Nr. 317
Das Lebensschiff Atlan und Razamon entdecken die Weltraum-Arche von Harvey Patton
Sicherheitsvorkehrungen hab...
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Nr. 317
Das Lebensschiff Atlan und Razamon entdecken die Weltraum-Arche von Harvey Patton
Sicherheitsvorkehrungen haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist. Doch die Gefahr ist durch die energetische Schutzschirmglocke nur eingedämmt worden, denn der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötzlich wiederaufgetauchtes Stück des vor Jahrtau senden versunkenen Kontinents Atlantis. Atlan und Razamon, der verbannte Berserker, sind die einzigen, die den ›Wölbmantel‹ unbeschadet durchdringen können, mit dem sich die geheimnisvollen Herren von Pthor ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Atlan und Razamon gelangen auf eine Welt der Wunder und der Schrecken. Das Ziel der beiden Männer, zu denen sich inzwischen der Fenriswolf gesellt hat, ist, die Herren der FESTUNG, die Beherrscher von Pthor, aufzuspüren und schachmatt zu setzen, auf daß der Menschheit durch die Invasion kein Schaden erwachse. Nach vielen gefahrvollen Abenteuern, die am Berg der Magier ihren Anfang nah men, haben Atlan und Razamon durch die Zerstörung des Kartaperators der irdi schen Menschheit bereits einen wichtigen Dienst geleistet. Jetzt – zu einer Zeit, da Koy, der Trommler, längst auf der Suche nach ihnen ist – ziehen die Kampfgefährten in nördliche Richtung nach Moondrag. Auf ihrem Weg dorthin entdecken sie DAS LEBENSSCHIFF …
Das Lebensschiff
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan und Razamon - Zwei Männer auf dem Weg durch die Wüste Fylln.
Fenrir - Atlans und Razamons treuer Begleiter.
Grangor - Ein Zukunftsseher vom Planeten Zuibrist.
Timbuk - Anführer der Räuber von Goltabuur.
Mankor - Kommandant des Lebensschiffs der Zuiber.
1. Grangor lag regungslos in der Schlafmul de. Seine Augenstiele waren eingezogen, sämtliche Normaltentakel eingerollt. Sein Atem ging so langsam, daß die Bewegungen der Lungensäcke kaum wahrzunehmen wa ren. Wäre nicht das leise Zittern gewesen, das zuweilen seinen massigen Körper durch lief, hätte ein fremder Betrachter annehmen können, er habe bereits die Reise in die Überwelt angetreten. So lag er nun schon seit Stunden, aber da für befand sich sein Geist in angestrengter Tätigkeit. Er konzentrierte sich auf die Wahrneh mung von Bildern, die er auf eine Weise empfing, die für einen normalen Zuiber un begreiflich blieb. Grangor »sah« in die Zu kunft. Er war ein Präkogniter, ein Bevorzugter seines Volkes. Als solcher konnte er Ereig nisse schon lange im Voraus sehen, ehe an dere auch nur um die Basis wußten, der sie entsprangen. Oft genug kannte er diese aber selbst nicht. Er sah nur voraus, was später einmal sein würde, die Zusammenhänge wurden auch ihm meist erst im Nachhinein klar. Sein Talent war eine Naturgabe, das ihn weit über die Masse seiner Artgenossen hin aushob. Diese Art von Parasensibilität kam in jeder Zuiber-Generation im Durchschnitt nur etwa fünfmal vor. Sie hob ihren Träger auf eine Stufe mit den Wissenschaftlern, für die seine Voraussagen von höchster Wich tigkeit waren. Diesmal hatte sich Grangor ein besonderes Ziel gesetzt. Er hatte sich vollkommen gegen die Um
welt abgekapselt und nahm nichts mehr von dem wahr, was um ihn herum vorging. In diesem Zustand hätte man ihn ohne weiteres aufheben und forttragen können, ohne daß er es bemerkte. Kein Zuiber jedoch würde auch nur versuchen, sein Haus zu betreten, solan ge das nicht erwünscht war. Das entsprechende Zeichen dafür gaben die Wächterpflanzen vor dem Eingang. Er hatte sie verständigt, und sie hatten darauf hin willig durch Verschlingen ihrer Ranken reagiert. Diese bildeten nun jene charakteri stische Form, die von jedem Zuiber respek tiert wurde. Der Präkogniter konzentrierte sich beson ders intensiv. Diesmal wollte er mit seiner Paragabe extrem weit in die Zukunft vor dringen. Was die nächsten zwanzig Jahre dem Planeten Zuibrist bringen würden, war ihm längst bekannt, doch das genügte sei nem Ehrgeiz nicht. Zwanzig Jahre waren so etwas wie eine »magische Grenze« für die Wahrnehmungen der Präkogniter. Nur ganz wenigen war es bisher gelungen, jene Schranke zu überwin den. Grangor war jedoch davon überzeugt, daß er es ebenfalls schaffen konnte, wenn er sich nur lange und stark genug konzentrier te. Dasselbe versuchten von Zeit zu Zeit auch alle anderen Vorausseher dieser Welt. Im Augenblick gab es sieben von ihnen, und zwischen ihnen war ein immerwährender Wettstreit im Gange. Es war aber kein Kon kurrenzkampf aus unedlen Motiven, sondern eher so etwas wie ein fairer Kräftevergleich. Erzielte einer ein herausragendes Ergebnis, erkannten das die anderen neidlos an. Je länger sich Grangor konzentrierte, um so mehr wuchs seine Zuversicht, daß ihm der Durchbruch gelingen würde.
4 Nicht umsonst hatte er sich schon seit ei nigen Dekaden sorgfältig vorbereitet, in im mer neuen Übungen die Voraussetzungen dafür zu schaffen versucht. Sein Ausgangspunkt war der Termin des ersten großen Raumfahrtunternehmens der Zuiber. Längst kreisten Satelliten aller Art um den Planeten, kleine Raketenfahrzeuge stießen sporadisch zum Mond und dem Nachbarplaneten vor. Größere Schiffe waren im Bau, in zehn Jahren würde das gesamte System erforscht sein. Noch einmal zehn Jahre, und drei große kugelförmige Raumer mit Überlichtantrieb würden starten, und die drei Lichtjahre entfernte Nachbarsonne zu erreichen versuchen. Der Starttermin war bekannt, nur der Aus gang dieses Unternehmens nicht. Die magi sche Grenze lag dazwischen! Die Wissenschaftler und Techniker hatten die Präkogniter immer wieder vergebens be fragt. Bis jetzt stand nur fest, daß der Start erfolgen und glücken würde. Alles Weitere hatte sich jedoch hartnäckig der Voraus schau entzogen. Das sollte sich nun ändern. Grangor ging ganz in seiner selbstgestell ten Aufgabe auf. Vor seinem geistigen »Auge« liefen wieder einmal die Ereignisse ab, die er längst schon kannte. Sie hatten ih ren festen Rahmen, wenn es auch zuweilen geringfügige Abweichungen gab. Der Präkogniter hatte längst gelernt, diese nicht mehr als nötig zu beachten. Für ihn gab es nur noch das eine Ziel, und er kam dem entscheidenden Punkt immer näher. Die drei Kugelschiffe waren bereits gest artet und nach dem Erreichen der galakti schen Fluchtgeschwindigkeit aus dem Nor malraum verschwunden. Schon fünf Deka den später sollten sie zurückkehren, wenn alles nach dem Plan ablief. Würden sie zurückkommen …? Plötzlich durchlief ein krampfhaftes Zucken den Körper des einsamen Sehers. Sein Geist hatte zum entscheidenden An sturm gegen die Sperre der Zeit angesetzt, er mobilisierte all seine Kräfte.
Harvey Patton Doch die dunkle Barriere schien wie ein lebendes Wesen zurückzuweichen, elastisch und fest zugleich. Sein Parasinn aber stieß nach, rannte dagegen an und ließ nicht locker. Grangor verausgabte sich voll – und er hatte Erfolg damit. Plötzlich bildeten sich wogende, helle Fi ligranstrukturen aus und überzogen die dunkle Wand. Dann riß der Schleier vor der Zeit an mehreren Stellen zugleich auf und gab erste verschwommene Durchblicke frei. Ähnliches hatte Grangor schon öfters er lebt, aber dann war stets der Rückschlag ge kommen. Diesmal kam er jedoch nicht, also hatten sich die intensiven Vorbereitungen gelohnt. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte den Geist des Präkogniters und mobilisierte alle Reserven seines Parasinns. Dann hatte er es geschafft! Die dunkle Wand vor der Zukunft wich nach allen Seiten hin zurück, und schließlich verschwand sie ganz. Grangor erkannte deutlich, was das einundzwanzigste Jahr dem Planeten Zuibrist bringen würde. Er sah alles klar und unverhüllt vor sich – zu klar … Übergangslos wich das Glücksgefühl von ihm und machte einem kalten, lähmenden Entsetzen Platz. Zu übermächtig war der Eindruck des drohenden Unheils, der un glaublichen Katastrophe, die sich ereignen würde. Eine nie gekannte Panik erfaßte Grangor, überstürzt zog er seine Parafühler zurück. Er hatte auch früher schon Unglücke vorausge sehen, aber noch nie in einem solch gewalti gen Ausmaß. Der Präkogniter wurde bewußtlos, nur sein Unterbewußtsein arbeitete noch weiter. Minutenlang wand sich sein Körper in kon vulsivischen Zuckungen, ehe er allmählich zur Ruhe kam.
* Irgendwann, Stunden später, kam der Zui ber langsam wieder zu sich. Schwach, voll kommen ausgelaugt blieb er regungslos lie
Das Lebensschiff gen. Was war mit ihm geschehen? Er versuchte, sich daran zu erinnern, aber es gelang ihm nicht. In seinem Schädel tobte ein übermächtiger Schmerz und hinderte ihn daran, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Leise stöhnend blieb er in der Schlaf mulde liegen. Undeutlich nur spürte er das sanfte Streicheln der Betreuerpflanze auf seiner Haut. Ihre Ranken massierten mit kaum spürba rem Druck Körper und Glieder. Außerdem hatte sie eine Anzahl von Saugnäpfen ausge bildet und sie im Gebiet der wichtigsten Or gane verankert. Die Saugnäpfe erfüllten eine wichtige symbiotische Aufgabe. Sie waren etwa handtellergroß und mehrere Zentimeter dick. Ihre Unterseite ging eine innige Verbindung mit der Haut ein, so daß ein Austausch statt finden konnte. Durch die Poren entzog die Pflanze Grangors Körper schädliche Schlacken und sonstige Abfallprodukte. Diese dienten ihr wiederum als Nahrung, so daß jeder der ungleichen Partner Nutzen da von hatte. Zusätzlich gab sie noch Sauerstoff direkt in die Blutbahn ab. Jeder Bewohner von Zuibrist besaß eine solche Betreuer pflanze, die er sorgfältig pflegte. Sie dankte es ihm auf ihre Weise, denn je besser sie ge dieh, um so eifriger betreute sie auch ihn. Das führte dazu, daß es bei den Zuibern kaum zu den sogenannten Zivilisations krankheiten kam. Selbst mit leichteren In fektionen wurden die Pflanzen fertig. In den vergangenen Stunden hatte Gran gors Symbiosegewächs jedoch Schwerstar beit verrichten müssen. Die große Anstren gung hatte nicht nur die geistigen Kräfte des Präkogniters erschöpft, sondern auch ihre Auswirkungen auf seinen Körper gezeitigt. Die Saugnäpfe hatten eine Unmenge von Abfallstoffen aufnehmen müssen, dafür aber auch entsprechend reagiert. Sie führten dem Organismus eine Dosis besonderer Säfte zu, die regenerierend und stimulierend wirkten. Trotzdem dauerte es noch fast eine Stun de, bis Grangor den Kopfschmerz überwun den hatte. Er dämmerte im Halbschlaf vor
5 sich hin, erwachte jedoch, als sich die Saugnäpfe von seinem Körper lösten. Nun konnte er wieder klar denken, und auch die Erinnerung setzte ein. Augenblicklich fuhr der Zukunftsseher steil in die Höhe, die massierenden Ranken zogen sich hastig von ihm zurück. Eisiger Schreck durchfuhr ihn, als vor seinem geisti gen Auge wieder das Bild erstand, das er vor einigen Stunden gesehen hatte. Konnte es ein solch unbegreifliches, schreckliches Phä nomen überhaupt geben? Hatte er nicht viel leicht im Bestreben, eine Höchstleistung zu vollbringen, eine Art von Zukunftshalluzina tion gehabt? Nein! Grangor kannte sich selbst zu gut, um an eine solche Möglichkeit zu glauben. Was er gesehen hatte, würde – mußte – unweiger lich auch eintreten. Und wenn es eintrat, stand der Untergang der blühenden Zivilisa tion von Zuibrist bevor! Was war nun zu tun? Der Präkogniter brauchte nicht lange zu überlegen. Es war seine Pflicht, jede besondere Wahrnehmung sofort dem Zukunfts-Ko ordinator zu melden. Dieser registrierte sorgfältig alle Angaben der Seher und werte te sie aus. Er und sein Mitarbeiterstab sorg ten dann dafür, daß die richtigen Vorausset zungen für die künftigen Ereignisse geschaf fen wurden. So gab es keine Eventualitäten, auf die Zuibrist nicht vorbereitet war. Hastig wälzte Grangor seinen einer über dimensionalen irdischen Gurke gleichenden Körper aus der Schlafmulde. Er fuhr einen Armtentakel aus und drückte auf den Sen sor, der die Rolläden vor den Fenstern hoch schnellen ließ. Grelles Licht strömte in den Raum, und sekundenlang verengten sich die vier Augen des Zuibers, die paarweise an der Vorderseite seines schmalen Kopfes sa ßen. Er mußte sich beeilen, denn der Tag war schon weit fortgeschritten. In diesem beson deren Fall genügte es nicht, wenn er dem Zukunfts-Koordinator lediglich eine Mel dung über Video gab. Es war seine Pflicht,
6 ihn persönlich aufzusuchen, um ihm seine Wahrnehmungen eingehend zu schildern. Keiner außer Tiftor durfte vorerst etwas von dem Unheil erfahren, das in einundzwanzig Jahren über Zuibrist kommen sollte. So schnell wie möglich kleidete sich Grangor an. Er verließ sein Haus und begab sich zum Schweber. Im Vorbeigehen berühr te er mit einem besonderen Tentakel den Stamm der Wächterpflanze, so daß eine halbtelepathische Verbindung zustande kam. Das Gewächs reagierte augenblicklich, seine Äste und Ranken schoben sich wie ein Git ter vor den Eingang und versperrten ihn. Der Präkogniter eilte auf seinen vier säulenför migen Beinen weiter. Er öffnete die Kabine des Schwebers, zog sich hinein, und akti vierte das Antriebsaggregat. Sekunden später erhob sich das Gefährt in die Luft, ordnete sich in die oberste Ver kehrsebene ein, und glitt auf das Zentrum der Hauptstadt zu. Dort befand sich der aus gedehnte Gebäudekomplex, der die Dienst stelle des Zukunfts-Koordinators und ihre Nebenabteilungen beherbergte. Tiftor war gerade in einer Konferenz, der auch zwei andere Präkogniter beiwohnten. Trotzdem bestand Grangor darauf, ihn sofort sprechen zu müssen. Die Zuiberin im Vor zimmer war ungehalten. Sie wagte jedoch keine Widerrede, sondern rief den Koordina tor an, und gleich darauf konnte der Zu kunftsseher eintreten. »Ich grüße dich, Grangor«, sagte der alte Zuiber, bildete einen Sondertentakel aus und verschlang ihn kunstvoll zur Gebärde der besonderen Wertschätzung. »Wie du siehst, bin ich sehr beschäftigt. Gibt es etwas Be sonderes, das du mir mitzuteilen hast?« Grangor erwiderte die Geste, machte aber zugleich das nur Eingeweihten bekannte, ge heime Zeichen. »So ist es, Koordinator, andernfalls hätte ich nie gewagt, dich zu stören. Meinen Gruß auch den verehrten anderen Anwesenden«, sagte er. Er beherrschte sich meisterhaft, ob wohl alles in ihm danach strebte, die schlim me Nachricht so rasch wie möglich loszu-
Harvey Patton werden. Tiftor verstand und wandte sich an seine Mitarbeiter. Sie verließen gleich darauf den Raum, die beiden anderen Präkogniter blie ben jedoch. Beide sahen Grangor fragend an, und nun fiel die Maske der Beherrschung von ihm ab. »Es ist mir heute gelungen, die Zeitgrenze zu durchbrechen«, stieß er hervor und ließ sich in eine Sitzschale fallen. »Es war schwer, ich habe es trotz langer Vorberei tung nur unter äußerster Anstrengung ge schafft. Jetzt wünsche ich mir aber fast, es nicht versucht zu haben, denn …« Die Erregung übermannte ihn, seine Stim me erstarb. Tiftor sah ihn besorgt an, und auch die beiden anderen Präkogniter waren sichtlich unruhig. Normalerweise hätten sie ihm nun voller Begeisterung ihre Anerken nung ausgesprochen, aber seine offenkundi ge Verstörtheit hielt sie davon ab. Auch der Zukunfts-Koordinator wartete, bis Grangors Augen wieder klar wurden. Erst dann fragte er: »Ist es so schrecklich, was du gesehen hast? Wird die Expedition zum System der Sonne Tebrist scheitern?« »Wenn es nur das wäre!« sagte der Seher, und unwillkürlich rollten sich seine Armten takel ein. »Es ist sehr viel schlimmer, Tiftor. Ich sah den Untergang von ganz Zuibrist voraus!« Sekundenlang legte sich lähmendes Schweigen über den Raum. Keiner der An wesenden zweifelte auch nur einen Augen blick lang daran, daß Grangor die Wahrheit gesprochen hatte. »Wie könnte das geschehen?« fragte Lan dor schließlich verstört, aber Tiftor winkte mit allen Armtentakeln ab. »Wir wollen methodisch vorgehen, wie es dem Ernst der Situation angemessen ist. Ei ne Schilderung nur mit Worten vermag die Einzelheiten kaum in voller Konsequenz wiederzugeben. Bist du mit einer Mental kommunikation einverstanden, Grangor?« »Selbstverständlich, Koordinator«, sagte dieser leise.
Das Lebensschiff Tiftor begab sich zu einem Schaltpult und berührte einen Sensorkontakt. Die Tür zu ei nem Nebenraum glitt auf, den vor diesem Zeitpunkt nur wenige Zuiber zu Gesicht be kommen hatten. In ihm befand sich, von zwei stämmigen Lakkapflanzen flankiert, das empfindlichste Kommunikationsgerät von ganz Zuibrist. Die vier Zuiber traten ein, die Tür rollte hinter ihnen wieder zu und wurde durch be sondere Sperren gesichert. Niemand konnte je erfahren, was nun hier vor sich ging. Der Koordinator aktivierte das Gerät, und Grangor nahm in der breiten Sitzschale da vor Platz. Eine Sensorhaube senkte sich über seinen Kopf, und gleichzeitig bewegten sich mehrere Ranken der Lakkapflanze auf sie zu. Sie verankerten sich in besonderen Ver tiefungen, und Tiftor wandte sich den beiden anderen Präkognitern zu. Alle drei bildeten besondere Tentakel aus und stellten so eine Ring-Verbindung zwi schen Grangor, dem Kommunikator, den Pflanzen und sich selbst her. Alles, was nun in der Erinnerung vor Grangors geistigem Auge erstand, konnte von den anderen auf halbtelepathischem Weg voll mitempfunden werden. Der Zukunftsseher schloß die Augen, und das, was er nach Überwindung der Zeitbar riere im einundzwanzigsten Jahr gesehen hatte, erstand als plastisches Bild in den Hir nen der drei anderen. Es war eine ungeheuerlich anmutende, ge spenstische Vision! Der dunkle Schleier vor der Zukunft löste sich auf. Der Planet Zuibrist lag vor den geistigen »Augen« der Betrachter. Auf dem großen Hauptkontinent herrschte emsiges Leben, Schweber hingen in der Luft, auf den Stra ßen eilten viele Tausende geschäftig hin und her. Noch wies nichts auf die Katastrophe hin, die dicht bevorstand. Dann jedoch, von einem Augenblick zum anderen, änderte sich plötzlich das Bild. Das Licht der Sonne verblaßte wie hinter einer dichten Wolkenwand. Das Leben in
7 den Straßen begann zu stocken, die Augen der Zuiber richteten sich erschreckt nach oben. Was geschah dort – brach aus heite rem Himmel plötzlich ein Unwetter los? Nein, das konnte nicht der Fall sein. Es gab keine Wolken, die Sonne schien nach wie vor, nur schien ihr Licht wie von einem riesigen Dunkelfilter größtenteils absorbiert zu werden. Ein trübes Dämmerlicht lag über dem Land, aber die Ursache für dieses Phä nomen blieb verborgen. Es blieb unbegreif lich, und mutete darum um so gespensti scher an. Dann gesellte sich eine weitere Erschei nung dazu: Um die Dachgeschosse der höchsten Häuser begann ein fahles, gelbli ches Leuchten zu spielen, ebenso um die in der Luft befindlichen Schweber. Es flackerte in unregelmäßigen Intervallen, und im glei chen Rhythmus veränderte sich auch das schwache, noch von der Sonne ausgehende Licht. Die Sonne selbst schien zu schrump fen, man konnte mit bloßen Auge hineinse hen, ohne geblendet zu werden. Bereits jetzt breitete sich Panik unter den Zuibern aus. Sie flüchteten von den Straßen in die Gebäude, die Piloten der Schweber versuchten, möglichst rasch zu landen. Das fahle Leuchten schien sie zu irritieren, eini ge Maschinen kamen nur unter Schwierig keiten zu Boden. Nur die Fahrzeuge auf den Straßen bewegten sich weiter, jetzt mit ein geschaltetem Licht. Doch auch die Geräusche der Fahrzeuge wurden immer leiser, als würde der Schall auf ebenso unbegreifliche Weise absorbiert wie das Licht. Schließlich herrschte eine vollkommene Stille. Zuiber, die miteinander reden wollten, stellten fest, daß die Luft selbst den Schall ihrer Stimmen nicht mehr trug. Auch die überall vorhandenen Pflanzen schienen das Anomale der Situation zu spü ren. Sie krümmten sich zusammen, ihre Zweige peitschten heftig hin und her, ob wohl auch jeder Luftzug inzwischen zum Erliegen gekommen war. Die bleierne Dämmerung wurde noch fah ler, nur das seltsame Leuchten über den Ge
8 bäuden nahm noch an Intensität zu. Das Land schien sich förmlich zusammenzu ducken unter dem Unheil, das fast greifbar über ihm lag. Der Verkehr kam nun ganz zum Erliegen. Nur noch wenige mutige Zui ber befanden sich im Freien und beobachte ten die weitere Entwicklung der Dinge. Dann wurde die Stille abrupt durchbro chen. Ein dumpfes Brausen wurde hörbar, das von überall und nirgends zu kommen schien. Es glich dem eines starken Sturmes, aber nach wie vor gab es keine Luftbewegung. Die Sonne wurde immer kleiner und sah aus, als wäre sie mit einem schwarzen Rastermu ster überzogen. Das Pulsieren der gelblichen Leuchterscheinungen steigerte sich. Dafür erloschen sämtliche anderen Lichtquellen schlagartig. Im gleichen Moment hallte ein lautes Ge räusch weithin über das Land. Es klang, als würde irgendwo ein überdimensionaler Gong von einem Titanen mit einem riesigen Klöppel geschlagen, und der Hall schien kein Ende nehmen zu wollen. Er peinigte die Ohren aller Zuiber, ganz gleich, wo sie sich befanden. Das war jedoch nur die Einleitung zu dem Verhängnis, das nun über Zuibrist herein brach. Nicht weit von der Stadt entfernt wurde plötzlich eine unbegreifliche Leuchterschei nung sichtbar. Sie wirkte wie ein irrlichternder, bunter Nebel, der eine gewaltige Aus dehnung besaß. Aus ihm schälten sich die Umrisse einer kompakten dunklen Masse, die eine ebenso riesige Ausdehnung besaß. Niemand vermochte zu sagen, woher sie ge kommen war. Sie erschien einfach, von ei nem Augenblick zum anderen war sie da. Der dröhnende Klang erstarb übergangs los, aber dafür wurde nun ein Bersten und Krachen laut. Im nächsten Moment geriet der Boden auf dem gesamten Kontinent in Bewegung. Ein schweres Beben brach los und breitete sich in heftigen Wellen nach al len Seiten hin aus. Innerhalb weniger Minuten war das Cha-
Harvey Patton os vollkommen. Unter den nicht enden wol lenden Erdstößen stürzten in der Stadt fast sämtliche Gebäude in sich zusammen. Sie begruben unzählige Opfer unter sich, die Überlebenden flohen in heller Panik. Doch es gab nirgends Sicherheit für sie, überall brach der Boden auf. Als dann die Sonne plötzlich wieder hell schien, beleuchtete sie eine einzige Trümmerstätte. Es gab nur einen Ort, an dem es ruhig ge blieben war: Das war eine riesige Landmas se, die sich, scheinbar aus dem Nichts, mit ten auf dem Kontinent materialisiert hatte. Ihr gewaltiger Druck hatte die Bodenkruste zerrissen und die Beben ausgelöst. Ihre Kon turen blieben jedoch seltsam unscharf, es gab aber niemand, der sich in ihre Nähe wagte. Die überlebenden Zuiber bewegten sich, so rasch sie konnten, von ihr hinweg, um aus dem Bereich dessen zu kommen, das ihnen das Unheil gebracht hatte. Schließlich klangen die Erdstöße ab, aber dafür geschah nun etwas, das noch viel grau envoller war. Aus dem Nebel, der das Gebilde umgab, tauchten plötzlich große Scharen monströser Gestalten auf. Es waren Tiere, aber solche, die man auf Zuibrist nie zuvor gesehen hat te. Kaum eines glich dem anderen, es gab al le nur möglichen Formen, und alle waren Ungeheuer. Sie liefen, krochen oder flogen über das verwüstete Land, geleitet von klei neren, sich auf nur zwei Beinen fortbewe genden Wesen. Wie eine lebende Sturzflut ergossen sie sich über den Kontinent – und machten Jagd auf alle Zuiber, die noch am Leben waren, um sie auf grauenvolle Art zu zerfleischen. An dieser Stelle brach die Übermittlung von Grangors Erinnerungen ab. Sein Geist hatte den schrecklichen Anblick nicht mehr ertragen und sich in die schützende Bewußt losigkeit geflüchtet. Minutenlang sprach keiner der vier Zuiber in dem Raum ein Wort. Der Schock saß tief in ihren Gliedern, obwohl all das nicht greif bare Wirklichkeit, sondern nur eine Zu kunftsvision gewesen war.
Das Lebensschiff Tiftor faßte sich als erster wieder. Er ent fernte die Sensorhaube von Grangors Kopf und schaltete den Kommunikator aus. Dann begab er sich zusammen mit den Präkogni tern in seinen Arbeitsraum zurück. Er holte eine Karaffe und Trinkgefäße hervor und versorgte alle mit einem alkoholhaltigen Sti mulans. Als sie getrunken hatten, sagte er heiser: »Das alles war so grauenvoll, daß es mein Begriffsvermögen weit übersteigt. Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, daß es sich tatsächlich ereignen wird, dafür bürgen Grangors Fähigkeiten. In einundzwanzig Jahren wird der Weltuntergang über Zuibrist hereinbrechen! Selbst unter Aufbietung aller Kräfte werden wir nie imstande sein, etwas dagegen zu tun.« »Was war das aber, was da so plötzlich aufgetaucht ist?« fragte Landor verstört. »Dem Aussehen nach könnte es ein riesiger Planetoid gewesen sein, aber es fehlten die typischen Begleiterscheinungen für seinen Sturz auf Zuibrist. Statt der Dunkelheit hätte es ein gewaltiges Aufleuchten geben müs sen, als er die Atmosphäre durchstieß.« Der Zukunfts-Koordinator wedelte resi gniert mit allen Normaltentakeln. »Frage mich nicht, ich weiß auch nicht mehr als du oder deine Gefährten. Es han delt sich um ein Phänomen unbekannter Art, offenbar aber um den Angriff einer fremden Rasse, von der wir noch nie etwas erfahren haben. Ich sehe keine Möglichkeit, wie wir uns erfolgreich dagegen wehren könnten.« »Weshalb sollten wir das nicht können?« erregte sich Denbar, der dritte Präkogniter. »Dank Grangors Bemühungen haben wir sehr früh davon erfahren, was auf Zuibrist zukommt. Gewiß, wir sind eine friedlieben de Rasse, aber müssen wir uns deshalb stumpf in unser Schicksal ergeben? Einund zwanzig Jahre sind ausreichend Zeit, um Vorbereitungen zur Gegenwehr zu treffen.« »Es wäre trotzdem sinnlos«, erklärte Tif tor. »Das Beben war so stark, daß alle Ab wehreinrichtungen unweigerlich zerstört würden. Gegen das Auftauchen der Land
9 masse könnten wir ohnehin nichts tun, wir müßten uns auf die Abwehr der Monsterar meen beschränken. Wer sollte sie jedoch er folgreich bekämpfen, wenn der ganze Konti nent nur noch ein Trümmerfeld ist?« »Man müßte sie mit Kampfschwebern vom Südkontinent aus angreifen«, überlegte Landor, aber der Koordinator wehrte erneut ab. »Der Südkontinent ist nur schwach besie delt, weil er zum größten Teil aus Sumpfge bieten besteht. Außerdem vermute ich, daß der unbekannte Feind auch noch über tech nische Mittel verfügt, die er im Bedarfsfall einsetzen kann. Wer imstande ist, einen klei nen Kontinent nach Zuibrist zu bringen, muß uns auch in dieser Hinsicht weit überle gen sein.« »Wir sollen also deiner Meinung nach nichts tun, sondern uns einfach auslöschen lassen?« fragte Grangor. »Das kann doch nicht dein Ernst sein, Koordinator!« »Ich werde mir alles noch reiflich überle gen«, versprach Tiftor. »Von euch erwarte ich, daß ihr über alles schweigt, was mit die sem schlimmen Ereignis zusammenhängt. Ich selbst werde auch nur meine engsten Mitarbeiter einweihen. Zusammen mit den Denkpflanzen werden wir dann versuchen, ein Konzept auszuarbeiten, das den größt möglichen Erfolg verspricht.« Er verabschiedete die Präkogniter, warf sich dann in eine Sitzschale und schenkte sich einen tüchtigen Schluck ein.
* Nach außen hin veränderte sich in den kommenden zwei Jahren auf Zuibrist nichts. Nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten wußte um das drohende Verhängnis, und al le waren rastlos an der Arbeit. Ihre ohnehin geringe Zuversicht schwand jedoch immer noch weiter. Auch die Denk pflanzen vermochten nicht, Tiftor und sei nen Mitarbeitern brauchbare Ratschläge zu geben. Statt dessen sprachen sie sich dafür aus, ein Minimal-Überlebensprogramm für
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Harvey Patton
die Rasse der Zuiber zu erstellen. Auf dem Planeten selbst gab es keinen si cheren Ort dafür. So entschied man sich schließlich für die Schaffung eines Asyls im Weltraum. Der Bau der drei Fernraumschif fe wurde rasch vorangetrieben, aber unmerk lich wurden in ihrem Innern gewisse Kon struktionsänderungen vorgenommen. Man schuf große Räume, die zum gegebenen Zeitpunkt mehrere tausend Zuiber, sowie ei ne Auswahl besonders nützlicher Tiere und Pflanzen aufnehmen konnten. Sie alle wurden an Bord der großen Ku gelraumer gebracht, und noch immer war die Bevölkerung ahnungslos. Man erklärte ihr, diese Vorkehrungen dienten der Errich tung einer Kolonie im System der Sonne Te brist. So wurde die weltweite Panik verhin dert, die sonst alle Pläne vereitelt hätte. Die drei Schiffe starteten nach einem fei erlichen Zeremoniell. Sie gingen jedoch nur in eine Umlaufbahn um Zuibrist, in der sich bereits ein Raumlabor befand. Dieses be stand aus einer dreieckigen Röhrenkonstruk tion, die daraufhin aufgelöst wurde. In lan ger, mühsamer Arbeit wurden die Kugel schiffe untereinander durch die Röhren ver bunden, so daß eine riesige Raumstation in Form eines gleichschenkeligen Dreiecks ent stand. Insgeheim waren auch Kampfraketen ge baut worden, die sich ebenfalls an Bord der Station befanden. Man hoffte, mit ihnen die Bastion des Feindes angreifen zu können, sobald sie aufgetaucht war. Vielleicht gelang es auf diese Weise doch noch, die planeten weite Katastrophe zu verhindern. Die Pläne an sich waren gut, aber die Prä kogniter konnten nichts über ihren Erfolg aussagen. Es gelang ihnen nie wieder, etwas vorauszusagen, das über Grangors Vision hinausging. Der Schleier über der Zukunft war plötzlich für sie undurchdringlich ge worden, so sehr sie sich auch anstrengen mochten.
2.
Wieder einmal brauste ein Sandsturm über die Wüste Fylln dahin. Er war heiß und trocken, dörrte die Schleimhäute aus und trieb den feinen Sand überall dorthin, wo es besonders unangenehm war. Wir befanden uns in einer kleinen Senke, aus der eine Anzahl von etwa mannshohen Felsen aufragte. In ihrem Schatten hatten wir gerastet, etwas gegessen und sparsam von dem Wasser getrunken, das wir mitführ ten. Es stammte aus der Oase Telbny, die, wie ihre Vorgängerin Zantorgan, bereits hin ter uns lag. In beiden hatten wir, außer eini gen kleinen Tieren, keine weiteren Lebewe sen angetroffen. Nun waren wir – Razamon, der Fenris wolf und ich – weiter auf dem Weg nach Nordwesten, in Richtung auf Moondrag. Der Weg dorthin war mehr als beschwerlich. Die ständige Hitze machte uns zu schaffen, und in dem weichen, rieselnden Sand kamen wir nur schlecht voran. Die immer wieder plötz lich auftretenden Sandstürme taten ein übri ges, um unsere Laune auf den Nullpunkt zu drücken. Wir konnten von Glück sagen, daß dieser gerade kam, als wir uns bei den Felsen be fanden. Nun lagen wir eng gegen einen von ihnen gepreßt, so daß wir uns im Windschat ten befanden. Das hinderte den Sand jedoch nicht daran, uns trotzdem heimzusuchen. Wir hatten un sere Tuchjacken über die Köpfe gezogen, um wenigstens Augen, Mund und Nase vor ihm zu schützen. Dafür drang er in unsere Kleidung, setzte sich darin fest und scheuer te die Haut wund. Fenrir lag zwischen Raza mon und mir und winselte zuweilen leise auf. Eine endlos erscheinende Zeit verging, ehe das Jaulen des Sturmes abflaute. Die Sandwolken lichteten sich, die Sonne brach wieder durch. Wir erhoben uns und hatten dann minutenlang damit zu tun, uns vom Sand zu befreien. Das gelang nur mangel haft, aber daran waren wir inzwischen ge wöhnt. Razamon nahm einen Schluck Wasser,
Das Lebensschiff spülte seinen Mund, und spuckte es dann wieder aus. Ich tat es ihm nach, denn das war die einzig sichere Methode, den Sand zwischen den Zähnen loszuwerden. Fenrir nieste ausgiebig, kam dann zu mir und rieb seinen Kopf an meinen Knien. Ich kraulte seinen Nacken. »Ja doch, Alter, gleich geht es weiter. Der Schönheitsfehler ist nur, daß wir die Karte der Schattenkullja nicht mehr haben, also nur über den Daumen peilen müssen. Ei gentlich müßten wir schon längst bei der Oase Goltabuur sein.« »Immer vorausgesetzt, daß unsere Rich tung noch stimmt«, sagte der Pthorer. »Dies hier ist gewissermaßen die Krönung unseres Irrwegs auf Pthor. Wann wir einmal die FE STUNG erreichen werden, steht in den Ster nen.« »Immerhin leben wir noch«, gab ich kurz zurück. »Nur etwas Pech, und es hätte uns bereits in Teimabor erwischt. Außerdem ist der Kartaperator vernichtet und damit eine große Gefahr für die Erde beseitigt. Demge genüber wiegt der Verlust einer vom Sturm fortgewehten Karte nicht sonderlich schwer.« »Unverbesserlicher Optimist!« knurrte Razamon und setzte sich in Bewegung. Wieder stapften wir durch den Wüsten sand. Der Sturm hatte auch etwas Gutes ge habt, denn wir hatten uns einige Zeit ausru hen können, so daß wir nun schneller voran kamen. Unsere einzige Orientierungshilfe war die Sonne, die nun fast ihren höchsten Stand erreicht hatte. Sie schickte ihre sen genden Strahlen herab, und seit dem Abzug des Sandsturms regte sich kein Lüftchen mehr. »Dort hinten liegt die Oase!« sagte Raza mon plötzlich. Ich sah ihn verwundert an, denn noch vor wenigen Augenblicken hatte ich in diese Richtung gesehen, ohne etwas zu bemerken. Dann legte ich die Hand über die Augen und spähte in die Ferne. Wirklich, dort zeichne ten sich dunkle Gebilde am Horizont ab, aufragende Bäume und die Umrisse einiger
11 Gebäude. Ich atmete auf, denn meiner Schätzung nach konnte es jetzt nur noch höchstens eine Stunde dauern, bis wir am Ziel waren. Wir gingen nun schneller und erreichten bald eine Gegend, in der es keine Dünen gab. Hier bildete der Sand eine flache Ebene ohne jede Gliederung, als hätte ein riesiger Besen darüber hinweggefegt und alles nivel liert. Eine halbe Stunde verging, aber wir schienen der Oase immer noch nicht näher gekommen zu sein. Es war, als wiche sie vor uns zurück, obwohl sie sich scheinbar direkt am Rand der ebenen Zone befand. Ich schüt telte den Kopf, denn das kam mir reichlich seltsam vor, folgte aber weiter dem Pthorer, der einige Schritte vor mir ging. Fenrir trab te neben mir her, die Zunge hing ihm aus dem Maul, und er hechelte laut. Die Hitze machte ihm genauso zu schaffen wie uns. Zehn Minuten später löste sich das Rätsel. Plötzlich, von einer Sekunde zur anderen, verschwand die Erscheinung am Horizont. Ich blieb stehen und lachte sarkastisch auf. »Eine Fata Morgana! Da sind wir wirklich schön hereingefallen, Freund. Und das muß gerade uns beiden passieren, zwei Unsterbli chen mit zehntausendjähriger Erfahrung …« Razamon zeigte seine Enttäuschung auf andere Weise. Seine Züge verzerrten sich, er begann, ausdauernd zu fluchen. Früher hätte er bestimmt bei dieser Gelegenheit einen seiner Berserker-Tobsuchtsanfälle bekom men. Jetzt sorgte der Inhalt der Phiolen, die wir im Versteck der Schattenkullja entdeckt hatten, dafür, daß es nicht mehr soweit kam. »Spare lieber deinen Atem«, empfahl ich ihm in einer Pause. »Du wirst ihn noch brau chen, denn unser Weg nach Goltabuur ist in zwischen länger geworden. Indem wir die sem Phantom nachgingen, sind wir von der Richtung abgekommen, und haben einen be trächtlichen Umweg gemacht.« Der Pthorer fluchte noch einmal, dann be ruhigte er sich und sah mich mit seinen un ergründlichen schwarzen Augen an. »Schon gut, Lordadmiral«, sagte er und
12 grinste flüchtig. »Uns bleibt eben nichts er spart, aber das ging den großen Helden schon immer so. Der wahre Mann beweist seine Größe damit, wie er mit den diversen Rückschlägen fertig wird, und in dieser Be ziehung bist du ja unbestreitbar der Größte.« Er spielte damit auf meine Jugendzeit an, auf den langen und oft glücklosen Kampf, den ich um die Erringung meiner Rechte als Kristallprinz von Arkon geführt hatte. Ich ging jedoch nicht darauf ein, denn jetzt war keinesfalls die Zeit, um sich in Reminiszen zen zu ergehen. Wir waren hier, um der Erde zu helfen, deren Existenz durch den »Dimensions-Fahrstuhl« Pthor aufs höchste bedroht war. Unser Endziel war die FESTUNG, deren geheimnisvolle Herren alle Fäden auf die sem Kontinent spannen. Ihr erster Versuch, den ihn einschließenden Paratronschirm durch den Kartaperator aufzubrechen, war mißlungen. Das mußten sie längst erfahren haben, al so war mit weiteren Aktionen von ihrer Sei te aus zu rechnen. Razamons Gedächtnis wies immer noch beträchtliche Lücken auf, deshalb wußten wir nicht, über welche Mit tel sie sonst noch verfügten. Das konnten wir erst an Ort und Stelle feststellen, und der Weg bis zu ihrer FESTUNG war noch weit. Wir hatten also keine Zeit zu verlieren. Un ser nächstes Ziel war die Oase Goltabuur, aber auch nur eine Etappe auf der Strecke zur Stadt Moondrag. Ich setzte mich wieder in Bewegung und übernahm diesmal die Spitze. Dann wandte ich mich an den Fenris wolf. »Lauf du voran, Fenrir! Streife umher und benutze deine Nase, um nach Wasser zu wit tern. Lauf los, Alter, finde Goltabuur und führe uns dorthin.« Das kluge Tier sah mich aus seinen großen Augen an und winselte leise. Fenrir schien fast alles zu verstehen, was wir sag ten, das bewiesen immer wieder seine fol genden Reaktionen. Er stieß mit seiner Nase gegen meine Hand. Dann rannte er los und war bald im flimmernden Sonnenglast unse-
Harvey Patton ren Blicken entschwunden. »Wir sind schon ein seltsames Trio«, sag te der Atlanter nach einer Weile. »Ein ural ter Arkonide, der es zum Chef der USO ge bracht hat. Ein kaum jüngerer Berserker, der bei den Herren der FESTUNG in Ungnade fiel, auf die Erde verbannt wurde und nun wieder in seine wenig erfreuliche Heimat zurückgefunden hat. Dazu ein Wolf, der von einem ›Göttersohn‹ verstoßen wurde, und nur durch uns mit dem Leben davongekom men ist. Wie wir es schaffen sollen, die ver brecherische Clique in der FESTUNG aus zuschalten, erscheint mir immer rätselhaf ter.« Sein Pessimismus war berechtigt. Pthor, das »Neue Atlantis«, schien nach allem, was wir bis jetzt erlebt hatten, ein ein ziges Chaos zu sein. Doch dieser Schein trog, das wußten wir längst. Neun Zehntel des Mini-Kontinents waren sich praktisch selbst überlassen, aber das hatte nichts zu bedeuten. Die Herren der FESTUNG hielten nach wie vor die Macht in ihren Händen. Gelang es ihnen erst, den Schirm aufzubre chen, der Terra jetzt noch schützte, war das Verhängnis nicht mehr aufzuhalten. Dann würden sich die »Horden der Nacht«, die schrecklichen Monstren aus der Ebene Kalmlech, wie eine Springflut über die Erde ergießen. Vermutlich aber nicht nur sie, man würde auch eine Waffentechnik zum Einsatz bringen, die nicht weniger schlagkräftig als eine ganze Raumflotte war! Dann wurde die Erde zum Schlachtfeld, der Untergang der Menschen war mehr als wahrscheinlich. Diese düsteren Gedanken peinigten mich, während ich rein mechanisch einen Fuß vor den anderen setzte.
* »Fenrir kommt zurück«, sagte Razamon etwa eine Stunde später. »Keine Fata Morgana?« erkundigte ich mich anzüglich. Der Pthorer schüttelte den Kopf und wies
Das Lebensschiff nach halblinks. Dort war tatsächlich die rie sige Gestalt des Wolfes zu sehen. Er kam in raschem Lauf auf uns zu, blieb jedoch hun dert Meter von uns entfernt stehen und stieß ein lautes Heulen aus. Das konnte nur be deuten, daß er die Oase gefunden hatte und wir ihm nun dorthin folgen sollten. »Guter Alter!« lobte ich ihn, als wir ihn erreicht hatten. Er sah mich wie blinzelnd an, hob kurz die Lefzen und zeigte sein kräf tiges Gebiß. Dann drehte er um, setzte sich wieder in Bewegung, und wir gingen ihm nach. Ungefähr vierzig Minuten später erkann ten wir undeutlich eine ausgedehnte dunkle Erhebung am Horizont. Unwillkürlich gin gen wir nun schneller, obwohl es hier wieder Dünen gab, die uns zu schaffen machten. Dann, nach etwa zehn Minuten, stolperte ich fast über das Skelett. Es lag in einem Tal zwischen den Dünen, halb vom Sand begraben. Es war deshalb auf den ersten Blick unmöglich, festzustellen, von welcher Art von Lebewesen es stammen mochte. Ich sah nur, daß das Geschöpf, das hier gestorben war, keinesfalls ein Mensch oder sonstiger Humanoide gewesen war. Razamon ging etwa zwanzig Meter links von mir. Ich verständigte ihn durch einen Zuruf, und er kam zu mir herüber. Dann starrten wir nachdenklich auf die ausge bleichten Knochen. »Kannst du dir darunter etwas vorstel len?« fragte ich. Der Pthorer runzelte die Stirn und bemüh te sich, in seinem von den Herren der FE STUNG gelöschten Gedächtnis einen An haltspunkt zu finden. Vergeblich, wie fast immer, denn schon nach kurzer Zeit schüt telte er den Kopf. Inzwischen hatte der Wolf begonnen, mit seinen mächtigen Pranken das Skelett frei zuscharren. Das gelang ihm nur unvollkom men, denn der feine Sand rieselte immer wieder nach. Immerhin ließ sich nun wenig stens halbwegs die Körperform erkennen. Das Geschöpf mußte einen annähernd wal zenförmigen Körper besessen haben, auf
13 dem ein kleiner, länglicher Kopf saß. An seiner rückwärtigen Partie saßen vier kurze, stummelförmige Beine, von einem Schwanz oder sonstigen weiteren Extremitäten war nichts zu sehen. »Vielleicht ein Irrläufer aus den Horden der Nacht?« überlegte ich, aber Razamon wehrte ab. »Das halte ich für ziemlich unwahrschein lich. Das Wesen war nicht viel größer als ein Mensch, und es besaß weder ein Raubtierge biß, noch anderweitige Mordwerkzeuge. Au ßerdem konnte es auf den kurzen Beinen kaum schnell genug laufen, um den Anfor derungen einer solchen Bestie zu genügen.« Ich dachte an den Drachen, mit dem wir bei Honir-Thalias Burg an der Straße der Mächtigen aneinandergeraten waren, und mußte ihm rechtgeben. Die in der Ebene Kalmlech auf einen Durchbruch nach Terra lauernden Bestien waren durchweg von ganz anderer Art und Größe. Fenrir hatte inzwi schen sein Scharren eingestellt und schien ungeduldig darauf zu warten, daß es wieder weiterging. Trotzdem nahm ich mir noch die Zeit, den Schädel des Wesens näher zu betrachten. Die Höhlung, in der einst das Gehirn geses sen hatte, war relativ groß, sein Volumen mußte mindestens dem eines Menschen ent sprochen haben. Das sagte allerdings nichts darüber aus, ob das Geschöpf intelligent ge wesen war oder nicht. Vier runde Löcher mochten einst die Öff nungen für Augen oder sonstige Sinnesorga ne gewesen sein, zwei weiter seitlich ange ordnete wohl die Ohren. Das Gebiß war zwar schadhaft, ließ jedoch deutlich erken nen, daß wir einen »Allesfresser« vor uns hatten, wie es auch der Mensch ist. Der Schädel war unversehrt, auch sonst gab es keine Anzeichen dafür, daß das Wesen eines gewaltsamen Todes gestorben war. »Vermutlich ein Tier, das sich verirrt hat und dann hier verdurstet ist«, folgerte Raza mon. »Intelligent dürfte es kaum gewesen sein, hochentwickelte Spezies ohne Greif werkzeuge sind einfach undenkbar.«
14 Ich zuckte mit den Schultern und stieß mit dem Fuß gegen das Skelett. Zu meiner Über raschung zerbröckelten die Knochen sofort, obwohl sie äußerlich noch stabil wirkten. Das wies darauf hin, daß diese Überreste schon seit langer Zeit hier liegen mußten. Der ständige Wechsel von glühender Hitze am Tage und Temperaturen nahe dem Null punkt bei Nacht hatten es mürbe gemacht. »Laß uns weitergehen«, sagte ich und folgte dem Wolf, der bereits wieder losge trabt war. Einige hundert Meter weiter stießen wir auf ein zweites, gleichartiges Skelett, hielten uns jedoch nicht bei ihm auf. Wir konnten nun schon das Grün der Gewächse in der Oase erkennen, und es schien uns, als wäre die Luft bereits kühler und feuchter gewor den. Das war aber vermutlich nur eine Ein bildung, die Sinne eilten den Gegebenheiten voran. Dann fanden wir drei weitere Gerippe, die dicht beisammen lagen, und das gab mir zu denken. Ich blieb stehen und sah den Pthorer an. »Die Häufung dieser makabren Funde ge fällt mir gar nicht, Freund. Ich kann mir kein normales Wesen vorstellen, das sich hier in der Wüste aufhält, bis es umkommt während eine Oase in greifbarer Nähe ist. Gewiß, es gibt keinen Hinweis darauf, daß diese Ge schöpfe umgebracht wurden, aber das Ganze erscheint mir doch seltsam, wenn nicht gar bedrohlich.« »Schon möglich, daß auch in Goltabuur einiges nicht stimmt«, räumte Razamon ein. »Eine zweite Schattenkullja wird es dort wohl kaum geben, aber vielleicht andere Ge fahren. Wir werden eben auf der Hut sein müssen, wie immer.« Diesmal trat er gegen einen Knochen, und dieser erwies sich als noch relativ stabil. Ich folgte seinem Beispiel und machte bei den anderen Skeletten die gleiche Feststellung. Offenbar lagen sie noch nicht so lange hier draußen wie das, dem wir zuerst begegnet waren. Nachdenklich gingen wir weiter, und nun
Harvey Patton ließen sich schon Einzelheiten der Oase er kennen. Büsche, Bäume und säulenförmige, kak teenähnliche Pflanzen bedeckten ein Gebiet von etwa einem Quadratkilometer. In ihrer ungefähren Mitte gab es einen hügelartigen Buckel, der fast kreisrund etwa hundert Me ter hoch aufragte. Auch er war bewachsen, aber irgend etwas störte mich an ihm. Ich blieb stehen, und schon meldete sich auch der Logiksektor meines Extrahirns. Diese Erhebung ist viel zu gleichmäßig gestaltet, als daß sie auf natürliche Weise entstanden sein könnte! Vermutlich handelt es sich um ein Gebäude, vielleicht sogar um eine Art von Festungsanlage. Höchste Vor sicht ist geboten. »Wem sagst du das?« knurrte ich. »Was meinst du?« fragte der Atlanter ver wundert. Ich unterrichtete ihn über die Fol gerungen des Logiksektors, und er nickte. »Das könnte zutreffen, aber ich glaube nicht, daß es sich um eine Anlage der Her ren der FESTUNG handelt. In diesem Fall wäre sie wohl kaum so verwildert, daß sie ihre Aufgaben nur noch unter Schwierigkei ten erfüllen kann. Außerdem hätte uns die Schattenkullja bestimmt gewarnt, falls es hier so etwas wie ein Fort gäbe.« »Warten wir's ab«, sagte ich, holte meine Waggu hervor und machte sie schußbereit.
3. Vier Männer und zwei Frauen hockten in der Hütte, die man aus metallenen Trüm mern errichtet hatte. Sie befand sich unter einem Pflanzendickicht, das aus seltsamen Gewächsen in allen möglichen Formen be stand. Dazwischen zogen sich Pfade entlang, die zu anderen, ähnlichen Behausungen führten. Insgesamt wohnten hier etwa vierzig Per sonen, zumeist Männer. Es handelte sich um Kuroden, schlanke, braunhäutige Menschen, deren Heimat die Küste der Stille war. Daß sie sich hier, inmitten der Wüste aufhielten, geschah keineswegs freiwillig.
Das Lebensschiff Sie alle waren Ausgestoßene, die gegen die Riten oder Gesetze ihrer Stämme versto ßen hatten. Man hatte ihnen ein Mal auf die Stirn gebrannt, um sie dann davonzujagen. Nun konnten sie sich weder bei ihren Leuten noch anderswo mehr blicken lassen. Sie wa ren vogelfrei. Jeder, der sie im verbotenen Gebiet antraf, konnte sie bedenkenlos töten. Diese Gruppe hatte sich, von allen erbar mungslos gejagt, nach und nach zusammen gefunden. Zuerst hatte sie von Überfällen auf einzelne Reisende oder kleine Ortschaf ten gelebt. Dabei hatte sie genügend Waffen erbeutet, Messer, Lanzen, und auch einige Skerzaals. Das hatte die Räuber ermutigt, bald waren sie weit und breit gefürchtet. Da mals waren es fast hundert Männer. Daraufhin hatten die verschiedenen Dor fältesten beschlossen, eine gemeinsame Jagd auf sie zu veranstalten. Mehrere hundert Krieger waren aufgebo ten worden und hatten ihr Versteck in den Höhlen eines kleinen Bergstocks ausfindig gemacht. Es kam zu einer regelrechten Schlacht, wobei die Mehrzahl der Ausgesto ßenen gnadenlos getötet wurde. Die übrigen flohen, von den Kriegern verfolgt, in die Wüste Fylln hinaus. Es gelang ihnen, sich bis zur Oase Golta buur durchzuschlagen, die normalerweise von den Bewohnern der angrenzenden Ge biete gemieden wurde. Man erzählte sich, daß es dort seltsame Tiere und Pflanzen gab, die ungewöhnliche Eigenschaften besaßen, so daß jeder Eingeborene ihnen früher oder später zum Opfer fiel. Das hatte die Krieger bewogen, von ihrer Verfolgung abzulassen. Ihrer Meinung nach waren diese Parias be reits so gut wie tot. Die Ausgestoßenen hatten jedoch keine andere Wahl, als sich in der Oase niederzu lassen. Sie beugten allen Eventualitäten vor, indem sie alle Tiere sogleich nach ihrer An kunft töteten, die ihnen fremd waren. Ihr Fleisch wurde gedörrt und half ihnen über die erste schwere Zeit hinweg. Sie hatten auch bald herausgefunden, welche Pflanzen ihnen schädlich waren, und hielten sich tun
15 lichst von ihnen fern. Aus überall herumlie genden, merkwürdig geformten Metall stücken errichteten sie sich Unterkünfte. Bald wurde ihre Lage aber wieder kri tisch. Wasser gab es in der Oase genug. Es strömte aus mehreren tiefen Quellen, die sich in regelmäßigen Abständen rings um die Anhöhe inmitten von Goltabuur befan den. Dagegen wurde das Essen bald wieder knapp. Die wenigen einheimischen Tiere waren entweder nicht zum Verzehr geeignet, oder sie hatten sich in das Pflanzendickicht auf der Anhöhe zurückgezogen, wohin ihnen niemand zu folgen wagte. So blieb den Verstoßenen nichts weiter übrig, als erneut auf Raub auszugehen. In einzelnen Gruppen stießen sie in das Grenzgebiet jenseits der Wüste vor. Dort überfielen sie einzelne Gehöfte, plünderten die Felder und raubten Reisende aus. Aller dings wurde jetzt streng darauf geachtet, daß niemand ohne Not getötet wurde. Das hielt die Dorfältesten davon ab, erneut gegen sie aktiv zu werden. Auch sonst kamen immer wieder Überfälle vor. Es gab weitere Ausge stoßene, die in kleinen Gruppen umherirrten und sich auf diese Weise am Leben erhiel ten. Die Kuroden in den Dörfern würden ih nen die Missetaten anlasten. Wahrscheinlich nahmen sie an, die in die Oase Geflüchteten wären längst tot. Die neue Methode hatte sich bewährt. Sie war von Timbuk ersonnen worden, der An führer der Verstoßenen von Goltabuur war. In seiner Hütte saßen nun die sechs Perso nen zusammen, um zu beraten. »Wir müssen in den nächsten Tagen wie der etwas unternehmen, Timbuk«, sagte die ältere der beiden Frauen. »Das Dörrfleisch geht zu Ende, und das Mehl für Brotfladen reicht auch nicht mehr lange. Außerdem brauchen wir dringend Salz, Würzkräuter und noch einige andere Dinge. Kleider zum Beispiel – ich als frühere Frau eines Dorfäl testen habe es satt, ewig in diesen alten Lumpen herumzulaufen.« Einer der Männer verzog sein Gesicht,
16 das starr wirkte, wie bei allen Kuroden, zu einem hämischen Grinsen. »Wer ist denn schuld daran, daß es dir jetzt so dreckig geht? Doch nur du selbst! Hättest du nicht versucht, deinen Mann zu vergiften, damit dein Liebhaber freie Bahn hat, wärest du jetzt nicht hier.« »Du hast es gerade nötig!« fauchte die Frau erbost. »Ausgerechnet du, der die Tochter des Händlers geschwängert hat, ob wohl sie einem anderen versprochen war. Wärest du wenigstens so schlau gewesen …« »Ruhe!« brüllte Timbuk aufgebracht. »Wir sind hier, um zu beraten. Jeder von uns hat etwas getan, das gegen Sitte oder Gesetz verstieß, und die Liste unserer Missetaten ist inzwischen ellenlang geworden. Es ist wirk lich lächerlich, jetzt noch Dinge aufzurüh ren, die in unserer Lage nicht die kleinste Rolle mehr spielen.« »Vollkommen richtig«, sagte der älteste der Männer, der als Zauberer und Wundhei ler der Oasenbewohner fungierte. »Wir alle tragen das Mal der Ausgestoßenen, also müssen wir zusammenhalten, um zu überle ben. Ich schlage vor, daß wir diesmal weit nach Norden vorstoßen. Das Grenzgebiet im Westen und Süden ist von uns schon so oft heimgesucht worden, daß es dort nicht mehr viel zu holen gibt.« »Das ist auch meine Meinung«, stimmte ihm der Anführer zu. »Die Gegend im Nor den ist ohnehin ergiebiger, weil der Boden dort fruchtbarer ist. Der Weg ist zwar wei ter, aber er dürfte sich lohnen. Vielleicht treiben wir sogar ein neues Kleid …« Er unterbrach sich, denn ein weiterer Mann kam eilig in die Hütte. Timbuk sah ihn strafend an, denn es war nicht üblich, ei ne Beratung in seiner Gegenwart zu stören. Der Ankömmling kümmerte sich jedoch nicht darum. »Es kommt jemand von Süden her auf die Oase zu«, sprudelte er heraus. »Zwei frem de, hellhäutige Männer, die von einem Tier begleitet werden, das wie ein großer Wolf aussieht. Der eine hat schwarzes Haar, das
Harvey Patton des zweiten ist fast weiß. Sie müssen aus weit entfernten Gegenden stammen.« Der Anführer vergaß augenblicklich sei nen Groll. »Zwei fremde Männer?« überlegte er. »Was mögen sie hier zu suchen haben, und weshalb kommen sie durch die Wüste? Die sen Weg nimmt niemand ohne äußerste Not.« »Du sagst es«, bekräftigte der Zauberdok tor.. »Offenbar sind sie vor irgend jemand auf der Flucht, oder sie führen Reichtümer mit sich. Das würde erklären, weshalb sie al len Kuroden aus dem Weg gehen wollen.« »Uns aber nicht mehr!« sagte Timbuk ge dehnt und rieb sich voller Vorfreude die Hände. »Hast du erkennen können, was sie bei sich haben und ob sie bewaffnet sind?« Der Mann zuckte mit den Schultern. »Das kann ich dir leider nicht sagen, Tim buk. Ich sah sie nur aus der Ferne, so daß noch keine Einzelheiten zu erkennen waren. Sie werden in etwa einer Viertelstunde hier sein.« Der Anführer überlegte nicht lange. »Zeit genug für uns«, stellte er fest. »Lauf sofort weiter, und unterrichte alle anderen. Sie sollen sich bewaffnen und darauf vorbe reiten, die Fremden zu überrumpeln. Vorerst sollen sie sich aber noch verborgen halten, bis ich ihnen ein Zeichen gebe. Die Männer werden zweifellos zuerst eine Quelle aufsu chen, um sich zu erfrischen. Sie sollen Gele genheit dazu erhalten, das wird sie in Sicher heit wiegen. Zur gegebenen Zeit schlagen wir dann zu, entkommen werden sie uns auf keinen Fall.« Der Bote nickte und eilte hinaus. »Die Versammlung ist aufgelöst«, erklär te Timbuk sodann. »Ihr geht alle zu euren Leuten zurück und sorgt dafür, daß sie nach meinen Anweisungen handeln. Ich überneh me es selbst, die Fremden zu beobachten.«
* »Endlich!« seufzte Razamon. »Richtiges Grün, Schatten und frisches Wasser. Der
Das Lebensschiff ewige Sand hängt mir schon zum Hals her aus.« Ich gab keine Antwort, sondern sah mich aufmerksam um. Zumindest in einer Hinsicht hatte der Pthorer unrecht. Nur ein Teil der verschiede nen Gewächse im Bereich der Oase war auch wirklich grün. Sie boten das Bild der normalen Flora, die wir bereits aus anderen Gegenden kannten. Zwischen ihnen gab es jedoch Pflanzen, wie ich sie noch nirgends innerhalb der Milchstraße oder auf Pthor ge sehen hatte. Stämme und Äste, Blätter und Ranken, al les schimmerte in einem seltsamen kupfer farbenen Rot. Außerdem wirkten sie so bi zarr und verdreht, daß sich mir der Gedanke an Mutationen direkt aufdrängte. Auch die säulenartigen Gewächse erinnerten nur an Kakteen, ohne aber wirklich solche zu sein. Statt der Stacheln besaßen sie lange, faden artige Auswüchse, die mich unwillkürlich an Tentakel denken ließen. Der größte Teil dieser Anomalitäten wuchs auf der runden Anhöhe in der Mitte der Oase. Sie war so vollständig von ihnen bedeckt, daß von dem Untergrund überhaupt nichts zu sehen war. Falls sich dort ein Ge bäude oder etwas Ähnliches befand, war es schon alt und längst verlassen. Vermutlich haben dort jene Wesen ge wohnt, deren Skelette ihr in der Wüste ent deckt habt, folgerte mein Extrahirn. Es ist durchaus möglich, daß es sich bei ihnen um Gegner der Herren der FESTUNG handelte. Diese haben es dann irgendwie zuwege ge bracht, daß sie bekämpft und ausgerottet wurden. Das klang logisch, wie immer, wenn sich mein künstlich aktivierter Gehirnteil melde te. Es gab jedenfalls nichts, das irgendwie dagegen sprach. Die gesamte Oase Goltabuur machte einen völlig verlassenen und verkommenen Eindruck. Trotzdem hütete ich mich vor ei nem zu sorglosen Vorgehen. Ich hielt auch Razamon zurück, der sich bereits anschick te, auf einem der schmalen Pfade einzudrin
17 gen, die vermutlich Wildwechsel waren. »Nur immer schön langsam, Freund«, sagte ich halblaut. »Das Leben ist zwar nicht immer schön, aber auf jeden Fall kostbar. Auch wir potentiell Unsterblichen können es recht schnell loswerden, wenn das Glück ge gen uns ist. Achte nur einmal auf Fenrir! Er gibt sich ausgesprochen mißtrauisch. Sein Instinkt sagt ihm wahrscheinlich einiges, das wir mit unseren verkümmerten Sinnen nicht mehr wahrnehmen können.« Der Pthorer sah mich unwillig an, und sei ne Augen wirkten einmal mehr wie abgrund tiefe schwarze Löcher. »Mußt du unbedingt immer alles unnötig komplizieren, Arkonide?« fragte er ungehal ten. »Nirgends rührt sich etwas, nicht einmal Tiere sind zu sehen. Hier können höchstens noch Gespenster hausen, aber sonst nie mand.« »Deine Vereinfachung ist aber auch nicht eben das ideale Mittel, zur Klärung der Lage beizutragen«, konterte ich. »Daß sich nichts rührt, ist keinesfalls ein Beweis dafür, daß sich niemand in der Oase aufhält. In diesem riesigen Gestrüpp können sich Hunderte von Gegnern verbergen, ohne daß wir auch nur eine Nasenspitze von ihnen zu sehen bekom men. Und was deine Redensart von den Ge spenstern betrifft …« »Vergiß sie«, unterbrach mich Razamon. »Falls du eine bestimmte Vermutung hast, dann nur heraus damit.« Ich nickte und wies auf das Pflanzenge wirr vor uns. »Sieh dir diese Gewächse nur einmal rich tig an: Ein großer Teil davon paßt einfach nicht hierher. Ich will damit nicht behaup ten, daß sie von einer fremden Welt stam men, obwohl das gar nicht so unmöglich wä re. Schließlich gibt es auf Pthor ein wahres Sammelsurium von Lebewesen und Dingen, die dieser Mordkontinent einmal irgendwo aufgelesen hat. Es könnte sich aber, ihrem, ganzen Aussehen nach, sehr gut um Muta tionen handeln.« »Das ist möglich«, räumte mein Gefährte ein. »Vielleicht war das hier wirklich einmal
18 eine Station der Technos oder Robotbürger, deren Anlagen irgendwie außer Kontrolle geraten sind. Allerdings sehen sie kaum so aus, als ob sie uns gefährlich werden könn ten.« »Das meine ich auch erst in zweiter Linie, Freund«, sagte ich. »Wo es mutierte Ge wächse gibt, könnte es aber sehr gut auch Mutanten aus Fleisch und Blut geben! Ob Tiere oder Humanoiden, bleibt sich dabei im Endeffekt gleich. Das ist es, was ich meine.« »Na, wenn schon«, erklärte der Pthorer. »Für solche Fälle haben wir schließlich un sere Waggus. Ihren Lähmstrahlen hält kein Lebewesen stand.« »Hoffen wir es«, entgegnete ich und sah auf Fenrir. Der Wolf hatte sich inzwischen wieder halbwegs beruhigt. Jetzt knurrte er nicht mehr, schnupperte aber noch immer aufmerksam nach irgendwelchen Gerüchen. Viel konnte er aber kaum wittern, denn der Wind kam aus unserem Rücken, von der Wüste her. Wir blieben noch eine Weile stehen, lauschten und suchten mit den Blicken das Gewirr von Stämmen, Ästen und Ranken ab. Alles blieb aber nach wie vor still, Goltabu ur schien tatsächlich ausgestorben zu sein. Schließlich setzte ich mich in Bewegung und überquerte die Grenze, wo der Wüsten sand fast übergangslos von Humusboden ab gelöst wurde. Einige niedrige Rankenge wächse zerbrachen unter meinen Stiefeln, dann hatte ich einen der schmalen Pfade er reicht, die ins Innere der Oase führten. Razamon folgte mir mit etwa zehn Metern Abstand. Nur Fenrir schien sich nicht recht entschließen zu können, die seltsame Oase zu betreten. Er kam uns zwar nach, aber mit einem für ihn ungewöhnlich großen Ab stand. Sonst war er es meist, der vorauslief, um etwaige Gefahrenherde aufzuspüren. Sein Verhalten war also ungewöhnlich, aber mei ner Ansicht nach war es lediglich die fremd artige Atmosphäre von Goltabuur, die ihm irgendwie nicht recht behagte. Bald schloß sich über uns ein Dach, gebil-
Harvey Patton det aus niedrigen Bäumen und verschieden artigen Büschen. Mit jedem Schritt wurde es kühler, eine wahre Wohltat nach dem langen Marsch durch die hitzeflammende Wüste Fylln. Es roch nach frischem Wasser, und ich war versucht, möglichst schnell in seine Nähe zu gelangen. Ich gab diesem Verlan gen jedoch nicht nach. Wenn auch hier alles friedlich schien, meine Bedenken blieben bestehen. Ich lauschte intensiv, aber nicht nur auf Ge räusche aus der Umgebung, sondern auch nach innen. Mein Extrahirn, das Gefahren meist viel früher registrierte als meine nor malen Sinne, blieb jedoch passiv. So legte ich auf dem unregelmäßig ge wundenen Pfad die ersten zwanzig Meter zurück. Dann hatte ich das Ende des Grün gürtels erreicht. Ihm folgte eine Formation jener kupferfarbigen, in keine der bekannten Kategorien einzuordnenden Gewächse. Ich blieb unwillkürlich stehen und musterte sie erst einmal. Sie bildeten ein Konglomerat, das einem Alptraum in Rotbraun zu entspringen schien. Man konnte sie in Büsche, Bäume und kakteenähnliche Gewächse aufgliedern. Da mit endete ihre Ähnlichkeit mit irdischen oder pthorischen Pflanzen aber auch schon. Die verdrehten und bizarren Stämme und Äste, die Vielfalt verschiedenartiger Blatt formen auf ein und demselben Gewächs irri tierte mich. Daneben gab es zahlreiche Ran ken aller Art, manche grazil und zierlich wirkend, andere eingerollt, wie die Lassos der irdischen Cowboys vergangener Zeiten. Wieder andere waren mit Gebilden besetzt, die mich unangenehm an die Saugnäpfe von Polypen oder fleischfressenden Pflanzen er innerten. Sie wirkten fremdartiger als alles, was ich je in meinem langen Leben gesehen hatte. Konnte es sich bei ihnen wirklich um Muta tionen der pthorischen Flora handeln? Oder stammten sie vielleicht doch von einer gänz lich fremden Welt, vielleicht sogar aus einer anderen Galaxis? Nach allem, was ich jetzt über das »Neue
Das Lebensschiff Atlantis« wußte, war das durchaus möglich. Der »Fahrstuhl durch Raum und Zeit« hatte im Verlauf seiner Geschichte schon unzähli ge Planeten heimgesucht, um dort aufblü hende Kulturen zu vernichten. So auch die Erde zu wiederholten Malen. Razamon riß mich aus meinen Überlegun gen. Er war indessen herangekommen und befand sich nun dicht hinter mir. »Suchst du etwas Bestimmtes, Lordadmi ral?« erkundigte er sich gedämpft, aber un verkennbar sarkastisch. »Ist dir etwa dein Mut abhanden gekommen?« Er versuchte, mich zu provozieren, aber ich ging nicht darauf ein. Stattdessen sah ich nun nach unten, einem Impuls meines Extra hirns folgend, das den letzten Teil von Raza mons Bemerkung sofort richtig eingestuft hatte. Auch hier war der Boden dunkel, aber von unzähligen kupferfarbenen Adern durchsetzt. Ich verfolgte ihren Verlauf mit meinen Blicken, aber das Ergebnis verwirrte mich nur noch zusätzlich. All diese fremdartigen Gewächse standen durch ihre Wurzeln miteinander in inniger Verbindung! Ich sah, daß der gleiche Haupt strang dicht vor meinen Füßen zwei Büsche, einen Baum und einen mannshohen Säulen kaktus zugleich zu versorgen schien. Wie war das nur möglich? Waren diese Pflanzen, so verschieden sie auch äußerlich wirken mochten, nur andere Erscheinungsformen ein und derselben Gat tung? Ich war in meinem zehntausendjährigen Leben schon alles nur mögliche gewesen: Kristallprinz des Arkon-Imperiums, Absol vent der schwierigen ARK-SUM MIA-Prüfungen, Untergrundkämpfer gegen den Mörder meines Vaters. Dann Befehlsha ber der Arkonflotte, Schläfer in meiner Ge heimstation auf dem Meeresgrund, zwi schendurch Besucher aller irdischen Zeite pochen. Später ein Gegner Perry Rhodans, dann sein Freund und Chef der Organisati on, die als USO so etwas wie eine »Galaktische Feuerwehr« war.
19 Immer und zu allen Zeiten war ich aber vorzugsweise Raumfahrer gewesen. Meine Spezialgebiete waren Raumschiffe und fremde Rassen jeder nur denkbaren Katego rien. Meine botanischen Kenntnisse dagegen hielten sich in bescheidenen Grenzen. Es fiel mir deshalb schwer, zu unterscheiden, ob es sich wirklich so verhielt, wie es meinen Au gen schien. Razamon deutete mein erneutes Zögern falsch. »Geh doch endlich weiter, Mann«, dräng te er. »Da drüben gibt es frisches Wasser, vielleicht können wir sogar baden, um den verdammten Sand einmal loszuwerden. Worauf wartest du denn jetzt schon wie der?« Ich verzichtete darauf, ihm etwas erklären zu wollen, das ich selbst nicht richtig be griff. Nach wie vor blieb es in der Oase ru hig, und so setzte ich mich schließlich wie der in Bewegung und trat den Weg durch die Phalanx der unbekannten Gewächse an.
* Wir mußten gebückt gehen, denn in Kopf höhe schlossen sich Äste und Ranken über dem Pfad, so daß etwas wie ein Tunnel ent standen war. Es drang aber noch immer eini ges Sonnenlicht durch, das eine gute Sicht ermöglichte. In seinen Strahlen schimmerten die exotischen Blätter seltsam metallisch. Obwohl ich aufmerksam umherspähte, gingen meine Gedanken vorübergehend an dere Wege. Dadurch, daß ich mich gerade mit dem »Früher« beschäftigt hatte, waren sie wieder einmal auf die Erde gelenkt wor den. Genau genommen, befanden wir uns auf ihr, aber das stimmte nur bedingt. Pthor, das ihr gewissermaßen aufgepfropfte Gebilde, war ein Kleinkontinent für sich und besaß seine eigenen, uns meist unbegreiflichen Ge setzmäßigkeiten. Er war ein giftiger Stachel im Fleische Terras. Daß dieser Stachel noch nicht wirksam geworden war, dafür sorgten die Feldprojek
20 toren, die ihn mit einem Paratronschirm um gaben. Ich selbst hatte seinen Aufbau veran laßt, obwohl Perry Rhodan von der Zweck mäßigkeit dieses Vorhabens nicht restlos überzeugt gewesen war. Allein die Flutwelle beim Auftauchen Pthors im Gebiet südlich der Azoren hätte, durch das Anbranden ge gen die Küsten Afrikas und Europas, schon zu schweren Schäden auf beiden Landmas sen geführt. Andererseits war aber auch das »Neue At lantis« durch seinen »Wölbmantel« so gut wie unangreifbar. Menschen, die ihm zu na he kamen, verloren ihr Gedächtnis, Instru mente und Funkgeräte versagten. Nur Raza mon und mir war es gelungen, Pthor zu er reichen, allerdings nackt und ohne jedes Hilfsmittel. Zwischen ihm und der Erde herrschte eine Pattsituation. Noch! Die Herren der FESTUNG waren nahe daran gewesen, sie mittels des Kartaperators zu ihren Gunsten zu beenden. Mit Hilfe der Siarta und des »verrückten« Robotdieners Manziel hatten wir das vereiteln können. Vermutlich wurden jetzt aber in der FE STUNG bereits wieder neue Pläne in dieser Hinsicht geschmiedet. Ob wir aber ein zwei tes Mal zur Stelle sein konnten, um Abhilfe zu schaffen, war mehr als fraglich. Warum geschah nur hier etwas? Warum nicht auch draußen auf der Erde? War Terra wirklich so machtlos gegen über dem Eindringling wie es schien …? Diese Fragen begannen mich wieder ein mal zu quälen. Jetzt irrten wir schon monatelang auf Pthor umher, und noch immer hatte sich nichts getan. Gewiß, die energetische Konsi stenz des Wölbmantels war uns am Anfang ein Rätsel gewesen. Inzwischen mußten Wa ringer und seine erfahrenen Experten aber doch Zeit genug gehabt haben, sie festzu stellen. Sobald das geschehen war, mußte es rela tiv einfach sein, ein Mittel zu finden, mit dessen Hilfe er sich knacken ließ. Warum …?
Harvey Patton Aufpassen! warnte mich mein Extrahirn mit einem scharfen Impuls. Ich schrak zusammen, denn ich hatte tat sächlich wegen meiner Überlegungen sekun denlang nicht genügend auf meine Umge bung geachtet. In diesem Moment war es aber bereits zu spät. Mit dem rechten Fuß verfing ich mich in einem Wurzelstrang, der sich einige Zenti meter über dem Boden erhob. Ich kam ins Stolpern und konnte mich nur dadurch vor einem Sturz bewahren, daß ich mit der Lin ken nach den Ranken griff, die neben mir herabhingen. Hinter mir lachte Razamon lei se auf. »Gute Nacht, Arkonide«, spöttelte er, doch ich achtete nicht darauf. Von den Ranken ausgehend, lief ein leichtes Kribbeln durch meine Hand und pflanzte sich den Arm entlang fort. Es glich jenem, das man beim Kontakt mit einer schwachen Stromquelle empfindet, und wirkte keinesfalls bedrohlich. Trotzdem er schreckte es mich, und ich öffnete die Hand sofort wieder, nachdem mein körperliches Gleichgewicht wieder hergestellt war. Es gelang mir jedoch nicht, mich von den Ranken zu lösen. Im Gegenteil – sie reagier ten durch schnelle Gegenbewegungen, rin gelten sich von allen Seiten um meine Hand und hielten sie sanft, aber unerbittlich fest! Waren diese Gewächse vielleicht fleisch fressende Pflanzen? Hatten sie vor, mich bei lebendigem Leib zu verspeisen? Fast schien es so, denn nun geriet der gan ze Busch in Bewegung. Die verdrehten Äste bogen sich zu mir herab, das Blattwerk um gab mein Gesicht, so daß ich kaum noch et was sehen konnte. Hastig schob ich die Waggu in ihr Futteral und holte das Messer hervor, um mich loszuschneiden. Bisher wa ren wir den vielfältigen Gefahren von Pthor mit Mut, Geschick, und oft auch mit eini gem Glück entronnen. Ich verspürte begreif licherweise keine Lust, nun hier in den Fän gen dieser fremden Pflanzen ein unrühmli ches Ende zu finden. Dann ereignete sich jedoch etwas, das
Das Lebensschiff
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mich derart verblüffte, daß meine Rechte mit dem Messer auf halbem Weg in der Luft hängen blieb. Wer bist du, Fremder …? wisperte es in meinem Hirn! Diese Frage kam, deutlich er kennbar, eindeutig von dem Busch …
4. Mankor, der Kommandant des Lebens schiffes DAUTOR-PAN, wälzte sich unru hig auf seinem Lager hin und her. Er verspürte den Drang nach körperlicher Bewegung, das Verlangen, sich frei in sei nem Reich entfalten zu können. So war es früher gewesen, in seiner Jugend, an die er sich aber nur noch nebelhaft erinnerte. Da mals war alles noch anders gewesen; anders, und besser. Damals waren auch die anderen noch um ihn herum gewesen, die Älteren. Er versuch te, sich an ihre Namen zu erinnern, doch es gelang ihm nicht mehr. Sein Erzeuger, seine Lebensmutter – er sah ihre Bilder noch ver schwommen vor sich. Wo waren sie nur ge blieben …? Ja, jetzt wußte er es wieder: sie waren ge gangen, hinaus in eine fremde Umgebung. Sie waren ebenso gegangen, wie alle ande ren vor ihnen, sie hatten die DAUTOR-PAN verlassen. Warum waren sie gegangen …? Mankor brauchte lange Zeit, bis es ihm wieder einfiel. Die Strahlung war es gewesen, die sie von ihm fortgetrieben hatte. Die Strahlung, die von jenen Dingen ausging, die sie Maschi nen oder Aggregate genannt hatten. Doch was war das eigentlich, Maschinen und Aggregate? Und was war eine Strahlung …? Irgendwie hing das alles mit der DAU TOR-PAN zusammen, deren Kommandant er war. Er selbst war in ihr geboren worden, ihm konnten Aggregate oder Strahlung nichts mehr anhaben. Doch die Älteren hat ten das, was sie bewirkten, nicht vertragen können.
Sie waren geworden – was waren sie ge worden? Ach ja, krank! Und das war es gewesen, was sie von ihm, dem Kommandanten Mankor, fortge trieben hatte. Sie hatten es ihm ersparen wollen, vor seinen Augen zu … sterben, war das der richtige Ausdruck? Ja, so mußte es wohl gewesen sein. Sterben – was war das eigentlich? Mankor bemühte sich krampfhaft, die Be deutung dieses Wortes in sich wachzurufen, aber es gelang ihm nicht mehr. Auf jeden Fall mußte es etwas sehr Unangenehmes ge wesen sein. Fast so unangenehm, wie stän dig stilliegen zu müssen, nahm er an. Erneut bewegte sich sein unförmiger Kör per unruhig, aber seine Kräfte erlahmten rasch. Erschöpft hielt er inne, wartete dar auf, daß aus den Lebensfäden neue Energie in seinen Körper floß. Wieder dachte er an die Zeit, in der er zum Kommandanten der DAUTOR-PAN geworden war. Ein Lebensschiff, voll mit Älteren, Pflan zen und anderen Lebendigen, Tiere hatte man sie genannt. Ein großes, schönes Schiff, so hatte sein Erzeuger immer gesagt. Dann war jedoch etwas geschehen … Was war geschehen? Mankor quälte sich lange damit ab, diese Frage zu ergründen. Er wußte es nicht mehr. Es hatte jedenfalls dazu geführt, daß die DAUTOR-PAN nicht mehr länger groß und schön geblieben war. Sie konnte nicht mehr – fliegen, war es das gewesen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. In ihm war die Gewißheit, daß es nicht immer so bleiben würde wie jetzt. Die Älte ren mußten es ihm gesagt haben, damals, ehe sie fortgegangen waren. Irgendwo gab es eine andere Welt, besser und schöner als die, in der er jetzt lebte. Er kannte sie nicht, aber er sehnte sich nach ihr. Vielleicht konnte er sich dort wieder bewe gen, wie er wollte, so wie damals, ehe er Kommandant geworden war. Irgend jemand sollte ihn wieder von diesem Ort wegholen … aber wer? Einmal hatte er gehofft, daß es bereits so
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Harvey Patton
weit wäre. Das war damals gewesen, als jene frei Be weglichen bei der DAUTOR-PAN aufge taucht waren. Es waren viele, weit mehr, als er noch zählen konnte. Er hatte sofort durch seine geistigen Boten Verbindung zu ihnen aufgenommen, aber eine gewaltige Enttäu schung erlebt. Sie hatten ihm mitgeteilt, daß sie nicht wüßten, wohin sie ihn bringen könnten. Draußen, außerhalb der DAUTOR-PAN, gä be es keinen sicheren Ort für sie und ihn, hatten sie erklärt. Vielleicht später einmal, falls Pthor – was immer das auch sein moch te – eine Veränderung durchmachen würde. Später: Das hieß, weiter stilliegen, ob wohl alles in ihm nach Bewegung drängte. Notgedrungen wartete Mankor weiter. Er hatte den Beweglichen erklärt, daß er sie in DAUTOR-PAN dulden würde, bis der rich tige Zeitpunkt gekommen sei, ihn fortzu bringen. Solange müßten sie als seine Wäch ter fungieren, oder er würde seine Geistes boten dazu veranlassen, sie zu bestrafen und aus dem Bereich der DAUTOR-PAN zu ver treiben. Sie hatten zugestimmt, weil ihnen dieser Ort aus irgendeinem Grund gefiel. Sie ka men und gingen zwar, wie es ihnen behagte, aber einige blieben stets zurück, um das Le bensschiff zu bewachen. Mankor gab sich notgedrungen damit zufrieden. Vielleicht würden einst andere kommen, wirkliche Ab gesandte der Älteren, um ihn aus seiner La ge zu befreien. So wartete und hoffte er weiter: Ein miß gestaltetes, monströses Wesen, lebensun tüchtig bis zum Extrem, ohne den ständigen Kontakt mit der Pflanzenwelt unweigerlich zum Tode verurteilt. Sie war mit ihm ver wachsen, sie ersetzte ihm Augen und Ohren, sie ernährte ihn. Auch sie hatte sich unter dem Einfluß der Strahlung verändert, doch sie war trotzdem noch imstande, ihm zu die nen wie einst seinen Vorfahren.
*
Timbuk hatte einen der grünen Bäume er klommen, die rings um die südliche Wasser stelle wuchsen. Das Laub war dicht genug, ihn zu verbergen, ohne ihm aber die Sicht vollständig zu versperren. Seine Männer hat ten sich in der Nähe verborgen und warteten darauf, daß er das Zeichen zur Überwälti gung der beiden Fremden gab. Seine Geduld wurde jedoch auf eine harte Probe gestellt. Die Ankömmlinge hatten es, entgegen seinen Erwartungen, gar nicht sonderlich ei lig, die Oase zu betreten. Sie blieben an ih rem Rand stehen, ließen ihre Blicke miß trauisch wandern und unterhielten sich eini ge Zeit. Weshalb waren sie so vorsichtig? Hatten sie vielleicht doch Kenntnis davon, daß sich hier die Verstoßenen aufhielten? Erst jetzt sah er, daß sie die gleichen Waf fen besaßen, wie sie sonst nur die Technos trugen. Auch das gab ihm zu denken. Stan den sie vielleicht mit den Herren der FE STUNG in Verbindung, handelten sie etwa gar in ihrem Auftrag? Unter dem Baum raschelte es. Timbuk sah nach unten und entdeckte den Zauberer, der ihm zuwinkte. »Wie sieht es aus, Timbuk?« raunte er. »Kommen die Fremden nicht bald? Die Leu te werden langsam ungeduldig.« »Sie haben die Oase noch nicht betreten«, gab der Anführer gedämpft zurück. »Komm herauf, dann kannst du sie selbst sehen und mir sagen, was du von ihnen hältst. Die bei den sind mir irgendwie nicht geheuer.« Der Ältere nickte und klomm zu ihm em por. Schnaufend ließ er sich neben Timbuk auf dem Ast nieder und brauchte einige Zeit, bis er wieder bei Atem war. Er besaß nicht die eiserne Konstitution, wie sie den anderen Männern zu eigen war, denn er führte ein weitgehend ruhiges Leben. Seine Augen waren jedoch noch scharf. Er betrachtete die Fremden, die immer noch draußen standen und diskutierten. Schließ lich schüttelte er langsam den Kopf. »Männer von ihrer Art habe ich noch nie
Das Lebensschiff gesehen, und ich bin weit herumgekommen. Der Schwarzhaarige könnte aus dem Osten stammen, in der Gegend des Regenflusses soll es Leute von seinem Aussehen geben. Der Weißhaarige dagegen erscheint mir vollkommen fremd. Man könnte fast mei nen, er stamme gar nicht von Pthor.« »Unsinn«, sagte der Anführer überzeugt. »Von draußen kann niemand zu uns herein, das weißt du doch. Ihre Kleidung ist jeden falls die von Händlern aus dem Süden, aber das braucht nichts zu besagen. Könnten sie vielleicht im Auftrag der Herren der FE STUNG unterwegs sein?« »Wie kommst du auf diese Idee?« fragte der andere verwundert. »Weil sie die Waf fen der Technos tragen? Die können sie sich auf Umwegen beschafft haben, vielleicht aus einem abgestürzten Zugor. Abgesandte der Herren nehmen bestimmt nicht den be schwerlichen Weg durch die Wüste.« Timbuk atmete erleichtert auf. »Das leuchtet mir ein. Da – eben gehen sie weiter, genau auf Goltabuur zu; jetzt kann es nicht mehr lange dauern, bis wir sie uns schnap pen können. Allerdings bereiten mir ihre Technowaffen Sorgen. Geh wieder hinunter und sage den anderen, daß sie sich vorsehen sollen. Die Waffen töten zwar nicht, sie be täuben nur, aber das reicht auch.« »Der große Wolf könnte euch auch sehr zu schaffen machen«, sagte der Zauberdok tor. »Er ist fast so groß wie ein Yassel und vermutlich genauso schnell. Ich werde den Skerzaalträgern sagen, daß sie ihn zuerst ab schießen sollen.« Er kletterte wieder nach unten und begab sich zu den lauernden Männern. Timbuk be obachtete, wie die beiden Fremden den Pfad beschritten, der in die Oase führte, und plötzlich kam ihm ein neuer Gedanke. Vielleicht war es gar nicht mehr nötig, daß seine Männer mit ihnen kämpften! Viel leicht gerieten sie in eine Falle jener Pflan zen, die dem Geschöpf unterstanden, das sich selbst »Kommandant der DAUTOR PAN« nannte. Dann waren alle Probleme mit einem Schlag gelöst.
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* Wer bist du? hatte die Pflanze gefragt! Ich war darüber so verwundert, daß ich für eine Weile zu keiner Reaktion darauf fä hig war. Im Verlauf meines langen Lebens hatte ich unzählige unbekannte Lebewesen mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten ken nengelernt. Ein Busch jedoch, der imstande war, Fragen zu stellen, war mit Sicherheit noch nicht darunter gewesen. Der Logiksektor meines Extrahirns sprang mit der gewohnten Schnelligkeit für mich ein. Semi-telepathische Übermittlung! unter richtete er mich lakonisch. Du hast selbst schon vermutet, daß es in dieser Oase Muta tionen geben könnte, und um eine solche muß es sich hier handeln. Außerdem hast du erkannt, daß all diese Gewächse miteinan der in Verbindung stehen. Vermutlich haben sie im Lauf der Zeit so etwas wie eine Ge meinschaftsintelligenz entwickelt, so daß sie zu sinnvollen Denkvorgängen und Handlun gen fähig sind. Das war eine zwar verblüffende, aber durchaus einleuchtende Erklärung. Ich kam jedoch nicht dazu, eine Nutzanwendung dar aus zu ziehen, denn nun kam Razamon her angeeilt. Er glaubte mich in Lebensgefahr, hatte sein Messer gezückt und hieb mit ihm auf die Ranken ein. Vergeblich, denn die Klinge glitt einfach an ihnen ab. Sie schimmerten nicht nur kup ferfarben, sondern schienen auch tatsächlich in ihren Zellen einen hohen Prozentsatz von Metall zu enthalten. Er verlieh ihnen eine außergewöhnliche Festigkeit, ohne jedoch ihre Beweglichkeit zu beeinträchtigen, die sie eben unter Beweis gestellt hatten. Der Pthorer schnaufte auf, im höchsten Grad verwundert. Er holte erneut aus, aber ich fiel ihm rasch in den Arm. »Laß es sein, Freund«, sagte ich. »Der Busch beabsichtigt keineswegs, mir irgendwie zu schaden. Im Gegenteil, er hat sich eben ausgesprochen höflich nach meiner
24 Herkunft erkundigt.« Razamons Augenbrauen rutschten fast bis zum Haaransatz hoch, sein Gesicht zeigte einen einzigartigen Ausdruck absoluten Nichtbegreifens. Das dauerte jedoch nur einen Augenblick lang, dann lag wieder die übliche Strenge auf seinen Zügen. »Bist du plötzlich übergeschnappt?« er kundigte er sich verdächtig sanft. »Oh, ich verstehe! Das verdammte Gewächs hat ir gendeinen Stoff in deine Blutbahn gebracht, der Halluzinationen hervorruft. Ein spre chender Busch – daß ich nicht lache! Einen Moment, ich werde dich gleich befreien.« Er steckte das Messer weg und streckte seine Hände nach den Ranken aus. Ich wuß te, welche Kraft in ihnen lag, schließlich hatte ich schon genügend seiner BerserkerTobsuchtsanfälle erlebt. »Irrtum, Freund«, sagte ich, und wehrte mit der Rechten seinen Zugriff ab. »Ich bin voll Herr meiner Sinne, von Halluzinationen kann keine Rede sein. Der Busch hat mich etwas gefragt, das steht einwandfrei fest.« »Wollte er deine Blutgruppe wissen?« knurrte der Atlanter nach wie vor skeptisch. »Vielleicht verträgt er nur Opfer mit Rhe susfaktor positiv, hier ist ja fast alles mög lich.« Ich mußte unwillkürlich grinsen. »Ich habe dir bereits erklärt, daß er sich dafür interessiert, wer oder was ich bin«, gab ich geduldig zurück. »Mein Logiksektor hat mir auch schon eine plausible Auswer tung des – zugegebenermaßen seltsamen – Vorgangs geliefert. Er meint, daß die kup ferfarbigen Gewächse infolge einer Mutati on eine Art von Gemeinschaftsintelligenz erlangt hätten. Wenn das aber so ist, warum sollten sie sich dann nicht auch halb-telepathisch arti kulieren können?« Razamon schüttelte ausgiebig den Kopf, aber sein Gesichtsausdruck hatte sich bereits gewandelt. »Okay, dein logisches Anhängsel hat ja bekanntlich immer recht; also muß ich wohl auch dieses Unglaubliche als gegeben hin-
Harvey Patton nehmen. Du hast doch wohl nichts dagegen, wenn ich mich in diese seltsame Kommuni kation miteinschalte.« »Nur zu«, forderte ich ihn auf. Während wir uns unterhielten, hatte sich der Busch vollkommen passiv verhal ten. Nach wie vor hielten die zentimeter dicken Ranken meine Hand fest, sein Blatt werk umgab mich. Nun schwiegen wir, und der Pthorer griff gleichfalls nach einigen frei herabhängenden Ranken. Auch seine Hand wurde umschlungen, und sofort vernahm ich erneut in meinem Hirn die Frage: »Wer bist du, Fremder?« Razamon hatte sie ebenfalls gehört und stieß einen leisen Ausruf der Überraschung aus. Ich kümmerte mich jedoch nicht weiter um ihn, sondern konzentrierte mich auf mei ne Antwort. »Ich bin Atlan, ein Mann, der auf diesen Kontinent kam, um seine Rätsel zu lösen. Ich komme vom Planeten Terra, auf dem sich Pthor jetzt befindet, mein Begleiter ebenfalls. Darf ich jetzt auch wissen, wer oder was du bist?« Der Busch gab so etwas wie einen Seuf zer von sich. »Ich habe keinen Namen, und ich bin auch nicht mehr das, was ich einst war. Frü her einmal war ich eine Kommunikations pflanze im Lebensschiff DAUTOR-PAN. Jetzt vegetiere ich, wie die meisten anderen Gewächse hier, nur noch ohne Sinn dahin.« Das erklärte einiges, obwohl ich mir unter einer Kommunikationspflanze nichts Rech tes vorstellen konnte. Auch blieb die Frage offen, was für eine Art von Gefährt das »Lebensschiff« gewesen sein mochte. Eine Institution des Kontinents Pthor, oder, wie ich es schon früher von den Pflanzen ange nommen hatte, Bestandteil einer anderen Welt? Ich formulierte eine entsprechende Frage, nachdem ich vergebens auf eine Reaktion meines Extrahirns gewartet hatte, das mit den vagen Angaben auch nichts anzufangen wußte. »Ich kann dir keine umfassende Auskunft geben«, lautete die Antwort. »Es war stets
Das Lebensschiff nur meine Aufgabe, Informationen weiterzu leiten, nicht aber, sie auch zu speichern. Wenn du mehr erfahren willst, mußt du dich zu einer der Denkpflanzen begeben. Das sind jene, die wie runde Säulen aussehen. Du wirst sie zu finden wissen, Bewegli cher.« Ich dachte eine kurze Bestätigung, und sofort gaben die Ranken Razamon und mich frei. Wir sahen uns an, und der Pthorer schüttelte ausgiebig den Kopf. »Dies hier ist wohl der Gipfel des Un glaublichen«, kommentierte er den Vorgang. »Pflanzen, die intelligent sind, und auch noch eine sinnvolle telepathische Unterhal tung führen können! Wie kann es so etwas geben?« Inzwischen hatte ich mir bereits eine Er klärung zurechtgelegt, die vermutlich der Wahrheit ziemlich nahe kam. »Ich vermute, daß diese Flora einst in in niger Symbiose mit jenen lebte, denen das ominöse Lebensschiff DAUTOR-PAN ge hörte. Wahrscheinlich bestand diese Verbin dung über einen langen Zeitraum hinweg, und die Intelligenz ihrer Symbionten ging in gewissem Rahmen auch auf die Pflanzen über. Die höchste Stufe dieser Entwicklung müssen die ›Denkpflanzen‹ sein, also die, die unseren Kakteen ähneln. Wir suchen am besten gleich eine von ihnen auf. Übrigens hast du dich eben unkorrekt aus gedrückt, Freund, als du von einer telepathi schen Unterhaltung sprachst.« »Alter Wortklauber«, murrte Razamon, aber er wußte, was ich damit meinte. Eine echte telepathische Verbindung zwi schen entsprechend veranlagten Lebewesen, wie bei den Mutanten Gucky und Fellmer Lloyd auf Terra, kam direkt von Hirn zu Hirn zustande – ohne jeden »Zwischenträger«. Der Kontakt mit den Pflanzen dieser Oase war jedoch davon ab hängig, daß man sie berührte; es war also nur Semi-Telepathie. Das Bemerkenswerte daran war jedoch, daß wir uns mit dem Busch hatten verständigen können, obwohl wir über keine Paragaben verfügten.
25 Ich sah mich nach einer Denkpflanze um und bemerkte dabei, daß Fenrir nirgends zu sehen war. »Wo ist der Wolf geblieben?« fragte ich. Der Atlanter zuckte mit den Schultern. »Ihm war es offenbar zu langweilig ge worden, er hat sich in die Büsche geschla gen. Vielleicht hat er dort etwas gewittert, oder er ist schon zu einer Quelle gelaufen, um zu trinken.« Das war kein Grund zur Besorgnis, denn Fenrir konnte kaum jemand. etwas anhaben. Im Gegenteil, er hatte uns schon einige Male geholfen, als wir in Bedrängnis waren. Ir gendwann würde er von selbst zurückkeh ren, wie sonst auch. Etwa zwanzig Meter weiter stießen wir auf eines der Kaktusgewächse. Es stand ab seits des Pfades, so daß wir uns durch die Büsche zu ihm hinarbeiten mußten. Dabei erlebten wir das Phänomen, daß uns diese bereitwillig Platz machten, indem sie ihre Ranken einrollten oder die Zweige zur Seite bogen. Die Kommunikationspflanze schien unser Kommen bereits avisiert zu haben. Der Stamm der Denkpflanze war etwa sechzig Zentimeter dick und zweieinhalb Meter hoch. Er besaß Längsrippen wie die irdischen Säulenkakteen. Die langen Fäden, mit denen er besetzt war, ließen an die Gat tung »Greisenhaupt« denken. Nebenstämme oder Ableger gab es nicht. Als wir ihm uns näherten, gerieten die tentakelähnlichen Fä den in heftige Bewegung und gaben den kupferroten Stamm frei. Sie stellten sich auf, wogten wie suchend hin und her und reckten sich dann uns entgegen. Das Gewächs schi en regelrecht begierig darauf zu sein, in Kontakt mit uns treten zu können. Razamon machte eine entsprechende Be merkung, und ich nickte. »Schon möglich, Freund. Der Name ›Denkpflanze‹ sagt ja aus, daß sie wohl das höchstentwickelte Glied dieser Kollektivin telligenz sein muß. Gut, dann wollen wir einmal ›hören‹, was sie uns zu sagen hat.« Ich streckte meine Linke aus, und sofort schlossen sich die weißen Fäden der betref
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fenden Stelle um sie. Während Razamon noch zögerte und sich mißtrauisch in der Umgebung umsah, vernahm ich bereits ihre Stimme. »Ich grüße dich, Fremder Atlan. Fast sechzig Jahre sind vergangen, seit ich zuletzt Kontakt mit intelligenten Wesen hatte. Da mals sind die Herren fortgegangen, um nie mehr wiederzukehren. Jetzt lebt hier nur noch der neue Kommandant der DAUTOR PAN, und er hat meine Dienste nie in An spruch genommen. Frage nur, du sollst alle Antworten bekommen, die ich dir geben kann.«
5. Fenrir schüttelte unmutig seinen gewalti gen Schädel. Was war nur mit seinen Herren los? Wes halb zögerten sie noch immer, endlich eine Wasserstelle der Oase aufzusuchen? Sie ver trödelten ihre Zeit mit Gesprächen, denen er trotz seiner beachtlichen Intelligenz. nur mangelhaft zu folgen wußte. Im Augenblick beschäftigten sie sich sogar mit einem Busch, in seinen Augen ein vollkommen nutzloses Unterfangen. Dieses Gewächs roch nach nichts und war auch nicht eßbar. Seine Nase sagte ihm, daß es in der Um gebung einiges gab, das viel eher Aufmerk samkeit verdiente. Der Wind stand schlecht, denn er kam aus seinem Rücken, so daß seine Witterung be einträchtigt war. Trotzdem roch er das Was ser der Quellen, aber auch sonst einiges mehr. Hier gab es andere Menschen, sogar eine ganze Anzahl. Ihr typischer Geruch hing zwischen den Pflanzen. Waren es Freunde oder Feinde seiner Her ren? Fenrir nahm eher das letztere an. Freunde zeigten sich offen, sie kamen, um seine Be gleiter zu begrüßen, und mit ihnen zu reden. Diejenigen aber, die sich in dieser Oase auf hielten, taten nichts dergleichen. Gewiß, alle Menschen hatten restlos ver kümmerte Nasen. Dinge, die er selbst mühe-
los witterte, mußten sie erst mühsam mit Hilfe ihrer Augen herausfinden. Es sah so aus, als wüßten sie noch gar nicht, daß sich hier andere von ihrer Art aufhielten. Das war nicht gut für seine Herren! Der Fenriswolf beschloß, auf eigene Faust auf Erkundung zu gehen. Er wollte jene fin den, die sich verbargen, und vielleicht Fein de waren. Ihr Verhalten würde ihm sagen, was von ihnen zu halten war. Er verließ den Pfad, zwängte sich durch das Gebüsch und schlug einen weiten Bo gen. Die Witterung der Fremden wurde stär ker, sie konnten also nicht allzuweit entfernt sein. Sie mußten längst bemerkt haben, daß Besucher in die Oase gekommen waren. Trotzdem zeigten sie sich noch immer nicht. Nun war es nicht mehr weit bis zu der Er hebung, die vollständig mit Pflanzen be deckt war. Der Wind brach sich an ihr, wur de umgeleitet und kehrte, mit neuen Gerü chen beladen, zu Fenrir zurück. Er brachte auch den Geruch der Fremden verstärkt mit sich. Augenblicklich blieb der Wolf stehen, seine Lefzen hoben sich, das mächtige Gebiß kam zum Vorschein. Die, welche sich verbargen, rochen schlecht! Ihre Körperausdünstungen verrieten ihm alles. Sie enthielten jene Bestandteile, die von den Drüsen immer dann freigegeben wurden, wenn ein Mensch in Erregung ge riet. Daneben gab es aber auch noch den ste chenden Gestank, der auf Feindseligkeit und Angriffslust schließen ließ. Nein, diese Fremden waren mit Sicherheit keine, die sei nen Herren wohl gesinnt waren! Vermutlich warteten sie nur ab, bis Atlan und Razamon kamen, um sie dann überfal len zu können. Es waren viele, Fenrir wußte, daß er es allein nicht mit ihnen aufnehmen konnte. Er konnte aber seine Herren warnen, besonders Atlan verstand ihn gut. Fenrir hatte Durst, aber er verzichtete dar auf, zuerst eine Wasserstelle aufzusuchen. Statt dessen kehrte er um und schlich, so ge räuschlos, wie er gekommen war, zum Rand der Oase zurück.
Das Lebensschiff Die Herren hatten inzwischen den Pfad verlassen und hielten sich nun inmitten eines Buschkomplexes auf. Was sie dort suchten, war ihm rätselhaft, kümmerte ihn jedoch nicht weiter. Menschen taten oft merkwürdi ge Dinge, deren Sinn nur schwer verständ lich war. Der Wolf ging rein instinktiv den fremden Pflanzen aus dem Wege. Er spürte, daß sie anders waren, als die einheimischen Ge wächse. Doch gerade diese Vorsicht wurde ihm im Endeffekt zum Verhängnis. Auch die normalen Pflanzen innerhalb der Oase Goltabuur waren durch Strahleneinfluß mutiert. Trotzdem waren die meisten davon auch jetzt, von den Formenänderungen ab gesehen, harmlos. Ein Teil hatte jedoch Ei genschaften entwickelt, die es ratsam mach ten, ihnen in weitem Bogen aus dem Weg zu gehen. Davon ahnte Fenrir jedoch nichts. Er hatte wohl bemerkt, daß es in den Außenbezirken der Oase praktisch keine Tiere gab, war aber außerstande, aus dieser Tatsache die richti gen Schlüsse zu ziehen. Büsche und Bäume gaben keine für ihn verwertbaren Gerüche ab, also konnte er die Gefahr auch nicht wit tern. Die Fängerpflanze lauerte, gleich einem Polypen mit vielen Fangarmen, inmitten an derer, harmloser Gewächse. Ein besonderer Sinn verriet ihr, daß sich ein Opfer ihrem Standort näherte. Sie war im Augenblick nicht hungrig, denn erst am Vortag hatte sie einen Wüstenfuchs gefan gen und sich einverleibt, der ahnungslos in die Oase gekommen war, weil ihn das Was ser lockte. Das geschah aber nur noch selten, seit es in dieser Gegend Menschen gab, die alle anderen Lebewesen jagten und vertrie ben. Es erschien ihr also ratsam, auch dieses Tier einzufangen, gewissermaßen auf Vor rat. Später, wenn sie wieder der Hunger nach Fleisch überkam, konnte sie es dann verspeisen. Von dem Fuchs waren nur noch Knochen übrig, aber sein Geruch haftete der Pflanze
27 auch jetzt noch an. Fenrir bekam ihn in die Nase. Für einen Moment vergaß er Atlan und Razamon, denn sein Magen begann zu knurren. Warum sollte er warten, bis es seinen Herren einfiel, sich endlich zur Mitte der Oase zu begeben? Daß ein Fuchs zu seiner entfernten Ver wandtschaft gehörte, machte ihm nichts aus. Für ihn war er ein Fleischlieferant, wie jedes andere Tier, mehr nicht. Er schlich also auf die Stelle zu, dem verlockenden Geruch der Beute nach. Er war leise und vorsichtig, aber nicht vorsichtig genug. Die langen Ranken der Fängerpflanze ruhten, durch andere niedrige Gewächse ge tarnt, unscheinbar auf dem Boden. Als nun aber der Wolf in ihren Bereich geraten war, erwachten sie von einem Augenblick zum anderen zum Leben. Blitzschnell rollten sie sich ein, zogen sich zum Mittelpunkt hin zu sammen und sonderten gleichzeitig einen zähen Saft ab. Fenrir spürte, wie die Ranken unter ihm in Bewegung gerieten. Auch jetzt erkannte er die Gefahr noch nicht, er war lediglich er schrocken. Er versuchte, sich durch einen mächtigen Satz in Sicherheit zu bringen, aber es war bereits zu spät. Die Ranken waren fast armdick, mit Wi derhaken besetzt, und so fest wie Kunst stoffseile. Drei von ihnen erfaßten den Wolf, zogen sich um ihn zusammen und schnürten ihn förmlich ein. Der von ihnen abgegebene Saft verband sich mit seinem Fell, erhärtete sogleich an der Luft und wirkte wie ein un löslicher Leim. Fenrir hatte gegenüber der mörderischen Pflanze keine Chance. Er kämpfte verbissen, um wieder freizu kommen, aber umsonst. Die Ranken rissen ihn auf das Zentrum der Pflanze zu, er über schlug sich dabei mehrmals und kam nicht dazu, sein mächtiges Gebiß einzusetzen. Erst dicht vor dem Stamm, der sich im Be darfsfall zu einem riesigen Magen öffnen konnte, kam er wieder zur Ruhe, fest einge
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Harvey Patton
schnürt und hilflos. Nur sein Kopf war noch frei. Er versuch te, nach den Ranken zu schnappen und sie zu zerbeißen, erreichte sie jedoch nicht. Schließlich gab er auf und öffnete die Kie fer, um ein lautes Geheul auszustoßen. Er wußte, daß Atlan und Razamon ihm zu Hilfe kommen würden, wenn sie wußten, daß er sich in Gefahr befand. Doch diese Reaktion kam bereits zu spät. Der Leimsaft enthielt zugleich ein Kontakt gift, das bereits in seine Blutbahnen gelangt war. Es lähmte ihn so nachhaltig, daß das Geheul in seiner Kehle erstarb. Es wurde zu einem leisen Röcheln, dann sank der massi ge Körper des Fenriswolfs in sich zusam men.
* «Was ist?« fragte Razamon. «Hast du Kontakt?« Ich nickte, und er griff nun gleichfalls nach den weißen Fäden. Indessen stellte ich der Denkpflanze bereits die erste Frage. »Nach dem, was ich bisher erfahren habe, muß ich annehmen, daß die Gesamtheit der Gewächse, die miteinander in Verbindung stehen, nicht von diesem Kontinent stammt. Woher kommt ihr, und wie seid ihr nach Pthor gelangt?« Die Antwort kam sofort. »Deine Annahme ist richtig, Fremder At lan. Wir stammen vom Planeten Zuibrist, aus einer fremden Galaxis. Dir die Koordi nanten zu nennen, wäre allerdings sinnlos, die Entfernung zu unserem jetzigen Aufent halt ist zu groß. Wir gelangten, zusammen mit einem Teil unserer Herren, im Lebens schiff DAUTOR-PAN auf diese Landmasse, die du Pthor nennst.« Razamon stieß mich an. »Merkst du etwas, Freund? Diese ›Denkpflanze‹ antwortet so nüchtern und lo gisch, wie es auf Terra und anderswo die Computer tun! Kann es sein, daß sie früher bei ihren Herren, wer immer die auch waren, ähnliche Aufgaben zu erfüllen hatten?«
»Es scheint fast so«, gab ich zurück, aber nun stellte der Pseudokaktus selbst eine Fra ge. »Ich habe deine Gedanken erfaßt, Frem der Razamon. Wer oder was ist ein Compu ter?« Der Pthorer lächelte befriedigt, weil das Gewächs auch auf seine Gedanken einging. Er gab eine kurze Erklärung über die Funkti on und Aufgaben eines Rechners, wie wir sie kannten. Die Denkpflanze schwieg eini ge Sekunden, und erklärte dann: »Gleichartige Apparate gab es auch bei unseren Herren. Sie erfüllten im Grunde die selben Aufgaben wie wir, waren aber zu kompliziert und auf eine ständige Energie zufuhr angewiesen. Deshalb ging man auf Zuibrist dazu über, sie durch Pflanzen mei ner Kategorie zu ersetzen, die jederzeit durch Kontakttelepathie konsultiert werden konnten. Technische Rechenapparaturen wurden nur noch zur Steuerung rein mecha nischer Vorgänge eingesetzt.« Es war ein phantastischer Gedanke: Keine Computer mehr, die jeweils für eine be stimmte Aufgabe eigens programmiert wer den mußten! Nur noch Denkpflanzen mit ei nem umfassenden Wissen, die man nur zu berühren brauchte, ein rascher semitelepa thischer Übermittlungsvorgang, und auf dem gleichen Weg der Erhalt präziser Antworten. Keine umfangreichen technischen Anlagen, keine Hochleistungsmeiler für ihre Energie versorgung. An ihrer Stelle ein simpler Blu menkübel, der nichts weiter brauchte, als Wasser und Nährsalze, um das Gewächs zu erhalten! Jeder terranische Wissenschaftler und Techniker hätte bei diesem Gedanken Tränen gelacht. Nun, die Voraussetzungen dafür waren auf der Erde auch nicht gegeben. Nur eine lange und enge Symbiose zwischen Mensch und Pflanze konnte nach und nach zu einer derartigen Entwicklung führen. Ich schob diese Überlegungen beiseite und fragte weiter. »Wie kam es, daß deine Herren nach Pthor gelangten? Wo sind sie jetzt, und wo
Das Lebensschiff befindet sich das Lebensschiff?« »Eine ausführliche gedankliche Erklärung würde übermäßig viel Zeit beanspruchen«, gab die Denkpflanze zurück. »Ich werde euch deshalb die Entwicklung und den Ab lauf der wichtigsten Ereignisse in Bildern übermitteln, die auch euch als Fremden leicht begreiflich sind. Ich habe dieses Wis sen aus den Hirnen der Zuiber und über sechzig Jahre hinweg einwandfrei behalten.« Eine neue Überraschung, aber wir kamen nicht mehr dazu, uns über diese erstaunliche weitere Fähigkeit des Gewächses zu wun dern. In unseren Hirnen entstanden Bilder, so plastisch und einwandfrei, als wären wir unmittelbare Beobachter. Als erstes sahen wir einige Zuiber. Ihr Aussehen entsprach der Form jener Skelette, die wir draußen in der Wüste gefunden hat ten. Also war meine Überlegung doch rich tig gewesen. Sie waren es, die »fortgegangen waren, um nie mehr wieder zukehren«, wie es die Pflanze bei der ersten Kontaktaufnahme ausgedrückt hatte. Die fremden Intelligenzen mit den tenta kelähnlichen Armen und vier Stielaugen tru gen Raumanzüge, ihrer Figur angepaßt, aber nach unseren Begriffen recht primitiv. Das wies darauf hin, daß ihre technische Ent wicklung noch nicht sehr weit fortgeschrit ten war. Dem entsprach auch das plumpe Raketenfahrzeug, das sie nun bestiegen, um wenig später damit zu starten. In diesem kleinen Boot gab es keine Pflanzen, nur die notwendige technische Ausstattung. Dazu gehörten auch runde Bildflächen, die zwar bunte, aber nur zwei dimensionale Wiedergaben lieferten. Einige von ihnen zeigten den Planeten, der rasch hinter dem Fahrzeug zurückblieb. Der Kontinent, auf dem sich der nach un seren Begriffen winzige Raumhafen befand, war dicht besiedelt. Eine große Stadt lag ganz in der Nähe, andere tauchten in der Ferne auf. Wir fanden jedoch kaum Zeit, um weitere Einzelheiten zu erkennen. Das Bild wurde rasch schlechter, dann blendeten die Kameras um, der Weltraum erschien auf den
29 Schirmen. Mir stockte fast der Atem, als ich das rie sige Gebilde sah, das nun, hell von der Son ne angestrahlt, in Sicht kam. Es handelte sich um drei Kugeln von ja ungefähr dreihundert Meter Durchmesser, aus kupferfarbigem Metall. Sie waren durch Röhren von etwa zweihundert Meter Länge so verbunden; daß sie ein gleichschenkliges Dreieck bildeten. Offenbar stellte das Gebil de eine riesige Raumstation dar. »Dieser Begriff ist nicht ganz korrekt«, erklärte die Denkpflanze, die meine Gedan ken natürlich empfangen hatte. »Die drei Kugeln waren ursprünglich Fernraumschif fe, die zum System der Sonne Tebrist starten sollten. Dann sah jedoch einer der Präkogni ter von Zuibrist voraus, daß dem Planeten ein großes Unheil bevorstand, das ihn voll kommen verwüsten würde. Daraufhin wurde das Projekt des Interstellarflugs aufgegeben. Statt dessen schufen die Herren des Lebens schiff DAUTOR-PAN, wie ihr es hier seht.« Ich nickte unwillkürlich, denn ich begriff, was damit gemeint war: Eine Art von »Arche Noah« der Zuiber, mit deren Hilfe wenigstens ein Teil der Bevölkerung in Si cherheit gebracht werden sollte. Was mich verblüffte, war jedoch der Ausdruck »Präkogniter«. Demnach hatte es also bei dieser Rasse Zukunftsseher gegeben! Die DAUTOR-PAN kam rasch näher, das Boot wurde abgebremst und in eine der Ku geln eingeschleust. Seine Insassen verließen es und gelangten auf einem Rollband in einen großen Raum, der offenbar die Zentra le war. Sie wirkte wie ein Mittelding von Steuer raum und Gewächshaus. In ihr gab es all je ne technischen Anlagen, die man in einem Schiff erwarten durfte, das als Gefährt zur Überwindung interstellarer Entfernungen konzipiert worden war. Außerdem standen aber, manchmal an den unmöglichsten Stel len, zahlreiche Pflanzen der unterschiedlich sten Art herum. Sie alle hatten die Kupferfarbe der frem den Gewächse hier in der Oase, jedoch
30 gänzlich andere Formen. Ihr Aussehen war keineswegs bizarr und verdreht, sie fügten sich harmonisch in das Gesamtbild ein. Nur die Denkpflanzen hatten ihre Form in der Zwischenzeit nicht verändert. Vertiefungen im Bodenbelag, die mit Hu mus gefüllt waren, lieferten ihnen den nöti gen Nährboden. Doch auch hier war eindeu tig jene Verflechtung zu erkennen, die jetzt in der Oase Goltabuur bestand. Zahlreiche Wurzeln schlängelten sich durch die Zentra le und verbanden die einzelnen Gewächse miteinander. Ein Teil davon verschwand je doch auch in Schaltpulten und anderen Ein richtungen. Das wies darauf hin, daß die Zuiber auch in ihrer Technik nicht auf den Einsatz ihrer Symbionten verzichtet hatten. Das war, wenn ich es mir genau überleg te, auch gar nicht so verwunderlich. Schon die Farbe der Pflanzen wies darauf hin, daß ihr Metabolismus zu einem großen Teil auf die Verwertung von Kupfer eingestellt war. Gerade dieses Metall war aber als ein her vorragender Stromleiter bekannt. Es war al so nur natürlich, daß sich die Zuiber diese Eigenschaft zunutze gemacht hatten. Plötzlich wechselte das Bild. Jetzt war nur noch ein Ausschnitt der Zentrale zu sehen, und in seinem Mittel punkt ein riesiger Bildschirm. Er zeigte den Planeten, von dem die DAUTOR-PAN etwa tausend Kilometer entfernt war. Ein Zuiber hantierte mit seinen Tentakeln, die in finger ähnlichen Auswüchsen endeten, an einem Schaltpult. Sofort veränderte sich das Bild, die Planetenkugel schien förmlich auf das Lebensschiff zuzuschießen. Dann stand klar und deutlich, nur von wenigen Wolken be deckt, der Ausschnitt auf dem Schirm, der die weitere Umgebung des Raumhafens zeigte. Das alles spielte sich vollkommen ge räuschlos ab, denn Laute gab es in dieser seltsamen Übermittlung nicht. Auch die Denkpflanze enthielt sich jeden Kommen tars, aber wir vermißten ihn nicht. Die in un seren Hirnen entstehenden Bilder sprachen für sich.
Harvey Patton Plötzlich, ohne jeden Übergang, veränder te sich die Szene auf gespenstische Weise. Ein riesiger Schatten schien über Zuibrist zu fallen. Das Licht der Sonne verblaßte, in unregelmäßigen Intervallen auf- und ab flackernd. Gleichzeitig zuckten unten auf dem Boden seltsame gelbliche Leuchter scheinungen auf, die im gleichen Rhythmus pulsierten. Unter den zuibrischen Raumfahrern brach eine hektische Betriebsamkeit aus. Sich be wegende Münder zeugten von hastig ausge stoßenen Befehlen. Tentakel, die je nach Be darf rasch gebildet wurden, huschten über bisher stilliegende Schaltpulte. Lichtsignale blendeten auf, Kontrollzeiger pendelten über die Skalen. Die Zuiber bereiteten sich auf ein Ereignis vor, das offensichtlich in Kürze eintreten mußte. Plötzlich war, dicht vor der DAUTOR PAN, ein seltsames Phänomen zu sehen: Ein großer, mehrere hundert Kilometer durch messender »Schlauch« entstand scheinbar aus dem Nichts. Er schimmerte in einem ei gentümlich fahlen Leuchten, das immer dunkler wurde, je mehr er sich stabilisierte. Schließlich erschien er vollkommen schwarz, hob sich aber dennoch deutlich von dem Weltraum ab, der ihn umgab. »Ein Dimensionstunnel!« schrie Razamon schreckerfüllt auf. »Pthor, der verfluchte Kontinent, stürzt auf Zuibrist!« Im gleichen Moment begann das Lebens schiff, aus seiner Umlaufbahn auszuscheren. Es schlingerte heftig, wie von einem gewal tigen Sog erfaßt. Unter seiner Besatzung brach Panik aus, noch hektischer wurden die Bewegungen der Tentakel bei dem Versuch, das Unheil irgendwie abzuwenden. Vergeblich – die »Arche« der Zuiber stürzte ab! Sie wurde vom Dimensionstun nel miterfaßt und taumelte haltlos auf den Planeten zu. Ich fuhr zusammen, als ich dann jenes Gebilde entdeckte, das sekundenlang auf dem großen Bildschirm erschien. Es ver schwand gleich wieder, als sich die DAU TOR-PAN in eine andere Richtung drehte.
Das Lebensschiff Trotzdem hatte ich deutlich die Umrisse von Pthor erkannt, das plötzlich mitten auf dem Kontinent aus dem Nichts erschienen war. Unter der gewaltigen Last brach rings um her der Boden auf, die gesamte Landmasse geriet in Bewegung. Mehr konnten wir nicht erkennen, denn nun zuckte eine grelle Stich flamme über den Bildschirm. Dann wurde er dunkel, ebenso alle anderen, die wir sehen konnten. Die Zuiber sprangen auf, schlossen hastig ihre Raumhelme und stürzten davon. Gleich darauf verlöschte auch das Licht in der Zentrale, und damit war die Übermitt lung beendet. Unser normales Sichtvermögen stellte sich wieder ein, und Razamon stieß einen gräßlichen Fluch aus. »Wie es weiterging, kann ich mir lebhaft ausmalen«, sagte er heiser. »Zuibrist wurde von gewaltigen Erdbeben erschüttert, die al lein schon ein Chaos auslösten. In dieses hinein stießen dann die Horden der Nacht vor, um alle Planetenbewohner anzugreifen, die am Anfang überlebt hatten. Wieder wur de eine blühende, hoffnungsvolle Zivilisati on ausgelöscht …« Seine Stimme erstarb in ohnmächtigem Grimm, erstickt vom Haß gegen jene, zu de nen er selbst einmal gehört hatte. Dafür mel dete sich nun die Denkpflanze wieder. »Vollkommen richtig, Fremder Razamon. Auch die Zuiber, die Tiere und Pflanzen, die an Bord der DAUTOR-PAN überleben soll ten, starben zum größten Teil. In zwei Ku geln des Lebensschiffs waren Kampfraketen installiert worden, mit denen der Angreifer bekämpft werden sollte. Dazu kam es jedoch nicht mehr, alles ging viel zu schnell. Die Geschosse explodierten noch an Bord und zerrissen beide Schiffskugeln. Die dritte blieb erhalten, war jedoch schwer beschä digt. Sie stürzte auf Pthor, genau auf jene Stelle, an der wir uns jetzt befinden. Beim Aufschlag wurde sie tief in den Boden ge drückt und zusammengestaucht. Ihre Über reste bilden jetzt den Mittelpunkt der OASE Goltabuur.« Wir schwiegen deprimiert, denn wir
31 konnten uns nur zu deutlich ausmalen, was daraufhin geschehen war. Auch die Zuiber hatten bereits Atomreak toren als Energieerzeuger besessen. Vermut lich war es ihnen noch gelungen, sie recht zeitig abzuschalten, so daß eine alles verhee rende Explosion unterblieb. Zweifellos wa ren aber durch den Aufprall die Isolationen der Meiler geborsten, so daß der Austritt harter Neutronenstrahlung unvermeidlich war. Nur ein kleiner Teil der »Passagiere« konnte bei dem harten Aufprall mit dem Le ben davongekommen sein. Auch diese hat ten aber vermutlich noch Stunden warten müssen, bis ein Verlassen des Wracks mög lich war. In dieser Zeit mußten ihre Körper so viel von der Strahlung aufgenommen ha ben, daß ihr Tod nur eine Frage weniger Ta ge war. Als sie ihn nahen fühlten, hatten sie sich in die Wüste hinausgeschleppt, um dort zu sterben. Besser mußte es den Besatzungsmitglie dern ergangen sein, die durch ihre Rauman züge einigermaßen geschützt waren. Ihr Kommandant hatte dann versucht, das Beste aus dieser Situation zu machen. Alle Zuiber und Tiere, die überlebt hatten, wurden ins Freie gebracht, ebenso die noch lebensfähi gen Pflanzen. Wahrscheinlich hatte die Oase Goltabuur, wenn auch wesentlich kleiner, schon zu jener Zeit existiert. Falls die Herren der FESTUNG den Ab sturz der DAUTOR-PAN registriert hatten, mußten sie angenommen haben, daß dabei niemand am Leben geblieben war. Vielleicht hatten sie sich auch nur deshalb nicht weiter darum gekümmert, weil sie wußten, daß et waige Überlebende ohnehin für immer auf Pthor gefangen waren. Auf jeden Fall hatten die Zuiber daran gehen können, aus den Trümmern zu retten, was noch zu retten war. Sie hatten Brunnen gebohrt, die Pflanzen aus ihrer Heimat ringsum in den Boden ge setzt und sich provisorische Unterkünfte ge schaffen. Doch die Strahlung wirkte weiter und raffte auch sie nach und nach dahin. Nach
32 wenigen Jahren mußten auch die letzten dem schleichenden Tod erlegen sein. Nur die Pflanzen hatten sich gegen ihn behaupten können, waren allerdings mutiert, wie ihr jetziges Aussehen bewies. Nur die Denk pflanzen schienen von Natur aus resistent gegen Radioaktivität gewesen zu sein. »Eure Überlegungen sind im wesentlichen richtig«, bestätigte unser stummer Ge sprächspartner. »Ihr vergeßt jedoch Mankor, den ich gleich am Anfang als neuen Kom mandanten der DAUTOR-PAN erwähnt ha be. Er wurde hier auf Pthor geboren, und sein Körper paßte sich irgendwie den Ver hältnissen an. Allerdings mutierte er gleich falls und wäre zweifellos bald umgekom men, nachdem die letzten erwachsenen Zui ber gestorben waren. An ihrer Stelle nahmen sich dann die Betreuerpflanzen seiner an. Sie verbanden sich so mit seinen Organen und Nervenknoten, daß er auch weiterhin am Leben erhalten werden konnte. Sein Körper wurde dadurch allerdings unbeweg lich, so daß er seinen Aufenthaltsort in ei nem Außensektor der Schiffszelle nicht mehr verlassen kann.« »Ihr erkennt ihn auch jetzt noch als euren Herrn an?« erkundigte ich mich verwundert. Meiner Ansicht nach brauchten die Überre ste des Lebensschiffs einen Kommandanten etwa so nötig wie wir einen weiteren Sand sturm. »So ist es«, erklärte die Denkpflanze la konisch. »Vergiß nicht, daß wir seit Jahrtau senden daran gewöhnt sind, in Symbiose mit den Zuibern zu leben, Atlan. Wenn er ein mal stirbt, haben auch wir keinen Lebens zweck mehr.« »Wir werden Mankor aufsuchen, um zu sehen, ob wir etwas für ihn tun können«, entschied ich. »Ich nehme an, daß du infolge des Verbundes aller Gewächse von Zuibrist eine Möglichkeit besitzt, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen. Verständige ihn da von, daß wir kommen werden.« »Ich werde diese Nachricht über die In formationspflanzen weitergeben«, versprach das Gewächs. Dann lösten sich die Fäden
Harvey Patton von unseren Händen, die seltsamste Kom munikation meines Lebens war beendet. »Willst du wirklich zu diesem Mankor?« fragte Razamon skeptisch. »Meiner Ansicht nach ist es fraglich, ob er überhaupt infolge seiner Mutation noch bei klarem Verstand ist.« »Wir werden es feststellen, Freund«, er widerte ich. »Zuerst werden wir jedoch eine Wasserstelle aufsuchen, um uns dort zu er frischen. Fenrir wird bestimmt schon unge duldig auf uns warten.« Wir zwängten uns wieder durch die Bü sche, zurück auf den Pfad. Dann strebten wir dem völlig überwucherten Hügel zu, unter dem sich, wie wir jetzt wußten, die Überre ste der DAUTOR-PAN befanden.
6. »Wo bleiben die beiden Fremden, Tim buk?« erkundigte sich der Zauberer der Kuroden ungehalten. »Du hast schon vor ei ner Stunde gesagt, daß sie kämen, aber sie sind immer noch nicht da. Die Männer mur ren bereits, sie wollen nicht mehr länger warten.« Der Anführer, der sich immer noch auf dem Baum befand, stieß ein unwilliges Knurren aus. »Hier habe ich allein zu sagen, niemand sonst«, gab er scharf zurück. »Bisher habe ich noch immer gewußt; was gut für uns ist, vergiß das nicht. Sag also diesen Dummköp fen, daß sie weiter abwarten sollen, und wenn es darüber Abend wird. Die Fremden müssen einfach kommen, weil sie nach dem langen Marsch durch die Wüste Wasser brauchen.« »Das habe ich ihnen auch schon erklärt«, sagte der Heiler. »Die Frauen sind es haupt sächlich, die Unruhe stiften, weil sie davon abgehalten werden, ihren gewohnten Tätig keiten nachzugehen. Und du weißt ja, wie es so ist: nichts kann einen Mann mehr aufre gen als eine unzufriedene Frau.« »Die Weiber brauchen wieder einmal eine gehörige Tracht Prügel«, knurrte Timbuk er
Das Lebensschiff bost. »Das wird ihnen schon zeigen, wer hier in der Oase Goltabuur das Zepter führt. Sie werden sie auch bekommen, verlaß dich darauf. Zuvor müssen wir aber die Fremden in unsere Gewalt bekommen, das ist klar.« »Ich selbst werde mit Vergnügen die Peit sche schwingen«, versprach der Zauberdok tor. »Allerdings wäre es unklug, schon jetzt darüber zu reden. Gibt es nicht etwas ande res, das ich den Männern berichten kann?« Der Anführer grinste kurz. »Die Fremden habe ich im Augenblick aus den Augen verloren«, mußte er geste hen. »Sie haben sich vom Pfad entfernt und halten sich jetzt inmitten der Gewächse auf, die zu dem Wesen gehören, das sich Kom mandant nennt. Dafür habe ich aber etwas anderes beobachten können: Der große Wolf ist bereits unschädlich gemacht!« »Eine Fängerpflanze?« erkundigte sich der Zauberer. »So ist es, sie hat uns die Arbeit abge nommen. Das Riesenvieh war vorausgelau fen und streifte umher. Die roten Büsche waren ihm aber scheinbar genauso wenig geheuer wie uns. Er ging ihnen aus dem Weg, und gerade das wurde ihm dann zum Verhängnis. Jetzt ruht er fest verschnürt in den Ranken der Raubpflanze, die ihn über kurz oder lang verspeisen wird.« Der Zauberer grinste zurück. »Von diesem Tier haben wir also nichts mehr zu befürchten. Das wird Musik für die Ohren der anderen sein, die den Wolf für weit gefährlicher hielten als die beiden Män ner. Diese gute Nachricht wird sie dazu be wegen, sich auch weiter in Geduld zu üben, bis die Fremden kommen.« »Ihre Prügel werden die Weiber aber trotzdem bekommen«, erklärte der Anführer kategorisch. »Wenn wir auch in den Augen aller anderen Kuroden Ausgestoßene und Räuber sind – Ordnung muß sein! Wo kämen wir sonst wohl hin?« Der Ältere nickte verständnisinnig und entfernte sich wieder. Als er verschwunden war, verzog Timbuk das Gesicht und hob in kurzen Abständen wechselweise seinen fei
33 stesten Körperteil an. Das lange Sitzen auf dem Ast hatte dazu geführt, daß seine Beine einschliefen, weil die Blutzirkulation behin dert war. »Dafür sollen die Fremden büßen!« knurrte er leise vor sich hin. »Wer immer sie auch sein mögen, es soll ihnen für den Rest ihres Lebens leid tun, daß sie mich so lange hier warten lassen.« Seine Geduld wurde jedoch noch für eini ge Zeit strapaziert. Erst dann nahm er in der Gegend eine Bewegung wahr, in der sich die Erwarteten solange aufgehalten hatten. Sie kamen auf den Pfad zurück und folgten sei nen Windungen, die ins Innere der Oase führten. Wenn sie nicht von ihm abwichen, mußten sie bei der südlichen Wasserstelle herauskommen, in deren Umgebung die Kuroden auf der Lauer lagen. Sie hielten die Technowaffen noch immer in den Händen, aber sie waren nicht sonder lich aufmerksam. Sie unterhielten sich wäh rend ihres Marsches, aber noch waren sie zu weit entfernt, als daß Timbuk etwas hören konnte. Nur der Weißhaarige ließ zwischen durch seine Blicke immer wieder umher schweifen, er schien der Anführer und der Gefährlichere von beiden zu sein. »Auch das wird ihm nichts nützen!« mur melte der kurodische Räuberführer vor sich hin. »Er weiß nicht, daß wir bereits auf ihn und seinen Gefährten warten – und das gibt uns den entscheidenden Vorteil. Viele Tap fere sind bereits unterlegen, wenn eine Übermacht gegen sie war.« Er wartete noch ab, bis die beiden den Gürtel von niedrigen grünen Gewächsen er reicht hatten, der sich wie ein breiter Ring um das Gebiet hinzog, in dem sich die Quel len befanden. Dann glitt er geräuschlos von dem Baum und begab sich zu seinen Män nern zurück. »Sie kommen genau hierher«, erklärte er leise. »Verteilt euch rings um die Wasser stelle und wartet ab, bis ich euch durch Zu ruf davon verständige, daß ihr losschlagen sollt. Dann muß aber alles blitzschnell ge hen, sie müssen umzingelt sein, ehe sie
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überhaupt begreifen, was geschieht. Das dürfte sie davon abhalten, ihre besseren Waffen einzusetzen, so daß wir sie ohne große Mühe gefangennehmen können. Falls ihr jedoch auf sie schießen müßt, zielt nur auf ihre Beine. Ich möchte sie noch ausfra gen können, ehe wir sie dem Tod überant worten.«
* Wir schritten rascher aus, denn eine der Quellen mußte bereits nahe vor uns liegen. Der Boden war dunkler, somit auch feuch ter, die kaum hüfthohen Staudengewächse zeigten ein entsprechend sattes Grün. Die Baumgruppe, die sich etwa fünfzig Meter weiter befand und ringförmig angeordnet war, entzog die Wasserstelle allerdings un seren Blicken. Nicht weit dahinter ragte die runde Erhebung auf, gänzlich von den kup ferfarbigen Gewächsen des Planeten Zuibrist bedeckt. Sie war alles, was vom Lebensschiff DAUTOR-PAN übriggeblieben war! Ein Torso, zerschlagen und deformiert, in dem jetzt nur noch ein mutierter Zuiber lebte, wahrscheinlich der letzte seines Volkes. Dieser Gedanke deprimierte mich zutiefst. Ich war zwar von Geburt aus Arkonide, im Herzen aber längst ein Terraner. Ein »Beuteterraner«, wie es Perry Rhodan zu weilen auch heute noch spöttisch auszu drücken pflegte. Dabei war ich bereits mit der Erde verbunden gewesen, als die Vorvä ter der jetzigen Menschheit noch primitive Barbaren gewesen waren. Immer wieder hat te ich ihnen Anstöße gegeben, um ihre Wei terentwicklung zu fördern, wenn ich aus meiner Tiefseekuppel herausgekommen war. Perry wußte das, und so waren seine Wor te auch nie ernst gemeint. Dasselbe galt für die Bezeichnung »Barbar«, mit der ich mich für gewöhnlich zu revanchieren pflegte. Seit mehr als sechshundert Jahren stand ich nun an seiner Seite, hatte alle Höhen und Tiefen der Geschichte des Solaren Imperiums mit erlebt. Oft genug war es um Sein oder
Nichtsein gegangen, aber wir hatten Terra bisher erfolgreich davor bewahrt, ein Opfer der zahlreichen Gegner zu werden. Keiner dieser Gegner war jedoch auch nur annähernd so heimtückisch gewesen wie dieser hier! Der »Dimensionsfahrstuhl« Pthor war ein Gebilde, das plötzlich aus dem Nichts auf tauchte, unberechenbar, ohne jede Voran kündigung. Ohne Razamon und das Parra xynt hätten auch wir nicht vermocht, die von ihm ausgehende Gefahr nur annähernd in ih rer vollen Tragweite zu erfassen. Wie groß sie wirklich war, hatte ich auch erst ganz erkannt, als mir die Denkpflanze die Bilder von der beginnenden Vernichtung Zuibrists übermittelte. Dieser Planet war der Erde in technischer Hinsicht noch weit un terlegen gewesen, und die Zuiber hatten of fenbar weder wirksame Atomwaffen, noch Schutzschirme zur Defensive gekannt. Sie hatten getan, was sie konnten, um we nigstens einem kleinen Teil ihrer Rasse das Überleben zu ermöglichen, aber das hatte nicht ausgereicht. Vielleicht wäre ihnen das Vorhaben geglückt, wenn sich die DAU TOR-PAN nicht ausgerechnet über jener Stelle befunden hätte, an der Pthor aufge taucht war. Doch woher sollten sie wissen, daß es dimensional übergeordnete Kräfte gab, einen Tunnel aus Energie, deren Exi stenz ihnen noch nicht einmal theoretisch bekannt war? Die Herren der FESTUNG hatten ihnen nicht die kleinste Chance gelassen, wenn auch die Vernichtung des Lebensschiffs ei gentlich unbeabsichtigt zustande gekommen war. Ich schwor innerlich erneut, alles in meinen Kräften Stehende zu tun, damit sich solch furchtbare Ereignisse in Zukunft nicht mehr wiederholen konnten. Razamon schien von ähnlichen Gedanken bewegt zu sein. Ich sah es an seinem Ge sicht, das noch strenger als gewöhnlich wirkte, an seinen unergründlichen Augen, die in einem schwarzen Feuer zu brennen schienen. Sein Haß auf die grausamen Her ren von Pthor schien jetzt noch gewachsen
Das Lebensschiff zu sein. Er äußerte sich jedoch nicht zu diesem Thema, sondern fragte nur: »Wo Fenrir wohl stecken mag? Es ist doch sonst nicht seine Art, uns so lange fernzubleiben.« Ich zuckte mit den Schultern, denn ich maß diesem Umstand nicht allzuviel Bedeu tung zu. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß ihm etwas zugestoßen sein könnte, Freund. Er wird sich satt getrunken haben und nun auf der Suche nach irgend etwas Freßbarem sein. Ein Tier von seiner Größe braucht viel Futter, und wir haben ihn in den letzten Ta gen nicht eben gut versorgen können.« Noch immer war ringsum alles still. Die Oase Goltabuur lag im gleißenden Licht der Nachmittagssonne, aber es war hier doch wesentlich kühler als draußen in der Wüste Fylln. Ein unverkennbarer Geruch von Feuchtigkeit lag in der Luft, und ich glaubte, von der Wasserstelle her ein leises Gluckern zu hören. Nirgends war ein Lebewesen zu sehen, es schien nicht einmal Vögel oder In sekten zu geben. Ob der »Kommandant« des Fragments der DAUTOR-PAN das einzige Lebewesen in dieser Umgebung war? Die Denkpflanze hatte uns nichts darüber berichtet, sondern sich bei ihren Auskünften nur auf Dinge beschränkt, die mit dem von uns angesprochenen Fragenkomplex zusam menhingen. Erst jetzt dachte ich daran, daß wir es versäumt hatten, uns auch nach ande ren Dingen zu erkundigen. Das denkende Gewächs war tatsächlich so etwas wie ein lebender Computer, aber Eigeninitiative schien ihm weitgehend zu fehlen. Nur noch zehn Meter bis zur Wasserstel le. Wir sehnten uns danach, von dem kühlen Naß zu trinken, uns zu waschen und vom Wüstensand zu befreien. An Gefahren ir gendwelcher Art glaubten wir nicht mehr. Unsere Waggus waren zwar schußbereit, aber wir trugen sie nur noch wie ein lästiges Zubehör, mit den Mündungen nach unten. Um so unvermuteter kam deshalb der
35 Überfall für uns. Gefahr! dröhnte plötzlich ein starker Im puls meines Extrahirns in meinem Kopf auf. Ich zuckte zusammen, riß die Waffe hoch und warf mich zur Seite. Razamon folgte so fort meinem Beispiel, denn er war längst mit den Eigenschaften meines Sondersinns ver traut. Im nächsten Moment lagen wir flach zwischen den Gewächsen. Sie boten uns zwar Deckung, aber sie behinderten zugleich auch unsere Sicht. Sekunden vergingen, und noch immer wußte ich nicht, wovor mich das Extrahirn hatte warnen wollen. Die Aufklärung folgte jedoch sofort. Die Bäume, Büsche und Stauden rings um uns gerieten in Bewegung. Überall raschelte es, das schnelle Tappen vieler Füße war zu vernehmen. Ich schätzte, daß wir es mit mindestens zwanzig Gegnern zu tun hatten und machte mir nun die bittersten Vorwürfe. Wir hatten uns von der trügerischen Ruhe in der Oase einlullen lassen, obwohl wir doch wußten, daß es auf Pthor kaum einen Ort gab, an dem wir uns sicher fühlen konnten! Ich erspähte eine huschende Bewegung zwischen den Bäumen vor uns, hob die Waggu und betätigte den Auslöser. Ein dumpfer Fall war zu hören, aber gleichzeitig klang von einer Stelle weiter links eine laute Stimme auf: »Ergebt euch, Fremde! Ihr seid umzingelt. Skerzaals, Speere und Wurfmesser sind auf euch gerichtet. Auch die Technowaffen kön nen euch nichts mehr nützen, unsere Über macht ist zu groß. Ihr kommt nur dann mit dem Leben davon, wenn ihr euch jeder Ge genwehr enthaltet. Tut ihr das nicht, werden wir keinen Augenblick zögern, euch zu tö ten!« Ein guter Verlierer zeichnet sich dadurch aus, daß er weiß, wann er aufzugeben hat, sagte mein Extrahirn lakonisch. Tue es, sonst ist dir der Tod gewiß. Ich war so geschockt, daß ich darauf ver zichtete, eine passende Entgegnung zu den ken. Wir beide waren gegenüber den unbe kannten Gegnern so eindeutig im Nachteil, daß tatsächlich jede Gegenwehr einem
36 Selbstmord gleichkam. Es war unter diesen Umständen wirklich besser, die Waffen zu strecken. Die Feinde beherrschten anschei nend die Oase, vielleicht sogar im Auftrag Mankors. Das schloß jedoch nicht aus, spä ter irgendwie zu einer Verständigung mit ih nen zu gelangen, wenn die erste Erregung erst einmal abgeebbt war. Ich ließ die Waggu fallen und erhob mich vorsichtig. Der Pthorer folgte gleich darauf meinem Beispiel. Wir hoben die Hände zum Zeichen der Aufgabe, und nun wurde es rings um uns lebendig. Braunhäutige Männer mit eigentümlich starren Gesichtern kamen nach und nach aus allen nur möglichen Deckungen zum Vor schein. Ihr Sprecher hatte nicht übertrieben, denn sie waren tatsächlich für hiesige Ver hältnisse gut bewaffnet. Ihre Bekleidung war allerdings bunt zusammengewürfelt und größtenteils sehr mitgenommen. Sie wirkten wie eine Bande von gewissenlosen Räubern, und das waren sie vermutlich auch. »Es ist gut, daß ihr so vernünftig seid«, sagte ein Mann spöttisch – derselbe, der uns zuvor angerufen hatte. »Damit ihr es gleich wißt: Wir sind Kuroden, die man ausgesto ßen und davongejagt hat, Geächtete, die sich zusammengefunden haben, um überleben zu können. Uns bedeutet ein Menschenleben nicht viel. Denkt daran.« »Wir werden diese Warnung beherzigen«, versprach ich, während sich Razamon jeder Äußerung enthielt. Das besänftigende Mittel der Schattenkullja wirkte noch immer. Es bewahrte ihn davor, jetzt in eine blindwütige Raserei zu verfallen, die uns im Endeffekt mehr geschadet als genutzt hätte. Mit der Überzahl der kurodischen Ausgestoßenen hätte auch er es trotz seiner gewaltigen Kräf te nicht aufnehmen können. »Nehmt ihre Waffen an euch und fesselt sie«, befahl der Anführer der Braunhäutigen. Im stillen hatte ich noch immer darauf ge hofft, daß Fenrir plötzlich auftauchen würde, um das Blatt zu unseren Gunsten zu wenden. Der Fenriswolf ließ sich jedoch nicht blicken, und so befürchtete ich das
Harvey Patton Schlimmste für ihn. Vielleicht war er das er ste Opfer der Kuroden geworden. Etwa ein Dutzend Männer näherte sich uns von hinten. Die Waggus verschwanden in flinken Händen, andere machten sich an uns zu schaffen. Nach kaum einer halben Minute waren wir so kunstgerecht mit Le derriemen gefesselt, daß wir nur noch unsere Füße bewegen konnten. »Mitkommen«, sagte der Anführer bar sch. Ein unsanfter Stoß in den Rücken brachte mich in Bewegung, genauso wie meinen Gefährten.
7. Nach und nach belebte sich die Oase wei ter. Noch ein Dutzend Männer und acht weibliche Wesen kamen aus dem Grüngürtel um die Zentralerhebung zum Vorschein. Sie starrten uns neugierig an, verhielten sich aber ruhig und diszipliniert. Der Anführer schien sie gut im Zaum zu halten. »Das haben wir wirklich erstklassig ge macht«, sagte Razamon halblaut. Er sprach Terranisch, damit ihn die Kuroden nicht ver stehen konnten. »Wie die Anfänger haben wir uns hereinlegen lassen! Warum hast du nicht daran gedacht, dir von dem Kaktus auch Auskünfte über andere Lebewesen im Bereich der Oase geben zu lassen?« Ich zuckte mit den Schultern, so gut mir das möglich war. »Daran gedacht habe ich wohl, aber erst vor fünf Minuten. Reden wir nicht mehr über Dinge, die sich doch nicht ändern las sen. Immerhin sieht es so aus, als hätte man nicht vor, uns ohne weiteres umzubringen. Wir können also hoffen …« »Still sein, ihr beiden!« schrie der Anfüh rer, der einige Schritte hinter uns ging. »Ihr habt nur zu reden, wenn ihr gefragt werdet, und schon gar nicht in einer fremden Spra che, merkt euch das. Da hinüber mit ihnen, zu meinem Haus.« Letzteres galt den Männern, die uns vor sich hertrieben. Sie lenkten uns durch Knüf fe in die gewünschte Richtung, und ich sah,
Das Lebensschiff wie die Adern an den Schläfen des Pthorers anschwollen. Er beherrschte sich jedoch, ob wohl es ihm leichtgefallen wäre, seine Fes seln zu zerreißen. Die Zeit dazu war noch nicht gekommen. Solange wir im Mittelpunkt der Aufmerk samkeit standen, war es ratsam, wenn wir uns fügten und erst einmal die weitere Ent wicklung der Dinge abwarteten. Es war da mit zu rechnen, daß man uns zuerst einmal ausfragen würde. Dann folgte vermutlich ei ne Beratung der Räuber, während wir solan ge eingesperrt blieben. Vielleicht wurde es darüber Nacht, und dann konnten wir einen Ausbruch wagen. Das »Haus« des Anführers stand gut ge tarnt in einem Gebüsch. Es war aus unregel mäßig geformten Metallteilen zusammenge setzt, die man in den Boden gerammt und mit Hölzern abgestützt hatte. Sie schimmer ten teils kupferfarben, teils mattgrau. Zwei fellos handelte es sich um Fragmente der DAUTOR-PAN. Das Dach dieser primitiven Hütte bestand aus einer Lage von Zweigen. Fenster gab es nicht, als Eingang diente ein unregelmäßig ausgezacktes großes Loch in der Vorderwand. Da es hier aber ohnehin nie regnete, genügte diese Behausung den An sprüchen. Man stieß uns durch das Loch ins Innere, in dem ein grünliches Halbdunkel herrschte. Der Anführer wies zwei Männer mit Sker zaals an, draußen Wache zu halten, die an deren schickte er weg. Er selbst folgte uns zusammen mit einem älteren Kuroden, der ein buntes Band um den Kopf trug, also ver mutlich innerhalb der Bande eine besondere Stellung einnahm. Ein rascher Blick genügte, um das Innere der Hütte zu erforschen. An der hinteren Wand befand sich ein primitives Bett, mit unsauberen Decken und Fellen bedeckt. Sei ne Breite wies darauf hin, daß es der Anfüh rer mit einer der hier vorhandenen Frauen teilte. Auf einer niedrigen Stellage an der rechten Seitenwand lagen Gebrauchsgegen stände und Kochtöpfe bunt durcheinander. Einige roh zusammengeschlagene Hocker
37 standen um eine rechteckige Metallplatte, die als Tisch diente und auf zwei Steinqua dern ruhte. Falls es hier Dinge von Wert gab, befanden sie sich zweifellos in der länglichen Kiste an der linken Seitenwand des einzigen Raumes. »Ich bin Timbuk, der Herr der Oase Gol tabuur«, sagte der Anführer, während er uns abschätzend musterte. Er hielt den Speer mit der Rechten, die linke Hand ruhte am Griff eines langen Messers in seinem Gürtel. »Sagt mir eure Namen, und was euch hier her führt, aber überlegt euch eure Antworten gut. Für jede Lüge werdet ihr büßen müs sen.« Ich verzog keine Miene, denn derartige Drohungen hatte ich oft genug gehört. Aller dings zweifelte ich kaum daran, daß sie ernst gemeint waren. Timbuk war ein Mann, dem es als dem Anführer von Ausgestoßenen und Räubern bestimmt nicht auf ein Menschen leben ankam. »Ich heiße Atlan, mein Begleiter Raza mon«, gab ich zurück. »Wir sind Händler und kommen aus dem Süden. Unser Ziel war Moondrag. Wir führten eine kleine Ka rawane mit Handelsgut, das wir über den Regenfluß und den Dämmersee herange bracht hatten. Vor sieben Tagen wurden wir während eines Nachtlagers überfallen, unse re Männer niedergemacht, die Yassels und die Waren geraubt. Nur wir beide kamen mit dem Leben davon und flohen notgedrungen in die Wüste Fylln. Dort gerieten wir in einen Sandsturm, ver loren die Richtung und irrten umher, bis wir auf eine kleine, verlassene Oase stießen. Nachdem wir uns wieder erholt hatten, gin gen wir weiter, und schließlich gelangten wir hierher. Das ist alles, mehr gibt es nicht zu berichten.« Das war eine Stegreifgeschichte, aber sie klang einigermaßen plausibel und hatte den Vorzug, daß diese Kuroden sie keinesfalls nachprüfen konnten. Als Verfemte, die nur anläßlich von Raubzügen in bewohnte Ge biete vorstießen, erfuhren sie kaum, was draußen vorging.
38 Timbuk zog die Brauen über dem starren Gesicht hoch. Ich hatte so ruhig und leiden schaftslos gesprochen, daß er aus meinem Verhalten keine weiteren Schlüsse ziehen konnte. Er überlegte angestrengt, fand aber offenbar nichts, was ihm Grund zu Zweifeln gab. Vorfälle in der von mir geschilderten Art ereigneten sich auf Pthor oft genug. »Was sagst du dazu, Zauberer?« wandte er sich an den zweiten Mann. Dieser wiegte eine Weile den Kopf. »Ich glaube, daß Atlan nicht gelogen hat«, sagte er dann. »Beide sind keine gewöhnli chen Männer, das sieht man doch. Vielleicht kann uns der Inhalt ihrer Taschen weitere Aufschlüsse geben.« Timbuk nickte. »Gut, dann räume sie aus. Händler sind bekanntlich schlaue Leute, die ihre Reichtümer immer bei sich behalten, weil sie keinem anderen trauen. Vielleicht haben wir jetzt den Nutzen davon.« Der Zauberer trat von hinten an uns heran, während uns der Anführer weiter mit dem Speer bedrohte. Unsere Waggus waren wir ja bereits los, sie lagen draußen vor der Hüt te am Boden. Nun holte der Kurode auch die Messer aus den Gürteln, dazu die Beutel mit den Quorks, und die drei restlichen Phiolen mit Razamons Medizin. Er legte alles auf den Tisch und trat dann zur Seite. »Das ist alles?« fragte der Anführer grol lend. »So arme Händler habe ich noch nie gesehen, Atlan! Fast scheint mir, daß du doch gelogen hast.« Ich hob gleichmütig die Schultern. »Ich zweifle nicht an deinen einschlägi gen Erfahrungen, Timbuk. Wahrscheinlich hast du öfters Handelsmänner ausgeraubt, aber wohl kaum solche, die bereits alles ver loren hatten. Unser Reichtum steckte in den Waren, für die wir erst in Moondrag den Er lös einheimsen wollten.« »Das leuchtet ein«, sagte der Zauberer schnell. Er stand jetzt so, daß er mir sein Ge sicht zuwandte, und ich glaubte darin ein verstohlenes Zwinkern zu entdecken. Als er sich dann wieder zu Timbuk umdrehte, war es jedoch so starr wie zuvor. Sollte ich mich
Harvey Patton nur getäuscht haben? Das Licht in der Hütte war schlecht genug. Abwarten! sagte mein Extrahirn lako nisch. Timbuk überlegte kurz und nickte dann. »Bleibe vorerst bei den beiden und achte auf sie«, bestimmte er. »Du bist zwar kein Kämpfer, aber sie sind gefesselt, und die Po sten stehen draußen. Ich gehe jetzt, um mit den anderen zu beraten, was weiter gesche hen soll.«
* Er ging, aber natürlich nicht, ohne unsere Sachen an sich zu nehmen. Nun meldete sich jedoch Razamon, der bis dahin ge schwiegen hatte. »Laß die Phiolen hier, Timbuk«, forderte er. »Sie enthalten eine Medizin, auf die ich angewiesen bin und die ich in gewissen Ab ständen einnehmen muß.« Der Kurode sah ihn mißtrauisch an. »Eine Medizin?« meinte er gedehnt. »Du bist zwar nicht eben fett, siehst aber auch nicht so aus, als ob du krank wärst. Wozu soll das Zeug denn gut sein?« »Mein Freund ist nicht eigentlich krank«, warf ich schnell ein. »Er leidet nur noch un ter den Nachwirkungen eines bösen Fiebers, das er sich unten am Regenfluß zugezogen hatte. Das Mittel dient dazu, ihn zu kräftigen und vor einem Rückfall zu bewahren.« Timbuk grinste spöttisch und ließ die Phiolen demonstrativ in einer Tasche seiner schmuddeligen Jacke verschwinden. »Danke für den Hinweis«, sagte er befrie digt. »Wenn diese Medizin dich kräftigt, Razamon, wird sie bei mir wohl den glei chen Zweck erfüllen. Du wirst ohnehin bald nichts dergleichen mehr brauchen, fürchte ich …« Er verschwand, und der Pthorer sah ihm wütend nach. Dann wandte er den Kopf zu mir hin. »Das sollte wohl heißen, daß wir nicht mehr lange zu leben haben, wie?« knurrte er. »Vermutlich ja«, bestätigte ich trocken.
Das Lebensschiff »Überlege doch nur: Diese Leute sind Aus gestoßene, ihr Leben ist alles andere als leicht. Hier in der Oase sind sie zwar ziem lich sicher, aber außer Wasser gibt es hier kaum etwas. Alles, was sie brauchen, müs sen sie sich auf ihren Raubzügen mühsam heranholen, auch die Lebensmittel. Meinst du, sie würden sich zusätzlich belasten, in dem sie uns lediglich gefangen halten und mit durchfüttern?« »Dann möchte ich gern wissen, was die ser Timbuk jetzt noch mit den anderen zu beraten hat«, überlegte Razamon. »Er sieht nicht so aus, als wäre er auf die Zustimmung seiner Bande angewiesen, wenn er uns um bringen lassen will. Frage doch einmal die sen komischen Zauberer, vielleicht ist er et was zugänglicher.« Wir hatten wieder Terranisch gesprochen, und der alte Kurode hatte vergeblich ver sucht, etwas zu verstehen. Er lehnte neben dem Eingang, den Speer in der Hand, den Timbuk zurückgelassen hatte. Die beiden Wachen hatten einige Meter vor der Hütte im Schatten eines Busches Schutz vor der Sonne gesucht. Sie unterhielten sich halblaut und warfen nur zuweilen einen Blick durch die Tür. Ob wir nicht jetzt einen Ausbruchs versuch wagen sollten? Die Gelegenheit schien günstig. Noch nicht! machte sich mein Logiksek tor sofort bemerkbar. Die Burschen da drau ßen sind wahrscheinlich Timbuks beste Männer. Nur im Dunkeln habt ihr wirklich eine Chance. Das stimmte leider. Razamon besaß zwar ungeheure Kräfte und war schneller als jeder andere Mensch, aber das konnte kaum rei chen. Die beiden Skerzaals waren geladen und gespannt, und einem stählernen Bolzen war auch der Pthorer nicht gewachsen. Der Zauberer sah zwar nicht so aus als hätte er viel Erfahrung im Umgang mit dem Speer, aber es genügte schon, wenn er einen Warn schrei ausstieß, um die anderen zu alarmie ren. Ich entspannte mich und versuchte unauf fällig, die Fesseln um meine Handgelenke
39 zu lockern. Das gelang jedoch nicht, die dünnen Lederriemen schnitten nur schmerz haft ins Fleisch. So gab ich es bald wieder auf und wandte mich an den Kuroden. »Dürfen wir uns setzen, Zauberer?« er kundigte ich mich mit resignierter Miene. »Wir haben einen langen Marsch hinter uns, die Hitze in der Wüste hat uns ermattet. Du siehst in uns zwei geschlagene Männer, die nun auch noch das Letzte verloren haben, was sie besaßen.« »Setzt euch meinetwegen«, stimmte unser Bewacher zu. »Ich heiße übrigens Mukden, aber mein Name wird hier kaum noch ge braucht. Ich bin der Zauberer und Wundhei ler einer Handvoll von Räubern und Mör dern, auch nur noch ein Schatten meines frü heren Selbst.« Das klang bitter und resigniert, und ich horchte auf. Also hatte ich mich wohl doch nicht getäuscht, als Mukden mir verstohlen ein Zeichen gegeben hatte. Was hatte dieser Mann vor – beabsichtigte er, uns irgendwie zu helfen? Natürlich hütete ich mich, ihm eine direk te Frage zu stellen. Aufatmend ließ ich mich auf einem Hocker rechts von dem Tisch nie der, Razamon links davon. Mukden sah noch einmal zur Hütte hinaus, nickte den beiden Wächtern kurz zu und kehrte dann zurück. Er blieb einige Schritte vor uns ste hen, dann sagte er etwas, das mich aufs höchste überraschte: »Ich glaube nicht, daß du nur ein einfa cher Händler bist, Atlan! Du bist ein Götter sohn, nicht wahr? Ich holte tief Luft und schüttelte unwill kürlich den Kopf. »Wie kommst du auf die se verrückte Idee?« erkundigte ich mich, als meine Verblüffung abgeklungen war. »Ist sie wirklich so verrückt?« fragte der Zauberer zurück. »Ich habe vorhin schon an gedeutet, daß ich einmal bessere Tage gese hen habe. Mein Vater war selbst Händler. Er kam weit herum, und ich habe ihn als junger Mann begleitet. Wir waren nicht nur in Or xeya, sondern noch viel weiter südlich, in der Großen Barriere von Oth. Dort nahm
40 mich ein Magier in die Lehre und brachte mir die Anfangskünste der Zauberei bei. Es war nicht viel, denn ich mußte bald wieder mit meinem Vater zurückkehren. Es reichte aber aus, um mir eine angesehene Stellung unter den Kuroden zu verschaffen. Ich ver lor sie durch Intrigen von Neidern, wurde ausgestoßen, und deshalb bin ich jetzt hier.« »Es geht nirgends ungerechter zu als in der Welt«, warf Razamon zustimmend ein. »Doch was hat das alles mit Atlan zu tun? Warum hältst du ihn für einen Göttersohn?« Mukden legte den Kopf schief und lächel te schlau. »Ich bin als junger Mann im Süden gewe sen, vergeßt das nicht. Ich sah die Straße der Mächtigen, und hörte alles, was man sich über die Söhne des Göttervaters erzählte. Einer von ihnen soll dir gleichen, Atlan, und ein riesiger Wolf soll immer bei ihm sein! Du bist hier und auch dieses Tier – genügt das nicht?« »Fenrir!« stieß ich aus. »Wir haben ihn nicht mehr gesehen, seit wir die Oase betre ten haben. Weißt du, wo er ist?« Die Hand des Kuroden vollführte die Ge ste des Zuschnappens. »Er ist gefangen wie ihr, aber nicht von unseren Leuten. Timbuk sah, daß er in die Ranken einer Fängerpflanze geriet. Er ist darin so fest verschnürt, daß er nicht mehr entkommen kann. Das Gewächs wird ihn verzehren, sobald es Hunger spürt.« »Unmöglich«, sagte Razamon sofort. »Fenrir ist tatsächlich ein Götterwolf, und er besitzt ungeheure Kräfte. Wie sollte ihn eine simple Pflanze eingefangen haben?« Mukden zuckte mit den Schultern. »In der Oase Goltabuur gibt es viele selt same Dinge, fremd und unbegreiflich. Die kupferfarbigen Pflanzen haben uns am An fang zu schaffen gemacht, bis Timbuk ihnen zusagte, daß wir Wächter für ein Wesen sein wollten, das sich Kommandant nennt, und irgendwo im Verborgenen lebt. Auch die grünen Gewächse, die so ganz anders sind als draußen im Land, haben ihre vielfältigen Tücken. Meine schwachen magischen Kräf-
Harvey Patton te reichten jedoch aus, sie zu erkennen. Ich belegte sie daraufhin mit einem Zauber, der ihnen verbot, uns Menschen zu schaden. Auch ihr müßt einige Male in Gefahr gewe sen sein, aber mein Bann bewahrte euch vor einem schlimmen Schicksal.« »Allerdings nur, damit wir von Timbuks Horde überrumpelt werden konnten«, kom mentierte ich bitter. »Was hat euer sauberer Anführer jetzt mit uns vor? Ich habe nicht den Eindruck, daß er uns gleichfalls für Göt tersöhne oder dergleichen hält.« »Das würde ihn auch wenig beein drucken«, meinte der Zauberer lakonisch. »Ich habe deshalb auch nichts darüber zu ihm gesagt, obwohl ich gleich eine solche Vermutung hegte, als ich dich sah – Atlan, oder wer immer du bist. Dafür will ich jetzt versuchen, euch zu helfen, soweit ich das kann.« »Auf welche Weise?« forschte ich, »Hast du einen bestimmten Plan? Es wäre gut, wenn wir das wüßten, damit wir uns danach richten können. Wir können uns notfalls auch selbst befreien, aber ohne Waffen wer den wir nicht mit der Bande fertig.« Mukden wiegte den Kopf, sein starres Ge sicht lag in nachdenklichen Falten. »Euch direkt zu helfen, ist mir leider un möglich«, bekannte er. »Ich weiß wohl, daß Timbuk euch bei Sonnenuntergang töten las sen will, aber ich kann es nicht wagen, durch Wort oder Tat für euch einzutreten. Nur ein Wort zuviel, und Timbuk würde mich mit euch zusammen umbringen lassen. Ich möchte aber gern noch weiterleben, das könnt ihr mir nicht verübeln. Deshalb werde ich versuchen, den Anführer durch Magie dahingehend zu beeinflussen, daß er euch laufenläßt.« Razamon sah mich skeptisch an. »Eine ziemlich fragwürdige Hilfe also«, stellte er skeptisch fest, natürlich auf Terra nisch. »Dieser Mann ist bestenfalls so etwas wie ein Zauberlehrling, allzuviel dürfen wir von ihm nicht erwarten. Im Endeffekt wird es also darauf hinauslaufen, daß wir uns selbst helfen müssen, so gut es geht.«
Das Lebensschiff »Vermutlich«, stimmte ich ihm zu. Dann wandte ich mich wieder an Mukden. »Etwas könntest du aber inzwischen schon tun, das bestimmt keinem auffallen wird. Wirke auf die Fängerpflanze ein, da mit sie den Wolf wieder laufenläßt. Fenrir ist ein besonders kluges Tier, das uns schon gute Dienste geleistet hat. Er kann eine gan ze Reihe von Gegnern unschädlich machen, wenn es darauf ankommt.« Der Zauberer schüttelte betrübt den Kopf. »Du verlangst Unmögliches von mir At lan. Der Leim, den die Ranken dieser Ge wächse absondern, dient nicht nur dazu, Op fer einzufangen. Er enthält zugleich ein Gift, das sie betäubt, so daß sie in eine todesähnli che Starre verfallen. Wenn man sie befreit, dauert es noch mehrere Stunden, bis sie wie der daraus erwachen.« »Ausgesprochen schade«, sagte ich. »Wir können also nur hoffen, daß die Raubpflanze nicht früher Hunger bekommt, als wir selbst etwas für den Wolf tun können. Versuche immerhin dein Bestes, Timbuk zu unseren Gunsten zu beeinflussen. Wenn wir mit dem Leben davonkommen, müssen wir nach La ge der Dinge schon zufrieden sein.« »Ich beginne sogleich damit, Göttersohn«, versprach Mukden. Er begab sich zum Ein gang der Hütte, wechselte einige kurze Wor te mit den Wachen und ließ sich dann auf den Boden nieder. Es sah aus, als würde er uns aufmerksam beobachten, aber ich be merkte, daß seine Augen einen seltsam ab wesenden Ausdruck annahmen. Er war zweifellos dabei, sich zu konzentrieren, so, wie die terranischen Mutanten bei ähnlichen Anlässen. Vielleicht besaß er ebenfalls schwache parapsychische Gaben? Es war den Magiern von Oth möglicherweise gelungen, sie zu wecken und ihm bewußt zu machen. Gerade Pthor war ein Ort, auf dem es von Phänome nen aller Art nur so wimmelte. Wir verzichteten auf jede weitere Unter haltung, um Mukden nicht zu stören. Zu sa gen gab es ohnehin nicht mehr viel, uns blieb nur das Warten auf eine Chance. Falls
41 diese kam, würden wir auf jeden Fall han deln, schnell und entschlossen. Im Moment wären wir aber froh gewesen, einen Schluck Wasser bekommen zu kön nen. In Timbuks Hütte war es drückend warm, der Schweiß brach uns aus allen Po ren. Die Wasserstellen waren ganz nahe, und doch unerreichbar für uns! Gedulde dich! sagte plötzlich mein Extra hirn. Die Zeichen stehen besser für euch, als es dir jetzt scheint.
* Die Denkpflanze hielt ihr Versprechen, den letzten Zuiber vom Kommen der beiden Besucher zu verständigen. Es dauerte aller dings unverhältnismäßig lange, bis diese Nachricht bei Mankor eintraf. Zwar standen fast alle von Zuibrist stam menden Gewächse durch das »Kabelwerk« ihrer Wurzeln miteinander in Verbindung. Die meisten waren jedoch infolge der Strah lung nach dem Absturz der DAUTOR-PAN so mutiert, daß sie ihre einstmaligen Aufga ben nicht mehr, oder nur noch ungenügend erfüllen konnten. Die Informationspflanzen waren davon nicht ausgenommen. Sie taten ihr Bestes, um die Nachricht weiterzuleiten, aber immer wieder kam es zu Verzögerungen. Teilweise gab es Lücken in dem Verbundnetz, durch die Kuroden verursacht, die an verschiede nen Stellen Kanäle geschaffen hatten, um Wasser von den Quellen zu ihren Hütten zu leiten. Sie hatten auch Abfallgruben ausge hoben und einige Tote begraben, ohne Rücksicht auf die Wurzeln zu nehmen. So geriet die Information sozusagen in to te Kanäle, wurde zurückgeleitet, um dann auf einem neuen Weg abermals auf die Rei se geschickt zu werden. Dabei kam sie zu Pflanzen, die so verändert waren, daß sie nichts mehr mit ihr anzufangen wußten. Dann dauerte es jeweils einige Zeit, bis die »Nachrichtentruppe« das bemerkte, worauf die nächstgelegene Denkpflanze konsultiert wurde. Diese übernahm es dann, eine noch
42 intakte Verbindung zu suchen, was auch nicht immer sofort gelang. Über all dem vergingen mehr als zwei Stunden. Dann hatte die Nachricht endlich die Mitte der Oase erreicht, allerdings erheb lich verstümmelt. Sie lautete nun: »Zwei Wesen, die nicht von Pthor stam men, sind eingetroffen. Sie haben eine Denkpflanze befragt, um die Lage der DAU TOR-PAN zu erfahren. Nun sind sie unter wegs zu Kommandant Mankor. Sie kom men, um ihm zu dienen und ihn wieder in die Außenwelt zu bringen.« Die Computerpflanze, die Mankors Auf enthaltsort am nächsten war, vermochte die mehrfachen Sinnentstellungen nicht zu er kennen. Sie leitete die Information kommen tarlos weiter, und sie gelangte auf dem Weg über die Betreuerpflanzen direkt in das Sin neszentrum des unglücklichen Wesens, das nur noch das Zerrbild eines Zuibers war. Mankor brauchte einige Zeit, bis er den Sinn der Nachricht auch nur annähernd be griff. Die letzte sinnvolle Verbindung zur Au ßenwelt hatte er gehabt, als die Kuroden in die Oase gekommen waren. Damals war es ihm noch gelungen, mit den fremden Zwei beinern zu einer Kommunikation zu gelan gen. Mit Hilfe seiner Pflanzen hatte er auf die Beweglichen eingewirkt und sie – zu mindest seiner Meinung nach – sich dienst bar gemacht. Das war nun aber schon Jahre her. In der Zwischenzeit hatte sich nicht nur sein körperlicher Zustand weiter verschlech tert. Auch sein Hirn hatte gelitten, seine In telligenz war auf ein Zehntel ihrer früheren Kapazität abgesunken. Jetzt erschöpfte sich sein Denken darin, sich nach Bewegung zu sehnen, nach einem besseren Dasein in einer schöneren Welt. Er wollte fort aus seiner Mulde aus Pflanzenfasern, in der er ruhte, seit er Kommandant geworden war. Nun kam jedoch plötzlich die Nachricht! Informationspflanzen, deren Ausläufer mit seinen Nervenzentren in Verbindung standen, übermittelten sie ihm. Sein Hirn
Harvey Patton nahm sie auf, ohne sie aber zunächst in ihrer ganzen Tragweite erfassen zu können. Erst nach und nach – und dann auch nur bruch stückweise – drang sie zu seinem reduzier ten Bewußtsein vor. Mankor reagierte auf das ungewohnte Er eignis mit einem Schock. Sein unförmiger Körper begann, konvulsivisch zu zucken, und wälzte sich ruckweise hin und her. Es war sein Glück, daß die mit ihm verwachse nen Fäden der Betreuerpflanzen elastisch nachgaben. Wären diese Versorgungsleitun gen gerissen, wäre das für ihn der Anfang vom Ende gewesen. Bald führte die Anstrengung aber zur tota len Erschöpfung. Mankor sank heftig at mend zurück und brauchte Minuten, um sich wieder halbwegs zu erholen. Erst dann be sann er sich wieder auf den Grund für seine Aufregung. Eine Nachricht war ihm zugeleitet wor den – wie lautete sie? Sein Gedächtnis war bereits so lücken haft, daß nur einige Einzelheiten darin haf ten geblieben waren. Fremde Wesen … eingetroffen … DAU TOR-PAN! Unterwegs … Kommandant! Ihm dienen … Außenwelt bringen! Ein neuer, diesmal aber freudiger Schock durchfuhr ihn nun. Waren die, die da kamen, jene, von denen einst die Älteren gesprochen hatten? Dieses Thema hatte ihn so oft be schäftigt, daß er es nie vergessen konnte. Wer mochten die Fremden sein? Wesen von seiner Art oder andere Bewegliche, die ihm die Älteren schickten? Plötzlich konnte Mankor – im Rahmen seines eingeschränkten Bewußtseins – wie der relativ klar denken. Jemand kam, um ihm zu helfen! Das konnte nur bedeuten, daß sein gegen wärtiger, fast unerträglicher Zustand bald ein Ende haben würde. Die Helfer würden ihn befreien, ihn und die DAUTOR-PAN, deren Kommandant er war. Sie würden ihn fortbringen, zu jener schöneren Welt, von der man ihm erzählt hatte, sein Erzeuger oder seine Lebensmutter. Bald würde alles
Das Lebensschiff
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ganz anders und viel besser sein! Er mußte etwas tun! Jene, die kamen, um ihm seine Bewe gungsfreiheit zurückzugeben, sollten nicht warten müssen. Wenn sie eintrafen, wollte er vorbereitet sein, um sofort mit ihnen ge hen zu können. Er mußte der Schar seiner Pflanzen Befehle geben, damit sie ihn nicht länger festhielten. Sie hatten ihre Aufgabe erfüllt, er brauchte sie nicht mehr; nun wür den seine Helfer für ihn sorgen, für ihn und die DAUTOR-PAN! Und Mankor gab diese Befehle, ohne zu wissen, was er damit tat. Er hob mit der letz ten Kraft seines Geistes die Symbiose mit den Gewächsen auf – und verurteilte sie da durch zum Untergang. Sie – und sich selbst!
8. Timbuk war äußerst mißgestimmt. Die beiden fremden Händler waren zwar in seiner Gewalt, doch das hatte ihm und seinen Gefolgsleuten nur wenig Nutzen ge bracht. Das einzig wirklich Wertvolle, das in ihrem Besitz gewesen war, stellten die Tech nowaffen dar. Mit ihnen konnte man Gegner auch dann ausschalten, wenn man sie nicht voll traf. Sie blieben stundenlang ohne Be wußtsein, man konnte sie in aller Ruhe aus rauben, ohne sich die Finger mit Blut zu be sudeln. Die Messer waren auch nicht zu verach ten, sie waren gut und scharf. Die Quorks dagegen – pah, was war das schon? Bisher hatte keiner der Ausgestoßenen je daran ge dacht, sich Dinge zu kaufen, die er benötig te. Er nahm sie sich einfach. »Ich werde die Dinger an die anderen ver teilen«, murmelte der Bandenführer vor sich hin. »Damit zeige ich ihnen wieder einmal, daß ich ein guter Anführer bin, der nicht nur an sich allein denkt. Morgen ziehen wir dann wieder los, um ein Dorf zu überfallen, wo es genügend Eßwaren zu holen gibt. Ach ja, und Kleider für die Weiber brauchen wir diesmal auch. Konja wird es mir auf ihre Weise danken, wie ich sie kenne.«
Er grinste voll Vorfreude und ging weiter, auf die Stelle zu, die er zum Versammlungs platz bestimmt hatte. Dort sollte formal dar über beraten werden, was nun mit den bei den Gefangenen zu geschehen hatte. Sie würden am Abend sterben, das stand für ihn schon jetzt fest. Die beiden sahen nicht so aus, als könnten sie jemals brauch bare Bandenmitglieder werden. Händler, ir gendwo aus dem Süden, keine Kuroden, und damit von vornherein minderwertig. Wenn sie wenigstens noch aus Moondrag gewesen wären! Dann hätte er versuchen können, von ihren Angehörigen oder Freunden ein gutes Lösegeld zu erpressen. »Zu schön, um wahr zu sein«, knurrte er mißmutig. »Tausende von Quorks – damit ließe sich etwas anfangen! Dann könnten wir weit fortgehen, irgendwohin, wo uns niemand als Ausgestoßene erkennt. Keine Oase Goltabuur mehr, keine mühseligen Märsche durch die Wüste; keine Raubzüge mehr, um sich das bißchen Leben erhalten zu können …« Seine Hand fuhr in die Tasche und be rührte dabei die drei Phiolen des Fremden, der sich Razamon nannte. Er zog eine davon hervor und sah sie prüfend an. Die grüne Flüssigkeit darin sollte also ein Mittel gegen Fieber und zur Kräftigung sein? Mit großer Wahrscheinlichkeit war sie es auch, sonst hätte der Fremde nicht so nach drücklich darauf bestanden, die Phiolen be halten zu wollen. Was für diesen Razamon gut war, mußte auch auf ihn, Timbuk, die gleiche Wirkung haben. Kraft konnte er aber mit Sicherheit brauchen, wenn es am näch sten Morgen auf den neuen Raubzug ging. Mukden machte zwar zuvor stets seinen Zauber, aber das hier war vielleicht besser! Der Anführer der Ausgestoßenen grinste wieder einmal. Er blieb stehen, zog sein Messer und öffnete die Phiole. Ein großer Schluck, dann war sie geleert, und er warf sie fort. Zugleich verzog er das Gesicht, denn das grüne Zeug schmeckte gar nicht gut. Doch das hatte es mit allen anderen Me dizinen gemeinsam, die Timbuk bisher ken
44 nengelernt hatte, ganz gleich, ob wirksam oder unwirksam. Gleich darauf erschrak er, denn ihm wur de seltsam schwindelig. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, zuerst den Zauberer zu befragen, ehe er den Inhalt der Phiole schluckte? Mukden hatte Erfahrung in Be zug auf Essenzen der verschiedensten Art. Er stellte auch selbst welche her, um damit die Verwundeten oder Kranken der Bande zu kurieren. Das Schwindelgefühl verging aber rasch wieder, und Timbuk beruhigte sich. Er fühl te sich plötzlich ruhig und ausgeglichen, sein vorheriger Unmut war restlos verflogen. Wenn das bereits die erste Wirkung des Mit tels war, dann konnte es kaum schädlich sein. Er ging weiter und lachte unvermittelt, ohne jeden ersichtlichen Grund, euphorisch auf. »Gut, daß ich dem Quacksalber nichts gesagt habe!« murmelte er. »Er hätte viel leicht die gute Medizin für schädlich erklärt, um sie dann später selbst zu nehmen. Ich ha be ihn hereingelegt, haha!« Er konnte nicht ahnen, daß das Mittel der Schattenkullja dazu bestimmt war, die Wut anfälle von Berserkern zu unterbinden. Sein Metabolismus war anders als der von Raza mon, und er reagierte auch anders. Auch bei Timbuk trat eine beruhigende und aggressi onshemmende Wirkung ein, aber zugleich erfaßte ihn eine Euphorie, der er nur schwer Herr werden konnte. Seine Leute sahen verwundert auf, als er mit einem satten Grinsen vor sie hintrat. Sie wunderten sich zu Recht, denn ihr Anführer war sonst alles andere als ein humorvoller Mann. »Was belustigt dich so?« fragte einer der Banditen. »Hatten die beiden so wertvolle Dinge bei sich? Ihre Beutel sahen gar nicht danach aus.« Timbuk schwenkte vergnügt die beiden Beutestücke. »Sie enthalten schöne, reich verzierte Quorks«, verkündete er fröhlich. »Hier, nehmt sie, und teilt sie unter euch auf, ich
Harvey Patton will nichts davon haben. Habt ihr nicht einen guten und freigebigen Anführer, ihr Schur ken?« Die Mienen der anderen blieben verständ nislos, einige sahen sogar ausgesprochen be sorgt drein. Timbuk kümmerte sich jedoch nicht darum, sondern holte auch die erbeute ten Messer hervor, um sie zweien seiner Männer zuzuwerfen. Einer von ihnen bekam die Klinge zu fassen und schnitt sich die Finger auf. Er stieß einen Fluch aus, aber der Bandenführer ignorierte auch das. Stattdes sen breitete er theatralisch die Arme aus. »Und jetzt beginnt der vergnügliche Teil!« sagte er schmunzelnd. »Die Bestra fung der beiden Fremden, an der ihr alle teil nehmen sollt. Sie werden vielleicht dumme Gesichter machen, hahaha!« »Darf ich sie umbringen?« erkundigte sich ein mehrfacher Mörder voll Vorfreude. »Sie sollen so langsam und qualvoll sterben, daß sie mich anwinseln werden, sie endlich zu erlösen. Ich werde sie …« »Gar nichts wirst du«, schnitt ihm Tim buk das Wort ab. »Nein, ich habe heute mei nen großzügigen Tag. Ich schenke ihnen das Leben, nur so zum Spaß! Wir nehmen ihnen, bis auf die Kleidung, alles ab, was sie noch bei sich haben, und jagen sie dann in die Wüste hinaus. Ohne Wasser natürlich, das ist der besondere Spaß dabei. Sie werden sich freuen, so gut davongekommen zu sein, aber nur, um dann später irgendwo jämmer lich zu verdursten. Ist das nicht schön?« Dieses makabre Vorhaben fand das Wohl wollen der meisten Banditen. Nur einige schüttelten verständnislos die Köpfe, denn so kannten sie ihren Anführer noch gar nicht. Er ließ ihnen jedoch keine Zeit mehr, noch Proteste anzubringen. »Los, folgt mir!« rief er übermütig aus. »Wir holen beide aus meinem Haus, das Ur teil wird sofort vollstreckt.«
* »Sie kommen, um euch zu holen!« ver kündete Mukden, der vor einiger Zeit wieder
Das Lebensschiff aus seiner Starre erwacht war. »Ich habe ge tan, was ich konnte, aber ich weiß nicht, ob es genug war. Eigentlich ist es noch zu früh, Timbuk pflegt sonst Hinrichtungen immer erst bei Sonnenuntergang vorzunehmen.« »Als ob das eine Rolle spielte!« knurrte ich gereizt. »Es ist nie schön zu sterben, ganz gleich, zu welcher Tageszeit. Los, Raz amon, jetzt geht es um alles! Vielleicht ha ben wir doch noch eine kleine Chance.« Der Zauberer verließ die Hütte, um den anderen entgegenzugehen. Wir sprangen ha stig auf, und der Pthorer spannte seine Arm muskeln an. Ein fetzendes Geräusch er klang, dann schnellten die zerrissenen Rie men durch die Luft. In rasender Eile befreite er sich von den Resten und machte sich dann daran, auch meine Fesseln zu zerreißen. Er war jedoch noch nicht damit fertig, als vom Eingang her ein meckerndes Lachen er klang. Wir fuhren herum und sahen in das Gesicht des Kurodenführers, der eine Wag gu auf uns gerichtet hielt. Razamon wollte sich sofort auf ihn stür zen, stolperte aber über einen Schemel und kam zu Fall. Ehe er sich noch erheben konn te, fauchte die Waffe auf und lähmte seinen rechten Arm. Ich selbst hatte noch damit zu tun, die Riemen abzustreifen. Timbuk schüt telte vorwurfsvoll den Kopf. »Zwei starke Männer, wie ich sehe, aber ich lasse mir meinen Spaß nicht verderben. Rühre dich nicht, Razamon, sonst muß ich auch deine Linke noch betäuben. Das dürfte euch dann beim Marsch durch die Wüste et was hinderlich sein, haha!« Ich begriff sofort, und auch der Atlanter richtete sich betont langsam auf und starrte den Kuroden an. »Du willst uns am Leben lassen?« fragte ich, während sich meine Gedanken förmlich überschlugen. Konnte es sein, daß der Zau ber Mukdens tatsächlich gewirkt hatte? Tim buks Verhalten war anomal, das war deut lich zu erkennen. Auf meine Frage hin lach te er dröhnend auf. »Du sagst es, Händler. Warum sollen wir euch hier umbringen, dann haben wir noch
45 die Arbeit, eure Leichen zu verscharren. Das wird uns der Wüstensand abnehmen, wenn ihr draußen verdurstet seid, hihi!« Geht trotzdem auf alles ein! riet mir der Logiksektor augenblicklich. Dir Oase ist groß, die Kuroden können nicht alle Berei che gleichzeitig überwachen. Ihr könnt euch zum Schein entfernen, um dann in der Nacht zurückzukehren. Dann könnt ihr Fenrir be freien und euch mit Wasser versorgen. Ich half Razamon betont langsam auf die Beine und zwinkerte ihm dabei unmerklich zu. Er verstand, und ich wandte mich erneut an den Bandenführer. »Das kannst du doch nicht tun!« sagte ich mit erschrecktem Gesicht. »Weshalb sollen wir sterben, wir haben euch doch nichts ge tan? Sind wir nicht schon dadurch genügend gestraft, daß wir auch noch unsere letzte Ha be verloren haben?« Timbuk lächelte spöttisch. »Im Grunde schon«, gab er zu. »Andererseits darf ich euch kein Wasser mitgeben, sonst schafft ihr es doch noch, ei ne bewohnte Gegend zu erreichen. Bis jetzt weiß noch niemand, daß wir uns hier verbor gen halten, weil Goltabuur von allen gemie den wird. Ihr würdet aber kaum darüber schweigen, und so würde man bald kom men, um uns zu erledigen! Außerdem will ich meinen Spaß haben, also bleibt es da bei.« Wir resignierten scheinbar, und der Kuro de quittierte das mit amüsiertem Grinsen. Vier Männer packten uns, schleiften uns aus der Hütte, und nahmen uns auch noch die Gürtel ab. Mukden stand unauffällig im Hin tergrund und sah recht zufrieden aus. Die anderen bedachten uns mit spöttischen Zuru fen, die uns die zu erwartenden Qualen in der Wüste ausführlich schilderten. Timbuk schüttelte sich vor Lachen, als uns seine Männer dann auf den Ostrand der Oase zutrieben. Wir stolperten wortlos vor ihnen her, Razamons paralysierter Arm hing baumelnd wie ein Fremdkörper herab. Bis zum Anbruch der Nacht mußten aber noch etwa zwei Stunden vergehen, und bis
46 dahin sollte die Lähmung wieder abgeklun gen sein. Dann konnten wir unseren Plan doch ausführen, ohne dabei behindert zu sein. Als hätte der Anführer meine Gedanken erraten, sagte er mit sattem Feixen: »Mir fällt beiläufig eben ein, wie ich diesen Spaß für uns alle noch vergrößern kann! Ich wer de alle Wasserstellen einige Tage lang stän dig bewachen lassen! Es könnte ja sein, daß ihr beide auf dumme Gedanken kommt, nicht wahr?« »Wir werden es trotzdem schaffen!« knurrte der Pthorer mit verbissener Miene auf Terranisch. Wir hatten schon den äußeren Grüngürtel erreicht, da klangen hinter uns plötzlich er schreckte Ausrufe auf. Sie zeugten von of fenkundiger Panik, und nun verging auch Timbuk das Lachen. Er wandte sich um, und sein Gesicht erstarrte zu einer angstvollen Grimasse. Auch wir sahen zurück und erblickten den Grund für das allgemeine Erschrecken: Die Vegetation der Oase starb ab! Es gab keinen ersichtlichen Grund dafür, aber es war so. Ein Rauschen und metalli sches Knistern ging durch die kupferfarbi gen Gewächse. Sie schwankten hin und her wie vom Sturm bewegt, ein klagendes Seuf zen schien von ihnen auszugehen. Dann san ken sie haltlos in sich zusammen und lösten sich allmählich auf. Sie wurden zu rötlichem Staub, unter dem langsam der halbkugelför mige Überrest der DAUTOR-PAN sichtbar wurde. Doch das Phänomen beschränkte sich nicht nur auf sie allein. Auch die grünen Ge wächse begannen abzusterben, wenn auch nicht im gleichen atemberaubenden Tempo. Trotzdem mußte die Oase, wenn es so wei terging, innerhalb einer Stunde zu einer Stät te des Todes werden! Plötzlich kamen auch Tiere aller Art zum Vorschein, die sich in dem Pflanzendschun gel oberhalb der Raumschiffszelle aufgehal ten hatten. Sie stürzten in kopfloser Flucht davon und verschwanden in der Wüste, nach
Harvey Patton Westen hin. Die Kuroden standen fassungslos da, das Geschehen ging weit über ihren Verstand hinaus. Auch wir begriffen es nicht, aber Timbuk reagierte überraschend schnell. Alle Fröhlichkeit war infolge des Schocks aus seinem Gesicht verschwunden, es war wie der starr geworden. »Wir verlassen die Oase!« rief er seinen Leuten heiser zu.
* Er brauchte das nicht zweimal zu sagen. Die Männer und Frauen wandten sich zur Flucht, aber der Anführer hielt sie noch ein mal auf. Er hatte erkannt, daß die grünen Pflanzen dem Verfall länger standhielten, und sein Verstand zog die Folgerungen dar aus. Hastig gab er die Anweisung, die Waffen und wichtigsten Geräte aus den Hütten zu holen. Die Leute gehorchten, wenn auch nur ungern. Sie wußten, daß sie anderswo nicht bestehen konnten, wenn sie alles hier zu rückließen. Andere erhielten den Befehl, sämtliche vorhandenen Behälter mit Wasser zu füllen, das nicht weniger lebenswichtig war. »Die Gefangenen?« fragte ein Mann. »Soll ich sie töten, Timbuk?« Der Anführer winkte jedoch ab. »Die Götter selbst scheinen hier zu ihren Gunsten eingegriffen zu haben, also lassen wir sie le ben. Es genügt, wenn wir darauf achten, daß sie uns nicht folgen können. Wenn sie nicht wissen, wohin wir uns wenden, können sie uns auch nicht verraten.« Er drehte sich noch einmal zu uns um. »Ihr habt Glück im Unglück, Händler! Vielleicht kommt ihr so wirklich mit dem Leben davon, aber das soll mich jetzt nicht weiter kümmern. Wir gehen unserer Wege, Pthor ist groß.« Eine Viertelstunde später war die Oase, von uns abgesehen, menschenleer. Die Kuroden hatten sich nach Westen hin ent fernt, ihre Gestalten verschwanden zwischen
Das Lebensschiff den Dünen. Ich vermutete, daß sie die Was serstellen Zantorgan oder Telnby aufsuchen würden, die wir bereits passiert hatten, aber das war bedeutungslos für uns. »Was tun wir jetzt, Arkonide?« fragte Razamon und massierte mit der Linken sei nen gelähmten Arm. Ich zuckte mit den Schultern und sah zu, wie die Denkpflanzen der Zuiber als letzte in sich zusammenfielen. Der größte Teil der Oase Goltabuur war nun mit kupferfarbigem Staub bedeckt. Er war so fein, daß er vom Wind erfaßt und aufge wirbelt wurde, der nun fast ungehindert über das Areal strich. Auch die Grüngewächse waren nun soweit in sich zusammengesun ken, daß wir es mühelos übersehen konnten. »Da ist Fenrir!« stieß ich erleichtert aus. Die massige Gestalt des Wolfes kam zwi schen Rankenwerk zum Vorschein, das sich rapide auflöste. Unvermittelt kam wieder Leben in ihn, er erhob sich taumelnd auf die Läufe. Dann sah er uns, und ein freudiges Geheul kam aus seinem Rachen. Er setzte sich mühsam in Bewegung und schlich auf die nächste Wasserstelle zu. Wir folgten seinem Beispiel, denn jetzt spürten auch wir den Durst, den wir über den vorherigen Ereignissen vergessen hat ten. Die Quelle sprudelte noch, aber der Wasserspiegel war bereits von rötlichem Staub überzogen. Nachdem alle Vegetation abgestorben war, konnte es nur wenige Tage dauern, bis sie vom Wüstensand zugeweht wurde. Wir tranken ausgiebig und erfrischten uns. Fenrir legte sich nieder und schlief er mattet ein. Ich erhob mich dagegen und sah nachdenklich zu der metallenen Halbkugel hinüber, die mit zahlreichen Rissen und Sprüngen übersät war. »In diesem Gebilde muß sich noch Man kor befinden, der letzte Zuiber auf Pthor. Die Denkpflanze hat berichtet, daß er kör perlich mutiert ist und sich nicht selbst fort bewegen kann. Wir sollten nach ihm sehen und ihm zu helfen versuchen, soweit wir da zu imstande sind.« Razamon nickte. »Große Überlebenschan
47 cen dürfte er aber wohl kaum haben, fürchte ich. Der Pflanzencomputer sagte auch, daß der ›Kommandant‹ nur infolge der Symbio se mit Betreuerpflanzen überhaupt noch exi stieren konnte. Ich glaube kaum, daß gerade sie erhalten bleiben, wo hier alles andere vergeht.« »Wir suchen ihn trotzdem auf«, bestimm te ich. »So schnell wie möglich sogar, denn die Sonne wird bald untergehen, und mor gen ist es mit Sicherheit zu spät.« Fenrir öffnete ein Auge und sah mich mit mattem Blick an. Ich tätschelte beruhigend seinen Kopf. »Bleib nur ruhig liegen, Grauer, und erho le dich. Wir gehen nicht weit und kommen bald wieder zurück.« Der kupferrote Staub knirschte leise unter unseren Sohlen, als wir auf die Überreste der »Weltraumarche« zugingen. Sie hatte die Hoffnungen einer todgeweihten Rasse in sich getragen, aber auch sie war dem Ver derben zum Opfer gefallen, das der Höllen kontinent Pthor über Zuibrist gebracht hatte. Wie viele blühende Zivilisationen mochten ihm bereits zum Opfer gefallen sein …? Razamon fluchte erbittert, seine Augen waren dunkle Löcher in seinem strengen Ge sicht. »Wir dürfen nicht eher Ruhe geben, bis wir dem verderblichen Treiben der Herren der FESTUNG ein Ende bereitet haben! Der Chor ungezählter toter Intelligenzen schreit nach Rache, und wir müssen sie vollenden.« »Sobald wir am Ziel sind«, bekräftigte ich. Keiner von uns beiden wußte, wann das sein würde. Infolge von Razamons Gedächt nisblockade ahnten wir nicht einmal, wie die grausamen Herrscher von Pthor aussahen, und auch sonst schien es niemand zu wissen. Ungeheuer mußten es auf jeden Fall sein, vielleicht nicht körperlich, bestimmt aber geistig. Wir hatten etwa zweihundert Meter zu rückzulegen, dann waren wir bei dem Wrack angekommen. Aus der Nähe erkannten wir erst, wie
48 schwer die Schäden an der metallenen Halb kugel waren. Was aus der Entfernung nur wie Risse oder Sprünge ausgesehen hatte, entpuppte sich nun als meterbreite Spalten mit unregelmäßig gezackten Rändern. Dort, wo die tief stehende Sonne hinein schien, waren noch verformte Überreste von Aggre gaten oder Einrichtungsstücken zu erkennen. Der gesamte Torso war mit einer dünnen Schicht von Humus bedeckt, der gleichfalls die Farbe von gedunkeltem Kupfer besaß. Er bröckelte nun bereits ab, ganze Schollen rutschten über die Wölbung der Schiffszelle herab und rissen weitere mit sich. Wir sahen auch quadratische oder recht eckige Öffnungen von verschiedener Größe, die zweifellos einst als Luftschleusen oder Reparaturluken fungiert hatten. Alle befan den sich aber so hoch über dem Boden, daß sie nicht als Zugänge zur DAUTOR-PAN in Frage kamen. Wir gingen nach rechts und begannen das Wrack zu umrunden, um einen Eingang zu finden, der uns zu dem überlebenden Fremden führen sollte. Wir hatten allerdings die falsche Richtung gewählt. Erst als wir den Nordpunkt umrun det hatten, sahen wir eine große, bogenför mige Öffnung, etwa fünfzig Meter breit und fünfundzwanzig Meter hoch. Dahinter gähn te ein Tunnel, und mein Extrahirn zog sofort die richtigen Schlußfolgerungen. Dies muß eine der beiden Stellen sein, an denen die röhrenförmigen Verbindungs stücke zu den beiden anderen Kugelzellen mündeten, unterrichtete es mich. Durch die se Öffnungen konnten die überlebenden Zui ber relativ mühelos ins Freie gelangen. Es ist anzunehmen, daß sich Mankor in einem Raum befindet, der dicht hinter einer dieser Öffnungen liegt. Wir gingen unwillkürlich schneller und bemerkten schon aus einiger Entfernung, daß dort etwas anders war: Im Bereich die ses Tunnels gab es noch Pflanzen von Zui brist. Auch sie waren bereits in der Auflö sung begriffen, nur ließ sich erkennen, daß dieser Prozeß hier offenbar erheblich langsa mer ablief.
Harvey Patton Razamon sah mich an. Sein Gesicht war verzogen, denn die Lähmung wich bereits aus seinem Arm, und dieser Vorgang war mit den üblichen Schmerzen verbunden. In folge seiner besonderen Konstitution ertrug er sie aber weit besser als gewöhnliche Men schen. »Wenn überhaupt, müßte er dort zu fin den sein«, sagte er halblaut. »Zweifellos«, stimmte ich zu. Die Denk pflanze hatte ausgesagt, daß sich der »Kommandant« in einem Außensektor der Schiffshülle befand. Wir zwängten uns zwi schen den knisternden kupferfarbigen Ge wächsen hindurch und drangen in den Tun nel ein. Wir entdeckten Mankor nach kurzer Su che in einem Raum, der früher wohl den Zuibern als Magazin gedient hatte. Er war rechteckig und etwa zwanzig Meter lang, an den Seitenwänden waren auch jetzt noch re galartige Gestelle zu erkennen. Der größte Teil des Raumes war jedoch mit verschiedenartigen Gewächsen ange füllt, die in seiner Mitte ein großes Oval bil deten. Da die Sonne direkt in den Tunnel schien, gab es hier genügend Licht, daß wir uns orientieren konnten. Auch diese Pflanzen zerfielen aber be reits. Nur in der Mitte des Ovals gab es eine Zone niederer Rankengewächse, die noch fast unversehrt waren. Als wir uns ihnen nä herten, bogen sie sich zur Seite und gaben den Blick auf einen Wannenbehälter frei, der vollständig mit einem Geflecht von wur zelähnlichen Fasern ausgekleidet war. In dieser »Wiege« – einen besseren Aus druck dafür fand ich nicht – ruhte der letzte Zuiber. Als wir ihn sahen, fuhren wir un willkürlich entsetzt zusammen. Ich hatte schon viele Geschöpfe gesehen, die durch Strahlung oder andere Umweltein flüsse mutiert Waren. Doch selbst die Schat tenkullja mit ihrem entstellten Körper hatte keinen so schrecklichen Anblick geboten wie diese bedauernswerte Kreatur. Mankor war ein unförmiges, bis zur Un kenntlichkeit verformtes Wesen. Nur die
Das Lebensschiff vier verkümmerten Beine wiesen noch dar auf hin, daß er ein Abkömmling der Intelli genzen von Zuibrist war. Er wirkte eher wie eine große Qualle. Augen, Ohren oder ande re Sinnesorgane waren nicht mehr zu erken nen. Nur dort, wo sich der Kopf befinden mußte, gab es zwei Atemöffnungen, die noch ihre Funktion erfüllten. Sie gaben pfeifende und rasselnde Ge räusche von sich, der ganze Körper zuckte in unregelmäßigen Intervallen. Wir sahen uns ratlos an, denn offenbar gab es keine Mög lichkeit, sich mit diesem mutierten Geschöpf irgendwie zu verständigen. Es schien so gut wie ausgeschlossen, daß überhaupt noch ein Funke von Intelligenz in ihm war. Irrtum! korrigierte mein Logiksektor so fort. Der Kommandant hat bisher immer noch einen gewissen Einfluß auf die Kuro den ausgeübt, der ohne ein sinnvolles Funk tionieren seines Hirns nicht denkbar gewe sen wäre. Als Mittler dienten vermutlich die Gewächsranken, die mit seinem Körper ver bunden sind. Ich sah schaudernd auf die vielen dünnen Auswüchse der Betreuerpflanzen, die mit Erhebungen an dem qualligen Körper ver bunden waren, die zweifellos Nervenknoten darstellten. Konnte es überhaupt ein armseli geres Dasein geben? Und so lag Mankor nun schon fast sechs Jahrzehnte hier, nur auf die Versorgung durch die Pflanzen angewiesen, die ihre symbiontischen Aufgaben trotz der Tatsache erfüllt hatten, daß sie selbst auch mutiert waren! Doch nun nahte auch ihr Ende. Der Ver fall der Gewächse, für den es keine erkenn bare Ursache gab, schritt immer weiter fort. Damit war auch der letzte Zuiber zum Tode verurteilt, denn wir waren außerstande, ihm irgendwie zu helfen. Dazu hätten wir einen Überlebenstank gebraucht, und den hatten wir nicht. Zögernd griff ich nach einem Bündel von Ranken, das dort in dem Körper mündete, wo sich vermutlich das Gehirn befand. Ich zuckte zusammen, als nun plötzlich semite lepathische Impulse in meinem Kopf auf
49 klangen, die eindeutig von Mankor stamm ten. »Seid ihr endlich da, Bewegliche? Ihr seid keine Zuiber, das erkenne ich, aber ihr seid gekommen, um mich zu retten. Ich habe be reits dafür gesorgt, daß die DAUTOR-PAN befreit wird, deren Kommandant ich bin. Führt sie zurück nach Zuibrist, auf die schö ne Welt der Älteren und meines Erzeugers! Endlich werde ich mich wieder bewegen können … bewegen … bewegen!« Das letzte Wort klang wie ein frohlockender Aufschrei. Gleichzeitig bäumte sich der verformte Körper unter heftigen Zuckungen auf. Die Ranken der Betreuerpflanzen waren dieser Beanspruchung nicht mehr gewach sen, denn die Auflösung griff nun auch schon auf sie über. Die meisten rissen ab und peitschten noch eine Weile sinnlos durch die Luft, um dann schlaff zur Seite zu fallen. Wir sahen uns erschüttert an, denn wir wußten, was das für Mankor bedeutete. Nur die Symbiose mit den Gewächsen, die durch sie erfolgende Versorgung des Mutanten mit allen für sein Dasein notwen digen Substanzen hatte ihn solange am Le ben erhalten. Jetzt starben die Pflanzen ab, und damit kam auch sein Ende! Der letzte Zuiber starb schnell und schmerzlos. Ich spürte das Erlöschen seiner Hirnimpulse, sein Hinüberdämmern in den Tod. Schließlich zerfielen die Ranken in meinen Händen, lösten sich zusammen mit den Betreuerpflanzen auf. Der quallige Kör per sackte in sich zusammen, seine Bewe gungen erstarben. Ich nickte Razamon zu, der gleichfalls durch Berühren der Ranken am Kontakt mit Mankor teilgenommen hat te. »Er ist tot, Freund!« sagte ich tonlos. »Mankor scheint sein Ende selbst herbeige führt zu haben, indem er den Befehl zur ›Befreiung‹ der DAUTOR-PAN gab. Er in terpretierte die Nachricht der Denkpflanze offenbar falsch, und so war das Verhängnis nicht mehr aufzuhalten.« Der Pthorer zuckte mit den Schultern, sei
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Harvey Patton
ne robustere Natur ließ in entsprechend nüchterner reagieren. »Ein Mißverständnis, gewiß, aber für ihn war es wohl so am besten. Er lebte ohnehin nicht richtig, er vegetierte nur so dahin, ohne Sinn und Zweck. Immerhin ist er wenigstens glücklich gestorben, in dem trügerischen Be wußtsein, bald in eine schönere Welt zu ge langen. Es gibt wohl nicht viele Wesen, de nen es so wie ihm ergeht.« Ich verzichtete auf eine Antwort. Schwei gend verließen wir das Wrack wieder und gingen in den hereinbrechenden Abend hin aus. Alles weitere blieb nun der unerbittli chen Natur überlassen. Die Oase Goltabuur würde es bald nicht mehr geben. Die von den Zuibern künstlich geschaffenen Quellen würden versiegen, vom Sand zugeweht, den nun der Wind her anführen konnte, von keiner Vegetation mehr behindert. Bestenfalls einige Monate, dann mußten auch die Überreste der DAU TOR-PAN vollkommen überweht sein – ein riesiger Grabhügel für den letzten Komman danten des Lebensschiffs, das zum Toten schiff geworden war …
* Fenrir hatte inzwischen die Folgen seiner Betäubung ganz überwunden. Als wir zu ihm zurückkamen, war er da mit beschäftigt ein fuchsähnliches Tier zu verzehren. »Er hat sich selbst versorgt«, sagte Raza mon. »Doch was wird jetzt mit uns? Wir ha ben nur noch das, was wir am Leibe tragen, keine Waffen, und nichts zu essen. Wie sol len wir so nach Moondrag gelangen? Uns stehen noch etwa fünfzig Kilometer Marsch durch die Wüste bevor!« Ich wies auf die aus Metallteilen zusam mengeschusterten Hütten der Kuroden, die nun deutlich zu sehen waren. »Komm, wir sehen einmal darin nach. Sie sind in aller Eile geflohen, und dabei haben sie bestimmt einiges zurückgelassen, das wir brauchen können. Außerdem gibt es hier
noch Wasser, also sind unsere Aussichten doch nicht ganz so schlecht, wie du sie siehst.« Wir mußten uns beeilen, denn es begann bereits zu dunkeln. Unsere Beute bestand aus einigen Fladenbroten und etwas Dörr fleisch, das uns über den schlimmsten Hun ger hinweghelfen würde. Außerdem fanden wir vier große lederne Wasserflaschen, und damit war ein weiteres Problem gelöst. Als die ersten Sterne am Himmel erschie nen, marschierten wir los, nach Norden, in Richtung Moondrag. Wir waren zwar er schöpft, aber wir hatten trotzdem beschlos sen, die erste Etappe in der Nacht zurückzu legen, die erfrischende Kühle mit sich brachte. Wenn wir etwas Glück hatten, konnten wir am Morgen bereits bei der nächsten Oase sein. Bald stolperten wir nur noch wie Automa ten dahin, eine Düne hinauf, wieder hinun ter, die nächste hinauf. Zweimal kreuzten wir auch jene seltsamen Bodeneinschnitte, die die Bezeichnung »Wege der Dorgonen« führten. Als schließlich wieder die Sonne aufging, sahen wir am Horizont tatsächlich die Silhouetten von palmenähnlichen Ge wächsen aufragen. Fenrir lief voran, kehrte aber bald win selnd wieder zurück. Das war kein gutes Zeichen, wie sich bald darauf zeigte. Die Oase – wir wußten nicht, ob es Has korasch oder Quajubor war – erwies sich als vollkommen verödet. Sie war vom Sand überweht, alle Bäume und sonstigen Pflan zen seit langem abgestorben. Nur eine leich te Vertiefung im Boden, die von Steinen umgeben war, deutete noch die Stelle an, an der sich einmal das Wasserloch befunden hatte. Der Fenriswolf grub vergeblich im Sand. Bald zog er den Schwanz ein, kam zu mir und sah mich entsagend aus seinen klugen Augen an. Ich tätschelte tröstend seinen Kopf. »Nimm es nicht so schwer, Alter. Du hast ja am Abend erst den Fuchs verspeist, und Wasser bekommst du von uns. Wenn nur die
Das Lebensschiff
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verdammte Hitze nicht schon wieder wäre! Es wird am besten sein, wenn wir den größ ten Teil des Tages hier verbringen und zu schlafen versuchen. Was hältst du davon, Razamon?« Der Pthorer nickte, kaute einen Brocken Dörrfleisch durch und spülte ihn mit Wasser hinunter. Unter seinen schwarzen Augen la gen dunkle Ringe, er war sichtlich erschöpft. »Den gleichen Vorschlag wollte ich dir auch machen. Wenn wir durch die größte Hitze marschieren würden, könnte das bei unserem gegenwärtigen Zustand schlimme Folgen haben. Mir fallen ohnehin bald die Augen zu.« Wir schufen eine Mulde, vor die wir Sand und Steine als Sonnenschutz häuften. Das gab zwar nur eine Illusion von Kühle, aber wir schliefen trotzdem bald ein. Wir erwach ten am späten Nachmittag, aßen und tranken und versorgten auch Fenrir. Dann brachen wir wieder auf. Abermals marschierten wir die Nacht hin durch und legten erst beim Morgengrauen eine Rast ein. Wir hatten schon zuvor be merkt, daß die Dünen immer flacher gewor den waren. Im ersten Sonnenlicht sahen wir dann, daß der Boden weiter vor uns mit Stei
nen durchsetzt war, zwischen denen niedrige Flechten wucherten. Ich schlug Razamon freudig auf die Schulter. »Jetzt haben wir es bald geschafft, Freund! Alle Anzeichen weisen darauf hin, daß wir dem Rand der Wüste nahe sind, und damit auch Moondrag. Nun kann es sich nur noch um Stunden handeln, die wir zu gehen haben; brechen wir also am besten gleich wieder auf.« Der Pthorer stimmte zu. Wir tranken das letzte Wasser und warfen die nutzlos gewor denen Flaschen weg. Nun besaßen wir nichts mehr außer unserer Kleidung. Im stil len verfluchte ich die räuberischen Kuroden, aber das half auch nichts. Wir marschierten weiter und kamen nun auf dem allmählich fester werdenden Boden zügig voran. Nach etwa zwei Stunden tauch te am nördlichen Horizont verschwommen ein dunkler Streifen auf, in dem wir die Sil houetten von Gewächsen zu erkennen glaub ten. Die Wüste Fylln mit ihren Schrecken war vergessen.
E N D E