Ren Dhark Das Nor-ex greift an! Die große SF-Saga von Kurt Brand Band 9 Bereits erschienen: Band 1: Sternendschungel Gal...
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Ren Dhark Das Nor-ex greift an! Die große SF-Saga von Kurt Brand Band 9 Bereits erschienen: Band 1: Sternendschungel Galaxis Band 2: Das Rätsel des Ringraumers Band 3: Zielpunkt Terra Band 4: Todeszone T-XXX Band 5: Die Hüter des Alls Band 6: Botschaft aus dem Gestern Band 7: Im Zentrum der Galaxis Band 8: Die Meister des Chaos sowie der Sonderband: Die Legende der Nogk Sollte Ihre Bezugsquelle nicht alle REN-DHARK-Bände verfügbar haben, können Sie fehlende Bände direkt beim Verlag nachbestellen. 1. Auflage Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22 56544 Neuwied Telefon: 02631-356100 Fax:02631-356102 Internet: http://www.bernt.de © REN DHARK: Brand Erben Buchbearbeitung: Gerd Rottenecker Beratung: Heinz Mohlberg Cover: Ralph Voltz Illustrationen: Hubert Schweizer Druckvorlagenherstellung: TYPO-Schlick GmbH, 56566 Neuwied © 1998 H. Bernt Verlag Alle Rechte vorbehalten ISBN 3-930515-19-9
Vorwort Nachdem die letzten drei Bände der Ren-Dhark-Buchausgabe den völlig neu geschriebenen G'Loorn-Zyklus präsentierten, kehren wir mit dem vorliegenden Buch wieder zur OriginalHeftserie zurück. »Die Suche nach den Mysterious« könnte man den zweiten großen Zyklus der Ren-DharkSaga. überschreiben, der die Originalhefte 50-98 umfaßte und in voraussichtlich sieben Büchern in gewohnter Weise aufgearbeitet werden wird. In Band 9 und dem eng mit diesem Buch verzahnten, im Frühjahr 1998 erscheinenden Band 10 beginnt eine Kette von Abenteuern, die Ren Dhark und seine Gefährten mit neuen Rätseln und Geheimnissen konfrontieren werden. Es kommt zu Begegnungen mit bekannten und bisher unbekannten außerirdischen Rassen, und schließlich wird die Vergangenheit zu neuem Leben erwachen und Ren Dhark veranlassen, sich mit der POINT OF auf die schicksalhafte Suche nach den Mysterious zu begeben... Doch noch ist es nicht soweit. Seit den Geschehnissen in Band 8 sind rund drei Jahre vergangen. In dieser Zeit hat sich im Sol-System einiges getan. Man glaubt auf Terra mittlerweile, besser gegen Bedrohungen aus dem All gewappnet zu sein - eine Hoffnung, die sich nur allzu schnell als trügerisch erweist. Die in dieses Buch überarbeitet und zum Teil massiv gekürzt eingeflossenen Originalromane sind: Das Ende der POINT OF? und Das Zwillings-Experiment von Kurt Brand, Flammende Hölle Arim von Cal Canter (alias Peter Krämer), Weltall-Test der Cyborgs von Hans-Joachim Freiberg, Im Schußfeld der Robonen von Lars Torsten (alias Eberhard Seitz) und Gehetzte Cyborgs von Dr. Ernst Christian Winter. An dieser Stelle möchten wir auch noch auf den ersten Band unse 3
rer neuen Kurt-Brand-Edition hinweisen, der bereits vor einigen Wochen erschienen ist und drei Einzelromane des SF-Altmeisters und Schöpfers der Ren-Dhark-Saga präsentiert, die
ursprünglich in den 50er und 60er Jahren als Leihbuch und/oder Heftroman erschienen sind. Falls Sie mehr über unsere Publikationen erfahren wollen und einen Computer mit Modem besitzen, sollten Sie gelegentlich auf den Internet-Seiten des HJB-Verlags vorbei schauen. Dort gibt es nicht nur die aktuellsten Hinweise auf unsere Bücher und Comics, sondern beispielsweise auch eine Ren-Dhark-Leserseite oder den HJB-Newsletter, der monatlich interessante Informationen aus der großen Welt der SF - neben Ren Dhark etwa über Perry Rhodan oder Babylon 5 - bietet. Hohberg, im Herbst 1997 Gerd Rottenecker 4
Prolog Auf der Erde und den von den Menschen besiedelten Planeten schreibt man Anfang Mai des Jahres 2056. Rund drei Jahre sind vergangen, seit Ren Dhark von seiner Expedition ins Zentrum der Milchstraße zurückgekehrt ist. Drei Jahre, in denen man sich auf Terra relativ ungestört dem Wiederaufbau widmen konnte. Fast scheint es, als wären mit den G 'Loorn auch alle anderen Bedrohungen verschwunden, denen sich die Menschheit in der Vergangenheit ausgesetzt sah. Mittlerweile sind die Wunden, die das Regime der Giants - von denen man inzwischen weiß, daß sie keine natürlich entstandenen Geschöpfe, sondern Androiden waren - der Erde geschlagen hat, fast verheilt. Neue Planeten wurden besiedelt, und der terranische Einflußbereich wächst unaufhaltsam. Auch die Zahl der terranischen Raumschiffe hat deutlich zugenommen, und sie erhöht sich fast täglich weiter, sei es durch die Aufbringung giantischer Beuteraumer oder durch eigene Neubauten, die auf den Werften vom Band laufen. Um zu verhindern, daß die Erde ein zweites Mal von Invasoren wie den Giants übernommen werden kann, wurden Unsummen in den Bau eines Defensiv-Systems investiert, das nicht zuletzt durch die Ausstattung mit von den Giants und Amphis erbeuteten technischen Errungenschaften in der Lage sein sollte, den Heimatplaneten der Menschheit wirksam gegen mögliche zukünftige Bedrohungen zu verteidigen. Und zu guter Letzt steht ein Team hochkarätiger Spezialisten um den greisen Genetiker und Biologen Echri Ezbal kurz davor, der staunenden Öffentlichkeit die Ergebnisse einer langjährigen Forschungsarbeit zu präsentieren, die den Begriff >Mensch< völlig neu definieren wird. Doch in diese Phase der Konsolidierung mischen sich auch Wermutstropfen. 5 So haben sich die Hoffnungen der terranischen Wissenschaftler nicht erfüllt, den letzten vier CAL-Gehirnen ihre Geheimnisse zu entreißen. Die vier versteinerten Gehirne, die Ren Dhark von seiner Expedition in die >Quiet Zone< zurückbrachte, sind nur wenige Tage später aus dem Wissenschaftszentrum von Alamo Gordo verschwunden. Sie haben sich buchstäblich in nichts aufgelöst, sind >diffundiert<, wie die Wissenschaftler den unerklärlichen Vorgang zu benennen versuchten, wenn sie ihn denn schon nicht erklären konnten. Einzig die leer und verlassen durchs All driftenden Raumschiffe der Giants geben noch Zeugnis von ihrer Existenz. Doch noch wesentlich schlimmer ist der Rückschlag, den die Mediziner um Manu Tschobe hinnehmen mußten. Denn trotz aller verzweifelten Bemühungen ist es den Ärzteteams nicht gelungen, jenen Prozeß aufzuhalten, der die Zellalterung der >zurückgeschalteten<, nach Terra heimgekehrten Robonen zeitrafferschnell ablaufen ließ. Das erhoffte Wunder, der Durchbruch bei der Suche nach einer geeigneten Therapie, blieb aus. Mittlerweile sind nur noch wenige dieser Menschen am Leben, der weitaus größte Teil der ehemaligen Bewohner Robons ist dem >Alterungs-Syndrom< erlegen. Für Ren Dhark, der wenige Monate nach seiner Rückkehr aus dem Zentrum der Milchstraße zum >Commander der Planeten< gewählt wurde, ist die >Robonen-Tragödie< noch immer der größte Schatten, der auf seine erste Amtszeit fällt. Aber er muß den Blick nach vorne richten und sich den schwierigen Aufgaben stellen, die auf dem >Weg ins Weltall< noch vor ihm und der gesamten Menschheit liegen. Unterstützt wird er dabei von seinen engsten Freunden und Vertrauten, die ebenfalls wieder verantwortungsvolle Posten bekleiden. So ist Dan Riker, der zwischenzeitlich einen Ehevertrag mit der Mathematikerin Anja Field eingegangen ist, nach Beilegung der Differenzen wieder oberster Befehlshaber der Terranischen Flotte; Bernd Eylers leitet die GSO, die Galaktische Sicherheitsorganisation; General John Martell, der ehemalige Kommandant des Geheimstützpunkts T-XXX, ist mit einem kleinen Geschwader auf der Jagd nach im All treibenden Raumern der Giants, und Offiziere wie Ralf
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Larsen oder Janos Szardak haben das Kommando über eigene Raumschiffe übernommen. Allmählich scheint der Zeitpunkt gekommen, erneut die Fühler in die Milchstraße auszustrecken. Die vor allem in Colonel Frederic Huxley personifizierten freundschaftlichen Beziehungen zu den Nogk könnten intensiviert, nähere Kontakte zu den Sukooren, einem vormaligen Hilfsvolk der G'Loorn, geknüpft werden. Und wäre es nicht auch an der Zeit, Esmaladan, der Heimat der rätselhaften Pyramidenraumer, einmal einen Besuch abzustatten ? Und dann, während eines eigentlich harmlosen Forschungsflugs ins Deneb-System, ist die friedvolle Ruhe der letzten drei Jahre wie weggewischt, als die POINT OF den Notruf eines terranischen Raumschiffs empfängt. Als Ren Dhark sich auf die Jagd nach dem unheimlichen Etwas macht, das die Raumschiffe der TF buchstäblich verschlingt, hat er keine Ahnung, worauf er sich einläßt - und das sich zu Hause, auf Terra, ganz im geheimen eine weitere, nicht minder gefährliche Bedrohung manifestiert... l
1.
Glenn Morris, der Funker der POINT OF, zuckte zusammen, als er auf dem Oszillo den Hyperfunkimpuls erkannte. Blitzschnell legte er zur Kommandozentrale um. Ren Dhark kniff die Augen etwas zusammen, veränderte aber seine Haltung im Schwenksessel nicht, da er den Blip auch so auf seinem winzigen Bildschirm erkennen konnte. Dan Riker neben ihm hatte noch nichts bemerkt. Und dann plärrte der Lautsprecher los: CAESAR
ruft POINT OF! CAESAR ruft POINT OF! CAESAR... SOS... Mollin-System...
Aus!
Kein einziger Blip mehr auf der Sichtscheibe!
Die To-Funkverbindung zum Aufklärer der Wolf-Klasse war abgerissen!
Ren Dhark beugte sich leicht nach vorn.
»Morris, alle Daten schnellstens an mich!«
Morris sah seine Kollegen Walt Brugg und Elis Yogan an. Sie nickten flüchtig, steckten
schon mitten in der Arbeit. Brugg rief die im Checkmaster gespeicherten Daten ab. Elis
Yogan fixierte die Werte der Funk-Ortung. Glenn Morris bekam von beiden Seiten
Endauswertungen. Weitere Abteilungen steuerten Daten bei. Jens Lionel, der Bordastronom
des Ringraumers, berechnete die Entfernung zwischen dem Deneb-System, in dem das
Flaggschiff der Terranischen Flotte wichtige Forschungsaufgaben durchführte, und der
Mollin-Gruppe.
»Morris, 594 Lichtjahre Distanz.«
»Danke, Lionel.«
Walt Brugg las noch einmal die Einfallstärke des To-Funkspruchs der CAESAR ab.
»034, Morris. Als ob man auf dem Aufklärer mit dem letzten Rest
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Saft SOS gegeben hätte...«
»Nehmen wir an, daß es wirklich so gewesen ist...« Alle Daten, nach denen Ren Dhark
verlangt hatte, lagen jetzt vor. Die Bordverbindung übermittelte sie als Bild; Morris rasselte
sie zusätzlich herunter. Er wußte, daß man den Commander so schnell nicht überfordern
konnte.
»Einwandfrei To-Funk, Morris?« vergewisserte er sich.
»To-Funk mit 0,34 Einfallstärke, Commander!«
Dhark warf seinem Freund Dan Riker einen forschenden Blick zu.
Doch der zuckte nur ratlos die Schultern.
»Commander, Echo-Kontrolle null!« teilte in diesem Augenblick Glenn Morris mit.
Mit anderen Worten: Auf der CAESAR gab es keine Hyperfunkaggregate mehr, die
betriebsklar waren.
Für Ren Dhark der letzte schlüssige Beweis, daß der Aufklärer der Wolf-Klasse
wahrscheinlich vernichtet worden war!
Doch von wem? Wer war dazu in der Lage, einen Raumer der 100-Meterklasse, der über eine
kampferfahrene Besatzung verfügte, innerhalb von Sekunden zu zerstören?
Die Bordverständigung zur Triebwerkzentrale stand.
»Miles, haben Sie alles mitbekommen?«
Miles Congollon, Erster Ingenieur der POINT OF, hatte mitgehört. »Alles okay. Schiff klar!«
»Grappa...«
Tino Grappa, der beste Ortungs-Spezialist der Terranischen Flotte und inzwischen zum
Leutnant befördert, wußte genau, was der Commander der Planeten, wie Ren Dharks
offizieller Titel mittlerweile lautete, von ihm erwartete.
»Ortungen null! Energie-Ortung auf höchste Leistung geschaltet. Im Mollin-System sind
keine spontanen energetischen Ausbrüche festzustellen!«
»Danke! Die Koordinaten für Mollin!«
Prompt spuckte der Checkmaster, das geniale Bordgehirn der POINT OF, die Koordinaten
für das Mollin-System aus.
Die POINT OF nahm Fahrt auf und beschleunigte den Sie mit maximaler Leistung.
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Dan Riker drehte den Kopf. »Weit und breit kein Schiff der Flotte, Ren! Wir sollten...«
Dhark war anderer Meinung. »Funkspruch an TF-Stab, Cent Field. Wir übernehmen den Fall!
Vollzug, Dan!«
Knapper konnte ein Befehl nicht formuliert werden. In der Kommandozentrale war man es
gewohnt. Die Besatzung des Ringraumers, jahrelang geschult, bestand aus einem Guß. Jeder
Mann wäre für Ren Dhark durchs Feuer gegangen, und jeder wußte, daß der Commander
ihnen nie mehr abverlangte, als er selber leisten konnte.
Der Funkspruch an den Stab der TF ging hinaus.
Alle Hypersender terranischer Konstruktion waren mit vorgeschalteten Tofirit-Kristallen
ausgerüstet. Das Tofirit, das man auf Hope und Jump abbaute, besaß die Eigenschaft,
Hyperfunkstrahlen eng zu bündeln und zu richten. Gleichzeitig erlaubte es, bei minimaler
Sendeenergie riesige Lichtjahr-Distanzen zu überbrücken und nur den Empfänger
anzusprechen, für den der Spruch bestimmt war. To-Funksendungen abzuhören, war
unmöglich, wenn die fremde Station nicht gerade im Richtstrahlbereich lag.
Morris meldete sich wieder.
»Die CAESAR antwortet immer noch nicht. Echo-Kontrolle nach wie vor null!«
Im Schiff begannen Aggregate zu heulen und zu tosen. Ren Dhark und Dan Riker
beobachteten die Kontrollen auf ihrem Instrumentenpult. Zwei Offiziere machten am
Checkmaster Dienst, zwei weitere erfüllten ihre Aufgaben auf der Galerie.
Tino Grappa, der junge Mailänder, saß beherrscht und voll konzentriert hinter seinen
Ortungen und hatte auf das Instrumentenpult geschaltet, so daß der Commander alle
Ortungswerte ohne Zeitverlust ablesen konnte.
Über allem stand die Bildkugel. Sie spiegelte den Deneb-Sektor und die Weite des
Sternenmeeres wider.
»Auf Sternensog...« murmelte Ren Dhark, dem man die Spannung nicht ansehen konnte.
Auch ihn quälte die Frage: Was war mit der CAESAR passiert? Wer hatte den Aufklärer
angegriffen und wahrscheinlich vernichtet?
Dan Riker schüttelte unzufrieden den Kopf. »Verflixt, warum hat
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der Aufklärer erst so spät einen Notruf abgesetzt? Jetzt rasen wir los und haben keinen
blassen Schimmer, was im Mollin-System eigentlich passiert ist!«
Von der Erde, von Cent Field, dem größten Raumhafen Terras und Heimathafen der
Terranischen Flotte, kam die Bestätigung, den Befehl des Commanders erhalten zu haben.
Aber der Stab der TF hatte dennoch Vorsorge getroffen.
Drei Raumer der Planet-Klasse stehen transitionsklar im Sol-System! Ren Dhark schmunzelte. Er hätte als Chef des TF-Stabes nicht anders gehandelt.
Die Zeit verging. Mit steigender Überlichtgeschwindigkeit raste der Ringraumer seinem Ziel
entgegen. Gleichmäßig liefen die Aggregate, summten die Energiebänke und Transformer,
und in einem ebenso gleichmäßigen zeitlichen Abstand kamen die Klarmeldungen der
wichtigsten Stationen.
»In einer halben Stunde haben wir das Zielgebiet erreicht...«
Ren Dhark nickte. Die beiden Waffensteuerungen der POINT OF waren gefechtsklar. Die Besatzung hatte den Befehl erhalten, in die M-Raumanzüge zu steigen. In der Bildkugel tauchte der Hauptstern des Mollin-Systems auf, ein weißer Überriese, der dem System, das aus acht weiteren Sonnen und über sechzig Planeten bestand, den Namen gegeben hatte. Dan Riker schwenkte seinen Sessel herum. Er blickte zu Grappa hinüber, der bewegungslos hinter den Ortungen hockte. »Verdammt, immer noch nichts, Tino?« »Keine energetischen Emissionen, die auf ein explodiertes Raumschiff schließen lassen, Riker!« Die Sonne in der Bildkugel wurde größer und größer. Der Ring-raumer ging auf negative Beschleunigung und verließ den überlicht-schnellen Bereich, als der Sle den Sternsog ablöste. Mit einer Fahrt, die nur noch 0,55 Licht betrug, erreichte das Schiff den Sektor, aus dem die CAESAR ihren SOS-Ruf abgestrahlt hatte. Die Bestürzung der Männer wuchs von Minute zu Minute, je länger die Suche nach der CAESAR erfolglos blieb. In der Funk-Z war 12 man ebenso ratlos wie in der Kommando-Zentrale. Ren Dhark hatte eigenhändig die Ortungen kontrolliert. Die Werte, die sie lieferten, betrafen alle das System, aber sie erbrachten keinen Hinweis, was mit dem Aufklärer geschehen war. »So spurlos wie die CAESAR ist noch nie ein Schiff verschwunden...« stellte er nachdenklich fest, als er wieder in seinem Pilotensessel Platz genommen hatte. Die nächste Sonne stand 3,2 Lichttage entfernt. Es war ein kleiner, roter Stern, dessen Schwerkrafteinfluß sich auf diese Entfernung kaum noch bemerkbar machte. Ren Dhark stellte eine Verbindung zum Astronomen Lionel her. »Herrschen im MollinSystem besonders gefährliche astrophysikali-sche Verhältnisse?« »Nein, Dhark. Das Mollin-System ist aus astronomischer Sicht nur deshalb interessant, weil sämtliche Sonnen mitsamt ihren Planeten ein kompliziertes System bilden, das um einen gemeinsamen Mittelpunkt kreist. Wie sieht's denn mit der CAESAR aus?« »Nichts. Ich habe mich gerade gefragt, ob sie vielleicht in eine Sonne gestürzt ist.« »Völlig ausgeschlossen, wenn die Koordinaten stimmen, die unsere Funk-Ortung erfaßt hat!« Morris hatte mitgehört. Er schaltete sich ins Gespräch zwischen dem Commander und Lionel ein. »Die durch unsere Funk-Ortung erfaßten Koordinaten stimmen! Wir haben inzwischen Zeit genug gehabt, alles noch einmal zu kontrollieren. Wir befinden uns mit plus-minus 300 Kilometer in dem Gebiet, von dem aus die CAESAR SOS gefunkt hat!« »Lionel, Sie haben gehört, was Morris behauptet. Können Sie mir einen Tip geben?« Lionels Gesicht auf dem kleinen Bildschirm der Bordverständigung war klar und deutlich zu sehen. Der Astronom rieb sein Kinn. »Hm... Zerstörung der CAESAR ohne atomare Reaktionen?« »Wie stellen Sie sich das vor?« fragte Ren Dhark überrascht. »Der Aufklärer ist mit seinen hundert Metern Durchmesser und seinem energetischen Schutzschirm keine Haselnuß gewesen, die man einfach aufknacken konnte!« Er runzelte die Stirn. »Also heißt es wei 13 tersuchen und dabei überlegen, was mit der CAESAR passiert sein könnte. Daß das Schiff überfallen worden ist, beweist der Notruf. Jetzt haben wir zu beweisen, daß wir logisch denken können!« »Du meinst raten«, warf Dan Riker bissig ein. »Okay, ich bin einverstanden, nur rechne ich nicht damit, daß wir mit Nachdenken herausfinden werden, wer unser Schiff auf dem Gewissen hat.« Einmalig auf der Erde war die Skyline von Alamo Gordo! Alamo Gordo, das Herz der Welt! Eine Stadt am Rande des Otero Basins, die in knapp vier Jahren World City an Einwohnerzahlen deutlich überflügelt hatte. Die Sonne ging unter. Der Himmel war klar und blau. Langsam wollte der Glutball am Horizont verschwinden. Seine letzten Strahlen vergoldeten die gigantischen Hochbauten, die Alamo Gordo sein unverwechselbares Gesicht gaben.
Stielbauten! Einer neben dem anderen. Einer höher als der andere. Einer eleganter als der andere! Schmale, schlanke Türme, die sich in den Himmel reckten. Türme, die Kugeln trugen - in fünfhundert Metern - in tausend Metern - in tausendfünfhundert Metern Höhe! Und je höher die Türme ragten, um so größer war der Durchmesser der Kugeln. Sie boten Wohnraum für viele hunderttausend Menschen - Menschen, die es nur den A-Gravkräften zu verdanken hatten, daß terranische Technik solche Bauten erstellen konnte. Alamo Gordo wuchs buchstäblich in den Himmel - die größte Stadt Terras mit dem kleinsten Grundriß. Die Bauten in Alamo Gordo waren der Stil der neuen Zeit. Alamo Gordo war das Herz, das dieser neuen Zeit Leben schenkte. Am östlichen Stadtrand stand ein Hochhaus im alten Stil, das dennoch erst vor drei Jahren gebaut worden war. Vierzig Stockwerke hoch ragte es in den Himmel, eine Komposition aus Plastikbeton und wetterfesten Kunststoffen. Das flache Dach diente als Jett-Landeplatz. Die Jetts hatten die Schweber alten Typs abgelöst. Tagtäglich liefen Abertausende von den Bandstraßen der über ganz 14 Terra verteilten Werke, und doch war immer noch nicht abzusehen, wann der Markt gesättigt sein würde. Millionen Jetts durchrasten den Luftraum Terras, aber Millionen Menschen warteten ungeduldig darauf, sich endlich auch eins der Fahrzeuge kaufen zu können. Die Invasion der Giants wirkte immer noch nach, wenngleich die schlimmsten Spuren ihrer zerstörerischen Herrschaft längst beseitigt worden waren. Aus Richtung der Rocky Mountains jagte in knapp dreihundert Metern Höhe ein Jett auf Alamo Gordo zu. Das Fahrzeug folgte genau dem Kurs des schmalen Betonbandes, das gradlinig durch die Landschaft verlief, auf ungewöhnlich schlanken Konstruktionen Flüsse und Täler überquerte, um danach immer wieder eins zu werden mit seiner Umgebung. JettStraßen, die Impulse ausstrahlten und mittels dieser Impulse den Luftverkehr so sicher regelten, daß Jett-Unfälle wegen ihrer Seltenheit zu den sensationellsten Neuigkeiten zählten. Bernd Eylers, der Chef der GSO, kehrte von einer Inspektion nach Alamo Gordo zurück. Seine Galaktische Sicherheits-Organisation war in den dreieinhalb Jahren, die seit Dewitts Gefangennahme vergangen waren, kein Mammutapparat geworden. Sie umfaßte rund 11.000 Männer und Frauen, die in anstrengenden Lehrgängen für ihre zukünftige Aufgabe geschult worden waren, die Sicherheit der Menschen innerhalb der Milchstraße zu garantieren. Ren Dhark hatte ausdrücklich darauf bestanden, daß aus der GSO keine Geheime Regierungspolizei wurde, die ihre Aufgabe darin sah, den Menschen auf der Erde ihre persönliche Freiheit zu beschneiden. Alamo Gordo kam in Sicht. Bernd Eylers drückte einen Knopf am Armaturenbrett, und Sekunden später schwenkte der Jett aus dem Kurs und verließ das Betonband; er hatte die Impulse aufgenommen, die vom Flachdach des Regierungsgebäudes abgestrahlt wurden, und hielt, ohne die Geschwindigkeit herabzusetzen, darauf zu. Knapp einen Kilometer von seinem Ziel entfernt schaltete sich der Antrieb automatisch um. Ein kleiner Andruckregier - auch eine Errungenschaft der neuen Technik - eliminierte die hochschnellenden gravitatorischen Kräfte und ließ Eylers von dem starken Bremsmanöver nichts bemerken. 15 Sicher setzte sein Jett auf. Eylers schaltete alles ab, stieg aus und ging auf die kleine Kuppel in der Mitte des Flachdachs zu. Eine schottartige Tür öffnete sich. Unsichtbare Kontrollstrahlen überprüften sein Gehirnstrom-Muster, erkannten, wer er war und gaben ihm den Weg frei, einen A-Gravschacht zu benutzen, über dem in flammender Leuchtschrift stand: Achtung! Sicherheitsstufe l! Nur einer kleinen Gruppe von Menschen war es möglich, diesen Lift zu benutzen, der lediglich zwei Stockwerke tief führte und demnach auf der 39. Etage endete. In diesem Bereich befanden sich die Arbeitsräume von Ren Dhark, Dan Riker, Bernd Eylers, Janos Szardak und Ralf Larsen -und das Büro von Ren Dharks Stellvertreter Henner Trawisheim.
Bernd Eylers schwebte in der Minus-Sphäre zur 39. Etage. Er achtete nicht mehr darauf, daß er erneut durch unsichtbare Strahlen kontrolliert und identifiziert wurde. Der elastische, lindgrün gehaltene Bodenbelag dämpfte jeden Schritt. Eylers ging auf sein Arbeitszimmer zu, kam am Archiv vorbei, in dem drei gewaltige Suprasensoren auch noch nach drei Jahren ununterbrochener Beschickung in Tag- und Nachtschichten von Experten mit Daten beliefen wurden, und betrat sein Büro. Im 39. Stockwerk gab es keine Vorzimmer, auch keine Chefsekretärinnen oder andere dienstbare Geister. Sie wurden nicht mehr benötigt. Das Archiv mit seinem unvorstellbar großen Wissen konnte von jedem Arbeitsraum aus befragt werden, und meistens dauerte es nur einige Sekunden, bis die präzise Antwort einlief. Bernd Eylers blickte auf, als er Chris Shanton gemütlich im Besuchersessel mehr liegen als sitzen sah. Der massige Zweizentnermann, dem inzwischen die gesamte Verteidigung des Sol-Systems unterstand, hatte ein kleines Nickerchen gemacht. Jetzt öffnete er die Augen, warf einen Blick auf seinen Chrono und meinte mürrisch: »Eylers, Sie hätten ruhig ein bißchen später kommen können. Was ist schon eine halbe Stunde Schlaf?« Sie kannten sich. Sie hatten sich auf Hope zusammengerauft und gingen inzwischen für den anderen durch dick und dünn. Deshalb wußte Eylers auch, daß Shantons Bemerkung nicht den Tatsachen entsprach. Der Dicke, der ob seiner Scherze berüchtigt war und dem 16 es besonderen Spaß machte, gerade die Experten auf den Arm zu nehmen, die sich auf ihr Können zuviel einbildeten, setzte sich manierlich in den Sessel, hatte aber etwas Mühe mit seiner Körperfülle. »Eylers, ich brauche ein paar Leute aus ihrem Verein, aber echte Allround-Kerle. Auf Ast 227 ist der Teufel los. Da geht in einem fort was hoch oder kaputt. Wir haben uns alle Mühe gegeben, aber bis heute ist es uns nicht gelungen, den oder die Übeltäter zu erwischen. Stellen Sie drei oder vier Mann ab. Ich weise Ihre Boys schon ein. Wann kann ich sie haben?« Viele Menschen überforderte er mit seiner lückenhaften Informationsweise, aber nicht den Chef der GSO. Eylers wußte, was Ast-227 bedeutete. Unter Shantons Leitung waren in drei Jahren ununterbrochener Arbeit 370 mehr oder minder große Asteroiden mit Hilfe von A-Grav und Pressorstrahlen in von Suprasensoren errechnete Umlaufbahnen gebracht worden; sie dienten als Träger von Abwehrforts und sollten Terras Schutz übernehmen. Ast-227 war eine dieser Verteidigungsstellungen. Eylers nickte, während seine rechte Hand fast blindlings seine Anfrage ans Archiv tippte. »Große Schäden, Shanton?« »Es geht, aber was mich beunruhigt... da wird mit A-Grav gespielt. Der Kurs von Ast-227 stimmt längst nicht mehr. In drei Wochen und zwei Tagen würde er mit Ast-75 zusammenstoßen, wenn wir ihn auf seiner jetzigen Bahn beließen.« Eylers Alltagsgesicht veränderte sich nicht. »Haben Sie einen bestimmten Verdacht, Shanton?« »Es muß ein Kerl sein, der auf Hope gewesen ist. Ein verfluchter Tiefstapler, der verdammt viel kann...« »So einer wie Sie...« Der Dicke schmunzelte. »Für die Bemerkung haben Sie mir einen guten Schnaps zu spendieren, Eylers, aber einen doppelten.« Shanton war schon immer ein Freund harter Getränke gewesen und hatte auf Hope das Kunststück fertiggebracht, noch immer Flaschen in Reserve zu haben, als es schon lange keine guten Schnäpse mehr gab. Die Suprasensoren des Archivs hatten inzwischen eine Gruppe 17
Namen geliefert, die für diesen Auftrag in Frage kamen. Eylers warf nun einen Blick auf die Folie und kreuzte mit dem Lichtstift vier Namen an. »Die Männer können Sie haben. Waren Sie selbst oben?« Shanton strich sich seinen Backenbart, prägte sich die vier Namen ein und erwiderte: »Das ist
ja gerade das Unheimliche an der Geschichte. Jedesmal, wenn ich auf Ast-227 war, ging was hoch oder kaputt...« »Dann waren Sie der Saboteur!« behauptete Eylers mit todernstem Gesicht und wartete gespannt darauf, wie Chris Shanton auf diesen harten Scherz reagieren würde. Der faßte diese Bemerkung gar nicht als Scherz auf. »Und wenn Sie sich kaputtlachen, Eylers... ich hab' mich selbst in Verdacht! Denn diese Schweinereien auf Ast-227 tragen meine Handschrift!« »Sie spinnen...« »...oder auch nicht. Ich bin nicht nur wegen der vier Figuren aus Ihrem Verein hier. Die hätte ich auch von Ihnen bekommen, wenn ich Sie übers Vipho angerufen hätte. Verdammt... es geht um mich. Eylers, Sie sollen mich überwachen lassen! Ganz besonders, wenn ich auf Ast 227 bin!« Der andere bückte sich, griff in seinen Schreibtisch, holte eine Flasche Cognac und ein Glas hervor und schenkte sich ein. Shanton durfte zusehen, wie Eylers den Cognac wie einen klaren Schnaps kippte. »Den hatte ich nötig«, sagte Eylers und wischte sich über die Lippen. »Ich soll Sie durch meine GSO überwachen lassen?« »Na, und? Ich trau' mir eben selbst nicht mehr über den Weg!« »Fühlen Sie sich gesundheitlich auch nicht mehr auf der Höhe?« »Ich bin okay wie noch nie. Ich bin auch in der letzten Zeit nicht mondsüchtig gewesen, aber...« Er stand auf, ging zum Schreibtisch, nahm die Flasche und das Plastikglas, aus dem Eylers getrunken hatte, grinste flüchtig und murmelte: »Alkohol war schon immer ein erstklassiges Desinfektionsmittel...«, und trank dann erst einmal. Hart stellte er das Glas ab, benutzte den Schreibtisch als Sitz und fuhr fort: »Eylers, ich habe in den letzten Jahren auf unseren gesamten Ast-Stationen Sicherungskreise eingebaut, die ich teilweise 18 selbst, teilweise zusammen mit Arc Doorn entwickelt hatte. Diese Sicherungskreise auszuschalten oder so zu schalten, daß sie genau das Gegenteil von einer Zusatzsicherung darstellen, nämlich zerstörend wirken, das bringen nur Doorn und ich fertig. Wir beide haben doch überall eigenhändig die Sachen eingebaut. Die Konstruktionsunterlagen befinden sich nur im Checkmaster der POINT OF. Kopien hat's nie gegeben. Und jedesmal, wenn ich auf Ast-227 bin oder gerade gewesen bin, geht da nicht nur was kaputt, sondern die AntiSchwerkraft beginnt dort wie ein Vandale zu hausen...« »Moment«, unterbrach Eylers, »jetzt bin ich nicht mitgekommen. Eine Frage: Hat der zusätzliche Sicherungskreis etwas mit AntiSchwerkraft zu tun?« Chris Shanton verdrehte die Augen, schlug mit der Faust auf den Schreibtisch und donnerte mit seinem mächtigen Organ los: »Direkt nicht, aber wenn man ihn verschaltet, dann kann man mit A-Grav spielen wie mit einem Fußball. Nur weiß das kein Mensch...« »Das glauben Sie.« »Humbug, Eylers! Sie verstehen von der technischen Seite herzlich wenig. Hören Sie auf mich: Ich bin's gewesen! Ich! Deswegen bin ich hier! Sie oder Ihre Leute sollen herausfinden, warum ich mir selber ins verlängerte Rückgrat trete!« »Nur auf Ast-227, Shanton?« Der Ingenieur schüttelte den Kopf. »Auch auf 34, 73, 82, 106 und 309! Jedesmal war ich auch dort. Glauben Sie endlich, daß ich dahinterstecke?« »Wenn... dann nicht bewußt, Shanton!« Der Dicke verlor die Geduld. Er griff nach der Flasche, verzichtete vornehm darauf, ein Glas zu benutzen, und ließ den Stoff die Kehle hinuntergurgeln, daß Eylers fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. »Ah«, stöhnte Shanton, »das hat gut getan.« Nachdenklich betrachtete er erst die Flasche, dann Bernd Eylers. »Ob ich es bewußt oder unbewußt getan habe - ich hab's getan! Finden Sie heraus, warum ich es getan habe, oder noch tun werde! Können Sie sich vorstellen, wie ich mich fühle, seitdem ich mich selber in Verdacht habe?« Bernd Eylers erkannte, daß es nur Zeitverschwendung war, Shan 19
ton durch Worte überzeugen zu wollen. Seiner Meinung nach war der Dicke überarbeitet und gehörte mal für ein paar Wochen in ein Sanatorium in die Hände kluger Ärzte. Chris Shanton ahnte, was sein Gegenüber dachte. Sein Blick hatte jede Spur von Humor verloren, als er sich nach vorn beugte und seine Stimme zu einem Flüstern senkte: »In meinem Oberstübchen ist alles okay, und weil ich meine fünf Sinne Tag und Nacht bei sammen habe...« »Wann haben Sie sich untersuchen lassen, Shanton?« unterbrach ihn der Chef der GSO, dem allmählich das selbstanklagende Verhalten des anderen unheimlich wurde. »In den letzten drei Tagen. Im Brana-Tal. Echri Ezbal hat mich eigenhändig untersucht. Volle sechs Stunden. Es war alles andere als ein Vergnügen«. Bernd Eylers konnte es ihm nachfühlen. Im Brana-Tal, mitten in der wildesten Wildnis des Himalaya, befand sich eins der geheimsten Unternehmen Terras - und eins der kostspieligsten - die Cyborg-Station! Hier wurde unter der Leitung des Genetikers und Biochemikers Echri Ezbal der Cyborg - der Cybernetic organism - entwickelt. 1350 Experten fast aller Fakultäten arbeiteten ununterbrochen an dem Problem, einen Typ Mensch zu schaffen, der den normalen Homo sapiens psychisch und physisch weit übertraf. Und diese Cyborg-Station im Brana-Tal war das medizinische Zentrum Terras geworden. Über eine Transmitter-Anlage mit Alamo Gordo verbunden, konnte dieses Forschungszentrum in Nullzeit erreicht werden. »Und wie lautete Ezbals Befund?« »O.B. Was hatten Sie denn erwartet, Eylers?« Shantons Stimme orgelte wieder. »Gut. Ich lasse mir Ihren Fall durch den Kopf gehen...« Er verstummte, weil er das undefinierbare Grinsen des anderen sah. »Was gibt es da zu lachen, Chris?« Lässig erwiderte der Mann, der nicht nur ein wunderbares Defen-siv-System zum Schütze Terras aufgebaut hatte, sondern auch ein Früh-Warnsystem, das auf viele tausend Lichtjahre den Raum um Sol ununterbrochen abtastete. »Sie haben keine Zeit, sich meinen 20
Fall erst einmal großartig zu durchdenken, mein lieber Eylers, weil ich in einer halben Stunde mal wieder per Transmitter nach Ast-227 abzische. Und wenn dort nach meinem Besuch wieder was hochgeht, und Sie haben nichts getan, mich auf Schritt und Tritt überwachen zu lassen, dann holt Sie der Teufel. Dann kreide ich Ihnen den neuen Vorfall dort oben an. Aber ziemlich dick. Sind wir uns einig?« Auch ein Chris Shanton konnte den Chef der GSO nicht bluffen oder unter Druck setzen. »Ich werde mir Ihren Fall vornehmen, wenn ich Zeit habe, Shanton. Sie wollen nach Ast 227? Bitte, ich halte Sie nicht auf!« Solche Zusammenstöße zwischen den beiden waren keine Seltenheit. Sie hatten jedoch das eine Gute, daß der eine dem anderen nie etwas nachtrug. Und es war auch bezeichnend, wie der dicke Ingenieur reagierte, als er auf diese Weise aufgefordert wurde, Eylers Büro zu verlassen. Er ging wortlos, aber ebenso wortlos hatte er Eylers guten, alten Cognac eingesteckt. Doch an der Tür blieb er stehen. »Den brauch' ich, wenn mir mitgeteilt wird, daß nach meinem Besuch auf 227 mal wieder...« »Ja!« rief Eylers ihm nun mit aller Unfreundlichkeit zu, »das habe ich inzwischen hundertmal gehört... was kaputt gegangen ist! Hoffentlich dauert es einige Monate, bis Sie mal wieder ein Schläfchen in meinem Büro machen können!« »Arroganter Schnüffler!« sagte Shanton, grinste dabei aber vergnügt und stapfte hinaus. Sein Weg führte ihn zur Transmitter-Station, die auf der anderen Seite des 39. Stockwerks lag. Sie war ein leicht verändertes Abbild jener kleinen Anlage, die man vor Jahren sowohl im Industrie-Dom auf Deluge gefunden hatte, wie auch auf Kontinent Vier über jener Stelle, an der das Tofiritlager entdeckt worden war. Die Strahlkontrollen hatten Chris Shanton ungehindert eintreten lassen. Sein GehirnstromMuster wies ihn als einen der Menschen aus, der jede Gegenstation anwählen konnte - und es waren inzwischen weit über sechshundert geworden. Scheinbar wahllos arretierte er vier Knöpfe.
21
Die Transmitterverbindung nach Ast-227 stand.
Shanton hatte seinen Besuch auf dem Asteroiden nicht angemeldet. Er liebte es,
überraschend zu kommen.
Er trat vor die Ringantenne, die drei Meter Durchmesser besaß, stahlgrau schimmerte und
knapp fünfzehn Zentimeter dick war. Diese Antenne war das charakteristische Merkmal des
Transmitters und den Menschen Terras aus vielen TV-Sendungen längst vertraut. Die
eigentliche Anlage befand sich im Boden dieses Stockwerks.
Der Transmitter war aktiviert.
Der Dicke dachte sich gar nichts dabei, als er den Ring durchschritt.
In der Gegenstation auf Ast-227 verließ er den anderen Ringbogen. Ungehindert passierte er
die Kontrolle, verließ den Raum und betrat einen Gang.
Abrupt blieb er stehen.
Er begann, laut zu schnaufen und mit den Augen zu zwinkern. Der Ingenieur glaubte zu
träumen!
Im Kommando-Gebäude trieb sich ein Zivilist herum!
Und was für ein Zivilist!
Klein war er. Und kugelrund! Sein Kopf bildete keine Ausnahme. Augen hatte der Bursche
im Kopf - Unschuldsaugen. So was Harmloses hatte Chris Shanton noch nie gesehen.
Und dieser Zivilist grinste ihn auch noch vertraulich an, als ob sie sich schon lange kennen
würden!
Chris Shanton fühlte den Schweiß auf seiner Halbglatze.
Plötzlich bewegte er seine zwei Zentner erstaunlich schnell. Er schoß auf den Burschen zu,
den er auf höchstens achtundzwanzig Jahre schätzte.
Der grinste ihn immer noch unverschämt vertraulich an. Und dann wurden Shantons Augen
unnatürlich groß, als der Ingenieur das Handwerkszeug dieses Zivilisten erkannte!
Ein Reporter befand sich auf dem Asteroiden-Fort Ast-227!
Einer mit einer unmöglichen Figur und unschuldigen Kinder-Augen! Und mit einer
supermodernen B2-Filmkamera, mit der auch in dunkler Nacht gestochen scharfe Aufnahmen
gemacht werden konnten, wenn nur etwas Wärmeausstrahlung vorhanden war.
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Und Chris Shanton wurde von dieser Witzfigur gefilmt!
TV-Sendung! schoß es dem Ingenieur durch den Kopf!
Da explodierte er.
»Sie verdammter Höllenhund.« Das war erst der Anfang. Shanton verfügte über ein
unvorstellbar reichhaltiges Reservoir an Kraftausdrücken. »Woher kommen Sie? Wer hat
Ihnen die Erlaubnis gegeben, Ast-227 zu betreten? Weiß der Kommandant von Ihrer Anwe senheit? Wer sind Sie? Für welchen Verein arbeiten Sie? Nehmen Sie die verdammte B2
weg! Abschalten! Na, wird's bald?«
Shanton hatte noch nie Klage führen müssen, ein schwaches Sprechorgan zu besitzen. Jetzt
bewies er, wie laut er brüllen konnte. Seine Stimme dröhnte durch den breiten, langen Gang
des Kommando-Gebäudes. Türen flogen auf. Männer streckten die Köpfe heraus, erkannten,
wer da tobte, und machten sich ihre Gedanken über den Zivilisten, der nach wie vor seine
Kamera auf Shanton gerichtet hatte und nicht nur filmte, sondern den Film gleichzeitig zu
einer unbekannten Empfangsstation abstrahlte!
Der Ingenieur stand vor dem Reporter.
Seine Pranke sauste durch die Luft in Richtung auf die B2 - und sauste daran vorbei!
Der kugelrunde Bursche hatte sich blitzartig abgesetzt.
»Auf ihn! Drauf, Boys!« orgelte Shantons wutentbrannte Stimme über den Gang.
Neun Mann stürzten sich auf den Zivilisten!
Sie kamen nicht dazu, ihn festzunehmen.
Hinter Shantons breitem Rücken fragte ein Mann: »Stranger, arbeiten Sie immer noch für
TP?«
Shanton wirbelte herum. Die neun Mann, die zur Besatzung von Ast-227 gehörten, blieben
wie versteinert stehen.
Bernd Eylers, der Chef der GSO, hatte die Frage gestellt, und damit gleichzeitig den
Zivilisten identifiziert. Der gefürchtetste Reporter Terras befand sich auf Ast-227! Und nicht nur das: Er strahlte eine seiner berüchtigten Sendungen ab! Shanton funkelte Eylers an. »Das... das ist Bert Stranger? Und wie kommt der Kerl nach Ast 227? Darf ich das einmal erfahren? Was hat diese Figur in meinem Bereich zu suchen, Eylers?« 23
Der blieb unbewegt. »Fragen Sie ihn selbst, Shanton.« Das ließ sich der Dicke nicht zweimal sagen. Mit weit ausgreifenden Schritten ging er auf den Journalisten zu. »Wenn Sie noch näher 'rankommen, muß ich auf Super-Weitwinkel schalten, Shanton. Denken Sie an Ihre fotogene Figur!« Ein paar Männer lachten über die Bemerkung des Reporters. Aber der Ingenieur nicht. Langsam hatte er seine Pranke um Strangers Handgelenk geschlossen, die B2-Kamera nach unten gedrückt und dann gezischt: »So, mein Lieber, jetzt raus mit der Sprache. Wer hat Ihnen die Genehmigung gegeben, Ast-221 anzufliegen und zu betreten?« »Mein journalistisches Gewissen, Shanton«, erwiderte der Reporter, und seine Augen waren wie die unschuldigen Weiten zwischen den Sternen. Er machte keinen Versuch, seinen Arm aus Shantons Griff zu befreien. »So...« säuselte der Ingenieur, »Ihr journalistisches Gewissen hat Sie nach Ast-227 getrieben...« »...und Sie, Shanton!« fiel Stranger ihm ins Wort. »Ich?« »Natürlich Sie. Ich wollte endlich mal dabei sein und alles filmen, wenn Sie hier sind und wieder etwas hochgeht!« Chris Shanton riß sich zusammen. Diesem Burschen durfte unter keinen Umständen bestätigt werden, daß sich auf diesem Abwehrfort zwischen Mars und Erde tatsächlich unerklärliche Vorfälle ereignet hatten. Er lachte, als ob Ben Stranger ihm den besten Witz erzählt hätte, ließ dessen Handgelenk los und klopfte ihm so kräftig auf die Schulter, daß der Reporter in die Knie ging und murmelte: »Kann man das auch etwas behutsamer machen? Mann, Sie verwackeln mir ja alle Aufnahmen.« Shanton warf einen Blick auf die Kamera. Die Linse der B2 zeigte zu Boden. Demnach gab es im Moment keine Aufnahmen. Darum knallte er ihm seine Pranke mit dem nächsten Schlag noch heftiger auf die Schulter. »Okay«, nuschelte Stranger und verzog leicht das Gesicht, »dafür habe ich jetzt auf Verzerrung geschaltet. Wetten, daß sich zig Mil 24
lionen TV-Zuschauer auf der Erde über Ihr Gesicht halb krank lachen?« In diesem Augenblick erkannte Shanton, daß ihn der Reporter mit seiner B2, die er offen trug, hereingelegt hatte. Er lief rot an wie eine Tomate und brüllte: »Läuft die Aufnahme jetzt immer noch?« »Auch der Ton«, erwiderte Stranger freundlich, »und ich habe noch keine Nachricht bekommen, daß der Empfang auf Terra schlecht ist. Die B2 in meiner Hand ist gar keine B2. Ihnen muß man doch schon mit anderen Tricks kommen, um Sie hereinzulegen. Na, und das habe ich geschafft. - Übrigens, meine Zeit ist um. Werfen Sie mich jetzt hinaus, oder expedieren Sie mich per Transmitter zur Erde zurück?« Shanton betrachtete den Reporter, als sähe er eine Wanze. »Festnehmen!« schnarrte er. »Und durchsuchen. Alles, was dieser Reporter auf dem Leib trägt, abnehmen und mir abliefern. Ich bin in Alamo Gordo zu finden.« Er wollte nicht einmal etwas mit Bernd Eylers zu tun haben. Die Lust, Ast-227 zu kontrollieren, war ihm durch diesen Zwischenfall vergangen. Er stampfte zum TransmitterRaum zurück. Der Chef der GSO hielt ihn nicht auf. Eylers interessierte es im Moment auch wenig, wie Bert Stranger auf diesen Asteroiden gekommen war. Seine Gedanken kreisten um einen anderen Punkt. Hatte Shanton sich nicht selbst im Verdacht gehabt, die Ursache für eine Reihe mysteriöser
Vorkommnisse auf einigen Abwehr-Asteroiden gewesen zu sein?
Warum lieferte er jetzt nicht den Beweis, daß er sich irrte? Warum führte er nun entgegen
seiner Absicht keine technischen Kontrollen durch?
Bert Strangers laute Proteste störten Eylers. Er horchte auf. Terra Press, den meisten nur
unter der Abkürzung TP bekannt, war die bedeutendste Nachrichten-Agentur des Sol-
Systems und ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor, mit dem auch die Regierung in Ala mo Gordo zu rechnen hatte.
Das enfant terrible der TP hieß Bert Stranger und arbeitete seit drei Jahren für die Agentur;
ein Mann, dessen Auftreten und dessen berufliche Erfolge irgendwie nicht zusammenpassen
wollten.
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Auch Bernd Eylers konnte den Mann nicht einstufen. Seine GSO hatte ihm in dieser Hinsicht
nicht helfen können. Aber nun mußte er einschreiten.
Dieser Reporter hatte recht, sich gegen die von Shanton angeordnete Verhaftung zu sträuben.
Es gab kein Gesetz, das das Betreten der Asteroiden-Stationen untersagte. Man hatte es für
überflüssig gehalten, weil man die Bo-liden nur mit Hilfe eines Raumschiffes oder über einen
Transmitter erreichen konnte. Raumschiffe und Transmitteranlagen waren durch
Gehirnstrom-Sicherungen ausreichend geschützt - zumindest hatte man das bisher geglaubt.
Daß diese Sicherungen nicht ausreichten, bewies Bert Strangers Auftauchen auf Ast-227.
Eylers trat zu den Männern, die den Reporter gewaltsam wegschleppen wollten.
»Einen Augenblick!« verschaffte er sich Gehör. »Shantons Verhaftungs-Order ist
gegenstandslos. Stranger hat recht, wenn er gegen seine Verhaftung protestiert; wir können
ihm nur untersagen, von jetzt an die Ast-Stationen zu betreten. Und das tue ich hiermit.
-Stranger, verlassen Sie die Station, und zwar sofort!«
»Soll ich zu Fuß zur Erde zurückgehen, Eylers, oder wie haben Sie sich das gedacht?«
»Von mir aus rutschen Sie auf dem Hosenboden!«
Der andere hielt ihm die Hand hin und sagte fordernd: »Gemacht, Eylers, aber nur, wenn Sie
mir die passende Gleitcreme besorgen.«
Das erste Lachen klang auf.
In diesem Augenblick meldete sich Strangers Vipho. Eylers stutzte. Wer in der Station hatte
Verbindung mit dem Reporter aufgenommen?
Es kam noch besser.
Die TP-Zentrale in World-City forderte Stranger auf, sich zu melden!
Vipho-Kontakt von Ast-227 zur Erde? Über solch eine Entfernung?
Stranger meldete sich. Die TP teilte ihm kurz mit, daß seine Sendung nach wie vor
ausgestrahlt würde.
Damit war die Durchsage beendet. Der Reporter schaltete wieder ab. Eylers griff nach
seinem Vipho und betrachte es mißtrauisch. Er
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hatte den Verdacht, daß man ihn mit diesem sogenannten Anruf von der Erde hereinlegen
wollte. Diesem Burschen waren Witze solcher Art ohne weiteres zutrauen.
»Nicht doch«, meinte Bert Stranger leutselig, »an Ihre Spezial-Viphos lassen Sie auch keinen
'ran, Eylers.« Und er nahm ihm das Gerät aus der Hand.
Die anderen Männer standen erwartungsvoll herum. Sie staunten, daß der Chef der GSO so
behutsam mit diesem Reporter umsprang. Schritte näherten sich aus der Richtung des A-
Gravlifts. Der Kommandant von Ast-227 eilte heran. Eylers' Anwesenheit übersah er, aber
nicht die des Nachrichtenjägers.
»Wie kommen Sie in meine Station? Wer hat Sie hochgeflogen? Wer hat Sie
hereingelassen?« Drei knappe Fragen auf einmal.
»Laut Paragraph 46 des Pressegesetzes bin ich nicht zur Aussage verpflichtet. Übrigens hat
mich der Chef der GSO, Bernd Eylers, schon aufgefordert, Ast-227 zu verlassen.
Kommandant Colluhin, fordern Sie bitte einen Klein-Raumer an, der mich nach World-City
zurückbringt - oder wollen Sie mich einladen, Ihre Station zu besichtigen? Oh, herzlichen
Dank...«
Der vierschrötige Kommandant war vor so viel Dreistigkeit einfach sprachlos.
Bert Stranger tappte auf seinen kurzen Beinen gemütlich in Richtung des A-Gravlifts davon. »Den soll doch...« Eylers fiel dem Kommandanten ins Wort. Hastig flüsterte er: »Erteilen Sie ihm die Genehmigung. Zeigen Sie ihm, was er sehen will, denn im Augenblick sitzen auf Terra ein paar hundert Millionen Menschen vor den Bildschirmen und sind gespannt, wie es hier oben weitergeht.« »Der überträgt nach Terra?« Colluhin glaubte ihm kein Wort. »In Farbe und Ton.« »Große Milchstraße«, stöhnte Colluhin und wischte sich über die Stirn. »Daß dieser Kerl mal hier herumschnüffeln würde, hätte ich mir nicht träumen lassen. Okay, wenn Sie nichts gegen seinen Besuch einzuwenden haben... verdammt noch mal, gern tue ich es aber nicht. Aber ein Skandal ist noch schlimmer. Also von mir aus, soll 27 er. Nur - wie ist der Bursche auf die Station gekommen?« »Das möchte ich auch wissen, Colluhin. Verlassen Sie sich drauf, ich bekomm's raus, und dann werden hier oben einige fliegen, die Stranger geholfen haben müssen. Ich sehe mich mal in Ihrer Ortungsstation um. Dort müßte man den Anflug eines Raumschiffs doch geortet haben.« Er erlebte sein blaues Wunder. Eylers aktivierte einen Speicherbereich des Stationsgehirns. Verblüfft las er das Resultat auf dem Bildschirm: Seit 3:56 Uhr Normzeit ist Ast-227 von keinem Schiff mehr angeflogen worden. Auf die Idee, daß Bert Stranger einen Transmitter benutzt haben könnte, kam Bernd Eylers noch nicht! 28
2. Cent Field, der größte Raumhafen Terras! Cent Field, der Sitz des Stabes der Terranischen Flotte! Cent Field, mit der stärksten To-Hyperfunkanlage ausgerüstet und zugleich Sitz der Zentrale des Frühwarn-Systems! Innerhalb von drei Jahren war diese technische Großleistung realisiert worden. Nachdem man die ersten Aggregate installiert hatte, waren ununterbrochen Verbesserungen durchgeführt worden. Ren Dhark als Commander der Planeten hatte seinen Vorschlag durchgebracht, im Bereich des Sol-Systems alle nur erdenklichen Maßnahmen zu treffen, die eine feindliche Invasion unmöglich machten. Was am Rande des Raumhafens, vor der faszinierenden Skyline Alamo Gordos, über der Erde zu sehen war, machte jedoch keinen besonders imposanten Eindruck. Das Empfangsgebäude an der linken Seite des Komplexes war größer und höher als das Stabsquartier der TF oder die fast fensterlose Halbkugel, die die Hyperfunkstation verbarg. Kein einziger Antennenmast reckte sich zum Himmel hoch, keine Parabol-Konstruktion drehte sich, um Hyper-Impulse zu empfangen. Auch in diesem Fall hatte man auf die Technik der Mysterious zurückgegriffen und die Antennen, für einen normalen Beobachter unsichtbar, in die äußere Wandung der Halbkuppel gebettet. Über achthundert Meter tief ragten Stabsquartier und Hyperfunkstation in den Boden. AGravlifts ermöglichten, in kurzer Zeit jede Etage zu erreichen. Die Zentrale des FrühwarnSystems nahm mehr als zwanzig Stockwerke in Anspruch. Geradezu unheimlich waren die überlichtschnellen Sicht-Sprech-Verbindungen zu den Abwehrforts auf Asteroiden, Monden und Planeten. Im Falle eines Angriffs auf das Sol-System könnte von hier aus der Abwehrschlag gegen die Invasoren gesteuert werden. Die in die Tiefen der Galaxis hineingreifenden Ortungen erfaßten 29 noch Struktur-Erschütterungen transitierender Raumer in einer Entfernung von 10.000 Lichtjahren und maßen Sprungort und Eintauchpunkt exakt an. Doch in den letzten Jahren war es ruhig geworden. Nie mehr waren Raumschiffe unbekannter Intelligenzen näher als bis auf 3500 Lichtjahre an die Erde herangekommen. Die Menschheit hatte sich schnell an diesen Zustand gewöhnt; allein die Suprasensoren lagen
ewig und unermüdlich auf der Lauer, werteten in Sekundenbruchteilen die erfaßten Daten aus
und speicherten sie.
Nach wie vor waren im Grenzbereich des Halos der Milchstraße starke Hyperfunksender zu
hören. Ein Zeichen, daß sich auch weiterhin fremde Rassen in dem Spiralarm aufhielten, in
dem die Erde lag.
Vom Stab der TF lief beim Funkzentrum eine Anfrage ein.
»Liegen neue Meldungen von der POINT OF oder der CAESAR vor?«
»Das Flaggschiff hat sich nicht mehr gemeldet; von der CAESAR kein Lebenszeichen.«
»Danke.«
Die Verbindung erlosch. Der Alltag mit seinen Routine-Aufgaben lief weiter.
Auf der Erde gab es einen Ort, den nur wenige Menschen kannten. Aber diese wenigen
wußten, wie viele Milliarden hier in den letzten Jahren ausgegeben worden waren.
Kaum ein Ort auf der Erde war besser abgeschirmt als das Brana-Tal im Himalaya.
Keine Karte verzeichnete es als bewohnt.
Kein einziger Hinweis ließ aus der Luft erkennen, daß mitten im bizarren Gesteinsmeer des
gewaltigsten Gebirges der Erde eine Forschungs-Station existierte, die mit den modernsten
Mitteln der Technik ausgerüstet war.
Zwischen der Station und dem Regierungsgebäude in Alamo Gordo bestand eine separate
Transmitter-Verbindung. Man hatte sich nicht mit der Gehirnstrom-Muster-Sicherung
zufrieden gegeben. Jeder,
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selbst Ren Dhark, hatte nach Passieren der einzelnen Kontrollen die Gegentakt-Sperre zu aktivieren. Damit schaltete er gleichzeitig das zweite Gerät auf der anderen Seite ein. Bei zwei unabhängig voneinander arbeitenden Zentralen wurde dann gefragt, ob die identifizierte Person das Brana-Tal betreten oder verlassen durfte. Gab es Grün, war der Transmitter-Weg frei. In Alamo Gordo stand Holger Alsop im Transmitter-Raum. Der schlanke, über ein Meter achtzig große junge Mann mit dem grauen, nach hinten gestrichenen Haar hatte die Gegentakt-Sperre aktiviert und wartete auf das Grün-Signal. An der Gegentakt-Sperre flammte es grün auf. Der Transmitter war klar. Holger Alsop blickte an sich herunter. Vor einer Viertelstunde hatte man ihm diesen strahlend weißen Plastikanzug gegeben. Ein Kleidungsstück aus einem Guß, ohne Naht, ohne Taschen, ohne Falten. Der Anzug saß wie eine zweite Haut. Er ließ nur die Hände und den Kopf frei. Über der linken Brust stand die Nummer 742. Noch sagte sie ihm nichts. Dennoch begann sie ihm plötzlich Furcht einzujagen. Ich habe Angst, dachte er erst erstaunt, dann erschüttert. Er hatte gerade den sogenannten Angst-Test mit der besten Bewertungsnote bestanden - und jetzt flößte ihm allein schon eine Zahl Angst ein? Er sah nicht wie ein Dreiundzwanzigjähriger aus. Sein schmales, markantes Gesicht hatte nicht viele, aber ausgeprägte Falten aufzuweisen. Über der gutgeformten Nase standen zwei tiefe Furchen, die seine Stirn fast bis zum Haaransatz teilten. Von den Nasenflügeln lief rechts und links eine schattenwerfende Kerbe bis tief unter die Mundwinkel. Sein Kinn, das leicht vorsprang, erweckte unwillkürlich den Eindruck, in diesem Mann einen verwegenen Draufgänger vor sich zu haben. Aber Holger Alsop war noch nie ein Draufgänger gewesen, sondern vielmehr ein bedächtiger, Risiken genau kalkulierender Mensch. Er trat durch die Antenne des Transmitters und verließ die Gegenstation, die irgendwo in einem anderen Raum stand. Er war im Brana-Tal angekommen. 31 Die POINT OF, die stundenlang nach der CAESAR gesucht hatte, trieb im freien Fall dahin. Konferenz in der Kabine von Commander Ren Dhark. Acht Männer und eine Frau - Dan Rikers Frau Anja Field - saßen um den Tisch, der von AGravkräften in der Schwebe gehalten wurde, und hörten dem Bordastronomen Jens Lionel zu. »Abschließend muß ich noch einmal sagen: Im Mollin-System, in dem wir nun seit Stunden nach dem Aufklärer suchen, gibt es keine besonderen Gefahrenfaktoren für ein Raumschiff.
Etwas Derartiges scheidet als Ursache für das Verschwinden des Raumers aus!«
Ren Dhark warf Anja Field einen fragenden Blick zu. Sie war erst vor wenigen Minuten in
die Kabine gekommen, weil sie versucht hatte, mit Hilfe des Checkmaster eine Erklärung für
das spurlose Verschwinden der CAESAR zu finden.
Sie blickte Dhark an und zuckte entschuldigend die Schultern. »Wir haben es mit einem
Problem zu tun, das auch dem Checkmaster unbekannt ist. Mit einer Wahrscheinlichkeit von
65 Prozent behauptet er dennoch, die CAESAR sei entführt worden.«
»Unfug!« brummte Dan Riker. »Wer sollte denn in der Lage sein, ein Raumschiff wie die
CAESAR mit ihrer erfahrenen Besatzung einfach zu entführen? Selbst mit einem
Bergungsraumer der zum Glück spurlos verschwundenen Giants dürfte das nicht so schnell
gehen!«
Da erklang über die Bordverständigung Walt Bruggs Stimme aus der Funk-Z: »Ich schalte
durch...«
In Dharks Kabine wurde es still. Der Bildschirm flammte auf.
»YAMID ruft TF! Energetisch...«
Störungen im Hyperfunkbereich! Zischende, nie zuvor gehörte Entladungen und
Überlagerungen!
Für die Menschen in der Kabine schien die Zeit auf einmal stillzustehen. Zäh tropften die
Sekunden dahin.
»...fall. SOS... Lage...«
Dann, Sekunden später, wieder Walt Bruggs Stimme: »Echo-Kontrolle eingesetzt. Sender der
YAMID arbeitet nicht mehr. Funkpeilung hat als Standort ergeben: Gelb 77:32,8, Rot 03:61,3
und Grün 12:05,8. Distanz 184 Lichtjahre...«
32
Da mischte sich der Ortungsspezialist Tino Grappa ein.
»Genaue Distanz 184,32 Lichtjahre. Die YAMID befand sich in den letzten Sekunden... Ja, du
große Milchstraße, wieso habe ich sie denn nicht mehr in meiner Masse-Ortung?«
Ren Dhark sprang auf und rief in Richtung der Sicht-Sprechanlage: »Kurs auf letzten
Standort der YAMID. Sle auf Vollast!«
Dann stürmte er über Deck 4 der Zentrale zu. Wortlos räumte Hen Falluta, der Erste Offizier,
der die POINT OF für die Dauer der Konferenz übernommen hatte, den Pilotensitz. Mit
einem Blick hatte Dhark die Instrumente überflogen und kontrolliert, ob Grappa alle
Ortungen auf sein Instrumentenpult geschaltet hatte; dann verfolgte er, wie sein Ringraumer
unter den titanischen Kräften des Sle immer schneller beschleunigte.
Jetzt erst schwang sich Dan Riker in den Copiloten-Sitz. Damit bekam Dhark Zeit, Grappa
einige Fragen zu stellen. Der junge Ortungsspezialist hatte wenig zu berichten.
»Auf jeden Fall hatte ich die YAMID, als sie schon ein paar Sekunden nicht mehr funkte,
noch in der Masse-Ortung...«
»Checkmaster-Kontrolle! Brugg, haben Sie mitgehört?«
»Alle Daten an Checkmaster abgegeben, Dhark«, erklärte der Funker sofort.
Anja befand sich ebenfalls im Leitstand der POINT OF. Sie arbeitete gern mit dem
Bordgehirn des Ringraumers und hatte aus eigenem Interesse Dharks Auftrag übernommen.
Nur ein paar Sekunden hatten sie zu warten, dann kam schon die Antwort:
Abbruch der Funkverbindung 14:05,41 Uhr Normzeit. Null der Masse-Ortung 14:05,46. EchoKontrolle 14:05,47. Dhark gab die Folie an Dan weiter. »Schau dir das an. Nachdem der Sender der YAMID
ausgesetzt hatte, befand sich der Aufklärer noch fünf Sekunden lang in unserer Masse-
Ortung, um dann zu verschwinden...«
Dhark drehte sich wieder zu Grappa um. »Haben Sie in Richtung Zielgebiet mit dem Raum-
Controller Struktur-Erschütterungen festgestellt?«
»Keine. Leider...«
33
»Wie bei der CAESAR...« erinnerte Dan seinen Freund. »Boliden und Kometen... warum kann dieser verdammte Kahn nicht transitie-ren? Jetzt dauert es wieder kostbare Stunden, bis wir das Zielgebiet erreicht haben. Sollten wir nicht ein paar Kugelraumer einsetzen? Im SolSystem kurven doch einige transitionsklar herum.«
In Dharks braunen Augen flammte es kurz auf. »Bist du bereit, die Verantwortung für diesen Befehl zu übernehmen, Dan? Wenn wir wüßten, mit welchem Gegner wir es zu tun hätten, ja - aber so?« Dan Riker schüttelte den Kopf. Ren sah seinem Freund an, wie schwer es ihm fiel, auszusprechen, was er soeben gedacht hatte. »Du wirst natürlich wieder anderer Ansicht sein, Ren...« erklärte er vorbeugend, »aber seit wir damals von den Synties gezwungen worden sind, einen lahmen Pyramidenraumer nach Esmaladan zu schleppen, traue ich den Tropfen nicht mehr über den Weg. Schon im MollinSystem, als wir uns nach der CAESAR die Augen aussuchten, hatte ich den Verdacht, sie könnten hinter dem Verschwinden des Aufklärers stecken... Ren, wie hat man damals die POINT OF gesucht, als sie sich noch im Sol-System befand und unter dem ZwangsOrtungsschutz der Synties lag! Vielleicht ist die CAESAR gar nicht verschwunden. Vielleicht sind wir sogar in ein paar Kilometer Entfernung an ihr vorbeigeflogen, nur konnten wir sie weder sehen, noch mit unseren Ortungen ausmachen. Hätten wir die Synties doch damals auf Methan draufgehen lassen...« »Konnten wir das denn?« fragte Ren Dhark, und ein flüchtiges Lächeln umspielte seinen Mund. »Korrigiere dein Erinnerungsvermögen, mein Lieber! Damals, als wir auf die Synties stießen, waren wir gar nicht besonders hilfsbereit. Sie zwangen uns mittels ihrer Para-Kräfte zur Hilfeleistung! Oder war es anders?« »Hm.« Das konnte ebensogut ja wie nein heißen. »Aber wir sind vom Thema abgekommen. Wie stehst du zu meiner Vermutung?« Ren Dhark schaltete von Sle auf Sternensog. Übergangslos ging der Ringraumer auf Überlichtgeschwindigkeit. »Ich möchte mich nicht festlegen, Dan«, nahm Ren Dhark das Gespräch mit Dan Riker wieder auf. »Du hast schlechte Erfahrungen mit den Synties gemacht, aber dennoch haben sie euch keinen Schaden zugefügt, als ihr den Pyramidenraumer nach Esmaladan 34
schleppen mußtet. Erinnere dich, daß wir bei unserer ersten Begegnung ungewollt einige Synties mit Blastern vernichtet haben. Das haben sie uns niemals nachgetragen. Und darum will es mir nicht in den Kopf, daß hinter dieser unheimlichen Sache die Tropfen stecken sollen.« Damit war Riker nicht zufrieden, aber Walt Brugg aus der Funk-Z machte es ihm unmöglich, eine weitere Bemerkung anzubringen. »Commander, die YAMID meldet sich auf Funkanrufe nicht, aber das Stabsquartier der TF fragt an, ob die transitionsklaren Kugel-raumer springen sollen.« »Unter keinen Umständen! Falls ich Schiffe benötige, fordere ich sie an.« »Okay, ich gebe es nach Cent Field durch...« Die blauviolett schimmernde Ringröhre jagte durch den Weltraum auf ihr Ziel zu, eingebettet in ihre beiden Intervalle. Nach wie vor waren die künstlich erstellten Mini-Kontinua ein Forschungsobjekt, an dem die Wissenschaftler verzweifelten. Die besten KontinuumSpezialisten konnten nicht herausfinden, worin sie sich vom Einstein-Universum unterschieden. Dennoch hatten sie vor kurzem behauptet, vor Jahresende würde auch dieses Rätsel gelöst sein. Die Technik der Amphis und Giants barg kaum noch Geheimnisse. Es war eine sensationelle Leistung von Wissenschaftlern und Technikern, daß die Menschheit inzwischen diese Materie beherrschte. In Einzelfällen waren sogar die ersten Verbesserungen durchgeführt worden, und niemand sprach mehr von giantischen Kugelraumern oder Blastern amphischer Konstruktion. Milliarden Menschen hatten sich erstaunlich schnell mit all diesem Neuen identifiziert und benutzten es. Eine halbe Stunde vor Erreichen des Zielgebietes liefen in der Zentrale der PoiNT OF die letzten Klarmeldungen ein. Die beiden Waffensteuerungen waren feuerbereit, im Triebwerksraum war alles - wie immer - in bester Ordnung, und Arc Doorn maulte nach wie vor über den stinklangweiligen Dienst auf einem Raumschiff, auf dem aber auch gar nichts defekt werden wollte. Glenn Morris hatte Walt Brugg in der Funk-Z abgelöst und alle Empfänger des Schiffes so
eingeschaltet gelassen, wie er sie vorge 35 funden hatte. Die automatisch arbeitenden Taster stellten, sowie sie einen Hyperfunkimpuls erfaßten, den Empfänger blitzschnell auf die aktive Frequenz ein. Aber außer dem bekannten Grundrauschen des Hyperraums und ganz fernen, fremden Stationen unbekannter Rassen war nichts zu hören. »In zwei Minuten haben wir das Zielgebiet erreicht«, gab Anja vom Checkmaster her durch. Dhark schaltete von Sternensog auf Sie. Der Ringraumer verließ den Überlichtbereich und bewegte sich in relativ langsamer Fahrt mit 0,8 Licht auf den Punkt zu, an dem die YAMID zuletzt von der Masse-Ortung der POINT OF erfaßt worden war. Stunden später begann auch Ren Dhark zu resignieren. Von der YAMID war ebensowenig eine Spur zu finden wie von der CAESAR. Auch dieser Aufklärer schien sich in Nichts aufgelöst zu haben. Die letzte Entscheidung lag bei Ren Dhark. Er wußte nicht, was er glauben sollte. Es widersprach allen Naturgesetzen, daß Raumschiffe sich in nichts auflösten. Die Möglichkeit, daß beide Schiffe transitiert hatten, schied aus. Der superempfindliche Raum-Controller der POINT OF hatte weder im Mollin-System noch in dem Sektor, in dem die YAMID verschwunden war, Gefüge-Erschütterungen festgestellt. »Wir suchen noch einmal eine Stunde lang. Wenn wir bis dahin nichts von der YAMID gefunden haben, dann...« Der Rest blieb ungesagt. Es war auch nicht erforderlich, daß Dhark seinen Satz vollendete. Und die Suche ging weiter. Chris Shanton hockte deprimiert in einem Sessel, eine leere Co-gnacflasche in den Pranken, Jimmy zu seinen Füßen. Er hatte in mehr als einer Hinsicht einen Kater. »Jimmy, ich bin's! Ja, schau mich nicht so fragend an. Ich bin der Lump, der...« In diesem Moment hatte der Ingenieur einen lichten Augenblick. Er starrte seinen Scotchterrier aus großen Augen an, stellte die Fla 36 sehe auf den Tisch, und langsam wurde ein Grinsen auf seinem Gesicht immer breiter. »Oh, ich Vollidiot! Ich Trottel!« Es tat ihm gut, sich selbst so zu beurteilen, und es war ein herrliches Gefühl, Jimmy dabei zu streicheln, der freudig mit seinem Stummelschwanz wedelte. »Jimmy, und wenn ich es bin, so bin ich es doch nicht! Hast du mich verstanden?« Auf seine sibyllinischen Worte begann Jimmy zu jaulen und legte seine Vorderpfoten auf Shantons Knie. »Jimmy, du bist wirklich ein kluges Vieh, aber jetzt mußt du mir mal beweisen, daß du noch klüger bist als ich. Na, enttäuschst du mich auch nicht?« Ein Mensch, der über diesen Scotchterrier nicht Bescheid wußte und Chris Shanton in dieser Situation belauscht hätte, wäre fraglos zu dem Urteil gekommen, ein Verrückter unterhielte sich mit seinem Hund in dem festen Glauben, von ihm Antwort zu erhalten. Der Zweizentnermann erhob sich. »Komm, Alter, wir machen einen kleinen Spaziergang zu Onkel Bell, und dann zeigen wir diesem Eylers mal, wie leicht Schnüffler aufs Kreuz zu legen sind.« Alamo Gordo war bis zur Invasion durch die Giants das größte wissenschaftliche Forschungszentrum der Erde gewesen. Nun, ein paar Jahre nach der Befreiung, gab es in Alamo Gordo nichts mehr davon zu sehen. Die langen, schmalen Trakte in einer parkähnlichen Umgebung waren verschwunden. Hier begannen gleichzeitig acht Stielbauten in den Himmel zu wachsen. Aber unter Alamo Gordo befand sich nun ein Zentrum, das in seiner flächenmäßigen Ausdehnung achtzehnmal größer war als die alte Anlage. Chris Shanton passierte mit Jimmy eine Kontrolle. Sein Gehirnstrom-Muster wurde geprüft und er damit identifiziert. Shanton warf der Plastiklinse, die unauffällig in der Wand eingelassen war, einen verächtlichen Blick zu. »Das ist auch Mist! Läßt die Kontrolle Jimmy einfach passieren. Na, Doorn, das werden wir bald abgestellt haben!« Und er war nicht zufrieden bei dem Gedan ken, daß Arc Doorn auf der POINT OF steckte, um dort Miles Con-gollons rechte Hand zu sein. Viel lieber hätte er ihn jetzt in Alamo Gordo gesehen. Dann wäre der Weg zu Monty
Bell nicht erforderlich gewesen. 37
Sie erreichten den A-Gravlift und schwebten nach unten. Im Liftschacht herrschte reger Verkehr. Kein Wunder, denn in der unterirdischen Anlage arbeiteten in vier Schichten über 35 000 Wissenschaftler und Techniker. 132. Stockwerk, Abteilung G, Bereich II, Raum 17 bis 35.
Abermals eine Kontrolle, die Shantons Gehirnstrom-Muster überprüfte. Die vor ihm
liegende, unsichtbare energetische Sperre wurde aufgehoben. Gemütlich trottete Jimmy
neben ihm her.
In Raum 17 erfuhr Shanton, daß Monty Bell sich in Raum 34, seinem Arbeitszimmer,
aufhielt.
Kurz darauf saßen sie sich gegenüber, und Jimmy ließ sich von seinem Herrn kraulen.
»Sie sind verrückt!« behauptete Professor Monty Bell nun schon zum dritten Mal.
Das konnte Shanton nicht erschüttern.
»Glauben Sie, was Sie wollen, Bell, aber ich muß was unternehmen. Wenn das so weitergeht,
lasse ich noch eine Ast-Station nach der anderen hochgehen. Also, wie ist es? Helfen Sie
mir?«
Chris Shanton hatte eine impertinente Art, seine Freunde zu dem zu zwingen, wozu er sie
mißbrauchen wollte. Widerwillig quälte sich Bell ein Ja ab, um anschließend ironisch zu
sagen: »Na, fotogen sind Sie nicht gerade, Shanton. Zufällig habe ich in die Sendung von
diesem Stranger von Ast-227 reingeschaut. Sie sind der beste Clown, den ich jemals gesehen
habe. Und Ihnen hab' ich meine Hilfe zugesagt...«
Shanton, der sonst ein ziemlich dickes Fell hatte, war gegen alles allergisch, was mit dieser
Sendung zu tun hatte. Aber er durfte Bell jetzt nicht sagen, was er ihm so gern gesagt hätte.
Schließlich sollte Bell ihm helfen. Er erhob sich.
»Am besten fangen wir gleich an. Dann haben wir es bis morgen früh geschafft.«
Professor Monty Bell warf seufzend einen Blick auf sein Chrono. Eine lange Nacht mit
einem schwierigen Arbeitspensum lag vor ihnen.
38
Holger Alsop stieß die Tür auf. Seine Nervosität belastete ihn nach wie vor. Auf dem Gang
blieb er stehen und sah sich um.
Kein Mensch war zu sehen. Kein Ton zu hören. Es war so still wie in einem Grab.
Dann zuckte er zusammen.
Vier Schritte vor ihm, wo sich gerade noch eine fugenlose Wand befunden hatte, öffnete sich
eine Tür. Ein fast zwei Meter großer, überschlanker Mann trat heraus, der mit seinem
wallenden Bart und den langen, schlohweißen Haaren fast wie das Klischeebild eines
indischen Brahmanen wirkte. Auch seine Kleidung paßte dazu. In einer langsamen, ruhigen
Bewegung hob er die Arme, kreuzte sie vor der Brust und verbeugte sich nach alter indischer
Sitte stumm vor Holger Alsop, begrüßte ihn mit dieser Geste.
Holger Alsop hatte das Feuer gesehen, das tief in den kristallklaren Augen brannte, und er
spürte, welche Kraft von diesem Mann ausging, der wohl schon hundert Jahre alt sein
mochte.
»Holger Alsop?« klang sein Name durch die Stille, und Alsop wußte, daß er noch nie eine
Stimme gehört hatte, die so beruhigend auf ihn wirkte. Im gleichen Moment war seine
Nervosität nicht mehr vorhanden.
»Ich bin Holger Alsop...«
Das Gesicht des anderen blieb unverändert. Seine Lippen bewegten sich kaum, als er sagte:
»Und ich bin Echri Ezbal.«
Dieser Name sagte Alsop nichts. »Und wo bin ich? Darf ich es erfahren?«
»Natürlich, Alsop. Sie haben den letzten Schritt getan. Sie können jetzt nur noch vorwärts,
aber nicht wieder zurück. Sie befinden sich im Brana-Tal, in der Cyborg-Station. Sie sind
einer der wenigen, die damit rechnen dürfen, einige hundert Jahre alt zu werden. Ich bin der
Leiter dieser Station.«
Holger Alsop hielt den Atem an. Er glaubte Blei in den Gliedern zu haben. Hier wollte man
ihn zu einem Cyborg machen - ihn, einen Menschen aus Fleisch und Blut!
Und er hatte sich auch noch freiwillig gemeldet!
»Nein!« stieß er fast tonlos aus. »Nein, das ist nicht wahr! Das ist ein Scherz, ein gräßlicher
Scherz...«
39
Aber die klaren und dennoch unergründlichen blauen Augen sagten ihm, daß es die Wahrheit
war.
Als Chris Shanton mit Jimmy im A-Gravlift wieder nach oben schwebte, war über Alamo
Gordo ein neuer Tag angebrochen. Der Ingenieur blinzelte gegen das grelle Sonnenlicht, als
er ins Freie trat und auf den Parkplatz zuging, wo sein Jett stand. Kaum hatte er den Einstieg
geöffnet, als Jimmy mit einem Satz an ihm vorbei hechtete und es sich auf der gepolsterten
Bank bequem machte.
»Alter Gauner«, sagte Shanton zu seinem Scotchterrier, schob ihn zur Seite und setzte sich.
Hinter ihm fiel der Einstieg zu und verriegelte sich automatisch. Durch diese Geräusche
überhörte er, daß sein Jett-Vipho betriebsklar geworden war.
»Stab an Shanton! Bitte, melden...«
»Ja, was ist denn los?« fragte der dicke Mann, der ein Gähnen nicht unterdrücken konnte;
schließlich hatten er und Monty Bell die ganze Nacht hindurch geschuftet.
»Order von Ren Dhark! Sofort Defensiv-System übernehmen!«
Shanton glaubte zu träumen. »He«, tobte er, »ich hab' wohl einen Bart, aber damit bin ich
noch lange kein Feldherr. Da dürfte ein Befehl wohl falsch interpretiert worden sein. Darf ich
mal den Wortlaut erfahren?«
Oberleutnant Nessker verzog indigniert das Gesicht, griff lässig nach der Folie, überflog sie
noch einmal und wurde blaß.
»Entschuldigen Sie bitte, aber...«
Chris Shanton entschuldigte nicht. Er wollte den Wortlaut der Order erfahren.
Die technische Kontrolle der Abwehrforts ist ab sofort bis auf Widerruf durch Chris Shanton auszuüben. Ren Dhark. In einem anderen Befehl wurde General Maudit aufgefordert, das Defensiv-System zu
übernehmen.
Eine kleine Verwechslung!
Aber ein Irrtum, der beim Stab nicht vorkommen durfte!
Chris Shanton hatte kein Verständnis für jenen Typ Mensch, der seine Arbeit nachlässig oder
gedankenlos verrichtete.
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»Okay, das klingt anders. Aber Ihnen, Oberleutnant, garantiere ich, daß der Commander Sie
nach seiner Rückkehr sprechen wird. Übrigens, warum sind diese Anweisungen erfolgt?«
»Sie dürften doch wissen, daß Dienstgeheimnisse Dienstgeheimnisse sind und...«
»Ich werde Ihnen mal was erzählen«, brüllte Shanton dazwischen, »Sie verbinden mich sofort
mit General Maudit...«
»Der General hält gerade eine Lagebesprechung ab und kann nicht gestört werden. Sie...«
Shantons Pranke schlug auf die Taste. »Neue Verbindung mit der Vipho-Zentrale des Stabes.
Ich will sofort ein Gespräch mit General Maudit.«
Er bekam es.
Und General Maudit ließ sich stören.
»Das wissen Sie noch nicht, Shanton? Nach der CAESAR und der YAMID ist vor knapp einer
Stunde ein Schiff der 200-Meter-Klasse, die SHARK, verschwunden. Der Commander hat die
HOPE angefordert. Mit ihr sucht er den Sektor ab, aus dem die SHARK sich zum letzten Male
gemeldet hat. Abermals mit einem verstümmelten Hyperfunkspruch. Aber...« Zweifel und
Unverständnis zeichneten sich auf dem Gesicht des Generals ab, »ist das der Grund,
weswegen Sie mich angerufen haben? Sie können sich doch vorstellen, daß ich in einer
solchen Situation kaum Zeit habe, Auskünfte zu geben, die Sie von jedem Mann meines
Stabes auch erhalten hätten.«
»Ich war der gleichen Ansicht«, erwiderte Shanton freundlich, »nur erkundigen Sie sich
einmal, wie sich Oberleutnant Nessker mir gegenüber verhalten hat. Ich garantiere Ihnen, daß
er vor dem Flottenchef oder Ren Dhark selbst erscheinen darf. Und daß in diesem
Zusammenhang auch etwas für Sie abfällt, dürfte wohl klar sein.«
Maudit wußte, was die Erde diesem Zweizentnermann zu verdanken hatte.
»Shanton, müssen Sie dem Flottenchef oder sogar dem Commander Meldung machen?«
»Ich muß«, erwiderte der Ingenieur. »Organisationsmängel dieser Art dürfen im Stab der TF
nicht vorkommen. Sind Sie nicht auch dieser Ansicht, General?«
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Der nickte widerwillig. Shanton betrachtete damit das Gespräch als beendet und schaltete ab.
Jimmy lag gemütlich neben ihm, den Kopf auf seinem Schoß, und sah ihn aus treuen Augen
an. Gedankenverloren streichelte Shanton seinen Hund. Trotz seiner Müdigkeit fühlte er sich
energiegeladen und freute sich auf die Aufgabe, die vor ihm lag.
Jetzt konnte er vor sich selber nicht mehr ausweichen!
Und jetzt konnte er Bernd Eylers bald beweisen, daß er recht hatte.
Nur wenn er an das Verschwinden der drei Raumer dachte, fühlte er sich gar nicht mehr so
unternehmungslustig. Was braute sich dort oben zwischen den Sternen wieder einmal
zusammen?
42
3. Rund fünftausend Experten hielten sich im Höhlensystem von Deluge auf, dieser schier unerschöpflichen Fundgrube technischer Wunderwerke, die die Mysterious vor tausend Jahren hinterlassen hatten, als sie aus unerklärlichen Gründen von Hope verschwanden. M-Technik war zu einem Qualitätsbegriff geworden und zum besten Geschäft der Regierung Terras. Soweit die wissenschaftlichen Erkenntnisse industriell genutzt werden konnten, wurden sie mittels Ausschreibungen gegen Lizenzgebühren an die Industrie weitergegeben. Und Commander Dharks Finanzminister war kein schlechter Geschäftsmann, dazu auch noch ein erstklassiger Ingenieur, der einen Begriff davon hatte, welchen Wert die Dinge besaßen, die in Lizenz abgegeben wurden. Milliardenbeträge liefen auf diese Weise monatlich auf die Konten in Alamo Gordo. Dort blieb das Geld nicht lange nutzlos liegen. Das Raumschiff-Programm hatte bisher ungezählte Milliarden verschlungen und würde noch weitere gewaltige Summen kosten. Mehr als vierhundert Kugelraumer flogen für Terra. Auf den Großwerften lagen zehn 600 Meter-Riesen auf Band und gingen ihrer Fertigstellung entgegen. Dazu befanden sich Kreuzer, Jäger, Aufklärer, Sternschnuppen und Lastenraumer im Bau. Laut Fünf-Jahres-Plan, der im Januar 2056 angelaufen war, sollte die TF im Jahre 2061 3500 Schiffe umfassen. Noch immer zweifelten viele Experten, ob Terra dazu in der Lage sein würde. Ein Mann überhörte die Unkenrufe - Commander Ren Dhark; er war überzeugt, daß dieses Programm erfüllt werden würde. Eine zweite Geldquelle der Regierung waren die Tofiritvorkomnien auf Hope und auf Jump. Noch war dieses rubinrot leuchtende Schwermetall Mangelware auf der Erde, weil zu wenig Lastenrau-mer zur Verfügung standen, um den Bedarf der terranischen Indu 43
strie decken zu können. Manche großen Werke mußten Monate warten, bis sie ihre Zuteilung erhielten, weil mehr als neunzig Prozent des zur Erde geschafften Tofirits den RaumschiffWerften zur Verfügung gestellt wurden. Alle Versuche, eine Transmitter-Verbindung zwischen Hope und der Erde zu installieren, waren bisher gescheitert. Welchen Zweck die große, stilliegende Transmitter-Anlage im Industrie-Dom hatte, war nach wie vor unbekannt. Colonel Huxley, Kommandant des Forschungsraumers FO-1, unterhielt sich über diesen Punkt wieder einmal mit einigen Wissenschaftlern. Sie winkten ab, als Huxley hartnäckig bei seinem Thema blieb. »Colonel, Sie erwarten Wunder von uns. Machen Sie sich einmal klar, was wir bisher hier erforscht, entdeckt oder durch Zufall herausgefunden haben. Nicht ein Prozent der Dinge, die uns hier umgeben, ist uns klar. Und da erwarten Sie, daß wir fähig sein sollten, die große Transmitter-Anlage zu aktivieren? Wir wissen nicht einmal, ob die Gegenstation überhaupt noch existiert...« Studium der M-Technik hieß die Parole seit einigen Jahren, und zu diesem Studium drängten sich alle, die sich berufen fühlten.
Colonel Huxley schlenderte mit der kleinen Gruppe an der Ring-raumer-Höhle vorbei, in der
Ren Dhark und seine Freunde auf der Flucht vor Rocco die fast fertiggestellte POINT OF
gefunden hatten.
Nicht weit davon entfernt war in den letzten drei Jahren ein Teil des Höhlensystems als
Wohnsiedlung ausgebaut worden, damit sich die rund fünftausend Menschen hier wie zu
Hause fühlten und vergaßen, daß sich mehrere tausend Meter Fels über ihnen befand.
Die Technik hatte in diesem Bereich natürlich auch ihren Platz.
Diese Stelle war Colonel Huxleys Ziel. Beim To-Funk wollte er nachfragen, ob inzwischen
noch mehr Raumer der TF verschwunden waren.
Mit Phera, der gerade Dienst hatte, verstand er sich besonders gut.
Er nickte ihm wortlos zu und nahm neben ihm Platz. »Was Neues, Phera?«
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»Seit der SHARK ist kein anderes Raumschiff mehr verschwunden. Der Commander und
Larsen mit der HOPE suchen immer noch in dem Sektor, aus dem der Jäger sich zuletzt
gemeldet hat.«
Nachdenklich rieb Huxley sich das Kinn. »Eine unheimliche Angelegenheit. Raumschiffe,
die einfach verschwinden... Ich bewundere Ren Dharks Mut, daß er es gewagt hat, zur
intensiveren Suche die HOPE anzufordern.«
»Colonel, die HOPE ist immerhin ein 400-Meter-Schiff!«
In Huxleys Augen blitzte es. »Was heißt das schon? Wer einen 200-Meter-Jäger in die
Tasche stecken kann, wird auch mit einem viel größeren Schiff fertig. Die POINT OF
hingegen fliegt im Schutz ihrer Intervallfelder. Das scheint wohl einmalig zwischen den Ster nen zu sein. Und ich nehme fest an, daß die Intervallfelder den Ring-raumer viel besser gegen
ein >Geschlucktwerden< absichern als die üblichen energetischen Schutzschirme.
Übrigens: Hat Prewitt seine Routine-Meldung durchgegeben?«
Er sprach von seinem 1. Offizier, der sich mit einem zehnköpfigen Wachkommando an Bord
der FO-1 befand, die in einem der Täler des dolomitenartigen Gebirges lag und seit Wochen
auf einen Einsatzbefehl des TF-Stabes wartete.
»Keine Meldung, Colonel...«
»Was?« Ruckartig richtete der Colonel sich auf. Nachlässigkeit kannte er bei seinem 1.
Offizier nicht. Prewitt war die Zuverlässigkeit in Person.
»Los, Phera, rufen Sie das Schiff an. Prewitts Meldung war doch schon vor 45 Minuten
fällig. Na, machen Sie schon!«
Phera schaltete das Vipho ein. Die Bildscheibe flackerte, brachte aber kein Bild.
Scharfe Falten standen auf Huxleys Stirn. »To-Funk, Phera!« befahl der Kommandant der
FO-1. »Hoffentlich hat Ihr Vipho nur eine Störung...«
Der Ruf ging über den verstärkenden Richtkristall hinaus: FO-1, bitte kommen! FO-1, bitte
kommen!
Der Forschungsraumer meldete sich nicht!
Huxley schob den Funker zur Seite und gab über Vipho Alarm. »Aender, stellen Sie eine
Gruppe von zwanzig Mann zusammen...
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natürlich aus meiner Mannschaft. Treffpunkt bei den Jetts. Vollzugsmeldung nicht nötig. Ich
bin auch unterwegs. Mein Schiff meldet sich nicht. Die Routine-Meldung ist seit 45 Minuten
überfällig.«
»Aber Colonel, Ihrer FO-1 kann doch nichts passieren...« Huxley verzichtete auf eine
Antwort.
Er war schneller bei den Jetts als die meisten seiner Leute.
»Zum Landeplatz der FO-1!« schrie er, als er in die erstbeste Maschine stieg und Sekunden
später die Antriebsaggregate hochschaltete.
Mit drei Mann im Jett raste er los. Niemand wagte ihn zu fragen. Sie kannten ihren
Kommandanten. Er würde sie noch früh genug informieren, warum er es so eilig hatte, zum
Landeplatz der FO-1 zu kommen.
Nackte Felsflanken rasten an ihnen vorbei. Der Taleinschnitt kam, an dessen Ende der
Forschungsraumer lag. Huxley belastete die Triebwerke weit über die zulässigen Werte.
In Schlangenlinien wand sich das Tal tief ins Gebirge. Huxley flog dicht über dem Boden,
wich reaktionsschnell gewaltigen Felsbrocken aus, die im Laufe der Jahrtausende aus den
Wänden gebrochen und in die Tiefe gestürzt waren.
Die letzte Talkurve!
Der Mann neben dem Colonel sagte überrascht: »Der Erste hat den Unsichtbarkeitsschirm
eingeschaltet!«
Huxley sagte kein Wort. Die Geschwindigkeit des Jett sank abrupt. Er änderte den Kurs, ging
ganz nah an die linke Bergflanke heran. Auf einer kleinen ebenen Fläche setzte er auf. Kaum
war der Antrieb verstummt, als Huxley über Vipho versuchte, Kontakt mit der FO-1 zu
bekommen.
Prewitt meldete sich nicht.
»Es gibt...« Huxley sprach den Satz nicht zu Ende. Wortlos stieg er aus. Als seine Leute ihm
folgen wollten, herrschte er sie an: »Hierbleiben und auf mich warten! Auch von den anderen
hat mir niemand zu folgen!«
Verständnislos sahen sie ihren Kommandanten an. Warum war Huxley so erregt? Der Erste
hatte nun einmal aus einem noch unbekannten Grund den Unsichtbarkeitsschirm der FO-1
eingeschaltet.
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Dann hielten die drei Männer vor dem Jett den Atem an!
Ihr Kommandant befand sich an der Stelle, wo heute morgen noch die FO-1 gelegen hatte!
Prewitt war ohne einen Befehl Huxleys gestartet?
Aber wohin - und warum?
Die Männer konnten es nicht glauben. Langsam, wie unter einer Zentnerlast, bewegte sich
Huxley auf die Gruppe zu, stieg in seinen Jett, schaltete das Vipho ein und erhielt Kontakt
mit der Ortungszentrale im Höhlensystem. Mit angehaltenem Atem hörten die Männer zu,
was ihr Kommandant zu sagen hatte. Und sie hörten die Antwort.
»Nein, keine Energie-Emissionen! Moment, Colonel, ich lasse die gespeicherten Daten zur
Kontrolle abrufen. Dauert nur ein paar Sekunden. Aber warum Ihre Anfrage, Colonel? Gibt's
bei Ihnen was Besonderes?«
»Die Daten!« fauchte Huxley. »Die Daten, Mann! Es geht um Leben und Tod!«
Das machte Eindruck. Huxley warf nicht oft mit solchen Behauptungen um sich. »Nichts,
Colonel. Keine Ortung im Bereich Ihrer FO-1. Wieso auch?«
»Narr!« brüllte Huxley und schaltete ab. Ein kurzer Blick flog zu seinen Männern hinüber.
»Zurück! Zurück ins Höhlensystem.«
Knapp eine Viertelstunde später ging ein To-Funkspruch an die POINT OF, die nach einem
normalen Hyperfunkanruf ihre Koordinaten mitgeteilt hatte.
Ren Dhark ließ sich das Gespräch mit Colonel Huxley in die Zentrale legen.
»Commander«, sagte der erfahrene Mann, und man konnte ihm die Anspannung ansehen,
»die FO-1 ist verschwunden! Spurlos! Die Ortungen haben nichts erfaßt. Nicht einen
einzigen Blip! Die FO-1 mit Prewitt und einer zehnköpfigen Wachmannschaft an Bord ist...
einfach weg...«
»Colonel, Sie bleiben auf Hope. Sie haben genügend Fachleute zur Verfügung, um das
Verschwinden der FO-1 zu untersuchen.
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Sollten Sie etwas entdecken, melden Sie es sofort. Und jetzt geben Sie mir bitte die Ortungszentrale.« Die Männer konnten Commander Dhark nichts berichten. »Wir haben inzwischen alles schon dreimal nachgeprüft, Commander. Unsere Ortungsgeräte arbeiten fehlerlos. Die FO-1 ist im gelandeten Zustand mit abgeschalteten Triebwerken verschwunden. Etwas wie eine Transition kann nicht stattgefunden haben, sonst hätten wir die Struktur-Erschütterung angemessen.« »Danke«, sagte Ren Dhark. Jeder in der Zentrale sah ihm an, daß auch er keinen Rat wußte. Doch er mußte eine Entscheidung fällen. Dan Riker hob den Kopf, als Dhark ihm sagte: »Bitte, ruf Larsen auf der HOPE an. Es hat keinen Sinn, noch länger nach der SHARK zu suchen. Wenn jetzt schon gelandete und abgeschaltete Raumschiffe von ihren Liegeplätzen verschwinden, dann haben wir damit zu rechnen, daß auch Städte mit ihrer Bevölkerung
verschwinden können. Wir müssen nach Terra zurück!« »Und was sollen wir da, Ren?« Dan war mit dieser Entscheidung nicht einverstanden. »Hier, im Weltall, haben wir doch viel eher Gelegenheit, mit dem Unheimlichen Kontakt zu bekommen.« »Ja, wirklich?« fragte Ren und sah ihn durchdringend an. »Wo sollen wir das Unheimliche suchen? Und solange wir nicht einmal die geringste Spur finden, wissen wir nicht, was wir suchen sollen. Überleg' einmal, wann die SHARK sich zuletzt gemeldet hat! Und dann mach' dir klar, wann die FO-1 verschwunden ist. Und bedenke, wieviel tausend Lichtjahre zwischen diesem Sektor und dem Col-System liegen.« »Du glaubst... du glaubst, daß wir es nicht nur mit einem Unheimlichen zu tun haben, Ren?« fragte Dan Riker unsicher. »Ich habe den Verdacht, Dan. Wenn wir doch wenigstens den Hauch einer StrukturErschütterung erfaßt hätten, dann könnten wir uns das Verschwinden der Raumer mittels phantastischer Kombinationen verständlich machen, wenn auch nicht exakt erklären. Aber selbst im Höhlensystem, wo man mit M-Ortungsanlagen arbeitet, hat man nichts Auffälliges bemerkt. Hier verschwinden Raumer, die sich zwischen den Sternen aufhalten; auf Hope verschwindet die FO-1, gelandet und abgeschaltet...« 48 »Etwas, das mit Anti-Schwerkraft arbeitet?« »Unwahrscheinlich. Warum haben die YAMID, die SHARK und die CAESAR erst SOS gefunkt, als die Schiffe kaum noch über Energie-Reserven verfügten? Haben die Raumer ihre Energievorräte blitzartig verloren, oder hat man durch äußere Eingriffe ihre Funkanlagen zerstört? Dan, dieses Problem ist zu kompliziert, als daß wir es selbst lösen können. Wir brauchen Hilfe, und die können wir vielleicht auf der Erde finden.« »Hoffentlich!« Dan zeigte sich als Pessimist. Kurz darauf transitierte die HOPE in Richtung Terra. Die POINT OF, das Flaggschiff der Terranischen Rotte, schlich mit steigender Über-lichtfahrt hinterher. Die Stimmung an Bord war nicht besonders gut. Auch der letzte Mann fragte sich vergebens, wer daran interessiert sein konnte, ein Raumschiff nach dem anderen spurlos verschwinden zu lassen. * Cybernetic organism... Cyborg... Der Cyborg, der halbmechanisierte Supermensch, sollte im Brana-Tal Wirklichkeit werden. Holger Alsop saß Echri Ezbal in dessen mehr als einfach eingerichteten Privaträumen gegenüber. Auf dem Tisch zwischen ihnen stand ein Tonkrug. Echri Ezbal hatte Holger Alsop Wasser als Getränk angeboten. »Wunderbares, klares Quellwasser, Holger«, hatte der Alte gesagt, und seine blauen Augen forderten den jungen Mann auf, zu trinken. Aus einer handgefertigten Tonschale. Nicht aus einem Plastikbehälter. Aus einer Schale, die nach den Worten des Alten fast zweihundert Jahre alt sein sollte. Echri Ezbal hatte ihm die große Cyborg-Station gezeigt. Er hatte ihm alle Geheimnisse des Brana-Tals erzählt. Er hatte mit ihm aber auch eine Nische betreten, die im schwachen Rotlicht lag, und stumm auf eine von innen beleuchtete Tafel gewiesen, auf der Namen standen. Und hinter jedem Namen eine Zahl. Eine Zahl, die angab, im welchem Alter der Träger des Namens gestorben war. 49 Zweiundzwanzig Jahre, dreiundzwanzig, siebenundzwanzig, einundzwanzig - kein einziger Dreißigjähriger. »Sie alle wußten, daß ihre Chancen nicht groß waren, Holger«, hatte Ezbal gesagt, »und jeder liebte das Leben. Dennoch kamen sie alle freiwillig, und jeder blieb freiwillig.« Ich nicht, hatte Holger Alsop gedacht. Ich werde einen Weg zur Flucht finden! Und nun saß er Echri Ezbal gegenüber und trank aus einer Tonschale Wasser. Plötzlich senkte er die Schale. Trank er gar kein reines Quellwasser, sondern eine Mixtur, in der sich ein würzig schmeckendes Se-dativum befand? War dieses Mittel für seine plötzliche innere Ruhe verantwortlich? Das Gesicht des hageren Alten zeigte den Anflug eines Lächelns. Er erhob sich, ging zum Tonkrug, nahm die zweite Schale und füllte sie mit Wasser, um dann wie Alsop zu trinken.
Danach klang seine Stimme wieder auf. »Holger, Sie haben den Mann mit der künstlichen Lunge gesehen. Einen anderen mit einem doppelten Kreislauf. Wieder einen anderen mit einem zweiten elektronischen Gehirn. Ich weiß, daß ich Ihnen mit dieser Besichtigung fast zuviel zugemutet habe, doch wäre es nicht noch schrecklicher gewesen, sie auf Raten mit der Wirklichkeit vertraut zu machen?« In Holger Alsop meldete sich wieder Protest. »Man hat mich und alle anderen Freiwilligen hereingelegt. Bei jeder Meldung zu einem Himmelfahrtskommando wären meine Überlebenschancen hundertmal größer gewesen!« Echri Ezbal schüttelte leicht den Kopf. Sein weißes Haar schimmerte. »Holger, habe ich Ihnen nicht gesagt, daß Sie zu den glücklichen Menschen zählen würden, die ein paar hundert Jahre alt werden können? Ich habe nicht gescherzt. Sie haben keine Frage?« »Ich denke an die Toten, Ezbal!« »Jeden Tag besuche ich die Nische, und ein Gebet, O mani padme hum, kommt über meine Lippen. Sie starben, Holger, wie jeder Mensch einmal sterben muß. Die hier gestorben sind, wären zur selben Zeit auch an jedem anderen Ort der Erde gestorben. Sie ver 50
ließen dieses Leben nicht durch unseren Eingriff, sondern weil sie nicht lebensfähig waren.« »Das glaube ich Ihnen nicht, Ezbal.« »Ihr gutes Recht, Holger. Kommen Sie...« Wieder führte er ihn durch lange Gänge, wieder umgab sie überall diese Ruhe. Nur ihre eigenen Schritte waren zu hören. Und dann standen sie im Freien. Die Sonne schaute zwischen zwei dichten Wolkenbänken in das Brana-Tal hinein. Die vereisten Gipfel des Himalaya waren verdeckt. Vor ihren Füßen zog sich ein langes, schmales Band aus Plastikbeton entlang. Eine Gruppe junger, teils großer, teils auffallend bulliger Männer trieb Leichtathletik. »Holger, sehen Sie den großen blonden Mann? Er trägt eine lichtundurchlässige Binde vor den Augen und bewegt sich dennoch wie ein Sehender. Er sieht auch. Er sieht über sein zweites Augenpaar. Er sieht im Dunkeln. Nur wenn sie ihn mit Blei umpanzern, kann er nichts mehr sehen. Vorgestern wurde ihm das zweite Augenpaar eingesetzt. Möchten Sie mit ihm sprechen?« Alsop atmete laut und schwer. »Ist dieser Mann ein Cyborg?« »Nein, den Cyborg gibt es noch nicht. Diese Männer werden nie Cyborgs werden. Sie eignen sich nicht dazu. In zehn Jahren werden wir vielleicht soweit sein, auch sie dazu machen zu können. Heute bringen sie noch nicht die innere Einstellung zu dieser Umformung mit.« Holger Alsop hörte sich auflachen. »Ich vielleicht, Ezbal? Ich mit dieser ohnmächtigen Wut in meinem Innern?« »Und doch stehen Sie ganz gelassen neben mir. Sie glauben in mir immer noch einen wahnwitzigen Forscher zu sehen, der aufgrund seines fanatischen Ehrgeizes gesunde Menschen auf dem OP-Tisch hat sterben lassen! Ich kann Ihre Gedanken erraten, Holger. Ich freue mich, daß Sie innerlich vor Wut toben und äußerlich so ruhig wirken. Menschen wie Sie benötigen wir im Brana-Tal, um den Cyborg entstehen zu lassen. Den Cyborg mit einer Lebenserwartung von vierhundert bis fünfhundert Jahren. Und wenn das Schicksal es besonders gut mit Ihnen meint, Holger, dann werden Sie auch zu denjenigen gehören, die in den Phant gehen können.« 51 »Was heißt das, in den Phant gehen?« fragte Alsop und betrachtete den Alten wieder, der in die Ferne blickte und mit offenen Augen zu träumen schien. »Das erfahren Sie später, Holger. Das erfahren Sie, wenn Sie ein Cyborg sind. Dann wird man Ihnen erklären, was phanten ist.« »Dann werde ich es nie erfahren!« »Doch! Aber Sie wollen den Mann mit der Binde vor den Augen gar nicht sprechen! Kommen Sie, ich habe Ihnen etwas anderes zu zeigen... einen Verunglückten, den man per Transmitter gebracht hat. Vor vier Tagen. Er hatte beide Arme und das linke Bein bis zum Knie verloren. Sehen Sie sich diesen Menschen an.« Wie schon mehrfach betraten sie auch jetzt wieder eine Schleuse. Jeder blieb in dem vorgezeichneten Kreis so lange stehen, bis ein weiches Signal erklang. Sie waren keimfrei
gemacht worden. Und dann stand Holger Alsop neben dem Bett des Verunglückten. Er hatte sich darauf vorbereitet, einen Menschen zu sehen, der von seinem Unfall stark gezeichnet war, der entweder in tiefer Bewußtlosigkeit dahindämmerte oder durch Medikamente schmerzfrei gemacht worden war. Statt dessen sah er einen dreißigjährigen Mann, der ihn fragend und auch etwas neugierig anblickte. Bis zum Kopf mit einem Plastiktuch zugedeckt, wirkte er wie jemand, der lange und gut geschlafen hatte und nun bereit war aufzustehen. Holger Alsop wußte, daß man jedem Menschen das Sterben leicht machen konnte. Millionen, die von der Lebensbühne abtreten mußten, hatten eine jener winzigen Kapseln geschluckt, um mit einem Gefühl der Erleichterung den Schritt ohne Wiederkehr zu tun. Aber dieser Mann sah gesund aus; er befand sich in keiner euphorischen Stimmung. Echri Ezbal trat neben Alsop, zog das Plastiktuch etwas zurück und legte den Oberkörper des Verunglückten frei. »Sehen Sie sich alles genau an, Holger«, forderte ihn der Alte auf. Er deutete nach rechts und links, wo jeweils eine durchsichtige, hohle Plastikprothese an den Schultergelenken angeschlossen war. Jede hatte die Form eines menschlichen Armes. Die Hand war vollkommen nachgebildet. Aber das alles sah Alsop kaum. Er hielt den Atem an. Das, was 52
er einmal als Gerücht vernommen hatte, schien hier eine Tatsache zu sein. Dem Verunglückten wuchsen die Arme nach! »Und wie sieht es mit dem linken Bein aus, Shangane?« fragte Ezbal den Verunglückten und legte nun auch dieses Glied frei. Das gleiche Bild. Auch an der Außenseite dieser durchsichtigen Hohlprothese befand sich ein langgestrecktes, verkapseltes Gerät, von dem Verbindungen in den Hohlraum der Prothese führten. »Holger«, sagte Ezbal, als er den Mann wieder zudeckte, »wir haben dabei nicht allzuviel zu tun. Den größten Teil der Arbeit, die Bildung neuer Glieder, hat der Körper dieses Mannes selbst übernommen. Wir haben nichts anderes getan, als den Bauplan der organisierten Zellen zu erstellen, um den komplexen Vorgang sich Molekül um Molekül nachbauender Zellen zu steuern. Sie sehen mich immer noch zweifelnd an. Nein, Holger, wir sind keine Zauberkünstler. Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt. Der menschliche Körper ist potentiell eine unzerstörbare, sich fortwährend selbst regenerierende Einheit. Bei Untersuchungen entdeckte man, daß der Mensch die Fähigkeit, amputierte Glieder nachwachsen zu lassen, mit der Geburt nicht verloren hat. Diese Anlage schlummert in jedem Menschen. Wir haben diese Fähigkeit, kaum daß Shangane hier eingeliefert worden war, in ihm aktiviert. Nun hat er nur noch eins zu tun: Geduld zu haben, bis beide Arme und der Unterschenkel mit Fuß nachgewachsen sind. In drei Monaten wird Shangane nicht einmal mehr eine Narbe an seinem Körper entdecken können. Er wird dann draußen auf dem Plastikbetonband zu finden sein und Sport treiben. Shangane, haben Sie Wünsche?« Der Verunglückte, der aufmerksam zugehört hatte, schüttelte den Kopf. Sein dankbarer Blick war auf den Alten gerichtet, der seine Hand auf Holger Alsops Schulter gelegt hatte. Sie verließen das Krankenzimmer. Wieder saßen sie sich in dem einfach eingerichteten Privatraum gegenüber. Frisches Quellwasser befand sich in den Tonschalen vor ihnen. »Der Cyborg wird kein Ungeheuer sein, Holger. Er wird auch nicht ewig leben können. Aber seine Lebenserwartung wird bedeu 53
tend größer sein, weil sein Cybernetic organism ein ständiger genetischer Eingriff ist, der die Alterungs-Prozesse seines Körpers beherrscht und zum Positiven hin steuert. Holger, Sie haben noch einige Tage Zeit, sich mit unserer Arbeit in der Cyborg-Station vertraut zu machen. Vielleicht schenken diese Tage Ihnen das Vertrauen in unsere Arbeit, das sie benötigen werden, um Ihre Freiwilligenmeldung vor einem Gremium noch einmal zu wiederholen.« Die werdet ihr nie von mir hören, dachte Holger Alsop, griff mit beiden Händen nach der Tonschale, führte sie an die Lippen und trank schlürfend das würzige Quellwasser. Unverwandt ruhte Echri Ezbals Blick auf ihm.
Sein schlohweißes langes Haar leuchtete. Es war wohltuend still. Das Direktorium von TerraPress erlebte einige unerfreuliche Stunden. Jos Aachten van Haag hatte als Angehöriger der GSO schnell den Weg zu den leitenden Herren gefunden. Sein Ausweis, aber mehr noch sein Auftreten öffneten ihm alle Türen. Seiner Forderung, das Direktorium vollzählig sprechen zu wollen, war man nachgekommen, als er einen Beschluß des Obersten Gerichts von Alamo Gordo vorwies. Danach war er berechtigt, die gigantische TP-Zentrale bis auf den letzten Suprasensor und den schwächsten Hyperempfänger lahmzulegen. Niemand unter den Journalisten konnte sich erinnern, daß die GSO schon einmal so hart gegen eine Nachrichtenagentur vorgegangen war. Man wollte wissen, aus welchem Grund das alles geschehen sollte. Jos hatte sich nicht darauf eingelassen. Er war nur bereit, vor dem Direktorium zu sprechen, und er hatte darauf aufmerksam gemacht, weder über viel Zeit noch Geduld zu verfügen. Und dann hatte sich das Direktorium einiges anzuhören. Werkspionage... Hehlerei... Unterstützung von Verbrechern durch Geldmittel. Jos Aachten van Haag hatte erstklassige Arbeit geleistet. Die Beweise, über die er verfügte, waren überwältigend. Nach eini 54
gen Ausflüchten hatte kein Mann des Direktoriums es mehr gewagt, ihm zu widersprechen. Jos kam zum Schluß. »Dieser Ingenieur Brod, den Sie sich gekauft hatten, war Gott sei Dank nur ein erbärmlicher Stümper! Er versteht zwar etwas von Transmitter-Anlagen, aber nicht genug. In über vierzig Fällen ist es Ihnen mit Hilfe dieses Transmitters gelungen, ihre Reporter in abgesicherte Bereiche einzuschleusen. Sie verfügten außerdem über eine Gehirnstrom-Muster-Anlage -ich habe mir erlaubt, auch sie zu beschlagnahmen...« Jos blickte sich im Kreis um, lachte stumm, während seine Augen kalt funkelten. »Sie beschickten auf dem Funkweg die Kontrolle der jeweiligen Gegenstation mit den Gehirnstrom-Mustern der betreffenden Reporter, die das Ding drehen sollten. Dadurch und durch die Nachlässigkeit des TF-Personals - entgingen sie der Entdeckung. Erst als Ihr mehr oder weniger geschätzter Bert Stranger auf Ast-221 auftauchte, begannen unsere Nachforschungen. Damit komme ich wieder auf Ingenieur Brod zurück, den Sie mit 130 000 Dollar bestochen hatten, Ihnen den Transmitter aufzubauen. Er hat es getan, und er wird heute noch der Ansicht sein, sich sein schmieriges Geld ehrlich verdient zu haben. Nur, daß die TF-Trans mitter über einen... nennen wir das Ding Durchgangszähler verfügen, konnte Brod nicht wissen, weil er nicht zur Terranischen Flotte gehört. Als dieser Durchgangszähler auf Ast 227 befragt wurde, trauten einige von unseren Leuten ihren Augen nicht mehr. Ihr Bert Stranger hatte den Asteroiden über Transmitter erreicht. Von diesem Augenblick an wurde noch intensiver gesucht. Die Gehirnstrom-Muster Ihrer Reporter führten uns geradewegs zu Ihnen. Damit konnten wir über tausend Untersuchungsakten auf einen Schlag schließen. Mehr als tausend Angehörige standen bei der GSO im Verdacht, TP geheime Informationen zugespielt zu haben. Ihre Agentur hat nämlich in der letzten Zeit der gesamten Konkurrenz den Rang abgelaufen. Sie trumpften mit Nachrichten auf, daß es unserem Chef abwechselnd heiß und kalt wurde. Und uns machte er Dampf, doch wir fanden nirgendwo eine undichte Stelle oder einen verantwortungslosen Schwätzer, der sich wichtig machen wollte. 55
Was glauben Sie, wie sympathisch Sie mir allein aus diesem Grund sind?« Jos warf einen kalten Blick in die Runde. »Aber dann war das Maß voll. Ihr Transmitter, die einzige unlizensierte Station im terranischen Bereich, wird zur Stunde abgebaut und der Flotte übergeben. Damit ist der Fall noch nicht ausgestanden. Die Regierung denkt natürlich nicht daran, sich selbst Schwie rigkeiten zu machen, indem sie die TP-Zentrale durch Gerichtsbeschluß schließen läßt, denn im gleichen Moment würden die übrigen Nachrichten-Agenturen auf die Barrikaden steigen und Unterdrückung der Pressefreiheit schreien. Aber die Regierung und ganz besonders wir von der GSO werden wachsam bleiben, um die zukünftigen Machenschaften von TerraPress
meine Herren, ich habe Machenschaften gesagt - genauestens zu kontrollieren.« Auf der Kante des hufeisenförmigen Konferenztisches sitzend, schloß er in saloppem Ton: »Kitzeln Sie die GSO nicht. Wir haben ein Kindergemüt, aber locken Sie nicht das Tier mit der Pranke aus dem Stall. Ich habe die Befürchtung, daß Sie dabei den kürzeren ziehen. Und von Norman Dewitt wollen wir doch jetzt nicht sprechen.« Er ging. Vierzehn vor Wut kochende Direktoren blieben zurück. Sie wurden von der Art von Wut beherrscht, die nicht zu lautstarken Ausbrüchen führt. Einstimmig stellten sie fest, noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen zu sein, aber diese Tatsache milderte ihre Empörung über das, wie sie fanden, unverschämte Verhalten dieses GSO-Mannes nicht. »Welche Haltung nehmen wir von jetzt an der Regierung und ihren Maßnahmen gegenüber ein?« Man kam zu keinem Resultat. Nur in einem Punkt war man sich einig: der Konkurrenz mit sensationellen Nachrichten nach wie vor den Rang abzulaufen. »Das Spezial-Team auf die Flotte ansetzen! Seit ein paar Tagen tut sich dort etwas. Wintershop, Sie grinsen - haben Sie einen Vorschlag zu machen?« »Stranger ist - absichtlich oder unabsichtlich - Schuld an unseren Schwierigkeiten. Wir sollten ihn speziell auf den Stab der TF ansetzen. Wenn er dabei verheizt wird - sein Pech. Er darf keine Möglichkeit haben, TerraPress zu kompromittieren.« 56 Ressort-Chef Pantin sollte die heikle Aufgabe übernehmen und Stranger auf den Stab der TF ansetzen. Das Direktorium von TP ahnte nicht, welche Lawine es mit diesem Vorhaben in Bewegung setzten sollte. Chris Shanton war nach Ast-227 gerufen worden. Die Gravitationsschleuder des Abwehrforts zeigte beunruhigend starke Justierungsfehler. Im Bereich der Koordinaten Gelb und Grün war sie nicht mehr zu steuern. Die drei Ingenieure auf dem Asteroiden, die für den Zustand aller Aggregate und Geschütze verantwortlich waren, konnten den Fehler nicht entdecken. »Ausgerechnet Ast-227«, knurrte Chris Shanton, als er mit Jimmy den Transmitterraum betrat. Ast-227 gehörte mit seinem Durchmesser von 3352 Metern zu den kleinen Asteroiden, die den Schutz der Erde übernommen hatten. Außer einem provisorischen Nothafen für havarierte Raumer und einem gut getarnten A-Gravschacht, der zur Anlage im Innern des Felsbrockens führte, sah Ast-227 nicht anders aus als die rund 60 000 Gesteinstrümmer, die nach wie vor hauptsächlich zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter kreisten. Shanton betrat das Maschinendeck, drei Stockwerke unter der Kommandozentrale. Jimmy trottete brav neben ihm, schnüffelte mal hier und da und benahm sich, wie sich ein Hund eben benimmt. Der leitende Ingenieur strahlte nicht, als er dem Dicken sagen mußte, mit seinem Latein am Ende zu sein. »Neuzugänge gehabt?« fragte Shanton ihn. »Nein, auch keine Abstellungen. Shanton, sehen Sie hier den Duo-Zweig nach Zillo-7 laufen? Er reagiert nicht mehr. Zur Justierung kommen nur noch schwache Impulse durch. Sie reichen nicht aus, die Schleuder auf alle drei Koordinaten einzustellen... Verdammt, muß mir Ihr Köter denn dauernd zwischen die Beine laufen, Shanton?« »Jimmy ist kein Köter, und er läuft hier herum, so lange es ihm gefällt! Welcher Idiot hat denn den Grav-Former an den Sundermannschen Kreis angeschlossen?« 57
»Sie, als Sie das vorletzte Mal hier waren!«
Dem Mann tat es sichtlich gut, Shanton diese Revanche geben zu können.
»So«, knurrte der Dicke und zeigte nicht, wie bestürzt er war. Durch diese Aussage wurde
sein Verdacht verstärkt, daß tatsächlich er selbst hinter diesen unerklärlichen Zwischenfällen
stand. »Ist der Reaktor abgeschaltet?«
»Alles ist auf null...«
»Und das da?« brüllte Shanton, den Zeigefinger auf eine Schaltung gerichtet, der man ansah,
daß sie erst vor ein paar Tagen eingesetzt worden war.
»Wer hat denn diese Mordschaltung eingesetzt? Wieso sind nachträglich die Tarannt-Phasen
an den Hyper-Block geschaltet worden? Wissen Sie, was das heißt? Diese verdammte Anlage
wird vom Notkonverter mit Energie beschickt, und die reicht für tausend elektrische Stühle... Mann, warum starren Sie mich denn so entgeistert an?« »Shanton... die Schaltung haben Sie doch auch bei Ihrem vorletzten Besuch eigenhändig ausgewechselt!« Der Zweizentnermann begann an seinem Verstand zu zweifeln. Er kreuzte seine Arme vor der Brust, schüttelte den Kopf und überflog höchst konzentriert die komplizierte Justierungsanlage der Gravitationsschleuder, die eine Reichweite von 8000 Kilometern besaß und im eng begrenzten Zielgebiet bis zu 1000 Gravos erzeugen konnte. Er beugte sich vor, streckte den rechten Arm aus und wollte die erste Hauptweiche der Justierung aus ihrer Verklammerung ziehen. Im gleichem Moment schrie er auf. Jimmy war blitzschnell aus dem Stand hochgesprungen, hatte sein Maul aufgerissen und nach Shantons rechtem Unterarm geschnappt. »Ist das Vieh verrückt geworden?« schrie der Leitende auf und schlug Jimmy auf die Nase. »Aufhören!« brüllte Shanton, der keine Anstalten machte, seinen Hund abzuschütteln. »Aber...« »Kein aber!« fuhr der Dicke dazwischen. »Laß los, Jimmy, ich rühre hier bestimmt nichts mehr an! Na, komm schon, sei brav!« 58 Jimmy parierte. Shanton massierte seinen Arm; deutlich war zu erkennen, wo das Tier zugeschnappt hatte. »Dem würde ich es geben«, knurrte der Leitende von Ast-227. Shanton hatte sich wieder gefangen. »Melden Sie der Defensiv-Zentrale in Cent Field, daß Ihre Gravitationsschleuder ausgefallen und zur Zeit nicht zu reparieren ist. Und Ihnen gebe ich den Befehl, hier nichts anzurühren, wenn Sie nicht mit der ganzen Station eine Himmelfahrt machen wollen. Klar?!« Nach diesen Worten verließ er mit Jimmy das Maschinendeck des Planetoiden. Zehn Minuten später saß er Bernd Eylers gegenüber. Dem war jede Lust zum Spotten vergangen. »Letzte Nacht haben Monty Bell und ich Jimmy neu programmiert. Der treue Bursche ist ein unwahrscheinlich empfindlicher Detektor, der auf mein Gehirn eingestellt ist. Sie wollten mich ja nicht überwachen, also hatte ich mir selber eine Wache zuzulegen. Eylers, glauben Sie mir doch endlich, daß ich aus der Justierungsanlage der Grav-Schleuder auf Ast-227 eine Bombe gemacht habe! Und gerade eben wollte ich diese Bombe auch noch zünden! Wenn Jimmy nicht nach meinem Unterarm geschnappt hätte, dann gäbe es dieses Abwehrfort nicht mehr!« Bernd Eylers konnte es nicht glauben. Shantons Behauptungen klangen zu phantastisch. In ihnen lag auch ein gravierender Widerspruch. »Shanton, Sie haben behauptet, Jimmy sei auf Sie eingestellt. Mit anderen Worten: Er kann Ihre Gedanken lesen...« »Ich habe befürchtet, daß Sie diesen Unsinn behaupten würden! Nein, Jimmy, kann meine Gedanken nicht lesen. Er mißt meine Gehirnströme, verarbeitet sie auf logischer Basis und reagiert dementsprechend. Er ist aber zusätzlich noch so programmiert, fremde Gedankenströme, die in mein Gehirn eindringen, logisch auszuwerten und zugleich die Quelle anzupeilen.« Bernd Eylers' Bild von Jimmys Fähigkeiten war durch diese Erklärung nicht viel deutlicher geworden, aber er mußte zugeben, daß 59 Shanton alles Menschenmögliche getan hatte, um sich überwachen zu lassen. Doch der Widerspruch in seinen Angaben bestand immer noch. »Shanton, Sie haben behauptet, erst in dem Moment erkannt zu haben, daß die Justierungsanlage eine Bombe war und Sie sie zünden wollten, als Jimmy Sie ansprang. Es passiert uns allen, daß wir manches erst im allerletzten Moment erkennen. Kann es...« »Es kann nicht so gewesen sein. Himmel, Bomben und Boliden, Eylers, haben Sie denn immer noch nicht begriffen, daß mit mir etwas nicht stimmt? Ich, Eylers, ich habe mich wie
ein Attentäter benommen, der sich dabei auch noch selbst in die Luft jagen wollte, und ich hätte auf einen Blick erkennen müssen, was mit dieser Anlage los war. Nichts habe ich begriffen. Jimmy aber...« »Dann müssen doch Gedanken in Ihrem Kopf gewesen sein, die ihnen klarmachten, vor einer Bombe zu sitzen und...« Chris Shanton hielt sich mit seinen Pranken den Kopf fest. Ein »Oh!« kam über seine Lippen. Dann wurde der Zweizentnermann zu einer Quecksilberkugel. Erstaunt sah Eylers, wie er mit Jimmy das Zimmer verließ. Ein paar Minuten später wurde Eylers über Vipho aufgefordert, schnellstens in die Auswertungszentrale zu kommen. Shanton lief ihm mit einer Folie in der Hand entgegen. Seine Augen glänzten. Sein Gesicht glich einer reifen Tomate. Immer wieder strich er über seinen Backenbart. Dabei murmelte er: »Wenn ich den Kerl kriege... Ich schlage ihm alle Knochen kaputt! Alle!« Damit hatte Shanton, der Choleriker, schon öfter gedroht, aber bis heute hatte er keiner Fliege etwas zuleide getan. Doch dieses Mal meinte er es vollkommen ernst! Und als Eylers die Folie gelesen hatte, wußte er auch, warum. Chris Shantons Gedanken waren, als er sich auf Ast-227 aufhielt, zeitweilig von fremden Gedanken überlagert worden - Gedanken, die auf der Basis seines Gehirnstrom-Musters künstlich erzeugt worden waren! Und die fremden Gedanken waren aus Alamo Gordo gekommen! »Wir gehen schönen Zeiten entgegen...« stellte Shanton sarka 60 stisch fest, trat dann zu Jimmy, der wie ein ausgestopftes Tier neben einem großen Suprasensor stand, griff unter die Bauchdecke des Robothundes und schaltete dessen kompliziertes technisches Innenleben ab. »Eylers, als Jimmy eben dem Suprasensor seine gespeicherten Daten übermittelte und das Ding plötzlich auf vollen Touren arbeitete, bereitete ich mich innerlich schon auf alles Mögliche vor. Aber daß ich aus vielen Millionen Kilometern beeinflußt worden sein könnte... Großer Gott, daran hätte ich wirklich nicht gedacht. Und jetzt sind Sie dran! Finden Sie den oder die Verantwortlichen so schnell wie möglich! Und noch etwas: Arc Doorn muß her! Ich kann mich doch auf keiner Ast-Station mehr blicken lassen. Doorn ist der einzige, der sich auf den Forts so gut auskennt wie ich. Mag der Himmel wissen, was ich noch alles angestellt habe!« Bernd Eylers war das Lachen längst vergangen. Er konnte Shantons Vorschlag nur zustimmen; doch Doorn befand sich auf der POINT OF. »Benachrichtigen Sie Dhark!« forderte der Dicke den GSO-Chef auf. »Erzählen Sie ihm schonungslos, wie es bei uns in punkto De-fensiv-System aussieht.« »Aber eine Sache erscheint mir immer noch unglaubwürdig, Shanton.« »Und das wäre?« »Diese fremden Gedanken, die die Ihren überlagert haben, sollen allein auf der Basis Ihres Gehirnstrom-Musters künstlich erzeugt worden sein? Klingt das nicht etwas zu phantastisch? Wir wissen doch alle, welch ein komplizierter Prozeß abläuft, wenn auch nur ein einziger Gedanke im Gehirn entwickelt wird?« Auch Shanton hatte plötzlich Bedenken. Schnell traf er seinen Entschluß. »Okay, wenn Sie mit Dhark sprechen, erwähnen Sie diesen Punkt nicht, aber...« er beugte sich zu Eylers und musterte ihn eindringlich, »dieser Punkt ist der Schlüssel zu meinem unglaublichen Fall. Eylers, wer kann bloß Interesse daran haben, unser Verteidigungs-System zu schwächen?« »Will man tatsächlich unsere Verteidigung lahmlegen, oder hat man mit den Sabotageakten, zu denen Sie mißbraucht worden sind, etwas ganz anderes vor? Will man uns vielleicht so stark beschäfti 61 gen, daß wir weder Leute noch Zeit haben, uns auch um andere Dinge zu kümmern?« überlegte der GSO-Chef laut. Chris Shanton, der gar nicht begeistert war, plötzlich in einem wichtigen Fall die Hauptrolle zu spielen, zuckte ratlos mit den Schultern. »Sie müssen wissen, was zu tun ist, Eylers. Mich
interessiert im Augenblick nur, daß Doorn so schnell wie möglich meine Stelle übernimmt und alle Asteroiden-Forts kontrolliert.« »Hoffentlich wird er nicht auch mißbraucht...« »Mann«, orgelte Shanton, und seine Augen funkelten, »malen Sie den Teufel nicht an die Wand!« Dann aktivierte er Jimmy wieder, rief ihm ein kurzes Komm! zu und verließ mit seinem Robothund den Raum. 62
4. Als man nach der Wahl, in der die Menschen der Erde Ren Dhark zum Commander der Planeten gewählt hatten, zum erstenmal den Namen Henner Trawisheim hörte, war der selbst für gut informierte Politiker, Wirtschafts-Führer und Wissenschaftler ein unbeschriebenes Blatt. Nach dem Rätselraten, wer sich hinter diesem Namen verbarg, kam die Überraschung. In der Ministerliste, die Ren Dhark wenige Tage nach seiner Wahl veröffentlichte, wurde dieser Henner Trawisheim als sein Stellvertreter aufgeführt. Ein bisher unbekannter, fünfunddreißigjähriger Mann, groß, dunkelhaarig und mit dunklen Augen, war mit dieser schweren Aufgabe betraut worden. Henner Trawisheim, die politische Sensation - der Mann, der aus dem Nichts zur zweitwichtigsten Persönlichkeit Terras geworden war. Woher kam er? Was hatte er bisher getan? Welche Fähigkeiten besaß er? Konnte Trawisheim seine Aufgabe überhaupt erfüllen? Verstand er etwas von den komplizierten Zusammenhängen, die Politik, Wirtschaft und Wissenschaft miteinander verbanden? Hatte ihn Ren Dhark deswegen zu seinem Stellvertreter bestimmt? Schließlich war der Commander nicht allzu oft und allzu lange auf Terra anzutreffen. Ihn und seine Freunde zogen die Sterne wie ein gewaltiger Magnet an. Wer war dieser Mann? Ein neuer Rocco oder Dewitt? Oder endlich einmal ein zuverlässiger Freund des Commanders? Die ersten fünfunddreißig Jahre seines Lebens blieben im Dunkeln. Er selbst sprach nie darüber. Fragen, die diesen Punkt betraten, überging Trawisheim geschickt. Politiker, Wissenschaftler und Wirtschaftsführer, die mit ihm zu tun hatten, begannen ihn zu be wundern - und allmählich auch zu fürchten. 63 Sein Wissen war ungeheuer. Wer hatte ihm dieses Wissen vermittelt? In welchen Jahren seines jungen Lebens hatte er es erworben? Darauf gab es keine Antworten. Noch nicht! Dhark und seine Freunde schwiegen. Und Henner Trawisheim arbeitete. Macht interessierte ihn nicht. Aber Verantwortung. Sein ganzer Ehrgeiz lag darin, der Stellvertreter Dharks zu sein - nicht mehr und nicht weniger. »Macht?« hatte er einmal die Journalisten, die ihn interviewten, gefragt. »Politische oder wirtschaftliche Macht, was ist das? Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen, das genügt mir!« War Henner Trawisheim noch normal? Konnte es tatsächlich einen Menschen geben, der Stellvertreter des mächtigsten Mannes der Erde war - und den Macht nicht interessierte? Auch diese Fragen gab es bald nicht mehr. Es gab nur noch Ren Dharks Stellvertreter. Den Mann, der nichts vergaß, den stillen, unauffällig arbeitenden Organisator, der mit diplomatischem Geschick selbst große, akute Schwierigkeiten schnell zu kleinen Nebensächlichkeiten werden ließ. Ein Frachtraumer landete auf Cent Field. Er gehörte zu den Neubauten, die in den letzten beiden Jahren vom Band gelaufen waren. Titanische A-Grav-Kräfte ließen das vierhundert Meter durchmessende Schiff langsam dem Plastikbeton entgegensinken. Die starken Triebwerke im inneren Ringwulst schwiegen. Die HAMMAD kam von Jump, bis an die Ladegrenzen mit dem rotfunkelnden Schwermetall Tofirit beladen. Vor allem die Werften schrien nach diesem Metall, das man bisher nur auf Hope und Jump entdeckt hatte.
Die HAMMAD war einer der Sechsundsechzig Frachtraumer, über die die Erde verfügte. Aber nur fünfzehn davon waren 400-Meter-Schiffe; die übrigen gehörten der 100- oder 200-MeterKlasse an. Bernd Eylers hatte die Transmitter-Verbindung zwischen Alamo Gordo und Cent Field benutzt, um das Gebäude aufzusuchen, in dem sich der stärkste To-Sender Terras befand. 64 t" Als Eylers auf einem schnellaufenden Band den Übertragungsräumen entgegenfuhr, blickte er einmal ruckartig zur Seite, weil er glaubte, einen Moment lang Bert Stranger gesehen zu haben. Doch als er an dem Seitentrakt vorbeiglitt, in dem er den anderen gleich einem Schatten hatte verschwinden sehen, konnte er keinen Menschen entdecken. Täuschung, dachte er, und vergaß den kleinen Vorfall wieder. Wenig später saß er in einer Sprechkabine und wartete, bis die To-Funkverbindung zur POINT OF bestand. Er mußte nicht lange warten. Ren Dharks markantes Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Es verriet nichts von den Enttäuschungen, die er erlebt hatte. Eylers berichtete so kurz er konnte. Einmal, als er davon sprach, daß Shanton um Haaresbreite die Station Ast-227 in den Raum gejagt hätte, erschien eine tiefe Falte auf der Stirn des Commanders. »Dhark, an Shantons Stelle muß Doorn jetzt die Kontrollen auf den Abwehrforts durchführen! Kurz gesagt: 60 Prozent der Ast-Stationen sind nicht einsatzbereit. Alle Stationen, die Shanton in den letzten drei Wochen inspiziert hat, haben Befehl, keine einzige Waffe einzusetzen. Im akuten Notfall - etwa bei einer Invasion - ist es den Kommandanten freigestellt, nach eigenem Ermessen zu handeln. Alle Stations-Chefs haben erklärt, daß es für sie dann keine Alternative geben würde.« »Danke, Eylers. Wir sind auf dem Rückflug. Wie denken Sie über diesen Fall? Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, daß telehypnotische Beeinflussung im Spiel sein könnte? Oder sind im Sol-System vielleicht Synties geortet worden?« »Von Synties ist nichts bekannt, Dhark. Und Tele-Hypnose... hm, ein Gebiet, das mir nicht liegt. Shanton will gar nichts davon wissen. Sie wissen ja auch, wie stur er sein kann. Er glaubt, man habe sich sein Gehirnstrom-Muster angeeignet und damit seine Gedanken überlagert.« Nachdenklich erwiderte Dhark von Bord seiner PoiNT OF: »Das könnte auch eine Möglichkeit sein. Kann ich Shanton sprechen?« Eylers winkte ab. »Der ist mal wieder nicht aufzutreiben. Wenn ich ihn in der Zentrale des Defensiv-Systems auch nicht finde, dann steckt er sicher wieder irgendwo und programmiert Jimmy um.« 65 Aber Ren Dhark schien sehr daran interessiert zu sein, selbst mit dem Ingenieur zu sprechen. »Lassen Sie ihn suchen, Eylers. Ich warte...« Beide warteten. Chris Shanton war weder in Alamo Gordo noch in Cent Field zu finden. Dhark beendete das Gespräch. »Wir sind noch rund 180 Lichtjahre von der Erde entfernt. Sie können sich also ausrechnen, wann wir landen. Ende, Eylers...« Chris Shanton hatte eine kurze Reise gemacht, die ihn dennoch um den halben Erdball geführt hatte. Er hatte den Transmitter benutzt und befand sich im Brana-Tal, in der CyborgStation. Hier war der Ingenieur auch nicht ganz unbekannt; manche seiner Vorschläge waren in dieser Station in die Praxis umgesetzt worden. Chris Shanton kam sich in seinem sterilen, eng anliegenden weißen Plastikanzug fremd vor. Unwillkürlich blickte er seinen Jimmy an und grinste kurz. Für seinen Vierbeiner gab es noch keins dieser keimfreien Kleidungsstücke. Aber er hatte vorher dafür gesorgt, daß sein Robothund in dieser Station nicht zum Bakterienherd wurde. Er verließ den Forschungstrakt, in dem die Entwicklung des ersten Cyborg vor dem Abschluß stehen sollte. Chris Shanton konnte sich eines leichten Schauders nicht erwehren, als er sich diese neue
Sorte Mensch vorstellte. Als die Cyborg-Station zu dieser gewaltigen Anlage ausgebaut worden war, hatte Echri Ezbal darauf bestanden, seine privaten Räume ganz einfach anzulegen. Bis auf ein Vipho hatte er auf jedes technische Hilfsmittel verzichtet. Ohne anzuklopfen, drückte Shanton die Tür auf, eine alte, mit Symbolen verzierte Holztür, die einmal Ezbals Haus in der Heimat vor Eindringlingen geschützt hatte. Der Raum war leer. Kaum hatte Shanton es sich bequem gemacht, wurde die Tür von außen geöffnet. Echri Ezbal trat ein, begleitet von einem jungen Mann, der dem Ingenieur auf den ersten Blick sympathisch war. 66 »Man hat mir Ihren Besuch gemeldet, Shanton. Das hier«, er deutete auf den jungen Mann, »ist Holger Alsop. Er hat sich freiwillig für das Cyborg-Programm gemeldet...« Und es tut ihm leid, stellte der Dicke in Gedanken fest. Alsop verflucht längst seinen Entschluß. Ich glaube, der wird nie ein Cyborg. Für Alsop war keine Sitzgelegenheit mehr vorhanden. Er blieb an der Tür stehen, die Hände lässig auf dem Rücken. Sein Blick ruhte auf Jimmy, der den Kopf schief hielt und ihn musterte. »Sie können vollkommen unbefangen reden, Shanton«, forderte Ezbal den Ingenieur auf, der sich immer wieder erst daran gewöhnen mußte, daß es in dieser isoliert liegenden Station keine Geheimnisse gab. Shanton erzählte von seinen Sorgen. »Das war's, Ezbal. Deshalb bin ich ins Brana-Tal gekommen. Ich weiß nicht mehr ein noch aus. Ich habe auch schon vermutet, daß man mein Gehirnstrom-Muster dazu benutzt haben könnte, meine Gedanken mit fremden zu überlagern und...« »Nein«, widersprach der greise Wissenschaftler, »diese Theorie scheidet aus. Tele-Hypnose ist wahrscheinlicher, aber daran möchte ich auch nicht glauben...« »Was kann es dann gewesen sein, Ezbal?« Der abgeklärte Genetiker und Biochemiker, der Prototyp eines Mannes, der aus Meditationen Kraft und Ruhe schöpfte, wunderte sich nicht über die Ungeduld des anderen. Aus seinen blauen Augen schien Verständnis für die vielen menschlichen Unzulänglichkeiten zu sprechen. »Chris, das Natürliche ist immer noch das Stärkste. Holger, ich werde wohl vergessen haben, es Ihnen zu sagen: Der Körper von Milliarden Menschen hat sich auf die starke einfallende Strahlung des galaktischen Magnetfelds eingestellt, ohne Schaden zu nehmen; der Körper kann sogar einen Cyborg ertragen. Er ist variabel; das Künstliche besitzt diese Eigenschaften nicht, weil es seinem Wesen nach starr sein muß. Deshalb, Shanton, können Sie durch eine künstlich hervorgerufene Aktion nicht beeinflußt worden sein. Aber ich kann Ihnen die Lösung auch nicht geben. Jemand auf er Erde muß ein Problem gelöst haben, an dem hier über dreihun dert Experten seit Jahren vergeblich arbeiten. 67
Die Steuerung eines Cyborgs, indem man seine Gedanken durch fremde überlagert und ihn an das befohlene Ziel bringt, ohne daß er davon etwas bemerkt - für uns ein Zukunftsbild...« Enttäuscht fragte Shanton noch einmal: »Ezbal, Sie können mir keinen einzigen Hinweis geben, in welcher Richtung die GSO zu suchen hat?« »Keinen einzigen. Und Tele-Hypnose, gibt es sie überhaupt?« »Es gibt sie, Ezbal. Die Synties haben sie an uns praktiziert!« »Synties sind keine Menschen. Deshalb kann man bei ihnen auch keine menschlichen Maßstäbe anlegen. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht helfen kann. Doch Sie dürfen mir jetzt einen Gefallen tun, Shanton... Da steht Holger Alsop, ein Mensch, der mit seinem frei willigen Entschluß hadert. Er möchte fliehen. Er hat es mir nicht gesagt, aber ich weiß es trotzdem. Es gibt keine Fluchtmöglichkeit aus dem Brana-Tal. Es gibt für ihn nur eins: Zu seinem Wort stehen - zu seinem freiwilligen Entschluß!« Impulsiv erwiderte Shanton: »Wenn ich mir vorstelle, einmal ein Cyborg werden zu müssen, würde ich versuchen, vor mir selbst davonzulaufen!« Wie konnte Echri Ezbal jetzt dem Ingenieur dankend zunicken? Er sah Holger Alsop nicht an, auch dann nicht, als er den dicken Mann mit seinem Robothund an der Tür
verabschiedete. Langsam ging er zu seinem Platz zurück und ließ sich nieder.
»Holger.« Seine Stimme klang ruhig. Seine Augen strahlten eine Ruhe aus, die zum Klang
seiner Stimme paßte. »Niemand kann vor sich selbst davonlaufen! Und Sie haben sich
freiwillig für jeden Einsatz im Dienst der TF gemeldet. Sie sind bei Ihrem Entschluß
geblieben, auch als man Sie warnte und Ihnen sagte, Sie könnten schon beim ersten Einsatz
Ihr Leben verlieren.
Sie werden es nicht verlieren! Nicht ich, Sie werden zu den beneidenswerten Menschen
gehören, die mit dreihundert Jahren noch so jung sein werden, wie Sie es jetzt sind!
Holger, Sie bleiben Mensch, selbst als Cyborg! Irgend etwas läuft Ihnen wie ein Schatten
nach, und ich kann nicht herausfinden, an welcher Seite sich Ihr Schatten befindet, ich...«
Da verlor Holger Alsop den letzten Rest seiner bisher mühsam
68
gewahrten Beherrschung. Seine Augen blitzten, sein Gesicht wurde blaß, und seine Stimme
klang scharf.
»Ich will den Tod nicht zum Freund haben, Ezbal! Ich will nicht draufgehen, wenn
gewissenlose Kreaturen, die sich Wissenschaftler nennen, mich verstümmeln. Ich will leben!
Ja, ich bin bereit, in den gefährlichsten Einsatz zu gehen, aber ich will den Tod nicht zum
Freund haben! Der holt mich noch früh genug!«
Hatte er geschrien?
Echri Ezbals Miene gab darüber keine Auskunft. Ruhig sah der greise Genetiker und
Biochemiker ihn an.
»Holger, darf ich erfahren, wer Ihnen gesagt hat, der Tod würde Ihr Freund werden, wenn
man Sie zu einem Cyborg macht?« Etwas Suggestives lag in dieser Frage. Unverwandt sah
der Alte ihn an, in einer Art, die Alsop zwang, das zu sagen, was er eigentlich nicht sagen
wollte.
»Als ich... kurz bevor ich... also, wenige Minuten, bevor ich zum letzten Mal meinen
freiwilligen Einsatz bei der Terranischen Flotte durch meine Unterschrift bekräftigte...«
Langsam lehnte sich Ezbal zurück. »Jetzt beginne ich zu begreifen«, flüsterte er. »Holger,
vertrauen Sie mir? Erlauben Sie uns, daß wir Ihnen Ihr Gehirnstrom-Muster - nicht das grobe,
das nur zur Identifizierung der Person dient, sondern das vollständige - noch einmal
abnehmen und mit dem Vergleichen, das man uns zugeschickt hat?«
»Was soll das bedeuten, Ezbal?« fragte Alsop mißtrauisch.
»Ich vermute, daß man uns ein verfälschtes Muster übersandt hat. Wenn das wahr ist, dann
wären Sie als Cyborg zu einem Toten auf Abruf geworden. Bisher haben wir diese Muster
nie nachgeprüft!«
»Glauben Sie das wirklich?« Holger Alsop war entsetzt.
»Ich vermute es. Geben Sie uns die Erlaubnis?«
»Ja. Und wenn die Muster nicht übereinstimmen, was dann...?«
Echri Ezbal atmete schwer. »Dann ist schon viel geschehen. Zuviel! Dann weiß man
außerhalb des Brana-Tals, was hier vorgeht. Es würde bedeuten, daß es eine undichte Stelle
gibt und irgendwo auf der Erde eine Gruppe existiert, die unsere Forschungsarbeit sabotieren
will.«
69
Hatte nicht auch Chris Shanton von Sabotage gesprochen?
Plötzlich sah sich der alte Wissenschaftler Problemen gegenüber, denen er sich nicht
gewachsen fühlte. Er mußte sich mit Bernd Eylers in Verbindung setzen.
Er sah wieder Holger Alsop an und stutzte kaum merklich.
Der Cyborg-Anwärter starrte nachdenklich vor sich hin. Als er Ezbals Blick bemerkte, fragte
er ihn: »Wann kann man mir mein Großes Gehirnstrom-Muster abnehmen?«
Er beginnt sich für seinen Fall zu interessieren, zuckte es Ezbal blitzartig durch den Kopf:
»Sofort, Holger. - Gehen wir!«
Drei Stunden später war die letzte der drei Hauptprüfungen abgeschlossen.
Holger Alsops Großes Gehirnstrom-Muster, das man von Alamo Gordo ins Brana-Tal
geschickt hatte, war falsch!
Echri Ezbal zeigte ihm anhand eines Diagramms, wo die Verfälschung lag. »Man ist viel
geschickter vorgegangen, als ich befürchtet hatte. Sehen Sie diesen Knick, Holger? Hier, wo die rote Linie sich mit der schwarzen kreuzt? Ich will Sie nicht mit medizinischen Ausdrücken belasten. Nur soviel sei gesagt: Sie wären ein Cyborg geworden. Sie hätten auch die härtesten Belastungsproben erstklassig bestanden. Wir hätten Sie für die Terranische Flotte freigegeben, und dann, bei irgendeinem Einsatz, wären sie plötzlich nicht mehr zurückgekommen. Vollidioten kennen ihr Zuhause nicht mehr! Und irgendwer hätte sie über einen bestimmten Hyper-Impuls zum Vollidioten gemacht. Das verrät mir dieser Knick!« Holger Alsop war beeindruckt. »Sie haben mir doch erklärt, jeder Cyborg verfüge über ein Zweitgehirn, das aus einer Mischung aus terranischer und giantischer Technik konstruiert worden sei und nicht größer als eine Bohne wäre: Kann man denn mit einem HyperImpuls auch dieses Zweitgehirn zerstören!« »Ja und nein! Weil die Cyborg-Konstruktion, die auf dem Großen Gehirnstrom-Muster basiert, falsch aufgebaut worden wäre. Das Zweitgehirn hat sich nach diesem Muster zu richten, weil sonst die Rückschaltung nicht mehr möglich ist.« 70
»Der Mensch würde dann ewig ein Cyborg bleiben?« fragte Alsop mit immer stärker werdendem Interesse. »Nein! Der Mensch würde sterben, und übrig bliebe nur eine wunderbare Konstruktion, die keine Aufgabe mehr erfüllen könnte.« »Das verstehe ich nicht, Ezbal...« »Nein? Das Zweitgehirn steht ununterbrochen mit dem normalen Gehirn in Verbindung, solange der Mensch nur Mensch ist. Das Zweitgehirn muß lernen, und es lernt von den Überlegungen des normalen Gehirns. Stellen Sie sich darunter keine üblichen Lehrstunden vor. Der Träger eines Zweithirns bemerkt vor diesem Unterricht nichts. Doch nun zurück zu diesem Hyper-Impuls und der Hypothese, daß die gesamte CyborgAnlage an einem verfälschten Großen Gehirnstrom-Muster abgestimmt worden ist. Rechnerisch, nicht experimentell, haben wir nachweisen können, daß die Grundschaltung des Zweitgehirns, wenn es nicht exakt auf das natürliche eingestellt ist, eine Dauerbelastung auslöst. Diese Dauerbelastung führt in kurzer Zeit zu einer Schwächung des Groß-und Kleinhirns. Eine Schwächung, die nicht von Bedeutung ist, solange keine plötzliche organische Hochbelastung erfolgt. Aus Ihrem Großen Gehirnstrom-Muster läßt sich leicht Ihre Alpha-Rhythmus-Frequenz ablesen. Diese bei einem Einsatz per Hyperfunk auf Sie abgestrahlt, würde Ihr Gehirn zusammenbrechen und Sie zu einem unheilbaren Idioten werden lassen. Aber dann besteht die dünne Verbindung zum Zweitgehirn immer noch. Die Rückschaltungs-Phase. Das Zweitgehirn stellt fest, daß diese Phase tot ist. Nach dem Programm seiner Grundschaltung wird es unentwegt versuchen, diese Verbindung wieder zu aktivieren, was natürlich nicht mehr möglich ist. Von sich aus wird das Zweitgehirn bald sein Bemühen einstellen und durch einen vorprogrammierten Hyperfunk-Kurzimpuls mitteilen, daß es nicht mehr aktiv ist. Damit hört die Zwei-heit Mensch-Cyborg auf zu existieren.« »Einen Menschen einfach aufgeben? Ezbal, das ist doch Mord!« »Nein, nur eine unbedingt erforderliche Schutzmaßnahme. Können Sie sich einen idiotischen Cyborg vorstellen? Auf dem menschlichen Sektor verrückt und auf dem anderen normal? Man hätte ein 71
Ungeheuer vor sich. Wir haben sehr früh an diese Möglichkeiten gedacht. Wir haben die Menschen vor unserer Erfindung auch zu schützen. Jedoch bis auf Ausnahmen, die immer unvermeidbar sein werden, können diese Zwischenfälle nicht eintreten, wenn wir in jedem Fall genau nach dem Großen Gehirnstrom-Muster des Betreffenden vorgegangen sind. Deshalb bin ich so entsetzt, daß man unsere Arbeit auf diese Weise sabotieren wollte.« »Hm...« brummte Alsop und strich sich über sein Haar, »haben Sie sich eigentlich überlegt, daß ich nach diesen wenig reizvollen Aussichten noch weniger bereit sein könnte, ein Cyborg zu werden, Ezbal?« Nach langer Zeit flog wieder ein Lächeln über das markante Gesicht des Alten. Er warf einen Blick auf die Nummer, die Alsop über der linken Brust trug. 742!
»Sie werden Ihre Meldung aufrechterhalten, Holger. Sie sind nicht der Mann, der vor sich selbst davonläuft. Und Sie waren, als Chris Shanton vorhin etwas Ähnliches sagte, mit seiner Bemerkung ganz und gar nicht einverstanden. Außerdem hätte ich Ihnen, nachdem nun feststeht, daß Sie ein Opfer der Sabotage werden sollten, die volle Wahrheit gar nicht sagen müssen...« Holger Alsop wehrte sich gegen den starken Eindruck, den der greise Wissenschaftler auf ihn machte. Als er sich darüber klargeworden war, daß ihn die ungeschminkte Wahrheit nicht beunruhigte, ertappte er sich dabei, sich auszumalen, wie alt er als Cyborg werden konnte. Cyborg? Die HOPE hatte der POINT OF längst gemeldet, daß sie vor der Pluto-Bahn wieder ins Einstein-Kontinuum eingetaucht war. Ren Dhark dachte kaum noch daran. Seine Gedanken kreisten um das rätselhafte Verschwinden von vier Raumschiffen, und um die Meldung, die Eylers ihm per To-Funk übermittelt hatte. Arc Doorn war informiert worden. Der wortkarge Bursche hatte die Nachricht kommentarlos zur Kenntnis genommen. Anders Dan Riker. Er disku 72 tierte mit seinem Freund die unbegreifliche Nachricht aus Cent-Field. Aber nicht eine Sekunde lang hatte er auch nur den geringsten Verdacht, Shanton könnte die SabotageAktion bewußt und mit klarem Verstand gestartet haben. Unzufrieden, weil auch dieser Fall so unerklärlich war, knurrte er: »Wir brauchen Terra nur ein paar Tage den Rücken zu kehren, und schon ist überall der Teufel los! Ich...« In diesem Moment wurden die dreiundzwanzig halbkugelförmigen Konverter des Ringraumers auf maximale Leistung geschaltet! Überrascht riß Dhark den Kopf hoch. Er hatte in den letzten zehn Minuten das Instrumentenpult nicht mehr berührt, und Dan kam auch nicht als Verantwortlicher für dieses Ereignis in Frage, denn er hatte gerade noch lässig im Copiloten-Sessel gehockt und geraucht. Dhark beugte sich vor, wollte den Steuerschalter, der die Energie-Abgabe der Konverter regelte, in eine andere Lage bringen - und mußte feststellen, daß der Schalter blockiert war! Schiff übernommen! klang es in seinem Kopf und in denen der anderen auf. Die Gedankensteuerung, die seit Jahr und Tag nicht mehr eingegriffen hatte, war plötzlich wieder aktiv geworden. Sie mußte auch sämtliche Konverter der POINT OF weit über Maximum hochgefahren haben. »Grappa?« schrie Dhark durch das Dröhnen, das von Sekunde zu Sekunde lauter wurde. Tino Grappa rief zurück: »Alle Ortungen null!« »Das ist doch nicht möglich!« widersprach Ren Dhark, dessen Stimme leichte Unruhe verriet. »Alle Ortungen kontrollieren!« Das hatte Grappa schon getan. »Ortungen sind klar, Dhark. Im nahen Bereich ist nichts zu erfassen.« »Denk an unsere Schiffe, die verschwunden sind«, rief Riker. »Und ob ich daran denke... Aber...« Der Checkmaster meldete sich. Jeder hörte in seinem Kopf die unpersönlich klingende Stimme in reinstem Terranisch sagen: Unbekannte Gefahr im nahen Raum! Achtung, unbekannte Gefahr bedroht POINT OF! Eine Gefahr?
In der Funk-Z hatte Glenn Morris Dienst. Dhark rief ihn an. Mor 73
ris' Antwort kannte er schon, als er das Gesicht des Funkers auf der kleinen Bildscheibe der
Bordverständigung sah.
Weder Echo-Kontrolle noch Raum-Controller warfen Werte aus!
Dhark ließ die Verbindung offen. Arc Doorn, der den dienstfreien Miles Congollon vertrat,
meldete sich aus dem Triebwerksraum.
»Dhark, mehr als sechzig Prozent aller Energie geht an die Flächenprojektoren. Hier ist der
Teufel los...«
»Gedankensteuerung hat Schiff übernommen. Nur Zwischenfälle melden. Klar, Doorn?«
»Okay.«
Riker stieß ihn an. Jeder mußte brüllen, um sich bei dem Lärm, der plötzlich durch den
Ringraumer tobte, verständlich zu machen. »Ren, der Kahn wird trotzdem langsamer!«
Wenn sie das Instrument nicht narrte, das ihre vielfache Überlichtgeschwindigkeit anzeigte,
dann bremsten unerklärliche Kräfte die POINT OF mehr und mehr ab.
»Notspruch an Cent Field?« fragte Morris.
»Vorbereiten, aber erst auf Befehl absenden!« entschied Dhark, der seinen Augen nicht mehr
traute.
Was war mit den beiden Intervallen los?
Wurde nicht mehr genügend Energie zur Verfügung gestellt, um die beiden Mini-Welträume
stabil zu halten?
Verbindung zum Triebwerksraum. »Doorn, was ist mit den Intervallen? Geben Sie Saft drauf,
sonst brechen sie uns zusammen!«
»Können, Dhark! Auch hier spielt die Gedanken Steuerung den Chef! Alles blockiert.«
Manu Tschobe, Anja Field und Jens Lionel stürmten in die Kommando-Zentrale. Anja
kümmerte sich sogleich um den Checkmaster. Verblüfft warf sie den Kopf in den Nacken, als
sie die Stimme in ihrem Kopf hörte:
POINT OF befindet sich in einem unbekannten Gefahrenbereich! Weitere Auskünfte nicht möglich! Und das 174 Lichtjahre von der Erde entfernt!
Tschobe stand zwischen Dhark und Riker und sah auch, wie der Ringraumer langsamer und
langsamer wurde.
Noch 145fache Überlichtgeschwindigkeit!
74
Lag es an den Flächenprojektoren der POINT OF, die nicht mehr genügend Energien
emittieren konnten, um den Brennpunkt des Sternensogs zu versorgen? Doorn deswegen
anzurufen, war zwecklos; auch im Triebwerksraum hatte die ominöse Gedankensteuerung
alle Kommandofunktionen übernommen. Und wie diese Steuerung reagieren konnte, hatte sie
den Menschen im Ringraumer in der Vergangenheit schon häufiger demonstriert.
Jean Rochard, Kommandant der WS-Ost, meldete sich. »Dhark, wir haben hier nichts mehr
zu tun! Alle Waffensteuerungen sind blockiert. Es ist unmöglich, die Antennen
umzuschalten!«
Bud Clifton, der Mann mit dem Kindergesicht, meldete das gleiche aus seiner WS-West.
Die POINT OF konnte sich nicht mehr verteidigen.
Ren Dhark fühlte eine Unruhe, die ihm den Schweiß auf die Stirn trieb. Warum gingen ihm
die vier verschwundenen Schiffe nicht aus dem Kopf? Hatten sie es mit demselben Gegner zu
tun, der die SHARK, die FO-1, die YAMID und die CAESAR auf dem Gewissen hatte?
Im Schiff heulten, brüllten und zischten die riesigen Aggregate. Ihr Toben und Brummen
durchschlug alle Schallisolationen. Das eigene Wort war kaum noch zu verstehen.
Aber warum tat die Gedankensteuerung nichts dagegen? Sie ließ das Schiff doch langsamer
werden. Warum war der Sternensog nicht auf Vollast geschaltet? Weshalb dieses Bummeln,
das sich mehr und mehr der Lichtmauer näherte?
Wieder versuchte Ren Dhark vergeblich, einen der Steuerschalter an seinem Pult in eine
andere Lage zu bringen. Nach wie vor blieben sie blockiert.
Die Erregung im Leitstand stieg. Manu Tschobe trat von einem Bein auf das andere. Dhark
sah ihn an. Der Afrikaner beugte sich zu ihm herab.
»Tschobe, können Sie etwas von einer paramentalen Beeinflussung feststellen?«
»Daran haben Sie gedacht?« rief Tschobe überrascht. »Ich habe Synties vermutet...«
»Die könnten wir orten... Grappa, immer noch nichts erfaßt?«
75
»Nichts, Commander! Nicht ein Blip im nahen Bereich. Es ist zum Verrücktwerden!«
Glenn Morris in der Funk-Z wurde es auch ungemütlich. Wieder fragte er: »Notruf nach
Terra abstrahlen? Flotte alarmieren oder...?«
»Kein Notruf! Sollen noch mehr Schiffe draufgehen?«
In der Kommando-Zentrale wurden vielsagende, bestürzte Blicke gewechselt.
Ein tiefes, noch nie gehörtes Dröhnen klang auf, war in jeder Kabine des Ringraumers zu
hören und wurde stärker und stärker.
Die Unitallzelle der POINT OF begann zu schwingen!
Ratlos sahen sich Dhark und Riker an. Die halbmeterdicke Unitall-wandung der POINT OF
vibrierte wie die angeschlagene Saite eines Musikinstrumentes.
Über die Bordverständigung kam ein unverständlicher Aufschrei. Glenn Morris hatte ihn
ausgestoßen. Und dann war nichts mehr zu hören.
»Was haben Sie entdeckt, Morris?« Dhark zwang sich, seiner Stimme einen ruhigen Klang zu
geben.
Keine Antwort aus der Funk-Z!
»Morris, antworten Sie!«
»Ich lauf rüber!« schrie Manu Tschobe und wollte sich in Bewegung setzen, als die Funk-Z
sich endlich meldete.
»Commander, wir können nicht mehr funken! Alle Hyperfunk-Anlagen liegen still! Ob der
Checkmaster oder die Gedankensteuerung... Große Milchstraße, Dhark! Ich hab's mit der
Echo-Kontrolle erwischt! Ich hab's! Ich hab's...« Glenn Morris schien durchzudrehen. Es
hatte keinen Sinn, ihn durch Anbrüllen zur Vernunft bringen zu wollen. Nur Ruhe brachte
das fertig.
»Was haben Sie entdeckt?« fragte Dhark mit einer Stimme, als ob ihn das alles herzlich
wenig anginge. »Was, Morris?«
Der junge Leutnant kam wieder zu sich. »Auf Gelb 56:32,01 in 3,1 Lichtjahren Abstand... Da
ist was, nur verlangen Sie von mir bitte nicht, ich sollte Ihnen sagen, was ich da entdeckt
habe...«
»Ich lauf doch rüber!« entschied Manu Tschobe und rannte aus der Kommando-Zentrale zur
nahegelegenen Funk-Z.
Glenn Morris mußte ihm Platz machen.
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Tschobe hockte vor der Echo-Kontrolle. Dieses Gerät war einmalig und gehörte zu dem großen Komplex in der POINT OF, der allen Wissenschaftlern ein unlösbares Rätsel geblieben war. Mit einem Blick überprüfte Tschobe, ob auch der Checkmaster die Daten der Echo-Kontrolle erhielt. »Distanz schrumpft langsam. Nur noch 2,9 Lichtjahre. Ob klein oder groß ist nicht zu erkennen. Die Blips, die wir hier zu sehen bekommen, sind neuartig. Weiß der Teufel, was das ist! Müssen wir denn genau darauf Kurs halten?« »Ist es ganz sicher kein Syntie-Blip, Tschobe?« wollte Dhark wissen. »Nein, oder die Tropfen müßten damit manipulieren können, als ob sie es mit Knetmasse zu tun hätten.« »Okay, melden Sie sich sofort, wenn es etwas Neues gibt...« »Muß mich schon melden, Dhark. Distanz nur noch 2,5 Lichtjahre. Dabei kriechen wir doch. Das Etwas muß auf uns zukommen. Können denn die Astronomen nichts entdecken?« Jens Lionel hatte den Leitstand der POINT OF längst wieder verlassen und befand sich in der astronomischen Abteilung. Auch die Kollegen, die vor gut einer Stunde ihre Schicht beendet hatten, waren anwesend. Mit allen Mitteln der modernen Technik wurde der Raumabschnitt im Bereich der Koordinate Gelb 50 abgesucht, abgetastet, durchforscht - aber nicht das geringste war festzustellen. »Nicht aufgeben!« hämmerte Lionel seinen Kollegen ein. »Wir müssen das Ding finden. Wir müssen herausbekommen, was es ist!« Er hatte gut reden. Damit waren auch keine Resultate zu erzielen. Aus dem Triebwerksraum, wo Miles Congollon wieder die Leitung übernommen hatte soweit man das angesichts der von der Gedankensteuerung blockierten Schalter sagen konnte - kam die nächste Katastrophenmeldung.
»Dhark, der Sternensog steht kurz vor dem Zusammenbruch...«
Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als es den überlicht-schnellen Antrieb der POINT
OF nicht mehr gab.
»Und was macht der Sle, Miles?«
»Nichts... Oh, mein Gott...«
Die beiden Intervalle der POINT OF bestanden nicht mehr, aber im 77
Schiff war die Hölle los. Die riesigen Aggregate drohten hochzugehen.
»Dhark...« wieder Congollons unheilschwangere Stimme, »wir müssen damit rechnen, daß
die Schwerkraft-Regler ausfallen. Was dann geschehen wird, wissen nur noch die Götter!«
Der Antrieb arbeitete nicht mehr!
Die PoiNT OF konnte ihre Strahlantennen nicht einsetzen!
Die beiden Intervallfelder hatten aufgehört zu existieren!
Der Ringraumer war nicht einmal mehr in der Lage, einen Notruf abzustrahlen!
Konnte es noch schlimmer kommen?
Es kam noch schlimmer!
»Dhark, Distanz zum Etwas nur noch 0,3 Lichtjahre!« meldete Manu Tschobe.
Mike Doraner und Pjetr Wonzeff waren in der Sicht-Sprech-Verbindung.
»Nein!« entschied Dhark mit fester Stimme. »Sie können den Ringraumer nicht mehr
verlassen. Wir haben keinen Intervallschutz mehr. Begreifen Sie nun, wie verzweifelt unsere
Lage ist?«
Mike Doraner ließ nicht locker. »Commander, lassen Sie es uns versuchen. Wenn unsere
Flash kein Intervallfeld mehr aufbauen können, kommen wir natürlich nicht durch die
Unitallwandung, aber sonst ist draußen im Raum für uns das Risiko nicht größer als im
Schiff. Vielleicht haben wir eine Chance über unseren Bordsender einen Notruf nach
Terra...«
»Verdammt nochmal, keinen Notruf nach Cent Field abstrahlen! Sollen denn noch mehr
Menschen draufgehen, Doraner?« Im nächsten Augenblick war er wieder der beherrschte
Commander. »Okay, versuchen Sie Ihr Glück. Riskieren Sie aber nicht zuviel. Moment, ich
rufe Tschobe! - Manu, Distanz?«
»Noch 0,25 Lichtjahre. Das Etwas muß in den letzten Minuten sein Tempo gedrosselt haben.
Also, wenn Sie diese verdrehten Amplituden sehen würden, müßten Sie wie ich den Kopf
schütteln.«
»Ende!« unterbrach ihn Dhark. Er wandte sich wieder an die beiden Flash-Piloten. »Distanz
zum unbekannten Etwas 0,25 Lichtjahre. Versuchen Sie Ihr Glück. Versuchen Sie außerdem,
falls Sie nach
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draußen kommen, Funkkontakt mit uns aufzunehmen, auch wenn wir nicht antworten können. Alles Gute!« • Mike Doraner und Pjetr Wonzeff warfen sich einen kurzen, aber vielsagenden Blick zu, dann jagten sie zum Depot, in dem sich die Flash 025 und 026 befanden. »Alles klar wie sonst«, teilte Mike Doraner über Vipho aus der 025 mit. »Versuche Intervall einzuschalten - Intervall steht. Ich fliege aus...« »Ich auch!« rief Pjetr Wonzeff, und seine Stimme klang nicht anders als sonst. Sie waren Überraschungen gewohnt und hatten in unzähligen Flash-Einsätzen bewiesen, daß sie in der Lage waren, auch dann noch einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn andere längst keine Hoffnung mehr hatten. Die beiden Blitze durchflogen die Unitallwand, schalteten den Sie hoch und nahmen Fahrt auf. »Hallo POINT OF, wir sind gut rausgekommen und...« Verdutzt starrte Doraner sein Vipho an. Es arbeitete nicht mehr. Es gelang ihm auch nicht, die Funkanlage seiner 025 einzuschalten. Nicht nur, daß sein Intervall zusammengebrochen war, auch der Sie setzte aus, und sein Flash begann im freien Raum zu torkeln. Nur der Andruck-Absorber arbeitete noch. Alles andere lag nicht lahm, sondern war blockiert. Hatte die Gedankensteuerung der POINT OF auch ihre Blitze übernommen? Was bezweckte sie mit diesen unverständlichen Akionen? Das kleine Hyperfunk-Gerät blieb tot. Mike Doraner starrte zur Bildprojektion hinauf. Der Sternenhimmel schien sich wie ein Karussell zu drehen, das dazu aber auch nach allen Seiten torkelte. Ich glaube, diesmal haben Pjetr und ich zu viel riskiert, dachte er. Das wird unser letzter Flash
Einsatz gewesen sein. Aber dann flammte noch einmal mit aller Kraft sein Überlebenswille auf. Er wollte die Gedankensteuerung kraft seiner gedanklichen Konzentration zwingen, ihm wieder das Kommando über seinen Flash zu übergeben. Daß zur gleichen Zeit Pjetr Wonzeff denselben Versuch machte, konnte er nicht ahnen. Die Fingerspitzen auf den wichtigsten Steuerschaltern, wartete er auf die Reaktion jener Ein 79
richtung, von der die Wissenschaftler Terras immer noch nicht wußten, wie sie wirklich arbeitete. Mike Doraner konzentrierte seine Gedanken mit solcher Kraft, daß ihm der Schweiß ausbrach. Plötzlich bewegte sich der Schalter des Antriebs von Sie auf Ster-nensog. Doraner jubelte schon, aber als er wieder die Bildprojektion über seinem Kopf betrachtete und die Sterne nach wie vor kreisen sah, erkannte er, daß sich nichts geändert hatte. Sein Sternensog arbeitete nicht! »Verdammt noch mal, die Gedankensteuerung hat noch nie faule Witze gemacht«, fluchte er und wischte sich den Schweiß ab. »Was soll dieser Unsinn? Warum konnte ich nur einen Steuerschalter...? Oh, jetzt sitzt das verdammte Ding auch noch fest! Na dann, gute Nacht. Vielleicht hat Wonzeff mehr Glück als ich...« Dann schwieg er, legte den Kopf in den Nacken, ignorierte die kreisenden Sterne und betrachtete den Ringraumer, von dem er ein paar Kilometer entfernt war. Nur ein paar Kilometer - und dennoch unerreichbar weit! Eine Ewigkeit, ein Abgrund aus Zeit und Raum lag zwischen seinem Flash und der POINT OF. Aus der Funk-Z des Ringraumers meldete Manu Tschobe nun schon zum drittenmal: »Kein Funkspruch von der 025 und 026...« Dan Riker hämmerte sich mit der Faust gegen die Stirn. »Ich begreife nichts mehr. Weshalb hat diese verfluchte Gedankensteuerung zugelassen, daß die beiden Flash ausfliegen konnten? Gibt es etwas Sinnloseres als diese Erlaubnis?« Niemand antwortete ihm. Miles Congollon meldete sich. Auf seinem Gesicht spiegelte sich größte Bestürzung. »Dhark, hier wird verrückt gespielt! Der Sternensog ist vom Schiff aus abgeschaltet worden. Das Schiff, unsere POINT OF, hat mit ihrer verfluchten Gedankensteuerung verhindert, den Sle einzuschalten. Ich habe Beweise dafür! Und noch was... die Energie, die sonst zur Aufrechterhaltung der Intervalle abgeführt wird, geht jetzt woanders hin...« 80
»Und wohin?«.
»Weiß ich nicht. Doorn ist mit seinem Können auch am Ende. Dabei gibt der Kahn
unheimlich große Energiemengen frei. Ich...«
»Ende, Miles. Tschobe hat Neuigkeiten. Bleiben Sie in der Verbindung.«
Der Afrikaner hinter der Echo-Kontrolle schwitzte, aber er wollte auch seine Nachricht
loswerden. »Die Blips haben ein anderes Aussehen bekommen. Sind noch verrückter in ihren
Formen geworden. Aber da ist noch etwas. Das Ding vor uns ist sendeklar... oder feu erbereit... oder reißt gerade sein unsichtbares Maul auf, um uns zu verschlingen. Vielleicht
bin ich übergeschnappt... aber ich hab' die Befürchtung, daß es gleich losgeht. Die
Waffensteuerungen sind immer noch unklar, Dhark?«
Tschobe war eine Doppel-Begabung. Er war nicht nur ein erstklassiger Arzt, sondern ein
ebensoguter Funk-Experte »Waffensteuerungen unklar, Manu...«
»Es kommt näher, Dhark!« schrie Tschobe auf. »Es nimmt Fahrt auf. Und wie! Distanz 0,2
Lichtjahre... jetzt nur noch 0,18... 0,15... es wird noch schneller und...«
»Meine Ortungen arbeiten nicht mehr!« rief Grappa verzweifelt.
Im nächsten Augenblick zeigte in der gesamten PoiNT OF keine einzige Bildkugel mehr ein
Bild - das Fenster des Schiffs, über das man in den freien Raum blicken konnte, war blind!
Irgendwo setzte ein Pfeifen ein...
Überall! Wenigstens war es überall zu hören.
Das Pfeifen wurde nicht lauter, stieg aber unermüdlich immer höher die Tonleiter hinauf.
»Distanz 0,12 Lichtjahre!«
Miles Congollon meldete sich erneut. »Die Aggregate im Triebwerksraum pfeifen...« »Von dort kommt dieses neue Geräusch?« meinte Dhark verblüfft. »Es hört sich so an...« Und dann versetzte Anja Field, die noch immer am Bordgehirn der POINT OF stand, allen den endgültigen Tiefschlag. »Checkmaster hat sich abgeschaltet. Er gibt keine Antworten mehr und führt auch keine Berechnungen mehr durch!« 81 Ren Dhark wollte den Pilotensitz verlassen und blieb dann doch sitzen. Das bewies seine Ratlosigkeit mehr als alles andere. Das Pfeifen war kaum noch zu ertragen. Immer schneller schien es sich dem Frequenzbereich zu nähern, den menschliche Ohren nicht mehr erfassen konnten. Und dann endete es abrupt! Der Lärm der über Maximum hochgefahrenen Aggregate hatte aufgehört. Die Bildkugel lieferte wieder gestochen scharfe Bilder. Tino Grappa knurrte hinter seinen Ortungen: »Das ist doch ein Narrenschiff! Jetzt klappt alles wieder!« Ren Dhark starrte als einziger die Bildkugel an. Er verfügte über ein gutes Gedächtnis, was Sternkonstellationen betraf. Wenige Augenblicke später war er sich seiner Sache sicher. Als er seinen Freund ansah, konnte Dan nicht verstehen, weshalb Dharks braune Augen so stark leuchteten. Und jetzt schmunzelte er auch noch. »Ich weiß nicht...« Mit einer Handbewegung bat Ren seinen Freund zu schweigen. Doch er erhielt keine Gelegenheit, ihm die unwahrscheinliche Neuigkeit mitzuteilen. Manu Tschobe, der nicht daran dachte, daß er nicht mehr zu brüllen brauchte, rief überlautstark: »Funkgeräte funktionieren wieder. Wir haben die 026 mit Wonzeff auf der Phase. Der Mann muß verrückt geworden sein. Er behauptet, drei Lichtjahre vor dem Sol-System zu stehen...« »Gratulieren Sie ihm, Tschobe! Wonzeff hat es genauso schnell erkannt wie ich. Los, gratulieren Sie ihm über Hyperfunk!« Der Afrikaner, sonst nicht begriffsstutzig, fragte verwirrt zurück. »Wonzeff gratulieren? Für seinen Unsinn? Moment mal, meine Echo-Kontrolle zeigt ja gar keine verdrehten Blips mehr...« »Das kann sie nicht mehr so gut wie eben, Tschobe, oder Sie müßten sie neu auf unseren unbekannten Gegner justieren... Große Milchstraße, hat denn noch immer keiner festgestellt, daß wir uns direkt vor dem Alvin-System befinden, nur 14,1 Lichtjahre von der Erde entfernt?« »Alvin?« murmelte Dan, »aber wir hatten doch bis zum Sol-System noch 174 Lichtjahre zurückzulegen...« »Hatten«, warf Ren Dhark ein und schmunzelte. Am liebsten hätte 82 er gesagt, daß er gerade die schönste Minute seines Lebens erlebt hatte! Diese Mysterious! dachte er und schüttelte einmal mehr bewundernd den Kopf. Jens Lionel meldete sich. Dhark hatte sich schon in Gedanken gefragt, wie lange die Experten wohl benötigen würden, bis ihnen die Augen aufgingen. »Commander!« Lionels Stimme überschlug sich. »Commander, die POINT OF muß transitiert haben! Dhark, wir stehen dicht vor dem Alvin-System...« »Und die 026 mit Pjetr Wonzeff hat sich bis auf drei Lichtjahre dem Sol-System genähert. Wahrscheinlich wird sich Doraner auch gleich melden...« Dharks Kommando-Stab im Leitstand stöhnte. Die POINT OF war doch ein Sprung-Schiff ein Raumer, der in Null-Zeit durch den Hyperraum gewaltige Lichtjahr-Distanzen zurücklegen konnte! In der Funk-Z fing Tschobe den Ruf der 025 auf. Er legte den Spruch zum Leitstand hinüber. Mike Doraner meldete sich. Sein Gesicht war auf dem kleinen Bildschirm gut zu erkennen. Daß er etwas blaß war, konnte nicht übersehen werden. »Es tut gut, die POINT OF wenigstens an der Strippe zu haben, aber sonst... Dhark, mein Flash hat eine Panne. Meine Ortungen drehen durch. Ob Funk-, Distanz- oder MassenOrtung. Ich soll auf einmal auf Grün 23:00,53 und Rot 08:73,82 rund 104 Lichtjahre hinter
der POINT OF stehen. Das kann doch nie und nimmer stimmen.« Mike Doraner war noch nicht der Gedanke gekommen, daß seine 025 transitiert haben könnte. Er war überzeugt, daß zum ersten Mal die Ortungen seines Blitzes versagt haben mußten. »Und wenn es stimmt, Doraner? Wenn Sie tatsächlich 104 Lichtjahre hinter dem Ringraumer stehen? Was sagen Sie zu der Tatsache, daß die POINT OF sich im Alvin-System befindet?« Schweigen. Der Hyperfunk übertrug für Sekunden nur das typische weiche Rauschen. Dann ein Räuspern. Mike Doraner schluckte schwer. »Transitiert! Die POINT OF kann springen? Und mein Flash ist auch gesprungen? Hat es in der POINT OF auch so scheußlich gepfiffen wie in meinem Flash?« 83
Erstaunlich schnell hatte er den freudigen Schock überwunden und konnte schon wieder Fragen stellen. Ren Dhark gab das Gespräch an Dan Riker ab. Er grübelte, während es in der Zentrale lebhaft wie selten war. Man konnte sich noch nicht so schnell mit dem Gedanken vertraut machen, daß der Ringraumer ebenso transitieren konnte wie alle anderen Schiffe jener unbekannten Rassen, die sich in diesen Spiralarm geflüchtet hatten. Aber warum hatte ihnen die Gedankensteuerung diese Sprungtechnik so lange vorenthalten? Und warum hatten sich darüber im Archiv der Ringraumer-Höhle keine Mentcap-Unterlagen befunden? Er erinnerte sich ganz genau, danach verlangt zu haben, doch das Archiv hatte ihm keine Mentcap geliefert. »Doorn, kommen Sie auf dem schnellsten Weg zur Zentrale.« Kurz darauf trat der bullige, oft wortkarge junge Mann ein. »Sie wissen inzwischen auch, daß die POINT OF transitieren kann... Doorn, ich bin vollkommen ratlos. Die Gedankensteuerung hat uns einen Nasenstüber verpaßt.« »Das Pfeifen! Wir haben es bisher noch nie gehört!« warf Arc Doorn ein. Ihn kümmerte es nicht, daß er von allen Seiten wie ein Wunderknabe angestarrt wurde. Daran hatte er sich inzwischen gewöhnt. Auch an die Tatsache, daß man von ihm in schwierigen Situationen oft mehr erwartete, als er leisten konnte. Daß er ein Faible für unbekannte Technik besaß und sich in ihre Strukturen hineinversetzen konnte, hatte ihn in all den Jahren nie arrogant werden lassen. Er wußte selbst nicht, wie er zu dieser Veranlagung kam. Dhark wiegte zweifelnd den Kopf. »Das Pfeifen? Diese akustische Kulisse? Doorn, enttäuschen Sie mich heute nicht. Wir alle haben jenes berühmt-berüchtigte Brett vor'm Kopf. Die POINT OF ist ein Sprung-Schiff. Warum haben wir das bisher nie herausgefun den? Und dabei hätte es uns schon mehrfach helfen können.« Für kurze Zeit schloß Doorn die Augen. Er rekapitulierte noch einmal alle Vorgänge. Das Etwas kam auf sie zu. Überlichtschnell. Die Gedanken Steuerung hatte das Schiff übernommen. Nach einigen Jahren zum ersten Mal wieder. Die Ortungen waren ausgefallen. Die fußballgroßen Flächenprojektoren auf der inneren Seite der äußeren 84 Unitallhaut hatten dem Brennpunkt keine Energien mehr zugeführt. Ergebnis: Zusammenbruch des Sternensogs. Aber war der Ring-raumer nicht von Kräften, die von außen kamen, in seiner hohen Überlichtfahrt abgebremst worden? Dann hatte es die beiden Mini-Welträume - die Intervallfelder -nicht mehr gegeben, die sonst immer den Ringraumer umgaben. Kein Sternensog! Also keinen Antrieb mehr, und das in relativer Nähe eines unbekannten, unsichtbaren Gegners, der schon vier Raumschiffe der TF verschlungen hatte. Kein Intervall! Kein To-Funkverkehr! Zusammenbruch der Bildkugeln im Schiff. Aber neuartig das durchdringende Pfeifen, das die Tonleiter hinaufgejagt war, ohne dabei lauter zu werden. Das Pfeifen...? Arc Doorn fühlte, daß sich seine Gedanken in die falsche Richtung bewegten, aber er kam von diesem Pfeifen nicht los. Ratlos zuckte er mit den Schultern. »Dhark«, sagte er brummig, »ich habe auch das berühmt
berüchtigte Brett vor'm Kopf. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wieso unsere POINT OF
auf einmal zu einem Sprung-Schiff geworden ist.«
Ren Dhark war ein bißchen enttäuscht; oder hatte er zuviel von Doorn erwartet? Der junge
Mann verließ die Zentrale. Am Checkmaster stand Anja, die dem Gespräch aufmerksam
gefolgt war.
Wie ein Blitz schoß es Dhark durch den Kopf.
Der Checkmaster! Er mußte jetzt Auskunft geben! Er mußte!
Und dann stellte er die Frage, deren Beantwortung ihm so viel bedeutete.
Das Bordgehirn einer Technik, die schon vor tausend Jahren diesen Höchststand erreicht
hatte, arbeitete.
Die Intervalle der POINT OF sind eine absolute Transitionsbremse. Das gleiche gilt auch für alle
Flash. Nur mit abgeschalteten Intervallen kann der Ringraumer transitieren! kam das Resultat.
»Wir werden nie auslernen...« brachte Ren Dhark über die Lippen. Das einfachste zu
übersehen - bedeutete es zugleich nicht auch, daß der Mensch noch nicht reif war, die
Technik der Mysterious zu begreifen?
Der Alltag gab ihm keinen Spielraum, länger darüber nachzuden 85
ken. Glenn Morris meldete, daß aus dem Col-System, vom Planeten Hope, ein Funkspruch eingegangen war. Wir haben eine wichtige Entdeckung gemacht, die das Verschwinden der FO-1 erklären könnte. Untersuchungsmaterial wird von der FLYING DOG nach Alamo Gordo gebracht, gez. Colonel Huxley. 86
5. Die FO-1 war verschwunden! Verschwunden von ihrem Landeplatz, im abgeschalteten Zustand; ihr Verschwinden war von keiner Ortung erfaßt, kein einziger energetischer Impuls war bemerkt worden - nichts, gar nichts! Die Männer in der Ortungszentrale wischten sich den Schweiß ab. Eine Stunde lag hinter ihnen, die sie so schnell nicht vergessen würden. Kein einziger Wissenschaftler im HöhlenSystem von Deluge hatte ihnen glauben wollen, daß im Bereich der Doppelsonne Col seit einem halben Tag nichts vorgefallen war. Voller Mißtrauen waren sie wie ein Schwärm in die Zentrale gekommen, an der Spitze Colonel Huxley. Er war dann nur Beobachter gewesen, Experten hatten die Rolle der Kontrolleure übernommen. Alles war überprüft worden. Immer wieder hatte man die Speichersektoren der Su-prasensoren aktiviert, die abgerufenen Daten und Diagramme untersucht, und jeder Wissenschaftler hatte im stillen gehofft, daß der Or tungszentrale ein Fehler unterlaufen sei. Aber es war kein Fehler begangen worden. Die FO-1 war verschwunden - spurlos! Fünftausend Wissenschaftler, die von Terra abgestellt worden waren, um die Technik der Mysterious zu erforschen, sahen in dem Verschwinden des Forschungsraumers ein ebenso großes Rätsel wie in denen, von denen sie hier auf Schritt und Tritt umgeben waren. »Sehen wir uns doch einmal gründlich den Platz an, auf dem die FO-1 gestanden hat«, schlug einer der Wissenschaftler vor, als sie die Ortungszentrale verließen. »Da gibt's nichts zu sehen«, entgegnete Huxley. »Da gibt's nichts... nur nackten Fels.« Aber er dachte weniger an sein Schiff als an die Männer, die mit dem Raumer verschwunden waren. Er ging wie ein Roboter, mit steifen, eckigen Bewegungen. Er 87
versuchte das scheußliche Gefühl loszuwerden, das ihm suggerieren wollte, er würde seine Männer nie wiedersehen. Abrupt blieb er stehen und drehte sich um. Ihm war gleichgültig, ob man sich über seinen Meinungswandel wunderte. »Ja, sehen wir uns den Platz an, wo mein Schiff einmal gestanden hat!« Dreißig Mann flogen in Jetts los. Dreißig Mann standen zwischen mehreren tausend Meter
hohen Felswänden, aber niemand achtete auf die wilde Schönheit dieser stummen Giganten,
deren Gipfel in tiefhängenden Wolken verborgen waren. Alle sahen nur die nackte
Felsfläche, den ehemaligen Landeplatz der FO-1. Niemand sprach. Alle waren erschüttert
und besorgt. Wie hatte der Forschungsraumer verschwinden können? Welche unheimlichen
Kräfte hatten das Millionen Tonnen schwere Schiff im abgeschalteten Zustand entführt? Und
wohin? Hatte sich dieser Vorgang so schnell abgespielt, daß Prewitt, Huxleys Stellvertreter,
keine Zeit mehr gefunden hatte. den vorbereiteten Notruf abzustrahlen?
Da riß die Wolkendecke auf. Durch die Lücke leuchtete eine der beiden Col-Sonnen.
Schlagartig wirkte das schmale, tiefe Tal wie eine bizarre Märchenlandschaft, in der es von
Riesen und Dämonen wimmelte, aber niemand sah das Schattenspiel an der anderen Berg flanke.
Alle blickten zu Boden. Verstohlen wischten sich einige Männer die Augen. Sie glaubten an
Halluzinationen.
»Was ist das?« fragte Colonel Huxley mit rauher Stimme.
H. C. Vandekamp, der Fachmann für Kontinuumforschung, stand neben ihm. »Sie haben es nicht gesehen, als Sie vorhin hier waren, Huxley?« Der schüttelte den Kopf. Dann schloß sich das Wolkenloch, und die Sonne schien nicht mehr ins Tal. Der Fels, den die FO-1 als Landeplatz beansprucht hatte, leuchtete und schimmerte auch nicht mehr in allen Regenbogenfarben. Der Fels war wieder Fels geworden, ohne jegliches Farbenspiel. Einige Männer knieten, betrachteten den Boden, auf dem sie gestanden hatten. Eben, als das Tal von Sonnenlicht durchflutet gewesen war, hatte es auch unter ihren Füßen farbenprächtig geleuchtet; nun sah der Fels wieder ganz normal aus. 88 Ein Ingenieur forderte über Funk Spezialscheinwerfer an, mit denen Lichtstrahlen beliebiger Wellenlängen erzeugt werden konnten. Er gab seiner Anordnung die höchste Dringlichkeitsstufe. Eine halbe Stunde später stand die Anlage. Die Zusammensetzung des Lichts der Col-Sonnen war bekannt. Um diese Zeit konnte nur Col-Zwei das Tal beleuchtet haben. Die Scheinwerfer flammten auf, und wiederum leuchtete der Fels in allen Regenbogenfarben. »Was ist denn damit passiert?« Die ersten Untersuchungen begannen. Wenn man den Fels nicht mehr bestrahlte, verschwand auch das regenbogenfarbene Leuchten. Das normale Tageslicht, durch die Wolkendecke gedämpft, reichte nicht aus, das Leuchten auszulösen. Drei Ingenieure waren auf einen mehrere Meter hohen Felsbrocken geklettert. Von diesem Platz aus hatten sie eine bessere Übersicht. »Wie eloxiert...« sagte einer, drehte sich dann zu seinem Nebenmann, weil der ihm die Hand auf die Schulter gelegt hatte. »Ja?« fragte er, und lenkte dann unwillkürlich den Blick in die Richtung, in die der andere zeigte. »Jetzt wird's ganz verrückt«, murmelte der Ingenieur. Er stand leicht nach vorn gebeugt und schüttelte ununterbrochen den Kopf. »Nehmen wir einen Jett. Sehen wir uns das mal von oben an!« Kurz darauf hob ein Jett mit den drei Experten ab, flog langsam auf die Stelle zu, an der einmal die FO-1 gestanden hatte, und verharrte unbeweglich in der Luft. »Was gibt's?« kam die Anfrage vom Boden. »Aus der Vogelperspektive sieht das eloxierte Leuchten etwas anders aus. Im ehemaligen Bereich der FO-1 ist der Fels normal... Stop! Ich muß mich verbessern. Können die Scheinwerfer drei bis sechs einmal kurzfristig diesen Bereich anstrahlen?« Die drei Ingenieure warteten gespannt. Drei grelle Lichtkegel leuchteten den Platz aus, wo einmal der Forschungsraumer gestanden hatte. Leise summten die Triebwerke des Jetts. Im Fahrzeug hörte einer das Atmen des anderen. »Na...?« Die Männer am Boden hatten wenig Geduld. »Es ist so, wie wir es zuerst beobachtet haben. Dort, wo die FO-1 gestanden hat, verliert die eloxierte Schicht an Farbe und Leucht 89
kraft. Als ob die Zelle des Raumers diesen Eloxierungsvorgang gestört hätte... oder...« Und dann kam nichts mehr. Von den eigenen Überlegungen überrascht, schwieg der Ingenieur. Plötzlich war Colonel Huxleys Stimme zu hören. Er fragte in scharfem Tonfall: »Was, oder...? Reden Sie, Mann! Was haben Sie entdeckt?« »Ich habe nichts Neues entdeckt. Nur einen Gedanken zu Ende gedacht. Ringsum ist die Felsoberfläche durch einen noch nicht geklärten Vorgang verändert worden. Wo die FO-1 gestanden hat, ist dieser Prozeß kaum zu bemerken. Kann die Außenhülle der FO-1 nicht auch dieses Aussehen bekommen haben? Und gleichzeitig verhindert haben, daß das Gestein unter ihr diesen Überzug erhielt?« Ein zweiter Jett flog heran. Elf Mann bestätigten, was die drei Ingenieure entdeckt hatten. Noch gab es keine Erklärung dafür. Noch besaß man keine Proben, um die dünne Schicht auf dem Fels analysieren zu können. »Wo ist mein Schiff?« hörte H.C. Vandekamp den Colonel murmeln, der teilnahmslos die gegenüberliegende Wand anstarrte. Der Kontinuum-Experte wandte sich ab. Auch er hatte Colonel Huxley falsch eingeschätzt. Unter der rauhen Schale verbarg sich ein Mensch, der um seine verschwundenen Freunde trauerte. Aus der Höhle wurden Geräte angeflogen. Ein Spezialtrupp blieb zurück, der versuchte, die eloxierte Schicht von der Gesteinsoberfläche zu lösen. Eine Arbeit, die zunächst undurchführbar schien, bis man das U1-Schall-Chem-V'erfahren anwandte, Steinplatte um Steinplatte von ihrer Unterlage löste und dabei gleichzeitig in einen braunen, dünnflüssigen Brei verwandelte, der zwischen den kleinen Spalten und Ritzen davonfloß. Übrig blieb eine hauchdünne, lichtdurchlässige Folie, die in allen Regenbogenfarben das Licht der Scheinwerfer reflektierte. Außerdem wurden alle losen Felsbrocken eingesammelt, die ebenfalls von der Schicht überzogen waren. Kaum befanden sich die ersten Proben in der Maschinenhöhle, als die Analytiker auch schon mit ihrer Arbeit begannen. 90 Henner Trawisheim handelte sofort, als von der POINT OF die sensationelle Meldung eintraf, der Ringraumer sei ein Transitionsschiff und habe gerade den ersten Sprung durchgeführt. Trawisheim gab die Meldung frei. Viele TV-Stationen der Erde unterbrachen ihr Programm, um den aufhorchenden Menschen diese Neuigkeit bekanntzugeben. Nur wenige durchschauten Trawisheim, der im übrigen mit der Freigabe von Sensationsmeldungen zurückhaltend operierte. Die Terraner sollten abgelenkt werden. Das Verschwinden der Raumer CAESAR, YAMID, SHARK und FO-1 hatte sich durch unbekannte Kanäle auf der Erde wie ein Lauffeuer verbreitet. Der Stolz aller Menschen, die Terranische Flotte, hatte vier Schiffe verloren! Unersetzlich die FO-1, und gerade ihr Verschwinden hatte überall Bestürzung, stellenweise sogar Panik ausgelöst. Von einer Invasion durch eine unbekannte Gefahr wurde gesprochen, die Schlagkraft der TF in Zweifel gezogen. Welche Macht hatte die vier Schiffe spurlos verschwinden lassen? Was steckte hinter diesen Katastrophen? Als die TV-Sender der Erde ihr Programm unterbrachen, erwarteten Milliarden Menschen die Meldung, daß nun auch das fünfte Raumschiff verschwunden sei. Statt dessen wurden sie von der Nachricht überrascht, daß sowohl die PoiNT OF wie ihre Flash Tran-sitionsraumer seien. Trawisheim hatte richtig kalkuliert. Die Gerüchte und wilden Spekulationen über die vermißten Schiffe verstummten. Thema Nummer eins waren wieder Ren Dhark und die PoiNT OF. Henner Trawisheim schien das nicht weiter zu berühren. Er schob einen Stapel Folien beiseite, nachdem er sie gelesen und teilweise auch unterzeichnet hatte, und blickte dann Bernd Eylers an, der ihm seit ein paar Minuten gegenübersaß. »Ich erlebe es doch noch, daß Sie Zeit haben, Eylers?« fragte er in gutmütigem Spott; in seinen dunklen Augen lachte der Schalk. Das Lachen hatte Dharks Stellvertreter noch nicht
verlernt.
»Sorgen habe ich, Trawisheim. Und ich brauche einen Menschen, mit dem ich einmal in
Ruhe über meine Sorgen sprechen kann. Haben Sie Zeit?«
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Henner Trawisheim hatte immer Zeit, wenn es darauf ankam, einer wichtigen Sache Gehör
zu schenken. Die anderen fragten sich vergeblich, wie er überhaupt in der Lage war, sein
gewaltiges Arbeitspensum zu schaffen.
»Ich habe Zeit, Eylers.« Der große, ausgeglichen wirkende Mann stand auf und kam um den
Schreibtisch herum. »Sie wollen mich wegen Shanton sprechen?«
»Nicht direkt.« Eylers betrachtete seine Fingerspitzen, überlegte, sah dann Trawisheim
nachdenklich an und sprach zögernd weiter. »Shanton ist nur das Ende einer Gliederkette...
wenn man es so nennen kann. Es besteht kein Zweifel, daß er zu diesen infamen Sabo tageakten mißbraucht worden ist.«
»Eine Zwischenfrage: Ist unser Abwehrsystem tatsächlich geschwächt?«
»Ja. Vielleicht werden Sie erstaunt sein, wenn ich sage, daß mich die Situation in dieser
Hinsicht nicht sonderlich beunruhigt. Mir macht eine andere Frage Sorge: Was steckt
wirklich dahinter?«
»Sie sehen in dieser Sache ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver?« Trawisheim lieferte
wieder einmal einen Beweis seiner Fähigkeit, logisch und folgerichtig zu denken.
»Ich vermute es. Aber ich habe keinen einzigen Beweis. Warum ist man einerseits so
geschickt vorgegangen und hat Shanton dazu mißbraucht, unsere Forts lahmzulegen, um ihn
andererseits selbst auf den Gedanken kommen zu lassen, er sei der Saboteur?«
»Das ist eine Alternativfrage«, warf Trawisheim ein.
»Mir klar...« Eylers' Armband-Vipho meldete sich. Er drehte den linken Arm und blickte auf
die kleine, kaum drei mal drei Zentimeter große Bildscheibe. »Ja?«
Erstaunlich deutlich hörten er und Trawisheim: »38. Stock, 3/109. Wir haben hier einen
Mann erwischt, einen TP-Reporter, einen gewissen Bert Stranger...«
»Halten Sie ihn fest! Ich komme und sehe mir den Burschen noch einmal an.«
Trawisheims phänomenales Gedächtnis für Namen zeigte sich. »Derselbe Reporter, der auf
Ast-227 war?«
»Wer sonst. Ich frage mich: Wie ist der Kerl bis zum 38. Stock
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werk hochgekommen? Wir haben doch überall unsere Sperren und Kontrollen! Schade,
Trawisheim, ich hätte mich gern mit Ihnen über meine Sorgen unterhalten. Ich schau' bald
mal wieder rein.«
Dann stand er ein Stockwerk tiefer dem Reporter gegenüber. Bert Stranger wirkte belustigt.
Das ärgerte Eylers noch mehr.
»Sie...«
»Wir kennen uns doch, Eylers«, fiel ihm Stranger ins Wort und machte mit seinen kurzen
Armen eine großartige Geste. »Bloß Ihre Kontrollen hier sind Mist. Ausgesprochen
kläglich.«
Eylers erinnerte sich, daß dieser Typ auf Ast-227 eine Show abgezogen hatte, die vom
journalistischen Standpunkt Pfiff besaß. War er jetzt etwa auch wieder auf Sendung?
Er packte den dicklichen Reporter, zog ihn dicht zu sich heran und holte tief Luft, um ihm
mit aller Schärfe eine Frage zu stellen, als Stranger im harmlosesten Ton sagte:
»Eylers, Sie können so viel an mir herumziehen, wie Sie wollen... ich werde nicht mehr
größer!«
Einer der GSO-Männer lachte schallend.
Eylers ließ Stranger los. Der Reporter zog seine Kleidung zurecht und griff in die Tasche.
Niemand hinderte ihn daran, aber fünf Mann - Eylers nicht mitgerechnet - standen auf dem
Sprung, um jederzeit eingreifen zu können.
»Sie wollen natürlich wissen, wie ich in diesen Wigwam gekommen bin, Eylers. Damit!«
Und in seiner flachen Hand lag etwas, das Eylers für einen Miniatursender hielt.
»Was ist das?» fauchte er den Journalisten an.
»Ein Sesam-öffne-dich. Ich zeig' Ihnen, wie's funktioniert, Eylers. Wie war's mit einem
Besuch bei Trawisheim? Ich habe noch nie ein Interview von ihm bekommen.«
Spöttisches Lachen klang auf; es war unmöglich, als Unbefugter die Kontrollen zum 39.
Stockwerk zu durchbrechen.
»Ich lasse Sie einsperren! Für dummen Unfug habe ich keine Zeit.«
»Sie trauen dem Ding in meiner Hand aber auch gar nichts zu, Eylers. Dem geht's wie mir bei
TerraPress; die haben mich doch bloß deswegen auf Regierung, TF und Defensiv angesetzt,
weil sie mich verheizen wollen.«
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»Können Sie beweisen, daß man Sie auf uns angesetzt hat, Stranger?«
»Haben Sie schon mal 'ne Drehtür zugeknallt?«
»Abführen!» Das war die Antwort auf Strangers dumme Bemerkung.
Der wich einen Schritt zurück. »Dann erfahren Sie nie, wie ich ins Regierungsgebäude
gekommen bin. Wo steht eigentlich, daß das Betreten verboten ist?«
Nirgendwo! Man hatte geglaubt, das Regierungsgebäude sei durch Kontrollsperren
hinreichend vor unbefugtem Betreten geschützt.
»Okay, Sie pokern nicht schlecht, Stranger«, gab Eylers offen zu. »Zeigen Sie uns, wie Sie
diese Etage erreichen konnten. Aber das sage ich Ihnen, wenn Sie den Beweis nicht
antreten...«
In einer kameradschaftlichen Geste legte Stranger ihm eine Hand auf den Arm.
»Bitte, sagen Sie nichts mehr, Sie erinnern mich an meine Freundin. Wirklich«, sagte er
unschuldig und nickte ein dutzendmal ganz schnell. »Wie oft hat meine Freundin mir
gedroht, mich zu verlassen? Und wie oft habe ich ihr vorgehalten: Ann, wann hörst du end lich einmal auf, diese leeren Versprechungen zu machen? - Gehen wir jetzt zu Trawisheim?«
Eylers' Teint bekam einen Stich ins Rötliche. Er mußte sich beherrschen, den Reporter wegen
seines albernen Witzes nicht anzufahren. Aber seine Stimme grollte, als er befahl: »Los,
treten Sie den Beweis an!«
»Gern«, meinte Stranger, »aber Sie müssen an den Kontrollsperren vorausgehen!«
»Und diese Herren gehen hinter Ihnen, mein Lieber!«
»Ja, ja, immer auf die Kleinen, aber ich bin's gewohnt.«
Sie betraten den Gang, der zum A-Gravlift führte. Einen Schritt vor der ersten Kontrollsperre
blieb Eylers stehen. Jetzt schien Bert Stranger keine Zeit zu haben.
»Kümmern Sie sich nicht um mich. Fahren Sie nach oben. Sie können Trawisheim schon
sagen, daß ich unterwegs bin.«
Eylers betrat den A-Gravschacht und schwebte in der Plus-Sphäre langsam nach oben. Der
Reporter sah ihm nach, in der geschlosse 94
nen rechten Hand sein Sesam-öffne-dich. Fünf Mann hinter seinem Rücken feixten immer
breiter.
Diese Kontrollsperre war nicht zu überlisten!
Hier mußte sich die Schnüffelnase blamieren!
Plötzlich ging Stranger auf die unsichtbare Sperre zu, passierte sie - und das letzte, was fünf
entgeisterte Männer sahen, war sein joviales Winken.
In der Plus-Sphäre schwebte er zum 39. Stockwerk hinauf.
Und dann saß er Henner Trawisheim und dem GSO-Chef gegenüber. Auf der runden
Tischplatte lag sein Sesam-öffne-dich.
»...dieses Gerät kopiert mein Gehirnstrom-Muster? Hm... Konfisziert! Eine Erklärung
brauche ich Ihnen wohl nicht zu geben.« Bernd Eylers' Stimme klang frostig.
»Ich schenke es Ihnen«, gab Stranger sich spendierfreudig.
»Sind wir beide uns heute nicht im großen Sender in Cent Field begegnet, Stranger?«
»Haben Sie mich doch gesehen?« Einen Augenblick lang hatten sich die Augen des Reporters
verändert. Nichts Unschuldiges lag mehr darin, sondern der wache Blick eines scharfsinnigen
Mannes.
Er spielt also wirklich nur die Rolle des Halbidioten, stellte Eylers in Gedanken fest. Dann
schoß er eine Salve Fragen auf ihn ab. Der Mann von TerraPress hörte ruhig zu und sprach
erst, als Eylers nichts mehr zu fragen hatte.
»Ich bin Reporter. Sie sind GSO-Chef. Henner Trawisheim ist der Stellvertreter des
Commanders. Jeder von uns hat seine Spezial-Rechte. Ich nehme meine Rechte als Journalist
in Anspruch und werde natürlich keine einzige Ihrer Fragen beantworten. Ich habe dieses
Sesam-öffne-dich gekauft...«
»Kennen Sie den Verkäufer?« »Nein!«
»Können Sie ihn beschreiben?«
»Ja, aber ich werde es nicht tun!«
»Stranger, Sie wissen, daß mit diesem Sesam-öffne-dich die Sicherheit der Menschen nicht
mehr gewährleistet ist...«
»Große Worte ohne Inhalt. Phrasen, Eylers. Mir schmeckt's, daß endlich die
Geheimhaltungspsychose von einer Spionagepsychose
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abgelöst wird. Öfter mal was Neues!« Von wegen unschuldige Babyaugen! Eylers erhob sich.
Dieser Typ war keine Witzfigur, sondern eine schlecht modellierte Gestalt aus Unitall. Er
legte dem Reporter vertrauensvoll die Hand auf die Schulter und blickte ihm in die Augen.
»Stranger, ich verspreche Ihnen...«
Der unterbrach ihn hastig: »Denken Sie an meine Freundin!«
Verärgert zuckte der Chef der GSO zusammen. »Also ohne Versprechungen! Beschreiben
Sie mir den Mann, der Ihnen dieses Gerät verkauft hat!«
»Sind Sie an einem Ausweis interessiert, der Ihnen Zutritt zu den geheimsten
Forschungsanlagen gestattet, Stranger?« mischte sich zum erstenmal Henner Trawisheim ein.
»Daran interessiert, ja, aber nicht für diesen Preis. Ich soll Ihnen einen Menschen ans Messer
liefern...«
»Der eine Gefahr für alle darstellt!« behauptete Eylers.
»Wozu haben wir die GSO?« fragte der Reporter. Eylers ging darauf nicht ein. »Es gibt
Dinge, die geheim bleiben müssen...«
»...wie die Regierung den Verlust von vier Raumschiffen verschweigen wollte!« warf
Stranger energisch ein. »Warum wird den Menschen nicht die Wahrheit gesagt, auch die
bittere Wahrheit? Warum versteckt sich der Commander der Planeten, wenn er mal in Alamo
Gordo ist, hinter energetischen Kontrollsperren? Henner Trawisheim, haben Sie keine Angst,
daß Sie in diesem Eissalon selbst zum Eisberg werden? Sachlichkeit, Ordnungsliebe, Fleiß,
alles schön und gut... aber ein bißchen Menschlichkeit und Kontakt zu den anderen
Menschen haben noch nie geschadet!«
»Wir wollen keine Reden hören, Stranger. Beschreiben Sie uns den Mann, der Ihnen das
Gerät verkauft hat, und...«
»Zum letzten Mal: Nein!«
»Dann muß ich Sie auffordern, sofort das Regierungsgebäude zu verlassen!«
»Als Rausschmeißer haben Sie sich schon auf Ast-227 bewährt, Eylers. Werden Sie dafür
auch bezahlt?«
Zurück blieb ein nachdenklicher Henner Trawisheim. Er machte sich Gedanken über den
TerraPress-Reporter Bert Stranger, denn er fühlte sich nicht in der Lage, den Mann
einzuordnen.
96
Die POINT OF hatte die dritte Transition durchgeführt, stand nun kurz vor der Pluto-Bahn
und hatte ihre Ankunft nach Cent Field gemeldet.
Jeder an Bord des Ringraumers stellte sich die Frage, warum man niemals auf die Idee
gekommen war, mit abgeschalteten Intervallen die Lichtgeschwindigkeit zu überschreiten.
Dabei hatte es doch auf der Hand gelegen.
Die Intervalle, in die die POINT OF gehüllt war, beließen den Ring-raumer auch dann noch
im normalen Raum-Zeitgefüge, wenn das Schiff mit vielfacher Überlichtgeschwindigkeit auf
sein Ziel zuraste.
Tausende von Physikern, Kontinuum-Spezialisten und anderen Experten hatten sich den
Kopf zerbrochen, wieso die POINT OF nach Überschreiten der Lichtmauer nicht in den
Hyperraum stürzte, um dort in Nullzeit einen Sprung von Lichtjahren zu tun.
Diese Frage war jetzt zum Teil gelöst.
Auch Ren Dhark hatte sich in den ersten Minuten von der Überraschung mitreißen lassen.
Doch schnell waren die Sorgen zurückgekommen.
Was hatte die PoiNT OF angegriffen? Vor wem war der Ringraumer geflohen? Der
Checkmaster hatte von einer unbekannten Gefahr im Raum gesprochen. Ein ziemlich
wäßriger Begriff, unter dem man sich alles mögliche vorstellen konnte, nur nichts Reales.
Ging auf das Konto der unbekannten Gefahr das Verschwinden der vier Schiffe?
Fragen ohne Antwort!
Und Fragen ohne Antwort gab es seit dem Augenblick, als sie im Höhlensystem von Deluge
auf die Supertechnik der Mysterious gestoßen waren.
Mit halbem Ohr hörte Ren Dhark die Meldung, daß gerade auch Pjetr Wonzeff mit dem Flash
026 eingeflogen war.
Die Flash konnten ebensogut und leicht transitieren wie ihr Mutterschiff!
»Woran denkst du?« riß Dan Riker den Freund aus den Gedanken.
»An die FO-1 und die letzte Meldung von Hope. Was mag man dort entdeckt haben, um das
Verschwinden des Forschungsraumers erklären zu können?«
97
Dan zuckte mit den Schultern. »Die FLYING DOG bringt Untersuchungsmaterial nach Terra.
Rufen wir das Schiff doch an. Der Kommandant wird wohl wissen, was er an Bord hat.«
»Okay...« erklärte Dhark. »Verständige die Funk-Z.«
Von dort meldete sich wenig später Elis Yogan: »Ich kann keine Verbindung mit der
FLYING DOG bekommen. Sie müßte längst vor der Pluto-Bahn aufgetaucht sein. Hope hat
mir die Startzeit durchgegeben: 13:32 Uhr Normzeit.«
Ren Dhark war hellhörig geworden.
»Yogan, Rückfrage an Deluge: Wann ist die FLYING DOG in Transition gegangen? Legen
Sie die Antwort in die Zentrale!«
»In Zentrale legen... Ich rufe Hope...«
Am Hyperfunksender im Höhlensystem von Deluge hatte ein Mann namens Ollig Dienst. Er
nahm Yogans Anfrage entgegen, schaltete dann Bild und Ton aus und wandte sich an seinen
Kollegen. »Der Commander hat den Braten gerochen. Was soll ich jetzt sagen, Phil?«
Phil dachte nicht daran, ein Risiko einzugehen. »Sag der POINT OF die Wahrheit: daß wir
achtzehn Minuten nach dem Start der FLYING DOG jede Verbindung zu dem Schiff verloren
haben...«
»Daß ausgerechnet ich jetzt Dienst haben muß...« knurrte Ollig; er schaltete Bild und Ton
wieder ein und zuckte zusammen, als auf seinem Bildschirm Ren Dharks markantes Gesicht
erschien. Braune Augen sahen ihn unverwandt an.
»Commander«, Ollig räusperte sich, »die FLYING DOG hat Deluge um 13:32 Uhr Normzeit
verlassen. Achtzehn Minuten später riß die Verbindung ab. Seit gut einer Stunde versuchen
wir ununterbrochen...«
Dhark unterbrach den Mann, der viele tausend Lichtjahre entfernt vor seinem To-Funksender
saß. »War die FLYING DOG schon in Transition gegangen?«
»Nein. Daran fehlten noch neun Minuten...«
»Danke! Geben Sie mir Huxley oder Vandekamp... Aber bitte schnell!«
Dan warf seinem Freund einen nachdenklichen Blick zu.
»Jetzt haben wir mit der FLYING DOG das fünfte Schiff verloren!« sprach Ren Dhark seine
Gedanken aus.
98
»Du glaubst...?« Er glaubte es doch auch.
Colonel Huxley meldete sich. Sein Gesicht trug die Spuren seiner derzeitigen Anspannung.
»Huxley, was ist mit der FLYING DOG?«
»Verschwunden, wie meine FO-1. Hier will es noch niemand glauben. Ich rede gegen
Wände. Der Jäger ist genauso verschwunden wie mein Schiff.«
»Warum haben Sie es dem Stab in Cent Field nicht gemeldet?« Schärfe lag in Dharks
Stimme.
Achselzucken, dann die Antwort: »Niemand möchte dieser Wahrheit ins Gesicht sehen. Jeder
belügt sich selbst. Ich wurde überstimmt. Darum ging keine Meldung an den Stab der Flotte.«
»Was hatte die FLYING DOG an Bord, Huxley?« »Dieses eloxierte Zeug...« und zum erstenmal hörte Dhark, was man am Landeplatz der verschwundenen FO-1 entdeckt hatte. »Huxley, im letzten Funkspruch haben Sie angedeutet, in diesem Material eine Erklärung für das Verschwinden Ihrer FO-1 gefunden zu haben...« Der Colonel winkte barsch ab. »Unsere oberschlauen Wissenschaftler haben den Mund zu voll genommen. Der Stoff konnte noch nicht einmal analysiert werden. Dann wurde der größte Teil auf die FLYING DOG geschafft. Terra sollte sich daran auch die Zähne ausbeißen. Aber daß der Jäger dabei draufgehen könnte...« »Schon gut, Huxley; welche Schiffe liegen noch auf Hope?« »Die EL TAREK und die POLLUX, Commander!« »Kommen Sie mit der POLLUX schnellstens zur Erde, Colonel. Ich glaube, hier können wir Sie..., nein, warten Sie. Fliegen Sie mit der POLLUX zu den Nogk. Vielleicht haben Ihre Freunde in der Vergangenheit schon einmal Bekanntschaft mit diesem geheimnisvollen Etwas gemacht. Vielleicht sind auch schon Raumschiffe der Nogk spurlos verschwunden oder verschwinden gerade jetzt.« Ren Dhark sah, wie der grauhaarige Colonel bei diesen Worten zusammenzuckte. »Aber vielleicht können die Meegs Ihnen auch einen Tip geben, wie man dieses Etwas bekämpfen - oder zumindest orten kann!« Colonel Huxley hatte sich wieder gefangen. Er nickte knapp. »Ich 99 hatte selbst schon daran gedacht, mit Charaua Kontakt aufzunehmen, Commander. Möglicherweise sind die Nogk diesem... Etwas in der Vergangenheit wirklich schon begegnet. Und wenn nicht, kann ich sie vielleicht warnen... Ich werde unverzüglich ins Tantal-System aufbrechen.« »Viel Glück, Colonel.« Ren Dhark unterbrach die Verbindung. Besprechung im Stab der TF in Cent Field. Ren Dhark kam später dazu. Länger als erwartet hatte ihn Bernd Eylers aufgehalten. Unter vielen Hiobsmeldungen hatte es eine erfreuliche Nachricht gegeben: Einem seiner Agenten war es gelungen, die Produktionsstätte ausfindig zu machen, in der man fleißig dabei war, diese wunderbaren Sesam-öffne-dich zu produzieren. Herstellungsort: Alamo Gordo, wissenschaftlicher Bereich! Ganz besonders hatte sich Monty Bell, der Chef dieses Mammuts, geärgert, daß sich unter seinen ausgesuchten Spitzenwissenschaftlern doch einige schwarze Schafe befanden. Aber ein Punkt war beruhigend: Bis auf das Gerät, das Bert Stranger auf ominöse Art erworben hatte, war kein weiteres in den Handel gekommen. Ren Dhark betrat den Konferenzraum zu einem Zeitpunkt, als das Verschwinden der Schiffe zur Debatte stand. Dan Riker, der Flottenchef, gab jedem Stabsoffizier und Kommandanten Gelegenheit, seine Meinung vorzutragen. Plötzlich entdeckte Riker seinen Freund im Hintergrund. Für ihn das Zeichen, die Debatte zu beenden. Er wußte die scharfen Linien um Ren Dharks Mund zu deuten. Dhark hatte sich zu einem Unternehmen von größter Tragweite entschlossen. Der Commander trat langsam zu ihnen. Man sah ihm nicht an, daß kräftezehrende Stunden hinter ihm lagen. »Wir haben es mit etwas zu tun, das vom Checkmaster als unbekannte Gefahr im Raum bezeichnet worden ist. Diese unbekannte Gefahr stellt für uns eine Bedrohung dar. Wir haben anzunehmen, daß das Verschwinden von fünf Raumschiffen auf das Konto dieser 100
Gefahr geht. Wir müssen verhindern, daß die TF noch mehr Schiffe verliert. Aus diesem Grund wird die POINT OF heute noch starten und versuchen, die unbekannte Gefahr aufzuspüren. Der Start ist für Mitternacht vorgesehen. Zur gleichen Zeit wird ein gemischter Verband aus mindestens fünfzig Schiffen starten. Es ist Aufgabe des Stabes, zu überlegen, welche Raumer am besten eingesetzt werden, um mit einem Minimum an Aufwand und Risiko ein Maximum an Erfolg zu erzielen.
Aufgabe des Verbandes wird es sein, außerhalb des Sol-Systems eine Warteposition zu beziehen, die es jedem Schiff ermöglicht, binnen einer Minute in Transition zu gehen, sowie der Notruf der POINT OF aufgefangen worden ist. Das Flaggschiff wird, sobald es mit Hilfe der Echo-Kontrolle die unbekannte Gefahr geortet hat, ununterbrochen seine Koordinaten funken. Sie werden relativ wenig Zeit zur Verfügung haben, um ihren Sprung vorzubereiten. Darauf kann ich in diesem Fall keine Rücksicht nehmen. Ich erwarte von jedem Kommandanten, daß sein Schiff nach unserem Notruf binnen sechzig Sekunden Normzeit gesprungen ist. Das Schicksal der Erde kann von diesem Unternehmen abhängen. Das ist in groben Zügen mein Plan. Ich erwarte die Herren der Strategischen Abteilung gegen 20:30 Uhr Normzeit in der Zentrale der POINT OF. Ich danke Ihnen.« Er verließ den Stab, benutzte den Transmitter und erreichte ohne Zeitverlust sein Apartment im 40. Stockwerk des Regierungsgebäudes. Kaum merklich stutzte er, als er den schweren, großen Mann in einem Sessel sitzen sah, zu dessen Füßen ein Scotchterrier lag, der ihn aus einem Auge anblinzelte, als wollte er sagen: Na, alter Freund? Chris Shanton wartete auf seinen Commander! Ren Dhark konnte sich denken, aus welchem Anlaß der >Vater< des Defensiv-Systems gekommen war. Leutselig winkte Dhark ab, als Chris Shanton sich erheben wollte. Jedoch Jimmy, des Dicken liebstes Spielzeug, erhob sich, streckte und reckte sich wie ein echter Scotchterrier und strich dann mit der 101 Längsseite an Dharks Hosenbein vorbei. Unwillkürlich mußte dieser den Hund kraulen, und er lachte schallend, als Jimmy sogar ein behagliches Knurren ausstieß. »Shanton, was haben Sie nur aus Ihrem Spielzeug gemacht?« lächelte er und nahm ihm gegenüber Platz, direkt vor dem breiten Fenster mit dem Panorama von Alamo Gordo. »Ich habe mir zuviel von Jimmys Programmierung erhofft«, erwiderte der Ingenieur unzufrieden. »Ich bin immer noch der Schuft, der auf den Ast-Stationen Sabotage verübt hat...« »Reden wir nicht darüber!« unterbrach Ren Dhark ihn in herzlichem Ton. »Kein Mensch unterschiebt Ihnen auch nur die kleinste Nachlässigkeit. Arc Doorn hat Ihre Aufgabe übernommen. Die Abwehrforts werden bald wieder klar sein.« Chris Shanton nickte. Er war nicht mehr der zu Witzen aufgelegte Mann. Plötzlich ballte er die Fäuste. »Wenn ich den Kerl kriege, der mir das eingebrockt hat... Ich brech' ihm alle Knochen!« »Wahrscheinlich würde ich auch so denken wie Sie, Shanton, wenn ich in Ihrer Lage wäre, aber wenn Sie den Kerl erwischen sollten, wäre es dann nicht besser, den Burschen wie eine Zitrone auszuquetschen, um zu erfahren, mit welcher Methode er Sie zu den Sabotageakten gezwungen hat?« Shanton betrachtete seine Fäuste. Er stellte sich vor, mit welcher Genugtuung er diesen Schuft windelweich prügeln würde. Im gleichen Moment entdeckte er, daß seine Fäuste seine Gedanken verraten hatten. Er öffnete die Hände, blickte Ren Dhark an und meinte: »Sie haben recht! Wenn wir ihn erwischen, dann möchte ich ihn ausquetschen. Jimmy, du Mistviech, du sollst nicht immer lecken!« Aber sein Robothund, der verspielt Dharks Hand geleckt hatte, schaltete seinen Gehörsektor auf Durchzug. Er leckte weiter, und Dhark zog seine Hand nicht zurück. Er lachte. »Shanton, auf Sie trifft das Sprichwort zu: Die Geister, die ich rief, ich werd' sie nicht mehr los! Ihr Spielzeug wächst Ihnen über den Kopf! Aber es hat mich gefreut, daß Sie den Weg zu mir gefunden haben. Shanton - ich lasse Freunde nie im Stich!« Der andere schluckte, erhob sich langsam und sagte: »Dhark, das weiß ich. Aber ich wollte es einmal aus Ihrem Mund hören. Darum 102 103
habe ich hier auf Sie gewartet, als ich erfuhr, daß die POINT OF gelandet war. Aber krieg' ich den Kerl, dann...«
»...dann quetschen Sie ihn aus wie eine Zitrone. Shanton«, Dharks Stimme hatte einen beschwörenden Klang bekommen, »machen Sie keinen Blödsinn!« Einen Augenblick sah es so aus, als ob Shanton noch etwas erwidern wollte, doch dann drehte er sich schulterzuckend um und verließ mit Jimmy den Raum. Ren Dharks Blick blieb noch einige Zeit an der Tür hängen. Ein Freund und sein prachtvolles Spielzeug hatten ihn verlassen. Dhark wußte nicht, daß ein Lächeln auf seinem Gesicht lag und seine braunen Augen vor Freude funkelten. Für ihn, den Mann, der so oft bei folgenschweren Entschlüssen ganz allein war, war es hin und wieder wie eine Aufmunterungsspritze, wenn er unter Freunden auch einmal einfach nur er selbst sein durfte. Ein Schatten vor dem Fenster lenkte ihn ab. Ein 400-Meter-Kreuzer setzte mittels A-Grav zur Landung an. Seine As-Onentriebwerke arbeiteten nicht mehr; schließlich sollte die Atmosphäre Terras nicht von energetischen Strahlbahnen verseucht werden. Unweit der modernen Stielbauten sank das gewaltige Schiff lautlos seinem Landeplatz zu. Ren Dhark hatte allen Grund, stolz auf seine Erfolge zu sein, doch Chris Shantons ungewollt ausgeführte Sabotageakte und das Verschwinden von fünf Raumern innerhalb weniger Tage ließen keine Freude in dem jungen Mann aufkommen, in dessen Händen Leben und Glück von vielen Milliarden Menschen lagen. Er stand am Fenster und blickte in den Abend hinaus, der sich langsam über Alamo Gordo legte. Das Häusermeer verlor mehr und mehr seine scharfen Konturen, und die beeindruckenden Stielbauten verschwammen im Zwielicht. Ren Dhark nahm sich die Zeit, einige Minuten mit offenen Augen zu träumen. Er träumte von den Sternen, und in seinen Träumen fragte er sich: Wo haben die Mysterious gelebt? Wo? 104 Mitternacht über Cent Field. Die POINT OF hob ab. Mit ihr zweiundfünfzig Kugelraumer aller Klassen. Ein Einsatz, über den die Bevölkerung Terras unterrichtet worden war, lief an. Ren Dhark, der Commander der Planeten, verließ wieder einmal die Erde. Lockend und geheimnisvoll funkelten die Sterne. Weich und hell schimmerte das breite Band der Milchstraße. Aber dreiundfünfzig Sterne stiegen von der Erde auf, lautlos. Jeder Stern ein Raumschiff, dessen Scheinwerfer eingeschaltet waren. Beeindruckend dieser Massenstart. Faszinierend das geräuschlose Abheben der Giganten. Titanische A-Grav-Kräfte rissen die Kugel-raumer und das Flaggschiff der TF in immer größere Höhen. Die einzelnen Scheinwerfer der Schiffe verschmolzen zu einer Einheit, bildeten für die Zuschauer am Rande des großen Raumhafens einen kräftig leuchtenden Stern, der dann allmählich in seiner Leuchtkraft nachzulassen schien und schließlich ganz verblaßte. Einige hundert Menschen starrten zum Nachthimmel hinauf. An einer Stelle flammten plötzlich neue Sterne auf. Der große Raumerpulk hatte von A-Grav auf As-Onenantrieb umgeschaltet. Die hochenergetischen Strahlbahnen machten aus jedem Kugelraumer einen Stern, der in seinem rötlichen Funkeln an den Mars erinnerte. Aber auch diese Sterne leuchteten immer schwächer! Die PoiNT OF und die Kugelraumer hatten Fahrt aufgenommen und entfernten sich mit kontinuierlich steigender Beschleunigung von der Erde. Langsam lösten sich die kleinen Gruppen am Rand des Landefelds auf. Unter diesen Menschen besaßen viele Angehörige an Bord der Schiffe, die jetzt den Sternen zujagten. Sie stellten sich die bange Frage: Werden wir sie jemals wiedersehen? Eine Transition hatte die POINT OF an den Rand des Beteigeuze-Systems gebracht, 310 Lichtjahre von der Erde entfernt. Zweiundfünfzig Kugelraumer aller Klassen umkreisten inzwischen auf Park 105 bahnen das Sol-System, jederzeit zu einem Sprung zum Beteigeuze bereit, wenn vom
Flaggschiff der vereinbarte Notruf kommen sollte. In der POINT OF herrschte keine Nervosität. Glenn Morris sendete Hyperfunksprüche im Klartext nach Terra. Es wurde bewußt darauf verzichtet, Raffer und Zerhacker zu benutzen. Die unbekannte Gefahr sollte mit diesem Funkverkehr geradezu auf die PoiNT OF aufmerksam werden. Manu Tschobe stand vor dem Oszillo der Echo-Kontrolle. Der Afrikaner gab sich gelassen. Hin und wieder zog er an seiner Zigarette. Achtlos streifte er die Asche ab, innerlich aufs höchste angespannt. Sein Blick wich nur für Sekunden vom Oszillo. Morris funkte immer noch. Er benutzte die normale Hyperfunkanlage, nicht den To-Funk. An einer gerichteten Sendung, die nur die Erde erreichte, war man nicht interessiert. Die Echo-Kontrolle zeigte keinerlei ungewöhnliche Werte. Die Amplituden sahen völlig normal aus. Im nahen und fernen Bereich wurde nichts Unbekanntes erfaßt. Mit einem Gefühl tiefer Enttäuschung drückte Tschobe seine Zigarette aus. Daß er sich bei diesem alltäglichen Unternehmen die Fingerkuppe des rechten Zeigefingers verbrannte, bemerkte er nicht. Denn im gleichen Moment tauchten auf der Bildscheibe des Oszillos fremdartig anzusehende Amplituden von erstaunlicher Regelmäßigkeit auf. Die Echo-Kontrolle der PoiNT OF hatte die unbekannte Gefahr wieder erfaßt! Nachricht an die Kommando-Zentrale! »Dhark, Distanz zum Unbekannten 10,8 Lichtjahre!« Tschobes Stimme verriet seine Erregung. »Die Koordinaten?« fragte Dhark, nach Tschobes Meinung um eine Nuance zu lässig. Der gab ihm das Gewünschte. »Danke, Tschobe.« Im nächsten Moment sprach Dhark mit den beiden Waffensteuerungen des Ringraumers. Die Strahlantennen des Schiffes waren auf den von der Ortung angegebenen Koordinatenbereich ausgerichtet. WS-Ost und WS-West meldeten Feuerbe reitschaft. Über den kleinen Bildschirm sah er dem Afrikaner in die Augen. »Und der Spruch nach Terra...?« 106 »Läuft nach wie vor weiter!« »Okay. Teilen Sie der Flotte mit, daß wir bis auf fünf Lichtjahre an das Unbekannte herangehen... Grappa, liegen die Koordinaten für den Eintauchpunkt fest?« »Gehen raus...«, kam die knappe Antwort. Terra wurde unterrichtet. Zweiundfünfzig Raumer bereiteten sich auf eine Blitztransition vor. Sternkarten wurden zu Rate gezogen. Der Raum, in dem sich die unbekannte Gefahr befand, war sternenlos, die nächste Sonne mehr als sieben Lichtjahre entfernt. Die POINT OF ging in Transition; ein übergangsloser Sprung über mehr als fünf Lichtjahre. Von einem Schock war an Bord nichts zu verspüren. Auch darin unterschied sich das Flaggschiff der TF von den Kugelraumern einer anderen Technik. Und dann zeigte die Bildkugel den roten Riesen Beteigeuze nur noch als leuchtenden Punkt vor dem samtenen Hintergrund des dunklen Alls. Alle wissenschaftlichen Abteilungen des Ringraumers waren im Einsatz. Größte Aktivität bei den Astrophysikern und den Hyper-funkexperten, den Blip-Spezialisten. Das Unbekannte wurde nach wie vor nur durch die Echo-Kontrolle erfaßt! Das Unbekannte, das - so glaubte man - durch die offenen Funksprüche auf die Fährte des Schiffs gelockt worden war. Neben Ren Dhark saß Janos Szardak im Copilotensitz, der diesen Flug ausnahmsweise an Bord der POINT OF mitmachte, da seine COL zur Zeit im Dock lag. Szardak warf dem Commander einen ungeduldigen Blick zu. Dhark zuckte die Schultern. Auch er wartete auf Informationen aus der astrophysikalischen Abteilung und von den Blip-Experten. Mit 0,82 Licht raste die PoiNT OF auf die unbekannte Gefahr zu. Der Dauerspruch nach Terra nahm einfach kein Ende. Damit zogen sie eine Spur durch den Raum, die leicht zu orten war. Endlich meldeten sich die Blip-Spezialisten. »Wir können mit den Amplituden nichts anfangen...«
»Danke«, unterbrach Dhark, »geben Sie mir die Astrophysiker!«
107
Die wanden sich.
»Dhark, selbst auf die Gefahr hin, daß Sie uns auslachen... vor uns in Flugrichtung, auf den
angegebenen Koordinaten gibt es nichts! Rein gar nichts. Dort existiert nichts. Und wenn,
dann ist es nor-existence, ein Nor-exl«
»Danke«, sagte Dhark. »Ein Nor-ex«, wiederholte er halblaut den Begriff, den der
Astrophysiker gerade geprägt hatte. Der Ausdruck behagte ihm nicht. Aber er konnte nicht
sagen, warum.
Aus der Funk-Z meldete sich Tschobe. »Dhark, das Nor-ex setzt sich mit unglaublicher
Beschleunigung ab! Es ist... es hat... es... verdammt nochmal, das darf doch nicht wahr sein.
Es hat Überlichtgeschwindigkeit und bleibt trotzdem im normalen Raum-Zeit-gefüge...«
Tschobe hatte den neuen Namen für die unbekannte Gefahr sofort übernommen.
»Manu, geben Sie mir die Koordinaten der Fluchtroute.«
Dharks Finger lagen bereits auf den Steuerschaltern. Sie auf Vollast! Die M-Konverter
brüllten auf, und von den titanischen Kräften des Brennkreises vorwärtsgerissen, nahm die
POINT OF die Verfolgung auf.
»Entfernung steigt, Nor-ex beschleunigt weiter... Wenn wir nicht einen Zahn zulegen,
verliere ich es«, klang Tschobes Stimme durch die Zentrale.
Umschalten auf Sternensog!
Das Flaggschiff der TF wurde schneller und schneller.
Aber nicht schnell genug.
»Aus! Weg! Es ist nicht mehr da...«
»Vektordaten der Fluchtroute an Checkmaster, Tschobe. Wir werden diesem... Nor-ex den
Weg verlegen.« Bemerkte Ren Dhark den kurzen Seitenblick, den Janos Szardak ihm zuwarf?
»Checkmaster, Koordinaten für Wiedereintauchpunkt auf der Fluchtroute des Nor-ex,
Sicherheitsabstand zwei Lichtjahre. Waffensteuerungen: Feuerbereitschaft beibehalten.
Clifton, Rochard, bereiten Sie sich darauf vor, sofort nach Wiedereintritt ins Einstein-
Kontinuum zu feuern. Manu, behalten Sie die Echo-Kontrolle im Auge, und geben Sie die
Daten sofort an die Waffensteuerungen weiter.« Schnell und präzise kamen Ren Dharks
Befehle.
108
Immer noch jagte die POINT OF mit hoher Überlichtfahrt dahin.
»Transitionskoordinaten liegen vor.«
»Morris, schicken Sie noch einen Spruch an die Flotte raus; geben Sie die neuen
Eintauchkoordinaten durch... Grappa, Koordinaten an Morris...«
Der junge Orter nickte. »Schon geschehen.«
Ren Dhark gestattete sich einen tiefen Atemzug. Seine Hände glitten über das Steuerpult.
Abschalten der Intervallfelder!
Transition!
Das Pfeifen, das jeden Sprung der POINT OF begleitete, war noch nicht ganz verklungen, da
gellte Manu Tschobes Schrei durch die Zentrale:
»Es ist da... Viel zu nah! Großer Gott, es kommt auf uns zu...«
»Distanz?« Dharks Stimme klang so ruhig und beherrscht wie immer.
»1,2 Lichtjahre... 1,1... l Lichtjahr... Es wird immer schneller!«
Ein Astrophysiker schrie dazwischen. »Dhark, die Zeitkonstante beginnt zu schwanken...«
»Wir sollten hier schleunigst verschwinden«, murmelte Janos Szardak, aber niemand hörte
ihn.
»Waffensteuerungen: Feuerbereitschaft bestätigen!«
»WS-Ost feuerbereit!«
»WS-West feuerbereit!«
»Dhark, die Zeit-Konstante fällt steil im Minus-Bereich ab! So etwas haben wir noch nie
beobachtet...« Das war wieder die Astro-Abteilung.
»Distanz 0,7 Lichtjahre... 0,6... 05... Großer Gott, es beschleunigt immer noch!« Tschobes
Stimme klang fassungslos.
Ren Dhark beugte sich vor. Doch was er jetzt für einen Befehl erteilen wollte, sollte niemals jemand erfahren. Schlagartig brüllten sämtliche Energieerzeuger der POINT OF im höchsten Diskant. Eine Verständigung war nicht mehr möglich. Der Ringraumer schien zu bocken und sich aufzubäumen. Die Unitall-zelle dröhnte wie eine Glocke. Schrilles Pfeifen klang durch die Zentrale. 109
Schiff übernommen! Nottransition eingeleitet! Schiff muß unverzüglich aus der Gefahrenzone gebracht werden! Die Gedankensteuerung hatte - wie schon bei ihrer ersten Begegnung mit dem Nor-ex - den Ringraumer übernommen. Für einen kurzen Augenblick hatte Ren Dhark das Gefühl, die Unitallzelle würde sich in sich selbst verdrehen. Das Pfeifen wurde immer schriller, mischte sich in die Kakophonie der tobenden Aggregate - und dann sprang die POINT OF! 110
6. Deluge, der Inselkontinent auf dem Planeten Hope, nicht gerade arm an Sensationen, hatte seine neue Sensation! Colonel Huxley ließ sie kalt. Auch diese Sensation brachte seine FO-1 nicht wieder zurück. Er kümmerte sich kaum darum, welche Aufregung um das eloxierte Material entstanden war, das man mikrometerdünn auf dem Landeplatz des Forschungsraumers gefunden hatte. Auch viele Wissenschaftler standen der plötzlich aufflammenden Aufregung distanziert gegenüber. »Mein Gott«, sagte einer, »Sensationen gibt's hier doch jeden Tag!« Damit hatte er nicht unrecht, aber es war doch sensationell, was man gerade herausgefunden hatte. Das Rätsel, wie die Raumschiffe verschwunden waren, schien gelöst. Zumindest für die Kontinuum-Experten. »...die eloxierte Schicht ist zeitneutral. Mit anderen Worten: Sie paßt sich jedem Raumzeitgefüge an. Damit scheint jene Theorie erneut untermauert zu werden, die behauptet, daß der Übergang von einem Kontinuum zum anderen hauptsächlich durch die verschiedenen Zeitkonstanten unmöglich gemacht wird. Wir haben auf Deluge die EL TAREK stationiert. Das Schiff ist für den Versuch, der unsere theoretischen Annahmen beweisen soll, vorbereitet. Wir haben einen Felsbrocken vollkommen mit diesem eloxierten Material überzogen und durch Klammern an der Außen hülle befestigt. Verfolgen Sie bitte über den Bildschirm, wie der Versuch abläuft. Die EL TAREK befindet sich im Orbit und wartet darauf, daß wir das Startzeichen zu unserem Experiment geben. Hallo, EL TAREK, Versuch eins anlaufen lassen!« Jaime Alleghins, der dunkelhäutige, junge Kommandant, hatte auf diesen Befehl nur gewartet. »Es kann losgehen...«, rief er seinen Offizieren zu und beobach 111 tete den Hauptbildschirm, der durch eine Schaltung so umgestellt worden war, daß der kaum kinderkopfgroße Steinbrocken auf dem oberen Drittel der Außenhülle klar zu sehen war. Das gleiche Bild hatten die Experten in der Maschinenhöhle vor Augen. Die EL TAREK nahm Kurs auf den freien Raum. Im Schiff heulten die schweren Aggregate lauter und lauter. Alleghins wollte nicht wahrhaben, daß auch er von Spannung gepackt wurde. Was er vor einer Stunde noch als einen lächerlichen Versuch der Wissenschaftler von Deluge angesehen hatte, erschien ihm plötzlich gar nicht mehr so unmöglich, wenngleich er mit dem Ausdruck zeitneutral nichts anfangen konnte. Die Transition der EL TAREK würde in wenigen Sekunden erfolgen. Alleghins hatte das Kommando über seinen Raumer seinem Ersten Offizier Frits Cron übertragen. Zusammen mit drei weiteren Offizieren starrte er den Steinbrocken auf der Außenhülle des Schiffes an. Ein Scheinwerfer beleuchtete das Versuchsobjekt und ließ das eloxierte Material in allen Regenbogenfarben schillern. Transition!
Der Schock kam, dieses scheußliche, unbeherrschbare Angstgefühl.
Einige Männer stöhnten, krümmten sich, und dann war alles schon wieder abgeklungen.
Alleghins und die drei Offiziere an seiner Seite hatten kaum etwas davon wahrgenommen.
Aus weit aufgerissenen Augen starrten sie den Bildschirm an.
Er zeigte nur noch die Tofirit-Klammern, die den präparierten Brocken gehalten hatten - der
Stein selbst war verschwunden!
Und die Klammern schienen vollkommen unbeschädigt!
Deluge meldete sich über To-Funk.
»Zurückkommen! Wir machen noch einen zweiten Versuch!«
Eine Stunde später war der Raumer in der Nähe der beiden A-Gravschächte gelandet.
Wissenschaftler und Techniker erwarteten das Schiff. Auf A-Gravplatten schwebten sie zur
leeren Klammerkonstruktion hoch. Nachmessungen ergaben, daß das Tofirit sich weder
verändert noch verbogen hatte.
Wenig später standen die Männer vor Alleghins. Dessen Miene
112
wurde immer abweisender, je länger man auf ihn einredete. »Das kommt nicht in Frage!«
erklärte er kategorisch. »So leichtsinnig kann ich mein Schiff nicht riskieren. Dafür würden
Ren Dhark oder der Flottenchef mich vor Gericht stellen!«
Man redete mit Engelszungen auf ihn ein.
Man schwor, daß bestimmt nichts passieren würde, wenn er sich genau an die Anweisungen
hielte. »Sie brauchen Ihr Schiff bei der Transition nur in eine vorher genau festgelegte
Position zu bringen!«
Alleghins wurde unsicher. »Okay«, sagte er schließlich, »ich ris-kier's. Bringen Sie das Zeug
und alles, was Sie für den Versuch benötigen, an Bord!«
Eine Kabine auf Deck 22, die direkt an der Außenhülle lag, wurde bis auf einen Tisch
geräumt. Auf dem Tisch lag ein rund zwanzig Kilo schwerer Stein, komplett mit der
eloxierten Schicht überzogen. Im Hintergrund waren neben Viphos und TV-Kameras drei
Reihen Instrumente aufgebaut, die die Aufgabe hatten, den Ablauf des Experiments in allen
Punkten festzuhalten.
Alleghins verfolgte den Aufbau der Anlage mit gemischten Gefühlen. Drohend sagte er zu
einem Physiker: »Wenn das schiefgeht, dann lernen Sie mich mal richtig kennen.«
Wieder versuchte man ihn zu beruhigen. »Kommandant, Ihrem Schiff passiert bestimmt
nichts...«
»Das glaube ich erst, wenn auch dieser Versuch vorbei ist.«
Als die beiden Col-Sonnen hinter dem ewig aufgewühlten Ozean Hopes untergingen und alle
drei Monde am Himmel standen, startete die EL TAREK zum zweiten Versuch.
Die Kabine auf Deck 22 war von allen Menschen geräumt, doch die Experten hatten die EL
TAREK nicht verlassen. Sie waren an Bord geblieben und hockten in drei Kabinen auf dem
Zentral-Deck vor den Bildschirmen und Aggregaten, die den Ablauf des Versuchs
aufzeichnen sollten.
Der Erste Offizier warf Alleghins einen unsicheren Blick zu. »Wenn das mal gutgeht...«
Transition in fünf Sekunden.
Die Wissenschaftler fieberten vor Aufregung. Keiner dachte an den unangenehmen
Transitionsschock.
113
Ein Scheinwerfer-Halbring beleuchtete den Stein, der in allen Regenbogenfarben leuchtete.
Transition in einer Sekunde! Noch war alles unverändert.
Transition und Schock! Die Experten schrien auf, krümmten sich - und dann, als die
Transitionswirkung eliminiert war, tanzten sie wie Derwische in ihren Kabinen herum.
Der Stein auf dem Tisch war verschwunden! Er hatte sich im Augenblick der Transition in
Nichts aufgelöst.
Alleghins stürmte herein. »Was ist geschehen?«
»Nichts!« Von allen Seiten wurde er umringt. Kameradschaftlich klopfte man ihm auf die
Schulter. Die meisten Experten aber hockten vor ihren Meßinstrumenten und versuchten
herauszufinden, zu welchem Zeitpunkt der Stein verschwunden war.
»Kommandant, wir können zurück nach Deluge!«
»Nichts lieber als das. Ihr Wissenschaftler seid mir zu anstrengend.« Brummig verließ er die
Experten.
Die waren fassungslos. Von diesem wunderbaren Ergebnis hatte keiner zu träumen gewagt.
Der Stein, eingehüllt in eloxiertes Material, war im selben Bruchteil der Sekunde
verschwunden, in dem die EL TAREK transitiert hatte. Ein junger Kontinuum-Experte rieb sich
ratlos über die Stirn. »Das darf doch nicht wahr sein...«
H. C. Vandekamp hatte diese Bemerkung gehört. »Was darf nicht wahr sein Kollege?« fragte er. »Das Ergebnis des zweiten Versuchs! Demnach... demnach hat sich der Stein in den Hyperspace hineingemogelt...« Vandekamp schmunzelte. »Das ist zwar kein wissenschaftlich exakter Ausdruck, aber er kommt der Wirklichkeit sehr nah. Wir nehmen an, daß die zeitneutrale Eloxierung den Stein im Hyperraum festhielt, während die EL TAREK wieder in unser normales Kontinu-um zurückgeschleudert wurde. Mit anderen Worten: Der Felsbrok-ken hat sich aufgrund seines Überzugs mit dem Hyperraum identifiziert... Augenblick mal, da bringen Sie mich auf einen Gedanken. Das muß ich sofort kontrollieren lassen!« Sie konnten nachprüfen, so oft sie wollten. Die Ergebnisse blieben immer gleich. In der Kabine auf Deck 22 hatte sich im Bereich des Felsbrockens i 14.
keine Transition abgespielt. Acht Diagramme wiesen an der gleichen Stelle einen Bruch auf,
der zeitlich mit der Transition der EL TAREK zusammenfiel. Demnach hatte der Stein, als er
auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt worden war, es gar nicht nötig gehabt, mittels einer
Transition ein anderes Kontinuum aufzusuchen.
Er hatte sich hineingemogeltl
Waghalsige Theorien standen plötzlich im Raum.
»Mit diesem eloxierten Material haben wir endlich die Möglichkeit, den Hyperraum
aufzusuchen!«
»Und wie kommt man wieder von dort zurück?«
Vandekamp blieb auf dem Boden der Tatsachen.
»Debattieren können wir später. Zunächst einmal müssen wir Terra unterrichten, damit die
Flotte sich auf diese Gefahr einstellen kann. Und dann müssen wir herausfinden, wie man
dem eloxierten Material seine Zeitneutralität nehmen kann.«
Gemurmel erklang.
»In Deluge haben wir noch Arbeit für hundert Jahre, aber andauernd kriegen wir neue
Arbeiten aufgebürdet. Wann hört das einmal auf?«
H.C. Vandekamp erwiderte leicht unwirsch: »Wenn uns Terranern die Milchstraße gehört!« »Sie Optimist!« rief ihm der Kollege spöttisch zu, der sich über das Zuviel an Arbeit beklagt hatte. »Wenn wir unsere Milchstraße kassiert haben, quält uns schon längst der Appetit auf die nächste. Schließlich sind wir Menschen...« Im Trakt 17 der Cyborg-Station gab es Operationsalarm. Holger Alsop sah das alarmierende Flackern der Kontrollen an den Wänden und wunderte sich erneut, daß es auf dem Gang so still blieb. Er sah keine Ärzte zu den Operationsräumen laufen und entdeckte keinen einzigen Mann des Pflegepersonals; er wollte schon weitergehen, als ihm Echri Ezbal entgegenkam. Der alte Mann blickte ihn aus seinen unergründlichen blauen Augen forschend an. Holger Alsop hatte kein Verlangen, sich mit ihm zu unterhalten. Längst hatte er bemerkt, daß nach jedem Gespräch 115 mit Ezbal sein Widerstand, Cyborg zu werden, kleiner wurde. Darum trat er zur Seite, um
dem Genetiker und Biochemiker Platz zu machen. Aber Ezbal ging nicht vorbei. Er blieb
stehen.
»Holger, wenn es Sie interessiert, wie geistig kranke Menschen -bisher hoffnungslose Fälle
wieder gesund werden, dann kommen Sie mit.«
»Nein«, sagte Alsop kopfschüttelnd. »Ich bin nicht interessiert!«
»Verständlich, Holger, weil Sie mir immer noch mißtrauen. Aber Sie könnten Zeuge werden,
wie zwei Schwachsinnige bald - vielleicht heute, vielleicht morgen, vielleicht erst in einer Woche - zu geistig gesunden Menschen werden. Sie haben die beiden Snides doch schon in der Station gesehen, oder nicht?« Natürlich hatte er sie schon gesehen. Und gleichzeitig Unbehagen und Mitleid empfunden. Holger Alsop schwieg. Ruhig fuhr Ezbal fort: »Seit drei Jahren haben sich die besten Gehirnspezialisten an den Snides versucht. Hin und wieder schien es, als ob ihre Demenz zu heilen sei, aber dann erfolgte ein Rückschlag nach dem anderen. Es müßte für Sie doch eine Genugtuung sein, einmal zu erleben, wie ich plötzlich mit leeren Händen dastehe.« »Sie sind sich Ihrer Sache wieder einmal sehr sicher...« »In diesem Fall nicht. In diesem Fall kann ich nur hoffen. Entschuldigen Sie, Holger, aber ich muß weiter.« Selbst wenn Echri Ezbal sich schnell bewegte, wirkten seine Bewegungen nie hastig. Alles was er tat oder sagte, strömte Abgeklärtheit und Ruhe aus. Holger Alsop sah ihm nach. Die Kontrollen, die OP-Alarm gegeben hatten, flackerten noch immer. Der Inder ver schwand in einem der Operationsräume der Cyborg-Station. »Mein Gott...« sagte Alsop überrascht, als er entdeckte, daß er den gleichen Weg eingeschlagen hatte. Als er eintrat, wunderte es ihn nicht, den Alten neben der Tür stehen zu sehen. »Gehen Sie zur Galerie hinauf, Holger. Von dort können Sie alles am besten beobachten.« Drei der vier Wände des Operationsraums waren ein einziger, fugendicht verkleideter Aggregatsatz. Ein auf medizinische Bedürf 116 nisse programmierter Suprasensor nahm allein eine Wand ein. Fünf OP-Tische - AGravplatten, die den Boden nicht berührten - konnten an jeder beliebigen Stelle ihre Funktionen erfüllen. Drei Ärzte hielten sich im Hintergrund auf. Spiegelnde Reflexe rechts ne-ben der kleinen Gruppe lenkten seinen Blick ab. Unwillkürlich zuckte er zusammen. Auf zwei kreisrunden A-Gravplatten, die noch Kontakt mit dem Boden hatten, befand sich jeweils eine mannsgroße, senkrecht stehende transparente Röhre. In jeder Röhre befand sich ein Mensch, nackt und bewegungslos. George und Charly Snide, die schwachsinnigen Zwillinge. Ihr Blick war starr, leblos. Ob sie atmeten, konnte Holger Alsop nicht feststellen. Schlagartig verstummte für Alsop jedes Geräusch. Zwischen den Ärzten und ihm lag jetzt eine energetische Trennwand. Eine Projektion flammte auf und zeigte ein kompliziertes bizarres Muster. Für Alsop nichts Unbekanntes: das Große Gehirn Strom-Muster. Daneben ein zweites. Gehörten beide den Zwillingen? Der Raum wurde verdunkelt. Die Beleuchtung der Instrumente trat stärker hervor. Aber auch die transparenten Röhren, in denen die Zwillinge standen, strahlten von innen heraus. Die beiden Großen Gehirnstrom-Muster veränderten sich. Die Farbbildprojektion wurde zu einem einzigen Fluß; Farben mischten und trennten sich wieder; Kardinal-Linien, wie Echri Ezbal sie ihm bei einem Deutungsversuch erklärt hatte, verstärkten sich, andere wurden so schwach, daß er sie kaum noch sehen konnte. Die beiden Snides wirkten geradezu gespenstisch. Ihre Augen schienen zu leuchten - oder spiegelte sich in ihnen nur das Licht? Pumpen schienen zu laufen. Der Boden unter Alsops Füßen vibrierte. Was ging hier vor? Er hatte sich eine Gehirnoperation vorgestellt, Eingriffe in die Lebenszentren dieser beiden armen Teufel, und nun standen sie immer noch in ihren Behältnissen und rührten sich nicht. Gleich Schatten sah er Ezbal und sein dreiköpfiges Team. Plötzlich flammte das Licht wieder auf. Die beiden Großen Ge-hirnstrom-Muster waren nicht mehr zu sehen. Die Behältnisse 117
leuchteten nicht mehr, die Snides starrten leblos geradeaus. Was auch immer aus ihren Augen geleuchtet hatte, war erloschen. Ezbal stand vor einer Schaltwand, zwei seiner Mitarbeiter am Su-prasensor. Ein Chrono, das nur Sekunden und Minuten anzeigte, jagte seinen Lichtzeiger über das schwach leuchtende
Zifferblatt.
Dritte Minute!
Vierte Minute!
Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr zum Gehirn, dachte Holger Alsop, und wußte nicht, wie
er auf diesen Gedanken gekommen war. Plötzlich glaubte er Ezbals Stimme zu hören:
Die Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr zum Gehirn war eins der größten Probleme, die sich dem Projekt Cyborg entgegenstellten. Ich habe dieses Problem gelöst. Ich allein. Es gibt nur eine einzige Niederschrift. Der Ort, an dem ich sie deponiert habe, ist sechs Menschen bekannt, die mit der Cyborg-Entwicklung nichts zu tun haben. Ren Dhark gehört nicht zu diesem Personenkreis. Er war einverstanden, weil er die Gefahr genauso sieht wie ich! Eines Tages werden sich Hunderttausende darum drängen, zum Cyborg zu werden. Hunderttausend können wir aber in absehbarer Zeit nicht gebrauchen. Hunderttausende werden allein deshalb nie zum Cyborg werden können, wenn das Problem der Sauerstoffzufuhr zum Gehirn nicht noch einmal von einem anderen gelöst wird. Etwas, womit Echri Ezbal nicht gerechnet hatte, mußte vorgefallen sein.
Drei Minuten später war alles zu Ende. Holger Alsop ging an Ezbals rechter Seite. Der Inder
schwieg, tief in Gedanken versunken. Als sie fast seine Privaträume erreicht hatten, sagte er:
»Mißlungen! Vollständig mißlungen. Ich hab's gewußt. Irgendwo hat uns die Schöpfung
Grenzen gesetzt. Ja, Holger, nun haben Sie das, was Sie gewiß gern einmal erleben wollten,
den ratlosen Echri Ezbal. Und ich bin ratlos. Ich weiß nicht, warum uns eben alles, aber auch
alles mißlungen ist. Jetzt hilft nur noch eins, etwas, worüber der moderne Mensch lauthals
lacht: Meditation - die Versenkung in sich selbst. Gute Nacht, Holger...«
Über dem Brana-Tal stand die Sonne.
Es war heller Tag.
118
Dan Riker ging Henner Trawisheim meistens weit aus dem Weg. Der Stellvertreter seines
Freundes Ren war ihm nicht unsympathisch, aber unheimlich. Dieser Mann wußte alles; er
vergaß nichts; er war das auf zwei Beinen laufende logistische Gehirn in Perfektion, und er
hatte bei all der geradezu unheimlichen Menge an Arbeit auch noch Zeit, ein Privatleben zu
führen.
Dan Riker hatte fast keins mehr. Um so mehr genoß er die Stunden, die er zusammen mit
seiner Frau Anja Field im 40. Stockwerk des Regierungsgebäudes, in seinem Privat-
Apartment verbringen konnte.
Das 40. Stockwerk enthielt die Privatwohnungen von Dhark, Riker, Trawisheim, Eylers,
Szardak und Larsen. Auf das Wort privat wurde hier sehr großer Wert gelegt.
»Wir bekommen Besuch...« sagte Dan Riker überrascht, als sich das Tür-Vipho mit dezentem
Klang meldete.
Anja, als Mathematikerin unter rauhbeinigen Raumfahrern groß geworden, hatte deren rauhe,
aber ehrliche Sprache nicht vergessen. »Wer kommt, der fliegt, Dan! Wimmle den Besuch an
der Tür ab. Endlich sind wir mal allein und dann...«
Dan Riker war schon auf dem Weg zur Tür, um dem Besucher zu öffnen und ihn höflich aber
bestimmt abzuwimmeln.
Und dann hörte Anja Field ihren Mann lautstark und keineswegs freundlich rufen: »Was,
Sie... ausgerechnet Sie?«
Unschuldige Augen blickten ihn an.
Bert Stranger!
»Natürlich bin ich es. Mich gibt's nur einmal, Riker. Darf ich hereinkommen?«
»Darf ich vielleicht erfahren, wie Sie zum vierzigsten Stock hochkommen? Wer hat Sie denn
jetzt schon wieder durch alle Kontrollen gelassen?«
»Trawisheim!«
Dan Riker glaubte ihm kein Wort. Hinter ihm stand seine Frau, für den Reporter keine
Unbekannte; schließlich war Anja Field immer noch die einzige, die die Mysterious-
Mathematik, soweit sie durch die Mentcaps bekannt geworden war, bis in die letzte Formel
verstand.
»Oh...«, sagte Stranger und schoß eine Fotoserie.
119
»Raus!« schnaubte Riker. »Eine Unverschämtheit, mich zu stören!«
»Das sagte Trawisheim auch, als ich es endlich geschafft hatte, ihn über Vipho zu erreichen«,
bestätigte Stranger. »Aber als ich ihm so einiges über die Cyborg-Station im Brana-Tal...«
Dan Riker legte einen erstaunlichen Sinneswandel an den Tag. Wortlos packte er den
Reporter am Jackett, zog ihn in die Wohnung und schleppte ihn zum nächsten Sessel.
Er kehrte Stranger den Rücken, trat vor das Vipho und wählte Eylers an. »Ich habe den
Reporter...«
»Rausschmeißen! Trawisheim hat ihn schon rausgeworfen! Hat er Sie auch mit dem
Stichwort Cyborg-Station hereingelegt?«
Dan Riker sah rot. Eylers' Frage hatte ihn noch mehr verärgert. »Wenn Trawisheim ihn
rausgeworfen hat, wieso konnte der Bursche dann vor meiner Tür stehen?«
Stranger stand neben ihm. »Hallo, Eylers, es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß Ihre
Leute nicht viel taugen. Bitte, wollen Sie den drei Figuren, die mich suchen, nicht sagen, daß
ich Gast des Flottenchefs und seiner reizenden Gattin bin?«
Plötzlich füllte Anjas silbern klingendes Lachen den gemütlich eingerichteten Wohnraum.
Konsterniert starrte Dan seine Frau an. Bevor er es verhindern konnte, rief sie in Richtung
auf das Vipho: »Eylers, erledigen Sie doch bitte den Wunsch des Reporters. Er ist wirklich
unser Gast!«
Dan Riker wankte zur Bar. Er trank nur selten, aber jetzt hatte er einen Dreistöckigen bitter
nötig.
»Dan, willst du unserem Gast nicht auch ein Glas anbieten?«
»Nein! Und merk' dir eins, Anja: dieser Typ ist nicht unser Gast!«
Stranger bewegte seine Hand einige Male auffällig hin und her. Entweder deutete sie auf Dan
Riker oder dessen Frau, die auf der breiten Lehne eines Sessels saß und ihre Beine pendeln
ließ.
»Was machen Sie mit Ihrer Hand, Stranger?« Riker hatte sein Glas abgestellt und schoß auf
den Reporter zu. Er bog seine Finger auf. Die Hand war leer. Er streifte den Ärmel seines
Jacketts zurück. Auch dort war keine Mini-Kamera versteckt.
Dennoch wurde er den Verdacht nicht los, daß dieser Bursche unerlaubt Aufnahmen von
Anja und ihm gemacht hatte.
120
Innerlich über seinen Reinfall fluchend, ließ Riker den Reporter los. »Was wissen Sie über
die Cyborg-Station, Stranger?«
»Ich habe den Ausdruck in der Saturn-Bar gehört, von zwei merkwürdigen Typen, die schon
etwas zuviel getrunken hatten«, begann Stranger leichthin. »Cyborg... nun ja, jedes Kind
weiß, was ein Cy-borg ist. Die TV-Stationen bringen ja reihenweise die miserabelsten Filme
darüber. Aber als ich die beiden Männer in der Bar ansprach und wissen wollte, was denn
eine Cyborg-Station sei, reagierten sie sehr... unwirsch und verließen auffallend schnell die
Bar. Riker, wollen Sie mir nicht etwas mehr über diese Station erzählen? Ich suche
händeringend nach einem Knüller...«
»Wofür halten Sie mich?«
Bert Stranger musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Ich habe auf jeden Fall eine bessere Meinung
von Ihnen als Sie von mir, Riker!«
Der gab es auf. »Tun Sie mir den Gefallen und verlassen...«
Das Vipho schrillte - und das Schicksal hielt die Hand über den Reporter mit dem
Unschuldsblick. Im Stab der TF beachtete ein Offizier keine einzige Sicherheitsvorschrift.
Als Riker sich meldete, sprudelte der Mann sofort los: »Die Verbindung zur PoiNT OF ist
abgerissen. Alle Versuche, mit ihr Kontakt aufzunehmen...«
»Ich habe Besuch!« unterbrach ihn Dan Riker kalt. »Besuch, den ich in meinen Privaträumen
nicht gern sehe!« Sein Gesicht sprach Bände. Der Offizier stotterte noch ein paar Worte,
versuchte sich zu entschuldigen und schaltete dann ab.
Drohend baute sich Dan Riker vor Stranger auf.
»Wenn Ihre Agentur auch nur ein einziges Wort verlauten läßt, daß der Commander sich
nicht mehr meldet...« Der Reporter sah ihn an und verzog keine Miene. Riker holte tief Luft.
»Verschwinden Sie, aber verdammt schnell!« flüsterte er.
Das ließ sich Bert Stranger nicht zweimal sagen. Er hatte seinen Knüller! Ren Dhark und seine POINT OF vermißt. Funkkontakt mit dem Flaggschiff nicht möglich! Warum wird die Erde über die Einsätze des Commanders nicht ständig unterrichtet? Anja hatte in den letzten Minuten geschwiegen. Sie kannte ihren Mann. Sie wußte, daß er nur einen einzigen Freund hatte, und der 121
befand sich mit seinem Ringraumer irgendwo zwischen den Sternen und meldete sich auf
Hyperfunkanrufe nicht mehr.
»Weißt du, wohin Ren geflogen ist, Dan?«
»Ja und nein. Er hat versucht, dieses Nor-ex zu verfolgen, aber...«
Das Vipho unterbrach ihn.
Eine Nachricht vom Planeten Hope!
H.C. Vandekamp jubelte. Er glaubte, das Ei des Kolumbus gefunden zu haben. Er hatte ein Recht zu jubeln. Man hatte eine wissenschaftliche Erklärung für das Verschwinden der Raumer - einschließlich der FO-1 - gefunden. Plötzlich glaubte Anja, ihr Herz würde von einer Eiskompresse umklammert. Sie hörte H.C. Vandekamp sagen: »Für alle Schiffe der Terrani-schen Flotte besteht höchste Gefahr. Der Eloxierungsvorgang befällt Raumschiffe, wie früher Mehltau Getreide befallen hat. Nur wer dieser Gefahr entgehen kann - und dafür haben wir noch kein Rezept - hat die Chance, mit seinem Raumschiff in unserem Raum-Zeitgefüge zu bleiben, ohne Gefahr zu laufen, auf ewig im Hyperraum zu verschwinden. Damit ist das unbekannte Etwas eine der größten Bedrohungen, denen Terra jemals ausgesetzt war...« »Dabei hat der gute Vandekamp keine Ahnung, daß Ren mit der POINT OF verschwunden ist...« sagte Riker tonlos zu Anja. Anja sah ihn aus unnatürlich großen Augen an. »Dan«, flüsterte sie und war dabei unnatürlich blaß, »glaubst du...?« Er zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht, Anja, ich weiß es nicht... aber wo soll Ren mit seiner POINT OF denn sonst sein?« Das Nor-ex war auch im Höhlensystem in Deluge Gesprächsthema. Lautstark stritten sich die Kontinuum-Experten mit Physikern und Astrophysikern. H.C. Vandekamp blieb bei seiner Theorie: »Die eloxierte Schicht ist zeitneutral!« Mit verkniffenem Gesicht hielt ihm ein Physiker vor: »Kollege, sind Sie dann auch so gütig, uns zu erklären, wie die FO-1 im abgeschalteten Zustand verschwinden konnte? Können Sie diesen Vorgang auch mit Ihrer zeitneutralen Theorie erklären?« 122 »Wir haben von Terra nur sehr dürftige Berichte über das Nor-ex. Aber in einem Punkt müßten sie auch Ihnen zu denken geben. Das Nor-ex war durch die Ortungen der POINT OF nicht zu erfassen, nur mit der Echo-Kontrolle. Besagt allein diese Tatsache nicht, daß wir es mit etwas zu tun haben, das aus einem anderen Raum kommt? Und haben Sie sich noch keine Gedanken darüber gemacht, wie schnell das Nor-ex sich bewegt... über Tausende von Lichtjahren... und dabei keine Strukturerschütterung auslöst?« »Das alles wollen Sie mit dieser Zeitneutralität erklären?« »Ja«, sagte Vandekamp gelassen. »Auch das Verschwinden der FO-1. Die Versuche, die wir mit der EL TAREK unternommen haben, bestätigten unsere Annahme.« »Das behaupten Sie! Die EL TAREK mußte erst transitieren, damit die beiden Gesteinsbrocken in ihrer Elox-Hülle verschwinden konnten. Aber die FO-1 hat sich nicht von der Stelle bewegt. Das ist bewiesen.« Vandekamp lächelte und sah sich um. Er konnte den jungen Kollegen gut verstehen. Mit denselben Problemen hatte er sich auch beschäftigen müssen. Gerade das Verschwinden des Forschungs-raumers hatte ihm lange Kopfzerbrechen bereitet. »Mein Lieber, muß sich etwas bewegen, das sich auf Grund seiner Raum-Zeit-Struktur nicht mehr mit unserem Universum identifiziert? Vielleicht befindet sich die FO-1 noch immer an der Stelle, an der sie gelandet war - nur nicht mehr in unserem Kontinuum. Erinnern wir uns doch der Intervallfelder der POINT OF. Sie stellen einen separaten Weltraum dar. Wir haben
bis heute nicht herausgefunden, in welcher Beziehung sich dieses Mini-Kontinuum von unserem Raum-Zeitgefüge unterscheidet. Bedenken Sie des weiteren, daß es in einem expandierenden Universum wie dem unsrigen keine Konstante geben kann. Panta rhei, alles fließt. Auch unsere Konstanten, die in Wirklichkeit nicht konstant sind. Seit hundert Jahren ist bekannt, daß es einen kontinuierlichen Zeitablauf nicht gibt. Das alles stört uns Wissenschaftler nicht. Unsere Meßergebnisse werden nicht deshalb falsch, weil wir als Maßstab Konstanten nehmen; wenn sich alles im Weltraum gleichmäßig verändert, dann ist diese Veränderung relativ gesehen gleich null. Tritt aber jetzt etwas ein, wie wir es 123 mit dem eloxierten Material erfahren haben, und ein Körper macht die Änderung im Ablauf der Zeit nicht mit, dann existiert er im gleichen Moment in unserem Kontinuum nicht mehr. Dann ist er draußen - im Hyperraum, oder wie wir das andere Raumzeitgefüge nennen wollen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die FO-1 nach wie vor auf ihrem Landeplatz steht, sich jedoch in einem anderen Raum-Zeit-Kontinuum befindet. Und was, lieber Kollege, ist weiter voneinander entfernt als zwei Kontinua?« Der junge Wissenschaftler war damit nicht zufrieden. »Vande-kamp, Ihre >Erklärung< erklärt das Verschwinden der FO-1 nicht!« Vandekamp verlor die Beherrschung. »Was verlangen Sie von mir? Ich kann selbst beurteilen, ob das Verschwinden der FO-1 mit unseren bisher erarbeiteten Erkenntnissen zu erklären ist oder nicht.« Dann sprach er ruhig weiter. »Es ist zu erklären. Theoretisch. Die FO-1 muß ebenso wie die Gesteinsfläche rings um den Landeplatz von diesem eloxierten Material überzogen worden sein. Im Gegensatz zum Fels ist der Forschungsraumer physikalisch beeinflußt worden, und zwar so beeinflußt worden, daß er aufgrund dieses verdammten Eloxstoffes unser Kontinuum verlassen hat, ohne sich zu bewegen.« Vandekamp machte eine Pause. Sein Nachbar beugte sich leicht vor. »Hoffentlich haben Sie unrecht, Vandekamp! Wir haben doch ziemlich viel von dem Elox-Zeug in der Maschinenhöhle liegen. Wenn das nun auch physikalisch beeinflußt wird, dann verschwinden doch ganze Teile der Höhle auf Nimmer-Wiedersehen...« Vandekamp zuckte zusammen. Einen Augenblick lang stand Angst in seinen Augen. »Sie haben recht. Das Zeug muß aus der Höhle. Nur ganz kleine Proben dürfen hierbleiben. Der Rest muß nach draußen geschafft werden.« »Dann sind Sie dafür, die Untersuchungen am eloxierten Material einzustellen?« »Einstellen...?« Nervös ließ Vandekamp seinen Blick über die versammelten Wissenschaftler schweifen. »Kollege, wie stellen Sie sich das vor? Haben Sie vergessen, daß die TF fünf Schiffe verloren hat, die meines Erachtens alle auf das Konto dieses eloxierten Materials gehen? Und ich glaube, daß die PoiNT OF ebenso gefährdet ist! Nein, wir dürfen die Forschungen nicht einstellen. Wir müssen so 124
schnell wie möglich dem eloxierten Material seine letzten Geheimnisse entreißen...« Er erhob sich, bat ums Wort, drängte darauf, daß man den größten Teil des Materials nach draußen schaffte. Eine halbe Stunde später befanden sich nur noch kleine Proben in der Maschinenhöhle. 125
7. Ren Dhark war wie zu einer Salzsäule erstarrt.
Das kann nicht sein, dachte er, die Bildkugel zeigt uns etwas, das es nicht gibt!
Dhark mußte sich zusammennehmen. Aber als er Janos Szardak einen unauffälligen Blick
zuwarf, erkannte er, daß es diesem Draufgänger nicht besser erging als ihm.
Janos Szardak war fassungslos!
Auch für ihn existierte nur die Bildkugel und das, was sie zeigte.
In der gesamten PoiNT OF gab es keinen Menschen, der nicht den Atem anhielt und sich
fragte, ob er wach war oder träumte.
Janos Szardak wischte sich über die Augen. Der Mann, den sonst so leicht nichts aus der
Fassung bringen konnte, murmelte einen handfesten Fluch.
Aber er litt nicht an Halluzinationen!
Genausowenig wie Ren Dhark und die anderen!
Dhark und Szardak sahen sich an.
»Was halten Sie davon?«
Gleichzeitig hatten sie die gleiche Frage gestellt.
Ren Dhark wies auf die Bildkugel, schüttelte den Kopf und senkte seinen Arm wieder.
Hinter ihnen erklangen die ersten Stimmen. Die anderen hatten noch mehr Zeit benötigt, um
sich von dem Schock zu erholen.
Der Ringraumer hatte das Sternenmeer der Galaxis verlassen!
Er befand sich draußen im Leerraum!
Was sie über die Bildkugel sahen, war die Milchstraße, wie sie ein Mensch noch nie erblickt
hatte!
Eine gewaltige Spirale! Gleißend, strahlend auf dem nachtschwarzen Hintergrund des ewigen
Universums. Eine Spirale, die sich zum Zentrum hin nach oben und unten verdickte. Das
Leuchten war zur
126
Mitte hin stärker. Einzelne Sterne waren nur am Rand zu erkennen. Alles andere schien wie
ein bizarr wirkendes Lichtgemälde zu sein, einmalig auf einem dunklen Hintergrund von
düsterer Schönheit.
Die Bildkugel der POINT OF lieferte ein naturgetreues Bild der grandiosen Wirklichkeit.
Was Wissenschaftler errechnet und als Modell dargestellt hatten, hier sahen Menschenaugen
es zum erstenmal.
Ren Dhark erhob sich. Wie gern wäre er im Pilotensessel sitzen geblieben, um mit Andacht
diese Wiedergabe zu betrachten, die auch ihn in ihren Bann geschlagen hatte. Doch die
Wirklichkeit mit all ihrer Verantwortung und den vielen Sorgen stand vor ihm.
Wieso war der Ringraumer im Leerraum aus der Transition gekommen?
Wie war es zu diesem Zwischenfall gekommen? Die Gedankensteuerung hatte das Schiff
während des Angriffs des Nor-ex im Beteigeuze-Sektor übernommen und eine Nottransition
durchgeführt.
Hatte der Checkmaster bei der Berechnung der Koordinaten versagt?
Manu Tschobe betrat die Zentrale. Tino Grappa, der mit seinen Ortungen regelrecht
verheiratet war, blickte den Afrikaner hilflos an. Janos Szardak hatte seinen Copilotensitz
verlassen. Was in der Funk-Z los war, verriet ihnen Tschobes Gesicht.
War trotz To-Funk keine Verbindung mit der Erde möglich?
Ren Dhark wartete darauf, daß die Astro-Abteilung sich meldete. Dort mußten die
Wissenschaftler doch Kopf stehen.
Der Afrikaner trat zu ihm. Er sah, worauf Dhark blickte. »Was erwarten Sie?« fragte er, und
seine dunklen Augen streiften noch einmal die große Projektion in der Bildkugel. »Diesen
Experten hat es noch stärker den Atem verschlagen als uns. Große Milchstraße, daß ich
einmal unsere Galaxis von außen sehen würde, habe ich mir m meinen kühnsten Träumen nie
vorstellen können...«
Hunderttausend Lichtjahre mußte die Milchstraße von ihnen ent-fernt sein. Nach wie vor
unendlich weit weg schimmerte das Band der Andromeda mit ihren nun deutlich erkennbaren
Satelliten. Ein Abgrund aus Zeit und Raum trennte die beiden Galaxien. Ein mikroskopisches
Stäubchen befand sich zwischen ihnen - die PoiNT OF!
127
»Checkmaster-Kontrolle! Aktivierung des Speicherteils! Brugg, versuchen Sie mit allen
Mitteln, die Erde in den Empfang zu bekommen. Wie, das bleibt Ihnen überlassen! Lionel,
versuchen Sie festzustellen, in welcher Position wir zur Milchstraße stehen.«
Jeder versprach, sein Bestes zu geben.
Jeder wußte, daß das vielleicht nicht ausreichen würde.
»Ich begreife eins nicht...«, begann Janos Szardak und bedachte den Checkmaster mit einem
abfälligen Blick. »Wieso konnten wir hier aus dem Sprung herauskommen?«
Seine Bemerkung brachte Ren Dhark auf eine neue Idee.
»Können wir nachträglich ermitteln, wieviel Energie für unsere Transition verbraucht worden
ist?«
»Wozu, Dhark?« fragte Szardak zurück, dem es in seinem Raumanzug allmählich warm wurde. »Wir stecken so weit draußen...« Er winkte ab. Den Rest des Satzes konnte er sich sparen. Aber damit gab sich Ren Dhark nicht zufrieden. »Was heißt hier draußen, Szardak? Da liegt es vor uns, das schimmernde Gebilde, der Traum von Millionen Menschen. Zu diesem Traum werden wir zurückfinden. Ich...« Er ging an ihm vorbei zu den Ortungen hinüber, wo Grappa und Tschobe gemeinsam versuchten, wenigstens die Entfernung zur Milchstraße festzustellen. Sie machten Platz. Wieder einmal bewies er ihnen, wie intensiv er damals in der Ringraumerhöhle das Wissen verarbeitet hatte, das ihm die Mentcaps aus dem Archiv vermittelt hatten. »Energie- und Masse-Ortung kommen im Augenblick nicht in Frage. Grappa, Umwandler A und B ausschalten! Brücke zum HyperTrafo verstärken! Haben Sie?« »A und B ausgeschaltet. Brücke verstärkt und... Mein Gott!« Er glaubte, die M-Instrumente würden verrückt spielen, aber die Explosion, die er erwartet hatte, ereignete sich nicht. »Commander, die Astro-Abteilung...« Dhark winkte ab. Die Experten mußten warten. »Gehen Sie mit dem dritten Satz höher, Manu. Pendeln Sie ihn ein, sonst bekommen wir nie genaue Werte!« Tino Grappa hatte nichts anderes zu tun als zuzusehen. Seine Bewunderung für den Kommandanten der PoiNT OF stieg erneut. Er 128 hatte geglaubt, seine Ortungen zu kennen, und mußte nun erleben, daß er längst noch nicht über alles Bescheid wußte. »Eingependelt«, murmelte Manu Tschobe. »Danke. Ich fahre hoch.« Ungeheuerliche Energiemengen wurden hyperlichtschnell von der POINT OF zur fernen heimatlichen Milchstraße abgestrahlt. Eng gebündelte energetische Finger griffen zum Rand der Sterneninsel und tasteten den Halo ab. Der Abgrund aus Raum und Zeit wurde in Nullzeit übersprungen - und dann kam ein Echo zurück. Die M-Instrumente hatten sich automatisch auf diese schier unvorstellbaren Distanzen umgeschaltet. Die Werte rasten immer größeren Zahlengruppen zu. »Das kann nicht stimmen...« murmelte Tschobe. 255.000 Lichtjahre!
Das war noch nicht der endgültige Wert. Die Instrumente standen noch nicht still. Die Ortung
schaltete von grob auf fein.
»Manu, dritten Satz noch genauer justieren. Da liegt der Fehler!«
Tschobe konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Wie aus der Ferne hörte er Szardaks Worte,
der Commander sei im Augenblick unabkömmlich.
»Genau justiert...«
»Distanz zur Milchstraße 267.000 Lichtjahre!«
Als ob Ren Dhark gerade die Entfernung zwischen Erde und Mond bestimmt hätte!
Tschobe kam nicht dazu, eine Frage an den Commander zu richten. Wortlos hatte Dhark die
Ortungen verlassen und ging wieder zum Pilotensitz hinüber. Dann schaltete er die beiden
Intervalle ein, die absolute Transitionsbremse des Ringraumers.
»Astro-Abteilung.« Sie waren ein eingespieltes Team. Wortreiche Einleitungen waren in
Situationen dieser Art nicht erforderlich.
»Commander, wir haben Näherungswerte...« meldete sich der Physiker Pal Hertog.
»Wir haben exakte, Hertog«, fiel Dhark ihm ins Wort, »bis zur Milchstraße sind es 267 000
Lichtjahre! Bis Andromeda ist es immer noch ein ganzes Stück weiter...«
129
Janos Szardak stand mit Hen Falluta am Checkmaster. Das verdammte Ding, wie man es
plötzlich nannte, sollte ihnen erklären, wie es zu dieser Fehltransition gekommen war. Und
das verdammte Ding lieferte den neugierigen Menschen, die so schnell mit einem abfälligen
Urteil bei der Hand waren, die Antwort! Konverter 12, 17 und 18 sind ertobit! Ertobit...? Das mußte ein Übersetzungsfehler des Checkmasters sein. Nur Ren Dhark war stutzig geworden. Ertobit...? In seinem Unterbewußtsein schlummerte dieser Ausdruck. Er hatte ihn nicht nur einmal gehört, sondern er hatte auch einmal gewußt, was darunter zu verstehen war. Szardak fluchte schon wieder. »Das gibt's doch nicht! Dieses verdammte Biest sagt auf erneute Anfrage: Ertobit ist ertobit!« Dhark hörte auf zu grübeln. Er hoffte, daß ihm in einem unerwarteten Moment einfallen würde, was unter ertobit zu verstehen war. Er rief Miles Congollon im Triebwerksraum an. »Setzen Sie alle Männer ein, um festzustellen, wieviel Energie unsere Transition gekostet hat. Congollon, ich glaube, es würde vieles erklären, wenn wir das genau erfahren könnten...« Der Eurasier schüttelte den Kopf. »Dhark, das können wir nicht. Wir haben immer noch keine Möglichkeit, zu berechnen, wieviel Energie über die Flächenprojektoren der PoiNT OF emittiert wird, ob beim Sternensog, beim Sle oder bei einer Transition. Wir haben nicht die geringste Vergleichsmöglichkeit. Wir fliegen ein Raumschiff, von dem wir nicht wissen, wann seine energetischen Reserven verbraucht sind. Tut mir leid, daß ich Ihnen das gerade in dieser Situation sagen muß...« Dhark winkte ab. »Keine Entschuldigungen, Congollon. Ich bin sogar schon in einigen Träumen an diesen Punkt erinnert worden. Hoffen wir, daß er nicht gerade jetzt eintritt. Danke. Ende!« »Keine Verbindung mit Terra!« meldete die Funk-Z. Dhark brach alle weiteren Versuche, Funkkontakt mit Terra aufzunehmen, ab. Klar zur Transition! Zurück zur heimatlichen Milchstraße. 130 Die Astronomen schwitzten Blut. Sie sollten aus dem Sternen-meer ein bekanntes Sternbild herausfinden und fanden keins. Bevor Janos Szardak einen Vorschlag machen konnte, hatte Ren Dhark sich entschieden. »Wir springen mit einem Sicherheitsfaktor von zehn Prozent zur Milchstraße zurück!« Der Checkmaster berechnete die Koordinaten. Die PoiNT OF hatte unterdessen in Richtung auf die Milchstraße Fahrt aufgenommen, und Ren Dhark wartete nur noch auf das Ergebnis, um die beiden Intervalle ausschalten und springen zu können. Dann war es so weit. Koordinaten, wie Menschen sie noch nie erhalten hatten, gaben das nächste Ziel an. Im Ringraumer begannen gigantische Aggregate die gewaltigen Energiemengen freizugeben, die für eine Transition über 200 000 Lichtjahre hinweg erforderlich waren. Die POINT OF wurde schneller... Im Brana-Tal lebte man wie auf einer Insel. Sensationelle Neuigkeiten wurden hier kaum bekannt. Die Transmitter-Verbindung nach Alamo Gordo wurde kaum frequentiert. Die Sicherheitsvorschriften verlangten es, und Echri Ezbal war glücklich, daß er hier in Ruhe seiner Arbeit nachgehen konnte. Holger Alsop schreckte mitten in der Nacht aus dem Schlaf auf. Er hatte von den Zwillingen geträumt und glaubte auch jetzt noch, ihre verzerrten Gesichter zu sehen, obwohl er wach im Bett saß. Nur schwer schlief er wieder ein. Der nächste Morgen verlief wie viele andere im Brana-Tal. Holger hatte das komplizierte, weiträumige Höhlensystem verlassen und war nach draußen gegangen. Die bizarre Gebirgslandschaft faszinierte ihn stets aufs neue. In der Nacht war bis auf viertausend Meter herunter Schnee ge-rallen. Selbst in den Hochsommermonaten nichts Außergewöhnliches, wie Kenner ihm gesagt hatten. Das Gebirge sah völlig verän-dert aus. Ein Teil der dunklen Bergflanken war vom glitzernden Schnee eingehüllt, Kamine und Risse, sonst Merkmale, die unveränderlich schienen, suchte er vergeblich. In tiefem Staunen versun
131 ken, sog er den majestätischen Anblick in sich auf. Und von der gewaltigen, schweigenden Kulisse schien eine ruhige Kraft auszugehen und zu ihm zu fließen. Fast eine Stunde blieb Holger Alsop hier draußen, dann kehrte er in die Station zurück. Drinnen begegnete ihm Echri Ezbal. Aber Ezbal war nicht allein. Charly und George Snide begleiteten ihn, zwei junge, normale Menschen, die noch etwas unsicher waren, weil man sie aus ihrem Zustand heraus in eine Welt versetzt hatte, die sie nicht kannten. Holger Alsop konnte Ezbal nur anstarren. Einen neuen, ihm unbekannten Ezbal, einen Jahre jünger wirkenden Ezbal, der zwischen den beiden Snides ging und mit ihnen plauderte, als habe er nie etwas anderes getan. Seine Augen strahlten jugendliches Feuer aus. Sein Mund lachte, und als er ihm grüßend zunickte, wußte Alsop, daß er in diesem Moment den Echri Ezbal von vor achtzig Jahren sah. »Was ist ein Cyborg?« hörte er Charly Snide fragen. Holger Alsop verstand die Antwort des indischen Experten nicht mehr. Die kleine Gruppe war schon zu weit entfernt. Ein Cyborg, dachte er, und sein Gesichtsausdruck wurde streng. Plötzlich empfand er Mitleid mit den beiden Snides; gestern waren sie noch Schwachsinnige gewesen - heute wurden sie als erwachsene Menschen in eine ihnen unbekannte Welt geworfen. Ein ungeheuerlicher Verdacht erwachte in ihm. Wollte Ezbal diese beiden ahnungslosen Männer etwa überreden, Cyborgs zu werden? Er suchte sie den ganzen Nachmittag. Erst am Abend fand er sie im Kasino. Sie saßen allein an einem Tisch. Unaufgefordert setzte sich Holger Alsop zu ihnen. Er machte eine kurze Bemerkung. »Mit uns können Sie sich noch nicht unterhalten«, erwiderte Charly Snide offen. »Sie wissen doch, was mit meinem Bruder und mir los war? Ezbal hat es uns gesagt.« »Ja, ich weiß, und ich freue mich, daß wir jetzt zusammen am Tisch sitzen und miteinander sprechen.« Neugierig beugte sich George vor und fragte leise: »Waren wir als Idioten schrecklich anzusehen?« »Schrecklich nicht. Jeder hatte Mitleid. Das kann auch weh tun...« 132
»Uns hat nichts weh getan. Uns hat auch heute nichts weh getan, als sie Ezbal anstarrten. Ihr Blick galt ja ihm und nicht uns. Aber kurz darauf, da sahen andere uns an, wie... wie... und das tat weh...« Alsop konnte nur nicken. Ob diese beiden es eines Tages nicht einmal bedauern würden, zu normalen Menschen geworden zu sein, wenn sie mit den alltäglichen Gemeinheiten konfrontiert wurden? Geschickt brachte er das Gespräch auf die Cyborgs. George Snide spielte mit einem Glas. »Wir sind ja erst seit heute vormittag normal. Als wir aufwachten, sagte Ezbal: Auf euch beide bin ich stolzer als auf meinen ersten Cyborg. Ja, und dann hat er uns erklärt, was ein Cyborg ist. Charly und ich wollen auch Cyborgs werden, aber Echri Ezbal will nicht. Er hat nein gesagt.« »Warum?« fragte Holger Alsop interessiert. Verlegen sah George seinen Bruder an. »Weißt du noch, warum er nein sagte, Charly?« »Ich hab's nicht ganz verstanden. Verstehen Sie, was Ezbal damit meinte, als er sagte, wir sollten erst mal leben? Wir haben doch auch vorher gelebt, und bestimmt nicht schlecht. Oder, George?« »Warum sagen Sie plötzlich nichts mehr?» fragte George und blickte Alsop unsicher an. »Ich muß nachdenken«, wich Holger Alsop aus. George sah ihn immer noch an. »Und warum werden Sie kein Cyborg?« Er begriff nicht, wie er ohne Zögern dazu kam, zu sagen: »Ich werde ein Cyborg. Nur deshalb bin ich ja hier. Ich habe mich freiwillig gemeldet. Aber ich glaube, daß es für Sie jetzt Zeit wird, sich schlafen zu legen...« »Nein, nein...« wehrte George Snide lebhaft ab, »wir sind nicht müde, und Echri Ezbal hat
versprochen, uns hier abzuholen. Wollen Sie nicht auf ihn warten?« Doch Holger Alsop hatte jetzt keine Zeit mehr. Hastig stand er auf, eilte durch die Gänge, bis er das Freie erreicht hatte. Über dem Brana-Tal war es Nacht. Sterne funkelten vom klaren Himmel. Irgendwo heulte der Sturm über Grate. Von den Bergen kam Kälte. Er merkte nichts davon. Er blickte hinauf zu den Sternen. Ihr Leuchten, das ihn so oft in Bann 133 geschlagen hatte, berührte ihn nicht. Er dachte an die Zwillinge, die als normale Menschen im Kasino saßen und auf Echri Ezbal warteten, der sich geweigert hatte, aus ihnen Cyborgs zu machen. Lebt erst einmal, hatte er ihnen gesagt, lernt das Leben kennen! »Echri Ezbal...« sagte er und war überrascht, wie er diesen Namen aussprach. Er sah ihn auf einmal mit anderen Augen als bisher. Er hatte seine Entscheidung gefallt. Er hatte es den Zwillingen gesagt. Er hatte sich freiwillig gemeldet, um Cyborg zu werden! Er hatte Vertrauen zu Echri Ezbal -jetzt, endlich! Bernd Eylers saß schon um sechs Uhr früh in der Zentrale der GSO. Vor einer Stunde hatte ihn die Nachricht erreicht, daß die POINT OF sich noch immer nicht gemeldet hatte. Er konnte nicht sagen, ob ihn diese Nachricht beunruhigte oder nicht. Zu oft hatte er schon erlebt, daß sich Ren Dhark tagelang mit seinem Ringraumer nicht gemeldet hatte, um dann plötzlich mit unbeschädigtem Schiff wieder aufzutauchen. Über Vipho hatte er Jos Aachten van Haag alarmiert. Der schob sich in sein Büro, übermüdet und unzufrieden. »Mußte das sein?« fragte er. »Zu dieser sündhaft frühen Stunde?« Eylers kannte die Fähigkeiten seines Agenten. Er war nicht einzuordnen. Er gehörte zu jenen Individualisten, die immer wieder aus der Rolle fallen, aber dabei hervorragende Resultate erzielen. »Sie hätten sich unter die Dusche stellen sollen, Jos«, hielt Eylers ihm verärgert vor. »Ich sitze auch nicht zu meinem Vergnügen hier. Es geht um Chris Shanton...« »...und seinen lieben Jimmy, den Robotköter. Das Viech wird zum Alptraum.« »Weniger. Lassen Sie Shanton seine Spielerei! Sie wissen, was anliegt. Wir haben in den letzten Tagen nichts erreicht. Die Sabotageakte an den Abwehrforts sind und bleiben ein Rätsel.« Er betrachtete Jos forschend, der mit geschlossenen Augen im Sessel saß. »Hören Sie mir überhaupt zu?« »Reden Sie weiter, Eylers... Was glauben Sie, wieviel ich in den 134 letzten Tagen geschlafen habe? Liegt denn gar nichts Neues vor?« »Nichts! Wir tappen im Dunkeln.« »Um mir das zu sagen, zitieren Sie mich um diese Zeit hierher?« Eylers richtete sich leicht auf. Als er seine Hände zusammenlegte, konnte man nicht erkennen, daß er linksseitig eine altmodische Prothese trug. Echri Ezbal hatte ihm schon vor gut einem Jahr bei einem Besuch im Brana-Tal vorgeschlagen, sich einer kurzen Behandlung zu unterziehen, um den Arm nachwachsen zu lassen, aber Eylers hatte abgelehnt. »Ich habe mich an meinen Ersatzarm inzwischen zu sehr gewöhnt«, war seine Antwort gewesen. »Jos«, Eylers' Stimme klang lauter als sonst, »ich habe einige Zusammenhänge entdeckt...« »...zwischen den Sabotageakten auf den Ast-Stationen und der Verfälschung der Großen Gehirnstrom-Muster?« fiel Jos ihm ins Wort, die Augen nach wie vor geschlossen. Bernd Eylers zeigte seine Überraschung nicht. Auf diese Zusammenhänge war er erst vor einer Stunde gekommen. Dabei wußte er nicht, ob es eine haltlose Vermutung war oder der Anfang einer heißen Spur. »Wie denken Sie darüber?« »Sind diese scheinbaren Zusammenhänge überhaupt einen Gedanken wert, Eylers? Ich habe
einige Koryphäen konsultiert. Gehirnstrom-Muster-Experten waren auch darunter. Ich habe Ihnen erzählt, was mit Shanton passiert ist, natürlich ohne seinen Namen zu nennen. Ich habe gefragt, ob man ein Großes Gehirnstrom-Muster verfälschen kann, und alle haben mich der Reihe nach verdammt mitleidig angesehen. Unsere Wissenschaftler sagen nein! Sie brüten über den gleichen Verdacht wie ich, Eylers. Befinden wir uns beide auf dem Holzweg? Aber wenn Sie keine neuen Anhaltspunkte vorliegen haben, dann ist es Zeitverschwendung, sich noch länger darüber zu unterhalten.« »Daß unser Defensiv-System zum größten Teil ausgefallen ist, scheint Ihnen ziemlich wenig auszumachen. Wir haben fünf Raumer auf rätselhafte Weise verloren. Irgend etwas greift offenbar nach unseren Schiffen und läßt sie verschwinden. Dhark meldet sich nicht mehr. Deutet das alles nicht auf eine Aktion galaktischen Ausmaßes hin, die sich gegen die Erde richtet?« 135 Jos war nicht zu erschüttern. »Eylers, ich habe immer Ihre Ruhe bewundert. Jetzt haben Sie etwas davon verloren. Was wollen wir mit unseren paar Kähnen erreichen, wenn uns tatsächlich eine Invasion droht? Was mit unseren paar hundert Ast-Stationen, selbst wenn sie voll einsatzbereit wären? Man würde uns ins Universum blasen. Bloß glaube ich nicht daran. Bitte, lassen Sie mich ausreden, Eylers. Gut, da ist also neuerdings die Rede von einem Nor-ex. Können Sie sich etwas darunter vorstellen? Ich nicht! Vor dem Biest habe ich Angst! Das ist aber auch meine einzige Angst. Glücklicherweise ist die Angst nicht so groß, daß ich um unsere Erde zittere. Dem Nor-ex traue ich ohne weiteres zu, daß es komplette Raumschiffe verschlingt, aber Planeten? Nein, da streikt meine Phantasie... Doch das alles hat mit den Sabotageakten auf den Ast-Stationen und den Manipulationen mit verfälschten Gehirnstrom-Mustern nichts zu tun. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich jetzt für einige Stunden aufs Ohr lege, Eylers?« Eylers gab sofort nach. Sein bester Agent war zweifellos völlig übermüdet. »Gehen Sie, aber melden Sie sich sofort wieder, wenn Sie wieder okay sind!« »Das dauert etwas. Wahrscheinlich hat sich bis dahin Dhark wieder gemeldet. Guten Morgen für Sie Eylers, gute Nacht für mich...« Ein Mann, der sonst vor Energie sprühte, schlich aus Bernd Eylers Arbeitszimmer. In der PoiNT OF war das Pfeifen zu hören. Überall. Dann stieg es die Tonleiter höher, wurde dabei aber nicht lauter. Für dieses Pfeifen schien es im Ringraumer keine Schallisolierung zu geben. Und je höher seine Tonlage wurde, um so unerträglicher wurde das Geräusch. Dazu kam das Brüllen und Toben der hochgefahrenen Aggregate, die ungeheure Energiemengen an die Flächenprojektoren abgaben und das Schiff mit immer größerer Beschleunigung auf den fernen Rand der Milchstraße zujagten. Flug mit abgeschalteten Intervallfeldern! Flug mit Sternensog, dem überlichtschnellen Antrieb der POINT OF! 136 Ein Blindflug, denn die Bildkugel arbeitete nicht mehr. Und dann wurde es schlagartig wieder still! Der Lärm der auf Maximum geschalteten Aggregate bestand nicht mehr, das Pfeifen war nicht mehr zu hören, und in der Bildkugel zeichnete sich eine Sternenmauer ab, die aus Milliarden winziger Lichtpunkte bestand. Ren Dhark schaltete auf Sie. Die Geschwindigkeit der PoiNT OF sank unter Licht. Fast gleichzeitig bauten sich die beiden Intervalle wieder auf. Die Bildkugel zeigte bei diesem Vorgang keine Veränderung. Der gleichzeitig sich einschaltende Reizstrahl machte es möglich, aus dem Mini-Kontinuum ins normale Raum-Zeitgefüge zu blicken. Stille in der Zentrale! Alle Blicke waren auf die große Bildkugel über dem langgestreckten Instrumentenpult gerichtet. Was dort zu sehen war, ließ keinen Menschen unberührt. Von ihrem Standpunkt dicht vor dem Halo, dem sternenarmen Rand der Galaxis, sahen sie die Milchstraße als gewaltige Mauer, die sich nach beiden Seiten in der Unendlichkeit verlor. Die nächsten Sonnen standen wie scharf umgrenzte, winzige Lichtpunkte auf dem samtschwarzen Hintergrund, andere gingen mit ihrem Leuchten im Strahlglanz des Ster nenbandes unter.
»Sonnen«, flüsterte Janos Szardak, »Millionen Sonnen, Milliarden Sonnen! Großer Himmel,
und sie stehen so dicht zusammen wie die Steine einer Mauer!«
»Ja...« sagte Ren Dhark, der seinen Blick auch nicht von der Bildkugel wenden konnte. Es
hatte auch ihn gepackt. Einige Augenblik-ke spielte er mit dem Verlangen, über die
Gedankensteuerung die Wiedergabe zu verändern, aber dann faszinierte ihn dieses Bild so
sehr, daß er es wieder vergaß.
Von einer galaktischen Spirale war nichts mehr zu sehen; von einer Sternenmauer zu
sprechen eigentlich eine Untertreibung.
»Ein Bild, das wie Champagner auf mich wirkt«, gab Szardak zu.
Er hatte recht. Ren Dhark sah ihn an und nickte zustimmend. Auch er empfand diesen
eigenartigen Rausch. Er gab sich voll und ganz seinen Empfindungen hin. Sie waren dem
ewigen Abgrund zwischen den Galaxien entkommen. Unvorstellbar, daß sie sich mehr
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als 260 000 Lichtjahre von der Milchstraße entfernt gehabt hatten. Noch weniger vorstellbar
war es, den Blick rückwärts zu wenden, zum fernen Andromeda-Nebel hinzusehen und dabei
daran zu denken, daß mehr als zwei Millionen Lichtjahre sie von ihm trennten.
Andromeda, fragte sich Ren Dhark in Gedanken, wird die Menschheit diese Sterneninsel jemals
erreichen?
Er war ahnungslos; er wußte nicht, welchen Weg ihm das Schicksal vorgezeichnet hatte. Er
dachte nicht im Traum daran, daß über seinem Leben der Leitsatz stand: Der Weg ins
Weltall!
Und dann wurde von einen Moment zum anderen aus einem Träumer wieder der Commander
der Planeten und Kommandant der POINT OF!
Seine Stimme hallte durch die Zentrale und - über die Bordverständigung - alle Abteilungen.
»Bitte, Meldung!«
Wie oft in der Praxis geübt, liefen die Meldungen nacheinander bei ihm ein. Der Ringraumer
hatte die zweite gewaltige Transition so gut überstanden wie die erste.
Aber was ist ertobit, fragte sich Ren Dhark, während er den Klarmeldungen aus den
einzelnen Abteilungen lauschte. Wann und wo habe ich diesen Ausdruck schon einmal
gehört?
»Grappa, Distanz-Ortung...«
»Läuft...« sagte der junge Ortungs-Spezialist, ohne den Kopf zu drehen. Manu Tschobe saß
neben ihm.
»Astro-Abteilung... Lionel, wie sieht es aus?« Das Gesicht des Bordastronomen erschien auf
dem kleinen Bildschirm der Sicht-Sprechanlage. Jens Lionel wirkte hilflos.
»Dhark, Sie verlangen Unmögliches...«
»Sie wollen Terra doch auch wiedersehen, oder nicht, Lionel? Ich bin mit einer Grob-
Position zufrieden...«
»Wir...« Der Astronom räusperte sich. »Wir können kein einziges Sternbild erkennen. Wir...
wir... Dhark, wir haben den Checkmaster befragt. Das Bordgehirn kann uns auch nicht
helfen. Wir haben jetzt eine Situation, in der der Checkmaster überfordert ist...«
Dhark horchte auf. In seinen braunen Augen leuchtete es. »Wie war das? Demnach muß der
Checkmaster doch eine Antwort gegeben haben, Lionel?«
138
»Hat er auch. Er behauptet, die POINT OF sei bei ihrem letzten Sprung um 23 683 Lichtjahre
auf der Koordinate Grün versetzt worden.«
»Hatten Sie diese Angaben angefordert?«
»Nein. Das ist ja das Rätselhafte an der Angelegenheit. Der Checkmaster sollte uns die
veränderte Konstellation eines Sternbilds angeben, nach der wir dann grob berechnen
wollten, wie wir relativ zum Sol-System vor dem Halo stehen. Statt dessen kamen diese
Angaben, die ich Ihnen gerade gemacht habe.«
»Lionel, sind Sie Astronom oder ich? Versetzung um rund 24 000 Lichtjahre auf Grün
bedeutet doch, daß wir uns vor dem Ausläufer eines Spiralarms befinden müssen, der näher
zum galaktischen Zentrum liegt als der unsrige? Oder wie ist das?«
Junge, Junge, dachte Janos Szardak verblüfft und sah den Commander bewundernd an. Auf
diesen Gedanken wäre er auch nicht gekommen.
»Na, Lionel, haben Sie die Sprache verloren?« »Sie haben... Sie müssen... Dhark, Sie haben recht. Die POINT OF steht genau vor dem Ausläufer eines unbekannten Spiralarms. Wir können ihn nicht sehen, weil die Sterne dahinter...« »Sie haben alle Mittel an Bord, um diesen Arm sichtbar zu machen!« fiel ihm der Commander ins Wort. »Sobald Sie unsere Ab-stands-Position zum Halo haben.« Tino Grappa hatte schon seit Minuten darauf gewartet, seine Meldung anzubringen. Jetzt mischte er sich ein. »Abstands-Position bekannt. POINT OF steht rund 7000 Lichtjahre vor dem Halo. Exakt-Messung läuft noch.« Die Experten in der Astro-Abteilung hatten mitgehört. »Hoffentlich hilft uns das weiter...« murmelte Lionel keineswegs begeistert. »Dhark, ich habe wenig Hoffnung, daß wir ein Sternbild entdecken, Bach dem wir uns richten können...« »Aber, aber, Lionel. Muß ich etwa zu Ihnen rüberkommen und Ihnen zeigen, wie man den Weg nach Hause findet...? Sie haben doch wirklich alle Möglichkeiten. Nutzen Sie sie und lassen Sie mich nicht zu lange auf Ihre Resultate warten!« lautete Dharks Antwort. Aber er schmunzelte dabei. 139 In der großen Sende- und Empfangsstation in Cent Field herrschte hektischer Betrieb. Nur über ein paar Nebenanlagen wurde der Hy-perfunkverkehr mit den Ast-Stationen des Systems aufrecht erhalten. Die gewaltige Hauptanlage hatte nur noch eine Aufgabe zu erfüllen: Ren Dhark und seine POINT OF zu erreichen. Die außerhalb des Sonnensystems kreisenden Raumer hatten Funkverbot bekommen. Nichts sollte den Empfang in Cent Field stören. Die empfindlichsten Geräte waren eingesetzt worden, um auch noch einen Spruch zu erfassen, der unter normalen Umständen ungehört verhallt wäre. Die Stunden vergingen. Die Hoffnung sank immer tiefer. Nach wie vor strahlte der Sender chiffriert, zerhackt und gerafft, aber auch im offenen Text seine Rufe ab. POINT OF, bitte kommen! POJNT OF, bitte kommen! Keine Antwort! Seit vielen Stunden! Dan Riker rief an. Wieder einmal. Und abermals lautete die stereotype Auskunft: »Wir haben immer noch keine Verbindung!« Plötzlich stand im Presse-Büro des TF-Stabs ein Reporter. »Keine Auskünfte, Stranger!« erklärte ihm der Presse-Offizier ungehalten. »Wenn wir die Presse benötigen, teilen wir es frühzeitig mit. Und jetzt habe ich sowieso keine Zeit für Sie!« In diesem Moment nahm Stranger unaufgefordert Platz. »Ich weiß, aber drücken Sie doch einmal ein Auge zu. Ich muß meiner Agentur Material liefern, sonst bin ich meinen Job los!« »Dann hätte TerraPress wenigstens einmal ein gutes Werk getan!« fauchte der PresseOffizier und kam um seinen Schreibtisch herum. »Ich habe Ihnen erklärt, daß ich Ihnen keine Auskünfte geben kann. Und jetzt gehen Sie endlich, Stranger!« Der betrachtete seine Hände, sah dann wieder mit unschuldigem Blick auf und meinte: »Dann werde ich wohl meine Story über den Chef des Defensiv-Systems bringen müssen... äh, den technischen Chef, Chris Shanton. Oder wissen Sie vielleicht nicht, daß Shanton auf einer Reihe von Ast-Stationen Sabotage-Akte verübt hat?« Der Presse-Offizier wankte zu seinem Schreibtisch zurück und löste die Sperre aus. Bert Stranger und er waren im gleichen Moment in diesem Raum eingesperrt. Nur von außen konnten sie jetzt befreit 140 werden. Und in einer anderen Abteilung des Stabes gab es im gleichen Augenblick Alarm. Fünf GSO-Männer, die hier ihren Dienst verdösten, schreckten auf. Ein paar Minuten später standen sie mit Blastern in den Händen vor Stranger, auf den diese Demonstration allerdings keinen Eindruck machte. Hastig erklärte der Presse-Offizier, was er erfahren hatte. »Stimmt alles«, bestätigte der Reporter unaufgefordert. »Aber es hat keinen Sinn, mich zu verhaften. Meine Story über Shanton ist längst fertig. Wenn Sie mich einsperren, geht sie in einer Stunde raus. Schließlich muß ich mir doch auf irgendeine Art meine synthetischen Brötchen verdienen.«
Einer der Männer rief die Zentrale der GSO an. Dort fand man die Meldung so wichtig, daß sie an den Chef weitergegeben wurde. Eylers hörte nicht lange zu. »Geben Sie mir diesen Presse-Offizier! Dieser verdammte Reporter bringt mich noch unter die Erde...« »Ich würde einen gefühlvollen Nachruf schreiben, Eylers...« Eylers fluchte wie ein Trampfahrer. »Geben Sie dieser Nervensäge die Informationen über den Commander, aber sagen Sie ihm auch, daß ich ihn bis in die Hölle jagen werde, wenn er auch nur eine Zeile über Chris Shanton veröffentlicht!« »Ich habe gar nicht vor, überall Bekannte zu treffen«, wehrte Stranger lebhaft ab, »und außerdem habe ich immer geglaubt, ich sei ein anständiger Mensch. Okay, Eylers, doch sagen Sie Ihren Männern auch, Sie sollten ihre Blaster einstecken, sonst mache ich aus meinem Empfang im Presse-Büro des TF-Stabes eine weitere Story...« Bert Stranger hatte es faustdick hinter den Ohren; er wußte genau, wie weit er gehen durfte, ohne den Bogen zu überspannen. Eylers gab seine nächste Anordnung. Die Blaster verschwanden. Stranger erhielt die neuesten Informationen. Viel war damit nicht anzufangen, aber knapp eine halbe Stunde später gab TerraPress als einzige Agentur der Erde bekannt, daß der Commander mit seiner POINT OF verschwunden war. Eigentlich nichts Neues für die Erde, aber die gesamte Meldung war in einen derart sensationellen Bericht verpackt, daß auch der hoffnungsvollste Terraner glauben mußte, der Ringraumer würde nie wieder zurückkommen. 141 Die Nachricht war mit >Bert Stranger< gezeichnet. Bernd Eylers, der davon erst hörte, als der Knüller schon über ein halbes hundert TVStationen gegangen war, wollte gerade die Anweisung geben, dem Sensationsreporter unter allen Umständen das Handwerk zu legen, als Stranger sich über Vipho bei ihm meldete. »Oh...« sagte Stranger überrascht, als er ihn auf seiner Bildscheibe sah, »Sie sind ja hübsch in Fahrt, Eylers. Gut, daß ich Sie erreichen konnte. Hatte ich Ihnen nicht gesagt, daß ich von TerraPress auf die Regierung angesetzt worden bin, damit Sie mich verheizen sollen?« »Was soll dieser Blödsinn nun schon wieder!« »Leider ist's kein Blödsinn, und glücklicherweise habe ich den Sensationsbericht, der von meiner Agentur verbreitet worden ist, nicht verfaßt. Ich kann's beweisen. Ich sitze nämlich immer noch im Presse-Büro des TF-Stabes und unterhalte mich ausnehmend nett mit dem Presse-Offizier.« Eylers sechster Sinn klingelte. »Worüber denn, Stranger?« »Ach... Zum Beispiel über den Kode der Terranischen Flotte. Eylers, ich kann Ihnen sagen, daß mein Gegenüber jetzt immer noch schluckt, weil ich ihn kannte.« »So...?« Bernd Eylers mimte den Uninteressierten, während ihm tatsächlich der Schweiß ausgebrochen war. »Kennen Sie vielleicht auch den Kode der GSO?« »Ja«, sagte Bert Stranger ohne Zögern. »Moment, Eylers. Ich verschlüssle Ihnen den Satz: Ren Dhark ist mit der PoiNT OF verschollen...« Er brauchte 37 Sekunden! In dieser Zeit hatte Bernd Eylers Alarm gegeben. Bert Stranger war unverzüglich zu verhaften! Dieser Mann wußte zuviel! Dieser Mann war eine Gefahr für die Sicherheit Terras und der Menschheit! »Und woher haben Sie diese beiden Kodes, Stranger?« versuchte der Chef der GSO im leutseligen Ton zu erfahren. »Ach, Eylers, Sie wissen doch, daß ein guter Reporter seine Informanten nicht preisgibt. Zumindest nicht über Vipho. Die Kodes kenne ich seit gut zwei Monaten. Es hat Spaß gemacht, verschlüsselte Funksprüche abzuhören und zu dechiffrieren!« 142 »Und Sie haben natürlich von dem Wissen, das Sie aus den entschlüsselten Funksprüchen gezogen haben, Gebrauch gemacht?« Der Reporter lachte. »Ich muß Sie enttäuschen, Eylers. Ich habe keinen Gebrauch davon gemacht. Nicht einmal TerraPress wußte, daß ich beide Kodes kannte. Schließlich möchte ich
nicht hinter energetischen Sperrgittern Daumen drehen oder Zellenwände anstarren. Ein paar Gesetze unserer terranischen Regierung kenne ich auch. Ich... Oh, gilt dieser Besuch schon wieder mir?« Zum zweitenmal betraten die fünf GSO-Männer das Presse-Büro - und hatten allen Grund, am Verstand ihres Chefs zu zweifeln, als der sie kurzerhand aufforderte, wieder zu gehen und den Reporter ungeschoren zu lassen. Verwundert schüttelte auch der Presse-Offizier der TF den Kopf. Dieses Hin und Her mit Stranger verstand er auch nicht mehr. »Von wem haben Sie die Kodes erhalten, Stranger?« Eylers ließ nicht locker. Der Reporter blinzelte ihm verschwörerisch zu. »Irgendwie mag ich Sie, Eylers. Sie bleiben immer am Ball.« Er seufzte. »Wenn Sie nicht so ein vielbeschäftigter Mann wären, dann würde ich wirklich gerne einmal ein Interview mit Ihnen machen.« Irgend etwas - eine Nuance in Strangers Tonfall, der Blick aus den runden Kulleraugen - ließ Eylers aufmerken. Deshalb ging er auf das Spielchen ein. »Sie haben Glück, Stranger. In meinem Terminkalender klafft gerade eine Lücke. Wenn Sie es schaffen, in zwanzig Minuten hier zu sein...« Die einzige Antwort, die er erhielt, war das Geräusch einer ins Schloß fallenden Tür. Der Presse-Offizier der TF, der plötzlich wieder allein in seinem Büro saß, schüttelte schon wieder verwundert den Kopf. Wie ein Kugelblitz auf zwei Beinen hatte Stranger den Raum verlassen. Er öffnete den Mund, um noch etwas zu Eylers zu sagen, aber der hatte bereits die Vipho-Verbindung unterbrochen. Neunzehn Minuten später betrat Bert Stranger schnaufend das Büro des GSO-Chefs. 143
»Ein bißchen mehr Zeit hätten Sie mir ruhig geben können, Ey-lers. Sie wissen doch am besten, daß ich keine Transmitter mehr benutzen kann«, nörgelte der rundliche Reporter, doch seine Augen blitzten vergnügt. »Also, was wollen Sie mir über die gefahrvolle Arbeit der Männer und Frauen erzählen, die hinter den Kulissen dafür sorgen, daß die Bürger Terras nachts ruhig schlafen können?« »Ich hatte eher den Eindruck, Sie wollten mir etwas erzählen, Stranger. Etwas, das sie am Vipho nicht sagen wollten. Oder haben Sie etwa gedacht, ich würde Ihnen wirklich ein Interview geben?« Eylers ließ den Reporter nicht aus den Augen. Stranger hatte sich in einen Besuchersessel fallen lassen und hielt dem prüfenden Blick des GSO-Chefs stand. Er wirkte jetzt überhaupt nicht mehr wie eine Witzfigur, sondern wie ein Mann, der genau wußte, was er tat. »Sie haben recht, Eylers, ich will Ihnen tatsächlich etwas erzählen. Aber umsonst ist der Tod«, für einen kurzen Augenblick saß wieder der alte Bert Stranger, der Sensationsreporter, auf Eylers' Besuchersessel, »was bieten Sie mir als Gegenleistung, wenn ich Ihrem Verein die Arbeit abnehme? Wie war's mit einer Zugangsberechtigung zur Cyborg-Station?« »Darüber können wir reden, nachdem Sie mir Ihre Geschichte erzählt haben.« »Das sieht mir aber nicht nach einem fairen Handel aus. Ich biete Ihnen etwas an, und ich erwarte dafür eine vernünftige Gegenleistung. Wo kommen wir denn hin, wenn...« »Verdammt, Stranger, hören Sie mit dem Geplänkel auf. Entweder Sie sagen mir jetzt, was Sie zu sagen haben, oder Sie verschwinden aus meinem Büro. Ich habe keine Lust, den halben Tag mit läppischen Spielchen zu vergeuden.« Bernd Eylers wurde allmählich wütend oder er tat zumindest so. »Mit Ihnen macht das überhaupt keinen Spaß«, maulte Stranger und wurde dann übergangslos ernst. »Ich habe die Kodes von einem gewissen John Michelt in World-City«, begann er. »Er hat mich immer mal wieder mit Tips zu diesem und jenem versorgt. Es war nie etwas Großes dabei, und als er mir die Kodes anbot, habe ich die Sache zunächst gar nicht ernst 144
genommen. Ich konnte einfach nicht glauben, daß Johnny an die echten Kodes der TF oder gar der GSO gekommen war. Als ich dann gemerkt habe, daß er mir dieses Mal wirklich verdammt heiße Ware verkauft hatte, bin ich nochmal zu ihm hin. Ich wollte wissen, wie er an die Dinger rangekommen ist. Johnny ist ein kleiner Gauner, ein Spitzel, der nicht nur für mich als Informant arbeitet. Die Sache mit den Kodes, das paßte einfach nicht zu ihm...«
Stranger zuckte die Schultern und schwieg. »Und weiter?« drängte Eylers. »Johnny war verschwunden, spurlos, vom Erdboden verschluckt, sozusagen. Und nicht nur das. Alle, die ihn kannten, taten plötzlich so, als hätten sie noch nie von ihm gehört. Es war fast, als ob John Michelt niemals existiert hätte.« Eylers runzelte die Stirn. »Das mag zwar seltsam sein, aber...« »Ich bin noch nicht fertig«, unterbrach ihn Stranger. »Ich bin eine Schnüffelnase, eine ziemlich gute, wie Sie zugeben müssen. Und ich kenne eine Menge Fäden, an denen ich ziehen kann. Also habe ich geschnüffelt und gezogen - und bin fündig geworden. Einer von Johnnys alten Freunden, ein verrückter Elektronik-Freak, der für die Unterwelt-Größen von World-City Alarmanlagen und solche Scherze bastelt, konnte sich noch an Johnny erinnern. Er hat mich angerufen, und wir wollten uns am nächsten Tag treffen. Aber am nächsten Tag war er tot. Jett-Unfall, meinte die City-Polizei.« Stranger atmete schwer. »Und jetzt wird's wirklich verrückt, Eylers. Die Burschen, für die unser Elektronik-Fachmann gearbeitet hat, sind nicht so leichtgläubig wie die Polizeibehörden. Sie haben auf eigene Faust im Dreck gewühlt - und siehe da, der Unfall war gar kein Unfall. Es war Mord. Dafür sind aber eigentlich besagte Herren selbst zuständig, und sie mögen es überhaupt nicht, wenn man in ihrem Revier wildert und noch dazu einen ihrer Leute umbringt. Also haben sie weiter im Dreck gewühlt, zwei, drei Tage lang. Und plötzlich wurde alles abgeblasen. Ende der Aktion.« »Ich verstehe das nicht ganz, Stranger.« »Das habe ich auch gedacht, Eylers, deshalb habe ich mich noch-mal ins Zeug gelegt und ein paar Knöpfe gedrückt, die ich sonst nie drücken würde. Das wiederum hat zu einigen sehr interessanten 145
Gesprächen unter teilweise noch interessanteren Umständen geführt«, der Reporter schüttelte
sich, »die ein äußerst interessantes Bild ergeben.«
»Höchst interessant«, murmelte Eylers.
Stranger warf ihm einen übertrieben strafenden Blick zu, wurde jedoch sofort wieder ernst.
»In der Tat. Ich habe mit einigen Männern gesprochen, die sich normalerweise vor nichts und
niemandem fürchten - nicht vor der Polizei, nicht vor der GSO, noch nicht einmal vor mir...
Und diese Männer hatten Angst. Furchtbare Angst. Man konnte ihre Angst förmlich riechen.
Für eine Schnüffelnase wie mich stank sie zum Himmel.«
Stranger beugte sich vor und fixierte Eylers mit einem Blick, der noch niemals so etwas wie
Unschuld gekannt zu haben schien.
»Und jetzt frage ich Sie, Eylers: Wer oder was auf Terra ist mächtig genug, sich mit der
Unterwelt anzulegen und sie auf eine Weise einzuschüchtern, wie es der Polizei oder Ihrer
GSO niemals gelingen würde? Und sich ganz nebenbei noch die Kodes der Flotte und der
GSO unter den Nagel zu reißen?«
»Moment«, sagte Eylers. »Was hat dieser Krieg in der Unterwelt mit den Kodes zu tun?«
»Sie haben nicht richtig zugehört, Eylers. Und sie wissen auch noch nicht alles, was ich weiß.
Hier geht es nicht um einen Krieg in der Unterwelt. Hier geht es um sehr viel mehr. Als ich
mit Alexis. dem Elektronik-Freak, über Vipho gesprochen habe, hat er mir drei Dinge erzählt.
Erstens: Johnny, dieser Idiot, hatte die Kodes geklaut, von einem Typen namens Kuipers oder
Keupers oder so ähnlich, der sich öfters in der Saturn-Bar 'rumdrücken soll. Und er hatte jede
Menge Angst.«
»Und was war zweitens und drittens?« fragte Eylers, als der Reporter nicht weitersprach.
»Aberdeen und Csaba.«
»Wie bitte?«
»Aberdeen und Csaba. Zwei Namen. Mehr nicht.«
Eylers schwieg. Er mußte das, was Stranger ihm erzählt hatte, erst einmal verdauen. Aber er
war lange genug in diesem Geschäft, um dem Reporter in einem schon jetzt recht geben zu
können: Irgendwo
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auf der Erde lief im Verborgenen eine ziemlich große Sache. Und diese Erkenntnis stimmte
ihn alles andere als froh.
Stranger stand auf. »Das war's, Eylers. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Machen Sie was draus.« Jetzt grinste er wieder sein typisches unverschämtes Bert-Stranger-Grinsen. »Ich glaube, ich gehe jetzt besser. Sonst könnte noch jemand auf die Idee kommen, ich würde mit dem Feind fraternisieren...« «r Der Reporter war schon fast an der Tür, als Eylers ihm hinterherrief: »Eine Frage noch, Stranger: Wieso dieser plötzliche Sinneswandel?« Bert Stranger drehte sich um. Es war nichts Lächerliches mehr an ihm, als er sagte: »Wir sind uns viel ähnlicher als sie glauben, Eylers. Wir suchen beide nach den Dingen, die unter der Oberfläche liegen. Wir wollen sie ans Licht bringen, transparent machen. Sie sind Commander Dhark und der Regierung verpflichtet, ich den Menschen dort draußen. Wir beide sollten versuchen, unsere Arbeit gut zu machen. Guten Tag.« Und weg war er. Eylers war noch dabei, das Gehörte zu verarbeiten, als das Vipho schrillte. Es war Stranger. »Übrigens, Eylers, ich komme in den nächsten Tagen vorbei, um mir meine Zugangsberechtigung zur Cyborg-Station abzuholen...« Die Erde schwieg. Kein einziger Hypersender einer fremden Rasse war zu hören. Im Empfang war nur jenes leise Rauschen des Hyper-raums zu vernehmen, das kein Mensch mit Worten hätte beschreiben können. Glenn Morris in der Funk-Z der PoiNT OF gab auf. Der Bordsender war in seiner Leistung eben nicht stark genug, um das ferne Sol-System zu erreichen. Damit hatte man sich abzufinden. Und der verstärkende To-Richtstrahlkristall konnte nicht eingesetzt werden, weil die Position Terras unbekannt war. Doch kein Mann im Ringraumer befürchtete ernsthaft, sie würden die Erde nicht wiederfinden. Sie vertrauten ihrer PoiNT OF und dem Commander. Wenngleich es allen ein Rätsel war, wieso die erste Transition sie so weit in den Leerraum hatte bringen können, dachte 147
niemand auch nur im Traum daran, daß ein Fehlsprung sich wiederholen könnte. »In spätestens drei oder vier Tagen sind wir wieder zu Hause«, sagte Walt Brugg gerade und warf zufällig einen Blick auf die Echo-Kontrolle. »Große Milchstraße!« stöhnte er, »da ist das Biest ja schon wieder! Das Nor-ex!« Morris schob Brugg hastig zur Seite. Ohne hinzusehen, schaltete er die SichtSprechverbindung zum Leitstand ein. »Dhark, wir haben gerade das Nor-ex wieder mit der Echo-Kontrolle erfaßt. Distanz 8,7 Lichtjahre. Entfernung verringert sich unaufhaltsam. Das Biest scheint uns geortet zu haben!« Ren Dhark saß gelassen im Pilotensitz. »Wie lange haben wir die Erde gerufen, Morris?« »Über drei Stunden.« »Danke, mehr wollte ich nicht wissen. Informieren Sie mich, wenn das Nor-ex auf Überlichtgeschwindigkeit gehen sollte.« Die Verbindung zur Funk-Z blieb bestehen. «Ein unheimliches Nichts, dieses Etwas!« sagte Szardak. Seine Augen waren zu Schlitzen zusammengekniffen. »Und das ist der Beweis, daß Sie mit Ihrer Theorie recht hatten. Mit unserem Dauerfunkspruch haben wir das Nor-ex auf unsere Spur gelockt. Sollten wir nicht einmal versuchen, die Bildkugel darauf einzustellen? Vielleicht kann sie es erfassen und für uns sichtbar machen...« »Sie haben vergessen, daß der Checkmaster von einer unbekannten Gefahr im Raum gesprochen hat. Die Mysterious haben demnach nie Kontakt mit dem Nor-ex gehabt... Drei Stunden Hyper-funksprüche abgestrahlt. Also sind im Moment zumindest keine Schiffe der TF in Gefahr...« Janos Szardak unterbrach seine Überlegungen. »Vielleicht, wenn es nur ein Nor-ex gibt. Gibt's aber mehrere, dann...« In diesem Augenblick meldete sich Morris: »Distanz zum Nor-ex 8,5 Lichtjahre. Ist vor wenigen Sekunden auf Überlichtgeschwindigkeit gegangen. Kurs POINT OF! Echo-Kontrolle zeigt steigende Werte.« Während Glenn Morris sprach, hatte Ren Dhark sich zu seinem Ortungsspezialisten Tino Grappa umgedreht. Ihre Blicke kreuzten 148
sich. Der junge Orter verstand die wortlose Frage des Commanders. Er zuckte die Schultern.
»Nichts! Das Ding ist mit meinen Ortungen nicht zu erfassen. Nicht die Spur einer
energetischen Emission...«
»Grappa, Sie sollten es noch einmal mit Hyper-Siebgittern versuchen. Vielleicht filtern wir
dann etwas heraus und können uns ein Bild machen...«
Dazu kam es nicht mehr.
Glenn Morris schlug Alarm.
»Jetzt wird's ernst! Das Biest kann ja unvorstellbar beschleunigen. Distanz nur noch 8,2
Lichtjahre. Wenn das Nor-ex auch noch tran-sitieren kann, dann gute Nacht, POINT OF!«
Ren Dhark preßte die Lippen aufeinander. Seine Fingerspitzen lagen auf den Steuerschaltern.
Im Schiff begannen Konverter, Trafos und Energiebänke ihr kraftvolles Lied lauter und
lauter zu singen. Der Ringraumer begann Fahrt aufzunehmen.
Der Commander rief den Triebwerksraum .»Congollon, alles klar, um in einigen Sekunden in
Transition zu gehen?«
»Alles okay, Dhark. Was soll hier schon schiefgehen? Auf diesem Kahn geht doch nie etwas
kaputt...«
Ren Dhark hörte nicht mehr zu. Er beobachtete die Instrumente. Zwei Steuerschalter änderten
unter seinem Fingerdruck ihre Position. Die Intervalle um den Räumer bestanden nicht mehr.
Wenn jetzt das Nor-ex das Schiff angriff, dann war es ungeschützter als alle Kugelraumer,
die es hatte verschwinden lassen.
In Dharks braunen Augen strahlte ein Licht, das immer dann zu sehen war, wenn er sich zum
Äußersten entschlossen hatte.
»Berichtigungs-Koordinaten vom Checkmaster!« verlangte er.
Man verstand, was er meinte. Der Checkmaster hatte behauptet, die POINT OF sei auf ihrem
Sprung zur Galaxis hin auf der Koordinate Grün um 23 683 Lichtjahre versetzt worden.
»Kursberechnung unter Berücksichtigung dieser Verschiebung. Ziel...« Anscheinend ohne
nachzudenken gab er seine Order.
Aber in Wirklichkeit überlegte er scharf, nur zeigte sein markantes Gesicht nichts von seinen
Sorgen. Würde gleich die rätselhafte Gedankensteuerung eingreifen und wieder das
Kommando über den
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Ringraumer übernehmen, wie es bei den letzten beiden Begegnungen mit dem Nor-ex
geschehen war?
Er warf einen Blick auf die Geschwindigkeitskontrolle.
Geschwindigkeit 0,31 Licht! War es bei diesem relativ niedrigen Wert überhaupt möglich, in
Transition zu gehen? Würde bei diesem Versuch das Unitall nicht über seine Grenzen
beansprucht?
In der Zentrale kam kein Widerspruch auf. Jeder hatte erkannt, was auf dem Spiel stand.
Aber die Gefahr, die aus Richtung der Galaxis auf sie zujagte - war sie nicht viel größer?
»Berechnungen stehen!«
»Distanz 7,8 Lichtjahre...« Das war Glenn Morris' Stimme. Ren Dhark nickte. Flüchtig sah er
Janos Szardak an, der im Copilotensessel saß. Der Draufgänger blinzelte seinem Commander
zu. Und der junge, weißblonde Mann, der so gern lachte und immer wieder versuchte, dem
Leben die schönsten Seiten abzugewinnen, gab das Blinzeln zurück. Sekundenlang schien er
vergessen zu haben, welches Risiko er mit Schiff und Besatzung einzugehen bereit war.
Geschwindigkeit 0,36 Licht!
Das Schiff war immer noch viel zu langsam, um den zeitlosen Sprung durch den Hyperraum
ausführen zu können.
Wo blieb das Pfeifen im Raumer, das die Transition jedesmal angekündigt hatte?
Ringschaltung in alle Kabinen und Abteilungen des Schiffs: »Achtung! Transition in drei
Sekunden!«
Ein Steuerschalter erhielt eine andere Stellung.
Das Pfeifen war im Schiff, raste die Tonleiter hinauf. Die Wiedergabe in der Bildkugel
verschwand. Und dann schien die POINT OF wie ein waidwund geschossener Saurier der
Urzeit zu brüllen...
Brach das Schiff auseinander? Rissen die fußballgroßen, halbkugeligen Flächenprojektoren
auf der Innenseite ab? Griff die Gedankensteuerung in dieses wahnwitzige, lebensgefährliche
Spiel ein?
Wie lange konnten drei Sekunden eigentlich dauern?
Eine volle Ewigkeit?
Abrupt wurde es in der POINT OF still. Die Bildkugel zeigte ein Sternenmeer!
Die meisten Sterne weitab; nur einige wenige in relativer Nähe.
150
Dennoch Sterne, wohin man sah! Keinen leeren, samtschwarzen Abgrund, der nur aus Zeit
und Raum bestand!
Auch Ren Dhark hatte den Atem angehalten. Mit der linken Hand wischte er über sein
Gesicht, dabei atmete er laut aus.
»Das ist überstanden...«
In dieser Sekunde begriff Szardak, welche Kämpfe Ren Dhark innerlich durchgestanden
haben mußte, bis er seine POINT OF bei viel zu niedriger Geschwindigkeit in die Transition
gezwungen hatte.
»Wir hätten auch in einer Sonne aus dem Sprung herauskommen können«, murmelte der
kleine Mann mit dem Pokerface und gab damit preis, was er vor der Transition befürchtet
hatte.
Ren Dhark nickte. Er legte beide Hände in den Schoß und blickte gedankenlos auf die vielen
Instrumente seines Steuerpults.
In einer Sonne existent werden... Er dachte darüber nach und wunderte sich, daß er sich überhaupt nicht vorstellen konnte, wie eine solche Katastrophe ablaufen würde. Aber über einen Punkt war er sich im klaren: Sollte in Zukunft einem Transitionsschiff dieses Unglück passieren, die Besatzung würde noch nicht einmal Zeit bekommen, die Katastrophe auch nur zu ahnen. Dann schützten die beiden Intervalle wieder die POINT OF. Die Ortungen hatten den gesamten Nahsektor um das Schiff abgetastet, und Tino Grappa konnte melden, daß nichts vorlag. Die Echo-Kontrolle in der Funk-Z rührte sich nicht. Das Nor-ex lag viele tausend Lichtjahre hinter ihnen. Wieviel tausend Lichtjahre? Und wo in der Galaxis befand sich der Ringraumer nun? 151
8. Der Himmel über dem Kontinent Deluge auf Hope war von dichten Wolken verhangen. Regen, der schon fast einem Wasserfall glich, stürzte herab und klatschte auf die Kugelzelle der EL TAREK. Das Raumschiff stand auf dem Plateau, an dessen hinterem Ende die AGravschächte zu den Maschinenhöhlen mündeten.. Im Schutz eines in den letzten Jahren errichteten Torhäuschens standen drei Männer und blickten in das Wüten der Natur hinaus. Obwohl der Regen von einem schweren Gewitter begleitet war, schienen sie die Naturerscheinung als normal zu empfinden. Das war sie auch. Jedenfalls auf Deluge. Es gab kaum Perioden, in denen der Himmel mehrere Stunden hintereinander klar blieb. Üblicherweise gingen über den kleinen Kontinent zwei bis drei solcher Güsse pro Tag nieder. »Ich wage es jederzeit noch einmal«, sagte Jaime Alleghins, der Kommandant der EL TAREK, soeben mit Nachdruck. »Cent Field hat den Flug bereits genehmigt.« »Ich halte das für keine besonders gute Idee«, antwortete einer der beiden anderen Männer, der Metallurge Poul Renoir. »Es besteht die Gefahr, daß der Überzug eine uns unbekannte Strahlung aussendet und das Wesen auf Ihr Schiff aufmerksam macht - und was dann?« Alleghins zuckte die Achseln. Man sah, daß er sich in seiner Haut nicht wohl fühlte. Er blickte kurz zur EL TAREK hinüber, deren 200 Meter durchmessende Kugelzelle schon dicht über dem Boden im sintflutartigen Regen verschwand. Immer wieder leuchteten Blitze auf, und laut krachender Donner folgte unmittelbar darauf. »Es muß aber nicht so sein«, meinte er unsicher. »Muß nicht«, sagte Achmed Tofir, der dritte Mann. »Aber wir haben bereits fünf Schiffe
eingebüßt. Ich muß gestehen, mir läuft es kalt den Rücken hinunter, wenn ich an das Schicksal der Besatzun 152 gen denke. Vielleicht befinden sie sich in einer Lage, in der der Tod eine Erlösung bedeutet.« »Aber wir müssen mehr über dieses Ungeheuer herausfinden, um es bekämpfen zu können«, begehrte Alleghins auf. Sosehr er sich gegen den ersten Test gesträubt hatte, sosehr brannte er jetzt darauf, etwas zu tun. Eine plötzliche Bö wehte einen Schwall Regen in den weiten, halbrunden vorderen Eingang des Torhäuschens. Die Männer traten einige Schritte zurück. »Aber was sollen wir tun?« fing der Captain wieder an. »Es ist von höchster Wichtigkeit, den Wissenschaftlern Terras so schnell wie möglich Materialproben zu verschaffen. Wenn die führenden Köpfe der Erde ebenfalls an dem Problem arbeiten, wird die Chance eines Erfolgs bedeutend größer«, stellte Alleghins fest. »Also werde ich fliegen. Die Genehmigung vom Stab der Terranischen Flotte habe ich in der Tasche.« Er klopfte auf seine Kampfkombination. »Das Risiko nehme ich in Kauf. Schicken Sie mir schnellstens Proben des Gesteins, das sich am Landeplatz der FO-1 befand. Sowie die Proben an Bord sind, starte ich.« »Sie werden keine Proben bekommen«, sagte Renoir hart. »Jedenfalls nicht von mir. Ich wäre mitschuldig, sollte Ihnen und der EL TAREK etwas zustoßen. Außerdem brauchen wir Sie und das Schiff hier«, beschwichtigte er, als er Allegehins' aufsteigenden Ärger gewahrte. Wieder zuckte ein blendender Blitz aus den düsteren Wolken. Der sichtbare Teil der EL TAREK war für Sekundenbruchteile mit einem Netzwerk blauer Entladungen überzogen. Aufbrüllend krachte der Donner hinterher. »Wozu brauchen Sie das Schiff? Weitere Versuche?« »Genau«, versetzte Tofir. »Ortensen und Huarto sind ständig an den Maschinen. In zwei Stunden lösen wir beide sie wieder ab. Bleiben Sie hier, Kommandant, und gehen Sie kein unnötiges Risiko ein.« Alleghins hob die Schultern. »Ich habe Anweisung, Ihnen mit dem Schiff zur Verfügung zu 153 stehen. Außerdem leuchten mir Ihre Argumente ein. Also schön, ich bleibe. Benachrichtigen Sie mich, wenn es für die EL TAREK etwas zu tun gibt. Ich bin an Bord.« Der Captain verabschiedete sich und spurtete durch den nachlassenden Regen zu seinem Schiff hinüber. »Gehen wir wieder hinunter.« Renoir und Tofir blickten dem Captain noch einen Augenblick hinterher und wandten sich dann den A-Gravschächten zu. Die Männer blieben kurz vor der Schachtmündung stehen und streckten gewohnheitsmäßig die Arme aus. Sofort fühlten sie das sanfte, nach unten gerichtete Ziehen des Transportfeldes. Sie traten über die Kante und schwebten zuerst langsam, dann mit zunehmender Geschwindigkeit abwärts. Gleichzeitig erhellte sich die Schachtröhre. Das A-Gravfeld hielt die Männer mitten im Schacht. Der Transport spielte sich völlig lautlos ab. Da er bei aller Geschwindigkeit einige Minuten dauerte, unterhielten sich Tofir und Renoir. Natürlich über das Problem, das ihnen besonders am Herzen lag. Das Nor-ex und die damit zusammenhängenden Umstände. »Es fällt mir verdammt schwer, an eine Intelligenz zu glauben, die energetischer Natur sein soll«, sagte der Araber. Seine Stimme hallte keineswegs, wie man es in einem kilometertiefen Schacht hätte erwarten sollen. Sie klang vielmehr seltsam flach. Dies war eine der Nebenwirkungen des A-Gravfeldes. »Sie meinen das Nor-ex.« Renoir schwebte zwei Meter hinter und über seinem Kollegen. »Ja. Nach seinen Handlungen zu urteilen, muß es Intelligenz besitzen.« »Wieso? Besitzt ein Frosch Intelligenz, der eine bei ihm gelandete Fliege frißt? Ist eine Katze intelligent, die eine Maus beschleicht und dann schlägt?« »Ich verstehe Sie nicht«, wandte der Araber ein. »Aber Kollege. So wie diese Tiere hat das Nor-ex gehandelt, als es die Schiffe verschwinden
ließ. Diese Bezeichnung gefällt mir übrigens nicht. Warum sagen wir nicht einfach, es hat die Schiffe gefressen; wobei das natürlich nicht wörtlich zu nehmen ist.« 154 »Mmm. Das läßt sich eher hören. Sie denken also an eine Art Tier, das im Raum lebt und scharf auf größere Metallmassen ist, wie etwa Raumschiffe«, meinte Tofir. »Genau. Nach allem, was wir wissen, hat das Nor-ex bisher nichts getan, wozu Intelligenz notwendig ist. Solange das aber nicht erwiesen ist, sollten wir uns schon aus psychologischen Gründen davor hüten, dem Wesen Intelligenz zuzuschreiben.« »Ich warne vor Unterschätzungen«, sagte Tofir eindringlich. »Bitte.« Der Franzose gestikulierte heftig und kam dadurch in eine leichte Drehbewegung. Er schwankte einige Male leicht hin und her, ehe das Feld ihn wieder stabilisiert hatte. »Ich habe nicht gesagt, daß wir von dem Standpunkt ausgehen sollten, das Nor-ex besitze keine Intelligenz. Wir sollten das vielmehr durchaus einkalkulieren. Darin stimmen wir überein. Nein, was ich meinte war, wir sollten diese Möglichkeit nur im engsten Kreis zugestehen. Sie wissen, Kollege, wie schnell ein Gerücht entsteht und wie die Tatsachen dabei ausgeschmückt und aufgebauscht werden. Stellen Sie sich bitte die Wirkung auf Terra vor, wenn von einem raubgierigen Superwesen aus dem All gesprochen würde. Deshalb meine ich, sollten wir die Intelligenz des Nor-ex zwar für möglich, aber bis auf weiteres nicht für erwiesen halten. Offiziell bezeichnen wir es als eine Art energetisches Tier. Die Eloxierung, die es zustande bringt und die Zeitneutralität hervorruft, kann ja ein pures Beiwerk seiner Nahrungsaufnahme sein. Wie etwa eine Schlange eine große Beute vor dem Verschlingen einspeichelt, um sie gleitfähig zu machen.« »In Ordnung.« Tofir spähte nach vorn. Sie hatten den Ausstieg fast erreicht. »Als Tier ist mir dieses Monster schon unheimlich genug. Wenn es zu seinen Möglichkeiten noch Intelligenz besäße -nicht auszudenken. Außerdem, wo liegen seine Grenzen? Kann es eventuell auch einen Planeten verspeisen?« Renoir antwortete nicht sofort. Er wartete, bis das A-Gravfeld sie sanft in dem kreisrunden Raum abgesetzt hatte. »Wenn wir das annehmen wollen, können wir ebensogut gleich aufgeben. Stellen Sie sich eine planetenverschlingende Intelligenz vor.« »Lieber nicht. Jedenfalls wollen wir gleich zu unseren beiden jun 155
gen Leuten gehen. Ich glaube zwar nicht, daß sie inzwischen Erfolg gehabt haben, aber allein ihr Eifer ist es wert, beachtet zu werden.« »Machen wir.« Tofir und sein Kollege setzten sich zur sogenannten Maschinenhöhle in Marsch. Sie hatten eine längere Strecke vor sich und verstrickten sich sofort wieder in einen wissenschaftlichen Disput. Eine wesentliche Rolle bei fast allen Untersuchungen, die in der Maschinenhöhle gemacht wurden, spielte der sogenannte Universal-Analysator, kurz Unilator genannt. Die mächtige Maschine ermöglichte es, so ziemlich alle denkbaren Einflüsse auf eine Werkstoffprobe wirken zu lassen. Interessanterweise verfügte der Unilator dabei keineswegs über viele Einzel-Apparate, die die Erzeugung von Hitze, Kälte, Druck, Zug, Vibration und hochfrequenter Schwingung ermöglicht hätten. Vielmehr war er in der Lage, sich diese Wirkungen von anderen Maschinen in der riesigen Höhle gewissermaßen zuspielen zu lassen. Ihm oblag allein die Aufgabe der Koordination und Kombination. So gesehen war der Unilator eine einmalige Maschine. Die Menschen hatten sich seiner schon häufig bedient, ohne jedoch hinter die letzten Geheimnisse seiner Wirkungsweise gekommen zu sein. Und diesem Gerät strebten jetzt auch Renoir und Tofir zu. Sie traten an den Steuerstand des Unilators. Er befand sich vor der Maschine und war besonders groß. Auf drei geneigten Pultflächen von einem Meter Breite und drei Metern Länge befanden sich unzählige Schalter, Drehknöpfe, Tasten und Schieberegler. Dieses verwirrende Durcheinander wurde ergänzt durch zahlreiche Meßinstrumente, Kontrollampen und die Tastatur eines speziellen Rechengehirns. Ein Programmautomat
vervollständigte die Ausrüstung dieser universellen Prüf- und Untersuchungsmaschine. Helge Ortensen und Mi Huarto, ein Spektralexperte und ein Physiker, waren so in einen Disput über den gerade abgelaufenen Versuch vertieft, daß sie Renoir und Tofir gar nicht kommen hörten. »Aber ich bitte Sie, Huarto, wir müssen doch von einer Basis ausgehen, und sei es auch nur eine Hypothese«, sagte Ortensen be 156 schwörend. »Wir haben uns durch mehr als 200 Versuche hindurch gequält, um die Herkunft der Eloxalschicht zu klären.« Huarto, ein schwarzhaariger, schmaler Mann mit dunklen Augen, nickte. »Wir haben festgestellt, daß die Schicht nicht die vom Nor-ex umgewandelte Oberfläche der betreffenden Gegenstände ist«, fuhr Ortensen fort. »Sie wird vielmehr von dem Monster selbst aufgebracht.« »Schön«, warf Huarto ein. »Ich frage mich aber, hat das Nor-ex den Stoff bei sich, mit dem es die zu versetzenden Gegenstände überzieht - oder erzeugt es ihn erst an Ort und Stelle.« »Mein lieber Huarto, Sie sind dem eigentlichen Problem in Gedanken immer um drei Schritte voraus«, ereiferte sich Ortensen. »Es hat seine Vorteile«, meinte Huarto. »Bleiben Sie bei Ihrer Art, die Dinge zu betrachten, und ich bei meiner. Im Moment schlage ich vor, wir sehen uns die Aufzeichnungen des Versuchs noch einmal an, den wir soeben abgeschlossen haben.« Erst jetzt bemerkten die beiden Renoir und Tofir. Sie nickten ihnen zu. »Sie können gleich mithören«, sagte Huarto. Er schaltete den im rechten Schaltpult eingebauten Recorder ein, auf dem er den Versuch protokolliert hatte. »Serie sechs; Versuch 275«, hörte man seine Stimme. »Eingebrachte Probe 1670 Gramm normales Granitgestein. Völlig überzogen von der Schicht, die wir mangels einer genaueren Definition Eloxierung genannt haben. Probe ordnungsgemäß in die Prüfkammer eingeschleust. Panoramabeobachtung okay. Kammer geschlossen. Probe hängt im Fesselfeld in der Mitte der Kammer. Zunächst Hitzestrahl. Wir bestrahlen eine Fläche von einem Qua-dratmillimeter. Beginn 10 000 Grad Celsius. Wir steigern rasch. Bei 10 Millionen Grad setzt die überbeanspruchte Kühlung der Kammer eine Grenze. Resultat: Der bestrahlte Punkt weist keinerlei Verände rung auf. Die Schicht ist unzerstört. Sie hat die aufgestrahlte Wärmeenergie restlos reflektiert.« 157 Tofir tastete den Recorder aus und unterbrach den Bericht. »Das ist doch kaum zu fassen«, brach es aus ihm hervor. »Ein Material, das einer Hitze von 10 Millionen Grad widersteht. Und das bei einer Stärke von einem Zehntel My.« »Man lernt nie aus, Kollege. Auch nicht in der Physik«, versetzte Renoir trocken. Er griff nach dem Auslöseknopf des Recorders. »Hören wir weiter.« Erneut kam die Stimme Huartos: »Hitzestrahl bleibt stehen. Bohrstrahl wird zusätzlich angesetzt. Er entspricht einem Bohrer mit der hundertfachen Härte bester Industriediamanten. Wir beginnen mit 100 000 Umdrehungen pro Minute und einem Anpreßdruck von 50 Tonnen. Beide Werte steigern wir langsam. Bei einer Million Umdrehungen und 500 Tonnen Anpreßdruck verhalten wir. Messungen ergeben wiederum, daß die Schicht am Angriffspunkt unbeeinflußt bleibt. Der Bohrstrahl zeigt keine Reibungsverluste.« Renoir und Tofir blickten sich an. »Aus diesem Zeug müßte man ein Raumschiff bauen«, meinte der Franzose, heiser vor Erregung. »Es würde keine Schutzschirme mehr benötigen. Die Zelle aus diesem... diesem Norexal würde als Schutz genügen. Sie wäre unzerstörbar. Zumindest für jede Waffe, die wir bis jetzt kennen. Einschließlich denen der PoiNT OF.« »Feiner Stoff, in der Tat«, sagte Ortensen unbeeindruckt. »Norexal als Bezeichnung gefällt mir. Wenn wir nur bald herausfinden, wie er anzugreifen ist.« Die vier Männer hörten nicht mehr auf die Stimme aus dem Recorder, die weiterhin phantastisch anmutende Daten des letzten Versuchs aufzählte. Sie grübelten, welche
Methoden man noch anwenden könnte, um die scheinbare Unangreifbarkeit des Norexals zu durchbrechen. »So kommen wir nicht weiter«, stellte Poul Renoir nach einer Weile fest. »Huarto und Ortensen. Sie stellen am besten ein neues Kombinationsprogramm zusammen und lassen von einem M-Rechner untersuchen, welche Kombinationen von Einwirkungen noch nicht erprobt worden sind. Wenn Sie die Ergebnisse haben, arbeiten wir weiter.« »Gute Idee.« Ortensen, der vor knapp einem Jahr erst sein Ab 158 schlußexamen gemacht hatte - mit der höchsten Auszeichnung der Universität von Alamo Gordo - wandte sich an seinen Altersgenossen Huarto. »Vielleicht bekommen wir so wirklich etwas heraus, was wir noch nicht versucht haben. Wir müssen einfach dahinterkommen, wie man das Norexal knackt.« »Jede Stunde zählt«, pflichtete Renoir bei. »Mir will das Schweigen der POINT OF nicht gefallen. Ich werde den Verdacht nicht los, daß sich der Ringraumer in Bedrängnis befindet und das Nor-ex seine Hand dabei im Spiel hat.« »Obwohl es kaum Hände in unserem Sinn haben dürfte«, konnte sich Ortensen einen Kommentar nicht verkneifen. Dann machten er und Huarto sich daran, dem M-Rechner die Daten aller bisher vorgenommenen Versuche einzuspeisen. »Ausführung«, sagte er. Über einen runden Bildschirm, der bisher nur einen waagerechten violetten Strich gezeigt hatte, begannen bizarre Farbmuster zu huschen. Das Gehirn arbeitete. Während der kurzen Wartezeit unterhielten sich die vier Wissenschaftler wieder einmal über das Thema, über das man auf Deluge eigentlich dauernd sprach: die Mysterious. Poul Renoir sagte gerade: »Ich möchte einmal unterstellen, die Mysterious existieren noch. Hoffentlich werden wir ihnen einmal begegnen. Es wäre der größte Augenblick meines Lebens, wenn ich ihnen entgegentreten dürfte. Sie müssen in der Erkenntnis des Universums ungeheuer weit fortgeschritten sein.« Er sah sich in der weiten Maschinenhöhle um »Vielleicht sehen sie uns jetzt? Möglicherweise erscheint unser Bild in dieser Sekunde auf einem Schirm. Am entgegengesetzten Ende der Galaxis. Oder noch weiter entfernt.« Seine philosophischen Bemerkungen waren im gleichen Augenblick nebensächlich geworden, in dem das Rechengehirn der Mysterious das Ende der Auswertung anzeigte. Tofir warf einen Blick auf die Ergebnisse. »Hyperfunkwellen. Das haben wir bisher noch nicht untersucht. Oder haben Sie beide bereits eine Probe mit Hyperfunkwellen bestrahlt?« wandte er sich an Ortensen und Huarto. 159 »Hyperfunkwellen? Nein. Darauf sind wir nicht gekommen«, ent-gegnete Ortensen verblüfft. »Funk, das erschien uns zu abwegig. Aber wir können es ja versuchen. Die Probe befindet sich noch in der Prüfkammer.« »Nehmen wir lieber eine neue«, wandte Renoir ein. »Der Überzug der alten scheint zwar durch die daran vorgenommenen Versuche nicht gelitten zu haben. Es könnte aber trotzdem zu Veränderungen gekommen sein, die den neuen Versuch verfälschen. Wir haben ja genug von den Steinen da.« »In Ordnung. Ich schleuse eine neue Probe ein«, meinte Ortensen. Er trat an das linke Schaltpult. Kontakte rasteten ein. Am Unilator schwang lautlos eine dickwandige Tür von Quadratmetergröße auf. In der Kammer hing immer noch der Gesteinsbrocken in dem unsichtbaren Fesselfeld. Als Ortensen es abschaltete, fiel er auf den Boden der Kammer. Huarto holte ihn heraus und legte einen neuen Stein in die Kammer, auf eine kreisförmige Markierung am Boden. Dort befand sich der Projektor des Fesselfeldes. »Fertig«, sagte er. »Okay.« Ortensen aktivierte den Projektor. Wie von Geisterhand gehoben stieg der Stein bis in die Mitte der Prüfkammer und blieb dort in der Schwebe. »Kammer schließen«, rief Huarto. Auf einen Schalterdruck schwenkte die dicke Unitall-Tür zu »Los, fangen Sie schon an.« Achmed Tofir konnte seine Ungeduld kaum noch zügeln. Auch
Renoir war dicht hinter Ortensen getreten.
»Sofort.« Ortensen schaltete den Unilator auf prüfen. Damit wurden selbsttätig alle Sensoren
kontrolliert, die während des Versuchs das Verhalten der Probe an die Meßinstrumente
meldeten. Ohne ihre reibungslose Funktion war jedes Experiment wertlos.
»Wozu die langweilige Prüferei?« ereiferte sich Tofir. »Haben Sie es schon mal erlebt, daß
ein Gerät der Mysterious versagt hätte?«
»Nein. Aber die Mysterious sind auch keine Götter«, gab der Spektralexperte gleichmütig
zurück. »Und gerade bei solch einer wichtigen Sache möchte ich sicher gehen.«
Die Prüfautomatik gab Violettlicht: In Ordnung. »Los«, sagte der lebhafte Huarto. Er war an
das rechte Schaltpult getreten. Ortensen stand am mittleren.
160
Schalter rasteten ein. Hebel wurden verdreht. Auf den Schaltpulten glommen Kontrollampen
auf und wurden Bildschirme hell. Sie zeigten die Probe in der hell erleuchteten Kammer von
allen Seiten.
»Hypersender ein. Frequenz 100 000 Meganestler. Strahlbündelung auf Maximalwert.
Intensität ebenfalls. Fertig.«
»Ab«, sagte Ortensen. Er starrte gespannt auf die Kontrollinstrumente, die ihm das Verhalten
der Probe zeigen würden.
»Ab«, bestätigte Huarto.
Einige Sekunden herrschte Schweigen. Man vernahm nur das erregte Atmen der vier Männer
und undeutliche Geräusche aus der Ferne, wo andere Forschungsgruppen ihre Experimente
vornahmen. Vereinzelt konnte man halblaute Rufe hören.
»So schalten Sie doch endlich ein, Huarto«, stieß Ortensen plötzlich ungehalten hervor. »Ich
bin für jeden Scherz zu haben, aber jetzt wollen wir arbeiten.«
»Ich habe eingeschaltet. Der Hyperfunkstrahl steht.«
»Unmöglich. Hier wird keinerlei Reaktion angezeigt. Überzeugen Sie sich«, sagte Ortensen
im Brustton der Überzeugung.
»Also bitte.« Huarto drückte einen weiteren Knopf ein. »Gegenkontrolle. Sehen Sie jetzt, daß
der Sender läuft?«
»Aber ich habe nicht die geringste Reflexion«, beharrte Ortensen. »Irgend etwas von dem
Strahl müßte doch reflektiert werden. Bisher betrug die Reflexionsquote bei energetischer
Bestrahlung bekanntlich 100 Prozent. Selbst wenn wir annehmen, daß sie bei Hyper-wellen
geringer ist, so kann sie doch keinesfalls bei Null liegen.«
Die vier Männer begannen, sich über etwaige Fehlermöglichkeiten zu streiten. Nach wie vor
stand der Hyperfunkstrahl auf der Probe, und nach wie vor war keinerlei Reflexion zu
messen.
»Vielleicht nimmt die Probe den Hyperfunkstrahl einfach auf«, sagte Huarto plötzlich.
»Was sagen Sie da?« Die Frage wurde dreimal nahezu gleichzeitig ausgesprochen. Renoir,
Ortensen und Tofir starrten den Kollegen entgeistert an.
»Nun, wenn der Strahl steht und keine Reflexion erfolgt, bleibt doch nur diese
Schlußfolgerung übrig. Oder nicht?«
Wieder vergingen einige Sekunden gespannten Schweigens. Dann
161
sprang Renoir strahlend auf Huarto zu, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn vor
Begeisterung.
Dann schlug er ihm mit aller Macht auf die Schulter.
»Geschafft«, brüllte er triumphierend. »Endlich haben wir dem verdammten Zeug eine
Reaktion entlockt.«
»Tatsächlich«, rief jetzt Ortensen vom rechten Kontrollpult her. »Das Zeug saugt die Energie
des Hyperfunkstrahls wie ein Schwamm auf. Wenn man bedenkt, wie wenig Norexal es ist,
das den Stein umkleidet, dann ist das eine unglaubliche Eigenschaft mehr, die der Stoff hat.«
»Wie verhält sich die Schicht?« fragte Huarto.
»Wieso. Sie hören doch...«
»Ich meine, verändert sie sich? Ist sie weniger widerstandsfähig geworden?« Der Indonesier
hatte trotz aller Begeisterung nicht vergessen, weiterzudenken.
»Werden wir gleich haben«, stieß Ortensen eifrig hervor. »Wir haben ja das gesamte Programm des vorhergehenden Versuchs gespeichert. Ich breche jetzt die Hyperfunkbestrahlung ab und lasse es einfach nochmal ablaufen.« Eine halbe Stunde später hatte die anfängliche Hochstimmung einer nüchternen Betrachtungsweise Platz gemacht. Das abgelaufene Programm von Versuch 276 hatte ergeben, daß sich das Norexal unter dem Hyperfunkstrahl nicht verändert hatte. Gegenüber jeder anderen Beeinflussung blieb es weiter voll resistent. »Einen Schritt weiter, aber wieder festgefahren«, kommentierte Renoir. »Was jetzt?« »Immerhin haben wir eine hochinteressante Eigenschaft des Norexals entdeckt«, versuchte Tofir die Enttäuschung des Kollegen zu mildern. »Wir sollten in der gewiesenen Richtung weiterforschen. Möglicherweise kann das Norexal als Speicher für Hypere-nergie dienen.« »Aber wir wollen doch herausfinden, wie man das Zeug zerstören kann«, sagte Renoir ärgerlich. »Darauf kommt es in erster Linie an. So lange wir das nicht wissen, sind unsere Schiffe dem Nor-ex nahezu hilflos ausgeliefert.« »Nimmt Hyperfunkwellen auf...« dachte Huarto halblaut im Hin 162 tergrund. Tofir hatte es gehört. Seine Gedanken kreisten um das neu entdeckte Phänomen. Hyperfunk. Hatten nicht die Tofirit-Richtkristalle eine wesentliche Verbesserung gebracht? Erstmals konnten mit den Kristallen Hyperfunksen-dungen gerichtet abgestrahlt werden, so daß sie lediglich entlang des Richtstrahls zu empfangen waren. Tofir glaubte nicht an einen Erfolg. Er wollte lediglich Renoirs Enttäuschung mindern und den Kollegen über den toten Punkt hinweghelfen, als er sagte: »Warum versuchen wir es nicht mal mit To-Funk?« »Was soll das bringen?« fragte Renoir gereizt. Er hatte die Enttäuschung nach dem anfänglichen Jubel noch nicht verwunden. »Weiß ich nicht. Eventuell gar nichts. Aber haben wir das vor dem Versuch mit normalem Hyperfunk nicht auch geglaubt?« »Versuchen wir es«, meldete sich Ortensen. »Okay. Ich besorge einen To-Richtkristall.« Huarto spurtete bereits los. Offensichtlich hielten die jungen Wissenschaftler das Experiment nicht für aussichtslos. Bis Huarto zurück war, vergingen 20 Minuten. Gemeinsam gingen sie anschließend zum stationären Sender hinüber. Er war von den Mysterious installiert worden und diente nicht zum Funkverkehr. Er war nur dazu da, um seine Funktion an den Unilator gewissermaßen auszuleihen. Obwohl ihnen der Aufbau des fremden Senders im großen und ganzen geläufig war, schufteten sie doch länger als zwei Stunden, bis sie den Tofiritkristall vorgeschaltet hatten. »Ortensen, gehen Sie zum Unilator. Prüfen Sie, ob der gerichtete Hyperfunkstrahl dort auch ankommt«, sagte Renoir. Müde setzte er sich auf den Unitallboden und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Ortensen nickte und lief zur Prüfmaschine. Auf seine Fernschaltung hin lief der Sender an. »Okay!« brüllte Ortensen herüber. »Das Ding funktioniert. Wir können anfangen.« »Gehen wir.« Renoir stemmte sich gähnend hoch. 163 »Wenn wir jetzt keine neue Wirkung erzielen - was ich annehme - dann weiß ich nicht mehr weiter.« Als sie beim Unilator ankamen, hatte Ortensen schon die vorbereitenden Schaltungen für ein neues Experiment vorgenommen. Sowie seine Kollegen zur Stelle waren, gab er dem ToFunkstrahl den Weg auf den Norexalüberzug des Steins frei. »Eingeschaltet.« Seine Stimme klang belegt. Gespannt starrten die vier Männer auf die Meßinstrumente und Bildschirme. Würde der rätselhafte Stoff reagieren? Keiner glaubte es wirklich. Aber nach einigen Sekunden sahen es alle. »Die Schicht wird schwarz«, flüsterte Achmed Tofir ungläubig. »Da, sehen Sie doch.« Jetzt
schrie er fast. »Die verdammte Schicht wird tatsächlich schwarz.«
In der Tat zeigte sich auf dem schillernden Überzug des Steinbrockens eine erbsengroße
schwarze Stelle.
»Genau am Auftreffpunkt des Strahls«, sagte Ortensen überflüssigerweise.
»Auffächern«, sagte Renoir. Noch wagte er nicht an einen Erfolg zu glauben.
Huarto schaltete.
»Wo der Strahl auftrifft, findet die Verfärbung statt«, stellte Renoir Sekunden später fest.
»Lassen Sie den Brocken rotieren, Huarto, bis er sich überall verfärbt hat.«
Die Männer ließen kein Auge von den Beobachtungsschirmen. Es gab keinen Zweifel. Wo
der To-Funkstrahl das Norexal traf, verfärbte es sich nach 3,7 Sekunden Einwirkungsdauer
zu einem spiegelnden Schwarz. Nicht lange, und der ganze Brocken glänzte wie polierte
Kohle.
Das Phänomen der völligen Aufsaugung der zugestrahlten Energie, wie es sich schon bei
normalen Hyperfunkwellen gezeigt hatte, war erhalten geblieben.
»Abstellen«, sagte Renoir, als der To-Funkstrahl jede Stelle des Brockens lange genug
bestrichen hatte. »Belastungsprogramm wiederholen. Ich möchte sehen, ob die Schicht jetzt
etwas von ihrer Widerstandsfähigkeit verloren hat.«
164
Doch dies war nicht der Fall. Auch das schwarz verfärbte Norexal verhielt sich in derselben
Weise resistent gegen jeden Angriff wie das unverfärbte.
»Es ist zum Verrücktwerden«, knurrte Tofir. »Das Zeug ist unangreifbar wie eh und je. Aber
irgend etwas muß doch mit ihm vorgegangen sein? Wieso hat es sich sonst verfärbt?«
»Wenn die Verfärbung keine Änderung der mechanischen Eigenschaften angezeigt hat,
vielleicht bezieht sie sich dann auf ein verändertes Verhalten der Probe in bezug auf die
Zeit«, vermutete Huarto.
Renoir griff nach der Vermutung seines jüngeren Kollegen wie nach einem Strohhalm.
»Wir werden einen neuen Versuchsflug der EL TAREK anordnen. Wo ist das nächste Vipho?
Ich rufe Captain Alleghins sofort an. Huarto, bringen Sie die Probe schon zum Schiff. Wir
müssen uns beeilen. Jede Stunde zählt. Ren Dhark und seine Männer warten sehnlichst
darauf, ein Verteidigungsmittel gegen das Nor-ex in die Hand zu bekommen.«
»Mache ich. Übrigens, haben Sie etwas dagegen, wenn ich den Flug mitmache? Ich möchte
das Verhalten der Probe während der Transition selbst beobachten.«
«Sie meinen, Sie wollen sehen, ob sie danach noch vorhanden ist«, korrigierte Renoir.
»Schön, fliegen Sie nur.«
»Ich möchte auch mit«, meldete sich Ortensen.
»Okay, okay«, versetzte Renoir ungeduldig. »Meinetwegen fliegt die gesamte Belegschaft der
Forschungsstelle Deluge mit. Aber bringen Sie mir den Erfolg. Wir brauchen ihn.«
165
9. In der Zentrale der EL TAREK lief der normale Countdown für den Start.
Kommandant Alleghins saß mit seinen zwei Copiloten auf der Steuerempore vor den
Panoramaschirmen. Von den verschiedenen Leitständen liefen die routinemäßigen
Klarmeldungen ein.
»Schleusen geschlossen. Schiff ist druckdicht. Lufterneuerungsanlage arbeitet normal.«
»Fusionsreaktoren warmgelaufen, klar zur Leistungsabgabe. Triebwerke startbereit.«
»Alle Instrumente geprüft und klar. Schwerkraftabsorber eingependelt. Lageregelungsystem
und Trägheitsplattformen klar. Kurskreisel angefahren.«
»Alle Waffen geprüft. Feuerbereitschaft kann binnen 15 Sekunden hergestellt werden.«
In diesem Stil ging es noch zehn Minuten weiter. Dann lagen sämtliche Klarmeldungen vor.
Alleghins zog das Mikrophon der Bordverständigung zu sich heran.
»Kommandant an alle. Wir starten zu einem Prüfungsflug, wie wir schon einige im Auftrag
der hiesigen Forscher gemacht haben. Nach Verlassen des Col-Systems werden wir eine
Transition über einige Lichtjahre vornehmen und anschließend zurückkehren. Ich mache Sie
darauf aufmerksam, daß wir eine Probe des sogenannten Norexals an Bord haben. Es besteht
die, wenngleich geringe, Möglichkeit, daß jenes unheimliche Monster diese Probe irgendwie
wittert, herankommt und das Schiff angreift. Von Ihrem schnellen Handeln wird es dann abhängen, ob wir der Gefahr entgehen werden. Das wäre alles. Start«, befahl Alleghins unmittelbar danach. Ortensen und Huarto, die als Gäste in der Zentrale mitflogen, versuchten, sich nichts ent 166 gehen zu lassen. Sie hatten zwar schon etliche Raumflüge hinter sich, sie aber bisher immer in ihren Kabinen erlebt. Der Captain schaltete den A-Grav hoch. Ein sanftes Summen erklang, das rasch heller und kräftiger wurde. Auf den Sichtschirmen konnte man deutlich erkennen, wie die EL TAREK von ihrem Landeplatz abhob und zunächst langsam, dann immer schneller an Höhe gewann. Noch in den oberen Luftschichten zündete Alleghins die As-Onen-Triebwerke. Der grelle Widerschein der Impulsbündel und die über den Schutzschirm wetterleuchtenden glühenden Luftmassen ließen es für einen kurzen Moment in der Zentrale unerträglich hell werden. Dann fuhren die Blenden vor die Aufnahmeoptiken der Sichtschirme. Das unerträglich helle Gleißen nahm ab. Unter ihnen wummerte ein Überschallknall durch die Atmosphäre. Augenblicke später hatte das Schiff den Planeten hinter sich gelassen und raste in den Raum. Auf den Schirmen erschien Col, die Doppelsonne, die dem System seinen Namen gab. Hope selbst schrumpfte auf dem Heckschirm sichtbar zusammen. »Höchste Aufmerksamkeit an den Ortergeräten«, befahl Alleghins eindringlich. »Sollte das Nor-ex auftauchen, geht es um Sekunden. Ich weise noch einmal darauf hin, daß das Monster sich überlicht-schnell bewegen kann.« Ortensen und Huarto saßen vor einem behelfsmäßig installierten kleinen Bildschirm. Er zeigte ein Detail der Außenhülle: In einer angeschweißten Greifklaue steckte der Steinbrocken, dessen Norexal-überzug sie vorhin mit To-Funkstrahlen verändert hatten. Ein kleiner Scheinwerfer beleuchtete ihn. »Ich bin gespannt, ob die Probe auch diesmal bei der Transition verschwindet.« Huarto hatte sich von den interessanten Vorgängen m der Zentrale losgerissen und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf das Versuchsobjekt. »Sie brauchen kein Loch in den Schirm zu starren«, antwortete Ortensen. »Wenn der Brocken verschwindet, dann ist er so schnell weg, daß nicht einmal eine Rapidkamera auf Höchsttouren den Vorgang filmen könnte.« 167
»Weiß ich doch. Ich warte auf eventuelle andere Effekte. Möglicherweise verschwindet der Brocken langsam. Oder er löst sich auf. Ich nehme natürlich alles mit den entsprechenden Aufzeichnungsgeräten auf.« Er warf seinen Geräten einen schnellen Blick zu.. Die EL TAREK näherte sich der Lichtgeschwindigkeit. Da keine Eile nötig war, ging Alleghins auf 90 Prozent Licht, ehe er die auf fünf Lichtjahre festgesetzte Kurztransition auslöste. Vorher hatte eine Automatik die letzten 30 Sekunden heruntergezählt. Die Voko-derstimme war über Bordverständigung im ganzen Schiff zu hören. Jedes Besatzungsmitglied sollte sich auf den Transitionsschock vorbereiten können. »...vier, drei, zwei, eins, null.« Die EL TAREK sprang! Da die Transition nur über fünf Lichtjahre ging, hatten die Konstellationen sich kaum geändert. Lediglich die beiden Col-Sonnen, eben noch grellweiß leuchtende Scheiben, waren zu einem fernen Doppelstern geworden. Noch bevor die Männer den Transitionsschock überwunden hatten, gellte ein Schrei durch die Zentrale. Ortensen und Huarto hatten ihn gleichzeitig ausgestoßen. Fassungslos starrten sie auf den kleinen Sichtschirm, der die Greifklaue an der Außenhülle zeigte. »Es ist noch da«, schrie Ortensen. Wie verrückt schlug er Huarto auf die Schultern. »Es ist noch da«, wiederholte er überglücklich. »Wissen Sie, was das heißt?« »Klar. Das Norexal hat seine Zeitneutralität verloren. Genau die Eigenschaft, die es zu einem gefährlichen Hilfsmittel des Monsters werden ließ.« Der Indonesier freute sich nicht minder.
»Man kann die Zeitneutralität ganz einfach aufheben. Mit To-Funk.«
»Wenn ich Ihr Verhalten richtig deute, ist die Probe diesmal bei der Transition nicht
verschwunden. Darf ich also gratulieren?«
»Sie dürfen, Captain. Wir...«
»Ortung an Kommandant. Fremdes Objekt in Flugrichtung voraus«, kam eine erregte Stimme
aus einem Lautsprecher.
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Alleghins' Mund zog sich zu einem schmalen Strich zusammen.
»Waffenleitstand.« Seine Stimme klirrte. »Feuerbereitschaft für alle Waffen.«
»Verstanden. Sind in 15 Sekunden feuerbereit. Geschützantennen werden ausgefahren.«
»Ortungszentrale«, sagte der Kommandant. »Sofort Objektanalyse. Was haben Sie bis jetzt?
Bitte die vorläufigen Werte.«
»Es sieht wie ein Raumschiff aus«, meldete der Orter. »Abstand sieben Millionen Kilometer
zwei Grad nach Grün vom eigenen Kurs. Befindet sich im relativen Stillstand. Keine
Energieortung.«
»Wir sehen uns den Kahn an«, bestimmte Alleghins. Seiner Stimme war die Erleichterung
anzumerken, daß es sich offenbar nicht um das Nor-ex handelte.
Er griff nach den Triebwerkskontrollen und gab Gegenschub, um die Restfahrt, mit der das
Schiff aus der Transition gekommen war, abzubremsen.
Stark verzögernd näherte sich die EL TAREK dem unbekannten Objekt. Die Analyse der
Orterdaten durch den Suprasensor hatte 91,8 Prozent Wahrscheinlichkeit für ein Raumschiff
ergeben.
»Objekttasterdaten auf Sichtschirme geben«, ordnete der Kommandant an.
Sekunden später erschien auf den Panoramaschirmen ein deutliches Bild des Fremden.
Es war ein längliches Schiff mit spitzem Bug und einem abgerundeten, stumpfen Heck. Die
Messung ergab 128 Meter Länge und eine maximale Dicke von 27 Metern. Das Schiff war
schwarz und wäre mit normalen Teleskopen ohne Beleuchtung nicht zu erkennen gewesen.
Zumindest nicht hier im interstellaren Raum.
»Diesen Typ habe ich noch nie gesehen«, meinte Alleghins verwundert. »Ist das nun ein
Raumschiff oder nur ein großes Landungsboot?«
Seine Frage war berechtigt. Deutlich waren die großen deltaför-migen Tragflächen zu
erkennen, die etwa am letzten Rumpfdrittel ansetzten und sich mit 60 Grad Pfeilung bis zum
Heck zogen. Senkrecht dazu stand auf dem Heck eine weitere Flosse.
»Ein Seitenleitwerk, wie es scheint.«
169
Der Kommandant war dabei, die EL TAREK vorsichtig näher heranzubringen. Die Distanz
betrug nur noch 10 000 Kilometer. Sämtliche Aufzeichnungsgeräte waren aktiviert.
»Waffenleitstand, Achtung«, schnitt die Stimme des Kommandanten durch das gespannte
Schweigen. »Beim ersten Anzeichen eines Angriffs Feuer aus allen Waffen. Handeln Sie
selbständig und fragen Sie mich nicht erst. Ich glaube zwar nicht an eine Falle, aber wenn es
doch eine sein sollte, geht es um Sekunden.«
»Verstanden, Sir.«
»Ortungszentrale«, begann Alleghins erneut, »haben Sie von drüben Energieortung?«
»Nicht die geringste. In dem Schiff findet garantiert nicht der geringste Energiefluß statt.«
»Danke.«
Der Kommandant beriet sich mit seinen Offizieren, während die Distanz zu dem treibenden
Schiff immer geringer wurde.
»Eine Falle kann es kaum sein«, meinte Frits Cron, der Erste Offizier. »Wer sollte sie gestellt
haben? Für wen? Sicherlich nicht für uns, denn wer konnte wissen, daß wir hier
vorbeikommen würden?«
»Nicht für uns, okay. Aber für jeden, der zufällig vorbeikommt. Das wäre doch möglich,
oder?« Alleghins blieb mißtrauisch.
Der Fremde war mittlerweile nur noch wenige Kilometer entfernt. Das umgesetzte Echo der
Objekttaster zeigte ihn wie in hellem Scheinwerferlicht.
»Sieht wie ein ins Riesige vergrößerter Deltajäger für atmosphärischen Flug aus«, sagte Mi
Huarto, der zusammen mit seinem Kollegen zum Kommandanten getreten war.
»Richtig. Es hat sogar Sichtluken und einen abgesetzten Führerstand mit
Direktsichtscheiben«, bestätigte Alleghins. Er schaltete die Distanzautomatik ein und stellte
sie auf eine Entfernung vom 1000 Meter. Sie würde das Schiff vollends abbremsen und die
gewünschte Entfernung viel genauer halten als ein lebender Pilot.
Nun wandte sich die ungeteilte Aufmerksamkeit dem treibenden Schiff zu. Es war so nahe,
daß auf den Sichtschirmen jetzt auch Details seiner Außenhaut erschienen.
»Tatsächlich Sichtluken.« Jean Serwu, der Zweite Offizier, deu 170
tete auf die fünf Reihen runder Öffnungen, die sich den Rumpf entlangzogen. »Wir sollten
den Kahn untersuchen, Captain.«
»Ich weiß nicht...« zögerte Alleghins.
»Was kann schon passieren?« Serwu, ein junger Leutnant, war Feuer und Flamme für das
Unternehmen.
»Mir gefällt der Kahn nicht. Beweise für meine Bedenken habe ich nicht. Es ist ein Gefühl.«
»Sir, das Schiff ist bestimmt seit undenklichen Zeiten verlassen. Wir müßten sonst irgendeine
Energieortung haben«, beharrte Serwu. »Ein plötzlicher Feuerüberfall ist also
ausgeschlossen. Und wenn es jemand da drüben darauf anlegen sollte, uns zu täuschen, so
müßten zumindest irgendwelche Steuerleitungen Energie führen.«
»Stimmt«, gestand Alleghins zu.
»Vermutlich ein alter Landungsboottyp«, setzte er hinzu. »Tragflächen und Leitwerk weisen
auf eine Verwendung auch für atmosphärischen Flug hin.«
Er sah wieder auf die Sichtschirme. »Die Öffnungen an den Hinterkanten der Tragflächen
müßten die Triebwerke sein. Trotzdem -ich finde den Kahn unheimlich.«
In der EL TAREK hatte sich die erwartungsvolle Spannung der ganzen Besatzung mitgeteilt.
Überall auf den Stationen hatten sie das treibende Schiff ebenfalls auf den Bildschirmen.
»Ein Geisterschiff.«
Einer der Männer hatte die alte Bezeichnung für verlassene Schiffe gebraucht. Schnell
machte das Wort die Runde.
»Die Bahndaten des Schiffes sind nur durch zeitraubende Meßverfahren feststellbar, Sir«,
meldete sich die astronomische Abteilung. »Es macht nur relativ geringe Fahrt im Verhältnis
zu den nächsten Sternen. Eine Bahnkurve zu erstellen, würde Stunden dauern.«
»Danke. Lassen Sie es«, sagte der Kommandant. Er rief das Archiv. »Was hat die
Typenanalyse ergeben?«
»Typ unbekannt, Sir. Ist mit Sicherheit noch keinem terranischen Schiff begegnet. Die
Speicher der Giants geben auch absolut nichts her.«
»Okay. Dann werden wir den Kahn untersuchen«, entschied Alleghins. »Funkzentrale,
senden Sie einen kurzen Bericht nach Hope.
171
Melden Sie auch unseren Erfolg mit der Norexalprobe. To-Funk verwenden.«
»Verstanden, Sir.«
»Oberleutnant Cron.«
»Sir?«
»Nehmen Sie sich vier Mann und fliegen Sie rüber. Aber riskieren Sie nichts - und bleiben
Sie ständig mit uns in Sprechverbindung.«
»Jawohl, Sir.«
Cron, ein hochaufgeschossener Mann mit Bürstenfrisur, sah sich in der Zentrale um. Sein
Blick fiel auf die beiden Wissenschaftler.
»Wie war's, meine Herren?« Er machte eine Kopfbewegung zu den Schirmen, die das fremde
Raumschiff zeigten. »Neuland lockt.« Er grinste. »Ist es nicht die Pflicht der Wissenschaft, in
vorderster Linie zu stehen?«
»In Ordnung, ich komme mit«, sagte Ortensen. Huarto winkte ab. Er war dabei, einen
vorläufigen Bericht für Renoir in einen Taschenrecorder zu sprechen.
»Bringen Sie möglichst die Mumie eines Besatzungsmitglieds mit«, frozzelte er. »Ich denke,
sie würde sich im Zentralmuseum von Alamo Gordo gut machen - natürlich mit dem
Namensschild des Stifters.« »Da stellen Sie sich am besten gleich selbst zur Verfügung«, gab Ortensen den Scherz zurück. Er war bester Laune und neugierig auf das bevorstehende Abenteuer. Seine Hochstimmung schwand etwas, als er nach einigen strengen Instruktionen von Cron in dem ungewohnten Raumanzug zu einer der kleinen Mannschleusen stapfte. Außer ihm und dem Ersten Offizier beteiligten sich noch ein Sergeant und zwei Raumsoldaten an dem Unternehmen. Sie traten in die Schleusenkammer. Cron prüfte zum letztenmal die Sprechverbindung. Dann ließ er das innere Schott schließen. »Ortensen, passen Sie auf. Sowie wir aus der Schleuse treten, verlassen wir das künstliche Gravitationsfeld der EL TAREK. Haben Sie Erfahrung mit Schwerelosigkeit?« »Nein.« »Auch das noch«, brummte Cron. »Lassen Sie sich von Sergeant 172 Maden anleiten. Er wird auch Ihr Flugaggregat bedienen. Noch Fragen?« Ortensen schüttelte den Kopf. Er bemerkte, wie sich sein Anzug aufblähte. Die Schleuse wurde evakuiert. In seiner Kehle schien so etwas wie ein Kloß zu entstehen. Im stillen verwünschte er seine Neugier schon jetzt, aber nun konnte er nicht mehr zurück, ohne sich lächerlich zu machen. Die Schleusenkontrolle gab Grün. Cron trat zum Schaltbord und ließ das Außenschott aufschwingen. Übergangslos sah sich Ortensen mit der Unermeßlichkeit des Alls konfrontiert. Oben, links, rechts und zu seinen Füßen, überall glitzerten zahllose Sterne in allen Farben des Spektrums. Instinktiv wollte er einen Schritt zurücktreten, aber Maden stand direkt hinter ihm. »Gleich beginnt der Spaziergang.« Der Sergeant hatte offensichtlich Ortensens Zögern bemerkt und machte sich ein Vergnügen daraus, dem Neuling die sogenannte Raumtaufe zu verpassen. Sie bestand im jeweils ersten Ausflug im Raumanzug, den der Betreffende ins All unternahm. »Also los, Leute. Zusammenbleiben und mir folgen.« Cron lok-kerte den schweren Blaster im Halfter. Dann stieß er sich ab und verschwand in der vom Licht der Sterne nur schwach erhellten Finsternis des interstellaren Raums. Ortensen folgte, mehr von Maden geschoben als er selber ging. Noch einmal zögerte er, als er dicht vor sich den scheinbaren Abgrund gewahrte. Dann erhielt er von hinten einen leichten Stoß und taumelte aus der Schleuse. Erschrocken schrie er auf. Er hatte das künstliche Schwerefeld der EL TAREK verlassen und glaubte, ins Bodenlose zu fallen. Seine Kehle krampfte sich zusammen, und sein Magen schien sich selbständig machen zu wollen. Unglücklicherweise hatte er sich zudem nicht gerade abgestoßen und geriet in eine Taumelbewegunng. »Hilfe«, ächzte er. Vor seiner Helmscheibe vollführten die Sterne einen grotesken Tanz, in den sich immer wieder eine lichtlose schwarze Wand mischte: die Kugelzelle der EL TAREK. Er versuchte, sein Flugaggregat zur Stabilisierung zu verwenden, beschleunigte aber nur seine Überschläge. »Hilfe.« Diesmal schrie er. Seine siedendheiße Angst machte je 173 doch tiefer Beschämung Platz, als er im Helmfunk die leicht tadelnde Stimme von Oberleutnant Cron hörte. »Maden, helfen Sie ihm. Sonst spuckt er uns nur den Anzug voll.« »Jawohl. Sir.« Madens Stimme klang völlig unbewegt. Gleich danach spürte Ortensen einen festen Griff. Die Drehbewegung wurde rasch langsamer und hörte auf. Im Ungewissen Licht erkannte er Madens Gesicht dicht vor sich. Der Sergeant grinste. »Besser?« fragte er »Ja«, würgte Ortensen heraus. »Na, dann kann's ja losgehen«, meinte Maden. Er schob sich hinter Ortensen und betätigte dessen Flugaggregat. Miteinander flogen sie auf eine Stelle zu, die sie nur mit den Helmtastern ausmachen konnten; mit bloßem Auge war das fremde Schiff nicht zu erkennen. Es machte sich erst allmählich als dunkles Loch im Lichterteppich der Sterne bemerkbar. Je
näher sie kamen, desto bedrohlicher schien es zu wachsen. Schließlich nahm es fast den gesamten Vordergrund ein. Jetzt blitzte es vor Ortensen auf. Schmale Lichtfinger glitten über eine dunkle Wand, verhielten kurz und wanderten weiter. Es waren die Handscheinwerfer Crons und der beiden Soldaten, die das seltsame Fahrzeug schon erreicht hatten. Plötzlich schien sich das All um Ortensen zu drehen. Maden hatte sie beide herumgewirbelt und bremste mit dem vollen Schub der Flugaggregate ihre Fahrt ab. »Vorsicht. Anprall mit Armen und Beinen abfangen«, sagte er. Sein Scheinwerfer zeigte die 30 Meter vor ihnen liegende Wand des treibenden Schiffes. Langsam schwebten sie darauf zu. Dann erreichten sie den Schiffskörper. Maden hatte sie an den Ansatz einer Tragfläche bugsiert, auf der bereits der Erste Offizier und die beiden Soldaten standen. Sie wirkte riesig aus der Nähe. Ortensen hörte, wie Cron mit Kommandant Alleghins in der EL TAREK sprach. »Sohlenmagnete einschalten«, ordnete Sergeant Maden an. Ortensen tat es. Klackend faßten seine Stiefel festen Halt. »Jetzt können Sie wohl allein weiterkommen.« Maden ließ Ortensen stehen und ging erstaunlich sicher zu Oberleutnant Cron hin 174 über. Ortensen folgte mit zögernden Schritten. Die Universalmagnete hafteten genügend auf der Tragfläche, um trotz der fehlenden Schwerkraft festen Halt zu geben. Sie wirkten bei jedem Metall oder künstlichen Metalloiden, nicht nur bei Eisen und Stahl. Cron war bereits dabei, die Tragfläche mit einem Mini-Analysator zu untersuchen. Zuvor hatte er eine fingerdicke Staubschicht beiseitegewischt, um die Oberfläche freizulegen. Der Staub, nur vom äußerst schwachen Gravitationsfeld des Schiffes gehalten, verflüchtigte sich bei der geringsten Berührung in den Raum. »Das Fahrzeug treibt schon seit Jahrtausenden durchs All«, stellte Cron mit einem Blick auf den Analysator fest. »Der Staub beweist es.« Er stutzte und las noch einmal die beleuchtete Anzeige des Prüfgeräts ab. »Molekülverdichteter Stahl«, murmelte er. »Ein äußerst schwerer Werkstoff für ein Raumboot. Seltsam...« »An den Tragflächenkanten sind Luftruder und Hochauftriebshilfen, Sir«, meldete sich jetzt einer der Soldaten. Ortensen sah seinen Scheinwerfer nahe am Rumpf. »Es sind tatsächlich Sichtluken«, sagte er etwas später. »Können Sie drinnen irgend etwas erkennen?« fragte Cron. Er war mit der Materialanalyse noch nicht fertig. »Nicht viel, Sir. Die Scheiben sind von innen beschlagen - verschimmelt oder sowas. Ich kann nur undeutliche Konturen erkennen, wenn ich hineinleuchte.« »Wer soll da auch Fenster geputzt haben«, sagte jemand mit verhaltenem Humor. Ortensen erkannte die Stimme von Kommandant Alleghins. »Sie können sich Zeit lassen, Cron«, fügte der Captain hinzu. »Zur Zeit sind wir in dieser Raumgegend ganz allein. Keine Ortungen. Aber seien Sie vorsichtig und gehen Sie kein Risiko ein. Der Kahn gefällt mir immer noch nicht.« »Okay, Sir. Aber ich halte Ihre Bedenken für unbegründet. Nach der Stärke der Staubablagerung muß das Fahrzeug schon lange zwischen den Sternen driften. Zehntausend Jahre oder mehr. Es ist übrigens aus molekülverdichtetem Stahl. Wir werden uns jetzt nach einer Einstiegsluke umsehen und versuchen, sie zu öffnen.« »Gut. Melden Sie aber sofort, wenn Sie etwas Verdächtiges bemerken.« 175 Schwerfällig, wie man in Magnetstiefeln eben geht, bewegten sich die Männer über die Tragfläche zum Rumpf. Ortensen folgte ihnen. Er hörte, wie Cron einen der Soldaten anwies, die Antriebsdüsen zu untersuchen, die sich an der Hinterseite der stumpf abgeschnittenen Tragflächen befanden. »Bleiben Sie in unserer Nähe«, hörte er den Oberleutnant sagen. Er wußte, er selbst war gemeint. »Keine Sorge«, antwortete er. »In diesem Raumanzug komme ich mir vor wie in einem Bleisarg mit angenähten Stiefeln. Ich werde froh sein, wenn wir wieder an Bord der EL
TAREK sind.« Cron bestätigte. Der Oberleutnant unterhielt sich dann mit Maden und dem anderen Soldaten darüber, wo die Einstiegsluken zu suchen sein könnten. Immerhin war das fremde Schiff so groß, daß ein genaues Absuchen Stunden erfordert hätte. Ortensen fühlte sich überflüssig. Er ging vorsichtig im Abstand von ein paar Metern an der Flügelvorderkante entlang. Sorgfältig leuchtete er den Boden vor sich ab, um nicht über Betätigungsstangen oder Lagerungen der Flügelnasenklappe zu stolpern. Er hatte einige allgemeine Kenntnisse im Flugzeugbau. Das treibende Fahrzeug sah einem riesigen Überschallflugzeug immer ähnlicher, je länger er es betrachtete. Es mußte ein Landungsboot sein. Dazu bestimmt, von einem Raumschiff aus auf Planeten mit tragender Atmosphäre zu landen. Oder umgekehrt. Eine planetengestützte Raumfähre, die Passagiere von Raumschiffen abholte oder zu ihnen brachte. Passagiere? Ortensen ertappte sich dabei, daß er sich das Aussehen dieser Passagiere vorzustellen versuchte. Unwillkürlich glitt sein Blick zu der hochaufragenden Wand des Rumpfes, der er sich bis auf wenige Meter genähert hatte. Wie mochte solch ein Fahrzeug in den interstellaren Raum gekommen sein, für den es allem Anschein nach nicht bestimmt war? Waren Verzweifelte mit ihm von einem bedrohten Planeten geflohen, wohl wissend, daß sie keinen Zufluchtsort würden erreichen können? Was mochte sich hinter dieser Schiffswand abgespielt haben, ehe alles Leben erlosch? Der junge Spektral-Experte war an eine der runden Sichtluken 176
getreten. Er brachte den Helm ganz dicht an die ehemals transparente Scheibe und leuchtete mit dem Scheinwerfer ins Innere. Viel konnte er nicht sehen. Wie der Soldat vorhin schon festgestellt hatte, befand sich innen an den Scheiben ein schimmelähnlicher Belag, der keinen genauen Durchblick gestattete. Es waren nur vage Konturen zu erkennen, die alles Mögliche sein konnten: Frachtstücke, Maschinen, Behälter. Im Helmradio hörte er Oberleutnant Cron mit Sergeant Maden beratschlagen, wie sie die Einstiegsluken am schnellsten finden konnten. Die Männer standen etwa 30 Meter rechts von ihm. Ortensen hob den Kopf. Automatisch wanderte der Lichtkegel seines Scheinwerfers an der Schiffswand hinauf. Etwa fünf Meter über ihm verlief die nächste Lukenreihe. Sie schien ihm weniger getrübt zu sein als die, vor der er stand. Ohne recht zu wissen, warum, ließ er den Scheinwerferkegel nach links, zur Spitze hin, von Luke zu Luke wandern. Plötzlich zuckte er zusammen. An der Luke links oben, wohl zehn Meter entfernt - war da nicht eine Bewegung gewesen? Ortensen fühlte, wie es ihm eiskalt den Rücken hinunterlief. Er sagte sich, daß er sich getäuscht haben müsse. Wie konnte in einem Fahrzeug, daß offenbar seit vielen tausend Jahren im Raum trieb, noch Leben sein? Dennoch war er aufs stärkste erregt. Sollte er seine Begleiter herbeirufen? Aus Angst, sich lächerlich zu machen, ließ er es bleiben. Wie gebannt starrte er zu der Luke hoch, die wie die anderen etwa 80 Zentimeter Durchmesser hatte. Da. Jetzt sah er es deutlich. Von der Seite her schob sich etwas Helles an die Luke. Da sie ebenfalls beschlagen war, konnte er nicht erkennen, um was es sich handelte. Hatte es nicht ovale Form? War es ein Gesicht? Unsinn, sagte sich Ortensen. Aber das Grauen hatte ihn erfaßt. »Sergeant Maden«, rief er. »Bitte kommen Sie zu mir.« »Was ist los?« antwortete Maden sofort. »Wo sind Sie? Sind Sie in Gefahr?« 177 »Nein. Aber ich glaube, hinter einer Luke eine Bewegung gesehen zu haben. Ich stehe links von Ihnen an der Flügelwurzel.« Er drehte sich der Gruppe zu. Eigentlich erwartete er Spott und Unglauben. »Ich sehe Ihren Scheinwerfer.« Madens Stimme ließ keine Regung erkennen. »Ich komme.«
Der Helmscheinwerfer des Sergeanten kam in grotesken Sprüngen heran. Ortensen wunderte sich, daß ihn niemand verspottete, obwohl alle Männer des Trupps und auch Kommandant Alleghins seine Worte gehört hatten. Letzterer meldete sich nun. »Cron, untersuchen Sie die Sache. Nochmals, gehen Sie keinerlei Risiko ein. Melden Sie jede Kleinigkeit, die Sie für wichtig halten.« »Gut, Sir. Vermutlich hat Ortensen sich geirrt. Aber wir sehen auf jeden Fall nach«, gab Cron zurück. Er winkte seinen beiden Männern. Gemeinsam setzten sie sich in Bewegung. Maden war inzwischen bei Ortensen angekommen. »Wo?« fragte er knapp. »Dort.« Ortensen deutete und richtete seinen Scheinwerfer auf die betreffende Luke. »Es war etwas Helles von ovaler Form. Ich habe die Bewegung deutlich gesehen. Jetzt ist es weg.« »Hmm.« Dem Gebrumm des Sergeanten war nicht zu entnehmen, was er dachte. Maden machte es kurz. Er ging zum Rumpf und marschierte einfach an der Wand hinauf. Es sah grotesk aus, wie sein Körper rechtwinklig davon abstand. Doch ohne Schwerkraft war es gleichgültig, wie man stand. Richtungen oder die Bezeichnung oben oder unten hatten allein relativen Wert. Maden hatte die Luke erreicht. Er bückte sich, brachte den Helm dicht davor und leuchtete hinein. Zusätzlich nahm er seinen Handscheinwerfer zu Hilfe. Inzwischen waren Cron und die zwei Soldaten herangekommen. Sie blickten ebenfalls zu Maden hinauf, der immer noch durch die Luke starrte. »Sehen Sie etwas?« fragte Cron gespannt. Maden machte mit dem Arm eine unbestimmte Geste. Er beobachtete weiter. Im Helmfunk war Stille. Man hörte nur das Atmen der Männer. Von der Zentrale der EL TAREK kamen gedämpfte Stimmen durch. 178 Alleghins sprach anscheinend mit der Orterzentrale. »Sergeant, sehen Sie etwas?« fragte Oberleutnant Cron zum zweitenmal. In seiner Stimme lag Ungeduld. »Ich weiß nicht, Sir. Die Scheibe ist beschlagen«, meinte Maden zögernd. »Als ich die Luke erreichte, war mir, als hätte ich dahinter tatsächlich eine Bewegung gesehen. Aber es kann auch ein Reflex des Scheinwerfers gewesen sein.« In Ortensen stieg langsam das Grauen hoch. Er war sich seiner Sache sicher. Es hatte sich etwas bewegt. Die für ihn ungewohnte Umgebung tat ein Übriges. Er fühlte sich unsagbar einsam und verletzlich, einer kalten, feindlichen Umwelt preisgegeben - ein Stäub-chen im All. Die EL TAREK war nicht auszumachen, da sie keine Lichter gesetzt hatte. »Ich habe es deutlich gesehen, Oberleutnant«, sagte er mit belegter Stimme. »Etwas hat sich hinter der Luke bewegt.« »Verdammt.« Das war Maden. Seine Stimme klang maßlos überrascht. »Sir, da ist wirklich etwas. Ich habe weiter hinten jetzt auch eine Bewegung gesehen. Ortensen hatte recht.« »Wie sah es aus?« Crons Stimme klang sachlich wie stets. »Etwas Helles huschte vorbei, mehr konnte ich nicht erkennen. Es kann ein Gasschwaden gewesen sein. Aber bewegt hat sich etwas.« »Wir suchen die Einstiegsluke«, ordnete Cron an. »Ich möchte das Schiff von innen untersuchen.« Ortensen schwitzte. Er hatte gehofft, Cron würde den Rückzug befehlen. Statt dessen wollte er anscheinend dem Unheimlichen auf die Spur kommen. Für den jungen Spektralexperten stand jedenfalls fest, daß er keinen Fuß in dieses Geisterschiff setzen würde. Kommandant Alleghins mußte alles gehört haben. Er äußerte sich jedoch nicht. Man hörte indessen, wie er weiter mit der Orterzentrale sprach. »Sofort die Geräte nacheichen«, konnte Ortensen verstehen. »Es ist höchst wichtig... tatsächlich eine schwache Strukturerschütterung vorliegt, oder ob lediglich die Nullage nicht stimmt.« Er sah Cron und den anderen zu, die auf dem Schiffsrumpf her-umstiegen und nach einer Luke suchten. Maden hatte die Sichtluke verlassen. 179 »Sir«, rief plötzlich einer der Soldaten, »ich habe ein Schott gefunden. Hier.« Er winkte mit
dem Handscheinwerfer. Ortensen sah das Licht an der hinteren Tragflächenkante in der Nähe
des Hecks.
»Warten Sie, wir kommen«, gab Cron zurück. Ortensen sah die Scheinwerfer Madens und
des anderen Soldaten auf ihn zustreben. Auch er begann, über die Tragfläche auf den Offizier
zuzugehen. Ihm graute es, allein zu bleiben.
»Eigenartig, Maden«, sagte Cron jetzt. »Dort, wo Sgonz das Schott gefunden hat, war ich
vorhin schon. Ich erinnere mich genau, am Schnittpunkt von Flügelhinterkante und Rumpf
gestanden zu haben. Merkwürdig, daß ich das Schott nicht gesehen habe?«
»Man übersieht leicht etwas, Sir...«
»...was man übersehen soll«, entfuhr es Ortensen.
»He...« machte Cron überrascht, »Sie meinen...?«
»Zumindest halte ich es für möglich, daß sich etwas in dem Schiff befindet. Es hat sich uns
angesehen und möchte uns jetzt im Schiff haben. Das Schott kann getarnt gewesen sein. Jetzt
hat man uns als ungefährlich erkannt und läßt uns den Eingang finden.«
»Gar nicht so dumm.« Cron dehnte die Worte. »Ich kann mir zwar nicht vorstellen... aber...«
Sie standen zu fünft vor dem Schott. Es war oval, wohl zweieinhalb Meter hoch und einen
Meter breit. Ein versenkter Hebel ließ sich mit einiger Anstrengung bewegen. Der Soldat, der
die Tür gefunden hatte, machte es vor.
Cron trat einige Schritte zurück und zog den Blaster.
»Öffnen«, befahl er. Maden und die zwei Männer schwangen das Schott auf. Dicker Staub
lag auch hier. Er schwebte in dünnen Schleiern davon.
Dahinter lag eine Schleusenkammer. Einer der Soldaten trat hinein.
»Sgonz, warten Sie den Befehl ab«, sagte Cron trocken.
»Aber Sie haben doch...?« der Soldat kam wieder heraus.
»Was habe ich?« In der Stimme des Oberleutnants lag schlagartig äußerste Wachsamkeit.
»Ich glaubte, Sie hätten gesagt, ich solle hineingehen und das Innenschott öffnen«, sagte der
Soldat.
180
»Hier stimmt etwas nicht«, stellte Sergeant Maden fest. »Ich kann bezeugen, daß Sie nichts
dergleichen gesagt haben, Sir.«
Ortensen mußte sich Mühe geben, seine Angst zu verbergen. Das treibende Schiff wurde ihm
immer unheimlicher. Er ließ seinen Scheinwerferkegel die obere Lukenreihe entlanggleiten.
Erschrok-ken zuckte er zusammen, als er an einer der runden Öffnungen wieder eine
Bewegung gewahrte. Oder gaukelten ihm seine überreizten Nerven Trugbilder vor?
»Oberleutnant«, sagte er trotzdem, »mir war eben, als hätte sich da oben hinter einer Luke
wieder etwas bewegt.«
Fünf Scheinwerferkegel vereinigten sich an der angegebenen Stelle.
Aber da war nichts zu sehen. Nur die Sichtscheibe mit ihrem weißlichen Belag.
Die Spannung wurde unerträglich. Im Helmradio war Stimmengewirr aus der EL TAREK zu
hören. Alleghins stellte scharf und knapp einige Fragen an den Orter.
»Wir gehen hinein. Ich will doch sehen, was es mit diesem seltsamen Kahn auf sich hat.«
Auch Cron war offensichtlich die Spannung zu stark geworden. Zum Rückzug sah er keinen
Grund. Also ging er vorwärts.
»Halt«, sagte plötzlich eine laute Stimme. Captain Alleghins. »Bleiben Sie draußen, Cron.
Das ist ein Befehl.«
Der Oberleutnant blieb stehen.
»Jawohl, Sir. Ist etwas?«
Alleghins antwortete nicht sofort. Man hörte ihn zum Orter sagen:
»Also doch eine Anzeige des Controllers. Sind Sie sicher?«
Die Antwort des Orters der EL TAREK war nicht zu verstehen, aber plötzlich rief Alleghins
scharf: »Cron. Sofort zurückkommen. So schnell Sie können. Gefahr.«
Ortensen hatte kaum Zeit, die in ihm aufsteigende Angst zu spü-ren, so rasch handelten seine
Begleiter. Sergeant Maden hechtete einfach auf ihn zu und riß ihn mit sich in den Raum,
schaltete die Flugaggregate beider Raumanzüge auf Vollschub.
Vor ihnen leuchtete ein grelles Licht auf. Die EL TAREK hatte einen ihrer großen Scheinwerfer
auf das Geisterschiff gerichtet. Orten 181 sen sah Cron und die beiden Soldaten neben sich fliegen. Er hörte die befehlende Stimme des Kommandanten. »Waffenleitstand: Alle Strahlantennen auf den Fremden richten. Triebwerksraum: Zum Blitzstart bereithalten. Schutzschirme aufbauen. Aussparung zum Einflug unserer Leute. Drei mal drei Meter genügt. Cron, beeilen Sie sich. Bei dem Fremden ist etwas faul.« »Jawohl, Sir. Wir haben schon die halbe Distanz geschafft«, ließ sich der Oberleutnant hören. »Wenn wir nicht mit dem Abbremsen anfangen, klatschen wir wie faule Äpfel gegen die Schiffshülle!« Maden drehte sich zu Ortensen herum. Die Flugaggregate bremsten die Fahrt. Gleichzeitig bemühte sich der Sergeant, auf die deutlich als schwarzer Punkt sichtbare Aussparung im grünlich flimmernden Energieschirm der EL TAREK zuzuhalten. Ortensen schauderte. Er konnte den treibenden Fremden jetzt deutlich sehen. Schräg nach links geneigt - relativ zur EL TAREK betrachtet - hing er in der sternendurchglitzerten Schwärze des Alls. Das Schiff wirkte jetzt nicht mehr lediglich interessant, sondern strahlte eine düstere Drohung aus. Was mochte Kommandant Al-leghins veranlaßt haben, sie so plötzlich zurückzurufen? Mit Erleichterung konstatierte Ortensen, daß sie die Aussparung im Schutzschirm passierten. Keine Sekunde danach wurde sie geschlossen. Der Kugelraumer war nun verhältnismäßig sicher. Seine vernichtenden Strahlwaffen würden jeden Augenblick in Tätigkeit treten können. Vorerst geschah nichts. Sie wurden mit einem schwachen Traktorstrahl zur Mannschleuse gezogen, betraten das Schiff und legten die Raumanzüge ab. Cron und Ortensen eilten zur Kommandozentrale. Das unterdrückte, leise Summen im ganzen Schiff zeugte davon, daß die Kraftwerke hochgefahren worden waren. Cron meldete den Trupp in der Zentrale zurück. Seiner Frage nach dem Grund des eiligen Rückrufs kam der Captain zuvor. »Gleich nachdem Sie drüben angekommen waren, wurde mir eine ganz leichte, aber andauernde Erschütterung des Raumgefüges gemeldet, die in allernächster Nähe vor sich gehen mußte. Sie ist so schwach, daß wir zuerst die Raum-Controller durchprüfen mußten, um sicher zu sein, daß es nicht an den Geräten lag. Als sicher war, 182 daß die Geräte in Ordnung waren und Sie überdies drüben merkwürdige Beobachtungen meldeten, rief ich Sie zurück.« »Gefügeerschütterungen nehmen zu«, meldete die Orterzentrale. »Werte aber nach wie vor äußerst gering. Ich habe derlei noch nie beobachtet«, fügte der Orter hinzu. »Es ist, als ob etwas in Zeitlupe eine Transition vornehmen würde«. »Der Fremde!« Leutnant Serwu hatte es gerufen. Alle Augen richteten sich auf die Sichtschirme. Das eigenartige Schiff lag noch immer im hellen Scheinwerferlicht. Aber es war nicht mehr deutlich zu erkennen. Seine Konturen verwischten sich. Etwas wie Nebel schien über das Fahrzeug zu kriechen. Schon schimmerten an einigen Stellen Sterne durch, wo sich eigentlich noch Bug und Heck befinden mußten. »Langsame Entmaterialisierung«, sagte Alleghins ungläubig. »Tatsächlich eine Transition in Zeitlupe.« »Verdammt. Die wollten uns mitnehmen«, keuchte Cron überrascht. Er wollte weitersprechen, aber gleichzeitige Anrufe der Medo-station und der Orterzentrale unterbrachen ihn. Während der Bordarzt mitteilte, bei einigen Besatzungsmitgliedern würden sich Beschwerden bemerkbar machen, die an einen Remate-rialisierungsschock erinnerten, war der Orter aufgeregt. »Sir, das Raumgefüge um uns herum ist in Bewegung. Ich kann die Erscheinung nicht deuten, aber ich habe den Eindruck, die EL TAREK entmaterialisiert ebenfalls langsam.« Kommandant Alleghins handelte sofort.
Ohne Ankündigung schlug er die Leistungshebel der Triebwerke bis zum Anschlag nach vorn. Eine Sekunde später brüllten die Konverter auf. Grell stachen die Impulsbündel aus den Felddüsen und rissen den Kugelraumer mit Maximalbeschleunigung vorwärts. Weg von dem Fremden. Raus aus der Gefahrenzone, wie sich sofort zeigte. Kaum hatte die EL TAREK Fahrt aufgenommen, fühlten alle an Bord die Übelkeit und die Angst, wie bei einer Rematerialisation. Nur sehr viel schwächer. »Sir, der Fremde ist verschwunden«, meldete die Orterzentrale. »Das Raum-Zeitgefüge ist wieder ruhig.« 183 »Haben Sie den Wiedereintauchpunkt angemessen?« »Das ist das Eigenartige, Sir. Es gibt keinen Wiedereintauchpunkt. Da das Verschwinden des Fremden so eigenartig vor sich ging, habe ich sorgfältig darauf geachtet. Er ist nirgends wieder herausgekommen.« »Ihre Folgerung?« fragte Alleghins knapp. Sein Gesicht war blaß. »Entweder war die Transition - wenn es eine war - so weiträumig, daß sie außerhalb der Reichweite des Controllers endete, oder...« der Orter zögerte, »der Fremde unternahm gar keinen Raumsprung, sondern trat in ein anderes Universum über.« »Auf jeden Fall wollten die, wer immer sie auch gewesen sein mögen, uns mitnehmen.« Oberleutnant Cron war vor nachträglichem Schreck aschgrau im Gesicht. »Ja, und die ganze EL TAREK dazu«, ergänzte Alleghins mit heiserer Stimme. »Aber wie, zum Teufel, reimt sich das zusammen«, sagte Cron. »Ein ziemlich altmodisches Landungsboot, das anscheinend schon seit Äonen durch den Raum geistert, und dann eine Supertechnik, die sogar der der Mysterious gleichkommt?« »Vielleicht war das Boot tatsächlich alt und nur ein Köder. Ausgeworfen für zufällig Vorbeikommende wie uns.« Alleghins zuckte die Achseln und befahl, die Rücktransition vorzubereiten. Leutnant Serwu richtete den Kurs des Schiffes aus, bis die Doppelsonne Col im Fadenkreuz des Zielschirms stand. »Möglicherweise warteten die eigentlichen Akteure irgendwo ganz anders. Was Ortensen und Maden im Schiff gesehen haben wollen, mag eine Täuschung gewesen sein«, setzte der Kommandant hinzu. »Vielleicht auch nicht. Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren. Es bleibt die Erkenntnis, daß größte Vorsicht und äußerstes Mißtrauen im Raum die Regel sein müssen.« Wieder raste die EL TAREK mit Vollschub dem Transitionspunkt entgegen. Die Impulsbündel ihrer As-Onen-Triebwerke ließen sie als Kopf einer kilometerlangen Lichtsäule erscheinen. Sie hatte bereits To-Funkverbindung mit Hope aufgenommen. 184 Frits Cron berichtete über das geheimnisvolle Geschehen im Zusammenhang mit dem fremden Schiff. An der Gegenstelle auf Hope hatte sich rasch eine Gruppe von Fachwissenschaftlern versammelt. Die Gelehrten lauschten begierig auf jedes Wort des Berichts und stellten immer wieder Zwischenfragen. »Warum warten wir nicht damit, bis wir auf Hope gelandet sind?« wollte Mi Huarto wissen. Er hatte sich zuerst um seinen etwas mitgenommenen Kollegen Ortensen gekümmert und war dann zu Kommandant Alleghins gegangen. »Ich möchte den Bericht so schnell wie möglich raus haben«, meinte der Captain. Er wandte dabei kein Auge von seinen Kontrollen, um die Transitionswerte nochmals zu überprüfen. »Warum?« »Ich möchte, daß zumindest unsere Leute auf Hope von der Sache wissen. Sie können dann die Fakten auswerten. Auch für den Fall, daß uns etwas zustoßen sollte.« Huarto fühlte eisigen Schrecken. Wenn der Kommandant so tiefgreifende Bedenken hegte...? »Aber wir haben doch nur noch zwei Stunden Flugdauer, einschließlich Landemanöver«, sagte er. »Junger Freund«, sagte der Captain, der kaum zehn Jahre älter war als Huarto. »Sie zweifeln doch nicht daran, daß wir es hier mit einer Rasse zu tun hatten, deren Technik es gut und gern
mit der der Mysterious aufnehmen kann? Zwar können wir auch ein unbekanntes Naturphänomen als Erklärung heranziehen, aber ich selbst bin gegen billige Auswege.« »Das ist auch meine Meinung«, stimmte der Indonesier zu. »Gut.« Alleghins überprüfte nochmals die Instrumente und tastete die Transitionsautomatik ein. »Sechzig, neunundfünzig, achtundfünfzig...« begann die Voko-derstimme zu zählen. »Ich nehme an, daß man uns schnappen wollte und wir im wirklich allerletzten Augenblick entkommen sind«, fuhr der Captain fort. »Wer sagt uns, daß man nicht versuchen wird, die erlittene Schlappe auszugleichen?« 185 »Niemand. Aber wer ist man?« »Suchen Sie sich aus, was Ihnen am besten zusagt. Das Nor-ex war es jedenfalls nicht. Nach allem, was wir wissen, vollziehen sich die Angriffe des Monsters ganz anders. Dies hier war entweder eine Falle - wobei ich nicht glaube, daß sie speziell uns galt - oder wir gerieten zufällig an den Schauplatz eines Experiments, das irgendwer durchführte. Auf alle Fälle möchte ich diesen Leuten«, Alleg-hins grinste, »nicht so rasch wieder begegnen. Für den Fall, daß dieser Wunsch auf der Gegenseite nicht geteilt wird, habe ich Cron angewiesen, sofort zu berichten. Und jetzt setzen Sie sich am besten hin, wir springen gleich.« Huarto machte, daß er zu seinem Sessel kam. »...drei, zwei, eins, null...« Die EL TAREK transitierte. Wieder verschoben sich nur die nächststehenden Konstellationen geringfügig. Plötzlich dominierte wieder Col. »Landemanöver einleiten. Anflug auf Hope wie üblich«, befahl Alleghins dem Zweiten Offizier. Cron sprach gerade die letzten Worte seines Berichts und vertröstete die wißbegierigen Gelehrten für weitere Angaben auf die Zeit nach der Landung. Dann wandte er sich dem Captain zu. »Sir«, sagte er, »Hope bittet Sie darum, in Zukunft mit dem Einschalten der As-OnenTriebwerke zu warten, bis Sie die Atmosphäre von Hope vollständig verlassen habe. Der Überschallknall hat wohl nicht nur für Begeisterung gesorgt...« »Okay«, meinte Alleghins. »Ich werde mich in Zukunft an die Vorschrift halten. Hatte es eben eilig, mit der Norexalprobe in den Raum zu kommen. Aber das All wird langsam klein«, setzte er in gespieltem Ärger hinzu. »Sogar hier verfolgen einen schon die elenden Vorschriften. Dabei ist es so schön, mal richtig in den Raum hinauszuknallen.« Sanft schwebte die EL TAREK nur mit dem A-Grav herab. Völlig lautlos senkte sich die Riesenkugel auf ihren Landeplatz hinab. Es knirschte lediglich, als die beiden konzentrischen Landeringe auf 186 setzten. Kurz darauf verließen Ortensen und Huarto sowie Alleghins und Cron den Kugelraumer. In der Ringraumerhöhle war eine Konferenz anberaumt worden. Hauptpunkt war verständlicherweise der Erfolg, den Poul Renoir und sein Team mit der Beeinflussung der Norexalschicht errungen hatten. »Jedes unserer Schiffe hat mithin die Möglichkeit, die Norexalschicht zu verändern und sich damit erfolgreich gegen das Nor-ex zu wehren«, faßte Renoir schließlich zusammen. »Es braucht nur seine To-Funkantennen entsprechend auszurichten. Aber wie sollen wir die PoiNT OF von unserer lebenswichtigen Entdeckung benachrichtigen?« »Haben wir denn immer noch keine Verbindung?« fragte Ortensen. »Leider nicht.« Renoir schüttelte bekümmert den Kopf. »Unsere Funkzentrale versucht es bereits die ganze Zeit, aber es kommt keine Antwort. Wir versuchen es natürlich weiter, aber...« In einem anderen Konferenzraum befaßte man sich zur gleichen Zeit nicht weniger eingehend mit dem Erlebnis, das die EL TAREK mit dem treibenden Raumschiff gehabt hatte. Oberleutnant Cron berichtete nochmals ausführlich, von seinem Kommandanten unterstützt und ergänzt. Die Gelehrten ließen sich kein Wort entgehen. Schließlich meldete sich
Professor Elliworth, Experte für Fremdrassentechnologie, zu Wort.
»Bei dem geschilderten Vorgang hat es sich anscheinend um eine retardierte Transition
gehandelt«, führte er aus. »Um einen Raumsprung also, der sich nicht in Nullzeit vollzieht.
An die Möglichkeit eines Übertritts in ein anderes Universum möchte ich weniger glauben.
Von der Hand zu weisen ist sie allerdings nicht.«
Er machte eine beschwichtigende Handbewegung, um aufkommende Unruhe zu dämpfen,
und sprach weiter:
»Nach aller Wahrscheinlichkeit geriet die EL TAREK rein zufällig an den Ort des Geschehens.
Möglicherweise sollten die Männer gar nicht Zeugen des Vorgangs werden. Daher die
Umstände, die auf die Absicht der Unbekannten schließen lassen, Schiff und Besatzung
mitzunehmen. Wohin?« Elliworth zuckte die Achseln. »Fragen Sie mich das bitte nicht,
meine Herren. Bleibt die Tatsache, daß
187
Unbekannte mit technischen Mitteln operiert haben, deren Möglichkeiten unsere
Vorstellungen übersteigen. Daß sie dies auch noch in nächster Nähe des Col-Systems getan
haben, finde ich nachgerade beunruhigend. Es muß Anlaß zu größter Wachsamkeit sein. Ich
halte es für nötig, auch die entsprechenden Stellen auf Terra von den Geschehnissen zu
unterrichten.«
Auch nachdem Elliworth geendet hatte, wogte die erregte Diskussion noch lange hin und her.
Unwillkürlich aber wandte sie sich mehr und mehr dem derzeit wichtigsten Problem zu, das
die Männer auf Hope bewegte.
Und nicht nur auf Hope. Überall, wo es Menschen gab, wartete man sehnsüchtig auf ein
Lebenszeichen von Ren Dhark und der PoiNT OF. Was konnte ihnen widerfahren sein?
188
10.
Die POINT OF trieb in einem Meer unbekannter Sterne. In regelmäßigen Abständen jagte Glenn Morris einen Funkspruch aus den Antennen, doch bisher ohne jeden Erfolg. Jens Lionel und der Rest der astronomischen Abteilung hatten Ren Dhark bereits vor einiger Zeit mitgeteilt, daß sie nicht mehr weiter wußten. Auch vom Checkmaster waren keine Daten zu bekommen. Die PoiNT OF befand sich irgendwo in einem unbekannten Sektor der Milchstraße, und jeder Versuch, Terra oder einen anderen Bezugspunkt zu finden, war bisher erfolglos geblieben. Ren Dhark saß im Pilotensessel und betrachtete das Sternenge-wimmel, das die Bildkugel ausfüllte. Wenn die Situation ihn beunruhigte, so zeigte er es nicht. Auch die übrigen Besatzungsmitglieder waren keineswegs mutlos. Die PoiNT OF hatte bisher noch immer den Weg nach Hause gefunden, selbst unter wesentlich ungünstigeren Vorzeichen. Warum sollte es diesmal nicht gelingen? Es war alles nur eine Frage der Zeit. »Sollen wir eine weitere Kurztransition durchführen?« »Was...? Entschuldigen Sie, Szardak, ich war mit meinen Gedanken gerade ganz weit weg.« Ren Dhark sah Szardak versonnen an. »Ich habe mich gerade gefragt, ob...« Er verstummte. Janos Szardak kannte den Commander lange genug, um zu erkennen, daß ihn etwas beschäftigte. Und es hatte wahrscheinlich nur indirekt mit ihren bislang gescheiterten Versuchen, Kontakt mit Terra aufzunehmen, zu tun. Er warf Ren Dhark einen auffordernden Blick zu. »Was haben Sie sich gerade gefragt, Dhark?« »Janos, erinnern Sie sich an unsere >Begegnung< mit den G'Loorn, an die Expedition in die Chronosphäre?« »Wie könnte ich das jemals vergessen. Schließlich sind wir da 189 mals nur verdammt knapp davongekommen.« Szardaks Pokerface blieb so unbewegt wie immer. »Auf dem Rückflug aus der Chronosphäre«, begann Dhark erneut, »hat Grappa irgend etwas geortet. Etwas, das eine Ausdehnung von drei Lichtminuten besaß und möglicherweise transitieren konnte...« »Ich erinnere mich. Und ich glaube mich auch daran erinnern zu können« - ein leichtes Lächeln huschte über Szardaks Pokerface -»daß wir beinahe hingeflogen wären und
nachgesehen hätten, was das für ein Phänomen war. Bloß wollten wir eigentlich alle schleu nigst nach Hause...« »Genau. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob das nicht ein Fehler war... Sie können mich ruhig auslachen, Janos, aber ich werde das Gefühl nicht los, daß jenes Phänomen und unser Nor-ex irgend etwas miteinander zu tun haben könnten.« Szardak runzelte die Stirn. »Aber wie Sie gerade selbst gesagt haben, damals hat Grappa etwas geortet. Das Nor-ex hingegen ist mit unseren Ortungssystemen - von der Echo-Kontrolle einmal abgesehen - nicht auszumachen. Deshalb kann ich nicht erkennen, wo da ein Zusammenhang bestehen soll...« Ren Dhark zuckte die Schultern. Ein jungenhafter Ausdruck lag auf seinem Gesicht, als er erwiderte: »Vermutlich haben Sie recht, Janos, und es besteht wirklich kein Zusammenhang zwischen diesen beiden Phänomenen. Schließlich haben wir gerade erst begonnen, die Tür zu den Geheimnissen des Universums aufzustoßen. Andererseits... das Gefühl bleibt...« Janos Szardak setzte zu einer Erwiderung an, doch in diesem Augenblick meldete sich Glenn Morris aus der Funk-Z. »Commander, ich habe Kontakt mit einem unserer Raumschiffe. Ich leg' Ihnen das Gespräch rüber.« Dhark beugte sich nach vorn. Das Bild kippte andauernd weg, und der Ton war verzerrt, doch der Funkspruch kam zweifellos von einem terranischen Raumer. ... KING an POINT OF... Hier... Colonel Pierce. Wir haben... spruch empfangen... Point... bitte melden! MOUNT KlNG an... OF... Commander... bitte melden! 190
»Morris, Funk-Ortung!« »Kommt sofort.« »Wenn Sie die Daten haben, senden Sie einen kurzen To-Funkspruch an die MOUNT KlNG. Martell darf den roten Teppich ausrollen. Wir springen hin!« Das Gefühl der Erleichterung, das sich in der Kommandozentrale der POINT OF breitmachte, war fast körperlich spürbar. Die Ungewißheit, wann man die Erde wiederfinden würde, hatte ganz im geheimen doch an den Nerven gezerrt. »Positionsbestimmung der MOUNT KING abgeschlossen; Distanz 4833 Lichtjahre; Koordinaten liegen vor... Checkmaster bestätigt.« »Danke, Grappa.« Ren Dhark zwinkerte Janos Szardak zu. »Wollen Sie, Janos, oder fühlen Sie sich nur für Kurztransitionen zuständig?« »Mit der POINT OF würde ich glatt in die Hölle springen, Dhark. Und was sind schon knapp 5000 Lichtjahre...« erwiderte Szardak. Ren Dhark hatte sich schon wieder in seinem Pilotensessel zurückgelehnt und starrte auf das Sternengewimmel in der Bildkugel. »Phänomene...« murmelte er. »Ich sehe Kleckse«, brummte Chris Shanton. Er hatte seinen massigen Körper in einen modernen Sessel gezwängt und wurde jetzt von der Zwangsvorstellung gepeinigt, nicht wieder aufstehen zu können. »Aber ich bitte Sie«, sagte Professor Sandlidge eifrig, »Sie müssen einfach etwas sehen. Rorschach behauptet, daß jeder Mensch...« Shanton griff über den Schreibtisch, zog das Blatt mit den zerlaufenden Tintenklecksen aus dem Halter und riß es mit gezielten Bewegungen in kleine Stücke. »Jetzt sehe ich keine Tintenkleckse mehr«, stellte er befriedigt fest und warf die Reste des Löschblatts in den Papierkorb. Winzige blaue Flammen zuckten auf, als die Papierfetzen das Hochspannungsfeld passierten, das zur Vernichtung der Fragmente eingebaut worden war. Der Professor sah Shanton anklagend an. Es fiel ihm schwer, einen würdigen Gesichtsausdruck beizubehalten. Sein Patient paßte nämlich keineswegs in die gängigen Klischees. Chris Shanton war frei 191 willig ins Brana-Tal gekommen, um sein Gehirn kontrollieren zu lassen. Shanton hatte in jüngster Zeit mehrmals unter rätselhaftem fremdem Einfluß gestanden und unkontrollierbare Handlungen ausgeführt.
Doch alle Psychotests hatten ergeben, daß Shanton vollkommen gesund war. Er besaß eine unglaubliche Widerstandskraft gegen Hypnose, widerstand auch Verlockungen wie Frauen, Geld und Nar-kotika, brachte selbst die gerissensten Agitatoren zur Verzweiflung, wenn er mit wenigen trockenen Worten gezielte Angriffe auf die derzeitige Regierung entkräftete, und war schließlich körperlich so gesund, daß er es mit einem Dutzend jüngerer Gegner aufnehmen konnte. Professor Sandlidge fuhr erschrocken hoch, als er das harte, schabende Geräusch vernahm. In die tiefliegenden Augen des Ingenieurs trat ein übermütiges Funkeln, als er mit dem Daumennagel abermals durch seinen dichten, verfilzten Backenbart strich. »Nervös, Professor? Vielleicht sollte ich Ihnen einmal einen guten Arzt empfehlen, Professor. Oder ist gar ein Psychiater erwünscht?« Chris Shanton packte die Lehnen des Sessels mit beiden Fäusten: Es knirschte verdächtig. Doch dann hatte er sich hochgehievt und stand auf seinen Säulenbeinen wie ein Felsklotz vor dem Therapeu-ten, der hinter seinem gewaltigen Schreibtisch immer kleiner wurde. Shanton griff über den Schreibtisch, packte Professor Sandlidge am Kragen und hob ihn am ausgestreckten Arm hoch. »Ich werde ohnmächtig«, sagte der Professor schwach. Er glich jetzt einem von der Flut aufs Land gespülten Karpfen. »Nichts wirst du«, murmelte Shanton. Schulterzuckend setzte er den Professor wieder ab. Ohne ein weiteres Wort verließ er den konsternierten Psychologen. Er verspürte plötzlich das dringende Bedürfnis nach frischer Luft. Bernd Eylers hatte das, was ihm Bert Stranger in einem Anfall von Kooperationsbereitschaft mitgeteilt hatte, ernst genommen. So ernst, daß er ein Dutzend seiner Leute auf die Sache angesetzt hatte. Ihre Aufgabe war zunächst einmal gewesen, die Angaben des Reporters 192 zu überprüfen, und außerdem diesen Kuipers oder Keupers ausfindig zu machen, der möglicherweise ein wichtiges Bindeglied darstellte. Jetzt lagen die Ergebnisse dieser Recherchen auf dem Tisch - und sie erschienen Eylers bedeutend genug, um seinen besten Mann zu sich zu zitieren. Jos Aachten van Haag war ausgeschlafener als bei ihrem letzten Treffen, aber besonders guter Laune war er immer noch nicht. »Na, Chef, welche Art von intergalaktischer Verschwörung bedroht Ihrer Meinung nach denn heute die Sicherheit der Erde?« Jos schaffte es, das harmlose Wörtchen Chef so auszusprechen, daß es schon fast wie eine Beleidigung klang. Eylers schob einen Stapel Folien und Suprasensorauswertungen über den Tisch. »Lesen Sie. Anschließend reden wir.« Bevor Jos noch etwas erwidern konnte, war der GSOChef aufgestanden und ans Fenster getreten. Den Rücken demonstrativ seinem Staragenten zugewandt, betrachtete er die Skyline von Alamo Gordo. Es hatte fast den Anschein, als sähe er sie zum allerersten Mal. Hinter seinem Rücken erklang - nach einem langen, unüberhörba-ren Seufzer - das Geraschel von Papier und Folien, gelegentlich unterbrochen von einem »Hm«. Ein leiser Pfiff läutete eine Veränderung der Geräuschkulisse ein. Das Geraschel nahm ab, dafür wurden die »Hms« häufiger, und einmal war sogar ein »Da soll doch...« zu hören. Bernd Eylers war immer noch voll und ganz damit beschäftigt, Alamo Gordos Stielbauten zu bewundern und den unablässigen Strom der Jetts auf den Hochstraßen zu verfolgen, als hinter seinem Rücken ein deutliches Räuspern erklang. »Schon gut, Eylers, ich nehme alles zurück... Nein, das heißt nicht alles... Aber ich muß zugeben, daß Sie hier auf etwas gestoßen sind, das mir schon jetzt Bauchschmerzen macht.« Jos' Stimme klang lässig wie immer. »Kommen Sie schon, Eylers. Als Sie mich zu sich zitiert haben, habe ich angenommen, wir wollten uns unterhalten. Ich rede aber nur sehr ungern mit Rückansichten...« Bernd Eylers drehte sich um. 193 Jos Aachten van Haag lümmelte in einem der Besuchersessel und grinste seinen Chef
fröhlich an. »Na, auch nicht frei von Eitelkeiten, Chef?« Eylers beschloß, das Spiel noch ein Weilchen mitzuspielen. »Geheimdienstler mögen es nicht, wenn man ihnen unterstellt, sie hätten eine Paranoia. Das müßten Sie doch auch wissen, Jos.« »Wieso, Chef? Ich dachte immer, eine gepflegte Paranoia wäre in unserem Metier so etwas wie eine unverzichtbare Überlebenshilfe«, erwiderte Jos gedehnt. »Aber Spaß beiseite, es sieht wirklich ganz so aus, als hätte unser Kugelblitz in einem Wespennest rumgestochert. Ich frage mich nur...« Er zögerte. »Nur zu, Jos, lassen Sie Ihre Verschwörungstheorie hören. Vielleicht erzähle ich Ihnen dann meine.« »Sie sind ein Witzbold, Eylers. Ich habe keine Theorie, ich habe noch nicht einmal den Hauch eines Ansatzes einer Theorie. Ich finde diese Geschehnisse nur in höchstem Maße merkwürdig und beunruhigend.« Jos begann, in den Unterlagen zu wühlen, und fischte schließlich ein Blatt heraus. »Nehmen wir doch einmal das Verschwinden von John Michelt. Ein kleiner, unbedeutender Gauner, der sich mit krummen Geschäften über Wasser hält und gelegentlich für unseren Freund von TerraPress als Informant arbeitet. Verschwindet spurlos. Niemand hat etwas gesehen oder gehört, ja, es scheint fast so, als hätten alle seine Bekannten von heute auf morgen vergessen, daß sie einen gewissen John Michelt überhaupt einmal gekannt haben. Die City-Polizei legt sich auch nicht gerade übermäßig ins Zeug -verständlich, wenn es um einen Typ wie Michelt geht -, und der zuständige Beamte, ein...« Jos warf einen Blick auf das Blatt vor ihm, »ein Captain Silvano, schließt nach zwei Tagen den Fall ab. Ein Datenfile mehr mit dem Vermerk >ungeklärt<. So weit, so gut. Aber dann hat ein abgedrehter Elektronik-Bastler einen Jett-Unfall. Ausgerechnet einen JettUnfall! Warum ist er nicht gleich nach Alamo Gordo rübergekommen und von einem der Stieltürme gesprungen?« Jos schnaubte. »Zufällig war unser Bruchpilot der einzige, der sich noch an Michelt erinnern konnte oder wollte. Zufällig ist er mitsamt seinem Jett völlig verbrannt. Zufällig hatte die City-Polizei auch dieses Mal keine Veranlassung, sich besonders anzustrengen.« Er seufzte. »Und zufällig hieß der mit der Untersuchung betraute Beamte auch wieder Captain Silvano.« Bernd Eylers, der es sich schon längst wieder hinter seinem Schreibtisch bequem gemacht hatte, sah sein Gegenüber forschend an. »Kommen Sie, Jos, das klingt doch alles ganz harmlos. Ein kleiner Gauner verschwindet, und sein Kumpel hat einen Unfall. Was ist daran schon Besonderes.« »Versuchen Sie nicht, mich reinzulegen, Eylers. Genau das habe ich an der Stelle auch gedacht und mich ernsthaft gefragt: Was will der Alte denn mit der Geschichte. Hat's ihn jetzt wirklich erwischt?« Jos grinste Eylers entwaffnend an. »Sie müssen zugeben, daß man auf diese Idee kommen könnte.« Eylers lächelte nicht, als er erwiderte: »Inzwischen scheinen Sie aber anderer Meinung zu sein. Also weiter!« Jos' Grinsen erstarb. »Wir wissen beide, wo's wirklich interessant wird, Eylers. Zunächst Henk Kuipers. Der verlorene Sohn.« Eylers nickte. Jos verlagerte sein Gewicht auf dem Besuchersessel und legte die Fingerspitzen an die Nasenwurzel. Jegliche Attitüde war jetzt von ihm abgefallen. Er bot ein Bild höchster Konzentration. »Wenn ich das, was ich da vorhin gelesen habe, alles richtig verstanden habe, dann war Kuipers ein Opfer der Giant-Invasion; zumindest lebte er im Sommer/Herbst 2052 nicht auf Terra. Da er jedoch auch nicht zu den Menschen gehörte, die von Robon geholt und >rückgeschaltet< wurden, mußte man annehmen, daß er irgendwann umgekommen war, genau wie Millionen andere. Vor einem knappen Jahr, im Juli 2055, tauchte er dann plötzlich in World-City wieder auf. Er
bemühte sich, nicht aufzufallen, besaß anscheinend genug Geld, um nicht für seinen Lebensunterhalt sorgen zu müssen, und mied den Kontakt zu fast allen Menschen, die ihn von früher kannten. Davon leben ohnehin nicht mehr besonders viele, und einige von ihnen sind in den letzten paar Monaten Unglücksfällen zum Opfer gefallen oder einfach verschwunden.« »Genau wie Michelt«, warf Eylers ein. 194 195 »Von dem wir nicht wissen, ob er Kuipers von früher kannte«, ergänzte Jos. »Aber wir vermuten es.« »Sei es, wie es sei, auf alle Fälle hat sich Freund Henk vom Acker gemacht, als Sie ihm meine geschätzten Kollegen und Kolleginnen auf den Hals gehetzt haben. Und jetzt ist er ebenfalls verschwunden«, nahm Jos den Faden wieder auf. »Und Sie glauben, ich könnte ihn finden...« Eylers zuckte die Schultern. »Wenn Jos Aachten van Haag das nicht schafft - wer dann?« Jos verdrehte die Augen, ging jedoch nicht weiter auf die Bemerkung ein. »Ich darf aber wohl davon ausgehen, daß ich mich auch um unser zweites Früchtchen kümmern soll, oder? Der ist ja fast noch interessanter - und anscheinend bis jetzt auch noch nicht untergetaucht.« »Nein«, erwiderte Eylers, »bei dem haben wir auch noch verdeckter recherchiert als bei Kuipers. Aber was wir herausbekommen haben, ist doch schon beeindruckend genug, finden Sie nicht?« Jos nickte. »Captain Les Silvano von der City-Polizei von World-City, der Mann, der zufällig alle Unglücksfälle untersucht hat, die irgendwie mit Freund Henk zusammenhängen, und der die entsprechenden Akten immer sehr schnell zugeklappt hat. Kam Anfang letzten Jahres aus Rom, wo er bei der örtlichen Polizei gearbeitet haben soll, und trat in den Dienst des WCPD. Gilt als sehr guter Polizist mit schneller Auffassungsgabe, bereits sechsmal belobigt. Ein hervorragender Schütze, Träger des schwarzen Gürtels im Kung-Fu - ein Vorzeigebulle!« »Mit einem getürkten Lebenslauf!« ergänzte Eylers. »Und zwar mit einem so hervorragend manipulierten Lebenslauf, daß wir niemals etwas gemerkt hätten, wenn ich nicht schon einen vagen Verdacht gehabt hätte. Wobei wir übrigens immer noch nicht wissen, wie denn die entsprechenden Dateien manipuliert wurden. Aber wir können wohl davon ausgehen, daß der Les Silvano, der von Rom nach World-City kam, nicht der gleiche Mann ist wie der, der bei der römischen Polizei anscheinend wirklich schon lange vor der Giant-Invasion gute Arbeit geleistet hat.« 196 »Ich glaube, ich sollte unserem Superbullen mal ein bißchen auf den Zahn fühlen«, sagte Jos und stand auf. Er reckte sich ächzend. »Nehmen Sie die Unterlagen mit, Jos. Ich kann mir kaum vorstellen, daß Sie schon alle Details gelesen haben.« Jos Aachten van Haag beäugte mißmutig den Stapel auf Eylers' Schreibtisch. »Ich habe Ihnen schon alles auf einen Datenträger kopieren lassen - schließlich sollen Sie sich wirklich umfassend informieren können!« Eylers hielt Jos ein kleines, silbernes Scheibchen unter die Nase. »Das ist es, worum ich Sie immer bewundere, Chef: Sie denken wirklich an alles.« Jos steckte lässig den Datenträger ein und wandte sich zur Tür. »Übrigens muß ich zugeben, daß Sie in dieser Sache wirklich einen verdammt guten Riecher gehabt haben, Eylers. Sie sind schon ein kluger Bursche.« »Deshalb bin ich auch der Chef der GSO«, sagte Eylers leichthin. Jos Aachten van Haag war schon halb aus der Tür, aber dennoch glaubte Eylers, noch etwas gehört zu haben. Es hatte wie »wenn es wirklich das wäre, könnte ich mir aber auch einen anderen Kandidaten vorstellen...« geklungen. Die Hände tief in den Taschen seines weißen Plastikoveralls vergraben, stand Chris Shanton im Freien und genoß die eiskalte, klare Bergluft. Seine Blicke wanderten von den hohen, von
ewigem Eis bedeckten Gipfeln allmählich in das Tal zu seinen Füßen, das sich in den letzten Tagen ein wenig verändert hatte. Das Höhlensystem, in dem sich die technischen Anlagen und die Wohnquartiere der CyborgStation verbargen, platzte mittlerweile aus allen Fugen. Daher hatte man - Geheimhaltung hin, Geheimhaltung her - damit begonnen, im Talgrund Lager- und Vorrats-schuppen zu errichten. Inzwischen standen bereits ein knappes Dutzend niedriger, unauffälliger Gebäude aus grauem Kunststoff beiderseits des Plastikbetonbandes, auf dem Echri Ezbals Zöglinge normalerweise Sport trieben. 197 Heute morgen war Shanton jedoch ganz allein hier draußen. Er betrachtete die Schuppen, die in der unberührten Bergwelt trotz ihrer unauffälligen grauen Farbe wie häßliche Fremdkörper wirkten. Plötzlich zuckte der bullige Ingenieur zusammen. Ein Prickeln überlief seinen ganzen Körper - beinahe so, als hätte er ein stromführendes Kabel angefaßt. »Da soll doch...« Mit fliegenden Fingern riß er sich das Chrono vom Handgelenk, drehte es um und tippte mit den Fingerspitzen einen Befehl in die winzige Morsetaste, die sich aus einer Vertiefung geschoben hatte. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann kam ein schwarzer Schatten aus dem Eingang zum Höhlensystem geschossen, sprang mit einem Satz auf die Plastikbetonpiste und raste in die Richtung davon, aus der die Impulse kamen, die Shanton gespürt hatte. Das seltsame Etwas erinnerte nur noch entfernt an einen Scotchterrier. Jimmy hatte die Beine so weit gespreizt, daß seine Bauchhaare Staub von der Piste aufwirbelten. Die ungeheuer schnell rotierenden Stahlkugeln, die sich aus seinen Fußballen geschoben hatten, beschleunigten die kleine Gestalt immer mehr. Hinter der flachen Stirn arbeitete ein hochwertiges Ortungsgerät. Im halb geöffneten Maul schob sich der Abstrahl-Pol einers Blasters in Position. Staub schoß hoch, als Jimmy auf unnachahmliche Weise bremste: Er stellte die Beine noch weiter nach außen und rutschte mit dem Bauch über die Piste. Sein Synthofell vertrug die Reibungsenergie schadlos. Während des rasenden Laufs hatte Jimmy alle notwendigen Daten zugefunkt bekommen; jetzt handelte er nach seinem vorgezeichneten Programm. Er raste auf das Zielobjekt zu, ortete auf den Millimeter genau den Entstehungspunkt der Impulse und begann zu feuern. Jimmys überempfindliche Hörorgane wurden einiger Belastung ausgesetzt. Er machte Männchen und lauschte interessiert der Flut neuer Ausdrücke, die er in seinem Speicher sorgfältig registrierte. »Das ist doch nicht möglich«, sagte Chris Shanton, wischte sich über die Augen und schob sich vorwärts, »das kann doch nur ein Alptraum sein! Jimmy, bei Fuß!« 198 Der bullige Ingenieur und sein Robothund näherten sich langsam der Stelle, an der ein wildgewordener Schneemann sich in Zuckungen und Verrenkungen wand. »Speichern, Jimmy«, befahl Chris Shanton und holte tief Luft, »speichern in Drei-D und Farbe. Vergiß den Ton nicht!« Der Mann, der auf einem Bein herumtanzte, die rechte Hand wild durch die Luft schlenkerte und dazu herzhaft fluchte, hatte tatsächlich Ähnlichkeit mit einem Schneemann. Der kugelrunde, von einer weißen Plastikkappe bedeckte Kopf saß fast übergangslos auf einem sich birnenförmig nach unten verdik-kenden Körper. Der Mann war mit einer weißen Kombination bekleidet, die bei näherem Hinsehen jedoch einige schwarze Flächen aufwies. Er stampfte noch einmal auf den qualmenden Resten einer nicht mehr zu identifizierenden Apparatur herum und streckte Chris Shanton anklagend die Rechte entgegen. »Ihr... Ungeheuer hätte mich treffen können. Ich protestiere energisch!« Jimmy drehte leicht den Kopf und folgt den hastigen Bewegungen des Mannes. Aus dem Robotkörper tönte leises Surren. Die Augen, zwei Hochleistungsojektive, hielten die Szene fest. Chris Shanton gab seiner Stimme einen besorgten Unterton. »Ist Ihnen nicht gut?« Er verlor
jedoch sofort die Beherrschung, als ihn ein unschuldiger Blick traf. »Glotzen Sie nicht so,
Stranger. Es interessiert mich herzlich wenig, ob sie getroffen werden konnten oder nicht.
Das wäre sowieso Ihre eigene Schuld gewesen. Warum schnüffeln Sie hier herum?«
Die Augen wechselten den Ausdruck. Bert Stranger sah auf einmal ehrlich bekümmert drein.
»Mein lieber Shanton«, sagte er mit öliger Stimme, »mein teurer, impulsiver Freund. Ich bin
untröstlich, daß ich wieder einmal Ihr Mißfallen erregt habe. Es ist nur bedauerlich, daß Sie
dieses Mißfallen sofort auf kriegerische Art beantworten mußten!« Damit wies er auf die
qualmenden Reste. »Das war eine Mark IV. Das Ding war zwar gebraucht, kostet aber immer
noch so um fünftausend unter Brüdern. Ich hoffe, Ihr Konto kann das verkraften?«
Chris Shanton holte tief Luft. »Sie haben mich mit Ihrer sensori
199
sehen Kamera angepeilt. Ich kann derartige Impulse spüren. Da niemand ahnen konnte, daß
Sie Ihren neugierigen Reporterschädel ins Brana-Tal stecken würden, glaubte ich an einen
Angriff. Deshalb setzte ich Jimmy ein!«
Das gutmütige Gesicht des Reporters verwandelte sich unmerklich. Die großen, runden
Augen glänzten auf einmal überaus wachsam. »Das können Sie mir nicht erzählen, Shanton.
Nur weil Sie sensorisch angepeilt wurden, fangen Sie an, wild in der Gegend
herumzuballern? Bringen Sie Ihre Märchen auf den Kinderseiten unter! Sie haben einfach
ihrer persönlichen Antipathie gegen mich freien Lauf gelassen!«
Chris Shanton protestierte. »Das ist Unsinn, Stranger. Ich muß nach den Vorfällen der letzten
Zeit vorsichtig sein. Schließlich wurde mein Gehirn in der Vergangenheit mehrmals
beeinflußt. Ich konnte...« Shanton unterbrach sich abrupt, doch es war zu spät.
»Volltreffer, Shanton.« Stranger grinste triumphierend. »Wußt ich's doch, daß etwas
dahinterstecken muß, wenn Sie sich hier im Brana-Tal verstecken. Schließlich sind Sie alles
andere als ein Cy-borg-Typ!«
Der bullige Ingenieur bewegte sich erstaunlich geschmeidig. Er stürzte vorwärts und streckte
die Hände aus.
Doch er griff ins Leere. Der rundliche Reporter war geschickt ausgewichen. Mißbilligend sah
er Shanton an.
»Brain, not brawn«, zitierte er, »dieser Spruch hängt in meinem Büro bei TerraPress.«
Bert Stranger bückte sich und tätschelte Jimmys Fell. Von unten herauf blinzelte er Chris
Shanton zu und griff nach der überdimensionalen Fliege, die seinen Kragen zierte.
»Friedensvorschlag, Shanton. Wir stellen erst einmal beide die Kriegshandlungen ein,
schalten unsere diversen Aufzeichnungsgeräte ab und gehen gemeinsam einen heben!«
Chris Shanton brummte etwas in seinen Backenbart. Das Summen im Innern des
Robothundes erstarb. Bert Stranger grinste breit und drehte die Fliege einmal um sich selbst.
200
Als die POINT OF aus der Transition kam und mit hohen Werten verzögerte, wurde sie von
sieben Kugelraumern erwartet, die weit aufgefächert im Raum standen.
»Sichelformation mit überhöhten Flanken«, meinte Janos Szardak anerkennend.
»Energie-Ortung weist hohe Werte auf. Da drüben laufen sämtliche Konverter auf Vollast.
Die Schiffe sind kampfbereit«, klang Tino Grappas Meldung dazwischen.
Ren Dhark nickte dem Ortungsspezialisten dankend zu.
»Die sind auf alles vorbereitet...« startete Szardak einen zweiten Versuch.
»Haben Sie vom Geschwader Martell etwas anderes erwartet, Janos?« erwiderte Dhark
schmunzelnd. »Das ist doch die alte terrani-sche Schule, oder?«
»Funkspruch vom Geschwader Martell. Ich stelle durch.« Das war Glenn Morris' Stimme.
Der kleine Bildschirm wurde hell.
»Hier spricht Colonel James Jonah Pierce von der MOUNT KING. Ich möchte Sie, auch im
Namen unseres Geschwaderführers, ganz herzlich in diesem gottverlassenen Raumsektor
begrüßen, Sir!« dröhnte es aus dem Lautsprecher. Colonel Pierces Stimme war so kräftig wie
seine Statur.
»Solange Sie uns nicht einen Salut aus Ihren Strahlgeschützen um die Ohren schießen,
Colonel Pierce...« erwiderte Ren Dhark mit einem dünnen Lächeln.
Colonel Pierce verzog keine Miene.
»Die Feuerbereitschaft wurde auf ausdrücklichen Befehl von General Martell hergestellt, Sir«, sagte er steif. »Sie wissen wahrscheinlich besser als wir, daß mit dieser neuen Gefahr, die vor kurzem aufgetaucht ist, nicht zu spaßen ist, Sir.« Ren Dhark winkte ab. »Schon in Ordnung, Colonel Pierce. Ich würde von einem terrani-schen Geschwader in einer solchen Situation nichts anderes erwarten. Wir an Bord der PoiNT OF sind alle ein bißchen überreizt. Wir haben eine weite Reise hinter uns. Natürlich freue ich mich - ebenso wie die gesamte Besatzung der PoiNT OF - Sie hier zu treffen. Wo 201 bei ich zugeben muß, daß ich überrascht bin, in diesem Raumsektor auf terranische Schiffe zu stoßen.« Zum erstenmal huschte so etwas wie der Anflug eines Lächelns über Pierces Gesicht. »Wir haben einen guten Grund, hier zu sein, Commander Dhark -aber das kann Ihnen Geschwaderführer Martell besser erzählen als ich.« Das Bild flackerte einen kurzen Moment, und als es sich wieder stabilisierte, war Pierce verschwunden. Statt dessen stand jetzt das Gesicht von John Martell auf dem Schirm. »Hallo, Martell«, sagte Ren Dhark. »ich freue mich, Sie zu sehen.« Erinnerungen stiegen in ihm auf; Erinnerungen an seine erste Begegnung mit John Martell, damals, zur Zeit der Giant-Invasion, als Martell noch Kommandant des Stützpunkts T-XXX gewesen war. Später hatte der General am Vorstoß ins Zentrum der Milchstraße, ins Reich der G'Loorn teilgenommen - und noch später hatte er Ren Dhark um ein Kommando besonderer Art gebeten. Seit mehr als drei Jahren befand sich John Martell nun auf der Jagd - auf Raumschiffjagd! Die nach dem immer noch unerklärlichen Verschwinden ihrer Besatzungen verlassen durchs All treibenden Raumschiffe der Giants stellten einen nicht zu unterschätzenden Machtfaktor dar, und bis die eigene Raumschiffproduktion auf vollen Touren lief, war die TF froh um jeden Raumer, der ihre Kampfkraft vergrößerte. Fast fünfzig Raumschiffe hatten Martell und seine Männer in den vergangenen drei Jahren entdeckt und ins Sol-System gebracht. Und auch, wenn die Ausbeute in den letzten Monaten geringer geworden war, wollte der General weiter auf die Jagd gehen. »Ich kann mir einfach nicht mehr vorstellen, irgendwo am Schreibtisch zu sitzen und Anordnungen und Befehle abzuzeichnen«, hatte er gesagt. Ren Dhark hatte ihn nur zu gut verstanden. »Ich freue mich ebenfalls, Sie zu sehen, Commander.« Martells Stimme klang fest und neutral wie immer. »Ihr plötzliches Verschwinden hat auf der Erde für allerhand Unruhe gesorgt. Es wurde schon befürchtet, die POINT OF könnte ebenfalls dem Nor-ex zum Opfer gefallen sein.« 202 »Wann hatten Sie zuletzt Kontakt mit Terra?« erkundigte sich Ren Dhark. Dan wird sich Sorgen gemacht haben, dachte er. »Erst gestern. Deshalb habe ich auch eine Nachricht für Sie, die Sie sicher freuen wird: Man hat eine Waffe gegen das Nor-ex gefunden!« »Wer...« »Die Wissenschaftler im Höhlensystem von Deluge. Man hat herausgefunden, daß durch den Beschüß mit To-Funkstrahlen die merkwürdige Schicht, mit der das Nor-ex seine >Beute< überzieht...« Martell brach ab, als er Ren Dharks verständnislosen Gesichtsausdruck bemerkte. Er schüttelte den Kopf. »Aber diese ganzen Details können Sie ja noch gar nicht wissen. Wollen Sie und Colonel Szardak, den ich da neben Ihnen sitzen sehe, nicht auf die MOUNT KlNG herüberkommen, dann können wir in Ruhe über alles reden. Es mag nicht so bequem sein wie an Bord Ihrer POINT OF, doch dafür haben wir hier jede Menge Platz - und einen wunderbaren Besprechungsraum.« Lächelte der General wirklich, oder hatte Dhark sich getäuscht? Er warf Janos Szardak einen auffordernden Blick zu. Der kleine Mann mit dem Pokerface nickte.
»Wir sind schon unterwegs, Martell. Lassen Sie eine Schleuse öffnen, sonst müssen wir mit einem unserer Flash durch die Wandung einfliegen - und Sie wissen, daß der Brennkreis der Blitze seine Spuren hinterläßt...« »Die Sache gefällt mir nicht«, sagte Bert Stranger und preßte das Okulaf seiner Mark V gegen das rechte Auge. Der Reporter zuckte zusammen, als wenige Meter vor ihm ein Kanister aufschlug und explodierte. Automatisch zog er die Kamera herum und verfolgte den Weg eines weißglühenden Metallstücks, das dicht neben seinem Kopf funkensprühend vorbeizischte. »Sitzen Sie nicht ein bißchen nah dran?« erkundigte sich Chris Shanton und musterte mißtrauisch den Zeigerkomplex, der seitlich in die Mark V eingelassen war. Als er erkannte, daß die Kamera auf Speicher und nicht auf Direktsendung geschaltet war, setzte er seine 203 Stimme um einige Phon herab. »Es ist eigentlich ein Wunder, daß ein Reporter wie Sie darauf verzichtet, so ein nettes Feuerchen in alle Welt zu schicken!« Erst vor wenigen Minuten hatte sie die Alarmmeldung hochgescheucht, daß einer der erst vor kurzem errichteten Lagerschuppen in Brand geraten sei. Eine Flammenzunge stieg senkrecht empor. Shanton riß den immer noch filmenden Reporter neben sich in Deckung. Stranger schob das Aufnahmeobjektiv vorsichtig über den Grabenrand. Gleich darauf drückte sein Zeigefinger wieder den Auslöser. Da er die Kamera gegen die rechte Gesichtshälfte preßte, um sie möglichst ruhig zu halten, klang seine Stimme etwas verzerrt. »Sie sollten wissen. Shanton, daß ich eng mit Bernd Eylers und Dan Riker zusammenarbeite«, erklärte er gelassen. »Ich habe...« Bert Stranger zog blitzschnell den Kopf ein, weil vom Lagerschuppen eine Flammenwand herüberleckte, »ich habe den GSO-Boss gebeten, im Brana-Tal Aufnahmen machen zu dürfen - als Gegenleistung für eine kleine Gefälligkeit, sozusagen. Die Aufnahmen werden zu gegebener Zeit von Ren Dhark freigegeben und dann gesendet!« »Gebeten«, murmelte der massige Ingenieur. Er horchte auf die vom Brandherd herüberkommenden Geräusche und zog die Augenbrauen zusammen. »Erpreßt wäre ein besseres Wort. Unter normalen Umständen hätte Eylers Sie längst zum Teufel gejagt!« Bert Stranger setzte die Kamera ab. »Sie unterschätzen Eylers«, meinte er ungewohnt ruhig, »der ließe sich sich niemals von mir erpressen - ebensowenig wie der Commander. Wir haben eine Vereinbarung getroffen, die keine Seite brechen wird. Ren Dhark ist kein Diktator, der die Presse gängelt. Und ich bin nicht verrückt genug, der Menschheit zu schaden, indem ich voreilig Informationen ausposaune.« Chris Shanton hörte nur mit halbem Ohr zu. Er lauschte auf den merkwürdigen Rhythmus, in dem die grellen Flammen loderten, und versuchte sich daran zu erinnern, wo er ähnliche Geräusche schon einmal gehört hatte. Sein Unterbewußtsein signalisierte Gefahr! Der Ingenieur aktivierte sein Vipho. 204 »Zentrale Brana-Tal«, meldete sich eine sonore Stimme. »Achtung, Shanton hier. Vorranganfrage an Registratur: Was befindet sich in Lagerschuppen vier?« Bert Stranger warf einen Blick auf das verkniffene Gesicht des Ingenieurs, pfiff leise vor sich hin und schwenkte die Kamera. Er schaltete auf Weitwinkel. Die zusammengekauerte Gestalt Shantons erschien auf dem Kontrollschirm. »Registratur«, erklang eine dünne Stimme. »In Lagerschuppen vier befinden sich hauptsächlich Lösemittel und ähnliche Chemikalien. Außerdem Plastikplatten für Fertigbauten.« »Sonst nichts?« fragte Chris Shanton. Seine Stimme vibrierte vor unterdrückter Spannung. »Sonst nichts«, bestätigte die Gegenstelle. Das Gesicht des Ingenieurs glättete sich. Shanton blickte zum Feuer hinüber, fuhr sich durch den verfilzten Backenbart und wollte gerade die Verbindung unterbrechen, da kam ein erstickter Laut aus der kleinen Membrane. »Shanton, im Keller des Schuppens liegt ein Spezialtresor, und da drin sind hundert Gramm axial verschobene Hyperdiamanten!«
Der Kontrollschirm der Mark V war ein Meisterwerk terranischer Technik. Er gab die Farben absolut naturgetreu wieder. Als Bert Stranger erkannte, daß Chris Shantons Gesicht sich plötzlich schmutziggrau färbte, wußte er Bescheid. Die Cyborg-Station befand sich in höchster Gefahr! Echri Ezbal legte die schlanken Hände zusammen und sah unverwandt auf die Anzeigen der Schalttafel. Der Brahmane saß in der Hauptschaltstation des Brana-Tals. Um ihn herum herrschte hektische Betriebsamkeit. Ein Sicherheitsoffizier lenkte von seinem erhöhten Schaltpult aus die Gegenmaßnahmen. Gerade warf er einen besorgten Blick zu Ezbal hinüber. »Ich verstehe das nicht, Chef. Das Feuer in diesem verdammten Lagerschuppen müßte längst gelöscht sein. Wir haben zwei moderne Teilchenbremsen eingesetzt. Außerdem geht der technische Dienst mit den üblichen Schaumlöschmitteln gegen die Flammen vor. Trotzdem brennt es weiter. Es sieht fast so aus, als ob irgend 205
jemand im Schuppen sitzt und die Flammen immer wieder anbläst!« »Richtig, mein Junge«, schnaufte Chris Shanton, der sich mit hochrotem Gesicht durch die Tür drängte. Hinter ihm schob sich der Reporter in die Hauptschaltstation. Echri Ezbal blickte fragend auf »Da bläst tatsächlich einer«, polterte der Ingenieur, »oder sagen wir besser einige. Unterhalb des Infernos lagern Hyperdiamanten. Deren Strahlung wird spielend mit den Teilchenbremsen fertig. Es ist zu befürchten, daß die Hyperdiamanten die kinetische Energie der angeregten Moleküle noch weiter erhöhen. Was dann passiert, kann sich jeder an zehn Fingern ausrechnen!« Echri Ezbal hob leicht die Hand. Trotz der angespannten Stimmung lächelte er Chris Shanton freundlich an, als er fragte: »Was wird geschehen? Ich bin leider kein Thermodynamiker.« Der Ingenieur erklärte sachlich: »Kürzlich wurde an Bord der PoiNT OF eine Versuchsserie gestartet, die zeigen sollte, wie sich bestimmte Materialien beim ungeschützten Durchgang von Überlicht zu Unterlichtfahrt verhalten. Das Verfahren war einfach. Hochverdichtete Kunststoffbehälter mit Inhalt wurden während der Überlichtfahrt durch das Intervallfeld hindurchgeschossen. Die Geschwindigkeit fiel auf Unterlicht zurück. Die PoiNT OF bremste ebenfalls auf Unterlicht und sammelte die Proben ein.« Chris Shanton wischte sich den Schweiß von der Stirn. Verstohlen sah er auf sein Chrono. Die Zeit brannte ihm unter den Nägeln. Trotzdem war es besser, zuerst die Grundlagen der Gefahr zu erklären. Um so gezielter konnten Gegenmaßnahmen ergriffen werden. »Unter den Proben befand sich auch ein Behälter mit normaler Steinkohle. Als die Wissenschaftler der PoiNT OF diesen Behälter nach dem Durchgang wieder öffneten, erblickten sie unwahrscheinlich hell strahlende Diamanten.« Bert Stranger hielt sich im Hintergrund. Er spielte mit dem übergroßen Gürtelschloß. Seine Fingerspitzen tasteten über die obere Leiste, die leicht vibrierte. Der Reporter drehte sich ein wenig zur Seite, um das überempfindliche Richtmikrofon auf Chris Shanton zu lenken. Jedes Wort wurde exakt aufgezeichnet. »Sekunden später kam es fast zur Katastrophe. Es fing damit an, 206 daß ein paar brennende Zigaretten förmlich explodierten. Dann barsten mehrere Aggregate. Kabelverbindungen loderten hell auf und brannten sich wie Zündschnüre durch die Wandungen. Ren Dhark war dabeigewesen, als die Proben eingeholt wurden. Er schaltete schneller als die Wissenschaftler, sprang vor und stülpte die Plastikkappe wieder über den Behälter mit den Diamanten. Der Spuk hörte sofort auf.« Echri Ezbal strich sich durch den weißen Bart. »Was für eine wissenschaftliche Erklärung wurde gefunden, Shanton?« Der massige Ingenieur zuckte die Schultern. »Keine Erklärung, Ezbal, nur eine Theorie. Unter dem Spannungseinfluß beim ungeschützten Durchgang durch die >Lichtmauer< bildeten sich hochenergetisch aufgeladene Diamanten, deren Gitter axial verschoben sind. Diese Diamanten senden eine Hyperstrahlung aus. Die Strahlung verstärkt unter bestimmten
Umständen die kinetische Energie der Moleküle. Wir haben festgestellt, daß diese Erscheinung auftritt, wenn die Temperatur 300 Grad Celsius übersteigt.« Der Leiter der Cyborg-Station schüttelte den Kopf. »Ich verstehe immer noch nicht, was das mit dem Brand dort draußen zu tun hat.« Chris Shanton schlug mit der geballten Faust auf den Tisch. Bert Stranger tastete vorsichtig zur Gürtelschnalle. Die obere Leiste vibrierte noch. Das Aufzeichnungsgerät hatte die plötzliche Schallüberlastung ausgehalten. »Da hat jemand tief und fest geschlafen«, grollte Shantons Baß. »Es war ein unglaublicher Leichtsinn, die Diamanten im Keller des Lösemitteldepots zu lagern.« »Und was ist geschehen?« fragte der Brahmane sachlich. »Ganz einfach. Aus irgendeinem Grund sind die Lösemittel hochgegangen, die Bunkerwandungen haben sich erhitzt, die abschirmende Plastikmasse ist geschmolzen, und die Strahlung der Hyperdiamanten wurde freigesetzt. Jetzt lief die Geschichte andersrum. Die Diamanten regten die schon erhöhte Molekularbewegung in den brennenden Stoffen an, und das dort draußen ist das Ergebnis!« Er wies auf die Bildschirme. Es war merklich heller geworden. Aus dem ehemaligen Schuppen stieg eine weißglühende Säule auf. Sie näherte sich dem Schirmfeld. 207 Elektrische Entladungen liefen über die gesamte Schirmfläche. Die deutlich sichtbare energetische Halbkugel begann immer intensiver zu leuchten. »Wir sollten den Bunker sprengen«, schlug ein Physiker vor. Chris Shanton lachte trocken. »Damit verstreuen Sie die Hyperdiamanten über das gesamte Gelände. Das Feuer ist dann überhaupt nicht mehr zu stoppen!« »Aber irgend etwas muß doch geschehen«, entgegnete der Physiker, »wir können doch nicht einfach tatenlos zusehen, wie die Flammen immer weiter um sich greifen. Da drüben schmilzt ja schon das Gestein!« Bert Stranger klopfte Shanton auf die Schulter. »Wieso verbrennen eigentlich diese verdammten Diamanten nicht auch? Die bestehen doch aus Kohlenstoff!« »Sie vergessen die Strahlung, Stranger. Sie schützt die Diamanten und macht sie praktisch unzerstörbar. Es gibt nur eine Möglichkeit: Ein Spezialkommando muß sich unter der Erde zu den Diamanten vorarbeiten, den Bunker aufbrechen und die Strahlungsquelle isolieren. Der Rest ist ein Kinderspiel!« »Mit unseren Mitteln kommen wir dabei nicht weiter«, erklärte Echri Ezbal ruhig, »wir müssen die GSO in Cent Field alarmieren. Setzen Sie bitte entsprechende Funksprüche ab.« Chris Shanton nickte, griff zum Vipho und rief die Funkleitstelle. »Setzen Sie sofort...« begann der Ingenieur, doch der diensttuende Funker unterbrach ihn mit einer knappen Handbewegung. »Zwecklos, Sir. Wir kommen nicht mehr durch. Die energetischen Entladungen im Schirmfeld stören selbst Hyperimpulse. Schalten Sie den Schirm ab, dann garantiere ich für eine Verbindung!« Shanton unterbrach die Verbindung und wandte sich zu Ezbal um. »Das ist Pech. Wenn sogar Hyperimpulse gestört werden, dann können wir auch den Transmitter nicht benutzen. Jetzt müssen wir uns doch selbst etwas einfallen lassen.« »Und warum schalten wir den Schirm nicht einfach ab, wie es der Funker gefordert hat?« mischte sich Bert Stranger ein. »Zwei Gründe sprechen dagegen: Zum ersten wird die monatelange Arbeit zunichte gemacht, durch die hier unter der Kuppel eine 208 relativ keimfreie Zone geschaffen wurde. Damit entsteht höchste Gefahr für die Cyborgs, die sich gerade im Entwicklungsstadium befinden. Zweitens dürfte es bei einem Abbau zu einer Katastrophe kommen, da die heißen und kalten Luftmassen stürmisch zusammenprallen würden. Die ersten Vorboten dieser Katastrophe können Sie dort oben am Schirm bereits beobachten.« »Vorschläge, meine Herren.« Die Stimme des alten Brahmanen klang nicht eine Spur erregt. Chris Shanton schnaufte. Aus zusammengekniffenen Augen warf er Ezbal einen undefinierbaren Blick zu, ehe er antwortete:
»Es gibt nur einen Weg, Ezbal. Setzen Sie die Cyborgs ein!« Der Brahmane zuckte zusammen und hob die Arme. »Unmöglich, Shanton. Sie sind noch nicht so weit. Es fehlt die physische und psychische Koordination. Die Cyborgs müssen langsam an ihre Aufgaben herangeführt werden, um geistig stabil zu bleiben. Außerdem können die dafür ausgewählten Cyborgs noch nicht phanten.« Chris Shanton preßte die Zähne zusammen. »So, die Cyborgs sind noch nicht so weit?« knurrte er. »Sehen Sie die Realität, Ezbal! Da draußen tobt die Hölle. Die Wärmeaustauscher können diese Hitzegrade garantiert nicht verkraften. Ihr schönes Cyborgprojekt geht zum Teufel, wenn nicht schleunigst etwas geschieht! Jetzt können Ihre Wunderknaben endlich einmal zeigen, was wirklich in ihnen steckt.« Durch den Raum lief eine kurzzeitige Vibration. Echri Ezbal senkte den Kopf mit der schlohweißen Löwenmähne. Seine Stimme klang brüchig, als er leise sagte: »Ich werde die Cyborgs in den Einsatz schicken!« Der Konferenzraum an Bord der MOUNT KING konnte sich wirklich sehen lassen. Das hatten Ren Dhark und Janos Szardak sofort festgestellt, als John Martell sie in den Raum führte, in dem er normalerweise Einsatzbesprechungen mit den Kommandanten der Raumschiffe seines Geschwaders abhielt. Jetzt saßen nur vier Personen in dem gut ausgestatteten Raum, der 209 sich genausogut in einem Gebäude auf der Erde hätte befinden können: Dhark, Szardak, Martell und J.J. Pierce, der Kommandant der MOUNT KING. Pierce, ein stiernackiger, dunkelhäutiger Mann mit kurz geschorenen Haaren, beteiligte sich kaum am Gespräch. Doch daß er überaus aufmerksam zuhörte, bewiesen die Fragen, die er Dhark und Szardak gelegentlich stellte, als sie von ihren >Begegnungen< mit dem Nor-ex erzählten. »Aber jetzt sind Sie an der Reihe, Martell«, lenkte Ren Dhark das Gespräch schließlich auf das Thema, das ihn noch interessierte. »Was hat Sie und Ihr Geschwader in diesen Raumsektor verschlagen? Wenn mich nicht alles täuscht, haben Sie die meisten treibenden Giant-Raumer doch um Robon herum gefunden...« »Das stimmt«, erwiderte John Martell. »Knapp vier Fünftel aller Raumer, die wir bisher aufgebracht haben, drifteten in einer gedachten Kugelschale von rund fünfzig Lichtjahren Stärke etwa 200 Lichtjahre von Robon entfernt durchs All. Sie wissen, daß wir in den letzten Monaten immer weniger Raumschiffe gefunden haben. Viele dürften mittlerweile in Sonnen verglüht oder auf Planeten oder Monden zerschellt sein. Andere sind vielleicht schon zu weit abgetrieben, und wieder andere...« Er zögerte, fuhr dann jedoch fort: »Aber darauf kommen wir später noch. Unsere normalen >Jagdgründe< scheinen jedenfalls ziemlich abgegrast zu sein.« Er trank einen Schluck aus der Kaffeetasse, die vor ihm auf dem Tisch stand. »Vor ungefähr drei Wochen haben wir einen Raumer aufgebracht, eine Sternschnuppe, die ganz so aussah, als ob jemand an ihr Zielübungen durchgeführt hätte. Es hätte keinen Sinn gemacht, das Schiff ins Sol-System zu bringen, es war nur noch ein Wrack. Wir haben es uns trotzdem genauer angesehen - Pierce und ich leiden manchmal unter Ahnungen, und dieser kleine Raumer... hatte irgend etwas.« Bei der Vorstellung, daß der schweigsame, stocksteif dasitzende Pierce gelegentlich irgendwelchen >Ahnungen< nachging, konnte Ren Dhark nur mit Mühe ein Schmunzeln unterdrücken. »Wir haben dieses Wrack also untersucht«, machte Martell weiter, 210 »und stellten fest, daß das Bordgehirn des Schiffes noch nicht völlig zerstört war. Beim Versuch, die Datenbestände zu kopieren, stießen wir auf mehrere sehr große, aufwendig verschlüsselte Dateien. Sie haben Ihren Arc Doorn, Dhark, wir haben unseren Captain Kipchoi, der bisher noch jeden Giant-Rechner dazu gebracht hat, alle vorhandenen Daten auszuspucken. Außer in diesem Fall. Kipchoi hat tagelang alles mögliche versucht - ohne jeden Erfolg.«
John Martell seufzte. »Fragen Sie mich nicht, wie er es schließlich doch noch geschafft hat, zumindest einige Dateien zu knacken. Es hat sich jedenfalls gelohnt. Die Daten sind teilweise verstümmelt, teilweise unvollständig, aber sie weisen auf diesen Raumsektor. Wenn wir die Angaben richtig rekonstruiert haben, dann soll es in diesem Sektor mehrere Depot-Welten geben.« »Depot-Welten... Was könnte das sein?« »Ich weiß es nicht, Dhark, und ich bin mir auch gar nicht sicher, ob ich es überhaupt wissen will.« Ein Schatten schien über das Gesicht Martells zu fallen. Er hatte die Giant-Invasion als Kommandant des Geheimstützpunkts T-XXX erlebt und die Monate, in denen er in ohnmächtiger Wut dem Treiben der Invasoren auf der Erde hatte zusehen müssen - ständig von der Gefahr der Entdeckung bedroht - noch längst nicht vergessen. Es war jetzt mehr als drei Jahre her, daß die vier versteinerten Gehirne - das letzte, was vom einst übermächtigen CAL übriggeblieben war - sich in den Untersuchungslabors unter Alamo Gordo buchstäblich in nichts aufgelöst hatten. Sie waren ebenso diffundiert wie die Giants selbst, doch mehr als einen Namen hatten die terranischen Wissenschaftler trotz aller Bemühungen dem Vorgang bisher nicht geben können. Die Giants waren zwar mitsamt dem CAL verschwunden, doch die Rätsel, die sie umgaben, noch längst nicht gelöst. Vielleicht werden sich diese Rätsel nie lösen lassen, dachte Ren Dhark. Und vielleicht wird John Martell seinen Haß auf die Invasoren nie endgültig überwinden... »Aber wir haben etwas gefunden, Commander - und dann auch irgendwie wieder verloren, zumindest teilweise...« Martells Stimme holte Ren Dhark in die Gegenwart zurück. Auffordernd blickte er den General an. 211 »Die LISSA, eine der beiden Sternschnuppen unseres Geschwaders, hat vor drei Tagen einen Raumschiffpulk geortet. Da die Sternschnuppen keine Ersatzcrew zur Bemannung der aufgebrachten Schiffe an Bord haben, ist die LISSA wieder zu unserem Standort zurückgesprungen. Wir haben uns unverzüglich auf den Weg gemacht - und als wir dort ankamen, wo sich der Pulk befinden sollte, gab es keinen Schiffsverband mehr. Nur noch einen Bergungsraumer und zwei ziemlich lädierte Aufklärer. Wir haben die Aufzeichnungsgeräte der LlSSA ausgewertet, Dhark. Vier Stunden vorher war hier ein Pulk aus drei Kreuzern, zwei Jägern, fünf Aufklärern und einem Bergungsraumer praktisch antriebslos durchs All gedriftet. Können Sie mir sagen, wohin die Schiffe verschwunden sind?« Ren Dhark beugte sich vor. Er konnte Martells Erregung verstehen und suchte krampfhaft nach einer Erklärung. »Ich nehme an, daß Sie die Koordinatenangaben gründlich überprüft und jeden Irrtum ausgeschlossen haben?« Martell winkte ab. »Der Bergungsraumer und die Aufklärer waren genau dort, wo sie sein sollten. Also...« Dhark nickte nachdenklich. »Und... das Nor-ex?« mischte sich Janos Szardak ein. »Das wäre eine Möglichkeit«, gab Martell zu, »aber ich weiß nicht so recht. Ich kann es eigentlich nicht glauben...« »Was glauben Sie dann?« Dhark hatte die Frage gestellt, schien mit seinen Gedanken jedoch weit weg zu sein. Martell zuckte hilflos die Schultern. »Ich weiß es nicht. Wer außer uns würde es nicht nur wagen, treibende Giant-Raumer zu besetzen, sondern könnte auch mit ihnen umgehen? Es ist... verrückt. Manchmal schießt mir eine Idee durch den Kopf, doch wenn ich sie dann festzuhalten versuche, entgleitet sie mir...« Irgendwo in Ren Dharks Unterbewußtsein regte sich ein Gedanke. Sachte, ganz sachte. Doch er gelangte nicht ins Bewußtsein. Für einen kurzen Augenblick hatte auch Ren Dhark geglaubt, die Lösung des Rätsels der verschwundenen Giant-Raumer klar und deutlich vor sich zu sehen. 212
»Und wo ist der Bergungsraumer jetzt?« Janos Szardak bewies einmal mehr, daß er über all den Rätselspielen sein praktisches Denken nicht verlernt hatte. »Unterwegs nach Terra, oder wahrscheinlich schon dort. Die SANTANDER ist als Geleitschutz mitgeflogen.« J.J. Pierce hatte nach langer Zeit wieder einmal das Wort ergriffen. »Da wird man sich bei der TF aber freuen.« Ren Dhark hatte seine Nachdenklichkeit abgeschüttelt. »Vielleicht ist es an der Zeit, daß wir uns nicht nur über To-Funk von den Toten zurückmelden sollten, sondern mit der POINT OF schleunigst nach Hause fliegen!« 213
11. Der Mediziner machte sich eine kurze Notiz. »Reaktionstest positiv, Oshuta. Die Verbindung zwischen ihrem Normalnervensystem und unseren künstlichen Neuroleitern funktioniert einwandfrei. So, kommen Sie jetzt bitte zum Organtest!« Der Japaner glitt aus dem Meßstuhl und achtete sorgfältig darauf, daß kein Hautkontakt abriß. Er brauchte sich kaum zu bücken, als er durch das Schott des Drucktanks kletterte, das sich hinter ihm schloß. Die Stimme des Mediziners wurde durch den Lautsprecher leicht verzerrt. »Oshuta, schließen Sie die Hautkontakte an den vorgezeichneten Stellen der großen Schalttafel an. Stellen Sie sich in die Mitte des Raums und lassen Sie den Gehirnstromauswerter über Ihren Kopf gleiten.« Der Japaner stöpselte die losen Drähte ein und trat zu der Metallstange, die mitten durch den Zylinder lief. Er schob die Größenmarkierung auf 1,69 Meter und drückte einen Knopf. Leise summend senkte sich der Gehirnstromauswerter über seinen Kopf. »Fertig?« fragte die Lautsprecherstimme. »Fertig.« »Achtung«, befahl der Mediziner, »umschalten auf geschlossenen Sauerstoffkreislauf in Lunge zwei. Zylinderluft wird mit Kohlen-monoxyd angereichert!« An den glatten Wänden begannen Düsen zu sprühen. Der Japaner schickte den Gedankenbefehl durch die künstlichen Nervenbahnen, empfing das Symbol für »ausgeführt« und spürte gleichzeitig den widerlichen Gasgeschmack auf der Zunge. Er stellte die Normalatmung ein. Lati Oshuta mußte jedesmal seine gesamte Energie zusammenraffen, um die verzweifelten Impulse des Gehirns zu unterdrücken. Es 214 sendete Alarmsymbole, obwohl der geschlossene Atmungskreislauf, der aus einem winzigen Sauerstoffwandler gespeist wurde, einwandfrei arbeitete. Der Japaner krümmte sich unmerklich zusammen. Vor seinen Augen kreisten rote Schleier. Plötzlich verschwand das würgende Erstickungsgefühl. Das Gehirn hatte die Tatsachen akzeptiert. »Wieder in Ordnung?« fragte die Lautsprecherstimme. Oshuta drückte sich das Kehlkopfmikrofon gegen den Hals. Er hatte lange gebraucht, bis er den Trick heraus hatte, die in der Lunge befindliche Luft für kurze Wortstöße an den Stimmbändern vorbeizujagen und sie wieder einzuatmen. »In - Ord - nung« signalisierte er. »Okay«, meinte der Mediziner. »Gleich zum nächsten Test, Oshuta. Schalten Sie Ihren Kreislauf auf die künstliche Pumpe, aktivieren Sie die Drosselventile zur Notversorgung des Herzmuskels und übergeben Sie an den automatischen Schrittmacher.« Als die künstliche Pumpe die biologische ersetzte, verlor Oshuta das letzte Quentchen Angst, das noch irgendwo in seinem Unterbewußtsein gelauert hatte. Er war sich plötzlich seiner selbst überaus deutlich bewußt, spürte die Kraftströme, die durch seinen Körper rannen, und fühlte den Hauch abgeklärter Weisheit, die nur vollkommene Ausgeglichenheit bringen kann. »Neuronenverstärker ein!« sagte die Stimme. »Fertigmachen zum Kontakt mit elektronischem Speichersektor!« Das Gehirn reagierte immer besser. Als sich die Nervenreflexe beschleunigten und gleichzeitig ungemein verfeinerten, trat für das Gehirn ein merkwürdiger Effekt auf: Der
Zeitablauf verlangsamte sich! »Was macht Ihr Burschen denn für Experimente«, fragte Oshuta. Aus dem Lautsprecher klang dumpf eine unverständliche Stimme, die Oshuta unwillkürlich an ein zu langsam laufendes Tonband erinnerte. Dann wurde ihm klar, daß er damit gar nicht so falsch lag. Er sprach für die Außenstehenden zu schnell - und sie redeten zu langsam. Der Japaner justierte sein Sprechzentrum. »Langsamer sprechen!« klirrte der Lautsprecher, »langsamer, Oshuta. Hören Sie mich?« 215
Der Japaner grinste breit, bekam dabei Kohlenmonoxyd in den Mund und hustete trocken. »Das kommt davon«, sagte der Mediziner, »fertigmachen zum Belastungstest!« Lati Oshuta kletterte auf ein Gerät, das entfernte Ähnlichkeit mit einem antiquierten Fahrrad hatte. Er beugte sich leicht vor und trat in die Pedale. Erinnerungen stiegen in ihm auf. Er sah sich als Zwölfjährigen durch die Straßen Tokios flitzen. Fahrräder waren gerade wieder groß in Mode gekommen, sehr zum Ärger der Behörden, die auf ihren sensorisch abgesicherten Straßen am liebsten nur noch an das Leitsystem angeschlossene Fahrzeuge gesehen hätten. »He, Oshuta, nehmen Sie eine größere Übersetzung. Sie jagen uns ja die Meßinstrumente hoch«, gellte die Lautsprecherstimme. Der Japaner erinnerte sich an eine Wette, die er zwei Jahre zuvor mit Moru Abashi abgeschlossen hatte. Abashi hatte zu seinem achtzehnten Geburtstag einen Sport-Turbo bekommen und damit entsprechend geprotzt. Als Oshuta behauptete, mit seinem Fahrrad schneller durch Tokio zu kommen als er, hatte Abashi nur geringschätzig gelacht. Das Lachen war ihm am Ziel vergangen. Oshuta hatte bereits auf den Stufen vor dem kleinen Tempel gesessen und sich einen gebratenen Fisch schmecken lassen. Allerdings hatte er nur gewonnen, weil er die letzten Kilometer in halsbrecherischer Fahrt auf der schmalen Außenkante der sensorischen Hochstraße zurückgelegt hatte. Oshuta lächelte wieder, achtete aber darauf, die Lippen geschlossen zu halten. »Aufhören!« schnappte die Lautsprecherstimme. »Stop, Oshuta. Verdammt - wieder zu spät. Ich weiß wirklich nicht mehr, was wir noch für Übersetzungen einbauen sollen. Sie werden ja doch spielend damit fertig. Abschließender Kraft- und Reaktionstest!« Der Japaner trat vor zwei Griffe, die aus einer senkrecht stehenden Stahlwand ragten. Mit spielerischen Bewegungen faßte er zu und drückte die Griffe zusammen. Noch ehe das StopKommando kam, knirschte es. »Wieder ein Testgerät zum Teufel«, sagte der Mediziner mit resignierendem Unterton, »nur gut, daß Sie beim Reaktionstest keinen weiteren Schaden anrichten können!« 216 Lati Oshuta ging rückwärts, bis seine Schultern das kalte Metall der Zylinderwandung berührten. Der Japaner öffnete die Pistolentasche, lockerte den Griff seiner Waffe und lehnte sich danach entspannt gegen die Wand. Auf der gegenüberliegenden Zylinderfläche erschien plötzlich ein Lichtfleck. Fast im gleichen Augenblick wurde er von einem noch helleren Lichtimpuls überlagert. Oshuta stand noch immer waffenlos da. Erst die Auswertung der Filmaufzeichnungen würde ergeben, daß der Japaner in einer einzigen fließenden Bewegung den Kontaktstrahler herausgerissen, ausgelöst und wieder in die Tasche zurückgesteckt hatte. Seine Treffgenauigkeit betrug hundert Prozent. Weitere Lichtpunkte zeichneten ein verwirrendes Muster. Sie verschwanden jedesmal so schnell, wie sie gekommen waren. Plötzlich übertrug der Lautsprecher das Aufheulen von Alarmpfeifen. Wenig später sagte der Mediziner: »Test wird abgebrochen. Auf der Oberfläche ist etwas passiert. Sie sollen sofort zum Chef kommen!« Pumpen saugten das Gas ab. Lati Oshuta löste die Kontrolleitun-gen und kletterte durch das ovale Schott. Ein Finger tippte gegen sein Rückgrat. Der Japaner drehte sich um und blickte den Mediziner an. Der feixte: »Haben Sie nichts vergessen?« Oshuta hob mit unbestimmter Gebärde die Schultern.
»Mann«, sagte der Mediziner, »hier gibt es wunderschöne Atemluft. Sie können endlich wieder auf ihr Normalsystem umschalten!« Der Schirm bildete eine einzige, rötlich schimmernde Wand. Über der Brandstelle zuckten meterlange Blitze. Peitschende Donnerschläge ließen die Trommelfelle schmerzhaft vibrieren. »Zu Hause in den ladinischen Alpen haben wir hübschere Oster-feuer«, meinte Bram Sass mit unbewegtem Gesicht. Holger Alsop warf einen schnellen Blick auf den mittelgroßen Mann und fragte sich, ob der ehemalige Bauer überhaupt zu einer Gemütsbewegung fähig war. Er wußte, daß sich der Hormonspiegel im Blut dieses Allround-Cyborgs auch in gefährlichen Situationen nicht änderte. 217
Neben Sass stand Lati Oshuta. Er hatte die Arme in die Seiten gestemmt und beobachtete die Flammenhölle mit undefinierbarem Gesichtausdruck. »Wenn ich ein Pokerspieler wäre, würde ich nur ungern gegen die beiden antreten«, sagte eine ruhige Stimme neben Holger Alsop. Lächelnd legte Echri Ezbal dem schlanken Mann die Hand auf die Schulter. »Jetzt kommt die erste Bewährungsprobe. Ist es nicht fast symbolisch, daß die Galaktische Feuerwehr bei ihrem ersten Einsatz einen echten Brand bekämpfen muß?« Holger Alsop nickte. Er überdachte die Vorgehensweisen, die am erfolgversprechendsten schien. »Lagebesprechung«, rief Chris Shanton. Im flackernden Licht glänzten winzige Schweißtropfen auf seiner Stirn. Die drei Cyborgs, Echri Ezbal und Shanton standen hundert Schritte von der Flammenhölle entfernt. Bert Stranger war auf einen Lastschlitten geklettert und hielt die Szene mit seiner Mark V fest. »Sie wissen, um was es geht«, sagte Chris Shanton. »Wir haben inzwischen einen Plan ausgearbeitet. Doch zuerst möchte ich Ihre Meinung hören!« Lati Oshuta und Bram Sass warfen Holger Alsop auffordernde Blicke zu. Der schlanke Cyborg strich sich nachdenklich durch das graue Haar. »Es gibt praktisch nur eine Möglichkeit: Wir müssen uns in Asbalitanzügen von unten an den Bunker heranarbeiten, die Bunkerwand durchstemmen und die Hyperdiamanten herausholen. Die Asbalitanzüge müssen mit zusätzlichen Kühlaggregaten ausgerüstet sein, damit sich Ihre Oberfläche nicht auf 300 Grad erhitzt. Sonst besteht die Gefahr, daß die Diamanten-Radiation das Asbalit reagieren läßt!« Chris Shanton rieb sich die Hände. »Ausgezeichnet, meine Herren. Wir sind zu genau demselben Ergebnis gekommen.« Die Männer wollen sich gerade abwenden, da hielt sie ein Ruf des Reporters auf. »Ich will mich ja nicht in Ihre Angelegenheiten mischen«, sagte Bert Stranger und kletterte von dem Lastschlitten, »aber ich schlage doch vor, die Sache ein wenig zu beschleunigen. So gern ich Sensa 218 tionen filme, so ungern sehe ich Projekte vor die Hunde gehen, aus denen sich journalistisch durchaus mehr machen ließe!« Holger Alsop warf einen Blick zum Schirmfeld empor. Während über der Brandstelle immer häufiger Blitze zuckten, färbte sich das gesamte Feld langsam blutrot. Auch der Brandherd selbst dehnte sich aus. Erhitzte Luftmassen fauchten an der Brandstelle empor, prallten gegen der Schirm und verteilten sich über der Cyborg-Station. Hilfskommandos installierten transportable Kältemaschinen. Über dem Brandherd trafen die Luftmassen zusammen. Es sah aus, als würde Wasser über glühenden Stahl gegossen. Die Flammen spritzten nach allen Seiten weg, waberten und leckten wie gierige Zungen nach den naheliegenden Gebäuden. Kurzzeitig gelang es, den heißen Sog zu unterbrechen. Doch immer wieder bildeten sich neue Hitzestrudel. Der Reporter richtete die Kamera auf die Rücken der drei weggehenden Cyborgs, drückte auf den Auslöser und sprach gleichzeitig in das seitlich eingebaute Mikrofon. »Es ist unglaublich, aber diese drei Männer sollen das schaffen, was eigentlich unmöglich erscheint: die Rettung
der Cyborg-Station, ihrer eigenen symbolischen Geburtsstätte!« Staub pulverte aus der massiven Granitwand. Er ließ die Augen tränen, legte sich juckend auf das Gesicht und kratzte in der Kehle. Ein Gebläse heulte schrill; neue Staubfontänen schössen aus dem mannshohen Schacht, der schräg in den Fels führte. Das Licht wurde ständig schwächer. Die Schwingungen der Photonenverstärker brachen sich an Myriaden schwebender Kristallsplitter. »Gibt es denn in diesem Laden keine verdammten altmodischen Scheinwerfer?« brüllte Chris Shanton und wischte sich über die Stirn. Seine Finger hinterließen breite, graue Schmierspuren. Er hustete trocken. Die Staubpartikel vor seinem Gesicht tanzten schneller. Das Metall des Vibrobohrers glänzte makellos. Hinter den fünf Verstärkertellern pulsierte violett der Schwinghammer. Auf dem 219 freitragend aufgehängten Steuersitz hockte ein dick vermummter Techniker. Er glich verblüffend einer dicken Spinne im Zentrum ihres Netzes. Chris Shanton trat seitlich an den Vibrobohrer. Er achtete sorgsam darauf, nicht das Metall zu berühren. Die hochfrequenten Schwingungen, die als Rückschlag durchkamen, lösten normale Zellver-bände im Bruchteil einer Sekunde auf. Shanton griff nach den lose herabhängenden Steckbuchsen seiner Kopfhörer und stöpselte sie in eine Aufhängung des Spinnennetzes. Feine Vibrationen drückten unangenehm auf die Trommelfelle. »Halten Sie noch aus, Joe?« fragte der Ingenieur und versuchte, hinter den dicken, in die Filzmaske eingelassen Kunststoffscheiben eine Bewegung zu erkennen. Die Stimme des Technikers klang verzerrt. »Solange mir die Zähne nicht rausfallen... Wie tief sind wir denn?« »Wir müssen noch zehn Meter abwärts. Dann geht es zwei Meter waagrecht und danach vier Meter im Winkel von fünfundvierzig Grad nach oben. Wenn wir uns nicht verrechnet haben, stehen wir dann genau unter dem Betonbunker mit den Hyperdiamanten!« Der Techniker tippte auf einen Hebel. Die Selbstfahrlafette des Bohrers schwenkte um drei Grad herum, während sich die Achse mit den Verstärkertellern senkte. »Nur noch die paar Meter!« sagte er und versuchte zu lachen. Die trotz aller Absicherungen durchschlagenden Vibrationen verwandelten die Laute in ein heiseres Bellen. »Und ich hatte mich schon so auf Paris gefreut!« »Auf Paris?« »Natürlich, Chef. Ich dachte, wir bohren uns klamm und heimlich unter der Erde direkt in die Arme einer Carmen!« Er schnalzte genießerisch mit der Zunge. Die Vibrationen zerhackten den Laut zu einem leisen Prasseln. »Germaine meinst du, Trottel«, brummte Shanton. »Bohre ich mich nach Paris oder Sie?« krächzte der Techniker und ließ die Lafette vorrücken. Shanton brachte sich mit einem gewaltigen Satz in Sicherheit. Drei Techniker kämpften sich durch den Staub nach vorne. 220
»Der Generator läuft, Chef«, berichtete ein bulliger Singalese. »Wir haben im Lager zwanzig Tausend-Watt-Lampen mit den entsprechenden Reflektoren gefunden. Sollen wir sie einbauen?« »Erst in der Staubzone«, erklärte der Ingenieur. »Besorgt euch Schutzmasken und rückt zusammen mit dem Bohrer vor. Paßt in der heißen Zone auf, daß die Birnen nicht zu nahe am Bunker installiert werden, sonst jagt die Radiation der Hyperdiamanten sie hoch!« Shanton ging ein paar Meter zurück. Dort reichte die Kraft der Exhaustoren aus, um die Luft einigermaßen klar zu halten. Der Ingenieur lehnte sich gegen die glattgeschliffene Felswand und klopfte sich den Staub aus dem Bart. »Warum verwenden Sie eigentlich keine Ionengitter, um den Staub zu binden?« fragte neben ihm eine quengelige Stimme. Chris Shanton öffnete das rechte Auge, sagte: »Verschwinden Sie«, und machte das Auge wieder zu. »Das Recht auf Information steht den Vertretern der Presseorgane in jedem Fall zu«, erklärte
Bert Stranger und nestelte an der altmodischen Aktentasche, die er unter dem Arm trug. Shanton gähnte. »Schalten Sie Ihre blödsinnige Kamera wieder aus«, riet er in freundschaftlichem Ton, »erstens können Sie da vorn doch nicht filmen, weil Ihnen der Staub die Aufnahmen versaut, und zweitens schlage ich Ihnen gleich die Aktentasche um die Ohren, in der Sie garantiert eine Kamera versteckt haben!« »Ich bin heute guter Laune«, sagte der Reporter, »darum dürfen Sie auch in die Tasche sehen!« Er öffnete den diamagnetischen Verschluß, holte ein in Plastikfolie verpacktes Paket heraus und öffnete es. Chris Shanton lief das Wasser im Mund zusammen, als er die Brote sah. »Los, greifen Sie zu, Shanton«, meinte Bert Stranger. »Sie toben jetzt seit acht Stunden in diesem Loch herum, ohne etwas gegessen zu haben. Irgend jemand muß sich ja schließlich um Sie kümmern!« Der bullige Ingenieur warf dem Reporter einen eigenartigen Blick zu. Über dessen rundes Gesicht liefen Ströme von Schweiß. Shanton erkannte die grauen Linien, die Erschöpfung verrieten. »Und wie lange sind Sie auf den Beinen?« fragte er bewußt grob. Der Reporter kauerte sich neben dem Ingenieur nieder und stützte 221 das Kinn in die Handflächen. »Das ist nicht der richtige Ort und der richtige Zeitpunkt, um Sie über den Wert von Pressearbeit aufzuklären«, sagte er, »aber eins sollten Sie inzwischen erkannt haben: Informationen fliegen uns nicht wie gebratene Tauben ins Maul, sie müssen sorgfältig recherchiert werden.« Er bot dem Ingenieur immer noch das Sandwichpaket an. Chris Shanton langte zu. »Ihnen mag meine Arbeit lästig sein«, nuschelte der Reporter mit vollem Mund, »aber vergessen Sie nicht, daß die Leute, die schließlich mit ihren Steuergeldern den ganzen Spaß hier bezahlen, auch ein Anrecht auf Information haben!« Er nahm ein neues Sandwich aus dem Paket, begutachtete es kritisch und biß hungrig hinein. »Können Sie mit trockenen technischen Berichten, kann Ren Dhark mit papierenen Regierungserklärungen, kann der Chef dieser Station ohne entsprechende Publicity die Leute begeistern? Von wegen! Wir sind es, Mister, die euch populär machen, wir kochen die großen Ideen auf Dauerfeuer weiter, und wir sorgen dafür, daß die Mittel lockergemacht werden. Überlegen Sie sich das einmal!« »Sie überschätzen sich, Stranger. Ihre Ansprache klingt mir zu pathetisch!« Der Reporter zuckte die Schultern. »Zugegeben, Shanton. Manchmal schlagen wir mit dem Vorschlaghammer zu, wo ein sanftes Streicheln denselben Effekt gehabt hätte. Aber überlegen Sie einmal ehrlich, wie es heute ohne freie Presse, Rundfunk und Fernsehen auf der Erde aussehen würde. Wir stellen das Bindeglied zwischen Regierung und Öffentlichkeit dar, wir kämpfen gegen die bürokratische Versteppung, und wir erfüllen schließlich eine wichtige Aufgabe, die bereits vor vielen hundert Jahren mit der Frage vorgezeichnet wurde: Und wer bewacht die Wächter? Auch ein Ren Dhark kann bei aller Qualifikation einmal irren, genauso wie sein Stellvertreter Henner Trawisheim. Wir haben keine Hemmungen, ihnen diese Irrtümer öffentlich vorzuhalten!« Chris Shanton grunzte und sah bedauernd auf die leere Plastikfolie. »Wenn mir mal jemand prophezeit hätte, ich würde mit einem verrückten Reporter in einem Tunnel sitzen und politische Fragen erörtern...« 222
Holger Alsop ließ das Visier aus Panzerasbalit einrasten. Obwohl der schmale Streifen aus hochwertigem Glimmer absolut sauber geschliffen war, gab es optische Verzerrungen. Lati Oshuta befestigte gerade die Stecker seiner Sprechleitungen am Helm von Bram Sass. »Kontrolle«, sagte er, »Holger, Verbindung klar?« Der hagere Mann in dem unförmigen Asbalitpanzer bestätigte. »Bram, hören Sie mich?« Der Allround-Spezialist aus den ladinischen Alpen summte leise vor sich hin. Er unterbrach sich und meinte mit eigenartigem Akzent: »Verstehe, Lati. Warum haben diese engen Salamanderhäute eigentlich keine eingebauten Funkgeräte?« Holger Alsop lachte leise. »Die Panzer sind für normale Notfälle in Außencamps konstruiert. Da genügen entweder Handzeichen oder Kabelverbindungen. Selbst ein Vipho ist noch
störanfällig, und das kann im Katastrophenfall lebensgefährlich werden. Da verläßt man sich lieber auf die gute alte Methode.« »Und baut noch nicht einmal Sauerstofftanks ein«, ergänzte Lati Oshuta. »Darum stecken wir jetzt in den Dingern und schmoren im eigenen Saft, noch ehe wir das Höllentor aufgestoßen haben!« »Wie weit sind Sie da unten? Der Brandherd auf der Oberfläche greift weiter um sich!« Chris Shantons Stimme klang ungeduldig. Holger Alsop sah sich prüfend um. Der Staub im schräg aufwärts verlaufenden Gang hatte sich gelegt. Die schmalen schwarzen Streifen, die in unregelmäßigen Mustern die glattgeschliffene Wand durchzogen, gefielen dem Cyborg gar nicht. Nur zu leicht konnten die festen Felswände auf den öligen Zwischenschichten verrutschen. Unterhalb ihres Standpunkts arbeiteten mehrere Techniker. Sie installierten gerade das zweite Schott einer einfachen Versenkschleuse. Notfalls konnten sich die drei Männer durch den Gang zurückfallen lassen und die Schleuse im Notschluß hinter sich verriegeln. Vor ihnen schloß eine Betonwand den Gang ab. Holger Alsop legte die Hand gegen den Beton. Er glaubte für einen Augenblick, die Hitze durch die Mauern hindurch zu spüren, und zog die Hand schnell zurück. Oshuta neigte den gepanzerten Kopf. Hinter der Glimmerleiste funkelten die Augen des drahtigen Japaners. »Nervös, Holger? Sie glauben doch wohl nicht ernsthaft, durch die 223 meterdicke Betonwand und die Asbalithandschuhe die Temperatur fühlen zu können?« Alsop zuckte die Schultern und sah mit ausdruckslosem Gesicht den Männern entgegen, die mühsam den Gang hochkrochen und einen dicken Schlauch hinter sich herzogen. Chris Shanton meldete sich erneut. »Alsop, ist das Schlauchkommando schon da?« Der Cyborg bestätigte. »Passen Sie auf«, erklärte Shanton. »Sobald Sie die Bunkerwand durchstoßen haben, muß unbedingt einer von Ihnen den Schlauch nachziehen und in die Bunkerkammer bringen. Wir pumpen dann flüssigen Stickstoff in die Kammer. Der verhindert, daß Ihre feschen Uniformen so stark erhitzt werden, daß sie plötzlich unter dem Strahlungseinfluß reagieren. Alles klar?« Die drei Cyborgs bestätigten. »Okay«, sagte Chris Shanton. Nur wer ihn sehr genau kannte, hätte gemerkt, daß seine Stimme zitterte. »Ich drücke euch die Daumen, Jungs. Sobald sich die Techniker zurückgezogen haben, könnt ihr anfangen!« Die Schlauchmannschaft verankerte das breite Strahlrohr hinter einem Felsvorsprung. Die Männer klopften Alsop, Oshuta und Sass aufmunternd auf die unförmigen Anzüge und rutschten den Gang wieder hinunter. Sie verschwanden hinter der Schleuse, die den Gang hermetisch absperrte. Holger Alsop sah auf die rauhe Betonwand und kämpfte die Angstgefühle nieder, die auf einmal seinen Magen zusammenpreßten. »Die Vibrationsfolie«, sagte er zu Bram Sass. Der Ladiner hob vorsichtig ein merkwürdiges Gebilde hoch, das mit einem Rechteckraster überzogen war. Die einzelnen Quadrate enthielten hochwertige Sender, die ihre gesamte Energie im Bruchteil einer Sekunde auf eine bestimmte Stelle abstrahlen konnten. Oshuta hatte inzwischen hoch oben an der Betonwand zwei Haken eingeschossen. Die Folie wurde eingehängt. Alsop kontrollierte noch einmal den genauen Sitz. Dann spulte er einen dünnen Faden ab und verband ihn mit einer Batterie an seinem Gürtel. Im Gang knackten Gesteinsmassen. Sekundenlang stand ein wi 224
derlicher Ton in der Luft. Es klang, als würden tausend Diamanten über rissige Glasscheiben schaben. »Was ist bei euch los?« fragte Chris Shanton, »die Seismographen schlagen aus.« Der ehemals glatte Gang hatte sich verformt. Einzelne Gesteinsschichten hatten sich gegeneinander verschoben und ragten jetzt in den Tunnel. Irgendwo tropfte Wasser. »Alles in Ordnung«, meldete Holger Alsop, »es gab kleinere Verschiebungen, nichts Gefährliches. Wir brechen jetzt durch!«
Aus der Stimme des Ingenieurs war deutlich Besorgnis zu hören. »Blast das Unternehmen ab, wenn es zu gefährlich wird. Wir können notfalls die gesamte Cyborg-Station aufgeben und irgendwo anders neu anfangen. Euer Leben ist wichtiger als die Station!« »Keine Diskussionen mehr, Shanton. Wir fräsen jetzt durch!« Er schaltete den Lautsprecher ab und trat einige Schritte zurück. Oshuta und Sass kauerten neben ihm. Alsop sah sich noch einmal um. Das vordere Schleusenschott war inzwischen wieder geöffnet worden. Dahinter sah er deutlich die Kontroll-Leuchte der Schnell schlußautomatik blinken. Holger Alsop zog die Batterie aus dem Gürtel und zeigte sie den Gefährten. Beide nickten. Der Mathematiker hielt die Batterie vor den Sichtstreifen aus Glimmer und suchte nach dem Kontakt. Es war schwierig, den kleinen Stift mit den ungelenken Handschuhen einzudrücken. Dann zündete die Folie. Die Betonwand wurde unscharf. Sie veränderte ihre Farbe, wechselte von Schmutziggrau über Blau, Violett und Dunkelgrau zu Schwarz. Übergangslos schlug die Faust eines Giganten zu. Die Wand wölbte sich nach außen und explodierte. Kiloschwere Gesteinsbrok-ken pfiffen den drei Männern um die Ohren. Wie durch ein Wunder blieben sie unverletzt. Weder Alsop, noch Oshuta oder Sass reagierten auf die Explosion. Die drei Männer starrten gebannt in den Tresorraum, in dem sich die Hölle manifestiert hatte. Der Kasten mit den Hyperdiamanten strahlte in greller Weißglut. 225 Über den Diamanten wölbte sich ein blaßblaues Feld, das langsam pulsierte. Feuersäulen schössen senkrecht nach oben. Sie rissen in Sekundenbruchteilen die Atemluft aus dem hermetisch abgesperrten Gang. Holger Alsop hatte das Gefühl, als ob ein Riese ihm einen Schlag in den Magen versetzt hätte. Sein zweites System reagierte. Es blok-kierte den Atemreflex und schaltete auf den zweiten Kreislauf um. Lati Oshuta krümmte sich. Sein Körper zuckte. Bram Sass wollte hinüberlaufen, doch Alsop winkte ab. Er wußte von den Umstellungsschwierigkeiten des Japaners. Im Gang prasselten Steine und Geröll auf die Schultern der drei Männer. Vor der Schleuse polterte ein großer Felsblock von der Decke. Holger Alsop inspizierte die Lage im Tresorraum. Der Tresor war ein Kubus von fünf Metern Kantenlänge. Die Decke war längst weggeschmolzen. Angeregt von der Diamantenstrahlung waberten weißglühende Gasmassen empor. Der Schacht war in halber Höhe seitlich auf die Kellerwand gestoßen. Dicht vor Alsops Füßen schwappte flüssige Glut, die halbhoch im Tresorraum stand. Auf diesem Glutsee schwamm der durch sein Strahlungsfeld geschützte Behälter mit den Hyperdiamanten. Der Anzug aus Panzerasbest hielt die Hitzestrahlung ab. Trotzdem glaubte Alsop, die Hitzeschauer körperlich zu fühlen. Er blickte unwillkürlich auf das Brustteil des Anzugs und zuckte zusammen. Das Material begann zu glühen! »Oshuta, Stickstoff, schnell!« Seine Stimme überschlug sich. Er wußte, was geschehen war. Der Panzerasbest hatte sich an der Oberfläche auf mehr als dreihundert Grad erhitzt. Damit wurde der Strahlungseinfluß wirksam. Obwohl theoretisch unbrennbar, begann das Material zu brennen. Der Japaner zog den mehrfach gesicherten Schlauch heran. Bram Sass stemmte die sperrige Nachführrolle hoch und folgte ihm. Oshuta richtete das spitz zulaufende Mundstück auf Holger Alsop und drückte die Ventilraste. Ein Schneeschauer jagte aus der Düse, schmolz noch an der über 226 hitzten Luft und legte sich als feuchter Film über den Cyborg. Der verdampfende Stickstoff mischte sich mit den Verbrennungsgasen und zog als nebeiförmiges Gebilde durch den Raum.
Holger Alsop wog seine Chancen ab. Um den Kasten mit den Diamanten zu erreichen, mußte er durch den See aus feuriger Schlacke waten. Er wußte nicht, wie tief dieser Flammensee war, und er wußte auch nicht, ob sein Schutzanzug die unmittelbare Berührung mit der Diamantenradiation überstehen würde. Doch es gab keinen anderen Weg. Alsop lehnte sich zurück, ließ noch einmal eine Dusche aus Stickstoff über seinen Anzug rieseln und glitt in die Schmelzmasse. Er hatte das Gefühl, durch einen zähen Sumpf zu waten. Lati Oshuta hockte in der künstlich geschaffenen Öffnung und preßte den starren Schlauch gegen die Hüfte. Der flüssige Stickstoff rieselte über die Teile des Panzers, die aus der glühenden Masse ragten. Flüchtig wunderte sich Alsop, daß der Glutsee unter dem Einfluß des auf minus 200 Grad Celsius herunterkühlten Stickstoffs nicht erstarrte. Die Hyperdiamanten mußten ungeheure Energiemengen freisetzen! Alsop taumelte und glitt aus. Oshuta und Sass hörten den gellenden Schrei, mit dem der hagere Mann unterging. Sie riefen sofort zurück, erhielten aber keine Antwort. Stumm deutete Bram Sass auf das Sprechkabel, das sie mit Alsop verbunden hatte. Die Isolierung des Kabels brannte wie Zunder. Es ragte an der Stelle aus dem Glutsee, an der gerade Holger Alsop verschwunden war. Bram Sass drückte Lati Oshuta zur Seite. Er setzte sich auf den Rand der ausgefrästen Bunkermauer und ließ vorsichtig die Füße in die Glut gleiten. in diesem Augenblick teilten sich die glühenden Fluten. Der gepanzerte Kopf Alsops tauchte auf. Der Cyborg schwankte, gewann mit ausgestreckten Armen sein Gleichgewicht wieder und torkelte mit roboterhaften Bewegungen auf den strahlenden Kasten zu. Er erreichte das blaue Feld. Oshuta hob die Mündung des Strahlrohres und ließ weiter flüssigen Stickstoff über Holger Alsop rie-seln. Seine Finger krallten sich in das widerstandsfähige Material 227 des Plastikschlauchs. Er zitterte bei dem Gedanken, daß der Druck nachlassen könnte. Holger Alsop griff nach dem Kästchen. Das blaue Feld leistete Widerstand. Es verzog sich wie die Hülle eines Luftballons, glitt ihm aus den Händen und schwamm mitsamt dem Kästchen zur gegenüberliegenden Wand. Alsop watete hinterher. Die weißglühenden Gesteinsmassen stauten sich vor seiner Brust. Er spürte, daß das Normalherz den Belastungen nicht mehr gewachsen war. Ein kurzer Gedankenimpuls schaltete seine zweite, künstliche Pumpe ein. »Zeit: eine Minute dreiundvierzig Sekunden, plus-minus zehn Prozent«, sagte das Programmgehirn. Holger Alsop fühlte die Impulse, als ob sein eigenes Gehirn ihm die Auskünfte signalisierte. Der Cybernetic-Organism arbeitete reibungslos. »Zeit: eine Minute elf Sekunden, plus-minus zehn Prozent.« Alsop erreichte die kleine, strahlende Kuppel und griff erneut zu. Wieder wollte die glatte Oberfläche unter seinen zupackenden Händen weggleiten. Das Programmgehirn empfing die Strukturformel aus den unbewußten Impulsen des schneller schaltenden zweiten Systems. Es transformierte die Formel nach rein logischen Gesichtspunkten. Ein scharfer Gedankenimpuls veränderte das sensorische Feld des Cybernetic-Organism, das selbst durch die schützende Asbalitklei-dung strahlte. Kurzzeitig verschoben sich die Feldlinien. Holger Alsop griff mühelos durch das blaue Feld und faßte nach dem Kästchen. Er hob es hoch, drückte es gegen den Anzug aus Panzerasbalit und machte sich auf den Rückweg. Lati Oshuta reichte ihm die Hand und half ihm über die Barriere. Mit der anderen Hand umklammerte er immer noch die Düse, die weiter eisigen Stickstoff in die Kammer schleuderte. Das Gestein kühlte außerordentlich schnell ab. Die Flammen fielen in sich zusammen, sobald der Katalysator verschwunden war. Im Felsmassiv begann es bedrohlich zu knacken. Knirschend rieben Gesteinsschichten aneinander. Sand rieselte aus einer Deckenspalte.
Holger Alsop deutete auf den Ausstiegschacht. Die beiden Gefährten nickten.
228
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Im gleichen Augenblick, als sich Bram Sass nach unten gleiten lassen wollte, geschah es. Ein
schwerer Felskeil löste sich aus seiner Verankerung. Die Gangdecke rutschte nach und drohte
abzustürzen.
Sass handelte mit traumwandlerischer Sicherheit. Er stemmte die Füße fest in den Boden,
wölbte die breiten Schultern nach vorn und schob sie unter den Keil.
Der Körper des Ladiners spannte sich an. Sensorische Impulse versteiften gleichzeitig die
Kunststoffasern innerhalb des normalen Muskelgewebes und vervielfältigten dessen Kraft.
Die Felswand knackte. Aber sie hielt. Alsop und Oshuta zwängten sich an Bram Sass vorbei
und rutschten die schiefe Ebene hinunter. Sie prallten vor dem vorderen Schleusenschott auf,
stürzten in die Kammer und drängten sich an die Rückwand. Alsop nickte Oshuta zu und
legte die Hand auf die Kontakte der Schnellschlußautomatik.
Oshuta blickte den Gang empor und kreuzte die Daumen.
»Springen, Sass!«
Der Ladiner ließ blitzartig seinen Oberkörper zusammensinken und warf sich mit derselben
Bewegung nach vorne.
Der Keil wurde von den tonnenschweren Gesteinsmassen herausgeschleudert und krachte
schwer auf den Boden. Oshuta fing den wie ein Geschoß den Gang herunterfegenden Sass
auf, drehte sich und prallte mit ihm zusammen gegen das zweite Schott. Alsop preßte die
Kontakte. Ehe das Schott nach oben schnellte, konnte er noch einen Blick in den Gang
werfen. Auf der gesamten Deckenbreite löste sich eine Gesteinsschicht und prasselte
herunter.
Das innere Schott öffnete sich.
Die drei Männer taumelten aus der Schleuse und wurden von einer Kette von Explosionen
empfangen.
Das Licht wurde schlagartig dunkler.
»Vorsicht, ihr jagt uns mit den verdammten Diamanten sämtliche Lampen hoch!« grollte
Chris Shanton.
Er rannte den Cyborgs entgegen, nahm Alsop das Kästchen mit den Diamanten ab und schob
es in einen abgeschirmten Behälter.
Einige Augenblicke blieb es völlig still in dem halbdunklen Gang, dann entlud sich die
aufgestaute Spannung.
Die Techniker begannen zu jubeln
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Auch Shanton stimmte jetzt in das Geschrei ein. Die Cyborgs blickten sich an.
»Vielleicht kann uns mal jemand aus den Asbalitpanzern helfen«, forderte Holger Alsop.
Doch seine Stimme ging im Lärm unter.
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12. Jos Aachten van Haag war ausgesprochen schlechter Stimmung. Es gab Leute, die hätten steif und fest behauptet, dies sei bei ihm der Normalzustand, doch Jos hätte dies vehement bestritten. Er hielt sich für einen freundlichen, verträglichen Menschen, mit dem ausgesprochen gut auszukommen war, wenn man nicht versuchte, ihn aufs Kreuz zu legen. Doch seinen Jett zu manipulieren, daß er seitlich von der impulsgesteuerten Hochstraße ausbrach, während gleichzeitig das Triebwerk zu stottern anfing, gehörte seiner Meinung nach eindeutig in die Kategorie >aufs Kreuz legen<. Er hatte mit Mühe und Not eine Bruchlandung gebaut und hockte jetzt etliche Kilometer von World-City entfernt in der Botanik, doch das war nur das kleinere Problem. Was viel schwerer wog: Dieser Anschlag konnte bedeuten, daß Captain Les Silvano vom World-City Police Department wußte, daß man ihm auf der Spur war - und daß Jos als Schnüffler erkannt worden war. Dabei hatte sich alles so gut angelassen.
Jos hatte sich einen halben Tag mit den Unterlagen vertraut gemacht, die Bernd Eylers ihm übergeben hatte, und dann mit seinen Nachforschungen begonnen. Ein paar kleine kosmetische Veränderungen, ein falscher Ausweis - und fertig war Josh Hayes, Reporter von Global News, einem kleinen, unbedeutenden TV-Network. Unter dem Vorwand, an einer Reportage über die Sicherheit der impulsgesteuerten JettStraßen zu arbeiten, hatte Josh Hayes< etliche Beamte des WCPD interviewt, unter anderem auch Captain Les Silvano. Silvano, ein bulliger Mann mit kurzgeschorenen schwarzen Haaren und dunklen Augen, hatte sich - genau wie alle seine Kollegen 232
äußerst kooperativ gezeigt. Dennoch hatte Jos während des ganzen Gesprächs das Gefühl gehabt, alle seine Nervenenden würden prik keln. So ähnlich muß sich ein Kaninchen fühlen, kurz bevor es von der Schlange verspeist wird, hatte er gedacht. Silvanos fast schwarze, seltsam glänzende Augen hatten ihn förmlich seziert, während der Polizist artig auf Jos' Fragen geantwortet hatte. Natürlich war bei all den Gesprächen nicht das Geringste herausgekommen. Daran hatte Jos auch keine Minute geglaubt. Er hatte an Silvano herankommen, ihn sich aus der Nähe ansehen wollen -doch schon während er mit dem Mann sprach, hatte Jos das unangenehme Gefühl beschlichen, daß er den Polizisten irgendwie mißtrauisch gemacht hatte. Er hatte nur nicht die geringste Vorstellung, wodurch. Während er neben seinem ziemlich mitgenommenen Jett hockte und darauf wartete, daß der angeforderte GSO-Jett ihn endlich abholen würde, ging Jos das ganze Gespräch noch einmal in Gedanken durch. Doch er fand keinen Anhaltspunkt. Er seufzte und dachte voller Bedauern daran, daß er das Angebot von Captain Maitland Captain Mirjam Maitland - ausgeschlagen hatte, mit ihr im Polizeiclub noch einen Drink zu nehmen. Silvano war einer seiner letzten Interviewpartner gewesen, danach waren nur noch ein blasser, hochaufgeschossener Rothaariger - Captain Krajic -, ein Streifenpolizist namens O'Brian und eben Captain Maitland gekommen. Silvano mußte verdammt schnell geschaltet haben - oder über ganz hervorragende Helfer verfügen -, daß es ihm gelungen war, in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeitspanne Jos' Jett zu manipulieren. Denn daß es ein Zufall sein sollte, der ihm auf dem Rückflug von seinen Interviews diese Bruchlandung beschert hatte, daran konnte Jos beim besten Willen nicht glauben. Schon gar nicht, da eine kurze Nachfrage beim WCPD ergeben hatte, daß Captain Silvano sich gleich nach Dienstschluß krank gemeldet hatte und die nächsten Tage nicht zum Dienst erscheinen würde. 233 Holger Alsop blickte auf das beruhigende Farbenspiel. Blaue Wellen liefen über gelbschimmernden Sand. Die Brandung rauschte einschläfernd in seinen Ohren. Palmen wiegten sich in der leichten Brise. Holger Alsop lag auf einem OP-Tisch. Seine rechte Brustseite war geöffnet; auf der Basis von Suprasensor-Berechnungen gab eine Kammerschablone die Größe der Depotkaverne vor. Holger Alsop wurde gerade der Phant-Behandlung unterzogen, die ihn endgültig zum vollwertigen Cyborg machen würde. Er spürte keinerlei Schmerzen. Die Hypno-Narkose überlagerte die normalen Nervenreflexe. Durch einen bewußten Willensimpuls hatte er das zweite System vor der Operation deaktiviert. Das war notwendig, denn sonst hätte das Programmgehirn kurzzeitig die Kontrolle übernommen und den Hypnoblock durchbrochen. Ein Cyborg konnte auf seinem zweiten System nicht beeinflußt werden. Die Depotkaverne wurde nach einem letzten Abgleich mit den im Suprasensor gespeicherten Daten noch einmal ausgeweitet, bis sie groß genug war, das Phant-Depot aufzunehmen. Der Behälter, in dem jene Viren schliefen, die es Holger Alsop einmal ermöglichen würden, zu phanten, wurde eingesetzt und mit den Nervenleitungen und Blutbahnen des organischen und des zweiten, des kybernetischen Systems verbunden.
Noch einmal wurde das Phant-Depot sorgfältig durchgeprüft. Der Suprasensor würde auch
die geringste Unregelmäßigkeit registrieren - doch alles war normal.
Holger Alsop träumte noch immer von blauen Wellen und sonnendurchglühten Sandstränden,
während die Wundränder auf seiner rechten Brustseite mit künstlichem Zellmaterial besprüht
und verklebt wurden.
Augenblicke später schwebte die A-Gravtrage mit dem Cyborg, der in wenigen Minuten aus
der Hypno-Narkose erwachen würde, aus dem OP.
Für das Ärzteteam war es noch nicht vorbei.
Im Vorraum warteten Lad Oshuta und Bram Sass, die der gleichen Behandlung unterzogen
werden sollten.
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»Ich habe was läuten hören, oh Vater des schwarzen Ungeheuers«, sagte Bert Stranger. Er lag
auf dem Bett des Ingenieurs und kraulte Jimmy hinter den Ohren. Der Robothund schniefte.
»Ziehen Sie das nächste Mal wenigstens die Schuhe aus, wenn Sie sich schon auf meine
Matratze flegeln müssen«, meinte Shanton mit gerunzelter Stirn. »Was haben Sie läuten
hören?«
Der Reporter ächzte und hob leicht den Kopf. »Der oberste aller Götter wird uns noch heute
nach Alamo Gordo rufen!«
»Ren Dhark ist zurück?«
Stranger nickte. »Die POINT OF ist heute morgen auf Cent Field gelandet. Der Commander
will die ersten Cyborgs sehen; wir werden eine kleine Vorführung machen.«
Das Vipho summte. Shanton drückte die Taste.
Echri Ezbal lächelte ihm freundlich entgegen. »Kommen Sie bitte in zehn Minuten zum
Transmitter, Shanton. Wir werden in Alamo Gordo erwartet.«
Der Reporter wälzte sich vom Bett. »Na, dann wollen wir mal!«
Der Ingenieur warf ihm einen schnellen Blick zu. »Von Ihnen war aber nicht die Rede,
Stranger!«
Der grinste, bückte sich und zog ein verschrammtes Kunst-stoffköfferchen unter dem Bett
hervor. »Glauben Sie wirklich, daß mich jemand zurückhalten kann?«
Shanton ersparte sich jegliche Entgegnung.
Das Abstrahlfeld der Ringantenne war bereits aufgebaut, als Stranger und Shanton durch die
doppelt gesicherte Tür traten.
Echri Ezbal unterhielt sich mit Lad Oshuta und Bram Sass. Der quecksilbrige Japaner
fuchtelte lebhaft mit den Armen, Bram Sass hingegen warf nur hin und wieder ein Wort in
die Debatte. Er sah blaß aus. Stranger erinnerte sich, daß der Ladiner als letzter der Phant-
Behandlung unterzogen worden war. Offensichtlich hatte er die Operation noch nicht voll
überwunden.
Der Techniker am Schaltpult hob die Hand. »Transmitterverbin-dung steht!«
Echri Ezbal nickte ihm dankend zu. Er machte eine auffordernde Handbewegung und trat ins
Abstrahlfeld. Die Männer folgten ihm; lautlos verschwand einer nach dem anderen aus dem
Saal. Der
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Techniker überprüfte noch einmal die Empfangswerte der Gegenstation und schaltete ab.
Ren Dhark erwartete die Ankömmlinge bereits. Er ging auf Echri Ezbal zu und schüttelte ihm
herzlich die Hand. Bert Stranger, der unmittelbar hinter dem Brahmanen den Transmitter
verließ, riß reflexartig die Kamera hoch und filmte die Szene. Langsam zoomte er heran, bis
das Gesicht des Commanders den gesamten Kontrollmonitor ausfüllte.
Ein harter Stoß ließ Bert Stranger taumeln. »Sie stehen aber auch überall im Weg herum«,
knurrte Chris Shanton, »machen Sie gefälligst den Transmitter frei!«
Als der Transmitterkreis erlosch, deutete Ren Dhark auf den A-Gravschacht. »Wir fahren
erstmal 'runter.« Er warf Bert Stranger einen nachdenklichen Blick zu. »Stranger, Sie...«
Respektlos klopfte der Reporter dem Commander auf die Schulter. »Ja, ja, ich weiß schon.
Stories mit Sperrfristen sind mir zwar ein Greuel, aber ich sehe ein, daß es nicht anders geht.
Eylers und Riker müßten Sie eigentlich inzwischen davon überzeugt haben, daß man sich auf
mich verlassen kann. Oder habe ich bisher auch nur eine einzige Silbe über die Cyborg
Station rausgelassen?« Ren Dhark räusperte sich. »Stranger, Sie sind anscheinend wirklich nicht so einfach loszuwerden... Wollen Sie nicht mein Public-Relations-Manager werden? Ich zahle gut wenn wahrscheinlich auch nicht so gut wie TerraPress!« Der Reporter massierte sein Doppelkinn und schüttelte den Kopf. »Nichts zu machen, Commander. Als freier Mann gefalle ich mir nämlich immer noch am besten!« Er warf Dhark einen schnellen Blick zu und hob die Handflächen. »Oder soll ich mich etwa zum offiziellen Sprachrohr degradieren lassen?« »Natürlich nicht, Stranger. Ich respektiere Ihren Standpunkt«, sagte Ren Dhark und legte dem Reporter kurz die Hand auf den Arm. Stranger grinste schon wieder sein typisches Grinsen, doch wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, daß die Anerkennung des Commanders den Reporter durchaus berührt hatte. 236 Tief unter Alamo Gordo schlug das wissenschaftliche Herz der Erde. Hier, in einem Tagungsraum, dessen Wände von Bildschirmen übersät waren, stand Echri Ezbal und blickte in die Gesichter der Männer und Frauen, die ihm gegenüber an einer der Seitenwände saßen und ihn erwartungsvoll anstarrten. »Schießen Sie los, Ezbal!« sagte Ren Dhark aufmunternd. Nur der engste Mitarbeiterkreis des Commanders befand sich in diesem Raum - und Bert Stranger. Ren Dhark vertraute dem Urteil, das Bernd Eylers und Chris Shanton über den Reporter abgegeben hatten. Er würde alles aufzeichnen, was hier geschah, aber er würde es erst veröffentlichen, wenn das Einverständnis von Ren Dhark oder Henner Trawisheim vorlag. Echri Ezbal legte die Hände zusammen. Er schien sich zu sammeln. »Bevor ich beginne«, erklärte der Brahmane leise, »möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die drei Bildschirme hinter mir lenken, die Ihnen gleich Bilder aus drei Laborräumen zeigen werden. Auf der oberen Bildleiste werden immer die wichtigsten Daten über die in den Laborräumen herrschenden Umweltbedingungen eingeblendet.« Die riesigen Bildschirme flammten auf. Zahlenkolonnen rasten über die Bildlaufleisten und blieben dann stehen. Auf dem linken Bildschirm war Holger Alsop zu erkennen, in der Mitte Bram Sass und rechts Lati Oshuta. Die drei auf den ersten Blick so normal wirkenden Männer trugen leichte Kunstfaseroveralls. Eine Welle der Erregung lief durch den Konferenzraum, als den Anwesenden die Bedeutung der Zahlenwerte auf den Bildleisten bewußt wurde. »Unglaublich«, sagte Ren Dhark und beugte sich vor. Er konzentrierte sich zunächst auf Holger Alsop. Der Cyborg lächelte und winkte in die Kamera. Das Bild wirkte ganz normal. Es hatte nur einen Schönheitsfehler: Holger Alsop befand sich in einem Raum, in dem ein fast hundertprozentiges Vakuum herrschte. Echri Ezbal griff zu einem Mikrofon und fragte: »Wie fühlen Sie sich, Holger?« 237
»Ausgezeichnet«, klang es leicht verzerrt, aber verständlich aus dem Lautsprecher. Ren Dhark schüttelte ungläubig den Kopf. »Er kann sogar reden? Wie macht er das ohne Luft?« »Elektrische Schwingungen«, erklärte Ezbal. Ein vierter Monitor flammte an der gegenüberliegenden Wand auf. Überdimensional vergrößert erschien das 3D-Schema eines Phant-Depots. »Bei meinen Cyborgforschungen stieß ich auf einen Zellbinder, der vom Planeten Bitan im 404-System stammt. Nach langen Untersuchungen konnte ich diesen später Phanton-Adhesive genannten Stoff synthetisieren.« Ezbal sah kurz zu den Bildschirmen hinüber. Während Holger Al-sop in seinem praktisch luftleeren Raum mit Bewegungsübungen begonnen hatte, waren die Kammern von Bram Sass und Lad Os-huta mit exotischen Atmosphäremischungen geflutet worden: Sass wurde mittlerweile von grünlichen Chlorgasschwaden umwabert, während Oshuta es diesmal mit Methan zu tun hatte. Der Brahmane wandte sich wieder seinen Zuhörern zu.
»Ein Zufall zeigte uns, was wirklich hinter dem Phant-Adhesive steckt. Bei meinen Untersuchungen verschüttete ich eine zehnpro-zentige Lösung. Als meine Mitarbeiter wenig später den Raum betraten und mich fanden, war ich klinisch tot!« Holger Alsop führte inzwischen verschiedene Übungen mit einem Expander vor. Zum Schluß packte er die fünf starken Federn mit beiden Händen und riß sie einfach durch. »Immer Dummheiten im Kopf«, seufzte der Brahmane, »doch zurück zum Phant. Bevor meine Mitarbeiter Klagelieder anstimmen konnten, setzten plötzlich meine Reflexe übergangslos wieder ein.« Echri Ezbal sah, daß ihm alle gespannt zuhörten, und klopfte mit dem Zeigefinger leicht auf die Kunststoffplatte des Schwebetisches. »Wir machten weitere Versuche und kamen zu einem verblüffenden Ergebnis: Das PhantonAdhesive bindet je nach Konzentration für eine bestimmte Zeit alle Gase und Flüssigkeiten im Körper. Das war eine ideale Ergänzung für unsere Cyborgs. Das Phanton-Adhesive macht sie zwar nicht wirklich unverwundbar, aber doch weitgehend unabhängig von allen Umwelteinflüssen.« 238 Der Wissenschaftler deutete auf den Monitor mit der schematischen Darstellung. »Hier haben wir das Modell eines Phant-Depots, wie es bereits drei Cyborgs tragen.« Er fuhr mit einem Leuchtstab einzelne Anschlüsse nach. »Das Depot enthält eine ausreichende Menge des Adhesives, das sich außerdem in geringerer Konzentration im gesamten Organismus befindet. Auf Gehirnimpuls kann das Phant-Adhesive innerhalb einer Zehntelsekunde aktiviert werden. Das Depot gibt das konzentrierte Adhesive etwas langsamer ab, was den Organismus zusätzlich schützt.« Echri Ezbal strich sich über den weißen Bart. »Ersparen Sie mir an dieser Stelle weitere Einzelheiten. Wir haben die Determination des Phanton-Adhesives einschließlich aller Versuchsreihen auf einigen GB-Datenspeichern dokumentiert. Wer Interesse hat, kann später gezielte Fragen stellen. Auf jeden Fall ist sicher, daß das Verfahren funktioniert. Auf den Bildschirmen können Sie die Ergebnisse sehen!« Fast eine Minute lang schwiegen die Zuhörer. Dann setzte Beifall ein, wie ihn der greise Wissenschaftler seit seinen Universitätsjahren nicht mehr gehört hatte. Er verbeugte sich. »Eine Frage, Ezbal«, klang Bert Strangers Stimme durch den Raum, nachdem der Beifall abgeebbt war. »Nur zu, Stranger, fragen Sie, was immer Sie wollen. Ich werde versuchen, Ihnen eine Antwort zu geben. Und ich denke, wir wissen beide, wieviel Verantwortung die Presse übernehmen muß, wenn die ersten Berichte über meine >Kinder< veröffentlicht werden. Sie können die Cyborgs zu Übermenschen machen - oder zu Monstren!« »Ich bin mir dieser Verantwortung vollauf bewußt, Ezbal.« Bert Strangers Stimme klang bei diesem Satz fast feierlich. »Aber was mich wirklich interessieren würde: Könnte ein Cyborg denn auch im Weltraum überleben - ohne Raumanzug, natürlich?« Schlagartig wurde es ganz still im Tagungssaal. Echri Ezbal sah Bert Stranger fest an. »Theoretisch - ja!« »Und praktisch?« Irgendwer hatte diese Frage gestellt. 239
Echri Ezbal zögerte lange mit seiner Antwort. »Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich. »Und ich bin auch nicht so vermessen, alles Mögliche für machbar oder gar wünschenswert zu halten. Die Cyborgs sind eine Chance für die Menschheit, davon bin ich fest überzeugt. Doch wie alle großen, wichtigen Dinge sind sie ein zweischneidiges Schwert. Ich kann nur hoffen, daß die Regierenden Terras sich ihrer neuen, >anderen< Bürger immer würdig erweisen werden - und umgekehrt.« Diesmal folgte auf Ezbals Worte kein tosender Applaus. Diesmal blieb es still im Saal, sehr still. Schließlich stand Ren Dhark auf. Das schien ein Startsignal zu sein, denn sofort erhoben sich
alle übrigen Anwesenden von ihren Plätzen und begannen in kleineren und größeren Gruppen miteinander zu diskutieren. Ren Dhark beteiligte sich an keiner der Diskussionen; er eilte zu dem greisen Wissenschaftler und schüttelte ihm die Hand. Seine Augen leuchteten. »Ich werde mich bemühen, Ihren Anspruch zu erfüllen, Ezbal«, sagte Dhark so leise, daß nur der Brahmane ihn verstehen konnte. »Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Ezbal ebenso leise. Seine unergründlichen, tiefblauen Augen hielten Dharks Blick fest, schienen ihn gar nicht mehr loslassen zu wollen. »Davon bin ich überzeugt«, wiederholte Ezbal. Ren Dhark hatte das Gefühl, daß ihm der Brahmane noch etwas anderes mitteilen wollte, etwas, das nicht zu verstehen, sondern nur zu erspüren war. Erst viele Jahre später sollte Dhark begreifen, daß er sich in diesem Augenblick nicht getäuscht hatte. Bert Stranger kam auffällig unauffällig herangeschlendert und stellte sich zum Commander der Planeten und dem >Vater< der Cyborgs. »Und, Dhark, werden Sie jetzt weitere Gelder für die Cyborg-Station bewilligen?« »Natürlich, Stranger, aber eine Schlagzeile wird das für Sie so schnell nicht werden.« Stranger zuckte die Schultern. »Und wenn schon - es passiert auch so genug.« 240 Jos Aachten van Haags zweiter Auftritt beim WCPD unterschied sich beträchtlich vom ersten. Es war gerade mal zwei Tage her, da war er als drittklassiger Reporter hier herumgelaufen und hatte mehr oder minder blödsinnige Interviews geführt. Doch jetzt gab es keinen Grund zur Zurückhaltung mehr. Denn seine Zielperson, Captain Les Silvano, hatte vorgestern bei Dienstschluß das Polizei-Hauptquartier verlassen, sich kurz danach per Vipho krank gemeldet - und war seitdem wie vom Erdboden verschluckt! »Silvanos Wohnung ist - abgesehen von ein paar Möbeln - leer«, hatten Jos' Kollegen ihm berichtet. »Da ist nichts Persönliches drin, keine Wäsche, keine Bilder - nichts. Aber was noch viel merkwürdiger ist: Es gibt in der ganzen Wohnung nicht ein einziges Haar oder eine Hautschuppe von unserem scheuen Freund. Die Spezialisten von der Spurensicherung sind völlig ausgeflippt. So was ist ihnen noch nie begegnet. Es sieht fast so aus, als hätte Silvano in seiner Wohnung keinen einzigen Tag gelebt!« »Fehlanzeige«, hatte Jos gemurmelt, und nicht zuletzt deshalb war er jetzt hier. Er wollte Silvanos Kollegen einmal so richtig auf den Zahn fühlen. Viel versprach er sich eigentlich nicht davon, aber wenn ihm nicht irgendein Hinweis vor die Füße fiel, dann würde die Suche nach Silvano schneller beendet sein als Jos lieb war. Denn ohne den geringsten Anhaltspunkt auf Terra einen Mann zu suchen, der anscheinend Erfahrung im Untertauchen hatte, war völlig aussichtslos. Jos hatte sein Kommen kurz vor der Landung über Vipho angekündigt. Deshalb wurde er auch bereits erwartet, und deshalb saßen auch die Polizeibeamten, die er befragen wollte, bereits in den Verhörräumen, in denen normalerweise sie irgendwelche Verdächtigen ausquetschten. Bevor Jos den ersten Verhörraum betrat, nahm er sich noch die Zeit, die Personalakten der Polizisten einzusehen, die häufiger mit Silvano zusammengearbeitet hatte. Es waren vier - die vier, denen er gleich gegenübersitzen würde. Die Streifenpolizisten O'Brian und Taffour sowie die Zivilbeamten Krajic und Maitland. 241 Jos wölbte mehrmals anerkennend die Brauen, während er Mirjam Maitlands Personalakte las. Schade, Mädchen, daß wir uns unter solchen Umständen kennenlernen müssen, dachte er. Schließlich schloß er auch das letzte File. Er blieb noch einen Augenblick vor dem Terminal des Suprasensors sitzen, den Blick unverwandt auf den längst erloschenen Monitor gerichtet. Mit wem fangen wir an, fragte er sich in Gedanken. O'Brian... hm, der wird schwierig, das ist der typische plattfüßige, dickschädelige Streifenbulle... Taffour ist ein Streetkid, das wohl nur zufällig Bulle geworden ist... hm... Captain Maitland heben wir uns für später auf bleibt Krajic. Okay, fangen wir mit Krajic an... Captain Ante Krajic erwies sich als überaus kooperativ, nur leider konnte er wenig erzählen,
was Jos irgendwie weiterhalf.
»Ich habe mit Silvano an zwei, drei Fällen zusammengearbeitet, und dabei ist mir nichts
Besonderes aufgefallen. Er sprach wenig, erzählte nie etwas von sich, aber das ist hier nicht
ungewöhnlich.«
»Und Sie haben auch nie nach Dienstschluß zusammen ein Bier getrunken oder sowas
ähnliches?«
»Nein. Silvano hat enorm viele Stunden runtergerissen - er muß einen Berg von Überstunden
vor sich herschieben -, doch wenn er Dienstschluß hatte, ist er auch sofort verschwunden. Ich
hatte manchmal ein bißchen das Gefühl, daß er eigentlich gar nichts mit uns zu tun haben
wollte...« Krajic zuckte entschuldigend die Schultern. »Das soll jetzt nicht heißen, daß er
arrogant war oder sowas. Es war eher so, daß er... naja, er machte hier eben seinen Job, aber
das war's dann auch. Es schien ihn alles nicht besonders zu interessieren... Ich weiß nicht,
wie ich es anders ausdrücken soll.«
»Hm«, brummte Jos.
»Tut mir leid, wenn ich Ihnen nicht weiterhelfen kann... Ich nehme an, es hat wenig Sinn, zu
fragen, was Silvano eigentlich vorgeworfen wird? Uns hat man nur mitgeteilt, daß er
Gegenstand einer GSO-Untersuchung sei und wir Ihnen alles sagen sollen, was wir wissen...«
Krajic blickte Jos fragend an.
»Zunächst einmal würden wir uns nur gern mit ihm unterhalten, was leider nicht geht, da er
ja verschwunden ist. Und mehr kann ich
242
Ihnen nicht sagen. Dienstgeheimnis, das verstehen Sie doch bestimmt...«
Krajic nickte.
Jos' ohnehin geringe Hoffnungen, im Polizei-Hauptquartier irgend etwas Wichtiges zu
erfahren, hatten schon in diesem ersten Gespräch einen argen Dämpfer bekommen. Nachdem
er sich mit O'Brian und Taffour unterhalten hatte, waren sie fast auf dem Nullpunkt
angelangt.
Die beiden gaben nun wirklich überhaupt nichts her. Nicht, weil sie nichts zu sagen hatten
da war sich Jos gar nicht so sicher -, sondern weil sie ihm nichts erzählen konnten oder
wollten.
Die beiden Streifenpolizisten hatten ein massives Obrigkeitsproblem, was sich bei ihnen aber
auf unterschiedliche Weise äußerte.
O'Brian war der typische, in eine hierarchische Struktur eingebundene Beamte. Er verrichtete
seinen Dienst nach Vorschrift und war seinen Vorgesetzten gegenüber loyal. Er konnte Jos
gar nichts über Silvano sagen, was für diesen vielleicht nachteilige Konsequenzen haben
könnte. Captain Silvano war sein Vorgesetzter, und selbst wenn O'Brian in einigen Punkten
mit ihm nicht übereinstimmen mochte, so würde er ihm nach außen immer die Stange halten.
Taffour war ein anderer Fall. Er hielt nichts von Hierarchien. Aber er hielt noch viel weniger
von irgendwelchen GSO-Agenten, die dank ihres Ausweises in seinem persönlichen Bereich
rumschnüffelten - und seine Kollegen zählten für Taffour zum persönlichen Bereich.
Jos saß allein in einem Verhörraum und dachte nach. Die Aussichten waren schlecht. Sicher,
die Verhörspezialisten der GSO würden sowohl O'Brian wie Taffour dazu bringen können,
mehr zu sagen. Aber war es das wert? Wußten sie überhaupt irgend etwas, das ihm
weiterhelfen würde? Nur auf einen vagen Verdacht hin, daß einem der beiden an Silvano
etwas aufgefallen war, konnte und wollte er sie nicht einem Spezialverhör unterziehen lassen.
Jos seufzte.
Also bleibt noch Captain Maitland, dachte er.
Viel Hoffnung hatte er allerdings nicht.
243
Erstaunlicherweise brachte das Gespräch mit Mirjam Maitland ihn dann doch weiter.
»Ich habe Ihnen schon vorgestern den kleinen Reporter nicht ganz abgekauft«, empfing sie
Jos, als er den kleinen Verhörraum betrat, in dem sie gewartet hatte.
»Dann hatten Sie bei der Einladung zum Drink Hintergedanken!« Jos grinste.
Mirjam Maitland lächelte zurück. »So könnte man es nennen... Und was will jetzt die
mächtige GSO von einem armen kleinen Bullen, der immer und überall freudig und eifrig
seine Pflicht tut?«
Jos horchte auf.
»Sie scheinen Silvano nicht besonders zu mögen?«
»Nein, nicht besonders.«
»Und warum?«
»Das ist nicht ganz einfach zu erklären...« Mirjam Maitland zögerte.
Großer Gott, laß es bitte nicht einfach nur eine von diesen Er-hat-mich-angegrabscht-
Geschichten sein, dachte Jos.
»Was halten Sie von Gefühlen, van Haag?«
»Häh?« machte Jos und sah in diesem Augenblick alles andere als intelligent aus.
Mirjam Maitland rutschte nervös auf ihrem Stuhl herum. »Wie denken Sie über Gefühle,
über... Instinkt, Intuition... meinetwegen auch Ahnungen... all die Dinge, die sich mit dem
Verstand schwer fassen lassen?«
Junge, Junge, dachte Jos, einen Augenblick habe ich befürchtet...
Laut sagte er: »Ich denke, ohne so etwas wie Instinkt oder Intuition könnten weder Sie noch
ich unsere jeweiligen Jobs gut machen. Wenn es nur um Kombinationsgabe und
Denkvermögen ginge, dann könnten wir den Suprasensoren die Arbeit überlassen.«
Mirjam Maitland nickte.
»Das ist gut, sehr gut«, begann Sie, »denn dann kann ich Ihnen auch eine Geschichte
erzählen. Ich weiß nicht, ob Sie damit etwas anfangen können, aber...«
»Schießen Sie los!«
Sie holte tief Luft. »Als Silvano vor knapp anderthalb Jahren hier
244
auftauchte, schien er zunächst ein Polizist wie tausend andere auch zu sein. Gut, er sonderte
sich ein bißchen ab, unternahm außerhalb der Dienstzeit niemals etwas mit mir oder
irgendeinem anderen Kollegen, aber das ist nichts wirklich Ungewöhnliches. Ein derartiges
Verhalten findet man hier immer mal wieder.
Wir haben dann bei zwei, drei Fällen zusammengearbeitet. Doch noch nicht einmal als
Kollegen sind wir uns irgendwie nähergekommen. Silvano war... unnahbar. Als ob eine
Wand zwischen ihm und mir - und auch den anderen Kollegen - gestanden hätte.«
Mirjam Maitland seufzte. »Ich hatte für mich schon beschlossen, daß ich nicht besonders
wild darauf war, mit Silvano zusammenzuarbeiten, da wurden wir noch einmal gemeinsam
auf einen Fall angesetzt. Im Herbst 2055. Es ging um eine Straßengang - Jugendliche, die
sich in den Wirren des Wiederaufbaus zusammengerottet hatten. Als alles wieder in
geregelten Bahnen zu laufen begann, fielen sie immer mehr auf. Irgendwann trieben sie es zu
bunt. Silvano und ich bekamen den Auftrag, das Viertel, in dem sich die Gang herumtrieb,
>auszuräuchern< und die Rädelsführer festzunehmen. Es war keine große Sache und lief
auch glatt und problemlos ab - bis auf den Schluß.«
Sie sah Jos an; sie wirkte ein bißchen nervös. »Wir hatten die Kids schon zusammengetrieben
und entwaffnet. Einer versuchte zu fliehen. Silvano und ich sind hinterher. Der Bursche
rannte in eine Sackgasse. Als er merkte, daß er nicht mehr weiterkam, drehte er sich um und
ging auf uns los. Silvano schlug ihn nieder, mit einem einzigen Schlag. Der Junge... war
sofort tot.«
Sie senkte den Kopf und schwieg.
»Hm«, meinte Jos. »Der Vorfall ist doch sicher untersucht und zu den Akten genommen
worde. Ich nehme an, es war ein Unfall.«
»So steht es in den Akten. Aber es war kein Unfall«, sie hob den Kopf und schaute Jos ins
Gesicht, »es war Mord...«
»Na, na«, meinte Jos. »In einer solchen Situation kann es schon passieren, daß man zu fest
zuschlägt und...«
»Verdammt, van Haag«, unterbrach sie ihn. »Ich bin Polizistin -und ich bin nicht blöde. Das
Bürschchen wog nicht mal halb so viel wie Silvano. Der ist außerdem Kampfsport-Experte,
Träger eines
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schwarzen Gürtels. Er kennt Dutzende von Schlägen oder Tritten, um einen Gegner
kampfunfähig zu machen. Er hätte ihm nicht den Kehlkopf zertrümmern und den Halswirbel
anknacksen müssen. Das war ein Killerschlag! Und... und außerdem haben Sie nicht gesehen,
was ich gesehen habe. Diese leuchtenden Augen, diesen Ausdruck tiefster Zufriedenheit, der
kurz über sein Gesicht zog. Silvano haßt die Menschen. Er haßt sie aus tiefstem Herzen.«
»Haßt er nicht vielleicht die Verbrecher? Das soll in Ihrem Job öfter vorkommen...«
Mirjam Maitland schüttelte den Kopf. »Nein, van Haag. Silvanos Haß beschränkt sich nicht
auf Verbrecher. Er haßt Menschen. Alle Menschen. In jenem Augenblick habe ich es gespürt.
Damals habe ich begriffen, warum ich mich immer so unwohl gefühlt habe, wenn er mich mit
diesen dunklen Augen ansah...«
Jos mußte daran denken, daß ihm beim Interview mit Silvano ähnliche Gedanken durch den
Kopf gegangen waren, und schwieg.
Plötzlich kam ihm ein Gedanke.
»Wenn Sie davon überzeugt sind, daß es Mord war - warum haben Sie das Ihrem
Vorgesetzten nicht gesagt? Sie sind doch sicher zu diesem Vorfall befragt worden?«
»Ich... ich weiß es nicht. Ich wollte es sagen, aber dann... schließlich ging es um einen
Kollegen... Und außerdem hatte ich... Angst.«
»Angst?«
Mirjam Maitland nickte. »Seit diesem Vorfall habe ich mich in Silvanos Gegenwart noch viel
unbehaglicher als vorher gefühlt. Ich bin ihm nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen. Wir
haben nie mehr zusammen an einem Fall gearbeitet. Es hat mir schon gereicht, wenn ich ihm
hier zufällig begegnet bin.«
»Hm«, brummte Jos. »Das ist zwar wirklich interessant, hilft mir aber zunächst mal nicht viel
weiter. Und irgendwelche weitergehenden Informationen über Silvano werden Sie
wahrscheinlich auch nicht haben...«
»Vielleicht doch!«
Jos horchte auf. »Wie war das?«
Mirjam Maitland grinste ihn an. »Ich bin Polizistin. Wenn mir ein Typ Unbehagen bereitet,
schaue ich ihn mir genauer an.«
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»Und?«
Mirjams Grinsen wurde breiter. »Silvano hat eine Wohnung in einem Wohnblock, nicht weit
von hier. Aber ich glaube, er hat dort keinen einzigen Tag richtig gewohnt. Er hat nämlich
noch eine zweite, allerdings nicht bei uns gemeldete Wohnung, draußen, in einem der
Vororte.«
Bingo! »Haben Sie die Adresse, oder können Sie mich hinbringen?«
»Natürlich.«
Jos strahlte. »Ah, Mädchen, ich könnte dich umarmen, ich könnte dich drücken...«
»So weit sind wir noch lange nicht, van Haag!«
Das schmucke Häuschen mit dem gepflegten Vorgärtchen in einem der Vororte von World-
City wirkte so harmlos, daß sich Jos' Nak-kenhaare aufstellten. Aus diesem Grund forderte er
ein Spezial-kommando der GSO an.
Ein kurzer Anruf bei der Verwaltung von World-City erbrachte, daß das Häuschen einem
gewissen Marco Keller gehören sollte, der auch ordnungsgemäß gemeldet war.
Während sie auf die Ankunft des Spezialkommandos warteten, unterhielten sich Jos und
Mirjam Maitland noch ein bißchen über Captain Silvano.
»Eine Sache ist mir übrigens noch eingefallen, van Haag. Im letzten halben Jahr ist Silvano
zwei- oder dreimal übers Wochenende in Europa gewesen. Ich weiß das, weil er dafür seine
Bereitschaftsschicht mit einem unserer Kollegen getauscht hat. Angeblich um einen
todkranken Onkel zu besuchen.«
»Sie wissen aber nicht, wohin unser Captain geflogen ist? Ich nehme an, daß er Bella Italia
mal wieder ein paar Besuche abgestattet hat. Schließlich ist er ursprünglich aus Rom
gekommen.«
»Falsch«, meinte Mirjam.
»Moment.« Jos sah die Polizistin fragend an. »Unser Eile sagt klar und deutlich, daß Silvano
aus Italien stammt und Polizist in Rom war...«
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»Das meinte ich nicht.« Mirjam schüttelte den Kopf. »Es stimmt, Silvano kommt aus Rom,
aber er ist dieses Frühjahr nicht nach Rom geflogen. Er...«
Vor dem Häuschen landeten zwei gepanzerte GSO-Jetts. Das Spe-zialkommando traf endlich
ein!
»Augenblick«, sagte Jos, stieg aus seinem Jett und sprintete zu seinen Kollegen hinüber.
Die hatten bereits damit begonnen, Berge von Meßgeräten und Sensoren auszuladen und zu
justieren.
»Oh, oh«, sagte einer der Spezialisten gerade, als Jos bei ihnen ankam. Der Mann deutete auf
die Anzeige des kleinen Monitors in seiner Hand.
»Sie haben gut daran getan, daß Sie da nicht einfach hineinmarschiert sind, van Haag. Im
Vorgarten sind drei Lichtschranken installiert, und unter der Treppe ist etwas, das ein starkes
elektromagnetisches Feld ausstrahlt. Möchte nicht wissen, wie's dann erst drinnen aussieht!«
»Was glauben Sie, wie lange wird's dauern, bis Sie Ihre Nase reinstecken und mir sagen
können, was es da drin zu sehen gibt?«
»Schwer zu sagen, van Haag. Das kann Stunden dauern. Sie wissen doch, wenn wir zu
schnell vorgehen, macht's womöglich Bumm, und damit ist niemand gedient - Ihnen nicht und
mir und meinen Leuten schon gar nicht.«
Jos nickte.
»Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie irgendwas Interessantes finden. Ich bin in zwei, drei
Stunden wieder in meinem Büro.«
»Geht klar, van Haag.«
Jos sprintete zu seinem Jett zurück.
»Wo waren wir gerade?« fragte er, als er sich in die Polster fallen ließ.
»In Europa«, antwortete Mirjam. »Wir hatten uns gerade über das Ziel von Silvanos
Wochenend-Trips unterhalten.«
»Stimmt. Sie wissen also, wohin er geflogen ist?«
»Ja. Ich stand zufällig einmal in der Nähe, als er mit unserem Boß über den Tausch der
Bereitschaftsschicht gesprochen hat. Wir sind ein ordentlicher Verein, so was muß von oben
abgesegnet werden...
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Auf alle Fälle hat er bei dieser Gelegenheit dem Boß erzählt, daß er nach Schottland fliegt.
Sein Lieblingsonkel würde dort im Sterben
liegen.«
»Schottland«, echote Jos.
Vor seinem geistigen Auge rasten die Inhalte der Akten entlang, die er von Eylers erhalten
hatte.
Schottland?
War im Zusammenhang mit diesem Henk Kuipers nicht der Name Aberdeen gefallen?
Auf einmal hatte Jos es eilig, an seinen Schreibtisch zu kommen. 249
13.
Der Explosionsdruck traf Max Skovlik wie eine kompakte Wand. Er wurde nach vorn geschleudert, krümmte sich automatisch zusammen und rollte einen flachen Abhang hinunter. Zweige peitschten gegen seinen ungeschützten Nacken. Skovlik stemmte die Füße gegen den Boden, warf sich geschmeidig zur Seite und griff nach einer buntschillernden Eiane. Der Druck auf die Ohren ließ nach. Max Skovlik gewann gerade rechtzeitig sein Gehör zurück, um die gefährlichen Eaute wahrzunehmen. Pfeifend rasten Trümmerstücke heran. Sie schlugen dumpf in den Boden, rissen meterlange Furchen und glühten langsam aus. Skovlik preßte reflexartig das Gesicht in eine tangähnliche Masse und verschränkte die Arme über dem Kopf, als er den Einschlag eines weißglühenden Zylinders beobachtete. Eine Sekunde später erschütterte eine gewaltige Explosion den Boden. Gestein, Dreck und Astwerk trommelten auf seinen Rücken nieder. Dann war alles vorbei. In der Ferne spiralte langsam ein Staubtrichter in die Höhe, der sich
am oberen Ende pilzförmig ausbreitete. Irgendwo im Unterholz begann etwas zu quietschen. Schnell fielen andere Stimmen ein. Die Tierwelt erwachte wieder zum Eeben. Max Skovlik griff erneut nach der Eiane und zog sich höher. Als er zum zweitenmal nachgriff, berührte er das dünne, golden schimmernde Band, das in weiten Windungen um die Eiane lag. Im gleichen Augenblick schrie er entsetzt auf. Sein Körper wurde von rasenden Stromstößen geschüttelt. Spitze Nadeln stachen in sein Gehirn, verwandelten die Nerven in Flammenbahnen. Unkontrolliert kontrahierende Muskeln preßten ihm die Euft aus den Eungen. Nur für den Bruchteil einer Sekunde versuchte Skovlik, die Hände von dem organischen Stromleiter zu reißen. Sein flexibles Gehirn 250
erkannte sofort, daß dieser Versuch aussichtslos war. Gleichzeitig suchte es verzweifelt nach einem anderen Ausweg. Vier Zehntelsekunden nach dem Kontakt schickte das Gehirn mit aller Willensenergie, die es unter den geißelnden Stromstößen aktivieren konnte, seine Befehle in den Körper. Eine Zehntel Sekunde später reagierten die Muskeln. Max Skovlik verstärkte seinen Griff. Die Finger bohrten sich tief in die feste Oberfläche der Eiane. Sieben Zehntelsekunden nach dem Kontakt zwang das Gehirn die zuckenden Schultermuskeln unter seine Kontrolle. Skovlik begann, die armstarke Eiane durchzubiegen. Vor seinen Augen tanzten rote Ringe. Schmerzwellen rasten durch seinen Körper. Doch eisern behielt das Gehirn die Oberhand. Mit dem Geräusch zerreißenden Papiers platzte die Oberhaut der Eiane. Übelriechende Flüssigkeit tropfte über die Hände des Terra-ners. Max Skovlik behielt den Strang in seinem unerbittlichen Griff. Er fletschte vor Anstrengung die Zähne und wirkte wie ein geschmeidiger Tiger, der in der Falle um sein Eeben kämpft. Eangsam näherten sich die beiden Fäuste. Die Eiane bildete jetzt einen unter hoher Spannung stehenden Halbkreis. Der Terraner fühlte plötzlich dumpfe Furcht. Vom Halsansatz aus schob sich lastende Dunkelheit unter seine Schädeldecke. Sie brandete gegen die Willensmauer der gesteuerten Muskelkontrolle. Noch einmal bäumte sich Skovlik auf. Ein letzter Impuls jagte durch die Nervenbahnen, überlagerte die elektrischen Stöße und verwandelte seinen Körper in eine energiegeladene Stahlfeder. Quietschend rissen die ersten Zellketten. Irgend etwas in der Eiane zerbrach. Das goldene Band dehnte sich, wurde dabei immer schmaler und brannte auf einmal an der dünnsten Stelle mit leichter Rauchentwicklung durch. Der Körper des Terraners sackte in sich zusammen. Max Skovlik atmete mit weit aufgerissenem Mund. Obwohl er nur fünf Sekunden in Kontakt mit dem organischen Stromleiter gestanden hatte, fühlte er sich zerschlagen wie nach einem Fünfzehn-RundenKampf. Er hatte das Bedürfnis, den Kopf in den weichen Tang zu legen und tagelang zu schlafen. 251 Das Vielzweckchronometer schrillte. In der Auflagefläche verschob sich eine winzige Platte. Gleichzeitig wurde das Ventil einer anderthalb Zentimeter langen Druckflasche geöffnet. Das Weckmittel schoß durch die Haut direkt in die Blutbahn. Unter den Zeigern für Normzeit lagen weitere winzige Skalen. Eine davon leuchtete in grellem Rot. Mit einem Blick erkannte der Terraner, daß die Radioaktivität der Luft bereits auf über fünfzig Röntgen angestiegen war. Langsam kletterte der Zeiger höher. Max Skovlik erhob sich taumelnd, schloß für einen Augenblick die Augen und marschierte dann zielstrebig los. Er ließ die Explosionsstelle hinter sich. Mit weit ausgreifenden Schritten hatte er schnell einen Laufrhythmus gefunden, der ihn am besten durch das verfilzte Unterholz und über den weichen Boden brachte. Das Chronometer schrillte immer noch und trieb ihn vorwärts. Unter dem Einfluß des automatisch injizierten Mittels beruhigten sich seine vibrierenden Nerven. Seine Gedanken liefen kühl und sachlich. Er wußte genau, wieviel spaltbares Material sich im hochgegangenen Reaktor des Raumers befunden hatte.
Danach ließ sich leicht ausrechnen, in welcher Entfernung die Radioaktivität selbst bei widri gen Windverhältnissen ungefährlich war. Skovlik schätzte diese Entfernung auf zehn Kilometer. Bei einer Schwerkraft von 1,12 g und einem ausreichend hohen Sauerstoffanteil in der Luft konnte er die Strecke in anderthalb Stunden zurücklegen. Skovlik erreichte mehrere große Felsblöcke, umkreiste sie und brach mühelos durch dichtes Gebüsch. Vor ihm lag jetzt eine Ebene, in der er problemlos vorwärtskommen konnte. Er wollte gerade zu einem leichten Trab ansetzen, da hörte er den schwachen Ruf. Skovlik zuckte zusammen. Bisher war er der Meinung gewesen, als einziger den Absturz des Raumers überlebt zu haben. Er hatte noch keinen Gedanken an die Kameraden verschwendet. Die Rettung des eigenen Lebens hatte im Vordergrund gestanden. Vorsichtig drückte er sich in das Gebüsch zurück und sah zu der Stelle hinüber, von der der Ruf gekommen war. Mehrere große Felsen warfen ihre Schatten auf das Gelände. Trotz seiner scharfen Augen konnte der Terraner nur undeutliche Konturen ausmachen. 252
Lag dort ein Mensch, oder...? Mit einer blitzschnellen, gleitenden Bewegung zog er den Raketenwerfer - die Mi-Ra. Seine Fingerspitzen tasteten über die kleinen Einstellstifte am Kolben. Leise klickend glitten der Stift für Dauerfeuer, der Stift für Explosivgeschosse und der Stift für Echo-Optik in die Rasten. Max Skovlik hob den Werfer und visierte die Stelle unterhalb der Felsen an. Die unsichtbaren Strahlen der Infra-Laseroptik jagten aus dem Abstrahlfeld, wurden reflektiert und im zylindrischen Auswerter über dem bulligen Lauf sichtbar gemacht. Max Skovlik pfiff tonlos, als sich das Bild auf dem briefmarkengroßen Zielschirm stabilisierte. Unter der automatischen Entfernungsangabe, deren Zahlen 42,11 Meter auswiesen, neben der Grün- und Blaukontrolle der Einstellautomatik und über dem schmalen, roten Lichtband der Feuerkontrolle stand genau im Fadenkreuz das Gesicht von Commander Ren Dhark. Der Terraner warf den Sicherungshebel herum. Das Bild verblaßte. Er senkte die Mi-Ra und stieß sie mit derselben Bewegung in die Waffentasche seiner weißen Kunststoffkombination. Dann musterte er noch einmal mit scharfen Blicken die tief hängenden violetten Wolken und die nähere Umgebung. Als er keine Bewegung wahrnahm, glitt er zwischen den Büschen heraus und lief mit langen, federnden Sprüngen auf den Felsen zu, unter dem Ren Dhark kauerte. »Hallo, Sir, was machen Sie denn hier?« fragte er und kniete neben dem Commander nieder. »Haben Sie tatsächlich diese Höllenfahrt überlebt?« Ren Dhark richtete sich stöhnend auf. Skovlik bemerkte, daß der Commander ihn intensiv musterte. Er erkannte auch den leicht überraschten Ausdruck im Gesicht Ren Dharks, den er schon bei vielen Menschen wahrgenommen hatte und der immer wieder rote Haßwellen in ihm hochtrieb. »Es tut mir leid, aber ich habe nun einmal diese Stimme«, fistelte er mürrisch, »Sie brauchen deswegen...« »Unsinn«, unterbrach ihn der Commander, »jetzt ist keine Zeit, Ihre Komplexe zu pflegen. Wer sind Sie?« »Max Skovlik. Zur Zeit im Auftrag meines Vaters auf Studienrei 253 se. Durch einen unglaublichen Zufall wurde ich beim Aufprall des Raumers mit der ganzen Kabine herausgesprengt. Ich konnte entkommen, bevor der Reaktor durchging!« Ren Dhark nickte. »Sie haben wirklich Glück gehabt. Hätte ich mich nicht vorher mit einem Jett ausgeschleust, um ein paar Bodenproben zu nehmen, wäre ich sicher verloren gewesen!« Skovlik blickte aufmerksam hoch. Das breite Gesicht mit der spitz auslaufenden Kinnpartie und den schräggestellten, halb geschlossenen Augen erhöhte den raubtierhaften Eindruck, der schon von seinem geschmeidigen Körper ausging. Die eng anliegende Kombination dehnte sich mit dem Spiel gewaltiger Muskeln. »Ist der Jett noch intakt, Sir?« Es war schwer, der Fistelstimme Gefühle zu entnehmen.
Ren Dhark zog sich mühsam an einem Felsvorsprung hoch und lehnte sich schwer gegen die Wand. »Ich weiß es nicht, Skovlik. Ich kam in den durch die Kettenreaktion ausgelösten Sturm. Der Jett geriet außer Kontrolle und stürzte ab. Als die Materialbelastungsgrenze überschritten wurde, schaltete sich die Katastrophenautomatik ein. Mein Sitz wurde herauskatapultiert und durch den integrierten A-Grav gelandet. Der Jett ging irgendwo dort hinten in der Tiefebene runter. Ich habe keine Explosionswolke gesehen. Eventuell hat ihn die Automatik sicher gelandet.« Das Vielzweckchronometer begann abermals zu schrillen. Ren Dhark und Max Skovlik griffen gleichzeitig zu den Abstellknöpfen. Es war merklich wärmer geworden. Skovlik öffnete die Magnetleiste seiner Kombination und strich sich über den schweißnassen Hals. »Wir sollten uns beeilen, Commander. Der radioaktive Fallout wird gefährlich!« Ren Dhark stieß sich von der Wand ab und versuchte, den linken Fuß aufzusetzen. Skovlik sah, daß er dabei die Lippen so fest zusammenpreßte, daß sie einen waagerechten Strich bildeten. Trotz allem stolperte der Commander und wäre gestürzt, hätte Skovlik nicht blitzschnell zugegriffen. »Was ist denn mit Ihnen los?« fragte er und versuchte dabei, seiner Stimme einen uninteressierten Unterton zu geben. Doch das ge 254
lang ihm nicht. Mehrere hohe Kiekser verrieten die innere Spannung. »Ich habe beim Aufprall des Sitzes Pech gehabt«, murmelte der Commander, »mein linker Fuß geriet unter die Plattform. Er ist wahrscheinlich gebrochen!« Max Skovlik fluchte unterdrückt. Die Warnsperre in seinem Vielzweckchronometer überbrückte die Kontaktstrecke. Ein Endlosband begann zu plärren: Strahlung, Strahlung, Strahlung... »Wir müssen sofort weg«, erklärte er. Für einen Augenblick sah es so aus, als wollte er sich einfach abwenden und in die Ebene hinauslaufen. Doch er behielt sich unter Kontrolle, wandte sich dem Commander zu und legte ihm den rechten Arm um die Schulter. »Ich kann Ihr Bein jetzt nicht schienen! Stützen Sie sich fest auf und entlasten Sie den linken Fuß. Wir müssen unbedingt erst einmal aus der Fallout-Zone herauskommen!« Das ungleiche Paar verließ den Schutz der Felsen. Die Wolken strahlten in violettem Licht, das hell genug war, um Schatten zu erzeugen. Das Gewicht des Commanders lastete schwer auf Skovlik. Er mußte seine Schritte den kurzen Sprüngen anpassen, mit denen Ren Dhark sich vorwärtsquälte. Die Luftfeuchtigkeit stieg. Nebelschwaden trieben über die Ebene und formten gespenstische Bilder. Skovlik beobachtete scharf die Umgebung. Sein Raubtierinstinkt sagte ihm, daß hinter den Nebelbänken Gefahren lauerten. Die quietschenden Tierstimmen fanden sich mehrmals zu grellen Gemeinschaftsschreien. Etwas rauschte durch die Luft. Es hörte sich an, als ob nasse Handtücher zusammengeschlagen würden. Skovlik handelte, ohne nachzudenken. Er gab dem Commander einen Stoß und wirbelte herum. Die Mi-Ra sprang ihm förmlich in die Hand. Für den Bruchteil einer Sekunde zeichnete der Infra-Laser das Bild einer herabschießenden Bestie auf den kleinen Schirm. Die weit vorgestreckten Klauen erinnerten an scharfe Sicheln. Das Wesen hatte durchscheinende Flughäute, die die Farbe der violetten Wolken spiegelten. Bei jeder Bewegung klatschten schlaffe Hautpartien zusammen. Der Kopf war nicht zu erkennen. Zwischen den Flügeln blinkten messerscharfe Zähne, die in zwei Halbbogen wie ein gespanntes Fangeisen wirkten. 255 Max Skovlik wartete, bis der fliegende Alptraum seinen rasenden Sturzflug abbremste. Er sah, wie die Flughäute sich spannten. Das Wesen peilte die beiden Terraner nochmals an und jagte heran. Skovlik visierte wie auf dem Schießstand. Matt leuchteten die Kontrollen. Der Terraner hielt die Maulöffnung im Fadenkreuz, nahm leichten Druckpunkt, schätzte dann den Vorhaltewinkel und zog den Abzug voll durch. Elektrische Funken zündeten in der Reaktionskammer der Mi-Ra nacheinander zwölf Vier
Millimeter-Projektile. Nahezu rückstoßfrei rasten die Kleinstraketen aus dem gedrungenen Lauf. Die glühenden Abgase wurden im Laufmantel umgelenkt und schössen aus seitlich angebrachten Führungsschlitzen. Fünfzig Meter über den Köpfen der beiden Männer strahlten kurzzeitig zwölf schnell verglühende Lichter auf. »Zwölf Treffer«, fistelte Skovlik, »das soll mir erst einmal jemand nachmachen!« Er blickte zu Ren Dhark hinunter, der sich stöhnend den linken Fuß massierte. Der Boden vibrierte, als das Wesen aufschlug. Seine großen Flughäute peitschten die kurzen Algen. Bösartig klappten die Gebißbögen. Dann kam der Ton. Er hörte sich zuerst an wie eine zu tief angeblasene Tuba und sackte immer weiter in den Infraschallbereich ab, bis er schließlich in grollender Tiefe versank und unhörbar wurde. Aber sein Instinkt sagte Skovlik, daß der Ton immer noch da war. Unbewußt spannte der Terraner die Bauchmuskeln. Sein Herz begann zu vibrieren. Tödliche Angst stieg würgend in ihm auf. Rasende Schmerzen zuckten hoch, als der Magen im gleichen Rhythmus zu vibrieren begann. Die Schmerzwellen griffen auf die in Schwingungen versetzte Leber über. Ren Dhark lag keuchend auf dem Boden. Stoßweise preßte er zwischen verzerrten Lippen hervor: »Das sind unter sechzehn Schwingungen pro Sekunde. Derart lange Wellen greifen unseren Organismus an. Wenn die Schallwellen auf sieben Schwingungen pro Sekunde absinken, kann uns nichts mehr retten. Das Gewebe wird zerrissen!« Aus schmerzenden Augen starrte Max Skovlik zu dem riesigen Berg aus Flughäuten und Gewebe hinüber, der langsam pulsierte. 256 Während würgende Krämpfe seinen Körper schüttelten, hob er die Mi-Ra. Die Waffe schien auf einmal Zentner zu wiegen. Mühsam aktivierte er das zweite Magazin, umspannte den Kolben mit beiden Händen und visierte sorgfältig die schnappenden Zahnbögen an. Die Zwölferserie raste ins Ziel. Hinter den Zahnbögen explodierten die Raketen und setzten enorme thermische und mechanische Kräfte frei. Plötzlich war die Stimme des Ungeheuers wieder zu hören. Langgezogen und klagend klang sie noch einmal auf, um dann in einem langen Seufzer zu verebben. »Ein widerliches Biest«, sagte Max Skovlik und rieb sich die Magenpartie. Ren Dhark streckte vorsichtig sein linkes Bein aus und schüttelte den Kopf. »Sie gehen von falschen Voraussetzungen aus, Skovlik. Diese Lebensform ist keineswegs widerwärtig, sondern nur andersartig. Nun gut, wir mußten uns wehren, weil wir angegriffen wurden. Unter normalen Umständen würde ich diese Kreaturen jedoch in Frieden lassen und mich nicht um sie kümmern!« »Und ich würde sie ausrotten«, zischte Skovlik schrill, »ich würde derartige Mißbildungen der Natur vernichten. Das ist...« Die Stimme Ren Dharks klang frostig, als er erwiderte: »Sie sind nicht Gott, Skovlik! Warum müssen Sie alles von Ihrem engstirnigen menschlichen Standpunkt aus sehen? Vielleicht sind wir für die Giants, die Synties und die vielen tausend anderen Rassen des Universums auch nur Mißbildungen, die durch eine schlechte Laune der Natur entstanden sind. Hören Sie auf, sich selbst als den Nabel des Alls zu betrachten!« Die beiden ungleichen Männer machten sich wieder auf den Weg. Sie wateten durch Algenseen, kämpften sich durch einen glucksenden Sumpf und arbeiteten sich an der steil abfallenden Wand eines Felsmassivs empor. Max Skovlik fühlte jeden Muskel seines Kör pers. Das Gewicht des Commanders drückte immer schwerer auf seine Schultern. Ren Dhark schleppte sich nur noch mühsam vorwärts. Streckenweise mußte ihn Skovlik sogar tragen. Ihm lief der Schweiß in die Augen. Seine weiße Plastikkombination war luftdurchlässig. Trotzdem hatte er das Gefühl, bis zum Hals in einer finnischen Sauna zu stehen. Wenn er gereizt war, kippte seine Stimme vollends um. Seine Frage war daher kaum verständ 257 lieh: »Wo ist denn nun dieser verdammte Jett gelandet. Haben Sie wenigstens die Richtung angepeilt?« Ren Dhark zog sich mühsam über ein Felsband und lehnte den Rücken gegen das rauhe
Gestein. Max Skovlik rührte keinen Finger, um dem verletzten Commander zu helfen. »Es gibt eine Möglichkeit, den Jett auszumachen«, erklärte Dhark mit gepreßter Stimme. »Wenn er heil gelandet ist, schaltet sich automatisch der Peilsender ein. Wir können mit unseren Vielzweckchronometern eine Kreuzpeilung vornehmen und den Standort relativ genau bestimmen.« Skovlik nickte. »Ein Versuch kann nicht schaden.« Er aktivierte den Frequenzsucher seines Chronometers und drehte sich langsam um die eigene Achse. Der dünne Summton war zuerst kaum zu hören. Er wurde jedoch kräftiger, als Skovlik sich zur Seite wandte. »Das ist der Jett«, sagte er und zog den Magnetverschluß der Kombination noch weiter auf, »er liegt wahrscheinlich in dem flachen Tal dort drüben. Ich versuche jetzt eine Kreuzpeilung.« Max Skovlik entfernte sich einen Kilometer von Ren Dhark, peilte den Sender des Jett erneut an und kehrte dann zurück. »Wir haben ihn. Er liegt tatsächlich rund drei Kilometer entfernt in einem Tal. Kommen Sie, Commander!« Wind war aufgekommen. Skovlik beobachtete besorgt die treibenden Wolken. »Wir müssen uns beeilen!« drängte er, »der Wind bläst aus Richtung der Absturzstelle. Wenn wir Pech haben, erwischt uns der Fallout doch noch!« Das Gewicht des Commanders lastete auf seinen Schultern. Hin und wieder schrillte der RWarner auf, wenn radioaktive Staubmassen vorübertrieben. Skovlik bewegte lautlos die Lippen. Er verfluchte sein Unglück, das ihn auf diesen Planeten getrieben hatte, er verfluchte sich selbst, weil er kaum noch durchhalten konnte, und er verfluchte den Commander, weil der aus unerfindlichen Gründen die Katastrophe überlebt hatte und ihn jetzt belastete. Er stieß dem Gefährten grob in die Seite. »He, Commander, ist der Jett überhaupt raumtauglich? Können wir gerettet werden, wenn wir den Jett erreichen?« Ren Dhark nickte schwach. »Mit dem Jett können wir jeden Planeten dieses Systems erreichen. Wir haben auf dem sechsten Plane 258 ten eine Reparaturbasis. Dort gibt es einen Hypersender. Wenn wir die Station erreicht haben, sind wir gerettet!« Skovlik atmete tief durch. »Dann brauchen wir nicht einmal zu starten. Wir rufen einfach über den Jett-Sender die Station auf dem sechsten Planeten und lassen uns abholen.« Ren Dhark konnte sich nur noch mühsam auf den Beinen halten. »Irrtum, Skovlik«, flüsterte er, »der sechste Planet steht zur Zeit von uns aus betrachtet hinter der Sonne. Wir müssen schon hinfliegen, um Kontakt zu bekommen!« Max Skovlik stoppte abrupt. »Dort, sehen Sie!« Der Jett war vom Explosionsdruck in ein flaches Tal getrieben worden. Nachdem der empfindliche Mensch durch die Katastrophenschaltung in Sicherheit gebracht worden war, war ein weiteres Programm in Kraft getreten, das die Landung des Jett vorbereitet hatte. Als die Lenkelemente wieder angesprochen hatten, war der Jett auf seinen A-Gravfeldern sanft abgesetzt worden. Nur noch die Stabilisierungsautomatik lief. Unter dem ständig wachsenden Winddruck vibrierte die Zelle. Ren Dhark ließ sich von Max Skovlik mitschleifen. Die beiden Männer erreichten den Jett. Der Commander hielt sich an einem Windleitblech fest und schaute durch die Kanzelfenster. Automatisch hatte sich der Passagiersitz an die Stelle des ausgeschleuderten Pilotensitzes geschoben. Die seitliche Wandöffnung wurde durch eine luftdicht schließende Stahlplatte abgedeckt. »Für den Passagier wird es etwas unbequem, fürchte ich«, sagte Ren Dhark, ohne sich nach Skovlik umzusehen, »aber bis zum sechsten Planeten werde ich es schon aushallen. Ich hoffe nur, daß Sie mit diesem Jettmodell umgehen können, Skovlik!« Ren Dhark bekam keine Antwort. Er drehte sich um und schaute sich suchend um. Plötzlich entdeckte er wenige Meter hinter dem Jett eine Gestalt, die mit schwimmähnlichen Bewegungen auf dem Boden herumkroch. »Skovlik, kommen Sie, die Radioaktivität steigt!« brüllte der Commander und stemmte sich
gegen den Jett. Die violetten Wolken verdunkelten sich. In der Ferne zogen Staubmassen wie riesige Schleier über die Oberfläche des Planeten. 259 »Skovlik, wo bleiben Sie?« Ren Dhark legte die Hände trichterförmig um den Mund, um gegen den weiter aufkommenden Sturm anzuschreien. Urplötzlich stand Skovlik vor dem Commander. Seine Augen flackerten eigenartig. Seine Hände zitterten, als er Ren Dhark die beiden hühnereigroßen, bizarren Gebilde zeigte. Die fistelnde Stimme kreischte in höchstem Falsett: »Repro-Kristalle, das sind Repro-Kristalle! Die Giants haben Aufzeichnungen darüber. Das sind die am meisten gesuchten Kristalle des ganzen Universums...« Max Skovlik starrte die beiden milchigen Gebilde verzückt an. Plötzlich nahm er beide Kristalle in eine Hand, zog eine flache Brieftasche aus seiner Kombination und legte sie flach auf den Boden. Die Kristalle strahlten schwach weißes Licht ab. Skovlik hielt die beiden Kristalle im rechten Winkel zueinander und bestrich mit dem gemischten Licht die Brieftasche, die kurzzeitig flimmerte. Er legte die Steine zur Seite und beugte sich atemlos vor. Auf seiner Brieftasche lag ein vollkommen identisches Duplikat! Die Vielzweckchronometer warnten erneut. Max Skovlik schien aus einem tiefen Traum zu erwachen. Er sah sich mißtrauisch um und blickte in die klaren Augen des Comman-ders, die sich förmlich in seine Seele brannten. »Lassen Sie die Steine hier, Skovlik, sie bringen nur Unheil! Geraten sie in falsche Hände, geht unsere Währung zum Teufel. Es gäbe keine Sicherheit mehr. Sogar Menschen könnten dupliziert werden. Diese Vorstellung ist doch grauenhaft. Legen Sie die Steine weg und lassen Sie uns starten!« Max Skovlik preßte die beiden Steine fest gegen seine Brust. »Die Kristalle lasse ich mir nicht mehr entreißen, Commander«, sagte er gefährlich leise, »sie gehören mir, ich habe sie entdeckt, sie und die vielen hundert anderen, die dort drüben noch liegen. Diese Kristalle geben mir uneingeschränkte Macht, sie machen mich unsterblich, sie...« »Hören Sie auf zu schwatzen«, sagte Ren Dhark kühl, »auch ich weiß, was die Giants über die Repro-Kristalle geschrieben haben. Glücklicherweise sind diese teuflischen Energieumwandler außer 260 ordentlich empfindlich gegen Radioaktivität. Deshalb sind sie auch auf den übrigen Planeten verschwunden. Ihre kostbaren Steine sind schon jetzt nichts mehr wert. Lassen Sie uns endlich starten, bevor die Radioaktivität auch uns erwischt.« Die Worte des Commanders wurden vom auf- und abschwellenden Schrillen der Vielzweckchronometer unterstrichen. Er wollte gerade in die Kabine klettern, als ihn eine harte Hand zurückriß. Skovlik lachte freudlos. »Es tut mir schrecklich leid, Commander, aber Sie müssen zurückbleiben. Ich kann die kostbaren Steine nicht der Strahlung aussetzen. Unglücklicherweise ist im Jett nicht genug Platz für Sie und die Steine. Leider werde ich Sie zurücklassen müssen!« Ren Dhark atmete unnatürlich laut. »Überlegen Sie sich das genau, Skovlik! Sie können mich nicht einfach auf einem fremden Himmelskörper aussetzen. Der Checkmaster der PoiNT OF wird den Kurs unseres Raumers nachrechnen und hundertprozentig auf diesen Planeten stoßen. Selbst wenn die Radioaktivität mich vorher frißt, werde ich Dokumente zurücklassen, die Ihre Schuld beweisen. Sie kommen damit nicht durch, Skovlik!« Der antwortete mit einem raubtierhaften Lächeln. Er stieß die beiden Kristalle leise klickend gegeneinander. »Sie vergessen eins, Commander. Ihr Forschungsraumer ist abgestürzt und in einer atomaren Explosion vergangen. Niemand kann wissen, daß Sie bis jetzt überlebt haben. Ihr Pech, daß ich die Kristalle gefunden habe. Ich hätte Sie sonst tatsächlich gerettet!« Ren Dhark beugte sich leicht vor. »Wollen Sie wirklich einen Mord riskieren, Skovlik? Mit Infrarotfilm kann die Szene noch nach Tagen sichtbar gemacht werden. Ich werde bestimmt jetzt schon gesucht. Geben Sie auf, Skovlik!« Max Skovlik deutete auf das tönende Chronometer. »Gar nichts können die Infrarotfilme festhalten! Die Strahlung überlagert alles. Es tut mir aufrichtig leid um Sie. Persönlich habe ich weder etwas gegen Ihre Regierungspolitik noch gegen Sie persönlich. Es ist einfach Pech,
daß Sie mir in die Quere kamen. Jetzt ist nichts mehr zu ändern!« Einen Augenblick lang spürte Skovlik, wie die Außenwelt ihn netzartig umklammerte: das Schrillen des Chronometers, das vielfältige Kreischen der planetaren Tierwelt, der betäubende Ge 261 ruch, der von einer schwarzen Kastenwurzel aufstieg, und schließlich das flache Atmen Ren Dharks. Eine nur unterschwellig vorhandene Regung suchte sich Bahn zu brechen. Doch zu schnell merkte Max Skovlik, daß er begann, mit seinem Opfer Mitleid zu haben. Er richtete sich unmerklich auf und deutete zum Jett. »Steigen Sie ein, Dhark. Ich werde Sie und die Kristalle mitnehmen!« Wortlos wandte sich der Commander der Planeten der schmalen Leiter zu. Er hatte kaum den Fuß auf die unterste Stufe gestellt, als sich sein Körper versteifte. Mit ausdruckslosem Raubtiergesicht feuerte Skovlik dem Commander einen ganzen Zwölferstreifen zwischen die Schulterblätter! »Lassen Sie sich in der Diskussion nicht stören, meine Herren, ich bin gleich fertig«, rief die Tiefenpsychologin Sonya Bernstein. Sie prustete ungeniert, als der scharfe Strahl der Dusche auf ihre Haut prasselte. Der kleine Yang Lua, der beste Hypnomediziner des menschlichen Einflußbereichs, lächelte den Narkotikspezialisten John Packer freundlich an. »Ich kann verstehen, Kollege, daß Sie selbst den pla-stikvorhanggedämpften Reizen unserer intelligenten Freundin nicht unempfindlich gegenüberstehen. Trotzdem scheint es mir ratsam, die derzeit bekannten Tatsachen zu fixieren und damit zu einem wissenschaftlich fundierten Ergebnis zu kommen. Ich könnte...« »Drehen Sie den Hebel zu, Professorchen«, sagte die attraktive Rothaarige, die gerade hinter dem Plastikvorhang der Duschkabine hervortrat. Sie hatte sich ein Badetuch um den Körper geschlungen und beugte sich jetzt vor, um intensiv ihre Zehennägel zu begutachten. »Reizend«, bemerkte Yang Lua, »die Goldtönung muß ich meinen Töchtern empfehlen!« Sonya Bernstein griff nach einer Vibrationsbürste und strich sich sorgfältig durch die dichten Haare. Sie schnurrte wohlig: »Das war nach diesem Abenteuer notwendig. Ich habe selten soviel Energie abgegeben!« »Sie wissen, daß Sie miserabel waren?« warf John Packer ein. 262 Yang Lua hielt die Luft an. Er wartete auf einen bösartigen Ausbruch seiner schönen Kollegin, doch er wurde angenehm überrascht. »Sie haben ausnahmsweise einmal recht, John«, sagte die Rothaarige. »Aber glauben Sie mir bitte, ich war so gut wie nie zuvor. Solch ein Original ist einfach kaum zu erreichen. Dagegen müssen unsere Repros schwache Schatten bleiben!« Die beiden Männer stimmten ihr vorbehaltlos zu. »Es war schon schwierig, die Landschaft zu stabilisieren«, meinte Yang Lua nachdenklich. John Packer nickte lebhaft. »Auch ich hatte Schwierigkeiten. Meine Angreifer konnten einfach nicht unter Kontrolle gehalten werden. Beim Jettreamer wäre es sogar fast zu einer Katastrophe gekommen.« Sonya Bernstein rieb ihr langes, rotes Haar mit einem Tuch trok-ken und steckte sich routiniert die schmalen Formclips hinein, die durch Zellspannungsänderung den einzelnen Haarsträhnen unverrückbaren Halt gaben. Eine melodische Glocke erklang. Die drei äußerlich so verschiedenen Menschen reagierten sofort. »Wartet eine Sekunde, ich werfe mir nur den Sarong über«, bat Sonya Bernstein. Wenige Minuten später standen die drei vor der Tür zu den Privaträumen Echri Ezbals. Ein Künstler hatte die Tür gestaltet. John Packer erinnerte sich, daß diese Tür der einzige persönliche Gegenstand gewesen war, den der Weise Echri Ezbal mitgebracht hatte. Die Tür stammte von seinem Haus, das weit unten am Fuß des mächtigen Himalayagebirges stand. Das Schnitzmesser des Künstlers hatte vielfältige Szenen aus dem spröden Material herausgearbeitet. Unwillkürlich blieb der Blick Yang Luas an einer winzigen Schnitzarbeit haften, die zwei Männer und eine Frau mit langem Haar zeigte. Über den drei Gestalten schwebte ein Friedensritter. Das Tor jedoch, durch das sie gerade treten wollten, hatte den Umriß eines Totenschädels.
»War wohl Hellseher, der alte Brahmanenknabe«, spottete John Packer und schnippte mit den Fingern gegen die Schnitzerei. Lautlos schwang die Tür zurück. »Spotten Sie nicht über transzendente Strömungen, von denen weder Sie noch ich etwas verstehen«, sagte eine sonore Stimme. 263
John Packer mußte sich jedesmal Mühe geben, dem Blick der klaren blauen Augen Echri Ezbals standzuhalten. Den hageren, fast zwei Meter großen Mann schien ein Hauch von Unendlichkeit zu umwehen, irgend etwas Unbegreifliches, das ihn hoch über normale Men schen erhob. Echri Ezbal sah seine drei Besucher nachdenklich an. Sein Blick ruhte besonders lange auf dem Gesicht Sonya Bernsteins, das die Spuren tiefer Erschöpfung trug. »Die abschließende Prüfung ist vorüber?« Die Frage klang mehr wie eine Aussage. Der kleine Hypnosearzt nickte hastig. Er zerrte das Band mit der dreidimensionalen Ampexaufzeichnung aus der Brusttasche und zog ein Stück des Magnetstreifens hervor. »Sehen Sie hier, Ezbal. Der automatische Kurvenschreiber hinter dem Magnetknopf hat...« Der Stationsleiter lächelte leicht. »Später, Yang Lua. Ich verstehe zu wenig von dieser Technik, um genau folgen zu können. Das sollen lieber Ihre Kollegen erledigen. Vielleicht könnte mir aber die hochverehrte Kollegin Bernstein in kurzen Worten erklären, wie der letzte Test ausgefallen ist?« Während der Unterhaltung waren die vier Menschen tiefer in den schmucklosen Raum getreten, der Echri Ezbal als Wohnzimmer diente. Handgewebte Decken hingen an den Wänden. Die Möbel waren handgeschnitzt. Das Hochleistungsvipho auf dem rauhen Holz tisch wirkte seltsam deplaziert. Sonya Bernstein lehnte sich leicht in den überraschend bequemen Holzstuhl zurück, strich sich unbewußt durch die flammendroten Haare und fixierte einen Punkt hinter Ezbals Kopf. Sachlich begann sie ihr Referat: »Das Team Yang Lua als Hypnosearzt, John Packer als Drogenspezialist und Sonya Bernstein als Tiefenpsychologin erhielt den Auftrag, Max Skovlik auf seine mentale Tauglichkeit zum Cyborg zu testen. Auf der Grundlage der über Skovlik bekannten Daten erstellte der Suprasensor der Station ein spezielles Testprogramm, das mit Hilfe eines uns in seiner Funktionsweise bisher noch unbekannten M 264 Gerätes durchgeführt wurde. Dieses M-Gerät setzt innerhalb einer Hohlkugel von achtzig Zentimeter Durchmesser alle gedanklichen Vorstellungen in die Realität um. Es ging darum, Skovlik mit den verschiedensten Situationen zu konfrontieren, in denen sein Mut, seine Ausdauer, seine Auffassungsgabe, aber auch seelische Reaktionen wie Haß und Liebe, Neid und Großzügigkeit geprüft werden konnten!« Yang Lua sprang auf und lief nervös vor dem Tisch auf und ab, hinter dem Echri Ezbal gelassen und unbeweglich saß. »Die Kollegin vergaß zu erwähnen, daß das Erlebnis des Prüflings für ihn absolut echt wirkt. Er glaubt, daß die Vorgänge in der Hohlkugel tatsächlich geschehen sind. Sein Geist wurde in die Szenerie projiziert!« Sonya Bernstein hob leicht die Hand, und Yang Lua verstummte. »Wie Sie aus den Bandaufzeichnungen ersehen können, reagierte Skovlik in den meisten Fällen über Erwarten gut. Er ist ein Mensch mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten, das ist sicher!« Echri Ezbal ließ eine Schnur durch die Finger gleiten, an der viele blankgeriebene Holzperlen befestigt waren. Die Finger tasteten sich von Perle zu Perle, streichelten sie mit einer unnachahmlichen Bewegung und glitten zur nächsten Kugel. »So ist es also endlich gelungen, einen weiteren Kandidaten für die Galaktische Feuerwehr zu finden?« »Nein!« Das Wort stand schroff im Raum. Sonya Bernstein rieb nervös die Handflächen gegeneinander. »Wir dachten anfangs auch, daß alles in Ordnung wäre. Skovlik hielt jeder physischen Belastung stand. Doch zum Schluß ging das Experiment schief!« Echri Ezbal zog fragend die Augenbrauen hoch. Die Tiefenpsychologin wies mit beredter
Geste auf die Bandaufzeichnung. »Sie müssen sich den Schluß ansehen, Ezbal. Yang Lua hatte eine skurrile Fremdlandschaft aufgebaut und hielt sie stabil. John Packer projizierte die entsprechenden Gefahren in dieses Bild. Das Unterbewußtsein Skovliks, das dessen figürliche Darstellung steuerte, reagierte großartig. Schließlich konfrontierte ich ihn mit Ren Dhark. Die Begegnung ging so lange gut, bis die Eigeninter essen des Prüflings stärker wurden als seine ethischen Grundsätze. Der Fiktiv-Skovlik erschoß den Fiktiv-Dhark.« 265 Die Stille senkte sich fast körperlich fühlbar über den Raum. Nur das schwache Atmen der vier Menschen war zu hören. Dann kam leise die sonore Stimme Echri Ezbals: »Ihr Urteil?« »Negativ«, antwortete Sonya Bernstein, »Max Skovlik fehlen die moralischen Qualitäten, ein Cyborg zu werden!« Ezbal wandte sich John Packer zu. »Bedenken Sie, was es für Skovlik bedeutet, wenn er in diesem weit fortgeschrittenen Stadium doch noch zurückgewiesen wird. Seine gesamte Psyche kann darunter leiden. Wie entscheiden Sie sich, John?« »Negativ«, antwortete der Drogenspezialist ohne zu zögern. »Und Sie, Yang Lua? Geben Sie Skovlik noch eine Chance?« »Negativ«, sagte der kleine Hypnose-Arzt, »dieser Mann könnte uns selbst gefährlich werden!« Echri Ezbal seufzte. Er freute sich nicht auf die Aufgabe, die jetzt vor ihm lag. Mit gesenktem Kopf stand Max Skovlik vor Echri Ezbal. Die massigen Schultern strafften das weiße Plastikhemd bis zur Zerreißgrenze. Seine Stimme klang wie eine unter Hochspannung stehende Stahlsaite. »Und ich bekomme keine Chance mehr?« Ezbal musterte Skovlik unverwandt und schüttelte schließlich verneinend den Kopf. »Keine Chance, mein Freund. Der letzte Test hat ergeben, daß wir Sie aus Gründen der Selbsterhaltung nicht in die Galaktische Feuerwehr aufnehmen können. Sie sind psychisch instabil!« »Woher wollen Sie das so genau wissen?« begehrte Skovlik auf, »diese verdammten Tests berühren doch immer nur einen geringen Teil der Persönlichkeit. Ihre Spezialisten müssen sich irren. Ich bin mit den besten Vorsätzen gekommen, ich habe mich freiwillig gemeldet, um an einem großen Projekt mitzuarbeiten. Sie haben mir die Umrisse gezeigt - und jetzt werfen Sie mich plötzlich hinaus. Ich verstehe das nicht!« Ezbal blickte seinem Gesprächspartner fest in die Augen. »Sie 266 können das auch nicht verstehen, Max. Die letzten Tests liefen auf psychischer Basis. Wir entnahmen die Aktionsströme direkt Ihrem Gehirn. Dadurch wurden die Sektoren umgangen, in denen sich Ihr Gedächtnis befindet. Sie haben keine Erinnerung an das, was vorgefallen ist, und das ist auch besser für Sie. Es ist sinnlos, über Ihre Ablehnung noch zu diskutieren. Das Urteil ist gefällt und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden!« Skovlik sprang auf und begann, im Zimmer auf und ab zu laufen. Seine Schultern zuckten. Plötzlich fuhr er herum und stand mit zwei Schritten dicht vor dem Gelehrten. »Ich lasse mir das nicht bieten, Ezbal! Wenn Sie mich nicht als Cyborg haben wollen, so werden Sie sich mit mir als Gegner auseinandersetzen müssen. Ich lasse mich nicht herumstoßen!« Echri Ezbal öffnete eine Schublade seines schmucklosen Schreibtisches und holte zwei Ordner hervor. In dem einen befanden sich nur wenige Folien, der andere hingegen faßte sie kaum. »Das sind die Leute, die ins Cyborg-Programm aufgenommen wurden«, erklärte der Brahmane und wies auf den dünnen Hefter, »und das sind die Akten der Bewerber, die in die innere Auswahl einbezogen wurden und trotzdem abgelehnt werden mußten. Nur die allerbesten können die seelische Belastung ertragen.« Ezbals blaue Augen waren mit brennender Intensität auf Skovlik gerichtet. »Selbst bei denjenigen, die wir zu Cyborgs machen, besteht keine hundertprozentige
Erfolgsquote. Es kann zu Katastrophen kommen. Wir können nicht vorsichtig genug sein,
denn ein Versager kann das gesamte Projekt stören. Das müssen Sie einsehen!«
»Einsehen«, keuchte Skovlik und beugte sich weit über den Schreibtisch, »einsehen,
nachdem ich weiß, was aus mir hätte werden können? Greifbar nah vor mir lag die Chance,
ein Übermensch zu werden, ich glaubte, nicht mehr altern zu müssen, ich wollte große
Probleme lösen - und dann soll ich einsehen, daß ich untauglich bin, obwohl ich nicht einmal
weiß, wie es zu dieser Beurteilung gekommen ist. Ist das nicht zuviel verlangt, Ezbal?«
Der Gelehrte wich dem zornigen Blick nicht aus. »Das ist wenig verlangt im Vergleich dazu,
welche Anforderungen wir tatsächlich
267
an einen Cyborg stellen«, erklärte er sachlich, »außerdem ist es sinnlos, weiter über
beschlossene Dinge zu diskutieren. Es geht jetzt um eine andere Frage: Wollen Sie
hierbleiben und am Cyborgpro-jekt mitarbeiten oder wollen Sie das Brana-Tal verlassen? Ich
muß Sie darauf aufmerksam machen, daß in diesem Fall Ihr Gedächtnis blockiert wird. Die
Menschheit ist noch nicht reif, genaue Tatsachen über die Cyborgs zu erfahren!«
Max Skovlik ließ sich schwer auf seinem Stuhl zurückfallen. Er wirkte ausgebrannt.
»Machen Sie doch, was Sie wollen«, murmelte er undeutlich. Doch dann riß er sich
zusammen. Er senkte die Lider, schluckte einmal vernehmlich und sagte mit fester Stimme:
»Nun gut. Wenn ich schon selbst kein Cyborg werden kann, dann will ich auch nicht an ihrer
Entstehung mitarbeiten. Ich gehe.«
»Haben Sie sich das auch gut überlegt, Skovlik? Ich habe Ihnen gesagt, daß wir in diesem
Fall Ihr Gedächtnis blockieren müssen.«
»Mein Entschluß steht fest«, erklärte der Mann, der so gern zum Cyborg geworden wäre,
trotzig und ohne aufzublicken.
Echri Ezbal seufzte, dann rief er über sein Vipho zwei Männer, die die Gedächtnisblockade
durchführen sollten. Nur wenige Augenblicke später betraten die beiden den Raum und
nahmen Skovlik mit.
Nachdenklich sah Echri Ezbal noch einige Minuten auf die Tür, die hinter Skovlik ins Schloß
gefallen war.
268
14.
Jos Aachten van Haag wirkte nicht besonders fröhlich, als er Bernd Eylers' Büro betrat. »Schlechte Neuigkeiten?« fragte Eylers knapp. Jos zuckte die Schultern. »Das kann man so nicht sagen. Eher... ach, verdammt, in dieser ganzen Geschichte paßt überhaupt nichts zusammen!« Eylers warf ihm einen fragenden Blick zu. »Dann erzählen Sie doch einfach mal, was Sie herausgefunden haben.« Jos ließ sich schwer in einen Besuchersessel fallen. »Haben Sie den Bericht gelesen, den ich Ihnen gestern abend rübergeschoben habe?« Eylers nickte. »Was hat denn die Untersuchung von diesem Haus ergeben?« Jos zog einen kleinen Recorder aus der Tasche. »Stevens' Anruf wurde aufgezeichnet. Ich hab's hier. Hören Sie selbst: >Stevens hier. Wir haben das Haus von diesem Keller jetzt komplett gecheckt. Junge, Junge, da haben Sie mal wieder einen guten Riecher gehabt, van Haag. Ganz so vorsichtig hätten Sie allerdings nicht sein müssen. Die Lichtschranken im Vorgarten sollten die Bewohner anscheinend nur warnen. Und das Ding unter der Treppe muß manuell ausgelöst werden. 'Ne nette Art, sich unliebsamen Besuch von der Schwelle zu putzen. Wenn Sie allerdings versucht hätten, ins Haus einzudringen, dann hätte es richtig geknallt. In diesem verdammten Gemäuer steckt genug Plastyt, um den halben Vorort wegzupusten. Das ist aber auch schon alles. Ein paar Möbel, ein bißchen Elektronik für das Sicherheitssystem, das war's. Hier hat irgendwer ein leeres Haus vermint. Falls Sie noch Fragen haben, melden Sie sich morgen bei mir. Ende.<« 269 Jos schaltete den Recorder aus. »Sie haben wirklich einen verdammt guten Riecher, Jos. Wenn ich mir vorstelle, Sie hätten versucht, ins Haus zu kommen... Ich nehme an, Sie haben sich mittlerweile um diesen...
Keller gekümmert, dem das Haus gehören soll?« »Hab' ich, Chef, und allmählich weiß ich überhaupt nicht mehr, woran ich eigentlich bin.« »Schießen Sie los.« Eylers lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Marco Keller, genauer Dr. Marco Keller, hat bis vor einem halben Jahr in der Klinik von Alamo Gordo gearbeitet. Dann hat er darum gebeten, ihn vorzeitig aus seinem Vertrag zu entlassen, weil er sich aus persönlichen Gründen verändern wollte. Man hat ihm keine Steine in den Weg gelegt. Keller ist aus Alamo Gordo verschwunden und hat eine Stelle am Krankenhaus von Aberdeen angetreten.« »Moment«, unterbrach ihn Eylers. »Keller hat angeblich in World-City gewohnt und hier in Alamo Gordo gearbeitet?« Jos schüttelte den Kopf. »Keller hat nicht in World-City gewohnt, er hatte hier eine Wohnung. Vielleicht hatte er sein Haus vermietet, ich weiß es nicht, und fragen kann ich ihn auch nicht, denn auch Keller ist verschwunden.« »Seit wann?« »Seit ein paar Tagen.« »Das heißt, er ist ungefähr zum gleichen Zeitpunkt verschwunden, an dem wir angefangen haben, Henk Kuipers unter die Lupe zu nehmen, oder?« »Könnte hinkommen«, erwiderte Jos. »Hm.« Eylers massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. »Nur um festzustellen, daß ich alles richtig kapiert habe: Captain Les Silvano hat in einem mit Plastyt vollgepackten Haus gewohnt, das einem gewissen Marco Keller gehört, der hier in Alamo Gordo in der Klinik gearbeitet hat. Keller hat Anfang des Jahres eine Stelle am Krankenhaus von Aberdeen angetreten. Silvano ist dieses Jahr zwei-, dreimal nach Aberdeen geflogen, angeblich, um seinen kranken Onkel zu besuchen, der dort wahrscheinlich im Krankenhaus lag. Soweit richtig?« 270 »Richtig«, bestätigte Jos. »Okay, da besteht also sicher irgendein Zusammenhang - bloß was für einer? Es kann ja wohl kaum so sein, daß Keller den Job gewechselt hat, um sich besser um Silvanos Onkel kümmern zu können. Das macht alles keinen Sinn...« »Eben. Außerdem, wenn Keller nur ein harmloser Arzt wäre, wieso verschwindet er auch plötzlich von der Bildfläche?« »Vielleicht hat Silvano ihn verschwinden lassen, um alle Spuren, die zu ihm führen könnten, zu beseitigen.« »Das glauben Sie doch selbst nicht, Eylers. Aber eine Information habe ich noch, die möglicherweise etwas bedeutet. Wissen Sie, in welcher Abteilung Keller in der Klinik von Alamo Gordo gearbeitet hat?« »Sie haben den Fall recherchiert«, erinnerte der GSO-Chef seinen Agenten. »Ich soll Ihnen nur beim Nachdenken helfen.« »Dann passen Sie mal auf, Eylers, und sagen Sie mir, ob diese Information uns etwas bringt oder nicht: Keller war in der Abteilung, in der man im Prinzip nichts anderes getan hat, als den Robonen das Sterben zu erleichtern.« Eylers zuckte leicht zusammen. Das Drama um die zurückgeschaltetem Robonen war ein überaus sensibles Thema. Mittlerweile waren bis auf ein paar Dutzend Männer und Frauen alle Menschen, die Ren Dhark von Robon zur Erde hatte zurückbringen lassen, jenem schrecklichen Syndrom erlegen, das ihre Zellalterung unglaublich beschleunigt hatte. Daß ohne die Robonen das Chaos in der ersten Zeit nach dem Ende der Giant-Invasion noch viel größer gewesen wäre, daß ohne ihre Tatkraft der Wiederaufbau sehr viel länger gedauert hätte - und daß es der terranischen Medizin auf der anderen Seite trotz aller Anstrengungen nicht gelungen war, ein Mittel gegen die Vergreisung zu finden, hatte der kritischen Presse immer wieder Anlaß geboten, die Robonen-Problematik zu Schlagzeilen zu machen. Erst in den letzten Monaten war das Thema aus der öffentlichen Diskussion mehr oder weniger verschwunden - sicher nicht zuletzt deshalb, weil kaum noch Robonen in der Öffentlichkeit präsent waren.
271
Bernd Eylers wußte, daß dieses Thema Ren Dhark immer noch beschäftigte, daß er sich immer noch Vorwürfe machte, durch die Bestrahlung mit dem Commutator-Enzephalo Millionen Menschen zum Tode verurteilt zu haben. »Sie meinen, daß das Ganze etwas mit den Robonen zu tun haben könnte?« Jos Aachten van Haag machte ein ratloses Gesicht. »Ich weiß es nicht, Eylers, ich weiß es wirklich nicht. Keller hat sich auch in Aberdeen wieder um Robonen gekümmert... Verdammt, am liebsten wäre mir, wenn Silvanos Onkel ein Robone wäre, und unser PolizeiCaptain sich aus persönlichen Gründen an ich weiß nicht wem rächen wollte... Aber auch das ergibt keinen Sinn, denn Silvano hat keinen Rachefeldzug unternommen. Wir sind schließlich nur zufällig auf ihn aufmerksam geworden... Nein, da steckt etwas Größeres dahinter, aber ich kann mir immer noch nicht vorstellen, was es sein könnte.« »Was haben Sie jetzt vor, Jos? Wie wollen Sie weitermachen? Daß da irgendwo was im Busch ist, das glaube ich auch. Aber wo wollen Sie anknüpfen?« Jos gab sich einen Ruck. »Ich fliege nach Aberdeen. Ich werde mit ein paar Robonen reden. Vielleicht...« »Seien Sie um Himmels willen vorsichtig, Jos. Sie wissen, wie heikel das Thema ist. Seien Sie nett zu den Robonen. Wenn wir in dem Umfeld Staub aufwirbeln, dann wird Ren Dhark sich darüber nicht freuen. Dann kriegen wir gehörig Ärger!« Jos nickte. »Keine Sorge, ich weiß Bescheid, Eylers. Ich glaube auch nicht wirklich daran, daß die Robonen irgendwie in der Sache mit drin-hängen. Zumindest nicht willentlich oder wissentlich. Aber diese Keller-Silvano-Aberdeen-Verbindung ist die einzige vage Spur, die wir haben. Ich muß mir einfach Klarheit verschaffen, ob diese Verbindung etwas mit den Robonen zu tun hat, oder ob das Ganze ein Zufall ist.« 272 Bert Stranger war nur selten in seinem Büro bei TerraPress zu finden. Auch dieses Mal war er gerade erst zur Tür hereingekommen, als das Vipho summte. Dan Riker war dran. »Hallo, Stranger. Da Sie immer noch auf einem tollen Bericht sitzen, den Sie noch nicht veröffentlichen dürfen, wollte ich Sie fragen, ob Sie nicht nach Cent Field rüberkommen wollen. Wir haben vielleicht etwas für Sie - auch wenn es eine eher tragische Geschichte ist.« »Bin schon unterwegs«, sagte Stranger und war bereits draußen. Im Hauptquartier der TF angekommen, wurde er in einen Raum geführt, in dem Flottenchef Dan Riker mit einem Captain zusammensaß, den Stranger noch nicht kannte. »Das ist Captain DiStefano, Stranger. Er wird Ihnen jetzt das Gleiche erzählen, das er mir erzählt hat.« Und so erfuhr Bert Stranger, daß die Sternschnuppe HIDALGO auf dem Flug von Terra nach Hope Probleme mit dem Transitionstriebwerk bekommen hatte. In einem kurzen Funkspruch hatte der Captain der HIDALGO mitgeteilt, daß es wahrscheinlich möglich wäre, den Schaden mit Bordmitteln zu beheben. Trotzdem hatte die TF ein Schiff losgeschickt, um der HIDALGO zu helfen: die TANIS unter Captain DiStefano. »War die HIDALGO ein Frachtraumer, der auf Hope Tofirit laden sollte?« stellte Stranger eine Zwischenfrage. »Nein«, erwiderte DiStefano. »Die HIDALGO sollte einige Wissenschaftler aus dem Industriedom zur Erde bringen. Erfahrungsaustausch oder irgendwelche Konferenzen... Aber das weiß der Flottenchef besser als ich.« »Sie haben recht, Captain. Die HIDALGO sollte Vandekamp, Renoir, Tofir und noch ein paar andere mehr zur Erde holen.« »Zu einer Besprechung in Sachen Nor-ex, nehme ich an«, warf Stranger ein. Riker nickte. »Aber fahren Sie doch bitte fort, Captain DiStefano.« Der Captain räusperte sich. »Als wir an der Stelle aus der Transition kamen, von der die HIDALGO ihren Notruf abgesetzt hatte, wur
273 den wir Zeuge eines seltsamen Phänomens: Die Sternschnuppe schien sich vor unseren Augen aufzulösen.« »Wie das?« fragte Stranger interessiert. »Ich kann es nicht anders nennen oder beschreiben. Sie schien sich aufzulösen, wurde allmählich durchsichtig - und verschwand schließlich. Wir haben sie angefunkt, aber keine Reaktion erhalten. Wir haben To-Funkstrahlen auf das Schiff gerichtet, weil wir glaubten, es würde dem Nor-ex zum Opfer fallen. Doch es hat alles nichts genützt. Die HIDALGO hat sich vor unseren Augen aufgelöst.« »Und sonst ist nichts Ungewöhnliches passiert?« DiStefano zögerte. »Sagen Sie es ihm ruhig, Captain. Stranger weiß schon, was er bringen darf und was nicht«, sagte Dan Riker. »Je mehr der Auflösungsprozeß der HIDALGO fortschritt, desto stärker wurden gewisse Anomalien. Das Raum-Zeitgefüge schien sich zu verändern, als wäre um die HIDALGO herum ein Sog entstanden. Und dieser Sog schien sich schließlich auch auf die TANIS auszuwirken. Als ich das Gefühl hatte, wir könnten der HIDALGO doch nicht mehr helfen, sondern würden allenfalls noch selbst Opfer dieses Phänomens werden, haben wir uns mit einer Nottransition abgesetzt.« DiStefano schwieg. »Eine böse Geschichte«, murmelte Stranger. »Riker, glauben Sie, daß sich da draußen außer dem Nor-ex noch irgendwelche anderen >Dinge< herumtreiben, die unsere Schiffe bedrohen?« Dan Riker zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht, Stranger. Aber wir haben uns die Sprungkurve der HIDALGO noch einmal angesehen. Es könnte sein, daß der Schaden am Transitionstriebwerk das Schiff schon gar nicht mehr richtig hat rematerialisieren lassen. Oder nur für kurze Zeit.« »Hm.« Bert Stranger gab sich mit dieser Antwort zunächst zufrieden. »Aber irgendwie hatten wir doch noch Glück im Unglück. Riker, oder nicht? Ich meine, der Verlust der HIDALGO ist an sich eine Tragödie - aber stellen Sie sich einmal vor, das Ganze wäre aul dem Rückflug passiert.« 274 Das Krankenhaus von Aberdeen gehörte zu den Gebäuden, die nach Beendigung der GiantHerrschaft völlig neu errichtet worden waren. Es war ein hypermoderner Komplex, der sich in die Landschaft harmonisch einfügte und nicht als Fremdkörper wirkte; das ganze Gebäude strahlte eine Mischung aus Funktionalität und Behaglichkeit aus. Jos Aachten van Haag hatte einen Interkontinentalflug nach Glasgow genommen und sich in der dortigen GSO-Dienststelle einen Jett besorgt. Auf dem Flug nach Aberdeen war er in Gedanken noch einmal alles durchgegangen, was er bisher herausgefunden hatte. Jetzt saß er dem Leiter der Klinik, Professor Shayne, gegenüber. »Ich weiß wirklich nicht, wie unsere ganz besonderen Patienten Ihnen helfen könnten«, sagte Shayne. »Das Ganze ist eine Tragödie. Ich weiß, daß in Alamo Gordo und in allen übrigen medizinischen Forschungszentren der Erde alles Menschenmögliche versucht wurde, diesen Menschen zu helfen, aber...« Er seufzte. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen vermitteln kann, was das für ein Gefühl ist, wenn man als Arzt zusehen muß, wie eigentlich gesunde junge Menschen weit vor ihrer Zeit von einem rapiden Alterungsprozeß dahingerafft werden... Wir können einfach nur dastehen und uns bemühen, diesen Menschen das Sterben so leicht wie möglich zu machen.« Jos war aufgefallen, daß der Professor den Begriff >Robonen< konsequent vermied und immer nur von >diesen Menschen< sprach. Natürlich hatte er recht, denn die Robonen waren Menschen -Menschen, die einfach nur das Pech gehabt hatten, von den Giants verschleppt und einer Behandlung unterzogen worden zu sein, die sie ihr >Menschsein< hatte vergessen lassen. Durch die Bestrahlung mit dem C-E hatten sie ihre Erinnerung zurückerhalten, doch gleichzeitig war dadurch jener Prozeß der rasant beschleunigten Zellalterung in Gang gesetzt worden, dem mittlerweile fast alle zum Opfer gefallen waren.
Im Krankenhaus von Aberdeen lebten gerade mal noch drei Robonen - zwei Männer und eine
Frau - und auch die würden die kommende Woche kaum mehr überleben. Jos räusperte sich.
»Ich weiß, daß wir es hier mit einem überaus heiklen Problem zu
275
tun haben, und ich möchte Ihre Patienten wirklich in keiner Weise belasten, aber Sie
verstehen sicher, daß auch ich meine Aufgaben irgendwie erfüllen muß.
Aber vielleicht ist es ja auch gar nicht notwendig, daß ich mit den Robonen spreche.
Vielleicht können Sie und Ihr Personal mir schon weiterhelfen.«
»Wenn mir das möglich ist, will ich das gerne tun«, erwiderte Professor Shayne.
»Dann erzählen Sie mir mal etwas über Dr. Marco Keller.«
Der Mediziner zuckte die Schultern.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Dr. Keller ist ein sehr guter Arzt, der sich, solange er hier
war, aufopfernd um die Patienten gekümmert hat.«
»Und haben Sie eine Vermutung, wieso er plötzlich verschwunden ist?«
Shayne zögerte mit der Antwort, breitete schließlich in einer entschuldigenden Geste die
Arme aus.
»Das ist sehr schwierig... Ich habe eine Vermutung, aber...«
»Nur heraus damit.«
»Also gut. Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß es für einen Arzt nicht leicht ist, hilflos
danebenstehen und zusehen zu müssen, wie ihm seine Patienten buchstäblich unter den
Händen wegsterben. Vielleicht hat er diesem Druck einfach nicht mehr standgehalten... Ich
meine, er war ohnehin ein sehr ruhiger Mensch, still, verschlossen, ein Einzelgänger könnte
man sagen...«
»Das heißt, er hatte wenig oder gar keinen Kontakt zu seinen Kollegen und Kolleginnen?«
hakte Jos ein.
»Ja, das stimmt. Zumindest keinen, der über rein berufliche Belange oder die Arbeit auf der
Station hinausging. Ich kann mich erinnern, daß einer seiner Kollegen mir einmal scherzhaft
gesagt hat, mit Keller könnte man über nichts anderes als die Arbeit reden. Und selbst in
solchen Gesprächen würde er meist nur zuhören. Wie ich schon gesagt habe, er war ein sehr
verschlossener Mensch.«
Da haben wir eine nette Gemeinsamkeit mit unserem Superbullen, dachte Jos. Auch der
aufopfernde Dr. Keller wollte mit seinen Mitmenschen am liebsten nichts zu tun haben.
276
Er hatte allerdings keine Ahnung, was ihm diese neue Erkenntnis nützen konnte.
»Sie können sich gerne mit den übrigen Stationsärzten über Dr. Keller unterhalten. Ich bin
sicher, Sie werden nur Gutes hören«, fuhr Professor Shayne fort.
Ich habe dummerweise das Gefühl, daß ich dabei aber nichts hören werde, was mich
irgendwie weiterbringt, dachte Jos. Laut sagte er: »Ich glaube nicht, daß das nötig sein wird.
Dr. Keller ist für mich ohnehin nicht von besonderem Interesse. Ich hoffe, daß er bald wieder
bei Ihnen aufkreuzt. Wenn er wirklich so ein guter Arzt ist, werden Sie ihn sicher vermissen.«
Shayne nickte. »Ja, ich hoffe auch, daß er sich wieder fängt und wieder hierher
zurückkommt. Schließlich...«
»Eine Frage noch«, unterbrach Jos den Professor, der wahrscheinlich nur weitere
Lobeshymnen auf Kellers fachliche Qualitäten singen wollte, »kennen Sie vielleicht diesen
Mann?«
Er zog ein Foto von Silvano aus der Tasche.
Professor Shayne betrachtete das Bild lange.
Dann schüttelte er bedauernd den Kopf.
»Nein, diesen Mann habe ich noch nie gesehen.«
»Er müßte eigentlich im letzten halben Jahr Ihre besonderen Patienten ab und zu besucht
haben. Sind Sie sicher, daß Sie ihn noch nie gesehen haben?«
»Ganz sicher. Sehen Sie«, Professor Shayne beugte sich leicht nach vorn, »die Patienten, um
die es Ihnen geht, bekommen nur äußerst selten Besuch. Ein paar Verwandte, vielleicht noch
einige Freunde, das ist alles. Wir überprüfen sehr genau, wer sie besuchen will, seit es in der
Vergangenheit einige Male Ärger mit Journalisten gegeben hat. Von daher bin ich absolut
sicher, daß der Mann auf dem Foto noch nie hier war.«
Jos seufzte.
Welcher Fährte er auch folgte, sie schien nach kurzer Zeit immer im Nichts zu enden.
»Leben in Aberdeen eigentlich noch Robonen, die sich nicht hier bei Ihnen im Krankenhaus
befinden?« fragte er, einer spontanen Eingebung folgend.
277
»Jetzt nicht mehr.«
»Das heißt?« Jos' Nacken prickelte.
»Einige wenige, meist sehr wohlhabende Menschen, die am Alte-rungssyndrom litten, haben
es vorgezogen, sich zu Hause pflegen zu lassen. Der letzte von ihnen, ein Wissenschaftler, ist
vor wenigen Wochen gestorben. Für mich kam das ein bißchen überraschend, ich hatte fest
damit gerechnet, daß er am längsten von allen hier in Aberdeen überleben würde.«
Jos' Nacken prickelte stärker.
»Können Sie mir sagen, wie der Mann heißt und wo er gewohnt hat?«
»Natürlich! Es handelte sich um Professor Hilmar Bergström, und er hat...« Shaynes Finger
huschten über die Tastatur seines Terminals, »in der Lennon-Road gewohnt...«
Jos überlegte nur einen Augenblick.
»Gut, Professor Shayne, ich glaube, dann brauche ich Sie nicht weiter zu stören. Und Ihre
Patienten auch nicht. Sollte es vielleicht doch noch notwendig werden, dann...«
Shayne nickte.
»Ich weiß, ich weiß. Aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf -falls Sie wirklich unbedingt
noch mit meinen Patienten sprechen wollen, tun Sie es bald!«
Das Haus in der Lennon-Road lag halb versteckt hinter uralten Bäumen. Es war ein
gewaltiges Gemäuer in irgendeinem altertümlichen Stil, mit hohen, schmalen Fenstern und
unzähligen Gauben und Erkern.
Wie kann man sich in so einem Kasten nur wohlfühlen, fragte sich Jos, als er aus dem Jett
stieg und auf das Haus zuschritt.
Auf sein Läuten öffnete ihm eine kleine, verhärmt aussehende Frau um die Sechzig -
Bergströms Haushälterin, wie sich schnell herausstellte.
Jos hatte sich auf dem Weg hierher eine Vorgehensweise zurechtgelegt und gab sich als
Wissenschaftsjournalist aus, der an einer Artikelserie über >Die großen Denker des 21.
Jahrhunderts< arbeite
278
te. In dieser Artikelserie sollte auch ein Beitrag über Professor Bergström erscheinen - leider
nur posthum.
Bei dem Wort >posthum< wäre die Frau beinahe in Tränen ausgebrochen, und Jos nahm sich
vor, besonders taktvoll und vorsichtig zu Werke zu gehen.
Durch gezielte Fragen fand er schnell heraus, daß Professor Bergström praktisch bis zu
seinem Todestag weitergearbeitet hatte.
»Er wollte sich von dieser entsetzlichen Krankheit nicht unterkriegen lassen«, erzählte die
Frau. »Wissen Sie, manchmal hatte ich den Eindruck, daß er, seit er von dieser Welt
zurückkam, auf die ihn diese fürchterlichen fremden Wesen deportiert hatten, noch viel mehr
gearbeitet hat als früher. Er wollte unbedingt noch sein Lebensziel erreichen, aber dann hat
der Tod seine eisige Hand erhoben und...« sie brach ab und schneuzte sich ausgiebig.
Jos schwieg verständnisvoll.
»Dabei ging es ihm eigentlich noch gar nicht so schlecht. Dr. Keller hat immer gesagt, es
wäre ein Wunder, daß Professor Bergström noch soviel Kraft hatte.«
Bingo! dachte Jos.
»Dr. Keller? War das der Arzt, der sich um den Professor gekümmert hat?«
»Ja. Er hat sich wirklich sehr viel Mühe gegeben, ist fast jeden Tag kurz vorbeigekommen
und hat nach Professor Bergström gesehen... und er hat auch die traurige Pflicht
übernommen, den Totenschein auszustellen, als...« Wieder versagte der Frau die Stimme.
Das Taschentuch trat erneut in Aktion.
»Es ist sicher schlimm für Sie gewesen.« Jos räusperte sich. »Ich hoffe, der Professor mußte
in seiner Todesstunde nicht zuviel leiden...«
»Nein, das zum Glück nicht. Er ist einfach zusammengebrochen, hat mir Dr. Strachan erzählt.
Ich war ja gar nicht hier. Ich war bei meiner Schwester in Edinburgh. Weil Dr. Strachan an
diesem Wochenende da war, konnte ich mir frei nehmen. Wenn ich gewußt hätte...« Wieder
das Taschentuch.
Doch Jos wollte es mit der Rücksicht nicht übertreiben.
»Dr. Strachan, war das auch ein Arzt?«
279
»Aber nein!« Die Haushälterin wirkte regelrecht entrüstet. »Dr. Strachan war ein
Wissenschaftler, aus Alamo Gordo.« Sie beugte sich vor und senkte ihre Stimme zu einem
Flüstern. »Eigentlich dürfte ich Ihnen das gar nicht sagen. Dr. Strachan arbeitet nämlich bei
einer streng geheimen Forschungsstelle. Noch nicht einmal Professor Bergström sollte seinen
Kollegen etwas davon erzählen. Die beiden wollten die Fachwelt überraschen!«
»Ich glaube, ich bin Dr. Strachan vor einigen Jahren schon einmal begegnet, auf einem
Symposium. Ist er nicht ein ziemlich kräftiger Mann mit dunklen Haaren und dunklen
Augen?«
»Ja, so sieht er aus.«
Volltreffer! Na endlich, dachte Jos. Aber warum hat sich unser Polizei-Captain hier als
Wissenschaftler ausgegeben?
»... dabei mochte ich ihn am Anfang gar nicht. Ich fand ihn unheimlich. Aber allmählich habe
ich gemerkt, daß er ein wirklich sehr, sehr netter junger Mann ist«, plapperte die Haushälterin
weiter. »Er hat sich auch darum gekümmert, daß sämtliche Unterlagen von Professor
Bergström nach Alamo Gordo geschafft wurden. Schon einen Tag nach seinem Tod kamen
ein paar Männer und haben alles mitgenommen.«
Junge, Junge, dachte Jos. Die Sache bekommt allmählich Konturen - aber die wollen mir
überhaupt nicht gefallen.
»Könnte ich vielleicht die Arbeitsräume des Professors sehen. Ich würde gerne ein paar Fotos
machen, das macht den Artikel lebendiger...« fragte er.
»Aber natürlich, kommen Sie mit, ich zeigen Ihnen die Räume, in denen der Professor
gearbeitet hat.«
In dem großen Haus war es still wie in einer Gruft. Die Haushälterin zeigte Jos die
Laborräume und das >Denkzimmer< des Professors. Jos machte fleißig Aufnahmen.
Schließlich bedankte er sich bei der Haushälterin für ihre Hilfe und verabschiedete sich. Auf
dem Weg zum Jett wurde er mit jedem Schritt ein bißchen schneller. Er mußte dringend über
Vipho ein paar Leute anrufen.
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»Jos hier«, sagte Jos Aachten van Haag, als Bernd Eylers sich meldete. »Ich hab' endlich
was.«
Der Jett raste mit Höchstgeschwindigkeit Richtung Glasgow.
»Sehen Sie mal in unseren Datenspeichern nach, was Sie über Professor Hilmar Bergström
finden können. Ist ein Physiker oder so was. Mittlerweile verstorben. Ich würde die Leiche
gern obduzieren lassen.«
»Nun mal langsam, Jos. Können Sie mir nicht ein bißchen mehr erzählen?«
»Noch nicht, Eylers. Ich springe in Glasgow in den nächsten Stratojet und melde mich, sowie
ich wieder in Alamo Gordo bin. Ende.«
Jos' nächster Anruf galt Professor Monty Bell, dem Leiter des Wissenschaftszentrums von
Alamo Gordo.
»Van Haag, was kann ich für Sie tun?«
»Sagt Ihnen der Name Hilmar Bergström etwas, Professor Bell?«
»Natürlich. Ein Mann, den ich immer gerne hier gehabt hätte. Leider hat er es vorgezogen,
alleine zu arbeiten. Er gehört zu den Robonen und ist vor einigen Wochen gestorben, soweit
ich weiß...«
»Was war sein Fachgebiet?«
»Hyperphysik, 5D-Mathematik. Er hat einige bahnbrechende Entdeckungen gemacht, sich
allerdings manchmal auch in ziemlich abstruse Theorien verstiegen...«
»Wissen Sie, woran er zuletzt gearbeitet hat?«
»Nicht auf Anhieb. Ich kann aber versuchen, es herauszubekommen. Es gibt hier
genügend...«
»Tun Sie das, Bell«, unterbrach ihn Jos.
»Was ist eigentlich los, van Haag? Sie verbreiten eine Hektik, daß man meinen könnte, demnächst ginge die Welt unter.« Monty Bell war ein bißchen pikiert. »Vielleicht tut sie das auch«, meinte Jos düster. »Eine letzte Frage noch: Hat Bergström Ihnen in letzter Zeit irgendwelche Unterlagen zukommen lassen?« »Nicht, daß ich wüßte. Aber auch das kann ich noch genau nachprüfen.« »Ich bitte darum, Bell! Ende.« Jos unterbrach die Verbindung. 281 Im Wissenschaftszentrum von Alamo Gordo starrte Monty Bell noch einige Zeit auf den längst grau gewordenen Bildschirm. Dann machte er sich wieder an die Arbeit. Irgendwer sorgt immer dafür, daß es einem nicht langweilig wird, dachte er. Es gehörte zu den Sicherheitsmaßnahmen der terranischen Verteidigung, daß sich alle Außenstationen und von Terra verwalteten Planeten einmal täglich mit der großen ToFunkstation in Cent Field in Verbindung zu setzen hatten. Blieb diese Meldung aus, so wußte man - oder konnte zumindest annehmen -, daß an der betreffenden Stelle etwas nicht in Ordnung war und konnte die notwendigen Hilfs- oder Abwehrmaßnahmen einleiten. Für den Funker, der in der großen Hyperfunkstation in Cent Field Dienst hatte, war es eine Routineaufgabe, die eingehenden kurzen Meldungen von Hope, Dorado, Jump und den übrigen Monden und Planeten entgegenzunehmen. Doch heute kam eine Meldung nicht! Eine Meldung, die - wie eine kurze Anfrage beim Suprasensor ergab - auch gestern nicht eingegangen war! Die Routinemeldung der To-Funkstation auf Robon war somit bereits zwei Tage überfällig. Der Funker überlegte ein Weilchen und entschloß sich schließlich dazu, sich auf die sichere Seite zu begeben. Er informierte seinen Vorgesetzten. Der wiederum überprüfte die Angaben des Funkers, nahm sich vor, dem Mann, der gestern Dienst gehabt hatte, eine Rüge zu erteilen, und ließ dann Robon in kurzen Abständen mit der großen To-Funkanlage rufen. Ohne Erfolg. Auf der nächsthöheren Befehlsebene wiederholte sich das ganze Spiel noch einmal. Das Ergebnis war das gleiche. Robon blieb stumm. 282
Es dauerte einige Zeit, bis Ren Dhark die Nachricht erhielt, daß sich die Station auf Robon bereits seit zwei Tagen nicht mehr gemeldet hatte. Nachdenklich betrachtete er die Folie in seiner Hand. Das Schweigen des Außenpostens auf Robon konnte tausend Gründe haben. Auf der Welt, auf die die Giants die Menschen verschleppt und zu >Robonen< gemacht hatten, waren nur ein paar Dutzend Soldaten und Techniker stationiert. Von den Umweltbedingungen her hätte Robon auswanderungswilligen Terranern durchaus als neue Heimat dienen können; hinzu kam, daß es mit Starlight, Moonlight und Stardust bereits drei - seit der Rückholaktion verlassene - Städte gab. Doch eine bei längerem Nachdenken nur allzu verständliche Scheu hielt die Menschen davon ab, ausgerechnet den Planeten zu besiedeln, der während der Giant-Invasion eine ganz besondere Rolle gespielt hatte. Schließlich hatten hier unter der Herrschaft der Giants Menschen gelebt, denen jede Erinnerung an die Erde genommen worden war. Und als sie ihre Erinnerung zurückerhielten, von Robonen wieder zu Terranern wurden, hatte das die bekannten fatalen Konsequenzen gehabt. Dennoch hatte Ren Dhark Robon nicht völlig aufgeben wollen. Aus diesem Grunde war das kleine Kontingent Soldaten und Techniker auf dem Planeten stationiert worden. Und jetzt schwieg Robon! Ein Erinnerungsfetzen flackerte für den Bruchteil einer Sekunde durch Dharks Unterbewußtsein - und verschwand wieder. Ren Dhark griff zum Vipho. »Hallo, Dan«, begann er, als das Gesicht von Dan Riker auf dem kleinen Bildschirm erschien, »auf deinem Schreibtisch liegt sicher auch diese Robon-Meldung.« Er wedelte mit der Folie in der Luft herum.
Flottenchef Dan Riker nickte. »Haben wir nicht auch ein Raumschiff auf Robon stationiert?« fuhr Ren Dhark fort. »Normalerweise ja«, erwiderte Riker, »aber die TINKERBELLE befindet sich im Augenblick hier auf Terra. Sie soll planmäßig erst übermorgen wieder zurückfliegen.« Er warf seinem Freund einen 283
prüfenden Blick zu. »Du machst dir Sorgen, weil sich die Station nicht gemeldet hat, Ren?« Ren Dhark lächelte. »Sorgen ist vielleicht ein bißchen übertrieben. Aber irgendwer sollte nachsehen, was da los ist...« »Ich habe einen vagen Verdacht, wen du mit > irgendwer < meinen könntest...« sagte Dan Riker gedehnt. Dharks Lächeln wurde breiter. »Ach, weißt du, Dan, wenn ich mir hier meinen Schreibtisch ansehe und feststelle, wie schnell ich vorankomme, und wenn ich dann zu Trawisheim rübergehe und ihm ein paar Minuten auf die Finger schaue - ich glaube, ich bin ein wesentlich besserer Raumschiff kommandant als Verwaltungsmensch.« Jetzt schmunzelte auch Dan Riker. »Und ist es nicht eins der Prinzipien der Arbeitsoptimierung, Menschen gemäß ihren Fähigkeiten so effizient wie möglich einzusetzen? Du hast mich überzeugt, Ren. Wann fliegen wir los?« »Dein Schreibtisch scheint auf dich aber auch keine besondere Anziehungskraft auszuüben, Dan!« Dan Riker zuckte kommentarlos die Schultern. »Ich würde vorschlagen, wir starten in zehn Stunden. Bis dahin müßte die Mannschaft zusammengetrommelt und hier alles geregelt sein. Congollon ist an Bord der PoiNT OF. Ich werde ihn anrufen, daß er sich darum kümmert...« sagte Ren Dhark. »Und vielleicht sollten wir die ersten drei von Echri Ezbals neuen >Wunderkindern< mitnehmen. Die Demonstration kürzlich war ja wirklich beeindruk-kend. Jetzt können die Cyborgs gleich mal einen richtigen Einsatz miterleben.« Riker nickte. »Du könntest auch Janos Szardak Bescheid geben. Die COL liegt immer noch im Dock, und er wird von Tag zu Tag mürrischer und gereizter. Er hat ganz sicher auch nichts gegen ein bißchen Abwechslung einzuwenden.« »Obwohl unser letzter gemeinsamer Ausflug noch nicht besonders lange her ist - und es ganz schön in sich hatte.« »Stimmt. Aber mittlerweile wissen wir, wie wir mit diesem Nor-ex umzugehen haben, wenn wir ihm begegnen sollten...« 284 Eine Stunde, bevor die POINT OF vom Raumhafen Cent Field abheben sollte, erreichte Ren Dhark ein Anruf von Bernd Eylers. »Was gibt's, Eylers? Sie wissen, daß ich praktisch schon weg bin.« »Ich weiß, Dhark. Trotzdem würde ich gern kurz zu Ihnen rüber-kommen. Wir sind auf eine Sache gestoßen, über die ich unbedingt mit Ihnen reden muß.« Ren Dhark seufzte. »Ich nehme an, die Angelegenheit kann nicht warten, bis ich zurück bin. Sonst würden Sie sie wohl kaum so dringend machen. Also gut, kommen Sie rüber.« Augenblicke später betrat Eylers das Büro des Commanders. Er saß noch nicht ganz auf dem Besuchersessel, als er auch schon in groben Zügen zu erzählen begann. Ren Dhark kannte bereits einen großen Teil der Vorgeschichte, denn die hatte Eylers ihm bereits bei ihrem ersten Treffen berichtet, gleich nachdem die PoiNT OF von ihrer Begegnung mit dem Nor-ex zurückgekehrt war. Daher konnte sich Eylers auf die neuesten Ergebnisse von Jos' Ermittlungen beschränken. »Jos hat mich gerade aus Glasgow noch einmal angerufen. Er möchte, daß wir alle noch lebenden Robonen befragen und vor allem alle robonischen Wissenschaftler beschatten...«
»Das kommt überhaupt nicht in Frage, Eylers!« fuhr Ren Dhark dazwischen. »Sie wissen ebensogut wie ich, daß die Robonen-Frage eine überaus heikle Geschichte ist. Sie ist ein wunder Punkt, an dem ich immer noch zu knabbern habe. Verdammt, Eylers, da sterben Zwanzig-, Dreißigjährige, und sie sehen aus wie neunzig. Genügt es nicht, daß man diesen Menschen ihr Leben, ihre Zukunft geraubt hat? Müssen wir sie jetzt auch noch auf dem Totenbett befragen und quälen?« Ren Dhark war aufgestanden und hatte begonnen, im Raum auf und ab zu laufen. »Nein, Eylers, klipp und klar und kategorisch: nein! Es wird keine großangelegte Befragung oder Überwachung der Robonen geben. Nicht, solange ich Commander der Planeten bin. Wir sollten diese 285
Menschen, die letzten ihrer Art, zumindest in Würde sterben lassen. Das sind wir ihnen schuldig.« Er schwieg. Eylers rutschte unbehaglich auf seinem Sessel hin und her. »Commander...?« Ren Dhark war stehengeblieben. Er schien in sich hineinzulau-schen. Dann schüttelte er den Kopf und sah Eylers an. »Ich hatte gerade das Gefühl... Ach, nichts«, sagte er gedankenverloren. Dann wurde seine Stimme kräftiger. »Ich hoffe, wir haben uns verstanden, Eylers!« Der GSO-Chef nickte stumm. Fünfzig Minuten später stieg die blauviolett schimmernde Ringröhre aus Unitall lautlos in den Himmel über Cent Field und verschwand zwischen den Wolken. 286
75.
Seit einer Stunde stand die PoiNT OF im Giant-System, knapp 200 000 Kilometer von Robon
entfernt. Seit einer Stunde schickte Glenn Morris alle fünf Minuten einen Funkspruch an die
Hyperfunkstation am Stadtrand von Starlight.
»Immer noch keine Reaktion, Commander.«
Die Echo-Kontrolle zeigte, daß die Anlage betriebsklar war, aber die Station schwieg.
»Grappa?«
»Nichts, Commander. Nicht der kleinste Blip. Wir sind in weitem Umkreis ganz allein«,
meldete der junge Ortungsspezialist.
Ren Dhark warf Dan Riker einen auffordernden Blick zu. Der nickte.
»Wir gehen runter, aber nicht mit der PoiNT OF«, entschied Ren Dhark. »Wir nehmen zwei
Flash.«
Er tastete die Bordsprechanlage ein. »Oshuta, Sass, kommen Sie bitte ins Flash-Depot. Wir
werden Starlight einen Besuch abstatten.«
Der Commander der Planeten ließ seinen Blick durch die Kommandozentrale schweifen.
»Dan Riker kommt mit mir. Szardak, Sie übernehmen solange die PoiNT OF. Wir bleiben in
Funktkontakt.«
»In Ordnung, Dhark. Aber gehen Sie kein Risiko ein. Die Sache gefällt mir nicht...«
»Was soll uns schon passieren, Szardak? Robon ist unbewohnt -und außerdem haben wir die
Cyborgs dabei.«
»Trotzdem«, murmelte Szardak, »hier ist irgend etwas faul...«
Aber das hörten Dhark und Riker schon nicht mehr. Sie hatten die Zentrale bereits verlassen.
287
Sie hatten die Flash unweit der Hyperfunkanlage gelandet und sich zunächst im Gebäude
umgesehen.
Es war völlig menschenleer.
»Wo sind die Soldaten und Techniker?« fragte Ren Dhark sich laut. Überall lagen
Gegenstände herum, die darauf hindeuteten, daß die Männer die Station überstürzt verlassen
hatten.
»Könnte das Nor-ex etwas damit zu tun haben?« Dan Riker war sich selbst nicht sicher, ob er
die Frage ernst meinte.
»Das glaube ich nicht, Dan. Das Nor-ex hat bisher Raumschiffe verschwinden lassen, nicht
einzelne Menschen, die sich in einem Gebäude befanden. Aber... Oshuta, gehen Sie einmal
nach draußen und sehen Sie nach, ob Sie irgendwo diese Norexal-Schicht entdek-ken
können.«
Der Japaner setzte sich blitzartig in Bewegung.
Ren Dhark trat zum Hyperfunksender.
Er rief die PoiNT OF
»Dhark hier, Szardak, melden Sie sich.«
Sekundenbruchteile später erschien Janos Szardaks Gesicht auf dem Bildschirm.
»Hier PoiNT OF. Ist bei Ihnen alles in Ordnung, Dhark?«
»Hier ist soweit alles klar, Szardak, wenn man einmal davon absieht, daß die gesamte
Besatzung der Station verschwunden ist. Überall liegen Ersatzmonturen, Waffen, ja sogar
Teller und Besteck herum. Die Männer müssen von dem, was für ihr Verschwinden
verantwortlich ist, völlig überrascht worden sein.«
»Oder panikartig geflohen«, erwiderte Szardak. Sein Pokerface blieb unbewegt wie immer,
doch seine Stimme klang besorgt.
»Wir werden uns jetzt ein wenig in der Stadt umsehen«, sagte Ren Dhark, ohne auf Szardaks
Bemerkung einzugehen. »Wir werden alle zwanzig Minuten routinemäßig eine Meldung über
Vipho durchgeben. Bringen Sie die PoiNT OF noch ein Stück weiter herunter. Falls etwas
Außergewöhnliches passieren sollte, melden wir uns natürlich sofort.«
Szardak bestätigte; der Bildschirm erlosch.
»Dan, Sass, kommt; wir wollen mal sehen, was Starlight sonst noch zu bieten hat.«
288
Draußen erwartete sie Lati Oshuta.
Er hatte keine Spur von jener im Sonnenlicht buntschillernden Schicht entdeckt, die das Nor ex beim Verschwinden der FO-1 auf Hope hinterlassen hatte.
Die Sonne stand beinahe im Zenit; es war warm in den Straßen. Links und rechts von ihnen
ragten Wohnblocks auf. Sie wirkten bedrückend in ihrer Gleichförmigkeit.
Gemeinsam wanderten Dhark, Riker und die beiden Cyborgs durch die verlassen Stadt, in der
während der Giant-Herrschaft Millionen Robonen gelebt hatten.
»Dieser Planet macht mir immer noch eine Gänsehaut«, meinte Dan Riker. Er schüttelte sich.
»Erinnerst du dich noch an unseren ersten Besuch auf Robon?«
»Natürlich«, erwiderte Dhark.
Er hob sein Vipho.
»Dhark an POINT OF, Dhark an POINT OF, Szardak, hören Sie mich?«
Von Knistergeräuschen begleitet erklang Szardaks Stimme. Das Bild auf dem winzigen
Bildschirm flackerte.
»Hier PoiNT OF, Szardak spricht. Ich kann Sie verstehen. Allerdings ist die Verbindung
nicht besonders. Grappa hat starke Son-nenfleckenaktivitäten festgestellt, die wahrscheinlich
für die energetischen Störungen verantwortlich sind, die den Empfang erschweren. Ich würde
vorschlagen, Sie kommen zurück.«
»Negativ, Szardak. Wir sehen uns weiter um. Falls die Funkverbindung noch schlechter wird,
melden wir uns eben etwas später wieder. Zur Not mit der hiesigen Hyperfunkanlage oder
den Sendern der Flash. Dhark Ende.«
Falls Janos Szardak noch etwas erwiderte, ging es im immer stärker werdenden Prasseln und
Zischen unter.
»Dieser Planet macht mir immer noch eine Gänsehaut - und diese verdammte Stadt erst
recht«, fing Dan Riker wieder an.
»Willst du umkehren, Dan?«
»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, daß dieser Planet mir...«
»Ich weiß, Dan, ich hab's verstanden.«
289
»Sollen wir auf unser zweites System schalten, Sir?« fragte Lati Oshuta.
Dan Riker verdrehte die Augen.
»Ist schon okay, Oshuta. Ich kann's nicht ändern, daß ich mich unbehaglich fühle. Aber ich
brauche kein Kindermädchen...«
Er machte ein entschlossenes Gesicht und stapfte schneller voran. Die anderen folgten ihm,
holten ihn ein, und dann marschierten sie gemeinsam mit flotten Schritten auf die nächste
Querstraße zu.
»Links oder rechts?« fragte Dhark.
»Rechts«, erwiderte Riker.
Sie bogen um die Hausecke...
Plötzlich lag ein helles Singen in der Luft.
Schockerstrahlen!
Bram Sass und Lati Oshuta wirbelten noch herum, wollten auf ihr zweites System schalten,
die Blaster ziehen...
Und dann brachen auch sie zusammen. Ren Dhark und Dan Riker lagen bereits reglos am
Boden.
»Wie lange ist die Routinemeldung des Commanders schon überfällig?«
»Fünf Minuten«, lautete die Antwort von Glenn Morris aus der Funk-Z.
»Und was ist mit den Sonnenflecken?«
»Aktivität immer noch hoch. Das Maximum scheint aber überschritten«, meldete Tino
Grappa.
»Morris, versuchen Sie es weiter!«
»In Ordnung, Szardak.«
Fünf Minuten tropften dahin.
»Immer noch nichts, Morris?« Szardak wußte natürlich, daß sich Morris gemeldet hätte,
wenn er Kontakt mit Ren Dhark bekommen hätte, aber die Situation zerrte auch an den
Nerven des kleinen Mannes mit dem Pokerface.
»Nichts, Szardak«, kam es erwartungsgemäß aus der Funk-Z.
Janos Szardak faßte einen Entschluß.
Er tastete die Bordsprechanlage ein.
290
»Wonzeff, Doraner, Warren, nehmen Sie Ihre Flash und fliegen Sie runter. Wonzeff, Sie
nehmen Alsop mit.«
»Ich würde auch gern runtergehen«, meldete sich Manu Tschobe zu Wort, der bisher wie ein
dunkler Schatten schweigsam auf dem Copiloten-Sessel gekauert hatte.
»Meinetwegen«, knurrte Szardak.
Tschobe stürmte aus der Zentrale.
»Ich hab' gewußt, daß hier was faul ist«, murmelte Szardak. »Verdammt, ich hab's gewußt.«
Die nächsten beiden Stunden waren voller hektischer Aktivitäten. Dennoch verstrichen sie
quälend langsam.
Die beiden Flash von Dhark und Riker standen noch immer vor der Hyperfunkstation, die
Ausstiege geöffnet.
Doch von den beiden Männern und den Cyborgs fehlte jede Spur.
»Verdammt, sie können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben«, fluchte Janos Szardak zum
x-tenmal.
Er hatte mittlerweile alle Flash auf die Suche nach dem Comman-der und seinen Begleitern
geschickt.
»Sollten wir nicht mit der PoiNT OF landen, dann könnte sich die ganze Besatzung an der
Suchaktion beteiligen?« fragte Hen Falluta, der etatmäßige Erste Offizier des Ringraumers.
»Was?« Janos Szardak blickte irritiert auf. »Nein... oh, verflucht, wir sind ohnehin viel zu
tief. Wenn irgend etwas den Ortungsschatten des Planeten ausgenutzt hat, dann...«
Seine Finger huschten über die Kontrollen. Die PoiNT OF machte förmlich einen Satz und
entfernte sich von Robon.
»Grappa, holen Sie aus Ihren Ortungen raus, was Sie rausholen können. Scannen Sie
besonders den Bereich, der bis gerade eben im Ortungsschatten lag!«
»Da ist etwas, Szardak. Verflixt, Sie hatten Recht. Ein Raumschiff. Es könnte von der
anderen Seite Robons gestartet sein. Entfernt sich mit hohen Werten.«
»Alarmstart für alle Flash-Piloten. Kommen Sie zurück. Wenn Sie es nicht mehr schaffen,
warten Sie hier, bis wir Sie wieder abholen.
291
Wir nehmen mit der PoiNT OF die Verfolgung eines unbekannten Raumschiffs auf.«
Konverter und Umformerbänke brüllten auf; die PoiNT OF beschleunigte mit
Maximalwerten.
»Fremdraumer wird immer schneller. Der dürfte gleich in Transition gehen. Augenblick...
Aber das ist ja...« Tino Grappa schien es die Sprache zu verschlagen.
»Was ist, Grappa?«
»Moment noch, Szardak, das... das muß ich erst noch genauer überprüfen... Hm...«
Die Flashpiloten, die es noch geschafft hatten, die PoiNT OF einzuholen, meldeten sich
zurück.
Manu Tschobe kam in die Zentrale gestürzt.
»Was ist das für ein Raumschiff?« fragte er.
»Fremdraumer geht in Transition. Wiedereintauchpunkt... angemessen. Koordinaten an
Checkmaster... Sprung ging über... 800 Lichtjahre«, meldete Grappa.
»Fertigmachen zur Transition.« Szardaks Stimme klang jetzt ganz ruhig.
Der Checkmaster lieferte die genauen Koordinaten.
Die POINT OF sprang.
»Fremdraumer wieder in der Ortung... Junge, Junge, der haut schon wieder ab...
Energiespektrum... kommt klar rein... tatsächlich... Szardak...« Tino Grappa hob den Kopf
und warf dem >Ersatz-kommandanten< der PoiNT OF einen ungläubigen Blick zu, »wir
verfolgen einen Kugelraumer - einen Giantraumer!«
Ungläubige Stille folgte seinen Worten.
Manu Tschobe stand wortlos auf und ging zu Grappa hinüber. Er überprüfte die Werte
sorgfältig.
»Grappa hat recht«, sagte er schließlich tonlos, »das Energiespektrum ist eindeutig... Das da
vorn ist tatsächlich ein Kugelraumer der Giants...«
Bevor noch irgend jemand etwas sagen konnte, verschwand das fremde Raumschiff von den
Ortungsschirmen.
»Fremdraumer geht in Transition«, meldete Grappa erneut.
292
Das Spiel wiederholte sich noch mehrere Male.
Die Sprünge des flüchtenden Raumschiffs erfolgten in immer kürzeren Abständen.
»Sehen Sie sich das an! Die müssen die Koordinaten ihrer Fluchtroute vorher ausgerechnet
haben. Und zwar bis auf die x-te Stelle hinter dem Komma. Das kann gar nicht anders sein.
So schnell würden die das sonst nicht hinkriegen...« sagte Szardak zu Tschobe.
Der Afrikaner nickte.
»Aber wir lassen uns nicht abschütteln«, fügte Szardak hinzu.
Und die POINT OF ließ sich nicht abschütteln.
Wie ein beharrlicher Schatten folgte sie dem Kugelraumer, Transition für Transition.
Bis Tino Grappa den Wiedereintauchpunkt des Giantraumers nicht mehr genau orten konnte.
Der Kommandant des flüchtenden Raumschiffs hatte sie hereingelegt!
Er war mitten in den Kugelsternhaufen Dg-45 gesprungen.
»Das ist die Vorhölle pur«, meinte Janos Szardak, als der Checkmaster die ersten Daten
lieferte.
»Wenn das die Vorhölle ist, wie sieht Ihrer Meinung nach dann die Hölle aus, Szardak?«
Auch Manu Tschobe hatte einen Blick auf die Daten geworfen.
»Schlimmer!«
Schlimmer als ein Kugelsternhaufen, der anscheinend nur aus Weißen Zwergen,
Neutronensternen, RR-Lyrae-Sternen und pulsierenden Cepheiden zu bestehen schien?
Und wie sollte man in diesem energetischen Chaos ein Raumschiff finden?
Ren Dhark, Dan Riker und die beiden Cyborgs sahen sich in ihrer neuen Umgebung erstaunt
um.
Sie befanden sich in einem kahlen, hell beleuchteten Raum ohne Fenster. Die Wände
bestanden aus einem grauen, metallähnlichen Material. Links und rechts an den
Seitenwänden waren jeweils zwei einfache Pritschen aus der Wand geklappt.
293
Sie wären schlechte Raumfahrer gewesen, wenn sie das leise Summen nicht wahrgenommen,
die leichten Vibrationen nicht gespürt hätten - beides verriet ihnen, daß sie sich auf einem
Raumschiff befanden.
Außer ihren Kombinationen hatte man ihnen alles abgenommen, was sie bei sich getragen
hatten.
Doch wer war >man
Die beiden Cyborgs blickten Ren Dhark erwartungsvoll an. Ihnen wäre es wahrscheinlich ein
leichtes gewesen, aus dem zellenartigen Raum auszubrechen. Doch Ren Dhark bedeutete
ihnen mit Blicken, noch abzuwarten.
Es interessierte ihn, wer sie entführt hatte - und natürlich auch, warum.
»Ein Raumschiff«, sagte Dan Riker, in erster Linie um überhaupt etwas zu sagen.
Ren Dhark nickte. »Und wahrscheinlich kein ganz kleines. Jetzt bin ich nur noch auf die
Besatzung gespannt...«
Geräusche erklangen von draußen.
Das Schott an einer der Schmalseiten glitt beiseite, und herein kam - ein Mensch!
Ren Dhark zwinkerte mit den Augen. Er konnte nicht glauben, was er sah.
Menschen hatten sie entführt!
Menschen?
Und dann brach die Erkenntnis über ihn herein, über ihn und Dan Riker. Denn sie hatten
beide jene telepathische Botschaft vernommen - damals, im Zentrum der Milchstraße, an
Bord eines erbeuteten Raumschiffs der G'Loorn!
Doch die Welt, die ihr Robon nennt, ist nicht die einzige, auf welche die All-Hüter ausgewählte Verdammte umsiedelten... Der Abschiedsgruß des CAL! Und anscheinend hatte der CAL auch ihre Erinnerung an diese Botschaft blockiert. Jetzt erst begriff Ren Dhark, was schon mehrmals in seinem Unterbewußtsein rumort hatte als sie mit General Martell zusammengetroffen waren, als er die Nachricht erhalten hatte, daß die Hyper 294 funkstation schwieg, und als Bernd Eylers ihm von Jos' Nachforschungen erzählt hatte. Jos' Nachforschungen! Ren Dhark stöhnte innerlich auf.
Vor ihnen stand ein Robone, daran hatte er keinen Zweifel mehr. Aber wenn es hier Robonen
gab, dann...
Die Konsequenzen, die sich aus dieser Erkenntnis ergaben, waren ungeheuerlich!
Als Jos Aachten van Haag das Büro von Bernd Eylers betrat, bemerkte er sofort, daß etwas
nicht in Ordnung war.
»Heute sind aber Sie derjenige, der eine miese Stimmung verbreitet, Eylers. Was für eine
Laus ist Ihnen denn über die Leber gelaufen?«
Der GSO-Chef winkte ab.
»Das werden Sie noch früh genug mitkriegen, Jos. Erzählen Sie mir erst einmal genauer, was
Sie in Aberdeen 'rausbekommen haben.«
Und Jos gab einen detaillierten Bericht vom Verlauf seiner Nachforschungen in Aberdeen.
»Ich habe vorhin nochmal kurz mit Monty Bell gesprochen«, kam er zum Schluß. »Es sind
natürlich keinerlei Unterlagen von Professor Bergström im Wissenschaftszentrum von Alamo
Gordo angekommen. Unser sauberer Captain Silvano hat sich die Ergebnisse von Bergströms
Arbeit unter den Nagel gerissen. Er und seine Hintermänner...«
»Woran hat Bergström denn gearbeitet? Konnte Bell Ihnen auch dazu etwas sagen?«
Jos massierte sich die Schläfen. Er fühlte sich müde und sehnte sich nach seinem Bett.
»Wenig Konkretes«, beantwortete er Eylers' Frage. »Anscheinend hat Bergström sich mit
intermittierenden 5D-Feldern beschäftigt, die einen polarisierenden oder absorbierenden
Effekt auf andersgeartete 5D-Strahlen haben sollen - was auch immer das bedeuten mag. Er
schickt alles rüber, was er im Wissenschaftszentrum über die Arbeit von Bergström
auftreiben kann, einschließlich sämtlicher
295
Theorien und Veröffentlichungen in Spezialpublikationen. Außerdem hat er mir versprochen,
kurze Anmerkungen zu Bergströms Theorien zu machen.«
Jos seufzte angesichts der Vorstellung, sich durch endlose hochwissenschaftliche
Abhandlungen quälen zu müssen.
»Sie scheinen davon überzeugt zu sein, daß dieser Professor Bergström eine Schlüsselrolle in
der ganzen Geschichte spielt, wenn Sie sich all diese Unterlagen ansehen wollen.«
»Nicht der Professor selbst, aber die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit spielen eine
Schlüsselrolle. Davon bin ich allerdings überzeugt«, erwiderte Jos. »Denken Sie doch nach,
Eylers. Wir sind auf diesen Fall aufmerksam geworden, weil sich jemand in den Besitz
unserer Kodes gebracht hatte. Dabei sind wir auf Captain Silvano gestoßen, und dann kam
die Sache ins Rollen.«
Er beugte sich vor und fixierte Eylers.
»Und mittlerweile hat sich herausgestellt, daß es eine größere Sache sein muß. Ich kann zwar
mit diesem wissenschaftlichen Kauderwelsch von Bell im Moment noch nicht viel anfangen,
aber ich habe das Gefühl, daß mir alles noch viel weniger gefallen wird, wenn ich es
verstanden habe. Wozu braucht man den Flottenkode und die Ergebnisse irgendwelcher
hyperphysikalischer Forschungen? Was haben die Leute um Silvano vor? Noch einmal, Chef,
und mit allem Nachdruck: Da läuft eine verdammt große Sache!«
Eylers nickte.
»Das glaube ich Ihnen schon lange, Jos. Aber wie wollen Sie jetzt weiter vorgehen?«
»Wie ich es Ihnen am Vipho schon gesagt habe: Wir sollten alle noch lebenden Robonen, die
irgend etwas mit wissenschaftlicher Forschungsarbeit zu tun hatten, befragen und/oder
beschatten...«
»Das können Sie sich abschminken, Jos«, unterbrach Bernd Eylers seinen Agenten. »Ich habe
mit dem Commander gesprochen, kurz bevor er mit der PoiNT OF nach Robon geflogen ist.
Dhark hat jede Aktion, in die die Robonen einbezogen werden sollen, strikt untersagt.«
Eylers atmete schwer. »Ich habe den Commander selten so wütend gesehen...«
296
»Ah, das ist also die Laus, die Ihnen über die Leber gelaufen ist. Unser Commander hat Ihnen
eine Rüge erteilt... Aber verflucht nochmal, wir sind die Geheimdienstleute, Eylers. Wir...«
Er wurde schon wieder von seinem Chef unterbrochen.
»Ich werde auf gar keinen Fall einem ausdrücklichen Befehl des Commanders
zuwiderhandeln, Jos«, sagte Eylers hart. »Das darf ich schon aus Prinzip nicht, das wissen
Sie genausogut wie ich!«
»Da soll doch...« Jos verschluckte, was er sonst vielleicht noch sagen wollte.
Einige Augenblicke war es ganz still in Bernd Eylers' Büro.
Die beiden Männer saßen sich schweigend gegenüber.
»Ich schlage Ihnen einen Kompromiß vor, Eylers«, begann Jos erneut. »Einen, der Sie nicht
in allzugroße Gewissenskonflikte stürzen wird...«
Auch dieses Mal ließ Bernd Eylers ihn nicht ausreden.
»Verdammt, van Haag, ich kann mich in dieser Sache nicht auf einen Kuhhandel einlassen!
Kapieren Sie das endlich.« Der GSO-Chef war für seine Verhältnisse ziemlich laut
geworden.
»Moment, Eylers, hören Sie mir doch erst einmal zu. Lassen Sie mich ein einziges Mal
ausreden, okay!?
Also, keine großangelegte Aktion, in Ordnung. Aber eine unauffällige - eine äußerst
unauffällige - Überwachung der noch lebenden robonischen Spitzenwissenschaftler. Unser
Verein sollte das gut genug können, daß niemand etwas bemerkt. Außerdem eine Obduktion
der Leiche von Professor Bergström - der Mann ist tot, der kann sich nirgendwo mehr
beschweren.«
Bernd Eylers schwieg mehrere Minuten.
Schließlich nickte er langsam.
»Sie wissen, daß es verflixt großen Ärger gibt, wenn das rauskommt? Ich mache das nur, weil
ich weiß, daß Sie kein Spinner sind, Jos. Auch mir gefällt diese ganze Geschichte von Tag zu Tag weniger. Aber ich muß mich an meine Direktiven halten. Wenn's schiefgeht, haben wir beide nichts zu lachen.« »Ich habe das dumpfe Gefühl, daß wir auch nichts zu lachen haben werden, wenn wir untätig sitzen bleiben und die Hände in den Schoß legen, während sich über uns bedrohliche Wolken auftürmen, 297
Eylers«, sagte Jos leise, »dabei fällt mir ein - was haben Sie vorhin gesagt, wo ist Dhark hingeflogen?« »Nach Robon.« »Nach Robon? Was will der Commander denn auf Robon?« Eylers zuckte die Schultern. »Der Außenposten auf Robon hat sich zwei Tage lang nicht gemeldet. Daraufhin hat Dhark anscheinend beschlossen, dort einmal nach dem rechten zu sehen.« Er grinste. »Ich persönlich glaube allerdings, daß es ihm auf unserer guten alten Erde schon wieder zu langweilig geworden war. Sie kennen den Commander, er hat eben Raumfahrerblut in den Adern.« Jos Aachten van Haag starrte nachdenklich vor sich hin. »Hm. Finden Sie das nicht auch mehr als merkwürdig, Eylers? Da stolpern wir über eine Geschichte, in der irgendwie die Robonen drinhängen...« »...drinhängen könnten...« »...meinetwegen auch drinhängen könnten, und dann schweigt auf einmal unser Außenposten auf Robon...?« »Sie sehen Gespenster, Jos. Sterbende alte Menschen, die zufällig einige Zeit auf dem Planeten gelebt haben, auf dem jetzt die Hyper-funkanlage ausgefallen ist - was soll es da für einen Zusammenhang geben?« »Sterbende Robonen... Robon...« brummte Jos vor sich hin. Und zwei Männer, die verdammt fix reagiert haben und jedem näheren Kontakt mit ihren Mitmenschen aus dem Weg gehen... und zumindest einer von ihnen scheint die Menschen zu hassen! Jos zuckte zusammen. Eine Idee formte sich vage in seinem Geist. Er mußte... »Was haben Sie, Jos? Sie sehen aus, als hätten Sie gerade einen Geist gesehen.« »Vielleicht«, murmelte der Agent so leise, daß Eylers es nicht verstehen konnte. Lauter sagte er: »Ich muß los, Eylers, Beils Unterlagen wollen gesichtet werden... Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich was Neues rausfinde.« »In Ordnung, Jos, ich werde mich um die anderen Dinge kümmern. Aber, Jos, wir haben jetzt eine Abmachung. Das bedeutet: keine Alleingänge. Haben wir uns verstanden?« 298 »Keine Alleingänge, Chef.« »Ich hoffe, ich kann mich auf Ihr Wort verlassen!« Jos Aachten van Haag schälte sich aus seinem Besuchersessel. Er zwinkerte Eylers verschwörerisch zu, und zum ersten Mal an diesem Nachmittag lag ein leichtes Grinsen auf seinem Gesicht. »Aber Chef, das können Sie doch immer.« Ren Dhark blieb wenig Zeit, sich von seinem Schock zu erholen. Zu gern hätte er jetzt mit Dan Riker gesprochen, dem es ähnlich gehen mußte. Doch der Robone in der Schottöffnung bellte ein »Mitkommen!« und unterstrich diese Aufforderung mit einer unmißverständlichen Bewegung des Schockers, den er in der rechten Faust hielt. Dhark blinzelte den Cyborgs noch einmal zu und hoffte, daß sie das Zeichen verstanden hatten: Sie sollten auf keinen Fall jetzt schon ihre übermenschlichen Fähigkeiten verraten. Ohne ein Wort zu wechseln, verließen Dhark und seine Begleiter ihre Zelle und traten auf den Gang hinaus, wo ein halbes Dutzend bewaffneter Männer sie erwartete. Durch Korridore und A-Grav-Schächte wurden die Gefangenen in einen kühl und zweckmäßig eingerichteten Raum geführt. »Stellt euch dort hinten an der Wand nebeneinander auf und verhaltet euch still«, herrschte einer ihrer Begleiter sie an. Ihre Eskorte, die Schocker nach wie vor schußbereit, nahm entlang der Längsseiten des Raums Aufstellung.
Sie sind alle nur mit Schockern bewaffnet, das heißt, man will uns nicht einfach ohne viel Aufhebens exekutieren, dachte Dhark. Aber das hätten sie dann ja auch schon auf Robon tun können. Wenige Augenblicke später glitt erneut ein Schott auf, und herein trat ein kleiner, gedrungener, schwarzhaariger Mann mit scharfge-schnittenen Gesichtszügen. Er blieb wenige Schritte vor Ren Dhark und seinen Gefährten stehen und musterte die Gefangenen aus zusammengekniffenen Augen. »Ich begrüße Sie an Bord meines Raumschiffs, Ren Dhark von den Verdammten«, sagte der Mann. 299 Wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, so hätte diese Anrede ihn geliefert. >Verdammte< waren die Menschen nur von den Giants genannt worden - und von ihren Zöglingen, den Robo-nen, die sich an ihr menschliches Erbe nicht mehr erinnern konnten. »Und auch Sie, Dan Riker«, fuhr der kleine Mann fort. »Es freut mich außerordentlich, zwei so wichtige Funktionsträger Ihres Planeten - das Staatsoberhaupt und den Kommandanten der Raumflotte - als Gäste auf meinem Schiff zu haben.« Bram Sass und Lati Oshuta schien der Mann für völlig unbedeutend zu halten. Er hatte sie weder angesprochen noch eines Blickes gewürdigt. »Gäste?« erwiderte Ren Dhark gedehnt. »Sie scheinen eine seltsame Auffassung von Gastfreundschaft zu besitzen. Ich würde eher sagen, Sie und Ihre Männer haben uns entführt.« Der Mann machte eine wegwerfende Handbewegung. »Und wenn schon. Was spielt das für eine Rolle? Ihr seid Verdammte, es ist unwichtig, was mit euch geschieht. Aber darüber wollte ich ohnehin nicht mit euch diskutieren. Ich bin Henry de Ruy, der Kommandant dieses Raumschiffs. Ich habe den Auftrag, euch zu unserem Anführer zu bringen. Wenn ihr euch ruhig verhaltet, wird euch nichts geschehen. Solltet ihr aber Ärger machen, dann werden wir euch für den Rest des Fluges schocken. Ihr habt die Wahl.« Nach diesen Worten drehte er sich um und verließ den Raum. Ren Dhark und seine Gefährten wurden wieder in ihre Zelle zurückgebracht; das Schott glitt zu, sie waren wieder allein. »Ich denke, wir sollten nichts tun, was unsere Bewacher zu drastischen Maßnahmen veranlassen könnte, sondern erst einmal abwarten, was uns am Zielort unserer unfreiwilligen Reise erwartet«, begann Ren Dhark. Diese Worte waren in erster Linie für die Cyborgs bestimmt gewesen. Jetzt sah Ren Dhark seinen Freund Dan beschwörend an. »Vielleicht sollten wir uns zunächst einmal hinlegen und...« »Ren!« unterbrach ihn Dan Riker. »Ich...« »Wir sind wahrscheinlich nicht so allein, wie wir es gerne wären«, wurde Ren Dhark deutlicher. 300
»Aber...« Dan Riker verstummte.
Er hatte begriffen, was Ren Dhark vermutete: daß dieser Raum mit Abhörgeräten bestückt
war.
Doch während Ren Dhark sich auf eine der Pritschen setzte und die beiden Cyborgs seinem
Beispiel folgten, blieb Dan Riker noch einige Zeit mitten im Raum stehen, die Fäuste geballt.
Seine Kiefer mahlten, und auf seinem Kinn erschien ein roter Fleck.
Endlich kehrte seine Ruhe zurück. Er zuckte die Schultern, warf Ren Dhark einen schiefen
Blick zu, sagte »Ach, was soll's«, und ließ sich auf die letzte freie Pritsche fallen.
»Ein bißchen mehr Komfort hätten unsere Gastgeber ihren Gästen aber trotzdem gönnen
können«, murmelte er, als er sich ausstreckte und die Augen schloß.
Wenige Minuten später schienen alle vier Männer zu schlafen.
Ren Dhark merkte auf. Er glaubte, gerade eben einen leichten Ruck verspürt zu haben, und
tatsächlich veränderte sich kurz darauf das allgegenwärtige Summen der Aggregate. Es
wurde leiser.
»Ich glaube, wir sind gelandet«, sagte er.
Lati Oshuta nickte zustimmend.
Anscheinend hatten sie ihr Ziel erreicht.
Sie hatten alle gespürt, daß das Raumschiff eine ganze Reihe von Transitionen durchgeführt
hatte. Möglicherweise waren sie inzwischen weit vom terranischen Einflußbereich entfernt.
»Es bleibt dabei«, erinnerte Ren Dhark seine Gefährten. »Wir warten erstmal ab und
verhalten uns still. Alles weitere wird sich ergeben.«
Riker und die beiden Cyborgs nickten stumm.
Das Schott ihrer Zelle wurde geöffnet. Im Gang warteten mit Schockern bewaffnete
Robonen.
»Kommt einzeln heraus«, befahl einer von ihnen, »immer schön einer nach dem anderen.
Jeder Fluchtversuch ist zwecklos!«
Schweigend verließen die Gefangenen ihre Zelle.
Sie wurden in einen Beiboothangar geführt, wo sie in einen großen Schweber älteren
Baujahrs verfrachtet wurden.
301
Zwölf bewaffnete Robonen - alle in uniformähnliche schwarze Kombis gekleidet - bestiegen ebenfalls den Schweber. Langsam öffneten sich die Hangartore. Draußen herrschte Nacht. In mäßiger Geschwindigkeit glitt der Schweber vielleicht eine Stunde lang durch das Dunkel, dann landete er. Dhark und seinen Gefährten wurde von ihren Wächtern bedeutet auszusteigen. In der Dunkelheit war von der Umgebung wenig zu erkennen, doch immerhin konnten die Terraner feststellen, daß sie sich auf einem freien Platz befanden, der ringsum von Häusern umgeben war. Eine Stadt - eine bewohnte Stadt, denn viele Fenster ringsum waren erleuchtet. Der Baustil der Gebäude wirkte selbst aus der Entfernung fremdartig; die verschnörkelten Fassaden erinnerten entfernt an balinesi-che Tempel. Dies war keine neuerrichtete Robonenstadt, dies war etwas anderes, Unbekanntes - etwas Altes. Ren Dhark und seine Gefährten konnten sich eines unheimlichen Gefühls nicht erwehren. Sie befanden sich auf einer fremden Welt, irgendwo im All. Würden sie diesen Planeten noch einmal verlassen können — oder würde er ihr Grab werden? Gewaltsam machte Dhark sich von diesen Gedanken frei. Sie waren nicht so wehrlos, wie die Robonen glauben mochten. Sie hatten immer noch die beiden Cyborgs. Irgendwann würden die >Kinder< Echri Ezbals zeigen müssen, was sie zu leisten vermochten. Die Gefangenen wurden quer über den freien Platz geführt und betraten schließlich ein Gebäude, das sich schon durch seine Größe von den anderen unterschied. Es ragte mindestens dreißig Stockwerke hoch auf, während die übrigen Häuser im Schnitt nur acht Stockwerke hoch waren. Sie marschierten durch lange, kahle Gänge und eine Rampe hinab, bis sie schließlich einen Raum erreichten, der sich kaum von ihrem Gefängnis an Bord des Raumschiffs unterschied. Hinter ihnen rollte dumpf die Tür ins Schloß. »Decke, Boden und Wände unseres neuen Heims bestehen aus Metall«, sagte Lad Oshuta nach einer kurzen Untersuchung. 302 »Es bleibt zunächst dabei, wir verhalten uns ruhig und warten weiter ab, was man mit uns vorhat«, entschied Dhark. »Tun wir das nicht schon die ganze Zeit?« fragte Dan Riker ironisch. »Aber ich bekomme allmählich Hunger.« Als hätte er ein Stichwort gegeben, rollte die Zellentür noch einmal zur Seite, und ein Tablett mit vier Schälchen und vier Gläsern wurde hereingeschoben. »Wasser und Synthobrei«, meinte Dan Riker naserümpfend, nachdem er den Inhalt der Schälchen und Gläser genauer inspiziert hatte, »ich habe gedacht, wir wären Gäste...« Zum Glück schmeckte der Brei nicht so scheußlich, wie er aussah. Außerdem war es nur sinnvoll, etwas zu essen und zu trinken. Sie würden ihre Kräfte noch brauchen. Es mochten vielleicht fünf Stunden vergangen sein, als die Zellentür wieder zur Seite rollte. Fünf Stunden, in denen die Gefangenen einfach nur dagesessen oder auf ihren Pritschen
gelegen und stumm vor sich hingebrütet hatten.
Ren Dhark hätte sich gern mit seinen Begleitern unterhalten - vor allem mit Dan Riker, in
dessen Kopf die Gedanken sicher genauso dahinjagten, wie in seinem eigenen.
Es gab also immer noch Robonen in den Weiten der Milchstraße. Nicht >zurückgeschaltete<
Robonen wohlgemerkt, die daher nicht dem Alterungssyndrom unterlagen - aber sich auch
nicht daran erinnern konnten, daß sie eigentlich von der Erde stammten.
Wie mögen sie das Verschwinden der >All-Hüter< aufgenommen haben? dachte Ren Dhark.
Fehlen ihnen die paramentalen Botschaften des CAL? Zumindest scheinen sie uns noch immer für
die >Verdammten< zu halten. Daran hat sich also nichts geändert.
Doch er wußte, daß das eigentliche Problem ganz woanders lag. Denn vielleicht wäre jetzt,
wo die Giants mitsamt ihrem CAL verschwunden waren, sogar so etwas wie eine friedliche
Koexistenz mit den Robonen möglich gewesen, zumindest eine Art von >sich gegenseitig in
Ruhe lassen<, aber...
303
Wahrscheinlich machen sie uns für das Verschwinden der Giants verantwortlich, dachte Dhark. Und - was noch schlimmer ist - für den Tod ihrer >Brüder und Schwestern<, die wir von Robon mit zur Erde genommen und >zurückgeschaltet< haben! Und damit hatten sie auf eine gewisse Weise sogar recht!
Auch wenn niemand diese Tragödie hatte vorhersehen können.
Ren Dhark zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß die Robonen wußten, was mit ihren
Artgenossen auf der Erde geschehen war. Und es waren noch nicht einmal die Ergebnisse
von Jos' Nachforschungen, die ihn in dieser Überzeugung bestärkten. Schon an Bord des
Raumschiffs, als der erste Schock der Überraschung abgeklungen war, war er sich seiner
Sache sicher gewesen.
Jetzt drehten sich seine Gedanken seit Stunden im Kreis.
Wie sollen wir den Robonen entgegentreten ?
Gibt es überhaupt eine Chance, mit ihnen vernünftig zu verhandeln ? Schließlich sind sie
Menschen wie wir.
Das Geräusch der sich öffnenden Zellentür schreckte ihn auf.
Draußen stand der schon gewohnte Trupp schwarzgekleideter Robonen.
»Mitkommen«, forderte einer sie auf.
»Welch ein Wortschatz«, flüsterte Lati Oshuta.
Ren Dhark schüttelte warnend den Kopf. Er wollte jegliche Provokation vermeiden.
Zögernd erhoben sich die Gefangenen von ihren Pritschen und traten auf den Gang hinaus.
Die Wächter nahmen sie mit schußbereiten Schockern in die Mitte. Sie sagten nicht ein
einziges weiteres Wort.
Auch die Terraner schwiegen. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
Ren Dhark hoffte, daß man sie jetzt endlich zum Anführer der Robonen bringen würde. Er
hoffte - und er klammerte sich an diese Hoffnung, auch wenn sie reinem Wunschdenken
entspringen mochte -, daß mit diesem Mann irgendeine Einigung möglich sein würde. Er
hoffte es um der gesamten Menschheit willen, der terrani-schen wie der robonischen.
Aber als er gemeinsam mit Dan Riker und den beiden Cyborgs,
304
umgeben von einem Ring schwarzgekleideter Wächter, über spiralförmig sich nach oben windende Rampen und durch kahle, verwaiste Gänge diesem Treffen entgegenschritt, fühlte er sich äußerst unbehaglich. 305
16.
Sie wurden in einen großen, saalartigen Raum geführt, der abgesehen von einem Tisch und
ein paar Stühlen vor einer der Seitenwände völlig unmöbliert war.
Hinter dem Tisch saßen drei Männer, doch es war auf den ersten Blick ersichtlich, daß nur
der Mann in der Mitte eine Rolle spielte. Die beiden rechts und links von ihm waren nur
Statisten.
Ren Dhark und seinen Gefährten wurde von ihren Wachen bedeutet, bis auf einige Schritte
an den Tisch heranzutreten und dort stehenzubleiben.
Wie vor einem Tribunal! dachte Dhark.
Die drei Männer hinter dem Tisch schwiegen, musterten die Gefangenen abschätzend. Dies gab Ren Dhark und seinen Begleitern die Möglichkeit, sich ihrerseits die Männer genau anzusehen, die für ihre Entführung verantwortlich waren. Der Mann in der Mitte zog dabei alle Blicke auf sich. Er war sehr groß - bestimmt an die zwei Meter - und schlank. Seine dunkle Hautfarbe und seine gleichzeitig lässige und angespannte Haltung verliehen ihm etwas Pantherhaftes. Das lange, pechschwarze Haar war im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Die beiden Männer links und rechts wirkten neben ihm blaß, und das lag nicht nur an ihrer hellen Hautfarbe. Es waren Durchschnittstypen mit Alltagsgesichtern, die man sofort wieder vergaß. Den Mann in der Mitte würde man hingegen nie wieder vergessen, wenn man ihm einmal begegnet war. In seinem ebenmäßigen Gesicht zuckte kein Muskel. Nur die Augen funkelten mit wacher Intelligenz. Ren Dharks Blick kreuzte sich mit dem des Robonenanführers. Einen langen Moment starrten sie sich in die Augen. 306 Ren Dhark glaubte, in den Mundwinkeln des Robonen ein spöttisches Lächeln wahrzunehmen. Sekunden verstrichen, Minuten... Keiner der beiden Männer senkte den Blick. »Wir könnten uns wahrscheinlich noch stundenlang anstarren, aber finden Sie nicht auch, daß das Spielchen allmählich langweilig wird, Commander Dhark?« Die Stimme des Robonen klang kraftvoll und dennoch sanft. Und sie erhöhte die Aura der Gefährlichkeit, die diesen Mann umgab. »Ich wollte vermeiden, den Kolben eines Schockers oder etwas ähnliches auf den Schädel zu bekommen, wenn ich ohne Aufforderung spreche. Schließlich sind wir Gefangene, und nach allem...« »Hat man sie etwa nicht gut behandelt, Commander Dhark? Dann muß ich einmal ein ernstes Wörtchen mit Henry de Ruy reden. Ich hatte ausdrücklich befohlen, daß man Ihnen und Ihren Begleitern kein Haar krümmen sollte.« Die Art, wie er das Wort >Commander< betonte, und seine übertrieben bedauernd klingende Stimme verrieten Ren Dhark, daß der Robone nur mit ihnen spielte. Er beschloß, das Spiel mitzumachen. »Sagen wir einmal, die Behandlung unterwegs entsprach der Art der Einladung«, sagte Ren Dhark ironisch. Der Robone zuckte die Schultern. »Ich hätte Ihnen gern ein komfortableres Beförderungsmittel zur Verfügung gestellt, Commander Dhark, aber Sie wissen selbst, wie das ist: Man verfügt nie über so viele Raumschiffe, wie man eigentlich braucht... Aber ich fange schon damit an, Ihnen von meinen Problemchen zu erzählen, und vergesse darüber ganz die Grundregeln der Höflichkeit«, fuhr er nach einer Kunstpause fort. »Da ich einige Zeit Ihr Gastgeber - und natürlich auch der Ihrer Begleiter -sein werde, wollte ich mich zumindest einmal vorstellen. Mein Name ist Allon Sawall, und ich bin der gewählte Anführer der Wahren Menschen. Die Männer hier neben mir sind Abel Thomsen und Sergej Stoikin; sie vertreten mich, wenn ich nicht hier bin, und führen gemeinsam mit mir die Regierungsgeschäfte...« 307 »Es freut mich, Sie und Ihre Kollegen kennenzulernen, Sawall, auch wenn ich ehrlich zugeben muß, daß ich über die Umstände unseres Zusammentreffens nicht ganz glücklich bin«, erwiderte Ren Dhark. »Darf ich Ihnen bei dieser Gelegenheit auch meine Begleiter vorstellen? Dies ist mein alter Freund Dan Riker, und das sind die Flash-Piloten Bram Sass und Lati Oshuta.« Sawall nickte den Angesprochenen knapp zu und richtete seine Augen dann wieder auf den Commander. »Von Dan Riker habe ich natürlich schon gehört. Die Kunde von den ruhmreichen Taten des Oberbefehlshabers der terranischen Raumflotte ist sogar zu diesem etwas... abgelegenen Planeten gedrungen.«
Die ganze Situation hatte etwas völlig Absurdes. Ren Dhark hatte das Gefühl, auf einem Pulverfaß zu sitzen, das jeden Augenblick explodieren konnte. Sawall hatte sie bestimmt nicht entführen lassen, um mit ihnen doppeldeutige, nur vordergründig höfliche Be merkungen auszutauschen, in denen immer wieder versteckte Beleidigungen oder Drohungen mitschwangen. »Und zwei Flash-Piloten. Tja, bei Ihnen herrscht eben kein Mangel an Personal, ganz im Gegensatz zu uns. Aber das ist ja auch nicht weiter verwunderlich, nach dem Aderlaß, den wir in den letzten Jahren hinnehmen mußten... Finden Sie es nicht auch unendlich traurig, Commander Dhark, wenn kerngesunde Menschen in der Blüte ihres Lebens vorzeitig von einer schrecklichen Krankheit dahingerafft werden, die sie weit vor ihrer Zeit altern und schließlich sterben läßt...?« Jetzt läßt er die Katze aus dem Sack, dachte Ren Dhark. Er hatte plötzlich ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube. »Und würde sich nicht auch Ihre Trauer in Wut verwandeln, Dhark«, Sawall hatte sich bei den letzten Worten vorgebeugt und stützte jetzt die Arme auf den Tisch, »wenn Sie erfahren würden, daß diese Krankheit gar keine Krankheit ist, sondern die Folge eines verbrecherischen Experiments, das an Ihren Artgenossen durchgeführt wurde?« Sawalls Stimme wurde lauter. »Eines Experiments, das nur dazu gedient hat, aus Ihren Mitmenschen willige Arbeitskräfte zu machen, um sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zum Wiederaufbau eines fragwürdigen Gemein 308 wesens zu mißbrauchen und sie dann, als die Arbeit getan war, einfach wegzuwerfen!« Die letzten Worte schrie der Robonenführer beinahe. Er hatte sich halb von seinem Stuhl erhoben; seine Augen funkelten, doch nicht vor Intelligenz - in ihnen stand blanker, unversöhnlicher, abgrundtiefer Haß. »Sie täuschen sich, Sawall«, entgegnete Ren Dhark so ruhig, wie er es vermochte. »Sie täuschen sich gleich mehrfach. Wir haben den Menschen auf Robon keine >falschen Tatsachen vorgespiegelt, wir haben ihnen die Wahrheit erzählt...« »Sie haben ihnen erzählt, daß auch die Menschen auf Robon von der Erde stammen würden«, unterbrach ihn der Robonenführer. Er hatte sich bereits wieder völlig unter Kontrolle, wirkte so freundlich und verbindlich wie zu Anfang des Gesprächs. »Aber das ist die Wahrheit, Sawall! Sie stammten von der Erde -genau wie Sie selbst und alle anderen Robonen auf diesem Planeten eigentlich von der Erde stammen!« Ren Dhark hatte seinen Satz noch nicht zu Ende gebracht, da hörte er von hinten, von dort, wo die robonischen Wachposten an der Wand lehnten, drohendes Gemurmel. Allon Sawall brachte seine Männer mit einer knappen Handbewegung zum Schweigen. Er fixierte Ren Dhark mit starrem Blick; seine Augen glitzerten, doch um seine Mundwinkel spielte ein spöttisches Lächeln. »Die gleichen Lügen, Dhark! Fällt euch Verdammten eigentlich wirklich nichts Besseres ein?« »Aber es ist die Wahrheit, Sawall!« Zum ersten Mal mischte sich Dan Riker in die Diskussion ein. »Und woher wissen Sie, daß es die Wahrheit ist, Riker?« fragte Sawall mit einem kurzen Seitenblick. »Weil wir unsere Erinnerungen haben, unsere echten Erinnerungen, Sawall. Sie sind es, Sawall, Sie und Ihre Leute, denen man falsche Tatsachen vorgespiegelt hat. Die Giants haben Ihnen Ihre Erinnerungen an die Erde genommen, haben Ihnen falsche eingepflanzt, warum auch immer. Und Sie würden das ganz schnell merken, wenn Sie...« Dan Riker verstummte plötzlich. 309 »Wenn wir was, Riker? Warum reden Sie nicht weiter? Wenn wir uns mit diesem... >Gerät< bestrahlen lassen würden, wollten Sie wahrscheinlich sagen.« Allem Sawalls Stimme war ganz leise geworden, doch er wirkte jetzt bedrohlicher als vorhin, als er geschrien hatte. »Dann würden wir uns an die Erde erinnern, meinen Sie. Oh, ja, und wahrscheinlich würden
wir auch all unsere Energie und Kraft einsetzen, um Terra noch größer und mächtiger zu
machen. Daß wir dabei rapide altern würden, wäre ein kleiner, unbedeutender Nebeneffekt.
Und in drei, vier Jahren wäre das ganze Problem ohnehin gelöst - da wären wir nämlich alle
tot...«
Sawall schwieg.
Im Saal wurde es so still, daß Ren Dhark Dans Atemzüge hören konnte. Der Robonenführer
starrte ins Leere, schien mit seinen ureigenen Gedanken und Empfindungen beschäftigt.
Sekunden verrannen, wurden zu Minuten.
»Was haben Sie jetzt mit uns vor«, brach Ren Dhark schließlich die lastende Stille, die alle
vier Terraner als bedrückend empfunden hatten.
Allon Sawall richtete seinen Blick wieder auf die Gefangenen. Er schien von weit her
zurückzukommen.
»Das weiß ich noch nicht, wirklich.«
Er breitete entschuldigend die Arme aus. »Ich habe mir darüber noch keine Gedanken
gemacht. Zunächst einmal bleiben Sie hier. Später... wird man dann sehen...«
Ren Dhark glaubte dem Robonenführer kein Wort, aber er begriff auch, daß er zumindest im
Augenblick nichts von Sawalls Absichten erfahren würde.
Sawall stand plötzlich auf. Hochaufgerichtet wirkte er noch beeindruckender und
bedrohlicher als zuvor.
»Ich glaube, das hat für ein erstes Kennenlernen erst einmal gereicht. Da Sie noch einige Zeit
hier sein werden, werden wir noch häufiger Gelegenheit haben, miteinander zu sprechen und
unsere Standpunkte klarzumachen...«
Mit einer knappen, an die Waffen gerichteten Handbewegung waren sie entlassen.
310
»Wir müssen hier raus«, flüsterte Ren Dhark im Hinausgehen Lati Oshuta zu. »Suchen Sie
nach möglichen Fluchtwegen.«
Der kleine Japaner zuckte mit keinem Muskel, aber Dhark war sicher, daß der Cyborg ihn
verstanden hatte.
Auf dem Weg zu ihrer Zelle schien es Ren Dhark, als würden sie diesmal andere Gänge
benutzen und nicht mehr so weit nach unten gehen. Das Rätsel löste sich, als sich die
Zellentür öffnete: Man hatte sie in einen anderen Raum umgelegt.
Eigentlich waren es zwei relativ große, einfach möblierte Räume mit hohen, schmalen,
vergitterten Fenstern; es gab sogar ein Zimmer mit Sanitär-Einrichtungen.
»Komfort, Komfort«, murmelte Oshuta.
Dan Riker wandte sich Ren Dhark zu, kaum daß die Tür hinter ihnen ins Schloß gefallen war.
Auf seinem Kinn leuchtete ein roter Fleck.
»Ren, wir müssen hier weg! Dieser Typ ist... vollkommen wahnsinnig! Er wird...«
»Langsam, Dan«, unterbrach ihn Dhark. »Auch mir gefällt das alles nicht, aber selbst wenn
wir aus diesem Gebäude fliehen könnten - wo sollten wir dann hin? Außerdem halte ich
Sawall nicht für wahnsinnig. Ich könnte mir sogar vorstellen, daß wir uns irgendwann mit
ihm einigen könnten, in welcher Form auch immer. Im Moment halte ich es jedenfalls für das
beste, wenn wir uns in unser Schicksal fügen.«
Ren Dhark zwinkerte seinem Freund zu.
Schlagartig kehrte Dan Rikers kühle Überlegung zurück. Ren befürchtet noch immer, daß wir
abgehört werden, durchzuckte es ihn.
Tatsächlich wollte Ren Dhark diese Möglichkeit nicht ausschließen. Aus diesem Grund
sollten die Robonen ruhig glauben, daß sich die Gefangenen in ihr Schicksal ergaben. Um so
unaufmerksamer würden sie sein.
Denn daß sie fliehen mußten, stand für Dhark außer Frage.
In einem hatte er allerdings die Wahrheit gesagt.
Er hielt Allon Sawall nicht für wahnsinnig.
Aber für ungemein gefährlich.
311
Der dunkelhäutige Mann stand am Fenster und blickte über die Stadt. Als er hörte, wie hinter
seinem Rücken die Tür geöffnet wurde, drehte er sich um.
»Und?«
»Sie werden bestimmt versuchen zu fliehen, wahrscheinlich schon bald«, antwortete der
Neuankömmling.
Der dunkelhäutige Mann lächelte.
»Ist alles vorbereitet?«
»Ja!« sagte sein Gegenüber und nickte bekräftigend.
»Und was sonst?«
»Es gibt ein... Problem, auf Terra...«
»Eines, das sich nicht auf die gewohnte Weise lösen läßt?«
»Es könnte... etwas schwieriger werden...«
Der dunkelhäutige Mann zuckte die Schultern.
»Schwierigkeiten sind dazu da, überwunden zu werden. Veranlasse alles Notwendige.«
Sein Gegenüber nickte wortlos.
»Noch etwas?«
Der kleinere Mann blickte zu seinem Anführer auf.
Er zögerte.
»Wir folgen doch noch immer dem Plan, oder nicht?« fragte er schließlich leise.
»Natürlich.«
»Und... haben sie sich schon gemeldet?«
Der dunkelhäutige Mann seufzte. Dann schüttelte er stumm den Kopf.
Der kleinere Mann ließ die Schultern sinken.
»Ich werde mich wieder um meine Aufgaben kümmern«, murmelte er und verließ den Raum.
Allon Sawall wandte sich wieder dem Fenster zu. Doch diesmal sah er nicht die Stadt.
Diesmal ging sein Blick nach oben, in den Himmel - und weit darüber hinaus.
Wir folgen noch immer dem Plan, dachte er. Also gebt uns ein Zeichen!
Aber er erhielt keine Antwort.
312
Der erste Tag in ihrem neuen Gefängnis verstrich für die vier Terra-ner ereignislos. In
regelmäßigen Abständen erhielten sie ihre Mahlzeiten, ansonsten kümmerte man sich nicht
weiter um sie.
Ren Dhark wollte keinerlei Risiko eingehen, deshalb wurde noch nicht einmal
andeutungsweise über Fluchtpläne gesprochen. Die Männer verständigten sich mit Blicken
und knappen Gesten; wenn sie sich unterhielten, dann über die Umstände ihrer Entführung,
über die Tragödie der Robonen oder über die Frage, wann Szardak und die Besatzung der
PoiNT OF wohl ihr Verschwinden bemerkt haben mochten, und ob man vielleicht von Terra
aus schon eine großangelegte Suchaktion gestartet hatte.
Natürlich waren auch diese Themen teilweise heikel, aber Ren Dhark war davon überzeugt,
daß die Robonen mißtrauisch geworden wären, wenn sich ihre Gefangenen nur über
Belanglosigkeiten unterhalten hätten.
Sie hatten mittlerweile alle einen Blick aus dem Fenster geworfen. Besonders Bram Sass
hatte lange an der schmalen, vergitterten Öffnung gestanden und anschließend vermerkt:
»Die Schweberstraßen verlaufen über die Dächer der Gebäude.«
Also mußte es auf dem Dach einen Landeplatz geben! Lati Oshuta, der eine ganze Weile schweigend in einer Ecke des Zimmers gestanden hatte,
sagte plötzlich: »Ich habe nicht den Eindruck, als ob in diesem Gebäude oder in dieser Stadt
viele Robonen leben.«
»Woher wollen Sie das wissen?« fragte Dan Riker.
»Ach, es ist nur so ein Gefühl«, antwortete Oshuta und zwinkerte ihm zu.
Wenig später brachte man ihnen die nächste Mahlzeit. Einer der Robonen trat mit einem
Tablett ins Zimmer, während seine vier Kollegen draußen auf dem Gang stehen blieben. Nur
zwei von ihnen hielten einen Schocker in der Faust.
»Sass, Oshuta - jetzt!« brüllte Ren Dhark.
Die beiden Cyborgs stürzten aus dem Raum. Innerhalb von Sekundenbruchteilen hatten sie
die völlig überraschten Männer auf dem Gang überwältigt. Sie nahmen ihnen die Schocker
ab, schockten sie ebenso wie den letzten Robonen, mit dem sich Dhark und
313
Riker mitten im Zimmer immer noch herumschlugen. Anschließend schleppten sie die
bewußtlosen Männer ins Zimmer und schlössen die Tür - von außen.
Im Gang orientierten sie sich einen Augenblick. Ren Dhark wies die Richtung: nach oben,
aufs Dach.
Lad Oshuta, der sich nach ihrer Unterredung mit Sawall den Weg genau gemerkt hatte,
stürmte voran. Schnell erreichten sie den oben abgerundeten Durchgang, hinter dem sie die
Rampe wußten, die sich im Innern einer gewaltigen, hohlen Säule spiralförmig nach oben
wand.
In den Gängen und auf der Rampe hielt sich kein einziger Robone auf. Das Gebäude schien
tatsächlich fast menschenleer zu sein.
Sie hetzten die Rampe hinauf, Stockwerk um Stockwerk.
Noch immer begegnete ihnen niemand.
Völlig außer Atem kamen Ren Dhark und Dan Riker auf dem Dach an; den beiden Cyborgs
war hingegen nicht das geringste anzumerken.
»Wenn wir so etwas in Zukunft öfters vorhaben, sollte ich mich vielleicht auch zum Cyborg
umwandeln lassen«, keuchte Dan Riker.
»Spar dir deinen Atem, Dan, du wirst ihn vielleicht noch brauchen«, erwiderte Ren Dhark
atemlos. Er sah sich um. Die Rampe mündete in einer niedrigen, überdachten Rotunde. Von
dem umlaufenden Gang führten mehrere Durchgänge hinaus aufs freie Dach.
»Glück gehabt«, murmelte Ren Dhark, als er durch einen der Durchgänge einen Schweber
älterer Bauart entdeckte, der einsam und verlassen auf dem Dachlandeplatz stand.
Nein, nicht ganz einsam und verlassen, aber die beiden Robonen, die das Gefährt
augenscheinlich hatten bewachen sollen, waren gerade unter einem Volltreffer aus Oshutas
Schocker zu Boden gegangen. Der Weg war frei.
»Los, weiter!« rief Ren Dhark seinen Gefährten zu.
Sie erreichten den Schweber, sprangen hinein.
Ren Dhark ließ sich in den Pilotensitz fallen. Seine Finger huschten über die Kontrollen. Im
Schweber begann es zu summen, dann hob das betagte Gefährt ab.
»Wo fliegst du hin, Ren?« fragte Dan Riker.
314
»Erstmal weg von hier, raus aus der Stadt...«
Ren Dhark und seine Gefährten blickten sich um. Unter ihnen erstreckten sich immergleiche,
achtstöckige Wohnblocks kilometerweit in alle Richtungen. Auf den über die Dächer
verlaufenden Straßen war kaum ein Fahrzeug zu sehen. Die Stadt wirkte beinahe
ausgestorben.
Warum waren dann in der Nacht, als wir ankamen, so viele Fenster erleuchtet? fragte sich
Dhark im stillen. Er schob die Frage als zunächst unwichtig beiseite, genau wie die, wer die
geheimnisvollen Erbauer dieser Stadt gewesen sein mochten.
Die Rampen, die die einzelnen Stockwerke innerhalb des Gebäudes miteinander verbanden,
legten zumindest die Vermutung nahe, daß es keine menschenähnlichen Wesen waren.
Bram Sass legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Dort!«
Jetzt sah auch Ren Dhark in der Ferne, im Dunst fast verschwimmend, das Gebirge, das wie
ein Bollwerk den gesamten Horizont abschloß. Es mußte von bemerkenswerter Höhe sein.
Der Schweber sprang förmlich vom Dach des Gebäudes herunter, in dem sie
gefangengehalten worden waren, glitt auf eine der Hochstraßen hinunter und raste davon,
dem Gebirge entgegen.
Nach einigen Kilometern erreichten sie die Stadtgrenze. Dhark ließ den Schweber etwas
steigen und hielt weiter auf das Gebirge zu. Noch immer schien niemand ihre Flucht bemerkt
zu haben.
Eigentlich merkwürdig, dachte Ren Dhark.
Nur Augenblicke später sagte Bram Sass völlig ruhig: »Wir werden verfolgt.«
Dan Riker hatte die Verfolger bereits auf dem Ortungsschirm. Fünf Schweber - und sie holten
schnell auf.
Die Triebwerke ihres Fluchtfahrzeugs liefen bereits auf Vollast, aber es würde trotzdem nicht
reichen.
»Haben wir irgendwelche Waffen an Bord? Außer den Schockern, die wir den Wachen
abgenommen haben?« fragte Dhark.
»Es gibt hier einige kleine Blaster, aber auf einen Luftkampf sollten wir uns trotzdem nicht
einlassen«, erwiderte Oshuta.
Also weiter! Die erste Bergkette mochte noch zehn Kilometer entfernt sein.
315
Hoffentlich hält der Schweber durch, dachte Ren Dhark.
Schweigend rasten sie vorwärts. Unter ihnen glitt eine eintönige, nur von wenigen Büschen
bestandene Landschaft dahin.
Und dann hatten sie das Gebirge erreicht. Es erwies sich als deutlich höher, als sie zuerst
vermutet hatten. Dhark mußte auf eine Flughöhe von 6000 Metern gehen, um nicht an den
höchsten Gipfeln zu zerschellen.
Unerbittlich rückten ihre Verfolger näher.
Ein Stück voraus stiegen dunkle Rauchwolken auf.
»Vulkane!« sagte Ren Dhark. »Das hat uns gerade noch gefehlt!«
»Vielleicht können wir uns dort irgendwo verstecken«, schlug Dan Riker vor.
Ren Dhark antwortete nicht. Er konzentrierte sich darauf, den Schweber in der Luft und auf
Kurs zu halten. In das helle Summen des überlasteten Antriebs hatte sich seit ein paar
Minuten ein ungesund klingender Ton gemischt.
Vielleicht zwei Kilometer vor ihnen lag jetzt etwas rechts ihrer Flugrichtung ein aktiver
Vulkan, aus dessen Krater alle paar Sekunden Flammensäulen in den Himmel schössen.
»Zweimal kurz, einmal lang«, sagte Oshuta plötzlich.
»Was?« fragte Dan Riker verwirrt.
»Unser Freund dort drüben!« Oshuta deutete schräg nach vorn. »Der Feuerspucker! Er spuckt
immer zweimal kurz, und dann einmal deutlich länger.«
»Sie haben recht, Oshuta«, sagte Riker, als er einen Ausbruch beobachtet hatte.
Die Verfolger waren fast heran.
Ren Dhark hatte alles gehört. Jetzt warf einen Blick zu dem Vulkan hinüber.
Blitzschnell faßte er einen verzweifelten Entschluß.
»Dan, Oshuta, Sass - steckt euch alles ein, was wir vielleicht brauchen könnten. Schnell!«
»Was hast du vor, Ren?« fragte Dan Riker.
»Ich werde eine elegante Bruchlandung hinlegen, also mach' schon, Dan! Wir haben nicht
viel Zeit!«
Riker blickte seinen Freund einen Augenblick zweifelnd an, dann
316
wandte er sich schulterzuckend ab und begann damit, Ausrüstungsgegenstände
zusammenzusuchen.
»Sass, Oshuta, hören Sie genau zu...«
Riker wurde blaß, als er hörte, was Ren Dhark vorhatte, enthielt sich aber jeglichen
Kommentars.
»Das müßte eigentlich funktionieren, Commander«, meinte Lad Oshuta, »aber es könnte
knapp werden...«
Bram Sass nickte stumm.
Sie befanden sich jetzt fast auf gleicher Höhe mit dem aktiven Vulkan. Die Verfolger waren
nur noch wenige hundert Meter hinter ihnen.
»Achtung, es geht los!« rief Dhark.
Ein Ruck lief durch den Schweber, als der Commander schlagartig den Schub wegnahm und
sofort danach wieder beschleunigte. Das mißhandelte Triebwerk heulte protestierend auf.
Dhark riß den Schweber in eine enge Rechtskurve und drückte ihn gleichzeitig nach unten.
Seine Finger huschten rasend schnell über die Kontrollen.
Wieder nahm er kurz den Schub weg und beschleunigte Sekundenbruchteile später erneut.
Und noch einmal. Und noch einmal.
Die Flugbahn des Schwebers glich allmählich der eines über eine Wasseroberfläche
hüpfenden Steins. Immer wieder sackte er durch, um dann wieder ruckartig davonzuschießen.
Für ihre Verfolger mußte es so aussehen, als hätte das Triebwerk des Fluchtfahrzeugs zu
stottern begonnen.
Ren Dhark war viel zu sehr mit der Steuerung des Schwebers beschäftigt, um an etwas
anderes denken zu können, doch Dan Riker brach bei dem Gedanken, der
Triebwerksschaden, den sein Freund gerade simulierte, könne wirklich eintreten, der
Schweiß aus.
Und die Geräusche, die immer schriller aus dem Heck drangen, waren nicht dazu geeignet,
ihn zu beruhigen.
»Sass, Oshuta! Ausstiege entriegeln, aber noch nicht öffnen - es ist gleich soweit!« Ren
Dharks Stimme war keinerlei Aufregung anzumerken.
Sie überflogen jetzt den Kraterrand.
Wie ein Amphitheater lagen die terrassenartigen Hänge im Innern
317
des Kraters unter ihnen. Genau voraus gähnte ein dunkle Öffnung, aus der eine schwarze
Rauchwolke emporquoll.
Ren Dhark drosselte das Tempo und ging noch tiefer.
Plötzlich schoß aus dem dunklen Loch eine lodernde Flammensäule in den Himmel. Sie stand
ein, zwei Herzschläge lang in der Luft und fiel dann in sich zusammen. Augenblicke später
spuckte der Vulkan wieder Feuer.
»Zweimal kurz, einmal lang«, murmelte Ren Dhark. Er gab vollen Schub.
Der Schweber machte einen Satz nach vorn und raste auf die Flammensäule zu.
»Junge, Junge, wenn das mal gutgeht«, flüsterte Dan Riker.
Die Flammensäule erlosch.
Sie flogen in eine dicke, schwarze Rauchwolke hinein - und auf der anderen Seite wieder
hinaus.
»Jetzt!« brüllte Dhark.
Er riß den Schweber steil nach oben. Das überforderte Triebwerk kreischte in einem Ton
jenseits der Schmerzgrenze.
Oshuta und Sass öffneten die Ausstiege und warfen einen Blick nach draußen.
»Wir müssen noch höher, Dhark!« schrie Oshuta.
Donnernd schoß hinter ihnen eine Flammensäule in den Himmel.
Ein Schwall heißer Luft drang ins Innere des Schwebers.
Ren Dhark steuerte in einer langgezogenen Parabel auf die oberen Terrassen des
Kraterinneren zu.
Schweiß rann ihm in die Augen, während er versuchte, einen optimalen Kurs zu fliegen.
Das Triebwerk jaulte noch einmal gequält auf - und erstarb.
Plötzlich fühlte sich Ren Dhark von kräftigen Händen gepackt und aus dem Sitz gezerrt.
Augenblicke später fand er sich auf dem äußeren Windleitblech wieder.
Schräg vor ihm lagen die zerklüfteten Terrassen des Kraterrands.
Das ist immer noch viel zu weit, durchzuckte es ihn.
Lati Oshuta packte ihn fester - und dann sprang der Japaner, stieß sich mit der ganzen Kraft,
die in den Beinen seines Cyborgkörpers
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steckte, von dem Schweber ab, der den Scheitelpunkt seiner Flugkurve erreicht hatte.
Ren Dhark spürte, wie sie durch die Luft flogen, bemerkte, wie Oshuta seinen Körper drehte,
um den Aufprall abzufangen, fragte sich, wo Dan Riker und Bram Sass waren Ein kräftiger Schlag - und dann nichts mehr...
Ren Dhark hatte keine Ahnung, wie lange er bewußtlos gewesen war. Als er wieder zu sich
kam, lehnte er halbaufgerichtet an einem Felsstück.
Neben ihm versuchte Dan Riker gerade, seine Benommenheit abzuschütteln.
Es war unangenehm heiß. Jeder Atemzug kratzte in der Kehle. Myriaden von grauen und
schwarzen Ascheflöckchen tanzten in der Luft.
Ren Dhark spürte eine Berührung an der Schulter. Er drehte sich um. Neben ihm hockte Lati
Oshuta.
»Alles in Ordnung, Commander?«
»Ja...« Dharks Stimme war nur ein Krächzen. Er räusperte sich, versuchte es noch einmal.
»Ja, den Umständen entsprechend. Was ist mit unseren Verfolgern? Hat unser Plan
funktioniert?« Das klang schon bessser.
Lati Oshuta grinste breit.
»Sie sind hervorragend geflogen, Commander. Kompliment! Und wir haben den optimalen
Zeitpunkt zum Absprung erwischt.«
Der Japaner zuckte entschuldigend die Schultern. »Die Landung war für... Normalsterbliche
vielleicht etwas hart. Es war ein ziemlich weiter Sprung... Ich habe Sie vorsichtig abgetastet,
während Sie bewußtlos waren. Gebrochen dürften Sie sich eigentlich nichts haben, aber
vielleicht verstaucht oder geprellt... Haben Sie irgendwelche Schmerzen?«
Ren Dhark fühlte sich zerschlagen, aber konkrete Schmerzen hatte er keine. Vorsichtig stand
er auf und belastete die Knöchel.
»Nein, es scheint alles in Ordnung zu sein. Aber wo sind unsere Verfolger?«
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Oshuta grinste schon wieder.
»Nach Hause geflogen!«
»Nach Hause geflogen? Einfach so? Ohne das Gelände abzusuchen?« fragte Ren Dhark
zweifelnd.
Oshuta nickte.
»Wir haben eine ziemlich überzeugende Vorstellung geliefert«, begann er. »Sie haben nichts
mehr davon mitbekommen, weil Sie bewußtlos waren. Nachdem wir hier gelandet waren,
haben Sass und ich uns vier mit Asche und Geröll zugedeckt. Augenblicke später ist die
Flammensäule in sich zusammengebrochen. Und unser guter alter Schweber ist genau im
richtigen Zeitpunkt in den Krater-schlund gestürzt - nämlich, als die Robonen gerade heran
waren. Sie sind ein paarmal über unserer >Absturzstelle< gekreist und haben im Tiefflug die
Kraterwände abgeflogen, doch als unser >Gastgeber< wieder anfing, Feuer zu spucken,
haben sie sich aus dem Staub gemacht.«
Ren Dhark war immer noch nicht ganz überzeugt.
»Sind Sie sicher, daß die Robonen nicht irgendwo im Umkreis gelandet sind und ein
Suchkommando zu Fuß ausgeschickt haben?«
»Ganz sicher!« antwortete Oshuta mit Nachdruck. »Sowie die Schweber hinter dem
Kraterrand verschwunden waren, ist Sass nach oben gestürmt und hat sich vergewissert, daß
sie wirklich wegfliegen. Sie sind genau in Richtung der Stadt geflogen und haben ihren Kurs
auch nicht außer Sichtweite von >Normalmenschen< geändert. Sie sind weg!«
Eigenartig, dachte Ren Dhark.
Ein leichtes Unbehagen stieg in ihm auf. Natürlich hatte er gehofft, daß seine List gelingen
würde, aber daß es so gut klappen könnte, hätte er niemals erwartet.
Es war schon so leicht gewesen, aus dem Gebäude zu entkommen. Zu leicht? Unter ohrenbetäubendem Donnern stieg mitten im Krater eine Flammensäule in den Himmel,
erlosch, um Augenblicke später wieder aufzuflammen.
Ren Dhark glaubte ein leichtes Zittern des Bodens wahrzunehmen.
»Wir sollten hier verschwinden!« brüllte Oshuta.
320
Dhark warf einen Blick zu Dan Riker hinüber. Der war mittlerweile ebenfalls aufgestanden
und hatte angefangen, sich den Staub aus seiner Raumfahrer-Kombi zu klopfen. Er wirkte
blaß, ansonsten aber unversehrt.
»Dan, bist du in Ordnung?« Ren Dhark mußte schreien, um sich verständlich zu machen.
Dan Riker warf ihm einen ironischen Blick zu.
»Wir stehen hier knapp vor einem Kraterschlund und atmen Luft, die so heiß ist, daß sie
einem die Lunge versengt... Unter uns zittert der Boden, als ob der Vulkan sich demnächst zu
einem richtigen Ausbruch entschließen wollte... Wir befinden uns irgendwo in der
Milchstraße auf einem unbekannten Planeten, mit nichts als der >Ausrüstung<, die wir bei
uns tragen, und wir werden dazu noch von Robonen verfolgt... Und da fragst du mich, ob ich
in Ordnung bin?«
Ren Dhark lächelte dem Freund zu. Dan schien es gutzugehen.
Der Boden unter ihren Füßen vibrierte stärker.
Ein Grollen ertönte von irgendwoher.
Lati Oshuta trat kurzentschlossen zu Dhark.
»Klettern Sie auf meinen Rücken und halten Sie sich fest, Com-mander. Sass wird sich um
Riker kümmern. Wir müssen hier weg, und das so schnell wie möglich!«
Janos Szardak saß im Pilotensessel der POINT OF und starrte aus zusammengekniffenen
Augen die Bildkugel an, als wäre sie sein Todfeind.
Er sah Sterne, nichts als Sterne, die teilweise unglaublich dicht beieinanderstanden.
»Auch wenn Sie noch eine halbe Stunde weiter in die Bildkugel starren, werden Sie Dhark
und Riker und die Cyborgs dort nicht finden.« Das war Manu Tschobes Stimme.
Der Afrikaner hatte sich lautlos neben Szardak in den Copiloten-Sessel gleiten lassen.
Szardak zwang sich, den Blick von der Bildkugel abzuwenden und Tschobe anzusehen.
»Was meinen Sie, Tschobe, was sollen wir tun?«
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Es kam nicht oft vor, daß Szardak sich hilflos fühlte, doch jetzt war es soweit. Sie hatten die
Spur des fremden Raumschiffs, das sie verfolgt hatten, verloren. Es war mitten in den
Kugelsternhaufen hineingesprungen, dessen Sonnen die Bildkugel ausfüllten.
Und in diesem energetischen Chaos war es selbst mit den Ortungsanlagen der PoiNT OF
nicht möglich, den Wiedereintauchpunkt festzustellen.
Tschobe zögerte lange mit einer Antwort.
»Wir könnten nach Robon zurückfliegen«, schlug er schließlich vor. »Außerdem sollten wir
die Erde benachrichtigen. Trawisheim muß Bescheid wissen.«
Szardak warf noch einen Blick auf die Bildkugel.
Er seufzte.
Es gefiel ihm ganz und gar nicht, daß er die Jagd abbrechen sollte, aber er mußte sich
eingestehen, daß sie hier wahrscheinlich wirklich nichts mehr ausrichten konnten.
Der kleine Mann mit dem Pokerface gab sich einen Ruck.
»Wir fliegen nach Robon zurück...«
»Vielleicht sind Dhark und seine Begleiter immer noch in Starlight. Wir wissen schließlich
nicht genau, daß das Raumschiff, das von Robon gestartet ist, etwas mit ihrem Verschwinden
zu tun hat. Wir sollten Starlight auf alle Fälle gründlich auf den Kopf stellen«, sagte Manu
Tschobe.
Szardak schielte zu dem Afrikaner hinüber.
»Ich weiß Ihre Bemühungen zu schätzen, Tschobe, aber Sie glauben doch selbst nicht, daß
dieses ominöse Raumschiff nichts mit dem Verschwinden Dharks und seiner Begleiter zu tun
hat...«
Nach einer kurzen Pause fuhr er schulterzuckend fort: »Andererseits kann es nicht schaden,
Starlight gründlich zu durchsuchen. Auch wenn wir den Commander nicht finden sollten
vielleicht stolpern wir über irgendeinen Hinweis, der uns verrät, wer hinter dieser Entführung
steckt...«
Tschobe nickte zustimmend.
Szardak beugte sich vor. Seine Finger huschten über die Steuerschalter des
Instrumentenpults.
»Wir machen uns auf den Rückflug nach Robon. Transition in
322
zehn Minuten.« Über die Bordverständigung erklang seine Stimme in allen Abteilungen und
Räumen der PoiNT OF.
»Und was ist mit Terra?« hakte Tschobe nach.
Szardak sah den Afrikaner stirnrunzelnd an.
»Sie geben wohl auch nie Ruhe, was?« brummte er. »Aber Sie haben ja recht...«
Er rief die Funk-Z. »Morris, eine To-Funkverbindung nach Terra, zum Stab der Flotte und zu
Trawisheim...«
»Kommt sofort, Szardak!«
Und während er darauf wartete, daß die Verbindung zustande kam, bereitete er sich in
Gedanken darauf vor, den terranischen Behörden die Nachricht zu übermitteln, daß der
Commander der Planeten ein weiteres Mal irgendwo im All verschollen war.
Ren Dhark erlebte den Aufstieg zum Kraterrand wie im Traum. Er hockte auf Oshutas
Rücken und klammerte sich an den Japaner, der in rasendem Tempo nach oben zu klettern
begann.
Einem Normalmenschen wäre es völlig unmöglich gewesen, den terrassenartig abfallenden
Hang unter den hier herrschenden Bedingungen auch nur halb so schnell zu erklettern.
Die Luft schien mit jedem Atemzug heißer zu werden, obwohl sie sich vom eigentlichen
Kraterschlund entfernten.
Zudem bemerkte Ren Dhark jetzt auch, wie dünn diese Luft war.
Kein Wunder, dachte er, schließlich befinden wir uns in mehr als 3000 Meter Höhe.
Er warf einen Blick zur Seite.
Einige Meter von ihm entfernt kämpfte sich Bram Sass mit Dan Riker auf dem Rücken den
Abhang hinauf.
Der Ladiner war Oshuta ein Stück voraus, wahrscheinlich kamen ihm die Erfahrungen mit
den Bergen seiner Heimat zugute.
Hinter und unter ihnen grollte der Vulkan erneut.
Eine gewaltige schwarze Rauchwolke stieg in den Himmel.
Ascheteilchen regneten herab.
Ren Dhark sah, daß Bram Sass noch schneller wurde, und er bemerkte, daß auch Oshuta
seine Anstrengungen verdoppelte.
323
Sie mußten aus dieses Krater heraus!
Denn wenn der Vulkan anfangen sollte, nicht nur Feuer, sondern glutflüssige Lava zu
spucken, dann waren sie verloren.
Selbst auf dem Rücken des Cyborg spürte Dhark, wie der Boden unter ihnen erzitterte...
Allon Sawall blickte auf, als sich die Tür zu seinem Arbeitszimmer öffnete.
»Das Suchkommando ist zurück«, meldete sein Vertrauter.
»Mit den Gefangenen?«
Der Angesprochene schüttelte den Kopf.
»Was ist passiert?« wollte der Anführer der Robonen wissen.
»Das Suchkommando hatte die Gefangenen fast eingeholt, doch bevor sie sie zur Landung
zwingen konnten, ist der Schweber mit den Verdammten abgestürzt...«
»Und weiter?«
»Nichts weiter. Der Schweber ist in einen aktiven Vulkan gestürzt. Das kann keiner der
Verdammten überlebt haben. Unsere Leute sind einige Zeit über der Absturzstelle gekreist,
aber da war nichts mehr zu sehen.«
Allon Sawall runzelte die Stirn.
»Das gefällt mir nicht...« murmelte er. »Haben unsere Leute den Absturz beobachten
können?« stellte er seine nächste Frage.
»Ja. Anscheinend hatten die Verdammten schon vorher Probleme mit dem Triebwerk. Es
schien zu stottern. Unsere Leute konnten beobachten, wie die Gefangenen versuchten, den
Schweber über dem Vulkan hochzuziehen, und dann ist er abgeschmiert...«
Allon Sawall dachte einen Augenblick nach.
»Es ist gut, du kannst gehen.«
Als er wieder allein war, trat er ans Fenster und ließ seinen Blick über die Stadt schweifen.
Das machte er immer, wenn er angestrengt nachdachte.
Dieser Dhark mag zwar ein Verdammter sein, aber er ist kein Idiot, dachte er. Wieso fliegt er
dann mit einem Schweber, dessen Triebwerk auszusetzen beginnt, über einen aktiven Vulkan?
324
Ein vager Verdacht stieg in ihm auf. Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer wurde er
sich.
Ein spöttisches Lächeln kräuselte seine Mundwinkel.
Ich bin sicher, wir werden uns noch einmal wiedersehen, Ren Dhark von den Verdammten. Ich bin mir sogar ganz sicher! 325
17.
Sie hatten es geschafft! Sie hatten den Vulkankrater verlassen.
Ren Dhark fühlte sich erschöpft, obwohl er doch nur auf Oshutas Rücken gehockt und sich
tragen gelassen hatte. Ein Blick auf Dan Riker zeigte, daß es seinem Freund ähnlich ging.
Doch sie durften sich keine Verschnaufpause gönnen.
Sollte der Vulkan wirklich ausbrechen, waren sie noch längst nicht in Sicherheit.
Sie überprüften nur kurz ihre Ausrüstung.
Ein paar Schocker, vier Blaster aus dem Schweber, sechs Wasserflaschen, dehydrierte
Nahrungsmittel, zwei Thermodecken und eine medizinische Notfallbox, dazu Kleinutensilien
wie etwa Feuerzeuge - viel war es nicht, doch es würde sie über die nächsten beiden Tage
bringen.
»Das größte Problem könnte das Wasser werden«, sagte Ren Dhark.
»Es wird Ihnen und Riker ein bißchen länger reichen, da Sass und ich nicht unbedingt
welches brauchen«, meinte Lati Oshuta.
Der Ladiner nickte zustimmend.
Sie wußten alle vier, daß die beiden Cyborgs nach einer gewissen Zeitspanne unbedingt
Wasser brauchen würden. Doch Ren Dhark und Dan Riker würden schon lange vorher
verdurstet sein, sollten sie bis zu diesem Zeitpunkt kein Wasser gefunden haben.
»Also los«, forderte der Commander seine Gefährten nach einem letzten Blick in die Runde
auf.
Die vier Männer setzten sich in Bewegung. Die Cyborgs hatten Dhark und Riker angeboten,
sie auch weiterhin zu tragen, aber Dhark wollte sich diese Art der Fortbewegung lieber für
absolute Notfälle aufsparen.
Schon nach wenigen Minuten bereute er seine Entscheidung.
326
Sie marschierten durch eine schroffe, kahle Gebirgslandschaft. Der Boden war felsig und
teilweise von Geröll bedeckt, das unter ihren Tritten immer wieder wegzurutschen drohte.
Hinzu kam, daß die dünne Gebirgsluft ihren Lungen kaum den nötigen Sauerstoff zuführen
konnte. Alle paar Schritte mußten Ren Dhark und Dan Riker stehenbleiben und nach Luft
schnappen.
Außerhalb des Vulkankraters wurde es schnell empfindlich kalt. Ihre hastigen Atemzüge
standen als weißer Dampf vor ihren Mündern.
Den beiden Cyborgs hingegen machten die herrschenden Umweltbedingungen ebensowenig
aus wie die Geländeverhältnisse. Mit traumwandlerischer Sicherheit schritten sie
gleichmäßig dahin, blieben nur stehen, wenn Dhark und Riker Halt machten, um sich zu
erholen.
Und diese Pausen folgten in immer kürzeren Abständen.
Lati Oshuta zwinkerte Bram Sass zu. Der Ladiner nickte.
Ohne ein Wort zu verlieren, packten die Cyborgs die beiden Männer, nahmen sie Huckepack
und marschierten in wesentlich größerem Tempo als zuvor weiter.
Ren Dhark und Dan Riker sparten sich jeglichen Protest. Dazu waren sie viel zu erschöpft
und zu müde.
Auf Oshutas Rücken sitzend, ließ Ren Dhark seine Gedanken schweifen.
Haben wir bei unserer Flucht wirklich soviel Glück gehabt - oder hat man uns absichtlich
entkommen lassen ?
Aber warum?
Irgendwann mußte Ren Dhark eingeschlafen sein. Als er erwachte, war es Nacht. Er lag
eingewickelt in eine der Thermodecken - auf dem felsigen Boden. Links von ihm erklangen
gleichmäßige Atemzüge.
Er hob den Kopf und versuchte sich zu orientieren, konnte in der Dunkelheit jedoch kaum
etwas erkennen.
Ein Schatten trat auf ihn zu, beugte sich zu ihm herunter.
Lati Oshuta!
327
»Aufgewacht, Commander?« fragte der Japaner leise.
Ren Dhark fühlte sich noch immer desorientiert.
»Aufgewacht ja, aber...«
Ein Licht blitzte auf, flackerte und stabilisierte sich. Oshuta hatte eins ihrer Feuerzeuge angezündet. Endlich konnte Ren Dhark seine nähere Umgebung erkennen. Er befand sich in einer geschützten Nische vor einer Felswand, die zu beiden Seiten leicht vorsprang und ein paar Meter über seinem Kopf einen Überhang bildete. Neben ihm lag Dan Riker, schlafend. Dhark versuchte, an Oshuta vorbeizuschauen, der sich zu ihm hingekauert hatte. »Wo ist Sass?« »Der sieht sich ein bißchen um, Commander. Er will versuchen, einen Abstieg zu finden. Wir müssen irgendwie aus den Bergen rauskommen. Hier oben ist es auf Dauer für Sie und Riker zu kalt; außerdem haben Sie ja selbst gemerkt, wie Ihnen die dünne Luft zu schaffen macht.« Selbst durch die Thermodecke hindurch spürte Dhark die Kälte. Er wußte, daß der Japaner recht hatte. »Wie weit haben Sie uns geschleppt, Oshuta - und wie lange ist Sass schon weg?« »Wir sind weit genug von dem Vulkan entfernt, um uns in der Hinsicht keinerlei Sorgen machen zu müssen«, antwortete der Cy-borg. »Der Vulkan ist übrigens nicht richtig ausgebrochen, aber er hat gewaltige Rauch- und Aschewolken ausgestoßen. Deswegen ist es auch so dunkel. Sass hat sich gleich nachdem wir diesen Platz gefunden hatten auf den Weg gemacht. Er müßte jetzt um die zwei Stunden weg sein.« Ren Dhark dachte nach. Es hatte keinen Sinn, irgendwelche Pläne zu machen, bevor Sass zurück war. Viel hing davon ab, ob der Cy-borg einen gangbaren Weg aus dem Gebirge heraus finden würde. Aber war das überhaupt möglich? Sie steckten mehrere Kilometer tief in diesem Gebirgsmassiv. Wie sollte Sass da einen Ausweg finden? Und wohin sollten sie sich wenden? Zurück zur Stadt der Robonen zu marschieren, kam eigentlich 328 nicht in Frage; das war mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit gleichbedeutend mit erneuter Gefangenschaft. Aber wohin sonst sollten sie gehen? Ren Dhark warf einen Blick auf Dan Riker. Dan schlief tief und fest. Auch Dhark fühlte sich immer noch müde. Die physische und psychische Anspannung der letzten Tage forderte ihren Tribut. »Sie können das Licht ausmachen, Oshuta. Wer weiß, welche ungebetenen Gäste wir sonst womöglich anlocken. Im Moment können wir ohnehin nichts anderes tun, als zu warten, bis Bram Sass zurückkommt...« »In Ordnung, Commander.« Das Feuerzeug erlosch. Schlagartig hüllte undurchdringliche Schwärze ihren Zufluchtsort ein. Ren Dhark wußte, daß es einige Zeit dauern würde, bis seine Augen sich an die veränderten Lichtverhältnisse angepaßt haben würden und er zumindest wieder Umrisse erkennen können würde. Er dachte an die PoiNT OF - und an Terra. Was würden ihre Freunde an Bord des Ringraumers und auf der Erde jetzt tun? In Gedanken versunken saß Henner Trawisheim in seinem Arbeitszimmer im Regierungsgebäude von Alamo Gordo. Draußen tauchten die letzten Strahlen der untergehenden Sonne die charakteristischen Stielbauten in warmes, rotgoldenes Licht. Doch Trawisheim schenkte dem Anblick, der sich ihm durch das Panoramafenster seines Arbeitszimmers geboten hätte, nicht die geringste Beachtung. Er war vor wenigen Minuten von einer Besprechung mit dem Stab der TF zurückgekehrt, und jetzt lag vor ihm die Folie mit dem Einsatzbefehl für Colonel Larsen und einen Teil der Raumflotte. Er brauchte sie nur noch abzuzeichnen. Offiziell würde Larsen mit einer Flotte aus zwölf Kreuzern und achtzehn Jägern nach Robon fliegen, sich dort mit der PoiNT OF treffen, und dann würden die Raumschiffe gemeinsam auf die Jagd nach dem Nor-ex gehen. Denn wenn auch seit einiger Zeit keine Raumschiffe mehr ver 329
schwunden waren, so glaubte doch niemand, daß die Gefahr, die von dem unheimlichen
Etwas ausging, tatsächlich gebannt war. Daher wollte man jetzt, wo man über eine
Möglichkeit verfügte, dem Nor-ex beizukommen, selbst die Initiative ergreifen, anstatt zu
warten, bis das >Wesen< von allein wieder aktiv wurde.
Die Sache klang logisch - zumindest für die Öffentlichkeit, und für die war sie auch gedacht.
Denn die offizielle Verlautbarung, die die Pressestelle des Stabs der TF in den nächsten
Stunden veröffentlichen würde, entsprach nur teilweise den Tasachen.
Zwar würde die Larsen-Flotte tatsächlich nach Robon fliegen und sich dort mit der PoiNT
OF treffen, aber dann würden alle bis auf zwei Schiffe sich zum Kugelsternhaufen Dg-45
aufmachen und versuchen, eine Spur von Ren Dhark und seinen Begleitern zu finden.
Nur zwei Kreuzer würden auf Robon zurückbleiben. Ihre weit über die Sollstärke hinaus
ergänzten Besatzungen hatten den Auftrag, die Riesenstadt Starlight gründlich zu
durchkämmen.
Trawisheim starrte die Folie an, ohne sie wirklich zu sehen.
Er fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, die terranische Öffentlichkeit derart zu belügen.
Andererseits war es notwendig.
Für die Menschen auf der Erde mochte die akute Bedrohung durch das Nor-ex vorbei sein,
aber sie hatten sie noch längst nicht vergessen. Und sie hatten auch nicht vergessen, daß der
Commander der Planeten erst vor kurzem tagelang mit seiner PoiNT OF verschollen gewesen
war.
Der Bevölkerung Terras mitzuteilen, daß Ren Dhark schon wieder verschwunden war, daß er
womöglich von Außerirdischen entführt worden war, hätte nur für Unruhe gesorgt. Die
Tatsache, daß zusammen mit dem Commander auch noch Flottenchef Riker verschollen war,
hätte diese Unruhe nur noch vergößert.
Nein, man konnte den Menschen auf der Erde die Wahrheit nicht zumuten.
Können wir das wirklich nicht? fragte sich Trawisheim. Ist es richtig, der terranischen
Öffentlichkeit diese Information vorzuenthalten ?
Richtig nicht - aber notwendig! gab er sich selbst die Antwort.
330
Wohl war ihm bei diesem Gedanken dennoch nicht.
Er wußte sehr wohl, daß die Bevölkerung der Erde ein Recht auf Information besaß.
Henner Trawisheim blieb noch eine ganze Weile still und reglos sitzen, dann nahm er einen
Stift in die Hand und unterzeichnete in einer schwungvollen Bewegung den Einsatzbefehl für
die Larsen-Flotte.
Draußen war es mittlerweile dunkel geworden, und die Skyline von Alamo Gordo funkelte
im Glanz unzähliger Lichter.
Die Nacht war schon einige Zeit in das Schmutziggrau eines düsteren Tages übergegangen,
als Bram Sass endlich zurückkehrte.
Er war von Kopf bis Fuß von einer dunklen Schicht aus Asche und Rußteilchen bedeckt, die
er jetzt verschmierte, als er sich über das Gesicht wischte, bevor er sich zu Ren Dhark, Dan
Riker und Lati Oshuta setzte, die eng aneinander gekauert im Schutz der Fels-nische hockten.
»Ich hoffe, Sie bringen gute Neuigkeiten, Sass« begrüßte Ren Dhark den Cyborg, der
keinerlei Anzeichen von Erschöpfung zeigte, obwohl er die ganze Nacht auf den Beinen
gewesen war.
»Wie man's nimmt, Commander« erwiderte Sass. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen einen
Felsblock und streckte die Beine weit von sich.
»Ich habe versucht, mir einen Überblick zu verschaffen, aber das war aufgrund des Reliefs
selbst für mich nicht ganz leicht«, begann der Ladiner. »Immerhin konnte ich genug
erkennen, um sagen zu können, daß wir nur eine einzige Möglichkeit haben.« Er deutete über
die Schulter schräg nach hinten. »Wir müssen nach Westen!«
»Wieso ausgerechnet nach Westen?« fragten Ren Dhark und Dan Riker wie aus einem Mund.
Sass verlagerte sein Gewicht, bis er anscheinend endgültig eine bequemere Sitzposition
gefunden hatte.
»Alle anderen Richtungen scheiden aus. Im Osten liegt die Stadt der Robonen; ich glaube
nicht, daß es viel Sinn hätte, dorthin zurückzukehren...«
331
»Aber...« wollte Dan Riker ihn unterbrechen, wurde jedoch von Ren Dhark durch eine Handbewegung daran gehindert. »Später, Dan. Machen Sie weiter, Sass.« »Selbst wenn wir zur Stadt der Robonen zurückwollten, müßten wir kilometerweit durchs Gebirge marschieren. Ich weiß nicht, ob einer von Ihnen einen Blick auf das Terrain geworfen hat, als wir es gestern überflogen... Ich habe runtergeschaut, und die Gegend machte keinen besonders anheimelnden Eindruck.« Dan Riker nickte zögernd. Die Landschaft unter dem Schweber hatte wirklich nicht so ausgesehen, als wäre es ein Kinderspiel, sie zu Fuß zu durchqueren. »Im Norden und Süden sieht es fast noch schlimmer aus«, fuhr Sass fort. »Dieses Gebirge verläuft in nord-südlicher Richtung, und soweit ich sehen konnte, fällt das Gelände nicht im geringsten ab. Wir könnten uns natürlich in einem Hochtal parallel zu den Bergketten bewegen - aber irgendwann müßten wir diese Berge übersteigen, wenn wir das Gebirgsmassiv verlassen wollten. Und mit Rücksicht auf Ihre Gesundheit und die des Commanders sollten wir das möglichst bald tun.« Sass blickte Dan Riker an. Riker wußte, daß der Cyborg recht hatte. Schon nach einem Tag und einer Nacht in dieser Höhe fühlte er sich zerschlagen. Die Kälte schien immer tiefer in den Körper zu kriechen, und selbst im Sitzen gierten die Lungen nach Sauerstoff. Er nickte erneut. »Schon gut, Sass. Also erzählen Sie uns von den Verlockungen des Westens.« Ren Dhark lächelte in sich hinein. Dan hatte auch in dieser Situation seinen Sinn für Humor nicht verloren. »Verlockend ist der Westen auch nicht gerade, aber immer noch die beste Alternative - das kleinere Übel sozusagen«, meinte der Ladiner schulterzuckend. »Ich kann es natürlich nicht mit Gewißheit sagen«, begann er nach einer kurzen Pause erneut, »aber es sieht so aus, als gäbe es im Westen nur noch eine Bergkette, die wir überwinden müßten. Selbst wenn hinter dieser Bergkette noch eine weitere liegen sollte, dann ist sie auf keinen Fall so hoch wie die, in der wir uns im Moment befinden. Zudem konnte ich einen tiefliegenden Paß ausmachen, der 332
es uns leichter machen wird, den westlichen Gebirgszug zu überqueren. Ich würde daher
vorschlagen, daß wir in Richtung Westen marschieren. Wenn Oshuta und ich Sie wieder
tragen, können wir bis heute abend den Paß erreicht haben. Dann sehen wir weiter.«
Der Cyborg schwieg.
»Alles schön und gut, Sass, aber selbst wenn es uns gelingt, das Gebirge auf dem von Ihnen
vorgeschlagenen Weg zu verlassen und ins Tiefland abzusteigen - was machen wir dann?«
Dan Riker hatte noch immer Vorbehalte.
»Willst du etwa zu den Robonen zurück, Dan?« fragte Ren Dhark den Freund.
»Natürlich nicht, Ren. Ich habe ja auch keine bessere Idee. Ich frage mich nur, was wir tun,
wenn wir diese hypothetische Ebene erreicht haben?«
»Überleben!« antwortete Ren Dhark knapp.
Nach kurzem Nachdenken fügte er hinzu: »Zumindest sind im Tiefland unsere Chancen
wesentlich größer, Wasser und eventuell sogar genießbare Nahrung zu finden. Hinzu kommt,
daß wir beide uns dann auch wieder auf unseren eigenen Füßen fortbewegen können, ohne
alle drei Schritte stehenbleiben und nach Luft schnappen zu müssen. Außerdem dürfte es dort
unten auch längst nicht so kalt wie hier oben sein...«
»Schon gut, Ren, ich bin doch längst überzeugt, daß es unsere einzige Möglichkeit ist«,
unterbrach Dan Riker den Vortrag des Commanders.
»Und vielleicht«, ergänzte er versonnen, »stoßen wir ja auch auf den >Raumhafen< der
Robonen, wenn es auf diesem Planeten denn so etwas gibt.«
»Daran habe ich auch schon gedacht.« Zum erstenmal, seit Bram Sass von seinem
Erkundungsgang zurückgekehrt war, mischte sich Lati Oshuta in die Debatte.
Ren Dharks braune Augen begannen zu funkeln.
Natürlich wußte er, daß ihre Chance, im Westen tatsächlich auf den Ort zu stoßen, an dem
die Raumschiffe der Robonen landeten, äußerst gering war - aber in der Situation, in der sich
die vier Männer befanden, zählte jeder Hoffnungsschimmer.
333
»Damit ist es entschieden«, beendete Dhark die Diskussion. »Wir marschieren nach Westen, auf den Paß zu, den Sass entdeckt hat.« »Wir marschieren?« echote Oshuta und sah den Commander an, wobei er das Kunststück fertigbrachte, gleichzeitig die Stirn zu runzeln und zu grinsen. »Soll das etwa heißen, daß Sie mit Ihrem Träger nicht mehr zufrieden sind und sich lieber wieder auf Ihren eigenen Beinen durch diese Geröllwüste quälen wollen?« »Sie haben mich überzeugt«, erwiderte Ren Dhark und grinste zurück. »Schließlich wollen wir nicht erst in einer Woche bei dem Paß ankommen...« Henry de Ruy saß in der Kommandozentrale seines Raumschiffs und wartete. Er war auf Befehl Allon Sawalls sofort wieder gestartet, nachdem er die Gefangenen abgeliefert hatte, und hatte am Rande des Kugelsternhaufens Dg-45 im Ortungsschutz einer Sonne Position bezogen. Auf dem Panoramaschirm loderte die Glut eines Roten Riesen, den de Ruys 400-m-Kreuzer NEMO in einem gefährlich engen Orbit umkreiste. Immer wieder schleuderte der Sonnengigant Protuberanzen weit in den Raum, die wie die Arme eines Riesenkraken nach der lächerlich kleinen stählernen Kugel zu greifen drohten, die sich ihm so vorwitzig genähert hatte. Schon seit Stunden saß de Ruy in der Kommandozentrale und starrte auf den Panoramaschirm. Er wurde des Anblicks nicht müde. Der robonische Kommandant war fasziniert von den Sternen. Die NEMO schüttelte sich leicht, und ein gleißendes Energiegewitter zuckte über den Schutzschirm, als eine der Protuberanzen dem Raumschiff gefährlich nahekam. Henry de Ruy schien es überhaupt nicht wahrzunehmen. Er war sich sicher, daß ihm und seinem Schiff von diesem Stern keine Gefahr drohte. Manchmal, wenn er - so wie jetzt - lange genug in die lodernde Glut gestarrt hatte, schien es ihm, als könne er bis ins Herz der Sonne sehen. Als könne er auf unerklärliche Weise den Pulsschlag des Universums wahrnehmen. 334
Und dieser Pulsschlag war wie eine Verheißung. Er würde, wenn es an der Zeit war, den Robonen, den >Wahren Menschen<, den Weg weisen. Nicht nur zu den All-Hütern, sondern zu ihrer wahren Bestimmung. Doch zunächst galt es zu warten. Für einen kurzen Augenblick wandte de Ruy die Augen vom Panoramaschirm und warf einen Blick zum Raum-Controller hinüber. Er wartete auf die Gefügeerschütterung, die die Ankunft der Ter-raner vor dem Kugelsternhaufen Dg-45 anzeigen würde. De Ruy war ebenso wie Allon Sawall davon überzeugt, daß die Terraner früher oder später in diesem Raumsektor auftauchen würden, um nach Ren Dhark zu suchen. Sollten sie ruhig kommen! Sie würden eine Überraschung erleben! Ohne ein einziges Mal abzurutschen oder zu straucheln, durchquerten die beiden Cyborgs mit ihrer menschlichen Last ein Geröllfeld. Ren Dhark war noch immer verblüfft von den Fähigkeiten der >Kinder< Echri Ezbals. Die Demonstration in Alamo Gordo war beeindruckend genug gewesen, aber erst jetzt, wo er auf Schritt und Tritt mit den Leistungen der Cyborgs konfrontiert wurde, begriff der Commander der Planeten, was dem greisen Brahmanen da eigentlich gelungen war. Ezbal hatte den Übermenschen erschaffen! Ren Dhark konnte nicht verhindern, daß ihm bei dieser Erkenntnis ein kalter Schauer den Rücken hinunterlief. Was würde geschehen, wenn Ezbal eines Tages den falschen Mann zum Cyborg machte? Wenn
die strengen Tests versagten?
Und wie würde die Menschheit auf ihre neuen Mitglieder reagieren, die normalen Menschen so
ähnlich und gleichzeitig so grenzenlos überlegen waren?
Ren Dhark zwang sich, seine Gedanken in andere Bahnen zu lenken. Solche Überlegungen
waren müßig. Es gab im Moment wahrhaft dringlichere Probleme!
335
Während Oshuta gleichmäßig und mit der Präzision eines Uhrwerks dahinschritt, hatte Ren
Dhark sich umgesehen.
Viel gab es allerdings nicht zu sehen.
Die gewaltige Rauch- und Aschewolke, die noch immer über diesem Teil des Gebirges
schwebte, verwandelte das Tageslicht in ein schmutziggraues, dämmriges Zwielicht.
Etliche Kilometer hinter ihnen im Südosten stieg noch immer eine mächtige Rauchsäule in
den Himmel. Myriaden von Ascheflöck-chen und Rußteilchen schwebten in der Luft, so daß
die vier Männer schon wenige Minuten nach ihrem Aufbruch von einer pudrigen
dunkelgrauen Schicht bedeckt waren.
Die Partikel machten das Atmen nicht gerade leichter. Obwohl sich Dhark und Riker
keineswegs anstrengen mußten, wurden sie immer wieder von Hustenanfällen geschüttelt.
Die Landschaft blieb so karg und eintönig wie zuvor. Kein Baum, kein Strauch war zu sehen.
Die einzige Abwechslung - wenn man es denn so nennen wollte - war, daß das Gelände alle
paar hundert Meter leicht anstieg, um dann wieder abzufallen.
Wie die Wogen eines zu Stein erstarrten Meeres, dachte Dhark. Und die Geröllbrocken sind die
Schaumkronen.
Ziellos wanderten seine Gedanken hierhin und dorthin, um schließlich an einem Begriff
hängenzubleiben. Einem Namen.
AlIon Sawall. Ren Dhark war davon überzeugt, daß Sawall der gefährlichste menschliche Feind war, dem
er bisher begegnet war.
Gefährlicher als Rocco, gefährlicher als Norman Dewitt.
Wie kann man die Robonen vielleicht doch von der Wahrheit überzeugen, ihre Konditionierung durch die Giants durchbrechen? Der Konflikt zwischen Terranern und Robonen war eigentlich völlig sinnlos.
Eine düstere Vision stieg vor Dharks geistigem Auge auf:
Robonen, die unerkannt auf der Erde agierten und Sabotageakte verübten - und im Gegenzug
die Raumer der TF, die auf der Suche nach der Welt - den Welten? - der Robonen durchs All
flogen.
Wir würden uns gegenseitig zerfleischen, erkannte Dhark, dabei könnten wir gemeinsam
doch viel mehr erreichen.
336
Er stutzte. Verfolgte noch einmal seinen Gedankengang.
Das war es!
Die Welt der Robonen! Jetzt erst wurde ihm klar, was ihn vom ersten Augenblick an, seit sie auf diesem Planeten
gelandet waren, unterschwellig irritiert hatte:
Es wirkte alles so improvisiert.
Wie ein eilig aufgestelltes Bühnenbild, das nur vorgab, die Wirklichkeit darzustellen.
Wenn der CAL Menschen von der Erde auch auf anderen Welten als auf Robon angesiedelt
hatte, dann mußte das bereits vor rund fünf Jahren geschehen sein. Und selbst wenn diese
Menschen später - etwa kurz vor der Bestrahlung Robons mit dem Commutator-Enzephalo
umgesiedelt worden waren, dann würden sie immer noch seit vier Jahren hier leben.
In der Stadt hatte Dhark allerdings den Eindruck gehabt, die Robonen seien erst vor ein paar
Wochen auf dieser Welt angekommen.
Bedeutete das nicht, daß dieser Planet, von dem sie noch nicht einmal wußten, wie er hieß,
auf keinen Fall der Heimatplanet der Robonen sein konnte?
Aber warum hatte man sie dann hierhergebracht?
Was bezweckte Allon Sawall?
War ihre Entführung und ihre allzu leichte Flucht nur Teil eines weit größeren, viel
komplizierteren Plans?
»...schafft«, sagte Lati Oshuta.
»Was?« Ren Dhark brauchte einen Augenblick, um in die Wirklichkeit zurückzukehren.
»Wir haben es gleich geschafft«, wiederholte Lati Oshuta. Er deutete nach vorn.
Vor ihnen fiel das Gelände sanft in ein langgezogenes Tal ab, an dessen Grunde sich ein Bergbach - eigentlich kaum mehr als ein dünnes Rinnsal - entlangzog. Auf der anderen Seite stieg der Hang ebenfalls zunächst sanft an, wurde dann allerdings zu einer Steilwand, die sich in schwindelerregende Höhen hinaufschraubte. Nur an einem Punkt, genau in der Verlängerung ihrer Marschroute, klaffte in der Felswand eine Lücke: der Paß, von dem Bram Sass gesprochen hatte. 337
Ren Dhark hatte überhaupt nicht bemerkt, wieviel Zeit verstrichen war, während er seine
Gedanken hatte schweifen lassen.
Jetzt registrierte auch er, daß es von Minute zu Minute dunkler wurde, das düstere Zwielicht
dem Dunkel einer sternenlosen Nacht wich.
»Wir sollten unten am Talgrund rasten, und morgen früh weitermarschieren«, schlug er vor.
Niemand erhob einen Einwand.
Als sie das kleine Bergbächlein erreichten, war es schon fast völlig dunkel. Ächzend ließen
sich Dhark und Riker von den Rücken ihrer Träger gleiten.
Mit Lockerungsübungen versuchten sie, die Blutzirkulation anzuregen, bevor sie sich an
einer von mannshohen Felsbrocken eingefaßten, windgeschützten Stelle auf den Boden
setzten und in ihre Thermodecken wickelten.
Bram Sass kostete das Bachwasser.
»Wir sollten bis morgen früh warten, bis wir die leeren Wasserflaschen füllen«, meinte Lati
Oshuta augenzwinkernd, »wenn Sass dann noch lebt!«
Bram Sass murmelte eine Antwort, aber sie war zu leise, um sie zu verstehen.
Nachdem sie im Schein eines zwischen ihnen aufgestellten Ther-mofeuerzeugs eine
Kleinigkeit gegessen hatten, entspann sich zwischen den beiden Cyborgs und Dan Riker ein
lebhaftes Gespräch, das sich hauptsächlich um die Robonen und deren Anführer Allon
Sawall drehte.
Ren Dhark beteiligte sich kaum daran. Er war schon wieder mit seinen eigenen Gedanken
beschäftigt.
»Was hast du, Ren?« fragte Dan Riker, als ihm die ungewohnte Schweigsamkeit seines
Freundes bewußt wurde.
»Ach, nichts, Dan. Ich bin nur müde«, erwiderte Ren Dhark.
Seine Gedanken waren ihm selbst noch zu unausgegoren, um mit irgend jemand über sie zu
sprechen.
Dan Riker gab sich mit Dharks Antwort zufrieden und wandte sich wieder den Cyborgs zu.
»Und ich glaube immer noch«, nahm er den Gesprächsfaden wie 338
der auf, »daß das Verschwinden der Giants den Robonen einen Knacks versetzt hat. Sawall
mag ein intelligenter Mann sein, das will ich gar nicht bestreiten, aber er machte auf mich
trotzdem den Eindruck, als ob er psychisch überaus labil wäre...«
»Da kann ich Ihnen nicht zustimmen, Riker«, warf Lati Oshuta ein. »Ganz im Gegenteil, ich
glaube, ich habe noch niemals in meinem Leben einen so kontrollierten Menschen gesehen.
Die Ironie, der Sarkasmus, der Wutausbruch - das waren alles nur theatralische Gesten. Ich
glaube, den echten Allon Sawall haben wir noch gar nicht zu Gesicht bekommen...«
Die Stimmen der Gefährten wurden allmählich zu einem fernen Gemurmel, das sporadisch
an- und abzuschwellen schien.
Kurze Zeit später war Ren Dhark eingeschlafen.
Am nächsten Morgen standen sie auf, sobald sich im Osten der erste graue Schein der
Dämmerung zeigte, und waren bereits wenig später wieder unterwegs.
Die beiden Cyborgs hatten die ganze Nacht gewacht, aber - wie schon in der Nacht zuvor
nichts Auffälliges bemerkt.
Zumindest in der Bergwelt dieses Planeten schien es keinerlei gefährliche Tiere zu geben.
»Ich denke, heute wird der letzte Tag sein, an dem Sie uns tragen müssen. Wenn wir erst
einmal aus dieser Höhenlage heraus sind, möchte ich verflixt gerne wieder einmal selbst
laufen. Ich habe das Gefühl, ich roste sonst noch ein«, sagte Ren Dhark zu Lati Oshuta,
während dieser in seinem gewohnten Tempo auf den Paß zuschritt.
»Das überlasse ich ganz Ihnen, Commander«, erwiderte der Japaner. »Ich könnte Sie noch
tagelang durch die Gegend tragen...« Schon nach knapp einer halben Stunde hatten sie den Einschnitt in der Felswand erreicht und überschritten die Paßhöhe. Wenige Schritte weiter öffnete sich vor ihnen ein beeindruckendes Panorama: Das Gebirgsmassiv fiel nach Westen hin über eine Reihe von immer niedriger werdenden, mit Büschen und Bäumen bestandenen Hügelketten zu einer Tiefebene ab. Ein Teil der Hügel und die Tiefebene lagen in strahlendem Son 339 nenschein, und in weiter Ferne, fast schon am Horizont, glitzerte das silbrige Band eines Flusses. »Jetzt müssen wir nur noch hoffen, daß die Windströmungen uns günstig gesonnen sind, dann haben wir in ein, zwei Tagen auch Sonne«, sagte Oshuta. Ren Dhark nickte. Er war vom Rücken des Cyborg heruntergeklettert und hatte sich neben den Japaner gestellt. Aus einem nicht näher zu bennenden Grund erfüllte ihn der Anblick der Hügel und der Ebene mit neuer Zuversicht. Ganz plötzlich war er fest davon überzeugt, daß es ihnen gelingen würde, diesen Planeten unversehrt zu verlassen. Auch wenn er sich im Moment nur schwer vorstellen konnte, wie das möglich sein sollte. Der Abstieg fiel den Cyborgs anscheinend leichter als das Marschieren im Gebirge. Vielleicht beflügelte sie aber auch nur die Aussicht, das Gebirgsmassiv zu verlassen. Auf alle Fälle rasten sie förmlich dahin. Es konnte erst ein paar Stunden her sein, daß sie mit dem Abstieg begonnen hatten, da erreichten sie die Vegetationsgrenze. Dürres Gras und flach über dem Boden dahinkriechende Büsche waren die ersten Vorboten. Zwei Stunden später, als sie von einer Hügelkuppe in ein beinahe kreisförmiges Tal hinabmarschierten, sahen sie so etwas wie einen Wald. Zumindest schien dieser Ausdruck am ehesten angemessen, auch wenn die Gewächse keinerlei Ähnlichkeit mit irdischen Bäumen hatten. Es waren lange, schlanke Stämme, die im unteren Bereich völlig kahl waren, und an der Spitze mit kleinen, lanzettförmigen Blättern besetzte Zweige trugen, die zunächst bogenförmig nach außen liefen, um sich dann nach vier, fünf Metern wieder miteinander zu vereinigen. »Als ob ein Riese den Stämmen von oben einen Schlag versetzt 340
hätte, und die Fasern wären sternförmig auseinandergeplatzt, ohne abzureißen«, meinte Oshuta. Mittlerweile liefen Dhark und Riker wieder selbst und genossen die Bewegung regelrecht. Je näher sie dem >Wald< kamen, der den gesamten Talgrund ausfüllte, desto besser konnten sie erkennen, daß der Raum zwischen den Stämmen von hüfthohem Unterholz bewachsen war. Auch dieses >Unterholz< hatte nur wenig Ähnlichkeit mit irdischen Sträuchern und Büschen. Zwei Arten dominierten: Zum einen beinahe quadratische Gruppen von relativ kräftigen, knapp anderthalb Meter hohen, völlig kahlen Stengeln mit gelben und schwarzen Querstreifen, zum anderen Pflanzen, deren große, dunkelgrüne, dickfleischige Blätter sich flach über dem Waldboden ausbreiteten, während im Zentrum ein zartgrüner Stiel vielleicht zwei Meter nach oben wuchs, an dem lange, dünne, grellrote Bänder herabhingen, die sanft im Wind wehten. »Ich kann mir nicht helfen, aber diese Pflanze mit den dickflei-schigen Blättern sieht gefährlich aus. Wir sollten vielleicht einen Bogen um diese Art machen«, schlug Oshuta vor. Auch Ren Dhark verspürte ein Unbehagen, je näher sie dem >Wald< kamen. Er beschloß, die Warnung des kleinen Japaners ernstzunehmen. Knapp zehn Meter vom Waldrand entfernt, legte Oshuta einen Zwischenspurt ein. »Ich werde uns den Weg freimachen«, verkündete er fröhlich und schoß davon. Schon nach wenigen Schritten war er in einem Gewimmel aus Grün, Rot, Gelb und Schwarz verschwunden. Ren Dharks Unbehagen verstärkte sich, als er den >Wald< betrat. Es war, als hätte er eine
unsichtbare Grenze überschritten. Von einem Schritt zum nächsten roch es anders, der Boden
unter seinen Füßen fühlte sich anders an - und dann nahm er den ultrahohen, feinen,
zirpenden Ton war, der plötzlich in der Luft lag.
Von weiter vorn gellte plötzlich Oshutas Stimme: »Dhark, Riker, Sass - gehen Sie nicht
weiter! Kehren Sie um! Schnell!!«
341
Aber es war schon zu spät.
Ren Dhark sah plötzlich, wie Dan mitten im Schritt stockte und der Länge nach zu Boden
fiel. Es hatte ausgesehen, als hätte Dan plötzlich kein Glied mehr rühren können.
Und dann spürte er, wie sich etwas Zähes, Festes, Klebriges um seine Arme und Beine, um
seine Brust, um seinen ganzen Körper legte. Er wollte noch einen Schritt machen, konnte
jedoch kein Bein mehr bewegen und stürzte zu Boden.
»Sass, umschalten, Sie können die Biester sonst nicht sehen! Schnell!« erklang Oshutas
Stimme aus einiger Entfernung.
Neben sich hörte Ren Dhark ein quietschendes, kreischendes Geräusch, das mit einem Laut
ähnlich wie ein Peitschenknall abbrach.
»Verflixt, das klebt ja unglaublich«, brummte Bram Sass.
Ren Dhark schaffte es, sich etwas auf die Seite zu drehen.
Vielleicht zwei Meter von ihm entfernt stand der Ladiner und schien mit unsichtbaren Fäden
zu kämpfen. Er packte die Luft vor seiner Brust und zog und zerrte. Wieder die Geräusche ein Quietschen, ein Kreischen, dann ein Knall - irgend etwas zerriß!
Aus den Augenwinkeln glaubte Ren Dhark eine Bewegung wahrzunehmen. Es sah aus, als
würde er den Hintergrund durch einen Wassertropfen sehen, der sich rasend schnell auf ihn
zubewegte. Für einen Augenblick verschwammen die Stämme und Pflanzen in seiner
Blickrichtung.
Ein heller, singender Ton.
Sass hatte seinen Blaster abgefeuert!
Knapp zwei Schritte vor Ren Dhark schien sich plötzlich etwas Großes, Schwarzes, Haariges
mit viel zu vielen Beinen zu materialisieren und mit einem ekelhaft nassen Geräusch zu
Boden zu fallen.
Wieder Blasterschüsse.
Oshuta war heran und feuerte wild um sich, wie jetzt auch Sass.
»Verflixt, es werden immer mehr! Wo kommen die Biester bloß alle her?« rief der Japaner.
Rings um die kleine Gruppe wurden jetzt immer mehr der schwarzen Ungeheuer sichtbar.
Obwohl die Cyborgs sie reihenweise abschössen, schienen sich immer mehr von den Bäumen
herabfallen zu lassen. Der Boden war
342
bereits übersät mit zuckenden, rauchenden Kadavern, die einen ekelhaften Gestank
verströmten.
Sie wurden anscheinend nur im Tode sichtbar - aber was Ren Dhark da von ihnen erkennen
konnte, verscheuchte jeden Wunsch, ein lebendiges Exemplar zu sehen.
Dichtbehaarte schwarze Bälle mit bestimmt einem Dutzend Beinen und einem Paar kräftiger,
feucht und gefährlich glänzender Kieferzangen.
Es sind phototrope Wesen, schoß es Ren Dhark durch den Kopf. Solange sie lebendig sind,
können sie sich ihrer Umgebung perfekt anpassen!
Für einen kurzen Moment schien der Ansturm der Ungeheuer nachzulassen. Die beiden
Cyborgs verständigten sich wortlos.
Oshuta schnappte sich Dhark und warf ihn sich über die Schulter, Sass machte das gleiche
mit Riker - und dann rannten die Cyborgs mit ihrer Last aus dem Wäldchen, als ob der
Leibhaftige hinter ihnen her wäre.
Und in gewisser Weise stimmte das ja auch.
Debatten waren im Höhlensystem von Deluge an der Tagesordnung, und daher war es nichts
besonderes, daß Achmed Tofir und Poul Renoir mit dem Kontinuum-Experten H.C.
Vandekamp beisammensaßen und erregt diskutierten.
»...aber Sie haben immer noch nicht begründet, wieso Sie so sicher sind, daß dieses Nor-ex
noch einmal auftauchen wird?« richtete Tofir die Frage an den Kontinuum-Experten, die ihn
am meisten interessierte.
Vandekamp lehnte sich in seinem Sessel zurück und faltete die Hände. Er wirkte jetzt
beinahe wie ein Prediger, der seinen Jüngern ein neues Evangelium verkünden wollte.
»Wir können, glaube ich, davon ausgehen, daß dieses Nor-ex nicht unserem Raum-
Zeitgefüge entstammt«, begann er.
»Woher wollen Sie das wissen?« mischte sich Renoir ein.
Vandekamp seufzte. Warum mußten sich Tofir und Renoir auch ausgerechnet ihn aussuchen!
343
»Wenn wir postulieren - was wir schon die ganze Zeit getan haben -, daß das Nor-ex eine Art
von Lebewesen und nicht ein Raumschiff unter einem uns in seiner Funktionsweise völlig
unbekannten Tarnschirm ist, dann müssen wir logischerweise davon ausgehen, daß sich
dieses Lebewesen - sollte es unserem Raum-Zeitgefüge angehören - auch gemäß den in
unserem Kontinuum gültigen Naturgesetzen verhält.«
Vandekamp warf einen beifallheischenden Blick in die Runde. Renoir und Tofir schwiegen.
»Wenn es sich jedoch gemäß den in unserem Einstein-Kontinuum gültigen Naturgesetzen
gemäß verhalten würde - dann könnte es sich nicht überlichtschnell fortbewegen und dabei
im Normalraum bleiben! Daraus läßt sich folgern, daß das Nor-ex einem anderen Raum-
Zeitgefüge entstammt, in dem anscheinend andere Naturgesetze oder Konstanten herrschen,
und daß es die Bedingungen aus diesem fremden Kontinuum mit zu uns herübergebracht hat.
Nur deshalb konnte es sich so schnell bewegen, und trotzdem im Normalraum bleiben...«
»Alles schön und gut«, brummte Renoir, »aber wieso sollte es noch einmal auftauchen?
Könnte es nicht einfach in sein heimisches Kontinuum zurückgekehrt sein?«
»Das ist es ganz bestimmt«, erwiderte Vandekamp. »Und das bringt uns zu der Frage, wieso
es überhaupt hier aufgetaucht ist...«
Renoir und Tofir blickten den Kontinuum-Experten fragend an.
Vandekamp rieb sich die Hände.
»Denken Sie an das Erlebnis der EL TAREK, die Begegnung mit dem Geisterschiff, meine
Herren; lesen Sie nach, wie die HIDALGO verschwand... und dann das Nor-ex, der
Raumschiff-Fresser.« Vandekamp machte eine Kunstpause und beugte sich nach vorn.
»Und dann denken Sie an die Störungen des galaktischen Magnetfelds. Irgend etwas geht da
draußen vor. Ich bin davon überzeugt, daß alle diese Phänomene die gleiche Ursache
haben...«
»Und welche?« fragte Renoir, als der Kontinuum-Experte nicht weitersprach.
»Die Trennwände oder meinetwegen Trennschichten zwischen den Universen sind brüchig
geworden!«
344
Tofir warf Vandekamp einen zweifelnden Blick zu.
»Finden Sie diese Hypothese nicht etwas gewagt?« fragte er.
»Gewagt ist sie, ja, zweifellos. Aber ich bin davon überzeugt, daß ich recht habe. Und das
erste Glied in meiner Beweiskette wird bald wieder von sich reden machen. Denn das Nor-ex
wird zurückkehren! Sie werden es erleben!«.
Die Cyborgs legten eine beträchtliche Strecke zwischen sich und das Wäldchen, bevor sie
Ren Dhark und Dan Riker zu Boden gleiten ließen und von den Spinnenfäden befreiten.
Letzteres erwies sich als ziemlich zeitraubende, anstrengende Tätigkeit.
Vorsichtig dehnte und lockerte Ren Dhark seine Glieder, als er sich endlich wieder bewegen
konnte.
»Das Erlebnis mit diesen... Chamäleon-Spinnen sollte uns eine Lehre sein. Wir müssen in
Zukunft vorsichtiger sein; schließlich befinden wir uns auf einem fremden Planten. Der
könnte auch noch weitere unangenehme Überraschungen für uns bereithalten«, sagte Ren
Dhark, während er die Reste der klebrigen Spinnenfäden von seiner Raumfahrer-Kombi zu
klauben versuchte.
»Hoffentlich riecht das nächste Monster zumindest besser«, brummte Bram Sass, den die
Scheusale ebenfalls einzuspinnen versucht hatten. Tatsachlich verströmten die Reste der
Spinnenfäden einen ekelhaften Gestank, der von Minute zu Minute stärker zu werden schien.
»Wenn Sie sich farblich noch ein bißchen Mühe geben, könnten Sie drei glatt als Stinktiere
durchgehen«, kicherte Oshuta. Er war der einzige, der von den Spinnenfäden verschont
geblieben war.
Dan Riker sah den Cyborg stirnrunzelnd an.
»Sie könnten sich lieber auf den Weg machen und nach einer Wasserstelle suchen, damit wir
uns dieses ekelhafte Zeug abwaschen können...«
Oshuta grinste weiterhin, raste jedoch sofort über die nächste Hügelkuppe davon, wobei er
einen weiten Bogen um das Wäldchen mit den Chamäleon-Spinnen machte.
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Bereits nach wenigen Minuten kehrte er wieder zurück.
»Über diesen Hügel da vor uns, durchs nächste Tal, über den nächsten Hügel - und dann
werden sie einen wunderbaren Badesee vor sich sehen!«
Gemeinsam marschierten sie los.
Bram Sass wurde immer ein bißchen schneller und hatte bereits etliche Meter Vorsprung, als
der See in Sicht kam. Er war oval und größer als sie erwartet hatten.
»Na, unser Saubermann hat's aber besonders eilig«, kommentierte Oshuta, als Bram Sass auf
das Seeufer zueilte und sich auf die Knie fallen ließ.
Er beugte sich vor und streckte die Hand ins Wasser.
»Wunderbar kalt«, rief er halb umgewandt seinen Gefährten zu.
Sass drehte sich wieder um und beugte sich zur Wasseroberfläche hinunter.
Plötzlich schössen zwei schenkeldicke, metallisch schimmernde Arme aus der Tiefe des Sees
nach oben, packten Bram Sass blitzschnell und rissen ihn hinab.
Es geschah so schnell, daß der Ladiner nicht einmal mehr einen Schrei ausstoßen konnte.
Nur noch ein paar Ringe auf der Wasseroberfläche und einige Luftblasen wiesen auf die
Stelle hin, wo er so blitzartig verschwunden war...
REN DHARK Band 10
Gehetzte Cyborgs erscheint im April 1998 346
Kurt Brand SF-Edition Der "Vater" unserer Science Fiction - Bestsellerserie REN DHARK, Kurt Brand, war unbestritten einer der bekanntesten und beliebtesten Autoren der deutschen NachkriegsSF. Es waren größtenteils Space-Operas voller neuer, farbiger Ideen mit faszinierenden Hintergründen, die Brand in der Gunst der SF-Leser innerhalb weniger Jahre nach oben katapultierten. Wir veröffentlichen in dieser Edition in jedem Band jeweils drei seiner frühen Leihbücher bzw. Heftromane, wobei es sich teilweise um sehr gesuchte Romane handelt. Eine HJB-Hardcoverausgabe Bereits erschienen und lieferbar: Buchausgabe (ca. 352 Seiten) Kurt Brand Edition Band l
"Der Galaxant", "Sterbliche Sternengötter", "Der Gral-Mutant"
Weitere Bände sind im Abstand von ca. 12 Monaten geplant.
Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22, 56544 Neuwied
Internet, http://www.bernt.de
Ren Dhark Sonderband soeben erschienen Soeben ist der erste REN DHARK SONDERBAND erschienen. Auf 192 Seiten erzählt der Autor Manfred Weinland eine spannende Episode aus der
Geschichte der Nogk - des wohl faszinierendsten Fremdvolkes innerhalb des REN DHARK Kosmos. Zum Inhalt: Der Nogk Charraua erfährt von dem Schläfer von mysteriösen Vorgängen um sein Volk in der Vergangenheit. Auch Commander Huxley ist mit an Bord, als Charraua seine Suche beginnt... Gehen Sie mit auf die Reise, denn in den Tiefen des Alls sind noch immer Geheimnisse zu lösen... Bereits erschienen und lieferbar: Hardcover, 192 Seiten REN DHARK SONDERBAND "Die Legende der Nogk" Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22, 56544 Neuwied Internet: http://www.bernt.de
PERRY RHODAN COMICS Perry - Unser Mann im All Reprints der Comic-Hefte aus den Jahren 1968 - 1975. In jedem Comic-Album sind zwei Hefte enthalten; lieferbar als Softcover und als Hardcover
Perry Rhodan im Bild die allerersten Perry Rhodan - Comics aus den Jahren 1967/68 in einer Hardcover -Luxusausgabe für den Sammlerkreis
Atlan Comic Edition enthält die Zeit - Abenteuer und die USO -Abenteuer aus den PERRY - Heften Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22, 56544 Neuwied Internet: http://www.bernt.de
Ren Dhark - Programm Kurt Brand schuf von 1966 bis 1969 die Heftserie Ren Dhark. Für
die Buchausgabe des Bernt Verlages wird der SF-Klassiker neu bearbeitet, ergänzt und fortgeschrieben,
denn in den Tiefen des Alls ist das große Rätsel der Mysterious noch immer zu lösen...
Bereits erschienen und lieferbar: Buchausgabe (jeweils ca. 352 Seiten) Ren Dhark Band l "Sternendschungel Galaxis"
Ren Dhark Band 2 "Das Rätsel des Ringraumers"
Ren Dhark Band 3 "Zielpunkt Terra"
Ren Dhark Band 4 "Todeszone T-XXX"
Ren Dhark Band 5 "Die Hüter des Alls"
Ren Dhark Band 6 "Botschaft aus dem Gestern" (G'Loorn-Zyklus)
Ren Dhark Band 7 "Im Zentrum der Galaxis" (G'Loorn-Zyklus)
Ren Dhark Band 8 "Die Meister des Chaos" (G'Loorn-Zyklus)
Ren Dhark Band 9 "Das Nor-ex greift an!"
Buchausgabe (ca. 192 Seiten) Ren Dhark Sonderband "Die Legende der Nogk"
In Vorbereitung:
Ren Dhark Band 10 (erscheint ca. April 1998)
Ren Dhark Band 11 (erscheint ca. August 1998)
Ren Dhark Band 12 (erscheint ca. Dezember 1998)
Ren Dhark Band 13 (erscheint ca. März 1999)
Ren Dhark Band 14 (erscheint ca. Juni 1999)
Weitere Bände erscheinen im Abstand von drei bis vier Monaten.
Hansjoachim Bernt Verlag
Postfach 22 01 22, 56544 Neuwied
Internet: http://www.bernt.de