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Die Fernsehserie jetzt im Goldmann Taschenbuch! Der phantastische Dr. WHO mit seinem unmöglichen Raumschiff auf Abenteuersuche im Weltall! Als Dr. WHO mit seinen Begleitern auf dem öden Planeten landet, ahnt zunächst niemand etwas Böses. Doch dann wird der Doktor von Steinzeitmenschen entführt, die ihn, den Pfeifenraucher, für einen mächtigen Feuerzauberer halten. Und weil die Macht hat, wer über das Feuer gebietet, wird der Doktor wider Willen zu einer begehrten Trophäe unter den Steinzeitmenschen. Bei ihrem verzweifelten Befreiungsversuch geraten Ian, Barbara und Susan zu allem Unglück ebenfalls in die Gewalt der Wilden – und nun werden Stimmen laut, die Fremden doch dem Sonnengott zu opfern … DEUTSCHE ERSTVERÖFFENTLICHUNG
Aus der Reihe Dr. WHO sind im Goldmann Verlag erschienen: Dr. WHO und die Invasion der Daleks David Whitaker • 23611 Dr. WHO und das Komplott der Daleks Terrance Dicks • 23612 Dr. WHO und der Planet der Daleks Terrance Dicks • 23622 Dr. WHO – Tod den Daleks! Terrance Dicks • 23623 Dr. WHO und der Schöpfer der Daleks Terrance Dicks • 23625 Dr. WHO und das Kind von den Sternen Terrance Dicks • 23626
TERRANCE DICKS
UND DAS KIND VON DEN STERNEN
GOLDMANN VERLAG
Deutsche Erstausgabe Aus dem Englischen übertragen von Bettina Zeller Originaltitel: Dr. Who and an Unearthly Child erschienen bei W. H. Allen & Co.
Der Goldmann Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann Made in Germany • 10/90 • 1. Auflage © 1981 by Terrance Dicks und Anthony Coburn © der Serie »Dr. Who« 1981 by British Broadcasting Company © der deutschsprachigen Ausgabe 1990 by Wilhelm Goldmann Verlag, München Umschlaggestaltung: Design Team München Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin Druck: Eisnerdruck, Berlin Verlagsnummer: 23626 Redaktion: Christoph Göhler/SK Herstellung: Peter Papenbrok ISBN 3-442-23626-8
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Das Mädchen, das anders war Eine neblige Winternacht in einem Seitensträßchen von London: Die kleine Straße war leer und ruhig. Eine lange Gestalt tauchte aus dem Nebel auf – ein Polizist in Helm und Cape drehte seine Runden. Er marschierte die Straße hinunter, kontrollierte die Türen der Geschäfte, ging an Läden vorbei, bis die Straße vor einer hohen, glatten Wand endete. In der Mauer waren Holztore, und in eines davon war eine kleinere Eingangstüre eingelassen. Der Polizist ließ den Lichtschein seiner Taschenlampe über die Tore wandern und richtete die Lampe dann für einen Augenblick auf eine kaum lesbare Notiz: I. M. Foreman Schrotthändler Unter dem ersten Schild hing ein zweites, dessen Buchstaben strahlend hell und frisch waren: Privat – Eintritt verboten! Der Polizist legte seine Hand auf den Türgriff des Eingangstores, das sich quietschend öffnete. Er warf einen Blick hinein, ließ den Lichtkegel seiner Taschenlampe in dem kleinen Hof kreisen. Eindringlinge waren nicht zu sehen. Nur eine unglaubliche Menge kaputter Gegenstände: alte Schränke, Überreste von Möbeln, auseinandergenommene Automotoren, angeschlagene Marmorstatuen, denen Arme, Beine oder Köpfe fehlten. Er hielt den Strahl seiner Taschenlampe auf eine quadratische blaue Form in der entgegengesetzten Ecke und 7
erkannte, einigermaßen erstaunt, die deutlich sichtbare Silhouette einer Telefonzelle. Seltsam, eine Telefonzelle auf einem Schrottplatz zu finden, dachte der Polizist. Vielleicht war diese hier kaputt und deshalb als Schrott verkauft worden. Der Schrottplatzbesitzer mußte das Ding ja irgendwo gekauft haben; es war kaum möglich, daß er es gestohlen und in seinen Hof geschleppt hatte. Der Polizist grinste, als er sich vorstellte, wie der Sergeant schauen würde, wenn er zurückkehrte und ihn fragte, ob jemand den Diebstahl einer Telefonzelle gemeldet hätte. Er blieb einen Moment lang stehen und horchte – er hatte das Gefühl, eine Art elektrisches Summen zu hören. Wahrscheinlich handelte es sich um einen Generator, der irgendwo in der Nähe stand – das Summen war sehr schwach. Er schloß die kleine Tür hinter sich und ging wieder seines Weges, dachte an die Tasse heißen, süßen Tee und die Wurstsandwichs, die auf ihn warteten, nachdem er seinen Rundgang hinter sich gebracht hatte. Das Schloß der kleinen Tür war wahrscheinlich defekt. Als der Polizist wegging, ging sie langsam und leise quietschend wieder auf. Am nächsten Abend kontrollierte der Polizist wieder den Hof, aber die Telefonzelle war verschwunden. Später erfuhr er, daß der seltsame alte Mann, der neue Besitzer des Schrottplatzes, gleichfalls verschwunden war, und zwar mitsamt seiner Enkelin, die in die nahe liegende Schule ging. Zwei Lehrer derselben Schule wurden ebenfalls vermißt. Aufgrund des Durcheinanders, das daraus folgte, vergaß der Polizist die Telefonzelle vollkommen. Und als er endlich Zeit fand, darüber nachzudenken, kam er zu dem Schluß, daß alles nur Einbildung gewesen war. Und selbst wenn dem nicht so war, konnte sie doch unmöglich etwas mit den verschwundenen Personen zu tun haben. Denn schließlich 8
konnte niemand vier Personen in eine Telefonzelle quetschen – oder? An dem Nachmittag, nachdem der Polizist zum ersten Mal den Schrottplatz betreten hatte, war in der Coal Hill Schule alles ganz normal. Endlich ging ein ewig langer Schultag zu Ende, und das sehnsüchtig erwartete Klingeln der Schulglocke hallte durch die Korridore mit ihren Steinböden. Als ihre Schüler, die sie in Geschichte unterrichtete, laut palavernd zur Tür eilten, fällte Barbara Wright plötzlich eine Entscheidung. »Susan!« rief sie. Ein Mädchen, das schon fast bei der Tür war, blieb stehen. Sie war für ihr Alter sehr groß; kurzes schwarzes Haar rahmte ihr elfenhaftes Gesicht ein. »Ja, Miss Wright?« »Warte hier bitte einen Augenblick, ich werde gleich das Buch holen, das ich dir versprochen habe. Es wird nicht lange dauern.« »Ja, Miss Wright«, sagte Susan Foreman gehorsam. Sie ging an ihren Tisch zurück und setzte sich. »Kann ich das Radio anstellen, während ich warte?« »Wenn du es nicht zu laut aufdrehst.« Barbara Wright verließ das Klassenzimmer und ging mit weit ausholenden Schritten den Korridor hinunter. Bei ihrem Anblick wurde eine Gruppe raufender, lachender Kinder instinktiv ruhig und lief sofort langsamer. Jeder wußte, daß Miss Wright schlechtes Benehmen nicht duldete. Jemand hatte einmal ziemlich unfreundlich gesagt, Barbara Wright sei eine typische Lehrerin. Sie war dunkelhaarig und schlank, immer ordentlich gekleidet, und ihr Gesicht wäre noch hübscher gewesen, wenn es nicht immer einen Ausdruck milder Mißbilligung gezeigt hätte.
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In der unfreundlichen Bemerkung lag unleugbar eine Spur Wahrheit. Barbara Wright hatte viele gute Qualitäten, aber sie war fest davon überzeugt zu wissen, was das beste war, und zwar nicht nur für sie selbst, sondern auch für alle anderen. Es war ihre zweite Natur, Verantwortung zu übernehmen. Sie betrat das leere Lehrerzimmer – die meisten ihrer Kollegen hatten es noch eiliger, die Schule zu verlassen, als die Kinder –, nahm ein dickes Buch aus dem Regal und eilte zum Klassenzimmer zurück. Als sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, blieb sie vor einer anderen Tür stehen, auf der »Wissenschaftliches Labor« stand, zögerte kurz und ging dann hinein. Ian Chesterton war noch da, wie sie es erhofft hatte, und räumte augenscheinlich das auf, was bei einem vorangegangenen Experiment angefallen war. Er war ein fröhlicher junger Mann mit einem offenen Gesicht. Er trug die traditionelle Kleidung der Schullehrer: ein Sportjackett und Flanellhosen. In seinem Temperament unterschied er sich von Barbara Wright so sehr, wie man es sich nur vorstellen kann. Ian Chesterton nahm das Leben, wie es kam, packte seine Pflichten mit selbstverständlicher Effizienz an und weigerte sich, sich den Kopf allzusehr zu zerbrechen, gleichgültig, worum es sich handelte. Trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere waren die beiden gute Freunde, vielleicht weil Ian Chesterton einer der wenigen Menschen in der Schule war, die das freundliche Wesen erkannten, das sich hinter Barbara Wrights strengem Äußeren verbarg. Er blickte auf, als sie eintrat. »Oh, hallo, Barbara. Noch nicht gegangen?« »Offensichtlich nicht.« Ian stöhnte. »Schon gut, man stellt halt mal eine dumme Frage!« Barbara war hin und wieder sehr scharfzüngig, vor allem wenn sie müde oder besorgt war. 10
»Es tut mir leid«, sagte sie schnell. »Es ist schon in Ordnung. Ich werde dir vergeben – dieses Mal noch.« Lustlos kletterte sie auf einen Laborstuhl. »Es ist nur, weil mir etwas ziemliche Sorgen bereitet. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.« Es sah ihr gar nicht ähnlich, ihre Hilflosigkeit einzugestehen, und Ian reagierte sofort besorgt. »Was ist denn? Kann ich helfen?« »Es handelt sich um eins der Mädchen. Susan Foreman.« Ians Augen weiteten sich. »Susan Foreman! Sie macht dir also auch zu schaffen?« »Allerdings!« »Und du weißt nicht, was du von ihr halten sollst?« Barbara schüttelte den Kopf. »Ich auch nicht«, stimmte ihr Ian zu. Er schaute sie einen Augenblick lang nachdenklich an. »Wie alt ist sie, Barbara?« »Ungefähr fünfzehn.« »Fünfzehn!« Ian fuhr sich mit der Hand durch das ohnehin unordentliche Haar. »Weißt du, was sie macht? In meinem Physikunterricht, meine ich?« »Nein, was?« »Sie gibt mir immer wieder winzige Kostproben ihres Wissens!« sagte er leicht aufbrausend. »Ich glaube, sie möchte mich nicht bloßstellen. Dieses Mädchen weiß mehr über Physik, als ich je wissen werde. Verhält sie sich bei dir im Geschichtsunterricht genauso?« »Ähnlich.« »Dann hast du also dieselben Probleme wie ich? Du fragst dich, ob du deinen Beruf auch in Zukunft ausüben sollst oder ob du ihr den Unterricht gleich überläßt…« »Nein, nicht ganz.« »Was dann?«
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Barbara Wright beugte sich auf ihrem Stuhl vor. »Es tut mir leid, Ian, aber ich muß mit jemandem darüber sprechen. Ich möchte mich nicht an eine offizielle Stelle wenden, weil ich das Mädchen dadurch vielleicht in Schwierigkeiten bringe. Wahrscheinlich wirst du mir gleich erzählen, ich sähe Gespenster.« »Nein, das werde ich nicht.« Ian drehte einen Bunsenbrenner ab und fing an, die Reagenzgläser und Petriglasschalen in der Spüle des Labors auszuwaschen, um sie dann ordentlich in die Regale zu stellen, wo sie trocknen konnten. »Fahr fort.« »Nun, habe ich dir erzählt, wie gut sie in Geschichte ist? Neulich hatte ich mit ihr eine Unterredung und erklärte ihr, daß sie sich darauf spezialisieren solle. Sie wäre der Prototyp für ein Universitätsstipendium, in ein oder zwei Jahren, Oxford oder Cambridge, wenn sie es wollte.« »Wie hat sie es aufgenommen?« »Sie war sehr vorsichtig, aber sie schien ziemlich interessiert zu sein…« Barbara hielt inne. »Ich sagte ihr, daß das eine Menge zusätzliche Arbeit bedeuten würde, und bot ihr an, daß ich mit ihr zu Hause lernen könnte. Daraufhin reagierte sie irgendwie panisch. Sie sagte, daß das vollkommen unmöglich sei, weil ihr Großvater Fremde nicht ausstehen könne.« »Eine ziemlich lahme Ausrede, nicht wahr?« sagte Ian nachdenklich. »Wer ist denn überhaupt ihr Großvater? Ist er nicht eine Art Doktor?« Barbara nickte. »Jedenfalls habe ich diesen Punkt nicht weiter verfolgt, trotzdem schien die ganze Angelegenheit sie irgendwie aufzuregen. Von da an wurden ihre Hausaufgaben, ich weiß nicht recht, sehr unterschiedlich – manchmal brillant, manchmal grauenhaft.« »Ja, ich weiß, was du meinst«, sagte Ian. »Bei mir hat sie sich ganz genauso entwickelt.« 12
»Nun denn, schließlich machte ich mir solche Sorgen und war so irritiert, daß ich mich dazu entschloß, mit ihrem Großvater zu sprechen und ihm zu erklären, daß er sich mehr um sie kümmern müsse.« Ian lächelte in sich hinein. Es war ganz typisch für Barbara, daß sie sich über etwas Derartiges so aufregen konnte, daß sie zu einem vollkommen fremden Menschen marschierte und ihm Vorträge darüber hielt, in welcher Weise er für seine Familie verantwortlich war. »Hast du, ja? Nun, wie ist der alte Knabe?« »Genau darum geht es ja«, sagte Barbara besorgt, »ich habe mir ihre Adresse vom Schulsekretariat geben lassen – Totters Lane 76 – und bin eines Abends dorthin gegangen.« Mittlerweile bereitete Ian geschäftig einen Mikroskopobjektträger vor, auf den er eine geheimnisvolle Lösung aus einem seiner Reagenzgläser strich. Den Kopf über die Arbeit gebeugt, schien er ganz und gar in die Materie versunken. »O Ian, hör doch zu!« schnaubte Barbara ihn an. »Ich höre zu«, antwortete Ian ruhig. »Du bist eines Abends dorthin gegangen. Und?« »Da ist nichts. Es handelt sich um einen alten Schrottplatz.« »Du mußt die falsche Adresse gehabt haben.« »Es war die Adresse, die mir die Sekretärin gegeben hat.« »Dann hat sie eben einen Fehler gemacht«, sagte Ian, womit er Barbara beinahe zur Weißglut brachte. »Nein, das hat sie nicht. Ich habe das am nächsten Tag überprüft. Ian, auf der einen Seite war eine riesige Wand, ein paar Häuser und Geschäfte waren auf der anderen und dazwischen nichts. Und das Nichts in der Mitte ist der Schrottplatz, Totters Lane 76.« Ian war mit dem Objektträger fertig und legte ihn auf die Seite. »Ein bißchen geheimnisvoll…? Dennoch, es gibt
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sicherlich eine ganz einfache Erklärung. Wir werden sie eben selbst finden müssen, oder nicht?« »Danke für das ›wir‹«, sagte Barbara und meinte es ehrlich. Sie schaute auf ihre Uhr. »Das arme Mädchen wartet immer noch in meinem Klassenzimmer. Ich wollte ihr dieses Buch über die Französische Revolution leihen.« Ian warf einen Blick auf den dicken Band. »Was hat sie vor damit – will sie es umschreiben? In Ordnung, was sollen wir tun? Ich bezweifle, daß es uns weiterbringen wird, wenn wir anfangen, sie mit Fragen in die Enge zu treiben.« Barbara schüttelte entschlossen den Kopf. »Nein, ich dachte mir, daß wir schneller als sie zur Totters Lane fahren, warten, bis sie auftaucht, und nachsehen, wohin sie geht.« »Hast dir schon alles überlegt, nicht wahr?« fragte Ian bewundernd. »In Ordnung!« Barbara warf ihm einen zögernden Blick zu. »Das heißt – wenn du nichts anderes vorhast…« »Nein, ich habe nichts anderes vor«, bestätigte Ian. »Komm schon, laß uns einen Blick auf dieses geheimnisvolle Mädchen werfen.« Sie verließen das Labor, marschierten den Korridor hinunter und betraten das Klassenzimmer, das bis auf Susan Foreman und den Rock and Roll, der aus ihrem Transistorradio plärrte, leer war. Barbara sagte laut: »Susan?« Susan schaute auf. »Tut mir leid, Miss Wright, ich habe Sie nicht hereinkommen hören.« »Das überrascht mich nicht.« Susans Gesicht glühte vor Begeisterung. »Sind sie nicht fabelhaft?« Sie sieht genauso aus wie jeder normale Teenager, dachte Barbara. Aber das war sie nicht. Sie war es nicht… »Wer ist fabelhaft?«
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»John Smith and the Common Men. In nur einer Woche ist es ihnen gelungen, in der Hitparade von Platz neunzehn auf Platz zwei zu kommen.« »John Smith ist der Künstlername des Abgeordneten Aubrey Waites«, ergänzte Ian feierlich. »Heutzutage gilt es nicht mehr als schick, zur Upper Class zu gehören. Er begann seine Karriere als Chris Waites and the Carollers, nicht wahr?« Ian Chesterton war nicht gerade ein Popfan, aber er fand es sehr hilfreich, einen Bezug zu den Interessen seiner Schüler zu haben, damit er wußte, worüber sie sich unterhielten, zumindest ab und zu. Susan schaute ihn bewundernd an. »Sie können einen aber überraschen, Mister Chesterton. Ich hätte nicht erwartet, daß Sie so was wissen.« »Ich habe einen forschenden Verstand«, sagte Ian. »Und ein empfindsames Ohr«, fügte er trocken hinzu. »Entschuldigung«, sagte Susan und stellte das Radio ab. »Danke.« Susan warf einen Blick auf den dicken Band unter Barbara Wrights Arm. »Ist dies das Buch, daß Sie mir versprochen haben?« Barbara reichte es ihr. »Ja, genau.« »Vielen Dank«, sagte Susan höflich. »Ich bin überzeugt, daß es sehr interessant ist. Ich bringe es Ihnen morgen zurück.« »Das brauchst du gar nicht. Du kannst es so lange behalten, bis du durch bist.« »Ich werde es bis morgen durchgelesen haben«, sagte Susan ernsthaft. »Danke, Miss Wright, und guten Abend. Guten Abend, Mister Chesterton.« Ian schaute sie nachdenklich an. Da war etwas Seltsames an Susan Foreman, obwohl sie eigentlich ganz normal wirkte. Ihre Aussprache war fast zu rein, zu präzise, und sie hatte die Angewohnheit, einen die ganze Zeit über vorsichtig zu beobachten, als wäre man das Mitglied einer interessanten, 15
aber potentiell gefährlichen außerirdischen Spezies. Sie hatte etwas Fernes, beinahe Unirdisches an sich… »Wo wohnst du, Susan? Ich werde Miss Wright nach Hause fahren, und in meinem Auto ist noch ein Platz frei. Da wir dich so lange hier haben warten lassen, scheint es nur gerecht, wenn ich dich auch mitnehme. Es wird schon bald dunkel.« »Nein danke, Mister Chesterton. Ich gehe gern in der Dunkelheit nach Hause. Es ist so geheimnisvoll.« Susan nahm das Radio, steckte das Buch in die Tasche und ging zur Tür. »Sei vorsichtig, Susan«, verabschiedete sie Barbara. »Es sieht aus, als würde es heute abend wieder neblig werden. Bis morgen früh.« »Ja, bis dann. Gute Nacht.« Die beiden Lehrer warteten, bis ihr Schritt verhallt war, dann packte Ian Barbara am Arm. »Gut – schnell zum Parkplatz. Bald werden wir das Geheimnis der Susan Foreman gelöst haben!«
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Begegnung mit dem Doktor Als Ians Wagen langsam in die Totters Lane einbog, erklärte Barbara: »Park dort drüben, Ian. Von da aus haben wir einen guten Blick auf die Tore und sind trotzdem nicht zu nah dran. Wir möchten ja nicht, daß sie uns sieht.« Ian mußte über ihre instinktive Besserwisserei lächeln. Gehorsam parkte er den Wagen an der Stelle, auf die sie gezeigt hatte, zog die Handbremse an und schaltete das Licht und den Motor aus. »Hoffen wir, daß das nicht passiert. Ich möchte niemandem erklären müssen, warum wir in einer so abgelegenen Gegend in einem geparkten Auto sitzen.« Barbara warf ihm einen mißbilligenden Blick zu. »Sie ist anscheinend noch nicht aufgetaucht.« »Zum Glück war der Nebel nicht allzu dick, sonst hätte ich die Straße nie gefunden.« Barbara stellte ihren Kragen hoch und meinte zögernd: »Ich hoffe, wir tun das Richtige – oder?« »Du meinst, unser Verhalten ist nicht einfach zu rechtfertigen – da wir nur unserer eitlen Neugier nachgeben?« »Aber ihre Hausaufgaben…?« »Hört sich ein wenig nach schlechter Entschuldigung an, nicht wahr? Die Wahrheit ist, Barbara, daß wir beide neugierig sind, was Susan Foreman betrifft, und nicht glücklich sein werden, bis wir wenigstens ein paar Antworten kennen.« »Du kannst das nicht einfach so abtun! Wenn ich dächte, daß ich mich einfach nur einmische, dann ginge ich auf der Stelle wieder nach Hause. Ich dachte, auch du findest etwas Geheimnisvolles an ihr?« Ian stöhnte. Noch vor wenigen Stunden hatte er Barbaras Besorgnis geteilt, aber jetzt wurden seine Zweifel immer
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massiver. »Irgendwie schon… Dennoch gibt es wahrscheinlich eine ganz einfache Erklärung für alles.« »Zum Beispiel?« »Nun…«, begann Ian ziemlich matt. »Erstens hat das Kind offensichtlich einen phantastisch hohen IQ, ist fast ein Genie, glaube ich.« »Und die Lücken? Die Dinge, die sie nicht weiß?« »Vielleicht konzentriert sie sich nur auf das, was sie interessiert, und ignoriert alles andere.« »Das ist keine befriedigende Antwort, Ian. Wie erklärst du dir, daß ein außerordentlich intelligentes Mädchen von fünfzehn Jahren nicht weiß, wie viele Shillinge ein Pfund hat?« (Zu jener Zeit, Anfang 1960, hielt Großbritannien immer noch an seinem eigenartig komplizierten Geldsystem fest – vier Viertelpennies oder zwei halbe Pennies waren ein Penny, zwölf Pence waren ein Shilling und zwanzig Shilling ein Pfund.) Ian starrte sie an. »Wirklich?« Barbara nickte. Susan schien sich über ihren Fehler nicht einmal sonderlich zu ärgern. »Es tut mir leid, Miss Wright, ich dachte, Sie wären mittlerweile beim Dezimalsystem«, hatte sie gesagt. »Mach keine Witze, Susan. Die Vereinigten Staaten und die meisten europäischen Länder haben ein Dezimalsystem, aber du weißt ganz genau, daß das bei uns nicht der Fall ist.« Susan runzelte kurz die Stirn und sagte dann: »Natürlich, das Dezimalsystem ist noch nicht eingeführt worden. Das wird erst in ein paar Jahren geschehen.« Ian blickte Barbara voller Erstaunen an. »Das Dezimalsystem in England? Das kann ja was werden! Vielleicht ist sie ja eine Ausländerin? Da ist etwas, die Art, wie sie spricht…« »Ach komm schon, Ian, das ergibt einfach keinen Sinn.« »Nein, tut es nicht«, stimmte ihr Ian zu. »Bei diesem Mädchen ergibt überhaupt nichts einen Sinn. Weißt du, neulich 18
habe ich über chemische Reaktionen gesprochen. Ich habe Lackmuspapier ausgeteilt, um Ursache und Wirkung zu zeigen.« »Ich gehe davon aus, daß sie die Antwort schon wußte, bevor du überhaupt angefangen hast?« »Ja, aber das war noch nicht alles. Die Antwort hat sie einfach nicht interessiert.« Ian sah Susan wieder vor sich. Ungeduldig schaute sie zu ihm auf. »Natürlich kann ich sehen, daß aus Rot Blau wird, Mister Chesterton, aber das liegt daran, daß wir uns mit zwei inaktiven Chemikalien beschäftigen. Sie reagieren nur miteinander.« »Genau darum geht es in diesem Experiment, Susan.« »Ja, ich weiß, Mister Chesterton. Aber… nun, es ist ein bißchen plump, nicht wahr? Ich meine, ich möchte nicht unhöflich sein, aber könnten wir nicht zwei aktive Chemikalien nehmen? Dann könnte Rot ganz allein zu Blau werden, während wir uns mit etwas Interessanterem beschäftigen.« Sie seufzte. »Es tut mir leid, das war nur so eine Idee.« Wieder in die Gegenwart zurückgekehrt, sagte Ian: »Das war auch ihr Ernst, Barbara. Diese einfachen Experimente sind für sie nur Kinderspiele. Das macht mich wahnsinnig.« »Ich weiß, wie du dich fühlst. Man kommt an den Punkt, wo man ihr liebend gern eine Falle stellen würde.« »Neulich ist in Mathematik etwas anderes passiert«, sagte Ian plötzlich. »Ich habe der Klasse eine Aufgabe gegeben, eine Gleichung, in der man A, B und C als die drei Dimensionen verwenden sollte…« Ians Gedanken kehrten zu der Szene im Klassenzimmer zurück. Susan war vorn an der Tafel gestanden und hatte die Gleichung studiert. »Es ist ganz unmöglich, nur A, B und C zu benutzen«, protestierte sie. »Man muß auch D und E hinzunehmen.«
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»D und E? Wofür denn? Löse die Aufgabe, wie sie ist, Susan.« Etwas wie Verzweiflung lag in Susans Stimme. »Das kann ich nicht, Mister Chesterton. Man kann einfach nicht rechnen, wenn man nur drei Dimensionen benutzt.« »Drei Dimensionen? Oh, die vierte soll die Zeit sein, denke ich. Aber wofür brauchst du denn das E? Was ist deiner Meinung nach die fünfte Dimension?« »Der Raum«, antwortete Susan einfach. Nachdem er seine Erzählung über den Vorfall zu Ende gebracht hatte, schaute Ian Barbara verzweifelt an. »Irgendwie habe ich den Eindruck, sie denkt, Raum und Zeit seien dasselbe – als ob man sowohl durch das eine wie durch das andere reisen könnte.« »Zu viele Fragen, Ian, und nicht genug Antworten.« »Also«, faßte Ian zusammen, »wir haben es mit einem fünfzehn Jahre alten Mädchen zu tun, das in ein paar Bereichen absolut brillant ist und in ein paar anderen beängstigend schlecht…« Barbara berührte seinen Arm. »Und dort kommt sie!« Susan eilte die Straße hinunter, die zu dem Schrottplatz führte. Sie blieb einen Augenblick lang stehen, schaute sich um, drückte die kleine Tür auf und verschwand dahinter. »Sollten wir ihr nicht lieber nachgehen, Ian? Die Vorstellung, daß sie allein an so einem Ort ist, behagt mir gar nicht.« »Falls sie allein ist!« »Was soll das heißen?« »Sieh mal, sie ist fünfzehn, vergiß das nicht. Es könnte ja sein, daß sie sich mit einem Freund trifft. Ist dir das nicht in den Sinn gekommen?« Barbara lachte. »Ich hoffe beinahe, daß das der Fall ist. Es wäre so wunderbar normal.« Unruhig blickte sie zu dem Schrottplatz hinüber. »Ich weiß, es ist dumm, aber ich habe fast 20
Angst. So, als ob wir uns in etwas einmischten, das man besser in Ruhe läßt.« Ian Chesterton fischte eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach und öffnete die Wagentür. »Komm schon, Barbara, bringen wir es hinter uns!« Sie stiegen aus dem Wagen und überquerten die Straße in Richtung Schrottplatz. Barbara zögerte kurz. »Fühlst du nicht auch etwas?« »Ich nehme die Dinge so, wie sie kommen«, erwiderte Ian fröhlich. »Komm endlich.« Er schob das kleine Tor auf, und sie traten ein. Obwohl es fast schon dunkel war, konnten sie doch erkennen, daß der kleine Hof total vollgestopft war. Man konnte sich kaum darin bewegen. Ian leuchtete mit der Taschenlampe ihre Umgebung ab. Er machte einen Satz, als ihr Strahl auf etwas fiel, das wie ein menschlicher Körper aussah, aber es war nur eine alte Schaufensterpuppe mit zertrümmertem Kopf. »Was für ein Durcheinander!« murmelte Ian. »Ich habe keine Lust, alles hier von hinten bis vorn durchzukämmen, nur um sie zu finden!« Er ging ein paar Schritte weiter nach vorn und trat auf ein loses Stück Abfall. Sein Fuß rutschte unter ihm weg, er stolperte, versuchte das Gleichgewicht zu halten, doch dabei glitt die Taschenlampe aus seiner Hand. Als sie auf dem Boden aufschlug, ging sie aus und rollte weg, bis sie nicht mehr zu sehen war. »So ein Mist!« stieß Ian wütend hervor. »Ich habe die verdammte Taschenlampe fallen lassen.« »Dann nimm doch ein Streichholz!« »Habe keine Streichhölzer. Na ja, ist auch egal.« Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, und sie streiften vorsichtig und langsam durch den Hof. »Susan?« rief Barbara. »Susan, bist du da?« 21
Keine Antwort. »Susan, wir sind es, Mister Chesterton und Miss Wright«, rief Ian. »Susan!« Wieder keine Antwort. Ian spähte in die Dunkelheit. »Sie kann nicht weit sein, der Hof ist ziemlich klein. Und sie hat ihn nicht verlassen, das hätten wir mitbekommen.« Barbara lief weiter, bis sich etwas Quadratisches und Festes vor ihr in der Dunkelheit abzeichnete. »Ian, sieh dir das an.« »Das ist eine Telefonzelle! Was macht die hier? Normalerweise gehört die an eine Straßenecke.« Er streckte die Hand aus und schlug auf die Tür. »Scheint ganz solide zu sein.« Er versuchte, sie zu öffnen, zog aber im gleichen Augenblick die Hand wieder zurück. »Was ist denn, Ian?« »Fühl mal.« Zögernd legte Barbara ihre Hand auf die Tür der Telefonzelle. Auch sie zuckte sofort wieder zurück. »Sie vibriert ganz leicht.« Ian nickte. »Sie fühlt sich an – als ob sie lebendig sei…« Er ging einmal um die Telefonzelle herum und tauchte dann wieder an der Vorderseite auf. »Tja, sie ist nicht angeschlossen – es sei denn, die Leitungen verlaufen durch den Boden.« Barbara trat zurück. Aus irgendeinem Grund bereitete ihr die Telefonzelle Unbehagen. »Hör mal, mir reicht es hier. Laß uns losgehen und einen Polizisten suchen. Wir werden ihm erzählen, daß wir gesehen haben, wie Susan verschwunden ist. Sie können die Suche nach ihr richtig organisieren.« »In Ordnung.« Ian verstummte, als er hörte, wie die Tür quietschend aufging. Man konnte ein Husten hören. »Da ist jemand!« »Ist es Susan?« Ian konnte nur eine Gestalt im Umhang ausmachen, die sich ihnen durch die Dunkelheit näherte. »Nein, sie ist es nicht. 22
Schnell, dorthin.« Er zerrte sie zu einem Berg alter Möbel, hinter dem sie sich versteckten. Die dunkle Gestalt kam näher, und plötzlich sahen sie, daß es sich um einen alten, weißhaarigen Mann handelte, der einen langen, weiten Mantel trug. Er hatte einen seltsam geformten Pelzhut auf, und ein langer, gestreifter Schal war um seinen Hals gewickelt. Der alte Mann blieb einen Moment lang stehen, hustete, wie alte Menschen das zu tun pflegen, und klopfte sich auf die Brust. Er schien vor sich hin zu murmeln… Dann ging er auf die Telefonzelle zu, zog einen Schlüssel aus seiner Tasche und öffnete die Tür. Zum Erstaunen der beiden Beobachter drang die Stimme eines Mädchens aus der Telefonzelle. »Da bist du ja, Großvater!« »Das ist Susan!« »Schhh!« warnte Ian, aber da war es schon zu spät. Der alte Mann hatte sie gehört. Er knallte die Tür der Zelle zu und wirbelte herum. Ian rang sich dazu durch, das Beste aus der Situation zu machen, und erhob sich. »Entschuldigung.« Der alte Mann schaute ihn an. Er schien leicht überrascht zu sein. »Was machen Sie hier?« »Wir suchen ein Mädchen…« »Wir?« Auch Barbara trat aus ihrem Versteck heraus. »Guten Abend.« Der alte Mann schaute sie sich einen Moment lang genau an. Sein Gesicht war alt und zerfurcht, aber zugleich aufmerksam und vital. Der Glanz in seinen Augen rührte wahrscheinlich von der bissigen Intelligenz her, und der gebieterische Zinken, den er als Nase trug, verlieh seinen Gesichtszügen eine arrogante, aristokratische Aura. »Was wollen Sie?«
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»Wir sind auf der Suche nach einer unserer Schülerinnen«, erklärte Ian ziemlich verlegen. »Nach einem Mädchen namens Susan Foreman. Sie ist in diesen Hof gegangen.« »Wirklich? Hier herein? Sind Sie sicher?« In der Stimme des alten Mannes lag eine Art herablassender Skeptizismus; als würde er sich mit einem phantasievollen Kind unterhalten. »Ja, wir sind sicher«, antwortete Barbara bestimmt. »Wir haben sie gesehen – von der anderen Straßenseite aus.« »Eine Ihrer Schülerinnen«, murmelte der alte Mann in sich hinein. »Dann sind Sie nicht von der Polizei.« Die leise gesprochenen Worte versetzten Ian in Panik. Warum machte sich der alte Mann wegen der Polizei Gedanken? »Wie bitte?« »Warum spionieren Sie denn hinter ihr her? Wer sind Sie?« Ian erkannte, daß er in die Defensive gedrängt wurde. Auf einmal mußte anscheinend er seine Handlungen erklären. »Wir haben gehört, wie die Stimme eines Mädchens nach Ihnen gerufen hat –« »Sie müssen ja ausgezeichnete Ohren haben. Ich habe gar nichts gehört.« Barbara deutete auf das Telefonhäuschen. »Nun, wir schon. Und es kam von da drinnen.« »Das haben Sie sich eingebildet.« Barbara bemerkte, daß sie langsam wütend wurde. »Das habe ich mir unter Garantie nicht eingebildet.« Als ob er beschlossen hätte, daß man mit Barbara kein vernünftiges Wort reden könne, wandte sich der alte Mann an Ian. »Ich frage Sie jetzt, junger Mann«, sagte er sanft, »ist es vernünftig, davon auszugehen, daß jemand in so einer Kiste steckt?« Ians Stimme war ebenso ruhig. »Wäre es dann so unzumutbar, uns einen Blick hineinwerfen zu lassen?« Dieser Vorschlag schien den alten Mann zu erstaunen. Er hob ein altes Gemälde vom Boden auf und studierte es lange. 24
»Ich frage mich, warum mir das noch nie aufgefallen ist. Nun, ist das nicht seltsam? Es ist sehr feucht und ziemlich dreckig.« »Werden Sie uns nicht helfen?« bat Barbara. »Wir sind zwei ihrer Lehrer – sie geht auf die Coal Hill Schule. Wir haben gesehen, wie sie hier hereingegangen ist, aber wir haben nicht beobachtet, daß sie wieder weggegangen ist. Es ist doch ganz natürlich, daß wir uns Sorgen machen.« Der alte Mann starrte immer noch auf das Gemälde. »Man sollte es wirklich reinigen…« Er schaute zu Barbara auf. »Oh, ich fürchte, daß mich das überhaupt nichts angeht. Ich schlage vor, daß Sie jetzt gehen.« »Nicht, bevor wir uns hundertprozentig versichert haben, daß Susan nicht hier ist«, stieß Ian wütend hervor. »Offen gesagt, ich verstehe Ihre Haltung einfach nicht.« »Tatsächlich nicht? Nun, Ihre eigenen Manieren lassen doch noch viel zu wünschen übrig, junger Mann.« »Werden Sie diese Tür öffnen?« Der alte Mann wandte sich voller Verachtung ab. »Da drin ist nichts.« »Warum haben Sie dann Angst davor, uns einen Blick hineinwerfen zu lassen?« »Angst!« wiederholte der alte Mann wegwerfend. »Ach – gehen Sie weg!« Er sprach, als hätte er es mit einem Kind zu tun, dessen Starrsinn ihn zu ermüden begann. »Komm schon, Barbara, ich glaube, wir sollten lieber die Polizei holen.« Barbara nickte, behielt aber gleichzeitig den alten Mann im Auge, um zu sehen, welche Wirkung die Drohung hatte. Er zuckte mit den Schultern. »Sehr gut. Tun Sie, was Sie für richtig halten.« »Und Sie begleiten uns«, befahl Ian vollkommen verzweifelt.
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Der alte Mann lächelte. »Oh, tue ich das? Das glaube ich aber nicht, junger Mann. Oh, nein, das glaube ich nun wirklich nicht.« Er ließ sich in einen Stuhl mit kaputter Lehne sinken, hob das Gemälde wieder auf und studierte es nachdenklich. Sackgasse. Barbara schaute Ian hilflos an. »Wir können ihn doch nicht zwingen.« »Aber wir können ihn auch nicht hier zurücklassen. Ist das nicht offensichtlich? Er hat sie doch in das Telefonhäuschen gesperrt.« Sie gingen näher an die Zelle heran. »Versuch, die Tür zu öffnen«, schlug Barbara vor. »Vielleicht können wir sie ja aufbrechen.« Ian untersuchte das Schloß. Er schlug auf die Tür ein, aber sie war fest verschlossen. »Ich kann keinen richtigen Türgriff finden – es muß sich um eine Art Geheimschloß handeln.« »Aber das war doch Susans Stimme – nicht wahr?« »Natürlich war es das.« Ian schlug mit den Knöcheln auf die Tür ein. »Susan! Susan, bist du da drin? Wir sind es, Mister Chesterton und Miss Wright!« Daß Ian so auf die Telefonzelle einschlug, schien den seltsamen alten Mann zu ärgern. Jetzt gab er es auf, so zu tun, als würde ihn all das nichts angehen; er erhob sich und kam auf sie zu. »Handeln Sie nicht ziemlich eigenmächtig, junger Mann? Sie glauben, daß Sie gesehen haben, wie ein Mädchen den Hof betreten hat. Sie gehen davon aus, daß Sie ihre Stimme gehört haben. Sie glauben, daß sie dort drinnen versteckt sein könnte. All das ist nicht sehr stichhaltig, oder?« Seine Worte bewirkten immerhin, daß Ians Zuversicht schwand. Er begann sich zu fragen, ob er sich die ganze Sache nicht tatsächlich nur eingebildet hatte.
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Barbara war nicht davon abzubringen. »Aber warum wollen Sie uns nicht helfen?« »Ich hindere Sie ja nicht. Wenn Sie beide unbedingt Narren aus sich machen wollen, dann sollten Sie Ihre Drohung endlich wahr machen. Gehen Sie und suchen Sie einen Polizisten.« Ian sagte skeptisch: »Während Sie sich in der Zwischenzeit davonmachen, denke ich?« »Es besteht kein Grund, beleidigend zu werden, junger Mann«, wies ihn der alte Mann hochmütig zurecht. »Es gibt nur einen Weg, der aus diesem Hof heraus- oder in ihn hineinführt. Einer von Ihnen kann draußen warten und das Tor im Auge behalten. Ich werde hierbleiben, bis Sie zurückkommen. Ich möchte Ihre Gesichter sehen, wenn Sie versuchen, einem Polizisten Ihr Verhalten zu erklären.« »In Ordnung, genau das werden wir tun«, erwiderte Ian trotzig. »Komm schon, Barbara, du setzt dich in den Wagen und paßt auf, während ich einen Polizisten suche.« Sie wollten gerade weggehen, als die Tür der Telefonzelle von innen geöffnet wurde. Susans Stimme drang heraus: »Was machst du denn da draußen, Großvater?« Mit der Schnelligkeit eines Tigers sprang der alte Mann auf die Zelle zu. »Schließ die Tür!« rief er. Er packte die Tür und wollte sie wieder zuziehen, aber Ian war für ihn zu schnell. Er packte seinen Arm und versuchte ihn wegzuziehen. Trotz seines Alters war der alte Mann erstaunlich stark, und es gelang ihm beinahe, Ian abzuschütteln. Barbara mischte sich ein, und wild kämpfend stolperten Ian und Barbara in die Telefonzelle – und geradewegs in das schier Unmögliche.
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Die Tardis Barbara Wright und Ian Chesterton standen da und schauten sich ungläubig an; ihr Verstand weigerte sich, das, was ihre Augen und Ohren bezeugten, aufzunehmen. Sie hätten sich in einem beengten Raum von der Größe eines Schrankes befinden müssen – aber das war nicht der Fall. Statt dessen standen sie in einem riesigen, strahlend hell erleuchteten Kontrollraum. Ein vieleckiger Aufbau, der in der Mitte stand, dominierte den Raum. Eine Reihe von Instrumentenbänken gruppierte sich um eine zentrale, durchsichtige Säule, die vollgestopft war mit kompliziert wirkenden Bauteilen. Aber am seltsamsten waren die wenig passenden Objekte, die verstreut im Raum herumstanden. Dazu gehörten eine Anzahl altmodischer Stühle und die Statue eines eigenartigen Vogels, der auf der Spitze einer langen Säule thronte. Susan stand direkt daneben und starrte die beiden Eindringlinge vollkommen verstört an. Ian blinzelte ungläubig. Er hörte, wie der alte Mann ruhig sagte: »Schließ die Tür, Susan.« Susan berührte einen Schalter auf der Zentralkonsole, und die Tür schloß sich mit einem unheimlichen elektrischen Summen. Der alte Mann entledigte sich seines Umhanges und Hutes und warf die Sachen über einen Stuhl. Die Kleidungsstücke, die jetzt zum Vorschein kamen, waren noch exzentrischer (karierte Hosen, altmodische Stiefeletten und eine Art Gehrock, zusammen mit einer Krawatte und einem hohen Stehkragen). Insgesamt erweckte er den Eindruck eines Familienanwalts aus einem Roman des neunzehnten Jahrhunderts. Wie die Statue und die gepolsterten Stühle wirkte
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auch der alte Mann in dieser ultramodernen Umgebung vollkommen fehl am Platze. Doch offensichtlich war er hier ganz und gar zu Hause. Er rieb seine knochigen Hände aneinander und schaute die beiden Eindringlinge mißbilligend an. »Ich gehe davon aus, daß dir diese Leute bekannt sind, Susan?« »Das sind zwei meiner Lehrer.« Susan wirkte fast so fassungslos wie Barbara und Ian. »Was machen Sie denn hier?« »Anscheinend sind sie dir gefolgt«, erwiderte der Doktor säuerlich. »Diese lächerliche Schule! Ich wußte, daß etwas in der Art passieren würde, wenn wir uns zu lange an einem Ort aufhielten.« »Aber warum sollten sie mir denn folgen?« »Frag sie«, forderte sie der alte Mann auf. Er wandte sich ab und studierte ein paar der Instrumente, die in die Zentralkonsole eingelassen waren. Barbara schaute sich in dem eigenartigen Raum um, dann wanderte ihr Blick zu Susan zurück. »Ist dieser Ort hier wirklich dein Zuhause, Susan?« »Ja… nun, zumindest ist es das einzige Zuhause, das ich jetzt habe.« Der alte Mann blickte auf. »Und was soll schlecht daran sein?« Ian rieb sich die Augen und blinzelte – aber alles blieb, wie es war. »Aber es ist doch nur eine Telefonzelle.« Der alte Mann lächelte. »Für Sie vielleicht«, beschied er ihn von oben herab. »Und das hier ist dein Großvater?« fragte Barbara. »Ja.« Barbara wandte sich dem alten Mann zu. »Dann müssen Sie also Doktor Foreman sein?«
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Der alte Mann grinste. »Nicht wirklich. Der Name stand auf einem Anschlag, und ich habe ihn mir ausgeborgt. Es ist wohl am besten, wenn Sie mich nur mit Doktor ansprechen.« »Sehr gut, nun – Doktor. Warum haben Sie uns nicht erzählt, wer Sie sind?« »Ich breite mein Privatleben nicht vor Fremden aus«, antwortete der Doktor überheblich. Ian bemühte sich immer noch, zum Kern des Geheimnisses vorzudringen. »Aber es war nur ein Telefonhäuschen. Ich bin einmal außen herum gelaufen. Barbara, du hast es doch gesehen. Wie kommt es denn, daß es innen größer ist als außen?« »Ich werde Ihnen überhaupt nichts erklären«, antwortete der Doktor bockig. »Sie haben sich Ihren Eintritt erzwungen, weder waren Sie willkommen, noch hatten Sie eine Einladung…« »Nun, nur einen Augenblick«, beharrte Ian. »Ich weiß, daß es absurd ist. Es war nur ein Telefonhäuschen, ich bin außen herum gelaufen. Ich verstehe einfach nicht…« Der Doktor spielte mit einem der Schalter herum. »Sieh dir das an, Susan«, sagte er mißmutig. »Es ist schon wieder kaputt. Ich habe versucht, es zu reparieren, aber…« Er brach ab und warf Ian einen wütenden Blick zu. »Nein, natürlich verstehen Sie das nicht. Wie sollten Sie denn auch?« »Aber ich möchte es verstehen«, schrie Ian. Der Doktor wedelte abfällig mit der Hand. »Ja, ja… Ach ja, Susan, es ist mir gelungen, für die Mappe einen Ersatz zu finden. Das war ein ganz schön aufwendiges Unterfangen, aber ich denke, daß sie ihren Zweck erfüllen wird…« Ian schlug mit den Fäusten auf die Wände des Raumes ein. »Es ist nur eine Illusion, es kann nicht anders sein!« Der Doktor seufzte. »Wovon redet er denn jetzt schon wieder?« »Ian, was machst du?« flüsterte Barbara. 30
»Ich weiß es auch nicht«, gestand Ian hilflos. Der Doktor hatte für Ians Verwirrung nur ein höhnisches Lächeln übrig. »Sie verstehen es nicht, also suchen Sie für sich eine Entschuldigung. Illusion, in der Tat! Sehen Sie her, junger Mann. Sie sagen, daß man einen großen Raum nicht in einen kleinen pressen kann? Also könnten Sie ein riesiges Gebäude nicht in ein kleines Zimmer stecken?« »Nein«, bestätigte Ian. »Nein, das kann man nicht.« »Aber man hat bereits das Fernsehen erfunden, oder nicht?« sagte der Doktor. »Ja.« »Also – indem man ein riesengroßes Gebäude auf Ihrem Fernsehbildschirm zeigt, kann man etwas tun, von dem Sie behaupten, daß es dem Menschen nicht möglich ist, oder nicht?« »Nun ja, in gewisser Hinsicht«, sagte Ian zweifelnd. »Aber dennoch…« Der alte Mann gackerte triumphierend. »Es ist nicht ganz klar, nicht wahr? Ich kann es an Ihrem Gesicht ablesen, daß Sie es nicht verstehen. Ich wußte, daß Sie es nicht begreifen würden. Ist auch egal!« Der Doktor schien sich ganz offensichtlich über Ians mangelndes Verständnis zu freuen. Er spielte an der Kontrollbank herum und murmelte etwas in sich hinein. »Tja, welcher Knopf war es? Der hier – nein, dieser hier.« Er schaute zu Ian und Barbara hoch. »Es geht nicht so sehr darum, daß Sie das, was schon mit Ihnen geschehen ist, begreifen, es geht darum, was mit Ihnen geschehen wird. Sie könnten jemandem von dem Schiff erzählen – und das können wir nicht zulassen.« »Schiff?« fragte Ian, der jetzt noch verwirrter war als zuvor. »Ja, Schiff«, wiederholte der Doktor spitz. »Dieses Ding hier rollt ja nicht auf Rädern, wissen Sie.« »Wollen Sie damit sagen, es bewegt sich?« fragte Barbara.
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Susan nickte voller Stolz. »Die Tardis kann überall im Raum und in der Zeit hinfliegen.« »Tardis? Ich verstehe dich nicht, Susan.« »Nun, eigentlich habe ich den Namen erfunden. Tardis setzt sich aus folgenden Anfangsbuchstaben zusammen: Time and Relative Dimension in Space. Verstehen Sie denn nicht? Die Dimensionen im Innern unterscheiden sich von denen an der Außenseite.« Ian atmete tief durch. »Kann ich das mal zusammenfassen? Ein Ding, das wie ein Telefonhäuschen aussieht und das auf einem Schrottplatz steht… kann durch Raum und Zeit reisen?« »Ja«, sagte Susan. »In etwa«, bestätigte der Doktor unfreundlich. »Aber das ist doch lächerlich.« Susan warf dem alten Mann einen gereizten Blick zu. »Warum wollen sie uns denn nicht glauben?« »Aber wie könnten wir das?« sagte Barbara geduldig. »Es ist doch ganz offensichtlich, daß das nicht möglich ist.« Susan schien jetzt vollkommen frustriert zu sein. Sie stampfte mit dem Fuß auf, und der Doktor kicherte. »Reg dich nicht so auf, Susan. Erinnere dich an den Indianer, als er zum ersten Mal eine Dampflokomotive sah – sein ungebildeter Verstand ging wahrscheinlich auch davon aus, daß es sich um eine Illusion handelte.« »Sie behandeln uns wie Halbidioten«, sagte Ian verbittert. »Wie Halbidioten oder Kinder!« Der Doktor schenkte ihm sein aufreizendes, überlegenes Lächeln. »Tu’ ich das? Die Kinder meiner Zivilisation wären beleidigt!« »Ihrer Zivilisation?« »Ja, meiner Zivilisation. Ich toleriere dieses Jahrhundert, aber ich liebe es nicht gerade. Ist Ihnen jemals in den Sinn gekommen, was es bedeutet, ein Reisender in der vierten Dimension zu sein, junger Mann? Haben Sie sich Gedanken 32
darüber gemacht? Exilanten zu sein? Susan und ich sind von unserer eigenen Zivilisation abgeschnitten, wir haben keine Freunde und keinen Schutz, aber eines Tages werden wir zurückkehren!« Sein Blick war in die Ferne gerichtet. »Ja, eines Tages… eines Tages…« Vielleicht kann der menschliche Verstand nur eine gewisse Anzahl von Überraschungen auf einmal aufnehmen. Nach dieser neuen Offenbarung wechselten Barbara und Ian Blicke, die nur noch schieren Unglauben zum Ausdruck brachten. »Es ist wahr«, schrie Susan verzweifelt. »Das alles ist wahr! Sie wissen ja nicht, was Sie angestellt haben, indem Sie hierhergekommen sind!« Sie wandte sich an den Doktor. »Großvater, laß sie bitte gehen, sie können uns doch nichts anhaben. Ich kenne diese Menschen. Ihr Verstand lehnt alle Dinge ab, die sie nicht verstehen. Sie werden niemandem etwas erzählen, und selbst wenn sie es täten, man würde ihnen ja doch nicht glauben.« Plötzlich war das Gesicht des Doktors kalt und hart. »Nein.« »Sie können uns hier nicht festhalten!« widersprach Ian aufsässig. »Kann ich nicht?« erwiderte der Doktor. In seinem zuversichtlichen Lächeln war etwas, das Ian sehr unruhig werden ließ. Barbara lief zu Susan hinüber und legte einen Arm um ihre Schultern. »Susan, hör mir mal zu. Kannst du denn nicht sehen, daß all dies eine Illusion ist, eine pure Phantasie? Wenn es dir besser gefällt, dann ist es ein Spiel, das du und dein Großvater spielen. Aber du kannst doch nicht erwarten, daß auch wir daran glauben.« »Aber es ist kein Spiel«, antwortete Susan voller Verzweiflung. »Es ist keines! Ich liebe das England des zwanzigsten Jahrhunderts. Ich liebe Ihre Schule. Die vergangenen fünf Monate waren die glücklichsten meines Lebens.« 33
»Du redest, als ob du nicht zu uns gehörtest«, sagte Barbara. »Aber du bist eine von uns! Du siehst aus wie wir, du sprichst wie wir…« Susans Gesicht war ernst. »Ich bin in einer anderen Zeit und auf einer anderen Welt geboren.« »Jetzt hör mal zu, Susan«, setzte Ian an. Dann gab er resigniert auf. »Komm schon, Barbara, laß uns von hier verschwinden.« »Sie können das Schiff nicht verlassen«, schrie Susan. »Er wird Sie nicht gehen lassen!« Ian schob sich an ihr vorbei und ging mit großen Schritten auf den Doktor zu, der immer noch am Kontrollpult stand. Er warf einen Blick auf das Wirrwarr von Schaltern und Anzeigen. »Susan hat von hier aus die Tür geschlossen, das habe ich gesehen. Nun, welcher ist es, Doktor? Mit welchem Schalter betätigt man die Tür?« »Sie glauben immer noch, daß das alles eine Illusion ist?« fragte der Doktor spöttisch. Ian warf ihm einen bösen Blick zu. »Ich weiß, daß die freie Bewegung in Zeit und Raum ein Traum in der Wissenschaft ist, der ganz bestimmt nicht auf einem Schrottplatz in Erfüllung gehen wird.« »Ihre Arroganz ist Ihrer Ignoranz beinahe ebenbürtig, junger Mann!« »Werden Sie die Tür öffnen?« Wieder kicherte der Doktor spöttisch. »Öffnen Sie die Tür!« Der Doktor bewegte sich nicht. Ian warf Susan einen flehenden Blick zu. »Wirst du uns nicht helfen, Susan?« Sie zögerte, schüttelte dann aber den Kopf. »Es tut mir leid, das kann ich nicht.«
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Ian streckte die Hand in Richtung der Konsole aus. »Nun denn, dann werde ich es eben auf eigene Faust riskieren.« Der Doktor zuckte mit den Achseln. »Ich kann Sie nicht aufhalten.« (Nur Susan bemerkte, daß die Hand des Doktors die Konsole berührte und den Immobilisierungsschalter umkippte.) Ian streckte seine Hand in Richtung der Konsole und ließ sie einen Moment in der Luft schweben. Als seine Hand herabsank, schrie Susan. »Der da nicht, der hat Spannung.« Es war zu spät. Ian berührte den falschen Schalter, ein Funkenregen sprühte, und er wurde quer durch den Kontrollraum geschleudert. Benommen krachte er gegen die Wand und rutschte zu Boden. Barbara rannte hinüber und kniete sich neben ihn. Wütend schaute sie zum Doktor hoch. »Was zum Teufel glauben Sie, daß Sie tun? Ian, bist du in Ordnung?« »Ich denke schon. Nur ein bißchen durchgeschüttelt.« Barbara half ihm beim Aufstehen. Susan unterhielt sich leise mit dem Doktor. In ihrer Stimme lag ein drängender Unterton. »Großvater, laß sie jetzt gehen, bitte!« Aber der alte Mann war starrsinnig wie ein Kind und schüttelte den Kopf. »Schon morgen werden wir ein öffentliches Spektakel sein. Wir werden die Schlagzeilen und die Klatschspalten füllen.« »Sie werden nichts verraten.« »Mein liebes Kind, aber natürlich werden sie das! Versetz dich einmal in ihre Lage. Unter Garantie werden sie uns bei den Behörden anzeigen oder sich zumindest mit ihren Freunden darüber unterhalten.« Er machte eine nachdrückliche Pause. »Falls ich sie gehen lasse, Susan, werden wir ebenfalls gehen müssen.« »Nein, Großvater.« 35
»Mein liebes Kind, es gibt keine andere Möglichkeit.« »Aber ich möchte hierbleiben. Sieh doch, Großvater, die beiden sind gute Menschen. Warum willst du ihnen denn nicht vertrauen? Du mußt ihnen doch nur das Versprechen abnehmen, das Geheimnis für sich zu behalten.« »Das kommt gar nicht in Frage.« »Ich werde nicht weggehen, Großvater. Ich werde das zwanzigste Jahrhundert nicht verlassen.« Susan atmete schwer. »Dann verlasse ich lieber die Tardis – und dich.« Es war ganz offensichtlich, daß Susans Drohung den alten Mann sehr erschütterte. »Jetzt wirst du aber sentimental und kindisch«, schnappte er. »Das ist mein Ernst, Großvater!« »Sehr gut. Aber denk daran, falls Sie gehen, dann mußt du sie begleiten. Ich werde die Tür öffnen.« Er ging zum Betriebspult hinüber. Barbara war erleichtert, daß sich der Alptraum anscheinend langsam dem Ende näherte, und flüsterte: »Kommst du mit, Susan?« Aber Susan beobachtete den Doktor. Seine Hände führten eine komplizierte Folge von Bewegungen aus, flogen über das Betriebspult, und die Mittelsäule begann zu steigen und zu fallen. »Nein, Großvater!« schrie Susan. »Mister Chesterton, halten Sie ihn auf! Er startet das Schiff! Wir werden abheben!« Instinktiv machte Ian einen Satz durch den Kontrollraum und rang mit dem Doktor. Wieder einmal mußte er feststellen, daß der alte Mann weitaus stärker war, als man vermuten würde. Unter größter Anstrengung gelang es Ian, den Doktor von der Konsole wegzuzerren. Aber plötzlich drehte sich der alte Mann, entwand sich Ians Griff, sprang zur Konsole hinüber und legte einen großen Hebel, offensichtlich ein Hauptschalter, um. Der ganze Kontrollraum begann wie ein
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Kreisel zu tanzen, Barbara und Ian verloren das Gleichgewicht, und dann wurde alles schwarz… Es war nur gut, daß sich niemand auf dem Schrottplatz befand. Wenn der Polizist auf seinem Rundgang in diesem Augenblick noch einmal vorbeigeschaut hätte, hätte sich ihm ein ganz besonderer Anblick geboten. Unter einem seltsam pfeifenden, stöhnenden Geräusch löste sich die Telefonzelle einfach in Luft auf. Die Tardis war unterwegs.
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Die Dämmerung der Zeit Das Flachland war trostlos und steinig und wurde in einiger Entfernung von zerklüfteten Bergen eingerahmt. Ein breiter, träger Fluß durchschnitt die Ebene in der Mitte, von dichtem, undurchdringlichem Wald umsäumt. In den Gebirgsausläufern gab es Höhlen, und genau hier hatte der Stamm sich häuslich eingerichtet. Sie hatten in vieler Hinsicht Glück gehabt. Nachdem die wilden Tiere, die in den Höhlen hausten, erst einmal vertrieben worden waren, boten die Höhlen warmen und trockenen Unterschlupf. Der Fluß lieferte ihnen Wasser, der Wald Früchte und Beeren. Und im Wald lebten Wild und Raubtiere, die Fleisch für die hungrigen Bäuche des Stammes und Felle für die Bekleidung lieferten – wenn man es schaffte, sie zu töten, bevor sie einen töteten. Der Mann, der Kal genannt wurde, war ein neues Stammesmitglied, aber er war bei weitem der beste Jäger. Er war geduldig, geschickt und listig. Kal kehrte nie ohne Beute zu den Höhlen zurück, und vor allem deshalb hatte ihn der Stamm aufgenommen. Eines Tages verfolgte Kal Spuren entlang des Waldrandes, als er Zeuge eines Wunders wurde. Er hörte ein pfeifendes, stöhnendes Geräusch, das so ganz anders klang als das Brüllen eines wilden Tieres. Kal legte sich vorsichtig am Waldrand auf die Lauer und sah, wie ein seltsames blaues Ding aus dem Nichts auftauchte. Viele Stammesmitglieder wären vor Schreck geflohen, aber Kal war weitaus intelligenter als die anderen, und mit der Intelligenz kam die Neugier. Obwohl ihm das Herz vor Angst im Halse schlug, blieb er, wo er war, und beobachtete das blaue Ding, denn er wollte wissen, was weiter geschehen würde. Kal 38
wünschte sich von seinem neuen Stamm mehr, als nur aufgenommen zu werden. Er wollte Macht – die Macht des Führers. Er wollte Hur, das hübscheste Mädchen des Stammes; sie sollte seine Gefährtin werden. Und er wollte Za töten, den Sohn des alten Häuptlings, der sein einziger ernst zu nehmender Rivale war. Neugierig starrte Kal das blaue Ding an, während er an seinem sprießenden Bart zupfte. Das hier war etwas Neues, etwas, das bis jetzt nur er zu Gesicht bekommen hatte. Sein raffinierter Verstand analysierte diese neue Entwicklung und suchte nach Wegen, wie er sie zu seinem eigenen Vorteil ausnutzen konnte… Falls es sich hierbei um Magie handelte, dann würde er einen Weg finden, sie sich zunutze zu machen… In der großen Haupthöhle des Stammes warteten die anderen ebenfalls auf Magie. Za saß mit gekreuzten Beinen vor der Asche eines lange erloschenen Feuers; die anderen Stammesmitglieder hatten sich in einem Kreis um ihn gruppiert. Männer und Jungs, Frauen und Kinder beobachteten gespannt, wie Za seine Hände in die Asche tauchte und die angekohlten und geschwärzten Holzstückchen so fest umklammerte, bis sie in seiner Hand zersplitterten. Sein Gesicht war verzerrt, so sehr konzentrierte er sich, seine starken Muskeln verknoteten sich unter der Anspannung. Es war, als hätte er sich dazu entschlossen, die toten Stöcke seinem Willen zu unterjochen. Aber die Asche blieb kalt und tot. Das schlanke, dunkle Mädchen an seiner Seite zog eine Rassel hervor, die aus einem Knochen gefertigt war. Es war ein altes und heiliges Objekt, und alle stöhnten voller Ehrfurcht auf. Za schüttelte die Rassel wütend über der Asche, tauchte dann seine Hände wieder ein. Nichts geschah. Zas Schultern sanken verzweifelt herab.
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Ein bißchen abseits der anderen Stammesmitglieder saß eine dürre, grauhaarige alte Frau und knabberte an einem Knochen. Das war die Alte Mutter – Zas Mutter –, die Gefährtin seines toten Vaters Gor. Als Gor noch lebte und Häuptling war, hatten der Alten Mutter immer das beste Essen und die besten Felle zugestanden. Jetzt galt sie nichts mehr. Gemäß der Sitte des Stammes hätte sie aus der Höhle ausgestoßen werden müssen, um zu sterben, aber Za, der manchmal sehr sanft war, hatte sie am Leben gelassen. Seltsamerweise hatte das zur Folge, daß sie ihren Sohn noch mehr verachtete. Za würde niemals ein Häuptling wie sein Vater werden. »Wo ist das Feuer, das Za macht?« gackerte sie. Das Mädchen neben Za hieß Hur. Schnell verteidigte sie ihn: »Das Feuer ist in seinen Händen, Alte Mutter. Es wird nicht in das Holz fahren.« Za stierte mit finsterer Miene in die Asche. »Mein Vater hat Feuer gemacht.« Die Alte Mutter murmelte: »Ja, das hat er – und deshalb ist er gestorben.« Zas Vater war eines Tages auf die Jagd gegangen und nicht mehr zurückgekehrt. Solche Vorfälle waren mehr als normal. Oftmals waren die wilden Tiere schneller und gerissener als die Jäger. Auf diese Weise wurde die Mitgliederzahl des Stammes gesenkt, und das bedeutete mehr Nahrung für die, die am Leben blieben. »Mein Vater ist auf der Jagd gestorben«, murrte Za wütend. »Gor war ein großartiger Jäger. Ich habe kein Tier gesehen, das ihn töten könnte. Er hat die Götter verärgert, weil er Feuer machte.« Za starrte sie verwirrt und böse an. »Er hat mich gelehrt, wie man für Speere und Äxte scharfe Steine fertigt. Er hat mich gelehrt, wie man Fallen für Bären und Tiger errichtet. Er hätte mich gelehrt, Feuer zu machen, wenn das wilde Tier ihn nicht getötet hätte.« 40
»Damit sich jedermann vor dir verbeugt, so, wie sie sich vor ihm verbeugt haben«, höhnte die Alte Mutter. Aber sie wußte, daß Za die Wahrheit sprach. Das Geheimnis des Feuermachens war jenes, das am eifersüchtigsten gehütet wurde, das von Häuptling zu Häuptling weitergegeben wurde. Gor hatte sein Geheimnis so lange, wie es ihm möglich gewesen war, gehütet – ein erwachsener Sohn konnte ja auch zu einem Rivalen werden. Er hatte immer wieder versprochen, daß er Za bald zeigen würde, wie man Feuer macht – aber er starb, bevor er das Geheimnis weitergeben konnte. Jetzt war Za der Anführer, einerseits weil er Gors Sohn war, andererseits weil er der stärkste Krieger des Stammes war. Aber ihm mangelte es immer noch an dem wichtigsten Attribut eines wahren Häuptlings – der Fähigkeit, Feuer zu machen, das aus seinen Händen in das Holz fuhr. Plötzlich sprang Za auf und beugte sich drohend über die Alte Mutter. »Sag mir, was mein Vater tat, um Feuer zu machen.« »Er beugte sich über das Holz und bewegte die Hände so, wie du es tust. Aber er saß immer so, daß er mir den Rücken zudrehte und das Holz von seinem Körper verdeckt wurde. Ich habe den Augenblick, in dem das Feuer kam, nie gesehen. Das ist alles, was ich weiß.« »Ah, geh mir aus den Augen, alte Frau. Du hättest mit ihm sterben sollen.« Die Alte Mutter erhob sich und humpelte davon. »Das Feuer ist der Teufel«, murrte sie. »Gor ist gestorben, weil er die Götter wütend gemacht hat. Es ist besser, wenn man ohne Feuer lebt, so, wie wir es früher getan haben.« Sie lachte triumphierend. »Das Feuer ist jetzt nicht mehr da. Za wird niemals Feuer machen.« Za hatte sich wieder über den Holzhaufen gebeugt. »Wirf noch mehr Asche des toten Feuers darauf«, befahl er. »Vielleicht wohnt der Geist des Feuers immer noch darin.«
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Hur warf noch mehr Asche darauf, und Za packte wieder die verkohlten Stöcke und rieb sie aneinander. Er wollte, daß das Feuer aufloderte. Das Mädchen kniete an seiner Seite, ihre Lippen nah an seinem Ohr. »Die alten Männer reden gegen dich, Za. Sie sagen, es sei besser, wenn der Fremde Kal uns führt. Sie sagen, du sitzt den ganzen Tag da und reibst dir die Hände, während Kal uns Fleisch bringt.« »Ohne Fleisch werden wir hungern«, sagte Za. »Aber ohne Feuer werden wir sterben, wenn die kalten Zeiten wiederkommen. Ohne das Feuer werden die wilden Tiere aus dem Wald unsere Höhlen plündern, wenn sie hungrig sind, unsere Frauen und Kinder stehlen, wenn wir schlafen.« »Die alten Männer sehen nicht weiter; ihnen geht es nur darum, daß ihre Bäuche gefüllt sind. Sie werden Kal zum Anführer machen. Und Horg, mein Vater, wird mich ihm geben.« Horg war einer der Stammesältesten. Er war jetzt alt, aber er war immer noch ein Mann von großem Einfluß. Da er nicht mehr der Stärkste war, würde er den Stärksten unterstützen. Das war das Gesetz, wenn man überleben wollte. »Kal!« sagte Za unwirsch. »Kal ist kein Anführer. Es ist nicht so einfach, Häuptling zu sein.« Kal war eines Tages aus den Bergen gekommen, der einzige Überlebende eines entfernt lebenden Stammes, dessen andere Mitglieder in der großen Kälte umgekommen waren. Er hatte das Fleisch eines gerade eben getöteten Bocks mitgebracht, als Friedensangebot. Kal war ein geschickter Jäger, ein schneller Denker und ein großartiger Redner. Statt ihn zu töten, wie es Sitte gegenüber Fremden war, hatte der Stamm ihm erlaubt, sich ihnen anzuschließen. Za glaubte inzwischen, daß es ein großer Fehler gewesen war, Kal nicht zu töten. Mittlerweile hatte Kal eine große Gefolgschaft um sich geschart, und es wurden immer mehr, die sich dafür einsetzten, daß er der Anführer wurde. 42
Za wußte instinktiv, daß Kal kein guter Anführer für den Stamm wäre. Er war gierig und rücksichtslos, wollte alles nur für sich selbst. Za gewährte sich die größten Stücke aus der Beute und die wärmsten Felle, wie es ihm rechtmäßig zustand, aber er sorgte sich auch um den Stamm und kümmerte sich darum, daß Jagdtrupps organisiert wurden und daß selbst in Zeiten harter Not Frauen und Kinder etwas zu essen bekamen. Ein Anführer mußte an viele Dinge denken. »Kal ist kein Führer«, murmelte Za wieder. Hur sagte: »Der Anführer ist der, der Feuer macht!« Za wischte mit einer kräftigen Armbewegung die Stöcke beiseite. »Wohin ist das Feuer gegangen? Wohin?« Ian Chesterton kam wieder zu Bewußtsein. Sein Körper war mit blauen Flecken übersät, und sein Kopf pochte. Vorsichtig fuhren seine Hände hoch und massierten seinen Schädel. Direkt über einem Ohr blühte eine Beule. Sie schmerzte, blutete aber offensichtlich nicht. Eine Stimme rief: »Ian? Ian, bist du in Ordnung?« Er öffnete die Augen und erblickte Barbara, die neben ihm kniete. »Das wird ja langsam zur Gewohnheit«, murmelte er. »Ich glaube, ich bin okay. Muß mir den Kopf angeschlagen haben, als…« Er brach ab, als ihm wieder einfiel, was er für merkwürdige Dinge an diesem Abend erlebt hatte. »Nun, zumindest bewegen wir uns nicht mehr.« Ian kam behutsam auf die Füße, blickte sich um und sah Susan und den Doktor an der Hauptkonsole stehen. Die beiden beobachteten konzentriert eine Instrumentenkonsole. »Der Untergrund scheint fest zu sein«, sagte Susan. Der Doktor nickte und kontrollierte eine weitere Anzeigenreihe. »Sandschichten und eine dünne Ackerkrume – ganz in der Nähe gibt es Steinformationen… gut… gut…«
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Susan drehte sich um und lächelte Ian und Barbara zu. »Geht es Ihnen besser? Ich fürchte, wir haben das Jahr 1963 verlassen.« Der Doktor nickte zustimmend. »Oh, ja, zweifellos. Noch einen Augenblick, dann werde ich dir sagen, wo wir sind – und in welchem Jahr!« Der Doktor beugte sich über eine Konsole und klopfte mit den Knöcheln hart auf eine der Anzeigen. »Null!« sagte er entrüstet. »Null? Das kann nicht stimmen. Die Jahresanzeige funktioniert immer noch nicht richtig, Susan.« Er bemerkte, daß Susan sich überhaupt nicht mit ihm unterhalten hatte, folgte der Richtung ihres Blickes und entdeckte Ian und Barbara, die auf dem Boden saßen. »Oh, ja, Sie beide!« verkündete er blasiert, als ob er sich gerade eben erst an ihre Existenz erinnerte. »Was treiben Sie denn da unten? Sie können jetzt aufstehen, unsere Reise ist bereits zu Ende.« Barbara starrte ihn erschrocken an. »Was ist passiert?« fragte sie. »Wo sind wir?« Ian rappelte sich hoch und stöhnte ein bißchen. »Barbara, erzähl mir nicht, daß du den ganzen Unsinn glaubst.« »Es ist wahr, Mister Chesterton«, bestätigte Susan. »Wir haben sowohl im Raum als auch in der Zeit eine ziemlich große Entfernung zurückgelegt. Werfen Sie doch einen Blick auf den Scannerbildschirm.« Der Doktor rümpfte die Nase. »Genauso ist es, schauen Sie nur mal hoch!« Er deutete auf einen kleinen, quadratischen Bildschirm, der über der Konsole hing. Darauf war eine öde und steinige Ebene zu sehen, und in der Ferne ragten Berge auf. Ian starrte vollkommen verwirrt auf den Bildschirm. Der Doktor sagte verächtlich: »Die beiden verstehen es einfach nicht, und ich vermute, daß sie es auch nicht wollen!« Er schaute Ian an. »Nun, jetzt sind Sie hier, junger Mann, und eine neue Welt liegt Ihnen zu Füßen.« 44
»Da ist nur Sand«, sagte Ian dümmlich. »Sand und Felsen.« »Genau. Das ist der Ausblick, der sich Ihnen bietet, wenn Sie das Schiff verlassen.« »Wollen Sie mir etwa weismachen, daß wir das sehen werden, wenn wir nach draußen gehen – und nicht den Schrottplatz in der Totters Lane?« »Oh, ja«, sagte Susan und strahlte. »Sie werden sich schon bald selbst davon überzeugen können!« »Ich glaube es nicht«, erwiderte Ian tonlos. Der Doktor seufzte. »Sie sind aber wirklich sehr stur, nicht wahr, junger Mann?« »In Ordnung, dann zeigen Sie mir einfach einen Beweis, irgendein konkretes Beweisstück.« Ian warf Susan einen mitleidigen Blick zu. »Ich möchte dir nicht weh tun, Susan, aber es ist an der Zeit, daß du wieder zurück in die Wirklichkeit findest.« »Sie irren sich, Mister Chesterton«, sagte Susan traurig. Der Doktor rümpfte höhnisch die Nase. »Er behauptet, ich sei ein Scharlatan! Welcher Beweis würde Sie denn zufriedenstellen, junger Mann?« »Das ist leicht. Öffnen Sie einfach die Türen, Doktor Foreman.« »Foreman?« murmelte der Doktor, als hätte er diesen Namen noch nie zuvor gehört. »Foreman? Wovon redet er jetzt schon wieder?« »Sie scheinen so sicher zu sein, Ian«, flüsterte Barbara. »Und denk an das Telefonhäuschen, den Unterschied zwischen drinnen und draußen.« »Ich weiß…« Ian blickte den Doktor herausfordernd an. »Nun, werden Sie diese Türen öffnen?« »Nein.« Ian wandte sich den beiden Mädchen zu. »Seht ihr? Er blufft.«
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»Nicht, bevor ich sicher sein kann, daß es in Ordnung ist, sie zu öffnen«, ergänzte der Doktor gönnerhaft. Er überprüfte weitere Anzeigen. »Die Luft scheint sehr gut zu sein. Ja, so ist es, sie ist gut, bemerkenswert sauber. Überprüf den Strahlungsmesser, ja, Susan?« »Anzeige normal, Großvater.« »Gut, gut. Ich werde den tragbaren Geigerzähler mitnehmen, nur für alle Fälle. So, junger Mann, Sie zweifeln immer noch an meinen Fähigkeiten, nicht wahr?« »Öffnen Sie einfach die Türen und beweisen Sie, daß Sie recht haben«, wiederholte Ian müde. »Sie sind zu engstirnig, mein lieber Junge«, wies ihn der Doktor hochmütig zurecht. »Sie müssen lernen, etwas offener zu sein.« »Hast du eine Idee, wo wir sind, Großvater?« fragte Susan. Sie reichte dem Doktor etwas, das wie eine kleine schwarze Schachtel aussah. »Oh, wir sind auf jeden Fall in der Zeit zurückgegangen… über eine beträchtliche Distanz, glaube ich. Wenn wir nach draußen gehen, werde ich ein paar Proben sammeln… ein paar kleine Felsbrocken, ein paar Pflanzen… dann werde ich in der Lage sein, eine genauere Bestimmung vorzunehmen.« Er warf einen vorwurfsvollen Blick auf das Betriebspult der Tardis. »Ich wünschte wirklich, daß diese Instrumente mich nicht so hängenließen.« »Sie glauben wirklich an all diesen Quatsch, nicht wahr?« fragte Ian erstaunt. »Sie glauben wirklich, daß wir in der Zeit zurückgegangen sind?« »Oh, ja«, antwortete der Doktor selbstgefällig. »Zweifellos.« »Und wenn wir die Türen öffnen, dann werden wir uns nicht mehr auf einem Schrottplatz in England im Jahr 1963 befinden?«
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»Ganz recht. Ihr Ton ist mir etwas zu spöttisch, junger Mann.« »Nun, natürlich, denn das ist lächerlich! Die Zeit bewegt sich nicht im Kreis. Man kann nicht einfach in die Vergangenheit oder in die Zukunft wandern.« »Oh? Und was geschieht mit der Zeit? Belehren Sie mich.« »Sie… nun, sie passiert«, sagte Ian vage. »Und dann ist sie vorbei.« Diese Antwort schien den Doktor offensichtlich sehr zu amüsieren. Er schaute Barbara an. »Und was ist mit Ihnen? Hegen Sie ebenso große Zweifel wie Ihr Freund, ja?« »Nein. Nein, ich glaube nicht.« »Gut. Dann besteht für Sie noch Hoffnung.« Ian seufzte. »O Barbara.« »Ich kann es nicht ändern, Ian. Sie sind beide so ruhig, so selbstsicher. Ich glaube ihnen einfach, das ist alles.« Der Doktor starrte Ian hypnotisch an. »Wenn Sie den fremden Sand mit Ihren Füßen berühren würden, die Schreie fremder Vögel hörten, zusähen, wie sie über Ihnen in einem anderen Himmel kreisten… würde Sie das zufriedenstellen?« »Ja«, sagte Ian schlicht. Der Doktor lächelte, streckte die Hand aus und legte einen Hebel um. »Dann überzeugen Sie sich selbst.« Die Türen der Tardis glitten auf. Ian trat in die geöffnete Tür und starrte hinaus. »Es ist nicht wahr«, sagte er. »Es kann nicht sein.« Der Doktor lächelte.
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Das Verschwinden Hinter der Tür war eine öde und sandige Ebene zu sehen, die mit riesigen Felsbrocken übersät war. Ein dichter, undurchdringlicher Wald begrenzte sie. Linker Hand gingen felsige Gebirgsausläufer in entfernte, zerklüftete Berge über. Ein Stück weiter rechts, neben dem Wald, konnte man das Glitzern eines breiten, aber trägen Flusses erkennen. Der Wind wehte über die Ebene und produzierte ein konstantes tiefes Raunen, und die Luft war klar und kühl. Es war ein unerbittlicher und unfreundlicher Anblick. Der Doktor rümpfte triumphierend die Nase und sagte: »Ich habe keine Zeit mehr, mich mit Ihnen zu streiten, junger Mann. Susan, ich gehe los und sammle ein paar Proben.« Er lief so selbstsicher in die Ebene hinaus, als handelte es sich um den Schrottplatz in der Totters Lane. Kurz darauf verschwand er hinter der Tardis. »Großvater, sei vorsichtig!« rief Susan. »Gehen wir doch auch hinaus, dann können wir uns umsehen«, schlug Barbara vor. Sie trat nach draußen. Ian ging auf die Tür zu und stöhnte. »Au!« Susan kam zu ihm zurückgelaufen. »Was ist denn, Mister Chesterton?« »Ich habe mir beim Sturz ein paar blaue Flecken zugezogen. Kaum der Rede wert.« »Kommen Sie, stützen Sie sich auf mich.« Ian legte eine Hand auf ihre Schulter und marschierte steif durch die Tür, die hinter ihm ins Schloß fiel. Der Boden unter seinen Füßen war grobkörnig und knirschte, und der Wind ließ ihn frösteln. Die Luft war kalt,
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aber unglaublich sauber, und der Wald, der Fluß und die Berge zeichneten sich glasklar in der Ferne ab. »Nun?« fragte Barbara schadenfroh. Ian schüttelte den Kopf. »Es muß eine rationale Erklärung geben – die muß es geben.« Tief in seinem Herzen wußte Ian, daß nur eine einzige Erklärung möglich war. All das, was der Doktor ihm erzählt hatte, entsprach der Wahrheit. Nach den ersten Schritten vor der Tardis begann Ian diese außerordentliche Situation als wirklich zu akzeptieren. Der Doktor tauchte wieder hinter der Tardis auf. Es war kaum zu übersehen, daß er sehr verärgert war. »Es ist immer noch eine Telefonzelle. Warum hat sie sich nicht verwandelt? O Gott, wie ärgerlich!« Kopfschüttelnd lief der Doktor davon und verschwand hinter einem riesigen Felsblock. Ian schaute ihm voller Erstaunen nach. Der Doktor legte eine gewisse Strecke zurück, hatte sich zwischen den großen Steinen durchgeschlängelt und brütete immer noch über die seltsamen Funktionsausfälle seines Schiffes. Nachdem er sich den Grund seiner Expedition wieder vor Augen geführt hatte, blieb er abrupt stehen und stellte fest, daß er sich in einer Art Windschutz befand, der von zwei großen Felsbrocken gebildet wurde. Der Doktor, der zu dem Schluß kam, daß diese Stelle ebenso gut wie jede andere war, holte seinen Geigerzähler, ein kleines, ledergebundenes Notizbuch und einen Bleistift heraus. Er hob einen kleinen Stein vom Boden auf und begann ihn mit großer Sorgfalt zu untersuchen. Schon bald darauf war er vollkommen in seine Arbeit vertieft – und sich der wilden, in Pelz gehüllten Gestalt, die hinter den Felsen stand und ihn beobachtete, nicht bewußt.
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Die Begleiter des Doktors erkundeten inzwischen vorsichtig die unmittelbare Umgebung der Tardis. Barbara stolperte über den Schädel eines riesigen Tieres, der halb im Sand vergraben war, und sie und Susan begannen, ihn mit den bloßen Händen freizulegen. »Was meinst du, daß das sein könnte, Ian?« Ian half ihnen dabei, den Sand von dem Schädel zu entfernen. »Ich weiß es nicht. Keine Hörner und auch kein Geweih. Könnte ein Pferd oder ein wildes Tier sein.« Ian warf einen Blick nach hinten, auf die Tardis, blau, quadratisch und vollkommen fehl am Platz, die aber dennoch unleugbar dort inmitten der sandigen Ebene stand. »Unglaublich. Ein Telefonhäuschen mitten im Nichts. Das ergibt einfach keinen Sinn.« Susan warf einen Blick auf die Tardis. »Sie sollte sich eigentlich verändern, ihre Form«, erklärte sie bestimmt. »Ich weiß nicht, warum sie es dieses Mal nicht getan hat.« »Sie sollte was?« »Ihre Form verändern«, wiederholte Susan. »Sie war schon eine ionische Säule und eine Sänfte… jetzt sollte sie eigentlich ein Felsblock oder etwas Ähnliches sein.« »Du behauptest, daß das Schiff sich selbst tarnt, wo immer es auch auftaucht?« fragte Barbara. »Nun, das sollte es, aber dieses Mal hat es eben nicht funktioniert. Der Chamäleonprozessor muß fehlerhaft sein.« Susan stand auf. »Ich frage mich, ob dieser Schädel Großvater irgendwie helfen könnte… Wo ist er hingegangen?« Sie drehte sich langsam im Kreis, legte schützend die Hand über die Augen. »Großvater!« rief sie. »Wo bist du, Großvater?« Keine Antwort. Barbara schaute Ian an. »Du bist sehr still.« »Zerknirscht ist der richtige Begriff. Ich hatte unrecht, nicht wahr?«
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»Ich verstehe das alles hier nicht besser als du«, sagte Barbara. »Das Innere des Schiffs, daß wir plötzlich hier sind… ganz zu schweigen von den meisten Dingen, die Doktor Foreman erwähnt.« »So heißt er nicht. Wer ist er? Doktor wie? Wenn wir herausfinden könnten, wer er ist, dann hätten wir vielleicht einen Anhaltspunkt für all das, was hier geschieht.« »Der Punkt ist doch – es ist passiert, Ian. Wir müssen es einfach hinnehmen.« »Es ist fast unmöglich, das zu akzeptieren. Ich meine, ich kann ja sehen, daß wir hier sind, aber…« Ian zuckte hilflos mit den Schultern. Susan erklärte: »Ich kann ihn nicht entdecken! Ich kann Großvater nirgendwo finden.« »Er kann nicht weit sein«, beruhigte sie Barbara. »Ich habe so ein komisches Gefühl im Moment… als ob wir beobachtet… würden.« Susan schrie lauter. »Großvater? Wo bist du?« Der Doktor saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden. All seine Besitztümer waren unordentlich um ihn herum ausgebreitet. Er untersuchte äußerst konzentriert einen moosbewachsenen Kieselstein. Der Doktor wühlte in seinen Taschen, zog eine gebogene Meerschaumpfeife heraus und eine große Schachtel altmodischer Streichhölzer. Von seinem Versteck in den Felsen aus beobachtete Kal voller Faszination die Aktivitäten des Fremden. Er beugte sich neugierig vor, als die Kreatur geheimnisvolle Objekte aus ihren Fellen hervorholte. Die Kreatur machte sich an einem der Objekte zu schaffen – und Kal sah ein Wunder! Er packte die Steinaxt, erhob sich und schlich leise auf sein Opfer zu.
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»Großvater!« rief Susan wieder. »Großvater!« Von irgendwo, weit entfernt, drang ein Schmerzensschrei herüber, Siegesgebrüll – dann Stille. »Das kam von dort drüben«, stellte Ian fest. »Kommt schon!« Sie rannten in die Richtung, aus der die Geräusche gekommen waren. Sie brauchten nicht lange, bis sie die Felseinfriedung gefunden hatten. Der alte Pelzhut des Doktors lag auf dem Boden. Daneben waren seine Pfeife und sein Notizbuch. Vom Doktor selbst war nichts zu sehen. »Großvater!« schrie Susan. »Was ist passiert?« »Nur keine Panik, Susan«, sagte Ian bestimmt. Susan begann den nächstliegenden Felsen hochzuklettern. »Ich muß ihn doch finden. Vielleicht kann ich ihn von dort oben aus sehen.« »In Ordnung, aber gib acht.« »Sieh mal, Ian«, flüsterte Barbara. Sie deutete mit dem Finger auf den Geigerzähler, der zu ihren Füßen lag. Das Glas war kaputt. Ian hob ihn auf und untersuchte ihn. »Der taugt nichts mehr.« »Vielleicht hat er etwas Interessantes gesehen«, schlug Barbara besorgt vor. »Vielleicht ist er davongerannt, weil er etwas herausfinden wollte.« Ian hob die Pfeife des Doktors auf. »Und die hat er fallen lassen?« »Was glaubst du denn, was geschehen ist?« »Nun, ich denke, daß er etwas gesehen haben könnte, das ihn sehr interessiert hat, und dem ist er nachgegangen«, sagte Ian langsam. »Andererseits ist es möglich, daß man ihn mitgenommen hat. Dieser Schrei hat sich ja nicht gerade nach einem Freudenschrei angehört.«
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Susan sprang von ihrem Felsen herab. »Ich kann überhaupt nichts sehen.« Verängstigt blickte sie Ian und Barbara an. »Ihm ist etwas zugestoßen. Wir müssen ihn suchen.« Ihre Stimme klang schon beinahe hysterisch, und Barbara sagte: »Beruhige dich, Susan, es bringt überhaupt nichts, wenn wir in Panik geraten.« Doch Susan hörte ihr nicht zu. Sie bückte sich und hob das Notizbuch auf. »Er hat seine Notizen vergessen.« »Er scheint ziemlich viel liegengelassen zu haben«, berichtigte Ian. »Hut, Notizbuch, Geigerzähler…« »Vielleicht hat er die Sachen nur hingelegt und ist irgendwohin gegangen«, schlug Barbara vor. Es ging ihr mehr darum, Susan zu beruhigen, als daß sie selbst daran glaubte. Aber Susan schüttelte vehement den Kopf. »Nein, nein, nein. Großvater würde niemals sein Notizbuch zurücklassen, es ist lebensnotwendig. Die Schlüsselcodes von einem Teil der Maschinen im Raumschiff stehen da drinnen und Notizen über all die Orte, die wir besucht haben. Er würde niemals einfach losgehen und das Buch zurücklassen. Bitte, wir müssen ihn suchen.« »Wir werden ihn finden«, besänftigte sie Barbara. »Er kann nicht weit weg sein.« »Hast du gesehen, was auf der anderen Seite der Felsen ist, Susan?« fragte Ian. »Nur eine Baumreihe. Ich denke, daß es ein Ausläufer des Waldes war. Dazwischen war ein Spalt, der aussah wie ein Pfad.« »In Ordnung. Dort werden wir unser Glück zuerst versuchen.« Ian stopfte die Besitztümer des Doktors in seine Taschen und legte den zerbrochenen Geigerzähler wieder auf den Sand zurück. Als er ihn losgelassen hatte, hielt er einen Moment inne und klopfte mit der Handinnenfläche auf den Sand. Barbara beobachtete ihn neugierig. »Was ist denn?« 53
»Dieser Sand. Er ist kalt. Beinahe gefroren.« Ian stand auf und ging als erster um den Felsblock. Im Innern der Höhle des Stammes beobachtete Hur besorgt, wie Za vergeblich mit seinem kleinen Haufen verkohlter Stöcke herumprobierte. Neben ihm stand Horg, Hurs Vater. Er war kleinwüchsig und trug einen Bart. Er beobachtete Zas Bemühungen äußerst skeptisch. »Kal sagt, daß er in dem Land, aus dem er gekommen ist, Häuptling gewesen war. Er hat dort oft Feuer gemacht.« »Kal ist ein Lügner.« »Kal sagt, daß er eine lange Reise hinter sich hat, seit er sein eigenes Land verlassen hat. Deshalb hat er vergessen, wie Feuer gemacht wird. Er sagt, daß bald Orb, die Sonne, ihn daran erinnern wird, wie es gemacht wird. Dann wird er für uns alle Feuer machen.« »Kals Stamm ist während der letzten großen Kälte gestorben«, sagte Za wütend. »Wenn er uns nicht gefunden hätte, wäre auch er gestorben!« »Was hat Kal sonst noch gesagt?« fragte Hur. »Er sagte, daß Orb das Geheimnis des Feuers nur an den weitergeben wird, der Anführer ist.« »Ich bin der Anführer«, grunzte Za. »Orb wird es mir erzählen.« Betrübt stierte er in die graue Asche. »Ich bin der Sohn des Anführers, des großen Feuermachers. Er hat mir nicht gesagt, wie man die Flamme in die Stöcke bringt. Aber ich werde schon bald hinter das Geheimnis kommen.« Za schlug sich mit seiner großen Faust auf die Brust. »Kal ist gekommen, und ich habe ihn nicht getötet. Ich lasse ihn mit uns essen und ihn in unseren Höhlen schlafen.« Zas Stimme schwoll zu einem wütenden Brüllen an. »Muß ich Blut vergießen, damit mein Volk sich vor mir verneigt?« Aufgeregte Schreie drangen in die Höhle. »Das ist Kal! Kal kommt!« 54
»Kal bringt uns seine Beute!« Za hob schnell seine Steinaxt auf und rannte aus der Höhle. Horg und Hur waren dicht hinter ihm. Draußen sahen sie Kal, der von vielen aufgeregten Stammesmännern umgeben war. Er hatte eine seltsame Kreatur über seine Schulter geworfen; während sie auf ihn zukamen, ließ er sie herunter und legte sie auf den flachen Felsen vor der Höhle. Neugierig standen die Stammesmitglieder herum und schwatzten aufgeregt. Za schob sich durch die Menge und schaute auf die bewußtlose Gestalt, die auf dem Stein lag. »Das ist eine seltsame Kreatur. Warum bringst du sie hierher, Kal? Kann man sie essen?« Kal starrte ihn herausfordernd an, sein bärtiges Gesicht strahlte triumphierend. »Hat Za, der Sohn des großen Feuermachers, Angst vor einem alten Mann?« »Nein. Za fürchtet sich vor nichts«, antwortete Za und verpaßte dem alten Mann einen leichten Stoß mit dem Fuß. »Wann wird Za das Feuer dazu bringen, daß es aus seinen Händen kommt?« »Wenn Orb es beschließt.« Kal lachte. »Orb ist auf der Seite der starken Männer. Männer, die Orb dazu zwingen, daß er ihrem Willen gehorcht.« Er deutete mit einer dramatischen Geste auf den Körper, der auf dem Stein lag. »Orb hat mir diese Kreatur geschickt, als Zeichen seines Gefallens. Dieser Alte kann das Feuer aus seinen Fingern zaubern!« Die Stammesmitglieder murmelten ehrfurchtsvoll. »Ich habe es gesehen!« brüllte Kal. »Er ist in seinem Innern voller Feuer. Der Rauch kommt aus seinem Mund.« »So, wie die Lügen aus deinem Mund kommen«, zischte Za. Er beugte sich vor und bohrte einen Finger in den Körper. »Das ist doch nur ein alter Mann, der eigenartige Felle trägt.« 55
Urplötzlich stöhnte der Doktor auf, und Za machte einen Satz nach hinten. Kal war schnell, wenn es darum ging, einen Vorteil für sich zu verbuchen. »Za fürchtet sich vor der Kreatur. Kal hatte keine Angst. Ein seltsamer Baum tauchte auf, und die Kreatur war darin. Za wäre weggerannt, wenn er ihn gesehen hätte, aber ich habe ihn beobachtet und bin ihm gefolgt!« Mit wütendem Gebrüll sprang Za in Kals Richtung. Kal wich ihm aus und sprang auf einen Felsen. »Hört mir zu!« »Laßt ihn sprechen!« rief Horg, und Za zog sich zurück. »Ich habe gesehen, wie das Feuer aus seinen Fingern kam«, schrie Kal. »Ich dachte an Za, den Sohn des Feuermachers. Wenn die große Kälte wiederkommt, werdet ihr alle umkommen, falls ihr darauf wartet, daß Za für euch Feuer macht. Ich, Kal, bin der wahre Anführer!« Kal zeigte mit dem Finger auf seinen Gefangenen. »Wir haben miteinander gekämpft wie der Tiger mit dem Bären. Als er sah, daß meine Stärke für ihn zuviel war, legte er sich hin und schlief. Ich, Kal, habe ihn hierhergetragen, damit er für euch Feuer macht!« Die anderen brüllten zustimmend. »Warum hört ihr auf Kals Lügen?« rief Za. Horg sagte: »Za hat viele gute Felle. Vielleicht hat er vergessen, wie es ist, wenn es kalt wird.« »Morgen werde ich viele Bären für den Stamm töten«, rief Za. »Ihr alle sollt warme Felle haben.« »Ich glaube, morgen wirst du immer noch hier sein, die Hände aneinanderreihen, sie über die trockenen Stöcke halten und Orb darum bitten, daß er dir Feuer schickt – und die Bären werden es in ihren eigenen Fellen warm haben!« Die anderen lachten spöttisch auf. »Das, was ich sage, werde ich auch tun!« sagte Za. »Hört mich!« schrie Kal erneut. »Ich sage, daß der Feuermacher tot ist! Du bist kein Feuermacher, Za. Du kannst 56
nur mit den Händen die trockenen Stöcke brechen. Aber ich, Kal, werde sie zum Brennen bringen – und ich werde der Anführer sein!«
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Die Höhle der Totenköpfe Einen Augenblick lang herrschte beklemmende Stille. Za bemerkte, daß die Führerschaft seinen Händen entglitt. Er war nicht in der Lage, die Worte ebenso geschickt zu benutzen, wie Kal es tat. Er benebelte den Verstand der Stammesmitglieder. Aber Za konnte töten… Er packte seine Axt und wollte gerade springen. Plötzlich rief Hur: »Die Kreatur öffnet gerade die Augen.« Der Doktor setzte sich auf, stöhnte und fuhr mit den Händen zum Kopf hoch. »Susan!« rief er. »Susan!« Susan, Barbara und Ian eilten gerade den Waldweg hinunter, als Susan plötzlich stehenblieb. »Hören Sie!« »Was ist denn?« fragte Barbara. »Ich habe Großvaters Stimme gehört. Sie war ganz leise, aber ich habe sie gehört! Sie haben sie gehört, nicht wahr, Mister Chesterton?« »Ich habe etwas gehört… vielleicht war es ein Vogel oder ein wildes Tier.« »Das war Großvater«, widersprach Susan bestimmt. »Kommen Sie, wir müssen ihn suchen!« Sie hetzte den Pfad entlang. »Susan, warte auf uns«, brüllte Ian. »Komm doch, Barbara.« Mittlerweile war Susan fast nicht mehr zu sehen. Sie rannten hinter ihr her. Als der Doktor wieder zu Bewußtsein kam, schwand auch seine Panik. Er studierte die in Felle gekleideten Wilden, die um ihn herumstanden, studierte die schwerfälligen, brutalen Gesichtszüge, die Fellkleidung, die Steinäxte und Speere. Er 58
sah Kal und rieb zaghaft seinen Kopf, während er sich daran erinnerte, wie sein Angreifer sich auf ihn gestürzt hatte. »Anscheinend wollte er mich lebend fangen«, schloß der Doktor. »Er hätte meinen Schädel wie eine Eierschale zerquetschen können.« Der Doktor warf einen Blick auf die kräftige Gestalt, die ganz in seiner Nähe stand. Er war der Größte und Stärkste, und so war er offensichtlich der Anführer. »Wo ist Susan –«, begann er, brach dann aber abrupt ab. Es hatte nun gar keinen Sinn, diesen Wilden zu verraten, daß er noch Begleiter hatte. Der Doktor war ganz still, schaute sich vorsichtig um und versuchte herauszufinden, was um ihn herum geschah. Der bärtige Wilde, der ihn gefangengenommen hatte, schien eine Art Rede zu halten. Selbst im Steinzeitalter gab es also schon Politiker, dachte der Doktor. Er beobachtete und wartete ab. »Wollt ihr Feuer?« rief Kal. »Oder wollt ihr in der Kälte sterben?« »Feuer!« brüllten die Männer des Stammes. »Gib uns Feuer, Kal!« Kal hob die Hand und bat um Ruhe. »Schon sehr bald kehrt die Kälte zurück, und jetzt, da ihr das Geheimnis des Feuers verloren habt, werden nachts wieder die Tiger in die Höhlen kommen. Za wird euch den Tigern vorwerfen und der Kälte ausliefern, während er seine Hände reibt und darauf wartet, daß Orb ihm die Erinnerung wiederbringt!« Er deutete auf den Doktor. »Diese Kreatur kann das Feuer aus seinen Fingern zaubern. Kal hat ihn hierhergebracht. Er ist Kals Kreatur!« Za boxte sich vor. »Er ist doch nur ein alter Mann, der seltsame Felle trägt. In seinem Körper ist kein Feuer. Das ist überhaupt nicht möglich.« Er schwang seine Axt. »Ich sage, daß Kal schon zu lange bei uns ist. Es ist an der Zeit, daß er stirbt.«
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Als Za auf Kal zuging, trat Horg zwischen die beiden. »Ich sage, daß in euch beiden Wahrheit ist. Za spricht die Wahrheit, wenn er sagt, daß das Feuer nicht im Menschen wohnen kann… und Kal spricht die Wahrheit, wenn er sagt, daß wir alle ohne Feuer sterben werden. Wenn diese Kreatur Feuer machen kann, dann müssen wir es für den Stamm sichern.« Kühn kämpfte Hur sich nach vorn. »Wird mein Vater auf die Worte einer Frau hören? Es ist einfach nachzusehen, wo die Wahrheit liegt. Falls dieser alte Mann das Feuer aus seinen Fingern schießen lassen kann, dann laßt es ihn jetzt tun, vor den versammelten Stammesmitgliedern.« Die Menge jubelte zustimmend. Za warf Hur einen bösen Blick zu. Er wußte, daß sie ihm helfen wollte, weil sie glaubte, daß Kals Behauptung unmöglich wahr sein konnte. Aber Za wußte auch, daß Kal gerissen war. So unwahrscheinlich es auch schien, er würde nicht das Risiko eingehen, vor dem ganzen Stamm eine derartige Behauptung aufzustellen, es sei denn, er war sich ganz sicher, daß er sie untermauern konnte. Und wenn es Kals Kreatur gelang, Feuer zu machen, dann war Zas Anspruch auf die Führerposition für immer dahin. »Ich bin derjenige, der beschließt, was hier getan wird«, sagte Za. »Nicht Frauen und alte Männer – nicht Fremde.« Kal nutzte das schnell zu seinem Vorteil aus. »Vielleicht will Za gar nicht sehen, daß Feuer gemacht wird. Vielleicht hat er ja Angst. Ich, Kal, habe keine Angst, Feuer zu machen. Ich werde meine Kreatur dazu bringen, Feuer für den Stamm zu machen. Ich werde diese Kreatur in die Höhle der Totenköpfe schaffen, und er wird sterben, es sei denn, er erzählt mir das Geheimnis!« Der Doktor sprang schnell auf. »Ich kann Feuer für euch machen«, rief er. »Laßt mich gehen, und ich werde soviel Feuer machen, wie ihr möchtet.« 60
Beeindruckt drängte die Menge zurück. »Ihr braucht doch keine Angst vor mir zu haben«, beschwichtigte der Doktor. »Seht doch selbst. Ich bin ein alter Mann. Wie sollte ich euch denn etwas antun?« »Was sagt er?« murrte Za. »Feuer!« sagte Horg ehrfurchtsvoll. »Er sagt, daß er für uns Feuer machen kann!« Und da merkte Kal, daß ihm sein neuer Vorteil entwischte. »Für mich!« rief er. »Er wird für mich Feuer machen, und ich werde es euch geben. Ich werde der Feuermacher sein!« Doch dann sah Za überraschend, wie er Kals Entdeckung zu seinem eigenen Vorteil nutzen konnte. »Falls die Kreatur Feuer macht, dann wird sie es für mich machen und für den ganzen Stamm.« Der Doktor durchsuchte mittlerweile verzweifelt seine Taschen. »Wo sind meine Streichhölzer? Ich muß meine Streichhölzer finden!« Er wußte genau, daß er sie vorhin noch bei sich gehabt hatte, denn er konnte sich daran erinnern, daß er seine Pfeife angezündet hatte. Im gleichen Augenblick stellte er fest, daß seine Pfeife ebenfalls verschwunden war. Hatte er beide Gegenstände liegenlassen, als er angegriffen worden war? Oder waren die Zündhölzer aus seiner Tasche gefallen, als er von dem Wilden hierherverfrachtet worden war? Wie auch immer, die Streichhölzer waren verschwunden. Za beobachtete amüsiert, wie der Doktor seine Taschen durchwühlte. »Was tut er denn jetzt?« »Seht, er ist Kals Kreatur«, sagte Kal. »Er wird das Feuer nur für Kal machen,« Vollkommen verzweifelt gab der Doktor seine Suche auf. »Bringt mich zu meinem Schiff zurück, dann werde ich soviel Feuer für euch machen, wie es euch beliebt«, schlug er hoffnungsvoll vor. Za wirbelte zu Kal herum. »Das ist wieder eine deiner Lügen, Kal. Der alte Mann kann kein Feuer machen.« 61
»Da war ein Baum«, erklärte Kal verzagt. »Er kam aus dem Nichts. Der alte Mann kam heraus, und da war Feuer in seinen Fingern. Rauch quoll aus seinem Mund.« Die Männer des Stammes murmelten unzufrieden in sich hinein. Da es dem Doktor nicht gelungen war, das erwartete Wunder vorzuführen, schwang die allgemeine Stimmung langsam gegen Kal um. Za nutzte den Augenblick. Er schob Kal auf die Seite und sprang selbst auf den Felsen. »Kal möchte so stark wie Za sein, der Sohn des Feuermachers. Dennoch kann er nichts als lügen. Ihr habt gehört, wie er sagte, daß wir Feuer haben würden – und trotzdem haben wir kein Feuer. Za erzählt euch keine Lügen. Er sagt nicht: ›Heute nacht werdet ihr es warm haben‹ und läßt euch dann in der Kälte. Er sagt nicht: ›Ich werde mit dem Feuer den Tiger verscheuchen‹ und läßt es dann zu, daß der Tiger euch in der Dunkelheit angreift. Möchtet ihr einen Lügner als Anführer?« Sie schrien: »Nein!« Die Männer warfen Kal bedrohliche Blicke zu. Kal hob die Axt drohend über den Kopf des Doktors. »Mach Feuer!« Der Doktor blickte hilflos hoch. »Ich kann nicht.« »Du hast dich in deinen eigenen Lügen verstrickt, Kal«, bemerkte Hur spöttisch. Sie stellte sich eng neben Za. Za lachte schallend und laut heraus. »Schaut euch den großen Anführer Kal an, der sich vor nichts fürchtet! Oh, großer Kal, rette uns vor der Kälte! Rette uns vor dem Tiger!« Kal sah, wie sich seine Hoffnungen auf die Führerschaft in dem Gelächter der Stammesmitglieder auflösten. Er packte den Doktor an der Schulter und hob ihn hoch, so daß dessen Füße kaum mehr den Boden berührten. »Mach Feuer, alter Mann. Laß das Feuer aus deinen Fingern kommen, so, wie ich es heute gesehen habe!«
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»Ich kann nicht«, rief der Doktor. »Ich sage dir, ich habe meine Zündhölzer verloren. Ich kann kein Feuer machen – ich kann nicht.« Za schüttelte sich vor Lachen. »Laßt den alten Mann sterben. Laßt uns alle zusehen, wie der große Kal seinen mächtigen Feind bekämpft!« Kal zog ein Messer mit Steinklinge unter seinen Fellen hervor und hielt es an des Doktors Kehle. »Mach Feuer! Mach Feuer, oder ich töte dich.« »Wir werden den großen Kal dabehalten, damit er für uns jagt«, bellte Za. Kal hob sein Messer. »Nein!« schrie eine Stimme. Susan rannte in die Kreismitte. Die Stammesmänner staunten. Sie stolperte und fiel vor Kals Füße. Kurz darauf tauchten Ian und Barbara auf. Ian machte einen Satz und stürzte sich auf Kal. Einen kurzen Augenblick lang rangen sie wild miteinander. Ein anderes Mitglied des Stammes hielt die Steinaxt über Ians Kopf. Er wollte gerade zuschlagen, als der Doktor befahl: »Halt! Wenn er stirbt, wird es kein Feuer geben!« Das Stammesmitglied hielt im Schwung inne und schaute Za fragend an. »Tötet sie«, kreischte die Alte Mutter. Za dachte nach. »Nein. Wir töten sie nicht.« »Sie sind Feinde. Sie müssen sterben!« »Wenn Orb das Feuer in den Himmel bringt, dann laßt ihn herunterblicken, und er wird sie sehen, die seine Opfer sind. Das ist der Zeitpunkt, an dem sie sterben werden – und Orb wird mit uns zufrieden sein und uns Feuer bringen. Schafft sie in die Höhle der Totenköpfe«, sagte Za beeindruckend. Die vier Fremden, die sich heftig zur Wehr setzten, wurden weggebracht. Kal schaute Za nachdenklich an und machte sich davon. 63
Horg legte eine Hand auf Hurs Schulter, denn er wollte sie mitnehmen, aber Za sprang vom Felsen herunter und packte Hur am Arm. »Die Frau gehört mir.« »Meine Tochter geht an den Anführer des Stammes.« »Ja«, sagte Za. »Ich bin der Anführer. Die Frau gehört mir.« Horg seufzte. »Mir gefällt nicht, was geschehen ist. Ich verstehe es nicht.« »Alte Männer mögen es nie, wenn neue Dinge passieren.« »Als dein Vater noch da war, war ich sein erster Kämpfer. Er war ein großer Führer, der viele Männer hatte.« »Ja, viele Männer«, wiederholte Za verbittert. »Sie alle starben, als Orb den Himmel verließ und auf der Erde die große Kälte herrschte. Jetzt wird mir Orb wieder Feuer geben. Mir, nicht dir. Genauso wie du mir Hur geben wirst.« »Za wird auch ein großer Anführer sein, der viele Männer hat. Wenn du mich ihm gibst, dann wird Za sich immer daran erinnern und wird dir immer Fleisch geben«, sagte Hur beschwichtigend. Horg akzeptierte das Unausweichliche, neigte den Kopf und ging von dannen. Gedankenverloren schaute die Alte Mutter Za an. »Es gab auch schon Anführer, bevor es das Feuer gab«, murrte sie. »Das Feuer verärgert die Götter. Und am Ende wird das Feuer uns alle vernichten. Du hättest die vier Fremden töten sollen. Töte sie!« Za schüttelte den Kopf und starrte in die Abenddämmerung. »Es wird sein, wie ich es sage. Wir warten, bis Orb wieder am Himmel steht. Dann werden sie sterben.« Man hatte sie an Armen und Beinen gefesselt wie Tiere. Ian, Barbara, Susan und der Doktor lagen in einer kleineren Höhle, die direkt hinter der Haupthöhle lag. Nachdem sie gefesselt worden waren, hatten ihre Häscher sie in die Höhle geworfen und sich schleunigst wieder zurückgezogen. Es sah fast so aus, 64
als hätten sie Angst davor, länger zu bleiben. Schließlich rollten sie einen großen Stein vor die Öffnung, um den Ausgang zu blockieren. Die Höhle war klein und dunkel, und sie stank nach Tod. Überall lagen Totenköpfe herum, die zu Pyramiden aufgestapelt waren. »Bist du in Ordnung?« keuchte Ian. »Haben sie dir auch nicht weh getan?« »Nein, es geht mir gut.« Barbaras Stimme zitterte. »Ich habe Angst, Ian.« Doch Ian konnte ihr nur wenig Trost spenden. »Versuche durchzuhalten. Irgendwie werden wir aus der ganzen Sache herauskommen.« Hysterie lag in Barbaras Stimme. »Wie? Wie sollen wir denn hier herauskommen?« »Wir werden auf jeden Fall gerissen sein müssen«, bemerkte der Doktor nachdenklich. Trotz der ganzen Tortur, die er mitgemacht hatte, wirkte er bemerkenswert rüstig. Schon kämpfte er angestrengt mit seinen Stricken. Einen Augenblick später sagte er: »Ich hoffe, daß Sie sich befreien können, Mister Chesterton – denn mir gelingt es nicht.« Er schaute die anderen an. »Es tut mir wirklich leid. Das alles ist meine Schuld. Ich bitte aufrichtig um Entschuldigung.« »Nein, Großvater«, schluchzte Susan. »Wir werden sicher einen Ausweg finden. Du mußt dir nicht die Schuld geben.« (»Wieso nicht«, dachte Ian wütend. »Der alte Narr hat ganz recht, das alles ist seine Schuld!«) Der Doktor schaute den Berg Totenköpfe an, die direkt vor ihm lagen. Mit seinem Fuß schob er einen davon in Ians Richtung. »Schauen Sie sich ihn an, junger Mann.« Bedrückt hob Ian ihn auf. (Glücklicherweise hatte man ihnen die Hände vorn zusammengebunden.) »Das ist ein Totenkopf.« Er warf ihn auf die Seite, beugte sich vor und nahm einen weiteren vom Stapel herunter. Dann untersuchte er 65
sie sorgfältig. »Die sehen alle gleich aus«, flüsterte er. »Die Schädeldecken sind geöffnet worden!«
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Das Messer Der Stamm schlief. Die Menschen in der Höhle schliefen. Sie kauerten sich zusammen, um es möglichst warm zu haben, waren in alle Felle gehüllt, die sie besaßen, und träumten vom Feuer. Sie versuchten die tödliche Kälte zu vergessen, die in die Höhlen drang – jene Kälte, die grimmiger, härter wurde, Nacht um Nacht. Wenn das Feuer nicht bald zurückkehrte, dann würden die Morgen kommen, an denen die Schwachen, die Frauen, Kinder und Alten nicht wieder aufwachten. Und wenn die Kälte ihren Höhepunkt erreicht hatte, dann starben nachts sogar die starken Männer. Nur die Alte Mutter war noch wach. Auch ihre Gedanken drehten sich um das Feuer, aber sie hielt es nicht für einen Retter, einen Beschützer. Für die Alte Mutter war das Feuer ein teuflischer Dämon. Ihr wirrer Verstand brachte es mit dem Tod ihres Mannes Gor in Verbindung und mit all dem Unglück, das seitdem über den Stamm hereingebrochen war. Die Fremden hatten gedroht, Feuer zu machen. Auch die Fremden waren böse. Die Alte Mutter dachte lange nach und fragte sich, wie sie den Stamm vor der drohenden Gefahr des Feuers retten konnte. Schließlich fiel ihr eine Möglichkeit ein. Verstohlen stand sie auf und kroch durch die stille Höhle zu dem Platz, wo Za schlief. Hur ruhte an seiner Seite. Zas wertvolles Messer lag direkt neben seiner ausgestreckten Hand. Das Messer war aus einem langen, dünnen Steinsplitter gefertigt worden, dessen Schneide sehr scharf war. Die Alte Mutter streckte die Hand danach aus. Za zuckte zusammen und murmelte im Schlaf, als ob er ihr Vorhaben bemerkt hätte, und sie zog ihre Hand schnell zurück.
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Dann schlief er wieder. Die Alte Mutter packte das Messer und schlich sich weg. Hur beobachtete sie mit halbgeöffneten Augen und fragte sich, was sie vorhatte. Ian streckte die Hände aus, dehnte die Bänder und hoffte, daß er sich befreien konnte, aber die Streifen aus ungegerbtem Leder waren zäh und sehnig und gaben nur unwesentlich nach. Susan suchte den Boden der Höhle nach scharfen Steinen ab. »Hier ist noch einer, der eine scharfe Kante hat.« Sie hob ihn auf und hüpfte zu Ian hinüber. Das Unternehmen wurde durch die Tatsache, daß sowohl ihre Hände als auch ihre Füße gefesselt waren, erheblich erschwert. Ian nahm den Stein in seine gefesselten Hände und robbte zu Barbara hinüber, die ihre verschnürten Hände auf dem Boden ausstreckte. Ian fing an, den Lederriemen mit dem Stein zu bearbeiten. »Das taugt nicht, der Stein ist viel zu weich. Der Rand zerbröselt.« »Die ganze Sache ist hoffnungslos«, grummelte der Doktor. »Selbst wenn Sie uns befreien könnten, dann würde es uns doch nie gelingen, den Stein, der die Tür blockiert, zu verschieben.« Ian hob den Kopf und rümpfte die Nase. »Von irgendwoher dringt Luft in diesen Käfig – und zwar nicht durch den Eingang, meine ich.« »So ist es«, bestätigte Barbara. »Ich kann sie auf meinem Gesicht spüren.« »Vielleicht ist es ja nur eine kleine Öffnung. Rechnet nicht damit…« »Wieso nicht – Sie tun es doch offensichtlich«, murrte der Doktor. »Natürlich tue ich das. Jede kleine Hoffnung ist besser als gar keine. Es hilft uns jedenfalls nicht weiter, wenn Sie hier bloß herumliegen und uns kritisieren. Helfen Sie uns, hier 68
herauszukommen, wenn Sie so klug sind!« Ian warf den Stein zur Seite. »Es ist hoffnungslos«, sagte er und widerlegte damit prompt seine eben gemachte Aussage. »Gib nicht auf, Ian, bitte«, bettelte Barbara. »In Ordnung. Komm, Susan, suchen wir nach einem brauchbaren Stück Stein.« Der Doktor hatte seit Ians Wutausbruch geschwiegen. Zum ersten Mal hatte er sein gewöhnliches Gehabe, seine selbstzufriedene Überlegenheit abgelegt. Ein wenig verlegen sagte er: »Verschwenden Sie Ihre Zeit nicht mit Steinen. Probieren Sie es mit einem der eingeschlagenen Totenköpfe. Ein richtig scharfes Stückchen Knochen wird von größerem Nutzen sein.« »Gute Idee«, erwiderte Ian. Er steckte die Hände in den gräßlichen Schädelberg. Der Doktor war anscheinend bereits wieder in der Lage, das Kommando zu übernehmen. »Wir müssen abwechselnd versuchen, Ihre Hände freizukriegen.« »Sicherlich wäre es sinniger, zuerst die Frauen zu befreien –« »Nein, nein, zuerst Sie. Sie sind der Stärkste, vielleicht müssen Sie uns beschützen…« Ian nickte. Er war beeindruckt, sowohl von seiner eigenen Wichtigkeit als auch vom Doktor, der rücksichtslos die Prioritäten festlegte. Er fand einen Totenkopf, der beinah in zwei Hälften gehackt worden war und an der Bruchstelle einen schönen scharfen Rand aufwies. Stumm reichte er ihn dem Doktor und streckte die gefesselten Hände aus. Der Doktor begann mit seiner Arbeit. Er arbeitete über einen langen Zeitraum hinweg wie ein Wilder. Als er aufhörte, keuchte er vor Anstrengung. »Susan, versuch du es eine Zeitlang. Meine Arme sind müde.« »Ja, Großvater.« Susan nahm das Schädelstück in die Hand und begann eifrig zu sägen. 69
Der Doktor ging zu Barbara hinüber, die stumpfsinnig in die Dunkelheit starrte. Ihr Gesicht war bleich und verhärmt. »Denken Sie einfach nicht an einen Fehlschlag«, munterte der Doktor sie mit sanfter Stimme auf. »Wir alle werden freikommen, und wir werden von diesem grauenhaften Ort fliehen.« »Was?« Barbara schien ihn kaum zu verstehen. »Versuchen Sie sich daran zu erinnern, wie Sie und die anderen hierhergekommen sind. Konzentrieren Sie sich einzig und allein darauf, verfolgen Sie im Geist jeden einzelnen Schritt Ihrer Reise zurück.« »Ja, gut, falls es mir gelingt.« Barbara schaute ihn überrascht an. »Sie versuchen, mir zu helfen, nicht wahr?« »Die Angst macht uns alle zu guten Kameraden, Miss Wright.« »Ich glaube nicht, daß Sie jemals Angst gehabt haben, Doktor.« »Angst steckt in jedem einzelnen von uns, und das wird immer so sein«, erwiderte der Doktor gelassen. »Aber auch jenes andere Gefühl, das uns nie verläßt.« »Was für ein Gefühl?« »Ihr Begleiter hat vor wenigen Augenblicken davon gesprochen. Hoffnung, Miss Wright. Hoffnung!« Susan sägte an Ians Fesseln, bis sie zu müde wurde, dann übernahm Barbara. All ihre Mühe hatte anscheinend nur eine sehr geringe Wirkung auf die dicken Lederriemen – offensichtlich dauerte es noch sehr, sehr lange, bis sie so dünn waren, daß man sie zerreißen konnte. Susan saß dicht neben dem Doktor und beobachtete Barbara bei der Arbeit. Sie döste ein wenig, als sie ein seltsames Rascheln hinter sich hörte. Sie drehte sich um. In der gegenüberliegenden Ecke der Höhle befand sich ein Gerüst aus Zweigen, das mit grauenhaft grinsenden Totenköpfen verziert
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war. Erschrocken bemerkte Susan, daß die Schädel sich bewegten. »Seht doch!« schrie sie, und alle drehten sich um. Die Wand aus Zweigen wurde von hinten zur Seite geschoben, so daß die Schädel umfielen und über den Boden rollten. Eine gräßliche Gestalt tauchte auf, eine dürre alte Frau mit zotteligem weißem Haar. Ein langes Messer mit scharfer Steinklinge lag in ihrer Hand. Sie wedelte wütend damit herum, während sie sich den hilflosen Gefangenen näherte. »Feuer ist des Teufels«, sang sie. »Ihr werdet kein Feuer machen!« Hur weckte Za auf. Er schlug die Augen auf und streckte die Hand instinktiv nach seiner Axt aus. Hur legte einen Finger auf seine Lippen und führte ihn zwischen den eng beieinanderliegenden Schlafenden hindurch aus der Höhle. Zitternd standen sie im Nachtwind. Za blinzelte sie an, rieb mit den Fäusten den Schlaf aus seinen Augen. »Was ist denn los? Wieso weckst du mich auf? Sag es mir!« »Ich habe beobachtet, wie die alte Frau dein Messer genommen hat.« »Wenn du es gesehen hast – warum hast du sie nicht aufgehalten? Sie ist alt. Du hättest sie festhalten können.« Hur beantwortete seine Frage mit einer Gegenfrage. »Warum hat sie es genommen?« »Wer weiß? Vielleicht ist sie in den Wald gegangen, um zu jagen.« »Nein«, sagte Hur. »Ich habe lange darüber nachgedacht. Sie ist gegangen, um die Fremden zu töten.« »Hat sie das gesagt?« »Sie hat dein Messer genommen. Sie fürchtet sich vor dem Feuer.« »Du hättest sie aufhalten sollen.« »Kal war in der Höhle. Anführer sind wach, wenn die anderen schlafen. Du mußt sie davon abhalten.« Hur sprach 71
nicht weiter und schaute Za hart an. »Der fremde Stamm wird dir nicht zeigen, wie man Feuer macht, wenn die alte Frau sie alle umbringt.« »Aber wenn ich sie davon abhalte, sie zu töten, dann werden sie mir das Feuer geben – und nicht Kal. Komm!« Sie rannten zum Eingang der Höhle der Totenköpfe – und sahen den großen Stein, der den Eingang versperrte. »Es ist nicht möglich, daß die alte Frau in die Höhle gegangen ist«, sagte Za wütend. »Der Stein ist noch da. Warum erzählst du diese Lüge?« Hur trat vor die Höhlenöffnung. Sie hielt ihr Ohr an den kleinen Spalt zwischen dem Stein und dem Rand des Höhleneingangs, dann gab sie Za ein Zeichen. »Hör doch!« Za horchte. »Ich höre, daß die alte Frau in der Höhle ist. Sie spricht mit ihnen.« Za ließ seine Axt fallen und fing an, den Stein zur Seite zu schieben. Zuerst wollte er sich gar nicht bewegen, aber ganz langsam rührte er sich dann doch, Stückchen um Stückchen. Hur kam ihm schnell zu Hilfe. Der Doktor brauchte ganz schön lange, bis er verstand, was die alte Frau wollte. Hysterisch brabbelte sie über Feuer und schwenkte dabei das Messer bedrohlich vor seinen Augen hin und her. »Was will sie, Doktor?« schluchzte Barbara. »Wird sie uns töten?« »Nein, das glaube ich nicht. Soweit ich sie verstehen kann, hat sie Angst vor dem Feuer – sie bietet uns an, uns gehen zu lassen, wenn wir versprechen, kein Feuer zu machen.« Die alte Frau nickte eifrig. »Ich werde euch freilassen, wenn ihr verschwindet und kein Feuer macht. Das Feuer wird dem Stamm Unheil und den Tod bringen.« »Laß uns gehen«, schlug der Doktor sofort vor. »Laß uns gehen, dann wird es kein Feuer geben.«
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Plötzlich vernahmen sie ein schleifendes Geräusch, das von der Höhlenöffnung kam. Jemand bewegte den Stein. Dann brüllte jemand vor Wut. »Es kommt jemand«, erkannte der Doktor. »Jetzt aber schnell!« Er streckte seine Hand aus, und die alte Frau sägte die Riemen mit dem Steinmesser durch. »Jetzt meine Füße!« Die alte Frau beugte sich und schnitt die Fesseln an den Füßen des Doktors durch. Sie befreite einen nach dem anderen. Währenddessen wurde der große Fels, der vor der Öffnung stand, immer weiter zur Seite geschoben. Die alte Frau deutete auf den Weg, den sie gekommen war – hinter dem Gerüst versteckt, gab es eine schmale Öffnung. »Ihr müßt euch beeilen. Folgt dem Tunnel und nehmt dann den Weg, der in den Wald führt. Dort könnt ihr euch verstecken!« »Beeilt euch«, rief Ian. »Sie werden jeden Moment hiersein.« Der Doktor ging als erster in den Tunnel, dann Barbara, Susan, und als letzter folgte Ian. Wenige Minuten nachdem sie verschwunden waren, war der Fels weit genug beiseite geschoben, so daß sich ein Spalt am Eingang bildete. Za quetschte sich durch, Hur war dicht hinter ihm. »Wo sind sie?« brüllte Za. Hurs Blick fiel auf die durchgeschnittenen Fesseln, die auf dem Boden der Höhle lagen. »Sie hat sie nicht getötet. Sie hat sie befreit.« Za sah das Messer in der Hand der Alten Mutter und entriß es ihr. »Warum, alte Frau? Warum?« »Sie hätten Feuer gemacht«, stöhnte die Alte Mutter. »Sie hätten Feuer gemacht.« Hurs scharfe Augen entdeckten die Öffnung im hinteren Teil der Höhle. »Sie sind hier lang. Hier, Za!« Za ging auf die Öffnung zu, doch die Alte Mutter wand ihre dürren Arme um ihn. Sie versuchte, ihn zurückzuhalten. 73
Wütend stieß Za sie zur Seite. Stolpernd fiel sie zu Boden, wo sie halb betäubt liegenblieb. Za spähte in den Tunnel und zögerte. »Sie sind in die Nacht hinausgegangen.« Hur sagte: »Sie haben das Geheimnis des Feuers mit sich genommen.« »Die wilden Tiere werden sie töten. Sie werden auch uns töten, wenn wir ihnen folgen.« Hur kehrte zum Höhleneingang zurück, holte Zas Axt herein und brachte sie ihm. Sie drückte sie in seine Hand. »Du bist der Anführer, Za«, bekräftigte Hur sanft. »Du bist stark, genauso stark wie die wilden Tiere. Und du wirst noch stärker sein, wenn du erst einmal weißt, wie man Feuer macht. Stärker als Kal!« Za schaute sie einen Augenblick lang an, dann schlüpfte er in den Tunnel. Hur ging ihm nach.
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Der Wald der Angst Im Wald war es dunkel. Der Weg war so schmal, daß die herunterhängenden Zweige ihnen immer wieder ins Gesicht schlugen, und sie mußten sich beim Laufen mit vorgehaltenen Armen schützen. Die Luft war kalt. Der Pfad war auf beiden Seiten von dichtem Unterholz gesäumt und oben vom Laub der Bäume überschattet, so daß man das Gefühl hatte, durch einen Tunnel zu rennen. Und dennoch war es tausendmal besser als in jener gräßlichen Höhle mit ihrem Todesgeruch und den kaputten, grinsenden Totenköpfen. Susan rannte voran, Barbara und Ian folgten ihr. Der Doktor war der letzte in der Reihe. Während sie liefen, bemerkte Ian, daß der Doktor immer weiter zurückfiel. Er drehte sich um und entdeckte, daß der alte Mann gar nicht mehr rannte. Keuchend lehnte er an einem Baum. »Halt! Nur einen kurzen Augenblick, bitte.« »Wir müssen weitergehen, Doktor.« Der Doktor nickte schwach. »Nur einen Moment… nur einen Moment.« »Wir sind noch nicht weit genug von der Höhle entfernt…« »Ich weiß… ich weiß. Aber ich kann einfach nicht mehr!« »Versuchen Sie es!« drängte Ian. Der Doktor nickte müde mit dem Kopf, aber er setzte sich nicht in Bewegung. »In Ordnung«, sagte Ian. »Dann gibt es nur noch eins. Ich werde Sie tragen müssen.« Er näherte sich dem Doktor, der entrüstet mit der Hand wedelte. »Das werden Sie nicht tun, junger Mann. Ich brauche Ihre Hilfe nicht. Ich mag alt sein, aber ich bin doch nicht senil. Ich möchte nur wieder richtig atmen, das ist alles.« 75
Ian schaute Susan verzweifelt an. Sie kam zurückgelaufen und flehte: »Bitte, Großvater.« Der Doktor seufzte und stieß sich müde vom Stamm ab. Sie gingen weiter, doch dieses Mal ein wenig langsamer. Im Wald, der sie umgab, waren seltsame Geräusche zu hören und die Schreie wilder Tiere. Barbara holte Ian ein. »Bist du sicher, daß das hier der richtige Weg ist?« »Ich denke schon. Wir laufen quer durch den Wald und wollen zum Schiff zurück. Wir haben den Wald an einer anderen Stelle betreten – es ist schwer, sich sicher zu sein. Was meinst du?« »Ich kann mich nicht erinnern, Ian. Ich kann mich einfach nicht erinnern!« Ihre Stimme hatte einen hysterischen Unterton. Ian legte seine Hand auf ihre Schulter, um sie zu beruhigen. »Ist doch egal. Wir sind frei, nicht wahr? Das ist doch die Hauptsache.« Dann liefen sie weiter. Ian hörte ein Geräusch hinter sich in der Dunkelheit und wirbelte herum. Die Büsche schienen sich leicht zu bewegen. Er glaubte, daß er ein tiefes, gutturales Geräusch gehört hatte, ähnlich dem Schnurren einer riesigen Katze… »Was ist das?« Ian zuckte mit den Achseln. »Nur irgendein wildes Tier oder so. Hat wahrscheinlich mehr Angst vor uns als wir vor ihm.« Aber tief im Innern war Ian sich dessen nicht so sicher. Er durchforstete sein Gehirn und versuchte sich zu erinnern, welche Tiere zur Zeit der Höhlenmenschen gelebt hatten. Zumindest keine Dinosaurier, obwohl die meisten Menschen das annahmen. Es war eine glückliche Fügung für den Menschen gewesen, daß diese riesigen Monster schon lange ausgestorben waren. Aber sicherlich Mammuts. Und was
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war mit den Säbelzahntigern? Ganz bestimmt hatten die zu jener Zeit existiert… Vorsichtig durchschritten sie den dunklen Wald. Sie kamen zu einem umgefallenen Baum und blieben stehen, um sich zu orientieren. »Ich erinnere mich an diese Stelle«, verkündete Susan aufgeregt. »Aber wir sind nicht direkt daran vorbeigegangen, wir haben sie umgangen.« »Das ist richtig«, stimmte Barbara zu. »Der Pfad verlief parallel dazu.« »Ich hoffe, daß ihr beide recht habt«, sagte Ian. »Denn wenn das der Fall ist, dann kann das Schiff nicht mehr weit sein.« Er wandte sich dem Doktor zu, der sich auf Susans Schulter stützte. »Wie geht es Ihnen?« »Ich bin ganz okay, danke, junger Mann! Hören Sie auf, mich als das schwache Glied in dieser Kette zu betrachten.« Plötzlich stieß Barbara einen kurzen Schrei aus. »Was ist denn?« »Ich weiß nicht. Ich dachte, ich hätte gesehen, wie sich etwas bewegt – dort drüben, in den Büschen.« »Unsinn«, urteilte der Doktor leichthin. »Ich sage Ihnen, die Büsche haben sich bewegt. Ich habe es gesehen. Wir werden niemals im Leben von hier wegkommen. Niemals!« »Was könnte es wohl sein, Großvater?« flüsterte Susan. »Einbildung, mein liebes Kind. Pure Einbildung«, antwortete der Doktor, aber er schaute sich auffällig nervös um. Ian legte zur Beruhigung seinen Arm um Barbaras Schultern. »Sieh mal, ich weiß, daß das hier wie ein Alptraum aussehen mag, aber wir werden es schon schaffen.« »Wir werden alle in diesem grauenhaften Wald sterben.« »Nein, das werden wir nicht«, erwiderte Ian sanft. »Nicht, wenn wir durchhalten.« 77
»Ian, was geschieht nur mit uns?« »Sieh mal, wir können jetzt nicht mehr weit vom Schiff weg sein. Dort sind wir in Sicherheit. Wir sind doch auch aus der Höhle entwischt, oder?« Susan stellte sich näher zum Doktor und zitterte. »Es ist so kalt!« Der Doktor zog sein Jackett aus und legte es um ihre Schultern. »Dann erfreue dich daran, mein Kind.« »Und was ist mit dir, Großvater?« Dem Doktor gelang ein Lächeln. »Mach dir um mich keine Sorgen. Von der ganzen Anstrengung ist mir ziemlich heiß.« Ian trat zu ihnen. »Barbara ist ein bißchen angespannt. Da wir ja sowieso angehalten haben, könnten wir uns auch eine kleine Weile ausruhen.« Susan nickte dankbar. »Ist es möglich, daß sie uns verfolgen?« »Ich fürchte, ja.« »Deshalb möchte ich hier nicht allzu lange bleiben.« »Sie glauben doch nicht, daß ich nicht mehr kann, oder?« fragte der Doktor gereizt. Ian warf ihm einen leidgeprüften Blick zu. »Nein, natürlich denke ich das nicht. Ich denke, wir werden die Reihenfolge ändern, wenn wir wieder aufbrechen. Sie gehen als erster, dann folgen Susan und Barbara, und ich werde den Schluß bilden.« Der Doktor schnaubte vor Wut. »Sie scheinen sich zum Führer dieser kleinen Expedition ernannt zu haben.« »Die Zeit reicht nicht, um eine Abstimmung durchzuführen, oder doch?« »Nur so lange, wie Sie verstehen, daß ich Ihren Anordnungen nicht blind folgen werde, junger Mann.« Ian beugte sich vor. »Glauben Sie mir, Doktor, wenn wir zwei allein wären, dann könnten Sie, soweit es mich betrifft, Ihren Rückweg zum Schiff allein suchen!« 78
»Sie sind ein sehr ermüdender junger Mann, nicht wahr?« »Und Sie sind ein sehr sturer alter«, pfiff Ian durch die zusammengebissenen Zähne. »Sie werden vorangehen, dahinter die Mädchen, und ich gehe als letzter – das ist am sichersten.« »Sichersten? Wieso sichersten?« »Ich glaube, Barbara hat recht. Ich hörte etwas in den Büschen, hinter uns, bevor wir angehalten haben, und es ist immer noch in unserer Nähe. Wir werden beobachtet.« »Reine Einbildung.« »Was macht Sie so sicher, Doktor?« »Es kommt überhaupt nicht in Frage, daß ich mich wegen ein paar Schatten zu Tode ängstige.« Ian gab auf. »Sehr gut, wie es Ihnen gefällt. Wir werden uns hier noch eine Weile ausruhen und dann weitergehen.« In einem anderen Teil des Waldes waren Za und Hur auch stehengeblieben, aber nicht, um sich zu entspannen. Sie knieten sich hin und untersuchten die Fährten, die die Fremden auf ihrer Flucht durch den Dschungel hinterlassen hatten – die Spuren waren für sie ebenso deutlich wie Straßenschilder für einen modernen Autofahrer. »Hier ist ein abgebrochener Zweig«, sagte Hur. »Sie haben hier angehalten.« Za untersuchte einen Fußabdruck. »Sie haben seltsame Füße.« »Sie haben Häute getragen«, erklärte Hur. »Dort sind noch mehr Spuren – und hier. Sie sind hier entlanggegangen.« Vor ihnen raschelte es, und irgend etwas heulte tief. Za schaute Hur verängstigt an. »Es war falsch, ihnen zu folgen. Wir hätten es nicht tun sollen.« »Jetzt können wir nicht mehr zurückgehen. Möchtest du, daß Kal sich über dich lustig macht, so, wie du über ihn gespottet hast?« 79
Za umklammerte seine Axt, und sie machten sich wieder auf den Weg. Die kleine Truppe marschierte weiter durch den Dschungel. Offensichtlich kamen sie jetzt, da der Doktor die Führung übernommen hatte, langsamer voran. Barbaras Fuß verfing sich in einem herunterhängenden Rebengewächs, und sie fiel hin, direkt in die Büsche, die auf der einen Seite des Pfades wucherten. Ihre ausgestreckte Hand berührte etwas Warmes und Feuchtes. Sie bemühte sich schwankend wieder auf und schaute ihre Hand an. Sie war blutig. Sie schrie. Ein Stück weiter hinten hob Za alarmiert den Kopf. »Sie sind schon sehr nah. Das war eine der Frauen. Komm schon!« Sie eilten weiter. Der Doktor besah sich das kompakte Wesen, das direkt neben dem Pfad lag, genauer. »Was ist es, Großvater?« fragte Susan ängstlich. »Nur ein totes Tier. Ich glaube, eine Art Rotwild. Es ist erst vor kurzer Zeit getötet worden, der Körper ist noch warm.« »Wodurch wurde es getötet?« »Wenn man von diesen Tatzenspuren ausgeht, dann war es ein sehr großes und sehr wildes Mitglied der Katzenfamilie – wahrscheinlich ein Säbelzahntiger.« Plötzlich hörten sie, wie hinter ihnen im Dschungel etwas raschelte. »Ist das der Tiger?« flüsterte Barbara. »Zu laut. Das müssen die Höhlenmenschen sein, die uns verfolgen. Wir werden uns verstecken müssen und darauf hoffen, daß sie vorbeigehen. Schnell, dort hinüber, in die Büsche.« Ian drängte sie ins Gebüsch; sie kauerten sich hin und warteten. Nur Sekunden später stürzten zwei in Fell gehüllte Gestalten in die Lichtung, blieben stehen und schauten sich um.
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Die eine Gestalt war sehr kräftig und trug eine Steinaxt bei sich – es war einer der Männer aus der Höhle. Die Gestalt, die neben ihm stand, war sowohl kleiner als auch zierlicher. Zu seinem Erstaunen stellte Ian fest, daß es ein Mädchen war. Die beiden Wilden waren unbeweglich stehengeblieben und schauten sich vorsichtig um. Im Gebüsch lauerte auch die große Katze, ebenfalls bewegungslos. Sie hatte ihre seltsame Beute über eine ziemlich lange Strecke durch den Wald verfolgt. Mehrere Male schon war sie in die Knie gegangen und hatte springen wollen, um einen von ihnen zu erledigen, aber jedesmal hatte irgend etwas sie zurückgehalten. An diesen Kreaturen stimmte etwas nicht. Ihre Erscheinung, die Art und Weise, wie sie kühn durch den Dschungel marschierten, und vor allem der fremdartige Geruch der seltsamen Häute, die sie trugen, all das war neu, unbekannt – und möglicherweise gefährlich. Als Za und Hur in die Lichtung gelaufen kamen, war das Dilemma des großen Biestes gelöst. Es kannte die Höhlenmenschen schon seit langem, kannte die Art ihrer Erscheinung, wußte, wie sie sich bewegten und rochen, kannte ihre Art, mit Speeren und Äxten zu jagen. Der Tiger wedelte mit seinem Schwanz und schlängelte sich durch den Wald, den beiden Neuankömmlingen entgegen. In den dichten Büschen flüsterte Ian: »Ihr alle bleibt unten. Und keinen Ton!« Za schaute sich beunruhigt um. Er spürte eher, daß etwas nicht stimmte, als daß er es sah. Er berührte Hurs Arm. »Warte hier«, wisperte er. »Es droht Gefahr. Ich werde losgehen und nachsehen.«
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Vorsichtig trat Za in die Lichtung hinaus und ging direkt auf die Büsche zu, in denen Ian und seine Begleiter sich versteckt hielten. Irgendwo hinter ihm ertönte ein tiefes Knurren. Za wirbelte herum. Das war die Stimme des Tigers, der mit den langen Zähnen, ein alter Feind seines Volkes. Za umklammerte die Axt heftiger und drehte den Kopf hin und her. Er horchte und fühlte mit all seinen Sinnen. Dicht hinter ihm begannen die hohen Gräser sich zu bewegen. Hur sah es und stieß eine Warnung aus, aber es war zu spät. Der Tiger sprang.
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Hinterhalt Als der Tiger durch die Luft, und auf ihn zuschoß, ergriff Za die einzige Chance, die ihm blieb. Er rannte, aber nicht zurück, sondern vor, unter das angreifende wilde Tier, schwang seine große Steinaxt mit aller Kraft und hieb sie in die Seite der Kreatur. Er spürte, wie die Axt ihr Ziel traf. Der Tiger schrie vor Wut und Angst auf. Er stürzte mit seinem ganzen Gewicht direkt auf Za und riß ihn zu Boden. Za versuchte, die Axt herauszureißen, um zu einem Todesschlag auf den Schädel anzusetzen, aber er hatte nur den Griff in der Hand. Die Axt war kaputt… Für den Doktor und die anderen schien alles in Windeseile zu geschehen. Sie sahen, wie das große Tier sprang und den Höhlenmenschen zu Boden riß. Sie hörten, wie der Tiger aufschrie… Kurz war nur das gelbe Fell zu sehen, dann riß der Tiger sich los und verschwand im Dschungel. Die blutüberströmte Gestalt des Höhlenmenschen blieb auf der vom Mond erhellten Lichtung zurück. Das Mädchen stieß einen lauten, gepeinigten Schrei aus, rannte los und kniete sich dann neben ihn. Ian kam blitzschnell auf die Füße. »Schnell, das ist unsere Chance. Haut ab, alle. Rennt!« Die anderen gehorchten ihm instinktiv. Alle, bis auf Barbara, die stehenblieb und auf die beiden Gestalten schaute. »Worauf warten Sie denn?« schrie der Doktor. »Wir können sie nicht einfach allein lassen!«
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»Meine liebe Miss Wright, das sind Wilde. Sie hätten uns mit Freude getötet. Denken Sie doch nur an die ganzen Totenköpfe in der Höhle.« »Mir ist egal, was sie getan haben, sie sind trotz allem menschliche Wesen.« Barbara lief los, über die Lichtung, dorthin, wo das schluchzende Mädchen neben dem bewegungslosen Körper des Mannes kniete. »Ich glaube, er ist tot. Es besteht keine Gefahr.« »Barbara, komm zurück«, brüllte Ian, der ihr hinterherrannte. »Das ist unsere Chance zu fliehen!« »Ich werde Sie begleiten, Barbara«, rief Susan. Sie wollte ihrer Lehrerin folgen, aber der Doktor packte ihren Arm. »Das wirst du nicht tun, Susan. Bleib, wo du bist. Wir gehen zum Schiff zurück.« »Nein, Großvater«, widersprach Susan trotzig. »Wir können sie nicht allein zurücklassen.« Der Doktor warf einen Blick auf die andere Seite der Lichtung und fragte voller Verzweiflung: »Was tun sie denn? Haben sie den Verstand verloren?« Hur beugte sich beschützend über Za und schaute mit grimmiger Miene auf, als Barbara und Ian näher kamen. »Bleibt weg!« »Lassen Sie mich einen Blick auf ihn werfen«, forderte Ian. »Nein. Du wirst ihn töten.« Barbara zog Hur sanft zur Seite, während Ian sich neben Zas Körper kniete. »Es ist alles in Ordnung«, sagte Ian. »Ich bin dein Freund.« Hur schaute ihn voller Erstaunen an. »Freund?« »Ich werde etwas Wasser brauchen.« »Wasser?« »Hole mir Wasser«, ordnete Ian geduldig an. »Für seine Wunden.« Hur streckte den Finger aus. »Dort ist ein Strom – dort drüben.« 84
»Zeige ihn mir«, erwiderte Barbara bestimmt, als rede sie mit einer widerspenstigen Schülerin. »Gib mir dein Taschentuch, Ian, ja?« Unter Murren und Schimpfen erlaubte der Doktor Susan, ihn zu den anderen zu bringen. »Es ist in Ordnung, Großvater«, sagte Susan beschwichtigend. »Jetzt ist es ziemlich sicher.« Der Doktor schnaubte empört. Susan warf einen Blick auf den Höhlenmenschen. »Wie geht es ihm, Ian? Ist er tot?« »Nicht im mindesten«, antwortete Ian. »Tatsache ist, daß es ihm wesentlich besser geht, als es den Anschein hat.« Er hob das Heft von Zas Axt auf. »Ich denke, daß sein Axtbeil im Tiger steckt.« Barbara und Hur kamen wieder zur Lichtung zurück. Barbara reichte Ian das wassergetränkte Taschentuch, und Hur transportierte noch mehr Wasser in einem gefalteten Blatt. Ian fing an, das Blut von Zas Wunden zu wischen. Schon sehr bald stellte sich heraus, daß er nicht mehr als eine Reihe tiefer Schnitte in seinem Arm und seiner Schulter davongetragen hatte. »Größtenteils gehört das Blut dem Tiger«, sagte Ian. Barbara zeigte auf den Kopf des Wilden. »Sieh mal, auf seiner Stirn ist ein Schnitt – der Tiger muß ihn überrascht haben.« Ian säuberte die Wunde, und Za stöhnte und bewegte sich. Ian blickte Barbara reuevoll an. »Anscheinend haben wir unsere Chance verpaßt. Ich wette, daß sich in deiner Wohnung die streunenden Katzen und Hunde tummeln.« »Es sind menschliche Wesen, Ian«, wiederholte Barbara. »Schon gut. Ich weiß.« Ian blickte zum Doktor hoch, der daneben stand und sie böse anstarrte. »Haben Sie in Ihrem Schiff medizinische Vorräte? Antiseptische Mittel?«
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»Das ist doch grotesk«, spuckte der Doktor. »Erst versuchen wir verzweifelt, vor diesen Wilden zu fliehen, und jetzt –« »Jetzt helfen wir ihnen! Ich weiß. Sie sind ein Doktor. Tun Sie etwas.« »Ich bin kein Doktor der Medizin, junger Mann.« »Großvater, wir sollten uns mit ihnen anfreunden«, drängelte Susan. »Vielleicht werden sie uns ja helfen.« »Lächerlich.« »Wieso?« erwiderte Barbara wütend. »Warum müssen Sie jeden so behandeln, als wäre er weniger wichtig als Sie?« Der Doktor schaute sie mit ernster Miene an. »Sie glauben, daß alles, was Sie tun, vernünftig ist und alles, was ich tue, unmenschlich. Aber stellen sie sich vor, daß Ihre Beurteilung falsch ist und nicht meine. Wenn diese beiden Wilden unsere Verfolgung aufnehmen können, dann können das auch ihre Kameraden. Der ganze Stamm könnte jeden Moment hinter uns her sein.« »Der Stamm schläft«, sagte Hur. »Und die alte Frau, die uns befreit hat, hm? Was ist denn mit ihr?« »Sie haben recht, Doktor, wir sind hier viel zu exponiert.« Der Doktor nickte selbstgefällig – aber sein Gesichtsausdruck veränderte sich blitzartig, als Ian fortfuhr: »Wir werden eine Bahre bauen und ihn mitnehmen!« »Sie schlagen doch wohl nicht vor, ihn mit ins Raumschiff zu nehmen?« »Wir können mit unseren Mänteln eine Bahre bauen«, erläuterte Ian knapp. »Barbara, Susan, schaut, ob ihr ein paar lange, gerade Äste aus diesen Büschen herausbrechen könnt.« Während Barbara wegging, sagte sie: »Vielleicht wird uns die alte Frau nicht verraten. Sie hat uns geholfen, sie wird nicht wollen, daß die anderen das erfahren.« »Meinen Sie, daß diese Menschen Logik und Verstand haben?« fragte der Doktor wütend. »Begreifen Sie denn nicht, 86
daß sie ihre Meinung so schnell ändern, wie die Nacht auf den Tag folgt. Es ist gut möglich, daß sie es dem ganzen Stamm genau in diesem Augenblick erzählt…« Irgendwann in der Nacht wachte Kal auf. Sein Instinkt warnte ihn vor der Gefahr. Er schaute sich um. Alles schien normal zu sein. Dann stellte er fest, daß die Alte Mutter weg war. Und Za und Hur… Da ging irgend etwas vor. Was auch immer es war, es mußte mit den Fremden in Zusammenhang stehen. Za hatte ihn betrogen; er wollte die Fremden dazu bringen, daß sie ihm das Geheimnis des Feuers verrieten. Kal stand auf, das Messer in der Hand, und machte sich verstohlen auf den Weg zur Höhle der Totenköpfe. Sein Verdacht bestätigte sich, als er sah, daß der große Stein beiseite geschoben war. Er schlüpfte durch die Spalte und entdeckte zu seinem Erstaunen, daß die Gefangenen nicht mehr in der Höhle waren – Za allerdings auch nicht. Nur die Alte Mutter lag stöhnend am Boden. Kal zerrte sie auf die Füße. »Die seltsamen Kreaturen – wo sind sie?« »Sie sind weg«, antwortete die Alte Mutter. Ihre Augen strahlten triumphierend. »Wie konnten sie den Stein bewegen?« »Za hat ihn auf die Seite geschoben.« »Za ist mit ihnen gegangen? Sag es mir, alte Frau, sag es mir!« Die alte Frau deutete mit dem Finger auf den hinteren Teil der Höhle. »Za und Hur sind den Fremden nachgegangen. Dort hindurch. Es gibt einen anderen Weg.« »Die Hände und Füße der Fremden waren gefesselt«, erklärte Kal wütend. »Za hat sie befreit! Sie sind mit Za weggegangen, um ihm zu zeigen, wie man Feuer macht.«
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»Ich habe sie befreit«, verkündete die Alte Mutter stolz. »Jetzt werden sie kein Feuer mehr machen. Es wird kein Feuer geben!« »Du hast sie befreit?« Kal sah all seine Hoffnungen schwinden – das Geheimnis des Feuers war verloren oder an Za weitergegeben –, und das alles, weil diese alte Frau sich eingemischt hatte. »Du hast sie befreit?« Eine Welle blinder Wut überwältigte ihn, und plötzlich steckte das Steinmesser, das er in seiner Hand hielt, im Herzen der Alten Mutter. Die alte Frau starrte einen Augenblick lang ungläubig das Messer an, dann fiel sie tot um, direkt vor seine Füße. Kal zog das Messer heraus, an dem das Blut der alten Frau klebte, und steckte es zwischen seine Felle. Er mußte sich etwas ausdenken, das er dem Stamm erzählen konnte. Ian war damit beschäftigt, Barbara und Susan zu zeigen, wie man eine Bahre improvisierte. »Die Stöcke schieben wir durch die Ärmel der Mäntel, genau so, seht ihr…« Susan kniete sich hin, um Zas Stirn abzutupfen, aber Hur schob sie grob zur Seite. »Nein. Er gehört mir.« »Ich habe doch nur versucht, ihm zu helfen.« Ian lächelte. »Ich glaube, sie ist eifersüchtig auf dich, Susan.« Verblüfft schaute Hur sich in der Gruppe um. »Ich verstehe keinen einzigen von euch. Ihr seid wie eine Mutter mit einem Baby. Za ist euer Feind. Warum bringt ihr ihn nicht um?« Ian sagte: »Diese Menschen verstehen Freundlichkeit oder Freundschaft einfach nicht. Sieh doch, ob du es ihr erklären kannst, auf eine Art und Weise, daß sie es versteht, Barbara.« »Wir werden ihn wieder gesund machen«, begann Barbara sanft. »Wir werden euch zeigen, wie man Feuer macht. Alles, worum wir als Gegenleistung bitten, ist, daß ihr uns den Weg zurück zu unserer eigenen Höhle zeigt.« 88
Eine schwache Stimme drang vom Boden herauf und bestätigte: »Hör auf sie, Hur. Sie spricht die Wahrheit. Sie haben mich nicht getötet.« Mittlerweile war Za wieder bei Bewußtsein, aber immer noch sehr benommen. »Ich mache mir langsam Sorgen wegen der Zeit«, stellte Ian fest. »Wir sind schon zu lange hier. Sind wir alle bereit?« »Ich bin schrecklich durstig«, meinte Susan. »Kann ich noch schnell losgehen und etwas trinken?« Ian nickte. Susan ging zu Hur hinüber und sagte hoffnungsvoll: »Wasser?« Hur führte sie zum Strom, Susan folgte ihr. »Seid vorsichtig«, rief Barbara. Susan schaute den Doktor an, der ein wenig abseits stand und schmollte. »Möchtest du etwas Wasser, Großvater?« »Nein, möchte ich nicht.« »Wie wäre es, wenn Sie uns hier helfen würden, Doktor?« rief Ian. Der Doktor verschränkte die Arme und drehte ihnen den Rücken zu. »Kümmern Sie sich nicht um ihn«, rief Susan ihnen über die Schulter zu. »Er ist oft so, vor allem wenn er seinen Willen nicht durchsetzen kann!« Ian hatte die Bahre kontrolliert. Sie mußte ganz schön solide sein, wenn sie Zas Gewicht tragen sollte. »Vielleicht war es ja eine gute Idee, sich mit den beiden hier anzufreunden«, sagte Barbara voller Hoffnung. »Vielleicht hat sich dadurch sogar unsere Chance vergrößert, zum Raumschiff zurückzukommen.« Ian blickte von seiner Arbeit auf und sah, wie der Doktor einen sehr spitzen Stein aufhob und sich Za verstohlen näherte. Er sprang auf und packte den Doktor beim Handgelenk. »Was haben Sie vor?« »Lassen Sie mich los«, brauste der Doktor empört auf. »Ich wollte ihn gerade darum bitten, daß er uns eine Art Karte auf 89
dem Boden aufzeichnet, um uns den Rückweg zur Tardis zu zeigen.« Ian schaute sich den alten Mann ganz genau an. Zu wieviel Rücksichtslosigkeit war der Doktor wohl fähig, falls er das Gefühl hatte, dadurch sein eigenes und Susans Leben retten zu können? Er nahm dem Doktor den Stein aus der Hand und warf ihn zur Seite. »Das ist eine gute Idee, Doktor, aber ich denke nicht, daß er fit genug ist, um irgendwelche Karten zu zeichnen. Es ist besser, wenn wir uns auf den Weg machen.« Mittlerweile waren Susan und Hur vom Fluß zurückgekehrt. Der Doktor schaute immer noch verächtlich drein, während Ian und die drei Mädchen sich abmühten, Za auf die Bahre zu hieven, was ihnen schließlich auch gelang. »Würden Sie bitte das eine Ende nehmen, Doktor«, sagte Ian. »Sie glauben doch nicht wirklich, daß ich ihn trage?« »Sie glauben doch sicherlich nicht, daß das eines der Mädchen tut?« erwiderte Ian nüchtern. »Susan, bitte geh du voran.« Kochend vor Wut hob der Doktor sein Ende der Bahre hoch. Ian nahm das andere, und die kleine Gruppe marschierte los. Kal hatte die anderen Mitglieder des Stammes aufgescheucht, die jetzt verwirrt vor der Haupthöhle auf und ab liefen. »Die Fremden sind verschwunden«, rief Kal. »Za und Hur sind mit ihnen gegangen. Wir müssen ihnen nachgehen und sie wieder zurückbringen.« »Hur würde den Fremden niemals helfen zu fliehen«, behauptete Horg. »Trotzdem ist sie mit ihnen weggegangen.« Horg schüttelte verstört den Kopf. »Wo ist die Alte Mutter? Ist auch sie mit ihnen gegangen?«
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»Sie sitzt still in der Höhle der Totenköpfe«, sagte Kal. »Ich habe sie dort gesehen, aber sie bewegte sich nicht und sprach auch nicht.« Horg ging den anderen voran in die Höhle der Totenköpfe, und sie alle drängten sich hinein. Da saß die Alte Mutter mit gekreuzten Beinen und starrte ins Leere, an die Pyramide aus Totenköpfen gelehnt. »Sie wird euch erzählen, was geschehen ist«, behauptete Kal. »Fragt sie.« Horg streckte die Hand aus und berührte die Alte Mutter an der Schulter. Sie kippte zur Seite und fiel steif zu Boden. »Sie ist tot.« Mit lauter, bestimmter Stimme sagte Kal: »Meine Augen sagen mir, was hier geschehen ist. Ich habe Bilder gesehen, so wie die, die ich im Schlaf sehe. Za und Hur sind hierhergekommen, um die Fremden zu befreien, damit sie ihnen das Geheimnis des Feuers verraten. Die Alte Mutter hat versucht, sie aufzuhalten, und Za hat sie deshalb getötet. Za ist mit ihnen gegangen. Er bringt sie zu ihrem eigenen Baum zurück, als Gegenleistung für das Geheimnis.« Horg sagte langsam: »Die alte Frau ist tot. Za und die Fremden sind verschwunden. Es muß so gewesen sein, wie deine Augen es gesehen haben.« »Ich bin jetzt euer Führer«, rief Kal. »Folgt mir, und ich werde euch zu den Fremden bringen.« Susan erreichte als erste den Waldrand. Sie kämpfte sich durch die Wand aus Büschen, spähte hinaus auf die dunkle Ebene und rief: »Dort! Dort drüben! Ich kann die Tardis sehen!« Die anderen trotteten langsam auf dem Pfad entlang, hinter ihr her. Da sie Zas Gewicht tragen mußten, waren sie so langsam geworden, daß sie beinahe krochen. Immer wieder hatten sie Stops einlegen müssen, und sie hatten unendlich lange gebraucht, bis sie den Waldrand erreichten. Aber endlich 91
waren sie angekommen, und das ersehnte Ziel war in sichtbare Nähe gerückt. »Kommen Sie, Doktor«, rief Ian. »Wir sind schon fast da. Es bedarf nur noch einer letzten Anstrengung.« »Ja, ja, sehr gut«, murrte der Doktor. »Barbara, du und Susan, ihr zieht die Büsche auseinander, damit wir die Bahre da durchtragen können«, sagte Ian. Barbara und Susan zerrten das dichte Gebüsch beiseite, und Ian schritt als erster mit der Bahre durch die Öffnung. Als er in die Ebene hinaustrat, konnte er die quadratische Silhouette der Tardis ausmachen, die direkt vor ihm lag. Plötzlich erschrak er, denn er entdeckte eine Anzahl gedrungener, in Pelz gehüllter Gestalten, die hinter der Tardis auftauchten und auf sie zukamen. »Zurück!« schrie Ian. Unbeholfen marschierte er in den Wald zurück, durch die Bahre behindert, drehte sich um und fand sich vor einer weiteren Gruppe Stammesangehöriger, die ihnen den Weg absperrten. Der Anführer hatte einen kurzen, stoppeligen Bart, in der Hand hielt er ein Messer mit einer Steinklinge. Sie saßen in der Falle.
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Gefangen Der Stamm hielt eine Sitzung ab. Die vier wieder festgesetzten Gefangenen standen vor Horg und den anderen Stammesmitgliedern. Sie wurden von einer Gruppe von Kriegern umzingelt, die von Kal angeführt wurde. Za war auch da; er lag immer noch auf seiner improvisierten Bahre, die vor dem flachen Felsen auf dem Boden abgestellt worden war. Hur kniete ängstlich neben ihm. Eine Art Gerichtsverhandlung wurde abgehalten, bei der Kal Za beschuldigte und seine eigenen Handlungen vor dem Stamm rechtfertigte. Der Doktor und die anderen beobachteten alles aufmerksam, denn sie erkannten, daß dabei auch ihr persönliches Schicksal auf dem Spiel stand. Kal beendete seine Geschichte. »Za und die Frau sind mit den Fremden gegangen – mit unseren Feinden! Ich habe die anderen angeführt, und wir haben sie aufgehalten, sie hierher zurückgebracht.« »Die Fremden sind nicht unsere Feinde«, sagte Hur. »Sie haben Za vor dem Tod bewahrt, als der Tiger ihn beim Strom angegriffen hat.« »Hört, wie die Frau sich für die Fremden einsetzt«, spottete Kal. »Sie und Za haben sie aus der Höhle der Totenköpfe geführt und sind mit ihnen geflohen.« »Du lügst«, rief Hur. »Die Alte Mutter hat sie befreit.« »Ist Za so schwach, daß eine Frau für ihn sprechen muß?« »Ich sage, daß es die Alte Mutter war! Sie hat ihnen einen anderen Weg aus der Höhle der Totenköpfe gezeigt. Sie wird es euch erzählen!« »Die alte Frau spricht nicht mehr«, sagte Kal. »Die Alte Mutter ist tot. Za hat sie umgebracht.« 93
Kal beugte sich hinunter und griff sich das Steinmesser, das unter Zas Fellen steckte. »Seht! Hier ist das Messer, mit dem Za sie getötet hat!« Die Stammesmitglieder murmelten böse. Doch plötzlich sprach der Doktor. Seine Stimme war laut und befehlend. »An dem Messer klebt kein Blut.« Alle starrten das Messer an. Wie der Doktor gesagt hatte, war die Steinklinge sauber. Kal schaute auf das Messer, das in seiner Hand lag. »Das ist ein schlechtes Messer! Es zeigt die Dinge nicht, die es getan hat.« Der Doktor lachte höhnisch. »Das da ist ein besseres Messer als deines.« Kal warf das Messer auf den Boden. »Ich sage, daß es ein schlechtes Messer ist.« Der Doktor zeigte auf das Messer, das auf dem Boden lag. »Ich sage, daß es ein gutes Messer ist. Es kann schneiden, und man kann damit stechen. Das ist ein Messer für einen Anführer. Ich habe noch nie ein besseres Messer als das hier gesehen.« »Ich werde dir eins zeigen!« Kal holte sein eigenes Messer heraus und streckte es von sich. Es war tatsächlich ein gutes Messer – und die Klinge war dick mit getrocknetem Blut überzogen. Die Stimme des Doktors ertönte. »Dein Messer zeigt die Taten, die es vollbracht hat. Auf deinem Messer ist Blut. Wer hat die alte Frau getötet?« Za erhob sich, stützte sich auf einen Ellbogen. »Ich habe sie nicht umgebracht.« Er kämpfte, kam auf die Beine, stand einen Moment lang da und schwankte vor und zurück. »Kal hat sie getötet!« »Die alte Frau hat die Fremdlinge befreit«, schrie Kal. »Sie hat ihnen den Weg gezeigt, wie man die Höhle der Totenköpfe
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verlassen kann, ohne daß man den großen Stein bewegen muß. Ich, Kal, habe sie getötet!« Der Doktor trat vor; er streckte seine Arme aus. Auf außergewöhnliche Weise dominierte er die Versammlung der Wilden vollkommen. »Ist das euer starker Anführer? Einer, der eure alten Frauen tötet? Er ist ein schlechter Anführer. Er wird euch alle töten, wenn er wütend ist.« Er beugte sich zu Ian hinüber und sprach mit normaler Stimmlage. »Folgen Sie meinem Beispiel, junger Mann!« Der Doktor bückte sich, hob einen Stein auf und warf ihn in Kals Richtung. »Jagt ihn davon!« Kal schrie wütend und schwang sein Messer. Auch Ian griff nach einem Stein und warf ihn auf Kal. »Ja, jagt ihn davon. Er tötet alte Frauen!« Hur packte einen Stein und warf ihn. »Kal ist böse. Jagt ihn davon!« Za, der noch ein bißchen taumelte, bückte sich, und auch er hob einen Stein auf. »Jagt ihn davon!« Und plötzlich hoben alle anderen Stammesmitglieder Steine auf und warfen sie. Kal stand einen Augenblick lang hilflos im Steinhagel, dann drehte er sich um und floh in die Dunkelheit. »Gut gemacht, Doktor«, flüsterte Barbara. Der Doktor grinste sie selbstzufrieden und süffisant an. »Ein Kinderspiel, meine Liebe. Diese Leute hier sind durch Massenhysterie ebenso leicht zu beeindrucken wie die Menschen Ihrer eigenen Zeit.« Der Sieg über Kal hatte Za seine Stärke wieder zurückgegeben. »Kal gehört nicht mehr länger zu diesem Stamm«, rief er aus. »Wir werden auf ihn acht geben. Falls er wieder zurückkommt, werden wir ihn töten.« »Kal ist stark, und du bist durch deine Verletzungen geschwächt. Er wird dich töten, wenn er eine Möglichkeit dazu hat«, sagte Hur ängstlich.
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»Vergiß nicht«, beruhigte sie Ian, »Kal ist nicht stärker als der ganze Stamm.« Za schaute Ian genau an. Dann aber nickte er zufrieden. »Wir alle werden Kal bekämpfen, falls er zurückkommt.« Za deutete mit dem Finger auf einen jungen Krieger. »Du wirst nach ihm Ausschau halten.« Der Krieger nickte und verließ die Höhle. Er schaute in die Richtung, die Kal auf der Flucht eingeschlagen hatte. Nachdem seine Autorität wieder gefestigt war, wandte Za sich den anderen Kriegern zu. »Bringt die Gefangenen wieder in die Höhle der Totenköpfe zurück.« Ian machte einen Satz nach vorn. »Nein, Za. Ich bin dein Freund. Bringt uns an den Ort, wo Kal uns gefunden hat, dann werde ich für dich Feuer machen.« Za beachtete ihn überhaupt nicht und wählte noch weitere Stammesangehörige aus. »Wir werden den großen Stein benutzen, um die Höhle wieder zu verschließen, und ihr werdet euch an einem anderen Ort bereit halten, den ich euch zeigen werde.« Er sprach lauter. »Schafft sie weg!« Die Stammesangehörigen fielen über den Doktor, Susan, Ian und Barbara her und packten sie bei den Armen. »Kämpft nicht«, rief der Doktor. Ziemlich unnötig, dachte Ian, denn es würde ohnehin nichts nützen, wenn sie sich gegen ihre brutalen Ergreifer zur Wehr setzten. Sie wurden weggeschleppt. Za schaute zu, wie sie in die Höhle gezerrt wurden, und beobachtete, wie der Stein wieder vor den Eingang gerollt wurde. Er wandte sich einem der Krieger zu und führte ihn zu einem Gebüsch, das nicht weit von der Höhle weg war. »Der andere Weg aus der Höhle führt hierher. Falls du sie herauskommen siehst – töte sie!«
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In der Höhle der Totenköpfe standen der Doktor und seine Begleiter und schauten sich verzweifelt um. Eine gefahrenreiche Flucht, eine lange und gefährliche Reise lagen hinter ihnen, und jetzt waren sie wieder genau da, wo sie angefangen hatten, in dieser grauenhaften Höhle mit ihren unzähligen Bergen verrottender Totenköpfe und ihrem Todesgestank. Barbara sah den Leichnam der Alten Mutter, der sich im hinteren Teil der Höhle befand, und stieß vor Schreck einen Schrei aus. »Dieser Ort hier ist gräßlich«, schluchzte sie. »Gräßlich.« »Zumindest haben sie uns dieses Mal nicht die Hände gefesselt. Nun, Doktor, was tun wir jetzt? Haben Sie irgendwelche guten Ideen?« Der Doktor stand gedankenverloren da und rieb sich das Kinn. Jetzt schaute er auf. »Tatsache ist, junger Mann – ich habe eine!« Za und Hur unterhielten sich. Sie standen bei dem flachen Stein, der vor der großen Höhle war. Za war jetzt beinahe wieder vollkommen bei sich. Die Tatzenspuren auf Arm und Schulter hatten zu bluten aufgehört, und nun war er in der Lage, sie zu ignorieren. In seinem Gehirn jagten sich unzählige Fragen. »Erzähle mir, was geschehen ist, nachdem ich mit dem wilden Tier im Wald gekämpft habe.« »Du bist stärker als das Biest gewesen«, sagte Hur voller Stolz. »Das Beil deiner Axt hat in ihm gesteckt, als er floh. Du lagst auf dem Boden, überall auf dir war das Blut des wilden Tieres. Ich dachte, du seist tot.« »Und die Fremdlinge? Erzähl mir, was sie getan haben!« »Der junge Mann ihres Stammes kam auf dich zu. Er hat dich nicht getötet. Er sagte mir seinen Namen.« »Seinen Namen?« 97
»Er sagte, sein Name sei Freund.« »Sie müssen von der anderen Seite des Gebirges gekommen sein«, sagte Za nachdenklich. »Aber dort lebt nichts.« »Das dachten wir. Aber jetzt sehe ich, daß wir falsch gedacht haben. Dieser neue Stamm kommt von dort. Erzähl mir mehr über das, was geschehen ist. Erzähl mir, was die Fremdlinge als nächstes getan haben.« Hur runzelte die Stirn, sie bemühte sich angestrengt, sich zu erinnern. »Ich habe sie nicht verstanden, Za. Sie bewegten sich langsam, und ihre Gesichter waren nicht böse. Sie haben sich um deine Wunden gekümmert und dich auf ihren Fellen getragen, wie eine Mutter ihr Kind trägt. Warum haben sie uns nicht getötet, Za? Wir waren ihre Feinde. Wir haben sie gefangengenommen.« Za zuckte hilflos mit den Schultern. »Sie gehören zu einem neuen Stamm. Sie sind nicht wie wir. Auch nicht wie Kals Stamm. Ihr Verstand hat seltsame Gedanken. Der Junge, der Freund heißt, hat seltsame Worte zu uns gesprochen.« »Ich erinnere mich nicht.« Za runzelte die Stirn, er strengte sich sehr an, sich wieder zu erinnern: »Er sagte, ›Kal ist nicht stärker als der ganze Stamm zusammen‹.« »Ich verstehe nicht.« »Das ist ein neuer Gedanke«, sagte Za. »Aber ich verstehe ihn. Bis auf mich ist Kal der stärkste Krieger des ganzen Stammes. Und ich war schwach. Aber der ganze Stamm hat Kal mit Steinen vertrieben. Selbst die alten Männer und Frauen, sogar die Kinder waren stärker als Kal, zusammen.«. Za rang mit diesem neuen Konzept der Zusammenarbeit. »Alle zusammen können mehr Früchte als einer allein sammeln. Alle zusammen können die wilden Tiere im Wald töten, wo ein Jäger allein sterben würde.«
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»Ihr Verstand ist nicht wie der unsere«, stimmte ihm Hur zu. »Vielleicht kommen sie von Orb. Das ist es, was die alten Männer sagen. Sie sagen, wir müssen sie Orb als Opfergaben zurückgeben.« »Nein, sie kommen von einem Stamm, der hinter dem Gebirge lebt. Sie können Feuer machen, aber das möchten sie uns nicht zeigen, denn dann würde unser Stamm ebenso stark wie ihrer.« »Was willst du mit den Fremdlingen machen, Za? Wirst du sie töten?« Za schüttelte den Kopf. »Dein Vater Horg sagt, daß der Anführer wissen muß, wie man Feuer macht. Ich möchte nicht wie Kal in den Wald gejagt werden. Ich muß lernen, wie man Feuer macht. Die Fremdlinge müssen es mir zeigen. Anderenfalls werden sie sterben.« Za ging einen Moment lang hin und her, dann drehte er sich Hur zu. »Ich werde losgehen und noch einmal mit den Fremdlingen sprechen.« »Wirst du sie fragen, ob sie dir zeigen, wie man Feuer macht?« Za nickte. »Ich werde sie nach vielen Dingen fragen. Ich werde von ihren neuen Gedanken lernen. Ich möchte noch mehr Dinge hören, an die ich mich dann erinnern kann.« Er schaute Hur feierlich an. »Ein Anführer muß sich an viele Dinge erinnern!« Seine Autorität als Anführer nutzend, packte er die Axt des nächsten Stammesangehörigen und ging in Richtung Höhle. In der Höhle der Totenköpfe arbeitete Ian nach den Anweisungen des Doktors. Er fabrizierte eine Art Bogen aus einem seiner Schuhbänder und einem Zweig, der im hinteren Teil der Höhle gelegen hatte. Ein langes, dünnes Stück Holz war in der Mitte des Schnürsenkels eingespannt.
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»Ich hoffe, daß das hier funktioniert, Doktor«, sagte Ian. »Sind Sie sicher, daß Sie nicht anfangen möchten?« »Nein, nein, junger Mann. Ich habe nur die Theorie geliefert. Die Praxis verlangt nach starken Handgelenken und unendlicher Geduld, und ich habe keins von beiden.« Barbara schaute den Apparat ratlos an. »Ich verstehe immer noch nicht, wie man mit einem Spielzeugbogen und einem Pfeil Feuer machen kann.« »Es ist offensichtlich, daß du keine Physiklehrerin bist«, sagte Ian. »Energie verwandelt sich in Hitze, erinnerst du dich? Die Idee ist folgende: Ich drehe die Pfeilspitze sehr schnell und sehr lange auf einem Klotz trockenen Holzes. Meine ganze harte Arbeit wandelt sich in Hitze um – und mit etwas Glück in Feuer.« »Ich verstehe. Das sprichwörtliche Aneinanderreihen von zwei Stöcken?« »So ist es. Jeder Pfadfinder sollte dazu in der Lage sein. Ich hoffe nur, daß ich es auch kann.« Susan tauchte mit einem flachen, runden Stein auf, der eine Vertiefung in der Mitte aufwies – eine Art natürliche Schale. »Ist das so ein Ding, wie Sie es wollen?« »Das wird das Richtige sein.« »Du wirst etwas sehr Trockenes und leicht Entflammbares brauchen«, sagte Barbara. »Laub und trockenes Gras sollten genügen.« Sie fand beides hinten in der Höhle. Sie trug eine Handvoll zu Ian, achtete aber sorgsam darauf, daß sie der Leiche der Alten Mutter aus dem Weg ging. »Gut«, sagte Ian. »Nun lege ich dieses Stück trockenes Holz in die Schale, wir legen die getrockneten Blätter und das Gras außen herum… so… und los geht es!« Ian stellte den Pfeil in die Schale, mit der Spitze nach unten, und hielt ihn mit einem weiteren Stück Holz, das er in der linken Hand hatte, in der richtigen Position. Als er den Bogen in seiner rechten Hand vor und zurück bewegte, begann die 100
Pfeilspitze auf dem flachen Holzstück zu rotieren. Er arbeitete gleichmäßig, und schon bald hatte die Spitze eine kleine Mulde in das Holz gebohrt. Hin und her bewegte sich der Pfeil auf dem Holzstück, aber von Feuer war noch nichts zu sehen… »Ihr braucht nicht alle um mich herumzustehen«, beschwerte sich Ian gereizt. »Das wird nicht sofort in Flammen aufgehen, wißt ihr. Wahrscheinlich werden wir die ganze Nacht brauchen!« Za ging auf den Wächter zu, den er vor dem zweiten Höhlenausgang postiert hatte. »Ich gehe hinein und spreche mit dem seltsamen Stamm. Wenn jemand anderer herauskommt als ich, wirst du ihn töten!« Der Stammesangehörige nickte, und Za verschwand im Tunnel. Am Hang, direkt über dem Ausgang, war eine Felskante. Kal lag darauf. Seine Augen funkelten vor Haß. Er hielt das Messer fest in seiner Hand umklammert. Hungrig schaute er auf den nichtsahnenden Wächter hinunter – nur der stand zwischen ihm und seiner Rache.
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Der Feuermacher Trotz Ians Protesten standen die anderen immer noch um ihn herum und sahen ihm bei der Arbeit zu. Barbara hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, als sie gesagt hatte, man könne wirklich nicht viel anderes in der Höhle anstellen. Und da das Leben jedes einzelnen von seinen Bemühungen abhing, konnte man ihnen kaum einen Vorwurf machen, daß sie sich dafür interessierten. »Ich glaube, ich kann etwas riechen«, sagte Susan plötzlich. »Ich auch«, stimmte Barbara ihr zu. »Irgend etwas brennt…« »Sie schaffen es!« sagte Susan aufgeregt. »Es wird funktionieren.« Von Ians Stirn tropfte der Schweiß, und seine Handgelenke fühlten sich an, als ob sie schon längst brennen würden. »Noch nicht«, grunzte er. »Es ist… noch… ein langer Weg.« Plötzlich tauchte Za im hinteren Teil der Höhle auf. »Was ist das hier? Was macht ihr?« »Wir machen Feuer«, erklärte ihm der Doktor nachdrücklich. (»Das ›wir‹ gefällt mir«, dachte Ian rebellisch. »Wer macht denn die ganze Arbeit?«) Za schaute auf Ian hinunter. »Freund?« Ian blickte auf und ließ vor lauter Überraschung die Arbeit fallen. »Was?« »Hören Sie nicht auf«, ermahnte ihn der Doktor schnell. Ian machte sich schleunigst wieder daran, den Stock weiterzudrehen. »Hur sagte, du hießest Freund«, sagte Za. »Ich bin Za. Ich bin der Anführer. Bist du der Anführer eures Stammes?«
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Ian, der immer noch mit Drehen beschäftigt war, warf einen Blick zum Doktor hoch, der hochmütig ins Leere stierte. Ian deutete mit dem Kinn in die Richtung des Doktors. »Nein. Er ist unser Anführer.« »Was werdet ihr mit uns machen?« fragte Susan ängstlich. »Werdet ihr uns freilassen?« Za schaute sie nachdenklich an. »Die alten Männer des Stammes haben miteinander gesprochen. Sie sagen, daß ihr von Orb seid, der Sonne. Sie sagen, daß wir wieder Feuer haben werden, wenn wir euch ihr zurückgeben.« »Zurückgeben? Wie?« fragte der Doktor spitz. »Als Opfer – auf dem Stein des Todes, der vor der großen Höhle steht. Die alten Männer sagen, daß euer Tod das Feuer zurückbringen wird.« »Aber das ist nicht wahr«, wehrte Barbara erschrocken ab. »Wenn ihr uns tötet, dann werdet ihr niemals Feuer haben.« »Genau das denke ich auch«, sagte Za. »Ich glaube, daß ihr ein neuer Stamm seid, von der anderen Seite des Gebirges. Zeigt mir, wie man Feuer macht, und ich werde euch freilassen.« Za machte eine Pause. »Wenn ihr mir nicht bald zeigt, wie man Feuer macht, dann werdet ihr euer Ende auf dem Stein des Todes finden.« Ian hatte sich die ganze Zeit über weiter abgeplagt. Doch jetzt rief er plötzlich: »Es funktioniert. Ich glaube, es geht langsam los.« Die anderen scharten sich um ihn herum. Ein winziges Wölkchen Rauch stieg aus dem trockenen Gras auf, das um das flache Holzstück gelegt worden war. »Leg da noch mehr trockenes Gras und Blätter hin, Barbara. Doch vorsichtig, erstick es nicht.« Barbara und Susan knieten sich neben ihn und sahen ihm aufmerksam zu. Der Doktor starrte Za gebieterisch an. »Verstehst du, was wir tun? Wir machen Feuer.« 103
»Ich sehe zu.« »Der ganze Stamm sollte zuschauen«, sagte Ian. »Dann wüßten alle, wie man Feuer macht.« »Nur der Anführer macht Feuer«, knurrte Za. »Nicht jeder kann der Führer sein.« »Wie wahr – aber in unserem Stamm ist der Feuermacher derjenige, der am unwichtigsten ist.« »Das glaube ich nicht.« »O doch«, belehrte ihn der Doktor herrisch. »Er ist der unwichtigste, weil in unserem Stamm alle Feuer machen können.« Susan legte den Mund an Barbaras Ohr. »Ich hoffe nur, daß Großvater das nicht beweisen muß!« Plötzlich schrie Ian auf. »Susan, Barbara! Blast genau hier, ganz vorsichtig.« Sie knieten sich neben ihn und fingen an, das glimmende Gras anzublasen. »Nicht soviel«, warnte Ian. »So ist es richtig. Jetzt schwelt es. Und dort ist auch Glut. Gib mir noch mehr Gras, Susan.« Mittlerweile stieg eine dünne Rauchsäule aus dem Gras auf. Dann war da auf einmal ein Knistern. Eine Flamme züngelte und dann noch eine… Ian warf den Bogen auf die Seite und begann, die winzige Flamme mit Gras und Zweigen zu füttern. Die Flammen stiegen immer höher auf, bis ein kleines Feuer auf dem Stein brannte. »Sie haben es geschafft«, rief Susan aufgeregt aus. »Ian, Sie haben es geschafft!« Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und drückte ihn an sich. Barbara klopfte ihm auf die Schulter. »Ich gratuliere dir, Ian. Sehr, gut gemacht!« Nur der Doktor sprach kein Wort. Er beobachtete Za. Za stierte in die Flammen, er war vollkommen fasziniert. »Feuer!« murmelte er. »Das Feuer ist wieder da!« 104
Horg und die Ältesten und die anderen Krieger hatten sich um den flachen Opferstein versammelt und unterhielten sich leise miteinander. »Za ist jetzt schon lange in der Höhle der Totenköpfe«, sagte einer der Krieger. »Orb wird schon bald am Himmel auftauchen.« »Za spricht mit den Fremdlingen«, sagte Hur. »Er lernt ihre Geheimnisse.« »Wenn Orb den Stein berührt, dann muß er sie herausbringen«, sagte ein anderer. »Wir werden ihr Blut über den Opferstein schütten.« »Und so warten wir«, murrte Horg. »Za spricht – und wir haben kein Fleisch, keine Früchte von den Bäumen, keine Wurzeln. Za ist kein Anführer.« »Wenn Za dich reden hören könnte, dann würde er dich töten«, stieß Hur wütend hervor. »Du würdest auf dem alten Stein liegen, bis dein Blut herausläuft.« »Vielleicht läßt Za die Fremdlinge gehen«, sagte Horg und verlieh so seiner Skepsis Ausdruck. »Vielleicht läßt er sie frei, so, wie die Alte Mutter es getan hat.« »Das ist eine Lüge«, rief Hur. »Za hat einen Krieger losgeschickt, um auf die Höhle aufzupassen. Er hat ihm aufgetragen, die Fremdlinge zu töten, falls sie herauskommen.« Aber das Murren verstummte nicht. Hur hörte zu. Sie machte sich Sorgen. Wenn Za nicht bald handelte, dann würde der Stamm ihn verraten und sein Ende besiegeln. Der Wächter vor der Höhle war keine sehr aufmerksame Wache. Wie allen von Zas Leuten mangelte es auch ihm an der nötigen Disziplin, um eine Aufgabe über längere Zeit gewissenhaft zu erfüllen. Außerdem, machte es Sinn, daß er die Fremdlinge bewachte, wenn Za bei ihnen war? Kal sprang leise wie eine Katze von seinem Fels herunter und legte dem Wächter von hinten die Hände um die Gurgel. 105
Einen Augenblick lang standen die beiden Männer schweigend da und hielten sich gegenseitig im Fesselgriff. Kals Muskeln schwollen vor Anstrengung an. Dann fiel die Wache tot zu Boden. Kal zog sein Messer heraus und schlich in den Tunnel, der zur Höhle der Totenköpfe führte. Der kleine Brand hatte sich in ein ordentliches Feuer verwandelt, das vergnügt inmitten der Höhle loderte. Mit zusammengezogenen Augenbrauen lauschte Za Ians Erklärungen, wie der Feuerbogen funktionierte. Die züngelnden Flammen warfen riesige Schatten an die Wände – und auf einmal bemerkte Susan, daß einer der Schatten nicht zu ihnen gehörte. Ein sechster Schatten, riesengroß und bedrohlich, huschte hoch oben über die Höhlenwand. »Seht doch!« schrie Susan. Sie drehten sich um und erblickten Kal, der ein Messer in der Hand hielt. Er näherte sich ihnen aus dem hinteren Bereich der Höhle. Za hob schnell seine Axt auf und stellte sich ihm entgegen. Einen Augenblick lang kreisten die beiden um das Feuer, beäugten sich gegenseitig, dann gingen beide gleichzeitig zum Angriff über. Es war ein wilder und brutaler Kampf – der noch wilder wurde, weil schon bald beide Männer ihre Waffen verloren. Ein glücklicher Schlag von Zas Axt zersplitterte Kals Messer in kleine Stücke. Als Za die Axt hochhob, um zuzuschlagen, sprang Kal darunter weg und rang mit ihm. Einen Moment lang kämpften sie um den Besitz der Axt. Doch plötzlich entwand Kal sich Zas Griff, verlor aber infolgedessen die Axt. Die Axt polterte zu Boden, und von da an kämpften die beiden Männer wie wilde Tiere mit Zähnen und Pranken. Susan verbarg ihr Gesicht an Barbaras Schulter, und beide schauten weg. Ian beobachtete den Kampf gleichzeitig ängstlich und fasziniert. Der Doktor dagegen schaute 106
vollkommen teilnahmslos zu; er verfolgte den Fortgang des Kampfes wie ein römischer Imperator, der zwei Gladiatoren in einer Arena beobachtet. Eine Weile lang war es schwer zu beurteilen, wer die Oberhand behalten würde. Za war kräftiger und stärker, aber Kal war schneller und wendiger. Immer wieder entglitt er Zas festem Griff. Aber schließlich gehörte Za dann doch der Sieg, denn er war einfach stärker. Er packte Kal, hielt ihn fest und warf ihn grob zu Boden. Als Kal sich noch halb betäubt aufrappeln wollte, hob Za einen großen Stein auf und schleuderte ihn mit voller Wucht nach unten… Jetzt war ein weiterer zerschmetterter Schädel in der Höhle der Totenköpfe. Vor der Höhle wurde der Stamm zusehends ungeduldiger. Als die ersten Sonnenstrahlen auf den Opferstein fielen, stieß Horg einen wütenden Schrei aus. »Orb ist über uns, und es gibt immer noch kein Feuer. Orb wartet auf sein Opfer! Ruft Za! Sagt ihm, daß er die Fremdlinge aus der Höhle der Totenköpfe bringen soll! Falls er das nicht tut, werden wir ihn mit ihnen zusammen opfern!« Za schleppte Kals Leiche in eine dunkle Ecke der Höhle, hob seine Axt auf und kehrte langsam zum Feuer zurück. Blut war an seinen Händen. »Jetzt ist Kal tot. Ich bin der Anführer – und wir haben Feuer!« Doch da drangen die wilden Schreie von draußen in die Höhle. »Za! Za! Bring die Fremdlinge heraus! Die Fremdlinge müssen Orb geopfert werden!« »Za! Za! Za!« Der Sprechgesang wurde lauter und böser. Ian nahm einen langen Stock und tauchte ein Ende in das Feuer. Er reichte ihn Za. »Hier! Zeig das deinem Stamm!« Za nahm den brennenden Ast. »Ihr werdet hier warten!« 107
»Wir werden mit dir kommen.« »Nein. Ihr werdet hier warten!« Za lief durch den Tunnel, den brennenden Zweig hoch über seinen Kopf haltend. Ian beobachtete wütend, wie er von dannen ging. »Warum können wir nicht mit ihm gehen?« »Vielleicht ist es hier drinnen sicherer«, antwortete der Doktor. »Lassen Sie ihn gehen, Chesterton, lassen Sie ihn gehen. Lassen Sie ihn dem Stamm das Feuer zeigen, seine Führung festigen. Dann wird er uns freilassen.« Der Sprechgesang verstummte abrupt, als Za aus der Höhle gelaufen kam und sein Stamm die brennende Fackel in seiner Hand sah. Er näherte sich dem Kreis der Krieger, die ängstlich zurückwichen. Za streckte die Fackel aus. »Feuer!« Horg streckte seine Hand den Flammen entgegen und nickte ehrfurchtsvoll. Za schaute sich mit herausfordernder Miene in der Runde um. »Kal ist tot. Ich gebe euch Feuer. Ich bin der Anführer.« Horg senkte den Kopf. »Ja. Du bist der Anführer.« »Wir werden dem neuen Stamm in der Höhle der Totenköpfe Essen und Wasser geben«, befahl Za. »Es gibt kein Fleisch.« Za schaute in die aufgehende Sonne. »Ich werde in den Wald gehen und Fleisch bringen.« Horg leckte hungrig seine Lippen. »Ja. Ich erinnere mich daran, wie gut Fleisch und Feuer zusammenpassen.« »Wir werden beides wieder zusammenbringen. Bewacht den neuen Stamm gut. Sie müssen hier sein, wenn ich zurückkehre. Der Rest von euch sammelt Holz. Wir werden das Feuer in der großen Höhle am Leben erhalten.« Za reichte Horg die brennende Fackel und ging dann in den Wald.
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Hur beobachtete, wie Za wegging. Ihre Augen glänzten vor Stolz. »Bringt Früchte und Wasser«, befahl sie. »Ich muß den neuen Stamm füttern – so, wie Za, der Anführer, es befiehlt.« In der Höhle der Totenköpfe schien das Warten kein Ende nehmen zu wollen. »Es hat nicht geklappt«, sagte Ian. »Er wird uns hierbehalten.« »Da kommt jemand«, rief Susan. Hur trat in die Höhle. Sie trug Früchte, die in ein Fellstück gehüllt waren. »Hör mal, was geht eigentlich vor?« fragte Ian. »Warum werden wir hier festgehalten?« Hur legte die Früchte neben dem Feuer nieder. »Za ist in den Wald gegangen, um zu jagen. Später wird es für euch auch Fleisch geben.« »Warum können wir nicht nach draußen gehen?« fragte Barbara. »Bitte, laß uns hinausgehen«, flehte Susan. »Za hat befohlen, daß ihr hierbleibt. Za ist der Anführer.« »Aber wir haben euch doch geholfen. Wir haben euch sogar Feuer gegeben.« »Ja, jetzt haben wir Feuer«, sagte Hur lahm. Hur wollte wieder weggehen, aber Barbara packte blitzschnell ihren Arm. »Wie lange müssen wir hier drinnen bleiben? Wie lange müssen wir bei euch bleiben?« »Für immer«, antwortete Hur schlicht. Sie riß sich los, drehte sich um und verließ die Höhle. »Jetzt haben sie Feuer«, spottete Ian verbittert. »Ja, und ich war es, der es ihnen gegeben hat – wie ein Narr. Ich hätte warten, mit ihnen handeln sollen…« »Machen Sie sich keine Vorwürfe, mein Junge, Sie haben das Richtige getan«, sagte der Doktor. »Das einzig Mögliche.«
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Barbara nickte. »Zumindest sind wir immer noch am Leben. Wir wären jetzt schon geopfert worden, wenn wir ihnen das Feuer nicht gegeben hätten.« Susan schaute sich in der düsteren Höhle um. Der Schein des kleinen Feuers tanzte unheimlich auf den zertrümmerten Schädeln. »Für immer«, flüsterte sie. »Ihr habt gehört, was sie gesagt hat. Sie werden uns für immer dabehalten…«
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Flucht in die Gefahr Ian Chesterton wachte auf. Sein Schlaf war ein einziger Alptraum gewesen. Doch nun entdeckte er, daß der Alptraum Wirklichkeit war. Er befand sich immer noch in der Höhle der Totenköpfe. Barbara rüttelte ihn leicht an der Schulter. »Ian, wach auf. Du hast beinahe den ganzen Tag verschlafen. Der Doktor sagt, daß es bald wieder dunkel sein wird.« Ian setzte sich auf und schaute sich um. Susan und Barbara saßen neben ihm, und der Doktor warf weitere Zweige ins Feuer. »Sie haben uns Fleisch gebracht«, meinte Susan. »Ich denke, man muß es kochen.« Sie deutete auf ein Blatt, auf dem ein paar Brocken gesäubertes blutiges Fleisch lagen. »Es gibt auch Wasser«, sagte Barbara, »in einer Art ausgehöhltem Stein. Wir haben dir etwas davon übriggelassen.« »Ein komfortables Heim, hm?« Sie reichte Ian eine natürliche Steinschale, und er trank das Wasser, denn er war sehr durstig. »Ich glaube nicht, daß ich das Fleisch haben möchte.« »Würde ich auch nicht nehmen«, sagte Barbara. »Es sieht nicht gerade appetitlich aus.« Ian schaute zum Doktor hinüber, der schweigend dasaß und ausdruckslos ins Feuer starrte. Er wirkte müde und entmutigt. Sie vernahmen ein Geräusch, das aus dem hinteren Bereich der Höhle zu ihnen vordrang. Za trat aus der Dunkelheit heraus. Er ging auf das Feuer zu, blieb vor ihnen stehen und schaute auf sie hinunter. »Ihr habt jetzt Fleisch.« Keiner antwortete. 111
»Das Tier war stark, und es war schwierig, es zu töten, aber ich habe es getötet. Jetzt gibt es Fleisch für den ganzen Stamm. Das Fleisch ist gut.« Wieder war es still. »Sie haben euch Früchte und Wasser in einem hohlen Stein gebracht.« Za schaute nach unten. »Ist das der Stein?« »Er versucht, Konversation zu machen«, erkannte Barbara hysterisch. Za schien verwirrt zu sein. Es sah fast so aus, als ob ihre Unwilligkeit zu antworten ihn kränkte. »Hat euch jemand weh getan?« Der Doktor hob seinen Kopf. »Wann werdet ihr uns gehen lassen?« »Ihr werdet hierbleiben«, antwortete Za dumpf. »Ich habe das Ding, das ihr gemacht habt, aber ich weiß nicht, ob es auch für mich Feuer machen wird. Es wird für euren Stamm und meinen das beste sein, wenn wir uns zusammentun – für immer.« »Nein«, schrie Ian wütend auf. »Wir möchten von hier verschwinden.« »Wieso? Die Höhle ist warm und trocken. Wir werden euch Essen und Wasser und Holz bringen, damit das Feuer weiterbrennen kann. Auf der anderen Seite der Berge gibt es keinen besseren Platz.« Wütend schwang Za seine Axt hoch. »Versucht nicht, von hier zu verschwinden – sonst werdet ihr sterben!« Er drehte sich um und verließ die Höhle. Ian fand einen spitzen Stock, spießte ein Stück Fleisch auf, schaute es angeekelt an und warf es ins Feuer, wo es mit wütendem Zischen verbrutzelte. Der Doktor sagte schlecht gelaunt: »Feuer! Feuer ist immer noch die Antwort, irgendwie bin ich mir dessen sicher. Sie verehren es! Wenn wir es nur irgendwie benutzen könnten, um ihnen Angst einzujagen.« Er trat mißmutig gegen den 112
Totenkopf, der zu seinen Füßen lag. Der Schädel rollte ins Feuer, blieb dort liegen und grinste ihn an. »Schau dir diesen Schädel an, Großvater«, sagte Susan verängstigt. »Er sieht fast so aus, als ob er lebte.« Kleine Flammen loderten wie glänzende Augen in den leeren Augenhöhlen des Totenkopfs. Ian betrachtete den Totenkopf, dann sprang er auf. »Nicht lebendig, Susan – tot! Hol mir ein paar Holzscheite, ja? Wir werden ein paar Fackeln herstellen – wir können das Fett vom Fleisch verwenden. Doktor, sehen Sie doch nach, ob Sie vier Schädel für mich finden können, die nicht allzu demoliert sind.« »Was geschieht dann?« fragte Susan. »Dann werden wir tot sein. Genau wie dieser Totenkopf.« Ian deutete auf den bereits schwarz verfärbten Schädel, der mitten im Feuer lag. Der Stamm veranstaltete in jener Nacht ein großes Fest. Die Stammesmitglieder saßen um das große Feuer, das vor dem Eingang zur Haupthöhle loderte. Sie scharten sich darum, rösteten die blutigen Fleischstücke, die auf Stöcke aufgespießt waren, und stopften sie in ihre Mäuler, wenn sie kohlrabenschwarz waren. Die Kinder mampften und spielten im Feuerschein. Ihre Mütter schauten ihnen ruhig zu, denn sie hatten keine Angst, daß die wilden Tiere aus dem Wald sie ergreifen würden. Za saß auf dem Ehrenplatz, links und rechts von Hur und Horg eingerahmt. Er blickte sich voller Stolz unter seinen Stammesmitgliedern um. Sie hatten es warm, waren satt und sicher – und er war ihr Anführer. Plötzlich hörten sie einen grauenhaften Angstschrei, und eines der Stammesmitglieder kam in den Feuerschein gerannt. Wütend sprang Za auf. »Ich habe dir befohlen, die Fremdlinge zu bewachen. Warum bist du hier?« 113
Der Mann weinte beinahe vor lauter Angst. »Ich wartete vor dem Tunnel, als ich hörte, wie der fremde Stamm mich rief. Da war ein großes Wehklagen, also kroch ich zum Tunnelende, um nachzusehen… Da war ein großer Zauber, Za. Du mußt mitkommen und es dir ansehen.« »Zeig es mir«, befahl Za. »Die Männer werden mit mir kommen, die anderen bleiben da.« Er rannte in Richtung der Höhle der Totenköpfe. Horg und die Krieger klebten an seinen Fersen. Hur folgte ihnen schnell. Der zitternde Wächter führte sie zum Seiteneingang und streckte den Finger aus. Er war nicht bereit weiterzugehen. Za lief in den engen Tunnel, Hur, Horg und seine Krieger folgten ihm. Als sie in die Höhle traten, erwartete sie ein grauenhafter Anblick. Der fremde Stamm war verschwunden. Statt dessen waren da vier glühende Totenköpfe. Flammen quollen aus ihren Augen und spieen aus ihren Mündern. Horg fiel vor Schreck auf die Knie. »Die Fremden sind gestorben! Ihre Geister sind gekommen, um uns zu bestrafen.« Auch die anderen Stammesmitglieder fielen auf die Knie und heulten vor Angst. Selbst Za war bewegungslos vor Schreck. Gebannt starrte er die Totenköpfe an. Ian, der in den dunklen Schatten im hinteren Teil der Höhle stand, flüsterte: »Gut, wir schleichen uns jetzt hinaus. Beeilt euch!« Einer nach dem anderen schlich um die erschrockenen Stammesmitglieder herum und dann den Tunnel entlang, der in die Freiheit führte. Keiner sah sie – alle Augen waren auf die vier Totenköpfe gerichtet. Sekunden später befanden sich die ehemaligen Gefangenen draußen in der kalten Nachtluft. Ganz in der Nähe konnten sie die ängstlichen Gestalten sehen, die sich um das große Feuer vor der Haupthöhle kauerten. Sie
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hielten sich dem Schein des Feuers fern und rannten in den Wald. Eine der totenkopftragenden Fackeln war fast heruntergebrannt. Plötzlich brach sie unter dem Gewicht ihrer Last zusammen, und der verkohlte Schädel rollte vor Zas Füße. Die anderen sprangen erschrocken zurück, aber Za rief: »Seht doch! Das hier ist nichts anderes als Feuer und die Knochen der Toten!« Er hob eine der Fackeln hoch, schüttelte den Schädel und hielt sie hoch, um sich in der Höhle umzuschauen. »Der fremde Stamm ist verschwunden. Während wir das Feuer angestarrt und vor den toten Knochen vor Angst geweint haben, sind sie geflohen!« »Sie sind in die Nacht hinausgegangen«, sagte Hur. »Die Dunkelheit wird sie schützen.« Za schwenkte seine brennende Fackel im Kreis. »Mit Feuer ist die Nacht Tag«, sagte er grimmig. »Ihr alle, bringt Feuer. Wir müssen sie töten.« Er ging als erster aus der Höhle und stellte aus den besten Kriegern einen Trupp zusammen. Mit brennenden Fackeln liefen die Häscher los. Ian führte seine kleine Gruppe mit höchster Eile durch den Wald. Dieses Mal hatte keiner von ihnen Probleme, Schritt zu halten. Nicht einmal der Doktor forderte, daß sie anhielten und eine Pause machten. Blind flüchteten sie durch die Dunkelheit. Ian hoffte verzweifelt, daß sie immer noch auf dem richtigen Weg waren. Er war sehr erleichtert, als sie schließlich auf die Lichtung kamen, wo Za mit dem Tiger gekämpft hatte. »Wir sind fast da«, keuchte er.
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Hinter sich hörten sie die wütenden Schreie, und als sie sich umdrehten, sahen sie den Schein der brennenden Fackeln durch die Bäume blitzen. »Schnell«, brüllte Ian. »Sie sind genau hinter uns! Rennt!« Sie kämpften sich durch den Wald, stolperten immer wieder, brachen durch eine Wand aus Büschen und liefen schließlich in die sandige Ebene hinaus. Das Gehen war jetzt einfacher, und ein paar Minuten später waren sie schon bei der Tardis angekommen. Ian brach an der Tür zusammen, dann drehte er sich dem Doktor zu, der den Schluß bildete. »Beeilen Sie sich, Doktor, lassen Sie uns hinein. Sie werden jeden Augenblick hiersein.« Der Doktor taumelte ihm entgegen, suchte mit unerträglicher Langsamkeit nach dem Schlüssel, öffnete schließlich die Tür und stolperte hinein. Ian hetzte Barbara und Susan durch die Tür und drehte sich dann um, um einen letzten Blick auf die Ebene zu werfen. Er sah, wie Za und seine Krieger aus dem Wald herausgerannt kamen. Einer der Krieger warf einen Speer, der gegen die Tardis krachte. Ian schlüpfte schnell hinein. Die Türen schlossen sich hinter ihm. »Kommen Sie, Doktor, bringen Sie uns von hier weg!« Der Doktor machte sich schon eifrig an den Schaltern zu schaffen… Za blieb frustriert vor dem seltsamen blauen Baum stehen. Wütend starrte er ihn an. »Werft ihn um«, brüllte er. Er stürzte sich mit hoch erhobener Axt auf das seltsame Objekt. Das Ding stieß einen befremdenden, heulenden Schrei aus – und verschwand. Alle warfen sich erschrocken zu Boden. Der Gedanke, daß er nicht recht gehabt haben könnte, kam in Zas verängstigtes Gehirn – die Fremden waren am Ende doch von Orb gekommen.
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Einige Zeit später beobachteten Ian, Barbara und Susan, die jetzt wieder frisch waren, besorgt den Doktor, der sich über die Schalter beugte und in Windeseile an dem Pult herumhantierte. Das Ansteigen und Abfallen der Zentralsäule verlangsamte sich, und der Doktor blickte auf. »Ich glaube, daß die Koordinaten übereinstimmen… ja, sie stimmen definitiv überein.« Er klang ziemlich überrascht. »Gut«, sagte Susan. Sie lächelte die anderen an. »Wir werden bald landen.« »Wo?« fragte Ian skeptisch. Der Doktor seufzte. »Ich wünschte, ich wüßte es!« »Bringen Sie uns denn nicht zurück?« »Tja, wie könnte ich? Seien Sie vernünftig.« »Aber bitte«, flehte Barbara. »Sie müssen uns zurückbringen. Sie müssen!« Der Doktor versetzte dem Hauptbetriebspult einen Klaps. »Das Problem ist«, erklärte er vertraulich, »dieses Ding hier funktioniert nicht ordentlich! Und außerdem ist der Code immer noch ein Geheimnis.« Er schaute Ian mit strenger Miene an. »Allerdings, wenn man die richtigen Daten eingibt, präzise Informationen über die Zeit und den Ort des Ausgangspunkts einer Reise, dann kann ein Zielort bestimmt werden. Aber als wir wegflogen, hatte ich derlei Daten nicht zur Verfügung.« Barbara schaute ihn verängstigt an. »Wollen Sie sagen, daß Sie gar nicht wissen, wie all das hier funktioniert? Und dann noch, daß Sie nicht einmal wissen, wo wir gelandet sind?« »Ganz genau«, sagte der Doktor. Anscheinend war das die Antwort auf beide Fragen. Er drehte sich abrupt um und murmelte: »Also wirklich! Glauben die, daß ich Wunder vollbringen kann?« »Sie dürfen Großvater keine Schuld geben«, sagte Susan beschützend. »Wir haben den anderen Ort zu schnell verlassen, das ist alles. Wir haben nie ganz genau herausgefunden, wo und in welcher Zeit wir waren.« 117
Die Zentralsäule bewegte sich immer langsamer und kam schließlich zum Stillstand. »Wir sind angekommen«, verkündete der Doktor. »Nur einen Augenblick«, sagte Ian. »Sie haben doch versucht, uns in unsere eigene Zeit zurückzubringen, oder nicht, Doktor?« »Ich habe Sie aus der anderen Zeit weggebracht, junger Mann.« »Das habe ich Sie nicht gefragt.« »Das ist aber die einzige Antwort, die ich Ihnen geben kann.« Der Doktor wandte sich ab und schaltete den Scanner ein. Die Landschaft, die darauf zu sehen war, wirkte öde und lieblos. »Keine große Verbesserung«, sagte Ian. »Dem stimme ich zu«, sagte der Doktor knapp. »Könnte jeder Ort sein.« »Was werden wir jetzt tun?« »Es gibt nur eins, was wir tun können. Das Schiff verlassen und den Versuch unternehmen, unsere exakten zeitlichen und räumlichen Koordinaten zu ermitteln – das heißt, wenn Sie möchten, daß ich Sie wieder nach Hause bringe.« Der Doktor rieb sich die Hände. »Strahlungsmesser, Susan?« Susan klopfte auf die Anzeige. »Scheint bei Null zu sein, Großvater.« »Gut. Dann können wir hinausgehen und herausfinden, wo wir sind.« Ian schaute Barbara an. Sie nickte. »Gehen Sie voran, Doktor«, schlug Ian resigniert vor. Der Doktor öffnete die Türen und verschwand nach draußen. Susan folgte ihm. Ian nahm Barbara beim Arm. »Nun – da sind wir wieder.« Sie gingen nach draußen, und die Türen schlossen sich hinter ihnen. 118