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G. F. UNGER Ein Begriff für Western-Kenner G. F. UNGER ist der erfolgreichste Western-Schriftsteller deutscher Sprache. BASTEI-LÜBBE veröffentlicht in dieser Reihe exklusiv seine großen Taschenbuch-Bestseller.
Das Million-Cliff-Land Weil der Preisboxer Barton Kelly es ablehnt, einen Wettschwindel mitzumachen, wird er von zwei skrupellosen Gaunern übel hereingelegt. Es gelingt ihnen, Barton einen Raubmord anzuhängen, den sie selber begangen haben. Doch Barton kann mit seinem alten Freund und Manager Tob White fliehen. Im Land der Geächteten finden sie Zuflucht. Vielleicht wären sie dort schon bald Banditen geworden, wenn das Schicksal ihnen nicht noch einmal eine Chance gegeben hätte. Und so stehen sie plötzlich den beiden Kerlen gegenüber, die schuld daran sind, dass man Barton Kelly als Mörder jagt …
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH Band 43 381 1. Auflage: August 2002
Vollständige Taschenbuchausgabe Bastei Lübbe Taschenbücher ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe All rights reserved © 2002 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach Lektorat: Will Platten Titelillustration: Manuel Prieto / Norma Agency, Barcelona Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg Satz: Heinrich Fanslau, Communication / EDV, Düsseldorf Druck und Verarbeitung: AIT, Trondheim AS, Norwegen Printed in Norway ISBN 3-404-43381-5 Sie finden uns im Internet unter http://www.bastei.de oder http://www.luebbe.de Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
Barton Kellys Weg war rau und hart. Und er kam oft in Not und musste kämpfen. Er kam sogar so sehr in Not, dass er ins Million-Cliff-Land, ins Land der Banditen, flüchten musste. Doch er verlor nie den Glauben an sich selbst. Er wusste auch stets ganz genau, wo die Grenze liegt, die ein Mann nicht überschreiten darf, wenn er nicht die Selbstachtung verlieren will. Und weil das so war, musste Barton Kelly eines Tages wieder den Weg nach oben und zu einer besseren Zeit finden. Das konnte nicht ausbleiben. Dies ist eine Geschichte aus einer Zeit, die längst vorbei ist. Und dennoch gilt auch heute in unserer Zeit noch eines: Ein Mann darf sich nicht aufgeben! Und Barton Kelly, dessen Weg damals so sehr viel schwerer war, als es heute in unserer zivilisierten Zeit sein könnte, soll ein Beispiel dafür sein. G. F. Unger
1 Tob White betrachtet seinen Schützling wohlgefällig, denn er kann an Barton Kelly all das erkennen, was ihm damals fehlte – damals, als er so jung wie Barton Kelly war und sich einen Namen als Preisboxer gemacht hatte. Doch dann stieß er auf Ben Conelly, den man den »Stier von Kentucky« nannte. Oh, Conelly war nicht der Mann, vor dem Tob White sich hätte fürchten müssen. Das wussten fast alle Leute. Und deshalb standen die Wetten damals hoch für ihn, Tob White. Aber dann verlor er doch gegen Ben Conelly. Er verlor, weil ihn einige Burschen dazu »überredet« hatten, überredet mit massiven Drohungen. Und er hatte damals Furcht verspürt und sich erpressen lassen. Hunderte von Männern, die auf ihn gewettet hatten, wurden so enttäuscht und betrogen. Und jene wenigen Wetter, die auf Ben Conelly wetteten, bekamen jeden Dollar zehnfach zurück. Tob White denkt wieder daran, als er Barton Kelly betrachtet. Und er fragt sich, was Bart wohl tun würde, wenn man auch ihn auf diese Art zu einem Betrug erpressen wollte. Ja, was würde Bart tun? Tob White gibt sich sofort die Antwort; denn er kennt Bart wie einen eigenen Sohn. Er weiß, wie sehr Barton Kelly ein Kämpfer ist. Und weil ihm dies so sehr klar ist, hat er keinen Zweifel daran, dass Barton sich nicht erpressen ließe. Doch da würden sie ihn umbringen! Dies denkt er erschrocken, und etwas von diesem Schrecken muss sich wohl in seinem Gesicht ausdrücken, denn Barton Kelly, der seine Hände in einer Schüssel badet, die mit einer grünlichen Flüssigkeit gefüllt ist, betrachtet ihn und sagt:
»Tob, welcher Kummer quält dich jetzt? Dein Gesicht ist jetzt so faltig wie ein alter Apfel, den man im Keller vergessen hat. Und deine Augen blicken so erschrocken wie die von Tante Mayflower, als sie beim Ball am Unabhängigkeitstag den falschen Zopf verlor. Was ist mit dir, Tobias?« Tob White grinst sofort. Er hebt die Hand und wischt sich über das faltige Gesicht, welches wie aus Baumrinde gemacht wirkt. Seine zerschlagenen Boxerohren bewegen sich seltsam, denn er grinst nun breit. Und dann murmelt er: »Ach, was! Ich dachte nur an alte Zeiten, als ich noch so jung war wie du. Ich wurde damals von Ben Conelly geschlagen – das heißt, ich ließ mich schlagen. Alle Leute wussten es. Und ich war nachher erledigt. Ich überlegte mir gerade, was du wohl an meiner Stelle …« Er kommt nicht weiter, denn die Tür wird geöffnet. Zwei Männer schieben sich in den Raum. Der eine Besucher ist nicht sehr groß, und er verfügt auch sicherlich über keine besondere körperliche Stärke. Doch er wirkt zäh und drahtig. Es ist nichts besonders Auffälliges an ihm, so meint man, bis man in seine Augen blickt. Und dann erschrickt man irgendwie oder wird zumindest vorsichtig und wachsam. Und dieser kleine Mann erscheint einem gar nicht mehr so unscheinbar. Er wirkt plötzlich sehr viel beachtlicher als der breite und riesenstarke Kerl, der hinter ihm in den Raum kommt und sich von innen gegen die Tür lehnt, ein langes, dolchartiges Messer zum Vorschein bringt und damit seine Fingernägel zu säubern beginnt. Barton Kelly nimmt seine Hände aus der Badeflüssigkeit. Es ist ein besonderer Saft, den Tob White nach einem Geheimrezept herstellt. Er macht die Haut hart und fest und verhindert das Aufschlagen der Handknöchel. Denn man schreibt ja das Jahr 1870, und die Preisboxer kämpfen noch ohne Handschuhe. Boxhandschuhe werden erst im Jahre 1892 eingeführt, als James J. Corbett, genannt
»Gentleman-Jim«, den Weltmeister Sullivan nach den erstmals geltenden Queensberry-Regeln in der 21. Runde entscheidend besiegt. Man kämpft also ohne Handschuhe und mit der blanken Faust, und deshalb muss ein Boxer wie Barton Kelly etwas dafür tun, dass seine Hände sich nicht so schnell aufschlagen und zu bluten beginnen. Er nimmt also seine Hände aus der Flüssigkeit und betrachtet die beiden Besucher ruhig. Barton Kelly ist ein junger Mann von etwa vierundzwanzig Jahren. Er gehört nicht zu den boxenden Riesen, und er ist auch kein superschwergewichtiger Muskelberg. Barton Kelly ist ein junger Athlet von etwa einsachtzig, und er wiegt nicht viel mehr als hundertsiebzig Pfund. Das ist für einen Preisboxer nicht besonders beachtlich. Denn es gibt ja noch keine Gewichtsklassen. Barton Kelly hat schon mit Männern gekämpft, die sechzig Pfund mehr wogen, und das waren sechzig Pfund mehr Masse, mehr Muskeln, mehr Knochen. Doch er schlug sie. Und das ist das Besondere an ihm. Er scheint aus einer besonderen Substanz gefertigt zu sein, die mehr aushalten und mehr leisten kann. Er ist prächtig gebaut, und sein Gesicht ist fast hübsch. Er ist einer der vielen Kellys, die aus Irland in die neue Welt kamen, und so ist auch sein Haar gekräuselt und rot. Er hat eine Menge Sommersprossen und zwei scharfe, grünblaue Augen, die tief geschützt in ihren Höhlen liegen und weit auseinander stehen. Dass er Preisboxer ist, sieht man ihm angekleidet bestimmt nicht an. Er konnte bisher sein Gesicht vor all den schlimmen Zeichen bewahren. Und selbst seine Ohren sind noch weit davon entfernt, »Blumenkohlohren« zu sein – ein Ausdruck, den die Boxer gebrauchen. Er lächelt leicht und sagt: »Wenn dies ein Besuch sein soll, dann ist es sicherlich kein freundlicher, nicht wahr?«
»Nein, nicht sehr, nur rein geschäftlich«, sagt der kleine Mann. Er macht eine schnelle Bewegung und hat plötzlich einen Revolver in der Hand. Es wirkt wie eine Zauberei und ganz so, als hätte er diesen Revolver aus der Luft gegriffen. »Mein Name ist Mallone«, sagt er fast sanft. »Duff Mallone bin ich. Und dieser Gent an der Tür ist mein lieber Bruder Bill. Wir arbeiten schon eine ganze Weile in Geschäften der Überredung. Und wir sind noch keinem Menschen begegnet, der sich von uns nicht zu seinem Vorteil überreden ließ.« Er lächelt auf eine Art, die an einen Terrier erinnert, der gerne Ratten jagt und voller Vorfreude seine Zähne zeigt. Aber Barton Kelly ist keine Ratte. Er bleibt ruhig und fragt sanft: »Und nun möchten Sie mich zu einer Handlungsweise überreden, die überdies auch noch zu meinem Vorteil sein soll? Ja?« »Für einen Preiskämpfer, der doch gewiss immer wieder harte Fäuste gegen den Kopf bekommt und deshalb nach einer gewissen Anzahl von Kämpfen nicht mehr ganz richtig im Kopf sein kann, begreifen Sie ziemlich gut und schnell, mein Freund von Irlands grüner Insel«, erwidert Duff Mallone. Er macht dann wieder eine leichte Handbewegung, die selbst für Barton Kellys gutes Boxerauge nicht ganz in ihrem Ablauf zu erkennen ist. Sein Revolver ist verschwunden, und an seinem kleinsten Finger funkelt nun ein Brillantring, der zuvor, als die Hand die Waffe hielt, nicht zur Geltung kam. Überhaupt sind die beiden so ungleichen Brüder sehr teuer gekleidet, und das will hier in Saint Louis etwas heißen, denn hier gibt es eine ganze Anzahl guter Schneider, und mit den Saloon-Schiffen kommen genügend Gentlemen oder Dandys den Mississippi herauf, die nach der neuesten Mode gekleidet sind oder sich hier entsprechend einkleiden. Aber wenn hier geschrieben wird, dass die beiden Mallone-Brüder teuer gekleidet sind, so ist damit nicht
gemeint, dass sie elegant wirken. Duff Mallone wirkt zu sehr nur äußerlich nobel. Und sein Bruder Bill wirkt wie ein Tanzbär, den man verkleidet hat. Ein Bär aber ist gefährlich. Er ist sogar gefährlicher und vor allen Dingen unberechenbarer als jedes andere Raubtier. Und daran ändern auch irgendwelche lustigen oder gar noblen Verkleidungen nichts. Barton Kelly hört seinen guten, alten Tob leise, doch unverkennbar bitter seufzen. Und in die Stille hört er ihn gepresst flüstern: »Das ist es wohl. Ich musste soeben so sehr daran denken, wie es mir damals erging. Und es wiederholen sich wohl manche Dinge im Leben.« Er kommt zu Barton Kelly, legt seine Hand auf dessen Arm und murmelt bitter: »Diese Mallones sind schlimm. Jeder weiß das. Vielleicht weißt du über sie nicht so richtig Bescheid, Bart, mein Junge. Doch…« »Ich wüsste Bescheid, auch wenn ich zuvor noch nichts über sie gehört hätte«, erwidert Barton Kelly. Und dann sieht er Duff Mallone an. »Was soll es sein?«, fragt er. »Das ist vernünftig«, lächelt der kleine Bandit – ja, er ist ein Bandit, dieser Duff Mallone. Das ist es, was man spürt, wenn man in seine harten und hellen Augen blickt und darin die unversöhnliche Mitleidlosigkeit erkennt, jene Kälte und Härte, die so gefühllos ist, dass man meint, seine Augen wären Eis, nichts anderes. »Sie werden sich von Ihrem Gegner verprügeln lassen, Barton Kelly«, spricht er dann präzise und leidenschaftslos. »Sie werden einen Schaukampf veranstalten und sich in der fünften oder sechsten Runde auf die Bretter legen. Es muss echt aussehen, wenn Ed Adamson gegen Sie gewinnt. Und wenn er nicht gewinnen sollte …« Er verstummt ganz lässig und gedehnt. Doch sein Revolver
liegt wieder in seiner Hand. Und sein Bruder wirft plötzlich das dolchartige Wurfmesser, mit dem er an den Fingernägeln kratzte. Das Messer fährt in den Wandkalender. Die Blätter dieses Kalenders sind nicht größer als eine Hand. Denn es ist ein Abreißkalender. Die Klinge bohrt sich tief in alle Blätter und heftet sie mitsamt dem Papprücken fest gegen das Holz der Wand. Das oberste Blatt zeigt den genauen Tag an. Es ist der 23. Juni 1870 in Saint Louis, und in den Zeitungen kann man lesen, dass am Nachmittag die beiden Preiskämpfer Barton Kelly und Ed Adamson kämpfen. Man kann auch sehen, dass die Wetten sieben zu eins für Barton Kelly stehen. Und das ist es ja wohl auch, was die Besucher hier zu Barton Kelly führt. Denn stünden die Wetten zu Ed Adamsons Gunsten, so würden sich die beiden Mallones wohl bei diesem eingefunden haben, um ihn zu etwas zu überreden, was nichts anderes als ein Wettbetrug sein kann. Der bullige Mallone bewegt sich nun durch das Zimmer und holt sich sein Messer. Er bewegt sich sehr leicht, lässt das Messer in seiner Kleidung verschwinden und starrt Barton Kelly an. »Wir sind sehr zuverlässig«, sagt er kehlig. »Was wir versprechen, halten wir. Dies sind wir unserem Ruf schuldig. Wir haben versprochen, dafür zu sorgen, dass Ed Adamson den Kampf gewinnen wird. Wir gaben gewissermaßen unser Wort darauf. Und wenn ihr uns wortbrüchig machen solltet, dann bekommt ihr was von uns, was euch nicht schmecken wird. Ihr werdet es nicht verdauen können. Bestimmt nicht!« Nach diesen Worten geht er zur Tür. Und sein Bruder Duff, der ihn reden ließ und lächelnd zuhörte, so als freute er sich darüber, dass der bullige Bruder einige zusammenhängende Worte sprechen kann, nickt nun und fügt nur noch hinzu: »Das war’s also, Gentlemen!« Als er es gesagt hat, folgt er Bill, der ihm die Tür aufhält
und dann hinter ihnen schließt. Es ist dann still im Zimmer. In diese Stille tönt Tob Whites Seufzen und kommen gepresst seine Worte: »Das ist es! Jawohl! Bart, mein Junge, sie machen es mit dir genauso wie damals mit mir. Damals kamen drei Burschen zu mir, ein Revolvermann und zwei Schläger. Und als sie gingen, da wusste ich, dass sie mich irgendwie aus dem Hinterhalt erwischen und töten würden, wenn ich nicht das tun würde, was sie von mir verlangten.« Er verstummt heiser, räuspert sich und wischt sich übers Gesicht. Dann kommt er zu Barton, legt diesem die Hand auf die Schulter und sagt: »Bart, du weißt, ich bin dein alter, guter Tob. Du weißt, dass ich glücklich sein würde, wenn du all das erreichen könntest, was ich damals nicht schaffen konnte. Doch ich muss dich warnen. Diese beiden Mallones bluffen nicht. Sie werden versuchen, dich zu töten, wenn du den Kampf gewinnen solltest.« Bart betrachtet ihn seltsam ernst. »Ich weiß«, murmelt er. »Ich habe schon dann und wann mal etwas von den beiden Mallones gehört. Vor zwei Monaten brachten sie einen Kapitän dazu, dass er seinen großen Flussdampfer an eine Schifffahrtsgesellschaft verkaufte, die frisch gegründet worden war. Und dann …« Er bricht ab und winkt mit der Hand ab. »Ich kenne sie den Gerüchten nach«, wiederholt er. Dann stellt er Tob die Frage: »Willst du, Tob, dass ich mich ihnen unterwerfe und tue, was sie von mir verlangen?« Tob White bekommt wieder seinen besonders faltigen Gesichtsausdruck, wie immer, wenn er Kummer spürt. Er geht von Barton Kelly fort und tritt ans Fenster ihres Hotelzimmers. Er kann zum Flusshafen blicken, auf all die vielen Landebrücken und die daran festgemachten Schiffe. Er sieht
das bewegte Treiben, und all die tausend Geräusche vermischen sich zu einem Summen. Ein großes Bienenhaus ist dieser Hafen mit seiner Stadt, denkt Tob White. Er kann auch den Platz sehen, wo der Kampf stattfinden wird. Es ist eine große Plattform auf dem Fluss. Sie schwimmt gut gesichert zwischen zwei Landebrücken, an denen einige Flussdampfer im »Päckchen« festgemacht haben, also je mehrere Schiffe nebeneinander. Zur Strommitte hin sind einige große Flachboote verankert. Und auch das Flussufer zwischen den Landebrücken wird einige hundert Zuschauer aufnehmen können. Ja, dort auf der Plattform wird Barton Kelly kämpfen, und am Ufer, auf den vielen ankernden Schiffen und auf den Flachbooten werden die Zuschauer eine vieltausendköpfige und brüllende Meute sein. Fast alle diese Männer und noch sehr viele Leute im Lande und in dieser Stadt werden gewettet haben. Für einige hunderttausend Dollar Wettgelder stehen auf dem Spiel. Und die Wetten stehen sieben zu eins für Barton Kelly. Wenn Ed Adamson gewinnen sollte, werden Wetter, die auf ihn zum Beispiel tausend Dollar gesetzt haben, siebentausend Dollar gewinnen. Und wer zehntausend Dollar setzte, wird siebzigtausend bekommen. Tob White weiß das alles. Und so wie jetzt, so war es damals vor mehr als einem Dutzend Jahren, als er noch ein berühmter Preiskämpfer war. Er verlor damals, und er wäre von den enttäuschten Wettern fast gelyncht worden. Er war nachher als Boxer ein erledigter Mann. Er bekam keine Kämpfe mehr, die etwas Geld brachten. Er arbeitete auf Jahrmärkten, ging später nach dem Westen und wurde Rauswerfer in Saloons und Amüsierhallen. Und jetzt sieht er alles noch einmal neu vor Augen. Jetzt droht es Barton Kelly, den er wie einen kleinen Bruder liebt. Er wendet sich ihm zu und sagt: »Die Entscheidung kann nur bei dir liegen, Bart. Wenn du gewinnst, werden sie
versuchen, dich zu töten. Dies sind die Mallones ihrem Ruf schuldig. Sie würden schon bei ihrer nächsten Erpressung und Nötigung Schwierigkeiten haben, wenn sie dich davonkommen ließen. Niemand würde sie mehr so fürchten. Also, sie werden es wahrhaftig versuchen, dich zu töten. Und sie werden es sehr klug und raffiniert anstellen, darauf kannst du dich verlassen. Sie werden ein gutes Alibi haben und es so tun, dass es keine Zeugen gibt. Sie haben Erfahrung.« Wieder schweigt er. Aber dann sprudelt er hervor, so als könnte er die Worte nicht länger zurückhalten: »Aber es war ein Hundeleben nachher, lass dir das von mir sagen, Bart. Ich verachtete mich selbst, und ich hatte jeden Glauben an mich verloren. Ich brauchte Jahre, um mich wieder etwas besser zu fühlen. Und mein Glück begann erst wieder, als ich dich traf und dir dabei helfen konnte, ein berühmter Boxer zu werden. Überleg dir das alles …« »Vielleicht ist dieser Ed Adamson tatsächlich besser als ich, und ich werde von Adamson ehrlich geschlagen. Wir werden sehen. Ich kann noch nicht sagen, was ich tun werde. Vielleicht wäre es klug, wenn ich mich schlagen lasse. Vielleicht rettete das unser Leben. Aber es wäre nachher ein Hundeleben, wie du selbst weißt, Tob. Und deshalb sollte ich vielleicht doch ehrlich kämpfen, mit dem Bemühen, zu siegen. Vielleicht wäre es besser, wenn wir der Gefahr dann ins Auge sähen. Was wäre dir lieber, Tob? Was würdest du tun, wenn du die Zeit noch einmal zurückdrehen könntest?« Tob White leckt sich über seine trockenen Lippen. »Zum Teufel, ich würde kämpfen«, sagt er. »Ich würde kämpfen, um zu siegen. Denn ich habe viele Menschen betrogen, und ich musste später für ein Mittagessen und einen Drink in einer Schaubude kämpfen. Und es kamen Burschen auf die Bühne, die sich hundert Dollar verdienen wollten, indem sie mich schlugen. Ich musste mich mit jedem Rowdy herumprügeln. Es waren schlechte Zeiten. Es gab keine Arbeit
für einen Mann, der keinen festen Wohnsitz hatte. Denn ich besaß kein Geld. Mein Manager war mit unserem Geld durchgebrannt. Und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln, hatte er doch große Hoffnungen in mich gesetzt, die ich dann zerstörte. Nun, Bart, da bist du besser dran. Wenn du aufhören wolltest, so wärest du nicht mittellos. Du hast eine hübsche Summe auf der Bank. Und du hast einen richtigen Beruf erlernt. Du bist ein guter Cowboy. Du könntest zu jeder Zeit in den Westen gehen und eine Ranch aufbauen. Du hast Geld und besitzt Kenntnisse. Ich aber hatte nichts anderes gelernt als zu kämpfen. Mein Manager hatte mich aus einer Horde von Bengeln geholt, mit denen ich mich prügelte. Und dann tat ich all die Jahre nichts, als mich darauf vorzubereiten, ein Preisboxer zu werden. Ich zog mit meinem Manager und den anderen Boxern, die er unter Vertrag hatte, durch die Welt. Und eines Tages war ich dann groß genug. Aber dann war es schnell vorbei. Bart, wenn du aufhören willst, dann hör auf. Aber kämpfe ehrlich! Und lass dich nicht erpressen und zu einem Wettbetrug nötigen, mag da kommen, was da wolle. So denke ich. Und wenn ich meine Zeit noch einmal zurückdrehen könnte, nun, diesmal hätte ich keine Furcht. Denn was nachher kommt, wenn ein Mann sich gefürchtet hat, wenn er sich vor sich selbst schämt und wenn er den Glauben an sich verloren hat, das ist schlimmer. Und ich kenne dich, Bart! Ich kenne dich gut! Dein Stolz ist groß. Du könntest es nie vergessen, dass du vor zwei Schuften gekniffen hast.« Er verstummt, und nun wirkt er fast erschrocken. »Hab Dank für deine Worte, Tob«, murmelt Barton Kelly und blickt auf die Uhr. »Wir müssen uns fertig machen, nicht wahr?« Tob blickt aus dem Fenster. »Sicher, die Zuschauer strömen jetzt mehr und mehr herbei. Und die Musik beginnt nun gleich zu spielen. Sie haben eine zwölf Mann starke Kapelle auf das Sturmdeck der ›Rose of Mississippi‹ gesetzt.«
Als er verstummt, beginnt die Kapelle zu spielen. Barton Kelly aber beginnt sich zu entkleiden. Er schlüpft in eine enge Wolltrikothose. Um seine Hüften wickelt er eine seidene Schärpe von leuchtend blauer Farbe. Und sein Oberkörper bleibt bloß. So wird er kämpfen. Und er denkt unwillkürlich daran, dass der Faustkampf schon im Jahre sechshundertachtundachtzig vor Christi erstmalig im olympischen Programm stand. Das las er einmal in einem Buch. Und Abbildungen von alten Vasen zeigten in diesem Buch, dass die Faustkämpfer damals nicht viel anders aussahen als er, Barton Kelly, ein Texaner, dessen Vater noch ein echter Ire war. Und er selbst wurde noch in Irland geboren, kam aber schon im Alter von drei Jahren in die Neue Welt.
2 Eine halbe Stunde später tritt er gegen Ed Adamson an, und ringsumher brüllt die Zuschauermenge. Er hört sie wie aus weiter Ferne, denn er hat sich ganz auf den Gegner konzentriert, und das Wort, welches später einmal geprägt wurde und welches sagt: »Im Ring ist der Boxer der einsamste Mensch auf der Welt«, hat schon eine gewisse Wahrheit und Richtigkeit in sich. Ed Adamson ist groß, breit, massig und gelbhaarig. Er sieht sehr gewaltig aus, und man glaubt, dass dort, wo er hinschlägt, kein Gras mehr wachsen kann, wie man so bezeichnend im Volksmund sagt. Er ist auch sicherlich ein durchschnittlich guter Preiskämpfer. Doch er ist zu langsam. Er ist einer von den Burschen, die eine Menge Schläge hinnehmen und einstecken, um selbst schlagen und treffen zu können, und die dann das größere Stehvermögen haben. Er ist einer der Boxer, die gerne Fuß bei Fuß kämpfen, keilen, einstecken und austeilen. Er kommt mit Barton Kelly nicht zurecht, denn dieser geht ständig um ihn herum und erkennt mit seinem guten Auge alle Schläge schon im Ansatz, weicht aus, nimmt den Kopf weg, blockiert und kontert dann so fürchterlich hart und trocken, schnell und präzise. Schon in der dritten Runde glaubt Ed Adamson nicht mehr daran, dass er gegen diesen um fast vierzig Pfund leichteren Mann gewinnen kann. Er spürt schon jetzt die Wirkungen einiger Treffer, und als er zum Ende der dritten Runde dann auch noch einen knallenden Leberhaken nehmen muss, werden ihm die Knie weich. Die Menge brüllt enttäuscht auf, als die Runde beendet ist,
und Barton Kelly, der in seiner Ecke von Tob das Handtuch nimmt und sich den Schweiß aus dem Gesicht wischt, hört Tob sagen: »Du kannst ihn schlagen wie du willst, mein Junge. Das sieht schon jeder halbwegs normale Mann. Er ist mächtig groß und sehr viel schwerer, doch er ist gegen dich ein aufgeblasener Frosch. Man kann sehen, dass deine Schläge sehr viel schneller und härter sind. Jeder erwartet nun, dass du ihn bald von den Beinen schlägst. Aber wirst du es tun, Bart, mein Junge?« »Hast du Angst vor den Mallones, Tob?« »Ich? Nein! Ich habe einen Revolver in der Tasche. Und wenn ich diesem Duff Mallone nahe genug bin, dann reicht mein Schlag noch aus, um ihn drei Yards weit von den Beinen zu stoßen, dass er sich am Boden überschlägt. Ich fürchte mich nicht, Bart! Überdies habe ich tausend Dollar auf dich gewettet, die ich verlieren würde – und das Siebentel für den Sieg dazu.« »Also gut«, murmelt Barton, und dann beginnt die vierte Runde. Die Kämpfer begegnen sich in der Mitte der schwimmenden Plattform. Es gibt kein Seilgeviert, wie man es heute kennt, und auch die ganze Boxtechnik ist sehr viel einfacher und primitiver. Deshalb ist eine genaue Schilderung des Kampfes für den Leser nicht sehr von Interesse. Gleich am Anfang trifft Barton Kelly den Mann auf Kinnwinkel und Ohr. Ed Adamson hockt dann eine Weile auf den Knien am Boden und seufzt hörbar. Er steht dann wieder auf und stellt sich. Doch er ist angeschlagen und benommen. Er geht dann wieder zu Boden und verdaut einen Magenhaken. Als er sich erhoben hat und vorgeneigt gegen Barton taumelt, gibt ihm dieser einen Aufwärtshaken, der den Mann fast ins Wasser wirft, so weit taumelt er aus dem Kreidekreis und bis zum Rand der Plattform. Dann fällt er auf die Knie, legt sich
auf die Seite, rollt auf den Rücken und streckt Arme und Beine von sich. Und dort liegt er nun wie tot – ein geschlagener Preiskämpfer. Barton Kelly blickt auf ihn nieder, und indes der Ringrichter zählt, spürt Barton Kelly wieder einmal mehr, dass dies eigentlich keine Sache ist, auf die er stolz sein könnte. Er hat für Geld gekämpft. Er hat seine Fäuste immer wieder gegen den Kopf und auf die empfindlichen Körperstellen des Gegners geschlagen, bis dieser kampfunfähig wurde. Und jetzt gilt er als Sieger. Man hat auf ihn gewettet wie bei einem Pferderennen auf ein besonders schnelles Tier oder wie beim Hahnenkampf auf einen besonders streitbaren Gockel. Es sind nur wenige Sekunden, die Barton Kelly so steht und wartet und während derer er deutlich spürt, wie wenig ihn dieses Leben als Preiskämpfer befriedigt und wie noch weniger etwas an dieser Tätigkeit ist, auf was er stolz sein könnte. Er blickt sich um, als die Masse der Menschen ringsum aufbrüllt, ihm zujubelt und die Musik auf dem Achterschiff der Rose of Mississippi einen Tusch spielt. Ja, Ed Adamson liegt nun schon weit über die Zeit auf den Brettern der schwimmenden Plattform, auf der morgen ein wanderndes Theater aus Boston ein Schauspiel zum Besten geben wird. Tob White ist nun bei Barton und hängt einen Mantel über seine Schultern. Dann gehen sie über den Laufsteg an Land, finden einen Weg durch die Gasse der Menschen und haben es nicht sehr weit bis zum Hafenhotel, in dem der Veranstalter dieses Kampfes ihnen zwei Zimmer reservieren ließ. Es ist sehr später Nachmittag, fast schon Abend. Die Sonne steht tief im Westen, und der Strom und alle Schiffe liegen schon längst im Schatten. Der Himmel glüht, und die Gassen der Stadt werden dunkel und geheimnisvoll. Barton Kelly bekam tausend Dollar für diesen Kampf, und er hat den Scheck für die Summe in Empfang genommen,
bevor er die Plattform betrat. Vor dem Hotel trennen sie sich. Denn Tob White will den Scheck jetzt sofort bei der Bank einlösen. Er sagt: »Besser ist besser, obwohl John Trevor als Veranstalter einen guten Namen hat. Aber wenn wir schnell aus dem Land wollen, ist es gut, viel Bargeld zu haben.« Damit geht er davon. Barton Kelly aber beeilt sich in seinem Zimmer. Er wäscht sich rasch und kleidet sich noch rascher an. Weil Tob immer noch nicht zurück ist und es inzwischen Abend und damit dunkel geworden ist, verlässt er das Zimmer, um Tob entgegen zu gehen. Zur Hafenbank ist es nicht weit, nur wenig mehr als hundert Schritte. Diese kleine Bankfiliale ist vor allen Dingen für die Flussschiffer und den Frachtverkehr gedacht. Überall in den Häusern brennen nun die Lampen, und gelbe Lichtbahnen fallen über die Hafenstraße. Da und dort tönt Musik aus den Saloons, und auch auf den großen Amüsierdampfern, die hier festgemacht haben und auf denen man sich mit viel Geld fast alle Sünden und fragwürdigen Freuden kaufen kann, beginnt der Nachtbetrieb. Auf der Uferstraße ist viel Leben. Eine Menge schiebt sich stromauf und stromab. Es wird eine warme, sternklare und betriebsame Nacht. Barton Kelly erreicht den Eingang der Bankfiliale, als Tob White daraus zum Vorschein kommt. »Es ist gut«, murmelt Tob. »Ich habe auch schon mein Wettgeld einkassiert. Wir sollten unsere Sachen packen und verschwinden. Unseren nächsten Kampf haben wir in Kansas City. Dort wartet Buffalo Jack auf dich. Die Abendpost nach Kansas ist noch nicht abgefahren. Wir könnten sicherlich zwei Fahrkarten bekommen und hätten noch Zeit, unsere Siebensachen aus dem Hotel zu holen. Und vielleicht kommen wir davon, ohne die Mallones zu Gesicht zu bekommen.« Die letzten Worte spricht er zweifelnd. Seine Hand hält er unter dem Rock verborgen, denn in seinem Hosenbund steckt
ein Revolver, den er am Griff gefasst hält. Sein Kopf bewegt sich ständig, und seine Augen prüfen die vorbeiziehenden Menschengruppen. Natürlich werden sie immer wieder erkannt. Man ruft Barton Kelly immer wieder anerkennende Worte zu. »Nun gut«, sagt Barton. »Gehen wir zur Kansas-Post und fragen wir, ob noch zwei Plätze nach Westen frei sind.« Sie setzen sich in Bewegung, und sie müssen die Uferstraße weiter hinunter bis an die Ecke der Allen Street. Hier hat die Kansas Overland Line ihr Büro, und gleich nebenan, vor dem Kansas-Hotel, da fahren die Kutschen ab. Sie bekommen noch zwei Fahrkarten, kehren eilig in ihr Hotel zurück und regeln unten die Rechnungen – das heißt, sie brauchen keine Rechnung zu bezahlen, sondern nur ihre Unterschrift zu geben. Denn der Veranstalter des Kampfes gewährte ihnen freien Aufenthalt für drei Tage. Der Hotelmann, der sie hinter dem Anmeldepult bedient, ist sehr wortkarg und zurückhaltend. Sein Blick ist irgendwie vorsichtig und unpersönlich. »Sie verlassen uns sehr plötzlich und unvorhergesehen«, murmelt er schließlich, als Barton und Tob sich zur Treppe wenden. Doch die beiden Männer geben ihm keine Antwort. Sie eilen hinauf und betreten bald darauf ihre Zimmer. Barton Kellys Koffer ist schon gepackt. Er nimmt nun seine große Reisetasche aus dem Schrank, um auch sie mit dem Rest seiner mitgeführten Habe zu füllen. Doch die Tasche ist ziemlich schwer. Und sie ist auch nicht leer. Barton Kelly holt einen großen Beutel hervor, der mit schweren Goldstücken und einigen dicken Packen Papiergeld gefüllt ist. Und der Beutel trägt den Aufdruck: »Riverstreet-Bank, Tensslip & Co.« Es ist aber alles mehr oder weniger nur Kleingeld, keine großen Stücke oder Scheine. Barton wendet den Kopf, als sich die Tür von Tobs Zimmer
öffnet und Tob mit einem gleichen Beutel in der Hand zum Vorschein kommt. »Was ist das?«, fragt Tob heiser und gepresst. Barton Kelly ahnt es in dieser Sekunde. Es ist wie das Aufblitzen eines Lichtstrahles, so jäh kommt ihm die Erkenntnis. Doch er müsste viele Worte sprechen, um es genau zu erklären. Aber es kann auch mit einem einzigen Wort gesagt werden. Barton Kelly sagt es: »Mallones!« Tob White begreift es nun ebenfalls, und sein faltiges Gesicht wird bleich unter der braunen Haut. Er lässt den Beutel fallen, so als verbrenne der seine Finger. »Aaah!« Mehr sagt er nicht. Und dann geht es sehr schnell. Draußen auf dem Gang sind plötzlich viele Männer, die leise bis vor die Tür gekommen waren. Jemand tritt die Tür mit einem kräftigen Tritt auf und kommt mit zwei schussbereiten Revolvern herein. Es ist einer der Hilfsmarshals der Stadt, und er hat außer seinen beiden Revolvern noch einige Helfer mitgebracht, von denen einer eine gefährlich wirkende Schrotflinte, deren Läufe abgesägt wurden, in den Händen hält. »Nur ruhig, sonst knallt es!«, so sagt der noch ziemlich junge Hilfsmarshal. Er ist einer von der Sorte, die sich gerne einen Ruf als harter Bursche und schneller Schießer erwerben will. Er und seine Begleiter kommen ins Zimmer. Es ist dann nur noch eine Frage von Sekunden, und dann haben sie auch schon die beiden Geldbeutel entdeckt. »Man hat euch aus der Bank kommen sehen«, sagt der Hilfsmarshal dann gewollt kühl. »Ihr werdet dem Richter und einer Jury erklären müssen, wie ihr in den Besitz dieser zwei mit Geld gefüllten Beutel kommt, und wie es sein konnte, dass man nach eurem Weggang den Filialleiter erschlagen vor dem noch offenen Geldschrank fand, den er offensichtlich gerade
schließen wollte. Ihr werdet es erklären müssen. Und zu diesem Zweck verhafte ich euch hiermit.« Er hat ein noch junges und schon so hartes und kaltes Gesicht. In seinen Augen ist ein Leuchten, so wie wenn Stahl im Mondlicht glänzt. Er wird schießen, dieser junge Marshal-Gehilfe. Und auch der Mann mit der Schrotflinte und die drei oder vier anderen Männer werden schießen. »Nun gut«, sagt Barton Kelly und hebt die Hände. »Man hat uns ziemlich übel reingelegt. Doch ich glaube daran, dass sich unsere Schuldlosigkeit herausstellen wird.«
3 Fünf Tage später wissen er und Tob White ganz genau, wie es ist, wenn man reingelegt wird und darauf hofft, dass sich von selbst herausstellt, wie unschuldig man ist. Barton und Tob haben gar keine Chance. Es gilt als erwiesen, dass sie zuletzt in der Bank waren. Der Bankkassierer, der zugleich auch Filialleiter war, wurde überdies durch einen Faustschlag getötet. Dies sagt der Arzt aus, und es ist gewiss keine Lüge. Die Jury aber wertet diese Aussage als weiteren Beweis. Denn ist Barton Kelly nicht ein Boxer, der sehr wohl einen Mann mit einem einzigen Fausthieb töten kann, wenn er das Opfer unglücklich trifft und wenn es sich bei dem Opfer um einen nicht besonders kräftigen, sondern eher schwächlichen Mann handelt? Als Hauptbeweis dient natürlich, dass man zwei Beutel mit dem gestohlenen Geld bei den Verdächtigen fand. Es fehlt nur ein Paket mit besonders hohen Banknoten, deren Nummern, wie es sich herausstellt, von der Bank sogar notiert wurden. Es gelingt dem Gericht nicht, von den beiden Angeklagten zu erfahren, wo dieses besonders wertvolle Geldpaket geblieben ist. Und auch dies wird dann als belastend gewertet. Barton Kelly und Tobias White hören dann auch, nachdem die Jury ihr »Schuldig« gesprochen haben, das Urteil. Sie hören es stehend und gefasst, denn sie erkannten inzwischen schon, dass sie keine Chance haben und so schlimm reingelegt wurden, wie es Männer nur werden können. Sie hören, dass sie wegen Bankraubes und Mordes zum Tode durch Erhängen verurteilt werden. Denn die Jury hält ihre Schuld für erwiesen. Und sie hören, dass das Urteil in der kommenden Woche an
einem Morgen vollstreckt werden wird. Man wird es ihnen vierundzwanzig Stunden vorher bekannt geben. Und die Zeitungen sind voll davon, dass der bekannte und berühmte Boxer Barton Kelly und sein Betreuer, der Exboxer Tobias White, Banditen und Mörder wurden bei dem Versuch, noch schneller zu Geld zu kommen. Und eine Zeitung schreibt davon, dass ja Preisboxer ohnehin nichts anderes als Rowdys wären, die keiner geregelten Arbeit nachgehen wollen und somit in sich alle Anlagen trügen, die ein Abrutschen und Versagen nur begünstigen. Barton Kelly und Tob White bekommen die Todeszellen nebeneinander. Sie können sich durch die Gitterstäbe betrachten und auch Gespräche führen. Sie werden Tag und Nacht bewacht, und sie denken auch Tag und Nacht an die Mallones, die der Gerichtsverhandlung als Zuschauer beiwohnten. Barton und Tob ist es vollkommen klar, dass die Mallones ihre Drohung wieder einmal wahr gemacht haben. Und einige Eingeweihte wissen dies sicherlich auch. Doch man könnte den Mallones nichts nachweisen. Und würde man sie öffentlich irgendwie beschuldigen, so würden sie wahrscheinlich wegen übler Nachrede Anzeige erstatten. Ja, so sind die Mallones. Und einige Leute, die viel Geld verloren haben, weil Barton Kelly den Kampf gewann, obwohl die Mallones diesen Leuten versprochen hatten, dass dies nicht der Fall sein würde – diese Leute also werden wieder einmal mehr begreifen, wie sehr es falsch und gefährlich ist, den Mallones nicht gehorsam zu sein. Es ist die dritte Nacht nach dem Urteil. Barton Kelly liegt auf der Pritsche und raucht. Ja, sie dürfen rauchen, trinken und sich aus dem Restaurant alle guten Dinge kommen lassen. Denn sie wurden ja zum Tode verurteilt und besitzen Geld, mit dem sie
bezahlen können. Barton Kelly raucht also, und er denkt: Dies ist etwas, was ich mir zuvor nicht gestattete. Und nun kann ich es tun. Du lieber Gott, ich hätte nicht gedacht, dass ich so früh schon sterben müsste. Ich dachte immer, dass mein Leben noch wie ein großes und unentdecktes Land vor mir läge. Ich wurde Preiskämpfer, weil ich mir so schnell wie nur möglich Geld für eine Ranch verdienen wollte. Aber bald schon wollte ich aufhören. Ich hätte fast schon genug gehabt. Und dann… Er bricht seine Gedanken ab, schließt die Augen und träumt. Er sieht wieder einmal all jene Dinge, die er sich wünscht, jenes Ranchhaus in den Hügeln an einem Creek. Er sieht sich als junger Rancher und Boss einer kleinen, aber erstklassigen Mannschaft, und er sieht seine Rinder und Pferde. Er erlebt Sommer und Winter, Regen und Trockenheit und all die guten und schlechten Dinge, die es für einen Rancher gibt. Oh, er kennt sich aus. Er wurde in Texas auf einer Rinderranch geboren. Er konnte mit dem Lasso umgehen, bevor er zur Schule ging, und seine Boxerlaufbahn war für ihn stets nur ein Übergang, ein notwendiges Kapitel in seinem Leben, mit dem Zweck, das Anfangskapital für eine Ranch zu schaffen. Doch jetzt ist er erledigt. Aus! Er öffnet die Augen wieder und wendet den Kopf. Tobias White wandert in der benachbarten Zelle umher, murmelt leise irgendwelche Worte, schüttelt immer wieder den Kopf, so als wären irgendwelche Dinge auf dieser Welt unfassbar für ihn, schnauft ständig und wischt sich immer wieder mit seiner großen und narbigen Hand über das faltige und einst so oft zerschlagene und wieder verheilt aus wilden Schlachten hervorgegangene Boxergesicht. Als er entdeckt, dass Barton ihn beobachtet, kommt er an die Gitterstäbe, ergreift zwei davon, so als wollte er sie knicken, und spricht zwischen zwei Stäben hindurch:
»Um mich ist es ja nicht schlimm, ich habe längst meine beste Zeit vertan und bin viel zu ausgebrannt, um etwas auf die Beine zu bringen. Ich war und bin zu nichts mehr nützlich auf dieser Welt. Aber du, du, mein Junge, du …« Die Stimme versagt ihm, und er senkt den Kopf, bis sein Kinn die breite Brust berührt. »Nein, nein, nein, dass es so was gibt auf dieser verdrehten Welt, dass es solche Dinge gibt, das ist – ja, das ist …« »Es wurde schon vor unserer Zeit in einem großen Buch aufgeschrieben«, sagt Barton Kelly hart. »Und als dann die Seite aufgeschlagen war, da kamen wir an die Reihe. Es hilft kein Klagen und kein Bedauern, alter, guter Tob. Spucken wir diesen Dummköpfen, die es nicht anders wollen und können und die so froh waren, dass sie so schnell einige Schuldige finden konnten, vor die Füße. Was bleibt uns anderes übrig?« Kaum dass er es gesagt hatte, tönt von draußen ein lauter Knall, der sich wie eine Detonation oder eine Sprengung anhört. Sehr bald darauf wird es laut in der Stadt, vor allen Dingen hier am Flusshafen. Bald darauf tutet das Feuerhorn. Der Wächter, der vor den Zellen an einem Tisch saß und in einem Katalog blätterte, hat sich längst erhoben und ist in den Durchgang zum vorderen Zellenraum getreten. Selbst Barton und Tob hören seine Stimme von der Straße in das Gefängnis rufen: »Die Rose of Mississippi ist geplatzt! Ja geplatzt! Sie hatte schon Dampf drauf, um beim ersten Tageslicht ablegen zu können. Und da ist ihr Kessel geplatzt wie eine Papiertüte, in die man Luft bläst. Das halbe Schiff ist auseinander geflogen. Und nun brennt es! Es wird die anderen Schiffe in Brand setzen, denn dieser verteufelte Wind bläst hinein wie ein Blasebalg ins Schmiedefeuer!« Dann wird es still. Und der Wächter kommt in den hinteren Zellenraum zurück.
»Das wird eine schlimme Nacht«, sagt er zu den Gefangenen. »Es stürmt draußen, ohne dass Regen niedergeht. Und in diesem Sturm brennt jetzt auch noch die Rose of Mississippi, die als letztes Schiff eines Dreier-Päckchens liegt. Sie wollte bei Morgengrauen ablegen und hatte schon Dampf drauf. Oh, es ist ja nur noch eine knappe Stunde bis zur Morgendämmerung. Wenn man das Schiff nicht zeitig löschen oder von dem Päckchen an den anderen Schiffen losmachen kann, wird es wieder einmal einen schlimmen Brand geben. Doch das interessiert euch wohl nicht besonders, was?« Er fragt es mit einem Lächeln, welches spöttisch und mitleidlos zugleich ist. »Nein, es interessiert uns nicht sehr, wir haben andere Sorgen. Diese Stadt, in der eine solch große Menge Dummköpfe leben, interessiert uns nicht«, erwidert Tob White. Und dann schweigen sie. Draußen tobt der Sturm immer lauter und wilder. In der Ferne dröhnt und grollt lang anhaltender Donner. Es ist ein nächtliches Sommergewitter. Die Nacht war zuvor sehr schwül und fast windstill. Und vom Hafen her kann man, wenn der Gewittersturm einmal aussetzt, um Atem zu holen, all den Lärm vernehmen. Einer der Marshalgehilfen kommt von vorn in den hinteren Zellenraum. »Wir müssen alle zum Hafen«, sagt der Mann zum Wächter. »Du bist allein. Der Begleitmann von der Morgenpost kommt dann herein, um die Dienstpost nach Kansas abzuholen.« Damit verschwindet der Sprecher. Der Wächter folgt ihm brummend, um hinter ihm die Vordertür abzuriegeln. Und indes dies geschieht, fällt ein kleiner Gegenstand in Barton Kellys Zelle. Er blickt zu dem kleinen Fenster auf, welches dort hoch oben und schon fast an der Decke ist. Dieses Fenster ist so klein, dass nur eine Katze durchschlüpfen könnte, und es dient auch mehr als Luftabzug, denn als Fenster.
Der Gegenstand, der vor Bartons Füße fiel, ist ein Steinchen. Und nun sieht er, dass dort oben hinter dem hohen Fensterchen jemand ist. Wahrscheinlich steht dieser Unbekannte auf einer Leiter, die an die Rückwand des Gefängnisses gelehnt wurde. Barton, der also durch das Steinchen aufmerksam gemacht worden ist, bewegt schnell seine Hände und fängt einen Revolver auf, den der Unbekannte nun durch das kleine Rechteck hält und fallen lässt. Tob schnauft in der benachbarten Zelle. Und als er die Luft anhält, hört er ebenfalls den Unbekannten draußen flüstern: »Viel Glück, Jungens! Mehr kann ich nicht für euch tun. Ich weiß, dass euch die Mallones so reinlegten, und ich will nicht, dass ihr unschuldig sterben müsst. Auch die Explosion auf der Rose of Mississippi ist ein Werk der Mallones. Denn der Schiffseigner weigerte sich, seine Rose an diese verteufelte Schiffsgesellschaft zu verkaufen, die ein Monopol in die Hand bekommen will. Viel Glück!« Und dann ist es still. Der Wächter kommt von der Vordertür zurück, durchquert all die Räume und gelangt wieder in den hintersten Zellenraum. Er setzt sich wieder hinter den Tisch und sagt dabei: »Das Gewitter wird sicherlich bald richtig losbrechen. Und wenn es einen Wolkenbruch gibt, so löscht der besser als alle Feuerspritzen. Na, was steht ihr denn beide so in euren Zellen herum, als wartetet ihr auf die Postkutsche nach Kansas, hahaha?« Als er sein Lachen beendet hat, nimmt Barton seine Hände, die er hinter dem Rücken verborgen hielt, nach vorn und zeigt ihm den Revolver. »Er ist geladen«, sagt er, obwohl er dies nicht genau weiß. »Und wir haben nichts zu verlieren, mein Freund und ich, nicht wahr?« Der Wächter ist hinter dem Tisch erstarrt. Und nun flüstert
er: »Nein, ihr habt wirklich nichts zu verlieren. Sie können euch nur einmal hängen. Und ihr würdet mich umbringen, nicht wahr?« »Wir möchten gern am Leben bleiben, denn wir sind unschuldig«, sagt nun Tob White heiser. »Wir sind so unschuldig wie du. Und du würdest es wohl sehr ungerecht finden, wenn wir dich töten. Nun, dann komm her und schließ auf! Komm her!« Der Wächter gehorcht. Er holt sich den Schlüssel. »Jemand muss über die Friedhofsmauer geklettert sein und euch mit Hilfe einer Leiter den Revolver durch das Luftfenster geworfen haben. Das Fenster ist draußen sehr hoch, über vier Yards. Ihr habt mächtig viel Glück. Aber man kennt euch genau. Man wird die Steckbriefe in alle Staaten und Territorien schicken. Ihr werdet gehetzt und gejagt werden. Vielleicht bekommt ihr die Hölle nun erst richtig und wünscht euch noch mal, dass ihr …« »Oh, halt doch deinen Mund und schließe auf!« Tob White sagt es grob. Und er ist dann auch wenig später mit Barton Kelly frei. Sie sperren den Wächter ein. Als sie dann durch den vorderen Zellenraum gehen, in den all die Taschendiebe, Falschspieler, Trunkenbolde und kleinen Schufte gesperrt sind, die in einer solch betriebsamen Stadt wie dieser immer wieder im Stadtgefängnis landen, da wird es in diesen Zellen laut. Und all diese eingesperrten Strolche verlangen, dass die beiden Freigekommenen sie ebenfalls herauslassen. Doch dies tun Barton und Tob nicht. Dass sie aus begreiflichen Gründen ihre Freiheit haben und ihr Leben retten möchten, dies bedeutet nicht, dass sie nun dabei behilflich sind, einige mehr oder weniger große Schurken in Freiheit zu setzen, damit die menschliche Gemeinschaft wieder betrogen und bestohlen wird. Doch Barton und Tob gehören ja nicht mehr zu dieser
menschlichen Gemeinschaft. Sie sind Ausgestoßene, und man wird sie nun jagen und hetzen. Sie werden irgendwo Zuflucht suchen müssen. Und Zuflucht – die gibt es für sie wahrscheinlich nur dort, wo es noch kein Gesetz gibt. Aber erst einmal müssen sie aus dieser Stadt entkommen. Als sie das Büro des Gefängnisses erreichen, halten sie lange genug an, um ihre Habseligkeiten aus einem der Regale zu nehmen. An ihr Geld kommen sie jedoch nicht heran, denn dieses ist im Geldschrank eingeschlossen. Sie bewaffnen sich jedoch. Und dann öffnen sie die Tür und gleiten auf die Straße. Hinter ihnen toben die anderen Gefangenen in den Zellen. Und der Lärm dringt bis auf die Straße. Allerdings ist die Straße leer bis auf einen einzigen Mann. Alle anderen Leute, die zu so früher Morgenstunde – oder später Nachtstunde – auf den Beinen waren oder aus ihren Häusern kamen, liefen durch die Seitengassen zum Hafen hinunter. Aber ein einzelner Mann wollte zum Stadtgefängnis, in dem sich ja auch das Marshal’s Office befindet. Und dieser Mann will die Dienstpost für die Morgenpostkutsche nach Kansas City holen. Barton und Tob sehen ihn zu spät. Und die Laterne über der Tür beleuchtet sie gut. »He!« Dieser Ruf warnt sie. Und dann sehen sie den Mann, der es gerufen hat. Er ist noch etwa zwanzig Schritte entfernt. Und sicherlich trägt er eine Waffe. Barton und Tob laufen los. Sie verschwinden um die Ecke in einer Gasse, die zum Hafen hinunterführt. Und hinter ihnen brüllt der Mann so laut er kann. Er folgt ihnen bis zur Gassenmündung, bleibt an der Ecke stehen und leert seinen Revolver in die sehr dunkle Gasse hinein. Und indes Barton Kelly und Tob White laufen, so schnell
sie können, indes die nachgesandten Revolverkugeln sie umpfeifen und wie durch ein Wunder nicht treffen, da hören sie den Mann gellend brüllen: »Alarm! Alarm! Die Mörder sind frei! Leute! Leute, hört doch! Die beiden Boxer, diese Bankräuber und Mörder, sie sind frei!« Sein gellendes Geschrei holt ganz gewiss noch einige Menschen aus den Betten, die sich um das Feuer am Fluss nicht kümmerten. Doch diese Menschen sind auch nicht an einigen entwichenen Gefangenen interessiert. Überdies bricht draußen nun, nachdem für einige Augenblicke eine Windstille eingetreten ist, das Gewitter los. Das Wasser fällt so dicht aus den Wolken, dass Barton und Tob, die durch diesen Wolkenbruch laufen, nach Luft schnappen, so als wären sie in einem See oder Fluss unter die Wasseroberfläche geraten. Als sie dann das Ufer mit all den Landebrücken und Schiffen erreichen, stoßen sie auf Menschen, die in die Stadt zurücklaufen. Und sie sehen auch, wie das niederfallende Wasser zusehends die leuchtenden Flammen eines Schiffsbrandes löscht, so als würde dieses Feuer mit einer riesigen Decke zugedeckt. Barton Kelly und Tob White wissen, dass solch ein Wolkenbruch nicht sehr lange anhält. Daraus wird bald schon ein normales Gewitter werden. Und man wird überall nach ihnen suchen. Man wird die Bürgerwehr alarmieren und noch Hunderte von anderen freiwilligen Helfern haben. Man wird eine Belohnung aussetzen und eine umfassende Suche mit anschließender Hetzjagd organisieren. Die Chancen der beiden Flüchtlinge sind gering. Alle Landwege werden überwacht, und Aufgebote werden das Land durchstreifen. Man wird sicherlich auch alle Schiffe durchsuchen. Barton Kelly und Tob White arbeiten sich zum Fluss
hinunter, und sie finden bald darauf ein an Land gezogenes und mit dem Kiel nach oben liegendes Boot. Sie drehen es um und schieben es in den Fluss. Der Regen füllt das Boot schnell, sodass es ein ziemlich fragwürdiger Untersatz wird. Sie bemühen sich verzweifelt, rudernd das andere Ufer zu erreichen, doch sie schaffen es nur bis zur Strommitte. Dann sind sie sich darüber klar, dass es nicht nur der ungewöhnlich starke Gewitterregen ist, der das Boot füllt, sondern dass sie ein Boot erwischt haben, welches ein Leck besitzt. Es lag wohl deshalb am Ufer, weil es abgedichtet werden sollte. Bootsrand und Wasserlinie sind bald eins, und als der Sturm über den aufgewühlten Strom fegt, kippen Barton und Tob mit ihrem voll Wasser gefüllten Boot einfach um. Sie schwimmen nun, und die starke Strömung trägt sie auf ein großes Dampfboot zu, welches wohl soeben abgelegt hat und die Fahrt stromauf beginnt. Es ist einer dieser breiten und nicht sehr tief gehenden Raddampfer, die sehr große Laderäume und einige Decks besitzen, deren Schornsteine nebeneinander stehen und die ihr breites Schaufelrad hinten am Heck haben. Solche Dampfer können tausend Passagiere befördern. Und die Laderäume sind groß genug für fünfhundert Rinder, für viele Frachtwagen oder für Zehntausende von Büffelhäuten. Solch ein großes Dampfboot geht also stromauf. Barton und Tob erwischen das Beiboot, welches an der Steuerbordseite mitgezogen wird und noch nicht an Bord genommen wurde. Sie schwingen sich hinein. Dann hocken sie keuchend beieinander und überlegen. Barton sagt dann entschlossen in Tobs Ohr: »Wir gehen an Bord und verstecken uns. Besser und schneller können wir nicht fortkommen. Wir können heute Nacht, wenn wir hundert oder noch mehr Meilen stromauf sind, über Bord springen. Also los, solange der Regen noch andauert!« Sie verlassen das Boot, welches ebenfalls schon mit Regenwasser angefüllt ist, schwingen sich hinauf auf das
Schiff und wenig später über die Reling des Hauptdecks. Sie weichen sofort zur Seite und ducken sich zwischen hohe Brennholzstapel. Denn einige Männer nähern sich. Eine Stimme sagt heiser: »Bei diesem Regen wird uns noch das Beiboot absaufen. Also holt es an Bord. Aaah, wir haben noch nicht genügend Dampf, weil wir vorzeitig wegen des Feuers von der Landebrücke ablegen mussten. Ein Wunder, dass wir gegen die Strömung ankommen.« Barton und Tob kriechen hinter den Brennholzstapeln weiter, und sie wissen, dass sie wahrscheinlich die Stimme des Bootsmannes hörten. Sie kommen zu den Aufbauten, und hier führte eine Treppe zum Texasdeck hinauf, von dem aus man dann noch zum Sturmdeck gelangen kann, von dem aus man dann das Steuerhaus erreicht, welches sich zwischen den beiden Schornsteinen befindet. Sie gleiten die Treppe hinauf und dann auf dem Promenadengang an Backbordseite an der Reihe der Kabinentüren entlang. Der Sturm rüttelt an den Türen und auch an den Fensterläden der Kabinen. Eine dieser Türen war wohl schlecht geschlossen, denn sie springt nun auf. Und weil das fast wie eine Einladung wirkt, kommt Barton auf eine Idee. Er sagt sich, dass sie in einer leeren Erste-Klasse-Kabine vielleicht für einige Zeit am besten aufgehoben wären. Denn wer von dem Personal sieht schon in einer Kabine nach, die vorerst leer ist und nicht benutzt wird? Barton beantwortet sich diese Frage in einem für sich und für Tob günstigen Sinne. Und so sieht er nach, ob jemand in dieser Kabine wohnt. Doch schon ein Blick auf die beiden Betten sagt ihm, dass die Kabine unbewohnt ist. Denn die Betten in dieser Doppelkabine sind nicht überzogen. Barton und Tob gleiten hinein in die Kabine, riegeln von innen ab und atmen langsam aus. Sie können hören, wie das Gewitter in einen stetigen Regen übergeht, wie der Sturm sich beruhigt und wie das Schiff immer mehr Dampf bekommt und
sein mächtiges Schaufelrad sich kräftiger zu drehen beginnt. »Ich glaube, wir können uns sogar ausziehen und unsere Sachen trocknen«, sagt Barton nach einer Weile. Und das tun sie auch. Dann legen sie sich auf die Schlafstätten und ruhen aus. Eine jähe Müdigkeit und Erschöpfung überfällt sie. Und diese Reaktion ist ja nur natürlich. Schon während der Tage, da gegen sie verhandelt wurde, konnten sie kaum schlafen, sondern dachten Tag und Nacht nur daran, sich von der furchtbaren Anklage freizubekommen. Und dann, als man sie wegen Bankraubes und Mordes zum Tode verurteilt hatte, konnten sie noch viel weniger Ruhe finden und schlafen. Was mit ihnen geschehen war, war zu schlimm, zu ungeheuerlich. Jetzt aber sind sie frei. Sie konnten entkommen, und die Flucht hat ihnen nochmals viel abverlangt. Der Regen rauscht draußen hernieder. Das Schiff fährt gegen den Strom. Man merkt ständig ein leises Vibrieren, welches von dem sich drehenden Schaufelrad erzeugt wird. Diese Geräusche werden mehr und mehr monoton und schläfern ein. Tob White sagt einmal aus tiefstem Herzen: »Dem Unbekannten sei gedankt, der uns den Revolver durch das Fenster warf. Wer mag es nur gewesen sein? Es hörte sich so an, als ob der Mann über die Mallones ganz genau Bescheid wüsste. Vielleicht gehört er sogar zu den Pechvögeln, die von den Mallones im Auftrag von deren Hintermännern erpresst und genötigt wurden. Vielleicht verhalf er uns zur Freiheit, damit wir den Mallones die Köpfe von den Schultern schlagen. Und dazu hätte ich große Lust. Ich bin alt geworden, doch mit diesem Bill Mallone, der so gut sein Messer werfen kann, würde ich es mit den Fäusten schon noch aufnehmen. Diesem Bullen würde die letzte Härte fehlen, denke ich.« Seine letzten Worte kamen immer leiser und langsamer. Als er dann geendet hat, da dauert es auch nicht mehr lange, bis
Barton die tiefen Atemzüge des alten Freundes hört und daran erkennt, dass dieser eingeschlafen ist. Er kämpft selbst noch eine Weile gegen die Erschöpfung an, und er erkennt jetzt so richtig, wie ausgebrannt ihn die letzten Tage haben und wie dringend er einige Stunden festen Schlaf nötig hat. Sein Verstand will ihm immer wieder sagen, dass es besser wäre, wenn zumindest einer von ihnen wachen würde. Doch diese Empfehlung des Verstandes wird immer mehr überwunden von der Erschöpfung und Müdigkeit. Er steht deshalb nicht auf und wandert in der Kabine umher, was die einzige Möglichkeit wäre, um wach zu bleiben, sondern er schließt die Augen und fällt sofort in die schier unendliche Tiefe eines Erschöpfungsschlafes. Sie können sehr lange ungestört schlafen. Doch dann werden sie sehr unsanft geweckt. Denn obwohl sie die Kabinentür abriegelten, kann man von draußen mit dem Schlüssel aufschließen und zugleich auch entriegeln. Das Schiff hat irgendwo gegen Mittag angelegt und einige Reiter mitsamt ihren Pferden an Bord genommen. Und für diese Reiter wurden dann später einige der Kabinen aufgeschlossen. Als Barton Kelly erwacht, hört er eine Stimme sagen: »Ja, es gibt keinen Irrtum. Dies ist der Preisboxer Barton Kelly, der gestern noch wegen Bankraubes und Mordes im Stadtgefängnis von Saint Louis saß. Und dies ist sein Betreuer. Sie müssen irgendwie entwichen und an Bord unserer Riverqueen gekommen sein.« Dann wird es still. Barton öffnet die Augen und setzt sich auf. Und dann sieht er zu, wie einer der Männer zu Tob White tritt und ihm die
Faust ziemlich heftig in die Seite stößt. Tob knurrt böse und wälzt sich auf die andere Seite. Dann sagt er ziemlich gut verständlich im Schlaf: »Nur nicht drängeln! Nicht so drängeln! Jeder kann die Lady ohne Unterleib sehen. Sie kann gar nicht fortlaufen. Nur nicht so drängeln an der Kasse. Wenn Sie mich noch einmal in die Seite knuffen, dann werde ich Ihnen die Ohren lang ziehen und Knoten in sie machen.« Er beginnt dann zu schnarchen. Und da packt ihn einer der drei Männer bei den Füßen und zieht ihn mit einem kräftigen Ruck von der breiten Kabinenkoje, sodass er ziemlich unsanft auf dem Boden landet, der an Bord eines Schiffes ja bekanntlich »Deck« heißt. Von dort springt er, jäh erwachend und begreifend, dass Gefahr vorhanden ist, knurrend auf. Denn sicherlich fiel ihm jäh ein, dass er ja als ein entwichener Mörder gilt, und zugleich begriff er wohl auch, dass es gilt, die Freiheit zu verteidigen. Er hätte einen Kampf angefangen. Doch Barton Kelly sagt schnell und scharf: »Lass es sein, Tob! Sie haben unsere Waffen schon und werden uns erschießen!« Da wacht Tob richtig auf und sieht sich an, wer da gekommen ist. Barton Kelly aber hat längst Zeit dazu gehabt, sich die drei Männer anzusehen. Er ahnt schon, dass es die drei wichtigsten Männer an Bord dieses Schiffes sind, nämlich: der Kapitän, der Erste Steuermann und der Bootsmann. Außer ihnen ist nur noch der Erste Maschinist an Bord von besonderer Wichtigkeit. »Wie kommt ihr hier an Bord?«, fragt einer der Männer, und er fragt es auf eine Art, die daran gewöhnt ist, Befehle zu erteilen und auf die geringste Frage sofort Antwort zu bekommen. Barton Kelly hat schon von Red Brian McLane und dessen Riverqueen gehört, und nun weiß er, dass er diesen
Flusskapitän vor sich sieht. McLane ist ein riesiger und grobknochiger Mann, mit einem roten Bart und einem lederhäutigen Gesicht, welches so grob wirkt, als wäre es mit einer Axt aus dunklem Holz gehauen. Über diesen Kapitän gibt es einige Gerüchte, die nicht erfreulich oder gar achtbar sind. »Unser Boot war leck, und so mussten wir schwimmen«, sagt Barton. »Wir kamen über das angehängte Beiboot an Bord. Und wir befinden uns jetzt in Ihrer Hand, Kapitän. Wenn Sie uns ausliefern, bekommen Sie vielleicht sogar eine hohe Belohnung.« Brian McLane grinst breit, als er diese Worte vernimmt. »Ich habe dich damals kämpfen gesehen, mein Junge«, sagt er langsam und bedächtig, und dabei betrachtet er Barton genau. Barton steht vollkommen nackt vor den Männern. Tob übrigens auch. Denn sie haben ja ihre Sachen zum Trocknen aufgehängt. Genügend Bügel waren im Kleiderschrank. »Du hast rote Haare wie ich«, sagt Brian McLane. »Und du kannst kämpfen wie ich, mein Junge. Nur dumm bist du, sehr dumm! Denn ihr hattet es doch nicht nötig, eine Bank auszurauben. Und dann auch noch den Kassierer zu erschlagen. Pah, das war dumm! Solch eine Dummheit muss bestraft werden! Ich denke, wir werden euch über Bord springen lassen, so wie ihr jetzt seid. Dann könnt ihr auch besser schwimmen. Also vorwärts!« Er und die beiden anderen Männer grinsten. Sein Steuermann ist ein indianerhafter, dunkler und geschmeidiger Bursche, der nur ein schmales Bärtchen über der Oberlippe trägt, keinen Vollbart wie sein Kapitän. Und der Bootsmann ist ein untersetzter Klotz von mehr als zwei Zentnern, an dem alles quadratisch zu sein scheint. »Nackt wollt ihr uns über Bord jagen?«, fragt Tob staunend. »Aber wenn wir an Land zufällig auf eine Frau stoßen, die könnte sich doch zu Tode erschrecken. Wir …«
»Ihr werdet auf keine Frauen stoßen, denn wir befinden uns schon auf dem Missouri, und das Land zu beiden Seiten ist nicht besiedelt. Ihr werdet ganz unter euch sein.« Die Männer geben nun den Weg zur Tür frei. Barton Kelly aber wagt es mit einer Bitte. Er ist nicht zu stolz dazu. Und was bleibt ihm und Tob auch anderes übrig. Sie sind auf diesen rotbärtigen Schiffskapitän angewiesen, der wie einer der Bukaniere wirkt, die damals von Jamaika aus ihr Unwesen trieben und den spanischen Schiffen das Leben schwer machten. »Kapitän«, spricht Barton, »wir wurden von den beiden Mallones reingelegt, weil ich den Kampf verlieren sollte. Da ich ihn nicht verlor, verloren die Auftraggeber der Mallones eine Menge Geld. Und …« Barton berichtet schnell und knapp alles, so wie er es schon einmal der Jury und dem Richter mitteilte. Und indes er spricht, da erinnert er sich wieder daran, wie das Gericht die beiden Mallone-Brüder kommen ließ und wie diese alles empört abstritten und wegen böser Verleumdung Gegenklage erhoben. Nein, es war den Mallone-Brüdern nichts anzuhaben. Was Barton und Tob beteuerten und sogar beschwören wollten, wurde vom Richter und der Jury für einen schlechten Versuch gehalten, durch Lügengeschichten den Hals zu retten. Barton hat nicht viel Hoffnung, dass dieser Kapitän ihm glauben und dann deshalb helfen wird. Er verstummt dann auch etwas resigniert mit den Worten: »Wenn Sie also zwei unschuldigen Flüchtlingen helfen wollten, Kapitän, dann könnten wir unseren Dank nur dadurch abstatten, dass wir hier an Bord gute Arbeit verrichten und unser Essen verdienen. Da dieses Schiff nicht mehr den Mississippi befährt, sondern auf dem Missouri ist, so könnten Sie uns doch so weit nach Norden mitnehmen, wie dieses Schiff geht. Wir könnten uns dann im Indianerland eine
Zuflucht suchen. Viele Geächtete leben dort. Und eines Tages vergisst man sie vielleicht. Helfen Sie uns, Kapitän.« Der wirkt nun sehr nachdenklich. Und plötzlich sagt er: »Ich glaube dir jedes Wort, mein Junge. Und …« Von draußen kommt noch ein vierter Mann herein. Es ist einer jener Reiter, die an Bord genommen worden sind. Barton weiß das noch nicht. Doch er wundert sich, einen Mann zu treffen, der abgenutzte Weidekleidung und Sporen trägt, hier an Bord. Und der Mann riecht sogar noch nach frischem Pferdeschweiß. »Ich kann Männer gebrauchen«, sagt dieser Mann, »wenn sie reiten und Rinder treiben können.« Er macht eine kleine Pause und fügt mit einem blitzenden Lächeln hinzu: »Es würde mich nicht stören, dass sie vom Gesetz verfolgt werden.« Er wendet sich an Barton: »Könnt ihr reiten und Rinder treiben?« Barton lächelt seltsam. Er hebt wortlos seine Hände und weist seine Handrücken vor. Und auf diesen Handrücken kann ein erfahrener Rindermann alles sehen, was überzeugender wirkt als viele Worte – ja alles! Denn auf diesen Handrücken sind Narben von besonderer Art. Es sind Narben, die entstehen, wenn eine Lassoleine, die um die Hand geschlungen wurde, zu rutschen beginnt, weil ein wilder Stier daran zu heftig zerrt, und wenn solch eine Leine rutscht – was unvermeidlich ist –, dann erzeugt sie solche Narben, brennendheiß und schmerzvoll. Jeder richtige Cowboy und Rindermann, der auf eine besondere Art mit dem Lasso arbeitet, bekommt im Verlauf der Jahre solche Narben. Sie sind ein Zeichen seines Berufes. »He, Boxer, du warst früher Cowboy, und das gefällt mir!« Der Mann sagt es zufrieden und wendet sich an Kapitän Brian McLane. »Ich nehme sie beide in meine Mannschaft. Sie sind gerade richtig für uns. Und sie werden sich Brot und Unterkunft
verdienen.« Der rotbärtige Herr der Riverqueen nickt. »Du übernimmst sie, Jeremy. Und du bist für sie verantwortlich. Und ich halte sie für unschuldig, wenn du meine Meinung hören willst. Sie werden zwar als Mörder verfolgt, doch sind sie so unschuldig, dass sie sich unter deinen gestreiften Wölfen wie weiße Lämmer ausnehmen werden. Der Grund, warum ich ihnen nicht übel gesinnt bin, ist der, dass sie von den beiden Mallones reingelegt worden sind. Ich mag diese beiden Halsabschneider nicht.« Indes betrachtet Barton Kelly den Mann, für den er nun reiten soll. Es ist ein großer und sehniger Mann, hager und von jener Art, die im Sattel lebt. Es ist eine besondere Art. Man kann sie nicht so recht beschreiben, weil man sie sich stets mehr oder weniger auf einem Pferd vorstellen muss. Der Mann ist weißblond und tiefbraun seine Haut. Er hat zwei sehr hellgraue Augen, eine kurze, doch scharf gekrümmte Nase und ein kühn vorspringendes Kinn. Sein Mund ist breit, fast voll und wirkt sehr vital und verwegen. Die Art, wie er seine Lippen kräuselt und immer wieder blitzend lächelt, wirkt irgendwie anziehend, kühn, zwingend und mitreißend. Er ist ein Mann, der andere verwegene Männer führt. Dies wird sofort klar. Ganz gewiss ist er eine Art Freibeuter. Barton Kelly spürt deutlich eine Anziehungskraft, die von diesem Manne ausgeht. Der Mann blickt ihn nun fest an, lächelt und hält ihm die Hand hin. »Mein Name ist Jeremy Adams. Die anderen Männer meiner Mannschaft werdet ihr schon noch kennen lernen, und einige Burschen sind dabei, die werden gar keinen Respekt vor einem Boxchampion haben. Diese Jungens haben vor gar nichts Respekt.« Er wird ernster, und seine Augen blicken nun hart. »Ich nehme euch in meine Mannschaft auf«, sagt er härter. »Ihr seid Flüchtlinge vor dem Gesetz, und ich nehme euch auf. Ich gebe
euch Schutz, Brot und Zuflucht. Dafür verlange ich Treue. Wenn ich euch etwas sage, werdet ihr es tun. Oder ich töte euch!« Als er den letzten Satz spricht, gibt es keine Zweifel: Er ist nicht nur ein verwegener Mann, der andere verwegene Männer führt. Er ist auch ein harter Mann, der in gewissen Dingen unversöhnlich ist und keine Gnade kennt. »Aber ich lasse euch noch die Wahl«, sagt er. »Ihr könnt auch über Bord springen. Wenn ihr aber hier bleibt, gehört ihr zu uns. Entscheidet euch! Entscheidet euch schnell – sofort!« Barton Kelly und Tob White blicken sich an, und sie sehen, dass sie nackt sind. Sie spüren auch, dass sie starken Hunger haben. Und sie denken daran, dass ihre Steckbriefe bald überall im Lande und in anderen Staaten und Territorien hängen werden. Man wird eine hohe Belohnung auf sie ausgesetzt haben. Und Kopfgeldjäger werden ebenfalls nach ihnen suchen. Auf den Steckbriefen wird stehen, dass man sie »tot oder lebendig« herbeibringen kann, um die Belohnung kassieren zu können. Barton Kelly und Tob White haben den Glauben an die Gerechtigkeit auf dieser Welt verloren. Sie fühlen sich verlassen und ausgestoßen von der menschlichen Gemeinschaft. Ja, sie möchten eine Zuflucht. Sie möchten weit fort. Sie sind nackt und haben Hunger. Und deshalb nicken sie. Barton ergreift die dargebotene Hand von Jeremy Adams. Und auch Tob White schüttelt diese Hand.
4 Die Fahrt der Riverqueen geht Tag für Tag nach Westen, immer den Missouri hinauf, der dann an der Kansas-Grenze mehr nördlich abbiegt. Barton Kelly und Tob White bekommen nach und nach heraus, auf was für einem Schiff sie sind und was es mit Jeremy Adams für eine Bewandtnis hat. Nun, sie haben zuvor schon in den Städten am Mississippi und auf den Schiffen dieses Stromes Gerüchte gehört, dass der Kapitän Brian McLane einer jener Freibeuter des oberen Missouris wäre, die allerhand dunkle Geschäfte tätigen und denen man bisher nichts nachweisen konnte. Überdies gibt es im Lande des oberen Missouris kein Gesetz, und auf dem Strom selbst, der ja mitten durch das Indianerland führt, ist ein Schiffskapitän eine Art Halbgott, dem niemand etwas anhaben kann. Soweit also über Kapitän Red Brian McLane, den Flusspiraten und Eigner der Riverqueen, der nach Saint Louis gekommen war, um gewisse Geschäfte zu tätigen. Und diese Geschäfte waren fünfhundert auserlesene Pferde, die die Riverqueen von irgendwoher aus dem Nordwesten bis in die Nähe von Saint Louis gebracht hat. Diese Pferde sollen so prächtig und auserlesen gewesen sein, dass sie im Schnitt hundert Dollar brachten. Und das machte immerhin eine Summe von fünfzigtausend Dollar aus. Jeremy Adams und seine Leute waren den weiten Weg stromab mit heruntergekommen, um der Schiffsmannschaft als Fachleute dabei zu helfen, die fünfhundert Pferde an Bord zu betreuen. Doch sie wagten sich nicht bis nach Saint Louis und kamen unterwegs wieder an Bord. Barton und Tob sind sich darüber klar, dass die fünfhundert
Pferde irgendwo im Nordwesten gestohlen und dann den Strom herunter bis zu einem Abnehmer geschafft wurden, der sie vielleicht in den nächsten Monaten und Wochen in alle Welt verschicken wird. Barton und Tob begreifen in jenen Tagen, dass sich eine Bande von Banditen und Pferde- und Rinderdieben zusammengetan hat mit einem Flusspiraten und dessen Mannschaft. Dies ist etwas ganz Neues. Eine verwegene Rustler-Mannschaft stiehlt irgendwo erlesene und besonders wertvolle Tiere, schafft sie an Bord eines Schiffes und bringt sie viele Hunderte von Meilen fort, und der Flusspirat verfügt sichtlich über sehr weitreichende Verbindungen in Bezug auf Abnehmer. Barton Kelly und Tob White gehören nun dazu. Sie denken all die Tage, da sie mit den beiden so verschiedenen Mannschaften zusammen auf diesem Schiff leben und die Riverqueen sich Meile um Meile den Big Muddy (Missouri) hinaufarbeitet, um sicherlich irgendwo anzulegen und ein neues Unternehmen zu beginnen, immer wieder daran, dass sie ja eigentlich keinen Grund zum Klagen haben. Denn vor dem Gesetz sind sie Bankräuber und Mörder. Sie konnten entkommen und somit ihr Leben retten. Und sie fanden Zuflucht bei Menschen, die ebenfalls außerhalb des Gesetzes stehen. Dass Barton und Tob unschuldig sind, zählt jetzt nicht. Denn diese Unschuld glaubt ihnen niemand. Wenn sie irgendwo an Land und unter die Menschen gingen, ja, wenn sie eisern versuchen würden, nach den Gesetzen zu leben und ehrlich zu sein, nun, wenn man sie erkannte, wenn man sie wieder festnähme, man würde an ihnen das Urteil vollstrecken. Man würde sie töten. Für sie ist es so, dass die menschliche Gemeinschaft durch ihre Vertreter zu Unrecht ein Urteil fällen ließ, welches ihnen
den Tod bringen soll. Und diese Tatsache bringt sie nun auf die Seite der Freibeuter und Banditen. Sie wurden Geächtete und Ausgestoßene. Sie sind Flüchtlinge vor dem Gesetz. Und sie suchen Schutz, Hilfe und Zuflucht. Es ist noch leicht für sie, diese Hilfe und die Zuflucht anzunehmen. Denn vorerst müssen sie ja nichts tun, was ihre Gewissen belastet. Es sind zwei harte Mannschaften an Bord. Die Schiffsmannschaft besteht aus zwei Dutzend hartgesottener Big-Muddy-Männer, verwegen und piratenhaft, die von einem rotbärtigen Kapitän, von einem pantherhaften Steuermann und einem bullenhaften Bootsmann beherrscht und befehligt werden, die noch härter und noch verwegener sind als sie. Und in den Kessel- und Maschinenräumen, da herrscht der Ingenieur Jeffrey Boston über zwei Maschinisten und sechs Heizer. Es gibt noch eine Menge Arbeit an Bord, denn die fünfhundert Pferde haben in den großen Laderäumen und überall auf den Decks eine Menge Unrat hinterlassen, der zwar schon beseitigt wurde, doch immer noch zu riechen ist. Es riecht im ganzen Schiff nach Ammoniak wie in einem Mietstall. Und nur die Kabinen auf dem Texasdeck sind davon verschont. Fünfhundert Tiere waren selbst für dieses mehrstöckige und sehr breite Flussboot viel. Barton und Tob hören auch aus den Gesprächen immer wieder heraus, dass man die Tiere erst für einige Tage auf eine gute Weide bringen musste, wo sie sich erholten und wieder ansehnlich genug wurden, so dass man ihren wahren Wert und ihre Klasse erkennen konnte. Es soll sich vor allen Dingen um wertvolle Zuchtstuten gehandelt haben. Barton und Tob denken manchmal daran, wem diese Tiere
wohl gestohlen worden sind. Sie lernen auch die Reiter kennen, die mit Jeremy Adams an Bord kamen, nachdem sie die Pferdeherde verkauft hatten. Barton Kelly, der selbst einmal Cowboy war und unter harten und verwegenen Männern der Weide aufgewachsen ist, kennt sich gut aus. Und er weiß, dass er noch nie einer solch hartbeinigen und verwegenen Mannschaft begegnet ist wie dieser. Ja, es sind richtige Sattelpiraten, Freibeuter der Weide. Sie gehören zu einer Sorte, wie sie von den herrschenden Zeitumständen geschaffen wurde. (Anmerk. d. Verf.: Man darf dies alles nicht mit heutigen Maßstäben messen. Jene verwegenen Burschen waren damals wirklich Produkte einer Zeit, die begann, als der Krieg beendet war und die Rinder in Texas sich ins Unermessliche vermehrt hatten, sodass sie niemand mehr mit Brandzeichen versah. Als es dann Absatzmärkte für diesen Rindersegen gab, erhob fast jedermann Anspruch auf diese ungezeichneten Rinder, und viele arbeitslose und heimatlose Cowboys gingen auf Rinderjagd. Sie jagten »Mavericks«, so nannte man die ungezeichneten Rinder. Und als es dann kaum noch Mavericks gab, da wurden aus einstigen Maverickjägern nicht selten Viehdiebe, die nicht begreifen konnten, dass die Zeit sich geändert hatte. Und aus so manchem einstigen Maverickjäger, der später ein Viehdieb wurde, wurde eines Tages ein Bandit. Diese Entwicklung war manchmal ganz unvermeidlich, denn viele dieser Maverickjäger konnten eben in jener wilden Zeit des Westens keinen Weg auf die andere Seite finden, jene Seite, die aufbaute und Werte schuf, anstatt nur zu jagen und zu nehmen.) Diese Männer halten sich den beiden »Neuen« gegenüber sehr zurück. Doch keiner hat vor Barton Kelly, dem einstigen Preisboxer und Champion, besonderen Respekt, dies ist ganz
klar erkennbar. Diese Burschen haben vor nichts auf dieser Welt Respekt. Und sie haben auch eine besondere Art von Humor, den die Neuen immer wieder zu spüren bekommen. Zum Beispiel Tob White spürt es beim Mittagessen. Er trinkt hinterher stets zwei Tassen Kaffee, von dem immer genügend zu bekommen ist. Und er schaufelt sich stets einige Löffel Zucker in diesen Kaffee, denn er trinkt ihn süß. Doch an diesem Tag ist die Zuckerbüchse mit Salz gefüllt. Tob White merkt beim ersten Schluck, dass er sich einige Löffel voll Salz in den Kaffee tat. Er begreift, dass jemand den Inhalt der beiden Büchsen vertauscht hat. Doch Tob White ist ein Oldtimer. Er verzieht keine Miene, kostet jedoch nochmals den Kaffee. Und als Kid Pete Nicol, ein blonder, schlaksiger und pickelgesichtiger Junge aus San Antonio, scheinbar höflich und unschuldig fragt: »Ist was mit dem Kaffee, Opa?«, da sagt Tob ganz sanft: »Der Zucker süßt heute nicht richtig. Ich sage ja immer, dass brauner Zucker besser ist als weißer. Gereinigter Zucker ist nur halb so gut.« Und als er es gesagt hat, tut er sich noch zwei gehäufte Löffel in seinen Halbliter-Becher. Er rührt um, trinkt dann und brummt: »So ist es besser. Jetzt kann man den Kaffee einigermaßen trinken.« Die Männer betrachten ihn nun neugierig, und sie wissen alle, dass er sich sehr beherrscht und das Zeug am liebsten ausspeien würde. Da er sich noch zwei Löffel Salz in den Kaffee tat, muss dieser jetzt ganz und gar wie eine Salzlösung schmecken, die ihm gewiss den Magen umdreht. Doch er erwidert unschuldig ihre Blicke, und um seine Mundwinkel spielt der Anflug eines weisen Lächelns. »Immer dann, wenn ich nicht so richtig schmecken kann, was ich esse oder trinke, da werde ich unliebsam daran erinnert, dass ich ja eine künstliche Kehle und einen
künstlichen Magen habe«, sagt er bedächtig. Dabei tippt er mit dem Zeigefinger gegen seinen Magen und fährt dann hinauf bis zum Hals. »Alles aus Kupfer«, sagt er. »Es geht nichts über Kupfer. Ich habe mir das in Boston von einem geschickten Schmied machen lassen, weil mein Magen so anfällig geworden war, dass ich von kaltem Bier immer Krämpfe bekam. Und ich trank damals so gerne kaltes Bier. Alle Leute in Boston, die gerne Bier tranken und genügend Geld hatten, ließen sich Kehle und Magen mit Kupfer ausschlagen. Du lieber Gott, was zischten wir dann dieses edle Gesöff nur so herunter, kalt, ganz kalt. Und immer zwischendurch so ein Glas Salzsäure, damit die Kehle blank und sauber blieb.« Er schenkt sich nochmals den großen Kaffeebecher voll und tut vier gehäufte Esslöffel Salz hinein. Er rührt um, probiert und tut noch einen fünften Löffel nach. Und dann trinkt er so, als schmeckte es ihm. Die Männer staunen nun. Und Kid, der wilde Bengel, der nicht lesen und schreiben, doch verwegen reiten und sicher schießen kann, was ihn sicherlich noch einmal das eigene Leben kosten wird, staunt mit offenem Mund. »Das ist gelogen«, sagt er dann schrill und schlägt die Faust auf den Tisch. »Das ist erbärmlich gelogen. Kein Mensch kann sich Kehle und Magen mit Kupfer ausschlagen lassen. Und der Zucker taugt wirklich nicht viel. Damit ich ihn schmecken könnte, müsste ich noch einige Löffel mehr in den Kaffee tun als du, Opa!« Er hat sich indes den Kaffeetopf gefüllt, und er wirkt sehr trotzig und auf eine geradezu blöde Art großspurig, als er sich nun sechs Löffel voll Salz in den Topf löffelt, umrührt und trinkt. Als er absetzt, tränen ihm die Augen, und seine Kehle verkrampft sich vom Magen aus herauf bis zur Unterlippe. Sein
großer Halsknoten ruckt auf und ab. Tob White grinst ihn an. »Mein stolzer Junge«, sagt er. »Ich dachte mir gleich, dass ich dich herausfordern könnte, sodass auch du dieses Zeug schluckst. Nun brauche ich dir nichts hinter die Ohren zu geben. Denn du warst es doch wohl, der den Zucker vertauschte, nicht wahr?« Kid Pete Nicol springt fauchend auf und schnappt den Revolver heraus, den er tief unter der linken Hüfte trägt. »Du glaubst, ich bin dumm und ich wäre nur ein Junge! Du glaubst, man könnte mir etwas hinter die Ohren geben, so wie einem dummen Lümmel? Versuche es! Versuche es mal, Opa! Ich nehme es mit jedem Manne auf! Denn ich bin selbst ein Mann, ein richtiger, gefährlicher und harter Mann. Wer es nicht glaubt, der mag es gegen mich mit dem Revolver versuchen!« »Das kann ich nicht«, murmelt Tob White. »Und du solltest nicht so wild auf einen Revolverkampf sein. Ein Revolverkampf und ein toter Gegner, das ist nichts, auf das du stolz sein kannst. Hör auf damit, böse und gemein sein zu wollen, nur weil diese Welt vielleicht gegen dich böse und gemein war. Da du mich stets Opa nennst, da gebe ich dir einen guten Rat, mal auf diesen Opa zu hören.« Kid grinst ihn böse an. »Du bist ein verkrachter Preisboxer, der sich an einen Jüngeren hing, um einigermaßen leben zu können. Wenn ich so alt bin wie du, Opa, bin ich entweder in der Hölle oder ein reicher Mann, der geachtet und geehrt wird, ein mächtiger Mann, den die kleinen Leute grüßen und dem der Gouverneur auf die Schulter klopft. Eigentlich sollte ich dich erschießen, Opa, weil du mich so herausgefordert hast, dass ich Salzkaffee trank, nur um dir zu beweisen, dass nicht nur du eine kupferne Kehle hast. Du hast mich reingelegt. Und ich habe gelernt. Eines Tages werde ich schlauer sein als alle anderen Männer. Und ich werde …« Seine weiteren Worte werden mehr und mehr ein
unverständliches Gemurmel. Er setzt sich und steckt den Revolver fort. Und alle anderen Männer betrachten ihn neugierig. Jeremy Adams betrachtet ihn auf eine nachsichtige und zugleich auch mitleidige Art. Ring Diamond, ein indianerhafter Bursche, geschmeidig und gefährlich, betrachtet ihn nur amüsiert, völlig ohne Mitleid. Louis Hibbs, ein Mann, der wie aus Stein gehauen wirkt und dessen Hautfarbe immer blass und bleich wirkt, betrachtet ihn steinern und gefühllos. Alamo Uvalde, ein blonder Texaner aus dem Uvalde-County, dessen richtiger Name sehr viel anders lautet, leckt über sein blondes Bärtchen, welches sich über seiner Oberlippe kräuselt. Und er ist es, der beruhigend sagt: »Sicher, du wirst es schon noch richtig schaffen, Kid! Du bist der jüngste von uns, und deshalb kannst du noch am meisten lernen. Dir wird vielleicht sogar noch einmal der Präsident auf die Schulter klopfen und sich für tausend Rinder bedanken, die du für die notleidenden Chinesen in Frisko gespendet hast. So ein großer Bursche wirst du werden. Und du sollst den Opa in Frieden lassen mit deinen Scherzen. Denn sieh, er ist alt. Er hat seine beste Zeit vertan. Er kann niemals die Zeit zurückdrehen. Er hat nicht viele Chancen mehr. Du aber hast sie alle. Deshalb sei großzügig und nett zu alten Burschen.« Kid blickt ihn misstrauisch an, und dann starrt er schnell in die Runde. Und er kann nichts aus den Gesichtern der Männer erkennen, was ihn wütend machen oder beunruhigen könnte. Sie blicken ganz ernst. Und da nickt er und sagt: »Sicher, ich sollte Mitleid mit ihm haben. Das ist wahr. Er hat seine beste Zeit vertan, und er kann höchstens noch zusehen, wie ein jüngerer Mann es macht.« Er erhebt sich dann und verlässt den kleinen Speiseraum, in dem früher, als die Riverqueen noch ein gutes und schönes
Schiff war, welches auf dem Mississippi Fahrgäste beförderte, die Erster-Klasse-Passagiere ihre Mahlzeiten einnahmen. Die Männer schweigen noch eine Weile. Dann sagt Jeremy Adams leise: »So war es richtig, Texas! Man kann ihn leicht beruhigen, wenn man die richtigen Worte findet. Reizt ihn nur nicht. Bei uns ist er noch einigermaßen sicher aufgehoben. Alleine würde er vielleicht die nächste Postkutsche anhalten oder eine Bank berauben. Und dann wäre er bald ein toter Junge. Ich glaube nicht, dass man ihn ändern kann. Er würde allein bald umkommen.« Er blickt Barton Kelly an, der ihm gegenübersitzt. »Er ist unser Kid«, sagt er. »Er ist manchmal, wenn die Witterung umschlägt, nicht ganz richtig im Kopf. Sein Vater hat ihn als kleinen Jungen einmal halb tot geschlagen, immer auf den Kopf. Und er erhielt nirgendwo Hilfe. Er musste das alles ertragen, bis er groß genug war, um fortlaufen zu können. Und nun hasst er die ganze Welt. Behandelt ihn nur vorsichtig.« Barton nickt. »Er ist ein armer Junge«, sagt er. »Doch ich bin davon überzeugt, dass sich vielleicht doch Menschen gefunden hätten, die ihn aufgenommen und anders erzogen …« »Eben nicht«, sagt Jeremy Adams hart. »Er fand oder bekam nicht von der menschlichen Gesellschaft, was gut für ihn war und was er nötig hatte. Er wurde zu einem streunenden Jungwolf. Und als er zu mir kam, da war er schon nicht mehr zu ändern. Er ist ein erstklassiger Cowboy und Schütze. Und solche Männer brauche ich. Es geht ihm besser bei uns als je zuvor. Aber er ist verrückt. Behandelt ihn vorsichtig.« Tag für Tag und selbst in den hellen Mondnächten, da fährt die Riverqueen stromauf. Sie ist ein sehr altes Schiff, doch ihre
beiden Kessel und überhaupt ihre ganze Maschine sind in Ordnung. Sie ist sehr breit gebaut. Ihre Laderäume sind groß, und auch auf ihren Decks kann man viel unterbringen. Sie war einer der mächtigsten Mississippi-Dampfer, die bis zur Mündung des Stromes in den Golf fuhren. Da sie aber wegen ihrer Breite sehr wenig Tiefgang hat, kann sie auch den Missouri sehr weit hinauf und fast bis zu den Großen Fällen in Montana fahren. Doch so weit fährt sie nicht. Sie legt jedoch unterwegs in Abständen von Tagen noch zweimal an, um Holz für die Kesselfeuerung zu übernehmen. Sie haben nun schon Hunderte von Meilen zurückgelegt, die Kansas-Grenze berührt und sind weiter nach Nordwesten den Fluss hinauf. Nach Bartons Schätzung müssen sie sich nun schon im nördlichen Nebraska oder sogar schon in South Dakota befinden. Es war eine wunderschöne Fahrt, und die Landschaft zu beiden Seiten des Stromes wechselte ständig ab. Eines Nachts dann fährt die Riverqueen um eine Insel des Missouris herum und bei Mondschein zwischen zwei Felsen hindurch in einen breiten und toten Nebenarm des Flusses hinein. Barton, der mit an Deck steht, bewundert die Fahrkunst des Kapitäns, der das Ruderrad selbst übernommen hat. Man hört manchmal, wie er seine Befehle scharf und knapp durch den Sprachschlauch in den Maschinenraum ruft. Und unten wird jedes Kommando präzise ausgeführt. Das riesige Schaufelrad steht manchmal still, dann wieder dreht es sich mal in dieser und mal in jener Richtung, also mal nach vorn und mal nach hinten. Jeremy Adams sagt neben Barton: »Jetzt fahren wir in das Million-Cliffs-Land hinein, steigen aus und reiten eine Weile. Es gibt viele Wege, die in das Million-Cliffs-Land führen. Doch man kommt nicht so leicht wieder heraus aus diesem
Land – wenigstens nicht, wenn man es eilig hat und eine gestohlene Rinderherde treiben muss. Der Weg auf dem Fluss ist der ganze Trick bei unserem Geschäft.« Er lacht leise und spricht dann weiter: »Es gibt dort einen König, einen richtigen König, der fünfzigtausend Rinder und fünftausend Pferde besitzt. Und es gibt Menschen dort, die im Schatten dieses Mannes leben. Wir haben ihm beim ersten Mal fünfhundert Pferde abgenommen, die in einem der vielen Täler seines Reiches lebten. Diesmal werden wir ihm noch mehr abnehmen. Und ich wette, er wird immer noch nicht wissen, wie wir unseren Raub aus dem Land brachten.« Barton denkt über diese Worte nach. Er wendet den Kopf und betrachtet Jeremy Adams aufmerksam. Der Mond scheint hell, doch das Gesicht des Räubers und Viehdiebes wird von der Hutkrempe beschattet. Seine Augen leuchten jedoch hell. Barton spürt nun, dass der Mann irgendwie innerlich sehr erregt ist. »Wie heißt der Mann, den wir bestehlen wollen?«, fragt er. Jeremy Adams lacht wieder leise. »Bestehlen – wie sich das anhört«, sagt er dann. »Heiliger Rauch, wie sehr kommt es doch stets auf den Standpunkt an, von dem aus man all die Dinge betrachtet. Barton Kelly, wir nehmen einem großen Räuber einen Teil seiner Beute fort. Dieser Rinder- und Pferdekönig heißt Abe Natchez. Er hat zwei Söhne und einen harten Vormann. Sie haben sich Abe Natchez’ Reich auf eine sehr raue und harte Art geschaffen. Sie herrschen über ein Land, und niemand wagt es gegen sie. Nun, wir aber wagen es!« Er spricht nun nicht mehr, sondern geht ein Stück nach vorn. Am Ufer brennt plötzlich ein Feuer, so als wäre es soeben angezündet worden. Dieses Feuer dient nun als Markierungspunkt. Die Riverqueen legt genau dort an, dicht an der steilen Wand einer Felsterrasse, die wie eine künstlich geschaffene Kaimauer anmutet.
Beim Feuer drüben stehen zwei Männer. Sie haben Pferde bei sich und halten Gewehre unter dem Arm. »Hoii, Jungens«, klingt Jeremy Adams’ Stimme durch die Geräusche des Anlegemanövers. Tob White kommt dicht zu Barton Kelly, berührt ihn am Arm und murmelt bitter: »Jetzt wird es ernst, nicht wahr? Wir sind in einem Banditenschlupf gelandet. Und bald werden wir mit der Bande ausreiten und ein Banditenleben führen. Dieser Dampfer hier ist nur ein Verbindungs- und Transportmittel zur Außenwelt. Was erwartet uns wohl dort in diesem Land, welches die Männer als ›Millionen-Cliffs-Land‹ bezeichnen?« »Wir werden es sehen, Tob«, murmelt Barton. »Und vergiss nur nicht, dass wir nichts anderes als zwei vom Gesetz verfolgte Bankräuber und Mörder sind und dass man uns vielleicht inzwischen schon erwischt und aufgeknüpft hätte, wenn wir auf diesem Dampfer nicht entkommen wären.« Tob White knurrt einige unverständliche Worte. Und dann schweigen sie und sehen zu. Sie haben keine guten Ahnungen, obwohl sie noch gar nichts Bestimmtes wissen. Sie sehen zu, wie dann die Landegangway und auch die beiden Ladebrücken hinüber auf die Felsterrasse geschoben werden. Man bringt dann die Reitpferde und zwei schwere Frachtwagen angespannt auf den Ladebrücken hinüber an Land. Der Inhalt des Frachtwagens ist für das Banditencamp bestimmt. Inzwischen werden Mond und Sterne blass, und dann zieht von Osten her das fahle Grau der Morgendämmerung herauf. Barton und Tob fahren mit dem Wagen mit. Sie liegen auf der Ladung und blicken hinauf zu den hohen Rändern einer tiefen Schlucht, durch die sie nun landeinwärts gefahren werden. Als dann der Tag da ist und die Sonne scheint, kommen sie aus der Schlucht heraus auf eine kleine Ebene, die von einem Kranz von Felskegeln umgeben ist, die von Wind und Wetter
so scharf geschliffen wurde, dass sie an die nadelspitzen Klippen in einer Brandung erinnern, die eine ruhige Lagune umgeben. Die Fahrt geht über die Ebene. Die beiden Wagen fahren langsam, umgeben von den Reitern. Die beiden Männer, die das Feuer am Fluss angezündet haben, sind mit dabei. Sie überqueren im Verlauf des Vormittags die Ebene und benutzen einen verschlungenen und mühsamen Weg durch neue Felsklippen. Sie kommen dann durch kleine Täler und gelangen endlich an eine unüberwindliche Schranke. Es ist eine viele Meilen lange und gewaltig hohe Felswand, die von vielen Schluchten und Rissen durchbrochen wird. In Jahrtausenden oder Jahrmillionen wird auch diese gewaltige Felswand sicherlich von der Erosion zu Abertausenden solcher gewaltigen Felsklippen zernagt worden sein, die man auf dem Weg vom Fluss überall sah. Und es wird dann auch neue, tiefe Mulden, Senken und Täler geben. Es ist ein wildes, zerhacktes und unübersichtliches Land. Die Wagen fahren in eine breite Schlucht ein, die sich bald darauf zu einem Talkessel erweitert. Und hier steht eine Siedlung, etwa ein halbes Dutzend Holzhäuser mit den dazugehörigen Schuppen, Ställen und Nebenbauten. Es gibt einige Corrals, einen Store und einen Saloon. Spalten und Schluchten führen aus dem Talkessel wie die Gänge eines Fuchsbaues. Einige Rinder weiden frei, und viele Pferde bewegen sich in den Corrals. Aus den Kaminen der Häuser kräuselt Rauch, und alles bietet einen sehr ruhigen und freundlichen Anblick. Aber es ist eine Banditenstadt in einem unwegsamen Land. Jeremy Adams kommt zu Barton und Tob an den Wagen geritten und sagt vom Sattel aus zu ihnen hinüber: »Da habt ihr eure Zuflucht! Dort seid ihr am Ziel. Ihr seid aufgenommen in die Gemeinschaft der Geächteten. Und dass ihr dort Schutz und
Hilfe habt, bedeutet aber auch, dass ihr zu der Gemeinschaft euren Teil beitragen müsst.« Nach diesen Worten reitet er mit seinen Reitern voraus, und die Wagen folgen langsamer. Der Fahrer des Wagens, auf dem Barton und Tob mitfahren, dreht sich einmal um, grinst und sagt: »Neue haben es am Anfang stets ziemlich schwer bei uns. Sie müssen zeigen, was sie können.« Tob knurrt unwirsch, als er dies hört. Und Barton Kelly nickt nur stumm, senkt dann seinen Kopf und betrachtet seine Fäuste. Er ist sicher in der Annahme, dass er sie in den nächsten Tagen wird benutzen müssen, um sich Respekt zu verschaffen. Früher, als junger Cowboy, da konnte ich auch recht gut mit dem Revolver umgehen, denkt er. Es sieht so aus, als müsste ich das wieder lernen und es zu einer gewissen Fertigkeit bringen. Denn wir leben nun unter zweibeinigem Raubwild.
5 Sie bekommen später Quartier in einem großen Blockhaus, in dem außer ihnen noch sechs andere Männer wohnen. Dies erkennen sie, weil sechs der zehn Betten belegt sind mit allerlei Dingen. Es ist ein ziemlich unsauberes und liederliches Quartier. Von den sechs Männern sind vier vorhanden. Zwei liegen auf ihren Betten und warten anscheinend auf den Ruf zum Mittagessen. Ein dritter Mann sitzt am Tisch und dreht Zigaretten. Er ist ein Ungetüm von einem Mann, ein Klotz, der nur aus Muskeln und Masse besteht, mit einem kleinen Kopf und tückisch blitzenden Augen. Der vierte Mann ist ein muskulöser Neger, der blitzend grinst und den Eintretenden zunickt. Er ist somit der einzige Mann in diesem Raum, der Bartons und Tobs Gruß erwidert. Die drei anderen starren nur. Und dann sagt der Riese, der am Tisch Zigaretten dreht: »Neue? Nun gut! Es ist lange nicht ausgefegt und gesäubert worden. Also fangt an! Auch mein Bett müsste mal gemacht werden. Ich bin Pat Brown, und man nennt mich ›Der Hammer‹ oder ›Hammer-Pat‹. Ihr braucht nur immer das zu tun, was ich euch sage. Und was habe ich euch soeben gesagt?« Er wartet mit schief geneigtem Kopf auf eine Antwort. Und als diese nicht sogleich kommt, legt er eine Hand muschelförmig hinters Ohr. »Seid ihr Chinesen?«, fragt er. Tob White geht zu einer noch freien Schlafpritsche und setzt sich darauf. Er verliert kein Wort, doch er weiß genau, dass dies eine Sache für Barton Kelly ist. Sie können sich hier nicht kommandieren lassen. Die Männer hier in diesem Camp sind
primitiv, und sie respektieren nur den Stärkeren. Und weil es unter ihnen eine gewisse Rangordnung gibt, muss sich diese Rangordnung erst immer wieder einspielen, wenn Neue ankommen, die sich eingliedern müssen. Es ist ganz klar, dass Barton und Tob sich zur Wehr setzen müssen. Denn wenn sie die Befehle von Hammer-Pat widerspruchslos ausführen, werden es mindere und unbedeutendere Männer als Hammer-Pat mit ihnen versuchen. Und je mehr Barton und Tob sich ducken und gehorchen würden, um so tiefer wäre ihre Rangordnung. Sie würden gewissermaßen die Ausfeger und Spucknapfreiniger in diesem Camp werden. Tob White, der eine Menge Erfahrungen sammeln konnte, weil sein Lebensweg ihn schon durch viele Tiefen führte und er sehr oft unter primitiven Burschen lebte, weiß das alles. Und er weiß auch, dass Barton Kelly sich jetzt gleich am Anfang durchsetzen muss. Er setzt sich also auf eine Schlafpritsche und wartet. Er sieht, dass Barton sich ruhig im Raum umblickt und alles genau betrachtet. Dann wendet sich Barton an Hammer-Pat und sagt ruhig: »Wenn hier abwechselnd von uns Reinigungsdienst gemacht wird, so habe ich nichts dagegen. Und wir werden uns dann auch der Reihenfolge nach beteiligen. Aber wenn hier lange nicht ausgefegt und gesäubert wurde, und wenn auch dein Bett mal gemacht werden müsste, was geht uns das an? Schafft euren Schmutz alleine weg! Und macht eure Betten alleine! Wenn wir am Abend eine saubere Unterkunft übernehmen, so werden wir diese Unterkunft am nächsten Abend genauso sauber übergeben. Ist das klar?!« Er fragt es scharf und herausfordernd. Eine Weile ist es still. Die zwei Männer, die auf ihren Lagerstätten liegen, setzen sich schweigend auf. Der Neger, der auf der Fensterbank saß und mit einem Stein
an einem Messer schliff, erhebt sich und stellt sich aufrecht an die Wand, so als wollte er möglichst wenig Platz beanspruchen. Er ist riesig und gewiss sehr stark. Und er ist hart, dies kann man ihm ansehen. Er trägt Weidetracht wie ein richtiger Cowboy, und wahrscheinlich ist er sogar ein guter Rindermann. Hammer-Pat aber tut erst all seine gedrehten Zigaretten in eine alte Zigarrenkiste. Er schließt sie sorgfältig, erhebt sich und bringt sie zu einem Wandbrett, auf dem eine Nippfigur steht, die eine Tänzerin darstellt, welche sich auf den Fußspitzen dreht. Er wendet sich Barton zu und nickt ruhig. »Sicher«, sagt er kehlig. »Du warst Preisboxer. Ich hörte es schon. Und du bist einer von den Jungens, die man erst mal ungespitzt in den Boden schlagen muss. Na gut!« Er nähert sich Barton, und er wiegt mehr als zweihundertdreißig Pfund. Er ist ein Mann, der an der Grenze lebt und der schon durch hundert wilde Kämpfe ging. Er ist ein Geächteter, ein Bandit, der unter Banditen lebt und der sich gegen die wildesten Burschen immer wieder Respekt verschaffte und all seine Wünsche durchsetzte, in vielen Camps und auf allen Wegen. Als er Barton nahe genug ist, wird er sehr schnell. Sein rechter Schwinger ist nur ein Trick, denn er taumelt nicht durch den Fehlschlag zur Seite, hat ihn also einkalkuliert. Er hat auch einkalkuliert, dass Barton sich ducken würde. Sein linkes Bein fährt hoch, und er tritt mit aller Kraft zu. Würde er richtig getroffen haben, so wäre der Kampf sicherlich beendet gewesen. Nach der Art der mitleidlosen Burschen der Grenze, die keine Regeln beachten, sondern ihre Gegner mit allen Mitteln kampfunfähig machen oder sogar töten, hätte Hammer-Pat den kampfunfähigen Gegner dann mit den Füßen bearbeitet, bis er Barton für immer und ewig zerbrochen hätte.
Doch er trifft nicht richtig. Barton dreht sich im letzten Moment etwas zur Seite und fängt den wilden und gemeinen Tritt mit dem Oberschenkel auf. Die Muskeln seines Oberschenkels sind sofort wie gelähmt, und er kann das Bein kaum benutzen. Und so lässt er sich mit den Schulterblättern gegen die Wand krachen, an die er rückwärts stolperte. Seine Rechte aber sticht vor wie ein Rammpfahl. Sie trifft Hammer-Pat unter die Augenbrauen auf Nase und Mund. Und der kleine, runde und mit borstigen Haaren bedeckte Kopf wird zurückgestoßen. Das breite Kinn liegt nun nicht mehr auf der Brust und deckt den kurzen Hals. Bartons Linke kommt schnell und präzise, indes er sich mit beiden Schultern von der Wand abstößt und sein ganzes Körpergewicht nach vorn wirft. Er stößt sich mit seinem noch brauchbaren Bein dabei ab, und so sitzt all seine Kraft und sitzt auch sein ganzes Gewicht hinter seiner linken Faust. Er trifft genau den Hals, dort wo bei einem Mann der Halsknoten zu sehen ist. Dann lässt er sich nach vorn fallen und erwischt mit beiden Armen die Beine des rückwärts taumelnden Hammer-Pats. Er umschlingt die Beine dicht über den Fußknöcheln und rammt seine rechte Schulter gegen die Knie. Hammer-Pat fällt krachend auf den Rücken. Er bekommt mit seiner gewaltigen Kraft seine Beine frei und tritt wild und verzweifelt um sich. Doch Barton Kelly rollt sich rechtzeitig zur Seite und springt auf. Sein Bein, welches wie gelähmt war, gehorcht ihm wieder einigermaßen, sodass er sich schnell genug auf den Füßen bewegen kann. Hammer-Pat kniet nun. Doch er bekommt keine Luft. Der Schlag gegen seine Kehle war zu schlimm für ihn. Er kniet, hält sich beide Hände an den Hals, und sein Mund ist aufgerissen. Seine Augen treten hervor. »Komm schon, komm schon«, sagt Barton heftig.
Der massige Mann stemmt sich empor und steht. Er wirkt seltsam unbeholfen und ganz so wie ein tapsiger Bär. Barton Kelly lässt ihm keine Zeit mehr. Dass er ihn aufstehen ließ, war schon mehr, als man hier in diesem Land einem Gegner zubilligt. Er trifft ihn rechts und links. Und als der Mann vorgeneigt und mit gesenktem Kopf gegen ihn stürmt, um ihn zu umfassen, um sich an ihm festzuhalten, da hält er ihn auf – mit einem Aufwärtshaken, der mit ganzer Kraft und aus der Tiefe heraufgeholt wird. Er stemmt seinen ganzen Körper hinter die Kraft des Schlages. Und da Hammer-Pat angeschlagen ist, gelingt es Barton, ihn anzuhalten – aufzuhalten, so als wäre er in einen Pferdetritt gerannt. Hammer-Pat seufzt, indes er aufgerichtet auf den Absätzen und mit weit zurückgeneigtem Kopf rückwärts taumelt, über einen Stuhl stolpert und sich mit einem Krach auf die Fußbodenbretter setzt. Seine Augen treten nun noch mehr hervor, und es ist ein verzweifelter und verwunderter Ausdruck in ihnen. »Heiliger Rauch!« Er sagt es merkwürdig deutlich und ruhig, ganz so, als hätte er die ganze Zeit bequem in einem Sessel gesessen und eine Zigarre geraucht. Dann betastet er sein Kinn. Barton aber, der vor ihm steht und wartet, hat das Gefühl, als wäre ihm die Hand gebrochen und sein Arm bis ins Schulterblatt zersplittert. Du lieber Gott, denkt er bitter, wann ist dieser Kampf denn endlich aus? Was muss ich denn noch tun, um diesen Berg zu bezwingen? Und dann sieht er, wie Hammer-Pat sich wieder erhebt. Der Mann ist deutlich angeschlagen. Sein Blick ist glasig, und er wird sicherlich nur noch von seiner Zähigkeit und Härte dazu angetrieben, sich wieder zu stellen. Sein wilder
Selbstbehauptungsinstinkt, der ihn bisher überall unter den wilden Burschen sieghaft bleiben ließ, zwingt ihn, sich nochmals zu stellen. Barton tritt langsam an ihn heran. Mit zwei leichten Kopfbewegungen entgeht er den Fäusten, die matt und ungenau nach ihm schlagen. Und dann schlägt er selbst zweimal zu. Als Hammer-Pat dann fällt, denkt Barton voll Hoffnung, dass dies doch wahrhaftig genug wäre. Und es ist genug. Er hat Hammer-Pat geschlagen. Es gibt keinen Zweifel mehr daran. Tob und die drei anderen Männer im Raum atmen wie auf Kommando aus. Einer sagt fast zitternd: »Es ist kein Traum! Ich habe es richtig gesehen. Hammer-Pat liegt dort am Boden. Und es wird ihm sehr zu Herzen gehen, dass er nun endlich einmal geschlagen wurde.« Bartons Fäuste und Arme schmerzen bis in die Schulterblätter. Er bekämpfte seine Müdigkeit und Not, seine Schmerzen und Bitterkeit. Er starrt die Männer der Reihe nach an. Und dann sagt er: »Ich will in keinem Schweinestall wohnen. Ich will ein sauberes Quartier haben. Also los, fangt an! Macht sauber! Los, da wir schon mal dabei sind, können wir alles klären!« Tob White erhebt sich vom Bettrand in der Ecke. »Ihr könnt es zu dritt gegen uns versuchen«, sagt er, »denn ich bin auf seiner Seite.« Der Neger grinst jedoch und sagt: »Mit einem Mann, der Hammer-Pat schlagen konnte, möchten wir keinen Streit haben. Ich hole zwei Eimer Wasser.« »Und ich werde ausfegen, damit wir richtig wischen können«, sagt der andere Mann. Und auch der dritte Bursche bewegt sich willig und nickt. Sie alle blicken dann auf Hammer-Pat, der sich wieder
bewegt. Sie sehen wortlos zu, wie er auf Hände und Knie kommt und sich an der Tischkante hochzieht. Er schwankt dann hinaus. Sie folgen ihm alle und sehen dann, wie er beim Wassertrog vor dem Haus, der durch eine Baumröhrenleitung gespeist wird und auch einen Abfluss hat, verhält und seinen Kopf ins Wasser steckt. Barton bewegt sich plötzlich und tritt an das andere Ende des Wassertroges. Er steckt seine Arme bis über die Ellenbogen hinein, und die Kühlung tut seinen Fäusten gut. Er wäscht sich zwischendurch Gesicht und Hals. Und dann blicken er und Hammer-Pat sich über die Länge des Troges hinweg schweigend an. Hinter Hammer-Pats Stirn arbeitet es, dies sieht man ihm an. Seine kleinen Augen blicken zuerst böse. Doch plötzlich grinst er, so als hätte er sich an einen guten Witz erinnert. »Nun gut«, sagt er. »Irgendwann wird jeder Mann einmal geschlagen. Irgendwann gibt es immer ein Ende. Das ist so! Und du hast mich ziemlich anständig geschlagen, Preisboxer! Ich dachte immer, dass ich auch einen erstklassigen Preisboxer schlagen könnte, denn ich habe schon eine Anzahl von ihnen verputzt. Doch es gibt da wohl Unterschiede. Nun gut, ich bin nicht nachtragend.« »Wir säubern jetzt alle das Quartier«, sagt Barton. »Und du wirst deinen Anteil daran übernehmen, nicht wahr?« »Ist das ein Befehl?« »Nur eine Aufforderung für alle.« »Nun gut, Boxer, nun gut!« Er blickt zur Haustür und erkennt dort die anderen Männer. »Ich bin geschlagen worden«, sagt er zu ihnen. »Dies wird einige von den Jungens hier in diesem Camp erfreuen. Warum nicht! Ich kann sie alle schlagen, alle – und vielleicht beim nächsten Male auch diesen Boxer.« Als er es gesagt hat, geht er ins Haus und räumt bald darauf
sein Bett heraus, um den Strohsack neu zu füllen. Er hilft beim Saubermachen wie alle anderen. Und als vom Speisesaal, der sich zwischen dem Saloon und dem Store befindet, eine Kuhglocke zum Essen läutet, sind sie noch längst nicht fertig. Sie kommen erst zum Essen, als all die anderen Männer in der Siedlung längst gegessen haben. Der Koch und sein Küchengehilfe, ein stelzbeiniger Mann mit einem Billy-Cody-Bart, bedienen sie brummig, und der Koch sagt: »Ich halte beim nächsten Mal das Essen nicht so lange warm, das schwöre ich euch.« Der Tag vergeht dann für Barton Kelly und Tob White sehr ruhig. Sie schlendern durch das Camp, sehen sich alles an und stellen fest, dass es auch einige Frauen hier gibt. Dies hier könnte fast eine richtige kleine Stadt sein, mit verheirateten Bürgern und Junggesellen, mit Handwerkern, einem Storehalter und einem Saloonwirt. Es gibt sogar eine Art Frachtwagenhof und Posthalterei. Es herrscht auch ein ständiges Kommen und Gehen von Reitern und Fahrzeugen, sodass Barton und Tob schnell klar ist, dass es in diesem Land noch weitere Camps gibt. Barton und Tob staunen immer mehr. Tob sagt einmal: »All diese Burschen leben nicht schlecht hier. Man könnte sicherlich sogar eine Farm oder gar eine kleine Ranch aufbauen. Und …« »Wenn wir das dürfen«, unterbricht ihn Barton. »Vergiss nicht, dass wir hier sind, weil Jeremy Adams Reiter braucht, die ihm helfen, Rinder zu stehlen. Nichts anderes wird er uns tun lassen. Überdies, alter Junge, mit was willst du eine Ranch oder eine Farm aufbauen? Wir besitzen nicht einen einzigen Cent. Und jeden Cent, den wir in Zukunft hier verdienen können, der wird unehrlich erworben sein. Wir werden mit
Jeremy Adams Vieh stehlen müssen und dafür Geld bekommen.« Tob White brummt nur unwillig zu diesen Worten, doch er wirkt nun sehr nachdenklich. Sie kehren zum Mittelpunkt der Siedlung zurück. Als sie beim Saloonanbau des großen Store sind, kommt der blondbärtige Alamo Uvalde herbei, der einfach nur Texas genannt wird. Er lacht die beiden Neuen an und sagt: »Ich habe schon gehört, dass du Hammer-Pat geschlagen hast. Nun gut, das muss begossen werden! Ich lade euch ein! Kommt nur!« Er fasst sie um die Schultern und schiebt sie dann vor sich her durch die Schwingtür des Saloons. Es ist ein primitiver Saloon, wie er hier an der Grenze und in einem gesetzlosen Land nicht anders sein kann. Die Bar besteht aus Brettern, die über leere Fässer gelegt wurden. Einige Regale für Flaschen und Gläser, drei bunte Ölgemälde, ein Spiegel, eine große Karbid-Hängelampe, einige primitive Tische, Bänke und einiges andere Zeug sind die ganze Einrichtung. Ein Durchgang führt zum Store hinüber. Einige Männer füllen den Raum. Ein Gitarrespieler klimpert leise in der Ecke irgendwelche melodische Tonfolgen. Alamo scheint überall nur Freunde zu haben, denn er wird von allen Seiten begrüßt. Aber man mustert auch Barton sehr aufmerksam. Es hat sich in diesem Camp längst herumgesprochen, dass er den bisher unbesiegten Hammer-Pat schlug. Der Wirt ist ein piratenbärtiger und einarmiger Mann. Seine linke Hand besteht aus einem stählernen Haken. Er schenkt ein, und als sie dann zu dritt trinken und dabei ihre Augen unwillkürlich schräg nach oben richten müssen, da blicken sie auf ein dort an der Wand befestigtes Bild. Es stellt eine nur mit einem Schleier bekleidete Schönheit dar, die auf einem Stier reitet. Es handelt sich also sichtlich um Europa, die der griechischen Sage nach von Zeus in Stiergestalt von Theben
nach Kreta entführt wird. Der Künstler hat diese Europa besonders farbenprächtig und auch sonst recht ansehnlich gemalt. Und der Stier, auf dem die Lady reitet, ist ein echter Longhorn-Bulle. »Ist das ein Bild?«, fragt der Saloonhalter, als sie die Gläser absetzen und ihre Blicke von dem Bild nehmen. »Es ist ein Kunstwerk«, erwidert Barton schlicht. »Es ist die Königstochter Europa aus der griechischen Sage. Doch wer hat hier schon etwas von der Europa gehört, die von Zeus entführt wurde?« »Ein oder zwei Menschen außer dir und mir«, sagt der Saloonwirt. Er füllt die Gläser neu. »Auf Kosten des Hauses«, spricht er. »Und wir trinken darauf, dass jemand gekommen ist, der über dieses Bild keine blöden Witze macht, sondern sich als gebildet erweist.« Sie trinken ganz ernsthaft. Dann entsteht hinter ihnen einige Bewegung. Barton wendet sich um. Und da sieht er das Mädchen zum ersten Mal – jedenfalls glaubt er, dass es noch ein Mädchen ist. Doch bald darauf wird ihm klar, dass es fast so alt wie er ist, also genau auf der Schwelle steht, wo ein Mädchen eine Frau ist. Sie begleitet einen dunkel gekleideten und ganz wie ein Gentleman aus dem Osten wirkenden Mann, der einen dunklen Tuchanzug, ein weißes Hemd und eine prächtige Weste trägt. Auf seiner Krawatte leuchtet eine Perle. Er hat ein dunkles, glattes und beherrschtes Gesicht, trägt auf der Oberlippe ein dunkles Bärtchen und an den Schläfen lange Koteletten. Er hält sich sehr gerade, doch er hinkt mühsam, und auch sein linker Arm hängt schlaff nieder. Das Mädchen stützt ihn und bringt ihn bis zu einem runden Spieltisch in der Ecke, wo er sich setzt. Sofort nehmen einige Männer an diesem Tisch Platz. Und das Mädchen stellt sich hinter den Stuhl des Mannes, zu dem sie offensichtlich gehört, und legt die Fingerspitzen leicht auf die Stuhllehne hinter
seinem Rücken. Barton Kelly betrachtet das Mädchen. Sie trägt ein dunkelgrünes und sehr einfaches Kleid. Ihr Haar ist dunkelrot, und sie hat so grüne Augen, wie Barton es nie für möglich gehalten hätte. Da steht sie nun, sehr still, sehr gerade. Und sie wirkt irgendwie verloren und dabei so tapfer. Sie steht da wie ein hoffender Mensch, der an etwas glaubt und auf etwas wartet, was für ihn ganz sicher ist. Aber sie wirkt sehr verloren – dieses Gefühl hat Barton Kelly. Und so schön ist sie, so klar und still und auf eine ruhige und stille Art schön. Sie ist nur mittelgroß, sehr schlank, aber dabei doch sehr weiblich und reizvoll. Nein, sie ist keine kalte oder unnahbar wirkende Schönheit. Denn sie wirkt auch eigenwillig und stolz. Einen Moment begegnen sich über den Raum hinweg ihre Blicke mit denen von Barton. Doch dann senkt sie leicht den Kopf und blickt über die Schulter des Mannes hinweg, hinter dem sie steht und mit dem sie gekommen ist, auf den Spieltisch. Dort wird Poker gespielt. Und es wird ein hohes und scharfes Spiel. Dieser Mann dort, der die typische dunkle Spielertracht trägt und der wie ein Gentleman wirkt, spielt mit den hartgesottenen Männern des Camps, die ein scharfes und hohes Spiel lieben, wie jedes andere große Risiko auch, welches guten Gewinn einbringen könnte, wenn man nur gewinnt. Barton wendet sich an Alamo: »Wer ist das, Texas?«, fragt er, und seine Stimme klingt nicht nur deshalb so gepresst, weil er so leise fragt. Alamo betrachtet ihn seltsam. »Das ist Alex Grand mit seiner Tochter Elizabeth. Das ist Fairplay-Grand! Noch nichts von ihm gehört? Er ist ein
Flüchtling vor dem Gesetz wie wir alle. Und er holt vielen Burschen hier das Geld aus der Tasche, bevor sie es richtig ansehen können, Geld, welches sie sich mühevoll genug und unter Gefahren verdienten. Er nimmt es ihnen ab. Und man könnte fast denken, dass er der reichste Mann unter uns ist.« »Aber das Mädchen – wie konnte er das Mädchen mit in dieses gesetzlose Land und unter Strolche und Banditen bringen?«, fragt Barton. Der Texaner betrachtet ihn seltsam. Dann spricht er: »Was soll er tun? Sie ist bei ihm, weil sie es so will, weil sie ihn wieder fortführen möchte in eine neue Zeit. Und er kann schon für sie sorgen. Es ist irgendein Geheimnis in ihnen. Und Liz…? Nun, sie ist hier sicherer als allein in der weiten Welt. Denn die Schurken lauern überall auf ein Mädchen. Hier sind sie alle in sie verliebt, denn irgendwie verkörpert sie das, was für uns alle verloren ist, aber wovon wir manchmal noch träumen. Trink, Bart, trink! Denn auch für dich sind alle guten und schönen Dinge verloren. Du kannst nur noch davon träumen. Denn wir sind Verlorene.« Er hebt das Glas, und sein sonst so verwegenes und leichtlebiges Lächeln wirkt bitter und verzerrt. Sie trinken. Und als sie die Gläser absetzen, da murmelt er mehr zu sich: »Damals, als ich aus Texas flüchten musste, nun, da ließ ich ein Mädel zurück, das war genauso wie das dort. Und jeder von uns ließ etwas zurück, oder er glaubt es wenigstens, dass er etwas …« Er bricht ab. »Soll ich dich vorstellen?«, fragt er. Und er wartet keine Erwiderung ab, sondern nimmt Barton am Arm und führt ihn hinüber und drüben um den runden Spieltisch herum bis zu dem Mädchen, welches hinter dem Stuhl ihres Vaters steht. »Liz«, sagt Alamo, »ich möchte Ihnen einen Freund aus Texas vorstellen. Dies ist Barton Kelly. Bart, diese Lady ist Elizabeth Grand. Gute Freunde wie ich dürfen sie Liz nennen.«
Barton hört es wie aus weiter Ferne. Und er blickt dabei in die grünen Augen des Mädchens hinein. Er sieht ihren vollen Mund ganz nahe, und er bemerkt einige Sommersprossen und einige ganz feine Linien um Nase und Mundwinkel, die Kummer und bittere Erfahrung verraten. Dieses Mädel wurde hart auf rauen Wegen. Sie lächelt ihm nicht zu, nein, ganz ernsthaft mustert und prüft sie ihn, und er spürt, dass sie sich bei dieser Prüfung auf ihren Instinkt verlässt. Er spürt den Anprall einer Strömung, die forscht und prüft. Er sagt nichts. Nachdem er sich leicht verbeugte, steht er da und blickt sie ruhig an. Nach einer Weile nickt sie und lächelt leicht. »Alle Texaner halten zusammen, und sie werden schnell Freunde.« So spricht sie. »Und auch ich bin aus Texas. Nun, Barton Kelly, es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Doch jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich bringe meinem Vater Glück. Ich muss bei der Sache bleiben.« Sie reicht ihm keine Hand, wendet sich wieder dem Spieltisch zu. Doch ihr Lächeln war gut und warm. Die beiden Männer kehren zur Bar zurück. Tob erwartet sie hier, und er blickt Barton seltsam prüfend an. »Ich glaube, ich werde mich heute schlimm betrinken«, murmelt Alamo Uvalde. Sie trinken noch ein Glas mit ihm und verlassen ihn dann. Sie gehen hinaus, und sie stellen fest, dass der Nachmittag schnell vergangen ist. Es wird bald Abend sein. Sie kehren zu ihrem Quartier zurück, und sie fragen sich, was da wohl noch alles auf sie zukommen wird, was die nahe Zukunft für sie in Bereitschaft hält. Sie werden hier gewiss nicht lange untätig herumlungern dürfen. Jeremy Adams ist nicht in das Million-Cliffs-Land zurückgekehrt, um Urlaub zu machen. Und am Fluss wartet die Riverqueen auf neue Ladung. Nein, die Banditen werden keine Zeit verschwenden.
6 Sie brauchen nicht lange zu warten. Denn schon nach dem Abendessen im Restaurant wählt Jeremy Adams seine Männer aus. Er schickt auch einige Boten zu den Männern, die mit ihren Frauen in dieses Land geflüchtet waren. Barton und Tob bekommen den Befehl, sich beim großen Pferdecorral gute Pferde und Sättel geben zu lassen. Und im Store müssen sie sich auf Kredit zwei Gewehre und genügend Munition kaufen. »Es wird von euren späteren Anteilen abgezogen wie die Kosten für das Essen in unserem Restaurant«, sagt Jeremy Adams. Was sollen Barton und Tob tun? Sie müssen gehorchen. Es bleibt ihnen keine andere Wahl. Als sich die Rustlermannschaft dann nach Mondaufgang beim Corral versammelt hat und aufgesessen ist, sind sie mit dabei. In ihren Sattelhalftern stecken Gewehre. Sie besitzen Munition, und ihre Revolver, die sie bisher im Hosenbund trugen, befinden sich nun in richtigen Halftern. Als sie unter Jeremy Adams’ Führung losreiten, sind sie mehr als zwei Dutzend Reiter, fast dreißig Mann, wie Barton flüchtig zählt. Sie reiten in eine dunkle Schlucht, zwischen deren himmelhohen Wänden ihr Hufschlag hallt. Dann führt ihr Weg über ein Plateau, welches mit hohen und sehr spitzen Felsklippen bedeckt ist, die ein richtiges Labyrinth bilden, aus dem es nur sehr schwer erkennbare Auswege gibt. Doch Jeremy Adams führt bei Sternenlicht und Mondenschein mit einer unbeirrbaren Sicherheit. Sie arbeiten sich dann zu einem Pass hinauf und gelangen nochmals auf ein Plateau, auf dem die spitzen Felsen abermals zu Zehntausenden stehen und die Erosion tiefe Löcher und Vertiefungen nagte.
Auf der anderen Seite führen viele Schluchten hinunter zu einer sich endlos weitenden Ebene. Doch was von hier oben bei Mondschein und Sternenlicht wie eine Ebene wirkte, erweist sich später als ein Land mit Hügeln und Senken, mit weiten Weideflächen und Waldstücken. Es ist ein herrliches Weideland, zwar unübersichtlich, doch deshalb aber auch geschützt vor den Winterstürmen. Dieses Land senkt sich nach Westen zu. Mächtige Canyons führen allmählich hinunter. Die Rustlermannschaft erreicht noch vor Tag eine bewaldete Hügelkuppe. Und hier hält sie sich dann den ganzen Tag auf, rastet, schläft und hält durch ständig sich ablösende Wächter scharf Ausschau. Doch der Tag vergeht, ohne dass sie mehr zu Gesicht bekommen als einige Rinderrudel. Es zeigt sich kein Reiter. Als es dann wieder Nacht wird, teilt Jeremy Adams seine Reiter in drei Gruppen auf. Die eine Gruppe führt Ring Diamond. Die zweite Gruppe übernimmt der stets bleichgesichtige Louis Hibbs, den Barton für besonders gefährlich und mitleidlos hält. Und die dritte Gruppe führt Jeremy Adams selbst. Barton und Tob gehören zu dieser Gruppe. Sie reiten hinter Jeremy Adams durch die Hügel und gelangen plötzlich an den Rand einer ziemlich tiefen und weiten Senke. Ein lang gestreckter See spiegelt sich dort unten im Mondlicht. Und am Südwestende des Sees steht eine Hütte, zu der Corrals und Schuppen gehören. Jeremy Adams wendet sich an seine Reiter. »Es ist ganz einfach«, sagt er. »Wir reiten um den See und treiben die Rinder ganz ruhig und leise vor uns her. Bei dieser heißen Jahreszeit sind viele Rinder dort unten. Wir werden eine
große Herde zusammentreiben können. Louis Hibbs sichert mit seiner Gruppe nach Westen zu und wird jede Gefahr melden und auch eine Weile aufhalten. Ring Diamond wird mit den vier Jungens die Weidemannschaft in der Hütte festhalten und irgendwelche Wächter erledigen. Wir werden ziemlich ruhig und ohne Hast arbeiten können. Los!« Er führt sie in die Senke hinunter, und sie reiten dann nach Norden zu um den See herum. Sie stoßen sofort auf viele Rinder. Diese Rinder sind überall, hier so dicht am See. Es ist fast kinderleicht für die Reiter. Sie reiten langsam, nur im Schritt. Sie machen nicht viel Lärm, sondern drängen ruhig und benutzen nur wenig die Lassoenden. Auf die laut knallenden Bullpeitschen verzichten sie. Es ist eine Geduldsarbeit, bis sie die ersten Tiere in Bewegung haben. Doch dann wird es leichter. Als sie das erste Rudel geschlossen treiben, schließen sich andere Rinder, die sie aufscheuchen, fast von selbst an. Sie müssen nur immer gegen die Flanken der anwachsenden Herde drücken und von hinten treiben. Dieses Zusammentreiben geht allerdings langsam vonstatten. Es wirkt fast wie ein Spiel. Doch aus diesem Spiel wird plötzlich Ernst, oder vielmehr: Dieses scheinbare Spiel erweist sich plötzlich als das, was es wirklich ist. Es erweist sich als Raub. Und nur selten kann ein Raub ohne Gegenwehr durchgeführt werden. In der Nacht krachen plötzlich Schüsse. Bei der Weidehütte wird nun gekämpft. Ring Diamond und seine Reiter halten dort die hier stationierte Weidemannschaft fest. Sicherlich stieß diese Mannschaft auf einen Wächter, wurde angerufen und schoss sofort. Dadurch wurden die Männer in der Weidehütte wach, wollten heraus und zu ihren Pferden und schafften es wohl nicht, weil sie von allen Seiten Feuer bekamen. Nun schießen sie aus der Hütte, und vielleicht hoffen sie, dass der Lärm der Schüsse irgendwelche andere Weidemannschaften alarmiert.
Doch von Westen her, wo Louis Hibbs und dessen Gruppe sichert, ist nichts zu hören. Dort ist alles noch ruhig und droht wohl noch keine Gefahr. Barton Kelly beobachtet und registriert das alles. Es ist auch nicht schwer für ihn, all diese Vorgänge richtig zu begreifen und sich vorzustellen. Er treibt immer wieder Rinder vor sich her und der immer größer werdenden und langsam um den See ziehenden Herde zu. Auch alle anderen Reiter tun das. Manchmal, wenn Tob in Bartons Nähe kommt, hört dieser ihn bitter fluchen. In Barton ist eine tiefe Bitterkeit und Resignation. Ja, früher, als er noch ein junger Cowboy war, trieb er oft Rinder. Und später als Boxer, da träumte er oft von dieser Zeit, und er wünschte sich immer, doch wieder über die Weide reiten zu können. Jetzt kann er es. Doch er kann keine Freude daran finden. Denn er stiehlt Rinder. Das ist es! Er hilft mit, Rinder zu stehlen. Und die Bande, mit der er reitet, hat gewiss schon Blut vergossen. Er richtet seinen Blick nach Westen und fragt sich, ob es gut wäre, wenn er mit Tobias die Flucht ergreifen würde. Aber was wartet denn dort im Westen auf ihn und Tob? Dort im Westen soll es den großen Rinderkönig Abe Natchez geben, einen harten und rücksichtslosen Mann, der wie ein Despot über ein Land und seine Bewohner herrscht, der eine große und raubeinige Mannschaft, fünfzigtausend Rinder und fünftausend Pferde besitzt. Es soll schwer sein, aus diesem Land entkommen zu können. Was würde Abe Natchez tun, wenn seine Leute Barton Kelly und Tob White zu ihm brächten und sie ihm nicht erklären könnten, wie sie in sein Land gekommen wären? Nein, Barton und Tob können nicht nach Westen flüchten, bevor sie nicht ganz genau über die Verhältnisse dort im Bilde
sind. Dies alles überdenkt Barton, indes er wie ein Viehdieb Rinder treibt. Sie brauchen mehr als eine Stunde, bis sie den See umritten und alle Rinder vor sich her nach Süden und dann nach Osten getrieben haben. Sie schlagen dabei mit ihrer Herde einen großen Bogen um die Hütte, aus der immer noch geschossen wird. Rings um die Hütte blitzt es aber auch immer wieder auf, und dies sagt Barton, dass die Viehdiebe immer noch unaufhörlich hineinschießen. Doch dann verstummt das Feuer. Die Nacht wird jetzt nur noch von dem Brüllen der Rinder und dem Klatschen der Bullpeitschen erfüllt. Denn die Herde wird jetzt rau und scharf getrieben. Es ist eine große Herde. Barton schätzt die zusammengetriebenen Rinder auf mehr als tausend Tiere. Einmal scheut sein Pferd. Er hält an und erblickt eine lang im Gras liegende Gestalt. Er sitzt ab und geht hin. Dabei muss er einer Longhornkuh ausweichen, die schnaubend an ihm vorbei in eine Richtung stürmt, als von dort ein Kalb kläglich zu blöken beginnt. Barton kniet dann neben dem bewegungslos im Gras liegenden Manne nieder. Als er ihn berührt, spürt er, dass der Mann lebt und sogar bei Besinnung ist. Denn unter seinen Fingerspitzen spürt er deutlich das Erschrecken des Mannes. »Schon gut, mein Junge«, murmelt er. »Ich bin nicht abgestiegen, um dir den Rest zu geben. Ich wollte nur sehen, ob ich dir helfen …« Er verstummt, denn ein Reiter jagt heran. »Was ist hier?«, fragt Jeremy Adams’ harte Stimme. »Ich sah nach, ob er noch lebt«, erwidert Barton und erhebt sich. »Na und? Lebt er?« »Nein«, sagt Barton, »er ist tot!« »Dann lass ihn liegen und komm mit!« Jeremy Adams’
Stimme duldet keinen Widerspruch. Barton gehorcht. Und er konnte nicht mehr für den vor Furcht zitternden und verwundeten Cowboy tun, als zu sagen, dass er tot ist. Er folgt dem Viehdieb, der unterwegs noch einige andere Reiter zu sich ruft. Sie reiten zur Weidehütte hinüber. Dort tritt ihnen Ring Diamond entgegen. Er schiebt dabei neue Patronen in seine Winchester und sagt: »Es waren noch zwei Mann in der Hütte. Und sie schossen so lange, bis wir ihre Hütte durchlöchert und sie zum Schweigen gebracht hatten.« Er meldet es kalt und sachlich. Barton spürt einen kalten Schauder. Nun weiß er ganz genau, mit welcher Bande er reitet. Diese Viehdiebe lassen es auf einen richtigen Weidekrieg ankommen. Sie kämpfen mit den Rinderleuten um den Besitz der Herden. Es ist wie zur Zeit der Raubritter. Genau so ist es! Und es ist nicht einmal ein besonderer Fall in der Geschichte des Westens. Nein! Überall auf der Rinderweide werden die Viehdiebe mächtig und sind an manchen Orten gar stärker als die Rinderzüchter. Sie lassen sich mit den Ranchers auf einen offenen Krieg ein, schlagen sie und plündern sie aus. Barton Kelly weiß jetzt, was Jeremy Adams anstrebt. Er weiß auch, wie sehr Adams jede Möglichkeit wahrnimmt, seine Reiter zahlenmäßig zu verstärken. Es ist ganz klar, dass dieser Viehdieb auf die Dauer nicht verstohlen und wie ein schleichender Wolf im Land herumreiten will, um bei Nacht und möglichst unbemerkt Rinder zu stehlen. Nein, Jeremy Adams strebt etwas anderes an. Er will mit Abe Natchez um die Macht im Land kämpfen. Er will den Rinderkönig besiegen. Barton Kelly fragt sich, ob das möglich ist. Doch warum nicht! Denn dort im Westen, da gibt es noch kein Gesetz. Das Land dort gehört noch zum größten Teil den
Indianern, die mit der Armee einen sehr erfolgreichen Krieg führen. Barton sieht, wie man zwei Körper aus der Hütte trägt und wie man die Weidehütte dann anzündet. Tob ist plötzlich zu Pferd neben ihm, und er hört ihn wieder auf seine typische Art fast lautlos und bitter fluchen. Barton fragt sich in diesen Sekunden, ob Jeremy Adams dies alles nur deshalb tut, um sich in den Besitz der Rinder setzen zu können. Oder gibt es vielleicht noch andere Gründe, die den Viehdieb zu diesen Taten antreiben? Ist vielleicht zwischen ihm und diesem Abe Natchez ein persönlicher Hass? Und wie ist es möglich, dass sich hier in diesem Land schon fünfzigtausend Rinder befinden? Dies ist auch eine Frage, die nicht so leicht beantwortet werden kann. Denn selbst eine große Rinderherde braucht einige Jahre, bis sie sich auf fünfzigtausend Tiere vermehrt hat – zehn Jahre, zwanzig Jahre oder sogar dreißig Jahre oder noch mehr. Es kommt dabei ganz darauf an, wie die Winter waren und wie das Raubwild die Kälte dezimierte. Nun, Barton Kelly kann sich auf viele Fragen keine Antwort geben. Er weiß nur, dass er mit Räubern und Banditen reitet, die keine Gnade kennen. Und er, den man doch wegen Mordes hängen wollte, empfindet eine tiefe Abneigung und beginnt nun unentwegt darüber nachzudenken, wie er mit Tob aus dieser Sache herauskommen könnte. Doch er kommt nicht heraus, er kommt noch mehr hinein. Denn Jeremy Adams führt das Rudel nun nach Westen. Dort stoßen sie bald darauf auf Louis Hibbs und dessen Männer. Sie sind nun über ein Dutzend Reiter, mehr als die Hälfte der gesamten Mannschaft. Barton wünscht sich, dass er und Tob jetzt bei den anderen Reitern wären, die die Herde treiben. Denn dorthin, wo Jeremy Adams sie führt, gibt es sicherlich einen neuen Verdruss. Sie reiten nun schnell, und der Hufschlag hallt vor ihnen her
durch das Land. Jeremy Adams – dies wird immer deutlicher – kennt sich in diesem Land aus, so als wäre er hier viele Jahre herumgestreift. Er führt das starke Rudel sicher und ohne auch nur im Geringsten zu zögern durch zerhackte Hügel, auf deren Kuppen sich wieder die für dieses Land so typischen spitzen Felsen gegen den hellen Himmel abheben. Meile um Meile reiten sie. Und dann sind sie plötzlich am Ziel. In einer weiten Senke, umgeben von bewaldeten Hängen, da liegt eine Ranch. Zuerst glaubt Barton, dass es Abe Natchez’ Hauptranch ist. Doch schon in der gleichen Sekunde sagt er sich, dass dies nicht sein kann. Dies dort unten kann nur ein Vorwerk sein. Als er dann aber die weitläufigen Corrals und Koppeln betrachtet hat, die im Mondlicht zu erkennen sind, da weiß er, dass es nur eine Pferderanch sein kann. Er sieht dann, wie Jeremy Adams sich im Sattel wendet und hört ihn sagen: »Also gut, das letzte Mal haben wir uns fünfhundert Pferde geholt. Mal sehen, was wir heute bekommen!« Damit reitet er wieder an, und das Rudel folgt ihm. Sie reiten nun im Schritt und halten sich an der Basis eines bewaldeten Hügels. Gegen den dunklen Hintergrund und dazu noch im Schatten, heben sie sich aus der Entfernung gesehen nur wenig ab. Überdies tauchen Wolken am bisher klaren Himmel auf und machen die Nacht zeitweilig sehr dunkel. Sie kommen ziemlich dicht an das Vorwerk der Natchez-Ranch heran. Doch dann werden sie von den nahen Corrals angerufen. Es ist klar, dass es ein Wächter ist. Sie beginnen zu schießen, und das Revolverfeuer bricht knatternd und schrecklich durch die bisherige Stille der Nacht. Und zugleich spornen sie ihre Pferde an, um das Vorwerk anzugreifen.
Barton und Tob blieben etwas zurück. Doch da ist Louis Hibbs plötzlich hinter ihnen und ruft scharf: »Los! Glaubt ihr, dass ihr nur als Gäste mitgekommen seid?« Er hat es kaum ausgesprochen, da kracht von den Corrals her ein Gewehr. Es muss der Wächter sein, der sie angerufen hatte. Als sie dann mit den Revolvern schossen, duckte er sich wohl. Doch nun nimmt er den Kampf auf. Und der erste Schuss stößt Tob White vom Pferd. Barton sieht es. Er stößt einen wilden Schrei aus, hält an und reitet zurück. Der Mann bei den Corrals feuert immer noch, und seine Kugeln kommen Barton sehr gefährlich nahe. Er wirft sich aus dem Sattel und kniet bald darauf bei Tob. Doch dieser richtet sich fast ohne Hilfe sitzend auf und seufzt: »Ah, das war nicht viel! Das ist nur ein Streifschuss. Ich glaube, ich bin vor Schreck vom Pferd gefallen. Wo ist denn mein Pferd?« Barton erhebt sich schnell. In der Nähe steht das Tier mit zu Boden hängenden Zügeln. Er geht hin und holt es. Als er damit bei Tob ist, kniet dieser und drückt seine Hand gegen die Seite. »Die Kugel riss mir wohl etwas Fell von der Rippe«, sagt er. »Doch ich bin ja zum Glück ziemlich hart. Du lieber Gott, dieser Bursche schießt immer noch. Sie werden ihn gleich erwischt haben, den armen Kerl, der so mutig für seinen Boss kämpft.« Er steigt in den Sattel. Und Barton, der nun wieder Interesse an seiner Umgebung nimmt, sieht und hört nun, dass die Rustlermannschaft überall in die Ranch eingedrungen ist oder dabei ist, es zu tun. Es wird überall geschossen, denn sicherlich sind mehr als sechs Reiter der Natchez-Ranch hier stationiert, die sich heftig wehren. Doch der Wächter bei den Corrals schießt nicht mehr. Reiter kommen aus dieser Richtung herüber. Louis Hibbs schwenkt ein. Er war einer dieser Reiter und hält nun bei Barton und Tob
an. »Es hat dich erwischt, Opa, nicht wahr? Ist es schlimm? Wenn es dich tröstet, so kann ich dir sagen, dass wir den Burschen, der dir das Ding verpasste, erwischt haben. Der schießt nie wieder.« »Es tröstet mich nicht«, knurrt Tob White gepresst. Doch Louis Hibbs hört es nicht mehr. Er ist schon weitergeritten. »Ist es dir besser? Muss ich dich nicht verbinden oder zumindest nach deiner Wunde sehen?« Barton fragt es, denn ihm scheint es, dass Tob etwas zu verkrampft im Sattel sitzt. »Nein! Es ist nicht schlimm! Und wir haben auch keine Zeit!« So erwidert Tob merkwürdig scharf. Und sie haben wirklich keine Zeit. Jeremy Adams ruft seinen Männern immer wieder Befehle zu. Aus dem Haus wird nicht mehr geschossen. Die Männer dort verhalten sich ruhig, oder sie wurden verwundet oder gar getötet. Die Banditen sind nun dabei, die Corrals zu leeren. Sie treiben eine stattliche Pferdeherde zusammen und machen sich damit auf den Rückweg. Barton und Tob schließen sich an. Jeremy Adams reitet herbei und sagt kurz: »Bis jetzt wart ihr mir keine besondere Hilfe. Ich habe euch niemals da gesehen, wo ganze und raue Arbeit geleistet werden musste.« »Tob wurde verwundet«, erwidert Barton gepresst. »Und er will sich nicht verbinden lassen. Er will nicht mal, dass ich nach seiner Wunde sehe.« »Dazu ist auch keine Zeit«, erwidert Jeremy Adams knapp. »Wir sind hier sehr nahe bei der Hauptranch. Und die Schüsse waren meilenweit in der Nacht zu hören. Vielleicht bringt Abe Natchez jetzt schon einige Dutzend Reiter in die Sättel. Wir müssen die Pferdeherde so schnell treiben, wie wir nur können. Aber du kannst bei Tob bleiben und dich um ihn kümmern, wenn das nötig ist. Eine besondere Hilfe wart ihr ohnehin nicht. Wir schaffen das alles auch jetzt noch ohne euch.«
Nach diesen Worten spornt er sein Pferd wieder an und reitet schneller, um die Führung zu übernehmen. Tob White reitet plötzlich aus dem Staub der nun im Galopp getriebenen Pferdeherde hinaus und hält im Schatten einer Baumgruppe an. Barton folgt ihm. »Tob, was ist?« Er fragt es drängend. Der vierhunderthufige Hufschlag der gestohlenen Pferdeherde entfernt sich immer mehr und mehr. Es sind gewiss abermals mehr als fünfhundert Tiere. Und da sie sich in den Corrals befanden, sind es entweder kostbare Stuten oder schon zugerittene und für den Verkauf bestimmte Pferde. Doch dies alles kümmert Bart jetzt nicht. Er ist nur froh, dass der Hufschlag leiser wird. Denn nun kann er deutlich den gepressten und so sehr bitteren und schmerzvollen Klang in Tobs Stimme hören. »Ich schaffe es nicht mehr, Bart, mein Junge«, erklärt Tob müde. Und ganz plötzlich fällt er aus dem Sattel, bevor Bart ihm helfen kann. Barton kniet bald darauf neben ihm. Und nun weiß er ganz genau, dass ihn Tob bisher nur getäuscht hat. Denn Tob White hat es schwer erwischt. Seine Seite ist voller Blut, welches ihm die Hose bis zum Stiefel hinein tränkt. Barton schneidet ihm die Kleidung auf. Obwohl sie sich im Schatten der Bäume befinden, ist auch hier die Mondnacht hell genug, sodass Barton die schlimme Wunde einigermaßen gut erkennen kann. »Du lieber Gott, lass Tob nicht sterben«, sagt er. Und er weiß, dass Tob die Kugel im Leib hat und er, Barton, ihm nicht helfen kann. Er ist kein Chirurg, auch kein Arzt. Es wird nicht mal viel Sinn haben, die Wunde zuzustopfen. Denn die Blutung findet im Leib statt. Dies ist also unser Weg, unser verteufeltes Schicksal, denkt Barton Kelly bitter. Oh, hätte ich mich damals nur von diesem Ed Adamson besiegen lassen! Hätte ich den Mallones doch nur
gehorcht! Dann wäre dies alles nicht passiert. Dann wären wir nicht zu Flüchtlingen gemacht worden, befänden uns nicht hier in diesem Land – und müsste der gute Tob nicht hier verbluten. Du lieber Gott, warum werden wir so gestraft? Was haben wir getan, dass wir auf Erden schon die Hölle bekommen? Dies also sind seine bitteren Gedanken. Und sie sind doch nur verständlich, denn selbst einem Mann wie Barton Kelly, der doch gewiss ein Kämpfer ist und sich so leicht nicht von Schwierigkeiten und durch Unglück unterkriegen lässt, muss wenigstens vorübergehend die Verzweiflung packen. Er verstopft die Wunde, so gut er kann. Und als er dann überlegt, was er wohl tun soll, da erwacht Tob aus seiner Bewusstlosigkeit. »Schon gut, Bart, mein Junge«, flüstert er. »Du solltest jetzt schnell von hier verschwinden. Es ist nicht gut, bei mir zu bleiben. Denn wenn dich die Reiter der Natchez-Ranch erwischen, hängen sie dich bestimmt auf. Und diesen Tod hätten wir schon in Saint Louis haben können, nicht wahr? Das wäre dann ein gesetzlicher Tod gewesen. Also reite, mein Junge. Für mich ist es vorbei! Schade! Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich so schnell verlassen müsste. Weißt du, ich habe in meinem Leben eine ganze Menge Dinge falsch gemacht. Und an deiner Seite wollte ich erleben, wie ein Mann es richtiger und besser machen könnte oder kann. Was ich nicht erreichen und schaffen konnte, solltest du erreichen. Ich hätte mich dann genauso gefreut, als wenn es mir zuteil geworden wäre. Und jetzt …« Seine Stimme wurde immer schwächer, und seine Worte kamen in immer längeren Abständen und klangen gepresst und bitter. »Es macht mir nicht viel aus, dass ich jetzt sterbe«, seufzt er. »Wenn ich wenigstens wüsste, ob du eines Tages aus dieser schlimmen Sache heil herauskommen kannst, ob es für dich einen neuen Anfang geben wird. Ach, wenn ich das nur
wüsste! Nur eines kann ich dir mit auf den Weg geben, Bart, mein Junge: geh von dieser Banditenbande fort! Ergreife irgendwohin die Flucht. Mach dich nicht schuldig!« Er verstummt und schließt die Augen. Doch er atmet noch und bleibt auch noch bei Besinnung. »Es tut nicht weh«, murmelt er nach einer Weile. »Wenn ein Arzt in erreichbarer Nähe wäre, der könnte mich bestimmt noch retten. Nun gut, man soll die Karten nehmen wie sie fallen.« Er ruht wieder einige Atemzüge lang aus. Dann aber drängt er mit all seiner ihm noch verbliebenen Energie: »Los, Bart! Jetzt musst du reiten. Es ist weder dir noch mir damit geholfen, dass dich die Natchez-Mannschaft erwischt und dir die Haut abzieht. Wenn du mir meinen allerletzten Wunsch erfüllen willst, dann reite jetzt, und zwar nicht zu dieser Banditenbande zurück, sondern irgendwohin, wo es einen neuen Anfang …« Er bricht ab, denn seine Kraft reicht nun nicht mehr aus. Und Barton, der jetzt lauscht, hört den Hufschlag einer sich schnell nähernden Mannschaft. Er weiß, dass dort die Natchez-Mannschaft angeritten kommt, wild und rau auf frischer Fährte.
7 Barton ist sich darüber klar, dass es wenig Sinn haben würde, vor dieser Mannschaft zu reiten. Und überdies will und kann er seinen alten Freund Tob, der wie ein Vater und Bruder zu ihm war, einfach nicht allein sterben lassen. Barton erhebt sich und bringt die Pferde tiefer zwischen die Bäume und in den Schatten der dichten Äste und Zweige. Dann kehrt er zu Tob zurück, kauert sich bei diesem nieder und stellt fest, dass Tob noch lebt. Wenn es doch nur Rettung gäbe, denkt er. Wenn hier in der Nähe eine Stadt und ein Arzt wären. Dann … Er bricht seine Gedanken ab, denn der Hufschlag der Mannschaft ist nun schon ganz nahe. Die ersten Reiter müssen schon in den nächsten Sekunden über die Bodenwelle dort im Westen kommen. Tob sagt nichts mehr. Er ist bewusstlos. In Barton aber ist nun die Hoffnung, dass das Rudel vorbeireiten könnte. Doch als er dann die Reiter kommen sieht, da ist diese Hoffnung sofort restlos zerstört. Er kann das starke Rudel gut erkennen. Denn die Nacht wurde wieder sehr hell. Die Wolken, welche für eine Weile den Mond verdeckt haben, als die Banditen hergeritten kamen, sind fort. Barton sieht etwas, was ihm alle Hoffnung nimmt. Denn es sind nicht nur Reiter auf der Fährte. Vor den Reitern springen einige Schatten. Hunde! Ja, es sind Hunde, richtige Bluthunde, die auf die Hetzjagd abgerichtet sind. Sie springen lautlos vor den Reitern her und sind schnell genug, um die galoppierenden Pferde führen zu
können. Und so sehr Barton jetzt in Not ist, in diesen Sekunden wird ihm ganz nebenbei und von selbst klar, warum die Reiter mit Hunden kommen. Damals, da hatten sie wohl die Fährte der gestohlenen Pferde verloren. Und sie konnten wohl nicht herausfinden, dass die Pferde von einem Schiff aus dem Land gebracht wurden. Dies war sicherlich der Grund, dass die Natchez-Ranch sich schnelle und spürsichere Bluthunde anschaffte, eine besondere Sorte. Denn der Boss dieser Ranch hatte ganz richtig vorausgesehen, dass man ihm eines Tages wieder eine große Pferdeherde stehlen würde. Dieser Krieg um Rinder und Pferde wird wahrscheinlich mit großer Härte und dem Willen zur gegenseitigen Vernichtung geführt. Barton aber zieht den Revolver, um sich gegen die Hunde zu verteidigen. Denn diese biegen jetzt von der breiten Fährte ab und kommen genau auf die Baumgruppe zu, unter der er sich mit Tob befindet. Es ist ganz klar, dass sie Tobs Fährte besonders gut und gern verfolgen können. Denn Tob hat unterwegs Blut verloren. Die Hunde heulen jetzt wild und laut, ein Zeichen für die Reiter hinter ihnen, dass sie ein Wild aufgespürt und schon fast gestellt haben. Die Reiter folgen ihnen dichtauf. Und dann wird Barton auch schon umstellt. Die Hunde umgeben ihn und Tob. Er aber steht stocksteif und breitbeinig über Tob. Ja, er hat gehofft, dass die Hunde so gut dressiert sind, dass sie das Wild nur stellen und nicht darüber herfallen, wenn es still verharrt. Er hat sich nicht getäuscht. Es sind gut dressierte und gewiss sehr kostbare Hunde. Diese Meute hat ein Vermögen gekostet. Sie sind wild und erregt. Doch sie geben folgsam Laut, dass sie ihr Wild gefunden und gestellt haben. Dieses Lautgeben ist
jedoch nicht notwendig, da die Reiter dicht hinter ihnen sind. Sie umgeben Barton und den bewusstlos am Boden liegenden Tob. Eine harte Stimme schickt die Hunde fort und gibt dann den Befehl: »Nun gut! Dies ist etwas! Hank, du setzt mit der Mannschaft die Verfolgung fort! Aber reitet nur in keinen Hinterhalt und lasst euch nicht die Hunde abschießen. Es eilt nicht mehr so sehr. Wir haben Gefangene!« Die letzten drei Worte werden auf eine Art gerufen, die voll grimmigen Frohlockens ist. Seine Befehle werden auch sofort befolgt, und weil er dann noch sagt: »Line und Frank, ihr bleibt bei mir«, bleiben noch zwei Reiter zurück. Der Lärm der wieder galoppierenden Mannschaft verstummt allmählich. Und die drei Reiter sitzen ab. Jemand hat zuvor schon mit dem Ende einer Bullpeitsche den Revolver aus Bartons Hand geschlagen und ihn mit dem Pferd bis dicht an einen Baum gedrängt. Dort steht er nun und wartet. Doch es fällt ihm Tobs Not wieder ein, und so spricht er gepresst und drängend: »Mein Partner stirbt. Er hat eine Kugel im Leib. Wenn es hier in der Nähe einen Arzt gibt, so könnte meines Partners Leben vielleicht noch gerettet werden.« Als er bittend verstummt, schnauft einer der Männer nur scharf durch die Nase. Der zweite Mann sagt kalt: »Man soll es nicht glauben, auf was für Einfälle doch solch ein Hundesohn kommt, wenn man ihn gestellt hat. Mann, wir haben euch nicht verfolgt, um die barmherzigen Samariter zu sein. Wir werden euch …« »Genug geredet, Line!« Der dritte Mann sagt es knapp und hart, und er ist ganz deutlich der Boss. Er kniet nun bei Tob nieder und reibt sogar ein Zündholz an seinen ledernen Überhosen an. Er betrachtet den bewusstlosen Tob, und Barton kann nicht anders: Barton muss diesen Mann betrachten. Denn er ahnt, dass es der mächtige und große Abe
Natchez ist. Und er weiß, dass sein und Tobs Leben ganz gewiss nun von der Entscheidung dieses Mannes abhängen. Das Flämmchen des Zündholzes beleuchtet ein indianerhaftes und falkenhaftes, dunkles und lederhäutiges Gesicht. Das also ist Abe Natchez, denkt Barton. Dann ist das Flämmchen aus. Und die harte und präzise klingende Stimme sagt kühl: »Gewiss, es sieht so aus, als müsste er sterben.« Er kommt zu Barton hinüber. »Diese Nacht ist viel Blut geflossen«, spricht er dabei hart. »Vielleicht sind einige meiner Reiter gestorben. Es ist nur gerecht, dass auch ihr sterben müsst. Ich bin mit meinen beiden Söhnen Line und Frank zurückgeblieben, um euch zu richten. Ja, wir Natchez vernichten unsere Feinde selbst. Wir überlassen dies nicht unseren Untergebenen.« Er ist nun ganz dicht bei Barton, und er ist nicht größer als dieser, eher etwas kleiner und sehr viel hagerer und älter. Er ist wie ein texanischer Cowboy gekleidet und trägt einen alten Hut mit flacher Krone. Und irgendwie wirkt er so sehr indianerhaft, dass Barton zu spüren beginnt, dass dieser Mann zu einem Viertel ein Indianer ist. Und der Name Natchez ist irgendwie indianisch. »Wir können dich auf zwei Arten töten«, sagt er zu Barton. »Doch zuvor will ich dir eine Frage stellen. Mache deine Ohren auf! Ich frage dich, wie meine fünfhundert Pferde, die vor vielen Wochen gestohlen wurden, aus dem Land gebracht werden konnten. Wie war das möglich? Gibt es einen geheimen Weg? Oder haben meine Scouts und Wächter, die alle mir bekannten Wege überwachen, einfach geschlafen? Wie verließen die Pferde das Land?« Barton Kelly zögert nicht, und er kommt sich dabei keinesfalls wie ein Verräter vor. Er hat das Gefühl, als müsste er diesem Manne sagen, was er weiß. Und so erwidert er: »Ein großes Schiff nimmt die Pferde auf oder auch Rinder.
Ein Schiff macht die Sache. Es ist groß und breit und hat einige Decks. Da es ein altes Schiff ist, macht es ihm nicht viel aus, Tiere statt Menschen oder Frachtgut zu befördern. Und noch etwas, Mister. Mein Partner und ich, wir gehören nicht zu den Banditen. Wir kamen durch eine Verkettung unglücklicher Umstände auf jenes Schiff, als es von Saint Louis ablegte, um den Missouri hinaufzufahren. Wir wussten zuerst nicht genau, dass wir bei Flusspiraten und Rinderdieben gelandet waren. Und als wir es wussten, konnten wir nicht mehr fort. Wir wussten auch nicht, dass Jeremy Adams …« Hier bricht Barton ab, denn er hört genau den scharfen Atemzug des indianerhaften Gegenübers. Und auch die beiden Söhne des Ranchers treten schnell heran. »Jeremy Adams also sitzt uns wie eine Laus im Fell«, sagt Abe Natchez schließlich. »Nun gut!« Und dieses »Nun gut« kommt grimmig und drohend. »Weiter«, verlangt er dann. Barton beeilt sich, denn er hat immer noch Hoffnung, dass ihn die Männer nicht hängen werden und es irgendeine Hilfe für Tob White gibt. Er berichtet schnell. Und als er verstummt, sprechen sie erst einmal für eine Weile kein Wort. Sie denken nach. Dann aber sagt einer der beiden jungen Männer: »Ach was, er hat uns was vorgelogen! Er will seinen Hals aus der Schlinge lügen, die wir ihm gleich umlegen werden.« »Das glaube ich auch«, sagt sein Bruder und stößt Barton hart vor die Brust, sodass er mit dem Rücken gegen den Baum prallt. »Du lügst elegant und schlau«, schnappt er. »Doch bei uns zieht das nicht!« Nachdem sie ihre Meinung geäußert haben, schweigen sie und warten auf die Entscheidung des Vaters. Der zögert noch und denkt nach. Und da versucht es Barton nochmals. »Einer Ihrer Reiter verdankt mir sein Leben«, erklärt er. »Er war nur verwundet,
stellte sich jedoch tot. Das war, als am See die Rinder gestohlen wurden. Ich stieg ab, um ihn zu untersuchen. Ich wollte ihm helfen, wenn er noch am Leben war. Er war es noch, das spürte ich. Er stellte sich tot. Jeremy Adams kam herbei und fragte, ob er tot wäre. Ich sagte ja, und so ritt Adams weiter und ließ ihn liegen, ohne ihn anzusehen. Aber vielleicht …« Er verstummt jetzt resigniert, denn er glaubt plötzlich nicht mehr daran, dass diese Kleinigkeit Tobs und seine Rettung werden könnte. Doch zu seinem Erstaunen sagt Abe Natchez plötzlich: »Ich werde das nachprüfen lassen. Wir werden sehen!« Er wendet sich zu seinem Pferd um, pfeift es herbei wie einen Hund und sitzt auf. Und als er im Sattel sitzt, sagt er von dort auf Barton nieder: »Ist das ein guter Freund von dir, Bursche? Ich meine den Mann dort am Boden, der im Sterben liegt.« »Er war mir Bruder und Vater«, sagt Barton gepresst. »Und er hat Ihnen nichts getan. Er hat Ihnen keinen Schaden zugefügt. Es ist ein Verbrechen, ihn hier ohne jede Hilfe sterben zu lassen.« »Vielleicht helfe ich euch«, erwidert Natchez hart. »Was würdest du tun, oder was alles wärest du bereit zu geben, wenn ihm geholfen würde?« Barton überlegt nicht. »Alles! Verlangen Sie alles von mir, wenn er eine Chance bekommen kann!« »Alles? Du würdest jeden meiner Befehle ausführen?« Nun erkennt Barton all die Möglichkeiten, die in dieser Frage liegen. Denn das Wort »alles« schließt wahrhaftig alles ein. Zu seinen Füßen bewegt sich Tob. Er ächzt unverständliche Worte und fragt plötzlich sonderbar klar: »Bin ich immer noch nicht tot?« »Ich zahle jeden Preis, den ich zahlen kann. Und ich werde
alles tun, was Sie von mir verlangen«, erklärt Barton klirrend. Als er es gesagt hat, richtet Abe Natchez seine nächsten Worte an seine beiden Söhne. »Man muss stets viele Eisen im Feuer halten«, sagt er. »Warum soll ich es nicht mal mit ihm versuchen? Und ein Verrat wird ihm leichter fallen, wenn er wahrhaftig nicht gelogen hat und wirklich nicht richtig zu der Bande gehört. Ich habe immer gewusst, dass wir von Jeremy Adams noch hören würden. Nun gut, tut alles, was in eurer Kraft steht, um den Sterbenden zu retten!« Als er es gesagt hat, reitet er seiner Mannschaft und seinen Hunden nach, die schon weit im Osten, wo der Tag schon bald kommen wird, auf der Jagd sind. Die beiden Natchez-Söhne zögern. Barton spürt es. Und er sagt: »Ich werde zu euch halten, wenn ihr mir helft, ihn zu retten.« »Wir pfeifen darauf«, sagt einer von ihnen. »Doch wir führen stets die Befehle unseres Vaters haargenau aus, weil wir selbst einmal befehlen wollen. Also gut! Wir holen einen Wagen von der nahen Pferderanch. Und dann bringen wir den Burschen zur Stadt. Dort haben wir einen Arzt. Er ist noch jung, doch er ist ein Arzt.«
8 Sie bringen den immer noch lebenden Tob nicht in die Stadt, sondern zur Hauptranch, weil diese näher ist. Aber Line Natchez reitet zur Stadt, um den Arzt zu holen. Frank Natchez lenkt den Wagen. Und Barton sitzt hinten auf dem Stroh und schützt Tob vor den allzu harten Stößen und dem Rütteln. Dies ist nicht zu vermeiden, obwohl Frank Natchez wirklich sehr vorsichtig fährt und den Weg mit all den Tücken genau kennt. Doch es ist ein schlechter Weg. Obwohl Barton mit Tob sehr beschäftigt ist, wird ihm später doch bewusst, dass es eine riesengroße Ranch ist, in deren Hof sie dann fahren. Es gibt viele Corrals und Koppeln, einen Bach und Bäume. Dann beginnt das Geviert der Gebäude. Es sind Schuppen, Magazine, Werkstätten, Schlafhäuser und sonstige Unterkünfte. Es gibt ein Küchenhaus und einen großen Speisesaal. Und das alles gruppiert sich um das klotzig wirkende Ranchhaus. Barton erblickt das alles im Licht der ersten Morgendämmerung, und nun weiß er genau, dass Abe Natchez ein König in diesem Lande ist. Und dies ist seine Residenz. Von hier aus lenkt und leitet er seine Geschäfte und regiert ein kleines Reich, welches größer ist als ein europäisches Fürstentum. Dies alles weiß man, wenn man die Ranch erblickt. Denn nur ein großer und mächtiger Mann konnte dies alles hier inmitten einer Wildnis und hart an der Indianergrenze errichten. Damals, als er es aufbaute, da streiften hier noch die wilden Sioux und Cheyenne umher.
Doch dies alles erkennt und begreift Barton Kelly mehr nebenbei und wie im Unterbewusstsein. Er kümmert sich zu sehr um Tob, und er ist dann zum ersten Mal seit jenem unglückseligen Tag in Saint Louis dem Himmel dankbar, als sie Tob in einem Bett liegen haben und er feststellen kann, dass Tob noch lebt und nicht mehr blutet. Sie befinden sich in einem Anbau des großen Schlafhauses. Frank Natchez und Barton Kelly betrachten sich über das Nett hinweg, in dem Tob liegt. Barton kann sehen, dass dieser Frank Natchez ebenfalls so indianerhaft aussieht wie sein Vater. Wahrhaftig, wenn er sich wie ein Indianer kleiden, wenn er sich das Haar wachsen ließe und sich Federn ins Haar stecken würde, er wäre von einem Sioux-Krieger nicht zu unterscheiden. Nur seine Augen sind blau. Er betrachtet Barton Kelly scharf und sagt dann: »Du wirst deinen Preis schon zahlen müssen, Rotkopf, so oder so, ganz gleich, ob deine Geschichte stimmt oder nicht. Wir werden alles tun, was gut für deinen Partner ist. Und du wirst dafür bezahlen. Und wenn …« »Es gibt kein ›Wenn‹. Ich werde bezahlen«, sagt Barton. Sie hören dann beide den Hufschlag von Pferden. Jemand kommt bis an die Tür und ruft: »Da ist der Doc! Soll ich das heiße Wasser aus der Küche holen?« »Her damit«, sagt Frank Natchez. Wenig später kommt Line mit dem noch jungen Arzt herein, der sich sofort daran macht, den Kranken zu untersuchen. Barton beobachtet den jungen Mann, und er kann erkennen, wie dieser unter seiner nicht sehr gesund wirkenden Haut bleich und blass wird und auf seiner Stirn feine Schweißperlen sichtbar werden. Er ist ein blasser, magerer und unterernährt wirkender Mann. Wahrscheinlich musste er sich durch das Studium hungern und braucht nun ein trockenes und gesundes Heilklima, weil seine Lunge angegriffen ist und es mit seiner Gesundheit nicht sehr gut bestellt ist.
Und nun hat er Furcht. Tobs Wunde ist schlimm. Was der junge Arzt tun muss, wäre für einen erfahrenen Chirurgen und im Kriege erfahrenen Arzt schon viel. Sein Blick wandert wie Hilfe suchend in die Runde. Und dann bleibt dieser Blick auf Barton gerichtet. »Es tut mir Leid, dass ich so jung und ohne Erfahrung bin«, sagt der junge Arzt dann. »Doch ich weiß, dass es auf mich ankommen wird und ich der einzige Arzt auf gewiss dreihundert Meilen in der Runde bin. Ich muss es wohl versuchen, denn ein Versuch ist wohl besser als tatenloses Aufgeben. Aber ich rechne mit zehn zu eins, dass ich es nicht schaffen kann. Und es wird für mich …« »Fangen Sie mit Ihrer Arbeit an, Doc«, sagt Barton Kelly hart. »Zehn zu eins ist gar nicht so schlecht. Kämpfen Sie, Doc! Wenn Sie verlieren sollten, dann wird es darauf ankommen, ob Sie gut und hart genug gekämpft haben, oder ob Sie schon vorher Furcht hatten und vorzeitig aufgaben. Also los!« Der Arzt starrt zehn Sekunden in Bartons Augen. Und dabei rötet sich sein bleiches Gesicht. Auch strafft sich sein schmächtiger Körper, und er holt einige Male tief Luft. Dann aber gibt er den beiden Männern seine Befehle. Und er beschäftigt dann auch noch zwei weitere Männer, die einen großen Tisch herbeischaffen und erst einmal die Platte mit Seife und Bürsten abschrubben müssen. Er hält vier Männer in Bewegung. Und als Tob White dann auf dem Tisch liegt, nackt und sauber gewaschen, da sagt er: »Ich muss schneiden, um die Kugel zu bekommen. Ich muss dann auch noch nähen und klammern. Ihr müsst den Mann so fest halten, dass er sich nicht einen Millimeter bewegen kann. Habt ihr mich verstanden?« Sie knurren nur zur Antwort. Denn sie sind jetzt irgendwie mitgerissen. Sie wollen den Tod besiegen helfen. Und dann macht sich der junge Arzt, der von der Ostküste
kommt, an die Arbeit. Er macht sie gut! Vielleicht ist er ein besonders befähigter Arzt, der einmal berühmt sein wird, weil ihn eine besondere Macht schon bei Geburt ausersehen hat, dem Tod so manches sichere Opfer noch einmal abnehmen zu können. Oder vielleicht hat der junge Mann in dieser Stunde nur das Glück, alles richtig zu machen. Vielleicht geht es ihm nur wie einem geschickten Mechaniker, der auf Anhieb und ohne Fehler zu machen eine besonders empfindliche Maschine reparieren kann. Tob lebt noch, als die Kugel aus seinem Leib entfernt ist, als er genäht ist und auch eine weitere Blutung nicht mehr möglich ist. Er lebt noch und atmet leicht. Der junge Arzt aber tritt hinaus in den Ranchhof, betrachtet seine Hände, deren Finger jetzt zu zittern beginnen und starrt dann auf die Sonne, die soeben am Horizont erscheint. Frank Natchez aber sagt zu Barton Kelly: »Dies also war unser Anteil, unser Preis. Dein Partner lebt. Es wurde getan, was zu tun war. Und nun wirst du auf meinen Vater warten. Er wird dir unseren Preis nennen.« Barton nickt. Und er fühlt sich müde und ausgebrannt. Er spürt auch einen schlimmen Hunger. Doch er weicht nicht von Tobs Bett. Ein Junge bringt ihm später Essen aus dem Küchenhaus herüber. Der junge Arzt verlässt die Ranch, denn irgendwo soll ein Kind geboren werden. »Ich komme heute noch wieder hier vorbei«, sagt er. Barton wartet dann. Er wartet darauf, dass Tob seinen Kampf gegen den Tod gewinnt. Und er wartet auf Abe Natchez. Immer wenn er an den Rancher denkt, spürt er ein beklemmendes Gefühl, eine düstere Vorahnung. Er weiß, dass ein Unheil auf ihn zukommt. Ja, er spürt es genau.
Es vergeht der Tag und es vergeht auch die Nacht. Aber am anderen Morgen, noch vor Sonnenaufgang, da kommt Abe Natchez mit seinen Reitern zurück. Es ist ein Glück, dass der junge Arzt auf der Ranch ist, weil er die Nacht am Bett des Kranken verbrachte. Der Arzt bekommt eine Menge zu tun, denn Abe Natchez bringt einige Verwundete mit. Er selbst ist ohne Hut und hat sich einen langen Leinenstreifen um den Kopf gewickelt, der an der linken Schläfe und über dem Ohr blutgetränkt ist. Bald darauf verbreitet sich auf der Ranch die Nachricht, dass Abe Natchez mit seiner Mannschaft von den Viehdieben geschlagen wurde. Sie konnten die Bande nicht mehr rechtzeitig einholen, um ihnen die Wege durch die Schluchten und Canyons verlegen zu können. Im Gegenteil: sie selbst wurden aufgehalten, als sie den Hunden folgten, die in einem Canyon verschwanden. Sie waren in das Gewehrfeuer einiger Scharfschützen geritten, die ihnen den Weg verlegten und ihre Verfolgung aufhielten. Sie verloren ihre Hunde, und als sie dann angriffen, um sich die Verfolgung zu erzwingen, da erlitten sie Verluste. Sie hatten es dann durch andere Schluchten versucht. Doch diese Umwege waren zu groß. Als es dann wieder Nacht wurde, verloren sie ihre Fährte im Million-Cliffs-Land. Sie verirrten sich sogar einmal fast und gaben dann auf. Dies alles hört Barton. Bald darauf kommt Abe Natchez in ihr Quartier. Er betrachtet Tob, der immer noch bewusstlos im Bett liegt. Dann betrachtet er Barton Kelly von oben bis unten, studiert ihn sorgfältig und schätzt ihn ab. »Nun gut«, sagt er, »ist für deinen Partner von uns alles getan worden?«
»Alles, was möglich war«, erwidert Barton. »Ich stehe in Ihrer Schuld, Mister, dies ist ganz klar.« »Und seine Geschichte scheint zu stimmen«, meldet sich Frank Natchez etwas widerwillig. »Ich habe mich erkundigt«, spricht er weiter. »Es war Fred Elder, der verwundet wurde und sich tot stellte. Fred sagte mir, dass jemand zu ihm gesprochen hätte, als er wie tot im Gras lag. Fred sagt, dass dieser Mann gespürt habe, dass er, Fred, noch lebte und dass er dennoch einem andern Mann geantwortet hätte, dass Fred tot wäre. Fred sagt, dass er Angst gehabt hätte und froh war, dass er nun für tot galt und die Bande fortritt, ohne sich um ihn zu kümmern.« Abe Natchez nickt, als er dies hört. Er sieht wahrhaftig wie ein alter Indianerhäuptling aus, dunkel, zerfurcht und lederhäutig, falkengesichtig und hart. Auch er hat blaue Augen, und an diesen blauen Augen erkennt man zuerst, dass er ein Weißer mit nur ganz wenig Indianerblut in den Adern ist. Der lange Ritt hat ihn mitgenommen. Er ist noch staubig, trägt immer noch den blutigen Verband um den Kopf und hat dunkle Bartstoppeln im Gesicht, ebenfalls ein Beweis, dass er ein Weißer ist. Sicherlich würde sich ein anderer Mann an seiner Stelle zur Ruhe lege. Doch er findet wohl noch keine Ruhe. Er ist ein Mann, der keine Zeit verliert. Er sagt: »Ich will jetzt die ganze Geschichte genau hören, ganz genau. Warum gerietet ihr in Saint Louis damals auf dieses Banditenschiff? Wie war das alles?« Barton berichtet genau, und er erzählt auch von den Mallones. Er gibt einen genauen Bericht, nicht zuletzt deshalb, weil er dankbar ist für die Hilfe, die Tob White hier erhielt. Als er geendet hat, weiß Abe Natchez Bescheid. Er hat sich inzwischen aus der Küche einen Topf Kaffee und ein Brot mit kaltem Bratfleisch kommen lassen. Doch dies ist bestimmt noch nicht sein Frühstück. Er wird es später einnehmen. Als Barton endet, denkt Abe Natchez eine Weile nach. Auch seine beiden Söhne und sein weißblonder und zäh und hart
wirkender Vormann, die mit im Raum sind, schweigen. Tob liegt bewusstlos da und atmet schwach. Doch sein Bett steht im Hintergrund in einer Art Nische. Die Unterhaltung der Männer würde ihn vielleicht auch dann nicht stören, wenn er nur in einem Schlaf läge. Abe Natchez schlürft den heißen Kaffee aus der großen Porzellantasse und denkt immer noch nach. »Jeremy Adams …«, beginnt er schließlich, und seine Stimme klingt zwar wie sinnend, doch unverkennbar bitter und grimmig. »Er war vor vielen Jahren, als ich hier anfing, einer meiner Cowboys. Und er brannte mit meiner Tochter durch. Sie kamen nicht weit. Ich ließ ihn auspeitschen und aus dem Land jagen. Er wurde ein Bandit und Viehdieb. Und nun ist er also wieder in dieses Land gekommen. Ich weiß jetzt, dass er mehr will, als nur Pferde und Rinder bei mir stehlen. Er sammelt eine wilde Horde, all die Geächteten, die Gesetzlosen und die Leichtfertigen und Wilden, die auf die schnelle Art Geld machen wollen. Er sammelt sie in einem Camp, welches bald schon eine Stadt ist. Und er hat Verbindung zur Außenwelt mit Hilfe der Riverqueen, die auf dem Fluss fährt. Daran hätte ich nie gedacht. Ein Reiter, ein Viehdieb, arbeitet mit einem Flusspiraten zusammen. Darauf wäre ich nie gekommen, zumal ich bis jetzt nicht wusste, dass ein großes Dampfboot vom Big Muddy her auf einem toten Nebenarm bis ins Million-Cliffs-Land gelangen kann, um einzuladen, was Jeremy Adams ihm bringt. Nun gut!« Er betrachtet Barton Kelly hart. »Kelly, Sie werden zu der Bande zurück in das Million-Cliffs-Land gehen«, sagt er dann. »Für Ihren alten Freund Tob White wird hier gesorgt werden, so als wäre er mein persönlicher Gast, das verspreche ich. Aber Sie kehren zurück, Kelly, haben Sie mich verstanden?« Barton schluckt schwer und nickt dann. »Und was weiter?«, fragt er. »Ich will sie alle haben, alle, die Viehdiebe und die
Flussleute mitsamt der Riverqueen«, spricht Abe Natchez grimmig, und er schlägt dabei seine Rechte zur Faust geballt in die offene Linke. Es klatscht scharf. »Ich will sie alle bekommen!« Er wiederholt es nochmals und nun noch härter. »Es ist also ganz einfach für Sie, Kelly. Sie gehen zurück und werden ein tüchtiger Viehdieb. Sie setzen alles daran, an Bord der Riverqueen zu sein, wenn diese wieder einmal mit einer Ladung Rinder oder Pferde unterwegs nach Kansas oder Saint Louis ist. Und ich werde den Fluss beobachten lassen. Diesmal wird es noch nicht klappen, denn bis Sie wieder bei der Bande sind, wird die Riverqueen schon mit voller Ladung abgefahren sein. Doch sie wird zurückkommen, in zwei oder drei oder vier Wochen. Ich werde wissen, wann sie zurück ist. Und da mir jetzt an Rindern und Pferden mehr gestohlen wurde, als mit einer Fahrt abtransportiert werden konnte, wird die Riverqueen bald wieder mit voller Ladung unterwegs sein. Ich erwarte, dass sie an Bord sind, Kelly. Und ich erwarte, dass Sie es bewerkstelligen können, die Riverqueen beim Red Rock auf Grund zu setzen. Sie kennen doch den Red Rock?« Er stellt diese Frage wie beiläufig, doch in seinen hellblauen Augen ist jetzt ein waches Forschen. »Dieser rote Felsen war nicht zu übersehen, als wir den Strom heraufgekommen sind«, erwidert Barton. »Der Strom macht dort eine scharfe Biegung, und die Fahrrinne ist sehr eng für ein solch breites Schiff wie die Riverqueen. Das Wasser ist dort voller Klippen. Ich soll mit Gewalt das Ruder übernehmen und das Schiff an Land bringen?« »So ist es! Sie sollen auf den Klippen festsitzen. Und ich werde mit hundert Männern zur Stelle sein. Ich werde den Fluss sperren und auch an den Ufern warten, wenn sie wie die Ratten das sinkende Schiff verlassen, in den Fluss springen und irgendwo stromab an Land kommen. Ich werde ihnen zurückzahlen, was sie mir antaten. Und dazu brauche ich Sie
sehr notwendig, Kelly. Sie kehren zurück zur Bande, erwerben deren Vertrauen und arbeiten für mich. Sie werden sagen, dass Sie Tob White irgendwo begraben hätten. Und wenn wir mit der Bande fertig sind, wird Tob White sicherlich gesund sein. Dann könnt ihr beide auf meine Hilfe zählen, wenn …« »Ich zahle nur meine Schuld dafür, dass Tob Hilfe erhielt«, unterbricht ihn Barton. »Er wäre sonst gestorben. Ich versprach Ihnen, Mister Natchez, dass ich Ihre Befehle ausführen würde, dass ich alles tun würde. Damit erkaufte ich Ihre Hilfe. Jetzt werde ich bezahlen.« Er erhebt sich. »Ich kann sofort aufbrechen.« Nun betrachten sie ihn wieder, zweifelnd die beiden Söhne, sehr zurückhaltend der Vormann, und hart und fest der alte Falke Abe Natchez. »Sie sind sehr stolz, und Sie mögen mich nicht besonders, Kelly, nicht wahr?«, murmelt er. »Ich kann Sie gut verstehen«, entgegnet Barton. »Sie sind ein harter Mann, und Sie geben nichts umsonst. Sie machen aus einer Hilfe, die menschlich selbstverständlich gewesen wäre, ein Geschäft. Nein, ich mag Sie nicht besonders, Mister. Allerdings muss ich zugeben, dass Sie uns zuerst für Viehdiebe halten mussten und unseren Worten nicht sogleich Glauben schenken konnten. Eine Frage hätte ich nur noch. Sie sagten, dass Jeremy Adams damals mit Ihrer Tochter durchgegangen wäre und Sie ihn dafür auspeitschen ließen. Was wurde aus Ihrer Tochter?« Es ist, als hielten die Männer im Raum den Atem an. Abe Natchez’ Augen werden schmal, und er presst seine Lippen fest zusammen. Man sieht ihm an, dass er sich aus irgendeinem Grund sehr beherrscht. Doch dann sagt er sanft: »Das Mädchen lebt hier auf der Ranch, hier bei ihren Brüdern und bei ihrem Vater. Aber das alles geht Sie nichts an, Kelly! Wir sorgen für Ihren Partner Tob White! Und Sie liefern uns die Bande aus. Das ist es!«
Barton nickt. »Dann reite ich sofort zurück. Ich möchte meine Waffen wiederhaben. Nun gut!« Er tritt noch einmal in die Nische an Tobs Lager, und er blickt auf den alten Preiskämpfer nieder, der ihm ein so väterlicher Freund wurde, der an ihn glaubte und der mit ihm all die Wege gegangen war, die zu einer besseren Zeit führen sollten. Ja, er hat ihn gern, diesen narbigen Boxer. Er wendet sich ab und geht hinaus. Frank und Line Natchez gehen mit ihm. Er bekommt sein Pferd und seine Waffen. Und dann reitet er von der Ranch. Etwas abseits, hinter einem Garten, da steht ein kleines Haus. Es ist ein dreiräumiges Blockhaus mit einer Veranda. Ein blondes Kind spielt vor dem Haus, ein Mädchen von etwa vier oder fünf Jahren. Und eine Frau steht auf der untersten Verandastufe. Es ist eine blonde Frau. Sie sieht Abe Natchez und dessen Söhnen überhaupt nicht ähnlich, doch Barton Kelly ahnt irgendwie, dass es sich um Natchez’ Tochter handelt, die damals mit Jeremy Adams fortlaufen wollte. Als Barton dies spürt, blickt er nochmals auf das spielende Kind. Sollte das Jeremy Adams’ Tochter sein? Diese Frage stellt er sich. Und er reitet jetzt nahe genug an dem Haus vorbei, um vor der Frau den Hut ziehen zu müssen, wenn er nicht unhöflich gelten will. Er zieht den Hut. Und da sieht er ihre leichte Bewegung, die ihm bedeutet, anzuhalten. Er gehorcht. Und sie kommt leicht und schnell durch den Garten an den Weg. Sie ist sehr schön, und sie wirkt sehr rassig. Nun, aus der Nähe, erkennt Barton doch eine gewisse Ähnlichkeit mit den anderen Natchez’. Es ist die Stellung der Augen und die Art, wie die Augenbrauen zu den Schläfen gehen. »Ich habe von Ihnen gehört«, sagt sie ernst. »Und ich weiß,
wofür mein Vater Sie bestimmt hat. Auf solch eine Chance hat er gewartet. Doch ich sage Ihnen, dass Sie kein Glück haben können. Denn ich werde nicht zulassen, dass er Jeremy Adams vernichtet. Dies dort ist Jeremy Adams’ Tochter. Ich werde Mittel und Wege finden, ihn zu warnen. Ich sehe nicht zu, wie mein Vater den Vater meines Kindes umbringt. Denn mein Vater ist daran schuld, dass Jeremy ein Bandit wurde. Er ist daran schuld! Ich würde Ihnen, Mister Kelly, raten, nicht zu tun, was Abe Natchez von Ihnen will. Ich bin nicht ohne Hilfe und Freunde. Und mir entgeht nichts. Ich bin stets informiert.« Sie blickt ihn auf eine feste und entschlossene Art an, dann wendet sie sich um und geht zurück. Er blickt sich um. Es ist niemand zu sehen. Zum Ranchhof und dem Ranchhaus hin versperren Ställe und Heuhaufen die Sicht. Auch einige Obstbäume decken diesen Weg und dieses Haus. Barton reitet weiter, und er weiß, dass es ein reiner Zufall war, dass er auf diesem Seitenweg die Ranch verließ und nicht den Hauptweg benutzte. Aber war es wirklich Zufall? War es nicht irgendeine Fügung? Denn die junge Frau stand wie wartend auf der Veranda, so als hätte sie genau gewusst, dass er hier vorbeireiten würde. Und sie war auch sofort entschlossen, zu ihm jene Worte zu sprechen. Barton reitet sehr nachdenklich von der großen Ranch fort und verschwindet in den Hügeln.
9 Er braucht zwei Tage und verirrt sich dann im Million-Cliffs-Land. Er hat Hunger und Durst, als er am dritten Tag auf einen Späher der Bande stößt, der ihn grinsend vor einer Schluchtmündung erwartet. »Ich habe dich schon gestern beobachtet«, sagt der Mann. »Doch ich wollte erst einmal herausfinden, ob du verfolgt wirst. Nun, hier ist Wasser und auch Proviant. Jeremy Adams hat mich und einige andere Jungens ausgeschickt, um das Land zu überwachen. Dabei sollten wir auch nach euch sehen. Wo ist dein Partner, der alte Bursche mit den Blumenkohlohren?« Barton nimmt erst einige Schluck aus der Wasserflasche. Er ist froh, dass er endlich auf einen Späher der Bande stieß. Damit hat er gerechnet, denn es war vorauszusehen, dass die Banditen jede Bewegung im Land beobachten lassen, um nicht überrumpelt zu werden. Er sagt dann bitter: »Mein Partner starb langsam. Ich blieb bei ihm, bis er mich nicht mehr brauchte. Dann begrub ich ihn. Und dann habe ich mich vollkommen verirrt. Ich würde niemals durch dieses wilde Land ins Camp finden.« »Wir reiten zusammen«, sagt der Mann und nimmt die Wasserflasche wieder an sich. Sie reiten dann den ganzen Tag und treffen am Abend im Camp ein. Diesmal merkte sich Barton all die Landmarken, die Schluchten und Passagen nochmals genau. Doch er weiß, dass er den Weg mit Sicherheit immer noch nicht finden und sich gewiss wieder verirren würde. Denn die Felshügel und Schluchten in diesem Land gleichen sich alle. Es gibt keine besonderen Landmarken und Orientierungspunkte. Und auch die Senken, die Ebenen und die Plateaus gleichen sich fast wie
die Million der großen und spitzen Felstürme. Als sie dann das Camp erreichen, erblicken sie noch die Rinderherde auf der Weide. Nur die Pferde sind fort. Die Banditensiedlung wirkt ruhig und friedlich. »Ich glaube«, sagt Bartons Begleiter, »dass Jeremy Adams und die Jungens schon abgefahren sind. Sie werden in etwa drei Wochen wieder hier eintreffen. Und indes ist es hier stets ganz gemütlich. Aber es kommt wohl auch darauf an, wen Jeremy Adams als Vertreter im Camp zurückgelassen hat.« Indes sind sie in die Siedlung hineingeritten und halten nun vor dem Saloon an. Als sie absitzen wollen, kommt Louis Hibbs heraus. Selbst jetzt, in der Abenddämmerung, erkennt man das Bleiche seiner Hautfarbe; es ist eine wächserne Blässe. Es ist auch sofort ersichtlich, dass er es ist, den Jeremy Adams als Vertreter im Camp ließ. Er steht ruhig vor der Tür des Saloons und hat den Lichtschein der drinnen schon angezündeten Lampen im Rücken. Er blickt zu Barton Kelly hoch und sagt: »Da bist du ja, Boxer. Und wo kommst du her? Was tatest du in der Zwischenzeit? Wo ist dein Partner?« »Er hat sich verirrt«, sagt der Mann, mit dem Barton kam. »Ich habe ihn viele Stunden beobachten können. Er hatte sich wirklich verirrt und keine Verfolger hinter sich.« »So ist es«, sagt Barton. »Ich blieb bei meinem Partner, bis er tot war. Die Natchez-Mannschaft jagte an uns vorüber. Ich brachte meinen Partner tief in ein Waldstück hinein. Er starb sofort. Ich begrub ihn. Dann wollte ich zu euch zurück. Doch ich verirrte mich. Ich war froh, als ich auf einen der Späher stieß.« Als er verstummt, bleibt Louis Hibbs eine lange Zeit still. Er steht nur da und bewegt sich nicht. Doch es geht eine Strömung von ihm aus, die Barton deutlich spürt. Es ist ihm irgendwie, als beschnüffelte ihn ein misstrauischer Wolf. Ja, er spürt Louis Hibbs’ wortloses Misstrauen instinktiv.
Dann aber sagt Hibbs: »Es ist gut! Morgen gibt es Arbeit! Wir bränden alle Rinder um. Wir verändern den Natchez-Brand in ein ›Kreuz-im-Viereck‹. Und dabei kannst du zeigen, dass du früher einmal Cowboy warst, Boxer.« Nach diesen Worten geht er davon, ein verschlossener, undurchschaubarer, misstrauischer und ganz gewiss gefährlicher Mann. Barton Kelly bindet sein Pferd neben anderen Tieren beim Tränktrog an, und indes er dies tut, denkt er über das am nächsten liegende Problem nach. Er muss leben. Das heißt, er muss hier in dieser Banditensiedlung auf Kredit im Restaurant essen. Seine Kleidung, die ja nicht für ein Leben im Freien, für lange Ritte und für Weidearbeit geeignet ist, ist nun sehr beschädigt und mitgenommen. Er müsste sich also im Store neu einkleiden. Und wenn er Abe Natchez’ Befehle ausführen will, muss er mit den Männern der Bande guten Kontakt haben. Er muss sich irgendwie unter ihnen hervortun und ein wichtiges Mitglied der Bande werden. Denn sonst wird er nicht zu den Männern gehören, die beim nächsten Mal auf der Riverqueen mitfahren können. Dieses Mitfahren ist ja von allergrößter Wichtigkeit. Aber um mit allen Männern hier Kontakt zu bekommen, wird Barton oft in den Saloon gehen müssen. Und er wird trinken, spielen und auch mal eine Runde ausgeben müssen. Er aber hat kein Geld. Er müsste auf Kredit leben oder irgendwelche Anteile an dem Erlös der Beute annehmen. Und dies ist für Barton das Problem. Aber er löst es plötzlich ganz leicht. Denn er denkt daran, dass es ja Abe Natchez ist, auf dessen Kosten man hier zu einem gewissen Teil lebt. Denn ihm stiehlt man Pferde und Rinder und verkauft sie. Und da Barton ja in Abe Natchez’ Auftrag hier ist, ist er somit so ziemlich der einzige Mann unter der Bande, der irgendwelche Beuteanteile oder Kredite auf
Beuteanteile mit Berechtigung annehmen kann. Als ihm dies klar ist, fühlt er sich erleichtert. An Geld soll es also nicht liegen, wenn er damit beginnt, sich in die Bande einzureihen. Und so folgt er dem anderen Manne in den Saloon und begibt sich an die primitive Bar. Und hier trifft er Texas Alamo Uvalde, der also ebenfalls nicht mit der Riverqueen und der neuen Pferdeladung fuhr. Doch bei Alamo ist der Grund ganz offensichtlich. Denn er trägt seinen linken Arm in einem Tuch vor der Brust. Er hat ein sehr weites Hemd an, welches vorn offen steht und einen Schulterverband sehen lässt. Alamo grinst verwegen, als er Barton zu Gesicht bekommt und hebt sein Glas: »Noch ein verlorener Sohn, der ins traute Heim zurückgefunden hat«, sagt er. »Diesmal zahlten wir einen Zoll, nicht wahr? Wir hatten zwei Tote und einige Verwundete. Und auch meine Schulter bekam etwas ab. Eigentlich sollte ich im Bett liegen. Doch im Bett wird ein zäher Bursche so weich wie Pudding. Komm, mein Junge! Wir müssen das Bier und den Whisky vertilgen, bevor alles schlecht wird!« In seinen Augen ist ein seltsames Glühen. Zuerst glaubt Barton, dass Alamo betrunken ist. Doch dann wird er sich darüber klar, dass der wilde Texaner Wundfieber hat. »Ich werde dich jetzt ins Bett bringen, Alamo«, sagt Barton. »Und wenn ich es mit Gewalt tun müsste, ich bringe dich jetzt ins Bett. Du bist verrückt, mein Junge. Gibt es hier keinen Menschen, der verhindern konnte, dass du dich in deinem Zustand an die Bar stellst?« »Nein!« Alamo grinst. »Und auch du kannst es nicht verhindern.« In seinen Augen ist nun doch zu erkennen, dass er nicht nur Wundfieber hat, sondern auch betrunken ist. Als er nach dem Revolver greift, ist Bartons Hand schneller. Sie packt blitzschnell zu. Er entreißt Alamo die Waffe. Und der gibt es jetzt auf. Er
grinst und lehnt sich gegen die Kante des Schanktisches. Hinter Barton sagt die Stimme einer Frau: »Das war richtig so, Barton Kelly. Er gehört ins Bett. Man sagte mir soeben, dass er hier an der Bar trinkt. Und so kam ich, um es mit Worten zu versuchen. Doch jetzt muss dieser Texas-Mister, ob er will oder nicht. Ich komme mit.« Barton wendet sich um. Und nun sieht er Elizabeth Grand wieder. Sie kam vom Store durch den Durchgang in die Bar herüber, und sie kam wie selbstverständlich herein, so als wäre sie es auch ohne die Begleitung ihres Vaters gewöhnt, sich in einem Saloon unter rauen Burschen zu bewegen. Doch ihre ganze Erscheinung passt nicht in einen Saloon. Alamo versucht indes eine schwankende Verbeugung. Und er sagt sanft: »Du lieber Himmel, Liz, wenn Sie mir befehlen, dass ich mich ins Bett legen soll, dann werde ich das tun. Sie wissen doch ganz genau, Liz, dass ich mich sogar in einen Sarg legen und zehn Yards tief begraben lassen würde, wenn ich Ihnen damit eine Freude machte. Nun gut, ich gehe!« Er bewegt sich, und er schwankt. Dabei kann man besser den Schulterverband unter dem offenen Hemd sehen. Und auf diesem Verband zeigen sich nun einige rote Flecken. »Ich muss mitkommen und nach Ihrem Verband sehen, Alamo«, sagt das Mädchen entschlossen. »Die Wunde blutet wieder. Und ich frage mich, warum ein großer Bursche wie Sie, Alamo, so unvernünftig und leichtsinnig ist.« Sie gehen nun. Barton führt den betrunkenen Verwundeten. Und sie haben es nicht weit. Alamo wohnt in einem kleinen Blockhaus, in dem noch zwei weitere Schlafstätten sind. Doch wird dieses kleine Blockhaus zur Zeit offensichtlich nur von Alamo bewohnt. Sicherlich sind die beiden anderen Bewohner mit der Riverqueen unterwegs. Barton hilft dem Mädchen, denn dieses muss tatsächlich Alamos Verband erneuern. Als Alamo dann der Länge nach
ausgestreckt auf seinem Lager liegt, schläft er auch sofort ein. Das Mädchen und Barton treten dann wieder hinaus. Sie bleiben unter dem großen Baum stehen und blicken in die Nacht. Da und dort ist Licht in den Häusern und Hütten. Doch einige Behausungen bleiben dunkel. Irgendwo beginnt eine Gitarre zu klimpern. Und dann singt eine etwas kehlige Stimme ein altes Lied vom Chisholm-Trail: Reiten und Treiben… Tausend Rinder muss ich treiben Auf dem Good Night Trail nach Norden! Gerne würde ich bleiben … Barton lauscht nicht mehr auf das Lied. Er wendet sich an das seltsame Mädchen und fragt: »Miss, warum sind Sie hier in diesem Land und in diesem Camp?« Er glaubt schon, er würde auf seine Frage keine Antwort bekommen. Doch dann hört er sie sagen: »Schon viele Männer fragten mich das. Nun, ich bin hier, weil mein Vater hier ist. Und mein Vater ist hier, weil er ein Spieler ist. Er ist ein ehrlicher Spieler, und doch ist er ein Verlorener. Manchmal, so wie jetzt, da spüre ich, dass er verloren ist. Und dennoch hoffe ich mit jedem neuen Tag, ihn retten zu können. Ich möchte eines Tages …« Aber sie spricht nicht weiter. Ihre Stimme verstummt irgendwie resigniert. Es mutet an, als hätte sie alle Hoffnungen aufgegeben. »Was soll ich denn tun?«, fragt sie. »Dass ich bei ihm bin, zwingt ihn immer wieder dazu, seine allerletzte Selbstachtung zu erhalten. Und so bleibt er zumindest ›Fairplay-Grand‹.« Sie macht eine Pause. Dann aber fragt sie: »Was ist mit Ihnen? Sie sollen eine Bank beraubt und den Kassierer erschlagen haben. Und ich kann mich erinnern, vor zwei Jahren in New Orleans die Plakate eines Boxkampfes gesehen zu
haben, auf denen ganz groß Ihr Name gedruckt war. Warum wurden Sie ein Bankräuber? Brachte das Preisboxen nichts mehr ein?« Barton zuckt leicht zusammen, als er diese nüchterne Frage hört. Doch dann begreift er, dass sie sich auf ihre Art zur Wehr setzt. Sie will wohl nicht, dass er sich mit ihr und ihrem Vater zu sehr beschäftigt. Sie will ihn daran erinnern, dass er selbst genug mit sich zu tun hat. Aus dieser Erkenntnis heraus sagt er fast trotzig: »Sie werden es mir nicht glauben, Miss Elizabeth, doch mein Partner und ich, wir waren unschuldig. Wir wurden völlig unschuldig aufgrund fragwürdiger Indizien vom Gesetz zum Tod verurteilt. Ich bin hier, weil es darum ging, das nackte Leben zu retten. Aber wahrscheinlich werden Sie nicht glauben, dass ich unschuldig bin, Miss.« »Was macht es schon aus, was ich glaube«, sagt sie. Aber dann scheint ihr plötzlich ein Gedanke zu kommen. »Ich möchte noch ein kleines Stück durch die Nacht gehen. Bitte begleiten Sie mich.« Sie setzt sich sofort in Bewegung, und er folgt ihr und tritt an ihre linke Seite. Und so wandern sie langsam ein Stück auf dem Weg aus der Siedlung heraus und an den letzten Häusern vorbei. »Hier ist es nicht mehr ganz ungefährlich«, sagt er. »Hier in der Nähe weiden Rinder. Und Longhorns greifen jeden Fußgänger an, wenn es ihnen irgendwie in den Schädel kommt. Sie haben nur vor Reitern Respekt. Wir sollten zu Fuß nicht weitergehen, Miss.« Folgsam hält sie an. Doch sie blickt zum Sternenhimmel empor, so als gäbe es dort irgendwie Antwort auf ihre Gedanken. »Wenn Sie unschuldig sind, Barton Kelly«, spricht sie plötzlich, »dann muss die Tatsache, dass Sie jetzt als Bandit unter Banditen und Mördern leben müssen, sehr schlimm für Sie sein. Dann ist es für Sie schlimmer als für mich. Denn mein
Vater ist nicht unschuldig. Mein Vater wird vom Gesetz verfolgt. Er tötete einen Steuereintreiber der Yankees. Wir waren nämlich vor dem Krieg … Nun, wir waren reich und galten als Millionäre. Wir besaßen große Plantagen und einige hundert Negersklaven, ziemlich dicht an der Grenze von Louisiana. Nach dem verlorenen Krieg wurde dann alles anders. Doch fast alle der nun freien Sklaven hätten gerne wieder für uns gearbeitet. Und obwohl mein Vater erzogen worden war, wie alle Söhne jener Feudalherren des Südens, also nicht sehr viel von Geschäften verstand, dafür aber sehr viel mehr von Pferden, von Jagden, Hunden und einem scharfen Spiel, hätte er es vielleicht geschafft, einen Teil unseres Besitzes zu retten. Doch da kam der Steuereintreiber der Yankees. Er setzte unsere Steuern nach seinen Schätzungen so hoch fest, dass wir in jener schlechten Zeit nicht einmal einen Bruchteil davon zahlen konnten. Und so wurde unser Besitz versteigert. Ein anderer Yankee, der hinter dem Steuereintreiber stand, kaufte alles für ein Spottgeld. Mein Vater ging hin und tötete den Steuereintreiber und verletzte den Käufer schlimm. Seit diesem Tag wird er von der Bundesregierung gesucht. Und seit diesem Tag ziehen wir von einem Ort zum anderen, von einem Camp zum anderen und leben vom Kartenglück. Damals war ich noch jung, doch jetzt bin ich schon fünfundzwanzig. In meinem Alter haben die Frauen schon einige Kinder, nicht wahr? Und dennoch kann ich meinen Vater nicht aufgeben. Denn ich verstehe so gut, was er in seinem ersten Zorne tat. Nun, wir werden sicherlich bald von hier fortgehen können. Wir haben eine ziemliche Summe, mit der wir nach Europa gehen und dort etwas anfangen können. Ich denke, dass wir beim nächsten Mal mit der Riverqueen fahren können.« Sie macht eine kleine Pause. Und dann fährt sie fort: »Barton, Sie fragen sich sicherlich, warum ich Ihnen dies alles erzähle, warum ich mich so mitteile. Nun, dies ist einfach zu
erklären. Sie sehen, dass selbst wir, wo doch mein Vater schuldig ist, Hoffnung haben und alles daransetzen, um zu einem neuen Anfang, einer neuen Zeit und zu etwas Glück zu kommen. Um so mehr sollten Sie, da Sie doch unschuldig sind, alles daran setzen, nicht nachträglich noch schuldig zu werden. Sehen Sie, mein Vater wurde ein Spieler, doch er spielt ehrlich. Ich bin stets bei ihm, und so wurde ich gewissermaßen sein Gewissen. Er braucht das. Ihr Gewissen muss …« Sie verstummt, denn leichte Schritte kommen den Weg entlang. Eine männliche Gestalt taucht auf und fragt halblaut herüber: »Liz, bist du dort mit einen Mann?« »Ich bin es«, erwidert sie. Nun kommt der Mann näher. Es ist Alex Grand. Er hält dicht vor ihnen an und betrachtet Barton Kelly scharf, so gut es hier außerhalb der Siedlung bei Sternenschein möglich ist. »Ich danke Ihnen, dass Sie meiner Tochter etwas Gesellschaft leisteten«, sagt er höflich. »Doch jetzt müssen wir in den Saloon an den Spieltisch. Ich muss einigen Gentlemen Revanche geben, und wenn meine Tochter nicht hinter mir steht, habe ich kein Glück.« Er sagt es auf eine bittere Art. Dann bietet er Elizabeth den Arm, und dann gehen sie davon. Barton folgt nicht sofort. Er steht unbeweglich da und blickt ihnen nach. Dabei denkt er darüber nach, was dieses Mädchen ihm sagen wollte. Oh, es ist so leicht mit noch einfacheren und genaueren Worten zu sagen: Er soll nicht jetzt noch nachträglich ein Bandit werden, wenn er sich unschuldig fühlt. Er soll auf eine besser Zeit hoffen und alles dafür tun, einen neuen Anfang zu finden. Er folgt ihnen dann langsam. Und er muss ständig an dieses Mädchen denken, das darüber wacht, dass ihr Vater nicht die allerletzte Grenze überschreitet, dass er eines Tages ein Trinker und Falschspieler wird, der keine Hoffnung mehr hat. Doch jetzt muss er noch Hoffnung haben – er muss es
einfach, weil seine Tochter mit ihm dieses Leben teilt. Sicherlich muss er immer wieder daran denken, wie er es ihr bald leichter und besser machen kann. Auch ich muss Hoffnung haben, denkt Barton. Er geht langsam zurück, holt sein Pferd und bringt es in einen Corral. Als er dann später sein Quartier betritt, liegt dort nur Hammer-Pat in einem Bett und schnarcht. Alle anderen Männer sind wohl mit der Riverqueen oder als reitende Späher unterwegs. Hammer-Pat wacht kurz auf, glotzt Barton an, erkennt ihn schließlich und murmelt schlaftrunken: »Na, da bist du ja wieder!« Und dann dreht er sich auf die Seite und schläft weiter.
10 Die Tage, die dann kommen, sind eigentlich gut und ereignislos, ereignislos, weil es nichts gibt, was bedrohlich ist im Hinblick auf Bartons Aufgabe, die er übernommen hat, damit Tob Hilfe und Pflege bekommt, dass er gerettet wurde und es ihm nun verhältnismäßig gut geht. Denn in jenen Tagen, da bränden sie die gestohlenen Rinder um. Sie machen aus dem großen N, welches das Brandzeichen der Natchez-Ranch ist, ein Kreuz-im-Viereck. Für Barton Kelly aber ist es eine Rückkehr ins Cowboyleben. Denn er ist ja in Abe Natchez’ Auftrag hier. Er kann und darf diese Brandzeichen fälschen, weil sein Auftrag es erforderlich macht, dass er dieser Bande zuverlässig und unentbehrlich erscheint. Er braucht sich also keine Sorgen zu machen, dass sein Tun verwerflich ist. Nein, er kann ohne Sorgen wieder ins Cowboyleben zurückfinden. Zuerst ist es ziemlich schwer für ihn, das Lasso mit alter Könnerschaft zu werfen. Und auch die vielen Tricks, wie man einen lassierten Longhornstier fällt, und so sehr viel andere Dinge gelingen nicht am Anfang leicht und glatt, wie es bei einem eingearbeiteten Cowboy der Fall ist. Doch am zweiten und dritten Tag geht es schon besser. Und am vierten Tag macht er schon fast alles wieder ohne Fehler. Denn er war einmal ein guter Cowboy, bevor ihn Tob White entdeckte und zu einem Preisboxer machte. Die anderen Männer arbeiten ebenfalls zäh und beharrlich. Sie alle könnten irgendwo Spitzencowboys sein, und deshalb ist es ein Jammer, dass sie Banditen und Viehdiebe wurden.
Manchmal kommt Louis Hibbs herübergeritten oder auf dem Weg in die Cliffs vorbei. Dann sitzt er stets eine Weile bewegungslos auf seinem schwarzen Pferd und sieht zu. Einmal kommt er, als Elizabeth Grand herausgekommen ist, um zuzusehen. Barton beobachtet, wie höflich er den Hut zieht, sein Pferd verhält und mit Elizabeth einige Worte wechselt. Er scheint sogar zu lächeln – eine Seltenheit bei ihm. Aber Barton beobachtet auch, wie das Mädchen sich im Sattel etwas straffer aufrichtet, sich versteift, etwa so, als wollte es den Anprall einer Strömung abwehren. Und diese Strömung geht von Louis Hibbs aus. Es ist sein Wille, der gewiss auf dieses Mädchen eindringt. Barton ahnt es. Und er spürt auch instinktiv, wie sich das Mädchen dagegen zur Wehr setzt. Sie wechselt nur wenige Worte mit Louis Hibbs, gerade genug, um nicht unhöflich zu sein. Dann lenkt sie ihr Pferd halb um ihn herum und reitet in Richtung Siedlung, aus der er geritten kam. Sie verschwindet zwischen den Hügeln, hinter denen die Siedlung liegt. Louis Hibbs blickt ihr nach, und er wirkt immer noch steif und starr, verschlossen und irgendwie einsam. Ja, er ist in seiner ganzen Erscheinung ein Einzelgänger. Es ist irgendwie merkwürdig, dass er zu Jeremy Adams’ Bande gehört und Jeremy Adams’ Stellvertreter ist. Barton kann ihn nun eine Weile lang nicht mehr beobachten. Denn einer der Männer treibt ihm einen Stier zu. Und Barton muss sein Lasso werfen. Er wirft es gut, bringt den Stier zu Fall und sorgt dafür, dass die Lassoleine stramm bleibt und der Stier sich deshalb nicht erheben kann. Drei Männer laufen herbei. Einer hat das Brandeisen in den Händen, und ein anderer Mann bringt einen fettigen Lappen. Sie knien und hocken sich auf das Tier, halten es bei den mächtigen Hörnern, die wie Brechstangen oder Hebelarme ihre Kraft nach dem Hebelgesetz verstärken. Und sie drücken den
Brand genau auf das N, sodass nun ein Kreuz-im-Viereck daraus wird. Es ist eine sehr genaue Arbeit, weil drei Linien aufeinander passen müssen, während drei andere Linien lediglich neu hinzukommen. Als sich dann der Gestank von verbrannten Fellhaaren und angeschmorter Haut verbreitet, springt der Mann mit dem Brandeisen zurück. Der Mann mit dem fettigen Lappen drückt diesen auf die Brandwunde des schnaufenden Tieres, und dann springt auch er mit dem anderen Burschen davon. Sie bringen sich auf ihren Pferden, die mit zu Boden hängenden Zügeln bewegungslos warteten, so wie sie es als gute Cowboy-Pferde gelernt haben, in Sicherheit. Und das ist auch notwendig. Denn der schmerzerfüllte Stier versucht nun sogar einen Angriff auf die Reiter. Doch die Cowponys sind flink und wendig. Sie sind ja eine kleinere und leichtere Sorte von Pferden als die langbeinigeren und größeren Tiere für lange und schnelle Ritte. Als Barton sein Lasso wieder einrollt, blickt er sich nach Louis Hibbs um. Und er sieht ihn gerade noch in den Hügeln verschwinden, genau dort, wo Elizabeth Grand verschwunden ist. Louis Hibbs reitet schnell, ganz so, als wollte er das Mädchen noch innerhalb der Hügel und vor der Siedlung einholen. Barton überlegt nicht lange. Was er jetzt tut, geschieht instinktiv. Er könnte es nicht genau erklären, warum er jetzt seinem Pferd die Sporen gibt und bestrebt ist, so schnell wie möglich die Hügel zu erreichen. Als Elizabeth Grand zwischen den Hügeln ist, reitet sie langsamer und hält bald darauf unter dem großen Walnussbaum an. Sie will absteigen, als sie Hibbs kommen hört. Doch nun bleibt sie im Sattel.
Es ist bezeichnend für sie, dass sie ihr Pferd herumzieht und ihm entgegenblickt. Er kommt nun langsam und im Schritt heran, und er drängt sein Pferd so dicht an ihr Tier, dass ihre Steigbügel sich berühren und er nur seine Hand ausstrecken müsste, um das Mädchen berühren zu können. Doch sie weicht nicht zurück, keinen Zoll. Sie weiß, dass dies zwecklos wäre. Und so blickt sie dem so seltsam bleichen Mann fest in die Augen und fragt: »Was wünschen Sie, Mister Hibbs?« Er erwidert ihren Blick, und er lächelt irgendwie bitter und ironisch zugleich. »Was ich will, wissen Sie ganz genau, Liz«, murmelt er dann. »Sie können das deutlich genug spüren. Jede Frau spürt, wenn ein Mann sie begehrt. Sie ist mit diesem Instinkt ausgestattet, und das ist gut.« Er macht eine kleine Pause, und seine hellen Augen werden etwas dunkler und glänzen wie vom Widerschein eines Feuers. »Warum weichen Sie mir aus, Liz?«, fragt er geradezu. »Ich bin nicht der Mann, der das ertragen kann. Es ist eine Herausforderung.« Er streckt schnell seine Hand aus und erfasst ihren Arm. Und dann zieht er sie zu sich herüber. Sie kann gar nichts dagegen tun, denn er ist sehr stark. »Ja, Mädchen, deine Abweisung, dein Ausweichen und diese so deutliche Abwehr sind für mich eine Herausforderung. Ich muss dir wohl klarmachen, dass dies keinen Sinn hat – nicht bei mir!« Er küsst sie nicht, nein. Er setzt sie langsam wieder hinüber auf ihr Pferd und in ihren Sattel, aus dem er sie halb herausgerissen hat. Dabei spürt sie seine Nähe und wird sich seiner Härte und seines rücksichtslosen Willens bewusst. Wahrhaftig, er hat ihr jetzt klargemacht, dass sie sich in einem Banditenlande befindet, mitten unter Banditen, und dass
er ihre Abwehr sicherlich leicht zur Seite fegen könnte. »Ich bin kein Stier mit drei Köpfen oder ein Fleisch fressendes Ungeheuer«, sagt er. »Ich begehre dich, Mädchen. Und ich möchte in allen Ehren um dich werben. Versuch es mal! Vielleicht ist es gar nicht zu schwer, mir Freundlichkeit, Wärme und Entgegenkommen zu geben. Vielleicht bin ich etwas anders, als du glaubst.« Er wendet den Kopf, als er Hufschlag hört. Und als er Barton Kelly erkennt, der angeritten kommt, wendet er sein Pferd und senkt seine Rechte hinter den Revolver-griff. Barton kommt schnell heran. Und er sieht, dass Elizabeths Bluse von Hibbs Griff noch verrutscht ist. Auch ihr Haar kam in Unordnung. Er blickt auf Hibbs und fragt dabei das Mädchen: »Miss Elizabeth, möchten Sie, dass ich Sie heimbegleite? Hat dieser Mann Sie irgendwie ungehörig bedrängt, oder geht mich das nichts an?« Sie zögert fast unmerklich, und dabei blickt sie ihn seltsam an. Sie erkennt in seinen Augen Hilfsbereitschaft, und sie weiß, es ist jenes Gefühl und jener Drang in ihm, der die Männer ritterlich macht und die Frauen beschützen lässt. Er gehört zu jener Sorte, die bereit ist, an jedem Ort und zu jeder Zeit jeder Frau Hilfe zu geben. Sie schüttelt leicht den Kopf, denn sie will nicht, dass er ihretwegen mit Louis Hibbs Streit bekommt. Hibbs ist ein gefährlicher Revolverheld und hat schon mehr als einen Mann im Streit getötet. Sie sagt deshalb sanft: »Es ist schon gut, Barton! Es ist schon gut!« Er blickt Hibbs immer noch an, und auf dessen Wangen zeigt sich leichte Röte. Hibbs ist nun sehr erregt. Diese Röte auf den Wangen verrät es, obwohl sein sonst bleiches Gesicht starr und maskenhaft wirkt und seine hellen Augen jetzt wie Eis wirken. Er lächelt plötzlich kalt.
»Boxer, geh zu deiner Arbeit zurück«, sagt er scharf. »Vorwärts!« Er treibt sein Tier etwas näher an Kelly heran und sagt noch härter: »Was ich mit Miss Grand habe, geht dich nichts an, gar nichts! Und was ich auch tun würde, du könntest es nicht aufhalten! Fort mit dir! An die Arbeit!« Barton Kelly schüttelt den Kopf. Er blickt das Mädchen an. »Hat er Sie bedrängt? Hat er Sie beleidigt? Sagen Sie es mir bitte! Ich kann Ihnen ansehen, dass er versucht haben muss, Sie aus dem Sattel zu ziehen. Hat er ein Recht dazu? Ich …« Er verstummt, und sein Kopf ruckt herum. Denn er sah in ihren Augen ein Erschrecken. Und als er nun auf Louis Hibbs blickt, da sieht er, wie dieser seinen Revolver schussbereit in der Hand hält. »Geh an deine Arbeit, oder ich erschieße dich«, sagt Hibbs kalt. »Du möchtest dich als Beschützer dieses Mädchens aufspielen, doch ich sage dir, dass du sie nicht beschützen könntest. Wenn ich wollte, so könnte ich dich zusehen lassen, wie ich dieses Mädchen in meine Arme nehme und küsse. Und du könntest nichts dagegen tun, du trauriger Preisboxer! Nichts ist trauriger als ein Mann, der sich für Geld mit anderen Männern prügelt. Du stehst mit einem Tanzbär auf einer Stufe. Denn auch solch ein Tanzbär, den man an einem Nasenring führt, tanzt für Gaffer für Geld. Und du trauriger Zirkus-Tanzbär willst dich hier als Beschützer und Gentleman aufspielen! Aaah …« Er wendet sich an Elizabeth. »Sie werden verstehen«, sagt er, »dass ich auf mein Prestige achten muss. Denn wie könnte ich hier Ordnung halten, wenn mir jeder hergelaufene Bursche auf der Nase herumzutanzen versucht. Bitte reiten Sie weiter, Elizabeth!« »Ich denke nicht daran«, erwidert sie. »Nun, dann werden Sie etwas zu sehen bekommen, was Ihnen nicht gefallen wird«, entgegnet er hart.
Sein Revolver bedroht Barton Kelly immer noch. »Herunter vom Gaul«, sagt er. »Du wirst zu deiner Arbeit zurücklaufen! Und ich will mal sehen, ob du noch so stolz und furchtlos bist, wenn ich dich durch die grasende Longhorn-Herde laufen lasse, genau zwischen den Rindern hindurch! Also los!« Es gibt keinen Zweifel, dass er abdrücken wird, wenn Barton Kelly nicht gehorcht. Denn er ist der Boss im Banditencamp. Er ist der Mann, den Jeremy Adams zurückgelassen hat, damit jemand da ist, der das ganze Rudel und auch alle anderen Leute im Camp mit eiserner Faust beherrscht und unter Kontrolle hält. Er ist ein Revolverheld, ein Schießer, der schon getötet hat. Und er kennt nur ein einziges Mittel, um sich Respekt zu verschaffen und jeden Widerstand und jede Gegenkraft zu zerstören. Barton Kelly weiß es. Und mag er auch ein Preisboxer gewesen sein, der zum Ergötzen der Zuschauer für Geld kämpfte, er ist auch ein Kämpfer, und er wurde ja nur deshalb Preisboxer, weil es ihm damals als armem Cowboy so sehr als der leichtere und schnellere Weg erschien, zu einer Ranch zu kommen. Er konnte als Preisboxer in einem einzigen Jahr mehr verdienen als im Sattel eines Cowboys in mehr als zehn Jahren. Barton Kelly will nicht nachgeben. Und das hängt auch mit seinem Auftrag zusammen. Er weiß genau, dass Louis Hibbs ihn überallhin mit seinem Hass und seiner Niedertracht verfolgen würde, wenn er jetzt nachgäbe. Es ist eine Situation wie damals, als er mit Hammer-Pat kämpfen musste. Nur diesmal ist es ein Revolvermann, gegen den er sich behaupten muss. Und kann er es, dann wird er automatisch an Louis Hibbs’ Stelle rücken. Und er wird hier im Camp bis zu Jeremy Adams’ Rückkehr der Boss sein. Barton Kelly wagt es.
Er duckt sich tief hinter dem Pferdekopf, gibt dabei dem Tier die Sporen, sodass es aufsteigt und vorwärts springt. Für Sekundenbruchteile ist Louis Hibbs verblüfft. Denn er hat wirklich nicht erwartet, dass ein Mann so närrisch und selbstmörderisch sein könnte, ihn anzugreifen – gegen einen schussbereiten Colt. Er drückt einen Sekundenbruchteil zu spät ab. Und so fängt das aufsteigende Tier die Kugel mit der Brust auf. Dann prallt das getroffene Pferd noch vom Schwung des wilden Sprunges getragen gegen sein Tier. Und er fällt fast aus dem Sattel. Er kann dann mit seinem Revolver gar nichts mehr anfangen, denn Barton Kelly springt über sein stürzendes Pferd hinweg, gleitet an das andere Tier heran, bekommt Hibbs’ Bein zu fassen und reißt den Mann mit einem unwahrscheinlich kräftigen Ruck von dem tanzenden und zur Seite weichenden Tier. Louis Hibbs hält den Revolver immer noch in der Hand, und er drückte noch zweimal ab, dachte gar nicht daran, dass seine mit wilder Verzweiflung und mehr auf gut Glück abgefeuerten Kugeln auch das Mädchen verletzen konnten. Dann entreißt ihm Bartons Linke den Revolver. Und Bartons Rechte trifft ihn hart. Er prallt rückwärts gegen den Baum und bekommt es dann rechts und links. Er fällt nach rechts und stürzt mit dem Arm unglücklich auf die harten und knorrigen Luftwurzeln. »Barton! Bart!« So ruft das Mädchen. Barton hält inne. Er keucht, und er ist angefüllt mit einem wilden Zorn. Denn dies war ein anderer Kampf. Diesmal ging es ums Leben! Er erwacht wie aus einem bösen Traum und begreift, dass ihn das Mädchen angerufen hat, damit er aufhört. »Er kann doch nicht mehr kämpfen«, sagt sie nun zu ihm. »Sie waren furchtbar, Bart! Ich dachte, seine Kugel würde Sie töten. Doch dann hatte er plötzlich gar keine Chance mehr
gegen Sie. Oh, er liegt wie tot da! Was sind Sie für ein Mann, Barton Kelly? Warum fingen Sie meinetwegen diesen Kampf an? Ich bin ein Mädchen, welches unter Banditen lebt. Und da muss ich mir schon manchmal etwas gefallen lassen.« Er hört es wie aus weiter Ferne. Dann blickt er auf Louis Hibbs. Er zieht ihn von den Luftwurzeln herunter und legt ihn mit dem Rücken ins Gras. Dabei bemerkt er, dass Hibbs’ rechter Arm nicht in Ordnung ist. Er schneidet den Ärmel auf, und da sieht er den Bruch. Irgendwie spürt er plötzlich ein erleichterndes Gefühl, gegen das er sich nicht wehren kann, denn es ist so natürlich. Louis Hibbs, der ganz gewiss bei der nächsten Gelegenheit wieder mit dem Revolver auf ihn losgegangen wäre und ihn dann ganz bestimmt getötet hätte, ist als Revolvermann seiner Gefährlichkeit beraubt. Es ist genauso, als hätte man einem Berglöwen die Krallen ausgerissen und die Zähne ausgebrochen. Denn Louis Hibbs’ Arm ist gebrochen. Und wer kann es Barton Kelly verdenken, dass er jetzt ein erleichterndes Gefühl verspürt? Denn dieser gebrochene Arm bedeutet, dass ihm der Revolverheld mit dem Revolver nicht mehr überlegen ist, nicht mehr! Er sieht zu Elizabeth hoch. »Verzeihen Sie mir, dass ich Sie so in Gefahr brachte«, sagt er. »Dieser Mann schoss ja noch, als er mich unmöglich treffen konnte. Ich glaube, dass es gut wäre, wenn Sie nun fortritten, sodass er nicht ertragen muss, dass Sie ihn am Boden liegen sehen. Es wird schlimm genug für ihn sein. Ich bringe ihn schon ins Camp. Sein Arm muss geschient werden. Wer könnte das tun?« »Ich könnte es tun«, erwidert sie. »Doch der Saloon-und Storehalter macht es genauso gut. Ich werde dafür sorgen, dass er sich in Bereitschaft hält.«
Nach einem langen und nachdenklichen Blick auf Barton reitet sie davon. Als ihr Hufschlag verstummt, öffnet Louis Hibbs die Augen. Er stöhnt leise, weil sein Arm ihm gewiss große Schmerzen bereitet. Sein Blick richtet sich auf Barton. Und dann sagt er leise und ganz ruhig: »Du bist schon tot, Boxer, du weißt es nur noch nicht. Ich werde dich dafür töten, sobald ich kann.« Barton betrachtet ihn sehr nachdenklich. »Du wirst Schutz und Hilfe brauchen«, sagt er. »Denn deine Revolverhand ist unbrauchbar. Gewiss gibt es einige Männer, die es jetzt mit dir versuchen möchten, weil sie dich nicht mehr fürchten müssen. Es gibt bestimmt einige Burschen, die mit dir noch eine Rechnung zu begleichen haben. Denn du bist einer von der Sorte, die sich überall Feinde machen. Pass auf, Revolverheld! Wenn ich dich nicht beschütze, wirst du schneller tot sein, als dein Arm wieder gesund ist.«
11 Es geht leichter, als Barton es sich dachte und als er zu hoffen wagte. Denn Louis Hibbs ist durch seine kalte, spöttisch-verächtliche und abweisende Art überall unbeliebt. Er hat keine Freunde. Er ist einer jener Einsamen, die Kälte und Unbehaglichkeit verbreiten, wenn nicht sogar Furcht. Und so findet sich eigentlich jeder Mensch in der Siedlung damit ab, dass Barton Kelly an Louis Hibbs’ Stelle tritt. Dies ist ganz natürlich, denn in dieser Banditensiedlung lebt man ja nach den primitiven Gesetzen, nach denen ja auch unter jeder Herde oder in jedem Rudel die Leittiere die Führung unter sich auskämpfen. So ist das nun einmal in einem wilden Land und jenseits von Gesetz, Ordnung und den Regeln der menschlichen Gemeinschaft, jenen zivilisierten Regeln. Barton Kelly übernimmt die Führung im Camp. Und er hält Ordnung. Er sorgt dafür, dass niemand über die Stränge schlägt, dass niemand sich zu sehr betrinkt, dass es keinen Streit gibt, dass die Späher unterwegs bleiben, dass die Rinder gebrändet und alle notwendigen Arbeiten verrichtet werden. Er wird eine Art Stadtmarshal in diesem Camp. Und so geht das Leben weiter und reihen sich die Tage aneinander. Jeden Nachmittag geht Barton mit einem Revolver und genügend Munition ein Stück aus dem Camp und übt sich in Revolvergeschicklichkeit und schießt aus der Bewegung und aus jeder nur erdenklichen Lage auf die verschiedensten Ziele. Er besaß schon immer ein gutes Auge und eine schnelle und sichere Hand, und schon als junger Cowboy konnte er gut und schnell schießen. Natürlich war er Revolverhelden nie gewachsen, denn dazu gehört mehr als nur Geschicklichkeit.
Dazu gehört eisernes Training. Männer wie Louis Hibbs und Jeremy Adams üben täglich wie Artisten. Und überdies gehört noch etwas dazu, was allein einem Mordbanditen möglich ist. Es ist die Fähigkeit, auf Menschen schießen und töten zu können. Es ist eine sehr negativ zu bewertende Fähigkeit, die auf verkümmerte oder gar krankhafte Eigenschaften schließen lässt. Denn seinem Gefühl nach sollte kein Mensch dazu befähigt sein, töten zu können. Seine Gefühle für Schonung, Duldung und seine Achtung vor dem Leben sollten stärker sein und ihn beherrschen. Barton Kelly weiß nicht, ob er auf einen Menschen würde schießen können, mit der Absicht zu töten. Dass Barton Kelly mit dem Revolver übt und sich bemüht, gut und sehr schnell zu schießen, hängt mit dem Recht auf Selbstverteidigung zusammen, welches jedes Geschöpf auf dieser Erde besitzt. Und in Selbstverteidigung – so glaubt Barton – wird er sicherlich auf einen Mann abdrücken können. Überdies aber hat Barton zwei Freunde, die ihn unterstützen. Es sind Texas Alamo Uvalde und jener Hammer-Pat, den er einmal besiegt hat und der so gar nicht nachtragend ist. Dazu kommt, dass Barton ganz gewiss noch einen dritten Freund hat, obwohl dieser es nicht so deutlich zeigt. Es ist der Spieler Alex Grand, der von seiner Tochter berichtet bekam, was geschehen ist. Es war am anderen Abend, als Alex Grand im Saloon zu Barton an den Schanktisch trat und höflich fragte, ob Barton einen Drink mit ihm nehmen würde. Barton wollte. Und da tranken sie sich wenig später wortlos zu. Mehr war nicht. Doch Barton weiß, dass er auf Alex Grand vielleicht einmal wird mehr zählen können als auf Alamo Uvalde oder gar Hammer-Pat. Denn diese beiden Männer sind
Banditen und werden sich sicherlich gegen ihn wenden, wenn es sich herausstellen wird, dass er gegen die Bande arbeitet. Nur dieser Alex Grand … Nun, Barton verlässt sich da mehr auf sein Gefühl, und er weiß genau, dass er sich nicht getäuscht hat, als er glaubte, in Grands Augen ein Versprechen gesehen zu haben, als sie sich zutranken und ansahen. Dieses Versprechen lautete etwa: »Du bist für meine Tochter eingetreten. Nun gut, wenn du mal Hilfe nötig hast, so wirst du sie bekommen.« Die Tage vergehen, und es werden Wochen. Bald spricht man in der Siedlung mehr und mehr davon, dass nun jeden Tag die Riverqueen eintreffen kann. An einem Morgen, als Barton zum Fluss reiten will, jenen langen Weg, den er damals mit Tob auf einem langsamen Frachtwagen gefahren wurde, da wird er ein kleines Stück hinter der Siedlung von einer Reiterin eingeholt. Ja, es ist Elizabeth Grand. Sie reitet neben ihn und lächelt auf eine Art, die etwas ernst und traurig wirkt, aber auch gut und freundlich. Er ist für dieses Lächeln dankbar, sagt es ihm doch, dass er nun zu ihren wenigen Freunden zählt, denen sie vertraut und die ihr das Leben hier etwas leichter machen. Sie sagt dann: »Ich habe beim Corral vom Pferdewärter gehört, dass Sie zum Fluss wollen. Ich möchte diesen Fluss wieder einmal sehen. Und ich würde so gern einmal schwimmen. Darf ich mit?« Er betrachtet sie staunend. Bis zum Fluss und wieder zurück, dazwischen mit einer längeren Pause, darüber wird der ganze Tag vergehen. Und das bedeutet, dass dieses Mädchen einen ganzen Tag mit ihm zusammen sein will. Er verspürt ein Gefühl, als hätte er ein unerwartetes Geschenk erhalten, welches ihm die allergrößte Freude
bereitet. Doch er fragt erst vorsichtig: »Weiß Ihr Vater …« »Er weiß es, denn er hat mich bis zum Corral begleitet. Und als wir dort hörten, dass Sie zum Fluss aufgebrochen seien, da sagte ich ihm, dass ich mit Ihnen reiten würde, wenn Sie mich mitnähmen.« »Gern«, sagt er. »Ich freue mich sehr, Elizabeth. Es ist für mich ein guter Tag. Und ich wäre der glücklichste Mensch auf dieser Welt, wenn wir uns nicht unter Banditen befänden. Dann wäre alles so sehr viel anders.« Sie gibt nicht sogleich eine Antwort. Sie reiten ein langes Stück schweigend über die Ebene, auf der die ungebrändeten Rinder weiden. Erst als sie bei dem Schluchteingang sind, da fragt sie ernst: »Was wäre so sehr viel anders, Bart?« Sie reiten langsam, und er betrachtet sie. Sie reitet im Damensitz auf einem Damensattel, und sie trägt eine flaschengrüne Bluse zu einem rehbraunen Reitrock. Ihr rotes Haar bildet zu dieser grünen Bluse einen wundervollen Farbkontrast. Auch ihre Augen sind grün. Barton blickt in diese Augen hinein. »Na, ich bin ein junger Mann«, sagt er. »Und Sie sind ein Mädchen, welches für einen Mann der kostbarste Besitz auf dieser Welt sein könnte. Da ich genügend Ersparnisse auf der Bank habe und eine Ranch gründen könnte, würde ich um Sie zu werben beginnen. Ich würde mich nicht dagegen wehren, Sie zu lieben. Und so würde ich mein Glück versuchen und mir alle Mühe geben, Sie erringen zu können. Ich würde meine Bemühungen nur dann aufgeben, wenn Sie mir ganz ernsthaft sagten, dass Sie es als Belästigung empfänden.« Er verstummt und blickt sie ernst an. Und weil sie nichts erwidert, sondern schweigt und ihn nur seltsam anblickt, spricht er weiter: »Doch dies kann alles nicht sein. Denn ich werde wegen
Mordes verfolgt. Wir befinden uns unter Banditen. Und wer weiß, was noch alles …« Er bricht ab, denn er wird sich bewusst, dass er bittere Worte sprechen würde. Ihm scheint auch, dass er schon zu viel gesagt hat, und er meint, nicht hätte sagen zu dürfen, dass ihm Elizabeth so gut gefällt, dass er unter anderen Voraussetzungen und Verhältnissen um sie werben würde. Sie reiten durch die Schlucht und dann den langen Weg zum Fluss. Es ist ein freundlicher Tag, warm und mit einzelnen Wolken am Himmel. Die vielen Felsenhügel werfen lange Schatten, und die Falken segeln am Himmel. Irgendwann sagt das Mädchen: »Bart, Sie könnten sich tatsächlich selbst verbieten, sich in mich zu verlieben, nur weil Sie als ein verfolgter Verbrecher gelten? Sie könnten wirklich dagegen ankämpfen, sich in ein Mädchen zu verlieben, welches Sie sonst gern eroberten?« Nun halten sie an. Und er gibt nicht sogleich Antwort. Erst überlegt er. »Ich könnte Sie nicht glücklich machen«, sagt er. »Ich würde Sie nur noch mehr unglücklich machen. Und diese Gewissheit macht mir den Verzicht nicht so schwer. Aber wir wollen nicht so sehr über solche Dinge reden. Dort vorn ist der Fluss. Reiten wir, damit Sie zu Ihrem Bad kommen. Schwimmen Sie auch sicher?« »Ganz sicher«, sagt sie. »Als Kind schwamm ich mit den Jungens um die Wette. Ich bin eine Wasserratte, und ich habe dieses Vergnügen schon lange nicht gehabt.« Sie reiten schneller weiter und erblicken dann den Fluss unter sich. Und dort, wo die Felsterrasse einen natürlichen Kai bildet, da legt soeben die Riverqueen an. Die hier am Fluss stationierten Wächter übernehmen an Land gerade die Leinen und machen sie fest. Die Landebrücken werden ausgeschoben. Und die Männer kommen geschäftig an Land, schaffen drei bespannte
Frachtwagen vom Schiff herunter, einige Pferde und noch allerlei Gepäck. Indes Barton sich mit Elizabeth nähert, erkennt er Jeremy Adams, Ring Diamond, Kid Pete Nicol und natürlich den rotbärtigen und piratenhaften Kapitän Brian McLane, den indianerhaften und panthergeschmeidigen Steuermann Randolph Hibbs, der aber mit Louis Hibbs nicht verwandt ist, und den vierschrötigen Bootsmann Lee Simons. Sie sind alle wieder da. Die ganze Fahrt ist sicherlich erfolgreich und glückhaft verlaufen. Man hat wieder an die fünfhundert Pferde entführen und gut verkaufen können. Barton hält plötzlich sein Pferd an und sagt zu Elizabeth, die seinem Beispiel folgt: »Wenn Sie baden wollen, dann würde ich an Ihrer Stelle dort um die Felszunge herumgehen. Ich achte dann darauf, dass vom Schiff niemand zu weit in dieser Richtung gehen kann.« »Danke«, sagt sie, und ihr Blick ist irgendwie forschend und ernst. Aber sie begreift, dass er sie gewissermaßen fortschickt, damit sie mit den anderen Männern erst gar nicht in Berührung kommt. Und so reitet sie fügsam fort. Er aber nähert sich weiter dem Schiff. Mit einem Mal aber glaubt er etwas zu sehen, was er einfach nicht für möglich halten kann. Er beugt sich im Sattel weit vor und zwinkert mit den Augen. Ja, er hebt sogar eine Hand und wischt sich über das Gesicht. Doch was er sieht, dies bleibt und erweist sich nicht als eine Täuschung. Denn von der Riverqueen kommen nun zwei Männer, die er gut kennt. Es sind ein fast kleiner, schmächtig erscheinender und dabei drahtig und zäh wirkender Mann, dem ein schwer gewichtiger Muskelklotz folgt wie ein Bär einem Terrier. Und diese beiden Gentlemen sind Mister Duff und Mister Bill Mallone. Sie wirken etwas misstrauisch, zurückhaltend
und nicht sehr glücklich. Irgendein Schicksalsschlag hat sie auf die Riverqueen verschlagen und in das Land gebracht, in welchem auch Barton Kelly Zuflucht suchte. Barton reitet das letzte Stück sehr schnell. Dann hält er an, gleitet aus dem Sattel und tritt um das Pferd und die wartenden Frachtwagen herum den Mallones entgegen. Diese haben den Reiter in der Tracht eines Weidereiters nicht erkannt. Und sie sind auch gar nicht darauf vorbereitet, Barton Kelly hier zu treffen. Darüber wird Barton sich klar, als er sie anruft, sie ihn anblicken und erkennen. Er erkennt deutlich ihre Bestürzung und ihr Erschrecken, und er weiß genau, dass dies nicht gespielt ist. Ja, er wird sich in dieser Sekunde darüber klar, dass sie ihn hier nicht vermutet und erwartet haben. Doch ihr Erschrecken und ihre Verwunderung oder Bestürzung währen nur sekundenlang. Dann wirken sie mit einem Mal wachsam, lauernd und bereit zu einem Kampf. Sie grinsen gefährlich, und sie bringen es sogar fertig, spöttische Worte zu reden. Der unförmige Bill grinst breit und sagt: »Sieh da, wen wir getroffen haben! Die Welt ist klein!« Und der drahtige und gefährliche Duff Mallone sagt auf seine präzise Art: »Also seid ihr damals auch auf die Riverqueen geflüchtet und auf ihr entkommen. Man spricht wohl in unserem Fall von einer Duplizität der Ereignisse, nicht wahr?« Und er macht eine kleine Pause und hält mit den Händen seine Rockaufschläge gefasst. Barton weiß, dass er seine Revolver in Schulterholstern trägt und unwahrscheinlich schnell seine Waffe unter dem Rock hervorholen kann. Die Holster seiner Waffen sind mit Federn ausgestattet, sodass ihm die Waffen in die Hand springen, wenn er auch nur die Arme hebt. Doch Barton ist gewillt, die Sache auszutragen. Sein Zorn
ist zu groß. Diese beiden Männer haben ihm zu viel angetan, ihm und Tob. Er ist ganz sicher, dass sie ihn so schlimm reingelegt haben und dass er es ihnen zu verdanken hat, nun ein Geächteter zu sein. Er starrt Duff Mallone kalt an und sagt: »Revolvermann, Sie werden gewiss Ihre Waffen schneller zur Hand haben und noch vor mir schießen. Doch ich werde Sie jetzt töten. Und ich werde danach noch kräftig genug sein, um es auch diesem Walross, Ihrem Bruder, besorgen zu können. Ja, ich begrüße es sehr, dass der Zufall euch zwei Schufte in dieses Land führte! Also, fangen wir …« Er wird unterbrochen. Denn Jeremy Adams und Ring Diamond sind nun zur Stelle. Jeremy Adams sagt: »Keinen Kampf! Oder ihr bekommt es mit mir und Ring Diamond zu tun! Keinen Kampf, sage ich!« Er wendet sich an Barton Kelly und spricht sanfter: »Ich kenne deine Geschichte, Bart, nun gut! Ich weiß, dass du die Mallones hassen musst. Doch sie sind auf ähnliche Art an Bord gekommen wie du und Tob White. Auch sie mussten flüchten. Wenn es dich tröstet, so nimm zur Kenntnis, dass sie in Saint Louis den Bogen überspannt haben. Es heißt ja im Volksmund, dass der Krug so lange zum Brunnen geht, bis er zerbricht. Nun gut, die Mallones wurden zu frech. Man zeigte sie wegen Erpressung an. Und da töteten sie einen Zeugen, der am nächsten Tag gegen sie ausgesagt hätte. Dabei wurden sie beobachtet. Und so mussten sie flüchten. Das Gesetz war hinter ihnen her, und sie erreichten genau so wie ihr damals die ablegende Riverqueen. Und genau wie euch, wollte ich sie zuerst über Bord werfen lassen. Doch auch sie können reiten, kämpfen, Rinder treiben. Wir hatten einige Verluste beim letzten Mal. Ich muss meine Mannschaft so stark wie nur möglich machen. Denn eines Tages – vielleicht schon bald – wird es gegen die Natchez-Mannschaft einen großen Kampf geben. Und wir Geächteten werden dann unser
Million-Cliffs-Land zu verteidigen und zu halten haben. Wir müssen stark sein. Und deshalb dulde ich keinen Streit. Mich interessieren keine Feindschaften. Wer hier lebt, der gehört zu einem großen Verein und hat sich einzufügen und unterzuordnen. Habt ihr mich verstanden?« Barton atmet langsam aus. Denn indes Jeremy Adams sprach, konnte er seinen heißen Zorn bekämpfen. Er konnte klaren Kopf bekommen und einige Überlegungen anstellen. Und nun ist er froh, dass Jeremy Adams diesen Kampf verbietet. Denn was nützt es Barton Kelly, wenn er die Mallones tötet, was überdies auch noch sehr zweifelhaft bezüglich des Gelingens wäre. Denn er ist Duff Mallone mit dem Revolver bestimmt nicht gewachsen. Gewiss, er glaubt, dass er Duff Mallone töten könnte. Doch er würde dabei schon Mallones Kugeln aufgefangen und nur noch die ein oder zwei Sekunden zu leben gehabt haben, die sein Wille ihm abverlangte, um Duff Mallone und sein Ungetüm von Bruder töten zu können. Sicherlich würde er dies nur sterbend geschafft haben. Und dazu hat er keine Lust, wie man leicht begreifen kann. Ihm ist es plötzlich, als gäbe es irgendwie eine Hoffnung für ihn. Denn ist es nicht schon ein Wunder, dass die Mallones hier auftauchten? Ist dies nicht schon wie eine Fügung? Und vielleicht gibt es in der Zukunft irgendwie Möglichkeiten, die es erlauben, seine und Tobs Unschuld beweisen zu können. Denn er hat ja nun die Mallones immer greifbar bei der Hand. Und dann ist noch etwas! Barton denkt daran, dass damals nicht einmal die Hälfte der geraubten Summe bei ihm und Tob gefunden wurde. Was in jenen Beuteln war, wog zwar schwer und sah nach viel aus. Doch es war nur Kleingeld. Die großen Banknoten fehlten. Und die Bank hatte die Nummern dieser Noten notiert, weil es
sich um einige nagelneue Pakete handelte, die zum ersten Mal in Verkehr kommen sollten. Barton ist sicher, dass diese Banknotenbündel noch im Besitze der Mallones sind. Und wenn die Mallones ihre Flucht nicht gar zu überstürzt antreten mussten, sondern etwas Gepäck mitnehmen konnten, dann werden sich diese Banknoten gewiss in diesem Gepäck befinden. Damit aber ergeben sich eine ganze Menge Möglichkeiten, die Barton jetzt noch gar nicht alle übersehen und ermessen kann. Doch er wittert eine schwache und noch ziemlich ferne Chance. Er entspannt sich. »Nun gut«, sagt er zu Jeremy Adams. »Ich kann ja auch noch etwas warten. Vorerst will ich noch eine Weile die Freude genießen, diese beiden Gentlemen hier begrüßen zu können und immer bei uns zu wissen.« Er grinst breit und spöttisch, verbeugt sich leicht vor den Mallones und schwingt noch spöttischer seinen Hut. »Willkommen, willkommen in unserem lieben Kreise«, sagt er mit höhnender Sanftheit. »Wir werden unseren Spaß schon bekommen. Doch ich kann warten, bis Jeremy Adams das große Geschäft gemacht hat und nicht mehr um einige Kuhtreiber verlegen ist.« Er wendet sich an Adams: »Ich werde sie gerne etwas unter meine Fittiche nehmen und gute Viehtreiber und nützliche Mitglieder unseres Vereins aus ihnen machen. Und bevor ich es vergesse, Jeremy: Ich übernahm im Camp an Louis Hibbs’ Stelle das Kommando. Denn ich musste Louis Hibbs verprügeln und brach ihm dabei den Arm.« Jeremy Adams und Ring Diamond sind einige Sekunden lang ganz still, und sie bewegen sich nicht und blicken Barton nur an. Dann aber beginnt Ring Diamond leise und grimmig zu fluchen. Jeremy Adams aber senkt seine Hand wieder hinter den
Revolverkolben und nimmt so wieder die typische Haltung eines Revolvermannes ein, der etwas auskämpfen will oder zumindest eine Sache auf sich zukommen sieht, für die er bereit sein möchte. »Und warum – warum hast du mit Louis Hibbs gekämpft?«, fragt er mit lauernder Sanftheit. Seine Stimme erinnert irgendwie an das Schnurren einer Katze, die aber auch plötzlich unvermutet mit allen Krallen zuschlagen kann. »Er belästigte Elizabeth Grand, und ich bot dem Mädchen meine Hilfe an. Da zog er den Revolver und bedrohte mich. Aber er tötete mich nicht, sondern mein Pferd, welches sich aufbäumte. Und dann erwischte ich ihn.« Barton verstummt ebenfalls sehr sanft. Dann fragt er: »Was ist falsch daran? Durfte er ein ehrenwertes Mädchen belästigen?« »Nein«, sagt Jeremy Adams schwer. Er betrachtet Barton mit einem nachdenklichen Blick. »Nun gut«, sagt er dann. »Du hattest also das Kommando. Und ich werde sehen, ob du Ordnung halten konntest und alles getan wurde, was notwendig war. Was ist mit den Rindern? Wurden sie umgebrändet?« »Natürlich, Jeremy! Es ist eine gut gemästete Herde. Sie alle haben erstklassige Brandzeichen.« »Wir treiben sie morgen schon her. Doch bevor wir sie verladen, will ich doch noch einmal versuchen, ob wir der Natchez-Ranch nicht noch ein Rudel Pferde stehlen können. Pferde bringen einen besseren Preis als Rinder und verletzen sich in den Laderäumen nicht mit Hörnern. Wenn wir es noch einmal schaffen, Pferde zu erbeuten, dann sind sie mir lieber als Rinder. Nun, wir werden sehen!« Nach diesen Worten ist vorerst alles erledigt. Jeremy Adams und die anderen Männer, die zuletzt als Zuschauer in der Nähe warteten, wenden sich wieder ihren Beschäftigungen zu. Die schwer beladenen Frachtwagen brechen auf. Jeremy Adams und die Reiter folgen.
Von der Landzunge her, hinter der sie gebadet hatte, kommt Elizabeth Grand angeritten. Die beiden Mallones sitzen auf einem der Frachtwagen und betrachten das Mädchen neugierig. Und vom Passagierdeck der Riverqueen ruft der rotbärtige Pirat Brian McLane: »Hoiii, Lady! Wollen Sie nicht an Bord kommen und ein gutes Essen einnehmen?! Sie wissen doch, ich habe einen Chinesen an Bord, der besser kocht als der Koch des Präsidenten der Nation!« Das Mädchen hält inne und blickt vom Sattel aus hinauf. »Ich werde sicherlich bald mit meinem Vater an Bord kommen«, sagt sie ernst hinauf. »Wenn Sie diesmal den Fluss abwärts fahren, Brian McLane, dann haben Sie zwei Passagiere, die richtig ihre Passage bezahlen.« »Es wird mir eine Ehre und ein besonderes Vergnügen sein«, versichert der rotbärtige Flusspirat, legt seine breite Hand auf die Herzgegend und verbeugt sich, so gut er es über die Reling vermag. Das Mädchen kommt zu Barton geritten. Ihre Augen blicken fragend und forschend. »Kummer?« Sie fragt es auf eine Art, die echte Teilnahme verrät. Und sie sah ihm irgendeine gewisse Veränderung an, so gut kennt sie ihn also schon. Er schüttelt leicht den Kopf. Er fühlt sich sekundenlang versucht, ihr etwas von seinen Hoffnungen zu erzählen, die er nun hegt, da er die Mallones gewissermaßen in Reichweite hat. Doch er kann ihr nichts von seinem Auftrag erzählen, der ja darauf hinausläuft, dass er die Riverqueen auf Grund setzen soll. Er denkt wieder daran, und nun erschrickt er. Denn er hörte doch soeben, dass Elizabeth Grand und ihr Vater mit diesem Schiff schon bei der nächsten Fahrt das Land verlassen und sich neuen Zielen und Hoffnungen zuwenden wollen. Sie reiten nun langsam auf die Schlucht zu, in der Reiter und
Wagen inzwischen verschwunden sind. Barton hat noch kein Wort geredet, denn seine Gedanken bilden einen immerfort währenden Wirbel. Als er dann spricht, fragt er: »Elizabeth, gibt es für Sie und Ihren Vater keinen anderen Weg aus diesem Land als nur den auf der Riverqueen und auf dem Strom?« »Er ist schneller und sicherer«, sagt sie. Barton schweigt und nickt. Und es bedrückt ihn sehr, dass er diesem Mädchen nicht sagen kann, dass die Riverqueen wahrscheinlich diesmal ihr Ziel nicht erreichen wird. Aber ich muss sie doch warnen, denkt er erregt. Ich kann doch nicht zulassen, dass sie mit in Gefahr gerät … »Einen Dollar für Ihre Gedanken, Bart«, sagt sie neben ihm durch den Hufschlag ihres Pferdes. »Sie sind sehr ernst und verschlossen, Bart! Wenn es etwas gibt, worüber Sie sich aussprechen möchten, so schenken Sie mir Vertrauen. Ich schwöre, dass ich dieses Vertrauen nicht enttäuschen werde.« Und er begreift seine Chance. »Liz, Sie sollten das nächste Mal nicht mit der Riverqueen fahren«, murmelt er. »Sie kommen in äußerste Gefahr, wenn Sie mit der Riverqueen fahren. Warten Sie lieber, bis alles erledigt ist und …« »Was soll erledigt sein, Bart?« Er kann nicht anders, er muss es diesem Mädchen sagen. Und sie ist ja in ihrem Wesen und ihrer Lebenserfahrung nach gar kein Mädchen mehr. Sie ist eine reife Frau und ganz gewiss eine gute Kameradin und Weggefährtin für einen Mann. Dazu kommt, dass Barton plötzlich tief und sicher spürt, dass sie ihm mehr als nur freundliche Aufmerksamkeit entgegenbringt. Er spürt, dass sie irgendwie Vertraute geworden sind. Da beginnt er zu erzählen, und er beginnt noch einmal von jenem Moment an, da in Saint Louis die Mallones zum ersten Male zu ihm kamen. Als er geendet hat, sind sie aus der Schlucht heraus. Sie
reiten langsam im Schritt, und vor ihnen fahren die Wagen und reiten die Männer um Jeremy Adams. Überall sind die Hügel mit den schwarzen, klippenhaften Felsen. Als er dann endet, schweigt das Mädchen noch eine Weile. Doch dann beugt sie sich weit aus dem Sattel, legt ihre Hand auf Bartons Arm und sagt erregt: »Oh, wäre ich doch ein Mann! Oh, könnte ich dir doch helfen, Bart! Ich würde dir so gerne helfen. Und schon deshalb muss ich mit meinem Vater unbedingt an Bord sein. Es wird vielleicht gut sein, wenn du Freunde bei dir hast. Und ich bin nicht ängstlich. Ich kann für mich sorgen.« »Ich habe dir das alles erzählt, damit du nicht an Bord gehst, wenn die Riverqueen ihre nächste Fahrt aus dem Million-Cliffs-Land in den Missouri antritt«, murmelt er. Sie können nun nicht mehr miteinander sprechen, denn Jeremy Adams kommt von vorn nach hinten, reitet auf Elizabeth Grands andere Seite und lächelt auf seine verwegene und gewinnende Art. Er fragt jedoch nicht nach der Sache mit Louis Hibbs, sondern sagt vielmehr: »Ich war in Saint Louis. Man hat mich nicht erkannt, denn ich hatte mich als Gentleman aus dem Osten verkleidet. Ich habe tausend schöne Frauen gesehen, oder zumindest einige Dutzend. Und ich dachte an Ihr Leben, Liz. Sie könnten in Frisko gewiss einem netten Gesellschaftskreis angehören, Liz. Irgendwann muss Ihr Vater doch mal genug Geld gewonnen haben, damit …« »Wir fahren diesmal mit, Jeremy Adams«, sagt sie fest, und es ist zugleich auch eine Entscheidung, die sie Barton mitteilt. Sie sagt ihm, dass sie und ihr Vater die Fahrt mitmachen werden. Aber was ist das? Barton denkt immerzu darüber nach. Ja, was ist das? Warum will sie ihm helfen? Denn sie will doch mit an Bord sein, damit
er nicht allein ist. Sie weiß nun, dass die Riverqueen nicht ihr Ziel erreichen soll, dass er sie am Red Rock auf die Felsen steuern will. Und dennoch will sie mit an Bord sein. Barton denkt über ihre Beweggründe nach, und als er sie anblickt, sieht er in ihre Augen. Nun erkennt er alles. Zugleich aber wird er sich selbst darüber klar, dass er sich diesem Mädchen nur deshalb mitteilte und es zu seinem Mitwisser machte, weil er Elizabeth liebt, weil es zwischen ihnen etwas gibt, was man nicht genau benennen oder beschreiben kann, was aber vorhanden ist. Liebe? Ist das die Liebe? So fragt er sich. Und er weiß, dass es keine Zweifel daran gibt. Ich muss mit ihrem Vater reden, denkt er. Ich muss mit seiner Hilfe verhindern, dass sie an Bord kommen und die Fahrt mitmachen kann. Alex Grand ist bestimmt kein Verräter. Ich kann mit ihm über mein Vorhaben sprechen.
12 Spät am Abend dann – doch erst wenige Stunden nach seiner Rückkehr – sammelt Jeremy Adams schon seine Reiter. Diesmal nimmt er noch mehr Männer mit als zuvor. Und er kommt, nachdem er alle Anordnungen und Befehle erteilt hat, in den Saloon. Hier sitzt Barton Kelly in der Ecke hinter einem Tisch und hat eine Patience ausgelegt. Er hebt den Kopf, als Jeremy Adams sich zu ihm an den Tisch setzt und dann eine Zigarre ansteckt. Ihre Blicke treffen sich dann, und dann lächelt ihm Jeremy Adams zu. »Nun gut«, sagt er zu Barton, »ich habe gesehen und gehört. Du hast in der Siedlung gut für Ordnung gesorgt und auch dafür, dass alle Arbeiten, die ich gemacht haben wollte, verrichtet wurden. Alle Leute hier waren mit dir einverstanden. Nun, Louis Hibbs ist ein Mann, der keine Freunde gewinnen kann. Das ist seine Art. Ich war bei ihm. Er ist zwar nicht mein Freund, doch mein Partner, mein Gefährte. Wir haben gemeinsam eine ganze Reihe von Coups gelandet, und wir wissen genau, dass wir uns aufeinander verlassen können. Ich war also bei ihm und fragte ihn nach dem Kampf. Ich fragte ihn auch, was er von mir erwartete. Und er sagte mir, dass er seine Chance gehabt hätte. Du hättest ihn angegriffen, obwohl er einen Revolver schussbereit auf dich gerichtet hatte. Er hätte dich nicht treffen können, und solch eine Dummheit müsste bestraft werden. Er ist voll Bitterkeit und sagt, dass ihm Recht geschehen wäre, dass sein Revolverarm gebrochen wurde.« Jeremy Adams macht eine kleine Pause. Und er zieht einige Male heftig an seiner Zigarre. Dann sagt er hart: »Louis Hibbs hat also nicht von mir, seinem Partner, verlangt, dass ich ihm deinen Skalp bringe. Er
behandelt die Sache rein privat. Doch er wird mit einem Revolver auf dich losgehen, sobald er seine Rechte wieder gebrauchen kann. Und dann wirst du tot sein, Bart! Du wirst kein zweites Mal lebend nahe genug an ihn herankommen können. Er ist unversöhnlich und gnadenlos. Er wird dich töten, das ist sicher! Darum gebe ich dir den guten Rat: Mach nur noch dieses Unternehmen mit. Komme dann mit auf die Riverqueen und steige unterwegs irgendwo aus. Vielleicht – wenn die Grands dir etwas bedeuten und du dich verliebt hast – gehst du mit ihnen. Sie werden in Nebraska sicherlich aussteigen und mit der Union Pacific zur Westküste fahren. Dies wäre dann auch der beste Weg für dich. Oder Louis Hibbs wird dich töten. Er ist nicht mein Freund, doch mein alter Partner. Er hat einen Anspruch darauf, dass ich mich – müsste ich mich entscheiden – auf seine Seite stelle. Also!« Er erhebt sich und blickt dann auf Barton nieder. »Du reitest natürlich gleich mit. Wir wollen noch einmal versuchen, eine Pferdeherde zu erwischen. Du wirst Louis Hibbs als Unterführer vertreten und seine Stelle einnehmen müssen. Auf dich und auf Ring Diamond werde ich mich verlassen müssen.« Barton Kelly nickt. Er blickt Jeremy Adams nach, als dieser den Saloon verlässt. Irgendwie verspürt er ein Schuldgefühl ihm gegenüber. Denn dieser Bandit war eigentlich sehr anständig zu ihm. Und nun muss er Jeremy Adams verraten, ihn und all die anderen Männer. Um einige dieser Männer tut es ihm Leid. Um die Mallones jedoch nicht. Aber er hat ja auch gar keine Wahl mehr. Er gab Abe Natchez ein Versprechen. Er schloss mit Abe Natchez einen Pakt. Und es kam allein deshalb zu diesem Pakt, weil Tob und er damals mit der Bande reiten und Pferde stehlen mussten und Tob dabei so lebensgefährlich verletzt wurde.
Barton verspürt plötzlich kein Schuldgefühl mehr. Er weiß, dass sein Pakt mit Abe Natchez das einzige Mittel war, dass er nicht selbst zu einem Banditen und Viehdieb wurde. Wenig später erhebt er sich, um sein Pferd zu holen. Und die Patience, die er ausgelegt hat…? Nun, sie ist nicht aufgegangen. Soll das ein böses und warnendes Zeichen sein? Barton Kelly bewegt auf eine besondere Art seine Schultern. Dies tut er immer, wenn eine harte und schwierige Sache auf ihn wartet. Denn was auch kommen mag, er muss hindurch. Er muss seine Chance wahrnehmen und kämpfen. Es ist wie damals. Sie reiten in die Nacht. Doch diesmal sind sie noch mehr Reiter, diesmal sind sie mehr als drei Dutzend, fast vierzig Mann. Sie nehmen fast den gleichen Weg, und es ist wieder eine helle Mondnacht. Barton kennt sich jetzt im Land schon gut aus, denn während der vergangenen Wochen ritt er so manchen Tag mit den Scouts herum. Es wird ein eintöniger Ritt. Als dann der Tag graut, befinden sie sich im Land der Natchez-Ranch und rasten für drei Stunden auf einem bewaldeten Hügel. Dann wird es klar, dass Jeremy Adams diesmal seinen Raubzug nicht im Schutz der Nacht durchführen will. Nein, heute fühlt er sich stark genug, und er beginnt jetzt in einem neuen Stil. Der Kampf um die Pferde und Rinder der großen und mächtigen Natchez-Ranch ist in eine neue Phase eingetreten. Es wird ein offener Kampf sein, Stärke gegen Stärke, Gewalt gegen Gewalt. Und in diesem Land gibt es kein Gesetz, sodass der Stärkere gewinnt, selbst wenn er im Unrecht ist. Die Natchez-Ranch ist sicherlich von Anfang an im
Nachteil. Denn ihre Cowboys reiten für dreißig Dollar oder wenig mehr Lohn im Monat. Ob sie dafür kämpfen und ihr Leben einsetzen, dies bleibt abzuwarten. Für die wilde Horde, die Banditen, lockt ein Beuteanteil, der zumindest einen ganzen Cowboy-Jahreslohn ausmacht. Und dies kann den Ausschlag geben. Es ist dann gegen Mittag, als sie den schützenden Wald verlassen und im Schutze von Senken, Bodenwellen und in Arroyos durch das Land reiten. Sie gelangen an eine lange Hügelkette und biegen nach Süden ein. Dicht an der Basis dieser Hügelkette reiten sie etwa drei Meilen und erreichen das Ende der Hügel. Vor ihnen liegt eine weite Senke. Es ist wieder eines der vielen Vorwerke der Natchez-Ranch. Dort unten gibt es ein Blockhaus, Schuppen, Corrals, einen See und einen silbernen Bach, der für Zufluss und Abfluss sorgt. Und Pferde sind da, viele Pferde. Sie gehören zu den mehr als fünftausend Tieren, die die große Natchez-Ranch gezüchtet hat und auf einige Vorwerke, die jedes für sich eine kleine Pferderanch sind, verteilte. Die Pferde grasen in großen Koppeln, die rings um den See angelegt sind, sodass die Tiere Zugang zum Wasser haben. Und rings um das Blockhaus sind große Corrals. Dort befinden sich die Tiere, auf die es die Banditen abgesehen haben. Denn in den Corrals sind zugerittene und gezähmte Tiere in einem Alter, welches für den Verkauf besonders geeignet ist. Bei den Corrals sind einige Männer an der Arbeit. Es sind die Zureiter und Pferdepfleger dieser Pferderanch. Sie arbeiten mit den Tieren, um sie zu guten Reitpferden oder gar zu Rinderpferden zu machen, zu Tieren für die Armee oder für den Wagen. Aus dem Blockhausanbau, in dem sich wohl die Küche befindet, kräuselt Rauch. Und der Koch kommt mit einem
Kübel heraus und will ihn in den abfließenden Teil des Baches entleeren. Da erblickt er die wilde Horde aus dem Million-Cliffs-Land, die im Schutz eines Waldstückes und der Gebäude schon dicht herangekommen ist. Der Koch lässt den Kübel fallen, und sein Alarmruf gellt durch die weite Senke und über die Corrals. Er flüchtet ins Küchenhaus. Die drei Männer, die bei den Corrals arbeiten, sehen ein, dass sie nicht mehr rechtzeitig ins Blockhaus kommen können. Und so verharren sie bewegungslos. Sie greifen nicht nach den Waffen. Nur ein Reiter, der drüben auf der anderen Seite des Sees herumritt und irgendwelche Tiere aus den Koppeln holen sollte, reißt sein Pferd herum und galoppiert davon. Dabei stößt er einen scharfen Ruf aus. Jeremy Adams gibt nur wenige Befehle. Es geht auch sehr schnell. Denn die kleine, hier stationierte Mannschaft wehrt sich nicht gegen den Raub. Die drei Zureiter und Pferdepfleger haben sich immer noch nicht gerührt. Einige der Banditen reiten zu ihnen hin, entwaffnen sie und tun ihnen sonst nichts. Jeremy Adams drängt auf Eile, doch nicht nur er weiß, dass der Reiter, der ihnen entkommen ist, zur Hauptranch reiten und dort die Mannschaft alarmieren wird. Es ist ganz sicher, dass es auch diesmal wieder ein scharfes Rennen geben wird. Es wird darauf ankommen, welche Partei als erste die Schluchten erreicht. Sie treiben insgesamt zweihundert Pferde aus den Corrals. Aber weil ihnen dies nicht genug ist, räumen sie auch einige Koppeln aus, obwohl diese Tiere noch jung und nicht zugeritten sind. Sie bekommen jedoch ziemlich schnell eine große Herde von mehr als fünfhundert Tieren zusammen und machen sich damit auf den Rückweg. Sie reiten nicht auf ihrer Fährte zurück, denn sie haben zu sehr die Bodenbeschaffenheit als Deckung benutzen und
deshalb einen Umweg machen müssen. Nun aber geht es geradewegs auf das Million-Cliffs-Land zu, welches im Osten hinter den Hügeln und Senken sich dunkel, zerhackt und zerklüftet gegen den Horizont abhebt. Jeremy Adams reitet an der Spitze und erteilt seine Befehle. Zu Ring Diamond ruft er: »Los, Ring! Nimm die schnellsten Reiter! Reite voraus zur Warbow-Schlucht und halte sie offen für uns! Wir müssen diesen Weg nehmen können, oder wir verlieren die Sache!« Und dann ruft er Barton Kelly heran und befiehlt diesem: »Bart, du nimmst dir zehn Mann und deckst unseren Rückweg. Wenn Verfolger auftauchen, so musst du sie davon abhalten, uns zu dicht auf das Fell rücken zu können. Denn dann können wir die Pferdeherde nicht mehr treiben. Also!« Barton führt den Befehl aus. Denn es bleibt ihm ja nichts anderes übrig. Er bleibt an der rechten Flanke der Herde zurück und ruft jeden zweiten Reiter zu sich, der an ihm vorbeigeritten kommt. Als er jedoch die beiden Mallones sieht, die ziemlich müde im Sattel sitzen und wie Cowboys die Pferde treiben, ruft er sie beide. Er tut es aus einer plötzlichen Eingebung heraus, für die er nicht sogleich eine Erklärung geben könnte. Er spürt aber ganz gewiss eine grimmige Freude dabei, die beiden Mallones gewissermaßen unter seinem Kommando zu haben. Sie gehorchen sichtlich widerwillig, wagen es aber nicht, ungehorsam zu sein, weil bei Barton Kelly ja schon sieben oder acht Reiter versammelt sind und es damit sehr klar ersichtlich ist, dass er Befehlsbefugnis hat. Barton wartet dann mit seinen Reitern, bis die Pferdeherde und ihre Treiber weit genug sind. Dann nickt er seinen Reitern zu und sagt ruhig: »Also, wir decken den Rückzug. Wir reiten weit auseinander gezogen und bleiben eine halbe Meile hinter der Herde. Wir reiten abwechselnd auf Hügelkämmen oder sonstigen Aussichtspunkten. Ich will genau wissen, wann die ersten Verfolger auftauchen und von wo sie kommen werden.
Also, los!« Sie schwärmen aus und folgen der Herde. Und dann währt der Ritt Meile um Meile. Die Zeit vergeht, und es werden nur einmal drei Cowboys der Natchez-Ranch gesichtet, die von einem entfernten Hügelkamm aus beobachten, sich aber nicht nähern. Es wird dann Nachmittag, und alle Tiere sind am Ende ihrer Kraft. Die letzten Meilen werden immer mühevoller, und die Sonne wärmt den aufgewirbelten Staub und lässt alle Reiter und Tiere schwitzen, und der Staub wird zu einer schmierigen Schicht, die Männer und Tiere bedeckt. Das Million-Cliffs-Land ist nun sehr nahe vor ihnen. Die großen Mäuler der Schluchten und Spalten sind einladend geöffnet. Von Verfolgern ist immer noch nichts zu erblicken. Doch dann – als die Pferde schon in die Öffnung der Warbow-Schlucht stolpern – da taucht Abe Natchez mit seinen Reitern auf. Es sind nicht sehr viele Reiter. Gewiss konnte er in der Eile nicht mehr als zwei Dutzend zusammentrommeln. Denn seine Mannschaft ist ja überall auf dem weiten Weidegebiet verteilt. Barton Kelly erkennt ihn sofort, und irgendwie bewundert er ihn jetzt, als er ihn dort an der Spitze seiner Reiter kommen sieht, mit seinen Söhnen und dem Vormann hinter sich. Sie haben diesmal keine Hunde, und die sind auch gar nicht nötig. Diese Verfolgung wird ja mehr oder weniger nur zum Schein durchgeführt. Dies erkennt Barton Kelly mehr und mehr, zumal er bald darauf sicher ist, dass auch Abe Natchez ihn erkannt hat. Ja, diesmal wird Abe Natchez hier nichts riskieren. Er weiß ja und verlässt sich darauf, dass er die Viehdiebe und die Flusspiraten wird erwischen können. Er hat einen Pakt mit Barton Kelly, dessen Gefährte auf seiner Ranch gewissermaßen von den Toten ins Leben zurückgeholt wurde. Er glaubt daran,
dass Kelly den Vertrag halten wird. Und deshalb irritiert es ihn gar nicht, ihn als Anführer der Nachhut zu erkennen. Im Gegenteil! Dass Barton Kelly eine Art Unterführer wurde, ist für Abe Natchez der Beweis, dass Kelly gute Arbeit leistete. Es werden nur wenige Schüsse aus weiter Entfernung gewechselt, dann sind alle Pferde und alle Reiter in der Schlucht verschwunden. Es sieht so aus, als wäre die Natchez-Mannschaft wieder einmal zu spät gekommen. Barton und seine Männer verschanzen sich in der Schluchtmündung. Doch sie haben nicht viel Sorge. Kid Pete Nicol, der auch dabei ist, sagt es mit den Worten: »Die werden es nicht noch einmal wagen, mit Gewalt in eine Schlucht nachzudrängen! Damals schossen wir ihre Hunde ab und wiesen sie mit blutigen Köpfen ab. Damals konnten sie es nicht schaffen. Und heute werden sie es nicht einmal versuchen. Überdies haben wir wieder die richtige Schlucht gewählt. Der Weg durch die anderen Schluchten ist zu lang und bedeutet einen zu großen Umweg, als dass sie uns gefährlich werden könnten. Wir haben gewonnen! Dieses Wettrennen haben wir wieder einmal gewonnen. Ich glaube fast, Abe Natchez wird es für die nächsten Wochen nicht wagen, seine Mannschaften irgendwo zur Arbeit zu stationieren. Er wird jetzt wohl fünfzig Reiter zusammenholen und sich auf die Lauer legen. Doch das wird ihm nichts nützen. Wir sind schlauer, viel schlauer.« Barton wartet noch eine Weile, und er sieht, dass Abe Natchez und seine Reiter keinen Angriff machen werden. Es ist sogar anzunehmen, dass sie erst auf Verstärkung warten und einen Scheinangriff führen. Doch nicht so bald. »Abe Natchez muss eine Herde nach der anderen abschreiben«, sagt einer der Männer. »Ich kann mir denken, dass er sich etwas einfallen lassen wird. Aber was?« Barton Kelly erwidert nichts. Er hockt hinter einigen Felsen
und hat die Männer rings um sich. Sein Blick fällt auf die beiden Mallones, die nicht weit von ihm hinter einem Felsen hocken. Der massige Bill Mallone ist vom Ritt ziemlich erledigt. Er ist solch ein langes und hartes Reiten nicht mehr gewöhnt. Gewiss hat er sich wund geritten und spürt Schmerzen im Rückgrat und in den Nieren. Sein Magen ist sicherlich verkrampft, und das alles sind Schmerzen, die man nach einem solchen Ritt mehr oder weniger stark zu spüren bekommt. Sein Bruder Duff ist zäher. Doch auch er ist erschöpft. Ihr Leben in den Städten hat ihnen schon lange nicht mehr solch eine Härte und Zähigkeit abverlangt. Als Barton die beiden Männer betrachtet, verspürt er wieder seinen heißen Zorn. Und plötzlich weiß er, was er tun wird. Er wendet sich an die anderen Reiter: »Ich brauche euch nicht mehr. Bis auf die beiden Mallones, die sich noch etwas ausruhen müssen, könnt ihr alle verschwinden. Kid, du reitest zu Jeremy Adams und meldest ihm, dass die Natchez-Mannschaft bestimmt keinen Angriff machen wird. Sie versucht es höchstens mit Verstärkung oder durch die benachbarten Schluchten. Doch dann ist der Vorsprung der Herde groß genug. Es wird Nacht sein. Niemand kann uns dann noch durch das Million-Cliffs-Land folgen. Also verschwindet! Ich komme in einer guten Stunde mit den Mallones nach.« Die Reiter gehorchen. Niemand findet etwas dabei. Denn es ist schon fast Abend. In einer guten Stunde wird die Nacht anbrechen. Für alle Reiter ist die Sache längst gewonnen. Denn die Natchez-Mannschaft scheut einen Angriff. Sie erheben sich da und dort aus ihren Deckungen oder treten dahinter hervor. Sie gehen zu ihren Pferden, die hinter einer Felsnase warten, sitzen auf und reiten der Herde nach. Barton Kelly und die Mallones bleiben zurück. Bill Mallone liegt halb hinter einem Felsen. Er ist so erschöpft, dass er fast schläft. Er ist ein unförmiger Koloss und
sicherlich auch sehr stark. Doch es fehlt ihm die Zähigkeit, die in diesem Land jedes Lebewesen besitzen muss. Bill Mallone ist froh, hier ausruhen zu können. Er kümmert sich um nichts und hat anscheinend nicht einmal zugehört, um was sich die Gespräche drehten. Sein Bruder Duff ist ebenfalls sehr erschöpft, doch er blickt wachsam und lauernd auf Barton. Er wittert Gefahr und spürt eine ständig zunehmende Sorge. Langsam richtet er sich auf, und dabei spürt er die schmerzvolle Steifheit und Verkrampfung im ganzen Körper. Diese Steifheit nimmt jetzt mehr und mehr zu, da er sich jetzt in Ruhe befindet. Er erkennt plötzlich die Gefahr. Er wird sich der Tatsache bewusst, dass er seine Revolver gar nicht mehr so schnell wird ziehen können wie sonst. Als er die Hand hebt, um sich über das Gesicht zu wischen, kann er dies nur mühsam und unter Schmerzen. Dieser Ritt hat ihn schlimm zugerichtet. Er blickt auf Barton, immerzu und wachsam. Und Barton hat ein Gewehr über den Knien liegen, dessen Lauf wie zufällig auf die Mallones gerichtet ist. Er betrachtet sie und grinst. Dabei legen sich seine Finger spielerisch um den Kolbenhals, und der Zeigefinger liegt nun am Drücker. »Was ist?«, fragt Duff Mallone. Er bemüht sich, seiner Stimme einen kalten und spöttischen Klang zu geben. Doch es gelingt ihm nicht. Jede Minute, die er jetzt ruhig und ohne Tätigkeit und Bewegung verbringt, verstärkt die schmerzvolle Steifheit und Muskelverkrampfung. »Ihr zwei Schufte, jetzt habe ich euch in der Klemme«, sagt Barton Kelly ruhig. »Wenn ich den Finger bewege, bist du tot, Duff Mallone. Und du weißt es. Der Ritt hat dich erledigt, weil du es nicht mehr gewöhnt warst. Ihr seid wie eine Ratte und wie ein fetter Fleischerhund in Saint Louis herumgelaufen und habt ein körperlich sehr bequemes Leben geführt. Das rächt sich jetzt. Du kannst deine Arme nicht mehr so blitzschnell
bewegen, Duff Mallone.« »Willst du dich rächen? Willst du uns umbringen?« Duff Mallone fragt es hohnvoll. Und ohne auf eine Erwiderung zu warten, fügt er hinzu: »Dabei sind wir die einzigen Menschen auf dieser Erde, die dir und dem alten Boxer die Ehre wiedergeben könnten. Ja, wir allein könnten bezeugen, dass ihr damals den Bankraub nicht ausgeführt und den Kassierer und Filialleiter nicht erschlagen habt.« Barton erhebt sich mit dem Gewehr, macht drei schnelle Schritte und schlägt dann mit dem Lauf zu. Duff Mallone bekam seinen rechten Revolver zwar noch aus dem Holster. Doch er konnte ihn nicht mehr auf Barton richten und abdrücken. Er war zu langsam, viel zu langsam. Er war einen ganzen Tag und zuvor eine ganze Nacht im Sattel. Der Ritt ging durch raues Gelände. Das war zuviel für ihn. Seine Muskeln und Sehnen gehorchten ihm nicht mehr so blitzschnell. Sein Bruder ruckt aus einem Halbschlaf der Erschöpfung. »He!« So krächzt er erschrocken und will das Gewehr aufnehmen und auf Barton richten. Doch dieser ist schneller. Er erreicht ihn mit zwei Sprüngen und trifft ihn hart mit dem Gewehrlauf. Er holt ein Lasso und bindet die Mallones. Als er sie durchsucht, findet er heraus, dass jeder von ihnen einen Geldgürtel unter der Wäsche auf der bloßen Haut trägt. Er öffnet eine der Taschen, die an dem Gürtel festgenäht sind. Er sieht nagelneue Banknoten, Hundertdollarnoten. Und da schöpft er Hoffnung. Er tritt aus den Felsen heraus und in die Schluchtöffnung. Er winkt Abe Natchez und dessen Reitern zu. Sein Winken wird verstanden. Abe Natchez taucht zu Pferd auf und kommt allein herübergeritten. Barton bewundert den Mut des alten Falken,
und er wird sich zugleich bewusst, dass Abe Natchez ihm vertraut, dass er an ihren Pakt glaubt. Aber vielleicht verlässt er sich auch doch sehr auf die Tatsache, dass Tob White ja auf seiner Ranch und damit in seiner Hand ist und Barton Kelly deshalb keinen Betrug wagen wird. Er kommt langsam und wachsam herangeritten, hält an und blickt auf Barton nieder. »Nun, das ist gute Arbeit, Barton Kelly«, sagt er. »Sie wurden ein Unterführer der Bande und bildeten mit einer Gruppe die Nachhut. Jetzt haben Sie die Männer fortgeschickt, nicht wahr? Die Nacht ist bald da und eine Verfolgung ohnehin nicht mehr möglich, nicht im Million-Cliffs-Land, in dem sich erfahrene Männer selbst bei Tag verirren, in Sackgassen geraten und den Weg verlieren. Nun, Barton, ich erwarte weiterhin solch gute Arbeit. Wir haben euch heute nur zum Schein verfolgt. Ich will, dass die Herde verladen wird und die Riverqueen den Strom hinunterfährt. Am Red Rock warte ich! Am Red Rock rechne ich mit der ganzen Bande ab. Und ich ließ sogar eine Abteilung Kavallerie und einen US-Marshal kommen, der für dieses Territorium zuständig ist. Ich will die Bande richtig erledigen, doch innerhalb des Gesetzes. Und ich verspreche Ihnen, Barton, und Tob White freien Abzug, wenn Sie erfolgreich sind. Der Marshal wird beide Augen zudrücken und Sie nicht sehen. Springen Sie nur rechtzeitig über Bord, wenn die Riverqueen auf Grund sitzt. Ich sehe, dass Sie ein rotes Halstuch tragen. Wenn Sie über Bord gehen, dann werfen Sie den Hut weg und binden sich das Halstuch als Kopftuch um. Meine Leute werden dann nicht auf Sie schießen. Das rote Tuch wird gut zu erkennen sein, auch wenn Sie im Wasser schwimmen und darauf achten, dass es nicht zu nass wird.« Barton ließ ihn ausreden. Denn er erkennt die harte und barsche Art des alten Falken. Nun aber sagt er: »Wie geht es Tob White? Das ist mir wichtiger als alles andere, Mister Natchez. Wie geht es meinem alten Gefährten?«
»Er ist über den Berg und braucht nicht mehr gefüttert zu werden«, erwidert Abe Natchez. »Er wird mit jedem Tag kräftiger und gesünder. Er bekommt alles, was er sich wünscht und wir ihm geben können. Wir halten die Abmachung ein. Er ist uns ein wertvoller Gast.« Barton blickt einige Sekunden in die Augen des Ranchers, und er erkennt dort, dass er nicht belogen wird. Er verspürt ein frohes Gefühl. Also wird Tob vielleicht doch noch etwas Spaß haben auf dieser Welt, denkt er. Nun erinnert er sich an die beiden Mallones. Und da er Abe Natchez ja schon damals auf der Ranch die ganze Geschichte erzählt hat, fällt es ihm nun leicht, den Rancher mit wenigen Worten zu unterrichten. Er spricht leise, obwohl sie ziemlich weit von der Stelle entfernt sind, wo die beiden gefesselten und wahrscheinlich noch bewusstlosen Mallones liegen. Als er verstummt, grinst Abe Natchez und klatscht sich auf den Oberschenkel. »Was für ein Glück man mitunter doch auf dieser Welt haben kann«, sagt er und betrachtet Barton Kelly kopfschüttelnd, so als könnte er es gar nicht fassen, Barton als Glückspilz zu sehen. Und dann stellt er die Frage: »Und was sollen wir mit den Mallones anfangen? Was wünschen Sie sich, mein Junge?« Barton sagt es fast bedächtig. Dabei blickt er Abe Natchez fest an. »Wir müssen einen Weg finden, dass sie vor Zeugen zugeben, mich und Tob reingelegt zu haben. Denn es gibt keinen Zweifel für mich, dass sie die Bankräuber sind, die den Filialleiter getötet haben. Sie tragen Geldgürtel auf den bloßen Körper geschnallt. In diesen Geldgürteln befinden sich Banknoten, und ich denke, es sind jene Banknoten, die man bisher noch nicht herbeischaffen konnte. Man hat bei Gericht angenommen, Tob und ich, wir hätten das Geld irgendwo
versteckt oder an einen Vertrauten weitergegeben. Die Mallones besitzen es. Schon dies ist ein ziemlich wichtiger Beweis. Nun, ich denke mir, dass Sie die Mallones erst einmal festnehmen und auf der Ranch gefangen halten. Es trifft sich gut, dass Sie einen US-Marshal zur Hand haben. Dieser Mann kann die Mallones verhören. Er kann behaupten, er wäre ihnen mit einem schnellen Flussboot gefolgt. Und später, wenn ich die Riverqueen auf Grund gesetzt habe, nehmt ihr mich zum Schein gefangen und sperrt mich mit ihnen zusammen. Wenn dafür gesorgt wird, dass Zeugen unsere Gespräche belauschen können, würde …« »Ich verstehe«, nickt Abe Natchez. Und er fügt hinzu: »Dann dürfen die Mallones aber jetzt nicht erfahren, dass wir Partner sind und zusammenarbeiten. Dann …« »… muss es so aussehen, als hätte ich sie nur aus Rache überwältigt und zurückgelassen«, übernimmt Barton das Wort. »Ich gehe jetzt zurück«, spricht er weiter. »Und dann lege ich den Mallones zum Schein ein Stück Papier auf die Brust. Darauf schreibe ich, dass sie zwei Verbrecher wären, die in Saint Louis wegen Mordes gesucht würden.« »Ich verstehe«, nickt Abe Natchez. »Ja, so können wir es machen. Ich verspreche Ihnen, Barton, dass wir sie richtig einwickeln und behandeln werden. Ich helfe euch gern, weil ich den Eindruck habe, dass auch Sie mir ehrlich helfen wollen. Und ich verkenne nicht, dass Sie sich in äußerste Gefahr begeben.« »Nicht nur ich«, erwidert Barton. »Es wird auch ein Mädchen an Bord sein. Und ich werde bei ihr an Bord bleiben und mich mit ihr und ihrem Vater in eine Kabine einschließen, bis die Riverqueen genommen ist oder die Banditen sich ergeben haben.« Danach gibt es zwischen den beiden Männern nichts mehr zu sagen. Abe Natchez kehrt zu seinen Männern zurück. Barton aber begibt sich zu den Mallones.
Die Dämmerung hat hier in der Schlucht zwischen den Felsen schon eine ziemliche Dunkelheit geschaffen. Barton holt ein Stück braunes Papier aus seiner Satteltasche. Auf den Knien schreibt er dann mit der Spitze seiner Patrone: Dies sind Duff und Bill Mallone. Wegen Mordes in Saint Louis gesucht! Als er damit fertig ist, hockt er sich bei Duff Mallone nieder und knufft ihn in die Seite. Es dauert aber noch einige Minuten, bis Duff Mallone einigermaßen klaren Kopf hat. Auf seiner Stirn prangt nämlich eine blutende Beule. Er starrt böse zu Barton auf. Und dieser hält ihm das Papier vor die Nase und lässt ihn lesen, was er geschrieben hatte. Und dann sagt er zu ihm: »Ihr habt Tob und mich zu Geächteten gemacht. Nun werdet ihr selbst Geächtete. Und weil ich euch noch eine Gemeinheit zurückzahlen muss, übergebe ich euch diesen Rinderleuten. Sie werden bald in die Schlucht kommen, euch finden und den Zettel lesen. Sie werden begreifen, dass sich jemand an euch rächen wollte, und ich wette, sie werden euch festhalten und in Saint Louis anfragen, ob ihr dort verlangt werdet. Viel Spaß!« Nach diesen Worten geht er zu seinem Pferd und sitzt auf. Er schießt einige Male das Gewehr ab und reitet davon. Er achtet nicht auf Duff Mallone, der ihm nachruft: »Nun reite doch nicht fort, Barton Kelly! Bleibe doch noch! Warte! Wir müssen uns doch einigen können! He, ich verspreche dir, dass wir irgendwo unsere Aussagen zu Protokoll geben, die dich und Tob White wieder ehrbar machen. He, ich …« Weiter hört Barton nichts mehr. Und Duff Mallone gibt es auch auf. Sein Bruder Bill erwacht jetzt stöhnend und fragt ächzend, was denn eigentlich passiert ist.
Da sagt ihm Duff mit klirrender Kälte und bitterer Resignation: »Es ist gar nichts passiert, guter Bill, gar nichts! Barton Kelly hat uns nur auf die Köpfe geschlagen und band uns dann mit einem Lasso, damit wir uns ein wenig wundern – nur wundern!« »Ich wundere mich auch«, ächzt Bill, und sein schmerzender Kopf, in dem ohnehin kein bemerkenswertes Hirn steckt, macht ihm noch Schwierigkeiten. »Ich wundere mich sehr«, ächzt er. »Was bezweckt dieser Boxer denn sonst noch …« »Du Dummkopf«, unterbricht ihn Duff. »Wenn wir wieder in Saint Louis sind und dort zum Tod verurteilt werden, weil wir Sam Flynn in den Fluss warfen und ein Liebespaar uns dabei beobachtet und erkannte, dann wirst du schon begreifen, was dieser Barton Kelly bezweckt hat, als er uns auf die Köpfe schlug und ein Lasso um uns wickelte. Er hat uns reingelegt. Wir sind mit der Riverqueen nur in dieses Land gekommen, um ihn zu treffen, um von ihm reingelegt zu werden und …« Ihm versagt die Stimme vor Grimm.
13 Als der Morgen graut, holt Barton Kelly die Bande wieder ein, und sie befinden sich nun schon tief im Million-Cliffs-Land mit der Herde und haben während der langen Nacht ihre Fährte so verwischen können, dass ihnen Fährtenleser mit viel Mühe nur ganz langsam folgen könnten und irgendwo dann doch die Fährte verlieren würden. Jeremy Adams reitet etwas zur Seite, als er Barton Kelly auf sich zukommen sieht. Er nickt ihm zu und fragt dann mit einem lauernden Unterton: »Ich sehe die beiden Mallones nicht. Da sie unmöglich allein den Weg finden können, hast du sie auch nicht als Beobachter oder Nachhut zurücklassen können. Wo sind die beiden Mallones?« Barton blickt ihn fest an und erwidert: »Sie kommen nicht mehr!« Er sagt es hart und endgültig. Und er fügt erklärend hinzu: »Es gab einen Kampf!« Jeremy Adams betrachtet ihn scharf, und einen Moment sieht es so aus, als wollte er explodieren. Doch er beherrscht die jäh in ihm aufsteigende Wut. »Nun ja«, murmelt er, »an deiner Stelle hätte ich es ihnen nicht anders zurückgezahlt. Ich will fair sein, Barton. Ich sehe ein, dass sie dich und den alten Tob schlimm reingelegt hatten. Kein Mann kann sich das bieten lassen, und sie waren auch keine große Hilfe. Sie waren schnell schlapp. Und du hast sie sicherlich erledigen können, weil ihre Muskeln steif und verkrampft waren. Du hattest es leicht, nicht wahr?« »Es ging«, erwidert Barton, und kein Muskel bewegt sich in seinem Gesicht. Er wirkt sehr starr und hart. Jeremy Adams überlegt noch einige Sekunden. Dann
wendet er sein Pferd und reitet der Herde nach. Barton folgt ihm schweigend, und er hat kein gutes Gefühl in sich. Irgendwie spürt er deutlich das Misstrauen des Banditen. Er kann nicht glauben, dass die Sache für Jeremy Adams so einfach erledigt ist. Im Osten steigt dann wenig später die Sonne auf und wärmt den Tag, die müden Pferde und Reiter. Sie reiten und treiben nun langsam, denn sie fühlen sich wieder sicher in dem wilden Land, umgeben von den felsigen Hügeln, den Million-Cliffs, und in den Schluchten, Senken und Furchen, in denen sich zwei Armeen voreinander verstecken könnten. Am späten Nachmittag sind sie dann am Ziel, und sie alle saßen nun zwei Nächte und fast zwei Tage im Sattel. Sie alle sind erschöpft und voller Schmerzen. Denn selbst die härtesten und zähesten Burschen unter ihnen spüren die Nachwirkungen dieses Rittes durch raues Land, wobei noch eine große Herde von Pferden getrieben werden musste, was eine harte Arbeit war. Es sind nicht sehr viele Männer, die noch für einen kurzen Drink in den Saloon gehen. In dieser Nacht ist es in der Banditensiedlung sehr ruhig. Denn die ganze Bande schläft sich die Strapazen, die Müdigkeit und all die Folgen des harten Rittes und des Treibens aus den gemarterten Körpern. Und am nächsten Morgen werden auch die zähesten Burschen etwas steif sein. Auch Barton schläft in seinem Quartier mit all den anderen Männern. Er steht jedoch am anderen Morgen schon am Wassertrog und rasiert sich, als Jeremy Adams die Glocke zum Frühstück läuten lässt und auch selbst durch die Blockhäuser und Hütten geht, um seine Männer zu wecken und baldmöglichst in die Sättel zu bringen. Eine Stunde später sind sie wieder im Sattel und treiben die Pferdeherde in Richtung Fluss. Die Sattelarbeit treibt ihnen die schmerzende Steifheit aus den Körpern, aber sie alle sind
wortkarg und mehr oder weniger mürrisch. Denn die meisten der Männer hätten erst noch gerne in der Siedlung für einen Tag und eine Nacht etwas Spaß gehabt. Sie grollen ihrem Anführer wegen dessen Eile, und manche Männer fluchen laut. Sie treiben die Pferde ziemlich langsam und lassen sie unterwegs mehrmals für eine Weile grasen und trinken, wenn sie durch Bäche furten oder grüne Wiesen überqueren. Am Nachmittag sind sie dann am Fluss, und ihre Herde ist immer noch ausgeruht, satt und eigentlich sehr zufrieden. Das ruhige Wandern mit den Pausen zum Grasen und Trinken hat auch den Pferden gut getan. Als sie den toten Nebenarm des Flusses erreichen, ist die Riverqueen schon bereit. Sie brauchen dann etwa drei Stunden, um alle Tiere an Bord zu nehmen. Dann ist das Schiff mit Pferden angefüllt, und als es ablegt und sich das mächtige Schaufelrad zu drehen beginnt, da bebt und ächzt es in allen Fugen. Es ist ein altes und morsches Schiff, und jede Fahrt ist sicherlich ein großes Wagnis. Der Ingenieur Boston schwört immer wieder, dass bei der nächsten Fahrt die Kessel wie Seifenblasen auseinander platzen werden. Die Riverqueen dreht im alten Flussarm und manövriert sich dann langsam und mit dem Geschick eines Bullen, der durch einen Kakteenwald wandert, durch all die Felsen und Klippen zum Hauptarm hin. Die Reiter finden sich im Saloon ein, wo ein Essen auf sie wartet. An der Reling des Passagierdecks, dicht neben der Tür zum Saloon, da steht Louis Hibbs. Barton stutzt leicht, als er Hibbs an Bord sieht. Sie blicken sich indes an, und da kann Barton in den Augen des Mannes alles erkennen. Hibbs bewegt den rechten Arm. Er hebt die Hand und ballt sie zur Faust und schließt sie wieder. »Noch einige Tage«, sagt er leise, »dann bin ich wieder
schnell genug mit dieser Hand, um dich töten zu können, Barton Kelly. Ich dachte mir, dass du vielleicht gar nicht wieder zurückkommen möchtest. Und da bin ich mitgefahren. Du entkommst mir nicht. Ich bleibe jetzt in deiner Nähe. In einigen Tagen tragen wir es aus.« Er wendet sich nach diesen Worten ab und geht langsam davon. Barton blickt nach links, denn dort hat sich eine der Erster-Klasse-Kabinen geöffnet. Alex Grand und Elizabeth treten heraus. Du lieber Himmel, denkt Barton. Sie sind wahrhaftig an Bord. Sie müssen die Herde im Verlauf des Tages überholt haben oder sogar schon vorher zum Schiff aufgebrochen sein. Alex Grand nickt Barton Kelly ruhig zu und lächelt auf seine ernste Art. Auch Elizabeth lächelt ernst. »Guten Appetit, Barton Kelly«, sagt sie deutlich. Dann nimmt sie den Arm des Vaters und geht nach vorn. Hinter und neben Barton drängen Männer in den Saloon. Texas Alamo Uvalde, der auch mit an Bord ist und keinen Schulterverband mehr trägt, schlägt Barton leicht auf die Schulter und sagt: »Keinen Hunger, alter Junge? Ja, Elizabeth und ihr Vater sind an Bord. Sie wollen irgendwohin zu einem neuen Anfang. Und warum auch nicht. Jeder von uns sollte das versuchen. Ich wünsche ihnen Glück! Komm, Bart! Drinnen gibt es prächtige Steaks. Sie haben für uns ein Kalb geschlachtet!« Er drängt Barton hinein. Und indes sie alle drinnen hungrig und durstig über Speise und Trank herfallen, findet die Riverqueen im letzten Licht des Tages ihren Weg zum Fluss und biegt dann um den großen Felsen herum, der die Mündung des toten Nebenarmes so geschickt verbirgt, dass man, wenn man vom Strom herüberblickt, nur an eine Ausbuchtung des Stromes glaubt. Die Riverqueen schwenkt nach Steuerbord, kommt
allmählich in die Strommitte des Missouri und schwimmt langsam stromab. Kapitän Brian McLane fährt noch vorsichtig, denn der Übergang vom Abend zur Nacht ist noch nicht völlig abgeschlossen. Mond und Sterne strahlen noch nicht klar und sauber und erhellen die Nacht. Die Dämmerung ließ noch jene Schleier zurück, die sich erst lichten müssen. Doch bald wird die Riverqueen in einer silbernen Mondnacht auf einem silbern glänzenden Strom eine gute Fahrt machen können – so sollte man glauben. Doch es gibt bald darauf einen Aufenthalt. Es ist keine Stunde später, als man an Bord auf ein großes Feuer aufmerksam wird, welches dicht am Wasser auf einer spitzen Landzunge brennt, die weit in den Fluss ragt. Es ist ein riesiges Feuer, ganz deutlich ein Zeichen, ein Signal, welches Aufmerksamkeit erregen soll. Ein Mann bewegt sich schnell und flink und wirft immer wieder neue Zweige und trockenes Gestrüpp in die Flammen, sodass sie mehr als mannshoch lodern und alles in ihrer Umgebung in der ohnehin schon hellen Nacht deutlich erkennen lassen. Denn es ist noch außer dem flink und willig sich bewegenden Mann jemand da, der gesehen werden will. Dies ist völlig klar und ersichtlich und begreifbar. Es ist eine Frau. Sie steht dicht beim Wasser auf einem großen Stein, und das Feuer beleuchtet sie. Sie hält ein Kind in den Armen. Barton Kelly erkennt sie sofort. Es ist Eva Natchez, Abe Natchez’ Tochter. Und der flinke Mann, der das grelle Feuer schürt, ist ein Indianer, einer von den zahmen und zu Christen gewordenen Roten, die Abe Natchez beschäftigt und die es recht gut bei ihm haben. Barton Kelly wendet sich um, und sein Blick sucht die Reihe der Männer ab, die längs der Reling des Passagierdecks stehen. Sein Blick findet Jeremy Adams, denn auch dieser kam
aus dem Saloon und steht nun gar nicht weit von ihm. Über die Köpfe zweier kleiner Männer hinweg kann Barton ihn beobachten. Jeremy Adams ist wie erstarrt. Seine Hände hat er auf der Reling liegen, und sie sind so verkrampft, als wären sie dort angenagelt oder festgeklebt. Sein ganzer Körper ist vorgeneigt und wie erstarrt. Er späht starr hinüber, löst dann eine Hand von der Reling und fährt damit über sein Gesicht. Die Frau winkt heftig, denn das Flussschiff ist nun mit dem Feuer auf gleicher Höhe. Ein schriller Ruf tönt herüber. Und nun hören und verstehen sie es alle an Bord: »Jeremy! Jeremy! Fahr nicht vorbei!« Barton Kelly hält den Atem an. Denn er versteht dies alles sehr gut und kann sich alles vollkommen erklären. Es ist ja so einfach: Eva Natchez will den Vater ihres Kindes retten. Sie hat auf der Ranch irgendwelche wichtigen Dinge in Erfahrung bringen können. Sicherlich hat sie unter dem Dienstpersonal einige Vertraute, die für sie lauschten und spionierten. Sie erfuhr sicherlich alles, was auf Jeremy Adams und die Bande wartet. Und da machte sie sich auf den Weg. Ein Indianer, dessen Treue sie besitzt, brachte sie zum Fluss und genau an die richtige Stelle. Und da steht sie nun mit ihrem Kind und wartet. Sie will an Bord genommen werden. Sie will mit Jeremy Adams den Fluss hinunterfahren. Sie will ihn gewiss nicht nur warnen und ihm von Barton Kellys Doppelspiel berichten. Nein, sicherlich will sie für immer bei ihm bleiben. Sie wird ihn heiraten wollen, und sie wird ihn bedrängen, mit ihr und dem Kind ein neues Leben zu beginnen. Sie wird ihn bedrängen, dass er mit ihr und dem Kind in ein anderes Land geht und alles gut wird. So ist es und nicht anders. Barton Kelly weiß es, ahnt es, spürt es, und er kann es sich ausdenken. Einige Männer an Bord, die wissen ebenfalls einigermaßen Bescheid, denn sie kennen diese Geschichte von
einem Cowboy, der mit der Tochter seines Ranchers durchbrannte, der eingeholt, schlimm ausgepeitscht und aus dem Land gejagt wurde und aus dem dann ein Bandit und Viehdieb wurde, der in dieses Land zurückkehrte, um Abe Natchez auszuplündern. Und die Verhältnisse begünstigten ihn. Ja, nicht wenige Männer wissen einigermaßen Bescheid. Sie alle beobachten Jeremy Adams. Sie wissen, dass er sich jetzt binnen weniger Sekunden und höchstens einer Minute entscheiden muss. Aber wie wird er sich entscheiden? Wird er das Mädchen an Bord holen, welches vor Gott und gegen den Willen ihres Vaters seine Frau werden will? Wird er es tun und damit einen deutlichen Schlussstrich unter sein bisheriges Leben machen? Von oben ruft Brian McLanes Stimme aus dem Steuerhaus nieder: »He, Jeremy! Soll ich näher ans Ufer gehen? Soll ich das Boot aussetzen und dein Mädel an Bord holen lassen? Sag es mir! Sag mir nur ein einziges Wort, mein Junge!« Brian McLanes Stimme klingt ein wenig brüchig, wie es scheint vor Rührung. Und es ist auch ein ergreifendes Bild, wie die junge Frau dort am Feuer steht, winkend und mit dem Kind. Im Hintergrund wartet der wie ein Weißer gekleidete Indianer. »Nimm mich mit, Jeremy!« So klingt es herüber. Und da hat Jeremy Adams sich entschlossen. Er hat seine halbe Minute gehabt. Nun ruft er laut und klar herüber, sodass man es durch die Geräusche des langsamer sich drehenden Schaufelrades hören kann: »Es ist zu spät, Eva! Zu spät für uns! Es kann keinen neuen Anfang mehr geben!« Und dann wendet er den Kopf, blickt zum Steuerhaus hinauf und ruft klirrend: »Schneller, McLane! Schneller! Volle
Kraft!« Barton Kelly atmet langsam aus, indes die Riverqueen wieder Fahrt macht und die junge Frau am Ufer am Feuer kleiner und kleiner wird. Sie ruft nichts mehr. Sie winkt nicht mehr. Sie steht nur bewegungslos mit dem Kind da und blickt dem stromab sich entfernenden Schiff nach. Wenn Jeremy Adams sie an Bord genommen hätte, wäre er gewarnt worden. Eva Natchez war weit genug zu ihm gekommen. Den letzten Schritt hätte er tun müssen. Aber er tat es nicht. Nun wird er verloren sein. Doch er weiß es noch nicht. Er wendet sich ab und geht zur Tür des Saloons. »Wir werden einige Flaschen Whisky köpfen, Jungens! Ihr habt lange keinen Spaß gehabt! Ja, wir werden eine kleine Vorfeier auf die Dinge machen, die wir uns in Kansas leisten wollen.« So ruft er über die Schulter. Und die Bande folgt ihm. Nur Barton bleibt zurück. Er wandert auf dem Passagierdeck nach hinten, und er kann dann auch das tiefer gelegene Hauptdeck sehen, welches mit Brennholzstapeln und angebundenen Pferden bis auf den letzten Quadratzoll belegt ist. Dann tritt jemand zu ihm. Es ist Elizabeth Grand, die aus ihrer Kabine gekommen ist. Als Barton einmal den Kopf wendet, erkennt er ihren Vater im Hintergrund. »Du willst es wagen, Bart?«, fragt sie sanft und kommt dicht neben ihn. Er kann im hellen Mondlicht den Ausdruck in ihren Augen erkennen, und so weiß er, dass sie sich große Sorgen macht, doch entschlossen ist, bei ihm zu bleiben und zu helfen, wo es notwendig ist. »Ich muss«, sagt er. »Ich habe es versprochen. Und überdies …« Er berichtet von den beiden Mallones und sagt abschließend: »Abe Natchez wird mir also auch in dieser
Hinsicht helfen. Er hat einen Anspruch darauf, dass ich zu ihm halte und seinen Wunsch erfülle. Jeremy Adams hat seine Chance gehabt, jetzt soeben noch! Wenn er das Mädchen an Bord genommen hätte, welches ihn liebt oder geliebt hat und welches gerne seine Frau geworden wäre, nun, dann wäre er jetzt gewarnt. Er hatte seine Chance. Aber er fuhr daran vorbei. Er sagte, es wäre zu spät. Nun, er hat es richtig gesagt. Gleich sind wir am Red Rock! Geh mit deinem Vater in die Kabine, Liz! Und lasst euch nur nicht blicken, wenn das Schiff am Ufer festsitzt und die Kugeln pfeifen. Gleich sind wir am Red Rock. Ich muss hinauf!« Er will sich von ihr entfernen, doch sie hält ihn fest. »Nicht so, Barton Kelly«, sagt sie, »nicht so! Ich kann dich nicht von deinem Vorhaben abhalten, denn ich sehe ein, dass es eine Chance für dich ist und dass du deinen Vertrag mit Abe Natchez einhalten musst. Ich will dir etwas mit auf den Weg geben, Barton Kelly!« Und sie stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst ihn. Da umfasst er sie, und er hält sie drei Herzschläge lang fest. »Es würde so herrlich sein«, murmelt er dann, »wenn wir alles Schlimme überwinden könnten, wenn wir einen guten Start und Anfang finden könnten. Du lieber Gott im Himmel …« Er bricht ab, löst sich von dem Mädchen und geht zu der Treppenleiter hin, die hinauf zum Sturmdeck und von dort zum Steuerhaus führt. Er kommt an Alex Grand vorbei und hält kurz inne, als er sieht, wie der Spieler eine leichte Handbewegung macht. Und Grand sagt: »Mein Junge, wenn du davonkommst, dann nimm sie und geh mit ihr in ein Land, wo ihr glücklich werden könnt. Sie ist etwas, was ein Mann sich sicherlich wünscht, was jedoch nur wenige Männer in dieser Vollendung bekommen können. Viel Glück, Bart! Und solange ich hier stehe, kommt niemand auf diesem Weg nach oben.«
»Das ist nicht nötig«, murmelt Barton. »Sorgen Sie lieber für Ihre Tochter. Sorgen Sie dafür, dass sie einen sicheren Platz findet, wenn die Kugeln fliegen. Bringen Sie Liz in eine sichere Kabine!« Er geht weiter, und am Fuß des Aufganges hält er noch einmal inne und späht das Passagierdeck entlang bis zur Tür des Saloons. Sie steht offen. Und nun kommt Louis Hibbs dort heraus und stellt sich an die Reling. Aus dem Saloon tönt das Stimmgewirr der Männer, die ganz gewiss ein wildes Gelage feiern werden, wenn nichts geschieht, was sie daran hindert. Louis Hibbs blickt zum Aufgang. Seine Augen haben sich schon an das Mond- und Sternenlicht gewöhnt. Er kann Barton sicherlich erkennen. Und Barton steigt langsam und scheinbar lässig hinauf. Er wirkt wie ein Mann, der sich langweilt und die Zeit vertreiben will und der deshalb hinauf zum Sturmdeck oder gar ins Ruderhaus klettern möchte. Oben trifft er auf den viereckig und so ungeheuer breit wirkenden Lee Simson. Er sitzt auf einer sockelartigen Erhöhung, durch die der Steuerbord-Schornstein aus dem Sturmdeck gegen den Nachthimmel stößt und immer wieder Qualm und Feuerfunken ausspeit. Der Bootsmann hat seinen breiten Rücken gegen den Schornstein gelehnt und scheint eingenickt zu sein. Aber als Barton an ihm vorbei zur Treppenleiter des Steuerhauses will, bewegt er den Kopf und fragt brummig: »Was ist los, Boxer? Was willst du hier oben?« »Die Luft hier oben ist besser, und ich habe keine Lust, mich zu betrinken. Jeremy Adams hat ein Fest begonnen. Alle trinken sie. Doch ich habe keine Lust. Hier oben im Sternenschein und Mondlicht ist es schön.« Indes er spricht, erhob sich der Bootsmann und trat neben ihn, ganz so, als wollte er ihn nur ausreden lassen und dann vom Sturmdeck weisen. Doch Barton zeigt gen Himmel und fügt seinen ersten
Worten hinzu: »Und heute leuchtet mein Stern besonders hell! Jeder Mensch besitzt ja bekanntlich einen Stern. Und dieser dort, das ist meiner.« »Welcher?«, fragt der Bootsmann und starrt unwillkürlich hinauf zu den Sternen. Da trifft ihn Barton ans Kinn, dann unter die unterste Rippe auf die Leber und mit einem rechten Schwinger auf Kinnwinkel und Ohr. Es sind drei harte, präzise und mit aller Kraft geschlagene Schläge. Sie werden von einem Boxer geschlagen, der es gelernt hat, all seine Kraft und sein Gewicht hinter die Schläge zu setzen. Und so ist es eigentlich kein Wunder, dass sogar solch ein massiger und harter Bursche wie der Bootsmann zu Boden geht. Barton gleitet um den Schornstein herum und erreicht den Fuß der Treppenleiter, die hinauf zum Steuerhaus führt. Oben taucht der dunkle und indianerhafte Steuermann Randolph Hibbs auf, der mit dem Revolverhelden Louis Hibbs zwar nicht verwandt ist, doch aber mit diesem eine Sache gemeinsam hat: sie sind beide sehr gefährlich. Es ist sicher, dass er von dem kurzen Kampf nichts sehen konnte, denn der Schornstein, einige Entlüfter und andere Aufbauten verbargen doch sehr viel von dem kurzen Geschehen. Doch er fragt wachsam: »He, wo ist Simson? Was willst du hier, Langreiter? Aaah, bist du nicht der Boxer?« »Ich soll von Jeremy Adams etwas ausrichten«, erklärt Barton schlicht und entert die Treppenleiter hinauf. Als er fast oben ist, hält ihn der Fuß des Steuermannes auf, der von oben vor seine Schulter gestemmt wird. »Hier kommt keiner rauf außer den Piloten«, sagt der Steuermann. »Nur der Kapitän, ich und der Bootsmann kommen hier herauf. Also sag, was du willst, Boxer!«
Barton sagt kein Wort. Aber er packt blitzschnell den Fuß und reißt mit aller Kraft daran. Randolph Hibbs stürzt von oben auf ihn nieder, reißt ihn mit, und beide fallen sie auf das Sturmdeck. Barton Kelly hat Pech, denn der indianerhafte und pantherschnelle Steuermann fällt auf ihn und knickt ihm einige Rippen an. Der Sturz nimmt Barton den Atem und für einige Sekundenbruchteile die Übersicht. In diesem einen Sekundenbruchteil will eine panikartige Verzweiflung von ihm Besitz ergreifen, doch dann beginnt er wieder zu kämpfen. Er stößt seine Faust von unten herauf in Randolph Hibbs’ Gesicht und trifft ihn. Er kann sich unter Hibbs wegwälzen und kommt mit ihm zugleich auf die Beine. Hibbs trifft ihn rechts und links und mehrmals schwer. Doch Barton Kelly nimmt die Schläge. Er weiß, dass er sie aushalten kann und sucht nur seine Chance für einen einzigen Schlag. Er bringt ihn dann an, und er trifft den Steuermann unter das Kinn, sodass Randolph Hibbs rückwärts marschiert und mit den Armen rudert. Doch gewiss wäre der Steuermann auf den Rücken gefallen, wenn er an der Reling des Sturmdecks keinen Halt gefunden hätte. Es ist eine sehr primitive Reling, eigentlich nur ein einfaches Geländer. Und die Holzholme zwischen den Eisenstäben sind schon von Wind und Wetter recht morsch. Der Steuermann findet nur kurzfristig Halt, genau gesagt, für eine Frist von weniger als einer Sekunde. Gerade als er sich abstoßen und sein Gewicht nach vorn verlagern will, um angeschlagen und benommen gegen den Gegner anzurennen, da gibt das Holz nach. Der Steuermann fällt etwa sieben Yards tief vom Sturmdeck in den Fluss. Und ein wilder und verzweifelter Schrei gellt durch die Nacht und all die Geräusche des stromab fahrenden Schiffes. Barton Kelly wirbelt herum und blickt zum Steuerhaus
hinauf. Er weiß, dass er nun nur noch wenige Minuten Zeit hat. Denn auf Steuerbord, gar nicht mehr viel voraus, hebt sich deutlich der Red Rock gegen den Nachthimmel ab. Und oben hört er nun den Kapitän Brian McLane fluchen. Der Kapitän wagt es sogar, für einen Moment das festgemachte Steuerrad zu verlassen, obwohl das Schiff nun in die gefährliche Fahrrinne der Klippen des Red Rocks gerät. Kapitän Brian McLane taucht mit einem schussbereiten Revolver in der Tür über der Treppe des Steuerhauses auf. Gewiss sah er schon zuvor mit einem raschen Blick über die Brüstung oder aus dem Fenster oder der Tür, das sein Steuermann mit einem der Reiter kämpfte. Nun sieht er den Reiter, erkennt ihn als den Exboxer und begreift – denn er hört es ja –, dass sein Steuermann in den Fluss geworfen worden ist. Er schießt sofort und ohne etwas zu rufen oder zu zögern. Er hat in Barton Kelly einen Feind erkannt, und er fragt nicht nach dem Grund dieser Feindschaft, sondern schießt. Er trifft. Die Kugel stößt Barton gegen eine der großen Entlüftungshauben, durch die der Fahrtwind hinein und bis in die Laderäume zu den armen Pferden strömt, die auf dem so sehr beschränkten Raum eingepfercht sind. Brian McLane starrt eine Sekunde lang auf ihn hinunter. Dann hebt er den Revolver und schießt noch mal. Doch diese Kugel trifft nicht, sondern pfeift dicht an Bartons Kopf vorbei. Die Lähmung in Bart schwindet. Gewiss, er wurde getroffen, und die Wunde beginnt nun zu schmerzen. Doch er wird sich darüber klar, dass er sich noch bewegen und kämpfen kann. Nein, er braucht noch nicht aufzugeben. Nun erst zieht er seinen Colt. Brian McLane aber schießt zum dritten Mal von oben auf ihn nieder. Und diesmal streift die Kugel nur Bartons Schulterspitze. Er ist ganz sicher, dass der Kapitän kein guter Schütze ist oder es ihm schwer fällt, bei Mondlicht von oben
schräg nach unten ein Ziel zu treffen. Barton ist es, der den vierten Schuss abgibt. Und er trifft den Flusspiraten. Brian McLane fällt die Treppe hinunter. Und Barton entert hinauf, muss am Fuß der Treppe über ihn hinweg. Auf dem Schiff ist jetzt überall Lärm. Alle Männer sind alarmiert. Doch Barton achtet nicht darauf. Er erreicht das Ruder und spürt, wie ihm unter der Kleidung das Blut aus der Wunde läuft. Beim ersten Mal hat McLane am besten getroffen. Der Red Rock ist jetzt genau an Steuerbord. Die Riverqueen ist schon fast vorbei. Barton reißt an den Holmen des Ruderrades. Und durch den Sprachschlauch, der zum Maschinenraum führt, tönt nun jenes zischende Pfeifen, welches ein Zeichen dafür ist, dass der Ingenieur dort unten mit dem Kapitän sprechen will. Doch Barton nimmt den Schlauch nicht in die Hand. Er hofft auch, dass man unten im Maschinenraum das mächtige Schaufelrad noch eine Weile drehen lässt. Die Riverqueen gehorcht noch dem Ruder und der Kraft, die sie vorwärts treibt. Sie schwenkt genau im rechten Winkel ein und fährt geradezu auf den Red Rock zwischen Klippen hindurch. Und am Fuße des Felsens leuchte ein großes Feuer. Jemand hat dort genügend Petroleum ausgegossen und ein Zündholz hineingeworfen. Barton begreift, dass dieses Feuer für ihn das Richtungszeichen ist. Er hält genau darauf zu. Es ist zu spät für die Riverqueen. Als man unten im Maschinenraum den Dampf abstellt und das Rad sich langsamer dreht, hat das Schiff noch genügend Fahrt. Die Riverqueen fährt über Riffe und Klippen hinweg und rammt sich auf einer Steinbank fest. Sie dreht sich noch etwas, so als wollte sie ein Anlegemanöver ausführen, doch dann
erzittert sie und liegt still. Dampf zischt aus allen Ablassventilen. Im Maschinenraum hat man natürlich sofort begriffen, dass man auf Klippen und Felsen fuhr. Und so lässt man schnell den Dampf ab, weil man ja befürchten muss, dass die Kessel durch die Erschütterung noch unzuverlässiger wurden und explodieren könnten. An Bord ist es sonst für eine Weile still. Doch zuvor tönten Schüsse. Diese Schüsse klingen auch jetzt wieder auf. Barton begreift, dass es Alex Grand ist, der den Fuß der Treppe zum Sturmdeck bewacht, so wie er es versprochen hat. Barton denkt nun an tausend Dinge, und er grinst unwillkürlich bitter bei dem Gedanken, dass Abe Natchez ihm geraten hat, sich ein rotes Kopftuch umzubinden. »Was nützt es mir jetzt in der Nacht!«, sagt er. Er verlässt das Steuerhaus, eilt zur Treppe. Und da kommt Elizabeth Grand herauf. Sie hält eine Schrotflinte in den Händen und keucht. Als sie bei Barton ist, sagt sie: »Mein Vater musste mit Louis Hibbs kämpfen, der dir folgen und ebenfalls hinaufwollte. Er tötete Hibbs. Aber dann kamen Jeremy Adams und die anderen Männer aus dem Saloon. Mein Vater hielt sie auf, solange er konnte. Er ist tot, Bart! Er ist tot! Deshalb lief ich aus meiner Kabine! Die ganze Bande hat sich nun auf der Backbordseite verschanzt. Sie haben begriffen, dass die Hauptgefahr jetzt von Land droht.« Sie sprudelt es heraus, und es ist ganz klar, dass sie Barton nicht nur aufklären und informieren, sondern dass sie ihm auch helfen und beistehen will. Ihr Vater ist tot. Gewiss, sie hat noch keine Zeit, um darüber nachzudenken, denn sonst würde sie sicherlich nicht so mutig und energisch Anteil nehmen wollen. Oh, was für eine gute Gefährtin ist sie, so denkt Barton einen Moment.
Von unten herauf tönt jetzt eine scharfe und schneidende Stimme. Sie gehört Jeremy Adams. Und sie ruft: »Boxer! Hoii, du verteufelter Preisboxer! Das hast du uns eingebrockt, nicht wahr? Aber dafür bezahlst du! Du Verräter! Du elender, schuftiger und gemeiner Verräter! Dafür töte ich dich!« Barton Kelly gibt keine Antwort. Er wendet sich an Elizabeth. »Du schwimmst doch so gut und so gerne?«, fragt er. Sie sagt kein Wort, doch sie nickt. Und dann entledigt sie sich mit einigen Bewegungen ihrer drei oder vier Röcke. Er erkennt, dass sie zwar Unterhosen bis über die Knie trägt, wie es nun mal Mode ist, doch ganz bestimmt sehr gerade Beine hat. Als er sich dabei ertappt, dass er dies feststellt, wird er wütend auf sich, denn er findet es aus mehr als nur einem Grund sehr ungehörig. »Ich bin fertig«, sagt sie zu ihm. Er nimmt das Gewehr, welches sie an einen Oberlichtkasten lehnte. Denn nun wollen einige Männer den Niedergang herauf. Es ist eine Schrotflinte, die er in den Händen hält. Und er feuert beide Läufe nach unten. Schmerzgeheul, Flüche und Drohungen sind die Antwort. Vom Ufer tönt jetzt eine laute Stimme. Sie ruft: »Hier ist US-Hilfsmarshal Callaghan! Ich habe eine Armeeabteilung von vierzig Reitern der Natchez-Ranch bei mir. Andere Truppen bewachen die Ufer des Flusses. Niemand kann uns entkommen! Ergebt euch lieber, bevor wir alles in Stücke schießen!« Ein wildes Geheul ist die Antwort. Die Schiffsbesatzung und auch die Vieh- und Pferdediebe geben nicht so schnell auf. Unter diesen Männern sind zu viele Burschen, die steckbrieflich gesucht werden und bei denen es um mehr geht als nur um diesen Pferderaub. Viele wissen, dass man sie auch wegen Vergehens in anderen Staaten oder Territorien bestrafen
wird. Und so wird es einen schlimmen Kampf geben. Barton weiß das zu gut. Und das Blut läuft immer noch aus seiner Wunde. Er kann sich nur noch unter Schmerzen aufrecht halten. Das Kugelloch sitzt über der linken Hüfte. Sein Bein und die linke Seite werden mehr und mehr gefühllos. Er entschließt sich. Ja, sie müssen von Bord. Und so lässt er das Gewehr fallen und nimmt Elizabeth bei der Hand. Sie springen Hand in Hand über Bord und sieben Yards tief ins Wasser nieder. Sie haben Glück, dass sie eine tiefere Stelle erwischen, sodass sie sich nicht die Beine brechen. Doch sie tauchen zwei Yards tief bis zum felsigen Grund und kommen Hand in Hand wieder an die Oberfläche, so als wollten sie sich nie wieder loslassen. Dann beginnen sie zu schwimmen, und irgendwo zwischen den Felsen und Klippen fasst sie die Strömung des Flusses und nimmt sie mit. Nicht einmal eine einzige Kugel sendet man ihnen nach, ja, es sieht so aus, als hätte man ihr Von-Bord-Gehen gar nicht bemerkt. Doch das liegt wohl daran, dass zwischen dem Schiff und dem Ufer nun eine Menge Kugeln fliegen. Barton Kelly spürt bald, dass ihm die Kräfte versagen. Er hat wohl zu viel Blut verloren, und seine angebrochenen Rippen lassen es auch nur unter starken Schmerzen zu, dass er tief atmet. Doch beim Schwimmen muss man tief atmen, und so wird diese Schwimmpartie eine bittere Sache für Barton. Eine Meile weiter flussabwärts zieht das Mädchen einen bewusstlosen Mann an Land. Und zu drei US-Kavalleristen, die mit schussbereiten
Gewehren herankommen, um Gefangene zu machen, sagt sie keuchend: »Los, bringt ihn zu einem Arzt! Er hat mir nicht gesagt, dass er verwundet ist. Er ging ganz plötzlich unter. Leute, dies ist der Mann, der die Riverqueen an Land gesetzt hat, hört ihr?! Sorgt für ihn! Und gebt mir endlich eine Decke, damit ich nicht länger so vor euch stehen muss! Vorwärts! Vorwärts!«
14 Barton Kelly erwacht schon unterwegs, als der Ambulanzwagen ihn und andere Verwundete zur Natchez-Ranch bringt. Da er so liegt, dass er nach vorn blicken kann, sieht er neben dem Fahrer das Mädchen sitzen. Als ob sie seinen Blick spüren könnte, wendet sie sich und blickt zu ihm. Er kann erkennen, dass sie geweint hat, und er weiß, dass die Tränen ihrem Vater galten. Doch jetzt lächelt sie auf eine tapfere Art, und in ihren Augen erkennt er den Schimmer eines fast bangen Forschens. Er spürt instinktiv, was sie erforschen will, und da lächelt er ihr auf eine Art zu, die ihr alles ohne Worte sagt. Er bewegt sogar die Hand und kann erkennen, dass sie mit einem Mal die feste Gewissheit hat, dass sie und Barton zusammen einen neuen Weg gehen werden. Vielleicht hat sie dies ihrem Vater zu verdanken, denkt Barton und spürt seine Müdigkeit. Ja, wenn ihr Vater mir nicht geholfen hätte … Er musste gewusst und fest daran geglaubt haben, dass sie mit mir ein Glück finden wird, dass ich ehrenwert bin und alles in Ordnung kommen wird. Er muss es gespürt haben. Und so half er mir. Elizabeth verlor ihn, doch zugleich wurde sie frei und kann einen neuen Weg beginnen. Oh, ich werde sie ewig lieben müssen. Sie wird für mich der kostbarste Schatz auf dieser Erde sein. Dann schläft er trotz des Rüttelns und Schüttelns des Wagens auf den Tannenzweigen ein, auf die man ihn und zwei andere Männer gebettet hat.
Er erwacht dann in einer Scheune, und er liegt auf einem Strohsack. Es ist Nacht, denn eine Stalllaterne brennt. Und er ist nicht allein. Drüben sitzen die beiden Mallones auf je einem Strohsack. Ihre Handgelenke sind mit Handschellen geschmückt. Als sie nun erkennen, dass Barton Kelly aufgewacht ist, erheben sie sich und treten an sein Lager heran. Er aber begreift nur allmählich, dass er schon auf der Natchez-Ranch ist und Abe Natchez daran gegangen ist, sein Versprechen einzulösen. Er ist sicher, dass es irgendwo hier im Raum einen Lauscher gibt. Er hebt leicht den Kopf und blickt die Mallones an. Er fühlt sich sehr schwach und schlapp. Dies ist aber nur natürlich, denn er hat viel Blut verloren. Seine Wunde ist verbunden und verpflastert, dies fühlen seine tastenden Finger unter der Decke. Und er fühlt noch etwas: einen Colt. Seine Gedanken eilen nun. Sein Hirn arbeitet zwar mühsam und etwas schwer. Doch er kann sich nun alles richtig vorstellen. Sicherlich hat man die Mallones vorher aus der Scheune geführt, um sie vor der Nacht ihre Bedürfnisse verrichten zu lassen. Und da hat sich jemand hier in der Scheune versteckt, vielleicht sogar in dem einige Schritte entfernt abgestellten Wagen. Man hatte ihn dann hier hineingelegt und wusste wohl, dass er bald erwachen würde. Die Mallones stehen nun dicht bei ihm und starren auf ihn nieder. Ihre Handschellen sind deutlich zu erkennen. Duff Mallone grinst kalt. Und Bill Mallone sagt: »Gleich schlagen wir dir den Schädel ein, mein Junge! Gleich bringen wir dich um! Denn du hast uns schlimm reingelegt. Und da man uns nach Saint Louis schaffen will, wo man uns einen Mord beweisen kann, kommt es für uns nicht mehr so darauf an, ob wir einen Mann mehr oder weniger …«
»Warum werde ich ausgerechnet mit euch zusammen eingesperrt?«, fragt Barton und will sich aufsetzen. Aber seine Wunde beginnt stark zu schmerzen, so lässt er es. »Sie haben dich gerade hereingebracht«, erklärt Duff Mallone. »Und auch du wirst nach Saint Louis geschafft – du und wir. Deshalb sind wir zusammen. Die anderen Burschen werden hier im Territorium verurteilt oder irgendwohin ausgeliefert. Wir werden nach Saint Louis geschafft, sobald du transportfähig bist. Deshalb sind wir hier zusammen in der Scheune. Wir sind für den Transport nach Saint Louis bestimmt, weil wir dort Verbrechen begangen haben, die mit dem Tod bestraft werden können.« Barton schließt die Augen. Dann öffnet er sie weit und sagt: »Aber ihr wisst, dass ich unschuldig bin, nicht wahr? Ihr wisst, dass Tob White und ich nicht die Bank beraubt und den Filialleiter getötet haben, nicht wahr?« Duff Mallone nickt: »Sicher, wir wissen das. Wir wissen das genau. Denn wir haben es getan, um euch reinzulegen. Du hattest uns nicht gehorcht und deinen Gegner entgegen unseren Anweisungen besiegt. Und dadurch fühlten sich einige Leute betrogen, die unseren Versicherungen geglaubt hatten, dass Ed Adamson gewinnen würde. Nun, wir waren es unserem Ruf und Prestige schuldig, dass wir euch erledigten. Und da dachten wir uns die Sache mit dem Bankraub aus. Der Filialleiter wurde von meinem Bruder Bill getötet.« Er macht eine kleine Pause nach diesen Worten. Dann sagt er ärgerlich: »Dieser US-Marshal fand Banknoten bei uns, die damals gestohlen wurden. Und er wird vielleicht noch einige andere Dinge herausfinden können, die dir vielleicht nützlich sind. Doch du kommst nicht nach Saint Louis, wo dein Fall vielleicht noch einmal …« »Das genügt«, sagt eine scharfe Stimme. Die Mallones wirbeln herum. Sie blicken zu dem Planwagen hin, der mit Salz für die vielen Herdencamps beladen ist.
Zwei Männer klettern aus dem Wagen. Einer ist der Marshal, an der Silberplakette erkenntlich. Und der andere Mann ist ein Leutnant der Armee. »Das genügt«, sagt der Marshal. Barton Kelly hört es. Und dann schließt er die Augen und liegt ruhig da. Die Spannung weicht aus ihm und macht einer wohligen Gelöstheit und neuer Müdigkeit Platz. Er denkt nur immer: Nun wird alles gut! Nun kommt alles in Ordnung. Tob und ich, wir werden bald frei und ehrenwert sein, vor allen Menschen und dem Gesetz. Und ich werde Elizabeth bekommen und irgendwo eine Ranch bauen. Ja, das werde ich tun! Als er die Augen öffnet, kommen Abe Natchez und Elizabeth herein. Die Mallones stehen in der Ecke und grinsen böse. Duff Mallone sagt: »Das war ein böser Trick, Marshal. Wir werden alles widerrufen, wenn wir vor Gericht sind.« »Es wird euch nichts nützen«, erwidert der Marshal kalt. Barton hört es nicht. Denn er blickt nur auf Elizabeth, die bei ihm niederkniet. Er hört nicht einmal, wie Abe Natchez sagt: »Also tragt ihn ins Gästezimmer zurück. Ich hätte nicht geglaubt, dass man mit solch einem billigen Trick Erfolg haben würde. Nun gut!« Und es ist auch alles gut. Dies spürt Barton, indes er Elizabeths Lippen auf den seinen fühlt. Ja, es ist alles gut! ENDE