Franco Solo
Das Mordkomplott
s&c by ab
Auf Randolfo Marangani, einen Rennfahrer und Playboy, wird ein brutaler Mordan...
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Franco Solo
Das Mordkomplott
s&c by ab
Auf Randolfo Marangani, einen Rennfahrer und Playboy, wird ein brutaler Mordanschlag verübt. Franco Solo gelingt es zwar, Randolfo das Leben zu retten, aber anschließend ist die Hölle los. Das Leben des Mafiajägers ist keinen Cent mehr wert. Franco Solo nimmt die Herausforderung an. Eine heiße Spur führt ihn zur Mafia-Zentrale nach Buenos Aires – aber auch dort lauern schon die Killer auf ihn. Obendrein gerät Franco zwischen die Fronten eines erbarmungslosen Gangsterkrieges. Doch auch damit noch nicht genug – denn außer dem Mafiajäger agiert zwischen den Fronten ein angeschossener Killer. Und dieser Mann ist ein Gegner, der vor nichts, aber auch vor gar nichts zurückschreckt … Verlag: Pabel Erscheinungsjahr: 1980
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Die Ausrüstung, die Steve Jackman und Victor McCoy in dieser lauen subtropischen Nacht anlegten, war sehr aufwendig; nicht einmal der noble »Barakuda Aquanautic Club« in Bridgetown hätte sie in dieser Form an seine Mitglieder vermietet: hautenge schwarze Neopren-Anzüge, Helme, Rettungswesten, Mischluftgeräte und Lungenautomaten, Flossen, Tauchermesser, Tiefenmesser, Dekometer und Bleigürtel – das Beste war gerade gut genug für das, was sie vorhatten. Die Handscheinwerfer, die sie sich an die Gürtel hängten, wollten sie nach Möglichkeit nicht benutzen. Wohl aber die beiden Beretta M12 S, »Pistole Mitragliatrici«, wie sie in der italienischen Originalbeschreibung genannt wurden. Maschinenpistolen. Jackman und McCoy hatten sie in ihre sämtlichen Einzelteile zerlegt und in den wasserdichten Taschen, die an ihren Tauchergurten befestigt waren, verstaut. Jackman schob die Beine über das Dollbord des geräumigen, schnittigen Motorbootes. Das Boot krängte. Jackman schloß das Visier seines Helmes, setzte die Aqualunge in Betrieb, verlieh sich einen Ruck und glitt in die Fluten. McCoy zerrte noch prüfend an der Ankerkette, nickte dann beruhigt und folgte Jackmans Beispiel. Das Boot wiegte sich auf den sanften Wellen des Atlantiks. Es war zwölf Yards lang und flach gebaut, fast ein Renner. Mit einem starken Außenborder bestückt, der sich von einem improvisierten Cockpit aus bedienen und lenken ließ. Das Boot war der Eigenbau eines schöpferisch veranlagten Vermieters in Speightstown an der Westküste der Insel. Jackman und McCoy hatten einige Zeit herumgesucht, ehe sie dieses Fahrzeug als das für ihre Zwecke geeignetste gewählt hatten. Es war dunkelbraun lackiert und fiel in der Dunkelheit nicht auf. Gleichzeitig war es schnell und besaß genug Treibstoffreserven, um sie bis zu einer der Nachbarinseln Saint Lucia, Saint Vincent oder Grenada hinüberzutragen; noch in dieser Nacht, nach der Erledigung 2
ihres Auftrages. Steve Jackman und Victor McCoy hatten in Speightstown in aller Ruhe zu Abend gegessen. Erst spät waren sie mit dem gemieteten Boot losgefahren. Zielstrebig hatten sie North Point, die Nordspitze der Insel Barbados, umrundet, und danach südöstlichen Kurs eingeschlagen. Sie wußten, wo der Mann zu finden war, dessentwegen sie von den Staaten bis hierher gereist waren. Sie wußten auch, daß er ihnen nicht entkommen konnte. Und er ahnte nichts. Den letzten Teil ihres Weges hatten sie pullend zurückgelegt, um durch die Motorengeräusche nicht die Aufmerksamkeit derer zu erregen, die sich in dem Palmengarten des Bungalows vergnügten. Jetzt waren sie fast am Ziel. Als sie untertauchten, ließen sie nur einen kleinen Schweif perlender Luftblasen hinter sich, der sich rasch wieder auflöste. Jackman und McCoy gingen auf fünf Yards Tiefe und schwammen auf das Ufer zu. Die Mischluftgeräte arbeiteten einwandfrei und verursachten keine verräterischen Blasen wie die herkömmlichen Preßluftapparate. Die Strecke bis zum nördlichen Bereich des Grundstücks, das zu dem Bungalow gehörte, betrug etwa eine Viertelmeile. Jackman und McCoy hatten das Boote so weit draußen auf See zurückgelassen, weil sie jedes Risiko, vorzeitig von den Leibwächtern bemerkt zu werden, von vornherein ausschalten wollten. Die dunklen Konturen des Bootes verschmolzen mit der Nacht, und ein Angriff von der Wasserseite her erschien Jackman und McCoy als das Cleverste und Überraschendste … Sie bewältigten die Strecke in einer knappen Viertelstunde und tasteten sich auf den letzten Yards über den jäh ansteigenden Meeresgrund voran. An zwei außerirdische Kreaturen aus einem Science-Fiction-Film erinnernd, krochen sie durch die schäumende Brandung und schlüpften in das Dickicht, das das 3
Grundstück des Bungalows säumte. Hier, in sicherer Deckung, öffneten sie ihre Helme, atmeten tief durch und blickten sich schweigend an. Von dem beleuchteten Haus drangen Geräuschfetzen herüber; Musik, die Stimmen von Mädchen, das Lärmen eines Mannes. Steve Jackman grinste plötzlich und nickte seinem Partner aufmunternd zu. Sie öffneten die wasserdichten Taschen an ihren Gurten, und begannen die Mpis zusammenzusetzen. *
Rodolfo Marangoni stand leicht schwankend in dem Palmengarten vor dem elegant ausgestatteten Bungalow, und ließ seinen getrübten Blick über die Gesichter seiner Gäste und Beschützer schweifen. Fünf Mädchen, die eine weiß und hellblond, die anderen vier kaffeebraun, alle aus Bridgetown, der Hauptstadt von Barbados – das waren seine Gäste. Der Neapolitaner Felice D’Itria, der Italo-Amerikaner Ray Vianello und der gebürtige Texaner Vance Collins – sie waren die private Eskorte, die für seine Sicherheit sorgte. Collins ging hin und wieder auf die Terrasse und fütterte das Tape-Deck der StereoAnlage mit einem neuen Kassettenband, wenn eines abgelaufen war. Alle bedienten sich aus der fahrbaren Hausbar, die von D’Itria in den Palmengarten geschoben worden war. Die drei Leibwächter sparsam, die Mädchen mäßig, Rodolfo Marangoni reichlich. Er hob sein Glas und rief gegen die Samba-Rhythmen einer brasilianischen Band an: »Laßt uns feiern! Hockt doch nicht so müde herum, ihr trüben Tassen! Was ist denn los mit euch?« Unwillkürlich hatte er sich des sizilianischen Dialekts, seiner 4
Muttersprache, bedient. Die Mädchen sahen ihn an, lachten und tranken, umringten ihn und tanzten aufreizend nach den heißen Rhythmen. »So ist es besser!« brüllte er. Wieder lachten sie. Rodolfo verschüttete gut ein Drittel vom Inhalt seines Glases, bevor er es an seinen Mund brachte und daraus schlürfte. Dunkelrot und süffig war der Barolo – der einzige italienische Wein, den er in Bridgetown hatte auftreiben können. Guter, schwerer Barolo, dreißig Flaschen davon, die er in dieser Nacht in heiterer Gesellschaft zu leeren gedachte. Und nicht nur die … Rodolfo bewegte sich etwas schwerfällig zu der fahrbaren Bar hinüber. Die unscheinbare Flasche mit dem kleinen Etikett war schon halb leer. Wieder füllte er die Schnapsgläschen nach, die auf einem Silbertablett standen. »Trinkt«, rief er seinen Bewachern zu. »Ihr braucht hier keine Hemmungen zu haben. Das Zeug wird euch gut tun.« Diesmal sprach er englisch. Collins trat näher heran und sagte: »Boß, vergiß nicht, daß wir uns im Dienst befinden und unsere Aufgaben zu erfüllen haben.« »Aufgaben, Aufgaben«, ahmte Rodolfo ihn nach. »Wer wird uns denn hier draußen belästigen?« »Man kann nie vorsichtig genug sein«, gab Collins zurück. »Gerade jetzt«, fügte Felice D’Itria hinzu. Rodolfo lachte, als habe jemand einen guten Witz erzählt. »Ja, stimmt, gerade jetzt!« Er stürzte die scharfe, herb riechende Flüssigkeit die Kehle hinab. »Das ist ein Tropfen«, rief er dann. »Gelber Grappa, kein billiger weißer! He, Vance, du texanischer Stier, hat dir denn noch keiner beigebracht, daß der gelbe Grappa hundertmal besser ist als der weiße?« Collins grinste. »Doch, natürlich. Du selbst, Boß.« 5
Marangoni hörte schon nicht mehr auf ihn, er hatte sich wieder den Mädchen zugewandt. Er begann erneut italienisch zu reden und rief ihnen zu: »Ich will meinen Abschied vom Junggesellendasein gebührend begießen, verstanden? I giorni della liberta, die Tage der Freiheit, sind vorbei …« »Libertad«, antwortete eines der farbigen Mädchen auf spanisch. Sie tänzelte auf ihn zu, legte ihre Hände an seine Hüften, wiederholte: »Freiheit.« Plötzlich schmiegte sie sich an ihn und küßte ihn. Die anderen Mädchen tanzten weiter und klatschten im Takt in die Hände. Rodolfo Marangoni war ein großer, kompakt gebauter Mann mit dichtem schwarzem Haar, dunklen Augen, glattem Gesicht – gutaussehend, wenn man den vulgären Zug um seinen Mund nicht berücksichtigte. Er liebte schnelle Autos und schöne Frauen, beteiligte sich an Autorennen und verkehrte dort, wo der Jet-Set zu Hause war. Seinen Lebensunterhalt bestritt er allerdings nicht durch das, was er gelegentlich bei Rennen gewann, sondern durch die Schecks, die ihm die »Famiglia« von Sizilien aus sandte. Er war in diesem Sinn ein echter Playboy, der sich jetzt anschickte, den entscheidenden Schritt seines Lebens zu tun. Rodolfo preßte der schönen Kreolin die Hand auf den Rücken und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie lachte, schüttelte den Kopf und erwiderte: »Ich verstehe nicht.« Er wiederholte es auf englisch, aber wieder schüttelte sie den Kopf. »No comprendo …« »Verdammt«, stieß Rodolfo in seiner Muttersprache aus. »Könnt ihr denn keine Miezen besorgen, die wenigstens Englisch kapieren?« »Boß«, rief Vianello zurück, der wie D’Itria Italienisch perfekt beherrschte. »Als wir sie aus Bridgetown holten, dachten wir uns, für den wichtigsten Teil der Nacht würde die 6
Verständigung auch so irgendwie Zustandekommen.« D’Itria übersetzte für Collins, was Ray Vianello gesagt hatte, und alle drei lachten. Rodolfo lachte auch, aber er wußte im Grunde nicht recht, über was er lachte. Der Barolo und der Grappa taten in zunehmendem Maß ihre Wirkung. Rodolfo ließ die Kreolin los. Sie bewegte sich mit jenem aufreizenden Hüftschwung unter den Palmenwipfeln, den eben nur die Menschen ihrer Abstammung besitzen. Die Blondine schob sich an ihr vorbei, näherte sich Rodolfo und lächelte ihn an. »Englisch kann ich sehr gut«, sagte sie mit leicht heiserer Stimme. »Worüber wollen wir uns unterhalten?« Sie trug eine enge weiße Leinenhose und eine fast durchsichtige Bluse, die über dem Bauchnabel zusammengeknotet war. Er umarmte sie, versuchte mit ihr zu tanzen, brachte aber nur ein unbeholfenes Stolpern zustande. »Du hast das Zeug zum Filmstar«, entgegnete er. »So, wie du aussiehst. Aus dir könnte ich was machen. Ich habe Beziehungen.« »Sagst du das zu jeder?« »Nein, nur zu dir.« Er grinste. Sie lachte, aber es klang gezwungen. D’Itria, Collins und Vianello hatten den Grappa, den Marangoni ihnen eingeschenkt hatte, nicht getrunken. Sie wußten, wieviel davon abhing, daß sie nüchtern blieben. Ein Fehler, und sie konnten einpacken, in jeder Hinsicht … Collins bot Zigaretten an, Vianello nahm an. Sie zündeten sich die Stäbchen an, dann meinte Vianello: »Also, ich drehe jetzt die übliche Runde. Es ist jammerschade, daß wir uns in Enthaltsamkeit üben müssen, besonders, was die schnuckeligen Puppen betrifft. Aber wir können es uns nicht erlauben, unachtsam zu sein.« »Morgen habe ich meinen freien Tag«, sagte Collins. 7
»Dann fahre ich nach Bridgetown und mache eins von diesen Girls an, ich schwör’s euch, Jungs.« Die Musik verstummt, das Tape-Deck schaltete sich selbsttätig aus. Mit einemmal war das Rauschen der Brandung zu vernehmen. D’Itria blickte zur See, etwas in seinem Gesicht veränderte sich. »War da nicht etwas?« fragte er. »Ich habe nichts gehört«, gab Collins zurück. »Was soll denn gewesen sein?« »Das Tuckern eines Motors …« Vianello schickte einen prüfenden Blick übers Meer. »Dort? Nein, da ist kein Boot, keine Jacht, Felice. Die Nacht ist klar genug, man würde es erkennen. Und selbst wenn jemand um die Insel herumfährt – was ist schon dabei? Es wäre nicht das erstemal …« Sie waren seit einer Woche hier und hatten viele Schiffe und Boote auf dem ruhigen Atlantik kreuzen sehen. D’Itria antwortete: »Ja, natürlich. Ich hab’ mich wohl auch getäuscht.« Vianello drehte sich um und ging fort. Unter den Palmen hob Rodolfo Marangoni den Kopf. Er blickte zu seinen Gorillas hinüber und rief: »Vance, sitzt du auf deinen Ohren? Leg ein neues Band auf. Was Langsames, wenn ich bitten darf. Dieses Samba-Zeug geht mir allmählich auf die Nerven.« Collins betrat die Terrasse und schob ein Barry-White-Band in das Tape-Deck. Als die sanften Orchester-Klänge ertönten und die tiefe Growl-Stimme aus den Lautsprecherboxen flüsterte, begann Rodolfo wieder mit der Blondine zu tanzen – ganz anders als vorher. Die vier farbigen Mädchen umringten sie und summten die Melodie mit. »Ich habe eine großartige Idee«, sagte Rodolfo. Es kostete ihn 8
erheblichen Aufwand, seiner Zunge die nötige Bewegung zu verleihen. »Wir nehmen ein Bad, Kinder. Das Wasser ist jetzt wärmer als tagsüber, ihr könnt Gift darauf nehmen.« »Lieber nicht«, gab die Blondine zurück. »Hast du deinen Bikini mitgebracht?« »Leider nicht.« »Das macht nichts, du brauchst ihn nicht.« Die Blonde übersetzte es für die anderen auf spanisch, und sie stießen sich amüsiert an und kicherten. Rodolfo grinste, faßte eine von ihnen um die Hüfte, zog auch die Blondine mit und begann leicht torkelnd mit ihnen auf die Brandung zuzulaufen. »Los, baden wir«, schrie er. »Die Nacht hat erst angefangen. Himmel, wird das ein Spaß, Kinder!« D’Itria blickte den von der Terrasse zurückkehrenden Collins an. »Verdammt«, sagte er. »So eine verrückte Idee.« »Hast du Angst, er säuft uns ab?« »Nein. Ich habe nur so ein blödes Gefühl …« »Komm«, sagte Vance Collins. »Laß uns zum Strand ’runtergehen, ehe ihm oder den Mädchen ein Hai in den Hintern beißt. He, Felice, das Schauspiel dürfen wir uns sowieso nicht entgehen lassen.« D’Itria sah zu der Blonden, die jetzt stehengeblieben war und anfing, sich zu entblättern. Die anderen vier Mädchen taten es ihr nach; sie hatten keinerlei Hemmungen. D’Itria griff jetzt doch nach dem Gläschen und trank Grappa, gelben Grappa. Er setzte das Glas auf dem Silbertablett ab, wischte sich über den Mund und murmelte: »Al diavolo, wir werden hier auf eine harte Probe gestellt. Teufel, wir sind doch auch bloß Menschen.« * 9
Blätter, schwer und ledrig wie die der Mangroven, streiften Franco Solos Gestalt. Er stand im Cockpit seines gemieteten Kajütkreuzers und hatte soeben das Nachtglas gesenkt. Draußen auf See lag das Boot vor Anker, aber wohin Jackman und McCoy getaucht waren, konnte er beim besten Willen nicht feststellen. Die Blätter und Zweige, die ihm als Tarnung und Versteck dienten, behinderten seine Sicht. Franco war dicht unter Land gegangen, und hatte die Maschinen abgestellt. Der Kajütkreuzer dümpelte nur noch ganz langsam dahin. Dschungelartig wucherte an diesem Stück Ufer der Insel das Gestrüpp, es verschlang die Küste und wuchs förmlich ins Meer hinaus. Dann aber, ein Stück weiter südlich, wich das Dickicht jäh zurück, wie Franco auf der Karte festgestellt hatte. Es gab dort einen sanften Einschnitt, der kaum als Bucht zu bezeichnen war, vor allen Dingen aber Strand, ausgedehnten weißen Strand. Es schien sich um eine paradiesisch schöne Landschaft wie die Gegend um Oistins Bay und Long Bay auf Barbados zu handeln, Traumstrände, die den Süden der Insel einnahmen. Dieser Landstrich etwas unterhalb von Gays Cove wurde in den Fremdenführern nicht weiter erwähnt, und Francos Karte nach zu urteilen war er ganz unbewohnt. In diesem Punkt irrte die Karte – der Wind aus Osten war nicht kräftig genug, um die Geräusche landeinwärts zu tragen. Deutlich konnte Franco die Musik vernehmen – und die Stimmen, die sich immer wieder hineinmischten. Er legte das Spezialglas, eine Kombination aus Nachtglas und Zielfernrohr mit Restlichtaufheller, weg. Er prüfte den Sitz des Revolvers in der Schulterhalfter, überzeugte sich, daß er genügend Reservemunition in den Taschen seines Jacketts hatte, und begann mit dem Festmachen. Jackman und McCoy mußten sich landwärts gewandt haben, und die Quelle des Partylärms 10
schien ihr Ziel zu sein. Es gehörte nicht viel Scharfsinn zu dieser Feststellung. Was hatten Jackman und McCoy vor? Seit drei Tagen folgte er ihnen. In New York hatte er sich ihnen an die Fersen geheftet. Colonel Warner hatte einen Tip erhalten, demzufolge Jackman und McCoy mit einem geheimen Auftrag in die Karibik unterwegs waren. Ob es sich um einen Bluff handelte, um »COUNTER MOB« irrezuführen, sollte sich erst noch herausstellen. Momentan glaubte Franco nicht mehr daran, daß der Informant sich geirrt hatte. Hätten sie sonst solchen Aufwand getrieben? Sie waren von New York nach Miami geflogen und hatten sich dort einen Tag lang herumgetrieben, ohne beunruhigende Aktivitäten zu entwickeln. Plötzlich waren sie wieder aufgebrochen, er hatte Mühe gehabt, den Anschluß zu halten. Ihr Ziel war San Juan, Puerto Rico, gewesen. Auch dort hatten sie vierundzwanzig Stunden vollkommen ruhig verbracht. Sinn des Manövers: Etwaige Verfolger sollten wahrscheinlich abgewimmelt werden. In San Juan schienen sie sich dann Waffen besorgt zu haben. Franco hatte leider keine Gelegenheit mehr gehabt, sich davon zu überzeugen. Jackmans und McCoys Weiterflug war überraschend gekommen, so unvermittelt wie in Miami. Das nächste Ziel: Port of Spain, Trinidad. Von dort aus weiter nach Bridgetown. Franco hatte den nächsten Flug von Port of Spain nach Bridgetown, Barbados, abgewartet, und die Männer schließlich an diesem Nachmittag wieder in Speightstown, nördlich von Bridgetown, aufgespürt, wo sie das Boot und die Taucherausrüstungen besorgt hatten. Das Boot war nur gemietet, die Tauchermonturen samt Aqualungen gekauft … Jackman und McCoy arbeiteten für den Ostküsten-Mob der Vereinigten Staaten von Amerika. Man hatte ihnen bislang 11
weder nachweisen können, daß sie als bezahlte Killer durch die Gegend reisten – noch hatte man auszurechnen vermocht, wie viele Morde mutmaßlich auf ihr Konto gingen. Franco konnte von seinem Versteck aus gerade noch beobachten, wie sie sich die Tauchermonturen anlegten und im Wasser untergetaucht waren; das war alles gewesen. Jetzt schienen die Dinge sich zuzuspitzen. Aus dem Versteck heraus mit dem Fahrzeug auf das Boot zulavieren konnte Franco nicht, denn Jackman und McCoy konnten jede Sekunde irgendwo wieder auftauchen, und dann mußten sie den Kajütkreuzer zwangsläufig ausmachen, zumal er weiß gespritzt war, nicht dunkel wie das Boot. Es war ohnehin ein Kunststück gewesen, ihnen zu folgen. Schon nach der Rundung des Nordkaps der Insel hatte er damit aufhören müssen, mit voller Geschwindigkeit hinter ihnen herzufahren. Sie hatten das Tempo zuletzt stark gedrosselt, und schließlich den starken Außenborder des Bootes ganz abgestellt, um mit den Riemen zu pullen. Franco war von jenem Augenblick an keine Wahl geblieben – er hatte sich unter Land in das überhängende Dickicht begeben müssen. Franco hatte den Kajütkreuzer mit zwei Festmachern, an Land vertäut. Er stand jetzt im dichten, Feuchtigkeit ausschwitzenden Gebüsch und blickte sich nach allen Seiten um. Niemand schien sich in seiner Nähe zu befinden. Aber der Urwald war unberechenbar, trügerisch; vielleicht wurde er schon beobachtet. Vorsichtig setzte er sich in Bewegung. Als Orientierung dienten ihm die Laute, die nicht abreißen wollten. Im Gegenteil, das Lärmen nahm noch zu, schien sich dem Gipfel der Ausgelassenheit zu nähern. Durch die Musik hindurch vernahm Franco den Ruf eines Mannes: »Los, baden wir …« Immer wieder mischte sich diese Männerstimme in das Lachen und Kreischen der Mädchen; breit, aufdringlich, 12
kommandogewohnt – alkoholgeschwängert. Hatte er sie nicht schon einmal irgendwo gehört? Wem gehörte sie? Alle Zeichen deuteten darauf hin, daß Jackman und McCoy hier aktiv wurden, vielleicht noch diese Nacht. Sie arbeiteten außerhalb des »Territoriums« des Ostküsten-Mobs. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach bewegten sie sich immer noch im »Ambiente«, im Milieu der Mafia. Wer immer hinter ihnen stand, wer immer sie beauftragt hatte, der Art nach zu urteilen, wie sie vorgingen, schien es sich um die Begleichung einer noch offenstehenden Rechnung zu handeln. Franco teilte die Blätter mit den Händen, bahnte sich einen Weg. Die Blätter fühlten sich fett, schwartig und unangenehm an. Wie ein Gewicht senkten sich Feuchtigkeit und Schwüle auf den Mafiajäger. Er arbeitete sich vom Ufer aus schräg landeinwärts voran, um in den Rücken der Partyleute zu gelangen, die sich jetzt offensichtlich am oder im Wasser vergnügten. Plötzlich hörte er ein Knacken und Rascheln im Dickicht, direkt vor sich. Sofort duckte er sich. Seine Rechte tastete nach dem Revolver, der in der Schulterhalfter steckte. Das Geräusch war fort, kehrte nicht wieder. Franco Solo schloß aus, daß es sich um ein Tier gehandelt haben konnte. Jemand befand sich in seiner Nähe, schlich im Unterholz des Dickichts herum. Behutsam, so, als könnte er etwas zerbrechen, erhob sich Franco wieder. Er wandte sich nach links, änderte seine Wegrichtung etwas – aber das nützte ihm im Endeffekt nichts. Jäh tauchte der Mann rechts neben ihm aus dem Unterholz auf. Dieser Mann, er mußte die Umgebung hervorragend kennen. Zweifellos hatte er auch das Anrücken des ungebetenen Gastes rechtzeitig bemerkt – er hatte die raschelnden und knackenden Laute absichtlich verursacht, um Franco irrezuführen. Dann hatte er sich angepirscht … 13
Noch mehr erkannte Franco: Er sah das Gesicht dieses Mannes nicht zum erstenmal. Im gleichen Moment, in dem der Bursche die rechte Faust auf seinen Kopf abschoß, entsann er sich seines Namens … *
Ray Vianello. Franco hätte beschwören können, daß er es war. Diese hochaufgeschossene und dabei so muskulöse Gestalt, das kantige Gesicht mit den provinziellen Zügen, den klaren Augen – schon einmal hatte ihn der Mann ausdruckslos angesehen, und zwar von den Fotos einer Karteikarte. Die Daten dieser Karte hätte Franco nicht wiedergeben können, aber er kannte die westlichen Vorstrafen Vianellos und wußte, daß dieser zuletzt, Anfang 1979, für den Rennfahrer Rodolfo Marangoni als Leibwächter tätig gewesen war. Gut möglich, daß er den Job bis heute nicht aufgegeben hatte und daß der grölende Mann, dessen Stimme aus dem Lachen der Mädchen immer wieder herauszuhören war, mit Marangoni identisch war … Vianellos rechte Faust sollte Franco hinters Ohr treffen. Franco duckte sich geistesgegenwärtig, aber Vianellos Fingerknöchel erwischten ihn trotzdem noch. In Francos Hirn dröhnte es, – und Ray Vianello holte zum nächsten Schlag aus. Franco warf sich nach rechts gegen die Knie des Gorillas. Vianello war zu überrascht, um ausweichen zu können. Sein Hieb ging ins Leere. Er verlor das Gleichgewicht und strauchelte, stolperte über Francos Körper hinweg und landete bäuchlings im Gebüsch. Ehe er sich wieder aufrappeln konnte, war Franco neben ihm. Vianello hatte jedoch reaktionsschnell die Hand unter das 14
Jackett geschoben. Er fuhr jetzt halb herum, brachte eine große Automatik zum Vorschein und trachtete, sie mit der anderen Hand zu entsichern. Franco trat mit dem linken Fuß zu, traf – und die Automatik, die eine MAB oder eine Llama sein konnte, flog aus Rays Hand in einen Bereich des Dickichts, wo er sie auch bei eifriger Suche garantiert nicht so schnell wiederfand … Ray Vianello gab einen unterdrückten Laut von sich, der fast wie ein Seufzer klang. Er packte Francos Fuß, aber Franco riß sich los, bückte sich nach ihm. Vianello wollte sich fortwälzen, verfing sich jedoch im Gestrüpp. Wütend schlug er nach Franco, sah aber rasch ein, daß er ihn sich nicht vom Leib halten konnte. Panik stieg in ihm auf. Er stieß einen Schrei aus. Am Strand ruckten nur die Köpfe von Vance Collins und Felice D’Itria herum. Rodolfo Marangoni und die Mädchen hatten nichts gehört. Sie waren viel zu sehr mit dem Herumalbern im flachen Wasser beschäftigt. Das Kreischen der Mädchen und das Rauschen und Gischten des Wassers überlagerte alle anderen Geräusche, die zu den Badenden herüberwehten. »Verflucht, das war Ray«, sagte Collins gepreßt. »Ich hab’s ja geahnt, daß heute nacht noch was schiefgeht.« »Vielleicht ist er gegen einen Baum gelaufen oder einer Schlange auf den Schwanz getreten …« »Hör auf. Ich gehe nachsehen, was los ist.« »Laß mich das übernehmen«, sagte D’Itria. »Nein, bleib du hier und paß auf die nackten Narren auf«, erwiderte Collins. Er wandte sich ab, marschierte über den weißen Strand auf den Blättervorhang zu und rief: »Ray, he, Ray! Wo zum Teufel steckst du? Ist was nicht in Ordnung? Hey, so gib doch Antwort!« 15
Vianello antwortete aber nicht. Franco Solo hatte sich auf ihn geworfen und ihm einen Schlag unter die Kinnlade verpaßt bevor Ray Vianello von neuem rufen konnte. Vianello sackte zusammen und blieb reglos liegen. Seine Bewußtlosigkeit war nicht vorgetäuscht; Franco stellte es fest, als er sich über ihn beugte. Franco zog sich in nördlicher Richtung in das Buschwerk zurück, ehe der Partner von Vianello, der eben etwas herübergerufen hatte, auf der Bildfläche erschien. Vance Collins gelangte aber nicht bis in das urwaldähnliche Dickicht. Es kam alles ganz anders, als Franco, Collins, D’Itria oder Rodolfo Marangoni, der in diesem Moment herüberblickte und mißtrauisch die Stirn runzelte, es sich ausgemalt haben mochten, was immer sie vermuteten oder ahnten … *
Das Rauschen der Brandung war lauter als das Flüstern der Männer am Saum des Gebüsches. Steve Jackman hatte sich dicht neben Victor McCoy gebracht und nahm den Blick nicht von Vance Collins, der direkt auf sie zugeschritten kam. Jackman und McCoy hielten die zusammengesetzten Beretta M 12 S schußbereit in den Fäusten. Sie hatten sich ihrer Taucherhelme nicht entledigt und sahen immer noch aus wie Gestalten, die einem Science-Fiction-Film entsprungen sein konnten. »Laß ihn näherkommen«, wisperte Jackman. »Was ist im Gebüsch geschehen?« zischte McCoy. »Was auch immer, es kommt uns gelegen.« »Einer der Hunde sitzt uns im Rücken …« 16
»Sie können uns nicht bemerkt haben, Victor.« »Vielleicht haben sie das Boot entdeckt«, raunte McCoy. »Sie können es nicht entdeckt haben …« »Warum schleichen sie dann in der Gegend herum?« »Routine.« »Wir brechen es nicht ab?« »Nein, wir brechen hier nicht ab«, entgegnete Jackman gepreßt. »Du nimmst dir den Burschen dort vor, es ist Collins. Ich laufe los, auf D’Itria zu, du hältst mir den Rücken frei für den Fall, daß Vianello aus dem Busch kommt.« »Ja.« Victor McCoy verspürte ein Prickeln auf der Nackenhaut, das sich allmählich über seinen ganzen Körper ausbreitete. Er griff nach seinem Kopf, setzte ihn für Sekunden wie unter dem Druck von Gewichten gefangen. Es war immer das gleiche Gefühl, das er hatte, wenn er kurz vor der Ausführung eines Unternehmens stand … Collins hatte seine MAB-Automatik unter dem Zweireiher hervorgezogen. Er tat noch einen zögernden Schritt auf das Dickicht zu, blieb stehen, rief noch einmal Ray Vianellos Vornamen und erhielt wieder keine Antwort. Er wollte die MAB 7,65 entsichern, aber in diesem Moment stürmte Steve Jackman aus dem Unterholz, und eine Maschinenpistole begann trocken zu hämmern. Vance Collins schritt plötzlich rückwärts, wie von einer unsichtbaren Macht bewegt. Er streckte die Hände nach vorn und schien sich irgendwo festklammern zu wollen. Er verlor die MAB aus der Hand, fand keinen Halt, geriet ins Wanken, schritt weiter rückwärts über den weißen Sand von Barbados. Er öffnete den Mund, brachte aber keinen Laut heraus. Stumm brach er zusammen, und der weiße Sand unter ihm begann sich zu verfärben, als Jackman schon längst an ihm vorbei war und 17
mit der Mpi auf Felice D’Itria feuerte. D’Itria hielt die MAB im Beidhandanschlag. Er wich aus, drückte ab, lief wieder ein Stück, ging in die Hocke, schoß wieder. Jackman stockte im Laufen und verzerrte das Gesicht. Er war getroffen, aber er konnte noch rennen, konnte noch schießen, hatte keine wogenden Schleier vor den Augen, die die Sicht beeinträchtigten. Die Garbe aus der Beretta trieb dünne Fontänen vom Strand hoch. Die Fontänen bildeten ein Muster, das auf D’Itria zulief. Rodolfo Marangoni stand in der Brandung und gestikulierte. Die Mädchen kreischten wie von Sinnen, als sie Collins auf den Sand stürzen sahen und den fremden Mann erkannten, der in ihrer Richtung rannte und mit wilder Grimasse auf D’Itria schoß. Die Sandfontänen hüllten Felice D’Itria ein. Er konnte noch einen weiteren Schuß aus der MAB auf Jackman abgeben, traf aber nicht. Er fühlte, wie ihm die Beine förmlich unter dem Leib weggerissen wurden. Dann ging alles in einer ratternden, tosenden, alles übertönenden Sinfonie unter. Steve Jackman hastete auf Rodolfo Marangoni zu und richtete die Mpi auf ihn. Der Flammensturm in Jackmans Körper nahm nicht ab, aber er konnte den Killer nicht bremsen. Nicht in dieser entscheidenden Phase eines Unternehmens, das ihnen beiden, Jackman und McCoy, blanke zwanzigtausend Dollar einbrachte. Rodolfo Marangoni hatte noch an einen Scherz glauben wollen, hatte über Collins’ und D’Itrias groteske Verrenkungen lachen wollen … aber jetzt erkannte er mit tödlicher Gewißheit, daß alles ernst war, daß der Anschlag ihm galt. Ihm … Nackt, unbewaffnet, völlig ausgeliefert stand er im sprudelnden Wasser. Nirgends kam der Tod unerwarteter als 18
hier, im Pradies, nirgendwo konnte er gräßlicher sein. Rodolfo schrie mit den Mädchen zusammen. *
Bei den ersten Schüssen zog Franco Solo seinen Revolver, ein Bulldog-Modell mit fünf .44er-Special-Patronen in den Trommelkammern. Er spürte, wie es ihn heiß und kalt überlief, abwechselnd in rascher Folge, als er die Mädchen in Todesangst kreischen hörte. Er wußte nicht, was für Waffen Jackman und McCoy sich in San Juan, Puerto Rico, beschafft hatten, aber instinktiv brachte er das Rattern der Maschinenpistolen mit ihnen in Verbindung. Franco erreichte den Rand des wildwuchernden Gehölzes. Er sah einen Mann in seinem eigenen Blut liegen, sah einen Mann in Tauchermontur quer über den Strand auf Marangoni zueilen: Jawohl, Marangoni war es wirklich – er stand ohne einen Fetzen Kleidung in der Brandung des Atlantiks; hilflos, jämmerlich. Ein weiterer Mann lag verkrümmt im weißen Sand, Franco konnte seine Gestalt im Dunkeln gerade noch erkennen. Der Froschmann lief leicht geduckt. Er humpelte, schien verletzt zu sein. Das hinderte ihn nicht daran, weiter auf Marangoni zuzusteuern … Die Mädchen, dachte Franco entsetzt, sie hängen nicht mit drin in den schmutzigen Geschäften, sind nur Komparsen, unbeteiligte Dritte … aber sie werden nicht verschont … Der Taucher konnte Jackman oder McCoy sein – aber wo steckte der andere Kerl aus dem Boot? Franco zögerte nicht. Er verließ das Dickicht, hetzte ebenfalls auf den italienischen Playboy und die Mädchen zu. Dabei behielt er den Platz, an dem Ray Vianellos Partner 19
zusammengebrochen war, aus den Augenwinkeln heraus unter Beobachtung. Er hatte sich nicht geirrt, der zweite Taucher hielt sich noch im Gesträuch verborgen. Als das Mündungsfeuer seiner Waffe zum erstenmal aufblitzte, ließ Franco sich fallen. Er preßte sich flach auf den Sand, bekam weiße Körner in den Mund, spuckte sie wieder aus. Die Garbe aus der Mpi strich über ihn hinweg. Victor McCoy hatte natürlich zu hoch gehalten, er hatte ja auf einen laufenden, nicht auf einen liegenden Gegner gezielt. Jetzt korrigierte er fluchend die Schußrichtung. Wer immer der Kerl auf dem Strand sein mochte – Ray Vianello oder jemand anders –, er war gefährlich, hatte einen gedrungenen, ungemein kompakt wirkenden Revolver in der Faust, mußte beseitigt werden … Wieder hämmerte die Mpi. Sie tanzte in McCoys Fäusten. Franco hatte sich auf dem Sand gedreht und so dem Heckenschützen zugewandt. Er hielt den Bulldog in der rechten Faust, weit vorgestreckt. Sand wirbelte hoch, einige Yards entfernt, dann näher, immer näher. Franco ließ sich nicht irritieren, preßte die Lippen zusammen. Er drückte ab, zielte genau in das Mündungsfeuer der Maschinenpistole. Dann überrollte er sich nach links, blieb wieder auf dem Bauch liegen, schoß noch einmal. Das Rattern der Mpi war verstummt. Aus dem Dickicht stolperte plötzlich ein Mann hervor, seltsam gebückt, stöhnend. Nicht weit von Vance Collins brach er zusammen und blieb auf der linken Körperflanke liegen. Die Beretta M 12 S entglitt seinen kraftlos werdenden Fingern. Franco war auf den Beinen. Er hatte den Mann der Statur nach als McCoy identifiziert; McCoy war schlanker, sehniger als Jackman. Franco sprintete auf Steve Jackman zu. Dieser war stehengeblieben, hatte sich kurz umgewandt und so McCoys 20
Niederlage miterlebt. Jetzt schien er zu zaudern, nicht zu wissen, gegen wen er sich wenden sollte – gegen Rodolfo Marangoni, der sich umgedreht hatte und davonstolperte, ohne auch nur das Gesicht des Mannes zu sehen, der da rettend eingegriffen hatte, oder gegen diesen dunkelhaarigen Fremden. Jackman brauchte nicht lange, um seine Entscheidung zu fällen. Alles in allem benötigte er vielleicht eine Sekunde. Er drückte ab und feuerte aus der Hüfte auf Franco Solo. Wieder warf Franco sich auf den Strand, wieder bekam er den Sand von Barbados zu schmecken. Jackmans Beretta spuckte hellgelbes Feuer, und genau in dieses grelle Licht hinein feuerte Franco, sobald er hart auf dem Bauch gelandet war. Jackman strauchelte und stürzte. Er rappelte sich wieder auf, gab eine neue Garbe auf Franco ab. Franco drückte das Gesicht in den Sand, machte sich so flach wie irgend möglich und sagte im Geist etwas auf, das einem Stoßgebet zum Himmel ähnelte. Jackman warf sich herum, drohte erneut hinzufallen. D’Itrias Kugel hatte ihn an der rechten Schulter erwischt. Jackman taumelte unter großen Schmerzen in die Brandung und mußte die Mpi mit der linken Hand halten, weil die rechte ihm den Dienst versagte. Rodolfo Marangoni hatte die fünf Mädchen noch im Wasser überholt, war jetzt auf dem Strand, hastete schreiend auf den Bungalow, die Terrasse zu. Das Band im Tape-Deck war noch nicht zu Ende; Barry White murmelte einen seiner scheinbar endlosen, orchesteruntermalten Songs. Jackman verharrte vor der Brandung, deren Wellen auf den Strand leckten und zurückflossen, ein immer wiederkehrendes, unermüdliches Spiel, wirklich endlos im Gegensatz zu dem Song … Jackman hob die Beretta M 12 S mit der linken Hand an. Die vier Kreolinnen waren Marangoni gefolgt. Die Blondine – kopflos in panischer Angst – hatte getaucht und versuchte sich 21
schwimmend zur offenen See hin in Sicherheit zu bringen. Die gertenschlanken Gestalten der farbigen Mädchen verdeckten Rodolfo Marangoni, sie waren Jackman im Weg; der Killer mußte sie aus dem Weg räumen, um mit einer endgültig vernichtenden Garbe auch Rodolfo erreichen zu können. Aber Franco war wieder auf den Beinen. »Jackman!« schrie er. Steve Jackman fühlte sich plötzlich verunsichert, weil er einfach nicht erwartet hatte, daß jemand ihn mit seinem Namen anrufen würde. Wieder wandte er den Kopf und blickte zu Franco Solo. Noch einmal wollte er seine Waffe herumreißen. Aber er benötigt zuviel Zeit, war mit der linken Hand nicht so schnell wie mit der rechten. Franco kam ihm zuvor. Drei Kugeln hatte der Mafiajäger verfeuert. Die vierte schickte er jetzt auf Jackmans Waffenhand zu. Der Lichtschimmer der Terrassenbeleuchtung reichte bis zu Jackmans derzeitigem Standort und ermöglichte Franco ein exaktes Zielen. Er traf die linke Hand des Killers, bevor dieser auf ihn abdrücken konnte. Jackman ließ die Mpi mit einem dumpfen Aufschrei fallen. Franco lief auf ihn zu. Er hatte jetzt nur noch eine Patrone in der Trommel des Bulldogs, lud aber nicht nach. Er wollte nicht einmal diese fünfte Kugel einsetzen, wollte Jackman lebend … Ehe Jackman sich nach der Beretta-Mpi bücken konnte, war Franco bei ihm. Mit dem Fuß stieß er die Maschinenpistole fort. Sie befand sich jetzt weit außer Jackmans Reichweite. Der Killer mußte Franco überwältigen, um an die Waffe zu gelangen. Franco richtete den Revolver auf Jackmans Brust. »Es ist aus«, sagte er. »Du kannst dich nur noch ergeben, Jackman.« Undeutlich war unter dem geöffneten Taucherhelmvisier das verzerrte Gesicht des Killers zu erkennen. 22
»Wer … bist du?« murmelte er. »Wer schickt dich? Ich …« Plötzlich brach er zusammen und sackte auf die Knie. Stöhnend krümmte er sich. Bei seinem Zustand schien das kein Bluff zu sein; er hatte zwei Kugeln einkassiert, und eine hatte seine linke Hand aufgerissen. Franco beging den Fehler, zu dicht vor Jackman stehenzubleiben … Sand wirbelte hoch, sprühte auf Francos Gesicht zu – Jackman hatte ihn mit der Linken hochgerissen. Franco taumelte zurück, schützte sein Gesicht mit der Hand. Er hatte den Sand nur in das rechte Auge bekommen, konnte mit dem anderen zwischen seinen Fingern hindurch den Killer sehen. »Jackman«, schrie er wieder. Der Killer wollte sich auf ihn stürzen. Franco hob den Revolver, bis die Mündung über Steve Jackmans Kopf hinwegzielte, drückte ab. Der Warnschuß blaffte über den Gegner hinweg, über die Brandung aufs Meer hinaus. Jackman wußte nicht, daß Francos Bulldog leergefeuert war. Er warf sich herum, ergriff die Flucht. Die Schwimmflossen schienen ihn jetzt zu behindern, er stolperte in die Brandung, drohte zu fallen, hielt sich dann aber doch aufrecht, hetzte weiter. Franco kauerte auf dem Sand, öffnete den Revolver, setzte einen Speedloader mit fünf frischen Patronen ein. Er schwenkte die Trommel wieder ein. Rasch wischte er sich mit den Fingern über das rechte Auge. Die Bindehaut schmerzte, aber er konnte auch mit diesem Auge halbwegs wieder sehen. Jackmans Gestalt war in den Fluten zu erkennen. Aber Franco brachte es nicht fertig, direkt auf den Mann zu zielen. Er hatte es nie gekonnt, hatte nie einem Flüchtenden in den Rücken geschossen. Den Revolver gebrauchte er, wenn er sich oder andere verteidigen mußte. »Jackman!« schrie Franco zum drittenmal. 23
Steve Jackman achtete nicht darauf, konnte auch nichts mehr hören, denn er hatte seinen Taucherhelm geschlossen und die Aqualunge in Betrieb gesetzt. Franco jagte noch einen Warnschuß über seinen Kopf hinweg, und dieses Krachen vernahm der Killer – aber auch das konnte ihn nicht aufhalten. Jackmans linke Hand brannte, als habe er sie in Säure getaucht. Sein rechter Arm war von Schmrzen gelähmt, dennoch versuchte er es: Er wollte zurück zum Boot. Er warf sich ins Wasser und tauchte. Plötzlich stellte er fest, daß das Brennen in seiner linken Hand ein wenig abnahm. Energisch bewegte er die Schwimmflossen. Franco wußte, daß es keinen Zweck hatte, dem Killer zu folgen. Ohne Flossen war er viel zu langsam, außerdem dauerte es zu lange, bis er seine Kleidung abgestreift hatte. Plötzlich registrierte er eine Bewegung im Wasser, die nicht von Jackman hervorgerufen worden war. Das blonde Mädchen – es war aufgetaucht und schwamm in schätzungsweise hundert Yards Entfernung vom Strand in Richtung auf die offene See. Franco spähte aus zusammengekniffenen Augen zu ihr hinüber. Er wußte, wo das Boot der Killer lag. Sie mußte es früher oder später auch entdecken, würde wie Jackman darauf zusteuern, um sich zu retten … Eisiger Schreck durchfuhr Franco. Er blickte sich um. Rodolfo Marangoni war im Bungalow verschwunden. Die vier Mädchen duckten sich im Palmengarten hinter Stämme und Büsche, benutzten auch die fahrbare Hausbar als Deckung vor umherfliegenden Kugeln. Es stellte sich heraus, daß immer noch aller Grund dazu bestand, sich vor Projektilen zu schützen. Franco lief zum Dickicht am nördlichen Rand des Grundstücks zurück; er wollte seinen Kajütkreuzer erreichen, zu dem Mädchen hinüberfahren und es aus dem Wasser fischen. Er hatte den dichten Blättervorhang fast erreicht, da kam Ray Vianello zum 24
Vorschein. Er hatte wirklich unwahrscheinliches Glück gehabt. Er war zu sich gekommen und hatte auch seine Pistole wiedergefunden, eine MAB-Automatik. Die Kratzspuren in seinem wutverzerrten Gesicht zeugten davon, wie er in dem kaum durchdringlichen Buschwerk herumgekrochen sein mußte. Er begriff die wahren Zusammenhänge nicht, hatte weder Jackman noch McCoy gesehen. Der Urheber des erbitterten Schußwechsels auf dem Strand war seiner Meinung nach Franco Solo. Sein ganzer Haß entlud sich gegen diesen Mann. Franco warf sich zur Seite. Im selben Augenblick bellte Vianellos Pistole auf. Franco rollte sich auf dem weißen Sand ab, der ihm so unangenehm und doch so vertraut geworden war, entging der Kugel. Und dann geschah etwas völlig Unerwartetes. Eine Maschinenpistole hackte ihr häßliches, mörderisches Lied in die Nacht. * Victor McCoy hatte nach einer kurzen Ohnmacht wieder die Augen geöffnet. Er hatte gehustet und Blut gespuckt, die Schmerzen in seinem Leib hatten ihn übermannen wollen. Und doch hatte er es geschafft. Er war bis zu seiner Maschinenpistole gekrochen, die er im Sand deutlich erkennen konnte. Vance Collins’ gebrochene Augen waren blicklos auf McCoy gerichtet, als dieser jetzt die Beretta M 12 S in Anschlag brachte und auf die beiden Männer feuerte – auf Vianello, der aus dem Dickicht hervorrannte, und auf den schlanken Dunkelhaarigen, der sich schutzsuchend auf den Strand geworfen hatte, um Vianellos Pistolenkugel zu entgehen. Die Projektile der Beretta-Mpi rasten auf Vianello zu. Vor den 25
grellen Schlitzen, die aus der Mündung der Beretta in die Nacht stachen, fuhr Marangonis Leibwächter entsetzt zu McCoy herum. Er zuckte zusammen, war getroffen, konnte aber trotzdem noch zwei Schüsse auf den Killer in der Froschmannmontur abgeben. McCoy hörte auf zu schießen, und wieder entglitt die Mpi seinen Fingern – diesmal für immer. Ray Vianello schritt auf McCoy und Collins zu, er schien zu schrumpfen. Mit einemmal kippte er vornüber, vollführte dabei noch eine leichte Drehung um die Körperlängsachse, prallte dann hart auf und blieb reglos liegen. Franco stand auf und stürzte ins Dickicht. Wölfe, dachte er bitter, sie bringen sich gegenseitig um … Er fand den Weg, der zurück zu dem Kajütkreuzer führte, löste er die Festmacher, sprang an Bord und kletterte ins Cockpit. Beim ersten Vesuch wollten die Maschinen nicht anspringen. Franco zwang sich zur Ruhe, wartete eine Weile, probierte es noch einmal. Diesmal begannen die Motoren zu wummern. Franco drückte den Geschwindigkeitshebel auf Vorwärtsfahrt, und nahm Kurs auf das Boot der Killer. Die Konturen des dunkel lackierten Bootes schälten sich vor ihm aus der Dunkelheit. Er benötigte das Spezialglas nicht, auch nicht, um die Blondine in den Fluten zu sichten. Sie war jetzt höchstens noch fünfzig Yards von dem Boot entfernt, hielt mit langen Crawl-Zügen darauf zu. Sie war eine gute Schwimmerin, und so besehen schien sie alle Aussichten zu haben, das Boot wirklich zu erreichen. In ihrer Panik dachte sie nicht daran, daß das Boot den Froschmann-Killern gehören könnte, das Jackman dorthin zurücktauchen könnte … Wo war Jackman? Franco sah plötzlich einen weißlichen Schimmer, der aus der Tiefe der See aufzusteigen schien. Eine Lichtpfütze, die sich um die Gestalt der unbekleideten Blondine schloß. Jackman war da, 26
er hatte den Handscheinwerfer eingeschaltet, den er an seinem Tauchergurt trug, als er einen Schatten über sich bemerkt hatte. Franco lief die Blondine mit voller Fahrt an. Sie erschrak, als sie den Kajütkreuzer mit steiler Bugwelle auf sich zugleiten sah. Sie stieß einen Schrei aus. Jackman litt unter seinen Schmerzen und wollte so schnell wie möglich das Boot erreichen. Aber er sagte sich auch, daß er sich der Blondine entledigen mußte – einer unbequemen Mitwisserin, die später Einzelheiten über ihn und das Boot preisgeben konnte. Fakten, die zu seiner Ergreifung rühren konnten. Er entsann sich des Tauchermessers, das an seinem rechten Bein befestigt war – die einzige Waffe, die er noch hatte. Jackman ließ sich vom Auftrieb des Wassers zur Oberfläche mitnehmen, zückte das Messer, war dicht unter dem Mädchen. Den Handscheinwerfer, den er soeben in Betrieb gesetzt hatte, konnte er mit der nahezu paralysierten rechten Hand nicht länger halten. Er entglitt ihm, trudelte in die Tiefe ab. Franco drosselte die Geschwindigkeit des Kajütkreuzers, drehte bei. Die Blondine schwamm wie wahnsinnig auf das Boot zu, stieß dabei kleine, angstvolle Laute aus. Er konnte sie verstehen. Sie wußte ja nicht, welcher Part dem Mafiajäger in diesem grausamen Spiel zukam. Sie hielt ihn für einen Widersacher, der sie fassen und mißhandeln, ja, umbringen wollte. Franco sah das weißliche Licht unter ihrem Körper erlöschen. Er stellte die Maschinen aus und rief ihr zu: »Vorsicht, Miß! Ich will Ihnen helfen – kommen Sie hier herüber, Sie werden von einem Froschmann bedroht!« Sie keuchte, schluckte Wasser. Natürlich hatte sie das Licht bemerkt, war wie von Sinnen, wußte nicht, ob sie dem dunkelhaarigen Mann oben im Cockpit des Kajütkreuzers trauen durfte. Sie glaubte, den Verstand zu verlieren.Das Boot war 27
noch zehn, zwölf Yards entfernt, zu weit, unendlich weit … Steve Jackman griff mit der rechten Hand nach dem Fußknöchel des Mädchens. Er wollte sie zu sich herabziehen. Er schaffte es jedoch nur halb, denn als sie den klammerartigen Griff an ihrem Bein bemerkte, das Gewicht, das an ihr zerrte, begann sie zu schreien und zu strampeln. Ihr Kopf geriet unter Wasser, sie schluckte wieder Wasser, aber in ihrer Panik brachte sie es fertig, sich von ihm loszureißen – nicht zuletzt auch deswegen, weil die rechte Hand dem Killer nicht gehorchte. Franco Solo hatte das Mädchen untergehen sehen. In diesem Moment hatte er sich bereits seiner Kleidung entledigt. Eine Badehose hatte er sich in Speightstown vorsorglich beschafft und angezogen. Mit einem Satz war er auf der Reling des Cockpits, richtete sich zu vol1er Größe auf, ließ sich vornüberkippen und tauchte mit einem Köpfler in die Fluten. Jackman hatte in seiner überschäumenden Wut mit dem Messer ausgeholt. Er wollte auf die Blondine einstechen, aber in diesem Augenblick sah er Solo wie einen Pfeil auf sich zuschießen. Jackman erschrak. Zu spät hatte er den Kajütkreuzer bemerkt, zu sehr hatte er sich in seinen Plan verbissen, sich die Blondine vom Hals zu schaffen. Er fuhr zu Franco herum und hob das Messer gegen ihn. Franco drehte sich im Wasser und stieß mit den Füßen zu. Die Wucht, mit der er beide Arme des Killers traf, raubte Jackman beinahe die Sinne. Er verlor das Messer aus der Hand, krümmte sich, trieb von dem Mafiajäger fort, beschrieb eine kreisende Bewegung und geriet mit dem Kopf zuunterst. Er wirkte wie ein Mann im All, der sich von den Verbindungs- und Versorgungsschnüren seines Raumschiffs gelöst hatte. Franco tauchte zu dem Mädchen auf, das sich verzweifelt im Wasser hin- und herbewegte. Er hielt ihre Arme fest, sah sie an und sagte: »Rasch, zu dem Schiff. Am Heck ist eine Leiter, an der Sie aufentern können.« 28
»Ja«, antwortete sie hastig nickend. »Ja. Jawohl.« Ob sie vollends durchgedreht war, ließ sich auf Anhieb nicht feststellen, auf jeden Fall aber stand sie unter Schockeinwirkung. Franco vergewisserte sich, daß sie wirklich zu dem Kajütkreuzer schwamm, nachdem er sie wieder losgelassen hatte – dann tauchte er erneut und hielt wieder nach Jackman Ausschau. Die dunkle See schien den Killer verschlungen zu haben. Es hatte keinen Zweck, nach ihm zu suchen. Franco kehrte an die Wasseroberfläche zurück, arbeitete sich an den Kajütkreuzer heran und klomm die kurze Heckleiter empor. Die Blondine hatte sich auf einer Sitzbank des Achterdecks niedergelassen. Sie zitterte, zog die Knie an den Leib und schlang die Hände darum. Starr war ihr Blick nach vorn gerichtet. Franco ging an ihr vorbei, öffnete die Tür der kleinen Kajüte und holte eine Decke. Als er sie um ihre Schultern legte, lockerte sich ihre krampfhafte Haltung etwas, und sie blickte zu ihm auf. »Danke«, flüsterte sie. »Danke. Warum? Warum das alles? Was haben wir Schlechtes getan?« »Ich weiß es auch nicht«, erwiderte er ernst. »Aber eines versichere ich Ihnen. Ihnen wird jetzt nichts mehr passieren. Ich bringe Sie nach Hause, okay?« »Okay.« Er vernahm Motorengebrumm in seinem Rücken und fuhr herum. Jackman! Er hatte es doch irgendwie noch fertiggebracht, zu dem Boot hinüberzutauchen und es zu entern. Bei seinen Verletzungen war das eine erstaunliche Leistung … Der Kajütkreuzer lag beigedreht vor dem langen, schnittigen Boot. Franco konnte verfolgen, wie Steve Jackman jetzt, nachdem er den Außenborder angelassen hatte, nach vorn kroch 29
und sich hinter das kleine Steuerrad klemmte. Er hantierte mit Hebeln, das Boot nahm Fahrt auf. Franco stieg ins Cockpit der kleinen Jacht hinauf, startete die Maschinen und nahm die Verfolgung auf. Wenig später mußte er ergebnislos abbrechen. Wolken hatten sich vor den Mond geschoben, die Nacht war finsterer als je zuvor. Jackman hatte einen Vorsprung herausgeschunden, der ihm genügte, um sich hinter dem Tarnmantel der Dunkelheit zu verbergen. Franco schaltete einen Suchscheinwerfer ein, der vorn an der Reling auf einer drehbaren Gabellafette montiert war. Wie ein Geisterfinger bewegte sich der Lichtstrahl über das Wasser des Atlantiks – aber das Boot des Killers blieb verschwunden. Franco ging mit der Geschwindigkeit herunter, griff nach dem Steuerrad, das er arretiert hatte, und schickte sich an, das Wendemanöver zu vollziehen. Es hatte keinen Sinn, stundenlang nach Jackman zu forschen – er vergeudete nur seine Zeit. Die Blondine hatte das Cockpit erklommen und trat hinter ihn. »Ist er … fort?« fragte sie. »Ja. Er scheint unsichtbar geworden zu sein.« »Um so besser. Du begibst dich also nicht mehr in Gefahr.« »Legst du Wert darauf?« »Ja. Großen Wert. Du hast mir das Leben gerettet, und das werde ich dir nicht vergessen, Mister.« »Ich heiße Franco.« »Mein Name ist Nadia.« Er betrachtete sie, als sie neben ihn trat. Sie hatte sich die Decke um den Körper geschlungen. Ihre Haare lagen klatschnaß am Kopf an, aber sie sah trotzdem hinreißend aus. »Soll ich dir einen Tip geben?« fragte er sie. »Ich weiß schon, was du sagen willst. Laß dich nicht mehr zu 30
einsamen Strandpartys einladen.« »So ungefähr.« »Ich glaube, mein Leben ändert sich von heute nacht an«, entgegnete sie. »Franco – was ist aus den anderen Mädchen geworden?« »Ich schätze, sie sind wohlauf. Sie dürften mit Rodolfo Marangoni im Bungalow verschwunden sein. Oder aber sie haben sich alle vier irgendwie abgesetzt. Es gibt doch Wagen, oder?« »Ja. Zwei.« »Sehen wir nach, was aus ihnen geworden ist«, sagte Franco. »Ich habe jetzt auch das Verlangen, einen Small talk mit Mr. Marangoni zu halten.« *
Felice D’Itria hatte das Empfinden, die Beine seien ihm amputiert worden. Es steckte kein Gefühl mehr darin, nur im Bereich seiner Lenden und Oberschenkelansätze tobten die Schmerzen wie Höllenfeuer. D’Itria drohte das Bewußtsein, das er eben erst wiedererlangt hatte, erneut zu verlieren. Er biß die Zähne zusammen. Unter Aufwand aller Kraft gelang es ihm, sich auf die Arme zu stützen, den Oberkörper zu heben. Er verlagerte sein Gewicht nach vorn, rutschte ein Stück auf dem Strand entlang, brach dann wieder zusammen und blieb schwer atmend liegen. Verzweifelt blickte er zum Palmengarten. Er sah die Gestalten der Mädchen und rief: »He! Hier bin ich! Zum Teufel, holt mich hier weg!« Sie hoben die Köpfe und blickten in seine Richtung, zögerten aber, ihre Deckungen zu verlassen. Erst als er seinen Namen nannte und seine Aufforderung wiederholte, setzte sich eine von 31
ihnen in Bewegung. Es war die Kreolin, die als erste mit Rodolfo Marangoni getanzt hatte. Wie die anderen hatte sie keine Gelegenheit gehabt, ihre Kleidungsstücke vom Strand aufzuraffen. Ohne ihre Blößen zu bedecken, schritt sie auf den verwundeten Mann zu. Ihre Furcht, der anhaltende Eindruck des eben Erlebten waren größer als aufkeimende Schamgefühle. D’Itria fühlte sich in seinem Zustand auch nicht angetan, ihre Formen zu betrachten. Er dachte und sagte immer wieder nur das eine: »Ich will hier weg. Helft mir doch. Hölle, was steht ihr herum und seht mich an? Helft mir …« Das braunhäugie Mädchen blieb vor ihm stehen und blickte auf ihn herab. In ihrem Rücken verstummte die Barry-WhiteMusik. Das Band war abgelaufen. »Der Hund hat mir die Beine zerschossen«, stieß Felice D’Itria keuchend aus. »Ich kann nicht mehr laufen. Ihr müßt mich zum Haus schleppen, du und deine Freundinnen, hörst du? Mein Gott, warum verstehst du mich denn nicht?« Er versuchte, es ihr auf italienisch zu erklären. Aber sie hatte längst verstanden. Sie sah ja seine blutenden Beine. Endlich riß das Mädchen sich zusammen, gab sich einen inneren Ruck. Sie drehte sich zu den anderen um, winkte ihnen zu. Sie rief etwas auf spanisch, und die drei verließen den Palmengarten, packten mit zu, als sie sich nach dem verletzten Mann bückte. Zu viert hatten sie immer noch schwer genug an ihm zu tragen. Ein paarmal stöhnte er auf, weil sie seine Beine berührten oder weil das Schleifen der Füße über den Untergrund neue Schmerzen bereitete, aber dann erreichten sie die Terrasse. Sie trugen ihn durch eine große, offenstehende Glastür in den Wohnraum und ließen ihn vorsichtig sinken. »Capo«, sagte D’Itria. »Boß – mich hat es erwischt.« Rodolfo Marangoni stand angekleidet inmitten eines heillosen Durcheinanders von Sachen, die er auf dem Boden und auf den 32
Möbeln verstreut hatte. Er hatte sich einen Revolver in den Hosenbund geschoben und war dabei, die wichtigsten Utensilien in zwei handliche lederne Diplomatenkoffer zu stopfen. »Dann bleib hier«, gab er zurück, ohne sich umzudrehen. »Ich schicke dir von Bridgetown aus einen Arzt.« »Nein. Am Verrecken bin ich noch nicht, so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Nimm mich mit. Du brauchst mich«, sagte der Neapolitaner. Marangoni drehte sich langsam zu ihm und den vier Mädchen um. Er musterte seinen Leibwächter, verzog angewidert den Mund. Marangoni war leichenblaß im Gesicht, der Schreck steckte ihm noch tief in den Knochen, aber er hatte einen Teil seiner Fassung und Kaltblütigkeit bereits wiedererlangt. Er fühlte sich stocknüchtern. »Du beschmutzt hier den Teppich, D’Itria.« »Capo, so kannst du mit mir nicht reden«, stieß der andere hervor. »Ich kann noch ganz anders«, brüllte Marangoni plötzlich los. »Ihr Dreckskerle habt versagt, und zwar gründlich. Wofür bezahle ich euch eigentlich? Damit ihr meinen Grappa aussauft und euch von den ersten hergelaufenen Hundesöhnen, die mir an den Pelz wollen, hereinlegen laßt?« »Ray und Vance haben das Ganze mit dem Leben bezahlt«, erwiderte der Neapolitaner gepreßt. »Geschieht ihnen recht!« »Capo, ich …« »Sie sind tot, und dich haben sie zum Krüppel geschossen«, fuhr Marangoni ihn an. Der weiße Anzug, den er sich in aller Eile angezogen hatte, ließ ihn mächtig und autoritär erscheinen. Felice D’Itria wollte in der rasenden Wut, die in diesem Augenblick in ihm aufstieg, zu der MAB greifen, die er sich nach seinem Erwachen in die Jackentasche geschoben hatte; 33
aber sein impulsives Verlangen, auf den Sizilianer zu feuern, zerbrach dann doch an den vernunftsmäßigen Erwägungen. Er, D’Itria, hatte noch eine Chance zu leben. Wenn er aber seinen Brötchengeber niederschoß, konnte er sich auf sein Ende gefaßtmachen. Die Marangoni-Familie war mächtig, sie würde ihn überall aufstöbern … »Va bene«, antwortete D’Itria leise in seiner Muttersprache. »Also gut, ich bin ein Krüppel. Aber du bist völlig unversehrt, und das beweist, daß wir drei Leibwächter uns letzten Endes doch nicht wie die Narren benommen haben.« »Wer waren die Kerle, die auf uns gefeuert haben?« fragte Rodolfo, jetzt versöhnlicher gestimmt. »Ich weiß es nicht.« »Einer kam aus dem Wasser, einer hockte im Gebüsch und einer näherte sich von Westen, vom Inneren der Insel. War es so?« »Ich glaube ja.« Marangoni drehte sich wieder zu seinen Lederköfferchen um. Er drückte die Deckel zu, verriegelte die Kombinationsschlösser. »Ich habe nicht alles genau verfolgt, Felice«, sagte er. »Wie kommt es, daß dieser Taucher und der andere Kerl uns nicht ins Haus nachgerannt sind?« »Wir müssen sie so schwer verwundet haben, daß sie es vorgezogen haben, die Flucht zu ergreifen. Als ich die Augen aufschlug, waren sie fort. Ich hörte einen Motor und sah ein weißes Schiff davonrauschen …« »Und der dritte Kerl?« »Liegt bei Collins und Vianello.« Rodolfo verzog wieder den Mund. »Ich verzichte darauf, ihn mir genauer anzusehen. Weißt du was, Felice? Diese Hunde könnten zurückkehren. Ich habe keine Lust, mich mit ihnen herumzuschießen. Wir verlassen die Insel. Also schön, ich 34
nehme dich mit.« Ein Aufleuchten ging über D’Itrias Züge. »Danke, Capo.« »Wir nehmen den Cadillac, und in Bridgetown chartern wir sofort eine kleine Maschine, die uns rüber zum Festland bringt.« Die Mädchen begannen jetzt, auf ihn einzureden. Rodolfo verstand sie nicht; er blickte nur an ihren Gestalten auf und ab, die im Dunkel des Raumes kupferfarben wirkten. »Ihr könnt mit dem zweiten Wagen abhauen«, sagte er zu ihnen. »Mit dem Chevrolet. Chevro-let, verstanden? Himmel, wo ist denn bloß die Blonde? Die kapiert wenigstens, was ich sage. Die Blonde … la bionda …« »Nadia«, erwiderte eines der Mädchen aufgeregt. »Sie ist verschwunden. Wir müssen sie suchen. Wir dürfen sie nicht im Stich lassen.« »Ich verstehe kein Wort«, sagte Rodolof. »Ich auch nicht«, meinte der Neapolitaner. Rodolfo wies auf seinen Leibwächter, blickte dabei die Mädchen an. »Los, hebt ihn auf und helft ihm, in den Cadillac zu kommen. Na los, wird’s bald?« Eines der Mädchen schien begriffen zu haben, aber sie wich einen Schritt zurück und hob in abwehrender Geste die Hände. »Nein, nein«, rief sie auf spanisch. »Ihr wollt fort, aber das ist nicht gerecht von euch. Denkt doch an Nadia!« »Nadia«, wiederholte D’Itria. »Ist das die Blondine?« »Ich glaube«, entgegnete Marangoni. »Aber komm, wir dürfen uns hier nicht länger aufhalten. Laß die Weiber quatschen. Wir fahren nach Bridgetown, lassen dich verarzten und suchen dann unser Flugzeug.« Er trat zu D’Itria, nahm die beiden Köfferchen in eine Hand, half dem Mann mit der anderen Hand auf. D’Itria hängte sich förmlich an seine Schulter. Rodolfo, der alles andere als ein schwächlicher Typ war, hob ihn ein Stück an und trug ihn auf 35
diese Weise bis in die Garage. In der Garage setzte er ihn in den dunkelblauen Cadillac. Rodolfo warf die Lederkoffer auf die Rücksitze, nahm hinter dem Steuer Platz – und richtete plötzlich seinen Revolver auf die Mädchen, die in der Verbindungstür zum Bungalow erschienen waren. »Hübsch dortbleiben«, rief er ihnen zu. »Es nützt euch nichts, ihr könnt uns nicht zurückhalten. Die Schlüssel stecken im Zündschloß des Chevrolets.« »Ich glaube, sie sind wegen der Blondine besorgt«, sagte D’Itria mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Sie ist verschwunden.« Die dunkelhäutigen Mädchen wichen zurück. Rodolfo grinste, steckte den Revolver weg, ließ den Wagenmotor an. Plötzlich wurden seine Züge ernst, hart. »Wir können uns nicht um sie kümmern«, sagte er. »Wir müssen an unsere eigene Gesundheit denken.« Das Garagentor stand offen. Rodolfo ließ den Cadillac durch das breite Rechteck ins Freie rollen, lenkte nach rechts zur Straße, die sie in die kleine Ortschaft Saint Andrew, und von dort aus nach Bridgetown bringen würde. Er blickte nicht zurück. Plötzlich stellte er sich vor, wie es gewesen wäre, wenn die Killer in dem Cadillac eine Bombe angebracht hätten, um ganz sicherzugehen. Eine Höllenmaschine, die zu funktionieren begann, sobald er den Zündschlüssel umdrehte … Das werdet ihr noch bereuen, dachte er, ihr werdet dafür büßen, ich schwöre es euch. *
Franco Solo steuerte den Kajütkreuzer so nah wie möglich an 36
das Ufer heran. Er warf den Anker, fierte das kleine Beiboot ab, und wenig später pullte er mit Nadia an Land. Sie zogen die Gig auf den Strand, liefen zum Bungalow. Franco hielt den Bulldog in der Hand und blickte sich mißtrauisch nach allen Seiten um. Vom Haus schallte ein Schrei herüber. Franco wandte den Kopf und sah die vier braunhäutigen Mädchen, die gestikulierend zu ihnen herübergelaufen kamen. Sie hielten auf Nadia zu, die nun ebenfalls zu rennen begonnen hatte. Sie trafen sich auf der Mitte des Strandes und umarmten sich. Eine fing an zu weinen. Sie redeten stockend und sehr erregt durcheinander, dann lasen sie ihre Kleidung auf, die immer noch im Sand lag. Franco war nach rechts hinübergegangen und blieb vor den drei Männern stehen, die verkrümmt am Rand des Dickichts lagen. Vianello war tot. Auch für die anderen beiden gab es keine Hoffnung mehr, wie er nach kurzer Untersuchung feststellte. Franco nahm dem Froschmann den Helm ab und überzeugte sich davon, daß er wirklich Victor McCoy und nicht Steve Jackman vor sich hatte. Den dritten Toten identifizierte er auf sehr einfache Weise: In seiner Jackettasche fand er eine Identity Card, einen Personalausweis, der auf den Namen Vance Collins lautete. Collins … ein treuer Weggefährte von Ray Vianello. Franco fiel jetzt ein, daß er davon gehört hatte, Marangoni hätte sich als dritten Mann zu diesem Beschützer-Duo vor einiger Zeit einen waschechten Neapolitaner geholt, einen gewissen Felice D’Itria. Der Mann, der von Jackman niedergestreckt worden war, konnte D’Itria sein – aber er war vom Strand verschwunden … Franco ging zu den Mädchen. Nadia empfing ihn sofort mit der Notiz: »Marangoni und dieser Neapolitaner sind mit dem Cadillac weggefahren. Es hat sie einen Dreck gekümmert, was mit uns geschieht.« 37
»Bist du darüber überrascht?« fragte er sie. »Eigentlich ja.« Er nahm sie beim Arm und schritt mit ihr auf den Bungalow zu. Die anderen vier Mädchen folgten ihnen in einigem Abstand. »Ich will dir was verraten, Nadia«, sagte Franco. »Aber du mußt es für dich behalten. Marangoni tritt als Rennfahrer und Playboy auf, aber er hat nie aufgehört, seiner sizilianischen Familie ›kleine Gefälligkeiten‹ zu erweisen.« »Wie meinst du das?« »Ganz einfach. Er gehört zum sogenannten ›Giro‹, zur ›Malavita‹.« »Malavita, das verstehe ich«, gab sie verblüfft zurück. »Du willst allen Ernstes sagen, daß er zur Unterwelt gehört? Daß er ein Gangster ist?« »Keiner kann es ihm nachweisen …« »Ich fange an zu begreifen«, antwortete sie mit bitterer Miene. »Und wer bist du?« »Einer von der Gegenseite.« »Wie, doch nicht etwa von …« »Nein«, sagte er. »Ich vertrete keine Gang oder Familie, ich habe das Recht hinter mir.« »Also bist du ein Polizist.« »Nennen wir’s so.« »Marangoni und der Neapolitaner haben sich aus dem Staub gemacht, weil sie keine Verhöre über sich ergehen lassen wollen, nicht wahr? Andernfalls hätten sie doch einfach nur die Polizei zu rufen brauchen«, sagte sie. »Richtig. Diesen Job übernehmen wir jetzt für sie.« »Du läßt sie nicht aufhalten?« »Mit welcher Handhabe?« fragte Franco. »Hör zu, sie würden sich sehr rasch aus der Affäre ziehen. Es gibt hundert Mittel und 38
Wege für einen Mann wie Rodolfo.« Sie hatten das Haus erreicht, und Franco betrat das Wohnzimmer und sah sich darin um. Er fand nichts, das irgendwie Aufschluß über den Grund des Attentats lieferte; kein für Marangoni verfängliches Material, keine »heiße« Ware, nichts. »Warum wurde dieser Anschlag auf Marangoni verübt?« wollte das blonde Mädchen wissen. »Wenn ich das rauskriegen könnte, wäre ich schon ein ganzes Stück weiter«, erwiderte Franco. »Kannst du mir nicht helfen? Fällt dir nichts ein, worüber er während der Party mit dir und den anderen gesprochen hat?« »Er war ziemlich angetrunken und sprach hin und wieder italienisch«, erklärte sie. »Vor allen Dingen wies er immer wieder darauf hin, daß er Grund zum Feiern habe, weil er Abschied nehme.« »Abschied?« »Vom Junggesellendasein, glaube ich. Er sagte, die Freiheit sei nun vorbei.« Franco setzte sich auf einen Stuhl und blickte sie an. »Damit könnte es tatsächlich zusammenhängen, Nadia. Mit der Frau, die er heiraten will, meine ich. Sie haben diese Hochzeit geheimgehalten, sonst hätten wir davon erfahren. Wann soll sie stattfinden?« »Das hat er nicht gesagt.« »Wo?« »Auch nicht.« »Egal, das kriege ich irgendwie schon heraus«, entgegnete Franco. »Von Bedeutung ist nur eines. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat jemand erheblich etwas dagegen, daß unser Freund Rodolfo sich vermählt. Aus diesem Grund hielt Rodolfo sich hier wohl auch versteckt. Alles sollte heimlich, still und leise 39
über die Bühne gehen, aber dann ist irgendwo etwas durchgesickert.« »Dieser Anschlag war also … Vendetta?« Er schüttelte den Kopf. »Blutrache nicht, die spielt sich ganz anders ab. Du scheinst zu viele Bücher gelesen oder zu viele Filme gesehen zu haben, Nadia.« »Gut möglich«, gab sie mit flüchtigem Lächeln zurück. »Aber was steckt dann dahinter?« »Wahrscheinlich kommerzielle Interessen«, sagte er. »Die Mafia ist die größte internationale Holding, die man sich überhaupt vorstellen kann.« Er stand auf und ging zum Telefon, das er in einer Ecke des Raumes entdeckt hatte. Er hob den Hörer ab, hielt ihn sich ans Ohr. Das Freizeichen ertönte. »Man hat es nicht für nötig gehalten, die Leitung zu kappen. Das ist keine Stümperarbeit, sondern professionelle Kaltschnäuzigkeit. Nadia, bist du mir behilflich, die Telefonnummer der Polizei von Bridgetown aus dem Verzeichnis herauszusuchen? Ich will dafür sorgen, daß die Leichen abtransportiert werden – und daß nach dem flüchtigen Killer Jackman gefahndet wird.« * Der fünfzehnte Stock des Luxushotels »Mondial« in Vicente López, Buenos Aires, war komplett für die Direktion und die Gäste der Direktion reserviert. Von den Fenstern der Nordostseite aus, hinter denen sich die komfortabelste Suite erstreckte, konnte man direkt auf den Stromgiganten Rio de la Plata, auf den Canal de Costanero und den Canal de las Palmas hinabsehen. Giuliano Marangoni hatte die Hände auf die marmorne Fensterbank gelegt und genoß den Ausblick an diesem sonnigen Frühjahrsmorgen. Er verfolgte den Flug eines Schwarmes Möwen, der vom Hafen heraufzog. Beobachtete, wie die Tiere jäh ihre Bahn verließen und wie im Sturz auf die 40
glitzernden Wellen zurückkehrten, auf denen sie sich zuvor gewiegt hatten; verspielt, heiter, nicht unbedingt auf Nahrung aus. Giuliano drehte sich zu seiner Frau um, die vor dem Schminktisch saß und sich auf den ersten Besuch bei Ettore Di Carli vorbereitete. »Cara«, sagte er. »Liebste, ist das nicht herrlich? Gestern abend sind wir eingetroffen, und heute früh fühle ich mich hier bereits wie zu Hause. Dies ist ein Land, das unserer Heimat in vielem ähnelt, es wird uns an nichts mangeln.« Sie begegnete seinem Blick mit hochgezogenen Augenbrauen. »Aber bist du denn davon überzeugt, daß wir nie nach Sizilein zurückkehren?« »Für uns ist es besser, vorläufig nicht dorthin zurückzugehen. Du weißt doch, welchen Trubel es wegen der jüngsten Affären gegeben hat.« »Ja. Aber wie wird es später sein?« »Später – wann?« »Später. Nach der Hochzeit, vielleicht nach dem ersten Kind, das geboren wird«, sagte sie. »Dann fliegen wir als Touristen nach Sizilien«, antwortete er. »Als Touristen?« »Spätestens in einem Jahr haben wir argentinische Pässe, das verspreche ich dir.« »Und wir verlieren die italienische Staatsbürgerschaft?« Er schritt langsam vom Fenster aus auf sie zu. »Das habe ich nicht gesagt, mia cara.« Er war ein mittelgroßer Mann; Rodolfo, sein Sohn, überragte ihn um Kopfeslänge. Zweiundsechzig Lebensjahre hatten ihre Spuren in Giuliano Marangonis Gesicht hinterlassen, seine Augen gerändert und sein straff zurückgekämmtes, immer noch volles Haar gebleicht. Dennoch fühlte er sich in dieser Phase seines Lebens immer noch im 41
Vollbesitz seiner Kräfte und fähig, Neues aufzubauen. »Große Transaktionen« in die Wege zu leiten, wie er es nannte. Er blieb vor ihr stehen und fügte hinzu: »Du mußt nur einsehen, daß es richtig für uns ist, der italienischen Justiz, vorerst den Rücken zu kehren.« »Ich bin über diese Entwicklung nicht sehr glücklich«, erwiderte sie seufzend. »Du weißt, ich liebe Sizilien.« »Du wirst auch Argentinien lieben. Ettores engster Freundeskreis besteht fast ausschließlich aus emigrierten Sizilianern.« »Ich weiß. Trotzdem … es bleibt eine Kolonie.« Er lächelte. »Eine Kolonie, das ist ein guter Ausdruck. Mit unseren Mitteln verdoppeln wir Ettores Macht in diesem Land, bis ein richtiges Imperium steht, das die wirtschaftliche Entwicklung bestimmt und für die richtige Regierung sorgt, die alles in der Hand hat.« Er beugte sich zu ihr herunter, flüsterte nun fast. »Rodolfo wird der künftige Padrone dieses Giganten sein, Daniela, vergiß das nicht. Don Rodolfo – bist du nicht stolz auf ihn?« »Ihr Männer regelt die Geschäfte«, sagte sie. »Darauf können wir Frauen keinen Einfluß gewinnen. Versprich mir nur eines, Giuliano.« »Alles, was in meinen Kräften steht …« »Es darf keine Gewalttätigkeiten geben. Schwöre es mir.« Sie fixierte ihn. »Was in Sizilien geschehen ist, darf sich hier nicht wiederholen.« Er hob den Kopf, blickte auf sie herab. Seine Miene hatte sich verfinstert. »Willst du mir wieder vorwerfen, ich hätte einen Fehler begangen, als ich mich gegen die Leute wehrte, die mich berauben und meine Familie vernichten wollten?« »Nein, ich will das nicht wieder aufwärmen. Ich bitte dich nur 42
um dein Ehrenwort, dich hier mit niemand anzulegen. Ich will mein Leben in Frieden beenden.« »Die Ehre«, entgegnete er. »Sie ist eine ernste Angelegenheit. Sie zu verteidigen, ist die heilige Pflicht eines Patriarcas, eines Familienoberhauptes. Ich werde es immer wieder tun, mit allen Mitteln, und deshalb kann ich dir dieses Versprechen nicht geben.« Seine Züge verhärteten sich noch etwas mehr. »Ich will nicht, daß wir darüber diskutieren. Du hast dich dem zu fügen, was ich bestimme.« Für einen Augenblick sah es so aus, als wollte sie aufbegehren. Dann aber zerbrach ihr innerer Widerstand. Sie wandte sich wieder dem Spiegel des Schminktisches zu und sagte leise: »Ich werde mich daran halten.« Giuliano Marangoni blickte auf die teure Armbanduhr an seinem linken Handgelenk. Es war zehn Uhr dreißig geworden. Um elf Uhr fand die erste wichtige Besprechung mit Ettore Di Carli in dessen Arbeitszimmer im sechzehnten Stockwerk statt. Marangoni wollte seine Frau zur Eile drängen, aber in diesem Moment ertönte der Summer des Fernsprechers. Marangoni ging in das Wohnzimmer der Suite hinüber und nahm den Hörer des Apparates ab. Er meldete sich nicht mit seinem Namen, sondern sagte nur: »Pronto?« »Gespräch für Signor Marangoni«, verkündete der Mann von der Vermittlung in der Rezeption in fließendem Italienisch. »Darf ich durchstellen?« »Wer ist der Anrufer?« »Er hat seinen Namen nicht nennen wollen …« »Geben Sie mir das Gespräch.« Ein schwaches Knacken ertönte aus dem Hörer, dann kam die Stimme, die Marangoni unwillkürlich beruhigt aufatmen ließ: »Padre, ich bin es …« 43
Marangoni verfiel sofort ebenfalls in den sizilianischen Dialekt, dessen sich der Anrufer bediente. »Rodolfo, meine Güte, so eine Überraschung! Weißt du, ich dachte schon, es wäre etwas passiert.« »Seid ihr alle eingetroffen?« »Fast alle. Mamma und ich, Zio Sirio, Zio Francesco und Zia Maria Pia. Wir sind alle hier im fünfzehnten Stock des Hotels. Rufst du von Barbados aus an?« »Nein.« »Wieso nicht?« »Wo stecken Zio Vincenzo und Zia Teresa?« »Sie treffen morgen früh auf dem Aeroporto von Buenos Aires ein, weil sie einen Umweg über Paris und London geflogen sind«, antwortete Giuliano Marangoni. »Du weißt schon, wegen dringender Geschäfte. Aber warum fragst du? Wieso bist du nicht auf Barbados? Von wo aus rufst du an?« »Das kann ich dir nicht sagen«, gab Rodolfo zurück. »Hör zu, Padre, reg dich nicht auf, ja? Es ist eine Riesenschweinerei passiert, die ich dir jetzt berichte. Wir werden anschließend nicht mehr miteinander telefonieren, aber ich stoße so schnell wie möglich zu euch. Ich habe Angst, verfolgt zu werden. Es könnte noch mehr passieren, so, wie ich die Dinge sehe. Paßt deshalb gut auf euch auf – und schützt Zio Vincenzo und Zia Teresa.« Giuliano spürte, wie ihm das Herz bis in den Hals hinauf zu schlagen begann. »Verflucht, was ist los?« schrie er in die Muschel. »So rede doch endlich!« Daniela Marangoni war aufgesprungen, sie stand jetzt unter dem Rahmen der Verbindungstür zwischen Wohn- und Schlafzimmer und beobachtete, wie ihr Mann aschfahl im Gesicht wurde. Sie wußte, was das zu bedeuten hatte. Ihre Hände begannen zu zittern. 44
Giuliano lauschte in den Hörer hinein und unterbrach seinen Sohn nicht ein einzigesmal. Erst am Ende der Schilderung, die Rodolfo ihm von den Vorfällen auf Barbados lieferte, sagte er: »Verfluchte Hunde – das werden sie uns büßen.« »Das habe ich ihnen auch geschworen«, erwiderte Rodolfo. »Addio, Padre.« Er legte auf. Giuliano ließ den Hörer sinken, starrte ihn an. Dann knallte er ihn so hart auf den modernen Tastenfernsprecher zurück, daß der Apparat fast in Stücke zersprang. Er fuhr zu seiner Frau herum. »Donna Daniela, sie haben einen Anschlag auf unseren Sohn verübt. Collins und Vianello sind tot.« »Mein Gott – wer hat das getan?« Sie schrie es fast und preßte die Hände vor dem Mund zusammen. »Frag mich nicht. Rodolfo weiß es selbst nicht. Er ist heil davongekommen und hat noch D’Itria bei sich, dem sie die Beine zerschossen haben«, sagte er. »Offenbar befürchtete er, daß das Gespräch abgehört wurde, wollte kein Risiko eingehen – deshalb hat er mir nicht gesagt, wo sie sich zur Zeit aufhalten. Ich schätze aber, daß sie das südamerikanische Festland schon erreicht haben. Sie werden hierher weiterreisen. Es ist das Beste, was sie unter diesen Umständen tun können.« »Warum?« Ihre Stimme bebte. »Warum wollen sie Rodolfo umbringen? Wer hat ein Interesse daran?« »Ich kann es dir nicht sagen.« »Du mußt es tun …« »Ich weiß es selbst nicht«, fuhr er sie an. Daniela Marangoni taumelte durch das geräumige Wohnzimmer, auf den Korridor, der noch zu der Suite gehörte. Sie öffnete die Tür, die auf den Flur der Etage hinausführte, prallte fast gegen die gegenüberliegende Wand. Sie fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht, blieb stehen, legte den Kopf in den 45
Nacken und stieß einen klagenden Laut aus. »Rodolfo!« schrie sie. »Man will mir meinen einzigen Sohn nehmen. Rodolfo, figlio mió, was hast du denn getan, daß sie auf dich schießen und ein Blutbad anrichten?« *
Die an den Flur grenzenden Türen wurden aufgerissen; verwirrt traten die übrigen Bewohner der Etage heraus. Es waren die Marangonis. Kein anderer hatte zur Zeit die Luxussuiten bezogen, denn Di Carli selbst hatte veranlaßt, daß das fünfzehnte Stockwerk in diesen Tagen ausschließlich den Mitgliedern der befreundeten Familie vorbehalten blieb. Man war unter sich … Sirio, Giulianos Bruder, steckte die Pistole weg, die er gezückt hatte. Danielas Lamento war durch keine konkrete Bedrohung hervorgerufen worden. Außerdem war es praktisch undenkbar, daß ein Unbefugter das gut bewachte Hotel »Mondial« betrat. Sirio schritt besorgt auf die Schwägerin zu. Maria Pia, Giulianos Schwester, lief zu Daniela, hielt ihre Arme fest, redete beschwichtigend auf sie ein. Francesco, Maria Pias Mann, blickte ratlos zu Giuliano, der jetzt auch auf dem Flur erschien. »Was ist geschehen?« fragte er ihn. »Die größte Sauerei, die du dir vorstellen kannst«, antwortete Giuliano Marangoni grob. Er trat zu seiner Frau, schob Maria Pia beiseite, nahm Daniela beim Arm und sagte: »Donna Daniela, gehen wir zu Ettore. Beruhige dich jetzt.« Er zog sie mit sich fort, steuerte auf den Lift zu. »Wir werden das bereinigen. Ich schwöre dir, wir bringen diese Sache in Ordnung und sorgen dafür, daß Rodolfo nicht mehr angegriffen wird.« Die letzten Worte brüllte er fast. 46
Daniela hing an seinem Arm, drohte zusammenzubrechen. Sie schluchzte, die Tränen rannen ihr über die Wangen und verunstalteten ihr Make up. Maria Pia eilte dem Ehepaar nach und stützte ihre Schwägerin. »Nein«, rief Daniela. »Nicht noch mehr Blut! Giuliano, du darfst es nicht tun, es ist unser aller Ende …« »Ich werde dir beweisen, wer hier der Stärkere ist«, gab er zornig zurück. Er blieb stehen, drückte auf den Knopf, und die Tür des Fahrstuhls öffnete sich lautlos. Er trat als erster hinein, dann folgten ihm die anderen, auch Sirio und Francesco. Sirio betätigte den Knopf mit der Aufschrift »16«, und der Fahrkorb schloß sich, trug sie nach oben. Daniela Marangoni hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und weinte. Entschlossen riß Giuliano seine Frau wieder an sich, als die Lifttür aufglitt. Er marschierte der kleinen Delegation voran, erreichte Ettore Di Carlis Sekretärin in einem großen, erlesen ausgestatteten Büroraum, der vor dem Arbeitszimmer des Gastgebers lag. Giuliano ignorierte sie, trat vor die Tür zum Allerheiligsten und klopfte. Von innen antwortete ihm eine dunkle Männerstimme. Giuliano öffnete die Tür, schleppte Daniela mit sich, und ging über gut zehn Yards Teppichboden auf den ausladenden Schreibtisch zu, hinter dem Di Carli sich jetzt erhob. »Giuliano«, sagte er. »Ich habe dich etwas später erwartet, aber das ist egal … Dio mió, was ist denn mit deiner Frau los?« Giuliano führte seine Frau zu einem Sessel. Sie ließ sich hineinsinken und verbarg ihr tränennasses Gesicht hinter den Händen. »Sag es ihm«, herrschte Marangoni sie an. »Na los, sag ihm, was sie uns antun. Worauf wartest du?« 47
Sie saß plötzlich stocksteif da, nahm die Hände herunter und begann mit brüchiger Stimme zu sprechen. Di Carli, ein wuchtig gebauter Mann mit breitem Gesicht und etwas gerötetem Teint, setzte sich auf einen Ledersessel. Er atmete schwer, streckte die Beine von sich. Als die Frau mit ihrem kurzen Bericht am Ende war, drückte Di Carli einen Knopf seiner Rufanlage. Die Sekretärin trat ein. Er blickte sie an und sagte: »Sie können für heute gehen, Patrizia. Schicken Sie Proietti zu mir herauf. Er soll sich auf Ihren Platz setzen und sich von dort nicht wegrühren, verstanden? Ich will von niemand gestört werden.« »Si, Signore.« Sie ging und schloß die Tür, und Di Carli forderte seine Gäste durch eine Handbewegung auf, sich ebenfalls zu setzen. »Diese gemeinen Hunde«, sagte er dann. »Auf diese Tour versuchen sie es also, uns Knüppel zwischen die Beine zu werfen.« »Von wem sprichst du?« fragte Giuliano Marangoni. »Kennst du Marco Della Rovere, meinen besten Feind und Rivalen in dieser Stadt?« »Du hast mir von ihm erzählt, als wir uns das letztemal gesehen haben.« »Nur er kann für diesen heimtückischen Überfall verantwortlich sein.« »Wie konnte er das herauskriegen?« begehrte Giuliano auf. »Wir haben vorsorglich alles geheimgehalten. Rodolfo hält sich seit seinem letzten Rennen in Indianapolis in der Karibik versteckt, um ja nicht zu früh hier auf der Bildfläche zu erscheinen und irgendwelchen Verdacht auszulösen. Wer außer uns hatte überhaupt eine Ahnung davon, daß Rodolfo auf Barbados war?« »Irgendwer hat es Della Rovere gesteckt«, murmelte Di Carli. 48
»Wer, das kriegen wir noch heraus. Es muß was über die geplante Hochzeit bekanntgeworden sein, und das war für diesen Dreckskerl gleichsam ein Alarmzeichen. Wir beide, Giuliano, können ihn und seinen ganzen Clan kaputtmachen, wenn wir unser Bündnis durch die Vermählung von Rodolfo und meiner Tochter Ombretta erst gefestigt haben. Della Rovere ahnt, was wir vorhaben. Er hat Killer gekauft und beauftragt, Rodolfo aus dem Weg zu räumen. Die Schweine sind gescheitert, aber wir alle schweben jetzt in Gefahr. Wir alle.« Daniela blickte Ettore Di Carli an. »Della Rovere … warum habe ich nicht eher davon erfahren, daß es einen Feind gibt?« »Ich erfahre es auch erst jetzt«, sagte ihr Mann. »Sei still.« »Della Rovere hätte es gern gesehen, wenn ich Ombretta seinem Sohn Glauco überlassen hätte – einem bornierten Wichtigtuer. Aber Ombretta will von dem Kerl nichts wissen. Ich wollte die Della Roveres nach Erledigung aller Formalitäten vor vollendete Tatsachen stellen – aber das haben sie mir jetzt vereitelt.« »Du bist ganz sicher, daß sie die Schuld an dem Attentat auf Barbados haben?« erkundigte sich Giuliano. »Ganz sicher.« »Worauf warten wir dann noch? Schlagen wir zurück.« Di Carli grinste verkniffen und griff zum Telefonhörer. »Was willst du tun? Ihn vor die Pistole locken? Damit machst du dich nur strafbar …« »Das ist mir egal«, gab Marangoni aufgebracht zurück. Di Carli ließ sich ein Amt geben, dann tippte er eine Nummer ein. »Keiner kann dem Hurensohn was nachweisen«, sagte er. »Aber ich werde uns die Gelegenheit geben, ihm persönlich ein paar Ohrfeigen zu verpassen. Wir werden ihm unsere massive Drohung auseinandersetzen, und er wird sich scheuen, noch mehr gegen uns zu unternehmen, weil er begreifen wird, welche 49
Konsequenzen zu ziehen wir imstande sind.« »Was hast du vor?« fragte Marangoni. Di Carli grinste immer noch freudlos. »Ich lade den Hund zum Mittagessen ein.« Das Rufzeichen in der Leitung wurde unterbrochen, jemand hatte am anderen Ende abgehoben. Di Carli nannte seinen Vornamen, dann sagte er: »Casa Della Rovere? Ich will Marco sprechen, und zwar sofort. Nein, er kann sich nicht verleugnen lassen. Ich weiß, daß er zu Hause ist. Ich rücke ihm persönlich auf den Leib, wenn Sie nicht sofort durchstellen, verdammt noch mal.« Di Carli schaltete einen Lautsprecher ein, über den man mithören konnte, was der Teilnehmer sagte. Der Mann, der Ettore in der Privatvilla Della Roveres geantwortet hatte, erwiderte in diesem Moment hastig: »Warten Sie, ich versuche es.« Ein Knacken war in der Leitung, dann ein Rauschen, dann meldete sich ein anderer Mann. »Ich wüßte nicht, worüber wir uns unterhalten sollen, Ettore.« »Ich würde dich gern zum Mittagessen sehen, Marco.« »Unmöglich, da habe ich schon einen Termin.« »Dann sehen wir uns zum Abendessen«, sagte Di Carli. »Warum bist du so erpicht darauf, mit mir zu reden?« »Das kann ich dir am Telefon nicht verraten.« »Ist es etwas Geschäftliches?« »Ja.« »Tut mir leid«, erwiderte Marco Della Rovere. »Das geht auch nicht. Für zwanzig Uhr steht bei mir ein Arbeitsessen auf dem Zeitplan.« »Bestimm du den Tag«, sagte Di Carli mühsam beherrscht. »Weißt du, es gibt da ein paar brauchbare Vorschläge, die ich 50
dir gern unterbreiten würde. Ich finde, es wird langsam Zeit, daß wir unseren kalten Krieg abbrechen.« »Die ganze Woche über bin ich nicht mehr frei«, erklärte der andere in aller Seelenruhe. »Und in der kommenden Woche sieht es auch nicht viel besser aus, mein lieber Ettore. Ich schätze, innerhalb der nächsten zwei Monate kann ich nicht eine einzige meiner kostbaren Minuten für dich erübrigen. Aber wie wäre es, wenn wir uns für die Sommerferien verabreden würden?« Das war zuviel für Di Carlis Temperament. Er fuhr von seinem Ledersessel hoch und schrie in den Hörer: »Du Scheißkerl glaubst wohl, du kannst dich auch noch über mich lustig machen und mich auf den Arm nehmen, was? Aber da hast du dich getäuscht. Und für das, was du angerichtet hast, wirst du noch teuer bezahlen, so wahr ich hier stehe. Nimm dich in acht. Du wirst es noch bereuen, so was angezettelt zu haben.« Di Carli atmete schwer. Auf der anderen Seite der Leitung war für einen Augenblick Schweigen, dann entgegnete Della Rovere: »Was zum Teufel soll ich denn angestellt haben?« »Das brauche ich dir wohl nicht zu erklären«, schrie Di Carli. »Spiel bloß nicht den Unwissenden, das zieht bei mir nicht!« »Bist du mit dem Schreien fertig?« fragte Della Rovere. »Bald hörst du dich selbst schreien …« »Ettore«, sagte Della Rovere langsam. »Ich habe wirklich keine Ahnung, warum du so wilde Drohungen gegen mich ausstößt. Ich bitte dich, sprich Klartext. Willst du mir konkret auseinandersetzen, worum es geht? Ist eines deiner Hotels eingestürzt oder was ist los?« Di Carli schnaufte erbost und erwiderte: »Ich sage nur ein Stichwort. Rodolfo Marangoni.« »Ach, ist das nicht einer deiner Busenfreunde?« 51
»Alle Marangonis sind meine Freunde.« »Ja«, antwortete Della Rovere gedehnt. »Aber ich habe gehört, daß ihnen der Boden in Sizilien allmählich zu heiß unter den Füßen wird. Ist es nicht so? Die Magistratura bereitet einen Prozeß wegen Rauschgifthandels vor, und es nützt dem guten alten Giuliano wohl nichts mehr, daß er lauthals seine Unschuld beteuert.« »Brich das Gespräch ab«, sagte Marangoni zu seinem Freund Ettore Di Carli. »Ich halte die Lügen, die dieser dreckige Hund von sich gibt, nicht aus.« »Du wolltest Rodolfo umlegen lassen«, schrie Di Carli in das Mikrofon seines Telefons. Della Rovere schien wirklich verblüfft zu sein. »Was sagst du da?« »Soll ich es wiederholen?« »Nein, nicht nötig.« »Der Versuch ist fehlgeschlagen«, sagte Di Carli. »Und ich schwöre dir, ihr kriegt den Jungen nicht mehr zu fassen, Mann.« »Hör mir mal gut zu«, erwiderte der andere, und seine Stimme hatte sich merklich gewandelt. Sie klang eindringlich, ernst, nicht mehr hämisch wie vorher. »Wir können uns gegenseitig nicht leiden, das streitet keiner ab. Aber zu solchen Mitteln würde ich nie greifen, Ettore, um dich zu treffen und zu verletzen. Du bist verrückt, mir das anhängen zu wollen. Ich habe ja nicht mal die leiseste Ahnung, wo Rodolfo Marangoni sich aufhält. Und außerdem – was würde ich damit gewinnen, wenn ich auf deine Freunde schießen lassen würde?« »Weißt du es wirklich nicht?« »Nein.« »Es könnte als Warnung aufzufassen sein. Als Nächster ist ein Di Carli an der Reihe. So ungefähr könnte die Botschaft klingen, 52
die du dadurch an uns richtest.« Della Rovere lachte plötzlich auf. »Abgesehen davon, daß du mir überhaupt nichts nachweisen kannst, Ettore – ich müßte ja wirklich total durchgedreht sein, wenn ich solche … solche Chicago-Manieren anwenden würde. Ich bin Geschäftsmann, kein Gangster. Na schön, unsereins geht manchmal ziemlich skrupellos vor, aber so was … so was ist nicht drin. Ich bin bereit, dir darauf mein Ehrenwort zu geben.« »Darauf lege ich keinen Wert«, gab Ettore zurück. »Wie er lügt«, flüsterte Giuliano. »Wie er uns Honig um den Bart schmiert. Bring mich mit ihm zusammen, ich will unter vier Augen mit ihm reden, dann sehen wir ja, wie groß sein Schneid wirklich ist.« »Marco«, sagte Di Carli. »Ich strecke jetzt meine Fühler aus, und wenn ich auch nur einen winzigen Beweis für das finde, was ich eben gesagt habe, geht es dir dreckig. Saudreckig, hörst du?« »Ich höre. Aber ich bin ganz ruhig. Mein Gewissen ist nämlich rein, caro amico mió. Du wirst dich noch in Grund und Boden schämen, mir das in die Schuhe geschoben zu haben. Ich könnte dich wegen Verleumdung anzeigen, aber darauf lege ich nun wieder keinen Wert. Und noch was. Ich denke, wir werden weder dieses noch nächstes Jahr noch bis zu unserem beiderseitigen Tod irgendwann miteinander essen. Darauf pfeife ich.« Die Verbindung war plötzlich unterbrochen. Er hatte den Hörer aufgelegt. Ettore Di Carli blickte den Telefonhörer an, ließ ihn dann langsam sinken. »Don Ettore«, sagte Daniela Marangoni verhalten. »Sie sind doch immer noch davon überzeugt, daß der Mann der Schuldige ist, nicht wahr?« »Jetzt nicht mehr …« 53
»Ettore«, zischte Giuliano. »Läßt du dich von ihm beeinflussen? Gehst du ihm auf den Leim?« »Nein. Ich kenne Della Rovere nur besser als du. Was er gesagt hat, hat aufrichtig geklungen. Ich kann nicht gegen ihn vorgehen, wenn ich nicht fest davon überzeugt bin, daß er hinter allem steckt.« »Warten wir doch auf Rodolfo«, schlug Sirio Marangoni vor. »Wahrscheinlich kann er uns die Killer beschreiben und noch weitere Einzelheiten sagen, aufgrund derer wir herauskriegen, wer der Auftraggeber ist.« Giuliano winkte ab. »Das dauert viel zu lange. Vielleicht trifft Rodolfo erst übermorgen ein. Was kann bis dahin alles geschehen …« »Du befürchtest weitere Anschläge?« fragte Maria Pia entsetzt ihren Bruder. »Verdammt, ja.« Daniela Marangoni hatte die Hände auf dem Schoß gefaltet, sie war um Fassung bemüht. »Nehmen wir einmal an, es ginge bei diesem Mordunternehmen … bei diesem Komplott tatsächlich darum, die Heirat zu verhindern«, sagte sie. »Dann ist meiner Ansicht nach jetzt, nachdem Rodolfo praktisch untergetaucht ist, die Braut, am meisten gefährdet. Sollte es nicht unsere wichtigste Aufgabe sein, sie zu schützen?« »Ja«, antwortete DiCarli. »Und es freut mich aufrichtig, daß Sie so rührend um Ihre zukünftige Schwiegertochter besorgt sind, Donna Daniela.« »Wo hält das Mädchen sich zur Zeit auf?« erkundigte sich Francesco, der zum erstenmal, seit sie das elegante Büro betreten hatten, den Mund auftat. »In meiner privaten Villa im Stadtteil Lomas de Zamora«, gab Di Carli zurück, während er den hageren, sehr zurückhaltenden Mann interessiert musterte. »Ich könnte den Bewachern des 54
Hauses Verstärkung schicken oder Ombretta, meine Frau Angela und unsere jüngste Tochter Cinzia hierher übersiedeln lassen – aber beides gefällt mir als vorübergehende Lösung nicht. Es gäbe immer noch einige Möglichkeiten, Donna Angela und die Mädchen zu überfallen. Die Stadt hat Tausende von Augen und Ohren. Überall können Beschatter oder Lauscher versteckt sein. Nein, wir müssen radikaler vorgehen.« »Wie?« fragte Giuliano. Di Carli drückte den Knopf seiner Rufanlage, der im Vorzimmer der Sekretärin einen Summer ertönen ließ. Auf dieses Zeichen hin trat Proietti ein, der Mann, der Patrizia, die Sekretärin, abgelöst hatte. Proietti war ein Sechs-Fuß-Mann mit durchtrainiertem, muskulösem Körper. Er war der »Chef der Sicherheitsbrigade«, wie Di Carli seine private Schutztruppe gern zu bezeichnen pflegte. Bei der US-Mafia hätte man Proietti als den »House Captain«, tituliert, den Boß der Leibwache. »Proietti, wieviel Mann hast du hier im Haus zur Zeit zur Verfügung?« wollte der Capo von ihm wissen. »Acht, Don Ettore«, antwortete Proietti. »Gut. Drei von ihnen nimmst du mit zu mir nach Hause. Die anderen bleiben hier und sichern das Hotel. Ich vertraue dir das Leben meiner Frau und meiner Töchter an.« »Sie können sich auf mich verlassen«, versicherte Proietti, ohne eine Miene zu verziehen. *
Das Grundstück des Hauses in Lomas de Zamora war fast einen Hektar groß; eine Parkanlage, durch die eine gewundene Straße bis zu der zweistöckigen Villa führte. Ombretta Di Carli saß an 55
diesem sonnigen Morgen auf einer Bank im Schatten der Schirmpinien, die die beiden Tennisplätze umsäumten und schaute ihrer fünfzehnjährigen Schwester zu, die auf dem weiter westlich liegenden Platz von einem privaten Lehrer Unterricht erhielt. Cinzia hielt den Schläger wie einen Fremdkörper, benahm sich linkisch und verlangte dem Lehrer eine Menge Geduld ab. Zwei Leibwächter hatten an zwei sich gegenüberliegenden Ecken des Platzes Aufstellung bezogen. Sie hielten die Arme vor der Brust verschränkt und beobachteten jede Phase der anstrengenden Lektion, ließen auch Ombretta nie aus den Augen. Cinzia gab auf, ehe die Stunde vorüber war. Sie trat einfach ans Netz, winkte dem Lehrer zu und rief: »Danke, mir reicht’s für heute. Ich kann nicht mehr. Sie können gehen.« »Fein, mir reicht es nämlich auch«, gab er trocken zurück. Sie verließen den Platz, und Cinzia ging zu ihrer Schwester. »Na, war ich nicht großartig?« fragte sie. »Umwerfend«, gab Ombretta zurück. »Habe ich das Zeug zur großen Sportlerin?« »Ich an deiner Stelle würde zwei Stunden pro Tag Unterricht nehmen, bei deinem Talent …« Sie lachten beide. Ombretta erhob sich von der Bank, und sie spazierten auf der asphaltierten Straße zum Haus, während der Tennislehrer mit seinem Wagen davonfuhr. »Noch fünf Tage bis zum Hochzeitstermin«, sagte Cinzia. »Bist du gar nicht aufgeregt?« »Keine Spur.« »Ist das Brautkleid schon geliefert worden?« »Es wird morgen gebracht«, sagte Ombretta. »Aber unser Vater hat veranlaßt, daß es über eine Scheinadresse hierher geschickt wird, denn keiner soll wissen, daß ich die Braut bin.« 56
»Aber warum diese ganze Geheimhaltung?« »Aus Sicherheitsgründen.« »Wegen der vielen Entführungen, die neuerdings passieren, wegen der Neider, die du haben könntest?« erkundigte sich die aufgeweckte Fünfzehnjährige. »Aber bei allen Sorgen, die sich unsere Eltern machen … ich finde diese Geheimniskrämerei nun doch ein bißchen übertrieben. Keine kirchlichen Ankündigungen, keine Anzeigen, keine Karten, die wir an die Verwandtschaft und an alle Freunde senden können! Nichts von dem üblichen herrlichen Rummel, an dem man sich bei so einem Anlaß erfreut. Keine Geschenke, die schon jetzt ins Haus geschickt werden …« »Tut mir leid, dich so enttäuschen zu müssen, Cinzia.« »Hör doch auf. Die Leidtragende bist du.« »Cinzia.« Ombretta war stehengeblieben. »Mir geht es nicht um den Rummel und um die Zeremonie, sondern um das, was wirklich in unseren Herzen ist.« »Und was ist darin?« »Echte Liebe …« »Herrlich. Du würdest auch mit Rodolfo auskneifen und dich irgendwo gegen den Willen unserer Eltern mit ihm vermählen, wenn’s nötig wäre, nicht wahr?« »Ja.« »Ist es wahr, daß die Marangonis schon in der Stadt sind?« »Ja, das stimmt.« »Und Rodolfo?« »Er kommt erst später«, erklärte Ombretta. »Zwei Tage vor der Hochzeit soll er in Buenos Aires eintreffen, aber auch in den darauffolgenden achtundvierzig Stunden werden wir uns nicht sehen – erst in der Kirche.« »Keusch bis zur letzten Konsequenz«, sagte Cinzia respektlos. 57
»Himmel, diese altmodischen sizilianischen Bräuche. Kann man die nicht abschaffen? Ich wette, ihr hängt nach der ersten gemeinsamen Nacht auch noch das Bettlaken aus dem Fenster, wenn Vater es verlangt.« »Cinzia, ich bitte dich …« »Ich frage mich, ob das Laken mit Tomatensaft künstlich gefärbt werden müßte«, sagte Cinzia. Sie kicherte. »Jetzt hör aber auf«, rief Ombretta. Sie holte mit der rechten Hand aus, aber Cinzia wich rechtzeitig aus und fing an zu laufen. Ombretta rannte ihr lachend nach, und sie trafen ziemlich außer Atem auf der Terrasse der Villa ein. Angela Di Carli verließ soeben das Haus und steuerte auf sie zu. Sie machte einen aufgelösten, entnervten Eindruck, das merkten die Mädchen sofort. »Mamma, was ist denn mit dir los?« fragte Cinzia. »Ist was nicht in Ordnung?« »Vater hat eben angerufen«, entgegnete sie. Sie wollte weitersprechen, unterbrach sich aber, denn ein schwerer Wagen rollte in diesem Augenblick über die asphaltierte Straße auf die Villa zu. Er stoppte unweit der Terrasse, und drei Männer stiegen aus, während der Fahrer hinter dem Steuer sitzenblieb. Ombretta hatte sich umgewandt; sie erkannte den Boß der Hausbrigade. »Proietti persönlich«, murmelte sie. »Himmel, wenn der schon hier auftaucht, muß etwas im Busch sein. Mamma, was hat das zu bedeuten?« Ein zweiter Wagenmotor brummte auf. Eines der Fahrzeuge aus der geräumigen Garage des Hauses kam um die Gebäudeecke gerollt und bremste hinter dem Wagen der Leibwächter. Ein neuer Alfa Romeo 2500, der von dem Privatchauffeur der Di Carlis gelenkt wurde. »Es gibt eine kleine Programmänderung«, sagte Ombrettas 58
und Cinzias Mutter hastig. »Ich habe die Koffer bereits packen lassen, habe alles Wesentliche in die Wege geleitet. Wir verlassen die Villa für ein paar Tage. Kommt, ich erzähle euch unterwegs, warum das sein muß und wohin wir fahren.« *
Franco Solo wartete im Transitraum des Flughafens von Port of Spain, Trinidad, auf die Stimme aus dem Lautsprecher, die den Flug nach Rio de Janeiro ausrufen würde. Der Mafiajäger hatte bis nach Buenos Aires gebucht, aber plötzlich fragte er sich, ob er auf der richtigen Spur war. Die Polizei von Saint Vincent hatte das dunkelbraune Boot der Killer an diesem Morgen an der Ostküste ihrer Insel gefunden. Von Steve Jackman fehlte jedoch jede Spur. Er hatte es verstanden, sich rechtzeitig genug von der Insel abzusetzen. Wohin? Das ließ sich nicht feststellen. Man konnte unmöglich all die Leute aushorchen, die ein Flugzeug oder eine Jacht besaßen und gegen gute Bezahlung bereit waren, einen oder mehrere Männer zu befördern – auf eine andere Insel hinüber, nach Nord-, Mittel- oder Südamerika. Jackmans Fährte verlief somit im Sand. Er würde sich wahrscheinlich irgendwo verkriechen, seine Wunden behandeln lassen und im übrigen darauf achten, daß ihn keiner für sein Versagen zur Rechenschaft ziehen konnte. Rodolfo und D’Itria? Nun, auch sie waren spurlos verschwunden, und zwar mit einer zweistrahligen Privatmaschine von Bridgetown aus, deren Kurs sich nicht ermitteln ließ. Franco und die Polizisten von Barbados hatten mit einem Arzt gesprochen, der D’Itrias Beinverletzungen desinfiziert und verbunden hatte, ohne viele Fragen zu stellen. Der Mann hatte zu Protokoll geben können, daß D’Itrias 59
Wunden schlimmer ausgesehen hatten, als sie in Wirklichkeit waren. Kein Knochen war verletzt worden. Nur zwei Projektile hatte er aus dem Fleisch holen müssen. D’Itria würde seine Beine behalten, wenn er sich schonte und pflegte. Mehr hatte der Arzt nicht berichten können – außer, daß er zweihundert Dollar für seine Erste Hilfe erhalten hatte. Nach Jackman wurde erfolglos gefahndet, nach Marangoni und seinem Leibwächter gesucht, ebenfalls ergebnislos, während die Leichen von Collins, Vianello und McCoy im Gerichtsmedizinischen Institut von Bridgetown untergebracht waren und darauf warteten, daß Licht in die Angelegenheit kam. Franco hatte von Bridgetown aus mit Colonel Warner telefoniert, dann hatte er sich von Nadia und den vier farbigen Mädchen verabschiedet und war nach Port of Spain geflogen. Laut Auskunft von Colonel Warner, Francos Vorgesetztem, ergab das Ergebnis einer ersten flüchtigen Analyse der Situation folgende Fakten: Es gab eine Menge Mädchen, die Rodolfo Marangoni gern geheiratet hätten, die meisten natürlich seines Geldes wegen. Umgekehrt schien Marangoni sich geschworen zu haben, keines seiner Liebesabenteuer zu einer festen Bindung werden zu lassen. Er hatte, bevor er nach Barbados geflogen war, in Indianapolis ein Verhältnis mit der Frau eines Formel-IRennfahrers aus Kanada gehabt, aber auch da waren beiderseits keine ernsten Absichten im Spiel. Im übrigen schien der Ehemann nichts von dem Seitensprung zu wissen, so daß er als Rächer ausschied. Von Bedeutung schien inzwischen etwas ganz anderes zu sein. Rodolfos Familie hatte Sizilien verlassen, weil die Oberste Justizbehörde von Palermo im Begriff gewesen war, Haftbefehle für Giuliano Marangoni, Rodolfos Vater, für Sirio Marangoni, den Onkel des Playboys, und für Francesco Bindi, den Schwager Giulianos, auszustellen. Die Anklage lautete: »Rauschgifthandel 60
im großen Stil« seit Jahren vom Marangoni-Clan betrieben. Wobei ihre Stützpunkte auf Sizilien ein wichtiges Relais im Transitverkehr vom Nahen Osten nach Frankreich darstellten. Eine Art »Italian Connection«, über die Unmengen von Rohopium und Morphiumbasis weiterverschoben worden sein sollten. Giuliano Marangoni, der Capo der Familie, hatte die Beschuldigungen, die schon vor diesem Schritt der »Magistratura« laut geworden waren, immer wieder zurückgewiesen. Er hatte keine Gelegenheit versäumt, seine Unschuld und Ehrenhaftigkeit zu beteuern. Schließlich hatte er sogar behauptet, Gewerkschaftler und Mitglieder der Linksparteien wollten ihm das Rückgrat brechen und dafür sorgen, daß auf diese Weise sein Großgrundbesitz enteignet wurde … Es hatte ihm alles nichts genützt. Die Justiz hatte Fakten gesammelt, die nun endlich ausreichend zu sein schienen, um den Marangonis den Prozeß zu machen. Giuliano hatte jedoch rechtzeitig genug erfahren, daß man ihn und seine Verwandtschaft verhaften wollte. Daraufhin hatte er das Gut bei Caltanissetta über Nacht verlassen und der Insel schmollend den Rücken gekehrt. Mit ihm waren seine Frau Daniela, sein Bruder Sirio, seine Schwester Maria Pia und deren Mann Francesco Bindi getürmt. Ein Vetter Giuliano Marangonis, Vincenzo La Quercia, hätte mittlerweile ebenfalls festgenommen werden sollen, aber auch dieser hatte sich mit seiner Frau Teresa abgesetzt. Offenbar nach Paris, von wo aus sie sich auf den Weiterflug nach London begeben hatten. Auf dem »Podere«, dem Gut bei Caltanissetta, waren nur ein Verwalter und das übrige Personal zurückgeblieben, denen man rechtlich nichts anhaben konnte. Colonel Warner hatte weiter in Erfahrung gebracht, daß Giuliano, Sirio, Francesco, Daniela und Maria Pia bis nach Buenos Aires geflüchtet waren. Sie hatten sich so unauffällig 61
wie möglich benommen, hatten sich außer auf dem Flughafen nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt. Dennoch hatten die argentinischen Verbindungsleute von COUNTER SYNDICATED CRIME SERVICE ermittelt, daß alle Marangonis im Hotel »Mondial« im Stadtteil Vicente López abgestiegen waren und dort dem Vernehmen nach das fünfzehnte Stockwerk bewohnten, das für die Ehrengäste der Direktion reserviert war. Den Rest konnte Franco sich nun auch allein zusammenreimen. Er hatte lange Studien über die südamerikanischen Ableger des internationalen Mobs betrieben und kannte die Namen und Lebensgeschichten der bedeutendsten Familien aus dem Gedächtnis. Außerdem war es nicht das erstemal, daß er auf dem Boden Lateinamerikas operierte … Das »Mondial« gehörte Ettore Di Carli, einem Sizilianer, der außer diesem Luxushotel noch das »Excelsior«, das »Principe«, das »Royal«, das »Enden« und rund zwanzig weitere Edelherbergen in Buenos Aires sein eigen nannte. Hinter dieser noblen Fassade des Hotelketten-Besitzers betrieb Di Carli seine dunklen Geschäfte, die von Kidnapping, Rauschgifthandel und Bankraub bis zur Prostitution reichten. Ettore Di Carli war der wichtigste Capo von Buenos Aires. Er war zehn Jahre alt gewesen, als seine Eltern von Sizilien nach Argentinien emigriert waren. Er hatte sich vom unterernährten, schmutzigen Auswandererkind zu dem hochgearbeitet, was er heute war: Einer der größten Gangster der südamerikanischen Szene. Vor zehn Jahren war er der »Capo di tutti i capi« gewesen und hatte die Commissione, den Großen Rat der Mafia von Buenos Aires, geleitet. Heute existierte die Commissione nicht mehr. Die Familien hatten sich zerstritten. Die meisten waren nach und nach aus dem »Geschäft« ausgestiegen oder hatten ihren Aktionsradius anderswohin verlegt, während Di Carli seine Macht mehr und mehr festigen konnte. 62
Geblieben waren die Della Roveres, Eigentümer von Restaurants, Bars und Nachtklubs in der Metropole am Rio de la Plata. Marco Della Rovere galt als Di Carlis schärfster Konkurrent. Sie hatten sich nie offenbekriegt, sondern schienen sich gerade in der letzten Zeit auf eine Art Koexistenz geeinigt zu haben. Vor etwa zwei Jahren hatte Marco versucht, eine neue Einigung mit Ettore Di Carli herbeizuführen. Glauco, Marcos Sohn, hatte sich mit Ombretta, Ettores ältester Tochter, verloben sollen – aber das Arrangement war geplatzt, ehe es richtig organisiert werden konnte. Kuppelei war in den Reihen der Ehrenwerten Gesellschaft nichts Außergewöhnliches. Aber Ettore Di Carli schien in diesem Fall doch dem Urteil seiner Tochter gefolgt zu sein. Ombretta konnte Glauco, einen eitlen Aufschneider, nicht leiden … Nun waren die Marangonis ganz unverhofft in Buenos Aires eingetroffen. Und noch etwas: Rodolfo hatte Ombretta vor etwa anderthalb Jahren bei einem Maskenball in Palermo kennengelernt, als die Di Carlis zu Besuch bei den Marangonis gewesen waren … Was ließ sich daraus schließen? Eine Möglichkeit lautete folgendermaßen: Ettore Di Carli und Giuliano Marangoni hatten einen Pakt geschlossen. Sie wollten Rodolfo und Ombretta miteinander verheiraten. Durch diese Hochzeit wurde gleichzeitig ein neues Imperim gefestigt, das die Familien gemeinsam in Argentinien ausbauten – eine Gesellschaft, die mit Marangonis Kapitaleinlage so mächtig werden mußte, daß alle Konkurrenten automatisch aus dem Geschäft geboxt wurden. Ergo: Della Rovere war zum Untergang verurteilt. Don Ettore und Don Giuliano würden es gemeinsam nicht nur schaffen, Marcos Lokale aufzukaufen, sie würden es auch fertigbringen, ihn aus dem »Giro« auszubooten. Ettore und Giuliano waren gute alte Freunde. Sie arbeiteten 63
seit Jahren zusammen. Ein großer Teil der Morphiumbasis, die in Südfrankreich zu Heroin verarbeitet wurde, floß nach Buenos Aires … Mit Giuliano Marangoni würde Ettore Di Carli auch weiterhin in bestem Einvernehmen agieren können – mit Marco Della Rovere nicht. Deshalb nahm Di Carli einen Mann ins Geschäft, der für die argentinische Szene praktisch ein Außenseiter war. Für Giuliano und seine Angehörigen war dies der Start in ein neues Leben, besiegelt durch eine Hochzeit, die Rodolfo zum Nachfolger der beiden Dons machte. Die italienische Justiz konnte den Marangonis in Argentinien nichts anhaben. Außerdem genossen sie die Protektion Di Carlis, was kleinere Handikaps betraf – es konnte keinen besseren Plan für die Zukunft geben. Aber die Della Roveres wollten sich ihren Platz in der Unterwelt nicht streitig machen lassen. Irgendwie hatten sie in Erfahrung gebracht, daß Rodolfo Ombretta heiraten wollte. Und sie hatten auch herausgefunden, wo Rodolfo sich verborgen hielt, seitdem er Indianapolis verlassen hatte: auf Barbados. Durch V-Männer in Nordamerika ein Killer-Duo dingen zu lassen, war eine Kleinigkeit gewesen. US-Gangster – sie arbeiteten mit größter Präzision, aber sollte etwas schiefgehen, so würde niemand auch nur vermuten, daß Della Rovere sie geschickt hatte. Wirklich nicht? Rodolfos Tod würde die Fusion der Familien Marangoni und Di Carli zumindest hinauszögern. Mußten sich Don Ettore und Don Giuliano nicht jetzt, da Rodolfo sie doch sicherlich über den Anschlag unterrichtet hatte, annehmen, daß Della Rovere dahintersteckte? Ja. Ettore Di Carli konnte Marco Della Rovere nichts nachweisen, aber er würde sich nicht lange damit aufhalten, irgendwelche Beweise zu sammeln, die bezeugten, daß Jackman und McCoy von der Della-Rovere-Clique gekauft worden 64
waren. Er würde nicht lange fackeln und zuschlagen. Ein Bandenkrieg in Buenos Aires war nicht mehr zu vermeiden. Klang das nicht alles sehr logisch und einleuchtend? Oder waren diese Schlußfolgerungen zu voreilig? Franco stand von seinem Platz auf, denn der Flug der TWA nach Rio de Janeiro wurde in diesem Moment ausgerufen. Er nahm sein Handgepäck und ging zum Gate hinunter. Du mußt es darauf ankommen lassen, sagte er sich, du hast keine andere Spur. Wenn er in Buenos Aires fündig wurde, dann konnte er mit viel Glück und Verstand möglicherweise drei Mafia-Familien das Handwerk legen – falls sie sich vorher nicht gegenseitig vernichteten. Giuliano Marangoni saß an diesem Spätnachmittag immer noch bei Ettore Di Carli in dem riesigen Arbeitszimmer im sechzehnten Stock des »Mondial«. Sirio, Francesco und die Frauen waren gegangen. Di Carli telefonierte herum und erkundigte sich bei seinen »Amici«, ob sie ihm etwas Bestätigendes über Della Roveres mutmaßliche Hinterlist sagen konnten. Schließlich knallte Di Carli den Hörer auf die Gabel und sagte: »Es hat keinen Zweck, so kommen wir auch nicht weiter. Keiner weiß was, Giuliano. Es tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung, was ich noch unternehmen soll.« »Vielleicht haben die Leute, mit denen du gesprochen hast, Angst, daß ihre Anschlüsse abgehört werden.« »Sie brauchen davor keine Angst zu haben.« »Bist du sicher?« »Hundertprozentig. Die Männer, mit denen ich verkehre, werden nicht bespitzelt. Du vergißt, wie groß mein Einfluß in dieser Stadt ist.« »Und Della Rovere?« 65
»Der kommt an diese Leute auch nicht heran, ich schwöre es dir.« »Dann hätte es also auch keinen Zweck, persönlich mit ihnen zu sprechen?« Di Carli schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Was sie wissen, hätten sie mir auch am Apparat gesagt.« »Was machen wir jetzt?« fragte Marangoni. »Warten wir, bis wieder etwas geschieht? Na gut, du hast deine Zweifel, was Della Roveres Schuld betrifft. Ich kenne ihn nicht, habe nie mit ihm zu tun gehabt. Aber nach allem, was du mir über ihn erzählt hast, muß er ein ›figlio di puttana‹, ein Hurensohn, sein.« »Ja, das ist er.« »Wer außer ihm könnte ein Interesse daran haben, Rodolfo umzulegen, verflucht noch mal?« »Darüber grüble ich ja nach«, erwiderte Di Carli. »Hör zu, dein Sohn ist ein richtiger Don Giovanni, wie ich vernommen habe. Nein, nein, du brauchst das nicht abzustreiten. Ich kritisiere ihn ja gar nicht. Ein richtiger Mann, muß sich austoben, dann ist er in der Ehe später um so treuer. Etwas anderes wäre es, wenn meine Tochter sich mit Kerlen herumtreiben würde, die nur ihr Vergnügen mit ihr haben wollen und weiter nichts. Ich würde sie eigenhändig erwürgen, das sage ich dir.« »Ich teile deine Ansicht voll und ganz. Ein sizilianischer Mann darf mehr Freiheiten genießen als ein sizilianisches Mädchen. Deshalb habe ich Rodolfo auch immer freie Hand mit den Frauen gelassen, verstehst du?« »Ja. Aber was ist, wenn sich ein gehörnter Ehemann oder Liebhaber an deinem Rodolfo rächen will?« »Ich glaube nicht daran. Rodolfo ist vorsichtig genug, sich nicht zu verraten.« »Und wenn irgendein Flittchen ihn zum Straucheln bringen 66
will, was dann?« Di Carli holte tief Luft, griff zu dem silbernen Zigarettenetui auf seinem Schreibtisch und bot Giuliano ein Stäbchen an, bevor er sich selbst bediente. »Wir Sizilianer sind für unsere Eifersucht bekannt«, fuhr er fort. »Aber du mußt zumindest einräumen, daß auch jemand anderes die gleichen Gefühle entwickelt, blind vor Haß wird …« Das Summen des Telefons unterbrach ihn. Er lehnte sich zurück, nahm einen Zug aus seiner Zigarette, hob dann den Hörer ans Ohr. »Signore«, sagte der Mann von der Vermittlung. »Ich weiß, daß Sie nicht gestört werden wollen. Aber der Mann, den ich hier an der Leitung habe, behauptet, es sei von größter Wichtigkeit, daß er mit Ihnen redet. Es ginge um Leben undTod, behauptet er.« »Hat er seinen Namen genannt?« »Nein.« »Von wo aus ruft er an, läßt sich das feststellen?« »Wir sind von der Auslandszentrale angeläutet worden, aber die Stadt, in der der Teilnehmer sich befindet, wurde uns nicht genannt. Signore – dieser Mann spricht nur gebrochen Spanisch, und ich habe mich auch auf italienisch nicht mit ihm verständigen können.« »Wie dann?« »Auf englisch.« »Also gut, verbinden Sie mich mit diesem mysteriösen Knaben«, gab Di Carli zurück. Er schaltete wieder den MithörLautsprecher ein, aber worüber er in den folgenden Minuten mit dem Anrufer sprach, konnte Giuliano Marangoni nur ahnen. Im Gegensatz zu Di Carli beherrschte er die englische Sprache nicht. »Wer spricht?« fragte Ettore. »Wer sind Sie?« »Mein Name tut nichts zur Sache«, gab der Mann am anderen 67
Ende zurück. Ein Rauschen war in der Leitung, aber seine Stimme war trotzdem einwandfrei zu verstehen. Di Carli konnte sich nicht entsinnen, sie jemals zuvor gehört zu haben. »Ich finde, Sie sollten die Sache nicht so spannend machen, mein Freund«, sagte Ettore kalt. »Ich habe keine Zeit, mich mit solchen albernen Mätzchen abzugeben. Kommen Sie gleich zur Sache. Was wollen Sie?« »Es geht um Marangoni.« »Um welchen Marangoni? Es gibt nicht nur einen …« »Rodolfo.« Giuliano setzte sich kerzengerade auf, als er den Namen seines Sohnes hörte. Er wollte Ettore etwas fragen, aber der bedeutete ihm durch eine Geste, daß er ihn nicht unterbrechen sollte. »Fremder«, sagte Ettore. »Spann mich nicht auf die Folter. Ich bin nämlich durchaus imstande, aufzulegen und den Hörer nicht wieder abzunehmen, ganz gleich,wie oft du mich heute noch anrufst.« »Di Carli, du legst nicht auf«, entgegnete der Mann, der seinem Akzent nach Nordamerikaner zu sein schien. »Ich habe eine Information für dich, die mehr als Gold wert ist. Sie enthebt dich deiner Zweifel, wer hinter dem Mordanschlag auf Rodolfo stecken könnte.« »Wer ist es?« Der Mann lachte heiser. »Ich werde doch nicht so dämlich sein, es dir einfach so zu verraten. Alles hat seinen Preis.« »Wer sagt mir, daß du nicht bluffst?« »Ich gebe dir mein Ehrenwort.« »Geschwätz. Du kennst meine Telefonnummer, Freund. Du wirst auch meine Adresse hier in Buenos Aires wissen. Komm hierher, und wir unterhalten uns über einen angemessenen Preis für das, was du mir zu bieten hast.« 68
»Du mußt mich wirklich für sehr dumm halten, Di Carli. Ich gehe in die Höhle des Löwen, damit dieser aus mir rausquetschen kann, was ich weiß. Ich bin doch nicht lebensmüde.« »Ich glaube, du bluffst doch«, erwiderte Di Carli. »Ich sehe unsere Unterhaltung als beendet an.« »Warte. Du mußt mich anhören, denn ich bin der einzige, der dir diesen Tip geben kann.« »Woher willst du das so genau wissen?« »Wir waren zu zweit, Di Carli, aber meinen Partner hat es am Strand von Barbados erwischt. Jetzt bin nur noch ich da! Und ich werde eine Menge Geld aus meinem Wissen schlagen, ehe mir jemand zu dicht auf den Pelz rückt.« Ettore fuhr hoch. »Wie, du bist …« »Der Killer«, sagte der Mann. *
Steve Jackman genoß förmlich das atemlose Schweigen, das am anderen Ende der Leitung auf seine schockierende Mitteilung folgte. Er grinste und nahm die Gelegenheit wahr, sich in dem Hinterzimmer der kleinen Bar von Georgetown, Guayna, umzusehen. Er stand in der Telefonkabine mit den schmutzigen, fast blinden Fensterscheiben. Der Wirt, der vorn im Schankraum seine Gläser putzte und auf den ersten abendlichen Ansturm wartete, hatte sein Versprechen offenbar wahrgemacht: Er ließ niemand anderes in das Hinterzimmer. Jackman hatte ihm für seine Gefälligkeit hundert Dollar versprochen, hatte ihm den Schein auch gezeigt, um seine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen. Selbstverständlich würde er dem Mann die hundert Dollar auch wirklich zustecken, wenn er 69
seinen Anruf beendet hatte. Vorausgesetzt, er blieb wirklich ungestört. Auf Saint Vincent hatte Jackman noch in der Nacht einen Piloten aufgestöbert, der ihn mit seiner Cessna nach Guayna herüberbrachte. Bis Georgetown hatte Jackman durchgehalten. Er hatte sich aus der Bordapotheke des Flugzeugs notdürftig verbunden und auch Schmerztabletten eingenommen, die sich mit in dem Erste-Hilfe-Kasten befanden. In Georgetown wußte der Pilot auch einen Arzt, der gegen ein angemessenes Honorar sein absolutes Schweigen zusicherte. Er hatte die 7,65er-Kugel, die von D’Itrias MAB stammte, aus Jackmans Schulter geholt; hatte die Wunde gesäubert und neu verbunden, hatte sich abschließend mit großem fachmännischem Geschick auch um die kaputte linke Hand des Killers gekümmert. Jackman hatte keine Schmerzen mehr, dank der neuen Arzneimittel. Aber er wußte, daß er noch einige Zeit benötigen würde, um wieder richtig in Form zu sein. Sein rechter Arm hing schlaff herunter, er konnte die Hand nur unter großen Schwierigkeiten bewegen. Mit der linken, verbundenen Hand hielt er den Telefonhörer, aber auch das fiel ihm keineswegs leicht. Es hatte den Ringfinger und den kleinen Finger erwischt. Dem Mittelfinger hatte der Arzt eine kleine Schiene verpaßt, weil der Knochen angebrochen war. Zeigefinger und Daumen waren unversehrt. Die Schiene fiel Jackman lästig; sie behinderte ihn bei jeder Bewegung. »Hör zu«, sagte jetzt Ettore Di Carli in seinem pompösen Arbeitszimmer in Buenos Aires. »Wenn du mich durch eine gottverdammte Lüge ins Bockshorn jagen willst, mußt du schon früher aufstehen. Du mußt dazu ein bißchen cleverer sein, kapiert?« »Es ist keine Lüge.« »Sag das noch mal, du Witzbold, damit ich richtig lachen 70
kann«, rief Di Carli in seinem harten, akzenthaltigen Englisch. »Ich glaube, du würdest nicht so auftrumpfen, wenn du hier vor mir stehen würdest.« Jackman bewahrte die Ruhe. »Ich kann dir Einzelheiten verraten, die nur einer wissen kann, der dabeigewesen ist. Ist Rodolfo Marangoni schon angekommen?« »Du darfst es raten.« »Egal. Vielleicht ist sein alter Herr ja zugegen. Ich an deiner Stelle würde ihn rufen, Big Boß«, sagte Steve Jackman. »Vielleicht bestätigt er so einiges von dem, was ich jetzt schildere. Nehmen wir zum Beispiel mal die Gorillas des lieben Rodolfo. Ray Vianello und Vance Collins sind tot. D’Itria kriegte von mir eine Ladung Blei in die Beine. Ich schätze, er kann nur noch wie ein Hund kriechen. Vianello und mein Partner McCoy schossen sich übrigens gegenseitig über den Haufen, soviel konnte ich vom Wasser aus noch sehen, als ich die Flucht ergriff. Nur in einem Punkt haben wir einen Fehler begangen, Di Carli, nur in einem, und das hat unsere Aktion zum Scheitern gebracht. Es war noch ein vierter Leibwächter da. Ich würde diesem Hund gern noch einmal gegenübertreten. Er hat uns die ganze Tour vermasselt. Wir sind praktisch reingelegt worden, weil unser Auftraggeber uns keine vollständigen Informationen über Rodolfos Bewachertrupp liefern konnte. Soll ich noch mehr erzählen?« »Augenblick«, erwiderte Di Carli mit seltsam belegter Stimme. »Ich brauche eine Minute, um das zu überprüfen. Einen Moment nur.« »Das Gespräch wird teuer«, sagte Jackman. »Ich setze es mit auf meine Rechnung, Mann.« Ettore Di Carli legte eine Hand auf die Sprechmuschel des Hörers und übersetzte Giuliano Marangoni, was der Teilnehmer bis jetzt gesagt hatte. Giuliano lauschte, erbleichte, preßte die Lippen zusammen. Zum Schluß antwortete er: 71
»In einem Punkt irrt das Schwein. Dieser vermeintliche vierte Leibwächter – Rodolfo hat mir gesagt, daß die Killer zu dritt waren, also besteht da irgendwie ein Widerspruch.« »Also blufft er doch, der Hund«, murmelte Di Carli. Er nickte seinem Freund zu, setzte sich auf die Vorderkante der Sitzfläche seines Ledersessels und nahm wieder den Dialog mit dem Anrufer auf. »Du hast dich selbst vergaloppiert, Freundchen«, sagte er. »Rodolfo hatte keine vier Leibwächter. Nur drei. Ich habe eben mit Rodolfos Vater gesprochen. Der ist von Rodolfo telefonisch über diesen gemeinen Anschlag auf Barbados unterrichtet worden. Besser als Rodolfo dürfte wohl kaum jemand wissen, was tatsächlich gelaufen ist.« Jackman verschluckte sich, hustete. »Augenblick«, rief er dann. »Da stimmt was nicht. Wenn der Kerl mit dem Revolver nicht zu Marangonis Gorillas gehörte, muß er irgendein Schnüffler sein, der sich eingemischt hat. Er feuerte auf uns, hat mich verletzt. Weder Rodolfo Marangoni noch Felice D’Itria haben das richtig mitgekriegt, sie deuten alles ganz falsch. Wieso wäre ich wohl getürmt, wenn dieser Revolvermann mich nicht entwaffnet hätte?« »Die Story wird immer verworrener«, erwiderte Di Carli. »Und ich verliere die Geduld.« Jackman zwang sich, nicht die Nerven zu verlieren. Er legte soviel Kälte wie möglich in seine Stimme. »Hör dir meinen Vorschlag an, Makkaroni. Wir legen jetzt beide auf. Wenn du meinen Tip haben willst, schickst du sofort eine telegraphische Auslandspostanweisung über zehntausend Dollar an das Postamt fünf in Georgetown, Guayana. Hier ist noch eine Stunde lang geöffnet, du kannst es schaffen. Stelle das Scheinchen auf den Namen Jackman aus.« »Du bist ja wahnsinnig.« »Nein. Du weißt jetzt, wer ich bin und wo ich mich aufhalte, 72
Di Carli. Du kannst auch versuchen, mich aus dem Weg räumen zu lassen, aber ich weiß, daß du es dir sehr gut überlegen wirst. Hör zu, ich verlange insgesamt zwanzigtausend für meine Auskünfte. Den Rest hole ich mir in Buenos Aires ab.« »Vergiß es«, schrie Ettore. »Auf diesen primitiven Schwindel falle ich nicht herein!« »Sobald das Geld hier ist, rufe ich wieder an und sage, was ich weiß«, antwortete Jackman. »Hast du es dir auch gut gemerkt? Georgetown, Postamt fünf …« »Nein«, brüllte Di Carli. »Niemals!« Er knallte den Hörer auf und riß fast das Telefon vom Schreibtisch. »Accidenti al diavolo, wir werden doch nicht auch noch den dreckigen Hund subventionieren, der Rodolfo abservieren wollte«, rief er außer sich vor Wut. Zur gleichen Zeit verließ Steve Jackman die Fernsprechkabine im Hinterzimmer des Lokals von Georgetown, zog sich ein großes Taschentuch aus der Jackeninnentasche und tupfte sich die schweißnasse Stirn ab. Er ging nach vorn in den Schankraum, steckte dem Wirt die Hundert-Dollar-Note in die Tasche und grinste ihm zu. Andere Gäste waren bislang nicht aufgetaucht. »Ich komme gleich wieder«, sagte Jackman. »Dann muß ich noch mal telefonieren.« »Das geht in Ordnung, Compadre«, gab der Wirt ruhig zurück. »Ich brauche aber noch etwas anderes, und du wirst mir verraten, wo ich es kriege.« »Was denn? Ein Mädchen?« »Nein«, sagte Jackman. »Kein Mädchen.« Eine halbe Stunde später war er im Besitz einer geladenen automatischen Pistole. Die zwei vollen Reservemagazine steckte er sich in die Jackentaschen. Er nahm ein Taxi und ließ sich zum Postamt fünf bringen. Er trat ein, kaufte ein paar Briefmarken 73
und stellte fest, daß es wirklich noch vierzig Minuten bis Dienstschluß an den Schaltern waren. Am Schalter für eingehende Postanweisungen legte er seinen gültigen US-Ausweis vor und erkundigte sich, ob etwas für ihn eingetroffen sei. Das Mädchen auf der anderen Seite des Tresens schüttelte den Kopf. »Rufen Sie mich bitte, falls etwas kommt«, sagte er. »Um diese Zeit noch, Mister?« gab sie auf englisch zurück. »Es wäre durchaus möglich.« »Dann halten Sie sich bitte in der Nähe auf, ja?« Er nahm auf einer Bank im großen Schalterraum Platz, und überdachte sein Handeln noch einmal in allen Zügen. Die linke Hand versenkte er in der Jackentasche, in die er seine Pistole geschoben hatte. Mit nur zwei Fingern konnte man eine Automatik nur schlecht bedienen, aber er nahm sich vor, sich mit der Rechten zu helfen, falls Leute auftauchten, die ihn auf Di Carlis Geheiß hin umlegen sollten. Daß ein Mann wie Ettore Di Carli auch hier in Guayana seine Verbindungsleute sitzen hatte, bezweifelte Jackman keine Sekunde. Setzte er nicht zu hoch? Außer Di Carli konnte natürlich auch Della Rovere dafür sorgen, daß er, Jackman, aus dem Weg geräumt wurde. Er hatte versagt, taugte zu nichts mehr, war ein lästiger Mitwisser geworden … Jackman, der sich um seine Bezahlung geprellt fühlte, sah nur noch diese eine Möglichkeit, Profit aus der Sache zu schlagen. An Della Rovere konnte er sich ja unmöglich wenden – also mußte Di Carli bluten. Und noch etwas: Wenn Di Carli erst wußte, daß Della Rovere wie vermutet tatsächlich den Mordauftrag an McCoy und Jackman gegeben hatte, würde er Della Rovere töten lassen. Dann war Jackman fein heraus. Dann gab es keinen mehr, der seinen Tod veranlassen konnte, es sei denn, er erpreßte Di Carli. 74
Aber das hatte er nicht vor. Jackman wußte, wo die Grenzen lagen. Er würde sich mit zwanzigtausend Dollar begnügen, und sich irgendwo nach neuen Einkommensquellen umsehen. Di Carli mußte einsehen, daß er nicht bluffte. Es gab keine Pressenotizen, keinen Polizeibericht über das Geschehen auf Barbados, keine Chance für einen Außenstehenden, die Einzelheiten herauszukriegen, die Jackman Di Carli nun schon mitgeteilt hatte. Noch zwanzig Minuten bis zum Ende der Öffnungszeit. Jackman begann auf seiner Bank unruhig zu werden. Immer wieder huschte sein Blick zu den Eingängen hinüber, taxierte die Menschen, die ein- und ausgingen. Was war, wenn einer von ihnen plötzlich eine Waffe zog und zu schießen begann? Jackman berechnete genau, wie er von der Bank rutschen und in Deckung gehen würde, wieviel Zeit er brauchte, um die bereits entsicherte Pistole in Anschlag zu bringen … Noch fünfzehn Minuten. Seine Unruhe wuchs. Die Minuten, ja, die Sekunden wurden zu zähen Tropfen. Noch dreizehn Minuten, zwölf, elf. Das Mädchen hinter dem Schalter blickte plötzlich auf. Eine Kollegin hatte ihr etwas gebracht, das ein Telegramm, genausogut aber auch ein anderes Formular sein konnte. Überrascht hob die Beamtin die Augenbrauen, sprach mit ihrer Kollegin, richtete dann ihren Blick auf Jackman und sprach seinen Namen aus. Er erhob sich, schritt zum Schalter, ließ auch jetzt seine Vorsichtsmaßnahmen nicht außer acht. Niemand außer dem Mädchen schien ihn zu beobachten. Er trat an den Schalter, und sie sgte: »Mr. Jackman, es sind zehntausend Dollar für Sie eingetroffen. Ich bedaure, aber ich kann Ihnen heute abend nicht die komplette Summe auszahlen. 75
Soviel Kasse haben wir einfach nicht. Sie müßten schon morgen früh hierher zurückkehren. Oder aber wir stellen Ihnen einen Scheck aus, den Sie morgen früh bei jeder Bank einlösen können.« »Am besten schreiben Sie mir den Scheck aus«, entgegnete er. Wenig später verließ er das Postamt und ging eine Weile kreuz und quer durch die Stadt, wobei er sich überzeugte, daß er von niemand verfolgt wurde. Dann nahm er wieder ein Taxi und ließ sich zu der kleinen, unsauberen Bar bringen, von der aus man so ungestört telefonieren konnte. Der Schankraum hatte sich inzwischen mit lärmenden Gästen gefüllt. Wieder sorgte der Wirt dafür, daß Jackman in dem Hinterzimmer nicht belauscht oder belästigt wurde. Jackman rief bei der Auslandsvermittlung an. Zehn oder elf Minuten verstrichen, dann hatte er seine Verbindung mit Ettore Di Carli, der in seinem Arbeitszimmer im Hotel »Mondial« wie auf Kohlen stand. »Mr. Di Carli«, sagte Jackman. »Es freut mich, daß du dich auf ein faires Spiel eingelassen hast. Ich rechne dir das hoch an.« »Spuck aus, was du weißt.« »Della Rovere war unser Auftraggeber«, sagte Jackman. »Also doch!« schrie der Don. »Dieses Aas hat mich täuschen wollen, hat mir den Unwissenden, den Unschuldsengel vorgespielt! Das wird er büßen. Jackman – he, Jackman!« »Ich bin immer noch am Apparat«, erwiderte der Killer grinsend. Noch nie hatte er sich zehn- beziehungsweise zwanzigtausend Dollar auf so leichte Weise verdient. »Woher wußte Della Rovere, daß Rodolfo für einige Zeit auf Barbados bleiben würde?« »Vielleicht hat er den guten Rodolfo seit Indianapolis beschatten lassen«, entgegnete Jackman. »Möglich, daß die 76
Spitzel der Aufmerksamkeit von Rodolfos Gorillas entgangen sind. Oder aber jemand hat Della Rovere diesen brandheißen Tip gesteckt. Jemand, der ihn auch über die bevorstehende Hochzeit unterrichtete …« »Mein Gott«, stieß Di Carli fassungslos aus. »Wer? Wer?« »Ich weiß es«, sagte Jackman. »Wer ist der Informant? Etwa der Kerl mit dem Revolver?« »Nein, der nicht.« »Wer dann?« »Wenn ich die restlichen zehn Riesen kriege, packe ich alles aus«, versicherte Jackman ihm. »Aber erst dann. Schick sie mir, Di Carli.« »Nein.« »Hör zu, Makkaroni, laß uns vernünftig reden …« »Wir sprechen uns wieder, wenn du in Buenos Aires bist«, schrie Ettore Di Carli, dann unterbrach er die Verbindung. Er stand schwer atmend hinter seinem Schreibtisch und blickte zu Giuliano Marangoni hinüber. »Du brauchst mir das nicht zu übersetzen«, sagte Giuliano. »Ich habe auch so verstanden. Es war doch Della Rovere, nicht wahr?« »Ja. Aber wahrscheinlich gibt es auch einen Verräter in unseren Reihen.« »Was sagst du da?« Marangoni riß die Augen weit auf. »Wir werden das herauskriegen«, sagte Di Carli. »Wichtig ist jetzt erst mal, daß wir gegen Marco Della Rovere, dieses Schwein, vorgehen. Er kriegt einen Denkzettel von mir verpaßt, den er nicht vergißt – und der ihn davon abhält, weitere Dummheiten zu begehen.« »Und wenn er sich nicht einschüchtern läßt?« »Dann kann er das, was heute abend geschieht, als eine 77
Kriegserklärung de facto werten.« »Du würdest Krieg führen – unserer gemeinsamen Sache wegen?« »Ja.« »Ich danke dir«, erwiderte Don Giuliano. »Du kannst dich darauf verlassen, daß ich dich aktiv unterstütze.« *
Der Mann hieß Lopez Vallejo. Er gehörte nicht zu der starken Gruppe von Italo-Argentiniern, von Sizilianern, Neapolitanern, Kalabriern, Römern, Mailändern und Venezianern, die in Buenos Aires wie in ganz Argentinien eine verschworene Gemeinschaft bildeten. Vallejo war der Besitzer eines gutgehenden Nightclubs im Zentrum der Stadt, und Marco Della Rovere hatte ihn hierher, ins Spezialitätenrestaurant »La Griglia«, eingeladen, um mit ihm zu verhandeln. Insofern war das Abendessen in einem von Don Marcos vornehmsten Lokalen tatsächlich als Arbeitsessen zu verstehen. Vallejo war allein gekommen. Er saß Marco und Glauco am Tisch gegenüber und blickte sich interessiert in dem Saal um, der sehr gemütlich im italienischen Stil der Fünfziger Jahre eingerichtet war. Vallejo zählte in Gedanken die Gäste, wandte sich wieder den Della Roveres zu und sagte: »Ehrlich gestanden, bin ich noch nie hiergewesen. Aber ich muß zugeben, daß das eine echte Unterlassungssünde war. Die vielen Leute sind der beste Beweis dafür, wie vorzüglich die Küche sein muß. Wenn die übrigen Gänge auch nur annähernd so ausfallen wie der Antipasto …« »Mein lieber Lopez«, entgegnete Marco, ein schlanker Mann mit sorgfältig gestutztem grauen Oberlippenbärtchen. »Die 78
Vorspeise war nur der Auftakt. Während wir auf den ersten Hauptgang warten, würde ich gern von Ihnen wissen, was Sie für den Fischgang wählen.« Vallejo breitete die Arme aus und lachte. »Also, Freunde, ich verlasse mich da ganz auf Ihre Empfehlungen. Sie kennen sich doch am besten aus, und ich nehme fest an, daß Sie mich heute abend nicht vergiften wollen …« Er wollte sich vor Lachen fast ausschütten über diesen Witz. Glauco grinste ihn an, griff zu einer der Flaschen, die zwischen den vielen Tellern und Bestecken auf dem Tisch stand, und schenkte ihm das Weinglas erneut voll. »Der Orvieto ist genau das Richtige für den Risotto con funghi, den wir gleich vorgesetzt kriegen«, sagte er. Vallejo hob das Glas und porstete ihm zu. »Ich muß gestehen, Ihre importierten italienischen Weine können durchaus mit dem konkurrieren, was wir hier in Argentinien produzieren. Wieso habe ich das nicht früher gewußt?« »Wir sind nie richtig ins Gespräch gekommen«, erwiderte Della Rovere. »Aber das soll sich ändern, Lopez. Trinken wir auf unsere Freundschaft.« Er griff ebenfalls zu seinem Glas. Sie tranken alle drei, und Don Marco dachte daran, wie viele Flaschen sie wohl benötigen würden, um diesen Lopez Vallejo zu einem umgänglichen Handelspartner zu machen. Vallejo wollte verkaufen, weil er den Job mit dem Nachtklub satt hatte. Er hatte bereits drei, vier Interessenten und würde den Della Roveres unter normalen Umständen gewiß keine Option auf den Kauf des Objekts einräumen. Marco Della Rovere wollte den Klub haben. Er würde ihm als neuer idealer Umschlagplatz für den Stoff dienen, den er aus Mexico und anderen mittelamerikanischen Ländern bezog. Ein, zwei Jahre konnte der Deal in einem bisher so gut laufenden und sauber bewirtschafteten Betrieb andauern, ehe die Polizei das schmutzige Geschäft zu wittern begann … 79
Letztlich würde Don Marcos Angebot den Ausschlag geben. Aber er hatte bei allem Anreiz, den der Klub auf ihn ausübte, nicht die geringste Lust, einen Wucherpreis dafür zu zahlen. Daher hatte er Lopez Vallejo zu sich in das Restaurant eingeladen und war nicht zu ihm gegangen. Er wollte ihn durch Gastfreundschaft und lukullische Genüsse freundlich stimmen, ihn nach allen Regeln der Kunst weichkochen. Die Wirkung, die ein komplettes italienisches Menü auf einen Geschäftspartner ausüben konnte, hatte in Jahrhunderten nicht nachgelassen. Zwei Kellner trugen den »Risotto con funghi« auf. Einer setzte das Tablett mit dem dampfenden Gericht auf einem Beistelltischchen ab, der andere begann, es auf tiefen Tellern zu portionieren. Vallejo sah den weißgekleideten Männern zu. Die Della Roveres beobachteten ihn. Glauco überlegte, wieso man einen Mann wie Vallejo nicht dazu zwingen konnte, einen Vorvertrag über den Verkauf des Nachtlokals zu unterschreiben. Man konnte. Aber Glaucos Vater wollte es nicht. »Das sind nicht die Methoden, mit denen man heutzutage vorgeht«, hatte er an diesem Nachmittag seinem Sohn gegenüber erklärt. »Früher oder später würde so etwas doch auffliegen.« »Und die Sache mit Rodolfo Marangoni?« hatte Glauco gefragt. »Das ist etwas anderes.« »Mit Di Carli kann man nicht verhandeln, nicht wahr?« »Nicht mehr.« »Aber wir kriegen noch Schwierigkeiten mit ihm, verlaß dich darauf, Padre.« »Er wagt es nicht. Er wendet keine Gewalt gegen uns an, weil er, der Größere, sich dabei viel mehr verausgabt und kompromittiert als wir. Wir sollten uns jetzt vielmehr etwas anderes einfallen lassen, um diese Heirat zu unterbinden«, hatte 80
Marco Della Rovere erwidert. »Nachdem Jackman und McCoy, diese beiden Versager aus New York, gescheitert sind, ist Rodolfo für uns endgültig von der Bildfläche verschwunden. Bis kurz vor der Hochzeit taucht er nicht wieder auf. Ich schätze, vor dem Traualtar können wir ihn nicht mehr umlegen, denn Ettore und sein treuer Freund Giuliano werden eine halbe Armee auffahren lassen, um das glückliche Paar schützen zu lassen. Nein, wir müssen ganz anders vorgehen, müssen umdenken.« Glauco hatte gesagt: »Padre, wäre es nicht besser, ganz aufzugeben? Wir schaffen es ja doch nicht, die Marangonis von hier fortzuekeln.« »Sag das nicht noch mal«, hatte Marco ihn daraufhin angefahren. »Wir müssen das fertigbringen, um jeden Preis. Sonst sind wir ein für allemal erledigt. Und ich will mehr erreichen. Ich will Haß zwischen diesen beiden Familien säen, sie sollen sich am Ende untereinander mißtrauen und Barrieren zwischen sich errichten, die sich nie wieder beseitigen lassen. Vielleicht haben sie schon begriffen, daß ein Verräter in ihren Reihen sitzt.« »Ja«, hatte Glauco gesagt und jenes Grinsen aufgesetzt, das ihn den meisten Menschen gegenüber unausstehlich machte. »Du hast wohl doch recht damit, deine Strategie fortzusetzen. Wir müssen nur das nötige Durchhaltevermögen aufbringen.« »Richtig.« »Übrigens, was unseren hochgeschätzten Informanten betrifft – hast du von der Seite inzwischen schon wieder etwas gehört?« »Nein, nichts. Es herrscht Funkstille.« »Aus Gründen der Sicherheit?« »Ja«, hatte Don Marco Della Rovere geantwortet. »Aber wir brauchen ja auch keine weiteren Hinweise. Ettore selbst hat uns alles über den Ablauf der Geschehnisse auf 81
Barbados berichtet. Es bleibt jetzt einzig und allein unserem Geschick überlassen, die Dinge doch noch zu unseren Gunsten zu entscheiden.« »Padre«, hatte Glauco plötzlich gesagt. »Ich hätte da einen Plan. Nein, nein, es ist keine meiner üblichen verrückten Ideen, glaub es mir. Diesmal denke ich wirklich realistisch. Ti prego, ich bitte dich, hör mir zu.« Don Marco hatte zugehört und schließlich zugestimmt. Glauco sann über dieses Vorhaben nach, über Gewalt, die die Stunde regieren würde – während hier, am Restauranttisch, ein Manöver der lauen, subtilen Art lief … Einer der Kellner setzte ihnen nun den »Risotto con funghi« vor; als ersten bediente er auf Marco Della Roveres Wink hin Vallejo, und Vallejo schloß die Augen und atmete genußvoll den Duft des Gerichts ein. Der Ober nahm die anderen beiden tiefen Teller in die Hände, um sie vor Marco und Glauco hinzustellen, stockte aber plötzlich in der Bewegung, weil im vorderen Bereich des Saales Unruhe entstanden war. Die Kellner blickten zur breiten, fast ganz verglasten Front des Lokals, und auch die Della Roveres und Lopez Vallejo wandten jetzt den Kopf. Die schweren Vorhänge der Fenster waren halb beiseitegezogen worden, damit die Gäste den Blick auf die erleuchtete Avenida freibehielten, die in ihrem nächtlichen Glanz eine angemessene Kulisse zur Atmosphäre des Restaurants darstellte. Auf der Avenida glitten die Lichter der Wagen auf und ab, aber ein Scheinwerferpaar hatte sich aus der Kette gelöst und huschte mit einemmal direkt auf die Front des Hauses zu. Ein Motor heulte auf. Im gleichen Moment sprangen ein paar Gäste von ihren Plätzen auf. Eine Frau schrie, ein Stuhl fiel um, Gedränge entstand, jemand stolperte und fluchte, und dann war das Fahrzeug heran. Es raste mit aufgeblendeten Scheinwerfern 82
genau in die rechts neben der Drehtür befindliche große Fensterscheibe hinein. Das Glas zerbrach krachend. Ein Scherbenhagel klirrte auf die beiden Tische am Fenster nieder, und der letzte Gast, der den einen dieser Tische in panischem Entsetzen verließ, wurde von einigen der Splitter getroffen. Die Frau, die kurz zuvor geschrien hatte, kreischte jetzt wie von Sinnen. Ein Mann hatte sie an den Armen gepackt und riß sie mit sich fort, aber sie strauchelten beide und stürzten dem Saalchef vor die Füße, der gestikulierend auf den Wagen zurannte. Das Fahrzeug rollte weiter, Glas knackte unter seinen dicken Reifen. Ein Tisch stürzte um. Die Reste einer unterbrochenen Mahlzeit breiteten sich auf Fußboden und Stühlen aus, ein einziger Schrei gellte durch den Saal. Der Wagen, der sich als ein bulliger Landrover entpuppte, fuhr weiter und klomm die Stufen einer niedrigen Treppe hoch, die zum erhöht liegenden Teil des Saalzentrums hinaufführte. Dies alles geschah in Sekundenschnelle – und Marco und Glauco Della Rovere hatten gerade noch Zeit, sich zu Boden zu werfen, ehe das wirkliche Inferno begann. Aus dem rechten Seitenfenster des Landrovers heraus ragte plötzlich der Lauf einer Waffe. Er schwenkte nach vorn, die Mündung zielte auf den Tisch der Della Roveres, an dem immer noch die beiden verdutzten Kellner standen, einer von ihnen mit den beiden Tellern in der Hand – und wo Lopez Vallejo stocksteif und mit geöffnetem Mund saß, offenbar völlig unfähig, sich zu bewegen. Marco Della Rovere lag neben seinem Stuhl, schob sich die Hand unters Jackett und schrie: »runter mit euch! Mein Gott, runter, oder ihr …« Seine weiteren Worte gingen in dem einsetzenden Rattern der Waffe unter. Eine Maschinenpistole spuckte ihre tödliche Ladung aus und traf als ersten den Kellner, der die Teller hielt, zersägte einen der Teller förmlich in der Luft. Lopez Vallejo 83
sah, wie Porzellanscherben und »Risotto con funghi« über die Nachbartische hinwegwirbelten, sah den Ober zusammenbrechen. Er hörte das Hämmern der Maschinenpistole merkwürdigerweise kaum noch, als auch er sich jetzt vom Stuhl zu Boden sinken ließ. Vallejo spürte seinen eigenen Herzschlag bis in den Kopf hinauf dröhnen. Er keuchte und begann zu kriechen, wohin, war ihm nicht bewußt. Der zweite Kellner am Beistelltischchen hatte sich gerade noch rechtzeitig hingeworfen. Er rollte sich unter einen der Nachbartische und stammelte immer wieder: »Madre de Dios – nein, Madre de Dios, nein.« Marco Della Rovere hatte seine Waffe, eine handliche Automatik, entsichert und riß sie hoch. Glauco kauerte hinter einem Blumenschalenständer aus weißem Marmor, hatte ebenfalls eine Pistole in der Faust und fingerte fluchend daran herum. Marco schoß. Die Mpi-Projektile flogen ihm um die Ohren, aber er war kaltblütig genug, seinen Kopf zumindest ein Stück anzuheben, über den Tisch hinwegzuzielen und gleich zwei Kugeln in die Windschutzscheibe des Landrovers zu setzen. Durch das Wummern des Wagenmotors glaubte er einen Aufschrei zu vernehmen. Das Rattern der Mpi setzte aus. Don Marco blickte zu seinem Sohn, sah, daß auch dieser die Waffe entsichert hatte. Don Marco und Glauco feuerten gleichzeitig auf die Insassen des Wagens. Noch einmal ratterte die Maschinenpistole los, dann blieb der Landrover auf den Stufen zum Saalpodest stehen. Der Fahrer hatte sich tief hinter das Lenkrad geduckt. Auch von seinem Begleiter auf dem Beifahrerplatz war nichts mehr zu sehen außer den Händen, die die Mpi über die Fassung der Windschutzscheibe hinausschoben und den Abzug bedienten. 84
Nur noch Scherben hingen in der Umrandung der Frontscheibe, und die beiden Della Roveres hörten nicht auf, in die offene Fahrerkabine zu feuern. Es krachte im Gebriebe des Geländewagens, als der Fahrer den Rückwärtsgang einlegte. Heulend holperte das Fahrzeug von den Stufen. Es bewegte sich auf dem gleichen Weg, den es vorher in umgekehrter Richtung genommen hatte. »Laßt die Hunde nicht entkommen!« brüllte Don Marco. Er richtete sich auf, schoß mit verzerrtem Gesicht auf die Attentäter, stürmte aus seiner Deckung hervor und feuerte noch einmal – dann war das Magazin der Automatik leer. Glauco hastete die Stufen hinab und jagte dem Wagen im Zickzack nach. Als der Landrover im Freien war und halb herumschwenkte, um wieder Vorwärtsfahrt aufnehmen zu können, glaubte Glauco seine Chance gekommen. Er zielte auf den linken Vorderreifen. Aber wieder hackte die Maschinenpistole. Glauco mußte sich erneut in Sicherheit bringen. Er schoß dreimal zurück, traf aber die Reifen des Wagens nicht. Der Landrover rollte wieder an, raste über den Bürgersteig davon. Das Rattern der Mpi brach ab. Glauco fuhr hoch und wandte sich zu seinem Vater um. »Padre«, rief er. »Ruf die Polizei an! Ich folge diesen dreckigen Hunden!« Er rannte ins Freie, zum Parkplatz des Restaurants, wollte in seinen Zweisitzer klettern – blieb mit einemmal aber wie erstarrt stehen. Die vier Reifen seines Wagens waren platt. Und nicht nur die: Sämtlichen Fahrzeugen auf dem Parkplatz »La Griglia« waren die Pneus durchstochen worden … Glauco hob in ohnmächtiger Wut die Hände. Er stand sekundenlang wie gelähmt; dann fuhr er herum, rannte zum nächsten Taxistand, stieg in den vordersten Wagen und schrie den Fahrer an: »Fahr los! Fahr wie der Teufel, dann erwischen 85
wir die Schweine vielleicht noch!« »Was ist geschehen?« fragte der Mann mit einem entgeisterten Blick in den Rückspiegel. Daß Glauco eine automatische Pistole in der Hand hielt, war ihm nicht entgangen. »Hast du nichts gehört?« brüllte Glauco. Der Taxistand befand sich jenseits der nächsten Straßenecke; der Mann am Steuer des Wagens konnte also nicht beobachtet haben, wie der Landrover in das Restaurant eingedrungen war – wohl aber hatte er den Schußlärm und das Schreien der Menschen vernehmen können. Doch in einer Stadt wie Buenos Aires war es wenig empfehlenswert, allzu geschärfte Sinne zu besitzen und allzu interessiert an dem zu sein, was hinter der nächsten Straßenecke geschah. Wer wenig hörte und nochweniger sah, hatte die meisten Chancen, sich seine Existenz zu erhalten. »Der Landrover«, stieß Glauco aus. »Er muß in dieser Richtung gefahren sein.« »Ich habe so einen Wagen gesehen«, gab der Taxifahrer zu. »Er ist eben hier vorbeigerast. Aber ich weiß nicht, ob wir den noch einholen …« Glauco richtete die Pistole auf seinen Nacken. »Porco diavolo, versuche es, oder ich vergesse mich.« Der Chauffeur ließ den Motor an, gab Gas, und sie begannen eine aussichtslose Jagd auf den Wagen der Killer, die zu diesem Zeitpunkt bereits etwa eine halbe Meile Distanz zwischen sich und »La Griglia« gelegt hatten. Don Marco Della Rovere schritt an dem getroffenen Kellner vorbei; er brauchte ihn nicht zu untersuchen, um festzustellen, daß er tot war. Don Marco trat zu Lopez Vallejo, während der Saalchef und die übrigen Kellner die durcheinanderschreienden Gäste zu beruhigen versuchten. Einer der Kellner war zur Kasse gestürzt, um die Polizei zu 86
verständigen; aber die »Cassiera«, die sich während des Vorfalls hinter dem Bartresen flach auf den Boden gelegt hatte, hatte inzwischen selbst zum Fernsprecher gegriffen und palaverte mit schriller Stimme mit dem Beamten des Überfallkommandos am anderen Ende der Leitung. Lopez Vallejo kroch immer noch auf dem Boden entlang. Es schien, als wolle er den ganzen Saal auf diese Weise durchqueren. Marco Della Rovere holte ihn ein, trat hinter ihn und berührte mit der Hand seine linke Schulter. Vallejo zuckte zusammen. »Señor Lopez«, sagte Don Marco. Vallejo drehte sich langsam zu seinem Gastgeber um und musterte ihn – offenbar völlig verständnislos. Er erhob sich, zupfte in sinnloser Geste an seiner Kleidung herum und sagte schließlich: »Ja, es war wirklich ein vorzügliches Abendessen, das muß ich zugeben. So hervorragend habe ich noch nicht gespeist, Sie können es mir glauben.« Er sagte es mit stockernster Miene. Es war kein Galgenhumor, der ihn zu dieser Äußerung veranlaßte. Er stand unter Schock. »Hören Sie auf«, erwiderte Don Marco. »Und versuchen Sie, Ihre Angst abzuschütteln, mein Freund. Wir haben es heil überstanden, die Gefahr ist vorbei.« »Das war … ein übler Streich, was?« »Streich ist gut. Ein Kellner ist tot. Zwei sind leicht verletzt worden. Zum Glück hat es keinen der Gäste erwischt«, sagte Della Rovere. Vallejo blickte auf die Pistole in Della Roveres Händen; Della Rovere vertauschte das leere Magazin mit einem vollen. »Tragen Sie das Ding immer mit sich herum?« fragte der Nachtklubbesitzer halblaut. »Ja. Warum?« 87
Lopez Vallejo wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Er war ein untersetzter Mann mit Halbglatze und glattem, vollem Gesicht. »Ich persönlich hasse Schußwaffen. Ich finde, sie provozieren andere Leute zu Gewalttaten, wenn man sie mit sich herumträgt.« »Das ist Unsinn«, gab Della Rovere zurück. Er steckte die Automatik weg und blickte Vallejo in die Augen. »Es ist völlig legitim, daß ein Lokalbesitzer sich in diesen unsicheren Zeiten auf irgendeine Weise schützt. Hätten mein Sohn und ich nicht zurückgefeuert, so hätten die Kerle aus dem Geländewagen uns umgebracht – ja, auch Sie, Lopez. Leuchtet Ihnen das nicht ein? Ich an Ihrer Stelle würde mir bei dem Job, den Sie haben, auch einen Waffenschein besorgen, es ist gar nicht so schwierig. Sie sehen ja, welche Zustände bei uns in Buenos Aires herrschen.« »Ja. Nicht zuletzt aus diesem Grund werde ich den Nachtklub abstoßen und mich mit dem Geld, das ich dafür bekomme, zur Ruhe setzen.« »Sie verkaufen?« »Das wußten Sie doch auch schon vorher«, murmelte Vallejo. »Für wie einfältig halten Sie mich?« »Ich könnte Ihnen ein gutes Angebot machen, Lopez.« Della Rovere hörte nicht auf, sein Gegenüber zu fixieren. Er schien den Mann mit dem Blick festnageln zu wollen. Vallejo blickte zu dem toten Kellner, zu den verstörten Menschen, die im Restaurant auf- und abliefen, zu den beiden Streifenwagen, die soeben mit zuckendem Rotlicht und heulenden Sirenen eintrafen. »Allmächtiger«, sagte er. »Sie wollen von Geschäften sprechen – jetzt. Warum hat man versucht, Sie zu beseitigen, Della Rovere? Warum?« »Ich weiß es nicht.« »Veilleicht stimmt es doch, was gerüchteweise über Sie 88
verbreitet wird …« Della Rovere trat sehr dicht vor den bleichen, verwirrten Mann hin und zischte: »Was sagt man denn über mich? Na los, spucken Sie’s schon aus. Ich bin daran interessiert, ehrlich.« »Lassen Sie mich jetzt gehen.« »Nein«, sagte Della Rovere. »Hören Sie, Sie haben kein Recht …« »Sie werden hier als Zeuge gebraucht«, entgegnete der Sizilianer kalt. »Deswegen können Sie noch nicht fort, mein Freund. Was haben Sie denn gedacht? Daß ich Sie festhalten würde? Machen Sie sich doch nicht lächerlich. Und um auf Ihre Andeutungen zurückzukommen: Ich verlange wirklich eine Erklärung von Ihnen.« »Lassen Sie mich in Ruhe«, sagte Lopez Vallejo. Er wandte sich ab und ging zu den Streifenpolizisten hinüber, die mit gezückten Pistolen und Maschinenpistolen aus ihren Fahrzeugen geklettert waren und nun durch die zerstörte Frontscheibe in das Restaurant »La Griglia« stiegen. * Einem alten Spruch zufolge sollte man immer zweimal planen, und Franco Solo dachte ärgerlich an diese simple Weisheit, als er mit einer Maschine der PANAM auf dem Aeropuerto Internacional de Ezeiza in Buenos Aires eintraf. Heiß war es, grell stach die Sonne vom Vormittagshimmel. Der argentinische Frühling entfaltete sich in den Gärten, an denen das Taxi vom Flughafen zur Innenstadt vorbeirollte, in seiner ganzen Pracht. 10.50 Uhr Ortszeit – dabei hatte Franco schon am Vorabend hier ankommen wollen. Aber in Rio de Janeiro war so gut wie alles schiefgelaufen. Franco verfluchte die Tatsache, daß er von Port of Spain aus 89
keinen Direktflug nach Buenos Aires hatte buchen können, aber alle Verwünschungen nützten ihm nichts, er mußte sich mit den Tatsachen abfinden. In Rio hatte die TWA-Maschine von Trinidad gerade noch landen können, aber dann gab es wegen dichten Bodennebels überhaupt keinen Flugverkehr mehr bis zum Morgengrauen. Jetzt, in Buenos Aires, war der Mafiajäger alles andere als gutgelaunt und entspannt. Ziemlich finster blickte er auf die Häuserzeilen, deren Fassaden an ihm vorüberhuschten. Ärmliche Behausungen an der Peripherie – es gab auch ein italienisches Viertel, in dem genausowenig Wohlstand herrschte wie hier, aber nicht dort waren die Männer zu Hause, denen sein Besuch galt. Wo sollte er anfangen? Er grübelte darüber, kam zu keinem Schluß, und wurde noch verdrießlicher gestimmt. Er konnte nicht ins Hotel »Mondial« gehen, Di Carli und Marangoni einen guten Tag wünschen und ihnen auf den Kopf zusagen, was Colonel Warner und er vermuteten. Er konnte sich zu »COUNTER MOBs« Verbindungsleuten begeben, aber auch das wäre sinnlos gewesen, denn erstens war ihm das Wenige, was sie in Erfahrung gebracht hatten, bereits bekannt, und zweitens bestand immerhin die Möglichkeit, daß diese Leute von der Gegenseite beschattet wurden … Nein. Er war auf sich allein angewiesen, handelte als Einzelgänger, wie er es immer gehandhabt hatte. Von dieser Basis ausgehend, mußte er den Verlauf seiner Ermittlungen vorerst mehr oder weniger dem Zufall überlassen. Als sie Nueva Chicago erreicht hatten, war er bereits einen Schritt weiter, denn er hatte ein Gespräch mit dem Taxifahrer begonnen und dieser hatte ihm berichtet: »Letzte Nacht ist ein Anschlag auf ein Restaurant verübt worden, Señor. Eine schlimme Sache. Ein Kellner ist getötet worden.« 90
Franco horchte auf und erkundigte sich auf spanisch: »In welchem Restaurant ist das denn passiert?« »In ›La Griglia‹.« »Der Name hört sich nicht spanisch, sondern italienisch an …« »Ja, der Laden gehört einem Sizilianer.« Della Rovere! Franco fragte nach weiteren Details und bekam von dem Mann am Steuer des Wagens einen fast lückenlosen Bericht über die Vorfälle geliefert. Am Ende fügte der Chauffeur hinzu: »Wahrscheinlich war das die Tat von irgendwelchen Extremisten, Señor. Das sind Leute, die den Reichen auflauern und sie einfach erschießen. Gibt es so was bei Ihnen auch?« »Ich komme aus Nordamerika. Aus den USA.« »Na dann …« »Warum spricht man von einem Terroristen-Attentat?« wollte Franco wissen. »Hat man die Täter etwa gefaßt? Haben sie sich als irgendeiner politischen Gruppe zugehörig erklärt?« »Nein, nein. Die sind über alle Berge. Aber die Polizei hat einen anonymen Anruf bekommen, in der eine dieser Gruppen die Verantwortung für diesen Überfall übernommen hat.« »Aha.« »Sie wollen die Reichen umbringen und töten die einfachen Leute, Señor. Der Kellner hatte eine Familie mit vier Kindern.« »Ja. Es trifft immer die Falschen«, erwiderte Franco und war sich im klaren darüber, wie banal es klang. Er ließ sich im Zentrum absetzen, nahm in einer Pension ein Zimmer und ließ dort sein Handgepäck zurück. Seinen Bulldog, den er erfolgreich durch alle Zollkontrollen bekommen hatte, Munition, seine Ausweispapiere und sein Geld nahm er mit, als er das kleine, bescheidene Haus wieder verließ und sich zu Fuß auf den Weg zum Restaurant »La Griglia« machte. 91
In Rio hatte er sein Haar heller getönt und sich den Schnauzbart abrasiert, den er sich seit etwa vier Wochen hatte wachsen lassen. Rodolfo Marangoni und Felice D’Itria konnten mittlerweile ebenfalls in Buenos Aires eingetroffen sein. Er hielt es zwar für nicht sehr wahrscheinlich, mußte es aber mit einkalkulieren, daß sie sein Gesicht in der dramatischen Nacht auf Barbados gesehen hatten. Für wen sie ihn auch hielten, sein Auftauchen mit dem alten Image mußte ihr Mißtrauen erwecken, wenn er ihnen oder einem ihrer Helfer über den Weg lief. Auch die Kleidung hatte Franco gewechselt, in Rio hatte er noch am Abend genug Zeit dazu gehabt. Er trug jetzt einen hellbeigen Einreiher mit farblich dazu passendem Hemd und Schuhen, nicht mehr Jeans und T-Shirt wie auf Barbados. Er hatte sich seiner Umgebung vollkommen angepaßt und wirkte wie ein waschechter Argentinier oder Brasilianer. Nach einer Viertelstunde Fußmarsch hatte Franco die Avenida erreicht, an der das italienische Spezialitätenrestaurant »La Griglia« lag. Er schlenderte auf die Front mit dem zertrümmerten Fenster zu und mischte sich unter die Schaulustigen, die bei den Aufräumungsarbeiten zusahen. Er erfuhr alles – über die ergebnislose Verfolgung des Landrovers, über die Autos mit den zerstochenen Reifen auf dem Parkplatz des Lokals, über die wiederholt von den Della Roveres selbst bekräftigte Theorie, es habe sich um einen Terroristen-Überfall gehandelt. Franco beobachtete Marco Della Rovere, der im Inneren des Restaurantes auf- und abschritt und irgendwelche Anweisungen gab. Er sah Glauco, der ihm aufgrund von Beschreibungen bekannt war, blickte zu den Polizeibeamten, die ihre Ermittlungen offenbar in diesen Minuten abschlossen. Er spielte mit dem Gedanken, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen. Sicherlich hätten die Beamten ihm jede Unterstützung gewährt, die er benötigte. Aber sie wußten nicht mehr als er, und 92
eine Handhabe gegen die Dons von Buenos Aires besaßen auch sie nicht. Della Rovere selbst würde Di Carli und Marangoni niemals öffentlich des Mordversuchs verzichtigen, weil er sich damit selbst zum Straucheln brachte. Und außerdem: Eine Tat wie diese wollte vergolten werden, wie es der »Onore«, die Ehre der Dons, verlangte … Daß Di Carli und Marangoni angezettelt hatten, stand für Franco fest. Spektakulär hatten sie es machen wollen, darum war der Landrover mitten ins Lokal geprescht – andernfalls hätten sie Marco und Glauco auch irgendwo im Dunkeln auflauern lassen können. Aber nein. Dieses Attentat sollte nachhaltig einschüchternd wirken. Die Della Roveres sollten es nicht wieder wagen, etwas gegen die Di-Carli- oder die Marangoni-Familie zu unternehmen. Gleichzeitig war die Tat aber auch als Kriegserklärung zu werten. Nahm Don Marco Della Rovere sie an, war in Buenos Aires bald die Hölle los. Franco wußte nun, daß er auf der richtigen Spur war. Er verließ die Gruppe der Schaulustigen. Er hatte genug gesehen. Man würde vielleicht den Landrover finden, vielleicht irgendwann auch die zwei Killer, die in dem Fahrzeug gesessen hatten – einer von ihnen war offenbar verwundet worden. Aber für Franco Solo war dies nicht von Bedeutung. Selbstverständlich handelte es sich um gekaufte Gangster, die nicht zu Di Carlis Clique gehörten. Sie würden jede Verbindung zu den Mafiosi abstreiten und ihre »politischen Motive« vorschieben, falls man sie festnahm. Argentiniens Situation war alles andere als gefestigt und ausgeglichen, und in einem solchen Klima gewann jede ideologisch gerechtfertigte Brutalität an Glaubwürdigkeit. Franco nahm sich einen 77er Volkswagen-Käfer do Brasil als 93
Mietwagen und kutschierte damit durch das Stadtzentrum. Er fuhr bis nach Vicente López hinauf, kurvte um das »Mondial« herum, hielt aber nicht./.n, weil eine ansehnliche Garde von Gorillas rund um das Gebäude plaziert war. Er machte sich verdächtig, wenn er auch nur eine halbe Stunde auf einem Parkplatz verweilte und die Luxusherberge von dort aus beobachtete. Er fuhr weiter und sah sich einige andere Hotels an, die zu der Di-Carli-Kette gehörten: das »Excelsior«, das »Principe«, das »Royal«, das »Eden«, das »Savoia«. Er war sicher, daß Della Rovere sich nicht zurückzog, daß der nächste Schlag in dieser Stadt gegen die Di Carlis und Marangonis gerichtet sein würde – aber wo fand dieser Racheakt statt? Franco machte sich keine Illusionen, er wußte selbst, daß er herzlich wenig ausrichten konnte, wenn der Bandenkrieg erst richtig entfacht war. Vorerst diente ihm seine Rundreise nur dazu, das Terrain rein den Örtlichkeiten nach zu sondieren. Zum Mittagessen stellte er den Käfer auf einem schattigen Parkplatz in La Paternal ab und suchte ein gutbürgerliches Restaurant auf, von dem er wußte, daß es nicht zu Della Roveres Besitztümern gehörte. Hier erfuhr er von einem redseligen Tischnachbarn, wo sich Di Carlis Privatwohnsitz befand, dessen Adresse und Rufnummer in keinem Telefonbuch verzeichnet stand. Lomas de Zamora … Franco fuhr hin und betrachtete den ausgedehnten Sitz zunächst aus einiger Entfernung, wobei er im Wagen sitzen blieb. Er entdeckte keine Leibwächter vor oder hinter der Einfriedigung des riesigen Grundstücks, ließ sich dadurch aber keineswegs zu Unvorsichtigkeiten verleiten. Er hielt sich auf Distanz, fuhr weiter in südöstlicher Richtung, an der Umzäunung entlang, dann noch ein Stück weiter, um schließlich 94
den VW-Käfer in einem Gehölz zu verstecken, das nicht zu dem Di-Carli-Anwesen zu gehören schien. Franco kehrte als scheinbar harmloser Spaziergänger zu dem Grundstück des Mafiosos zurück. Es gab keinen schöneren Ort in Stadtnähe, an dem Ettore Di Carli seine Residenz hätte errichten können. Ein Platz, der zum Verweilen einlud; voller Bäume, Sträucher, Blumen, voll Schatten und dem Duft des Frühlings. Di Carlis Frau Angela und die Töchter Ombretta und Cinzia lebten in der Villa, die zu dem einen Hektar großen Grundstück gehörte, sofern man Francos Tischnachbar aus dem kleinen Restaurant glauben durfte. Ettore Di Carli selbst verbrachte die meiste Zeit des Tages mit seiner Verwaltungsarbeit im sechzehnten Stock des »Mondial«, und das wiederum deckte sich mit Colonel Warners Hinweisen. Rodolfo hatte sterben sollen, aber Rodolfo war seinen Mördern entkommen. Was lag jetzt näher als ein Anschlag auf die »Sposa«, die Braut? Wenn die eine Seite sich nicht auslöschen ließ, so mußte die andere daran glauben. Ein Mann wie Della Rovere machte gewiß nicht vor der Tatsache halt, es mit einem schutzlosen Mädchen zu tun zu haben – so, wie auch Jackman und McCoy drauf und dran gewesen waren, Nadia und ihre kreolischen Freundinnen auf Barbados mit aus dem Weg zu räumen … Und es gab noch eine andere Möglichkeit. Man konnte Ombretta Di Carli entführen, ihre Eltern und zukünftigen Schwiegereltern auf diese Weise erpressen. Franco wanderte an der Einfriedigung des Grundstücks entlang. Gespenstische Stille lag über dem Anwesen. Einmal sah er zwischen Pinien, Zypressen und knorrigen Ölbäumen die Villa stehen; ein weißes, zweistöckiges Haus mit SäulenVorbauten; ein Bau wie aus einem märchenhaften Kolonialreich. Menschen entdeckte Franco jedoch nicht, und das 95
machte ihn stutzig. Hatte Di Carli vorgesorgt und seine Frau und die Mädchen an einen geheimgehaltenen Platz bringen lassen? Hatte die komplette Familie die Villa vorläufig verlassen? Diese Vermutung verlangte nach einer genaueren Untersuchung. Franco prüfte, ob der Maschendraht der Einfriedigung mit Strom geladen war, stellte fest, daß dies nicht der Fall war. Er hielt noch einmal nach Leibwächtern oder Hunden Ausschau, erblickte wieder niemand – und fällte seinen Entschluß. Mit einer simplen Kletterübung überwand er den Maschendrahtzaun, verharrte auf dem Grasteppich des Grundstücks, blickte sich wieder nach allen Seiten um. Keine Alarmanlage war in Betrieb gesetzt worden, zumindest keine akustische. Wachtposten waren immer noch nicht in Sicht. Franco schlich zwischen den Bäumen und Büschen der weitläufigen Parkanlage hindurch und steuerte auf das Haus zu. Die Position der Villa hatte er sich genau eingeprägt. Dank seiner Beobachtungen wußte er auch, wo sich die Front des Gebäudes befand. Er richtete es so ein, daß er sich in einem weiten Bogen der Rückseite näherte und traf schließlich auf einen Swimming-pool, hinter dem sich eine Terrasse und die Fassade des weißen Hauses erhoben. Ziersträucher säumten den Fußweg, der auf die Fliesenumrandung des Pools zuführte. Franco Solo hatte den Weg zur Hälfte zurückgelegt, als ihn etwas warnte. Zwischen Rhododendron und Bougainvillaea Glabra war da ein Geräusch; Franco fuhr herum, aber es war bereits zu spät: Der Mann, der ihm aufgelauert hatte, flog als großer, drohender Schatten auf ihn zu. Franco konnte nur noch die Hände hochreißen und eine abwehrende Haltung einnehmen. Dann war der Mann heran und riß ihn mit seinem Körpergewicht zu Boden. Franco landete mit 96
dem Rücken im Gesträuch, nicht auf dem Weg, so daß die Wucht des Aufpralls stark herabgemindert wurde. Der Kerl wollte ihn festhalten und ihm den Hals zupressen, aber Franco packte rechtzeitig zu, drückte seine Arme zurück und stieß ihn von sich. Er wälzte sich von ihm fort, rappelte sich auf und stürzte sich nun seinerseits auf den anderen, ehe der Mann sich erheben konnte. Er sah den Kolben der automatischen Pistole, der aus dem Hosenbund des Kerls hervorragte, und unwillkürlich fragte er sich, wieso der Bursche ihn nicht sofort mit der Waffe bedroht hatte. Wahrscheinlich hatte der Gorilla anderslautende Anweisungen. Rückte er mit der Schußwaffe gegen einen Eindringling vor, so mußte er damit rechnen, daß dieser zurückfeuerte. Ein Schußwechsel war die Folge, Lärm, der die Nachbarn alarmierte und die Polizei auf den Plan rief. Daran wiederum konnte einem Mann wie Ettore Di Carli ganz und gar nicht gelegen sein. Folglich trachteten seine Männer, unerwünschte Besucher auf die leise Art zu überwältigen … Francos Schlag traf den Gegner, als dieser sich gerade halb aufgerichtet hatte. Stöhnend sank er wieder zurück. In diesem Augenblick stürmte ein zweiter Angreifer von schräg hinten auf ihn zu. Franco sandte nur einen Seitenblick zu diesem Kerl hinüber, aber dieser Bruchteil einer Sekunde genügte dem ersten Mann. Er trat dem Mafiajäger gegen das Knie, rutschte ein Stück zurück, keuchte, versuchte aufzuspringen. Franco konnte ihm nicht folgen, denn das hätte für ihn bedeutet, daß der zweite Kerl ihm in den Rücken gefallen wäre. Er konnte nicht anders, er mußte sich zu diesem neuen Angreifer umdrehen. Ein muskelbepackter, weizenblonder Hüne, der sich um den Mister-Universum-Titel bewerben konnte – das war der zweite Hüter der Villa. Er stoppte ab, breitete die Arme zum Zugreifen 97
bereit aus und schritt auf Franco Solo zu. »Sei vernünftig«, sagte er. »Gib’s auf. Du hast ja doch keine Chance.« Franco musterte ihn. »Ihr laßt jeden nichtsahnenden Gast herein, aber nicht wieder heraus, stimmt’s?« »Du hast es erfaßt.« »Warum wollt ihr mich zusammenschlagen?« Der Weizenblonde grinste. »Weil wir was gegen Typen haben, die über den Zaun klettern und durch den Park schleichen.« »Das Tor ist fest verschlossen«, sagte Fanco, um ihn irgendwie zu bluffen. »Du hättest den Klingelknopf drücken können …« »Und ihr hättet mich nicht hereingelassen«, erwiderte er. »Das ist bombensicher.« »Na also«, sagte Franco. »Was blieb mir also anderes übrig, als über den Zaun zu klettern? Laßt uns in Ruhe miteinander reden, Freunde. Ich möchte nur der Familie Di Carli einen Besuch abstatten, und dagegen gibt es, glaube ich jedenfalls, nichts einzuwenden.« Zum erstenmal tat jetzt auch der andere Schläger den Mund auf. Er hatte sich erhoben und schob sich langsam heran. »Miguel«, sagte er. »Merkst du nicht, daß er uns nur verscheißern will? Los, klopfen wir ihn weich, das wird ihm eine Lehre sein.« Er sprach ein hartes Spanisch mit ausgeprägten kubanischem Akzent. Miguel, der Weizenblonde, näherte sich in drohender Haltung. Der Kubaner marschierte von der anderen Seite heran. Sie glaubten ihn in der Zange zu haben. Franco hätte jetzt sehr schnell den Bulldog aus der Schulterhalfter ziehen können – es hätte genügt, ihnen den.44erSpecial vor die Nasen zu halten, um dem Spielchen ein Ende zu bereiten. Aber solange sie sich nur der Fäuste bedienten, sah er 98
keinen Grund, sie mit dem Revolver zu bedrohen. Durch einen Sprung brachte er sich aus ihrer unmittelbaren Reichweite. Miguel, der Weizenblonde, quittierte es mit einem Fluch. Er duckte sich, rannte los und versuchte, sich auf Franco zu werfen, wie es kurz zuvor der Kubaner getan hatte. Franco wich nach hinten aus, und Miguel begann zu straucheln. Der Kubaner schoß von der Seite heran, glaubte, den Mafiajäger überraschen zu können, aber Franco bremste ihn durch einen Hieb. Während der Kubaner sich keuchend krümmte, hatte Miguel sich gefangen; er rückte von neuem an und versuchte, einen Hagel von Faustschlägen bei Franco zu landen. Franco tat noch zwei Schritte rückwärts, dann befand er sich auf der Fliesenumrandung des Schwimmbeckens. Er ließ den zornigen Blonden auflaufen, eckte ihn mit einer Geraden ein, und ließ ihm keine Chance, die Deckung aufzubrechen. Der Kubaner hatte sich inzwischen wieder gefangen. Er griff plötzlich unter die Jacke und zog die Automatik aus dem Hosenbund. Er trat dicht neben Franco Solo hin, entsicherte die Pistole, hob sie und zielte auf Francos Schläfe. *
Francos Reaktion kam für die beiden Gorillas völlig unerwartet. Bevor der Kubaner etwas sagen konnte, hatte der COUNTERMOB-Agent sich leicht vornübergebeugt und griff mit beiden Händen nach Miguels linkem Arm. Er riß ihn mit aller Kraft zu sich heran. Miguel selbst war so verdutzt, daß er mit der anderen Hand nicht mehr zum Zuschlagen kam. Der Kubaner sah den Blonden auf sich zustolpern. Er schrie auf, zögerte mit dem Abdrücken, verpaßte seine Chance, 99
auszuweichen – prallte voll mit dem Weizenblonden zusammen. Franco fuhr herum und riß den Waffenarm des Kubaners hoch, als dieser unter der Heftigkeit des Zusammenpralls stolperte und aus dem Gleichgewicht zu geraten drohte. Die Finger des Kubaners lösten sich vom Kolben der Automatik. Die Waffe fiel zu Boden, der Mann geriet vollends aus der Balance und stürzte. Miguel wollte sich losreißen, um sich schlagen, aber die Härte, mit der Franco ihn gepackt hatte und festhielt, gestattete es ihm nicht. Plötzlich sah Miguel sich auf den Pool zustolpern. Er fühlte sich über den Rand hinweggestoßen, riß noch den Mund weit auf, bekam aber keinen Schrei mehr heraus, weil er eintauchte und einen Schwall Wasser schluckte. Der Kubaner lag immer noch auf dem weichen, grasbewachsenen Untergrund neben der Beckenumrandung, hatte jetzt aber seine Automatik wiederentdeckt. Seine Züge waren verzerrt, er robbte ein Stück voran, streckte die Hand nach der Waffe aus – erstarrte aber, als er Francos Schuh auf die Pistole treten sah. Franco blickte auf den vor Wut halb ohnmächtigen Leibwächter hinab. Er zog seinen Revolver und sagte: »Schluß jetzt mit dem Theater. Wir gehen ins Haus und unterhalten uns.« »Von uns erfährst du nichts«, zischte der Kubaner. »Das werden wir ja sehen.« »Was willst du?« »Sagte ich das nicht schon? Ich will die Familie Di Carli sprechen«, sagte Franco. Verdammt, es war ein Fehler gewesen, hier einzudringen, er hatte sich verzettelt. Aber jetzt konnte er nicht mehr zurück. »Wer bist du?« fragte der Kubaner gepreßt. »Mann, du erwartest doch wohl nicht, daß du darauf eine Antwort erhältst«, antwortete Franco. Er winkte dem Kerl mit 100
dem Revolver zu, wartete, bis er aufgestanden war, las dann die Automatik vom Boden auf und bedeutete dem Kubaner, bis zum Rand des Swimming-pools zu gehen. Der Weizenblonde war mittlerweile prustend aufgetaucht, trat Wasser und fingerte nach der Automatik, die auch er unter dem Jackett stecken hatte. Seine durchweichte Kleidung zerrte ihm, es fiel ihm nicht gerade leicht, sich an der Oberfläche zu halten. Aber eines war sicher: Die Pistole funktionierte trotz des Wassers, das sie abbekommen hatte. Es bedurfte schon intensiverer Feuchtigkeitseinflüsse, um eine solche Waffe untauglich zu machen. Franco zielte mit dem Bulldog auf Miguel, behielt den Kubaner im Auge. »Laß die Pistole stecken, Miguel«, rief er. »Steig aus dem Wasser und fessle deinem Freund mit dem Hosengürtel die Hände auf dem Rücken. Ja, du hast schon richtig verstanden. Versuch bloß nicht, dich dumm zu stellen. Mit meiner Geduld könnte es irgendwann zu Ende sein.« Miguel stieß einen Laut aus, der wie ein tiefer Seufzer klang. Er nahm die Hand aus der Jacke, hörte mit dem Wassertreten auf und schwamm zur nächsten Leiter. Er begriff, daß die Situation nicht mehr zu retten war und befolgte Francos Anweisungen. Wenig später hatten sie die Villa betreten, und Franco fand eine Kordel, mit der er auch Miguel die Hände zusammenbinden konnte. Bei der Durchsuchung des großen Hauses trieb er die Gorillas ständig vor sich her, um vor Überraschungen einigermaßen sicher zu sein. Er fand jedoch niemand. Er dirigierte Miguel und den Kubaner in den Keller hinunter, aber er konnte ihnen so viele Fragen stellen, wie er wollte, es war nicht aus ihnen herauszubekommen, wohin Angela, Ombretta und Cinzia Di Carli geflüchtet waren. Franco hatte von barbarischen Methoden nie etwas gehalten. 101
Er konnte die beiden Kerle nicht durch Gewalt dazu zwingen, ihm etwas zu verraten. Vielleicht waren sie, die unbedeutenden Soldati, auch wirklich nicht darüber unterrichtet worden, welches der neue Aufenthaltsort von Ettore Di Carlis Frau und Töchtern war. Er verstärkte ihre Fesseln, knebelte sie, sperrte sie in den Keller und verließ das Haus. Ihre Pistolen warf er in den Pool. Franco sah sich im Park um, entdeckte aber auch hier nichts, das ihm Aufschluß über den Verbleib der Di-Carli-Frauen liefern konnte. Er verließ das Anwesen und kehrte zu seinem Volkswagen-Käfer, made in Brasil, zurück. Er war keinen Schritt weiter und kam sich ausgesprochen dumm vor. Richtig scheußlich wurde ihm aber erst zumute, als er sich hinter das Steuer setzte und den kalten Stahl spürte, der sich unvermittelt gegen seine Nackenhaut drückte. *
Franco saß da und hielt die Finger um das Lenkrad gespannt, und der Bulldog, der jetzt wieder in der Schulterhalfter steckte, schien meilenweit entfernt zu sein. Im Rückspiegel konnte er deutlich das Gesicht erkennen, das ihm so unvergeßlich von einer Karteikarte und aus einer Akte in der COUNTER-MOB-Zentrale entgegengeblickt hatte. Die Physiognomie eines Berufskillers – Steve Jackman. »Willkommen«, sagte Jackmans Stimme heiser aus dem Fond des Wagens. »Es war schlecht, den rechten Schlag nicht zu verriegeln, Freundchen. Eine schwache Leistung von einem Burschen, der über Strände läuft und wie ein Verrückter um sich schießt.« »Was sagen Sie da?« entgegnete Franco. »Ich weiß ja gar 102
nicht, wovon Sie reden. Hier liegt ganz offensichtlich eine Verwechslung vor. Hören Sie, lassen Sie uns …« »Keine Tricks«, warnte Jackman. »Hübsch die Finger von der Kanone lassen, die du unter der Achsel trägst. Du hast es mit keinem Anfänger zu tun, Bursche. Wenn du Dummheiten machst, drücke ich ab, und meine Kugel reißt dir hinten ein Loch.« Franco überlegte, ob er es versuchen sollte: Er konnte sich nach links werfen, den Schlag aufklinken, sich ins Freie rollen – aber die Chancen, einem Profi wie Jackman zu entgehen, standen eins zu hundert. »Fein hast du dich herausgeputzt«, sagte Jackman mit ätzender Stimme. »Aber dachtest du, ich würde dich ohne den Bart und mit dem helleren Haar nicht wiedererkennen? Mann, wie konntest du bloß so einfältig sein. Ich habe dich auf Barbados gut genug gesehen, mich konntest du nicht täuschen.« »Ich habe mit dir nichts zu tun …« Jackman schlug zu. Francos Stirn drückte sich gegen den oberen Teil des Steuers; er preßte die Lippen zusammen und biß die Zähne fest aufeinander, um die Schmerzen, die Übelkeit und die drohende Ohnmacht zu bekämpfen. »Siehst du, mit der rechten Hand komme ich schon ganz gut wieder klar, obwohl meine rechte Schulter und der Arm ganz schön angekratzt worden sind«, sagte Jackman. »Meine linke Hand ist kaputt, von den zwei Fingern abgesehen, die ich noch richtig gebrauchen kann. Ich könnte dich dafür umbringen, du Hund.« »Worauf wartest du?« stieß Franco aus. Himmel, wie hatte er nur so unvorsichtig sein können? Er machte sich die schwersten Vorwürfe, aber sie nützten ihm jetzt nichts mehr. Er hatte einfach nicht damit gerechnet, daß Jackman hierher, nach Buenos Aires, kommen würde … 103
»Du hast uns die Tour gründlich vermasselt, McCoy und mir«, zischte der Killer. »Ich dachte, du wärest einer von Rodolfo Marangonis Hitmen, aber da habe ich mich getäuscht. Wer bist du denn eigentlich, he? Wer? Verrate es mir, los, spuck es aus!« Franco war versucht, doch zu seinem Revolver zu greifen. Seine Überlebenschance war gleich null, aber wenn er starb, dann wollte er diesen Kerl wenigstens noch mit auf die Höllenreise nehmen … Jackman schien seine Gedanken erraten zu haben. »Nicht«, sagte er. »Tu es nicht. Greif nicht zur Waffe. Ich bin auf jeden Fall schneller als du. Wenn du sprichst, lasse ich dich leben, also sei vernünftig. Hör zu, ich bin mit einer kleinen Privatmaschine, die ich in Georgetown gechartert habe, herübergekommen. Ich schleiche schon seit ein paar Stunden hier um die Villa herum, um Di Carli irgendwie abzufangen, aber jetzt reißt bei mir allmählich der Geduldsfaden. Ich habe keine Zeit mehr zu verlieren, verstehst du? Ich will mir zehntausend Dollar verdienen und dann abhauen, klammheimlich. Keiner wird mich daran hindern, auch du nicht.« »Wen willst du erpressen? Marangoni oder Di Carli?« »Aha, aha«, meinte der Killer mit höhnischem Grinsen. »Langsam wird er redselig, unser Freund. Und du scheinst noch mehr zu wissen, als ich angenommen habe. Also, du mußt ein hochqualifizierter Schnüffler sein, so, wie du auftrittst. Aber auch die besten Bullen machen nun mal Fehler. Stimmt das?« »Ja.« »Wie heißt du, Bulle?« Jackman würde wieder zuschlagen. Es hatte keinen Zweck, sich in Schweigen zu hüllen, nicht in dieser Lage! Nicht einem Kerl wie diesem gegenüber, der nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatte … 104
»Frank Randall«, antwortete Franco. In seiner Brusttasche steckte ein Paß auf diesen Namen. Auch sämtliche anderen Papiere, die der Mafiajäger bei sich führte, waren auf diesen Namen ausgestellt. Wie üblich hatte er sich eine Scheinidentität zugelegt, um arbeiten zu können. Sein wahrer Name war zu bekannt geworden, er durfte damit nicht immer auftreten. »Randall«, murmelte Jackman. »Nie gehört. Für wen arbeitest du? Für das FBI?« »Nein.« »Soll ich dir die Würmer einzeln aus der Nase ziehen? Ich fürchte, du machst doch noch wieder Bekanntschaft mit dem Kolben meiner Pistole.« »Ich bin Privatdetektiv«, gab Franco zurück. »Steigen wir aus«, sagte Jackman leise. »Ich will, daß du deine Habseligkeiten vor mir auf dem Boden ausbreitest. Keiner wird uns hier stören. Ich schätze, es wird mehr als zehn Minuten dauern, bevor ein Polizeiwagen auftaucht, wenn ich dich über den Haufen schießen muß. Nochmals: eine falsche Bewegung, und ich drücke ab, Randall.« »Ich werde dir keine Schwierigkeiten bereiten, Killer«, keuchte Franco. »Ich heiße Jackman. Warum soll ich es verheimlichen?« »Okay, Jackman, steigen wir aus.« Paß, Lizenz, Flug-Tickets – alle Papiere auf den Namen Frank Randall sowie der Bulldog, die kurz darauf zwischen Franco und Jackman im Gras neben der Straße lagen, überzeugten den Killer davon, daß der Mafiajäger ihm keine Lügen aufgetischt hatte. »Wer ist dein Auftraggeber?« fragte der Franco. »Ein gewisser Kanadier, der in Indianapolis ein Autorennen gefahren hat und dem die Frau durchgebrannt ist – mutmaßlich mit einem gewissen Rodolfo Marangoni.« 105
Steve Jackman stand reglos da und blickte Franco zunächst ungläubig an. Dann begann er zu lachen. Er lachte, bis ihm die Tränen kamen, und wischte sich mit der verbundenen, geschienten linken Hand über die Augen. Franco war wieder drauf und dran, etwas zu unternehmen – sich auf den Revolver zu werfen, auf Jackman zu feuern. Aber er verwarf den Plan. Jackman ließ ihn nicht aus den Augen. Er lauerte geradezu darauf, daß Franco ihm die Gelegenheit bot, ihn zu töten … Jackman konnte nicht nachprüfen, ob die Frau, mit der Rodolfo Marangoni in Indianapolis ein Verhältnis gehabt hatte, tatsächlich auf und davon war, er hatte keine Gelegenheit dazu. Colonel Warner hatte Rodolfos neueste Affäre am Telefon beiläufig erwähnt, den Rest hatte Franco jetzt hinzugedichtet, um dem Killer ein glaubwürdiges Motiv für seine Recherchen als Frank Randall zu liefern. Jackman hörte auf zu lachen, er musterte seinen Feind plötzlich aus schmalen Augen. »Da ist ein Haken«, sagte er. »Wie konntest du wissen, daß Rodolfo, dieser Hurenbock, von Indianapolis nach Barbados fliegen würde? Sein Aufenthalt auf der Insel wurde geheimgehalten.« Franco konnte ihm nicht verraten, daß er ihm und McCoy von New York aus gefolgt war, es hätte seine Geschichte Lügen gestraft. Er konnte aber auch nicht schweigen, denn Jackman hob die Pistole ein wenig höher und zielte auf seine Stirn. Franco erwiderte: »Wenn du mich für einen halbwegs fähigen Schnüffler hältst, Jackman, dann mußt du mir auch zutrauen, einen Mann wie Rodolfo Marangoni von Indianapolis nach Barbados beschatten zu können.« Jackman grinste mit einemmal wieder. »Ja, stimmt. Daran habe ich eben überhaupt nicht gedacht. Auf Barbados nahmst du dir dann eine Jacht, und du hattest die glorreiche Idee, dich von 106
der Seeseite an Rodolfos gemieteten Bungalow heranzupirschen, um nachzusehen, ob das untreue Kanadierweib mit Rodolfo eine Orgie feierte.« »Ja.« »Und?« »Es waren fünf Mädchen dort, aber nicht die Frau, die ich suchen sollte.« Jackman ging in die Knie und las Francos Papiere und den Revolver vom Untergrund auf, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. »Da hätte deine Schlußfolgerung doch lauten müssen, daß der Champion aus Kanada sich irgendwie getäuscht hatte.« »Nicht unbedingt.« »Sondern?« »Ich bekam durch einige Telefonate heraus, daß Rodolfo Marangonis Familie in Buenos Aires war, frisch aus Sizilien eingetroffen. Das war kein Geheimnis. Ich stellte die vage Theorie auf, daß Rodolfo sich nach dem Anschlag auf sein Leben ebenfalls hierherbegeben würde, daher flog ich nach Argentinien. Nicht nur, um weiter nach dem Verbleib der Kanadierin zu forschen, sondern auch, um festzustellen, warum man Rodolfo töten will.« »Und warum will man das?« »Ich weiß es nicht.« »Das ist eine feine Story«, sagte Steve Jackman. »Aber irgendwie hört sie sich zu plausibel, zu einleuchtend an. Ich will prüfen, ob du die Wahrheit gesagt hast, Freundchen. Deswegen lege ich dich jetzt noch nicht um, obwohl ich allen Grund dazu hätte.« Franco begegnete seinem kalten Blick. »Was hast du vor?« fragte er ihn. »Wir besuchen Di Carli. Wir fahren einfach zu ihm. Ich weiß, ich weiß, er wird von seiner Hausarmee bewacht, aber Frechheit 107
siegt, Randall. Du hast doch in der Villa nachgesehen, ob er da ist, nicht wahr?« »Ja. Das Haus steht leer.« »Völlig?« »Ich habe zwei Soldati entwaffnen müssen.« Jackman lachte wieder. »Großartig. Ich wette, wir treiben den großen Boß in seinem edelsten Hotel, dem ›Mondial‹ auf. Also los, steigen wir wieder ein. Du kutschierst mich in deinem Schlitten quer durch die Stadt. Du wirst staunen, wie schnell wir bei Ettore Di Carli eintreffen, direkt in seinem Allerheiligsten. Ich glaube, das liegt im sechzehnten Stockwerk des,Mondial’.« »Ich habe nur gehört, daß die Marangonis Di Carlis Gäste sind. Da ich keinen Weg sah, ins ›Mondial‹ hineinzukommen und nach Rodolfo zu suchen, fuhr ich hierher, weil ich hoffte …« »Schon gut«, schnitt der Killer ihm das Wort ab. »Ich will dir was sagen. Ich halte dein ganzes Gefasel für eine einzige Lüge. Ich beweise es dir schon noch – und dann gnade dir Gott.« *
Auf dem Weg nach Vicente López wurden sie auf einen Menschenauflauf aufmerksam, der sich auf dem Bürgersteig einer Straße des Stadtteils Palermo gebildet hatte. Die Lichter von zwei Streifenwagen zuckten blaß unter dem Sonnenglanz; uniformierte Beamte und Polizisten in Zivil schienen sich mit einem Fahrzeug zu beschäftigen, von dem durch die Menschenmenge hindurch jedoch nur das Dach zu erkennen war. »Glaubst du, daß es ein Verkehrsunfall war?« fragte Jackman aus dem Fond des VWs. 108
»Sicher«, gab Franco zurück. »Ich nicht. Hast du von dem Überfall auf das Restaurant gehört?« »Das ja, aber …« »Dann stell dich nicht so dumm. Das da – das war wieder so ein Attentat, Randall. Bezeichnenderweise hat es ausgerechnet im ›Quartiere Palermo‹ stattgefunden. Geht dir kein Licht auf?« Franco blickte kurz in den Rückspiegel und sah Jackmans schmales, dünnlippiges Gesicht im Halbdunkel des Wageninnern. »Du meinst, das waren Terroristen? Links- oder Rechtsextremisten?« »Ich meine etwas ganz anderes. Ich meine, daß du genau über alle Zusammenhänge Bescheid weißt, Randall«, sagte der Killer mit leiser, frostiger Stimme. »Ich würde dir gern noch mal den Pistolenkolben über den Schädel ziehen, aber ich lasse es bleiben, weil ich so schnell wie möglich zu den Di Carlis und den Marangonis will.« »Ich habe dir die Wahrheit gesagt.« »Du mußt mir aber noch erklären, wieso du dich auf Barbados so tatkräftig für Rodolfos Rettung eingesetzt hast. Du hättest leicht krepieren können. Wäre es für einen Privatbullen wie dich nicht besser gewesen, sich auf Distanz zu halten und den Dingen ihren Lauf zu lassen?« »Man hat doch ein Gewissen«, antwortete Franco. »Und vor den fünf Weibern hast du dich auch ganz gern als Held aufgespielt, wie?« »Ihr hättet sie nicht verschont …« »Nein, das hätten wir nicht«, sagte Jackman. Er ließ eine sehr häßliche Bemerkung über das blonde Mädchen Nadia und die vier Kreolinnen fallen, und Franco verspürte den immensen Drang, das Lenkrad des Käfers nach links oder nach rechts zu reißen und einen Unfall zu verursachen. Es kostete ihn seine 109
ganze Überwindung, sich vor einer solchen Kurzschlußhandlung zu bewahren. Dann hatten sie das »Mondial« erreicht; es wuchs aus der zum Rio de la Plata hin ausgerichteten Frontlinie der Beton-GlasBurgen hervor und schien etwas Einladendes, Freundliches zu vermitteln. Franco befolgte Jackmans Order, von der Avenida del Libertador nach links abzubiegen und zum Eingang der Tiefgarage des Hotels zu steuern. Franco verfluchte alle falschen Eindrücke und Sentimentalitäten, haßte den argentinischen Frühling, den er in diesem Augenblick für alles verantwortlich machte, für die Fehler, die Unterlassungssünden, die mangelnde Vorsicht, die er sich selbst anlastete. Jackman dirigierte ihn geradewegs in die Höhle des Löwen hinein. Sie riskierten beide, binnen der nächsten Sekunden draufzugehen. Franco trat auf die Bremse. Der Käfer stoppte vor der heruntergelassenen Schranke der Einfahrt zum Kellergeschoß. Aus der Pförtnerloge trat ein Mann, der allein seiner Statur nach zur Privatarmee des Ettore Di Carli zu zählen war. »Ohne Parkschein von der Rezeption kommen wir nicht weiter«, sagte Franco. »Es ist doch logisch, daß sie nur Gäste in die Garage lassen, die reserviert haben.« »Abwarten«, erwiderte Jackman. »Sieh doch, der Bursche marschiert auf die rechte Seite unseres Schlittens zu. Los, lehn dich nach rechts, kurble die Scheibe herunter und tu so, als wolltest du vom rechten Fenster aus mit ihm reden. Noch ist er nicht mißtrauisch geworden.« Franco gehorchte. Er wartete auf seine Chance, aber die Chance kam nicht. Jackman hielt die Pistole hinter den vorderen Sitzlehnen verborgen, konnte aber abdrücken und ihn jederzeit durch einen Schuß durch die Polsterung ins Jenseits befördern. Der Killer hatte sich außerdem Francos Bulldog unter den rechten Oberschenkel geklemmt, wie der Mafiajäger kurz zuvor hatte verfolgen können. Jede Hoffnung und Flucht war 110
aussichtslos. Das rechte Seitenfenster glitt herunter, der Mann aus dem Pförtnerhaus trat näher und bewegte wedelnd die Hand. »Sie können hier nicht parken«, sagte er. »Ich habe keine telefonische Anweisung vom Empfang bekommen.« Franco richtete sich wieder auf, weil Jackman es ihm zugezischt hatte; Jackman beugte sich etwas vor, lächelte dem Soldato Di Carlis zu und sagte sehr freundlich: »Das ist merkwürdig. Ich habe einen Schein erhalten, hier, bitte, sehen Sie doch.« Der Wächter trat noch einen Schritt näher, und das war sein Fehler. Jackman richtete urplötzlich die Pistole auf ihn. »Die Schranke öffnen«, fuhr er ihn an. »Keine Faxen. Ich kann dich umlegen, wann ich will. Auch in deinem Verschlag.« Sein Spanisch war holprig, aber der Wachtposten verstand ihn. Der Mann wurde bleich, sein Blick begann hin- und herzuhuschen. »Aufmachen«, befahl Jackman ihm noch einmal. »Dann wieder herkommen und einsteigen.« Der Mann drehte sich langsam um und kehrte zu seinem Häuschen zurück. Franco hatte nach links geblickt und bemerkte einen zweiten Soldato, der sich von der Außenseite des Gebäudes her mit schlenderndem Schritt näherte. »Jackman«, sagte er gedämpft. »Sie haben uns in der Zange.« »Der andere hat noch nichts gewittert«, meinte der Killer. »Wenn es Schwierigkeiten gibt, knalle ich sie beide ab. Los, dreh auch die link Scheibe runter.« Franco tat es. Der Motor lief tuckernd, er behielt den rechten Fuß auf dem Gaspedal, hielt mit dem linken die Kupplung gedrückt, der erste Gang war eingelegt. Der Mann, den Jackman mit der Automatik bedroht hatte, stand jetzt in der Loge, die fast völlig aus Glas bestand und ihm 111
kaum Schutz gegen Kugeln bot. Er wußte, daß Steve Jackman sofort feuern würde, wenn er gegen dessen Order zu handeln versuchte. Er hielt den Killer wahrscheinlich für einen von Della Roveres Leuten. Die Schranke hob sich. Jackman behielt sowohl den Pförtner als auch Franco Solo und den zweiten Di-Carli-Soldato im Auge, bewahrte eisern seine Ruhe. »Noch nicht anfahren«, sagte er. »Ich will diesen Idioten mitnehmen, ich brauche ihn als Geisel, falls etwas schiefläuft.« Der Mann in der Loge stand stocksteif da, rührte sich nicht mehr von seinem Platz, und das schien den zweiten Posten, der sich linker Hand nur noch etwa fünf Schritt von dem Volkswagen entfernt befand, stutzig zu machen. Er blieb stehen, fixierte plötzlich das Auto, griff sich unter die Jacke. »Los«, sagte Jackman. Franco fuhr an, duckte sich instinktiv; Jackman feuerte aus dem rechten Seitenfenster auf den Mann in der Loge, der sich im selben Augenblick zu Boden warf. Die große Vorderscheibe der Loge bestand aus Verbundglas, aber die Kugel aus Jackmans Pistole riß ein Loch hinein und zauberte ein Spinnwebenmuster, das sich fast über die gesamte Glasfläche ausbreitete. Die Schranke schloß sich wieder, aber Franco lenkte den Wagen in die Garage, ehe die stählerne Barriere auch nur das Dach des Käfers berührte. Jackman verzichtete darauf, auf den zweiten Wachtposten des Hotels zu schießen. Er hätte sich dazu aus dem linken Seitenfenster beugen und eine nahezu akrobatische Verrenkung vollführen müssen, bei der Franco ihn obendrein hätte packen können. Der zweite Soldato hatte die Pistole gezückt, ging in die Hocke und schoß im Beidhandanschlag auf die Reifen des VWs. Das Krachen der Schüsse war nicht zu vernehmen, weil ein Schalldämpfer auf die Mündung der Waffe geschraubt war. Jackman zog den Kopf ein. Franco riß den Wagen nach rechts, 112
die Reifen radierten quietschend auf dem Asphalt und entgingen knapp den zwei, drei Projektilen, die Di Carlis Wächter ihnen nachjagte. Franco steuerte den Wagen zwischen zwei Reihen geparkter Autos hindurch. Jackman hob wieder den Kopf, sah sich um und schrie ihm zu: »Da vorn sind die Lifts! Einer steht offen! Fahr hin, spring aus dem Wagen, wirf dich in den Lift!« Franco erhöhte die Geschwindigkeit; er hatte in den zweiten Gang geschaltet, und der Viertakter heulte im obersten Tourenbereich. Er sah nicht mehr in den Rückspiegel, weil er sich auch so vorstellen konnte, was geschah: Die Soldati stürmten ihnen nach, waren in der Garage, versuchten sie einzuholen. Franco konzentrierte sich auf das, was vor ihm lag. Er schickte den VW über einen flachen Bordstein hinweg, hielt genau auf den offenen Lift zu. Zwei Männer, irgendwelche Hotelgäste, Garagenbenutzer, hatten in den Fahrkorb steigen wollen, aber als sie den Wagen darauf zurasen sahen, schreckten sie zurück. Franco trat hart auf die Bremse. Der Wagen rutschte mit kreischenden Reifen, blieb dann stehen, und Franco stieß den linken Schlag auf, während Jackman die rechte Sitzlehne nach vorn drückte, sich vorbeugte und nach der Türklinke griff. Er hatte die Pistole zwangsläufig in die linke Hand nehmen müssen, um den Schlag überhaupt aufzubekommen. Dies wäre eine gute Gelegenheit für Franco gewesen, einen Ausfall gegen den Killer zu unternehmen – oder zu türmen. Jackmans linke Hand war verbunden, geschient, er hielt die Waffe nur mit Daumen und Zeigefinger und mußte Schwierigkeiten haben, abzudrücken. Aber Franco war den Gegebenheiten unterworfen. Zu nah waren Di Carlis Männer, zu begrenzt der Aktionsradius. Francos Selbsterhaltungstrieb siegte, er hetzte in den offenen Lift, um den Kugeln der Widersacher zu entgehen. Dann war Jackman 113
auch schon neben ihm, hatte die Pistole wieder in der Rechten, zielte auf ihn, herrschte ihn an: »Den Knopf drücken, zum Teufel, nun mach schon!« Sechzehnter Stock – Franco bediente den Knopf. Das Trappeln von Schritten näherte sich, langsam, viel zu langsam glitt die Tür des Expreßaufzugs zu. Aber dann feuerte Jackman zweimal in die Tiefgarage hinein. Das Krachen der Waffe wurde im Fahrkorb zu einem ohrenbetäubenden Donnern. Draußen schrien die Gäste, die sich gerade im Keller aufhielten, fluchten die Soldati. Jackmans Kugeln zwangen die Gegner zurück, und diese kurze Verzögerung in ihrem Ansturm genügte dem Killer. Lautlos schloß sich die Lifttür, der Korb setzte sich in Bewegung, schnell; mit drei Metern Aufwärtsbewegung pro Sekunde. Drei Meter waren eine Etage, sechzehn Sekunden, nicht mehr würde der Lift benötigen, um oben bei Ettore Di Carli anzulangen. Sechzehn Sekunden waren genug für ein alarmierendes Telefonat der Hotelwächter – aber sie reichten nicht aus, um rechtzeitig Schutzmaßnahmen gegen einen Profi wie Jackman zu ergreifen. »Wir fahren«, sagte Jackman grinsend. »Wir halten nicht an. Diese Dons müssen noch hinzulernen; sie haben kein Alarmsystem, das automatisch alle Ausgänge, Lifts, Treppen blockiert.« »Oder sie wollen es nicht in Betrieb setzen«, erwiderte der Mafiajäger. »Sie zögern, weil sie die Panik, die unten begonnen hat, nicht noch vergrößern wollen. Ein paar Leute in der Tiefgarage kann man leicht beruhigen, nicht aber sämtliche Gäste eines Nobel-Hotels.« »Mag sein. Aber sie begehen eben einen Riesenfehler.« »Oben, im sechzehnten Stock, können sie uns immer noch abknallen«, sagte Franco. »Du meinst – sie feuern in den Lift hinein, sobald er 114
ankommt?« »Ja.« »Ich habe mir einen Trick einfallen lassen«, entgegnete Jackman und grinste. *
Ettore Di Carli war kalkweiß im Gesicht. Soeben hatte er die Meldung aus der Tiefgarage erhalten, und die Männer in seinem Arbeitszimmer, die ihn umstanden, verblaßten in ihrer Erscheinung vor seinen Augen, schienen nicht mehr zu existieren. Di Carli drückte die Ruf taste der hausinternen Anlage; Proietti meldete sich, Proietti, der statt der Sekretärin Patrizia wieder im Vorzimmer saß, während hier, im großen Büro mit dem flauschigen Teppichboden, Kriegsrat gehalten wurde. »Zum Lift«, brüllte Don Ettore in das Mikrofon. »Zwei Kerle sind ins Haus eingedrungen. Sie schießen um sich und sind jetzt mit dem Lift unterwegs. Ich sage dir, sie kommen bis hier herauf!« »Das erledige ich«, gab Proietti zurück. Er war ebenfalls bleich geworden, sprang im Vorzimmer von seinem Stuhl auf, riß die Tür zum Flur auf und rannte hinaus. Zwei seiner Soldati blickten ihn überrascht an. Sie hatten auf dem Flur herumgelungert und Wache gehalten. Jetzt zogen sie auf einen Wink Proiettis hin ihre Pistolen aus Quick-Draw-Holstern, entsicherten und stürmten mit ihm zu den Lifts. Vier Fahrstühle hatte ein großes Hotel wie das »Mondial« ; zwei davon befanden sich gerade in Bewegung, aber nur einer hatte die obersten Etagen erreicht – auf der Leuchtzifferanzeige glomm soeben die Nummer 16 auf. 115
Proietti nahm schräg gegenüber der Lifttür mit dem Rücken zur Wand Aufstellung, er wählte die gefährlichste Position, wie es seinem Job als »Capitano«, als Leiter der Hausgarde, entsprach. Die anderen beiden Gorillas postierten sich rasch links und rechts des Fahrstuhlausgangs. Die Nummer 16 glühte immer noch, aber die Tür öffnete sich nicht. Proietti überlegte angestrengt. Er hielt seine Automatik auf den Lift gerichtet, wartete auf die Insassen – aber nichts geschah, niemand kam heraus, seine Nerven wurden bis zum äußersten strapaziert. Hatte Di Carli die Fahrstühle stoppen lassen? Nein. Er hätte es seinem Sicherheitstrupp rechtzeitig mitgeteilt … Plötzlich erlosch die Nummer 16. »Er fährt wieder«, sagte der Soldato, der rechts des Aufzugs stand. »Er kehrt nach unten zurück.« Aber bei »15« verhielt der Lift von neuem. Proietti fühlte es eiskalt über seinen Rücken rieseln. Sie hatten sie hereingelegt. Unten, im fünfzehnten Stock, waren zwar auch Wächter postiert, aber es war nicht sicher, ob sie bereits von dem unterrichtet waren, was hier passierte. Proietti stürzte zur Treppe. *
Steve Jackman sah als erstes eine Frau auf dem Flur der fünfzehnten Etage stehen. Er sprang aus dem Fahrkorb, noch ehe die automatische Schiebetür des Lifts völlig aufgeglitten war. Er lief auf die Frau zu. Sie stieß einen entsetzten Laut aus und wollte vor ihm davonrennen, aber er war bereits bei ihr und hielt sie von hinten fest, indem er ihr den linken Arm um den 116
Hals schlang. Die Frau war klein und füllig; Jackman überragte sie um mehr als Kopfeslänge. Dennoch schien sie Kraft zu besitzen, sie wand sich unter seinem Griff, und fast sah es so aus, als könne sie sich doch noch befreien. »Hör auf«, schrie er ihr ins Ohr. »Verdammt, hör auf damit, oder es geht dir dreckig!« Sie verstand ihn offenbar nicht, sprach nur italienisch, stieß immer wieder aus: »Dio mió, Dio mió!« Franco hatte einen der Knöpfe im Inneren der Liftkabine drücken wollen, um sich in Sicherheit zu bringen. Dies wäre seine Chance gewesen, aber er ließ jetzt doch die Hand sinken und trat auf den Flur der Etage. Jackman grinste triumphierend. Er zielte mit der Automatik auf zwei muskulöse Männer, die wie gelähmt ungefähr in der Mitte des Flures nahe des Treppenaufganges standen. Sie wagten es nicht, sich gegen Steve Jackman zu wenden. »Kannst du spanisch?« fragte Jackman Franco Solo. »Gut, dann erklär ihnen, was los ist. Und sag dieser fetten Wachtel hier, sie soll aufhören, mit den Füßen zu trampeln.« »Hören Sie«, wandte Franco sich zunächst auf italienisch an die Frau. »Es hat keinen Zweck, daß Sie sich wehren. Er ist imstande und mißhandelt sie. Seien Sie vernünftig.« »Wer seid ihr, was wollt ihr?« stammelte sie. Franco ging nicht auf die Frage ein. Er rief den beiden betroffenen Wachtposten zu: »Keine Dummheiten, wenn der Frau nichts geschehen soll.« Diesmal sprach er spanisch. Schritte polterten die Treppe herunter, ein sechs Fuß großer, schwerer Mann mit kantigem Gesicht tauchte auf, dann erschienen hinter seinem Rücken zwei weitere Soldati, die ebenfalls aus dem obersten Geschoß heruntergekommen waren. Schließlich öffneten sich Türen, gar nicht weit von Franco, Jackman und der Frau entfernt. Zwei Gestalten taumelten heraus 117
und verharrten zwischen den beiden gegnerischen Parteien. Zwei Frauen. Die eine mochte etwa fünfzig Jahre alt sein, die andere war mindestens sieben bis acht Jahre eher geboren und machte einen beängstigenden Eindruck. Ihrem Zustand nach zu urteilen, schien sie kurz vor einem Schlaganfall zu stehen. »Maria Pia«, sagte die jüngere Frau. »Santo Cielo, gerechter Himmel, was …« »Das ist das Ende«, wisperte die Ältere. »Ich habe es kommen sehen, sie wollen uns hier nicht, sie werden uns alle töten … ja, töten …« Plötzlich wußte Franco, wer die drei Frauen waren: Maria Pia Bindi, geborene Marangoni, Don Giulianos Schwester; Daniela Marangoni, Don Giulianos Frau – und Teresa La Quercia, Rodolfos Tante, die erst heute mit ihrem Mann Vincenzo aus Europa eingetroffen sein konnte … Di Carlis Gorillas durften das Leben dieser Frauen nicht aufs Spiel setzen. Sicherlich war ihnen eingeschärft worden, dieses Risiko auf keinen Fall einzugehen. Ratlos und betroffen standen sie da. Jackman zielte mit der Automatik an Maria Pias Hüfte vorbei auf Daniela Marangoni und Teresa La Quercia. »Randall«, sagte er. »Ich brauche mir keinen abzubrechen, wenn du für mich den Dolmetscher spielst. Sag diesen Hornochsen dort hinten, daß sie uns sofort zu Di Carli führen sollen, oder die Dicke kriegt als erste eine Kugel.« »Ich habe verstanden«, erwiderte Proietti überraschend auf englisch. »Ich riskiere Kopf und Kragen, aber ich habe keine andere Wahl. Folgt mir.« Er drehte sich um und stieg wieder die Treppenstufen empor, gefolgt von seinen Soldati. Die Frauen schritten hinterher, dann kamen Franco Solo und Maria Pia. Steve Jackman bildete das Schlußlicht der eigentümlichen Prozession. 118
*
Don Ettore und Don Giuliano wollten zu den Pistolen greifen, die sie in Inside-Holstern trugen, als sich die Tür des Arbeitszimmers öffnete und die Gruppe eintrat. Aber Jackman rief: »Keine unüberlegten Handlungen, Gentlemen! Laßt euch zu so was nicht hinreißen, es zahlt sich nicht aus!« Rodolfo Marangoni, Sirio Marangoni, Francesco Bindi und Vincenzo La Quercia hatten ebenfalls nach ihren Schußwaffen gefingert, ließen jetzt aber entgeistert die Hände sinken. Keiner wagte es, Widerstand zu leisten. Jackman, der immer noch Maria Pia wie einen Schutzschild vor sich festhielt, hatte die Situation im Griff. Er drückte die Tür hinter sich ins Schloß und sagte höhnisch: »Sieh mal an, das ist ja eine feine Versammlung. Eine richtige kleine Hochzeitsgesellschaft, nicht wahr? Es fehlt nur noch die Braut. Ich nehme an, das ist keine von diesen alten Schachteln hier, oder?« Er lachte. Kein Zweifel, er hatte seinen großen Auftritt und genoß ihn in vollen Zügen. »Jackman«, erwiderte Ettore Di Carli. »Ich erkenne dich an der Stimme wieder. Du hast also wirklich den Nerv, hierher zu kommen …« »Was sagen sie?« fragte Giuliano Marangoni seinen Sohn. »Ich verstehe kein Wort.« Rodolfo übersetzte ins Italienische, und Don Giuliano erbleichte und wandte sich in sizilianischem Dialekt an die übrigen Umstehenden. »Er ist es – l'assassino, der Killer.« »Nehmt keine Rücksicht auf mich«, schrie Maria Pia plötzlich. »Ich sterbe gern, wenn ihr ihn durch mein Opfer fassen und strafen könnt. Ich …« 119
Jackman drückte ihr mit dem linken Arm den Hals zu und herrschte sie an: »Sei still, du altes Dreckstück! Hört auf zu palavern, oder es gibt hier ein einziges Aufräumen, ein Blutbad!« Rodolfo übersetzte auch dies. Donna Teresa La Quercia hob beide Hände, es sah beschwörend aus. »Reizt diesen Mann nicht noch mehr, es hat keinen Sinn.« »Aber er will Rodolfo umbringen!« schrie Don Giuliano sie an. »Randall«, fauchte Jackman. »Tritt zur Seite. Ich feure einmal kurz in diese Saubande hinein, dann sind bestimmt alle still.« »Sie sagen, du willst Rodolfo töten.« Jackman grinste mit einemmal wieder. »Di Carli«, sagte er. »Ich werde diesem geschniegelten Playboy, diesem eingebildeten Provinz-Rennfahrer kein Härchen krümmen. Ich habe einfach kein Interesse mehr an dem Job. Ich will mein Geld, das ist alles. Persönlich habe ich nichts gegen unseren Freund Rodolfo, es genügt mir, wenn ich ausgezahlt werde. Von Della Rovere würde ich keinen Cent mehr erhalten, so oder so; für den bin ich bereits gestorben. Habe ich mich klar ausgedrückt?« »Ja«, antwortete Don Ettore Di Carli. Donna Teresa rang die Hände, blickte flehend um sich. »Wir sind auf dem Weg vom Flughafen hierher überfallen worden, man hat auf unser Auto geschossen und den Taxifahrer verletzt. Warum soll noch mehr Blut fließen? Warum können wir nicht verhandeln?« • »Es ist gut, cara«, sagte Vincenzo La Quercia. »Es wird kein Blutvergießen geben, soweit ich verstanden habe.« Franco musterte den alten Mann, dem man nicht ansah, daß er 120
als Kurier der Mafia arbeitete, als wichtiger Sideman im großen Rauschgift-Geschäft. Die beiden La Quercias waren auf das »Reinwaschen« von »schmutzigem Geld« im Ausland spezialisiert und sie sollten auch hier, in Argentinien, in der neuen Gesellschaft nicht fehlen. Sicher hatte Don Ettore ihnen einen Bewacher geschickt, der sie vom Flughafen hatte abholen sollen, aber trotz dieses Soldatos hatte der Anschlag auf das Taxi der La Quercias stattgefunden – im Stadtteil Palermo. »Also einverstanden, halten wir uns an die Vereinbarungen«, sagte nun Don Ettore auf englisch zu Jackman. »Zehntausend Dollar in bar, mein Freund, wenn du uns auch den Namen dessen verrätst, der Della Rovere über Rodolfos Aufenthalt auf Barbados und über die bevorstehende Hochzeit informierte.« Jackman schüttelte lachend den Kopf. »Tut mir leid, aber das kann ich nicht. In diesem Punkt habe ich geblufft, ich gebe es zu. In New York wurden wir, McCoy und ich, von einem Verbindungsmann der Della Roveres kontaktiert. Dieser Mann gab uns zwar alle erforderlichen Hinweise für unseren Auftrag, aber mehr als den Namen seines Hintermannes Della Rovere konnte er nicht verraten, als wir ihn deswegen bedrängten. Okay?« »Nein«, erwiderte Di Carli so ruhig wie möglich. »Das ist nicht okay.« Jackmans Miene verhärtete sich. »Augenblick mal«, sagte er. »Ich habe mir die restlichen Zehntausend doch verdient, Mann. Ich habe euch nämlich den Typ gebracht, der uns auf Barbados die Hölle heiß gemacht hat. Dieser Bursche ist der Mann mit dem Revolver – Frank Randall. Seinen Revolver habe ich mir eingesteckt. Ich habe ihm auch die Beule hinter dem Ohr beigebracht, denn ich halte ihn für einen durchtriebenen Hund, der für uns alle gefährlich ist.« Alle Blicke richteten sich auf Franco. Franco sah verstohlen zu einem großen, protzigen Bücherregal hinüber, das, ganz aus 121
dunkel gebeiztem Holz gearbeitet und dem italienischen Renaissance-Stil nachempfunden, zweifellos eine Bereicherung des Riesenbüros darstellte. Dieses Möbelstück, eher eine Kombination aus Schrank und Regal, war in seiner Mitte unterbrochen, und eine Tür wurde sichtbar, wenn man aufmerksam genug beobachtete. Für jemand, der elf Männer und drei Frauen in Schach hielt, mußte diese Tür im Verborgenen bleiben, zumal sie sich im dunkelsten Bereich des großen Raumes befand … Jackman wurde in der Tat nicht darauf aufmerksam. Er wies in diesem Augenblick mit der Pistole auf Franco und sagte: »Seht ihn euch gut an, diesen scheinheiligen Schnüffler. Ich dachte zunächst, er sei einer von deinen Gorillas, Rodolfo Marangoni, aber das war ein Irrtum. Du warst der Meinung, der Kerl gehöre zu uns, oder täusche ich mich?« »Du täuschst dich nicht«, gab Marangoni junior kühl zurück. »Wir haben uns also beide geirrt. Ein Schnüffler ist er, ein gottverdammter Privatdetektiv, und er behauptet, er sei wegen einer kanadischen Nymphomanin hinter dir her, Rodolfo.« Rodolfo schien aus allen Wolken zu fallen. »Kanadierin? Etwa die Indianapolis? Himmel, nein, ich weiß mit Sicherheit, daß sie brav in die Arme ihres Ehemanns zurückgekehrt ist. Sie ist weder mit mir abgehauen noch ist sie mir nachgereist …« »Er hat gelogen«, stieß Jackman hervor. »Ich hab’s gewußt. Randall, hey, ist dir klar, was das für dich bedeutet? Oder heißt du gar nicht Frank Randall?« »Wer bist du?« sagte nun auch Rodolfo Marangoni. »Wer immer ich bin, du solltest nicht vergessen, daß ich dir das Leben gerettet habe, Marangoni«, antwortete Fanco. »Laßt euch nicht von ihm reinlegen«, rief Jackman. »Di Carli, ich habe ihn vor deiner Villa abgefangen. Er hat dort zwei Schlafmützen von Wachtposten überwältigt.« 122
Proietti lief dunkel im Gesicht an und brüllte plötzlich los: »Was hast du mit ihnen gemacht, du Hund? Was hast du getan?« »Sie leben«, erklärte Fanco. »Ich habe sie nur gefesselt und geknebelt. Ihr könnt es leicht nachprüfen. Ihr braucht sie nur zu befreien.« »Wer ist der Mann?« wollte Giuliano Marangoni wissen. »Darüber grüble ich auch nach«, sagte Ettore Di Carli. »Und ich schwöre euch, wir kriegen es noch aus ihm heraus, wenn er es nicht freiwillig preisgibt.« »Mr. Spaghetti«, ergriff Jackman wieder das Wort. »Nicht italienisch sprechen. Ich möchte nicht ausfallend werden.« »Überläßt du uns diesen Mann, Jackman?« »Ja. Für zwanzigtausend Dollar.« »Das entspricht nicht unseren Vereinbarungen. Zehntausend hast du bereits eingesteckt«, sagte Di Carli. »Dieser Fang ist mehr wert«, meinte Steve Jackman. »Aber ich kann den Kerl auch wieder mitnehmen, wenn ihr wollt.« »Nein. Sagen wir fünfzehntausend.« »Zwanzig. Ich lasse nicht mit mir handeln. Zwanzig Riesen.« »Don Ettore«, sagte Rodolfo. »Gib ihm das Geld, bitte. Vater und ich, wir steuern selbstverständlich unseren Teil dazu bei. Weißt du, ich bin wahnsinnig neugierig geworden, wer unser mysteriöser Gegenspieler ist.« Sein kalter, bohrender Blick war auf Franco gerichtet. »He, Randall oder wie du heißt – wäre es nicht besser, wir würden Klartext miteinander reden?« Franco schwieg. Di Carli stand nach wie vor hinter seinem Schreibtisch, blickte Jackman an und sagte: 123
»Jackman, ich habe nur fünftausend Dollar in bar hier in meinem Büro, aber ich kann dir über den Rest TravellerSchecks ausstellen, die du überall einlösen kannst. Nur muß ich sowohl die Banknoten als auch die Schecks aus einem Schubladenfach meines Schreibtischs nehmen.« »Gut. Ich komme zu dir.« Jackman setzte sich in Bewegung. Er umrundete den Schreibtisch, hielt Maria Pia immer noch als Geisel fest, wandte der schweren massiv hölzernen SchrankRegal-Konstruktion jetzt den Rücken zu, verfolgte jede Bewegung Ettore Di Carlis, der sich betont langsam über seinen Schreibtisch beugte und nach der einen Schublade griff. Franco dachte: Rodolfo hat Barbados in der Nacht verlassen, hat Buenos Aires auf einigen Umwegen erreicht, weil er Angst hatte, ihm könnte wieder aufgelauert werden – aber er war die ganze Zeit über nicht allein … Die Tür im Regal öffnete sich. Ein kaum wahrnehmbares scharrendes Geräusch warnte Jackman; Jackman fuhr herum, konnte Maria Pia aber nicht mehr zwischen sich und denjenigen zerren, der aus der halb verborgen liegenden Türöffnung heraus feuerte. Er feuerte mit einer Schalldämpferwaffe, die hohl und trocken in den Raum blaffte. Maria Pia wimmerte entsetzt auf. Sie glaubte, der Killer aus den USA würde ihr nun doch noch etwas zuleide tun – aber Steve Jackman fehlte bereits die Kraft dazu. Er war am Hals getroffen, es mußte die Schlagader erwischt haben; er blutete stark, als er Maria Pia Bindi losließ und zu Boden sank. Seine Finger verkrampften sich um die Pistole, aber er konnte den Abzug nicht mehr betätigen, seine rechte und die linke, verkrüppelte Hand bebten, dann lief noch ein Zittern durch seinen Körper, das war alles. Felice D’Itria kam in den Raum. Er ging nicht, er saß auf einem Rollstuhl. Die Schalldämpferpistole, mit der er Jackman getötet hatte, lag auf seinem Schoß. 124
D’Itria stoppte dicht neben dem Toten und spuckte ihn an. »Schwein. Das war meine Rache dafür, daß du mir die Beine kaputtgeschossen hast.« Maria Pia war zu ihrem Mann gelaufen, sie lag ihm in den Armen und weinte. Er redete leise und besänftigend auf sie ein. Vincenzo La Quercia war zu seiner Frau Teresa getreten, ergriff in diesem Augenblick ihre Hand. Ein rührendes Bild, die »Famiglia« ist wieder vereint, dachte Franco Solo. Don Giuliano Marangoni kniete sich neben den toten Killer und entnahm dessen Jackentaschen das Geld, das dieser aus Georgetown in Guayna mitgebracht hatte. Er zählte es in aller Seelenruhe und sagte dann zu Don Ettore: »Etwas mehr als neuntausend noch, amico mio. Glaubte er denn wirklich, wir würden ihm noch mehr zahlen, ohne ihn wie einen Hasen zu hetzen?« Rodolfo Marangoni war bei Franco Solo und sagte leise: »Du wirst reden, nicht wahr? Du wirst freiwillig reden, uns Auskunft über alles geben. Du weißt, was dir blüht, wenn du es nicht tust – Frank Randall. Sag mir, daß du so vernünftig bist.« »Es war ein großartiger Anblick, als du nackt und in panischer Angst über den Strand von Barbados liefst, Mafioso«, entgegnete Franco. »Schade, daß ich das nicht noch mal sehen kann.« Rodolfo schlug zu. Franco lag verkrümmt auf dem Boden und sah Rodolfos rechten, geputzten Schuh zurückschwingen, wartete auf den Tritt, der seine Seite treffen würde – da geschah es. Die Fensterscheiben krachten, die Wände bebten, ein gewaltiges Rütteln lief durch den gesamten Bau, als stünden Giganten neben dem Hotel und hieben mit Hämmern gegen die Wände. Alle schrien auf. Zia Teresa La Quercia wankte und drohte in Ohnmacht zu fallen. »Il Terremoto«, schrie sie. »Ein Erdbeben!« 125
Franco schwanden plötzlich die Sinne, obwohl er dagegen ankämpfte. *
Ein warmes Braun war die Farbe des Teppichbodens; anheimelnd war die Atmosphäre in dem nicht sonderlich großen, aber in vollkommener Harmonie eingerichteten Zimmer. Häßlich war das Erwachen. Die Schmerzen, die von Francos Kinn durch den ganzen Kopf zogen, waren im ersten Augenblick so stark, daß sie ihm Übelkeit bereiteten. Dann aber überwand er das Würgen und die Schwindelgefühle. Er versuchte sich zu bewegen, aber das war unmöglich, weil sie ihm die Arme und Beine gefesselt hatten. Er lag auf dem Teppichboden des Raumes, der mit Sicherheit zum Hotel »Mondial« gehörte, und er konnte sich allenfalls hin- und herwälzen, was ihm aber auch nichts einbrachte. Franco dachte nach. Was war geschehen? Nur eines konnte die Ursache der enormen Erschütterung gewesen sein … Die Tür öffnete sich. Franco erwartete Rodolfo oder Proietti, den »Capitano« der hausinternen Leibgarde, aber er wurde angenehm enttäuscht. Der Besucher war eine Frau. Donna Daniela. In ihren Augen, in ihrer Miene vermochte er keinen Haß zu lesen. Sie schloß die Tür von innen ab, dann huschte sie zu ihm und beugte sich über ihn. »Du verstehst italienisch«, raunte sie ihm zu. »Und ich will offen mit dir reden. Ich glaube, du bist ein Polizist; antworte nicht, es ist nicht erforderlich. Ich suche seit langem nach einem Weg, um diesem … diesem entsetzlichen Wahnsinn ein Ende zu bereiten. Jetzt liegt er vor mir. Ich vertraue dir nicht hundertprozentig, aber ich weiß, daß Rodolfo sterben wird, wenn ich nichts unternehme – und nicht nur er.« 126
»Der Krieg hat gerade erst richtig begonnen«, murmelte Franco. »Wer hat die Bombe ins Hotel geworfen? Die Della Roveres, nicht wahr?« »Ihre Leute. Don Ettore nimmt es jedenfalls an.« »Es gibt keinen Zweifel …« »Sie haben den Sprengstoff während des Durcheinanders, das noch wegen Jackmans Eindringen herrschte, in die Kellergarage geworfen.« Die dunklen Augen der Frau, die einmal schön gewesen sein mußte, blickten in Francos Gesicht, registrierten seine Reaktionen. »Es hat zwei Tote gegeben«, sagte sie. »Gäste des Hotels?« »Nein. Soldati.« »Die Polizei ist eingetroffen?« »Ja, aber von den Attentätern fehlt jede Spur«, erwiderte Daniela Marangoni. »Don Ettore ist sicher, daß Glauco Della Rovere persönlich dabeigewesen ist. Er gilt als fanatischer Bombenbastler. Er wird weitere Schläge dieser Art landen, aus Rache, und Don Ettore und mein Mann können nicht alle Hotels ausreichend sichern.« »Proietti und die anderen Gorillas werden ihrerseits Della Roveres Lokale in der Stadt angreifen«, murmelte Franco. »Das Maß ist voll, Donna Daniela. Jemand muß diesen Wahnsinnigen Einhalt gebieten, ehe Unschuldige sterben.« »Ich will Rodolfo lieber hinter Gittern sehen – als tot«, flüsterte sie und schlug die Augenlider nieder. »Ja, und Sie scheinen der einzige Mensch zu sein, der hier noch einen Funken Vernunft besitzt«, sagte er. »Wo stecken Proietti und der Rest der Hausgarde?« »Sie haben den toten Killer, diesen Jackman, fortgebracht, ehe die Polizei auf die Leiche stößt. Don Ettore hat einen Perserteppich über die Blutlache in seinem Arbeitszimmer legen 127
lassen.« »Großartig. Proietti und seine Handlanger werden zurückkehren. Sie holen mich ab und bringen mich an einen sicheren Platz, wo einer oder zwei von ihnen mich ungestört verhören können. Hier, im.Mondial’, ist kein Verweilen mehr …« »Nein. Auch wir werden verschwinden müssen, denn hier sind wir gefährdet. Wir alle – Don Ettore, mein Mann, ich, unsere Verwandtschaft. Wir werden dorthin fahren, wo auch Donna Angela, Ombretta und Cinzia untergebracht worden sind. Dort bleiben wir vorläufig.« »Auch Rodolfo kommt mit und darf seine ›Sposa‹ Ombretta sehen?« »Ja. Und der Hochzeitstermin wird vorverlegt«, entgegnete sie. »Die Trauung und die Feier hatten ursprünglich erst in vier Tagen stattfinden sollen, aber Don Ettore und Don Giuliano sind übereingekommen, daß es besser ist, die Dinge zu beschleunigen, ehe auch Ombretta und Rodolfo ein Unglück trifft.« »Ja. Klingt sehr einleuchtend. Das frischvermählte Paar wird dann mit unbekanntem Ziel in die Flitterwochen reisen, nicht wahr?« »Ja.« »Wo ist das Versteck von Donna Angela und ihren Töchtern?« wollte Franco wissen. Sie schwieg, hielt seinem eindringlichen Blick aber stand. Schließlich antwortete sie und fügte am Ende der kurzen Ortsbeschreibung, die sie ihm lieferte, hinzu: »Ich verrate es dir, weil du Rodolfo das Leben gerettet hast. Sein Schicksal konnte dir egal sein, aber du hast dort, auf Barbados verhindert, daß sie ihn erschossen. Nichts könnte ich dir höher anrechnen. Wenn mein Mann erfährt, daß ich es dir gesagt habe, bringt er mich um.« 128
»Er wird es nicht erfahren.« Sie blickte sich hastig um. »Ich muß jetzt gehen. Ich kann deine Fesseln soweit lockern, daß du dich später aus eigener Kraft befreist – mehr kann ich nicht für dich tun.« »Ich danke Ihnen«, sagte Franco, während sie sich über ihn beugte und an seinen Stricken zu hantieren begann. »Wirst du dafür sorgen, daß Rodolfo von den Kugeln seiner Feinde verschont bleibt?« »Ich tue alles, was in meinen Kräften steht.« Sie küßte ihn auf die Stirn und erhob sich. Bevor sie sich zum Gehen wandte, sagte Franco: »Sie haben den falschen Mann geheiratet, Donna Daniela. Sie hätten nicht die Lebensgefährtin eines Gangsters werden dürfen.« »Aber jetzt in mein Schicksal fest mit dem seinen verbunden«, erwiderte sie. Damit verließ sie den Raum. *
Der Lieferwagen rollte durch das verblassende Nachmittagslicht in südöstlicher Richtung. Fort von Buenos Aires, durch die Peripherie hindurch und am Ufer des Rio de la Plata entlang auf die Ortschaft La Plata zu. Franco Solo lag gefesselt auf der Landefläche und war sämtlichen Stößen ausgesetzt, die durch das Fahrzeug liefen, wenn es über eine Unebenheit rollte oder ein Schlagloch nahm. Sie hatten ihn durch einen Nebenausgang aus dem »Mondial« bis zu dem Lieferwagen getragen. Die Polizei, die gemeinsam mit der Feuerwehr in der demolierten, rauchgeschwärzten Kellergarage des Hotels ihre Arbeit leistete, hatte von diesem Intermezzo nichts mitbekommen. Der Lieferwagen gehörte zum Fahrzeugpark des 129
Hotelbetriebes. Seine vordere Sitzbank war durch ein Drahtgitter von der Ladefläche getrennt. Auf der Sitzbank saßen Proietti und zwei andere Gorillas, von denen einer das Lenkrad übernommen hatte. Hinten auf der Ladefläche hockte Felice D’Itria auf seinem Rollstuhl. Im Hinterhof des »Mondial« hatten sie ihn mittels einer Hebebühne in den Wagen gehievt, aber das nicht besonders hochbeinige Fahrzeug führte auch eine kleine Rampe mit, wie Franco festgestellt hatte, über die D’Itria jederzeit wieder ins Freie gelangen konnte, ohne Hilfe zu beanspruchen. D’Itria hatte die Schalldämpferpistole auf den Knien liegen, mit der er Jackman getötet hatte. Der Neapolitaner ließ den Mafiajäger nicht aus den Augen. Nein, bemerkt hatte keiner von ihnen, daß Donna Daniela Francos Fesseln gelöst hatte. Sie hatte es so geschickt besorgt, daß die Stricke rein dem äußeren Anschein nach immer noch fest um Francos Hand- und Fußgelenke zusammengezurrt waren. Franco waren die Hände auf dem Rücken zusammengebunden, und die Stricke an seinen Beinen waren ihm mehr als zehnfach um die Waden und Knöchel geschlungen worden; er benötigte mindestens fünfzehn Sekunden, um sich zu befreien. Daher hatte er wieder keine Chance, aus der Gewalt des Gegners zu fliehen. D’Itria wußte, daß es Franco Solo zu verdanken war, daß Jackman und McCoy auf Barbados keinen »reinen Tisch« gemacht hatten. Auch er, D’Itria, wäre in jenem Fall nicht einmal mit zerschossenen Beinen davongekommen, sie hätten ihn umgebracht. Aber deswegen war der Neapolitaner Franco in keiner Weise verbunden. Er würde schießen, wenn Franco sich zu befreien versuchte. Ab und zu blickte D’Itria durch das Heckfenster auf das Asphaltband der Straße, das hinter ihnen in der Dämmerung zurückblieb, dann fixierte er wieder Franco. 130
Proietti hatte sich auf der vorderen Sitzbank umgedreht. Seine Miene war angespannt, fast verzerrt, es arbeitete in ihm. Er grübelte bereits darüber herum, wie er die Gegenattacke auf die Della Roveres am besten führen konnte. Er hatte Punkte verloren, als es Jackman gelungen war, ins »Mondial« einzudringen. Er mußte Di Carlis Vertrauen unbedingt wiedergewinnen, sonst hatte er als »Capitano« ein für allemal verspielt. »Folgt uns auch wirklich niemand?« fragte er den Neapolitaner. »Nein. Bislang ist keiner hinter uns her.« »Gut, wir können ihn uns also ungestört vorknöpfen«, sagte Proietti. »Wohin bringen wir ihn?« »In eines der Strandbäder, die um diese Zeit völlig leerstehen. Ich kenne da einen alten Schuppen, in dem wir jede Behandlung vornehmen können, ohne daß es jemand hört oder beobachtet.« »Randall«, sagte D’Itria. »Willst du nicht doch freiwillig auspacken?« »Was soll ich euch sagen, wenn ich nichts weiß?« antwortete Franco. »Proietti«, rief der Neapolitaner dem Capitano durch das Rumoren der Dieselmaschine zu. »Ich hätte große Lust, schon jetzt mit ihm anzufangen. Ich möchte wissen, wie weit sein Schneid reicht.« »Warte, bis wir am Ziel sind«, erwiderte Proietti. »Ihr vergeudet eure Zeit«, sagte Franco. »Und Della Rovere wird die Gelegenheit wahrnehmen, weitere Bomben zu legen und Di-Carli-Hotels in die Luft zu jagen.« Felice D’Itria wollte mit der Schalldämpferpistole ausholen, aber in diesem Moment stieß der Fahrer des Lieferwagens einen überraschten Laut aus. »Da vorn ist die Straße blockiert«, rief er. 131
»Verdammt, was hat das zu bedeuten?« Proietti richtete den Blick nach vorn. Zwei Personenwagen standen quer zur Fahrbahn; andere Fahrzeuge waren auf diesem einsamen Straßenstück nicht zu sehen. Proietti griff zur Waffe. »Abstoppen und umdrehen«, sagte er. »Die Schweine haben unsere Abfahrt aus dem Hotel doch irgendwie mitgekriegt. Sie haben uns eine Falle gestellt. Los, umdrehen.« »Nein«, schrie D’Itria plötzlich. Er hatte erneut aus dem Heckfenster gespäht und bemerkte nun eine dunkle Limousine, die ihnen beschleunigend folgte. »Sie sind auch hinter uns«, stieß er aus. »Sie müssen auf einem Seitenweg gelauert haben.« »Sie haben sich durch Funk untereinander verständigt«, sagte Franco. »Jetzt kommen sie, um uns alle fertigzumachen.« »Nach links abbiegen«, brüllte Proietti dem Mann am Steuer zu. »Ich kenne mich in der Gegend aus, nur ein kleines Stück, und wir stoßen auf die Straße, die zur Felsenküste führt. Später verbindet sie sich wieder mit dieser Straße. Los, nun mach schon, du Idiot!« Der Fahrer riß das Steuer nach links. Der Lieferwagen holperte über den Seitenstreifen der Fahrbahn hinweg, schoß eine flache Böschung hinab, befand sich auf sandigem, mit Geröll übersätem Untergrund. Eine Staubfahne hinter sich herziehend, raste er in die von Proietti angegebene Richtung. Franco konnte nichts von dem sehen, was die Gegner nun unternahmen, aber er hörte deutlich genug die Projektile, die gegen die Karosserie schlugen. Die dunkle Limousine jagte dem Lieferwagen nach. Sie blieb fast im Sand stecken, kam dann wieder frei, rollte mit heulender Maschine weiter, während an der Straßensperre Della Roveres Killer in ihre beiden Autos sprangen und ebenfalls die Jagd aufnahmen. 132
»Da«, schrie Proietti. »Die Straße! Ich habe recht gehabt! Los, schneller, wir müssen ihnen entkommen, auf einen Kampf können wir uns nicht einlassen, es sind zu viele!« Das Heckfenster zerbrach unter mehreren Kugeleinschlägen, Scherben hagelten, Franco zog den Kopf ein. Felice D’Itria bugsierte seinen Rollstuhl an dem Mafiajäger vorbei, was in dem schwankenden Wagen nicht so einfach war; er war jetzt an der Hecktür, schob die Schalldämpferpistole über den Fensterrahmen hinaus und begann zu schießen. Einer der drei Wagen, die hinter ihnen her waren, scherte unvermittelt nach rechts aus, verlor an Fahrt. D’Itria hatte seinen rechten Vorderreifen getroffen. Mit einem Satz schoß der Lieferwagen auf die Straße. Der Fahrer bewegte wild das Lenkrad, nahm zwei enge Kurven, D’Itria schaukelte in seinem Rollstuhl hin und her, mußte sich am Türgriff festhalten. »Weiter!« feuerte Proietti seinen Fahrer an. »Schneller! Wir haben die Felsenküste erreicht, ich kann das Meer sehen!« »Leute, die Hunde fallen etwas zurück«, meldete der Neapolitaner von achtern. »Sie fahren sich zwar nicht fest, aber sie kommen auf dem Gelände doch nicht so voran wie wir!« »Wir schaffen es!« schrie Proietti. »Schneller!« Der Fahrer verspürte Triumph, ließ sich anspornen, nahm die nächste Kurve auf halsbrecherische Weise. Scharf am Rand der Steilküste entlang verlief die Trasse der Straße. Der Fahrer lenkte den Wagen auch auf die nächste Kurve zu, ohne abzubremsen, überschätzte diesmal die Möglichkeiten des Fahrzeugs – und so geschah es. Es war eine Linkskurve. Der Wagen lehnte sich zu weit nach rechts, hob die linken Räder an, drohte umzukippen und geriet ins Schleudern. Die Ganster schrien durcheinander; der Fahrer kurbelte am Steuer, und irgendwie gelang es ihm, den Wagen vor dem Umstürzen zu bewahren. Hart krachte der Wagen 133
wieder auf die linken Reifen, es ächzte im Fahrwerk, die Reifen radierten über den Asphalt. Es schien, als müsse er in den Abgrund rasen. Der Fahrer verhinderte auch dies. Wild schleuderte der Lieferwagen, doch dann stand er – mit dem Heck zum Strom, hart am Abgrund. Das Motorengeräusch erstarb … »Du hast ihn abgewürgt«, schrie Proietti den Fahrer an. »Los, anlassen, wir müssen hier weg, sonst …« Der Rest seiner Worte ging in dem Geprassel der Kugeln unter, die jetzt die Windschutzscheibe zersägten. Die dunkle Limousine und das zweite Fahrzeug der Gegner waren heran. Gestalten lehnten sich aus den offenen Seitenfenstern, hielten Mpis und schallgedämpfte Pistolen in den Fäusten. »’raus«, brüllte Proietti. »Hinter dem Wagen in Deckung! Geben wir es diesen dreckigen Schweinen!« Sie duckten sich auf den Boden der Fahrerkabine. Der Fahrer stieß den Schlag auf, kroch als erster ins Freie, erwiderte das Feuer der Angreifer. Proietti und der dritte Gorilla folgten ihm, kauerten sich hinter den linken Vorderreifen des Lieferwagens, eröffneten ebenfalls das Feuer. Felice D’Itria hatte fluchend seinen Rollstuhl herummanövriert. Er fuhr nach vorn, hob die Schalldämpferpistole und zielte durch das Trenngitter – aber ehe er schießen konnte, ereilte ihn eine der gegnerischen Kugeln, die schräg von rechts durch die zertrümmerte Windschutzscheibe geflogen kam. Die Schalldämpferpistole entglitt seinen Fingern. Sie polterte auf den Blechboden der Ladefläche. D’Itrias Kopf lehnte sich hintenüber. Franco entledigte sich seiner Fesseln. Er kroch auf die Pistole des Neapolitaners zu, glitt auf das Wagenheck zu und öffnete vorsichtig die Tür. Ein Windstoß erfaßte sie und entriß Franco den Griff. Wild schwang die Tür in ihren Scharnieren hin und her. 134
Della Roveres Leute hatten es gesehen, sie feuerten nun auch auf das Wagenheck. Franco verharrte mit verbissener Miene. Er hörte Schreie. Einer der Di-Carli-Soldati schien getroffen zu sein. Franco schob sich die Schalldämpferpistole in den Hosenbund und wagte es, ins Freie zu kriechen. Keine zwei Handspannen Boden befanden sich zwischen dem offenen Heck des Lieferwagens und dem leeren Raum … Franco duckte sich. Plötzlich ratterte eine Maschinenpistole. Die Garbe war für ihn bestimmt, irgendwie hatten die Gangster aus den Limousinen ihn doch entdeckt – er mußte sich hinwerfen, verlor den Halt, rutschte ab und spürte unter sich plötzlich die Leere, die ihn gut hundert Fuß hinabreißen würde auf die Klippfelsen, die der Küste an dieser Stelle vorgelagert waren. Verzweifelt suchte Franco Solo nach einem Widerstand, an den er sich klammern konnte, er fluchte innerlich darum … und dann, ja, dann hatte er plötzlich wirklich einen Vorsprung gepackt, eine Art Felsennase, die seinen Sturz stoppte. Er mußte sich mit beiden Händen festhalten, konnte an die Pistole, die er sich in den Hosenbund gesteckt hatte, nicht heran. Er war ihnen hilflos ausgeliefert, wenn sie auf die Idee kamen, an der Steilwand herunterzublicken. Etwas schien sich über ihm in Bewegung gesetzt zu haben. War es der Lieferwagen? Ein rollendes Geräusch, dumpf, polternd. Franco hob den Kopf, schaute auf. Der Anblick war furchtbar. D’Itrias Rollstuhl hatte sich auf der Ladefläche des Lieferwagens in Fahrt gesetzt, war auf dem zum Rio de la Plata hin leicht abschüssigen Fahrzeugblech rückwärts gerollt und hatte jetzt soviel Schwung, daß er aus dem Heck hervorschoß, torkelnd über Franco Solos Kopf hinwegflog und in die Tiefe stürzte. D’Itria saß nach wie vor fest in dem Stuhl, nur sein Kopf ruckte wild hin und her. Franco verfolgte die letzte Phase des Sturzes nicht. Die Flut hatte eingesetzt, die See preßte gegen den Strom an, eine gischtende Brandung leckte 135
gegen die Felsen. Durch ihr Rauschen war zu vernehmen, wie der Rollstuhl auf den Klippen zerschellte. Das Schießen hörte auf. Schritte waren zu hören. Jemand fluchte, jemand schrie auf, mehr nahm Franco nicht wahr, dann klappten Autotüren. Motoren brummten auf und knirschend entfernten sich die Limousinen. Franco atmete tief durch. Sie hatten ihn nicht entdeckt, aber der Kampf ums nackte Leben war noch nicht vorbei. Er hing zwischen Leben und Tod, die Dunkelheit senkte sich auf ihn und schien ihn erdrücken, auslöschen zu wollen. *
Franco sammelte Kräfte, konzentrierte sich und unternahm einen Klimmzug. Er brachte sein Kinn in die Höhe der Felsennase, dann versuchte er auch die Beine nachzuziehen und sie über den Vorsprung zu schwingen, und dies war der weitaus schwierigere Teil seines Unternehmens. Er drohte ganz abzurutschen; der Schweiß brach ihm aus. Seine Hände wurden feucht und rutschig. Mit Mühe kämpfte er seine Verzweiflung nieder, dann probierte er es von neuem. Diesmal klappte es. Er stemmte seine Knie auf den Gesteinsauswuchs, schob seinen Oberkörper höher, streckte die Hände aus, klammerte sich ganz oben, an der Kante des Abbruchs, fest. Kurz darauf kauerte er wieder hinter dem Heck des Lieferwagens. Er hielt Ausschau, wagte sich dann mit gezückter Pistole aus seiner Deckung hervor. Die beiden Soldati Di Carlis waren tot, sie lagen reglos neben dem linken Vorderreifen. Proietti war fort. Sie hatten ihn mitgenommen. Vielleicht war er verwundet, innerlich auf jeden 136
Fall am Ende. Sie würden ihm zusetzen und herausbekommen, wo Ombretta steckte. Das war ihr Ziel. Franco zweifelte keine Sekunde daran. Proietti und einige andere Gangster hatten am Vortag Donna Angela Di Carli und die beiden Mädchen fortgebracht. Daß Proietti als der »Capitano di Casa«, als House Captain, diese wichtige Aufgabe übernommen hatte, war Franco von Anfang an klargewesen. Der »Capitano« war einer der engsten Vertrauten des Capos. Don Ettore hatte voll auf ihn gesetzt, ahnte nichts von dieser Wende … Franco schloß die Hecktür des Lieferwagens, dann kletterte er hinter das Steuer und versuchte, den Motor anzulassen. Er machte das dreimal und verlor fast die Geduld, aber beim viertenmal sprang die Maschine endlich an. Franco konnte mit dem ramponierten Wagen weiterfahren. Die Reifen waren noch heil, und auch genug Diesel befand sich im Tank, wie er durch einen Blick auf die Armaturen feststellte. *
Don Ettores »Ausweichquartier«, ein eher bescheidenes Einfamilienhaus mit kleinem Garten, lag jenseits von La Plata in Atalaya, direkt am Rio de la Plata. Donna Danielas Ortsbeschreibung erwies sich als ausgezeichnet. Franco gelangte bis in die Nähe des Hauses, ohne sich auch nur einmal zu verfahren. Er versteckte den Lieferwagen in einem Pinienwald und schlich mit gezogener, entsicherter Pistole auf das Haus zu, dessen Lichter in der klaren Abendluft leuchteten. Als erstes stieß er auf die zwei unbewachten Limousinen der Della-Rovera-Gang. In dem dunkleren Fahrzeug – ob es dunkelblau oder schwarz war, ließ sich nicht feststellen – saß Prioietti. Bei seinem Anblick riß Franco unwillkürlich die Pistole hoch. Dann aber wurde er sich bewußt, daß der Mann tot 137
war, daß er nie wieder irgend jemand gefährlich werden würde. Sie hatten ihm entlockt, wo das Versteck der Di Carlis lag, hatten ihn grausam zugerichtet … Das Rattern einer Maschinenpistole erklang. Aus dem Haus oder aus der nahen Umgebung des Hauses wehte ein Schrei herüber. Franco wandte sich von den Autos und dem toten Gangster ab und begann zu laufen. Er verließ den Pinienwald, schlug sich durch Buschwerk, arbeitete sich an das Haus heran. Zuletzt kroch er flach auf dem Boden, erreichte ein freies Stück Gelände vor der Einfriedigung des Gartens und wurde Zeuge, wie die Killer Della Roveres und die Leibwächter Di Carlis sich ein erbittertes Gefecht lieferten. An den Mündungsblitzen der Waffen konnte Franco zählen, wie groß die Übermacht der Angreifer war. Sechs Mpi- und Pistolenschützen gegen zwei Soldati der Di-Carli-Familie, die sich im Garten verschanzt hatten. Donna Angela und die Mädchen mußten im Haus sein, sie griffen nicht mit ein, waren keine waffenschwingenden Amazonen. Die Angreifer pirschten sich langsam, aber systematisch an. Franco überlegte noch, wie er am besten handeln konnte, da brach einer der Leibwächter im Garten zusammen. Er konnte die stürzende Gestalt deutlich erkennen. Der andere Posten hinter der Einfriedung feuerte auf den Todesschützen, traf ihn auch; ein erstickter Schrei war der Beweis. Franco lauerte im Dickicht, war bereits drauf und dran, weiter nach links hinüberzurobben, um sich die Della-Rovere-Gangster vorzunehmen – da trat etwas Unerwartetes ein. Links neben ihm raschelte es leise im Gesträuch. Franco hielt den Atem an. Ein Arm schob sich zwischen Blättern und Zweigen hervor, dann die Flanke einer Männergestalt. Franco fuhr hoch und packte zu. Er riß den Mann am Arm über seine rechte Schulter hinweg, brachte ihn hart zu Fall. Der 138
Kerl fuhr auf den Boden herum, riß seine Pistole hoch und wollte auf Franco schießen, aber der Mafiajäger war schneller. Er bückte sich, griff zu und entriß ihm die Pistole. Er hatte Glauco Della Rovere vor sich. Franco packte ihn an den Jackettaufschlägen und zerrte ihn zu sich hoch. Im Garten des Hauses starb der zweite Leibwächter, und die vier Soldati von Della Roveres Gang stürmten das Grundstück. Franco dirigierte Glauco vor sich her, schob die Schalldämpferautomatik an der Hüfte des Mafiosos vorbei und drückte zweimal ab. Einer der Angreifer stürzte getroffen, überschlug sich auf dem Untergrund, und blieb reglos liegen. Die anderen stockten, zogen sich zurück. »Sag ihnen, sie sollen sich ergeben«, zischte Franco Glauco ins Ohr. Glaucos gute körperliche Kondition hatte die Oberhand gewonnen – er war nicht ohnmächtig geworden. Er verstand, nickte, als Franco ihm die Mündung der Pistole in die Körperseite bohrte. »Aufhören!« Glaucos Stimme gellte durch die Nacht. Seine Männer verhielten sich zunächst unschlüssig, aber dann, als er seine Aufforderung wiederholte, ließen sie die Waffen sinken und schritten langsam zu ihrem Capo herüber. Es waren noch drei. Franco bedeutete ihnen, die Waffen fortzuwerfen. Dann mußten sie vor ihm und Glauco her durch den Garten und an dem Alfa 2500 vorbei, in dem Donna Angela und ihre Töchter gekommen waren, auf den Eingang des Hauses zumarschieren. Die Tür öffnete sich. Ein Mädchen, etwa fünfzehn Jahre alt und um die Hüften herum ein wenig füllig, trat heraus und sagte: »Wir haben alles beobachtet. Einfach großartig hast du das gemacht, amico. Wer schickt dich? Unser Padre? Ohne dich wären wir hier verloren gewesen …« Eine Frau war hinter sie getreten, schob sie beiseite. Franco 139
sah Donna Angela fest in die Augen. »Helfen Sie mir, diese Kerle zu fesseln«, forderte er sie auf. »Sie werden doch wohl ein paar Stricke oder Gürtel im Haus haben, mit denen wir das erledigen können.« »Wer sind Sie?« erwiderte sie. »Ich habe Sie nie gesehen.« »Ich erledige einen Sonderauftrag«, sagte er. »Don Ettore wird Ihnen alles besser erklären können, Signora.« Die Frau und das Mädchen ließen ihn mit den gefangenen Gangstern eintreten – und dann sah Franco zum erstenmal Ombretta Di Carli. Ein beispielhaft schönes Mädchen; sie trug die brünetten, seidigen Haare hochgesteckt, hatte sich einen langen schwarzen Rock und eine dazu passende hellere Bluse angezogen. Ihr Gesicht war ausdrucksvoll, von weicher Ebenmäßigkeit, ihre Lippen empfindsam geschwungen. Der Blick ihrer dunklen Augen heftete sich auf Francos Gesicht. Ein Juwel, zu schade, um einem Rodolfo Marangoni ausgeliefert zu werden … Sie fesselten Glauco Della Rovere und seine Gorillas an vier Stühlen, dann wies Franco auf den jungen Mafioso und erklärte: »Er wollte Sie entführen, Ombretta. Ich brauche Ihnen wohl nicht auseinanderzusetzen, was er noch mit Ihnen vorhatte. Ein berührtes Mädchen ist nach alter sizilianischer Sitte kein heiratsfähiges Mädchen mehr – und die Sitten haben hier doch Gewicht, nicht wahr?« »Ja«, flüsterte sie erschüttert. »Alles soll auf der Tradition beruhen. Die Familie arrangiert alles auf ihre Art.« »Ombretta«, sagte ihre Mutter. Franco nahm den Blick nicht von dem Mädchen. »Zu Ihrer Information – der Hochzeitstermin ist vorverlegt worden. Ich soll Sie sofort zu Rodolfo bringen. Kommen Sie, Ombretta, man wartet auf uns.« 140
Sie wich zurück. »Nein! Nein, das … so einfach geht das doch nicht …« Glauco Della Rovere begann zu lachen. »Jetzt hast du dich selbst hereingelegt, Ombretta, und ich gönne es dir. Kein Reis, wie er nach der Trauung über dem Paar verstreut wird, kein ewiges Glück – kein ›Sposalizio‹, nicht wahr?« »Nein«, keuchte sie. »Nein, ich will es nicht.« Cinzia mischte sich ein. »Sag mal, was ist denn los, Ombretta? Du hast mir doch erzählt, daß nur das von Wichtigkeit ist, was in euren Herzen ist. Die Liebe. Wieso sprichst du jetzt so? Hast du mich angelogen? Liebst du Rodolfo gar nicht?« »Gib es doch zu!« rief Glauco. »Verrate ihnen alles, sie haben jetzt ein Recht darauf – jetzt, wo ja doch alles schiefgelaufen ist.« Angela Di Carli schlug die Hände vor den Mund. »Ombretta«, hauchte sie entsetzt. »Nein, nicht das …« Das zweiundzwanzigjährige Mädchen stand in der Mitte des Wohnraumes; der Ausdruck in ihrem Gesicht wandelte sich, war jetzt nicht mehr verstört, sondern hart. »Also gut. Es ist schnell gesagt. Rodolfo, dieser Frauenheld und Egoist, dieser Verbrecher – ich habe ihn nie gemocht. Aber ich habe mich dem Willen meines Vaters beugen müssen. Er hat mir immer wieder gedroht. Ja, Mutter – Don Ettore hat mir die schlimmsten Sachen angedroht, falls ich nicht einwilligte. Schließlich habe ich mich gefügt und so getan, als würde ich aus freien Stücken die Hochzeit akzeptieren. Aber heimlich setzte ich mich mit den Della Roveres in Verbindung.« »Nein!« Ihre Mutter schrie es. Franco schwieg, er war nur noch Beobachter, Statist. Er hielt die Schalldämpferpistole noch in der rechten Hand, mit der Mündung zum Boden gesenkt. Sein Blick wanderte hin und her, von den Gangstern zu der Frau, zu den Mädchen. 141
»Ja, ich wollte Rodolfo töten lassen, deswegen verriet ich alles«, sagte Ombretta. »Nein, ich liebe keinen anderen. Ich wollte nur frei sein von diesen elenden familiären Zwängen. Ich will fort. Man kann keinen Menschen zwingen, sich für den Rest seines Lebens zu ruinieren – und ihn zum Mitwisser, zum Komplizen unbeschreiblicher Verbrechen zu machen. Ich dachte, ich würde es schaffen, dieses Drama zu verhindern, aber ich habe versagt und werde dafür bezahlen.« Angela Di Carli hatte sich auf einen Sessel sinken lassen und begann zu weinen. »Verbrechen?« wiederholte Cinzia verblüfft. »Von was für Verbrechen sprichst du eigentlich? Bist du nicht mehr ganz dicht, Schwester?« Ombretta ging wortlos ins Nebenzimmer und kehrte mit einem Diplomatenkoffer zurück, den sie auf dem Tisch absetzte. Sie öffnete die Kombinationsschlösser, klappte den Deckel auf und wies auf die Plastikbeutel mit dem weißen Inhalt, die säuberlich gestapelt das Innere des Koffers ausfüllten. »Das habe ich in Vaters Arbeitszimmer im Schreibtisch gefunden«, sagte sie. »Ich habe nach der Zahlenfolge für die Schlösser lange suchen müssen, aber endlich klappte es. Er glaubt, der Koffer läge bei uns zu Hause gut verborgen im Keller, aber er irrt sich eben. Cinzia, weißt du, was das ist?« Ihre Schwester blickte erstaunt auf die Säckchen mit dem schneeweißen Pulver darin. »Nein. Sieht aus wie Waschpulver – oder ganz feines Salz. Oder Zucker.« Glauco lachte wieder. »Es ist Heroin«, klärte Ombretta sie auf. »Heroin, Rohopium, Morphiumbasis, Mescalin, Kokain, Amphetamine – Gift, das die Menschen kaputt macht. Ich weiß, wo noch mehr von dem Zeug liegt. Ja, ich kenne fast alle Verstecke. Ich habe Gespräche belauscht, die unser treusorgender Padre mit seinen ›Geschäftspartnern‹ geführt hat, auch mit den Marangonis – ich 142
kenne sie fast alle, verstehst du?« Cinzia fing an zu stammeln: »Auch deshalb … wolltest du Rodolfo töten lassen?« »Auch deshalb.« »Und Vater, Don Giuliano, die ganze zukünftige Verwandtschaft …« »Sie alle verdienen es, verurteilt und hinter Gitter gebracht zu werden«, antwortete Ombretta. »Mutter, hör auf zu weinen. Du weißt, daß ich recht habe – nicht sie, die anderen, die Mafiosi. Dachtest du denn, ich würde die Wahrheit nie herauskriegen?« Franco warf einen Blick aus dem Fenster und sah Scheinwerferkegel, die sich dem Haus näherten. »Sie kommen«, sagte er. »Don Ettore, Don Giuliano, Donna Daniela, Rodolfo, Sirio, Francesco, Maria Pia, Vincenzo und Teresa – die ganze hochverehrte Clique.« »Lassen Sie mich fliehen«, flehte Ombretta Franco plötzlich an. »Ich muß mich vor ihnen verstecken, denn sie werden mich töten, wenn sie es erfahren.« »Das läßt sich einrichten«, erwiderte Franco, und plötzlich lächelte er. »Wissen Sie, ich habe nie den Auftrag gehabt, Sie zu Rodolfo zu bringen. Das habe ich nur vorgeschoben, um Sie zum Sprechen zu bringen. Ich stehe auf einer anderen Seite, ich vertrete das Recht. Ich brauche nur eine der Maschinenpistolen, die noch draußen im Garten herumliegen, dann kann ich die komplette Gesellschaft hier festnageln. Wir bringen sie alle hinter Gitter, auch die Della Roveres, das Belastungsmaterial ist ausreichend. Sie brauchen mich nicht so zweifelnd anzusehen, Ombretta. Sie dürfen mir ruhig glauben.« »Ich glaube Ihnen«, gab sie zurück. »Wer immer Sie auch sind. Es ist meine letzte Chance.« Sie ging ins Freie, um eine der Maschinenpistolen zu holen, ehe die Wagen Don Ettores heran waren. 143
Donna Angela Di Carli hatte sich erhoben. Sie strich sich mit den Händen den Rock glatt und sagte: »Gut, auch ich habe meine Entscheidung gefällt. Meine Töchter sind mir wichtiger als mein Mann und seine Ränkespiele. Wenn Sie es mir gestatten, rufe ich jetzt die Polizei an.« »Bitte«, erwiderte Franco. »Und ich danke Ihnen. Sie sind eine sehr mutige Frau. Wie Donna Daniela Marangoni. Wie Ombretta.« Er blickte zu der Fünfzehnjährigen, die ihn aus großen, fragenden Augen anschaute. »Ja, und wie Cinzia natürlich«, fügte er hinzu. »Was wird nun aus meiner Schwester?« fragte Cinzia. »Sie hätte besser daran getan, zur Polizei zu gehen, statt die Della Roveres zu einem Komplott gegen die Marangonis und den Di-Carli-Clan zu veranlassen«, entgegnete der Mafiajäger. »Aber sie wird auch als Kronzeugin gegen die drei Familien auftreten – und das bewahrt sie vor drastischen Strafen.« »Na, da bin ich aber froh«, sagte das Mädchen aufatmend. Ombretta war zurückgekehrt. Sie reichte Franco Solo die Maschinenpistole, die sie im Garten aufgelesen hatte, und Franco nahm neben der Tür Aufstellung, um Don Giuliano, Rodolfo und den anderen einen gebührenden Empfang zu bereiten. ENDE
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