt ...« »Bitte, Mister Präsident«, fiel der Direktor der CIA ihm sanft ins Wort. »Dieser Penner sitzt im Moment wegen Betrugs sechs bis -2 2
zehn Jahre ab ... Das war wirklich mehr als die Polizei erlaubt,
Großer Mann.«
»Gewiß doch, Vincent ... Sitzt er wirklich hinter Gittern?«
»Vergessen Sie nur nicht, daß wir ihn alle vergessen müssen«,
erwiderte der CIA-Direktor kaum vernehmlich. »Wissen Sie
denn nicht mehr, was der Mann uns eingebrockt hat, als er im
Finanzministerium war? Er hat den halben
Verteidigungshaushalt im Bildungs- und Wissenschaftsressort
untergebracht, aber Schulen sind deshalb keine gebaut
worden.«
»War aber großartige PR-Arbeit ...«
»Nun machen Sie mal die Schotten dicht, Gumball ...«
»Die Schotten dicht, Vincent? Sind Sie bei der Navy
gewesen?«
»Sagen wir mal, ich habe mich viel auf kleinen schnellen
Booten rumgetrieben, Mr. Präsident. Auf dem Schlachtfeld der
Karibik, okay?«
»Schiffe, Vincent. Es heißt immer Schiffe und nicht Boote.
Waren Sie übrigens in Annapolis?«
»Wir hatten da einen griechischen Schmuggler aus der Ägäis,
der konnte in stockfinsterer Nacht jedes einzelne
Patrouillenboot riechen.«
»Schiff, Vincent. Schiff. Allerdings, ich weiß nicht, bei Patrouille
..."
»Bitte, Großer Mann!« Direktor Mangecavallo starrte den
Justizminister an. »Vielleicht haben Sie diese Drecksäcke
einfach nicht genau genug durchleuchtet? Hat's denn bei
diesen Paragraphenhengsten, wie unser hochmögender Herr
Justizminister sie eben nannte, nicht vielleicht irgendwelche
Provisionszahlungen gegeben?«
»Ich habe sämtliche Möglichkeiten unserer Geheimdienste
genutzt«, erklärte der Justizminister, setzte sich in seinem viel
zu engen Sessel zurecht und fuhr sich mit dem Taschentuch
über die Stirn. »Aber wir konnten keinem einzigen von ihnen
was anhängen. Die sind seit dem Tag ihrer Geburt regelmäßig
-2 3
zur Sonntagsschule gegangen und nie vom Pfad der Tugend
abgewichen.«
»Was wissen diese FBI-Fatzken schon! Schließlich haben die
sogar mir eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt,
oder? Ich war weit und breit der Heiligste der Heiligen, oder?«
»Und sowohl Kongreß wie Senat haben Sie mit einer
anständigen Mehrheit bestätigt, Vincent. Was einiges aussagt
über unser verfassungsmäßiges System von regelmäßigen
Checks und Bilanzen, finden Sie nicht auch?«
»Ich würde sagen, mehr über Schecks, die zu Bargeld gemacht
werden, als über ausgeglichene Bilanzen, Mr. Präsident. Aber
lassen wir das im Moment mal beiseite, okay? Unser Mr.
Eulenauge hier sagt, fünf oder sechs von den Obersten Hütern
des Gesetzes könnten der falschen Einstellung zuneigen,
stimmt's?«
»Vielleicht handelt es sich auch um nichts weiter als
unbedeutende Gedankenspiele«, erklärte der Mann namens
Washburn. »Die im übrigen streng in camera vonstatten
gegangen sind.«
»Was soll da geknipst worden sein?«
»Sie haben das mißverstanden, Sir. Ich meine, die Debatten
sind geheim geblieben, kein Wort ist an die Presse oder
sonstwie an die Öffentlichkeit gedrungen. Die strenge
Vertraulichkeit wurde übrigens vereinbart aufgrund der
Nationalen Sicherheit in extremis.«
»In was?«
»Grundgütiger Himmel!« rief Washburn. »Dieses herrliche
Land, die Vereinigten Staaten von Amerika, die wir alle lieben,
könnte militärisch in die verwundbarste Lage ihrer gesamten
Geschichte gebracht werden, nur weil diese fünf verdammten
Narren nach ihrem Gewissen entscheiden!«
»Okay, okay, nun mal immer mit der Ruhe!« sagte
Mangecavallo, sah eindringlich einen nach dem anderen am
Tisch an, wobei er nur dem Präsidenten und seinem
Thronerben nicht in die Augen sah. »Immerhin verschafft uns
-2 4
die Tatsache, daß alles unter höchster Geheimhaltung
abgelaufen ist, einigen Spielraum. Jetzt gilt es nur, vier oder
fünf von diesen Paragraphenhengsten zu bearbeiten, und als
Geheimdienstexperte an diesem Tisch würde ich sagen, wir
sollten dafür sorgen, daß zwei oder drei von ihnen ihre
Spielwiese nicht verlassen, hab ich recht? Da die Sache in
meinen Zuständigkeitsbereich fällt, werde ich mich ans Werk
machen, capisce?«
»Aber Sie werden schnell was unternehmen müssen, Mr.
Director«, sagte der bebrillte Washburn. »Unser Maulwurf hat
uns gesteckt, der Generalbundesanwalt selbst wolle die
Geheimhaltung über die Debatte binnen achtundvierzig
Stunden aufheben. Reebock hat wörtlich gesagt: >Die sollen
sich bloß nicht einbilden, sie wären die einzige Mannschaft von
Schlappschwänzen in der Stadt.< Das ist ein wörtliches Zitat,
Mr. Präsident. Ich persönlich bediene mich nicht solcher
Worte.«
»Sehr lobenswert, Washbum ...«
»Wasbburn, Sir.«
»Der auch. In die Riemen, Männer - und Sie auch, Miss ... Miss
...«
»Trueheart, Mr. Präsident. Teresa Trueheart.«
»Und was machen Sie?«
»Ich bin die Sekretärin Ihres Stabschefs, Sir.«
»Du meine Güte!« murmelte der CIA-Direktor.
»Schotten dicht, Vinnie!«
»Meines Stabschefs ...? Himmelarschundzwirn ... wo steckt
Arnold überhaupt? Ich meine, wir haben es mit einer Krise zu
tun, da kann jeden Augenblick wirklich was hochgehen!«
»Um diese Zeit geht er jeden Nachmittag zur Massage, Sir«,
erklärte Miss Trueheart strahlend.
»Nun, ich will ihn ja nicht kritisieren, aber ...«
»Sie haben jedes Recht, Kritik zu üben, Mr. Präsident«, fiel ihm
der Thronanwärter mit weitaufgerissenen Augen ins Wort.
-2 5
»Andererseits hat Subagaloo in letzter Zeit ziemlich unter Streß gestanden. Die Journalisten beschimpfen ihn, und er ist ein sehr feinfühliger Mann.« »Und nichts wirkt bei Streß wohltuender als eine Massage«, setzte der Vizepräsident hinzu. »Glauben Sie mir, ich weiß das.« »Also, wo stehen wir jetzt, Gentlemen? Ich würde sagen: Blick auf den Kompaß und Schotten fieren!« »Aye, Aye, Sir.« »Mr. Vicepresident, gestatten Sie uns eine Pause, ja? Was wir gesehen haben, deutet darauf hin, daß wir in einen schweren Sturm laufen. Zeit, den Mond anzusingen, aber keiner lacht.« »In meiner Eigenschaft als Verteidigungsminister, Mr. President«, ließ sich ein ungewöhnlich kleingeratener Mann mit verkniffenem Gesicht vernehmen, das kaum über die Tischkante reichte und den CIA-Direktor mißbilligend anfunkelte. »Ich meine, die Situation ist einfach absurd! Wie kommen diese Idioten vom Obersten Gerichtshof darauf, die Sicherheit des Landes wegen eines obskuren, längst vergessenen sogenannten Vertrags mit einem Indianerstamm aufs Spiel zu setzen, von dem kein Mensch je gehört hat!« »Oh, gehört habe ich von den Wopotami schon«, meldete der Vizepräsident sich wieder zu Wort. »Schon richtig, amerikanische Geschichte war nicht gerade mein Glanzfach, aber ich erinnere mich, daß ich den Namen damals komisch fand, wie Choppywas. Ich dachte, die wären abgeschlachtet worden oder verhungert oder was ähnliches.« Das kurze Schweigen, das dem folgte, wurde durch Vincent Mangecavallos verspanntes Geflüster beendet, das er von sich gab, während er den jungen Mann anstarrte, der nur einen Herzschlag davon entfernt war, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. »Wenn Sie noch ein Wort sagen, Sie weiche Birne, finden Sie sich mit einem Betonklotz an den Füßen auf dem Boden des Potomac wieder. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?!« »Aber wirklich, Vincent!«
-2 6
»Hören Sie zu, Mr. President, ich bin für die Sicherheit dieses Landes verantwortlich, richtig? Und das eine lassen Sie sich von mir gesagt sein, dieser Kindskopf hier hat das loseste Mundwerk weit und breit. Ich könnte ihm ohne weiteres das Licht ausblasen lassen für Dinge, von denen er nicht mal weiß, daß er sie gesagt oder getan hat. Was nicht ins Protokoll aufgenommen wird, wenn ich darum bitten darf.« »Aber das ist nicht fair!« »Die Welt ist nun einmal nicht fair, Sonny«, ließ der schwitzende Justizminister sich vernehmen und wandte seine Aufmerksamkeit dem Juristen des Weißen Hauses an der Wandtafel zu. »Also schön, Blackburn ...« »Washburn ...« »Wie Sie meinen. Gehen wir in diesem Fiasko noch mal zurück zur Stunde Null ... und ich meine Null hoch Null! Zunächst einmal, wer zum Teufel ist eigentlich dieser Schweinehund, dieser Verräter, der hinter dieser total unpatriotischen, unamerikanischen Klage steht?« »Er nennt sich Häuptling Donnerhaupt und ist gebürtiger Amerikaner«, antwortete Washburn. »Und der Klagesatz nebst Beweismaterial, den sein Anwalt eingereicht hat, gilt als einer der brillantesten, der dem Gericht jemals vorgelegt wurde - sagt unser Informant. Sie behaupten, ganz im Vertrauen, versteht sich, daß er als vorbildlich in die Annalen der Jurisprudenz eingehen wird.« »Annalen! Daß ich nicht lache!« explodierte der Justizminister und fuhr sich erneut mit seinem schmutzigen Taschentuch über die Stirn. »Ich werde dafür sorgen, daß diese juristische Banane bis aufs Mark geschält wird. Der Mann ist erledigt, den gibt's schon gar nicht mehr! Wenn mein Ministerium erst mal mit ihm fertig ist, kriegt der nicht mal mehr einen Job als Gebrauchtwagenverkäufer in Beirut ... Das Gesetz kann mich mal! Kein Anwaltsbüro wird ihn einstellen, und Mandanten wird er nicht mal mehr im Knast von Leavenworth finden. Wie soll der Schurke noch heißen?«
-2 7
»Well ...« begann Washburn zögernd, wobei seine Stimme
flüchtig ins Falsett hochrutschte, «... da sitzen wir im Moment in
der Klemme.«
»In der Klemme ... was für einer Klemme?« Der näselnde
Warren Pease, dessen linkes Auge, wenn er erregt war, die
unglückliche Neigung hatte, zur Seite zu schielen, stieß
ruckartig den Kopf vor wie eine Henne, der man den Hals
umdrehen wollte. »Sie brauchen uns doch bloß zu sagen, wie
er heißt, Sie Schwachkopf!«
»Genau das können wir eben nicht«, sagte Washburn mit
erstickter Stimme.
»Dem Himmel sei Dank, daß dieser Idiot nicht fürs Pentagon
arbeitet!« fauchte der zu klein geratene Verteidigungsminister.
»Dann würden wir die Hälfte unserer Raketen nie
wiederfinden.«
»Stehen die nicht in Teheran, Oliver?« wandte der Präsident
sich hilfreich an ihn.
»Das war nur rhetorisch gemeint, Sir.« Das verkniffene Gesicht
des Pentagon-Chefs, das kaum über den Tischrand ragte,
ruckte hin und her. »Außerdem ist das schon lange her, und da
waren Sie nicht hier und ich auch nicht. Erinnern Sie sich, Sir?«
»Ja, ja, natürlich nicht.«
»Verdammt noch mal, Blackboard, wieso können Sie uns das
nicht sagen?«
»Es gibt da Präzedenzfälle, Sir, und ich heiße ... aber lassen
wir das.«
»Was soll das heißen: aber lassen wir das? Ich will den Namen
wissen!«
»Das habe ich nicht gemeint«
»Was zum Teufel meinen Sie dann?«
»Non nomen amicus curiae«, murmelte der bebrillte Jurist des
Weißen Hauses kaum hörbar.
»Soll das ein >Gegrüßet seist Du, Maria< sein?« fragte der
CIA-Direktor leise; ungläubig quollen ihm die mediterranen
Augen förmlich aus dem Kopf.
-2 8
»Die Sache geht zurück auf das Jahr 1826; damals ließ das Gericht zu, daß von einem Freund des Gerichts anonym für den Kläger ein Klagesatz unterbreitet wurde.« »Ich bringe ihn um«, murmelte der beleibte Justizminister, während dem Sitz seines Stuhls vernehmlich ein versetzter Wind entwich. »Nun halten Sie mal die Luft an!« kreischte der Außenminister, wobei sein linkes Auge unkontrolliert vor und zurück und hin und her sprang wie ein Tennisball. »Wollen Sie uns damit zu verstehen geben, dieser Klagesatz nebst Beweismaterial für den Stamm der Wopotami wäre von einem oder mehreren ungenannt gebliebenen Anwälten eingereicht worden?« »So ist es, Sir. Häuptling Donnerhaupt hat einen Vertreter geschickt, einen mutigen jungen Mann, der wohl erst vor kurzem seine Zulassung als Anwalt erhalten hat, in camera vor den Richtern zu erscheinen, und zwar als vorläufiger Rechtsberater, wobei von vornherein davon ausgegangen wurde, daß sich - sollte sich der Klagesatz als unzureichend erweisen - die Notwendigkeit ergeben könnte, den ursprünglichen, anonymen Kläger vorzuladen ... Aber er ist nicht unzureichend. Die Mehrheit des Gerichts hält ihn nach dem Leitsatz von non nomen amicus curiae für erfolgversprechend und damit zulässig.« »Wir wissen also nicht, wer zum Geier den verdammten Schriftsatz aufgesetzt hat?« rief der Justizminister lauthals, wobei seine Zwölffingerdarmblähungen ihre Angriffe trommelfeuerartig fortsetzten. »Meine Frau und ich nennen so was AllerwertestenBäuerchen«, erklärte der Vizepräsident feixend seinem einzigen Vorgesetzten. »Wir haben es immer Kombüsen-Tuten genannt!« erwiderte der Präsident verschwörerisch grinsend. »Himmel noch mal!« brüllte der Justizminister. »Nein, nein, Sie nicht, Sir, und auch unser junger Mann hier nicht - wen ich meine, das ist Mr. Backwash.« »Das ist nicht mein ... Aber lassen wir das!« -2 9
»Wollen Sie uns im Ernst weismachen, daß wir nicht erfahren dürfen, wer diesen Unsinn verzapft hat, dieses miese Geseire, das fünf gestandene Strohköpfe von Richtern dazu bringen könnte, es zum Gesetz zu machen und damit - keineswegs zufällig, wie ich betonen möchte - das Kernstück unserer nationalen Verteidigung zu zerstören?« »Häuptling Donnerhaupt hat das Gericht wissen lassen, daß er zu gegebener Zeit - und das heißt, nachdem die Entscheidung gefallen und veröffentlicht und sein Volk befreit worden ist -, daß er also zu gegebener Zeit den Namen jener juristischen Koryphäe bekanntgeben wird, die hinter der Klage seines Stammes steht.« »Wie schön«, sagte der Vorsitzende der Joint Chiefs. »Dann werden wir diesen Sohn einer läufigen Hündin mitsamt seinen Spießgesellen, den Rothäuten, in ihrem Reservat einsperren und mit einer kleinen Atombombe von der Oberfläche der Erde verschwinden lassen.« »Um das zu erreichen, General, müßten Sie ganz Omaha völlig ausradieren.« Die Krisensitzung im Lageraum war beendet, nur der Präsident und sein Außenminister blieben noch erschöpft und geschockt am Tisch sitzen. »Mein Gott, Warren«, sagte das Staatsoberhaupt, »ich wollte, daß du noch bleibst, weil ich manchmal diese Leute nicht verstehe.« »Naja, die haben eben auch nicht unsere Schule besucht, alter Kumpel.« »Naja, natürlich nicht, aber das ist es nicht, was ich meine. Die waren alle so aufgeregt und haben geschrien und geflucht und alles.« »Leute ohne Tradition und Bildung neigen nun mal zu Gefühlsausbrüchen, das wissen wir doch beide. Die kennen keine Hemmschwellen. Weißt du noch, als die Frau des Direktors einen in der Krone hatte und hinten in der Kapelle zu singen anfing: Ein festes Ei hat unser Rex? Den Kopf gewendet haben nur die mit Stipendium!« -3 0
»Das stimmt nicht ganz«, meinte der Präsident einfältig. »Ich auch.« »Das kann ich nicht glauben.« »Ich hab eben rübergelinst. Ich glaube, ich war damals scharf auf sie. Angefangen hat das schon in der Tanzstunde - beim Foxtrott. Ich war ja so scharf auf sie.« »Den Kopf verdreht hat sie uns allen, die Schlampe. Und sich dann heimlich die Hände gerieben.« »So wird es wohl gewesen sein. Aber noch mal zur Sitzung. Du glaubst doch nicht, daß aus dieser Indianersache irgendwas rausbrät, oder?« »Selbstverständlich nicht! Der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs, Reebock, versucht nur, dir wieder einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen, weil er denkt, du hättest verhindert, daß er zum Ehrenmitglied der Alten Herren unserer erlauchten Alma Mater gewählt wird.« »Himmel! Dabei habe ich überhaupt nichts damit zu tun gehabt, ehrlich nicht.« »Ich weiß, ich weiß. Seine politischen Überzeugungen sind durchaus annehmbar, aber er ist als Mann nun mal schrecklich unscheinbar und trägt immer die unmöglichsten Anzüge. Im Smoking sieht er einfach lächerlich aus. Außerdem redet er ständig dummes Zeug. Du hast ja gehört, was dieser Washboard gerade eben gesagt hat ... Reebock soll unserem Maulwurf gegenüber geäußert haben, wir wären >nicht die einzige Mannschaft von Schlappschwänzen< in der Stadt. Reicht das etwa nicht?« »Trotzdem, irgendwie sind sie alle wütend gewesen, besonders Vincent Manja ... Manju ... Mango ..., was weiß ich!« »Das ist der Itaker in ihm. So was ist nun mal erblich.« »Mag sein, Warren. Aber er beunruhigt mich. Ich bin zwar überzeugt, Vincent war als Offizier bei der Navy ein tüchtiger Mann, trotzdem kann auch bei ihm mal was nach hinten rausgehen ... wie bei du weißt schon wem!«
-3 1
«Bitte, Mr. President! Verschonen wir uns beide mit
irgendwelchen Alpträumen!«
»Ich versuche ja nichts weiter, als uns welche zu ersparen,
Kumpel. Schau, Warren: Vincent kommt weder mit dem
Justizminister noch mit den Joint Chiefs besonders gut aus
und mit dem Verteidigungsministerium schon gar nicht. Deshalb
möchte ich, daß du dich ein bißchen um ihn kümmerst und in
bezug auf dieses Problem engen Kontakt mit ihm hältst.
Versuche, sein Freund zu werden und sein Vertrauen zu
gewinnen.«
»Der Freund und Vertraute eines Mangecavallo?«
»Das bist du deinem Amt schuldig, Warren, altes Haus. Das
Außenministerium muß bei einer solchen Sache mit
einsteigen.«
»Aber es wird nichts dabei rauskommen.«
»Das glaube ich auch nicht, aber denk an die Reaktionen
überall auf der Welt, wenn was über die Debatte im Gericht an
die Öffentlichkeit dringt. Wir leben in einem Rechtsstaat, hier
kann nicht jeder mit jeder Marotte durchkommen! Und der
Oberste Gerichtshof duldet keine läppischen Klagen. Es geht
darum zu verhindern, daß die Welt aus den Fugen gerät, alter
Junge.«
»Aber warum ausgerechnet ich?«
»Himmelherrgott noch mal - das habe ich doch grade gesagt!«
»Warum nicht der Vizepräsident? Der kann schließlich alle
Nachrichten an mich weiterleiten.«
»Wer?«
»Der Vizepräsident!«
»Wie heißt der noch gleich?«
-3 2
3. KAPITEL Es war ein strahlender Hochsommernachmittag, und Aaron Pinkus, vielleicht der beste Rechtsanwalt von ganz Boston, Massachusetts, unbestreitbar aber der freundlichste und feinfühligste aller einflußreichen Männer, stieg im eleganten Vorort Weston aus seiner Limousine und lächelte den uniformierten Chauffeur an, der ihm den Wagenschlag aufhielt. »Ich habe Shirley klargemacht, daß dieser Riesenschlitten schon protzig genug ist, Paddy, aber diese alberne Mütze mit dem glänzenden Schirm, die Sie da aufhaben, ist schlichtweg sündhaft.« »Nicht im guten alten Süden, Mr. Pinkus, außerdem haben wir sowieso mehr Sünden auf dem Buckel als Kerzen in der Kathedrale«, sagte der in mittleren Jahren stehende große Fahrer, dessen teilweise bereits grau werdendes Haar verriet, daß er einst einen üppigen roten Schöpf gehabt hatte. »Außerdem sagen Sie das jetzt schon seit Jahren, und es nützt doch nichts. Mrs. Pinkus zeichnet sich durch große Hartnäckigkeit aus.« »Mrs. Pinkus' Gehirn ist unter der Trockenhaube beim Friseur einfach zu oft gegrillt worden ... was ich nie gesagt habe, Paddy.« »Selbstverständlich nicht, Sir.«
»Ich weiß nicht, wie lange ich bleibe. Fahren Sie also ein Stück
weiter, vielleicht um die nächste Ecke, so daß niemand Sie
sieht ...«
»Und bleiben Sie über den Pieper mit mir in Verbindung«,
vervollständigte der Ire grinsend den Satz und genoß das ganz offensichtlich. »Sobald ich den Wagen von Mr. Devereaux sichte, gebe ich Laut, und Sie machen sich durch die Hintertür aus dem Staub.« »Wissen Sie, Paddy, wenn unser Dialog in irgendeinem Prozeßprotokoll stünde - in welchem Prozeß auch immer -, würden wir ihn verlieren, egal, wie der Fall auch läge.« -3 3
»Nicht, wenn Ihr Büro die Verteidigung übernähme, Sir.«
»Wieder diese Hybris, mein Freund. Außerdem gehören
Strafrechtssachen nur zu einem geringen Teil zu den
Aktivitäten der Firma; wir sind da wirklich nichts Besonderes.«
»He, Sie tun aber doch gar nichts, wofür man strafrechtlich
belangt werden könnte.«
»Dann lassen Sie uns das Protokoll vergessen. Sehe ich
vorzeigbar genug aus für die große Dame, Paddy?«
»Gestatten Sie, daß ich Ihre Krawatte zurechtrücke, Sir. Sie ist
ein kleines bißchen verrutscht.«
»Danke«, sagte Pinkus, als sein Chauffeur ihm den Schlips
richtete. Seine Augen wanderten hinüber zu dem imposanten
viktorianischen Haus mit dem weißgestrichenen Staketenzaun
und dem vielen weißen Putz um die Fenster und den spitzen
Giebel. Bewohnt wurde diese auffällige Villa von der
formidablen Mrs. Lansing Devereaux III., der Mutter von
Samuel Devereaux, der vielleicht einmal sein Kompagnon
werden sollte, momentan jedoch ein Rätsel für seinen Chef,
einen gewissen Aaron Pinkus, darstellte.
»So, jetzt geht es, Sir.« Der Chauffeur trat zurück und nickte
beifällig. »Sie bieten ein fabelhaftes Bild.«
»Bitte, Paddy, es geht hier nicht um ein tete-ä-tete, sondern um
den Versuch einer fürsorglichen Ermittlung.«
»Ich weiß, Boss, ich weiß, Sam hat sich immer mal wieder in
gefährliche Gewässer begeben.« »Dann ist es Ihnen also
aufgefallen?«
»Du meine Güte, Sie haben mich doch allein in diesem Jahr
mindestens ein dutzendmal geschickt, ihn vom Flugplatz
abzuholen. Wie gesagt, mir kam er ab und zu ein bißchen
daneben vor, und das nicht nur. wenn er mit ehemaligen
Kommilitonen einen Kneipenbummel gemacht hatte. Er hat
irgendwelche Schwierigkeiten, Mr. Pinkus. Im Schädel von
diesem Burschen geht irgendwas schrecklich durcheinander.«
-3 4
»Dabei ist es der Schädel von einem der brillantesten juristischen Köpfe, die ich kenne, Paddy. Mal sehen, ob wir rausfinden können, wo der Hase im Pfeffer liegt.« »Viel Glück, Sir! Ich halte mich bedeckt, bleibe aber in Sichtweite. Sie wissen schon, was ich meine. Und wenn Sie meinen Pieper hören, machen Sie, daß Sie rauskommen.« »Warum komme ich mir bloß vor wie ein ältlicher jüdischer Casanova, der bereits so verknöchert ist, daß er es nicht schafft, ein Spalier hochzuklettern und sich in Sicherheit zu bringen, wenn eine Meute von Pitbull-Terriern nach seinem Hintern schnappt?« Pinkus begriff, daß er diese Frage nur an sich selbst gerichtet hatte, denn sein Chauffeur war längst um die Kühlerhaube der Limousine herumgerannt, um zu verschwinden - sich bedeckt haltend und doch in Sichtweite. Aaron war Eleanor Devereaux im Laufe der Jahre, seit er ihren Sohn kannte, nur zweimal begegnet. Das erste Mal an dem Tag, da Samuel ein paar Wochen nach seinem Abgang von der Harvard Law School in der Firma hospitiert hatte, und dabei war es, wie Aaron argwöhnte, zu der Begegnung nur gekommen, weil die Mutter sich den Umgang ihres Sohnes ansehen wollte, als gälte es, die Verantwortlichen und Einrichtungen eines Sommerlagers unter die Lupe zu nehmen. Die zweite und einzige andere Gelegenheit hatte sich anläßlich einer Party ergeben, die die Pinkuses für Sam nach seiner Entlassung aus der Army gegeben hatten, wobei diese Entlassung bestimmt zu den merkwürdigsten ihrer Art gehört hatte. Die Party fand nämlich über fünf Monate nach dem Tag statt, an dem der in allen Ehren aus dem Militärdienst entlassene Lieutenant Devereaux in Boston hätte eintreffen sollen. Fünf Monate, über die es keine Rechenschaft gab. Fünf Monate, sann Aaron, als er auf das Tor in dem weißen Staketenzaun zuging, fast ein halbes Jahr, über das Sam nicht reden wollte - jedenfalls nicht weiter, als daß er sagte, er dürfe nicht darüber reden, womit er andeutete, an irgendeiner hochgeheimen Unternehmung der Regierung teilgenommen zu haben. Nun, hatte Pinkus damals gedacht, selbstverständlich konnte er Lieutenant Devereaux auf keinen Fall verleiten, -3 5
gegen einen Schwur zu handeln. Gleichwohl war er neugierig,
sowohl als Freund als auch in Hinblick auf internationale
juristische Verhandlungen. Und schließlich besaß er einige
Verbindungen in Washington.
Folglich rief er im Weißen Haus an, das Telefon klingelte oben
in den Privatgemächern, und er erklärte dem Präsidenten sein
kleines Problem.
»Meinst du, er könnte in irgendein Geheimunternehmen
verwickelt gewesen sein, Aaron?« hatte der Präsident ihn
gefragt.
»Offen gestanden finde ich, daß er nicht der Typ für so was
ist.«
»Aber genau darauf legen sie es manchmal an, Pinky.
Verstehst du - schlechte Besetzungen sind manchmal die
besten. Und wenn auch ich offen sein soll, so saugen sich eine
ganze Menge von diesen langhaarigen, bis ins Mark
verdorbenen Filmregisseuren gerade so was mit Vorliebe aus
den Fingern. Soweit ich weiß, haben sie von der Göttlichen
Garbo irgendwann mal verlangt, Scheiße zu sagen - hast du da
noch Töne?«
»Das ist schwierig, Mr. Präsident. Aber ich weiß, Sie sind
beschäftigt.«
»Nein, durchaus nicht, Pinky. Mommy und ich sehen uns zwar
gerade das 'Glücksrad' an, und sie schlägt mich immer öfter,
aber schließlich bin ich der Präsident und sie nicht.«
»Sehr verständnisvoll. Ob Sie dann in dieser Angelegenheit
möglicherweise ein paar Erkundigungen für mich anstellen
lassen könnten?«
»Aber gern doch. Ich hab's mir notiert. D-e-v-e-r-e-a-u-x -
Devero, richtig?«
»Ja, richtig, Sir.«
Zwanzig Minuten später hatte der Präsident zurückgerufen.
»Alle Achtung, Pinky! Ich glaub, du bist da in ein Fettnäpfchen
getreten.«
»Was für ein Fettnäpfchen denn, Mr. President?«
-3 6
»Meine Leute haben mir gesagt, was dieser Devereaux
>außerhalb von Chinas< so wörtlich, getan hätte, habe
>absolut nichts mit der Regierung der Vereinigten Staaten< zu
tun, auch das wieder wörtlich. Ich hab's mir notiert. Und als ich
weiter in sie drang, erklärten sie, ich würde das bestimmt nicht
wissen wollen ...«
»Ja, natürlich, Mr. President ...«
Aaron blieb auf dem Gartenweg stehen, blickte zu dem
vornehmen alten Haus hinauf und dachte dabei an Sam
Devereaux und die merkwürdige, wenn nicht gar rührende
Weise, wie er in diesem wunderschön restaurierten Relikt aus
stilvollerer Zeit aufgewachsen war. De facto, überlegte der
berühmte Anwalt, war von dieser glänzenden Restaurierung
früher nicht viel zu sehen gewesen. Jahrelang hatte das
Anwesen mehr die Aura von anständiger, gleichwohl alles
andere als aufwendiger Vornehmheit besessen, jedenfalls nicht
diesen ins Auge fallenden neuen Anstrich und den geradezu
manikürten Rasen vorm Haus. Man merkte der Villa an, daß sie
ständig gepflegt und keine Ausgaben gescheut wurden
letzteres, seit Sam nach fünfmonatigem Verschwinden ins
Zivilleben zurückgekehrt war. Selbstverständlich war es so, daß
Pinkus bei jedem möglichen Angestellten seiner Kanzlei
Privatleben und akademische Karriere genau unter die Lupe
nahm, um Enttäuschungen oder irgendwelche Fehler zu
vermeiden. Das, was bei dem jungen Devereaux
herausgekommen war, hatte ihm gefallen, aber auch seine
Neugier geweckt.
Sams Vater, Lansing Devereaux III., war der Sproß einer
ebenso vornehmen wie alteingesessenen Bostoner Familie
gewesen, die nicht weniger zur Elite gehörte als die Cabots
oder die Lodges, allerdings war er auffällig vom Typus
abgewichen. Was ihn ausgezeichnet hatte, war eine kühne
Risikobereitschaft im Bereich der Hochfinanz: Er verlor weit
mehr Geld, als er zusammenhalten konnte. Wenn auch wild
und heftig, so war er trotz allem ein guter Mann, ein harter
Arbeiter, der vielen eine Chance gab, es persönlich jedoch eher
selten erlebte, daß das, was er anpackte, auch von Erfolg
-3 7
gekrönt wurde und sich auszahlte. Während er auf dem Bildschirm einem Börsenbericht folgte, hatte er einen Schlaganfall erlitten und war daran gestorben; Sam war damals ein Junge von neun Jahren. Der Witwe und seinem Sohn hinterließ Lansing Devereaux III. einen erlauchten Namen und ein großartiges Haus, doch war er nicht ausreichend versichert, als daß die beiden den gewohnten Lebensstil und das äußere Erscheinungsbild fortführen konnten, von dem Eleanor nun einmal nicht lassen wollte. Die Folge war, daß Samuel Lansing Devereaux genau das wurde, was nicht zum Klischee der Reichen gehörte: ein Student, der von Stipendien lebte, am Philipps Andover College den Küchendienst übernahm und sich sein Taschengeld durch Kellnern aufbesserte. Während seine Kommilitonen Feste und Tanzereien besuchten, stand er bei diesen Festen und Tanzereien hinterm Tresen der Snack-Bar. Zugleich lernte er wie besessen für sein Studium. Er war sich offensichtlich völlig darüber im klaren, daß der Weg zurück in die Welt des Reichtums, der die Familie Devereaux entstammte, nur übers Ackern führte. Er bekam üppigere Stipendien in Harvard und seiner Law School, wo er nicht schlecht damit verdiente, daß er seinen Kommilitonen und Kommilitoninnen auf die Sprünge half, wobei letztere in der Oberzahl waren und zusätzlich Vorteile brachten, die mit Geld nichts zu tun hatten. Dem folgte ein viel Gutes verheißender Anfang im renommierten Anwaltsbüro Aaron Pinkus Associates, der allerdings von der Army unterbrochen wurde, die in einer Zeit massiver Expansion des Pentagons verzweifelt auf alle Juristen angewiesen war, derer sie habhaft werden konnte, um zu verhindern, daß das gesamte mit Versorgung und Nachschub befaßte Personal in den Vereinigten Staaten selbst und in Übersee in Bausch und Bogen abgeurteilt wurde. Die faschistischen Militärcomputer förderten eine längst vergessene Zurückstellung eines gewissen Samuel Lansing Devereaux vom Militärdienst ans Licht, und die Army gewann einen stattlichen, gleichwohl traurigen Soldaten mit einem fabelhaften Juristenverstand, den -3 8
sie sich ganz offensichtlich zunutze machte, aber auch mißbrauchte. Was ist mit ihm passiert? fragte Pinkus sich in der Stille seines Denkapparats. Was für schreckliche Ereignisse haben sich vor Jahren zugetragen - Ereignisse, die ihm seit neuestem keine Ruhe mehr lassen? Die seinen Verstand verbiegen und gelegentlich sogar zu Kurzschlußhandlungen verführen, einen Verstand, der noch die verzwicktesten Verfassungsinterpretationen durchschaut, so daß Richter wie Schöffen einen heiligen Respekt haben vor seiner Gelehrsamkeit und seinen tiefschürfenden Analysen. Irgend etwas mußte geschehen sein, zu diesem Schluß kam Aaron, als er sich der riesigen Eingangstür mit der schönen antiken Rautenverglasung im oberen Teil näherte. Woher hatte Sam überhaupt das viele Geld, um dieses verdammte Haus so stilvoll restaurieren zu lassen? Pinkus war seinem überragend tüchtigen und, wenn die Wahrheit denn ausgesprochen werden mußte, Lieblingsmitarbeiter gegenüber alles andere als knauserig, was jedoch nicht so weit ging, daß der davon mindestens hunderttausend Dollar in die Restaurierung dieses Familiensitzes stecken konnte. Woher hatte er das Geld? Drogenhandel? Geldwäscherei? Auf Insiderwissen beruhende Börsengeschäfte? Illegaler Waffenhandel? All das paßte nicht zu Samuel Devereaux. Der wäre bei solchen Unternehmungen mit Sicherheit auf den Bauch gefallen, denn wo es um Tarnung und Verschleierung ging, war er ein ziemlicher Tropf. Er war gottlob! - ein aufrechter, redlicher Mann in einer Welt der Würmer. Diese Beurteilung erklärte freilich nicht das dem Anschein nach Unerklärliche - das Geld. Vor einigen Jahren hatte Aaron beiläufig einmal eine Bemerkung über die Verschönerung des Hauses gemacht, an dem er auf dem Heimweg so häufig vorüberfuhr, doch Samuel hatte nicht weniger beiläufig erklärt, eine wohlhabende Verwandte väterlicherseits sei gestorben und habe seine Mutter mit einem sehr anständigen Legat bedacht. Pinkus hatte sich durch Listen von wohlhabenden Erblassern und Erbschaftssteuerpflichtigen hindurchgearbeitet und -3 9
festgestellt, daß es ein solches Legat nicht gab. Und im tiefsten
Herzensgrunde wußte er, daß das, was Sam jetzt so zusetzte,
etwas mit seinem unerklärlichen Reichtum zu tun haben mußte.
Aber: Was war es? Vielleicht lag die Antwort im Inneren des
stattlichen Hauses. Er klingelte - ein wohltönendes
Messinggebimmel. Natürlich!
Eine ganze Minute verging, ehe die Tür von einem etwas
fülligen Dienstmädchen in den mittleren Jahren geöffnet wurde,
das in gestärkter grünweißer Tracht steckte. »Sir?« fragte sie,
wie Aaron fand, etwas kühler, als unbedingt nötig gewesen
wäre.
«Mrs. Devereaux«, erwiderte Pinkus. »Ich glaube, sie erwartet
mich.«
»Ach, Sie sind das«, antwortete das Dienstmädchen noch eine
Spur kühler. »Nun, dann mögen Sie hoffentlich diesen
verdammten Kamillentee. Mein Geschmack ist das bestimmt
nicht. Kommen Sie.«
»Vielen Dank.« Der gefeierte, doch körperlich alles andere als
beeindruckende Anwalt trat in die mit einem Fußboden aus
norwegischem Rosen-Marmor ausgestattete Halle, wobei der
Computer in seinem Gehirn augenblicklich registrierte, wie
kostspielig der gewesen sein mußte. »Was wäre denn nach
Ihrem Geschmack, meine Liebe?« fragte er, nur um überhaupt
etwas zu sagen.
»Tee mit einem tüchtigen Schuß Whisky!« kam es prompt von
der Frau, die dabei rauhkehlig lachte und Pinkus den Ellbogen
in die zarte Seite rammte.
»Ich werd's mir merken und beim nächstenmal im Ritz dran
denken.«
»Den Tag werden wir dann beide nicht vergessen, was?«
»Wie bitte?«
»Gehen Sie nur weiter, durch die Doppeltür da drüben«, fuhr
das Dienstmädchen fort und zeigte händewedelnd nach links.
»Die ach-so-vornehme Dame erwartet Sie bereits. Ich hab zu
tun.« Sagte es, vollführte eine kleine Wendung, entfernte sich
-4 0
nicht gerade zielstrebig über den kostbaren Fußboden und
verschwand hinter der schön geschwungenen Treppe mit dem
eleganten Geländer.
Aaron trat an die geschlossene Doppeltür, öffnete den rechten
Flügel und spähte hinein. Auf der anderen Seite des
wunderschönen Viktorianischen Salons saß auf einem mit
weißem Damast bezogenen Sofa Eleanor Devereaux, vor sich
auf einem niedrigen Tisch ein blitzendes Teeservice. Sie sah
genau so aus, wie er sie in Erinnerung gehabt hatte: betont
gerade aufgerichtet, zartknochig, mit einem alternden Gesicht,
das in seiner Blütezeit so manchem Mann den Kopf verdreht
haben mußte, und großen blauen Augen, die mehr sagten, als
ihre Besitzerin jemals preisgeben würde.
»Mrs. Devereaux, wie schön, Sie wiederzusehen.«
»Mr. Pinkus, wie schön, Sie wiederzusehen. Bitte, treten Sie
doch näher und nehmen Sie Platz.«
»Danke.« Aaron trat ein und war sich dabei des riesigen,
unbezahlbaren Perserteppichs unter seinen Füßen bewußt. Er
ließ sich auf dem gleichfalls mit weißem Brokat bezogenen
Lehnsessel rechts vom Sofa nieder, auf den die Dame des
Hauses mit einem Nicken ihres aristokratischen Hauptes
gedeutet hatte.
»Dem übertriebenen Lachen, das ich aus der Halle gehört
habe«, sagte die große Dame, »entnehme ich, daß Cousine
Cora ihnen aufgemacht hat, unsere Hausdame.«
»Ihre Cousine ...?«
»Wäre Sie das nicht - glauben Sie, sie würde auch nur noch
fünf Minuten in diesem Haus bleiben? Der Familiensinn erlegt
den Glücklicheren gewisse Verpflichtungen auf, habe ich nicht
recht?«
«Noblesse oblige, Madame.«
»Ja, so ist es wohl. Ich wünschte nur, niemand brauchte das zu
betonen. Eines Tages wird sie noch ersticken an all dem
Whisky, den sie mir klaut, und das mit der Verpflichtung hat ein
Ende. Was meinen Sie?«
-4 1
»Der Schluß, den Sie ziehen, drängt sich auf.«
»Aber Sie sind nicht gekommen, um mit mir über Cora zu
sprechen, nicht wahr? Tee, Mr. Pinkus? Mit Sahne oder mit
Zitrone? Zucker?«
»Verzeihen Sie, Mrs. Devereaux, aber ich muß leider dankend
ablehnen. Der Magen eines alten Mannes, die Säure, Sie
wissen schon.«
»Gut! Das ist bei einer gewissen alten Dame genauso. Da
genehmige ich mir mit Freuden ein viertes kleines Gläschen.«
Eleanor griff nach einer Teekanne aus Limoges, die links vom
Silberservice stand. »Ein schöner, dreißig Jahre alter Brandy,
Mr. Pinkus - die Säure, die der enthält, schadet bestimmt
niemandem. Außerdem spüle ich die verdammte Kanne
hinterher eigenhändig aus, damit Cora nicht auf dumme
Gedanken kommt.«
»Und ich werde es meinem Arzt nicht verraten«, sagte Aaron,
»Sonst kommt der womöglich auch auf dumme Gedanken.«
»L'chaim, Mr. Pinkus«, sagte Eleanor Devereaux, schenkte
ihnen beiden einen tüchtigen Schluck ein und hob dann die
Teetasse.
»A votre santé, Mrs. Devereaux«, gab Aaron zurück.
»Nein, nein, Mr. Pinkus. Der Name Devereaux mag französisch
sein, aber die Ahnen meines Mannes sind im fünfzehnten
Jahrhundert nach England emigriert - offen gestanden gerieten
sie bei der Schlacht von Crecy in Gefangenschaft, blieben aber
lange genug, um ihre eigenen Armeen aufzustellen und sich zu
Rittern schlagen zu lassen. Wir sind Anglikaner.«
»Ja, womit sollte ich denn dann Prost sagen?«
»Wie war's mit: Hoch die Banner?«
»Ist das ein frommer Spruch?«
»Wenn Sie überzeugt sind, daß Er auf Ihrer Seite steht, ist es
das meiner Meinung nach.« Beide nippten sie und setzten die
Tassen wieder auf die zarten Tellerchen. »Das ist ein guter
Anfang, Mr. Pinkus. Wollen wir gleich in medias res gehen und
-4 2
uns mit dem naheliegenden Problem beschäftigen - meinem Sohn?« »Ich hielte es für ratsam«, sagte Aaron und warf kopfnickend einen Blick auf seine Armbanduhr. »Gerade jetzt nimmt er an einer Verhandlung teil, bei der es um einen äußerst verzwickten Streit geht, der ihn einige Stunden in Anspruch nehmen dürfte. Aber da wir beide am Telefon einhellig der Meinung waren, daß er in den letzten Mo naten ein äußerst sprunghaftes Verhalten an den Tag gelegt hat, könnte es dennoch sehr wohl sein, daß er die Verhandlung mitten im Satz abbricht und nach Hause fährt.« »Oder ins Museum oder ins Kino geht oder - Gott bewahre! zum Flugplatz fährt und nach weiß der Himmel wohin entschwindet«, unterbrach Eleanor Devereaux ihn. »Ich bin mir Sams stürmischer Neigungen nur allzu bewußt. Sonntag vor vierzehn Tagen kam ich von der Kirche nach Hause und fand auf dem Küchentisch eine Nachricht vor. Er schrieb, er sei aus und werde mich später anrufen. Das tat er dann, als ich beim Dinner saß - aus der Schweiz.« »Unsere Erfahrungen gleichen sich auf schmerzliche Weise, deshalb werde ich Ihnen gar nicht erst erzählen, was ich und die Firma in dieser Beziehung alles schon erlebt haben.« »Läuft mein Sohn Gefahr, seine Stellung zu verlieren, Mr. Pinkus?« »Nicht, wenn ich es verhindern kann, Mrs. Devereaux. Ich habe viel zu lange nach einem Nachfolger Ausschau gehalten, um so leicht aufzugeben. Aber ich wäre nicht ganz aufrichtig, wenn ich Ihnen erklärte, daß der augenblickliche Zustand annehmbar sei. Dieses Verhalten wird weder Sam noch der Kanzlei gerecht.« »Ich stimme Ihnen rückhaltlos zu. Was kann man tun - was kann ich tun?« »Selbst auf die Gefahr hin, daß Sie glauben, ich mißbrauchte Ihr Vertrauen, ich frage Sie nur aus Zuneigung und beruflicher Sorge heraus: Was haben Sie mir von Ihrem Sohn zu erzählen, das Licht auf sein zunehmend rätselhaftes Verhalten werfen könnte? Ich versichere Ihnen, was zwischen uns gesagt wird, -4 3
bleibt streng vertraulich - als wären sie meine Mandantin, wiewohl ich mir nie herausnehmen würde, mir einzubilden, ich wäre der Anwalt Ihrer Wahl.« »Mein lieber Mr. Pinkus, vor ein paar Jahren hätte ich mir nicht herausnehmen können, mich an Sie zu wenden und Sie zu bitten, mich anwaltlich zu vertreten. Denn hätte ich geglaubt, Ihr Honorar bezahlen zu können, hätte ich große Summen retten können, die nach dem Tod meines Mannes eigentlich der Familie hätten zufallen müssen.« »Wie bitte?« »Lansing Devereaux hat so manchen Kollegen in äußerst lukrative Situationen gebracht, und zwar unter der stillschweigenden Voraussetzung, daß er, nachdem das eingesetzte Kapital sich amortisiert hätte, angemessen am Gewinn beteiligt würde. Doch nach seinem Tod haben sich nur eine Handvoll Leute an diese Vereinbarungen gehalten.« »Vereinbarungen? Schriftliche Vereinbarungen?« »Lansing war, wenn es um die Details ging, von geradezu sträflicher Nachlässigkeit. Was es gab, waren nur Protokolle von Unterredungen und Gesprächsnotizen, solche Sachen.« »Sie haben Kopien davon?« »Selbstverständlich. Man hat mir aber gesagt, sie seien wertlos.« »Hat Ihr Sohn Sam diese Einschätzung geteilt?« »Ich habe ihm die Papiere nie gezeigt und werde es auch nicht tun ... Er hat in so mancher Hinsicht eine schmerzliche Zeit des Erwachsenwerdens hinter sich - was seinen Charakter gestärkt haben dürfte. Doch wozu verheilte Wunden wieder aufreißen?« »Vielleicht beschäftigen wir uns später einmal mit diesen >Wertlosen< Unterlagen, Mrs. Devereaux, doch jetzt würde ich gern zu dem zurückkehren, was uns, naja, im Augenblick beschäftigt. Was ist mit Ihrem Sohn in der Army passiert? Haben Sie da irgendeine Ahnung?« »Er hat sich, wie die Engländer sagen, >gar nicht mal so übel< gemacht. Er war hier im Lande wie in Übersee Gerichtsoffizier, und wie man mir sagte, hat er sich besonders in Fernost bewährt. Bei seiner Entlassung war er Adjutant im Büro des -4 4
Generalinspekteurs und bekleidete vorübergehend den Rang
eines Majors. Viel weiter kann man es in seinem Alter kaum
bringen.«
»Im Fernen Osten?« fragte Aaron und fuhr seine Antennen
etwas weiter aus. »Was hat er denn in Fernost gemacht?«
»Er war natürlich in China. Sie werden sich vermutlich nicht
mehr daran erinnern, denn sein Beitrag wurde, wie es in der
Politikersprache heißt, >heruntergespielt<. Aber er war es, der
über die Freilassung von diesem verrückten amerikanischen
General in Peking verhandelte, dem, der einer der verehrten
Statuen in der Verbotenen Stadt die ... nun ja ... die
Geschlechtsteile abgeschossen hatte.«
»Doch nicht etwa Madman MacKenzie Hawkins?«
»Doch, ich glaube, so hieß er.«
»Das ist der nachweislich verrückteste aller frei
herumlaufenden Verrückten. Ein Guerilla-Gorilla, der ums Haar
den ganzen Erdball in den Dritten Weltkrieg gestürzt hätte. Und
den hat Sam vertreten?«
»Ja. In China. Und hat seine Sache offenbar sehr gut
gemacht.«
Aaron schluckte ein paarmal, ehe er seine Stimme wiederfand,
»Das hat Ihr Sohn mir gegenüber nie erwähnt«, sagte er kaum
vernehmlich.
»Nun, Mr. Pinkus, Sie wissen ja, wie das beim Militär so ist. Da
wird doch, wenn ich recht unterrichtet bin, Gott weiß wieviel
vertuscht.«
»Per Tusch vertuscht«, murmelte Bostons gefeierter Anwalt mit
einer Stimme, als rezitiere er den Talmud. »Sagen Sie, Mrs.
Devereaux, hat Sammy ...«
»Sam oder Samuel, Mr. Pinkus.«
»Ja, natürlich. Hat Sam Ihnen gegenüber diesen General
Hawkins nach seiner Entlassung aus der Army jemals wieder
erwähnt?«
»Nicht mit dieser Rangbezeichnung und auch nicht namentlich;
und vor allem nie, wenn er nüchtern war. Ich sollte Ihnen
-4 5
klarmachen, daß, ehe er aus der Army entlassen wurde und
dann - etwas später, als wir erwarteten - nach Boston
zurückkehrte ... Ich sollte hinzufügen ...«
»Würden Sie sich diese Hinzufügung bitte ersparen, Mrs.
das dem nächsten
Devereaux? Erklären Sie Delikatessenhändler, der Ihnen fünfzig Pfund Lachs liefert.«
»Wie bitte?«
»Ach, das ist völlig uninteressant. Was sagten Sie noch
gerade?«
»Nun, ein Colonel im Büro des Generalinspekteurs rief mich an
und sagte, Sam sei in China unter >ein Höchstmaß an Druck<
gesetzt worden. Und als ich nachfragte, was er denn damit
meine, wurde er geradezu ausfallend und erklärte, als
>anständige Offiziersfrau< müsse ich das verstehen. Und als
ich daraufhin erklärte, ich sei nicht Sams Frau, sondern seine
Mutter, sagte dieser sehr unflätige Mensch sinngemäß etwa, er
halte >den Clown für etwas überspannt<, und weiter, ich müsse
darauf gefaßt sein, daß es ein paar Monate lang vermutlich
immer wieder zu jähen Stimmungsumschwüngen käme und
Sam möglicherweise auch des öfteren zur Flasche greifen
würde.«
»Und was haben Sie dazu gesagt?«
»Ich war schließlich nicht mit Lansing Devereaux verheiratet,
ohne ein paar Dinge zu lernen, Mr. Pinkus. Ich weiß verdammt
gut, daß ein Mann, wenn er kocht, weil er zu großem Druck
ausgesetzt wird, Dampf ablassen muß und so etwas ein
vernünftiges Ventil darstellt. In dem Bereich könnten die ach so
emanzipierten jungen Frauen von heute noch was lernen. Noch
ist es Aufgabe des Mannes, den Löwen nicht in die Höhle zu
lassen, daran hat sich nichts geändert, und biologisch gesehen,
sollte es das auch nicht. Er ist es, der die meisten Schläge
abkriegt - physisch, moralisch und juristisch gesehen auch.«
»Ich fange an zu verstehen, woher Sam seinen Scharfsinn
hat.«
»Sie irren, Aaron ... ich darf Sie doch Aaron nennen, oder?«
-4 6
»Mit dem größten Vergnügen ... Eleanor.«
»Verstehen Sie, Scharfsinn oder klarer Verstand, oder wie Sie
es immer nennen mögen, sind nur dann von Nutzen, wenn
auch Phantasie vorhanden ist. Davon hatte mein Lansing eine
ganze Menge, und nur daß wir in Macho-Zeiten lebten, hat
mich daran gehindert, zum Ausgleich meinen Teil dazu
beizutragen - die nötige Vorsicht, wenn Sie so wollen.«
»Sie sind eine bemerkenswerte Frau, Eleanor.«
»Noch einen Brandy, Aaron?«
»Warum nicht? Ich komme mir vor wie ein Schüler in
Gegenwart einer Lehrerin, die ihm Dinge beibringt, über die er
nie richtig nachgedacht hat.«
»Nur nichts übertreiben. Wir Frauen gefallen uns in der Rolle
derer, die für die Männer die Fäden ziehen.«
»Noch mal zurück zu Ihrem Sohn«, sagte Pinkus und nippte
zweimal an seinem Brandy, statt wie sonst nur einmal. »Sie
haben gesagt, namentlich und unter Verwendung seiner
Rangbezeichnung hat Sam nie wieder von General Hawkins
gesprochen, gleichzeitig haben Sie aber angedeutet, er habe
auf ihn angespielt ... wenn er nicht gerade nüchtern war, was
durchaus verständlich ist. Was hat er gesagt?«
»Er hat dann von The Hawk, dem Falken, gesprochen. So
jedenfalls hat er ihn genannt«, sann Eleanor leise, wobei sie
den Kopf auf dem brokatbezogenen Sofa nach hinten
durchbog. »Sam sagte, Hawkins sei unbestreitbar ein Held und
als Offizier ein Genie, das dieselben Leute hätten fallenlassen,
die ihn zuvor als ihren Sprecher und ihr Idol über den grünen
Klee gelobt hätten - sich aber von ihm lossagten, als er zu einer
Peinlichkeit wurde. Einer Peinlichkeit trotz der Tatsache, daß er
mit dem, was er tat, ihre Phantasien und Träume verwirklichte.
Was ihnen einen Heidenschrecken einjagte, weil sie sich
darüber im klaren waren, daß ihre Phantasien, wenn man sie
sämtlich in die Realität umsetzte, zu einer Katastrophe führen
konnten. Wie die meisten Fanatiker, die nie wirklich auf dem
Schlachtfeld gestanden haben, hatten sie eine Heidenangst
davor, sich zu blamieren oder gar zu sterben.«
-4 7
»Und Sam?"
»Er behauptet, nie einer Meinung mit dem Falken gewesen zu
sein und daß er nicht mit ihm in einen Topf geworfen werden
wolle, doch sah er sich dazu gezwungen, sah sich genötigt ...
ich weiß nicht was. Manchmal, wenn er nur reden wollte, erfand
er das Blaue vom Himmel herunter, redete reinen Unsinn, wie
zum Beispiel, daß er auf einem Golfplatz Leute getroffen hätte,
die gegen Geld töteten - dabei hat er übrigens einen Country
Club auf Long Island namentlich erwähnt.«
»Long Island - das New Yorker Long Island?«
»Ja. Und daß er mit britischen Verrätern am Londoner
Belgravia Square Verträge ausgehandelt hätte, die viel Geld
wert seien - und mit ehemaligen Nazis auf Hühnerfarmen in
Deutschland ... sogar mit arabischen Scheichs in der Wüste,
die in Wirklichkeit Slumlords in Tel Aviv seien und nicht
zulassen wollten, daß die ägyptische Armee ihnen während des
Yom-Kippur-Krieges ihre Mietskasernen kaputtkartätschte.
Völlig aberwitzige Geschichten, Aaron. Ich sage Ihnen, sie
waren - sind - völlig hirnverbrannt.«
»Völlig hirnverbrannt«, wiederholte Pinkus leise. Sein Magen
fing an, sich zu verkrampfen. »Sie betonen sind? Heißt das,
daß er Ihnen immer noch solche verrückten Geschichten
erzählt?«
»Nicht mehr so oft wie früher, aber ja, wenn er ganz am Boden
zerstört ist oder einen Martini zuviel getrunken hat und aus
seiner Löwenhöhle hier im Haus herunterkommt.«
»Aus seiner Löwenhöhle?«
»Er nennt sie selbst so: die Höhle in seinem Chateau.«
»Chateau - wie ein sehr großes Haus oder eine Burg?«
»Ja, ab und zu redet er sogar von einem großen Chateau in der
Schweiz, in Zermatt, und von seiner Lady Anne und Onkel Zio
das sind so Hirngespinste von ihm! Genaugenommen, glaube
ich, muß man das als Spinnereien bezeichnen.«
»Hoffentlich haben Sie damit recht«, murmelte Pinkus.
»Wie bitte?«
-4 8
»Ach, nichts. Verbringt Sam eigentlich viel von seiner Zeit in
seiner Höhle, Eleanor?«
»Im Grunde verläßt er sie nie, wenn er hier ist, nur manchmal
zu einem gemeinsamen Dinner mit mir. Es handelt sich um den
Ostflügel dieses Hauses, der einen eigenen Eingang hat und
vom Rest völlig abgetrennt ist. Zwei Schlafzimmer, ein
Arbeitszimmer, Küche, was man so braucht. Er hat sogar
seinen eigenen Reinigungsdienst - Leute, die übrigens
sonderbarerweise Moslems sind.«
»Seine eigene Wohnung, wirklich ...«
»Ja. Und er bildet sich ein, die einzigen Schlüssel zu besitzen.
«
»Was jedoch nicht der Fall ist?« fragte Aaron rasch nach.
»Grundgütiger Himmel, nein. Die Leute von der Versicherung
wollten unbedingt, daß Cora und ich Zugang zu seiner
Wohnung hätten. Eines Morgens hat Cora ihm sein
Schlüsselbund stibitzt und Duplikate machen lassen. ... Aaron
Pinkus!« Eleanor Devereaux sah dem Rechtsanwalt in die
tiefliegenden Augen und las darin die Botschaft. »Glauben Sie
wirklich, wir könnten etwas erfahren, wenn wir ... wenn wir
einen Streifzug durch die Höhle des Löwen machten? Ist so
was nicht verboten?«
»Sie sind seine Mutter, meine Liebe, und machen sich zu recht
große Sorgen um seine augenblickliche Geistesverfassung. Da
muß jedes Gesetz zurückstehen. Doch ehe Sie da entscheiden,
bitte noch ein oder zwei Fragen: An diesem Haus, diesem
prachtvollen alten Haus, sind in den vergangenen Jahren viele
Verschönerungen vorgenommen worden. Schon nach dem
Eindruck, wie es sich rein äußerlich präsentiert, hatte ich die
Kosten dafür auf rund hunderttausend Dollar geschätzt. Jetzt,
wo ich das Innere kenne, sehe ich mich genötigt, ein Vielfaches
dieser Summe anzunehmen. Woher stammt dieses Geld? Hat
Sam Ihnen das erzählt?«
»Nun, nichts Genaues ... Er hat gesagt, während seines ersten
Geheimauftrags in Europa habe er in gewisse Kunstwerke
investiert - neu entdeckte religiöse Kunst übrigens -, nach ein
-4 9
paar Monaten sei der Markt förmlich explodiert, und er habe
klotzig daran verdient.«
»Verstehe«, sagte Pinkus, wobei sich sein Magen immer noch
mehr verkrampfte. »Religiöse Kunstwerke ... Und diese >Lady
Anne<, von der er, wie Sie sagten, spricht? Was genau hat er
von ihr erzählt?«
»Ach, nur lauter Unsinn. In den Wahnvorstellungen meines
Sohnes, oder in seinem Delirium, wenn Sie das lieber wollen,
ist diese Lady Anne seine große und ewige Liebe auf Erden,
die ihn verlassen hat und mit einem Papst durchgebrannt ist.«
»Ach, großer Gott Abrahams«, flüsterte Pinkus und streckte die
Hand nach seiner Teetasse aus.
»Wir Anglikaner können da wirklich keine Verbindung sehen,
Aaron. Von Heinrich VIII. mal abgesehen - die Unfehlbarkeit
irgendeines Papstes nicht anzuerkennen, bedeutet an sich
recht wenig. Der Papst ist ein vernünftiges, wenn auch etwas
großkotziges Symbol, aber mehr auch nicht.«
»Ich denke, es ist an der Zeit, daß Sie sich entscheiden, meine
liebe Eleanor«, sagte Pinkus, kippte den Rest seines Brandys
und wünschte, der sich ausbreitende Schmerz in seinem
Magen möge sich verflüchtigen, »sich die Höhle des Löwen mal
genauer anzusehen, meine ich.«
»Sie glauben wirklich, das könnte uns Aufschluß geben?«
»Ich weiß selbst nicht recht, was ich eigentlich denke, aber ich
bin mir sicher, daß wir auf jeden Fall gut daran täten, es zu
versuchen.«
»Dann kommen Sie!« Die Dame Devereaux erhob sich eine
Spur unsicher von ihrem Sofa und zeigte auf die Doppeltür.
»Die Schlüssel liegen in der Blumenvase in der Halle.«
Aaron Pinkus stand gleichfalls auf und fühlte sich auch
seinerseits nicht ganz sicher auf den Beinen.
Sie näherten sich der massiven Tür der Zuflucht von Samuel
Lansing Devereaux, und unter sanftester Nachhilfe des
Mannes, der jetzt der Anwalt ihrer Wahl war, steckte Sams
Mutter den Schlüssel ins Schloß. Sie betraten das Allerheiligste
-5 0
und gingen einen schmalen Korridor hinunter, der in eine
größere Halle mündete. Die Strahlen der Nachmittagssonne
fielen durch eine imposante, dem Anschein nach
undurchdringliche Glastür zu ihrer Linken, dem Separateingang
der Wohnung. Sie wandten sich nach rechts, und die erste Tür,
auf die sie stießen, führte in einen abgedunkelten Raum mit
heruntergelassenen Jalousien.
»Was ist hier drin?« fragte Aaron.
»Ich glaube, es ist sein Arbeitszimmer«, erwiderte Eleanor und
blinzelte. »Ich bin schon seit Ewigkeiten nicht mehr
hiergewesen ...«
»Sehen wir uns mal um. Wissen Sie, wo die Lichtschalter
sind?«
»Für gewöhnlich an der Wand.« Drei Bodenlampen
erleuchteten drei sichtbare Wände eines großen,
fichtenholzgetäfelten Arbeitszimmers. Die Wände selbst jedoch
waren kaum zu sehen, denn sie waren mit gerahmten Fotos
und einfachen Zeitungsausschnitten zugepflastert, von denen
letztere häufig schief hingen, so als wären sie hastig und
vielleicht im Zorn in die Zwischenräume zwischen den vielen
Fotos plaziert worden. »Nein, dieses Durcheinander aber
auch!« entrüstete sich die Mutter des Bewohners. »Ich werde
darauf bestehen, daß hier Ordnung gemacht wird.«
»Daran würde ich lieber nicht denken«, meinte Pinkus und
näherte sich den nächsthängenden Ausschnitten an der Wand
linkerhand. Im großen und ganzen zeigten und handelten sie
von einer Nonne in weißem Habit, die an den
unterschiedlichsten Orten der Welt Essen und Kleidung an
Bedürftige austeilte an Weiße, Schwarze und
mittelamerikanische Mischlinge mit Indioeinschlag. Schwester
Anne die Gütige trägt ihre Botschaft in alle Welt, lautete eine
Überschrift über einem Foto aus den Favelas von Rio de
Janeiro, wie der überdimensional große Christus im
Hintergrund auf einem der Berge der Stadt deutlich machte. Die
übrigen Zeitungsausschnitte waren Variationen desselben
Themas - allesamt mit Fotos einer auffallend attraktiven Nonne
-5 1
in Afrika, Asien, Mittelamerika und auf den Leprainseln im
Pazifik. Schwester Anne, Schwester der Mildtätigkeit,
Schwester der Hoffnung und schließlich: Anne die Gütige, eine
Anwärterin auf den Stand der Heiligkeit?
Aaron setzte seine stahlgefaßte Brille auf und studierte die
gerahmten Fotos: Die waren samt und sonders an irgendeinem
Ort aufgenommen, der förmlich nach Edelweiß stank. Im
allgemeinen bildeten die Alpen den Hintergrund, und der
eigentliche Gegenstand wirkte glücklich und sorgenfrei, wobei
die Lebenslust die Gesichter strahlen ließ. Manche waren auf
den ersten Blick zu erkennen: ein etwas jüngerer Sam
Devereaux, die großgewachsene, aggressive Gestalt des
Wahnsinns-Generals, Madman MacKenzie Hawkins, eine
aschblonde Frau in Shorts und BH, üppig und - kein Zweifel
Anne die Gütige. Hinzu kam noch eine vierte Gestalt, die eines
untersetzten, gutmütig lächelnden Burschen, der sich die
Schürze eines Küchenmeisters vorgebunden hatte, die kaum
seine Lederhosen verbarg. Wer war das? Das Gesicht kam ihn
bekannt vor, doch ... nein, nein. NEIN!
»Der Gott Abrahams hat uns verlassen«, flüsterte Aaron Pinkus
mit einem Beben in der Stimme.
»Wovon in drei Teufels Namen reden Sie?« wollte Eleanor
Devereaux wissen.
»Sie werden sich vermutlich nicht erinnern, weil es Ihnen nichts
bedeutet hat«, antwortete Aaron rasch und unsicher, wobei
seine leise Stimme unverkennbar zitterte. »Doch vor ein paar
Jahren ging im Vatikan alles drunter und drüber - finanziell
gesehen. Da flössen Riesensummen aus der Kasse des
Heiligen Stuhls, und zwar für die unmöglichsten Vorhaben, von
drittklassigen Opernhäusern und Karnevals bis zu Häusern in
ganz Europa, die der Rehabilitation von Prostituierten dienten.
Alle möglichen Wahnsinnssachen. Die Leute meinten, der
Papst sei verrückt geworden, sei, wie sie sagten, pazzo! Und
dann, als der Heilige Stuhl kurz vor dem Zusammenbruch
stand, was in der Finanzwelt zu einer irren Panik geführt hätte,
lief plötzlich alles wieder normal wie früher. Der Papst hielt die
Zügel fest in der Hand und war ganz der alte, der gute
-5 2
Gottesmann und Hirte, den alle kannten und liebten. In den
Medien hieß es, es habe vorübergehend zwei Päpste
gegeben.«
»Mein lieber Mr. Pinkus. ich verstehe überhaupt nicht, wovon
Sie reden.«
»Schauen Sie, schauen Sie«, rief Aaron und zeigte auf ein
lächelndes, fleischiges Gesicht. »Das ist er!«
»Wer?«
»Der Papst. Daher also hatte ihr Sohn das Geld! Lösegeld! Die
Presse hatte also recht, es waren zwei verschiedene Männer.
General Hawkins und Ihr Sohn haben den Papst entführt ...
Eleanor, Eleonor?« Aaron kehrte sich von der Wand ab.
Eleanor Devereaux war besinnungslos zu Boden gesunken.
-5 3
4. KAPITEL »So sauber ist keiner«, sagte CIA-Direktor Mangecavallo leise und ungläubig zu den beiden Herren im dunklen Anzug, die ihm in seiner dämmerig beleuchteten Küche in McLean, Virginia, gegenübersaßen. »So was ist unnatürlich, versteht ihr, was ich meine? Vielleicht habt ihr nicht gründlich genug rumgeschnüffelt. Fingers?« »Wie gesagt, ich war schockiert«, entgegnete der untersetzte und fettleibige Mann, der auf den Namen Fingers hörte und jetzt am Knoten seines weißen Schlipses herumfingerte, der ihm über das schwarze Hemd fiel. »Ganz richtig, es ist unnatürlich, unmenschlich. In was für einer Welt leben diese hochgestochenen Juristen eigentlich? Ist die etwa völlig aseptisch?« »Sie haben mir meine Frage nicht beantwortet«, fiel Vincent ihm leise ins Wort, schob die Brauen in die Höhe und wendete den Blick dann rasch seinem zweiten Besucher zu. »Was sagen Sie, Meat? Ihr fangt doch wohl nicht an, plötzlich schlampig zu arbeiten, oder?« »Na, na, Vin!« verwahrte der große Mann mit dem Brustkorb eines Preisringers sich und legte die gespreizten Pranken vor sich hin, wodurch zum Teil der rote Schlips verdeckt wurde, den er zu einem pinkfarbenen Hemd trug. »Wir haben erstklassige Arbeit geleistet - das hatte geradezu Weltniveau, was soll ich noch sagen? Das ging doch gar nicht anders bei diesen hochgestochenen Typen, stimmt's? Wir haben sogar Hymie Goldfarbs Boys in Atlanta konsultiert, und wer ist besser geeignet als die, einem Heiligen was anzuhängen? Hab ich nicht recht?« »Yeah, Hymies Boys finden immer Mittel und Wege, jemandem Dreck an den Stecken zu schmieren, das steht außer Frage«, stimmte der CIA-Direktor zu, schenkte sich noch ein Glas Chianti ein und zog eine Monte-Cristo-Zigarre aus der Hemdtasche. »Da können die Leute von der Bundespolizei in Hooverville nicht dran klingeln. Die Goldfarb-Boys haben schon -5 4
für insgesamt hundertsiebenunddreißig Kongreßabgeordnete und sechsundzwanzig Senatoren Dreck genug ausgegraben. Außerdem brauchte es nur eine gewisse largesse ...« »Was'n das, Vinnie, lar... was?« fragte Fingers. »Largesse, ach, vergiß es! Ich kann's mir einfach nicht vorstellen. Bei keinem einzigen von diesen sechs überkandidelten Richtern sollte es etwas geben, wo man ansetzen könnte? Das wär ja geradezu extraterrestrisch!« Mangecavallo stand vom Tisch auf und setzte seine Zigarre in Brand. Er tigerte vor einer im Dunkeln liegenden Wand auf und ab, an der abwechselnd Drucke von Heiligen, Päpsten und Gemüse hingen, und blieb dann unvermittelt stehen. Dabei stieg Rauch von tief unten in die Höhe und umwallte seinen Schädel wie ein Heiligenschein. »Fangen wir noch mal ganz von vorne an«, sagte er und bewegte sich nicht. »Laßt uns richtig suchen.« »Nach was, Vinnie?« »Bei diesen vier oder fünf liberalen Scheißern ... die ticken doch nicht richtig! Was haben die, das nicht mal Goldfarbs Leute was finden konnten? Was ist zum Beispiel mit diesem großen schwarzen Panther? Vielleicht hat er als Junge gedealt, hat schon mal jemand daran gedacht? Vielleicht sind wir einfach nicht weit genug zurückgegangen. Daran könnte es liegen!« »Er war Meßdiener und hat im Kirchenchor gesungen, Vin. Dann hat er zielstrebig Karriere gemacht, war aber auch dabei der reinste Engel, allerdings mit sagenhaft viel Köpfchen.« »Und was ist mit dieser Richterin? Das ist doch eine große cannoli, stimmt's? Was bedeutet, daß ihr Mann den Mund halten und so tun muß, als ob er glücklich darüber wäre, daß sie eine große cannoli ist. Und das kann er natürlich nicht, denn schließlich ist er ein Mann. Vielleicht kriegt er bei ihr nichts zu essen und kocht deshalb innerlich, kann aber nichts sagen. Über so was reden die Leute nicht.« »Auch das ist 'ne Niete, Vin«, sagte Meat und schüttelte traurig den Kopf. »Er schickt ihr Tag für Tag Blumen ins Büro und erzählt jedem, wie stolz er auf sie ist. Das könnte sogar -5 5
stimmen, weil er ja selbst ein großer Advokat ist und er es sich mit keinem am Gericht verderben will, auch mit seiner eigenen Frau nicht.« »Scheiße! Und wie steht's mit diesem irischen Korinthenkacker? Vielleicht trinkt der zuhause manchmal einen über den Durst wie so viele von seinen Landsleuten, die zwar tagsüber Theater spielen, sich abends dann aber vollaufen lassen. Was haltet ihr davon? Wir könnten ein kleines Dossier zusammentragen - top secret, nationale Sicherheit, solche Sachen. Wir kaufen uns 'n Haufen Zeugen, die Stein und Bein schwören, sie hätten ihn nach Büroschluß besinnungslos besoffen im Rinnstein liegen sehen! Das könnte hinhauen! Außerdem, so wie der aussieht, könnten wir ihm auch 'n paar kleine Mädchen unterjubeln. Das wäre jedenfalls was Natürliches.« »Das geht in die Hose, Vin«, hielt Meat ihm entgegen, seufzte abermals und schüttelte den Kopf. »Dieser Ire ist so blütenrein, daß auch Bettlaken vor Neid erblassen. Es ist bekannt, daß er höchstens mal ein Glas Weißwein trinkt, und kleine Mädchen gibt's bei dem nicht mal beim Sackhüpfen oder Eierlaufen.« »Verflixt und zugenäht! ... Okay, okay! Lassen wir die Finger von denen - die stammen sowieso aus den besseren Vierteln. Sich bloß nicht mit der Country-Club-Bande anlegen, lautet die Parole. Ärgert mich zwar, aber damit kann ich mich abfinden ... Kommen wir also zu unserem paisa.« »Das ist ein ganz übler Bursche, Vinnie!« unterbrach Fingers ihn erbost. »Wie der mit unseren Leuten umgesprungen ist - als ob er nicht wüßte, mit wem er's zu tun hat! Sie verstehen, was ich meine?« »Nun, vielleicht sollten wir ihm mal zu verstehen geben, daß wir wissen, wer er ist - was haltet ihr davon?« »Okay, Vin, aber was ist nun?« »Wie zum Teufel soll ich das wissen? Goldfarbs Boys hätten auf was stoßen müssen; irgendwas müßte sich doch finden lassen! Daß er in der Pfarrschule über ein paar Nonnen hergefallen ist oder meinetwegen den Kollektenteller bei der -5 6
Messe abgestaubt hat, um sich eine Harley anzuschaffen und einer Motorradgang anschließen zu können, egal, was! Muß ich mir denn alles aus den Fingern saugen? Er muß doch irgendwo eine Schwäche haben, das haben alle fetten paisans.« »Der hier läßt sich nicht ans Bein pinkeln«, ließ Meat mit dem pinkfarbenen Hemd sich vernehmen. »Das ist ein wirklicher erudito, einer, der mit Fremdwörtern nur so um sich schmeißt, daß es auch die größten Intelligenzbolzen umhaut. Und dabei ist er noch so sauber wie der linnengebleichte Mann von der Grünen Insel. Der eckt nirgends an, höchstens, daß er die Leute gegen sich aufbringt, weil er gern Arien schmettert, obwohl er keine besonders gute Stimme hat.« »Okay, okay!« sagte Mangecavallo, paffte hektisch an seiner Zigarre und kehrte zu seinem Platz am Küchentisch zurück. »Also, wo stehen wir? Wir müssen das Land, das wir lieben, beschützen, weil wir uns ohne das Land, das wir lieben, die Nase wischen können! Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?« »Oh, ja, klar, Mann«, sagte Fingers. »Ich hab nicht die geringste Lust, sonst irgendwo zu leben.« »Bei mir wär das sowieso ausgeschlossen«, schloß Meat sich ihm an. »Wo ich doch Angelina und die sieben Kids am Hals habe - wohin sollte ich schon? Palermo ist viel zu heiß, ich schwitz nun mal leicht. Und bei Angie ist das noch schlimmer, du meine Güte, kann die schwitzen! Die bringt es fertig, daß einem die Puste ausgeht, wenn man im selben Zimmer mit ihr ist.« »Ist ja widerlich«, sagte Mangecavallo leise, die dunklen Augen auf seinen massigen Mitarbeiter gerichtet. »Ich meine, wirklich abstoßend. Wie können Sie nur so von der Mutter Ihrer Kinder reden?« »Sie kann ja nichts dafür, Vin. Das liegt an den Drüsen.« "Basta, so kommen wir nicht weiter.« Wieder erhob sich der CIA-Direktor, tigerte erregt in der Küche auf und ab, paffte an seiner Zigarre und blieb gerade lange genug am Herd stehen, um den Deckel von einem dampfenden Topf zu nehmen und -5 7
ihn wieder fallen zu lassen, weil er glühend heiß war. »Was
zum Teufel kocht sie da nur wieder!?« Mit schmerzverzerrter
Miene schüttelte er den Kopf.
»Ihr Mädchen, Vinnie?«
»Mädchen? Was für'n Mädchen? Meinen Sie etwa die
Contessa, die mit Rosa dasitzt und strickt und quatscht und
quatscht und strickt, als wären die beiden zwei alte sizilianische
Weiber, die versuchen, sich zu erinnern, wer vor vierzig Jahren
wem in Messina 'n dicken Bauch gemacht hat? Sie kocht nicht
kocht nicht und putzt keine Fenster und wischt auch nicht auf;
nur daß sie mit Rosa durch die Supermärkte watschelt und
irgendwelches Zeugs kauft, das man nicht mal an die Katzen
verfüttern mag.«
»Dann schmeißen Sie sie doch raus, Vin!« »Sehr komisch,
scungilli! Rosa behauptet, sie ist für sie wie eine Schwester ...
Sollen sie diesen Fraß doch ...! Wir gehen auswärts essen!
Notstand im Bereich der nationalen Sicherheit - ihr versteht,
worauf ich hinauswill?«
»Klar, kapiert, Vinnie«, bestätigte Fingers und nickte. »Wie das,
was sie meinen, wenn sie sagen, >die Eingeborenen werden
unruhig<, stimmt's?«
»Grundgütiger! Was haben denn Eingeborene damit zu tun
aber halt mal, halt mal! Eingeborene! Gebürtiger Amerikaner.
Das könnte hinhauen ... Vielleicht ... mal sehen.« »Vielleicht
was, Vinnie?«
»Diesen Richtern ist nicht so recht an den Karren zu fahren,
richtig?«
»Richtig, Vinnie.«
»Der Oberste Gerichtshof könnte uns also alle durchs Klo
spülen, richtig?« »Richtig, Vinnie.«
»Nicht unbedingt ... Angenommen, bloß mal angenommen,
dieser Fettkloß von einem Indianerhäuptling, der die Nation
möglicherweise in die größte Sicherheitskrise stürzen kann, die
die Geschichte je gesehen hat, ist ein ganz ganz schlimmer
Bursche, ein bis ins Mark verdorbenes Individuum mit nicht so
-5 8
viel Liebe im Herzen, sondern nichts als finsteren Absichten. Ihr versteht, was ich meine? Mal angenommen, der kümmert sich eine crapolla um das Wohlergehen seiner Brüder und Schwestern, sondern will die ganze Publicity bloß für sich und tüchtig absahnen. Sich 'ne goldene Nase verdienen. Wir nehmen seinen angeblich so guten Charakter auseinander, bis nichts mehr von ihm übrig ist, machen ihm seine Sache zuschanden. So was geschieht doch alle Tage.« »Weiß nicht, Vin«, meinte Meat widerstrebend. »Sie selbst haben mir erzählt, als Sie diesen Juristen vom Weißen Haus befragt hätten - den mit den bunten Kreiden -, da hätte der gesagt, vier oder fünf von den Richtern hätten bei der Lektüre dieses Sitting-Bull-Klagesatzes Rotz und Wasser geheult. Wär 'ne endlose Litanei von Lug und Betrug gewesen - Sie haben >Litanei< gesagt, mußte ich im Lexikon extra nachschlagen -, von der Ausrottung ganzer Indianerstämme in den ursprünglichen Staaten von Amerika sei da die Rede gewesen. Ja, und jetzt kommen wir, Sie und ich und Fingers hier - wobei Sie natürlich der hellste Kopf von uns sind, während ich ziemlich hinterherhechele, Fingers aber eigentlich gar nicht zählt: Bildet sich denn einer von uns ein, irgendein Windhund könnte diesen hochgebildeten Paragraphenreitern das Hirn mit lauter Blödsinn vernageln? Das ergibt doch keinen Sinn, und glauben tut's auch kein Aas.« »Wir halten schließlich nicht nach Sinn Ausschau, amico, sondern nach einem Ausweg aus einem möglichen Notfall für die nationale Sicherheit, wenn Sie das doch endlich mal in Ihren Quadratschädel reinbekämen! Und im Moment heißt dieser Notfall Donnerhaupt. Schickt Goldfarbs Jungs raus nach Nebraska!« »Nebraska ... Nebraska ... Nebraska«, intonierte Hyman Goldfarb ins Telefon hinein, als wäre der Name dieses Staates Bestandteil eines Psalms. Hinter seinem eleganten Schreibtisch in dem eleganten Büro in Atlantas überaus elegantem Phipps Plaza sitzend, rollt er die Augen in die Höhe und rollt sie wieder herunter, um geradezu liebevoll das schlanke, wohlgekleidete und in den mittleren Jahren stehende Paar zu betrachten, das -5 9
da vor ihm saß, wobei in mittleren Jahren in diesem Falle Mitte der Vierziger hieß, womit die beiden nur ein paar Jahre jünger waren als der muskelbepackte, sonnengebräunte Goldfarb, der seinen immer noch beeindruckenden Athletenkörper in einen körpernah geschnittenen weißen Leinenanzug gehüllt hatte. »Ich soll noch einmal meine besten Leute rausschicken in dieses - um es vorsichtig auszudrücken - hinterwäldlerische Nebraska, damit sie dort hinter einem Nebel herjagen, einem Dunstschwaden, einem Hirngespinst, das sich Donnerhaupt, Häuptling der Wopotami nennt? Wollen Sie das allen Ernstes vorschlagen? Denn wenn Sie das tun, dann müßte ich doch jener Rabbi sein, der ich studienhalber eigentlich hätte werden sollen, statt ein Footballspieler, wozu man nicht sonderlich viel Grips braucht.« Hyman Goldfarb legte eine Pause ein und lauschte. Ab und zu hielt er den Hörer von seinem Ohr fort und seufzte, bis er dem Anrufer offensichtlich ins Wort fiel. »Jetzt hören Sie mir mal zu, und gestatten Sie, daß ich Ihre Telefonkosten senke, ja? Vielen Dank. Hören Sie einfach zu. Wenn es diesen Häuptling Donnerhaupt wirklich gibt, dann ist er zumindest nicht aufzustöbern. Meine Leute können nicht sagen, daß es ihn nicht gibt, denn wann immer sie unter dem kläglichen Rest, der von den Wopotamis in ihrem jämmerlichen Reservat noch übriggeblieben ist, seinen Namen erwähnten, stießen sie auf eine Wand des Schweigens. Sie haben mir berichtet, es wäre, als ob man sich plötzlich in einer Kathedrale wiederfände, die man aus einem lichten Urwald herausgeschlagen hätte, in dem es viel zuviel Feuerwasser gibt. Man fragt sich, ob dieser Donnerhaupt nicht mehr ein Mythos ist als Wirklichkeit. Ein Idol vielleicht, eine Stammesgottheit an einem Totempfahl, vor dem die Gläubigen sich in den Staub werfen, aber kein Mensch aus Fleisch und Blut wie Sie und ich. Um es klar und deutlich zu sagen: Ich glaube nicht, daß es diesen Mann gibt ... Was ich wirklich denke, ist, daß die Frage, die Sie sich ... Ich soll nicht so schreien? Offen gestanden, mein leicht erregbarer Freund, glaube ich, daß dieser Häuptling Donnerhaupt ein symbolisches Amalgam von ... nein, das ist mitnichten eine Anspielung auf -6 0
irgendwelche sexuellen Vorlieben ... von ganz eng definierten, wenngleich eindeutig wohlgemeinten Sonderinteressen ist, bei denen es sich um die unglückselige Behandlung dreht, die unsere Regierung den amerikanischen Indianern hat angedeihen lassen. Vielleicht von einer kleinen Schar Fachleute auf juristischem Gebiet, möglicherweise aus Berkeley oder von der New York University, die genügend Präzedenzfälle ausgegraben haben, um mit ihnen die unteren Gerichtshöfe ins Bockshorn zu jagen. Ein Schwindel, mein Freund, schlicht und einfach ein Schwindel, allerdings ein äußerst brillanter Schwindel!« Goldfarb hielt den Hörer vom Ohr weg und schloß kurz die Augen, während die Stimme aus der Leitung metallisch das elegante Büro erfüllte. »Was reden Sie da?« empörte sich der Anrufer. »Unser großes Land könnte in eine gewaltige nationale Krise geraten, und Sie haben mir nichts weiter anzubieten, als daß es sich um Hirngespinste handelt? Also eins lassen Sie sich von mir gesagt sein, großes Football-As: Der Mann in Langley, den Sie im Augenblick nicht sprechen können, läßt ihnen ausrichten, Sie täten gut daran, in Hinblick auf dieses Donnerhaupt mit was Brauchbarem aufzuwarten, und zwar ein bißchen flott. Ich meine, keiner von uns hat Lust, in Palermo zu leben, wenn Sie verstehen ...« »Lassen wir das Geschwafel und kommen wir zur Sache. Per cento anno, signore«, sagte Goldfarb. »Ich melde mich wieder.« Der CIA-Berater legte den Hörer auf die Gabel, lehnte sich in seinen Drehstuhl zurück, seufzte vernehmlich auf und wandte sich dem attraktiven Paar vor seinem Schreibtisch zu. »Warum ausgerechnet ich, Herr, warum ich?« fragte er kopfschüttelnd. »Sind Sie sicher, daß Sie recht haben?« »Ganz so eindeutig würde ich es nicht ausdrücken, Hyman«, erwiderte die Frau mit jener unverkennbar britischen Aussprache, die auf mehrere Generationen auf teuren Privatschulen schließen ließ. »Nein, absolut sicher sind wir uns nicht, und ich glaube, das kann in diesem Fall auch kein Mensch sein. Aber wenn es jemand wie diesen Donnerhaupt
-6 1
gibt, so ist er zumindest nicht auffindbar - wie Sie es dem Gentleman am Telefon eben so deutlich dargelegt haben.« »Selbstverständlich habe ich Ihre Worte benutzt«, fügte Goldfarb hinzu. »Und ich bin mir nicht sicher, ob die Bezeichnung Gentleman wirklich gerechtfertigt ist.« »Für welche Annahme Sie bestimmt gute Gründe haben«, sagte der Begleiter der Dame, offensichtlich gleichfalls Engländer. »Wir sind nach Plan C vorgegangen, das heißt, als eine aus Cambridge kommende Gruppe von Anthropologen, die einen großen, freilich stark geschrumpften Stamm studiert, der Anfang des siebzehnten Jahrhunderts von Sir Walter Raleigh für die Krone gewonnen wurde. Sollte es diesen Donnerhaupt wirklich geben, hätte er logischerweise vortreten und Wert auf die Anerkennung durch die englische Krone legen müssen - und auf die Auszahlung jener lange schlummernden Subventionszahlungen, die inzwischen aber zu einer gewaltigen Summe aufgelaufen sein dürften. Doch nichts dergleichen. Daher unsere Schlußfolgerung: Es gibt ihn nicht.« »Dafür gibt es den Klagesatz beim Obersten Gerichtshof.« Der Berater ließ sich nicht irremachen. »Das ist heller Wahnsinn!« »Einfach unglaublich«, pflichtete ihm der Engländer bei. »Was machen wir denn da, Hyman? Ich vermute, Sie stehen >unter Waffen<, wie wir beim Secret Service Ihrer Majestät zu sagen pflegten, obwohl ich das immer für einen ziemlich banalen Ausdruck gehalten habe.« »Wir haben es mit einer ziemlich unwahrscheinlichen megillah zu tun«, sagte Goldfarb, »aber die Lage ist trotzdem außerordentlich gefährlich ... Woran denken diese Richter eigentlich?« »An das Gesetz und die Gerechtigkeit, würde ich meinen«, erklärte die junge Frau. »Zu Kosten, von denen wir alle wissen, daß sie exorbitant sind. Aber davon mal abgesehen, lieber Hy, und Sie müssen mir schon verzeihen, wenn ich es so deutlich sage: Der Mann am Telefon hat ja im Grunde genommen recht. Wer immer sich hinter diesem Donnerhaupt verbirgt - es muß
-6 2
übrigens nicht notwendigerweise nur eine einzige Person sein -, er oder sie ist oder sind der Schlüssel zu allem.« »Aber Daphne, wie du selbst eben eingeräumt hast, ist er nicht zu finden.« »Dann haben wir vielleicht noch nicht gründlich genug gesucht, Hyman. Was, Reggie?« »Meine liebste Daphne! Vielleicht darf ich daran erinnern, daß wir diese verdammte morastige Ödnis mit ihren gräßlichen Unterkünften ohne alle sanitären Einrichtungen kreuz und quer durchstreift haben, ohne mit auch nur einem greifbaren Ergebnis aufwarten zu können. Jedenfalls keinem, das irgendwelchen Sinn ergäbe.« »Ich weiß, ich weiß, mein Lieber, aber einer war dabei, der nicht wollte, daß irgend etwas einen Sinn ergab. Vielleicht erinnerst du dich?« »Ach, der«, räumte der Engländer ein, doch ließ sein Tonfall keinen Zweifel, wie er über die Sache dachte. »Unangenehmer junger Bursche, ein richtiger Griesgram.« »Wer?« Goldfarb schob augenblicklich den Oberkörper vor. »Was heißt hier Griesgram, Reggie. Er war einfach nur verschlossen und gab nichts von sich. Dabei hat er eindeutig verstanden, was wir gesagt haben. Das konnte man ihm an den Augen ablesen.« »Und wer war das?« Der CIA-Berater ließ nicht locker. »Ein indianischer Krieger, so nennt man die wohl auch heute noch. Anfang zwanzig, würde ich schätzen. Er behauptete, nicht besonders gut Englisch zu verstehen und zuckte auf unsere Fragen bloß mit den Schultern oder schüttelte den Kopf. Ich hab mir nichts weiter dabei gedacht - die jungen Indianer sind heutzutage so feindselig eingestellt.« »Er war unanständig gekleidet, wenn ich das mal so sagen darf«, unterbrach Reginald sie. »Kaum mehr als ein Lendenschurz. Ziemlich abstoßend. Und als er dann aufs Pferd sprang, ließ er wirklich jedes reiterliche Können vermissen, das können Sie mir glauben!« -6 3
»Wovon reden Sie eigentlich?« fragte ein völlig verdatterter
Goldfarb.
»Er fiel runter«, antwortete Daphne. «Dressurreiten war nicht
gerade seine Stärke.«
»Moment, Moment!« Goldfarb hatte seinen breiten Brustkorb
fast bis zur Hälfte über den Schreibtisch geschoben. »Sie
sagten eben, Sie hätten sich weiter nichts dabei gedacht - aber
jetzt stimmt dieser junge Indianer Sie dennoch nachdenklich.
Warum?«
»Wie die Dinge nun mal liegen, mein lieber Hy, versuche ich,
an alles zu denken.«
»Wollen Sie damit sagen, er könnte etwas wissen, was er Ihnen
nicht verraten wollte?« »Es ist nur eine Möglichkeit ...«
»Glauben Sie, Sie könnten ihn wiederfinden?« »Oh, das schon.
Ich habe gesehen, wie er aus seinem Tipi kam.«
»Aus seinem Tipi? Die leben in Tipis?« »Aber ja doch, Hyman«,
erwiderte Reginald. »Es sind schließlich Indianer. Rothäute, wie
es in Ihren Wildwestfilmen heißt.« »Irgendwo liegt da ein großer
Hund begraben«, sagte Goldfarb, griff nach dem Telefon und
wählte eine Nummer. »Tipis! Wer schläft heutzutage noch in
einem Tipi! Packen Sie gar nicht erst aus«, setzte er dann noch
für das Paar bestimmt hinzu, um seine Aufmerksamkeit
sogleich wieder dem Telefon zuzuwenden. »Manny? Setzen
Sie sich mit der Schaufel in Verbindung, und dann raus zum
Flugplatz. Bringen Sie die Lear rüber nach Nebraska.«
Der bis auf den merkwürdig aussehenden Lendenschurz nackte
junge indianische Krieger stand draußen vor dem großen
geschmückten Tipi und rief: »Ich will mein Zeug wiederhaben,
Mac! Das können Sie mir nicht antun. Ich hab's satt bis dahin!
Wir schlafen nicht auf bloßer Erde in diesen blöden Zelten und
verbrennen uns die Hände, wenn wir versuchen, auf dem
offenen Lagerfeuer zu kochen! Außerdem benutzen wir Klos
und laufen nicht in den Wald, um unsere Notdurft zu verrichten,
verdammt noch mal! Und wo ich schon dabei bin: Sie können
Ihre alte störrische Schindmähre wiederhaben. Ich hasse
Pferde, und ich kann auch nicht reiten - keiner von uns kann
-6 4
das richtig! Wir fahren einen Chevy oder Ford und manche vielleicht sogar einen alten Cadillac, aber wir reiten doch nicht ins Büro! Mac, hören Sie mir überhaupt zu? Kommen Sie schon, Mac, antworten Sie mir! Hören Sie, ich weiß das Geld und Ihre guten Absichten ja zu schätzen - ich hab ja nicht mal was gegen diese verrückten Klamotten aus dem Kostümfundus -, aber das alles geht ein bißchen zu weit, sehen Sie das nicht ein?« »Haben Sie jemals den Film gesehen, den sie über mich gedreht haben?« belferte es lautstark aus dem geschlossenen Tipi. »Der Kerl, der mich darstellte, hat gelispelt, wie ich es noch nie von jemand gehört habe. Peinlich, wirklich peinlich!« »Aber gerade davon rede ich ja! Diese völlig meschuggene Scharade, die Sie uns hier aufführen lassen, ist peinlich für uns. Wir werden bestimmt noch abgeknallt, und die in den Reservaten halten sich die Bäuche vor Lachen!« »Soweit ist es noch lange nicht. Obwohl der Ausdruck >abknallen< ganz interessant ist.« »Nein, ist er nicht, erhabenes Lotus-Gehirn! Das ganze dauert jetzt über drei Monate, und wir haben bis jetzt kein Wort gehört. Drei Monate heller Wahnsinn - da laufen wir halbnackt oder in perlenbestickten Kostümen herum, die am Hintern kratzen, verbrennen uns die Pfoten und holen uns jedesmal, wenn wir in die Büsche müssen, sonstwas an Stellen, die ebenfalls peinlich sind ...« »Donnerbalken haben immer zum Soldatenleben dazugehört; darüber hat sich noch nie jemand beschwert, mein Junge. Und gegen die Trennung der Geschlechter können Sie auch nichts haben, das ist bei der Army nun mal so und ist es immer gewesen!« »Wir sind aber nicht bei der Army, ich bin auch kein Soldat und ich will meine Klamotten wiederhaben »Nur noch kurze Zeit, mein Sohn!« unterbrach ihn die rauhkehlige, knarrende Stimme aus dem Zeltinnern. »Sie werden's schon sehen!«
-6 5
»Nein, Sie Irrer! Ich warte kein Jahr, keinen Monat und auch
keinen Tag mehr! Die alten Knacker beim Obersten Gerichtshof
sitzen vermutlich in ihrem Sitzungssaal und lachen sich kaputt,
während ich nicht mal im erbärmlichsten Gericht von
Amerikanisch-Samoa auftreten kann ... Kommen Sie schon,
Mac! Geben Sie's zu, es ist vorbei - es war ein
Wahnsinnseinfall, und ich muß zugeben, daß die Sache
vielleicht sogar ein ganz, ganz kleines bißchen Aussicht auf
Erfolg hatte, aber inzwischen machen wir uns doch lächerlich!«
»Unser tapferes Volk hat einhundertundzwölf lange Jahre
gelitten, mein Junge. Gelitten unter dem brutalen, habgierigen
Weißen Mann. Dafür wird man uns gerecht entschädigen und
befreien! ... Was bedeuten da schon ein paar Tage?«
»Mac, Sie sind mit uns nicht im entferntesten verwandt!«
»Im Herzen bilden wir eine Schicksalsgemeinschaft, mein
Sohn, und ich werde euch nicht im Stich lassen.«
»Wie bitte? Uns im Stich lassen? Lassen Sie mich im Stich,
geben Sie mir meine Sachen wieder und sagen sie den beiden
Idioten, die mir auf Schritt und Tritt folgen, sie sollen mich in
Ruhe lassen!«
»Sie sind zu ungeduldig, junger Mann, und ich kann nicht
zulassen, daß Sie sich gegen unsere Stammesbrüder wenden
....«
»Unsere? Mac, eigentlich müßte man Sie Ihres
Geisteszustands wegen entmündigen. Lassen Sie sich daher
juristisch belehren, mein >Bruder und Mit-Krieger<. Vielleicht
sind Sie sich über eine gewisse formale Gesetzesvorschrift
nicht im klaren, täten aber gut daran, sie sich klarzumachen.
Vor vier Monaten, als dieser ganze Tanz begann, haben Sie
mich gefragt, ob ich als Anwalt vor Gericht zugelassen sei, und
ich habe ihnen gesagt, da sei ich mir ganz sicher. Nun, ich bin
mir auch heute noch sicher, daß ich meine Zulassung habe,
aber wenn Sie wollten, daß ich Ihnen eine Garantie dafür gäbe,
könnte ich das nicht. Denn verstehen Sie, ich habe von der
Anwaltskammer und dem Justizministerium des Staates
Nebraska immer noch keine förmliche Bestätigung bekommen,
-6 6
hier vor Gericht als Anwalt auftreten zu dürfen, und bis ich die
bekomme, können immer noch zwei Monate ins Land gehen,
was für Justizbehörden normal ist, aber völlig unzulässig, wenn
es um anwaltliches Tätigwerden vor dem Gerichtshof geht.«
»Was ...?« ertönte ein langgezogener Aufschrei hinter der
Zugangsklappe des Tipi.
»Diese hochmögende Institution hat nämlich immer viel zu tun,
Bruder, und wenn keine außergewöhnlichen Umstände
vorliegen, die aber genauestens und bis ins kleinste Detail
darzulegen sind, hat kein nichtakkreditierter Anwalt das Recht,
beim Höchsten Gericht einen Klagesatz einzureichen, nicht
einmal mit einer zeitweiligen Zulassung. Das habe ich Ihnen
auch gesagt. Folglich wäre der Fall schon aus
verfahrensrechtlichen Gründen verloren, selbst wenn Sie einen
positiven Bescheid bekämen, was genauso unwahrscheinlich
ist wie, daß der tapfere Krieger, der hier vor dem Tipi steht,
jemals Reiten lernt!«
Der durch Mark und Bein gehende Aufschrei aus dem aus
bemaltem Lederimitat bestehenden Spitzzelt war noch
herzzerreißender als sein Vorgänger. »Wie konnten Sie mir das
antun?«
»Nicht ich habe Ihnen das angetan, sondern Sie sich selbst! Ich
habe Ihnen gesagt, Sie sollten Ihren zugelassenen Anwalt
benennen, doch Sie haben gesagt, das könnten Sie nicht, weil
er schon tot wäre, und Sie würden sich später schon was
einfallen lassen. Und bis dahin würden wir uns auf den non-
nomen-Präzedenzfall von 1826 berufen.«
»Aber den haben Sie ausgegraben!« kam der gesichtslose
Vorwurf.
»Richtig, habe ich, und Sie waren dankbar dafür, und jetzt lege
ich Ihnen nahe, Ihren verstorbenen, dafür aber offiziell
zugelassenen Anwalt wieder auszugraben.«
»Das kann ich nicht!« Der Aufschrei wurde zum Gewinsel eines
verängstigten Kätzchens.
»Und warum nicht?«
-6 7
»Weil er nicht mit mir reden will.«
»Himmel, ich meine ja nicht seine Leiche, sondern seine
Unterlagen, die Sachen, die er herausgefunden hat ... die
Ergebnisse seiner Nachforschungen. All die sind zulässig.«
»Aber das würde er nicht gern sehen.« Das Gewinsel wurde
zum Piepen einer Maus.
»Aber er würde es doch gar nicht erfahren! Mac, hören Sie zu.
Früher oder später wird einer von den Justizleuten in
Washington D. C. dahinterkommen, daß ich ein grüner Junge
bin, der kaum die Uni hinter sich und gerade mal sechs Monate
als Praktikant gearbeitet hat. Und was meinen Sie, was dann
für ein Höllensturm losbricht! Selbst wenn Sie ein Gebet dafür
hätten, der Herrgott dieses Gerichts, Generalbundesanwalt
Reebock würde wegen Mißachtung und Beschwindelung seiner
heiligen Institution einen Donnerkeil darauf schleudern. Ja, weil
Sie alle zum Narren gehalten haben, selbst wenn ein oder zwei
Korkenzieher im Talar Ihrer Ansicht zuneigen sollten, was
jedoch, wie ich behaupte, völlig unmöglich ist. Vergessen Sie's,
Mann. Es ist aus und vorbei. Geben Sie mir meine Sachen
wieder, okay? Und lassen Sie mich endlich weg von hier.«
»Aber wo wollen Sie denn hin, mein Sohn?« Die unsichtbare
piepende Maus kam aus ihrem Klangkeller heraus und verstieg
sich zu einem Crescendo. »Ich meine, wohin, Junge?«
»Vielleicht nach Amerikanisch-Samoa, und das mit einer
dorthin überstellten amtlichen Zulassung des Justizministeriums
von Nebraska - wer zum Geier will wissen, wohin?«
»Ich hätte nie geglaubt, daß Sie das sagen würden, Sohn«, ließ
sich die gesichtslose Stimme nunmehr wieder mit voller
Lautstärke aus dem Tipi-Inneren vernehmen. »Ich hatte wirklich
geglaubt, Sie wären von echtem Schrot und Korn, aber jetzt
sehe ich, daß dem nicht so ist.« »Danke, Mac. Und was ist jetzt
mit meinen Klamotten?« »Da hast du sie, verdammter
gelbhäutiger Kojote!« Die Zugangsklappe des Tipis flog auf,
und ein kunterbuntes Durcheinander von Kleidungsstücken, wie
man sie an den amerikanischen Eliteuniversitäten trägt, wurde
aus dem dunklen Inneren herausgeschleudert.
-6 8
»Indianer sind Rothäute, Mac, keine Gelbhäute, erinnern Sie
sich?« Der junge, lendenschurzbekleidete Krieger machte
einen Satz, um Unterhose, Hemd, graue Flanellhose und einen
navyblauen Blazer im Flug zu erhaschen. »Ich danke Ihnen,
Mac, ich danke Ihnen.«
»Das wäre noch verfrüht, mein Junge, aber ein guter Offizier
vergißt keinen Knurrlaut, egal, wie unwürdig er sich im
Kampfgetümmel auch angehört haben mag. ... Sie haben mir
bei den Strategiesitzungen des Obersten Hauptquartiers sehr
geholfen, das muß ich Ihnen zugestehen. Hinterlassen Sie Ihre
Anschrift bei Adlerschnabel, dieser ewig betrunkenen,
zwielichtigen Gestalt.«
»Adlerauge«, korrigierte der Krieger ihn, entledigte sich des
Lendenschurzes, stieg in seine Unterhose und griff nach dem
oxfordblauen Hemd. »Und den Schnaps hat er von Ihnen,
soviel hätte ich nie erlaubt.«
»Hüte dich vor dem scheinheiligen Indianer, der sich gegen den
eigenen Stamm kehrt!« kam es von dem immer noch
unsichtbaren Mann, der die Wopotami nach seiner Pfeife
tanzen lassen wollte.
»Sie können mich mal!« rief der Krieger, zwängte die Füße in
seine Bally-Slipper, stopfte sich den gestreiften Schlips in die
Tasche und zog den Blazer über. »Wo zum Teufel steht mein
Camaro?«
»Versteckt hinter der östlichen Weide, sechzig gestreckte
Hirschfluchten rechterhand von der hohen Tanne der August-
Eule.«
»Sechzig was? Und von was für einer Scheißeule reden Sie da
eigentlich?«
»Draußen im Gelände waren Sie nie besonders gut, das hat
Adlerschnabel mir erzählt.«
»Adlerauge - der mein Onkel ist - hat weder einen nüchternen
Atemzug getan noch klar geradeausgesehen, seit Sie
hergekommen sind! Östliche Weide? Wo ist das?«
-6 9
»Richten Sie sich nach der Sonne, mein Junge. Das ist ein Kompaß, der nie versagt, aber sorgen Sie verdammt noch mal dafür, daß ihre Waffen mit Asche eingerieben werden, sonst verrät Sie das Blinken des Stahls.« »Sie sind ja irre« schrie der junge Krieger der Wopotami und entfleuchte gen Westen. In diesem Augenblick trat unter Ausstoßen röhrender Urlaute eine hochgewachsene Gestalt aus dem Tipi, wobei die Eingangsklappe hochflog und auf der Außenwand liegen blieb. Dieser Riese von einem Mann, prächtig angetan mit großem indianischen Federschmuck und perlenbestickten Hirschlederhosen, was alles seine überragende Stellung innerhalb des Stammes verriet, verengte die Augen, als er ins Sonnenlicht blickte, eine verknautschte Zigarre in den Mund steckte und wütend darauf herumkaute. Sein bronzebraunes, ledriges Antlitz sowie die verengten Augen verrieten höchste Frustration -möglicherweise sogar Angst. »Gottverdammich!« fluchte MacKenzie Hawkins vor sich hin. »Ich hätte nie gedacht, daß ich dazu gezwungen sein würde.« Er griff in die Innenseite seines Hirschlederwamses mit den gelben Blitzen aus Perlenstickerei auf der Brust und brachte ein schnurloses Telefon zum Vorschein. »Ist da die Bostoner Auskunft? Ich brauche die Nummer der Villa Devereaux, die Nummer von Samuel Devereaux ...«
-7 0
5. KAPITEL Samuel Lansing Devereaux fuhr mitten im freitagabendlichen Berufsverkehr die Waltham-Weston-Road stadtauswärts hinunter. Wie üblich fuhr er so behutsam, als gelte es, auf einem Dreirad ein Schlachtfeld zu kreuzen, auf dem Panzer tod- und feuerspeiend aufeinander zurollten, nur, daß es heute abend schlimmer war als sonst. Nicht der Verkehr, der war mörderisch wie immer, nein, es war der pulsierende Schmerz in seinen Augen zusammen mit der Leere in seinem Bauch - die Folgen einer ganz akuten Depression, die ihn befallen hatte. Es war ihm nahezu unmöglich, sich auf den ständig sich verändernden Rhythmus des Verkehrsflusses zu konzentrieren, weshalb er sich zwang, sich auf die Wagen zu beschränken, die ihn unmittelbar umgaben. Inständig hoffte er, einem Zusammenstoß zu entgehen. Er hatte das Fenster geöffnet und hielt die Hand nach draußen, bis ein Laster so nahe an ihn herankam, daß er dessen Seitenspiegel streifte. Er schrie auf, griff instinktiv danach und meinte für einen Augenblick, seinen Arm über der Kühlerhaube des eigenen Autos verschwinden zu sehen. Doch daran war weiter nichts, oder, wie es der große französische Bühnenautor formulierte - er konnte sich weder an den Namen noch an den genauen Wortlaut im Französischen erinnern, aber er wußte, daß diese Worte es alles ausdrückten. Himmel noch mal, er mußte nach Hause, in seine Höhle, die Musik aufdrehen und die Erinnerungen zu neuem Leben erwecken, bis diese Krise vorüber war - Anouilh, ja, so hieß der verdammte Stückeschreiber ... und der Satz ... il n'y a rien ... Himmel, übersetzt hörte er sich besser an als in dem verfluchten Französisch, das ihm nicht wieder einfallen wollte: Am Ende blieb nur Schreien ... ja so ging das! Und so schrie er und bog in die Ausfahrt nach Weston ein und war sich dabei kaum jener Auto- und Mitfahrer ganz in seiner Nähe bewußt, die ihn durch ihre Fenster hindurch anstarrten, als verfolgten sie eine sodomitische Kopulation zwischen Mensch und Tier. Den langgezogenen Schrei mußte er ausstoßen, und als er -7 1
verklungen war, ersetzte er ihn durch ein breites Grinsen, das einem Alfred E. Neumann zur Ehre gereicht hätte, gab Gas, und drei Autos hinter ihm verkeilten sich ineinander. Angefangen hatte das alles Minuten nach dem Verlassen seines Büros, wo er den Nachmittag mit einer Schar leitender Angestellter eines Familienunternehmens verbracht hatte, das drohte, in Schwierigkeiten zu geraten. Das Problem war nicht so sehr ihr schon kriminelles Agieren als vielmehr ihre Dummheit, die sich erst dann von ihrer Sturheit loshebeln ließ, als Sam ihnen klipp und klar erklärte, daß sie, wollten sie seinen Anweisungen nicht folgen, sich samt und sonders einen anderen Anwalt suchen könnten und er jeden von ihnen in ihrem jeweiligen Gefängnis besuchen würde, allerdings nur auf rein gesellschaftlicher Basis. Das Gesetz machte nun einmal deutlich, daß Großväter und Großmütter nicht ihre Enkel, insbesondere nicht Enkelkinder zwischen sechs Monaten und zwölf Jahren, mit über siebenstelligen Gehältern im Aufsichtsrat unterbringen konnten. Er hatte dem Anbranden irischer Empörung standgehalten und war dann in seine zwei Blocks von den Aaron Pinkus Associates entfernte Lieblingsbar geflüchtet. »Ah, Sammy-Boyo«, hatte der Barkeeper und Wirt ihn begrüßt, als er ihn auf dem am weitesten vom Eingang entfernten Barhocker hatte zusammenfallen sehen. »Keinen leichten Tag gehabt, stimmt's? Das seh ich doch gleich. Ich seh's den Gästen an den Nasenspitzen an, wenn ein oder zwei Gläschen. « »Tun Sie mir einen Gefallen, O'Toole, und mäßigen Sie Ihre breite irische Aussprache. Ich hab fast drei geschlagene Stunden mit Landsleuten von Ihnen verbracht.« »Oh, das sind die allerschlimmsten, lassen Sie sich das von mir gesagt sein! Besonders die mit zwei Klos in der Wohnung - die einzigen, die sich einen Anwalt wie Sie leisten können. Kommen Sie, es ist noch früh, lassen Sie sich von mir das übliche einschenken, ich drehe Ihnen den Fernseher an, und Sie vergessen Ihren beruflichen Ärger. ... Die Sox spielen heute nachmittag nicht, also nehmen wir wohl den Nachrichtenkanal.« -7 2
»Danke, Tooley.« Devereaux hatte seinen Drink mit einem dankbaren Kopfnicken entgegengenommen, und der beflissene Wirt stellte die Nachrichten an, offensichtlich mitten in einem unterhaltenden Einschub, in dem die guten Taten einer ansonsten obskuren Persönlichkeit herausgestellt wurden. »... eine Frau, deren Selbstlosigkeit und Güte sie für immer jung bleiben läßt, ein Gesicht, dem Engel den Kuß ewiger Jugend und klaräugiger Standhaftigkeit aufgedrückt haben«, verkündete die sonore Stimme des Sprechers, während die Kamera einen Schwenk auf eine Nonne in weißem Habit vollführte, die in einem Hospital in irgendeinem kriegsgebeutelten Land der Dritten Welt milde Gaben verteilte. »Sie wird Schwester Anne die Gütige genannt«, fuhr der die Vokale auskostende Ansager fort, »doch sonst weiß die Welt nichts von ihr, noch wird sie je mehr aus ihrem eigenen Mund erfahren, hat man uns gesagt. Wie ihr richtiger Name lautet oder woher sie kommt, bleibt ein Geheimnis - ein rätselvolles, möglicherweise von unerträglichem Schmerz und persönlichen Opfern erfülltes Geheimnis.« »Geheimnis, Himmelherrgott!« hatte Samuel Lansing Devereaux geschrien und war von seinem Barhocker gefallen, während er den Femseher anbrüllte. »Und der unerträgliche Schmerz ist mein Schmerz, du Treulose!« »Sammy, Sammy!« rief Gavin O'Toole gellend, sprintete die Mahagonitheke entlang und fuchtelte dabei in dem ehrlichen Bemühen, seinen Freund und Kunden zu beruhigen, mit beiden Armen in der Luft herum. »Halten Sie ihre verdammte Klappe! Die Frau ist eine gottverdammte Heilige, und meine gottverdammten Kunden sind nicht durch die Bank Protestanten - kapiert, gottverdammtnochmal?« O'Toole hatte, während er Devereaux über den Tresen zog, die Stimme gesenkt und furchtsam um sich geblickt. »Himmel, ein paar von meinen Stammkunden würden Anstoß nehmen an Ihren Worten, Sammy! Jetzt setzen Sie sich und halten Sie den Mund!«
-7 3
»Tooley, Sie verstehen nicht!« rief der angesehene Bostoner
Anwalt, den Tränen nahe. »Sie ist die große Liebe meines
Lebens ...«
»So ist es besser, viel besser«, begütigte O'Toole ihn im
Flüsterton. »Immer schön leise bleiben!«
»Verstehen Sie denn nicht, sie war eine Nutte, und ich hab sie
da rausgeholt!«
»Bitte, nicht wieder so laut!«
»Sie ist mit Onkel Zio durchgebrannt. Unserem Onkel Zio, und
der hat sie verdorben!«
»Onkel wer? Wovon reden Sie eigentlich, Boyo?«
»De facto war er der Papst, und der hat ihr Flausen in den Kopf
gesetzt und sie mit zurückgenommen nach Rom, in den Vatikan
...«
»Kommen Sie, Sammy, Sie können durch die Küche raus
verdrücken Sie sich in aller Stille.«
Dieser harmlose Zwischenfall hatte zu seiner akuten
Depression geführt, ging es Devereaux durch den Kopf, als er
die weniger befahrene Straße nach Weston entlangraste.
Konnte die ahnungslose Welt denn nicht begreifen, daß das
Geheimnis einem gewissen liebeskranken Rechtsanwalt, einem
Typen namens Sam, keineswegs unbekannt war, der Anne, die
oft verheiratete Nutte aus Detroit, hingebungsvoll gepflegt, bis
sie ihre Selbstachtung wiedergefunden hatte? Wobei sie es
war, die ihm die Tür kurz vor ihrer beider Hochzeit vor der Nase
zugeknallt hatte, bloß um dem verrückten Zio zu folgen? Nun,
richtig irre war Onkel Zio denn doch nicht gewesen, nur
irregeleitet, wo es um das Leben von Samuel-mein-Sohn-der-
angesehene-Anwalt ging. Selbiger Onkel Zio war zugleich
Papst Francesco I., der beliebteste Papst des zwanzigsten
Jahrhunderts, der auf der römischen Via Appia seiner eigenen
Entführung zugestimmt hatte, weil er sonst gestorben wäre, und
es besser war, wenn sein Vetter Guido Frescobaldi von der
Scala Minusculo sich auf den Thron Petri setzte und per Funk
Anweisungen des echten Pontifex irgendwo in den Alpen
entgegennahm. Und all das hatte hingehauen! Eine Zeitlang
-7 4
zumindest. Mac Hawkins und Zio waren wochenlang zu den Zinnen des Chateau Machenfeld in Zermatt hinaufgestiegen und hatten über Kurzwelle dem alles andere als hellen, für Zwischentöne unempfänglichen Frescobaldi klargemacht, was er für die Sache des Heiligen Stuhls als nächstes zu tun hatte. Dann war alles in sich zusammengefallen wie ein Kartenhaus und zwar mit einem Krachen, das jedem Urknall den Rang streitig gemacht hätte. Die Alpenluft ließ Onkel Zio - Papst Francesco, versteht sich - wieder genesen, wohingegen Guido Frescobaldi zufällig über sein privates Kurzwellenradio stolperte, es mit seiner Leibesfülle zertrümmerte und der Vatikan ökonomisch ins Trudeln geriet. Das Heilmittel war schmerzlich, lag aber auf der Hand. Doch für Sam Devereaux noch schmerzlicher, unendlich viel schmerzlicher, war der Verlust seiner großen Liebe, Anne, der Geretteten. Gott, die schlimmsten Viertel von Boston waren immer noch besser als Leprakolonien! Naja, jedenfalls meistens. Das Leben geht weiter, Sam. Es ist ein Kampf von der Wiege bis zur Bahre, laß dich also nicht kleinkriegen, wenn du mal das eine oder andere Scharmützel verlierst. Reiß dich zusammen! Auf zum Sturmangriff. Worte aus dem schlammigmorastigen Untergrund des Universums, das letzte, unwiderlegliche Argument für sexuelle Abstinenz oder strenge Geburtenkontrolle. General MacKenzie Hawkins, Madmann Mac the Hawk, Geißel der geistigen Gesundheit und Zerstörer alles Guten und Anständigen. Diese schwachsinnigen Worte, dieses klischeehaft-soldatische Psychogeseire war alles, was dieser Schleimer anzubieten hatte, als Sam völlig verzweifelt am Boden lag. »Sie verläßt mich, Mac. Sie geht wirklich und wahrhaftig mit ihm!« »Zio ist ein verdammt guter Mann, mein Sohn. Er ist ein exzellenter Oberbefehlshaber seiner Legion, und wir, die wir die Einsamkeit der Befehlsgewalt kennen, achten einander.«
-7 5
»Aber Mac, er ist Priester, der große Oberkazike aller Priester,
der Papst! Die können weder tanzen noch Kinder haben und so
weiter!«
»Nun, was letzteres betrifft, haben Sie vermutlich recht, aber im
Tarantellatanzen ist Zio absolute Spitze, haben Sie das schon
vergessen?«
»Aber bei der Tarantella berührt man sich nicht. Da wirbelt man
herum und wirft die Beine.«
«Das muß am Knoblauch liegen. Oder auch an den Beinen.«
»Sie hören mir gar nicht zu. Das ganze ist der Fehler ihres
Lebens - Sie sollten das doch wissen! Um Gottes willen, Sie
waren mit ihr verheiratet, was mich die letzten paar Wochen
den letzten Nerv gekostet hat.«
»Ziehen Sie Ihre Artillerie zurück, mein Junge. Ich war mit all
diesen Frauen verheiratet, und schlecht gefahren ist keine
dabei. Annie war die abgebrühteste - aber wenn man bedenkt,
wo sie herkommt, war das auch zu erwarten -, dennoch hat sie
kapiert, was ich versucht habe, ihr beizubringen.«
»Und was zum Teufel war das, Mac?«
»Daß sie was Besseres sein und dabei zugleich sie selbst
bleiben könnte.«
Schleimer! Devereaux drehte das Lenkrad, um einem
näherkommenden Kotflügel zu entgehen. Mit all diesen Frauen,
mein Gott, wie hatte er das nur fertiggebracht? Vier der
hinreißendsten und üppigsten Frauen auf Erden hatten diesen
wahnsinnigen Verbrecher von Offizier geheiratet, und nachdem
jede einzelne dieser Ehen - nicht freundschaftlich, sondern
liebevoll - beendet worden war, hatten die vier geschiedenen
Frauen sich aus freien Stücken begeistert zusammengetan und
ihren einzigartigen Club gegründet, den sie Hawkins Harem
nannten. Der Falke brauchte bloß auf einen Knopf zu drücken,
und schon eilten die vier ihrem einstmaligen Ehemann zur Hilfe,
egal wo und wann er es wünschte. Eifersüchtig? Kein bißchen,
denn Mac hatte sie befreit, befreit von den häßlichen Ketten, an
denen sie gehangen und gefangen gewesen waren, ehe er in
ihr Leben getreten war. Mit alledem hatte Sam sich abfinden
-7 6
können, denn während all der Ereignisse, die sie hinauf ins Chateau Machenfeld brachte, hatte jede einzelne der verflossenen Gattinnen ihm in Augenblicken hysterischer Krisen beigestanden. Jede war nicht nur auf eine mitleidige, sondern geradezu leidenschaftliche, warmherzige Weise bemüht gewesen, ihn aus den unmöglichen Situationen herauszuholen, in die der Falke ihn gebracht hatte, und sie alle hatten sich als Experten in Sachen Mittel und Wege erwiesen, die zu seinem Entkommen führten. Alle hatten sie unauslöschliche Spuren auf seinem Körper und in seinem Gemüt hinterlassen, alle bildeten sie ungewöhnliche Erinnerungen, doch die wunderbarste war die aschblonde, statuarische Anne, deren große blaue Augen eine Unschuld bargen, die weit realer war als ihre Vergangenheit. Ihr niemals abreißender Strom zögernder Fragen in bezug auf jedes nur denkbare Thema war nicht minder überwältigend als ihre Gier nach Büchern, auch wenn sie einen Monat für fünf Seiten brauchte. Sie war wahrhaftig eine Frau, die ihn für die verlorenen Jahre entschädigte und dabei nie auch nur ansatzweise so etwas wie Selbstmitleid erkennen ließ, die immer nur gab, trotz allem, was ihr in der Vergangenheit auf so brutale Weise genommen worden war. Und, mein Gott, konnte sie lachen, wobei es in ihren Augen verschmitzt aufleuchtete, niemals jedoch auf niederträchtige Weise und niemals auf Kosten von anderen. Ach, wie er sie liebte! Und das verrückte Huhn hatte sich für Onkel Zio und dessen vermaledeite Leprakolonien entschieden statt für das wunderbare Leben als Frau von Devereaux, Rechtsanwalt und irgendwann bestimmt Richter Samuel Lansing Devereaux. Sie war völlig durchgedreht! Beeil dich! Mach, daß du nach Hause kommst, dich in deiner Höhle verkriechst und Trost findest in den Erinnerungen an eine unerwiderte Liebe. Es ist besser geliebt und verloren, als niemals geliebt zu haben. Welcher Arsch hatte das noch gesagt? Er raste die Straße hinunter und karriolte um die Ecke des Blocks, in dem sein Haus lag. Nur Minuten noch, und er würde sich mit Hilfe von Champagner und anschwellender -7 7
Alpenjodler zurückziehen in die Höhle seiner Träume, seiner
verlorenen Träume.
Verdammter Mist! Direkt vor ihm, genau vor seinem Haus ...
war das nicht ...? Himmel, Aaron Pinkus' Limousine! Ob seiner
Mutter etwas zugestoßen war, wovon er nichts wußte? War es
zu einem Notfall gekommen, während er O'Tooles Mattscheibe
angebrüllt hatte? Das würde er sich nie verzeihen!
Mit quietschenden Reifen hielt er hinter Aarons übergroßem
Schlitten. Sam sprang auf die Straße und lief auf Pinkus' Fahrer
zu, der hinter der Kühlerhaube auftauchte. »Paddy, was ist
passiert?« rief Devereaux durchdringend. »Ist was mit meiner
Mutter?«
»Nicht, daß ich wüßte, Sammy, höchstens diese Flüche, wie ich
sie seit Omaha Beach nicht mehr gehört hab.«
»Wie bitte?«
»Ich an Ihrer Stelle würde reingehen, Boyo.«
Devereaux lief zum Tor, setzte mit einer Flanke darüber
hinweg, sprintete auf die Haustür zu und wühlte in seiner
Tasche nach dem Schlüsselbund. Doch das war überflüssig,
denn die Tür wurde ihm schon von Cousine Cora aufgemacht,
die nicht ganz da zu sein schien.
»Was ist passiert?« fragte Sam nochmals.
»Die ach-so-vornehme Hochwohlgeborene und der kleine
Mann sind entweder stinkbesoffen oder stehen am hellichten
Tag unter dem Fluch des Vollmonds.« Cora stieß einmal auf,
dann rülpste sie.
»Wovon redest du. Wo sind sie?«
»Oben in deiner Wohnung, Prachtjunge!«
»In meiner Wohnung? Soll das heißen ...?«
»Genau das, großer Junge!«
»Aber kein Mensch geht zu mir rauf! Darauf hatten wir uns doch
geeinigt.«
»Jemand muß da wohl gelogen haben.«
-7 8
»Oh, mein Gott!« schrie Samuel Lansing Devereaux, als er die
riesige Halle mit dem norwegischen Rosen-Marmor durcheilte
und dann die geschwungene Treppe hinauflief, die zum
Ostflügel des Hauses führte.
»Geschwindigkeit zurücknehmen für den Landeanflug«, sagte
der Pilot ruhig, spähte zum linken Seitenfenster hinaus und
dachte an das Roastbeef-Haschee, das seine Frau ihm zum
Abendbrot versprochen hatte. »Bitte, machen Sie sich bereit,
die Landeklappen auszufahren.«
»Colonel Gibson?« drängte der Funk sich in seine Gedanken.
»Funker im Bunker, Ihr Captain am Netz. Sergeant, was
gibt's?«
»Tut mir leid, aber Sie sind nicht auf dem Tower-Kanal, Sir.«
»Oh, entschuldigen Sie, ich hatte ihn gerade abgestellt. Aber
wir haben ja auch einen herrlichen Sonnenuntergang, wir
haben unsere Befehle, und ich selbst habe jedes Vertrauen zu
meinem Ersten Offizier und Ihnen, Sie Großer Kommunikator.«
»Dann schalten Sie zurück auf die Tower-Frequenz, Colonel!«
Der Pilot fuhr mit dem Kopf herum und zu seinem Kopiloten und
war überrascht, als er sah, daß seinem Untergebenen der
Mund offenstand und die Augen aus den Höhlen quollen.
»Das können sie uns nicht antun!« rief der Erste Offizier leise.
»Was antun, um alles in der Welt?« Gibson ging sofort auf die
Tower-Frequenz. »Wiederholen Sie bitte, was Sie eben
durchgegeben haben. Das Flugdeck war gerade beim
Würfeln.«
»Komiker, Colonel. Und sagen Sie dem Herrn Himmelsreiter zu
Ihrer Rechten, daß wir das sehr wohl tun können, weil es ein
direkter Befehl vom Staffelkommandeur ist, Sir!«
»Wiederhole: Bitte, wiederholen Sie! Der Herr Himmelsreiter ist
im Moment gar nicht heiter, sondern unter Schock.«
»Wir desgleichen, Colonel!« ließ sich eine weitere vertraute
Stimme vom Tower vernehmen, die einem Offizier vom selben
Rang wie Gibson gehörte. »Wir sagen Ihnen Näheres, sobald
-7 9
wir können, doch im Moment folgen Sie bitte den Anweisungen
des Sergeant und fliegen Sie zu Ihren Auftankkoordinaten.«
»Auftanken sollen wir? Wovon zum Teufel reden Sie
überhaupt? Wir haben unsere acht Stunden runtergerissen. Wir
sind die Aleuten entlang und so nahe an Mütterchen Rußland
ran, daß wir ihren Borscht riechen konnten. Es wird Zeit, zu
Abend zu essen, und zwar Roastbeef-Haschee, um es genau
zu sagen.«
»Tut mir leid, aber im Moment kann ich nicht mehr sagen. Wir
holen Sie zurück, sobald wir können.»
»Sind wir in Alarmbereitschaft?«
»Es geht nicht um Mütterchen Borscht, soviel kann ich
immerhin rauslassen.«
»Aber das reicht keineswegs ... Sind etwa die kleinen Acryl-
Männlein vom Peter-Pan-Quasar unterwegs zu uns?«
»Wir operieren auf direkten Befehl des Commander In Chief of
Strategie Air Command, kurz CINCSAC, mit SCD-Kontrollen.
Reicht Ihnen das, Colonel?«
»Es reicht, mir mein schönes Roastbeef-Haschee zu
verderben«, erwiderte ein weniger widerborstiger Gibson.
»Rufen Sie meine Frau an, ja, bitte?«
»Wird gemacht. Alle Gattinnen und/oder Lebensgefährtinnen
werden von der Änderung der Befehle unterrichtet.«
»He, Colonel«, mischte sich der Erste Offizier in das Gespräch
ein.
»Downtown Omaha gibt es ein kleines Restaurant, an der
Famam Street, das heißt Doogies. Gegen acht wird dort eine
Rothaarige an der Bar sitzen, Maße etwa 96, 70, 86. Das
Mädchen hört auf den Namen Scarlet O. Ob Sie wohl so nett
wären, jemanden mit einem Blumenstrauß ...«
»Jetzt reicht's aber wirklich, Captain. Sie vergessen sich ...!
Sagten Sie Doogies?«
Die Mammut EC-135, auch unter dem Namen Lupe für die nie
endenden Aufklärungsflüge des Strategie Air Command
bekannt, fing an zu steigen und beschleunigte bis auf eine
-8 0
Höhe von fünfeinhalbtausend Metern, wo sie nach Nordost abschwenkte, den Missouri überquerte, Nebraska verließ und in den Luftraum des Staates Iowa eintrat. Auf dem Boden wies der Tower des Flugplatzes Offutt der Air Force Kontrollzentrum des gesamten weltumspannenden Strategie Air Command - Colonel Gibson an, einen kodierten Nordwest-Kurs einzuschlagen und sich in dem immer noch hellen Himmel im Westen zum Auftanken mit einer Tankmaschine zu treffen. Dagegen konnte man nichts machen. Die 55. Strategische Aufklärungsstaffel spielte in Offutt zwar die Rolle der gastgebenden Einheit, doch ob nun Hausherrin oder nicht, wie ihr Gegenstück, die 544. Strategische Geheimdienststaffel, hatte sie sich nach den Anweisungen des Cray X-MP Supercomputers zu richten, der aus Gründen der Tarnung formal dem Befehl der AFGWC unterstand, der Air Force Global Weather Control, die aber, wie ein paar Leute, die sich beim SAC genauer auskannten, glaubten, nichts mit Meteorologie zu tun hatte. »Was spielt sich da unten ab?« fragte Colonel Gibson vor allem sich selbst, wobei er aber seinen Ersten Flugoffizier nicht ausschloß. »Mich interessiert nur, was sich bei Doogies abspielen wird«, erklärte der junge Captain wütend. »Scheiße!« Im Pentagon thronte im flaggengeschmückten Arbeitszimmer des allmächtigen Verteidigungsministers der kleine Mann mit dem verkniffenen Gesicht und dem leicht verrutschten Toupet auf drei Kissen hinter seinem riesigen Schreibtisch und spuckte Gift und Galle ins Telefon. »Die mach ich zur Sau! Beim Allmächtigen, diesen undankbaren Wilden reiß ich den Arsch auf, bis sie mich winselnd anflehen, ihnen Gift zu geben, aber nicht einmal das werde ich! Mir wirft keiner Knüppel zwischen die Beine ... die 135er bleiben in voller Stärke am Himmel, und wenn ich sie Tag und Nacht wieder auftanken muß!« »Ich stehe voll und ganz auf Ihrer Seite, Felix«, sagte der irgendwie verdattert wirkende Chairman der Joint Chiefs of -8 1
Staff, »aber ich gehöre nicht zur Air Force. Müssen wir sie nicht
zwischendurch mal runterkommen lassen? Bis morgen
nachmittag werden Sie vier 135er im Einsatz halten, alle von
Offutt, solange kommen sie mit ihrem Treibstoff wohl aus. Aber
könnten wir die Last nicht mit anderen Fliegerhorsten teilen?«
»Nichts zu machen, Corky. Omaha ist nun mal das
Kontrollzentrum, und das geben wir nicht auf. Haben Sie denn
nie die alten Filme gesehen? Sobald man diesen blutrünstigen
Rothäuten auch nur den kleinen Finger reicht, schleichen sie
sich hinterrücks an und nehmen einem den Skalp!«
»Aber was ist mit den Maschinen und Besatzungen?«
»Sie haben wirklich von Tuten und Blasen keine Ahnung,
Corky! Haben Sie noch nie >Beam mich rauf, Scotty< und
>Beam mich runter, Scotty<. gehört?«
»Vielleicht war ich da gerade in Vietnam.«
»Dann finden Sie mal den Anschluß, Corky!« Der
Verteidigungsminister knallte den Hörer auf die Gabel.
Schweigend starrte Brigadier General Owen Richards,
Oberkommandierender des Strategie Air Command, die beiden
Männer aus Washington an, die in schwarze Trenchcoats
gehüllt waren und unter ihren dunkelbraunen Hüten, die sie
nicht einmal in Gegenwart der sie begleitenden Air-Force-
Majorin abgenommen hatten, dunkle Sonnenbrillen trugen.
Diese Unhöflichkeit schob Richards auf den geschlechtslosen
Verhaltenskodex beim Militär, den er nie richtig akzeptiert hatte.
Für gewöhnlich machte er seiner Sekretärin nach wie vor die
Tür auf, dabei stand sie nur im Rang eines Sergeant - aber sie
war nun mal eine Frau, und manche Dinge waren eben nur
natürlich. Nein, es war nicht der Mangel an Höflichkeit auf
Seiten der Washingtoner, sondern die Tatsache, daß sie Irre
waren, was vermutlich auch erklärte, wieso sie an einem
warmen Sommertag diese schweren Trenchcoats und dunkle
Hüte trugen und nicht einmal im eindeutig dämmerigen Licht
seines Dienstzimmers die dunklen Brillen abnahmen. Die
Jalousien waren heruntergelassen, um die blendenden Strahlen
-8 2
der untergehenden Sonne auszusperren. Nein, dachte Owen,
die waren schlicht verrückt. Gaga!
»Gentlemen«, begann er ruhig trotz der bösen Vorahnungen,
die ihn veranlaßt hatten, leise eine der unteren Schubladen
aufzuziehen, in der er seine Waffe liegen hatte. »Ihre Ausweise
haben Sie zwar bis zu mir vordringen lassen, doch vielleicht
sollte ich sie persönlich noch einmal überprüfen ... Greifen Sie
nicht in die Innenseiten Ihres Mantels, sonst puste ich Sie beide
weg!« brüllte Richards plötzlich und riß seine .45er GI-
Dienstpistole aus der Schublade.
»Sie haben um unsere Beglaubigung gebeten«, sagte der
Mann zur Linken.
»Und wie sollen wir Ihnen die zeigen?« fragte der Mann zur
Rechten.
»Zwei Finger!« befahl der General. »Sobald ich sehe, daß Sie
die ganze Hand reinstecken, können Sie sich beide von der
Wand abkratzen.«
»Ihre Einsatzerfahrung macht Sie unangemessen mißtrauisch.«
»Damit haben Sie verdammt recht, ich war schließlich zwei
Jahre in Washington ... Legen Sie sie auf den Schreibtisch.«
Beide taten, wie geheißen. »Verdammt, das sind doch keine
Ausweise, sondern handgeschriebene Zettel.«
»Tragen aber dafür eine Unterschrift, die Sie bestimmt
wiedererkennen«, sagte der Agent zur Linken. »Und eine
Telefonnummer, die Ihnen ebenfalls bekannt sein dürfte - wenn
Sie sich die Blöße geben wollen, sich dort rückzuversichern.«
»Mit Anweisungen, wie ich sie gerade von Ihnen erhalten habe,
würde ich selbst den Präsidenten überprüfen, ehe ich ihnen
Folge leistete.« Richards griff nach dem Hörer des privaten
Roten Drahtes, drückte auf vier Knöpfe und zuckte wenige
Augenblicke später schmerzlich zusammen, als er die Stimme
des Verteidigungsministers hörte. »Ja, Sir, jawohl, Sir. Befehle
erhalten, Sir.« Mit glasigen Augen legte der General auf und
sah die beiden Eindringlinge an. »Offenbar spielt ganz
Washington verrückt«, flüsterte er.
-8 3
»Nein, Richards, nicht ganz Washington, sondern nur ein ganz
erlauchter Kreis von Leuten in Washington«, sagte der Agent
zur Rechten, ohne die Stimme zu heben. »Es hat alles höchste
Geheimhaltungsstufe - allerhöchste. ihre Befehle lauten
dahingehend, daß Sie morgen achtzehn Uhr so tun, als träten
Sie ab. Die Kommandozentrale des Strategie Air Command
wird praktisch dichtgemacht.«
»Aber, um Himmels willen, warum?«
»Zum Schein soll Rücksicht genommen werden auf eine
Debatte über einen Gerichtsbeschluß, der zu einem neuen
Gesetz führen könnte, das wir nicht wollen«, erwiderte der
Agent zur Linken. Seine Augen blieben hinter der Sonnenbrille
geheimnisvoll unsichtbar.
»Was für ein Gesetz?«
»Wahrscheinlich ist es von den Kommunisten lanciert«, sagte
der andere Emissär aus der Hauptstadt der Nation. »Die haben
Maulwürfe im Obersten Bundesgericht.«
»Kommunisten? Wovon, zum Teufel, reden Sie? Wir leben im
Zeitalter von Glasnost und Perestroika, und der verdammte
Oberste Gerichtshof steht so weit rechts - rechter geht's gar
nicht mehr!«
»Das ist Wunschdenken, großer Soldat! Eines sollten Sie sich
in Ihrem GI-Hirn klarmachen: Wir geben diese Air Base nicht
auf! Sie ist schließlich unser Nervenzentrum.«
»Für wen sollten wir sie denn aufgeben?«
»Soviel möchte ich Ihnen sagen. Codename WOPTACK, mehr
brauchen Sie nicht zu wissen. Aber behalten Sie das unter
Ihrem Sombrero.«
»Die Itaker? Die italienische Armee rückt auf Omaha vor?«
»Das habe ich nicht gesagt. Wir teilen keine Seitenhiebe auf
ethnische Minderheiten aus.«
»Was zum Geier haben Sie denn gesagt?«
»Oberste Geheimhaltungsstufe, General. Das verstehen Sie ja
wohl.«
-8 4
»Vielleicht verstehe ich es, vielleicht aber auch nicht.
Jedenfalls, was ist mit meinen vier Flugzeugen, die ich am
Himmel habe?«
»Beamen Sie sie runter, Scotty, und dann: Beamen Sie sie
rauf.«
»Was?« kreischte Owen Richard und fuhr wie von der Tarantel
gestochen von seinem Sessel auf.
»Wir richten uns nach den Befehlen unserer Vorgesetzten,
General. Sie sollten das gleiche tun.«
Eleanor Devereaux und Aaron Pinkus war alle Farbe aus dem
Gesicht gewichen. Den Mund aufgerissen und die Augen vier
reglose Glaskugeln, hockten sie nebeneinander auf Sams
zweisitzigem Ledersofa in dem Arbeitszimmer, das er sich in
seinem restaurierten Viktorianischen Haus in Weston,
Massachusetts, eingerichtet hatte und das für alle anderen tabu
war. Keiner von beiden sprach ein Wort, denn sie waren wie vor
den Kopf geschlagen; das Gebrabbel und Gestöhn und die
zusammenhanglosen Gurgellaute, die Sams Mund entquollen,
hatten nur immer wieder bestätigt, wonach sie sich selbst
ursprünglich gefragt hatten. Es half auch nichts, daß Samuel
Lansing Devereaux wie gelähmt durch den Angriff auf sein
Allerheiligstes mit ausgestreckten Armen und gespreizten
Handflächen gleichsam an der Wand klebte und so viele von
den belastenden Fotos und Zeitungsartikeln verdeckte, wie es
ihm nur irgend möglich war.
»Samuel, mein Sohn«, begann der ältliche Pinkus, als er die
Stimme wiederfand und es doch nicht fertigbrachte, mehr als
ein heiseres Flüstern von sich zu geben.
»Bitte, nennen Sie mich nicht so!« verwahrte sich Devereaux.
»Er hat mich immer so genannt.«
»Wer hat dich wie genannt?« murmelte kaum vernehmlich
Eleanor. »Onkel Zio ...« »Du hast aber keinen Onkel namens
Zioh, es sei denn, du meintest Seymour Devereaux, der eine
Kubanerin geheiratet hat und dann nach Miami ins Exil mußte.«
»Den meint er, glaube ich, nicht, meine teuerste Eleanor. Wenn
die Erinnerung eines alten Mannes nicht trügt, so heißt
-8 5
insbesondere bei gewissen Verhandlungen in Mailand Zio soviel wie Onkel, und von diesen zios hat es in Mailand mehr gegeben, als ich als Anwalt verkraften konnte. Wörtlich genommen, sagt ihr Sohn >Onkel Onkel< verstehen Sie?« »Nur Bahnhof« »Er spricht von ...« »Sprechen Sie es nicht aus!« kreischte die Dame Devereaux und hielt sich ihre aristokratischen Ohren zu. »Papst Francesco I.«, hauchte der angesehenste Anwalt von Boston, Massachusetts, mit einem Gesicht, das die Blässe einer Leiche hatte, die man sechs Wochen ungekühlt hatte vor sich hin verwesen lassen. »Sammy ... Samuel ... Sam. Wie konnten Sie nur!« »Das ist nicht leicht zu erklären, Aaron ...« »Es ist unglaublich!« donnerte Pinkus, jetzt wieder stimmgewaltig wie eh und je. »Das ist ja völlig abseitig oder jenseitig!« »So könnte man sagen«, stimmte Devereaux ihm zu, riß die Arme von der Wand los und fiel auf die Knie, um dann Stück für Stück bis zu dem kleinen ovalen Couchtisch vorwärts zurutschen. »Aber verstehen Sie doch, ich hatte keine andere Wahl. Ich mußte tun, was immer dieser Schleimer von mir verlangte.« »Die Entführung eines Papstes eingeschlossen!« fistelte Aaron Pinkus, dem plötzlich wieder die Stimme versagen wollte. »Aufhören!« brüllte Eleanor Devereaux. »Ich will nichts mehr hören!« »Damit haben Sie wohl recht, teuerste Eleanor. Aber wenn Sie mir mein ungehobeltes Benehmen verzeihen - bitte, beruhigen Sie sich. Fahren Sie fort, Sammy. Ich möchte es zwar auch nicht hören, aber ich denke beim Gotte Abrahams, der das All beherrscht und der mir jetzt vielleicht eine Erklärung schuldig ist: Wie konnte es nur so weit kommen! Die Presse hatte recht, die Medien überall in der Welt hatten recht! Es hat zwei Männer gegeben - der Beweis hängt hier an Ihrer Wand! Es hat zwei Päpste gegeben, und das Original haben Sie gekidnappt.«
-8 6
»Nicht ganz«, bat Devereaux um Verständnis. Jeder Atemzug,
den er tat, fiel ihm schwerer als der vorhergegangene.
»Verstehen Sie, Zio meinte nämlich, es wäre okay ...«
»Okay?« Aarons Kinn kam der Plane des Couchtisches
gefährlich nahe.
»Naja, es ging ihm nicht gut und ... nun ja, das ist eine andere
Geschichte, aber Zio war cleverer als wir alle. Ich meine, er hat
richtig mitgespielt.«
»Wie ist es nur geschehen, Sam? Doch bestimmt allein wegen
diesem schwachsinnigen General MacKenzie Hawkins,
stimmt's? Der ist ja auf jedem dieser Fotos hier mit drauf. Der
war es, der Sie zum Kidnapper gemacht hat! Drücke ich mich
einigermaßen akkurat aus?«
»Das könnte man sagen. Aber vielleicht auch nicht.«
»Wie Sam? Wie?« wollte der ältere Anwalt wissen, während er
eine Ausgabe von Penthouse vom Couchtisch nahm, um
Eleanor Devereaux damit Kühlung zuzufächeln.
»Es stehen ein paar ausgezeichnete Artikel in dieser Ausgabe
... hochgelehrte theoretische Abhandlungen.«
»Sammy, ich bitte Sie, tun Sie mir das nicht an! Und tun Sie
das Ihrer bezaubernden Mutter nicht an, die Sie unter
Schmerzen geboren hat und in diesem Augenblick große
Zuwendung braucht. Im Namen des Herrn der Himmlischen
Heerscharen, beim dem ich mich morgen am Sabbath
nachdrücklich im Tempel beschweren werde, welcher Teufel
hat Sie geritten, an diesem ungeheuerlichen Unternehmen
mitzuwirken?«
»Nun, >vom Teufel geritten< ist wohl eine ziemlich zutreffende
Beschreibung des angeblichen - ich wiederhole, angeblichen
kriminellen Unterfangens, auf das Sie sich beziehen.«
»Ich brauche mich nicht zu beziehen, Sam. Ich zeige einfach
auf die eindeutigen Beweisstücke an Ihrer Wand: Die sprechen
schließlich für sich.«
»Nun, Aaron, tatsächlich sind sie nicht ganz so schlüssig, wie
Sie meinen ...«
-8 7
»Wollen Sie etwa, daß ich den Papst unter Strafandrohung
vorlade?«
»Die Ausnahmeregelung für hohe vatikanische Würdenträger
würde das nicht zulassen.«
»Allein schon diese Fotos würden die Regeln der
Beweisführung und Beweismittelvorlage bestätigen. Haben Sie
denn bei mir gar nichts gelernt?«
»Heben Sie mal Mutters Kopf hoch, bitte!«
»Es ist besser, sie bleibt bewußtlos, Sam. Was war nun mit
dem Teufel?«
»Nun, Aaron, ohne daß ich es wollte, bin ich mit einem Koffer
voller hochgeheimer Unterlagen, der mir am Handgelenk
festgekettet war, aus der Datenbank des Army-Geheimdienstes
rausspaziert und das vierundzwanzig Stunden vor meiner
Entlassung aus der Army.«
»Ja, und?«
»Naja, verstehen Sie, Aaron, als MacKenzie Hawkins offizieller
Anwalt mußte ich bis zu seiner Resolution sechsfünfunddreißig
sämtliche Geheimdienstberichte studieren, die in bezug auf
seine Karriere von irgendwelcher Bedeutung waren, vom
Zweiten Weltkrieg bis Südostasien.«
»Ja, und?«
»Naja, verstehen Sie, Aaron, in dem Augenblick griffen Macs
Freunde in das Verfahren ein. Ich hatte im Goldenen Dreieck
einen an sich läppischen Fehler gemacht und ein Verfahren
wegen Drogenhandel gegen einen gewissen General Ethelred
Brokemichael eingeleitet, in Wirklichkeit war es aber sein Vetter
Heseltine Brokemichael, und die Leute, die Ethelred
unterstützten, waren wütend wie sonstwas. Und da sie alle
Freunde von Mac Hawkins waren, scharten sie sich um den
Falken und spielten sein Spiel.«
»Was für ein Spiel? Heseltine ... Ethelred! Drogen, Goldenes
Dreieck. Ihnen war also ein Fehler unterlaufen, Sie zogen die
Anklage zurück. Und?«
-8 8
»Dafür war es zu spät. Bei der Army geht's schlimmer zu als im
Kongreß. Ethelred bekam seine drei Sterne nicht, und seine
Kumpel machten mich dafür verantwortlich und halfen Mac.«
»Ja, und?«
»Einer von diesen Halunken kettete mir eine Aktentasche ans
Handgelenk, pappte ein Etikett mit der Aufschrift Höchste
Geheimhaltungsstufe drauf, und ich ging raus und unterschrieb,
ich hätte zweitausendsechshundertzweiundvierzig Kopien
hochgeheimer Unterlagen bei mir, wovon die meisten
überhaupt nichts mit Mac Hawkins zu tun hatten, der harmlos
tat und neben mir stand.«
Aaron Pinkus schloß die Augen und ließ sich auf das kleine
Sofa zurücksinken, wobei seine Schulter die immer noch völlig
benommene Eleanor Devereaux streifte. »Folglich hatte er Sie
für die unmittelbare Zukunft in der Hand - für ungefähr fünf
Monate.« Vorsichtig machte Aaron die Augen auf.
»Entweder das oder meine Entlassung würde bis zum
Sanktnimmerleinstag auf sich warten lassen. ... Oder aber ich
konnte mich auf zwanzig Jahre Knast in Leavenworth gefaßt
machen.«
»Dann kamen die Mittel also aus dem Lösegeld ...«
»Was für Mittel?« unterbrach Sam ihn.
»Das Geld, das Sie so verschwenderisch in dieses Haus
gesteckt haben ... Hunderttausende von Dollar! Das war Ihr
Anteil am Lösegeld, stimmt's?«
»Was für ein Lösegeld?«
»Das für Papst Francesco selbstverständlich. Als Sie ihn
freiließen.«
«Ein Lösegeld haben wir nie bekommen. Kardinal Ignatio
Quartz weigerte sich zu zahlen.«
»Wer?«
»Das ist eine andere Geschichte. Quartz war glücklich mit
Guido.«
»Guido?«
-8 9
»Sie schreien, Aaron«, murmelte Eleanor.
»Guido Frescobaldi«, antwortete Devereaux. »Zios Vetter, der
ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sah, ein Statist
von der Mailänder Scala, der manchmal auch kleinere Rollen
übernahm.«
»Jetzt reicht's!« der gefeierte Anwalt holte mehrere Male tief
Luft und tat sein Bestes, sich wieder in den Griff zu bekommen.
Er senkte die Stimme und sprach so leise wie möglich: »Sam,
Sie sind mit einem Haufen Geld nach Hause gekommen, das
nicht von einer verstorbenen reichen Verwandten
väterlicherseits stammte. Woher also kam es?«
»Nun, Aaron, als unbeschränkt haftender Teilhaber war das
mein anteiliger Besitz am Gesellschaftsvermögen, das nach der
ursprünglich für die Firma aufgebrachten Kapitalausstattung
übrig blieb.«
»Was für eine Firma?« fragte Pinkus mit getragener, kaum
hörbarer Stimme.
»Die Shepherd Company.«
»Die Shepherd ...?«
»Wie in Der Gute Hirte.«
»Wie in Der Gute Hirte«, wiederholte Aaron wie in Trance. »Es
wurde Geld für die Firma aufgebracht.«
»De facto ein Wertzuwachs von zehn Millionen Dollar pro
Investor, wobei die Zahl der Investoren auf vier beschrankt war,
welche mit den unbeschränkt haftenden Teilhabern eine
Kommanditgesellschaft bildeten, wobei ihr persönliches Risiko
selbstverständlich jeweils auf die investierte Summe beschränkt
blieb. Das Ganze stützte sich auf Projektionen, denen zufolge
man einen Gewinn von zehn zu eins erwartete ... Dabei wollte
keiner der vier Investoren juristisch in Erscheinung treten, sie
zogen es also vor, ihre Investitionen als wohltätige Spenden
abzuschreiben, wofür ihnen Anonymität zugesichert wurde.«
»Anonymität? Vierzig Millionen Dollar, bloß um anonym zu
bleiben?«
-9 0
»Die wurden so gut wie garantiert. Ich meine, wo sollte ich denn
die Eintragung ins Handelsregister aufbewahren?«
»Sie? Sie waren der Notar, über den diese Farce von Geschäft
abgewickelt wurde?«
»Nicht aus freien Stücken«, verwahrte Devereaux sich.
»Niemals aus freien Stücken.«
»Ach ja, die zweitausendnochwas Geheimdokumente, mit
denen Sie die Datenbank verließen. Keine Entlassung.
Leavenworth.«
»Oder noch schlimmer, Aaron. Mac sagte, wenn die Abteilung
für Öffentlichkeitsarbeit des Pentagon eine Exekution nicht für
opportun hielte, gäbe es Mittel und Wege, die weniger auffielen
als ein Erschießungskommando.«
»Ja, ja, ich verstehe ... Sam, Ihre gute Mutter hier, die sich
gnädigerweise in einem Schockzustand befindet, erwähnte, Sie
hätten ihr gesagt, das Geld stamme aus dem Handel mit
religiösen Artefakten.«
»Ja, wie aus dem Gesellschaftervertrag der
Kommanditgesellschaft deutlich hervorgeht, bestand die
eigentliche Aufgabe der Firma im >Handel mit erworbenen
religiösen Artefakten<. Ich dachte, ich hätte das ziemlich
elegant formuliert.«
»Du meine Güte!« entfuhr es Pinkus. Er schluckte. »Und
natürlich bestand das >erworbene< religiöse Artefakt in der
Person Papst Francescos I., den Sie kidnappten.«
»Nun, juristisch gesehen ist das eine eher fragwürdige
Definition, Aaron. Jedenfalls ist sie nicht beweiskräftig. Man
könnte sie als unbewiesene Behauptung sogar verleumderisch
nennen.«
«Was reden Sie denn da? Sie brauchen doch nur einen Blick
auf diese Wand zu werfen, auf die Fotos!«
»Tja, da würde ich vorschlagen, daß Sie - jawohl, Sie sind
gemeint, Aaron -, daß Sie sie sich noch mal ganz genau
ansehen. Juristisch gesehen wird Kidnapping definiert als
Entführung unter Zwang oder Gewaltanwendung und/oder
-9 1
Festhalten einer oder mehrerer Personen gegen ihren Willen,
wobei die Freilassung von der Zahlung gewisser Gelder
abhängig gemacht wird. Obwohl, wie ich bereits eingeräumt
habe, eine zuvor verabredete Transaktion auf den Cent genau
finanziert worden war und dazu diente, ein solches Ziel zu
erreichen, mißlang die Geschichte und wäre auch
fallengelassen worden, wäre da nicht die freiwillige - ich würde
sogar sagen, begeisterte - Kooperationsbereitschaft von Seiten
des >Opfers< gewesen. Die Fotos, die Sie hier sehen, lassen
keineswegs den Schluß zu, daß besagtes >Opfer<
irgendwelchen Beschränkungen unterworfen gewesen wäre.
Vielmehr geht aus ihnen hervor, daß es zufrieden und absolut
guter Dinge war.«
»Sam, Sie gehören in eine Gummizelle! Hat die
Ungeheuerlichkeit dessen, was sie getan haben, denn nicht
einmal eine Delle in Ihrer moralischen Rüstung hinterlassen?«
»Die Kreuze, die ich trage, wiegen in der Tat schwer, Aaron.«
»Diese Anspielung hätten Sie sich sparen können ... Ich will es
gar nicht wirklich wissen, aber: Wie haben Sie es jemals
fertiggebracht, ihn wieder zurückzuschaffen nach Rom?«
»Das haben Mac und Zio zusammen ausgetüftelt. Der Falke
nannte es ein im wahrsten Sinne >gegenläufiges<
Unternehmen, denn Zio fing an, sich als Opernsänger zu
produzieren.«
»Ich bin völlig am Ende«, flüsterte Pinkus. »Ach, wäre dieser
Tag doch nie gewesen! Hätte ich in diesem Zimmer nie ein
einziges Wort gehört und hätte mein Sehvermögen doch nur
versagt.«
»Was glauben Sie, wie ich mich Tag für Tag fühle? Die große
Liebe meines Lebens ist verloren ... Aber eines habe ich
gelernt, Aaron. Das Leben muß weitergehen.«
»Wie einmalig ausgedrückt.«
»Ich meine das ehrlich, es ist vorbei. Alles das gehört der
Vergangenheit an, und in gewisser Weise bin ich froh.
Irgendwie hat es mich innerlich befreit. Jetzt gilt auch für mich:
Zusammenreißen und frisch ans Werk! Und zwar mit dem
-9 2
Bewußtsein, daß dieser Schleimer und Hurenbock mir nie
wieder etwas anhaben kann.«
Was Wunder, daß just in diesem Augenblick das Telefon
klingelte. »Falls es die Kanzlei ist, sagen Sie, ich bin im
Tempel«, sagte Pinkus. »Ich sehe mich außerstande, der Welt
draußen gegenüberzutreten.«
»Ich gehe ran«, sagte Sam und ging zum Schreibtisch hinüber.
»Es ist besser, Cora nimmt das Gespräch entgegen. Wissen
Sie, Aaron, jetzt, wo alles offen auf dem Tisch liegt, ist mir
wesentlich wohler. Wenn Sie mir weiterhelfen - das weiß ich -,
kann ich vorwärtsstürmen, mich neuen Herausforderungen
stellen und neue Horizonte entdecken.«
»Nehmen Sie endlich den Hörer ab, Sammy. Mir platzt der
Schädel.«
»Natürlich, tut mir leid.« Devereaux griff zum Telefon, grüßte,
wen immer er an der Strippe hatte, hielt inne, um zu antworten
und stieß dann völlig hemmungslos einen hysterischen
Kreischton aus, der seine Mutter von dem kleinen Zweisitzer
hochschießen, einen Satz über den ovalen Couchtisch machen,
auf dem Boden landen und alle viere von sich strecken ließ.
-9 3
6. KAPITEL »Sammy!« rief Aaron Pinkus und fuhr aufgeregt zwischen der
besinnungslosen Eleanor und ihrem Sohn hin und her, der in
einem Ausbruch panischer Angst sämtliche Fotos von der
Wand herunterriß und auf den Boden warf. »Sam, so reißen Sie
sich doch zusammen!«
»Schleimer!« schrie Devereaux. »Wurm des Universums,
verworfenstes Stück Mensch auf dem Antlitz der Erde! Er hat
kein Recht dazu ...«
»Ihre Mutter, Sammy. Womöglich ist sie tot!«
Devereaux lief zur Wand hinter dem Schreibtisch hinüber und
setzte seine Attacke auf die Myriaden von Fotos und
Zeitungsausschnitten fort. »Der Mann ist krank, krank!«
»Nicht krank habe ich gesagt, Sam, sondern tot«, fuhr Aaron
fort, während er unter Schmerzen niederkniete, den haltlos hin
und her wackelnden Kopf der Mutter festhielt und hoffte, daß
seine List ihre Wirkung auf den Sohn nicht verfehlen mochte.
»Sie sollten wirklich etwas Besorgnis erkennen lassen.«
»Besorgnis? Hat der sich denn jemals Sorgen um mich
gemacht? Er reißt mein Leben in Stücke, er reißt mir das Herz
aus dem Leib und bläst es zu einem Ballon auf.«
»Ich rede von Ihrer Mutter, Sam.«
»Hallo Mutter, ich hab zu tun.«
Pinkus zog den Pieper aus der Tasche und drückte mit dem
Finger auf den Signalknopf. Sein Chauffeur, Paddy Lafferty,
würde das schon als Notsignal verstehen. Das mußte er
einfach!
Und Paddy tat es. Nach wenigen Augenblicken hörte man, wie
er die Tür zum Ostflügel durchbrach, Cousine Cora im
donnerndsten Sergeanten-Befehlston anherrschte, ihm aus
dem Weg zu gehen, sonst würde er sie einer Bande
kriegsmüder und betrunkener Infanteristen vorwerfen, die nach
weiblicher Unterhaltung lechzten.
»Das ist für mich keine Bedrohung, Irländer!«
-9 4
Sam Devereaux saß an seinen Sessel festgebunden hinter
dem Schreibtisch. Arme und Beine waren mit Hilfe von
Bettlaken gefesselt, die Patrick Lafferty - vormals Sergeant und
Welt-krieg-Zwo-Teilnehmer an der Landung am Strandabschnitt
Omaha Beach, Normandie - mit Wonne in Streifen gerissen
hatte. Das heißt, erst dann in Streifen gerissen, nachdem er
Sam ausgeknockt und das Schlafzimmer gefunden hatte.
Devereaux schüttelte den Kopf, plinkerte und bemühte sich, die
Stimme wiederzufinden. »Fünf Junkies haben mich überfallen«,
meinte er.
»Ganz so war es nicht, Sam, Boyo«, erklärte Paddy und hielt
ihm ein Glas Wasser an die Lippen. »Es sei denn, Sie
betrachten meine Ausleger als in diese Kategorie gehörig, und
das zu tun, würde ich Ihnen weder im guten alten Süden noch
in O'Tooles Saloon raten.«
»Sie haben mir die verpaßt?«
»Es blieb mir nichts anderes übrig. Wenn ein Mann im Kampf
alle Grenzen sprengt und besinnungslos um sich schlägt, setzt
man jedes Mittel ein, um ihn wieder zur Raison zu bringen. Das
ist keine Schande, Boyo.«
»Sie waren in der Army? Haben an der Front gekämpft? Unter
MacKenzie Hawkins?«
»Sie kennen diesen Namen, Sam?«
»Ja oder nein!«
»Ich habe nie die Ehre gehabt, dem großen General die Hand
zu schütteln, aber gesehen habe ich ihn. Er hat in Frankreich
für zehn Tage unsere Division übernommen, und das eine kann
ich Ihnen sagen, mein Junge: Mac der Falke war der beste
kommandierende General, den die Army je hatte. Daneben hat
Patton sich ausgenommen wie ein Ballettänzer, obwohl ich den
alten George offen gestanden immer gemocht habe. So einem
wie dem Falken konnte er allerdings nicht das Wasser
reichen.«
»Ich bin geliefert! Man hat mich aufs Kreuz gelegt!« schrie
Devereaux und zerrte an den Bettlakenstreifen. »Wo ist meine
-9 5
Mutter ... wo ist Aaron?« fragte er unvermittelt und blickte sich
im leeren Zimmer um.
»Bei Ihrer Mutter, Boyo. Ich hab sie in ihr Schlafzimmer
raufgetragen, und Mr. Pinkus flößt ihr ein bißchen Brandy ein,
damit sie leichter einschläft.«
»Aaron und meine Mutter?«
»Nun seien Sie doch nicht so stur, junger Mann. Hier, kommen
Sie, ein Schluck Wasser. Ich würde Ihnen ja einen Schuß
Whisky reintun, aber ich glaube, im Moment könnten Sie das
nicht vertragen. Ihre Augen haben nicht gerade was
Menschliches, die sehen mehr aus wie bei einer Katze, die ein
schrilles Geräusch gehört hat.«
»Aufhören! Meine ganze Welt geht mir in die Brüche.«
»Bloß nicht zerbrechen, Sam. Mr. Pinkus flickt sie schon wieder
zusammen. Einen Größeren hat es in seinem Fach nie
gegeben! ... Da, da kommt er schon. Ich höre aufgehen, was
von der Tür übriggeblieben ist.«
Die erschöpfte zerbrechliche Gestalt von Aaron Pinkus
schleppte sich mühsam ins Arbeitszimmer, als kehrte er gerade
von einem Versuch zurück, das Matterhorn zu bezwingen. »Wir
müssen reden, Samuel«, sagte er und sank atemlos in einen
vor dem Schreibtisch stehenden Sessel. »Würden Sie uns bitte
allein lassen, Paddy? Cousine Cora meinte, Sie hätten vielleicht
Lust auf ein gegrilltes Porterhouse-Steak in der Küche.«
»Ein Porterhouse-Steak?«
»Und eine Flasche irisches Bier, Paddy.«
»Hm ... Sie finden, erste Eindrücke werden nicht immer in Stein
gemeißelt, habe ich recht, Mr. Pinkus?«
»Auch das ist in Stein gemeißelt, mein alter Freund.«
»Und was ist mit mir?« rief gellend Devereaux. »Will mich denn
niemand losbinden?«
»Sie werden genau dort bleiben, wo und wie Sie sind, und zwar
so lange, bis unser Gespräch beendet ist, Samuel.«
»Samuel nennen Sie mich immer, wenn Sie wütend auf mich
sind.«
-9 6
»Wütend? Warum sollte ich wütend auf Sie sein? Sie haben
mich und die Firma in das himmelschreiend-abscheulichste
Verbrechen hineingezogen, das es seit dem Mittleren Reich in
Ägypten vor viertausend Jahren gegeben hat. Wütend? Nein,
Sammy, ich bin bloß hysterisch.«
»Ich glaube, es ist besser, ich gehe jetzt, Boss.«
»Ich werde Sie später per Pieper rufen, Paddy. Und genießen
Sie Ihr Porterhouse-Steak, als war's das letzte, das ich in
diesem Leben zu essen bekomme.«
»Ach, Sie werden schon nicht ins Gras beißen, Mr. Pinkus.«
»Wenn ich Sie nicht binnen Stundenfrist per Pieper herzitiere,
bringen Sie mich raus zum Tempel.« Lafferty machte, daß er
hinauskam. Die Hände vor sich gefaltet, sprach Aaron: »Ich
darf wohl davon ausgehen, daß derjenige, der Sie eben am
Telefon sprechen wollte, niemand anderer war als General
MacKenzie Hawkins, stimmt's?«
»Sie wissen verdammt gut, daß Sie recht haben. Diese
Kanalratte kann mir das nicht antun.«
»Was genau hat er denn getan?«
»Mit mir geredet.«
»Gibt es ein Gesetz, demzufolge Kommunikation verboten ist?«
»Unter uns gesagt, gibt es so etwas mit Sicherheit. Dabei hatte
er mir auf das Handbuch des Army-Reglements geschworen,
für den Rest seines elenden, hundsgemeinen Lebens nie
wieder das Wort an mich zu richten.«
»Und doch sah er sich genötigt, seinen feierlichen Schwur zu
brechen, was bedeutet, daß er meint, etwas von größter
Wichtigkeit für Sie zu haben. Ist es das?«
»Glauben Sie etwa, ich hätte zugehört?« schrie Devereaux mit
durchdringender Stimme und straffte die Gliedmaßen neuerlich
gegen die weißen Bettlakenstreifen, die ihn an seinen Sessel
fesselten. »Ich habe nur verstanden, daß er vorhat, nach
Boston zu fliegen, um mich zu sprechen, und daß alles
durchgedreht ist.«
»Sie sind durchgedreht, Sam. Wann will er denn kommen?«
-9 7
»Woher soll ich das wissen?«
»Richtig. Sie haben sich die Ohren verstopft und Ihren
Angstgefühlen freien Lauf gelassen. ... Aber wie dem auch sei,
mal angenommen, er hätte Ihnen etwas Lebenswichtiges zu
sagen, weil er sonst ja seinen Schwur nicht gebrochen hätte:
Können wir davon ausgehen, daß sein Flug nach Boston
unmittelbar bevorsteht?«
»Genau wie mein Abflug nach Tasmanien«, erklärte Devereaux
mit Nachdruck.
»Das ist das einzige, was Sie nicht tun sollten«, parierte Pinkus
mit gleicher Entschlossenheit. »Sie können da nicht einfach
weglaufen, ihm kann überhaupt niemand aus dem Weg
gehen.«
»Einen Grund», fiel Sam ihm schreiend ins Wort, »nennen Sie
mir einen einzigen Grund, warum ich ihm nicht aus dem Weg
gehen sollte - es sei denn, um diesen Schurken umzubringen.
Der Mann ist ein wandelnder SOS-Ruf von der Titanic.«
»Weil er nicht davon ablassen wird, Sie - und qua Übertragung
auch mich als Ihren Brötchengeber - immer wieder darauf
hinzuweisen, daß ihre Teilnahme an diesem
Jahrhundertverbrechen über Ihnen oder uns schwebt wie ein
Damoklesschwert.«
»Sie haben die Datenbank nicht mit über zweitausend
hochgeheimen Unterlagen am Handgelenk verlassen. Ich
hingegen wohl.«
»Diese dem Anschein nach verhängnisvolle Tatsache verblaßt
zu völliger Bedeutungslosigkeit verglichen mit den Beweisen,
die Sie von Ihren Wänden herunterzureißen versucht haben ...
Doch wo Sie es gerade erwähnen: War mit dem Diebstahl
dieser Unterlagen irgendein erkennbarer Zweck verbunden?«
»Es gab vierzig Millionen gute Gründe«, antwortete Devereaux.
»Was meinen Sie wohl, wie dieser General, der eine Ausgeburt
der Hölle ist, seine finanzielle Grundausstattung der Firma auf
die Beine gestellt hat?«
»Durch Erpressung?«
-9 8
»Von der Cosa Nostra bis zu gewissen Briten, die nicht gerade
Anwärter auf ein Verdienstkreuz waren, von ehemaligen Nazis,
deren Wohlanständigkeit bis zu den Hüften in Hühnerscheiße
steckt, bis zu arabischen Scheichs, die ihr Geld damit
verdienen, daß sie Investitionen in Israel schützen.«
»Grundgütiger Himmel, und Ihre Mutter sagte, weitere
Wahngebilde Ihrerseits gäbe es nicht! Killer auf dem Golfplatz,
Deutsche in Hühnerfarmen, Araber in der Wüste. Jedenfalls
waren die aber alle aus Fleisch und Blut?«
»Manchmal, wenn auch nicht allzuoft, habe ich einen Martini
zuviel getrunken.«
»Sie hat auch noch erwähnt, daß ... Hawkins hatte die Namen
dieser Schurken aus den Geheimdienstakten und hat sie dann
gezwungen, sich seinen Forderungen anzubequemen?«
»Wieviel kriegt man dafür, daß man ...?« »Wie genial kann ein
Mensch denn sein?«
»Wo bleibt jetzt Ihr moralischer Panzer, Aaron?«
»Jedenfalls lege ich ihn bestimmt nicht zum Wohle von
Schurken ab, Sam.«
»Dann vielleicht, um die Beweise zu erhärten, die Sie an
meinen Wänden gesehen haben?«
»Auf gar keinen Fall.«
»Wo stehen Sie also, wenn ich fragen darf?«
Aaron Pinkus holte schweigend etliche Male Luft, beugte das
Haupt und bettete die Stirn in seine zehn Finger. »Noch für das
unmöglichste Problem gibt es schließlich eine Lösung,
entweder hienieden oder im Jenseits.«
»Ich bin für ersteres, wenn Sie nichts dagegen haben, Aaron.«
»Ich neige dazu, Ihnen zuzustimmen«, erklärte der ältere der
beiden Anwälte. »Und was Sie vorher so unnachahmlich forsch
formuliert haben, gilt jetzt auch für mich: Zusammenreißen und
frisch ans Werk!«
»Um was zu tun?«
-9 9
»Um uns auf unser beider Konfrontation mit General MacKenzie Hawkins vorzubereiten.« »Dazu sind Sie bereit?« »Ich verfechte da legitime Interessen, Sammy. Wenn Sie so wollen, ein möglicherweise katastrophales Interesse. Außerdem möchte ich sie auf eine Binsenweisheit unseres Standes aufmerksam machen, die gerade deshalb eine Binsenweisheit ist, weil sie Allgemeingültigkeit besitzt: Ein Anwalt, der sich selbst vertritt, hat einen Toren zum Klienten. Ihr General Hawkins mag ein ungewöhnliches Soldatenhirn inklusive aller zugehörigen Exzentrizitäten besitzen, doch möchte ich in aller Bescheidenheit unterstellen, daß er seinen scharfen Verstand bis jetzt noch nicht mit dem von Aaron Pinkus hat messen müssen.« Häuptling Donnerhaupt der Wopotami mit dem wallenden Kopfputz spuckte seine zerkaute Zigarre aus und kehrte zurück in das Innere seines riesigen Tipis, wo er zusätzlich zu den einschlägigen Arbeiten indianischen Kunsthandwerks, wie zum Beispiel künstlichen Skalps an der Wand, ein Wasserbett nebst allerlei elektronischem Gerät hatte aufstellen lassen, auf welches selbst das Pentagon stolz gewesen wäre, ja, welches der Stolz des Pentagons gewesen war, bevor man es gestohlen hatte. Gleichermaßen vor Trauer als auch vor Zorn vernehmlich seufzend, nahm Donnerhaupt seinen schrecklichen Federkopfputz ab und ließ ihn auf den bloßen Boden fallen. Er griff in eine hirschlederne Mappe, holte eine Zigarre unbestimmter Machart und von minderer Qualität heraus, steckte sie sich in den Mund und machte sich daran, gut zwei Fingerbreit davon zu verstümmeln. Dann ging er hinüber zum Wasserbett, ließ sich darauf nieder, woraufhin es leise gluckernd unter ihm wogte, verlor das Gleichgewicht und fiel rücklings hin, als sich das schnurlose Telefon in seinem perlenbestickten Wams meldete. Das Läuten hielt an, während er um sich schlug und versuchte, die aufgewühlten Wasser unter sich zu beruhigen, was ihm schließlich gelang, indem er sich hochraffte und seine Stiefel fest auf den Boden stellte.
-1 0 0
Erbost riß er das Telefon heraus und sprach schroff hinein: »Was ist? Ich halte gerade Kriegsrat ab.« »Lassen Sie schon, Häuptling, zum einzigen Kriegsrat, der hierzulande abgehalten wird, kommt es dann, wenn die Kids ihre Hunde bellen hören.« »Man kann schließlich nie wissen, wer anruft, Sohn.« »Ich hab ja gar nicht gewußt, daß sonst noch jemand Ihre Nummer hat.« »Es ist stets von der Annahme auszugehen, daß der Feind die Frequenz aufspürt und sich einschaltet.« »Was?« »Nur immer wachsam bleiben, Junge. Was gibt's?« »Erinnern Sie sich noch an die beiden Engländer, die gestern hier waren und nach Ihnen fragten - die, für die wir die doofen Indianer markiert haben?« »Ja, was ist mit ihnen?« »Sie sind wieder da, und zwar mit Verstärkung. Einer von ihnen sieht aus wie aus einem Zoo entsprungen, und der andere schnieft unentwegt.« »Sie müssen irgendwas gerochen haben.« »Na, der mit der Schniefnase bestimmt nicht ...« »Ich meine nicht die Verstärkung, sondern diese Engländer. Ihr juristisches Genie, Charlie Redwing, muß ihnen irgendwas gesteckt haben.« »Aber hören Sie mal, D. H., bis auf die Tatsache, daß er von dieser Schindmähre runtergefallen ist, war der doch großartig. Über Sie haben die nicht soviel erfahren. Außerdem sind dieser überkandidelten Lady beim Anblick seines Slips fast die Augen aus dem Kopf gefallen.« »Seines Lendenschurzes, mein Junge, Lendenschurzes. Vielleicht war es das Pferd.« »Vielleicht war es doch der Lendenschurz«, gab der Anrufer zu bedenken, als Donnerhaupt von einer rollenden Woge unter sich erfaßt und erneut zurück aufs Bett geworfen wurde. »Au!« »Vielleicht hat unser Obermacker von der Justiz doch irgendwas ... Was meinen Sie! Sie stimmen mir also zu?« »Unsinn! Meine Zeltausrüstung spielt verrückt ...» -1 0 1
»Die haben Sie aber selbst ausdrücklich so haben wollen, D.
H.«
»Und ich rate Ihnen, sich alle Vertraulichkeiten zu sparen! Sie
sind Rekrut und nichts weiter und haben mich mit Häuptling
anzureden.«
»Okay, Häuptling-Baby. Dann fahren Sie in Zukunft selbst in die
nächste Stadt und besorgen sich Ihre stinkenden Stumpen.«
»So streng hab ich Sie nun auch wieder nicht gemaßregelt,
mein Sohn. Ich möchte doch bloß, daß die Logik der
Befehlsstränge erhalten bleibt. Mir liegt allein daran,
auszudrücken, daß Verstärkungen nicht wegen solcher
Lappalien wie eines Lendenschurzes angefordert werden. Hab
ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Vielleicht ... Was also meinen Sie? Daß die Lunte gerochen
haben?«
»Nicht, daß die Lunte gerochen haben, sondern daß überhaupt
irgend jemand irgendwas aufgefallen ist, das eine Verstärkung
rechtfertigt. Dieses saubere britische Pärchen geht ja nicht von
sich aus abermals zum Angriff über, sondern handelt auf Befehl
eines Stabsoffiziers, der Gewißheit haben möchte. Das ist so
klar wie Kloßbrühe.«
»Kloß-was?»
»Wo halten sie sich im Moment auf, mein Junge?«
»Am Souvenirstand. Sie kaufen einen Haufen Zeugs
zusammen und geben sich äußerst leutselig. Übrigens, die
Mädchen, 'tschuldigung, die Squaws, freuen sich wie sonstwas.
Wir haben gerade eine neue Sendung aus Taiwan
bekommen.«
Donnerhaupt runzelte die Stirn, steckte seine Zigarre in Brand
und sagte dann: »Bleiben Sie mal'n Moment dran. Ich muß
überlegen.« Etliche Rauchwolken lösten sich auf und
vernebelten das Tipi-Innere, bis der Falke endlich wieder anfing
zu sprechen. »Diese Briten werden bald meinen Namen ins
Spiel bringen.« »Ja, das werden Sie wohl.«
-1 0 2
»Sorgen Sie also dafür, daß einer von ihren geknechteten roten Brüdern ihnen sagt, ich hätte mein Tipi rund zweihundert Antilopenfluchten von der Nordweide entfernt aufgeschlagen, vorüber am Paarungsgrund der Büffel in der Nähe der großen Eichen, wo die Adler horsten. Das sei ein einsamer Ort, gerade richtig, um mit den Göttern des Waldes Zwiesprache zu halten und sich in Versenkung zu üben. Kapiert?« »Rein gar nichts. Wir haben zwar ein paar Kühe, aber keine Büffel, und einen Adler habe ich in freier Wildbahn noch nie gesehen, nur im Zoo.« »Sie werden doch aber zugeben, daß es einen Wald gibt.« «Naja, Wald ... vielleicht. Nur, richtig große Bäume habe ich noch keine gesehen.« »Verdammt noch mal! Sorgen Sie einfach dafür, daß diese Leute in den Wald gehen.« »Auf welchem Weg? Begehbar sind sie alle, nur sind einige besser als andere. Wir haben eine elende Touristensaison gehabt.« »Gut überlegt, Junge!« rief Donnerhaupt. »Taktisch fabelhaft durchdacht. Sagen Sie ihnen, sie finden mich schneller, wenn sie nicht beisammenbleiben, sondern wenn jeder mich auf eigene Faust sucht. Derjenige, der das Ziel erreicht, kann die anderen rufen, so weit sind sie ja nicht auseinander.« »Wenn man bedenkt, daß Sie mitnichten in der Nähe dieses Waldes sind, ist das keine fabelhaft durchdachte Taktik, sondern einfach blöde. Sie werden sich verirren.« »Hoffentlich, mein Sohn, hoffentlich!« »Was?« »So wie die Dinge liegen, geht der Gegner nach einer völlig unorthodoxen Strategie vor. Nichts gegen unorthodoxe Methoden - Himmel, ich habe mich den größten Teil meiner Laufbahn über unorthodoxer Methoden bedient -, aber so was verfängt nicht, wenn es unseren Fortschritt bremst. In der Situation, in der wir uns befinden, ist ein Frontalangriff immer noch die erfolgversprechendste Vorgehensweise des Gegners, eigentlich seine einzige Möglichkeit. Trotzdem versucht er,
-1 0 3
unsere Flanke zu umgehen und uns mit Pferdeäpfeln zu
beschießen.«
»Da komm ich wieder mal nicht mit, Häuptling«, sagte der
Anrufer.
»Anthropologen, die nach den Überresten eines einst großen
Stammes Ausschau halten?« spottete Donnerhaupt. »Eines
Stammes aus dem Shenandoah-Tal, der von Sir Walter Raleigh
für die englische Krone gewonnen wurde - haben Sie ihnen all
diesen Blödsinn abgenommen?«
»Naja, könnte doch sein, oder? Die Wopotami kommen
schließlich irgendwo aus dem Osten.«
»Aus dem Hudson-Tal, und nicht vom Shenandoah. In
Wahrheit sind sie von den Mohawks rausgedrängelt worden,
weil sie weder Ackerbau noch Viehzucht treiben konnten und
ihre Tipis nicht verlassen wollten, wenn's mal schneite. Von
wegen, großer Stamm! Die haben von Anfang an zu den
Verlierern gehört, bis sie Mitte des vorigen Jahrhunderts an den
Missouri kamen - da erst haben sie ihre wahre Berufung
gefunden: weiße Siedler erst beschummeln und dann
korrumpieren.«
»All das wissen Sie?«
»Es dürfte nur sehr wenig aus unserer Stammesgeschichte
geben, das mir nicht bekannt wäre. ... Nein, mein Junge, hinter
diesem Geheimunternehmen steckt irgendein heller Kopf, und
ich werde herausfinden, wer es ist. Und Sie, machen Sie sich
jetzt an die Arbeit. Schicken Sie sie rüber in den Wald!«
Dreiundzwanzig Minuten vergingen, bis ein Angehöriger von
Hyman Goldfarbs Spähtrupp nach dem anderen den vier
Pfaden folgte, die in den dichten Niederwald hineinführten. Sie
hatten beschlossen, sich zu trennen und einzeln weiter
vorzugehen, weil die Auskünfte, die sie am Souvenirstand
bekommen hatten, völlig vage und widersprüchlich waren. Was
sollten sie schon dem Gekreische der Squaws darüber
entnehmen, welcher Pfad nun tatsächlich zum Tipi des großen
Donnerhaupt führte, einer Behausung, die offensichtlich mit
irgendeinem heiligen Schrein gleichgesetzt wurde.
-1 0 4
Sechsundvierzig Minuten später war einer nach dem anderen von ihnen in einen Hinterhalt geraten und mit Armen und Beinen an einen annehmbaren Baumstamm gefesselt worden, hatte man ihnen den Mund mit Knebeln aus Biberpelzimitat verstopft und versichert, ihre Befreiung werde nicht lange auf sich warten lassen, vorausgesetzt, sie fänden nicht irgendwie Mittel und Wege, sich von den Knebeln zu befreien und zu schreien. Sollte das geschehen, werde der Zorn eines geknechteten und ausgebeuteten Volkes auf sie niederfahren, insbesondere auf ihren Skalp, der dann allerdings keine Einheit mehr mit ihrem Kopf bilden würde. Jedem einzelnen wurde eine Behandlung versprochen, wie sie seiner Stellung und seinem Geschlecht angemessen war. Die englische Lady konnte unglaublich viel mehr aushaken als ihr männlicher Kumpan, der versuchte, sich mit irgendeiner asiatischen Kampfsportart zur Wehr zu setzen, was jedoch allein dazu führte, daß er sich den linken Arm auskugelte. Der mehr untersetzte schniefende Amerikaner versuchte zu verhandeln und nestelte derweil eine kurzläufige Charter-Arms-Automatikpistole aus der Tasche, was zur Folge hatte, daß man ihn mit mehreren gebrochenen Rippen einer gründlichen Leibesvisitation unterziehen mußte. Den wendigsten und am wenigsten leicht zu überwältigenden Gegner sparte sich Häuptling Donnerhaupt - alias MacKenzie Lochinvar Hawkins (der seinen Mittelnamen aus sämtlichen Unterlagen hatte tilgen lassen) bis zuletzt auf. Der Falke hatte stets gemeint, es sei nur recht und billig, dem jeweils größten Herausforderer die Ehre zuzugestehen, als letzter beseitigt zu werden. Man nahm einen Rommel nicht mit der ersten Angriffswelle hoch ... So was tat man einfach nicht. In diesem Falle handelte es sich um einen Bullen von Mann mit allerdings wenig Grütze im Kopf. Nachdem der Falke dem gar nicht mal so üblen Bewegungsablauf dieses Mannes gefolgt war, der noch nicht einmal halb so alt war wie er selbst, gelang es ihm schließlich, die Oberhand zu gewinnen, indem er zweimal nacheinander sehr schnell unter den Schlägen des Gegners wegtauchte und diesem jedesmal die starr ausgestreckten Mittelfinger in den Bauch rammte. Was -1 0 5
daraufhin dem Mund des Spähers entquoll, war eine Unmenge
indianischer Speisen; ein Hammergriff, der den mächtigen
Gegner zwang, kopfüber in das peinlich Erbrochene zu stoßen,
gab ihm dann den Rest.
»Ihren Namen, ihren Rang und Ihre Stammrollen-Nummer,
Soldat!«
»Was reden Sie da für'n Unsinn?« kam es blubbernd von dem
Gegner, den Donnerhaupts Schutzwache als Ochsen
apostrophiert hatte.
»Ich gebe Sie nur dann wieder frei, wenn Sie mir Ihren Namen
sowie den Namen dessen nennen, für den Sie arbeiten.«
»Ich hab keinen Namen, und ich arbeite auch für niemand.«
»Dann guten Appetit!«
»Himmel - haben Sie doch ein Herz!«
»Warum? Mir hätten Sie meins um ein Haar aus dem Leib
gerissen. Noch einmal rein in die Kotze, Soldat!«
»Das riecht so widerlich!«
»Nicht so widerlich wie das, wonach ihr vier Clowns sowieso
schon stinkt. Sagen Sie mir jetzt, was ich wissen will,
Gefangener!«
»Okay, okay - man nennt mich die Schaufel.«
»Gut, der Deckname genügt mir. Wer ist Ihr Kommandeur?«
»Wovon reden Sie überhaupt?«
»Für wen arbeiten Sie?«
»Was soll das? Sind sie verrückt?»
»Na, schön, Soldat, dann spucken Sie eben den Rest Ihres
Mageninhalts aus! Schmeckt Ihnen unser Fraß? Kauen Sie ihn
noch mal schön durch, Sie Redskin-Fan!«
»Himmel, Sie sagen's ja selbst! Sie wissen's ja längst - die
Redskins!«
»Was knurren Sie da?«
»Er hat für sie gespielt! Die Redskins ... Lassen Sie mich jetzt
aufstehen, bitte!«
-1 0 6
»Gespielt für wen? Ich brauche mehr, Sie Latrinenfeger! Was für heiße Luft wollen Sie mir hier verkaufen?« »Jetzt sind sie noch näher dran - heiß, heißer, am heißesten! Für den waren alle anderen nichts weiter als Luft. Er brauchte keine Deckung - der ist nämlich einfach durch die Reihen durchgebrochen und hat die Quarterbacks von Namath an nur so niedergemäht. Der hebräische Herkules, vielleicht ...?« »Quarterbacks ... Namath? Redskins. Grundgütiger Himmel Football! Und Herkules? ... Einen solchen Mittelstürmer hat es in der ganzen Geschichte der amerikanischen Football-Oberliga nur einmal gegeben! Hymie the Hurricane!« »Das haben Sie gesagt.« »Sie haben ja keine Ahnung, was ich da eben gesagt habe, Soldat!« Der Falke sprach ganz leise und schnell. »Golden Goldfarb!« fuhr er rauhkehlig mit gedämpfter Stimme fort. »Dabei hab ich diesen Sohn einer läufigen Hündin selbst angeworben, als ich meinen Posten beim Pentagon noch hatte.« »Sie hatten was?« »Das haben Sie nie gehört, ja, Schaufel!? Glauben Sie mir, Sie haben das nie gehört, kapiert? Ich muß jetzt pronto hier raus. Ich werde jemand herschicken für euch, ihr Scheißer, und Sie, Sie haben mir nie irgendwas gesagt, klar?« »Nie. Aber hat mich gefreut, dem großen Häuptling zu Diensten gewesen zu sein.« »Das war nicht weiter schwer, mein Sohn. Da sind wir ja auf eine sprudelnde Quelle gestoßen, indem wir den größten bloßliegenden Nerv in Wie-Wa-Washington etwas gekitzelt haben! Wer hätte das gedacht! Golden Goldfarb! Was ich jetzt und auf der Stelle brauche, das ist mein guter zugelassener Anwalt - und ich weiß ganz genau, wo sich dieses undankbare Arschloch aufhält.« Vincent Mangecavallo, Direktor der CIA, starrte das sichere Telefon in der ausgestreckten Hand an, als wäre der Apparat die unbeseelte Verkörperung einer ansteckenden Krankheit. Als die hysterische Stimme am anderen Ende eine Pause einlegte, um Atem zu holen, riß der Geheimdienstchef den Hörer an Ohr -1 0 7
und Mund und sprach leise, aber mit unnachgiebiger Härte:
»Hören Sie mir zu, Sie Bratapfel im Nadelstreifenanzug. Ich
gebe mir größte Mühe mit einem Talent, für das Sie nur
bezahlen, mit dem Sie aber niemals umgehen könnten und das
Sie vor allem nie in Ihre ach so vornehmen Country Clubs
reinlassen würden. Wollen Sie jetzt übernehmen? Herzlich
willkommen, ich lach mich tot, wenn Sie in einem Kessel
Minestrone ersaufen. Und wollen Sie noch was wissen, sie
cannoli mit Kieferklemme?« Mangecavallo hielt unversehens
inne, um gleich darauf weit leiser und mit geradezu
schmeichelnder Stimme fortzufahren: »Wer nimmt hier
eigentlich wen auf den Arm? Vielleicht ersaufen wir alle in
einem Suppenkessel. Denn bis jetzt haben wir nichts, aber
auch gar nichts in der Hand. Nur vages Gerede. Das hohe
Gericht ist so rein wie die Gedanken meiner Mutter - und von
unseren Schnüfflern und Wühlmäusen kein einziger handfester
Hinweis.«
»Tut mir leid, daß ich in die Luft gegangen bin, altes Haus«,
sagte der Außenminister näselnd am anderen Ende der
Leitung. »Aber Sie können doch wohl verstehen, was für
ungeheure Nachteile uns das angesichts des bevorstehenden
Gipfeltreffens bringt. Mein Gott, überlegen Sie doch mal, wie
peinlich das Ganze wäre! Wie sollte der Präsident aus einer
Position der Stärke heraus und mit der ganzen Autorität seines
Amtes verhandeln, wenn der Oberste Gerichtshof auch nur
daran denken würde, zuzulassen, daß ein obskurer, kleiner
Indianerstamm unsere gesamte Vorwärtsverteidigung lahmlegt!
Luftüberlegenheit ist heute das A und O, wissen Sie, altes
Haus!«
»Yeah, hab ich mir fast gedacht, bambino vecchio.«
»Wie bitte?«
»Ach, das ist was, das Sie und Ihresgleichen sowieso nicht
verstehen. Wie kann ein kleines Kind alt sein?«
»Naja, der Schulschlips, verstehen Sie? Alte Schulen und
Universitäten, alte Bindungen und Beziehungen, die Symbole,
-1 0 8
nehme ich an. Daher die Bezeichnung old boys. Eigentlich alles
ganz einfach.«
»Vielleicht wie famiglia antica maledizione, was?«
»Nun, das mit der >Familie< hab ich mitbekommen. Ich denke,
im weiteren Sinne besteht da ein Zusammenhang. Eigentlich
ein recht hübscher Ausdruck.«
»Da sind wir anderer Meinung. Für so was wird man nämlich
umgebracht.«
»Wie bitte?«
»Ach, nichts weiter. Ich wollte bloß einen Moment Zeit zum
Nachdenken gewinnen.«
»Das mache ich dauernd. Flüchtige Ablenkung durch
Beschäftigung mit etwas Neuem.«
»Yeah, richtig. Beschäftigen wir uns also mit diesem
Gipfelproblem. Erstens: Kann der Big Boss den Gipfel
abblasen, weil er zum Beispiel 'ne Grippe hat oder
meinetwegen 'ne Gürtelrose? He, Mann, Gürtelrosen sollen
wahnsinnig schmerzhaft sein. Wie war's damit?«
»Eine grauenhafte Vorstellung, Vincent. Nicht zu machen.«
»Und wenn seine Frau einen Schlag bekommt? Das wär doch
was?«
»Wieder muß ich nein sagen, mein Freund. Niemals
persönliche Tragödien, mit so was spielt man nicht. Da müssen
wir uns schon selbst was einfallen lassen - das ist was
Grundsätzliches.«
»Dann sitzen wir in der Minestrone ... Schade, ich hatte doch
schon gedacht, ich hätte die Lösung. Wenn von der Debatte im
Obersten Gericht was an die Öffentlichkeit dringt, und mal
angenommen, der Obermacker von denen sagt, er unterstützt
das Recht auf die - wie nennen Sie das noch? - Bittschrift,
Petition oder Eingabe?« »Das ist doch meschugge!« »Was?«
»Das ist doch heller Wahnsinn! Auf welcher Grundlage will er
denn eine solche Position vertreten. Hier geht es schließlich
nicht einfach um pro oder contra irgendeines theoretischen
Falls - diese Geschichte ist höchst real. Hier kann man nicht
-1 0 9
einfach nach Abstimmungsergebnis entscheiden, hier muß man
Farbe bekennen und einen Standpunkt vertreten - und die
einzige Stellung, die er beziehen kann, bringt ihn in Konflikt mit
dem verfassungsgemäßen Machtausgleich. Er gerät zwischen
die Mühlsteine und wird in einen Kampf zwischen Exekutive
und Legislative verwickelt. Da kann es nur Verlierer geben.«
»Junge, schmeißen Sie da mit Fremdwörtern rum, Heiliger
Bratapfel! Ich meine ja nicht, daß er den Fall zu seinem eigenen
macht, sondern daß er die öffentliche Auseinandersetzung
insofern unterstützt, als er sich um diese kleine ethnische
Minderheit kümmert - wie die Kommunisten das immer
versprochen, aber nie getan haben. Im übrigen weiß er ganz
genau, daß es noch zweiundzwanzig andere Air-Force-Basen
im Land gibt und elf oder zwölf außerhalb der Vereinigten
Staaten. Wo also soll das Problem für ihn liegen?«
»Es geht um rund siebzig Milliarden Dollar, soviel nämlich ist
die elektronische Ausrüstung in Omaha wert, und die läßt sich
nicht einfach anderswohin bringen.«
»Und wer weiß das?«
»Der Rechnungshof.«
»Dann kommen wir also zu dem, worum es im Grunde geht.
Wir könnten diese Burschen zum Schweigen bringen. So was
könnte ich arrangieren.«
»Sie sind doch relativ neu in Washington, Vincent. In dem
Augenblick, wo Ihre Leute sich ans Werk machen, ist schon
was durchgesickert und sickert weiter durch; und aus den
siebzig Milliarden werden von einem Augenblick auf den
anderen weit über hundert, und jeder Versuch, selbst nur
Gerüchte zu unterdrücken, treibt die Summe ins Gigantische
neben neunhundert Milliarden verblaßt selbst unser schönes
Sparkassenfiasko. Und da dieser Klagesatz, der uns so schwer
im Magen liegt, offensichtlich ein Körnchen Wahrheit enthält,
würden wir alle einfach um des politischen Vorteils willen vom
Kongreß unter Anklage gestellt: wegen versuchter Vertuschung
von etwas, mit dem wir vor über hundert Jahren nicht das
geringste zu tun hatten. Des weiteren hätten wir trotz der
-1 1 0
Tatsache, daß so vorzugehen einfach die intelligenteste Lösung
wäre, nicht nur Geldbußen und Gefängnisstrafen zu
gewärtigen, sie könnten uns sogar unsere Limousinen
wegnehmen.«
»Basta!« rief Mangecavallo geltend und legte den Hörer an das
andere, weniger malträtierte Ohr. »Das ist ja der reinste
Affenzirkus!«
»Willkommen in der realen Washingtoner Welt, Vincent. Sind
Sie sich absolut sicher, daß es für diese fünf Idioten im Talar
kein einziges, sagen wir mal, überzeugendes Argument gibt?
Wie steht es mit dem Schwarzen von denen? Ich hab den
immer für ziemlich hochnäsig gehalten.«
»Gut möglich, aber wahrscheinlich ist er der sauberste und
intelligenteste von allen.«
»Was Sie nicht sagen!«
»Und gleich nach ihm kommt der paisan, falls das der nächste
ist, der Ihnen einfällt, wenn Sie gründlich und objektiv
nachdenken.«
»Naja, er war ... nichts Persönliches, Sie verstehen, ich liebe
die Oper.«
»Nichts Persönliches, und die Oper liebt auch Sie, in
Sonderheit Signor Pagliacci.«
»Ah ja, all diese Piraten.«
»Yeah, die Piraten. Aber noch mal zurück zu Donner ...«
»Haben wir davon gesprochen?«
»Sie schon ... Wir warten immer noch auf eine Nachricht über
diesen Saftarsch, der sich Donnerhaupt nennt. Wenn wir ihn
haben, könnte der sich für uns als Ausweg aus diesem ganzen
Schlamassel erweisen.«
»Wirklich? Wie das?«
»Weil er als Hauptbeschwerdeführer, oder wie Sie so was
nennen, samt seinen Anwälten vor Gericht erscheinen muß, um
für alles Rede und Antwort zu stehen. Das ist Vorschrift.«
-1 1 1
»Tja, natürlich wird er das tun. Aber wieso sollte das irgendwas
ändern?«
»Nehmen wir mal an, bloß mal angenommen, dieser scungilli
führt sich vor Gericht auf wie jemand aus einer geschlossenen
Anstalt, schreit rum und behauptet lauthals, diese ganze leidige
Angelegenheit wäre nichts weiter als ein Spaß? Er hätte diese
ganzen historischen Dokumente nur zusammengeschustert, um
irgendein radikales Statement abzugeben. Was würden Sie
dazu sagen, huh?«
»Das ist einfach genial, Vincent! ... aber wie um alles in der
Welt wollen Sie das erreichen?«
»So was kann ich hindeichseln. Ich habe da ein paar Ärzte an
der Hand, die auf einer gesonderten Gehaltsliste stehen. Und
die haben ein paar Medikamente, die nicht gerade von der
Gesundheitsbehörde zugelassen sind, okay?«
»Großartig! Wieso zögern Sie also noch?«
»Dazu müßte ich diesen Sohn einer läufigen Hündin erst einmal
finden. Bleiben Sie mal 'n Moment dran, Bratapfel. Ich meld
mich gleich wieder. Meine andere Untergrundleitung leuchtet
gerade auf.«
»Bitte, tun Sie das, old boy.«
»Basta mit dem Alten-Bambino-Quatsch!« Der ehrenwerte CIA-
Direktor unterbrach die Leitung und machte die andere mit
einem Druck auf zwei Knöpfe frei. »Yeah, was gibt's?«
»Ich weiß, eigentlich sollte ich Sie nicht direkt anrufen, aber
angesichts der Information, die ich hier habe, war ich der
Meinung, daß Sie keinem anderen glauben würden als mir.«
»Wer spricht da?«
»Goldfarb.«
»Hymie the Hurricane? Lassen Sie es sich von mir gesagt sein,
Kumpel, Sie waren der größte ...«
»Hören Sie schon auf. Ich arbeite jetzt in einer anderen
Branche.«
»Klar, natürlich, aber wissen Sie noch - das Super-Bowl-Spiel
73, als Sie ....«
-1 1 2
»Ich war dabei, Kumpel, also erinnere ich mich
selbstverständlich. Aber im Moment haben wir es mit einer
Situation zu tun, von der Sie in Kenntnis gesetzt werden sollten,
ehe Sie irgendwas unternehmen ... Donnerhaupt ist uns durch
die Lappen gegangen.«
»Was?«
»Ich habe jeden einzelnen Angehörigen meiner sehr teuren
Einheit ins Gebet genommen, für die Sie über die schmuddelige
Absteige in Virginia Beach zur Kasse gebeten werden; und ihre
einmütige Schlußfolgerung mag für Sie schwer zu verdauen
sein, aber ich habe keine andere und sie ist so gut wie jede
andere.«
»Wovon reden Sie eigentlich?«
»Bei diesem Donnerhaupt handelt es sich um die lebendige
Version von Big Foot, jener dem Vernehmen nach mythischen
Gestalt, die durch die Wälder Kanadas streift, dabei aber ein
richtiger Mensch aus Fleisch und Blut ist.«
»Wie bitte?« »Die einzige andere Erklärung wäre, daß er der
Yeti ist, der schaurige Schneemensch aus dem Himalaya, der
die Kontinente durchwandert, um die Regierung der Vereinigten
Staaten mit einem Fluch zu belegen ... Ich wünsche Ihnen noch
einen schönen Tag.«
-1 1 3
7. KAPITEL Mit hängenden Schultern und in einen unauffälligen zerknautschten Gabardineanzug gekleidet, war General MacKenzie Hawkins auf dem Bostoner Flughafen Logan auf der Suche nach einer Herrentoilette. Als er das Gesuchte gefunden hatte, trat er eilends mit seiner übergroßen Flugtasche hinein, stellte sie auf den Fußboden und überprüfte seine Erscheinung in dem Spiegel, der sich über die ganze Länge der Reihe von Waschbecken hinzog, an denen sich an den jeweils äußersten Enden zwei Airline-Angestellte in Uniform die Hände wuschen. Nicht schlecht, dachte er, bis auf die Perückenfarbe; die war etwas zu rot ausgefallen und die Perücke selbst im Nacken auch noch ein bißchen zu lang. Die dünne Stahlbrille war ausgezeichnet: Auf seiner Adlernase nach vom rutschend, verlieh sie ihm das Aussehen eines zerstreuten Professors, eines Eierkopfes, der in dem von Menschen wimmelnden Flughafengebäude das Klo nie mit der kühlen Überlegenheit eines ausgebildeten Soldaten finden würde. Und das Soldatische oder vielmehr das Fehlen desselben war nun mal die Achse, um die sich in der augenblicklichen Strategie des Falken alles drehte. Sämtliche Spuren seiner Herkunft hatten zu verschwinden, die Stadt Boston war Eierkopfterrain, das wußte jeder, und in dieses Bild mußte er für die nächsten zwölf Stunden hineinpassen - soviel Zeit brauchte er vermutlich, um Sam Devereaux in seiner vertrauten Umgebung aufzuspüren und auszukundschaften. Sam schien irgendwelche albernen Einwände gegen ein Treffen mit ihm zu haben, und so sehr Mac das schmerzte, es war gut möglich, daß er Gewalt anwenden und Devereaux zu seinem Glück zwingen mußte. Der Zeitfaktor war jetzt von wesentlicher Bedeutung. Der Falke brauchte Sams Anwaltszulassung praktisch sofort. Es war auch keine Minute zu verlieren. Dabei konnte es durchaus einige Stunden dauern, den Anwalt zu überzeugen, sich um der heiligen Sache willen mit ihm zusammenzutun. Streiche das Wort »heilig«, dachte
-1 1 4
der General, das kann nur Erinnerungen wecken, die Sam am besten vergißt. Mac wusch sich die Hände und nahm dann die Brille ab, um sich mit etwas Wasser das Gesicht zu erfrischen und die rötliche Perücke dabei nicht durcheinanderzubringen, die übrigens auch nicht fest genug saß. Er hatte noch eine Tube Perückenkleber in seiner Flugtasche, und wenn er erst mal in seinem Hotelzimmer war ... Sämtliche Gedanken an die leicht verrutschte Perücke waren wie weggefegt, als der Falke die Nähe eines anderen Menschen spürte. Er richtete sich vom Waschbecken auf und stellte fest, daß ein Uniformierter neben ihm stand, dessen häßliches Grinsen erkennen ließ, daß ihm ein paar Zähne fehlten. Ein rascher Blick nach rechts zeigte dem Falken, daß der zweite Uniformierte gerade ein paar Stopper aus Gummi unter die Tür der Herrentoilette schob. Rasch überzeugte Mac sich von dem, was er eigentlich sofort hätte erkennen müssen: Die einzige Luftfahrtgesellschaft, mit der man die beiden Männer in Verbindung hätte bringen können, besaß weder Flugzeuge noch Passagiere, höchstens Fluchtwagen und Überfallgerat. »Sie haben sich 'n bißchen Erfrischung gegönnt, Mann?« sagte der erste feindselig Grinsende mit ausgeprägt spanisch südamerikanischem Akzent und strich sich zuversichtlich über das dunkle Haar, das ihm unter dem Schirm seiner Uniformmütze hervorquoll. »Sie wissen, iss gut, sich nach langem Flug bißchen aqua ins Gesicht zu klatschn, isses nich'?« »Oh, yeah, Mann!« ließ sich der zweite Uniformierte mit der etwas verrutschten Schirmmütze bedrohlich vernehmen. »Iss besser, als 'n Kopf ins Klo gesteckt zu kriegn, richtig, Mann?« »Wollen Sie mir damit etwas Bestimmtes zu verstehen geben?« fragte der General a. D. und ließ die Augen zwischen den beiden Männern hin und her wandern. Was ihn erschreckte, waren die unordentlich offen stehenden Hemden unter den Uniformjacken. -1 1 5
»Naja, iss nich' so gute Idee, Kopf ins Klobecken zu steckn, richtig?« »Da muß ich Ihnen recht geben«, erwiderte der Falke und überlegte, was er eigentlich für unmöglich hielt. »Sie beide gehören doch nicht zufällig zur Vorausabteilung einer Intelligence-Einheit, oder?« »Wir sind 'telligent und nett genug, Sie Ihm Kopf nich' in die Kloschüssel stecken zu lassen, was ja wohl nich' so klug wär, oder?« »Dachte ich's mir doch. Der Mann, der mich erwartet, würde nicht im Traum daran denken, kampferprobte Agenten wie Sie auszusuchen. Jedenfalls hat er das nicht bei mir gelernt.« »He, Mann«, sagte der zweite unkorrekt gekleidete Möchtegern-Airline-Angestellte und schob sich näher an den Falken heran. »Wolln sie uns beleidigen? Vielleicht gefällt Ihn' unsre Art zu redn nich' - wir sind Ihn' vielleicht nich' gut genug?« »Eines schreibt euch mal hinter die Ohren, soldados estupidos! Rasse, Religion oder Hautfarbe eines Mannes haben bei mir mein Lebtag keine Rolle gespielt, wenn es darum ging, sein Können und seine Qualifikation zu bewerten. Ich habe mehr Farbige, Chinamänner und Spaghettifresser zu Offizieren gemacht als vermutlich sonst jemand in meinem Rang - und zwar nicht, weil sie Farbige, Chinesen und Italiener waren, sondern weil sie besser waren als ihre Mitbewerber! Is t das klar? Nur habt ihr einfach kein Format! Ihr seid nichts weiter als kleine Pißpinscher!« »Ich denke, das war genug Unterhaltung, Mann«, unterbrach ihn der erste Hispano-Amerikaner, dem das Grinsen im Gesicht wie weggewischt war, als er ein Messer mit langer Klinge unter der Jacke hervorzog, »Ballermänner machn zuviel Lärm, rückn Sie einfach Ihre Brieftasche, die Uhr un' alles andre raus, was wir spanischsprechenden Itaker vielleicht gut gebrauchn könntn.« »Ihr habt wirklich cujones, das muß man euch lassen«, sagte MacKenzie Hawkins. »Aber sagt mir - warum sollte ich?« -1 1 6
»Wegen das hier!« schrie der nicht mehr Grinsende und hielt dem Falken sein Messer unter die Nase. »Soll das ein Witz sein?« Gespielt erschrocken drehte der Falke sich um die eigene Achse, packte das Gelenk der messerhaltenden Hand und verdrehte es mit solcher Kraft entgegen dem Uhrzeigersinn, daß der Mann die Waffe augenblicklich fallen ließ. Gleichzeitig rammte der Falke dem Mann hinter ihm den Ellbogen gegen den Adamsapfel, was diesen hinreichend benommen machte, um ihm einen chi saiSchlag vor die Stirn zu verpassen und sich im selben Augenblick wieder dem Mann mit den Zahnlücken zuzuwenden, der auf dem Boden lag und sich die schmerzende Hand hielt. »Also gut, ihr Hampelmänner, das reicht vielleicht als Lektion in Rebellenabwehr.« »Was ... Mann?« murmelte der am Boden Liegende, der sein Bewußtsein nicht verloren hatte und die Hand nach dem Jagdmesser ausstreckte, das Hawkins mit einem stampfenden Fuß auf die Bodenfliesen drückte. »Okay«, räumte der Angreifer ein. »Dann heißt's also, zurück in die Zelle, was sonst, huh, Mann?« »Oh, Moment mal, amigo zonzo«, sagte der Falke, klimperte mit den Augendeckeln und überlegte blitzschnell. »Vielleicht seid ihr ja doch zu was zu gebrauchen. Ehrlich gesagt, das mit der Uniform und den Türstoppern war gar nicht so schlecht, so was beweist Einfallsreichtum. Ihr habt eure Analyse nur einfach nicht richtig projektiert ... Kommt noch hinzu, daß ich feuererprobte Helfer brauche. Vielleicht seid ihr nach ein bißchen Schliff ja ganz brauchbar. Ihr habt einen fahrbaren Untersatz?« »Einen was?« »Einen Wagen, ein Auto, ein Beförderungsmittel, das vielleicht nicht gerade auf eine lebende oder tote Person zugelassen ist, zu der man das Nummernschild zurückverfolgen könnte?« »Naja, wir habn 'n zusammengeflicktes Oldsmobile aus'm Mittleren Westen, das noch auf ein großes Tier zugelassn iss,
-1 1 7
das keine Ahnung hat, daß er 'n duplicado mit 'm uralten
Mazda-Motor fährt.«
»Genau das richtige. Fahren wir, caballeros! Und mit einer
halben Stunde Training sowie einem Besuch beim Friseur habt
ihr aushilfsweise eine anständige Stellung, die zudem
vorzüglich bezahlt wird. Das mit der Uniform gefällt mir wirklich.
Außerordentlich nützlich.«
»Sie wirklich loco, hombre.«
»Aber ganz und gar nicht. Ich bin immer dafür gewesen, sein
Möglichstes für die Erniedrigten und Beleidigten zu tun. Kommt
also, im Gleichschritt, marsch! Und Brust raus, Jungs. Was ich
mir von euch beiden erwarte, ist eine untadelige soldatische
Haltung! Hilf mir, deinen Kameraden wieder auf die Beine zu
stellen, und dann auf in den Kampf!«
Langsam tauchte der Kopf von Devereaux aus dem rechten
Flügel der mattglänzenden Doppeltür auf, die in das elegante
Penthouse-Büro der Aaron Pinkus Associates führte.
Verstohlen blickte er erst nach links und dann nach rechts,
wiederholte es noch einmal und nickte. Auf dieses Zeichen hin
traten zwei schwergewichtige Männer in braunem Anzug auf
den Flur und näherten sich den Aufzügen am Ende der Halle,
wobei sie Sam in die Mitte nahmen.
»Ich habe Cora versprochen, auf dem Heimweg Kabeljaufilets
mitzubringen«, sagte der Anwalt ausdruckslos zu seinen
Wachen, als sie den Flur hinuntergingen.
»Den Kabeljau kaufen wir ein«, sagte der Mann zu Sams
Linken. Er sah geradeaus, nur seine Stimme hatte etwas leicht
Vorwurfsvolles. »Paddy Lafferty kriegt von ihr Porterhouse-
Steaks vorgesetzt«, sagte der zur Rechten. Seine Stimme hatte
etwas mehr als nur leicht Vorwurfsvolles. »Vom
Holzkohlengrill.«
»Schon gut, schon gut, dann halten wir eben an und nehmen
auch noch ein paar Steaks mit, okay?«
»Am besten gleich vier«, schlug der Leibwächter zur Linken mit
gleichbleibend leiser Stimme vor. »Wir werden um acht
abgelöst, und die Gorillas riechen so was.«
-1 1 8
»Das liegt am Fettrand«, meinte der rechte Wächter, den Blick
immer noch unbewegt geradeausgerichtet. »Da bleibt der
Geschmack schön lange im Mund.«
»Sei's drum!« erklärte Devereaux sich einverstanden. »Vier
Steaks und die Kabeljaufilets.«
»Und was ist mit Kartoffeln?« fragte der Mann zur Linken.
»Cora hält zwar nicht viel von Kartoffeln, alle anderen stehen
aber drauf.«
»Nach sechs kocht Cora die Kartoffeln besonders gut«, sagte
der Rechte und gestattete sich einen Anflug von Grinsen auf
dem sonst ausdruckslosen Gesicht. »Da fällt es ihr manchmal
schwer, den Herd zu finden.«
»Dann koch ich sie«, sagte der Linke.
»Mein polnischer Kollege kann ohne cartoffables nicht leben.«
»Kartofla, du Stiesel. Mein schwedischer Kollege hätte gleich in
Norwegen bleiben sollen, hab ich nicht recht, Mr. D.?«
»Wo auch immer.«
Die Türen des Aufzugs glitten auseinander, das Kleeblatt trat
ein und war erschrocken, zwei Uniformierte darin vorzufinden,
die offensichtlich irrtümlich ins Penthouse hochgefahren waren,
denn sie machten keinerlei Anstalten auszusteigen. Sam nickte
höflich und drehte sich den sich zusammenschiebenden
Türflügeln zu, wurde blaß und riß vor Überraschung die Augen
auf. Wenn seine geübten Anwaltsaugen ihn nicht trogen, trugen
die beiden Uniformierten am Hemdkragen festgesteckt kleine
Hakenkreuznadeln. Devereaux tat so, als wolle er sich am Hals
kratzen und drehte sich dabei wie beiläufig um. Bei den kleinen
schwarzen Abzeichen handelte es sich in der Tat um
Hakenkreuze! Flüchtig kreuzte sein Blick den des Mannes in
der Ecke, der lächelte, wobei das freundliche Grinsen irgendwie
unter dem Fehlen mehrerer Zähne litt. Sam wandte den Blick
rasch wieder nach vorn, seine Verwirrung stieg, doch dann war
ihm plötzlich alles klar. Wie man in New York am Broadway
sagte, war Boston eine Stadt für neue Bühnenstücke.
Offensichtlich gab es irgendwo ein neues Stück über den
Zweiten Weltkrieg, vermutlich im Shubert oder im Wilbur, wo
-1 1 9
man Neuinszenierungen auf ihre Publikumswirksamkeit testete,
ehe man sie im nahe gelegenen New York anlaufen ließ.
Trotzdem, diese Leute sollten es besser wissen und nicht
mitten auf der Straße in solchen Kostümen herumlaufen.
Andererseits hatte er immer gehört, daß Schauspieler eine
besondere Sorte Mensch wären, manche lebten ihre Rolle
vierundzwanzig Stunden am Tag. Hatte es da nicht einen
englischen Othello gegeben, der eines Abends in einem
jüdischen Delikatessengeschäft in der Nähe der 47. Straße
versucht hatte, seine Desdemona wegen eines Pastrami-
Sandwiches zu erdolchen?
Die Türflügel glitten auf, die belebte Lobby lag vor ihnen, und
Devereaux stieg aus. Dann blieb er stehen, sah sich um und
wartete, daß seine Leibwächter ihn wieder in die Mitte nahmen.
Rasch ging das Trio auf den Haupteingang zu, wich vielen
Leibern und einer Fülle von Aktenköfferchen aus und trat
schließlich auf den breiten Bürgersteig hinaus, wo an der Ecke
Aaron Pinkus' Limousine auf sie wartete.
»Man kommt sich vor wie in Belfast, wo man sehen muß, wie
man sich vor diesen bombenschmeißenden irren Iren in
Sicherheit bringt«, sagte Paddy Lafferty hinterm Steuer,
während seine Fahrgäste sich auf den Rücksitz fallen ließen,
wobei Devereaux sich zwischen seinen beiden breitschultrigen
Beschützern wie in einem Schraubstock vorkam.
»Gleich nach Hause, Sam?« fuhr der Chauffeur fort, als er den
großen Wagen in den fliegenden Verkehr lenkte.
»Zweimal halten, Paddy«, erwiderte Devereaux. »Kabeljaufilets
und Steaks.«
»Typisch Cora, was, Boyo? Sie brät ein Porterhouse-Steak so
lange, bis man ihr sagt, daß es allerhöchste Eisenbahn ist, es
vom Grill zu nehmen. Sonst kriegt man in Whisky
schwimmenden Knorpel vorgesetzt. Am besten kaufen Sie
gleich drei Porters, Sam. Ich habe Order zu warten und Sie
gegen halb neun in die Stadt zurückzubringen.»
»Das macht fünf«, sagte der polnische Praetorianer.
»Danke, Stosh, aber ich hab gar keinen so großen Hunger ...«
-1 2 0
»Ich hab auch nicht an dich gedacht, sondern an unsere
Ablösung.«
»Oh, yeah, die riechen sie. Du weißt schon, warum, nicht? Es
ist der Fettrand, der so schön brutzelt ...«
»Also gut!« rief Devereaux in dem Bemühen, eine Pause in
dem Maschinengewehrgeratter der Unterhaltung zu finden und
eine Frage von, wie er meinte, großer Wichtigkeit zu stellen.
»Kabeljaufilets, fünf Porterhouse-Steaks mit Fettrand, der so
schön brutzelt - all das ist abgehakt. Jetzt aber will ich wissen,
warum Aaron mich um halb neun wieder in der Stadt braucht.«
»Aber, Boyo, das war doch Ihre Idee! Und lassen Sie sich von
mir gesagt sein, Mr. Pinkus hält ganz große Stücke auf Sie.«
»Wieso das?« »Weil Sie diese phantastische Einladung zu der
Soiree in der Kunst-Galerie bekommen haben - was sagen Sie
dazu? Ich hab gehört, wie Sie Soiree sagten, was bedeutet,
daß man sich nach des Tages Müh und Last den ganzen
Abend über vollaufen lassen kann, und kein Mensch was dabei
findet.«
»Kunstgalerie ...?«
»Wissen Sie nicht mehr, Junge - Sie haben mir doch selbst
gesagt, es ginge um diesen überkandidelten Modelaffen, der
ein Mandant von ihnen ist und denkt, seine Frau sei verknallt in
Sie, was ihn allerdings weiter nicht stört: Und dann haben Sie
Mr. Pinkus erzählt, Sie wollten nicht hin, und er hat es wieder
von Mrs. Pinkus, die irgendwo gelesen hat, daß der Senator da
sein würde, und jetzt gehen Sie alle hin.«
»Bei diesen Leuten handelt es sich um eine Bande von
blutsaugerischen Spendensammlern und Aasgeiern aus der
Politik.«
»Ist aber High-High Society, Sammy.«
»Das läuft aufs selbe hinaus.«
»Dann fahren wir also auch mit dir zurück, Paddy?« fragte der
Leibwächter zur Rechten von Devereaux.
»Nein, Knute, dazu bleibt keine Zeit. Ihr nehmt Mr. D's Wagen.
Eure Ablösung kommt in ihrem eigenen nach.«
-1 2 1
»Wieso, was ist mit der Zeit?« wandte Stosh ein. »Du brauchst
uns doch bloß irgendwo downtown abzusetzen. Mr. D's Wagen
ist in den Kurven ziemlich wackelig.«
»Haben Sie das immer noch nicht reparieren lassen, Sam?«
»Ich hab's vergessen.«
»Dann wirst du dich damit abfinden müssen, Stosh. Nichts liebt
der Boss mehr, als seinen kleinen Buick selbst nach Hause zu
fahren, bloß Mrs. Boss hat was dagegen. Das hier ist ihre
Karre, besonders mit dem Nummernschild, das er so haßt, und
das ganz besonders, wenn es zu einer solchen Fete geht wie
der heute abend.«
»Blutsauger und Politiker!« murmelte Sam.
»Ein und dasselbe, was?« sagte Knute.
MacKenzie Hawkins verengte die Augen zu Schlitzen, um
durch die Windschutzscheibe des gestohlenen Oldsmobile
hindurch das Nummernschild des vor ihnen fahrenden Wagens
zu erkennen. Die erhaben herausgearbeiteten weißen
Buchstaben quer über dem grünen Untergrund schrien den
Namen PINKUS heraus, als könnte er die Herzen derer, die ihn
lasen, vor Angst verzagen lassen. Das wäre ja möglich, wenn
der Name nur etwas bedrohlicher klänge, dachte Mac, der
gleichwohl froh war, ihn vor der Arbeitsstätte von Devereaux
entdeckt zu haben. Dabei würde er diesen Namen niemals
wieder vergessen. Wochenlang hatte Sam anfangs während
der Arbeit für ihre frühere Firma geschrien: Was würde wohl
Aaron Pinkus dazu sagen?, bis Mac es nicht mehr hatte
aushalten können und den hysterischen Anwalt eingesperrt
hatte, bloß um ein wenig Ruhe zu finden. Heute nachmittag
hatte ein kurzer Anruf in der Kanzlei bestätigt, daß Sam
heimgekehrt war und irgendwie - mochte der liebe Himmel
wissen, wie - seinen Frieden mit Aaron Pinkus geschlossen
hatte, dessen Name für den Falken gleichbedeutend war mit
einem Fluch.
Hinterher hatte er seinen frischausgebildeten und
frischfrisierten Legionären nur noch ein sechs Jahre altes Foto
von Devereaux zu zeigen und sie anzuweisen brauchen, in
-1 2 2
dem einzigen Aufzug, der zwischen Penthouse und Erdgeschoß verkehrte, rauf- und runterzufahren, bis der Gesuchte auftauchte, und ihm hinterher auf Schritt und Tritt, wenn auch in sicherer Entfernung, zu folgen und dabei mittels Walkie-talkie mit ihrem Kommandeur in Verbindung zu bleiben. »Nicht, daß ihr auf dumme Gedanken kommt, caballeros, denn Diebstahl von Regierungseigentum wird mit Gefängnis bis zu dreißig Jahren bestraft - und ich habe euren gestohlenen Wagen, in dem es zu Hauf Fingerabdrücke von euch gibt.« Offen gestanden hatte Mac erwartet, daß Sam nach der Arbeit zunächst in einer netten Bar einkehren würde. Nicht, daß sein ehemaliger Rechtsberater ein Trinker gewesen wäre - er trank selten zuviel -, aber nach einem anstrengenden Tag genehmigte er sich schon mal ein Glas oder auch zwei. Sieh einer an! hatte der Falke gedacht, als er Sam unter Geleitschutz aus dem Gebäude herauskommen sah. Wie mißtrauisch und undankbar konnte ein Mensch überhaupt sein? Sich von allen durch und durch verachtenswerten Strategien ausgerechnet für Geleitschutz zu entscheiden! Und dann auch noch seinen Brötchengeber ins Vertrauen zu ziehen, den nicht minder verachtenswerten Aaron Pinkus, das lief schon auf Verrat hinaus, war geradezu unamerikanisch. Der Falke war sich nicht sicher, ob seine neuangeworbenen Hilfstruppen es mit einer geänderten Strategie aufnehmen konnten. Andererseits schaffte ein guter Frontoffizier es immer, das Beste aus seinen Untergebenen herauszuholen, und wenn sie noch so unerfahren waren. Infolgedessen musterte er sie, wie sie zusammengedrängt neben ihm auf dem Vordersitz saßen selbstverständlich konnte er einem potentiellen Gegner nicht erlauben, hinten zu sitzen. Mit kurzem militärischen Haarschnitt und frisch rasiert sahen sie entschieden besser aus als vorher, obwohl die beiden den Kopf zum Beat irgendwelcher aus dem Radio kommenden lateinamerikanischen Rhythmen zucken ließen. »Okay, Leute: Achtung!« rief der Falke und knipste das Radio aus. »Was soll das, loco hombre?« fragte der überraschte Helfer, der nicht mehr alle Zähne im Mund hatte und am Fenster saß. -1 2 3
»Das bedeutet atención. Ihr habt acht zu geben auf das, was
ich sage.«
»Vielleicht Sie uns besser erstmal bißchn Geld geben?« sagte
der Helfer direkt neben ihm.
»Alles zu seiner Zeit, Corporal - ich habe beschlossen, euch zu
corporales zu befördern, denn zusätzlich zu euren normalen
Aufgaben muß ich euch weitere Verantwortung aufbürden. Und
das verlangt natürlich eine Solderhöhung. Übrigens, wegen der
Identifikation und Verständigung - wie heißt Ihr eigentlich?«
»Ich bin Desi Arnaz«, erklärte der Mann an der Tür.
»Und ich auch«, sagte sein Gefährte.
»Na gut, dann eben D-Eins und D-Zwo, in dieser Reihenfolge.
Und jetzt hört mal zu!«
»Wir hörn!«
»Es gibt Komplikationen von seiten des Gegners, die von eurer
Seite Eigeninitiative und ein gewisses Zupacken verlangen. Ihr
müßt euch möglicherweise trennen, um feindliches Personal
vom Posten wegzulocken, so daß die Zielperson genommen
werden.«
»Bis jetzt hab ich nur das mit >verlangn< verstandn. Vor
Gericht es heißt immer >auf Verlangen<. Aber beim Rest bin
ich mir nich' so sicher.«
Daraufhin fuhr der Falke in fließendem Spanisch fort, was er als
junger Guerilla-Anführer auf den Philippinen beim Kampf gegen
die Japaner gelernt hatte. »Comprende?« fragte er, nachdem
er fertig war.
»Absolutamente«, rief D-Zwo. »Wir zerhackn Huhn un' verteiln
die Stücke, um großen räudigen Fuchs zu fangn.«
»Sehr gut, Corporal. Haben Sie das bei einer Ihrer Latino-
Revolutionen gelernt?«
»No, senor. Meine Mama mir als Kind kleine Geschichtn
vorlesn.«
»Woher Sie das auch immer haben, setzen Sie's um! Also,
folgendes werden wir jetzt machen: Himmerherrgottnochmal!
Was tragen Sie denn an Ihrem Kragen?«
-1 2 4
»Was, hombre?« fragte D-Eins, von Hawkins plötzlichem
Wutausbruch völlig verdattert.
»Sie auch!« schrie Hawkins, wobei sein Kopf zwischen den
beiden immer hin und herflog. »Eure Hemden, den Kragen ...
Ich hab das vorher nicht gesehen.«
»Vorher hattn wir aber auch kein' Schlips um!« erklärte D-Zwo.
»Sie uns geben dinero un' sagen, zwei schwarze Schlipse
kaufn, ehe wir in Wolkenkratzer mit schicken Aufzug reingehn
... Un' denn, loco hombre, diese Hemdn hier gehörn uns eiglich
gar nich'. Draußn vor ein Restaurant an Highway warn paar
böse gringos auf Motorrädern sehr unfreundlich zu uns. Die
Motorräder haben wir verkauft, aber die Hemdn behaltn.
Hübsch, nich?«
»Ihr Rindviecher! Diese Anstecknadeln, das sind Hakenkreuze.
« »Was 'n das?«
»Hübsche kleine Dinger«, meinte D-Zwo und fingerte an dem
Symbol des Dritten Reichs herum. »Un' hintn auf 'n Rücken
haben wir ganz große drauf.«
»Reißen Sie sie sofort von Ihren Kragen ab, Corporals, und
behalten Sie Ihre verdammten Röcke an!«
»Röcke?« fragte D-Eins völlig verdattert.
»Die Uniformröcke, Ihre Jacken, die Uniformen, behalten Sie
die an!« Der Falke sprach nicht weiter, denn die Pinkus-
Limousine vor ihnen verlangsamte und bog rechts in eine
Seitenstraße ein. Mac tat desgleichen. »Wenn Sam hier wohnt,
dann geht der Junge putzen, statt verzwickte juristische
Klagesätze zu verfassen.« Es handelte sich um eine kurze,
dunkle Straße mit kleinen Läden zwischen den Hauseingängen,
die zu verwohnten Absteigen in den oberen Stockwerken
führten und einen an gewisse von Einwanderern wimmelnde
Viertel in den Großstädten der Jahrhundertwende erinnerten.
Das einzige, was an dem Bild noch fehlte, waren Handkarren
und Hausierer nebst ohrenbetäubendem Sprachengewirr. Die
Limousine glitt vor einem Fischladen an den Rinnstein und hielt.
Mac konnte nicht halten, da er nicht sofort eine Parklücke fand
die ergab sich erst mindestens fünfzig Meter weiter am Ende
-1 2 5
der Straße und war kaum zu erkennen. »Das gefällt mir nicht!«
erklärte der Falke.
»Sie nicht gefalln was?« fragte D-Eins.
»Das könnte eine Finte sein.«
»Flinte?« rief D-Zwo und riß die Augen weit auf. »He, loco
hombre, wir kämpfn nich' in Krieg - nix da von wegen
revolucion! Wir sin' friedliche Übeltäter, das iss alles.«
»Übeltäter?«
»Täter, so heißt das auch viel vor Gericht«, erklärte der
Uniformierte am Fenster. »Wie 'erforderlich' un' 'zurückschickn
in Untersuchungshaft -, wissn Sie?«
»Weder Krieg noch Revolution, mein Sohn, nichts weiter als ein
feiger und undankbarer Übeltäter, dessen Begleitung uns
möglicherweise entdeckt hat ... He, D-Eins, ich halte gleich
einen Moment. Sie steigen aus und sehen sich in dem
Fischladen um, tun Sie so, als ob Sie was fürs Abendessen
einkaufen wollen, und bleiben Sie in Verbindung mit mir.
Könnte sein, daß es da drin einen Hinterausgang gibt, obwohl
das nicht sehr wahrscheinlich ist. Vielleicht wechseln sie auch
die Kleidung, bloß wären ihre Klamotten für unsere Zielperson
viel zu groß - die könnte drin schwimmen! Gleichviel, wir
können kein Risiko eingehen. Er ist jetzt in der Hand von Profis,
Leute; und wir müssen zeigen, daß wir es mit denen schon
lange aufnehmen!«
»Bedeutet diese ganze tonteria, ich soll auf den langen
Lulatsch da aufpassn?«
»So ist es, Corporal. Aber es gehört sich nicht, den direkten
Befehl eines Vorgesetzten mit irgendwelchen Flüchen in Frage
zu stellen.«
»Das wunderschön!"
»Machen Sie schon!« schrie der Falke und trat auf die Bremse,
während D-Eins ausstieg und den Wagenschlag hinter sich
zudonnerte. »Und Sie, D-Zwo«, fuhr Mac fort, während das
Oldsmobile einen Satz nach vorn machte, »sobald ich parke,
springen Sie über die Straße, marschieren den Block halb
-1 2 6
zurück bis zu dem großen Wagen dahinten und behalten ihn
und den Fischladen im Auge! Sollte jemand es eilig haben,
herauszukommen und in die Limousine oder ein anderes Auto
in der Nähe einzusteigen - geben Sie mir sofort Bescheid.«
»Iss das nich', was D-Eins macht, Mann?« fragte D-Zwo und
nahm sein Walkie-talkie aus der Tasche.
»Wenn die feindlichen Späher helle sind, könnten sie ihn
hopsnehmen, was ich jedoch bezweifle. Ich habe mich im
allgemeinen zwei Fahrzeuge hinter der Zielperson gehalten.
Offenbar haben sie aber noch nichts bemerkt.«
»Sie redn komisch, wissn Sie das?«
»Auf Ihren Posten!« befahl der Falke und steuerte in die
Parklücke kurz vor der Straßenecke. D-Zwo sprang hinaus und
lief mit der Munterkeit eines erfahrenen Jagdhunds über die
Straße.
»Gar nicht schlecht, caballero«, murmelte Mac in seinen nicht
vorhandenen Bart und griff in die Hemdtasche nach einer
Zigarre. »Ihr seid beide durchaus entwicklungsfähig. Fast schon
so gut wie Reservisten mit solider Grundausbildung.«
Dann vernahm er ein leichtes Klopfen an der
Windschutzscheibe. Am Rinnstein stand ein Polizist und
deutete mit seinem Gummiknüppel nach links. Der Falke war
momentan verwirrt und blickte zur anderen, gleichfalls
unbeparkten Straßenseite vor der Ecke hinüber. Kurz davor
stand ein Halteverbotsschild.
Sam suchte die Kabeljaufilets aus, dankte dem griechischen
Ladenbesitzer mit dem üblichen, wenn auch falsch
ausgesprochenen >Efkaristó< -, woraufhin ihm beim Bezahlen
ein höfliches »Parakaló, Mr. Deveroo« entgegentönte. Die
beiden Leibwächter, die sich nicht sonderlich für Fisch
interessierten, betrachteten die vergrößerten, wiewohl bereits
ziemlich verblichenen, gerahmten Fotos von allerlei ägäischen
Inseln. Ein paar anderen Kunden, die an weißen
Kunststofftischchen saßen und durch die Bank griechisch
sprachen, schien mehr daran gelegen, sich zu unterhalten, als
irgend etwas zu kaufen. Sie begrüßten zwei Männer, die
-1 2 7
gerade den Laden betraten, nicht jedoch den dritten Mann in
einer merkwürdig nichtssagenden Uniform, der sich bis ganz
hinten zu dem Verkaufstresen vorarbeitete, wo aber außer
zerstoßenem Eis nichts zu sehen war. Unter den kritischen
Blicken seiner Beobachter zog der Uniformierte eine Art
Transistorradio aus der Tasche, hob es an die Lippen und
begann zu sprechen.
»Faschisten!« schrie ein ältlicher bärtiger Sorbas, der am
tresen-nahesten Tisch saß. »Schaut! Er benachrichtigt die
Deutschen!«
Als der ehemalige, nunmehr bereits im Rentenalter stehende
Partisanenkämpfer aus Saloniki vorwärtsstolperte, um den
gehaßten Feind von vor fünfzig Jahren anzugreifen und
gefangenzunehmen, stürmten Sams zwei Leibwächter mit
gezogenen Waffen auf ihn zu. Das Ziel des betagten
Griechenkriegers ruderte mit den Armen wie mit
Windmühlenflügeln und trat nach seinen Angreifern, dann
drängte er sie auseinander, rannte zur Tür und blieb nur kurz
stehen, um in ein Aquarium in der Nähe des Ausgangs zu
langen.
»Den Mann kenne ich!« rief Devereaux gellend und riß sich von
seinen Beschützern los. »Er hat ein Hakenkreuz am Kragen!
Das habe ich gesehen, als wir im Aufzug runterfuhren.«
»Was für einem Aufzug?« fragte der Prätorianer aus
Skandinavien. »Der, mit dem wir vom Büro runtergefahren
sind.«
»Ich hab im Aufzug keine Hakenkreuze am Magen gesehen«,
erklärte der Prätorianer aus Polen.
»Ich hab doch nicht Magen gesagt, sondern Kragen.«
»Sie reden komisch, wissen Sie das eigentlich? «
»Und du hörst komisch - könnte das sein? Er kommt näher, er
nimmt uns in die Zange, ich spüre es.« »Spüren was?« fragte
Knute. »Die Titanic. Er ist auf seinem Katastrophenkurs - und
hat es auf mich abgesehen, das weiß ich ganz genau. Der
Mensch ist das hinterhältigste Stück, das jemals der Hölle
entsprungen ist. Machen wir, daß wir hier rauskommen.«
-1 2 8
»Klar, Mr. D. Die Porterhouses können wir auch vom
Fleischmarkt in der Boylston Street holen, und dann nichts wie
nach Hause.«
»Moment mal!« rief Devereaux. »Nein, genau das werden wir
nicht tun. Gebt diesen Typen an den Tischen eure Mäntel und
verteilt ein paar Dollar: Sie sollen nichts weiter tun, als Aarons
Limousine besteigen und sich am Hafen rumkutschieren
lassen. Aber erst einmal gehen Sie raus, Knute, - und sagen
Paddy, er soll die Knaben anschließend auf der Fahrt zum
Haus von Pinkus an irgendeiner Ginpinte absetzen. Vorm Haus
selbst werde ich ihn erwarten. Stosh, Sie rufen uns ein Taxi,
dann koordinieren wir das ganze Unternehmen.«
»Für meine Begriffe klingt das alles völlig irre. Mr. D.!« erklärte
Stosh, verblüfft über Sams plötzlich so autoritären Ton. »Ich
meine, Sir, Sie reden doch sonst nicht so ... Sir.«
»Ich kehre nur in die Vergangenheit zurück, Stanley, und
beigebracht hat mir das ein Meister seines Fachs. Und der
kommt näher. Das weiß ich genau. Aber diesmal hat er sich
verrechnet.«
»Wie war das jetzt ... Sir?« fragte Knute.
»Diesmal benutzt er richtige US-Soldaten, die die Drecksarbeit
für ihn machen sollen. Die Uniform war abgeschabt wie
sonstwas, aber haben Sie die Haltung bemerkt, und wie
fabelhaft das Haar am Hals geschnitten war - dieser Kerl war
ein GI!«
»Loco hombre, wo sind Sie?«
»Um den Block rum. Und sitze im verdammten Verkehr fest.
Und welcher von beiden sind Sie?«
»Desi-Dos. Desi-Uno ist bei mir.«
»Hallo loco hombre. Sie sind verrückter als 'n Schwarm
Kakadus. Und wie schätzen Sie die Lage vor Ort ein?«
»Hörn Sie auf mit Quatsch, Mann. Ums Haar wär ich tot
gewesen.«
»Ein Schußwechsel?«
-1 2 9
»Mit Fischen? Sein Sie nicht so dumm ... mit verrücken alten
Männern mit Barten, die kein Englisch sprechn.«
»Das ergibt keinen Sinn, D-Eins.«
»Sinn hier kaum was. Besonders nich' dieser Lulatsch von
Gringo, dem Sie eins verpassn wolln.«
»Bitte etwas deutlicher, Corporal!«
»Hat 'n paar alte Männer mit großem Schlitten weggeschickt
un' die haben alle komische Sachn angehabt - un' er bild sich
ein, wir merken nix. Wie kann 'n Gringo bloß so blöd sein.«
»Merkt was nicht?«
»Daß er auf 'n anderes Auto wartet. Einer von sein amigos
steht draußn vor der Tür un' hält nach Taxi Ausschau.«
»Verflucht. Das schaffe ich niemals rechtzeitig. Der geht uns
durch die Lappen.«
»Nur keine Bange, loco hombre ...«
»Keine Bange? Jede Stunde zählt.«
»He, Mann, wie weit reichn diese klein' Radios eigentlich?«
»Es handelt sich um schnurlose Funksprechgeräte. Reichweite
an Land rund hundertfünfzig Meilen, auf See doppelt soweit.«
»Wir wolln aber nich' mit irgendwelchn Autos schwimmen gehn.
Iss also alles in Ordnung.«
»Wovon zum Teufel reden Sie da?«
»Wir werdn dem Gringo un' sein' amigos folgen.«
»Folgen? In was, um alles in der Welt denn?«
«Desi-Dos hat schon alten Chevy kurzgeschlossn. Keine
Bange, wir bleiben in Kontakt mit ihn'.«
»Ihr klaut ein Auto?«
»Was heißt hier klaun, Mann? Iss nur gute estrategia, wie Sie
selbst gesagt haben. Stimmt's, loco hombre?«
Paddy Lafferty fand die drei bärtigen älteren Griechen auf dem
Rücksitz von Pinkus' Limousine gar nicht lustig. Erstens rochen
sie wie eine Mischung aus verendetem Fisch, alten Socken und
Knoblauch, zweitens fummelten sie wie Geistesgestörte in einer
-1 3 0
Video-Welt an jedem Schalter und Knopf herum, den sie erreichen konnten, drittens sahen sie in den schlecht sitzenden Jacken von Sam, Knute und Stosh einfach lächerlich aus, zumal ihre Bärte fast die halben Revers verdeckten, viertens hatte er den nicht unbegründeten Verdacht, daß einer von ihnen sich die Nase mit den Samtvorhängen des Fensters geputzt hatte, und das schon zweimal, und fünftens ... ach, Gott, was soll's! Er würde den ganzen Wagen eben einer gründlichen Reinigung unterziehen, ehe Mrs. Pinkus ihn das nächste Mal brauchte. Nicht, daß Paddy etwas gegen das hatte, was Sam hier abzog. Das war eigentlich sogar ziemlich aufregend und mal was anderes als das tägliche Einerlei, das er sonst machte. Nur daß Lafferty nicht recht begriff, um was es eigentlich ging. Die ganze Wahrheit war ja wohl auch nur dem Devereaux-Boyo und Mr. Pinkus bekannt. Offenbar hatte Sammy sich vor Jahren mal auf was Schlimmes eingelassen, und jetzt war jemand hinter ihm her, um ihm irgendeine offene Rechnung zu präsentieren. Das reichte für Paddy selbstverständlich, er mochte Devereaux ausgesprochen gern, auch wenn der erfolgsverwöhnte junge Anwalt manchmal ein bißchen allzu wieselig war. Jeder, der den Namen von einem der großen Männer aus dem Offizierskorps kannte, nämlich den von General MacKenzie Hawkins, war in Laffertys Augen ohnehin etwas Besonderes. Nur wenige junge Leute heutzutage, insbesondere von den Yuppie-Typen, brachten den großen alten Soldaten den ihnen gebührenden Respekt entgegen, und so war es schön zu wissen, daß zu Sams erfreulichen Eigenschaften auch Hochachtung vor den wahren Helden Amerikas gehörte. All das sprach für Mr. Pinkus und seinen Lieblingsangestellten; was aber nicht so positiv ins Gewicht fiel, war, daß man ihn, Paddy, nicht in alles einweihte. So zum Beispiel, wer denn nun hinter Sam her war und wie die Typen aussahen. Die Antwort auf diese einfachen Fragen war doch bestimmt von größter Wichtigkeit, wo es um den Schutz von Devereaux ging. Nun, nicht notwendigerweise das Wieso und Warum, denn dabei -1 3 1
konnte es sich ja um irgendeine knifflige juristische Frage
handeln, verdammt wichtig aber war, um wen es ging und wie
die Betreffenden aussahen. Statt dessen hatte er gesagt
bekommen, Sam würde es wissen, Sam würde Alarm schlagen,
sobald er den Bastard oder die Bastarde, die hinter ihm her
waren, erkannte. Nun, Lafferty war nie Offizier gewesen, aber
als fronterfahrener Sergeant wußte er, wie man kurz und
angemessen auf eine solche Art des Denkens reagierte. Wie
der große Soldat, Mac der Falke gesagt haben könnte: »Man
macht seine Späher nicht zur Hauptzielscheibe.«
Plötzlich klingelte das Autotelefon und unterbrach jählings die
Gedanken an einen Mann, dem seit jenen zehn ruhmreichen
Tagen in Frankreich, da dieser große Soldat ihr Bataillon
angeführt hatte, Paddys ganze Verehrung galt. »Lafferty am
Apparat«, sagte er, nachdem er den Hörer aus der Halterung
herausgenommen und ans Ohr geführt hatte. »Paddy, ich bin's,
Sam Devereaux!« dröhnte es aus dem Hörer. »Das höre ich
irgendwie, Boyo. Was gibt's, Sam?« »Werden Sie verfolgt?«
»Darauf hatte ich gehofft, aber tut mir leid, ist nicht. Dabei habe
ich dauernd in den Rückspiegel gesehen ...« »Aber wir werden
verfolgt.«
»Das kapier ich irgendwie nicht, Boyo. Sind Sie sicher?« »Ganz
sicher! Ich rufe von einem Münzapparat an, aus einer Pinte, die
sich Nanny's Naughty Follies et cetera nennt.«
»Oh, Boyo, machen Sie bloß, daß Sie da rauskommen. In so
was sollte man Sie nicht sehen. Das hätte Mr. Pinkus gar nicht
gern.«
»Was? Wieso?«
»Rufen Sie von dem Apparat an, der etwa drei Meter von der
Jukebox entfernt steht?«
»Ja, ich glaube. Jedenfalls kann ich eine Jukebox sehen.«
»Dann werfen Sie mal einen Blick nach links rüber, auf die
große runde Bar unterhalb einer langen, etwas erhöhten
Planform.«
»Ja, mach ich ... Da hopsen bloß ein paar Tänzer rum, oh, mein
Gott, die sind ja alle nackt! Und zwar Frauen wie Männer.«
-1 3 2
»Das eben ist das et cetera, Boyo. Wenn ich Sie wäre, würde
ich die Beine in die Hand nehmen und machen, daß ich da
rauskäme.«
»Das kann ich aber nicht! Knute und Stosh sind hinter dem
Chevy her, der unserem Taxi gefolgt ist und immer dann
anhielt, wenn auch wir hielten. Ich meine, das sind echte Profis.
Paddy. Sie haben das Taxi verlassen, und jetzt nehmen sie die
Typen in die Zange.«
»Es dauert keine zehn Minuten, und ich bin da, Sammy! Ich
werf diese griechischen Kuttenträger bei der nächsten
Tankstelle raus und komm' zu Ihnen. Ich kenn 'ne Abkürzung.
In zehn Minuten, Boyo.«
»Loco hombre, sind Sie in der Nähe?«
»Wenn eure Fahrtenschreiber zutreffen, keine fünf Minuten von
euch entfernt, D-Eins. Wie ist der augenblickliche Stand der
Dinge? Ich meine, was tut sich gerade?«
»Wir gute corporales'. Haben kleine Überraschung für Sie, loco
hombre!«
»Bin schon unterwegs.«
Das irgendwo im Mittleren Westen entwendete Oldsmobile
karriolte bereits nach weniger als drei Minuten auf Nannys
Parkplatz. MacKenzie Hawkins kaute auf seinem
Zigarrenstummel herum und hielt angestrengt durch die
Windschutzscheibe nach seinen Helfern Ausschau. Was er
sofort sah, war D-Zwo, der ganz am Rande des Asphalts stand
und etwas schwenkte, das aussah wie eine große,
auseinandergerissene Wolldecke. Als er auf seinen
handwerklich begabten Helfer zuraste, erkannte er, daß es sich
bei der Signalflagge nicht etwa um eine Wolldecke handelte,
sondern um ein Paar Hosen. Der Falke sprang aus dem Wagen
und ging auf D-Zwo zu, wobei er sich Zeit nahm, die zu lange,
zu rote und entschieden zu locker sitzende Perücke
zurechtzuschieben.
»Was haben Sie zu melden, Corporal?« fragte Mac besorgt.
»Und was zum Henker ist das?« setzte er hinzu und zeigte mit
dem Kopf auf die Hosen.
-1 3 3
»Das iss 'ne Hose, loco hombre, was 'n sonst?«
»Das seh ich auch, daß das 'ne Hose ist. Aber was machen Sie
damit?«
»Besser, ich hab sie, als der schlechte amigo, der sie sonst
trägt, no? Solange ich die hier hab un' Desi-Uno die andere,
bleibn die beiden blöden amigos, wo sie sind.«
»Die beiden Begleiter? Der Geleitschutz? Wo sind sie, und wo
ist die Zielperson?«
»Mitkommen!« D-Zwo führte den Falken bis zur verlassen
daliegenden anderen Seite des Gebäudes, die offensichtlich
der Anlieferung von Waren und dem Abholen von Müll diente.
Unmittelbar neben einem riesigen Müllcontainer und so nahe
daneben abgestellt, daß sich ein Wagenschlag nicht öffnen lieg,
stand ein Chevrolet-Coupé, dessen freie Tür mit Hilfe eines
langen ausgemusterten Tischtuchs verschlossen wurde, das
man am Griff und der hinteren Stoßstange festgebunden und
verknotet hatte. Drinnen saßen - der eine vorn und der andere
hinten auf dem schmalen Rücksitz - Sams Leibwächter und
drückten die apoplektisch geröteten Gesichter gegen die
Scheiben. Bei genauerem Hinsehen erkannte Mac, daß die
beiden nur Unterhosen trugen, und als er sich weiter umsah,
sah er, daß beider Schuhe und Socken säuberlich
nebeneinander hinter den freistehenden Hinterrädern abgelegt
waren. »Das andere Fenster haben wir bißchen aufgelassn,
damit die Luft kriegn«, erklärte D-Zwo.
»Gut überlegt«, lobte Mac. »Nach der Genfer Konvention
haben Kriegsgefangene menschlich behandelt zu werden. Aber
wo zum Teufel ist D-Eins?»
»Hier, loco hombre», meldete sich D-Eins, der gerade um das
Chassis des Chevrolets herumkam und dabei eine Rolle
Banknoten zählte. »Diese amigos tätn gut daran, sich bessere
Jobs oder bessere Frauen zu suchn. Wenn es nich' um Ihm
gentleman auf dem Foto ging - na, die beidn die Mühe nich'
gelohnt.«
»Wir nehmen Gefangenen ihre persönlichen Habseligkeiten,
mit denen sie keine feindseligen Akte begehen können, nicht
-1 3 4
ab«, erklärte der Falke entschieden. »Stecken Sie das zurück in
ihre Brieftaschen.«
»He, Mann«, protestierte D-Eins, »wieso iss dinero persönliche
Habseligkeit? Ich kauf was von Ihn', ich bezahle. Sie kaufn was
von mir, Sie bezahln. Persönliches Habe iss was, das man
behält, right? Kein Mensch behält dinero, folglich isses auch
nich' persönliche Habseligkeit.«
»Sie haben euch aber nichts abgekauft.«
»Un' was iss mit dem hier?« sagte D-Eins und hielt eine Hose
in die Höhe. »Un' diese Sachn«, fuhr er rasch fort und zeigte
dabei auf die Schuhe.
»Die habt ihr ihnen gestohlen.«
»So iss Leben, loco hombre. Oder wie Sie sagen: Iss Strategie,
hab ich nich' recht?«
»Wir vergeuden nur unsere Zeit, aber soviel will ich noch
sagen. Sie haben beide beispielhaft zupackende Initiative
bewiesen, man könnte sogar sagen: ungewöhnlichen
Einfallsreichtum unter Frontbedingungen. Ihr stellt eine
ausgesprochene Bereicherung unseres Unternehmens dar - ich
werde euch zur belobigenden Erwähnung empfehlen.«
»Das iss schön.«
»Bedeutet das auch mehr dinero, huh?«
»Darüber unterhalten wir uns später. Erst mal müssen die
gesteckten Ziele erreicht werden. Wo ist die Zielperson?«
»Der Lulatsch vom Foto, der nur aus Haut un' Knochen
besteht?«
»Richtig, Soldaten, weiter so!«
»Er iss in dem Schuppen, un' wenn ich da jemals reinging,
meine Mamma un' mein Priester, die würden mir ins Gesicht
spuckn!« rief D-Zwo empört und bekreuzigte sich. »H'oh, boy!«
»Schlimmer Fusel, oder?«
»Schlimmes entretenimiento. Oder, wie ihr sagt, abstoßend.«
»Das, glaube ich, würden wir nicht sagen, Junge. Vielleicht
meinen Sie widerlich?«
-1 3 5
»Naja ... die eine Hälfte, die andere nich'.«
»Da verstehe ich Sie nicht, Corporal.«
»Alles wackelt. Oben un' unten.«
»Oben und ...? Heilige Horden des Dschinghis-Khan! Sie
meinen ...«
»Ja, genau das mein ich, loco hombre! Ich mich reingeschlichn,
um den gringo zu findn, den Sie nich' mögen ... der hängte
gerade das telefono an den Haken un' ging zu der großen
runden Bar rüber, wo all diese verrückten Leute tanzn - un'
zwar desnudo, senor! « »Und?«
»Er iss okay. Er hat nur Augn für die mujeres, nich' für die
hombres.«
»Ach, du liebes jojospielendes Jesulein! Da müssen wir diesen
Scheißkerl nicht nur hopsnehmen - wir müssen ihn retten! Auf
in den Kampf, caballeros! Ohne jede Vorwarnung kam just in
diesem Augenblick ein kleiner grüner Buick aus der Reihe der
auf Nannys et-cetera-Parkplatz abgestellten Autos
hervorgeschossen und hielt mit quietschenden Reifen knapp
vor dem Falken und seinen Hilfstruppen. Heraus stieg eine
zerbrechliche Gestalt mit hagerem Gesicht, aber elektrisch
geladenen Augen, »Also, weiter sollten Sie es jetzt wirklich
nicht treiben!« sagte er.
»Wer, zum Henker, sind Sie denn, kleiner Mann?« rief
MacKenzie Hawkins.
»Klein von Statur, doch nicht unbedingt von Status, falls der
feine Unterschied Ihnen etwas sagt.«
»Ich brech dem klein' alten gringo das Genick, ohne ihm
allzuviel zu leide zu tun. Okay, loco hombre?« sagte D-Eins und
trat vor.
»Ich bin in friedlicher Absicht gekommen und hab mit Gewalt
nichts im Sinn«, erklärte der Fahrer des Buick raschzüngig.
»Ich wollte schlicht auf zivilisierter Basis mit Ihnen verhandeln.«
»Warten Sie!« befahl der Falke D-Eins. »Ich wiederhole: Wer
sind Sie, und um was geht es bei dieser Verhandlung?« »Mein
Name ist Aaron Pinkus ...?« »Sie sind Pinkus ...?«
-1 3 6
»Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir. Und ich darf wohl davon ausgehen, daß sich unter dieser ziemlich albern aussehenden Perücke der gefeierte General MacKenzie Hawkins versteckt, oder?« »Ganz recht, Sir«, erwiderte Mac und riß sich mit dramatischer Geste das schlechtsitzende Toupet von dem bürstenartigen, militärisch kurzgeschnittenen grauen Haar, reckte sich und warf sich in die Brust, so daß jeder Zoll seiner breiten Schultern etwas Bedrohliches bekam. »Was haben wir einander denn zu sagen, Sir?« »Nun, eine ganze Menge, würde ich meinen, General. Wenn Sie gestatten, General, erlaube ich mir, mich als Ihren Gegenspieler zu sehen, den Kommandeur der gegnerischen Streitkräfte in diesem kleinen Scharmützel, in dem wir uns befinden. Ist das akzeptabel für Sie?« »Eines muß ich Ihnen lassen, Commander Pinkus. Ich hatte mir eingebildet, vorzügliche Helfer zu haben, aber Sie, Sie haben sie überflügelt, das will ich nicht leugnen.« »Dann sollten Sie Ihr Urteil revidieren, General. Nicht die beiden habe ich überflügelt, sondern Sie. Sehen Sie, Sie haben sich über eine Stunde auf dieser vielbefahrenen Straße aufgehalten. Da habe ich meinen Buick herbringen lassen und bin Ihnen dicht auf den Fersen geblieben, als Sie Ihrerseits Shirleys Limousine folgten.« »Wie bitte, Sir?« »Ihre beiden Männer waren glänzend, wirklich glänzend! Ehrlich gesagt, würde ich die beiden gern in Dienst nehmen. Wie sie sich im Fischladen verhalten und sich dann im Schatten der Durchfahrt auf der anderen Straßenseite wieder zusammengetan haben - und wie sie anschließend auf geradezu wundersame Weise ohne Zündschlüssel und einfach dadurch, daß sie die Kühlerhaube des Wagens vor uns hochhoben, den Motor angeworfen haben! Man sagt mir beträchtliche Geistesschärfe nach - aber hier versagt mein Vorstellungsvermögen. Wie haben die beiden das gemacht?«
-1 3 7
»Iss kinderleicht, comandante«, sagte D-Zwo mit leuchtenden
Augen. »Verstehn Sie, da sin' drei Strippen, die losgepult werdn
müssn, un' denn schließt man ...«
»Halt!« rief gellend der Falke und starrte Aaron Pinkus an. »Sie
behaupten, Sie hätten mich überflügelt, Sie alter Bastard.«
»Ich vermute, wir stehen im gleichen Alter«, fiel ihm der
berühmte Bostoner Anwalt ins Wort.
»Nicht aber im gleichen Kampf!« »Vielleicht nicht - ich
allerdings habe mir in der Normandie eine Schrapnellkugel im
Rückgrat eingefangen«, erklärte Pinkus ruhig.
»Sie sind ...«
»Beim Dritten Armeekorps, General. Aber wir wollen nicht
ablenken. Ich habe Sie überflügelt, weil ich kürzlich erst mit
Ihrem militärischen Ruf bekannt geworden bin. Dabei habe ich
durch Ihre unorthodoxen, gleichwohl großartig erfolgreichen
Methoden eine Menge gelernt. Das mußte ich, um Sams
willen.«
»Sam - Sam? Das genau ist der Mann, den ich unbedingt
sehen muß.«
»Das sollen Sie auch, General. Nur werde ich dabeisein und
jedes Wort mithören, das Sie sagen.«
Wiederum ohne jede Vorwarnung oder auch nur eine
Andeutung von Geräusch, bis sie vom Highway herunter auf
den Parkplatz gerollt kam, verkündete der donnernde Motor der
Pinkus'schen Limousine weithin ihre wagnerhafte Gegenwart.
Da er offensichtlich den Buick seines Arbeitgebers erspäht
hatte, lenkte Paddy Lafferty nach links und raste mit
aufheulendem Motor über das Pflaster, bis er den Schlitten drei
Schritte vor der kleinen Menschenansammlung zum Stehen
brachte. Der Fahrer sprang aus dem Wagen, seine
dreiundsechzigjährige, massige Gestalt schien auf alle
möglichen brutalen Angriffe gefaßt.
»Beiseite, Mr. Pinkus!« brüllte er. »Ich weiß zwar nicht, was Sie
hier machen, Sir, aber dieser Abschaum wird Sie nicht
anrühren.«
-1 3 8
»Ihre Besorgnis ist zwar äußerst erfreulich, Paddy, aber es
bedarf keinerlei Kraftbeweis. Unsere Besprechung verläuft ganz
friedlich.«
»Besprechung ...?«
»Eine Kommandeurskonferenz, wenn Ihnen das lieber ist. ...
Mr. Lafferty, darf ich Sie dem großen General MacKenzie
Hawkins vorstellen, von dem Sie vielleicht schon gehört
haben?«
»Jesus, Maria und Joseph!« flüsterte der Chauffeur wie vom
Donner gerührt.
»Der loco hombre iss wirklich un' wahrhaftig ein grande
general?« sagte Desi-Eins nicht minder beeindruckt.
»EI soldado magnífico!« fügte Desi-Zwo leise hinzu und starrte
den Falken offenen Mundes an.
»Sie werden's nicht glauben«, würgte Paddy hervor, der gerade
einen Teil seiner Stimme wiedergefunden hatte. »Gerade eben
habe ich an Sie gedacht, Sir, und Ihr erlauchter Name kommt
einem ehemaligen jungen Soldaten ehrfürchtig über die
Lippen.« Plötzlich nahm der Chauffeur Haltung an, riß den
rechten Arm hoch und legte die Hand grüßend an den
Mützenschirm. »Artilleriesergeant Patrick Lafferty, zu Ihren
Diensten und Ihrem Befehl, Sir! Das ist eine Ehre, die ich mir
nie hätte träumen lassen ...«
Dann kam es quietschend, zuerst vom fernen Verkehr auf dem
Highway gedämpft, dann jedoch lauter werdend, als die
rennenden Füße sie erreichten. »Paddy, Paddy! Ich hab die
Limousine gesehen! Wo sind Sie, Paddy? ... Himmelherrgott
noch mal, Lafferty, so antworten Sie doch!«
»Hier drüben, Sam. Im Gleichschrittmarsch, Soldat!«
»Was?« Devereaux kam nach Luft japsend um die Hausecke
gerannt. Ehe seine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnen
konnten, ließ Patrick Lafferty sein autoritäres Sergeanten-
Gebrüll vernehmen. »Aaaach-tung, Boyo! Darf ich vorstellen?
Sie stehen vor einem der größten Feldherren unserer Zeit,
General MacKenzie Hawkins!«
-1 3 9
»Hi, Sam!«
Devereaux war im Moment wie gelähmt und konnte nur ein aus
tiefster Seele stammendes Stöhnen hervorwürgen, während
seine Augen sich panisch und gehetzt umblickten. Unvermittelt
fuhr er dann mit der Geschwindigkeit eines zu Tode
erschrockenen Silberreihers herum und schickte sich an, mit
rudernden Armen holterdipolter über den Parkplatz zu flüchten
und tobend der untergehenden Sonne nachzulaufen.
»Hinterher, Leute!«
»Um Gottes willen, halten Sie ihn auf, Paddy!«
Die Helfer des Falken waren schneller als Aaron Pinkus' schon
etwas betagter Chauffeur. Desi-Eins überwältigte Sam
gefährlich nahe bei der heruntergelassenen Ladefläche eines
Kleinlasters, während Desi-Zwo Sams Kopf in den
Schwitzkasten nahm, ihm den Schlips abriß und in den Mund
stopfte.
»Boyo!« rief Patrick Lafferty, der gerade eben wiederentdeckt
hatte, daß er im Grunde Artilleriesergeant war. »Eine Schande
ist das - sind Sie! Zeigt man so seine Hochachtung vor einem
der trefflichsten Männer, die je Uniform getragen haben?«
»Mmfft!« protestierte Samuel Lansing Devereaux, schloß die
Augen und gab sich geschlagen.
-1 4 0
8. KAPITEL »Nettes Quartier, Commander Pinkus, wirklich sehr nett«, erklärte MacKenzie Hawkins und kam mit großen Schritten aus dem Schlafzimmer der Hotelsuite heraus, in der man die Besprechung fortzusetzen gedachte. Der nichtssagende graue Gabardineanzug des Generals a. D. war durch indianische Lederkleidung nebst perlenbesticktem Wopotami-Wams ersetzt worden. Nur auf den Stammeskopfputz hatte er verzichtet. »Man sieht, Sie verstehen etwas von Strategie und Langzeitplanung.« »Ich behalte die Wohnung aus geschäftlichen Gründen, aber auch, weil Shirley die Adresse gefällt«, sagte Aaron wie abwesend. Er konzentrierte sich ganz auf die großformatigen Seiten, die auf dem Tisch vor ihm lagen, und hatte die Augen erwartungsvoll aufgerissen. »Das ist ja unglaublich!« sagte er dann leise. »Nun, Sir, da ich mit Winston auf seinem Landsitz Chequers gewesen bin«, meinte der Falke, »würde ich nicht ganz so weit gehen. Ich habe nur gesagt, sie wäre sehr nett; die Decken sind bei weitem nicht so hoch, und die eher drittklassigen historischen Drucke an den Wänden beißen sich mit der Tapete, ganz abgesehen davon, daß sie es mit der historischen Wahrheit nicht so genau nehmen.« »Wir Bostoner tun unser möglichstes, den Touristen unsere große Vergangenheit vor Augen zu führen, General«, murmelte Pinkus, nach wie vor in die vor ihm liegenden Papiere vertieft. »Historische Wahrheit hat mit Authentizität der Umgebung nicht viel zu tun.« »Dante bei der Überfahrt über den Styx ...« »Versuchen Sie's mit dem Bostoner Hafenbecken«, unterbrach Aaron und blätterte um. »Woher haben Sie diese Sachen?« rief er plötzlich, nahm die Brille ab und starrte MacKenzie an. »Welcher juristisch wie historisch hochgebildete Mann hat all dies zusammengestellt? Wer ist verantwortlich dafür?«
-1 4 1
»Er«, erwiderte der Falke und zeigte auf den wie von
Kanonendonner gerührten Devereaux, der drei Meter weiter
zwischen seinen beiden Bewachern, Stosh und Knute, auf der
Couch saß und nunmehr zwar Arme und Beine, nicht jedoch
die Lippen bewegen konnte, die ihm nach wie vor mit einem
breiten Paketband verklebt waren. Selbstverständlich hatte
General Hawkins darauf bestanden, daß man Sam den Mund
zuvor mit Vaseline eincremte, schließlich sollte nicht gegen die
Genfer Konvention verstoßen werden. In Wahrheit war es so,
daß es keiner in der Runde ausgehalten hätte, sich weiter
Sams ausfällige Schimpftiraden anzuhören; das galt sogar für
die Helfer des Generals, Desi-Eins und Desi-Zwo, die aufrecht
und die Hände militärisch auf dem Rücken verschränkt hinter
der Couch Aufstellung genommen hatten.
»Samuel soll dies gemacht haben?« fragte Aaron Pinkus
ungläubig.
»Naja, nicht ganz allein, aber auf jeden Fall war er das Gehirn,
das hinter allem stand. Folglich können Sie mit einem gewissen
Recht behaupten, daß alles auf ihn zurückgeht und er
verantwortlich dafür ist.«
»Mmmfft!« kam es gedämpft, aber unverkennbar laut
protestierend von der Couch, als Devereaux kopfüber
voranschoß, über die eigenen Füße stolperte und mit dem
Gesicht voran auf dem Boden landete. Den Falken mit
verzerrten Gesichtszügen anfunkelnd, rappelte er sich wieder
hoch, während der General sein Kommando gab.
»Adjutanten, Angriffsstellung einnehmen!« Als
wohlausgebildeter Stoßtrupp sprangen Desi-Eins und Desi-Zwo
über die Couch hinweg, wobei ersterer die Rücklehne des
Sofas und letzterer Knutes Kopf benutzte, um sich abzustützen,
über das Sitzmöbel hinwegzuflanken und mithin den Abstand
zwischen sich und Sam zusammenschnurren zu lassen. Ihn
wieder zu Boden drückend, hoben sie erwartungsvoll den Blick
zum Falken empor und harrten seiner Befehle.
»Gut gemacht, Gentlemen!«
-1 4 2
»Kein Wunder, wo Sie Ihre Leute aus den eigenen Truppen rekrutieren, General«, sagte Pinkus voller Bewunderung und erhob sich hinter dem Schreibtisch. »Gehören die beiden zu den Rangers?« »Wenn man so will«, erwiderte MacKenzie. »Sie sind Spezialisten im Bereich der Flughafensicherheit. Laßt ihn aufstehen, Männer. Setzt ihn auf den Stuhl vorm Schreibtisch und nehmt neben ihm Aufstellung.« »Sie beide«, sagte Aaron mit einem Blick hinüber zu Sams völlig verdatterten Bostoner Leibwächtern und sprach sanft, doch nicht ohne einen milden Vorwurf in der Stimme. »Ich will Sie ja nicht kritisieren, doch scheint mir, daß Sie beide etwas von diesen militärisch ausgebildeten Männern lernen könnten, zumal es unmittelbar mit ihrer Arbeit zu tun hat. Diese beiden Soldaten schalten ungewöhnlich schnell, wenn es zu entscheiden gilt, ob gehandelt werden soll oder nicht, und ihre gewaltfreien Methoden - etwa die Art, wie sie Ihnen die Hosen ausgezogen haben - sind außerordentlich beeindruckend.« »He, comandante«, ließ D-Zwo sich übers ganze Gesicht grinsend vernehmen. »Man setzt 'n Gringo außer Gefecht, zieht ihm die Hose aus, und er bringt es einfach nich' fertig, die Straße runterzulaufn un' sich die Seele aus 'm Leib zu schrein, okay?» »Das reicht, Corporal. Kasernenhumor ist kampfunfähig geschlagenen Gegnern gegenüber wirklich nicht angebracht.« »General«, sagte Pinkus. »Wenn es sich irgend machen läßt, sollten wir versuchen, diese Besprechung auf Sie, Samuel und mich zu beschränken.« »Ganz meine Meinung, Sir«, stimmte der Falke ihm zu. »Die Geheimverhandlungen zwischen uns sollten eröffnet werden, aber auch den jungen Heißsporn hier einbeziehen.« »Vielleicht sollte man daran denken, ihn, selbstredend locker, an den Stuhl zu fesseln, wie Mr. Lafferty, Verzeihung, Sergeant Lafferty es vorhin bereits angedeutet hat.« »Dann haben Sie also den Kanonier entlassen, bevor Sie mit Sam sprachen.« -1 4 3
»Den Kanonier? Ach so, den Artilleriesergeanten - jawohl,
richtig, hab ich gemacht.«
»Adjutanten, Aaachtung! Sie können abtreten und in die Messe
gehen. Schlagen Sie sich den Bauch voll und melden Sie sich
in einer Stunde wieder bei mir.« MacKenzie griff in die
hirschlederne Tasche, zog seinen Geldclip heraus, pellte ein
paar Scheine ab und reichte sie D-Eins. »Das kommt jetzt zu
Ihrem Tagessold hinzu, den Sie sich für außergewöhnliche
Tüchtigkeit verdient haben.«
»Dos soll unser dinero sein?«
»Nein, eine Zulage, Corporal. Eine zusätzliche Zahlung zu
Ihrem dinero, das später ausbezahlt wird. Ich gebe Ihnen mein
Wort als General.«
»Okay, grande general«, meinte D-Eins. »Wir bekommn viel,
aber wann Sie zahlen?«
»Von Aufsässigkeit will ich nichts wissen, junger Mann. Trotz
der Tatsache, daß unsere enge Zusammenarbeit ein gewisses
Maß an Kameraderie mit sich bringt - andere verstehen das
vielleicht nicht.«
»Närrisch schön! Ich das auch nicht verstehn.«
»Gehen Sie etwas essen und seien Sie in einer Stunde wieder
hier. Abtreten!« Desi-Eins und Zwo gingen achselzuckend zur
Tür, wobei ersterer beim Hinausgehen einen Uhrenvergleich
mit allen drei Armbanduhren vornahm, die er sich an den linken
Unterarm geschnallt hatte. Nachdem sie gegangen waren,
wandte der Falke sich kopfnickend Aaron Pinkus zu. »Als mein
Gefangener und - was nicht ganz der Tradition entspricht
gleichzeitig mein Gastgeber dürfen Sie sich an hI re Truppen
wenden, Commander.«
»Ihr was? Wer soll ich sein? Ach ja, verstehe.« Pinkus wandte
sich an die völlig verdattert auf dem Sofa sitzenden Stosh und
Knute. »Gentlemen«, begann er zögernd und suchte nach den
richtigen Worten, »im Moment sind Sie von Ihren Aufgaben
entbunden. Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, sich morgen in
meinem Büro zu melden - ganz, wann es Ihnen paßt,
selbstverständlich -, wird unsere Buchhaltung ihnen Ihren Lohn
-1 4 4
auszahlen, wobei der angebrochene Abend selbstverständlich
voll angerechnet wird.«
»Ich würde sie in Arrest stecken!« rief der Falke und stopfte
sich eine Zigarre in den Mund. »Das sind doch Arschlöcher!
Pflichtvergessen und inkompetent - eigentlich müßte man sie
vor ein Kriegsgericht stellen.«
»Wir Zivilisten sehen das etwas anders, General.
Pflichtvergessenheit und Inkompetenz gehören nun mal zum
Selbstverständnis der Subalternbediensteten. Sonst würden
ihre Vorgesetzten, die häufig noch weniger kompetent sind,
allein besser reden zu können, niemals ihr Gehalt verdienen.
Also, raus mit Ihnen, Gentlemen. Übrigens ist meine
Empfehlung, sich einmal einer Ausbildung zu unterziehen, wie
sie bei unseren Gegenspielern gleichsam zur zweiten Natur
geworden ist, durchaus ernstgemeint.«
Stosh und Knute, deren traurige Mienen verrieten, wie tief ihre
Gefühle verletzt worden waren, beeilten sich, das Weite zu
suchen. »So, General«, sagte Aaron. »Wir sind unter uns.« -
»Mmfff!« kam es von Devereaux.
»Sie waren selbstverständlich mitgemeint, Samuel. Auch wenn
es mir lieber wäre, Sie zu übersehen - im Moment ist das nicht
gut möglich.« »Mmff?«
»Hören Sie schon auf mit dem Gewinsel, mein Sohn!«
herrschte der Falke ihn an. »Solange Sie sich nicht um Kopf
und Kragen schreien, steht es Ihnen frei, das Klebeband
abzureißen ... Keine Angst, Ihr Mund ist schon noch voll
funktionsfähig, wie ich ehrlich, aber zu meinem Leidwesen
sagen muß.« Erst langsam, dann jedoch mit aufwallendem
Masochismus, riß Sam die Klebestreifen ab, jaulte kurz auf und
verzog den Mund zu allerlei Grimassen, so als ginge es darum
festzustellen, ob er noch zu gebrauchen sei. »Sie sehen aus
wie ein aufgeregt schnaufendes Spanferkel«, konnte
MacKenzie sich nicht enthalten hinzuzufügen.
»Und Sie sehen aus wie ein Zigarrenladenindianer, der grade
einem Quarantäne-Wigwam entkommen ist!« schrie Devereaux
und fuhr von seinem Stuhl hoch. »Was haben Sie eigentlich
-1 4 5
vor, Sie hirnamputierter Einfaltspinsel? Und was soll das heißen: Daß ich für den ganzen Unsinn verantwortlich wäre, den Aaron da auf seinem Schreibtisch liegen hat? Ich habe seit Jahren nichts von Ihnen gehört, geschweige denn, Sie gesehen, Sie elendester aller elenden Würmer!« »Sie neigen unter Druck nach wie vor zu Erregbarkeit, habe ich recht, mein Junge?« »Da muß ich zu seiner Verteidigung sagen, daß er im Gerichtssaal eiskalt ist, General«, mischte Pinkus sich ein. »Er ist da der reinste James Stewart - selbst sein Gestotter ist genau berechnet.« »Vor Gericht«, explodierte Sam, »weiß ich verdammt genau, was ich tue! Aber wenn ich mit diesem untergetauchten Banditen zusammen bin, weiß ich das nie - er sagt's mir entweder nicht, oder aber er lügt das Blaue vom Himmel!« »Das war der falsche Zungenschlag, mein junger Freund. So was nennt man eine in Ihrem ureigensten Interesse liegende, gezielte Desinformation.« »Faustdicke Lügen nennt man so was, mit denen allein meine Selbstvernichtung gewährleistet wird! Aber jetzt antworten Sie mir auf meine Fragen: Warum bin ich verantwortlich - nein, Moment mal -, wofür bin ich verantwortlich? Wie kann ich verantwortlich sein für etwas, das Sie getan haben, wo wir doch schon jahrelang nicht mehr miteinander gesprochen haben?« »Wieder muß ich in aller Fairneß erklären«, mischte Pinkus sich sanft, aber entschieden ein, »daß General Hawkins gesagt hat, verantwortlich wären Sie nur in dem Sinne, daß Sie der Kopf wären, der hinter dem Unternehmen stünde, wobei besagter Einfluß größtmöglicher Auslegung oder Fehldeutung unterliegt und mithin jegliche Haftung oder auch nur Verbindung mit besagtem Unternehmen mindert, wo nicht gar ganz ausschließt.« »Hören Sie auf, diesem übergeschnappten Mutanten gegenüber den Anwalt zu spielen, Aaron. Die einzigen Gesetze, die er kennt, lassen jede Dschungelgerichtsbarkeit aussehen wie eine Teestunde in einem englischen -1 4 6
Rosengarten. Dieser Mann ist ein reiner Wilder, der nicht die
Bohne versöhnender Moral kennt.«
»Sie sollten mal Ihren Blutdruck messen lassen, mein Sohn.«
»Und Sie sollten sich Ihren Kopf von einem Tierpräparator
überprüfen lassen! Aber jetzt ehrlich: Was zum Teufel haben
Sie getan, und warum ausgerechnet ich?«
»Bitte«, mischte Pinkus sich abermals ein, wobei er dem Falken
gegenüber entschuldigend mit den Achseln zuckte und dann
die Brauen hochschob: »Gestatten Sie, daß ich etwas
klarstelle, General. Gleichsam wie ein Anwalt zum anderen. Ist
das akzeptabel für Sie?«
»Wir verantwortlichen Kommandeure wissen am besten, wie wir
mit unseren Untergebenen umzugehen haben, Sir«, erwiderte
MacKenzie. »Offen gestanden habe ich gehofft, Sie könnten es
schaffen, Ihre Flanken freizubekommen und zu den
Trommelschlägen meines Tambourmajors in die von mir
gewünschte Richtung zu marschieren. Das ist, ehrlich gesagt,
auch der Grund, warum ich Sie einen Blick auf das Kernstück
der Operation habe tun lassen - nicht auf die taktische
Vorgehensweise oder meine Schlachtpläne, versteht sich, aber
immerhin auf die Ziele, um die es letztlich geht. Solche
Grundeinsichten bilden selten ein Geheimnis zwischen
Männern, wie wir es sind.«
»Ausgezeichnete Ausgangsstrategie, General. Das lobe ich
mir!«
»Den loben?« rief Devereaux. »Was zum Teufel hat er vor?
Einen Marsch auf Rom etwa?«
»Den haben wir beide doch schon hinter uns, Sam!« erklärte
der Falke gelassen. »Haben Sie das vergessen, mein Sohn?«
»Von dem Thema sollten sie in meiner Gegenwart nicht
sprechen, General Hawkins!« bedeutete ihm Aaron kalt.
»Ich dachte, Sie wüßten Bescheid.«
»Glauben Sie etwa, Samuel würde mir das erzählen?«
-1 4 7
»Himmel, nein. Den könnte man in eine Kamikazestaffel
stecken, und er würde schnellstens die Zündkerzen
rausdrehen. Für so was fehlt ihm einfach der Mumm.«
»Ja, und?«
»Ihr irischer Kanonier hat mir Ihren gezielten Einbruch in Sams
Wohnung geschildert. Kanoniere versuchen häufig, mit ihrem
Beitrag Eindruck bei den Vorgesetzten zu schinden.«
»Und?«
»Nun, Sie haben erwähnt, der Sergeant hätte den Jungen
gefesselt.«
»Und?«
»Warum ihn fesseln, wenn er sich nicht hysterisch aufgeführt
hätte wie jetzt auch wieder? Und warum sollte ein so kühler
Jurist - eine Seite von Sam, von der ich übrigens nie sonderlich
viel zu sehen bekommen habe - hysterisch werden, es sei
denn, Ihr Eindringen hätte etwas in ihm freigesetzt, von dem er
wollte, daß kein Mensch, und am allerwenigsten Sie, jemals
Kenntnis davon bekommen sollte?«
»Wenn Ihre Schlußfolgerungen auch auf gewissen
offenkundigen Prämissen beruhen - sie treffen den Nagel auf
den Kopf.«
»Hinzu kommt noch die Tatsache, daß Sam, als er nach dem
Gespräch mit mir den Hörer aufs Telefon knallte, die Gabel
nicht richtig traf und die Verbindung bestehen blieb. Jedenfalls
hörte ich noch eine andere Stimme über die Leitung - eine, die
übrigens nicht wesentlich beherrschter klang als Sams -, und
als wir beide uns auf dem Parkplatz kennenlernten, wußte ich,
daß es Ihre Stimme gewesen war, Commander Pinkus. Sie
haben an diesem Nachmittag selber ziemlich rumgebrüllt. Ganz
besonders haben Sie sich über ein gewisses Unternehmen
ereifert, das mit dem Vatikan zu tun hatte.«
»Soviel zu einer Apriori-Schlußfolgerung«, sagte Aaron und gab
sich achselzuckend geschlagen.
-1 4 8
»Das ist doch alles leeres Rumgefurze!« ereiferte sich
Devereaux. »Es gibt mich! Ich existiere! Wenn ich mich
schneide, blute ich dann etwa nicht ...?«
»Kaum auf angemessene Weise, Samuel.«
»Was heißt denn hier unangemessen? Wenn man das so hört,
glaubt man, man hätte es mit Menschen zu tun, die vor einer
preußischen Zeitverwerfung fliehen. Meine Zukunft, meine
Karriere, mein Leben - alles ist drauf und dran, in tausend
Spiegelscherben zu zerbersten ...«
»Sehr hübsch ausgedrückt, mein Sohn«, unterbrach der Falke
ihn. »Ihre Bilder gefallen mir.«
»Die hat er bei einem französischen Dramatiker namens
Anouilh gestohlen«, fügte der angesehene Bostoner Anwalt
hinzu. »Samuel steckt voller Überraschungen, General!«
»Aufhören!« schrie Devereaux. »Ich verlange, gehört zu
werden.«
»Meine Güte, Junge, man kann Sie ja noch bis in die G-Zwo-
Datenbank der Army hinein hören, wo sie all die
Geheimdienstunterlagen aufbewahren.«
»Ich habe das Recht zu schweigen«, murmelte Sam kaum
hörbar und fiel schnaufend zurück in seinen Sitz.
»Dann darf ich vielleicht das Schweigen dort brechen, wo Sie
es auf Ihre eigene Person beschränkten?« fragte Pinkus.
»Mmmfff!« kam es durch Sams fest zusammengepreßten
Lippen.
»Vielen Dank. ... Ihre Frage, Samuel, zielte auf das Material ab,
das General Hawkins mir zur Verfügung gestellt hat.
Zugegeben, ich habe bisher kaum Zeit gehabt, es gründlich zu
studieren. Doch nachdem, was ich diesen Unterlagen mit
immerhin geübtem Blick entnommen habe - ich befasse mich
schließlich seit fünfzig Jahren mit solchen Dokumenten -, ist es
unglaublich. Ich habe selten einen überzeugenderen Klagesatz
gelesen. Der Rechtshistoriker, der dies zusammengestellt hat,
ist mit Beharrlichkeit und Phantasie auf Eis gelegten oder
abgebrochenen Gesetzgebungsdebatten gefolgt und weiß, daß
-1 4 9
es irgendwo zusätzliche Unterlagen geben muß, welche das zur Debatte Stehende berühren und ergänzen. Wenn all dies sich erhärten läßt, scheinen mir die Schlußfolgerungen durch nichts zu erschüttern: Außerdem müßte man sie durch Kopien der ursprünglichen authentischen Papiere erhärten können. Wo, um alles in der Welt, hat Ihre Quelle die nur gefunden, General?« »Es sind natürlich nur Gerüchte«, antwortete der Falke und legte nachdenklich die Stirn in Falten, »aber nach allem, was ich gehört habe, können sie allein aus den historischen Geheimarchiven des Büros für Indianerangelegenheiten stammen.« »Aus den Geheimarchiven?« Aaron Pinkus faßte den General scharf ins Auge, setzte sich und nahm etliche Seiten zur Hand, hielt sie sich dicht vor die Augen. »Großer Gott Abrahams!« flüsterte er, »diese Wasserzeichen kenne ich ... Sie wurden von einem hochempfindlichen Kopierer abgenommen, einem Apparat, der den Gipfel der augenblicklichen Entwicklung darstellt.« »Immer nur das Beste, Commander!« Hawkins hielt unvermittelt inne: Es war ihm augenblicklich anzumerken, daß er das Gesagte bedauerte. Er sah zu Sam hinüber, der ihn anstarrte, dann räusperte er sich. »Ich nehme doch an, diese Eierköpfe – diese hochgebildeten Akademiker - verfügen über die beste Ausrüstung.« »Das ist so gut wie nie der Fall«, erklärte Devereaux in tiefem, gleichbleibend vorwurfsvollem Ton. »Wie auch immer, General«, fuhr Pinkus fort. »Bei einer Reihe von diesen Papieren - und ich spreche nur von denen, welche die historischen Dokumente betreffen - handelt es sich um Reproduktionen der ursprünglichen Lichtpausen, also um Fotos von Fotos.« »Wie bitte?« Der Falke fing an, die Zigarre in seinem Mund zu verstümmeln. »In den Tagen vor den modernen Kopiergeräten, als man alt gewordene oder im Zerfall begriffene Pergamente glattstreichen oder Fragmente zusammenfügen und mit einem Lichtstrahl -1 5 0
bestreichen mußte, um ein zutreffendes Faksimile zu erhalten, hat man erst Fotos und später dann Fotokopien hergestellt und diese anstelle der sich zersetzenden Originale archiviert.« »Commander, dieser technische Kram interessiert mich eigentlich nicht ...« »Sollte er aber, General«, unterbrach Aaron Pinkus ihn. »Ihre ungenannte juristische Quelle ist möglicherweise einer jahrzehntealten Verschwörung auf die Spur gekommen. Gleichwohl kann die Entdeckung durchaus auf gestohlenem Beweismaterial beruhen, das man aus Gründen von äußerst schwerwiegendem nationalem Interesse in den Geheimarchiven der Regierung untergebracht hat.« »Was?« murmelte Hawkins benommen, sich nur allzu bewußt, daß Sam Devereaux ihn mit funkelnden Augen musterte. »Die Wasserzeichen auf diesen Fotokopien weisen auf ein seltenes, mit Stahlfaden durchschossenes Papier hin, das man eigens hergestellt hat, damit es den Unbilden der Zeit und Umwelteinflüssen gegenüber unempfindlich bleibt. Ich glaube mich zu erinnern, daß Thomas Edison es um die Jahrhundertwende erfunden hat. Im Jahre 1910 oder 1911 hat man eine begrenzte Menge davon in Auftrag gegeben - für die ausschließliche Verwendung in Archiven.« »Um in begrenztem Maße in Archiven Verwendung zu finden ...?« fragte Devereaux zögernd; die Zähne zusammengebissen, starrte er den Falken an. »Alles ist relativ, Samuel. Damals war das Schuldenmachen, sofern es das überhaupt gab, auf wenige hunderttausend Dollar beschränkt, und selbst diese Zahlen konnten den Potomac dazu bringen, zuzufrieren. Das mit stählernem Sicherheitsfaden durchschossene Papier dieser Fotos war in der Herstellung außerordentlich teuer, und Tausende und Abertausende von historischen Dokumenten darauf abzulichten, hätte einen Zusammenbruch der Staatsfinanzen bedeutet. Deshalb hat man nur eine beschränkte Anzahl ausgewählt.« »Auf welche Anzahl beschränkt, Aaron?« Als Pinkus sich General MacKenzie Hawkins zuwandte, hatte seine ganze Haltung etwas von einem Richter, der drauf und dran war, ein Urteil zu -1 5 1
verkünden. »Auf jene Dokumente, von denen die Regierung
wollte, daß sie für mindestens hundertundfünfzig Jahre nicht
eingesehen würden.«
»Da laust mich doch der Affe!« Der Falke pfiff leise durch die
Zähne und klopfte sich auf das perlenbestickte
Hirschlederwams. »Dann sind wir also auf etwas Wichtiges
gestoßen!« setzte er noch hinzu und sah Sam wohlwollend an.
»Erfüllt es Sie nicht mit Stolz, mein Sohn, jener >geistige
Einfluß<, der >Kopf< gewesen zu sein, der hinter diesem
grandiosen Unternehmen steht, wie der gute Commander hier
es genannt hat?«
»Was für ein Scheißunternehmen meinen Sie überhaupt?«
Devereaux erstickte förmlich an seiner Wut. »Und was für einen
gottverdammten geistigen Einfluß?«
»Nun, Sam, Sie wissen ja, wie Sie sich dauernd über die
Erniedrigten und Beleidigten dieser Welt ausgelassen haben
und wie wenig für sie getan würde, ja? Einige haben dieses
ganze Gelabere linken Quatsch und stinkenden Bockmist
genannt. Ich allerdings nie. Ich meine, ich habe Ihren
Standpunkt immer respektiert, wirklich, das habe ich.«
»Sie haben nie irgendwas oder - wen respektiert, den oder das
Sie ins Grab hätten pusten können.«
»Das stimmt aber jetzt nicht, mein Junge, das wissen Sie ganz
genau«, ermahnte ihn MacKenzie und fuhr Devereaux mit dem
Zeigefinger vor der Nase herum. »Wissen Sie nicht mehr?
Diese endlosen Diskussionen mit den Frauen? Jede einzelne
von den netten Ladies hat mich hinterher angerufen und ihre
ehrliche Achtung und ihre ganze Liebe zu Ihnen und Ihren
theoretischen Mitleidsbekundungen zum Ausdruck gebracht,
besonders Annie, die ...«
»Erwähnen Sie nie wieder diesen Namen!« brüllte Sam und
verstopfte sich die Ohren.
»Warum eigentlich nicht, mein Sohn? Ich spreche oft mit ihr,
besonders dann, wenn sie sich wieder mal in eine von diesen
kitzligen Situationen gebracht hat, die ihr nun mal so sehr
-1 5 2
liegen. Und eines lassen Sie sich von mir gesagt sein, Sam
Sie hat sie wirklich gem.«
»Wie könnte sie?« rief Devereaux gellend und zornbebend.
»Sie hat Jesus geheiratet, nicht mich!«
»Großer Gott Abrahams«, ließ Pinkus sich im Singsang des
Gebets vernehmen. »Mit diesem Gespräch habe ich nichts zu
schaffen!«
»Das sind Waffen von einem ganz anderen Kaliber, mein Sohn,
wenn Sie den Vergleich gestatten ... Aber lassen Sie mich zu
Ende sprechen: Ich habe nach den Erniedrigten und
Beleidigten gesucht, einem Volk, das bis zum Gehtnichtmehr
vom System gezwiebelt wurde, und habe dann alles in meiner
Macht Stehende getan, um das diesen Menschen angetane
Unrecht wieder gutzumachen. Irgendwie hatte ich mir
eingebildet, Sie würden stolz auf mich sein - Gott weiß, ich
habe mich redlich bemüht.« Der Falke senkte das Kinn in den
offenstehenden Kragen seines perlenbestickten Wopotami-
Wamses und richtete den Blick verloren auf den Teppichboden
der Hotelsuite.
»Hören Sie auf mit diesem Käse, Mac! Ich weiß nicht, was zum
Teufel Sie getan haben oder versucht haben zu tun! Ich weiß
nur, daß ich es nicht wissen will!«
»Vielleicht sollten Sie es aber doch wissen, Sam!«
»Moment«, unterbrach Pinkus die beiden, den Blick auf den
zerknirschten Falken gerichtet. »Ich denke, es ist an der Zeit,
daß ich in den übergroßen Sack meiner juristischen Erfahrung
greife und ein spezielles, allerdings nur selten zur Anwendung
gekommenes Gesetz daraus hervorzaubere: Die Strafe für
unerlaubtes Eindringen in geheime und unter strengem
Verschluß gehaltene Regierungsarchive beträgt dreißig Jahre.«
»Was Sie nicht sagen!« meinte der General und ließ den Blick
über den Boden wandern, als gälte es, ein Muster in dem
uniblauen Spannteppich zu finden.
»Und doch sage ich es, General. Da jedoch diese Mitteilung
keinerlei erkennbare Wirkung auf Sie zu haben scheint, freue
ich mich, offenbar davon ausgehen zu können, daß Ihr
-1 5 3
Rechtsberater voll autorisiert war, die Dokumente, auf die hier Bezug genommen wird, einzusehen.« »Damit liegen Sie völlig daneben!« rief Sam. »Geklaut hat er sie - es geht wieder einmal um dieses G-Zwo-Chaos! Diese windige Ausrede in Menschengestalt, diese durch nichts gerechtfertigte soldatische Fehlkonstruktion, dieser legendäre Obergauner hat wieder zugeschlagen! Das weiß ich, weil ich ihn kenne - ach, wie gut ich ihn kenne, diesen unschuldigen Kleine-Jungen-Blick, diesen Bettnässer, der Ihnen ins Gesicht hinein sagt, unter der Decke hätte es geregnet! Er ist es, der das gemacht hat.« »Urteile, die in der Hitze emotionaler Reaktionen gefällt werden, taugen nur selten was, Samuel«, sagte Pinkus und schüttelte mißbilligend den Kopf. »Urteile, die im kalten Licht jahrelanger objektiver Beobachtung gefällt werden, sind im allgemeinen hieb- und stichfest«, hielt Devereaux dem entgegen. »Wenn die Süßigkeiten aus Sirup gemacht werden, der Schlingel die Hand im Krug hat und ihm die Finger zusammenkleben, kann man davon ausgehen, den Missetäter gefunden zu haben! Rückfälle hat es immer gegeben, das kennen die Gerichte.« »Gut, General«, fuhr Aaron fort und starrte den Falken über den Brillenrand hinweg an. »Die Anklagevertretung hat hier ein stichhaltiges Argument vorgebracht. Sam bringt nämlich den augenblicklichen Tatbestand mit einer früheren Tat in Zusammenhang, die Sie selbst bezüglich der gestohlenen Geheimdienstunterlagen bestätigt haben. Sich wiederholende Verhaltensmuster gelten als bedingtes, aber gleichwohl gültiges Indiz.« »Jetzt hören Sie mal zu, Commander Pinkus«, hob MacKenzie an, verengte die Augen und schürzte die Lippen. »Dieses juristische Geschwafel macht mich ganz krank. Ehrlich gesagt, kann ich der Hälfte dessen, was Sie da sagen, nicht folgen.« »Lügner!« donnerte Sam und brach plötzlich in einen lauten Singsang aus. »Es regnet unter der Bettdecke, es regnet unter der Bettdecke ...!« -1 5 4
»Samuel, seien Sie still!« ermahnte der ältere Anwalt seinen
jüngeren Kollegen, um sich in autoritärem Ton wieder dem
Falken zuzuwenden. »Ich denke, das können wir klären,
General. Bisher hat die Höflichkeit, die mein Beruf von mir
verlangt, mich davon abgehalten, den Namen ihres begnadeten
Rechtsberaters von Ihnen zu fordern, doch jetzt muß ich leider
darauf bestehen, daß Sie ihn mir nennen. Als vereidigter Jurist
kann er die Anschuldigung meines jungen Kompagnons
zurückweisen und die Angelegenheit klären.«
»Das gehört sich eigentlich nicht«, sagte Hawkins mit
unbewegter Miene, »daß ein Kommandeur von einem anderen
verlangt, einen Vertrauensbruch zu begehen. So was mag bei
den unteren Chargen angehen, wo die Ehre nicht so eine
überragende Rolle spielt.«
»Aber ich bitte Sie, General! Der mir vorliegende Klagesatz ist
nach allem, was ich bisher davon gelesen habe, in seiner
Brillanz überzeugend, und doch müßte er erst überprüft
werden. Der Himmel weiß, daß er - sofern nicht bekannt ist, aus
wessen Feder er stammt, und ohne staatsanwaltliches
Ersuchen um Klärung des Sachverhalts - mit Sicherheit keinem
ordentlichen Gericht vorgelegt worden ist.« Aaron hielt inne und
lachte leise. »Wäre das der Fall, wüßten wir alle davon, denn
unser gesamtes Gerichtswesen sowie das
Verteidigungsministerium wären lahmgelegt, weil alle
Beteiligten Zeter und Mordio schreien würden. Sie sehen also,
General, es gibt nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren ...«
Plötzlich erstarrte Pinkus das joviale Lächeln im Gesicht.
Langsam und wider Willen verflüchtigte es sich, dann wurde er
aschfahl. »Großer Gott Abrahams, bitte, verlaß mich nicht!«
flüsterte er und starrte MacKenzie Hawkins in das völlig
ausdrucksleere Gesicht. »Mein Gott, er wurde also doch
vorgelegt!«
»Wenn Sie so wollen, hat er den Weg dorthin gefunden, wohin
er hatte sollen.«
»Das kann aber doch unmöglich ein ordentliches Gericht
gewesen sein!«
-1 5 5
»Möglich, daß andere diese Ansicht teilen.«
»Nun, hat man ihn vorgelegt?«
»Manche behaupten, ja.«
»Aber es ist nichts in den Medien darüber verlautet, und
glauben Sie mir, um eine solche Nachricht bringen zu können,
würden die sich doch gegenseitig umbringen. Das ist
katastrophal!«
»Dafür könnte es Gründe geben.«
»Was für Gründe?«
»Hyman Goldfarb.«
»Hyman wer?«
»Goldfarb.«
»Irgendwie klingelt es da bei mir, aber trotzdem habe ich nicht
die leiseste Ahnung ...«
»Früher war der Mann Footballspieler.«
Aaron Pinkus' Gesicht verjüngte sich binnen weniger Sekunden
um zwanzig Jahre. »Sie meinen doch nicht etwa Hymie the
Hurricane? Den hebräischen Herkules ...? Den kennen Sie,
Mac - ich meine selbstverständlich: General!«
»Ihn kennen? Ich war es, der dieses Yarmulke-
Stehaufmännchen angeworben hat.«
»Wirklich? ... Nicht nur, daß er der bedeutendste Stürmer in der
gesamten Ersten Liga war, er hat auch das Klischee vom,
sagen wir, übervorsichtigen jüdischen Mann zertrümmert und
stand für den amerikanischen Football auf einer Stufe mit
Moshe Dayan.«
»Auch der war ein Hochstapler ...«
»Bitte, haben Sie Erbarmen mit mir! Er war für mich der Held
meiner Jugend, ein Symbol für uns alle, der hochintelligente,
muskelbepackte Riese, der uns alle stolz machte ... Was
meinen Sie da, ein Hochstapler soll er ...?«
»Naja, zu einer Verurteilung ist es nie gekommen, doch nahe
dran war es schon - aber auch dafür gibt es gute Gründe.«
»Verurteilungen, Gründe? Was reden Sie da?«
-1 5 6
»Naja, inoffiziell arbeitet er viel für die Regierung. Tatsache ist jedenfalls, daß ich ihn in diesem Bereich sozusagen ins Geschäft gebracht habe - für die Army, wenn Sie es genau wissen wollen.« »Würden Sie mich da bitte genauer aufklären, General?« »Um es kurz zu machen: Es gab bei uns ein paar fette Ärsche, die den Mund nicht hielten in bezug auf bestimmte Waffenspezifikationen, und wir konnten nicht herausfinden, wer es war, obwohl wir wußten, aus welcher Ecke diese, na, sagen wir Indiskretionen, kamen. Ich lernte Goldfarb kennen, als er gerade dabei war, eine Beratungsfirma in Sachen Sicherheitsvorkehrungen aufzumachen - du liebe Güte, ein Bild von ihm im Unterhemd genügte, einem eine Heidenangst einzujagen - und gab ihm den Auftrag, sich des Problems anzunehmen. Man könnte sagen, daß er und seine Hilfstruppen heiße Eisen anpacken, die das Büro des Generalinspekteurs nie anfassen würde.« »General, was hat Hyman Goldfarb damit zu tun, daß sich nach diesen unglaublichen Vorwürfen Schweigen ausgebreitet hat, statt daß ein Sturm der Entrüstung losgebrochen ist?« »Naja, wie so was in unserer verrückten Hauptstadt nun mal läuft, führte für ihn eins zum anderen. Ich meine, sein Ruf breitete sich aus wie ein von Flammenwerfern entfachtes Buschfeuer, jeder in Washington wollte sich seiner Dienste versichern, insbesondere einer ihn gegen den anderen ausspielen. Hymies Klientenliste, die fast nur aus Regierungsstellen besteht, liest sich wie ein >Who ist Who< am Potomac. Er hat einen Haufen einflußreicher Freunde, die immer bestreiten würden, auch nur von ihm gehört zu haben, und wenn man sie noch so sehr unter Druck setzte. Er braucht nur eine Braue zu heben, und schon ist man geliefert ... Sehen Sie, und da wußte ich, daß wir auf eine Goldader stoßen könnten.« »Goldader ...?« Aaron schüttelte den Kopf, als gälte es, dröhnende Zymbeln in seinem Schädel zum Schweigen zu bringen. »Darf ich Sie bitten, mir das näher zu erläutern?« bat er. -1 5 7
»Seine Leute waren hinter mir her, Commander Pinkus. Es war
ein Hinterhalt, und das Ziel Gefangennahme und
Mundtotmachen - ich habe in ihnen gelesen wie in einem
Buch.«
»Gefangennahme, Mundtotmachen, Buch? Sie waren hinter
Ihnen her?«
»Nach Vorlage des Wopotami-Klagesatzes ... - lange hinterher.
Was nichts anderes bedeuten kann, als daß man das Papier
ernst nimmt, der darin enthaltene Zündstoff allerdings unter
dem Poncho gehalten wird. Was hat man also gemacht? Hymie
the Hurricane angeheuert, das Problem aus der Welt zu
schaffen. Aufspüren, dingfest machen und vernichten! Habe
wie in einem Buch in ihnen gelesen.«
»Aber General, die einfachen Gerichte mit ihrer
Präzedenzfallgerichtsbarkeit, den Stapeln unbearbeiteter Fälle
und ...« Und abermals erstarrte Aaron Pinkus'
Gesichtsausdruck, während seine Worte sich vernehmlich in
Dunst auflösten. »Ach, du liebes bißchen, es war doch nicht ...?
Das war es doch nicht etwa?«
»Sie kennen die Vorschriften, Commander. Ein Zivilkläger, der
den Staat belangen will, hat direkten Zugang; da kommt es nur
darauf an, wie überzeugend die Argumente sind, die er
vorbringt.«
»Nein ... nein, Sie können unmöglich ...«
»Doch, das habe ich getan. Ein wenig Überzeugungsarbeit
geleistet bei ein paar hochempfindlichen Justizangestellten, und
wir sind ganz bis zur großen Rechts-Badewanne
vorgedrungen.«
»Was denn für eine Badewanne?« rief der völlig entgeisterte
Devereaux. »Was für einen Unsinn versucht diese moralische
Mißgeburt uns da zu verkaufen?«
»Ich fürchte, er hat ihn an jemand anders verkauft«, sagte
Aaron mit kaum vernehmbarer Stimme. »Er hat den glänzend
aufgebauten und geschriebenen Klagesatz - der auf Material
beruht, das aus hochgeheimen Archiven gestohlen wurde -
-1 5 8
genommen und ihn direkt dem Obersten Gerichtshof
zugänglich gemacht.«
»Sie wollen mich auf den Arm nehmen!«
»Ich wünschte um unser aller willen, daß es so wäre.« Pinkus
fand unvermittelt Sprache und Haltung wieder. »Jetzt könnten
wir wenigstens ausloten, wie weit dieser Wahnsinn geht. Wer
vertritt die Anklage, General? Ein einfacher Telefonanruf, und
wir kennen den Namen.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher, Commander.«
»Was?«
»Der Klagesatz ist erst heute morgen eingereicht worden.«
»Heute morgen?«
»Na ja, verstehen Sie, da war dieser indianische Krieger, der
mich mit Fehlinformationen fütterte, was etwas anderes ist als
Desinformation, mit Fehlinformationen bezüglich einer
Kleinigkeit bei der Prüfung für die Zulassung bei Gericht ...«
»Bitte, beantworten Sie mir nur meine Frage, General. Wer ist
der Anwalt, wenn Sie so freundlich wären!«
»Er«, erwiderte der Falke und zeigte auf Sam Devereaux.
-1 5 9
9. KAPITEL Vincent Francis Assisi Mangecavallo, seines Zeichens CIADirektor und in gewissen auserwählten Kreisen auch Vinnie Bum-Bum oder Vinnie Code-Salat genannt, tigerte in seinem Arbeitszimmer in Langley, Virginia, auf und ab und bot dabei das Bild eines verwirrten und völlig frustrierten Menschen. Er hatte nichts gehört! Was war da schiefgelaufen? Der Plan war so simpel, so unangreifbar und wasserdicht. A gleich B gleich C; folglich ist A gleich C - nur, daß Hyman Goldfarb und seine Leute sich in dieser einfachen Gleichung hoffnungslos verheddert hatten und Vincents eigener Mann, der beste und harmloseste Beschatter der Firma, sich verlaufen hatte. Big Foot! Der schaurige Schnee-Mensch! Was zum Teufel war los mit The Hurricane? Wer hatte ihm sein wunderbar vermarktetes Gehirn durcheinandergewirbelt? Und wo steckte dieser elende Mistkerl, den Vincent in Vegas von einer nicht gerade geringen Schuldenlast befreit und auf eine durchaus anständige Gehaltsliste bei der Regierung gesetzt hatte - wobei er übrigens den Casino-Fatzken bedeutet hatte, sie hätten die Schuldscheine des Mistkerls im Interesse der nationalen Sicherheit gefälligst rauszurücken! Verschwunden, das war er! Aber warum? Little Joey, das Leichentuch, war ganz außer sich gewesen vor Freude, von seinem Freund aus alten Tagen, der mittlerweile ein großes Tier war, zu hören, wo sie alle Little Joey doch sonst nur dazu brauchten, sich den Nassauern vom Hafen in Brooklyn an die Fersen zu heften und ihnen bis zu den eleganten Clubs in Manhattan zu folgen - dabei war Joey gut! Er konnte mutterseelenallein im Spielfeldzentrum des YankeeStadions stehen, und kein Mensch bemerkte ihn, und wenn die Bude bis auf den letzten Platz ausverkauft war. Keinem Menschen war Joey das Leichentuch jemals aufgefallen, er verflüchtigte sich, ging gleichsam genauso rasch in einer Tapete auf wie in der U-Bahn zur Rushhour unter. Darin bestand nun mal seine besondere Fähigkeit: durch überhaupt nichts aufzufallen - selbst seine Visage war irgendwie grau und -1 6 0
nichtssagend. ... Wo, um alles in der Welt, steckte der Kerl
also? Dem mußte mal wieder klargemacht werden, daß er sich
mit seinem alten Freund Vincent wesentlich besser stand als
ohne seine große Washingtoner Beziehung - schließlich ließen
sich Schuldscheine jederzeit neu präsentieren, konnten die
Fräcke vom Casino ihm wieder im Nacken sitzen. Es ergab
keinen Sinn - nichts ergab irgendeinen Sinn.
Das Telefon klingelte - der in der untersten rechten
Schreibtischschublade des CIA-Direktors versteckte Apparat.
Mangecavallo lief hin, er hatte das nächtliche Verlegen der
Leitung selbst überwacht und von Profis vornehmen lassen, die
weit erfahrener waren als die sogenannten Fachleute in der
Abteilung für Geheimkommunikation der CIA. De facto kannte
keiner in der Regierung seine Nummer, die war nur für die
wirklich wichtigen Leute da, für die Macher vor Ort. »Was
gibt's?« bellte der Geheimdienstchef in den Apparat.
»Ich bin's, Little Joey, Bum-Bum«, ließ sich die piepsige Stimme
am Telefon vernehmen.
»Wo zum Teufel hast du gesteckt? Sechsunddreißig Stunden,
anderthalb Tage, und du läßt nichts von dir hören!«
»Das kommt daher, weil sich mir jede Minute dieser Zeit der
Kopf gedreht hat und ich von einem Scheißort zum anderen
gehetzt bin, um mir einen zuccone nicht durch die Lappen
gehen zu lassen!«
»Wovon redest du?«
»Außerdem hast du mir gesagt, ich soll dich nicht zu Hause
anrufen, dabei kenn ich die Nummer nicht mal. Auf gar keinen
Fall aber sollte ich mich von der Telefonzentrale des großen
Spionagenests zu dir durchstellen lassen, stimmt's?«
»Yeah, stimmt. Und?«
»Aber wo ich doch zwischen zwei Flügen, dem Einseifen vom
Flugplatzpersonal, dem Bezahlen von Taxifahrern, die mir
schon ins Gesicht spucken wollten, und der Bestechung eines
alten Bullen - zwischen und nach alledem, wo ich doch einen
gewissen überlangen Luxusschlitten mit 'm komischen
-1 6 1
Nummernschild aufgetan habe, blieb mir wirklich nicht viel freie
Zeit.«
»Okay, okay. Sag mir, was passiert ist. Hast du irgendwas
rausgekriegt, was ich gebrauchen kann?«
»Falls du nicht, ich wohl. Dieses Puzzle besteht aus mehr
verrückten Teilchen als ein Nudelsalat und ist auf jeden Fall
mehr wert als die paar Schuldscheine in Vegas.«
»He, Joey, diese Schuldscheine beliefen sich auf über zwölf
tausend!«
»Was ich habe, ist doppelt soviel wert, Bum-Bum.«
»Wenn du mir einen Gefallen tun willst, benutze diesen Namen
nie mehr, ja?« sagte Mangecavallo abwehrend. »Der paßt nun
mal nicht zu meinem hohen Am t.«
»Uhuh, Vinnie. Vielleicht hätten die Dons dich nicht auf die
höhere Schule schicken sollen. Du hast deine Demut verloren
und keinen Respekt mehr.«
»Hör jetzt auf damit, Joey! Ich sorge schon für dich, ich
schwör's beim Grab meines Vaters.«
»Aber dein Papa ist quicklebendig, Vinnie. Ich hab ihn erst
neulich bei Caesar's gesehen. Der treibt's ganz toll in Vegas
nur nicht mit deiner Mama.«
»Basta .... er ist nicht in Lauderdale?«
»Willst du die Zimmernummer? Nicht gleich auflegen, wenn ein
Niemand rangeht.«
»Das reicht, Joey. Komm zur Sache, oder deine Schuldscheine
belaufen sich bei den Gorillas auf fünfzig Riesen, und ich gebe
dich zum Abschuß frei, capisci?«
»Schon gut, schon gut, ich fühl ja bloß mal vor, okay, Vinnie?
Was passiert ist? Ja, Himmel, was ist passiert?« Little Joey, das
Leichentuch, holte tief Luft und fing an: »Wie du dir schon
gedacht hattest, hat Goldfarb eine Gang in das Indianerreservat
rausgeschickt - das war mir sofort klar, als ich die Schaufel
durch dieses Palisadentor schieben und an dem Begrüßungs-
Wigwam vorüber geradewegs auf die Freßecke zugehen sah.
In seinem Schlepptau hatte er diesen ausgemergelten gibbone,
-1 6 2
der sich die Nase so oft putzt, aber der Klumpen, der ihm die Hose ausbeult, das ist kein Kleenex! Dann hab ich mich unter die Menge gemischt und hörte zwei andere Kumpel von der Schaufel, die in ihrem hochgestochenen britischen Englisch über diesen Donnerhaupt redeten, für den du dich interessierst - und ob du's glaubst oder nicht, aber die waren scharf darauf, ihn hoppzunehmen. ... Da habe ich aus sicherer Entfernung abgewartet, und die vier cannolis - von denen einer übrigens 'ne Frau ist - machten, daß sie aus dem Souvenirladen rauskamen und rannten im Schweinsgalopp den Feldweg rauf, von wo aus dann jeder von ihnen einen anderen Pfad ...« »Pfad?« unterbrach Mangecavallo ihn. »Also noch mehr
Feldwege?«
»Du meine Güte, Bum-Bum, Entschuldigung, Vincenzo,
Feldweg und Gestrüpp und Bäume, ein regelrechter Wald, du
verstehst doch, was ich meine?«
»Ja, was soll's, schließlich handelt es sich um ein Reservat,
und, da stelle ich mir vor ...«
»Ich also gewartet, gewartet und gewartet«, fuhr Little Joey
raschzüngig fort.
»Ich auch, Joey!« unterbrach der Direktor ihn.
»Okay, okay. Kommt schließlich dieser Obermacker von den
Indianern aus dem Wald rausgelaufen - ich meine, das muß
dein Häuptling Donnerhaupt sein, denn er hat 'ne ganze
Wäscheleine Adlerfedern vom Kopf bis zum Arsch
runterhängen -, kommt also den Feldweg runtergewalzt, hält
sich rechts, bis er ein großes, komisch aussehendes Zelt
erreicht, und tritt ein. Und dann, Vinnie, hab ich was gesehen,
da wollte ich meinen Augen nicht trauen! Dieser
Indianerhäuptling kommt wenige Minuten später wieder raus
bloß, er ist nicht mehr derselbe!«
»Was faselst du da, Little Joey?«
»Nee, ehrlich, Vin. Ist zwar derselbe gumbo, sieht aber nicht
mehr aus wie derselbe gumbo! Vielmehr sieht er aus wie ein spießiger Buchhalter in 'nem richtigen Anzug. Dazu hat er 'ne blöde Perücke auf, die nicht richtig sitzt, und trägt 'n großen -1 6 3
Reisekoffer n i der Hand ... Na, der Koffer hat mir natürlich
verraten, daß er aus dem Reservat abhauen wollte, und so wie
er aussah, hatte man den Eindruck, daß er auch kein Indsche
mehr sein wollte.«
»Sag mal, Little Joey, geht die Geschichte noch lange?« fragte
Mangecavallo in klagendem Ton. »Komm endlich zur Sache!«
»Du willst den Gegenwert von den Schuldscheinen, und ich
möchte beweisen, daß die Sache 'n Haufen mehr wert ist,
okay? Laß ich also den Flughafen von Omaha aus, wohin ich
ihm folgte und wo er sich ein Ticket für die nächste Maschine
nach Boston besorgte, woraufhin ich das gleiche tat. Aber, und
das ist wichtig, Bum-Bum, wo ich schon mal am Schalter steh,
zeige ich der süßen Kleinen dahinter eine von meinen
nachgemachten Washingtoner Dienstmarken und sag ihr, die
Regierung interessiere sich für den Schrank von Mann mit der
doof verrutschten Perücke. Ich denke, die Perücke muß es
gewesen sein, denn die üppige Kleine war so hilfsbereit, daß
ich sie beknien mußte, die Sache nicht an die große Glocke zu
hängen und niemanden herbeizurufen. Auf jeden Fall erfuhr ich
den Namen, auf den die Kreditkarte des gumbo lautete ...«
»Nun spuck ihn schon aus, Joey!« rief der CIA-Direktor und griff
nach einem Schreiber.
»Aber gern doch, Vin. Er geht: großes M, kleines a, kleines c,
Hawkins, G-e-n mit 'm Punkt dahinter, dann USA und
nachfolgend ein kleines i und ein großes R. Ich hab's genau
abgeschrieben, weiß aber nicht, was das alles heißt.«
»Es bedeutet, daß er Soundso Hawkins heißt und General im
Ruhestand oder der Reserve ist. ... Himmelarschundzwirn, ein
General!« »Da kommt noch mehr, Vinnie, du solltest mich bis
zu Ende anhören.«
»Das muß ich leider! Fahr schon fort!«
»In Boston folg ich ihm also wieder unauffällig, und plötzlich
spielt alles verrückt, ich meine, richtig pazzo. Im Flughafen läuft
er ins Männerklo, wo er auf zwei Puertoricaner trifft, die
Uniformen anhaben, wie ich sie nie zuvor gesehen habe. Das
Kleeblatt geht raus zum Parkplatz und steigt in ein Oldsmobile
-1 6 4
mit einem Nummernschild aus Ohio oder Indiana und fährt weg.
Ich, nicht faul, drück dem erstbesten Taxifahrer einen fünfziger
in die Hand und weis ihn an, sich immer hinter dem Oldsmobile
zu halten, da wird alles noch viel verrückter! Dieser
Oberbuchhalter, der kurz zuvor noch Indianerhäuptling war,
fährt mit seinen beiden aufgewärmten enchiladas zu einem
Friseurladen, und danach fahren sie - so wahr mir Gott helfe,
Bum-Bum - zu einem Park unten am Fluß, wo die Riesen-
Lasagne seine beiden enchiladas über die Wiese scheucht wie
übern Exerzierplatz und sie dabei die ganze Zeit über
anschnauzt. Ich sag dir, irre war das.«
»Vielleicht gehört dieser General im Ruhestand zur Sektion
acht, so was kommt schließlich vor, weißt du.«
»Du meinst, sie haben ihn geschaßt, weil er Panzer für
Zeppeline gehalten und Laster militärisch gegrüßt hat?«
»Von so was liest man doch dauernd. Wie bei einem unserer
Dons, manchmal ist es doch so: je größer die Kanone, desto
mehr Schiß kriegen sie. Erinnerst du dich noch an Fat Salerno
in Brooklyn?«
»Und ob ich mich erinnere! Der wollte Oregano zur
Wappenblume des Staates New York machen, marschiert also
ins Capitol von Albany rein und schreit sich die Lunge aus dem
Hals von wegen Diskriminierung von Minderheiten.«
»Genau daran denke ich, Little Joey, denn wenn dieser M,
kleines a, kleines c, Hawkins, General im Ruhestand der US-
Army, ein und dieselbe Person ist wie Häuptling Donnerhaupt
und da neige ich dazu, deiner Einschätzung zuzustimmen -,
dann haben wir es mit einem neuen Fat Salerno zu tun, der
sich in Washington die Lunge aus dem Hals schreit - und auch
er wieder wegen der Diskriminierung von Minderheiten.«
»Ist der denn italiano, Vinnie?«
»Nein, Joey, nicht mal Indianer. Also, was ist dann passiert?«
»Tja, anschließend setzten die Riesen-Lasagne und seine
beiden enchiladas sich wieder in ihr Oldsmobile - woraufhin ich
meinem Taxifahrer noch mal 'n Fünfziger in die Hand drücken
mußte -, und fuhren zu 'ner belebten Straße Downton runter,
-1 6 5
wo sie blieben. Das heißt, nicht die beiden Aufgewärmten, die
gehen rein in einen Wolkenkratzer, aber der meschuggene
Obermacker der Indianer, der sich inzwischen zum spießigen
Oberbuchhalter gemausert hat, bleibt einfach im Wagen sitzen.
Woraufhin mir nichts anderes übrigblieb, als dem dreckigen
Taxichauffeur zwei Fünfziger zuzustecken, weil er mir erklärte,
seine Frau würde ihm eins mit der glühenden Pfanne
überbraten, wenn er nicht nach Haus käme, was nicht so
einfach von der Hand zu weisen war. Es dauerte über eine
Stunde, da fuhr ein überlanger Luxusschlitten vor dem
Wolkenkratzer vor, und drei gumbos stiegen ein, gefolgt von
den beiden enchiladas, die wieder in ihr Oldsmobile sprangen,
das dann der Limousine folgte. Und dann hab ich sie aus den
Augen verloren.«
»Du hast sie was! Was erzählst du mir da, Joey?«
»Nur keine Bange, Bum-Bum.«
»Wie bitte?«
»Verzeihung, Vincent Francis Assisi ...«
»Auch das solltest du vergessen!«
»Schon gut, schon gut - ich bitte aus ganzem Herzen um
Vergebung.«
»Dein Herz hört gleich auf zu schlagen, es sei denn, du klärst
mich darüber auf, warum ich mir keine Sorgen zu machen
brauche.«
»Ich hab die zuccones also im Verkehr aus den Augen
verloren, aber nicht, ohne mir vorher das Nummernschild des
überlangen Luxusschlittens aufzuschreiben, und ob du's
glaubst oder nicht, gleichzeitig fiel mir der Name von diesem
Polizistenschwein wieder ein, das mich vor zwanzig Jahren mal
hatte hochgehen lassen und das, wie ich dachte, heute Ende
sechzig sein mußte, vor allem aber, so Gott wollte, immer noch
so am Leben sein konnte wie ich, denn wir waren so ziemlich
gleich alt gewesen.«
»Ich hasse deine Geschichten. Little Joey!« »Okay, okay. Ich
such ihn also auf in seinem Haus, nichts weiter Großes
-1 6 6
übrigens nach den vielen Jahren im öffentlichen Dienst, wir
kippen ein paar und trinken auf die guten alten Zeiten.«
»Joey, du treibst mic h zum Wahnsinn!« »Schon gut, schon gut.
Ich flehe ihn an, seine Beziehungen downtown spielen zu
lassen, versüße ihm dieses Anliegen mit fünf Hundertern für ihn
selbst, damit er rausfindet, wem die Karre mit dem komischen
Nummernschild gehört, und vielleicht auch, wohin sie wohl fuhr,
als sie von dem Oldsmobile verfolgt wurde, und wenn es sich
machen ließe, auch, wo sie sich momentan aufhielte ... Und
würdest du mir glauben, wenn ich dir sagte, daß er mir die erste
Frage im Handumdrehen zwischen zwei Whiskies
beantwortete?« »Joey, du bringst mich um.« »Calma, calma,
Bum-Bum. Jedenfalls erzählt er mir, der lange Schlitten gehört
einem der größten Rechtsverdreher von Boston,
Massachusetts. Einem Yarmulke namens Pinkus, Aaron
Pinkus, der als besonders aufrechter und rechtschaffener Mann
gilt und von allen großen Tieren geachtet wird, den
gesetzestreuen ebenso wie den nicht so gesetzestreuen. Dem
kann man nicht ans Bein pinkeln - Gott verzeih mir! -, aber es
stimmt, Vinnie!«
»Der Mann hat Dreck am Stecken wie jeder andere auch, da
kannst du ganz sicher sein! Was hat der Bulle dir sonst noch
erzählt?«
»Daß die Luxuslimousine seit zwanzig Minuten vorm Four
Seasons Hotel an der Boylston Street steht.«
»Und was machen das Oldsmobile und der falsche Fuffziger
von Indianerhäuptling? Wo, zum Henker, steckt der?«
»Wo das Oldsmobile ist, wissen wir nicht, Vinnie, dafür aber hat
mein Bulle rausgekriegt, was es mit dem Nummernschild aus
dem Mittleren Westen auf sich hat: Du wirst es mir nicht
glauben, ich meine, das Ganze ist so unwirklich!«
»Spuck's schon aus!«
»Das Oldsmobile gehört dem Vizepräsidenten!«
»Magdalene!« brüllte der Vizepräsident der Vereinigten Staaten
und knallte in seinem Arbeitszimmer den Hörer auf die Gabel.
»Wo ist unser verdammtes Oldsmobile?«
-1 6 7
»Zu Hause, natürlich, Honeybunch!« flötete frischfröhlich die
Second Lady im Wohnzimmer.
»Bist du da sicher, mein Täubchen?«
»Natürlich, Lämmchen. Erst neulich hat das Hausmädchen
angerufen, um mitzuteilen, daß die Hilfskraft des Gärtners auf
dem Highway Schwierigkeiten damit gehabt hätte. Der Wagen
ist einfach stehengeblieben und wollte nicht mehr anspringen. «
»Mein Gott, hat er ihn da etwa einfach stehenlassen?«
»Wo denkst du hin, mein Wangengrübchen! Die Köchin hat in
der Werkstatt angerufen, und die haben ihn abgeschleppt.
Warum?«
»Weil dieser gräßliche Kerl von der CIA, dessen Namen ich
nicht aussprechen kann, mir eben mitgeteilt hat, der Wagen sei
in Boston gesehen worden, und zwar mit fiesen Typen am
Steuer. Ob ich denen den Wagen geliehen hätte. Das könnte
Imageprobleme geben.«
»Du willst mich wohl verscheißern!« rief die Second Lady
wutschäumend und stürzte mit pinkfarbenen Lockenwicklern im
Haar ins Zimmer.
»Irgend so ein Mistkerl muß die Scheißkarre gestohlen haben!«
empörte sich der Vizepräsident mit gellender Stimme.
»Bist du ganz sicher, es nicht einem deiner dreckigen Kumpane
geliehen zu haben, du Arschloch!«
»Himmel, nein! Auf den Gedanken, sich was zu leihen, würde
doch nur der Abschaum kommen, den du zu Freunden hast, du
Luder!«
»Hysterische Gegenbeschuldigungen bringen uns doch nicht
weiter!« erklärte mit Nachdruck und doch in den Grundfesten
erschüttert Aaron Pinkus, als MacKenzie Hawkins sich rittlings
auf Sam Devereaux hockte, wobei die Knie des Generals dem
Juristen die Schultern auf den Boden drückten und ab und zu
ein Ascheflöckchen von seiner Zigarre auf Sams verzerrtes
Gesicht herniederschwebte. »Ich schlage vor, wir bemühen uns
alle um einen kühlen Kopf und versuchen zu verstehen, in was
für einer mißlichen Lage wir stecken.«
-1 6 8
»Warum rufen Sie nach dem Ausschluß aus der Anwaltskammer nicht gleich das Erschießungskommando an?« würgte Sam Devereaux hervor. »Kommen Sie, kommen Sie, Sam«, sagte der Falke begütigend. »So was macht man heutzutage doch nicht mehr. Das hat uns das verdammte Fernsehen vermasselt.« »Ach, das hatte ich ganz vergessen. Darüber haben Sie mir ja mal ein Privatissimum erteilt - public relations, jetzt fällt's mir wieder ein. Sie haben mir klargemacht, da gäbe es heutzutage andere Mittel und Wege, etwa Schnellboot-Trips zum Haifischangeln, wobei man zu dritt rausfährt, aber nur zu zweit zurückkommt; oder zur Entenjagd, wo dann unversehens ein Dutzend Mokassinschlangen aus harmlosen Gewässern auftauchen, in denen es nie zuvor eine Schlange gegeben hat. Vielen Dank, Sie psychotische Made!« »Ich habe ja nur versucht, Sie zu Ihrem eigenen Besten aufzuklären, denn Sie haben mir viel bedeutet. So wie Sie auch Annie immer noch viel bedeuten.« »Ich habe Ihnen doch gesagt: Erwähnen Sie diesen Namen bitte nie mehr!« »Ihnen fehlt aber jegliches Verständnis, Junge.« »Wenn Sie gestatten, General«, mischte Aaron Pinkus sich ein, »was Sam fehlt, ist eine Klärung seiner momentanen Lage, und darauf hat er nun mal ein Recht.« »Glauben Sie, er kann das verkraften, Commander?« »Er täte meiner Meinung nach gut daran, es zu versuchen. Wollen Sie es versuchen, Samuel, oder soll ich Shirley anrufen und erklären, daß wir nicht zu dieser Vernissage kommen können, weil Sie Ihre Limousine zweckentfremdet, drei temperamentvolle Griechen eingeladen und mich, Ihren Arbeitgeber, dazu gezwungen haben, sich um Ihre persönlichen Schwierigkeiten zu kümmern - die automatisch auch die meinen und rechtlich gesehen nicht von ihnen zu trennen sind?« »Lieber würde ich mich einem Erschießungskommando stellen, Aaron.«
-1 6 9
»Eine kluge Entscheidung. Mir ist schon klar, daß Paddy die
Samtvorhänge in die Reinigung bringen muß. Lassen Sie ihn
aufstehen, General, und erlauben Sie ihm, sich hier auf meinen
Stuhl zu setzen.«
»Benehmen Sie sich, Sam!« sagte Hawkins und richtete sich
vorsichtig auf. »Mit Gewalt ist nichts getan.«
»Das widerspricht grundlegend Ihrer gesamten Existenz, Mr.
Exterminator.« Devereaux erhob sich und humpelte um den
Schreibtisch herum, während Pinkus auf seinen Stuhl zeigte.
Mit Aplomb ließ Sam sich nieder, ohne die Augen von seinem
Brötchengeber zu lassen. »Was habe ich vor mir, und was
erwartet mich, Aaron?« fragte er.
»Ich gebe Ihnen einen Überblick«, antwortete Pinkus und ging
quer durchs Zimmer zu der an der Rückwand verspiegelten Bar
hinüber, die in eine Wandnische des Hotelzimmers eingebaut
war. »Zuvor aber spendiere ich Ihnen einen anständigen,
dreißig Jahre alten Brandy, ein Luxus übrigens, den ihre
bezaubernde Mutter und ich uns ebenfalls geleistet haben. Sie
werden die wohltuende Wirkung eines milden Anti-
Depressivums brauchen, wie auch wir sie gebraucht haben,
ehe wir uns Ihre >Höhle< angesehen haben. Vielleicht sollte ich
damit gar nicht so kleinlich sein, denn der Brandy könnte
unmöglich etwas an der Ernüchterung Ihres Juristenverstands
ändern, in die die Lektüre dessen, was da vor Ihnen liegt, Sie
hineinkatapultieren wird.« Aaron schenkte einen Kristallkelch
mit dunkelbraunem Cognac voll, trug ihn hinüber zum
Schreibtisch und setzte ihn vor seinem Angestellten ab. »Sie
stehen im Begriff, das Unmögliche zu lesen, und nachdem Sie
es getan haben, werden Sie die wichtigste Entscheidung Ihres
Lebens fällen müssen. Möge der Gott Abrahams mir verzeihen,
aber auch ich muß eine Entscheidung von enormer Tragweite
fällen.«
»Hören Sie auf mit dem metaphysischen Brimborium, Aaron.
Was erwartet mich? Und wie steht es mit dem versprochenen
Überblick?«
-1 7 0
»Kurz gefaßt, mein junger Freund: Die Vereinigten Staaten von
Amerika haben mit Hilfe einer ganzen Reihe von konspirativen
Vorgängen den Wopotamis ihr gesamtes Land gestohlen; das
geht aus einer Reihe von Verträgen hervor, wobei man später
behauptete, diese Verträge habe es nie gegeben - obwohl man
sie in den Geheimarchiven des Büros für
Indianerangelegenheiten in Washington vergraben hatte.«
»Wer zum Geier, sind die Wopotamis?«
»Ein Indianerstamm, dessen Territorium sich den Missouri
entlang bis nach Fort Calhoun erstreckte, in westlicher Richtung
dem Platte River bis Cedar Bluffs folgte, südöstlich bis Weeping
Water ging und in östlicher Richtung bis nach Red Oak City,
Iowa.«
»Und worum geht es da groß? Die Inbesitznahme von
historischem Landbesitz wurde durch die sogenannte
Jahrhundertentscheidung, eine Grundsatzentscheidung des
Obersten Bundesgerichts, wiedergutgemacht - ich glaube, im
Jahre 1912 oder 1913.«
»Ihr fotografisches Gedächtnis ist wie immer phänomenal,
Sam, aber Sie überspringen etwas - eine Lücke, wenn Sie so
wollen.« »Das tue ich nie! Ich bin vollkommen - juristisch
gesehen.«
»Sie beziehen sich auf Verträge, die in dieser
Grundsatzentscheidung ausdrücklich angesprochen werden.«
»Gibt es denn noch andere?«
»Ja, diejenigen, die man in den Geheimarchiven hat
verschwinden lassen ... Und eben so einer liegt im Augenblick
vor Ihnen. Lesen Sie ihn, mein junger Freund, und liefern Sie
mir in, sagen wir, einer Stunde eine scharfsinnige juristische
Einschätzung des Ganzen. Nippen Sie bis dahin nur an Ihrem
Brandy, vielleicht drängt es Sie auch, sich das ganze Glas auf
einmal hinter die Binde zu gießen, doch tun Sie das besser
nicht. In der oberen rechten Schreibtischschublade finden Sie
Blöcke und Bleistifte - der Klagesatz nebst zugehörigen
Beweismitteln beginnt mit dem Stapel links von Ihnen und ist in
alphabetischer Folge in verschiedenen Faszikeln quer über den
-1 7 1
Tisch geordnet. Sie werden sich bestimmt Notizen machen wollen.« Dann wandte Aaron Pinkus sich dem Falken zu. »General, ich hielte es für gut, Sam jetzt allein zu lassen. Ich glaube, jedesmal, wenn er Sie ansieht, wird er abgelenkt, und seine Konzentration läßt nach. Was würden Sie davon halten, wenn wir uns von Paddy - Sergeant Lafferty - zu einem kleinen Restaurant fahren ließen, das ich häufig und immer dann aufsuche, wenn ich keine neugierigen Bekannten treffen möchte?« »So sollten wir es machen, Commander Pinkus. Und was wird aus Sam? Es war ein harter Tag im Gelände für ihn, und bei der Army dreht sich alles um den Magen.« »Unser junger Freund kennt sich mit dem Zimmerservice bestens aus, General. Das läßt sich an seinen Spesenabrechnungen ablesen. Im Moment scheint er mir aber für so was wie Hunger völlig unempfänglich.« Offenen Mundes und die Augen weit aufgerissen, beugte Devereaux sich über die ersten Seiten des Schriftsatzes; den Bleistift in der Hand, schien er drauf und dran, etwas auf dem Notizblock festzuhalten. Dann ließ er ihn fallen und flüsterte: »Das überlebt keiner von uns! Das können sie sich gar nicht leisten - uns am Leben zu lassen.« Über dreitausend Meilen weiter im Westen und ein wenig nördlich von Boston, Massachusetts, liegt die altehrwürdige Stadt San Francisco, und es verwundert nicht, von den Statistikern zu hören, daß die Mehrheit derer, die von der Ostküste in die Stadt an der Westküstenbucht gezogen sind, ehemals in Boston gewohnt haben. Manche Demographen behaupten, das sei auf den herrlichen Hafen zurückzuführen, der so sehr an die Heimat der Hochseesegler früherer Zeiten gemahne. Andere wieder behaupten, es liege an dem hochgradigen Intellektuellenklima, das durch die vielen hier angesiedelten Universitäten geprägt wird und das besonders in den vielen Cafes mit ihrem diskutierfreudigen studentischen Publikum zum Ausdruck kommt. Noch andere sagen, die Anziehungskraft von San Francisco beruhe vornehmlich auf der fortschrittlichen und oft geradezu übertriebenen Toleranz den -1 7 2
unterschiedlichsten Lebensweisen gegenüber, die den Widerspruchsgeist der Bostoner Mentalität anspreche - wie wunderbar oft sich denn nicht Bostoner Wähler gegen einen nationalen Trend gestellt hätten? Doch wie dem auch sei, all diese Statistiken haben nur wenig mit unserer Geschichte zu tun, höchstens in dem Sinne, daß die Person, die wir jetzt kennenlernen sollen, genauso wie Samuel Lansing Devereaux an der Harvard Law School studiert hatte. Eigentlich hätte Devereaux ihr sogar schon früher begegnen können, da die Anwaltskanzlei Aaron Pinkus Associates einst stark an ihr interessiert war und sich aktiv darum bemüht hatte, ihr Interesse zu gewinnen. Leider oder zum Glück war sie jedoch auf der Suche nach einem Tapetenwechsel gewesen, denn sie hatte es gründlich satt, immer nur als Angehörige einer ethnischen Minderheit gesehen zu werden, welche die Bostoner Akademiker und Möchtegern-Akademiker gleichermaßen in Verlegenheit stürzte. Sie war nämlich weder Schwarze noch Jüdin, weder Asiatin noch Puertorikanerin, wurzelte weder im Mittelmeerraum, noch stammten ihre Vorfahren aus Bengalen oder von den Gestaden des Arabischen Meeres, und es gab weder Clubs noch Vereine oder Bürgerinitiativen, die sich die Sache ihrer Minderheit zu eigen machten, weil ... nun ja, es war einfach so, daß kein Mensch in ihnen eine aufstrebende Gruppe sah, und eben darin lag ja normalerweise der Schlüssel, mit dem man sich öffentlich Gehör verschaffen konnte: Diese Menschen waren einfach da und führten ihr eigenes Leben, was immer das sein mochte. Die Frau, um die es ging, war eine nordamerikanische Indianerin. Sie hieß Jennifer Redwing, wobei >Jennifer< den Namen >Sunrise<, Sonnenaufgang, ersetzt hatte, der ihr laut ihrem Onkel, Häuptling Adlerauge, gegeben worden war, weil sie bei den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne im Midlands Community Hospital, Omaha, dem Schoß ihrer Mutter entsprungen war. Als sie heranwuchs, wurde deutlich, daß sie und später auch ihr jüngerer Bruder zu den begabteren -1 7 3
Nachkommen des Stamms der Wopotami gehörten, was den Ältestenrat veranlaßte, die nötigen Gelder aufzubringen, um ihnen eine möglichst gute Erziehung und Ausbildung angedeihen zu lassen. Nachdem sie diese Gaben weidlich und nach Maßgabe ihres Talents genutzt hatte, konnte sie es nicht erwarten, wieder zurückzukehren in den Westen - und zwar soweit nach Westen wie möglich, dorthin, wo die Leute von den indians, die sie für Inder hielten und nicht für Indianer, nicht unbedingt erwarteten, daß sie im Sari herumliefen und kleine rote Punkte auf der Stirn trugen. Gleichwohl war ihre Übersiedlung nach San Francisco mehr die Folge eines Zufalls als eines bewußten Plans gewesen. Jennifer war nach Omaha zurückgekehrt, war im Staate Nebraska als Anwältin zugelassen worden und in eine angesehene Anwaltsfirma eingetreten, dann kam der Zufall ins Spiel: Ein Mandant der Kanzlei, ein bekannter Tierfotograf, hatte vom National Geographie Magazine den Auftrag erhalten, ein modernes Indianerreservat zu durchstreifen und eine Fotoreportage über die dort anzutreffende Fauna zu liefern. Man gedachte, seine Bilder neben alte Stiche zu stellen - und natürlich stand dahinter die Absicht zu zeigen, in welchem Maße das lebenserhaltende Tierreich, wie die ursprünglichen Bewohner des Landes es einst gekannt hatten, bereits dezimiert worden war. Bei dem Fotografen handelte es sich um einen reifen und erfahrenen, wenn auch etwas - was die holde Weiblichkeit betraf - triebhaften Profi, der sofort erkannte, daß mit einem solchen Auftrag nicht groß Staat zu machen war. Wer wollte schon Bilder von aussterbenden Tieren neben romantisierenden Stichen fruchtbarer Ebenen und Wälder betrachten, die ein Paradies für Jäger gewesen waren? Andererseits, wenn man seine Phantasie ein bißchen spielen ließ, ob man nicht doch einen Dreh fand, die Bilder etwas interessanter zu machen? Etwa mit Hilfe einer saftigen Fremdenführerin, die in verschiedenen ungestellten Posen auf den Fotos auftauchte? Etwa so einer wie Red Redwing, dieser umwerfenden Anwältin, die ihr Büro gleich neben dem seines
-1 7 4
eigenen Rechtsbeistands hatte und auf die der Fotograf
ausgesprochen stand.
»Sagen Sie mal, Red«, begann der clevere Fotograf eines
Morgens, steckte den Kopf zum Arbeitszimmer der Anwältin
hinein und benutzte den Spitznamen, den alle ihre Mitarbeiter
benutzten und der sich selbstverständlich von ihrem Namen
ableitete und nicht von ihrem glänzenden Haar. »Was hielten
Sie davon, auf die Schnelle ein paar Hundert Mäuse zu
machen?«
»Wenn Sie vorschlagen, woran ich jetzt denke, dann sind Sie
auf dem Holzweg«, lautete die eiskalte Antwort.
»Hey, momma, das haben Sie in den falschen Hals gekriegt. «
»Nach dem, was man sich hier in diesem Büro so erzählt, wohl
nicht.«
»Bei meiner Ehre ...«
»Die können Sie sich sparen.«
»Nein, ehrlich, es geht um einen völlig sauberen Auftrag vom
National Geographie.«
»Die bringen zwar nackte Afrikanerinnen, aber ich kann mich
nicht erinnern, jemals eine nackte Weiße darin gesehen zu
haben ....«
»Sie liegen völlig falsch, Lady. Ich bin doch bloß auf der Suche
nach einer Fremdenführerin für eine Bildfolge, in der es im
wesentlichen um die weniger erfreulichen Aspekte in einem
Indianer-Reservat geht. Eine Anwältin, die Harvard absolviert
hat und zufällig einem Indianerstamm angehört, könnte dafür
sorgen, daß man diese Seiten nicht einfach lustlos
durchblättert, sondern ihnen eher Aufmerksamkeit schenkt.«
»Ach?«
Die Bilder wurden also geschossen, und wiewohl Red Redwing
als junge Anwältin außerordentlich vielversprechend war, ließ
sich nicht leugnen, daß sie sehr naiv war, was die Welt der
Berufsfotografen betrifft. In ihrem glühenden Bemühen, ihrem
Volk zu helfen, willigte sie in die Auswahl von Kleidungsstücken
ein, die der Fotograf ihr vorschlug, und weigerte sich lediglich,
-1 7 5
im Bikini zu posieren und dabei eine Forelle hochzuhalten; und sie dachte auch nicht daran, sich die Abzüge vor der Veröffentlichung vorlegen zu lassen. Einmal erwischte sie den Knipsenden, als er Schnappschüsse von ihr machte, wie sie sich über ein totes Eichhörnchen beugte, eine Aufnahme, bei der gewiß mehr von ihrem fülligen Busen unter der lockeren Bluse zu sehen war, als eine anständige Juristin gutheißen konnte, und so landete sie einen kraftvollen rechten Haken im Gesicht des Mannes. Was nun folgte, enervierte sie dermaßen, daß sie erklärte, die Unternehmung sei damit endgültig vorbei. Mit blutenden Lippen fiel der Fotograf auf die Knie und flehte lauthals: »Bitte, bitte, tun Sie das noch mal!« Der Artikel erschien, und die Abonnentenabteilung des National Geographie verzeichnete eine gewaltige Zunahme ihrer Aktivität. Zu Augen kam besagte Fotostory auch einem gewissen Daniel Springtree, einem halben Navajo, der SeniorChef von Springtree, Basl and Karpas war, einer Anwaltskanzlei, die in San Francisco einen ausgezeichneten Ruf genoß. Daniel rief Jennifer Red Redwing in Omaha an und legte sich angelegentlich für eine bestimmte Sache ins Zeug wobei die >Sache< auf seinem persönlichen Schuldgefühl basierte, nicht genug für die väterliche Linie seiner Familie getan zu haben. Er schickte den firmeneigenen Rockwell-Jet nach Omaha, um Redwing für ein Gespräch nach San Francisco zu holen, und als Red erkannte, daß Springtree vierundsiebzig Jahre alt und immer noch in seine fünfzigjährige Frau verliebt war, wußte sie, daß es an der Zeit war, Nebraska den Rücken zu kehren. Die Kanzlei in Omaha war verzweifelt, doch was sollte man machen? Seit Erscheinen des Bildberichts im National Geographie hatte sich die Anzahl ihrer Mandanten verdreifacht. An dem Vormittag, um den es hier geht, hatte die JuniorPartnerin Redwing von der Firma Springtree, Basl and Karpas, von der viele glaubten, daß sie bald Basl, Karpas and Redwing heißen würde, den Kopf mit juristischen Problemen voll, die Lichtjahre von irgendwelchen Stammessorgen entfernt waren.
-1 7 6
Das heißt, so lange, bis ihre Gegensprechanlage summte und
ihre Sekretärin meldete: »Ihr Bruder ist am Apparat.«
»Charlie?»Genau der. Er sagt, es sei dringend, und ich glaube
ihm. Er hat sich nicht mal die Zeit genommen, um mir zu
beteuern, er könne schon dem Klang meiner Stimme
entnehmen, wie atemberaubend ich aussähe.«
»Du lieber Himmel, ich habe seit Wochen nichts von ihm gehört
....«
»Seit Monaten, Miss Red. Mir gefallen seine Anrufe. Mal
ehrlich, Boss, ist er als Mann ebenso stattlich wie Sie eine
hinreißende Frau sind? Ich meine, liegt das in der Familie?«
»Dehnen Sie Ihre Lunchpause um eine halbe Stunde aus, und
lassen Sie mich mit meinem Bruder reden.« Redwing drückte
auf den erleuchteten Knopf ihres Telefons. »Charlie, Liebling,
wie geht es dir? Ich habe ja schon monatelang nichts mehr von
dir gehört.«
»Ich hatte zu tun.«
»Im Büro? Wie läuft es denn so?«
»Es ist aus. Schluß und vorbei.«
»Na, prima.«
»Tatsächlich bin ich seit einiger Zeit in Washington.«
»Das ist ja sogar noch besser!« rief die Schwester begeistert.
»Nein, ist es nicht. Im Gegenteil, schlimmer - am
allerschlimmsten.«
»Aber warum denn, Charlie? Eine gute Anwaltspraxis in der
Hauptstadt der Nation könnte toll für dich sein. Ich weiß, ich
sollte es dir nicht sagen, aber in ein, zwei Tagen wirst du es
selbst erfahren. Ein Freund von der Anwaltskammer in
Nebraska hat mich angerufen: Du hast nicht nur die Prüfung
bestanden, kleiner Bruder, sondern warst auch noch unter den
besten zehn! Was sagst du dazu, du kleines Genie?«
»Es spielt keine Rolle mehr, Schwesterchen - nichts spielt mehr
eine Rolle. Als ich sagte, es sei aus und vorbei, da war das auf
mich und alle Gedanken gemünzt, die ich jemals an eine
Laufbahn als Jurist verschwendet habe. Ich bin erledigt.«
-1 7 7
»Wovon redest du? Geht es um Geld?«
»Nein.«
»Ein Mädchen?«
»Nein, um einen Kerl. Einen Mann.«
»Charlie, ich wäre im Traum nicht darauf gekommen, daß du
...«
»O Gott, das natürlich nicht.«
»Was dann?«
»Weißt du, Schwesterchen, wir sollten vielleicht zusammen
essen gehen.«
»In Washington?'
»Nein, hier. Ich telefoniere unten von der Halle aus. Ich wollte
nicht raufkommen - je weniger du dich in der Öffentlichkeit mit
mir blicken läßt, desto besser für dich. Ich werde erst nach
Hawaii fliegen und dann auf irgendeinem Schiff anheuern.
Vielleicht schaffe ich es bis nach Amerikanisch-Samoa, wo sie,
wenn ich Glück habe, nicht viel von hier mitbekommen ...«
»Bleib wo du bist, Federkopf! Die große Schwester ist schon
auf dem Weg nach unten. Könnte sein, daß sie den ganzen
Unsinn aus dir rausprügelt.«
Wie vor den Kopf geschlagen starrte Jennifer Redwing über
den Tisch hinweg ihren Bruder an -, es hatte ihr die Sprache
verschlagen, und so bemühte Charlie sich, das Schweigen zu
brechen. »Schönes Wetter habt ihr hier in San Francisco.«
»Es regnet in Strömen, du Idiot. Charlie, warum hast du mich
nicht angerufen, ehe du dich mit diesem Irren eingelassen
hast?«
»Ich hab ja dran gedacht, ehrlich, aber ich wußte auch, wie
beschäftigt du bist, und zu Anfang sah ja alles noch nach einem
Riesenjux aus: Es hat uns allen wahnsinnigen Spaß gemacht,
und das Schlitzohr gab das Geld mit vollen Händen aus, und es
kam auch niemand zu Schaden - ein bißchen brenzlig war's für
manche schon, aber richtig zu Schaden gekommen, nein ...
Und dann war es plötzlich überhaupt kein Jux mehr, und ich
war in Washington.«
-1 7 8
»Eine prozeßführende Partei, die unter falscher Vertretung vor
dem Obersten Bundesgericht kämpft, nichts weiter!« unterbrach
ihn die ältere Schwester.
»Das Ganze war ja nur for show, Jenny. Ich hab doch nicht
wirklich was getan. ... mich nur mit zwei von den Richtern
getroffen, ganz form- und zwanglos.«
»Du hast dich mit wem getroffen?«
»Wirklich völlig zwanglos, Schwesterchen, die erinnern sich
bestimmt nicht mehr an mich.«
»Wieso das?«
»Hawkins sagte, ich sollte mich ab und zu in Hirschlederwams
und -hosen in den Wandelgängen blicken lassen, und ich kann
dir sagen, ich bin mir ziemlich albern dabei vorgekommen. Und
eines Tages kommt der große schwarze Richter raus, schüttelt
mir die Hand und sagt: >Ich weiß, wo Sie herkommen, junger
Mann.< Eine Woche später begegnet mir der Italiener auf der
Treppe, legt mir den Arm um die Schulter und sagt irgendwie
traurig: >Diejenigen von uns, die über den großen Teich
gekommen sind, wurden häufig auch nicht besser behandelt als
ihr.<«
»Oh, mein Gott!« murmelte Red Redwing.
»Es war nicht besonders viel los, Schwesterchen«, beeilte der
Bruder sich hinzuzufügen. »Nur ein Haufen Touristen und
Juristen - ganze Trauben.«
»Charlie, ich bin eine erfahrene Anwältin. Ich halte, wie du wohl
weißt, meine Plädoyers vor Gericht. Warum hast du nicht zum
Hörer gegriffen und mich angerufen?«
»Ich denke, zum Teil lag das daran, daß ich wußte, wie sehr du
dich aufregen würdest, aber der eigentliche Grund war, daß ich
glaubte, Mac the Clown durch Reden aus der ganzen
verfahrenen Angelegenheit rausholen zu können. Ich hab ihm
klargemacht, daß der Fall von vornherein verloren sei, und zwar
wegen meiner Situation, die alles das kaputtmachen würde,
was möglicherweise für den Klagesatz und die Beweismittel
spreche ... Ich dachte daran, mich hinzusetzen und eine
-1 7 9
Nichtigkeitserklärung vorzulegen, in der ich mich auf spätere
Erkenntnisse berufen wollte, um ein für allemal alles vom Tisch
zu haben ... Soviel erfuhr ich immerhin, als ich wie ein
unbedarftes Kind durch die geheiligten Hallen wanderte: Man
ist dort schneller dabei, einen Fall unter dem albernsten
Vorwand niederzuschlagen, als Onkel Adlerauge ein Glas
Feuerwasser runterstürzt.«
»Und was hat dieser Hawkins dazu gesagt?«
»Da eben liegt der Hase im Pfeffer: Ich hatte nämlich nie
Gelegenheit, ihm das im einzelnen auseinanderzusetzen. Er
wollte einfach nicht zuhören, er schrie nur rum, und als er mir
schließlich meine Klamotten wiedergab, die Sachen, für die du
mir das Geld geschickt hattest, als ich mein Praktikum antreten
wollte ...«
»Deine Sachen?«
»Das ist wieder eine andere Geschichte. Ich war so dankbar,
sie wiederzubekommen, daß ich einfach abgehauen bin - ich
lief schlicht weg. Wieder dachte ich mir, später rufst du ihn an,
etwa morgen früh, und versuchst, vernünftig mit ihm zu reden.«
»Und hast du es getan?«
»Er war nicht mehr da. Einfach verschwunden. Johnny
Kalbsnase - du erinnerst dich doch noch an Johnny ...?«
»Er ist mir immer noch das Geld für die Kaution schuldig.«
»Naja, Johnny war so eine Art Mädchen für alles in
Sicherheitsangelegenheiten für Mac und erzählte mir, Hawkins
sei nach Boston, hätte jedoch Anweisung hinterlassen, falls
Post oder Anrufe aus Washington für ihn kämen, sollte Johnny
ihn umgehend unter einer Nummer in Weston, Massachusetts,
anrufen - knapp außerhalb von Boston.«
»Ich weiß, wo Weston liegt. Vergiß nicht, daß ich ein paar Jahre
in Harvard war! Du hast ihn also angerufen.«
»Versucht habe ich es. Viermal, und jedesmal war alles, was
ich auf die eine oder andere Weise zu hören bekam, der
hysterische Aufschrei einer Frau, dem völlig
unzusammenhängende wüste Beschimpfungen und Vorwürfe
-1 8 0
folgten, die, glaube ich, irgendwie was mit dem Papst oder
einem Papst zu tun hatten.«
»Das ist nichts Ungewöhnliches in Boston. Die meisten da sind
katholisch. War da nicht sonst noch was?«
»Nein. Schließlich bekam ich dann immer nur noch das
Besetztzeichen zu hören, woraus ich schloß, daß die Dame
einfach den Hörer abgenommen und neben den Apparat gelegt
hatte.«
»Es bedeutet aber auch, daß Hawkins in Boston ist ... Hast du
die Nummer?«
»Ich kenn' sie auswendig.« Er sagte sie her. »Ich bin am
Ende!« »Nein, Charlie, noch nicht«, sagte Jennifer und funkelte
ihren Bruder an. »Ich habe ein gar nicht mal so
uneigennütziges Interesse an der Klemme, in der du steckst.
Ich bin nicht nur deine Schwester, ich bin auch Anwältin, und
was immer im Gesetz steht, in dieser ganzen Angelegenheit
gibt es so was wie Mittäterschaft zuhauf. Außerdem bist du ein
ziemlich netter Kerl, und bei Gott, ich liebe dich.« Sie winkte
einen Kellner herbei. »Bitte, bringen Sie mir ein Telefon, ja,
Mario?«
»Gern doch, Miss Redwing. Ich hole eins.«
»Du wirst mich jahrelang nicht wiedersehen«, jammerte ihr
Bruder. »Wenn ich erst mal in Honolulu oder auf den Fidschi-
Inseln gelandet bin, heuere ich auf irgendeinem Schiff an und
....«
»Ach, hör doch auf, Charlie!« sagte Jennifer, während Mario
den Apparat einstöpselte und ihn ihr dann reichte. Sie wählte,
um im nächsten Augenblick auch schon zu sprechen: »Ich
bin's, Peggy. Und Sie können die Lunchpause auf zwei
Stunden ausdehnen, wenn Sie nur vorher noch ein paar Dinge
für mich erledigen. Als erstes finden Sie bitte Namen und
Adresse der Person heraus, die folgende Rufnummer hat, und
zwar in Weston, Massachusetts.« Sie gab die Nummer durch,
so wie Charlie sie auf eine Serviette schrieb. »Als nächstes
buchen Sie einen Flug nach Boston, für den späten Nachmittag
- ja, ich habe Boston gesagt, und nein, ich werde morgen nicht -1 8 1
im Büro sein. Und um ihre nächste Frage gleich vorwegzunehmen: Ich werde meinen Bruder nicht raufschicken, mich solange zu vertreten. Sie würden ihn mir nur verderben. Ach, und Peg, bestellen Sie mir bitte noch ein Hotelzimmer. Versuchen Sie's mit dem Four Seasons, ich glaube, es liegt an der Boylston Street - wir hatten dort unsere Law Review-Party.« »Jennifer, was tust du?« rief Charlie Redwing, als seine Schwester auflegte. »Ich denke, das liegt doch auf der Hand. Ich fliege nach Boston, und du rührst dich nicht aus meiner Wohnung - du wirst dich zusammenreißen und in der Nähe des Telefons bleiben. Sonst bleibt mir nichts anderes übrig, als dich wegen Betrugs und Nichtbezahlens ausstehender Schulden verhaften zu lassen; vielleicht könnte ich aber auch einen nahen Freund und Mandanten anrufen, dich zu bewachen. Und da würde ich an deiner Stelle eine Gefängniszelle vorziehen: Mein Freund ist ein bärenstarker Footballspieler von den Fortyniners!« »Mit terroristischen Drohungen kannst du mir nicht kommen, ich wiederhole deshalb noch mal: Was zum Teufel bildest du dir ein, tun zu können?« »Ich bin entschlossen, diesen Irren, diesen Hawkins zu finden. Oh, übrigens nicht nur deinetwegen, Charlie, und meinetwegen auch nicht, wohl aber für unser Volk.« »Ich weiß. Die in den Reservaten würden sich kaputt über uns lachen: Das habe ich Mac auch gesagt.« »Weit schlimmer, kleiner Bruder, weit, weit schlimmer. Alles, was du mir erzählt hast, läuft auf eine nicht wieder gutzumachende Katastrophe hinaus. Der Luftwaffenstützpunkt Offutt, Welthauptquartier des Strategie Air Command, liegt nun mal haargenau im Brennpunkt des grandiosen Plans, den dieser irre General ausgeheckt hat. Wie aberwitzig das Ganze auch klingt und zweifellos ist: Bildest du dir etwa ein, diese Goliaths in Washington bleiben bei der leisesten Andeutung einer Bedrohung des SAC auch nur eine Minute still auf ihrem Hintern sitzen?«
-1 8 2
»Was können sie anderes tun, als so lange zu lachen, bis die
Sache aus dem Gericht raus ist, oder sich überhaupt nicht drum
kümmern und mich rösten wegen unbefugten Auftretens als
Anwalt? Ich meine, was können sie schon tun?«
»Neue Gesetze erlassen, Charlie, Gesetze, die das Ende des
ganzen Stammes bedeuten würden. Zunächst mal könnten sie
das Land beschlagnahmen, das wir noch haben, und in der
Folge die darauf wohnenden Menschen in alle
Himmelsrichtungen zwangsumsiedeln. Mein Gott, das hat man
schon für so was vergleichsweise Läppisches wie Autobahnen
getan - selbst für Landstraßen und irgendwelche kleinen
Brücken. Und was ist das verglichen mit den unbegrenzten
Gehaltslisten des SAC?«
»Zwangsumsiedeln?« fragte Charlie kleinlaut.
»Unsere Leute hierhin- und dorthinkarren und in
rattenverseuchten Häusern und netten kleinen Wohnungen
unterbringen, und zwar so weit auseinander, daß sie sich nicht
mehr besuchen können«, erwiderte Jennifer und nickte. »Was
wir, oder sie, im Moment haben, ist zwar kein Paradies, aber
immerhin gehört es uns. Viele von uns haben da ihr ganzes
Leben verbracht, und die meisten sind längst über siebzig oder
achtzig Jahre alt. Das sind die menschlichen Schicksale, die
sich hinter den kalten Regierungsstatistiken verbergen, die
dazu da sein sollen, nationale Interessen zu rechtfertigen.«
»Und so was könnte Washington tun?«
»Für eine Wahlkampfspende? Da brauchen sie nur mit dem
Finger zu schnippen, das ist haufenweise vorgekommen.
Landstraßen und unbedeutende Brücken sind nur ein Tropfen
im Ozean des Steuerzahlers, die Großzügigkeit der Regierung,
sobald es um das SAC geht, ist dagegen der reinste Lake
Superior.«
»Aber noch mal, Schwesterchen: Was glaubst du, in Boston
wirklich ausrichten zu können?«
»Mit diesem General im Ruhestand Schlitten fahren und ihm
zeigen, was eine Harke ist, kleiner Bruder - und mit jedem
seiner Spießgesellen desgleichen.«
-1 8 3
»Aber wie?«
»Mir wird schon was einfallen, aber soviel kann ich dir
garantieren: Was ich denen anhänge, wird dem Wahnsinn, den
sie selbst verbraten, in nichts nachstehen. Sagen wir, eine
Verschwörung, angestellt von den Feinden der Demokratie mit
dem Ziel, den ehrenwerten Giganten in die Knie zu zwingen
und die Erstschlagsfähigkeiten unserer geliebten Vereinigten
Staaten überall auf der Welt zu Fall zu bringen. Dann werde ich
Rechtsterrorismus samt rassistischen Unterströmungen ins
Spiel bringen, untermauert durch Waffenlager, die wir uns
irgendwie aus den Fingern saugen müssen und durch die die
ganze Kabale auf irgendwelche fanatischen Araber und
grollenden Israelis zurückgeführt werden kann - und zwar in
heimlichem Einvernehmen mit den hardliners in Peking samt
den Reverends Moon, Farrakhan und Fallwell, und zu denen
dann noch die Hari-Krishnas, Fidel Castro und die
Friedensbewegten aus der Sesamstraße. Und Gott weiß, wer
sonst noch. Auf unserem Planeten wimmelt es doch nur so von
Skandalen - solchen, die man kennt, und solchen, die man
nicht kennt, die aber sofortige und leidenschaftliche Reaktionen
auslösen. Wir werden im Laufe der Voruntersuchung
garantieren, denen das alles anzuhängen.«
»Der Voruntersuchung?«
»Du hast richtig gehört.«
»Das ist aber doch alles vollkommen hirnverbrannt, Jennifer!«
»Ich weiß, Charlie, aber die sind es auch. In einer freien
Gesellschaft kann jeder gegen jeden klagen, das ist der
Wahnsinn, aber auch das Großartige. Nicht der eigentliche
Rechtsstreit ist entscheidend, sondern die Drohung, etwas ans
Licht der Öffentlichkeit zu zerren ... Mein Gott, ich kann's gar
nicht erwarten, nach Boston zu kommen!«
-1 8 4
10. KAPITEL Desi-Eins klopfte zum drittenmal laut an die Hoteltür und sah
achselzuckend seinen Waffengefährten Desi-Zwo an, der das
Zucken erwiderte. »Vielleicht hat unser loco hombre, der große
General, grad 'n Pulver zum Poofn genommen, no?«
»Wozu?«
»Er ist uns dinero schuldig, ja?«
»Das glaub ich nicht, daß er das tut - und ich will das auch nicht
denkn.«
»Glaubst du etwa, ich, Mann? Aber er hat uns doch gesagt, wir
solln in 'ner Stunde wiederkommen, no?«
»Vielleicht er tot. Vielleicht hat der Gringo, der noch mehr loco
ist und immer so rumschreit, ihn un' den klein' alten Mann
kaltgemacht.«
»Dann soll'n wir vielleicht besser die Tür aufbrechn.«
»Und machn dabei 'n Höllenlärm, daß die Gringo-Polizei uns
hochnimmt und wir wieder für lange, lange Zeit elenden Gringo-
Fraß fressn? Du gut in Plänemachen, amigo, aber du nun mal
nix verstehn von Mechanik, du weißt, was ich mein?«
»Wieso mecánico?«
»He, wir uns geschworn, englisch zu sprechn, ja?« erklärte
Desi-Zwo und zog ein messerähnliches Werkzeug mit vielerlei
Klingen aus der Tasche, das unmöglich zu beschreiben war.
»Damit wir besser >assimiliern<, was immer das sein mag.«
Der Spezialist im Kurzschließen von Chevrolets trat näher an
die Tür heran und blickte einmal vorsichtig den Korridor auf und
ab. »Nich' nötig, Tür einzutretn. Diese klein' Schlösser aus
plástico kein Problem - haben alle klein' plástico-Entsperrer.«
»Wieso weiß du soviel von Hoteltürn, Mann?«
»In Miami hab' ich viel in Hotel gearbeit. Diese Scheiß-Gringos
rufn Zimmerservice, un' bis du mit Tablett obn bist, sie schon zu
betrunkn, um Tür zu findn. Un' wenn du Tablett wieder
-1 8 5
zurückbringst in die Küche, sin' Köche sauer. Iss also besser zu
wissn, wie Tür aufgeht.«
»Iss gute Schule gewesen, ja?«
»Davor hab' ich auf Parkplatz gearbeit'. Maare Maria,
Parkplätze sin' reinste universidades!« Geschäftig zwängte
Desi-Zwo ein längliches weißes Plastikplättchen in den
hochstehenden Schlüsselschlitz und machte behutsam die Tür
auf.«
»Senor?« rief er die Gestalt am Schreibtisch an. »Alles okay mit
Ihn', Mann?«
Wie in Trance saß Sam Devereaux am Schreibtisch und hielt
die Augen gebannt auf die vor ihm liegenden Seiten gerichtet.
»Nett, Sie wiederzusehen«, sagte er wie beiläufig - daß er
sprach, hatte mit seinem angestrengten Denken nicht das
geringste zu tun.
»Wir fast Tür eingeschlagn, Mann!« rief Desi-Eins. »Was 'n los
mit Ihn?«
»Bitte, schlagen Sie mich nicht noch mal nieder«, kam es
diesmal alles andere als ungerührt von Devereaux. »Ich
verkörpere das ganze Gewicht des Gesetzes ...«
»Hey, come on, gringo«, fuhr D-Eins fort und näherte sich dem
Schreibtisch. »War ja nix Persönliches, Mann. Wir nur Befehle
von grande General befolgen.«
»Der grande General hat Hämorrhoiden in der Fresse!«
»Iss aber nich' nett, so was zu sagn«, verwahrte D-Zwo sich,
machte die Tür hinter sich zu und verstaute sein
unbeschreibliches Einbruchwerkzeug wieder in der Tasche.
»Wo sind 'n der General un' der kleine Mann?«
»Was ... wer? Ach, die sind zum Essen gegangen. Warum tun
Sie nicht das gleiche?«
»Weil er gesagt, wir zurück sein in eine Stunde, un' wir gute
soldados.«
»Oh ... na ja, dazu kann ich nichts sagen. Ich bin schließlich
nicht weisungsberechtigt.«
-1 8 6
»Was Sie sagen?« fragte D-Eins, verengte die Augen und faßte
den Juristen ins Auge, als wäre er ein Pantoffeltierchen unterm
Mikroskop.
»Was? Hey, boys, ich habe hier zu tun, und ihr habt recht, ich
nehme überhaupt nichts persönlich. Glaubt mir, ich bin genau
da gewesen, wo ihr jetzt seid.«
»Was soll 'n das wieder heißn?«
»Naja, Mac ist nun mal eine starke Persönlichkeit, und er kann
äußerst überzeugend sein.«
»Was? 'n >Mac 'n Stück Fleisch kann redn?«
»Nix da von MacDonald! MacKenzie - ich nenne ihn nur Mac,
der Kürze wegen.«
»Iss aber nich' kurz, Mann«, erklärte Desi-Zwo. »Er großer
Gringo.«
»Das kommt wohl erschwerend hinzu.« Sam zwinkerte ein
paarmal, lehnte sich auf seinen Drehstuhl zurück und strec kte
den Hals, als gelte es, sich zumindest vorübergehend von der
Last zu befreien, die ihn bedrückte. »Groß, zäh, ruppig und
übermächtig - ein Mann, der es schafft, Leute wie Sie und mich
nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, auch dann, wenn wir es
eigentlich besser wissen sollten. ... Ihr beide, ihr kennt euch in
den Gesetzen der Straße aus und ich im Gesetz ganz
allgemein - und doch schlägt er uns alle.«
»Er schlägt niemand!« erklärte D-Eins mit Nachdruck.
»Das war doch nicht wörtlich gemeint.«
»Iss mir scheißegal, was Sie mein', Mann. Er machen, daß ich
un' mein amigo hier uns besser fühln, was sagn Sie dazu?«
»Dazu fällt mir nichts ein.«
»Wir uns unterhaltn beim Essen von diese miese tacos, die
irgend so ein blonder Gringo weiter unten an der Straße
macht!« ergänzte D-Zwo, »un' wir beide dasselbe gesagt: Iss
okay, dieser loco hombre!«
»Ja, ich weiß«, sagte Devereaux erschöpft und richtete die
Augen wieder auf die Seiten vor sich. »Ihr mögt ihn wirklich
das ist fein.«
-1 8 7
»Woher kommt er, Mann?« fragte Desi-Eins.
»Woher er kommt? Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?
Von der Army, woher sonst?«
Desi-Eins und -Zwo tauschten einen Blick. Dann richtete
ersterer das Wort an letzteren: »Wie wir gesehen in Fenster mit
hübschen Bildern, right, man?«
»Laß dir Namen aufschreibn«, verlangte D-Zwo.
»Okay.« Desi-Eins wandte sich wieder dem beschäftigten
Anwalt zu. »Sie, senor Sam, tun, wie mein amigo sagen!«
»Was soll ich tun?«
»Namen von grande General aufschreiben.« »Aber wozu?«
»Weil, wenn nicht machen, Ihre Finger dann für nix mehr zu
gebrauchn.«
»Aber mit Vergnügen«, sagte Devereaux rasch, nahm einen
Bleistift zur Hand und riß ein Blatt von seinem Block ab. »Da
haben Sie ihn«, setzte er dann noch hinzu, nachdem er
Hawkins Namen und Rang hingeschrieben hatte. »Zu meinem
Leidwesen kenne ich weder seine Adresse noch seine
Telefonnummer, aber Sie können ja später die Gefängnisse
abklappern.«
»Sie redn schlecht von grande General?« fragte Desi-Zwo
argwöhnisch. »Warum Sie ihn nicht mögen? Warum Sie
weglaufen un' ihn anschrein, und versuchn, mit ihm zu
kämpfen, huh?«
»Weil ich ein ganz Schlimmer war, ein ganz großer Bösewicht!«
rief Sam in klagendem Ton und streckte flehend die Hände vor.
»Er war so gut zu mir - ihr habt ja gesehen, wie nett er zu mir
spricht -, und ich war so egoistisch! Das werde ich mir nie
verzeihen, aber ich habe begriffen, daß meine Vorgehensweise
falsch war, und jetzt versuche ich, das wieder gutzumachen,
und tue, was er von mir verlangt ... Morgen gehe ich in die
Kirche und bitte Gott, mir zu verzeihen, schlecht zu dem großen
Mann gewesen zu sein.«
-1 8 8
»He, Senor Sam«, sagte Desi-Zwei, seine Stimme ganz
Verzeihen. »Keiner iss immer perfekt. Jesus. Er das verstehn,
right?«
»Darauf können Sie ihren Rosenkranz verwetten!« erklärte
Devereaux so leise, daß es kaum zu hören war. »Aber da gibt
es eine Nonne, die ich kenne, und die stellt selbst Sein Mitleid
auf eine harte Probe.« »Was Sie da sagn, Mann?«
»Ach, das ist eine amerikanische Redewendung und bedeutet:
Sie haben recht.«
»Das ist cool«, unterbrach Desi-Eins ihn, »aber Desi-Zwo un'
ich, wir müssn schwer nachdenken, und deshalb vamos un'
verlassn uns auf das Wort eines frommen Mannes, daß el
grande General iss okay, wie wir sagen.« »Ich fürchte, ich
verstehe nicht ganz.« »Der grande General schuldet uns
dinero. « »Geld, meinen Sie?«
»Genau das isses, was wir meinen, gringo. Wir wolln ihm ja
trauen, aber wir müssen auch sicher sein, verstehn? Deshalb
Sie sagen grande General, daß wir morgen wiederkomm' um
unser dinero, okay?«
»Okay, aber warum warten Sie nicht einfach auf ihn?«
»Weil, wie ich schon gesagt, wir müssn nachdenkn un' redn ...
un' außerdem wir müssen wissen, daß wir ihm trauen könn'.«
»Ehrlich gesagt, ich verstehe Sie nicht.«
»Auch nicht nötig. Sie ihm nur sagen, was ich sage, okay?«
»Gerne.«
»Komm schon, amigo«, sagte Desi-Eins, streckte die linke
Hand weit aus dem Ärmel hervor, so daß die drei
Armbanduhren sichtbar wurden. »Un' ich sag, man kann sich
heutzutage auf niemand mehr verlasen! Diese Scheiß-Rolex ist
Imitat.«
Mit diesen kryptischen Worten verließen Desi-Eins und -Zwo
die Suite und winkten Sam beim Türzumachen herzlich zu.
Devereaux schüttelte den Kopf, nippte an seinem Brandy und
wandte sich wieder den Faszikeln auf dem Schreibtisch zu.
-1 8 9
Die Morgendämmerung kroch zum nicht geringen Mißvergnügen von Jennifer Redwing, die vergessen hatte, die Vorhänge zuzuziehen, über die östliche Skyline von Boston herauf. Die grellen Strahlen drangen durch ihre Lider und weckten sie ... Vergessen, verdammt! Sie war einfach zu erschossen gewesen, als sie um zwei Uhr morgens, vom Flugplatz kommend, in ihr Hotelzimmer gewankt war. Vier Stunden Schlaf, das reichte nicht einmal für ihre Energie, doch verboten die Umstände ihr, länger im Bett zu bleiben. Sie stand auf, zog die Vorhänge jedenfalls zum Teil vor, knipste die Nachttischlampe an, überflog die Speisekarte für den Zimmerservice und fand, was zu finden sie gehofft hatte. Sie griff also nach dem Telefon, bestellte ein ausgiebiges Frühstück und dachte über den vor ihr liegenden Tag nach. Es ging offenbar nicht anders - sie mußte diesen Schuft von General a. D. MacKenzie Hawkins und den ganzen Abschaum, der hinter ihm stand, einfach ausschalten. Und genau das gedachte sie zu tun: ihn ausschalten, ihn hochgehen lassen und auf sämtlichen juristischen Grilleisen schmoren lassen, egal, welche Winkelzüge sie dabei anwenden mußte, was zu tun sie bisher immer strikt abgelehnt hatte. Aber das war nun etwas anderes. Ihrem Stamm und ihrem Volk für immer dankbar - eine Dankbarkeit, die sie dadurch abtrug, daß sie sich um Finanzen und Investitionen der Wopotami kümmerte und ein Drittel ihres Einkommens auf ein Stammeskonto abführte -, machte es sie fuchsteufelswild, daß Außenstehende es wagen konnten, sich die zugegebenermaßen nicht recht durchschaubare Geschichte und Naivität ihres Volkes aus lauter Gewinnstreben zunutze zu machen! Ihr kleiner Bruder Charlie hatte ja so recht, auch wenn er ihren Zorn mißdeutete. Sie war entschlossen, sie alle miteinander zu verjagen - und zwar von ihrem eigenen, unsäglich korrupten Spielfeld. Das Frühstück kam und damit verbunden ein gewisses Maß an Ruhe. Sie mußte sich konzentrieren. Das einzige, was sie hatte, war eine Telefonnummer und eine Adresse in Weston. Das war nicht viel, aber immerhin: Es war ein Anfang. Warum
-1 9 0
vergingen die Stunden nicht schneller? Verdammt noch mal, sie wollte endlich anfangen! Es war halb sechs Uhr morgens. Sam Devereaux, dem fast die Augen bluteten, war mit der Durchsicht des WopotamiKlagesatzes und des zugehörigen Beweismaterials fertig, und er hatte sich auf seinem Schmierblock siebenunddreißig Seiten Notizen gemacht. Mein Gott, er brauchte Ruhe, und sei es nur, um irgendein Gefühl von Perspektive zu finden, wenn es in dem ganzen irren Schlamassel überhaupt so etwas wie eine Perspektive gab! Ihm schwirrte der Kopf von Hunderten wichtiger und unwichtiger Fakten, Definitionen, Schlußfolgerungen und Widersprüchen. Nur eine gehörige Ruhepause konnte ihm seine oft gepriesene Fähigkeit, logisch zu denken und auch noch den verworrensten Sachverhalt zu durchschauen, wiedergeben. Dabei war diese Fähigkeit so angekratzt, daß er bezweifelte, einen Sanford Soundso durch Reden davon abzubringen, ihn zu vermöbeln und dabei waren sie beide doch erst sechs gewesen, damals auf dem Spielplatz. Was wohl aus diesem Riesenbaby, das sie alle so drangsaliert hatte, geworden war? Bestimmt irgend so ein General bei der Army oder gar ein Terrorist. Nicht unähnlich Madman MacHawkins, der im Moment im Gästezimmer der Hotelsuite schlief und dafür verantwortlich war, daß man Aaron Pinkus und Samuel Lansing Devereaux rund zweihundert einfach katastrophaler Seiten zur Kenntnis gebracht hatte, einem Mann, der einräumte, niemals Richter- oder Anwaltsrobe tragen zu wollen, höchstens als letzten Wunsch, bevor er im Keller des Pentagon erschossen würde, und zwar aufgrund der Befehle des Präsidenten, des Verteidigungsministeriums, der CIA, der DIA und des ultrarechten Traditionsvereins Töchter der amerikanischen Revolution. Und Aaron - armer Aaron! Der mußte sich nicht nur Shirley-mit-dem-gefriergetrockneten-undgestärkten-Pettycoat gegenüber wegen so einer Lappalie wie einer verpaßten Vernissage rechtfertigen - nein, auch er hatte Macs Darlegung des juristischen Sachverhalts gelesen, der an sich schon eine Aufforderung zum Straferlaß war.
-1 9 1
Himmelherrgott noch mal, der SAC! Wenn die Schafsköpfe vom Gericht dem Ersuchen auch nur teilweise Glauben schenkten und in dem Papier wurde nicht nur an das Rechtswesen, sondern auch an das Gewissen appelliert -, dann waren ganze Bereiche, wenn nicht gar der gesamte SAC Eigentum eines winzig kleinen, mittellosen Indianerstamms mit dem völlig absurden Namen Wopotami! Das Gesetz war in dieser Beziehung eindeutig: Sämtliche Bauten und Materialien, die auf illegal sich angeeignetem oder gestohlenem Gelände angelegt waren, gehörten dem oder den Geschädigten. Verflucht und zugenäht! Ruhe dich aus, schlafe vielleicht sogar ein wenig, wenn du es schaffst. Aaron hatte recht gehabt, als er gegen Mittemacht zusammen mit Mac heimgekehrt war und Sam Hawkins mit Fragen und Vorwürfen bombardiert hatte, was zugegebenermaßen verhältnismäßig hysterisch geklungen hatte. »Machen Sie die Sache erst fertig, mein Junge, legen Sie sich schlafen, und dann reden wir morgen darüber. Nichts ist gewonnen, wenn die Bindfäden zu fest gezurrt sind, um die richtigen Aufzeichnungen zu finden: Und um vollkommen ehrlich mit Ihnen zu sein, Gentlemen, mir steht noch ein wenig harmonischer Abend bevor, wenn ich meiner lieben Shirley gegenübertrete. Warum, ach, warum haben Sie diese vermaledeite Vernissage jemals aufs Tapet bringen müssen?« »Ich dachte, Sie würden mir böse sein, wenn Sie dahinterkämen, daß ich mit einem Ihrer betuchtesten Mandanten nicht hingegangen wäre, nur weil dessen Frau immer wieder versucht, mir auf die Pelle zu rücken. Außerdem ich habe Shirley nichts davon gesagt.« «Ich weiß, ich weiß«, gab Aaron sich geschlagen. »Ob sie's mir glauben oder nicht: Ich hab's ihr gesagt - weil ich dachte, es müsse amüsant sein und ließe immerhin auf eine ehrbare Seite Ihres Charakters schließen. Ich könnte Ihnen auf Anhieb fünfhundert Anwälte nennen, die bei der leisesten Aufforderung bereit wären, mit besagter Dame ins Bett zu gehen.« -1 9 2
»Sam ist sogar noch besser als das, Commander Pinkus«, hatte MacKenzie Hawkins sich nicht nehmen lassen zu sagen. »Der junge Mann hat Grundsätze, auch wenn man das nicht immer gleich erkennt.« »General, dürfte ich Sie nochmals ersuchen, sich aus den Gründen, über die wir beim Essen gesprochen haben, von Samuels Antlitz hinwegzuheben? Sie werden feststellen, daß das Gästezimmer äußerst gemütlich ist.« Himmel, ich bin wie gerädert! dachte Devereaux, als er sich aus dem Schreibtischstuhl hochraffte und zum Schlafzimmer hinüberwankte, wobei er nur unbestimmt mitbekam, daß Aaron immerhin so freundlich gewesen war, die Nachttischlampe anzuknipsen. Er machte die Tür fest hinter sich zu und konzentrierte sich auf seine Schuhe: Welchen sollte er zuerst ausziehen, und wie? Doch als er das Bett erreichte und darauf niederfiel, erledigte sich das Problem von selbst. Er schlief sofort ein. Dann erreichte ihn aus fernen Höhlen absoluter Leere ein schriller und nicht nachlassender Alarmruf, der an Lautstärke zunahm, bis Sams persönliche Milchstraße durch eine ganze Reihe von Explosionen zerrissen wurde. Samuel Devereaux griff nach dem Telefon und bemerkte im Hinüberlangen, daß der kristallene Nachttischwecker auf zwanzig vor neun zeigte. »Ja?« murmelte er schlaftrunken. »Hier spricht die Moderation von Fordern Sie Ihr Glück heraus. Sie sind ein ausgesprochener Glückspilz, wissen Sie das überhaupt?« tönte es ihm krächzend aus dem Hörer entgegen. »Heute morgen rufen wir Hotels an, deren Namen auf gut Glück von einer aus unserem fabelhaften Publikum ausgewählten Glücksfee gezogen wird, die Zimmernummer wird blind aus einer zweiten Schale gegriffen, und zwar von derjenigen Dame unseres fabelhaften Publikums, die als letzte Großmutter geworden ist. Und jetzt haben wir Sie an der Strippe, Sie Glückspilz! Sie brauchen nichts weiter zu tun, als uns zu sagen, wer der großgewachsene, bärtige Präsident war, der die berühmte Gettysburg-Ansprache gehalten hat, und Sie haben einen Watashitti-Wäschetrockner von der Mitashovitzu -1 9 3
Company gewonnen, die zufälligerweise diesen fabelhaften
Sender betreibt! Wie also lautet ihre Antwort, Sie fabelhafter
Glückspilz?«
»Mach's dir selber!« zischte Sam und blinzelte die helle Sonne
an, die durch die Fenster hereinschien.
»Schnitt! Hol doch endlich wer die jonglierenden Zwerge und ab
damit vors Publikum ...!«
Devereaux legte auf und stöhnte. Er mußte aufstehen und
seine Notizen durchsehen - keine besonders reizvolle Aussicht.
Es gab überhaupt nichts Reizvolles in absehbarer Zukunft, die
voller schwarzer Löcher war, die ihn zu verschlucken drohten,
und endlosen, bodenlosen Abgründen. Verdammt noch mal,
Hawkins! Warum hatte dieser Irrwitz von einem Soldaten
abermals in sein Leben treten müssen? Wo steckte der Kerl
überhaupt? Es sah diesem Schliff und Drill liebenden Streitroß
überhaupt nicht ähnlich, den Morgen mit weniger denn einem
mit höchster Lautstärke heraustrompeteten Schlachtruf zu
begrüßen. Vielleicht war er friedlich entschlafen - nein,
manches war einfach zu schön, als daß man realistischerweise
darauf hoffen konnte. Mac würde für immer weitermachen und
eine Generation von friedfertigen Unschuldigen nach der
anderen in Angst und Schrecken versetzen! Gleichviel,
Schweigen und MacKenzie Hawkins, das ergab ein
gefährliches Gespann: ein lautloses Raubtier - das verhieß
nichts Gutes! Sam stand auf. Es erstaunte, aber wunderte ihn
nicht festzustellen, daß er seine Schuhe anhatte, und
unsicheren Schritts ging er zur Tür. Vorsichtig machte er sie auf
- und sah niemand anderen als den Irren im Bademantel hinter Aarons Schreibtisch hocken, wo er eigentlich ganz so aussah wie ein gütiger alter Opa, der durch seine Stahlbrille den ebenso unseligen wie ruchlosen Klagesatz durchsah. »Bei der Morgenlektüre, Mac?« sagte Devereaux sarkastisch, als er den Salon der Suite betrat.
»Ach, hallo, Sam, mein Lieber!« grüßte der Falke ihn
wärmstens und nahm die Brille ab, als wäre er ein sanftmütiger
-1 9 4
emeritierter Professor. »Gut geschlafen? Ich habe Sie gar nicht
aufstehen hören.«
»Auf diesen alten Trick falle ich nicht herein, Sie hinterhältige
Python, Sie! Wahrscheinlich haben Sie jeden Atemzug
mitgekriegt, den ich getan habe, und wenn es Bäume hier drin
gäbe und dunkel wäre, könnte ich mir sicher sein, ein
Würgeisen um den Hals zu bekommen.«
»Aber, aber, mein Sohn, Sie beurteilen mich vollkommen
falsch, und lassen Sie mich Ihnen sagen, daß mir das
ausgesprochen wehtut!«
»Nur jemand, der absolut größenwahnsinnig ist, bringt es fertig,
bei einer solchen Unschuldsbeteuerung in einem Satz dreimal
von sich selbst zu sprechen!«
»Wir alle ändern uns, mein Junge!«
»Der Leopard ist bei seiner Geburt gefleckt und ist es auch
noch, wenn er stirbt. Und Sie sind ein Leopard.«
»Darauf soll ich mir wohl noch was einbilden, was? Jedenfalls
immer noch besser, als >hinterhältige Python< genannt zu
werden. Drüben auf dem Tisch stehen Kaffee und Saft sowie
etwas Gebäck. Nehmen Sie sich was, das treibt den
morgendlichen Blutzuckerspiegel etwas in die Höhe - und das
ist verdammt wichtig, wie Sie sehr wohl wissen.«
»Ach, beschäftigen Sie sich jetzt mit Geriatrie?« fragte
Devereaux, trat an den vom Zimmerservice hereingerollten
Teewagen und schenkte sich schwarzen Kaffee ein.
»Verkaufen Sie Eingeborenen jetzt Stärkungsmittel?«
»Auch ich werde nicht jünger, Sam«, antwortete Hawkins mit
einem Hauch von Trauer in der Stimme.
»Gerade darüber habe ich eben intensiv nachgedacht, und
wissen Sie, zu was für einem Schluß ich gekommen bin? Ich
bin zu dem Schluß gekommen, daß Sie ewig leben werden
eine ewigwährende Bedrohung unseres Planeten.«
»Das nenne ich eine eindrucksvolle Einschätzung, mein Sohn.
Es gibt gute und schlechte Bedrohungen - und vielen Dank für
den Status, den Sie mir zubilligen.«
-1 9 5
»Himmel, Sie sind unmöglich!« murmelte Devereaux, trug
seinen Kaffee zum Schreibtisch und nahm Platz. »Mac, woher
haben Sie dieses Material? Wie sind Sie da rangekommen?
Wer hat diesen Klagesatz erstellt?«
»Ach, habe ich das nicht erwähnt?«
»Falls Sie es gesagt haben, muß mich mein Schockzustand
daran gehindert haben, es wahrzunehmen. Fangen wir mit dem
Material aus den Geheimarchiven an. Wie?«
»Ach, Sam, sie müssen die psychologischen Manifestationen
derer, die sich im Weinberg unserer Regierung abrackern,
verstehen, und zwar der Zivilisten wie der Militärs
gleichermaßen. Versuchen Sie doch, die paradoxe Situation zu
begreifen, in der wir uns nach langen Dienstjahren befinden ...«
»Den Präambelkäse können Sie sich schenken, Mac!« fiel
Devereaux ihm hart ins Wort. »Raus damit!«
»Wir werden in die Zange genommen!«
»Das nenne ich einigermaßen deutlich ausgedrückt.«
»Wir verdienen nur noch die Hälfte, falls überhaupt, von dem,
was wir in der Privatwirtschaft verdienen könnten, und die
meisten von uns glauben, daß wir etwas machen, das genauso
wichtig ist wie finanzieller Gewinn. Man nennt so was einen
Beitrag leisten! Einen Beitrag leisten für Erhalt und Ausbau
eines Systems, an das wir glauben ...«
»Halt, Mac. All das habe ich schon mal gehört! Sie beziehen
doch allesamt saftige Pensionen und haben reichlich
Ruhestandsvergünstigungen.«
»Das trifft nur auf ganz wenige von uns zu, Sam, nicht auf die
überwältigende Mehrheit.«
»Na, schön«, sagte Devereaux, nippte an seinem Kaffee und
sah den Falken offen an. »Das will ich zugeben. Ich habe kaum
drei Stunden geschlafen, fühle mich wie gerädert, und Sie sind
ein leichtes Ziel. Aber: Wie sind Sie an dieses Archivmaterial
rangekommen?«
-1 9 6
»Erinnern Sie sich noch an Brokey Brokemichael - nicht
Ethelred, sondern Heseltine, den, dem Sie diesen
Drogenhandel angehängt haben?«
»Und wenn ich vierhundert Jahre alt werde, werde ich diese
lächerlichen Namen mit ins Grab nehmen ... Und falls ich Ihr
gutes Gedächtnis bemühen darf: Sie oder er waren es, die mich
auf den Weg zur Hölle und zu General Luzifer brachten, indem
sie mich mit ein paar tausend Top-Secret-Unterlagen aus der
Datenbank rausmarschieren ließen.«
»Yeah, da besteht in gewisser Hinsicht wirklich eine
Verbindung. Verstehen Sie, als die Army Brokey nicht seinen
dritten Stern geben wollte - und zwar wegen Ihnen und einer
gewissen Namensverwechslung, mein Herr -, setzte er sich
aufs hohe Roß und erklärte: Ich gehe. Aber selbst die Army hat
so etwas wie ein Gewissen und nicht nur Beziehungen. Man
kann eine verfluchte militärische Legende nicht einfach
abhalftern und in die Wüste schicken. MacArthur trat vor dem
Kongreß als sein Fürsprecher auf. Ich meine, Brokey hat sein
einschlägiges Wissen schließlich nicht an eine ausländische
Regierung verkauft, um sich was auf die hohe Kante legen zu
können. Also haben sich die Jungs vom
Verteidigungsministerium nach einem Job für den alten Brokey
umgesehen, etwas nicht allzu Anspruchsvolles im Ministerium,
das aber dennoch ein schönes Zubrot gewährleistete. Damit
Brokey seine Ruhestandsbezüge aufbessern konnte. Beides
hatte er sich schließlich redlich verdient.«
»Das können Sie mir doch nicht weismachen!« unterbrach Sam
ihn. »Doch nicht etwa das Büro für Indianerangelegenheiten?
Diesen Spitzenjob?«
»Ich habe Sie immer für den intelligentesten Lieutenant mit der
raschesten Auffassungsgabe gehalten, dem ich je begegnet
bin, mein Sohn.«
»Ich war Major.«
»Nur auf Zeit, und rangmäßig zurückgestuft von Heseltines
Freunden. Haben Sie Ihre Entlassungspapiere nie gelesen?«
-1 9 7
»Nur meinen Namen und das Datum ... Offensichtlich hielt es
also Brokey - der bei seinen in der Schlacht
zusammengeschweißten Kameraden im Ehrenwort stand - für
nötig, etwas frische Luft in ein paar modrige Archive
reinzulassen und einige Bände versiegelter Unterlagen
durchzuschnüffeln.«
»Ah, aber so zufällig geschah das nun auch wieder nicht,
Sam«, verwahrte der Falke sich. »Es war eine Menge
Ermittlungsarbeit zu verrichten, ehe sich dieses Vorgehen als
unumgänglich erwies. Natürlich hatte die Tatsache, daß Brokey
auf diesem Stuhl saß, eine gewisse anregende Wirkung, und
ich kann nicht leugnen, daß der Zugang zu all diesen
Dokumenten der Indianergeschichte nicht hilfreich gewesen
wäre, aber es waren monatelange Nachforschungen nötig, um
hinter ein paar höchst sonderbar riechende Schwindeleien zu
kommen, die ebenso entschiedenes wie aggressives Handeln
erforderlich machten.«
»Handeln, gleichbedeutend mit gewaltsamem und illegalem
Eindringen in Geheimarchive, und zwar ohne jede juristische
Ermächtigung oder einen Durchsuchungsbefehl, wie sie jeder
Partei, die eine einigermaßen glaubhafte Sache vertritt, zur
Verfügung stehen?«
»Ach, mein Sohn, Sie wissen, daß manche Aufgaben besser
außerhalb des Rampenlichts durchgeführt werden, falls Sie
verstehen, was ich meine.«
»Wie zum Beispiel ein Bankein- oder Gefängnisausbruch.«
»Nun, das ist zu hart ausgedrückt. Das sind ja regelrechte
kriminelle Handlungen, hier hingegen handelt es sich darum,
ein ausgemachtes Riesenverbrechen zu korrigieren.«
»Und wer hat das alles erstellt?«
»Was meinen Sie?«
»Wer das alles zusammengestellt hat? Wer verantwortlich ist
für den Aufbau, den Wortlaut, die Argumente und die
Einschätzungen ... die konkrete Widerlegung des Status quo?«
»Ach, das war nicht schwer, nur zeitraubend.«
-1 9 8
»Wie bitte?«
»Himmel, den Gesetzbüchern nach müssen alle möglichen
Formulare benutzt werden, dazu kommt eine hochgestochene
Sprache, die einfache Sachverhalte so weit kompliziert, daß
man den Verstand verlieren kann bei dem Versuch, sie noch zu
begreifen. Dabei liest es sich dann immer hochoffiziell.« »Sie
hätten das gemacht?«
»Aber gewiß doch! Ich habe mich gewissermaßen rückwärts
vorgearbeitet, vom Einfachen zum Obskuren, und
zwischendurch immer ein bißchen von Herzen empfundene
Entrüstung einfliegen lassen.«
»Herrgott im Himmel!«
»Sie verschütten Ihren Kaffee, Sam.«
»Es handelt sich um einen Klagesatz, wie er im Lehrbuch
steht.«
»Naja, ich weiß nicht recht, aber vielen Dank für die Blumen,
mein Sohn. Ich habe immer nur einen Satz nach dem anderen
geschrieben und dabei alles in den Gesetzbüchern überprüft.
Himmel, das kann doch jeder schreiben, wenn ihm
einundzwanzig freie Monate zur Verfügung stehen und er über
dem ganzen faulen Zauber nicht den Verstand verliert. Wissen
Sie, manchmal hat es mich eine ganze Woche gekostet, nur
eine halbe Seite so zu formulieren, daß sie hieb- und stichfest
und für mein Gefühl der richtige Ton getroffen war ... jetzt
haben Sie den Rest Ihres Kaffees verschüttet, mein Junge.«
»Ich bin Nebelschwaden, weiter nichts«, sagte Devereaux mit
zitternder Stimme, als er sich - der ganze Hosenzwickel
pitschnaß - von seinem Stuhl erhob. »Es gibt mich nicht mehr.
Ich bin nichts weiter als ein Aspekt noch unentdeckter
Dimensionen, wo Augen und Ohren ununterschiedlich in
Spiralen treiben, sehen und hören, ohne indes von Form oder
Materie noch eine Ahnung zu haben, so daß die Realität selbst
eine Abstraktion ist.«
»Das klingt gut, Sam. Wenn Sie jetzt die Güte hätten, ein paar
>wohingegen< und >Parteien ersten und zweiten Grades<
-1 9 9
einzufügen, könnten Sie es dem Gericht unterbreiten. Alles in
Ordnung mit ihnen, Junge?«
»Nein, nichts ist in Ordnung mit mir«, erwiderte Devereaux in
einem Ton, der nicht anders als säuselnd sanft genannt werden
konnte. »Aber ich muß wieder zu Verstand kommen, muß mein
Karma wiederfinden, um noch einen Tag durchzustehen, um
die Schatten im Licht wiederzufinden.«
»Die Schatten wo? Haben Sie irgendwelche komischen
Zigaretten in diesem Schlafzimmer versteckt?«
»Sprechen Sie nicht von Dingen, die Ihnen über den Verstand
gehen, Sir Neandertal. Ich bin ein waidwunder Adler, der hoch
und immer höher in den Himmel aufsteigt, um sich endgültig
von der Erde zu lösen.«
»He, Sam, das ist gut. Ich meine, genauso reden Indianer!«
»Ach, Sie können mich mal!«
»Jetzt haben Sie den Zauber gebrochen, mein Sohn. Eine
solche Sprache dulden die Stammesältesten nicht.«
»Nun, so vernimm denn dies, angelsächsischer Unhold!« rief
Sam plötzlich gellend, um sich dann jedoch unvermittelt wieder
zu fangen und fortzufahren in der Tönhöhe seiner vorherigen
Suche nach dem Karma. »Ich erinnere mich genau an Aarons
Worte: >Wir werden morgen reden<, genau das hat er gesagt,
und morgen an sich beinhaltet noch keine genaue Zeitangabe.
Daher deute ich als zweiter Beteiligter, dessen Ansichten
gefordert wurden, morgen als eine große Bandbreite von
Stunden, gemeint sein kann der ganze Tag bis zu der Stunde,
da das Dunkel sich herniedersenkt.«
»Sam, könnte ich bitte einen Eisbeutel und ein Aspirin haben
oder vielleicht auch einen Schluck von diesem edlen Brandy?«
»Nein, können Sie nicht, Sie Krankheitsträger und Pesterreger
des Planeten. Sie werden sich jetzt anhören, zu was ich
entschlossen bin.«
»Entschlossen? Das ist wieder meine Sprache, mein Junge.«
»Halten Sie den Mund!« fuhr Devereaux fort, ging spornstreichs
auf die Tür zu und drehte sich um, wobei ersichtlich wurde, daß
-2 0 0
sich der Kaffeefleck auf seiner hellen Hose bösartig
ausgebreitet hatte. »Ich bestimme hiermit, daß die Stunde
unserer Besprechung post meridiem stattfindet, wobei der
genaue Zeitpunkt noch übers Telefon abzustimmen wäre.«
»Wohin gehen Sie, mein Sohn?«
»Dorthin, wo ich meine Gedanken sammeln kann. Ich muß über
furchtbar viel nachdenken, Mr. Monster. Ich ziehe mich jetzt
zurück in meine Höhle, werde eine geschlagene Stunde lang
heiß duschen, mich dann in meinem Lieblingssessel
niederlassen und nachdenken. Au revoir, mein Herzensfeind.
Es muß leider sein.«
»Was?«
»Bis später, General Arschloch!« Samuel Lansing Devereaux
trat auf den Hotelkorridor hinaus, schloß die Tür hinter sich und
ging auf die Aufzüge zu seiner Rechten zu. Nachdem er sein
begrenztes Französischrepertoire an den Falken verschwendet
hatte, wandten seine Gedanken sich wieder flüchtig Anouilh
und der Schlußfolgerung des Dramatikers zu, daß es Zeiten
gebe, wo einem nichts anderes übrigbliebe als zu schreien.
Einer von diesen Augenblicken schien jetzt gekommen, doch
weigerte Sam sich, der Versuchung nachzugeben. Er drückte
auf den Abwärts-Knopf, wiewohl alles in ihm danach schrie,
nichts zu tun und zu bleiben, wo er war.
Die Aufzugtüren glitten auf, Devereaux nickte kurz und
automatisch dem einzigen anderen Fahrgast, einer Frau, zu.
Und dann sah er sie an. Unversehens zuckte ein Blitz vor
seinen Augen und krachten Donner in seinen Ohren, während
gleichzeitig Leben und Blut zurück in den wandelnden
Leichnam schössen, der er wenige Sekunden zuvor noch
gewesen war. Sie war überwältigend. Eine bronzefarbene
Aphrodite mit schimmerndem dunklen Haar und glutvollen
Augen von bestürzend heller Farbe, mit einem Gesicht und
einem Leib wie von Bernini! Als er sie anstarrte, senkte sie
sittsam den Blick, bis dieser sich auf den feuchten Fleck
verirrte, der den Schritt seiner Hose dunkel färbte. Für Sam war
alles vergessen bis auf die Schönheit. Sich dennoch der
-2 0 1
Tatsache bewußt, daß ihm die Knie weich wurden, sprach
Devereaux.
»Wollen Sie mich heiraten?« fragte Sam.
-2 0 2
11. KAPITEL »Einen Schritt weiter, und Sie können einen Monat lang nicht mehr sehen!« Mit einer Schnelligkeit, als wäre sie ein ausgebildeter Lockvogel der Polizei, riß die umwerfend aussehende, tiefgebräunte Frau ihre Handtasche auf und holte einen kleinen Metallzylinder heraus. Mit ausgestrecktem Arm hielt sie ihn vor sich hin - die chemische Keule sprühbereit kaum einen Meter von Devereaux' Gesicht entfernt. »Nicht doch!« rief Sam, die Hände in der überzeugendsten Geste der Ergebung hoch über den Kopf erhoben. »Tut mir leid, bitte, vergeben Sie mir! Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, das zu sagen ... es ist mir nur so rausgerutscht, ich war so gestreßt und erschöpft ... da ist es einfach so passiert.« »Offenbar ist aber auch sonst noch was mit Ihnen passiert«, sagte die Frau eiskalt, während ihr Blick wieder zu seiner Hose runterrutschte. »Was?« Sam sah, was sie meinte. »Oh, mein Gott, der Kaffee, es war Kaffee, ist nur Kaffee. Verstehen Sie, ich habe die ganze Nacht durchgearbeitet: Ich hatte so einen verrückten Mandanten - auch wenn Sie's mir nicht glauben, aber ich bin von Beruf Anwalt -, einen Mandanten, der mich die Wände hochgehen läßt. Ich war gerade dabei, Kaffee zu trinken, als ich ihn einfach keine Minute länger ertragen konnte, und da habe ich die Tasse verschüttet. Ich wollte bloß raus da, sehen Sie, ich war so sehr in Eile, daß ich sogar mein Jackett vergessen habe.« Unvermittelt hielt Devereaux inne; ihm fiel wieder ein, warum er sein Jackett nicht trug - das hatte irgend so ein bärtiger Grieche. »Tatsächlich ... ach, lassen wir das. Es ist alles so grotesk.« »Der Gedanke ist mir auch schon gekommen«, sagte die Frau, faßte Sam genauer ins Auge und steckte, da sie meinte, nichts weiter befürchten zu müssen, die chemische Keule zurück in ihre Handtasche. »Wenn Sie wirklich Anwalt sind, sollten Sie sich meiner Meinung nach Hilfe holen, ehe das Gericht darauf besteht, daß Sie es tun.« -2 0 3
»Ich gelte als besonders guter Anwalt«, versuchte Devereaux
sich zu verteidigen und reckte sich zu voller Größe auf, wobei
der Eindruck etwas unter den fahrigen Bewegungen der Hände
litt, die mit nur geringem Erfolg versuchten, die Schande weiter
unten zu verbergen.
»Wo? In Amerikanisch-Samoa?«
»Wie bitte?«
»Ach, nichts weiter. Sie erinnern mich an jemand.«
»Nun«, begann Sam vielleicht nicht mehr ganz so verkrampft,
aber dennoch ehrlich verlegen, »der ist bestimmt nicht der Idiot,
als der ich Ihnen im Moment vorkommen muß.«
»Wenn das eine Wette ist, würde ich darauf keinen Haufen
Geld setzen.« Der Aufzug fing sich, um anzuhalten. »Keinen
Vierteldollar würde ich darauf wetten«, erklärte die Frau leise,
als die Tür aufglitt.
»Tut mir wirklich leid«, wiederholte Devereaux, als sie
ausstiegen und die Hotellobby betraten.
»Ist schon in Ordnung. Übrigens war die chemische Keule
keine Attrappe, nur hab ich sie bis jetzt noch nie benutzt.«
»Dann müssen die Bostoner Männer keine Augen im Kopf
haben«, erklärte Sam strahlend, aber ohne Arg. Die
Feststellung hatte nichts Schmieriges.
»Sie erinnern mich wirklich an ihn.«
»Hoffentlich ist die Ähnlichkeit nicht zu unangenehm.«
»Im Moment so mezzo ... Falls Sie so früh schon zu einer
Besprechung wollten, sollten Sie sich allerdings eine andere
Hose anziehen.«
»Oh, nein! Der gestreßte Diener des Gesetzes nimmt sich jetzt
ein Taxi und fährt nach Hause, um sich vor dem nächsten
Eiertanz noch etwas aufs Ohr zu legen.«
»Ich nehme mir auch ein Taxi.«
»Lassen Sie mich dem Portier eine Kleinigkeit überreichen, um
meine Entschuldigung mit ein paar Dollar zu unterstreichen.«
»Hübsch gesagt - vielleicht sind sie wirklich ein guter Anwalt.«
-2 0 4
»Jedenfalls kein schlechter. Ich wünschte, Sie brauchten
gerade einen.«
»Tut mir leid, juristisches Genie, aber wir haben da ein
Überangebot.«
Nachdem er dem Portier, wie versprochen, etwas zugesteckt
hatte, und sie auf dem Bürgersteig standen, hielt Devereaux ihr
schließlich den Wagenschlag ihres Taxis auf, und sie stieg ein.
»Wenn ich bedenke, wie eselhaft ich mich benommen habe,
muß ich wohl annehmen, daß Sie keine Lust haben, mich
wiederzusehen?«
»Ihr Benehmen stört mich nicht, Herr Anwalt«, antwortete die
Sirene seiner Morgenträumereien, als sie wiederum ihre
Handtasche aufmachte, diesmal freilich, um - zu Sams
Erleichterung -einen Zettel herauszuziehen, »aber ich bin nur
für ein, zwei Tage hier, und bei Gericht jagt für mich ein Termin
den anderen.«
»Wie schade«, sagte Devereaux verdattert. Dann wandte die
Dame seiner Morgensonne sich an den Fahrer und nannte ihm
die Adresse, zu der sie wollte. »Himmel!« flüsterte Sam
geschockt, als er unwillkürlich die Tür zumachte.
Besprechung ... juristisches Genie ... Herr Anwalt ...
Gerichtstermine! Die Adresse, die das Luder genannt hatte, war
seine!
Auf seinem Sessel im Oval Office eifrig den Oberkörper
vorschiebend, war der Präsident der Vereinigten Staaten
verärgert, wirklich verärgert, und so packte er das Telefon in
seiner Hand fester. »Aber nun mach schon, Reebock! Gib ein
bißchen nach, du Welpe einer läufigen Hündin! Eine gewisse
Verantwortung muß das Gericht doch auch übernehmen, sofern
auch nur die geringste Möglichkeit besteht, daß diese
aggressiven Karibikinseln uns einen vor den Bug feuern - von
den Supermächten in Mittelamerika mal ganz zu schweigen.«
»Mr. Präsident«, intonierte der Generalbundesanwalt, dessen
sonore Sprechweise ein wenig darunter litt, daß er leicht
näselte. »Unser rechtsstaatliches System erfordert eine rasche
Ahndung von Straftaten, wobei begangenes Unrecht
-2 0 5
augenblicklich und angemessen wiedergutzumachen ist.
Deshalb müssen die Wopotami-Anhörungen auch öffentlich
vonstatten gehen. Um es einmal sehr persönlich auszudrücken:
>Verschleppte Gerechtigkeit ist verweigerte Gerechtigkeit.<«
»Diese Binsenweisheit kenne ich - der Satz stammt nicht von
dir.« »Ach, wirklich? Nun, dann habe ich, wen auch immer,
zweifellos dazu inspiriert. Ich bin für so was bekannt, hab ich
mir sagen lassen.«
»Schon gut, so ähnlich jedenfalls, Mr. Generalbundesanwalt ...«
»Daß ich Leute inspiriere, meinen Sie?« fiel ihm der
Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs ins Wort. »Erzählen
Sie!«
»Nein, es geht um Dinge, für die Sie bekannt sind«, korrigierte
ihn der Präsident. »Ich bin gerade von Vincent Mangee ...
Manga ... dem Mann von der CIA angerufen worden.«
»In meinen früheren Tagen als Staatsanwalt, Mr. Präsident, war
er unter dem Namen Vinnie Bum-Bum bekannt.«
»Willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Mit solchen Beinamen treibt man keine Scherze, Sir.«
»Ja, vermutlich nicht. Meine Fresse, das hört sich an, als
könnte das sein ganzes Oxford-Examen entwerten.«
»Wo soll er seinen Grad erworben haben?«
»Tut doch nichts zur Sache, Reebock. Komisch nur, daß du
deine Anfänge als junger Staatsanwalt erwähnst ...«
»Als sehr junger Staatsanwalt, Mr. Präsident!« fiel der
Generalbundesanwalt ihm vorsichtshalber ins Wort.
»Ja, darüber ist Vincent sich im klaren. Er hat sogar gesagt,
wahrscheinlich spielt das heute keine Rolle mehr - heute, das
heißt, so viele Jahre später, aber höllisch aufpassen müssen
wir alle, denn diese Wopotami-Sache wird eine landesweite
Diskussion auslösen. Ich meine, das ist etwas, das uns ganz
schwer im Magen liegen kann.«
»Ich fürchte, das ist ihr Problem, Mr. Präsident. Oder sollte ich
sagen, es geht um die gemeinsame Verantwortung von
Exekutive und Legislative?« Der Generalbundesanwalt hielt
-2 0 6
inne, um dann, leicht grinsend, noch hinzuzufügen: »Das ist Ihr
Bier, Sie Mann am Klavier.«
»Reebock - das will ich nicht gehört haben.«
»Tut mir schrecklich leid, Mr. Präsident. Ich hab da wohl was in
den falschen Hals gekriegt ... Ich versuche ja nur zu erklären,
daß wir als Gericht nicht von uns aus tätig werden. Wir machen
die Gesetze nicht, sondern legen sie aus und verschaffen ihnen
Geltung. Und wie Sie wissen, haben einige Richter stark den
Eindruck, daß der Wopotami-Fall fest auf verfassungsmäßigem
Recht gründet. Zu einer endgültigen Entscheidung haben sie
sich jedoch noch nicht durchringen können. Aber wollte man
durchsetzen, daß die Anhörungen hinter verschlossenen Türen
stattfinden, ließe sich daraus der Schluß ziehen, daß man diese
großartige Darlegung des Sachverhalts verdrehen will, wie es
die dreckigen Liberalen tun, ohne ihm gerecht zu werden.«
»Menschenskind, weiß ich doch!« sagte der Präsident in
quengelndem Tonfall, »aber das genau bringt Vincent ja so in
Rage. Die Gelehrten werden sich mit allen möglichen
individuellen Ansichten auseinandersetzen. Hinzu kommen
Journalisten, Redakteure und Leitartikler - und zum Schluß gibt
jeder Hinz und Kunz seinen Senf dazu. Und das kann dich in
Schwierigkeiten bringen, Reebock.«
»Mich? Ich stehe doch nicht hinter diesem verdammten Ding!
Meine Kollegen mit der richtigen Einstellung und ich werden
uns streiten, bis die scheinheiligen Idioten, die uns ständig mit
diesem Quatsch von einem >kollektiven Gewissen< kommen,
erledigt sind und wir sie begraben können. Mein Gott, glauben
Sie etwa, ich würde diesen pfeilgeilen Eingeborenen auch nur
fünf Penny in den Rachen schmeißen? Die sind doch nicht
besser als die Neger!«
»Genau das hat Vincent befürchtet ...«
»Befürchtet ... was?«
»Offenbar ist es so, daß sich aus den Verurteilungen, die in die
Zeit fallen, da du ein junger Staatsanwalt warst, herauslesen
läßt ...«
-2 0 7
»Ja, und zwar mit einer Rekordzahl von Verurteilungen, auf die
sie alle neidisch waren.«
»Und bei denen es sich ausschließlich um Schwarze und um
Puertoricaner handelte«, ergänzte der Präsident.
»Himmel ja, und ob ich die beim Schlafittchen gekriegt habe!
Das waren doch genau diejenigen, die die ganzen Verbrechen
begangen haben.«
»Alle?«
»Sagen wir mal so: Diejenigen, die ich zum Wohle Amerikas
verfolgen wollte. Wer vorbestraft war, hatte keine Chance.«
»Auch das hat Vincent befürchtet.«
»Worauf wollen Sie hinaus, Mr. Präsident?«
»Offen gestanden ist es so, daß Vincent die Hand über dich zu
halten versucht, deinen Platz in der Geschichte schützen will.«
»Was?« »Obwohl der strengste aller strengen
Gesetzesausleger, bist du gegen die Wopotami: Man hat mir
gesagt, du hättest dich geweigert, den Klagesatz auch nur zu
lesen! Liegt das daran, daß sie in deinen Augen >nicht besser
sind als Neger Willst du wirklich als der rassistische
Generalbundesanwalt der Vereinigten Staaten in die
Geschichtsbücher eingehen, der bei einer weithin beachteten
Urteilsentscheidung seine Stimme wegen der Hautfarbe des
Klägers wider besseres Wissen abgegeben hat?«
»Wer kommt denn auf solche Gedanken?« fragte der
zunehmend in Verwirrung geratene Generalbundesanwalt.
»Meine Verhöre werden von einem tiefen Mitgefühl zeugen,
das praktisch nur angesichts der herrschenden Realitäten
hintanstehen muß: Ich bin fest überzeugt, daß wir so die
Mehrheit des Gerichts bekommen. Amerika wird das verstehen.
Die Anhörungen müssen öffentlich erfolgen.«
»Denkst du denn, diese sterile Scheiße hält der aus den
Prozeßakten ersichtlichen Praxis stand, daß du als junger
stellvertretender Staatsanwalt farbige Minderheiten über
Gebühr streng bestraft hast - zumal, wenn aus den Unterlagen
hervorgeht, daß du in der Regel Pflichtverteidiger ausgesucht
-2 0 8
hast, von denen kaum einer praktische Gerichtserfahrung
hatte?«
»Oh, mein Gott! Diese Unterlagen könnten ausgegraben
werden und an die Öffentlichkeit gelangen?«
»Nicht, wenn du Vincent Zeit gibst, sie verschwinden zu lassen.
Was selbstverständlich nur im nationalen Interesse geschehen
würde.«
»Das könnte er tun?«
»Ja, er sagt, so was schafft er.«
»Die Zeit? Ich weiß nicht, wie meine Kollegen reagieren, wenn
ich die Anhörung hinauszögere. Es darf unmöglich so
aussehen, als ob ich mich sträubte: Das könnte - und da sei der
Himmel vor! - Verdacht erregen.«
»Auch dafür hat Vincent Verständnis. Er weiß, daß du etliche
Richter in deinem Kollegium sitzen hast, die deine Aprikosen
nicht ausstehen können - soweit ich weiß, ist das ein sehr
abfälliger Ausdruck, Reebock.«
»Himmel, ich bin erledigt, bloß weil ich das Richtige tue.«
»Aus den falschen Gründen, Herr Generalbundesanwalt.
Vincent verläßt sich darauf. Was soll ich ihm sagen?«
»Wie lange braucht er, bis er das ... sagen wir,
mißverständliche Material, das zu falschen Schlußfolgerungen
führen könnte, beseitigt hat?«
»Wenn er seine Sache wirklich gründlich machen will, ein Jahr,
sagt er.«
»Das Gericht würde toben.«
»Aber er begnügt sich auch mit einer Woche.«
»Dann tun Sie, was Sie nicht lassen können.«
»Er schafft das schon.«
Mangecavallo lehnte sich auf seinem Sessel zurück und setzte
- vorläufig erst mal zufriedengestellt - seine Monte-CristoZigarre neuerlich in Brand. Er hatte den Silberstreif am Horizont schon erspäht, als alle anderen, und nicht zuletzt Hymie the Hurricane, nichts weiter gesehen hatten als dunkle Wolken der -2 0 9
Verwirrung. Die großen Tiere vom Gerichtshof, die womöglich eine gewisse Schwäche für die Wopotami, diese tückischen Wilden, hatten, trugen nun mal offenbar eine erstaunlich reine Weste. Es mußte eine andere Möglichkeit geben, Zeit zu gewinnen, um diesen falschen Fuffziger von Donnerhaupt zu fassen und ihn entweder mit Kugeln zu durchsieben oder aber ihm den Kopf zurechtzurücken, bis er froh war, die ganze Sache abzublasen und sie als das hinzustellen, was sie in Wirklichkeit war: eine Sauerei sondergleichen. Die verdächtigen vier oder fünf frutti brachten sie nicht weiter - warum also nicht in entgegengesetzter Richtung suchen, etwa bei dem Obermacker selbst? Dieser fascista konnte seine Stimme doch unmöglich für die Wopotami abgeben, das paßte einfach nicht zu ihm. Was für ein Scheißherz schlug eigentlich in dieser von Vorurteilen erfüllten scheinheiligen Brust? Vielleicht sollte sich da mal jemand drum kümmern. Jedenfalls hatten sie jetzt eine Woche Zeit, und auf mehr hatten sie kaum hoffen können, wo doch der Beliebtheitsgrad der großen Banane unter seinen Kollegen sozusagen einen Tiefstand erreicht hatte. Außerdem, eine Woche sollte genügen, denn Little Joey hatte diesen Lasagne-General von der Sektion Acht, dem die Wopotami-Federn bis zum Arsch runterhingen, in Boston aufgetan, wo es, wie jedermann wußte, erschreckend häufig zu Verkehrsunfällen kam. Vielleicht nicht ganz so häufig wie in der New-York-Miami-Los-Angeles-Liga, aber ganz so ohne war Boston nun auch nicht. Mangecavallo blies drei wunderbar gelungene Rauchringe in die Luft und warf einen Blick auf die Armbanduhr mit dem brillantbesetzten Rand. Little Joey blieben zum Anrufen genau noch zwei Minuten von dem Zeitrahmen, den er ihm zugestanden hatte. In diesem Moment klingelte das in der unteren rechten Schreibtischschublade des CIA-Direktors versteckte Telefon. Mangecavallo bückte sich und griff nach dem Hörer. »Ja?« »Ich bin's, Little Joey, Vin.« »Muß du immer bis zum allerletzten Augenblick warten, um anzurufen? Ich hab dir doch gesagt, um zehn habe ich eine sehr wichtige Besprechung, und du machst mich nervös. Stell -2 1 0
dir doch bloß mal vor, das Telefon klingelt, während die
Nadelstreifenfatzkes hier bei mir sitzen?«
»Du brauchst ihnen doch bloß zu sagen, da hätte sich einer
verwählt.«
»Pazzo-Dussel - die können den Apparat doch nicht sehen. «
»Du bedienst dich blinder Spione, Vinnie?«
»Basta jetzt! Was hast du zu melden. Und mach schnell!«
»Oho! Einen ganzen Haufen, Bum-Bum ...«
»Ich habe dir gesagt ...«
»'tschuldigung, Vincenzo ... Also mal schnell: Wie du weißt, hab
ich ein Zimmer in diesem schnieken Hotel, von dem ich dir
erzählt habe.«
»Spar dir die langen Geschichten, Joey. Ich weiß, daß du
gestern abend noch ein Zimmer auf demselben Stockwerk wie
dieser Yarmulke bekommen hast, nur ganz am Ende vom
Korridor. Ja, und?«
»Du ahnst nicht, was für ein Betrieb hier herrscht, Vin! Der
große General und Indianercapo ist mit dem Yarmulke
zusammen, bloß sind sie heute nacht für ein paar Stunden
weggegangen. Dann kamen die Soldaten von diesem Häuptling
zurück, aber auch die gingen wieder, nachdem sie vor der
Rückkehr von dem Häuptling und dem Yarmulke drinnen mit
jemand anders palavert hatten. Davor hatte es ein großes
Geschrei gegeben - ich meine, uno stridore, daß einem Hören
und Sehen vergehen konnte -, und dann ist der Yarmulke
abgehauen, und alles war silenzio.« »Willst du mir damit zu
verstehen geben, Little Joey, daß das Nest dieser ganzen
cospirazione nur ein Stück den Korridor runter von deinem
Zimmer entfernt liegt?«
»Genau, Bum-Bum ... 'tschuldigung, Vin, aber das kommt mir
so natürlich über die Lippen, ich meine, noch wegen früher und
so.«
»Basta. Sonst noch was? Obwohl ich glaube, daß wir alles
haben, was wir brauchen. Kannst du rausfinden, wer der
-2 1 1
Galgenvogel drinnen war? Vielleicht hast du dich geirrt, und es
war bloß 'ne Nutte oder so.«
»Oho Vinnie, 'ne Nutte war das bestimmt nicht. Ich hab ihn
nämlich gesehen. Der Mann ist reif für die Klapsmühle, ein
echter vegetale.« »Was redest du da?«
»Wie immer, hab ich die Tür einen Spalt weit offengelassen,
vielleicht 'n Zoll oder anderthalb ...«
»Joey!«
»Okay, okay. Ich seh den gumbo rauskommen und zum Aufzug
gehen, ja?«
»Und deshalb soll er in die Klapsmühle gehören?«
»Nein, Vin, aber seine Hosen.«
»Hub?« »Er hatte sich von oben bis unten vollgepißt. Dicke
feuchte Flecken bis runter zum Knie - und an beiden
Hosenbeinen. Ich meine, der geht mit völlig vollgepißter Hose
auf die Straße. Wenn ihn das nicht zu 'nem
Klapsmühlenkandidaten macht, sag du mir, was sonst, Bum -
Bum?«
»Der Mann ist am Ende mit den Nerven, das wird es sein.« Zu
diesem Schluß kam der schlaue Direktor der Central
Intelligence Agency. »Hier bei uns nennt man so was >im
Einsatz verschlissen<, manchmal auch >ausgebrannt<.«
Mangecavallos' anderer Apparat summte - seine Sekretärin.
»Ich hab nur noch ein paar Sekunden, Little Joey. Versuch
rauszufinden, wer dieser Typ mit den vollgepißten Hosen war,
okay?«
»Weiß ich doch, Vinnie! Ich bin zur Rezeption und hab mich als
Priester ausgegeben, der wegen einer persönlichen Tragödie
nach ihm sucht, und ihn beschrieben. Von der vollgepißten
Hose hab ich natürlich nichts gesagt ... Ich dachte schon,
vielleicht sollte ich mir extra 'n Priesterkragen zulegen, aber
dann dachte ich wieder, das dauert zu lange ...«
»Joey!« brüllte Mangecavallo. »Hör schon auf! Wer ist er?«
-2 1 2
»Sein Name ist Devereaux, am besten buchstabiere ich das für dich. Von Beruf ist er ein mit allen Wassern gewaschener Anwalt, der in der Kanzlei des großen Yarmulke arbeitet.« »Ein blindwütiger antiamerikanischer Verräter - das ist er!« verkündete der DCI und schrieb sich den Namen auf, wie das Leichentuch ihn buchstabierte. Wieder summte es, seine Besucher wurden ungeduldig. »Bleib, wo du bist, und halt die Augen offen, Little Joey. Ich melde mich wieder.« Mangecavallo legte auf und verstaute seinen Privatapparat wieder in der Schreibtischschublade. Dann gab er seiner Sekretärin ein doppeltes Klingelzeichen, das ihr zu verstehen gab, sie solle die Untergebenen einlassen. Noch während er das tat, griff er nach einem Bleistift und notierte unter dem Namen Devereaux in Blockbuchstaben BROOKLYN! Es reichte; jetzt mußten Profis ans Werk. Colonel Bradley »Hoot« Gibson, Pilot der immer noch in der Luft befindlichen EC-135 - der »Lupe« für die weltweiten Einsätze des Strategie Air Command - brüllte in sein Funksprechgerät hinein: »Seid ihr Wahnsinnsknochen zum Lunch auf den letzten Quasar hinterm Jupiter gedüst? Wir sind jetzt seit zweiundfünfzig Stunden ununterbrochen in der Luft, haben dreimal aufgetankt und uns in sechs Sprachen entschuldigt, von denen zwei nicht mal in den Scheißcomputern gespeichert sind! Ich möchte jetzt endlich wissen, was zum Teufel eigentlich los ist!« »Wir hören Sie laut und deutlich, Colonel«, kam die Antwort vom Offutt'schen Kontrollturm über UTF-Funk, auch UltraTropopausische-Frequenz genannt, die leider dazu neigte, Cartoons vom mongolischen Fernsehen aufzunehmen, sonst aber im gesamten pazifischen Raum ungehindert zu empfangen war. »Wir haben eure Beschwerden weitergegeben. Man kann ziemlich drauf wetten, daß ihr nicht mit Raketen abgeschossen werdet, wie findet ihr das?« »Nehmen Sie unseren Maximum Leader aufs Horn, oder ich verschwinde von eurem Bildschirm, setz mich nach Pago-Pago ab und laß Frau und Kinder nachkommen! Uns reicht's.' Uns reicht's wirklich!« -2 1 3
»Gemach, gemach, Colonel: Es sind noch fünf andere
Maschinen oben, die sich in genau derselben mißlichen Lage
befinden wie Sie. Denken Sie an die!«
»Ich will Ihnen sagen, in welcher Beziehung ich an die denke.
Ich denke, wir sammeln uns, fliegen in Formation rüber ins
australische Hinterland, verscherbeln diese elektronischen
Spaghetti-Röhren an den Meistbietenden und haben damit
genug Bares, um unser eigenes Land zu gründen! Und jetzt
holen Sie mir diesen Clown von Kommandeur an die Strippe!«
»Ich bin schon die ganze Zeit mit dran, Colonel Gibson«,
meldete sich eine andere Stimme aus dem Äther, »Ich stehe
mit sämtlichen im Einsatz befindlichen Maschinen in
Verbindung.«
»Der Lauscher an der Wand, General? Verstößt das nicht
gegen die Vorschriften?«
»Nicht hier bei uns, Fliegerjunge. Kommen Sie schon, Hoot,
was meinen Sie, wie ich mir vorkomme?«
»Ich denke, Sie kommen sich vor wie jemand, der mit seinem
Hintern in einem wohlgepolsterten Schreibtischsessel in einem
auf festem Boden errichteten Gebäude sitzt ...«
»Dann gehen Sie vermutlich auch davon aus, daß diese
Befehle von mir kommen, was? Nun, dann darf ich Sie in ein
kleines Geheimnis der nationalen Sicherheit einweihen
obwohl, nein, das ging nur an mich: Code Red Plus.«
»Auf die Gefahr hin, daß ich mich wiederhole: Was zum Teufel
geht eigentlich vor?«
»Sie würden es mir nicht glauben, wenn ich es Ihnen sagte,
aber das kann ich auch gar nicht, weil ich kein Wort von dem
verstanden habe, was diese Trenchcoats wollten - nun, was die
Wörter im einzelnen bedeuteten, habe ich schon kapiert, nur zu
einem Satz aneinandergereiht ergaben sie für mich keinen
Sinn.«
»Was für Trenchcoats?«
-2 1 4
»Auch das wieder würden sie nicht glauben. Es ist höllisch heiß
hier unten, und die legten weder Mäntel noch Hüte ab. Und
außerdem machen sie Frauen nicht die Tür auf.«
»Owen ... General Richards«, sagte der Pilot sanft, aber mit
Nachdruck. »Haben Sie sich in letzter Zeit mal untersuchen
lassen? Der Kommandeur des SAG lehnte sich aufseufzend
zurück, während er mit dem 1300 Kilometer weiter im Westen
und in einer Höhe von 40 000 Fuß fliegenden Piloten sprach.
»Jedesmal, wenn das gottverdammte rote Telefon klingelt,
möchte ich mich am liebsten hinhauen.« Und wie konnte es
anders sein, als daß just in diesem Augenblick das rote
Lämpchen erneut an- und ausging. »Verdammte Scheiße, da
klingelt es schon wieder. Bleiben Sie dran, Hoot, gehen Sie
nicht weg.«
»Aber den Plan mit dem australischen Hinterland gebe ich
keineswegs auf, Owen.«
»Ach, halten Sie die Klappe«, befahl der Kommandeur des
SAG und griff nach dem Hörer des roten Apparats.
»Hauptquartier des Aufklärungs-Geschwaders, General
Richards am Apparat«, sagte er im Brustton einer
Überzeugung, die er gar nicht fühlte. »Beamen Sie sie runter, Scotty!« ertönte die ebenso quengelnde wie schneidende Stimme des Verteidigungsministers. »Beamen Sie sie alle runter!« »Wiebine, Mr. Secretary?« »Ich habe gesagt, lassen Sie sie nach Hause fliegen, Soldat! Wir haben uns eine kleine Verschnaufpause verschafft. Bleiben Sie aber in Alarmbereitschaft und stellen Sie sich darauf ein, das ganze Geschwader raufzuschicken.« »Das ganze Geschw ader, Sir?« »Sie haben richtig verstanden, wie immer Sie heißen mögen.« »Nein, Mr. Secretary«, erklärte Richard, den unvermittelt eine große Ruhe erfaßte. »Jetzt hören Sie mir mal zu, Sir. Sie haben diesem Wie-immer-er-heißen-mag gerade zum letztenmal einen Befehl gegeben.« -2 1 5
»Was sagen Sie da, Mister -«
»Sie haben mich schon verstanden, Sir. Und im Gegensatz zu
jedem lausigen Zivilisten, den Sie mit Mister titulieren können,
lautet die Anrede bei mir immer noch General. «
»Verweigern Sie mir etwa den Gehorsam?«
»So weit mein Vokabular es mir erlaubt, Mister. Warum wir uns
mit diesen Pfeifen in Washington, zu denen auch Sie sich
zählen dürfen, abfinden, ist mir unbegreiflich, doch hat man mir
gesagt, daß sich das einer ausgedacht und niedergeschrieben
hat, der so jemand wie Sie nie persönlich kennengelernt hat
und dem ich Sie auch nicht vorstellen würde, weil dann
sämtliche Anweisungen geändert würden, und da bin ich mir
nicht so sicher, ob das wirklich richtig wäre.«
»Sind Sie krank, soldier boy?«
»Jawohl, es macht mich ganz krank - Sie Ratte mit Toupet -,
sämtliche blöden Politiker machen mich krank, die sich
einbilden, mehr von meinem Job zu verstehen als ich nach
dreißig Jahren in Uniform! Und Sie können Gift drauf nehmen,
daß ich sie alle runterbeamen werde, Scotty - was ich im
übrigen sowieso bald getan hätte, ob Sie mich nun angerufen
hätten oder nicht.«
»Sie sind entlassen, Soldat!«
»Stecken Sie doch ihren Schädel samt Toupet und allem
anderen ins Klo, Sie Zivilist! Sie können mich gar nicht
entlassen. Sie können mich ablösen lassen, und ich hoffe zu
Gott, daß Sie das tun. Aber mich einfach an die Luft setzen,
das können Sie nicht. Lesen Sie sich mal meine
Dienstverpflichtung durch. Auf Wiedersehen! Ich wünsche
Ihnen noch einen hundsgemeinen Scheißtag!« Der General
knallte den Hörer auf die Gabel und wandte sich wieder der
UTF-Verbindung zu. »Sind Sie noch dran, Hoot?«
»Bin ich - und ich hab alles mitgekriegt, Private Richards, sind
Sie bereit zum Latrinenschrubben?«
»Steht der Fatzke für die Pressekonferenz bereit?« »Nicht
schlecht gekontert, Corporal ... Wir fliegen also zurück?«
-2 1 6
»Alle. Von jetzt an fliegen wir wieder unsere Routineflüge.«
»Würden Sie bitte meine Frau anrufen?«
»Nein, Ihre Tochter. Die ist jedenfalls noch nicht durchgedreht.
Ihre Frau glaubt nämlich, man hätte Sie über der Mongolei
abgeschossen - und an Ihrer Statt hat sie bereits eine Schüssel
gebratenes Rinderhack beerdigt.«
»Sie haben recht. Sprechen Sie mit meiner Tochter. Und sagen
Sie ihr, sie solle längere Röcke tragen.«
»Over and out, Colonel.« General Owen Richards legte den
UTF-Hörer auf und schob, rundum zufrieden mit sich, den
Schreibtischstuhl zurück. Zum Teufel mit der Karriere. Das, was
er soeben getan hatte, hätte er schon längst tun sollen! Warum
sollte der Ruhestand schlecht sein - nur eines würde ihm
vermutlich nicht leichtfallen: seine Uniform einzumotten. Seine
Frau und er konnten leben, wo immer sie wollten - einer seiner
Piloten hatte ihm erzählt, Samoa wäre absolut herrlich.
Trotzdem, es würde bestimmt kein Zuckerschlecken sein, das
einzige aufzugeben, was er wirklich gern tat - davon, Frau und
Kinder zu lieben, mal abgesehen. Die Air Force war sein Leben,
zum Henker, so war's!
Und selbstverständlich mußte ausgerechnet in diesem
Augenblick wieder das rote Telefon schrillen. Bis zum
äußersten gereizt, nahm Richards ab: »Was gibt's, Sie Scheiß-
Skinhead?«
»Ja, da trifft mich doch der Schlag, General. Ist das eine Art,
einen freundlichen Anrufer zu begrüßen?«
»Was?« Irgendwie kam Richards die Stimme bekannt vor, doch
konnte er sie im Moment nicht unterbringen. »Wer, zum Geier,
spricht denn da?«
»Ich glaube, man nennt mich Ihren Obersten Befehlshaber,
General.« »Der Präsident?«
»Worauf Sie Gift nehmen können, Sie Himmelhund!«
»Himmelhund?«
»Andere Uniform, aber sonst so ziemlich die gleiche
Ausrüstung, General - bis auf dieses ganze High-tech-Zeugs.«
-2 1 7
»Ausrüstung?«
»Nun mal nicht gleich in die Hosen machen, Pilot. Ich war
schon dabei, als Sie noch ihre Windeln gefüllt haben.«
»Mein Gott, Sie sind es wirklich? Tut mir leid, Sir.«
»Macht nichts, General. Ich bin es wohl, der sich entschuldigen
sollte. Ich hatte gerade den Verteidigungsminister an der
Strippe.«
»Ich hab schon verstanden, Sir. Sie wollen mich also meines
Postens entheben.«
»Quatsch, Owen, ihn - naja, nicht richtig, aber in Zukunft trifft
er, wo es um Sie geht, keine Entscheidungen mehr, ohne sich
vorher mit mir kurzgeschlossen zu haben. Er hat mir exakt
wiedergegeben, was Sie ihm gesagt haben - ich hätte das mit
Hilfe auch meiner besten Redenschreiber nicht treffender
sagen können. Und falls Sie irgendwelche weiteren Probleme ,
haben, rufen Sie mich direkt an, alles klar?«
»Alles klar, Mr. President .... He, Sie sind wirklich okay?«
»Sagen wir mal, ich hab da jemandem ordentlich den Marsch
geblasen - aber um Gottes willen, sagen Sie's nicht weiter!«
Sam Devereaux steckte dem Portier zehn Dollar zu, damit er
seine Trillerpfeife in alle vier Himmelsrichtungen schrillen ließ,
um ihm ein Taxi herbeizurufen. Drei ganze Minuten lang fand
sich keines, obwohl zwei in der Straßenmitte am frustrierten
Sam vorüberrollten - die Fahrer sahen ihm nicht ins Gesicht,
sondern starrten nur auf seine Hose. Er lief zurück zum Portier,
als ein Paar am Rinnstein vorm Four Seasons ausstieg, das
nicht recht wußte, wie ihm geschah, als Sam ihnen das Gepäck
aus dem Kofferraum hievte und sich nicht im geringsten um ihre
Proteste kümmerte, sondern es vorzog, mit einem Satz ins Taxi
zu springen und dem Fahrer laut die Adresse seines eigenen
Hauses in Weston zu nennen.
»Warum, zum Teufel, halten Sie denn immer wieder?« rief
Devereaux, nachdem sie bereits ein paar Blocks gefahren
waren.
-2 1 8
»Weil ich, wenn ich das nicht tue, dem Schwachkopf vor mir
hinten drauf fahre«, gab ihm der Fahrer Bescheid.
Wie immer vormittags gab es die typischen Bostoner
Verkehrsstaus, die noch verstärkt wurden durch die unsinnigen
Einbahnstraßen, die ortsfremde Autofahrer zwangen, einen
Umweg von elf Meilen zu machen, um ein nur hundert Meter
entferntes Haus zu erreichen. »Ich kenne einen
Abkürzungsweg nach Weston«, sagte Sam, lehnte sich vor und
umklammerte den oberen Rand des Vordersitzes.
»Das bildet sich jeder in Massachusetts ein, Mister, und wenn
Sie nicht grade eine Kanone haben, lassen Sie mich gefälligst
in Ruhe!«
»Ich hab weder eine Kanone, noch war das böse gemeint. Ich
habe es bloß schrecklich eilig.«
»Und ich dachte, das mit der Eile hätte sich bereits erledigt,
jedenfalls nach dem zu urteilen, was ich von ihrer Hose
gesehen habe. Und falls es Sie noch mal überkommen sollte,
machen Sie gefälligst schnell mit dem Aussteigen!«
»Nein, nein! Das ist doch bloß Kaffee. Ich hab mir Kaffee
drübergeschüttet.«
»Was soll ich dagegen sagen? Würden Sie sich dann bitte in
den Sitz zurücklehnen ...«
»Klar«, sagte Sam, saß aber gleichwohl immer noch vom auf
dem Rand der Rückbank. »Hören Sie, ich versuche ja bloß,
Ihnen klarzumachen, daß es sich um einen Notfall handelt
einen echten! Eine Dame, von der ich nicht einmal weiß, wie sie
heißt, fährt raus zu meinem Haus, und ich muß unbedingt vor
ihr du ankommen. Sie ist vor wenigen Minuten in einem
anderen Taxi vom Hotel weggefahren.«
»Natürlich«, sagte der Taxifahrer philosophisch ergeben. »Sie
hat Ihre Adresse aus der Brieftasche rausgenommen, als Sie
beide heute nacht ... Und jetzt meinen Sie, sie könnte sich noch
ein bißchen Matratzengeld extra verdienen, indem sie bei Ihrer
Frau vorspricht. Wann werdet ihr Fischschwänze endlich klug?
He, da vor uns ist eine Lücke. Ich biege also jetzt in die Church
-2 1 9
Street ein und fahre dann rüber zur Straße, die nach Weston führt.« »Das ist die Abkürzung, die ich meinte.«
»Wenn wir Glück haben, kennen nicht allzu viele Touristen
sie.«
»Bringen Sie mich einfach so schnell wie möglich nach Hause.« »Hören Sie, Mister, im Gesetz heißt es, falls nicht irgendeine Absicht zum Schaden Dritter vorliegt, falls wir nicht beschimpft werden und sofern sie einigermaßen anständig gekleidet sind, hätten wir Taxifahrer unsere Fahrgäste dorthin zu bringen, wo sie hinwollen. Bei Ihnen sind wir in allen drei Bereichen hart an der Grenze und haben sie meiner Meinung nach in einem Punkt bereits überschritten - wenn Sie mich also nicht hetzen wollen, okay? Keiner ist mehr daran interessiert, Sie nach Hause zu bringen und aus diesem Wagen zu bekommen als
ich.«
»Natürlich steht es so im Gesetz», stimmte ihm ein leicht
betroffener Devereaux zu. »Glauben Sie etwa, ich wüßte das nicht? Ich bin schließlich Rechtsanwalt.« »Yeah, und ich Ballettänzerin.« Schließlich und endlich bog er in Sams Straße ein. Nach einem Blick auf den Taxameter warf Devereaux den Fahrpreis nebst ansehnlichem Trinkgeld auf den Vordersitz. Dann machte er die Tür auf, sprang auf den Bürgersteig und sah, daß vor ihnen kein anderes Taxi hielt. Geschafft, sagte er sich, und - meine Herren! - diese Frau sollte ihr blaues Wunder erleben! Bloß weil sie sich einigermaßen in juristischer Terminologie auskannte, aussah, daß einem die Knie weich wurden, und ein Gesicht und einen Körper hatte wie von einem nicht-schwulen Botticelli gemalt, hatte sie noch lange kein Recht, einem Taxifahrer seine Adresse zu nennen und mit irgendeiner vagen juristischen Drohung zu kommen, ohne sich zunächst einmal, wie es sich gehörte, vorgestellt zu haben. No, Sir, das ließ Samuel Lansing Devereaux, der hochangesehene Anwalt, nicht mit sich machen ... Vielleicht sollte er sich wirklich eine andere Hose anziehen. Schon wollte er den Weg -2 2 0
einschlagen, der zu seinem Separateingang führte, als die
Vordertür des Hauses aufging, Cousine Cora heraustrat und ihn
ziemlich wild zu sich heranwinkte.
»Was gibt's?« rief er, nahm den weißen Gartenzaun mit einer
flotten Flanke und sprang mit einem vagen Vorgefühl von
drohendem Unheil die Stufen hinauf.
»Was ist das denn?« wiederholte Cora vor Wut kochend.
»Vielleicht erzählst einfach du mir mal, wo du herkommst – das
Offensichtliche kannst du dabei meinetwegen auslassen«,
setzte sie mit einem weiteren Blick auf seine Hose noch hinzu.
»Oh, oh!» Mehr fiel Sam dazu nicht ein.
»Naja, das ist ja schon mal ein Anfang ...«
»Was ist passiert?« fiel Sam ihr in die Rede.
»Vor wenigen Minuten klingelte diese langbeinige, von der
Sonne bronzebraun gebrannte Puppe, die geradewegs einem
Reklamespot für irgendeinen Strand in Kalifornien entsprungen
sein muß, hier an der Tür und fragte nach einer gewissen
Person, deren Namen man nicht in den Mund nehmen darf. Tja,
Sammy, ich dachte, deine Mutter trifft der Schlag, doch die
langbeinige Dame mit diesem Gesicht, für das man jemanden
ermorden könnte, beruhigte sie, und jetzt sitzen die beiden
einträchtig im Wohnzimmer.«
»Was, zum Teufel, hat das alles zu bedeuten?«
»Ich kann nur soviel sagen, daß die Ach-so-Vornehme in die
Speisekammer gegangen ist, um sich ihre Teekanne zu holen,
nur, Tee hat sie nicht bestellt.«
»Na warte, du Luder!« rief Devereaux, sprintete durch die Halle
mit dem Marmorboden, riß die beiden Türflügel der
französischen Tür auf und platzte ins Zimmer.
»Sie?« rief Jennifer Redwing und fuhr aus dem
brokatbezogenen Sessel hoch.
»Sie!« rief gellend der wütende Sohn und Anwalt. »Wie sind Sie
so schnell hierhergekommen?«
»Ich hab früher in Boston gelebt. Da kenne ich etliche
Abkürzungen.«
-2 2 1
»Etliche ...?«
»Du!« schrie jetzt Eleanor Devereaux, raffte sich von ihrem
brokatbezogenen Sofa hoch und starrte Sam mit offenem Mund
an. »Deine Hose, du furchtbarer Mensch mit einer
Pennälerblase!«
»Das ist Kaffee, Mutter!«
»Es ist Kaffee«, sagte die bronzebraungebrannte Aphrodite.
»Und wenn er das sagt ...»
-2 2 2
12. KAPITEL »Jetzt kennen Sie in großen Zügen den Mac-und-SamErpressungszirkus von internationalen Ausmaßen - jedenfalls, soweit er die Fähigkeit des Generals betrifft, tief zu graben und unaussprechlichen Dreck zutage zu fördern«, sagte Devereaux. Sie hatten sich in seine »Höhle« zurückgezogen, in sein Arbeitszimmer, an dessen Wänden kein Foto oder Zeitungsausschnitt mehr zu sehen war. Seine Mutter war nicht mitgekommen, sie hatte plötzlich »fliegende Hitze« vorgeschützt und sich ins Bett zurückgezogen. Sam saß hinter seinem Schreibtisch, Jennifer Redwing in dem Sessel davor: Die Stricke aus dem in Streifen gerissenen Bettuch hingen noch von den Armlehnen herunter. »Es ist einfach unglaublich, aber Sie müssen es schließlich wissen.« Langsam machte sie ihre Handtasche auf - eine hochintelligente Frau im Schockzustand. »Mein Gott, vierzig Millionen Dollar!« »Bitte nicht die chemische Keule!« schrie Devereaux und stieß sich ab, um mit dem Drehstuhl rückwärts gegen die Wand zu rollen. »Natürlich keine chemische Keule«, beruhigte Jennifer Redwing ihn und nahm eine Schachtel Zigaretten heraus. »Rauchen ist nur ein Laster, das ich alle zwei Wochen aufgebe - bis dann so was wie das hier passiert. Auch wenn es so was wie das hier noch nie gegeben hat ... Zumindest rauche ich weniger.« »Zigaretten bringen Sie nur in den Sarg. Nehmen Sie sich doch einfach zusammen.« »Alles in allem, Herr Rechtsanwalt, bin ich der Meinung, daß Sie keinen Grund haben, besonders heilig zu tun. Haben Sie einen Aschenbecher, oder soll ich Löcher in Ihren teuren Teppich brennen?« »Wenn Sie darauf bestehen«, sagte Sam, zog eine Schreibtischschublade auf und brachte außer zwei Aschenbechern auch noch eine Schachtel Zigaretten zum
-2 2 3
Vorschein. »Ich denke, ich werde Ihnen ein Geständnis machen
... Wie ich sehe, sind wir beide Leichtraucher.«
»Kommen wir zurück zu den Tiefschlägen, Mr. Devereaux.«
Beide Anwälte zündeten sich ihre Zigarette an, und Miss
Redwing fuhr fort: »Dieser Klagesatz, der dem Gericht vorliegt,
ist einfach Unsinn. Auch das sollten Sie wissen.«
»Sie wiederholen sich, Frau Rechtsanwältin. Und das ist
vollkommen überflüssig.«
»Nicht, wenn es dazu dient, vor einer Jury etwas mit Nachdruck
deutlich zu machen - und wenn es ein Jurist tut, der etwas von
seiner Sache versteht, Herr Rechtsanwalt.«
»Einverstanden. Und wer von uns ist was?«
»Wir sind beide beides«, erklärte die Redwing. »In meiner
Eigenschaft als Anwältin, die die Sache der Wopotami vertritt,
erkläre ich hiermit, daß dieser alberne Streit dem Stamm in gar
keiner Weise dienlich ist. Die Sache geht entschieden zu weit.«
»In meiner Eigenschaft als ebensolcher, nur männlichen
Geschlechts, als Anwalt also, der einst auf verhängnisvolle
Weise mit General Hawkins verbunden war«, hielt Sam ihr
entgegen, »behaupte ich, daß der Streit mitnichten albern ist.
Realistisch gesehen, hat er keinerlei Chance - trotzdem ist der
Fall ziemlich überzeugend.«
»Was?« Jennifer Redwing begegnete dem Blick von
Devereaux; die Zigarette hielt sie vor sich hin, und der Rauch
hing wie losgelöst in der Luft - fast so wie auf einem Standfoto.
»Sie machen wohl Witze!«
»Ich wünschte, es wäre so. Dann wäre das Leben leichter.«
»Wie also noch mal?«
»Das aus den Geheimarchiven ausgegrabene Beweismaterial
scheint authentisch zu sein. Gebietsvereinbarungen, die guten
Glaubens abgeschlossen worden sind, wurden ungeachtet aller
vorheriger Absprachen durch gesetzlich bestimmte
Umsiedlungen ersetzt - dabei war der Landbesitz vorher
rechtens.«
-2 2 4
»Gesetzlich bestimmte Umsiedlungen? Also praktisch
Zwangsumsiedlungen?«
»Richtig. Dabei war die Regierung in keiner Weise befugt, den
rechtens vereinbarten Landbesitz für ungültig zu erklären und
die Wopotami von ihrem Land zu vertreiben. Auf jeden Fall
nicht ohne vorherige gerichtliche Anhörung, und ohne daß der
Stamm in seiner Gänze vertreten gewesen wäre.«
»Das hätten sie getan? Ohne Gericht und ohne dem Stamm die
Möglichkeit zu geben, sein Recht bei einer Anhörung zu
verteidigen? Wie haben sie das tun können?«
»Die Regierung hat schlicht gelogen - insbesondere hinsichtlich
des Vertrags von 1878, der verbindlich zwischen dem
Vierzehnten Kongreß der Vereinigten Staaten von Amerika und
den Wopotami geschlossen wurde.«
»Aber wie?«
»Offensichtlich mit Hilfe eines gewissen Drucks von Seiten des
Büros für Indianerangelegenheiten hat das Innenministerium
behauptet, einen solchen Vertrag habe es nie gegeben; der sei
nur ein Phantasieprodukt, entsprungen den Träumen einiger
ausgeflippter Medizinmänner, die um irgendwelche Lagerfeuer
herumstampften und sich dabei Zombiewasser durch die Kehle
laufen ließen. Im Klagesatz geht man sogar so weit, sich in
Mutmaßungen über den Brand zu ergehen, dem im Jahre 1912
die First Bank of Omaha zum Opfer fiel.«
»Jetzt klingelt es bei mir«, sagte Red Redwing, runzelte die
Stirn und drückte ihre Zigarette aus.
»Das sollte es auch. Denn in dieser Bank hatten die Wopotami
ihre Stammesunterlagen aufgehoben - von denen natürlich
nichts den Brand überlebt hat.«
»Um was geht es in diesen Mutmaßungen?«
»Daß dieser Brand von Bundesagenten gelegt worden ist, die
auf Weisung Washingtons gehandelt haben.«
»Das wäre ein ziemlich starkes Stück, selbst noch achtzig
Jahre später, Herr Rechtsanwalt. Und worauf stützt man sich
bei dieser Spekulation?«
-2 2 5
»Dem Vernehmen nach fand der Einbruch in die Bank gegen Mitternacht statt, wobei sämtliches Bargeld sowie alle Wertsachen entwendet wurden. Von den Räubern keine Spur. Doch ehe sie das Weite suchten, beschlossen sie offenbar, den ganzen Laden anzuzünden, was ziemlich dumm war, weil ein Feuer doch immerhin ein paar Bürger wecken mußte.« »Dumm vielleicht, aber nichts, was es nicht schon gegeben hätte, Mr. Devereaux. Pathologische Persönlichkeiten gibt es nicht erst seit heute, und auch der Haß auf Banken hat eine lange Tradition.« »Zugegeben. Doch als man der Brandursache genauer auf den Grund ging, im Keller der Bank, wo die Aktenordner mit den Dokumenten aufgehoben wurden, stellte sich heraus, daß selbige herausgenommen, verstreut und die Räume mit Petroleum vollgegossen worden waren - naja, da fängt man dann eben doch an, sich gewisse Fragen zu stellen, nicht wahr? Außerdem kam es zu der in den Annalen der Verbrechensbekämpfung kürzesten je stattgefundenen Untersuchung, da die Missetäter sich offensichtlich nach Südamerika abgesetzt hatten. Gewiß, Cassidy und Sundance behaupteten, nie in Omaha gewesen zu sein, und das waren die einzigen amerikanischen Bankräuber, die, soweit man weiß, damals je wieder aufgetaucht sind ... Selbstverständlich habe ich ihnen damit nur einen raschen Überblick gegeben, wie mein Brötchengeber sagen würde.« »Das haut einen einfach um, so überzeugend ist das.« Die bezaubernde indianische Juristin schüttelte den Kopf. »Aber Sie dürfen damit nicht durchkommen, das müssen Sie einfach verstehen.« »Ich wüste nicht, wie das noch zu verhindern wäre«, sagte Sam. »Selbstverständlich läßt sich das verhindern! Dieser General, dieser furchtbare Unruhestifter Hawkins, braucht doch einfach alles nur zurückzuziehen - und glauben Sie mir, jedes Gericht liebt es, wenn Klagen zurückgezogen werden. Das hat selbst mein Bruder gemerkt, als er da unten war.« -2 2 6
»Das war ihr Bruder?«
»Was soll er sein?«
»Der junge Stammeskrieger, der für Mac gearbeitet, aber seine
Zulassung vor Gericht nicht geschafft hat?«
»Nicht geschafft? Sie sollen wissen, daß mein kleiner Br ... daß
mein Bruder zu den Neuzulassungen mit den besten Noten
gehört.«
»Das war bei mir genauso.«
»Das sieht man!« erklärte Jennifer Redwing, wobei ihr
Geständnis keinen Funken Begeisterung verriet. »Sieht aus, als
ob Sie beide aus dem gleichen Holz geschnitzt wären.«
»Ach der ist es also, an den ich Sie erinnere? Haben Sie das
vorhin im Hotel gemeint?«
»Es bedeutet, Herr Anwalt, daß Ihr verdammter General
Hawkins für sein letztes katastrophales Abenteuer einen
zweiten Samuel Devereaux gefunden hat.«
»Ihr Bruder war bei der Army?«
»Nein, er war in einem Reservat, leider dem falschen ... Aber
noch mal zurück zu dem verrückten General.«
»He, Frau Anwältin«, unterbrach Devereaux sie, als Red
Redwing ihre Zigarettenschachtel hervorholte. »Sie haben das
fabelhaft gemacht, haben nur ein paar Züge gepafft und sie
dann ausgedrückt.«
»Lassen Sie die Finger von dem Fall Jennifer Redwing, Herr
Anwalt! Ich habe keine Lust, mich mit Ihnen darüber zu
unterhalten, zu welchem Befund Sie nach Sezierung meiner
Schwächen gekommen sind. Ich möchte mit Ihnen über
Hawkins und seinen Antrag beim Obersten Gerichtshof reden
und darüber, wie wir ihn zu Fall bringen können.«
»Nach juristischem Verständnis ist es noch kein Antrag - bis
jetzt ist diesbezüglich noch von keinem Gericht eine
Entscheidung getroffen worden, die durch ein Verfahren
revidiert werden müßte ...«
»Wagen Sie es nicht noch einmal, mir mit Verfahrensfragen zu
kommen, Pißhose!« »Es war Kaffee, und außerdem habe ich
-2 2 7
die Hose gewechselt, und Sie haben akzeptiert, daß es Kaffee
war.«
»Gleichzeitig ist es aber auch ein Appell an ein breiteres
Rechtsverständnis. Ein Antrag, ein Unrecht
wiedergutzumachen«, sagte die Redwing leicht defensiv.
»Meine Hose?«
»Nein, Sie Trottel - der verdammte Klagesatz!«
»Dann stimmen Sie Mac zu. Wenn alles, was ich Ihnen gesagt
habe, auch ernsthafter Überprüfung standhält - Ihrer
Überprüfung standhält -, dann wurde an Ihrem Volk ein
schwerwiegendes Verbrechen begangen. Sind Sie nicht der
Meinung, dieses Unrecht sollte wiedergutgemacht werden?«
»Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?!« empörte sich die
Schönheit, die eine amerikanische Ureinwohnerin war.
»Im Moment spiele ich den Advocatus diaboli und unterdrücke
meine persönlichen Neigungen. Ich möchte gern wissen, was
Sie persönlich dazu denken.«
»Begreifen Sie denn nicht? Was ich denke, spielt überhaupt
keine Rolle. Mir geht es um mein Volk. Ich will nicht, daß
meinen Leuten wehgetan wird ... Kommen Sie schon,
Devereaux, seien Sie Realist! Ein kleiner Indianerstamm gegen
die gigantische Übermacht des Strategie Air Command - wie
lange könnten wir da durchhalten? Selbst wenn eine solche
Möglichkeit als Gespenst am Horizont auftauchte - egal, ob nun
tatsächlich eine Chance bestünde oder nicht -, könnte das doch
nur zur Folge haben, daß neue Gesetze erlassen, das Land
noch nachträglich aufgrund >übergeordneter Interessen<
enteignet und unser Volk vorsichtshalber in alle Winde verstreut
würde, was auf nichts anderes als auf wirtschaftlichen und
rassischen Völkermord hinausliefe - und es wäre nicht das
erste Mal, daß so was passierte.«
»Lohnt es sich nicht, dagegen zu kämpfen?« fragte Sam mit
ausdrucksloser Miene. »Überall?«
»Theoretisch selbstverständlich, und in den meisten Fällen
auch praktisch. Aber in diesem Fall sicher nicht. Unsere Leute
-2 2 8
sind nicht unglücklich. Sie besitzen das Land, auf dem sie leben, und erhalten eine Unterstützung von der Regierung, die ich mich verdammt ertragreich anzulegen bemühe. Sie jetzt ganz einfach Hals über Kopf in einen Sumpf legaler Gewalt zu stürzen - und da hätten wir sie dann letztlich: die Gewalt -, das kann ich einfach nicht zulassen.« »Dem würde Mac sich nicht anschließen. Er ist ein Original, und Gewalt, welcher Art auch immer, stellt für ihn keine Bedrohung dar, eher eine Herausforderung ... Außerdem, Miss Redwing - und jetzt muß ich für mein zugegebenermaßen ziemlich verängstigtes Ich ebenso sprechen wie für den wohl größten Anwalt, den ich je erlebt habe, meinen Arbeitgeber nämlich, einen gewissen Aaron Pinkus -, außerdem also denke ich, auch wir können uns da nicht Ihrer Ansicht anbequemen. Genau besehen, sind wir nun einmal dem Recht verpflichtet, und daß hier ein Verbrechen begangen wurde, ist völlig unstrittig - und die Augen davor zu verschließen ist einfach unanständig. Jedenfalls dann, wenn wir uns wirklich für das halten, was zu sein wir vorgeben. Das ist es, was Aaron meinte, als er sagte, wir müßten jeder für sich die folgenreichste Entscheidung unseres ganzen Lebens treffen. Machen wir die Augen zu, oder setzen wir uns für eine Wahrheit ein, von der wir wissen, daß sie uns beruflich vernichten kann, auch wenn wir im tiefsten Herzensgrunde sicher sind, daß wir recht haben.« Jennifer Redwing riß die Augen weit auf und starrte Sam an, dann schluckte sie ein paarmal und erklärte stockend: »Wollen Sie mich heiraten, Mr. Devereaux? Nein! Halt! Das habe ich nicht gemeint. Das war jetzt das gleiche wie bei Ihnen heute morgen im Aufzug. Ein Ausrutscher, ein gedanklicher Ausrutscher!« »Ist schon in Ordnung, Miss ... Miss - haben Sie auch einen Vornamen? Schließlich habe ich ihn zuerst gemacht, den Ausrutscher, meine ich.« »Die Leute nennen mich Red.«
-2 2 9
»Aber sicher nicht Ihres Haares wegen - Himmel, es ist das
phantastischste ebenholzschwarze Haar, das ich je gesehen
habe.«
»Das sind die Gene«, sagte Red und stemmte sich langsam
aus ihrem Sessel hoch. »Meine Leute essen sehr viel rohes
Büffelfleisch. Und man hat mir gesagt, das ergäbe genetisch
diesen besonders intensiven Schimmer im Haar.«
»Das ist mir, beim großen Wigwam, absolut egal«, sagte
Devereaux, erhob sich gleichfalls und ging um den Schreibtisch
herum. »Sie sind die schönste Frau, die mir je über den Weg
gelaufen ist.«
»Aussehen ist etwas rein Äußerliches, Sam - ich darf Sie doch
Sam nennen?«
»Ich höre das lieber als >Idiot<«, sagte Devereaux und schloß
sie in die Arme. »Du bist wunderbar!«
»Bitte, Sam, das ist so unerheblich. Wenn ich mich von dir
angezogen fühle - und das tue ich offensichtlich -, dann nicht
wegen deines hübschen Gesichts und deines großen, hageren
Körpers - was beides man nicht nicht zur Kenntnis nehmen
kann -, sondern weil du grundsätzlich anständig bist und das
Recht so sehr liebst.«
»Oh, yeah, das tue ich, das tue ich wirklich!«
»Sei nicht leichtfertig, Sam! Bitte, nicht!«
»Niemals, niemals!« Und selbstverständlich mußte just in
diesem Augenblick das verdammte Telefon klingeln. Sams
Hand fuhr krachend auf den Schreibtisch hernieder und ließ
den Hörer auf die Schreibunterlage hüpfen. Wütend nahm er
ihn auf. »Hier spricht der Anrufbeantworter«, sagte Sam mit
lauter, keinerlei persönliche Regung verratender Stimme. »Sie
haben die Nummer des Lugosi-Bestattungsinstituts gewählt,
nur ist leider im Moment niemand da, der aufstehen und ans
Telefon gehen könnte ...«
»Sparen Sie sich diesen Stuß, mein Junge«, unterbrach ihn die
harte knarrende Stimme von MacKenzie Hawkins, »und hören
Sie mir genau zu. Wir werden angegriffen, und Sie sind eines
-2 3 0
der Ziele; deshalb möchte ich, daß Sie schnellstens in Deckung
gehen.«
»Hören Sie, Sie Dinosaurierhirn, ich habe Sie vor kaum zwei
Stunden verlassen, und meine Anweisungen lauteten, mich
nicht vor Mittag zu stören! Und zu Ihrer Erleuchtung: Das
bedeutet nach zwölf!«
»Nein, Sam! Jetzt hören Sie mir zu!« fiel der Falke ihm ins
Wort. Die Ruhe, mit der er das sagte, ließ erkennen, daß er
ehrlich besorgt war. »Machen Sie, daß Sie aus Ihrem Haus
herauskommen! Sofort!«
»Und warum, in drei Teufels Namen, sollte ich das tun?«
»Weil Sie im Telefonbuch stehen und keine Geheimnummer
haben. Was bedeutet, daß auch Ihre Adresse im Telefonbuch
steht.«
»Genauso wie die von etlichen Millionen anderer.«
»Aber nur zwei davon haben jemals von den Wopotami gehört
...«
»Wie bitte?«
»Ich sage das jetzt nur einmal, mein Sohn, denn wir beide
haben keine Zeit zu verschwenden. Wie es dazu gekommen ist,
weiß ich nicht, das ist so gar nicht Hymie the Hurricanes modus
operandi. Mein Gott, der schickt vielleicht einen Gorilla zum
Angst machen oder auch zwei, aber keinen Vollstrecker -und
mit genau so einem haben wir es jetzt zu tun, mit einem
Totschläger.«
»Ist es nicht ein bißchen früh für Sie, sich zu beschickern,
Mac?«
»Hören Sie gut zu, Lieutenant!« sagte Hawkins. Seine Stimme
klang ruhig, aber eiskalt. »Mein Adjutant, Desi-Eins, der, ohne
daß ich davon wußte, vorübergehend im Stadtgebiet von New
York gearbeitet hat - insbesondere im barrio Brooklyn -, hat in
der Hotelhalle einen Mann entdeckt, den er von seiner früheren
Tätigkeit her kennt, zumindest vom Sehen. Einen sehr
schlimmen Burschen, Lieutenant, und da der Corporal sehr
gewissenhaft und anständig gekleidet war, stellte er sich neben
-2 3 1
diesen hombre vicioso, wie er ihn nannte, und zwar an der
Rezeption, wo er ihn deutlich nach zwei Gentlemen fragen
hörte. Und die hießen Pinkus und Devereaux!«
»Grundgütiger ...«
»Genauso ist es, mein Junge. Dieses verruchte Individuum
tätigte einen Anruf, kehrte dann an die Rezeption zurück und
ließ sich ein Zimmer zwei Stockwerke unter uns geben ... Und
dieser Telefonanruf, der gefällt mir gar nicht, Sam.«
»Glauben Sie etwa, mir?«
»Ich habe gerade mit Commander Pinkus gesprochen, und wir
sind in dieser Beziehung einer Meinung. Nehmen Sie Ihre
Mutter und dieses bescheuerte Dienstmädchen, von dem sie
behauptet, es sei eine Verwandte von Ihnen, und machen Sie,
daß Sie von zu Hause wegkommen! Eine Geiselnahme wäre
das letzte, was wir gebrauchen könnten!«
»Eine Geiselnahme?« rief Devereaux und warf einen Blick auf
die herrliche Red Redwing, die ihn fassungslos anstarrte. »Mein
Gott, Sie haben recht.«
»Unter Bedingungen wie diesen habe ich selten unrecht, mein
Sohn. Commander Pinkus befiehlt Ihnen, zu dem schmierigen
Etablissement zu kommen, auf dessen Parkplatz wir uns beide
wiedergesehen haben. Er schickt den kanonenbewaffneten
Sergeant zu Ihnen, sobald er weiß, wo der sich aufhält ... Die
Gattin hat die Limousine offenbar mit Beschlag belegt, um zum
Einkaufen zu fahren und zudem steht sie im Moment mit dem
Commander nicht auf ihrem Sprechfuß - außer, daß sie wegen
irgendwelchen verdreckten Vorhängen und dem Gestank auf
dem Rücksitz zetert. Da soll es nach Fisch und Gebäck
riechen.«
»Wir sind schon unterwegs, aber ich werde Mutters Jaguar
nehmen müssen. Stosh ist mit meinem Wagen noch nicht
wieder da. Aaron soll Paddy also sagen, er soll nach dem
Jaguar Ausschau halten. ... Und was ist mit Ihnen, Mac? Offen
gestanden ist es mir im Grunde ja egal, doch wenn dieser
Unhold jetzt zwei Stockwerke unter Ihnen logiert?«
-2 3 2
»Ihre Besorgnis rührt mich zu Tränen, mein Sohn. Aber mir bleibt noch ein bißchen Zeit, das Biwak aufzugeben und sämtliche schriftlichen Unterlagen verschwinden zu lassen.« »Woher wollen Sie wissen, ob Sie wirklich die Zeit haben? Ich will ja nichts sagen, aber ganz und gar unbesiegbar sind auch Sie nicht! Dieser Schuft könnte Ihnen doch schon jetzt auf den Fersen sein.« »Nein, das wird noch eine Weile dauern, Sam. Desi-Zwo hat das Schloß von diesem Halunken manipuliert, so daß es nicht mehr zu öffnen ist. Die einzige Möglichkeit, sein Zimmer zu verlassen, wäre durch das im fünften Stock gelegene Fenster, oder aber, wenn das Hotel sich entschlösse, die ganze Tür rausnehmen zu lassen, was - da sich unter dem schönen Holzfurnier massiver Panzerstahl verbirgt - nicht ohne Schneidbrenner zu machen ist. Himmelherrgott noch mal, kenne ich mich im Akquirieren von Personal aus oder nicht!« »Ein Urteil darüber behalte ich mir vor, allerdings muß ich ihnen sagen, daß ich gestern abend ein höchst merkwürdiges Gespräch mit den beiden geführt habe.« »Das haben sie mir alles erzählt, mein Junge. Und was glauben Sie wohl, wollen die beiden machen? Zur Army gehen! Ich habe ihnen gesagt, sie sollten noch ein, zwei Tage damit warten, aber dann schicke ich sie gleich ins Trainingslager der G-Zwo. Mein Gott, die sind doch schon Lichtjahre weiter als die Ärsche, die den Kurs bereits absolviert haben! Gewiß, Desi-Eins muß sich seine Zähne aufpolieren lassen, es geht einfach nicht an, daß er mit dieser Zahnlücke im Mund rumläuft. Aber wozu habe ich schließlich meine Beziehungen, das machen sie schon bei der Army ...« »Und wir machen jetzt, daß wir hier rauskommen, Mac«, schnitt Devereaux ihm schroff das Wort ab. »Wie Sie selbst gesagt haben, haben wir keine Zeit zu verlieren.« Mit diesen Worten knallte Sam den Hörer auf die Gabel und wandte sich Red Redwing zu. »Wir stehen vor einem ernsthaften Problem«, sagte er und griff sie bei den Schultern. »Wenn ich mir ins
-2 3 3
Gedächtnis rufe, worüber wir bisher geredet haben: Würdest du
mir bitte vertrauen?«
»Emotional oder intellektuell?« fragte seine plötzlich von
Zweifeln geplagte juristische Gegenspielerin.
»Das eine läßt sich nicht vom anderen trennen. Man könnte
uns umlegen. Ich erklär's dir später.«
»Du sagtest, wir sollten machen, daß wir hier rauskommen:
Worauf warten wir also noch?«
»Erst müssen wir Mutter und Cousine Cora holen.»
»In der Sprache der Indianer heißt das: .Laßt uns laufen wie die
Nordwinde, bevor die Bleichgesichter mit ihren Donnerbüchsen
uns erreichen!«
»Mein Gott, das ist ja herrlich.«
»Was?«
»Das mit den >Nordwinden< und den >Donnerbüchsen<.«
»Nicht, wenn man in einen Indianerstamm hineingeboren
wurde, Jungchen! Komm schon! Du holst Cousine Cora und ich
deine Mutter.«
»Nicht umgekehrt? Du Cousine Cora und ich meine Mutter?«
»Du machst wohl Witze! Deine Mutter traut dir kein bißchen.«
»Das muß sie aber. Ich bin schließlich ihr Sohn.« »Das wird sie
abstreiten. Glaub mir, was ich sage.« »Aber ich liebe dich, und
du liebst mich. Darin waren wir uns doch einig.«
»Wir haben uns beide hinreißen lassen, du oberflächlich, und
ich, ich war intellektuell tief angerührt. Wir reden später
darüber.«
»Etwas Verletzenderes, glaube ich, könntest du mir nie sagen.«
»Dann probier's noch mal bei ruhigem Nordwind und mit einer
Donnerbüchse, die du mir an den Kopf hältst, Anwalt! Laß uns
gehen. Als ich Cousine Cora das letzte Mal gesehen habe,
stand sie in der Speisekammer und sortierte Teekannen. Such
du sie, und ich klemm mir deine Mutter unter den Arm. Wir
treffen uns in der Garage. Und vergiß die Schlüssel für den
Jaguar nicht!«
»In der Garage?«
-2 3 4
»Du vergißt, ich bin Indianerin. Wir schlagen erst einmal einen
Bogen um ein Lager, ehe wir zuschlagen. Der weiße Mann lernt
nie!«
»Wunderbar!«
»Sei jetzt still und laß uns gehen!«
Cora jedoch wollte nicht mit, und als Sam ihr zu verstehen gab,
ihr Leben schwebe womöglich in Gefahr, machte die entfernte
Verwandte unterhalb des Herdes ein verborgenes, nur
magnetisch verschlossenes Geheimfach auf, holte zwei
geladene Magnums Kaliber .357 heraus und behauptete, sie,
Cora, sei die wahre Beschützerin des Hauses. »Bildest du dir
ein, ich würde mich auf irgendwelche Alarmanlagen verlassen,
die immer nur losgehen, wenn es ihnen in den Kram paßt?
Aber da hast du dich gewaltig geirrt, Sammy! Ich stamme aus
einem anderen Zweig der Familie, einem, von dem die Ach-so-
Vornehme und ihr glattzüngiger Göttergatte nie besonders viel
gehalten haben, aber mein Gott, ich werde mir meinen
Unterhalt schon verdienen.«
»Ich halte aber nichts von Pistolen, Cora!«
»Tu, was du willst, Sammy. Aber dafür, daß sie sich um dieses
Haus kümmert, wird deine trinkfeste Cousine zehnten Grades
schließlich bezahlt - da beißt keine Maus den Faden ab, auch
du nicht, ist das klar, Jungchen?!«
»Jungchen? Zweimal Jungchen innerhalb von fünf Minuten, das
ist mehr, als ich verkrafte.« »Komisch reden tust du immer,
Sammy-boy.« »Habe ich dir jemals gesagt, daß ich dich liebe,
Cora?« »Ein paarmal schon. Immer dann, wenn du sturzvoll
warst! Und jetzt nehmt ihr beide - ich meine du und die mit den
sagenhaften Beinen - die Ach-so-Vornehme unter den Arm und
macht, daß ihr hier rauskommt ... Und möge der
gutprotestantische Herrgott sich irgendwelcher Strolche
erbarmen, die versuchen, hier reinzukommen. Vielleicht sollte
ich dennoch für alle Fälle die Polizei anrufen; sollen die doch
zur Abwechslung auch mal was tun, um sich ihren Unterhalt zu
verdienen!«
-2 3 5
Eine nicht ganz bei sich seiende Eleanor auf dem Rücksitz und
Redwing daneben, schoß der gelbe Jaguar von der Auffahrt
herunter und schlug die Richtung zur Landstraße nach Boston
ein. An der zweiten Ecke begegneten sie einer langgestreckten
schwarzen Limousine mit sämtlichen Gütezeichen einer Black
Maria, Jahrgang 1930 - ein an die Scheibe gedrücktes Gesicht
inklusive, dessen Züge man wohl am besten damit beschrieb,
daß jeder exzellente Tierfotograf die Linsen danach verdrehen
würde. Wiewohl wider alle Lust und Laune, drückte Devereaux
auf die Tube. Er war überzeugt, daß Cora zwei Pistoleros, die
so blöde waren, am hellichten Tag in einem so auffälligen
schwarzen Schlitten nach einer ihnen unbekannten Adresse zu
suchen, mehr als gewachsen war. Von den Bullen mal
abgesehen, seine Cousine x-ten Grades pustete sie mit ihren
Magnums bestimmt aus dem Weg. Woher hatte sie die
übrigens?
»Sam, deine Mutter muß aufs Klo!« sagte Redwing, Eleanor
Devereaux im Arm, zwölf Minuten später.
»So was tut meine Mutter nicht. So was machen nur andere
Leute. Sie würde doch niemals aufs Klo gehen.«
»Sie behauptet, das liegt in der Familie - Beweis für diese
Behauptung: deine Hose!«
»Kaffee!« »Behauptest du.«
»Nur noch ein paar Minuten, und wir sind bei Nanny's. Sag ihr,
bis dahin soll sie sich's noch verkneifen.«
»Nanny's Naugty Follies?« rief - entsetzt - die Tochter der
Wopotami, die Anwältin war. »Dahin fahren wir?«
»Du kennst den Schuppen?«
»Na ja, während des Studiums gab es da so etwas wie
juristischen Anschauungsunterricht. Eine Übung in
verfassungsmäßiger Zensur, solche Sachen ... Da kannst du
deine Mutter unmöglich hinbringen - der Laden ist rund um die
Uhr geöffnet.«
»Wir haben keine andere Wahl, Frau Anwältin. Außerdem sind
es nur noch zwei oder drei Minuten bis dahin.«
-2 3 6
»Das hält sie nicht durch!«
»Soll sie es doch auf die schwache Blase schieben; die ist
erblich in der Familie.«
»Du bist ein Kind, das die Dämonensaat der bösen
unterirdischen Geister in sich trägt.«
»Was zum Teufel soll das nun wieder heißen?«
»Es bedeutet, daß deine Geburt den wohlwollenden Göttern ein
Dorn im Auge war und daß dein Leichnam nach einem
qualvollen Tod von den Aasgeiern gefressen werden wird.«
»Das ist aber nicht besonders freundlich, Red. Ich meine, das
paßt so gar nicht zum Grundtenor unseres kleinen Plauschs in
meinem Arbeitszimmer.«
»Ich hab dir doch schon gesagt, daß ich mich da von etwas
habe hinreißen lassen. Nachdem ich Worte gehört habe, die ich
schon seit langer Zeit nicht mehr zu hören bekommen hatte
einer viel zu langen Zeit. Die Ausübung des Anwaltsberufs
bringt einen häufig in Konflikt mit der Liebe zum Recht. Da habe
ich momentan die Kontrolle verloren, und ich liebe es
keineswegs, die Kontrolle über irgendwas zu verlieren.«
»Wow, vielen Dank. Ein bißchen Seelenerforschung macht dich
an, egal, wer der Trottel ist, der sie in Gang setzt - ist es das?«
»Ich meine, in unserem Beruf könnten wir ein bißchen
Seelenerforschung hin und wieder alle gut gebrauchen.«
»Du bist also wirklich Anwältin?«
»Ja, bin ich.«
»Bei welcher Kanzlei?«
»Springtree, Basl and Karpas, San Francisco.«
»Himmel, das sind ganz scharfe Hunde!«
»Freut mich, daß du endlich was zu begreifen scheinst ... Wie
weit ist es noch? Deine Mutter kann kaum noch flüstern,
jedenfalls geht es ihr verdammt dreckig.«
»Keine Minute mehr. He, vielleicht sollten wir sie ins
Krankenhaus bringen! Ic h meine, wenn sie wirklich ...«
-2 3 7
»Vergiß das, Counselor! Das wäre ihr noch peinlicher als Nanny's. Die Teekanne war leer!« »Ist das jetzt wieder ein Zweiglein vom Baum der Weisheit der Wopotami? Nein, das kann nicht sein: Cora erwähnte Teekannen - und du auch.« »Manche Dinge, Mr. Devereaux, haben entfernt was mit der Tatsache zu tun, daß man eine Frau ist.« »Vielen Dank für den Mister«, sagte Sam und lenkte den Jaguar auf den Parkplatz von Nanny's Naughty Follies et cetera. »Kein Mensch muß durchmachen, was ich heute und gestern abend durchgemacht habe. Madman Mac und seine beiden absurden Adjutanten, bärtige Griechen, die meine Kleidung tragen, Aaron Pinkus, der mich >Samuel< nennt, ein Klagesatz, der am besten in irgendeiner juristischen Hölle verschwände, eine stockbetrunkene Mutter, die Teekannen leert, die Frau meines Lebens, die sich innerhalb von zwanzig Minuten erst in mich verliebt und dann wieder entliebt - und jetzt will mir auch noch ein hergelaufener Killer an den Kragen. Vielleicht sollte ich ins Krankenhaus!« »Vielleicht solltest du endlich anhalten!« rief Red Redwing, als Devereaux den Jaguar an dem langgestreckten, baldachinartigen Zugang zu Nannys Etablissement vorüberrollen ließ. »Setz bitte zurück!« »Deine Stammesgenossen vergraben ihre Gefangenen bis zum Hals in mörderischen Ameisenhaufen«, murmelte Sam. »Diese Möglichkeit werde ich mir offenhalten«, sagte Red und schob Eleanor Devereaux vorsichtig aus dem Auto. »Kriegst du vielleicht mal deinen Allerwertesten hoch und hilfst mir? Sonst ist der Killer aus Brooklyn noch die geringste unserer Sorgen.« »Schon gut, schon gut!« Sam tat, wie geheißen, und hakte seine Mutter schließlich unter, als die drei auf das eindrucksvolle Haus zugingen, das vollgekleistert war mit Fotos von nackten Männern und Frauen, an den Gipswänden ebenso wie über dem Türsturz. »Vielleicht sollte ich den Wagen nicht verlassen«, gab Sam leise zu bedenken. »Sehr scharfsinnig, Herr Rechtsanwalt«, stimmte Redwing nicht ohne einen gewissen Sarkasmus zu. »Vielleicht ist er in zwei -2 3 8
Minuten schon nicht mehr da. Ich habe ja Eleanor. Du warte nur einfach auf diesen Paddy, oder wie immer er heißt.« »Eleanor?« »Wir Frauen erkennen gleichgesinnte Seelen schneller als Männer. Wir sind eben heller ... Komm, Ellie, es wird schon gehen!« »Ellie?« wiederholte Devereaux erstaunt, als die umwerfende indianische Frau seine Mutter auf die Tür des Etablissements zuschob. »Kein Mensch nennt sie Ellie ...« »He, schnieker Schnucki!« ertönte es rauh von einem Schrank von Mann in mittleren Jahren, der mehr etwas von einem Affen hatte als von einem Menschen, jetzt neben dem Jaguar stand und offensichtlich eine Mischung aus Parkplatzwächter und Rausschmeißer darstellte. »Das hier ist nicht grade 'n GratisParkplatz. Schieben Sie schon ab mit ihrer Schwulenkutsche!« »Sofort, Herr Wachtmeister!« Unter den mißtrauischen Blicken von Nannys Sonder-Einsatzgruppen-Veteran marschierte Sam zurück zum Jaguar. »Ich bin kein Bulle«, sagte der schon etwas ältere Fleischfresser, als Devereaux sich ans Steuer setzte. »Sehen Sie darin bitte keine polizeiliche Behinderung, Mister.« »Schon verstanden, Sir.« Sam ließ den Motor an. »Sie gehören offensichtlich dem Diplomatischen Corps an«, setzte er dann noch hinzu, ließ das Steuer herumwirbeln und schoß in einem Kreis über den Parkplatz, wo er hielt. Sobald er Jennifer und seine Mutter wieder herauskommen sah, wollte er zurücksausen zu dem baldachinartigen Zugang, denn er ging davon aus, daß selbst Nannys betagter King Kong nicht unempfänglich sein würde für Reds Schönheit. Dann konnten sie alle drei auf Paddy Lafferty und die neuen Instruktionen warten ... Himmel, ein Vollstrecker! Und eine schwarze Limousine wie von einem Bestattungsunternehmen, die die Straße runter bis genau vor sein Haus fuhr! Was ging da vor? Selbstverständlich hatte er Verständnis dafür, wie verzweifelt Washington war, falls es auf seiten einiger Richter wirklich so was wie Sympathie für den Klagesatz der Wopotamis gab -2 3 9
aber ein Killer und eine Schwarze Maria mit einem Fahrgast, der wie der eben aussah, nein, so konnte eine zivilisierte Regierung doch nicht vorgehen! Man schickte Unterhändler, aber keine Killer. Da wurden verschwiegene Treffen vereinhart, um zu zivilisierten Lösungen zu kommen, und man startete keine Todeskommandos, um sie zu erzwingen. Himmel, dachte Devereaux. Andererseits, sollte Washington dahintergekommen sein, daß General a. D. MacKenzie Hawkins - Madman Mac The Hawk - hinter diesem potentiellen, wenn auch unwahrscheinlichen Anschlag auf die nationale Sicherheit stand, gab es wohl keine andere Lösung als Killer und Todesschwadronen. Der Falke scherte sich schließlich keinen Deut darum, ob es den Seidenslips von Dizzy City an den Kragen ging oder nicht. Diese Waschlappen, wie er sie nannte, hatten dafür gesorgt, daß es in seinem Leben keine Army mehr gab. Folglich gab es nichts, aber auch gar nichts, das zu ekelhaft gewesen wäre, es sie fressen zu lassen - und je höher er traf, desto besser. Himmel! Nein, zweimal Himmel! durchzuckte es Sam plötzlich wie eine Erleuchtung. Der Kerl an der Rezeption hatte die Namen Pinkus und Devereaux genannt! Wie um alles in der Welt hatte das geschehen können? Hawkins war vor noch nicht einmal achtzehn Stunden in Boston angekommen. Wie er behauptet hatte, wußte man in Washington von keinem Sam Devereaux, geschweige denn von einem Aaron Pinkus! Wie also? Selbst heute, im Zeitalter sekundenschneller, erdumspannender Kommunikation brauchte eine Quelle immerhin ein Faktum oder einen Namen, der sich übermitteln ließ, sonst konnte es nicht zur Information kommen. Wie also? Guter Gott, es gab nur eine Antwort: Der Falke wurde überwacht. Jetzt, in diesem Moment! Wo blieb Paddy? Himmel, Sam mußte Mac eine Nachricht zukommen lassen! Irgendwo ganz in der Nähe und vom Falken ungesehen, gab es eine Person, die jeden Zug, den der alte Stratege machte, beobachtete, und man brauchte kein Krimineller zu sein, um sich vorzustellen, daß dieser
-2 4 0
Unbekannte mit dem Vollstrecker zwei Stockwerke unter Mac in
Verbindung stand ... Paddy, wo bleibst du nur!
Sam sah zum baldachinartigen Eingang hinüber: Weder von
Red noch von seiner Mutter eine Spur, und auch Nannys
betagter King Kong war verschwunden. Vielleicht sollte er den
Münzfernsprecher benutzen, von dem aus er gestern abend
Hawkins im Hotel angerufen hatte. Er war drauf und dran, den
Motor anzulassen, als zu seiner Überraschung der riesige
Rausschmeißer aus der Tür kam, zum Rinnstein hinunterlief
und seinen Blick sofort auf Devereaux und den gelben Jaguar
heftete. Er winkte, forderte Sam auf, zum Eingang zu fahren. O
Gott, Mutter ist irgendwas zugestoßen! Devereaux ließ den
Motor aufröhren und hielt vierundzwanzig Sekunden später vor
dem überdachten Zugang. »Was ist los?« rief er laut dem
nunmehr lächelnden Affengesicht mit dem strähnigen grauen
Haar entgegen.
»Boyo, warum haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie zu Miss
Redwing gehören? Das iss 'ne dufte kleine Person, wissen Sie,
und ich war niemals so unfreundlich gewesen, hält' ich gewußt,
daß Sie'n Bekannter von ihr sind, 'tschuldigung, Mann!«
»Sie kennen Sie?«
»Naja, ehrlich gesagt, arbeite ich hier in dieser elenden Klitsche
länger, als ich denken kann, nämlich seit sie mich aus der Army
entlassen haben. Verstehn Sie, dies Etablissement hier gehört
meiner verwitweten Schwiegertochter, was damit zu tun hat,
daß sie mir den Abschied gegeben haben, denn mein Sohn,
dieser Blödmann, hat in die falsche Tasche gegriffen, um diese
Pinte hier zu kaufen, und im Kreuzverhör iss er dann schwer in
die Klemme geraten. Und Miss Redwing und ihre Freunde von
Haawadd haben gegen die Stadtverwaltung geklagt und 'ne
dickere Pension für mich dabei rausgeholt. Was sagen Sie
nun? Da sind Sie platt, was?«
»Dazu kann ich nichts sagen. Ich kapier im Moment überhaupt
nichts von dem Wirbel um mich rum ...«
-2 4 1
»Yeah, die hübsche kleine Indianerin sagte schon, sie wären
vielleicht 'n bißchen durcheinander, vor allen Dingen sollte ich
mir bei Ihrer Hose nix denken.«
»Die hab ich gewechselt. Das weiß sie ganz genau.«
»Und mich interessieren die Einzelheiten nicht im geringsten,
Boyo. Aber das eine lassen Sie sich von mir gesagt sein:
Vergreifen Sie sich an dieser Frau, und Sie kriegen 's mit mir zu
tun, Mann. Und jetzt steigen Sie aus und gehen Sie rein zu den
Damen. Ich paß solange auf Ihren Superluxusschlitten auf.«
»Da rein soll ich gehen?«
»Sie sind nun mal nicht auf 'ner Yacht im Hafen von Boston,
Mann!«
Ein völlig verdatterter Devereaux stieg aus und rang auf dem
Bürgersteig noch mit dem Gleichgewicht, als Aaron Pinkus'
Limousine über den Parkplatz gedonnert kam, auf den gelben
Jaguar zuschoß und mit quietschenden Reifen dahinter zum
Stehen kam. »Sammy!« rief Paddy Lafferty vom
runtergekurbelten Fenster aus. »Ach, hallo, Billy Gilligan - wie
geht's?«
»Es geht, es geht, Paddy«, erwiderte Nannys nicht mehr ganz
so grantiger King Kong. »Und selbst?«
»Jetzt schon besser, wo ich seh, daß du meinen Boyo hier im
Schlepptau hast.«
»Der gehört zu dir?«
»Zu mir und meinem feinen Arbeitgeber.«
»Dann nimm ihn, Paddy. Er iss reichlich durcheinander,
verstehst du. Ich paß solange auf eure Autos auf.«
»Danke, Billy«, sagte Lafferty, sprang aus dem übergroßen
Automobil und lief auf Sam und Tarzans ziemlich gewachsene
Cheeta zu. Devereaux schien Luft für ihn zu sein. »Billy-boy, du
würdest es nicht glauben, was ich dir zu erzählen habe, aber
ich schwöre es auf alle Gräber der Grafschaft Kilgallen!«
»Und das wäre, Paddy?«
-2 4 2
»Ich hab den Mann nicht nur persönlich kennengelernt, nein, er
fuhr neben mir auf dem Beifahrersitz, und wir haben uns
ernsthaft unterhalten! Wir beide ganz allein, Billy!«
»Du und der Papst, Paddy? Dein jüdischer Brötchengeber hat
den Papst rübergebracht?«
»Noch einen besser, Billy.«
»Hm, da wüßte ich nicht recht ... außer, 'türlich, aber das
kommt wohl nicht in Frage.«
»Falsch gedacht, Billy - du triffst den Nagel auf den Kopf.
Genau den, und in höchsteigener Person: Hawkins!«
»Was du nicht sagst, Paddy. Ich fall gleich tot um!«
»Aber es stimmt, Billy Gilligan! Er war es selbst, in
gottgegebenem Fleisch und Blut. Nie hat es einen
großartigeren Menschen gegeben. Weißt du noch, wie wir uns
in Frankreich drüben unterhalten haben, als wir durch die
Marnefelder vorstoßen sollten? >Gib uns Mac, und wir hauen
diesen gottverfluchten Krauts die Hucke voll!< Und dann hatten
wir ihn, zehn ganze Tage lang, und schafften den Durchbruch
und sangen und schrien uns die Lunge aus dem Leib. Immer
vorwärts, und ganz vom an der Spitze er, Billy, und er schrie
sich die Lunge aus dem Hals und sagte, wir könnten es
schaffen, weil wir besser wären als die Hunde, die uns in Ketten
legen wollten. Weißt du noch, Billy?«
»Das war der größte Tag in meinem Leben, Paddy«, erklärte
Gilligan mit Tranen in den Augen. »Abgesehen von unserem
lieben Herrn Jesus, ist er vielleicht der größte Mensch, den Gott
je auf die Erde geschickt hat.«
»Und jetzt, Billy, glaube ich, sitzt er in der Klemme. Und zwar
hier in Boston.«
»Nicht, solange wir da sind, Paddy. Nicht, solange der Pat-
O'Brien-Gedächtnis-Verein noch ein lebendiges Mitglied hat.
He, Paddy? Was in mit deinem Boyo los? Der liegt ja platt auf
'm Bürgersteig.«
»Iss ohnmächtig geworden, Billy. Muß in der Familie liegen.«
-2 4 3
»Mmmmfft!« entlud sich unbewußt der Protest aus Sam Devereaux' Brust.
-2 4 4
13. KAPITEL »Samuel Lansing Devereaux«, rief Lady Eleanor mit erstaunlicher Festigkeit in der Stimme, wenn man bedenkt, wie schwach auf den Beinen sie sich unter dem baldachinartigen Zugang zu Nannys Etablissement haltsuchend an Jennifer Redwings Arm klammerte. »Kommen Sie schon, Sam, Boyol«, sagte Paddy. »Nehmen Sie meine Hand!« »Der wiegt doch weniger als meine Schwiegertochter, Lafferty!« meinte Billy Gilligan. »Wir schaffen das schon, ihn in den Hebräer-Schlitten reinzuheben.« »Deine Schwiegertochter sollte Football für die Patriots spielen, Billy. Außerdem bitte ich dich, nie wieder abfällig von Mr. Pinkus' Limousine zu sprechen!« »Was meinst du wohl, wo ich den Ausdruck her habe, Paddy?« fragte Gilligan glucksend, während die beiden Männer Devereaux zur Limousine trugen und ihn auf dem Rücksitz verstauten. »Streng deinen Grips gar nicht erst an, ich sag's dir: vom alten Pinkus selbst, Boyo. Erinnerst du dich noch, als du und er rüberkamen und wir ...« »Das reicht jetzt, Billy. Vielen Dank für deine Hilfe. Die Schlüssel im Jaguar stecken, und noch dankbarer wäre ich dir, wenn du ihn irgendwo abstellen würdest, wo du ihn im Auge behalten kannst.« »Oh, no, Lafferty!« protestierte Gilligan. »Ich ruf meine Ablösung an, und dann fahren wir schnurstracks rüber zum PatO'Brien-Gedächtnis-Verein und trommeln die Mitglieder zusammen. Wenn der größte General, der je das Schlachtschwert geküßt hat, in der Tinte sitzt, kann er sich auf uns verlassen, bei den Gräbern von Donegal!« »Aber wir können nichts machen, Billy, bis der General und Mr. Pinkus Anweisung geben. Ich bleib mit dir in Verbindung, mein Wort als Kanonier darauf!« »Ist das herrlich! Diesen Prachtmenschen persönlich kennenzulernen - US-General MacKenzie Hawkins!« -2 4 5
»Ach, dieser fürchterliche Name!« entrang es sich Eleanors
Brust.
»Dem kann ich nur von ganzem Herzen zustimmen, Ellie!«
schloß Red sich ihr an.
»Mmmmfff!« ließ es sich gedämpft vom Rücksitz der Limousine
her vernehmen.
»Achte nicht weiter drauf, Gilligan, den Frauen geht es nicht
besonders ... Aber ich habe dir nicht versprochen, daß du den
großen Mann persönlich kennenlernst, Billy. Ich habe nur
gesagt, ich will versuchen, das zu arrangieren.«
»Und ich hab nicht versprochen, den Jaguar nicht zu
verscheuern, Paddy. Ich hab nur gesagt, ich würde mich
bemühen, es nicht zu tun.«
»Kommen Sie, meine Damen!« schnitt Lafferty ihm das Wort ab
und funkelte Gilligan böse an. »Ich bringe Sie jetzt zum Ritz-
Carlton, wo Mr. Pinkus alles in die Wege geleitet hat, um ...«
»Paddy!« kam es gellend von dem halb wieder zu Bewußtsein
gekommenen Sam Devereaux auf dem Rücksitz. »Ich muß
unbedingt Mac erreichen. Er hat ja keine Ahnung, was los ist!«
Mit fahrigen Bewegungen rutschte der Anwalt hinten aus der
Limousine hinaus, knallte die Tür hinter sich zu und kroch dann
zur Konsole des Autotelefons.
»Meine Damen, bitte!« drängte Lafferty, half Jennifer sanft,
Eleanor auf dem Rücksitz zu verstauen, und machte die Tür
hinter den beiden zu. Dann klemmte Paddy sich hinters Steuer.
Es beunruhigte ihn, daß Sam solche Schwierigkeiten mit der
Vermittlung des Four Seasons hatte.
»Was wollen Sie damit sagen, daß sämtliche Anrufe für die
Pinkus-Suite in ein anderes Zimmer durchgestellt werden
sollen?« rief Devereaux erregt.
»Beruhigen Sie sich, Boyo«, sagte Lafferty und ließ den Motor
an. »Mit Honig erreichen Sie mehr als mit Essig!«
Sam funkelte den Chauffeur an. »MacKenzie Hawkins
Superstar«, murmelte er. »Warum schreibt ihr Clowns nicht ein
neues Musical? ... Ist was, Vermittlung? Besetzt? Nein, lassen
-2 4 6
Sie nur. Ich rufe später wieder an ... Ich muß Aaron erreichen«, sagte Devereaux und drückte auf die Telefontasten. »Das wird im Moment nicht leicht sein«, gab Lafferty zu bedenken und beschleunigte den Wagen. »Als er mich anrief, sagte er, er wäre jetzt für eine Stunde oder so nicht zu erreichen und wolle sich später mit Ihnen im Ritz treffen.« »Sie verstehen nicht, Paddy! Sie könnten Mac inzwischen hochgenommen haben ... oder noch schlimmer!« »Den General?« »Die sind hinter ihm her, seit er in Boston gelandet ist.« »Bei Gott!« fluchte Lafferty. »Geben Sie mir den Apparat, ich ruf die Pat-O'Brien-Boys im Verein an! Und ich werde Nachricht für Billy Gilligan hinterlassen ...« »Lassen Sie mich es vorher noch mal im Hotel versuchen!« Wie gehetzt wählte Sam die Nummer und warf über die Schulter einen Blick in den hinteren Teil der Limousine. Der harte Ausdruck in Redwings schimmernden Augen verriet ihm, daß sie den Ernst der Lage vollkommen begriffen hatte, seine Mutter hingegen klapperte nur sinnlos mit den Augendeckeln. »Bitte, verbinden Sie mich mit der Pinkus-Suite. Ich bin mir durchaus darüber im klaren, daß sämtliche Anrufe eigentlich in ein anderes Zimmer durchgestellt werden sollen.« Devereaux hielt die Luft an, bis eine fremde, quengelnde und gereizte Stimme sich meldete. »Hier spricht Linie Joey!« sagte Mann/Frau/Hermaphrodit oder Zwerg. »Was wollen Sie?« »Offenbar bin ich im falschen Zimmer gelandet«, erwiderte Sam, nach Kräften bemüht, keine Panik aufkommen zu lassen. »Ich versuche, General MacKenzie Hawkins zu erreichen, dem zweimal die Congressional Medal of Honor verliehen wurde, Held der US-Army und ein enger Freund sämtlicher Joint Chiefs of Staff und des Präsidenten, der keinen Moment zögern würde, das Hotel stürmen zu lassen, falls das Leben des Generals in irgendeiner Weise bedroht wäre!« »Ich hab' kapiert. Sie wollen den großn Pasta-Macker ... He, irrer Ire, das iss für Sie!« -2 4 7
»Mit dieser mangelnden Ehrerbietung Vorgesetzten gegenüber
werden Sie nie befördert werden, Little Joseph!« ertönte
näherkommend die knurrende Stimme des Falken.
»Commander Pinkus, sind Sie das?«
»... Little Joseph? Mac, was wird da gespielt? Ach, lassen wir
das jetzt, dazu haben wir keine Zeit. Man folgt Ihnen! Seit Ihrer
Landung in Boston ist Ihnen einer auf den Fersen.«
»Nanu, Lieutenant Devereaux, Sie machen sich! Ich meine, Sie
zählen schon ab wie ein richtiger Sergeant - womit ich nichts
gegen Ihre Streifen gesagt haben will.«
»Dann sind Sie sich darüber im klaren?«
»Naja, das lag doch wohl auf der Hand, nachdem mein Adjutant
mir meldete, was er an der Rezeption mit angehört hatte.«
»Aber Sie haben gesagt, Sie wüßten nicht, wie das sein könnte,
jedenfalls wäre das nicht Hymie So-und-sos modus operandi.«
»Zu dem Zeitpunkt hatte ich wirklich noch keine Ahnung. Jetzt
weiß ich's besser. Dieser Bursche hier war nicht schwer zu
finden, er hatte nämlich seine Tür genau viereinhalb Zentimeter
weit offenstehen.«
»Um alles in der Welt, reden Sie endlich Klartext.«
»Hab ich doch gerade, und Sie müssen unbedingt raus aus der
Leitung. Wir erwarten nämlich einen Anruf.«
»Von wem?«
»Ich dachte, dahinter wären Sie längst gekommen.«
»Wieso das?«
»Sie haben mich doch fragen hören, ob Sie er wären.« »Er?«
»Was?«
»Ach, lassen wir das ... Wer?« »Commander Pinkus, natürlich.«
»Der ist unterwegs zum Ritz.« »Das wird noch eine ganze
Weile dauern, mein Sohn. Er und meine Adjutanten sorgen
gerade für Nachschub.«
»Wer zum Donnerwetter ist Little Joseph?« »Das ist irgendwie
ein lieber alter Bursche«, antwortete der Falke und senkte die
Stimme fast bis zur Unhörbarkeit. »Von Größe und Gestalt hat
-2 4 8
er was von einem guten Nachtspäher, besonders in bergigem
Gelände, nur fürchte ich, daß Alter und Temperament ihn nicht
mehr zu diesem Job befähigen ... Ich hätte ja nichts dagegen,
ihm das rundheraus zu sagen, nur könnte das sein ganzes
Selbstwertgefühl zerstören, und dafür haben Sie ja wohl
Verständnis, nicht wahr, Lieutenant?«
»Ich verstehe überhaupt nichts mehr! Was für einen Job?«
»Diese Schwuchteln in Dizzy City müssen wirklich bescheuert
sein«, fuhr der General raschzüngig und so leise fort, daß
Devereaux ihn kaum noch verstand. »Sohn einer läufigen
Hündin - so was hat uns nie was zu schaffen gemacht.«
»Aus Washington, sagen Sie?«
»Ich weiß, ich weiß«, erklärte der Falke mit matter, gleichwohl
ungeduldiger Endgültigkeit. »Commander Pinkus hat erklärt, es
sei überaus wichtig, daß wir ihm die Möglichkeit lassen, alles
abzustreiten.«
»Alles abzustreiten?« »Wiedersehen, Sam.« Es wurde
aufgelegt.
»Was ist?« fragte Jennifer angespannt, lehnte sich auf dem
Rücksitz vor, wobei ihre rechte Hand Eleanors Schulter nicht
losließ.
»Ist mit dem großen und hehren General alles in Ordnung,
Boyo?« rief Lafferty, beschleunigte und nutzte jede Lücke im
Verkehrsfluß aus, um voranzukommen. »Soll ich nicht doch
Gilligan und die Truppen rufen?« »Ich weiß nicht, Paddy, ich
weiß es wirklich nicht.« »Kommen Sie mir nicht mit so was,
mein Junge.« »Was weißt du wirklich, Sam?« fragte Jennifer
gelassen und voller Mitgefühl - sie war ganz die überlegene
Anwältin. »Laß dir Zeit und sammle deine Gedanken.«
»Laß das mit der freundlichen Befragung, bitte; denn genau das
tue ich: meine Gedanken sammeln. Ich versuche
dahinterzukommen, was los ist, und das ist gar nicht einfach,
sondern schlicht verrückt.«
»Dann spielen Sie Ihre Rolle mal gut, Herr Anwalt.« »Das klingt
schon besser, Red. Mac hat augenscheinlich alles unter
-2 4 9
Kontrolle. Meine Vermutung geht dahin, daß er den Mann
gefunden hat, der ihn verfolgt hat, sonst wäre er nicht so
herablassend. Und außerdem hat er herausgefunden, daß die
Überwachung von Washington ausgeht.« »Ach, du liebes
bißchen!«
»Du sprichst mir aus dem Herzen, verliebte und entliebte Miss
Indiana! Gewisse Kräfte in Dizzy City gehen die Wände hoch,
und das ist das schlimmste, was uns passieren kann.«
»Was für Kräfte, Herr Anwalt?«
»Nach allem, was ich mir zusammenreimen kann, sind sie
jedenfalls mit größter Vorsicht zu genießen. Die Abgesandten,
die sie nach Boston geschickt haben, reisen mit scharfer
Munition.«
»Das wurden sie nicht wagen!« rief Jennifer Redwing.
»Wollen wir uns noch mal mit Watergate oder dem Iran-Contra-
Skandal befassen? Oder im nachhinein die Hälfte aller in
Chicago abgehaltenen Wahlen seit 1920 in Frage stellen? Da
gibt es so was wie >nicht wagen< einfach nicht! Doch selbst
wenn es anders wäre - denk doch mal an das Geld, das bei all
diesen historischen Schurkereien geflossen ist, und dann
vergleiche es mit dem, was man Monat für Monat für den
Strategie Air Command ausgibt. Da ändert sich plötzlich die
Dimension, Indian Lady, denn da geht es um Megamilliarden.
Glaubst du etwa, unsere ach so altruistisch sich gebärdenden
Rüstungsfirmen, die allesamt im Auftrag des
Verteidigungsministeriums arbeiten, samt ihren Repräsentanten
überall im Land - Rüstungszulieferungsbetriebe von Long Island
bis Seattle -, meinst du etwa, die würden nicht ihre
Alarmsirenen aufheulen lassen, wenn der
Verteidigungshaushalt auch nur um ein zehntel Prozent gekürzt
werden sollte? Glaubst du etwa, die würden nicht sofort alle
nach Blut schreien? So was wie das hier könnte alle ihre
Vampir-Schleusen öffnen!«
»Du gehst also davon aus, daß der Wopotami-Klagesatz dem
Obersten Bundesgericht vorliegt und darüber debattiert werden
soll?«
-2 5 0
»So weit braucht man doch gar nicht zu gehen. Es genügt
schon, daß durchgesickert ist, es könnte einmal zu einer
Debatte darüber kommen. Oder schlimmer noch: Der Klagesatz
könnte zu einem späteren Zeitpunkt zur Beratung vorgelegt
werden.«
»So was dient immer als Vorläufer einer ernsthaften späteren
Beschäftigung damit«, lieg Jennifer sich vernehmen.
»Du hast also kapiert. Ob so oder so, die Geldsäcke und ihre
politischen Helfershelfer werden zum Gegenangriff blasen.«
»Moment mal, Sam«, bat Red Redwing, die eine Hand an
Eleanors Kopf, die andere auf Sams Schulter. »Ein
Gegenangriff im Kongreß, das bedeutet Sprecher oder Anwälte,
die sich im Abgeordnetenhaus oder im Senat einsetzen, aber
doch keine Killer!«
»Zugegeben. Nur ist der Kongreß gerade in den Ferien, und ich
beantrage, unsere augenblickliche Situation als Beweismittel
unter A vorzulegen.«
»Ich verstehe, was du meinst. Die Killer sind da. Folglich muß
so oder so etwas durchgesickert sein ... Oh, mein Gott, dann
müssen sie uns alle zum Schweigen bringen.«
Paddy Lafferty riß das Funktelefon aus der Halterung und tippte
mit geübtem Daumen die gewünschte Nummer ein. »O’Brien-
Gedächtnis-Verein?« rief er, um nach kaum einer Sekunde mit
fester Stimme weiterzusprechen: »Ist Billy Gilligan da? Schon
gut, schon gut, ich bin ja schon froh, daß das mit der
Telefonkette klappt. Aber jetzt hör mir mal zu. Sobald Billy G.
eintrifft, soll er eine Kolonne von bewaffneten Fahrzeugen zum
Four Asses Hotel in der Boylston Street anführen und sämtliche
Eingänge kontrollieren. Kapiert, mein Junge! Es geht um den
großen Mann, und irgendwelche Fehler darf es nicht geben!
Wiedersehen - und 'n bißchen dalli, wenn ich bitten darf.«
»Paddy, was haben Sie gemacht?«
»Es gibt Zeiten, Sam, Boyo, wo man vorwärtsstürmt und dann
erst zurückblickt. Das ist eine Lektion, die ich im Laufe von
zehn ruhmreichen Tagen in Frankreich gelernt habe!«
-2 5 1
»Aber wir sind nicht in Frankreich, und das hier ist auch nicht der Zweite Weltkrieg. Falls es im Hotel auch nur die leisesten Hinweise auf irgendwelche unmittelbare Gefahr gibt, ruft Aaron die Polizei. Im Moment ist alles völlig undurchsichtig, aber Mac und unser schneller Brüter von Brötchengeber stehen in Kontakt miteinander. Ich wiederhole, Aaron ist kein Gung-hoMutant, und entscheidungsfreudig ist er auch. Wenn er meint, die Polizei sollte da sein, wird sie da sein.« »Ich weiß nicht, Boyo. Der Polizei sind in vieler Hinsicht die Hände gebunden - fragen sie Billy Gilligan, der wird es Ihnen bestätigen.« »Das hat er bereits, Paddy, aber wir wissen nun mal nicht, was Mac und Aaron vorhaben, und solange wir das nicht wissen, könnten wir ihnen alles vermasseln. Und jetzt pfeifen Sie die Hunde von Killamey zurück!« »Er hat recht, Mr. Lafferty«, ließ Jennifer sich vom Rücksitz her vernehmen. »Verstehen Sie, ich bin durchaus nicht gegen Schutz, und ich wäre dankbar, wenn unsere Freunde, nun, sagen wir, zur Verfügung stünden. Aber in einem Punkt hat Sam recht: Wir tappen im dunkeln, und vielleicht sollten wir nichts unternehmen, bis wir mit Mr. Pinkus gesprochen haben. Ich denke, vorhin bei Nanny's haben Sie Mr. Gilligan mehr oder weniger das gleiche gesagt.« »Nun, Sie haben es besser ausgedrückt als dieser grüne Junge hier ...« »Ich habe mich nur Ihrer eigenen Worte und Ihrer Weisheit bedient, Mr. Lafferty.« »Billige Taktik«, murmelte Devereaux. »Na, schön«, sagte Paddy, »ich kann sie zurückpfeifen«, und tippte die O'Brien-Nummer nochmals ein. »Ich hab mich da wohl momentan etwas hinreißen lassen ... Hallo, O'BrienVerein? ... Wer iss'es diesmal? Rafferty? Hier spricht Lafferty, Boyo. Ist Gilligan noch nicht da? ... Was ist er? Heilige Maria ... und wie schlimm ist es? ... Wenn nichts Schlimmeres passiert ist, ist es ein Segen, Rafferty. Und jetzt hör mir mal zu, mein Junge: Was unsere Mitglieder betrifft, die sich im Moment zum Four Seasons an der Boylston Street aufmachen, sag denen -2 5 2
bitte ...« Plötzlich rutschte die Limousine seitlich weg und geriet
dabei gefährlich nahe an einen riesigen Laster heran. «Was
hast du, Rafferty? Wovon zum Teufel redest du eigentlich,
Boyo? Jesus, Maria und Joseph!« Aaron Pinkus' Chauffeur
schluckte, wortlos legte er das Telefon zurück in seine
Halterung.
»Was ist los, Paddy?« fragte Sam und sah Lafferty an, als
würde er die Antwort gar nicht gern hören.
»Die Jungs müssen gerade losgefahren sein, Mr. Devereaux.
Allerdings, es handelt sich nicht um eine vollständige Kolonne,
die ja üblicherweise aus vier Fahrzeugen besteht, sondern nur
um drei Wagen, und es könnte sein, daß ein paar von den
Jungs sternhagelvoll sind.« »Ach, du liebes bißchen!«
»Die gute Nachricht aber ist, daß es Billy Gilligan nicht allzu
schlimm erwischt hat.«
»Verletzt?«
»Er ist auf dem Highway in eine Massenkarambolage geraten,
und das Auto ist wohl mehr oder weniger Schrott. Einer der
Polizeibeamten, die an den Unglücksort kamen, gehört dem
Verein an und hat angerufen, um den anderen zu sagen, in
welches Krankenhaus man Billy gebracht hat.«
»Krankenhaus ...?«
»Es ist ja nichts Schlimmes mit ihm passiert. Er randaliert nur
rum, um wieder rauszukommen und sich den anderen
anschließen zu können.«
»Ja, dann lassen wir ihn doch! Vielleicht kann er sie aufhalten!«
»Naja, da gibt es noch die eine oder andere Formalität zu
erledigen ...«
»Wenn er randalieren kann, dann kann er auch raus!« Erregt
riß Sam das Telefon heraus. »Welches Krankenhaus?« fragte
er wütend.
»Damit werden wir nichts erreichen, Boyo. Der ganze Bericht
über den Auffahranfall ist ziemlich konfus. Denn, verstehen Sie,
es war ja nicht grade sein Auto, mit dem er auf dem Highway
unterwegs war. Es war vielmehr der gelbe Jaguar Ihrer Mutter.«
-2 5 3
»Yellooow bird ...«, kamen Text wie Melodie lallend, aber im
höchsten Diskant und mit gefühlvollem Tremolo aus der Kehle
der auf dem Rücksitz hingegossenen Eleanor Devereaux.
»He, comandante, was sagn Sie nu?« fragte Desi-Eins, reckte
sich in dem prachtvollen Cutaway mit den fliegenden Schößen
zu voller Größe empor und bewunderte sich im Spiegel eines
erfolgreichen Abendgarderobe- und Kostümverleihs, der
praktisch durch die Anwaltskanzlei Aaron Pinkus Associates ins
Geschäft gekommen war.
»Wirklich überwältigend«, erwiderte Aaron von seinem
samtbezogenen Sessel aus, dessen Rollen sich freilich im
langen Flor des schimmernd schwarzen Teppichs nicht
bewegen wollten. »Wo ist denn Ihr Kompagnon, der andere
Corporal Amaz?« »Wir sind jetzt Sergeants, comandante!«
»Ich bitte ergebenst um Entschuldigung, aber wo steckt er? Wir
müssen weiter!«
»Ach, verstehn Sie, die Dame, die ihm seine pantalones
anmißt, die stammt aus Puerrto Rriekoh, un' ich denk, die
haben ein ....«
»Wir haben aber keine Zeit ...«
»Desi-Uno!« rief gellend Sergeant D-Zwo. »Venga! Vamos!
Ahorita! Auf der Stelle, Mann!«
Etwas schafsköpfig grinsend trat Desi-Eins aus der
Garderobentür heraus, ihm folgte auf dem Fuße ein überaus
üppiges, dunkelhaariges Mädchen, das viel Gewese darum
machte, ihr Maßband zu strecken und abzulesen und derweil
die Bluse wieder zurechtzuziehen. »Comandante«, sagte D-
Eins und verzog den Mund zu einem breiten Grinsen, so daß
seine Zahnlücken allzu auffällig zu sehen waren. »Hose wir
mußten enger machen. Meine Hüften sind schmal wie von
toreador! Was soll ich sagn?« Auch er trug einen Frack, und es
ließ sich nicht leugnen: Desi-Eins machte ebenfalls eine
fabelhafte Figur.
»Sie sehen prachtvoll aus, Sergeant Arnaz!« meinte Pinkus.
-2 5 4
»Und jetzt, bitte, zu meinem Kieferorthopäden! Er sagt, er hätte zwischen vierzig und fünfzig Plastikprothesen daliegen, von denen er behauptet, er könnte sie Ihnen einkleben, so daß sie ein oder zwei Stunden in Ihrem Mund halten.« »Das iss schön. Un' was macht der Mann beruflich?« »Joseph, ich hab Ihre Ausreden allmählich satt«, sagte der auf dem Schreibtischstuhl des Hotelzimmers sitzende Falke, während sich Joey das Leichentuch, die Hände im Nacken verschränkt, auf dem Bett rekelte. »Ich könnte Ihnen eins nach dem anderen die Handgelenke brechen und Sie zwingen, mir zu sagen, wer Sie sind und wo Sie herkommen, doch habe ich solche Methoden schon immer als barbarisch verabscheut - sie verstoßen gegen die Genfer Konventionen. Aber wenn es hart auf hart geht, Joseph, bleibt mir keine andere Wahl. Also?« »Ich hab euch große Tiere nun mein Leben lang erlebt, irrer Ire. Ha-ha!« entgegnete Little Joey unbeeindruckt. »Ich kann genau sagen, wer nur große Töne spuckt, und wer seine Drohungen auch wahr macht ... Ach, ihr harten soldados rammt Köpfe gegeneinander, daß es scheppert wie Pizzapfannen bei einem Krawall in Brooklyn. Aber wenn es Mann gegen Mann geht und ihr nicht in der Übermacht seid, dann kneift ihr.« »Verdammt nochmal!« röhrte Hawkins und erhob sich bedrohlich von seinem Schreibtischstuhl. »Ich kneife nicht!« »Wenn Sie das nicht täten, würd ich vor Angst in die Hose machen, und ich mach's nicht ... Ihr seid genauso wie die fascisti von Salerno den ganzen italienischen Stiefel bis nach Rom rauf. Ich war damals 'n kleiner Ganove auf der Straße, aber was mich von denen unterschied, das hab ich immer gewußt ... Erwischten sie mich, schrien sie esecuzione! Und dann haben wir uns unterhalten, und sie haben gesagt: Non me ne importa un bei niente - wen kümmert's, der Krieg ist vorbei und ließen mich laufen. Dabei warn 'n paar von diesen Kerlen die größten Blödmänner der ganzen italienischen Armee.« »Der ... Armee? Soldaten? Salerno? Sie wären ...« »Bei der Fünften Armee, Mark Clark, großes Tier! Ich nehm an, wir sind ungefähr gleichaltrig, höchstens, daß Sie noch 'was besser -2 5 5
aussehn. Aber wie gesagt, ich war der letzte Arsch, bis sie
dahinterkamen, daß ich besser Italienisch konnte als die
Dolmetscher: Folglich steckten sie mich in Zivilklamotten,
beförderten mich vorübergehend zum First Lieutenant, weil sie
dachten, ich würd's sowieso nur für anderthalb Tage machen,
und schickten mich nach Norden, von wo ich Informationen
zurückfunken sollte. War keine große Sache, aber ich hatte 'n
Haufen lire und ragazze und vino, soviel ich wollte. Erwischt
worden bin ich nur dreimal, wie ich schon gesagt hab.«
»Joseph!« rief der Falke laut. »Wir sind Kameraden!« »Falls Sie
'n Scheißhomo sind, bleiben Sie mir vom Leib, irrer Ire!«
»Nein, Joseph, ich bin ein General!« »Weiß ich doch, großes
Tier!« »Und Sie sind ein First Lieutenant!»Das zählt heute nicht
mehr. Als meine Vorgesetzten dahinterkamen, daß ich in Rom
'n paar Meilen nördlich der Villa d'Este 'ne ruhige Kugel schob,
wurde ich wieder zum letzten Arsch. Ich kann mit euch
Scheißern nix anfangen.«
Das Telefon schrillte. MacKenzie funkelte es wütend an, faßte
aber zwischendurch immer wieder den Schützen Little Joey ins
Auge. Endlich nahm er ab. »Provisorisches Hauptquartier!«
röhrte er.
»Ich würde vorschlagen, sich weniger schrill zu melden«, sagte
Aaron Pinkus am anderen Ende der Leitung. »Ihre Adjutanten
sind soweit. Haben Sie erfahren, was wir wissen müssen?«
»Bis jetzt leider nicht, Commander. Er ist ein vorzüglicher alter
Soldat.«
»Ich werde mir nicht anmaßen, diese Behauptung zu
verstehen. Gehen wir also wie verabredet vor?«
»Gehen Sie vor, Sir!«
Die drei Automobile des Pat-O'Brien-Gedächtnis-Vereins rasten
die Clarendon Street runter, karriolten um die Ecke, bogen in
die Boylston Street ein und näherten sich, wie zuvor
verabredet, bis auf einen Block dem Four Seasons Hotel, wo
jedes Fahrzeug sich eine Parklücke suchte. Rasch
versammelten die Männer sich dann um den Wagen herum, der
dem Hoteleingang am nächsten stand, wobei ihre d'avant
-2 5 6
guerre-Einsatzbesprechung etwas von den Duffy-Brüdern aufgehalten wurde, die man über die Telefonkette nicht hatte erreichen können, da sie wegen eines kleinen Streits mit ihren Ehefrauen, die zufällig Schwestern waren, seit den frühen Morgenstunden in der Bar des Vereinslokals gehockt hatten. »Ich bin mir verdammt sicher, irgendwo und irgendwie sagt die Kirche, daß das, was wir getan haben, Sünde war, Petey!« ereiferte sich ein grauhaariger Duffy-Bruder, als er zur Einsatzbesprechung geführt wurde. »Aber das ist doch schon dreißig Jahre her, Bobby.« »Aber sie sind Schwestern, Petey. Und wir sind Brüder.« »Aber sie sind doch nicht unsere Schwestern, Bobby.« »Trotzdem, Brüder und Schwestern ... Ich bin mir sicher, da iss irgendwas faul dran, Boyo.« »Haltet ihr beiden mal den Mund!« befahl ein gewisser Harry Milligan mit ledriger Gesichtshaut, den ein verwunderter Billy Gilligan mit dem Oberbefehl über die kleine Brigade betraut hatte. »Ihr seid zu besoffen, um zu kämpfen. Deshalb befehl ich euch, Wache zu stehen.« »Und was bewachen wir?« fragte ein schwankender Bobby Duffy und fuhr sich mit der Hand durch das nicht auf seiner Glatze vorhandene Haar. »Woher kommen die Krauts denn?« »Nix da von wegen Krauts, Bobbo! Es geht um die Dreckskerle, die vorhaben, dem großen General das Herz aus'm Leib zu schießen.« »Und wie sehn die aus, Harry-boy?« wollte der vierschrötige Peter Duffy wissen, griff nach dem Seitenspiegel und verbog ihn allein Kraft seines nicht unbedeutenden Gewichts - und zwar nach unten. »Woher soll ich das wissen, Petey?« sagte der Kommandeur der Milligan-Gilligan-Brigade. »Ich würde mal meinen, die kommen wie ein Donegal-Wind da rausgestürmt, sobald wir sie finden.« »Und wie stellen wir das an, Harry-boy?« fragte Bobby Duffy und unterbrach seine lange Rede einmal mit einem Schluckauf und zweimal mit einem Rülpser.
-2 5 7
»Tja, wenn ich so drüber nachdenke, weiß ich das auch nicht so recht.« Milligan verengte die Augen zu Schlitzen, und das ledrige Gesicht wirkte wie die Haut eines Rhinozerosses. »Das hat Gilligan mir auch nicht gesagt.« »Du hast das in' falschn Hals gekriegt, Hany«, protestierte der immer wieder ins Taumeln geratende Peter Duffy. »Du bist doch Gilligan.« »Bin ich nicht, du Arsch! Ich bin Milligan.« »Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Bobby Duffy und sank am Rinnstein in sich zusammen wie eine überreife, gebackene Kartoffel, die zu lange im Ofen gestanden hatte und nun mit der Gabel angestochen würde. »Mein Bruder leidet unter bösen Anti-Christ-Ddwone«-, rief Peter, sackte - ein Bein über dem Gesicht seines Bruders gegen den Wagenschlag und rutschte tiefer. »Das iss der Fluch der Hexenschwestern.« »Guter Junge!« stimmte Hany Milligan ihm zu, kniete sich hin und strich Petey über den Kopf. »Bleib du nur hier und wehre die schrecklichen Dämonen ab.« Dann stand Hany wieder auf und wandte sich an die sieben noch verbliebenen Aufrechten von der Milligan-Gilligan-Brigade. »Kommt los jetzt, Boyos. Wir wissen, was wir zu tun haben.« »Und was genau iss das?« fragte ein ausgemergelter Siebzigjähriger in schlecht sitzender Uniformjacke aus dem Zweiten Weltkrieg mit einem Dutzend Flicken darauf, von denen jeder einzelne für den Einsatz auf dem europäischen Kriegsschauplatz stand. »Billy Gilligan hat mir die Namen der beiden genannt - wobei der erste 'türlich der vom großen General Hawkins ist und der zweite der von seinem Arbeitgeber, einem Herrn Rechtsanwalt, von dem wir alle schon in sehr angenehmem Zusammenhang gehört haben. Dieser Yarmulke, der 'n einflußreicher Mann in Boston iss und 'n paar gutkatholische Anwälte in seiner Kanzlei hat.« »Schlau - das sind immer ganz schlaue Burschen«, intonierte eine ältere und unidentifizierte Stimme aus dem Reigen der -2 5 8
sieben Aufrechten, »ylwheuem tun sie Iren, doch wie viele von
uns heuern schon Yarmulkes an? Schlau.«
»Folgendes also machen wir, Boyos. Ich selbst trete an die
Rezeption in der Halle ran und ziehe eine Erkundigung ein. Ich
werd ihnen sagen, ich müßte entweder den großen General
oder seinen Freund erreichen, den einflußreichen Anwalt
namens Pinkus. Ich hätt nämlich eine dringende vertrauliche
Nachricht zu überbringen, die sie beide betrifft. Und der liebe
Herrgott weiß, daß das keine Lüge iss. Und wo es sich um
diese hochgestochenen Typen handelt, bleibt ihn' gar nix
anderes übrig, als mich mit dem ein' oder dem ändern zu
verbinden, hab ich recht?«
Ein Chor einhelliger Zustimmung erhob sich. Einzig aus dem
Rahmen fiel dabei die Stimme des ältesten Veteranen, des
Mannes in der wieder und wieder geflickten Uniformjacke. »Ich
weiß nicht, Gilligan«
»Ich bin Milligan.«
»Mir war lieber, du wärst Gilligan, der war nämlich an der Front,
weißt du.«
»Ich bin aber nicht ... Was weißt du also nicht, du alter Furzer?«
»Mal angenommen, du kriegst 'ne Sekretärin an die Strippe
was willst du dann sagen? 'tschuldigung, Mädel, aber ich weiß
nicht, wer vorhat, den großen General und sein' Freund, den
einflugreichen Yarmulke umzulegen? Ich weiß nicht, Junge,
aber ich würde meinen, dann rufen die nach den Jungs, die mit
diesen weißen Wagen mit 'n dicken Gummiwänden und 'n
vergitterten Fenstern rumfahrn.«
»Ich brauch doch mit keinem Menschen zu reden, du
wandelndes Nachtgespenst! Paddy Lafferty hat uns doch alles
über diese großartige Suite erzählt, die sein Boss in den Four
Asses hat - nur, daß wir nicht wissen, wo die ist! Und das muß
der Mann an der Rezeption mir schließlich sagen - wegen der
wichtigen vertraulichen Nachricht, die ich überbringen soll,
right?«
Abermals ein Chor der Zustimmung, eine Harmonie, in der sich
störend allein wieder die Stimme des siebzigjährigen Veterans
-2 5 9
bemerkbar machte. »Mal angenommen, sie glauben dir nicht? Ich jedenfalls würde dir nichts glauben. Du hast unstete Augen, wenn jemand die zu sehen kriegt.« Die sieben Aufrechten nickten zustimmend wie ein Mann und studierten genau die von Fleischwülsten umrahmten Augen Harry Milligans. »Ach, hört doch auf!« brüllte Harry und brachte seine Brigade wieder zu dem, worum es eigentlich ging. »Ob sie mir glauben oder nicht, iss doch egal. Immerhin müssen sie mir 'ne Zimmernummer geben, wo ich anrufen kann - und dann wissen wir, wo es ist.« »Und was dann?« fragte der übervorsichtige Ungläubige. »Dann teilen wir uns auf, und du, du verschrumpelter lebender Leichnam du, du bleibst hier vorm Haupteingang stehen, und wenn wir die Hunde rausscheuchen und sie zu ihm Fluchtautos laufen, dann notierst du dir die Nummernschilder, verstanden? ... Gott sei Dank, daß du nicht in meiner Einheit warst - du hättest dich ja noch mit Ike persönlich rumgestritten!« Milligan zeigte auf die drei von den sechs verbliebenen Aufrechten, denen bis jetzt noch keine Aufgabe zugeteilt worden war. »Und ihr Jungs deckt die anderen Ausgänge, die noch auf die Straße führen - das hat Lafferty mir klipp und klar gesagt ...« »Und wo sind die, Harry?« fragte ein untersetztes, in mittleren Jahren stehendes Mannsbild in der Ledermontur des fliegenden Personals. »Ich war Heckschütze, deshalb bin ich nicht so vertraut mit der Bodentaktik.« »Die mußt du eben finden, Boyo. Paddy hat gesagt, wir sollen sie abriegeln.« »Was heißt 'n das, Harry?« »Naja ... naja, da hat Paddy sich nicht weiter zu geäußert, doch ich denk, er hat gemeint, wir sollten keinen rauslassen, der nicht raus soll.« »Wie zum Beispiel?« fragte ein großgewachsener schlanker Mittsechziger, dessen Aufzug für den Auftrag, den sie ausführen sollten, denkbar ungeeignet war, denn er trug ein grellfarbiges Hawai-Bowling-Hemd, bedruckt mit -2 6 0
orangefarbenen Passionsblumen, und dazu das
Veteranenschiffchen.
»Das hat Harry uns doch alles schon gesagt!« rief ein
übergewichtiges Mitglied mittlerer Größe, dessen stark
aufgeschwemmtes Gesicht von einem richtigen Stahlhelm
gekrönt wurde. »Alle solche, die rausgerannt kommen und zu
ihren Fluchtautos wollen.«
»Und die erschießen wir dann!« bestätigte der schlanke Herr im
Hawaii-Hemd.
»Aber nur in die Beine, Boyo!« bedeutete Harry Milligan ihm.
»Wie damals bei den Spähtrupps von den Krauts. Wir brauchen
Sie schließlich noch fürs Verhör!«
»Richtig, Harry!« stimmte der behelmte Infanterist ihm zu. »Boy,
wie gut ich mich daran erinnere! Wir nahmen die gefangen, und
die hatten nix Besseres zu tun, als die Hände schützend über
ihre Eier zu legen! 'türlich bin ich nie in die Verlegenheit
gekommen zu schießen aber sie wußten schon, was ihn' sonst
geblüht hätte!«
»Jungs, ich schlag vor, ihr nehmt besser euren Kopfschutz ab.
Das fällt sonst zu sehr auf, Ihr versteht, was ich meine?«
Danach wandte Harry sich an die noch verbliebenen drei
Aufrechten vom O'Brien-Gedächtnis-Verein. »Ihr Jungs bleibt
bei mir. Haltet euch hinter mir und mischt euch unter die Leute
in der Lobby, aber laßt mich nicht aus 'n Augen, ja? Wenn ich
gehe, geht ihr auch, alles klar, Jungs?«
Nochmals und vor Entschlossenheit wieder etwas lauter als
zuvor, ließ sich beifällig der Chor zustimmender Erwachsener
hören. »Wir gehen als erste rein«, erklärte der bullige Infanterist
und schnallte seinen Helm am Koppel unter seinem
Bowlinghemd fest, das für die Vorteile und Besonderheiten von
O'Boyles Fleischwaren warb. »Gib uns zwei Minuten, und wir
finden die Eingänge und beziehen Post'n.«
»Gut überlegt, Boyo. Und jetzt ab mit euch! Wir haben keine
Zeit zu verlieren!« Milligan warf einen Blick auf seine
Armbanduhr, während die drei Mann der Vorhut sich durch den
Verkehr der Boylston Street schlängelten und, so schnell ihre
-2 6 1
ältlichen Beine sie trugen, ins Hotel liefen. Ein Licht ging dem uniformierten Türsteher bei ihrem Anblick nicht gerade auf. Harry wandte sich den ihm verbliebenen drei Männern zu und erteilte seine Befehle. »Sobald wir drin sind, gehe ich zur Rezeption, ganz beiläufig, versteht ihr, so als ob ich alle Tage durch so 'ne Hotellobby ginge. Da lehn ich mich dann über die Theke wie 'ne wichtige Persönlichkeit, zwinkere vielleicht sogar ein- oder zweimal, um rüberzubringen, daß ich für andere wichtige Persönlichkeiten eine vertrauliche Mitteilung hätte. Und dann komm ich mit meinem ganz großen Hammer - das heißt, ich laß die illustren Namen Hawkins und Pinkass fallen.« »Ich glaub, er heißt Pinkoos«, gab ein Mann so gegen Ende sechzig mit gerötetem Gesicht und stark gelichtetem Haar zu bedenken, der offensichtlich ein Bowlingkamerad des Infanteristen war. Leider hatte er das T-Shirt mit der O'Boyles-Meat-MarketReklame falsch herum angezogen. »Er hat recht, Milligan«, bestätigte ein etwas klein geratener Mann mit buschigem Schnauzbart, wie er für gewöhnlich mit britischen Sergeant-Majors um die Jahrhundertwende assoziiert wird. In krassem Gegensatz dazu trug er im Moment eine Uniform, die aus speckigen Levis-Jeans bestand, die von roten Hosenträgern über einem gelb-schwarzen Flanellhemd gehalten wurden. »Ich hab mehr als einmal gehört, wie Paddy Pinkoos sagte.« »Pinkuss kommt der Wahrheit schon näher«, berichtigte der dritte Angehörige von Harrys Einheit, eine Aufsehen erregend lange Latte mit dem dunkelgrünen Kampfanzug der Panzertruppe, welchselbiger freilich einen großzügigen Blick auf die Tätowierungen beider Arme zuließ, zumal auf eine schön gestreckt sich windende und zischendzüngelnde blaue Schlange mit der zugehörigen Unterschrift: Betreten verboten! »Ich sag einfach ganz schnell Pinkiss, dann merkt das kein Schwein ... Also los, Boyos vom O'Brien-Gedächtnis-Verein. Auf zum Sturm! Diese Schlacht gewinnen wir für den General!« Im Inneren von Aaron Pinkus' Buick-Coupe saßen auf dem Rücksitz zusammengedrängt die von der Schneiderkunst hinreißend hochgestylten Desi-Eins und Desi-Zwo, allerdings -2 6 2
wirkte der Mund des ersteren durch eine provisorische Vorderzahnprothese aus Plastik vielleicht etwas zu groß. Die beiden bewunderten sich und strichen ständig über den glatten dunklen Stoff ihrer Cutaways, besonders über die seidenen Aufschläge. »Und nicht vergessen, Sergeants, ihr versteht kein Wort Englisch«, schärfte der am Steuer sitzende Aaron ihnen ein, als sie in die Boylston Street einbogen. »Ihr seid Botschafter Spaniens bei den Vereinten Nationen und damit bedeutende Männer.« »Alles schön un' gut«, sagte Desi-Eins etwas lispelnd wegen des ungewohnten Zahnersatzes, »aber deshalb wissn wir immer noch nich, wie wir dazu komm', daß der vicioso so wütend auf uns iss.« »Sie verwechseln den mit jemand anders, Sergeant, aber das haben wir doch jetzt schon zehnmal durchgekaut. Sobald Sie ihn in der Lobby erblicken, laufen Sie zu ihm, zeigen mit dem Finger auf ihn und rufen gellend, daß er ein gejagter Verbrecher aus Madrid ist.« »Yeah, das haben wir durchgekaut«, erklärte Desi-Zwo. »Un' grade das gefällt uns nicht. Der vicioso hat 'ne Kanone wie alle viciosos, un' das wird er uns zu verstehn geben.« »Er hat keine Chance, ihnen auch nur ein Haar zu krümmen«, wehrte Aaron den Einwand ab. »Der General wird unmittelbar hinter ihm stehen und sofort eingreifen - ihn >außer Gefecht setzen< ist, glaube ich, der Ausdruck, den er gebrauchte. Sie vertrauen dem General doch, oder?« »Oh, yeah, den mögen wir«, antwortete Desi-Eins. »Wir mögn diesen loco hombre sogar ausgesprochn. Er will uns bei der Army unterbringn.« »Un' außerdem hat er uns am Flughafn das Fürchten gelehrt, un' uns doch nix getan, amigo. Un' das ist der Grund, warum ich ihm vertrau ...« Desi-Zwo nickte derweil ständig mit dem Kopf und fingerte an der Bügelfalte seiner Cut-Hose herum. »Der alte Mann hat gewaltige testiculos.« »Und dann, comandante?« fragte Desi-Eins. -2 6 3
»Der General ist auf seine unverwechselbare Weise ein
äußerst schlauer Fuchs«, erklärte Pinkus und fuhr hinter
einigen Taxis an den Straßenrand vorm Four Seasons heran.
»Keine Regierung wagt es, eine verbündete Regierung wegen
mangelnder Sicherheitsvorkehrungen vor den Kopf zu stoßen,
zumal keine strategisch wichtigen Länder. Die könnten nämlich
auf die Idee kommen, ihre Botschaften zu schließen und die
Beziehungen abzubrechen.«
»Genau das isses, was uns nich gefällt«, ließ Desi-Eins sich
vernehmen. »Wir wolln nich, daß eine embajada espanola
dichtgemacht wird, auch wenn wir noch nie in Espana gewesen
sind, besonders, wenn auf uns geschossn wird. Unsre
Beziehungen mögn das gar nich.«
»Der General hat mir sein Wort gegeben.«
»Da wird er auch gut dran tun! ... Aber was dann?«
»Nun, vielleicht erkläre ich es Ihnen am besten so: Wer immer
diese schreckliche Person nach Boston geschickt hat, damit sie
sich dem General an die Fersen heftet, wird sich genötigt
sehen, seine Methoden zu überdenken.«
»Nix verstehn.«
»Er wird es dermaßen mit der Angst bekommen, daß er
ähnliche Übergriffe abbläst und jederman in Washington warnt,
noch einen solch tückischen Kriminellen auf den General
anzusetzen. Geopolitisch hat Hawkins absolut recht. Unsere
Stützpunkte in Spanien - insbesondere die der Air Force
müssen erhalten bleiben.« »Ole, comandante!«
MacKenzie Hawkins gab den Befehl. »Öffnen Sie die Tür mit
dem Schweißbrenner, und zwar jetzt. Ich will, daß man in fünf
Minuten rein kann, kapiert, Captain?«
»Kapiert, General«, ließ sich die Stimme des technischen
Leiters vom Hotel übers Telefon vernehmen. »Aber Sie haben
es versprochen, Sir. Ich bekomme ein Foto, auf dem ich
zusammen mit Ihnen zu sehen bin, right?«
-2 6 4
»Es wird mir ein Vergnügen sein, mein Sohn. Ich werde Ihnen
sogar den Arm um die Schulter legen, als ob wir beide den
Rhein ganz allein überquert hätten.«
»Großer Gott - ich bin im Himmel, noch bevor ich mich zum
Sterben niederlege.«
»Jetzt, Captain. Das ist für den Angriff unbedingt erforderlich.«
»Vier Minuten und acht Sekunden, General.Hawkins drückte
die Tasten seines Apparats und wählte das Funktelefon in
Aaron Pinkus' Buick an. »Commander?« »Ja, General?«
»In fünf Minuten bin ich unten. Wo haben Sie Posten
bezogen?«
»Drei Wagen vom Eingang entfernt.«
»Gut. Beziehen Sie Stellung vor der Rezeption und machen Sie
einen Uhrenvergleich. Null Option zwischen dreizehn und
siebzehn Minuten. Verstanden?«
»So verständlich sind Sie auch wieder nicht, General.
Verstanden!«
Die O'Brien-Gedächtnis-Brigade war zur Stelle: mit einem
Overall der Panzereinheiten, Tätowierungen, einer
Fliegerkombinationsjacke, einem ausladenden Stahlhelm, roten
Hosenträgern, einem Hawaii-Hemd, speckigen Levis-Jeans und
dazu einem schweinsäugig zwinkernden Anführer an der
Rezeption.
»Sie wünschen, Sir?« wandte sich der Mann hinter der Theke
an ihn und zog ein Taschentuch aus der Brusttasche, als
könnte zu dem Anblick des Mannes vor ihm noch ein
entsprechender Geruch kommen.
»Ich sag Ihnen, was ich wünsche, Boyo - un' Sie tun gut dran,
ein bißchen dalli-dalli zu machen. Pinkiss un' Hawkins - klingelt
da was bei Ihnen, mein Junge?«
»Mr. Pinkus hat eine Suite bei uns, falls Sie das meinen?«
»Ich interessier mich nicht für sein intimes Privatleben, Boyo,
und mir iss auch schnurzunegal, wie viele sweeties er hat. Ich
muß ihm und dem General bloß was ausrichten. Es iss
dringend und vertraulich. Was, schlagen Sie vor, soll ich tun?«
-2 6 5
»Ich schlage vor, Sie rufen Mr. Pinkus in seinem Zimmer an.
Apparat fünf null null fünf.«
»Fünf null null fünf - richtig, Mann?«
»Ja, richtig.«
»Iss das seine Zimmernummer?«
»Nein, wir haben keine fünfzig Stockwerke, Sir. Nicht in einem
Bostoner Hotel. Es handelt sich um seine Telefonnummer.«
»Da stimmt doch was nicht! In jedem anständigen Hotel iss die
Zimmernummer zugleich auch die Telefonnummer.«
»Nicht unbedingt.«
»Warum nicht? Woher soll man denn dann wissen, welches
Zimmer er hat?«
»Die Überlegung hat was für sich«, stimmte der Angestellte ihm
zu. »Sie selbst können die Probe aufs Exempel machen, Sir.«
»Probe auf was, Boyo?«
»Aufs Exempel, Sir ... Die Hausapparate stehen dort drüben.«
Völlig verwirrt machte Harry Milligan kehrt und eilte hinüber zu
der Reihe von Telefonapparaten, die auf einem Marmorsims an
der Wand standen. Er nahm einen Hörer auf und wählte. Es
war besetzt.
»Hier spricht Ihr Washingtoner Führungsoffizier«, sagte
MacKenzie, Hawkins leise aber dringlich ins Telefon.
»Mein was?« fragte der Mann in dem Hotelzimmer zwei
Stockwerke unter ihm mit ähnlich tiefer, doch mitnichten leiser
Stimme.
»Hören Sie mir einfach zu. Die Zielperson verläßt das Hotel
von meinem Informanten habe ich erfahren, daß er den
Hoteldiener angerufen und gebeten hat, sein Gepäck
hinunterzutragen.«
»Wer zum Teufel sind Sie?«
»Ihr Verbindungsmann nach Washington - und Sie sollten mir
danken, statt mich anzupöbeln. Beeilen Sie sich. Folgen Sie
ihm!«
-2 6 6
»Aber man hat mich eingesperrt!« schrie der Möchtegern-
Attentäter wütend. »Die Scheißtür klemmt! Sie sind gerade
dabei, sie freizukriegen.«
»Machen Sie, daß Sie da rauskommen; wir können es uns nicht
länger leisten, mit der Sache in Verbindung gebracht zu
werden.«
»Himmelkruzitürken! Warten Sie! Die Tür wird gerade
herausgerissen.«
»Beeilen Sie sich!« Der Falke legte auf und sah zu dem auf
dem Bettrand sitzenden Little Joey hinüber. »Wollen Sie mir
etwa weismachen, Sie hätten keine Ahnung gehabt, daß dieser
Mann im Hotel war?«
»Was für ein Mann?« protestierte Joey. »Sie sind das größte
Tier der großen Tiere, irrer Ire. Sie brauchen Hilfe von 'nem
Seelendoktor, großer Mann, vielleicht 'n nettes Sanatorium mit
grünen Rasenflächen, Eisentoren und vielen Ärzten.«
»Wissen Sie, Little Joseph, ich glaube Ihnen«, sagte der
General. »Es wäre nicht das erste Mal, daß das
Oberkommando die Truppen in gewisse Aspekte eines
Unternehmens nicht eingeweiht hat.« Mit diesen Worten eilte
der Falke zur Tür und ging hinaus; draußen hörte man ihn die
Schritte beschleunigen ... Da klingelte das Telefon. Joey
streckte die Hand aus und nahm ab.
»Yeah?«
»Spricht dort der erlauchte und große General selbst, Sir?«
»Und?« lautete die Gegenfrage des mit den Augendeckeln
klappernden Little Joey, den die Neugier packte.
»Es iss mir die allergrößte Ehre meines Lebens, General! Hier
spricht Gefreiter Harry Milligan, der hier ist, um Ihnen zu sagen,
daß wir die Festung nicht nur umzingelt haben, sondern sogar
schon in sie eingedrungen sind, Sir. Ihnen wird kein Haar
gekrümmt werden, Sir - das Wort darauf von den patriotischen
Boys vom Pat-O'Brien-Gedächtnis-Verein, Sektion Boston!«
Leise und langsam legte Joey den Hörer wieder auf und lehnte
sich zurück in die Kissen. Große Tiere. Die ganze Welt war von
-2 6 7
Tollhäuslern bevölkert, besonders hier in Boston, wo die
Pilgerväter vermutlich von Anfang an Inzucht getrieben hatten.
Schließlich, was blieb ihnen schon sonst an Vergnügen nach
der langen Reise mit der Maypot, nein, der Mayflower! Nun ja,
dachte Joey, er würde sich jetzt erst mal ein hübsches kleines
Essen vom Zimmerservice bringen lassen und dann Code-Salat
in Washington anrufen. Vinnie Bum-Bum sollte sich darauf
gefaßt machen, sich eine lange und völlig meschuggene
Geschichte anzuhören, ob es ihm nun gefiel oder nicht. Große
Tiere!
Aaron Pinkus begleitete seine beiden Diplomaten im Cutaway
bis zur Rezeption und verkündete dort stolz, seine Gäste, die
Herren Botschafter von Spanien, würden in seiner Suite
Wohnung nehmen. Jedwede ihnen zugedachten Höflichkeiten
würde man zu schätzen wissen, und zwar nicht nur seitens
ihres Gastgebers, sondern auch seitens der Regierung der
Vereinigten Staaten von Amerika.
Das gesamte hinter der Rezeption tätige Personal lief
zusammen, um den erlauchten Gästen zu huldigen, und als
sich herausstellte, daß keiner von beiden des Englischen
mächtig war, wurde ein puertoricanischer Page herbeigerufen,
um als Dolmetscher zu dienen. Der Page namens Raul zeigte
sich überglücklich, als die erste Verständigung mit Desi-Eins
klappte und - frei übersetzt - folgendermaßen lief:
»He, hombre, woher hast'n du diese schnieke Uniform mit den
blitzenden Knöpf n? Bist du etwa in der Army?«
»No, hombre, ich bin nur Kofferträger. Man hat mich euch
zugeteilt, damit ich diesen Gringos klarmache, was ihr sagt.«
»He, hombre, das iss toll. Wo kommst'n du her?«
»Aus P. R.«
»Wir auch!«
»Nein, kommt ihr nicht. Ihr seid vornehme Diplomaten aus
Madrid. Jedenfalls sagt das der Typ da.«
»Das ist nur für die Gringos, hombre. He, vielleicht können wir
später 'n bißchen feiern, was hältst du davon?«
-2 6 8
»Oh, hombre. Da, wo ihr untergebracht seid, haben die alles!«
»Auch Mädchen, vielleicht? Anständige Mädchen, 'türlich. Mein
Kumpel hier ist nämlich sehr fromm.«
»Ich verschaff ihm, was er will, und uns besorg ich, was wir
wollen. Das überlaßt nur mir, hombre.«
»Was haben sie gesagt, Pedro?« wollte der Chefconcierge
wissen.
»Raul, Sir.«
»Tut mir schrecklich leid. Was haben sie gesagt?«
»Sie sind sehr angetan von den feinen Manieren und der
beispielhaften Freundlichkeit, der Sie alle sich befleißigen.
Besonders dankbar sind sie, daß Sie ihnen für die Dauer ihres
Aufenthalts den bescheidenen Raul zur Bedienung zugeteilt
haben!«
»Meiner Treu!« erstaunte sich ein stellvertretender Manager.
»Du sprichst erstaunlich gewählt für einen Sp ... für jemand, der
erst so kurz in unserem Lande ist.«
»Abendschule, Sir. Einführungskurs für Einwanderer der
Boston University.«
»Behalten Sie diesen jungen Mann im Auge, Gentlemen. Aus
dem kann noch was werden.«
An Desi-Eins und -Zwo gewandt, sagte Raul: »Er ist der größte
Blödian von allen. Das hier ist ein gutes Hotel, der hält sich
keinen Monat!«
»Erzähl uns was, das wir nicht wissen, Pedro.«
»Vielleicht«, meldete Aaron Pinkus sich wieder zu Wort,
»würden Sie sich gern in dieser prächtigen Lobby umsehen. Sie
ist wirklich ganz einzigartig ... Würden Sie das bitte übersetzen,
Raul?«
»Mit dem größten Vergnügen, Sir.«
Harry Milligan trat zu dem Panzeroverall-plus-Tätowierungen
und war sich, als er ihm etwas ins Ohr flüsterte, nur unbestimmt
bewußt, daß eine Reihe von Leuten in der Lobby ihn anstarrten.
»Die Wege des Herrn General sind wunderbar und
unerforschlich, mein Junge. Er hat mir unseren Auftrag erklärt
-2 6 9
und war dabei ziemlich wortkarg, doch so wahr der Herr mein
Zeuge ist, ich konnte hören, wie sich die Räder in seinem
fabelhaften Gehirn drehten ... Weißt du, könnte sein, daß der
große Mann jeden Augenblick die Fassade runtergeklettert
kommt. Man hat mir gesagt, er hätte den Rangers alles
beigebracht, was sie können.«
Plötzlich - und sein Eindringen schreckte die anderen -stürmte
der Siebzigjährige mit dem flickenstarrenden Waffenrock, die
Säbelbeine quirlig rührend, auf Milligan und den Panzeroverall
zu. »Ich hab's, Boyos! Es sind Terroristen!« »Wer, um alles in
der Welt?«
»Diese aufgetakelten Laffen, die aussehen wie die Pinguine.«
»Wovon redest du?«
»Von diesen dunkelhäutigen, schwarzhaarigen Typen, die
grade von der Rezeption weggehen! Das sollen doch große
Tiere sein, right?«
»Naja, ich denk mal, das sind sie auch, Boyo. Sieh sie dir doch
an!«
»Und seit wann steigen große Tiere in Große-Tiere-Klamotten
aus 'nem mickrigen, drei Jahre alten Klapperkasten von Buick
statt aus 'ner dicken Limousine oder so? Das frag ich dich,
Harry Milligan - ergibt das einen Sinn?«
»Nein, tut es nicht, weil - so was iss unnatürlich, jedenfalls für
so hochgestochene Typen und 'n Hotel wie das hier. Ein drei
Jahre alter Buick ist einfach kein angemessenes
Transportmittel, da hast du recht.« Harry verengte die Augen zu
Schlitzen und sah zu den prächtig gekleideten Besuchern
hinüber, die aussahen wie ein paar radschlagende Pfauen und,
der dunklen Gesichtsfarbe nach zu urteilen, aus irgendeinem
sonnengesegneten Land um das Mittelmeer herum kommen
mußten ... Araber! Arabische Terroristen, die sich offensichtlich
nicht sonderlich wohlfühlten in den Klamotten, die sie trugen,
sonst würden sie nicht ständig die Schultern hochziehen und in
den engsitzenden Hosen so mit dem Hintern wackeln. No, Sir,
diese Burschen waren wallende Wüstengewänder gewohnt, wie
man sie im Kino sah, und Krummdolche im Gürtel dazu -
-2 7 0
jedenfalls keine solchen eleganten Schärpen, wie diese beiden
sie um die Hüften trugen. »Heilige Mariamuttergottes!« wandte
Milligan sich im Flüsterton an den Panzeroverall. »Könnte
hinkommen, Boyo! Sag allen draußen Bescheid - sag ihnen, sie
sollen langsam reinkommen und diese beiden Sahararatten
nicht aus den Augen lassen. Und wenn die in den Aufzug
steigen, tun wir das auch!«
»Harry, ich bin diese Woche noch nicht zur Beichte gewesen.«
»Ach, halt den Mund. Wir sind zu siebt, verdammt noch mal!«
»Aber das sind mehr als drei auf einen, oder?«
»Bist du etwa 'n pingeliger BwcMialter, Junge? Beeil dich
schon, und vor allem sag den Boyos, sobald ich den
Kriegsschrei ausstoß, gehen wir auf sie los!«
Einer anmutig choreographierten Pavane gleich, die von nicht
ganz so anmutigen Tänzern aufgeführt wird, schlängelte sich
die Milligan-Gilligan-Brigade durch die Schar der Hotelgäste in
der Lobby. Bloße tätowierte Arme und T-Shirts vom O'Boyle-
Fleischmarkt mengten sich unter leichte Tropenanzüge und
Dior-Kleider, ein locker geschwungener Stahlhelm rammte
Brooks-Brothers-Blazer und Cocktailkleider von Adolfo - und
das alles zur wachsenden Besorgnis der Angestellten an der
Rezeption und der Gäste, die zusehen mußten, wie die
Hotelhalle von Angst einjagenden Eindringlingen in höchst
befremdlicher Aufmachung gestürmt wurde.
Plötzlich trat ein massiges Mannsbild mit Feuer in den Augen
aus dem Aufzug. Sich rasch umblickend, schob er sich
behende zu einem vorteilhaften Standort in der Nähe des
Ausgangs vor, von wo aus er die Lobby offensichtlich gut
überblicken konnte. Von ihm unbemerkt, trat eine
großgewachsene, grauhaarige Gestalt in wildledernem
Indianerwams aus den Schatten und schob sich mit ein paar
Schritten bis auf wenige Meter an ihn heran.
»Caramba!«
»Madre de Diös!«
-2 7 1
Das kreischende Duett erfüllte die ganze Hotellobby, als die
beiden Männer im Cut aus Leibeskräften anfingen zu schreien
und anklagend auf den massigen Mann neben dem Eingang
zeigten.
»Homicida!«
»Assassino!«
»Criminal!«
»Demendare elpolicia!«
Der wie vom Donner gerührte und nicht gerade freundlich
dreinschauende Gentleman, dem die schrillen Anschuldigungen
der Männer im Cut offensichtlich galten, wollte die Beine in die
Hand nehmen, wurde jedoch augenblicklich von dem
großgewachsenen Mann in der Indianerkleidung festgehalten.
Er nahm den Mann in den Schwitzkasten und rammte ihm
gleichzeitig ein Knie ins Kreuz.
»Das ist er, Boyos!« ertönte ein anderer Aufschrei, der von den
Wänden über dem Pandämonium der Menschen in der
Hotelhalle widerhallte. »Das ist der große Mann in
höchsteigener Person! Erin go bragh, Boyos! Zum Angriff vor!
Im Angedenken an William Patrick O'Brien, zum Angriff vor!«
Wie nicht anders zu erwarten, drängelte sich die Milligan-
Gilligan-Brigade durch hysterisch auseinanderspritzende Leiber
und fiel über die beiden arabischen Terroristen im Cutaway her.
»Was machst 'n du, öle man?« rief Desi-Eins gellend und
wehrte dabei den Angriff eines ihm wildfremden Fettkloßes ab,
der mittlerweile seinen Kampfhelm aufgesetzt hatte.
»He, loco Blödmann«, rief er und schickte den Werbeträger des
O'Boyle-Fleischmarkts in einen bezaubernden Queen-Anne-
Sessel, der unter seinem Gewicht zusammenkrachte. Dann
packte er den nackten bloßen Arm des Panzeroveralls.
»Hübsche Schlange hast du da, öle gringo! Ich will ihr ja auch
nix antun, aber du mußt mich schon in Ruhe lassn! Ich hab ja
persönlich nix gegen dich!«
»Sergeants!« donnerte der Falke und stürmte durch die in sich
zusammensinkenden Gestalten rund um seine außerordentlich
-2 7 2
fähigen Adjutanten. »Commander Pinkus hat den Rückzug
befohlen! Wir müssen raus hier!«
»So schnell wie möglich«, fügte Aaron an der Tür noch hinzu.
«Die Sicherheitsleute des Hotels sind schon auf dem Weg, und
die Polizei ist auch gerufen worden. Schnell!«
»Un' was iss mit'm vicioso, General?«
»Möglich, daß er, wenn er wieder zu sich kommt, noch ein, zwei
Monate unter Rückenschmerzen zu leiden hat. Möchte mal
wissen, ob die Mafia über so was wie 'ne Krankenversicherung
verfügt.«
»Würden Sie drei sich jetzt bitte beeilen?«
»Okay, comandante«, sagte Desi-Eins und sah sich in dem
Durcheinander in der Lobby um. »He, Raul!«
»Si, senor embajador? Du bist ja 'n ganz abgefeimter, du!«
»Wir lassn später von uns hören, hombre, Vielleicht hast du
Lust, mit uns zur Army zu gehen!«
»Vielleicht, amigo. Vielleicht ist es da weniger unsicher als hier!
Adiös.«
Aaron Pinkus' Buick raste die Boylston Street runter und kurvte
um die erste Ecke, die sie nach Arlington und schließlich zum
Ritz-Carlton Hotel führte. »Ich begreif das einfach nicht!«
protestierte der gefeierte Anwalt. »Wer waren die beiden?«
»Irre - alte Irre, senile Irre!« ließ ein wütender MacKenzie
Hawkins sich vernehmen und blickte sich nach dem Rücksitz
um. »Haben Sie zwei irgendwelche Wunden davongetragen?«
»Sind Sie verrückt, General? Diese alte Männer sin' nich' mal
imstande, Hühner zu klaun.«
»Was soll denn das?« rief der Falke plötzlich gellend, als er
sah, wie Desi-Eins zwischen sich und Desi-Zwo vier fette
Brieftaschen deponierte.
»Was soll 'n sein?« tat Desi-Eins harmlos und schaute den
General unschuldig an.
»Das sind Brieftaschen - und zwar vier an der Zahl!«
-2 7 3
»Warn ja auch viele Menschen«, erklärte D-Zwo. »Viel hat mein
Freund heut nich geschafft, manchmal iss er wesentlich
besser.«
»Guter Gott!« entrang sich Pinkus' Brust hinterm Steuer ein
Stoßseufzer. Der gefeierte Anwalt mußte abermals mit dem
Gefühl fertigwerden, eine Niederlage erlitten zu haben. »Die
Hoteldetektive ... Die Diebstahlsberichte.«
»Das können Sie nicht tun, Sergeant!«
»So schlecht bin ich wirklich nich, General. Iss nur
Nebenerwerb, wie ihr Gringos sagt.«
»Ach, guter Gott Abrahams«, flehte Aaron leise. »Ich muß
wirklich ruhig bleiben, sonst geht mein Blutdruck ins
Stratosphärische.«
»Was haben Sie denn, Commander Pinkus?«
»Sagen wir mal, für mich war das heute kein normaler
Arbeitstag, General.«
»Ach, möchten Sie, daß ich fahre?«
»Oh, nein, vielen Dank. Das Chauffieren lenkt mich eher von
vielen Dingen ab.« Aaron langte zum Radio hinüber und stellte
es an.
Die Klänge eines Flötenkonzerts von Vivaldi erfüllten das
Innere des kleinen Wagens, woraufhin Desi-Eins und Desi-Zwo
sich mißbilligend ansahen, Pinkus hingegen ein paar
Augenblicke lang gleichmäßig und ruhig durchatmete. Aber
eben doch nur für wenige Augenblicke. Unvermittelt brach die
Musik ab, und der das Gemüt besänftigende Vivaldi wurde
ersetzt durch eine an den Nerven zerrende Nachrichtenansage.
»Wir unterbrechen unser Programm mit einem Exklusivbericht.
Das Four Seasons Hotel an der Boylston Street war vor
wenigen Augenblicken Schauplatz eines unerhörten
Ereignisses. Zwar sind die Umstände noch nicht ganz geklärt,
doch hat es offensichtlich in der Hotellobby einen Aufruhr
gegeben, in dessen Verlauf zahlreiche Hotelgäste
durcheinandergewirbelt und zu Boden geworfen wurden. Zum
Glück wurden bisher nur wenige leichtere Verletzungen
-2 7 4
gemeldet. Wir schalten jetzt den telefonisch übermittelten
Bericht unseres Reporters Chris Nichols ein, der zu einem
späten Lunch im Hotel weilte ...« Der Ansager hielt unwillkürlich
inne. »Im Four Seasons? Und das bei unseren Gehältern ...?«
»Streich das mit dem Lunch, du Schwachkopf.« ließ sich eine
zweite, tiefe, volltönende Stimme vernehmen. »Meine Frau
glaubt, ich bin in Marblehead.«
»Wir sind auf Sendung, Chris!«
»Das war nur Gefrozzel, Leute ... Allerdings hatte das, was sich
hier vor kaum fünf Minuten abgespielt hat, mit Humor kaum
etwas zu tun. Die Polizei versucht, Licht in das Dunkel und die
Fakten auf die Reihe zu bringen, was aber gar nicht so leicht
ist. Bis jetzt wissen wir nur, daß die Mitwirkenden geradewegs
einem Hitchcock-Film entsprungen sein könnten ... Ein
berühmter Bostoner Anwalt, zwei spanische Botschafter,
arabische Terroristen, ein großgewachsener, bereits etwas
älterer Indianer mit der Kraft eines Büffels und ein kunterbuntes
Durcheinander von Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg in
absonderlicher Aufmachung und mit noch sonderbareren
Halluzinationen und last, not least, ein berüchtigter Mafia-Killer,
Nur erstere und letzterer haben identifiziert werden können. Es
handelt sich dabei einmal um den berühmten Mr. Aaron Pinkus
und dann um einen gewissen Caesar Boccegallupo, dem
Vernehmen nach ein capo primitive aus der Brooklyn-New-
Yorker Borgia-Familie. Der erstgenannte, Mr. Aaron Pinkus,
scheint mit den beiden spanischen Botschaftern entkommen zu
sein, oder aber die beiden waren arabische Terroristen und
haben ihn als Geisel genommen - das kommt ganz darauf an,
welchen Deutungen man zuneigt. Mr. Boccegallupo konnte in
Gewahrsam genommen werden und besteht nach allem, was
man hört, darauf, seinen Anwalt zu sehen, von dem er
behauptet, es sei der Präsident der Vereinigten Staaten. Nun,
von allen politischen Präferenzen einmal abgesehen, weiß man
genau, daß der Präsident kein Anwalt ist.«
»Vielen Dank, Chris, danke für diesen Exklusivbericht und noch
viel Spaß in Marblehead bei der aufregenden Regatta des
Yachtclubs ...«
-2 7 5
»Die ist längst vorbei, du blöder ...«
Damit tauchte der Vivaldi wieder aus der Versenkung auf,
wirkte sich jedoch keineswegs dämpfend auf Aaron Pinkus'
Bluthochdruck aus.
»Wahrlich, der Gott Abrahams hat mich verlassen«, flüsterte
der bekannteste Bostoner Anwalt.
»Ich hab's gehört, Commander!« rief MacKenzie Hawkins laut.
»Er vielleicht, aber ich nicht, so wahr Leoparden gefleckt sind!
Gemeinsam werden wir uns dem Feuer stellen, es zurückgeben
und sie hinwegfegen, alter Kamerad!«
»Ist es möglich«, fragte Aaron Pinkus mit einem Blick auf den
Falken leise, »daß man mich mit der menschlichen Gestalt
meines ganz persönlichen Dibbuk, meines Totengeistes,
bekanntgemacht hat?«
-2 7 6
14. KAPITEL Sunrise Jennifer Redwing schloß leise die Schlafzimmertür und trat im Salon der Ritz-Carlton-Suite, die Aaron Pinkus ihnen hatte reservieren lassen, an den Schreibtisch. »Deine Mutter schläft«, sagte sie, zog den Schreibtischstuhl heran, setzte sich und blickte auf den auf der Couch liegenden Devereaux hernieder. »Endlich-, setzte sie dann noch hinzu, schlug die Beine übereinander und sah Sam mit flammenden Augen an. »Ich nehme an, es nützt nichts, dir zu sagen, daß meine Mutter nicht dauernd blau ist.« »Wäre ich eine Mutter, Samuel Devereaux, und hätte all die Dinge über meinen Sohn erfahren, die sie in den letzten paar Tagen über dich erfahren hat, würde ich für die nächsten fünf Jahre keinen nüchternen Atemzug mehr tun.« »Ist das nicht ein bißchen hart geurteilt, Frau Kollegin?« »Nur dann nicht, wenn du dich auf der Bühne des San Franciscoer Justizpalastes zum Opfer darbringst und sämtliche Bußgelder für Mütter zu spenden bereit bist, die von ihren Sprößlingen in die Klapsmühle getrieben wurden.« »Offenbar hat sie dir eine ganze Menge erzählt«, sagte Sam, ohne Erfolg bemüht, dem alles andere als freundlichen Blick der bezaubernden Dame auszuweichen. »Erst nur dies und das über das Haus, aber im Laufe der letzten halben Stunde habe ich eine ganze Flut von Horrorgeschichten zu hören bekommen - vielleicht hast du mich die Tür abschließen hören, wie sie es von mir verlangt hat -, Unterweltkiller auf einem Golfplatz, englische Verräter, Nazis auf Hühnerfarmen, Araber, die in der Wüste Ziegenhoden braten, und mein Gott, die Entführung des Papstes! Du hast auf diesen wahnsinnigen General angespielt, der Geheimdienstunterlagen durchforstet hat, um vierzig Millionen Dollar aufzubringen - aber all das ist ja nichts, verglichen damit! Jesus im Himmel, den Papst! Ich kann es einfach nicht fassen ... sie muß das irgendwie falsch verstanden haben.«
-2 7 7
»Die beiden sind ja nicht wirklich ein und derselbe, verstehst
du. Jesus und der Papst, meine ich. Vergiß nicht, ich bin
Anglikaner, obwohl ich mich nicht erinnern kann, wann ich das
letzte Mal zur Kirche gegangen bin. Als Teenager vermutlich
...«
»Ist mir doch egal, ob du Anglikaner bist oder der Mondtropfen
von einem tibetischen Tierkreiszeichen, auf jeden Fall bist du
reif fürs Irrenhaus, Kollege! Du hast kein Recht, frei
herumzulaufen, und noch weniger - viel, viel weniger
Rechtsanwalt zu sein!«
»Üble Nachrede!« meinte Devereaux.
»Das alles geht über meinen Horizont! Mit dir verglichen ist
mein Bruder Charlie - und der ist nun wirklich ein verrücktes
Huhn - der wandelnde brave Spießbürger!«
»Wetten, daß ich mit dem gut auskäme?«
»Ja, ja, das wird mir jetzt auch klar. Redwing und Devereaux
...»
»Devereaux und Redwing«, unterbrach Sam sie. »Ich bin älter
und verfüge über die größere Erfahrung.«
»... die Anwaltskanzlei, die die gesamte Jurisprudenz wieder
zurückkatapultiert in die Steinzeit!«
»Wobei das Rechtswesen damals vermutlich wesentlich
durchsichtiger war als das heutige«, sagte Sam und nickte.
»Die konnten all diese juristischen Floskeln on the rocks
servieren!«
»Sei endlich ernst, du Idiot!«
»Genau das bin ich nun nicht, Red. Ein Stückeschreiber hat
mal gesagt, irgendwann kommt der Augenblick, da bleibt einem
nichts, als zu schreien. Ich ersetzte diesen Schrei durch Ironie.«
»Du meinst Anouilh, der aber auch gesagt hat: >Trägerin des
Lebens, bringe Licht ins Dunkel!<, wobei ich >Leben< durch
>Gesetz< ersetze - an das, wie ich manchmal für Augenblicke
wähne, auch du glaubst. Wir müssen Licht ins Dunkel bringen,
Sam!«
-2 7 8
»Du kennst Anouilh? Ich dachte, ich wäre der einzige Mensch, der ...« »Er hat in Paris zwar nie als Anwalt gearbeitet«, unterbrach Jennifer ihn, »aber er hat das Gesetz geliebt - und ganz besonders die Sprache des Gesetzes, die er in große Poesie umgemünzt hat.« »Du machst mir angst, Indianerfrau!« »Hoffentlich! Wir sind nämlich mit einem Prozeß anhängig, der einem schon angst und bange machen kann, Kollege!« »Ich meine ja nicht Macs Megaschlamassel, obwohl du da recht hast: Der kann einem wirklich höllisch angst machen. Aber manchmal - und frage mich nicht, wieso - denke ich, wir wursteln uns schon durch, und zwar ohne daß es uns an den Kragen geht und ohne daß wir den Verstand verlieren.« »Freut mich, daß du da so zuversichtlich bist«, meinte Redwing. »Ich bin es nämlich keineswegs.« »>Zuversichtlich< ist das falsche Wort, Red. Sagen wir mal, ich bin fatalistisch, weil das fatum, unser Schicksal, vermutlich doch auf unserer Seite stehen wird. Aaron Pinkus und MacKenzie Hawkins sind zwei der einfalls- und listenreichsten Männer, die ich kenne, und wenn man mich fordert, bin ich auch nicht gerade der Dümmste.« »Dann hast du mich nicht begriffen. Wovon hast du eigentlich geredet?« »Von dir, Lady ... Innerhalb weniger Stunden - von dem verrückten Augenblick im Aufzug heute morgen bis zu dieser Hotelsuite hier - haben wir beide eine beträchtliche Strecke zurückgelegt.« »Möglich, daß das die Untertreibung deiner gesamten juristischen Laufbahn war«, fiel Redwig ihm rasch, leise, aber immer noch mit flammenden Augen in die Rede. »Ich weiß, ich weiß, aber irgendwas ist passiert ...« »Wirklich?« »Mit mir passiert«, verdeutlichte Sam. »Ich habe dich in einem Zustand beobachtet, den die Psychologen vermutlich einen >Augenblick größten Stresses< nennen würden, und was ich -2 7 9
da gesehen habe, hat mir gefallen und ringt mir Hochachtung
ab. Unter derartigen Umständen erfährt man wohl eine ganze
Menge über einen Menschen ... Man kann da herrliche,
wunderschöne Dinge entdecken.«
»Jetzt wird's aber reichlich gefühlsduselig, Mr. Devereaux«,
sagte Jennifer, »und ich bin sicher, das ist nicht der richtige
Augenblick für so was.«
»Im Gegenteil: Es ist genau der richtige Augenblick. Denn,
verstehst du, wenn ich es jetzt nicht sage, wo ich es doch so
stark empfinde, tue ich es vielleicht auch später nicht - und das
möchte ich nicht.«
«Warum? Weil die Erinnerung an die - wie hat deine Mutter es
noch ausgedrückt? - ach ja, die >große Liebe seines Lebens<,
an irgend so eine gütige Nonne, die mit dem Papst
durchgebrannt ist, wieder an meine Stelle tritt? Das ist nichts
weiter als noch so eine irre Station auf deinem irren Weg in die
Klapsmühle.«
»Sage ich doch«, ließ Sam nicht locker. »Weil diese Erinnerung
verblaßt. Noch gestern abend wollte ich Mac dafür umbringen,
daß er ihren Namen auch nur erwähnte, und heute macht es
mir nichts mehr aus, zumindest glaube ich, daß es mir nichts
mehr ausmacht. Ich sehe dich an, und ich kann mir ihr Gesicht
nicht mehr vorstellen. Und das sagt mir etwas verdammt
Wichtiges.«
»Willst du mir damit zu verstehen geben, daß es eine solche
Person wirklich gegeben hat?« »Ja.«
»Herr Kollege, ich muß in der Mitte eines Horrorfilms angelangt
sein.«
»Willkommen in der Welt von MacKenzie Hawkins, Kollegin!
Und steh jetzt bitte nicht auf ... Warum, meinst du, ist dein
Bruder abgehauen? Und warum, meinst du, habe ich alles
getan, was in der Macht des sehr mächtigen Aaron Pinkus liegt,
um es nicht noch einmal mit Madman Mac zu tun zu kriegen?«
»Weil das heller Wahnsinn ist«, antwortete die bronzebraune
Aphrodite, deren Augen plötzlich etwas Weiches bekamen.
»Und doch hat dein brillanter Mr. Pinkus - und ich gebe zu, daß
-2 8 0
er brillant ist - es nicht geschafft, den verrückten General
abzuschütteln. Er steht offenbar ständig in Kontakt mit ihm, ja,
er arbeitet mit ihm, wo wir doch beide wissen, daß er die
Beziehung zu ihm eigentlich mit einem Anruf in Washington
beenden sollte, um jede Möglichkeit auszuschließen, je in
einem Atemzug mit ihm genannt zu werden. Er braucht doch
nur zu erklären, er habe diese Verbindung nie gesucht ... Und
du - ich habe dich beobachtet, wie du im Auto telefoniert hast:
Du hast vor Angst nur so geschlottert, auch wenn du
behauptetest, dem wäre nicht so. Warum, Kollege? Womit hat
dieser Mensch dich in der Hand, euch beide in der Hand?«
Sam senkte den Kopf, und seine Augen wanderten in einem
imaginären Kreis um seine Schuhe herum. »Vermutlich mit der
Wahrheit.«
»Welcher Wahrheit? Die ist das reinste Chaos.«
»Ja, das auch, aber eben die Wahrheit. Wie bei Papst
Francesco. Die Sache hat den aberwitzigsten Schwindel der
Weltgeschichte ausgelöst, wie Aaron es ausdrückte, aber tief
darunter lag etwas anderes. Dieser wunderbare Mann wurde
von selbstgerechten Menschen um ihn herum in seinem Tun
und Handeln gelähmt, Männern, die mehr an der Macht als am
Fortschritt interessiert waren. Onkel Zio wollte die Türen, die
Johannes geöffnet hatte, weiter aufstoßen, die Leute um ihn
herum aber wollten genau das Gegenteil. Das ist der Grund,
warum Zio und der Falke in den Alpen so dicke Freunde
wurden. Warum sie taten, was sie taten.«
»In den Alpen? Was sie taten?«
»Gemach, Kollegin! Du hast gefragt, und ich will mich mit der
Antwort durchaus kurz fassen. Die Alpen sind nicht wichtig, es
hätte genausogut eine Wohnung in Jersey City sein können.
Was wichtig ist, ist die Wahrheit, und darin liegt Macs infame
Falle. Auf welchen gewundenen Pfaden sein Denken sich auch
bewegt, er stößt immer auf eine grundlegende Wahrheit, mitten
im bodenlosesten Schwindel, das kannst du mir glauben ...
Dein Volk wurde vergewaltigt, Lady, und er hat unwiderlegbares
Beweismaterial dafür herbeigeschafft. Gewiß, es lassen sich
-2 8 1
Millionen damit machen, daß man einem Gericht auch nur die Andeutung eines solchen Beweismaterials zur Kenntnis bringt, und noch mehr Millionen könnten wohl noch unters Volk gebracht werden von denjenigen, die dieses Beweismaterial entkräften wollen. Aber falls seine Quellen authentisch sind, gibt es keinerlei Möglichkeit, sich über diese grundlegende Prämisse hinwegzusetzen ... Das kann ich nicht, das kann Aaron nicht und letzten Endes du auch nicht.« »Aber genau das will ich! Ich will nicht, daß mein Volk durch diesen Fleischwolf gedreht wird! Viele von meinen Leuten sind schon ziemlich alt, und viele, sehr viele andere sind viel zu ungeübt im Denken, als daß sie mit derart verzwickten Tatbeständen fertigwerden könnten. Man würde sie nur heillos in Verwirrung stürzen, Sonderinteressen würden sie korrumpieren und am Ende verletzen! Das darf nicht sein.« »Oh, verstehe«, sagte Sam und lehnte sich auf der Couch zurück. »Sollen die Schwarzen doch auf der Plantage bleiben, sie sind ja so glücklich. Sollen sie doch ihre Spirituals singen und Maultiere treiben.« »Was sagst du da? Wie kannst du es wagen, mir das zu sagen!« »Du hast es doch gerade eben selbst gesagt, Lady. Du bist da raus und kommst von deinem hohen San Franciscoer Roß aus zu dem Schluß, die da unten wären nicht imstande, die Ketten zu zerbrechen, die sie zu Boden zerren.« »Ich habe nie behauptet, daß sie dazu nicht in der Lage wären ich habe nur gesagt, sie wären noch nicht bereit dazu! Wir bauen eine neue Schule, stellen die besten Lehrer ein, die wir uns leisten können, appellieren an das Peace Corps und schicken immer mehr Kinder aus dem Reservat, damit sie eine bessere Erziehung genießen. Aber so was geht doch nicht von heute auf morgen! Du kannst ein entrechtetes Volk doch nicht in ein, zwei Jahren in eine politisch bewußte Gesellschaft ummodeln. Sowas braucht Jahre.« »Dir bleiben aber keine Jahre, Kollegin! Es geht um heute. Verpaßt du diese vielleicht minimale Chance, ein Unrecht -2 8 2
wiedergutzumachen, kommt sie so schnell nicht wieder. Damit
hat Mac durchaus recht; deshalb hat er es ja auch so
hingedeichselt, wie es bis jetzt gelaufen ist - jede Waffe gezückt
und das Oberkommando doch außer Reichweite, und trotzdem
hat er alles ziemlich im Griff.«
»Und was soll dieses ganze hochtrabende Geseire?«
»Ich nehme an, der Falke würde es etwa >Delta-
Einsatzgruppe<, oder >Null-Uhr-Schock< nennen.«
»Aber ja, gewiß doch - jetzt verstehe ich restlos alles!«
Ȇberraschungsangriff, Red. Ganz ohne vorherige Warnung,
keinerlei Zeitungs- oder Fernsehberichte, keine Anwälte, die
rausposaunen, daß sie vor Gericht gehen werden, alles
blitzschnell und lautlos!«
»Um jedermann in einem unachtsamen Augenblick zu
überrumpeln ...«, schloß Redwing und fing langsam an, wirklich
zu verstehen.
»Genau«, sagte Devereaux. »Vergiß die Details. Die können
sich ändern. Geh einfach davon aus, daß nur eine einzige
Stimme kippt: Entscheidungen des Obersten Bundesgerichts
sind nicht revidierbar - es sei denn durch eine Veränderung der
Rechtsprechung, ihres Systems, durch neue Gesetze.«
»Und der Kongreß arbeitet mit der Geschwindigkeit einer
Schildkröte«, schloß die Anwältin. »Womit dein Madman Mac
freie Hand hätte.«
»Und mit ihm die Wopotami«, ergänzte Devereaux. »So was
nennt man: die Bedingungen diktieren.«
»Man könnte es aber auch einen Fahrstuhl zur Hölle nennen«,
sagte Red Redwing, erhob sich und trat ans Fenster, von wo
aus sie einen Blick über den Bostoner Stadtpark hatte. »Es darf
nicht geschehen, Sam«, fuhr sie fort und schüttelte bedächtig
den Kopf. »Sie würden damit nicht fertig werden. Skrupellose
Geschäftsleute in ihren dicken Limousinen und Firmenjets
wurden sich auf sie stürzen wie die Aasgeier und ihnen
verlockende Angebote machen, denen sie nicht widerstehen
-2 8 3
könnten ... Und ich könnte sie nicht davor bewahren, keiner von
uns könnte das.«
»Von uns?« »Wir sind etwa ein Dutzend: Junge Leute, von
denen der Ältestenrat meinte, daß sie ogottowa wären - smarter
als andere, wäre eine sinnfällige Übersetzung -, und denen
Möglichkeiten geboten wurden, die die übrigen Kinder nicht
bekamen. Uns allen geht es ziemlich gut, und bis auf drei oder
vier, die es nicht abwarten konnten, sich zu assimilieren und
einen dicken BMW zu fahren, kommen wir regelmäßig
zusammen und kümmern uns um die Belange des Stammes.
Wir tun unser Bestes, aber nicht einmal wir könnten sie vor
dieser Art olympischer und leider völlig legaler Ausplünderung
bewahren.«
»Griechisch steht heute besonders hoch im Kurs, wie?«
»Dessen bin ich mir nicht bewußt. Wieso?«
»Ich weiß nicht. Irgend so ein Grieche läuft in meinem besten
Blazer rum. Entschuldigung, ich wollte dich nicht unterbrechen.« »Und doch hast du es getan. Du versuchst herauszubekommen, welche Antwort du mir geben kannst.«
»Helle, sehr helle, Kollegin ... Jawohl, das tue ich, und ich
glaube auch, ich kann es. Gehe ich recht in der Annahme, daß
du die oberste Spitze dieses besonders auserwählten Dutzends
bist?«
»Ich nehme es an. Ich bin sehr engagiert, und außerdem bin
ich in der Lage, den Stamm juristisch zu beraten.«
»Dann nutze diese Fähigkeit, ehe erst Tatsachen geschaffen
werden, das heißt, falls Tatsachen geschaffen werden.«
»In welcher Beziehung?«
»Auf wie viele von den anderen Intelligenzbolzen der Wopotami
kannst du dich verlassen?« lautete Sams Gegenfrage.
»Auf meinen Bruder Charlie natürlich, wenn er nicht gerade
irgendwelche Frauen im Kopf hat ... und dann vielleicht noch
auf sechs oder sieben andere, von denen ich auch nicht
-2 8 4
glaube, daß sie sich kaufen lassen, um Alice im Penthouse-
Land zu werden.«
»Dann gründe umgehend eine nicht wieder abrufbare
Treuhandgesellschaft, deren Satzung von sämtlichen
Mitgliedern eures Ältestenrats unterschrieben und in der
festgelegt wird, daß keine den Stamm betreffenden
Angelegenheiten wirtschaftlicher Natur von irgendwelchen
anderen Personen getätigt werden dürfen außer denen, welche
dem Aufsichtsrat besagter Stiftung angehören.«
»Das macht uns aber angreifbar als Nutznießer geheimer
Absprachen in bezug auf zukünftige juristische Vorgänge«,
wand Redwing ein.
»Welche juristischen Vorgänge? Bist du förmlich von
irgendeinem juristischen Vorgang in Kenntnis gesetzt worden?«
»Und ob ich das bin. Und zwar durch meinen Bruder Charlie,
diesen Schwachkopf, und meinen neuen Bekannten, Sam mit
der bekleckerten Hose.«
»Dann sag da eben nicht alles. Entweder das oder dein
Fahrstuhl in die Hölle.«
Redwing ging zurück zum Schreibtisch. Sie stemmte die Hände
in die Hüften und wandte den Kopf nachdenklich zur Decke.
Das war eine provozierende Haltung, die denn auch
augenblicklich wirkte. »Mußt du das unbedingt tun?« fragte
Devereaux.
»Was tun?« erwiderte die Aphrodite der Wopotamis, die Augen
jetzt auf Sam gerichtet.
»Dich so hinstellen.«
»Was verstehst du unter so?«
»Du bist ganz schön draufgängerisch, aber ein Zuviel an
Testosteron hast du nicht.«
»Wovon redest du?«
»Davon, daß du kein Mann bist.«
»Womit du verdammt recht hast.« Redwing begutachtete kurz
ihre Vorderfront. »Ach, komm schon, Kollege, schmink dir das
ab! Konzentriere dich lieber auf deine Nonne.«
-2 8 5
»Entdecke ci h da eine Spur von Eifersucht? Das wäre das
beste Zeichen, auf das ich hoffen könnte.«
»Um Gottes willen, hör auf! Das ist wieder was, das Charlie tun
könnte.«
»Hoffentlich nicht.«
»Was?«
»Ach, lassen wir das. Was soll Charlie tun?»
»Die Treuhandgesellschaft gründen«, sagte Red Redwing, trat
an den Schreibtisch und griff zum Telefon. »Er kann sich von
meiner Sekretärin helfen lassen und alles rausfaxen: Damit war
alles an einem Tag zu erledigen.«
»He«, rief Devereaux, sprang von der Couch hoch und sagte:
»Du wählst, aber kann ich an diesem Ende der Leitung als
deine Sekretärin fungieren?«
»Wozu das?«
»Ich möchte so gern die Stimme des armen Schweins hören,
das sich genauso wie ich durch Erpressung zum Komplizen der
Diebereien des Falken hat machen lassen. Nenn es pervers,
aber ich habe deinen Heiratsantrag tatsächlich überhört. Was
hältst du davon?«
»Wenn du unbedingt möchtest ...«, sagte Jennifer und wählte.
»Wie lautet sein voller Name?« fragte Sam und baute sich
neben der atemberaubenden indianischen Anwältin auf. »Damit
er weiß, daß ich ihm nichts vormache.«
»Charles ... Sunset ... Redwing.«
»Machst du Witze?«
»Er wurde geboren, als die letzten Strahlen der untergehenden
Sonne durchs Fenster fielen, und ich habe keine Lust, mir
irgendwelche albernen Bemerkungen dazu von dir
anzuhören.»Das würde ich doch nicht wagen!«
Jennifer wählte zu Ende und reichte Devereaux den Hörer.
Nach etlichen Momenten ging Sam mit folgender Frage auf das
»Hallo« am anderen Ende der Leitung ein: »Spricht dort
Charles Sunset Redwing?«
-2 8 6
»Rufen Sie wegen Adlerauge an?« fragte der Bruder. »Stimmt
daheim irgendwas nicht?«
»Adlerauge?« Devereaux deckte die Hand über den Hörer und
wandte sich an Jennifer: »Er sagte Adlerauge. Ist das ein
Codewort?«
»Das ist unser Onkel. Du hast Charlies Mittelnamen benutzt,
mit dem er nicht gerade überall Reklame für sich macht. Laß
mich mit ihm sprechen.«
»Der jagt mir eine Heidenangst ein.«
»Charlie? Wieso? Er ist ein netter Junge.«
»Na, mir ist, als hörte ich mich selber sprechen.«
»Zwei Punkte für den weißen Mann«, sagte Jennifer und nahm
ihm den Hörer ab. »Hallo, du Esel, hier spricht deine große
Schwester. Du wirst jetzt genau das tun, was ich dir sage. Und
hüte dich, meiner Sekretärin irgendwelche Avancen zu machen,
oder ich schlage dich windelweich wie früher - nur, daß diesmal
ein paar Extremitäten flöten gehen könnten. Hast du
verstanden, Charlie?«
Sam wandte sich wieder zur Couch, beschloß dann jedoch,
sich nicht zu setzen, sondern statt dessen die mit Spiegelglas
ausstaffierte und in die Wand eingebaute Bar zu öffnen, die mit
allen möglichen geistigen Getränken bestückt war. Während
Redwing ihrem Bruder haarklein auseinandersetzte, was er zu
tun habe, mixte er einen großen Glaskrug trockener Martinis.
Wenn ihm möglicherweise nichts anderes übrig blieb als zu
schreien - warum das nicht leicht angeheitert tun?
»So, das hätten wir!« sagte Jennifer, legte auf und drehte sich
um. Statt Devereaux wie erwartet auf der Couch sitzen zu
sehen, wandte sie den Blick der Bar und dem Mixologen bei der
Arbeit zu. »Was machst du da?«
»Ich nehme dem Schmerz etwas von seinem Stachel, vermute
ich mal«, antwortete Sam und führte eine winzige Gabel in ein
Glas Oliven ein. »Aaron dürfte bald hier sein, und über kurz
oder lang wird auch Mac auftauchen - falls er überhaupt aus
dem Four Seasons rauskommt. ... Ich kann nicht sagen, daß
-2 8 7
ich dieser Besprechung voller Ungeduld entgegenharre. Wie
war's mit einem Schluck?«
»Nein, vielen Dank - schon ein Schluck würde mich bereits
außer Gefecht setzen. Ich fürchte, auch das habe ich meinen
Genen zu verdanken. Es ist also besser, ich rühr das Zeug
nicht an.«
»Wirklich? Ich dachte, das wäre bloß so ein Märchen, das mit
den Indianern und dem Feuerwasser.«
»Ja, glaubst du denn, Pocahontas hätte diese ausgemergelte
Vogelscheuche von weißem angelsächsischem Protestanten
auch nur mit der Kneifzange angefaßt, wenn sie nicht
beschickert gewesen wäre?«
»Das halte ich für eine rassistische Bemerkung.«
»Worauf du Gift nehmen kannst, aber laß uns was davon
übrig.«
Der elegante Manager des exklusiven Fawning Hill Country
Club auf dem Ostufer von Maryland wandte sich seinem
Assistenten zu, als der schwergewichtige Mann durch den
imposanten Eingang eintrat, an ihnen vorüberging und mit
einem Kopfnicken zur Kenntnis nahm, schweigend und ohne
Namensnennung begrüßt worden zu sein.
»Roger, mein Junge«, sagte der befrackte Manager, »der
Mann, den du da eben gesehen hast, steht für mindestens
zwölf Prozent des gesamten Reichtums unseres Landes.«
»Du willst mich wohl verscheißern«, sagte der jüngere, aber
nicht minder makellos gekleidete Assistent, nur daß ihm die
weiße Rose im Knopfloch fehlte.
»Keineswegs«, fuhr der Manager fort. »Es handelt sich um eine
private Besprechung mit dem Außenminister im Gold Room.
Kein Lunch, keine Drinks, nur Mineralwasser, sonst nichts. Sehr
ernst. Vor einer Stunde sind zwei Leute vom Außenministerium
hiergewesen und haben das Zimmer mit elektronischem Gerät
abgesucht, um zu gewährleisten, daß nirgends irgendwelche
Wanzen versteckt sind.«
»Und um was, meinst du, geht es da, Maurice?«
-2 8 8
»Um die Macher und Beweger, Roger. Im Gold Room sind die
obersten Spitzen von Monarch-McDowell Aircraft, Petrotoxic
Amalgamated, Zenith Ball Hearings Worlduride und den von
Mailand bis Kalifornien operierenden smythington-Fontini
Industries versammelt.«
»Wow! Und wer ist der fünfte?«
»Das ist der König der internationalen Banker. Der kommt aus
Boston und kontrolliert mehr Portemonnaies als der
Finanzminister.«
»Und was, meinst du, machen die hier?«
»Wenn ich das wüßte, könnte ich mir vermutlich eine goldene
Nase verdienen.«
»Moose!« rief Warren Pease an der Tür und begrüßte den
Eigentümer der Monarch-McDowell Aircraft mit einem kräftigen
Händedruck.
»Dein linkes Auge kreist im All«, sagte der Bulle von einem
Mann. »Gibt es Probleme?«
»Nichts, womit wir nicht fertig würden, altes Haus«, erwiderte
der Außenminister nervös. »Sag der Versammlung guten Tag.«
»Hallo, alte Freunde«, sagte Moose, ging in seiner grünen
Ehrengolf Jacke des Fawning Hill Clubs um den Tisch herum
und schüttelte jedem einzelnen die Hand.
»Schön, dich zu sehen, altes Haus«, sagte Doozie von
Petrotoxic Amalgamated, an dessen Blazer nicht das
Clubabzeichen prangte, sondern sein Familienwappen.
»Du kommst spät, Moose«, sagte Froggie, Inhaber und
geschäftsführender Direktor von Zenith Ball Hearings
Worldwide. »Und ich hab's leider eilig. In Paris haben sie eine
neue Legierung entwickelt, mit der wir im Rüstungsgeschäft
Millionen machen könnten.«
»Tut mir leid, Froschgesicht, aber ich konnte das Wetter über
St. Louis nun mal nicht ändern. Mein Pilot mußte unbedingt
einen Umweg fliegen ... Hallo, Smythie, wie geht's den Damen
in Mailand?«
-2 8 9
»Die verzehren sich immer noch in Sehnsucht nach dir, Moose!« erwiderte Smythington-Fontini. Der halbe Brite und halbe Italiener trug weiße Flanellhosen zu einer weitgeschnittenen Yachtbluse mit etlichen Spangen seiner Regattasiege. »Da bist du ja, Bricky«, sagte Moose und ergriff die ihm entgegengestreckte Hand des Bostoner Bankiers. »Was macht der Geldtopf? Im letzten Jahr hast du ja ganz schön an mir verdient.« »Das meiste hast du aber von den Steuern absetzen können, alter Kumpel«, hielt der neuenglische Banker ihm lächelnd entgegen. »Möchtest du es denn anders?« »Nein, natürlich nicht, Brick! Du versüßt mir jeden Morgen den Kaffee ... Ich nehm hier Platz, ja?« »Richtig.« »Richtig!« sagte mit Nachdruck auch Froggie. »Ich hab's mächtig eilig. Diese neue Pariser Legierungen dürfen auf keinen Fall der deutschen Industrie in die Hände fallen. Mach schon los, Warren!« »Na schön, dann wollen wir mal«, sagte der Außenminister, setzte sich und trommelte furios an seine linke Schläfe, um das unbotmäßige Auge in die richtige Stellung zu bringen. »Ich hab euch übers Sicherheitstelefon darüber informiert, daß unser guter Freund und mein alter Zimmergenosse, der Präsident, mich bei der CIA mit der Lösung des italienischen Problems betraut hat.« »Irgendwas muß da ja wohl getan werden«, meinte Doozie von Petrotoxic. »Soviel ich gehört habe, ist der Mann zu so was wie einer Bedrohung geworden. Die Geschichten seiner sogenannten >Taktiken< sind doch praktisch schon legendär.« »Und doch ist er seit seiner Amtsübernahme äußerst effektiv gewesen«, sagte Moose. »Von dem Tag an, wo er in Langley Einzug gehalten hat, sind unseren Firmen größere Probleme mit den Gewerkschaften erspart geblieben. Wo immer Gefahr droht, tauchen ehemalige Kollegen von ihm in Limousinen auf, und der Spuk verschwindet.« -2 9 0
»Reizvolle Note, das mit den Limousinen«, sagte Doozie und
schnippte einen Fussel vom Familienwappen auf seinem
Jackett. »Und ich muß sagen, es tut richtig wohl zu sehen, wie
er diesen elenden Umweltschützern mit seinen
Sicherheitsauflagen kommt. Mummy und Daddy hätten ihre
helle Freude an ihm gehabt!«
»Und das, obwohl er gesellschaftlich völlig unakzeptabel ist«,
fügte der König der Bostoner Geschäftsbanker hinzu. »Dabei
hat er unseren Firmenfinanzen durch seine Verbindungen zu
gewissen offshore operierenden Seefahrtskreisen beträchtlich
auf die Sprünge geholfen. Wir alle haben Millionen allein an
Steuern durch ihn verdient.«
»Verdammt anständiger Bursche«, räumte auch Moose von
Monarch-McDowell Aircraft ein, dem, wenn er nickte, die
Wampe wabbelte.
»Keine Frage«, stimmte Doozie ihm zu. »Er hat wahrhaft
begriffen, daß der Erfolg von Leuten, die über ihm stehen, auch
den eigenen Erfolg garantiert. Hier haben wir den
unschlagbaren Beweis für die Theorie, daß es immer von oben
nach unten tröpfelt.«
»Außerdem«, erklärte der Erbe des multinationalen
Firmenimperiums Smythington-Fontini, - an wen sonst könnten
viele von uns sich wenden? Er ist ein außerordentlich
patriotischer Amerikaner. Er weiß einfach, daß jedes
Verteidigungsprojekt, das auf irgendeinem Reißbrett im Lande
entsteht, gutgeheißen werden muß, egal, wie fragwürdig es
auch erscheinen mag, denn in den Versuchen stecken immer
wertvolle ... Forschungsgelder, jawohl, Forschungsgelder.«
»Hört, hört!«
»Hört, hört!«
»Nun«, unterbrach Augenminister Pease und hielt eine
zitternde Hand in die Höhe, die er aber augenblicklich mit der
rechten packte und wieder zurückzog auf den Tisch. »Die
glänzenden Eigenschaften, die ihn zu einem solchen As
gemacht haben, könnten dennoch letztlich der Grund dafür
sein, daß er zu einem Risikofaktor wird.«
-2 9 1
»Was?«
»Wieso das?«
»Weil jeder einzelne von euch weitreichende Geschäfte mit ihm
getätigt hat.«
»Ach, da ist längst Gras drüber gewachsen, Warren«, sagte
Froggie eisig. »Das ist ganz tief vergraben.«
»Nicht für ihn.«
»Was ist passiert?« fragte Boston Bricky, sein ohnehin durch
akuten Lichtmangel in seinen Tresorgewölben bleiches Gesicht
wurde womöglich noch bleicher.
»All das steht in direktem Zusammenhang mit dem anderen
Problem, mit dem wir uns momentan herumschlagen, und auf
das ich später noch zu sprechen kommen werde.«
»Oh, mein Gott!« flüsterte Doozie. »Die Wilden ... dieses
Gericht, in dem immer noch diese drei linkslastigen
Sabbergreise und das eine große Geheimnis sitzen!«
»Ja«, bestätigte Warren Pease mit kaum wahrnehmbarer
Stimme. »Bei dem Versuch, dieses ganze blöde Fiasko
auffliegen zu lassen, verfolgte Mangecavallo die wahnsinnigen
Kontrahenten bis nach Boston und rief dann seine New Yorker
Gangster auf den Plan, eiskalte Killer, sag ich euch. Einer
davon wurde verhaftet.«
»Ach du großes grundgütiges, grasgrün-grimmeliges
Grundwalgekröse!« rief Bricky. »Boston?«
»Ich hab davon gelesen«, sagte Moose. »In irgendeinem Hotel
hat es einen Krawall gegeben, und der verdammte Gangster,
den sie verhaftet haben, hat erklärt, der Präsident wäre sein
Anwalt.«
»Ich hab ja gar nicht gewußt, daß dein alter Zimmergenosse
Jurist ist?!« sagte Doozie.
»Ist er auch nicht. Aber wenn sogar der Name meines alten
Klassenkameraden und Zimmergenossen ins Spiel gebracht
wird, dann seid ihr als nächste an der Reihe, noch ehe
Mangecavallo auffliegt und so sicher, wie es einen
Verhandlungsschacher gibt.«
-2 9 2
»Was haben Sie erwartet, Herr Minister?« meinte Froggie mit
eisiger Stimme und sah vom einen zum anderen. »Sobald man
einem Gangster Verantwortung überträgt, muß man für ihn
auch geradestehen.«
Das Schweigen war das Schweigen der Verdammten.
Schließlich erhob Moose von Monarch-Mc-Dowell die Stimme.
»Großer Gott, er wird uns fehlen.«
»Dann sind wir uns also einig?« wollte Warren Pease wissen.
»Aber selbstverständlich, alter Kumpel«, sagte Doozie, die
Brauen unschuldig hochgezogen. »Welcher andere Weg
stünde uns denn sonst noch offen?«
»Alle Wege führen nach Boston - in meine schöne Bank in
Beacon Hill!« rief Bricky. »Der Mann ist schon so gut wie
erledigt. «
»Der ist zuviel für jeden von uns!« rief Smythington-Fontini.
»Ein Gangster und Warlord an der Spitze unseres
Geheimdienstes - noch dazu einer, der uns kennt, unsere
Namen nennen könnte!«
»Und wer spricht es aus?« wollte Moose wissen. »Verdammt
noch mal, einer muß es doch aussprechen!«
»Ich werde es tun«, erklärte Froggie mit monotoner Stimme.
»Aus Vincent Mangecavallo muß möglichst umgehend der
verstorbene Vincent Mangecavallo werden. ... Ein tragischer
Unfall, versteht sich, auch nicht im entferntesten
verdachterregend.«
»Aber wie?« fragte der Außenminister.
»Darauf kann vielleicht ich antworten«, sagte Smythington-
Fontini und inhalierte dabei wie beiläufig aus seiner überlangen
Zigarettenspitze. »Ich bin Alleininhaber der Firma Milano-
Fontini-Industries, und wo, wenn nicht in Italien, findet man
immer ein paar Unzufriedene, denen meine Untergebenen,
deren Spur sich nicht zurückverfolgen läßt, mit ein paar hundert
Millionen Lire winken könnten? Sagen wir mal ... ich könnte das
arrangieren.«
»Anständiger Kerl!«
-2 9 3
»Guter Mann!«
»Fabelhaft gemacht!«
»Wenn alles vorbei ist«, rief Warren Pease, dessen linkes Auge
im Moment einigermaßen in die richtige Richtung blickte, »wird
der Präsident dich mit einer hohen Auszeichnung ehren. Und
sie dir selbstverständlich auf einer stillen Feier persönlich
überreichen.«
»Wie ist der eigentlich jemals durch die Anhörungen
gekommen?« fragte der Neuengländer mit dem bleichen
Gesicht. »Ich hätte das nie für möglich gehalten.«
»Ich meinerseits habe nicht das geringste Verlangen danach,
das zu erfahren«, erwiderte der ehemalige Klassen- und
Zimmerkamerad des Präsidenten. »Was jedoch die
Nominierung des fraglichen Mr. Mangecavallo betrifft, so
möchte ich euch alle daran erinnern, daß sie einem
einstimmigen Votum des Suchkomitees des künftigen
Präsidenten entsprach, das mehrheitlich hier um diesen Tisch
versammelt ist. Vermutlich habt ihr alle nicht geglaubt, daß er
die Anhörungen vorm Senatsausschuß überleben würde, aber
er hat es nun mal geschafft, und jetzt habt ihr den
Kladderadatsch ... Gentlemen, ihr selbst seid verantwortlich
dafür, daß ein Mafia-Pate an die Spitze der CIA gelangen
konnte.«
»Das ist aber sehr kraß ausgedrückt, Alter«, meinte der
wappengeschmückte Doozie und reckte nervös das Kinn.
»Schließlich haben wir beide, du und ich, dasselbe College
besucht.«
»Es tut mir weiß Gott in der innersten Seele weh, Bricky, aber
du wirst doch wohl Verständnis für mich haben. Ich muß
unseren großen Mann schützen, das ist mein Job, ist meine
Aufgabe, der ich auf Ehre und Gewissen verpflichtet bin und so
weiter und so fort.«
»Aber der hat doch nicht dasselbe College besucht wie wir.«
»Für die meisten von uns ist das Leben nun mal nicht fair,
Bricky«, sagte Froggie, wobei seine Augen den Außenminister
gleichwohl eiskalt musterten. »Bloß, wieso willst du unseren
-2 9 4
Mann im Oval Office schützen, indem du, was Mangecavallo
betrifft, uns die Verantwortung zuschiebst - die wir doch auf der
Stelle entrüstet von uns weisen?«
»Nun!« Der Außenminister erstickte förmlich an diesem einen
Wort. Sein Augapfel war wieder eine Stahlkugel, die zwischen
zwei Magneten hin- und herfuhr. »Wie der Zufall es will, sind wir
nun mal im Besitz der vollständigen Sitzungsprotokolle des
Suchkomitees.«
»Wie denn das?« explodierte der bleiche Banker aus
Neuengland. »Es waren keine Sekretärinnen dabei, und auch
sonst hat niemand Protokoll geführt.«
»Ihr vergeßt den Mitschnitt, Leute«, erklärte der Mann an der
Spitze des Außenministeriums im Flüsterton.
»Was?«
»Ich habe unseren getreuen, aus ach-so-feiner Familie
stammenden Schurken verstanden«, rief Moose außer sich.
»Er hat gesagt, die Sitzung wurde mitgeschnitten. Es existiert
also ein Tonband davon.«
»Wom it denn, um alles auf der Welt?« wollte Doozie wissen.
»Ich habe nie irgendwelche Bandgeräte gesehen.«
»Es gab stimmaktivierte Mikrophone«, sagte der Außenminister
kaum lauter als zuvor. »Unter den Tischen - wo immer ihr euch
getroffen habt.«
»Was habe ich da gehört? Wo immer wir uns getroffen
haben?«
Die Gesichter der Männer um den Tisch herum waren vor Wut
und Überraschung erstarrt. Erst nachdem ihnen klar wurde,
was das bedeutete, gaben sie Laut.
»In meinem Haus?«
»In meinem Ferienhaus am See?«
»Auf meinem Anwesen in Palm Springs?«
»Überall«, flüsterte Warren Pease mit totenbleichem Gesicht.
»Auch in den Büros hier in Washington?«
-2 9 5
»Wie hast du so was nur tun können?« brüllte der kantige
Smythington-Fontini, dessen Ascot-Krawatte verrutscht war und
der mit seiner Zigarrenspitze herumfuhrwerkte wie mit einem
Säbel.
»Auf Ehre und Gewissen verpflichtet«, erklärte der blonde
Froggie. »Du Dreckskerl, bilde dir bloß nicht ein, du könntest
jemals wieder in meinem Club spielen.«
»Und ich sage dir, deinen Plan, an unserem Klassentreffen
teilzunehmen, kannst du dir an den Hut stecken. Du hängst
dein Mäntelchen ja doch nur in den Wind!« entrüstete sich
Doozie.
»Und ich nehme mit dem heutigen Datum deinen Rücktritt aus
dem Vorstand der Metropolitan Society an!« trumpfte Moose
auf.
»Ich bin Ehrenvorsitzender!«
»Gewesen - jetzt nicht mehr. Noch heute abend werden wir
Berichte über dein ebenso empörendes wie schockierendes
Verhalten vorlegen. Sagen wir: sexuelle Nötigung, nicht nur
Frauen, sondern auch Männern gegenüber. So was können wir
nicht dulden! Nicht in unseren Kreisen.«
»Und daß du jemals einen Liegeplatz für deine Nußschale von
Kabinenkreuzer in unserem Yachtclub bekommst, das kommt
überhaupt nicht in Frage!« verkündete Smythie. »Und so was
will Segler sein!«
»Erst Moose, dann Froggie und Doozie - und jetzt auch noch
du, Smythie! Wie kannst du mir das nur antun? Es geht um
mein Leben, denn all dies sind Dinge, die mir sehr viel
bedeuten!«
»Daran hättest du früher denken sollen.«
»Aber ich hatte damit doch gar nichts zu tun! Bringt doch nicht
den Boten wegen der Botschaft um, die er überbringt.«
»Das hab ich doch irgendwo schon mal gehört?!« sagte Brickie.
»Vermutlich kommunistische Propaganda!»
»Unsinn, soviel ich weiß japanisch«, erklärte der grünbejackte
Moose, »und das ist noch schlimmer! Die behaupten, unsere
-2 9 6
Kühlschränke wären zu groß, um sie da drüben verkaufen zu
können, genau wie unsere Autos zu groß für ihre Straßen
wären. Warum bauen sie keine größeren Häuser und breitere
Straßen, diese scheinheiligen Protektionisten?«
»Aber darum geht's doch nicht, alte Freunde«, rief der
Außenminister. »Es geht um die Wahrheit!«
»Was soll die Wahrheit sein?« wollte Froggie wissen.
»Das mit der Botschaft und dem Boten. Er hat Kellner und
Gärtner bestochen, um die Dinger anzubieten.«
»Wovon redest du eigentlich, du Benedict Arnold?« rief
Petrotoxic-Doozie.
»Richtig, der ist es! Arnold!«
»Welcher Arnold?«
»Arnold Subagaloo, der Stabschef des Weißen Hauses.«
»Den Namen hab ich nie richtig aussprechen können. Das ist ja
der reinste Zungenbrecher. Einer von uns ist das jedenfalls
nicht. Und was soll mit ihm sein?«
»Er ist derjenige, von dem die Botschaft stammt, die ich hier
übermittelt habe. Woher sollte ich denn eine Ahnung von
stimmaktivierten Mikros haben? Gott im Himmel, ich kann ja
nicht einmal mit meinem verdammten Radio umgehen!«
»Was macht dieser Subaru denn so?« wiederholte der
bleichgesichtige Neuengland-Banker.
»Nein, kein Auto«, stellte der Minister klar. »Er heißt
Subagaloo.«
»Ist das nicht'n Kühlschrank?« wollte Moose von Monarch-
McDowell wissen. »Sub-Igloo ist ein fabelhaftes Gerät und
sollte in jedem kleinen japanischen Haushalt stehen.«
»Ach was, du denkst an Sub-Zero. Der Mann, um den es im
Moment geht, heißt Subagaloo, und er ist der Stabschef des
Präsidenten.«
»Ach, dieses Wall-Street-Genie?« erkundigte sich Smythington-
Fontini. »Der war vor ein paar Jahren im Fernsehen umwerfend
-2 9 7
komisch. Ich fand, man hätte ihm eine eigene Show geben
sollen.«
»Tut mir leid, Smythie, aber den gibt's schon lange nicht mehr.
Das war der vom Präsidenten davor.«
»Ah, ja«, stimmte ihm der Yachtsegler zu. »Der nette Kerl aus
dem Kino mit dem Lächeln, in das meine Frau ganz vernarrt
war - oder war es meine Geliebte? Oder die kleine Maus in
Mailand? Ich habe offen gestanden nie ein Wort von dem
verstanden, was er gesagt hat - es sei denn, er las es ab.«
»Wovon ich rede, das ist Arnold Subagaloo, der Stabschef des
gegenwärtigen Präsidenten.«
»Das ist bestimmt keiner von uns. Wenn man schon solchen
Namen hat!«
»Er ist es, der mir gesagt hat, ich soll euch darüber aufklären,
daß unsere Sitzungen auf Band aufgenommen wurden. Und er
ist es auch, der die Aufnahmen hat machen lassen.«
»Warum hat er das nur getan?«
»Weil er gegen jeden und alles ist, in dem oder worin man eine
potentielle Bedrohung des Weißen Hauses sehen könnte. Aus
diesem Grunde hat er noch in der Interimszeit alle denkbaren
Probleme, die auf ihn zukommen könnten, durchgespielt und
entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen ...«
»Und das auf eine verdammt unanständige Art und Weise - der
Mann ist kein Gentleman!« meldete Bricky sich zu Wort.
»Damit zwingt er uns genau zu dem, was wir tun«, ergänzte der
blonde Zyniker und warf einen Blick auf seine goldene Gerard-
Perregaux-Armbanduhr. »Mangecavallo beseitigen und
dadurch das Problem aus der Welt schaffen, das wir - wir,
meine Herren - uns selbst eingebrockt haben, und zwar
beseitigen, ohne daß am Präsidenten was hängen bleibt ...
Dieser Subagaloo ist ein ganz abgefeimter Schuft!«
»Müßte einen äußerst tüchtigen Geschäftsführer abgeben!«
folgerte der wappengezierte Doozie von der Petrotoxic. »Sitzt
vermutlich in einem Dutzend Aufsichtsräte.«
-2 9 8
»Von dem möchte ich nach Ablauf seiner Amtszeit ein
Resümee haben«, fügte der grünbejackte Moose noch hinzu.
»Jemand, der dermaßen abwegig denken kann, ist ein
Himmelsgeschenk.«
»Na, schön, Mr. Secretary«, sagte Froggie. »Ich habe nur
wenig Zeit, und da Smythie unser vitales Problem gelöst hat,
schlage ich vor, daß du dich über die andere Schwierigkeit
ausläßt, die du vorhin angesprochen hast. Was ich meine, ist
selbstverständlich dieser aberwitzige und wirklich widerwärtige
Anklagesatz, der dem Obersten Bundesgericht vorliegt und
demzufolge Omaha diesen Tocobunnies übereignet werden
müßte, wer immer die auch sein mögen.«
»Den Wopotami«, stellte der Minister richtig. »Man hat mir
gesagt, es handele sich um einen Zweig der Hudson-
Mohikaner, die sie verstoßen haben, weil sie sich weigerten, bei
Schnee ihre Tipis zu verlassen.«
»Ist uns doch nun wirklich egal, wer oder was die in ihren
dreckigen Iglus getan haben ...«
»Tipis.«
»Sind wir jetzt wieder bei den Kühlschränken?«
»Nein, er ist der Stabschef ...«
»Ich dachte, er hätte für Chicago gespielt ...?«
»Die Japaner kaufen Chicago ...?«
»Wer weiß, was die noch alles aufkaufen. Immerhin besitzen
sie schon New York und Los Angeles ...«
»Die Dodgers haben sie gekauft ...?«
»Nein, soviel ich gehört habe, die Raiders ...!«
»Ich dachte, die gehörten ihnen schon lange ...«
»Nein, Smythie, die Rams, die gehören dir ...«
»Würdet ihr jetzt endlich aufhören?« schrie Froggie. »Ich habe
in genau sieben Stunden eine Besprechung in Paris. ... Jetzt
mal Tacheles, Mr. Secretary: Welche Maßnahmen haben Sie
vorgesehen, diesen lächerlichen Klagesatz abzuwürgen und
dafür zu sorgen, daß nichts davon an die Öffentlichkeit dringt?
-2 9 9
Jede öffentliche Erörterung würde zu einer Anklage im Kongreß
führen, und so was könnte monatelang dauern. Eine
unerträgliche Aussicht! Das könnte uns Milliarden kosten!«
»Erst mal möchte ich mit der schlechten Nachricht kommen«,
erwiderte der Außenminister und klatschte sich die linke
Handfläche gegen den Kopf, um sein hin- und herschnellendes
linkes Auge wieder zu stabilisieren. »In der festen Annahme,
uns durch gewisse Zahlungen absolut rückversichern zu
können, haben wir die besten patriotischen Superschnüffler
eingesetzt, um etwas über diese Rindviecher von Richtern
rauszufinden, die meinen, daß dieser stinkende Klagesatz was
für sich hat. Aber alles vergebens. Wir haben sogar
angefangen, uns zu fragen, wie die es geschafft haben, ihr
Jurastudium durchzustehen - eine so saubere Weste hat keine
Bande von Anwälten.«
»Hast du Goldfarb auf sie angesetzt?«
»Den natürlich als allerersten. Aber er hat aufgegeben.«
»In der Oberliga hat er nie aufgegeben. Gewiß, als Juden
konnte ich ihn nicht einfach so zum Dinner in den Onion Club
einladen, aber er war ein verdammt guter Footballspieler. Und
der hat keinen Dreck aufspüren können?«
»Nicht den geringsten. Mangecavallo selbst hat mir gesagt,
Hymie the Hurricane hätte - ich zitiere - >längst nicht mehr die
Grütze im Kopf wie früher<. Er hat Vincent sogar weismachen
wollen, dieser Häuptling Donnerhaupt müsse entweder der
kanadische Big Foot sein oder der Yeti aus dem Himalaya,
dieser abscheuliche Schneemensch.«
»Golden Goldfarb, der ist jetzt also auch Geschichte«, sagte
der wappengeschmückte Alleininhaber von Petrotoxic
bekümmert. »Ich werde meine >Hurricane-Bubblegum-
Papiere< so bald wie möglich abstoßen. Mummy und Daddy
haben mir immer gesagt, daß man dem Markt voraus sein
muß.«
»Bitte!« ließ sich donnernd der blondhaarige Besitzer von
Zenith Worldwide nach einem neuerlichen Blick auf seine
Armbanduhr vernehmen und funkelte den Augenminister
-3 0 0
ungehalten an. »Und wie lautet, falls es denn eine solche gibt,
die gute Nachricht?«
»Die ist ganz einfach zu erklären«, antwortete Pease, dessen
linkes Auge vorübergehend Ruhe gefunden zu haben schien.
»Unser demnächst verblichener CIA-Direktor hat uns den Weg
gewiesen. Die klageführenden Leute, die hinter dem Wopotami-
Klagesatz stehen - ein gewisser Häuptling Donnerhaupt und
seine Anwälte -, müssen vor der gerichtlichen Entscheidung
zwecks mündlicher Befragung persönlich vorm
Bundesgerichtshof erscheinen.«
»Ja, und?«
»Er wird nie hinkommen - sie werden nie hinkommen.«
»Was?«
»Wer?«
»Wieso denn?«
»Vinnie Bum-Bum hat seine Mafia-Verbindungen spielen
lassen. Und wir setzen dem noch einen drauf.«
»Was?«
»Wer?«
»Wie denn?«
»Wir werden gewisse Abteilungen unserer Sondereinheiten
von denen einige noch hinter Gittern sitzen - von der Leine
lassen und sie so vorprogrammieren, daß sie Donnerhaupt und
seine Leute aus dem Weg räumen. Ihr seht also, Mangecavallo,
der demnächst verbleichende Mangecavallo - hat recht gehabt:
Man beseitige die Ursache, und man hat das Ergebnis
beseitigt.«
»Hört, hört!«
»Gut durchdacht!«
»Verdammt gutes Szenario.«
»Und wir wissen, daß dieser Hurensohn Donnerhaupt samt
seinen Kommunistenkumpeln in Boston ist. Wir brauchen ihn
und seine durch und durch verderbten, unpatriotischen
Spießgesellen nur zu finden.«
-3 0 1
»Aber bist du dazu imstande?« fragte der eiskalte Froggie, der
gleich nach Paris fliegen sollte. »Bis jetzt hast du eigentlich
kaum was richtig gemacht.«
»Das ist praktisch schon erledigt«, erwiderte der Minister,
dessen linkes Auge endlich einmal regungslos in ein und
derselben Stellung verharrte. »Dieser schreckliche Mensch,
den sie gestern in Boston festgenommen haben, Caesar der
Unaussprechliche, befindet sich momentan in einer aseptisch
sauberen Hausklinik des Außenministeriums in Virginia und
wird dort mit einem Wahrheitsserum >auf den Mond
geschossen<, wie sie das nennen. Ehe der Tag zu Ende geht,
werden wir wissen, was er weiß. Und ich denke, auch du
solltest gleich ans Werk gehen, Smythie.«
»Das ... läßt sich machen.«
Algernon Smythington-Fontini stieg am unwahrscheinlichsten
aller Orte aus seiner Limousine - einer heruntergekommenen
Tankstelle in den Außenbezirken von Grasonville, Maryland,
einem Überbleibsel aus der Zeit, da die Farmer der Gegend
ihre Laster in aller Herrgottsfrühe volltankten und dann noch ein
paar Stunden an der Theke hocken blieben, um sich übers
Wetter, die fallenden Marktpreise und vor allem über die
zunehmend zur Gefahr werdende Agro-Industrie zu
unterhalten. Smythie nickte dem Tankstellenbesitzer zu, der auf
einem ziemlich wackligen Korbstuhl neben dem Eingang saß.
»Guten Tag«, sagte er.
»Mi, ya, der Gentleman. Gehn Sie nur rein und benutzen Sie
das Telefon ... Das Geld legen Sie auf die Theke, wie immer.
Und gleichfalls wie immer: Ich hab sie noch nie zuvor im Leben
gesehn.«
»Das sind nur Sicherheitsvorkehrungen, verstehen Sie, alter
Mann?«
»Das können Sie Ihrer Frau oder Ihrer Großmutter erzählen,
nicht mir.«
»Unverschämtheit zahlt sich nicht aus in Ihrer Stellung.«
»Oh, damit hab ich keinerlei Probleme: jede Schlampe und jede
denkbare Stellung ...«
-3 0 2
»Wirklich!« Smythington-Fontini betrat das innere der kleinen
Tankstelle, wandte sich dort nach links einer schmierigen,
kunststoffbeschichteten Theke zu, auf der ein uraltes
schwarzes Telefon mit Wählscheibe stand. Er nahm den Hörer
zur Hand und wählte.
»Ich störe doch hoffentlich nicht«, sagte er.
»Ah, Signor Fontini!« ertönte die Stimme am anderen Ende der
Leitung. »Welchem Umstand verdanke ich die Ehre? In Mailand
läuft doch hoffentlich alles zur Zufriedenheit?«
»Über die Maßen sogar, wie in Kalifornien.«
»Freut mich, daß wir Ihnen zu Diensten sein können.«
»Weniger freuen dürfte sie zu hören, welchen Beschluß man
gefaßt hat. Und zu den häßlichen Seiten dieses Beschlusses
gehört es, daß nicht daran zu rütteln ist.«
»Spucken Sie's schon aus. Was kann denn so ernst sein, daß
solche hochtrabenden Worte nötig sind?«
»Esecuzione.«
»Che cosa? Chi?«
»Tu. ’Io. Diese hundsgemeinen Hurenböcke!« röhrte Vincent
Mangecavallo. »Diese rotzfrechen Tutti-frutti-Bastards!«
»Wir müssen uns über die Art und Weise unterhalten. Ich
schlage Schiff oder Flugzeug vor, was eine Rückkehr offen
läßt.«
Außer sich vor Wut und mit hochrot-apoplektischem Gesicht
drückte Vinnie Bum-Bum die Wähltasten seines in der unteren
rechten Schreibtischschublade verborgenen Telefons. Zweimal
gab das einen blutigen Ratscher an den Knöcheln. Die
verfluchten scharfen Holzränder der Seitenteile. Dann bellte er
die Nummer des Hotelzimmers in den Apparat, mit dem er
verbunden werden wollte.
»Yeah?« meldete sich verschlafen Little Joey, das Leichentuch.
»Krieg deinen verdammten Arsch hoch, Joey. Das ganze
Szenario ist umgeworfen worden!«
»Wovon redest du? ... Bist du das, Bum-Bum?«
-3 0 3
»Bei den Gräbern meiner Ahnen in Palermo und Ragusa
darauf kannst du Gift nehmen! Diese Scheißschwuchteln in den
Seidenunterfummeln haben soeben meine esecuzione
beschlossen. Meine Eliminierung. Und das nach allem, was wir
für sie getan haben.«
»Willst du mich auf n Arm nehmen? Das kann doch nur 'n
Irrtum sein! Die redn doch immer so hochgestochenes Zeugs,
daß du nie weißt, wolln sie dir nun 'n Tritt in'n Arsch geben oder
dir'n selbigen afeschlabbern.«
»Basta!« rief gellend der Direktor der Central Intelligence
Agency. »Was ich gehört hab, hab ich gehört - und es ist
Gold!«
»Verdammte Scheiße! Un' was machen wir jetzt?«
»Erst mal cool bleiben, Little Joey. Ich werd für 'ne Weile von
der Bildfläche verschwinden, vielleicht 'ne Woche lang oder
auch zwei, Einzelheiten besprechen wir später, aber von
diesem Augenblick an hast du eine neue Aufgabe. Und du
mußt sie richtig erledigen, Joey!«
»Beim Grab meiner Mutter!«
»Schwör beim Grab von jemand anderem. Deine Mamma hat
schon zu oft dafür herhalten müssen.«
»Ich hab 'ne Nichte, die ist Nonne ...«
»Hast du schon vergessen, daß man die dreikantig aus dem
Kloster rausgeworfen hat? Sie und ihren Bespringer?«
»Du hast recht, hast ja sooo recht! Meine Tante Angelina ... die
starb, nachdem sie bei Umberto's Muscheln gegessen hat. Nie
hat es eine frommere Person gegeben als sie! Auf ihr Grab!«
»Die war so fett, daß sie sechs Gräber brauchte ...«
»Aber sie war fromm, Bum-Bum, richtig gottesfürchtig! Jede
Stunde des Tages ein Rosenkranz.«
»Sie hatte ja sonst nichts zu tun. Trotzdem, mit deiner Angelina
bin ich einverstanden. Du bist also bereit, auf dieses heilige
Grab zu schwören?«
»Ich schwöre bei der Strafe, von Dämonen besessen zu
werden, was ne Riesensache is' bei diesen gibrones in New
-3 0 4
York. ... Manchmal glaub ich, diese irischen Kasper haben nicht alle Riemen im Wasser!« »Schon gut, schon gut«, erklärte Vincent Francis Assisi Mangecavallo. »Ich gehe davon aus, daß du kein Sterbenswort von dem ausplapperst, was ich dir jetzt sagen werde.« »Und ich werde Gott auf den Knien dafür danken, wie du mich gelenkt hast, Bum-Bum. Wem darf ich mich denn als todsicherer Lebensverkürzer andienen?« »Im Gegenteil, Little Joey! Du mußt dafür sorgen, daß sie am Leben bleiben ... Ich will, daß du dich mit diesem Donnerkopf und seinen Partnern zusammensetzt. Ich trete jetzt nachdrücklich für die Sache ein! Solche Minderheiten sind schon viel zu lange und viel zu oft niedergeknüppelt worden. Das ist unerträglich!« »Du mußt völlig 'n Verstand verloren haben!« »Nein, nein, Little Joey - die!«
-3 0 5
15. KAPITEL Krachend flog die Tür der Carlton-Ritz-Suite auf. Kampfesmutig
kamen Desi-Eins und Desi-Zwo in den Salon gestürmt.
Devereaux ließ seinen Martini fallen, Redwing schoß aus ihrem
Sessel hoch und warf sich aus einem genetisch bedingten
Reflex auf den Fußboden. Sie erwartete vom weißen Mann
offenbar nur das Schlimmste.
»Gut gemacht, Adjutanten!« röhrte der
büffellederwamsgewandete MacKenzie Hawkins und schritt,
einen völlig verdatterten Aaron Pinkus im Gefolge, in die Suite.
»Da keinerlei feindselige Handlung vorliegt, können Sie beiseite
treten! Rührt euch! Ungezwungene Haltung ist erlaubt.«
Desi-Eins und Desi-Zwo ließen die Schultern hängen. »So
ungezwungen nun auch wieder nicht, Sergeants!«
Augenblicklich nahmen D-Eins und D-Zwo wieder Haltung an.
»Das gefällt mir schon besser!« sagte der Falke. »Augen auf!
Sie haben allzeit angriffsbereit zu sein.«
»Was meinen Sie'n damit wieder?« wollte Desi-Eins wissen.
»Sofortige Unterwerfung ist das erste Zeichen eines
Gegenangriffs. Das lange Laster, das nur Haut und Knochen
ist, könnt ihr vergessen, der ist zu nichts zu gebrauchen, aber
laßt die Frau nicht aus den Augen! Frauen haben häufig
Granaten unterm Rock!«
»Sie Viech von einem Hurensohn!« rief Jennifer Redwing
gellend, stand auf und strich sich wütend Haar und Rock glatt.
»Sie Barbar! Sie belferndes Relikt aus einem fünftklassigen
Kriegsfilm - was, zum Teufel, bilden Sie sich eigentlich ein, wer
Sie sind?«
»Guerillataktik«, erklärte Mac seinen Adjutanten im Flüsterton.
»Die zweite Phase nach der Unterwerfung ist ein Schwall von
Verwünschungen. Damit lenken sie eure Aufmerksamkeit ab
und ziehen ihre Nadeln.«
»Gleich reiß ich Ihnen Ihre Nadeln aus ihrem haarigen Nest,
Sie wandelndes wertloses Wertpapier, Sie! Wie können Sie es
-3 0 6
wagen, in dieser Aufmachung rumzulaufen? Sie sehen ja aus,
wie einer ... wie einer ... Sie Pferdearsch!«
»Seht ihr, seht ihr?« murmelte der Falke und zermalmte die
Zigarre in seinem Mund. »Jetzt versucht sie, mich abzulenken.
Gebt auf ihre Hände acht, Männer! Diese Pietzen, die sie da
hat, sind in Wirklichkeit vermutlich Plastiksprengstoff.«
»Das wer' ich gleich feststelln, General!« rief Desi-Eins, die
Augen gebannt auf die Gegenstände seines Interesses
gerichtet; die gestärkte Hemdbrust verrutschte ihm. »Was mein'
Sie?«
»Ein Schritt weiter!« sagte Red Redwing, ließ die Schulter
sacken und griff nach dem Tragriemen ihrer Handtasche,
selbige dann unversehens mit der Linken aufschnappen
lassend, holte sie mit der Rechten ihre chemische Keule hervor.
»Damit wird Ihnen für einen Monat vielleicht nicht das Hören,
wohl aber das Sehen vergehen«, ergänzte sie und fuhrwerkte
mit ihrer Waffe zwischen den beiden Untergebenen in
Abendanzug und deren wie ein Wopotami gekleidetem
Vorgesetzten hin und her. »Versucht's nur, und nicht nur mein
Tag, sondern meine ganze Woche ist gerettet.«
»Womit ich ins Spiel komme«, unterbrach Sam Devereaux sie
und ging zu der verspiegelten Hausbar hinüber, wobei er
tänzerisch um die Glasscherben auf dem Teppichboden
herumdribbelte.
»Moment!« rief Aaron, rückte seine stahlgefaßte Brille zurecht
und faßte interessiert die göttlich gebräunte Frau ins Auge.
»Sie kenne ich! Es muß sieben oder acht Jahre her sein -
Harvard, die Law Review, Sie gehörten zu den
Jahrgangsbesten. Eine überragend scharfsinnige Analyse der
Zensur im Rahmen der Verfassung.«
»Nanny's Naughty Follies, bei Gott!« sagte Devereaux lachend
und schenkte sich ein.
»Seien Sie ruhig, Samuel!«
»Sind wir wieder bei Samuel?«
-3 0 7
»Halt den Mund, Kollege! Jawohl, Mr. Pinkus, Sie haben mich damals zum Vorstellungsgespräch gebeten, und daß Sie sich für mich interessierten, hat mir geschmeichelt.« »Trotzdem haben Sie es abgelehnt, zu uns zu kommen, meine Liebe! Warum eigentlich? Natürlich brauchen Sie mir nicht zu antworten, es geht mich schließlich nichts an, aber neugierig bin ich schon. Ich erinnere mich genau, meine Partner gefragt zu haben, auf welche Kanzlei in Washington oder New York Sie eigentlich zusteuerten - offen gestanden hatte ich vor, da anzurufen und den Kollegen zu sagen, welches Glück sie gehabt hätten. Doch wenn ich mich recht erinnere, sind Sie damals bei einer kleinen, aber feinen Firma in Omaha eingetreten.« »Ich stamme nun mal aus Omaha, Sir. Und wie Sie sich wohl schon gedacht haben, gehöre ich dem Stamm der Wopotamis an.« »Das hab ich mir halb gedacht, auch wenn meine andere Hälfte aufrichtig gehofft hat, daß das nicht so wäre.« »Ist es aber, Mr. Pinkus. Ich heiße Jennifer Redwing, und ich bin eine Tochter der Wopotami. Worauf ich ganz besonders stolz bin.« »Aber wo um alles in der Welt haben Sie Samuel kennengelernt?« »In einem Aufzug, heute morgen, im Four Seasons. Er behauptete, erschöpft zu sein, und machte ein paar dumme Bemerkungen.« »Und das hat ausgereicht, Sie zu bewegen, jetzt mit ihm hier zusammen zu sein, Miss Redwing?« »Sie ist zu mir nach Hause«, meldete Devereaux sich wieder zu Wort. »Ich hatte mich bei ihr entschuldigt, hatte dem Portier sogar Geld für sie zugesteckt - und dann hörte ich, wie diese Wahnsinnsfrau dem Taxifahrer meine Adresse nannte! Was hätten Sie daraufhin getan, Aaron?« »Nun, ich wäre ihr wohl gefolgt.« »Eben das tat auch ich.« -3 0 8
»Ich bin zu seinem Haus gefahren, Mr. Pinkus, weil das die
letzte Adresse dieser von allen guten Geistern verlassenen und
neben Ihnen stehenden Person war, die ich in Erfahrung
bringen konnte!«
»Wütendes kleines Füllen, ist sie das nicht?« meinte der Falke.
»Jawohl, General Hawkins - Sie können schließlich niemand
anders sein -, ich bin wütend, und nein, General, ich bin kein
kleines Füllen, wie Sie noch erfahren werden, ehe ich mit Ihnen
fertig bin. Vor Gericht oder außerhalb des Gerichts, ich werde
Sie auseinandernehmen!«
»Das sind nichts weiter als Verbalinjurien, Sergeants! In der
Wachsamkeit nicht nachlassen!«
»Ach, halten Sie den Mund, sie tiefsitzendes Gesicht am
turnbesten Totempfahl. Übrigens verrät das perlenbestickte
Wams, das Sie da anhaben, die Geschichte eines einfältigen
Büffels, der so dumm war, sich nicht aus einem Sturm
herauszuhalten. Äußerst treffend.«
»Hey, Red«, meldete sich, einen Martini an den Lippen, Sam
wieder zu Wort. »Immer einen kühlen Kopf bewahren. Denken
Sie an die Treuhandgesellschaft.«
»Die Ruhe bewahren? Ich brauche den Kerl bloß anzusehen,
und ich könnte schreien!«
»So wirkt er nun mal auf die Menschen«, murmelte Devereaux
und trank, »Moment, bitte«, sagte Pinkus und hielt sanft die
Hand hoch.
»Ich meine, da etwas gehört zu haben, das einer Klärung
bedarf.« Der verehrte Anwalt wandte sich Sam zu. »Was für
eine Treuhandgesellschaft? Was haben Sie jetzt schon wieder
ausgeheckt?«
»Nichts weiter, als ein kleiner, gutgemeinter Rat, Aaron. Sie
würden ihn gutheißen.«
»Daß ich meinerseits irgend etwas gutheiße, was Ihrem Kopf
entsprungen ist, halte ich im Augenblick für ausgeschlossen.
Würden Sie mir das bitte erklären, Miss Redwing?«
-3 0 9
»Aber mit Vergnügen, Mr. Pinkus. Und wie ich hoffe, zum
Besten Ihres anderen Gastes, General Neandertals.
Möglicherweise müssen Sie es ihm übersetzen, aber letztlich
wird er schon kapieren, worauf es im Grundsatz hinausläuft,
und sei es nur, weil er von sich aus nie darauf kommen würde.«
»Kurz und bündig auf den Punkt gebracht«, sagte Aaron, seine
Miene nicht unähnlich der von Eisenhower, als ihm MacArthurs
Rücktritt gemeldet wurde.
»Die Sache ist brillant, und das trotz aller Trugschlüsse, die viel
zu zahlreich sind, als daß man sie hier aufzählen könnte - die
Idee entsprang dem Gehirn Ihres Angestellten, Mr. Pinkus, alle
Achtung.«
»Ein guter Anwalt ist zunächst ein gütiger Anwalt, Miss
Redwing.«
»Wirklich? So habe ich das nie gesehen ... Warum? Ich frage
natürlich nur so.«
»Weil er - oder sie - fest auf die eigenen Fähigkeiten vertraut.
Es besteht keinerlei Notwendigkeit, einem wenig ausgeprägten
Selbstbewußtsein Zucker zu geben, indem man ein Lob einem
anderen vorenthält. Versichern Sie sich der Dienste einer
solchen Frau oder eines solchen Mannes, und sie werden sich
in keiner Weise von realen oder eingebildeten Feindseligkeiten
ablenken lassen.«
»Ich glaube, ich habe da eben etwas gelernt ...«
»Das ganze ist kaum originell, meine Liebe. Nichts für ungut,
aber ich möchte darauf hinweisen, daß unser General hier
ziemlich das gleiche gesagt hat - allerdings in der Sprache der
Militärs. Ablenkung durch Feindseligkeiten: Der Schwächere
muß so tun als ob, wohingegen der Stärkere es sich leisten
kann zuzusehen. Er muß lediglich bereit sein, jederzeit
loszuschlagen.«
»Soll der Affe in diesem Vergleich etwa ich sein ...?«
»Nun hören Sie mal zu, Sie kleines Indianerfüllen ...«
»Bitte, General ... Ich habe mich nur der Sprache des Militärs
bedient, Miss Redwing - Truppenstärke, wenn Sie so wollen.
-3 1 0
Mal angenommen, hinter diesem hübschen Busen verbürge
sich tatsächlich eine Ladung Plastiksprengstoff - und ich bin
felsenfest davon überzeugt, daß dem nicht so ist -, so wollte
unser General seine Gefolgsleute nur anweisen, wachsam zu
bleiben und sich nicht durch Feindseligkeiten ablenken zu
lassen. Die Gleichung ist in der Tat recht einfach.«
»Was soll 'n das heißn, von wegen durch das hier abgelenkt
werdn, hu, Mann?« »Es reicht, Sergeant ...« »Ganz deiner
Meinung, Desi-Uno.«
«... Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh ...«
»Ach, halt die Klappe!« »Samuel, hören Sie auf!«
»Mein Sohn, Sie verschütten Ihren Drink ...«
»Was, meine liebe Miss Redwing, wollten Sie mir gerade
erklären in Hinblick auf dieses Konzept, das dem Hirn meines
Angestellten entsprungen sein soll, der im Moment wohl nicht
alle beisammen hat?«
»Es ist ganz einfach, Mr. Pinkus. Da der Stamm der Wopotami
eine eingetragene juristische Person ist, wird im Moment eine
Treuhandgesellschaft ins Leben gerufen, die durch die
Unterschrift sämtlicher Angehörigen des Ältestenrats ermächtigt
wird, in seinem Namen zu handeln. Demzufolge dürfen
juristische und vertrauliche Angelegenheiten ausschließlich
durch den Gesellschaftsvorstand geregelt werden. In früheren
Vereinbarungen genannte Parteien sind in keiner Weise zu
irgend etwas befugt. Kurz gesagt, die namentlich aufgerührten
Vorstandsvertreter sind als einzige handlungsbefugt und
vertretungsberechtigt.«
»Ach, welch herrliches juristisches Wortgeklingel, Little Lady«,
sagte Hawkins. »Und was bedeutet das?«
»Es bedeutet, General«, antwortete Redwing, die Augen eiskalt
auf den Falken gerichtet, »daß keiner, ich wiederhole: keiner,
außer den Handlungsbevollmächtigten vom Vorstand der
Wopotamigesellschaft irgendwelche Entscheidungen fällen
oder igendwelche Verträge schließen kann, die die Interessen
des Stammes berühren - oder irgendwelche Vorteile daraus
ziehen.«
-3 1 1
»Nun, das hört sich nach einem wasserdichten Schutz an«, sagte Hawkins, nahm die verstümmelte Zigarre aus dem Mund, legte plötzlich wie verstört den Kopf auf die Seite und reckte gleichzeitig das Kinn. »Nur nehme ich an, muß man sich dann wohl als nächstes fragen, ob die Handlungsbevollmächtigten auch vertrauenswürdig sind - das ist jetzt nicht böse gemeint, Miss.« »Die sind über jeden Verdacht erhaben, General. Der Vorstand setzt sich zusammen aus: zwei Juristen, ein paar Medizinern, dem Präsidenten einer internationalen Stiftung, drei Vizepräsidenten führender Banken, ein oder zwei Börsenmaklern und einem bekannten Psychiater, mit dem Sie übrigens unbedingt einmal einen Termin vereinbaren sollten. Hinzu kommt noch, daß sie allesamt Abkömmlinge der Wopotami sind, und, last, but not least: Ich selber bin nicht nur die Vorstandsvorsitzende, sondern auch noch seine Sprecherin. Irgendwelche Fragen?« »Jawohl, aber nur noch eine. Entspricht das den Wünschen des Ältestenrats?« »Aber ganz gewiß. Die hören auf unseren Rat und lassen sich davon leiten. Wir unsererseits stehen unerschütterlich zu unserer Aufgabe. Wie Sie also selbst dann, wenn Ihr irrsinniges und unsäglich zerstörerisches Intrigenspiel auch nur einen Zoll weiter vorankommt, deutlich sehen können, General Hawkins wir und nicht Sie sind es, die die Fäden in der Hand haben. Und wir werden bemüht sein, die schändlichen Folgen für ein argloses Volk, dessen Sie sich auf so ungeheuerliche Weise bedienen, so gering wie möglich zu halten. Kurz gesagt, Sie sind out, Sie Wahnsinniger!« Der Gesichtsausdruck des Falken verriet nicht nur Schmerz, sondern tiefes persönliches Verletztsein. Es war, als hätte ihn eine Welt, die er mit tiefer Liebe gehegt und gepflegt hatte, beiseitegefegt und er stände nun da als ein hilflos alleingelassener alter Mann, ein fallengelassener Champion, der sich würdevoll weigerte, verbittert zu resignieren. »Ich verzeihe Ihren durch nichts gerechtfertigten Verdacht und Ihre -3 1 2
zügellose Sprache«, sagte er leise, »denn Sie wissen
wahrhaftig nicht, was Sie tun.«
»Oh, mein Gott!«
»Der angebliche Sohn Gottes paßt hier besser«, meinte
Devereaux und wandte sich wieder der Hausbar zu.
»Fühln Sie sich in'n Arsch gepimpert, General?« fragte Desi-
Zwo.
»Solln wir diese Gringos vielleicht an die Luft setzn, huh,
Mann?« sagte D-Eins. »Vielleicht durchs Fenster, okay?«
»No, gentlemen«, wehrte Hawkins leise, heroisch und mit der
Grabesstimme eines Heiligen ab. »Diese wunderbare Frau hat
das Kommando übernommen, und das wenigste, was ich tun
kann, ist, der furchtbaren Bürde, die jetzt auf ihren Schultern
liegt, etwas von ihrer Schwere zu nehmen ...«
»Jetzt kommt's«, unterbrach Sam und fingerte in seinem Martini
nach einer Olive. »Zeit, einen zu zwitschern, Freunde!«
»Mein Sohn, Sie verkennen mich ...«
»Auf die Tonart fall ich nicht noch mal rein, Mac.«
»Warum geben Sie mir keine Chance, mein Sohn?«
»Die Kanzel steht Ihnen zur Verfügung, Bruder Karnickel.
Legen Sie schon los!«
»Miss Redwing.« Der Falke nickte einmal - ein hoher Offizier
grüßt den anderen. »Ich achte und verstehe Ihre Skepsis
hinsichtlich meiner Beteiligung im Streit für die Sache der
Wopotami. Gestatten Sie, daß ich sie zerstreue. Als
Adoptivsohn des Stammes beuge ich mich sämtlichen
Entscheidungen des weisen Ältestenrats. Vorteile, die ich
persönlich haben könnte, spielen keine Rolle. Ich will ja nur,
daß dem Stamm Gerechtigkeit zuteil wird.«
Das verschlug Jennifer Redwing die Sprache. Der erwartete
giftige Schlagabtausch mit einem größenwahnsinnigen
Giganten sollte plötzlich nichts weiter sein als der rührende
Versuch, einem liebenswert tolpatschigen gekränkten jungen
Hund übers Fell zu streichen und mit juristischer
Phrasendrescherei gleichsam Heile-heile-Segen zu machen.
-3 1 3
»Nun ... General ... ich weiß ehrlich nicht, was ich sagen soll.« Abwehrend strich Jennifer sich das schwarze Haar zurück. Für den Moment schämte sie sich, ihrem verletzten, gemutmaßten Gegner in die Augen zu sehen. »Bitte, verstehen Sie, Sir«, begann sie und zwang sich, den alten Soldaten, der so viel für sein Land - ihr Land - gegeben hatte, offen anzusehen. »Ich bin, was meinen Stamm betrifft, von großer Fürsorge erfüllt, vielleicht bin ich sogar übervorsichtig, aber unsere Geschichte strotzt nun mal von Ungerechtigkeiten, wie wohl die Geschichte aller nordamerikanischen Indianer. In Ihrem Fall jedoch scheine ich mich getäuscht zu haben. Ich möchte mich entschuldigen. Bitte nehmen Sie die Entschuldigung an, sie ist ernst gemeint.« »Schwupps, jetzt hat er auch dich!« frohlockte Devereaux und goß sich den Rest seines Glases hinter die Binde. »Plötzlich ist der wütende Löwe eine naßgeregnete Muschikatze, und du kaufst sie ihm ab!« »Samuel, jetzt reicht es wirklich. Haben Sie nicht gehört, was der Mann gesagt hat?« »Das hab ich schon in hundert Variationen gehört ...« »Halt den Mund, Kollege! Er ist ein großer Mann und hat sich soeben mit allem einverstanden erklärt, was ich wollte. Erinnere dich, falls deine in Gin schwimmenden Gehirnwindungen es zulassen, an das, was du selbst gesagt hast. Dabei ging es um eine wesentliche Wahrheit, weißt du nicht mehr?« »Du vergißt leider die weitschweifigen Umwege, Kollegin«, sagte Sam und wandte sich wieder der Bar zu. »Die Straße, die vor uns liegt, weist viele Schlaglöcher auf, Freunde!« Wie konnte es auch anders ein, just in diesem Augenblick klingelte das Telefon. Aaron Pinkus, der den Kopf gleichermaßen aus Verwirrung und Zorn schüttelte, trat rasch an den Schreibtisch und ergriff den Hörer. »Ja? Was gibt's?« »Mit wem genau habe ich die Ehre?« fragte eine nervöse Stimme zurück. »Dem großen jüdischen Rechtsanwalt oder dem Irrenhausgeneral mit den Häuptlingsperlen?« »Hier spricht Aaron Pinkus, und ich bin Anwalt, falls damit Ihre Frage beantwortet ist.« -3 1 4
»Das reicht, Yarmulke. Ihr Schlitten isses, der mich auf Ihre
Spur gebracht hat.«
»Wie bitte?«
»Naja, ist 'ne lange Geschichte, die ich Ihnen gern erzählen
würde, aber Bum-Bum mag keine langen Geschichten. Und um
die Wahrheit zu sagen - Sie haben nicht viel Zeit.«
»Ich verstehe kein Wort von dem, was Sie sagen.«
»Ach, verstehen Sie, vor Jahren hat's mal diesen halbgaren
Bullen gegeben, jedenfalls hat der Mann mich hochgenommen
und mir ganz schön eingeheizt: Aber jetzt herrscht
Waffenstillstand zwischen uns, da er aber downtown noch
Freunde hat, haben viele Pinguine Ausschau gehalten nach
Ihrer Limousine, capisce?«
»Wovon reden Sie eigentlich?«
»Sollte ich vielleicht besser zu dem wildgewordenen Mann
reden? Sagen Sie dem Arsch, er soll seine Scheißzigarre aus'm
Mund nehmen und an den Apparat kommen.«
»Ich glaube, das ist für Sie, General«, sagte Pinkus, drehte sich
um und sprach langsam und zögernd: »Ein wirklich komischer
Vogel. Der redet, wie ein Huhn reden würde - das heißt, wie ich
mir ein der Sprache mächtiges Huhn vorstelle.«
»Durchbruch!« rief der Falke, war mit zwei Schritten am
Schreibtisch, griff nach dem Hörer, bedeckte aber schon im
selben Augenblick die Sprechmuschel und wandte sich an die
anderen. »Alte Soldaten, ja Haudegen, nicht abhauen! Sie
erinnern sich alter Zeiten, meine Freunde, weil die nie zu Ende
gehen! Sind Sie das, Little Joseph?«
»Wir müssen reden, großes Tier. Alles iss anders, von mir aus
gesehen seid ihr jetzt nicht mehr die Bösewichter - bloß, daß
die anderen Bösewichter hinter euch her sind!«
»Drücken Sie sich bitte etwas klarer aus, Joseph!« »Beim Grab
meiner Tante Angelina. Es geht um den Krieg aufm
Washingtoner Rasen, und der große Mann hat vorübergehend
verloren. Er hat mir gesagt, ich soll Ihnen sagen, dieser gumbo,
den Sie in der Hotellobby aufs Kreuz gelegt haben, dem Sie
-3 1 5
aber das Genick nicht genügend gebrochen haben, daß dieser Bursche in irgend so einer chemischen Fabrik in Virginia alles rausgekotzt hat, was er wußte. Inzwischen kennen die Sie und Ihre Leute und wissen, daß Sie sich hier in Boston aufhalten. Und die Boys in den Seid'nfummeln haben - hier, ich hab's mir notiert - die SFIs von der Leine gelassen, um Sie zur Strecke zu bringen.« »Die SFIs? Hannibal in Eulenschiff! SFIs hat er gesagt?«
»Ich kann mich unmöglich geirrt haben, denn er hat das
mindestens dreimal wiederholt, und ich hab nicht gewußt, was
es bedeutet.«
»Diese reißenden Wölfe, Little Joseph. Ich hab's ihnen
beigebracht, folglich sollte ich auch Bescheid wissen: Special Forces - Incomgibles - nicht rückholbare Sondereinheiten! Die sitzen immer noch hinter ihren Palisaden und versuchen, bis auf Köche und Krankenschwestern alles zu killen, was Beine hat.« »Diesmal sind Sie und ihre Leute an der Reihe, großes Tier. Ich hab genau 'ne halbe Stunde gebraucht, um Sie zu finden - wie lange also werden die verdammten Kommandos brauchen, wenn sie erst mal in Boston sind? Machen Sie, daß Sie da rauskommen und rufen Sie mich im Zimmer-Service-Palazzo an, sobald Sie aus der Schußlinie sind, ja? Und fahren Sie nicht mit diesem Luxusschlitten. Da sind Sie ja 'ne rollende Schießscheibe, Mann!« Joey legte auf, und der Falke wandte sich seinen Truppen zu. »Evakuieren!« brüllte er. »Erklärungen folgen später, dafür reicht die Zeit im Moment nicht. Adjutanten, schließen Sie zwei Fahrzeuge auf dem Hotelparkplatz kurz, wir treffen uns dann an der Südostecke. Famos!« Eindringlich faßte Mac Aaron Pinkus ins Auge, während DesiEins und Desi-Zwo zur Tür hinauswetzten, dann zwang er sich, Sam Devereaux und schließlich Jennifer Redwing anzusehen. »Sie fragen mich, warum ich die Verlogenheit derer bekämpfe, die an der Macht sind, warum ich das Schwert gegen die erhebe, die korrumpieren und manipulieren, ob nun vor hundert -3 1 6
Jahren oder heute. Lassen Sie es mich klarstellen, Gott
verdammt noch mal! Eine unsichtbare, durch keine Wahl
legitimierte Regierung hinter unserer Regierung hat die Horde
Psychopathen losgelassen, die nur eine Mission kennt - uns
umzubringen, uns alle! Und warum? Weil wir das Gespenst
eines vor über hundert Jahren gegen ein unschuldiges,
manipuliertes Volk begangenen Verbrechens zum Leben
erweckt haben, das wiedergutzumachen die Manipulateure
Milliarden kosten würde.«
»Verflucht sei Ihre wesentliche Wahrheit!« sagte Devereaux
und warf sein Martiniglas in die Spüle. »Machen wir, daß wir
hier rauskommen!«
»Die Polizei, General! Ich bin ein angesehener Bürger hier in
Boston ... die wird uns doch wohl beschützen?«
»Commander Pinkus, in einem solchen Kampf nützen zivile
Institutionen gar nichts. Wie, zum Teufel, glauben Sie, habe ich
von der Normandie bis nach Kai Song all die Waffenlager
hochgehen lassen?«
»Ich kann es einfach nicht glauben«, sagte Redwing und
bemühte sich, die Ruhe zu bewahren. »Ich will es einfach nicht
glauben!«
»Sie wollen es nicht glauben, kleines Indianerfüllen? Vielleicht
darf ich Sie an die Männer aus dem Osten erinnern, die Ihren
Leuten überall auf den Ebenen des mittleren Westens
versprochen haben, sie in besseres Land zu bringen - dabei
habt ihr nichts anderes bekommen als knochentrockenen
Boden, und eure Herden sind euch erfroren. Das hier ist nichts
anderes, junge Lady!«
»Ach, Jesus!« schrie Jennifer und lief zur Schlafzimmertür.
»Was hast du vor?« rief Devereaux gellend. »Deine Mutter, du
Idiot!«
»Ach, ja, natürlich«, sagte Sam und bunkerte. »Ist da irgendwo
etwas Kaffee?«
»Dafür ist keine Zeit, mein Sohn.«
»Helfen Sie Miss Redwing, Sammy!«
-3 1 7
»Jedenfalls heißt es jetzt nicht mehr Samuel ...«
»Ich glaube, uns bleibt keine andere Wahl«, sagte Aaron
Pinkus.
Weder wußten die ersten beiden schwarzen Regenmäntel, wie
ihnen geschah, noch sollten sie es jemals erfahren. Um etwaige
Fluchtwege abzuriegeln, standen sie neben den Ausgängen
und wurden nacheinander von der Treppe aus vom Falken
überrumpelt, bewußtlos geschlagen und sämtlicher Kleidung,
Unterhosen eingeschlossen, beraubt. Der dritte Möchtegern-
Mörder schob sich Zoll für Zoll auf die Pinkus-Suite zu,
behindert allein von einem torkelnden und in S-Kurven sich
vorwärtsbewegenden Betrunkenen, der - kaum war er an dem
Killer vorbei - herumfuhr und einen Chi-Sai-Schlag in seinem
Genick landete, der ihn augenblicklich lähmte. Den vierten und
letzten Mordbrenner überließ der Falke seinem Adjutanten,
Desi-Eins. Schließlich bestand die Hauptaufgabe eines
Kommandeurs darin, den ihm unmittelbar unterstellten Truppen
Vertrauen einzuflößen. Wie es sich ergab, handelte es sich
dabei um eine Geduldsprobe. Desi-Zwo wartete im Schatten
der nach außen führenden Tür, hinter welcher, bewußtlos und
nackt, der erste Killer vom SFI lag. Lautlos kam D-Eins in
weißem Smokinghemd und fliegenden Rockschößen aus dem
Aufzug heraus und ging den Korridor hinunter, um sich dann
gegenüber der Pinkus-Suite mit dem Rücken gegen die Wand
zu drücken. Es kam ihm vor, als dauerte es über eine halbe
Stunde, wiewohl in Wahrheit nur Minuten vergingen; jedenfalls
blieb Desi-Eins so lange regungslos stehen, bis sich die zweite
Tür links von ihm öffnete, und - eine Automatik in der Hand - ein
Mann mit einem schwarzen Regenmantel heraustrat.
»Iguana, Josef« brüllte D-Eins und kam für den Möchtegern-
Killer so überraschend, daß der gar nicht merkte, als ihm die
Waffe aus der Hand geschlagen wurde. Auch sollte er nie
erfahren, wie er mit Hilfe eines blitzschnellen Faustschlags
mitten auf die Stirn k. o. geschlagen wurde.
»Überragend!« lobte der General und trat aus dem Schatten.
»Ich hab gewußt, daß so was in Ihnen steckt, mein Sohn.«
-3 1 8
»Warum haben Sie das denn nich' gemacht, um alles auf der
Welt!«
»Ich wollte mir unmittelbar auf dem Kampfschauplatz ein Bild
von der Lage machen! Nur so kommen wir alle voran.«
»Er hätt mich >umbringn könn<.«
»Ich hatte jedes Vertrauen zu Ihnen, Sergeant. Sie sind genau
aus dem Stoff, aus dem gute G-Männer gemacht werden.«
»Iss das gut?«
»Darüber reden wir später. Jetzt müssen wir diesen Kasper erst
mal splitternackt ausziehen und sehen, daß wir von hier
verschwinden. Wir stehen alle zwischen Felsen und hartem
Gestein, Adjutant. Wir müssen unsere nächsten Schritte
überlegen, was für sie und mich bedeutet, irgendwo weiter
nördlich zu den anderen zu stoßen.«
»Kein Problem, General. Ehe ich wieder hergekommen bin, hab
ich mit mein' amigo am telefono gesprochen. Wo sie auch
immer hinfahrn, Desi-Zwo bleibt im Auto sitzen, um mir sagen
zu können, wo sie sind.«
»Exzellentes taktisches Vorgehen, mein Sohn ...« Als er hörte,
wie die Tür aufging, sprach der Falke nicht weiter. Stimmen
ließen sich vernehmen. Gäste, offensichtlich ein Paar in
mittleren Jahren, verließen ihr Zimmer. »Schnell!« flüsterte Mac
und streckte die Hände nach dem bewußtlos auf dem Boden
liegenden Mann aus. »Stellen wir ihn hin, so als wär er bloß
sternhagelvoll.«
»Er ist aus der Tür dort drüben raus, General! Steht noch
offen.«
»Dann los!« Gemeinsam schleiften Hawkins und sein Adjutant
die schlaffe Gestalt unter den erstaunten Blicken der Hotelgäste
zu der offenen Tür hinüber.
»Unten feiern sie 'ne tolle Hochzeit, amigos!« rief Desi-Eins und
warf einen Blick zurück. »Haben Sie nich' Lust, sich der Party
anzuschließn?«
»Nein ... nein, vielen Dank«, sagte der Mann und drängte seine
Frau in Richtung Aufzug.
-3 1 9
Bei der Hütte in den Hooksett-Bergen von New Hampshire
handelte es sich um ein wetterbeständiges, bäuerliches,
allerdings feuchtes und verlassenes Bauwerk, dem selbst in
seinen besten Tagen nie mehr als zwei Sterne zuerkannt
worden waren. Gleichwohl handelte es sich um eine
Zufluchtsstätte, die - was Elektrizität, Heizung und Telefon
betraf - durchaus zweckentsprechend eingerichtet war. Da sie
zudem auch noch den Vorteil hatte, kaum eine Autostunde von
Boston entfernt zu sein, hatte die Kanzlei Aaron Pinkus
Associates ein bequemes Refugium daraus gemacht, wohin
sich ganze Teams von Juristen zurückziehen konnten, um über
schwierige Fälle zu beraten. De facto war die Hütte so beliebt,
daß Aaron beschlossen hatte, sie nicht wieder zu verkaufen,
sondern sie nach und nach zu modernisieren und ihrem Zweck
entsprechend auszubauen.
»Wir müssen diese beiden Autos unbedingt abstoßen«, sagte
Pinkus ängstlich zum Falken, als sie beide in den tiefen
Ledersesseln in der ehemaligen Halle der Lodge
nebeneinander saßen. »Man wird schon bald überall nach
ihnen suchen.«
»Nur keine Angst, Commander. Meine Adjutanten lassen sie
auf alt frisieren.«
»Darum geht es nicht, General. Es handelt sich um
vorsätzlichen Diebstahl, und Sam und ich sind dabei zu
Helfershelfern geworden. Ich muß wirklich darauf bestehen.«
»Ach, verdammt noch mal, Details! Na schön, ich werde den
Sergeants sagen, sie sollen sie zurückbringen und ein Stück
vom Hotel entfernt abstellen. Draußen ist es dunkel, und selbst
wenn man sie anhalten und aufgreifen würde, die Polizisten
würden später nicht sagen können, wie sie ohne Hose auf dem
Rücksitz ihres Einsatzwagens gelandet sind. Ha!«
»Vielen Dank, General!«
»Später können sie ja ein paar andere Autos kurzschließen ...«
»Bitte, das wird nicht nötig sein! Wir als Kanzlei sind
Stammkunden eines Autoverleihs, und mein Fahrer, Paddy,
-3 2 0
kann einen Wagen herbringen und ein Freund von ihm einen
zweiten.«
»Unterwegs müssen sie dann meine Adjutanten mitnehmen.
Ich bin nicht bereit, sie jetzt schon zu entlassen.«
»Natürlich. Unter den von Ihnen beschriebenen Umständen
wäre mir wesentlich wohler, wenn die beiden jungen Männer
hier wären. Himmel, ich schreibe Ihnen die Adresse des
Autoverleihs auf. Sie können sich alle dort treffen.« Pinkus griff
in die Tasche und holte einen Notizblock hervor.
»Aaron, man kümmert sich um alles!« sagte Devereaux etwas
lauter als nötig, als er, Jennifer Redwing zur Seite, durch die
Ersatz-Alpenhotel-Lobby kam. »Der Supermarkt von Hooksett
schickt alle möglichen Lebensmittel, und Red hier sagt, sie
kann kochen.«
»Wie hätten Sie die Kiste Gin und Bourbon denn gern?« fragte
Jennifer. »Gut durch oder immer noch rot?« »In Motoröl, wenn
ich bitten darf, Lady.« »Und das ganze auf Ihre
Spesenabrechnung«, setzte Pinkus noch hinzu. »Wie haben
Sie Ihre Anwesenheit erklärt?«
»Ich habe gesagt, unser gesamtes erstes Team sei hier und
zerbräche sich den Kopf über ein völlig verfahrenes
Bewährungsproblem.«
»Warum ausgerechnet Bewährung?«
»Die finden, das klingt sexy. Man muß immer glaubwürdig
bleiben, Aaron.«
»Mr. Pinkus«, mischte Redwing sich ein und funkelte Sam wohl
zum sechzigsten Mal in den letzten zwölf Stunden an. »Ich
würde gern mal Ihr Telefon benutzen und in San Francisco
anrufen. Selbstverständlich ein R-Gespräch.«
»Meine Liebe, selbstverständlich steht es Ihnen frei, einen
lukrativen Job in meiner Kanzlei auszuschlagen, aber ersparen
Sie mir die Peinlichkeit eines R-Gesprächs. In dem
Kabäuschen, gleich da drüben hinter der Theke, sind Sie ganz
ungestört.«
-3 2 1
»Haben Sie vielen Dank.« Jennifer machte kehrt und ging auf das Kabäuschen zu, während Hawkins sich von seinem Sessel hochraffte. »Haben Sie meine Sergeants gesehen, Sam?« fragte er. »Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sagte, daß sie draußen am Fuße des Berges sind und versuchen, den alten verrosteten Skilift wieder in Gang zu bekommen?« »Sehr unternehmungslustig«, sagte Aaron. »Nein, nur dumm«, sagte Devereaux. »Der verdammte Lift hat von Anfang an nie richtig funktioniert. Ich hab da drin in zehn Meter Höhe schon mal fast eine ganze Stunde lang festgesessen, während sich die Dame meines Herzens knapp vor mir die Lunge aus dem Hals schrie. Kaum waren wir wieder unten, sind wir zurück nach Boston gefahren, und ich hab das Schlafzimmer der Dame nie zu sehen bekommen.« »Dafür nehme ich mal an, einen Haufen anderer Schlafzimmer, seit wir diese Klitsche übernommen haben.« »Was soll das, Aaron? Sie selbst haben mir immer wieder gesagt, ich sollte mal raus aus dem Büro und herfahren, um mich zu entspannen und zu beruhigen.« »Ja, wenn Sie mal wieder außer sich waren über einen Fall, den wir Ihrer Meinung nach unbedingt hätten gewinnen müssen, aber verloren hatten«, sagte Pinkus, schrieb etwas auf den Notizblock, riß das Blatt heraus und reichte es dem General. »Von dem ganzen Jura-Kram verstehe ich nicht die Bohne«, verkündete der Falke. »Ich gehe hinüber zu meinen Adjutanten. Ich habe beschlossen, mit ihnen nach Boston zurückzufahren. Little Joseph hat gesagt, er wolle ein Treffen mit mir, und da ist es wohl am besten, ich überrasche ihn vor unserem offiziellen Termin. Ist das die Adresse von dem Autoverleih?« Aaron nickte, und der Falke ging zur Tür. »Ich werde allein zurückkommen, aber Sie sollten bis dahin zwei Autos hier haben.« »Gut, General. Und sobald Miss Redwing fertig ist, rufe ich Paddy Lafferty an und setze alles in Gang.« -3 2 2
»Gut gedacht, Commander.«
»Ich würde ja aufstehen und sie militärisch verabschieden,
General Hawkins, aber ich glaube, ich schaffe das einfach nicht
mehr.«
Redwing schloß die Tür des einzigen Arbeitszimmers hinter der
Theke, nahm am Schreibtisch Platz und griff nach dem Telefon.
Sie wählte die Nummer ihres Apparates in San Francisco und
erschrak, als sich schon nach dem ersten Klingeln aufgeregt
die Stimme ihres Bruders meldete.
»Ja?«
»Charlie, ich bin's ...«
»Wo, zum Teufel, hast du gesteckt? Ich versuche seit Stunden,
dich zu erreichen!«
»Es ist alles viel zu absurd, zu unfaßlich und zu verrückt, als
daß ich es dir im einzelnen ...«
»Na, dann hör mal, was ich erfahren habe!« fiel ihr Bruder ihr
ins Wort. »Dieser Wahnsinnsmensch hat mich aufs Kreuz
gelegt - uns alle aufs Kreuz gelegt! Wir sind samt und sonders
auf ihn reingefallen!«
»Charlie, jetzt beruhige dich doch!« sagte Jennifer, deren
Blutdruck schlagartig in ungeahnte Höhen emporschnellte.
»Beruhige dich und sprich langsam.«
»Unmöglich, Schwesterchen.«
»Versuch's wenigstens, Charlie.«
»Na schön, na schön.« Der Bruder in San Francisco holte
mehrere Male vernehmlich Atem und bemühte sich um
Verständlichkeit. »Ohne mein Wissen, ja, ohne mir ein
Sterbenswort davon zu sagen, hat unser sauberer Häuptling
Donnerhaupt vor ein paar Wochen den Ältestenrat
zusammengerufen und einen Verbrecher von Anwalt aus
Chicago hinzugezogen, um das juristische zu erledigen. Das
heißt, er hat sich völlig legal für einen Zeitraum von sechs
Monaten zum einzigen und absoluten Herrn und Gebieter des
gesamten Wopotami-Stammes machen lassen.«
»Das kann er doch gar nicht!«
-3 2 3
»Hat er aber, Schwesterchen. Notariell beglaubigt und vom
Gericht bestätigt und anerkannt.«
»Dafür muß er doch irgendeine Gegenleistung erbracht
haben.«
»Hat er auch: eine Million Dollar, aufzuteilen unter den fünf
Ratsmitgliedern, und noch weitere Millionen, die im Laufe der
nächsten sechs Monate an den ganzen Stamm zu gehen
haben.«
»Korruption!«
»Verrat mir was, das ich nicht weiß!«
»Wir werden vor Gericht dagegen klagen.«
»Und den Prozeß nicht nur mit Pauken und Trompeten
verlieren, sondern uns auch zu Narren und unsere
Stammesbrüder und -Schwestern zu Riesenschuldnern
machen.« »Was soll das nun wieder heißen?«
»Wie war's für den Anfang mit folgendem: Onkel Adlerauge hat
für die älteren Stammesmitglieder irgendwo in der Wüste von
Arizona ein Anwesen gekauft, in dem es auch in hundert
Jahren weder Wasser noch Elektrizität geben wird. Tante
Rehnase hat im Namen der Frauen des Stammes in eine
Förderanlage investiert, die Ecke 41. Straße und Lexington
Avenue in New York nach Öl bohren will. Und Cousine
Antilopenfuß hat die Mehrheitsanteile einer Schnapsbrennerei
in Saudi Arabien erworben, wo sie nicht nur keinen Schnaps
brennen, sondern Alkohol noch nicht mal trinken!«
»Aber die sind doch alle schon weit über achtzig!«
»Gleichwohl amtlich aber im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte
und Fähigkeiten: Auch dafür hat dieser Abschaum von Jurist
aus Chicago gesorgt. Und das Gericht von Omaha hat es
bestätigt.«
»Ich kann es nicht glauben, Charlie. Ich bin fast den ganzen
Nachmittag mit Hawkins zusammengewesen, und nach einem
etwas holperigen Anfang ist er ganz nett geworden. Vor nur
wenigen Stunden hat er mir noch völlig zerknirscht gesagt,
unsere Idee mit der Treuhandgesellschaft sei genau das
-3 2 4
richtige. Er werde sich mit allem einverstanden erklären,
solange der Ältestenrat es billige.«
»Warum nicht? Er ist schließlich der Ältestenrat.«
-3 2 5
16. KAPITEL Jennifer platzte wie eine Bombe in die Lobby hinein. »Wo ist
er?« rief sie, ihre Stimme ein Donnerschlag, während ihre
Augen Blitze schössen. »Wo ist dieser Schuft?«
»Sie meinen offenbar Sam«, antwortete Aaron Pinkus, beugte
sich aus dem Ledersessel vor und zeigte auf die Tür, die in die
Küche führte. »Er meinte sich zu erinnern, wo er eine Flasche
Gin versteckt hätte - so hoch, daß die anderen nicht rauflangen
könnten.«
»Nein, von dem Schurken rede ich nicht, sondern von dem
anderen! Diesem samtzüngigen Büffelidioten, der sich darauf
gefaßt machen sollte, dem geballten Zorn der Sioux und
Komantschen gegenüberzutreten, wie ihn nur eine rasende
Tochter der Wopotami auf ihn niederlassen kann!« »Unser
General?«
»Darauf können Sie ihre tuchis wetten!« »Sie sprechen
Jiddisch?«
»Ich bin schließlich Anwältin, und ohne ist man in unserem
Beruf doch wohl aufgeschmissen. Wo ist der Schuft?«
»Nun, es tut mir zwar leid, aber ich bin zugleich auch etwas
erleichtert, Ihnen sagen zu müssen, daß er mit seinen beiden
Adjutanten nach Boston gefahren ist. Er hat irgendwas gesagt,
von wegen >Little Joseph< treffen zu wollen, vermutlich den,
der ihn im Ritz angerufen hat. Unsere beiden gestohlenen
Wagen sind dank dem gütigen Gott Abraham vor wenigen
Augenblicken die Auffahrt hinuntergefahren, und so Gott will,
werden sie ohne Unfall wieder heimfinden.«
»Mr. Pinkus! Wissen Sie, was dieser schreckliche, dieser
furchtbare Mann getan hat?«
»Zuviel Schändliches, als daß man es in einer mittelgroßen
Enzyklopädie unterbringen könnte. Aber seine letzten Taten
kenne ich offensichtlich noch nicht - Sie werden sie mir gleich
erzählen.« »Er hat unseren Stamm gekauft!«
»Wie erstaunlich! Wie hat er das gemacht?«
-3 2 6
Redwing berichtete dem gefeierten Bostoner Anwalt alles, was
sie von ihrem Bruder Charlie erfahren hatte.
»Dürfte ich Sie zwei oder drei Dinge fragen?« sagte Pinkus.
»Selbstverständlich«, antwortete Jennifer und warf sich in den
Ledersessel neben ihm. »Wir sind geliefert«, fügte sie dann
leise und verzagt hinzu, »endgültig geliefert.«
»Nicht unbedingt, meine Liebe. Zunächst einmal zu diesem
Ältestenrat. Das mögen ja wunderbar weise Leute sein, aber
sind sie, wie das Gesetz es vorschreibt, auch wirklich
rechtmäßig zu eingetragenen Bevollmächtigten des Stammes
der Wopotami bestellt?«
»Ja«, murmelte Red.
»Wie bitte?«
»Es war meine Idee«, sagte Jennifer um nur weniges lauter,
ihre Verlegenheit war ihr anzumerken. »Das gab ihnen den
Stolz, den sie bitter nötig brauchten, und ich wäre nie - wirklich
nie - auf die Idee gekommen, daß sie irgendeinen Entschluß
fassen würden, ohne vorher mich oder die anderen unserer
Gruppe zu konsultieren.«
»Verstehe! Gibt es zu diesem Bevollmächtigtenbeschluß
irgendwelche Zusätze - sagen wir zum Beispiel im Falle eines
oder mehrerer Todesfälle der zu Bevollmächtigten bestellten
Personen? Zum Beispiel hinsichtlich der Frage, wie sie zu
ersetzen wären?«
»Darüber hat von den verbleibenden Ratsmitgliedern
abgestimmt zu werden.«
»Ist dieser Fall inzwischen einmal eingetreten, und sind
irgendwelche Ersatzmänner nachgerückt? Leute, meine ich, die
General Hawkins möglicherweise für sich hätte >gewinnen<
können?«
»Nein. Alle sind noch am Leben. Das ist, wie ich denke, die
Folge von rohem Büffelfleisch als Grundnahrung.«
»Verstehe. Und gibt es in dem Vollmachtsbeschluß womöglich
eine Bestimmung, in der von den >ausgewählten< Kindern des
-3 2 7
Stammes die Rede ist, welche realiter treuhänderisch alle ihr Volk betreffenden Entscheidungen fällen?« »Nein, denn das wäre entwürdigend gewesen. Wir wußten einfach - oder meinten jedenfalls zu wissen - daß, sollten irgendwelche Probleme auftauchen, einer von uns gerufen werden würde, wobei ich offen gestanden vornehmlich an mich selbst gedacht habe.« »Das war unter den gegebenen Umständen ja auch durchaus realistisch.« »Selbstverständlich.« »Juristisch gesehen gibt es in den Bestellungsurkunden also keine Klausel, welche die Funktion Ihrer Gruppe näher erläuterte?« »Nein ... Wieder eine Frage des Stolzes, wirklich. Eine solche Klausel einzufügen, hätte doch auch bedeutet, daß es über dem Ältestenrat noch einen weiteren Rat gegeben hätte, und das hätte gegen sämtliche Stammestraditionen verstoßen. Verstehen Sie, was ich meine? Dieser grauenhafte Mensch beherrscht mein Volk. Es kann nach Belieben in seinem Namen schalten und walten.« »Ich nehme an, Sie könnten ihn wegen verschwörungsähnlicher Machenschaften verklagen, vielleicht sogar wegen Betrug. Aber wenn Sie das wollten, müßten Sie die ganze Geschichte aufrollen, und das könnte aus offenkundigen Gründen äußerst nachteilig für Sie sein. Und in einem Punkt hat möglicherweise auch Ihr Bruder recht: Sie könnten die Klage durchaus verlieren.« »Mr. Pinkus, von den fünf Ältesten stehen drei Männer und eine Frau in den achtzigern, das fünfte Ratsmitglied ist achtundsiebzig. Keiner von ihnen ist dazu fähig, mit derart komplizierten juristischen Sachverhalten fertigzuwerden: Das ist heute nicht anders als vor dreißig Jahren.« »Rein rechtlich müssen sie auch nicht notwendigerweise mit dem entsprechenden juristischen Wissen ausges tattet sein, Hauptsache, sie sind einigermaßen imstande, eine derartige Vollmachtsübertragung mit allen Vor- und Nachteilen sowie den sich daraus ergebenden Verpflichtungen zu begreifen. Ich gehe -3 2 8
mal davon aus, daß sie dazu wirklich imstande waren und die Sache sie derart begeisterte, daß man an Sie erst gar keinen Gedanken verschwendet hat.« »Und ich gehe davon aus, daß das ein Ding der Unmöglichkeit ist.« »Aber nun hören Sie mal, meine Liebe: eine Million Dollar bar auf die Hand und dazu das Versprechen weiterer Millionen innerhalb ziemlich kurzer Zeit? Im Austausch gegen was? Die zeitweilige Übertragung von etwas, wovon sie doch wissen mußten, daß es bestenfalls ein förmlicher Titel war? Wer konnte da schon widerstehen? So nach dem Motto: >Soll der verrückte Weiße für ein paar Monate seinen Spaß haben - was kann das schon schaden?<« »Der Sachverhalt ist nicht bis ins letzte offengelegt worden.« Jennifer ließ nicht locker. »Das ist auch nicht nötig: Wenn für sämtliche geschäftlichen Transaktionen von allen Beteiligten die vollständige Offenlegung des jeweiligen Sachverhalts gefordert würde, bräche unser gesamtes Wirtschaftssystem zusammen, das wissen Sie doch ganz genau.« »Aber wenn es um Betrug geht, Mr. Pinkus?« »Gewiß, dann ist es etwas anderes, aber wie wollen Sie hier einen Betrug nachweisen? Wenn ich recht verstanden habe, hat Hawkins Ihren Leuten Millionen versprochen: Er wollte ihr Glück wenden und sie reich machen, wie sie es sich in ihren kühnsten Träumen nicht hätten vorstellen können. Dieses Versprechen hat er dann, wie Sie selbst sagen, mit einer anfänglichen und an keinerlei Bedingungen geknüpften Entschädigung von einer Million Dollar untermauert.« »Sie haben das nicht durchschaut! Dem Ältestenrat ist doch nicht klargewesen, daß er vorhatte, den Stamm in den aufsehenerregendsten Prozeß gegen die Bundesregierung zu verwickeln, den es in der amerikanischen Geschichte je gegeben hat - mein Gott, es geht schließlich um nichts Geringeres als den Strategie Air Command.«
-3 2 9
»Offenbar. Aber offensichtlich haben Ihre Leute auch keinerlei Neugier gezeigt zu erfahren, warum er denn gedachte, sie so ungeheuer reich zu machen. Statt dessen haben sie freudig die Million einkassiert und ausgegeben - und das auf ziemlich unbesonnene Weise. Ich nehme an ... Und ich bitte Sie, mir zu verzeihen, Miss Redwing, aber Ihrem Bruder war ziemlich klar, was der General vorhatte. Er hat sich, juristisch gesehen, ja sogar der Beihilfe schuldig gemacht ...« »Weil er das ganze für einen Riesenjux gehalten hat!« rief Redwing und schob sich vor. »Einen harmlosen Jux, der dem Stamm einen Haufen Geld, eine Zunahme des Tourismus und eine Menge Spaß bescheren sollte!« »Sie halten ein Verfahren vorm Obersten Bundesgericht für einen Spaß?« »Er hat ja niemals daran geglaubt, daß es soweit kommen würde«, sagte Jennifer abwehrend. »Außerdem hatte er weder von der Million noch von der Abmachung eine Ahnung, die Hawkins mit dem Ältestenrat getroffen hatte.« »Fehlende Kommunikation zwischen den einzelnen Vertretern der beteiligten Parteien läßt nicht notwendigerweise auf unlautere Machenschaften oder Betrug schließen - vor allem, da die Probleme innerhalb einer der Parteien aufgetreten sind.« »Wollen Sie damit andeuten, der Ältestenrat hätte meinem Bruder mit Absicht Informationen vorenthalten?« »Ich fürchte, ja. Wie im übrigen er weitgehend auch Ihnen.« »Und wenn wir unsere Gruppe - uns plötzlich einschalten ...?« »Dazu wären Sie rein rechtlich nicht befugt«, unterbrach Aaron sie sanft. »... und die ganze Geschichte erzählten«, fuhr Redwing fort, wobei sich ihre Augen plötzlich vor Erstaunen weiteten, »dann würde man das als einen eigennützigen Eingriff unsererseits interpretieren, um uns in den Besitz des Geldes zu setzen, falls überhaupt noch was da ist ... Mein Gott, alles verkehrt sich ins genaue Gegenteil! Das ist ja heller Wahnsinn!« »Jawohl, meine Liebe, wahnsinnig wie der Falke. Der General hätte einen hervorragenden Wirtschaftsanwalt abgegeben.« -3 3 0
Auf der offenen Empore der Hotelhalle ging plötzlich eine Tür auf, und heraus trat eine Gestalt bis vor ans Geländer: Eleanor Devereaux. Tadellos frisiert und königlich in der Haltung, war sie ganz grande dame. »Ich hatte einen wirklich scheußlichen Traum«, verkündete sie im Vollbesitz ihrer Stimme und offensichtlich auch ihres Wortschatzes. »Mir träumte, dieser verrückte General Güster und die ganzen wilden Indianer der Schlacht vom Little Big Horn hätten sich zusammengetan, eine Vollversammlung der amerikanischen Juristenvereinigung überfallen und die Anwälte allesamt skalpiert.« Der große, gebückt gehende und wohl schon etwas ältere Herr in braunem Gabardinemantel und schwarzer Baskenmütze mochte von einem der vielen Universitäts-Campuse in und um Boston herum stammen - ein strenger, von der Opulenz der Hotelhalle des Four Seasons jedoch etwas befremdeter Professor. Immer wieder verengte er die Augen hinter der dicken Schildpattbrille, wandte sich nach einem kurzen, ziellosen Gang durch die Lobby aber schließlich den Aufzügen zu. Selbstverständlich war die Erkundung des Falken alles andere als ziellos. Von früheren Erkundungsgängen her kannte er jede nicht ganz so einsichtige Ecke und jede nicht gleich ins Auge fallende Sitzgruppe. Im übrigen wies er nicht mehr die geringste Ähnlichkeit mit dem hirschledergewandeten Giganten auf, der Caesar Boccegallupo aus Brooklyn, New York, vor fünf Stunden für längere Zeit außer Gefecht gesetzt hatte. Ein erfahrener Soldat marschierte nicht einfach in Feindesland ein, ohne vorher das Terrain erkundet zu haben. Es gab aber keine Überraschungen, und so betrat der General einen Aufzug und drückte auf die Nummer des Stockwerks, in dem Little Josephs Zimmer lag. »Zimmerservice«, rief Hawkins laut und mit betont breiter Aussprache und klopfte. »Ich hab doch schon alles gekriegt«, ließ sich eine Stimme drinnen vernehmen. »Ach so, die Äpfel und Birnen in Weingeist, und dann angesteckt? Ich dachte, die kämen erst später.« Die Tür ging auf, und ein wie vor den Kopf -3 3 1
geschlagener Joey konnte nur noch sagen: »Sie? Was zum
Geier machen Sie denn hier?«
»Allen Besprechungen auf höchster Ebene gehen
Besprechungen auf Untergebenenebene voraus, damit
festgelegt wird, was auf die Tagesordnung kommt«, erwiderte
der Falke, schob Little Joey beiseite und trat ins Zimmer. »Da
ich meinen augenblicklichen Adjutanten das jedoch nicht ganz
zutraue, tue ich es an ihrer Stelle.«
»Großes Tier, Sie sind der Achtersteven der Straßenbahn!« rief
das Leichentuch und warf die Tür zu. »Ich hab schon genug um
die Ohren, da haben Sie mir grade noch gefehlt.« »Dafür aber
Ihre flambierten Äpfel und Birnen?« »Yeah, sehr schmackhaft,
'ne hübsche Mischung, und das Aroma äußerst vollmundig, wie
inner alten Fabrik.« »Was?«
»Es riecht gut. Ich hab das von 'ner Speisekarte in Las Vegas.
Huhuh, meine Mutter würde sich im Grab umdrehen bei dein
Gedanken, ich könnte was anbrennen lassen. Und mein Vater
mich gleich ins Bett scheuchen! Aber was haben die schon
gewußt, mögen sie in Frieden ruhen!« Joey bekreuzigte sich,
sah dann den General an und erklärte abweisend: »Schmonzes
mal beiseite: Was wollen Sie hier?«
»Das habe ich doch gerade erklärt. Ehe ich in aller Form mit
Ihrem Vorgesetzten in ein Gespräch eintrete, würde ich gern
etwas klarer sehen. Das macht mein Rang erforderlich, und ich
will es auch.«
»Ob sie das wollen oder ob es erforderlich iss, iss mir
schnuppe, General Großes Tier! Aber mein Boss ist nun mal
kein Scheißmilitär! Ich meine, der steht auf du und du mit den
Erzengeln der Regierung, Sie verstehn, was ich meine?«
»Ich kenne da selbst den einen oder anderen, Joseph, und aus
diesem Grunde will ich eine G-Zwo, eintausendundeins, oder
das Gespräch platzt.« »Was'n das - 'ne Autonummer?«
»Nein, das vollständige Profil eines Mannes, mit dem ich
zeitweilig gehalten bin zu konferieren.«
»Huhuh, beim Grab meiner Tante Angelina - zu Ihrem eigenen
Besten!«
-3 3 2
»Darüber möchte ich mir lieber selbst ein Urteil bilden.« »Ohne
Erlaubnis kann ich Ihnen rein gar nix sagen, das müssen Sie
schon verstehn.«
»Und was ist, wenn ich Ihnen die Fingernägel einzeln
herausreiße, Linie Joseph?«
»Ach, hören Sie schon auf, Großes Tier, das haben wir doch
alles schon mal gehabt! Möglich, daß sich hinter Ihrem ganzen
Gelaber ein mit allen Wassern gewaschener gibrone verbirgt,
aber 'n Scheißnazi sind Sie nich'. Hier haben Sie meine Hände.
Soll ich vom Zimmerservice eine Zange bringen lassen?«
»Hören Sie auf, Joseph! Diese klarsichtige Einschätzung
Ihrerseits sollte das Zimmer nicht verlassen!«
»Wenn Sie damit sagen wollen, daß sie keine Zange wollen,
vergessen Sie's! Genau das hab ich einem Dutzend capitanos
in Mussolinis Armee gesagt - dieser fetten Lasagne.«
Das Telefon klingelte. »Das muß Ihr Verbindungsmann sein,
Joseph. Manchmal ist die Wahrheit der beste Weg. Sagen Sie
Ihrem Vorgesetzten, daß ich hier bei Ihnen bin.«
»Die Zeit stimmt«, sagte das Leichentuch nach einem Blick auf
die Armbanduhr. »Jetzt muß er allein sein!«
»Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe.«
»Hab ich 'ne andre Wahl? Diese Fingernageldrohung kann ich
zwar nicht ernst nehmen, aber Ihre Pranke um meinen Hals
das iss schon was anderes.« Little Joey ging hinüber zum
Telefon, das auf dem Nachttisch stand, und meldete sich mit
einem: »Ich bin's, Bum-Bum, und der große General Tier steht
nur 'n paar Schritte daneben. Er will mit dir sprechen, nur weiß
er nicht, mit wem er's zu tun hat, und meine Finger möcht ich
gern behalten, falls du weißt, was das bedeutet, wenn man das
in Vegas sagt, huh?«
»Gib ihn mir, Joey«, ertönte die ruhige Stimme von Vincent
Mangecavallo.
»Hier«, rief Joey und hielt dem Falken den Hörer hin, der mit
wenigen Schritten neben ihm stand.
-3 3 3
»Commander X hier«, meldete sich Hawkins. »Ich nehme an,
ich spreche mit Commander Y.«
»Sie sind General MacKenzie Hawkins, Stammrollen-Nummer
zwo-null-eins-fünf-sieben der US-Army, zweimal Gewinner der
Ehrenmedaille des Kongresses und der größte Dom im Auge
oder der größte Pfahl im Fleisch des Pentagon, den es je
gegeben hat. Stimmt's?«
»Nun, gewisse Einschätzungen besitzen nicht unbedingt
Absolutheit ... Wer, zum Teufel, sind Sie?«
»Ich bin jemand, der Sie vor kaum einem Tag noch am liebsten
im Grab gesehen hätte, mit vollen militärischen Ehren, versteht
sich, der jetzt aber möchte, daß Sie quicklebendig bleiben, und
zwar über der Erde ... Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Nein, haben Sie nicht! Wieso dieser Sinneswandel?«
»Weil die zabagliones, die Ihr Ableben wollten, jetzt das meine
wollen, und das ist etwas, was ich gar nicht lustig finde.«
»Zabagliones? ... Little Joseph hier ...? Sie also waren der
Kasper, der dieses Arschloch Caesar Soundso ins Four
Seasons geschickt hat?«
»Zu meiner ewigen Schande muß ich es gestehen: Jawohl, das
war ich. Was soll ich sagen?«
»Nun mal sachte, mein Sohn, es war ja nicht ihr Fehler,
sondern seiner. Er war nun mal kein besonders heller Kopf, und
ich hatte zwei sehr ausgeschlafene Adjutanten.«
»Was?«
»Sie sollten nicht zu hart mit sich ins Gericht gehen. Wer
kommandiert, muß auf unerwartete Seitenhiebe gefaßt sein. So
was lernt man doch schon auf der Offiziersschule.«
»Wovon, zum Donnerwetter, reden Sie überhaupt?«
»Tja, dann darf ich wohl davon ausgehen, daß sie nicht gerade
Offizier sind. Was soll ich da noch sagen?«
»Sie sollten mir lieber zuhören ... Es liegt mir verdammt schwer
im Magen, daß gewisse Leute, von denen ich meinte, daß Sie
mir nichts als die größte Hochachtung entgegenbrächten,
ausgerechnet mich in dem Grab sehen möchten, das eigentlich
-3 3 4
Ihnen zugedacht war. Wobei sie mich dort zusammen mit Ihnen
sehen möchten, was mir nun überhaupt nicht schmeckt,
capisce?«
»Woran hatten Sie also gedacht, Mr. No-Name?« »Ich möchte,
daß Sie an Leib und Seele unversehrt bleiben, damit ich diesen
smarten und ach-so-ehrbaren Typen genau das antun kann,
was sie mit mir vorhaben: Sie unter die Erde zu bringen.«
»Erklären Sie das genauer, Comander Y. Wenn Sie von
diskreter Beseitigung von Zivilpersonen sprechen, brauche ich
einen direkten Befehl vom Präsidenten, welcher
gegengezeichnet sein muß vom Vorsitzenden der Joint Chiefs
of Staff und dem DCI, das heißt: dem Direktor der CIA.« »Das
ist nicht ihr Ernst!«
»Ich gehe davon aus, daß Sie keine Ahnung haben, wie solche
Dinge erledigt werden
»Ich will das, was Sie da eben angedeutet haben, doch gar
nicht!« fiel Mangecavallo ihm rüde ins Wort. »Für solche
Kleinigkeiten brauche ich Sie doch nicht. Was mir vorschwebt,
wenn ich an diese perlweißen Zucchinis denke, das ist Folter.
Ich will sie ruiniert sehen, pleite und bankrott - die gehören in
die Armee der Obdachlosen, mit 'ner Bankauskunft wie Hobo
Pete!«
»Hobo wer?«
»Der Mann hat früher die Pissoirs der Brooklyner U-Bahn
gesäubert - so was wünsch ich mir für diese Schurken! Und
zwar für den gesamten Rest ihres elenden Lebens. Ich will, daß
diese scungilli die verschissensten Pissoirs in Kairo
schrubben!«
»Was Sie nicht sagen, Commander Y - im Wüstenkrieg gegen
Rommel habe ich im ägyptischen Offizierskorps übrigens so
manchen Freund gewonnen ...«
»Basta!« schrie Mangecavallo, um seine Stimme augenblicklich
zu senken und gleich darauf seinen Gesprächspartner unter
Einsatz seines ganzen Charmes um den Finger zu wickeln.
-3 3 5
»Verzeihen Sie mir, großer, großer General. Ich bin über
Gebühr gestreßt, falls Sie wissen, was ich meine.«
»Soweit darf man es nie kommen lassen«, ermahnte ihn der
Falke. »So was haben wir alle schon durchgemacht,
Commander, aber Sie dürfen dem einfach keinen Raum geben.
Vergessen Sie nie, daß Ihre Männer in Ihnen die Kraft sehen
wollen, die sie selbst nicht haben. Richten Sie sich zu voller
Größe auf - und geben Sie ihnen das Gewünschte!«
»Diese Worte will ich hoch und heilig halten«, beteuerte ein in
die Schranken gewiesener Vinnie Bum-Bum. »doch im
Augenblick muß ich Sie warnen.«
»Vor den SFIs, meinen Sie?« unterbrach Hawkins ihn. »Little
Joseph hat gemeldet, was Sie ihm aufgetragen haben, und
gegenwärtig haben wir die Lage unter Kontrolle. Die
gegnerischen Kräfte sind kampfunfähig geschlagen.«
»Was? Sie haben Sie schon gefunden?«
»Genauer gesagt, Commander, war es so, daß wir sie zuerst
sichteten und entsprechend vorgegangen sind. Meine Truppen
sind im Augenblick in Deckung und werden es vorläufig auch
bleiben.«
»Was ist passiert? Wo sind die SFs?«
»SFIs korrigierte der Falke. »Die Incorrigibles, nicht die, die ich
selbst ausgebildet habe. Bei SFIs handelt es sich um
Psychopathen, die auszumerzen wir nie Gelegenheit hatten.«
»Aber wo sind sie?«
»Nun, inzwischen vermutlich im Gefängnis, und zwar wegen
Erregung öffentlichen Ärgernisses - falls nicht, müssen immer
noch vier splitternackte Männer die Treppen des Ritz-Carlton
rauf und runter rennen und alles tun, um nicht gesehen zu
werden. ... Ach, der fünfte sitzt wahrscheinlich immer noch in
einem Lincoln, der nicht anspringen will - ebenfalls
splitterfasernackt und mit einem Funktelefon, dessen Konsole
herausgerissen und im Rinnstein zerschmettert worden ist.«
»Verdammte Scheiße!«
-3 3 6
»Ich nehme an, genau das wird man schließlich nach Washington melden ... Aber jetzt mal zum taktischen Vorgehen, Commander. Sie wissen offensichtlich, was bei mir auf der Tagesordnung steht. Und wie sieht es da bei Ihnen aus?« »Genauso wie bei Ihnen, General. Einem kleinen, naiven Stamm von Ureinwohnern der großen Vereinigten Staaten von Amerika ist auf teuflische Weise Unsägliches angetan worden, und die großmütige, wohlhabende Nation muß jetzt dafür geradestehen ... Kapiert bis hierher?« »Ich hab die Sache klar im Visier, Soldat!« »Was Sie aber nicht wissen General, ist, daß ein paar Angehörige des Obersten Bundesgerichts den Klagesatz Ihres Anwalts recht überzeugend finden. Keineswegs eine solide Mehrheit, aber man redet darüber, wenn auch noch nicht öffentlich.« »Ich hab's gewußt!« frohlockte der Falke. »Sonst hätten sie sich niemals an Golden Goldfarb gewandt, gottverdammich!« »Sie kennen Hymie the Hurricane?« »Verdammt guter Mann, stark wie ein Elefant und mit dem Gehirn eines RhodesStipendiaten!« »Er war Rhodes-Stipendiat!« »Was hab ich Ihnen grade gesagt?« »Na schön, na schön«, begütigte Mangecavallo. »Aber wegen der Situation mit dem SAG und aus Gründen der nationalen Sicherheit wird der Gerichtshof den Klagesatz noch für acht Tage auf Eis legen, und am Tag vor seiner Veröffentlichung müssen Sie und Ihr Anwalt in nichtöffentlicher Sitzung Rede und Antwort dazu stehen.« »Darauf warte ich ja gerade, Commander Y. Vorbereitet bin ich darauf schon seit fast einem Jahr! Ich warte ja nur auf die Vorladung. Für mich ist der Fall sonnenklar.« »Yeah, General, aber genau das wollen weder das Pentagon noch die Air Force - und ganz besonders die Industrie nicht, die vom Verteidigungshaushalt profitiert. Die wollen Ihren Arsch, General, Ihren toten Arsch!« »Wenn das Trüppchen, das sie heute nachmittag nach Boston geschickt haben, darauf schließen läßt, wie sie die Lage auf dem Schlachtfeld einschätzen, werde ich im vollen -3 3 7
Kriegsschmuck eines Häuptlings der Wopotami im Gerichtssaal
auftreten.«
»Himmel! Man hat mir gesagt, die Kerle wären die
rücksichtslosesten und verrücktesten, bis auf die, die sie in
einer Klapsmühle verwahren, wo sie mit den Wärtern Volleyball
spielen >die dreckigen Vier<. Und genau die werden Ihnen als
nächstes auf den Pelz rücken.«
»Sollte das der Fall sein«, sagte der Falke und verengte
wiederum die Augen, »und in der Annahme, daß Sie eigene
Hilfstruppen unter Ihrem Kommando haben: Könnten Sie wohl
so gut sein, einen Zug für uns abzukommandieren? Ehrlich
gesagt, Commander Y, habe ich für die Verteidigung unserer
Stellung nur zwei Untergebene.«
»Das ist das Problem, General. Unter normalen Umständen
würde ich eine ganze Mannschaft erfahrener Männer zu Ihrem
Schutz abstellen. Aber dazu reicht die Zeit nicht. Solchen
geheimen Schutz zu organisieren, braucht immer ein bißchen
Zeit, denn wenn davon was durchsickern würde, verlören wir
alle.« »Das hört sich für mein Gefühl nach pflaumenweichem
Arschgeigengerede an, Mr. No-Name.«
»Das ist es nicht ... beim Grab von Tante Angelina ...«
»Das ist die Tante von Little Joseph.«
»Die Familie ist groß ... Hören Sie, ich könnte vielleicht zwei
oder auch drei sehr enge Mitarbeiter abstellen, auf deren
Verschwiegenheit man sich verlassen kann wie auf das
Schweigen von Trappisten, doch alles, was darüber
hinausgeht, könnte ein Problem sein. Es würden Fragen
gestellt werden, und die Gerüchteküche finge an zu kochen ...
Verstehen Sie, was ich meine, großer General? Würde ich ein
größeres Kontingent für Sie abstellen, würde man zu viele
Fragen stellen und in dem Zusammenhang vielleicht auch mein
Name genannt werden -und das darf ich einfach nicht
zulassen.« »Sitzen Sie irgendwie in Eidechsenscheiße,
Commander Y?« »Das habe ich Ihnen doch schon gesagt! Ich
muß mich mit meinem eigenen Ableben herumschlagen. Ich bin
finito, schi-acciato, meine Knochen Steinsalz!«
-3 3 8
»Ist ihnen kotterig zumute, Soldat? Nur nicht aufgeben,
Commander, die Ärzte wissen auch nicht alles, Mann!«
»Meine Ärzte schon - die haben von Medizin keinen
Schimmer.«
»Ich würde mir aber schon eine zweite oder auch dritte
Diagnose einholen ...«
»General, bitte! Ich hab das doch vorhin schon erklärt. Gewisse
Kreise erwarten von mir, daß ich in ein, zwei Tagen gehackter
Mollie bin, und so muß es auch sein - oder vielleicht sollte ich
besser sagen: So sollte es aussehen - denn wenn ich tot bin,
kann ich für Sie genausogut arbeiten wir für mich selbst.«
»Ich bin kein sonderlich gläubiger Mensch«, schloß der Falke
nachdenklich. »Was das betrifft, so habe ich offen gestanden
längst zuviel Blutvergießen gesehen. Von solchem Scheiß ist
die Geschichte voll, und ich kann mich dafür nun mal nicht
erwärmen. Wir alle stammen aus demselben
Schneckenschleim oder demselben Blitz, der uns ein primitives
Gehirn eingepflanzt hat. Niemand sollte Exklusivität für sich
beanspruchen ...« »Darf ich Sie unterbrechen, General? Ich
habe leider keine Zeit.« »Himmel, nein. Auf jeden Fall, wenn
Sie tot sind, Commander, müssen Sie so gewiß, wie Schnee
nicht erbsengrün ist, von Ihrem Grab aus weiteroperieren.
Irgendwie kann ich Sie mir nicht als Kandidaten für eine
Auferstehung vorstellen.«
»Mein Gott - Christus!«
»Wenn Er es auch war, Sie nicht, Soldat!«
»Ich werde nicht tot sein, General - ich werde einfach
verschwinden, als ob ich tot wäre, capisce?«
»Nicht ganz.«
»Wie ich schon sagte, wir arbeiten daran. Es ist von
allergrößter Wichtigkeit, daß meine Feinde - Ihre Feinde
glauben, ich wäre von der Bildfläche verschwunden und aus
dem Spiel.«
»Was für einem Spiel?«
-3 3 9
»Dem, in dem es um unseren toten Arsch geht und um den toten Arsch von jedem, der auch nur im entferntesten was mit Ihrem Wopotami-Quatsch zu tun hat.« »Für diesmal lasse ich Ihnen diese Bemerkung durchgehen, Sir.« »Nur der falsche Ausdruck, ich schwör's! Ich meine, Ihr Kreuzzug für ein Volk, dem großes Unrecht angetan worden ist - geht Ihnen das besser runter?« »Ich hab's klar im Visier, Commander!«
»Verstehen Sie, während ich dem Vernehmen nach tot und aus
dem Spiel raus bin, laß ich meine capos supremos an der Wall
Street arbeiten. Die werden alle SAC-Akten bis zum
multimilliardenhöchsten Punkt hochtreiben - und zwar aufgrund
der plötzlichen Kehrtwendung, die das Pentagon in bezug auf
Omaha vollzogen hat. Dann werden Sie vor dem Obersten
Gerichtshof erscheinen, und alles fällt in sich zusammen, als ob
eine Atombombe auf allen ihren Darlehen gezündet worden
wäre, die schließlich auf Vermutungen und Projektionen
beruhen, und die Country-Club-Boys, die ihre Rechnungen
nicht mehr bezahlen können, schrubben Pissoirs in Kairo.
Gefällt ihnen das, General? So bekommen wir beide, was wir
wollen.«
»Höre ich da eine gewisse Feindseligkeit heraus?« »Daran tun
Sie auch gut, Donnerhaupt! Diese Kerle wollen, daß wir Dreck
fressen, alle, wie wir da sind! Absprechen tun wir uns über Little
Joey. Bleiben Sie mit ihm in Verbindung.«
»Ich sollte es Ihnen sagen, Commander, und so tue ich's jetzt in
Josephs Gegenwart: Ich glaube, er treibt Mißbrauch mit seinen
Tagesspesen. Erreichen tut man ihn überhaupt nur dann, wenn
er gerade einmal nicht den Zimmerservice bestellt.«
»Schweinehund!« röhrte Joey das Leichentuch.
The Washington Post Direktor der CIA offenbar auf See vermißt
Küstenwacht stellt achtzehnstündige vergebliche Suche nach
Leichnam vor der Küste der Florida Keys ein. Privatyacht in
Sturm geraten.
Key West, 24. August. Vincent F. A. Mangecavallo, Direktor der
Central Intelligence Agency und Gäste an Bord der Yacht -3 4 0
Gotcba Baby gelten als genauso vermißt wie der Kapitän und
die Mannschaft des Zehn-Meter Bootes, das gestern morgen
um sechs Uhr seinen Liegeplatz in Key West verließ, um zu
einem offenbar verhängnisvollen Angeltrip aufzubrechen. Nach
Angaben der Meterologen brach gegen zehn Uhr dreißig aus
Richtung Muertos Cays ein subtropischer Sturm los, der fast
sofort nach Norden, d. h., von der Küste weg, weiterraste, damit
aber geradewegs auf den Kurs der Yacht zulief, die seit nahezu
fünf Stunden zu den Fischgründen der Korallenriffe unterwegs
war. Die Küstenwacht wird ihre Suche per Flugzeug und
Patrouillenboot bei Tagesanbruch wiederaufnehmen, allerdings
ist die Hoffnung auf Überlebende gering, da die Yacht offenbar
an den Riffen zerschellt ist.
Als der Präsident von dem tragischen Unglücksfall erfuhr, hat er
folgendes Statement abgegeben: »Guter alter Vincent, du warst
ein großer Patriot und hervorragend tüchtiger Navy-Offizier.
Wenn du denn von uns scheiden mußtest, so bin ich sicher,
daß dir die salzige See als letzte Ruhestätte willkommen ist.
Dort bist du bei deinen Fischen.«
Der Navy ist allerdings darüber nichts bekannt, daß
Mangecavallo Offizier war, ja daß er überhaupt gedient hat.
Hierauf hingewiesen, erklärte der Präsident schroff: »Meine
alten Kameraden sollten ihre Unterlagen auf Vordermann
bringen. Vinnie hat zusammen mit griechischen Partisanen in
der Karibischen See Dienst auf einem Patrouillenboot getan!
Himmel, was ist bloß los mit diesen neuen Seeleuten?« Die
Navy hat dazu nichts zu sagen.
The Boston Globe
Fünf Anhänger der Freikörperkultur im >Ritz-Carlton< verhaftet.
Vier Nackte auf Dach gefunden. Fünfter hat Jogger im
Stadtpark überfallen. Alle machen Regierungsimmunität
geltend. Washington schockiert.
Boston, den 24. August. Im Laufe einer ganzen Serie
unerklärlicher Zwischenfälle - Gäste des Ritz-Carlton
behaupten, zu unterschiedlichsten Zeiten nackte Gestalten auf
den Korridoren herumlaufen gesehen zu haben - konnte die
-3 4 1
Bostoner Polizei vier unbewaffnete und unbekleidete Männer auf dem Dach des Gebäudes stellen. Merkwürdigerweise baten sie um Kleidung, ohne zu erklären, wie sie in diese Lage gekommen waren, gleichwohl jedoch beanspruchten sie Immunität für ihre Bemühungen, Feinde der Vereinigten Staaten zur Strecke zu bringen. Ein fünfter Nackter wurde von einem Bostoner Jogger überwältigt, einem Berufsringer, der unter dem Namen Jaws Hammerlocker bekannt ist und der der Polizei gegenüber erklärte, der Angreifer habe versucht, ihm sein Sweatshirt vom Leib zu reißen. Nachfragen in Washingtoner Geheimdienstkreisen hatten nur konsterniertes Schweigen und rasche Dementis zur Folge. Eine hochgestellte, namentlich jedoch nicht genannte Quelle im Außenministerium wies auf eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Bostoner Fünf und einem südkalifornischen Kult hin, der Verbrechen nur nackt begeht, dabei Over the Rainbow singt und kleine amerikanische Flaggen schwenkt. »Die sind pervers«, hieß es, »sonst würden sie diese Flaggen nicht tragen. Und wir wissen nicht mal, wer sie sind. Da sieht man's doch!«
-3 4 2
17. KAPITEL Es war später Abend, als der massige Mann mittlerer Größe mit der dunklen Brille unter der viel zu großen brandroten Perücke, die ihm über die Ohren fiel, nur wenige Straßen von den Fischereipiers in Key West, Florida, entfernt eine enge, von Gaslaternen nur schwach erhellte Gasse hinunterging. Die Straße wurde gesäumt von dicht nebeneinander stehenden kleinen Einfamilienhäusern aus der Zeit der Jahrhundertwende, Miniaturausgaben der protzigen Viktorianischen Villen an der Küstenstraße. Der Mann studierte die Hausnummern auf der rechten Seite und spähte angestrengt ins Halbdunkel, bis er schließlich fand, wonach er gesucht hatte. Wenn auch den Häusern links und rechts davon und gegenüber sehr ähnlich, in einer Hinsicht unterschied sich das Aussehen des Hauses grundsätzlich von allen anderen. Während diese im ersten und zweiten Stock hinter fransenbesetzten Vorhängen oder Jalousien gedämpft beleuchtete Fenster aufwiesen, brannte in diesem Haus nur eine einzige Lampe im Erdgeschoß. Das gehörte zu den verabredeten Zeichen - hier also sollte das heimliche Treffen stattfinden. Der Mann mit der roten Perücke stieg die drei Stufen der schmalen Treppe zur Vorderveranda hinauf und trat an die Tür. Dann pochte er an die Holzleisten zwischen der bunten Verglasung - ebenfalls Teil des verabredeten Zeichens -, ein Klopfen, eine Pause, vier rasch aufeinanderfolgende Klopfer, wieder eine Pause und dann noch mal zwei rasche Klopfer. Wer wohl auf diese geniale Idee gekommen war ...? Die Tür ging auf, und Vincent Mangecavallo erhielt augenblicklich die Antwort auf diese Frage. Bei dem schwergewichtigen rinoceronte, das da den engen Flur verdeckte, handelte es sich um seinen Gelegenheitskurier, der auf den passenden Spitznamen Meat hörte und wie gewöhnlich eine weiße Seidenkrawatte und ein weißes Oberhemd zu schwarzer Jacke trug. »Ausgerechnet auf dich sind sie in diesem nationalen Notfall verfallen?« -3 4 3
»He, Vinnie - du bist es doch oder nicht, Vinnie? Klar bist du das; keiner riecht so nach Knoblauch und Rum wie du!« »Basta!« sagte der Veteran von dem karibischen Kriegsschauplatz und trat ein. »Wo ist der consigliere? Ich will ihn sofort sehen.« »Niente consigHere«, unterbrach ihn ein großer schlanker Mann, der aus einer Seitentür in den dunklen Vorraum trat. »Keine Dons, keine Mafia-Anwälte, keine Cosa-Nostra-Killer ist das klar?« »Wer, zum Teufel, sind Sie?« »Daß Sie meine Stimme nicht erkennen, wundert mich ...« »Ach ... Sie?« »Jawohl«, sagte der mit weißer Jacke und gelbem Ascotbinder angetane Smythington-Fontini. »Wir haben doch schon hundertmal miteinander telefoniert«, fuhr der elegante AngloItaliener fort. »Nur persönlich begegnet sind wir uns noch nie, Vincenzo. Meine Hand, Sir - haben Sie die ihre vor kurzem gewaschen?« »Sie sind ein mutiger Mann, Fontini, das muß man Ihnen lassen«, erwiderte Mangecavallo und vollführte das kürzeste Händeschütteln, seit George Patton seinen ersten russischen General kennengelernt hatte. »Wie haben sie denn Meat gefunden?« »Sagen wir mal so: Er war der am wenigsten strahlende Stern in unserer Konstellation, und ich bin Fachmann für Navigation.« »Das beantwortet mir immer noch nicht meine Frage.« »Dann lassen Sie es mich folgendermaßen ausdrücken: Die Dons von Palermo bis Brooklyn wollen mit diesem Unternehmen nichts zu tun haben ... Wir haben zwar ihren Segen, und sie werden auch dankbar alles einstecken, was wir an Gewinn für sie abzweigen können - doch grundsätzlich müssen wir ganz auf uns allein gestellt vorgehen. Sie sind es, die unseren Mann hier ausgesucht haben.« »Es gibt da ein paar Dinge, die ich in aller Öffentlichkeit erledigen muß, und dabei geht es um meine persönliche Ehre -3 4 4
und Selbstachtung, ich gehe davon aus, daß das klar ist - von
Palermo bis Brooklyn?«
»Sonnenklar, Vincenzo, eine Ehrensache muß ins reine
gebracht werden - nur nicht mit solchen Mitteln. Ich wiederhole:
keine Ballermänner, keine Gräber, kein consigliere, der Druck
auf die Boeskys in der Wall Street ausübt. Schließlich habe ich
für die verdammte Yacht bezahlt, die wir vor den Riffen in die
Luft gejagt haben, altes Haus, genauso übrigens wie für die
unbekannte, nicht englisch sprechende venezolanische Crew,
die wir nach Caracas zurückgeflogen haben.«
»Meat«, sagte Mangecavallo und wandte sich an seinen
rangmäßig unter ihm stehenden Kameraden. »Geh und mach
mir ein Sandwich.«
»Womit, Vinnie? Was dieser Kerl hier in der Küche hat, sind
Crackers, die schon bei der kleinsten Berührung zerkrümeln,
und Käse, der stinkt wie Schweißfüße.«
»Laß uns einfach allein, Meat.«
»Vielleicht sollte ich eine Pizza kommen lassen ...«
»Kein Telefon«, unterbrach ihn der kosmopolitische Industrielle.
»Warum behalten Sie nicht den Hof hinten im Auge? Wir legen
keinen Wert auf Besucher, und man hat mir gesagt, Sie wären
Fachmann im Abhalten von unliebsamen Besuchern.«
»Hey, Mann, ich glaub, damit haben Sie recht«, gab Meat sich
beschwichtigt. »Und was diesen Käse betrifft - Himmel, ich mag
nicht mal Parmesan, verstehn Sie, was ich meine?«
»Gewiß doch.«
»Und von wegen Besucher, da machen Sie sich bloß keine
Sorgen«, setze der capo subordinato noch hinzu und schob ab
in Richtung Küche. »Ich habe Au gen wie 'ne Fledermaus, die
gehn nie zu.«
»Aber Fledermausaugen sehen nicht besonders gut, Meat.«
»Ehrlich?«
»Ehrlich!«
»Wo haben Sie den bloß aufgetan?« fragte Smythington-
Fontini, als Meat in der Küche verschwunden war. »Und
-3 4 5
warum?« »Weil er gewisse Dinge für mich erledigt, sich
hinterher aber meist nicht mehr daran erinnert, was er getan
hat. Und bessere Straßengorillas kann man sich gar nicht
wünschen ... Aber ich bin nicht hier, um mit Ihnen über Meat zu
plaudern. Wie läuft's?« »Wie vorgesehen und genau nach
Zeitplan. Gegen Morgengrauen wird die Küstenwacht
Wrackteile finden, dazu Rettungsringe und ein paar persönliche
Habseligkeiten, darunter ihr schwimmendes und wasserdichtes
Zigarrenetui mit Ihren Initialen. Natürlich wird die Suchaktion
eingestellt, und Sie kommen in den einzigartigen Genuß, in der
Zeitung all die tollen Sachen zu lesen, die Leute, die Sie
verachten, nach Ihrem Ableben so von sich geben.«
»He, wissen Sie was? Ein paar von diesen Dingen könnten
ehrlich gemeint sein - haben Sie das jemals in Betracht
gezogen? Ich meine, in gewissen Kreisen genieße ich hohes
Ansehen.«
»Nicht in unseren Kreisen, altes Haus!« »Kommen Sie mir
schon wieder mit diesem Alten-Haus-Quatsch? Eines lassen
Sie sich von mir gesagt sein, Kumpel: Sie hatten das Glück, 'ne
mamma aristocratica zu haben, die mehr Grütze im Kopf hatte,
als der Titel, den sie sich geangelt hat, vermuten läßt. Wäre die
nicht gewesen, das einzige Footballteam, das auf Ihr
Kommando hören würde, wäre eine Gang von mageren
Halbstarken, die in Liverlake oder Liverpool oder weiß ich wo
sonst hinterm Ball herrennen.«
»Ohne die Bankbeziehungen der Smythingtons wäre es den
Fontinis nie gelungen, eine Multi auf die Beine zu stellen.«
»Ach, ist das der Grund, warum sie den Namen Fontini als
Zweitnamen ihr Leben lang beibehält? Damit die Leute wußten,
wer da den Filzstift führte? Was der Foxtrott-Pferde-Boy nicht
konnte?«
»Das bringt uns nicht weiter.«
»Ich will bloß wissen, wo Sie sitzen, Smythie - nicht stehen,
sondern sitzen. Der Rest von euch Seidenwäscheträgern wird
durchs Klo gespült!«
-3 4 6
»So hat man mir das zu verstehen gegeben. Gesellschaftlich ist das natürlich ein furchtbarer Verlust.« »Naturalmente, pagliaccio ... Nachdem die Suchaktion der Küstenwacht abgeblasen ist und man wohlgesetzte Nachrufe auf mich von sich gegeben hat - was passiert danach?« »Sobald mir der richtige Augenblick gekommen scheint, wird man Sie auf einer der weitest entfernten Inseln der Dry Tortugas entdecken. Zwei von den Venezolanern werden zu Ihnen stoßen, ständig Gott, sich selbst und Sie preisen und Stein und Bein schwören, daß Sie es waren, der mit neuem Mut und neuer Durchhaltekraft allen das Leben gerettet hat. Die Burschen werden hinterher sofort nach Caracas zurückgeflogen.« »Nicht schlecht, wirklich nicht schlecht! Vielleicht schlagen Sie doch noch nach Ihrer mamma.« »Was den Sinn fürs Planen und alles Künstlerische betrifft, mögen Sie recht haben«, stimmte der Industrielle ihm lächelnd zu. »Mutter hat immer gesagt: >Das Blut der Cäsaren bricht ständig neu durch. Wenn nur mehr von unseren Cousinen im Süden blaue Augen und blondes Haar hätten wie ich<.« »Wahrhaft eine Königin, so erfüllt von tolleranza ... Aber was ist jetzt mit Donnerarsch? Wie schaffen wir es, daß er und seine verrückten Indianerfreunde nicht ins Gras beißen? Wenn sie den Rasen von unten begucken, sind sie für mich zu nichts mehr nutze.« »Ja, jetzt kommen die ins Spiel. Offensichtlich können nur Sie den Kontakt zu ...« »Richtig«, unterbrach Mangecavallo ihn. »Sie sind alle da, bloß weiß außer mir keiner, wo, und so soll es auch bleiben.« »Dann wird es aber keinen Schutz geben. Man kann keinen Steinbruch schützen, der nicht zu finden ist.« »Das habe ich genau durchdacht. Sie sagen mir, woran Sie denken: Wenn es mir gefällt, Kontakte ich meinen Mittelsmann, und wir vereinbaren ein Treffen. An was also denken Sie?« »Am Telefon, bevor Sie hergeflogen sind, sagten Sie, der General und seine Leute hätten einen >sicheren Unterschlupf< -3 4 7
gefunden, was ich als Segler mit >sicherer Hafen< übersetze
und was grundsätzlich bedeutet, daß ein Schiff vor einem
Sturm geschützt ist, im allgemeinen in einer kleinen Bucht, die
genügend Wassertiefe aufweist, ergo einem >sicheren
Unterschlupf<.« »Sind Sie eigentlich immer so selbstquälerisch
genau?« »Yeah, ich hoffe zu Gott, daß es das bedeutet, denn
so hat der Große Soldat es ausgedrückt, und sollte es was
anderes bedeuten, sitzen wir mit unserer Armee ganz schön in
der Tinte. Worauf wollen Sie hinaus? Wie sehen Sie das?«
»Warum es nicht beim Status quo belassen?« »Was für einem
Status quo?«
»Dem >sicheren Unterschlupf<,« erklärte Smythington-Fontini
langsam, gleichsam als gälte es, sonnenklar auf der Hand
Liegendes zu klären. »Es sei denn, wir haben es mit einem, wie
Sie andeuten, völlig verwirrten Militär zu tun - was in den
oberen, Aufträge vergebenden Rängen des Pentagon völlig
verständlich wäre. Berücksichtigt man jedoch, was der General
im Moment auf die Beine gestellt hat, sollten wir ihn beim Wort
nehmen und glauben, daß dieser Unterschlupf wirklich sicher
ist und kein Unwetter droht.« »Unwetter?«
»Nun ja, kein Sturm. Alle halten sich in einer kleinen
windgeschützten Bucht auf, wo die Elemente ihnen nichts
anhaben können. Warum sie also nicht lassen, wo sie sind?«
»Ich weiß verdammt noch mal nicht, wo das ist!«
»Um so besser ... Weiß Ihr Mittelsmann es?«
»Das wird er erfahren, wenn Donnerarsch einen Grund dafür
sieht.«
»Sie haben am Telefon gesagt, er wünsche - was doch noch
gleich? - ach ja, >Verstärkungen<. Würden die ihn
überzeugen?«
»Das will ich doch hoffen! Genau das ist es, was er braucht. An
wen haben Sie da gedacht?«
»Zunächst einmal an Ihren Bundesgenossen mit dem
einzigartigen Namen Meat ...«
-3 4 8
»Den können Sie vergessen«, wehrte Mangecavallo ab. »Den brauche ich für andere Aufgaben. Wen sonst?« »Naja, dann wird es problematisch. Wie ich schon erwähnt habe, sind unsere padroni durch die Bank der unumstößlichen Meinung, daß es keinerlei Spuren geben darf, die zu irgendeiner der Familien führen könnten, so wie etwa der von Mr. Caesar Boccegallupo. Ich gehe mal davon aus, daß Ihr Meat da eine Ausnahme bildet, weil er als Ihr, naja, Offiziersbursche in der Abteilung Gehirn nicht besonders gut weggekommen ist. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie selbst gesagt, er sei der vorletzte Straßengorilla.« »Der vorletzte? Wissen Sie, mir schnurren die Eier zusammen ich meine, Sie sind mir unheimlich!« »Ich tue mein Bestes«, sagte der Industrielle, dem nachgerade nichts mehr einfiel. »Ich fürchte, wir haben nicht dieselbe Wellenlänge.« »Dann schalten Sie sich doch mal auf meine um. Smythie!« »Wenn ich Sie so reden höre, ist mir, als hörte ich diese Pfeife, die das Außenministerium unter sich hat, Chummy-chum!« »Ja, verstehen Sie, aus diesem Grund bin ich Ihnen ja von Nutzen. Ich verstehe ihn zwar, aber Ihre Lösungen, mögen sie auch noch so erniedrigend sein, bringen, was mein Interesse angeht, unendlich viel mehr als seine. Gut möglich, daß mir seine Lemon Daiquiris besser schmecken als Ihre Rachenputzer, aber ich weiß sehr wohl, wann ich Bier mit Schuß zu bestellen habe. Warum, glauben Sie wohl, sind alle industrialisierten Demokratien so wunderbar tolerant? Schon möglich, daß ich keinen gesteigerten Wert darauf lege, das Brot mit Ihnen zu brechen, dafür helfe ich Ihnen aber um so lieber beim Brotbacken.« »Wissen Sie, Bontsche-Ei, trotz ihrer ganzen Laberei sind Sie doch ein richtiger Kerl. Was machen wir also jetzt?« »Da Ihnen die normalen Wege verschlossen sind, schlage ich vor, Sie rekrutieren ein paar Mann aus dem Talentpool, in dem wir alle fischen können - dem der Söldner.« »Wie bitte?« -3 4 9
»Berufssoldaten, die jedermann anwerben kann. Für gewöhnlich handelt es sich dabei um den Abschaum der Menschheit, doch kämpfen sie ausschließlich für Geld und kümmern sich einen Scheißdreck um ideologische Hintergründe und um alles, was nicht mit Geld zu tun hat. Früher haben sie sich aus ehemaligen Wehrmachts-Schurken zusammengesetzt, aus gesuchten Mördern oder unehrenhaft Frontentlassenen, die keine Armee der Welt mehr haben wollte - wobei ich übrigens glaube, daß die letzten beiden Kategorien immer noch dieselben sind: Denn die Faschisten sind entweder tot oder zu alt, eine Trommel zu tragen und ihre verdammten Hörner zu blasen. Doch wie dem auch sei - ich halte das für die klügste Vorgehensweise.« »Wo findet man denn diese trefflichen Boy-Scout-Typen? Ich möchte so bald wie möglich Schutz von denen.« »Ich habe mir erlaubt, ein gutes Dutzend Charakterbeschreibungen einer Washingtoner Agentur mitzubringen, die sich Manpower Plus-Plus nennt. Von dem Boten, den ich hingeschickt habe, übrigens von einem meiner leitenden Angestellten aus Mailand, habe ich erfahren, daß sämtliche Kandidaten innerhalb von vierundzwanzig Stunden zur Verfügung stehen - mit zwei möglichen Ausnahmen: Beides Leute, von denen man erwartet, daß sie bis morgen früh aus dem Gefängnis ausgebrochen sein werden.« »Ihr Stil gefällt mir, Fontini«, sagte der vorübergehend unter den Toten weilende CIA-Direktor. »Wo haben Sie die Unterlagen?« »In der Küche. Kommen Sie mit, Sie können Meat ja den Auftrag geben, eine Zeitlang den Vordereingang zu bewachen.« Zehn Minuten später fällte Mangecavallo an dem Tisch mit der dicken Fichtenholzplatte und den Ordnern darauf seine Entscheidung. »Diese drei«, bestimmte er. »Vincenzo, Sie sind wirklich bemerkenswert«, erklärte Smythington-Fontini. »Zwei von diesem Trio hätte auch ich ausgewählt, nur muß ich Ihnen leider sagen, daß genau die -3 5 0
beiden im Augenblick dabei sind, ihre Flucht aus dem Gefängnis von Attica zu bewerkstelligen. Der dritte ist ein Verrückter, ein amerikanischer Nazi, der auf dem Gelände der Vereinigten Nationen immer wieder Hakenkreuze verbrennt.« «Er hat sich vor einen Bus geworfen ...« »Das war kein Bus, Vincenzo, sondern ein Streifenwagen mit seinem Freund darin, auch einem Verrückten, der verhaftet wurde, als er in SSUniform den Broadway runterflanierte.« »Trotzdem, er tat alles, um zu verhindern, daß was geschah, was er nicht wollte - und nach so was halte ich Ausschau. Wann kann ich sie nach Boston bekommen?« »Nun, was die ersten beiden betrifft, so werden wir morgen früh Bescheid wissen - nach dem Namensappell im Gefängnis. Unser Nazi hingegen kann es gar nicht erwarten, denn im Moment lebt er von der Wohlfahrt, und zwar mit der Sozialversicherungskarte von irgendeinem Kredithai, den er in den East River geworfen hat.« »Der gefällt mir schon jetzt - nicht seine politische Einstellung, denn damit habe ich nichts am Hut, aber er kann nützlich sein. Alle diese meschuggenen Draufgänger können von Nutzen sein - wie Sie sagen: Bei denen braucht man nichts weiter zu tun, als auf die Trommel zu schlagen und ins Hörn zu stoßen. Und wenn die anderen beiden ihren Ausbruch schaffen, sind sie für unsere Sache ein Gottesgeschenk, schließlich geht es darum, ein an einem Stamm von echten Verlierern begangenes furchtbares Unrecht wiedergutzumachen, Menschen, die einfach tot umfallen würden, wenn man nichts für sie täte. Man muß sich für sie einsetzen. Sehen wir also zu, daß wir das Trio möglichst schnell zusammenkriegen und düsen sie rauf nach Boston zu diesem 'Sicheren Unterschlupf, wo auch immer der sein mag ... Schließlich ist es möglich, daß diese Zucchinis in Washington just in diesem Augenblick die Schlinge um den General zuziehen.« »Das bezweifle ich, altes Haus. Wenn Sie nicht wissen, wo er ist, und auch Ihr Mittelsmann das nicht weiß - wie sollte Washington ihn da finden können?« -3 5 1
»Ich trau Leuten mit seidener Unterwäsche nun mal nicht. Die
schrecken vor nichts zurück, diese Würmer!«
In der dämmrig beleuchteten Nische hinten in O'Tooles Bar and
Grill, kaum zwei Blocks westlich des Büros von Aaron Pinkus
Associates, machte der junge, elegant gekleidete Banker sich
mittels eines dritten Martinis behutsam an die in mittleren
Jahren stehende Sekretärin heran.
»Ach wirklich, Binky, eigentlich sollte ich nicht«, zierte sich die
Frau kichernd und strich sich mit der Hand nervös über die linke
Seite ihrer langen, leicht ergrauten Mähne. »Es ist wirklich nicht
recht!«
»Was ist nicht recht?« fragte der wandelnde Werbespot für
Brooks-Brothers-Anzüge mit seinem breiten Akzent, den er sich
irgendwo zwischen der Park Avenue und dem Belgrave Square
erworben haben dürfte. »Ich habe Ihnen doch gesagt, was ich
für Sie empfinde.«
»Hier schauen so viele von unseren Anwälten nach der Arbeit
auf ein Glas herein ... und überhaupt, ich kenne Sie doch erst
seit einer Stunde. Die Leute werden sich das Maul zerreißen.«
»Lassen Sie sie doch, mein Herz! Wen kümmert das schon?
Ich habe unmißverständlich und in aller Ehrlichkeit offengelegt,
was ich will. Diese infantilen Puten, mit denen ein Mann wie ich
nach Meinung aller auszugehen hat, interessieren mich einfach
nicht. Da ziehe ich doch eine reife Frau mit Erfahrung und
Durchblick vor ... Hier, cheers!«
Beide hoben das Glas an die Lippen, doch nur einer von ihnen
trank einen Schluck, und das war nicht der akademisch
gebildete Banker. »Oh, noch kurz was Geschäftliches, meine
Liebe ... Wann, meinen Sie, kann unsere Geschäftsleitung sich
mit Mr. Pinkus treffen? Wir gehen von einem Honorar von
mehreren Millionen aus, schließlich ist sein juristischer Rat sehr
gesucht.«
»Binky, ich habe Ihnen doch schon gesagt ...«
In diesem Augenblick fing die Sekretärin, die plötzlich nicht
mehr wußte, wie ihr geschah, zu schielen an und hatte gleich
-3 5 2
viermal hintereinander einen Schluckauf. »... Mr. Pinkus hat
sich den ganzen Tag nicht bei mir gemeldet.«
»Ja, wissen Sie denn nicht, wo er ist, meine Liebe?«
»Nicht richtig - nur, sein Chauffeur, Paddy Lafferty, hat mich
angerufen, um mir zu sagen, ich solle zwei Wagen bei einem
Autoverleih bereitstellen lassen.«
»Wirklich? Zwei?« »Es geht irgendwie um die Skihütte in
Hooksett. New Hampshire, gleich hinter der Grenze.«
»Ach, lassen wir diese langweiligen Geschäftsdinge ... Ob Sie
mich wohl für einen Moment entschuldigen? Wie man so schön
sagt: Die Natur verlangt ihr Recht.«
»Möchten Sie, das ich mitkomme?«
»Ich weiß nicht, ob das erlaubt ist, voll erblühte, aufregende
Frau, du!«
»Uihh!« quiekte die Sekretärin und machte sich neuerlich über
ihren Martini her.
Banker Binky stand vom Tisch auf, ging rasch zu O'Tooles
Münzapparat neben dem Eingang, steckte eine Münze in den
Schlitz und wählte eine Nummer. Gleich nach dem ersten
Klingeln meldete man sich. »Onkel Bricky?«
»Wer denn sonst?« erwiderte der Inhaber von Neuenglands
größtem Geldverleih.
»Ich bin's, Neffe Binky.«
»Hoffentlich hast du dir deinen Lebensunterhalt verdient, junger
Mann. Für viel mehr reicht's ja wohl nicht.«
»Onkel Bricky, ich war wirklich gut!«
»Deine sexuellen Erfolge interessieren mich nicht, Binky. Was
hast du erfahren?«
»Es ist eine Skihütte in Hooksett. Das ist gleich hinter der
Grenze in New Hampshire.«
Banker Binky kehrte nicht an den Tisch zurück. Der
verständnisvolle O’Toole setzte die betrunkene Sekretärin in ein
Taxi, bezahlte im voraus für die Fahrt zu ihrer Wohnung und
-3 5 3
winkte einem verwirrten Gesicht hinter der Scheibe nach.
»Hundeleben!« sagte er zu sich selbst.
»Hier spricht Bricky, altes Haus. Sie sind in einer Skihütte in
Hooksett, New Hampshire, rund dreißig Meilen hinter der
Grenze auf der Route 93. Wie man mir sagt, gibt's da nur eine
Handvoll solcher Hütten, es dürfte also nicht allzu schwierig
sein, sie zu finden. Außerdem stehen zwei Autos mit folgenden
Kennzeichen davor.« Der Neu England-Banker mit dem
aschgrauen Gesicht nannte die Nummern und sonnte sich in
dem Lob, das der Außenminister über ihn ausschüttete.
»Gut gemacht, Bricky. Wie in den guten Zeiten, nicht wahr,
altes Haus?«
»Hoffentlich, Alter, denn wenn du das hier vermasselst, wage
nicht, dich bei unserem Jahrgangstreffen blicken zu lassen.«
»Da brauchst du keine Angst zu haben, Kumpel. Man nennt sie
die >dreckigen Vier<, und ich sage dir, das sind die reinsten
Tiere. Sie werden schon in einer Stunde hier in Logan landen ...
Meinst du, Smythie könnte es sich noch mal überlegen und mir
doch einen Liegeplatz in seinem Club geben?«
»Ich würde meinen, das hängt vom Erfolg unserer
Bemühungen ab, glaubst du nicht auch?«
»Ich habe größtes Vertrauen zu unserer Viererbande, altes
Haus. Wirklich, ein widerliches Quartett. Die kennen keine
Gnade, auch sich selbst gegenüber nicht. Ehrlich, die würdest
du nicht mal mit der Kneifzange anfassen!« »Gut gemacht,
Alter. Halt mich auf dem laufenden.«
Mittemacht war schon vorüber. Am Rand von Hooksett, New
Hampshire, rollte langsam ein kleiner schwarzer
Kleintransporter mit ausgeschalteten Scheinwerfern die
Landstraße hinunter und blieb vor der kiesbedeckten Einfahrt
einer ehemaligen Skihütte stehen. Drinnen wandte sich der
Fahrer mit den blauen Umrissen eines Vulkanausbruchs, den er
sich hatte auf die Stirn tätowieren lassen und die im
sommerlichen Mondenschein deutlich zu erkennen waren, an
seine drei Spießgesellen hinten im Wagen. »Kapuzen!« sagte
er einfach, und die drei griffen in ihre Rucksäcke und zogen
-3 5 4
schwarze Strumpfmasken hervor, um sie gleich darauf über den Kopf zu ziehen. Der Fahrer und Anführer vorn tat es ihnen nach. Alle vier schoben sie das Nylongewebe so zurecht, daß ihre Augen drohend aus den herausgeschnittenen Löchern hervorschauten. »Größtes Kaliber!« fügte der Anführer der Einsatzgruppe noch hinzu, und sein Mund unter dem Tuch verzog sich zu einem satanischen Lächeln. »Ich will sie tot sehen, alle tot! Ich will Grauen sehen, Schmerz, ich will Blut sehen und verzerrte Gesichter - all die guten Dinge, die wir so vorzüglich gelernt haben.« »Wie immer, Major«, flüsterte ein Schrank von einem Mann, der die Hände wie die anderen robotergleich in seinen Rucksack steckte, um eine MAC-10 Maschinenpistole sowie fünf Magazine mit je achtzig Schuß Munition hervorzuziehen, insgesamt also tausendsechshundert zu verspritzende Kugeln. »Feuern nur, wenn es nicht anders geht!« fuhr der Major fort und sah von einem zu anderen. Wieder griffen Hände in die Rucksäcke. Diesmal wurden Handgranaten am Koppel befestigt. »Radios!« lautete der letzte Befehl, dem ebenfalls augenblicklich Folge geleistet wurde. Die Männer holten Walkie-talkies im Kleinstformat hervor und steckten sie sich in die Tasche. »Dann los! Norden, Süden, Osten und Westen entsprechend euren Nummern. Alles klar?« Einhellige Bestätigung folgte, als die vier Maximum Incorrigibles aus dem Wagen herausglitten, sich auf den Bauch warfen und dann jeder in die ihm zugewiesene Richtung robbten. Tod war ihre Bestimmung, und Tod lautete in allen Dingen ihre Rettung. Lieber tot als entehrt! »Siehst du, was auch ich seh, amigo?« fragte Desi-Eins DesiZwo, die gemeinsam unter einem dicht belaubten Ahornbaum standen und im immer wieder aufscheinenden hellen Mondlicht das abschüssige Gelände vor sich absuchten. »Iss verrückt, nich?« »Du solltest nich' zu hart mit ihn' sein, wie die Gringos sagn«, ewiderte Desi-Eins. »Die warn nie gezwungn, Hühner oder Ziegen nachts vor ihm bösen Nachbarn zu beschützn.« -3 5 5
»Weiß ich doch. Aber warum sie so dumm? Schwarze cabezas, die bei einem Mond wie dicke cucarachas 'n Berg raufgeschlichn komm', das iss einfach blöde - wie die Gringos auch sagn.« »Wie der General sagt, wir könntn ihn' zeign, was 'ne Harke iss, bloß nich' jetzt, im Moment haben wir zu tun, was er uns gesagt hat ... Un' außerdem, iss strapaziöser Tag gewesen für all unsre netten neuen Freunde. Lassn wir sie also schlafen. Sie brauchn ihm Schlaf, nich?« »Es sin' weder Hühner noch Ziegen, sondern im Moment nix weiter als böse Nachbarn - isses das, was du meinst?« »Richtig. Wir beide erledigen das allein, okay?« »Kleinigkeit. Ich nehm mir die beiden da drüben vor, und du die beiden anderen.« »Okay«, sagte Desi-Eins. Beide duckten sie sich in den Schatten. »Aber nich' vergesse, amigo, keinem zu weh tun. Der General sagt, wir müssn Kriegsgefangenen gegenüber human sein - wie zivilisierte Menschn.« »He, Mann, wir sin' schließlich keine Tiere! Wie der General auch sagt, wir haltn uns an die Genffer Konfente. Vielleicht hattn diese bösen Nachbarn ja lausige Zeitn, als sie klein warn, wie General Mac sagt, daß wir sie hattn. Die brauchen vermutlich viel Unterstützung un' Liebe.« »He Mann«, mahnte D-Eins im Flüsterton, »mach nich' all den Priestern, die du so liebst, weis, du wärst 'n Heiliger! Das mitter Unterstützung un' Liebe so kommt erst, wenn diese schwarz köpfigen cucarachas im Ausguß in der Küche liegn, okay, Mann?« »He Mann, als ich noch auf San Jüan ging, hat mein Lieblingspadre mir immer wieder eingeschärft: >Auge um Auge, nino, du mußt nur dafür sorgen, daß der erste Tritt von dir kommt< - immer rein in die testiculos!« »Wahrlich ein Mann Gottes, amigo! Komm!« »Major Vulkan hier«, flüsterte die schwarzvermummte Gestalt in ihr Funksprechgerät und stieg die südliche Zufahrt hoch, die zu
-3 5 6
der ehemaligen Skihütte hinaufführte. »Melden nach
Nummern!«
»Zwei-Ost - hier, Major. Alles ruhig.«
»Nummer Drei?«
»Drei-Nord, Sir. Oben brennt Licht, offenbar in einem
Schlafzimmer. Soll ich's auspusten?«
»Noch nicht, Soldat, aber wenn ich den Befehl dazu gebe, holst
du alle raus, die drin sind. Wahrscheinlich verdammte Perverse
beim Austausch von Körperflüssigkeiten. Das sind alles
Perverse, wilde Perverse. Halte Waffen und Granaten
einsatzbereit.«
»Yes, Sir! Die möcht ich als erste allemachen. Kann ich das,
Major?«
»Das ist die rechte Einstellung, Soldat. Aber erst, wenn ich es
sage! Schleich dich nur weiter ran!«
»Und was ist mit mir?« meldete sich Zwei-Ost. »Drei-Nord ist
doch 'ne Flasche! Weißt du nicht mehr, wie das war, als die
Wachen ihn dabei erwischt haben, wie er mit den Zähnen den
Zaun durchbeißen wollte? Der erste Tote sollte auf mein Konto
gehen!«
»Untersteh dich! Sonst bist du der erste auf meinem Konto«,
meldete Drei-Nord sich wieder zu Wort. »Vergiß nicht, Major,
Zwei-Ost hat bei dem Durcheinander letzten Donnerstag alle
Erdbeeren gefressen, die eigentlich für dich bestimmt waren.«
»Da hast du nicht ganz unrecht, Nummer Drei. Auf die war ich
wirklich scharf.«
»Das war ich doch gar nicht, Major. Das war Vier-West. Gib's
zu, du Hurenbock!«
»Nun, Vier-West?« sagte Vulkan. »Hast du mir die Erdbeeren
geklaut oder nicht?«
Schweigen.
»Melde dich schon, Vier-West!« drang der Major in ihn. »Habe
ich in der Tatsache, daß du dich nicht meldest, ein
Schuldeingeständnis zu sehen? Antworte schon! Hast du mir
meine Erdbeeren weggefressen oder nicht?«
-3 5 7
Schweigen. »Sein Radio funktioniert nicht!« folgerte Vulkan. »Diese Scheißschwuchteln vom Beschaffungsamt des Pentagon! Für diese Mist-Walkie-talkies blättern diese hohen Lamettaträger vierzehntausend das Stück hin - dabei kann man die gottverdammten Dinger in jedem Großhandel für siebenundzwanzig Eier bekommen! Vier-West, hörst du mich?« Schweigen. »Okay, Drei-Nord, wie nahe bist du?« Schweigen. »Drei-Nord, melden!« Ausgedehntes Schweigen. »Verdammt noch mal, Drei-Nord, melde dich endlich!« Wieder nichts. »Zwei-Ost! Was hast du zu melden?« Schweigen. »Was, zum Teufel, ist da los?« schrie Major Vulkan und vergaß für einen Moment die Notwendigkeit, leise zu sein. »Wird jetzt einer von euch Bastards mir endlich antworten?« Schweigen, das nur wenige Sekunden später von einer freundlichen Stimme unterbrochen wurde. »Nett, Sie kennenzulern«, sagte Desi-Eins und trat aus dem Schatten ins Mondlicht über dem schwarzvermummten Eindringling. »Sie sin' Kriegsgefangener, amigo, Sir, und Sie werdn anständig behandelt.« »Was?« Der Major fuhr mit der Hand zu seiner Waffe, doch war er viel zu langsam. D-Eins' Stiefel krachte dem Vulkan an die Stirn, mitten hinein in den tätowierten Vulkan. »Das wollt ich nich', Mr. Prisoner, aber sie hättn mir weh tun könn', un' das find ich gar nich' nett von Ihn'!« Jennifer Redwing fuhr aus dem Schlaf hoch - irgend etwas war passiert. Sie konnte es fühlen, ja, hören! Natürlich konnte sie es hören, überlegte sie. Das war gedämpftes Stöhnen, waren erstickte, kehlige Laute irgendwo da draußen. Verwundete Hunde? In eine Falle gegangene Tiere? Mit einem Satz war sie aus den Federn, lief ans Fenster und traute ihren Augen nicht. Sam Devereaux hörte ferne Geräusche und zog sich das zweite Kopfkissen über den arg mitgenommenen Schädel. Wohl zum fünfhundertsten Mal nach Verlassen von O'Tooles Bar and Grill schwor er, nie wieder ein Glas anzurühren. Der Lärm jedoch blieb und ebbte nicht ab, und nachdem er die alles -3 5 8
andere als klarweißen Augen aufgemacht hatte, begriff er, daß all das mit dem Zustand, in dem er sich befand, nichts zu tun hatte. Unsicher raffte er sich hoch und wankte zum Fenster hinüber. Heiliger Bimbam! Aaron Pinkus träumte von Shirley, einer wütenden Shirley allerdings, deren Kopf von elftausend rosa Lockenwicklern schier erdrückt wurde, die ihn allesamt anschrien, da jeder von ihnen einen eigenen Mund hatte, den er unablässig aufmachte und wieder schloß, und das mit Maschinengewehrgeschwindigkeit. War er wieder am Strandabschnitt Omaha Beach in der Bretagne gelandet? Nein, er lag in seiner Lieblingskammer der alten Skihütte. Was sollte eigentlich dieser Höllenlärm da draußen? Langsam erhob er sich aus seinem kuscheligen Bett und humpelte, wie alte Beine es nun mal tun, ans Fenster. Heiliger Gott Abrahams, was hast Du getan? Jählings wurde Eleanor Devereaux' Schlaf von einem Heidenlärm unterbrochen. Instinktiv griff sie nach dem Telefon auf dem Nachttisch, um Cora anzuweisen, die Polizei zu rufen und die Nachbarn verhaften zu lassen - oder wer sonst für dieses ungeheuerliche Benehmen verantwortlich sein mochte. Leider gab es kein Telefon. Vor Wut kochend, schwang sie die Füße unter der Bettdecke hervor und stellte sie auf den Boden, richtete sich zu voller Größe auf und trat ans Fenster. Großer Gott im Himmel, wie unvergleichlich und einzigartig! Immer weiter die Zigarre verstümmelnd, die er seit den frühen Morgenstunden im Mund stecken hatte, riß MacKenzie Hawkins die Augen auf. Was zum Teufel war das? Vietnam? Korea? Waren das Schweine, die da auf einem Bauernhof quiekten, der von einem Stoßtrupp beschützt wurde? Himmel! Wo steckten seine Adjutanten? Wieso hatten die ihn nicht geweckt und ihm gemeldet, daß der Feind angriff?... Nein, ging ihm auf, als er die weiche Federfüllung des Kissens spürte, das seinen Kopf umfing - in Feldunterkünften gab es keine Federbetten! Wo also war er? Bei Hannibal und seinen Legionen: Er hielt sich in Commander Pinkus' Skihütte auf! Er sprang aus dem behaglichen Zivilistenbett, haßte sich, weil es jeglicher -3 5 9
militärischer Härte entbehrte, und lief in Unterhose und Unterhemd ans Fenster. Dschingis Khan, verzeih mir, aber an so was würdest nicht mal du denken, Großmächtiger Herrscher! Fußgängern gleich, die es drängt, sich nach einem Verkehrsunfall den furchtbaren Schaden anzusehen, stiegen die vorübergehend in der Skihütte Weilenden die verschiedenen Treppen zur alpenhotelähnlichen Lobby hinunter. Dort begrüßten sie Desi-Eins und -Zwo, die neben dem langen Tisch Stellung bezogen hatten, auf dem folgende Dinge zurechtgelegt waren: vier MAC-10-Maschinenpistolen, zwanzig Magazine, sechzehn Handgranaten, vier Walkie-talkies im Kleinstformat, zwei Flammenwerfer, vier Nachtfeldstecher und eine auseinandergenommene eiförmige Bombe, mit der man mindestens ein Viertel des Staates New Hampshire in die Lüfte hätte jagen können - den weniger wichtigen südöstlichen Teil. »Wir wolltn Sie nich' alle weckn«, entschuldigte sich Desi-Eins, »aber der General hat gesagt, wir solltn die Rechte der Kriegsgefangn schützn. Das haben wir zu tun versucht, aber ich glaub, das warn abgrundtief böse Menschn. Diese Kanon' hier un' die ändern Sachn erklärn das wohl zur Genüge ... Un' jetzt, großer General, könn' Sergeant Desi-Zwo un' ich uns bißchen aufs Ohr hau'n?« »Verdammt noch mal, Leute, ihr seid Lieutenants! Bloß, was um alles in der Welt, ist das da draußen?« »Bitte, senores y senoritas, sehn Sie selbst«, sagte Desi-Zwo und stieß die Vordertür auf. »Als wir die vieln Waffen un' so sahn, dachtn wir, 's wäre für die Genffer Konfente nich' zu schlimm.« Draußen, am wieder funktionstüchtig gemachten Skilift, etwa in der Mitte des Hanges hingen, kopfüber an den mit Stricken zusammengebundenen Füßen aufgehängt und mit zugeklebtem Mund, zuckend und sich windend in luftiger Höhe von mindestens zehn Metern vier Leiber.
-3 6 0
»Wir fahrn sie jede Stunde wieder rauf un' gebn ihn' Wasser-, sagte Desi-Eins lächelnd. »So behandeln wir unsre Kriegsgefangenen wirklich gut.«
-3 6 1
18. KAPITEL »Was?« kreischte der Außenminister. Dieser empörte Aufschrei ließ die vom Schreibkraftepool abgestellte Sicherheitsstenotypistin von ihrem Stuhl hochfahren, wobei ihr Stenoblock durch den Schwung ihrer Hand auf ihren Chef zusegelte, der ihn wie abwesend mit der Linken abfing, die gerade im Begriff gewesen war, sich an den Kopf zu klopfen, um das manisch hin- und herschnellende linke Auge zum Stillstand zu bringen. »Was haben Sie getan? ... Und wie? Nein, das kann ich nicht dulden!« Der Außenminister schlug mit dem Stenoblock abwechselnd von seiner Schläfe auf den Schreibtischrand, bis die einzelnen Blätter in alle Himmelsrichtungen durcheinandersegelten und nur die Spirale zurückblieb. »Bitte!« flehte die Stenografin, rannte herum und fing die wirbelnden Blätter auf. »Das ist alles top secret, Sir!« »Ihre tops da haben aber nichts von secret, oder?« rief der Chef des Außenamtes mit dem Schlenkerauge laut. »Wir leben in einer Welt von kleinen nuts, von Verrückten. Sie hingegen haben Kokosnüsse - dagegen sind wir andren alle nichts als walnuts!« Unvermittelt blieb die Stenografin stocksteif stehen, sah starren Blicks auf ihren Vorgesetzten hinab und erklärte ruhig, aber mit viel Nachdruck: »Aufhören, Warren! Beruhigen Sie sich!« »Warren? Wer ist Warren? Für Sie bin ich immer noch Mr. Secretary - immer Mr. Secretary!« »Sie sind Warren Pease, und bitte, legen Sie die Hand übers Telefon, sonst erzähl' ich meiner Schwester, daß Sie plötzlich durchgedreht hätten, und die erzählt's Arnold Subagaloo brühwarm weiter.« »Oh Gott, Arnold!« Außenminister Warren Pease bedeckte augenblicklich die Sprechmuschel mit der Hand. »Ich hab's vergessen, Teresa, ehrlich, ich hab's bloß für einen Moment vergessen.« -3 6 2
»Ich bin Regina Trueheart. Teresa ist meine Schwester, und die ist Subagaloos Assistentin.«
»Ich kann mir Namen einfach nicht merken, aber Kokosnüsse
Gesichter, meine ich ...! Sagen Sie es Ihrer Schwester nicht.«
»Und Sie sagen dem, den Sie da gerade an der Strippe haben, wer immer es auch sein mag, Sie würden ihn in ein paar Minuten zurückrufen, sobald Sie wieder Ordnung in Ihre Gedanken gebracht hätten.« »Aber das geht nicht! Er telefoniert von einer Telefonzelle auf dem Gefängnisgelände von Quantico aus!«
»Sagen Sie ihm, er soll Ihnen die Nummer geben und so lange
warten, bis Sie zurückrufen!«
»Na, schön, coconuts - Teresa - Regina - Frau Sekretärin!« »Aufhören, Warren! Und tun Sie, was ich sage!« Der Außenminister tat genau das, was Regina Trueheart ihm befohlen hatte, fiel dann mit dem Oberkörper auf den Schreibtisch, barg den Kopf in den Armen und weinte sich, wie man so sagt, die Augen aus. »Irgend jemand hat nicht dichtgehalten, und jetzt steh ich im Regen!« gurgelte er. »Sie haben sie in Leichensäcke verschnürt zurückgebracht.« »Wen denn?« »Die >dreckigen Vier
secret-Aufgabe zur anderen flattert, aber mit dem Stachel einer
Biene ausgestattet ist. Dabei habe ich immer ein Auge auf euch
alle und helfe euch, eure Tage durchzustehen. Das ist die von
Gott gegebene Aufgabe aller Truehearts.«
»Können Sie nicht meine Sekretärin sein?« »Und der guten,
hingebungsvollen Antikommunistin, meiner Mutter Tyrania, den
Job wegnehmen? Das können Sie doch nicht im Ernst
meinen?!«
»Die Tyrannin ist Ihre Mutter?«
»Vorsicht, Warren! Subagaloo - nicht vergessen!«
»Himmel, ja, Arnold. Tut mir leid, wirklich - eine große Frau,
achtunggebietend.«
»Und jetzt zu dem, was anliegt, Mr. Secretary«, sagte die
Stenografin und setzte sich wieder. Stenoblock und die
aufgesammelten Blätter fest in der Hand, saß sie wieder
stocksteif da wie zuvor. »Wie Sie wissen, habe ich die
Maximum-Überprüfung über mich ergehen lassen: Wie also
kann ich Ihnen helfen?«
»Nun, die Sicherheitsüberprüfung ist eigentlich nicht das
Problem ...«
»Verstehe«, sagte Regina Trueheart, ohne ihn zu Ende reden
zu lassen. »Leichensäcke mit Luftlöchern drin, Leichen, die
nicht tot waren, lebende Leichname, sozusagen ...«
»Und ich sage Ihnen: Die ganze Ehrenwache hätte beinahe
einen Massenherzstillstand bekommen! Zwei liegen im
Stützpunktlazarett, drei haben aus psychiatrischen Gründen
sofort um ihre Entlassung gebeten und vier sich insofern
unerlaubt von der Truppe entfernt, als sie zu den Toren
rausgestürmt sind und sich die Lunge aus dem Hals geschrien
haben von wegen Soldaten, die aus ihren Gräbern
auferstanden wären, um Offiziere mit einem Fluch zu belegen,
die sie nie ... oh, mein Gott, wenn das jemals rauskommt - oh,
Jesus!«
»Ich weiß, Mr. Secretary.« Sicherheitsstenografin erster Klasse
Regina Trueheart stand auf. »Blamagen, Sir, so was haben wir
-3 6 4
alle schon erlebt. ... All right, Warren, in diesem Fall sind wir beide dran. Welche Unterlagen schreddern wir als erstes?« »Schreddern?« Peases linkes Auge fuhr mit der Schnelligkeit eines Laserstrahls hin und her. »Ich verstehe«, sagte Regina und zog sich prompt und ohne den leisesten Hauch von Sinnlichkeit den Rock bis zur Hüfte hoch. »Unterlagen, die hinausgeschafft werden müssen, natürlich. Wie Sie selbst sehen, bin ich rundum darauf vorbereitet, die Aufgabe zu übernehmen.« »Huch?« Sein linkes Pendelauge blieb stehen: Der Außenminister bekam angesichts dessen, was sich seinen Blicken darbot, den Mund nicht mehr zu. In die Strumpfhose von Miss Trueheart eingenäht waren von den Knien bis zu den Hüften hellbraune Nylontaschen. »Das ist ja ... das ist ja ... nicht zu fassen!« murmelte Pease. »Selbstverständlich müssen wir alle Heft- oder Büroklammern vorher entfernen. Falls wir mehr Platz brauchen, mein BH ist mit einem Reißverschlußfutter ausgestattet, und mein Schlüpfer weist hinten eine Platte aus reiner Seide auf, unter der man die größeren Dokumente unterbringen kann, ohne sie knicken zu müssen.« »Sie verstehen nicht«, sagte der Minister und rammte das Kinn auf die Schreibtischkante, während die Stenografin den Rock wieder auf seine normale Länge hinunterließ. »Autsch!« »Sie sollten sich nicht ablenken lassen, Warren. Was soll ich nicht verstehen? Die Trueheart-Töchter sind auf alle Notfälle vorbereitet.« »Schriftlich ist ja nichts festgelegt worden!« erklärte der von Panik gepackte Boß des Außenministeriums. »Ich verstehe. ... Nicht in den Unterlagen befindlich, oberste Geheimhaltungsstufe, von niemand abgesegnete Gespräche und Abmachungen - ist es das?« »Was? Sind Sie bei der CIA gewesen?« »Nein, das ist meine ältere Schwester, Clytemnestra, eine besonders ruhige Frau ... Unser Problem liegt also in den undichten Stellen der höheren Orts nicht abgesegneten Infrastruktur: Das schriftlich nirgends -3 6 5
festgehaltene Wort machte einige Umwege, um in Ohren zu
gelangen, für die es nicht bestimmt war.« »So muß es gewesen
sein, obwohl das eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Keinem von denen, die von der Sache wußten, kann eigentlich
daran gelegen gewesen sein, unser Geheimnis irgendwo
auszuplaudern.«
»Ohne konkret zu werden, Mr. Secretary, obwohl man die
Fakten mit Hilfe von Pentothal schon herausbekäme, niemals
jedoch, wirklich nie, durch eine Gegenüberstellung mit irgend
so einem untermenschlichen Untersuchungskomitee des
Kongresses - bitte, geben Sie mir in abstrakten Umrissen einen
Überblick über das Unternehmen. Könnten Sie das tun,
Warren? Wenn es Ihnen hilft, will ich Ihnen auch gerne meine
Taschen noch mal zeigen.«
»Schaden könnte das nicht.« Sie tat es, und Peases linkes
Auge kam langsam und zitternd zum Stillstand. »Je, nun,
verstehen Sie«, begann er, und der Speichel lief ihm über die
Lippen. »Gewisse unpatriotische Widerlinge unter der Führung
eines Wahnsinnigen haben vor, unsere erste Verteidigungslinie
zu zerstören, das heißt, unsere Rüstungsindustrie und dann
einen Teil der Air Force, der internationale
Wachhundfunktionen ausübt.«
»Und wie, sweetie?« Die Trueheart verlagerte ihr Gewicht erst
von einem Bein auf das andere, dann vom anderen wieder auf
das eine.
»Huch?«
»Was, Warren? Ich habe gefragt: wie.«
»Oh, ja, natürlich ... Nun, wie sie behaupten, gehört das Land,
auf dem ein riesiger und für unsere Verteidigung unabdingbarer
Air-Force-Stützpunkt untergebracht ist, einer Gruppe von
Leuten, richtigen Wilden, und zwar wegen eines dummen, vor
über hundert Jahren geschlossenen Vertrages, was natürlich
nicht stimmt. Das Ganze ist heller Wahnsinn!« »Das bestimmt
nur: Ist es so, Mr. Secretary?« Und abermals machten Reginas
Beine eine ganze Serie von Gewichtsverlagerungen durch,
genauer gesagt fünf.
-3 6 6
»Oh, boy!« »Setzen Sie sich! Entspric ht es der Wahrheit?«
»Der Bundesgerichtshof macht sich Gedanken darüber. Da der
Klagesatz jedoch nationale Sicherheitsinteressen berührt, hält
der Generalbundesanwalt ihn für noch weitere fünf Tage unter
Verschluß - dann müssen sich diese Widerlinge zur mündlichen
Anhörung stellen. Uns bleiben also noch fünf Tage, um die
Hunde zu finden und in die ewigen Jagdgründe zu schicken,
was wiederum nichts mit der nationalen Sicherheit zu tun hat.
Gottverfluchte Wilde!«
Regina Trueheart ließ augenblicklich den Rock fallen. »Das
reicht jetzt erst mal!«
»Autsch.« »Was?« »Wir Trueheart-Töchter dulden keine Flüche
und unflätige Ausdrucksweisen, Mr. Secretary. So etwas stößt
Menschen, die regelmäßig zur Kirche gehen, vor den Kopf.«
»Ach, haben Sie sich doch nicht so, Vergyna ...«
»Regina.«
»Ich bin ja ganz Ihrer Meinung ... aber wissen Sie, manchmal
bringt man es mit ein paar Flüchen einfach auf den Punkt. Und
wenn man unter Streß steht, fährt einem so was schon mal
raus.« »Sie hören sich an wie dieser schreckliche französische
Schriftsteller, Anouilh, der für alles und jedes eine
Entschuldigung hat.« »Annie, wer?«
»Ach, lassen wir das ... War der Kreis von Eingeweihten auf
wenige Regierungsvertreter beschränkt und noch weniger
Zivilisten?«
»Auf so wenige wie möglich. In beiden Gruppen.« »Und diese
leider viel zu lebendigen und mit den Beinen strampelnden
Säcke, wurden die unter der Hand angeworben, diesen Auftrag
zu übernehmen - den sie offensichtlich nicht ausgeführt
haben?«
»Das ganze war so geheim, daß sie nicht einmal wußten,
worum es eigentlich ging. Aber das war ja auch nicht nötig,
schließlich handelte es sich um Irre.«
-3 6 7
»Bleiben Sie, wo Sie sind, Warren!« sagte Regina Trueheart, legte den Stenoblock auf den Schreibtisch und strich sich den Rock glatt. »Ich bin gleich wieder da.« »Wohin wollen Sie?« »Ich muß mit Ihrer Sekretärin reden, meiner Mutter. Ich bin gleich wieder da, und wagen Sie es nicht, ans Telefon zu gehen!« »Natürlich nicht, tops, ich meine ...« »Ach, halten Sie die Klappe! Ihr politischen Beamten seid schon sehr, sehr merkwürdig.« Mit diesen Worten marschierte die sicherheitsüberprüfte Stenografin des Schreibkräftepools ins Vorzimmer und machte die Tür hinter sich zu. Warren Pease, Außenminister und Besitzer einer kleinen Yacht, für die er liebend gern einen Liegeplatz in einem annehmbaren Segelclub gehabt hätte, war hin- und hergerissen zwischen dem Verlangen, sich die Pulsadern aufzuschneiden und seine ehemalige Maklerfirma anzurufen, um dort jede Menge Insiderwissen preiszugeben und damit seinen Anspruch auf die frühere Partnerschaft zu bekräftigen. Guter Gott, warum hatte er bloß dem Ruf seines ehemaligen Zimmerkameraden, des heutigen Präsidenten Folge geleistet, als dieser ihn ins Kabinett berief? Gesellschaftlich hatte das selbstverständlich Vorteile aber wenn er die Nachteile betrachtete ... Man mußte etlichen Leuten gegenüber höflich sein, die man eigentlich nicht ausstehen konnte, und dann diese gräßlichen Dinnerparties, wo man nicht nur neben Negern und Negerinnen sitzen, sondern sich auch noch mit ihnen fotografieren lassen mußte. Wahrhaftig kein reines Zuckerschlecken! Die Opfer, die es zu bringen galt, würden selbst einen Heiligen überfordern ... und jetzt auch noch das. Leichensäcke mit lebenden Irren drin dafür würden schon die eigenen Leute seinen Skalp fordern! Wie grotesk das Leben doch geworden war. Gewiß, er hatte keine Rasierklinge dabei, wagte es aber auch nicht, das Telefon zu benutzen. Folglich saß er einfach da, und der Schweiß rann ihm übers Gesicht. Nach wenigen grauenhaften Minuten hatte das Warten allerdings ein Ende. Doch anstelle von Regina Trueheart kam ihre Mutter, Tyrania, ins Arbeitszimmer marschiert und machte fest die Tür hinter sich zu. Die Matriarchin des Trueheart-Clans war aus dem Stoff, aus -3 6 8
dem Legenden entstehen. Eine auffallende Frau mit ausgeprägt teutonischen Zügen und blitzenden hellblauen Augen, war sie kaum größer als einsfünfzig, hielt sich aber betont gerade und besaß eine straffen, aufreizenden Körper, der ihre achtundfünfzig Jahre Lügen strafte. Wie schon ihre Mutter, die während des Zweiten Weltkriegs mit Legionen anderer Regierungsangestellter nach Washington gekommen war, stellte Tyrania eine Veteranin dar, die sich geradezu erschreckend gut auskannte auf den verschlungenen Wegen und Seitenpfaden der Bürokratie samt Torheiten und offenkundigem Ämtermißbrauch. Wie bereits ihre eigene Mutter, hatte sie ihre Töchter erzogen, den byzantinischen Infrastrukturen der Myriaden von Regierungsbüros, abteilungen und -ämtern zu dienen. Tyrania glaubte, daß die weiblichen Angehörigen ihrer Familie vom Schicksal dazu auserkoren waren, die Spitzenkräfte und MöchtegernSpitzenkräfte in der Politik unbeschadet durch Washingtons Minenfelder zu geleiten, damit sie ihre im allgemeinen nur schwach ausgeprägten Fähigkeiten zum Wohle der Allgemeinheit einsetzen. Im Grunde ihres Herzens war die maxima leader der Truehearts fest davon überzeugt, daß es Frauen ihres Schlages sowie ihre Töchter waren, die die amerikanische Regierung arbeitsfähig machten oder gar lenkten. Männer stellten wahrlich das schwächere Geschlecht dar, dazu waren sie viel zu sehr Versuchungen und Torheiten ausgeliefert. Diese Beurteilung war zweifellos der Grund dafür, daß in der Familie seit drei Generationen keine Jungen mehr geboren worden waren, was schließlich einfach nicht anging. Eingehend musterte Tyrania den offensichtlich zutiefst aufgewühlten Außenminister, wobei sich eine Mischung aus Mitleid und Resignation in ihrem Gesicht abzeichnete. »Meine Tochter hat mir alles gemeldet, was Sie ihr erzählt haben - dazu hat Sie von Ihrer anscheinend überstimulierten Libido berichtet«, erklärte sie fest, aber leise, so als gälte es, einem kleinen, verwirrten Schuljungen im Zimmer des Direktors ins Gewissen zu reden.
-3 6 9
»Tut mir leid, Mrs. Trueheart! Ehrlich. Es ist eben ein
schrecklicher Tag gewesen, und ich hatte nicht vor, irgend
etwas Böses zu tun.«
»Schon gut, Warren. Weinen Sie nicht. Ich bin hier, um Ihnen
zu helfen, und nicht, um Ihnen das Gefühl zu geben, Sie wären
unartig gewesen!« »Vielen Dank, Mrs. Trueheart!«
»Doch wenn ich Ihnen helfen soll, muß ich Ihnen vorher eine
sehr wichtige Frage stellen. Sind Sie bereit, sie mir aufrichtig zu
beantworten, Warren?« »Oh ja, ja, natürlich!«
»Gut ... Und jetzt sagen Sie: In dem kleinen Kreis von
Eingeweihten in dieser Air-Force-Geschichte, den Zivilisten, die
mit der Regierung nichts zu tun haben - wer von denen war sich
im klaren darüber, daß dieser Gegenschlag ausgeführt werden
sollte? Und vor allem: Profitiert irgend einer von ihnen von
diesem möglicherweise bedrohten Air-Force-Stützpunkt?«
»Das tun sie alle, mein Gott noch mal!« »Dann suchen Sie
nach einer ganz bestimmten Person, Warren. Denn die ist
dabei, die anderen zu verkaufen.«
»Was?... Warum?« »Darauf kann ich Ihnen erst eine genauere
Antwort geben, wenn ich mehr Fakten in der Hand habe, etwa
über Vorzugsaktien und Buy-outs - doch schon auf den ersten
Blick liegt die Antwort doch auf der Hand.«
»Tut sie das?«
»Kein Mensch in der Verwaltung mit Ausnahme Ihrer selbst
würde eine solche abwegige Lösung suchen und sich dabei in
einem Militärgefängnis einsitzender Männer bedienen.
Watergate und Iran-Sumpf haben da ihre unauslöschlichen
Spuren hinterlassen. Schlicht und ergreifend ausgedrückt: Es
hat zuviele Verurteilungen gegeben.«
»Sie meinen, es ist einer von den ... Zivilisten?«
»Ich irre mich selten, Warren ... Nun, einmal habe ich das
getan, doch da ging es um meinen Mann. Der hat sich in die
Karibik abgesetzt und verchartert jetzt sein ziemlich
abgetakeltes Segelboot für Fahrten zu den Virgin Islands. Ein
durch und durch verderbtes Subjekt.«
-3 7 0
»Wirklich? Wieso denn?«
»Weil er behauptet, vollkommen glücklich zu sein, was, wie wir
alle wissen, in unserer komplexen Gesellschaft völlig
unannehmbar ist.«
»Und Sie wollen mich nicht auf den Arm nehmen ...?«
»Mr. Secretary, könnten wir uns jetzt mal auf das unmittelbar
vor uns liegende Problem konzentrieren? Ich rate Ihnen
dringend, diese Leichensäcke völlig zu isolieren, alles, was man
aus Quantico hört, zu unterdrücken und als Folge von
Trunkenheit hinzustellen, in den Untergrund zu gehen und fünf
mal die Null, einmal die Sechs in Fort Benning anzurufen.«
»Was, zum Geier, ist denn das?«
»Nicht was, sondern wer, sollten Sie fragen«, antwortete
Tyrania. »Man nennt sie die >Selbstmörderischen Sechs< ...«
»Wie die >dreckigen Vier« fiel der Minister ihr ins Wort.
»Von denen sind sie Lichtjahre entfernt! Es sind Schauspieler.«
»Schauspieler? Was soll ich denn mit Schauspielern?« »Die
hier sind eine besondere Sorte«, erklärte Tyrania Trueheart,
lehnte sich vor und senkte die Stimme. »Für eine gute Kritik, die
allerdings noch nie jemand von ihnen gekriegt hat, tun die alles
- sogar jemanden umbringen.« »Aber wie sind sie den jemals nach Fort Henning gekommen?« »Wegen nicht bezahlter Miete.« »Was?« »Sie sind jahrelang keiner geregelten Arbeit nachgegangen, haben einfach die Schauspielschule besucht oder als Aushilfskellner gearbeitet.« »Ich verstehe überhaupt nicht, wovon Sie reden.« »Im Grunde ist es doch ganz einfach, Warren. Die Leute sind gemeinsam in die Army eingetreten, um ein Repertoire-Theater aufzubauen und um etwas regelmäßiger etwas zwischen die Zähne zu bekommen. Doch wie nicht anders zu erwarten, erkannte ein schöpferisch denkender Offizier in der G-Zwo ihre Möglichkeiten und stellte ein Programm für verdeckte Unternehmungen zusammen.« »Weil sie Schauspieler waren?« »Nun, nach dem General, der das Ganze unter sich hatte, waren sie, sind sie, körperlich durchaus in bester Verfassung. -3 7 1
Denken Sie an all die Rambo-Filme. Schauspieler können
äußerst eitel sein, wenn es um ihr Aussehen geht.«
»Mrs. Trueheart«, rief der Außenminister aus. »Würden Sie mir
jetzt bitte sagen, worauf unsere Unterhaltung hinausführt?«
»Auf eine Lösung, Warren. Ich werde mich rein abstrakt und
theoretisch ausdrücken, damit Sie jederzeit alles abstreiten
können, aber ich bin sicher, Sie mit Ihrem geschärften und
vorzüglich ausgebildeten Verstand werden sofort begreifen, um
was es geht.«
»Das sind die ersten Worte, die für meine Begriffe Sinn haben.«
»Die >Selbstmörderischen Sechs< können und wollen alles und
jedes verkörpern. Sie sind Meister der Verkleidung und der
Dialekte und dringen auch noch in das Undurchdringliche ein.«
»Das ist ja irre. Dann würden sie ja selbst uns durchdringen.«
»Nicht schlecht gedacht! Das verschafft Ihnen einen
beneidenswerten Überblick.«
»Moment mal!« Pease wirbelte in seinem Drehstuhl herum und
starrte die überkreuz an die Wand gesteckten Fahnen der
Vereinigten Staaten und des Außenministers an: Dazwischen
erblickte er im Geiste ein Bildnis von Häuptling Geronimo in
Generalsuniform. »Das ist es!« rief er dann aus. »Keine
Verurteilungen, keinerlei Erscheinen vor den Ausschüssen des
Kongresses, das ist perfekt!«
»Was ist perfekt, Warren?«
»Das mit den Schauspielern!«
»Selbstverständlich.«
»Schauspieler können darstellen, was sie wollen - und andere
davon überzeugen, nicht zu sein, was sie in Wirklichkeit sind,
hab ich recht?«
»Das stimmt. Genau dafür sind sie ausgebildet.«
»Keine Killer, keine Verurteilungen, keine
Untersuchungsausschüsse auf dem Kapitolshügel.«
»Ganz soweit würde ich nicht gehen, es sei denn, ich hätte mir
zuvor auch gleich ein paar Senatoren gekauft, aber das ist bei
unseren Sonderkonten ja durchaus drin.«
-3 7 2
»Jetzt blicke ich durch«, unterbrach Pease sie, wirbelte, das
linke Auge diesmal feststehend, beide Augen vor Erregung
jedoch weit aufgerissen, wieder zu ihr herum. »Sie landen auf
dem Kennedy-Airport in New York, rote Schärpen, vielleicht
Barte und Hamburger, als Delegation.«
»Als was?«
»Aus Schweden. Eine Abordnung des Nobelkomitees. Sie
haben sich mit der Militärgeschichte des 20. Jahrhunderts
beschäftigt und kommen herüber, um General MacKenzie
Hawkins aufzusuchen und ihm als dem größten Soldaten
unserer Zeit den Friedensnobelpreis zu verleihen.«
»Vielleicht sollte ich einen Arzt rufen, Warren.«
»Keineswegs, Mrs, Trueheart. Sie haben mich auf diesen
Gedanken gebracht. Verstehen Sie denn nicht? Dieser schräge
Vogel hat ein Ego, größer als der Mount Everest.«
»Welchen schrägen Vogel meinen Sie überhaupt?«
»Donnerhaupt.«
»Wen?«
»MacKenzie Hawkins, den meine ich. Er hat die Ehrenmedaille
des Kongresses bekommen - und das gleich zweimal!«
»Ich denke, wir sollten ein stilles Gebet zum Allmächtigen
hinaufschicken und Ihm dafür danken, daß dieser Mann
Amerikaner ist und kein Kommunist ...«
»Quatsch!« entfuhr es dem Außenminister. »Er ist das
Arschloch des Jahrtausends. Um sich diese Auszeichnung zu
holen, kommt er von überallher angelaufen ... Das heißt also
Schweden, und alles weist nach Norden! Ein Flieger, der
irgendwo verlorengeht - in Lappland, Sibirien, der Tundra, ist
doch egal, wo.«
»Trotz Ihrer wüsten Flucherei, Warren - wenn Sie Norden
sagen, dann hat das den Klang der reinen Wahrheit, unserer
Wahrheit ... Was kann ich jetzt also für Sie tun, Mr. Secretary?«
»Zunächst einmal: Finden Sie heraus, wie wir an den Offizier
kommen, der diese Schauspieler unter sich hat! Und dann
-3 7 3
lassen Sie eine Maschine startklar machen, die mich nach Fort
Henning runterbringt ... Perfekt!«
Die beiden Leihwagen rasten auf der Route 93 Richtung
Boston. Den ersten lenkte Paddy Lafferty, rund eine Meile
hinter ihnen den zweiten seine Frau. Aaron Pinkus saß vorn bei
seinem Chauffeur, Sam Devereaux, seine Mutter und Jennifer
Redwing hinten auf dem Rücksitz, die indianische Juristin
übrigens zwischen Mutter und Sohn. Im zweiten Fahrzeug fuhr
General MacKenzie Hawkins vorn zusammen mit Mrs. Lafferty,
während Desi-Eins und -Zwo auf dem Rücksitz mit einem
Kartenspiel, das sie aus der früheren Skihütte hatten mitgehen
lassen, Blackjack spielten.
»Jetzt hör mir mal gut zu, meine Kleine«, sprach die füllige Erin
Lafferty mit den feingeschnittenen keltischen Zügen in das
Autotelefon. »Du sorgst dafür, daß unser kleiner Sonnenschein
eine schöne Schüssel Haferflocken mit frischer Milch bekommt,
nicht die entrahmte, wie Großvater sie trinkt, und unser
Zuckerpüppchen bekommt zwei Arme Ritter, hörst du? Zwei
Scheiben Weißbrot in Milch und Ei einweichen, zwei Eiern,
hörst du, und schön goldbraun braten, verstanden? Na gut,
meine Kleine: Ich ruf später noch mal an.«
»Ihre Kinder?« erkundigte sich der Falke etwas unbeholfen, als
Mrs. Lafferty das Telefon wieder einhängte.
»Sie ticken wohl nicht richtig, Mann oder? Sehe ich aus wie 'ne
Frau mit zwei kleinen Kindern?«
»Ich habe nur Ihr Gespräch mit angehört, Madame ...«
»Das war meine jüngste, Bridget, die auf die Kinder meines
Ältesten, nein, meines Zweitältesten, aufpaßt, während die
beiden Brechmittel von Eltern auf Reisen sind ... ist es zu
fassen? Auf einer Kreuzfahrt?«
»Hatte Ihr Mann was dagegen?«
»Woher soll ich das wissen? Dennis-Boyo ist ein bedeutender
Buchhalter mit all den vielen Buchstaben nach seinem Namen.
Er macht unsere Steuern.«
»Ich verstehe.«
-3 7 4
»Möge der Teufel Parfüm furzen! Daß ich nicht lache! Man sollte nie Kinder kriegen, die mehr auf dem Kasten haben als man selbst. Dann muß man nämlich blechen bis zum Gehtnichtmehr.« Das Autotelefon summte. Mrs. Lafferty nahm ab. »Was gibt's, Bridgey? Du kannst den Kühlschrank nicht finden, Mädchen? ... Ach so, du bist's, Paddy-Darling. Dir möchte ich am liebsten den Kopf in ein Faß mit Altöl stecken.« Erin Lafferty reichte Hawkins das Telefon. »Paddy sagte, Mr. Pinkus möchte Sie sprechen.« »Vielen Dank, Madame. ... Commander?« »Nein, hier spricht immer noch Paddy, Großer General. Ich verbinde Sie sofort mit dem Boß. Ich wollte Ihnen nur sagen, kümmern Sie sich nicht um das Gerede meiner Frau. Sie ist eine gute Haut, aber einen richtigen Nahkampf hat sie nie erlebt, wenn Sie verstehen, worauf ich hinauswill.« »Ich verstehe, Kanonier. Doch ich an Ihrer Stelle würde verdammt noch mal dafür sorgen, daß der kleine Sonnenschein seine Haferflocken auch mit richtiger Milch kriegt und das Zuckerpüppchen ihre Armen Ritter mit zwei Eiern!« »Ach, sie ist wieder bei ihrer Frühstückstirade, stimmt's? Großmütter können einem wirklichen den letzten Nerv rauben, General ... Aber jetzt kommt Mr. Pinkus.« »General?« »Commander? Wie sieht's mit den Koordinaten auf der Karte aus?« »Mit den was? Ach so, wohin die Reise geht? Ja, nun, ich habe gerade arrangiert, daß wir alle im Sommerhaus meines Schwagers in Swampscott unterkommen. Es liegt am Strand, ist recht schön, und da er und Shirleys Schwester gerade in Europa sind, steht es ohnehin leer.« »Gut gemacht, Commander Pinkus. Ein behagliches Biwak ist immer gut für die Moral der Truppe. Haben Sie eine Adresse? Ich müßte sie weitergeben an Little Joseph in Boston, wo ja unsere Verstärkung bald eintreffen dürfte.« »Das Anwesen nennt sich >Old Worthington Estate< und liegt an der Beach Road. Heutiger Besitzer ist Sidney Birnbaum. Welche Hausnummer es hat, weiß ich nicht, aber die ganze
-3 7 5
Vorderfront ist königsblau gestrichen, was Shirleys Schwester
so ausnehmend gut gefallen hat.«
»Das reicht, Commander Pinkus. Unsere Verstärkung wird
zweifellos aus einer Eliteeinheit ausgewählt, und die finden das
bestimmt. Noch etwas?«
»Sagen Sie Paddys Frau einfach, wo wir hinwollen. Sollten wir
getrennt werden - sie kennt den Weg.«
Der Falke gab alles weiter, was von Erin Lafferty
folgendermaßen prägnant begrüßt wurde: »Ach, der Herr Jesus
selbst sei gepriesen! Da hab ich's dann endlich wieder mal mit
den koscheren Jungs zu tun, und eines lassen Sie sich von mir
gesagt sein, General, die wissen wirklich, wo es das beste
Fleisch und das frischeste Gemüse gibt.«
»Dann darf ich davon ausgehen, daß Sie schon mal
dagewesen sind?«
»Mal dagewesen? Erzählen Sie das nie meinem Pfarrer, aber
der großartige Sidney und seine liebe Frau, Sarah, haben mich
zur Patin ihres kleinen Joshua gemacht - natürlich nach
jüdischem Ritus, Sie verstehen. Josh ist für mich wie eins von
meinen eigenen Kindern, und Paddy und ich beten unablässig,
daß er und Bridgey es zusammenkriegen, wenn Sie wissen,
was ich meine.«
»Hätte Ihr Pfarrer denn was dagegen?«
»Was weiß der denn schon? Der trinkt all diese französischen
Weine und langweilt uns mit seinen Traktätchen zu Tode. Ein
Verlierer!«
»Der Schmelztiegel, wie man ihn sich besser nicht denken
kann«, sagte der Falke leise. »Haben Sie jemals daran
gedacht, für das Amt des Papstes zu kandidieren?« fügte er
dann noch stillvergnügt glucksend hinzu. »Ich kannte mal
einen, der dachte genauso wie Sie.«
»Gott sei bei uns! Eine dicke dumme Irin wie ich und an so was
auch nur denken?«
-3 7 6
»Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich
besitzen - und außerdem ruht auf ihren Schultern die Moral der
gesamten Menschheit.«
»He, Sie! Wollen Sie etwa mit mir schäkern? Wenn Sie das tun,
bricht mein Paddy Ihnen das Genick.«
»So was würde mir im Traum nicht einfallen, Madame«, erklärte
der Falke und betrachtete Erin Lafferty im Profil. »Außerdem
bin ich sicher, daß er das könnte«, setzte der Soldat noch
hinzu, der möglicherweise der tüchtigste Nahkampf-Offizier war,
den es jemals gegeben hat. »Natürlich könnte er mich
vernichten.«
»Naja, auch er kommt allmählich in die Jahre, aber bis jetzt ist
er immer noch bärenstark.«
»Er hat Sie, und das ist weit wichtiger.« »Was soll das heißen,
Jungchen? Ich bin eine alte Frau, verdammt noch mal!«
»Und ich bin ein älterer Mann - wobei eines mit dem anderen
nichts zu tun hat. Ich habe nichts weiter gesagt, als daß ich
mich freue, Sie kennengelernt zu haben.«
»Sie bringen mich ganz durcheinander, soldier-man!« Erin
Lafferty trat das Gas bis zum Boden durch, und der Wagen
schoß voran.
Wolfgang Hitluh, geborener Billy-Bob Bayou, kam durch den
Ausgang und folgte den Zeichen auf dem breiten Korridor bis
zur Gepäckausgabe des Logan Airport in Boston. Als einer der
hoch-, wenn auch aus undurchsichtigen Quellen bezahlten
Angehörigen der von Manpower Plus Plus rekrutierten
Einsatzgruppe sollte er sich auf dem Parkdeck gegenüber vom
Taxistand mit seinen beiden »Kameraden« treffen. Als
Erkennungszeichen war verabredet, daß er ein
zusammengefaltetes Wall Street Journal mit etlichen rot
umrandeten Artikeln in der Hand halten sollte. Wäre er auf den
Job nicht so dringend angewiesen gewesen, er hätte aus
Prinzip abgelehnt. Das Journal gehörte als weithin bekanntes
Symbol zusammen mit neunundneunzig Prozent aller anderen
Presseerzeugnisse des Landes verbrannt - zuerst und
zuförderst die Amsterdam News und Ebony, die in und für
-3 7 7
Harlem herausgebracht wurden; und Harlem war nun mal im
gleichen Maße ein Nährboden für nichtsnutzige schwarze
Krawallbrüder wie die Wall Street ein tückisches und
schwerbewaffnetes Bollwerk der jüdischen Hochfinanz war. Zu
seinem Leidwesen war Wolfgang auf den Job angewiesen, da
ihm die Fürsorgeschecks von einem üblen schwarzen Beamten
des Arbeitsamts gestrichen worden waren, was ihn genötigt
hatte, seine Prinzipien Prinzipien sein zu lassen, die
zweihundert Dollar Vorschuß zu kassieren und das Flugticket
anzunehmen.
Er wußte nur, daß er und seine beiden Kameraden eine Gruppe
von sieben Leuten beschützen sollten, die sich irgendwo
versteckt hielten. Was bedeutete, daß sechs Söldner über vier
Zivilisten wachten - ein Stück Strudel, wie er ihn im Laufe seiner
gloriosen beiden Monate Trainingsaufenthalt in den
bayerischen Bergen unter Führung eines hohen Tieres aus
dem Dritten Reich lieben gelernt hatte. Wolfgang Hitluh, das
Wall Street Journal in der einen Hand, die Reisetasche in der
anderen, ging dem Verkehr aus dem Weg und überquerte die
nicht überdachten beiden Zufahrtswege, die zum Parkdeck
hinüberführten. Vor allem nicht auffallen! dachte er, als er durch
das spätnachmittägliche Sonnenlicht auf die riesige Garage
zuging. Alles war laut Manpower Plus Plus so geheim, daß er
nicht mal dem Führer einen Trip hätte geben können, falls es
den noch geben sollte, was durchaus im Bereich des Möglichen
lag. Bei dem Auftrag ging es offensichtlich um den Schutz so
hoher Beamter, daß die Regierung sich nicht auf die schlappen
nichtarischen Typen verlassen konnte, die den Geheimdienst
unterwandert hatten ... Wo waren seine Kameraden? fragte er
sich.
»Du Wolfy?« fragte ein riesiger Schwarzer, der sich aus dem
Schatten eines kreisrunden Betonpfeilers löste und auf Hitluh
zuging.
»Was?... Wer? Was haben Sie gesagt?«
»Hast mich schon verstanden, Knirps! Schließlich hast du die
Zeitung in der Hand, und die rote Tinte iss auch drauf.«
-3 7 8
Lächelnd streckte der schwarze Gigant ihm die Hand hin. »Nett,
dich kennenzulernen, Wolf ... übrigens ein Wahnsinnsname.«
»Ja ... ist es wohl.« Der Nazi erwiderte den Händedruck, als
könnte die Hand des Schwarzen ihn mit einer unheilbaren
Krankheit infizieren.
»Klingt nach 'm Riesenjux, brother.«
»Brother?« »Hier«, fuhr der Riese von einem Mann fort und
wies handwedelnd nach hinten, »möchte ich dir unseren
Partner vorstellen - und laß dich von seinem Äußeren nicht
abschrecken. Nachdem wir den Ausbruch hinter uns hatten,
konnte er es gar nicht abwarten, wieder in seine üblichen
Klamotten zu kommen. Ich sag dir, Wolfy, du würdest es nicht
glauben, wie diese alten Wahrsagerinnen und ihre verrückten
schnauzbärtigen Männer reden.« »Wahrsagerinnen ...?«
»Komm schon raus, Roman! Das hier ist Wolfy.« Eine zweite
Gestalt trat aus dem Schatten des Pfeilers heraus, ein
muskelbepacktes Mannsbild mit wallender orangenfarbener
Bluse, einer blauen Schärpe um die Hüften über hautengen
schwarzen Hosen und dunklen Ringellöckchen auf der Stirn: Zu
alledem trug der Mann einen einzelnen goldenen Ohrring. Ein
Zigeuner, dachte Wolfgang. Die Geißel der Balkanländer.
»Hallo, Mr. Wolfowitz!« kam es von dem Mann mit dem
goldenen Ring im Ohr und den unter dunklem Schnauz
blendend weiß blitzenden Zähnen - das genaue Gegenteil
dessen, was Wolfgang sich unter einem Kameraden vorstellte.
»An der Form deiner Aufgaben kann ich erkennen, daß dir ein
langes Leben mit vielen finanziellen Erfolgen beschieden ist!
Für diese kostbare Information brauchst du nicht zu bezahlen
wir arbeiten schließlich zusammen, no?«
»Ach, großer Führer, wieso hast du mich verlassen?« flüsterte
Hitluh nur für sich selbst bestimmt und schüttelte seinem
Gegenüber wie abwesend die Hand.
»Was hast du da eben gesagt?« fragte der schwarze Riese und
legte ihm seine kräftige Pranke auf die Schulter.
»Nichts, ach, nichts! Seid ihr sicher, daß das kein Fehler ist? Ihr
kommt beide von Manpower Plus Plus?«
-3 7 9
»Ja, woher sonst, brother? Und nach allem, was Roman und ich uns so denken, wird das ganze Unternehmen eine Kinderspiel. Ich heiße übrigens Cyrus - Cyrus M. Und mein Kumpel hier, das ist Roman Z., und du bist Wolfy H. Selbstverständlich fragen wir nie, wofür die Abkürzungen eigentlich stehen - was allerdings auch nichts ausmachte, wenn wir es erführen, weil schließlich jeder von uns einen Haufen verschiedener Namen führt, hab ich nicht recht, brother?« »Jawohl!« Wolfgang nickte, dann erbleichte er. »Ich mein, du hast hundertprozentig recht, Bruder.« »Was?« »Brother«, setzte Hitluh augenblicklich und entschuldigungs-heischend hinzu. »Brother, meine ich, brother.« »Reg dich bloß nicht auf, Wolfy. Ich verstehe dich ja. Ich
spreche deutsch.«
»Wirklich?«
»Ja, aber natürlich. Warum, meinst du wohl, bin ich im Knast
gewesen?«
»Weil du deutsch sprichst?«
»So in etwa, Kleiner«, sagte der dunkelhäutige Gigant.
»Verstehst du, ich war Chemiker in Regierungsdiensten. Die
haben mich nach Bonn ausgeliehen, an ein Unternehmen in
Stuttgart, wo ich bei einem Düngemittelprojekt mitarbeiten sollte
- bloß waren das gar keine.« »Waren nicht was?« »Düngemittel ... Schon richtig, Mist war es, nur keine Düngemittel, sondern Grundstoffe für ein Gas - ein höchst ungesundes Gas. Das in den Mittleren Osten exportiert werden sollte.« »Mein Gott! Aber vielleicht gab es gute Gründe ...« »Aber klar doch: Bargeld und den Tod vieler Menschen, von denen die Bosse meinten, auf die kam's ohnehin nicht an. Drei von ihnen erwischten mich eines Abends, als ich gerade dabei war, die endgültige Zusammensetzung zu analysieren. Mit dem Ruf Nigger stürmten sie auf mich zu, zwei mit geladener Pistole ... Und das war's dann.« »War was?«
-3 8 0
»Ich warf alle drei von den wildgewordenen Krauls in die Fässer - was zur Folge hatte, daß sie bei der Verhandlung, als ich auf Selbstverteidigung plädierte, nicht vor Geric.-t erscheinen konnten ... Im Interesse guter diplomatischer Beziehungen haben sie mich dann zu fünf Jahren Knast hier bei uns statt satten fünfzig dort drüben verdonnert. Ich fand, drei Monate könnt ich mir schenken, und so bin ich gestern abend zusammen mit Roman getürmt.« »Aber wir sollen doch Söldner sein, keine Chemiker!« »Jeder
Mensch kann alles mögliche sein, Knirps. Um in sieben Jahren
zwei Universitäten zu durchlaufen, hab ich mir ab und zu 'n
paar Monate freigenommen. Angola, übrigens auf beiden
Seiten, Oman, Karachi, Kuala Lumpur. Ich werd dich bestimmt
nicht enttäuschen, Wolfy.«
»Mr. Wolfowitz«, fiel Roman Z. ihm in die Rede, dehnte die
orangegewandete Brust und erklärte: »Was du hier vor dir
siehst, ist der größte Messermann, dem du je begegnen wirst
ein Messermann übrigens, der eine lautlose Klinge führt. ...
Ritsch, ratsch, Parade, Stoß!« Begleitet wurden diese Worte
von wilden Gesten und wirbelnden Pirouetten, wobei die blaue
Schärpe durch die Luft sauste und die orangefarbene Bluse
sich blähte. »Da kannst du jeden fragen in den
serbokroatischen Bergen!«
»Aber du hast hier in Amerika im Gefängnis gesessen ...«
»Ich hab nun mal ein paar hundert ungedeckte Schecks
ausgestellt - was soll ich dir sagen?« erklärte Roman Z. mit
untröstlicher Stimme und flehend vorgestreckten Händen. »Ein
Mann kommt illegal ins Land, mit welchen Methoden auch
immer, trotzdem kommt er zu nichts in einem fremden Land,
das ihn nicht versteht.«
»So, Wolfy«, sagte Cyrus M. mit einer gewissen Endgültigkeit in
der Stimme. »Über uns weißt du Bescheid. Und wie steht es mit
dir?«
»Naja, Leute«, meinte Wolfgang Hitluh in breitestem
Südstaaten-Amerikanisch, »ich bin nun mal das, was gewisse
-3 8 1
Leute 'n gerissenen underground-Schnüffler ohne festen
Wohnsitz nenn.«
»Du bist also auch Südstaatler - ein Südstaatler, der Deutsch
kann«, unterbrach Cyrus ihn. »Das ist schon 'ne komische
Mischung.«
»Du hörst das raus?«
»Ich denk, das kommt, wenn du irgendwie aufgeregt bist,
Wolfy. Warum überhaupt, Kleiner?«
»Das siehst du nicht richtig, Cyrus. Ich bin bloß heiß drauf,
endlich mit diesem Quatsch loszulegen.«
»Oh, das geht gleich los, da kannst du deinen Knackarsch
drauf wetten! Es ist ja bloß so, daß wir vorher gern noch 'n
bißchen was über unseren Partner erfahren wollen. Schließlich
ist es so, daß einer das Leben in die Hand des anderen legt,
das kannst du doch verstehen Wolfy, oder? So, also erzähl mal,
wie 'n guter großer Junge wie du dazu kommt, Deutsch zu
können? Hat das mit deinen Underground-Tätigkeiten zu tun?«
»Damit liegst du genau richtig!« erklärte Wolfgang und zauberte
ein nichtssagendes, wie erstarrt wirkendes Grinsen auf die
Lippen. »Wißt ihr, man hat mich ausgebildet, all diese
deutschen Städte zu infiltrieren wie Berlin und München und
dort nach dreckigen Kommunistenschweinen zu suchen - aber
wißt ihr, wohinter ich dabei gekommen bin?« »Nein, wohinter
denn, mein Kleiner?«
»Ich bin dahintergekommen, daß unsere Regierung zwar groß
das Maul aufreißt, wenn's drauf ankommt aber einfach
wegsieht.« »Du meinst, wenn zum Beispiel all diese Kommunistenschweine um das Brandenburger Tor rumflanieren?« »Die hatten wirklich 'n Knall, das kann ich euch flüstern.« Wolfgang Hitluh wußte nicht, wie ihm geschah, als Cyrus M. ihn unvermittelt in den Schatten des Pfeilers riß und den Neo-Nazi mit einem einzigen Faustschlag bewußtlos schlug.
-3 8 2
»Warum, zum Geier, hast du das getan?« rief fassungslos der
blaubeschärpte Zigeuner und folgte seinem ehemaligen
Mithäftling ins Dämmerlicht.
»Ich riech diese Schwuchteln auf 'ne Meile Entfernung«,
erklärte der riesige schwarze Chemiker, hielt die
bewegungslose Gestalt von Wolfgang gegen den Stein und riß
dem Nazi die Reisetasche aus der rechten Hand. »Mach auf
und kipp den Inhalt auf den Boden.«
Roman Z. tat, wie ihm geheißen, und die blutrot gebundene
Ausgabe von Mein Kampf leuchtete unter dem anderen
Krempel wie ein riesiger roter Rubin. Der Zigeuner bückte sich
und hob das Buch auf. »Was machen wir jetzt, Cyrus?«
»Ich hab da gestern noch in der Zelle was im Radio gehört, was
mir ziemlich gefallen hat. Und ob du's glaubst oder nicht - es ist
ausgerechnet hier in Boston passiert.«
The Boston Globe
Nackter amerikanischer Nazi mit einer auf der Brust
festgebundenen Ausgabe von »Mein Kampf« auf den Stufen
eines Polizeireviers gefunden.
Boston, den 26. August. Gestern abend gegen zwanzig Uhr
zehn wurde der sich windende Körper eines nackten Mannes,
dem man den Mund mit breitem Packband verklebt und auf der
Brust mit demselben Material eine Ausgabe von Mein Kampf
festgeklebt hatte, von zwei Männern auf den Stufen des
Polizeireviers in der Cambridge Street abgelegt. Offenbar
handelt es sich um ein groteskes Beispiel kriminell-nudistischen
Treibens. Sieben Zeugen, die sich zur Tatzeit in unmittelbarer
Nähe aufhielten und sich weigerten, ihre Namen anzugeben,
berichteten, ein Taxi sei an den Straßenrand gefahren, und
zwei Männer - der eine knallbunt gekleidet, und der andere ein
ungewöhnlich groß gewachsener Schwarzer - hätten den
Nackten zur Treppe geschleppt, ihn dort hingeworfen, seien
wieder ins Taxi gestiegen und davongebraust.
Bei dem Opfer handelt es sich um einen gewissen Wolfgang A.
Hitluh, einen von der Staatsanwaltschaft gesuchten
amerikanischen Nazi, der unter dem Namen Billy-Bob Bayou in
-3 8 3
Serendipity Parish, Louisiana, geboren wurde und der dem Vernehmen nach zur Gewalttätigkeit neigt. Die Behörden stehen vor einem Rätsel. Mr. Hitluh beansprucht genau wie die vier Nackten, die man vor zwei Tagen auf dem Dach des RitzCarlton entdeckt hat, Immunität vor jeder Strafverfolgung. Er behauptet, an einer top-secret-Operation der Regierung beteiligt zu sein. Der Pressesprecher des FBI weist eine solche Möglichkeit weit von sich und erklärt statt dessen folgendes: »Wir gestatten unseren Agenten auf gar keinen Fall, sich ihrer Kleidung zu entledigen, möglichst nicht einmal ihrer Krawatten.« Ein Sprecher der CIA bestritt gleichfalls jegliches Wissen um Mr. Hitluhs Aktivitäten und gab folgende Erklärung ab: »Wie allgemein bekannt, verbietet uns die Satzung der Central Intelligence Agency von 1947, im Inland tätig zu werden. Wird jedoch, was selten genug vorgekommt, von den Bundesbehörden unsere Expertise gesucht, liegt es ausschließlich im Ermessen des Direktors, ob er dem nachkommt oder nicht, und wenn, geschieht es nur in Abstimmung mit dem Kongreß. Sollte der verstorbene und patriotische Vincent Mangecavallo in dieser Hinsicht irgendwelche Abmachungen getroffen haben, tauchen sie in unseren Unterlagen nicht auf. Diesbezügliche Anfragen sind folglich an den Kongreß zu richten.« The Boston Globe (Seite 72, Anzeigen) 26. August. Ein Abul Shirak, Center Avenue 3024, gehörendes Taxi wurde gestern am frühen Abend für kurze Zeit entwendet, während der Besitzer am Liberation Dinner teilnahm. Mr. Shirak meldete den Diebstahl der Polizei, um gegen 8.35 Uhr nochmals anzurufen und zu sagen, das Fahrzeug sei zurückgebracht worden. Von der Polizei befragt, konnte er sich nur erinnern, neben einem Mann in orangefarbener Seidenbluse gesessen zu haben, der einen goldenen Ohrring trug und ihn in eine lebhafte Unterhaltung verwickelte, danach habe er entdeckt, daß die Fahrzeugschlüssel fehlten. Der Vorfall wird nicht weiter verfolgt, da Mr. Shirak erklärt, er sei entschädigt worden.
-3 8 4
»Jetzt antworten Sie mir schon, Sie überkandidelt quatschender englischer cannoli!« ereiferte sich Vinnie Bum-Bum mit roter Perücke auf dem Kopf in einem Münzfernsprecher an der Collins Avenue in Miami Beach, Florida. »Was, zum Donnerwetter, ist geschehen?« »Vincenzo, nicht ich habe diesen Wahnsinnigen gesucht, sondern Sie«, verteidigte sich die Stimme von SmythingtonFontini in seiner Suite im New Yorker Carlyle Hotel. »Vielleicht erinnern Sie sich, daß ich Sie vor dem Mann gewarnt habe.« »Er hat ja überhaupt keine Chance gehabt, irgendwas zu tun! Diese Irren kann man programmieren, ihren nackten Arsch in ein Bisamrattenloch zu stecken, bloß hat man ihn außer Gefecht gesetzt, bevor er seinen Arsch auch nur finden konnte!« »Was erwarten Sie von einem Schwarzen und einem Zigeuner, die man zusammen mit einem fanatischen Hitleranhänger vor einen Karren spannt?! Wenn ich mich recht erinnere, habe ich Sie darauf hingewiesen. Andererseits habe ich etwas Erfreuliches zu melden. Unsere beiden Leute erster Wahl haben Kontakt mit dem General aufgenommen, befinden sich momentan in einer neuen Unterkunft und haben Posten bezogen.« »Woher, verdammt noch mal, wissen Sie das?« »Weil Manpower Plus Plus angerufen und mich davon in Kenntnis gesetzt hat. Agent Cyrus M. hat sich aus einem Ort namens Swampscott gemeldet und erklärt, sie hätten alles unter Kontrolle, Er erwähnte außerdem, er lege keinen Wert darauf, vom General zum Field Colonel befördert zu werden. Sind Sie jetzt zufrieden, Vincenzo?« »Verdammt noch mal, nein! Haben Sie gelesen, was diese Wichser von der CIA über mich gesagt haben? Die haben behauptet, ich hätte all diese Arrangements treffen können, ohne irgend jemandem was davon zusagen. Was für ein Unsinn!« »Das ist doch nichts Neues, Vincenzo. Niemandem kann man besser Schuld in die Schuhe schieben als einem Toten - falls es da so etwas wie Schuld gibt. Und selbst wenn -3 8 5
Sie draußen auf den Dry Tortugas Auferstehung von den Toten
feiern, werden sich die Dinge nicht geändert haben. Sie haben
es getan.«
»Aber nur durch Sie!«
»Ich bin unsichtbar ... Bum-Bum. Von nun an, falls Sie
vorhaben, die Dry Tortugas wieder zu verlassen, arbeiten Sie
nur noch für mich, capisce? Sie sitzen in der Tinte, Vincenzo.
Ziehen Sie Ihre Sachen an der Wall Street durch, mein Freund.
Für mich ist da ein Megagewinn drin ... und für Sie - nun, das
entscheiden wir später.«
»Mamma mia!«
»Gut gesagt, Freundchen!«
-3 8 6
19. KAPITEL Vom riesigen Wohnzimmer im Sommerhaus der Birnbaums
hatte man durch eine Reihe von Schiebetüren, die auf eine die
gesamte Länge des Hauses sich erstreckende Terrasse
hinausgingen, einen großartigen Blick auf Strand und Meer. Der
Morgen graute, der Himmel war bedeckt, der Ozean
aufgewühlt, das Wasser brodelte, und die kurzen, kraftvollen
Wellen warfen sich mit einem Ärger eigener Art auf den Strand.
»Was soll so ein Tag schon bringen!« sagte Sam Devereaux,
der mit einem Becher Kaffee aus der Küche trat.
»Ja, sieht nicht besonders vielversprechend aus«, bestätigte
ihm der riesige Schwarze, der ihnen allen gestern abend als
Cyrus M. vorgestellt worden war. »Sind Sie die ganze Nacht
über wach geblieben?« »Gewohnheitssache, Herr Anwalt. Ich
kenne zwar Roman Z., aber die beiden Puertoricaner, Desi-
Eins und -Zwei - na, hören Sie mal, was für komische
Decknamen sind denn das?« »Und was für ein Deckname ist
Cyrus M.?« »Eigentlich heiße ich Cyril, und das M. steht für
meine Mama, die mir verraten hat, wie man es schafft, aus
einem Sumpfloch im Mississippi-Delta rauszukommen. Bücher
gehörten zwar auch dazu, aber ich kann Ihnen versichern, mehr
als alles andere hat da Zähigkeit gezählt.«
»Sie hätten Footballprofi werden können, würde ich meinen.«
»Oder Baseballspieler oder Boxer, Ringer oder Kraftmensch
beim Zirkus? Hören Sie mir auf, Mr. Lawyer, das ist doch alles
Käse. Wenn man da nicht absolute Spitze ist, holt man sich nur
'ne weiche Birne und dann wird's ganz zappenduster. Und eins
können Sie mir glauben: Wirklich Spitze hätte ich da nie werden
können; dazu war ich nicht genug mit dem Herzen dabei
gewesen.«
»Sie scheinen ein gebildeter Mann zu sein.« »Ich bin zur
Schule gegangen.«
»Und mehr wollen Sie mir nicht verraten?«
-3 8 7
»Damit das ein für allemal klar ist, Anwalt: Man hat mich zu
Ihrem Schutz angeheuert, nicht, damit ich Ihnen meine
Lebensgeschichte erzähle«, sagte Cyrus nicht unfreundlich.
»Okay, tut mir leid ... Wie sehen Sie denn die augenblickliche
Lage? Wo das doch dasjenige ist, wofür wir Sie bezahlen?«
»Ich habe das Gelände gründlich und von allen Punkten am
Strand aus erkundet, durch die Dünen rauf bis zur Straße. Wir
sind hier zwar verwundbar, aber ab Mittag wohl nicht mehr.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich hab die Firma angerufen - die Firma, die mich anheuert
und hab denen gesagt, sie sollen schnellstens sechs mit
Lithiumbatterien betriebene Stolperdrahtanlagen mit hüfthohen
Antennen herfliegen; die verschwinden im hohen Gras und
decken den Strandabschnitt ab.« »Was um alles in der Welt soll
das denn heißen?« »Das bedeutet, daß jeder sich bewegende
Gegenstand über fünfzig Pfund, der durch diese Strahlen
hindurch will, Alarmglocken auslöst, die man mindestens fünf
Meilen im Umkreis hört.«
»Sie verstehen was von Ihrem Job, Cyrus M.«
»Hoffentlich Sie auch was von dem Ihren«, murmelte der
Bewacher, hob einen Feldstecher an die Augen und suchte das
Gelände ab.
»Das ist eine sonderbare Bemerkung.«
»Sie meinen vermutlich, eine unverschämte.« Cyrus' Grinsen
war trotz des Fernglases zu erkennen.
»Yeah, könnte man vielleicht sagen, aber sonderbar ist sie
auch. Hätten Sie was dagegen, mir zu erklären, was Sie damit
meinen?«
»Ich bin vermutlich älter, als Sie denken, Mr. D., und ich habe
ein ziemlich gutes Gedächtnis.« Cyrus stellte den Fokus seines
Fernrohrs ein und fuhr ruhig und leise fort: »Als wir gestern
abend miteinander bekanntgemacht wurden, wobei wir uns
natürlich mit unseren noms de guerre vorstellten, und vom
General unsere Instruktionen erhielten, mußte ich unwillkürlich
ein paar Jahre zurückdenken ... Da ich selbst eine gewisse Zeit
-3 8 8
dort verbracht habe, fesseln mich alle Zeitungsnachrichten über den Fernen Osten. Ihr General ist derselbe, den sie aus China ausgewiesen haben, weil er irgend so ein Nationaldenkmal in Peking entweiht hat, stimmt's? Jetzt fällt mir sogar der Name wieder ein: General MacKenzie Hawkins, was bestens zu Commander H. paßt, wozu noch kommt, daß Sie alle ihn >General< nennen, die Sache mit dem militärischen Rang also ziemlich offenkundig ist. Er ist es, jawohl, derselbe General, der mit seinem chinesischen Verfahren ganz Washington hat rotieren lassen.« »Ohne auch nur ein Wort von dem bestätigen zu wollen, was Sie sich da aus den Fingern gesogen haben - worauf wollen Sie hinaus?« »Nun, ich setze all das in Beziehung zu der Art und Weise, wie man mich für diese Aufgabe angeworben hat.« Cyrus strich mit dem Fernglas langsam das ganze Gelände ab, wobei sich sein großer Kopf und die Schultern bewegten wie der belebte Torso einer eindrucksvollen Statue, die sich trotz der schön gemeißelten Umrisse recht bedrohlich ausnahm. »Verstehen Sie, ich habe für diese Firma über die Jahre immer wieder gearbeitet, früher, wie ich gern zugebe, wesentlich häufiger als heute, aber ich kenne sie und weiß, daß die Grundregeln sich nicht ändern. Bei jedem normalen Auftrag hätte man uns einen kurzen, aber niemals so oberflächlichen Oberblick gegeben.« »Was bedeutet das, genau gesprochen?« »Namen, Hintergründe, rasche verbale Pinselstriche, um das Wesen der Aufgabe deutlich zu machen ...« »Warum?« unterbrach Sam ihn. »He Mister«, sagte Cyrus leise, senkte den Feldstecher und sah Sam an. »Jetzt spielen Sie aber wirklich den Anwalt, oder?« »Da Sie offensichtlich wissen, welchen Beruf ich ausübe, was erwarten Sie da anderes? Wie sind Sie übrigens darauf gekommen?« »Nachts sind alle Katzen grau«, erwiderte der Bewacher und gluckste vergnügt in sich hinein. »Sie könnten es nicht verhehlen, selbst wenn Sie stumm wären« »Sie haben mich gehört?« »Sie alle drei - den alten Herrn, die braunhäutige -3 8 9
Lady, die keine Sonne braucht, um so auszusehen, und Sie.
Wenn Sie sich erinnern: Der General hat mir gestern abend
befohlen, mich mehrere Stunden auf dem Gelände umzusehen
und vor allem die Zugangswege zu erkunden. Sie drei blieben
noch auf, nachdem ihre Mutter - zumindest glaube ich, daß es
ihre Mutter ist - und >Commander H.< zu Bett gegangen waren.
Sagen wir mal: Ich selbst habe im Laufe meines
Erwachsenenlebens immer wieder mal mit der Jurisprudenz zu
tun gehabt, weiß also Bescheid, wenn ich Anwälte reden höre.«
»Nun gut«, räumte Devereaux ein. »Aber noch mal zu meiner
ersten Frage: Warum werden Leute, die nur vorübergehend
angeheuert werden, was ihre Aufgabe betrifft, normalerweise
so umfassend eingewiesen?«
»Weil wir nicht einfach Nachtwächter sind, sondern Söldner ...«
»Sie sind was?« schrie Devereaux förmlich.
»Ausgebildete Kämpfer, die sich für entsprechenden Sold
anheuern lassen - und bitte, werden Sie nicht so laut!«
»Oh, mein Gott!« Unglücklicherweise zuckte Devereaux bei
diesem absolut an die falsche Adresse gerichteten Stoßseufzer
dermaßen zusammen, daß er sich fast seinen ganzen Kaffee
über die Hose verschüttete. »Himmel, ist der heiß!«
»Das hat anständiger Kaffee so an sich.«
»Halten Sie den Mund!« rief Sam laut, beugte sich vornüber
und versuchte vergeblich, die an der Haut klebende Hose
abzuziehen. »Söldner!«
»Sie haben es gehört, und damit haben Sie praktisch auch die
Antwort auf Ihre erste Frage: Warum wir so umfassend in
unsere Aufgabe eingewiesen werden ... Natürlich geht man,
einem allgemeinen Vorurteil entsprechend, üblicherweise
davon aus, daß Söldner für den allmächtigen Dollar jede
Aufgabe übernehmen, aber das stimmt nicht. Wenn es weiter
keine Rolle spielt, kämpfe ich auch schon mal auf beiden
Seiten, spielt es aber eine Rolle, bin ich nicht bereit, die Seiten
zu wechseln. Ich übernehme den Job dann einfach nicht. ...
Und wenn mir die Leute, mit denen ich zusammenarbeiten soll,
-3 9 0
nicht geheuer sind, lehne ich gleichfalls ab - was übrigens der
Grund ist, warum uns die dritte Wache fehlt.«
»Es sollte also noch jemand kommen?« »Er ist nicht hier, also
möchte ich mich darüber auch nicht weiter auslassen.«
»Okay, okay. « Devereaux straffte sich und fuhr so würdevoll,
wie es ihm unter den gegebenen Umständen möglich war, fort:
»Das bringt mich zu meiner zweiten Frage, die - ja, um was
ging es da noch?«
»Sie haben sie nicht gestellt, Mr. Lawyer ... Man hat uns also
nichts weiter gesagt, als daß Sie zu siebt wären - drei Militärs,
wobei uns letzteres die Aufgabe versüßen sollte. Kein Wort
über die Umstände, keine Beschreibung möglicher Gegner,
nicht die Bohne von Politik - Politik im weitesten Sinne, wie
etwa die Frage von Legalität und Illegalität eines
Unternehmens. Nichts außer Zahlen, die bedeutungslos sein
konnten. Sagt Ihnen das irgend etwas?«
»Das, was auf der Hand liegt«, erwiderte Sam. »Offensichtlich
sollen die Umstände, die diesen Auftrag umgeben, geheim
bleiben.«
»Das mag, regierungsamtlich gesprochen, als Erklärung
genügen; aber söldnerisch, wenn Sie so wollen, reicht es eben
nicht. Gegen hohes Entgelt gehen wir hohe Risiken ein, aber
wir sind nicht verpflichtet, im Dunkeln zu operieren. So was
mag für Geheimdienstler mit festem Dienstvertrag sein, die
getarnt nach Kambodscha oder Tanganjika eindringen und die,
sollten sie fallen, das Glück haben, daß ihre Familien die volle
Pension ausbezahlt bekommen. Begreifen Sie jetzt allmählich,
wo der Unterschied liegt?«
»Bis jetzt hatte ich keine Schwierigkeit, Ihnen zu folgen, ich
weiß nur nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Dann will ich es deutlicher sagen. Die fehlenden Seiten dieses
Szenarios lassen eine oder auch zwei Deutungsmöglichkeiten
zu. Erstens: Es handelt sich um eine Regierungsintervention,
die nicht von ganz oben abgesegnet worden ist, was bedeutet,
daß keiner etwas wissen kann und jeder, der es doch tut
stehe er nun in Regierungsdiensten oder nicht - im Zuchthaus
-3 9 1
Leavenworth oder auch in einem Säurefaß landen kann. Und
die zweite Möglichkeit ist womöglich noch weniger verlockend.«
»Sagen Sie schon!« forderte Devereaux ihn auf und suchte
begierig in dem neutralen Gesicht von Cyrus M. nach
irgendeiner Regung, die ihm weitergeholfen hätte.
»Ein Unternehmen Lackmeier.«
»Lackmeier ...?«
»Jawohl, ein Unternehmen, bei dem man hinterher als der
Gelackmeierte dasteht, wobei so was nicht immer glimpflich
abgeht, möglicherweise sogar tödlich endet. Es gibt einen
Spezialausdruck dafür: So was nennt man dann einen
>Dauerlackmeier<.«
»Einen Dauer ...!«
»Eine Lackmeierei, von der man sich nie wieder erholt.« »Sie
meinen ...?«
»Dum-dideldum, dum-dideldum, dum-dideldum,«, summte der
riesige Söldner.
»Was?« rief Sam.
»Bitte, nicht so laut ... Ich versuche nur, die zweite Möglichkeit
zu erklären. Man baut einen Schutzwall auf, um die wahre
Absicht dahinter zu verbergen. Die eigentliche Ausführung.«
»Himmelherrgott noch mal! Warum erzählen Sie mir das alles?«
»Weil es sein kann, daß Roman Z. und ich aus der ganzen
Sache aussteigen.«
»Warum?«
»Der dritte Söldner, den sie geschickt haben, hat mir nicht
gefallen. Aber mal abgesehen davon: jetzt, wo ich weiß, wer
Commander H. ist, ist mir klar, daß es jemand wirklich auf ihn
abgesehen haben muß, vielleicht auf jeden einzelnen, der in
dieser Sandkiste mitspielt. Sie mögen ja alle Irre sein, aber
nach dem, was ich so sehe, haben Sie das alles nicht verdient,
besonders die Frau nicht, und deshalb möchte ich am liebsten
nichts damit zu tun haben ... Ich werde die
Lithiumstolperdrahtanlage, wenn sie denn kommt, aufbauen,
und dann werde ich noch mal drüber nachdenken.«
-3 9 2
»Mein Gott, Cyrus ...«
»Ich dachte, ich hätte Stimmen und auch den einen oder
anderen Aufschrei gehört!« sagte Jennifer Redwing und trat mit
einem Becher Kaffee aus der Küche heraus. »Sam
Devereaux!« empörte sie sich dann laut mit einem Blick auf die
Hosen des Anwalts. »Du hast es wieder gemacht!«
Die sechs Männer standen im Alter zwischen sechsundzwanzig
und fünfunddreißig Jahren, einige hatten mehr als nur
schütteres Haar und waren größer oder kleiner als andere, und
dennoch gab es ein Merkmal, das sie alle gemeinsam hatten.
Jedes Gesicht hatte ein bestimmtes unverkennbares
»Aussehen«, egal ob nun mit scharfen oder weichen Zügen,
stechenden oder eher neutralen Augen - jedem Gesicht eignete
etwas Unmittelbares, etwas, sagen wir es ruhig, Theatralisches.
Außerdem hatten sie durch die Bank einen durchtrainierten
Körper. Das lag an den langen Jahren, da sie Degenkämpfe
einstudiert und akrobatische Übungen gemacht hatten, Tanz
(modernen Tanz und klassisches Ballett), Kriegskünste (Stunt-
Honorar entsprechend dem Tarif der
Filmschauspielergewerkschaft), stiere Blicke und unbeholfene
Bauchlandungen (insbesondere in Charakterkomödien und
Possen) und die Kunst, sich im Kostüm zu bewegen
(besonders wichtig bei Shakespeare und den griechischen
Tragikern). Schließlich waren ihre Stimmbänder durchweg auf
höchsten Umfang und größte Lautstärken getrimmt, mußten sie
firm sein in x Dialekten (letzteres unumgänglich bei
überregionalen Werbespots, die regional synchronisiert
wurden). Es handelte sich um Schauspieler, diese bis aufs Blut
gepeinigten und am meisten mißverstandenen Menschen auf
der Erde - besonders, wenn sie kein Engagement hatten, also
arbeitslos waren. Kurz gesagt: Sie waren einzigartig.
Aber auch ihre Einheit stellte in den Annalen verdeckter
Unternehmungen etwas Einzigartiges dar. Ursprünglich
aufgestellt hatte sie ein älterer G-Zwo-Colonel in Fort Benning,
der süchtig war nach allem, was mit Film, Fernsehen und
Theater zu tun hatte. Es war vorgekommen, daß er ganze
Nachtübungen abblies, bloß weil sie sich mit einem Film
-3 9 3
überschnitten, den er in Pittsfield, Phoenix oder Columbus unbedingt sehen wollte. Dem Vernehmen nach forderte er sogar Lufttransport an, um sich gewisse Stücke in New York oder Atlanta anzusehen. Da jedoch am mühelosesten verfügbar, war das Fernsehen sein ganz persönliches Rauschmittel. Seine vierte Frau bestätigte im Scheidungsverfahren, daß er nächtelang vor dem Apparat saß, bisweilen bis zu drei Spätfilme gleichzeitig ansah und dabei per Fernbedienung ständig hin- und herschaltete. So war es nicht weiter verwunderlich, daß seine Phantasie gleich auf Hochtouren lief, als eines Tages sechs Schauspieler in Fort Benning aufkreuzten, die allesamt der SchauspielerGewerkschaft Equity angehörten. Einige seiner Offizierskameraden behaupteten, damals hätte er endgültig den Verstand verloren. Während der Grundausbildung ließ er keinen der sechs Männer aus den Augen, überwachte sie, bewunderte ihre physische Leistung ebenso wie ihre ausgeprägte Neigung, in einer Gruppe immer sofort die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, letzteres allerdings stets auf angenehme Weise. Ihm lief ein ehrfürchtiger Schauder über den Rücken, wenn er Zeuge wurde, wie jeder von ihnen instinktiv und auf völlig natürliche Weise mit seiner unmittelbaren, ständig sich verändernden Umgebung eins wurde. Da konnte einer mit Rekruten aus der Großstadt eben noch Straßenjargon sprechen, um sich gleich darauf den Jungen vom Lande gegenüber ländlich-sittlich auszudrücken. Colonel Ethelred Brokemichael - ehedem Brigadier General Brokemichael, bis dieser elende Harvard-Hengst im Büro des Generalinspekteurs ihn in Südostasien fälschlich des Drogenhandels bezichtigte! Drogen? Ausgerechnet er, der eine Coke nicht von einer Cola unterscheiden konnte! Er hatte nur dafür gesorgt, daß der Transport von medizinischem Nachschub leichter vonstatten ging, und als man ihm Geld dafür bot, das meiste davon Waisenhäusern gespendet und nur einen kleineren Betrag für spätere Theaterkarten beiseitegelegt. Was er mit diesen Schauspielern vorhatte, wußte er, als er -3 9 4
endlich wieder jenen Rang bekleidete, den er so sehr verdiente. (Er fragte sich so manchesmal, warum sein Vetter Heseltine sich lieber hatte pensionieren lassen, wo doch er und nicht der Vetter es war, den man so ehrenrührig gerüffelt und degradiert hatte - Heseltine, diesen ewig quengelnden Grünschnabel, der sich immer die glitzerndsten Uniformen gewünscht hatte und kaum vor Operettenaufmachungen zurückschreckte.) Wie dem auch sei, er war gleich auf ein rundum originelles Konzept für verdeckte Geheimunternehmungen gekommen: eine Spezialeinheit, die ausschließlich aus Berufsschauspielern bestünde, die wie die Chamäleons imstande waren, Haltung und Aussehen je nach den Zielgruppen, die sie zu infiltrieren hatten, zu verändern. Ein lebendiges Repertoiretheater aus lauter agents provoca-teurs! Das konnte nur ein Erfolg sein! Infolgedessen hatte der zum Colonel degradierte Ethelred Brokemichael durch Ausnutzen einiger Beziehungen, die an den richtigen Stellen im Pentagon saßen, es so hingedeichselt, daß die kleine Schauspielereinheit ausschließlich ihm unterstellt wurde, und daß er seine Leute nach Belieben befördern und zum Einsatz abkommandieren konnte, je nachdem, wie die Unternehmungen es erforderten. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, sie »Z-Team« zu nennen, doch waren die Schauspieler unisono gegen diesen Vorschlag gewesen. Mit dem letzten Buchstaben des Alphabets wollten sie nichts zu tun haben. Sollten sie jemals den Stoff für eine Fernseh-Serie abgeben, wollten sie ein Wörtchen bei der Besetzung ebenso mitreden wie beim Drehbuch, bei Nebenprodukten und Nebenrechten - und zwar in dieser Reihenfolge. Der Name ergab sich bei ihrer dritten Infiltration binnen neun Monaten schließlich von selbst, als sie in Colonna, Italien, die berüchtigten Brigate Rosse unterwanderten und einen amerikanischen Diplomaten befreiten, der von denen als Geisel genommen worden war. Eingefädelt hatten sie das Ganze damit, daß sie in der Zeitung eine Anzeige aufgaben und darin behaupteten, den besten kommunistischen Party-Service in der Stadt zu betreiben, woraufhin sie von den Brigate angeheuert wurden, in ihrem versteckten Hauptquartier eine -3 9 5
Geburtstagsfeier für ihren verschlagenen Terroristenchef auszurichten. Und schon war im Bereich der verdeckten Unternehmungen eine Legende geboren. Die Selbstmörderischen Sechs waren eine Kraft, mit der man rechnen mußte. Spätere Unternehmungen in Beirut, dem Gaza-Streifen, Osaka, Singapur und Basking Ridge, New Jersey, stärkten den Ruf der Einheit nur. Sie schafften es, sich Zugang zu den schlimmsten kriminellen Vereinigungen zu verschaffen, von DrogenkurierBanden bis zu Waffenhändler-Ringen, von Berufskillern zu Immobilienhaien - und bis jetzt hatten sie bei all ihren überaus gewagten Missionen noch keinen einzigen Ausfall durch Tod zu beklagen. Es kam aber auch nie soweit, daß sie eine Pistole abfeuerten, ein Messer ziehen oder eine Handgranate werfen mußten. Das jedoch wußte nur einer - der wieder in seinen früheren Rang eingesetzte Brigadier General Ethelred Brokemichael. War das eine Schande! Die berühmten Selbstmörderischen Sechs, die doch angeblich ein Vorbild aller Todesschwadronen waren, hatten noch keine Verluste zu beklagen, sondern sich noch jedesmal in jede potentiell tödliche Aufgabe hinein-, aber auch wieder hinausgeredet. Wie unsäglich demütigend das war! Als Außenminister Warren Pease in Fort Benning eintraf und in einem Zwei-Mann-Jeep bis ans äußerste Ende des achtundneunzigtausend Morgen großen Militärareals gekarrt wurde, wo er Brokemichael seine top-secret Instruktionen übermittelte, sah Ethelred endlich Licht am Ende seines ganz persönlichen Tunnels, seine höchst private Rache! Das Gespräch zwischen Minister und General lief folgendermaßen: »Ich habe das mit unseren Leuten in Schweden abgesprochen«, sagte Pease. »Dem Nobelkomitee erklären sie, es handelte sich um einen nationalen Notstand - und wie viele Heringe müssen wir ohnehin importieren? Dann fliegen unsere boys - als Komitee - von Washington aus rauf, nicht von Stockholm aus, dem Vernehmen nach übrigens nach einem Gespräch mit dem Präsidenten. In Boston werden sie auf dem Flughafen vom Bürgermeister mit einer Pressekonferenz -3 9 6
begrüßt, Limousinen und Motorradkavalkade verstehen sich
von selbst. Also die ganze einschlägige enchilada.«
»Warum denn Boston?«
»Weil Boston das Athen Amerikas ist, der Hort der
Gelehrsamkeit, genau der Ort, von dem aus eine solche
Delegation sprechen sollte. Vielleicht auch deshalb, weil
Hawkins zufällig dort weilt?«
»Wir halten das für möglich«, unterbrach ihn der
Außenminister. »Eines aber steht fest: Dieser Ehrung kann er
sich unmöglich entziehen.«
»Um Gottes willen, Hawkins würde aus jedem Lager in Hanoi
ausbrechen und durch den ganzen Pazifik schwimmen, um
diesen Preis verliehen zu bekommen. Himmel! Soldat des
Jahrhunderts! Öle Georgie Patton wird Gift und Galle spucken
und Blitze aus dem Himmel herniederschleudern.«
»Und sobald Hawkins auftaucht, schnappen Ihre Leute sich ihn,
und wir fliegen ihn über den Atlantik Richtung Norden, sehr weit
hinauf in den Norden. Und das samt allen unpatriotischen
Subjekten, die für ihn arbeiten.«
»Wer mögen die bloß sein?« fragte General Brokemichael,
allerdings nur mit vorgetäuschtem Interesse.
»Nun, zunächst einmal ein Bostoner Anwalt, der Hawkins in
Peking verteidigt hat, ein Jurist namens Devereaux.«
»Hurrah!« entführ es dem Brigadier unversehens, und sein
Triumphgeheul war am ehesten mit der Zündung einer
Atombombe in der Wüste zu vergleichen. »Dieser Harvard-
Sack?« zeterte er, wobei die Adern an seinem nicht mehr ganz
jugendlichen Hals derart hervortraten, daß der Außenminister
schon dachte, den Mann könnte der Schlag treffen.
»Ja, ich glaube, er hat Harvard absolviert.«
»Der Mann ist tot, tot, tot!« rief der General gellend und
bearbeitete unvermittelt die Luft des Staates Georgia mit seinen
Fäusten. »Der Mann ist schon jetzt Geschichte, das verspreche
ich Ihnen! Wie Brian Donleavy in Beau Geste im Chateau Neuf
sagt.«
-3 9 7
Marion, Dustin, Telly und The Duke saßen einander in den vier
vorderen Drehstühlen von Air Force II gegenüber, während
Sylvester und Sir Larry am kleinen Konferenztisch in der Mitte
der Maschine Platz genommen hatten. Alle gingen noch einmal
ihre schriftlichen Instruktionen mit den Stichworten durch, auf
die hin sie spontan eine Unterhaltung begannen und laut
durcheinanderredeten. Als die Maschine zum Anflug auf Boston
ansetzte, hörte man ein sechsstimmiges Gebabbel, welches mit
sehr persönlichen Interpretationen des Schwedischen
durchsetzt war, wie es sich nach der Vorstellung der Beteiligten
im gesprochenen Amerikanisch bemerkbar machen sollte. Auch
wurden Spiegel vor sie hingehalten, damit die
Selbstmörderischen Sechs ihr Make-up und ihre Kostümierung
überprüfen konnten: drei Kinnbärte, zwei Lippenbärtchen und
ein Toupet für Sir Larry.
»Hi, there!« rief lauthals ein blondhaariger Mann, der aus einer
geschlossenen Kabinentür im Heckteil des Flugzeugs
heraustrat. »Der Pilot sagt, ich könnte jetzt rauskommen.«
Die Kakophonie der Stimmen erstarb, als der Vizepräsident der
Vereinigten Staaten grinsend den geräumigen Mittelteil der
Maschine betrat. »Macht das nicht einen tollen Spaß?« fragte
er gutgelaunt.
»Wer's 'n das?« fragte Sylvester.
»Ja, erkennst du ihn denn nicht?« fragte Sir Larry. »Ja, klar
doch, aber wer ist er?«
»Das hier ist meine Maschine«, erwiderte der zukünftige
Anwärter auf das Oval Office. »Ist das nicht toll?«
»Nehmen Sie Platz, Pilger«, sagte The Duke. »Wenn Sie was
zu essen wollen oder 'ne Flasche Schnaps, Sie brauchen bloß
auf einen der Knöpfe da zu drücken.«
»Ich weiß, ich weiß. All die Leute hier gehören zu meiner
Crew.«
»E-e-e-er ist de-de-der Vi-Vi-Vize ... Ihr wißt schon«, rief Dustin,
den Kopf schüttelnd und gleichzeitig dabei kreisen lassend. »Er
wurde gen-gen-genau elf Uhr zweiundzwanzig morgens
geboren, und zwar im Jahre 1951, genau se-se-sechs Jahre,
-3 9 8
zwölf Tage, sieben Stunden-Stunden und zweiund-zwei-und-
zweiundzwanzig Minuten nach der Unterzeichnung der
Kapitulationsurkunde durch die Japaner auf dem Schla-Schla-
Schlachtschiff Missouri.«
»Hör schon auf, Dusty!« rief Marion und kratzte sich mit der
rechten Hand die linke Achsel. »Diese Ma-Ma-Masche von dir
hängt mir zum Ha-Ha-Hals raus. Hast du eigentlich ne Ahnung,
wo ich herkomme, Dusty?«
»Du und deine Stra-Stra-Straßenbahn!«
»Eey, come on, babyface, möchtest du 'n Lolli?« fragte Telly
und lächelte den VP an, mit Augen allerdings, die nicht im
mindesten etwas Lächelndes hatten! »Bist schon in Ordnung,
Kid, aber setz dich und mach 'n Mund zu, all right? Wir müssen
nämlich arbeiten, verstanden?«
»Man hat mir gesagt, ihr seid Schauspieler!« sagte der
Vizepräsident und fläzte sich den Vieren gegenüber in einen
Sessel seitlich vom Gang. Seine Miene verriet, wie aufgeregt er
war. »Ich habe oft selbst daran gedacht, Schauspieler zu
werden. Und wißt ihr, viele Menschen finden, daß ich aussehe
wie ein Filmstar ...«
»Bloß schauspielern konnte der Typ nicht!« verkündete Sir
Larry betont britisch akzentuiert vom Tisch dahinter. »Das war
doch alles nur Glückssache, und das mit dieser nichtssagenden
Visage ohne jeden Charakter.«
»Ein passabler Reg-Reg-Regisseur«, begütigte Dustin.
»Was, hast du'n Knall?« rülpste Marion. »Das hat doch nur an
der Besetzung gelegen! Die Schauspieler haben ihn getragen.«
»Vielleicht hat er sie sich selbst ausgesucht«, gab Sylvester zu
bedenken. »So was ist schließlich möglich, Mann!«
»Nun hört mir mal genau zu, Pilger«, erklärte The Duke
grinsend der Runde. »Das ist alles nur die Folge der dreckigen
Geschäfte, die diese Land- und Viehdiebe von Agenten in ihren
eleganten Büros aushecken. Pyramiden-Deals nennen die das.
Den Star oben kriegst du nur, wenn du den ganzen Mist drunter
mitkaufst.«
-3 9 9
»Boy!« entfuhr es dem Vizepräsidenten. »So reden nur richtige
Schauspieler!«
»Scheiße ist das, Baby, und paß auf, daß du dir dein hübsches
Gesicht nicht damit dreckig machs t!«
»Telly!« rief Sir Larry wütend. »Wie oft hab ich dir schon
gesagt, daß man manchen Leuten ihre Flucherei nicht
übelnimmt - dir aber schon! Aus deinem Mund klingt das alles
wie Beleidigungen!«
»He, Mann«, ließ sich jetzt Marion vernehmen und zog dabei
Grimassen, die er im Spiegel begutachtete, »was zum Henker
soll er denn sagen? >Pfui, großer Cäsar?< Das hab ich schon
'n paarmal versucht, hat aber nie hingehauen!«
»Das liegt eben an deiner Aussprache, Marley«, erklärte
Sylvester, damit beschäftigt, sich den Kinnbart anzukleben.
»Man muß eine wirklich gute Aussprache haben, damit solche
blöden Phrasen Sinn machen!«
»Dann solltest du das mal versuchen! Du kommst doch aus der
Gosse!«
»Very good, Schlauberger!« rief Marion plötzlich in seinem
ganz normalen Midwest-Amerikanisch, ohne irgendwas zu
verschleifen oder zu verschlucken. »Richtig klasse!«
»Gute Antwort«, sagte Telly wie ein distinguierter, gebildeter
Englischprofessor.
»Wir können alles!« setzte Dustin noch hinzu und strich sich
das Lippenbärtchen glatt.
»Wir sind saugut, Leute - toll sind wir!« rief Sylvester aus.
Fragend starrte er den Vizepräsidenten an. »Sind sie das also
wirklich? Welchem Umstand verdanken wir dieses
Vergnügen?«
»Augenminister Pease meinte, es würde in Boston einen guten
Eindruck machen, wenn ich mitkäme, und da ich im Moment
grade nichts zu tun hatte - ich meine, ich tu ja eine Menge, bloß
hatte ich diese Woche grade mal nichts zu tun -, habe ich
gesagt, warum nicht?« Verschwörerisch beugte der mögliche
-4 0 0
Erbe des Oval Office sich vor. »Ich habe sogar den Einsatzbefehl unterschrieben.« »Was haben Sie unterschrieben?« fragte Telly und löste den Blick vom eigenen Spiegelbild. »Den Einsatzbefehl für dieses Unternehmen.« »Wir wissen, worum es geht, young man«, sagte The Duke. »Nur meine ich, daß ein solches Dokument nur der Präsident unterschreiben darf.« »Aber der war auf dem Klo, und da ich grade da war, habe ich gesagt: >Klar, mach ich, warum nicht?<« »Komödianten auch sie!« erklärte Telly mit einem Vibrato, wie es eben nur Komödianten gelingt, und wandte sich wieder seinem Spiegelbild zu. »Haben Sie vor, uns am Flughafen der Presse vorzustellen?« fragte Marion skeptisch, aber mit dem prononcierten Akzent des Mittleren Westen. »Ich? Nein, der Bürgermeister erwartet Sie. Ich persönlich soll die Maschine sogar eine ganze Stunde lang nicht verlassen, und dann ohne jeden Presserummel.« »Wozu dann überhaupt aussteigen?« fragte der gelehrte YaleAbsolvent Sylvester. »Wir benutzen Air-Force-Gerät, um uns nach ...« »Nicht verraten!« kreischte der Vizepräsident und hielt sich die Ohren zu. »Ich darf von nichts etwas wissen.« »Von nichts was wissen?« fragte The Duke nach. »Sie haben doch den Einsatzbefehl unterschrieben, Sir!« »Ja, stimmt schon, warum nicht? Aber wer zum Geier liest dieses blödsinnige Zeugs vorher durch?« »Ich wiederhole«, wiederholte Sylvester. »Warum das Flugzeug verlassen?« »Ich muß. Wissen Sie, irgend so ein Knallkopf hat zuhause den Wagen meiner Frau geklaut - ihren Wagen, nicht meinen -, und ich muß bezeugen, daß es wirklich ihrer ist.« »Sie machen wohl Witze!« sagte Dustin mit todernstem Gesicht. »Hier in Boston?« -4 0 1
»Man hat mir gesagt, er sei von äußerst schrägen Vögeln
gefahren worden.«
Wieder breitete sich für einen kurzen Augenblick Schweigen
aus, während The Duke sich zu voller Größe aufrichtete, die
schweigende Aufmerksamkeit zur Kenntnis nahm, die seine
Kollegen dem Vizepräsidenten entgegenbrachten, und dann im
Kauderwelsch seines Namensvetters erklärte: »Vielleicht sind
Sie doch 'n rancho correcto, Pilger. Vielleicht können wir Ihnen
sogar helfen.«
Und Telly griff in seine Westentasche und brachte ein
rotgestreiftes Stück Zuckerstange zum Vorschein. »Lutschen
Sie 'n Lolli, und kneifen Sie jetzt nicht. Gut möglich, daß sie hier
ein paar Freunde gewonnen haben. Ich könnte mir vorstellen,
daß Sie sie gebrauchen können.«
»Anschnallen zur Landung auf dem Bostoner Flughafen
Logan«, ertönte es über den Lautsprecher der Air Force II. »Bis
zur endgültigen Landung werden noch etwa achtzehn Minuten
vergehen.«
»Zeit genug, einen Drink zu nehmen, Sir«, sagte Marion mit
gedämpfter Stimme und betrachtete den jungen blonden
Politiker eingehend.
»Warum eigentlich nicht?« Aufmüpfig drückte der Vizepräsident
der Vereinigten Staaten auf einen Knopf, und innerhalb weniger
Momente, vielleicht auch zu vieler Momente, erschien der Air-
Force-Stewart - seinerseits womöglich nicht allzu begeistert.
»Was wollen Sie?« fragte der Corporal, darauf bedacht, den
jungen VP einzuschüchtern.
»Was haben Sie da eben gesagt?« empörte sich The Duke, der
immer noch stand. »Wissen Sie eigentlich, wen Sie hier vor
sich haben?«
»Jawohl, Sir, natürlich, Sir.«
»Dann sitzen Sie mal grade im Sattel und kantern Sie - nicht
galoppieren!«
-4 0 2
In weit weniger Augenblicken kehrten der Corporal und ein
zweites Besatzungsmitglied mit Drinks für alle zurück. Und alle
lächelten, als sie die Gläser erhoben.
»Auf Ihr Wohl, Sir!« prostete Dustin mit seiner klaren, präzisen
Aussprache.
»Das sage auch ich, Sir. Auf Ihr ganz spezielles, Sir!« sagte
Telly. »Und vergessen Sie den Lolli nicht, mein Freund.«
»Dritter ...!« »Vierter ...!« »Fünfter ...!«
»Sechster!« schloß The Duke und machte gekonnt vor, wie ein
leitender Angestellter leutselig nickt.
»Gosh, ihr Burschen seid wirklich Prachtkerle!« »Es ist uns ein
Herzensanliegen und eine Ehre zugleich, zum Freundeskreis
des Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten gezählt zu
werden!« erklärte der sanfte Marion, trank und schaute sich
dabei in der Runde um.
»Himmel, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich komme mir
vor wie einer von euch!«
»Bist du ja auch, Pilger, bist du«, sagte The Duke und erhob
sein Glas ein zweitesmal. »Auch dich hat man eingeseift und
um den Finger gewickelt!«
Unter begeisterter Mithilfe von Erin Lafferty, aber auch der
souschefs Desi-Eins und Desi-Zwo, veranstaltete Jennifer
Redwing auf der Holzterrasse des Strandhauses ein
internationales Barbecue. Paddy Laffertys Frau rief die
koscheren Jungs in Marblehead an und ließ die köstlichsten
Lachse und frischesten Brathähnchen anliefern, dann
telefonierte sie mit den Boyos in Lynn und bestellte die besten
Porterhouse-Steaks, die sie vorrätig hatten.
»Ich weiß nicht, was ich noch für Sie tun soll, Mädchen! Sie
sind einfach schöner, als die Polizei erlaubt!« rief Erin und sah
Jennifer in der Küche mit großen Augen bewundernd an.
»Meinen Sie, ich sollte versuchen, irgendwo Büffelfleisch
aufzutreiben?«
-4 0 3
»Nein, liebste Erin«, erwiderte Jenny lachend und schälte
große Idaho-Kartoffeln, die sie im Keller gefunden hatten. »Ich
werde mir ein paar Scheiben Lachs grillen.«
»Ach, wie Ihre indianischen Fische in den tosenden
Wildwassern der Heimat?«
»Nein und nochmals nein, Erin. Wie die cholesterinarmen
Dinge, die wir alle eigentlich essen sollten.«
»Ich hab Paddy mal was davon vorsetzen wollen, und wissen
Sie, was der mir gesagt hat? Er hat mir gesagt, und das würde
er dem Herrgott selbst mitten ins Gesicht sagen: Wenn .Er nicht
wollte, daß Seine Boyos mit dem roten Blut in den Adern
Steaks essen - warum Er dann diese Steaks wohl erschaffen
hätte?!«
»Hat Ihr Mann darauf jemals eine Antwort erhalten?«
»Und ob er die bekommen hat! Vor zwei Jahren haben wir dank
der Großzügigkeit von Mr. Pinkus die Heimat unsrer Vorfahren
in Irland besucht, und Paddy hat sich hingekniet und den Stein
von Blamey geküßt. Als er wieder hochkommt, sagt er zu mir:
Ich habe die Botschaft erhalten, Weibilein. Was die Steaks
betrifft, da bin ich 'ne Ausnahme, und das ist die heilige
Wahrheit, ich schwör's!«
»Und das haben Sie ihm abgenommen?«
»Na, kommen Sie, Mädchen«, erwiderte Erin Lafferty und
setzte ein durchtriebenes, nicht unbedingt unschuldiges
Lächeln auf. »Er ist mein Boyo, der einzige Boyo, den ich in
mein Leben hab haben wollen. Und da soll ich nach
fünfunddreißig Jahren anfangen, an seinen Visionen zu
zweifeln?«
»Dann geben Sie ihm seine Porters.«
»Tu ich ja, Jenny - nur schneid ich den Fettrand weg, und dann
regt er sich auf wie sonstwas, daß die Metzger heutzutage alle
Betrüger wären oder ich keine Steaks mehr braten könnte.«
»Und wie kommen Sie damit zurecht?« »Indem ich mir'n Glas
Whisky extra gönne, Mädchen - und vielleicht kraul ich ihn auch
mal an Stell'n, daß er nicht mehr ans Essen denkt.«
-4 0 4
»Sie sind eine bemerkenswerte Frau, Erin!« »Ach, hören Sie
schon auf, Mädchen!« sagte Paddy Laffertys Frau lachend und
zerschnitt den Salat. »Wenn Sie mal selbst einen Mann haben,
werden Sie noch manches dazulernen. Als erstes mal, ihn
überhaupt am Leben zu erhalten, dann dafür zu sorgen, daß
seine Batterien nie leer sind ...«
»Ich beneide Sie, Erin.« Eingehend betrachtete Redwing das
feingeschnittene und doch fleischige Gesicht von Mrs. Lafferty.
»Sie haben etwas, wovon ich vermute, daß ich es nie haben
werde.«
»Und warum nicht?« Erin hörte auf zu schneiden.
»Ich weiß nicht ... Vielleicht muß ich stärker sein als jeder
Mann, der mich auf diese Weise will: zum Heiraten, meine ich.
Ich laß mich nicht unters Joch zwingen.«
»Sie meinen, Sie müßten unter dem Burschen sein, den Sie
heiraten - nichts für ungut, ich hab das nicht schlüpfrig
gemeint?«
»Ja, das meine ich wohl. Ich kann mich nicht unterordnen.«
»Ich weiß nicht recht, wie ich das verstehen soll. Ist das etwa
so wie der >dienenden Klasse> angehören oder so?«
»Ja, genau das meine ich.«
»Nun, gibt es da nicht eine bessere Methode? So etwa, wie ich
das mit Paddy mache, indem ich ihm sage, gut, soll er seine
Porters haben, bloß daß er nicht weiß, daß ich ihm den
Fettrand wegschneide? Er kriegt seine Steaks, damit er aufhört,
sich zu beschweren. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Wollen Sie damit andeuten, wir Frauen manipulieren unsere
Männer?«
»Was wir seit Jahren getan haben ... Bis ihr Emanzen
angefangen habt, loszuzetern, lief bei uns doch alles glatt. Gib
dem Affen Zucker, aber schenk ihm deinen unverwechselbar
eigenen Duft.«
»Bemerkenswert«, sagte die Tochter der Wopotami.
Plötzlich waren hinter der Küchentür aus dem riesigen
Wohnzimmer laute Wutschreie und Jubel zu hören, womöglich
-4 0 5
auch beides - es war unmöglich, es auseinanderzuhalten. Jennifer ließ ihre Kartoffel fallen. Desi-Eins erschien, stieß die Tür mit einer solchen Gewalt auf, daß sie von der Wand zurück und ihm ins Gesicht prallte, was zur Folge hatte, daß ihm der provisorische Zahnersatz aus dem Mund flog. »Ihr alle!« rief er gellend. »Kommt raus und seht euch diese teledifusiön an! Is loco, iss völlig verrückt wie vacas mit testiculos!« Beide Frauen sprangen zur Tür, liefen ins Wohnzimmer und starrten verdattert auf die Mattscheibe. Da sah man sechs offensichtlich bedeutende Boston-Besucher, alle sehr formell gekleidet, einige mit kurzgeschnittenen Kinnbärten, andere glattrasiert oder mit gewachsten Lippenbärtchen, aber ein jeder mit einem schwarzen Hamburg auf dem Kopf. Begrüßt wurden sie vom Bürgermeister von Bean Town, dem ebenso offensichtlich die Fähigkeit abging, die Grüße der Stadt angemessen zum Ausdruck zu bringen. »Und so heißen wir Sie in Boston willkommen, Gentlemen vom Nobel-Komitee aus dem schönen Schwedenland, und möchten unseren tief empfundenen Dank dafür zum Ausdruck bringen, daß Sie die große Harvard-Universität auserkorn haben, um ein Seminar über internationale Beziehungen abzuhalten und hier den Soldaten des Jahrhunderts zu küssen, Verzeihung, zu küren - und zwar einen gewissen General MacKenzie Hawkins, von dem Sie annehmen, daß er sich irgendwo weit im Westen aufhält und diese Sendung sieht beziehungsweise hört ... Wer hat diesen Text eigentlich verbrochen?« »Wir verabschieden uns für einen Moment, um Ihnen die Vorgeschichte in Erinnerung zu bringen«, erklärte der Reporter, während die Stimme des Bürgermeisters ausgeblendet wurde. »In Boston eingetroffen ist das illustre Nobel-Komitee. Es beabsichtigt, am Harvard-Symposium über internationale Beziehungen teilzunehmen. Der Sprecher des Komitees, Sir Lars Olafer, hat soeben erklärt, man verfolge gleichzeitig noch einen anderen Zweck: Es gehe darum, den Aufenthaltsort von General MacKenzie Hawkins festzustellen, dem zweimaligen Gewinner der Congressional Medal of Honor und vom -4 0 6
Nobelkomitee zum Soldaten des Jahrhunderts gewählt ... Die
Wagenkolonne des Bürgermeisters mit den Weißen Mäusen
vorneweg wird gleich zum Four Seasons Hotel aufbrechen, wo
das schwedische Komitee während des Harvard-Symposiums
wohnen wird ... Moment, bitte! Wir erhalten soeben einen Anruf
vom Präsidenten der Harvard-Universität ... Was für ein
Symposium? Ja, woher soll ich das wissen? Dafür sind doch
Sie zuständig, nicht ich. Tut mir leid, Leute, kleine
Verständigungspanne hier in Cambridge. Jetzt jedoch zurück
zu unserem regulären Programm, die Wiederholung der ....«
»Irgendwer hat die Zwerge hergeschickt ...!« Hawkins sprang
aus seinem Sessel auf und brüllte: »Gottverdammich, Soldat
des Jahrhunderts! Habt ihr das alle gehört? Natürlich, das
mußte ja früher oder später so kommen, aber daß es jetzt
Wirklichkeit geworden ist, macht mich denn doch zum
stolzesten Frontoffizier, der je gelebt hat! Und das eine laßt
euch gesagt sein, boys and girls, ich habe vor, diese große
Ehre mit jedem Furz zu teilen, der je unter meinem Kommando
gedient hat, denn sie sind die wahren Helden, und ich will, daß
die Welt das erfährt!« »General«, sagte der Riese von einem
schwarzen Söldner ruhig, ja geradezu liebevoll: »Wir müssen
miteinander reden.«
»Worüber, Colonel?«
»Ich bin kein Colonel und Sie nicht der >Soldat des
Jahrhunderts<. Das hier ist eine Falle.«
-4 0 7
20. KAPITEL Das Schweigen war elektrisierend: Keiner konnte sich ihm entziehen. Es war, als ob alle Zeuge eines unsäglichen Schmerzes würden, den ein großes, treues Tier erlitt, das irgendein unsichtbarer Herr im Stich gelassen, ja, der mörderischen Willkür eines Wolfsrudels preisgegeben hatte. Jennifer Redwing ging stumm zum Fernsehapparat und stellte ihn ab, während MacKenzie Hawkins Cyrus anstarrte. »Ich denke, Sie sind uns eine Erklärung schuldig, Colonel«, sagte der General. Aus seinen Augen sprach Überzeugung und Verletztheit. »Sie und ich haben soeben eine ganz normale Nachrichtensendung gesehen und gehört, was ein erlauchter ausländischer Gast, der Sprecher des schwedischen Nobelpreiskomitees gesagt hat. Wenn mich nicht alles täuscht, hat er verkündet, mir wäre der diesjährige >Soldat-desJahrhunderts-Preis< verliehen worden. Und da diese Sendung zweifellos von Millionen Menschen überall in der zivilisierten Weit gesehen wird, halte ich es für undenkbar, daß sich hier jemand was aus den Fingern gesaugt oder einen schlechten Scherz erlaubt hat.« »Da haben wir ihn, den Dauerlackmeier«, sagte Cyrus M. leise. »Ich habe versucht, Ihren Kollegen, Miss R. und Mr. D., zu erklären, was das ist.« »Wie war's, wenn Sie es auch mir erklärten, Colonel.« »Auf die
Gefahr hin, mich zu wiederholen, ich bin kein Colonel, General
...«
»... und ich nicht der Soldat des Jahrhunderts«, fiel Hawkins
ihm ins Wort. »Ich nehme an, auch das wollten Sie noch mal
zum besten geben.«
»Diese Ehre stünde Ihnen vielleicht zu, Sir, aber von
jemandem, der etwas mit dem Nobelpreiskomitee zu tun hat, ist
eine solche Aussage kaum zu erwarten.«
»Was?«
»Lassen Sie mich es noch einmal ganz deutlich sagen, damit
es kein Mißverständnis gibt.«
-4 0 8
»Sind Sie vielleicht zufällig Anwalt?« unterbrach Aaron Pinkus
ihn.
»Das nicht, aber unter anderem Chemiker.«
»Chemiker?« fragte Hawkins, der immer weniger von alledem
verstand. »Wieso, zum Teufel, wollen Sie dann überhaupt
irgend etwas wissen?«
»Nun, ich stehe bestimmt nicht auf einer Stufe mit Alfred Nobel,
der auch Chemiker war, bekanntlich das Dynamit erfunden hat
und - wie viele glauben - den Nobelpreis stiftete, um die Schuld
an dieser Erfindung abzubüßen, die wohl für immer mit dem
Krieg in Zusammenhang gebracht werden wird. Die Idee eines
>Soldaten des Jahrhunderts< widerspricht eklatant dem Geist
und dem Sinn des Nobelpreises.«
»Worauf genau wollen Sie hinaus, Cyrus?« unterbrach Jennifer
ihn.
»Eigentlich möchte ich nur weiter ausführen, was ich Ihnen
schon heute morgen gesagt habe. Das hier ist die Falle, in die
man General Hawkins locken will.«
»Wieso?«
»Vergessen Sie's, General«, sagte Redwing. »Für den
Augenblick ist er mein Zeuge ... Okay, Cyrus, es ist eine Falle.
Und weiter? Dem Ton, in dem Sie es gesagt haben, entnehme
ich, daß da noch was anderes war.«
»Wir haben es hier nicht mehr mit Regionalliga-Irren mit einem
Alexander-dem-Großen-Komplex zu tun. Dieses Unternehmen
ist von einem einzelnen ausgeheckt worden, und zwar von
irgendeinem Schurken ganz oben in der Regierung.«
»Washington?« fragte ungläubig Aaron Pinkus.
»Jemandem in Washington«, spezifizierte der Söldner. »Das
hier ist nicht das Ergebnis gemeinschaftlichen Bemühens
mehrerer - dazu wäre die Gefahr, daß etwas durchsickerte, viel
zu groß. Wir haben es mit dem Werk von jemandem zu tun, der
einen sehr hohen Rang in der Regierung bekleidet und
imstande ist, so etwas ganz auf eigene Faust durchzuziehen.«
»Warum sagen Sie das?« Aaron war noch nicht überzeugt.
-4 0 9
»Weil es sich beim Nobelkomitee in Schweden um Menschen
mit zumindest lauteren Absichten handelt, und fiele auch nur
ein flüchtiger Schatten auf diese Absichten, würde das jemand
sehr Bedeutenden das Amt kosten. Schließlich könnte jeder
angesehene Journalist in Stockholm anrufen und näher
nachfragen. Ich vermute, daß man das bereits getan hat.«
»Oh, boy!« rief Sam Devereaux aus. »Das ist ein Hammer!«
»Wenn ich mich nicht irre, habe ich Ihnen das heute morgen
schon gesagt.«
»Sie haben mir aber auch gesagt, Sie überlegten, ob Sie und
Roman Z. nicht aus der ganzen Sache aussteigen sollten,
nachdem Sie diese Stolperapparate erst mal installiert hätten ...
Und das haben Sie doch getan, Cyrus. Wie steht es also?
Werden Sie uns verlassen?«
»Nein, Herr Anwalt. Ich habe es mir anders überlegt. Wir
bleiben.«
»Warum?« wollte Jennifer Redwing wissen.
»Ich nehme an, Sie erwarten jetzt irgendeine tiefgehende
Begründung, etwa, wie wir Nigger den Ku-Klux-Klan nur
deshalb haben überleben können, weil wir einen sechsten Sinn
für so was entwickelt hätten und völlig aus dem Häuschen
gerieten, wenn die Regierung sich auf vergleichbare Weise
verhielte. Das aber wäre Voodoo.«
»He, kann der große Kerl nicht gut reden?« ließ Mrs. Lafferty
sich vernehmen.
»Später, liebe Erin«, sagte Redwing, ganz auf Cyrus
konzentriert. »Na schön, Herr Söldner, also kein rassistisches
Voodoo, wovon ich übrigens eine ganze Menge verstehe.
Warum bleiben Sie also?«
»Ist das wichtig?«
»Für mich schon.«
»Das kann ich verstehen«, sagte Cyrus lächelnd.
»Ich hingegen verstehe überhaupt nichts mehr!« explodierte
MacKenzie Hawkins und zerknüllte mit den Fingern eine
Zigarre, die er sich gerade in den Mund hatte stecken wollen.
-4 1 0
»Dann lassen Sie diesen Gentleman das erklären«, meldete
Aaron Pinkus sich wieder zu Wort. »Verzeihen Sie, General,
aber wenn Sie bitte für einen Moment den Mund halten
würden!«
»Kein Commander gibt einem anderen einen solchen Befehl!«
»Ach, stecken Sie sich das sonstwohin«, sagte Aaron und
schüttelte plötzlich den Kopf, als könnte er es nicht fassen, so
etwas gesagt zu haben. »Du meine Güte, tut mir furchtbar
leid!«
»Es sollte Ihnen aber nicht leid tun«, mischte Sam sich ein.
»Was wollten Sie gerade sagen, Cyrus?«
»Okay, Counselor«, sagte der Söldner und sah Devereaux
dabei an. »Wieviel haben Sie und die Lady den anderen
erzählt?« »Alles, was Sie uns erzählt haben, nur daß es nicht
die anderen waren, sondern allein Aaron. Mac, seine
Adjutanten und meine Mutter haben wir da nicht ins Vertrauen
gezogen.«
»Warum, zum Henker, mich nicht?« polterte der General. »...
was immer es sein mag, daß Sie sich da erzählt haben.«
»Wir mußten, ehe Sie wieder anfingen, Befehle zu erteilen, ein
paar Dinge erfahren, auf die wir uns verlassen konnten«,
erwiderte Sam schroff und wandte sich erneut Cyrus zu. »Wir
haben auch von Ihren Schwierigkeiten in Stuttgart und den
Nachwirkungen erzählt, Ihrer >Entlassung< aus dem
Gefängnis, wenn Sie so wollen.«
»Nun ja, wenn wir es hier wirklich mit der Schweinerei zu tun
haben, von der ich annehme, daß sie es ist, und wenn Roman
Z. und ich Ihnen da helfen können, würde ich meinen, werden Sie das nicht gerade gegen uns verwenden.«
»Das verspreche ich Ihnen«, sagte Jennifer mit Nachdruck.
»Ich habe nichts gehört«, fügte Devereaux hinzu.
»Wie sollten Sie auch!«, erklärte der Söldner spitz. »Sie haben
äußerst ungeschickt gefragt, wohingegen Miss R. vernünftige
und sehr sinnvolle Fragen gestellt hat. Sie hat klargemacht, daß
-4 1 1
ich ihr Dinge erzählen müßte, die meine Glaubwürdigkeit
erhärteten.«
»Alles nur Gerede und was mich betrifft, nicht vor Gericht zu
verwenden«, sagte Pinkus.
»Meine Verhöre sind nie ungeschickt«, murmelte Sam.
»Nun, du hattest einiges zu bedenken ... und auf deiner Hose
wieder mal reichlich zu verbergen«, sagte Jennifer ruhig. »Sie
sagen, Ihr Entschluß zu bleiben, habe nichts mit ihrer Hautfarbe
zu tun, Cyrus - aber diesen Punkt hat niemand außer Ihnen
selbst zur Sprache gebracht. Beteuern Sie da nicht ein bißchen
zuviel? Sie sind ein Schwarzer, den man zu unrecht verurteilt
hat - wäre mir als Indianerin das passiert, ich würde um mich
schlagen und mich so leicht nicht beruhigen. Ist das der Grund,
warum Sie hierbleiben?«
»Ihre psychologische Beweisführung ist stimmig, bloß geht sie
in diesem Falle an der Sache vorbei. Lassen wir mal mein
dringendes Bedürfnis nach Rache beiseite - grundsätzlich hat
man mich nicht ins Gefängnis gesteckt, weil ich ein Schwarzer
bin, sondern ein verdammt guter Chemiker. Nun haben ein paar
Idioten in Stuttgart sich vielleicht gedacht, ein Schwarzer könnte
unmöglich imstande sein, ihr bereits sehr weitgediehenes
Verfahren zur Giftherstellung zu kapieren und die Grundstoffe
zu analysieren ...«
»Boy, der hat ja wirklich was aufm Kasten!« »Bitte, liebe Erin!«
»Aber wie dem auch sei«, fuhr Cyrus fort. »Die Anträge für die
Weitergabe des Verfahrens an den Endverbraucher wurden
vom Obermacker der Waffenkontroll-Kommission genehmigt,
und das, obwohl ich ihn persönlich über einen diplomatischen
Kurier, den ich nie kennengelernt habe, unmißverständlich auf
die Gefahren hingewiesen habe. Irgend so ein lausiger
Regierungsbeauftragter hat dafür gesorgt, daß mein
Anfangsverdacht den Rest der Kommission überhaupt nie
erreicht hat. Ich wurde einfach übergangen, und das hatte mit
meiner Hautfarbe nicht das geringste zu tun.«
»Und wieso hat ihr Erlebnis in Stuttgart mit der
Pressekonferenz auf dem Logan Airport heute abend zu tun?«
-4 1 2
fragte Pinkus. »In Verbindung mit allem, was ich Ihren Partnern
über die merkwürdigen Umstände erzählt habe, die mit diesem
Auftrag zu tun haben, muß ich noch einmal zurückkommen auf
den sechsten Sinn ... Ein einflußreicher Mann in der
Waffenkontroll-Kommission hat es fertiggebracht, meinen
schwarzen Hintern aus dem deutschen Gefängnis
herauszuholen, wo ich genausogut noch fünfzig Jahre hätte
schmoren können, und geschafft hat er das, indem er Druck auf
die Justizbehörden in Bonn ausgeübt und gleichzeitig ein
Abkommen mit mir geschlossen hat. Plötzlich hörte man keinen
Ton mehr über die chemische Anlage, und mich und mein
Schweigen kaufte man damit, daß ich mich darauf einließ, etwa
fünf Jahre aufgebrummt zu bekommen, von denen ich zur
Währung des Ansehens vielleicht eines absitzen müßte
vorausgesetzt eben, ich hielt den Mund, Und sagen Sie mir
nicht, da wären keine Schmiergelder geflossen.«
»Und Sie haben sich auf diesen Handel eingelassen«, sagte
Jennifer keineswegs freundlich. »Auf einen für Sie vorteilhaften
Kuhhandel.«
»Ich war nicht besonders begeistert davon, als einziger
Schwarzer in einem deutschen Gefängnis zu sitzen ...«
»Tut mir leid, verstehe. Auch wir sind dabei, einen sechsten
Sinn zu entwickeln.«
»Nein, bitte, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«,
verwahrte sich der Söldner. »Denn als ich im Knastfernsehen
Filmberichte über den Einsatz von Giftstoffen und die Opfer
gesehen habe, da habe ich mich geschämt.«
»Hey, come on, Colonel!«
»Jetzt hören Sie endlich auf damit, Herr Anwalt, ich bin kein
Colonel.«
»Verstehe«, fuhr Devereaux rasch fort. »Was hätten Sie schon
dagegen tun können, zu fünfzig Jahren Gefängnis verurteilt.«
»Genau das war meine Überlegung - und der Grund, warum ich
mit Roman Z. ausgebrochen bin. Dieser Wahnsinn muß endlich
ein Ende haben, Mann!«
-4 1 3
»Und Sie glauben, daß etwas Ähnliches wie das, was Sie erlebt
haben, jetzt General Hawkins blüht?« fragte Aaron und lehnte
sich auf seinem Stuhl vor. »Wobei Ihnen die
Nachrichtensendung, die wir gerade eben gesehen haben, zum
Beweis dient?«
»Ich will Ihnen sagen, was ich nie und nimmer glauben kann:
Daß es jemals einen Nobelpreis für den >Soldaten des
Jahrhunderts< geben wird. Zweitens: Warum ist dieses
sogenannte Komitee ausgerechnet nach Boston geflogen, dem
einzigen Flugplatz in der Gegend, wo man Sie bereits
angegriffen hat - das bedeutet doch nichts anderes, als daß
man Ihnen mit überlegenen High-Tech-Geheimdienstmethoden
längst auf die Spur gekommen ist. Drittens: Bei diesem Quartett
von psychopathischen Wirrköpfen, die in Hooksett versucht
haben, Sie hochzunehmen, handelte es sich ausschließlich um
irgendwelche Armleuchter, derer man sich für solche
Unternehmungen eigentlich nicht bedient ... Sie haben das
schließlich herausgefunden, als Sie in einer Hose eine
ausgestanzte Gefängnismarke entdeckten und die Leute in
Leichensäcke verpackt zurückschickten.«
»Diese verdammten Schläger!« brüllte MacKenzie Hawkins.
»Was wir zurückgeschickt haben, war eine Botschaft ... Würde
jemand mir bitte mal erklären, worüber wir hier überhaupt
reden?«
»Wir werden Sie später genauer ins Bild setzen, Mac«,
antwortete Sam, die Hand auf Cyrus' Schulter. »Wenn ich Sie
recht verstehe«, sagte Devereaux, »müssen wir herausfinden,
wer dieses Unternehmen leitet, korrekt?«
»Korrekt«, sagte der Söldner. »Denn der Anschlag auf Sie in
New Hampshire könnte denselben Urheber haben - nur sind die
Methoden verfeinert worden, vielleicht zu sehr verfeinert, was
sie möglicherweise verwundbar macht.«
»Warum sagen Sie das?« wollte Pinkus wissen.
»Die Leute heute sind mit der Air Force II eingeflogen worden«,
entgegnete Cyrus. »Es handelt sich um ausländische Zivilisten,
denen man das rangmäßig zweithöchste Flugzeug im Land zur
-4 1 4
Verfügung gestellt hat, was bedeutet, daß eine von drei Quellen
ihr okay dazu gegeben haben muß: das Weiße Haus, was man
aber ausschließen kann, weil die ohnehin schon genug
Scherereien haben, die CIA, was wir wahrscheinlich jedoch
gleichfalls ausschließen dürfen, weil ganz Amerika glaubt, die
Abkürzung stehe für caught in the act, in flagranti erwischt und
die Agency vermutlich Gefahr liefe, sich noch mal wieder bis
auf die Knochen zu blamieren. Bleibt das Außenministerium,
bei dem kein Mensch weiß, was die überhaupt tun, aber
passieren tut's trotzdem. Ich würde also auf einen von den
beiden letztgenannten tippen, und haben wir da erst einmal
Klarheit, verringert sich die Anzahl der in Frage kommenden
Personen auf die wenigen Leute, die überhaupt befugt sind,
über diese Maschine zu verfügen ...«
»Wäre es nicht denkbar, daß CIA und Außenministerium hier
Hand in Hand arbeiten?« gab Pinkus zu bedenken.
»Nein, nichts zu machen. Die CIA traut dem Außenminister
nicht über den Weg, und umgekehrt ist es genauso. Außerdem
besteht, wenn man seine Streitkräfte zusammenlegt, immer die
Gefahr, daß sich die Zahl der möglichen undichten Stellen
vergrößert.«
»Wir stellen also fest, es sind die einen oder die anderen«,
sagte Sam. »Was dann?«
»Wir schütteln die Knochen eines jeden in Frage kommenden
großen Tiers in Washington, bis es klappert. Wir müssen Nägel
mit Köpfen machen und Namen, Rang und Seriennummer
klarhaben - das ist die einzige Möglichkeit, unsere Sicherheit zu
gewährleisten.«
»Und wie wollen wir das anstellen?«
»Durch Entlarvung, Sam«, sagte Jennifer. »Wir leben immer
noch in einem Rechtsstaat, und in Washington sitzen nicht nur
Wahnsinnige!«
»Wer behauptet das?«
»Das ist die Frage«, räumte Redwing ein. »Was also sollen wir
tun, Cyrus?«
-4 1 5
»Das beste wäre, jemanden, der den General spielt, in das
Hotel zu schicken. Wobei Roman Z. und ich den Betreffenden
als Adjutanten begleiten könnten. Es ist durchaus üblich, daß
ein pensionierter General mit zwei so hohen Auszeichnungen
über zwei Adjutanten verfügt.«
»Und was ist mit Desi-Eins und Desi-Zwo?« fragte Aaron. »Die
würde das sehr kränken.«
»Wieso denn? Die blieben doch beim richtigen Hawkins.«
»Oh, selbstverständlich. Wie konnte ich das nur vergessen!
Aber ich werde alt, und das alles geht viel zu schnell.«
»Außerdem sind es gute Leute, und ihr hier dürftet schließlich
auch nicht schutzlos zurückbleiben.« Cyrus hielt inne. Ihm war
Eleanor Devereaux' schwächer werdendes Starren von der
Couch her nicht entgangen. »Mann, diese Dame da hat was
gegen mich«, flüsterte er.
»Sie kennt Sie doch gar nicht«, sagte Sam leise. »Wird ihr erst
mal klar, wer und was Sie sind, spendet sie der United Negro
College-Stiftung bestimmt eine riesige Summe, das verspreche
ich Ihnen.«
»Klar, einen schwarzen Söldner sollte man nicht leichtfertig
aufs Spiel setzen ... Verdammt, keiner von uns hier könnte für
den General durchgehen. Wir müssen uns was anderes
ausdenken.«
»Moment mal«, meldete Pinkus sich wieder zu Wort. »Shirley
und ich unterstützen die kleinen Theatergruppen in der Gegend
- sie läßt sich nur zu gern bei Premieren fotografieren und genießt es, am nächsten Tag ihr Bild in der Zeitung zu sehen. Und unter den Schauspielern hat sie einen besonderen Liebling, einen älteren Herrn, der in etlichen Broadwaystücken aufgetreten ist und bereits halb im Ruhestand lebt, wenn ich das mal so ausdrücken darf. Auf jeden Fall bin ich überzeugt, daß ich ihn überreden könnte, uns zu helfen, gegen Bezahlung, versteht sich. Allerdings nur dann, wenn ihm absolut nichts dabei passieren kann.«
-4 1 6
»Darauf gebe ich Ihnen mein Wort, Sir«, sagte Cyrus. »Dem
passiert überhaupt nichts, denn Roman Z. und ich werden ihn
in die Mitte nehmen.«
»Ein Schauspieler.« rief Devereaux aus. »Aber das ist doch
verrückt!«
»Ehrlich gesagt, wirkt er auch oft ein bißchen gaga.« Das
Telefon auf dem Tischchen neben Aarons Sessel klingelte. Er
nahm ab. »Ja? ... Ach, es ist für Sie, Sam. Ich glaube, es ist
Ihre Hausdame, Cousine Cora.«
»Oh, mein Gott, die hab ich ja ganz vergessen!« sagte
Devereaux und ging um den Tisch herum zum Telefon.
»Ich nicht«, unterbrach Eleanor ihn. »Ich hab sie gestern abend
angerufen, habe ihr aber nicht gesagt, wo wir sind, und habe ihr
auch diese Nummer nicht gegeben.«
»Cora?« rief Sam. »Wie geht es? Du hast mit ihr gesprochen,
Mutter? Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Du hast mich nicht gefragt. Aber zu Hause ist alles in
Ordnung. Die Polizei war zwar ständig da, aber ich denke, Cora
hat die Leute schon gut verpflegt.« »Cora? Mutter sagt, zu
Hause ist alles in Ordnung?« »Die Ach-so-Vornehme hat zuviel
Tee getrunken, Sammy! Das verdammte Telefon hat den
ganzen Tag nicht stillgestanden, aber kein Mensch konnte oder
wollte mir sagen, wo zum Teufel du steckst.«
»Und wie hast du 's rausgefunden?«
»Paddy Laffertys Tochter, Bridget, hat's mir gesagt. Sie sagte,
Erin hätte ihr die Nummer gegeben, für den Fall, daß es
irgendwelche Schwierigkeiten mit den Enkelkindern gäbe.«
»Das erklärt es. Aber was gibt's? Wer wollte mich denn
sprechen?«
»Nicht dich, Sambo - alle möglichen Leute, bloß dich nicht.«
»Wen denn dann?«
»Erst mal diesen meschuggenen General, von dem du dauernd
redest, und dann diese langbeinige Indianerschönheit, die man
nicht auf die Straße lassen sollte. Und ich sage dir, mindestens
zwanzigmal ist nach ihnen gefragt worden und zwar
-4 1 7
ausschließlich von denselben beiden Kerlen - etwa alle halbe
Stunde einmal.«
»Wie hießen sie?«
»Der eine wollte es mir nicht sagen, und dem anderen wollte
ich es nicht glauben. Der erste hörte sich an, als schlotterten
ihm die Hosen vor Angst, ungefähr so wie dir manchmal,
Sammy. Er lag mir dauernd damit in den Ohren, seine
Schwester solle ihn umgehend anrufen.«
»Okay, ich sag's ihr. Aber was ist mit dem anderen, der den
General sprechen wollte?«
»Du glaubst bestimmt, ich hätte wieder zuviel Gin probiert,
wenn du es hörst, aber da war nichts drin, weil zu viele
Polizeibeamte im Haus waren ... Du liebes bißchen, warte ab,
bis du die Metzgerrechnung kriegst!«
»Den Namen, Cora.«
»Johnny Kalbsnase. Wie kann man nur so heißen - hast du da
noch Töne, Sammy?«
»Johnny Kalbsnase?« sagte Devereaux leise. »Kalbsnase ...?«
Mehr brachte Jennifer nicht heraus.
»Kalbsnase!« dröhnte der Falke. »Mein Sicherheitsbeauftragter
hat versucht, mich zu erreichen? Geben Sie das Telefon her,
Lieutenant.«
»Mein ehemaliger Klient versucht, mich zu erreichen!« rief
Jennifer Redwing lauthals und rasselte, als sie versuchte, Sam
zu erreichen, mit dem General zusammen.
»Nein!« rief Devereaux gellend, drehte sich um und hielt den
Hörer außer Reichweite. »Kalbsnase will Mac sprechen, und
dein Bruder will, daß du ihn anrufst.« »Geben Sie mir das
Telefon, Junge!« »Nein! Erst ich!«
»Wenn Sie sich doch alle beruhigen würden«, sagte Pinkus und
hob die Stimme. »Mein Schwager hat mindestens drei,
vielleicht sogar vier Anschlüsse hier im Haus. Ihr braucht euch
doch bloß einen der Apparate zu suchen und auf einen Knopf
zu drücken, der nicht gerade leuchtet.«
-4 1 8
Für Minuten war es wie in einem Kindergarten. Der Falke und
Jennifer rannten umher und suchten ein freies Telefon. Mac
entdeckte einen Apparat auf der Holzterrasse, Redwing
entdeckte einen anderen auf einem antiken weißen Tisch an
der Rückwand und tippte wild Nummern ein. Die dann folgende
Kakophonie von Stimmen zerriß die Stille des Swampscotter
Abends. »Wiedersehen, Cora!« »Charlie, ich bin's.«
»Kalbsnase, hier spricht Donnerhaupt!« »Du machst wohl
Witze, kleiner Bruder, sag mir, daß das nicht ernstgemeint ist.«
»Verdammt noch mal, Null Uhr abzüglich fünf Tage!« »Du
machst keine Witze?«
»Sagen Sie die Annahme zu und unterschreiben Sie mit T. C,
Häuptling des unterdrücktesten Stammes der ganzen
Vereinigten Staaten.«
»Schick mir ein Flugticket nach Amerikanisch-Samoa, Charlie.
Wir treffen uns dort.«
Der eine triumphierend, die andere sich geschlagen gebend,
legten der Falke und Jennifer auf. Der General schritt weit
ausgreifend auf die Tür zu wie der Befehlshaber einer
römischen Legion beim Einmarsch in Karthago, während
Redwing sich von dem eleganten weißen Schreibtisch
abwandte und wirkte wie ein zartes Vögelchen, dem unwirtliche
Winde das Gefieder zerzausten.
»Was haben Sie denn, meine Liebe?« fragte Aaron vorsichtig.
Jennifers Zustand rührte ihn offenbar tief an.
»Schlimmer geht es nicht«, erwiderte sie kaum vernehmlich.
»Das ist der Fahrstuhl zur Hölle.«
»Na, na, Jennifer
»Lear-Jets und Limousinen, Ölquellen an der Lexington Avenue
und Schnapsbrennereien in Saudiarabier«
»Oh. mein Gott ...«, wisperte Sam. »Der Bundesgerichtshof.«
»Im Auge des Sturms!« röhrte der Falke. »Offenbar war jede
Salve ein Treffer! Der Bundesgerichtshof!«
»Sie wolln uns zurückschickn in'n Knast?« rief Desi-Eins.
-4 1 9
»General, warum tun Sie uns das an?« rief fassungslos Desi-
Zwo.
»Sie haben das in den falschen Hals gekriegt, Captains! Sie
sind auf Ihrer Karriere als Ranger ein gutes Stück
vorangekommen! «
»Ruhe, alle Mann!« versuchte Devereaux sich Gehör zu
verschaffen und stellte verblüfft fest, daß man auf ihn hörte.
»Na gut, Red - du als erste. Was hat dein Bruder gesagt?«
»Was dieser Steinzeitmensch gerade eben bestätigt hat.
Charlie hatte Johnny Kalbsnase angerufen, um zu sehen, ob
alles in Ordnung wäre, und Johnny war gerade dabei, die
Wände hochzugehen und zu versuchen, euren Super-Mutanten
zu finden. Gestern morgen traf ein Telegramm ein, das eine
sofortige Antwort erforderte, per Telefon oder Fax: General
Eisenei, alias Donnerklaps, hat vor dem hohen Gericht zu
erscheinen, um nachzuweisen, daß er wirklich die
Stammesautorität ist, die zu sein er behauptet - und gestern in
fünf Tagen, drei Uhr nachmittags, seinen Fall darzulegen. Bis
auf den langen qualvollen Prozeß, zuzusehen, wie ein ganzes
Volk vor die Hunde geht und zerstört wird, ist alles gelaufen.
Wie die einzelnen Richter zu dem Klagesatz stehen, wird dann
veröffentlicht.«
»Wir haben es geschafft, Sam! Das alte Team hat sich wieder
mal bewährt.«
»Nichts da!« schrie Devereaux. »Ich habe absolut nichts getan!
Ich habe nicht das geringste mit der ganzen Sache zu
schaffen!«
»Nun, es ist mir zwar arg, Ihnen widersprechen zu müssen,
mein Sohn, aber ...« »Ich bin nicht Ihr Sohn!«
»Nein, er ist mein Sohn!«
»Aber Sie sind nun mal der Prozeßbevollmächtigte«, ergänzte
Hawkins nicht ganz so lautstark wie zuvor.
»Oh, nein, diese Vorladung ist an Sie ergangen, nicht an mich.«
»Irrtum, Kollege«, sagte Jennifer untröstlich. »Du bist nicht nur
an die Stelle meines nicht bevollmächtigten Bruders getreten,
-4 2 0
sondern, einer Laune deines Affenmenschen zufolge, auch an
die meine. Charlie hat das ganz unmißverständlich ausgedrückt
und war persönlich auch noch erleichtert. Eingeschlossen in die
Vorladung war ein gewisser Samuel L. Devereaux, Esquire,
Rechtsvertreter des Stammes der Wopotami.«
»Das können sie mir nicht antun!«
»Haben sie aber, und Charlie möchte diesem S. L. Devereaux
von ganzem Herzen danken, wer immer das auch sei. Oder,
wie er es ausgedrückt hat: Ich würde diesem Arschloch ja gern
einen Drink spendieren, nur fürchte ich, daß er nicht so lange
am Leben bleibt, daß das möglich sein wird.«
»General«, ließ sich die ruhige Stimme von Cyrus M.
vernehmen, wobei die Worte, die er der Anrede folgen ließ, wie
gedämpfte Donnerschläge wirkten. »Vergessen wir den
>Soldaten des Jahrhunderts«
Der Falke wurde kalkweiß im Gesicht, seine Augen bewegten
sich spastisch-ruckhaft, ohne indes irgend etwas
wahrzunehmen. Dafür verrieten sie um so mehr von dem
Aufruhr, der in ihm tobte. »Ach, Jesus und Cäsar!« murmelte er
kehlig und ließ sich in den Sessel gegenüber von Pinkus
sinken. »Mein Gott, was mache ich jetzt?«
»Es ist eine Falle, Sir. Davon bin ich felsenfest überzeugt«,
sagte der riesige schwarze Söldner.
»Und was ist, wenn Sie sich irren?«
»Es gibt in der ganzen Geschichte des Nobelkomitees nichts,
was diese Art von Irrtum rechtfertigte.«
»Geschichte? Ja, um alles auf der Welt, Mann, es gibt in den
letzten vierzig Jahren nichts, was auf den Fall der Berliner
Mauer oder auf das Auseinanderbrechen des Ostblocks
hingedeutet hätte! Alles ist überall im Wandel begriffen.«
»Manche Dinge ändern sich aber nicht. Stockholm ändert sich
nicht.«
»Verdammt noch mal, Colonel, ich habe der Army mein ganzes
Leben geweiht und bin dann von diesen Politikerschwuchteln
mit ihrer seidenen Unterwäsche aufs Kreuz gelegt worden!
-4 2 1
Wissen Sie, was diese Auszeichnung für mich bedeuten würde - und nicht nur für mich, sondern für jeden Mann, der in drei Kriegen unter mir gedient hat?«
»Moment mal, General!« Cyrus warf einen Blick auf Devereaux.
»Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Sam ... und darf ich Sie Sam
nennen? Über die Bewachersituation sind wir doch mittlerweile
wohl hinaus, oder?«
»Massa paßt ja wohl nicht. Klar - was gibt's?«
»Hat diese Falle, die es nach meiner festen Überzeugung ist,
glauben Sie mir, hat die irgendwas mit dieser
Bundesgerichtshofsache zu tun, über die Sie sich alle so
erregen? Ich verstehe, daß Sie um Ihre Sicherheit besorgt sind,
aber Sie sind auf meine Hilfe angewiesen, und nach bestem
Wissen und Gewissen kann ich Ihnen nicht wirklich
professionell zu Diensten sein, wenn ich nicht genau Bescheid
weiß. Als Chemiker habe ich von meinen Untergebenen immer
peinlich genaue Angaben über die Zusammensetzung von
sämtlichen Stoffen gefordert, und auch als Söldner muß ich
über die fundamentalen Komponenten einer Situation im Bilde
sein, punktum. Sonst kann ich nicht entsprechend handeln.«
Devereaux wandte sich erst an Aaron, der ohne zu zögern
nickte, und sah dann zu Jennifer hinüber, die einen Moment
zögerte, dann jedoch widerstrebend gleichfalls ihr
Einverständnis gab. Schließlich ging Sam zu seiner auf der
Couch liegenden Mutter hinüber. »Mutter, du würdest mir einen
großen Gefallen tun, wenn du und Mrs. Lafferty etwas in der
Küche tun könntet.«
»Ruf Cora«, sagte die grande dame aus Weston,
Massachusetts, und machte keinerlei Anstalten, sich zu
erheben.
»He, kommen Sie schon, Sie verwöhnte Pute, Sie«, rief Erin
Lafferty. »Ich muß die Salatschüssel loswerden, und Sie
können uns einen Tee machen! Raten Sie mal, was ich
gefunden habe, große Dame. Eine Flasche Hennessy, VSOP!«
»Sie muß mit unserer schamlosen Cousine unter einer Decke stecken«, sagte Eleanor, erhob sich aber dennoch. »Teatime ist -4 2 2
doch längst vorbei, nicht wahr? Kommen Sie, Aaron, wir trinken
einen Tee.«
»Ich bin's, Erin, Missy ...« »Aber ja doch, Sie sehen so
überhaupt nicht jüdisch aus. Mögen Sie Kamillentee?«
»Nein, ich mag Hennessy.«
»Kein Zweifel - Cora! Kennen Sie sie schon lange?«
»Naja, sie stammt vom römischen Zweig der Familie ab und ich
vom anderen, aber wir kommen in diesem Komitee zusammen,
das wir in dem Versuch gegründet haben, diese Idioten
zusammenzubringen ...«
»Darüber reden wir beim Tee. Vielleicht schließ ich mich sogar
Ihrem Komitee an. Allerdings gehöre ich der anglikanischen ...«
Arm in Arm verschwanden die beiden Damen in der Küche.
»Desi-Eins und -Zwo«, sagte Sam. »Würdet ihr wohl aufhören,
so ein Gesicht zu machen? Alles, was General Mac
versprochen hat, wird er halten. Glaubt mir, ich weiß das,
sowohl das Gute als auch das Schlechte - und bei euch ist es
nur Gutes.«
»Privado«, erklärte der Falke. »Confidencial, ustedes
comprenden?«
»Claro, man, wir gehn raus mit diesem romano gitano. Der ist
total loco, wissen Sie, Mann? Mann, macht der einen Wirbel.
Un' immer lächeln. Muß aber gut auffer Straße sein, falls Sie
verstehn, was ich mein? Gemeinsam könnten wir 'n Haufh
verdien'.«
»Nicht vergessen, captains!« rief MacKenzie laut. »Ihr steht
unter meinem Kommando. Also keine Straßengangs mehr,
keine Überfälle und keine Diebereien! Und keine Übergriffe auf
Zivilisten! Habt ihr denn überhaupt nichts gelernt?«
»Sie recht habn, General«, antwortete Desi-Eins zerknirscht.
»Manchmal wir nich' denken un' einfach zurückfalln, in alte
Denfegewohnheiten! Sie recht ... wir gehen raus mit loco
gitano.« Desi-Eins und -Zwo marschierten in die geflieste Halle
und auf die Haustür zu.
-4 2 3
»Um was ging es denn nun schon wieder?« fragte Cyrus und warf einen Blick in die verlassene Halle. »Das Spanisch habe ich verstanden, aber nicht Ihren Befehl, und daß sie Captains sein sollen. In welcher Army denn?« »In der Army der Vereinigten Staaten, Colonel - oh, Verzeihung, Sie mögen das ja nicht ... Sagen wir mal so: Ich bilde sie aus, denn wir könnten weiß Gott schlechter fahren!« »Lassen wir das, General«, sagte der Söldner kopfschüttelnd. »Das übersteigt meinen Horizont, und im Moment würde ich mich lieber auf ... auf das konzentrieren, wo wir gerade angekommen waren. Würde also jemand mir mal alles erklären?« Blicke wurden gewechselt, und es war Jennifer Redwing, Tochter der Wopotami. die die Hand hochhielt und darauf bestand, das Wort zu ergreifen. Sie beschrieb alles, was sie über den dem Obersten Gerichtshof vorliegenden WopotamiKlagesatz wußte; dann umriß sie sehr gewinnend, worauf ihrer Meinung nach alles hinauslaufen würde, egal wie die Verhandlung ausgehen würde: die verheerenden Folgen für den Stamm der Wopotami. »Allein das Schreckgespenst eines Prozesses genügt, um die ganze Bundesregierung vor Wut außer Rand und Band geraten zu lassen. Man wird uns zu einem Volk von Verrätern und Parias stempeln und dafür sorgen, daß das ganze Land beschlagnahmt wird. Das Reservat wird geschlossen und die, die darin leben, in alle Winde zerstreut werden. Washington bleibt gar nichts anderes übrig, denn für die Regierung ist der Erhalt des Strategie Air Command wichtiger als alles andere. Als nächstes kommt dann die geballte Kraft der Rüstungsindustrie, ja, des Pentagon selbst, alle werden sie nach unserem Blut schreien ... Auf der anderen Seite wird es Horden von Kriegsgewinnlern jeder Couleur geben, die über den Stamm herfallen und jeden, der ihnen in die Finger gerät, korrumpieren - und jeder einzelne wird wie gebannt auf den countdown starren. Schließlich wird nichts mehr von uns übrig sein außer Kritik und Verfall, ein Volk, in dem es Verleumdung, Habgier und Verderbtheit im Überfluß gibt, ein Volk, das -4 2 4
schließlich einfach beiseitegefegt wird. Und genau das ist es nicht, was ich mir für meine innig geliebten Brüder und Schwestern wünsche ... So, jetzt ist es heraus, und ich hoffe, Sie haben gut zugehört, General Dschingis Khan mit der Hand im Honigglas.« »Bis auf Ihre abschließende Wertung«, sagte der wie festgenietet auf seinem Sessel sitzende Aaron Pinkus, »war das eine bezaubernde Zusammenfassung. Ich enthalte mich jeden Urteils über Ihre Schlußbemerkung, meine Liebe, und gebe nur zu bedenken, wie die sich auf eine Jury auswirken würde ... Wie ich argwöhne, negativ.« »Ich weiß es nicht, Commander.« MacKenzie Hawkins saß regungslos da und sah die Tochter der Wopotami durchdringend an. »Ich nehme mal an, ich gehöre hier zur Jury - und auf mich hat das ganze Plädoyer eine ausgesprochen positive Wirkung gehabt.«
»Was wollen Sie damit sagen, Mac?« fragte Devereaux.
Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er darauf
gefaßt zu hören, worauf keiner gekommen wäre.
»Dürfte ich nun meinerseits darlegen, wie die Dinge liegen,
kleine Lady?« sagte der Falke und stand auf. »Entschuldigen
Sie, Sie sind natürlich in keiner Hinsicht klein, wohl aber eine
Lady, und für mich hat diese Bezeichnung nichts
Despektierliches.«
»Fahren Sie fort«, sagte Jennifer eisig. »Ich habe diesen Stein vor drei Jahren ins Rollen gebracht. Dabei spukten mir nur wenige Gedanken im Kopf herum, von denen zudem keiner besonders klar war, denn ich bin kein Denker, sondern Soldat ausgenommen natürlich dort, wo es um Strategisches geht. Was ich damit sagen will, ist, daß ich kein Intellektueller bin und nicht viel Zeit damit verschwende, Dinge wie Motive, Moral oder Rechtfertigungstiraden und das ganze Geseire zu analysieren. Hätte ich das getan, ich würde verdammt viel mehr prächtige junge Männer im Kampf verloren haben, als in den Akten steht ... Selbstverständlich habe ich immer den großartigen Sieg im Sinn gehabt - kleinkariertes Denken ist mir nun mal zuwider -, -4 2 5
eine solche Herausforderung reizt einen abgehalfterten alten Soldaten nun mal. Außerdem sollte es Spaß bringen, und derjenige, der Unrecht getan hatte und noch tat, sollte die Rechnung bezahlen, Was ich zum Ausdruck bringen möchte, ist wohl, daß ich nie vorhatte, die leiden zu lassen, mit denen ich diese Vergeltung üben wollte.« »Aber genau die sind es, die darunter zu leiden haben werden«, fuhr Jennifer ihm zornig dazwischen. »Nämlich mein Volk, und darüber sind Sie sich verdammt noch mal sehr wohl im klaren!« »Dürfte ich wohl erst einmal zu Ende kommen, bitte? Als ich erfuhr, wie übel man den Wopotami vor über hundert Jahren mitgespielt hat, erinnerte mich das irgendwie an mein eigenes Schicksal - und an das, was, wenn ich hier zwei und zwei zusammenzähle, auch unserem Colonel Cyrus widerfahren ist. Wir alle wurden von irgendwelchen Männern in der Regierung geopfert, und diese Männer hatten alle entweder den Finger im richtigen Honigtopf oder verfolgten damit ihre eigenen politischen Ambitionen - oder es waren schlichtweg Lügner, die das in sie gesetzte Vertrauen mißbrauchten! Dabei spielt es keine Rolle, ob das vor hundert Jahren geschah, vor zehn Jahren, drei Monaten oder auch erst gestern. Wie es unser Söldner soeben ganz richtig gesagt hat: Damit muß es ein Ende haben! Wir haben das Glück, im besten System zu leben, das diese Welt kennt - aber es gibt immer jemanden, der versucht, es zu verhunzen und kaputtzumachen.« »Keiner von uns läuft ein himmlisches Hindernisrennen abstürzen tut jeder mal, Mac«, gab Devereaux leise zu bedenken. »Verdammt noch mal, nein, Sam. Aber uns hat auch keiner gewählt, uns ernannt oder unter Eid schwören lassen, immer nur das Wohl von einigen hundert Millionen Menschen im Auge zu haben, die wir nicht kennen. Wenn unser Colonel hier recht hat, muß es jemanden ganz oben in der Hierarchie geben, der alles daran setzt, einen Bürger- also nicht mich als Person, sondern einen Bürger - daran zu hindern, sein verfassungsgemäßes Recht wahrzunehmen, vor Gericht zu gehen. Da haben wir's wieder! Und wenn unser Freund hier, -4 2 6
der es nicht gern hört, wenn man ihn >Colonel< nennt, unrecht hätte und ich eben doch zum Soldaten des Jahrhunderts gewählt worden wäre - nun, ich könnte diese großartige Ehrung unmöglich annehmen, hinterher zur Tagesordnung übergehen und mich davor drücken herauszufinden, ob es da nicht doch ein superangesehenes Regierungsmitglied gibt - oder nicht gibt -, das versucht, einen Bürger, der nun mal zufälligerweise ich bin, in der Ausübung seiner ihm von der Verfassung garantierten Rechte zu behindern.« »Nicht schlecht, General«, sagte Aaron und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Für jemanden, der juristisch nicht vorgebildet ist, sogar bemerkenswert.« »Was soll das heißen, juristisch nicht vorgebildet, Mr. Pinkus?!« erhob Jennifer Einspruch mit einer Stimme, in der vielleicht sogar eine gewisse Eifersucht mitschwang. »Er hat schließlich den verdammten Klagesatz aufgesetzt!« »Zugegeben, die Grundidee stammte von ihm, meine Liebe. Er hat gewissenhaft Textbuchformulierungen übernommen und so hingedreht, daß sie für seine Zwecke paßten. Aber das heißt nur transponieren, nicht wirklich schöpferisch tätig werden.« »Und ich«, sagte Sam, »gebe zu bedenken, daß all das völlig irrelevant ist.« Er wandte sich dem Falken zu. »Was ich nicht ganz durchschaue, ist, warum Sie gewisse Dinge nicht zur Sprache gebracht haben. Und wenn diese Dinge Ihnen nicht beweisen, daß jemand sehr Hochstehendes versucht, uns alle nicht zum Zug kommen zu lassen, weiß ich wirklich nicht, wer zum Geier das sonst tun soll. Dürfte ich Sie daran erinnern ...« »Mein Sohn, ich bin da längst zwei Schritte weiter«, unterbrach der Falke ihn hastig und mit Nachdruck. »Sie meinen die Überfälle und Attentate, die bereits begangen wurden.« »Richtig, Mac. Bis zu den vier bis an die Zähne bewaffneten Gorillas in der Skihütte. Wer hat uns die auf den Hals gehetzt? Eine Märchenfee?« »Das werden wir nie rausfinden, mein Junge, glauben Sie mir. Sie haben ja keine Ahnung, wie solche Sachen in die Wege geleitet werden - mit Hilfe von soviel falschen Fährten, -4 2 7
Vertuschungen und so vielen Mittelsmännern, die aufzuklären länger dauern würde, als Licht in die Iran-Contra-Affäre zu bringen. Verdammt noch mal, Sam, ich selbst habe solche Dinge hinter hundert feindlichen Linien ausgeheckt. Deswegen habe ich ja getan, was ich getan habe - und jedesmal gezeigt, daß sie auf die Weise keinen Erfolg haben würden.« »Tut mir leid, aber da komme ich nicht mehr mit«, sagte ein völlig verwirrter Aaron. »Ich auch nicht«, erklärte gleichfalls verdattert Jennifer. »Sind Sie nun Juristen oder Schuhverkäufer?« rief MacKenzie aufgebracht. »Wenn Sie mitten in einem Prozeß stecken, in dem es um Leben und Tod geht, und Sie brauchen Informationen, von denen Sie wissen, daß es sie irgendwo gibt, daß sie Ihnen aber bewußt vorenthalten werden - wie gehen Sie dann vor?« »In solchen Fällen gehe ich im Kreuzverhör bis an die Grenze des Möglichen«, sagte Pinkus. »Oder bis an die Grenze des Meineids«, setzte Redwing noch hinzu. »Nun, mal angenommen, Sie haben Ihre Beweise, nur agieren wir hier nicht im Gerichtssaal. Dann gibt es andere Mittel und Wege ...« »Dann provoziert man«, fiel Devereaux ihm ins Wort und blickt dabei amüsiert zum Falken hinüber. »Man stellt eine oder eine ganze Reihe von haarsträubenden Behauptungen auf, die Licht auf eine gegnerische Reaktion werfen, die wiederum genau die Information bestätigt, die man braucht.« »Gottverdammich, Sam, ich hab immer gesagt, Sie sind der Beste! Wissen Sie noch, in London, am Belgrave Square, als ich Ihnen sagte, wie Sie bei diesem Abschaum von Verräter vorgehen sollten ...« »Unsere bisherigen Beziehungen zueinander sollten wir besser aus dem Spiel lassen, General!« bestimmte Aaron. »Davon wollen wir nicht das geringste wissen.« »Im übrigen ist es auch irrelevant«, sagte Jennifer.
-4 2 8
»Ah, verstehe.« rief Sam und strahlte seine indianische
Aphrodite mit einem falschen Grinsen an. »Du kannst es eben
nicht vertragen, wenn ich mit was komme, woran du noch nicht
gedacht hast.«
»Irrelevant!«
»Wenn diese Kindsköpfe endlich aufhören würden zu streiten«,
sagte Pinkus, »würden Sie mir dann Ihre Strategie erklären,
General?«
»Wenn dieser Colonel hier - mein Colonel - recht hat, haben wir
die Erklärung für alles auf einer Rollbahn des Logan Airport zu
suchen. Air Force U, Commander. Wer hat die herbeordert? Es
sei denn, ich wäre eben doch der Soldat des Jahrhunderts ...«
»Ich will gar nicht erst versuchen, Ihrem Gedankengang zu
folgen, aber ....« Plötzlich hielt Aaron inne und schaute sich
suchend nach Cyrus um, dessen massige Gestalt einen antiken
Stuhl vor dem antiken weißen Schreibtisch ausfüllte und der sie
- den Mund ebenso aufgerissen wie die Augen - anstarrte. »Ach, da sind Sie ja, Colonel.« »Was?« »Haben Sie zugehört?« Cyrus nickte mit dem großen Kopf und antwortete dann langsam und sehr genau: »Jawohl, ich habe zugehört, Mr. Pinkus«, begann er leise, »und ich habe soeben die erstaunlichste Geschichte gehört, seit ein paar Clowns behauptet haben, eine Kernfusion ließe sich in Eiswasser für zwölf Cent die Gallone vollziehen ... Ihr seid wirklich völlig durchgedreht, Leute, einfach plemplem! Ihr seid nachweislich verrückt. Wenn von der ganzen Sache hier auch nur ein Teil stimmt ...?« »Sie stimmt von hinten bis vorn, Cyrus«, sagte Devereaux. »Worauf, zum Henker, habe ich mich dann bloß eingelassen!« brüllte der athletische schwarze Chemiker. »Verzeihen Sie mein Gefluche, Miss Redwing. Ich versuche, alles in einer einzigen Gleichung unterzubringen, und das fällt mir verdammt schwer.«
-4 2 9
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Cyrus - warum nennen Sie mich übrigens nicht Jenny? Diese Miss bringt mich sowieso immer leicht aus der Fassung.« »Voodoo«, sagte der Söldner und stand auf. »Wenn es stimmt«, fuhr er fort und ging auf das Anwaltskleeblatt und den >Soldaten des Jahrhunderte< zu, dessen markanter Gesichtsausdruck Cyrus offensichtlich größtes Unbehagen verursachte. »Wenn das alles wirklich wahr ist, bleibt uns tatsächlich nichts anderes übrig, als mit dem Nobelkomitee die Probe aufs Exempel zu machen. Rufen Sie Ihren Schauspieler an, Mr. Pinkus. Wir gehen auf die Bühne. Der Vorhang hebt sich.«
-4 3 0
21. KAPITEL Ruhe lag über dem Strandhaus in Swampscott, Massachusetts, das passende Vorspiel für die vor ihnen liegenden kriegerischen Auseinandersetzungen. Unter der neutralen Federführung von Aaron Pinkus wurde ein Dokument aufgesetzt, eine Vereinbarung zwischen General MacKenzie Hawkins, alias Donnerhaupt, dem augenblicklichen Häuptling der Wopotami, und Sunrise Jennifer Redwing, AdhocSprecherin besagten nordamerikanischen Indianerstamms, der zufolge nach vollzogener und notariell beglaubigter Unterschrift der vertragschließenden Parteien sämtliche Prozeßvollmachten auf Ms. Redwing übertragen wurden. Samuel Lansing Devereaux, zeitweiliger Prozeßbevollmächtigter, erklärte sich einverstanden, nach einem gemeinsamen Auftreten mit der ständigen Prozeßbevollmächtigten, der vorgenannten MS. Redwing, vor dem Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten, sollte ein solches gemeinsames Auftreten tatsächlich erforderlich sein, auf alle daraus ableitbaren Rechte und Pflichten zu verzichten. »Ich weiß nicht, ob mir das mit dem gemeinsamen Auftreten gefällt«, sagte Jennifer. »Mir gefällt es überhaupt nicht«, sagte Sam. »Dann unterschreibe ich nicht!« Der Falke ließ sich nicht erweichen. »In letzter Minute den Anwalt zu wechseln, könnte sich als sehr nachteilig erweisen und eine Verzögerung bedeuten. Ich habe viel zuviel Blut, Schweiß, Geld und Duldsamkeit in dieses Unternehmen gesteckt, um mich damit abzufinden. Außerdem habe ich Ihnen für alle Verhandlungen völlig freie Hand gegeben - was zum Teufel wollen Sie noch?« »Was noch? Kein Erscheinen vor dem Gericht, keinen Klagesatz, überhaupt kein Verfahren.« »Nun kommen Sie mal, meine Liebe«, versuchte Aaron zu begütigen. »Dafür ist es nun einmal zu spät. Nicht nur ist der Termin anberaumt, Sie würden auch noch eine echte Chance für ihr Volk verspielen. Und wenn Sie selbst in dieser Sache -4 3 1
das Sagen haben, läßt sich der Fahrstuhl zur Hölle doch wohl
zum Stillstand bringen!«
»Ja, natürlich«, stimmte Jennifer zu. »Wird wirklich ernsthaft
verhandelt, kommt es möglicherweise zu einer raschen
Einigung mit dem Büro für Indianerangelegenheiten, werden
vielleicht zwei oder drei Millionen Dollar gezahlt, aber das
Leben geht weiter. Wir können im Reservat vier oder fünf
Schulen bauen und ein paar gute Lehrer einstellen ...«
»Nein, dann denke ich gar nicht daran zu unterschreiben!« kam
es wie ein Aufschrei vom Falken.
»Warum nicht, General? Würde das nicht reichen, um Sie zu
entschädigen?«
»Mich mit Geld entschädigen? Wer hat denn was von Geld
gesagt? Geld brauche ich nicht ... Sam und ich haben mehr
Geld in der Schweiz liegen, als wir jemals ausgeben könnten!«
»Mac, halten Sie den Mund!«
»... rechtmäßig dem Abschaum der Menschheit abgenommen,
und ich kann Ihnen versichern, daß keiner von denen jemals
daran denkt, deswegen gegen uns zu prozessieren!«
»Das reicht, General!« Aaron Pinkus sprang auf. »Keinerlei
weitere Anspielungen, weder schriftlicher noch mündlicher Art,
auf frühere Ereignisse, von denen wir nichts wissen.«
»Einverstanden, Commander. Ich möchte nur meine Position
klarmachen. Ich habe nicht drei Jahre meines Lebens
geschuftet, um mich mit einer Entschädigung abspeisen zu
lassen, die jedes für den Strategie Air Command arbeitende
Rüstungsunternehmen aus der Portokasse an uns bezahlen
könnte!«
»An uns?« rief Jennifer aus. »Ich dachte, Sie wollten überhaupt
nichts.«
»Ich rede nicht von mir. Ich rede von dem Prinzip, um das es
hier geht.«
»Und wie lautet das genau?« fragte Redwing sarkastisch.
»Sie wissen genau, was ich meine. Sie sind im Begriff, den
Stamm zu verkaufen - meinen Stamm übrigens.«
-4 3 2
»Woran hatten Sie denn gedacht, Mac?« sagte Devereaux,
wohl wissend, daß er den Falken niemals dazu bringen würde,
sich - im Prinzip - eines anderen zu besinnen.
»Fangen wir mit fünfhundert Millionen an, das ist eine hübsche
runde Summe und fürs Pentagon eine Kleinigkeit. Ein
verdammt billiger buy-out, würde ich sagen.«
»Fünfhundert ...« Jennifers bronzefarbenes Gesicht verdunkelte
sich noch mehr. »Sie sind wahnsinnig!«
»Verringern kann man die Stärke seiner Artillerie immer. Aber
wenn man nichts in Reserve hat, ist das mit dem Verstärken so
eine Sache ... jawohl, fünfhundert Megariesen, oder ich
unterschreibe nicht. Vielleicht sollten wir das noch reinbringen
in den Vertrag - als Zusatz, oder wie man so was nennt.«
»Das wäre unklug, General«, sagte Pinkus mit einem Blick zu
Sam hinüber. »Sollte jemand das später mal genauer unter die
Lupe nehmen, könnte man daraus jederzeit eine an Nötigung
grenzende Vorbedingung konstruieren.«
»Dann verlange ich eine gesonderte Vereinbarung«, sagte
MacKenzie stirnrunzelnd. »Ich werde nicht zulassen, daß sie
mein Volk den dunklen Fluß der bösen Geister
hinunterschickt.«
»Ihr ... Oh, mein Gott!« Jennifer ließ sich auf das Sofa sinken.
»Den dunklen Fluß der bösen ... So ein Scheiß!«
»Wir vom Ältestenrat mißbilligen derartige Ausdrücke bei
unseren Squaws.«
»Ich bin keine ... Ach, vergessen Sie's! Eine halbe Milliarde! An
so was ist überhaupt nicht zu denken. Wir werden ruiniert,
werden vernichtet, und unser Land wird beschlagnahmt
werden. Die Steuerzahler werden schäumen, die Leitartikel uns
als ungebildete Wilde und Diebe hinstellen ...«
»Miss Redwing«, unterbrach Aaron sie, wobei die Anrede Miss
und der Gebrauch ihres Familiennamens sowie die Strenge
seiner Diktion Jenny veranlaßten, den bekannten Anwalt
anzusehen, der so freundlich zu ihr gewesen war.
»Ja, Mr. Pinkus?«
-4 3 3
»Ich werde eine Absichtserklärung aufsetzen, aus der klar hervorgeht, daß Sie die Verhandlungen nach bestem Vermögen und entsprechend den Wünschen von Häuptling Donnerhaupt, auch als General MacKenzie Hawkins bekannt, führen werden - sofern es denn zu solchen Verhandlungen überhaupt kommt. Übernehmen Sie diese schwere Verantwortung?« »Verflucht ...« Jennifer sah das Glitzern in Aarons Augen. »Schön, Sir, keine Fluchereien mehr. Ich weiß, wann die Prozeßsüchtigkeit eines Überlegenen mich zwingt, mich geschlagen zu geben. Ich werde beide Dokumente unterschreiben.« »So gefallen Sie mir schon besser, Lady«, sagte der Falke und zündete sich seine zerfaserte Zigarre an, indem er das Bein hob und an der rechten Innenseite seiner hirschledernen Hosen ein Zündholz anriß. »Sie werden sehen, Miss Red, die Verantwortung eines Kommandeurs endet nicht mit einem einzelnen Sieg. Wir machen weiter und weiter und weiter, kümmern uns aber gleichwohl ständig um die prachtvollen Truppen, die uns folgen.« »Wie überaus ermutigend, General«, erklärte Jennifer lieblich lächelnd. Aaron Pinkus ging ins Arbeitszimmer seines Schwagers, rief seine Privatsekretärin an und sagte ihr, sie möge sich von Paddy Lafferty nach Swampscott rausfahren lassen und nicht vergessen, sein Notarssiegel mitzubringen. Die grauhaarige Dame traf bald darauf mit geröteten Augen und geschwollenen Lidern, zweifellos die Folge einer grassierenden Grippe, ein und machte sich sofort daran, die beiden Dokumente zu tippen. Sie wurden umständlich und feierlich unterzeichnet. und Aaron geleitete seine offensichtlich kranke Sekretärin höflich zur Haustür. Nachdem er ihr nochmals gedankt hatte, fragte die nicht mehr ganz klar blickende Frau: »Kennen Sie einen gewissen Bricky, Mr. Pinkus? Er hat nach Ihnen gefragt.« »Bricky? Hat er auch einen Familiennamen?« -4 3 4
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn richtig mitbekommen habe
er lautete irgendwie anders.«
»Es geht Ihnen nicht gut, meine Liebe. Sie müssen sich
unbedingt ein paar Tage freinehmen. Gott Abrahams, verzeih
mir, nehme ich Sie über Gebühr in Anspruch?«
»Er war ein ausnehmend stattlicher junger Mann. Glänzendes
dunkles Haar, tadellos gekleidet ...«
»Vorsicht! Geben Sie auf die Stufen acht.«
»Er wollte immer wieder wissen, wo Sie wären ...« »Und jetzt
nochmals aufgepaßt - es sind noch zwei Stufen bis zum
Gehweg unten ... Paddy? Sind Sie da?«
»Ja, hier bin ich, Boss!« kam Laffertys Antwort von der Auffahrt.
Der Chauffeur kam aus dem Schatten der Bäume
herbeigelaufen: »Wissen Sie, ich glaube, sie leidet unter
Wetterfühligkeit, Mr. Pinkus.«
»Sie hat wohl eine Grippe, Paddy.«
»Wenn Sie meinen, Sir.« Lafferty nahm die Sekretärin und legte
sich ihren linken Arm um die Schulter.
»Bricky is my darling, my darling, my darling ...!« Heran
schwebten die Worte des Songs, verhallten in den hohen
Fichten, welche die kreisrunde Auffahrt säumten. »... be's the
only boyfor me - only boyfor me!«
Erleichtert wandte Aaron sich wieder der Haustür zu, war schon
im Begriff, die Stufen hochzusteigen, da blieb er stehen und
legte betroffen den Kopf auf die Seite. Binky - Bricky
Binghampton Aldersbot, sonst in Cape Cod unter dem Namen
Binky bekannt, ein Mann, der für Bostoner Verhältnisse fast so
etwas wie ein internationaler Finanzier war, der sich hinter den
Eisentoren seiner Bank auf Beacon Hill verschanzte? Hatte der
nicht irgendwo einen Neffen? Einen jungen Weiberheld mit
einem ähnlichlautenden Spitznamen, dem die Aldershots
finanziell ziemlich viel Leine ließen, schon damit der Idiot die
Familie nicht blamierte ... Nein, das war unmöglich! Seine
Privatsekretärin arbeitete seit fünfzehn Jahren für ihn und war
eine reife Frau, ehedem Novizin, die sich dann jedoch von ihren
-4 3 5
Gelübden hatte entbinden lassen, gleichwohl eine Frau, die ihrem Glauben tief verbunden ... Lächerlich! Reiner Zufall! Pinkus machte die Tür auf, und als er die Halle betrat, hörte er das Telefon klingeln. »Okay, Cyrus!« trompetete Sam in den Hörer hinein. »Vergessen Sie nicht, er ist Schauspieler, also nicht aus der Haut fahren, okay? Hauptsache, Sie bringen ihn her ... Was? Er will einen Vertrag, in dem festgelegt wird, daß er ganz oben auf den Plakaten steht? Mit wem?... Was? Sein Name genauso groß gedruckt wie der Titel des Stücks? ... Und was ist mit der Gage? Hat er da irgendwelche Forderungen gestellt? ... Nichts? Himmel, geben Sie ihm schriftlich, was immer er verlangt - bloß bringen Sie ihn her! ... Für die gesamte Spielzeit? Keine Entlassung während der Probenzeit ohne vollständige Entschädigung? Was zum Teufel, heißt das? ... Weiß ich nicht, aber schreiben Sie's in den Vertrag rein.« Genau eine Stunde und zweiundzwanzig Minuten später ging die Haustür auf, ein in ein orangefarbenes Hemd gekleideter Zigeuner mit einer langen blauen Schärpe um die Hüften kam in die Halle gehüpft, drehte eine Reihe von Pirouetten, bis er den Eingang zu dem riesigen Wohnzimmer erreicht hatte, wo die drei Anwälte und General MacKenzie Hawkins im Halbkreis zusammensaßen. Alle wandten Roman Z. den Kopf zu, als dieser verkündete: »Schöne, wunderschöne Dame, und Sie, meine Herren von ... nun ja, nicht weniger ansprechendem Äußeren. Darf ich Ihnen Colonel Zypresse vorstellen, einen Mann mit der Kraft eines Mittelmeerbaums, der etwas zu verkünden hat.« Die riesige und verlegene Gestalt des schwarzen Söldners tauchte auf. »Hallo, Leute«, sagte Cyrus. »Ich möchte Ihnen einen Künstler vorstellen, der in vielen der großen BroadwayShows unserer Zeit aufgetreten ist und dessen hinreißende Kritiken überall im Land verdienen sind ...« »Erschienen sind, Sie Trottel!« kam es aus dem Dunkel hinter ihm.
-4 3 6
»Ein Schauspieler mit großem Tiefgang und von großer Einfalt
....«
»Vielfalt, Idiot!«
»Himmel, Mann, ich tue wirklich mein Bestes ...« »Eine lange,
ungekonnt vorgetragene Einführung macht jeden Auftritt kaputt.
Gehen Sie mir aus dem Weg!«
Ein großer, hagerer Mann kam die wenigen Stufen zum
Wohnzimmer heruntergesprungen und legte dabei eine
Wendigkeit und Spannkraft an den Tag, die sein Alter Lügen
strafte. Mit seiner wallenden grauen Mähne, den scharfen
Zügen und blitzenden Augen, die verrieten, daß er schon
Tausende von Bühnenauftritten hinter sich hatte, raubte er der
kleinen vor ihm versammelten Gruppe den Atem, wie er es
wohl in ungezählten ausverkauften Häusern getan hatte. Sein
Blick blieb an Aaron Pinkus hängen; mit höfischer Verneigung
näherte er sich dem Anwalt.
»Ihr habt mich rufen lassen, Sire, und ich bin Eurem Ruf
gefolgt. Euer untertänigster Diener und kühnster fahrender
Ritter, mein Lord!«
»Aber Henry«, sagte Aaron, stand auf und schüttelte dem
Schauspieler die Hand. »Das war wirklich wunderschön! Sie
erinnern mich an damals, als Sie zu Shirleys Hadassah in ihrer
Ein-Mann-Show einen Auszug aus dem Bettelstudenten zum
besten gaben.«
»Ich erinnere mich nicht allzu gut an die vielen kleineren
Auftritte außerhalb New Yorks, mein Lieber ... Gleichwohl
glaube ich, muß dies vor ungefähr sechseinhalb Jahren
gewesen sein, am 12. März, wenn ich mich nicht irre, und zwei
Uhr nachmittags. Ich denke, ich war damals nicht besonders
gut bei Stimme.«
»O doch, Sie waren einfach großartig. Kommen Sie, gestatten
Sie, daß ich Sie mit meinen Freunden bekanntmache ...«
»Mein Cis war nicht besonders gut intoniert«, fuhr der
Schauspieler fort. »Was wollten Sie noch sagen, Aaron?« »Ich
möchte Sie gern meinen Freunden vorstellen.« »Oh, furchtbar
gern, besonders diesem bezaubernden Wesen hier.« Sir Henry
-4 3 7
griff nach Jennifers Linker und hob sie an die Lippen, wobei er
ihr unverwandt in die Augen sah und ihr dann einen Kuß auf
den Handrücken hauchte. »Ihr macht mich unsterblich durch
Eure Berührung, süße Helena! Haben Sie jemals daran
gedacht, zur Bühne zu gehen?«
»Nein, ich habe nur einmal als Model gearbeitet«, erwiderte
Jennifer, die das alles völlig unvorbereitet traf, es aber
gleichwohl in Maßen genoß.
»Es ist nur ein Schritt, mein Kind, nur ein einziger Schritt
allerdings: die Richtung muß stimmen. Vielleicht sollten wir
einmal zusammen lunchen. Ich gebe Privatstunden, wobei das
Honorar in bestimmten Fällen sagen wir ... nicht der Rede wert
ist.«
»Sie ist Anwältin, verdammt noch mal!« erklärte Sam und war
sich nicht ganz sicher, warum er eigentlich so heftig reagierte.
»Ach, welch ein Jammer!« sagte der Schauspieler und ließ die
geküßte Hand langsam los. »Wie der Sänger es in der zweiten
Szene von Heinrich VI. ausdrückt: >Als erstes laßt uns alle
Anwälte töten!< Sie natürlich ausgenommen, Aaron, denn Sie
besitzen eine Künstlerseele.«
»Je, nun, aber gestatten Sie, daß ich Sie vorstelle, Henry. Die
Schauspielerin, oh, Anwältin, natürlich, ist Miss Jennifer
Redwing.
»Enchante, mademoiselle ...«
»Ehe Sie ihr die Hand noch mal zerquetschen - ich bin Sam
Devereaux, auch ich ein Anwalt.«
»Shakespeare war schon ein klarsichtiger Mann ...«
»Und dieser Gentleman im Indianerkostüm ist General
MacKenzie Hawkins ...«
»Ach, Sie sind das!« rief der Schauspieler, packte die Hand des
Falken und schüttelte sie kräftig. »Ich habe diesen Film über
Sie gesehen. Wie haben Sie das nur aushallen können? Hatten
Sie denn keinerlei Einfluß auf Besetzung und Drehbuch? Mein
Gott, dieser Esel, der Sie gespielt hat, hätte Lippenstift
benutzen sollen.«
-4 3 8
»Ich glaube, das hat er getan«, sagte der General argwöhnisch,
aber nicht unbeeindruckt.
»Und jetzt, meine Damen und Herren«, unterbrach Aaron ihn,
»darf ich Ihnen Henry Irving Sutton vorstellen, Sutton wie in
Sutton Place - das Haus seiner Ahnen - und in der Zeitung
häufig Sir Henry Irving S. genannt, nach jenem
elisabethanischen Schauspieler, mit dem er oft verglichen wird,
einem ganz ungewöhnlichen Mimen ...«
»Wer sagt das?« ließ Sam sich quengelig vernehmen.
»Kleine Geister sind oft große Zweifler«, antwortete Henry
Irving Sutton und sah Devereaux gedankenverloren an.
»Wer hat denn das gesagt, Fritz the Cat?«
»Nein, ein französischer Dramatiker namens Anouilh. Ich
bezweifle, daß Sie je von ihm gehört haben.«
»So? Nie gehört? Und von wem stammt der Ausspruch: .Da
bleibt einem nichts, als zu schreien?«
»Das stammt aus der Antigone, nur ist die Übersetzung nicht
ganz korrekt.« Sutton wandte sich Hawkins zu. »General, tun
Sie mir einen Gefallen - und das bitte ich Sie als ehemaliger
Second Lieutenant in Afrika, wo ich Sie viele Male hab reden
hören und wo Sie eigentlich immer gegen Montgomery
gewettert haben.«
»Sie sind drüben dabeigewesen?«
»Jawohl, beim Militärischen Abschirmdienst in Tobruk.« «Ihr
Jungs wart phantastisch! Wie ihr diese Krauts in die Sahara
gelockt habt! Und die nicht wußten, wo eure Panzer waren.«
»Die meisten von uns waren Schauspieler, die ein bißchen
Deutsch konnten. De facto hat man uns überbewertet - es ist so
leicht, Soldaten zu spielen, die vor Durst umkommen und noch
Informationen preisgeben, bevor sie ins Koma fallen.«
»Sie haben in den Uniformen des Feindes gesteckt! Man hätte
Sie erschießen können.«
»Schon richtig - aber wo bekommt man sonst schon die
Chance, solche Rollen zu spielen?«
-4 3 9
»Nun, worum auch immer Sie bitten, es sei Ihnen gewährt, Soldat!« »Ich möchte gern, daß Sie etwas sprechen, General, möglichst etwas, was wir beide kennen. Sagen Sie irgendwelche Verse auf, ein Gedicht oder vielleicht einen Liedtext - was immer Sie wollen. Sie können ganz normal sprechen oder auch schreien, wie es Ihnen am liebsten ist und Ihnen natürlich vorkommt.« »Mal sehen«, sagte der Falke und verengte die Augen. »Tja, ich habe immer was für dieses alte Army-Lied übriggehabt, Sie wissen schon, was ich meine. - Over hill, over aale, we will hit the dustee trau ...« »Nicht singen, General, einfach den Text hersagen« befahl der Schauspieler, der mit seinem Gesicht augenblicklich MacKenzies Ausdruck nachmachte, leise kamen auch die Laute hervor, während das alte Schlachtroß martialisch den Text von The Caissons Go Rolling Along abspulte. Dann, plötzlich, so als ob die beiden Stimmen im Refrain miteinander verschmolzen, war es plötzlich Henry Irving Sutton allein, der sprach und seine Stimme und ihr Auf und Ab, Gesten und Mimik nahezu nicht mehr von denen des Falken zu unterscheiden waren. »Da laust mich doch der Affe!« rief der General ebenso betroffen wie überrascht aus. »Erstaunlich, Henry!« »Nicht schlecht, wenn ich so sagen darf.« »Sie sind ein toller Schauspieler, Mr. Sutton!« »Oh, nein, liebe Tochter von Elysium«, verwahrte Sir Henry Irving S. sich bescheiden, »Das ist keine Schauspielerei, sondern bloß Mimikry, so was kann jeder drittklassige Komödiant. Sie lassen sich von Gesten und Ausdruck genauso narren wie von der Intonation ... In unseren Privatstunden erkläre ich Ihnen das genauer. Zum Lunch also?« »Warum, zum Teufel, hat man Ihnen nicht die Rolle in dem verdammten Film angeboten?« »Ich habe einen gräßlichen Agenten, mon general. Sie ahnen ja nicht, wie das so ist ... Stellen Sie sich einen überragenden Stabsoffizier vor, der ständig daran gehindert wird, sein Können -4 4 0
im Kampf unter Beweis zu stellen, bloß weil ein sogenannter Vorgesetzter befürchtet, daß seine Organisation auseinanderfällt - in meinem Fall war es das ständige Einkommen aus einer Familienserie.« »Ich hätte den Hund erschießen lassen! « »Das habe ich ja versucht, aber leider vorbeigeschossen ... Zum Lunch, Miss Redwing?« »Ich denke, wir sollten uns jetzt mit unserem Problem befassen«, sagte Pinkus mit fester Stimme und wedelte mit der Hand zu den Sesseln und Sofas hinüber, damit jeder dort Platz nähme. Alle folgten der Aufforderung, und Sam schoß vor, um sich den Platz zwischen Jennifer und Sutton zu sichern. »Selbstverständlich, Aaron«, stimmte der Schauspieler zu und beäugte mißbilligend den Eindringling. »Ich wollte ja nur einen Kleingeist beschwichtigen, der offenbar auf die Kleinen Antillen gehört, falls sie verstehen.« »Der Sinn liegt ja wohl auf der Hand, Frosch Kermit.« »Sam!« »Okay, Jenny, ich reagiere übertrieben. Vor Gericht passiert mir das nie.« »Kommen wir zur Sache?« Pinkus winkte Cyrus, der mit Bedacht möglichst weit von Henry Irving S. Aufstellung genommen hatte. Die Fahrt von Boston hierher hatte ihn arg strapaziert. »Sollte Ihr Kollege sich uns anschließen?« fragte Aaron. »Ich sage ihm, was er wissen muß«, erklärte Cyrus ruhig und setzte sich. »Auch ich möchte, daß alles möglichst einfach bleibt. Offen gestanden scheint mir die Kombination Roman Z. und Ihr neuer Rekrut nicht unendlich belastbar. Aber ich mache das schon.« »Sie haben eine schöne tiefe Stimme, junger Mann«, fiel Sir Henry ihm ins Wort. Offenbar ärgerte es ihn, daß er nicht mitbekam, was Cyrus und der ältere Anwalt besprachen. »Haben Sie jemals Öle Man River gesungen?« »Lassen Sie mich mal aus dem Spiel, Mann«, sagte der Söldner.
»Nein, ich meine das durchaus ernst. Eine Neuaufnahme von
Showboat ...«
-4 4 1
»Henry, mein Freund, mit all dem können wir uns später
beschäftigen«, mischte sich Aaron ein und hielt abwehrend
beide Hände hoch. »Wir haben nicht viel Zeit.«
»Natürlich nicht, mein Lieber, der Vorhang muß sich heben.«
»Und zwar möglichst bald«, stimmte Cyrus zu. »Heute abend
noch, falls irgend möglich.«
»Wie sollen wir Ihrer Meinung nach vorgehen?« wollte Jennifer
wissen.
»Ich könnte im Hotel Kontakt mit dem sogenannten
Nobelkomitee aufnehmen - und zwar in meiner Eigenschaft als
Ziviladjutant des Generals«, antwortete der Söldner. »In
meinem Koffer habe ich die passende Kleidung, nur für Roman
müssen wir noch was Geeignetes finden.«
»Mein Schwager hat die Schränke voller Anzüge und zufällig
eine ähnliche Statur wie Ihr Kollege. Mrs. Lafferty ist zudem
eine vorzügliche Schneiderin ...«
»Dann ist das abgemacht«, unterbrach ihn der ungeduldige
Cyrus. «Wir müssen nur noch überlegen, wie wir an die Clowns
von der Air Force II rankommen.«
»Das habe ich bereits in die Wege geleitet«, sagte MacKenzie
Hawkins und zündete sich seine verstümmelte Zigarre an.
»Was?«
»Wie?«
»Wann?«
Ein Durcheinander bestürzter Stimmen fiel über den Falken her,
der die buschigen Brauen in die Höhe schob und einen
Rauchring in die Luft blies.
»Bitte, General«, drang Cyrus in ihn. »Das ist wichtig. Was
haben Sie getan?«
»Ihr Juristen und Chemiker denkt, ihr seid die Schlausten, aber
leider habt ihr ein kurzes Gedächtnis ...« »Mac, um Gottes
willen ...«
»Sie besonders, Sam. Sie sind plötzlich natürlich derjenige, der
sich alles ausgedacht hat, nur war ich Ihnen ein paar Schritte
-4 4 2
voraus und stolz auf Ihre Analyse auf einem Gebiet, das
eigentlich nicht das Ihre ist.« »Wovon reden Sie eigentlich?«
»Von Little Joseph, mein Junge. Der ist immer noch da ...«
»Wer? ... Wo?« »Im Four Seasons. Und da habe ich ihn vor
einer halben Stunde angerufen. Er weiß genau Bescheid.«
»Weiß über was Bescheid? Dem kleinen Scheißer ist nicht zu
trauen, Mac, das haben Sie selbst gesagt.«
»Doch, jetzt kann ich das«, sagte Hawkins mit Nachdruck. »Er
überschreitet seine Tagesspesen in flagranter Weise, was ein
sicheres Zeichen für einen unabhängigen Untergebenen ist,
und versucht immer wieder, mich zu provozieren - in einen
solchen Menschen kann man getrost einiges Vertrauen
setzen.«
»Wieso das eine logische Tatsache ist, verstehe ich nicht«,
sagte Pinkus.
»Er ist verrückt«, sagte Jennifer leise, die weit aufgerissenen
Augen ungläubig auf den General gerichtet.
»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte Cyrus. »Ein kleines Licht
auf der gegnerischen Seite kann einem sagen, wo's langgeht.
Man wird nicht immer neu von ihm hintergangen, bloß weil er
das gerade zuvor getan hat.«
»Und Sie sind auch verrückt«, sagte Devereaux.
»Nein, eigentlich nicht!« Der Söldner schüttelte den Kopf. »Es
gibt da eine Maxime, die geht auf die Kosakenkriege zurück
>Man küßt den Stiefel, bevor man ihn mit dem Säbel abhackt<«
»Oh, das gefällt mir!« rief der Schauspieler. »Die vollkommene
Pointe nach dem Zweiten Akt.«
»Vielleicht bin ja auch ich verrückt«, sagte die Tochter der
Wopotami, »aber ich glaube, jetzt verstehe ich.«
»Das will ich doch hoffen«, sagte Sam sarkastisch. »Um es
nochmals zu erklären, Kollegin, ehe man ein Verbrechen
begeht, zerstreut man alle potentiellen Verdachtsmomente.«
»Schlaumeier!« murmelte Redwing. »Ich verstehe, was Sie
meinen, Cyrus. Was also unternehmen wir?«
»Die Frage ist, was der General bereits unternommen hat.«
-4 4 3
»Eine verständliche Frage«, sagte der Falke. »Und wenn ich Ihren Background bedenke, meine ich, kann ich sie verstehen ... Ich habe Little Joseph, der, wiewohl bereits in fortgeschrittenem Alter, ein geborener Infanteriespäher ist, befohlen, die Situation auf dem Schlachtfeld von allen Seiten zu erkunden. Er überprüft also ihre Biwaks und stellt fest, wo die Verstärkungen und das Schießpulver untergebracht sind. Des weiteren kundschaftet er mögliche Fluchtwege für uns aus und stellt fest, welche Tarnung wir benutzen sollten, um an unsere Hauptzielperson heranzukommen.« »Hauptziel ... was?« rief Sir Henry aus. »Nein, nein, Henry, ich bin sicher, der General übertreibt«, mischte sich Pinkus wieder ein, starrte MacKenzie an und wandte seinen durchdringenden Blick dann Cyrus zu. »Sie haben versprochen, daß keine Gewalt angewandt und alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden.« »Dieser verdammte General bedient sich nur militärischer Terminologie. Was er meint, sind die Hotelzimmer dieser sogenannten Komiteemitglieder sowie die passende Kleidung ...« »Sie haben mich mißverstanden, mein lieber Aaron!« Der Schauspieler erhob sich, rückte das Profil ins rechte Licht, reckte das Kinn und ließ die Augen blitzen. »Ich freue mich über das Angebot, eine ruhmreiche Aussicht - um was auch immer es geht. Vergessen Sie nicht, General, wie das war, als wir zu den Briten stießen und uns nach EI Alamein vorarbeiteten.« »Wie könnte ich, Major Sutton ... Ich habe Sie gerade im Einsatz um einige Ränge befördert - was selbstverständlich ein Kommandeursprivileg ist.« »Ich nehme die Beförderung dankend an, Sir!« Sir Henry fuhr herum und salutierte, während der Falke sich seinerseits aus seinem Sessel hochraffte und den militärischen Gruß erwiderte. »Lehren wir die Hunde wieder einmal laufen! Wieder einmal in die Bresche springen und die Mauern mit Gefallenen von der Schauspielergewerkschaft füllen. Wir fürchten niemanden - das bringt doch das Blut in Wallung, nicht wahr, General?« »Ihr boys wart wirklich die besten in der ganzen Sahara. Mehr Mumm als ihr hat keiner gehabt, Soldat!« -4 4 4
»Mumm? Da scheiß ich doch drauf: Es war die gelungene Synthese klassischer Schauspieltechniken mit dem Besten von Stanislawski, jedenfalls nicht dieser Methodenquatsch, wie die fünftklassigen Theatergurus ihn lehren, die einem vorschreiben wollen, daß In-der-Nase-Bohren akzeptabler wäre als Sich-dieNase-Schneuzen.« »Was immer es war, Major, Sie haben überlebt. Erinnern Sie sich noch, wie die Brigade in Benghasi ...«
»Die sind wahrhaftig wahnsinnig«, flüsterte Sam Jennifer zu.
»Im Auge des Taifuns strampeln die sich in einem
leckgeschlagenen Kanu ab.«
»Nun reiß dich doch zusammen, Sam! Sie sind beide ... nun ja, überlebensgroß. Ich finde das ziemlich erfrischend.« »Was willst du damit sagen?« »Nun, in einer Welt von saft- und kraftlosen Juristen im Nadelstreifenanzug hat es etwas Herzerfrischendes zu wissen, daß es noch Männer gibt, die Jagd auf mordgierige Tiger machen!« »Das ist doch unreifes Studentengerede? Steinzeitquatsch!« »Ja, ich weiß«, sagte Redwing lächelnd. »Tut es nicht gut zu wissen, daß es so was immer noch gibt?!« »Und so was nennt sich eine emanzipierte Frau!« »Auch wenn ich das zehnmal bin - ich glaube nicht, es jemals gesagt zu haben: So was noch zu sagen, ist doch vorsintflutlich. Diese alten Männer dagegen sind es nicht, die lassen nur die Welt so wiederauferstehen, wie sie sie gekannt haben. Ich zolle dieser Welt und ihren Bemühungen, sie besser zu machen, meine Anerkennung. Wer würde das nicht tun?« »Mac!« rief Devereaux laut und brachte damit die beiden Veteranen des Afrikafeldzugs dazu, ihn anzusehen, als wäre er ein häßlicher Wurm, der sich aus einem Teller Spaghetti herauswindet. »Woher wollen Sie wissen, ob dieser Little Joseph wirklich tut, was Sie sagen? Ihrer Beschreibung nach ist er ein Schleimer - vielleicht einer, der nicht versucht, Sie aufs Kreuz zu legen, aber immerhin ein Schleimer, auf dem man ausrutschen könnte. Was ist, wenn er Ihnen nur die Ohren -4 4 5
volldröhnt mit dem, was Sie seiner Meinung nach von ihm
hören wollen?«
»Das kann er nicht, Sam. Sehen Sie, ich habe mich mit seinem
Vorgesetzten unterhalten, und das ist, wie ich Ihnen versichern
kann, ein sehr hoch über ihm stehender Vorgesetzter, der auf
derselben Stufe steht wie Commander Pinkus und ich - wenn er
auch vielleicht ein ganz klein wenig mehr Einfluß dort hat, wo
Einfluß zählt.«
»Ja, und?«
»Diese sehr hochgestellte Persönlichkeit hat starke persönliche
Gründe, die ihn wünschen lassen, daß wir unsere Mission zu
einem glücklichen Ende bringen, was wir eben nicht können,
wenn wir nicht vors Oberste Bundesgericht gehen - und zwar in
genau siebenundachtzig Stunden. Der countdown läuft.«
»Siebenundachtzig was?« fragte ein verwirrter Aaron. »Wir sind
in einem countdown begriffen, Commander. Null erreichen wir
in rund siebenundachtzig Stunden.«
»Ist das so was Ähnliches wie Null-Ziel?« wollte der ältere
Anwalt wissen.
»Ist es zu fassen, Major Sutton? Dieser Mann soll am
Strandabschnitt Omaha in der Normadie gelandet sein?«
»Wahrscheinlich hat er nur im Mannschaftsgrad gestanden,
General ...«
»Stimmt. Jedenfalls habe ich eine Knarre getragen und kein
Code-Buch.«
»Schon gut, schon gut!« rief Devereaux entnervt. »Was hat
denn all dieser Quatsch mit dem Schleimer Little Joseph im
Four Seasons zu tun? Um es noch mal zu wiederholen, Mac:
Was veranlaßt Sie anzunehmen, daß er auch tut, was Sie von
ihm wollen? Er hat Sie doch auch früher schon angelogen.«
»Offenbar unter anderen Umständen«, sagte Jennifer, ehe der
Falke ihm antworten konnte. »Ich nehme an, er ist seinem sehr
hochgestellten Vorgesetzten verpflichtet.«
»Ins Schwarze getroffen, Miss Red. Wie in der Frage, ob
Joseph weiter atmet oder nicht.«
-4 4 6
»Nun wenn das der Fall ist ...«
»Das ist der Fall«, bestätigte Hawkins. »Wie Sie ganz genau
wissen, mache ich auf diesem Gebiet keine Fehler. Da wir uns
nicht mehr auf dem Londoner Belgrave Square befinden: Muß
ich Sie erst an einen gewissen Country Club auf Long Island
erinnern, die Hühnerfarm in Berlin oder den verrückten Scheich
in Tizi Ouzou, der mir für zwei Kamele und einen kleinen Palast
meine dritte Frau auskaufen wollte?«
»Das reicht, General!« sagte Pinkus entschlossen. »Vielleicht
dürfte ich Sie daran erinnern, daß derlei Reminiszenzen hier
nicht erwünscht sind?! Nehmen Sie und Henry jetzt bitte wieder
Platz und lassen Sie uns weitersehen, was zu tun ist.« »Gewiß,
Commander.« Die beiden Veteranen von EL Alamein setzten
sich, und der Falke fuhr fort: »Viel tun können wir wohl nicht,
solange Little Joseph noch keine Meldung erstattet hat.«
»Wie will er das übrigens machen?« fragte Devereaux.
»Schickt er uns eine verschlüsselte Nachricht mittels
Brieftaube, die von seinem Hotelfenster geradewegs bis ins
Scheichtum Tizi Ouzou fliegt?«
»Nein, mein Sohn - telefonisch.« Und wie auf Stichwort
klingelte es. »Ich gehe ran«, sagte Hawkins, stand auf und trat
rasch an den weißen Schreibtisch. »Basislager Rauchendes
Tipi!« meldete er sich.
»Hey, fazool«, ließ sich die Stimme von Little Joey dem
Leichentuch am anderen Ende der Leitung erregt vernehmen.
»Sie werden's nicht glauben, in was für einen verdammten
Schweinemist Sie da reingetrampelt sind! Ich schwör's beim
Grab meiner Tante Angelina - kein Schuhflicker, nicht mal mein
Onkel Guido, könnte diese Scheiße wieder abkratzen.«
»Beruhigen Sie sich, Joseph, und sprechen Sie klar und
deutlich. Liefern Sie mir sachlich die bei Ihrem Spähtrupp-
Unternehmen gewonnenen Daten - frisch vom Ort des
Geschehens.«
»Was für'n verrücktes Zeug reden Sie denn da?« »Wundert
mich, daß Sie das nicht noch vom Italienfeldzug her kennen ...«
-4 4 7
»Da war ich doch der letzte Arsch! Wovon, zum Teufel, reden
Sie überhaupt?« »Von den Daten, die Sie im Hotel gewonnen
haben.«
»Kein Wunder, daß ihr hohen Tiere die Steuerzahler aus der
Haut fahren laßt! Kein Schwanz kann euch verstehen - ihr jagt
uns wirklich einen Heidenschiß ein!« »Was haben Sie in
Erfahrung gebracht, Joseph?« »Zunächst einmal: Wenn diese
Witzbolde Schweden sind, hab ich nie norwegische
Fleischklöße vorgesetzt bekommen, was aber ab und zu der
Fall ist, weil diese blonde Bomberinna, mit der ich vor'n paar
hundert Jahre ging, sie ständig gemacht hat, um mir zu
beweisen, daß die aus Puerto Rico ...«
»Joseph! Geht die Geschichte etwa noch lange? Haben Sie
denn nichts gelernt?«
»Allright, allright ... Sie bewohnen drei Suiten mit je zwei
Schlafzimmern. Indem ich den Zimmermädchen und Kellnern
hier und da mal was zugesteckt hab, habe ich erfahren, daß sie
ganz normal amerikanisch reden. Und dann sind sie auch noch
absolut wahnsinnig, wissen Sie, regelrecht plemplem. Die Kerle
stolzieren rum, gucken dauernd in irgendwelche Spiegel und
reden mit sich selbst, so als wüßten sie nicht, wen sie da im
Spiegel vor sich haben.«
»Und wie steht es mit Verstärkungen und Feuerkraft?«
»Nix haben die, überhaupt nix! Ich habe jede Treppe überprüft,
sogar die daneben gelegenen Räume mit irgend so einer
enchilada namens Raul - hat mich zweihundert Piepen
gekostet. Aber nix zu machen, keiner im ganzen Umkreis hat
auch nur das Geringste mit denen zu tun. Der einzige, der
vielleicht in Frage gekommen wäre, war so ein meschuggenes
Arschloch namens Brickford Aldershotty, der aber, wie sich
herausstellte, nur'n one-night-stand hatte.«
»Fluchtwege?«
»Die Ausgangspfeile, die zum Treppenhaus weisen - was soll
ich Ihnen sagen?«
»Sie wollen also sagen, die Küste ist klar?«
-4 4 8
»Was für'ne Küste?«
»Null-Ziel - das Hotel, Joseph!«
»Wen immer Sie haben, er kann da rein wie in 'ne Kirche in
Palermo am Ostersonntag.«
»Sonst noch was?«
»Yeah - das hier sind die Zimmernummern.« Das Leichentuch
nannte sie ihm und setzte dann noch hinzu: »Dabei sollten ihre
Leute 'n bißchen Muckies haben. Sie wissen, was ich meine?«
»Erklären Sie das, Joseph.«
»Nun, wie ein Zimmermädchen mit Luchsaugen mir sagte,
zertrümmern sie Flaschen zu spitzen scharfen Scherben und
machen Liegestütz darüber - manchmal bis zu zweihundert. Ich
meine, das sind wirklich Knallköpfe.«
-4 4 9
22. KAPITEL Meat D'Ambrosia passierte die Glasschwingtüren des an
Manhattans Wall Street gelegenen Axel-Burlap-Gebäudes, fuhr
mit dem Aufzug bis zum achtundneunzigsten Stock hinauf,
marschierte durch eine weitere zweiflügelige Glastür und
präsentierte der statuarischen britischen Empfangsdame seine
Karte.
Salvatore D'Ambrosia, Consultant. Gedruckt hatte die
Visitenkarte sein Vetter, der in einer Druckerei auf Rikers Island
arbeitete.
»Ich hätte gern Besprechung mit gewissem Ivan Salamander«,
erklärte Salvatore. »Haben Sie eine Voranmeldung, Sir?«
»Ich mach keine, nee lassn wir das. Rufen Sie einfach an,
Muschi.«
»Tut mir leid, Mr. D'Ambrosia, aber ohne vorherige Anmeldung
kommt man zum Präsidenten von Axel-Burlap nicht durch. Ein
solcher Termin muß vorher verabredet werden.«
»Probieren Sie's trotzdem, sweetheart, oder Ihr Schreibtisch
geht zu Bruch.«
»Wie bitte?«
»Einfach anrufen, capisce?«
Mr. D'Ambrosia wurde ohne weitere Umstände in das
walnußgetäfelte Allerheiligste vorgelassen - ins Arbeitszimmer
eines gewissen Ivan Salamander, Präsident der drittgrößten
Broker-Firma an der Wall Street.
»Waaas?« kreischte der hagere, bebrillte Salamander und
wischte sich ständig den Schweiß von der Stirn, der ihm vom
Haaransatz herunterlief. »Sie müssen meiner blöden
Empfangsdame 'ne Heidenangst eingejagt haben - dabei ist die
Superklasse und 'n Schwergewicht, wofür ich extra Luftfracht
zahlen mußte, dazu 'n Saphirnerz und 'n Gehalt, hinter das
meine Frau nie kommt!« »Wir müss'n reden, Mr. Salamander.
Oder, noch wichtiger: Sie müssen zuhören. Allzu sehr
durcheinander war Ihre Muschi übrigens nicht.«
-4 5 0
»Gewiß! Aber gewiß doch! Ich hab ihr schließlich gesagt, sie
soll eiskalt bleiben!« ereiferte sich Ivan der Schreckliche, wie er
in Börsianerkreisen genannt wurde. »Halten Sie mich etwa für
blöd? Blöd bin ich nicht, Sie Muskelprotz. Aber was haben Sie
für mich, daß ich meine kostbare Zeit darauf verschwende,
mich mit 'm hergelaufenen Gorilla zu unterhalten? Hnn?«
»Hnn?«
»Das werden Sie sich anhören, weil es vom großen Boss
höchstpersönlich kommt - und wenn Sie hier 'ne Abhöranlage
installiert haben, schneidet er Ihnen die Kehle persönlich durch.
Capisce? «
»Ehrenwort, Ehrenwort! Doch so was nicht! Denken Sie, ich bin
lebensmüde?« »Was läßt der große Boss also bestellen?«
»Kaufen Sie Verteidigung, besonders Flugzeuge und
Zugehöriges - warten Sie, ich muß das ablesen.« D'Ambrosia
griff in die Tasche und holte einen Zettel hervor. »Yeah, hier
haben wir's: Flugzeuge und alles mögliche an Zulieferfirmen
ja, so heißen die, das war mir momentan entfallen.«
»Aber das ist doch heller Wahnsinn! Rüstungsbetriebe gehen
doch gerade alle 'n Bach runter! Der Verteidigungshaushalt ist
radikal zusammengestrichen worden!«
»Und hier kommt der Rest. Und ich wiederhole: Wenn Sie hier
'n Band laufen haben, hängen Sie jetzt schon an 'nem
Fleischerhaken.«
»Ich doch nicht - bin ich meschugge?» »Die Situation hat sich
dramatisch verändert.« Wieder warf Meat einen Blick in seine
Instruktionen, las leise und bewegte eine Zeitlang lautlos die
Lippen. -Okay, hier isses ...: Es haben alarmierende Ereignisse
stattgefunden«, fuhr D'Ambrosia fort, wobei seine Augen
genauso ausdruckslos blieben wie seine Stimme, eben wie bei
jemandem, der Auswendiggelerntes ablas, »von denen das
Land noch nichts ahnt, weswegen die Panik, die daraus
verstehen könnte »Sie meinen, entstehen?« »Ganz Ihrer
Meinung. Was auch immer.« »Fahren Sie fort.«
-4 5 1
»Es hat viele Quertreibereien gegeben bei der sub ... substratis
... substratosphärischen Satellitenübertragung, woraus folgert,
daß hochfliegende Apparate das Funktionieren ... vermasseln.«
»Hochfliegende Apparate - vom Typ U-2? Heißt das, daß die
Russkies mehr versprochen hab'n, als sie halten?«
»Das besondere technische Gerät, mit dem der Gegner die
Störungen verursacht, ist noch nicht genau identifiziert
worden«, erwiderte Meat, faltete das Papier weiter auseinander
und las, so gut er konnte: »... da diese Zwischenfälle sich
jedoch häufen, immer rücksichtsloser werden und der ... der
russische Krempel ... unterderhand ähnliche Vorfälle bestätigt
...« An dieser Stelle faltete Salvatore D'Ambrosia seinen Zettel
wieder zusammen und fuhr aus dem Gedächtnis sinngemäß
fort: »Der ganze Scheißplanet Erde iss insgeheim auf
Alarmstufe I - ganz besonders aber die USA. Könnten die
Chinamänner sein oder die Araber oder die Israeliter, die
diesen ganzen Scheiß da raufschießen ...« »Aber das ist doch
alles hirnverbrannt!« »Oder ...« Salvatore D'Ambrosia senkte
die Stimme, bekreuzigte sich und bekam das Kreuzzeichen auf
seiner kleiderschrankbreiten Brust fast fehlerlos hin. »... Dinge,
von denen wir keine Ahnung haben - von da oben.« Meat
schlug die Augen zur Decke empor, der Blick ein inbrünstiges
Gebet, wo nicht gar ein Flehen um Gnade.
»Wwwaaasss?« heulte Salamander auf. »Solchen Käse hat mir
doch noch nie wer verzapft! Das sind doch nur Löcher in 'nem
Schweizer ... hoo-boo, Moment mal, das ist ja absolut genial!
Auf so'ne Idee würde nicht mal 'n junk-bond-Höker verfallen!
Wir haben einen brandneuen Feind, gegen den wir die ganze
Scheißwelt aufrüsten müssen! UFOs!«
»Sie haben also endlich kapiert, worauf der große Boss
rauswill?.«
»Kapiert? Ich find's phänometastisch! Aber da fällt mir was ein!
Was für'n großer Mann? Ich denk, der leistet den Fischen
Gesellschaft?!«
Das war der Augenblick, auf den man Meat abgerichtet hatte
das hatte man mit ihm geprobt und geprobt, bis er es
-4 5 2
hinkriegte, auch wenn er den Kopf voller Chianti hatte. Er griff in eine andere Tasche, zog einen kleinen, schwarzgeränderten Umschlag hervor, der Größe und dem Aussehen nach eine Kondolenzkarte, welche er dem völlig versteinerten Salamander mit genau neun Worten überreichte, die ihm so sehr eingetrichtert worden waren, daß er sie noch auf dem Totenbett würde wiederholen können: »Ein Sterbenswort von dem hier ... und Sie sind tot.« Die Augen argwöhnisch zwischen Meats Gesicht und dem unheilvoll aussehenden Umschlag hin und her gehen lassend, griff Ivan der Schreckliche nach seinem blitzenden Messingbrieföffner, führte ihn unter den versiegelten Rand, schlitzte das Kuvert auf und zog die Botschaft heraus. Der Blick des Börsenmaklers suchte als erstes die Unterschrift und fiel auf die flüchtig hingekritzelten Initialen, die er so gut kannte. Er schnappte nach Luft, riß den Kopf hoch und richtete die Augen wie gebannt auf Salvatore D'Ambrosia. »Das ist mehr als unmöglich!« flüsterte er. »Seien Sie vorsichtig«, sagte Meat nicht minder leise als Salamander und fuhr sich mit dem Zeigefinger langsam über die Kehle. »Nicht vergessen - kein Sterbenswörtchen. Und jetzt: Lesen!« Mit einer Angst, die größer nicht sein konnte, und langsam zunehmendem Händezittern begann Ivan oben auf der Seite. »Folgen Sie den Ihnen mündlich vom Kurier übermittelten Anweisungen. Denken Sie nicht einmal daran, ihnen in irgendeinem Aspekt nicht Folge zu leisten. Wir befinden uns mitten in einer top-secret eingestuften Operation der Geheimhaltungsstufe 7, nur für den engsten Kreis von Eingeweihten bestimmt. Sie werden nach einer angemessenen Zeit ins Bild gesetzt werden. Jetzt verbrennen Sie diese Nachricht im Beisein des Kuriers ebenso wie den Umschlag, oder aber er wird sich gezwungen sehen, Sie zu verbrennen. Ich bin bald wieder da. VMS.« »Haben Sie ein Streichholz?« fragte der zur Salzsäule erstarrte Salamander ruhig. »Ich habe das Rauchen aus -4 5 3
Gesundheitsgründen aufgegeben. Und es war schon komisch,
wenn ich verbrannt werden würde, bloß weil ich nicht mehr
rauche.«
»Klar«, sagte Meat und warf Salamander ein Zündholzbriefchen
auf den Schreibtisch, »Und wenn Sie mit dem Kokeln fertig
sind, gibt's für Sie noch eine weitere Sache zu tun, bevor ich
gehe.«
»Schießen Sie schon los! Wenn ich Botschaften aus dem
Jenseits kriege, streite ich gar nicht erst lange herum.«
»Greifen Sie zum Hörer und geben Sie eine Kauforder für
fünfzigtausend Petrotoxic Aalgamated-Aktien!«
»Waaass?« kreischte Ivan der Schreckliche wie von einer
Tarantel gestochen: Schweißperlen liefen ihm über die Stirn.
Entsetzt sah er zu, wie D'Ambrosia sich mit der riesigen rechten
Pranke unter die Jacke griff. »Aber gewiß doch,
selbstverständlich! Warum auch nicht? Sagen wir, zum Kurs
von fünfundsiebzig, ich meine, warum nicht?«
Kurier Meat stattete noch fünf weiteren Herren
Höflichkeitsbesuche dieser Art ab, und was dabei herauskam,
war: Kaufen, Kaufen und nochmals Kaufen. Eine Turbulenz am
Markt, wie man sie nicht mehr erlebt hatte, seit der Dow-Jones-
Index die Dreitausend-Marke überschritten hatte und immer
noch weiter stieg. Wie es nicht anders sein konnte, rannten in
den Vorstandsetagen von der Ost- bis zur Westküste die Esel
den Karotten hinterher (Pferde sind vielleicht nicht klug, aber
allemal klüger als Esel). Hektische Diversifikation und
allgemeines Überangebot, das waren die Order des Tages
und die gingen in die Milliarden. Irgend etwas wirklich Großes
stand da ins Haus, und die smarten Geldleute samt ähnlich
geartetem Anhang waren entschlossen, sich an diesem
phantastischen Auf und Ab der ökonomischen Waagschalen
eine goldene Nase zu verdienen.
»Kauf diese Computerfirmen, drück den Preis!«
»Verschaff dir die Mehrheit an sämtlichen Zulieferbetrieben in
Georgia und langweil mich nicht mit Zahlen!«
-4 5 4
»Wir handeln aus einer Position der Stärke heraus, Sie Idiot!
Ich will die Mehrheit an McDonnell Douglas, Boeing und Rolls-
Royce - und um Gottes willen, hören Sie nicht auf zu bieten, bis
Sie sie alle haben!«
»Kaufen Sie ganz Kalifornien auf!«
Auf der Grundlage künstlich hochgetriebener Kurswerte und in
Geheimnisse gehüllt, die geeignet waren, selbst Little Joey zu
beeindrucken, von Houdini und Rasputin ganz zu schweigen,
stürzten sich die Feinde von Vincent Francis Assisi
Mangecavallo in Milliardenschulden, während dieser in Miami-
Beach, Florida, unter einem Sonnenschirm saß, die Monte-
Cristo-Zigarre im Mund, ein schnurloses Telefon ebenso wie ein
Transistorradio neben und eine Margarita auf Plastiktablett vor
sich, den Mund zu einem breiten Grinsen verzogen. »Reitet
schon auf der großen Welle, ihr eingebildeten country-club-
cannolis«, sagte er zu sich selbst, griff nach dem Glas und
rückte sich mit der freien Hand das rote Toupet zurecht.
»Wartet nur, bis der Ozean trocken wird wie bei Moses. Möge
er in Frieden ruhen! Auf den Bauch werdet ihr fallen, ihr
bastards! Her mit den Verträgen, aber ihr tätet gut daran, erst
das Kleingedruckte zu lesen! Pissoirs in Kairo scheuem - ja,
das iss genau das Richtige für euch!«
Kerzengerade und ärgerlich saß Sir Henry Irving Sutton auf
dem Küchenstuhl, während Erin Lafferty an seiner glorreich
ergrauenden Haarpracht herumschnippelte. »Nur ein ganz klein
wenig kürzer, mehr nicht, oder ich sorge dafür, daß Sie den
elenden Rest ihres Lebens in der Spülküche verbringen!«
»Du machst mir keine Angst, du alter Puper!« bullerte Erin. »Ich
kenn dich aus dem Nachmittagsprogramm - Und ewig weben
die Gräser - und das, na, wie lange? Zehn Jahre mindestens!
Du kannst mir nichts vormachen, Boyo!« »Wie bitte?«
»Du hast dich unterstanden, diese Kinder - ja, Kinder waren's
doch noch! - anzuschreien und anzukeifen, bis die nicht mehr
wußten, wo hinten und vorne war und die Wände hochgingen.
Und dann hast du dich in diese große Bibliothek verkrochen
und geflennt und dir eingeredet, daß sie's viel zu leicht hätten
-4 5 5
im Leben, daß man's ihnen geben müßte, damit sie später fertig
würden mit dem schrecklichen Unglück, das auf sie zukommen
würde. Und bei Jesus, Maria und Joseph, dein Wort war wahrer
als die Bibel. Mußten die elende Zeiten durchmachen! Ich
meine, du hast ja wirklich Rotz und Wasser geheult, und sie
haben dir wirklich leid getan. Nein, nein, unter Ihrer rauhen
Schale haben Sie 'n butterweiches Herz, Großvater
Weatherall!«
»Aber ich habe doch bloß eine Rolle gespielt, Mrs. Lafferty.«
»Nennen Sie's, wie Sie wollen, Mr. Sutton, aber für mich und all
die ändern Mädchen im alten Süden waren Sie der einzige
Grund, warum wir uns diese Serie angesehen haben. Wir
waren alle bis über beide Ohren verknallt in dich, Boyo!«
»Ich hab's gewußt, daß dieser Schuft mir keinen anständigen
Vertrag aushandeln würde!« zeterte der Schauspieler halblaut.
»Was sagen Sie, Sir?«
»Nichts, gute Dame, nichts. Schneiden Sie nur, schneiden Sie!
Sie sind offenbar eine Frau mit sehr viel Geschmack!«
Die Küchentür flog auf. Cyrus mit der massigen Gestalt wurde
sichtbar. Sein Gesicht verriet Vorfreude auf das Kommende.
»Los geht's, General!«
»Schön, junger Mann. Und wo ist meine Uniform? In Uniform
habe ich immer schneidig ausgesehen!«
»Keine Orden und Ehrenzeichen, keine Uniform - das kommt
überhaupt nicht in Frage.«
»Um Gottes willen - warum?«
»Zunächst einmal ist der General nach Maßgabe des
Pentagons sowie praktisch aller Leute, die in Washington was
zu sagen haben, das Weiße Haus inbegriffen, kein General
mehr. Und zweitens würden Sie nur die Aufmerksamkeit auf
uns lenken, was nicht gerade von Nutzen wäre.«
»Es ist aber ziemlich schwierig, ohne Kostüm in eine Rolle
einzusteigen, ohne Uniform ... De facto stehe ich als General ja
rangmäßig über Ihnen, Colonel!«
-4 5 6
»In welcher Zeit, zum Teufel, leben Sie eigentlich? Immer noch
im Zweiten Weltkrieg?«
»Nein, ich bin Künstler! Ihr seid doch alle bloß Zivilisten ... und
Chemiker!«
»Mann, Sie und Hawkins haben wahrhaftig mehr gemein als
nur EL Alamein. Aber recht besehen waren wohl alle Generäle,
die ich kennengelernt habe, letztlich Komödianten! Kommen
Sie, lassen Sie uns losfahren. Sie erwarten uns um
zweiundzwanzig Uhr!«
»Was soll das heißen?«
»Die Uhrzeit, Major oder General. Um zehn Uhr abends.«
»Damit bin ich nie zurechtgekommen ...«
Die drei Suiten des »Nobelkomitees« lagen nebeneinander. Die
mittleren Räume sollten als Begegnungsstätte zwischen dem
hehren General MacKenzie Hawkins, Soldat des Jahrhunderts,
und den erlauchten »Besuchern aus Stockholm« dienen. Wie
mit dem Adjutanten des Generals, einem gewissen Cyrus
Marshall, US-Colonel i. R., verabredet, sollte das Gespräch
privat bleiben, Journalisten von Funk, Fernsehen und Presse
also nicht zugelassen werden. Wie der Colonel erklärte, fühle
der gefeierte Kriegsmann sich zwar ungeheuer geehrt, doch
schreibe er im Moment in aller Abgeschiedenheit an seinen
Memoiren, Frieden durch Blut, und wünsche daher genau über
das Ausmaß von Reise- und Medienverpflichtungen informiert
zu werden, ehe er seine Entscheidung, den Preis anzunehmen,
bekanntgebe. Der Sprecher des Komitees. Lars Olafer,
reagierte derart begeistert auf den Vorschlag, das Treffen
geheimzuhalten, daß Colonel Cyrus der bereits umfassenden
Bewaffnung von Roman Z. und seiner eigenen Person noch ein
paar chemische Keulen hinzufügte. Die Falle mußte in der
besten Tradition im Untergrund lebender Ratten umfunktioniert
werden, so daß aus dem Geköderten der Fallensteller wurde,
und wie man das bewerkstelligte, wußte Cyrus genau. Es galt,
die Nager reinrutschen zu lassen in ihre Falle, sie
bewegungsunfähig zu machen und einem Verhör zu
unterziehen, das für gewöhnlich als psychisch makaber
-4 5 7
beschrieben wurde, jedoch keinerlei körperlichen Schaden zufügte. »In Uniform würde ich weitaus eindrucksvoller wirken!« sagte Sutton ärgerlich, als er in dem aus seiner Bostoner Wohnung herbeigeschafften Nadelstreifenanzug den Korridor des Hotels hinunterging. »Dieses Kostüm war zwar für Shaws Millionärin genau das richtige, aber doch nicht für das, was wir heute vorhaben.« »Aber Sie sehen toll aus, wirklich!« erklärte Roman Z. und zwickte Sutton zur Überraschung des Schauspielers in die Wange. »Eigentlich fehlt Ihnen nur noch die Blume im Knopfloch, dann hätten Sie das gewisse Etwas.« »Hör jetzt auf damit, Roman«, sagte Cyrus leise. »Er sieht fabelhaft aus ... Sind Sie soweit, General?« »Sie reden mit einem Bühnenschauspieler, mein Lieber. Der Adrenalinausstoß verstärkt sich, je näher der Auftritt rückt. Und dann beginnt die Magie! ... Klopfen Sie an! Und gehen Sie mir voraus, wie es sich geziemt. Dann kommt mein Auftritt.« »Eines merken Sie sich, Pops!« ermahnte der Söldner ihn vor der Tür. »Sie sind ein toller Schauspieler, das muß ich Ihnen lassen, aber bitte, lassen Sie sich nicht hinreißen, den Knaben richtig Angst zu machen. Wir möchten soviel wie möglich erfahren, ehe wir dann am Zug sind.« »Sind Sie plötzlich der Regisseur, Colonel? Darf ich Sie, der Sie nicht vom Fach sind, darauf hinweisen, daß es im Theater um drei Dinge geht, und das sind in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit: Talent, Geschmack und Ausdauer! Zur zweiten Kategorie gehört Hamlets großer Rat ...« »Sparen Sie sich Ihre kostbaren Belehrungen für später auf, Mr. Sutton. Jetzt lassen Sie einfach ihre Magie wirken, okay?« Laut pochte Cyrus an die Tür der Hotelsuite, richtete sich zu voller militärischer Größe auf und nahm eine Haltung an, als hätte er einen Ladestock verschluckt. Die Tür wurde von einem Mann mit schlohweißem Haar und graumeliertem Kinnbart geöffnet, der wacklig ein Pincenez auf der Nase sitzen hatte.
-4 5 8
»Colonel Marshall, Sir!« stellte Cyrus sich vor. »Chef-Adjutant
von General MacKenzie Hawkins.«
»Wiiillkommen, Colonel«, sprach der vorgeblich aus Schweden
stammende, bereits etwas betagte Ersatzdelegierte mit dick
aufgetragenem skandinavischen Akzent, der den weitgereisten
Cyrus innerlich zusammenzucken ließ. »Es iiist uns eine
grrroße Ehhhre, Sie kennenzulerrrnen, großer General.« Der
Delegierte verneigte sich unterwürfig und trat zurück, um den
gefeierten Soldaten des Jahrhunderts eintreten zu lassen, der
wie ein lebendig gewordener Koloß von Rhodos durch die Tür
hereinstapfte, während ein aufgeregter Roman Z. rasch hinter
ihm hertrippelte.
»Ich bin tief gerührt, Gentlemen!« ließ der Schauspieler sich
vernehmen, dessen gutturales Gebelfere dem von MacKenzie
Hawkins erstaunlich nahe kam. »Nicht nur geehrt, sondern
zutiefst beschämt, daß Ihre Wahl ausgerechnet auf meine
Person gefallen ist, der ich doch nur ein kleiner Mitbeteiligter an
den bedeutenderen Konflikten unserer Zeit war. Ich habe allein
meine Pflicht getan, und wie ein altes Schlachtroß kann ich nur
sagen, daß die tapferen Seelen unserer heldenhaften
Gefallenen weiterleben und weiteren Siegen entgegeneilen
Plötzlich aufgeregtes Stimmengewirr, wobei die verschiedenen
Stimmen nichts mehr mit Schweden zu tun hatten.
»Himmel, er ist es wirklich!»
»Bei Gott, in höchsteigener Person.«
»Ich kann's nicht fassen! Ich dachte, er war schon Vorjahren
gestorben!«
»Auf der Bühne nie, nein, wirklich nicht. Auf der Bühne ist er nie
gestorben - da ist er wie immer großartig und gegenwärtig!«
»Der größte Charakterdarsteller unserer Zeit! Der Walter Abel
der Siebziger- und Achtzigerjahre. Der glanzvollste Mime des
Jahrhunderts!«
»Was, zum Teufel, geht hier vor?« ließ Colonel Cyais sich
lautstark vernehmen, dessen von Natur aus schöne, aber
keineswegs ausgebildete Stimme Ethelred Brokemichaels
-4 5 9
hochgeheimer Schauspielereinheit freilich nicht das Wasser reichen konnte. »Würde mir das bitte jemand erklären!« rief er stimmgewaltig in dem Bemühen, sich über dem allgemeinen Stimmengewirr der Selbstmörderischen Sechs Gehör zu verschaffen, die »General MacKenzie Hawkins« umringten, ihm die Hand schüttelten, auf die Schulter klopften, ja, dem einer der völlig übergeschnappten Schauspieler den Players-ClubEhrenring küßte. »Verflixt und zugenäht! Würde mir jemand mal erklären, was das alles zu bedeuten hat?« »Ich will's versuchen«, rief Dustin mit sprühenden Augen und riß sich von den anderen los. »Offenbar hat man Sie erst ziemlich spät für dieses Unternehmen rekrutiert, weshalb Sie es auch nicht wissen können, aber das hier ist nicht der Hanswurst Hawkins, sondern einer der größten Mimen, die je die Bretter betreten haben, die die Welt bedeuten. In jüngeren Jahren haben wir ihn doch alle gesehen, haben seine Leistungen studiert, sind ihm ins Joe Allen 's gefolgt, eine SchauspielerBar, haben ihn mit Fragen bombardiert und versucht, alles in uns aufzunehmen, was wir von ihm lernen konnten.« »Lernen was? Wovon reden Sie eigentlich?« »Dieser Mann hier ist Henry Irving Sutton! Der Sutton, Sir Henry ...!« »Ja, ich weiß«, sagte Cyrus leise, in der Stimme so etwas wie Resignation. »So genannt nach einem längst verstorbenen britischen Schauspieler namens Irving, der weder mit der gleichnamigen Bank noch mit dem Schneideratelier dieses Namens an der First Avenue das geringste zu tun hat ... Warten Sie doch 'n Moment!« rief der Söldner plötzlich gellend. »Wer, zum Teufel, seid ihr denn dann?« »Jeder von uns nennt nur Namen, Rang und Stammrollennummer«, erwiderte Marion, der Cyrus' Frage mitbekommen hatte und sich widerstrebend von Sutton abwandte, der die Lobhudeleien seiner Schauspielerkollegen mit glanzvoller Demut entgegennahm. »Ich sage dies mit großer Trauer, Colonel, denn ich habe einmal eine kleine Rolle in einem Sidney-Poitier-Film gespielt, auch er nach wie vor ein wunderbarer Künstler.« »Name, Rang und ... Wovon reden Sie, überhaupt?« »Genau von dem, was ich gesagt habe, Colonel. -4 6 0
Name, Rang und Stammrollennummer, all das entsprechend
der Genfer Konvention. Weiter nichts.« »Soldaten sind Sie?«
»Jawohl, allerdings ganz besondere«, antwortete Dustin und
warf einen Blick hinüber zu seinem Helden, einem gewissen
Henry Irving Sutton, der seine Bewunderer mittlerweile dadurch
in den Bann schlug, daß er von vergangenen Triumphen
erzählte. »Wir nehmen das Risiko eines Kampfes ohne Uniform
auf uns, doch bis heute ist es nie soweit gekommen.« »Des
Kampfes?«
»Ausgewählte Geheimunternehmen, graue bis schwarze
Operationen - wobei die Bezeichnung schwarz natürlich nichts
mit der Hautfarbe zu tun hat.«
»Ich weiß, was schwarze Operationen sind. Das einzige, was
ich nicht weiß, ist, wer zum Teufel Sie sind?«
»Das habe ich Ihnen doch gerade gesagt: Wir sind eine
militärische Sondereinheit, die auf Geheimmissionen
spezialisiert ist - Missionen, bei denen es um Sicherheitsfragen
der ersten Kategorie geht.«
»Und dieser Nobelquatsch ist eine dieser Operationen?«
»Unter uns gesagt«, erklärte Dustin vertrauensselig und lehnte
sich zu Cyrus vor, »haben Sie Glück, daß wir sind, wer wir sind.
Ihre Pension könnte sonst in den Keller rutschen. Dieser Mann
ist nicht General Hawkins! Man hat Sie reingelegt, Colonel.«
»Reingelegt?« fragte Cyrus.
»Offensichtlich, wie übrigens wohl auch Mr. Sutton - Sir Henry.
Er würde sich doch niemals seinen großartigen Ruf
kaputtmachen, indem er sich in eine weltumspannende
Verschwörung hineinziehen ließe, die darauf abzielt, die
Vorausverteidigung unseres Landes zu schwächen. Niemals!«
»Vorausverteidigung, eine weltumspannende Verschwörung
...?«
»So in etwa steht es in unserem Einsatzbefehl, Colonel.«
»Das geht ja nun wirklich über jede Hutschnur!« sagte Cyrus,
als erwache er aus einer Trance. »Aber wer sind Sie, und
woher kommen Sie?«
-4 6 1
»Stationiert sind wir in Fort Benning. Dort unterstehen wir dem
Kommando von Brigadier General Ethelred Brokemichael. Die
genaue Bezeichnung unserer Einheit ist nicht weiter von
Bedeutung, und sie zu nennen, wäre in diesem Augenblick
gewiß auch nicht angebracht. Es möge daher genügen zu
sagen, daß man uns >Die Selbstmörderischen Sechs< nennt.«
»Die selbstmörderischen ...! Mein Gott, doch nicht die Delta
Streitmacht? Die erfolgreichste Antiterroreinheit, die es je
gegeben hat?«
»Jawohl, so hat man uns gesagt.«
»Aber Sie sind ... Sie sind ...«
»Ja, richtig - wir sind Schauspieler.«
»Schauspieler?« rief Cyrus gellend und dermaßen fortissimo,
daß Henry Irving Sutton und seine ihn umringenden Verehrer
unvermittelt schwiegen und den Söldner erstaunt anblickten.
»Sie sind ... Sie sind alle Schauspieler?«
»Jawohl«, rief Sir Henry, »und zwar eine so großartige Truppe,
wie sie seit Jahren nicht zusammengekommen ist, Colonel. Alle
spielen ihre Rolle perfekt. Beachten Sie die Kostüme, den
tadellosen europäischen Schnitt der Anzüge, die gedeckten
Töne, wie es sich für erlauchte Akademiker geziemt. Auch
sollten Ihnen die Frisuren ins Auge fallen, die grauen Strähnen,
nicht übertrieben, sondern gerade genug. Und dann die
Haltung, Colonel, die leicht hängenden Schultern, die Ihnen
gewiß gleich beim Eintreten aufgefallen sind, dazu das
Pincenez und die Schildpattbrillen ... Jawohl, Colonel, diese
Männer sind in der Tat Schauspieler - vorzügliche
Schauspieler.« »Ihm entgeht aber auch nichts!« »Welche
Beobachtungsgabe!« »Noch das winzigste Detail.«
»Details, Gentlemen«, verkündete Sutton, »sind unsere
Geheimwaffen, das sollten Sie niemals vergessen.« Ein Chor
von »Niemals!«, »Bestimmt nicht!« und »Wie sollten wir?!«
setzte ein, bis der ältere Schauspieler die Hände hob. »Aber
wem sage ich das! Soviel ich weiß, haben Sie mit Ihrem Auftritt
am Flughafen mehrere Millionen Zuschauer überzeugend
getäuscht. ... Gut gemacht, Schäfer des Thespiskarrens! Und
-4 6 2
jetzt muß ich unbedingt jeden einzelnen von Ihnen
kennenlernen. Ihre Namen, wenn ich bitten darf!«
»Nun«, begann der Sprecher, Lars Olafer, nicht allzu begeistert
und nickte seinen Mitsöldnern zu, »wenn gewisse Leute nicht
dabeiwären, täten wir ja nichts lieber, doch haben wir strenge
Order, bei unseren Decknamen zu bleiben, was mir in meinem
eigenen Fall zum Beispiel äußerst peinlich ist.« »Und wie lautet
er?«
»Ehrlich gesagt, ist es ein Titel, den zwar Sie, nicht aber ich
verdient habe ... Ich nenne mich >Sir Larry<, und das, weil ich
mit Vornamen Laurence heiße.«
»Das erinnert mich an Larry. Als er und Viv noch zusammen
waren, haben wir so manches Glas zusammen getrunken, und
ehrlich gesagt, entdecke ich sogar eine gewisse Ähnlichkeit
zwischen Ihnen und diesem unsäglich liebenswerten Burschen,
der äußerlich ja nur Haut und Knochen war. Ich habe in seinem
und Tony Quinns Beckett den ersten Ritter gespielt.« »Das haut
mich doch richtig um!«
»Sie waren fabelhaft!«
»Großartig!«
»Unvergleichlich!«
»Naja, es ging so, wenn ich das sagen darf.«
»Könnten wir uns diesen Quatsch nicht sparen, wenn ich das
sagen darf?!« rief Cyrus, und die Adern an seinem dicken Hals
traten hervor.
»Mich nennt man The Duke!«
»Und mich Sylvester!«
»Ich heiße Marion.«
»Dustin ...«
»Telly, das bin ich, General, Baby. Möchten Sie'n Lolly?«
»Das ist ja absurd!« schrie Cyrus und packte Dustin und
Sylvester bei den Rockaufschlägen. »Jetzt hört ihr Schufte mir
mal zu!«
-4 6 3
»He, mein guter schwarzer Kumpel«, sagte Roman Z. und
klopfte seinem Zellengenossen von vor noch gar nicht so langer
Zeit sanft auf die Schulter. »Paß auf, daß dein Blutdruck nicht
zu hoch geht!«
»Blutdruck, verdammich - ich sollte jeden einzelnen von diesen
Schurken erschießen.«
»Aber, aber, Pilger, das ist nun wirklich primitiv«, sagte The
Duke. »Verstehen Sie, Mister, wir halten nichts von Gewalt.
Gewalttätigkeit ist ja nichts weiter als ein Geisteszustand.«
»Zustand von was?« rief der dunkelhäutige Söldner.
»Des Geistes«, erklärte The Duke. »Freud hat das als rasende
...«
Cyrus gab seine hilflosen Geiseln frei. »Ich geb's auf«,
murmelte er und ließ sich auf den nächststehenden Stuhl fallen.
Roman Z. massierte ihm die Schultern. »Ich geb's auf!«
wiederholte er noch einmal laut, die geweiteten Augen
abschätzend auf die vor ihm stehende Handvoll Irrer gerichtet.
»Die Selbstmörderischen Sechs seid ihr? Die Antiterror-
Eingriffsgruppe Delta, auf die man sogar schon Songs
geschrieben hat? Das macht doch alles keinen Sinn?«
»In mancher Beziehung haben Sie recht, Colonel«, sagte
Sylvester mit seiner normalen, nur durch die Schauspielklasse
der Yale-Universität geschulten Stimme. »Aber wir spielen uns
in unsere Missionen rein und auch wieder raus und schüchtern
die Zielgruppen so meistens ein. Ab und zu gewinnen wir auf
die Weise auch den einen oder anderen zum Freund.«
»Ihr müßt aus einer Klapsmühle getürmt sein«, sagte Cyrus.
»Aber vielleicht seid ihr auch ETs«, setzte er noch wie
benommen hinzu.
»So weit sollten Sie, was uns betrifft, nicht gehen, Colonel«,
verwahrte Telly sich in seiner normalen gepflegten
Sprechweise. »Stellen Sie sich vor, alle Armeen der Welt
bestünden nur aus Schauspielern, dann könnte man Kriege als
gepflegte Inszenierungen betrachten und nicht als barbarisches
Abschlachten. Auszeichnungen gäbe es für individuelle wie
kollektive Leistungen - für die besten Ansprachen, die
-4 6 4
überzeugendsten Anschnauzer, die besten Massenreaktionen
...«
»Mit Preisen für Kostümierung, Kulisse oder Bühnenbild«, fiel
Marion ihm ins Wort.
»Genauso wie für den Aufbau des Stücks«, fügte The Duke
hinzu.
»Und die Regie nicht zu vergessen«, rief Sir Larry. »Und die
Choreographie«, meinte Sylvester.
»Herrlich, einfach herrlich!« rief Henry Irving Sutton aus.
»Man könnte eine internationale Akademie der Bühnenkunst
ins Leben rufen, die ihr Urteil über Boden-, Luft- und Marine-
Verbände fällen würde. Damit alles wirklichkeitsgetreu bleibt,
könnte man ja durchaus ein paar alte Militärs hinzuziehen, doch
sollte deren Rat zweitrangig bleiben. Zunächst einmal sollte die
schöpferische Leistung gewürdigt werden - es geht um
Überzeugung, Charakterisierung, Leidenschaft ... um Kunst!«
»Weiter so, Pilger!«
»He, Stella, die Reihenfolge war genau richtig.«
»S-S-Sie sind go-go-gold richtig!«
»Ich bin gerührt, sweetheart. Nehmen Sie einen Lolly!« »Yeah,
yeah, yeah, wir Komödianten brauchen keine Haubitzen, um
das Gesocks wegzupusten.«
»Was?«
»Tja, er hat schon recht. Verstehen Sie, was ich meine? Es
wird niemand erschossen. Keiner braucht ins Gras zu beißen.«
»Mir reicht's!« trompetete Cyrus - ein Aufschrei ganz im Sinne
Anouilhs. »Mir reicht's jetzt wirklich ... Sie, Sir Henry Horseshit!
Sie sind schließlich Soldat gewesen - das habe ich doch aus
dem Mund des nachweislich richtigen Hawkins selbst gehört.
Was ist denn jetzt damit, Mann?«
»In einem urtümlichen Sinne, Colonel, sind alle Soldaten
Schauspieler. Wir schlottern vor Angst, geben es aber nicht zu.
Wir wissen, daß uns jeden Augenblick unser kostbares
Lebenslicht ausgeblasen werden kann, doch verdrängen wir
das einfach aus dem irrationalen Grund, daß die unmittelbar vor
-4 6 5
uns liegende Aufgabe wichtiger ist als alles andere. Das Problem bei Soldaten, die wirklich kämpfen, ist doch, daß sie zu Schauspielern werden müssen, ohne von fachlich kompetenten Lehrern dafür ausgebildet zu sein. ... Wenn alle im Schützengraben liegenden, im Schlamm versinkenden Infanteristen die Regeln verstünden, würden sie genau das tun, was Telly sagt, das heißt, das Gesicht verzerren und fauchen und dabei über die Köpfe der ihnen gegenüberliegenden jungen Männer, die sie gar nicht kennen, hinwegschießen: Mit denen sollten sie lieber zu einem anderen Zeitpunkt und an einem anderen Ort ein Glas trinken.« »Quatsch! Da würden ja alle Wertvorstellungen und Überzeugungen auf der Strecke bleiben! Ich hab zwar schon auf den verschiedensten Seiten gekämpft, aber nie gegen meine Überzeugungen.« »Nun, dann sind Sie eben ein moralisches Wesen, Colonel, und ich kann Sie nur loben. Könnte aber auch sein, daß Sie für das fragwürdigste aller Motive kämpften - für Geld!« »Und wofür kämpfen diese Clowns?« »Ich hab nicht die leiseste Ahnung. So wie ich die Dinge sehe, erfüllen sie sich einen lebenslang gehegten ehrgeizigen Wunsch - und das auf höchst unkonventionelle Art, allerdings mit beträchtlichem Erfolg.« »Das muß ich Ihnen verdammt noch mal lassen«, sagte Cyrus und wandte sich Roman Z. zu. »Hast du alles?« fragte er. »Alles und jeden, mein Freund mit dem langen Atem.« »Gut.« Der riesige Chemiker wandte sich wieder den Schauspielern zu, wählte sich Dustin aus und sagte: »Sie, shorty, kommen Sie mal mit.« Der etwas kurz geratene Mime sah fragend seine Kollegen an. »Mein Gott, Mann, ich will weiter nichts als unter vier Augen mit ihnen reden. Glauben Sie etwa, wir beide, mein Freund und ich, würden uns mit den Selbstmörderischen Sechs anlegen?« »Keine Bange, Colonel, ich tue Ihnen schon nichts. Worum geht's?« Dustin ging mit dem gebührend beeindruckten Colonel in eine entferntere Ecke der Suite. Neben einem Fenster -4 6 6
blieben sie stehen. Die nächtliche Beleuchtung hüllte Boston in
einen warmen Schimmer. Cyrus sprach ganz leise.
»Sie hatten vorhin vermutlich recht, als Sie sagten, ich würde
meine Pension verlieren. Verstehen Sie, ich bin wirklich erst
spät zu der Sache dazugestoßen, de facto erst vor wenigen
Tagen, und ich hatte keinerlei Grund zu argwöhnen, dieser
Mann könnte womöglich nicht Hawkins sein. Naja, nach dem,
was ich im Fernsehen mitbekommen habe, sieht er genauso
aus wie der General, und reden tut er auch so. Warum sollte er
es also nicht sein? Ich bin Ihnen wirklich dankbar, Dustin.«
»Ist schon in Ordnung, Colonel. Ich bin überzeugt, Sie würden
im umgekehrten Fall das gleiche für mich tun - sagen wir mal,
jemand würde Hany Belafonte nachmachen, und da Sie 'n
Schwarzer sind, würden Sie's sofort merken, ich aber nicht.«
»Was?... Ach so, ja, natürlich würde ich das, Dustin, ganz
gewiß. Bloß damit ich mir von der ganzen schmutzigen
Angelegenheit ein klareres Bild mache - offiziell, verstehen Sie,
und da wir beide auf derselben Seite sind -, worin genau
bestand denn nun eigentlich ihre Aufgabe?«
»Ja, wissen Sie, wir sind natürlich nur zum Teil eingeweiht und
wissen nicht mehr, als wir unbedingt wissen müssen. Sie
hingegen sind immerhin Colonel. Deshalb werde ich Ihnen
sagen, was ich weiß - und mehr weiß keiner von uns: Wir sollen
Kontakt mit General Hawkins aufnehmen, ihn und sein Gefolge
entführen und zur Air Base des Strategie Air Command in
Westover fahren, das liegt hier in Massachusetts.«
»Nicht zurück zur Air Force II, die immer noch auf dem Rollfeld
steht?«
»Oh, nein, das war bloß für die Pressekonferenz ... Wissen Sie,
eigentlich ist dieser Vizepräsident gar kein so übler Kerl.
Allerdings glaube ich nicht, daß er als Schauspieler was kann
...«
»Der war mit im Flugzeug?«
»Klar, bloß raus durfte er nicht - jedenfalls erst später.« »Ja,
aber warum war er denn überhaupt da?« »Irgendwelche
-4 6 7
Gangster haben ihm eins seiner Autos geklaut. Später wurde
der Wagen dann hier in Boston gefunden.«
»Vergessen Sie's ... Ich meine, das hat doch mit unserer
Geschichte hier nichts zu tun ... Sie sollen also den General
samt Gefolge kidnappen, zur SAC-Basis nach Westover
bringen - und was dann?«
»WSE, Colonel.«
«Wie bitte?«
»Wird später entschieden. Allerdings hat man uns befohlen,
Sweater und lange Unterhosen mitzunehmen. Folglich gehe ich
davon aus, daß das Klima kälter wird.«
»Schweden«, sagte der Söldner.
»Das haben wir auch erst gedacht, aber dann sagte uns
Sylvester, der gerade mit Annie auf einer Skandinavientournee
war - soweit wir, besonders von ihm selbst, gehört haben, war
er phantastisch -, von Sylvester also haben wir gehört, daß das
Sommerwetter da nicht wesentlich anders ist als das bei uns
hier.«
»Stimmt, ist es nicht.«
»Tja, und da dachten wir uns dann, wohl noch weiter in den
Norden ...»
»... etwa in die Eisfjorde«, vervollständigte Cyrus den Satz.
»Wohin auch immer, jedenfalls sollten wir bis dahin weitere
Befehle erhalten.«
»Etwa dahingehend, tiefgefrorene Leichen abzusetzen, wo sie
im Jahr 3000 gefunden werden und medizinischen
Untersuchungen dienen könnten.«
»Dazu kann ich nun nichts sagen, Sir.«
»Das will ich hoffen. Und außer diesem Brigadier General
Broke ... Brokethel ...«
»Brokemichael, Colonel. Brigadier General Ethelred Broke
michael.«
-4 6 8
»Ist schon okay. Soweit hab ich es jetzt kapiert. Aber außer ihm - Sie haben keine Ahnung, wer außer ihm verantwortlich
zeichnet für diesen Einsatz?«
»Das zu wissen gehört nicht zu unseren Aufgaben, Sir.«
»Das will ich meinen - da können Sie Gift drauf nehmen.«
»Wie beliebt, Colonel?«
»Wir hauen ab, Roman«, sagte Cyrus unvermittelt und ging auf
die Tür zu. Der Zigeuner war augenblicklich an seiner Seite.
»Versuchen Sie nicht, uns zu folgen, gentlemen, das wäre
sinnlos. Wir sind in unserem Beruf genauso tüchtig, wie Sie auf
der Bühne, glauben Sie mir. Und nun zu Ihnen, Mr. Sutton. Ich
verstehe zwar nicht viel von der Schauspielerei, aber ich
vermute, Sie sind einer der Besten, folglich können Sie
genausogut hierbleiben. Ich fürchte, wir haben Ihnen heute
abend einen alten Söldnerstreich gespielt. Vielleicht haben Sie
sich gewundert, warum mein Freund hier dauernd so
rumgehüpft ist. Lassen Sie mich das erklären. In der roten
Nelke in seinem Knopfloch verbirgt sich eine superschnelle
Minikamera. Wir haben mindestens ein Dutzend Aufnahmen
von jedem einzelnen Ihrer Gesichter. Und unter meiner Jacke
bin ich bis zum Gehtnichtmehr verdrahtet - das Tonband läuft
immer noch, jedes Wort, das heute abend hier gesprochen
wurde, haben wir aufgezeichnet.«
»Einen Augenblick noch, bitte!« rief Sir Henry.
»Was?« Cyrus griff unter seine Jacke und riß eine große,
häßlich aussehende .357 Magnum heraus, während Roman Z.
mit einer einzigen Bewegung ein extrem langes
Schnappmesser hervorzog.
»Meine Gage«, rief Sutton. »Aaron soll sie durch Boten
vorbeibringen lassen. Es dürfen auch gern ein paar Hunderter
mehr sein, denn ich beabsichtige, meine neu gefundenen
Freunde und Kollegen ins feinste Bostoner Restaurant
auszuführen.«
»Sir Henry!« sagte Sylvester und zupfte den großen Mann am Ärmel. »Haben Sie sich wirklich von der Bühne zurückgezogen?« -4 6 9
»So halb, würde ich sagen, mein Lieber. Gelegentlich
übernehme ich noch einen Part auf kleineren Bühnen, damit ich
nicht einroste, verstehen Sie? Nur habe ich hier in Boston
zufällig einen ziemlich wohlhabenden Sohn aus einer meiner
Ehen - aus welcher, weiß ich wirklich nicht mehr -, der mir
einfach anbot, in eine seiner Wohnanlagen zu ziehen. Daran tut
er auch gut, denn schließlich habe ich ihn, als ich auf dem
Höhepunkt meiner Karriere stand, mehrere Universitäten
durchlaufen lassen, und das bloß wegen der vielen schönen
Titel später. Ein netter Junge, muß ich sagen, aber
Schauspieler, nein, das nun wirklich nicht. Im Grunde eine
Enttäuschung, wirklich.«
»Wie steht's denn mit der Army? Sie könnten unser Regisseur
sein! Wahrscheinlich würden sie Sie gleich zum General
machen.«
»Ah, aber vergessen Sie nicht, was Napoleon einst gesagt hat:
>Gebt mir genügend Orden, und ich gewinne euch jeden
Krieg!< Wo es aber um Schauspieler und ihre Karriere geht,
muß der Name groß rausgebracht werden. Immer größer, bis er
auf den Plakaten genauso groß prangt wie der Titel des Stücks.
Da Sie aber im geheimen arbeiten - wie will die Army das da
anstellen?«
»Ach, Scheiße«, flüsterte Cyrus Roman Z. zu. »Machen wir,
daß wir hier rauskommen!«
Sie gingen, und kein einziger in der Suite nahm Notiz davon.
-4 7 0
23. KAPITEL »Hier haben wir alles!« rief Jennifer beim Abhören des Bandes
und betrachtete die vergrößerten Fotos, die auf dem
Couchtisch des Strandhauses von Swampscott lagen. »Das
ganze ist ein Komplott - ein Komplott zwar, das fehlgeschlagen
ist, aber immerhin auch eins, in das höchste Regierungskreise
verstrickt sind,«
»Das steht völlig außer Frage«, stimmte Aaron Pinkus von
seinem Sessel her zu, »aber an wen halten wir uns, auf wen
konzentrieren wir uns? Da die Leute im Hotel nur zum Teil
eingeweiht waren, verliert sich die Spur.«
»Was ist denn mit diesem Brokemichael?« fragte Devereaux.
»Das ist dieser Schurke, den ich im Goldenen Dreieck schon
mal dingfest gemacht habe ...«
»... um dann seinen Vornamen mit dem seines Cousins ersten
Grades zu verwechseln«, fuhr Jennifer ihm in die Rede.
»Trottel!«
»Na, nun hör mal, wie oft begegnen einem schon Vornamen
wie Ethelred und Heseltine? Beide fallen so sehr aus dem
Rahmen, daß es schwer fällt, sie nicht zu verwechseln.«
»Einem umsichtigen Anwalt passiert so was nicht!«
»Nun komm schon, Pocahontas, du konntest nicht mal
zwischen einem strengen Kreuzverhör und bis an den Rand der
Legalität gehender Provokation unterscheiden!«
»Würdet ihr beiden jetzt bitte aufhören!« schimpfte der
aufgebrachte Pinkus.
»Ich meine doch bloß ... schließlich könnte er es ja auch auf
mich abgesehen haben«, erklärte Sam. »Himmel, wenn der
meinen Namen in den Unterlagen des Falken liest, könnten
seine beiden Nüstern zu wahren Flammenwerfern werden!«
»Da Sie in aller Form als Prozeßbevollmächtigter der Wopotami
genannt werden, ist das durchaus denkbar.« Aaron hielt inne,
legte die Stirn in Falten und den Kopf auf die Seite.
»Andererseits ist nicht gut vorstellbar, daß dieser Brokemichael
-4 7 1
seine einzigartige Truppe selbst zum Einsatz abkommandiert
hat, auf jeden Fall wird er nicht die Verfügungsgewalt über die
Air Force II besitzen ...«
»Was bedeutet, daß jemand anders den Befehl gegeben haben
muß«, vervollständigte Redwing den Gedanken.
»Richtig, meine Liebe, und genau dieses Rätsel müssen wir
lösen. Doch würde dieser Brokemichael seinen Vorgesetzten
niemals preisgeben, selbst wenn er es könnte, und um General
Hawkins zu zitieren: Der Befehlsstrang ist vermutlich dermaßen
verwirrt, daß man ihn nicht bis ganz nach oben zurückverfolgen
kann. Zumindest werden wir ihn nicht in der Zeit, die uns bleibt,
entwirren - und das sind, wenn ich das richtig sehe, nur mehr
etwas über achtzig Stunden, nein, nicht mal ganz.«
»Wir haben den Beweis«, sagte Devereaux. »Die Fotos, das
Band, auf dem die gesamte Aktion von zwei Teilnehmern in
großen Zügen umrissen wird - Mitschuldigen, wenn Sie so
wollen. Damit könnten wir an die Öffentlichkeit gehen - warum
nicht?«
»Der Streß hat Ihr Urteilsvermögen offenbar arg in
Mitleidenschaft gezogen, Sam«, meinte Pinkus zartfühlend.
»Die gesamte Operation ist so aufgebaut, daß alles immer
abgestritten werden kann. Genauso wie unser Freund Cyrus,
der jetzt mit Roman Z. am Strand sitzt und zweifellos jede
Menge Wodka in sich hineinschüttet, es einmal ausgedrückt
hat: >Das sind alles Irre.< Schon damit läßt sich jede
Verantwortung abstreiten. Wahnsinn, Irrationalität - verrückte
Schauspieler!«
»Nun halten Sie mal die Luft an, Aaron. Die Air Force II können
sie nicht leugnen - das dürfte ihnen schwerfallen.«
»Der Punkt geht an ihn, Mr. Pinkus. Die Freigabe des
Flugzeugs muß von sehr hoch oben kommen.«
»Danke, Prinzessin!«
»Was Recht ist, muß Recht bleiben!«
»Wow, was für ein Vorspiel!«
-4 7 2
»Ich hab dich beschränkt genannt, dabei hast du offenkundig
einen glanzvollen Punkt gemacht.«
»Nein, hat er nicht«, ertönte aus dem Dunkel der halboffen
stehenden Küchentür MacKenzie Hawkins kehlige Stimme. Die
Tür ging ganz auf, und der nur in grünschwarze Tarnanzughose
und T-Shirt gekleidete Falke trat heraus. »Verzeihen Sie
meinen Aufzug, kleine Miss Redbird ...»
»Redwing!«
»Nochmals, Verzeihung, aber wenn ich um drei Uhr morgens
was von Biwaks höre, gebietet mir mein Instinkt, mich zu
beeilen und mich nicht erst umständlich für den Ball in der
Offiziersmesse anzukleiden.«
»Sie tanzen, Mac?«
»Bitte, Sam, wenn Sie so gut sein würden«, sagte Aaron und
sah den Falken an. »Warum hat mein gelehrter Angestellter
unrecht mit dem, was er über den Flieger des Vizepräsidenten
sagt? Das Flugzeug kommt gleich nach der
Präsidentenmaschine.«
»Weil die Air Force II von einem Dutzend Dienste und
Behörden zu allen möglichen Dingen verwendet wird ... Ach,
Junge, denken Sie doch mal, als ich nach dem Prozeß in
Peking via Philippinen in Travis landete und diese zum Kotzen
reizende Aussprache über alte, abgekämpfte Soldaten hielt?
Da mußte ich doch auch erwähnen, wie dankbar ich dem
Vizepräsidenten dafür wäre, mir seine Dienstmaschine
geschickt zu haben.«
»Ich erinnere mich, Mac.
»Wissen Sie aber auch, wo der Vizepräsident sich damals
gerade aufhielt, Sam?«
»Nein, weiß ich nicht«, sagte Devereaux.
»Da war er mit einer meiner Frauen zusammen, die nicht wollte,
daß er in Los Angeles Punkte machte. Sie hatte ihn
stockbesoffen zusammen mit einer Flasche Bourbon
eingesperrt, und was seine fleischlichen Begierden betraf, war
er nicht minder gehandicapt.«
-4 7 3
»Woher wissen Sie das?«
»Weil mir die ganze Prozeßsache in China oberfaul vorkam und
ich wissen wollte, bis zu welcher Höhe sich das in Washington
zurückverfolgen ließ. Folglich schickte ich mein Mädchen los
mal sehen, was sie rausfinden würde.«
»Und hat sie was rausgefunden?« fragte Pinkus ungläubig.
»Aber selbstverständlich, Commander. Dieser doppelzüngige
Vielredner fiel platsch auf die Nase, seine Hosenbeine ringelten
sich um die Socken, und dann fragte er die gute alte Ginny, wer
ich wäre. Da wußte ich, wie groß der Drecksköter in
Washington war, der mich am Schwanz gepackt hielt und
seinem alten Soldaten böse Dinge antat. ... Das war der
Augenblick, wo ich beschloß, ein anderes Leben zu führen, und
Sie rekrutierte, Sam.«
»Mir wäre schon lieb, Sie würden mich nicht mehr daran
erinnern.«
»... Ginny hätte den Vizepräsidenten verführt?«
»Sie haben nicht zugehört, mein Sohn. Meine Ginny hat
Geschmack, und da hatte ein solch schwammiges
Neutrumsgesicht natürlich keine Chance.»
»Erinnerungen mal beiseite«, ließ Aaron sich kopfschüttelnd
vernehmen, als gälte es, verbotene Bilder zu verscheuchen.
»Was genau wollen Sie damit sagen, General?«
»Ich sage nur, daß wir dieser Gegenschlagsstrategie einen
Direktschlag entgegensetzen müssen, Commander. Das wird
zwar ein bißchen kitzlig, aber wir können es schaffen.«
»Nun mal klipp und klar, Mac - gerade heraus!«
»Verdammt noch mal, Junge, das hat von der Normandie bis
nach Saipan funktioniert. Von Pinchon bis an den Mekong
jedenfalls immer dann, wenn diese vermaledeiten,
lamettabehängten Nieten mir mit ihrer Großmäuligkeit nicht
alles vermasselt haben.«
»Ich wiederhole: klipp und klar!«
»Desinformation innerhalb des Ach-so-heilig-gehaltenen
Befehlsstrangs nennt man so was, Sam.«
-4 7 4
»Genau das habe ich vor wenigen Minuten gesagt«, unterbrach
Pinkus ihn. »Das mit dem Befehlsstrang, meine ich.«
»Ich weiß«, bestätigte der Falke. »Ich habe alles, was Sie in
den letzten zwanzig Minuten gesagt haben, mitbekommen.«
»Ihre Desinformation, General?« Aaron ließ nicht locker.
»Nun, darüber bin ich mir noch nicht bis ins letzte im klaren,
aber der Weg dorthin ist so deutlich zu erkennen wie eine 01
spur in frischgefallenem Schnee. ... Brokey Tausendsassa?«
»Wer?«
»Was?«
»Ich denke, ich weiß, wen Sie meinen«, sagte Jennifer.
»Brokemichael nicht Heseltine vom Büro für
Indianerangelegenheiten, sondern der, der von Fort Benning
aus die Leute dirigiert, deren Fotos wir hier auf dem Tisch vor
uns liegen haben: Ethelred.«
»Die Dame hat recht. Ethelred Brokemichael ist wohl das bisher
schwächste Argument für West Point, das es je gegeben hat.
Er hätte nie bei der Army sein dürfen, aber es lag nun mal in
der Familie. Das Verrückte ist, daß Ethelred als Offizier im
Grunde begabter war als Heseltine, nur hatte er eine
Schwäche: Er hatte sich zuviel Filme angesehen, in denen die
Generäle wie die Fürsten lebten, und auf der Basis seines
Generalsgehalts versuchte er nun, es ihnen nachzutun. Aber
damit kann man nun mal keine großen Sprünge machen.«
»Dann hatte ich also doch recht«, sagte Devereaux. »Er hat
versucht, im Goldenen Dreieck mit abzusahnen.«
»Natürlich hatten Sie damit recht, Sam, nur war er auch als
Krimineller nicht gerade ein Genie. Und auch da war es wie im
Film: Wer vor ihm Kotau machte, dem tat er den einen oder
anderen kleinen Gefallen.«
»Er hat immerhin ganz schön in die eigene Tasche
gewirtschaftet, Mac.«
»Aber nie wirklich im großen Stil, und bei weitem nicht in den
Größenordnungen, von denen Sie gesprochen haben. Hätte die
Army ihm das nachweisen können, wäre er in Teufels Küche
-4 7 5
gekommen. Außerdem hat er unter anderem Waisenhäuser und Flüchtlingslager unterstützt. Das steht in den Unterlagen, und das hat ihn gerettet. Andere sind da viel schlimmer gewesen als er.« »Was ihn aber kaum entschuldigt«, sagte Pinkus. »Wohl nicht, aber wie Sam sagt: Wer läuft schon im himmlischen Hindernisrennen mit?« Der Falke machte eine Pause und trat in seiner Tarnanzughose an ein Fenster, das auf den Strand hinausging. »Außerdem ist das lange her, und ich kenne Brokey Tausendsassa. Er hält nicht viel von mir, weil ich Heseltine besser kenne und die beiden nie besonders gut miteinander ausgekommen sind, aber wir reden miteinander ... Und genau das werde ich tun, ich werde mit ihm reden und verdammt noch mal herausfinden, wer hinter dieser ganzen Intrige steckt. Sonst hänge ich Brokey Tausendsassa öffentlich zum Trocknen auf die Leine, und er kann für immer von seinen Beförderungsträumen Abschied nehmen.« »Sie vergessen da ein paar Negative, General«, meldete Aaron sich wieder zu Wort. »Zunächst einmal bin ich sicher, sobald rauskommt, daß seine Selbstmörderischen Sechs versagt haben, wird Brokemichael irgendwohin versetzt, wo wir nicht an ihn rankönnen, ja, wo kein Mensch an ihn rankann. Und das aus dem einfachen Grund, daß über ihn der Name jenes hochrangigen Offiziers rauskommen könnte, der die Anweisung gab, daß Air Force II bei dieser Sache mitmachte.« »Aber es wird zunächst nicht rauskommen, Commander«, sagte Hawkins und wandte sich vom Fenster ab. »Jedenfalls nicht für die nächsten vierundzwanzig Stunden, und Sie können doch gewiß dafür sorgen, daß mich ein Privatjet morgen früh als erstes nach Fort Benning runterfliegt.« »Vierundzwanzig Stunden?« rief Jennifer. »Dafür können Sie unmöglich die Hand ins Feuer legen. Diese Schauspieler mögen irre sein, aber sie sind auch Profis, die sich mit geheimen Kommandounternehmen auskennen.« »Lassen Sie mich das erklären, Miss Redwing. Meine Adjutanten, Desi-Eins und -Zwo, stehen in Funkkontakt mit mir ... Sir Henry Sutton und die sogenannten Selbstmörderischen Sechs machen im Moment gerade Josepha Restaurant an der -4 7 6
Dartmouth Street unsicher, alle sind beschicken und bester
Laune. Meine Adjutanten werden vor der Tür auf sie warten und
sie nicht ins Hotel, sondern in die Skihütte zurückfahren. Dort
werden sie den Rest des Tages damit beschäftigt sein, ihren
Rausch auszuschlafen. Und wenn sie wieder klar zu denken
anfangen, wird Desi-Zwo, der, wie ich von Desi-Eins erfahren
habe, nicht nur ein tüchtiger Techniker, sondern auch noch ein
vorzüglicher Koch ist, Ihnen ihr Happahappa mit einer Sauce
würzen, die aus einer Mischung aus Tomaten, Tequila, Gin.
Brandy, reinem Alkohol und einem flüssigen Beruhigungsmittel
von unbestimmbarer Wirkkraft besteht und die uns die von Miss
Redwing geforderte Zeitgarantie gibt. Möglicherweise werden
wir sogar mehr als vierundzwanzig Stunden, vielleicht fast eine
Woche Zeit haben, falls uns das hilft.«
»Wirklich, General«, konterte die Tochter der Wopotami,
»selbst durch Drogen und Alkohol außer Gefecht gesetzte
Kämpfer finden genügend lichte Momente, um zum Telefon zu
greifen, besonders, wenn es sich um militärisch geschultes
Personal handelt.«
»Aber das Telefon wird nicht funktionieren, die Leitungen
wurden während des Sturms leider durch Blitzschlag
lahmgelegt.«
»Welches Sturms?«
»Des Sturms, der losbrach, als sie sich aufs Ohr hauten, um
genußvoll zu schnarchen.«
»Sobald sie aufwachen, werden sie in die Limousine klettern
und machen, daß sie da rauskommen«, gab Devereaux zu
bedenken.
»Nur werden Getriebe und Steuergestänge aufgrund
mangelnder Geländegängigkeit leider defekt sein.«
»Damit dürfte dann klar sein, daß man sie entführt hat, und sie
werden entsprechende Maßnahmen ergreifen - das heißt, zu
physischer Gewalt greifen«, sagte Pinkus.
»Nun, da besteht eine gewisse Chance, aber groß ist sie nicht.
D-Eins wird ihnen erklären, Sie, Commander, hätten es in Ihrer
unendlichen Weisheit für ratsam gehalten, daß die Truppe den
-4 7 7
Rausch von heute nacht in Ihrem Ferienhaus ausschläft, statt
sich im Hotel den Peinlichkeiten zu stellen.«
»Was ist überhaupt mit dem Hotel, Mac?« fragte Sam besorgt.
»Brokemichael und seine Leute werden sich bei der Einheit
erkundigen, welche Fortschritte sie gemacht haben; das ist
doch das mindeste.«
»Little Joseph schiebt in der mittleren Suite Telefondienst.«
»Aber was zum Teufel wird er sagen?» Devereaux gab nicht
nach. »Hi man, ich bin die Selbstmörderische Sechs, alle
anderen trinken sich in Joeys Bar gerade um Sinn und
Verstand?«
»Nein, er wird ihnen klarmachen, daß man ihn nur angeheuert
hat, irgendwelche Nachrichten entgegenzunehmen, und seine
augenblicklichen Arbeitgeber wären im Moment geschäftlich
nicht erreichbar. Weiter nichts.«
»Sie haben sich, scheint es, alles gründlich überlegt«, räumte
Aaron ein und nickte. »Bemerkenswert, muß ich schon sagen.«
»So was ist mir längst zur zweiten Natur geworden, Comman
der. Diese Art Taktik ist doch ein Kinderspiel.«
»Oh, nein, Mac, etwas haben Sie vergessen.« Devereaux
verzog den Mund zu einem sardonischen Juristenlächeln.
»Heutzutage sind alle größeren Limousinen mit Autotelefon
ausgerüstet.«
»Gut überlegt, mein Sohn, aber daran hat Desi-Eins schon vor
ein paar Stunden gedacht ...«
»Sagen Sie bloß nicht, er bricht die Antenne ab. Das wäre doch
wohl ein bißchen allzu auffällig, oder?«
»Das erübrigt sich in diesem Fall. Hooksett, New Hampshire, ist
über Funktelefon nicht zu erreichen; der Sendeturm, der dafür
nötig wäre, ist noch nicht fertig. Das mußte Desi-Zwo leider auf
die harte Tour erfahren. Er sagt, er habe zwanzig Minuten den
Highway runterfahren müssen, um vorgestern abend Desi-Eins
in Boston zu erreichen - und ihm genau zu beschreiben, wo die
Hütte liegt.«
»Noch Einwände, Kollege?« fragte Redwing.
-4 7 8
»Etwas Fürchterliches wird geschehen«, quietschte Sam mit halberstickter, fisteliger Stimme. »Wie immer, wenn er die Dinge durchdenkt!« Der Rockwell-Jet schoß in schwindelerregender Höhe über die Appalachen dahin und bereitete sich auf den Anflug auf Fort Henning vor, genauer gesagt, auf einen zwölf Meilen nördlich der Army-Base gelegenen Privatflugplatz. Bei dem einzigen Passagier an Bord handelte es sich um den Falken, der sich wieder einmal in seinen nichtssagenden Anzug geworfen hatte, die Brille mit dem Stahlrand trug und sich die von Erin Lafferty nunmehr perfekt gerichtete rote Perücke über den grauen Bürstenschnitt gezogen hatte. Der ehemalige General hatte in Swampscott von ungefähr vier Uhr nachts bis halb sieben in der Frühe am Telefon gehangen und seine Vorkehrungen getroffen. Der erste, den er anrief, war Heseltine Brokemichael, den wahre Begeisterung eigentlich nur bei der Aussicht packte, seinem ungeliebten Cousin Ethelred tüchtig eins auszuwischen. Siebzehn Anrufe weiter war der Weg frei für einen gewissen Journalisten, dessen augenblickliche Ermittlungen und Recherchen unter anderem die Post-Perestroika-Anpassung des Militärsektors an die neuen Gegebenheiten umfaßte: Der Mann erhielt die Erlaubnis, das Militärgelände zu betreten. Punkt acht Uhr war Brigadier General Ethered Brokemichael, der nach außen hin für die Öffentlichkeitsarbeit der ArmyEinrichtung verantwortlich war, von der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Pentagon angewiesen worden, diesen sehr einflußreichen Journalisten zu empfangen und ihn durch die militärischen Anlagen zu führen. Für Brokey Tausendsassa war das mehr oder weniger Routine, bei der ihm seine freilich wenig ausgebildeten schauspielerischen Talente gut zustatten kamen, die er selbst allerdings keineswegs für unbedeutend hielt. Um zehn Uhr legte Ethelred Brokemichael in seinem Büro den Hörer auf, nachdem er seine vom Women's Army Corps gestellte Adjutantin angewiesen hatte, den Schreiberling vorzulassen. Der Brigadier war also ganz darauf eingestellt, wieder einmal seine PR-Show abzuziehen.
-4 7 9
Worauf er nicht vorbereitet war, das war der Anblick des großen, irgendwie gebückt gehenden, bebrillten, rothaarigen älteren Herrn, der schüchtern durch seine Bürotür trat und der Sergeantin neben ihm mit überströmender Herzlichkeit dafür dankte, daß sie sie ihm offen hielt. Irgend etwas kam Brokemichael vertraut an dem Mann vor, eine Aura, die die zur Schau getragene Höflichkeit im Grunde Lügen strafte, irgendwie glaubte man sogar, fernes Donnergrollen zu hören, das freilich nur Brokey Tausendsassa, dieser allerdings unmißverständlich, wahrnahm: Was war los mit diesem komischen Kauz, der irgendwie geradewegs einem Film entsprungen schien, ein großgewachsener, linkischer Buchhaltertyp, der etwas von einem geprügelten Hund hatte und versuchte, der Sergeantin schönzutun ... Oder verwechselte er die Rolle mit der des großen Bühnenschauspielers in Nicholas Nickleby? »Es ist äußerst liebenswürdig von Ihnen, mir und meinen bescheidenen Recherchen etwas von Ihrer Zeit zu widmen, General«, sagte der Journalist mit leiser, gleichwohl rauher Stimme. »Das gehört zu meinen Aufgaben«, sagte Brokemichael und bedachte seinen Besucher unversehens mit einem Grinsen, von dem er meinte, daß es etwas von Kirk Douglas hätte. »Wir sind die bewaffneten Diener des Volkes und möchten, daß dieses versteht, welchen Beitrag wir für die Verteidigung des Landes und den Frieden in der Welt leisten. Bitte, nehmen Sie doch Platz..« »Das nenne ich ein wunderbares, zu Herzen gehendes Bekenntnis.« Der rothaarige Mann der Feder nahm vor dem Schreibtisch Platz, zog Kugelschreiber und Notizblock hervor und machte sich daran, kritzelnd ein paar Notizen festzuhalten. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie persönlich zitiere? Wenn es Ihnen allerdings lieber ist, schreibe ich: aus berufener Quelle.« »Aber gern doch - ich meine, Sie können mich ruhig namentlich nennen.« Immerhin handelte es sich um einen sehr einflußreichen Journalisten, bei dem das Pentagon sich einen -4 8 0
abbrach, um ihm zu Diensten zu sein. Warum? Dieser alternde,
mit knarziger Stimme sprechende komische Kauz war
erkennbar ein Zivilist, der vor jeder Uniform förmlich in Achtung
erstarrte. Heute morgen schien alles bestens zu laufen. »Wir in
der Army verstecken uns nicht hinter ungenannten Quellen aus
zweiter Hand, Mr. ... Mr. ...«
»Harrison, General, Lex Harrison.«
»Rex Harrison?«
»Nein, Alexander Harrison. Meine Eltern riefen mich schon in
jungen Jahren Lex, und so habe ich meine Artikel immer mit
Lex Harrison gezeichnet.«
»Aber ja, natürlich doch - nur fährt man im ersten Augenblick
doch unwillkürlich zusammen, wenn Sie verstehen, was ich
meine ... Ich meine natürlich wegen Rex Harrison.«
»Ja, Mr. Harrison gefiel die Ähnlichkeit auch. Er wollte immer
die Plätze tauschen: er als Journalist und ich als >Henry
Higgins< ... Leider ist er so früh von uns gegangen.«
»Sie haben Rex Harrison persönlich gekannt?«
»Durch gemeinsame Freunde ...«
»Gemeinsame Freunde?«
»New York und Los Angeles sind im Grunde doch Kleinstädte,
wenn man dort als Schriftsteller oder Schauspieler lebt ... aber
meine Verleger interessieren sich nicht für mich und meine
Trinkkumpane von der Polo Lounge.«
»Der Polo Lounge ...?«
»Ach, das ist in L. A. eine von den Reichen und Möchtegern-
Berühmtheiten frequentierte Tränke. Aber noch mal zu meinen
Verlegern: die interessieren sich nämlich für die Militärs, und
wie die auf die neuerzwungene Sparsamkeit reagieren.
Könnten wir also mit dem Interview beginnen?«
»Aber gewiß doch, gern. Ich sage Ihnen alles, was Sie wissen
möchten. Es ist nur so, daß ich mich von jeher stark für Film
und Theater interessiert habe ... sogar fürs Fernsehen.«
»Etliche Kollegen bezeichnen die Arbeit beim Fernsehen als
Überlebensmaßnahme. Von der Schauspielerei läßt sich ja nun
-4 8 1
mal nicht leben, und Filme gibt es viel zu wenige. Außerdem
liegt viel zuviel Zeit zwischen einzelnen Aufträgen.«
»Ja, das habe ich gehört - nun, lassen wir das. Sie plaudern ja
wirklich aus dem Nähkästchen.«
»Ich habe aber nie Dinge verraten, die man mir unter vier
Augen anvertraut hat, bitte, glauben Sie mir«, sagte der
Journalist. »Sogar Greg, Mitch und Michael müssen das
zugeben.«
»Oh, mein Gott ... natürlich!« Kein Wunder, daß die PR-Leute
vom Pentagon diesen alten Reporter mit der
Gießkannenstimme für äußerst einflußreich hielten. Der machte
seinen Job vermutlich schon seit Jahren und stand auf Du und
Du mit reichlich berühmten Leuten, bei denen das Pentagon
gern gut Wetter machte. Himmel! Rex Harrison, Greg, Mitch
und Michael ... der kannte ja jeden! »Ich fliege häufig nach L.
A., Mr. Harrison. Vielleicht treffen wir uns ja dort einmal ... in der
Polo Lounge?«
»Warum nicht? Dort halte ich mich meistens auf, sonst lebe ich
ja in New York, aber ehrlich gesagt, wirklich was los ist eben
doch nur an der Westküste. Wenn Sie das nächste Mal dort
sind, gehen Sie einfach in die Polo Lounge und sagen Sie
GUS, dem Bartender, Sie suchten nach mir. Bei ihm melde ich
mich nämlich immer zuerst zurück, ob ich nun im Beverly Hills
absteige oder nicht. Damit wissen die Leute, daß ich in der
Stadt bin - Paul Newman ... Joanne und die Pecks, Mitchum,
Caine und auch ein paar Neulinge wie die beiden Toms:
Selleck und Cruise - und natürlich Meryl und Bruce, die guten
Leute.«
»Die guten Leute?«
»Nun ja, wissen Sie, eben Schauspieler von echtem Schrot und
Korn. Das genau sind die Männer und Frauen, mit denen ich
gut auskomme.«
»Ach, wie gern ich die kennenlernen würde!« unterbrach
Brokemichael ihn, die Augen groß wie weiße Untertassen mit
blitzendbraunem Tassenrund. »Ich könnte meine Termine
entsprechend legen - ich bin da sehr flexibel.«
-4 8 2
»Es ist nur so, General«, erklärte der alte Reporter mit belegter
Stimme. »Diese Leute sind Profis. Die bewegen sich seit
Ewigkeiten im Viertel und haben nicht unbedingt was übrig für
die Seitenstraßen, die nach Amateurville führen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun ja, bloßes Interesse an Funk, Fernsehen oder Film
reichen nicht, um sich Zutritt zum inneren Kreis zu verschaffen.
Mein Gott, alle Welt möchte diese Gesichter kennenlernen
manchmal nennen sie sich >Gesichter<, als ob das eine
Beleidigung wäre, aber im Grunde sind es alles Menschen aus
Fleisch und Blut, die wissen, wie begehrt ihr Territorium ist, und
es deshalb vor der Habgier der anderen schützen und
abgrenzen.«
»Was soll das heißen?«
»Kurz gesagt, sind Sie leider kein Profi, General, sondern nur
ein Fan - und die finden diese Leute an jeder Straßenecke,
mehr, als ihnen manchmal lieb ist. Profis verkehren
gesellschaftlich nicht mit Fans, sie ertragen sie einfach nur ...
Meinen Sie, wir könnten jetzt weitermachen mit dem
Interview?« »Aber ja, gewiß doch«, rief der frustrierte
Brokemichael, »aber ich denke, jawohl, ich weiß einfach, daß
Sie mein Engagement für die Schauspielerei unterschätzen.«
»Hat Ihre Mutter etwa schon auf der Bühne gestanden, oder Ihr
Vater bei einer Schüleraufführung mitgewirkt?«
»Weder noch - obwohl meine Mutter sich immer gewünscht hat,
Schauspielerin zu werden. Nur haben ihre Eltern ihr gesagt,
dann käme sie unweigerlich in die Hölle, folglich hat sie nur
eine Menge Mimikry getrieben ... Mein Vater war ein Colonel
mein Gott, ich hab's wahrhaftig weiter gebracht als der arme
Kerl. ... Aber die Schauspielerei liegt mir von Mutters Seite her
im Blut. Wie ich das Theater, gute Filme und das Fernsehen
liebe! Besonders die alten Filme. Ich bin wie elektrisiert, wenn
ich eine Vorstellung sehe, die mich berührt, mich wirklich tief
ergreift. Ich weine, ich lache, ich bin jeder einzelne von diesen
Leuten auf der Bühne oder auf der Leinwand. Das ist mein
anderes Ich!«
-4 8 3
»Ich fürchte, so kann nur ein Amateur reagieren«, sagte der Journalist mit der knarzigen Stimme und wandte sich wieder seinem Notizblock zu. »Ach, meinen Sie?« begehrte Brokemichael mit gepreßter Stimme dagegen auf, dermaßen gebeutelt war er von seinen Gefühlen. »Dann will ich Ihnen etwas erzählen - aber kann das bitte privat und damit unter uns bleiben? Keine Notizen, nichts Schriftliches, alles rein vertraulich?« »Warum nicht? Ich bin nur hier, um mir in Umrissen ein Bild davon zu machen, wie das Militär ...« »Still, bitte!« flüsterte Brokey Tausendsassa, erhob sich hinter seinem Schreibtisch, huschte in Richtung Tür und lauschte, als spielte er eine Rolle in der Dreigroschenoper. »Ich befehlige die erlauchteste Theatertruppe in den Annalen der Militärgeschichte! Ich selbst habe die Truppe ausgebildet, sie angeleitet und auf den Gipfel ihres Könnens geführt, so daß sie jetzt als Antiterroreinheit von Weltklasse gilt, die Erfolg hat, wo alles andere versagt! Und da frage ich Sie: Ist das Amateurville?« »Aber General, das sind Soldaten, die für so was schließlich ausgebildet werden ...« »Nein, das eben sind sie nicht!« explodierte Brokemichael. Was zuvor noch Geflüster gewesen war, geriet ihm jetzt zum Zischen, »Es sind Schauspieler, echte Berufsschauspieler! Als sie sich damals als geschlossene Truppe zum Militär meldeten, habe ich sofort die darin liegenden Möglichkeiten erkannt. Wer schließlich sollte besser geeignet sein, einen Gegner zu unterwandern und hinter den feindlichen Linien den Stecker rauszuziehen, als Männer, die ausgebildet wurden, in andere Rollen zu schlüpfen? Und was war da besser geeignet als eine Schauspieltruppe, in der einer mit der Arbeit des anderen vertraut war, einem Repertoiretheater, imstande, miteinander zu spielen und die Illusion von Spontaneität, von Natürlichkeit, von Realität zu wecken? Geheimunternehmen, Mr. Harrison. Diese Leute waren dazu geboren, und ich habe ihnen ermöglicht, ihre Talente voll zu entwickeln.« -4 8 4
Der Journalist reagierte wie ein Brummbär, der einem anderen
gegenüber zähneknirschend zugibt, daß er recht hat. »Nun, ich
glaub's ja kaum! Das ist ja ein irres Konzept, General - ich
könnte mich sogar dazu versteigen, es rundum brillant zu
nennen!«
»Naja, amateurhaft wohl eben nicht, nicht wahr? Und wir
können uns vor Aufträgen schier nicht retten. Gerade jetzt, wo
wir hier miteinander reden, sind sie im Einsatz für einen der
mächtigsten Männer im Land.«
»Ach?« Der Mann, der sich Harrison nannte, legte fragend die
Stirn in Falten. Ein zages zynisches Lächeln umspielte seine
Lippen. »Dann sind sie also gar nicht hier - kann ich sie gar
nicht kennenlernen? Und außerdem ist diese Information privat,
darf ich also nichts darüber schreiben?«
»Mein Gott, um alles auf der Welt nur das nicht! Kein Wort!«
»Ja, dann, General, das muß ich als Reporter leider sagen,
habe ich nur eine einzige Quelle: Sie. Niemand auf der ganzen
Welt würde etwas drucken, das nur aus einer einzigen Quelle
stammt, und meine Freunde in der Polo Lounge würden sich
ausschütten vor Lachen und erklären, wenn's wahr wäre,
könnte das ein toller Filmstoff sein - womit sie ja auch recht
hätten.«
»Aber es ist wahr!«
»Wer behauptet das außer Ihnen?«
»Naja, ich ... nein, das kann ich nicht!«
»Zu schade! Wenn die Story auch nur einen Funken Wahrheit
enthielte, könnten Sie das Expose für ein paar hunderttausend
Dollar vermutlich an jede Filmgesellschaft verkaufen. Und das,
was man ein Treatment nennt - also nichts weiter als eine
halbgare Zusammenfassung in der Art Aufsatz, wie wir sie in
der Schule geschrieben haben - vielleicht für eine halbe Million.
Hollywood würde sich um Sie reißen!«
»Aber mein Gott, es ist wirklich wahr, so glauben Sie mir doch.«
»Ich glaube Ihnen vielleicht, doch wäre ein vertrauliches Wort
meinerseits in der Polo Lounge nicht mal ein Glas San
-4 8 5
Pellegrino mit Limonenscheibe drin wert. ... Eine solche Story
ist zu unglaubwürdig, die kann man so nicht verkaufen!
General, ich glaube, wir sollten uns wirklich wieder unserem
Interview zuwenden.«
»Nein! Dazu bin ich der Verwirklichung meiner Träume zu
nahe! Paul und Joanne, Greg und Mitch und Michael - all die
guten Leute!«
»Ja, das sind sie ...«
»Sie müssen mir einfach glauben!«
»Wie soll ich das?« knurrte der alte Journalist. »Ich kann ja
nicht mal ein Wort davon niederschreiben - es ist ja alles off-
the-record.«
»Nun, wie war's hiermit?« rief Brokey Tausendsassa. Seine
Augen glühten, und der Schweiß lief ihm übers Gesicht.
»Innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden wird meine
Antiterror-Repertoire-Theater-Truppe einen der gefährlichsten
Feinde dingfest machen, den unser Land je gehabt hat.«
»Das ist ja eine ungeheuerliche Behauptung, General. Können
Sie mir irgend etwas liefern, womit sich das beweisen ließe?«
»Gibt es so etwas wie zwischen off- und on-the-record?«
»Nun, ich denke, es gibt so etwas wie ein vertrauliches
Eingeweihtsein, mit dem man erst nach dem Geschehen an die
Öffentlichkeit gehen darf - das heißt, es darf nichts gedruckt
werden, bis das Ereignis stattfindet, und selbst dann nur >auf
dem Hintergrund dieser Informationen< sozusagen.«
»Wie funktioniert denn das?«
»Als Quelle werden keine Namen genannt, und es werden auch
keine Andeutungen gemacht, wer sich hinter der Sache
verstecken könnte.«
»Darauf kann ich mich einlassen.«
»Und tun gut daran, das zu tun«, brummelte der Journalist.
»Wie bitte?«
»Nichts. Schießen Sie schon los, General.«
-4 8 6
»Sie sind in Boston, Massachusetts«, kam es Brokemichael
raschzüngig über die Lippen.
»Wie schön.«
»Haben Sie die Zeitung gelesen oder ferngesehen?« fragte der
General wiederum schnell und geheimnistuerisch. »Ab und zu
man kann beidem schließlich nicht entrinnen.« »Haben Sie vom
Nobelpreiskomitee gelesen oder gehört, und daß man die Leute
mit der Maschine des Vizepräsidenten nach Boston geflogen
hat?«
»Ja, ich denke, schon«, erwiderte der Journalist. Bei dem
Gedanken daran verdüsterte sich sein Gemüt. »Irgendwas von
einem Vortrag in Harvard oder der Ankündigung eines Preises
für einen General ... den >Soldaten des Jahrzehnts< oder so
etwas ähnliches. Ich hab's in den Fernsehnachrichten
gesehen.«
»Ganz schön eindrucksvoll, finden Sie nicht auch?« Brokey
Tausendsassa stellte die Frage in einem monotonen Singsang.
»Naja, ein Komitee, das die Nobelstiftung repräsentiert, wird
nicht gerade abgerissen daherkommen.«
»Sie würden also auch sagen, daß es sich um eine erlauchte
Gruppe von Akademikern und Militärhistorikern handelte, hab
ich recht?«
»Aber selbstverständlich. Leute von dem Schlag verkehren ja
nicht gerade mit Pennern, das haben sie nicht nötig. Aber was
hat das alles mit dem zu tun, was Sie mit ihrer Theatertruppe,
die in Wahrheit eine Einheit zur Terroristenbekämpfung ist ...?«
»Das sind sie.«
»Was heißt: sie?«
»Das Komitee. Das sind meine Leute, meine Schauspieler!«
»General, das kommt nun bestimmt nicht auf meinen Block,
aber könnte es sein, daß sie heute morgen schon zu tief ins
Glas geschaut haben? ... Hören Sie, ich bin kein Anfänger, der
auf jede sogenannte Sensation hereinfällt - wie meine Freunde
in der Polo Lounge kenn ich mich einigermaßen aus in der Welt
und weiß, was Sache ist ...«
-4 8 7
»Aber ich sage die Wahrheit!« Brokemichael kochte, seine zwar
leise, doch gleichwohl harte Stimme verriet soviel aufgestaute
Energie, daß die Adern an seinem Hals sich purpurn färbten.
»Und ich trinke morgens nie - die Offiziersmesse macht
überhaupt erst um zwölf auf. Bei dem Nobelkomitee handelt es
sich in Wirklichkeit um meine Geheimtruppe, meine
Schauspieler!« »Vielleicht sollten wir einen neuen Termin für
dieses Interview abmachen.«
»Und ich werde es Ihnen beweisen!« Der Kommandeur der
Selbstmörderischen Sechs schoß auf einen Aktenschrank zu,
riß eine Schublade auf und zog einen Stapel Umschläge
heraus. Damit kehrte er zurück zu seinem Schreibtisch und
schüttete wahllos einen Wust von Fotos heraus. »Das hier sind
sie! Wir halten ihre unterschiedlichen Verkleidungen jedesmal
fest, weil wir jede Wiederholung vermeiden möchten. Es könnte
schließlich sein, daß sie bei der Ausführung eines Auftrags
gefilmt werden. ... Hier, hier! Das sind die letzten Aufnahmen
das Haar, ein paar Knebelbärte, die Brillen und sogar die
Augenbrauen. Das hier sind die Männer, die Sie in den
Fernsehnachrichten auf dem Flughafen in Boston gesehen
haben. Schauen Sie, schauen Sie doch nur!«
»Donnerwetter!« sagte der Journalist, der jetzt stand und die
überformatigen Hochglanzfotos betrachtete. »Ich glaube, Sie
haben recht.«
»Aber natürlich habe ich recht. Das hier sind die
Selbstmörderischen Sechs - meine Schöpfung!«
»Aber wozu sind sie in Boston?«
»Das fällt unter allerhöchste Geheimhaltung!«
»Nun, General, tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber
alles, was sie mir gezeigt haben, sind doch nur visuelle
Möglichkeiten, zwischen denen keinerlei Zusammenhang zu
erkennen ist ... Ohne Erklärung kann ich überhaupt nichts damit
anfangen. Bitte, vergessen Sie nicht, wir bewegen uns im
Rahmen eines vertraulichen Eingeweihtwerdens, mit dem ich
erst nach dem Geschehen an die Öffentlichkeit gehen kann. Es
ist also okay, Sie können es mir ruhig sagen.«
-4 8 8
»Mein Name bleibt aber draußen - höchstens, daß Sie ihn Ihren
Freunden in der Polo Lounge gegenüber erwähnen, die ich nur
allzugern kennenlernen würde!«
»Bei meinem Ehrenwort als Journalist«, stimmte der Mann zu,
der sich Harrison nannte.
»Nun, der General, den Sie erwähnt haben - dieser unehrenhaft
entlassene ehemalige General -, ist ein Landesverräter. Ich will
jetzt nicht in die Einzelheiten gehen, aber wenn er seinen Plan,
den er gerade verfolgt, ausführt, läuft Amerika Gefahr, seine
Erst- und Zweitschlagsfähigkeiten zu verlieren.«
»Und das ist der Soldat von was noch gleich?» fragte Harrison.
»Der Soldat des Jahrhunderts. Aber das Ganze ist nichts weiter
als ein Riesenbluff, eine Falle, um ihn gefangenzunehmen und
ins Messer laufen zu lassen. Und genau das tun meine
Schauspieler in diesem Augenblick!«
»Das zu hören, tut mir aufrichtig leid, General, wirklich aufrichtig
leid.«
»Warum? Der Mann hat den Verstand verloren.«
»Hat was?«
»Er, ist ein Fall für den Psychiater, ist plemplem!«
»Aber warum ist er dann so gottverdammt wichtig?«
»Weil er und ein krimineller Anwalt von der Harvard University
die Betonung liegt auf kriminell, und davon verstehe ich eine
ganze Menge - irgendso eine durch und durch arglistige
Täuschung ausgeheckt haben, die unsere Regierung und ganz
besonders das Pentagon mehr Millionen kosten könnte, als sich
dem Kongreß in hundert Jahren abringen ließen.«
»Was für eine Täuschung?«
»Ich kenne die Einzelheiten nicht, nur in groben Zügen, aber
lassen Sie sich von mir gesagt sein, das ist die reinste Rocky
Horror Picture Show - haben Sie den Film übrigens gesehen?«
»Tut mir leid«, knurrte der Journalist, dessen Feindseligkeit jetzt
offen durchbrach - für jeden erkennbar, bloß offenbar nicht für
Brokey Tausendsassa. »Wer ist dieser General?« fragte der
Mann, der sich Harrison nannte, mit fast erstickter Stimme.
-4 8 9
»Irgendso ein verrückter Schuft namens Hawkins, der schon
immer ein Quertreiber und Querulant gewesen ist.«
»An den Namen erinnere ich mich. Hat er nicht gleich zweimal
die Tapferkeitsmedaille des Kongresses verliehen
bekommen?«
»Auch das ist völlig verrückt. Achtzig Prozent der vom Kongreß
Ausgezeichneten erhalten diese Ehrung, wenn sie schon tot
sind. Wie kommt es, daß er nie gefallen ist - wer weiß, vielleicht
ist da 'ne Story drin.«
»Auuaagh!« würgte der Journalist heraus. In seinen Augen
blitzte es. »Wie kommt es denn, daß diese falschen Fuffziger
mit der Air Force II nach Boston geflogen wurden?« fragte er
und gab sich den Anschein, als wäre er wieder völlig
beherrscht.
»Damit sollte Aufmerksamkeit erweckt werden. Diese Maschine
kann man nicht einfach ignorieren.«
»Aber einfach mieten kann man die Clipper schließlich auch
nicht. Dieses Flugzeug ist doch für alle tabu.«
»Naja, für gewisse Leute natürlich nicht.«
»Ach ja, Sie haben da ein großes Tier erwähnt ... >einer der
mächtigsten Männer im Land<. So haben Sie sich doch
ausgedrückt?«
»Eine sehr hochstehende Persönlichkeit, nur wenig unter dem
Chief Executive selbst. Für den die höchste
Geheimhaltungsstufe gilt.«
»Naja, das wäre eine Information, die auf meine Freunde in
Hollywood wirklich Eindruck machen würde. Die würden Sie
vermutlich zu einer Reihe von Besprechungen an die
Westküste rausfliegen - höchst verschwiegenen, versteht sich.«
»Besprechungen?«
»Diese Leute planen weit in die Zukunft, General, und sind sehr
vorausschauend. Müssen sie auch sein. Ausgangspunkt für
einen Film ist immer ein genialer Einfall, und ehe der voll
entwickelt ist, das dauert Jahre. Großer Gott, jeder bedeutende
Star im Filmgeschäft würde Ihnen zu Füßen sitzen - Sie würden
-4 9 0
sie alle kennenlernen müssen, schon um Besetzungsfragen durchzusprechen.« »Sie kennenlernen - alle?« »Klar, nur kommt es ja wohl nicht in Frage, da Sie mir - nicht einmal streng vertraulich - kaum verraten können, wer dieses hohe Tier ist. Später kann jeder Dummkopf den Namen preisgeben und wird es wahrscheinlich auch tun, doch der Zeitpunkt, das Eisen zu schmieden, ist jetzt - solange es noch heiß ist. Wenn erst mal alles gelaufen ist, sind Sie nichts Besonderes mehr ... Ach, was soll's, wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Lassen Sie uns mit dem Interview weitermachen, General: Die Einsparungen im Verteidigungshaushalt wirken sich auf den Arbeitsmarkt aus - und zwischen der Situation auf dem Arbeitsmarkt und der Truppenmoral gibt es eine Rückkopplung ...« »Warten Sie!« Ein apoplektisch geröteter Brokey Tausendsassa tigerte auf und ab und sah immer wieder auf die Fotos seiner großartigen Schöpfung und Obsession hinab. »Wie Sie richtig gesagt haben, sobald die Geschichte an die Öffentlichkeit gelangt - und das muß sie ja eines Tages -, bin ich nichts Besonderes mehr, und jeder Blödmann kann sich die Blume ins Knopfloch stecken, die eigentlich mir für meine Leistungen gebührt. Und selbstverständlich werden sie das tun! Sie werden einen Film darüber drehen, und ich werde nichts damit zu tun haben. Wahrscheinlich muß ich noch fünfzig Dollar berappen, um mir im Kino anzusehen, was sie aus meinem Meisterstück gemacht haben. Oh, Gott, das ist furchtbar!« »Thats Life, wie Frankie-Boy so schön singt«, sagte der Journalist, den Kugelschreiber über dem Notizblock gezückt. »Dabei fällt mir übrigens ein, Francis Albert ist auf der Suche nach einer guten Charakterrolle - warum sollte er nicht Sie spielen?« »Francis Albert?« »Frank Sinatra meine ich natürlich.« »Nein!« schrie der Brigadier General auf. »Ich habe das alles gemacht, und zwar auf meine Weise!« »Wie soll ich das verstehen?«
-4 9 1
»Na, schön, ich werde es Ihnen sagen«, erklärte der
schwitzende Brokemichael. »Später, wenn alles einigermaßen
gelaufen ist, wird er mir wahrscheinlich dankbar sein, doch
selbst wenn nicht, soll er doch verdammt noch mal fünfzig
Dollar bezahlen, um sich den Film anzusehen, meinen Film.«
»Ich kann Ihnen nicht folgen, General.« »Der Außenminister!«
wisperte Brokey Tausendsassa, »Der ist es, für den meine
Selbstmörderischen Sechs in Boston ihre Mission durchführen.
Gestern kam er hier rausgeflogen, inkognito, kein Mensch
wußte, um wen es sich handelt. Sein Personalausweis war eine
fabelhafte Fälschung.«
»Bingo!« entfuhr des dem Falken, der von seinem Stuhl
hochsprang und sich die rote Perücke vom Kopf riß. »Jetzt hab
ich Sie, Deucey!« schrie er, während er sich Schlips und
Kragen herunterriß und die Stahlbrille von der Nase nahm.
»Wie geht es Ihnen, altes Haus? Sie sind mir ein gemeiner
Hund!«
Ethelred Brokemichael verschlug es die Sprache: mit einem
Wort, er war wie gelähmt. In der unteren Hälfte seines völlig
verzerrten Gesichts entrang sich seinem Mund eine Serie tief
aus dem Bauch aufsteigender Grunzlaute, kombiniert mit
fistelig hohen Pfeiftönen: »Ahhhhhh ... accchhh!«
»Begrüßt man so einen alten Kameraden, selbst wenn er ein
Fall für den Psychiater, ein Querkopf und Querulant ist, der die
Auszeichnungen des Kongresses eigentlich niemals hätte
erhalten dürfen?!«
»Eija ... eija!«
»Ach, ein Landesverräter und Querschießer ist er ja auch noch,
und vielleicht ist da 'ne Story drin in der Art und Weise, wie er
zu den Medaillen gekommen ist: Vielleicht hat er das alles
damit erreicht, daß er das Feuer auf sich selbst gerichtet hat
oder nur so tat!«
»Nieahh ... nieahh!«
»Glauben Sie etwa, das ginge nicht, Sie Passant?«
-4 9 2
»Aufboren, Mac!« rief Brokey Tausendsassa, der sich
inzwischen wieder so weit gefaßt hatte, daß er protestieren
konnte.
»Sie wissen ja nicht, was ich durchgemacht habe ... eine
Scheidung - die Schlampe preßt mich aus wie eine Zitrone
und dann in Washington um die Gelder kämpfen und meine
Einheit bei Laune halten. Himmel, ich muß für ein hingerissenes
Publikum sorgen, bloß damit die ihre in Szene gesetzten
Lesungen absolvieren können, von denen die Rekruten kein
Wort verstehen, die im Zuschauerraum kiffen, bloß um diese
Darbietung zu überstehen. ... Haben Sie Gnade, Mac! Ich
versuche doch bloß zu überleben! Was hätten Sie denn getan
dem Außenminister gesagt, er soll sich seine Idee in den Arsch
schieben?«
»Genau das hätte ich wahrscheinlich getan.« »Yeah, well, Sie
haben aber auch nie einen Penny Alimente zahlen müssen!«
»Natürlich nicht. Ich hab meinen Miezen beigebracht, sich
vorzusehen, und das haben sie getan, bei Gott! Und wenn ich
knapp bei Kasse bin, hilft mir bestimmt jede von ihnen mit einer
kleinen Spende aus.«
»Ich werde das nie verstehen, nie!«
»Das ist ganz einfach. Mir hat jede einzelne von ihnen wirklich
was bedeutet, und ich habe ihnen geholfen, daß sie hinterher
besser dastanden als vorher. Sie hingegen haben sich nie was
aus den Frauen gemacht und haben ihnen nie geholfen.« »Ach,
verdammt noch mal, Mac, dieser schielende Pease hat Sie als
wahres Ungeheuer hingestellt. Und als er mir dann auch noch
sagte, daß dieser widerliche Winkeladvokat Devereaux mit von
der Partie wäre, da bin ich die Wände hochgegangen
wirklich!«
»Eigentlich eine Schande, Deucey, denn dieser widerliche
Winkeladvokat ist ja gerade der Grund, warum ich hier bin ...
um Ihnen zu helfen, Ihren Hals aus der teuflischen Schlinge zu
ziehen, in der er landen könnte.« »Was?«
»Es ist an der Zeit, daß Sie mal ein bißchen Gnade walten
lassen, General. Heute weiß Sam Devereaux, daß er mit
-4 9 3
seinen Vorwürfen gegen Sie ein bißchen übers Ziel
hinausgeschossen ist, und möchte seine Indiskretionen von
damals ein wenig wieder gutmachen. Glauben Sie etwa, ich
würde Kopf und Kragen riskieren, indem ich herkomme und
geradewegs ins Feldlager des Feindes hereinspaziere, wenn er
nicht darauf bestanden hätte?«
»Wovon zum Teufel reden Sie?«
»Sie werden nur als Strohmann benutzt, Brokey. Das hat Sam
rausgefunden, woraufhin er mir buchstäblich befohlen hat,
herzufliegen, um Sie zu warnen.« »Was? Ja, wieso denn?«
»Da geht es um diesen an sich nicht sonderlich wichtigen
Prozeß gegen die Regierung - irgend jemand prozessiert ja
immer gegen die Regierung -, nur ist dieses Verfahren, um das
es geht, Warren Pease äußerst peinlich. Schließlich legt er als
Politiker ganz besonderen Wert auf ein sauberes Image. Er will,
daß die Sache unter den Teppich gekehrt wird, und fordert Sie
und Ihr Team an, damit Sie die Drecksarbeit für ihn tun, und
redet Ihnen doch tatsächlich ein, es handele sich um so was
wie einen nationalen Notstand. Doch sobald Sie Ihre Arbeit
getan haben, wäscht er seine Hände in Unschuld und kennt Sie
nicht mehr. Die Anklage wird abgewürgt, weil es ja keine Kläger
mehr gibt. Irgendwer wird daraufhin aber mit Sicherheit
protestieren, und die Spur führt zu Ihren Selbstmörderischen
Sechs - und zu Ihnen! Einem Offizier im Generalsrang, der im
Goldenen Dreieck bei einer Reihe von Anklagen gerade noch
mal mit einem blauen Auge davongekommen ist. Sie sind
erledigt, Brokey - mausetot.« »Verflucht! Vielleicht sollte ich sie
zurückrufen.« »Wenn ich Sie wäre, würde ich außerdem ein auf
gestern zurückdatiertes Memo zu den Akten geben,
demzufolge Sie nach reiflicher Überlegung zu dem Schluß
gekommen sind, Ihre Einheit zurückzupfeifen, weil Sie glauben,
daß das ganze Unternehmen außerhalb jeder von der
Verfassung gebotenen Legalität liegt. Lädt man Sie vor den
Untersuchungsausschuß des Kongresses, lassen Sie
meinetwegen Pease über die Klinge springen, aber tun sie's
nicht selbst.«
-4 9 4
»Gottverdammich, genau das werde ich tun ... Mac, wieso
wissen Sie soviel über L. A., die Westküste, die Polo Lounge
und all die anderen Dinge, von denen Sie geredet haben?«
»Alter Kamerad, Sie vergessen, daß diese Burschen einen Film
über mich gedreht haben. Zehn Wahnsinnswochen hindurch
gehörte ich zum Beraterteam, und das auf Pentagonspesen:
Diese Schlappschwänze und Seidenfummelträger haben sich
nämlich eingebildet, daß mit dem Film als PR-Kampagne
massenweise Freiwillige zu den Fahnen eilen würden.«
»Dabei sind sie allerdings ganz schön auf den Bauch gefallen,
das weiß doch jeder. Das war doch wohl der dümmste Streifen,
den ich je gesehen habe, und ich kenne mich da aus. Ich
meine, der Film war wirklich eine Pleite, und obwohl ich Sie bis
aufs Blut gehaßt habe - Ihretwegen hat es mir in der Seele weh
getan.«
»Auch ich fand ihn abscheulich, aber es hat Entschädigungen
gegeben, wie man sie nur bei so was bekommen kann ... Rufen
Sie Ihre Truppen zurück, Deucey. Sonst sägen Sie an dem Ast,
auf dem Sie sitzen.«
»Mach ich, mach ich. Ich muß mir bloß noch ausdenken, wie!«
»Greifen Sie zum Hörer und geben Sie den entsprechenden
Befehl - weiter brauchen Sie nichts zu tun.«
»So leicht ist das nun auch wieder nicht. Himmel, schließlich
konterkariere ich den Außenminister! Vielleicht melde ich mich
einfach krank?«
»Sind Sie nicht mehr ganz bei Trost, Deucey?«
»Um Gottes Willen, ich muß nachdenken!«
»Wie war's denn, wenn Sie sich folgendes durch den Kopf
gehen ließen.« Der Falke knüpfte sich die Jacke auf, öffnete sie
und gab den Blick auf die Bandmaschine frei, die er sich mit
Hilfe von Klebeband auf die Brust gepappt hatte. »Ein Offizier,
den ich kürzlich auf dem Schlachtfeld zum Colonel befördert
habe, hat mir geraten, mich damit auszustatten. Jedes Wort,
das in diesem Raum gesprochen wurde, ist aufgezeichnet
worden.«
-4 9 5
»Sie sind nichts als Abschaum, Mac!«
»Kommen Sie, General. Wir sind doch beide alte Hasen;
schließlich muß auch ich meine Haut retten. Wie geht doch der
schöne Satz? >Wenn der Teufel dich nicht kriegt, dann die
Tiefen der Ozeane.<«
»Habe ich nie zuvor gehört.«
»Ich auch nicht, paßt aber irgendwie, finden Sie nicht?«
-4 9 6
24. KAPITEL Auf dem Weg zum Fitneß-Raum seines Apartments ging Vincent Mangecavallo über den weißen Marmorboden der Wohnanlage in Miami Beach. Wieder zuckte er innerlich zusammen beim Anblick der pinkfarbenen Möbel, die überall herumstanden - Sessel, Sofas, Lampen, Läufer und im Wohnzimmer sogar der Deckenleuchter, der aus Hunderten von herabhängenden rosa Muscheln bestand und aussah, als würde er jeden Augenblick herunterfallen. Vinnie war kein Innenarchitekt, doch die endlose Kombination von Rosa und Weiß bewirkte bei ihm nichts weiter als die Vorstellung, daß der große und berühmte decoratore, den sein Vetter Ruggio angeheuert hatte, auch ein großer Ballettnarr sein müsse. »Das iss kein Rosa, Vin«, hatte Rüge noch vorvorgestern am Telefon gesagt. »Eigentlich iss das pfirsichfarben, nur sagt man peche dazu.« »Warum?« »Weil pink billig iss, pfirsichfarben schon 'n bißchen besser und peche verdammt noch mal riesig. Ich selbst seh da zwar keinen Unterschied, und ehrlich gesagt, Rose meiner Meinung nach auch nicht. Aber es macht sie glücklich, wenn du verstehst, was ich meine.« »So, wie du lebst, cugino, solltest du deine Frau immer glücklich machen. Aber abgesehen davon, ich danke dir, daß du mich die Wohnung benutzen läßt.« »Solange du willst, Vin. Wir selbst können frühestens in einem Monat wieder rüberkommen, und da wirst du ja wohl schon zurück sein unter den Lebenden. Wir haben dringend geschäftlich mit der El Paso-famiglia zu reden, aber he, eins solltest du dir nicht entgehen lassen: den Fitneß-Raum, den ich hab einbauen lassen, mit Sauna und allen Schikanen.« »Bin praktisch schon auf dem Weg dorthin und hab einen pinkfarbenen Bademantel an, aus so einem Stoff wie Handtücher, nur ein bißchen kurz geraten.« »Die sind für Mädchen - ich trag da immer blaue.« -4 9 7
»Und was ist mit den El-Paso-Boys, Rüge?« hatte Vincent
gefragt.
»Die beanspruchen den ganzen Scheiß-Ledersattelmarkt für
sich, zu dessen Kundenkreis nicht nur die ganzen Pseudo-
Ranches der Oststaaten-Größen von New York und
Pennsylvania gehören, sondern auch die ganzen schicken
Fuchsjagd-Clubs in West-Jersey und Neuengland.«
»Nun, bei allem Respekt, Rüge, mit Pferden ist das wie mit
Western, weiß du? Und Sättel sollten nun mal wie Cowboys
aus dem Wilden Westen stammen, hab ich recht?«
»Quatsch mit Soße, Vin. Das meiste von diesem Lederzeugs
wird in Brooklyn und der Bronx hergestellt. Reichst du diesen
paisan-yippeeyie-yo-yos 'n kleinen Finger, wollen sie auch
gleich in die Rennbahn und ins Wettgeschäft rein, und das
können wir absolut nicht zulassen.«
»Verstehe, was du meinst. Und beim Atem meiner
verstorbenen Mutter, ich will mich da nicht einmischen.«
»Deine Mamma iss nicht tot, Vin. Die iss in Fort Lauderdale.«
»Das sagt man doch nur so, Cousin.«
»He, Vin, weißt du was? Morgen geh ich auf deine Beerdigung.
Wenn das nix iss?«
»Du hältst eine Rede auf mich?«
»Ach was, dazu bin ich zu 'n kleines Licht. Das übernimmt der
Kardinal. Hast du gehört, Vinnie: 'n Kardinal!«
»Kenne ich nicht.«
»Deine Mamma hat ihn angerufen, ihm was vorgeheult und 'n
bißchen was fürn Klingelbeutel springen lassen.«
»Noch mehr wird sie springen lassen, wenn ich von den Toten
auferstehe ... Nochmals, danke für die Absteige, cugino.
Mangecavallo blieb unter dem Kandelaber aus rosa Muscheln
stehen und dachte über das Telefonat nach, das er vor zwei
Tagen mit Ruggio geführt hatte. Auch da war er gerade zu dem
kleinen, aber mit allem Raffinement ausgestatteten Fitneß-
Raum unterwegs gewesen, wo er mit Bedacht die brandneuen
Nautilus-Geräte zu meiden gedachte, als könnte man sich,
-4 9 8
wenn man sie nur anfaßte, einen Tripper holen. Der plötzliche Gedanke an dieses Gespräch erinnerte Vincent schließlich daran, daß es an der Zeit war, noch einen Anruf zu tätigen. Die Aussicht auf dieses Gespräch erfüllte ihn nicht gerade mit Freude, aber es war nun einmal notwendig, und vielleicht machte ihn das, was er dabei möglicherweise erfuhr, zum glücklichsten Mann auf Erden - einen ehrlichen Amateur, der in Las Vegas die Bank sprengte, nicht mitgezählt. Die ganze Sache hatte überhaupt nur einen Haken. Die Tatsache, daß er sich seines Lebens freute und puppenlustig seine Fäden zog, durfte nur einer ganz kleinen Handvoll Menschen bekannt sein, nämlich diesen Widerlingen von Wall-Street-Strategen auf Meats Terminplan, die bestimmt kein Sterbenswörtchen über die Lippen brachten, weil sie sonst selber ins Kittchen wanderten oder später für den Rest ihres Lebens in irgendwelchen Klapsmühlen verschwanden - und zwar ohne das Geld, das sie zu verdienen hofften. Diese Leute waren nun einmal nötig, genau wie sein Cousin Ruggio. Bis der Zeitpunkt kam, da Smythington-Fontini ihn abholte und sie hinausflogen zu der Stätte seiner wundersamen Rettung auf den Dry Tortugas. Abdul Khaki stand nicht auf dieser exklusiven Liste und hätte wohl auch nicht darauf stehen sollen, gleichwohl kam Vincent mittlerweile nicht mehr an ihm vorbei. In der internationalen Finanzwelt fiel Abdul genauso aus dem Rahmen und war jeden Zoll genauso verschlagen wie Ivan Salamander. Was ihn aber womöglich noch gefährlicher oder - je nach Standpunkt erfolgreicher machte, war die Tatsache, daß er kein amerikanischer Staatsbürger war und mehr Beteiligungsgesellschaften in Steuerparadiesen wie etwa auf den Bahamas oder den Cayman-Inseln besaß als irgendwer sonst, seitdem die erfolgreicheren unter den Piraten ein paar tausend Schatztruhen in der karibischen See auf den Meeresgrund geschickt hatten. Da Khaki überdies ein Araber aus jenen Scheichtümern war, mit denen Washington immer klammheimlich anzubändeln versuchte, verfügte er über gewisse eingebaute Schutzmechanismen, die dann gefordert -4 9 9
waren, wenn die Regierung über irgendwelche
undurchsichtigen Kanäle Verhandlungen mit politisch
unpopulären Leuten führen wollte. Leuten zum Beispiel, die für
drei Zuchthäusler und eine Prostituierte aus Damaskus ein paar
tausend Raketen und eine King-James-Bibel vermakelten.
Abdul Khaki war ein wandelndes Beispiel für Immunität.
Als Mangecavallo von Abduls nie an die große Glocke
gehängten Verbindungen erfuhr, war er eine Beziehung mit
dem Araber eingegangen, die sich für beide Männer auszahlte.
Khaki war an zahlreichen Reedereien und Tankern beteiligt, die
überall in Amerika anlegten und manchmal nicht nur Öl
transportierten; nach einigen peinlichen behördlichen Eingriffen
auf lokaler Ebene ließ Vinnie Abdul wissen, er und seine
Freunde besäßen unten am Hafen beträchtlichen Einfluß ...
»von New York bis New Orleans und in vielen kleineren Häfen
dazwischen - zuverlässigen Einfluß, Mr. Cocky.«
»Khaki, Mr. Mangecuvulo.«
»Mangecavallo.« »Ich bin sicher, wir werden unsere Namen
gegenseitig noch lernen.«
Genau das geschah, und wie es so schön heißt, führte eines
zum anderen - unter anderem dazu, daß Abdul seinem Freund
Vincent gewisse finanztechnische Dienste erwies. Und als die
Dons in den Zentren der USA und in Palermo einhellig dafür
waren, daß Mangecavallo sich um den Direktorenposten der
CIA bewarb, wandte Vinnie sich wieder an Khaki.
»Ich hab da ein Problem, Abdul. Die Dons denken im großen
Rahmen, was ja auch alles schön und gut ist, aber von den
Details verstehen sie nicht viel, und das ist schlecht.«
»Das Problem, bitte, mein lieber Freund mit den Augen und der
Schnelligkeit eines Wüstenfalken - obwohl ich ehrlich gesagt
noch nie in der Wüste war. Es soll dort schrecklich heiß sein,
hat man mir erzählt.«
»Das genau ist ja gerade das Problem, Kumpel. Die Hitze ... Ich
hab da unter verschiedenen Namen überall im Land eine
Menge Moos rumliegen. Wenn ich aber den Job in Washington
erst mal habe - und ich kriege ihn -, dann kann ich schlecht in
-5 0 0
rund achtunddreißig Staaten rumschwirren und meine Knete
einsammeln, von der ich ohnehin einen großen Teil gern privat
behalten würde.«
»Na, doch wohl in jedem Fall, würde ich denken.«
»Richtig.«
»Haben Sie alle Ihre Kontobücher?«
»Alle dreihundertachtundsiebzig.« Vinnie gestattete sich ein
unsägliches Grinsen.
«Aber der Blick des Kamels bringt mehr, als man nach dem
Knurren seiner verschiedenen Mägen vermuten sollte.« »So in
der Art, vermute ich.« »Vertrauen Sie mir, Vincent?«
»Klar, bleibt mir ja gar nichts anderes übrig - genauso, wie Sie
mir vertrauen müssen, capisce?«
»Aber gewiß doch. Der Beduinenhund wackelt nach dem
Überleben triumphierend mit dem Schwanz ... Haben Sie je
einen Beduinen kennengelernt? Macht nichts, aber lassen Sie
sich von mir gesagt sein: Die stinken zum Himmel.« »Die
Banknoten?«
»Fertigen Sie Kündigungen und Vollmachten für alles aus, und
bringen Sie sie mir alle. Ich hab da einen Künstler in meinen
Diensten stehen, der ganz ungewöhnlich talentiert ist und die
Unterschrift von jedem nachmachen kann, egal, ob lebendig
oder tot - und diese Begabung schon des öfteren mit
erheblichem Gewinn genutzt hat. Ich werde mich persönlich um
Ihre Depots kümmern, Vincent - ein blindes Vertrauen,
gewissermaßen unter der Ägide einer der angesehensten
Anwaltsfirmen in Manhattan.« »Für alles?«
»Wo denken Sie hin?! Nur einen Betrag, der im Einklang steht
mit dem Vermögen eines betuchten Importkaufmanns. Mit dem
Rest werden Sie wirklich Geld machen, und ich versichere
Ihnen, auf dem Papier läßt sich keine Spur zurückverfolgen.«
Abdul Khaki wurde so von Amts wegen zu Mangecavallos
persönlichem Manager, wobei rund vier Millionen im regulären
Markt arbeiteten und das Siebenfache dieser Summe in
karibische Beteiligungsgesellschaften gesteckt wurde.
-5 0 1
Gleichwohl waren es weder die nützliche Freundschaft noch die
geleisteten Dienste, die Vincent nötigten, Abdul zu erreichen.
Der Grund lag vielmehr einfach darin, daß Khaki mehr von
sämtlichen Börsen rund um die Welt wußte als jeder andere
Mensch, den Mangecavallo kannte, wobei er den größten Teil
dieses Wissens auf illegalen Wegen erlangt hatte und den Rest
durch finanziellen Scharfsinn. Und wenn jemand den Mund
halten würde, dann Abdul Khaki, dessen eigenes Überleben
schließlich davon abhing, egal, wie der Beduinenhund mit dem
Schwanz wackelte.
»Ich kann's einfach nicht glauben!« kreischte der Araber, der
sich im Moment in Monte Carlo aufhielt, nachdem Vincent einen
der Codenamen benutzt hatte, um zu ihm durchzukommen.
»Glauben Sie's ruhig, Abdul. Einzelheiten liefere ich später
nach.«
»Sie verstehen mich falsch. Gerade gestern habe ich über mein
Büro in New York in meinem eigenen Namen und im Namen
der israelischen Regierung für zehntausend Dollar
Blumenschmuck für Ihre Beerdigung geordert.«
»Warum das denn?«
»Nun, ich habe den einen oder anderen Schekel mit dem Likud
verdient; und wenn ich meinen Namen mit dem Ihren verbinde
wer weiß, ob das nicht zu weiteren Arrangements führt.«
»Schaden kann so was nie«, sagte Vincent. »Ich persönlich
habe mich immer an den Mossad gehalten.«
»Das hätte ich mir fast gedacht ... aber jetzt sind Sie zurück von
den Toten! Ich bin außer mir vor Schreck und zittere am ganzen
Leib - obendrein werde ich beim Bakkarat verlieren, und das
kostet mich Hunderttausende.«
»Dann spielen Sie nicht!«
»Wo ich drei Griechen am Tisch habe, mit denen ich Geschäfte
mache? Sind Sie wahnsinnig? ... Was machen Sie, Vincent?
Und was geschieht? Der Treibsand der Wüste blendet mir mein
Universum.«
»Sie sind nie in der Wüste gewesen, Abdul.«
-5 0 2
»Aber Fotos davon hab ich gesehen - erschreckend, genauso,
wie Ihre Stimme im Moment erschreckend für mich klingt, wo
sie von irgendwoher ertönt und ich nicht weiß, von wo.
Gleichwohl muß ich annehmen, daß sie nicht aus dem Jenseits
kommt.«
»Ich hab's Ihnen doch gesagt: Einzelheiten erzähle ich später ...
nachdem ich gerettet worden sein werde.«
»Gerettet? Vielen Dank, lieber Vincent, aber ich möchte kein
Wort weiter darüber hören. Ich bestehe darauf.«
»Dann tun Sie so, als ob nicht ich es wäre, mit dem Sie gerade
sprechen, sondern ein interessanter Investor. Wie sieht es auf
dem Markt in den Vereinigten Staaten aus?«
»Was die Börse macht? Die spielt plötzlich völlig verrückt.
Soviel Ausreden, soviel Geheimverhandlungen
Firmenzusammenschlüsse, buy-outs, Aktienmehrheiten: Alles
hat wieder angefangen! Das reinste Affentheater.« »Und was
sagen die Gurus?«
»Die hüllen sich in Schweigen, wollen nicht mal mit mir reden.
Nichts macht mehr Sinn - selbst für meine Begriffe nicht.« »Und
was ist mit den Unternehmen der Rüstungsindustrie?« »Wie ihr
Italianos sagt: Die sind pazzo. In Erwartung von
Produktionsumstellungen sollten sie eigentlich allmählich
schrumpfen - dabei erreichen sie nie dagewesene
Rekordhöhen. Die Sowjets haben mich angerufen; sie sind
wütend und haben Angst und fragten, was ich davon hielte,
aber ich konnte ihnen keine Antwort geben. Meine Kontaktleute
im Weißen Haus berichten, der Präsident hätte mit dem Kremel
in Konferenzschaltung gesprochen und versichert, es müsse an
der Öffnung der Ostmärkte und den Produktionsumstellungen
liegen, denn der Verteidigungshaushalt werde weiterhin
drastisch gekürzt ... Ich sage Ihnen, Vincent, alles ist pazzo!«
»Nein, ist es nicht, Abdul. Alles läuft wie geschmiert ... Ich
melde mich wieder. Ich muß jetzt erst mal in die Sauna.«
Außenminister Warren Pease war außer sich und wurde von
Angst geschüttelt. Sein linkes Auge zuckte völlig
unberechenbar hin und her wie ein Laserstrahl auf der Suche
-5 0 3
nach einem flüchtigen Ziel. »Was soll das heißen, Sie können
General Ethelred Brokemichael nicht finden?« fauchte er ins
Telefon. »Er untersteht meinem Befehl - nein, ich nehme das
zurück: dem Befehl des Präsidenten der Vereinigten Staaten,
der unter der Nummer höchster Geheimhaltungsstufe, die ich
Ihnen nunmehr mindestens ein dutzendmal gegeben habe,
seinen Rückruf erwartet! Wie lange, meinen Sie, wartet der
Präsident der Vereinigten Staaten auf den Anruf eines lausigen
Brigadier General, buh?«
»Wir tun unser möglichstes, Sir«, ließ sich eine völlig
verschüchterte und erschöpfte Stimme aus Fort Benning
vernehmen. »Aber wir können nicht mit etwas aufwarten, das
wir nicht haben.«
»Haben Sie Ihre Suchtrupps ausgeschickt?«
»In jedes Kino und jedes Restaurant von Cuthbert bis nach
Columbus und Hot Springs. Wir haben auf seinem
Terminkalender nachgesehen, sind den Telefonaten
nachgegangen, die er in der letzten Zeit geführt hat ...«
»Und? Nichts?«
»Nichts, was uns irgendwelche Rückschlüsse erlaubte;
Ungewöhnliches allerdings. General Brokemichael hat über
einen Zeitraum von zweieinhalb Stunden siebenundzwanzigmal
versucht, ein Hotel in Boston zu erreichen. Selbstverständlich
haben wir dort nachgefragt, ob der General irgendwelche
Nachrichten hinterlassen hat.«
»Himmel, Sie haben doch hoffentlich nicht zu erkennen
gegeben, wer Sie sind, oder?«
»Nur, daß das ganze regierungsamtlich wäre, sonst nichts.«
»Und?«
»Die haben nur gelacht, als sie den Namen hörten - und das
bei gleich vier verschiedenen Versuchen. Man hat uns
versichert, er sei nicht da, und man hätte auch noch nie von
ihm gehört - falls es eine Person dieses Namens überhaupt
gebe.« »Suchen Sie weiter!« Pease knallte den Hörer auf die
Konsole, stand auf und tigerte in seinem Arbeitszimmer im
-5 0 4
State Department wie gehetzt auf und ab. Was dachte dieser Trottel Brokemichael sich eigentlich, wo steckte er? Wie hatte er es wagen können, im Gebälk des militärischen Abwehrdienstes zu verschwinden, in dem es mehr Risse und Astlöcher gab als im Sequoia National Park! Was bildete der Mann sich ein, sich vom Außenminister einfach abzukoppeln? ... Vielleicht war er gestorben, überlegte Pease ... Nein, das würde nichts helfen, sondern alles höchstens noch komplizierter machen - aber gleichviel, wenn wirklich etwas schiefgelaufen war, gab es nichts, ihn, den Minister, mit diesem exzentrischen General in Verbindung zu bringen, der diese Selbstmörderische Sechs genannte Todesmaschine geschaffen hatte. Warren war, mit den besten Papieren ausgestattet, im Army-Stützpunkt erschienen, nur hatten die selbstverständlich nicht auf seinen Namen gelautet. Außerdem hatte er ein kleines rotes Toupet getragen, das sein sich lichtendes Haar vollständig bedeckt hatte. Soweit es das Besucherbuch von Fort Benning und die Austragung dort betraf, hatte ein sich durch keinerlei Besonderheit auszeichnender Bürohengst vom Pentagon eine Stippvisite gemacht, um dem General seine Aufwartung zu machen. Wo steckte dieser Schuft bloß? Das Telefon unterbrach seinen Gedankengang. Er lief hin und erkannte, daß drei Leitungen belegt waren und plötzlich auch noch ein viertes Signallämpchen aufleuchtete. Er drückte auf den blinkenden Knopf zu seiner Sekretärin und nahm ab in der Hoffnung, die Worte: »Anruf aus Fort Benning auf Leitung soundso« zu hören. Doch alle Hoffnungen schwanden, als die Tyrania ihn kühl informierte: »Es sind drei, nein, jetzt vier Anrufe für Sie da, die ich nur als persönlich beschreiben kann, Mr. Secretary, denn keiner von den Anrufern möchte mir sagen, worum es geht, und ihre Namen kenne ich auch nicht - naja, wenn 's ihre richtigen Namen sind.« »Um wen handelt es sich?« »Um Bricky, Froggie, Moose und ...« »All right, all right!« unterbrach Warren ihre Aufzählung: Er war nicht nur verwirrt, er war stinkwütend. Bei allen Anrufern handelte es sich durch die Bank um Bekannte - nun ja, Clubfreunde vom Fawning Hill Country Club! Und die waren -5 0 5
vergattert worden, ihn niemals in seinem Büro anzurufen. - Das
war absolut tabu. Aber selbstverständlich - es waren ja nicht
sie, die anriefen: Bricky, Froggie, Moose und zweifellos auch
Doozie waren nur Spitznamen. Bloß, was zum Teufel
veranlaßte sie, ihn anzurufen? »Ich werde einen Anruf nach
dem anderen entgegennehmen, Mutter Tyrania«, sagte er und
klatschte sich gegen den Kopf, um das wackelnde Auge zum
Stillstand zu bringen.
»Ich bin nicht Tyrania, Mr. Secretary, sondern ihre jüngste
Tochter, Andromeda Trueheart.«
»Sind Sie neu hier?«
»Erst seit gestern, Sir. Der Familienrat ist zu der Überzeugung
gelangt, im Moment brauchten Sie einen besonders tüchtigen
Service, und Mutter macht Ferien im Libanon.«
»Wirklich?« Lockende Bilder von bestrapsten Beinen füllten das
wenige, was Peases Tagträumereien noch an Raum hatten.
»Die jüngste Tochter, sagten Sie ...?«
»Ihre Anrufe, Sir.«
»Jaja, natürlich. Ich fange mit dem ersten an: Bricky, sagten
Sie?«
»Jawohl, Mr. Secretary. Ich werde den anderen sagen, sie
sollen dranbleiben.«
»Bricky? Wie kommst du dazu, mich hier anzurufen?!«
»Alter Schlaumeier, Peasie«, sagte Bricky, der Neuengland-
Banker, und verstrahlte seinen ganzen unterirdischen Charme.
»Ich werde dich bei unserem Klassentreffen zum Ehren-
Ehemaligen machen.«
»Hast du nicht gesagt, ich könnte da nicht hin?«
»Das hat sich jetzt natürlich alles geändert. Ich hatte ja keine
Ahnung, was dein unglaubliches Hirn gerade wieder ausheckte.
Du bist wirklich der Stolz unseres Jahrgangs, altes Haus! Ich
will dich auch gar nicht lange aufhalten, schließlich weiß ich, du
bist ein vielbeschäftigter Mann, aber falls du jemals ein
Darlehen brauchst - über die Höhe brauchen wir kein Wort zu
-5 0 6
verlieren, greif einfach zum Hörer. Wir sprechen uns bald. Laß
uns zusammen lunchen - auf meine Kosten, versteht sich.«
»Froggie? Sag mal, was ist eigentlich los? Gerade eben habe
ich von Bricky gehört ...«
»Na, dir brauch ich's ja bestimmt nicht zu erzählen, du
wandelnder Midas, du. Und am Telefon erst recht nicht«,
erwiderte der Zyniker aus Fawn Hill. »Wir haben uns
unterhalten, und ich möchte dir nur sagen, Daphne und ich
hoffen, daß du und deine liebe Frau nächsten Monat beim
Debütantinnenball in Fairfax unsere Gäste seid.«
»Eure Gäste?»Natürlich. Man kann schließlich nie genug für
den eigenen Kreis tun, nicht wahr?«
»Das ist sehr freundlich ...«
»Freundlich? Die unglaubliche Freundlichkeit kommt doch allein
von dir, Sportsfreund. Du bist einfach ganz große Klasse! Wir
hören voneinander.«
»Moose, würdest du mir erklären
»Verdammich, Pisser, du kannst selbstverständlich jederzeit in
meinem Club spielen!« rief der Präsident von Petrotoxic
Amalgamated.
»Vergiß, was ich Esel früher gesagt habe - es wird mir eine
Ehre sein, den Golfschläger mit dir zu schwingen.«
»Ich begreife wirklich nicht ...«
»Aber selbstverständlich begreifst du, und ich meinerseits
begreife sehr wohl, wieso du jetzt nicht reden kannst. Laß dir
nur soviel von mir sagen, altes Haus und fraternity-Kumpel: Du
stehst auf meiner Freundesliste ganz oben an erster Stelle,
vergiß das nie! ... Ich muß jetzt los, hab mich gerade zum
Aufsichtsratsvorsitzenden ernennen lassen, aber wenn du den
Job willst - bitte!«
»Doozie? Ich habe gerade mit Bricky, Froggie und Moose
gesprochen, und offen gesagt, ich weiß wirklich nicht, was ich
von alledem halten soll.«
-5 0 7
»Das verstehe ich gut, mein Freund. Du hast Leute in deinem
Büro und kannst nicht frei reden, stimmt's? Du brauchst nur ja
zu sagen, und ich werde mich entsprechend verhalten.«
»Ich sage aber nein: Du kannst frei von der Leber weg reden.«
»Wird denn dein Telefon nicht überwacht?«
»Das ist strengstens untersagt. Das Büro wird jeden Morgen
von Spezialisten gefegt, und um jede elektronische
Überwachung auszuschließen, sind draußen auch noch
Bleiplatten angebracht.«
»Mein Gott, Freund, du hast die Dinge da unten ja wirklich toll
im Griff.«
»Ach, das gehört hier zur Routine ... Doozie, was zum Teufel ist
los?«
»Willst du mich auf die Probe stellen, Pisser?« Der
Außenminister legte eine Pause ein; da sonst nichts half, war
das vielleicht eine Möglichkeit weiterzukommen. »Könnte sein,
Doozie. Womöglich möchte ich sichergehen, daß du alles
verstehst.«
»Sagen wir mal so, Mr. Secretary, alter Junge. Du bist der
schöpferischste Denker, den unsere Clique hervorgebracht hat,
seit wir in den zwanziger Jahren den Gewerkschaften eins auf
den Deckel gegeben haben. Und das hast du allein kraft deiner
Phantasie geschafft - schließlich ist kein einziger Schuß auf
irgendeinen elenden Sozialisten oder linken
Kongreßabgeordneten abgefeuert worden.«
»Das muß ich noch mal ganz genau hören, Doozie!« erklärte
der völlig verdatterte Warren Pease stockend, und Schweiß
bildete sich an seinem immer weiter zurückweichenden
Haaransatz. »Wie genau habe ich das gemacht?«
»Die UFOs!« rief Doozie aus. »Wie dieser gesellschaftlich
inakzeptable Ivan Salamander - aber das bleibt natürlich unter
uns - es ausgedrückt hat, werden wir jetzt die gesamte Welt
aufrüsten müssen! Genial, Pisser, absolut genial!
Hochgeheim, Freund, wirklich hochgeheim!«
»UFOs ...? Oh, mein Gott!«
-5 0 8
Der Rockwell-Jet mit dem Falken an Bord landete etwa zehn
Meilen südlich von Hooksett auf dem Flugplatz Manchester,
New Hampshire. Die Entscheidung, Boston links liegen zu
lassen und direkt nach Manchester zu fliegen, ging auf Sam
Devereaux zurück. Die Ereignisse fingen langsam an, sich zu
überstürzen, und wenn man sich zwei Stunden Fahrt ersparen
konnte, warum nicht? Macs nächster Schachzug bestand darin,
die Selbstmörderischen Sechs zu entschärfen, die laut Desi-
Eins und dank Desi-Zwos Kochkünsten noch ganz schön außer
Gefecht gesetzt waren - alles andere blieb den
Überredungskünsten des Falken überlassen.
Paddy Lafferty, die Brust von Stolz und Heldenverehrung
geschwellt, holte den General mit der Pinkus'schen Limousine
ab, und - Wunder über Wunder - wieder einmal setzte sich der
große Mann aus eigenem Entschluß neben Paddy auf den
Beifahrersitz.
»Sagen Sie mir, Kanonier«, bat der Falke, als sie nördlich in
Richtung Hooksett dahinbrausten, »was wissen Sie von
Schauspielern - echten, meine ich?«
»Außer von Sir Henry nicht besonders viel, General.«
»Naja, der ist wohl eine Art Sonderfall, nehme ich an – der
Mann ist immerhin Offizier gewesen. Aber was ist mit denen,
die nie gedient haben?«
»Nach allem, was ich in den Zeitungen und Illustrierten gelesen
habe, die Mr. Pinkus schon mal im Wagen liegen läßt, warten
alle darauf, entdeckt zu werden, um Karriere zu machen. Das
mag nicht so besonders intelligent klingen, aber mehr weiß ich
beim besten Willen nicht.«
»Es ist sogar sehr intelligent, Paddy. Genau das ist die Antwort,
die ich hören wollte.«
»Antwort auf was, Sir?«
»Auf die Frage, wie man gewisse Leute dazu bringt, sich eines
Besseren zu besinnen, ohne allzulange zu überlegen.«
Acht Minuten später ging der Falke auf die Skihütte zu. Es war
ein strahlender Sommernachmittag, und Desi-Zwo hatte gerade
-5 0 9
einen extrem späten brunch serviert; die Wirkungen waren nur
allzu deutlich erkennbar. Die außer Gefecht gesetzten
Angehörigen der Selbstmörderischen Sechs bewegten sich in
einer Art Zombie-Land. Sie saßen in der Halle herum, stierten
blicklos in ihr ganz persönliches Linsenfeld und glichen dabei
aufrecht am New Bedforder Quai hockenden toten Fischen. Die
einzige Ausnahme bildete Sir Henry Irving Sutton, der ähnliches
vielleicht schon mehrmals mitgemacht hatte und unangenehm
lebendig war wie eine krächzende schwarze Krähe, die sich in
einen massiven kollektiven Kater einmischt.
»Kommen Sie, meine Herren!« rief Sir Henry, machte die
Runde im Raum, schlug dem einen oder anderen sanft auf die
Wangen und stocherte ihnen in den Rippen herum. »Unser
hochdekorierter General vom Nordafrika-Feldzug ist
gekommen, um zu uns zu sprechen.«
»Gut gesagt, Major«, erklärte der Falke anerkennend. »Ich
habe nicht vor, Ihre Zeit über Gebühr in Anspruch zu nehmen,
Männer, nur solange, wie es braucht, Sie auf den neuesten
Stand der Dinge zu bringen.«
»Den neuesten Stand der Dinge?«
»Welcher Dinge?«
»Wissen Sie, was ein Ständer ist, Marion?« «Ich weiß nicht,
was er meint.« »Wer ist das überhaupt?«
»Gib mir einen Lolli, Baby.«
Ein Augenpaar nach dem anderen der sechs unerschrockenen
Fische weitete sich und richtete sich auf Hawkins, der zur
Treppe ging und zwei Stufen hochstieg, um sich von dort aus
an die Mitglieder der Antiterroreinheit zu wenden.
»Gentlemen«, begann er mit geübter Stentorstimme, »und Sie
sind Gentleman, doch nicht nur das, sondern auch
hervorragende Bühnenkünstler und Soldaten - mein Name ist
Hawkins, MacKenzie Hawkins. Ich bin der General a. D., den
aufzuspüren und in Gewahrsam zu nehmen man Sie beauftragt
hat.«
»Mein Gott, er ist es!«
-5 1 0
»Er sieht genau aus wie auf den Fotos ...«
»Da muß man doch was unternehmen ...«
»Vergessen Sie's!«
»Meine Beine wollen mir nicht gehorchen, Pilger.«
»Moment mal, Männer!« ließ sich der Falke wieder vernehmen.
»Auch wenn ich nach dem, was ich hier vor mir sehe, nicht
glaube, daß der Befehl wirklich nötig ist: Ich bin gerade von Fort
Benning zurück, wo ich mit meinem guten Freund und
langjährigen Waffenbruder, General Ethelred Brokemichael,
Ihrem Kommandeur, konferiert habe. Er läßt Ihnen zu einem
weiteren gelungenen Auftrag gratulieren, läßt aber gleichzeitig
auch neue und sehr präzise Anweisungen übermitteln. Dieses
Unternehmen ist beendet, alles Material darüber wandert in den
Shredder.«
»Wow, Pilger!« erklärte The Duke und trommelte sich aufs
Knie, was jedoch keinerlei besondere Wirkung zeitigte. »Wer
sagt das?«
»General Brokemichael.«
»Warum ruft er uns ... uns ... uns nicht selber ... selber an?«
»Sie müssen dieser Dusty sein.«
»Jedenfalls nicht Ihre Mutter!« erklärte Sly drohend. »Sie
stehen da wie ein armseliger Ersatz für den alten Rosenkranz
auf Schloß Helsingör. Wieso und warum und aus welchem
Grund sollten wir Ihnen glauben, können Sie uns das mal
sagen, huh? Warum ruft er uns nicht persönlich an?«
»Er, wir haben das wiederholt von Fort Benning aus versucht.
Aber die Telefone sind ausgefallen.«
»Wieso'n das, Baby?«
»Der Sturm.«
»Was für ein Sturm, mein Lieber? Ich kann mich keiner starken
Winde und keines Donnergrollens überm Moor entsinnen.«
»Sir, Larry ...?« »Kommen Sie mir und Stella nicht mit solchem
Unsinn, wir haben Probleme genug am Hals.«
»Marion ...?«
-5 1 1
»Es geht doch schließlich um folgendes - warum sollen wir
Ihnen glauben, Pilger? Die Indianer spielen diese Spiele
dauernd. Die Kriegstrommeln verstummen, und man glaubt,
man hat eine Verschnaufpause, und genau in dem Augenblick
greifen diese blutrünstigen Wilden an. Da muß man dann auf
eine Schlächterei gefaßt sein.«
»Das sollten Sie gründlicher ausarbeiten, Duke. Ich hab den
echten kennengelernt, als sie diesen Film über mich drehten.
Und wissen Sie was - der hatte nicht soviel Feindseligkeit im
Leib.«
»Sie haben The Duke kennengelernt?«
»Jetzt hören Sie mir endlich zu!« brüllte der Falke und brachte
die Selbstmörderischen Sechs mit seinem rohen Befehl zum
Schweigen - zumindest so weit, daß sie ihm ihre ungeteilte
Aufmerksamkeit zuteil werden ließen, falls man das so nennen
kann. »General Brokemichael und ich haben uns nicht nur auf
einen ehrenhaften Waffenstillstand geeinigt, sondern uns
gemeinsam zu einer festen Überzeugung durchgerungen. Kurz
gesagt, Männer, wir sind beide von korrupten Politikern hinters
Licht geführt worden, die sich Ihre einzigartigen Fähigkeiten
zunutze gemacht haben, um die eigene Karriere zu fördern.
Wie Sie wissen, wird in bezug auf Ihre hochgeheimen Einsätze
nichts schriftlich niedergelegt: Jeder Auftrag wird Ihnen
mündlich übermittelt, und ganz im Einklang mit dieser Strategie
hat mein guter Freund, Brokey Tausendsassa - übrigens ein
liebenswerter Spitzname -, Ihnen zu sagen, daß dieses
Unternehmen beendet ist. Zusammen mit diesem Befehl und
angesichts ihrer hervorragenden Leistungen in den letzten fünf
Jahren hat er Anweisung gegeben, daß Sie alle im New Yorker
Waldorf-Astoria untergebracht werden, jeder in seiner eigenen
Suite.«
»Und was gibt es dort?« fragte Marion.
»Warum?« fragte Dusty, diesmal ohne zu stottern und sich zu
wiederholen.
»Was für eine fabelhafte Idee«, fügte Sir Larry noch hinzu.
-5 1 2
»Das ganze ist im Grunde sehr einfach«, erklärte der Falke.
»Ihre Dienstzeit, zu der Sie sich verpflichtet haben, geht in
einem halben Jahr ohnehin zu Ende. In Anbetracht Ihrer
außerordentlichen militärischen Leistungen und Ihres Beitrags
zur Verringerung der Spannungen in der Welt, hat General
Brokemichael dafür gesorgt, daß Sie alle Gelegenheit
bekommen, den Chefs mehrerer Hollywoodstudios
vorzusprechen, die eigens zu diesem Zweck nach New York
geflogen werden. Man will Ihre Geschichte unbedingt zu einem
Film verarbeiten.«
»Und was ist mit mir?« rief ein verzweifelter Sir Henry.
»Sie sollen, so vermute ich, die Rolle von General
Brokemichael spielen.«
»Das hört sich schon besser an.«
»Heiliger Goldfasan. Ich bin sprachlos, Pilger«, sagte The
Duke. »Damit sind wir am Gipfel unserer Wünsche«, erklärte
Marion in tadellosem Englisch. »Das ist alles, wovon wir jemals
geträumt haben.«
»Das ist sensationell ...!«
»Toll ...!«
»Wir werden uns selber spielen!«
»Und weiter zusammenbleiben!«
»Es lebe Holl-yyy-wood!«
Wie ein Rudel waidwunder Löwen, die den sintflutartigen
Überschwemmungen im afrikanischen Veldt entronnen waren,
kämpften die Selbstmörderischen Sechs damit, sich
hochzuraffen, und gingen wankend aufeinander zu, bildeten
einen nicht ganz vollkommenen Kreis und fingen wie taumelnde
und etwas aus dem Leim gegangene Marionetten an,
herumzutanzen und sich unter zwerchfellerschütterndem
Gelächter gegenseitig anzurempeln. Triumphgeheul erfüllte den
Raum, als Desi-Eins an die Treppe herantrat und auf den
Falken einredete.
-5 1 3
»Sie sin' wirklich'n großer Mann, General! Sehn Sie wie
glücklich die sin'. Sie bringn's fertig, daß die sich wunderbar
fühln.«
»Yeah, aber ich will Ihnen was sagen, D-Eins«, erklärte
MacKenzie und zog eine bereits halbverstümmelte Zigarre aus
der Tasche. »Ich selbst komme mir alles andere als wunderbar
vor. Ich hab das Gefühl, so groß zu sein wie eine Kanalratte
und zehnmal so dreckig.«
Zum erstenmal seit ihrer ursprünglichen Begegnung auf der
Herrentoilette des Logan-Flugplatzes sah Desi-Eins den Falken
mißbilligend an. Lange und hart.
Nur im Pyjama flog Warren Pease die Treppe seines nicht
übertrieben eleganten Hauses in Fairfax hinunter, stürmte quer
durch das Wohnzimmer, verschätzte sich in bezug auf die Tür
zu seinem Arbeitszimmer, knallte gegen die Wand, faßte sich
von Panik gepackt wieder und stürzte drinnen auf sein
aufleuchtendes Telefon. Dort angekommen, drückte er auf drei
verschiedene Tasten, ehe er die richtige fand, fummelte am
Schalter seiner Schreibtischlampe herum, knipste sie an und
ließ sich dann schreiend auf den Schreibtischstuhl fallen.
»Wo um alles in der Welt sind sie gewesen? Es ist vier Uhr
morgens, und kein Mensch hat sie tags- und nachtsüber finden
können! Von Stunde zu Stunde sind wir näher an die
Katastrophe herangerückt, und Sie verschwinden einfach! Ich
verlange eine Erklärung!«
»Angefangen hat das mit Bauchgrimmen, Sir.«
»Mit was?« kreischte Pease.
»Mit Bauchschmerzen. Blähungen, Mr. Secretary.«
»Es ist doch nicht zu fassen! Das Land steht vor einer
Katastrophe, und Sie haben Blähungen?«
»Versetzte Winde sind etwas, das man nicht kontrollieren kann
...«
»Wo haben Sie gesteckt? Und wo hält sich ihre verdammte
Eingreiftruppe auf? Was ist eigentlich los?«
-5 1 4
»Nun, die Antwort auf ihre erste Frage steht in direktem
Zusammenhang mit Ihrer zweiten und dritten ...«
»Was haben Sie gesagt?«
»Verstehen Sie, die Übersäuerung, die Blähungen, rührten
ursprünglich daher, daß ich die Truppe in Boston nicht
alarmieren konnte, folglich habe ich mich selber verkleidet und
bin nach Boston geflogen, um sie zu finden.«
»Verkleidet - wo?«
»In Boston natürlich. Ich habe mich von einer
Aufklärungsmaschine mitnehmen lassen und bin heute
nachmittag gegen drei Uhr eingetroffen - Verzeihung, gestern
nachmittag, natürlich. Dann bin ich sofort ins Hotel - ein sehr
schönes Hotel, übrigens ...«
»Freut mich ausnehmend, das zu hören. Und dann?«
»Nun, ich mußte natürlich äußerst umsichtig vorgehen, denn
schließlich wollten wir nicht, daß man offiziell eine Verbindung
mit uns herstellen könnte. Ich denke, das ist ganz in Ihrem
Sinne.«
»Und ob, mit jedem zerfaserten Rest, den ich davon noch im
Leib habe!« brüllte der Außenminister. »Aber um Gottes willen,
Sie haben doch hoffentlich nicht Uniform getragen?«
»Bitte, Mr. Secretary, ich bin doch in geheimer Mission
unterwegs gewesen. Ich trug Zivil, und angesichts der Gefahr,
jemandem von unseren im Ruhestand lebenden
Beschaffungsamtsmitarbeitern in die Arme zu laufen, die dort in
der Gegend arbeiten, hatte ich einen fabelhaften Einfall. Ich
habe den Kostümfundus meiner Einheit durchgekramt und eine
sehr schön sitzende Perücke gefunden. Eine Spur zu rot für
meinen Geschmack, aber mit den grauen Strähnen ...«
»All right, all right!« fiel Pease ihm ins Wort. »Und, was haben
sie in Boston gefunden?«
»Ein merkwürdiges Männchen in einer der Suiten - die
Zimmernummer kannte ich natürlich. Seine Stimme habe ich
sofort wiedererkannt, da ich von Fort Benning aus bereits ein
paarmal mit ihm gesprochen hatte. Ein harmloser alter Bursche,
-5 1 5
den die Boys angeheuert haben, damit er Nachrichten
entgegennimmt, was verdammt schlau von ihnen ist. Er hat
zwar nicht besonders viel auf dem Kasten, aber das kann auch
ein Plus sein, da er ja nur Nachrichten entgegennehmen soll.«
»Was hat er gesagt, um Himmels willen?«
»Er hat nur wiederholt, was er mir am Telefon schon ich weiß
nicht wie oft runtergebetet hatte. Seine augenblicklichen
Arbeitgeber wären geschäftlich abgerufen worden. Mehr wußte
er auch nicht.«
»Und das soll alles sein? Sie haben sich einfach in Luft
aufgelöst?«
»Ich muß davon ausgehen, daß Sie die Zielperson eingekesselt
haben, Mr. Secretary. Wie ich Ihnen bereits sagte, haben sie
bei ihren Einsätzen größte Freiräume. Es hängt ja soviel von
spontanen Reaktionen ab; sie sind darauf trainiert, sich
augenblicklich etwas einfallen zu lassen.« »Sie brabbeln also
einfach drauflos?« »Nein, Sir. Wir nennen das Improvisieren.«
»Wenn ich Sie recht verstehe, erklären Sie mir immer wieder,
daß Sie keine Ahnung haben, was eigentlich vorgeht. Es
besteht also keinerlei Verbindung zu Ihrer Eingreiftruppe,
verdammt noch mal!«
»Es kommt häufig vor, daß man sich auf das Telefon nicht
verlassen kann - sowohl im zivilen als auch im militärischen
Bereich.«
»Wer hat sich das ausgedacht, der rosarote Panther? Warum
haben Sie meine Anrufe nicht erwidert?«
»Von der Aufklärungsmaschine aus, die mich nach Boston
brachte, Mr. Secretary? Wollen Sie etwa, daß die fliegende
Truppe Ihre Telefonnummer abspeichert?«
»Verdammt, nein!«
»Und als ich Boston erreichte - woher sollte ich da wissen, daß
Sie angerufen hatten?«
»Haben Sie denn nicht in Ihrem Büro rückgefragt, um
festzustellen, ob Ihre unsichtbar gewordene Einheit sich
gemeldet hatte?«
-5 1 6
»Wir operieren unter allergrößter Geheimhaltung. Sie haben nur zwei Nummern, eine davon die eines Apparats in Fort Benning - der Anschluß ist in meinem Badezimmer untergebracht, doch leuchtet bei einem Anruf unter meinem Schreibtisch sofort ein Lämpchen auf; und die andere in meiner Wohnung, in meinem begehbaren Schrank, wo sogleich ein Band mit dem Song There's No Business Like Show Business abläuft. Selbstverständlich bin ich per Fernschaltung mit beiden Anrufbeantwortern verbunden, doch auf beiden war nichts.« »Ich kann mir genausogut die Pulsadern aufschneiden. Dieser ganze High-Tech-Kram bedeutet doch nichts anderes, als daß keiner mit einem lebendigen Menschen Verbindung aufnehmen kann. Ich möchte hören, daß Ihre Gorillabande Hawkins hopsgenommen und zum Flugplatz von Westover geschafft hat! Weiter will ich ja gar nichts; und wenn ich diese kurze Vollzugsmeldung nicht bald bekomme, könnte das das Ende von uns allen bedeuten! Es braucht doch nur zwei von diesen wieseligen Richtern am Obersten Bundesgerichtshof, die mit diesen unausrottbaren Linksradikalen zusammenglucken!« »Das Ende von uns allen, Mr. Secretary, oder nur von ein paar von uns?« »Was ...? Ihr Goldlametta erlaubt Ihnen noch lange nicht, Ihre Spielchen mit mir zu treiben, Soldat!« »Nun, Mr. Secretary, wenn ich Sie dann von einem militärischen Standpunkt aus fragen dürfte, was Sie an Hawkins Aktivitäten eigentlich so stört? Die Welt wandelt sich, die Spannungen zwischen den Großmächten werden immer weiter abgebaut, und wir könnten uns mit den nicht ganz so großen zusammentun, um alle Quertreiber wegzupusten, wie wir das mit dem Irak gemacht haben. Überall stecken wir zurück, sparen wir Personal ein und verringern unsere Bewaffnung von Tag zu Tag. ... Erst gestern kam ein berühmter Journalist zu mir nach Fort Benning; er schreibt an einem Artikel über die dem Militärsektor aufgezwungenen Sparmaßnahmen im PostPerestroika-Zeitalter.« »P-p-post-Perestroika?« stotterte der Außenminister und rutschte halb über den Schreibtisch. Das Zucken seines linken -5 1 7
Auges verstärkte sich unter dem Ansturm der Schweißbäche,
die ihm über die Stirn rannen, »Nun machen Sie mal halblang,
Soldat! Und was ist mit der weit gefährlicheren Bedrohung, der
größten Bedrohung, die wir uns vorstellen können?«
»China, Libyen, Israel?«
»Nein, Sie Idiot! Die Unheimlichen - wer weiß, wie weit die
gehen?« »Die was?« »Die ... die .... UFOs!«
-5 1 8
25. KAPITEL Jennifer Redwing kam vor dem Strandhaus in Swampscott aus
der morgendlichen Brandung gelaufen. An den Trägern ihres
Badeanzugs zupfend, eilte sie über den Sand auf die
Terrassenstufen zu, wo sie ein Handtuch übers Geländer gelegt
hatte. Kraftvoll rubbelte sie sich Arme und Beine trocken, warf
dann schwungvoll das Haar zurück und massierte sich die
Kopfhaut. Als sie die Augen aufmachte, erblickte sie Sam
Devereaux, der von einem Stuhl auf der Terrasse aus auf sie
herunterlächelte.
»Du bist eine verdammt gute Schwimmerin«, sagte er.
»Schwimmen haben wir gelernt, als wir die Siedler in die
Stromschnellen lockten und zusahen, wie sie ertranken,
während wir längst am anderen Ufer angekommen waren«,
entgegnete sie lachend.
»Willst du was wissen? Ich glaube dir sogar.«
»Und willst du was wissen? Wahrscheinlich stimmt es sogar.«
Redwing stieg die Stufen hinauf, betrat die Holzplanken der
Terrasse und schlang sich das Handtuch um die Hüften. »Wie
schön«, setzte sie dann noch hinzu, als sie den beschlagenen
runden Plexiglastisch erblickte. »Eine Kanne Kaffee und drei
Tassen.«
»Keine Tassen, Becher. Ich kann Kaffee aus Tassen nicht
trinken.«
Beide lachten und sahen einander in die Augen. »Großer Gott«,
meinte Sam, »jetzt haben wir fast eine ganze Minute
miteinander geredet, ohne daß einer von uns den verbalen
Dolch gezückt hätte. Da bleibt mir doch nichts anderes übrig,
als dir eine Tasse - einen Becher - Kaffee einzuschenken.«
»Danke. Schwarz, bitte.«
»Gott sei Dank - ich hab nämlich Milch und Sahne vergessen.«
»Für wen ist denn die dritte Tasse - der dritte Becher?« fragte
die indianische Aphrodite, als sie ihren Kaffee entgegennahm.
-5 1 9
»Für Aaron. Meine Mutter ist oben, sie hat sich in Roman Z.
verliebt, der gesagt hat, er würde ihr ein Zigeunerfrühstück
machen und es ihr bringen. Und Cyrus wird es zwar nicht
zugeben, pflegt aber in der Küche einen Kater.«
»Findest du nicht, er sollte Roman im Auge behalten?«
»Du kennst meine Mutter nicht.«
»Vielleicht sogar besser als du - deshalb frage ich ja.«
Abermals begegneten sich ihre Blicke, und ihr Lachen klang
noch herzlicher als zuvor. »Du bist eine böse Indianerin,
eigentlich sollte ich den Kaffee von dir zurückfordern.«
»Untersteh dich! Ehrlich gesagt, ich glaube, das ist der beste
Kaffee, den ich je getrunken habe.«
»Das kann ich nur bestätigen. Roman Z. hat ihn gemacht.
Zweifellos hat er glibberige Seeigel eingesammelt und sie unter
das Kaffeepulver gemischt, aber wenn du jetzt losschreist, hole
ich ein Rasiermesser und schabe dir deinen Bart ab.«
»Oh, Sam!« rief Jenny hustend und stellte den Becher wieder
auf den Tisch. »Wie amüsant du sein kannst - dabei bist du
meist der größte Langweiler, den ich kenne.«
»Ich und ein Langweiler? Da sei der Himmel vor! Aber bedeutet
amüsant in Tipi-Sprache, daß zwischen uns jetzt Waffenruhe
herrscht?«
»Warum nicht? Gestern abend habe ich vor dem Einschlafen
noch gedacht, eigentlich haben wir viel zu steile und zerklüftete
Berge vor uns, um uns auch noch gegenseitig ständig mit
Sticheleien das Leben schwer zu machen. Von jetzt an wird das
Gewehrfeuer juristisch und vermutlich auch ganz real auf uns
gerichtet sein, wobei das auch sonst nicht gerade dazu angetan
ist,, meinen Blutdruck niedrigzuhalten.«
»Warum läßt du mich dann nicht den Vorreiter machen, wie es
der Falke ausdrücken würde? Ich komme dir bei der Anhörung
bestimmt nicht in die Quere.«
»Ich weiß, ich weiß, aber wieso bildest du dir ein, daß du mit
dem auch sonst besser zurechtkommst als ich? Wenn du jetzt
-5 2 0
sagst, weil du ein Mann bist, sind wir wieder bei den
Sticheleien.«
»Ach, viel wichtiger ist, daß ich Mac Hawkins kenne und weiß,
wie er in brenzligen Situationen reagiert. Ich rieche das meist
schon lange vorher. Und eines laß dir gesagt sein: Es gibt
keinen Menschen, den ich lieber auf meiner Seite hätte, wenn
es erst mal richtig losgeht, als Mac.«
»Was mit anderen Worten heißt, daß du gut im Gespann gehst
oder im Team arbeitest.«
»Ich bin zwar das weniger gute Pferd, aber es stimmt, in der
Vergangenheit haben wir ein gutes Gespann abgegeben. Ich
habe ihn öfter einen verschlagenen Schurken genannt, als ein
Computer es speichern könnte, aber wenn es schlimm kommt,
wirklich schlimm, danke ich Sonne, Mond und den Sternen für
seine gottgegebene Verschlagenheit. Ich merke es vorher,
wenn er im Begriff steht, irgend etwas aus seinem
unglaublichen militärischen Rucksack hervorzuzaubern. Ich
spüre es und stelle mich darauf ein.«
»Dann wirst du mir beibringen müssen, wie das funktioniert,
Sam.« Devereaux antwortete nicht sogleich. Sein Blick ruhte
auf dem Becher Kaffee, dann sah er Jennifer an. »Nimmst du
es mir übel, wenn ich dir sage, daß das tollkühn wäre - unter
Umständen sogar hinderlich?«
»Du meinst, ich wär den guten alten Boys dann nur im Wege?«
»Brutal gesagt, ja, das könnte sein.«
»Dann werden wir es einfach auf mein Unvermögen ankommen
lassen.«
»Wieder Schüsse aus dem Hinterhalt?«
»Ach, komm schon, Sam! ich weiß, was du tust, und es ringt
mir Hochachtung ab, selbst dein latentes Heldentum. Ehrlich
gesagt, ist es gerade deshalb so verlockend, weil ich selbst
auch nicht gerade auf den Kopf gefallen bin. Zwar sehe ich
mich nicht so sehr als weibliches Kommandounternehmen,
aber es geht hier um mein Volk. Ich kann nicht einfach in den
Hintergrund treten, sie müssen wissen, daß ich dabei bin -
-5 2 1
dabei war. Wenn sie auf mich hören sollen, müssen sie
Achtung vor mir haben, und ob es dir gefällt oder nicht, das
können sie nicht, wenn ich mich hinter dem Rücken dessen
verstecke, dem ich auch die ganze juristische Arbeit
überlasse.«
»Gut, das kann ich einsehen. Es gefällt mir nicht, aber ich sehe
es ein.« Man hörte eine Tür aufgehen und wieder zufallen;
dann wurden Schritte im Wohnzimmer laut. Gleich darauf trat
Aaron Pinkus heraus, den zerbrechlichen Körper in weiße
Shorts und ein blaues, kurzärmeliges Hemd gekleidet und eine
gelbe Golfmütze auf dem Kopf. Er blinkerte der grellen Sonne
wegen und kam dann an den Tisch herüber, »'n Morgen,
wohltätiger Brötchengeber!« sagte Devereaux.
»Guten Morgen, Sam, Jennifer«, erwiderte Aaron die
Begrüßung und nahm Platz. Redwing schenkte ihm Kaffee ein.
»Vielen Dank, meine Liebe ... Ich meinte, Stimmen zu hören,
doch da sie nicht besonders laut waren und auch mit wütenden
Schimpfkanonaden nichts zu tun hatten, wäre ich im Traum
nicht darauf gekommen, daß ihr beide das wart.«
»Wir haben uns auf einen Waffenstillstand geeinigt«, sagte
Devereaux.
»Soweit steht es ziemlich gleich zwischen uns«, meinte der
verehrte Anwalt, nickte und nippte an seinem Becher.
»Donnerwetter, ist das ein vorzüglicher Kaffee!« »Aufgebrüht
mit Quallen und dreckigem Tang!« »Was?«
»Kümmern Sie sich nicht darum, Mr. Pinkus. Roman Z. hat ihn
gemacht, und Sam ist eifersüchtig.«
»Warum, wegen Roman und meiner Mutter? He, so einer bin
ich doch nicht.«
»Roman Z. und Eleanor?« Aarons Augen unter dem gelben
Schirm der Golfmütze weiteten sich. »Vielleicht sollte ich wieder
reingehen und noch mal rauskommen. Irgendwie paßt heute
alles nicht zusammen.«
»Ach, beachten Sie's nicht weiter. Das ist alles nur alberner
small talk.»
-5 2 2
»Wie das mit dem small talk ist, weiß ich nicht, aber albern ist
er jedenfalls im Übermaß. Das grenzt ja schon an die
Gehirnverrenkungen, die unser Freund General Hawkins im
Moment macht. Ich hatte ihn gerade am Telefon.«
»Was tut sich denn so?« wollte Sam rasch wissen. »Wie stehen
die Dinge in der Hütte?«
»Allem Anschein nach verlegt die Skihütte oder zumindest das
Problem darin sein >Biwak< ins Waldorf-Astoria, sprich nach
New York.«
»Hub!«
»Ich konnte auch nichts Konkreteres dazu sagen als Sie,
Sam.«
»Das bedeutet, daß er das Problem aus dem Weg geschafft
hat«, sagte Jennifer strahlend.
»Und sich dafür etliche neue einhandelt, wie ich vermute«,
ergänzte Pinkus und sah Devereaux dabei an. »Er bat darum,
Sie sollten mit dem Waldorf einen Kredit von einhunderttausend
Dollar vereinbaren und keinerlei Bedenken haben. Da das
Ganze auf seine Kappe ginge, werde er das nötige Geld von
Bern nach Genf transferieren - wovon ich bitte nichts weiß.
Können Sie das veranlassen? Aber wie gesagt - ich weiß von
nichts.«
»De facto handelt es sich um einen einfachen Transfer, eine
Bankanweisung, auszahlbar an den namentlich bezeichneten
Gläubiger ...«
»Ich weiß, wie so was vor sich geht, das war nicht die Frage!
Nun, wie auch immer, mein Name ist Hase ...«
»Das ist das eine Problem«, sagte Redwing.
»Und wie steht es sonst?«
»Da bin ich mir nicht ganz sicher. Er hat mich gefragt, ob ich
irgendwelche Filmproduzenten kenne.«
»Wozu denn das?«
»Keine Ahnung. Als ich ihm erzählte, ich hätte mal einen jungen
Mann aus meiner Gemeinde gekannt - der später übrigens aus
der Synagoge rausgeworfen wurde -, von dem ich hinterher
-5 2 3
erfuhr, daß er eine Reihe abgrundschlecht bewerteter Filme
gedreht hätte, doch abgesehen von dem würde ich niemand
sonst in der Filmbranche kennen, sagte er, ich solle mir weiter
keine Gedanken machen, er werde es woanders versuchen.«
»Das scheint mir einer der Augenblicke zu sein, wo ich spüre,
daß eine abwegigverschlagene Strategie im Entstehen
begriffen ist.«
»Die berühmte Devereaux'sche Vorahnung?« fragte Jenny.
»Die Devereaux'sche Prophezeiung«, bestätigte Sam. »Was
sonst, Aaron?«
»Es kommt noch merkwürdiger: Er wollte wissen, ob wir
irgendwelche Klienten mit Augenkrankheiten hätten,
insbesondere solche, die unter einer Verspannung des linken
Auges litten: Obendrein sollte es möglichst auch noch jemand
sein, der dringend eine Geldspritze braucht.«
»Merkwürdig, sagen Sie?« sagte Jenny. »Für meine Begriffe ist
das vollkommen verrückt.«
»Die abwegig Verschlagenen sollte man nie unterschätzen, wie
es in der Bibel nach Oliver North vor Treuherzigkeit triefend
heißt.« Devereaux legte eine Pause ein. »Mir will zwar partout
kein solcher Klient einfallen, aber zurück zum wesentlichen:
Was haben Sie als nächstes vor, Boss? Haben Sie auch
darüber mit dem Falken gesprochen?«
»Kurz. Bis zur Anhörung bleiben uns noch zweieinhalb Tage.
Dann müssen Sie, Jennifer und der General die Treppe zum
Obersten Gericht erklimmen, sich dort bei den Beamten mit den
Terminplänen melden, die Sicherheitsüberprüfung über sich
ergehen lassen und sich in die Räumlichkeiten des
Vorsitzenden Richters begeben.«
»Oh, oh, ich höre geradezu Mac reden«, unterbrach Sam ihn.
»Ganz recht«, stimmte Pinkus zu. »Ich glaube, genau so
lauteten seine Worte, oder ziemlich genau so, abzüglich der
einen oder anderen völlig unangebrachten Unziemlichkeit. Er
hat mir erklärt, er müsse an die Situation herangehen, als gälte
-5 2 4
es, hinter den feindlichen Linien mit drei Mann einen Aufstand
zu inszenieren.«
»Wie tröstlich«, sagte Redwing und schluckte. »Was erwartet er
denn?«
»Offenkundige Gewaltanwendung schloß er aus - weil die sich
als kontraproduktiv erweisen könnte.«
»Dem Himmel sei Dank für kleine Gunstbeweise«, setzte Jenny
noch hinzu.
»Mac meint, die Strategie der Gegenseite ziele sicher dahin, es
ihm selbst oder Sam oder Ihnen beiden zu .verunmöglichen',
das Amt des Vorsitzenden des Bundesgerichtshofs zu
erreichen. Und ohne Sam und ihn wäre die Anhörung, juristisch
gesehen, ungültig. Der Kläger und sein Prozeßbevollmächtigter
müssen zusammen vor Gericht erscheinen.«
»Und ich?« »Ihr Erscheinen, meine Liebe, liegt in Ihrem
Ermessen, ist aber nicht obligatorisch. Wie Sie wissen, sind die
von Ihnen unterschriebenen und notariell beglaubigten
Vereinbarungen mit dem General für Sam juristisch bindend.«
»Warum übermorgen nicht einfach bis zwölf Uhr hier bleiben«,
sagte Devereaux, »mit unserer Privatmaschine dann weiter
nach Washington fliegen und dort mit ein paar ganz normalen
Taxis zum Gericht fahren? Ich sehe da kein Problem. Kein
Mensch weiß, wo wir sind - bis auf den Mann, der Cyrus und
Roman angeheuert hat, sich zu unserem Schutz und unserer
Bewachung anzuschließen, der, von dem Mac sprach. Selbst
Cyrus hat sich inzwischen zu Macs Ansicht bekehrt; wer immer
dieser Mann ist, er will, daß wir am Leben bleiben, uns kein
Haar gekrümmt wird und wir pünktlich zur Anhörung
erscheinen.«
»Cyrus möchte aber auch gern wis sen, warum«, sagte
Redwing.
»Mac hat es ihm gesagt, ich war dabei. Dieser >Commander
Y< hat offensichtlich eine Rechnung mit den Leuten zu
begleichen, die die Anhörung unterbinden möchten.«
-5 2 5
»Unser unbekannter Wohltäter scheint früher ein erklärter
Verbündeter derer gewesen zu sein, die gegen uns arbeiten,
bis er erfuhr, daß eben diese Leute anderes mit ihm vorhatten.
So was in Richtung Bauernopfer auf dem Gebiet der Politik,
wenn nicht rundheraus ein Menschenopfer, was beides laut
dem General in Washington nichts absolut Ungewöhnliches
ist.«
»Aber Mr. Pinkus ...« Jennifer verengte die Augen, was ihr
bezauberndes Antlitz beunruhigend nachdenklich wirken ließ.
»Irgend etwas fehlt, irgend etwas Unabdingbares, denke ich.
Vielleicht leide ich ja an Paranoia, wo es um Häuptling
Donnerhaupt geht - warum auch nicht? Hawkins hat uns
gestern abend erklärt, er hätte alles unter Kontrolle. Aber was
heißt das, >unter Kontrolle ... Okay, irgendwie hat er diese
Schauspielergorillas zurückgepfiffen, und sie werden uns jetzt
nicht mehr in irgend welchen Versenkungen verschwinden
lassen -aber wie? Was ist in Fort Benning passiert? Wir waren
über diese Nachricht alle so erleichtert, daß wir friedlich
schlafen konnten - aber was eigentlich wirklich passiert ist,
haben wir ihn nicht gefragt.«
»Das stimmt nicht ganz, Jennifer. Er und ich, wir hatten uns
darauf geeinigt, am Telefon keine Einzelheiten zu nennen. Er
wies mit Recht darauf hin, daß in Hooksett bereits ein
Killerkommando auf uns angesetzt wurde, folglich könnte es
reine Routine sein, daß das Telefon da abgehört wird.«
»Ich dachte, die Leitungen dort oben wären gekappt«, fiel
Devereaux ihm ins Wort.
»Das hat man gesagt - in Wirklichkeit stimmt es aber nicht.
Jedenfalls konnte er gestern abend nicht sagen, was er heute
morgen gesagt hat.«
»Die Anhörerei ist vorbei? Woher will er das wissen? Heute
morgen hat er von einem Münzapparat in Sophies Diner an der
Route 93 aus angerufen und sogar das Frühstück über den
grünen Klee gelobt.«
»Bitte, Mr. Pinkus«, sagte Redwing. »Was hat er Ihnen über
Fort Benning gesagt?«
-5 2 6
»Verflixt wenig, meine Liebe, aber es reicht immerhin, mich
betagten Anwalt zu veranlassen, sich zu fragen, was man bei
den Hütern des Gesetzes eigentlich unter Rechtsstaatlichkeit
versteht. Und wenn ich jetzt wieder darüber nachdenke, frage
ich mich, wieso mich das überhaupt noch erstaunt.«
»Das ist ja ein Hammer, Aaron.«
»Was der General mir gesagt hat, ist weiß Gott nicht ohne,
junger Mann. Um einen Ausspruch unseres hochdekorierten
Soldaten abzuwandeln: Der feindselige Akt richtet sich gegen
uns - im wesentlichen handelt es sich um einen Angriff auf das
Recht, Vorwürfe gegen den Staat zu veröffentlichen - und geht
geradewegs auf das Büro einer der einflußreichsten
Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zurück, die ihre
Spuren praktisch bis zum Nicht-mehr-Vorhandensein verwischt
hat. Man kann den Mann also nicht zur Rechenschaft ziehen,
denn es gibt nichts, weswegen man das könnte.«
»Himmeldonnerwetter!« fluchte Devereaux.
»Aber wo so viel Rauch ist, muß auch ein Feuer sein!« rief
Jennifer. »Warten Sie ... dieser Gangster aus Brooklyn, der,
den Hawkins im Hotel außer Gefecht gesetzt hat, Caesar So-
und-so. Der ist doch in Gewahrsam genommen worden.«
»Da geht mir ein Licht auf«, meinte Sam.
»Und diese Nackten im Ritz ...«
»Was die betrifft, wäscht ganz Washington seine Hände in
Unschuld, der Zoo Inbegriffen. Irgendwann hinterher sind sie
auf Antrag von jemandem gegen Kaution freigekommen, der
behauptete, Mitglied eines Nudistenkults in Kalifornien zu sein
und verschwunden.«
»Verdammt!« fluchte nunmehr auch Jenny, wobei dieser in die
Länge gezogene Fluch sowohl Ausdruck ihres Ärgers als auch
ihrer Enttäuschung war. »Wir hätten Hawkins nie erlauben
dürfen, diese vier bewaffneten Irren, die uns in der Skihütte
überfallen haben, in die Säcke zu stecken. Wir hatten sie
wegen eines geplanten Überfalls mit tödlichen Waffen in der
Hand, wegen versuchten Hausfriedensbruchs, wegen
Maskierung, Ballermännern und Granaten. Idioten sind wir
-5 2 7
gewesen, daß wir uns von Donnerzigarre dazu haben beschwatzen lassen.« »Meine Liebe, diese Burschen haben nichts, aber auch gar nichts gewußt; wir haben sie ausgiebig verhört, aber sie haben nur unzusammenhängendes Zeug von sich gegeben. Wir haben es da mit Psychopathen zu tun, die man mit Wahnideen programmiert hat - und bei solchen Leuten kann man seine Hände genauso in Unschuld waschen wie bei Nudisten. Hätten wir sie der Polizei übergeben, hätten wir damit auch unseren Aufenthaltsort bekannt gemacht ... Schlimmer noch, wie ich leider sagen muß: Denn da die Hütte auf den Namen der Firma läuft, hätte das einen beträchtlichen Medienrummel zur Folge gehabt.« »Mir kann man ja nun wirklich nicht den Vorwurf machen, Mac zu schmeicheln«, sagte Devereaux, »aber er hatte recht: Dadurch, daß wir die vier zurückgeschickt haben, ist doch das Klima erst entstanden, welches direkt dazu führte, daß diese verrückten Selbstmörderischen Sechs nach Boston geflogen wurden.« »Und uns zu General Ethelred Brokemichael geführt haben«, sagte Aaron und setzte das abgründigste Lächeln auf, dessen er fähig war. »Was soll das heißen, Mr. Pinkus? Gestern haben Sie keinen Zweifel daran gelassen, daß Brokemichael aus dem Schneider wäre, daß man ihn an einen Außenposten versetzen würde, den man auf keiner Landkarte findet - wenn er denn überhaupt aufflöge. Sie haben gesagt, Washington könne nicht zulassen, daß der Name dessen bekannt wird, der der Air Force II den Startbefehl gegeben hat - daran erinnere ich mich deshalb so genau, weil ich ihrer Meinung war.« »Und wir hatten ja auch beide recht, Jennifer. Nur, daß uns beiden die abwegige Verschlagenheit des Generals abgeht, wie Sam diese Eigenschaft zu nennen beliebte. Dieser gewiefte Militärtaktiker hat während seiner ganzen Unterredung mit General Brokemichael ein auf Stimmen ansprechendes Aufnahmegerät unter der Jacke getragen. Das Pentagon -5 2 8
könnte Brokey Tausendsassa gar nicht weit genug wegschicken, um wirklich unerreichbar zu sein. ... Allerdings muß ich sagen, daß General Hawkins Wert darauf legt, daß es unser Söldner-Chemiker, Colonel Cyrus war, der ihm das mit dem Aufnahmegerät vorgeschlagen hat.« »Dann darf man annehmen, daß der Name der >einflußreichen Persönlichkeit des Öffentlichen Lebens< auf dem Band ist«, sagte Sam beherrscht und doch voller glühender Hoffnung im Gesicht. »Worauf Sie sich verlassen können. Sogar, daß er unerkannt nach Fort Benning kommen konnte, ist darauf dokumentiert.« »Aber wer ist es, verflucht noch mal?« Devereaux ließ nicht locker. »Tut mir leid, aber unser General weigert sich zur Stunde noch, den Namen preiszugeben.« »Das kann er nicht tun!« rief Redwing aus. »Wir sitzen alle im selben Boot - wir müssen das wissen.« »Er hat gesagt, wenn Sammy es wüßte, würde er hochgehen wie eine Rakete und ... naja, sich aufs hohe Roß setzen und seine persönliche Kavallerie in den Kampf werfen, was wiederum Hawkins neuester Strategie nur abträglich sein könnte. Das mit dem >hohen Roß< und der >persönlichen Kavallerie< waren seine eigenen Worte. Das weiß ich genau, denn ich habe eine ganze Reihe von Sams juristischen Zornesausbrüchen miterlebt.« »Wie eine Rakete hochgegangen bin ich nie!« verwahrte Devereaux sich. »Dürfte ich Sie an gewisse laut vorgetragene Äußerungen dem Gericht gegenüber erinnern?« »Die Kritik war in jedem Falle völlig gerechtfertigt.« »Ich habe nie Gegenteiliges behauptet - und wäre sie ungerechtfertigt gewesen, säßen Sie längst in einer anderen Kanzlei. Zu Ihrer Ehre muß gesagt werden, daß allein im Gerichtsbezirk Boston mindestens vier Richter aufgrund Ihrer Vorwürfe den Hut genommen haben.«
-5 2 9
»Eben!« »Oh, Gott, Devereaux, halt endlich die Klappe. Du
kannst mich wirklich ...«
»Was?«
»Vergiß es! Donnerbüchse will es uns also nicht sagen, Mr.
Pinkus. Und was machen wir jetzt?«
»Wir warten. Er hat eine Kopie von diesem Band herstellen
lassen. Paddy Lafferty wird es uns heute abend bringen. Und
sollten wir nicht innerhalb vierundzwanzig Stunden von dem
General hören, solle ich meine Beziehungen spielen lassen, um
zum Präsidenten der Vereinigten Staaten vorzudringen und ihm
das Band über Telefon vorzuspielen.«
»Wirklich ein Hammer!« sagte Sam leise.
»Nein, zwei Hämmer!« pflichtete Jennifer ihm bei.
Obwohl sie auf der Fahrt von Hooksett nach New York City im
rückwärtigen Teil von Aaron Pinkus Limousine ziemlich eng
saßen - die Selbstmörderischen Sechs hockten einander
jeweils zu dritt gegenüber, während der Falke vorn auf dem
Beifahrersitz neben Paddy Lafferty Platz genommen hatte -,
erledigten sie unterwegs eine ganze Menge. Als erstes hielten
sie auf der Einkaufszeile von Lowell, Massachusetts, wo der
General noch zwei weitere Kassettengeräte und einen Karton
mit Tonkassetten von je einer Stunde Laufzeit erstand, was
seiner Berechnung nach für die Fahrt nach New York und
darüber hinaus reichen mußte. Zusätzlich zu den Geräten
kaufte Mac auch noch ein Überspielkabel, das ihn in die Lage
versetzte, das gesprochene Material von einem Band auf ein
anderes zu übertragen, womit alles doppelt vorhanden sein
würde.
»Kommen Sie, lassen Sie mich Ihnen zeigen, wie es
funktioniert. Im Grunde ist es ganz einfach«, sagte der
Verkäufer im Radiogeschäft.
»Mein Sohn«, erwiderte der Falke in aller Eile, »ich habe schon
vorsintflutliche Sender in verschiedenen Höhlen
querverbunden, als Sie noch nicht mal ein Radio anknipsen
konnten.«
-5 3 0
Wieder in der Limousine, wurde das erste neuerstandene Bandgerät auf Aufnahme gestellt. Mac wandte sich an Brokemichaels Männer hinten im Gefährt. »Gentlemen«, begann er, »da ich der Verbindungsoffizier zwischen Ihnen und diesen Filmleuten sein werde, schlug Ihr Kommandeur, mein Freund Brokey, vor, Sie sollten mir einen vollständigen Überblick über Ihre Erfahrungen sowohl als Individuen als auch als Angehörige der sagenhaft erfolgreichen Sondereingreiftruppe geben, die sich >die Selbstmörderischen Sechs< nennt. Das wird mir bei meinen späteren Verhandlungen mit Produzenten helfen. Und lassen Sie sich durch die Anwesenheit von Mr. Lafferty hier nicht stören, bei ihm handelt es sich um Artillerie-Sergeant Lafferty. Wir haben in Frankreich zusammen gekämpft.« »Ich könnte auf der Stelle sterben, meine Seele ist bereits geläutert!« erklärte Paddy mit erstickter Stimme. »Was haben Sie da gesagt, Kanonier?« »Nichts, General. Ich werde Sie jetzt fahren, wie Sie es uns in Roubaix beigebracht haben. Wie der geölte Blitz ging das damals!« Während das große Automobil vorwärtsschoß, begann ein in über vier Stunden kein einziges Mal unterbrochener Bericht der vollständigen Geschichte der Selbstmörderischen Sechs - bis auf die Male, da die Beteiligten sich gegenseitig unterbrachen, was nicht selten in hochexplosiver Form geschah. Als sie auf ihrer Fahrt über die Brücke zur East Side von Manhattan den Bruckner Boulevard erreicht hatten, hielt der Falke die linke Hand in die Höhe und stellte das Bandgerät aus. »So, das reicht, Gentlemen«, sagte er, wobei ihm die melodramatischen Ausbrüche auf dem Rücksitz noch in den Ohren dröhnten. »Ich kann mir jetzt ein vollständiges Bild machen, und sowohl Ihr Kommandeur als auch ich danken Ihnen.« »Grundgütiger Himmel!« rief Sir Larry. »Da fällt es mir doch gerade wieder ein! Unsere Sachen, das Gepäck, das Ihre Adjutanten für uns verstaut haben - das alles müßte dringend gebügelt werden. Wir können uns doch im Waldorf-Astoria nicht mit völlig verknautschten Anzügen sehen lassen. Oder womöglich bei Sardi 's reinschauen!« -5 3 1
»Guter Einwand!« Das war ein Detail, an das Hawkins nicht gedacht hatte, wobei ihn ein paar Falten wahrhaftig nicht gestört hätten. Daß diese überschäumenden Selbstmörderischen jetzt überall in der Stadt rumspazierten, war wirklich das letzte, was sie gebrauchen konnten. Himmel, dachte MacKenzie und erinnerte sich seiner kurzen Zeit in Hollywood. Alles, was ein Schauspieler - vor allem aber ein Schauspieler ohne Engagement - brauchte, war eine leise Andeutung, daß eine heftig begehrte Rolle in greifbare Nähe rückte, und er oder sie setzte seine oder ihre ganz persönliche Flüsterpropaganda in Gang. Es war für die Selbstmörderischen Sechs aber sicher nicht der richtige Zeitpunkt, wieder so zu leben, wie sie es vor ihrer Geheimdienstzeit getan hatten. Sardi's! Eine Institution für Theaterleute! »Ich will Ihnen etwas sagen«, fuhr der Falke fort, »sobald wir untergebracht sind, geben wir alles in die Hotel-Reinigung.« »Und wie lange dauert das?« fragte The Duke. »Nun, das spielt eigentlich weiter keine Rolle«, entgegnete Mac, »jedenfalls nicht für heute abend, möglicherweise noch nicht einmal morgen.« »Was?« sagte Marion. »Hey, come on!« setzte Sylvester noch hinzu. »Ich bin seit Jahren nicht mehr in den West-Forties gewesen!« erklärte Dustin. »Und Mr. Sardi ist ein enger persönlicher Freund von mir«, sagte Telly. »Das ist der Eigentümer, übrigens ein ehemaliger Marine ...« »Tut mir leid, Gentlemen«, ließ der Falke sich wieder vernehmen. »Offenbar habe ich mich in bezug auf dieses Biwak nicht deutlich genug ausgedruckt. Ich bin einfach davon ausgegangen, daß Sie selbstverständlich verstehen würden ..« »Was verstehen?« Das war wieder Sly, der da sprach, doch besonders freundlich klang es nicht. »Sie reden wie ein Agent.« »Ihre Vorstellungstermine bedürfen eines ... äußersten Maßes an Geheimhaltung. Auch wenn Ihr fabelhafter Kommandeur, General Brokemichael, sich diesen Hollywoodleuten gegenüber für Sie stark machen wird, könnte doch noch alles in die Binsen -5 3 2
gehen. Und ich meine, wirklich in die Binsen gehen. Deshalb werden Sie sich darauf beschränken müssen, sich in Ihrem Quartier aufzuhalten, bis eine andere Weisung ergeht.« »Wir rufen ihn an«, schlug Marion vor. »Das kommt überhaupt nicht .. Ich meine, jegliche Kontaktaufnahme hat zu unterbleiben, unterliegt also gewissermaßen dem Code Schwarzer Schleier.« »Der gilt doch nur für Notfälle«, sagte Dustin. »Beim Abhören der Frequenzen.« »Ja, aber genau davon reden wir doch. Diese korrupten Politiker, die versucht haben, einen von uns gegen den anderen auszuspielen, sind jetzt darauf aus, Ihren Film und damit die Karriere eines jeden einzelnen von Ihnen zu hintertreiben. Sie wollen alles für sich selbst.« »Dreckskerle!« entfuhr es The Duke. »Ich will ja gern zugeben, daß viele von ihnen Schauspieler sind, aber der ganze Scheiß, den sie so reden, stinkt.« »Von denen hat kein einziger Rückgrat«, fügte Sylvester hinzu. »Und keinen Funken Ehrlichkeit im Leib!« versicherte Marion mit Nachdruck.« »Daß Sie technisch was loshaben, will ich ja gerne einräumen«, sagte Sir Larry. »Aber das Ganze ist doch typisch Pawlow.« »Ganz meiner Meinung!« bestätigte Telly. »Klangschärfe, programmierte Ausdrucksweise und gerunzelte Brauen, wenn sie ihren Text vergessen - wann werden die Menschen endlich aufwachen?« »Nun, sie versuchen vielleicht zu schauspielern, aber damit sind sie noch lange keine Schauspieler!« ereiferte sich The Duke. »Und ich will verdammt sein, wenn wir uns von denen die Arbeit wegnehmen lassen! ... Wir verlassen also unser Quartier nicht und tun auch sonst, was Sie von uns verlangen, General!« MacKenzie Hawkins, der in seinem grauen Anzug zwar adrett gekleidet, aber mit dem rötlichen Toupet und den leicht gebeugten Schultern alles andere als eindrucksvoll aussah, schritt über die teppichbelegte, von vielen Menschen bevölkerte -5 3 3
Lobby des Waldorf-Astoria und suchte nach einem öffentlichen Fernsprecher. Es war kurz nach ein Uhr, die Schauspielersoldaten der Selbstmörderischen Sechs waren im zwölften Stock sicher und bequem in nebeneinanderliegenden Suiten untergebracht. Nicht mehr gezwungen, sich Desi-Zwos nicht unbedingt bekömmliche Mahlzeiten einzuverleiben, im Gegenteil, erfrischt von gesunder, kraftgebender Nahrung, körperlicher Bewegung und einer gesunden Nachtruhe ohne die Wände hochkrabbelnde Spinnen, hatten alle Angehörigen der Einheit sich vollständig erholt und waren überströmend guter Laune. Die Männer hatten Mac versichert, sie litten gottlob! - mmer noch an Kampfesmüdigkeit und würden folglich ihre Suite nicht verlassen und auch keinerlei Anrufe nach außerhalb tätigen, wenn die Versuchung auch noch so groß wäre. Während sie sich also einrichteten, hatte der Falke das ursprüngliche Bandgerät von Fort Benning hervorgeholt, das gesamte Gespräch mit Brokey Tausendsassa kopiert, die Kopie Paddy Lafferty in die Hand gedrückt und ihn angewiesen, sie nach Swampscott zu bringen. Jetzt galt es, mehrere Bälle gleichzeitig in die Luft zu werfen und wieder aufzufangen, das heißt, eine Reihe nicht auf ihn zurückführbare Telefonate zu tätigen - das erste mit Little Joseph in Boston, das zweite mit einem eitlen Fatzken von Admiral außer Dienst, der seine Seele verkauft hatte, um für das Außenministerium tätig zu sein, der aber gleichzeitig Mac einen Gefallen schuldete, weil dieser ihn nach einer Fehlentscheidung in Koreas Wonsan-Bay aus der Bredouille geholt und vor dem gewissen Tod gerettet hatte, und schließlich mit einem seiner ältesten und ihm nahestehendsten Mitstreiter, oder besser gesagt Mitstreiterin, der ersten seiner bezaubernden Ehefrauen, Ginny, in Beverly Hills. Er tippte seine Geheimnummer ein, steckte dann die Kreditkarte in den Schlitz und wählte. »Little Joseph, hier spricht der General.« »He, fazool, wieso hat das denn so lange gedauert? Der große Mann will Sie sprechen, möchte aber nicht draußen in Swampscott anrufen, weil er nicht weiß, wer da mithört.«
-5 3 4
»Das kommt dem, was ich vorhabe, ausgesprochen entgegen, Little Joseph. Auch ich möchte ihn sprechen.« Der Falke warf einen Blick auf die Nummer seines Apparats. »Können Sie ihn erreichen?« »Yeah. Er geht alle halbe Stunde an einem öffentlichen Fernsprecher an der Collins Avenue in Miami Beach vorbei. Das nächstemal also in genau zehn Minuten.« »Soll ich ihn direkt anrufen?« »Nix zu machen, fazool. Er ruft Sie an - so ist es abgemacht.« »Na, schön, sagen Sie ihm, er soll mich unter folgender Nummer in New York anrufen, aber erst in zwanzig Minuten. Dann werde ich dort sein.« Mac gab Joey die Nummer des Telefons im Waldorf-Astoria und hängte ein. Dann griff er in die Jackentasche, holte ein kleines Notizbuch hervor und blätterte darin herum, bis er das Gesuchte fand. Wieder die Kreditkarte und die Geheimnummer, dann die Nummer dessen, den er sprechen wollte. »Hallo, Angus, wie geht's denn dem Stier der Nordkoreanischen Pampas, der rein zufällig unsere unterirdischen Funkstationen in Wonsan in die Luft gejagt hat?« »Wer zum Teufel sind Sie?« rief die krächzendharte Stimme des ehemaligen Navy-Admirals, der offensichtlich bereits seinen dritten Martini hinter sich hatte. »Einmal darfst du raten, Frank. Willst du die Sechzehn-ZollKoordinaten durchgehen?« »Hawk? Bist du's?« Wer sonst, Seemann!«
»Du weißt verdammt gut, daß ich mit meiner natürlichen
Begabung ...«
»Solltest du die Zahlen falsch gelesen haben? Superstrenggeheime Nummer, nur für deine Augen bestimmt, Frank?« »Hör auf damit, Hawk! Woher hätte ich wissen sollen, daß du da warst? Ein paar Meilen mehr oder weniger, wer wollte das wissen, wen hat das schon gekümmert?« »Meine Wenigkeit und mein Team zum Beispiel, Frank. Wir waren nämlich ziemlich weit hinter den Linien.« -5 3 5
»Es ist vorbei! Und ich bin im Ruhestand.«
»Bist aber immer noch als Berater für das Außenministerium
tätig, Frank, und giltst dort als angesehener Militärfachmann für
Fernost. All die vielen Parties, das Klimpergeld der
Nebeneinkünfte, Privatflugzeuge und Reisen, deren Kosten
freundlicherweise die Rüstungsindustrie übernimmt.«
»Ich bin das alles wert bis auf den letzten Cent!«
»Bis darauf, daß du einen Strand nicht vom anderen
unterscheiden kannst - ein paar Meilen mehr oder weniger
machen da nichts. Das nenne ich einen Experten.«
»Hawk, jetzt laß mich auch mal zu Wort kommen! Alte
Kamellen wieder aufwärmen tut keinem von uns beiden gut.
Jesus, ich hab im Fernsehen gesehen, daß du von den
Schweden einen großen Preis verliehen bekommst. Was also
willst du von mir? Ich nehme das eine und andere an Wohltaten
mit und bestelle meinen Garten - und das mit Arthritis und allem
anderen.«
»Du sprichst also ab und zu mit dem Außenministerium ...«
»Das tue ich. Und gebe ihnen den besten Input, den sie kriegen
können.«
»Und hier ist ein besonderer Input, den du ihnen unterjubeln
wirst, Frank, oder der >Soldat des Jahrhunderts< pfeift auf der
Trillerpfeife und zeigt mit dem bloßen Finger auf eine der
größten militärischen Pleiten des Koreakrieges.« Woraufhin der
Falke sich ausgiebig über Einzelheiten ausließ.
Mit dem Anruf in Beverly Hills wollte es zuerst nicht klappen.
»Mrs. Greenberg, bitte?«
»Hier wohnt keine Mrs. Greenberg«, erklärte eine kalte britische
Männerstimme aus Kalifornien.
»Dann muß ich mich verwählt haben.«
»Nein, Sie haben nur den falschen Namen genannt, Sir. Mrs.
Greenberg gibt es schon seit über einem Jahr nicht mehr.
Wünschen Sie vielleicht Lady Cavendish zu sprechen?«
»Ist das Ginny?«
»Das ist Lady Cavendish. Dürfte ich fragen, wer dort spricht?«
-5 3 6
»Hawk reicht immer!«
»Der Falke? Wie der abstoßende Raubvogel, Sir?«
»Sehr abstoßend und sehr räuberisch. Und jetzt sagen Sie
Lady Caviar, oder wie immer sie sich schimpft, ich wäre dran.«
»Ich werde es ausrichten, aber ich garantiere für nichts.« Dem
unvermittelten Schweigen wurde von der lauten, aufgeregten
Stimme von Macs erster Frau ein Ende gesetzt. »Sweetie, wie
geht es dir?«
»Ehe ich mit diesem Clown gesprochen habe, der sich mal die
Polypen rausnehmen lassen sollte, ging es mir besser. Wer ist
denn das, großer Gott?«
»Ach, den hat Chauncey mit in die Ehe gebracht. Er ist seit
Jahren der Butler der Familie.«
»Chauncey? ... Cavendish?«
»Lord Cavendish, sweetie. Schwimmt in Geld, und alle Welt
möchte ihn kennenlernen. Er steht auf jeder A-Liste.«
»A-Liste?« »Ach, du weißt schon, Einladungen, sweetie!«
»Wo hast du denn Manni gelassen?«
»Der hat angefangen, sich mit einer älteren Frau zu langweilen,
und da hab ich ihm für einen hübschen Batzen Geld die Freiheit
geschenkt.«
»Verdammt noch mal, Ginny, du bist nicht alt!«
»In Mannis Augen hat jedes Mädchen über sechzehn schon
einen leichten Hautgout ... Aber genug von mir, Liebling, du bist
es, um den es geht. Ich bin ja so stolz auf dich, Hawk - >Soldat
des Jahrhunderts
»Yeah, well, wartet mit den Parties noch ein bißchen. Könnte
sein, daß sich das ganze als Riesenschwindel erweist.«
»Was? Das lasse ich nicht zu - das lassen wir nicht zu!«
»Ginny«, fuhr MacKenzie ihr in die Parade. »Ich habe wenig
Zeit. Die Washingtoner Schwachköpfe haben mich wieder mal
bei den ... na, du weißt schon. Ich brauche jedenfalls Hilfe.«
»Noch heute nachmittag werde ich alle Mädchen
zusammenrufen. Was können wir tun, und wem sollen wir was
-5 3 7
antun?... Oh, natürlich, Annie kann ich selbstverständlich nicht
erreichen; die ist wieder in einer dieser Leprakolonien, glaube
ich, und Madge ist an der Ostküste - New York oder
Connecticut oder irgendwo dort in der Gegend. Aber ich kriege
sie schon.« »Eigentlich habe ich gerade dich angerufen, weil
ich glaube, daß du diejenige bist, die mir helfen kann.«
»Ich, Hawk? Schau, ich bin dir ja dankbar für die Blumen, aber
ich bin nun mal wirklich die Älteste, und Midgey und Lil sind für
das, was du brauchst, vermutlich besser geeignet. Sie sind
beide immer noch bildschön. Selbstverständlich kann, was das
angeht, Annie keine das Wasser reichen, aber ich glaube, die
Kleider, die sie seit neuestem trägt, sind geeignet, jedem Mann,
der nicht längst jenseits von Gut und Böse ist, eine
Heidenangst einzujagen.«
»Du bist eine fabelhafte und großzügige Frau, Ginny, aber um
so was geht es wirklich nicht. Verkehrst du noch mit Manni?«
»Nur über den Anwalt. Er will ein paar von den Bildern, die wir
gekauft haben, aber ich will verdammt sein, wenn ich zulasse,
daß dieser kleine geile Bastard auch nur das geringste
Stückchen Farbe vom billigsten Rahmen abkratzt.«
»Himmelherrgott, dann geht der Schuß, auf den ich gehofft
hatte, ins Leere.«
»Erkläre dich etwas genauer, Hawk. Was brauchst du?« »Ich
brauche einen von diesen Scriptschreibern, die er für das
Studio anheuert; der soll was für mich zusammenschreiben.«
»Wollen sie noch einen Film über dich drehen?«
»Himmel, nein! Da sei Gott vor!«
»Da bin ich aber erleichtert. Wozu also brauchst du einen
Schreiberling?«
»Es geht um wirklich unglaubliches Material, das von hinten bis
vom stimmt und das ich diesen Hollywoodbuddhas vor die
Nase halten möchte, wie dem Hund die Wurst. Nur muß es
dazu gut aussehen und in allerkürzester Zeit fertig sein. Sagen
wir morgen.«
»In einem Tag?«
-5 3 8
»Himmel, in hochkonzentrierter Form werden es nicht mehr als
fünf bis zehn Seiten sein - aber jede Seite davon ist reines
Dynamit, Ginny. Ich habe alles auf ein paar Bändern. Manny
wüßte bestimmt jemanden, der das machen könnte
»Du aber auch, sweetie! Wie war's denn mit Madge?«
»Mit wem?«
»Deiner dritten, mon général.«
»Midgey? Was ist mit ihr?« »Liest du denn die Fachblätter
nicht?« »Was für Fachblätter?«
»Den Hollywood Reporter und die Daily Variety, diese Bibeln
der Traumfabrikadepten. Madge ist mittlerweile eine der
gefragtesten Drehbuchautorinnen der Stadt. Sie ist so begehrt,
daß sie es sich leisten kann, L. A. zu verlassen und zum
Beispiel in New York oder Connecticut zu schreiben. Ihr letztes
Drehbuch, Die lesbischen Killerwürmer, war nach der
Verfilmung im Fernsehen ein Straßenfeger.«
»Ich werd verrückt! Ich hab ja immer gewußt, daß Midgey eine
literarische Ader hatte, aber ...«
»Benutze bloß nicht das Wort literarisch!« fiel Lady Cavendish
ihm ins Wort. »Das wirkt hier an der Westküste tödlich ...
Komm, ich gebe dir ihre Nummer, nur solltest du mir ein paar
Minuten Zeit lassen, ihr zu sagen, daß du es bist, der sie
anrufen wird. Sie wird ja so aufgeregt sein!« »Ginny, ich
spreche von New York aus.« »Nein, hat die ein Glück! Sie
wohnt in Zwei-Null-Drei.« »Was ist denn das?«
»Die Vorwahl für einen Ort namens Greenwich, aber nicht in
England. Ruf sie also in fünf Minuten an, sweetie. Und wenn all
dies vorbei ist - was immer es sein mag -, mußt du unbedingt
herkommen und Chauncey kennenlernen. Der würde sich
maßlos freuen, denn er ist ein großer Bewunderer von dir: Er
war bei den Fünften Grenadieren - oder den fünften, fünfzigsten
oder fünfzehnten, ich habe das nie behalten können.«
»Die Grenadiere gehören zu den Elite-Einheiten, Ginny. Da
hast du dich ja wirklich verbessert: Du kannst deine Nylons
-5 3 9
drauf verwetten, daß ich rauskomme und euch beide besuchen
werde.«
Als MacKenzie Hawkins im Waldorf-Astoria den Hörer auflegte,
wischte flüchtig ein Abglanz der Sonne über sein Gesicht. Die
Telefonnummer seiner dritten Frau hatte er mit Hilfe seines
Taschenmessers in den Kunstmarmorsims eingeritzt, auf dem
die Telefone standen. Er freute sich dermaßen über die
Wendung, die der Lauf der Dinge genommen hatte, daß er eine
Zigarre hervorholte, sie durchkaute, bis die Säfte richtig flössen,
sie dann mit einem Zündholz in Brand setzte, das er, am Sims
entlangfahrend, entflammte. Eine matronenhafte Dame in
geblümtem Sommerkleid am Telefon zu seiner Linken fing
heftig an zu husten. Zwischen den Hustenanfällen funkelte sie
den Falken böse an, schaffte es dann jedoch hervorzuwürgen:
So ein adrett aussehender Mann mit einer so abscheulichen
Angewohnheit!«
»Die ist auch nicht schlimmer als Ihre, Madame. Das Hotel-
Management dringt darauf, daß Sie aufhören, diese jungen
Gewichtheber mit auf Ihr Zimmer zu nehmen.«
»Guter Gott, wer hat ihnen denn das ...?« Die adrette Dame
erbleichte, und als Macs Apparat klingelte, ergriff sie in
panischem Schrecken die Flucht.
»Commander Y?« sagte Hawkins ruhig.
»General, es wird Zeit, daß wir uns sehen.«
»Fabelhaft, Sir. Nur, wie wollen wir das anstellen, wo Sie doch
noch tot sind?«
»Ich habe eine so tolle Verkleidung, daß selbst meine leibliche
Mutter, möge sie in Frieden ruhen, mich nicht erkennen
würde.«
»Mein herzliches Beileid! Es trifft einen immer schwer, wenn
man seine Mutter verliert.«
»Yeah, sie ist in Lauderdale ... Hören Sie, ich habe viel zu tun,
und wir sollten schnell reden, vor allem darüber, wie Sie zu der
Anhörung in zwei Tagen kommen. Haben Sie schon einen
Plan?«
-5 4 0
»Einer ist gerade im Entstehen begriffen, Commander: Deshalb
wollte ich ja, daß wir miteinander sprechen. Ich bin äußerst
beeindruckt von der Leibwache, die Sie uns geschickt haben
...«
»Leibwache? Was für eine Leibwache?«
»Die beiden Söldner.«
»Wer?«
»Die beiden Männer, die Sie zu unserem zusätzlichen Schutz
angeheuert haben.«
»Ah, yeah. Ich habe einfach zuviel um die Ohren. Da vergesse
ich so manches. Also, wie steht das jetzt mit diesem Plan?«
»Zunächst mal erbitte ich Ihre Erlaubnis, die beiden
Leibwächter mit einsetzen zu dürfen.«
»Setzen Sie ein, wen immer Sie wollen. Hören Sie, ich muß
schnell reden, und da Ihr Plan noch nicht durchdacht ist, wäre
mir wesentlich wohler zumute, wenn Sie und Ihr meschuggener
Anwalt in meiner unmittelbaren Nähe wären, falls Sie
verstehen, was ich meine.« »Sam? Sie haben von Sam
Devereaux gehört?« »Nicht mit Namen, diesem jedenfalls nicht,
aber soviel habe ich schon mitbekommen, daß, als diesem
Fünf-Sterne-Menschen vom Verteidigungsministerium zu Ohren
kam, daß dieser Deverroxx Ihr windiger Anwalt ist, der nur noch
rot gesehen hat und sein Blut wollte - etwa dergestalt, daß ihm
eine Sprengladung in die Hämorrhoiden implantiert würde.
Offenbar hat er, als er beim Geheimdienst war, in Kambodscha
dem falschen Army-Typ was angehängt.« »Das ist längst
bereinigt, Commander.« »Ihr Wort in Gottes Gehörgang - den
der Vereinigten Stabschefs hat es jedenfalls noch nicht erreicht.
Ein paar von diesen West-Pointies möchten den Scheißkerl
hängen sehen. Er steht zusammen mit Ihnen ganz oben auf der
Liste der meistgesuchten Personen.«
»Mit dieser Komplikation hatte ich nicht gerechnet«, sagte der
Falke kurz angebunden. »Für eine solche Einstellung gibt es
keinen Grund, wirklich nicht.«
-5 4 1
»Huhuh, wie Little Joey sagen würde«, rief Vinnie Bum-Bum. »Vielleicht haben Sie vergessen, was am Schluß bei Ihren Machenschaften rausgekommen ist! S-A-C!« »Verstehe, verstehe, Commander, aber noch ist eine friedliche Behebung des Problems durchaus möglich, nicht gerade wahrscheinlich, aber möglich. Ein Versuch lohnt sich.« »Lassen Sie mich sagen, woran ich denke«, unterbrach Mangecavallo ihn. »Ich möchte, daß Sie und diese JuristenLasagne noch heute abend in Washington, D. C, eintreffen. Ich flieg rauf, Sie fliegen runter, und ich bringe Sie in einem sicheren Quartier unter, bis wir Sie in einem gepanzerten Wagen zum Gericht bringen. Wissen Sie was Besseres?« »Sie verfügen offensichtlich über wenig Erfahrung in GrauzonenUnternehmungen, Commander Y. Eine Bresche in die gegnerischen Linien zu schlagen, ist leicht, aber es kommt darauf an, wie man den Feind von da an weiter unterwandert. Jeder einzelne Schritt bis zur endgültigen Erreichung des Ziels will genau überlegt sein.« »Drücken Sie sich klarverständlich aus, Kumpel!« »Jeder Stolperstein vor den Kammern des Obersten Richters muß überwunden werden. Und es gibt eine Möglichkeit, das zu tun vielleicht.« »Vielleicht? Für Vielleichts bleibt uns keine Zeit mehr.« »Vielleicht doch. Aber ich bin einverstanden: Treffen wir uns heute abend in Washington, nur sage ich, wo: am Lincoln Memorial, zweihundert Schritt von der Vorderseite und dann hundert Schritte nach rechts. Punkt acht! Verstanden, Commander?« »Was soll ich verstanden haben? Nichts weiter als Quatsch.« »Für hitzköpfige Zivilisten habe ich keine Zeit«, sagte MacKenzie. »Auch ich habe viel um die Ohren. Seien Sie da!« »Brokey? Hier ist Mac«, sagte Hawkins und nahm die Telefonkarte wieder an sich, als die Klänge von There's No Business Like Show Business unvermittelt von Brokemichaels Stimme abgeschnitten wurde.
-5 4 2
»Herrgott, du weißt ja nicht, was du mir angetan hast, Mac! Der verfluchte Außenminister, um alles in der Welt! Der will meinen Arsch!« »Vertrau mir, Brokey - es ist eher so, daß du seinen kriegst. Und jetzt hör mir zu: Tu genau, was ich dir sage. Nimm die nächste Maschine nach Washington und ...« »Frank, hier spricht der Falke. Hast du es gemacht? Hast du diesen schieläugigen Schuft erreicht, oder kannst du dir abschminken, jemals irgendwo Botschafter zu werden?« »Ich hab's getan, du Bastard, und das einzige, was er von mir will, sind meine Sterne und Biesen, du Riesenrindviech! Ich bin weg vom Fenster!« »Au contraire, Admiral. Durchaus möglich, daß du die Treppe raufgefallen bist. Er weiß, wann und wo?« »Er hat mir gesagt, ich soll's mir in den Hintern schieben und ihn nie wieder anrufen!« »Gut. Er wird zur Stelle sein.« MacKenzie Hawkins trat einen Schritt vom Telefon zurück, setzte die Zigarre wieder in Brand und blickte durch die von Gästen wimmelnde Hotelhalle zur Bar im Freien. Eigentlich verspürte er das dringende Bedürfnis hinüberzugehen in die schattige Zufluchtsstätte, die für ihn mit so vielen Erinnerungen behaftet war aus Zeiten, da er als junger Offizier, immer nur vorübergehend zwar, aber aufrichtig und bis über beide Ohren in jemand verliebt gewesen war. Doch er wußte, daß er es sich im Moment nicht leisten konnte, in Erinnerungen zu schwelgen ... Ach, ginge das doch! Madge, seine dritte Frau, für ihn so bezaubernd und wichtig wie die anderen. Geliebt hatte er sie alle, nicht nur wegen dem, was sie waren, sondern auch, was noch aus ihnen werden konnte. Einmal, als er und ein im Übermaß gebildeter Leutnant sich abseits vom Ho-Tschi-MinhPfad in einer Höhle versteckt hielten, und es nichts gab, außer sich flüsternd zu unterhalten, um die Zeit totzuschlagen, hatten sie sich gegenseitig ihr Leben erzählt. »Wissen Sie, was Sie haben, Colonel?« »Sagen Sie's schon, mein Junge.« »Einen Galatea-Komplex. Es verlangt sie, jedes schöne Bildnis aus Stein in etwas Wirkliches und mit Bewußtsein Begabtes zu verwandeln.« -5 4 3
»Woher haben Sie denn den Quatsch?« »Grundkurs Psychologie I, University of Michigan, Sir.« War daran eigentlich etwas auszusetzen, gleichgültig, ob es sich nun um ein Bildnis aus Stein oder aus Fleisch und Blut handelte? Aber genau wie die anderen hatte auch Madge einem Traum nachgehangen: Schriftstellerin zu werden. Insgeheim war Mac damals zusammengezuckt bei ihren Schreibversuchen, nur war nicht abzustreiten, daß sie es immer schon fertiggebracht hatte, daß einem bei ihren extremen Charakteren und wilden Geschichten schockartig die Augen übergingen. ... Also hatte Madge es geschafft! Wenn sie auch vielleicht nicht gerade ein Tolstoi war, ihren Platz schien sie gefunden zu haben. MacKenzie wandte sich nochmals dem Telefon zu, führte seine Karte ein und wählte. Klingeln, dann wurde der Hörer vom Haken gerissen, und alles, was man hörte, waren Schreie des Grauens, ja, des Terrors. »Hilfe, Hilfe!« hörte man eine Frauenstimme über die Leitung kreischen. »Würmer und Larven kommen aus Boden und Wänden heraus! Zu Tausenden! Sie haben es auf mich abgesehen! Das erkennt man an ihren wabernden Köpfen. Gleich fallen sie über mich her!« Unvermittelt Schweigen - die Lautlosigkeit der Angst. »Bleib, wo du bist, Midgey, ich bin schon unterwegs! Wo genau wohnst du, verdammt noch mal?« »Ach, komm schon, Hawk«, sagte die Stimme jetzt völlig ruhig. »Das war doch bloß ein Demoband.« »Was?« »So ein Ding, wie sie's in den Werbesendungen von Funk oder Fernsehen abspielen. Die lieben Kleinen können gar nicht genug davon kriegen, und ihre Eltern würden mich am liebsten des Landes verweisen lassen.« »Woher wußtest du denn, daß ich es war?« »Ginny hat vor ein paar Minuten angerufen, und außer uns Frauen und meinem Agenten, der nie anruft, es sei denn, es gäbe Probleme, hat kein Mensch diese Nummer: Und ob du's glaubst oder nicht, Mac, es gibt nie welche - Probleme, meine ich. Das habe ich allein dir zu verdanken, Mac, und ich werde es dir mein Leben lang nicht vergessen.« »Dann hat Ginny es dir erklärt?« -5 4 4
»Ach, die Sache mit dem Drehbuch, dem Zehn-Seiten-
Resümee, natürlich hat sie das. Der Kurierdienst steht schon in
den Startlöchern: Wir warten nur auf deine Adresse. Übergib
dem Fahrer einfach die Bänder, und morgen früh hältst du was
in Händen. Guter Gott, das ist doch das wenigste, was ich für
dich tun kann!« »Du bist ein Prachtmädchen, Midgey.«
»Prachtmädchen! Wie typisch für dich, Hawk. Aber wenn die
Wahrheit denn unbedingt heraus soll: Du bist das prächtigste
Mannsbild, das wir Ex-Ehefrauen jemals erlebt haben - nur, daß
du mit Annie für meinen Geschmack vielleicht etwas zu weit
gegangen bist.«
»Das war ich doch nicht!«
»Wissen wir, wissen wir. Sie hält ja ständig Verbindung mit uns,
und wir alle haben versprochen, nichts zu sagen. Mein Gott,
wer würde das für möglich halten?!«
»Sie ist glücklich, Madge.«
»Ich weiß, Mac. Das ist eben dein ganz besonderes Genie!«
»Ich bin kein Genie - außer vielleicht auf bestimmten
militärischen Gebieten.«
»Versuch nicht, das uns vier Frauen zu verkaufen, die keine
Heimat hatten, bevor du kamst.«
»Ich wohne im Waldorf«, sagte Hawkins abrupt und wischte
sich die Tränen ab, die ihm in die Augen treten wollten: Was
machte das nur für einen Eindruck! »Sag deinem Kurier, er soll
sich direkt an Suite 12 a wenden. Die geht auf den Namen
Devereaux, falls er angehalten oder gefragt wird.«
»Devereaux? Sam Devereaux? Dieser hinreißende, köstliche
Knabe!«
»Bleib du in Zwei-Null-Drei, Midgey. Er ist wesentlich älter
geworden und hat nicht nur eine Frau, sondern auch noch vier
Kinder.«
»Dieser Schuft, das ist ja eine Tragödie!« rief Ex-Gattin
Nummer drei von MacKenzie Hawkins.
-5 4 5
26. KAPITEL Der Tag in Swampscott verläpperte sich in Langeweile. Da sie
nichts weiter zu tun hatten, riefen die drei Anwälte immer
wieder in ihren Büros an, wobei sie hofften, irgend jemand
könnte sie nach einer persönlichen Einschätzung, ihrem
Fachwissen auf bestimmten Gebieten oder irgend welchen
Beurteilungen fragen ... nach irgendwas. Im herrschenden
Sommerloch schien jedoch kein Mensch etwas wissen zu
wollen. Nichtstun und Muße, zu denen sich noch die Frustration
darüber gesellte, nicht zu wissen, was der Falke tat, führte zu
einer allgemeinen Gereiztheit, insbesondere zwischen Sam und
Jennifer, wobei letztere sich immer wieder Gedanken über die
ganze, völlig verrückte Situation machte.
»Warum hast nur du und deine Witzfigur von einem General in
mein Leben, in unser Leben treten müssen?!«
»He, nun mach mal einen Punkt! Nicht ich bin in dein Leben
getreten, sondern du hast dir ein Taxi genommen und bist zu
meinem Haus gefahren!«
»Es blieb mir ja nichts anderes übrig ...«
»Natürlich nicht. Der Taxifahrer zog seine Pistole und hat dir
gesagt, wohin du zu fahren hättest ...«
»Ich mußte Hawkins finden.«
»Wenn meine Erinnerung mich nicht trügt - und das tut sie nicht
-, war es erst mal Charlie Sunset, der ihn gefunden hat, und
statt zu sagen: >Nein, kommt überhaupt nicht in Frage, daß du
in der Sandkiste meines Stammes spielst<, hat er erklärt: >Klar,
kannst du, alter Mann. Komm, laß uns eine Burg bauen!<«
»Unfair! Unfair! Er ist mit List und Tücke da reinmanövriert
worden.«
»Wenn das so ist, sollte er sich als Anwalt nur mit Notfällen
beschäftigen, sonst kommt er nie zu Klienten!« »Ich gehe jetzt
Schwimmen »Das solltest du nicht tun!«
»Warum nicht? Streifen für dich nicht genug aufgeregte Haie da
draußen herum?«
-5 4 6
»Wenn da genug herumstreifen, kannst du Aaron und meine
Mutter genauso abschreiben wie Cyrus und Roman Z.« »Sind
die auch zum Schwimmen?«
»Mutter und Aaron hatten es vor, und unsere Söldner haben
gesagt, allein könnten sie sie nicht gehen lassen.«
»Wie lieb von ihnen.«
»Ich glaube nicht, daß man sie bezahlt, wenn die Leute, die sie
beschützen sollen, ertrinken.«
»Warum sollte ich mich ihnen nicht anschließen?«
»Weil Geistesriese Aaron Pinkus von der Bostoner
Anwaltschaft gesagt hat, du solltest Macs Klagesatz lesen und
immer wieder lesen, bis du fehlerfrei daraus zitieren könntest.
Als amica curiae könnte man dich vor Gericht arg in Bedrängnis
bringen.«
»Ich habe ihn gelesen und nicht nur einmal. Es gibt keinen
Absatz darin, aus dem ich nicht zitieren könnte.« »Und was
hältst du von ihm?«
»Er ist brillant, verflucht brillant - und ich hasse ihn.« »Genauso
habe ich zuerst auch reagiert. Mac hatte nicht das Recht und
hätte nicht imstande sein dürfen, ihn aufzusetzen. ... Ist er denn
stichhaltig?«
»Nun, das ist durchaus möglich. In den Legenden, die wir als
Kinder erzählt bekamen, die von Generation auf Generation
weitergegeben wurden und im Verlauf der Überlieferung
Übertreibungen und auch Verfälschungen erfahren haben, gibt
es einen Haufen melodramatischer Querverbindungen. Selbst
im Symbolischen.«
»Was soll das heißen, >im Symbolischen«
»Da sind Tierfabeln in den menschlichen Bereich übertragen
worden. Der grausame Albino-Wolf, der die Ziegen mit dem
schwarzen Fell verleitet, auf einem Bergsattel zu grasen, von
dem es kein Entrinnen gibt, es sei denn durch die Flammen
eines Waldbrands, eines Feuers, das sich vom Sattel über die
Felder herunterzieht und ihnen Nahrung und Zuhause raubt ...«
»Die Bank von Omaha - das war doch Brandstiftung, oder?«
-5 4 7
»Vielleicht. Wer weiß?«
»Komm, laß uns beide schwimmen gehen«, sagte Sam.
»Tut mir leid, daß ich in die Luft gegangen bin ...«
»Ein gelegentlicher Ausbruch kühlt den Vulkan ab. So lautet ein
altes indianisches Sprichwort - ich denke, es stammt von den
Navajos.«
»Spaltzüngiger Gesetzeskundiger hat Pferdeschwänze im
Kopf«, sagte Jennifer Redwing und lachte leise. »Im Flachland
der Navajos gibt es keine Berge - von Vulkanen ganz zu
schweigen.«
»Hast du nie erlebt, wie ein Navajo-Krieger in die Luft ging, weil
seine Frau dem Modefatzken vom Tipi nebenan ein
Türkisarmband geschenkt hat?«
»Du bist unverbesserlich. Komm, holen wir uns Sachen.«
»Laß mich dich in die cabana bringen ...»
»Da gibt es ein echtes indianisches Sprichwort, das lautet:
Wanchogagog manchogagog - was frei übersetzt bedeutet:
>Du fischst auf deiner Seite, ich fische auf meiner Seite, und in
der Mitte fischt keiner<«
»Wie geheimnisvoll - oder auch viktorianisch. Nix mit Spaß
also.«
Die Küchentür flog auf. Die beiden Desis auf der Schwelle
hatten es offensichtlich eilig. »Wo's der große schwarze
Cyrus?« wollte Desi-Eins wissen. »Wir müssn los!«
»Los? Wohin? Und warum?«
»Nach Boston rein, Mr. Sam«, antwortete D-Zwo. »Wir haben
Befehl vom General.«
»Ihr habt mit dem General gesprochen?« fragte Redwing. »Ich
habe gar nicht gehört, daß das Telefon geklingelt hat.«
»Telefono auch nix hier«, sagte D-Eins. »Wir anrufen Hotel jede
Stunde un' uns meldn bei José Pocito. Er sagt uns, was wir
tun.«
»Was wollt ihr denn in Boston?« fragte Devereaux.
-5 4 8
»Den verrückten Schauspieler, Major Suuuton abholn un zum
Flugplatz fahrn. Der große General hat mit ihm gesprochen un
erwartet uns schnell.«
»Was tut sich da?« fragte Jennifer.
»Ich bin mir nicht sicher, ob du nachfragen solltest«, mahnte
Sam zur Vorsicht.
»Wir uns beeilen«, sagte Desi-Eins. »Major Suuuton sagen,
müssen bei großem Geschäft haltn wegen correcto Anzug; ich
nich denkn, iss für Automobil ... Wo iss Colonel Cyrus?«
»Unten am Strand«, antwortete Redwing, die nicht wußte, was
sie von all dem halten sollte.
»Hol du den Wagen, D-Zwo«, befahl D-Eins. »Ich sag Colonel
Bescheid. Wir treffn uns in Garage. Pronto!« »Si, amigo!« Die
Adjutanten wetzten davon, der eine über die Terrasse zum
Strand, der andere durch die Halle in die an der runden Auffahrt
gelegene Garage. Sam wandte sich Jenny zu. »Habe ich nicht
irgendwie was von >Devereaux'scher Prophezeiung< gesagt?«
»Warum läßt er uns im dunkeln?«
»Das eben ist das Abseitige an seiner verschlagenen
Strategie.« »Was?«
»Er sagt dir nie, was er vorhat - erst dann, wenn die
Angelegenheit so weit gediehen ist, daß sie unumkehrbar ist.
Damit keiner zurück kann.«
»Aber das ist ja wunderbar!« rief Redwing aus. »Stell dir vor, er
ist pitschnaß, weil er reingefallen ist und total unrecht hat.« »Er
ist überzeugt, daß das unmöglich ist.« »Und du?«
»Von der jeweiligen Prämisse mal abgesehen, die nie stimmt,
ist seine Trefferquote nicht schlecht.« »Das reicht aber nicht!«
»Wenn du es genau wissen willst, sie ist phänomenal,
verdammt noch mal!« »Es läuft also darauf hinaus, daß Mr.
Sutton ihn darstellen soll, hab ich recht?«
»Wahrscheinlich. Er hat ihn in Aktion gesehen.«
»Ich möchte bloß mal wissen, wo.«
-5 4 9
»Du solltest dir einfach nicht den Kopf darüber zerbrechen.
Dann ist alles leichter.«
Johnny Kalbsnase sah flott aus in seiner farbenprächtig in
Perlen bestickten Hose und dem hirschledernen Wams.
Verloren schaute er hinaus in den Regen draußen vor dem
Kassenfenster des Wopotami-Willkommen-Wigwams, einem
grell gestrichenen Bau in Form eines Planwagens, in dessen
Mitte sich die vier Seitenbahnen eines farbenfrohen
indianischen Tipis in ganzen Lagen Leinwandersatz in die Höhe
reckten. Nachdem Häuptling Donnerhaupt einen einen Entwurf
von dem Bauwerk angefertigt hatte und die Handwerker aus
Omaha gekommen waren, es zu errichten, hatten die
Bewohner des Reservats bestürzt zugesehen, und Adlerauge
hatte Kalbsnase gefragt: »Was macht dieser Irre denn jetzt
schon wieder? Was soll das werden?« »Er sagt, es stellt jene
beiden Dinge dar, die am allermeisten mit dem alten Wilden
Westen assoziiert werden: den Planwagen der ersten Siedler
und das symbolische Tipi, aus dem die wilden Stämme
hervorbrachen, um die Pioniere abzuschlachten.« »Er hat
vielleicht Herz, aber keinen Verstand. Sag ihm, was wir
unbedingt brauchten, wäre folgendes: ein paar gemietete
Raupenschlepper und Mähmaschinen, mindestens zehn
Mustangs und ein Dutzend Arbeiter.«
»Wozu?«
»Er will, daß wir das Nordfeld roden und Überfälle proben.«
»Mustangs?«
»Keine Autos, sondern Pferde. Wenn wir um die Wagenburgen
herumgaloppieren sollen, sollten wir den jüngeren zuerst mal
das Reiten beibringen, und die paar alten Weiber, die wir
haben, schaffen es auch kaum vom einen Ende des Feldes
zum anderen.«
»Okay, und was ist mit den Arbeitern?«
»Wir mögen Wilde sein, Kalbsnase, doch kollektiv gesehen sind
wir >edle Wilde< und die verrichten solche niederen Arbeiten
nicht. Und Glasfenster haben sie auch nicht.«
-5 5 0
Das war nunmehr Monate her, und heute war heute, ein
vollkommen verregneter Nachmittag, an dem keine
Sommertouristen kamen, ihnen haufenweise aus Taiwan
importierte Souvenirs abzukaufen. Johnny Kalbsnase stand von
dem Hocker hinter der Scheibe der Kasse auf, trat durch den
schmalen, von Lederbahnen geschützten Eingang seiner
gemütlichen Unterkunft, und ging zum Fernseher. Er stellte den
Apparat an und suchte den richtigen Kanal für die Übertragung
eines Footballspiels. Erst danach setzte er sich in seinen
Brincusi-Flechtstuhl, um den Nachmittag auf angenehme Weise
... Gleichwohl wurde er auf wirklich wilde Weise vom Klingeln
eines Telefons aus dem Genuß herausgerissen - das rote
Telefon! Donnerhaupt!
»Bin schon da, Häuptling«, rief Johnny und griff nach dem
Apparat, der auf einem Adolfo-Tischchen mit Einlegearbeit
stand.
»Plan A-eins. Ausführung!«
»Sie machen wohl Witze - Sie müssen Witze machen!« »Ein
kommandierender General macht keine Witze, wenn der Angriff
vorgetragen wird. Es gilt Code grellgrün! Ich habe die Maschine
auf dem Flugplatz startklar machen lassen, auch die
Busgesellschaften in Omaha und Washington wissen Bescheid.
Alles steht in Bereitschaft. Sie fahren bei Morgengrauen ab und
verbreiten die Nachricht. Kleidersäcke haben gepackt und bis
zweiundzwanzig Uhr überprüft zu sein, danach ist die Kantine
für das gesamte D. C. Kontingent gesperrt. Und keine
Widerrede, Soldat! Ich will keine Rothäute mit rotgeränderten
Augen in meiner Brigade haben. Wir marschieren!«
»Sind Sie sicher, daß Sie sich das nicht noch ein paar Wochen
überlegen wollen, D. H.?«
»Sie haben Ihre Befehle, Sergeant Kalbsnase. Schnellste
Ausführung derselben ist von allergrößter Wichtigkeit.«
»Genau das ist es ja, was mir so große Sorgen bereitet, Großer
Mann!«
Der Sonnenuntergang war gekommen und schon vorbei. Das
massive Lincoln-Standbild war von Flutlicht übergössen,
-5 5 1
während sich stumme, wie in Trance sich bewegende Touristen durcheinanderschoben, um das Meisterwerk von einem immer neuen Standpunkt aus zu bewundern. Eine komische Ausnahme allerdings bildete ein sonderbar aussehender Mann, der verbissen mit dem im Schatten liegenden Gras unter seinen Füßen beschäftigt schien. Immer wieder marschierte er geradeaus von den Stufen des Memorials weg und verfluchte halblaut die Schaulustigen, mit denen er zusammenstieß, wobei er die Hände abwehrend gegen die Bäuche und Kameras der ihn störenden Eindringlinge vorstreckte und seine rote Perücke zurechtrückte, die ihm ständig über die Ohren und den Hals hinunterrutschte. Vincent Mangecavallo war im Brooklyner mondo italiano geboren und aufgewachsen, und ein paar Dinge hatte er nie gelernt. Das Problem, mit dem Vinnie Bum-Bum sich herumschlug, lag im Plural des Wortes pace, Schritt: Was zum Henker war ein pace? War das ein Fuß, ein Yard, anderthalb Yard oder was dazwischen? Er hatte Erzählungen von den alten Tagen in Sizilien gehört, wo man Duelle mit einer lupara ausfocht, einer abgesägten Flinte, und die Entfernung nach passe gemessen wurde, die die Gegner, in kurzen oder langen Schritten sich von einander entfernend, zurücklegten und die von einem Sekundanten, manchmal auch nach Trommelschlägen, gezählt wurden, wobei keiner sonderlich hinsah oder mitzählte, weil derjenige, der mogelte, sowieso immer gewann. Hier aber war man in America, und in Amerika sollten passe im Interesse von Fairness und Ehrlichkeit schon etwas genauer definiert sein. Außerdem, wie sollte er, während er sich durch die abendlichen Besuchermengen hindurch seinen Weg bahnte, beim Zählen nicht durcheinanderkommen. War er meinetwegen bei dreiundsechzig, rasselte er wieder mit irgendso einem Clown zusammen, daß ihm die Perücke seitlich runterrutschte und seine Sicht behinderte. Nahm er das Abschreiten der Entfernung dann wieder auf, hatte er vergessen, wo er gewesen war. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als zur Treppe zurückzukehren und noch mal von vorn anzufangen! -5 5 2
Scheiße! Beim sechsten Versuch landete er schließlich bei einem mächtigen Baum, der eine große Messingplakette trug, aus deren Inschrift hervorging, an welchem Tag im ersten Amtsjahr eines Präsidenten er gepflanzt worden war. Wen interessierte das schon? Weit vernünftiger war da die kreisrunde Bank, die um den verdammten Baum herumgebaut worden war. Auf der konnte er sich niederlassen, so daß der verrückte General, den er hier treffen sollte, um bestimmte Informationen mit ihm auszutauschen, nicht notwendigerweise gleich sein Gesicht sah. Selbstverständlich beschloß Vincent, sich ein Stück von dem Baum zu entfernen und im Schatten eines anderen zu warten. Immerhin wußte er, wonach er Ausschau zu halten hatte: nach einem großgewachsenen alten Witzbold, der sich um den Baum da drüben herumdrücken würde und höchstwahrscheinlich Häuptlingsfedern im Haar trug. General Ethelred Brokemichael in seiner Uniform konnte sich nur wundern, als er die beleibte Gestalt den Platz umkreisen sah, wo sie sich treffen sollten. Er hatte MacKenzie Hawkins nie gemocht, eher im Gegenteil, war Mac doch der Busenfreund seines verachteten Vetters Heseltine. Dem überragenden Können des alten Haudegens aber hatte er - schweigend - die Achtung nie versagt. Im Moment sah er jedoch all die Jahre schweigender Bewunderung in Frage gestellt. Der Vorgang, dessen Zeuge er soeben geworden war, war eine lächerliche Übung in verdeckter Annäherung - doch was hieß hier lächerlich, grotesk war das Ganze. Offenbar hatte Hawkins sich eine Jacke gekauft oder geliehen, die für einen fettbäuchigen Typen gemacht worden war und mit Kissen oder sonstwas ausgestopft, und um seine natürliche Größe zu kaschieren, ging oder vielmehr schlich er halb gebückt und unnatürlich wie ein Affe durch die Leute vorm Lincoln Memorial - immer wieder hin und her, hin und her, ein knurrender Gorilla, der im Unterholz nach Beeren suchte. Der Anblick machte den Schöpfer der Selbstmörderischen Sechs ganz krank! Und es war auch nicht möglich, daß Brokey Tausendsassa ihn mit jemand verwechselte, denn der Falke trug immer noch die -5 5 3
alberne rote Perücke, die ihm freilich in der feuchtwarmen Luft
immer wieder über die Augen rutschte. Offenbar hatte er nie
von flüssigem Perückenkleber gehört, den eigentlich jeder, der
mit dem Theater zu tun hatte, kennen mußte: Sollte der noch
mal von Amateurville reden! Dieser MacKenzie Hawkins war
doch ein Greenhorn, greenhorniger konnte man ja gar nicht
sein!
Nun, Brokeys Perücke, die rein zufällig ebenfalls ganz leicht
rötlich schimmerte - genau genommen, kastanienbraun - wurde
von einem fleischfarbenen Grundband festgehalten, das von
seinem Haaransatz nicht zu unterscheiden war. Professionalität
konnte die Rettung des Tages sein, dachte Brokemichael und
beschloß, den Falken zu überraschen, der sich rund dreißig
Fuß vom verabredeten Treffpunkt entfernt im Schatten eines
japanischen Ahorns mit ausladender Krone auf Posten
begeben hatte. Tausendsassa belustigte das, in Fort Benning
hatte Mac ihn zur Schnecke gemacht, jetzt würde er ihm mal
zeigen, was eine Harke war.
»Komm einfach und steck dir jeden verdammten Orden an die
Brust, der dir jemals verliehen wurde oder den du dir selbst
verliehen hast! Vergiß nicht, jedes Wort von dem, was wir unten
in Fort Benning geredet haben, habe ich auf Band. Meinem
Band.« Tausendsassa langte bei dem Ahorn an und schob sich
seitlich, den Rücken zum Stamm, um den Baum herum, bis er
schließlich neben dem ehemaligen Soldaten stand, der wirklich
ein Amateur war, ihn zum Narren gehalten hatte und jetzt
intensiv auf den Boden starrte. Wirklich blöde war, daß dieser
Idiot, statt geradezustehen, um besser sehen zu können, immer
wieder halb in die Hocke ging, sich über das Kissen unter
seinem Rock beugte und dabei weiterhin den Eindruck von
Untersetztheit vermittelte, mit dem er sich im Schatten des
ausladenden Ahorns tarnen wollte! Amateurville!
»Erwarten Sie jemanden?« sagte Brokey leise.
»Verdammte Scheiße!« entfuhr es dem verkleideten Zivilisten,
der den Kopf so ruckartig herumdrehte, daß seine rote Perücke
um neunzig Grad nach links rutschte und die Koteletten ihm
-5 5 4
über die Stirn herunterhingen. »Sind Sie's? Natürlich sind Sie 's,
soviel Lametta und Orden trägt sonst keiner!«
»Du kannst dich ruhig aufrichten, Mac.«
»Aufrichten - auf was?«
»Hier sieht uns keiner, um Gottes willen. Ich kann kaum meine
eigenen Füße erkennen, bloß die blöde Perücke, die du
aufhast. Ic h glaube, sie ist dir nach hinten gerutscht.«
»Yeah, well, Ihre sitzt aber auch nicht grade vorschriftsmäßig,
Schütze Arsch!« erklärte der Zivilist und rückte sich die
Haarpracht zurecht, »'n Haufen von den glatzköpfigen älteren
Dons pappen sich diesen Scheiß mit Max-Factor-Klebeband
an, was einem gleichzeitig die Runzeln auf der Stirn glattbügelt
- die Farbe verrät sie trotzdem, aber natürlich sagen wir nichts.« »Was meinst du mit verraten? Wie willst du in diesem Licht was sehen können?« »Wenn man mit dem Kopf nackt, blitzt das
Licht auf dem Band.«
»Okay, okay, Mac. Nun bieg schon das Rückgrat durch, damit
wir reden können.«
»Sie sind 'n paar Handbreit größer als ich. Was wolln Sie von
mir? Daß ich runterfahr in die Stadt und mir ein paar Schuhe
mit Plateausohle kaufe oder mit eingebauten Stelz'n? Was iss
'n mit Ihnen?«
»Soll das heißen, du ...?« Brokey Tausendsassa lehnte sich vor
und reckte den Hals. »Sie sind nicht Hawkins.!«
»Nun machen Sie mal 'n Punkt, Freundchen!« rief Mangeca
vallo. »Sie sind nicht Hawkins. Ich hab Fotos gesehen.« »Wer
sind Sie dann?«
»Und wer, verdammt noch mal, sind Sie?« »Ich bin gekommen,
weil ich mich hier mit dem Falken treffen sollte ... da drüben!« entfuhr es Brokemichael empört. »Ich aber auch!« »Sie haben eine rote Perücke auf ...« »Sie verdammt noch mal aber auch »In Fort Benning hatte er eine auf.« »Ich habe meine in Miami Beach gekauft ...« »Und ich habe meine aus dem Kostümfundus meiner Einheit.«
-5 5 5
»Mögen Sie etwa auch peche, huh?« »Wovon reden Sie?«
»Wovon reden Sie?«
»Moment!« Brokemichaels Augen waren unwiderstehlich und
verzweifelt zu dem plakettenbewehrten Baum zurückgekehrt,
an dem das Treffen hatte stattfinden sollen. »Schauen Sie! Da
drüben! Sehen Sie, was ich sehe?«
»Sie meinen den klapperdürren Priester in dem schwarzen
Anzug samt Priesterkragen, der da wie ein Dobermann, der das
Bein heben will, um den Treffpunkt herumschnüffelt?« »Genau
den meine ich.«
»Ja, und? Vielleicht will er sich auf die Bank setzen ...« »Aber
setzen Sie doch ...«, sagte Brokey Tausendsassa und spähte
mit zusammengekniffenen Augen angestrengt in die Schatten
des Ahorns, während der Geistliche in den Abglanz eines weit
entfernten Scheinwerfers trat. »Was sehen Sie?«
»Einen Priesterkragen, den zugehörigen Anzug, ja, und rotes
Haar. Na und?«
»Amateurville! Das sind nicht seine eigenen Haare. Das ist eine
Perücke - und wie die Ihre eine, die schlecht sitzt. Viel zu lang
im Nacken, und an den Schläfen zu breit ... Komisch, mir ist, als
hätte ich den schon mal gesehen.«
»Was für'n Nacken und wessen Schläfen? Und was hat das
alles mit Religion zu tun?«
»Vielleicht sind die Perücken ein Erkennungszeichen ...«
»Für was, um alles in der Welt? Solln wir uns etwa einer
Protestdemo anschließen?«
»Begreifen Sie denn nicht? Er hat dafür gesorgt, daß wir alle
rote Perücken tragen!«
»Mich hat er zu gar nichts veranlaßt. Ich hab Ihnen doch schon
gesagt, daß ich meine in Miami Beach gekauft habe.«
»Und ich habe meine aus dem Kostümfundus meiner Einheit
...«
»Das muß ja eine schöne Einheit sein ...«
-5 5 6
»Dabei hat er doch eine rote Perücke aufgehabt, als er mich
besuchte ... Mein Gott, sollte das sublime Motivation gewesen
sein, die zur Improvisation führen sollte!«
»Sub-was, die zu was führen sollte?« »Hat er Ihnen gegenüber
jemals das Wort rot benutzt?« »Vielleicht, weiß ich nicht. Bei
der ganzen Sache geht es schließlich um Indianer, .Rothäute,
verstehn Sie. was ich meine? Vielleicht hat er >Rothäute<
gesagt, verstehen Sie? Aber ich habe ihn ja nie gesehen,
sondern nur am Telefon mit ihm gesprochen.«
»Das ist es! Er hat seine Stimme als unbewußt motivierende
Überzeugungskraft eingesetzt. Darüber hat Stanislavsky sich
ausführlich ausgelassen.«
»Ist er etwa Kommunist?« »Nein, Stanislavsky, für das Theater
so etwas wie ein Gott!« »Ach so, ein Pole also? Naja, da muß
man ihm einiges nachsehen.«
»Was für eine Abmachung?« fragte Brokey Tausendsassa
plötzlich und schaute ruckhaft hinunter auf den Fremden mit der
roten Perücke. »Von was für einer Abmachung reden Sie?«
»Von dem Prozeß der Wopotami vorm Obersten
Bundesgericht, wovon sonst?«
»Beim Militär, Sir«, sagte Brokemichael mit fester Stimme und
reckte sich, »lassen wir keinerlei Code-Wörter zu, die
irgendwelche Seitenhiebe auf ethnische Minderheiten
enthalten. Die außergewöhnliche italo-amerikanische
Bürgerschaft, die Söhne und Töchter von Leonardo
Michelangelo und Rocco Machiavelli, haben für ihre Beiträge
mit höchster Achtung behandelt zu werden. Die Capones und
Valachis waren nur Ausrutscher, nichts weiter als Ausrutscher.«
»Gleich morgen geh ich zur Messe und entzünde Ihretwegen
eine Kerze im besonderen Anliegen für Ihr Überleben, sollten
Sie etwaigen Söhnen und Töchtern der beiden letztgenannten
begegnen. Aber bis dahin - was machen wir jetzt?«
»Ich denke, wir sollten mal ein Wörtchen mit unserm
rothaarigen Priester reden.«
»Nicht schlecht. Gehen wir!«
-5 5 7
»Noch nicht!« ließ sich eine tiefe, knarrende Stimme hinter ihnen vernehmen. »Freut mich, daß Sie es geschafft haben, Gentlemen«, fuhr der Falke fort und trat hinter dem Stamm des Ahorns hervor. »Schön, dich wiederzusehen, Brokey ... Und Sie, Sir, nehme ich an, sind Commander Y. Es ist mir wirklich ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, wer immer Sie sind.« Soweit seine Angst es zuließ, war Außenminister Warren Pease zufrieden mit sich, um nicht zu sagen beeindruckt. Als er draußen vor dem Hay-Adams-Hotel einen Priester sich lautstark mit einem Taxifahrer über den Preis hatte streiten hören, war ihm ein genialer Einfall gekommen: Er würde als Priester verkleidet zu diesem Treffen gehen! Gefiel ihm das, was er sah oder hörte, nicht, konnte er sich problemlos wieder aus dem Staub machen. Schließlich legt sich kein Mensch in der Öffentlichkeit mit einem Geistlichen oder Priester an, das gehörte sich einfach nicht und erregte, was eigentlich noch mehr ins Gewicht fiel, zuviel Aufmerksamkeit. Aber nicht zu dieser Verabredung zu gehen, wäre natürlich bodenloser Leichtsinn trotz allem, was er diesem gräßlichen Admiral erzählt hatte, der dauernd Spesenabrechnungen aus Restaurants vorlegte, die er nur besuchte, um Leute zu treffen, mit denen er auf keinen Fall zusammen kam, um über Angelegenheiten zu reden, die das Außenministerium betrafen oder vielmehr nicht betrafen. Pease hatte ihm am Telefon gründlich die Meinung gesagt, nicht um den Spesenreitereien ein Ende zu setzen, sondern um herauszufinden, wieviel der Admiral wirklich wußte ... und woher er es wußte. Die Antworten auf beide Fragen waren äußerst unergiebig ausgefallen; sie klangen verworren genug, um Warren zu bewegen, sich für den Abend doch lieber freizunehmen und sich einen dunklen Anzug und einen Vatermörder zu besorgen. Er besaß einen schwarzen Anzug für Staatsbegräbnisse, und der geniale Einfall mit dem rötlichen Toupet vervollständigte seine Verkleidung. Als er sich jetzt unter die Besucherscharen vorm Lincoln Memorial mischte, klangen ihm die Worte des Admirals in den Ohren: »Mr. Secretary, ein alter Kamerad, dem ich seit Jahren -5 5 8
verbunden bin, hat mich gebeten, Ihnen eine Nachricht zu
überbringen - und zwar eine Nachricht, die zur Lösung eines
Ihrer belastendsten Probleme führen könnte, einer Staatskrise,
wie er sagte.«
»Wovon reden Sie? Das Außenministerium schlägt sich Tag für
Tag mit Dutzenden von Krisen herum, und da meine Zeit die.
kostbarste in ganz Washington ist, wäre ich Ihnen schon sehr
dankbar, wenn Sie Konkretes sagen könnten.«
»Tut mir leid, aber konkreter kann ich nicht werden. Mein alter
Waffenkamerad hat mir unmißverständlich klargemacht, daß ich
nicht befugt wäre, Einsicht in Fakten dieser
Geheimhaltungsstufe zu erhalten.«
»Das sagt mir überhaupt nichts. Sie müssen schon etwas
deutlicher werden, Seemann!«
»Er sagte, das Ganze hätte etwas mit einer Gruppe von
amerikanischen Ureinwohnern zu tun - was immer das
bedeuten soll - und mit gewissen militärischen Einrichtungen,
was immer damit gemeint sein mag.«
»Oh, mein Gott! Was hat er sonst noch gesagt?«
»Er sprach von als top secret klassifizierten Dingen, erklärte
jedoch, es gäbe da eine Lösung, die Ihre Skier wachsen
würde.«
»Meine was wachsen ...?«
»Skier ... Ehrlich, Mr. Secretary, ich habe nichts für Wintersport
übrig. Militärisch gesprochen, muß ich aber davon ausgehen,
daß es sich um einen Code handelt, der bedeutet, Sie könnten
Ihr Ziel weit schneller erreichen, wenn Sie sich sobald als
möglich mit ihm träfen - auf genau das läuft seine Nachricht
hinaus.«
»Um wen geht es, Admiral?«
»Wollte ich das enthüllen, würde ich mich in eine Situation
hineinziehen lassen, mit der ich nichts zu tun habe. Ich bin
nichts weiter als der Überbringer einer Nachricht, Mr. Secretary,
weiter nichts. Er hätte unter Dutzenden von ehemaligen
-5 5 9
Offizieren wählen können, und ich wünschte, er war nicht
gerade auf mich verfallen.«
»Und ich könnte, wenn ich wollte, eine Menge von Ihren
Spesenabrechnungen ebenso anzweifeln wie Berechtigung und
Anstand dieser hübschen kleinen Spritztouren, für die Sie
Diplomatenfreiflüge beanspruchen! Wie würde Ihnen das
gefallen, Seemann?«
»Ich richte bloß eine Nachricht aus, Mr. Secretary. Mit der
Sache als solcher habe ich nichts zu tun.«
»Nichts damit zu tun, sagen Sie? Das behaupten Sie, aber
warum sollte ich Ihnen glauben? Vielleicht stecken Sie bis zum
Hals in dieser üblen, bösartigen Verschwörung drin.«
»Was für einer Verschwörung, um der Liebe Christi willen?«
»Das könnte Ihnen so passen, ja? Sie sähen wohl nichts lieber,
als daß ich Ihnen haarklein erzählte, um was es bei dieser
grauenhaft verfahrenen Situation geht, damit Sie ein Buch
darüber schreiben können wie all diese feinen, selbstlosen
hohen Beamten, die man zu unrecht beschuldigt, die im
Gegenteil darauf verzichtet haben, sehr viel mehr Geld zu
verdienen, nur um hier zu uns nach Washington zu kommen
und in den Staatsdienst zu treten.«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie reden, Mr.
Secretary.«
»Den Namen, Seemann, ich brauche den Namen!« »Damit Sie
das Buch schreiben und meinen Namen darin verbraten? Das
haben Sie sich so gedacht!«
»Nun, da Sie meine Zeit längst über Gebühr in Anspruch
genommen haben, können Sie mir auch den Rest Ihrer
verdammten Nachricht übermitteln. Wann und wo, meint dieses
namenlose Monster, sich mit mir treffen zu wollen?« Der
Admiral hatte es ihm gesagt. »Gut, fein! Ich habe bereits
vergessen, was immer Sie gesagt haben. Und jetzt ziehen Sie
Leine, Seemann, und rufen Sie mich nie wieder an, es sei
denn, Sie wollten mir melden, daß Sie von Ihrem Beratervertrag
zurücktreten.«
-5 6 0
»He, Mr. Secretary, jetzt hören Sie mal, ich will keine Scherereien haben, wirklich nicht ... Hören Sie, ich rede ein Wort mit dem Busenkumpel des Präsidenten, Subagaloo, und der sagt Ihnen dann ...« »Arnold? Nein, reden Sie nicht mit Arnold, nie, und kein Wort! Der würde Sie glatt auf seine Abschußliste setzen - diese Liste, eine schreckliche, eine unerträgliche Liste!« »Ist mit Ihnen alles in Ordnung, Mr. Secretary?« »Mir geht's gut, ich hab wirklich keine Schwierigkeiten, aber rufen Sie niemals Arnold Subagaloo an. Er setzt Sie auf seine Liste, seine unangenehme, schreckliche Liste von Leuten, die für den Abschuß freigegeben werden. Aus und vorbei, Seemann, oder was ihr blöden Soldaten sonst sagt!« Er hatte diesem Schmarotzer gründlich die Meinung gesagt, sann Pease, und lächelte dabei einer übertrieben geschminkten alten Dame zu, die ihn anhimmelte, als er sich dem Ahornbaum näherte. Dieser Baum muß der Treffpunkt sein, dachte er. Kein besonders glücklicher Einfall, ausgerechnet diese Stelle hier zu wählen, und Warren fragte sich, warum MacKenzie Hawkins, alias Häuptling Donnerhaupt, ausgerechnet diesen Baum ausgesucht hatte. Man konnte nicht mehr besonders viel sehen, aber vielleicht war das gerade gut, denn kaum hundert Fuß weiter wimmelte es von Menschen ... und das wiederum war nicht schlecht, nahm er an, viele Menschen waren immer ein besonderer Schutz. Selbstverständlich hatte der irre Hawkins diese Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, um selber nicht in Gefahr zu geraten, und nicht, weil er um die Sicherheit des Außenministers besorgt gewesen wäre. Zweifellos ging er davon aus, daß die Regierung, in der Hoffnung, ihn zu schnappen, das Gebiet großräumig umstellt und überall Posten aufgestellt hatte, doch eine Machtdemonstration dieser Art war das letzte, was die Männer des Präsidenten wollten. Pease kniff in dem dämmerigen Licht unter dem Baum die Augen zusammen und warf einen Blick auf die Uhr: Er war fast eine halbe Stunde zu früh. Gut. sehr gut sogar, er würde sich etwas weiter abseits hinstellen, dort warten - und die Augen offenhalten! Er trat um den Stamm herum und blieb ärgerlich -5 6 1
stehen, als er sah, daß die kleine alte Dame mit den grell
geschminkten Wangen vor ihm stand.
»Segne mich, Vater, denn ich habe gesündigt«, sagte sie mit
fisteliger, zitternder Stimme, stand unter den überhängenden
Ästen des Ahorns da und vertrat ihm den Weg.
»Nun ja ... vox populi und so weiter. Einige von euch sind nicht
vollkommen, aber so ist das nun mal ...«
»Ich möchte beichten, Vater. Ich muß beichten!«
»Das ist zwar sehr lobenswert, doch glaube ich, daß dies hier
nicht der geeignete Ort dafür ist. Außerdem habe ich es
eilig.»In der Bibel heißt es, in den Augen des Herrn kann auch
eine Wüste das Haus Gottes sein, so der Geist eines Sünders
es will.«
»Lassen wir diese Art Gerede mal beiseite - ich habe Ihnen
doch gesagt, daß ich's eilig habe.«
»Und ich sage dir, halt deinen Arsch jetzt endlich hintern
Baum!«
»Oh, es sei Ihnen vergeben, wozu immer Sie auch fähig sind
was haben Sie da gesagt?«
»Das hast du doch gehört, mein Schnuckiputzi!« flüsterte die
nunmehr groteske alte Vettel, deren Stimme unvermittelt um
mindestens eine Oktave tiefer rutschte und höchst
unangenehm klang, als sie aus den Falten ihres Kleides ein
Rasiermesser hervorzog und es mit einer Handbewegung
aufklappte. »Du kommst jetzt hinter den Baum, oder deine
Keuschheit ist das allerletzte, worum du dir Sorgen zu machen
brauchst!«
»Oh, mein Gott - Sie sind ja gar keine Frau, Sie sind ein
Mann!«
»Das kann man so oder so sehen - aber eines bin ich mit
Sicherheit: ein Beutelabschneider - ich liebe es, Beutel
abzuschneiden. Und jetzt mach schon!«
»Bitte, bitte, tun Sie mir nichts zuleide ... oh mein Gott ... bitte
nicht schneiden!« Am ganzen Leib zitternd machte der
Außenminister unsicher ein paar Schritte rückwärts in den
-5 6 2
Schatten des Baumes. »Sie sollten das wirklich lassen, wissen Sie! Einem Priester das abzuschneiden, ist eine sehr, sehr große Sünde!« »Dich habe ich mir schon vor einer Viertelstunde ausgesucht, Schnuckiputzi«, zischte der Mann, dessen runzelige, scharlachrote Lippen und geschwollene violette Augenlider im dämmerigen Licht mehr als abstoßend wirkten. »Mit der häßlichen Matte auf dem Kopf bist du eine Schande für alle ehrlichen Perversen der Welt!« »Was ...?« »Wie kannst du es wagen, in diesem Aufzug hier rumzuschleichen? Und nach kleinen Jungen Ausschau zu halten, du Ratte? Sich als Priester verkleiden! Das ist ekelhaft!« »Aber hören Sie, Madame ... Mister, was immer Sie nun sind ...« »Was höre ich da? Willst du mich beleidigen, du Natter, du?« »Bei meinem Ehrenwort, niemals!« Peases linkes Auge zuckte wie wild. »Ich will Ihnen doch nur erklären, daß Sie das nicht verstehen ...« »Und ob ich das verstehe! Ratten wie du haben immer 'n Haufen Knete dabei, falls jemand mal mit der Trillerpfeife pfeift. Her damit, perverse Sau!« »Geld - meinen Sie Geld? Um Gottes willen, nehmen Sie alles, was ich bei mir habe.« Der Außenminister suchte in der Tasche und zog eine Reihe von zusammengefalteten Scheinen hervor. »Hier, hier, nehmen Sie!« »Was soll ich nehmen? Mit dem Bißchen willst du mich abspeisen? Ich werde dir die Taschen aufschlitzen müssen, ehe ich mit dem richtigen Schneiden anfange!« Das androgyne Monstrum zwang Pease hinter den Baum. »Ein Mucks, und du beißt ins Gras, du schlimmer, schlimmer böser Bube!« »Bitte ...!« flehte der Außenminister. »Sie wissen ja nicht, wer ich bin ...« »Wir aber wohl!« unterbrach ihn eine fremde, tiefe Stimme aus dem Schatten. »All right, Brokey ... und Sie auch, Commander Y., entwaffnen Sie den Angreifer! Jetzt!« wie ein Mann stürzten sich der ältere West-Point-Absolvent und der in mittleren -5 6 3
Jahren stehende wohlbeleibte capo supremo aus Brooklyn auf
den Transvestiten, entwand ersterer der Hand das
Rasiermesser, und umschlang letzterer die von einem weiten,
geblümten Rock umhüllten Beine.
»Eine Pißnutte ist das!« rief gellend Mangecavallo.
»Der Kerl und 'ne Nutte? Daß ich nicht lache!« rief
Brokemichael und riß dem verrunzeiten Galgenstrick mit dem
rohen Gesicht die graue Perücke vom Kopf.
Vinnie Bum-Bum sah seinen Irrtum sofort ein und bearbeitete
die Gestalt mit der häßlich geschminkten Visage, die sogleich
zu Boden ging, mit den Fäusten. »Du stinkendes Stück
mozzarella!« brüllte er.
»Lassen Sie ihn los, Commander!« befahl der Falke.
»Warum?« wollte Brokey Tausendsassa wissen. »Dieser
Abschaum gehört hinter Gitter!«
»Und das, nachdem ihm sämtliche Knochen im Leib
zerbrochen sind!« ergänzte der vorgeblich dahingeschiedene
Direktor der CIA.
»Wollen wir offiziell Anklage erheben, meine Herren?«
»Was?« Brokemichael trat einen Schritt zurück, während
Mangecavallo den Kopf hochriß, woraufhin ihm neuerlich die
rote Perücke verrutschte und eine Kotelette ihm zum Teil die
Nase verdeckte, so daß man von seinen Augen kaum mehr
etwas sah. »Was er da sagt, hat was für sich, Commander, wer
immer Sie sein mögen«, erklärte Tausendsassa.
»Yeah, well, vielleicht stimmt das«, stimmte Vincent zu und
rammte dem Galgenvogel ein letztesmal sein Knie in den
Brustkasten. »Nimm die Beine in die Hand und mach, daß du
hier wegkommst, du Tunte!«
»He, Leute - wollt ihr mit zu mir kommen?« kreischte die ältliche
Transe, grinste von einem Ohr zum anderen und grabschte sich
im Aufstehen ihre Perücke. »Dort könnten wir 'n Riesenspaß
haben!«
»Mach, daß du wegkommst!«
-5 6 4
»Ich geh ja schon, ich geh ja schon!« Mit fliegenden Röcken
entfloh der Unhold über den Rasen und verschwand in der
Menge der Touristen.
»Oh, mein Gott, oh, mein Gott ...!« kam es zitternd von dem auf
dem Boden liegenden Häufchen Elend neben Hawkins, das
Gesicht im Gras, hielt der Priester den Kopf mit beiden Händen
umklammert. »Danke! Ich danke Ihnen!«
»Warum drehen Sie sich nicht um, stehen auf und überlegen,
ob Sie nicht doch weiterleben wollen!» sagte der Falke
geradezu liebevoll, griff in die Tasche und holte einen Recorder
heraus.
»Was? ... Wovon reden Sie?« langsam raffte Warren Pease
sich zu einer sitzenden Haltung auf, verlagerte das Gewicht .
unter Schmerzen von einer Gesäßbacke auf die andere und
warf, immer noch in sitzender Haltung, zunächst einen Blick auf
die prachtvoll glänzende Uniform zu seiner Rechten, um ihn
dann höher wandern zu lassen zu dem dazugehörigen Gesicht.
»Brokemichael! Was machen Sie denn hier?«
MacKenzie schaltete den Recorder ein, und Brokemichaels
Stimme erfüllte den kleinen Kreis, den sie bildeten. »Der
Außenminister. Der ist es, auf dessen Befehl meine
Selbstmörderischen Sechs zu ihrem Einsatz nach Boston
geflogen wurden! Der schieläugige Pease hat etliche
Wahnsinnsvorwürfe gegen Sie vorgebracht!«
»Nur, daß diese Vorwürfe rechtlich alle nicht haltbar sind, nicht
wahr, Mr. Secretary?« sagte General Brokemichael, als der
Falke den Recorder abstellte. »Hier sollte jemand geopfert
werden. Ein entlassener alter Soldat, der es nie geschafft hatte,
sich und seine aus feinen jungen Männern bestehende Einheit
von allen möglichen Verdächtigungen zu befreien. Wir waren
genauso entbehrlich wie Mac hier, nicht gerade mein bester
Freund, doch auch er hat es nicht verdient, daß man ihn
einfach so ins arktische Treibeis schmeißt!«
»Wovon reden Sie eigentlich?«
»Vielleicht habe ich ihn nicht vorgestellt. Dieser Mann hier ist
General a. D. MacKenzie Hawkins, doppelter Träger der
-5 6 5
Ehrenmedaille des Kongresses, und Sie haben bereits zweimal versucht, ihn, sagen wir mal, zu >neutralisieren<. Später dann haben Sie meiner Einheit befohlen, ihn zu entführen: Wohin mit ihm, sollten wir später erfahren, doch auf jeden Fall sollte sein endgültiger Bestimmungsort weiter nördlich liegen, wesentlich weiter nördlich.« »Kann nicht sagen, daß ich besonders erfreut wäre, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Secretary«, sagte der Falke. »Sie werden verzeihen, daß ich Ihnen nicht die Hand gebe.« »Das ist der Wahnsinn, der helle Wahnsinn! Großes steht auf dem Spiel, die entscheidende Schlagkraft, die Erstschlagfähigkeit der USA ist gefährdet.« »Und die einzige Möglichkeit, sie eindeutig wiederherzustellen, besteht darin, all die loszuwerden, die Fragen stellen?« fragte der Falke. »Sie sehen sich außerstande, ein normales Gespräch mit den Beschuldigten zu führen, sondern sehen die einzige Möglichkeit darin, die Störenfriede loszuwerden, die im übrigen ein sehr legales Anliegen haben.« »Sie verdrehen alles! Es geht da noch um andere Probleme, ökonomische Probleme, gargantuanische finanzielle Verluste mein Gott, mein Boot, der Metropolitan-Club, das Klassentreffen, das Leben, das ich verdiene, das mir von Geburt an zusteht! Sie verstehen überhaupt nichts!« »Und ob ich es verstehe, Sie widerlicher prichute«, sagte Vincent Mangecavallo und schob sich durch das wabernde Dämmerlicht vorwärts. »Daß gewisse Leute Ihnen zwar nützlich sein können, Sie sich jedoch niemals für sie verwenden würden.« »Wer sind Sie? - Ich muß Sie schon mal gesehen haben. Auch ihre Stimme kommt mir bekannt vor, aber ich kann Sie nicht ... kann Sie nicht ...« »Weil mich dank der tollen Verkleidung, die ich trage, womöglich nicht einmal meine eigene Mutter, möge sie in Frieden ruhen, wiedererkennen würde.« Vinnie nahm die rote Perücke ab und ging vor dem Außenminister in die Hocke. »Hallo, fazool, wie geht's? Vielleicht haben Ihre Freunde vom -5 6 6
Country Club das falsche Boot in die Luft gejagt - was würden Sie'n dazu sagen, was?« »Mangecavallo! Nein, nein! Vor ein paar Tagen erst war ich auf Ihrer Beerdigung! Sie sind ertrunken, sind tot! Das kann doch alles nicht sein!« »Vielleicht aber doch, großer diplomatico, und vielleicht ist alles auch bloß ein böser Traum, den Sie Ihrer abgrundtief verdorbenen Seele zu verdanken haben. Vielleicht bin ich den Armen des Morphiums entstiegen »Des Morpheus, Commander Y., des Morpheus.« »Sag ich ja! Von den Toten auf der anderen Seite des großen Flusses zurückgekommen, um euch Schlappschwänze heimzusuchen, die ihr euch für superiore haltet, so ungeheuer superiore, so als käme das, was durch euren Magen geht, unten als ein erstklassisches VanilleEis wieder raus. Yeah, fazool, ich bin zurück von den Fischen, und die Haie hab ich auch gleich mitgebracht. Die zollen mir jenen Respekt, den Sie mir nie gezollt haben.« »Auh!« Mit einem Schrei, der durch Mark und Bein ging und über die im Zwielicht der Scheinwerfer sich ergehenden Menschen am Lincoln Memorial dahinfuhr, wandt der Außenminister sich plötzlich wie ein aufgespießtes Reptil, sprang auf und rannte, hysterisch schreiend, über den Rasen. »Ich muß diesen Hurensohn einholen«, rief Mangecavallo gellend und raffte sich, seiner Leibesfülle wegen jedoch nicht ganz so mühelos wie der hagere Augenminister, gleichfalls hoch. »Der plappert sonst alles aus!« »Vergessen Sie's!« rief der Falke und stellte dem CIA-Direktor ein Bein. »Der hat ausgespielt - der ist erledigt.« »Was reden Sie da für'n Stuß? Er hat mich gesehen!« »Auch das spielt jetzt keine Rolle mehr. Kein Mensch wird ihm glauben.« »Mac, was du da redest, macht keinen Sinn!« erklärte Brokey Tausendsassa mit Nachdruck. »Hast du eigentlich eine Ahnung, wer dieser Mann ist?« »Klar weiß ich das, und Unsinn rede ich mitnichten! Sie also sind dieser Italiener, der an der Spitze der CIA stand?«
-5 6 7
»Yeah, und das ist eine lange Geschichte, und lange
Geschichten mag ich nicht. Ich hab mich hinreißen lassen!
Scheiße!«
»Melodramatik und Gefühle - das sind die schönsten
Eigenschaften Ihres Volkes, signore. Denken sie doch nur an
die großen Opern der Musikgeschichte. Wer hätte so was
schaffen können, wenn nicht Sie. Capisce italiano?«
»Klar, sprech ich.«
»Lo capirete inoltre.«
»Alles gut und schön, bloß wird dieser cannoli das ganze
Lügengebäude auffliegen lassen!«
»Nein, wird er nicht, Signor Mangecavallo ... Brokey, erinnerst
du dich noch an Frank Heffelfinger?«
»An Finger-Frank, der seine Flossen immer am falschen
Drücker hatte? Wer würde das wohl nicht!? In Wonsan hat er
die falschen Strande in die Luft gejagt. Natürlich verbrennt sich
keiner von uns den Mund deswegen, besonders jetzt nicht
mehr, wo der Clown-Prinz des Präsidenten das Sagen bei der
Navy hat.«
»Ich habe mit Frank gesprochen. Das ist der Grund, warum
Pease hier war.«
»Und?«
»Finger-Frank steht Gewehr bei Fuß neben dem Telefon. Er
muß nämlich noch einen Anruf tätigen. Bei seinem Kumpel,
dem Präsidenten.«
»Weswegen denn?«
»Er soll ihn über Peases Geisteszustand informieren, der
wiederum die Folge eines äußerst merkwürdigen
Telefongespräches ist, das Frank heute nachmittag mit dem
Außenminister geführt hat. Nachdem er den ganzen Tag über
das Gespräch nachgedacht hat, hat er beschlossen, seinem
Freund im Weißen Haus seine Sorgen zu offenbaren. ...
Kommt, wir müssen eine Telefonzelle finden. Und zwar so
schnell wie möglich. Ich muß nämlich mit der nächsten
Maschine zurück nach New York.«
-5 6 8
»He, Schütze Arsch!« rief Mangecavallo. »Wie steht es denn
nun damit, daß Sie und ich zu dieser Anhörung kommen?«
»Das läuft alles nach Plan, Commander Y. Sie werden schon
noch ein Wopotami. Selbstverständlich brauche ich dazu Ihre
Maße, doch läßt sich das schnell machen. Die Squaws sind
ausgezeichnete Näherinnen - fast genausogut wie Mrs.
Lafferty.«
»Squaws? Haben wir es mit irisch-amerikanischen Indianern zu
tun? Dieser Mann ist pazzo!«
»Nur den Glauben nicht verlieren, Mr. Director. Die Wege des
Falken sind unerforschlich!«
»Kommen Sie, Gentlemen«, drängte MacKenzie. »Schnell
marsch hoch drei! Am Ende des Parkplatzes steht eine
Telefonzelle. Aufgeht's!«
Die drei Männer mit den roten Perücken rannten in
unterschiedlichem Tempo und mit unterschiedlich keuchendem
Atem über die Rasenflächen; die einzigen Worte, die man
hörte, kamen von Vinnie Bum-Bum, der unentwegt vor sich
hinsagte: »Mannaggia! Mannaggia! Alles vollkommen verrückt!
Pazzo! Pazzo! Pazzo!«
The Washington Post
Außenminister wurde ins Krankenhaus eingeliefert
Auf die psychiatrische Abteilung des Walter Reed Hospitals
verlegt
Außenminister Warren Pease wurde gestern abend, als
katholischer Priester verkleidet, in Gewahrsam genommen, als
er unter den Besucherscharen vor dem Lincoln Memorial einen
Anfall erlitt. Laut Polizei, aber auch nach Aussage von
Augenzeugen, soll Mr. Pease geschrien haben, irgendein
»Gespenst«, das er nicht benennen konnte oder wollte, »sei
von den Toten auferstanden, um seine abgrundtief
verkommene Seele heimzusuchen«. Des weiteren behauptete
er, ein »angemalter Hermaphrodit aus der Hölle« habe gedroht,
ihm »Hals und Beutel abzuschneiden«, weil er/sie sich nicht
davon habe abbringen lassen, daß Pease ein ... sei, was er
-5 6 9
eben nicht sei, wie er genauso lautstark immer wieder aufs neue versicherte. Vom Außenminister ist nicht bekannt, daß er jemals zum Priester geweiht worden wäre, folglich kann er auch keinerlei Absolution erteilen. (Dieser Frage sind unsere Reporter gründlich nachgegangen.) Vielleicht wirft eine späte Verlautbarung des Weißen Hauses Licht auf dieses unglaubliche Vorkommnis. Maurice Fitzpeddler, Pressesprecher des Präsidenten, sagte, Amerika solle Verständnis für den streßgeplagten und völlig überarbeiteten Mr. Pease und seine Familie aufbringen. Auf Nachfragen hin mußte Mr. Fitzpeddler jedoch einräumen, der geschiedene Außenminister habe keine Familie. Zusätzlich zu all diesem räumte der Präsident ein, so Mr. Fitzpeddler, gestern einen Anruf erhalten zu haben, in dessen Verlauf die Frage gestellt wurde, ob beim Außenminister gewährleistet sei, daß er unter extremer Belastung wirklich einen klaren Verstand behielte. Der Präsident bat die Bevölkerung, für die Genesung von Mr. Pease zu beten, damit dieser »von der Zwangsjacke befreit werden« könne. Wir möchten darauf hinweisen, daß der Stabschef des Präsidenten, Arnold Subagaloo, die gesamte Pressekonferenz über gelächelt hat. Danach befragt, was das zu bedeuten habe, antwortete der Stabschef der Presse gegenüber mit obszön hochgehaltenem Mittelfinger.
-5 7 0
27. KAPITEL Mitternacht war schon vorbei, als MacKenzie Hawkins die Halle
des Waldorf-Astoria betrat und wie verabredet zur Rezeption
ging, um nachzufragen, ob Nachrichten für Suite 12a
hinterlassen worden wären. Es gab zwei: Beverly Hills anrufen
sowie Sich in Schleimer-City melden. Da es in Kalifornien erst
gegen neun sein mußte, beschloß er, es zunächst bei Madge in
Greenwich, Connecticut, zu versuchen, und ging durch die
Halle zu den Telefonen.
»Midgey, tut mir leid, daß ich mich erst so spät melde, aber ich
bin gerade erst zurückgekommen.«
»Macht überhaupt nichts, lieber Mac, ich bin ja immer noch mit
dem Expose beschäftigt, werde aber in weniger als einer
Stunde fertig damit, der Kurierdienst bringt es dir dann sofort.
Gegen halb drei solltest du es in Händen halten. Hawk, das ist
ja ein Knüller! Das wird Moos en masse einspielen, und zwar in
sämtlichen Medien!«
»Na, hör mal, Midge, red jetzt nicht wie eine in der Wolle
gefärbte Hollywood-Agentin. Das paßt irgendwie nicht zu dir.«
»Du hast ja recht, Liebling. Tut mir leid. Nur reden nun mal alle
so, weil sie glauben, damit Begeisterung für ein Projekt zu
wecken. Je exaltierter du redest, desto mehr holst du raus.«
»Halt du dich an deine eigenen Maßstäbe, Mädchen. Alles
andere ist unter deinem Niveau!«
»Schleimern gegenüber, Mac?«
»Nun, du hast aus meinem Material etwas gemacht, was man
anbieten kann.«
»Worauf du dich verlassen kannst! Habe ich!«
»Und ich freue mich, daß sich deiner Meinung nach aus den
Selbstmörderischen Sechs was machen läßt ... Diese
Möglichkeiten habe ich offen gestanden auch gesehen.«
»Darling, das Ganze ist pures Gold ... Gold, Mac, wirklich Gold.
Schauspieler, die als Antiterroreinheit durch die ganze Welt
-5 7 1
Jetten ... und das nicht etwa in einem Roman, sondern in der
Wirklichkeit.«
»Meinst du, ich könnte es schaffen, ein paar von diesen
Filmmoguln von der Westküste dafür zu interessieren?«
»Interessieren?« fiel sie ihm ins Wort. »Du hast offenbar noch
nicht mit Ginny gesprochen, oder?«
»Nein, ich dachte, da draußen ist es noch ziemlich früh, und da
habe ich erst dich angerufen.«
»Ich habe am Spätnachmittag mit ihr geredet, und zwar,
nachdem ich die Bänder abgehört hatte. Es war ein langes
Gespräch, und du solltest dich auf eine Überraschung gefaßt
machen, Mac. Sie hat seit halb vier kalifornischer Zeit am
Telefon gehangen.«
»Klingt nicht schlecht.«
»Jetzt hör mir mal zu, Hawk. Ich weiß, du neigst dazu, dich uns
Frauen gegenüber manchmal ein bißchen zu sehr als der
Beschützer zu verhalten, und wir finden das ja auch ganz süß
von dir - aber eines mußt du mir versprechen.«
»Was denn?«
»Mach Manni Greenberg nicht völlig zur Sau! Du brauchst nicht
mit ihm abzuschließen, aber laß ihm ein bißchen
Selbstachtung. Im übrigen muß ich mich jetzt wieder an die
Arbeit machen. Ich bin fast fertig, und mein Computer raucht
schon. Ruf Ginny an, darling. Ich liebe dich - wie immer.«
»Hier die Residenz von Lord und Lady Cavendish«, meldete
sich der Anglikaner mit den Polypen in der Nase aus
Kalifornien.
»Hier spricht Guy Burgess aus Moskau.«
»Schon gut, ich übernehme«, war sofort Ginny zu hören. »Er
muß nun mal immer erst rumflaxen, Basil.«
»Sehr wohl, Madame«, sagte der Butler mit gleichbleibend
unbewegter Stimme.
»Mac, sweetie, ich habe stundenlang auf deinen Anruf
gewartet, denn ich habe großartige Neuigkeiten.«
-5 7 2
»Wozu, wie ich Madges Andeutungen entnehme, auch gehört,
daß ich mich nicht auf ein Handgemenge mit Manni einlassen
soll.«
»Ach, der ... nein, tu das nicht. Bei einer Auktion kann er ganz
nützlich sein, aber nur, wenn er nicht im Krankenhaus liegt.
Ehrlich gesagt, habe ich mit Manni den Anfang gemacht und
mich dabei über meinen Grundsatz hinweggesetzt, niemals mit
meinen Ex-Ehemännern zu reden, solange meine Anwälte noch
mit ihren Anwälten verhandeln - und es hat hingehauen.«
»Was hat hingehauen? Und was verstehst du unter einer
Auktion?«
»Midgey sagt, nicht nur der Stoff ist sensationell, sondern es
dürften auch sensationelle Vorschüsse zu erwarten sein. Sie
sagt, es ist alles dran, wirklich alles. Schauspieler - richtige
Supermänner, und zwar gleich sechs auf einmal! -, die überall
rumfliegen, Geiseln befreien, Terroristen hoppnehmen ... und
das alles in der Wirklichkeit! Manni gegenüber habe ich nur ein
paar Andeutungen fallen lassen ... natürlich erst, nachdem er
sich einverstanden erklärt hatte, wegen der Bilder nichts mehr
zu unternehmen, und als ich ihm sagte, daß Chauncey sich mit
ein paar Filmfritzen aus London in Verbindung setzen wollte,
schrie Manni nach seiner Sekretärin und wies sie an, sofort die
Studio-Maschine startklar zu machen.«
»Ginny, um Gottes willen, nun mal immer mit der Ruhe! Du
springst von einem zum anderen wie ein Grashüpfer, und ich
verstehe nur Bahnhof. ... Jetzt sag mir genau, was Manni
macht, und was dieser Chauncey gemacht hat, und vor allem,
wer er ist.«
»Mein Mann, Mac!«
»Ach, der Grenadier, ja, jetzt fällt es mir wieder ein.
Eliteregimenter, alle, wie sie da sind, fabelhaft im Kampf. Was
hat er gemacht?«
»Ich habe dir doch erzählt, daß er ein großer Bewunderer von
dir ist, und als Madge anrief und mir klarmachte, was du da auf
diesen Bändern hast, habe ich ihn gebeten, am Gespräch
teilzunehmen, wo er doch selbst Soldat war und so.«
-5 7 3
»Und was meinte er?«
»Er sagte, das hätte Ähnlichkeit mit dem Fourth oder Fortieth
Royal Commando: Die Mannschaft hätte man aus dem
Ensemble des Old Vic rekrutiert, aber sie wären nicht
besonders erfolgreich gewesen, weil sie ständig 'das
Schweigen gebrochen' hätten, wie er sich ausdrückte. Er würde
sich gern mit dir darüber unterhalten und Erfahrungen
austauschen.«
»Verdammt noch mal, Ginny - hol ihn sofort an den Apparat.«
»Nein, Mac. Dazu reicht die Zeit einfach nicht. Außerdem ist er
nicht da. Er ist draußen auf der Armory in Santa Barbara und
spielt Polo mit Leuten von der britischen Kolonie.« »Was hat er
denn unternommen?«
»Hawk, du mußt erschöpft sein und solltest dir die Schultern
massieren lassen ... Hab ich dir doch schon gesagt: Seiner
Meinung nach riecht das Ganze, was Midgey da für dich
zusammenschreibt, nach einem Megahit. Er hat sofort ein paar
Freunde in London angerufen, um ihnen den Mund ein bißchen
wässerig zu machen.« »Und?«
»Sie setzen sich in die Concorde, die frühmorgens da drüben
losfliegt und hier ist, noch bevor sie überhaupt abgehoben hat.«
»Wo sein wird?«
»Hier, in New York. Um mit dir zu reden.« »Morgen ... heute?«
»Wo du bist, ja.«
»Und dein Ex ... dieser Greenberg?«
»Morgen früh - heute morgen. Und da ich Manni und
Chaunceys Freunde schon mal an der Angel habe - hier in
Kalifornien überprüft jeder jeden, selbst die Passagierlisten der
Flugzeuge und die Startzeiten der Studiomaschinen -, habe ich
ein paar andere Großkopferte angerufen, die unbedingt
Chauncey einladen möchten, und habe sie ein bißchen mit
inside Information gefüttert. Das wird heute bestimmt kein
langweiliger Tag, sweetie.«
»Bei Cäsar, du bist wirklich Spitze. Es ist einfach wunderbar!
Aber ehrlich gesagt, Ginny, ich war mir zwar ziemlich sicher,
-5 7 4
daß ihr Frauen mich nicht im Stich lassen würdet, nur dachte ich eigentlich an etwas später, vielleicht Anfang nächster Woche - nicht von Freitag bis Montag, weil ich da anderweitig beschäftigt bin »Mac, du hast gesagt - und ich zitiere: >In einem Tag:< »Naja, schon möglich, daß ich das gesagt habe, aber doch bloß, um alles unter Dach und Fach zu haben und es irgendwie zu schaffen, daß diesen Beverly Hills-Buddhas das Manuskript möglichst noch vor dem Wochenende vorliegt und wir am Montag oder Dienstag Nägel mit Köpfen machen können.« »Nun hör mal zu, einst großer Gatte und immer noch liebster Freund, den ich je hatte - was, zum Henker, willst du mir damit zu verstehen geben?« »Nun, Gin-Gin ...« »Jetzt komm mir nicht mit diesem Gin-Gin-Quatsch, Hawk. Als du damals in der Sportschule Lillian aufgetan hast und fandest, daß sie mehr Hilfe brauchte als ich, hast du auch damit angefangen - mit diesem Gin-Gin-Schmus. Und später hat Lil mir gestanden, als du Midgey in dieser Cola-Pinte kennengelernt hattest, wobei du dich fragtest, ob's da überhaupt Cola gab, da hättest du bei ihr mit Lill-Lill angefangen. Um was geht's, Mac? Wir lieben dich, das weißt du doch. Wieso ist es heute und morgen problematisch? Falls es um noch eine Frau geht, werden wir Verständnis dafür aufbringen und sie, wenn es soweit ist, unter unsere Fittiche nehmen.« »Mit so was hat das überhaupt nichts zu tun, Ginny. Aber es ist verdammt wichtig - für einen Haufen Menschen, für viele, viele Unterprivilegierte!« »Kämpfst du wieder mal gegen Windmühlenflügel, liebster Freund?«, sagte Lady Cavendish leise. »Wenn du willst, blase ich alles wieder ab. Das macht mir nichts aus - auch du brauchtest nichts weiter zu tun, als nicht ans Telefon zu gehen und die Tür nicht aufzumachen. Die Geier haben nur eine Zimmernummer: Suite Zwölf a, keinen Namen - nichts.« »Nein, nein, ich werde schon damit fertig – wir werden damit fertig.« »Wir?«
-5 7 5
»Ich hab ja die ganze Bande hier. Ich dachte, ich könnte sie
hier festhalten, bis mein anderes Problem gelöst ist.«
»Die Selbstmörderischen Sechs?« rief Ginny. »Im Waldorf sind
sie?«
»Die und noch alles mögliche mehr, und zwar in
unterschiedlichem Maße. Was aber viel wichtiger ist - sie
erwarten etwas von mir.«
»Dann gib den Affen Zucker, Mac. Von uns zumindest hast du
noch keine enttäuscht.«
»Eine vielleicht doch.«
»Annie? Schmink dir das ab, Hawk. Vorige Woche hat sie über
irgendso ein Satellitentelefon mit einem Haufen statischer
Geräusche im Hintergrund mit mir gesprochen. Sie hat es
fertiggebracht, ein Dutzend wirklich kranker Kinder von einer
Insel im Pazifik zur Behandlung nach Brisbane zu fliegen. Sie
ist glücklich wie sonstwas! Und ist es nicht das, worum es geht?
Glücklich und mit sich selbst im reinen zu sein? Das hast du
uns beigebracht.«
»Sag mir - hat sie jemals Sam Devereaux erwähnt?«
»Sam ...?«
»Du hast richtig gehört, Gin.«
»Naja, schon, aber ich glaube nicht, daß du es hören möchtest,
Mac. Rühr nicht daran!«
»Ich will's aber hören. Er ist mein Freund.«
»Immer noch?«
»Dank gewisser Umstände, ja.«
»Na schön ... Sie sagt, für sie ist er der einzige Mann, mit dem
sie jemals geschlafen hat - es war eine Liebesvereinigung oder
>Liebeskommunion<, wie sie es ausdrückt. Alle anderen hat sie
vergessen.«
»Glaubst du, sie kommt jemals zurück?«
»Nein, Mac. Sie hat gefunden, wovon du wolltest, daß sie es
findet - und was wir alle finden sollten. Damit wir uns in unserer
-5 7 6
eigenen Haut wohlfühlen und Trost finden - weißt du nicht
mehr, daß du uns das gesagt hast?«
»Dieser verdammte Psychoscheiß!« rief Hawkins. »Ich bin kein
gottverdammter Erlöser irgendwelcher gottverdammter Seelen,
ich weiß nur, wen ich mag und wen zum Geier ich nicht mag.
Stellt mich nicht auf einen gottverdammten Sockel.« »Was
immer du sagst, Hawk. Im übrigen wird er sowieso unter dir
zusammenbrechen.«
»Was soll zusammenbrechen?«
»Der Sockel. Also, was ist nun?«
»Ich werde schon damit fertig.«
»Gehe freundlich um mit den Geiern, Mac! Sei nett, aber leg
dich nicht fest! Das können sie nicht vertragen.« »Was willst du
damit sagen?«
»Je netter du bist, desto größer ihr Schweißausbruch, und je
mehr sie schwitzen, desto besser für dich.«
»Das ist so ähnlich wie in Istanbul Geheimdienstleuten von der
anderen Seite gegenüber bluffen und sie allein durch Blicke in
die Knie zwingen - hab ich recht?«
»Das ist Hollywood, Mac.«
Es fing gerade an zu tagen, da klingelte in Suite 12a das erste
Mal das Telefon. Hawkins, der der Länge lang im Salon auf
dem Rücken lag, war darauf vorbereitet. Um zwei Uhr drei hatte
er Madges Expose erhalten, es gelesen und nochmals gelesen
und die achtzehn außerordentlich spannend von seiner dritten
Frau geschriebenen Seiten bis drei Uhr in sich aufgenommen,
auf dem Teppich biwakiert, das Telefon vom Schreibtisch
runtergeholt, es neben seinen Kopf gestellt und sich ein paar
Stunden Schlaf gegönnt. Ruhe bedeutete Stärke für den
bevorstehenden Kampf und war genauso notwendig wie
überlegene Feuerkraft. Allerdings hatte Midgey ihre Sache so
hervorragend gemacht - die Erzählweise explosiv, jede Seite
bis zum Bersten voll von Energie, Action und unterschiedlichen
Charakterskizzen -, daß der Schlaf, den er so nötig brauchte,
noch um nahezu dreißig Minuten hinausgeschoben worden
-5 7 7
war, denn der Falke überlegte, ob er nicht selbst als Produzent
bei der ganzen Sache einsteigen sollte.
Verdammt noch mal, nein! Omaha und die Wopotami werden
meine ganze Zeit in Anspruch nehmen. Immer überlegen, was
Vorrang hat, Soldat! Unvermittelt dann das schrille Klingeln, das
von den Wänden widerhallte.
»Ja?« sagte Mac, den Hörer am linken Ohr. »Hier spricht
Andrew Ogilvie, General.«
»Was?«
»Jawohl, ich habe General gesagt, mein Lieber. Ich fürchte,
mein alter Kamerad von den Grenadieren hat gegen die Regeln
verstoßen und mir gesagt, wer Sie sind. Sie haben einen
fabelhaften Krieg geführt, old boy. Sehr beeindruckend, sehr
beeindruckend.«
»Aber auch sehr früh«, sagte Hawkins. »Sie haben wirklich bei
den Grenadieren Dienst getan?«
»Als der Milchbart, der ich seinerzeit noch war, aber Cawy war
damals auch noch blutjung.«
»Cavvy?«
»Lord Cavendish, natürlich. Auch der hat einen fabelhaften
Krieg geführt. Hat mitten im Schlamm und Mörserfeuer gesteckt
und niemanden herumkommandiert, wenn Sie verstehen, was
ich meine.«
»Yeah, splendid, wirklich fabelhaft. Es ist aber noch verdammt
früh, und meine Truppen sind noch nicht bereit zur Musterung.
Trinken Sie erst mal Ihren Morgentee und kommen Sie in einer
Stunde oder so rauf. Sie sind der erste, das ist doch schon mal
was.«
Kaum hatte er den Hörer aufgelegt, wurde heftig gegen die Tür
zum Flur geklopft. Mac stand auf und ging in seiner
Tarnunterwäsche hinüber. »Ja?«
»He, wer schon?« rief der Störenfried draußen. »Ich hab
gewußt, daß Sie es sind. Diese Krächzstimme würde ich überall
erkennen.«
»Greenberg?«
-5 7 8
»He, Baby, wer sonst? Meine bezaubernde, meine anbetungswürdige Frau, die mich ohne jeden Grund aus dem Haus geworfen und plötzlich so behandelt hat, als wäre ich Luft - aber was soll's, sie ist so ein Zuckerpüppchen -, hat mir andeutungsweise gesagt, um was es geht, und ich hab sofort gewußt, das konnten nur Sie sein. Lassen Sie mich reinkommen, Freund, okay, okay? Wir müssen unbedingt zu einem Vertragsabschluß kommen.« »Sie sind erst als zweiter dran, Manni.«
»Was, da sind schon ein paar windige Kerle vor mir da? He,
hören Sie, sweetheart, ich hab'n ganzes Studio im Rücken, und
zwar den allergrößten Laden. Wollen Sie sich erst mit kleinen
Fischen abgeben?«
»Diesen kleinen Fischen gehört halb England.«
»Das ist doch crapolla! Die drehen doch nur diese langweiligen
Streifen, wo alle reden und keiner weiß, was sie sagen, weil sie
gefiltefish im Mund haben.« »Andere denken da ganz anders.«
»Was für andere? Auf jeden James Bond kommen bei denen
fünfzehn in Bettlaken gewandete Ghandis, die niemals ihre
Herstellungskosten wieder einspielen, und lassen Sie sich von
denen bloß nicht weismachen, das stimmte nicht.«
»Kommen Sie in drei Stunden wieder, Manni, und rufen Sie
vorher von der Lobby aus an.«
»Mac, geben Sie mir 'ne Chance. Das ganze Studio wartet
gespannt darauf, was ich ausrichte!«
»Ich geb Ihnen ja'ne Chance, Sie geiler Bock. Vielleicht finden
Sie bis dahin ja eine Sechzehnjährige unten in der Halle, die
nicht allzu genau hinsieht!«
»He, das ist Verleumdung! Ich werde die Schlampe verklagen!«
»So, und jetzt gehen Sie, Manni. Sonst brauchen Sie gar nicht
erst wiederzukommen.«
»Schon gut, schon gut!« Wieder klingelte das Telefon und rief den Falken von der Tür fort, obwohl er es vorgezogen hätte, zu warten und sicherzugehen, daß Greenberg wirklich ging. »Ja?«
-5 7 9
meldete er sich und nahm das Telefon vom Boden auf. »Suite
Zwölf a?« »Richtig. Und?«
Arthur Scrimshaw, Leiter der
»Hier spricht Entwicklungsabteilung der Holly Rock Productions, Hollywoods
allererste Adresse, weltweit mit Überschüssen, die jedes
Vorstellungsvermögen übersteigen. Wenn ich nur befugt wäre,
die Zahlen zu nennen, und darüber hinaus insgesamt sechzehn
Oscar-Nominierungen über einen Zeitraum von ... hmmhmm ...
Jahren.« »Und wieviel Oscars haben Sie schließlich auch
bekommen, Mr. Scrimshaw?«
»Wir waren nahe dran, ganz, ganz nahe dran. Hätte jedesmal
so und so ausfallen können. Aber da wir gerade davon
sprechen, ich habe in meinem unglaublich vollgestopften
Terminkalender eben entdeckt, daß wir sogar zusammen
frühstücken könnten - uns Kraft anfrühstücken könnten. Was
halten Sie davon?«
»Klingeln Sie in vier Stunden noch mal an.«
»Wie bitte? Vielleicht habe ich mich nicht deutlich genug
ausgedrückt ...«
»Sie haben alles vollkommen klar gemacht, Scrimmy, genauso
wie ich. Sie sind der dritte auf der Liste, und das bedeutet vier
Stunden, wobei ich eine Stunde für meine Leute einkalkuliere,
die sie brauchen, um sich zur Musterung bereitzumachen.«
»Sind Sie ganz sicher, daß Sie den Chef von Holly Rocks so im
Regen stehen lassen wollen?«
»Mir bleibt leider keine Wahl, Artieboy. Der Terminplan steht
nun mal.«
»Nun ... hmmhmm - wenn die Dinge so stehen, und wo Sie eine
Suite haben - Sie haben nicht zufällig noch ein Bett frei?«
»Ein Bett?«
»Das sind diese verdammten, vermaledeiten Buchhalter,
verstehen Sie. Ich sollte sie alle feuern ... Aber irgendwie
mögen sie keine spontanen Reservierungen, und ich kann auf
diesen Nachtmaschinen von Los Angeles nie ein Auge
zumachen. Ich bin erschöpft!«
-5 8 0
»Versuchen Sie's bei der Heilsarmee unten in der Bowery. Die
nehmen jede Spende über zehn Cent ... In vier Stunden!« Der
Falke knallte den Hörer auf die Gabel und stellte den Apparat
wieder auf den Schreibtisch. Als er sich umdrehte, um auf den
nächstgelegenen Schlafraum zuzusteuern, klingelte das
Telefon schon wieder.
»Emerald Catbedral Studio», begann honigsüß eine Stimme mit
dick aufgetragenem Südstaaten-Akzent. »Ein gottesfürchtiges
patriotisches Vögelchen hat einige Informationen hinsichtlich
eines großen, rein auf Fakten beruhenden amerikanischen
Films runtergezwitschert, den Sie drehen möchten. Und lassen
Sie sich das von mir gesagt sein, boy, wir gehören nicht zu
diesen Hebräern und Niggern, die in unserem Land die
Filmindustrie beherrschen. Wir sind astreine Christen und
vaterlandsliebende Amerikaaaner, die an die Macht glauben,
und wir wollen die Geschichte von richtigen Amerikaanern
erzählen, die Gottes Werk verrichten! Außerdem sind wir nicht
ganz mittellos, sondern verfügen über'n paar hübsche
Milliönchen. Unsere Sonntagssendungen im Fernsehen und
unser Gebrauchtwagengeschäft sind jede Woche wieder'ne
Urangrube.«
»Seien Sie heute um Mitternacht am Lincoln Memorial in
Washington, D.C.«, wies Hawkins die Anruferin ruhig an. »Und
setzen Sie Ihre weiße Kapuze auf, damit man Sie erkennt!«
»Versteht sich das nicht von selbst?«
»Gehören Sie zu diesen saft- und kraftlosen amerikanischen
Liberalen, die was gegen das Militär und sowieso alles
Amerikanische haben?«
»Um Gottes willen, no! Wir stecken unser Geld nur da rein, wo's
was zu holen gibt, wir sind Jesses Leute.«
»Wenn es der richtige Jesse ist, nehmen Sie sich ein Flugzeug
und seien Sie heute abend in Washington. Vierhundert Fuß von
der Vorderseite der Statue und dann sechshundert Fuß schräg
nach rechts. Sie stoßen dort auf das Haus der Ehrenwache,
und die Männer drinnen sagen Ihnen, wo wir sind.« »Dann sind
wir also im Geschäft?«
-5 8 1
»In einem Geschäft, wie Sie es sich gar nicht vorstellen
können. Und die Kapuze nicht vergessen! Die ist von größter
Wichtigkeit.« »Hab schon verstanden, boy.«
Nachdem er aufgelegt hatte, ging MacKenzie zur
nächstgelegenen Schlafzimmertür und klopfte. »Reveille,
Mannschaft! Sie haben vor dem Einsatz eine Stunde zum
Zähne- und Schuheputzen und für die Messe. Und nicht
vergessen: angetreten wird in Kampfanzug und mit
Kleinfeuerwaffen. Geben Sie dem Zimmerservice durch, was
Sie zum Frühstück wollen.«
»Das haben wir bereits gestern abend getan, General«, ließ
sich von drinnen laut die Stimme von Sly vernehmen. »In
zwanzig Minuten wird serviert.«
»Soll das heißen, Sie sind schon auf?«
»Selbstverständlich, Sir«, antwortete Marion. »Wir sind schon
vierzig oder fünfzig Blocks Joggen gewesen.«
»Sie haben aber doch keine Türen, die auf den Flur
hinausgehen.«
»Das ist richtig, Sir«, pflichtete Sylvester ihm bei.
»Ich habe nicht gehört, daß Sie rausgegangen sind, und ich
höre alles.«
»Wir können aber sehr leise sein, General«, meinte Marion
noch.
»Und Sie müssen sehr müde gewesen sein. Sie haben sich
überhaupt nicht geregt. Frühstück in der Messe, Sir.«
»Verdammich!«
Zum Verdruß des Falken klingelte das Telefon schon wieder.
Verärgert, aber resigniert, kehrte er an den Schreibtisch zurück
und griff nach dem schrillenden Apparat. »Ja?«
»Abb, welch ein Velgnügen, ihle schöne Stimme zu holen«,
sagte eine Männerstimme, die offensichtlich einem Chinesen
oder Japaner gehörte. »Diese unwüldige Seele betlachtet es
als ausgesplochenes Glück, Ihle Bekanntschaft zu machen.«
»Sehr erfreut - und wer, zum Geier, sind Sie?«
-5 8 2
»Yakataki Motoboto, doch meine leizenden Fleunde in
Hollywood nennen mich Cluiser.« »Das verstehe ich. Melden
Sie sich in fünf Stunden noch einmal, aber rufen Sie vorher von
der Lobby aus an.«
»Ahh, ja, Sie haben zweifellos Damenbesuch, abel vielleicht
kann ich Konditionen velbesseln, denn ich glaube, dies schöne
Hotel und seine Lobby gehölen uns jetzt.«
»Wovon reden Sie, Motoboat?«
»Uns gehölen auch dlei von den glößten Studios in Hollywood,
sehl ehlenwelte Fleund. Ich schlage vol, Sie splechen eist mit
mil, odel sonst wil müssen Sie leidel an die Luft setzen.«
»Nichts zu machen, Tojo. Unten an der Rezeption hat man uns
einen Kredit von hunderttausend Dollar eingeräumt. Und bevor
die nicht aufgebraucht sind, können Sie uns nicht einfach
rauswerfen. So ist das Gesetz, Bonsai, unser Gesetz.«
»Aiyee! Sie stellen Geduld diesel unwüldigen Seele mächtig auf
Plobe. Ich veltlete die Toyhondahai Enterprises, U.S.A. Und wil
albeiten auf dem Gebiet del Filmheistellung.«
»Wie schön für Sie. Ich vertrete sechs Krieger neben denen
sich Ihre Samurai wie Gänsejungen ausnehmen ... Fünf
Stunden. Ziehen Sie jetzt Leine, oder ich lasse meine mit
Tokioter Kraftfutter ernährten Kameraden kommen, die Ihnen
Ihre steuerbegünstigten Firmenspesenkonten wegen Verdacht
auf Korruption schließen.«
»Aiyeef«
»Wenn Sie aber in fünf Stunden wiederkommen, soll alles
vergeben und vergessen sein.« Der Falke legte auf und ging zu
seinem Kleidersack auf der Couch. Es war Zeit, sich
anzuziehen. Den grauen Anzug, nicht die Lederklamotten.
Neunzehn Minuten und zweiunddreißig Sekunden später waren
die Selbstmörderischen Sechs zum Appell angetreten: Stramm
in Hab-acht-Stellung standen sie da, schnurgerade aufgereiht,
sechs hervorragend durchtrainierte Männer, die ihre mit
Tarnmuster bedruckten Kampfanzüge eindrucksvoll ausfüllten
und die 45er-Pistolen in der Pistolentasche am Leinenkoppel
-5 8 3
umgeschnallt hatten. Wie weggewischt war alles Theaterhafte,
das zu den vorübergehend angenommenen »Namen« gehört
hatte: die schlaffe Haltung, das Großspurige, die bestimmten
Filmstars nachgemachte Sprechweise. Statt dessen sah man
die granitenen Gesichter, hörte man eine scharfe, präzise
Sprechweise und die straffe Haltung relativ junger, aber
erfahrener Soldaten, jeder ausgestattet mit angenehmen
Gesichtszügen und klaren Augen, die eindringlich, aber auch
mit Feingefühl blicken konnten. Im Augenblick wurde ihnen von
ihrem Ersatz -Kommandeur der Appell abgenommen.
»So ist es richtig, Leute!« rief der Falke anerkennend.
»Vergessen Sie nicht, diesen Eindruck sollten die Leute haben,
wenn sie Sie das erste Mal sehen. Kräftig, aber intelligent,
kampferprobt, aber menschlich - auf jeden Fall muß man das
Gefühl haben, daß Sie über der Masse stehen und doch
irgendwie was Gewöhnliches haben. Gott, ich liebe es, wenn
Männer so aussehen wie Sie. Verdammt noch mal, wir
brauchen Helden! Wir sehnen uns nach tapferen Seelen, die
dem Tod ins Gesicht blicken und der Hölle entgegentreten ...«
»Falsche Reihenfolge, General. Erst der Hölle entgegentreten
und dann dem Tod ins Antlitz blicken.«
»Na, ist doch das gleiche.« »Nicht ganz.«
»Was er will, ist William Holden in den Schlußszenen vom River
Kwai.«
»Oder John Ireland in O.K. Corral.« »Wie war's mit Dick Burton
und Big Clint in Eagles Dare?« »Ocbr Erroll Flynn in
irgendeinem seiner Filme.« »Nicht Scan Connery in Die
Unberührbaren vergessen!«
»Na, hört mal, Leute, wie war's mit Sir Henry Sutton als Ritter
im Beckett?«
»Genau das richtige.«
»He, wie ist das überhaupt mit Sir Henry, General? Wir sind
hier, aber - wo ist er? Für uns gehört er zu uns, vor allem, wo es
um unseren Film geht.«
-5 8 4
»Er führt im Moment einen anderen Auftrag aus, Männer. Einen
unglaublich wichtigen Auftrag, Er stößt später wieder zu uns ...
Und jetzt wieder zu der vor uns liegenden Aufgabe.«
»Können wir uns rühren, Sir?«
»Ja, natürlich. Rührt euch! Aber verlieren Sie nicht das, das
»Kollektive Bild, General?« fragte Telly sanft.
»Yeah, genau das meine ich ... glaube ich jedenfalls.«
»Sie haben völlig recht damit, Sir«, fügte der in Yale
ausgebildete Sly hinzu. »Denn verstehen Sie, wir sind
grundsätzlich ein Ensemble. Das meiste ist Improvisation, die
mit der Interaktionstotalität einhergeht, verstehen Sie.«
»Interaktionstotalität ...? Sicher. Aber jetzt hört mal zu, Leute:
Diese Hollywoodtypen und Filmfritzen aus London wissen nicht,
was sie erwartet, aber sobald sie sich sechs
soldatischschmucken Supermännern - wie gute Freunde, die
sich in deren Mentalität auskennen, es ausgedrückt haben -,
wenn sie also sechs soldatisch-schmucke Supermänner vor
sich sehen, sehen sie Geld, Geld, und zwar bergeweise. Und
das vor allem, weil ihr echt seid, worin ihr euch von anderen
Schauspielern unterscheidet. Nicht ihr seid es, die sich
verkaufen müssen -sondern die wollen euch kaufen. Ihr seid
nicht die, auf die möglicherweise die Wahl von jemandem fällt –
sie sind es, die wählen. Möglich, daß sie kaufen wollen - könnte
aber sein, daß ihr nicht verkaufen wollt. Ihr habt gewisse
Maßstäbe und Vorstellungen, von denen ihr nicht abrückt.«
»Ist das nicht eine riskante Einstellung?« fragte The Duke. »Die
Produzenten haben die Hand auf dem Geld, nicht die
Schauspieler, und besonders nicht Schauspieler wie wir, die
den Broadway bislang nicht gerade in einen Taumel der
Begeisterung versetzt haben - von Hollywood ganz zu
schweigen.«
»Gentlemen«, sagte der Falke. »Vergessen Sie Ihr bisheriges
Leben und die Zeichen, die Sie gesetzt oder auch nicht gesetzt
haben. Von diesem Augenblick an sind Sie es, die die Welt
begeistern. Diese Leute sehen in Ihnen diejenigen, die ihnen
die Kassen füllen. Sie sind nicht nur Berufsschauspieler,
-5 8 5
sondern auch Soldaten, Angehörige eines Sondereinsatzkommandos, die ihren Auftrag in unterschiedlichsten Verkleidungen erfolgreich zu Ende bringen.« »Ach, verdammt«, sagte Dustin achselzuckend. »Jeder mit einer einigermaßen abgeschlossenen Schauspielausbildung kann das.« »Hüten Sie sich, das jemals zu sagen!« rief MacKenzie. »Verzeihung, General, aber ich denke, das ist die Wahrheit.« »Dann verschließen Sie die in ihrem Herzen, mein Sohn!« sagte der Falke. »Wir haben es hier mit einem ausgeklügelten Konzept zu tun. Wir kleckern nicht, wir klotzen.« »Was bedeutet das in diesem Zusammenhang?« fragte Sly. »Bloß keine Details ins Spiel bringen, das übersteigt die Auffassungskraft der Leute, mit soviel werden die nicht fertig.« MacKenzie ging hinüber an den Schreibtisch und nahm die mit einer Büroklammer zusammengehaltenen Seiten des von seiner dritten Ehefrau unter literarischen Mühen erstellten Exposes zur Hand und kehrte damit zur Einheit zurück. »Das hier nennt man ein Expose, ein treatment oder irgendwie ähnlich blöde Klingendes, wovon es nur eine einzige Kopie gibt - um die größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten. Es ist eine explosive Zusammenfassung Ihrer Aktivitäten in den letzten paar Jahren, und lassen Sie es sich von mir gesagt sein, das ist die reinste Atombombe. Wenn diese Geier jetzt einer nach dem anderen hier eintreffen, drücke ich ihnen dieses einzige existierende Exemplar in die Hand und lasse jedem eine Viertelstunde, es zu lesen und diesbezügliche Fragen zu stellen. Selbstverständlich unterliegen die Antworten darauf den Erfordernissen der nationalen Sicherheit. Ich will, daß Sie auf diesen Stühlen dort drüben sitzen, die ich im Halbkreis aufgestellt habe, damit das kollektive ... wie haben Sie das vorhin noch genannt?« »Der kollektive Eindruck geballter Kraft mit einem Schuß Intelligenz und Feingefühl?« schlug Professor Telly vor. »Yeah, das war's. Und vielleicht wäre es angebracht, wenn ein paar
-5 8 6
von Ihnen jedesmal mit der Hand an das Pistolenholster fahren,
wenn ich >nationale Sicherheit< sage.«
»Erst du, Sly, und dann du, Marion«, bestimmte The Duke.
»Verstanden!«
»Verstanden!«
»Ja, und jetzt kommt unser schwerstes Geschütz«, fügte der
Falke hastig hinzu. »Zuerst beantworten Sie die Fragen dieser
Fatzkes 'genauso, wie Sie sonst auch sprechen, doch wenn ich
Ihnen zunicke, machen Sie weiter, indem Sie andere imitieren
oder darstellen - die Schauspieler, die Sie für mich und Colonel
Cyrus nachgemacht haben.«
»Wir können noch haufenweise andere«, sagte Dustin.
»Aber die genügen«, erwiderte Hawkins. »Das war eine
verdammt überzeugende Leistung.«
»Worum geht es denn eigentlich?« fragte der skeptische
Marion.
»Ich dachte, das verstünde sich von selbst. Wir beweisen
damit, daß Sie als Schauspieler wirklich begabte Profis sind
und daß Sie getan haben, was Sie getan haben, weil Sie
Schauspieler sind.«
»Das kann nie schaden, Pilger«, sagte The Duke, wieder nicht
er selbst, sondern der Schauspieler, den er darstellte. »Was
soll's - schließlich haben uns bis jetzt noch nicht allzu viele
honchos aus unserem Gewerbe zugehört.«
»Selbstvertrauen, Männer! Sie haben doch das Zeug dazu, und
zwar alle!« Wieder klingelte das Telefon. »Und jetzt Essen
fassen, Gentlemen«, fuhr MacKenzie fort und griff nach dem
Hörer, während die Selbstmörderischen Sechs sich auf die vom
Zimmerservice hereingerollten Tische stürzten. »Hallo? Wer
spricht da?«
»Der zwölfte Sohn des Scheichs von Tizi Ouzou von seiner
Ehefrau Nummer zweiundzwanzig«, ließ sich eine weiche
Stimme übers Telefon vernehmen. »Dreißigtausend Kamele
könnten Ihnen gehören, falls unser Gespräch Früchte trägt -
-5 8 7
und mögen hunderttausend westliche Hunde verrecken, wenn es nicht so ist.« »Stecken Sie sich den Schmus sonstwohin! Und kommen Sie in sechs Stunden wieder, oder vergraben Sie Ihre Eier im Wüstensand.« Sieben Stunden später hatte sich das Schiff, Hawks Überfall, zum erstenmal hinausgewagt auf die turbulenten Gewässer der Filmindustrie. In seinem tückischen Kielwasser kämpfte ein ehemaliger britischer Grenadier namens Ogilvie ums Überleben und schimpfte lauthals über undankbares Arabergezücht. Ein gewisser Emmanuel Greenberg, der mit seinen Krokodilstränen die Herzen aller anrührte, bloß nicht das von MacKenzie Hawkins, ein gewisser, völlig erschöpfter Leiter der Entwicklungsabteilung der Firma Holly Rock namens Scrimshaw, der schließlich erklärte, er würde sich auch mit einem Bett zufriedengeben, wenn er nur nicht dafür zu bezahlen brauchte, ein kreischender Cluiser-Moioboto, der wortreich erklärte, daß Gefangenenlager in Hollywood nicht völlig abwegig wären, und schließlich ein schnarrender Scheich Mustacha Hafaiya-beaka in wallendem Burnus, der ständig ganz abscheuliche Vergleiche zwischen Kamelmist und amerikanischen Dollars zog. Gleichwohl hoffte ein jeder von diesen in seiner Eigenschaft als Vertreter seines Unternehmens aus tiefstem Herzensgrunde, man möge sich für ihn bzw. seine Firma als Produzenten des spektakulärsten Films entscheiden, den die Neuzeit je gesehen hatte, und jeder einzelne von ihnen erklärte sich - zunächst sprachlos angesichts der sechs völlig ungewöhnlichen Schauspielersoldaten - rückhaltlos damit einverstanden, daß diese in der Verfilmung ihrer Heldentaten sich selbst spielen sollten. Nur Greenberg machte einen Änderungsvorschlag: »Wie war's mit'n bißchen nackter Haut, Freunde? Ihr wißt schon, 'n paar Tussies, damit die Leute nicht auf falsche Ideen kommen - ihr wißt schon, was ich meine?« Die Selbstmörderischen Sechs stimmten begeistert zu, ganz besonders Marion, Sly und Dustin. »Sechsunddreißig-Kamt-Geld!« flüsterte Manni womöglich noch begeisterter als die anderen. -5 8 8
Es wurden Geschäftskarten überreicht, doch eines machte Hawkins unmißverständlich klar: keine Entscheidung vor Anfang der nächsten Woche. Als der letzte der Bittsteller ging, nämlich der knurrende zwölfte Sohn des Scheichs von Tizi Ouzou, von dessen Gattin Numero Zwoundzwanzig, wandte MacKenzie sich an seine Elitetruppe und gab sein Urteil ab: »Sie waren großartig, jeder einzelne von Ihnen. Die Burschen waren wie hypnotisiert und sind ganz aus ihrer Reserve rausgegangen - Sie haben es geschafft!« »Mal abgesehen davon, daß wir hier eine gar nicht so schlechte Nummer abgezogen haben«, sagte der hochgebildete Telly, »weiß ich nicht, was wir eigentlich gemacht haben.« »Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, mein Sohn?« kam es vom verdatterten Hawkins. »Haben Sie denn nicht gehört, was die gesagt haben? Denen ist doch das Wasser im Mund zusammengelaufen, die sind so versessen auf das Projekt, daß sie anfingen zu sabbern!« »Well«, meinte Dustin, »ich hab'ne Menge Wortgeräusch gehört, viel Geschrei und flehentliche Bitten, besonders Mr. Greenbergs Geflenne - das war besonders wirkungsvoll, nicht unähnlich dem Chor in einer griechischen Tragödie -, aber was das alles bedeutet, weiß ich wirklich nicht.« »Jedenfalls haben wir nicht gesehen, daß einer einen Vertrag aus der Tasche gezogen hätte«, meinte Marion. »Aber Verträge wollen wir doch auch nicht. Jedenfalls noch nicht.« »Wann denn, General?« fragte Sir Larry. »Verstehen Sie, wir haben all dies ja schon hundertmal durchgemacht. Da wird immer viel gequasselt, aber wenig Papier beschrieben. Nur die Unterschrift auf einem Vertrag zählt, alles andere ist nichts als ... naja, Gequatsche.« »Wenn ich mich richtig erinnere, Gentlemen, sind die Verhandlungen dem Verhandlungsführer vorbehalten. Wir stellen die schöpferische Seite dar, während die anderen schachern.« -5 8 9
»Und wer verhandelt für uns, falls uns wirklich einer will,
Pilger?«
»Gar kein schlechter Gedanke, Duke. Vielleicht sollte ich lieber
mal telefonieren.«
»Ich übernehme die Telefonkosten«, erbot Sly sich.
Statt dessen klingelte das Telefon des Waldorf-Astoria. »Ja,
wer zum Teufel ist das?«
»Sweetie, ich konnte nicht noch länger warten! Wie läuft es?«
»Oh, hi, Ginny. Soweit ist alles gut gelaufen, doch wie die
Männer mir erklären, könnte es ein Problem geben.«
»Manni? Du hast ihn doch nicht umgebracht, oder, Mac?«
»Himmel, nein. Die Männer waren sogar sehr eingenommen
von ihm.«
»Die Sache mit der Heulerei, huh?« »Das siehst du richtig.«
»Ja, das kann er, dieser Bastard ... Worum geht es denn bei
dem Problem?«
»Nun ja, wie die Männer sagen, es ist fabelhaft, daß wir diesen
Geiern gefallen haben oder daß sie zumindest so getan haben,
als ob wir ihnen gefielen - nur, wie kommen wir zu was
Schriftlichem?«
»Das ist alles in die Wege geleitet, Mac. Die William Morris
Agency kümmert sich darum, die Leute oben an der Spitze,
Robbins und Martin persönlich.«
»Robbins und Martin - das klingt nach'nem klasse Men's sbop.«
»Klasse haben sie, sweetie, und es könnte uns allen nichts
schaden, auch ihren Grips zu haben. Und nicht nur ihren Grips
- die sprechen ein Englisch, das man verstehen kann, und kein Hollywood-crapola. Damit bringen sie alle durcheinander und sahnen überall ab. Sie machen sich an die Arbeit, sobald ich den Startschuß gebe.« »Dann Anfang nächster Woche, okay, Ginny?« »Klar. Wo kann ich dich erreichen, und wer genau außer Manni ist noch gekommen?«
-5 9 0
»Ich habe alle ihre Geschäftskarten.« Der Falke nahm die
Karten und las sie seiner Ex-Frau vor.
»Gibt es da nicht noch ein völlig meschuggenes Studio in
Georgia oder Florida? Natürlich, keine anständige Firma im
Süden will was mit denen zu tun haben, aber sie haben ganze
Kathedralen voller Geld, und damit kann man die Gebote in die
Höhe treiben.«
»Ich habe so eine dunkle Ahnung, als ob die heute abend in
Washington noch Scherereien kriegen werden.«
»Was?« »Ach, vergiß es, Ginny.«
»Diesen Ton kenne ich: Hab schon alles vergessen. Was ist mit
dir? Wo findet man dich?«
»Ruf einen gewissen Johnny Kalbsnase im Wopotami-Reservat
außerhalb von Omaha an, der wird wissen, wo man mich
erreicht. Das hier ist seine Privatnummer.« Hawkins gab sie ihr.
»Hast du's?«
»Klar, aber wer ist Kalbsnase, und wer zum Henker sind die
Wopotami?«
»Er ist der ausgestoßene Angehörige eines niedergeknüppelten
Volkes.«
»Deine Windmühlenflügel, Mac?«
»Wir tun, was wir können, little lady.«
»Und wem gilt es diesmal, sweetie?« »Bösen Staatshütern mit
sehr schlechter Einstellung.«
»Ach, die Washingtoner Schlappschwänze?«
»Und ihre Vorgänger, Ginny - vor über hundert Jahren.«
»Das klingt ja köstlich, aber wie ist es dir nur gelungen, Sam da
mit reinzuziehen?«
»Sam ist ein Mann mit Grundsätzen, wesentlich gereifter als
früher, mit sieben Kindern - und er kann Recht von Unrecht
unterscheiden. Er hat sich verändert. Vermutlich liegt das an
seinem ausgemergelten hageren Aussehen und der Arthritis,
die ihn so gebeugt erscheinen läßt ... Aber das ergeht ja wohl
jedem mit neun Kindern so.«
-5 9 1
»Neun? Hast du nicht eben sieben gesagt?«
»Ich krieg das durcheinander, er aber auch. Eines muß ich ihm
allerdings lassen, er ist wesentlich toleranter geworden.«
»Gott sei Dank, daß er über Annie weggekommen ist. Wir
haben uns ja alle solche Sorgen um ihn gemacht ... Aber
Moment mal! Sieben Kinder ... neun? Wie macht seine Frau
das - wirft die jedesmal Zwillinge oder Drillinge?«
»Nun, wir haben nicht wirklich ...« Zu MacKenzies Glück klickte
es ein paarmal in der Leitung, und dann meldete sich aufgeregt
die Stimme der Telefonistin.
»Suite Zwölf a, für Sie kommt ein Notruf! Bitte beenden Sie Ihr
Gespräch, damit ich durchstellen kann.«
»Wiedersehen, Ginny-Girl, wir sprechen uns später.«
MacKenzie knallte den Hörer auf und hielt ihn niedergedrückt.
Drei Sekunden später klingelte es, und er riß ihn wieder hoch.
»Hier Suite Zwölf a. Wer spricht da?«
»Redwing, Sie vorsintflutliches Monstrum!« brüllte Jennifer aus
Swampscott, Massachusetts. »Sam hat gestern abend das
Brokemichael-Band abgehört, und Cyrus, Roman und unsere
beiden Desis haben ihre Mühe gehabt, ihn niederzuhalten.
Schließlich hat Cyrus es fertiggebracht, ihm praktisch eine
ganze Flasche Whisky einzutrichtern ...«
»Wenn er wieder nüchtern wird, kommt er auch wieder zu
Verstand«, unterbrach der Falke sie. »Das geht ihm meistens
so.«
»Nett, daß Sie das sagen - nur, daß wir es nie erfahren
werden.«
»Was soll das heißen?« »Er ist fort!«
»Das ist unmöglich! Wo doch meine Adjutanten und Roman Z.
und der Colonel alle da waren?«
»Was ist das nur für ein Pirschspezialist, Donnerhaupt! Seine
Tür war verschlossen, und wir dachten, er schliefe noch immer
seinen Rausch aus, bis Roman vor fünf Minuten ein Rennboot
nahe ans Ufer kommen sah, etwa eine Viertelmeile weiter
woraufhin eine Gestalt aus den Dünen lief und an Bord ging.«
-5 9 2
»Feldstecher lügen nicht, und Roman Z. s Augen sind immer
noch verdammt scharf, sonst hätte er wohl ein wesentlich
längeres Strafregister, als er es ohnehin schon hat.«
»Verflucht, jetzt geht das wieder los! Genau wie seinerzeit in
der Schweiz!«
»Sie meinen, als Sam Sie zu stoppen versuchte ...«
»Was ihm ums Haar gelungen wäre«, schnitt MacKenzie ihr
das Wort ab und suchte hektisch mit der freien Hand nach
seinem Beruhigungsmittel - der verstümmelten Zigarre. »Er
muß das Telefon benutzt und jemanden angerufen haben.«
»Offensichtlich - bloß, wen?«
»Woher soll ich das wissen? Ich hab ihn doch ewig nicht
gesehen. Trotzdem ... was kann er tun?«
»Gestern abend hat er dauernd gegen diese Intriganten in
hohen Staatsämtern gewettert, und wie dieses korrupte Pack
an den Pranger gestellt werden sollte. Er werde schon dafür
sorgen, daß es geschieht ...«
»Yeah, zu dem Thema läßt er sich dauernd aus. Glaubt
womöglich gar, was er da redet.«
»Ja, Sie denn etwa nicht? Habe ich Sie im Ritz nicht mehr oder
weniger das gleiche sagen hören, General?«
»Yeah, ich glaube es, aber es gibt immer den rechten Ort und
die rechte Zeit, wo man nach diesen Grundsätzen handelt, und
hier und jetzt ist das nicht der Fall! Trotzdem, was kann er
wirklich tun? Ein hysterischer Anwalt, der mit blutunterlaufenen
Augen in eine Zeitungsredaktion vordringt, wie er
vorgeschlagen hat - und das mit einer Geschichte wie der
unseren? Es gibt keine Möglichkeit, sich rückzuversichern, ob
auch alles stimmt, vermutlich rufen sie in einer Klapsmühle an
und lassen ihn abholen.«
»Ich denke, ich habe da was ausgelassen«, sagte Jennifer.
»Was?«
»Er hat das Brokemichael-Band mitgenommen.«
»Sherman in Atlanta! Sie wollen mich wohl verscheißern,
Redskin Lady?«
-5 9 3
»Ich wünschte aus vollem Rothautherzen, Sie hätten recht.
Aber wir können es nirgends finden.«
»Heilige Pistolen des George Patton! Er könnte das ganze
Unternehmen zu Fall bringen. Wir müssen ihn davon
abhalten.»Wie denn?«
»Rufen Sie in sämtlichen Bostoner Zeitungsredaktionen und
allen Radio- und Fernsehanstalten an und sagen Sie, der
größten Klapse von ganz Massachusetts wäre ein Irrer
entsprungen.«
»Das wird nichts nützen, sobald sie das Band gehört haben. Als
erstes werden sie Kopien anfertigen, dann ein Stimmprofil
herstellen und das mit dem Ihres Freundes, General
Brokemichael, vergleichen entweder von
Nachrichtensendungen oder einfach dadurch, daß sie ein
Telefongespräch aufzeichnen.«
»Ich rufe Brokemichael an und sage ihm, er soll sich vom
Telefon fernhalten.«
»Vom Telefon ...«, sagte Jennifer nachdenklich. »Das ist es!
Sämtliche Telefongesellschaften haben Computerausdrucke
jeder angerufenen Nummer. Das gehört hierzulande schließlich
zur Gebührenabrechnung. Ich bin sicher, daß Mr. Pinkus eine
sofortige Polizeianweisung bekommt.«
»Um was zu tun?«
»Die Nummer herauszukriegen, die Sam hier vom Telefon der
Birnbaums aus angerufen hat. Außer als Sie uns heute
vormittag anriefen, hat keiner das Telefon benutzt.«
»Nur einer - und der heißt Devereaux.«
Dank Aaron Pinkus' beispielhaften Beziehungen zu den
Behörden wurde Redwings Vorschlag umgehend verwirklicht.
»Herr Anwalt, hier spricht Lieutenant Cafferty, Boston Police
Department. Wir haben die Information, um die Sie gebeten
haben.«
»Haben Sie vielen Dank, Lieutenant Cafferty. Wäre dies kein
Notfall, ich hätte es nie gewagt, mich an Ihre Behörde zu
wenden und Ihre persönliche Freundlichkeit zu mißbrauchen.«
-5 9 4
»He, das macht doch weiter keine Umstände, Sir. Schließlich
steht Jahr für Jahr bei unserem Betriebsausflug - Pinkus'
Corned Beef auf dem Tisch.«
»Das ist nur ein bescheidener Beitrag, verglichen mit den
Diensten, die Sie unserer schönen Stadt leisten.«
»Nun, Sie brauchen uns nur anzurufen, jederzeit ... Folgendes
haben wir von der Telefongesellschaft erfahren: Während der
vergangenen zwölf Stunden sind nur vier Anrufe von der
angegebenen Swampscotter Nummer getätigt worden, die
letzte vor sechs Minuten nach New York City ...«
»Jawohl, über die wissen wir Bescheid, Lieutenant. Die
anderen drei, bitte.«
»Sie gingen an Ihr eigenes Haus, Mr. Pinkus. Der erste
achtzehn Uhr dreiundzwanzig gestern abend, und dann wieder
heute morgen ...«
»Oh ja, da habe ich Shirley angerufen, das ist meine Frau. Das
hatte ich ganz vergessen.«
»Wir kennen und verehren ihre Gattin alle, Herr Anwalt, wirklich
eine große Dame. So groß und so anmutig, Sir.«
»Groß? Nein, eigentlich ist sie eher klein, aber das liegt wohl an
ihrer Frisur. Doch lassen wir das - was ist mit dem vierten Anruf,
bitte?«
»Der ging Punkt sieben Uhr zwölf heute morgen an die
Geheimnummer der Villa von Geoffrey Frazier ...«
»Frazier ...?« unterbrach Aaron ihn unwillkürlich. »Das ist ja
erstaunlich ...«
»Dieser Mr. Frazier ist alles mögliche, wenn Sie nichts dagegen
haben, daß ich das sage, Mr. Pinkus - unter anderem eine
unglaubliche Nervensäge.«
»Ich bin sicher, sein Großvater findet da noch ganz andere
Ausdrücke, Lieutenant Cafferty.«
»Oh, ich habe ihn mit eigenen Ohren gehört, Herr Anwalt!
Jedesmal, wenn wir den Jungen aus dem Verkehr ziehen, fragt
der alte Herr an, ob wir ihn nicht noch ein paar Tage länger
unter Verschluß halten können.«
-5 9 5
»Haben Sie verbindlichsten Dank, Lieutenant. Sie haben uns
sehr geholfen.« »Gern geschehen, Sir.«
Aaron legte auf und sah Jennifer fragend an. »Jetzt wissen wir
wenigstens, wie Sam das Band gefunden hat. Er hat von
Sidneys Privatanschluß im Arbeitszimmer aus angerufen. Wo
wir gestern abend gespielt haben.«
»Aber das war es nicht, was Sie so betroffen gemacht hat,
stimmt's? Das war vielmehr der Name dieses Frazier, richtig?«
»Genau. Er ist einer der charmantesten - man könnte fast
sagen, liebenswertesten - Männer, die ich kenne. Ein rundum
netter Bursche, dessen Eltern vor Jahren bei einem
Flugzeugabsturz ums Leben kamen, als der alkoholisierte
Frazier Senior versuchte, mit seinem Wasserflugzeug in der
Grande Comiche von Monte Carlo zu wassern. Geoffrey und
Sam haben zusammen das Andover College besucht.« »Dann
war das der Grund, warum er ihn angerufen hat.« »Das
bezweifle ich. Sam haßt zwar keinen Menschen, das liegt ihm
einfach nicht, nicht einmal MacKenzie Hawkins, wie Sie ja
selbst gesehen haben. Aber gegen manche hat er was und
zwar abgrundtief.«
»Hat was wogegen oder gegen wen - und wieso gegen diesen
Frazier?«
»Weil Geoffrey seine Privilegien mißbraucht und nichts aus
ihnen gemacht hat. Er ist ein funktionierender Alkoholiker, der
als einzigen Lebenszweck die Jagd nach Vergnügungen und
die Vermeidung von Schmerzen sieht. Und mit so jemand kann
Sam nichts, aber auch gar nichts anfangen.«
»Der General hat recht, wir müssen ihn aufhalten!« erklärte
Aaron plötzlich und wandte sich wieder dem Telefon zu.
»Und wie?«
»Wenn wir wüßten, wohin er mit dem Rennboot ist, hätten wir
immerhin einen Anhaltspunkt.«
»Aber das könnte doch überall sein.«
»Nein, eigentlich nicht«, sagte Aaron. »Küstenwacht und die
Boote des Rennclubs sind ständig unterwegs und achten nicht
-5 9 6
nur auf rücksichtslose Bootsfahrer, sondern sind auch auf der
Suche nach Leuten, die von weiter draußen auf Reede
liegenden Schiffen Schmuggelgut an Land bringen. Wer hier
ein Haus an der Küste hat, wird aufgefordert, jegliche
verdächtige Aktivität an seinem Strandabschnitt zu melden.«
»Dann ist es gut möglich, daß sich schon jemand gemeldet
hat«, unterbrach Jennifer ihn. »Das Boot ist bis an den Strand
rangekommen.«
»Richtig, aber Sam ist an Bord gegangen, und ausgestiegen ist
niemand.«
»Sie denken an das >Was geht mich das an<-Syndrom?«
schloß Jennifer.
»Richtig.«
»Trotzdem - warum nicht bei der Küstenwache anrufen?«
»Würde ich sofort machen, wenn ich wüßte, um was für eine Art
Boot es sich handelt. Selbst Größe und Umrisse oder Farbe
sowie der Name der Marina, wo es seinen Liegeplatz hat,
würden schon helfen.« Pinkus griff nach dem Telefon und
setzte, während er bereits wählte, noch hinzu: »Aber mir fällt
gerade ein, ich kenne da jemanden.«
Eines der eher abgeschiedenen Bostoner Wohnviertel gruppiert
sich auf dem Beacon Hill um den Louisburg Square herum. Es
handelt sich um ein Ensemble eleganter, in den vierziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts gebauter Stadthäuser, die auf
einem kleinen, äußerst gepflegten Parkgelände stehen, das im
Norden eine Columbus-Statue und nach Süden hin ein
Denkmal Aristides des Gerechten bewacht. Selbstverständlich
ist die Anlage nicht völlig von der Umwelt abgeschottet. Post
muß ausgetragen, Müll abgeholt werden, und die
Hausangestellten, die hier nicht wohnen, müssen, so gut es
eben geht, ebenfalls dorthin gelangen, ohne ihre schäbigen
alten Karren zwischen den Rolls-Royces, Porsches, und was es
sonst noch an schnuckeligen Statussymbolen gibt, abstellen zu
müssen. Unter den Bewohnern hier gibt es sehr, sehr altes
Geld. Geld in der ersten Generation und gerade neu
gemachtes. Hier leben Erben, Börsenmakler, Rechtsanwälte,
-5 9 7
mehrere leitende Angestellte großer Konzerne und Ärzte,
darunter einer, der zugleich auch noch einer der bedeutenderen
amerikanischen Romanciers ist, welchen die gesammelte
Ärzteschaft Amerikas allerdings liebend gern ins Koma
versetzen würde, nur, daß er zu gut ist in beiden Berufen.
Gleichwohl klingelte allen demographischen Daten zum Trotz in
diesem Augenblick nur ein einziges Telefon, und zwar in dem
zurückhaltend geschmückten Stadthaus des ältesten alten
Geldes in Boston, genauer gesagt, in der Villa von R. Cookson
Frazier. Als er es hörte, ließ der springlebendige ältere Herr in
verschwitzter roter Turnhose seinen Basketball zielgenau im
Netz des kleinen Spielplatzes landen, den er für den eigenen
Gebrauch im obersten Stockwerk seines Anwesens hatte
anlegen lassen. Die Sohlen seiner Turnschuhe quietschten auf
dem Hartholzboden, und neugierig wandte er den Kopf nach
der schrillen Unterbrechung. Seine momentane
Unentschlossenheit endete, als ihm einfiel, daß seine
Haushälterin zum Markt hinuntergegangen war. Also wischte er
sich die Stirn unter dem weißen Haar ab, trat zu dem an der
Wand angebrachten Nebenanschluß und nahm den Hörer vom
Haken.
»Ja?« meldete er sich, noch ein wenig außer Atem.
»Mr. Frazier?«
»Am Apparat.«
»Ich bin Aaron Pinkus, Mr. Fazier. Wir sind uns schon des
öfteren begegnet, das letzte Mal, glaube ich, beim
Wohltätigkeits-Ball im Fogg-Museum.«
»Ja, richtig, Aaron. Doch wozu der förmliche >Mr. Frazier Wir
sind doch altersmäßig nicht so weit auseinander. Und ich
glaube, wir waren übereinstimmend der Meinung, daß man
Ihnen das nicht ansehen würde, wenn Sie nur ein bißchen mehr
für sich täten.«
»Wohl wahr, nur allzu wahr, Cookson. Aber irgendwie hab ich
nie Zeit genug für den Sport.«
-5 9 8
»Dann wird Ihnen auch im ganzen nicht mehr zuviel Zeit
bleiben, wobei Sie wahrscheinlich der Reichste auf dem
Friedhof sein werden.«
»Diesen Ehrgeiz habe ich schon lange aufgegeben.«
»Weiß ich doch, weiß ich doch. Ich zieh Sie ja bloß ein bißchen
auf, weil ich selbst schwitze wie ein ... Aber Schluß damit: Was
kann ich für Sie tun, mein Lieber?«
»Es geht um Ihren Enkel, fürchte ich.«
»Sie fürchten das?« fiel Frazier ihm ins Wort. »Mir stehen vor
Entsetzen die Haare zu Berge. Was ist jetzt schon wieder los?«
Pinkus schickte sich an, seine Geschichte zu erzählen, doch
schon nach acht Sekunden, bei der Erwähnung eines
Rennbootes, meldete sich der alte Mann wieder zu Wort, und
zwar triumphierend diesmal.
»Das ist es! Jetzt hab ich ihn!«
»Wie bitte, Cookson?«
»Jetzt kann ich ihn einweisen lassen!«
»Was ...?« »Er darf nach dem Gesetz sein Boot nicht fahren
weder das, noch seinen Wagen, sein Motorrad oder sein
Schneemobil. Er gilt, was Fahrzeuge betrifft, als Bedrohung zu
Lande, zu Wasser und im Schnee.«
»Sie wollen ihn ins Gefängnis werfen lassen?«
»Gefängnis! Guter Gott, nein. Nur in eine dieser Institutionen,
wo man ihn geradebiegen und ihm den Kopf zurechtrücken
wird! Meine Anwälte haben schon alles Nötige veranlaßt. Wird
er auch nur ein einziges Mal dabei ertappt, diese Auflagen zu
übertreten - und von dritter Seite werden keine Ansprache
geltend gemacht -, räumt das Gericht mir das Recht ein, meine
eigenen vormundschaftlichen Maßnahmen zu ergreifen.«
»Sie wollen ihn in ein Sanatorium stecken?«
»Ich benutze lieber eine andere Bezeichnung, etwa
>Rehabilitationszentrum<, oder wie so was heutzutage heißt.«
»Wenn Sie so weit gehen wollen, muß er Ihnen großen
Kummer bereitet haben.«
-5 9 9
»Das hat er, weiß Gott, doch vielleicht nicht so, wie Sie jetzt
denken. Ich kenne den Jungen und liebe ihn von Herzen - mein
Gott, er ist der letzte männliche Frazier.«
»Ich verstehe, Cookson.«
»Das glaube ich nicht. Was immer er heute ist, wir sind es, die
ihn dazu gemacht haben, unsere Familie, genauso, wie ich es
mit meinem eigenen Sohn gemacht habe ... Aber, wie ich
gesagt habe, ich kenne ihn: Unter diesem völlig verwahrlosten
Äußeren, das von Charme nur so trieft, hat der Bursche Hirn,
Aaron! Hinter der Fassade des verwöhnten Jungen steckt ein
anderer Mann, das spüre ich und daran glaube ich aufrichtig.«
»Er ist ein sehr liebenswerter Mensch, und ich wäre der letzte,
Ihnen da zu widersprechen.«
»Glauben tun Sie mir aber doch nicht, hab ich recht?«
»So gut kenne ich ihn nun auch wieder nicht, Cookson.«
»Die Zeitungen und das Fernsehen bilden sich das
offensichtlich ein. Jedesmal, wenn er was ausfrißt, kommen
dieselben Sprüche: >Superreicher Erbe wieder in der
Ausnüchterungszelle gelandet<, oder >Bostoner Playboy - eine
Schande für die Stadt< und so weiter und so fort.«
»Zu diesen Dingen ist es aber anscheinend tatsächlich
gekommen.«
»Selbstverständlich hat es das alles gegeben. Deshalb kommt
mir das, was Sie mir da eben erzählen, wie gerufen. Jetzt kann
ich diesen nicht mehr ganz so jugendlichen Tunichtgut unter
Kuratel stellen.«
»Wie das? Das Rennboot ist auf dem Wasser, und wir wissen
nicht, wohin er fährt.«
»Sie sagen, er hätte vor etwa zwanzig Minuten vor Swampscott
angelegt?«
»Vielleicht ist es noch nicht einmal solange her.«
»Um bis zur Marina zurückzukommen, braucht er mindestens
vierzig bis fünfzig Minuten.«
»Mal angenommen, er will gar nicht zurück zum Yachthafen?
-6 0 0
Mal angenommen, er fährt in die entgegengesetzte Richtung?«
»Nördlich von Swampscott ist die einzige Anlegestelle, die
Nicht-Club-Mitgliedern Treibstoffübemahme gestattet, in
Gloucester, und diese schnellen Flitzer saufen Sprit wie sechs
Araber, die ihren Strohhalm in dieselbe Teekanne gehängt
haben.«
»All das wissen Sie so genau?«
»Ich war fünf Amtszeiten nacheinander Leiter des Bostoner
Schnellboot-Clubs. Aber wir vertun unsere Zeit, Aaron. Ich muß
beim Club und bei unseren Freunden von der Küstenwacht
anrufen. Die finden ihn.«
»Noch was, Cookson. An Bord befindet sich ein Mitarbeiter von
mir namens Devereaux, Samuel Devereaux - er muß von den
Behörden unbedingt für mich festgehalten werden.«
»Üble Geschäfte, wie?«
»Nein, überhaupt nicht, er ist nur unbesonnen. Aber es ist
überaus wichtig, daß er festgehalten wird. Warum, erkläre ich
später.«
»Devereaux? Ein Verwandter von Lansing Devereaux?«
»Ja, sein Sohn.«
»War ein hochanständiger Kerl, Lansing. Und ist für jemand mit
seinen Fähigkeiten viel zu früh gestorben. Offen gestanden hat
er mir zu ein paar überaus gewinnbringenden Investitionen
verholfen.«
»Sagen Sie mir, Cookson: Haben Sie nach seinem Tod mit
seiner Witwe Kontakt aufgenommen?«
»Hätte ich anders handeln können? Er war das Gehirn, ich nur
jemand mit ein bißchen Geld. Nach seinem Tod habe ich
seinen Anteil an meinem Gewinn auf ihr Konto überwiesen. Wie
ich schon sagte: Hätte ich anders handeln können?«
»Eine Reihe anderer Leute hat das offensichtlich getan.«
»Diese verdammten Blutsauger, die sich immer nur bereichern
wollen ... Ich muß jetzt auflegen und ein paar Anrufe tätigen,
Aaron, aber jetzt, wo wir miteinander gesprochen haben
lassen Sie uns doch mal zusammen zu Abend essen.«
-6 0 1
»Mit größtem Vergnügen.«
»Mit ihrer bezaubernden Frau, Shelly - so eine anmutige große
Frau.«
»Ja, Shirley, bloß - eigentlich ist sie nicht groß. Das liegt
vielleicht an ihrer ... ach, was soll's.«
-6 0 2
28. KAPITEL Plötzlich wurde der Himmel grau, und dunkle Wolken ballten
sich zusammen, während die See brodelte. Vor der Küste von
Massachusetts hielt Sam Devereaux sich an der aus rostfreiem
Stahl bestehenden Reling des Rennbootes fest und fragte sich,
welcher Teufel ihn geritten hatte, Geoff Frazier anzurufen,
einen Mann, den er nun wirklich verabscheute ... Nun,
verabscheuen war vielleicht ein zu starkes Wort. Keiner, der
Crazy Frazie, wie er manchmal liebevoll genannt wurde,
kannte, konnte ihn wirklich verabscheuen, dazu hatte er ein viel
zu großes Herz - mindestens so groß wie der monatliche
Scheck, den er aus seinem Erbe bezog, und von dem er
bereitwillig jedem was zusteckte, von dem er wußte, daß es ihm
gerade besonders schlecht ging. Was Sam im Moment störte,
waren Frazies Wahnsinnsmanöver, mit denen er seine
schnittige zweimotorige Rennzigarre in die Wahnsinnswellen
vor ihnen lenkte.
»Muß ich einfach, Sportsfreund!« rief der grinsende Skipper,
die litzenbesetzte Kapitänsmütze schief auf dem Kopf. »Diese
schlanken Dinger können sich verflixt schnell auf den Rücken
legen, wenn man die Wellen nicht einigermaßen im rechten
Winkel nimmt.«
»Soll das heißen, wir könnten sinken?«
»Ach, das weiß ich nicht, ist mir noch nie passiert.« Eine
gewaltige Gischtwand schoß über die Windschutzscheibe des
Bootes hinweg und machte beide Männer pitschnaß. »Ist schon
irre komisch, findest du nicht, Sportsfreund?«
»Geoff, bist du nüchtern?« »Ein kleines bißchen vielleicht, alter
Junge, aber das macht nichts!« rief Frazier gellend. »Ein kleiner
Schluck, und du fühlst dich gleich besser bei diesen plötzlichen
Böen! Damit überlistet man die Natur, wenn du verstehst, was
ich meine ... Kannst du mich hören, Dewy?«
»Leider ja, Frazie!«
-6 0 3
»Nur, keine Bange! Diese Schauerböen brauen sich
unglaublich schnell zusammen, können aber auch genauso
schnell wieder vorbei sein.«
»Wie lange dauert so was normalerweise?«
»Selten länger als eine Stunde oder so«, rief der glücklich
grinsende Frazier. »Unser einziges Problem besteht darin, bis
dahin eine Ausweichstelle zu finden.«
»Eine Ausweichstelle?«
»Kann nicht rein, bevor wir nicht 'ne schnuckelige Ecke finden,
sozusagen,« »Red mal Klartext!«
»Hab ich doch, Sportsfreund. Eine Bucht mit Schutz vor Wind
und Wellen, nur gibt's davon verdammt wenige hier an der
Küste.«
»Fahr doch ans Ufer!«
»Dazu gibt es zuviele Felsen und Buhnen, Dewy, und damit ist
bei solchem Wetter nicht zu spaßen.« »Was für Wetter ...«
»Schon gut.«
»Verdammt noch mal, fahr ans Ufer! Dort vor uns liegt ein
ganzer Abschnitt, und von Felsen ist weit und breit nichts zu
sehen, und ich hab was verdammt Wichtiges zu erledigen.«
»Nun, Felsen und Sandbänke sind nicht die einzigen
Hindernisse, altes Haus«, rief Frazier gellend. »Boote wie
dieses hier, die Privatgrundstücke anlaufen, werden nicht
gerade gern gesehen, und wenn du genauer hinguckst,
erkennst du, daß es weit und breit nichts weiter als
Ferienhäuser sind, die dort in den Dünen stehen.«
»Vor 'ner halben Stunde hast du in Swampscott doch auch
angelegt.«
»Da unten bezahlen Leute wie ich für Strandabschnitte, die sie
nie benutzen. Außerdem kennt jeder das Haus der Birnbaums,
und wer die Gesellschaftsseite im Käseblatt verfolgt, weiß, daß
sie gerade zu Grundstücks - und Häuserversteigerungen nach
London sind. Ich hab's drauf ankommen lassen, Dewy, aber
hier nicht - jedenfalls nicht bei diesen Böen und mit meinem
Strafregister für vergangene Eseleien.«
-6 0 4
»Eseleien?« »Ach, nichts weiter als ein paar dumme kleine Verkehrsdelikte, wenn du so willst, alter Junge. Nichts, worüber man sich Gedanken zu machen brauchte, aber faule Äpfel gibt es nun mal in jedem anständigen Faß, verstehst du?« »Was für Äpfel? Und was für Fässer?« röhrte Sam, als Gischtflocken von Steuerbord wie von Backbord über ihm zusammenklatschten. »Großvaters Kumpel vom Schnellboot-Club - durch die Bank Angeber, nichts als Angeber sind das, und mich haben sie auf dem Kieker, weil mein Boot schneller ist als jedes einzelne von ihnen.« »Wovon redest du eigentlich, Frazie?« Ein gewaltiger Luftsprung nebst anschließendem Bauchklatscher in eine auf sie zurauschende Woge hatte zur Folge, daß Sam die Reling aus der Hand gerissen wurde, er krachte aufs Deck, packte den Griff eines Backsschaps, riß ihn herunter, und rutschte mit dem Kopf voran hinein. »Hilfe!« schrie er. »Ich hab mich hier irgendwo festgeklemmt.« »Kann dich nicht hören, Dewy, aber keine Bange, Freund! Voraus sehe ich die Ansteuerungsboje von Gloucester.« »Hmpfft ... hmpfft ...!« »Du mußt deutlicher sprechen, Dewy! Ich kann bei diesem Wind nichts verstehen, aber ich wäre dir außerordentlich dankbar, wenn du die Flasche Dom Perry für mich aufmachen könntest. Hinten im Schapp steht eine Kühltasche, sei doch so gut! Du brauchst sie auf Deck bloß rumwirbeln lassen, wie wir es früher in Holyoke mit den Mädchen gemacht haben, weißt du noch? Dank der Fliehkraft kann nur die Hälfte von dem kostbaren Naß entweichen. Physik Kurs I und II im guten alten Andover! Das wichtigste, was ich jemals gelernt hab.« »Hmpfft ... aaauuu ... autsch!« schnaufte und kreischte Sam und zog, eine aufgeschossene weiße Taurolle um den Kopf, diesen aus der Backskiste heraus. »Eine Flasche Champagner willst du, und das mitten in einem Hurricarte? Du hast sie nicht mehr alle, du bist ja wahnsinnig, Frazie, absolut wahnsinnig!«
-6 0 5
»Komm schon, Sportsfreund, das hier ist doch nichts weiter als
eine kleine Schauerböe!« Der grinsende Kapitän, der den
Schirm seiner Skipper-Mütze jetzt übers rechte Ohr gezogen
hatte, drehte sich um und warf einen Blick auf den bäuchlings
auf dem Boden liegenden Passagier mit der Taurolle um den
Schädel. »Ach, komm schon, alter Junge, soll das deine
Dornenkrone sein?« Er brüllte vor Lachen.
»Ich denk ja gar nicht dran, dir eine Flasche Schampus zu
holen, und ich verlange, daß du mich an Land schaffst, oder ich
wisch dir in meiner Eigenschaft als Jurist gewaltig eins aus und
weise nach, daß du auf hoher See völlig unfähig bist.«
»Hundertfünfzig Schritt vom Ufer entfernt?« »Du weißt ganz
genau, was ich meine!« Während er sich in eine kniehohe
Stellung hochraffte, krachte ihm neuerlich eine Sturzsee auf die
Schultern und warf ihn wieder zurück auf die Planken. »Frazie!«
schrie Sam entsetzt und umklammerte mit den Händen erneut
die Reling aus rostfreiem Stahl, die über das Schandeck hinlief.
»Ist dir außer dir selbst überhaupt nichts wichtig?«
»Das ist an sich - oder an mir- schon ein verdammt weites Feld,
Freund, aber selbstverständlich ist es das! Wichtig sind mir zum
Beispiel alte Freunde, die mich immer noch einen Freund
nennen. Und du bist mir wichtig, weil du dich in einer
Notsituation an mich gewandt hast.«
»Das kann ich nicht leugnen«, sagte Devereaux und beschloß,
die Kühltasche aufzumachen, weil ihm der Gedanke kam, daß
Frazie vielleicht etwas brauchte, um >die Natur zu überlisten<.«
»Oh, oh!« entfuhr es dem Captain vom Swampscott
Rettungseinsatz. »Wir haben da ein Problem, Dewy!« »Was?«
»Einer von diesen Angebern von Grandpapas Schnellboot-Club
muß uns gesichtet haben.«
»Was?«
»Ein Fahrzeug von der Küstenwacht ist hinter uns her, alter
Freund! Dreh dich um und überzeuge dich selbst!«
»Scheiße!« flüsterte Sam, als er den schnittigen Bug eines
weißen Patrouillenbootes der Küstenwacht etliche hundert
Meter hinter ihnen über die Wellen dahinflutschen sah. Dann
-6 0 6
hörte er zwischen dem an- und abschwellenden Rauschen des
Windes den Ton einer Sirene. »Versuchen die etwa, uns zu
stoppen?« rief er laut.
»Sagen wir mal so, Sportsfreund - es ist nicht gerade ein
Höflichkeitsbesuch, den sie uns abstatten wollen.«
»Aber es geht nicht, daß man mich aufhält!« rief Devereaux
gellend, machte eine Flasche auf und ließ sie über das nasse
Deck trudeln. »Ich muß zu den Behörden - zum FBI, dem
Boston Globe, muß zu irgendwem! Ich muß einem der
mächtigsten Männer in Washington die Maske runterreißen. Ich
muß das einfach schaffen! Und wenn irgendwem in der
Regierung mein Beweismaterial in die Hände fällt, werden sie
mich daran hindern!«
»Klingt ja ganz nach 'nem Hammer, alter Junge!« rief Frazier,
dessen Stimme über dem Wind und trotz der brodelnden Gischt
bis zu Sam durchdrang, und griff nach der Flasche. »Aber eine
Frage muß ich dir stellen. Du trägst doch nicht irgendwelche
kleinen Pillen oder Päckchen mit Pulver oder irgend so was mit
dir rum, Sportsfreund?«
»Himmel, nein!«
»Was das betrifft, muß ich ganz sicher sein, Dewy. Bitte versteh
das!«
»Glaub mir, Frazie!« schrie Sam über das Donnerrauschen
einer ganz besonders starken Neuenglandbö. »Wir reden von
einem Mann, der maßgeblich an der Ausrichtung der
amerikanischen Politik beteiligt ist und gleich nach dem
Präsidenten die mächtigste Position in unserer Regierung
innehat. Der Mann ist ein Lügner und Gauner, und er heuert
Killer an! Ich hab das alles in meiner Tasche!«
»Das Geständnis von jemandem?«
»Nein, ein Tonband, das die ganze Verschwörung bestätigt.«
»Das ist ja denn wohl wirklich ein Hammer, oder?«
»Bring mich an Land, Frazie!«
»Dann halt dich fest, Kumpel - aber wirklich!«
-6 0 7
Die nächsten Minuten, deren Zahl auch nur annähernd abzuschätzen einem hysterischen Devereaux völlig unmöglich war, verliefen, als gälte es, Hals über Kopf und wirbelnd, ratternd, stampfend und zitternd in Dantes sämtliche Höllenkreise einzutauchen. Crazy Frazie wurde zu einem besessenen Kapitän Ahab, doch statt Jagd auf den großen weißen Wal zu machen, tat er sein Gottverdammt-Bestes, dessen bartenbewehrten Schlund auszuweichen. Wie ein satanischer Kapitän aus dem Jenseits peitschte und prügelte ein grinsender Geoffrey Frazier, die Flasche Dom Perignon ab und zu an die Lippen setzend, auf seine Motoren ein, daß sie seinen Befehlen gehorchten, während er das Ruder wiederholt hierhin und wieder zurückwirbeln ließ und sich gekonnt auf die von allen Seiten ihn bedrängende, mächtige Dünung warf oder ihrem Schwellen auswich. Das weniger wendige Patrouillenboot hinter ihnen wurde von einem Offizier der Küstenwacht befehligt, der offensichtlich stinkwütend war. Zum klagevollen Aufheulen der Sirene gesellten sich empörte, über Lautsprecher gegebene Befehle: »Drosseln Sie Ihre Motoren und laufen Sie auf Tonne sieben zu. Kurs Nordwest. Wiederhole. Sie Wahnsinniger, Tonne sieben, und runter mit den Pferdestärken!« »Einen besseren könnten wir uns gar nicht wünschen«, rief Capitän Crazy Frazie seinem völlig verdatterten Passagier zu. »Ist'n guter Mann!« »Was sagst du da?« rief Sam. »Die entern uns mit Dolchen und Musketen und werden uns in Eisen legen!« »Mich vielleicht, Sportsmann, aber dich nicht, wenn du genau tust, was ich dir jetzt sage.« Frazier drosselte seine Zwillingsmotoren mitnichten, sondern änderte nur unvermittelt den Kurs, bis er schließlich in etwa nordwestlich lief. »Und jetzt paß auf, Dewy! Ich bin hier oben zwar schon lange nicht mehr gewesen, aber >Tonne sieben< hat mein Gedächtnis reaktiviert. Sie steht rund hundert Meter links von einer ziemlich großen Felsformation, die da aus dem Wasser aufragt, eine kleine Landmasse, die dem Wind 'ne Menge Kraft nimmt - die -6 0 8
Segler schimpfen da häufig über hundertzwanzig Meter
Flaute.«
»Felsen? Flaute? ... Um Himmels willen, Frazie, ich kämpfe
damit, nicht den Verstand zu verlieren, kämpfe für die Integrität
meines Landes.«
In diesem Augenblick rutschte die Rennzigarre steuerbords ab,
und die Gischt, die das aufwühlte, klatschte ihm geradewegs
ins Gesicht. »Verdammt! Salzwasser hat sich noch nie gut mit
Schampus vertragen!« »Frazie ...!«
»Ja. Jetzt hör zu, Dewy! Wir werden gleich Tonne sieben
erreichen, dort ist ruhigere See, und ich werde den Motor
drosseln - das ist für dich das Zeichen: fertigmachen zum
Verlassen des Bootes.«
»Du meinst, wie bei >Mann über Bord<, obwohl diese Navy-
Faschisten mich da mühelos auffischen können?«
»Ich habe gesagt, dich drauf vorbereiten - nicht gleich springen.
Sobald ich verlangsame, schleichst du dich nach steuerbord,
aber halt dich unterm Schanzkleid. Kurze Zeit später drehe ich
wieder auf volle Stärke und laufe einen mächtigen Bogen nach
backbord, was dich bis auf vierzig oder fünfzig Schritt
Reichweite ans Ufer bringt. Das ist für dich der Augenblick, um
über Bord zu gehen - die Gischtwand deckt dein Verschwinden
-, und ich sorge dafür, daß unsere Küstenwacht ihre
Verfolgungsjagd feuchtfröhlich fortsetzt.«
»Grundgütiger Himmel, Frazie! Das willst du für mich tun?«
»Du hast mich um Hilfe gebeten, Dewy ...«
»Gewiß, aber das habe ich vor allem getan, weil ich wußte, daß
du ein schnelles Boot hast und ... und ... naja, ich dachte
einfach ...« »... daß Crazy Frazie, wie er nun mal ist, genau der
richtige Typ für dich sein könnte?«
»Tut mir leid, Geoff. Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll.«
»Mach dir nichts draus, Sportsfreund. Ist doch ein
Mordsvergnügen!«
-6 0 9
»Könnte aber sein, daß du deswegen Mordsscherereien kriegst, Geoff, und daran hatte ich nun überhaupt nicht gedacht, wirklich nicht.« »Natürlich nicht. Du bist der beunruhigendst aufrichtige Mensch, den ich kenne. Und jetzt: festhalten, Dewy. Es geht los!« Sie liefen in die schmale Rinne ein, die Tonne sieben markierte. Die Rennzigarre verlangsamte im plötzlich ruhigeren Gewässer ihre Fahrt. Das Schiff der Küstenwacht kam auf zwanzig Meter an sie heran. »Hören Sie mich, und geben Sie gut acht!« ließ sich erregt die Stimme des Kapitäns über Lautsprecher vernehmen. »Sie sind identifiziert worden als ein gewisser Geoffrey Frazier, und ihr Passagier ist ein Mann namens Samuel Devereaux. Sie stehen jetzt beide unter Arrest! Drehen Sie bei! Drei Mann von meiner Crew kommen zu Ihnen rüber und übernehmen das Kommando.« »Geoff!« rief Sam Devereaux, der bäuchlings auf dem Steuerborddeck lag. »Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, daß so was passiert.« »Ach, halt schon den Mund, alter Junge. Noch ein paar Momente - sobald sie ihr Dinghi zu Wasser lassen -, und ich drehe wieder auf und halte in Richtung zum Strand. Wenn ich glaube, daß wir nahe genug sind, geb ich dir ein Zeichen, und du gehst rüber, verstanden?« »Verstanden. Das werd ich dir nie vergessen! Und nicht nur das. Ich werde dich vor Gericht mit allen juristischen Mitteln verteidigen, die der Kanzlei Aaron Pinkus Associates zu Gebote stehen.« »Das ist sehr liebenswürdig von dir, Sportsfreund ... all right, Devvy, here we go!« Mit dem letzten Wort machte das PS starke Rennboot einen so gewaltigen Satz vorwärts, daß der Bug sich aus dem Wasser emporhob wie ein sich in die Lüfte schwingender Silberreiher. Das Aufbrüllen der Motoren überdeckte alles andere, und die Rennzigarre schoß aus dem vergleichsweise geschützten Wasser zurück in die kochende -6 1 0
See hinter Tonne sieben. Genau, wie er gesagt hatte, schlug
Frazier in Schräglage einen weiten Bogen nach links und ließ
steuerbords eine Wand aus dickem Schaum und Gischt
hochgehen, die alles, was davor oder dahinter passierte,
unsichtbar machte - unter anderem eine langgestreckte Gestalt,
die sich über die Bordwand ins Wasser rollen ließ.
Ebendies war es, was ein entschlossener, wiewohl
angstgebeutelter Sam Devereaux tat, als der Captain winkte
und rief:
»Jetzt, alter Kumpel - ich weiß, daß du es schaffen kannst. Du
hast schließlich zur Schwimmannschaft von Andover gehört.«
»Nein, Frazie! Ich war beim Tennis! Die Aufnahmeprüfung beim
Schwimmen hab ich nicht geschafft.«
»Tut mir leid ... aber jetzt los!«
Von den Wellen hin und hergeworfen, hielt Sam den Kopf halb
unter Wasser, während das Patrouillenboot der Küstenwacht an
ihm vorbeibrauste und der Lautsprecher blechern verkündete:
»Laufen können Sie, aber verstecken können Sie sich nicht, Sie
ausgebluffter Schwindler, Sie! Diesmal haben wir Sie
Widerstand gegen die Staatsgewalt, Trunkenheit am Steuer
Ihres Bootes, bedenkenloses In-Gefahr-Bringen Ihres
Passagiers, der gleichfalls unter Arrest steht. Und ich krieg Sie
doch!«
Plötzlich ertönte es aus einem wesentlich weitertragenden
Lautsprecher und machte den weiterhin als Spielball der
Elemente sich vorkommenden Sam Devereaux womöglich
noch fassungsloser - denn dieser Lautsprecher kam von
Frazies Boot. Und anhören tat sich das Ganze wie ein
plärrendes, schwimmendes Knautschkissen: »... der gleichfalls
unter Arrest steht ... ein Mann namens Samuel Devereaux. Sie
stehen beide unter Arrest.«
Unter Arrest? Stand er unter Arrest? Vage hatte er die Worte
vernommen, als er sich an das Deck geklammert hatte, doch in
dem Zustand der Hysterie, in dem er sich persönlich befand,
hatte er gar nicht registriert, was sie aussagten. Arrest! Dann
seinen Namen. Oh, mein Gott, ich bin ein Flüchtling! Sie
-6 1 1
suchten nach ihm. Vermutlich gab es eine Suchmeldung! Das konnte nichts anderes bedeuten, als daß sie Aaron, Jenny, Cyrus, Roman und die beiden Desis geschnappt hatten gefangengenommen und kirre gemacht, gezwungen, alles zu gestehen. Mac, den hatten sie vermutlich gleich standrechtlich erschossen! ... Und Jenny, die neue Liebe seines Lebens ... womöglich taten sie ihr weiß Gott was an, entsetzliche Dinge! Die in die Enge getriebenen Männer in Washington würden vor nichts zurückschrecken. Nun, womit sie nicht gerechnet hatten, das war Samuel Lansing Devereaux, der aufrechte Rechtsanwalt, Rächer der Entrechteten und Geißel der Korrupten überall auf der Welt! Und dieser Samuel Lansing Devereaux war bei einem Meister in die Lehre gegangen - einem irregeleiteten, vorsintflutlichen Meister zwar, aber nichtsdestotrotz einem Meister! Einem Meister der Lügen und der Verstellung, des Diebstahls und der listenreichen Täuschung, Meister eben all der schönen Attribute, die ihn zum Soldaten des Jahres gemacht hatten. Sam war entschlossen, sich jedes noch so abwegigen Tricks und Kniffes zu bedienen, jedes ruchlosen Ränkespiels, das er dem Falken abgeguckt hatte, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, ihr allseits Geltung zu verschaffen und seine Kameraden zu befreien. Nicht nur seine Kameraden zu befreien: sein Land zu retten und nicht zuletzt die herrliche Sunrise Jennifer Redwing für immer an sich und sein Leben zu binden! Und zuwege zubringen gedachte er das mit dem Tonband, das er sicher in einem Plastikbeutel bei sich trug, den er in der Küche der Birnbaums gefunden hatte und der jetzt in seiner tiefsten Tasche steckte. Prustend und Salzwasser schluckend, kämpfte Sam Devereaux mit aller Kraft gegen die Gezeiten an und arbeitete sich durch die kabbelige See bis an den Strand vor. Jetzt galt es, den einfallsreichen Teil seines Gehirns zu aktivieren und, wie Mac ihm immer wieder klargemacht hatte, darauf gefaßt zu sein, aus dem Stand heraus irgendein Lügengewebe auszubreiten, das geeignet war, auch die verrücktesten Tatsachen zu untermauern. Wie
-6 1 2
etwa: »Wow, bin ich froh, wieder an Land zu sein! Mein Boot ist
gekentert.«
»He, Mister!« rief der Teenager, der vom Haus
heruntergelaufen gekommen war, um ihn am Rande des
Wassers zu begrüßen. »Ich wette, Sie sind froh, wieder an
Land zu sein. Ist ihr Boot in einer Bö gekentert?«
»Ja ... nun, ziemlich kabbelige See da draußen.«
»Das macht aber nichts, wenn man einen anständigen Kiel hat.
Mit einem Pott sucht man am besten hinter Tonne sieben
Rettung.«
»Solches Zeugs pflege ich nicht zu rauchen, mein Kind.« »Sie
meinen Gras? Das tut sowieso keiner, mit dem ich ausgehe. Ich
meinte, Pott wie Kahn, Motorboot. Verstehen Sie, Motoren und
Ölreste, die das Wasser verschmutzen.«
»Oh, natürlich! Ich bin bloß noch'n bißchen durcheinander von
der Schwimmerei.« Unsicher raffte Sam sich auf die Beine: Mit
der Rechten tastete er seine Hosentasche ab. Das wasserdicht
verpackte Band war noch da. »Ich bin übrigens in Eile.«
»Das kann ich mir vorstellen«, unterbrach das Mädchen ihn.
»Sie wollen gewiß bei Ihrer Marina oder der Küstenwacht
anrufen. Oder auch Ihre Versicherung. Sie können unser
Telefon benutzen.«
»Bist du nicht ein bißchen allzu vertrauensselig?« fragte
Devereaux. Der Anwalt in ihm war es, der ihn das fragen ließ.
»Ich bin schließlich ein völlig Fremder, der hier an Land gespült
wurde.«
»Und mein großer Bruder ist Neuenglischer Meister im Ringen.
Da kommt er schon.«
»Oh?« Sam hob die Augen und sah zum Haus hinüber. Die
Stufen heruntergeschritten kam ein stattlicher Gorilla mit
Bürstenhaarschnitt und ungewöhnlich langen, muskulösen
Armen, die ihm fast bis unter die Knie reichten. »Gut
aussehender junger Mann.«
»Oh, klar, alle Mädchen sind verrückt nach ihm, doch werden
die sich noch wundern.«
-6 1 3
»Sich wundern? Wieso?« Devereaux hatte das ernüchternde
Gefühl, daß ihm sogleich ein schreckliches Familiengeheimnis
enthüllt werden würde. »Manche Leute sind einfach anders,
doch wie die Propheten sagen, wir sind alle Gottes Kinder. Man
sollte tolerant sein.«
»Warum? Er will Rechtsanwalt werden! Ich meine, das geht
denn doch nun wirklich zu weit, oder?«
»Ja, das geht zu weit!« murmelte Sam, als der Neuengland-
Meister im Ringen näherkam. »Tut mir leid, Sie zu belästigen«,
sagte Devereaux. »Mein Boot war nicht wendig genug und ist
gekentert.«
»Ist bei dem Wind vermutlich durchgekait«, sagte der junge
Mann freundlich. »Und wahrscheinlich ist es auch Ihr erstes
Boot.«
»Woher wissen Sie das?«
»Na, das liegt doch auf der Hand. Lange Hosen. Oxfordhemd,
schwarze Socken und einen braunen Lederschuh, der
drangeblieben ist - weiß der Geier, wie er das geschafft hat!«
Devereaux senkte den Blick auf seine Füße. In der Tat, der
Ringer hatte recht, er trug nur noch einen Schuh. »Das war
wohl ziemlich dumm von mir. Ich hätte Segelschuhe anziehen
sollen.«
»Ein Segelboot?« fragte der junge Mann.
»Ja, Segel - ein großes, und ein kleines vorn.«
»Oh, wou«, entfuhr es der kleinen Schwester. »Das war
bestimmt sein erstes Boot, Boomer!«
»Etwas mehr Mitgefühl, wenn ich bitten darf, Schwesterchen.
Jeder hat mal sein erstes Boot. Ich mußte rausschwimmen und
dich in deiner ersten Comet an Tonne drei rausholen, hast du
das schon vergessen?«
»Du Riesenbaby, du hast versprochen ...«
»Ganz ruhig ... Kommen Sie, Mister. Sie können sich trocknen
und das Telefon benutzen.«
»Ach, de facto hab ich's ganz schrecklich eilig. ... Offen
gestanden müßte ich in einer sehr dringenden Angelegenheit
-6 1 4
die Behörden erreichen, und da hilft mir das Telefon nicht. Ich
muß schon persönlich dort erscheinen.«
»Sind Sie ein Drogenschmuggler oder so was?« fragte der
junge Mann mit schneidender Stimme. »Segler sind Sie
jedenfalls nicht.«
»Nein, bin ich nicht. Ich bin bloß jemand mit Informationen, die
dringend gebraucht werden.«
»Können Sie sich irgendwie ausweisen?«
»Ist das nötig? Ich bezahle Sie, wenn Sie mich hinbringen,
wohin ich will.«
»Erst mal ausweisen. Ich bin angehender Jurist. Wer sind
Sie?«
»Schon gut, schon gut!» Sam griff in seine pitschnasse,
zugeknöpfte linke Gesäßtasche und holte unter Mühen die
nasse, aufgequollene Brieftasche hervor. Unwahrscheinlich,
daß das mit der Fahndungsmeldung bereits veröffentlicht
worden war, dazu waren die dreckigen Hunde in Washington
denn doch zu vorsichtig. »Hier, mein Führerschein«, setzte er
noch hinzu, zog quatschend die Plastikkarte aus ihrem Fach
und reichte sie dem Ringer.
»Devereaux!« rief der junge Mann. »Sie sind Samuel
Devereaux?«
»Haben sie es denn schon im Radio durchgegeben?« fragte
Sam und suchte, wie der Falke es ihm beigebracht hatte,
hektisch und mit angehaltenem Atem nach einer glaubhaften
Ausrede, um sie dem jungen Mann aufzutischen. »Dann muß
ich Ihnen auch noch den anderen Teil der Geschichte erzählen,
und Sie müssen mir einfach zuhören!«
»Von Radiomeldungen habe ich nichts gehört, Sir, aber ich
höre mir alles an, was Sie sagen! Sie sind der Bursche, der
dafür gesorgt hat, daß diese verkommenen Richter hochkantig
rausgeflogen sind. Für uns alle, die wir Jura studieren, sind Sie
schon so was wie eine Legende - eine neue Legende. Ich
meine, Sie haben diese Anklagen wegen Amtsmißbrauchs
gegen dieses erbärmliche Gezücht von Gesetzesdienern
-6 1 5
aufgebaut wie im Lehrbuch! Und jede einzelne von ihnen hat
sich bis zur Verurteilung als unangreifbar erwiesen!«
»Naja, ich war eben furchtbar sauer ...«
»Schwester, halte du die Stellung«, ließ der angehende
Rechtsanwalt ihn nicht zu Ende reden und verzog das Gesicht
zu einem breiten Grinsen. »Wenn Mom und Dad heimkommen,
sag ihnen, ich spiel Chauffeur für einen Mann, der eines Tages
bestimmt im Obersten Bundesgericht sitzen wird, oder wohin
immer sein Ehrgeiz ihn treibt.«
»Das FBI wäre vermutlich das beste«, schlug Sam rasch vor.
»Wissen Sie, wo die hier ein Büro haben?«
»In Cape Ann gibt's eins. Davon liest man immer wieder in der
Zeitung - Sie wissen schon, wegen der Schmuggelboote.«
»Wie lange brauchen wir bis dorthin?«
»Nicht länger als eine Viertelstunde.«
»Dann los!«
»Wollen Sie wirklich nicht erst ins Haus und sich was
Trockenes anziehen? Mein Vater ist'n ähnlich hagerer Typ wie
Sie.«
»Dazu reicht die Zeit nicht. Und das, worum es geht, ist
ungeheuerlich, glauben Sie mir!«
»O, boy, dann lassen Sie uns losfahren. Der Jeep steht vorn.«
»Die sind ja alle gaga«, sagte das Mädchen.
»Hatschiii!«
»Gesundheit«, sagte Tadeusz Mikuski, Special Agent des
Federal Bureau of Investigation mit unbewegter Stimme und
sauertöpfischer Miene, die kaum irgendwelche guten Wünsche
zum Ausdruck brachte. In Wahrheit mußte er, während er die
merkwürdige Gestalt ins Auge faßte, die da vor seinem
Schreibtisch saß - ein Mann mit nur einem Schuh, der
offensichtlich unter schwerem Streß stand und dessen nasse
Kleidung kleine Wasserlachen auf dem Boden entstehen ließen
-in Wahrheit mußte Special Agent Mikulski daran denken, daß
es bis zu seiner Pensionierung nur noch acht Monate, vier Tage
und sechs Stunden waren, nicht, daß er sie zählen würde. -
-6 1 6
Okay, Mr. Deverooox«, fuhr er fort und sah die verschiedenen
völlig durchweichten Ausweispapiere durch, die der Mann aus
seiner Brieftasche gezogen hatte. »Fangen wir noch mal von
vorn an.«
»Devereaux«, sagte Sam.
»Hören Sie, Mr. Devereaux, ich spreche Englisch, Polnisch,
Russisch, Litauisch, Tschechisch, und ob Sie's glauben oder
nicht, aufgrund estnischer Einflüsse auch sogar Finnisch. Aber
Französisch, nein, das habe ich nie gepackt. Vielleicht ist das
eine naturgegebene Aversion, die ich habe. Meine Frau und ich
sind einmal eine Woche in Paris gewesen, wo sie den größeren
Teil eines Jahresgehalts von mir ausgegeben hat. Nun, da ich
mein Versehen erklärt habe - könnten wir noch mal von vom
anfangen?«
»Soll das heißen, Sie kennen meinen Namen nicht?«
»Ich bin sicher, es ist mein Pech, darf aber meinerseits
bezweifeln, daß Sie jemals von Kasimir III. gehört haben, sonst
unter dem Namen Karl der Große, König von Polen bekannt
vierzehntes Jahrhundert.«
»Daß ich nicht lache!« rief Sam. »Das war einer der
brillantesten Diplomaten seiner Zeit. Seine Schwester saß auf
dem Thron von Ungarn, und ihr Hof lieferte ihm die Expertise,
die er für die Vereinigung Polens brauchte. Seine Verträge mit
Schlesien und Pommern galten als Inbegriff juristischen
Maßhaltens.«
»All right, all right. Also hab ich Ihren Namen möglicherweise
schon mal gehört oder ihn in der Zeitung gelesen, okay?«
»Danach frage ich nicht, Agent Mikulski.« Devereaux beugte
sich auf dem Stuhl vor, was leider zur Folge hatte, daß an der
Knopfleiste seines Hemdes ein kleiner Wasserschwall
hervorbrach. »Wovon ich rede, das ist die
Fahndungsmeldung«, flüsterte er.
»Sie meinen, Aktenzeichen XY?«
»Nein, mich! Ich muß davon ausgehen, daß diese Halunken in
Washington sie über Funk verbreiten, weil sie meine Partner in
-6 1 7
die Hand bekommen haben - sie vielleicht sogar foltern. Wie
sonst hätten sie das mit Frazies Boot rausbekommen können?
Aber es gibt Zeiten, da müssen Untergebene mehr tun, als nur
sagen. >Ich habe nur Befehle ausgeführt.< Sie können mich
nicht festnehmen, Mikulski, Sie müssen sich einfach anhören,
was ich zu sagen habe, und sich dann hinterher auch das Band
anhören, das alles bestätigt, was ich gesagt habe.«
»Sie haben mir gar nichts erzählt. Bis jetzt haben Sie nichts
weiter getan, als meinen Fußboden unter Wasser zu setzen
und mich zu fragen, ob mein Büro abgehört wird.«
»Doch nur, weil der Arm dieser verschwörerischen Regierung
innerhalb der Regierung das Böse in Person ist! Die scheuen
vor nichts zurück! Sie haben halb Nebraska gestohlen.«
»Nebraska?«
»Vor über hundert Jahren.« »Über hundert Jahren? Kein
Scheiß?«
»Das ist tragischerweise, ja perverserweise so, Mikulski. Wir
besitzen den Beweis dafür, und sie werden alles tun, um uns
daran zu hindern, morgen im Obersten Gerichtshof zu
erscheinen und unsere personae delectae vorzulegen.«
»Ach so, das«, sagte der FBI-Agent und drückte auf einen
Knopf seiner Telefonkonsole. »Psychiatrie alarmieren!« sprach
er leise in die Gegensprechanlage.
»Nein!« schrie Sam und riß den versiegelten Plastikbeutel aus
der Tasche. »Hören Sie sich erst das hier an!« forderte er.
Agent Mikulski nahm den Plastikbeutel entgegen, von dem es
reichlich auf seine saubere Schreibtischunterlage tropfte. Er
holte die Kassette heraus und legte sie in seinen
Schreibtischrecorder ein. Dann drückte er auf den Knopf.
Plötzlich waren statische Geräusche zu hören, dann wurde
ringförmig Wasser hochgespritzt, das im Gesicht der beiden
Männer landete, und das schmale schwarze Band kam aus
dem Apparat herausgeschossen. Was immer auf dem Band
gewesen war, es war gelöscht.
-6 1 8
»Nicht zu fassen!« empörte Devereaux sich. »Ich hab den
Beutel selbst versiegelt. Es war alles drauf - alles! Der General,
der Außenminister, die ganze Verschwörung!« »Um sich
Nebraska unter den Nagel zu reißen?« »Nein, das ist schon
hundertundzwölf Jahre her. Geheimagenten haben die Bank
angezündet, in der die Wopotami-Verträge deponiert waren.«
»Ich war's nicht, falls Sie das meinen. Da haben meine
Großeltern in Poznan noch mit Kuhscheiße um sich geworfen
... Woppa-wer?«
»Ein anderer General, mein General hat das aus den Archiven
alles wieder zusammengefügt: Unterlagen und fehlende
Dokumente, von denen er wußte, daß es sie geben mußte.«
»Archive ...?«
»Dem des Büros für Indianerangelegenheiten, natürlich.«
»Oh ja, natürlich.«
»Verstehen Sie, das konnte er machen, weil da noch ein
anderer General ist, der denselben Namen trägt wie der
General, den der Außenminister auf so niederträchtige Weise
für seine Zwecke eingespannt hat. Er hat seinen Abschied von
der Army genommen, weil die Namen verwechselt wurden, als
ich gegen seinen Vetter Anklage wegen Drogenschmuggels
erheben wollte ...«
»Da wir gerade von solchen Sachen sprechen«, fiel Mikulski
ihm in die Rede, »was für eine Zigarettenmarke rauchen Sie?«
»Ich versuch gerade, es mir abzugewöhnen - sollten Sie
übrigens auch tun! Aber wie dem auch sei, es war ein
Riesenfehler, und dieser andere General bekam den Job beim
Amt für Indianerangelegenheiten, und mein General, der mit
seinem befreundet ist, schaffte es, in die Geheimarchive
reinzukommen und aufgrund der dort gefundenen Unterlagen
den Klagesatz zu entwerfen. Im Grunde ist alles ganz einfach.«
»Absolut fundamental«, sagte Mikulski langsam nickend und
mit gleichbleibender Stimme. Die großen Augen blieben auf
Sam gerichtet, während sich seine Hand langsam zur Konsole
und zur Gegensprechanlage vorarbeitete.
-6 1 9
»Wissen Sie, eigentlich gehört dem Stamm der Wopotami das
gesamte Stadtgebiet und die Umgebung von Omaha.«
»Natürlich ... Omaha.«
»Da sitzt das SAG, Agent Mikulski! Das Hauptquartier des
Strategie Air Command. Dem Gesetz nach ist das
widerrechtlich angeeigneter Grundbesitz, den die rechtmäßigen
Eigentümer zurückfordern. Und die durch verbrecherische
Machenschaften geschädigten Besitzer haben ein Anrecht auf
alles, was auf besagtem widerrechtlich angeeigneten Grund
und Boden gebaut wurde. Das ist überhaupt nicht strittig.«
»Überhaupt nicht strittig, oh ja, überhaupt nicht.« »Nur weigern
sich bestimmte korrupte Personen in der Regierung zu
verhandeln und gedenken, das ganze Problem einfach dadurch
aus der Welt zu schaffen, daß sie die Kläger aus dem Weg
räumen, noch bevor sie beim Obersten Gerichtshof vorstellig
werden können, der seinerseits die Berechtigung der Klage
bereits anerkannt hat. Könnte also sein, daß das Urteil
zugunsten der Wopotami ausfällt.« »Ja, könnte sein.«
»Die Möglichkeit besteht - vage vielleicht, aber nicht unmöglich.
Deshalb haben die Dreckskerle in Washington jemanden
namens Goldfarb angeheuert und die >Fiesen Vier< und die
>Selbstmörderischen Sechs< hingeflogen, uns davon
abzuhalten.«
»Jemand namens Goldfarb ...?« murmelte der wie hypnotisiert
dasitzende Mikulski und schloß für einen Moment die sonst
weitaufgerissenen Augen. «... die Fiesen Vier und die
Selbstmörderischen ... was noch?«
»Die Fiesen Vier haben wir in Leichensäcken an ihre Einheit
zurückgeschickt.« »Sie haben sie umgebracht?«
»Nein, Desi Arnaz Zwo hat ihnen ein Schlafmittel unters Essen
gemischt, und außerdem hatten wir Luftlöcher in die Säcke
geschnitten.«
»Desi Arnaz der Wievielte?« Special Agent Mikulsi konnte nicht
mehr, er war ein gebrochener Mann.
»Ihnen ist ja jetzt wohl hinreichend klar - zumindest sollte es
Ihnen klar sein -, daß wir schnell handeln und unverzüglich den
-6 2 0
Außenminister und alle diejenigen aus seiner näheren
Umgebung, die dem Stamm der Wopotami mit Gewalt ihre
fundamentalen Rechte verweigern wollen, an den Pranger
stellen müssen!« Schweigen.
Schließlich: »Lassen Sie mich Ihnen eines sagen, Mr.
Devereaux«, erklärte der FBI-Mann ruhig und spielte an
Möglichkeiten aus, was ihm im Moment zu Gebote stand. »Was
mir auf der Hand zu liegen scheint, ist, daß Sie ein Mann sind,
der in großen Schwierigkeiten steckt, aus denen ich Ihnen im
Moment nicht heraushelfen kann. Bleiben uns deshalb drei
Möglichkeiten: Erstens, ich kann im Krankenhaus von
Gloucester anrufen und um psychiatrische Hilfe bitten.
Zweitens, ich kann unsere Freunde von der örtlichen Polizei
rufen und sie bitten, Sie in Gewahrsam zu nehmen, bis das
Zeugs, das Sie wohl eingenommen haben, nicht mehr wirkt.
Und drittens, ich vergesse, daß Sie hier mit nur einem Schuh
reingeschneit sind und mir den ganzen Fußboden versaut
haben, und lasse Sie einfach wieder ziehen und vertraue
darauf, daß Ihr Einfallsreichtum Sie schon zu Freunden führt,
die Ihnen helfen können.«
»Sie glauben mir nicht!« schrie Sam.
»Wo soll ich Ihrer Meinung nach anfangen? Bei Desi Arnaz
Zwo und jemandem namens Goldfarb? Oder bei den Säcken
mit Luftlöchern und drei Generälen, die keine zwei Minuten im
Pentagon blieben, ohne daß man sie sofort in eine
Zwangsjacke stecken würde?«
»Alles was ich Ihnen erzählt habe, entspricht der Wahrheit.«
»Ich bin überzeugt, daß Sie das so sehen, und ich wünsche
Ihnen alles Gute. Wenn Sie wollen, rufe ich ihnen sogar ein
Taxi. Sie haben Geld genug bei sich, um nach Rhode Island
und damit zu einem FBI-Büro außerhalb dieses Staates zu
kommen.« »Sie sind pflichtvergessen, Agent Mikulski.« »Das
sagt meine Frau in bezug auf unsere unbezahlten Rechnungen
auch. Was soll ich dazu sagen? Ich bin eben ein Versager.«
»Sie sind ein wehleidiger Büroknochen, der sich nicht traut,
denen entgegenzutreten, die drauf und dran sind, die Gesetze
-6 2 1
unseres Landes und die uns qua Verfassung garantierten
Rechte mit Füßen zu treten.«
»He, Sie haben Desi Amaz, diesen Goldfarb und drei windige
Generäle auf Ihrer Seite. Wozu brauchen Sie da noch mich?«
»Sie sind eine Schande!«
»Geschenkt ... Aber wenn Sie jetzt nicht meinen Fußboden auf
und meinen Schreibtisch abwischen, dann machen Sie bitte,
daß Sie von hier verschwinden, huh? Ich habe zu tun! Die ABC-
Schützen der Cape-Ann-Grundschule demonstrieren vor dem
Rathaus für gleiches Wahlrecht für alle!« »Komisch, sehr
komisch!« »Ich hingegen fand das ausgesprochen süß!« »Das
war es nicht, und was das Taxi betrifft, so bin ich nicht auf Sie
angewiesen. Mein Fahrer ist zufällig neuenglischer Meister im
Ringen.«
»Wenn Sie Eintrittskarten verkaufen wollen, ich nehme ihnen
gern eine ab, wenn Sie jetzt bloß mein Büro verlassen
würden«, sagte der FBI-Agent, schob die Habseligkeiten von
Devereaux zusammen und reichte sie ihm.
»Das werde ich nicht vergessen, Mikulski«, fing Sam noch
einmal an und erhob sich mit der ganzen triefenden Würde, die
er in Hinblick auf seinen äußeren Zustand aufbringen konnte.
»In meiner Eigenschaft als Anwalt behalte ich mir vor, im
Justizministerium Beschwerde gegen Sie einzulegen. So wie
Sie Ihre Pflicht vernachlässigen - das kann nicht hingenommen
werden.«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Freundchen, nur:
Schreiben Sie den Namen bitte richtig, okay. Ich meine, es
sollte doch nicht wieder zu einer so folgenreichen
Verwechslung kommen wie bei ihren beiden Generälen, oder?
Es gibt eine ganze Menge Mikulskis hier in der Gegend.« »Sie
denken, ich bin verrückt, nicht wahr?« »Das zu entscheiden, ist
nicht meine Sache, sondern die von dafür ausgebildeten
Ärzten. Doch wenn Sie mich nach meiner Meinung fragen, so
will ich gern einräumen, daß ich zu dieser Ansicht neige.« »Sie
werden schon sehen!« sagte Sam der Rächer, machte kehrt
und humpelte zur Tür, wobei er zweimal auf dem nassen
-6 2 2
Fußboden ausrutschte. »Sie hören noch von mir!« setzte er noch hinzu, betrat den Vorraum und ließ laut die Tür hinter sich zufallen. Leider hörte Special Agent Mikulski tatsächlich noch von Sam, und zwar genau drei Minuten und einundzwanzig Sekunden, nachdem dieser gegangen war. Als der FBI-Mann sich den vierten Schluck Maalox genehmigte, klingelte die Sonderleitung seiner Telefonkonsole. Er drückte auf den Knopf und griff zum Hörer. »Mikulski, FBI.« »He, Teddy, ich bin's, Gerard von der Zentrale«, sagte der Kommandeur des Zehnten Küstenwacht-Distrikts von Massachusetts. »Was kann ich für Sie tun, Seemann?« »Ich ruf an, weil ich so eine dunkle Ahnung habe, daß Sie mir was bezüglich der Frazier-Devereaux-Suchmeldung erzählen können.« »Was ...?« fragte der Special Agent mit kaum wahrnehmbarer Stimme. »Devereaux, haben Sie gesagt?« »Jawohl. Diesen Knallkopf von Frazier haben wir, aber Devereaux nicht, und Frazier hat uns nichts, aber auch gar nichts gesagt. Der hat bloß dagesessen, stillvergnügt in sich reingegrinst und seinen Anruf gemacht.« »Hat nicht ...? Dagesessen ...? Sie reden in der Vergangenheit?« »Es ist zum Verrücktwerden, Teddy, Wir mußten ihn laufenlassen, und das ist es, was wir nicht verstehen können. Um was ging's denn bei dieser Fahndungsmeldung überhaupt? Wir hätten uns ums Haar einen Kolbenfresser geholt, drei Mann im Dingi an Land treiben lassen und fünf Yachthafen-Bojen zertrümmert, für die wir zahlen müssen, und das für nichts und wieder nichts. Devereaux ist verschwunden, und wir wissen nicht einmal, warum die nach ihm gefahndet haben. Ich hatte gedacht, ihr vom FBI könntet uns da ein Licht aufstecken.« »Bei uns ist eine solche Fahndungsmeldung nie durchgegeben worden«, sagte Mikulski und hockte da wie ein Häufchen Unglück. »Sagen Sie mir, was passiert ist, Gere.« Commander Gerard tat es, der Special Agent erbleichte und griff nach seiner -6 2 3
Flasche Maalox. »Dieser Schuft, dieser Devereaux, ist hier vor
wenigen Minuten rausmarschiert. Der Mann ist ein Irrenhaus
auf zwei Beinen. Was, zum Teufel, hab ich bloß gemacht?«
»Wenn man Ihnen keine Fahndungsmeldung durchgegeben
hat, haben Sie überhaupt nichts gemacht, Teddy. Wir haben
unseren Bericht rausgetickert, und mehr konnten wir nicht tun
... Moment, bleiben Sie dran, man reicht mir da gerade einen
Zettel. Wir haben da einen Typen namens Cafferty von der
Bostoner Polizei an der Strippe. Kennen Sie den?«
»Nie gehört.«
»Das Polizeipräsidium von Boston hat die Fahndungsmeldung
schließlich ursprünglich rausgegeben. Dem Scheißer werd ich
mal die Meinung sagen! Ruf Sie später wieder an, Teddy.«
»Acht Monate, vier Tage und fünfeinhalb Stunden«, brummelte
Mikulski in seinen Bart, zog die oberste Schreibtischschublade
auf und vergewisserte sich auf dem Kalender, wie viele Tage
bis zu seiner Pensionierung noch abzuhaken waren.
-6 2 4
29. KAPITEL Der neuenglische Meister im Ringen lenkte seinen Jeep in Swampscott auf die Auffahrt des Birnbaumschen Anwesens. »Da wären wir, Mr. Devereaux. Vom Wasser aus kenne ich das Haus zwar, aber von der Landseite habe ich es noch nie gesehen. Nicht gerade eine Klitsche, was?« »Ich würde Sie ja reinbitten, Boomer, aber die Unterhaltung dürfte ziemlich heftig werden, und sehr vertraulich sowieso.« »Das kann ich mir vorstellen. Erst landen Sie am Strand, dann beim FBI und schließlich hier - wow! Aber nicht, daß Sie mich mißverstehen, Sir, das war kein Wink mit dem Zaunpfahl oder so, ehrlich. Ich verschwinde ganz schnell, und falls jemand, der gesetzlich nicht dazu befugt ist, mich danach fragen sollte - ich hab Sie nie gesehen.« »Gut ausgedrückt - juristisch. Aber ich lasse es mir nicht nehmen, Ihnen was zu bezahlen.« »Kommt überhaupt nicht in Frage, Mr. Devereaux. Es war mir eine Ehre. Aber wenn Sie es mir nicht übelnehmen - ich habe Ihnen meinen Namen aufgeschrieben ... man kann ja nie wissen ... vielleicht auch erst in ein paar Jahren ... vielleicht ziehen Sie mich bei einer Bewerbung zumindest in Erwägung. Nur keine Bevorzugung, das würde ich ablehnen.« »Das habe ich bei Ihnen auch nicht anders erwartet, Boomer«, sagte Sam, nahm den Zettel und tat einen Blick in die klaren, ernsten Augen des angehenden Juristen. »Sollte ich sie Ihnen jedoch zuteil werden lassen - was wollten Sie dagegen machen?« »Tut mir leid, Sir, aber ich muß den Anforderungen genügen. So was lernt man beim Ringen.« »Lassen Sie es mich mal so ausdrücken: Mit dieser Aussage haben Sie es nicht nötig, nach uns Ausschau zu halten, da finden wir Sie. ... Vielen Dank, Boomer.« »Viel Glück, Sir.« Devereaux kletterte vom Jeep herunter, dieser fuhr im Kreis um die Auffahrt und verschwand zwischen -6 2 5
den Torpfosten. Sam faßte den unmöglichen Ziegeleingang
zum Strandhaus der Birnbaums ins Auge, holte tief Atem und
humpelte auf dem plattenbelegten Weg zur Tür. Wenn er beide
Schuhe hätte, wäre alles soviel leichter, ging es ihm beim
Klingeln durch den Kopf.
»Ich werd verrückt!« entfuhr es laut dem schwarzen Söldner-
Chemiker, als er die Tür aufmachte. »Ich weiß nicht, ob ich Sie
umarmen oder Ihnen den Hintern versohlen soll. Doch wie auch
immer - kommen sie rein, Sam!«
Mit finsterer Miene betrat Devereaux die Halle - seine
verkrumpelte Kleidung, das verklebte Haar und der
unbeschuhte Fuß waren für alle deutlich zu sehen. Wobei unter
>alle< Cyrus, Aaron Pinkus ... und seine unsterbliche Liebe zu
verstehen waren: Jennifer Redwing, die am äußersten Ende
des Raums stand und ihn unverwandt anstarrte. Was ihre
hellwachen - zornigen? - Augen ausdrückten, vermochte er
nicht zu ergründen.
»Sammy, wir haben alles gehört!« rief Aaron laut
ausgerechnet er, der nur selten die Stimme erhob, jetzt jedoch
aufsprang und munter herumkam, um seinen Mitarbeiter zu
begrüßen, indem er ihn bei beiden Armen packte und seine
ältliche Stirn an Sams linke Wange drückte. »Dank sei dem
Gott Abrahams, daß du noch lebst.«
»So schlimm war's nun auch wieder nicht«, sagte Devereaux.
»Frazie mag ja irre sein, aber vom Rennbootfahren versteht er
was. Und dann war da noch dieser Junge, der neuenglischer
Meister im Ringen ist und ...«
»Wir wissen, was Sie durchgemacht haben«, rief Pinkus.
»Dieser Mut, und diese Chuzpe. Und all das bloß, weil Sie sich
von Prinzipien leiten ließen.«
»Es war zwar dämlich, Devereaux«, erklärte Cyrus, »aber
Mumm haben Sie, das muß man Ihnen lassen, Mann!«
»Wo ist Mutter?« fragte der Rächer und wich Jennys Augen
aus.
-6 2 6
»Sie ist zusammen mit Erin zurück nach Weston«, antwortete
Aaron. »Cousine Cora scheint ein bißchen zu tief in die
Teekanne geschaut zu haben.«
»Und Desi-Eins und Desi-Zwo gehen zusammen mit Roman Z.
unten am Strand Streife«, fügte Cyrus noch hinzu.
»Boomers Jeep - der Wagen, mit dem ich gekommen bin
haben sie aber durchgelassen«, sagte Sam mit einem Hauch
Tadel in der Stimme. »Na, ganz so doch nicht«, hielt der
Söldner dem entgegen. »Warum, meinen Sie, war ich an der
Tür? Desi-Eins hat über Funk durchgegeben, der lange coco
sei wieder da.« »Mit Worten hatte er's schon immer«, sagte
Devereaux, drehte langsam den Kopf und sah zu Jenny
hinüber, »Ms«, grüßte er dann ganz auf der Hut.
Es war wie ein in Zeitlupe aufgenommener Tanz, als Aaron
Pinkus und Cyrus M. anmutig einen Schritt zurücktraten und
das Feld zwischen den beiden freigaben. Tränen rannen
Sunrise Jennifer Redwing über die Wangen, als sie quer über
den mit Spannteppich ausgelegten Wohnzimmerboden lief und
Sam tapfer, wenngleich ein wenig unsicher, die Marmorstufen
ins Wohnzimmer hinunterstieg. Devereaux behielt die Fassung,
während sie sich in seine Arme warf. Sie umarmten einander,
und ihre Lippen begegneten sich entzückt und
schmerzgeschwollen zugleich.
»Sam!« rief sie und klammerte sich mit aller Heftigkeit an ihn.
»Ach, Sam, Sam, Sam! Das war die Schweiz - noch einmal
ganz von vorn, hab ich nicht recht? Mac hat es mir erzählt. Du
hast es getan, weil du wußtest, daß es recht war. Das Recht
und die Moral ließen dir keine andere Möglichkeit. Von einem
Boot runterzuspringen und bei Sturmwetter Meile um Meile zu
schwimmen, um ein Unrecht wiedergutzumachen! Oh, Gott. Ich
liebe dich!«
»Nun, viele Meilen waren es nun nicht gerade, vielleicht vier
oder fünf ...«
»Aber du hast es getan! Ach, bin ich stolz auf dich!« »Es war
nichts weiter!« »Mehr konntest du nicht tun!«
-6 2 7
»Aber es war ein Reinfall. In die Kassette ist Wasser eingedrungen.« »Zumindest bist du nicht ertrunken, Liebling!«
Unvermittelt statische Geräusche und dann eine quäkende
Latinostimme über Cyrus' Radio. »Hey, man. Große limusino
rast aufs Haus zu! Soll ich sie hochgehn lassn?« »Noch nicht,
Desi!« befahl der Söldner. »Behaltet die Tür im Auge, und du,
Roman, komm hoch zum Haus. Alle Waffen schußbereit!«
Nur wenige Augenblicke später ließ sich unverkennbar Roman Z. vernehmen: »Iss nur'n alter Mann mit schlohweißem Haar. Geht auf die Tür zu. Sein Fahrer iss im Wagen, stellt Radio ein. Grauenhafte Musik!« »Weiter abwarten«, befahl Cyrus und zog die Pistole aus dem Halfter. »Wenn ich schießen muß, kommt alle her.« »Wird gemacht. Alter Mann harmlos.« »Bleib draußen und halt dich bereit!« »Bereit was?« «Draußen bleiben!« »Was ...?« Es klingelte an der Haustür, und Cyrus gab Pinkus, Jenny und Devereaux zu verstehen, beiseite zu treten, um nicht in eine mögliche Schußbahn zu geraten. Die Pistole in der Hand, riß er die Tür auf. Ein großgewachsener, schlanker älterer Herr stand auf der Schwelle. »Sie sind vermutlich der Butler«, sagte R. Cookson Frazier, dessen Angst seiner nicht aufgesetzten Höflichkeit in keiner Weise Abbruch tat. »Ich müßte unbedingt mit Ihrem Arbeitgeber sprechen. Es ist äußerst dringlich.« »Cookson!« rief Aaron Pinkus und trat hinter einem Fenstervorhang hervor. »Was machen Sie denn hier?« »Es ist unglaublich, Aaron, absolut unglaublich!« sagte Frazier, ein Blatt Papier fest in der Hand, während er fassungslos in die Runde starrte. »Sie und ich und ganz Boston sind reingelegt worden, alter Freund. Man hat uns schlichtweg gelinkt!« »Was soll das heißen, Cookson?« »Kommen Sie, sehen Sie sich das an!« Wieder ein wenig auf Distanz gegangen, traten Jennifer und Sam aus der ziemlich im Dunkeln liegenden rechten hinteren Ecke hervor. »Wer, zum Donnerwetter, sind die?« rief gellend Frazier. -6 2 8
»Der junge Mann mit nur einem Schuh und der völlig
derangierten Kleidung ist Samuel Devereaux, Cookson.«
»Ach so, Lansings Sohn! Verdammt anständiger Mann, Ihr
Vater. Wirklich eine Schande, daß er so früh hat von uns gehen
müssen.«
»Und unsere Freundin hier, das ist Jennifer. Jennifer Redwing -
Cookson Frazier.«
»Bezaubernd braungebrannt, mein Kind. Sie waren vermutlich
in der Karibik. Ich habe ein Haus in Barbados ... denke ich. Sie
und Lansings Sohn müssen mal runterfliegen und es sich dort
gutgehen lassen - bin seit Jahren nicht mehr dort gewesen.«
»Was ist so unglaublich, Cookson?«
»Wie ich schon sagte, hier ... sehen Sie sich das an!« Der alte
Herr hielt ihm das Papier unter die Nase. »Das ist mir ins Haus
gefaxt worden. Mein Apparat ist gegen Abfangen und
Speichern von außerhalb gesichert, und zwar ganz offiziell.
Aber Moment mal, old boy, kann man denn jedem hier im
Raum vertrauen?«
»Dafür verbürge ich mich, Cookson. Was steht drin?«
»Lesen Sie. Ich stehe gewissermaßen noch immer unter
Schock.«
Aaron nahm das dünne Faxpapier, überflog den Inhalt und ließ
sich dann langsam und wirklich wie vor den Kopf geschlagen in
den nächsten Sessel sinken. »Das übersteigt meine
Verständniskraft«, sagte er.
»Um was geht es denn?« fragte Devereaux, den Arm
schützend Jennifer um die Schulter gelegt.
»Hier steht - und ich zitiere: >Dieses Kommunique ist streng
geheim und muß nach Kenntnisnahme sofort vernichtet
werden. Der Inhalt ist nur für die obersten Ränge von
Justizbehörden und Polizei bestimmt, Geoffrey C. Frazier,
Deckname Rumdum, ist ein außerordentlich tüchtiger und
insgeheim hochdekorierter Undercoveragent der
Bundesregierung. Sorgen Sie entsprechend mit größter
Umsicht für Tarnung, Glaubwürdigkeit und Sicherheit<
-6 2 9
Unterzeichnet vom Direktor der Drogenbekämpfungsbehörde.
Meine Güte!«
»Der Junge ist ein Scarlet Pimpernel.« empörte Cookson
Frazier sich und warf sich in den neben Aaron stehenden
Sessel. »Was, in drei Teufels Namen, soll ich jetzt machen?«
»Zunächst einmal würde ich sagen, sollten Sie ungeheuer stolz
und erleichtert sein. Sie haben mir selbst gesagt, daß ein
wahrer Mann in Ihrem Enkelsohn steckt - und Sie hatten recht.
Statt ein Tunichtgut, ist er ein äußerst erfolgreicher,
hochdekorierter Profi.«
»Schon richtig. Nur, old boy, die einzige Möglichkeit, auch
erfolgreich zu bleiben, ohne dabei zu Tode zu kommen, besteht
offenbar darin, auch weiterhin Schande über die Familie zu
bringen.«
»Daran hatte ich nicht gedacht«, sagte Pinkus stirnrunzelnd
und nickte zustimmend. »Aber eines Tages wird doch die
Wahrheit herauskommen, und man wird nur in den
allerhöchsten Tönen über die Bostoner Fraziers reden.«
»Aber bis es soweit ist, Aaron, wird der letzte männliche
Bostoner Frazier nach Tasmanien oder Feuerland fliehen und
unter anderem Namen ein neues Leben beginnen müssen.
Man wird mit Fingern auf ihn zeigen.«
»Auch daran hatte ich nicht gedacht.«
»Schutz«, sagte Cyrus und kam die Stufen herunter, »und zwar
sehr gründlichen Schutz, kann man sich mit Geld verschaffen,
Mr. Frazier.«
»Ach, verzeihen Sie, Cookson, das hier ist ... Colonel Cyrus,
ein Sicherheitsexperte.«
»Großer Gott, verzeihen Sie, Colonel. Wie habe ich nur so blind
sein können an der Tür. Ich bitte vielmals um Entschuldigung.«
»Ich hab's Ihnen nicht übel genommen. In dieser Gegend ist
das ein völlig verständlicher Irrtum. Allerdings bin ich nicht
wirklich ein Colonel.«
»Wie bitte?«
-6 3 0
»Was er meint«, rief Sam und bohrte den Blick in die Augen des Söldners, »ist, daß er dem aktiven Dienst Lebewohl gesagt hat ... Er ist bei keiner Army mehr – der Army, natürlich.« »Oh, verstehe«, sagte Frazier und wandte sich wieder dem völlig verdatterten Cyrus zu. »Nun, Ihr fachliches Können auf dem Gebiet der Sicherheit kommt Ihnen gewiß gut zustatten. Aaron bedient sich immer nur der Allerbesten. Übrigens, obwohl das vermutlich Kleinkram für Sie ist, ich habe in meinem Haus eine Alarmanlage, die mich schrecklich irritiert. Es kommt dauernd vor, daß ich sie selbst auslöse.« »Dann sind entweder die Fühler nicht sauber, oder sie über lappen sich in der Schaltung«, tat Cyrus das als belanglos ab und sah seinerseits stirnrunzelnd Devereaux an. »Rufen Sie bei Ihrer Wartungsfirma an und sagen sie denen, sie sollen die Punktrelais überprüfen.« »Wirklich? Einfach nur so?« »Das kommt bei Alarmanlagen für Privathäuser häufiger vor«, erwiderte der Söldner, bemüht, Sams Nicken und Gesichtsausdruck zu deuten. »Kommt es kurzfristig mal zu einem Stromausfall, kann die ganze Glühwürmchenanlage zusammenbrechen.« »Ich bin sicher, der Colonel würde sich die Geschichte mit Freuden einmal ansehen, nicht wahr, Colonel?« sagte Devereaux. Sein Nicken in Cookson Fraziers Rücken wurde regelrecht zu einem Trommelwirbel. »Sobald ich mich nicht mehr um Mr. Pinkus' Sicherheit kümmern muß ... gern«, antwortete zögernd der GlücksritterChemiker, der eindeutig nicht wußte, was er von alledem halten sollte. »Vielleicht komme ich irgendwann nächste Woche mal vorbei«, schloß er lahm. »Fabelhaft, mein Lieber!« rief Frazier und schlug mit der Hand auf die Sessellehne, um unvermittelt wieder zurückzufallen in seinen alten Zustand von Unsicherheit und Besorgnis. »Ich komme immer noch nicht über meinen Enkel hinweg! Es ist wirklich nicht zu fassen!« »Warum drängt sich mir ständig wieder das Bild eines zwinkernden Grazie Frazie auf? Die Kapitänsmütze schief aufgesetzt, die Champagnerflasche am Hals, vermutlich mit -6 3 1
Seltzer gefüllt«, sagte Sam. »Allerdings - ich habe noch nie jemand so Boot fahren sehen, nicht einmal im Kino!« Und wie von der Erwähnung von Filmen beschworen, klingelte das Telefon. Rasch nahm Colonel Cyrus, der am nächsten neben dem antiken weißen Tischchen stand, den Hörer ab. »Ja?« meldete sich der Söldner. »Es geht los, Soldat«, hörte man die Stimme von MacKenzie Hawkins aus New York. »Plan A haben wir gestrichen - das wäre jetzt zu riskant -, folglich gehen wir nach Plan B vor, so wie wir es vor ein paar Stunden besprochen haben ... irgendwelche Neuigkeiten von Lieutenant Devereaux?« »Er ist hier, General«, erwiderte Cyrus leise, und legte muschelförmig die Hand über den Hörer, während die anderen sich erregt über Sams Seeabenteuer mit Geheimagent Geoffrey Frazier unterhielten. »Er ist gerade vor ein paar Minuten wieder eingetroffen und sieht wüst aus. Möchten Sie ihn sprechen?« »Da sei Gott vor, bloß nicht! Ich kenne den Zustand, in dem er jetzt ist. Ich nenne das die Rolle eines rechthaberischen Rindviechs. Hat er irgendwelchen Schaden angerichtet?« »Nicht, daß wir wüßten. Geglaubt hat ihm keiner. Und die Kassette mit dem Band ist offenbar gelöscht worden.« »Dank sei Hannibal für große und kleine Gunstbeweise! Ich habe gewußt, daß er wieder auftauchen würde. So was macht er nie richtig ... Dann haben Sie bis jetzt also weder den einen noch den anderen Plan durchgesprochen, nicht wahr?« »Nein, mit niemandem. Keine Zeit. Seit die Küstenwacht bekanntgegeben hat, daß sie das Boot gesichtet hätte, auf dem Sam war, hat Mr. Pinkus ständig mit der Bostoner Polizei am Telefon gehangen.« »Ein Boot? Die Küstenwacht?« »Wir gehen davon aus, daß es eine Wahnsinnsjagd war - was von dem Anblick, den Ihr Lieutenant bietet, bestätigt wird: nasse Kleider, nur ein Schuh und überhaupt.« »Die Schweiz von vorn, verdammt noch mal!« »Das haben wir uns auch so gedacht, jedenfalls seine Freundin. Sie konnte sich gar nicht wieder fassen, als ob er als einbeiniger Kriegsteilnehmer -6 3 2
hereinmarschiert gekommen wäre. Vermutlich ist sie wegen des einen Schuhs auf die Idee gekommen.« »Gut! Üben Sie Ihren ganzen Einfluß auf die Kleine aus, Colonel. Wenn es Ihnen gelingt, sie TM überzeugen, überzeugt sie ihn. Ich kenne den Jungen, wenn er verknallt ist - das haben mir alle meine Frauen bestätigt.« »Ich kann Ihnen nicht folgen, General?« »Ist auch nicht wichtig. Denken Sie nur daran: Unsere Gegner sind verzweifelt, und die einzige Möglichkeit, uns aus der Bahn zu werfen, besteht für sie darin, uns am Betreten des Gerichtsgebäudes zu hindern. Da soll Sam dann ruhig auf seine Kanzel steigen und sagen, was immer er zu sagen hat, bloßstellen, wen immer er bloßstellen möchte, und so laut schreien, wie er will. Aber nur dort, Colonel. Sonst würde er in Dizzy City kein Bein auf die Erde kriegen. Die verteidigen ihren Besitzstand mit Krallen und Klauen und würden ihn aus dem Verkehr ziehen, schon allein, weil er zuviel Lärm macht.« »Weil ich mich persönlich dafür verbürgen kann, daß Washington so reagiert, dürfte es nicht schwierig sein, überzeugend zu sein«, sagte Cyrus. »Doch wieso Plan B? Ich dachte, Sie und ich, wir wären beide übereinstimmend der Meinung, daß A absolut machbar ist ...« »Ich weiß nicht, wer die Kontaktperson in der Regierung ist, aber mein Informant - der, von dem ich Ihnen erzählt habe ...« »Der Regierungsknacker, den alle für tot halten«, unterbrach der Söldner ihn. »Richtig, der ist es, und lassen Sie es sich von mir gesagt sein, der will Blut sehen! Und wo wir gerade beim Thema sind: Er hat es mir verflucht klargemacht, daß wir damit rechnen müssen, bedenkenlos um die Ecke gebracht zu werden - und zwar beden-ken-los, Colonel.« »Mein Gott, so weit würden die gehen?« »Es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, Soldat. Durch Konzernzusammenschlüsse und buy-outs gewaltigen Ausmaßes gehören diesen Leuten siebzig Prozent der gesamten Rüstungsindustrie, und sie sind mit so vielen -6 3 3
Milliarden verschuldet, daß es schon eines Dritten Weltkriegs
bedürfte, ihnen von dem Schuldenberg runterzuhelfen - falls er
lange genug dauerte, was ich bezweifle.«
»Und wie, vermuten Sie, sieht ihre Strategie aus, General?«
»Ich brauche nichts zu vermuten, ich kenne sie! Sie haben den
Abschaum der Menschheit angeheuert, uns Einhalt zu
gebieten: gnadenlose Ballermänner, Schlägertypen,
wahrscheinlich Söldner wie Sie selbst, die nur darauf aus sind,
Geld zu machen.«
»Wir leben in einer freien Marktwirtschaft«, sagte Cyrus jetzt im
Flüsterton und blickte sich dabei nach Aaron, Jenny und Sam
um, die ihrerseits zu ihm herüberschauten. »Es geht eben um
gewaltige Wirtschaftsinteressen ... Ich kann nicht länger reden.
Hat Ihr Informant Ihnen auch gesagt, wann und wie all diese
Fieslinge in Stellung gehen?«
»Sie werden überall sein. Unter den Zuschauern, unter den
Bewachern des Gerichts, bis hinauf zu den Leuten im
Vorraum.«
»Das klingt nach Gewalt, General.«
»Plan B verschafft uns die Ablenkung, die wir brauchen,
Colonel. Niemand ist glücklich darüber, am wenigsten die
Wopotami, aber es wird schon klappen. Alle werden bereit sein,
das Ihrige zu tun.«
»Und wie nimmt dieser Knallkopf Sutton das Ganze?« wollte
Cyrus wissen. »Für diesen Schuft habe ich schon gar nichts
übrig. Allerdings, eines muß man ihm lassen - er ist ein toller
Schauspieler.«
»Was kann ich Ihnen sagen? Er sagt, es wird die größte
Darbietung seines Lebens.«
»Falls er lange genug am Leben bleibt, um die Kritiken zu lesen
... Over, General. Wir sehen uns, morgen früh.«
»Und was ist mit unseren Desis und Roman Z.?« wollte
Hawkins plötzlich noch wissen. »Wo ich sie doch bei der Sache
mit den Selbstmörderischen Sechs nicht eingeplant hatte.«
-6 3 4
»Wenn Sie meinen, ich hätte die nicht eingeplant, sollte man
Sie zum Scheißhausputzen abkommandieren, General.«
»Ihre Antwort gefällt mir, Colonel.«
»Ende.«
Ein bis in die Grundfesten erschütterter R. Cookson Frazier
kehrte in seiner Limousine in sein Haus am Louisburg Square
zurück, während im Strandhaus ein bestürztes Sextett den vor
dem antiken weißen Tisch stehenden Cyrus anstarrte. Jennifer
Redwing saß zwischen Aaron Pinkus und Sam Devereaux auf
dem Sofa, während Desi-Eins und Desi-Zwo, ihren neuen
Freund, Roman Z., zwischen sich, dahinter standen. Alle
sperrten Mund und Nase auf, und keiner ließ das Auge von
dem auf dem Schlachtfeld zum Colonel Ernannten.
»So sieht das Szenario aus, Leute«, sagte der imposante
schwarze Söldner, »und in meiner Eigenschaft als
Verbindungsoffizier zum General sage ich Ihnen: Falls jemand
von Ihnen aussteigen möchte, so steht ihm das frei. Doch als
jemand, der schon so manche Unterwanderungsstrategie
kennengelernt hat, sage ich Ihnen auch: Besser als so kommen
sie eigentlich nicht weg. General Hawkins ist nicht nur aufgrund
von Presseverlautbarungen zu einer Legende geworden, er ist
tatsächlich unübertroffen gut, und das ist mein voller Ernst.«
»He, wie Miss Erin sagn - dieser Cyrus redet richtig gut fürn
hombre negro, oder was, D-Eins?« »Haltn Rand, D-Zwo.«
»Danke für diese schmeichelhafte Bemerkung, Desi.« »Siehst
du, was ich meine?«
»Wenn ich jetzt mal was sagen darf«, meinte Aaron Pinkus und
rutschte auf dem Sofa nach vorn. »Diese hochkomplizierte
Scharade, mag sie noch so genial sein, kommt mir ein wenig,
nun ja, zu kompliziert vor, zu theaterhaft, wenn Sie so wollen.
Muß das wirklich sein?«
»Um Ihre Frage ganz allgemein zu beantworten, Mr. Pinkus:
Nichts lenkt besser ab als raffiniertes Theater.«
»Das verstehen wir, Cyrus«, sagte Jennifer. Ihre Linke
umklammerte Sams Rechte. »Doch wie Mr. Pinkus richtig fragt:
-6 3 5
Muß das unbedingt so sein? Ich denke, Sams Vorschlag,
einfach aus dem Flugzeug zu steigen, sich in ein ganz
normales Taxi zu setzen und zum Obersten Bundesgericht zu
fahren, würde durchaus ausreichen.«
»Unter normalen Umständen vielleicht, doch wir haben es nun
mal nicht mit normalen Umständen zu tun. Sie haben es mit
mächtigen und äußerst fähigen Gegnern zu tun.
Außerordentlich fähigen sogar, eben jener Art von Leuten, wie
Ihr Freund Sam sie gern aus der Regierung vertreiben möchte
wofür er sein Leben aufs Spiel zu setzen bereit ist, wie wir alle
heute miterlebt haben.«
»Es war großartig«, sagte Jennifer und drückte die Lippen auf
Devereaux' rechte Wange. »Diese vielen Meilen schwimmend
zurückzulegen - und das noch dazu bei Sturm.«
»Es war nicht so weit«, sagte Sam. »Höchstens sechs oder
sieben, acht vielleicht ... Wenn ich Sie richtig verstehe, Cyrus,
behaupten Sie, dieses Ablenkungsmanöver wäre dieser
äußerst fähigen Gegner wegen notwendig, weil sie uns
abfangen wollen, bevor wir in das Gebäude reinkommen, ist
das richtig?«
»Im großen und ganzen, ja.«
»Warum nur im großen und ganzen?«
»Es gibt noch anderes zu bedenken«, antwortete der Söldner
kurz angebunden.
»Ich will ja gar nicht behaupten, das zu verstehen, doch wenn
wir Grund zu der Annahme haben, daß eine Bedrohung
vorhanden ist, könnten wir doch Polizeischutz anfordern. Und
Hand in Hand mit euch, sofern ihr auf unserer Seite steht - was
sonst sollten wir da noch brauchen?«
»Ein oder zwei Dinge, die ich nicht erwähnt habe.«
»Was?«
»Schauen Sie: Sie drei sind die Anwälte, nicht ich, und
Washington ist nicht Boston, wo Mr. Pinkus' Corned Beef ihm
Freunde bei der Polizei geschaffen hat. Und wer im District of
Columbia Blaurockschutz anfordert, ist gut beraten, einen
-6 3 6
Grund zu nennen, der das rechtfertigt. Mein Gott, diese
Blauröcke haben schon mit sich selbst alle Hände voll zu tun.«
»Und ein Grund, der einen solchen Einsatz rechtfertigte, würde
natürlich erforderlich machen, Namen von sehr hochstehenden
Persönlichkeiten zu nennen«, mischte Jenny sich ein. »Selbst
wenn wir noch eine Kopie von diesem Band in Händen hätten,
würden wir es nicht wagen, es als Beweismaterial
abzuspielen.«
»Warum nicht?« explodierte Devereaux wütend. »Ich habe es
gründlich satt, immer um den heißen Brei herumzugehen wie
die liebe Muschikatze! Vertrauen ist mißbraucht worden,
Gesetze wurden gebrochen - warum, um alles in der Welt,
sollten wir nicht so vorgehen?«
»Muschikatzen haben aus gutem Grunde Samtpfötchen, Sam«,
sagte Pinkus. »Die brauchen sie schon, um überhaupt um den
Brei herumzukommen.«
»Oh, Gott. Mehr brauch ich wirklich nicht. Der Himalayaprophet
aus dem Punjab! Würden Sie mal so freundlich sein, vom Berg
herabzusteigen und zu erklären, was Sie meinen, Aaron?«
»Du bist erregt, darling.«
»Sagen Sie mir etwas, das ich nicht weiß! Vielleicht waren es
zehn Meilen, und vielleicht war dieser Sturm schon fast ein
Hurricane - sagen wir Sturmstärke neunundneunzig oder wie
man so was ausdrückt.«
»Ich versuche, Ihnen begreiflich zu machen«, sagte Pinkus mit
ruhiger Stimme, die flammenden Augen jedoch auf Devereaux
gerichtet, »daß man seine Beute immer noch dann am besten
erlegt, wenn man sich leise anschleicht und nicht vorher eine
Alarmanlage auslöst.«
»Ich will es mal anders ausdrücken«, setzte Cyrus hinzu.
»Kein einziges Polizeirevier in Washington legt sich mit
jemandem wie dem Außenminister an - egal, ob man nun ein
Tonband hat oder nicht.«
»Der ist in 'ner Klapse!«
-6 3 7
»Um so mehr Grund für das Außenministerium, dafür zu
sorgen, daß das Gleichgewicht gewahrt bleibt«, erklärte der
Söldner-Chemiker.
»Glauben Sie mir, ich kenne das.«
»Die sind alle korrupt«, röhrte Sam.
»Nur ein paar«, erklärte Jennifer mit Nachdruck. »Der weitaus
größte Teil sind überarbeitete, unterbezahlte, pflichtbewußte
Bürokraten - und zwar im besten Sinne des Wortes: Männer
und Frauen, die ihr möglichstes tun, um die Probleme in den
Griff zu bekommen, die die Politiker, die immer mit einem Auge
auf die nächsten Wahlen schielen, haufenweise für sie
schaffen.«
Devereaux löste seine Hand aus dem Griff von Redwing, führte
sie an die Stirn und lehnte sich auf dem Sofa zurück.
»Na, schön«, sagte er dann müde, »ich bin der bescheuertste
Bengel im Block. Die Menschen tun schreckliche Dinge, und
alle halten sie die Klappe; damit kann man niemanden zur
Rechenschaft ziehen.«
»Das stimmt nicht, Sam«, korrigierte Aaron. »So haben Sie
noch nie einen Fall aufgebaut, ich kenne Sie doch. Sie
schneiden zunächst jeden Fluchtweg ab, bevor Sie der Jury
Ihren Fall darlegen - oder später Gegenargumente liefern.
Deshalb sind Sie ja gerade mein bestes Pferd im Stall. Sofern
Sie alle beisammen haben!«
»All right, all right, wir spielen morgen in diesem Zircus also die
Clowns! Was war das noch, was Sie nicht erwähnt hatten,
Cyrus?« »Kugelsichere Westen und Stahlhelme unter der
Kopfbedeckung«, erwiderte der Söldner, als zählte er die
Zutaten für einen Schokoladenkuchen auf.
»Wie bitte?«
»Sie haben richtig gehört. Wir reden jetzt Tacheles, Herr
Anwalt. Ihr Erscheinen vor Gericht morgen entscheidet über
mehr Milliarden - jawohl, Milliarden -, als Sie sich das in Ihren
versponnendsten Träumen vorstellen können.«
»Caramba!« entfuhr es Desi-Zwo bewundernd. »Redt der nich
-6 3 8
gut?«
»Haltn Rand! Wir könnten sein muertos!« »Iss mir egal! Iss in
Ordnung!«
»Wenn ich einer Meinung mit dir bin - was dann? Dann wir sin
loco.«
»Steht alles in'n Tarokkarten der Zigeuner, my friend!« rief
Roman Z. laut und drehte eine Pirouette, wobei die blähende
blaue Schärpe über dem orangefarbenen Hemd verbarg, wie er
den Dolch mit der langen Klinge zückte. »Die Klinge des
Zigeuners schneidet jedem die Kehle durch, der es wagt, unsre
heilige Sache anzugreifen - was immer die auch sein mag.«
»Nun wirklich, Cyrus«, ereiferte sich Devereaux. »Unter diesen
Umständen erlaube ich nicht, daß Jenny und Aaron
mitmachen!«
»Für mich kannst du nicht sprechen!« rief die Aphrodite von
Sams Träumen.
»Und für mich auch nicht, junger Mann!« rief Pinkus und stand
vom Sofa auf. »Sie vergessen, ich habe am Strandabschnitt
Omaha in der Bretagne gekämpft! Ich mag da keine
bedeutende Rolle gespielt haben, habe aber immer noch
meinen Granatsplitter zum Beweis dafür, daß ich mein Bestes
getan habe. Damals ging es in der Tat um eine heilige Sache
und es liegt eine klar erkennbare Parallele zu dem vor, womit
wir es heute zu tun haben. Wenn Menschen anderen
gewaltsam ihr Recht verweigern, kann nur Tyrannei dabei
herauskommen. Und das werde ich in diesem unserem Land
nicht dulden!«
-6 3 9
30. KAPITEL 5 Uhr 35 morgens. Als mit einem blaßrosa Hauch das Morgengrauen über der Washingtoner Skyline emporkroch, wurde es auf den schweigenden Marmorgängen des Obersten Bundesgerichts langsam lebendig. Ganze Trupps von Reinmachefrauen schoben ihre Putzwagen von einer Tür zur anderen. Auf den übereinander angeordneten Tragekörben lagen Seife, frische Handtücher und Klopapier, vorn an jedem Gefährt hing ein Müllbeutel für Abfälle. Ein Wagen allerdings unterschied sich von den anderen in dem prachtvollen Gebäude, das den Gesetzen Gottes und des Staates geweiht war. Genauso übrigens die ältere grauhaarige Dame, die ihn schob. Sie unterschied sich sogar auffallend von ihren Kolleginnen überall im Gebäude. Sah man genau hin, erkannte man, daß ihre graue Lockenpracht tadellos frisiert, ihr blaues Augen-Make-up sanft durchscheinend war und sie offensichtlich aus Versehen ein Diamant-Smaragd-Armband anbehalten hatte, dessen Wert sich auf ein Vielfaches des Jahresgehalts ihrer Kolleginnen belief. Außerdem trug sie, an der Tasche ihrer Arbeitstracht festgesteckt, ein großes Plastikschildchen mit der Aufschrift: Vertretung. Überprüft. Was an ihrem Wägelchen anders war als bei den anderen, war der für den Abfall bestimmte Plastikbeutel vom. Denn der war gefüllt, noch ehe sie den ersten Büroraum der ihr zugewiesenen Runde erreicht hatte - den zu betreten sie für unter ihrer Würde hielt, wie die halblaut hervorgestoßenen Worte bestätigten, als sie an der Tür vorüberkam. Escremento! Vincenzo, du pazzo. Das mir liebste und herzigste Kind meiner liebsten Schwester gehört in eine Anstalt für dementi! Ich könnte jede Statue in disse ganze Gebäude kaufen! ... Warum ich es also tue? ... Weil mein geliebter Neffe meint, daß mein Nichtsnutz von Ehemann dann nie mehr zu arbeiten braucht! Mannaggia ... Ah, hier ist die Abstellkammer ja schon. Bene! Laß ich also alles hier, geh nach Haus, seh erst noch'n bißchen fern und mach mit den Mädchen dann einen -6 4 0
Einkaufsbummel. Molto bene. 8 Uhr 15. Vier unauffällige braune und schwarze Autos fuhren rasch kurz vor der Ecke First Street und Capitol Street an den Rinnstein. Einem jeden dieser Autos entstiegen drei dunkelgekleidete Männer mit gerunzelter Stirn und roboterhaft auf einen Punkt gerichteten Augen. Das waren die für diesen Job angeheuerten »Ballermänner«. Versagten sie, bedeutete das, daß sie in der Hierarchie der Gewerkschaft wieder die niedersten Drecksarbeiten zu verrichten hatten - ein Schicksal, schlimmer als der Tod. Zwölf geweihte Profis die keine Ahnung hatten, wem sie geweiht waren. Sie wußten nur, daß die beiden Männer auf dem Foto, das sie in der Tasche stecken hatten, das Oberste Bundesgericht niemals betreten durften. Weiter keine große Sache. Jimmy Hoffa fand nie jemand. 9 Uhr 12. Zwei Autos mit Regierungskennzeichen parkten kurz vor dem Obersten Bundesgericht. Die acht Männer, die ihnen entstiegen, sollten auf Anweisung des Justizministers zwei Individuen festnehmen, die wegen ungeheuerlicher Verbrechen gegen den Staat gesucht wurden. Jeder einzelne FBI-Agent hatte ein Foto dieser beiden bei sich und glaubte nicht im geringsten an General MacKenzie Hawkins und seinen Komplizen, einen Unterweltanwalt namens Samuel Lansing Devereaux, der immer noch gesucht wurde, weil er auf seiner Rundreise in den letzten Tagen des Vietnamkrieges verräterische Aktivitäten entfaltet hatte. Seine Verbrechen konnten nicht verjähren. Er hatte den guten Ruf seiner Vorgesetzten in den Schmutz gezogen und von ihrer Schande profitiert. FBI-Agenten haßten solche Typen - wie schafften die so was nur? 10 Uhr 22. Ein dunkelblauer Lieferwagen schrammte neben dem Obersten Bundesgericht gegen den Rinnstein der Capitol Street. Die Tür hinten ging auf, und sieben Rangers in grünschwarzen Kampfanzügen sprangen heraus. Ihre Waffen verbargen sie in weiten Taschen. Sie wollten schließlich nicht auffallen. Ihr verdecktes Unternehmen war ihnen von dem Knirps von Verteidigungsminister persönlich dargelegt worden mündlich, nicht schriftlich. »Meine Herren, diese beiden Männer -6 4 1
sind nichts als Abschaum, und sie wollen die Vorausverteidigung der amerikanischen Luftstreitkräfte lahmlegen - das ist alles, was ich ihnen sagen kann. Die Kerle müssen unbedingt daran gehindert werden, koste es, was es wolle. Mit den Worten des großen Kommandeurs: Beamen Sie sie rauf, Scotty -ganz, ganz weit nach oben, wo man sie nicht mehr sieht!« Ranger-Commandos haßten solchen Abschaum! Wenn jemand diesen Himmelhunden schon mal Bescheid stieß, dann sie und niemand anders. Das fliegende Personal war abonniert auf die tollsten Schlagzeilen und flog hinterher doch immer noch nach Haus zu einem saftigen Steak, während Ranger im Schlamm steckten. No, Sir! Wenn jemand den Fliegern eins auf die Pfoten gab, dann ein Ranger! 12 Uhr 03. Die Arme in die Seiten gestemmt, faßte MacKenzie Hawkins im Hotelzimmer die Gestalt von Henry Irving Sutton genau ins Auge und nickte dann beifällig. »Alle Wetter, Herr Schauspieler - Sie könnten ich sein.« »Das war nicht schwierig, man general«, erklärte Sutton, nahm die Schirmmütze mit den Goldtressen ab und gab den Blick auf kurzgeschorene graue Haare frei. »Die Uniform sitzt wie angegossen, und die Ordensschnallen sind in der Tat beeindruckend. Alles andere ist nur eine Frage von Stimme und der Intonation, was nicht weiter schwierig ist. Mit meiner Synchronstimme fürs Werbefernsehen habe ich eines meiner Kinder durchs College gebracht - wenn ich bloß noch wüßte, welches.« »Trotzdem wünsche ich, daß Sie einen Stahlhelm tragen ...« »Aber machen Sie sich doch nicht lächerlich, das würde uns doch die ganze Wirkung kaputtmachen und dem Zweck zuwiderlaufen. Es ist meine Rolle, Männer anzuziehen, und nicht, sie abzuschrecken. So ein Stahlhelm deutet doch auf eine bevorstehende Auseinandersetzung hin, und damit verbindet man Schutz und Verteidigungsmaßnahmen wie etwa bewaffnetes und verstecktes Wachpersonal. Die Motivation sollte immer sauber und stimmig sein, General, und nicht verquast. Sonst geht das Publikum nicht mit.«
-6 4 2
»Aber Sie könnten auch Ihr Leben ... nun, Sie könnten
jedenfalls zur Zielscheibe werden, wissen Sie.«
»Das glaube ich nun wirklich nicht«, sagte der Schauspieler
und klimperte ein paarmal mit den Augen ob der nicht zu Ende
formulierten Aussage des Falken. »Jedenfalls nicht mit dem,
was Sie dort draußen stehen haben. Verglichen mit der
Sandwüste Nordafrikas, spielt sich das hier doch praktisch
hinter der Bühne ab. Auf jeden Fall ist das Risiko minimal, und
dafür werde ich reichlich entschädigt ... Übrigens, wie läuft es
mit den Stanislawsky-Kriegern der Selbstmörderischen
Sechs?«
»Die Pläne sind geändert worden ...« »Ach?« entfuhr es Sir
Henry scharf und mißtrauisch. »Aber nur zum Besten aller
Beteiligten«, sagte Hawkins rasch, der sofort erkannt hatte, daß
sich Panik auf dem Gesicht des Schauspielers abzeichnete.
Eine Angewohnheit in einem Gewerbe, wo: Du hast es,
sweetheart, du bist toll, häufig bedeutete: Der Penner ist ein
Verlierer, bringt mir einen Klassemann wie Sonny Tufts. »Sie
treffen heute nachmittag gegen vier in Los Angeles ein. Meine
Frau, meine geschiedene Frau - das heißt, eine meiner
Ehemaligen - wollte sie unbedingt bei sich haben, damit sie ein
mütterliches Auge auf sie haben kann.«
»Wie unendlich lieb von ihr!« Der Schauspieler berührte die
beiden Sterne auf seinem Kragenspiegel. »Aber mal
rundheraus gefragt: An meinem Auftreten in dem Film ändert
sich doch nichts, oder?«
»Um Gottes willen, nein! Die Burschen wollen Sie, und was sie
wollen, sollen sie haben.«
»Sind Sie sicher? Sind Sie sich darüber im klaren, daß wir
keinen Erkennungswert besitzen?«
»Was immer es ist, sie brauchen es nicht. Die Kerle besitzen
den seit Menschengedenken heißesten Super-Kassenschlager.
Auf jeden Fall liegt alles in der Hand der Agentur William Morris,
und ...« »William Morris?« »Heißt die Agentur nicht so?«
»Doch, doch. Ich glaube, eine meiner Töchter arbeitet als
Anwältin in ihrer Rechtsabteilung - hat den Job wahrscheinlich
-6 4 3
bekommen, weil sie meine Tochter ist. Wie heißt sie doch noch gleich? Wir sehen uns immer zu Weihnachten.« »Die Vertragsverhandlungen führen zwei Männer namens Robbins und Martin, und meine Frau, meine ehemalige - Sie wissen schon, was ich meine - behauptet, das sind die besten.« »Jaja, natürlich. Ich habe in den Fachblättern über sie gelesen. Ich glaube, meine Tochter, Becky oder Betty ... ist ja auch egal, war mit diesem Robbins verlobt - oder mit Martin? Ja, die müssen wirklich fabelhaft sein, denn sie ist ein blitzgescheites Mädchen - Antoinette! Ja, so heißt sie. Sie schenkt mir jedesmal einen Sweater, der drei Nummern zu groß für mich ist, allerdings wirke ich auf der Bühne auch extrem groß, so was nennt man Präsenz, verstehen Sie?« »Ich denke, jetzt ja. Aber wie dem auch sei, Ihre Kollegen sind auf dem Flug zur Westküste - alles erster Klasse, wie Ginny mir sagte.« »Natürlich. Schließlich schickt man sechs Karat Diamanten nicht ohne Bewachung mit der U-Bahn irgendwohin: Was mich wundert, ist, daß sie zum Abholen nicht ihren eigenen Jet hingeschickt haben.« »Das hat meine Ex-Frau mir erklärt. Sie sagte, sämtliche Studios und die Agenten dort draußen engagierten Leute, die nichts weiter tun als Firmenflugzeuge überwachen, und wenn irgend etwas verdächtig aussieht, bestechen sie die Piloten. Vor drei Wochen, so hat sie mir erzählt, wäre ein Lear in der Tundra von Alaska verlorengegangen und erst gestern gefunden worden - zwei Stunden, nachdem ein Konkurrenzstudio irgendso einem Burschen namens Warner Batty den Vertrag gegeben hatte.« Es klingelte, und beide Männer schraken zusammen. »Wer zum Teufel könnte das sein?« flüsterte der Falke. »Henry, Sie haben doch niemandem etwas erzählt ...?« »Gott behüte - keiner Menschenseele!« erwiderte der Schauspieler gleichfalls im Flüsterton, doch mit weit mehr Nachdruck als der Falke. »Ich habe mich streng an das Script gehalten, mein Bester, keine einzige Änderung in den -6 4 4
Bühnenanweisungen! Hier im Hotel gebucht habe ich durchaus
respektierlich als Pfeifenvertreter aus Akron - tadelloser
Polyesteranzug, Schlapphut ... verdammt anständige Leistung,
die ich da hingelegt hab, wenn ich das sagen darf.«
»Aber wer könnte das sein?«
»Überlassen Sie das mir, mon general.« Sutton ging zur Tür
hinüber und fing an, einen leicht torkelnden Betrunkenen zu
spielen, der sich den Schlips lockerte und teilweise den Rock
aufknöpfte. »Verstecken Sie sich im Schrank, MacKenzie!« rief
er leise, um gleich darauf sein ganzes Timbre aufzubieten und
mit lauter, trunkener Stimme zu sprechen. »Yeah, was iss? Das
hier iss 'ne Privatparty. Ich un' meine Freundin möchtn nidv
gestört wem.«
»Hey, fazool«, ertönte es barsch von der anderen Seite der Tür.
»Wenn Sie glauben, 'ne Scheißnummer vor mir abziehen zu
können wie in Bean Town, vergessen Sie's. Machen Sie schon
auf!«
Sir Henry ruckte mit dem Kopf, gleichzeitig ging die Schranktür
auf, und MacKenzie Hawkins Gesicht verzog sich vor
Schrecken. »Oh, mein Gott - Little Joseph! Lassen Sie ihn
schon rein, verdammt noch mal!«
»Ja, und?« sagte Little Joseph, die Hände auf dem Rücken
verschränkt, als die Tür sich wieder schloß, und reckte sich so
hoch, wie seine knappen einen Meter sechzig es erlaubten.
»Wenn der Schädel von dem fazool, der da aus'm Schrank
rausguckt, Ihrer Freundin gehört, saldier boy, sollten Sie sich
auf größere Scherereien beim Militär gefaßt machen.«
»Wer ist dieser Gnom, der offenbar in Gnomensprache redet?«
fragte der Schauspieler mit schneidender Verachtung.
»Sie sind 'ne einfache Zielperson, fazool Nummer Zwo. Als Sie
an der Ecke F Street und Tenth Street Kontakt mit'm big fazool
aufnahmen und Ihre rechte Schulter zuckte und Ihre linke Hand
nach Süden stieß, als ob Sie im delirium tremens warn, wußt
ich gleich, daß Sie der Kontaktmann waren. Sie können keinem
was vormachen.«
-6 4 5
»Stellen Sie etwa meine Technik in Frage, Sir? Die Technik
eines Mannes, der die Bewunderung Tausender Kritiker in
diesem Land auf sich gezogen hat?«
»Wer ist'n der Witzbold?« fragte Little Joey, als ein völlig
verdatterter Falke ganz aus dem Schrank hervorkam. »Ich
meine, das sollten Bum-Bum und ich vielleicht doch wissen,
oder?«
»Joseph! Was machen Sie hier?« dröhnte MacKenzie, dessen
Erstaunen abklang, wofür Bedrohlichkeit sich bei ihm
breitmachte.
»Immer mit der Ruhe, fazool. Vinnie liegt Ihr Wohlergehen sehr
am Herzen, das sollten Sie wissen. Vergessen Sie nicht, ich bin
das Leichentuch. Ich kann überall sein, überall rumflitzen, kein
Mensch achtet auf mich. Ich fall nirgends auf. So wie auch Sie
mich nicht bemerkt haben, als Sie heute morgen von New York
kommend aufm National Airport gelandet sind und ich mich an
Ihren Arsch geheftet hab!«
»Und?«
»Bum-Bum möchte unter anderem wissen, ob er'n
Killerkommando aus Toronto einfliegen lassen soll.«
»Auf gar keinen Fall!«
»Hat er sich fast schon gedacht; die Zeit reicht nicht ... Gut,
dann soll ich Ihnen noch sagen, daß seine gute Tante Angelina
getan hat, was Sie verlangten - hat es für ihren Mann Rocco
getan, der nicht grade'n toller Typ iss, aber sie liebt ihren Neffen
Vincenzo. Das Zeugs, das Sie wollten, liegt in der zweiten
Abstellkammer aufm Flur rechts.«
»Gut.«
»Nee, iss nicht so gut. Bum-Bum iss'n stolzer Mann, fazool, und
ihre Kumpel, die richtige americani sind, sind nicht so gut zu
ihm. Er sagt, die behandeln ihn wie Dreck, und die Federn um
seinen Kopf passen auch nicht richtig.«
12 Uhr 18. Darauf, wie einer seiner bevorzugten Gäste, der
Bostoner Jurist Aaron Pinkus, sich momentan aufführte, war
der Manager des Embassy Row Hotels an der Washingtoner
-6 4 6
Massachusetts Avenue nicht vorbereitet. Wie immer, wenn der gefeierte Anwalt nach Washington kam, verstand es sich von selbst, daß sein Aufenthalt vertraulich behandelt wurde - genau wie natürlich der eines jeden anderen Gastes, der das wünschte. Doch heute nachmittag hatte Mr. Pinkus die Vertraulichkeit auf die Spitze getrieben. Er hatte darauf bestanden, daß er und seine Gäste den Lieferanteneingang benutzten und mit dem Lastenaufzug zu ihren nebeneinander gelegenen Suiten hinauffuhren. Außerdem sollte außer ihm, dem Hotelmanager, niemand sonst von deren Anwesenheit erfahren. Im Gästebuch sollten fiktive Namen eingetragen werden, und falls irgendwelche Anrufer nach ihm fragten, sollte ihnen gesagt werden, er weile nicht im Hotel. Wolle jemand jedoch nur mit der Zimmernummer verbunden werden, sollte man ihn durchstellen. Derartige Sicherheitsvorkehrungen zu verlangen, sah Aaron Pinkus gar nicht ähnlich, überlegte der Manager, doch glaubte er zu wissen, warum es diesmal doch sein müsse. Washington war gerade jetzt der reinste Zoo, und zweifellos hatte man einen Juristen von seinem Renommee gerufen, damit er vor dem Kongreß mit seinem Fachwissen zu heiklen Punkten einer Gesetzesvorlage Stellung nahm, die hunderterlei unterschiedliche Interessen berührte. Offenbar hatte Pinkus daher eine Anzahl der hellsten Köpfe aus seinem Büro mitgebracht, die ihn während der Anhörungen beraten sollten. Weswegen der Manager erschrak, als er bei einer routinemäßigen Kontrolle an der Rezeption einen Mann in orangefarbenem Seidenhemd, blauer Seidenschärpe und einem dicken schaukelnden Ohrring im linken Ohrläppchen an die Theke treten sah und sich erkundigen hörte, wo denn der Seifenladen sei. »Sind sie Gast in unserem Haus, Sir?« fragte der argwöhnische Angestellte hinter dem Tresen. »Was'n sonst?« antwortete Roman Z. und wies seinen Zimmerschlüssel vor. Der Manager warf einen Blick darauf. Die Nummer gehörte zu einer der Pinkus-Suiten. »Dort drüben, Sir«, sagte der Angestellte und mußte sich zurückhalten, um keine unpassende Bemerkung zu machen. -6 4 7
»Iss gut! Ich brauch neues Kölnisch-Wasser! Geht auf
Zimmerkonto, no?«
Nur Sekunden später kamen zwei dunkelhäutige Männer in
einer Uniform, die der Manager nicht unterbringen konnte
offenbar von irgendeiner südafrikanischen Revolutionsarmee,
dachte er -, auf die Rezeption zugestürmt.
»Wohin isser, Mann?« rief der größere der beiden mit ein paar
auffälligen Zahnlücken im Mund.
»Wer?« fragte der Angestellte und trat vom Tresen zurück.
»Der gitano mit'm Goldohrring!« sagte der zweite Latino. »Der
hatn Zimmerschlüssel, und mein amigo hat auf falschn Knopf
gedrückt. Wir sin' raufgefahrn, er runter.« »Mit zwei
verschiedenen Aufzügen?« »Aus securidadsgründn, Sie wissn,
was ich mein?« »Aus Sicherheitsgründen.«
»Genau, gringo«, antwortete der Mann mit den Zahnlücken und
betrachtete dabei eingehend den äußerst korrekt mit einem
Cutaway bekleideten Hotelangestellten. »Sie haben hübsche
Kleidung an, wie ich vispera - vor ein paar Tage. Bringt man sie
morgns in Frühe zurück, kostet nix soviel Leihgebühr. Hab ich
aufm Schild gelesn.« »Richtig, aber das hier ist nicht geliehen,
Sir.« -Gekauft? Madre de Diös, dann haben Sie'n gutn Job.«
»Einen wunderbaren Job, Sir«, sagte der verdutzte Angestellte
und sah zu dem noch erstaunteren Manager hinüber. »Ihr
Freund ist zum Drugstore rüber. Der ist dort hinten.« »Gracias,
amigo. Sehen zu, daß schön' reichen Job behaltn.« »Ich werde
mich bemühen, Sir«, murmelte der Angestellte, als Desis-Eins
und -Zwo quer durch die Lobby hinter Roman Z. herliefen.
»Wer sind diese Leute?« fragte der Angestellte den Manager.
»Der Schlüssel gehörte zu einer unserer besseren Suiten.«
»Zeugen?« sagte der erschrockene Manager mit einem
Hoffnungsschimmer in der Stimme. >Ja, natürlich< sie können
nichts anderes sein als Zeugen. Vermutlich geht es um eine
Anhörung über Geistesgestörte.« »Was?«
»Ach, was soll's - übermorgen sind sie wieder fort.« Oben in der
Suite, die Aaron Pinkus für Jennifer, Sam und sich selbst
reserviert hatte, setzte der gefeierte Anwalt den anderen
-6 4 8
auseinander, warum er sich gerade für dieses Hotel entschieden hatte. »Im allgemeinen wehrt man Neugier dadurch ab, daß man ihr entgegentritt und sein Gegenüber entmutigt«, sagte er, »besonders dann, wenn man es mit einer Institution zu tun hat, die davon profitiert, daß man sich ihrer bedient. Hätte ich in einem Hotel, in dem man mich nicht kennt, diese Bitten vorgebracht, wäre die Gerüchteküche übergekocht.« »Sie sind in dieser Stadt kein Unbekannter«, setzte Devereaux hinzu. »Kann man dem Manager vertrauen?« »Das würde ich in jedem Fall tun: Der Manager ist ein feiner Mann. Da jedoch alles Fleischliche Schwächen hat und die Spürhunde der Presse, die von der Aufdeckung von Korruptionsfällen leben, die reinen Aasgeier sind, die ewig nach irgendwelchen stinkenden Informationen Ausschau halten, habe ich dafür gesorgt, daß er der einzige Mensch ist und bleibt, der weiß, wo wir sind. Ich habe da über meinen Schatten springen müssen, denn unbedingt notwendig war das, glaube ich, nicht.« »Es gibt Sicherheit, und es gibt Bedauern, Mr. Pinkus«, sagte Redwing, trat ans Fenster und schaute hinunter auf die Straße tief unter ihnen. »Wir sind so nahe - ich weiß nicht, wem oder was, aber es macht mir angst. Noch ein paar Tage, und meine Leute werden entweder Patrioten oder Parias sein, und im Moment wette ich mehr auf Parias.« »Jenny«, begann Aaron, gedämpfte Trauer in der Stimme. »Ich wollte Sie nicht beunruhigen, aber bei genauerem Nachdenken meine ich, Sie würden es mir nie verzeihen, wenn ich es Ihnen jetzt nicht sagte.« »Mir was nicht sagten?« Redwing wandte sich vom Fenster ab und starrte Pinkus an. Dann wanderte ihr Blick hinüber zu Sam, der mit einer Kopfhaltung dastand, die besagte: Ich weiß nicht, was er meint. »Ich habe heute morgen mit einem alten Freund von mir gesprochen, einem Kollegen aus meinen Anfängen, der heute dem Obersten Bundesgericht angehört.« -6 4 9
»Aaron?« rief Devereaux erregt. »Sie haben doch hoffentlich
nichts von heute nachmittag verlauten lassen, oder?«
»Selbstverständlich nicht. Es handelte sich nur um einen Anruf
auf rein gesellschaftlicher Basis. Ich habe gesagt, ich hätte
beruflich hier zu tun, und ob wir nicht zusammen zu Abend
essen könnten.«
»Grundgütiger Himmel!«
»Er hat von sich aus angefangen, von der Sache heute
nachmittag zu reden«, sagte Pinkus leise.
»Was?«
»Was?«
»Nun, nichts Genaues, versteht sich, nur in Bezug auf das
Dinner, das ich ihm vorschlug. Er sagte, es könne durchaus
möglich sein, daß er es nicht schaffen werde. Die Möglichkeit
bestehe, daß er sich unter Bewachung in den Kellern des
Obersten Bundesgerichts verstecken müsse.« »Was?« »Habe
ich doch gesagt ...« »Und?«
»Er sagte, der heutige Tag wäre einer der denkwürdigsten in
den Annalen des Obersten Bundesgerichts. Sie hätten eine
Sondersitzung der Kammer zusammen mit Klägern, über deren
Fall die Richter arg zerstritten wären. Keiner von ihnen wisse,
wie die Kollegen letztlich stimmen würden, doch seien sie
entschlossen, ihre anfängliche Absicht aufzugeben, einen
Prozeß, der ziemliches Aufsehen erregen dürfte, unter
Ausschluß der Öffentlichkeit zu verhandeln. Sobald die
Anhörung vorbei ist, soll alles öffentlich gemacht werden.«
»Was?« schrie Redwing. »Heute nachmittag schon?«
»Ursprünglich hätte das nicht auf dem Terminkalender
gestanden, und zwar aus Gründen der nationalen Sicherheit
und wegen der Möglichkeit, daß die Kläger Repressalien
ausgesetzt würden - die Wopotami, wie ich annehme.
Daraufhin hat die Verwaltung offensichtlich verlangt, daß die
Verhandlung für eine bestimmte Zeit geheimgehalten werde.«
»Gott sei Dank, dann ist jedenfalls irgend jemand dafür!« sagte
Jennifer.
-6 5 0
»Richter Reebock«, erklärte Aaron, »der vielleicht nicht der umgänglichste aller Menschen ist, aber immerhin ganz annehmbar, seltsamerweise und ganz gegen seine normalen Gepflogenheiten steht Reebock in diesem Falle auf der Seite des Weißen Hauses. Als seine Kollegen aus dem Richterkollegium das erfuhren, begehrte die Mehrheit dagegen auf, mein Freund eingeschlossen. Gemeinsam mit den anderen, selbst denen, die ihm ideologisch nicht nahestehen, ließ er keinen Zweifel daran, daß die Exekutive von der Verfassung her nicht das Recht habe, der Justiz irgendwelche Weisungen zu geben ... Manchmal reduziert sich eben alles auf den Selbsterhaltungstrieb, nicht wahr? Vergessen wir checks und balances - der Selbsterhaltungstrieb ist der große Gleichmacher.« »Mr. Pinkus, mein Volk wird auf den Straßen sein und auf den Stufen zum Bundesgerichtshofs sitzen! Man wird die Leute abschlachten!« »Nicht, wenn der General seine Karten richtig ausspielt, meine Liebe.« »Aber könnte er falsch spielen, würde er es tun«, rief Redwing gellend. »Dieser Mann kann von einem Augenblick auf den anderen auf Haß umschalten. Es gibt nichts auf Erden, wovor er zurückschrecken würde!« »Dafür hältst du die Stellung!« fiel Devereaux ihr in die Rede »Juristisch gesehen, kann er ohne dein Einverständnis nicht so viel tun: Dein Vertrag mit ihm ist bindend.« »Hat ihn das früher jemals von was abhalten können? Nach allem, was ich über deinen vorsintflutlichen Dinosaurier erfahren habe, trampelt er auf allen international verbindlichen Verhaltensformen herum und nimmt auf niemanden Rücksicht, weder auf die Regierung, die Joint Chiefs of Stoff, die katholische Kirche noch auf universal gültige Moralvorstellungen oder auch auf dich, Sam, von dem er behauptet, daß er dich liebt wie seinen eigenen Sohn! Nicht du wirst es sein, der an das hochheilige Rednerpult tritt, um die Ungerechtigkeit öffentlich anzuprangern, sondern er, und um -6 5 1
den Fall so durchzubringen, wie er will, ist er bereit, das ganze
verfluchte System zu zerschlagen und die Wopotami zur
größten Bedrohung zu machen, der das große Amerika sich
seit München '39 gegenübersieht. Wie ein Donnerkeil wird er
herniederfahren. Man muß ihn ausmerzen, muß ihn zertreten,
ehe hundert andere Minoritäten glauben, klar zu erkennen, wie
sie von einer Regierung aufs Kreuz gelegt worden sind. Es wird
überall zu Unruhen kommen ... Wenn wir Zeit genug haben und
klug vorgehen, können wir all diese Dinge richtigstellen, aber
nicht auf seine Weise, das wäre das Chaos.« »Sie hat da nicht
ganz unrecht, Aaron.« »Wieder eine brillante Einschätzung,
meine Liebe - nur übersehen Sie dabei ein grundlegendes
Naturgesetz!« »Was, zum Teufel, meinen Sie, Pinkus?«
»Wenn man es richtig anpackt, wird man ihn aufhalten
können.«
»Wie wollen Sie das anstellen, um alles auf der Welt, wie?«
In diesem Augenblick krachte die Tür der Suite auf, knallte
gegen die Wand und ein wütender Cyrus stand auf der
Schwelle. Aber ein anderer Cyrus als sonst: ein in einen
sündhaft teuren Nadelstreifenanzug gekleideter Cyrus mit Bally-
Schuhen an den Füßen und einer Seidenkrawatte um den Hals.
»Diese Scheißkerle sind raus!« schrie er außer sich vor
Entrüstung. »Oder sind sie hier?»
»Sie meinen Roman Z. und unsere beiden Desis?« sagte Sam
mit angehaltenem Atem. »Sind die etwa desertiert?«
»Himmel, nein, das nicht, aber sie sind wie Kinder in
Disneyland und müssen alles erforschen. Die kommen schon
wieder, aber sie haben gegen ihre Befehle gehandelt.«
»Was meinen Sie damit, Colonel?« fragte Pinkus.
»Nun, ich bin ... ich mußte mal aufs Klo und habe ihnen gesagt,
sie sollen warten, doch als ich wieder rauskam, waren sie
futsch.«
»Sie haben aber doch gerade gesagt, daß sie wiederkommen«,
sagte Devereaux beschwichtigend. »Wo liegt also das
Problem?«
-6 5 2
»Ja, möchten Sie, daß diese Witzfiguren in der Lobby rumlaufen?« »Das könnte ich mir ziemlich erfrischend vorstellen«, sagte Aaron und gluckste in sich hinein. »Soll doch diese Armee von Diplomaten sich mal ein bißchen aufregen; die laufen sowieso immer nur so stocksteif herum, als ob sie unter versetzten Winden litten - Entschuldigung, meine Liebe.« »Auch in diesem Fall brauchen Sie sich nicht zu entschuldigen, Mr, Pinkus«, sagte Jennifer, den Blick immer noch auf dem bärengroßen Söldner. »Cyrus«, fuhr sie dann fort, »Sie sehen so, ach, ich weiß nicht, ob das der richtige Ausdruck ist, aber so ... ja, distinguiert aus.« »Das liegt an den Klamotten, Jenny. Einen richtigen Anzug habe ich nicht mehr angehabt, seit sechsundvierzig Verwandte in Georgia zusammengeworfen haben, um mir im Peachtree Center einen für die Doktorprüfung zu kaufen. Vorher konnte ich mir keinen leisten, und hinterher erst recht nicht mehr. Freut mich, daß er Ihnen gefällt, mir auch. Der geht auf Mr. Pinkus Rechnung, dessen Schneider durchs Nadelöhr springen, sobald er einmal niest.« »Das stimmt nicht, mein Freund«, sagte Aaron. »Sie verstehen nur was von Notfällen ... Bietet unser Colonel nicht einen prachtvollen Anblick?« »Erschreckend«, stimmte Sam widerstrebend zu. »Der Koloß von Rhodos, gekleidet für eine Aufsichtsratssitzung von IBM«, fügte Redwing hinzu und nickte anerkennend. »Dann sollte ich Sie vielleicht mit Ihrem neuen Beisitzer in der Anhörung heute nachmittag bekanntmachen: Darf ich vorstellen? Richter Cornelius Oldsmobile, der Sie dank einer Gefälligkeit meines alten Freundes, welcher zum Richterkollegium gehört, als besonderer >amicus curiae auf Reisen< in den Gerichtssaal begleiten wird. Er darf zwar das Wort nicht ergreifen, sondern nur beobachten, wird aber unmittelbar neben General Hawkins sitzen, der logischerweise glaubt, daß Cyrus als militärischer Sicherheitsbeamter dasitzt. Sollte unser General sich zum Abschluß der Anhörung -6 5 3
entschlossen zeigen, noch ein paar flammende Kommentare abzugeben, so hat Richter Oldsmobile mir versichert, gäbe es eine Reihe von Möglichkeiten, ihn daran zu hindern, unter anderem einen Kreislaufanfall, der für jemand im Alter des Generals den sofortigen Abtransport in ein Krankenhaus bedeuten würde.« »Aaron, Sie listiger Fuchs, Sie!« rief Sam und sprang von seinem Stuhl auf. »Es hat mich Seelenqualen gekostet, an so was auch nur zu denken, aber wie unsere bezaubernde Jennifer meint, man muß sich auch immer vergegenwärtigen, worin denn die Alternative bestehen würde.« »Mein Gott, ich wünschte, Sie wären dreißig Jahre jünger«, rief Redwing. »Himmel, selbst wenn es nur zwanzig wären!« »Da geht es mir genauso, Kind, aber ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Shirley gegenüber nie etwas ähnliches verlauten ließen.« »Vielleicht tue ich das, falls Prinzessin Pocahontas sich nicht zusammenreißt«, sagte Devereaux. »Wissen Sie, es können zehn, ja, sogar fünf zehn Meilen gewesen sein, die ich schwimmend im Sturm zurückgelegt habe, aber ich bin zu bescheiden, um davon zu reden.« Arnold Subagaloo senkte sich mit seinem ausladenden Hinterteil wackelnd auf den Kapitänsstuhl und war sicher, daß die eng anliegenden Armlehnen seinen Leib festhalten würden, während er sich seinem Lieblingszeitvertreib im Büro hingab. Wenn er den Arm hob, um seine Pfeile zu werfen, war sein Leibesumfang den Zwängen des Stuhls unterworfen, was allerdings ein genaueres Zielen erlaubte, da die Seitwärtsbewegung unten auf ein Minimum beschränkt blieb. Schließlich war er ein Organisator par excellence, verfügte über einen Intelligenzquotienten von 185 und wußte alles, was es zu wissen gab - nur von Realpolitik, Höflichkeit und vernünftiger Ernährung verstand er nichts. Er hatte auf den Knopf gedrückt, der dafür sorgte, daß der geschlossene Vorhang an der Wand zurückglitt und den Blick -6 5 4
freigab auf eine überdimensionale, von einer Zimmerecke bis
zur anderen reichende Fotomontage mit den Vergrößerungen
der Köpfe von einhundertundsechs Männern und Frauen
allesamt seine Feinde. Liberale sowohl bei den Demokraten als
auch bei den Republikanern, irre Umweltfatzken, die niemals
eine Gewinn- und Verlustrechnung verstehen würden,
Feminazis, die unentwegt versuchten, die gottgegebene
Ordnung männlicher Überlegenheit zu durchlöchern, und vor
allem jene Senatoren und Kongreßabgeordneten, die die
Unverschämtheit besaßen zu behaupten, er sei nicht der
Präsident! Nun ja, vielleicht war er das wirklich nicht, aber wer,
zum Teufel, glaubten sie denn, zerbrach sich den Kopf für den
Präsidenten? Dachte jede Stunde und jede Minute für ihn!
Als Subagaloo seinen ersten Pfeil warf, klingelte sein
Privatapparat und war schuld daran, daß die scharfe und spitze
Rakete vom geraden Weg abwich und durch ein offenes
Fenster zur Linken flog, was ein lautes Wehgeschrei vom
Gärtner im Rosengarten zur Folge hatte.
»Dieser Hurensohn kann's einfach nicht lassen! Ich kündige!«
Arnold fegte eine dankbare Bemerkung beiseite, eigentlich
sollte er dem Mann eins auf die Nuß geben - bestimmt war der
Kerl Mitglied irgendeiner sozialistisch-kommunistischen
Gewerkschaft und erwartete eine Abfindungszahlung von zwei
Wochenlöhnen, bloß weil er läppische zwanzig Jahre für ihn
gearbeitet hatte! Leider konnte Subagaloo nicht aus dem Stuhl
heraus, seine schwabbelnden Hüften waren im Moment
außerstande, sich von den sie umklammernden Armlehnen zu
befreien. Da ihm keine andere Wahl blieb, watschelte er - den
Stuhl vorübergehend am Hinterteil festgeklemmt - zum
unablässig klingelnden Telefon hinüber.
»Wer sind Sie, und woher haben Sie diese Nummer?« rief
gellend der Stabschef des Weißen Hauses.
»Nicht gleich aufregen, Arnold - ich bin's, Reebock, und bei
dieser Sache stehen wir nun mal auf derselben Seite.«
»Oh, Mister Chiefjustice! Wollen Sie mir noch ein
Riesenproblem aufbürden, das ich nicht gebrauchen kann?«
-6 5 5
»Nein. Ich habe im Gegenteil das größte aus der Welt
geschafft, das Sie haben.« »Die Wopotami?«
»Die können von mir aus in ihrem blöden Reservat verhungern,
wer würde denen schon eine Träne nachweinen? Ich habe
gestern abend ein kleines Barbecue bei mir zuhause
veranstaltet - das Gericht war vollzählig versammelt. Und da
mein Weinkeller zu den besten von ganz Washington zählt,
waren alle bald ganz schön beschicken, bis auf die Frau, aber
die zählt sowieso nicht. Wir versammelten uns um den Pool
herum und hatten einen sehr amerikanischen, intellektuellen
Disput. Sehr gelehrt und vom Geiste der Jurisprudenz
durchdrungen.« »Und?«
»Sechs zu drei gegen die Wopotami-Wilden, garantiert! Zwei
von unseren Kollegen waren erst unschlüssig, doch als unsere
mannbaren Bedienerinnen vom Party-Service die Kleider
ablegten und in den Pool sprangen, begriffen sie, wo's
langgeht. Unsere beiden blutenden Herzen von der
Möchtegern-Mitleidsliga behaupteten, sie wären in den Pool
reingestoßen worden, doch von Fotos läßt sich das nicht
ablesen. Welch unsittliches Benehmen: Diese Bilder könnten
eine Dreckschleuder in Gang setzen, ich habe ihnen das
nachhaltig klar gemacht.«
»Reebock, Sie sind ein Genie! Nicht ganz auf meinem Niveau,
versteht sich, doch immerhin, nicht schlecht. Aber das bleibt
unter uns, nicht wahr?«
»Wir sprechen dieselbe Sprache, Subagaloo. Unsere Aufgabe
ist es zu verhindern, daß unamerikanische Abweichler plötzlich
mit am Tisch sitzen. Diese Leute sind gefährlich, jeder einzelne
von ihnen. Wo kämen wir denn hin ohne Einkommenssteuer
und Bürgerrechte?«
»In den Himmel, Reebock, in den Himmel! Und nicht
vergessen, wir haben nie miteinander gesprochen.«
»Warum sonst, meinen Sie, rufe ich Sie unter dieser Nummer
an?«
»Woher haben Sie die?«
»Ich hab einen Maulwurf im Weißen Haus.«
-6 5 6
»Wer ist diese Ratte, um Gottes willen?«
»Jetzt hören Sie mal, Arnold, das ist nicht fair.« »Ja, ist es wohl
nicht. Ich hab schließlich auch eine im Bundesgerichtshof
sitzen.«
»Stare decisis, mein Freund.«
»Und was gibt's sonst Neues?« fragte Arnold Subagaloo.
12 Uhr 37. Der riesige Trailblaze-Bus, von jemandem
angemietet, von dem keiner in der Firma je gehört hatte, hielt
vor dem imposanten Portal des Obersten Bundesgerichts. Der
Fahrer sackte über dem großen Lenkrad zusammen, Tränen
der Angst und der Dankbarkeit strömten ihm über die Wangen.
Wie froh er war, daß die gesamte Ladung Fahrgäste endlich
ausstieg. Noch vor wenigen Meilen hatte er gerufen, gezetert
und schließlich von Panik ergriffen geschrien: »Feuer, Kochen
über offenem Feuer ist im Bus nicht gestattet!«
»Wir kochen doch nicht, Mann«, hatte eine feste Stimme hinter
ihm erklärt. »Wir mischen doch nur die Farben, was bedeutet,
daß man das Wachs zum Schmelzen bringen muß.«
»Was?«
»Sehen Sie?« Völlig unvorbereitet hatte ihm jemand sein
grotesk bemaltes Gesicht vor die Augen gehalten, was zur
Folge hatte, daß der Fahrer den Bus quer über den Virginia
Highway rutschen ließ und er zwischen den
entgegenkommenden Verkehr geriet, wobei es das schiere
Wunder war, daß es ihm schließlich gelang, auf die eigene
Spur zurückzukehren.
Es folgte, was man als eine ganze Serie von Ereignissen
bezeichnen könnte - Ereignisse, welche die Schreie des
Besitzers vom Last Ditcb Motel außerhalb von Arlington
rechtfertigten, als er hinter einem Berg von Seesäcken hervor
gebrüllt hatte: »Lieber spreng ich den ganzen Laden in die Luft,
als daß ich die noch mal hier rein laß! Scheißkriegstänze um
Scheißlagerfeuer mitten auf dem Parkplatz! Sämtliche anderen
Gäste haben umgehend die Flucht ergriffen, ohne auch nur
einen Cent bezahlt zu haben.«
-6 5 7
»Sie haben das in den falschen Hals gekriegt, Mann! Das
waren Beschwörungsgesänge. Verstehen Sie, wie Gebete um
Regen und glückliche Geburt, manchmal sogar um Weiber!«
»Raus, raus, raus!«
Nachdem die Seesäcke wieder eingeladen worden waren,
wobei man notgedrungen ein paar davon auf dem Dach des
Busses hatte festzurren müssen, war die Serie von
unerträglichen Ereignissen weitergegangen, und das unter dem
Qualm und dem Gestank von zum Schmelzen gebrachten
Wachsstiften. »Verstehen Sie, wenn man das mit Paraffin
mischt und sich in die Haut einreibt, zerfließt es und rinnt
aufgrund der Körperwärme allmählich übers Gesicht. Läßt die
Bleichgesichter vor Angst schlottern! Verstehen Sie? So!« Der
Fahrer sah es. Tränenbahnen in grelleuchtenden Farben, die
jemandem übers Gesicht rannen, der auf den Namen
Kalbsnase hörte. Ums Haar wäre er einem Diplomatenwagen
mit der Flagge Tansanias hinten reingefahren. So gab es nur
eine Delle in der Stoßstange. Er wich dann nach links aus,
überholte und ließ dabei den Seitenspiegel mitgehen, während
etliche schwarze Gesichter mit angstvoll aufgerissenen Augen
zu ihren farbenprächtigeren Gegenstücken hinter den
Busfenstern oben hinaufstarrten.
Dann kam es zu dem, was man hören konnte: Anfänglich nur
das langsame, tiefe Bum -bum von mindestens einem Dutzend
Trommeln. Bum-bum, bum-bum, bum-bum- bum-bum, bum
bum, bum-bum! »Hai-ya, hai-ya, hai-ya!« Der fanatische Chor
schwoll zu einem hysterischen Crescendo an, als der Kopf des
Fahrers über dem Lenkrad wie der eines brünstigen Gockels
vor und zurückzuckte. Erleichterung hatte sich breit gemacht,
als das Getrommel und Gesinge plötzlich und wie auf Befehl
aufhörte.
»Ich glaube, das haben wir nicht richtig hingekriegt, guys und
girls«, rief der Terrorist namens Kalbsnase. »War das nicht der
Hochzeitstanz?«
»Schlägt Ravels Bolero jedenfalls haushoch«, ließ sich eine
Männerstimme von ganz hinten im Bus vernehmen.
-6 5 8
»Wer merkt schon den Unterschied?« fragte schrill eine andere Stimme, diesmal die einer Frau. »Ich weiß nicht«, antwortete Kalbsnase, »aber Donnerhaupt hat gesagt, das Amt für Indianerangelegenheiten könnte auf die Idee kommen, ein paar Fachleute zu schicken, weil kein Mensch uns erwartet oder weiß, warum wir hier sind.« »Wenn das Irokesen sind, vertrimmen die uns«, rief noch eine andere Stimme, offenbar die eines älteren Stammesangehörigen. »Den Legenden zufolge haben sie uns jedesmal, wenn es schneite, aus den Wigwams rausgeworfen!« »Dann laßt uns doch wenigstens die Begrüßung des Sonnenaufgangs noch mal proben - für alle Fälle. Das paßt immer.« »Wie geht die noch wieder, Johnny?« Eine andere Frau. »Das Stück, das sich anhört wie eine Tarantella ...« »Aber nur, wenn es vivace gesungen wird, Nase«, stellte ein junger Mann in voller Kriegsbemalung richtig. »Als adagio könnte es genausogut ein Trauergesang von Sibelius sein.« »Wie war's dann mit dem Balanchine-Stück? Schön, girls, raus auf den Gang und geprobt! Und vergeßt nicht: Donnerhaupt möchte etwas Bein für die Fernsehkameras - bloß keine Strumpfhalter oder so was. Man darf uns keine Unsauberkeit vorwerfen können.« »Ahhh, ahhh, ahhh ... Scheiße!« kamen die Männerstimmen. »Eins, zwei, drei - und los!« Die Trommeln und der Chor hatten wieder eingesetzt, dazu kam das Stampfen der Füße auf dem Gang. Der Fahrer versuchte, sich auf den Verkehr zu konzentrieren, der kurz vor Washington immer dichter wurde. Zum Glück kippte eine Gaskartusche unter einem Topf mit einer blubbernden Masse aus zerlaufenen roten Wachsstiften um, und der perlenbestickte Rock einer Tänzerin fing Feuer. Mehrere junge Krieger hatten den Brand im Handumdrehen gelöscht. »Hände raus da!« kreischte die indianische Maid. Der Kopf des Fahrers fuhr herum, und der Bus rutschte auf einen Hydranten zu, riß das Kopfteil ab, und ein gewaltiger Wasserschwall ergoß sich auf die Independence Avenue. Die -6 5 9
Vorschriften der Autoverleih-Firma sahen vor, daß ein Fahrer, der mit seinem Wagen in einen Unfall dieser Art verwickelt wurde, augenblicklich hielt, über Funk das Büro zuhause benachrichtigte und auf die Polizei wartete. Nur war das eine Verhaltensregel, die auf diesen Fall ganz eindeutig nicht anzuwenden war, schloß der Fahrer des Busses, der mit wilden Terroristen angefüllt war, die tropfende Wachsfarbe auf ihre Gesichter aufgetragen hatten. Er war fünf Blocks von seinem Ziel entfernt, und in dem Augenblick, wo seine Ladung von gasbrennerbetreibenden, stampfenden Barbaren in ihren Lederklamotten mit der Perlenstickerei darauf seinen Bus samt Seesäcken und Pappschildern verlassen hatte, wollte er zum Busbahnhof zurückrennen und denen seine hastig hingekritzelte Kündigung hinknallen, nach Hause fahren, seine Frau schnappen und gemeinsam mit ihr das nächste Flugzeug nehmen, um so weit wie möglich wegzufliegen. Zum Glück war ihr einziger Sohn Rechtsanwalt. Sollte der sich doch mit den Folgen herumschlagen! Warum auch nicht?! Er hatte diesen rotzfrechen Bengel schließlich unter größten finanziellen Anstrengungen durchs College und die Law School gebracht! Sechsunddreißig Jahre hinterm Lenkrad und den Abschaum der Menschheit durch die Gegend kutschiert. Man mußte einfach wissen, wann etwas nicht mehr ging und entsprechend Schluß war! Genauso wie damals in Frankreich, im Zweiten Weltkrieg, als die Krauts ihnen die Hucke vollhauten bis dann der große Mann, General Hawkins, die Division übernommen und laut verkündet hatte: »Soldaten, es kommt der Augenblick, wo wir entweder das Feld räumen oder rufen: Angriff! Ich sage: Wir machen weiter. Ich sage: Auf sie mit Gebrüll!« Und bei Gott, sie hatten angegriffen. Der große Mann hatte damals recht gehabt, doch hier gab es niemanden, den man angreifen konnte, keine bewaffnete feindliche Armee, die darauf aus war zu töten, bloß Horden von Verrückten, die in den Bus reinwollten und einen zum Wahnsinn trieben! Sechsunddreißig Jahre! Ein gutes, ein produktives Leben - doch jetzt, in diesem kritischen Augenblick, war nichts mehr übrig, einfach gar nichts. Es war Zeit, das Feld zu räumen ... Er fragte sich, was der -6 6 0
große General Hawkins wohl sagen würde. Er glaubte, es zu wissen. »Wenn der Gegner es nicht wert ist, suche dir einen anderen!« Der Fahrer war entschlossen, das Feld zu räumen. Der Gegner war es nicht wert. Der letzte Terrorist, der ausstieg, war dieser Kalbsnase, dieser Irre mit den grotesken roten Wachsstreifen, die ihm das Gesicht runterliefen. »Hier, Mann«, sagte der Wilde und reichte dem Fahrer eine kleine Metallmünze von nicht erkennbarem Wert. »Häuptling Donnerhaupt wollte, daß diese Gedenkmünze demjenigen überreicht wird, der uns an den Ort der schicksalhaften Bestimmung bringt. Ich will verdammt sein, wenn ich weiß, was er damit meinte, aber sie gehört Ihnen, Freund. Kalbsnase sprang hinunter auf den Asphalt, ein an einen Ast genageltes Papplakat balancierte er auf der rechten Schulter: »... Ort schicksalhafter Bestimmung ... Nachdem wir gehandelt haben, wird nichts wieder so sein wie früher. Wir greifen an!« General MacKenzie Hawkins vor vierzig Jahren in Frankreich. Der Fahrer starrte die Münze in der Hand an und sperrte Mund und Nase auf. Was er in der Hand hielt, war die Nachbildung ihres Divisionszeichens ... vor vierzig Jahren. Ein Wink des Himmels? Kaum wahrscheinlich, da er und seine Frau es schon vor langer Zeit geschafft hatten, jeden Kirchgang zu vermeiden. Die Sonntagvormittage galten all den Fernsehprogrammen, in denen Politiker seinen Zorn anheizten, den seine Frau dann wieder, mit einem Krug tabasco-gewürzter Bloody Marys beschwichtigen mußte. Gute Ehefrau, seine Frau ... Aber das hier! Seine alte Division, und die Worte des besten Divisionskommandeurs, der je gelebt hatte. Himmel, er mußte machen, daß er von hier wegkam! Es war unheimlich! Der Fahrer ließ den Motor wieder an, trat aufs Gaspedal und raste die First Street hinunter - und sah im Rückspiegel einen Haufen angemalter Gesichter hinter ihm herlaufen. »Ihr könnt mich mal!« rief er laut. »Ich bin raus aus der Sache, für mich ist sie erledigt! Ich und meine Frau, wir gehn in den Westen vielleicht so weit weg in den Westen, daß es schon wieder Osten ist. Vielleicht an einen Ort wie Amerikanisch-Samoa!« -6 6 1
Was der Fahrer vergessen hatte, war, daß noch siebenunddreißig Seesäcke oben auf dem Dach festgezurrt waren.
-6 6 2
31. KAPITEL 13 Uhr 06. Es klingelte, und während Aaron und Sam in einen Schlafraum entschwanden, um nicht von irgend jemandem erkannt zu werden, ging Jennifer quer durchs Zimmer, warf einen Blick hinter sich und sagte dann: »Ja? Wer ist da?« »Bitte, Miss Janey«, ertönte unverkennbar die Stimme von Roman Z. »Dies Ding iss schwer.« Redwing machte die Tür auf und wurde begrüßt von Roman, der vor den beiden Desis stand, die schweißüberströmt einen gewaltigen Schrankkoffer an den Griffen gepackt hielten. »Mein Gott, warum habt ihr den denn nicht vom Hotelpersonal raufbringen lassen?« »Mein liebster Freund, der jetzt zu ein brutaler und völlig meschuggener Colonel geworden iss, hat gesagt, wir müssen's selbst raufschaffen.« Der Zigeuner trat in die Mitte des Raumes. »Sonst, wenn er zufällig aufginge, müßte ich jedem, der den Inhalt sieht, die Kehle durchschneiden. Kommt, mein zweit- und drittliebster Freund, hier herein!« »Ich kann es nicht glauben, daß Cyrus eine solche Anweisung gegeben hat«, protestierte Jennifer, als Desi-Eins und DesiZwo sich mit dem überdimensionalen Koffer abmühten, ihn in die Suite hereintrugen und aufstellten. »Zumindest hättet ihr einen kleinen Wagen benutzen können.« »Un' du hast gesagt, solln wir nich'!« fauchte D-Eins Roman an. »Weil der großmächtige Colonel mit den verrückten Leuten aufm Laster geredet und nix weiter gesagt hat als >Schnell raufbringen!< Er hat nix gesagt von wegen, >Auf Wägelchen stellen und raufbringen!< Mein liebster Freund iss'n kluges Köpfchen: Man weiß ja nie, ob so'n Ding nicht'ne Falle iss. Hast du jemals versucht, mit'm großen Einkaufswagen ausm Supermarkt rauszukommen, ohne zu bezahlen? Dann geht der Alarm los, hab ich nicht recht, Miss Janey?«
-6 6 3
»Naja, da sind die Waren mit einem Code versehen, der
dadurch neutralisiert wird, daß man ihn über ein Lesegerät
hinwegführt ...«
»Seht ihr! Mein liebster Freund hat uns das Leben gerettet!«
»Ihr werdet für eure Mühen reichlich belohnt werden«, sagte
Aaron Pinkus, der zusammen mit Sam Devereaux aus dem
Schlafraum hervorstürzte.
»Nun mach ihn doch schon mal jemand auf!« fügte er noch
hinzu und starrte den Koffer an.
»Gibt keinen Schlüssel«, erklärte Roman. »Nur kleine Zahlen
aufm Schloß«
»Die Zahlen habe ich«, verkündete der tadellos und teuer
gekleideter Cyrus, der in diesem Augenblick zur Tür hereintrat
und sie augenblicklich wieder hinter sich zumachte. »Tut mir
leid, aber ich mußte bei meiner Firma noch einen zusätzlichen
Lieferschein quittieren, Mr. Pinkus.«
»Sie haben der Firma meinen Namen genannt?«
»Nicht doch! Aber der Lieferant könnte sich an Sie halten, wenn
diese ganze Sache später herauskommt.«
»Das mach ich schon!« erklärte Sam. »Entflohene Häftlinge
und gesuchte Söldner anzuheuern, um die Drecksarbeit zu
machen! Ha! Ein saftiger Kuchen!«
»Aber Liebling, wir tun das doch auch!« sagte Jennifer.
»Ach?«
»Um Gottes willen, macht endlich den Koffer auf! Ich spüre
förmlich, wie Shirley mir im Nacken sitzt - kein besonders
angenehmes Gefühl! Ich habe sie seit gestern morgen nicht
mehr angerufen.«
»Geben Sie mir ihre Nummer«, sagte Roman Z. und ließ vorm
Hintergrund seines orangefarbenen Seidenhemds die blaue
Seidenschärpe um den rechten Arm wirbeln. »Es gibt Frauen,
und es gibt Frauen - nur die wenigsten können sich meinem
Charme entziehen. Iss es nicht so, meine liebsten Freunde?«
»Shirley würde Sie einsperren lassen«, erwiderte Pinkus. »Ich
bezweifle, daß Ihr Anzug ihren Ansprüchen genügt.«
-6 6 4
»So, das bauen wir!« sagte Cyrus, dem es gelungen war, die Zahlenschlösser und damit den Koffer zu öffnen. »Mein Gott!« rief Sunrise Jennifer Redwing. »Soviel Metall!« »Ich hab's Ihnen doch gesagt, Jenny«, sagte Cyrus angesichts der Fülle von stählernen Brustpanzern und Stahlhelmen, die neben den absonderlichsten Kleidungsstücken im Schrankkoffer hingen. »Das ganze ist ein Hammer!« 13 Uhr 32. Der Inhalt des riesigen Schrankkoffers wurde verteilt, und der Prozeß der Verkleidung und Infiltration begann. Entsprechend der Befehle des Falken (von denen etliche mittlerweile von Cyrus, seinem nunmehr anerkannt verdienstvollen Adjutanten, hinzugefügt oder feiner gefaßt worden waren), bestand das erste Etappenziel darin, den Leuten aus den Reihen des Gegners, die sie vor dem Gerichtsgebäude suchten, ein Schnippchen zu schlagen und Zugang zum Gebäude selbst zu finden. War das erst mal geschafft, bestand das zweite darin, die Sicherheitskontrollen zu passieren, ohne daß Sam, Aaron, der Falke oder Jenny verrieten, wer sie eigentlich waren. MacKenzie war überzeugt, daß Steckbriefe an das Wachpersonal ausgegeben worden waren, die genaue Beschreibungen von seiner Person, von Devereaux und - da Sam ein Angestellter von Pinkus war auch von Aaron enthielten: Und da S.J. Redwing schon einmal vor diesem Gericht aufgetreten war, und sofern jemand seine Hausaufgaben gemacht und herausgefunden hatte, daß sie eine Wopotami war, stand vermutlich auch Jennifer auf der Liste. Zugegeben, letzteres war weit hergeholt, doch das galt auch für die ungezählten Dollarmilliarden, welche die gierigen Feinde des >'verstorbenen' Vincent Mangecavallo an Schulden angehäuft hatten. Die dritte Hürde, die genommen werden mußte, hing einzig und allein davon ab, daß Sam, Aaron und Hawkins eine Herren und Jennifer eine Damentoilette fanden, ehe sie in den hehren Gerichtssaal eingelassen wurden. Laut detailliertem Grundriß des Gebäudes, den irgendeine >Verwandte< von Vinnie BumBum beschafft hatte, gab es auf dem Flur im zweiten Stock, wo der Raum lag, in dem die Verhandlung stattfinden sollte, zwei -6 6 5
solcher Klos - und zwar an den entgegengesetzten Enden des
Marmorflurs. Daß man auf diese Toiletten angewiesen war,
führt uns zurück zum ersten Etappenziel, die Bewacher des
Obersten Bundesgerichts zu täuschen und zum
Verhandlungsraum Einlaß zu finden. Der Inhalt des
Schrankkoffers brachte Jenny jedoch dazu, aus ihrem
Schlafzimmer zu rufen: »Sam, das hier ist unmöglich!«
»Was denn?« fragte Devereaux und trat, angetan mit einem
viel zu weiten karierten Anzug mit verbeulten Hosen, was den
Hering von Mann aussehen ließ, als wäre er einen Zentner
schwerer, als er es in Wirklichkeit war, aus dem zweiten
Schlafzimmer heraus. Auf dem Kopf trug er eine braune
Perücke, deren Ringellocken unter einem Hut hervorquollen,
den man am ehesten noch als Kreissäge bezeichnen konnte,
der beliebtesten Kopfbedeckung der Waschbärmäntel
tragenden Generation von Collegestudenten aus den
Zwanzigern. Er stieß Redwings ohnehin schon offenstehende
Tür noch weiter auf und bot sich auf der Schwelle ihren Blicken
dar. »Kann ich helfen?«
»Jeiei!«
»Heißt das jetzt ja oder nein?«
»Was sollst du denn darstellen?«
»Dem Personalausweis und dem Führerschein nach, die
mitgeliefert wurden, heiße ich Alby-Joe Scrubb und betreibe
irgendwo eine Hühnerfarm ... Aber was um alles auf der Welt
bist du?«
»Ein Ex-Chorus-Girl«, erwiderte Jenny und versuchte zum x
tenmal, den Brustharnisch über ihrem üppigen Busen zu
schließen. »Da ... aber schon gut, ich hab's geschafft ... Und
jetzt noch diese gänsedreckgrüne Bauernbluse, die nicht mal
einen sexuell ausgehungerten Gorilla hochbringen könnte.«
»Mich bringt sie schon hoch«, sagte Sam.
»Du stehst aber auch sicher noch eine Stufe unter jedem
Gorilla und gehörst zu einer besonders leicht erregbaren
Spezies.«
-6 6 6
»He, was soll das? Wir kämpfen auf derselben Seite. Mal im
Ernst - was sollst du sein?«
»Sagen wir, ein loses Frauenzimmer, dessen schwellendes
Oberteil unter diesem kugelsicheren Korsett die Wächter
hoffentlich so weit ablenkt, daß sie's mit den Kontrollen nicht so
genau nehmen.«
»Der Falke denkt aber auch an alles.«
»Bis runter zur Libido«, stimmte Redwing zu, streifte sich die
grellgrüne Bluse über den Kopf und zog sie über ihrem gelben
Minirock zurecht. Sie beugte den Oberkörper ein wenig vor und
begutachtete die schwellenden Brüste unter der locker
hängenden Bluse. »Mehr schaff ich nicht!« sagte sie
aufseufzend.
»Dem läßt sich abhelfen!«
»Daß du dich unterstehst! Jetzt kommt der schlimmste Teil: der
Kopfputz. In Vorbereitung auf deine mehr als perfekte
Neandertal-Rache.« Jenny griff nach einer großen
quadratischen Schachtel auf dem Bett und zog eine
platinblonde Perücke hervor, die auf einen Stahlhelm montiert
war. »Dieser kugelsichere Stahlhelm ist so schwer, daß ich für
den Rest des Jahres einen steifen Nacken haben werde - falls
ich das Ende dieses Jahres überhaupt noch erlebe.«
»Yeah, ich habe auch einen«, sagte Sam, als Redwing sich den
perückenbewehrten Helm aufstülpte. »Kopfschütteln geht, aber
wenn du nickst, kannst du dir einen Nasenbeinbruch holen.«
»Aber Kopfschütteln paßt nicht zu dem, was ich hier darstellen
soll.«
»Ich verstehe, was du meinst. Wenn das Macs mehr als
perfekte Rache ist - was nennst du dann perfekt?« »Na, das
liegt doch auf der Hand. Er wird mich bei der Sitte unterbringen
und in einem Klo stationieren, und dann werde ich als Dealer
festgenommen.«
»Sam!« rief Aaron Pinkus aus dem Wohnzimmer. »Ich brauche
Hilfe.«
-6 6 7
»Ich bin ein gefragter Mann.« Devereaux verließ den Schlafraum: Jenny folgte ihm auf dem Fuß. Was sie da vor sich sahen, war ein ebenso seltsamer Anblick wie der, den sie selber boten. Verschwunden war die leicht gebeugte, aber nichtsdestoweniger distinguierte Gestalt von Bostons erstem Anwalt. An seiner Stelle stand ein in einen langen schwarzen Gehrock gekleideter chassidischer Rabbi, dem zwei geflochtene Schläfenlocken unter dem flachen schwarzen Hut hervorlugten. »Nehmen Sie die Beichte ab, oder tut ihr Leute so was nicht?« fragte Sam. »Das finde ich überhaupt nicht witzig«, erwiderte Aaron und trat vorsichtig ein paar Schritte vor. Er schwankte und hielt sich an den Fransen einer Tischlampe fest, die daraufhin zu Boden fiel und zerbarst. »Ich bin von oben bis unten in Eisen verpackt!« schrie er erbost. »Das dient doch nur Ihrem Schutz, Mr. Pinkus«, sagte Jennifer, lief um Sam herum und hielt dem alten Mann die Arme. »Das hat Cyrus doch klargemacht, Sie müssen sich schon selbst schützen.« »Nur ist es so, daß der Schutz mich umbringt, mein Kind. Am Strandabschnitt Omaha in der Normandie hatte ich einen Rucksack von vierzig Pfund Gewicht auf dem Rücken, so daß ich um ein Haar in ein Meter zwanzig Wassertiefe ertrunken wäre, und damals war ich wesentlich jünger! Diese metallene Unterwäsche ist wesentlich schwerer, und ich bin unendlich viel älter als damals.« »Schwierig wird es für Sie vermutlich nur, wenn es gilt, die Treppe zum Gerichtsgebäude hinaufzusteigen. Da wir uns trennen müssen, werde ich Johnny Kalbsnase bitten, jemanden auszusuchen, der Ihnen hilft.« »Kalbsnase? Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor, aber so einen Namen vergißt man wohl auch nicht so leicht. Johnny ist Macs rechte Hand beim Stamm«, sagte Sam. »Ach ja, er hat in Sidneys Haus angerufen, und wenn ich mich recht erinnere, hatten Jennifer und unser General ein Wettschreien veranstaltet.« -6 6 8
»Johnny Kalbsnase und MacKenzie Hawkins geben ein
wunderbares Gespann ab. Schleim und Schlamm! Aber wie
auch immer, Kalbsnase stellt bestimmt jemanden ab, der Ihnen
hilft. Daran wird er gut tun, sonst zeige ich ihn an, denn er hat
Tausende von General Donnerhaupts Bestechungsgeldern an
den Ältestenrat abgezweigt.«
»Das hat er getan?« fragte Devereaux.
»Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht, aber es wäre ihm wirklich
zuzutrauen.«
In diesem Augenblick wurde drängend an die Tür geklopft. Sam
ging hinüber, machte auf und war wiederum gelinde erstaunt
über die Eleganz des riesigen Cyrus: »Treten Sie ein, Colonel,
auch wenn Sie aussehen wie eine dunklere Version von Daddy
Warbucks.«
»Genau das ist ja beabsichtigt, Sam, und um Ihren Horizont
noch etwas zu erweitern, möchte ich Sie gern mit zwei
Freunden von mir bekanntmachen - oder sollte ich lieber sagen,
von >Richter Oldsmobile« Cyrus trat ein und winkte Desi-
Eins und -Zwo, es ihm nachzutun. Gleichwohl, diese beiden
hatte keiner der Anwesenden je zuvor gesehen. Desi-Eins,
diesmal mit gut sitzender Zahnprothese im Mund, trug einen
konservativen grauen Anzug und ein oxfordblaues Hemd, von
dem sich der weiße Priesterkragen auffällig abhob. Desi-Zwo,
wie Desi-Eins Geistlicher, allerdings von einem anderen
Bekenntnis, trug den schwarzen Hut und Kragen eines
Priesters, dazu ein goldenes Kreuz. »Darf ich vorstellen,
Hochwürden Eimer Pristin, Geistlicher der episkopalischen
Kirche, und sein Mitprotestierer, Monsignor Hector Alizongo aus
irgendeiner katholischen Diözese in den Rocky Mountains.«
»Ach du meine Güte!« sagte Aaron und ließ sich klirrend in
einen Sessel fallen.
»Mein Gott!« pflichtete ihm die platinblonde Nutte, vulgo Jenny,
bei.
»Er hört euch!« sagte Desi-Zwo, bekreuzigte sich, besann sich
dann jedoch eines besseren und schlug über alle im Raum das
Kreuz, rückwärts.
-6 6 9
»Werd jetzt nich blasfemo, murmelte Desi-Eins. »Du loco? Ich dich einschließn in Segen, dabei bist du bloß blöder Protestante!« »Ist schon gut, Leute«, sagte Devereaux. »Wir haben verstanden. Was jetzt, Cyrus?« »Zuerst möchte ich mal fragen, ob ihr alles gefunden habt. Für jeden lag eine Liste zum Abhaken da.« Jennifer, Sam und Aaron nickten, wobei keiner aus seinen Zweifeln einen Hehl machte. »Gut«, fuhr der Söldner fort. »Irgendwelche Schwierigkeiten mit den Klamotten zum Verkleiden? Hoffentlich sitzen sie bequem.« »Aufrichtig gesagt, Colonel«, meinte Aaron, »sollten Sie vielleicht einen Kran besorgen, der mich bringt, wohin ich soll.« »Ist im Grunde aber weiter kein Problem, Cyrus«, sagte Redwing. »Ich sorge dafür, daß einer meiner Stammesbrüder Mr. Pinkus hilft.« »Tut mir leid, Jenny, aber jede Art von Kommunikation mit dem Stamm hat von jetzt an zu unterbleiben. Außerdem ist das nicht nötig.« »Moment mal«, sagte Devereaux. »Mein hochverehrter Boss kann sich in diesem mittelalterlichen Keuschheitsgürtel kaum bewegen.« »Unsere beiden geistlichen Herrn werden ihn die ganze Zeit über in die Mitte nehmen.« »Unsere Desis?« »Genau. Es war Hawkins' Idee, und sie ist wunderbar ... Ehrwürden Pristin und Monsignor Alizongo haben sich mit Oberrabbiner Rabinowitz zusammengetan, um vorm Obersten Bundesgericht gegen etliche kürzlich erlassene höchstrichterliche Entscheidungen zu protestieren, die sowohl antichristlich als auch antisemitisch sind. Nun kann man diese Leier nicht runterbeten, ohne noch antischwarz hinzuzufügen, was natürlich die Berichterstattung im Fernsehen etwas einengt.«
-6 7 0
»Auf jeden Fall ist das sehr originell«, mußte Sam zugeben.
»Übrigens, wo ist Roman Z.?«
»Ich mag gar nicht darüber nachdenken«, erwiderte Cyrus.
»Er ist doch nicht etwa desertiert?« sagte Jenny.
»Wo denken Sie hin! Es gibt ein altes Sprichwort bei den
Zigeunern, das sie von den Chinesen haben und das besagt:
>Wenn jemand einem oder mehreren anderen das Leben rettet,
kann der Retter für den Rest seines Lebens von diesem oder
diesen Menschen leben.<«
»Ich bin mir nicht sicher, ob er dieses Recht hat«, sagte Aaron.
»Ich glaube, ursprünglich hieß das genau umgekehrt.«
»Ja, natürlich«, pflichtete Cyrus ihm bei, »nur haben die
Zigeuner es umgedreht, und das genügt ihm.«
»Wo ist er also?« fragte Redwing.
»Ich habe ihm Geld gegeben, damit er eine Videokamera
kauft.«
»Aber wozu eine Kamera?« fragte Redwing.
»Das ist meine Idee. Ich finde, wir sollten den Wopotami-
Protest visuell dokumentieren können, und zwar möglichst
umfassend, wozu auch etwaige Versuche irgendwelcher
Einzelpersonen gehören, sich einzumischen, zu stören oder
friedliche Bürger an der Ausübung ihres Rechts zu hindern.«
»Ich hab's gewußt«, rief Pinkus mit schwacher Stimme von
seinem Sessel her. »Der Mann mag von Beruf Soldat und
Chemiker sein, aber er ist auch Jurist.«
»Nicht wirklich, Sir«, widersprach Cyrus. »Dank der Irrungen
und Wirrungen eines turbulenten frühen Jugendalters blieb mir
blieb uns - gar nichts anderes übrig, als uns über gewisse
verfassungsmäßige Rechte ins Bild zu setzen.«
»Moment«, sagte Devereaux, einen Hauch Skepsis in der sonst
ruhigen Stimme. »Lassen wir We shall overcome mal für den
Moment außer Betracht und beschäftigen wir uns mit dem,
worauf Sie meiner Meinung nach hinauswollen. Ein nicht
bearbeitetes Videoband, bei dem auf jedem Bild die Uhrzeit
-6 7 1
sekundengenau angegeben ist, gilt normalerweise als unwiderleglicher Beweis, stimmt's?« »Ich denke, eine ganze Anzahl von Kongreßabgeordneten und Senatoren sowie der eine oder andere Bürgermeister würden Ihnen da recht geben, Sam«, stimmte der Söldner, die Andeutung eines Lächelns um den Mund, zu. »Jawohl, und wenn wir ein solches Band haben, auf dem >Einzelpersonen< zu sehen sind, die sich während des Wopotami-Protests >ungesetzlichen gewalttätigen Verhaltens< schuldig machen ...« »Und«, fiel Redwing ihm mit einem Blick auf den zustimmend nickenden Devereaux in die Rede, »wenn man nachweisen könnte, daß diese gemeinen Einzelpersonen im Auftrag der einen oder anderen Regierungsbehörde vorgingen, hätten wir juristisch gesehen ein ganz schönes Druckmittel in der Hand.« »Nicht nur in Bezug auf die Regierung«, sagte Cyrus. »Es sind sicher auch ein paar Schlägertypen da, die man dafür bezahlt, daß sie Sie aufhalten.« »Gewaltsame Behinderung der Justiz«, fügte Sam noch hinzu. »Wenn ihnen zehn Jahre Haft drohen, ist noch jeder von diesen Halsabschneidern bereit, den Mund aufzumachen und auszusagen.« »Colonel, ich begrüße Sie!« sagte Aaron und versuchte, sich auf dem Sessel nach vorn zu arbeiten, wobei man überall im Raum Metall gegen Metall kratzen hörte. »Selbst wenn alles schiefgehen sollte, haben wir immer noch nachgeordnete Positionen zu verteidigen.« »Ich nenne das: denen Feuer unterm Hintern machen, die keinen Moment zögern würden, das gleiche bei Ihnen zu tun, Mr. Pinkus.« »Womit Sie verdammt recht haben. Ob Sie nun das Examen in Jura haben oder nicht, ich möchte Ihnen einen Job in meiner Firma anbieten. Überlegen Sie sich das. Wie wäre es zum Beispiel mit der Stellung eines Strategen in der Strafrechtsabteilung?« -6 7 2
»Ich fühle mich geschmeichelt, Sir, doch denke ich, Sie sollten besser ein Wort mit Ihrem Freund Cookson Frazier reden. Der besitzt offensichtlich ein Haus irgendwo in der Karibik, zwei in Frankreich, eine Wohnung in London sowie einige Unterkünfte in Skigebieten, an die er sich nicht mal erinnert. In alle ist schon eingebrochen worden, und er möchte, daß ich mich seiner Sicherheitssysteme annehme.« »Na, toll! Das freut mich für Sie! Er wird Sie sicher fürstlich entlohnen. Folglich werden Sie wohl annehmen.« »Vielleicht für ein paar Wochen, aber wenn ich es irgendwie zuwege bringe, möchte ich gern wieder in einem Labor arbeiten. Ich bin Chemiker - das ist für mich das Gebiet, auf dem es wirklich aufregend zugeht.« Es wurde energisch an die Tür geklopft. »Bleiben Sie, wo Sie sind«, sagte Cyrus ruhig, als die anderen erschreckt reagierten. »Das ist Roman. Er bildet sich ein, jedesmal, wenn er ein Zimmer betritt, handelt es sich um eine Galavorstellung vor gekrönten Häuptern - besonders dann, wenn die Polizei hinter ihm her ist.« Der Söldner machte die Tür auf, und es war in der Tat Roman Z., der davorstand, doch statt einer einzigen Videokamera hielt er in jeder Hand gleich zwei - zusätzlich zu einer großen Nylontasche, die ihm mit einem breiten Trageriemen von der Schulter herabhing. Verschwunden waren das orangefarbene Seidenhemd, die blaue Schärpe, die engen schwarzen Hosen und der baumelnde goldene Ohrring. Statt dessen sah er aus wie ein Reporter, der an einem Unfallort oder bei einem Brand aus einem Nachrichtenwagen des Fernsehens steigt. Unter seiner Jacke trug er ein weißes T-Shirt mit dem Aufdruck WFOG - TV, Presse. »Auftrag erfolgreich abgeschlossen, mein liebster bester Freund ... Colonel«, verkündete Roman und trat ein, doch erstarb seine Stimme beim Anblick von Sam, Jenny und Aaron. »Gibt's hier irgendwo'n Tanzbären?« »Wenn's hier einen gibt, bist du das«, sagte Cyrus. »Bären können nie genug kriegen ... Warum gleich vier Camcorder?«
-6 7 3
»Man kann nie wissen - vielleicht geht einer kaputt«, erwiderte
der Zigeuner und lachte. »Außerdem reichlich Bänder und
Kassetten«, setzte er noch hinzu und zeigte auf seine
Nylontasche.
»Wo ist die Quittung?«
»Die waaas?«
»Der Zettel, auf dem die Leihgebühr ebenso ausgewiesen ist
wie die Kaution, die zu hinterlegen war.«
»Ach, die wollten gar nix. Sagten, sie freuten sich, helfen zu
können.«
»Von was reden Sie, Roman?« fragte Redwing.
»Ich hab's auf Rechnung gekauft, Miss Janey, falls Sie unter
dem schönen Kleid Miss Janey sind.«
»Auf wessen Rechnung?« sagte Devereaux.
»Von diesen Leuten!« Stolz zeigte der Zigeuner auf sein T-
Shirt. »Ich sehr in Eile, und die hatten durchaus Verständnis
dafür.«
»Aber diesen Sender gibt es gar nicht!« rief Cyrus.
»Dann schreib ich ihnen irgendwann'n Brief und sag ihnen, wie
leid es mir tut.«
»Bitte, Colonel«, sagte Pinkus und raffte sich mit Jennys Hilfe
aus dem Sessel hoch. »Wir haben keine Zeit für ein Verhör.
Was machen wir jetzt?«
»Das ist doch ganz einfach«, sagte Cyrus. Aber das war es
nicht.
14 Uhr 16. Bum-bum, bum-bum, bum-bum - bum-bum, bum
bum, bum-bum! ... Hai-ya, hai-ya - bai-ya - hai-ya, bai-ya, hai
ya! Die Trommeln dröhnten und die Stampfer stöhnten, die
Plakate gereckt, die Touristen erschreckt - auf den Stufen zum
Obersten Bundesgericht herrschte Wopotami-Wahnsinn. Die
Washington-Besucher waren wütend - die Frauen mehr als ihre
Männer -, und die Tänzerinnen, eine attraktiver als die andere,
warfen protestierend die Beine in die Höhe, und die Röcke
rutschten hoch.
-6 7 4
»Jebediah, wir kommen nicht durch.« »Richtig.«
»Wo bleibt denn die Polizei?«
»Richtig.«
»Olaf, diese Irren wollen uns nicht vorbeilassen.«
»Richtig.«
»Dagegen mußt es doch Gesetze geben.«
»Richtig.«
»Stavros, so was ist uns im Tempel von Athen noch nie
passiert.«
»Richtig!«
»Hör jetzt auf, da hinzustarren!«
»Unsinn - ach, tut mir leid, Olympia.«
Um die Ecke der Capitol Street und im Schatten einer
Tordurchfahrt standen zwei große Männer. Der eine trug die
glitzernde Galauniform eines Army-Generals, der andere die
abgerissenen Fetzen eines Tramps. Der Tramp schoß aus dem
Torweg vor, spähte um die Ecke des Gebäudes und kam dann
zu dem General zurückgelaufen.
»Es geht voran, Henry«, sagte MacKenzie Hawkins. »Wir
nähern uns dem Siedepunkt.«
»Sind die Reporter schon da?« fragte Sutton, der Schauspieler.
»Ich habe Ihnen unzweideutig klargemacht, daß ich erst
auftrete, wenn die Kameras da sind.«
»Ein paar Leute vom Radio sind da. Sehen Sie doch die
Mikros, die sie in der Hand halten.«
»Aber das reicht mir nicht, mein Lieber. Ich habe ausdrücklich
Kameras gesagt.«
»All right, all right!« Der Falke schoß neuerlich vor, spähte
nochmals um die Ecke und kam zurückgerannt. »Grade eben
ist ein Fernsehteam eingetroffen.« »Von welchem Sender?
Regional oder überregional?« »Woher soll ich das wissen?«
»Stellen Sie das fest, mon général. lch habe schließlich meine
Grundsätze.«
-6 7 5
»Himmelherrgott noch mal!«
»Gotteslästerungen nützen gar nichts, MacKenzie. Erkundigen
Sie sich.«
»Sie sind unmöglich, Henry.«
»Das hoffe ich. Das ist die einzige Möglichkeit, es in dieser
Branche zu was zu bringen. Und jetzt beeilen Sie sich! Mich
juckt es, endlich aufzutreten, zu hören, wie das Publikum
reinströmt, hat mich immer schon besonders erregt.«
»Kriegen Sie eigentlich nie Lampenfieber?«
»Mein lieber Mann, nicht ich habe Angst vor dem Publikum,
sondern das Publikum hat Angst vor mir. Jeder Auftritt von mir
ist wie ein Donnerschlag!«
»Scheiße!« Wieder schoß der Falke hinaus, doch statt sofort
zum Schauspieler zurückzurennen, blieb er stehen und sah,
was er zu sehen hoffte. Auf der anderen Seite der First Street
fuhren kurz nacheinander vier Taxis an den Straßenrand. Dem
ersten entstiegen drei Geistliche: ein Priester, ein Pastor und
ein älterer Rabbi, dem die zwei jüngeren beim Aussteigen
behilflich waren. Dem zweiten Taxi entstieg die Marilyn Monroe
aller Nutten und schwenkte - offensichtlich etwas unbeholfen
die Hüften, doch wer sah da schon hin? Das dritte Taxi spuckte
das Nonplusultra von Hinterwäldler aus den tiefsten Ozarks
aus, man hatte förmlich das Gefühl, daß dem Mann die
Hühnerscheiße aus der Kreissäge auf den viel zu weiten
karierten Anzug tropfte. Das vierte Taxi machte die Banalitäten
der drei vorangegangenen wieder wett: Ein Riese von einem
hyperelegant gekleideten Schwarzen setzte den Fuß aufs
Trottoir, neben seinem großen, schön gemeißelten Kopf und
dem gigantischen Körper wirkte das Taxi fast wie ein
Spielzeugauto.
Wie vorgesehen, gingen Jennifer, Sam und Cyrus in
verschiedene Richtungen und gaben durch nichts zu erkennen,
daß sie einander kannten. Direkt zum Gerichtsgebäude ging
keiner hinüber. Die drei frommen geistlichen Herren blieben auf
dem Gehweg stehen und babbelten untereinander, wobei der
Kopf des Rabbis stets zustimmend nickte, wohingegen die
-6 7 6
beiden anderen abwechselnd nickten und mißbilligend den
Kopf schüttelten. Der Falke griff in die Tasche seiner
abgerissenen Jacke und holte sein Walkie-talkie hervor.
»Kalbsnase, kommen! Kalbsnase, kommen!«
»Sie sollten nicht so laut schreien, D. H. Ich hab das Ding im
Ohr stecken!«
»Unser Truppenkontingent ist eingetroffen ...«
»Dazu halb Washington - und davon die Hälfte würde unsere
Mädchen am liebsten skalpieren.«
»Sagen sie ihnen, sie sollen so weitermachen.«
»Wie hoch die Beine? Schon bis zu den Strapsen?«
»Genau das habe ich nicht gemeint. Sie sollen einfach
weitersingen und lauter weitertrommeln. Ich brauche die
nächsten zehn Minuten noch.«
»Die haben Sie, D. H.«
Der Falke rannte zurück zur Toreinfahrt. »Noch zehn Minuten,
Henry, und Sie haben Ihren Auftritt.«
»So lange noch?«
»Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen. Wenn ich
wiederkomme, gehen wir zusammen raus.«
»Was müssen Sie denn noch tun?«
»Ein paar von unseren Widersachern aus dem Verkehr
ziehen.«
»Was?«
»Das braucht sie nicht zu beunruhigen. Diese Leute sind jung
und unerfahren.« MacKenzie in seiner abgerissenen Kleidung
rauschte davon.
Und einer nach dem anderen fühlten die vier Ranger-
Kommandos in den grünschwarzen Kampfanzügen, daß
jemand ihnen auf die Schulter klopfte und ein alter
Landstreicher sie gleich danach in die Bewußtlosigkeit
beförderte. Einer nach dem anderen von ihnen wurde an den
Straßenrand geschleift, das Gesicht reichlich mit Whisky
besprengt, und bis zum Erwachen dort zur Ruhe gebettet.
-6 7 7
Allerdings wurden - was Sir Henrys brennendes Verlangen aufzutreten beträchtlich befeuerte - aus den zehn Minuten erst zwölf, dann zwanzig und schließlich fast eine halbe Stunde. Der Falke hatte fünf Bundesbeamte erspäht, die mit ButtondownKrägen dastanden und keine Miene verzogen; des weiteren sechs Herren, deren Stirnpartie über den zusammengekniffenen Augen kaum höher, vielleicht sogar niedriger ausfiel als die von Affen. Er verfuhr mit ihnen in gleicher Weise wie mit den Rangern. »Stümper!« schimpfte er leise. »Was haben die bloß für Kommandeure!?« Doch wer immer sie waren, um die Medienwirkung hatten sie sich wahrlich gekümmert! Irgendso ein Blödmann im T-Shirt ließ die ganze Zeit über seine Kamera schnurren und hielt sie offensichtlich zum Wohle derer, die ihnen ihre Befehle gegeben hatten - auf die Gegendemonstranten. Ha! Ein Witz! Doch jedesmal, wenn der Falke versuchte, den Kerl mit der Kamera zu packen, vollführte dieser eine Pirouette wie ein Ballettänzer und verschwand in der Menge. Als Mac zurück zur Toreinfahrt lief, standen überall dicht gedrängte Menschentrauben, doch von Sir Henry Irving Sutton keine Spur. Wo, zum Teufel, war er? Der Schauspieler stand wie benommen fünf Schritt weiter an der Ecke des Gebäudes und ließ die Augen nicht vom Durcheinander vor den Stufen zum Obersten Bundesgericht. Streit war ausgebrochen vor den rund vierzig stampfenden, singenden, trommelnden und mit den Armen ruckhaft Zeichen gebenden Wopotami-Demonstranten, doch schienen die heftigen Balgereien mit den Indianern nichts zu tun zu haben. »Oh, mein Gott«, sagte Hawkins, die Hand auf Suttons Schulter. »Ich bin auch nicht mehr so jung wie früher.« Immer neue Männer mit Buttondown-Krägen schrien immer neue Kommandos im Kampfanzug an, die sich Schlagringe über die Finger streiften und bleigefüllte Schlagstöcke schwangen. Hier war kein Krawall mehr im Entstehen begriffen, sondern voll im Gange. Touristen, von den Streithähnen mit Faustschlägen und Tritten traktiert, schrien laut um Hilfe. Die in einen tödlichen Kampf Verstrickten, noch verdutzt von der -6 7 8
Tatsache, daß ihre Gegner keine Uniform trugen, droschen auf alles ein, was sich in ihrer Nähe auch nur bewegte, und der Idiot mit der Videokamera brüllte ständig »glorioso!«, während er filmend herumtanzte. »Los, Butterblume!« rief der Falke in sein Funksprechgerät hinein. »Right, Narzisse, bloß haben wir hier ein Problem«, meldete sich die Stimme von Colonel Cyrus. »Was für ein Problem?« »Mit den Betbrüdern ist alles in Ordnung, bloß die Nutte und
den Hinterwäldler haben wir verloren.«
»Was ist passiert?«
»Pocahontas ist stinkwütend geworden, als irgendwo eine
Touristin den Tänzerinnen ein paar Knallkörper vor die Füße geworfen und irgendwas auf griechisch gebrüllt hat. Da ist unser Mädchen hinter ihr her, und Sam wiederum hinter ihr.« »Sorgen Sie dafür, daß sie zurückkommen, verdammt noch mal, wir haben nicht mehr viel Zeit! Es ist fast Viertel vor drei, und wir müssen noch rein, uns umziehen und uns den Prätorianern vorm Verhandlungssaal stellen - und das vor drei Uhr!« »Da bleiben uns vermutlich noch ein paar Minuten Spielraum«, unterbrach Cyrus ihn. »Selbst die Richter müssen doch mitbekommen haben, was für ein Chaos hier draußen herrscht.« »Ein Wopotami-Chaos, Butterblume. Sagen wir, es ist nicht besonders günstig für uns, auch wenn es nötig ist.« »Moment! Unser Hühnerscheiß-Hinterwäldler bringt Pocahontas zurück, im Schwitzkasten, wenn ich das hinzufügen darf.« »Ab und zu weiß der Junge eben doch, was er zu tun hat. Klären Sie sie über die Lage auf, und dann los!« »Wird gemacht! Und wann tritt unser General auf den Plan?« »Sobald ich den Hinterwäldler und die Prinzessin über die Straße gehen sehe - beide für sich, versteht sich, und sorgen -6 7 9
Sie dafür, daß sie zuerst geht ... Wo sind übrigens die drei
Halleluja-Brüder? Ich sehe sie nicht.«
»Können Sie auch nicht. Die sind auf meiner Straßenseite und
suchen sich ihren Weg durch die Krawallbrüder. Man sollte
meinen, daß die Leute mehr Achtung vor solch frommen
Männern haben. Desi-Eins und Desi-Zwo haben schon ein
Dutzend Schläger vermöbelt. Und eins schwöre ich: Ich habe
mit eigenen Augen gesehen, wie Desi-Eins mindestens fünf
Leuten die Armbanduhr geklaut hat!«
»Das hat uns gerade noch gefehlt, ein Taschendieb im Gewand
eines Predigers.«
»Damit müssen wir uns nun mal abfinden, Narzisse ... Ende, da
kommen unsere beiden Anwälte, die Henne und der
Hühnerzüchter.«
»Stoßen Sie beiden Bescheid, daß sie sich zusammenreißen,
Colonel! Das ist ein Befehl!«
»Hören Sie, Massa, Sie können sich glücklich schätzen, daß
ich cleverer bin als Sie, sonst hätte ich das als Beleidigung
aufgefaßt.«
»Huh?«
»Ach, lassen wir das, Hauptsache, Ihre Instinkte stimmen.
Ende!«
Der Falke steckte sein Walkie-talkie zurück in die Tasche
seines abgerissenen Rocks und wandte sich Sutton zu. »Nur
noch ein paar Minuten, Henry. Sind Sie so weit?«
»Ob ich so weit bin?« sagte der Schauspieler, beherrschte Wut
in der Stimme. »Sie Idiot! Wie soll ich die Bühne beherrschen
bei einem solchen fracas?«
»Komm schon, Hank. Es ist doch erst wenige Stunden her, da
haben Sie mir noch erzählt, das hier liefe alles praktisch hinter
den Kulissen.«
»Das war eine objektive Analyse, keine subjektive
Interpretation. Es gibt keine unbedeutenden Rollen, nur
unbedeutende Schauspieler.«
»Ach?«
-6 8 0
»In Sachen Kunst mangelt es Ihnen erstaunlich an Feingefühl,
MacKenzie.«
»Yeah?«
»Die bezaubernde Jennifer überquert die Straße - mein Gott,
die Garderobiere ist auf der Stelle zu entlassen. Sie ist ja eine
Hure!« »So war das auch gedacht ... Und jetzt kommt Sam ...«
»Wo?«
»Der Bursche im karierten Anzug ...« »Etwa der mit dem
lächerlichen Hut? Saublöde sieht er aus!« »Genau das wollten
wir ja. Nichts da von wegen cleverer Anwalt!«
»Guter Gott!« rief der Schauspieler aus. »Haben Sie das
gesehen?«
»Was soll ich gesehen haben?«
»Den Pfarrer in dem grauen Anzug da drüben, der zusammen
mit einem Priester die Treppe hochsteigt. Und zwischen sich
scheinen sie einen alten Rabbi zu haben.«
»Oh, oh ... Was ist geschehen?«
»Ich schwöre, der Evangele hat gerade einem Mann einen Stoß
verpaßt und ihm die Uhr geklaut. Sie ihm einfach vom Arm
gerissen.«
»Himmel und Hölle! Ich habe dem Colonel extra gesagt, das ist
alles, was wir brauchen: einen Pastor, der seine Schäfchen
ausnimmt wie'ne Weihnachtsgans.«
»Sie wissen Bescheid? Oh, mein Gott, selbstverständlich tun
Sie das. Der ältere Herr im Rabbinergewand - das ist Aaron!
Und die beiden anderen, das sind diese Burschen aus Mexiko
oder Argentinien.«
»Nein, aus Puerto Rico, aber das ist nicht weiter wichtig. Jetzt
sind sie oben angelangt und gehen rein ... Damit sind Sie dran,
General.«
Aus Macs Radio krächzten statische Geräusche, er riß es aus
der Tasche, und die Stimme von Cyrus ließ sich vernehmen:
»Ich gehe jetzt über die Straße. Wünschen Sie mir Glück!«
»Alles klar - die Luft ist rein, Colonel ... Kalbsnase, melden!«
-6 8 1
»Da bin ich ja schon. Und nicht so schreien, bitte. Was gibt's?«
»Macht jetzt Schluß mit den Indianergesängen - bitte die
Nationalhymne.«
»Unsere ist besser, die kann man jedenfalls singen!«
»Jetzt, Johnny! Unser General kommt.«
»Richtig, Bleichgesicht.«
»So, Henry. Der große Augenblick ist da. Machen Sie's gut. Toi,
toi, toi!«
»Ich habe noch nie einen Auftritt verpatzt, Sie Esel«, sagte der
Schauspieler, holte ein paarmal tief Luft, reckte sich zu seiner
vollen imposanten Größe auf und schritt in Richtung der
Krawallschläger aus, als plötzlich die Wopotami-Version der
Nationalhymne ertönte. Der Chor war, kurz gesagt, spektakulär.
Stimmen erhoben sich himmelwärts, und der Anblick von vierzig
amerikanischen Ureinwohnern mit farbigen Tränenstreifen im
Gesicht verfehlte seine Wirkung auf die Menschenmenge nicht.
Sogar die besinnungslos zuschlagenden Kommandos, im
Handgemenge mit den Rollkommandos der Gewerkschaften,
hielten sich die Gegner mit steifem Arm und die Hand an deren
Gurgel auf Armeslänge vom Leib. Die Ganoven ließen ihre
Schlagringe und Schlagstöcke fallen, und alle starrten die
tragischen Gestalten an, die sich aus lauter Hingabe an das
Land, das ihnen gestohlen worden war, das Herz aus dem Leib
sangen. Reichlich Tränen trübten den Blick so manchen
Zuschauers.
»Dies ist der Winter unseres Mißvergnügens!« brüllte Sir Henry
Irving Sutton mit Stentorstimme, stieg die vierte Stufe empor,
drehte sich um und wandte sich der Menge unten zu. »Hunde
mögen uns ankläffen, doch unser Blick ist ungetrübt.
Furchtbares Unrecht wurde einst verübt, und wir sind hier, es
wiedergutzumachen. Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage
....«
»Der Hurenbock bringt es fertig, eine ganze Stunde so
weiterzulabern«, flüsterte MacKenzie Hawkins in sein
Funkgerät. »Wo sind all die anderen? Antwortet unter Angabe
eurer Nummern.«
-6 8 2
»Wir sind im großen Steingebäude, aber Sie nix verstehn
General ...«
»Die Prinzessin und der Hinterwäldler stehen ganz in meiner
Nähe«, sagte Cyrus, »und Sie verstehen wirklich nicht.«
»Was reden Sie da?«
»Nur eine kleine Sache, mit der Sie nicht gerechnet haben«,
erklärte der Söldner. »Sie haben Metalldetektoren hier drin
aufgestellt und wenn Jenny, Sam oder Mr. Pinkus da
durchgehen, wird überall im Gebäude Alarm ausgelöst,
wahrscheinlich in ganz Washington.«
»Oh, mein Gott! Was ist aus diesem Land geworden?!« »Was
immer - im Moment sind wir geliefert.« »Noch nicht,
Butterblume!« rief der Falke. »Kalbsnase, sind Sie dran?«
»Klar bin ich dran, D. H, aber auch wir haben ein Problem.
Unsere Leute haben sich mit Ihrem Freund Vinnie angelegt. Ich
meine, dem tut der Hintern verdammt weh!«
»Was hat er getan? Sie haben ihn doch erst seit heute morgen
- was kann er getan haben?« »Labern, labern, labern - was anderes tut er nicht! Und dann lassen sich seine Freunde blicken, der Kleine, der wie'n Hühnchen gackert, und ehe man Geronimo sagen kann, laufen überall in dem Motel Würfelspiele, wo Joey Dingsbums von einem zum anderen rennt, um mitzukriegen, was sich tut. Und, wie ich hinzufügen möchte, jedesmal mit irre komischen Würfeln gewinnt. Er hat ganz groß abgeräumt, und ein Haufen
von unseren Kriegern wurde ausgenommen.«
»Für so was haben wir im Moment keine Zeit.«
»Rüber mit Ihnen, D. H., solange sich ihr General, der Ihnen,
wie ich zugeben muß, wirklich gespuckt ähnlich sieht, die Seele
aus dem Hals schreit. Unsere Jungs und Mädels sind
stinkwütend und lassen sich das einfach nicht mehr gefallen.
Sie wollen, daß dieser Abschaum verschwindet - und sie wollen
ihr Geld zurück.«
»Das kriegen sie zurück - fünfzigfach, das schwöre ich.« »Heiliger Bimbam - sehen Sie, was ich sehe, D. H?« -6 8 3
»Ich stehe ganz am Ende des Gebäudes, und es tut sich zuviel
...« »Ein Trupp in schwarz-grünen Kampfanzügen bricht durch
die Reihen ... warten Sie eine Sekunde! Jetzt stoßen einige
andere zu ihnen - entweder Verteidiger oder Affen in
Geschäftsanzügen. Sie haben es auf Ihren General
abgesehen!«
»Plan B, Nummer Eins Vorrang vor allem anderen! Bringt ihn
raus! Wir können nicht zulassen, daß ihm was passiert. Fangt
wieder mit dem Singen und Tanzen an. Jetzt!«
»Und was ist mit den beiden Abschaum-Typen, Vinnie und dem
Küken?«
»Haltet sie fest! Setzt euch auf sie drauf!«
»Das haben wir schon im Bus getan. Dabei hat der Zwerg
Adlerauge in den Arsch gebissen.«
»Ausführen! Ich komme jetzt rüber.«
Colonel Tom Deerfoot, möglicherweise der hellste Kopf in der
United States Air Force, auf jeden Fall aber einer der Anwärter
auf den Vorsitz bei den Joint Chiefs, machte einen Spaziergang
durch Washington und zeigte seiner Nichte und seinem Neffen,
was man in der Bundeshauptstadt gesehen haben muß. Als
das Trio von der Constitution Avenue abbog und auf das
Oberste Bundesgericht zusteuerte, nahm Deerfoot vertraute
Geräusche wahr, die irgendwo in seinem Inneren eine Saite
zum Klingen brachten. Das waren Gesänge, die in seine
Kindheit zurückreichten, die er vor rund vierzig Jahren im
Norden des Staates New York nahe der kanadischen Grenze
verbracht hatte. Tom Deerfoot war ein reinblütiger Irokese, und
Worte und Rhythmen, die er vernahm, stellten eine leichte
Variation seiner eigenen Stammessprache dar. »He, Onkel
Tommy«, rief sein Neffe, ein Junge von sechzehn Jahren. »Da
drüben wird Rabatz gemacht.«
»Vielleicht sollten wir zurück ins Hotel«, schlug die Nichte vor,
eine junge Dame von etwa vierzehn Jahren.
»Nein, hier passiert euch nichts«, sagte der Onkel. »Wartet, ich
bin gleich wieder da. Irgendwas völlig Verrücktes muß sich da
tun.« Deerfoot, der, wie sein Name vermuten ließ, ein
-6 8 4
großartiger Läufer war, erreichte in weniger als dreißig
Sekunden den Rand der durcheinanderwirbelnden,
aufrührerischen Menge zu Füßen der Treppe des Obersten
Gerichtshofs. Es war einfach irre! Indianer - seine Indianer
stampften und tanzten da in voller Kriegsbemalung und schrien
sich in irgendeiner fanatischen Protestaktion, deren Sinn ihm
nicht sogleich klar wurde, die Lunge aus dem Hals.
Dann kehrten die Erinnerungen zurück, die Legenden, die von
den alten Männern des Stammes weitergegeben worden
waren, von einer Generation an die nächste. Guter Gott, das
waren die Wopotami von einst! In den uralten Geschichten
kamen immer wieder Berichte darüber vor, daß sie alles, was
nicht niet- und nagelfest war, stahlen, und daß sie bei Schnee
ihre Tipis nicht verließen. Colonel Deerfoot krümmte sich vor
Lachen und hielt sich den Bauch, sonst wäre er umgefallen. Die
Raserei des aufwühlenden Gesangs mit den eindeutig
zuckenden Bewegungen der Tänzer - das war der
Hochzeitstanz! Diese Wopotami konnten aber auch niemals
irgend etwas richtig machen!
»Kalbsnase! Zuhören und Befehl ausführen!« flüsterte Hawkins
heiser in sein Funksprechgerät und bahnte sich seinen Weg
durch die Tänzer zum Eingang des Gerichts.
»Was jetzt? Wir haben uns Ihren General geschnappt, der
dauernd schrie, er sei noch nicht fertig. Little Joey hat recht, er
ist ein fazool.«
»Little Joey?... Fazool?«
»Yeah, naja, wir haben uns geeinigt. Er gibt die Hälfte des
Geldes zurück, und ich erhalte zwanzig Prozent für meine
Schlichtungsbemühungen.«
»Johnny, wir sind mitten in einer Krise.«
»Nein, sind wir nicht. Die beiden, die wirklich der letzte Dreck
sind, hocken die Straße weiter runter in einer Bar. Wissen Sie,
die rote Perücke, die Vinnie aufhat, paßt nicht zu unserem
Image. Richtig abgerissen, verstehen Sie, was ich meine?«
»Herrgott, Sie reden schon richtig wie er.«
-6 8 5
»Naja, wo ich ihn jetzt ein bißchen besser kenne, scheint er gar
kein so übler Bursche zu sein. Ist Ihnen eigentlich klar, daß
richtige Indianer in Las Vegas hoch im Kurs stehen? Nevada
war früher ein riesiges Rothautgebiet, verstehen Sie?«
»Ich rede von jetzt. Plan B, Vorrang zwei - die friedliche
Erstürmung des Gerichtsgebäudes.«
»Sie haben wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank, was? Wir
könnten erschossen werden.«
»Nicht, wenn ihr alle niederkniet und diesen Klagegesang von
vorhin wiederholt. Es ist unamerikanisch, jemanden, der auf
den Knien liegt, zu erschießen.«
»Wer behauptet denn das?»
»Steht schon in der Verfassung. Man schießt nicht auf einen
Knieenden, weil der betet und im Zustand der Gnade von uns
ginge, während man selbst von Gott gepfählt würde.«
»Ehrlich?«
»Ehrlich. Und los jetzt!«
Der Falke steckte das Walkie-talkie in der großen Wandelhalle
des Obersten Bundesgerichts wieder in die Tasche seines
zerfetzten Rocks, währen Cyrus Aaron, Jenny, Sam und die
beiden Desis ein wenig abseits von den Metalldetektoren hielt.
»Jetzt hört mal zu, Leute«, sagte der Söldner-Chemiker. »Wenn
die Wopotami hier reinbrechen, heben D-Eins und D-Zwo die
Absperrungsseile hoch, und Sie - Sam, Jenny und Mr. Pinkus
schlüpfen drunter durch und laufen rauf in den zweiten Stock.
Ob ihr die Treppe oder den Aufzug benutzt, ist egal, aber
begebt euch zum zweiten Abstellraum auf der rechten Seite.
Dort liegen in einem Plastiksack eure Sachen. Zieht euch in der
Damen- bzw. Herrentoilette um. Wir treffen uns dann vorm
Verhandlungssaal am Westende des Flurs. Ich warte da auf
euch.«
»Und was ist mit Mac?« fragte Devereaux.
»Soweit ich ihn kenne - und ich glaube, das tue ich mittlerweile
ganz gut -, wird er noch vor euch im Abstellraum sein und die
Sachen verteilen. Mann, ich wünschte, der Typ hätte bei ein
-6 8 6
paar von den Feldzügen an der Spitze gestanden, die ich mitgemacht habe. Ich bin ja schon gut, aber der ist einsame Spitze - ich meine, der ist durch und durch abgefeimt!« »Ist das in Ihren Augen eine Empfehlung, Cyrus?« fragte Pinkus. »Sie täten gut daran, das zu glauben, Rabbi. Dem würde ich bis in die Hölle und wieder raus folgen - weil ich bei ihm sicher wüßte, daß ich auch tatsächlich wieder rauskäme.« »Nun, er ist niemals zwanzig Meilen im Sturm geschwommen ...« »Ach, halt den Mund, Sam. Oh nein! Da kommen sie!« »Großer Gott Abrahams!« flüsterte Aaron Pinkus, als eine Horde Wopotami, denen grotesk die Wachsfarbe übers Gesicht lief, durch die Tür brach, sogleich niederkniete und - den Kopf zur Decke erhoben - unisono zu singen anfing, um die Götter um eine gesunde Geburt zu bitten. (Falls jemand es wußte, was nicht der Fall war - handelte es sich dabei allerdings nach wie vor um den Hochzeitstanz.) Die Waffen von einem guten Dutzend Wachleuten hoben sich und wurden auf die Köpfe der Protestierer gerichtet. Abgefeuert wurde kein Schuß. Irgendwie stand es in der Verfassung oder war zumindest eingemeißelt in die Köpfe der Polizei, die das Oberste Bundesgericht bewachte, daß man nicht auf Leute schoß, die knieend im Gebet begriffen waren. Statt dessen hörte man, wie Alarm gegeben wurde - nicht von den Metalldetektoren, sondern irgendwo aus dem inneren des Gebäudes selbst. Binnen Sekunden strömten weitere Wachen, Beamte und Wartungspersonal auf dem großen Flur zusammen. Es herrschte ein heilloses Durcheinander. »Jetzt!« zischte Cyrus. Desi-Eins und -Zwo hoben die dicken samtüberzogenen Absperrungsseile hoch, und Aaron, Sam und Jenny schlüpften während des Irrsinns, dem sich Polizei und Wachpersonal des Obersten Gerichts gegenübersahen, drunter durch. In diesem neuen und völlig unerwarteten Chaos passierte MacKenzie Hawkins seelenruhig den Metalldetektor und rannte zur Treppe, die hinaufführte zum zweiten Stock. -6 8 7
Ein Problem. Natürlich. Vinnie Bum-Bums Tante Angelina hatte
fälschlich den Raum mit der Klimaanlage für die zweite
Abstellkammer gehalten, und so wurde ein paar kostbare
Minuten lang der Plastiksack mit den Kleidern nicht gefunden.
Plötzlich kam es zu einer gedämpften Explosion, die eigentlich
keiner von ihnen richtig wahrnahm.
»Ich hab ihn!« rief Sam gellend, riß in seiner Aufregung einen
Hebel herunter und stellte damit das gesamte Lüftungssystem
ab. »Alles steht still«, fügte er noch bestürzt darüber hinzu, daß
die gewaltige Maschinerie plötzlich nicht mehr arbeitete.
»Wen kümmert das?« rief Jennifer und stützte Pinkus, während
der Falke den Korridor heruntergerannt kam und dabei seinen
Landstreicherrock von sich warf.
»Hier seid ihr!« brüllte er. »Das verdammte Treppenhaus war
abgesperrt.«
»Und wie sind Sie reingekommen?« fragte Devereaux und zog
Redwings Kleider aus dem Beutel.
»Ich habe immer ein bißchen Plastiksprengstoff dabei. Man
kann ja nie wissen.«
»War mir doch so, als hätte ich es knallen hören«, sagte der
erschöpfte Pinkus.
»Das war kein Irrtum«, sagte Hawkins. »Gehen wir!«
»Wo ist die Damentoilette?« wollte Redwing wissen.
»Da unten am Ende des Gangs«, antwortete MacKenzie und
zeigte nach Osten.
»Und wo ist unser Klo?« fragte Sam.
»Nicht so weit. Gleich da drüben links.«
Sie liefen auseinander, doch plötzlich drehte Jennifer sich um
und rief: »Sam! Kann ich mich nicht zusammen mit dir
umziehen? Wir haben nur drei Minuten Zeit, und das Damenklo
ist zwei Sportplatzlängen weit weg!«
»Junge, hab ich auf diese Frage gewartet!!!«
Die platinblonde Nutte kam zurückgerannt zu dem
hühnerzüchtenden Alby-Joe Scrubb. Gemeinsam folgten sie
-6 8 8
Pinkus und dem Falken in die Toilette. Jenny ging in eins der Abteile, während die Männer sich davor ihrer Kleidung und der Perücken entledigten, wobei zwei würdig gekleidete Herren zum Vorschein kamen. Bis auf den Falken. Ganz unten auf dem Boden des großen Abfallsacks und so zusammengelegt, daß man sie bequem herausholen konnte, lagen die schweren Zeremonialgewänder von Donnerhaupt, dem Häuptling der Wopotami, und darunter der längste, auffälligste Federkopfschmuck, seit die Okeechobees den Jungbrunnensucher namens Ponce de Leon begrüßt hatten, den es zufällig an die Gestade Floridas verschlug, und zwar genau an die Stelle, wo später Miami Beach entstehen sollte. Der Falke zog rasch seine Landstreichersachen und das dreckige Hemd aus und legte statt dessen die Lederhosen und das perlenbestickte Büffellederwams an. Unter den verblüfften Blicken von Aaron und Sam setzte er vorsichtig den gargantuanischen Federschwanz auf den Kopf, der ihm die ganzen einsneunundachtzig bis runter auf den Fliesenboden reichte. Gleich darauf kam Redwing aus ihrem Abteil heraus: angetan mit einem eleganten dunklen Schneiderkostüm, bot sie das Bild einer erfolgreichen Juristin, die auch im von Männern dominierten Obersten Bundesgericht weder Tod noch Teufel fürchtete. Was ihr im Moment jedoch einen Stich versetzte, war der Anblick von MacKenzie Hawkins. »Ahbf« kreischte sie. »Genau das, was ich auch fühle«, sagte Devereaux. »General«, setzte Pinkus noch hinzu und verlieh der Rangbezeichnung etwas sanft, aber gleichwohl ernsthaft Beschwörendes. »Das hier ist kein Kostümumzug wie beim Pasadena Rose Bowl. Was hier gespielt wird, gehört zu den ernstesten und ehrwürdigsten Ritualen unseres gesamten Rechtswesens, und Ihr Aufzug, mag er auch noch so prächtig sein, wird der Sache so gar nicht gerecht.« »Welcher Sache, Commander?«
-6 8 9
»Jener, bei der es um die Zukunft des Stammes der Wopotami
und um ein sehr großes Stück amerikanischer
Verteidigungsstruktur geht.«
»Ich halte mich an ersteres. Ende der Diskussion. Außerdem
habe ich nichts anderes dabei, es sei denn, Sie wollten, daß ich
als Penner in diese heiligen Hallen einziehe - was, wenn ich
genauer darüber nachdenke, vielleicht gar keine so schlechte
Idee wäre.«
»Wir sind für die Federn, General«, beeilte Jennifer sich zu
sagen.
»Der dreckige und speckige Rock liegt vermutlich noch
draußen auf dem Flur«, sann Hawkins. »Hier oben ist niemand,
der ihn hätte finden können, sie sind alle unten. Man muß mal
überlegen: ein mittelloser Angehöriger eines getretenen,
entrechteten Volkes, in Lumpen gekleidet und sich vermutlich
den Bauch vor Hunger haltend.«
»Nein, Mac, kommt nicht in Frage«, rief Sam gehend. »Dann
schicken die Sie erstmal zur Entlausung.«
»Ja, das könnte sein«, sagte der Falke stirnrunzelnd. »Das hier
ist eine herzlose Stadt!«
»Noch fünfunddreißig Sekunden«, verkündete Redwing nach
einem Blick auf die Uhr. »Wir müssen uns beeilen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein, zwei Minuten
Verspätung eine Rolle spielen«, sagte Aaron, »Ich meine,
unten, das ist doch ein regelrechter Volksaufstand - die Massen
stürmen gewissermaßen die Festung.«
»Sie stürmen sie nicht, Commander, sondern versuchen, sie
mit Gebeten zu überwinden. Das ist ein kleiner Unterschied.«
»Er hat recht, Aaron«, sagte Devereaux. »Und sobald den
Wachmannschaften aufgeht, daß es sich um eine grundsätzlich
gewaltlose Demonstration handelt, wird der Alarm abgeblasen,
und alle kehren zurück auf ihren Posten. Sie sind doch nicht
das erste Mal bei so was dabei, nicht wahr, Boss?«
»Drei- oder viermal hab' ich's schon erlebt«, erwiderte Pinkus.
»Da werden erst die Personalien des Klägers aufgenommen,
-6 9 0
dann die des bevollmächtigten Anwalts, und die derer, die als amici curiae anwesend sind. Dann wird der Fall vorgebracht.« »Wer steht Wache an der Tür des Verhandlungssaals, Commander?« »Ein Wachposten und ein Justizbeamter, General.« »Bingo!« brüllte der Falke. »Einer von ihnen oder beide werden unsere Namen auf ihrer Liste stehen haben. Sie verständigen über Funk die anderen, und die kommen aus ihrer Wachstube und schleifen uns fort. So kommen wir da nie rein!« »Das können Sie doch nicht im Ernst meinen«, sagte Jennifer. »Schließlich handelt es sich hier um das Oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten. Hier kann man keine Wachen oder Justizbeamte kaufen, um so was zu machen.« »Da stehen Milliarden an Schulden und roten Gesichtern im Pentagon, dem Außen- und dem Justizministerium sowie ein paar Dutzend Schmarotzer im Kongreß, die auf fetten >Provisions-Töpfen< sitzen, gegen die paar lumpigen Dollar, die man auf diese heiligen Hallen herniederregnen läßt.« »Das ist nicht von der Hand zu weisen«, sagte Sam. »Das Fleisch ist schwach«, meinte auch Aaron. »Machen wir, daß wir hier rauskommen«, erklärte abschließend Redwing. Was sie auch taten, das heißt, sie eilten so würdevoll wie möglich auf die riesigen geschnitzten Türen des Sitzungssaals zu. Ihnen fiel ein Stein vom Herzen, als sie die große Gestalt von Cyrus erblickten - und zu ihrem nicht geringen Erstaunen auch die beiden Desis, die in klerikalen Gewändern links und rechts von ihm knieten. »Colonel, was machen meine Adjutanten hier?« »General, was zum Teufel, tragen Sie da?« »Mein Häuptlingsgewand, selbstverständlich. Und jetzt, beantworten Sie bitte meine Frage.« »Desi-Eins hatte die Idee. Er sagte, jetzt wären sie so weit gegangen, und wenn sie auch keine Ahnung hätten, worum es eigentlich ginge, meinten sie, Sie bedürften zusätzlichen Schutzes. Es stellte keine Schwierigkeit dar, hier hereinzukommen - unten geht's ja wirklich zu wie in einem Tollhaus.« »Wie lieb«, sagte Jennifer. -6 9 1
»Wie dumm!« rief Devereaux. »Man wird sie erkennen, festnehmen und verhören, und unser ganzes gesetzwidriges Eindringen hier ergibt morgen Schlagzeilen.« »Sie nix verstehn«, sagte Desi-Eins und hob, die Hände noch zum Gebet zusammengelegt, den Kopf. »Numero uno -. Wir nix sagn! Numero dos -. Wir sin' misioneros, die bekehrn arme bärbaros zu Heil von Cristd Wer kann festnehm' padres? Un' keiner geht rein außer Sie.« »Ich freß'n Besen!« murmelte Hawkins, die Augen liebevoll auf seine beiden Helfer gerichtet. »Ich hab euch Jungs doch richtig angelernt! Bei verdeckten Operationen sollte man immer eine zweite Einsatztruppe zur Verfügung haben. Im allgemeinen sind das zwar die ersten, die das Feuer abbekommen, und man scheut sich, sie dazu abzukommandieren, weil man das Risiko kennt, doch ihr habt nicht gezögert, euch freiwillig zu melden. Gut gemacht, Männer!« »Iss nett, General!« sagte Desi-Zwo, »aber Sie nix verdammt. Das kann ich richtn, nich' mein amigo. Sehen, ich bin catolico, er nur protestante, un' das zählt nix.« Das donnernde Getrappel von Schritten auf dem langen Flur veranlaßte sie allesamt, erschrocken den Kopf zu wenden. Doch der Schrecken legte sich rasch, als sie in völlig verschwitztem WFOG-T-Shirt, einen Camcorder in jeder Hand und seine Nylon-Tragetasche über der Schulter, Roman Z. auf sich zulaufen sahen. »Meine allerliebsten, besten Frrrreunde!« rief er und blieb atemlos stehen. »Nicht zu fassen, wie fabelhaft ich war. Ich hab Bilder von allen, darunter drei Leute, die mein Messer überzeugt hat zu sagen, daß sie auf Anweisung von einem Generalstaatsanwalt hier waren, und von einem kleinen Mann, Minister von was sie >Verteidigung< nennen. Und einen großen Footballspieler, der mir sagte, er iss nix weiter als nix wissender Vertreter von was, was er die >Fanny-HillGesellschaft< nennt. Schöne Gesellschaft, da haben wir bessere in Serbo-Kroatien.« »Das ist ja toll!« sagte Sam. »Aber wie sind Sie hier rausgekommen?« -6 9 2
»Iss Kinnerspiel! Unten in der großen Wandelhalle tanzen und lachen und singen und weinen sie wie die besten von meinen Zigeunervorfahren. Männer in verrückten Aufzügen und mit bemalten Gesichtern lassen Flaschen mit Fruchtgetränk rumgehn, und alle sind so puppenlustig und todtraurig, daß mich das alles an unser Lager in den mährischen Bergen erinnert. Iss alles glorioso!« »Oh, mein Gott!« rief Jennifer. »Der Yaw-yaw-Geist!« »Der was, meine Liebe?« »Der Yaw-yaw-Geist, Mr. Pinkus. Das stärkste, berauschendste Getränk, das jemals zivilisierte und unzivilisierte Menschen gebraut haben. Die Irokesen behaupten, es wäre ihre Erfindung, doch wir haben es verfeinert und zwanzigmal so stark gemacht. Im Reservat ist es strikt verboten, doch wenn jemand die alten Destillerien gefunden und wieder in Betrieb genommen hat, dann kann das nur Johnny Kalbsnase gewesen sein, dieser Bastard!« »Gehen wir jetzt rein«, sagte Cyrus plötzlich im Befehlston. »Dieses Gebräu wirkt doppelt - es bringt Vergessen aber auch plötzliche Erkenntnis vergessener Verantwortung, die zur Panik führt, die wir nicht gebrauchen können. Ich mache die Tür auf.« Er tat es und setzte dann noch hinzu: »Sie zuerst, General.« »Wie es sich gehört, Colonel.« MacKenzie Hawkins trat mit weitausgreifenden Schritten in den großen, mahagonigetäfelten Raum ein. Sein Federschmuck wehte, und sein Hofstaat folgte ihm würdevoll, als plötzlich die ohrenbetäubend schmetternden Klänge eines erregten indianischen Kriegsgesangs mit Trommelbegleitung die heiligen Hallen füllten. Hoch auf einem halbkreisförmigen Podest thronend, reagierten die eben noch streng dreinblickenden Richter mit Panik: Wie ein Mann und eine Frau duckten sie sich weg, und tauchten dann einer nach dem anderen mit entsetzt geweiteten Augen wieder auf, schienen jedoch erleichtert, daß sich keinerlei Gewalttaten anschlössen. Offenen Mundes starrten sie das gefiederte Ungeheuer zu ihren Füßen an, die Gesichter im Schock. »Was, zum Teufel, haben Sie getan?« flüsterte Sam hinter dem Falken. -6 9 3
»Kleiner Trick, den ich in Hollywood gelernt habe«, antwortete
Mac halblaut. »Ein Soundtrack steigert den Höhepunkt, wenn
Worte nichts mehr vermögen. Ich habe einen superlauten
Triple-Volume-Recorder in der Tasche.«
»Stellen Sie das verdammte Ding sofort ab!«
»Das gedenke ich zu tun, sobald diese vor Angst schlotternden
Kürbisse erkennen, daß Donnerhaupt, Häuptling der Wopotami,
vor ihnen steht, dessen Stellung innerhalb des Stammes
Respekt erfordert.« Schließlich wurde die Musik leiser und
hörte dann ganz auf. Fragend sahen die Richter einander an
und nahmen dann wieder ordnungsgemäß Platz.
»Hört mich, oh weise Älteste vom Rat der Rechtskundigen
Amerikas!« tönte Donnerhaupt, und seine Stimme hallte von
den Wänden wider. »Euer Volk ist ertappt worden bei einer
tückischen Verschwörung. Man hat uns widerrechtlich um
unsere Eigentumsrechte gebracht und uns unserer Felder,
unserer Berge und Flüsse beraubt, welche uns mit allem
Lebens- und Überlebensnotwendigen versorgten. Ihr habt uns
eingesperrt in Ghettos aus unfruchtbaren Wäldern und
unbewässertem Grund und Boden, auf welchem nichts weiter
gedeiht als unerwünschtes Unkraut. War das hier nicht unsere
Nation? Eine Nation, in der Tausende von Stämmen in Krieg
oder Frieden miteinander lebten, wie ihr mit uns, mit den
Spaniern, dann den Franzosen und den Engländern und
schließlich nur noch mit euresgleichen? Stehen uns nicht mehr
Vorrechte zu als jenen, die ihr besiegtet und die ihr in eurer
Kultur aufgehen ließt? Die Schwarzen in diesem Land haben
zweihundert Jahre Knechtschaft durchlitten - wir hingegen
fünfhundert. Wollt ihr heute und in unserer Zeit zulassen, daß
das so weitergeht?«
»Ich nicht«, sagte einer der Richter rasch.
»Ich auch nicht«, kam es womöglich noch rascher von einem
zweiten.
»Ich ganz gewiß nicht!« verwahrte sich ein weiterer und
schüttelte den Kopf so heftig, daß seine Wampe wackelte.
-6 9 4
»Oh, Herr, ich habe diesen Klagesatz zehnmal gelesen und bin noch jedesmal in Tränen darüber ausgebrochen«, erklärte die Richterin. »Das sollen Sie aber nicht«, erklärte der Vorsitzende und funkelte die Dame an, um dann flugs die Mikrophone abzustellen, auf daß die Richter sich in Ruhe beraten konnten. »Ich liebe diesen Mann!« flüsterte Jennifer Sam ins Ohr. »Mac hat in den wenigen Sätzen alles zum Ausdruck gebracht.« »Aber er hat niemals bei einem Sturm auf hoher See siebenunddreißig Meilen schwimmend zurückgelegt!« »Unser General ist sehr redegewandt«, flüsterte Pinkus. »Er weiß genau, wovon er spricht.« »Über seinen Vergleich mit den Schwarzen bin ich nicht sonderlich glücklich«, sagte Cyrus gleichfalls im Flüsterton. »Himmel, schließlich wurden seine indianischen Brüder und Schwestern nicht in Ketten gelegt und verkauft - aber die Richtung, in die er zielte, war schon richtig.« »Nein, Cyrus, das wurden wir nicht«, erklärte Redwing. »Wir wurden bloß abgeschlachtet oder an Orte getrieben, wo wir verhungerten.« »Okay, Jenny. Schachmatt.« Die Mikrophone gingen wieder an. »Ja, nun, hmmf« ließ sich ein Richter vom rechten Ende des Tisches vernehmen. »Da der erlauchte Bostoner Jurist, Rechtsanwalt Pinkus, in Ihrer Mitte weilt, sind wir mit Ihren Beglaubigungen selbstverständlich einverstanden - aber sind Sie sich eigentlich darüber im klaren, was für weitreichende Folgen Ihre Klage zeitigen kann?« »Wir wollen nur, was unser ist. Über alles andere läßt sich verhandeln.« »Das ging aus dem Klagesatz nicht unbedingt hervor, Häuptling Donnerhaupt«, sagte der schwarze Richter, dessen Augen zornige Mißbilligung zum Ausdruck brachten, als er ein einzelnes Blatt Papier zur Hand nahm. »Ihr Prozeßbevollmächtigter ist ein gewisser Samuel Lansing Devereaux, ist das richtig?« -6 9 5
»Das bin ich, Sir«, erwiderte Sam und trat neben Hawkins.
»Ein aberwitziger Klagesatz, junger Mann!«
»Vielen Dank, Sir, doch in aller Fairneß ...«
»Man wird Ihnen dafür eine Kugel in den Kopf jagen«, fuhr der
Richter fort, als ob Devereaux nichts gesagt hätte. »Trotzdem
habe ich das Gefühl, als durchzöge das ganze Schriftstück ein
ätzender Schuß Vitriol - so als wären Sie weniger an
Gerechtigkeit als vielmehr an Rache interessiert.«
»In der Rückschau, Sir, hat sie mich tief im Innersten verletzt
die Ungerechtigkeit.«
»Sie werden nicht dafür bezahlt, sich verletzt zu fühlen, Herr
Anwalt«, sagte ein Richter zur Linken. »Sie werden dafür
bezahlt, die Wahrheit dessen nachzuweisen, was Sie in dieser
Bittschrift darlegen. Wo doch die seit langem
Dahingeschiedenen nicht mehr leben und sich folglich auch
nicht mehr verteidigen können, haben die Andeutungen, die Sie
hier machen, schon etwas Erschreckendes.«
»Doch das nur auf der Grundlage des vorgelegten
Beweismaterials, Sir. Keine einzige von ihnen, die nicht
historisch begründet und geeignet wäre, den Verdacht zu
erhärten.«
»Sind Sie von Beruf Historiker, Mr. Devereaux?« fragte ein
anderer.
»Nein, Herr Richter. Von Beruf bin ich ein Jurist, der imstande
ist, eine Beweisführung aufzubauen und ihr zu folgen, genauso,
wie Sie das können, wie ich mit Sicherheit annehme.«
»Reizend von Ihnen, daß Sie unserem Kollegen diese Fähigkeit
zusprechen«, erklärte noch ein anderer. »Ich wollte niemanden
beleidigen, Sir.« »Und doch sind Sie, wie Sie selbst gesagt
haben, sehr wohl verletzlich, Herr Anwalt«, meinte die
Richterin, »und daraus folgert doch wohl, wie ich annehme, daß
Sie auch imstande sind zu verletzen.«
»Dort, wo ich glaube, daß es gerechtfertigt ist, schon, Madam.«
»Genau darauf wollte ich hinaus, Mr. Devereaux, als ich von
dem ätzenden Unterton in Ihrem Klagesatz sprach. Ich hatte
-6 9 6
durchgängig das Gefühl, daß Sie sich mit nichts Geringerem als bedingungsloser Kapitulation von Seiten der Regierung zufrieden geben würden - einer totalen Kapitulation, die jedem einzelnen Steuerzahler in unserem Land eine ungeheure Bürde auferlegen würde. Eine Verpflichtung, mit der das Land einfach nicht fertigwerden könnte und die alle seine Fähigkeiten übersteigen würde.« »Wenn das hohe Gericht gestattet, daß ich hier unterbreche«, kam Donnerhaupt, Häuptling der Wopotami, seinem Anwalt zuvor. »Mein brillanter junger Berater hier steht in dem Ruf, rechtschaffen empört sein zu können, wenn er eben von der Rechtmäßigkeit eines Falles überzeugt ist ...« »Was?« flüsterte Sam und versetzte Hawkins einen Rippenstoß. »Wagen Sie jetzt bloß nicht ...« »Er wagt es durchzustarten, wo selbst Engel Angst haben würden, das zu tun. Doch wer unter uns vermöchte dem wahrhaft Rechtschaffenen etwas vorzuwerfen, der sich erkühnt, leidenschaftlich an die Gerechtigkeit für die Erniedrigten und Beleidigten zu glauben? Sie, Sir, haben darauf hingewiesen, daß er nicht dafür bezahlt wird, daß man ihn beleidigt - damit haben Sie nur zur Hälfte recht, Sir, denn er wird überhaupt nicht bezahlt und es steht ihm für seine leidenschaftlichen Überzeugungen auch in Zukunft kein Lohn in Aussicht. Aber was sind das für Überzeugungen, die ihn veranlassen, sich so sehr für uns zu engagieren? Führen Sie sich doch einmal vor Augen, was der Weiße Mann unseren einst stolzen Vorvätern angetan hat. Verschließen Sie Ihre Augen nicht vor unserer Armut, unserem Schmutz, unserer, nun ja, Ohnmacht. Fragen Sie sich doch einmal selbst, ob Sie so leben könnten, ohne beleidigt zu sein. Dieses Land hier war einst unser Land, und als ihr es uns wegnahmt, haben wir irgendwie begriffen, daß dies zum Entstehen einer noch größeren geeinten Nation beitragen könnte und daß wir Teil davon sein würden. Aber nein, das sollte nicht sein. Ihr habt uns abgeschüttelt und in eine Ecke gedrängt, uns in isolierte Reservate verbannt, ohne Teilhabe an eurem allgemeinen Fortschritt. Das ist Geschichte, die durch Dokumente belegt ist und die kein Mensch abstreiten -6 9 7
kann. Wenn daher der Anwalt unseres Vertrauens einen
gewissen Zorn in seinen Klagesatz hat einfließen lassen -
>Vitriol<, wenn Sie so wollen - so wird er deswegen als der
Clarence Darrow unserer Tage in die Annalen der
Rechtsprechung eingehen. Ich spreche daher im Namen der
zum Opfer gemachten Wopotami, wenn ich sage: Wir verehren
ihn.«
»Verehrung, Häuptling Donnerhaupt, hat vor diesem Gericht
nichts zu suchen», sagte der große schwarze Richter mit
funkelnden Augen. »Verehren kann man nur seinen Gott, einen
Stier oder ein Bildnis, eine Ikone oder den neuesten Guru, doch
das hat keinerlei Einfluß auf einen Gerichtshof und sollte es
auch nicht. Wir verehren hier nur das Recht. Wir urteilen auf der
Grundlage von beweisbaren Fakten, nicht aufgrund
überzeugender Spekulationen, die von wenig untermauerten
Akten von vor über hundert Jahren genährt werden.«
»He, jetzt warten Sie mal einen Moment!« rief Sam. »Ich habe
diesen Klagesatz gelesen ...«
»Wir dachten, Sie hätten ihn verfaßt, Herr Anwalt«, unterbrach
ihn die Richterin. »Haben Sie das nun - ja oder nein?«
»Ja - nun, das ist eine andere Geschichte, aber lassen Sie mich
erzählen. Ich bin ein verdammt guter Anwalt, und ich habe
diesen Klagesatz genauestens unter die Lupe genommen: Das
historische Beweismaterial, das ihm zugrunde liegt, ist so gut
wie unwiderlegbar. Aber sollte das hohe Gericht die Beweise
aus pragmatischen Gründen nicht zulassen, sind Sie eine ...
eine ... eine Bande von ... von ...«
»Von was, Herr Anwalt?« fragte der Richter links vom
Vorsitzenden.
»Verdammt noch mal, dann sage ich es eben: von Feiglingen.«
»Ich liebe dich, Sam!« flüsterte Jennifer.
Der Wortreichtum, mit dem das gesamte Gericht sein
Erstaunen zum Ausdruck brachte, legte sich schlagartig, als
Häuptling Donnerhaupt, alias MacKenzie Lochinvar Hawkins,
mit Stentorstimme erklärte: »Bitte, hochmögende Verfechter der
Gerechtigkeit in diesem uns gestohlenen Lande, darf ich
-6 9 8
sprechen?« »Was? Sie gefiederte Termite, Sie!« kreischte Richter Reebock. »Sie sind soeben Zeuge geworden, wie ein rechtschaffener Mann etwas Ungeheuerliches gesagt hat. Bei diesem Mann handelt es sich um einen überragenden Juristen, der bereit ist, eine glänzende Karriere aufs Spiel zu setzen, weil er in den verborgenen Abschriften, die niemals das Tageslicht erblicken sollten, die Wahrheit gefunden hat. Unbeugsame Männer wie er haben dieses Land groß gemacht, denn sie haben der Wahrheit ins Auge gesehen und ihre Erhabenheit erkannt. Die Wahrheit sei sie nun gut oder schlecht - muß in all ihrer Glorie und all den Opfern, die sie verlangt, akzeptiert werden: ein strahlendes Licht, das eine neue Nation emporrührt zu ihrer eigenen Erhabenheit, ihrer eigenen Glorie. Wonach wir allein trachten, wonach wir alle trachten und wonach auch alle indianischen Völker trachten, das ist doch nur, Teil dieses großen Landes zu sein, welches wir einst unser nannten. Ist das so schwierig für Sie?« »Es gilt, ernste nationale Probleme zu berücksichtigen, Sir«, erklärte der schwarze Richter, dessen Zornesfunkeln allmählich schwächer wurde. »Außerordentliche finanzielle Belastungen, schwere Besteuerungen des Gesamtgemeinwesens, die jede Toleranzgrenze übersteigen könnten. Wie schon so viele vor uns gesagt haben: Die Welt ist nur allzuoft ungerecht.« »Dann verhandeln Sie, Sir!« rief Donnerhaupt. »Der Adler will doch sicher nicht zum Sturzflug ansetzen, um den verwundeten Sperling zu vernichten. Vielmehr sollte er, wie unser junger Anwalt es ausgedrückt hat, empor in den Himmel steigen und dabei das wunderbare Bild eines Höhenflugs bieten - und, was noch weit wichtiger ist, ein ewig gültiges Symbol für die Macht der Freiheit.« »Ich hätte das gesagt ...« »Hält's Maul! Ach, ihr Richter, laßt doch zu, daß der verwundete Sperling im Schatten des großen Adlers ein klein wenig Hoffnung findet! Schließt uns nicht noch einmal aus, denn es ist kein Raum mehr da für uns, auf Wanderschaft zu gehen. Gewährt uns die Achtung, die uns längst gebührt - gebt uns die Hoffnung, die wir brauchen, um zu überleben. Ohne sie sterben -6 9 9
wir, wird unser Abschlachten vollendet. Möchten Sie auch das
noch an Ihren Händen - sind sie nicht schon blutig genug?«
Schweigen. Überall.
»He, Mac, nicht schlecht«, flüsterte Sam aus dem linken
Mundwinkel heraus. »Großartig«, kam es von Jenny.
»Gemach, gemach, munteres Füllen«, erwiderte der Falke leise
und wandte den Kopf. »Jetzt kommt der letzte Hammer, wie
damals, als mein Kumpel, General MacAuliff, den Krauts bei
der Schlacht am Buckel sein 'Heller Wahnsinn'
entgegenschleuderte.»
»Was meinen Sie damit?« wollte Aaron Pinkus wissen.
»Spitzen Sie die Ohren«, flüsterte Cyrus. »Ich kenne den
General. Jetzt sticht er dort zu, wo es wirklich wehtut. Mitten
hinein in ihren Luftballon. Damit wird sein Geseire zu Beton.«
»Das war kein Geseire!«, protestierte Redwing. »Es war die
reine Wahrheit.«
»Für die da oben ist es unausweichliches, aber leider wahres
Geseire, Jenny, denn sie sitzen im Moment übel in der
Zwickmühle.«
Abermals wurden die Mikrophone abgestellt, und die Richter
berieten sich. Schließlich ergriff der allem Anschein nach
ziemlich ausgemergelte Richter aus Neuengland das Wort.
»Das war eine sehr bewegende Ansprache, Häuptling
Donnerhaupt«, sagte er leise, »doch könnten Beschuldigungen
dieser Art von zahlreichen Minderheiten überall erhoben
werden. So sehr ich es persönlich auch bedauere, aber die
Geschichte stand nun mal nicht gerade auf der Seite ihres
Volkes. Wie es einer unserer Präsidenten einmal ausgedrückt
hat: >Das Leben ist nicht gerecht.< Doch muß es weitergehen,
auf daß es der Mehrheit besser gehe, nicht den unglücklichen
leidenden Minderheiten. Wir alle wünschen von ganzem
Herzen, wir könnten das Szenario ändern, doch das läßt die
Vorsehung nicht zu. Schopenhauer hat das >die Brutalität der
Geschichte< genannt. Ich hasse diese Schlußfolgerung,
erkenne jedoch an, daß sie der Wirklichkeit entspricht. Sie
könnten Schleusentore öffnen, die überall im Lande weit mehr
-7 0 0
Menschen in den Fluten umkommen lassen würden als nur die
Prozeßbeteiligten.«
»Worauf genau wollen Sie hinaus, Sir?« »Unter
Berücksichtigung von allem, um das es hier geht - wie würden
Sie reagieren, wenn das Gericht in seiner Weisheit gegen Sie
entschiede?«
»Das ist ganz einfach«, erklärte Häuptling Donnerhaupt. »Wir
würden den Vereinigten Staaten von Amerika den Krieg
erklären und könnten dabei auf das Mitgefühl und das
Verständnis sämtlicher indianischer Brüder überall im Lande
bauen. Viele tausend Weiße würden diesen Krieg nicht
überleben. Wir würden ihn verlieren, aber Sie auch.«
»Verdammte Scheiße!« fluchte der Vorsitzende, Richter
Reebock. »Ich habe ein Haus in New Mexico ...«
»Im Land der kriegerischen Apachen, Sir?« fragte der Falke
und tat ganz harmlos.
»Zweieinhalb Meilen vom Reservat entfernt«, antwortete der
Richter und schluckte.
»Der Apache ist unser Blutsbruder. Möge der Große Geist
Ihnen einen schnellen und relativ schmerzlosen Tod
gewähren.« »Was ist mit Palm Beach?« fragte ein anderer
Angehöriger des Gerichts mit hochgeschobenen Brauen.
»Die Seminolen sind unsere Vettern. Sie kochen das Blut der
Weißen, um seine Unreinheiten auszutreiben - während das
Blut noch im Körper kreist, versteht sich, das macht das Fleisch
besonders zart.«
»Aspen ...?« fragte ein anderer zögernd. »Wen gibt es dort?«
»Die ungestümen Chirokesen, Sir. Die sind uns schon aufgrund
der geographischen Lage noch näher verwandt. Allerdings
haben wir häufig unsere Mißbilligung über ihre vorherrschenden
Vergeltungsmethoden zum Ausdruck gebracht. Sie binden ihre
Feinde mit dem Gesicht nach unten auf einem Hügel von
Killerameisen fest.« »Autsch!« entfuhr es Jennifer.
-7 0 1
»Lake ... Lake George?« fragte ein schreckensbleicher Richter auf der linken Seite. »Dort besitze ich ein wunderschönes Sommerhaus.« »Im Norden des Staates New York, Sir? Müssen sie da noch fragen?« MacKenzie senkte die Stimme, als gälte es, die unausgesprochene Angst zu bestätigen. »Wo das doch die Jagd- und Begräbnisgründe der Irokesen sind?« »So etwas ähnliches wohl ... nehme ich an.« »Unser Stamm gehört zu einem Seitenzweig der Irokesen, Sir, doch muß ich ehrlich sagen, daß wir selbst vor unseren engsten Blutsbrüdern fort nach Westen geflohen sind.« »Warum das?« »Weil die Irokesen vielleicht die Ungezügelsten und Tollkühnsten von uns sind - aber naja, ich denke, Sie verstehen das.« »Was soll ich verstehen?« »Fühlen sie sich provoziert, stecken sie die Tipis ihrer Feinde nachts ebenso in Brand wie überhaupt alles Hab und Gut des Gegners. Sie betreiben eine Politik der verbrannten Erde, mit der wir, das heißt unser Stamm, uns nicht einverstanden erklären konnten. Selbstverständlich betrachten die Irokesen sich immer noch als zu unserer Stammesfamilie gehörig. Blutsbande kann man nicht einfach abstreifen. Zweifellos würden sie sich unserem Kampf anschließen.« »Ich meine, wir sollten uns nochmals beraten«, erklärte der Vorsitzende. Folglich wurden die Mikrophone abermals abgestellt, und die Köpfe der Richter ruckten unter Geflüster vor und zurück. »Mac!« zischte Redwing. »Nichts von alledem, was Sie da gesagt haben, stimmt. Die Apachen gehören zu den Athabasken und haben mit uns rein gar nichts zu tun, die Chirokesen würden sicher niemals jemanden in einen Ameisenhaufen werfen, so was ist einfach absurd, und die Seminolen sind der friedfertigste Stamm, den man sich vorstellen kann! Was die Irokesen angeht, nun ja, die würfeln nun mal für ihr Leben gern, weil das Geld bringt, aber sie haben nie jemanden angegriffen, der nicht vorher sie angegriffen oder ihnen etwas gestohlen hätte, und völlig undenkbar ist, daß sie -7 0 2
das Land abbrennen, denn auf diesem Land wächst ohnehin
nichts.«
»Bitte, Tochter der Wopotami«, sagte der Falke, stand
gebieterisch im Schmuck seiner Federn hochgereckt da und
sah auf Jennifer herab. »Was wissen diese blöden
Bleichgesichter schon!«
»Sie ziehen die gesamte Nation der nordamerikanischen
Indianer in den Schmutz!«
»Und was haben diese Menschen uns die ganzen Jahre über
angetan?«
»Uns?«
Die Mikrophone knisterten, und wieder ertönte aus den
Lautsprechern die schnaufend-nasale Stimme des
Vorsitzenden. »Aus dem Protokoll möge hervorgehen, daß das
Gericht der Regierung der Vereinigten Staaten empfiehlt,
unverzüglich in Verhandlungen mit dem Stamm der Wopotami
einzutreten mit dem Ziel, eine vernünftige Lösung für
vergangenes Ungemach zu finden. Das Gericht schließt sich
einhellig dem Verlangen des Klägers an. Selbiges wird sogleich
bekanntgegeben. Wir vertagen uns!« Ohne zu bemerken, daß
die Mikrophone auch weiterhin eingeschaltet waren, setzte der
Vorsitzende des Gerichts noch hinzu: »Irgend jemand soll im
Weißen Haus anrufen und Subagaloo sagen, er soll sich seinen
Vorschlag sonstwo hinstecken. Dieser Hurenbock hat uns
schön in die Bredouille gebracht. Das tut er dauernd.
Wahrscheinlich haben wir es auch ihm zu verdanken, daß die
verdammte Klimaanlage abgeschaltet wurde. Mir läuft der
Schweiß bis in die Arschritze runter! ... Sony, dear!«
Die Nachricht vom Triumph der Wopotami erreichte die
Wandelhalle und binnen Minuten auch die Treppenstufen vor
dem Gerichtsgebäude. Häuptling Donnerhaupt schritt in vollem
Ornat den Marmorflur in Richtung auf die große Wandelhalle
hinunter und wartete darauf, von seinem Volk gefeiert zu
werden. Und in der Tat wurde gefeiert, doch was, das schien
den Feiernden nicht weiter wichtig. Die riesige Galerie war
gesteckt voll von Männern und Frauen jeden Alters, die da
-7 0 3
tanzten, einherstolzierten und vom linkischen Walzer bis zum
Hard Rock die Beine schwenkten. Die Menschen wirbelten
umeinander, und selbst das Wachpersonal und die Polizei des
District of Columbia schwenkte hier und da das Tanzbein. Die
ehrwürdige Wandelhalle war Schauplatz eines ausgelassenen
Karnevalstreibens.
»Ach, guter Gott!« rief Sunrise Jennifer Redwing, als sie
zusammen mit Sam und Aaron auf den Aufzug zuging.
»Ein freudiges Ereignis«, sagte Pinkus. »Ihr Volk jubelt zu
recht.«
»Mein Volk? Das hier sind nicht meine Leute.«
»Was soll das heißen?« fragte Devereaux.
»Schau doch nur! Siehst du denn auch nur einen einzigen
Wopotami, ein einziges bemaltes Gesicht oder einen
Indianerrock da tanzen, singen und frohlocken?«
»Nein, aber ich sehe einen Haufen Wopotami unten im
Erdgeschoß.«
»Ich natürlich auch, aber sieh nur, was sie tun.«
»Nun, sie scheinen von Gruppe zu Gruppe zu gehen und die
Leute zu ermuntern ... ach, ach, sie tragen ...«
»Pappbecher und Plastikflaschen - genau das, wovon Roman
uns erzählt hat. Sie schenken Yaw-yaw-Geist aus.«
»Darf ich das ein wenig richtigstellen«, sagte Sam. »Sie
verkaufen ihn!«
»Ich bringe diese Kalbsnase um!«
»Ein anderer Vorschlag, Jennifer«, sagte Aaron und gluckste
vor Vergnügen. »Wie war's, wenn Sie ihn in ihr Finanzkomitee
beriefen?«
-7 0 4
EPILOG The New York Daily News WOPS kassieren SAC Washington, D. C., Freitag. Das Oberste Bundesgericht hat gestern in einer aufsehenerregenden Entscheidung einer Klage des Wopotami-Stammes aus Nebraska gegen die Regierung der Vereinigten Staaten stattgegeben. Das Gericht kam einstimmig zu dem Schluß, daß entsprechend einem Vertrag, der vom 14. Kongreß der Vereinigten Staaten 1878 mit den Wopotami geschlossen wurde, besagter Indianerstamm rechtmäßiger Besitzer eines Gebietes von mehreren hundert Quadratmeilen in und um Omaha ist. Darunter fällt auch der Grund und Boden, auf dem der Strategie Air Command seine Kommandozentrale hat. Senat und Repräsentantenhaus sind zu einer Sondersitzung zusammengerufen worden. Mehrere tausend Anwaltsfirmen haben ihr Interesse an den bevorstehenden Verhandlungen bekundet. Il Progresso Italiano Unsere Zeitung nimmt massiv Anstoß am mangelnden Feingefühl, wie es in der gestrigen Schlagzeile durch Austeilung eines Seitenhiebes auf eine ethnische Minderheit zum Ausdruck kommt. Wir sind keine rothäutigen Wilden! Hollywood Variety Beverly Hills, Mittwoch. Die Herren Robbins und Martin von der William Morris Agency melden den Abschluß eines Vertrages zwischen ihren Klienten, im Augenblick nicht anders bekannt als ein Zusammenschluß von sechs Spitzenschauspielern, die während der vergangenen fünf Jahre als Antiterroreingreiftruppe für die Regierung Schwerstarbeit geleistet haben, und den Consolidated-Colossal Studios, bei denen Emmanuel Greenberg als Produzent einen HundertMillionen-Dollar-Film zu realisieren gedenkt, in dem besagte Stars sich selber spielen sollen. Auf einer Pressekonferenz bei Mervs wurde der große Charakterschauspieler Henry Irving Sutton vorgestellt, der erklärte, er sei von dem Vorhaben so tief -7 0 5
bewegt, daß er dem Ruhestand vorübergehend den Rücken kehren wolle, um ebenfalls eine bedeutende Rolle in dem Streifen zu übernehmen. Offensichtlich war auch Mr. Greenberg sehr bewegt - er brach mehrmals in Tränen aus, so daß er nicht weitersprechen konnte. Aus den Reihen der Presse verlautete, das liege daran, daß er so stolz auf den gelungenen Coup sei, wohingegen andere meinen, es liege an der Schwere der Verhandlungen. Greenbergs geschiedene Gattin, Lady Cavendish, war gleichfalls anwesend. Sie lächelte nur. The New York Times CIA-Direktor lebt Von einer Insel der Dry Tortugas gerettet
Miami, Donnerstag. Die Contessa, die Hochseeyacht des
international tätigen industriellen Smythington-Fontini, sichtete
gestern bei einer Rundfahrt Rauch, der von einem Feuer am
Strand einer unbewohnten kleinen Insel der Dry Tortugas
herrührte. Als die Contessa in Landnähe beidrehte, hörten die
Crew und die Passagiere laute Hilferufe auf englisch und
spanisch und sahen drei Männer ins Wasser hineinlaufen, die
sich vor Dankbarkeit kaum fassen konnten. Einer von ihnen war
Vincent F. A. Mangecavallo, Direktor der Central Intelligence
Agency, der seit voriger Woche als auf See vermißt galt.
Seinen Tod schloß man aus den Trümmern der Yacht Gotcha
Baby, auf der Mr. Mangecavallo zu Gast weilte und die bei
einem tropischen Sturm gesunken war. Zu den aufgefischten
Überresten der Yacht gehörten auch etliche persönliche
Habseligkeiten des Direktors.
Die Geschichte seines Überlebens zeugt von ungewöhnlichem
Heldenmut auf seilen Mr. Mangecavallos. Nach Aussage der
argentinischen Besatzungsmitglieder, die inzwischen zu ihren
Familien nach Rio de Janeiro zurückgeflogen wurden,
schleppte der Direktor sie buchstäblich durch haiverseuchte
Gewässer. Sie hielten sich an seinen Beinen fest, während Mr.
Mangecavallo zu der unbewohnten Insel hinüberschwamm. Als
er die Nachricht von Mr. Mangecavallos Rettung hörte, sagte
der Präsident: »Ich wußte, daß mein alter Navy-Kumpel es
-7 0 6
schaffen würde.« Wie bereits früher berichtet, hatte die Navy dazu weiter nichts zu sagen als: »Wie nett.« Als in Brooklyn, New York, ein gewisser Rocco Sabatini den Bericht über die Rettung las, sagte er beim Frühstück zu seiner Frau: »He, was zum Satan geht da vor?! Bum-Bum kann gar nicht schwimmen.« The Wall Street Journal Pleitewelle größten Ausmaßes schreckt Amerikas Finanzwelt auf New York, Freitag. Anwälte haben Hochbetrieb in den Chefetagen der amerikanischen Konzerne, eilen von einer Vorstandsitzung zur anderen und tun ihr möglichstes, Dutzende kleiner, vom Konkurs bedrohter Tochterfirmen am Leben zu erhalten. Gemeinhin gilt das als vergebliches Bemühen, da es aufgrund der hektischen buy-outs der letzten Monate zu einer horrenden Überschuldung gekommen ist, außerdem hat der Aufkauf großer Aktienpakete viele der Industriegiganten, Aktiengesellschaften wie Familienunternehmen, mit leeren Taschen, rotem Gesicht und in einer ganzen Reihe von Fällen mit dem Wunsch zurückgelassen, das Land zu verlassen. Es wird berichtet, auf dem Kennedy International Airport habe der Präsident eines solchen in Bedrängnis geratenen Großunternehmens hysterisch geschrien: »Überall hin, bloß nicht nach Kairo. Ich habe keine Lust, da Pissoirs zu putzen!« Was diese Aussage bedeutet, ist unklar. Stars und Stripes The Newspaper of the U.S. Army Fort Benning, Samstag. Zum erstenmal sind bei der Army zwei hochangesehene ehemalige Offiziere aus Castros Militärapparat - Experten auf dem Gebiet von Sabotage, Spionage, Geheimunternehmungen militärischer Abwehr und Gegenabwehr - zu First Lieutenants ernannt worden, gab General Ethelred Brokemichael vom Presseund Informationsdienst bekannt. Desi Romero und sein Cousin, Desi Gonzales, die sich vor der »unerträglichen Situation in unserer Heimat« aus Cuba abgesetzt haben, sollen nach sprachlicher Einarbeitung und -7 0 7
Zahnbehandlung die Leitung einer Spezialeinsatztruppe übernehmen, die gerade in Fort Henning zusammengestellt wird. Die Army nimmt solche tapferen und erfahrenen Männer, die auf der Suche nach Freiheit und dem Streben nach Ruhm ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, mit offenen Armen auf. Wie General Brokemichael sagte: »Nach ihren Erlebnissen könnte man einen phantastischen Film drehen; wir sollten das in die Hand nehmen.« Der Sommer schwand, die Lethargie legte sich und beides zusammen bildete gleichsam den Auftakt zu energiegeladenen Herbstspielen. Die vormittäglichen Nordwinde machten frösteln und erinnerten die Bewohner Nebraskas daran, daß es alsbald kälter und dann sehr kalt werden würde, was wiederum ein Vorspiel war für den winterlichen Schneefall. Doch solche Gedanken waren den Wopotami fern, denn während die Verhandlungen mit der Regierung weitergingen, sah Washington sich genötigt, zweihundertundzwölf Mobilwohnheime ins Reservat zu schicken, die die Wigwams und jene baufälligen Hütten ersetzen sollten, die zuvor Gemeindeversammlungen gedient und vielen Schutz vor dem Winterschnee geboten hatten. Dabei hatte man, was Washington allerdings nicht wußte, mehrere Hundert völlig ausreichender Hütten erst vor wenigen Wochen mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht. Tipis oder Wigwams waren im Reservat schon lange kein vertrauter Anblick mehr gewesen, höchstens um die Zugänge für die Touristen hatten noch ein paar gestanden. All dies gehörte zur Strategie, keine Schlacht wurde je ohne Plan geschlagen. »Ich kann es immer noch nicht glauben«, sagte Jennifer, die Hand in Hand mit Sam den ungepflasterten Weg durch das Reservat entlangspazierte. Auf dem Feld zu ihrer Rechten standen die riesigen, mit allem modernen Komfort ausgestatteten Mobilheime. Jedes Dach schmückte eine Empfangsschüssel fürs Satellitenfernsehen »Es kommt alles genauso, wie Mac es sich vorgestellt hat.« »Dann laufen die Verhandlungen also gut?« -7 0 8
»Unglaublich gut sogar. Wir brauchen bloß die Stirn zu runzeln,
weil irgendwas nicht klar ist, und schon geraten sie in helle
Aufregung, machen einen Rückzieher und unterbreiten ein
besseres Angebot. Ich mußte die Regierungsleute mehrere
Male unterbrechen und erklären, daß die finanzielle
Ausstattung völlig ausreichend wäre, mir ginge es
ausschließlich um einen juristischen Punkt, der mir nicht ganz
klar sei.«
»Schön, einmal in einer solchen Situation zu sein. Aber warum
faßt du sie so mit Samthandschuhen an?«
»Na hör mal, Sam - was die angeboten haben, übersteigt alle
unsere Erwartungen so ungeheuerlich, daß es geradezu
kriminell wäre, da noch zu streiten.«
»Wozu dann überhaupt verhandeln? Worauf bist du aus?«
»Zunächst einmal geht es mir um einen juristisch bindenden
Terminplan für unsere unmittelbaren Bedürfnisse wie: gute
Wohnungen, Schulen, gepflasterte Straßen, ein richtiges Dorf
mit allem Drum und Dran wie etwa Läden mit einer
Erstausstattung, so daß die Leute sich auf redliche Art und
Weise ihren Lebensunterhalt verdienen können. Dann vielleicht
ein paar Extras wie zum Beispiel einige Gemeinschaftsbäder,
verschiedene Skilifte und ein Restaurant - wobei man letzteres
als zu unserem Lebensunterhalt gehörig betrachten könnte.
Das war Charlies Idee; er läuft für sein Leben gern Ski.«
»Wie geht es ihm?«
»Darling, ich habe diesem Jungen die Windeln gewechselt, und
heute komme ich mir manchmal etwas inzestuös vor.«
»Hub?« »Er ist dir so ähnlich. Er ist von rascher
Auffassungsgabe, sehr klug und - nun ja, komisch ...«
»Ich bin aber ein sehr ernsthafter Jurist«, fiel Devereaux ihr
grinsend ins Wort.
»Du bist wahnsinnig, und er auch, wobei der Wahnsinn bei
euch beiden durch einen wachen Geist gemildert wird, ein
geradezu erschreckendes Gedächtnis und die Fähigkeit,
-7 0 9
hochkomplizierte Sachverhalte auf einfache Grundtatsachen
zurückzuführen.«
»Ich weiß nicht einmal, was das bedeutet.«
»Er auch nicht - aber ihr tut's beide. Weißt du eigentlich, daß er,
als Hawkins seinen Klagesatz vorlegte, einen völlig
hirnverbrannten, unbedeutenden Fehler in der Geschichte
unserer Rechtsprechung ins Spiel brachte, der sich non nomen
amicus curiae nennt? Wer würde je kapieren, was das ist
geschweige denn, sich daran erinnern?«
»Ich wohl. Jackson versus Buckley, 1827. Der eine hatte dem
anderen Schweine gestohlen.«
»Ach, hör auf ...« Jenny ließ seine Hand los, um sie jedoch
sofort wieder zu ergreifen.
»Was will Charlie denn tun, wenn das alles erst mal vorbei ist?«
»Ich mache ihn zum juristischen Bevollmächtigten des
Stammes. Und im Winter kann er dann gleichzeitig noch die
Skianlagen für uns leiten.«
»Schränkt das nicht schrecklich ein?«
»Vielleicht, aber ich glaube nicht zu sehr. Irgend jemand muß
schließlich hier sein und darauf achten, daß Washington jeder
einzelnen Verpflichtung nachkommt, der die Regierung in der
Rekonstruktions-Vereinbarung zustimmt. Hat man es mit
Bauunternehmungen dieses Ausmaßes zu tun, tut man gut
daran, jederzeit einen Anwalt dazuhaben. Ist je ein Anbau eines
Hauses termingerecht fertig geworden? Wobei ich hinzufügen
darf, daß ich saftige Säumniszuschläge mit in die
Vereinbarungen hineingeschrieben habe.«
»Dann wird Charlie alle Hände voll zu tun haben. Was hast du
Washington denn sonst noch abgerungen? Ich meine, außer
dem, was eure unmittelbaren Bedürfnisse betrifft?«
»Das ist ganz einfach: Eine unwiderrufliche und unangreifbare
Treuhandstiftung, die auf irreversiblen Garantien des
Finanzministeriums beruht, denen zufolge der Stamm im Laufe
der nächsten zwanzig Jahre jährlich zwei Millionen Dollar an
Grundausstattung erhält - inflationsbereinigt.«
-7 1 0
»Aber das ist doch Kleinkram, Jenny!« rief Sam. »Nein, ist es
nicht. Wenn wir es bis dahin nicht schaffen, verdienen wir es
einfach nicht. Wir wollen ja keinen Freifahrtschein für immer,
sondern nur die Möglichkeit, den Anschluß an die allgemeine
Entwicklung zu finden. Und wie ich meine Wopotami kenne,
nehmen wir euch Bleichgesichtern so gut wie jeden Cent ab,
den ihr habt. Und euer Präsident wird in zwanzig Jahren
vermutlich Sundown oder Moonbeam heißen - verlaß dich
drauf. Wir haben den Yaw-yaw-Geist nicht umsonst gebrannt.«
»Und was jetzt?« fragte Devereaux. »Was soll jetzt sein?«
»Nun, was ist mit uns?«
»Mußt du das unbedingt zur Sprache bringen?« »Wird es nicht
allmählich Zeit?« »Natürlich wird es das - aber ich habe Angst.«
»Ich werde dich beschützen.« »Wovor? Vor dir?«
»Wenn es sein muß ... Eigentlich ist es ziemlich einfach, und
wie du ganz richtig gesagt hast, können Charlie und ich
hochkomplizierte Sachverhalte auf simple, jedermann
verständliche Tatbestände reduzieren.« »Wovon zum Teufel
redest du, Sam?«
»Ich reduziere eine komplizierte Situation auf einen sehr
einfachen Tatbestand.«
»Und was, wenn ich fragen darf, kommt dabei heraus?« »Ich
weigere mich, den Rest meines Lebens ohne dich zu leben,
und irgendwie habe ich das Gefühl, du könntest ähnlich denken
und empfinden.«
»Naja, ein bißchen ist an dem, was du sagst, schon Wahres
dran, vielleicht sogar mehr als nur ein bißchen. Aber wie soll
das möglich sein? Ich bin in San Francisco und du in Boston.
Das ist keine gute Grundlage für ein gemeinsames Leben.«
»Bei deinen Zeugnissen würde Aaron dich jederzeit zu einem
phantastischen Gehalt einstellen.«
»Und bei dem Ruf, den du hast, würden Springtree, Basl und
Karpas dich noch vor mir zum Teilhaber machen.« »Ich könnte
nie von Aaron weggehen, das weißt du ganz genau. Du
hingegen hast bereits einer Firma in Omaha den Laufpaß
gegeben. Infolgedessen reduziert sich alles auf ein schlichtes
-7 1 1
Entweder/Oder - und das angesichts der Annahme, daß wir
beide den Gashahn aufdrehen würden, wenn wir nicht
Zusammensein könnten.«
»Soweit würde ich nicht gehen.«
»Ich aber wohl. Kannst du es dann nicht auch?«
»Ich verweigere die Aussage, weil ich mich dadurch belasten
könnte.«
»Ich habe trotzdem eine Lösung.«
»Und die wäre?«
»Mac hat mir eine Medaille von seiner alten Division im Zweiten
Weltkrieg geschenkt, mit der er in der Schlacht am Buckel den
Durchbruch schaffte. Ich trage sie immer bei mir. Sie bringt mir
Glück.« Devereaux griff in die Tasche und zog eine übergroße
Ersatzmünze aus Leichtmetall hervor, in die in der Mitte das
Porträt von MacKenzie Hawkins eingeätzt war. »Ich werfe sie
hoch und lasse sie auf dem Boden landen. Ich nehme den
Kopf, du die Zahl. Liegt die Zahl oben, kehrst du nach San
Francisco zurück, und wir werden beide die Qualen der
Verdammten erleiden. Siegt jedoch Kopf, kommst du zu mir
nach Boston.«
»Einverstanden.« Die Medaille drehte sich in der Luft mehrmals
um sich selbst und landete dann auf dem Boden. Jennifer
beugte sich darüber. »Großer Gott: Kopf - du hast gewonnen.«
Schon wollte sie zugreifen und die Münze aufheben, da schloß
Sams Hand sich wie eine eiserne Faust über der ihren.
»Nein, Jenny, du darfst dich nicht so vorbeugen.«
»Was heißt, so?«
»Das ist sehr schlecht für dein Steißbein.« Devereaux zog
Jenny hoch und hielt dabei die Münze in der rechten Hand.
»Sam, was hat das zu bedeuten?« »Die vornehmste Pflicht des
Ehemannes ist es, seine Frau zu beschützen.«
»Vor was?« »Vor schlechten Steißbeinen.« Devereaux fingerte
an der Münze herum und ließ sie dann auf die Weide
linkerhand segeln. »Ich brauche keinen Glücksbringer mehr«,
-7 1 2
sagte er und schloß Jenny in die Arme. »Ich habe dich, und
mehr Glück habe ich nie gesucht noch gebraucht.«
»Vielleicht hast du aber auch nicht gewollt, daß ich die
Kehrseite der Medaille sehe«, flüsterte ihm Redwing ins Ohr.
»Der Falke hat mir in Hooksett auch eine geschenkt. Mit
seinem Porträt auf beiden Seiten. Hättest du Zahl gesagt, ich
hatte dich umgebracht.«
»Mutwilliges Biest!« flüsterte Sam und mummelte an ihren
Lippen wie ein Schimpanse, der einen Sack Erdnüsse
gefunden hatte. »Gibt es hier ein einsames Fleckchen, wo wir
hingehen könnten?«
»Jetzt nicht, Rover - Mac erwartet uns!«
»Mit meinem Leben hat er nichts mehr zu tun, das ist endgültig
vorbei.«
»Das hoffe ich aufrichtig, Liebling, aber als die Realistin, die ich
bin, frage ich mich - endgültig bis wann?«
Sie näherten sich dem großen und mit vielen bunten
Kunststoffellen bedeckten Tipi. Rauch entquoll der Öffnung
oben.
»Er ist da«, sagte Devereaux. »Machen wir den Abschied kurz
und schmerzlos. Frei nach dem Motto: Freut mich, Sie
kennengelernt zu haben, aber halten Sie sich verdammt noch
mal aus unserem Leben heraus.«
»Das ist denn doch ein bißchen allzu karg, Sam. Du mußt doch
auch sehen, was er für mein Volk getan hat.«
»Für ihn ist das alles nur ein Spiel, Jenny. Verstehst du das
denn nicht?«
»Dann ist es eben ein gutes Spiel, das er spielt, Liebling.
Verstehst du das denn nicht?«
»Ich weiß nicht, er stürzt mich dauernd in Verwirrung.«
»Wie auch immer«, sagte Redwing. »Er kommt gerade heraus.
Mein Gott, schau ihn dir an!«
Ungläubig sah Sam zu ihm hinüber. General MacKenzie
Lochinvar Hawkins, alias Donnerhaupt, Häuptling der
Wopotami, ähnelte weder der einen noch der anderen Person.
-7 1 3
Nichts deutete auf Soldatisches hin und noch weniger auf die
Erhabenheit eines Indianerhäuptlings. Da war nichts von der
Würde, die man dem einen oder dem anderen normalerweise
zuschreibt. An die Stelle königlicher Haltung war Plumpheit
getreten, die Grellheit des seichten Menschen, die aber
irgendwie solider war und mehr überzeugte. Sein
kurzgeschnittenes, borstiges graues Haar wurde von einer
gelben Baskenmütze bedeckt, unter der kräftigen Nase prangte
ein schmaler, geschwärzter Lippenbart und darunter wiederum
eine violette Ascot-Krawatte, die sich mit seinem rosa
Seidenhemd biß, das farblich seinen engen, leuchtendroten
Hosen entsprach, deren Umschläge über weiße Gucci-Slipper
fielen. Und der Koffer, den er trug, war selbstverständlich ein
Louis Vuitton.
»Mac, wen um alles auf der Welt stellen Sie denn jetzt plötzlich
dar?« rief Devereaux laut.
»Ach, da seid ihr beiden ja«, sagte der Falke, ohne auf die
Frage einzugehen. »Ich dachte schon, ich müßte fort, ohne
euch noch einmal gesehen zu haben. Ich hab's furchtbar eilig.«
»Furchtbar eilig?« sagte Jennifer. »Mac, wer sind Sie?«
»Mackintosh Quartermain«, gab der Falke verschmitzt zurück,
»Veteran von den Scots Grenadiers. Das war Gin-Gins Idee.«
»Was?«
»Auf geht's nach Hollywood«, murmelte Hawkins. »Ich bin Co-
Produzent und militärischer Berater bei Greenbergs Streifen ...«
»Streifen ...?«
»Bloß um ein Auge darauf zu haben, daß Manni sich finanziell
nicht übernimmt ... und vielleicht ein paar andere Dinge. Was
sich so ergibt. Hollywood ist das reinste Chaos, wißt ihr. Da
braucht man ein paar Neuerer mit klaren Gedanken ... Hört zu,
es war toll, euch beide zu sehen, aber jetzt habe ich es wirklich
eilig. Ich treffe mich am Flugplatz mit meinem netten Adjutanten
- Assistenten - Colonel Roman Zabritzi, früher beim Sowjetischen Militärkino. Unsere Maschine fliegt an die Westküste.«
-7 1 4
»Roman Z.?« fragte, wie vor den Kopf geschlagen, Redwing, »Was ist denn aus Cyrus geworden?« fragte Sam. »Der treibt sich irgendwo in Südfrankreich herum und kümmert sich um eins von Fraziers Chäteaus. Darin haben sie gehaust wie die Vandalen.« »Ich dachte, er wollte unbedingt zurück in ein Labor?« »Naja, aber bei der Liste von Gefängnissen, in denen er schon war ... Nun, Cookson kauft immerhin gerade ein Chemiewerk. Ach, war wirklich nett von euch beiden, mir Lebewohl zu sagen, aber nun muß ich wirklich dalli-dalli machen. Einen Kuß nur, siveetheart, und sollte die rote Schönheit je an eine Kinokarriere denken, kann sie ja mal bei mir anbimmeln.« Die erstaunte Redwing ließ sich vom Falken in die Arme schließen. »Und Sie, Lieutenant«, fuhr MacKenzie fort und legte den Arm auch um Devereaux, »haben immer noch das beste Juristenhirn auf unserem Planeten, vielleicht mit Ausnahme von Commander Pinkus und der kleinen Dame hier.« »Mac!« rief Sam. »Begreifen Sie denn nicht? Sie fangen doch schon wieder von vorne an! Am Ende wird von Los Angeles nichts übrigbleiben.« »Nein, das stimmt nicht, stimmt überhaupt nicht. Wir werden die ruhmreichen Tage von früher wieder auferstehen lassen.« Der Falke ergriff seinen Louis-Vuitton-Koffer und unterdrückte die Tränen, die in ihm aufwallten. »Ciao, babes«, sagte er, wandte sich schnell ab und eilte den Feldweg hinunter - ein Mann mit Sendungsbewußtsein. »Wieso geht es mir dauernd im Kopf herum, daß irgendwann irgendwo in Boston das Telefon klingelt und sich am anderen Ende ein Mackintosh Quartermain meldet?« sagte Devereaux, den Arm um Jenny gelegt, während sie beobachteten, wie die Gestalt des Falken in der Ferne kleiner und immer kleiner wurde. »Weil das unvermeidlich ist, my darling, und wir wollen es doch auch gar nicht anders.«
-7 1 5