KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
GUSTAV
HEFTE
BÜSCHER
DAS MULTIPLIZIERT...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
GUSTAV
HEFTE
BÜSCHER
DAS MULTIPLIZIERTE AUGE VOM
AUGENGLAS BIS
ZUM
ÜBERMIKROSKOP
VERLAG S E B A S T I A N LUX M U R N A U • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • ÖLTEN
Solange Menschen leben, waren sie bemüht, ihre Kräfte und Sinne durcli äußere Hilfsmittel zu vervielfachen. Reichte die Muskelkraft nicht mehr aus, die Lasten zu bewegen, so halfen Hebel, Rolle und Rad. Der Mensch machte Wasser und Wind zu seinen Dienern, Dampfkraft und Elektrizität wurden seine Gehilfen, und gewiß wird eines Tages als mächtigster „Multiplikator" der menschlichen Kräfte die Atomenergie zur Verfügung sein. Den Gehörsinn schärfte der Mensch durch das empfindliche Mikrophon, die Kraft der Stimme verstärkte er vieltausendfach durch den Lautsprecher. Feiner als der Tastsinn „fühlen" die Instrumente, die er erfunden hat, und über Meere und Erdteile hinweg spricht er zu seinesgleichen, als wäre der Gesprächspartner in unmittelbarer Nähe. Auch der vollkommenste der menschlichen Sinne, die Sehkraft, ist in ihrer Schärfe und in ihrer Reichweite vieltausendmal verbessert worden. Durch Lupen, Mikroskope, Übermikroskope und Femrohre wurde Kleinstes und Fernstes sichtbar und so dem Blick eine neue, ungeheure Welt erschlossen. Wie diese bis dahin verborgene Welt Schritt für Schritt dem Menschen zugänglich wurde, wie man lernte, in die Dinge hinein- und durch sie hindurchzusehen, davon plaudert dieser Lesebogen über das vervielfältigte, das „multiplizierte Auge".
Die falsche Brille des Kaisers Nero Durch die Arena des großen Zirkus auf dem Marsfelde in Rom jagen die Rennwagen, hetzen die Raubtiere, bluten die Fechter in ihren grausamen Kämpfen auf Leben und Tod. In den marmornen Rängen, die hoch bis zu dem Säulenumgang des Theaters ansteigen, tobt das Volk und feuert schreiend, pfeifend und Tücher schwenkend die Todgeweihten zum verzweifelten Zweikampf an, der fast immer mit dem Leben eines der Kämpf enden bezahlt werden muß. In der kaiserlichen Loge, die gegen die zudringlichen Blicke des Volkes durch hohe Wände getrennt ist, liegt auf seidenen Polstern Nero, der diese blu2
tigen Schauspiele dem Pöbel der Weltstadt zur Ablenkung und Belustigung geschenkt hat. Der Kaiser blinzelt in die Kampfbahn hinunter. Nicht die Sonne, die heiß auf dem gelben Sand und den Steinquadern des Theaters liegt, ärgert seine Augen. Der Kaiser ist kurzsichtig, und nur mit zusammengekniffenen Lidern gelingt es ihm, die erregenden Kämpfe zu verfolgen. Da naht sich dem Unnahbaren einer der Höflinge. Man sieht, daß er einen grünschillernden Edelstein in Händen hält. „Der Göttliche möge verzeihen", schmeichelt und stammelt er, „aber vielleicht habe der Kaiser die Gnade, diesen geschliffenen Smaragd huldvollst anzunehmen und vor das Auge zu halten." Und da Nero in dieser Umgebung ohne Argwohn war, nahm er den Stein, den die Alten „Beryll" nannten. Als er dann den Beryll vor das Auge hielt, schien er über alle Maßen entzückt. Durch den Edelstein gesehen, verkleinerten sich die Fechter und das ganze Theater zu einem berückend buntgefärbten, zierlichen doch klaren Bild. Der Beryll verengte das große Oval der Ränge und der Arena auf ganz wunderliche Weise; und Plinius, der römische Schriftsteller, der uns davon erzählt hat, berichtet, Nero habe seitdem zu allen Spielen diesen Wunderstein an die Augen geführt. Was wahr an dieser Geschichte ist, wissen wir nicht. Man hat lange geglaubt, daß sich aus diesem Beryll Neros die Brille entwickelt habe, und auch der Name der Brille sei aus dem Wort „Beryll" gebildet worden. Wahrscheinlich ist diese Worterklärung richtig, obwohl es noch andere Deutungen des Namens „Brille" gegeben hat. Sicherlich ist das smaragdene Augenglas Neros aber nicht der Vorläufer der Brille selbst gewesen; denn es vervielfältigte die Sehkraft des Auges nicht, sondern verniedlichte sie.
Die ersten Augengläser Mehr als 1000 Jahre vergehen. Der „Beryll" Neros ist als eine Laune des Augenblicks vergessen. Dem augenschwachen Menschen kann niemand helfen. Dem Kurzsichtigen, dem nur das Nächstliegende gut sichtbar ist, wird die Welt mit schwindender Sehkraft immer enger. Er erkennt nicht mehr die Jagdbeute, die in der Ferne auftaucht, auch den Feind sieht er erst, wenn Rettung und Abwehr nicht mehr möglich sind. So ist er gezwungen, sich zurückzuhalten. Unbeholfen bewegt sich der Augenkranke durch seine Umgebung, und es bleibt ihm nichts übrig, als sich in das Schicksal zu fügen und so gut es geht, die Sinnenwelt auf andere Weise zu erfassen. 3
Auch für den Weitsichtigen, der die Dinge in der Ferne noch gut erkennt, alles Naheliegende aber nur verschwommen sieht, gibt es keine Sehhilfe. U n d da die Weitsichtigkeit eine Erkrankung des zunehmenden Alters ist, ist die Gebrechlichkeit der Alternden in jenen alten Zeiten doppelt groß. Handschrift und Siegel sind nicht mehr zu entziffern, die Handarbeit läßt sich oft nur ertasten, und es ist vieles so ganz anders als bei denen, die sich das Augenlicht in voller Kraft und Schärfe erhalten haben. Da, um die Zeit, als Walther von der Vogelweide seine heiteren Minne- und trotzigen Lebenslieder dichtet, hören wir zum erstenmal von der Erfindung, die dem Schwachsichtigen die Ferne wieder näherrückt oder ihm das Naheliegende deutlicher machen kann. In einer alten Handschrift, der „Großen Heidelberger Liederhandschrift", die man auch die „Manessische Handschrift" nennt, wird inmitten der frohen Liedverse einmal von einem „hellen klaren Spiegel" gesprochen, durch den man sehen soll, wenn man die Schrift nicht mehr gut lesen kann. Nun, damals galt als „Spiegel" jedes Glas, das durchsichtige und das undurchsichtige, und wenn in dem Liede der Handschrift auch nicht die Rede von geschliffenem Glas ist, so wissen wir doch, daß nichts anderes als die Brille gemeint sein kann. Und das ist die erste Nachricht von dieser beglückenden Erfindung, durch die für unzählige Menschen die Welt ein anderes Gesicht gewonnen hat. Das war um das Jahr 1270. Blättern wir ein paar Seiten weiter im großen Buch der Geschichte! 1299 steht auf der Niederschrift, in der zum zweitenmal die Brille genannt wird. „Ich finde mich so beschwert", heißt es da, „daß ich ohne die neuerlich erfundenen Augengläser weder lesen noch schreiben könnte. Sie sind ein wahrer Segen für arme Greise mit schwachem Gesicht." In den Museen findet man aus dieser Zeit die ersten Figuren von Heiligen und Gelehrten mit Augengläsern. Schon verband man mit j dem Brillentragen die Vorstellung, daß der Träger ein besonders] gelehrter Mann sein müsse, weil er ob des vielen Studierens in den,, frommen und weisen Büchern sein Augenlicht verbraucht habe. Auch in unserer Zeit ist es manchmal nicht anders. Die „Eitelkeitsbrille" war lange Zeit Mode. Besonders gern „schmückt" sich der Ostasiate mit diesem Zeichen des Gelehrtseins, aber auch mancher „wilde" Häuptling glaubt mit einer Brille, selbst wenn sie keine Gläser mehr hat, das Maß seiner W ü r d e besonders betonen zu können. Die Brillenmacher wurden dann auch schon bald eine eigene 4
Zunft. Es gab keinen Jahrmarkt, auf dem seit dem 15. Jahrhundert nicht auch der Brillenmacher seinen Stand gehabt hätte. Den Erfinder der Brille, jenen, der zum erstenmal auf den Gedanken kam, geschliffene Gläser vor die schwachen Augen zu setzen, um ihre Sehkraft zu vervielfältigen, nennt keine Chronik. Stumm geht die Geschichte, die für Schlachtenlenker und Haudegen immer so viel übrig hatte, über den Namen dieses großen Wohltäters der Menschen hinweg. Zwar findet sich auf dem Grabmal eines Florentiners, Salvino degli Aniti, die Inschrift, daß er der Erfinder der Augengläser gewesen sei; das gleiche wird aber auch dem Mönch Alexander de Spina nachgerühmt. Aber es ist gewiß, daß ihnen dieser Ruhm nicht, oder wenigstens ihnen nicht allein gebührt. Die ältesten Brillen — das wissen wir von den frühesten Abbildungen — waren Nagelbrillen. An den Umränderungen der Gläser saßen kurze Stiele, die in einem Gelenk durch einen Nagel, d. h. einen Niet, zusammengefaßt waren. Man konnte sie zusammenklappen und verwahrte sie in einem Futteral, das am Gürtel getragen wurde. Oft baumelten sie auch, wenn sie nicht benutzt Eine der ersten Brillen , . n T i . w•'" i war die „Nagelbrille . wurden, an einem Bande herunter. Manches Ejn Nagel-Niet hält die Kuriose wäre noch von der Brille zu beriehStiele oben zusammen ten. So war z. B. eine Zeitlang die „Gewichtsbrille" in Gebrauch. Sie war mit zwei kleinen Ketten versehen, an deren Enden Gewichte hingen. Die Kettchen wurden über die Ohren gelegt, die Gewichtchen hielten die Brille fest. — Doch wir wollen sehen, was weiter geschah, um die Augenarbeit zu verbessern.
Linsen und Lupen Dient die Brille und das aus der Mode gekommene „Monokel", das Einglas, dem schwachen und alternden Auge, so entstand die Lupe aus dem Bedürfnis, auch dem gesunden starken Auge eine Hilfe zu bieten. Die Geschichte des „Vergrößerungsglases" reicht weiter zurück und ist bunter als die der „Augengläser". Im Süden waren es die Römer und später die Araber, im Norden die Wikinger, von denen wir mit Sicherheit wissen, daß sie mit optischen Linsen, mit Lupen, umzugehen wußten. Funde beweisen es. Der Engländer Roger Bacon, Doktor der Theologie und Franziskanermönch, beschäftigte sich um die Mitte des 13. Jahrhunderts mit optischen Versuchen. Er war ein sehr kluger Mann und hat viel Treffendes über die Gesetze des Lichtes und des Sehens gesagt. Er schrieb 5
auch den Satz: „Beim Sehen mit gebrochenen Strahlen . . . können wir kleinste Buchstaben lesen." Er wußte also, was „gebrochene Strahlen" sind. Wissen wir es auch? Wir haben schon beobachtet, daß ein Stab, den wir in ein Glas Wasser tauchen, geknickt, gebrochen erscheint. Selbstverständlich ist das nur eine Täuschung, denn wenn wir den Stab wieder hervorziehen, ist er genau so gerade wie vorher. Es ist also das Wasser, das diesen Eindruck in uns hervorruft. Wasser, so sagt man, hat andere optische Eigenschaften als Luft. Ein schräg ins Wasser einfallender Lichtstrahl geht im Wasser nicht geradlinig weiter, sondern wird ein wenig eingeknickt. Auch bei Glas ist das der Fall. • Auch hier wird der Strahl beim Einfallen „gebrochen", tritt er dann aus dem Glas wieder hervor, so wird er wieder eingeknickt, sobald er in der Luft weiterschwingt. Wird eine gewöhnliche Glasscheibe zwischen das Auge und einen Gegenstand gehalten, den wir betrachten wollen, so sieht man den Gegenstand — wie wir alle wissen —• ganz normal, weder größer noch kleiner. Setzt man jedoch an die Stelle der gewöhnlichen Glasscheibe, die man „planparallel" nennt, eine Linse, ein Glas also, das wie ein Linsenkorn nach einer Seite oder nach beiden Seiten hin gewölbt ist, so sehen wir bei geeigneter Entfernung des Gegenstandes von der Linse ein schwächer oder stärker vergrößertes Bild, je nach dem Schliff und der Wölbung des Glases und je nach der
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Die Linse ist flach gewölbt, das Objekt ist nah. Eindruck: Geringe Vergrößerung.
» Die Linse ist flach gewölbt (wie bei a), das Ob~* jekt ist weit. Eindruck: stärkere Vergrößerung.
Die Linse ist stärker gewölbt, das Objekt ist nah. Eindruck: Vergrößerung wie bei b.
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Die W i r k u n g
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Die Linse ist stärker gewölbt wie bei c, das Objekt ist weit. Eindruck: sehr starke Vergrößerung.
schwach
und
stark
gewölbter
Linsen
Sammellinsen Zerstreuungslinsen als Lupen verwendbar, sie vergrößern sie verkleinern
Bikonvex-Linse (bis, lat.=zweima!)
Bikonkav-Linse
Plankonvex-Linse (plan=eben)
Plankonkav-Linse
Konkav-konvex-Linse
Konvex-konkav-Linse
Entfernung zwischen der Linse und dem Gegenstand (Bild S. 6) Das hängt mit der Brechung der Lichtstrahlen zusammen, von der wir eben gesprochen haben. Linsen gibt es in allen Formen und Größen. Je nachdem, ob sie bauchig, erhaben oder hohl geschliffen sind, nennt man sie „konvex" oder „konkav" (convexus, lat. = „gewölbt"; concavus, lat. = „hohl"). Wir merken uns: Gewölbte Gläser vergrößern, hohl geschliffene Gläser verkleinern. Nun können solche Linsen auf beiden Seiten oder auf einer Seite gewölbt bzw. hohl geschliffen und auf der anderen Seite „plan", d. h. eben, sein; so ergibt sich eine Reihe von Grundformen. In der Abb. oben sind diese verschiedenen Formen einmal zusammengestellt.
Vom „Flohglas" zum Mikroskop Welch ein Erlebnis ist es, wenn es uns zum erstenmal vergönnt ist, durch ein Mikroskop in die Wunderwelt des Allerkleinsten zu schauen! Da erkennen wir erst, wie unzulänglich ohne dieses Vergrößerungsgerät unser Auge wäre; und doch wird das Auge das vollkommenste unserer Sinnesorgane genannt. Der Menschengeist hat es verstanden, dieses Sinnesorgan durch die wundersame Erfindung des Mikroskopes um das Vieltausendfache zu schärfen. Diese Erfindung trug zu Beginn einen Namen, der so gar nicht zu dem vornehmen, glitzernden und kostspieligen Instrument passen will,
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das wir als Mikroskop kennen. Die ersten dieser Instrumente wurden nämlich „Flohgläser" genannt, es waren einfache Lupen, wie wir «ie heute noch benutzen, wenn wir die Feinheit in der Zeichnung einer Briefmarke erkennen und betrachten wollen. Auch die Lupe, das „Flohglas", ist ein Mikroskop, ein „Sehgerät für kleine Dinge". Nichts anderes besagt nämlich der Name Mikroskop, der 'aus den griechischen Wörtern „mikros — klein, fein", und „skopein = sehen" abgeleitet ist. Wurden die ersten Lupen zum Ergötzen der Jahrmarktbesucher auf einen Floh oder andere Insekten gerichtet — nun, dann waren es eben „Flohgläser". Nahm aber der Wissenschaftler die Lupe zur Hand, dann nannte man die gleiche Lupe mit dem gelehrten Namen ein „Mikroskop".
Ein berühmter Trödlersohn Einer der ersten Mikroskopierer, der erste von größerer Bedeutung, war ein Holländer, Antoni van Leeuwenhoek, der Sohn eines Trödlers in Delft, der Stadt der berühmten Blau- und Steinzeugmaler. Hier lebte van Leeuwenhoek in der Zeit, als in Deutschland der Dreißigjährige Krieg tobte, der seine Schrecken oft genug auch in die Niederlande trug, wo damals Rembrandt zu malen begonnen hatte. Der junge Antoni war ein Lausbub, der auf seine frühen Leistungen nicht stolz sein konnte, und oft genug bekam er das wohl auch zu hören. Aber er war trotzdem auf seine Art ein Tausendsasa, der nichts in die Hand nahm, ohne es nicht fleißig zu betrachten und sich seine Gedanken darüber zu machen. Eines Tages findet er unter dem Kram, der auf dem Hofe des Vaters aufgestapelt war, eine gewölbte Glasscherbe, den Rest eines zerbrochenen Kruges. Gar hübsch spiegelte sich die Sonne in der gläsernen Wölbung. Absichtslos legte Leeuwenhoek die Scherbe auf sein Wams, das er abgestreift und auf den Gartenzaun gebreitet hatte, da es so sommerlich warm war. Da machte er doch große Augen: Das feine Taftgewebe seines Rockes, in dem man mit bloßem Auge Schuß und Kette gar nicht hatte auseinanderhalten können, war auf einmal, als er es durch die daraufliegende Glasscherbe betrachtete, zu einem grobgewebten Stück Stoff geworden, grob wie ein Hafersack, in dem Vater Leeuwenhoek an den Freitagen den Trödelkram zu Markte fuhr. Das gewölbte Glas vergrößerte! Gewiß hatte schon manch einer vor Antoni van Leeuwenhoek unter ähnlichen Umständen das gleiche beobachten können, und es gab sogar schon Spielzeug, bei dem man sich zur Belustigung der Kinder diese Eigenschaft von wölbigen Gläsern zunutze gemacht hatte. Aber wir 8
sagten schon, daß Leeuwenhoek ein Bub war, der so etwas nicht ohne eigene Gedanken zur Kenntnis nahm, und so wurde dieser zufällige Blick durch das Wölbeglas ein ganz entscheidungsvoller Augenblick. Wenn man will, kann man sogar sagen, daß hier ein junger Mensch sich anschickte, eine neue Welt zu entdecken, die Welt des bis dahin Unsichtbaren, die wundersame Welt des Allerkleinsten. Damals, vor 300 Jahren, wurde zum erstenmal das Neuland gesichtet, in dem wir Menschen des Atomzeitalters nun völlig stehen, und noch ist kein Ende und keine Begrenzung, in diesem Reiche der winzigsten Dinge und Wesen abzusehen.
Die „elenden kleinen Biester" Antoni van Leeuwenhoek hat damals natürlich die zukünftigen Ergebnisse seiner Entdeckung nicht ahnen können. Aber es war nun fortan seine Lieblingsbeschäftigung, alle möglichen Dinge durch gewölbtes Glas zu betrachten. Er wartete, gründlich wie er war, mit seinen Beobachtungen nun nicht mehr, bis der Zufall ihm gewölbtes Glas in die Hände spielte. Er half selber nach, begann dicke Glasslücke und Glaskugeln oft recht mühevoll zu Linsen zu schleifen, die er dann immer wieder verbesserte. Sooft ihm sein Beruf Zeit ließ — er übte den Kaufmannsberuf aus wie sein Vater —, beschäftigte er sich mit seinen Gläsern. Seine Delfter Mitbürger mochten ihn deswegen für einen Kauz halten. Aber das berührte ihn nicht. Mit seinen Linsen — wir würden sie Lupen nennen — belauerte er alles: kleine Hautrestehen, Insekten, Haare, Blätter und Blutströpfchen. Schon hatte er herausgefunden, wie man alle diese Dinge ins beste Licht setzen konnte, um sie zu betrachten. Er spießte sie auf einen Stab, der mit der silbernen oder goldenen Fassung seiner Lupe beweglich verbunden war. So konnte er die Gegenstände hinlegen oder sie mit sich führen. Die Chronik berichtet, Leeuwenhoek habe sich einen erkrankten Zahn selbst gezogen und ein winziges Stück davon in einem Wassertropfen unter sein Mikroskop gelegt. Dort habe er dann im Belag des Zahnes unzählige kleinste Lebewesen gesehen, die vorher nicht zu sehen waren und die er verblüfft seinen verwunderten Freunden vorwies. Ganz aufgeregt berichtete er von den „elenden kleinen Biestern da unter der Lupe". Diese „elenden kleinen Biester" aber waren nichts anderes als allerkleinste Lebewesen, Mikroben genannt (mikros = klein, bios = Leben). Und noch viele ebenso erstaunliche Entdeckungen machte Leeuwenhoek. Vieles, was er sah, hatte vor ihm überhaupt noch nie9
mand erblickt: die roten Blutkörperchen, die Blutbewegung beim lebenden Tier, die Querstreifung der Muskeln und die Infusorien, die Kleinstlebewelt des Wassertropfens. Ohne gelehrte Bildung, nur seinem Wissenstrieb folgend, war Antoni van Leeuwenhoek zu diesen Erfolgen gekommen, die wahrlich als Ruhmestaten in die Geschichte der Wissenschaft eingegangen sind. Van Leeuwenhoek ist im Jahre 1723 gestorben, hochangesehen bei den Bürgern seines Städtchens und seines Landes. Seine in jahrelanger Arbeit entstandene Sammlung soll Mikroskope enthalten haben, die einfache Lupen waren, aber durch das geschickte Schleifen 133fach, 160fach, ja sogar 270fach vergrößerten. Für jede neue Untersuchung, an die er heranging, verfertigte er sich ein besonderes Instrument. Als man aus seinem Nachlaß die vorhandenen Instrumente zählte, waren es 247 vollständige Mikroskope und 172 gefaßte Linsen, die man versteigerte. 26 Mikroskope hat Leeuwenhoek der „Royal Society", einer wissenschaftlichen Gesellschaft in London, vermacht, die ihn wegen seiner damals schon als bahnbrechend anerkannten Untersuchungen zu ihrem Mitglied ernannt und mit der er in ständigem Briefwechsel gestanden hatte.
Das bessere Mikroskop Wie gesagt, die Leeuwenhoekschen Instrumente waren einfache, lupenartige Mikroskope. Nun gab es aber damals auch schon zusammengesetzte Mikroskope, sie waren gegen Ende des 16. Jahrhunderts entstanden, und man sollte meinen, mit diesen zusammengesetzten Mikroskopen hätte man doch schon viel tiefer ins Innere der Kleinstwelt, des Mikrokosmos, eindringen können. Aber sie waren anfänglich nichts als eine Spielerei, und nur langsam wurden sie so verbessert, daß sie die Leistung des einfachen Mikroskops überholen konnten. Nun erst nahm die Wissenschaft diese besseren Instrumente zu Hilfe. Heute gehören diese bis ins letzte vervollkommneten Geräte zum unentbehrlichen Rüstzeug der naturwissenschaftlichen, ärztlichen und industriellen Forschung aller Art. Ein zusammengesetztes Mikroskop besteht im Gegensatz zur EinLinsen-Lupe aus zwei Linsen. Heute sind daraus meist viele Linsen geworden; aber durch diese Vielzahl von Linsen wird nicht mehr die Größe der Bilder vervielfältigt, sondern nur noch ihre Klarheit, Randschärfe und Helligkeit. In der nebenstehenden Zeichnung ist ein solches zusammengesetztes Mikroskop mitten durchgeschnitten. Da liegt unten ein winziges Etwas, das wir betrachten wollen. Man 10
nennt einen solchen Gegenstand, den man vergrößern möchte, Objekt. (Ein Fremdwort aus dem Lateinischen, das nichts anderes besagen will als: „Gegenstand".) Dieses Objekt, in unserer Zeichnung Objekt O genannt, wird zunächst durch die Objektiv- oder Ausblicklinse L 1, jene Linse also, die dem Objekt am nächsten liegt, vielfach vergrößert. Unser Auge sieht das vergrößerte Bild dieses Objekts O bei B. Wir betrachten nun dieses vergrößerte Bild B durch eine weitere Vergrößerungslinse, die nun dicht vor dem Auge angebracht ist (L 2). Weil diese Linse sich dicht vor dem Auge befindet, heißt sie nach dem lateinischen Wort für Auge (oculus) „Okularlinse" (Einblicklinse). Sie vergrößert also das Objekt zum zweitenmal. Auge des Beobachters Das Auge sieht diese zweite Vergrößerung des Objekts an der Stelle, an der die Be- linse L2 (Okular) schriftung „2. Vergrößerung durch Linse" angemerkt ist. Vergrößerung durch LinseL,
Das ist das ganze Grundgeheimnis eines zusammengesetzten Mikroskops. Die beiden Linsen waren anfänglich frei übereinander 2. Vergrößerung angeordnet. Später aber setzte man sie in durch Linsel2 ein Rohr aus Metall (Metalltubus) und konnte nun die Linsen für die ScharfeinLinseL\+i(t)bjektM stellung leicht gegeneinander verschieben, und außerdem hielt man sich durch dieses ObjektO* Rohr unerwünschtes Licht fern. Es genügte ja, daß das Objekt selbst gut angeleuchtet So vergrößert ein „Zusammengesetzes war. Das geschah im Anfang dadurch, daß Mikroskop" man das Objekt ins helle Licht hielt oder das Licht auch mit Hilfe einer Schusterkugel, einer großen mit Wasser gefüllten Glaskugel, auf den beobachteten Gegenstand vereinigte. Später sammelte man das Licht in einem kleinen beweglichen Hohlspiegel, mit dem man das Tageslicht auffing, um es auf das Objekt zu richten.
Ein junger Chemiker experimentiert Auch das zusammengesetzte Mikroskop wäre ein interessantes Spielzeug geblieben, ein Schauwerk für Jahrmärkte und ein Prunkstück der wandernden Zauberkünstler, wenn es nicht die Hände Auserlesener zum großartigen Diener der Wissenschaft weiterent11
wickelt hätten. Von den bedeutendsten ihrer Erfolge wollen wir berichten. Es war um die Mitte des 19. Jahrhunderts. In einem der bescheidenen Stübchen des Quartier Latin, des Studentenviertels von Paris, war ein junger Maler und Chemiker dabei, ein paar Farben chemisch zu untersuchen. Er hatte im Eifer des Experimentierens ganz vergessen, daß auf seinem Tisch ein Glas mit Wein stand, das er sich vor ein paar Stunden eingegossen hatte, weil der Durst ihn reizte. Als er nun in einer Arbeitspause das Glas heranholte, um es auszutrinken, stellte er fest, daß der Wein schal war. Den schalen Wein hätte unser Maler-Chemiker dennoch heruntergegossen; denn er war nicht verwöhnt, und der Durst war noch immer groß. Es war aber etwas anderes, was ihn das Glas nicht austrinken ließ. Oben auf dem Wein hatte er nämlich einen sonderbaren weißen Schimmelbelag entdeckt, der nun seine Neugier reizte. Was mochte das nun schon wieder sein? Schnell gab er etwas von der grünlich-weißen Masse in einen Wassertropfen, und diesen Wassertropfen betrachtete er nun durch das Mikroskop. Aber was war das . . .? Durch die Straße, an der das Haus des jungen Forschers stand, flutete das Leben dieses bunten Stadtviertels, in dem Paris ein Stück seines innersten Wesens offenbarte. Hätten sie gewußt, die Menschen da unten, was in dieser Stunde das Auge eines Forschenden gesehen und sein schnell erfassender Geist blitzartig erkannt hatte, sie würden voller Ehrfurcht zu dem Fensterchen des Gelehrtenstübchens da oben hinaufgeblickt, vielleicht auch den jungen Mann aus seiner Verborgenheit herausgeholt haben, um ihm zuzujubeln. Aber die Stunden großer Entdeckungen sind niemals so dramatisch-bewegt, wie wir sie uns so gern vorstellen. Was der junge Gelehrte durch das Mikroskop gesehen hatte, war eine ganze Insel von kleinen Lebewesen. Kein Zweifel, so folgerte er, daß diese Lebewesen den Wein in seinem Glase so seltsam verwandelt hatten. Er gab nun etwas von dem weißen Belag in ein frisches Glas Wein; schon bildete sich auch hier die gleiche Schimmelschicht. Es konnte nicht anders sein: Die kleinen Lebewesen waren die Ursache der Gärung und Fäulnis in seinem Weinglas. Und schon dachte er weiter. Waren sie ^vielleicht auch an der gefährlichen Entwicklung von Wunden beteiligt oder gar an der Erregung anderer Krankheiten des menschlichen Körpers? Kaum hatte der Chemiker diesen Gedanken gedacht, da mußte er ihn auch bejahen. Daß er in diesem Augenblick in einem genialen 12
Einfall diesen kühnen Gedankensprung tat, obwohl die Beweise dafür erst erbracht werden mußten, das hat diesen Mann aus dem Quartier Latin für alle Zeiten berühmt gemacht. Sein Name aber war Louis Pasteur. Was einst van Leeuwenhoek gesehen, aber nicht zu deuten verstanden hatte, die Welt der Mikroben, das hatte Louis Pasteur dank der um das Vielfache verstärkten Sehkraft der Mikroskope seiner Zeit und dank seiner persönlichen Genialität erkannt. Auf einem denkwürdigen Vortragsabend an der Pariser Universität, der Sorbonne, konnte er bald danach einem großen Kreis von Gelehrten die Entdeckungen bekanntgeben, die ihm das Wunderinstrument des Mikroskops vermittelt hatte. Pasteur war ein glänzender Redner, geistreich, elegant und voller Einfälle. Ja, er wußte das, was er vortragen wollte, fast wie ein Bühnenkünstler lebendig zu machen. Der Vortragssaal war abgedunkelt; Pasteur wollte Lichtbilder zeigen. Plötzlich ein heller greller Lichtstrahl, der wie ein Scheinwerferkegel gespenstig das Dunkel zerriß. Hut mit Bakterien, durch das Mikroskop „Sehen Sie nur", 750fach vergrößert rief Pasteur den Überraschten zu, „sehen Sie nur, wie in diesem Strahl tausend Stäubdien tanzen. Die Luft ist erfüllt von ihnen, und jedes ist für das Auge ein winziges Nichts. Aber, bitte, verachten Sie diese Stäubchen nicht! Denn jedes von ihnen kann die Cholera zu Ihnen bringen, die Diphtherie und das Gelbe Fieber und andere Pestilenzen." — Er wollte aber damit sagen, daß es Krankheiten gebe, die durch Keime auf dem Wege durch die Luft ihren Weg nehmen. Das hatte ihm das Mikroskop geoffenbart. Pasteur hatte das Wesen der sogenannten Infektionskrankheiten erkannt. Aber ebenso das Wesen der Gärung und der Fäulnis, die durch kleinste Lebewesen verursacht wird. 13
Bei aller Genialität hatte aber auch Louis Pasteur seine Grenze, jene unwägbare, unsichtbare Grenze, vor der er stehenbleiben mußte, bis ein anderer kam, um sie zu überschreiten.
Ein Geschenk und seine Folgen Zwei Jahrzehnte später.
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Am 11. Januar 1871 erhielt der Mediziner Robert Koch von seiner Frau ein Mikroskop zum Geschenk. Sicherlich hatte sie, als sie ihm diese Freude machte, nicht geahnt, was sie damit vorbereitete: das wissenschaftliche Ereignis des Jahrhunderts. Wahrscheinlich ist es auch Robert Koch damals noch nicht klar geworden, daß dieses Mikroskop sein Denken, das fast ganz in der Sehnsucht nach der großen weiten Welt aufging, in eine andere Richtung lenkte: auf die Wunder und Märchen der Mikroben. Für den jungen Landarzt bedeutete dieses Mikroskop das gleiche wie die Glasscherbe im Trödlerkram des Kaufmanns van Leeuwenhoek für dessen Sohn Antoni. Auch Koch begann mit seinem Instrument alles und jedes zu untersuchen. Was Pasteur nur angedeutet hatte, dafür fand Robert Koch durch die Entdeckung der einzelnen Krankheitsbakterien die Bestätigung. Indem er die Erreger der Milzbrandkrankheit, der Tuberkulose und der Cholera feststellte und ihrer verheerenden Tätigkeit auf die Spur kam, wies er als erster den W e g zur Bekämpfung und Überwindung dieser Krankheiten. Diese bisher größte Entdeckung auf dem Gebiete der Mikroorganismen wäre ohne das Mikroskop nicht denkbar gewesen.
Grenzen des Lichfmikroskops Das Mikroskop, so wie es hier beschrieben ist, hat trotz äußerster Vervollkommnung die Grenze seiner Leistungsfähigkeit erreicht. Über Vergrößerungszahlen von 2000 kommt man kaum hinaus. Das h a t seine Ursache in der Eigenart des Lichtes, in seiner Wellenbewegung und in der Größenordnung dieser Wellen. Die an sich so kleine oder „kurze" Lichtwelle ist zu „grob", als daß sie dem Beobachter bei steigendem Vergrößerungsgrad noch ein klares Bild vom Objekt vermitteln könnte. Es ist kein Auflösungsvermögen vorhanden, die Bilder erscheinen undeutlich, verschwommen. Es ist so, als wenn eine zu grobe H a n d über ein zu feines Gewebe tastete. Einzelheiten kann sie nicht mehr erfühlen. Würde man aber nicht vielleicht weiterkommen, wenn man an die Stelle der 14
„groben" Lichtstrahlen eine andere Strahlenart setzen könnte, deren Wellen kürzer wären? — Die Wissenschaft hat diese Strahlen ausfindig gemacht: es sind die Elektronenstrahlen! Mit ihnen begann ein neuer Abschnitt in -der Geschichte der Mikroskopie.
Das Elektronenmikroskop oder Übermikroskop Das „Elektronenmikroskop" ist hundertmal besser als das beste Lichtmikroskop. Es läßt Vergrößerungen bis zum 250 OOOfachen zu. Teilchen bis hinab zum miOionstel Millimeter können mit Hilfe dieses Instruments direkt abgebildet werden. Namen, wie Knoll, Mahl, Brüche, von Borries, Buska, von Ardenne, sind eng mit der Entwicklung des Elektronenmikroskops verbunden.
Wie aber arbeitet dieses Übermikroskop? Eigentlich genau wie das Lichtmikroskop, nur daß an die Stelle von Lichtstrahlen Elektronenstrahlen treten, die von einem glühenden Wolframdraht ausgehen, und daß statt gläserner Linsen unsichtbare elektrische oder magnetische „Linsen" die Vergrößerung vornehmen. Ebenso wie Lichtstrahlen durch Glaslinsen gebrochen, gesammelt oder zerstreut werden, so werden ganz ähnlich Elektronenstrahlen, wenn sie durch ein elektrisches oder magnetisches „Feld" gehen, aus ihrer bisher durchlaufenen Bahn abgelenkt. Diese „Felder" erfüllen also die Aufgabe, die beim Lichtmikroskop die beiden Linsen haben. Die Elektronenstrahlen selbst sind unsichtbar. Aber auf einem Leuchtschirm erzeugen sie das durch die Elektronenlinsen vergrößerte Bild, das nun durch ein Einblickfensterchen von außen betrachtet werden kann. Der Lauf der Strahlen durch das dünne Objekt, dann durch das vergrößernde Objektiv und durch die zweite vergrößernde „Linse" (hier Projektiv genannt) erfolgt in einem luftleer gepumpten Metallgehäuse. Elektronenstrahlen können nämlich nicht wie Lichtstrahlen durch die freie Luft schwingen; sie würden schon bald von ihr verschluckt. Die Luftpumpenanlage aber macht das Elektronenmikroskop äußerlich recht schwerfällig. Es gibt aber auch schon Elektronenmikroskope von handlicher Größe. In Deutschland hat Mahl als erster ein solches Klein-Elektronen-Mikroskop entwickelt. Das Elektronenmikroskop erschließt der naturwissenschaftlichen, der medizinischen und der Metallforschung neue Gebiete des Mikro15
kosmos. Vom Leeuwenhoekschen Ein-Linsen-Mikroskop führt bis zum heutigen Übermikroskop ein langer Weg, er ging stetig bergan, aber immer wieder hat er dem Menschenauge weitere und erstaunlichere Blickfelder geöffnet.
Blick in Weifenräume Fast zur gleichen Zeit, als sich vor der völlig überraschten Menschheit das Tor in die bis dahin dem Auge verschlossenen Welt des Mikrokosmos, des Kleinen und Allerkleinsten, öffnete, zur gleichen Zeit, als man entdeckte, daß sich mit dem Mikroskop die Schärfe des Auges vielhundertfach vervielfältigen ließ und nun die „Alte Augenwelt" durch die „Neue Augenwelt" des Mikroskopischen unendlich vergrößert wurde, stieß man auch weit in die Bereiche des Allergrößten, in die Sternenwelt, vor. Mit immer riesenhafteren Instrumenten begann man seit Beginn des 17. Jahrhunderts die Sterne des Himmels in immer größere Nähe des Menschen zu rücken. Wieder war es ein Niederländer, der hier den entscheidenden Schritt vorwärts tat. Die Sehnsucht, einmal die Rätsel des gestirnten Himmels lösen zu können, ist so alt wie die Menschheit selber. Die Astronomie, das Nachdenken über die Sterne, der Drang, ihr Wesen und ihre Gesetze zu erforschen, darf als die früheste Wissenschaft gelten: denn die gewaltigsten Eindrücke, die der Menschengeist in seiner ersten Entwicklung empfing, rühren von den Himmelserscheinungen her. Zwei bis drei Jahrtausende v. Chr. begann man schon erste Klarheit über die beobachteten Vorgänge zu gewinnen. Die ersten Diener der Astronomie waren Chinesen und die Völker des Zweistromlandes. Den alten Völkern standen jedoch, soviel man weiß, bei ihren astronomischen Beobachtungen keinerlei optische Hilfsmittel zur Verfügung. Erst an der Schwelle der Neuzeit taucht bei einem der genialsten Menschen, die je auf Erden lebten, bei dem Maler, Erfinder und Denker, Leonardo da Vinci, die Ahnung auf, daß man vielleicht mit Hilfe von Gläsern den Sternen näherkommen könne: „Mache Gläser für die Augen, daß man den Mond größer sehe!" notierte er um das Jahr 1500. Hundert Jahre später — im Jahre 1608 — soll dann der Brillenmacher Hans Lippershey aus Middelberg in Holland das erste wissenschaftlich brauchbare optische Instrument gebaut haben, mit dem man entfernte Gegenstände ganz nahe vor das Auge bringen konnte: das Fernrohr. Die Kunde 16
von diesem Wundergerät drang bald schon in die Gelehrtenstube des großen Italieners Galileo Galilei, der in jener Zeit zu Padua lebte. Nach den wenigen Angaben, die ihm darüber von einem Freunde in einem Brief mitgeteilt worden waren, konstruierte Galilei ein Fernrohr von ganz eigener Technik und richtete dieses Rohr in der Nacht zum 7. Januar 1610 erstmals gegen die Sterne. „Ich bin vor Verwunderung ganz außer mir", schrieb er nach dieser denkwürdigen Nacht. „Daß der Mond ein der Erde gleicher Körper sei, das habe ich schon mit einem anderen unvollkommenen Gerät nachweisen können. Mit dem trefflichen Instrument, mit dem ich jetzt ausgestattet bin, erblickte ich eine Menge nie gesehener Fixsterne. Jetzt weiß ich auch endlich, was die Milchstraße ist, über die die Weisen zu allen Zeiten gestritten haben. Was aber alles andere übertrifft, das sind die vier Monde, deren Vorhandensein und deren Bewegung ich entdeckt habe. Diese Monde bewegen sich um den Jupiter, ähnlich wie sich Merkur, Venus und die übrigen Planeten um die Sonne bewegen." Das Fernrohr, das Galilei gebaut hatte, war sogar stark genug, ihn die Mondberge erkennen zu lassen, die er in eine erste Mondkarte eintrug. — Ein Jahr nach diesem Weltereignis entwarf Johannes Kepler, der Württemberger, eine andere Form des Fernrohrs, das dann nach ihm im Gegensatz zum „Galileischen Fernrohr" das „Keplersche", oder weil es in der Hauptsache der Sternenerforschung diente, das „astronomische Fernrohr" genannt wurde. Dem Grundgedanken nach ist dieses Keplersche Instrument auch heute noch das wichtigste „Werkzeug" der Weltallforscher.
Das astronomische Fernrohr: zwei Linsen! Ebenso wie das Mikroskop im Grunde eine einfache Sache ist, so ist auch das Fernrohr ein eigentlich wenig umständliches Gerät. Meist stellt man sich unter diesem Instrument ein höchst verwickeltes System mit vielen, vielen Linsen vor. Seit Galilei und Kepler hat die Entwicklung der optischen Technik mit der Zeit zu Einrichtungen geführt, bei denen es mit zwei Linsen nicht mehr getan war; so mußte z. B. durch zusätzliche Linsen das Auftreten der regenbogenbunten Bildränder vermieden werden, die bei den ersten Fernrohren noch sehr gestört hatten. An sich sind jedoch für das astronomische Fernrohr nur zwei Linsen notwendig: die Okular- oder Einblicklinse und die Objektiv- oder Ausblicklinse, 17
die beide in ein Rohr (Tubus) eingebaut sind, wie wir es schon beim zusammengesetzten Mikroskop kennengelernt haben. Aber selbst das Rohr ist beim Fernrohr nicht einmal notwendig. Als nämlich die Fernrohre immer größer wurden und bis zu 30 m Länge anwüchsen, waren Rohre dieser Länge viel zu schwer und auch zu teuer in der Anfertigung. Es gab deshalb eine Zeitlang Riesenfern„rohre" ohne Rohre, sogenannte Luftfernrohre, bis es dann gelang, für die Großfernrohre unserer Zeit geeignete leichte Rohrumhüllungen herzustellen. Was geht nun in einem Fernrohr vor sich? Nehmen wir eine gewöhnliche Lupe zur Hand und betrachten einen Gegenstand durch diese Lupe, z. B. das Tintenfaß dicht vor uns, so erscheint uns das Tintenfaß vergrößert, aber aufrecht, nicht
Ein Versuch mit zwei Lupen (a und b) erklärt uns den Vorgang; im astronomischen Fernrohr
auf dem Kopf stehend. Anders wird es, wenn wir uns das Tintenfaß und seine Umgebung durch die gleiche Lupe nun aus der Ferne anschauen. Nun wirkt das F a ß kleiner, aber was noch seltsamer ist, es hat einen Kopfsturz gemacht. Schauen wir jetzt mit unserer Lupe, die wir etwas von uns weghalten, durchs Fenster 18
auf die fernen Berge, dann stehen auch diese köpf, und auch sie sind verkleinert. W e n n wir n u n eine zweite Lupe nehmen und tlas verkleinerte Lupenbild der Berge durdi diese zweite Lupe betrachten, so müssen die fernen Berge auf einmal recht groß werden. Je mehr aber diese zweite Lupe vergrößert, um so größer werden uns die Berge vorkommen. — Das ist das ganze Fernrohrrätsel. Wir denken unwillkürlich an das zurück, was über das zusammengesetzte Mikroskop gesagt worden ist, und wir stellen fest, daß Fernrohr und Mikroskop doch manche Ähnlichkeit haben. Das Bild macht also im astronomischen Fernrohr einen Kopfstand. Für Beobachtungen am Himmel ist das nicht schlimm, bei Beobachtungen auf der Erde jedoch müssen solche kopfstehenden Eindrücke sehr verwirren. Um das Bild wieder richtigzustellen, hat man eine dritte Linse in das Fernrohr eingefügt, oder man baute mehrere Prismenspiegel ein. Das Galileische Fernrohr ebenso wie das Fernrohr des Brillenmachers Hans Lippershey aus Holland verwandten als Okular-(Einblick-)linse eine sogenannte Zerstreuungslinse, die das Bild im Auge wieder aufrichtete. Dieses Fernrohr nennt man, um es vom „astronomischen" zu unterscheiden, meist das „Irdische Fernrohr" oder mit einem Fremdwort das „Terrestrische Fernrohr" (was dasselbe bedeutet). Es wird auch das „Holländische" oder „Galileische Fernrohr" genannt. Es ist besonders lichtstark und ist daher gern als Nacht- oder Opernglas verwandt worden.
Optische Riesen Die Fernrohre der Sternwarten sind oft von gewaltiger Größe, zehn oder gar zwanzig Meter lang. Komplizierte Meßeinrichtungen und Stellvorrichtungen verwirren den Laien, der zum erstenmal einen solchen „Refraktor" sieht; der Astronom aber geht mit seinem Instrument so selbstverständlich um wie der Schlosser mit seinem Schraubstock. Ja, er kann sein Instrument auf jeden Stern, den er in der Nacht beobachten will, schon tagsüber einstellen, lange bevor sich in der Kuppel der Sternwarte der Spalt, der den Blick zum Nachthimmel freigibt, geöffnet hat. Die größten Fernrohre wurden in Amerika gebaut. So gibt es im Staate Wisconsin einen Refraktor von 19 m Länge, dessen Objektivlinse über einen Doppelzentner wiegt und einen Durchmesser von 102 cm hat. Das Hauptfernrohr der Lick-Sternwarte mißt sogar 20 m in der Länge, sein Objektiv hat allerdings „nur" 91 cm Durchmesser. 19
Je größer der Durchmesser einer Linse ist, um so mehr Strahlen können aufgenommen und gesammelt werden. Die Bilder werden also um so heller, je größer die Linsen der Fernrohre sind. Man kann deshalb die Objektivlinsen, die Ausblicklinsen der astronomischen Fernrohre, einfach nicht groß genug machen. Hier sind aber technische Grenzen gezogen. Riesenlinsen fehlerfrei herzustellen, ist nämlich äußerst schwierig. Die Leistung jener großen astronomischen Fernrohre ist gewaltig. Auf dem Monde lassen sich mit ihnen noch „Dinge" auffinden, die kaum 200 m Durchmesser haben. Gäbe es dort ein Dorf, so würden wir es immerhin noch als Punkt deutlich erkennen. Kleine Planeten von nur 500 km Durchmesser — und solche gibt es — lassen sich noch in Entfernungen von mehr als 75 Millionen Kilometern von der Erde beobachten.
Fernrohre mit Spiegeln Neben den Fernrohren zum „Durchsehen" benutzt man zu Himmelsbeobachtungen auch solche zum „Draufsehen", sogenannte Spiegelteleskope („Weitseher") oder „Reflektoren" („Rückstrahler"). An ihrer Konstruktion hat der große englische Physiker Newton, der zur Zeit Leeuwenhoeks lebte, besonderen Anteil. Beim Spiegelteleskop ist die Objektivlinse durch einen Hohlspiegel ersetzt. Die Anordnung des Newtonschen Modells will das untenstehende Bild veranschaulichen. Einen der größten Himmels\Sy 9er ferne Stern beobachter dieser Art stellte So erscheint der Stern -TfT im Spiegelteleskop zum Ende des 18. Jahrhunderts der Astronom Friedridi ^% Wilhelm Herschel mit einem Spiegel von 126 cm Durchmesser und einem Rohr von 12 m Länge her. Teleskop Die Strahlen eines Sternes .Öffnung werden beim Spiegelteleskop Brennpunkt nicht von einer Objektivdes Hohlspiegels (Ausblick-)linse gesammelt, Kl.flachspiegel sondern gehen ungehindert durch das Rohr des TeleHohlspiegel skops. Am Grunde des Rohres Der Strahlengang in einem treffen sie auf einen HohlSpiegelteleskop spiegel, der die Strahlen zu-
rückwirft. Diese zurückgeworfenen Strahlen werden von einem kleinen Flachspiegel inmitten des Rohres aufgefangen. Dort erscheint also das zweimal widergespiegelte Bild des Sternes. Und dieses Spiegelbild kann nun der Astronom durch eine seitlich am Rohr angebrachte Okularlinse, die wie eine Lupe wirkt, in vielfacher Vergrößerung betrachten. Seit neuestem sind auch die Spiegelteleskope zu wahren Riesen entwickelt worden. Man baut heute Hohlspiegel, die an Durchmesser jede Linse übertreffen. Diese Hohlspiegel geben das Bild mit weit'größerer Helligkeit wider, und so verdanken wir die Entdeckung manches lichtschwachen Sternes nicht den Linsen-, sondern den Hohlspiegelfernrohren. So konnte schon Herschel mit seinem Spiegelteleskop zahlreiche Nebel und Sternhaufen am Himmel erkunden. Eines der neuesten Spiegelfernrohre steht auf dem Mount Wilson in Kalifornien. Sein Hohlspiegel hat einen Durchmesser von 258 cm. Bei voller Ausnutzung des Mount-Wilson-Riesen-Reflektors erscheint die Entfernung zwischen den Sternen und der Erde 4000mal verkürzt. Eine Mondbeobachtung durch diesen optisch-astronomischen Multiplikator rückt uns den Erdbegleiter auf etwa 100 Kilometer nahe. Wir vermögen daher auf der Mondoberfiäche Dinge wahrzunehmen, die man mit keinem anderen Instrument der Welt sehen könnte. Würde es dort einen Mond-Kölner-Dom geben, so bliebe er von der Erde aus nicht mehr unsichtbar. Der Bau eines zweiten Teleskops mit einem Spiegeldurchmesser von 5 m, ebenfalls in den Vereinigten Staaten, hat mancherlei Schwierigkeiten gemacht. Im März 1934 wurde der große Hohlspiegel in Auftrag gegeben. Der erste Guß mißlang. Im Dezember des gleichen Jahres wurde ein zweiter Glasblock gegossen, der ein ganzes Jahr zur Abkühlung brauchte. Dann erst konnte man an seine Bearbeitung gehen. Auf einem besonders konstruierten Eisenbahnwagen wurde der gigantische Glasblock aus den Corming-Glaswerken in New York zum Technologischen Institut in Pasadena am Fuße des Mount Wilson gebracht. Hier konnte er nun weiter bearbeitet, geschliffen und mit einer Silberschicht überzogen werden. Das Schleifen der Glasoberfläche dauerte vier Jahre. Es mußte mit einer Genauigkeit von einem vierzigtausendstel Millimeter gearbeitet werden. Dann erst konnte man die spiegelnde Fläche auftragen Fast 450 Tonnen wiegt dieses Teleskop bei einer Rohrlänge von fast 19 m. Aber dieser Riese ist nicht lange der größte Fernrohrgigant geblieben; nach dem Kriege wurde der Mount-Wilson-
Spiegel durch den gewaltigen Mount-Palomar-Refraktor weit übertroffen. Von ihm erzählt ein eigener Lesebogen. Es scheint fast vermessen, an eine weitere Steigerung zu denken. — Doch wenden wir uns nun einer anderen optisch-technischen Großtat zu.
Röntgen sieht mehr Als im Jahre 1895 die Kunde durch die Welt lief, in Würzburg gebe es einen Mann, der durch die Wände schauen könne und mit seinem Blick sogar den menschlichen Körper durchdringe, da ging es wie ein Erschrecken durch die Lande. Da werde man also in Zukunft selbst in seinen vier Wänden nicht mehr vor der schnüffelnden Neugier des lieben Mitmenschen sicher sein, vielleicht könne der Mann mit seinem Apparat auch noch die innersten Geheimnisse durchschauen! Nein, was die Technik da erreicht hatte, das war nicht mehr schön! Wir kennen den Mann, den die Leute damals gemeint haben, wir kennen seine Erfindung und wissen, daß alle Befürchtungen seiner ängstlichen Zeitgenossen sinnlos waren. Wilhelm Conrad Röntgen, der Entdecker der X-Strahlen, ist nicht zum Ärgernis der Menschen, sondern zu einem ihrer größten Wohltäter geworden. Man hat die Tat Röntgens zu verkleinern gesucht, man sprach sogar davon, er habe die Idee der X-Strahlen seinem Assistenten gestohlen, man nannte diesen und jenen, der längst vor Röntgen jene unsichtbaren Strahlen entdeckt haben sollte. All das war Mißgunst und Neid. Wer sich einmal in das Leben dieses bei aller Größe so bescheidenen Gelehrten versenkt hat, erkennt sofort, daß bei diesem Manne Anmaßung oder geistiger Diebstahl undenkbar gewesen sind. Gewiß hat der Zufall bei der Entdeckung der XStrahlen mitgespielt, aber sie wären so bald nicht zu ihrer ungeheuren Bedeutung gekommen, wenn ihnen nicht die geniale Weitsicht, der praktische Sinn und die Hochherzigkeit ihres Entdeckers den Weg in die Krankenhäuser, die Ärztezimmer, die Lazarette und in die Forschungslaboratorien der Industrie ungehindert geöffnet hätten. Röntgen verzichtete auf einen Patentschutz und auf alle wirtschaftlichen Rechte, die ihm aus seiner Erfindung zustanden. „Ich bin ein Forscher und kein Krämer", äußerte er. So wurden die X-Strahlen, wie Röntgen sie selber bescheiden nannte, das hochherzigste Geschenk, das je ein Mensch der Menschheit gemacht hat. Es war an einem der ersten Novembertage des Jahres 1895. Der fünfzigjährige Physiker Wilhelm Conrad Röntgen, Professor der Würzburger Universität, war in seinem Laboratorium mit der
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Erforschung der Kathodenstrahlen beschäftigt, die in einer Röhre so zauberhaft farbige Leuchterscheinungen hervorrufen. Er hatte die Röhre dicht mit schwarzem Papier umhüllt. Zufällig lag von einem früheren Versuch her in der Nähe ein Blatt, das mit den gelbgrünen Kristallen des Bariumplatinzyanürs bestrichen war. Röntgen schaltete den Strom ein. Die gelbgrüne chemische Schicht begann trotz der Abdichtung der Röhre zu leuchten. Das Verdunkelungspapier mußte undicht sein. Also nahm Röntgen ein anderes Pappstück und stellte es zur Abdunkelung vor den leuchtenden Schirm. Aber was war denn das! Der Schirm leuchtete hartnäckig weiter- Röntgen griff ärgerlich und verwundert nach einem Tannenbiett und suchte das störende Leuchten des Schirmes nun damit abzudunkeln. Das Leuchten hielt an. Röntgen stutzte! Es war klar: Hier ging etwas ganz Ungewöhnliches vor sich. Nun nahm er ein Buch von 1000 Seiten Umfang, stellte es zwischen Röhre und Schirm — das Leuchten hielt weiter an. Da umfaßte er die Röhre mit der Hand, um ihre Strahlung zu unterbinden. Nun aber überlief ihn doch ein Schauer: Auf dem Schirm da drüben war seine Hand gespenstisch nachgebildet. Aber es war eine Geisterhand, die da aus dem Dunklen auftauchte, eine durchsichtige Hand, in der man schattenhaft das Gerippe der Handknochen erkennen konnte. Die Strahlen gingen also durch seine Hand hindurch und zeichneten ihr Inneres als Schatten mit fast klaren Umrissen nach. Später hat man Röntgen einmal gefragt, welche Gedanken ihn bewegt hätten, als er zum erstenmal dieses Wunder der durchleuchteten Knochenhand geschaut habe. „Ich dachte nicht, ich untersuchte", war seine Antwort. So bewahrte er lange Zeit hindurch selbst den engsten Mitarbeitern gegenüber strengstes Stillschweigen über das Gesehene, er wollte erst vollste Klarheit haben. Als er dann soweit war, erstattete er der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft zu Würzburg Bericht. „Über eine neue Art von Strahlen" schrieb er schlicht über seine Mitteilung. Aber er war überzeugt, daß sie eine Sensation sein werde. Als er das Schreiben absandte, sagte er zu seiner Gattin: „Nun kann der Teufel losgehen!" Ungläubig und erstaunt nahm die Welt diese Nachricht auf. Die Presse bemächtigte sich des neuen Wunders auf ihre Art, oft unter den komischsten Vorstellungen, und es dauerte lange Zeit, bis die wirkliche Tragweite dieser Erfindung in ihrer vollen Bedeutung erkannt war. Röntgen trat bescheiden hinter seiner Entdeckung zurück. Eine Erhebung in den Adelsstand lehnte er ab. Es war ihm peinlich, als man in einer wissenschaftlichen Gesellschaft den Be28
schluß faßte, die X-Strahlen „Röntgenstrahlen" zu nennen. Nie hat Röntgen sich bereit gefunden, über seine Arbeiten, Erfindungen und Entdeckungen öffentlich zu sprechen.
Blick durch Stahl und Eisen Eben die Röhre, mit der Röntgen zum erstenmal unter Zuhilfenahme von Kathodenstrahlen X-Strahlen erzeugt hatte, entwickelte er zur eigentlichen Röntgenröhre weiter. Die Ärzte lernten mit ihrer Hilfe verborgene Krankheiten und versteckte Körperschäden erkennen. Die Strahlen erwiesen sich auch als Heilmittel bei bösartigen Geschwulsten und bei Erkrankungen des Blutes. Röntgen aber gab sich mit diesen Ergebnissen nicht zufrieden. Sein Laboratorium wurde eine Entdeckerwerkstart mit immer neuen Erfolgen. Er experimentierte weiter und sandte X-Strahlen selbst durch Metall und führte dann vor, wie man mit Hilfe dieser Strahlen leicht und sicher Fehlstellen in Metallteilen ausfindig machen konnte. Bis dahin hatte man Metallstücke, deren Festigkeit man erproben wollte, hohen Zug-, Druck- und Drehspannungen ausgesetzt, bis sie schließlich zerrissen, zerbarsten oder zerbrachen. Man wußte dann zwar, bis zu welcher Belastung man diese Probestücke beanspruchen durfte, aber man konnte nicht sagen, ob die übrigen Stücke des verwendeten Metalls nicht vom Guß her innere Bruchstellen, Luftblasen usw. aufwiesen. Um ganz sicherzugehen, nahm man dann meist mehr Baumaterial, als an und für sich nötig war; das verteuerte die Herstellung von Bauten oder von Maschinen sehr. Hier halfen nun die Röntgenstrahlen. Stücke mit verborgenen Fehlern konnte man nun leicht erkennen und sie durch zuverlässige Bauteile ersetzen. Röntgen hatte die Technik befähigt, durch Stahl und Eisen hindurchzusehen und aus dem Beobachteten wichtige praktische Folgerungen zu ziehen.
Optisches Hexeneinmaleins Ein strahlender Tag! Weißes Sonnenlicht liegt über der Landschaft, und die Berge gleißen bis hoch in die Gipfel in dieser weißen Lichtflut... Doch schon meldet sich der Physiker. „Was ihr da weißes Licht nennt", so berichtigt er uns, „ist gar kein weißes Licht. In Wirklichkeit setzt sich dieses Weiß aus einer ganzen Reihe von Farben zusammen. Aus ihrem Zusammenwirken, sozusagen aus ihrer Mischung erst, erwecken sie in uns den Eindruck, als ob es weißes Licht wäre." — Wer's nicht glaubt, mache folgenden Versuch: auf eine kreisrunde Pappscheibe werden bunte Farbenausschnitte gemalt, und zwar rot, orange, gelb, grün und blau. Die
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Ausschnitte sind alle gleich groß und ordnen sich so um den Kreismittelpunlct an wie Kuchenausschnitte um die Mitte einer Geburtstagstorte. Wenn wir nun durch die Mitte der Scheibe ein zugespitztes Stäbchen stecken, haben wir einen Kreisel. Dreht er sich, so verschwinden die einzelnen Farben, und wir sehen nur noch eine weißliche Scheibe. Allerdings wird es kein reines Weiß sein. Um ein fehlerloses Weiß zu erzielen, müßte man auch noch die farbigen Zwischentöne mit aufmalen, und zudem müßten die Grundfarben auch ganz rein sein. Aber selbst unser unvollkommener Versuch hat uns doch schon ein bißchen überzeugt. Der Physiker beweist uns die Farbigkeit des weißen Lichtes noch auf eine andere Weise, die jeden Zweifel ausschließt. Er läßt den weißen Sonnenstrahl durch ein fein geschliffenes, dreikantiges Glasstück, ein Prisma, wandern. Wir wissen schon, daß ein Lichtstrahl, der in Wasser oder in Glas einfällt, gebrochen wird; er wird nochmals gebrochen, wenn er das Wasser oder das Glas wieder verläßt Beim Duchlaufen eines Prismas ergibt sich nun, daß der vorher weiße Lichtstrahl nicht als weißer Strahl wieder hervorkommt, sondern als ein buntfarbenes Band, das alle Regenbogenfarben enthält: Rot, Orange, Gelb, Grün, Hellblau, Dunkelblau und Violett. Wir können daraus folgendes schließen: Weißes Licht setzt sich aus vielerlei Farben zusammen, man nennt diese Farben „natürliche Farben". Diese Farben aber werden verschiedenartig gebrochen, die
Der Bereich des durch ein Prisma in viele Farben zerlegten sichtbaren Lichtes (Spektrum) und die unsichtbaren Strahlenbereiche jenseits von Rot bzw. Violett
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einen mehr, die anderen weniger. Die roten Strahlen werden schwächer gebrochen als die orangefarbenen Strahlen, diese wieder weniger als die gelben usw. Das erklärt sich aus der Wellenlänge der verschiedenen Strahlen. Die am meisten gebrochen werden, haben die kürzesten Wellenlängen, die weniger gebrochen werden, die längeren Wellenlängen usw. Das Farbenband, das durch das Prisma zustande gekommen ist, nennen wir ein „Spektrum", d. h. wörtlich „das Gespenst". (Es ist auch wirklich etwas Gespenstiges um diesen farbigen Gehalt des weißen Lichtes.) Unser Spektrum umfaßt also den Bereich des „sichtbaren Lichtes". Das Spektrum hat aber nach beiden Seiten noch Fortsetzungen, die-für das menschliche Auge nicht mehr sichtbar sind. Daß sie aber vorhanden sind, das wissen wir aus mancherlei Wirkungen, die von diesen Fortsetzungen ausgehen. Wenn man z. B. ein Thermometer seitlich des Rotbereichs des Spektrums anbringt, so zeigt es eine Temperaturerhöhung an. Die unsichtbaren Strahlen, die hier das Rot fortsetzen, sind also Wärmestrahlen. Auf der jenseitigen Fortsetzung des Spektrums, jenseits des Violett, erfassen wir die hier befindlichen unsichtbaren Strahlen mit Hilfe der photographischen Platte, die ja manches „sieht", was unsern Augen nicht mehr erreichbar ist. Weil n u n diese unsichtbaren Strahlenbereiche jenseits (= lat. ultra) der sichtbaren Rot- bzw. Violettbereiche des Spektrums liegen, bezeichnet man diese unsichtbare Strahlung als „Ultrarotstrahlung" bzw. „Ultraviolettstrahlung". Wir können die Ultrarotstrahlen noch in einem einfacheren Versuch nachweisen. Wenn ein Ofen, der sich in einem dunklen Zimmer befindet, ordentlich geheizt wird, fühlt man die ausgestrahlte Wärme, ohne daß irgendwelche Lichterscheinungen zu sehen sind. Hält man ein Buch vor das Gesicht, so hört die vorher auf der Haut verspürte Wärmeeinwirkung auf. Das beweist, daß nicht etwa die Luft in der Umgebung des Ofens heiß ist, so daß „Hitze" empfunden wird, sondern, daß tatsächlich von dem Heizkörper unsichtbare Strahlen ausgehen, die von unserem Buch abgeschirmt werden. Heizt man den Ofen weiter, bis er glüht, so treten neben den unsichtbaren Wärmestrahlen Lichtstrahlen auf, eben jene roten Strahlen, die am Anfang des Spektrums zu sehen sind. Die unsichtbaren Wärmestrahlen sind also Nachbarn der roten Lichtstrahlen. Zu den ultraroten Wärmestrahlen und den roten Lichtstrahlen gesellen sich um so kürzere Lichtstrahlen, je mehr der Ofen bei weiterem Heizen weißglühend wird. 26
Photographieren im Dunkeln Daß die ultraroten Strahlen den benachbarten roten Lichtstrahlen verwandt sind, zeigt noch ein weiterer Versuch. Man kann nämlich in einem vollkommen dunklen Raum photographieren, vorausgesetzt, daß genügend Wärmestrahlen vorhanden sind. Allerdings ist dazu eine ganz besonders empfindliche Platte erforderlich, eine sogenannte „Infrarotplatte" (infra [lateinisch] bedeutet hier das gleiche wie ultra). Sollen Gegenstände photographiert werden, die nicht selbst Wärmestrahlen aussenden, so beleuchtet man sie einfach „ultrarot". Wie es Scheinwerfer gibt, die sichtbare helle Lichtbündel aussenden und weiße Flecken auf die Wolken am Himmel malen, so gibt es Scheinwerfer, die unsichtbare ultraviolette Strahlenbündel aussenden. Mit einem solchen Ultrarot-Strahler, einem Photoapparat und Infrarot-Platten ausgerüstet, kann man also ohne weiteres auch an dunklen Orten knipsen, ohne daß der Geknipste eine Ahnung davon hat. Wie sehr erstaunt wird z. B. der Meistereinbrecher sein, wenn man ihm vor Gericht eine helle Aufnahme seiner dunklen Tätigkeit vorlegt! Klare Aufnahmen auf 100 km Entfernung Die ultraroten Strahlen sind zwar dem Auge des Menschen unsichtbar, aber sie selbst „sehen" ausgezeichnet. Sie durchdringen die Atmosphäre besser als die Strahlen des sichtbaren Lichtes. Die sichtbaren Lichtstrahlen werden durch kleine in der Luft schwebende Teilchen, wie Staub- und Wassertröpfchen, von ihrer gradlinigen Bahn abgelenkt und nach allen Seiten verstreut. Die Streuung wird um so größer, je kleiner die Wellenlänge des Lichtes ist. Die blauen Lichtstrahlen werden deshalb am meisten gestreut, die roten am wenigsten und die ultraroten fast gar nicht mehr. Nun gehen von allen Körpern und Gegenständen nicht nur sichtbare Lichtstrahlen aus, sondern auch unsichtbare, ultrarote Strahlen. Da es möglich ist, ultrarote Strahlen wie Lichtstrahlen und wie ultraviolette Strahlen auf photographischen Platten festzuhalten, kann man mit gewöhnlichen Photogeräten und Objektiven klare Fernaufnahmen machen, wenn man Infrarot-Platten oder -Filme einlegt. So ist es möglich, unter besonders günstigen Verhältnissen Landschaften aufzunehmen, die hundert Kilometer und noch weiter entfernt sind, selbst wenn sie durch Dunstschleier der Atmosphäre oder leichte Nebel verdeckt sind. 27
Blick durch Nacht und Nebel Die Anwendung ultraroter Strahlen blieb nicht auf die Photographie beschränkt. Mit besonderen Apparaten, sogenannten „Bildwandlern", kann man unmittelbar sehen, was hinter Nebelwänden in der Ferne vor sich geht oder was in der Dunkelheit in der Nähe des Beobachters oder auch weit von ihm entfernt geschieht. Vielerlei Aussichten eröffnen sich, wenn man an die Ausnutzung solcher Bildwandler denkt und sie in Verbindung mit UltrarotStrahlen bringt: Ein Beispiel: Der Kapitän eines Schiffes kann ohne Blendungsgefahr für die entgegenkommenden Schiffe die ganze Fahrstraße mit ihrem Verkehr beobachten; er kann auch bei vollster Dunkelheit die Ufer, die Bojen, kurz, jedes Hindernis erkennen. Auch bei Nebel, dem schlimmsten Feind der Schiffahrt, wird er beruhigt seinen Kurs einhalten, gestattet ihm doch sein Ultrarot-Gerät selbst durch dichte Dunstwände hindurchzusehen und Gefahren rechtzeitig zu entdecken. — Nächtliche Szenen im Dschungel, die man früher nie photographieren konnte, enthüllen sich jetzt dem Auge. Selbst dem Film sind sie nicht mehr unerreichbar. — Während früher der starke Lichtkegel eines Polizeibootes oder eines Polizeiautos Verbrecher und Schmuggler durch seine Helligkeit warnte, und sie sich während des suchenden Hinundherwanderns der Scheinwerfer rechtzeitig in Deckung bringen konnten, geht es jetzt ohne warnendes Licht: Die von unsichtbarem Infrarotlicht Getroffenen ahnen nicht, daß man sie trotz der Dunkelheit längst beobachtet und erkannt hat.
Laterna magica ganz modern: Fernsehen! Wenn von der Multiplikation unserer Augenkräfte berichtet wird, so wollen wir zum Schluß eine der interessantesten Erfindungen nicht vergessen, das Fernsehen. Gemütlich daheim im Sessel einer Vorführung im fernen Sendesaal zuzuhören und gleichzeitig die Vorführenden sehen zu können, — ein Sportereignis auf dem Leuchtschirm miterleben zu dürfen, das sich im ausverkauften Stadion abspielt, — den Staatsmann am Bednerpult zu beobachten, im gleichen Augenblick, da er zu einer auserwählten Versammlung in irgendeinem Kongreßsaal spricht, — das geht schon weit über das hinaus, was wir uns je erhofft haben. Und doch ist das F e m sehen alltäglich geworden
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Der technische Vorgang beim Fernsehen ist so verwickelt, daß hier zu einer eingehenden Beschreibung kein Platz ist. Darum nur eine kurze Einführung: Hoch im Blau des Sonnenhimmels steht ein Windvogel, so hoch, daß das Auge ihn kaum entdecken kann. Dort, wo die Leute hinaufschauen, dort muß er schweben. Aber er ist schwer auszumachen bei dieser blendenden Helligkeit. So wandert der Blick von rechts nach links, von links nach rechts die Himmelsfläche entlang, tastet gleichsam Zeile für Zeile das blaue Gewölbe ab, bis das Auge den schwarzen Punkt erkennt, der bei der Windstille bewegungslos da oben hängt. Dieses zeilenweise Tasten unseres Auges ahmt das Aufnahmegerät beim Fernsehen nach. Mit einer jagenden Geschwindigkeit wirft das Gerät einen Beobachtungsstrahl über die Szene, die übertragen werden soll, und dieser Strahl geht von links nach rechts, dann von rechts nach links und wieder von links nach rechts darüber hin, ähnlich wie unser Blick am Himmel entlang wanderte, als er den Windvogel suchte. Nehmen wir einmal an, es soll keine bewegte Szene, sondern ein festes Bild übertragen werden, z. B. das Bild eines schwarzen Striches, der auf einer weißen Wand senkrecht von oben nach unten läuft. Der Aufnahmeapparat wirft also seinen Strahl auf diese Wand und der Strahl „liest" nun, oben links beginnend, Zeile für Zeile und in jeder Zeile Bildpunkt für Bildpunkt ab. Der Aufnahmeapparat sieht also zunächst weiß, wieder weiß usw., bis er auf den schwarzen Strich trifft und vermerkt hier einen Dunkelheitseindruck. Der Strich ist passiert; der Blick des Fernsehstrahlers gleitet waagerecht weiter bis an den rechten Bildrand. Sofort wird eine weitere Zeile abgetastet und dann wieder eine und so fort, bis der untere Bildrand erreicht ist. Die ganze Bildfläche wird auf diese Weise bestrichen, ohne daß ein Pünktchen übergangen werden kann. Damit wäre das feststehende Bild des schwarzen Striches von oben bis unten abgetastet. Beim bewegten Bild, einer Straßenszene etwa, setzt das Fernsehauge sogleich nach dem ersten Abtasten wieder in der oberen linken Ecke der Bildfläche neu an; der gleiche Vorgang wiederholt sich 24mal in jeder Sekunde. 24mal wird so die Bildfläche von oben bis unten in der kurzen Zeitspanne einer Sekunde abgetastet. — Dort, wo der Fernsehstrahl Helligkeitseindrücke aufgenommen hatte, wandelt das mechanisch-elektrische Hirn des Aufnahme29
gerätes diese Helligkeitseindrücke in elektrischen Strom um, der durch eine Leitung fließt. Bei dunklen Stellen der Bildfläche bleibt jedoch die Leitung stromlos. Diese Leitung aber führt zum Sender, der je nach den „Meldungen", die er über die Leitung empfängt (Strom oder Stromlosigkeit), nun seinerseits Wellen mit entsprechenden „Meldungen" ausstrahlt. Der Fernsehempfänger irgendwo in der Ferne nimmt n u n diese Wellenmeldungen auf und verarbeitet sie zum fertigen Bild. Das geht ganz ähnlich vor sich wie bei der Aufnahme: Zeile um Zeile und Punkt für Punkt. Diese Punkte und Zeilen „schreibt" jedoch ein Elektronenstrahl nieder, der innerhalb einer Fernsehröhre (Braunsche Röhre) erzeugt wird. Dort, wo der Strahl nun die Leuchtschirmfläche trifft, leuchtet ein heller Punkt auf. Wo auf der Aufnahme ein dunkler Punkt getastet wurde, unterbleibt der Strom und auch der Strahl, und auf unserem Leuchtschirm gibt's an dieser Stelle einen dunklen Punkt. So wiederholen sich auf der Empfangsseite, d. h. im Empfangsgerät des Fernsehapparates, Zeile um Zeile die hellen und dunklen Punkte der Aufnahmeseite. Daß unser Auge dabei nicht die einzelnen Punkte, auch nicht die einzelnen Zeilen sieht, sondern gleich das ganze Bild, das erklärt sich aus der Geschwindigkeit, mit der der Strahl über das Bild rast; unser Auge ist zu träge, um da noch Einzeleindrücke aufzunehmen. Es sieht gleich die ganze abgetastete Szene. Zum Bild wird gleichzeitig der Ton übertragen, und so ist das tönende lebende Bild fertig, das es uns möglich macht, Vorgänge, die sich irgendwo weit in der Ferne abspielen, zur gleichen Zeit mit Auge und Ohr wirklichkeitsnah mitzuerleben.
Wird uns da nidit bange? So ist Wirklichkeit geworden, was noch vor fünfzig Jahren als Traum durch die abenteuerlichsten Romane geisterte, zumal, wenn wir auch das Radarsehen noch in unsere Betrachtung einbeziehen würden. Die Schärfe und das Blickfeld unseres Auges hat sich mit Hilfe der Technik ins Riesenhafte gesteigert. Technische Augen, unzähligemal verstärkt, vergrößern uns, durchbohren uns, ergründen unser Inneres, erkennen uns in dunkelster Nacht, durch dichte Nebelwände hindurch, tragen unser Bild, jede unserer Bewegungen hinaus in alle Himmelsrichtungen. Wird es uns da nicht bange vor so viel geheimnisvoller technischer Zauberei, Angst vor dem, was noch kommen kann, Angst vor unserer Freiheit, auf die wir so stolz sind? —• Ja, man könnte Angst bekommen, aber berechtigte Angst 30
nur dann, wenn die Menschheit weiter dazu neigt, Multiplikationsmethoden falsch auszuwerten. Multiplizierte Kräfte wurden zu oft schon zum Schaden der Menschheit eingesetzt, das Ergebnis waren Elend und Ruinen. Sie können zum Fluch, aber auch zum Segen werden. Von Einsichtigen richtig ausgewertet, können sie das Leben verschönern und erleichtern. Nur unter dieser Voraussetzung dürfen wir wünschen, daß die Technik in der Zukunft zu weiteren Leistungen fortschreite.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Zum Bild auf der zweiten Umschlagseite: Siemens-Elektronenmikroskop. Links an der Wand ist der Gang der Elektronenstrahlen durch die Felder der „magnetischen Linsen" dargestellt. Den Buchstaben in der Zeichnung entsprechen die Buchstaben am Gerät.
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