Jacques Ploncard d'Assac
DAS GEHEIMNIS DER FREIMAURER
London, Februar 1717 — Tiraden-Spieldosen — Das »Jahrhundert des...
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Jacques Ploncard d'Assac
DAS GEHEIMNIS DER FREIMAURER
London, Februar 1717 — Tiraden-Spieldosen — Das »Jahrhundert des Lichtes" — Ein Fin de siecle-Klerus — Die Geheimgesellschaften — Jeder Eitelkeit ihr Ordensband — Okkultismus — Die Illuminaten in Bayern — Die Einweihung — Warum wird man Freimaurer? — Die Kirche und die Freimaurerei— Die Verschwörung der Meister
„Es gibt zwei Arten von Geschichte", so Balzac, „die offizielle, lügenhafte, die man lernt, und eine geheime mit den wahren Ursachen der Ereignisse; diese Geschichte aber ist wenig rühmlich." Seit zweihundert Jahren spielt eine Geheimgesellschaft, die Freimaurerei, hinter den Kulissen der Geschichte ein okkultes Spiel. Was ist sie? Was will sie? Jacques Ploncard d'Assac gibt in diesem Buch die klare, präzis belegte Antwort des Historikers.
Jacques Ploncard d'Assac
DAS GEHEIMNIS DER FREIMAURER
PRIESTERBRUDERSCHAFT ST. PIUS X. STUTTGART 1989
Titel des Originals: Le secret des franc-maçons
Editions de Chiré, Chiré-en-Montreuil, F 86190 Vouillé © 1979, 2. Auflage 1983 Autorisierte Ubersetzung aus dem Französischen von A. Lenzen
„Die Freimaurerei, permanente Personifizierung der Revolution, bildet eine Art umgestülpte Gesellschaft." Leo XIII., Enzyklika „Humanum genus"
Die mit * bezeichneten Fußnoten sowie das Glossar stammen vom Übersetzer, letzteres in Zusammenarbeit mit I. Köck.
1. K A P I T E L
London, Februar 1717 Das Gasthaus zum Apfelbaum — Der Reverend Jean-Theophile Desaguliers — Herkunft der Freimaurerei — Der Reverend John Anderson — Die „Konstitutionen" — Das Aufgeben des Katholizismus — Die Noachiden — Die Libertins — Das Geheimnis der Freimaurer
Ein Spaziergänger, der in einer bestimmten Februarnacht des Jahres 1717 durch die Charles Street in Covent Garden gegangen wäre, hätte eine Gruppe von Gentlemen beobachten können, die mit geheimnisvollem Gehabe aus der „Apple Tree T a vern" kamen. Er hätte darunter vielleicht Doktor Desaguliers, einen berühmten Physiker, Mitglied der Royal Society, Hofprediger des Prince of Wales, Pensionsempfänger und Vertrauten des Königs erkannt, oder den berühmten Antiquar Georges Payne oder Doktor John Anderson, den protestantischen Theologen, oder einige andere, weniger bedeutende Personen, deren N a men die Geschichte nicht festgehalten hat. Diese Gentlemen hatten soeben beschlossen, die vier Freimaurerlogen, die sie frequentierten, zusammenzulegen. Es waren dies die Logen, die sich in den Gasthäusern „At the Goose and Gridiron", „The Crown", „Apple Tree Tavern" und „The Rummer and Grapes Tavern" trafen. Man war übereingekommen, eine Großloge zu errichten, die am 24. Juni zusammentreten sollte. Wenn Menschen sich zusammentun, um einen Verein zu gründen, so haben sie sich offensichtlich ein Ziel gesteckt. Was wollten also diese Gentlemen, die aus dem Gasthaus „Zum Apfelbaum" herauskamen, und vor allem: Wer waren unter ihnen die Hauptpersonen?
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1. Kapitel
Der Reverend Jean-Théophile Désaguliers ist 1683 in La Rochelle in Frankreich geboren. Sein Vater war protestantischer Pastor und war nach Aufhebung des Edikts von Nantes mit seiner Familie nach England ausgewandert. Der junge Theophile macht seine Studien am Christ Church College in Oxford, wo er vor allem den berühmten Keill als Professor hat, der dort experimentelle Philosophie lehrt. 1713 wird Théophile „Master of Arts" und im gleichen Jahr Nachfolger von Doktor Keill. Später findet man ihn in Hart Hall, wo er experimentelle Philosophie lehrt; dann in Westminster. Er zieht die Aufmerksamkeit Isaac Newtons auf sich, wird dessen Freund, und dank der Protektion seines Freundes wird er zur Royal Society zugelassen. In Westminster installiert sich Désaguliers in einer großen W o h n u n g in der Channel Row. Dort hat er die Idee, Vorträge per Subskription einzurichten. Pro H ö r e r verlangt er drei Guineen. Die Idee ist neu und hat Erfolg. Channel Row kommt in Mode. Man findet dort Grandseigneurs und schöne Frauen. Es gelingt Désaguliers, vierzig Personen zu versammeln, und hier zeichnet sich bereits die Idee einer maurerischen Loge ab. N u n wird Désaguliers ordiniert. Als Pastor läßt er sich in die großen Familien einführen; der H e r z o g von Chandon macht ihn zu seinem Hauskaplan. Er bietet ihm sogar Whitchurch auf Lebenszeit an. 1718 erwirbt er an der Universität Oxford den Grad eines Doktors der Rechte, bleibt aber bis zu seinem Lebensende in London. Désaguliers veröffentlicht einen merkwürdigen „Traité sur les Cheminées" (Abhandlung über Kamine), einen „Cours de philosophie experimentale" in zwei Bänden in Quartformat (1734), eine Übersetzung von Grégory (1735) und die Übersetzung eines lateinischen Werks von Gravesande „Elementa Philosophiae naturalis". Seine klerikale Tätigkeit scheint gleich Null gewesen zu sein. Man kennt von ihm auf diesem Gebiet nur eine simple Rede über die Reue. Seine Haupttätigkeit gilt den Wissenschaften und Priestley spricht von ihm als von einem „unermüdlichen Experimentalphilosophen". Im Äußeren ist Jean-Théophile Désaguliers korpulent, häßlich, gutmütig, klein, untersetzt, schlecht gebaut und außerordentlich kurzsichtig. „Er war dick und sein Klerikergewand ließ
London, Februar 1717
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ihn noch dicker erscheinen. Er hatte eine große Nase, die ein wenig quer im Gesicht stand bei schwach und fliehend ausgebildeter Stirn und ebensolchem Kinn Seine Augen glichen Froschaugen und waren f e u c h t . . .c<1 Kurz nach seiner Ankunft in London ließ Désaguliers sich in der maurerischen Loge einweihen, die sich in der Herberge „Zur Gans und zum Grill" in Saint Paul Churchyard versammelte und die später den Namen „Antiquity lodge" annahm. Wir kommen hier zum mysteriösesten Punkt der Freimaurerei und stellen fest, daß es schon vor 1717 — d. h. vor der Gründung der Großloge — Logen gibt, in denen sich Menschen versammeln, die absolut nichts mit dem Bau von Kathedralen zu tun haben. Mit der Behauptung: „Die Maurer nahmen frühzeitig Gelehrte, Philosophen oder auch Neugierige auf, die ihre zunächst figürlichen und technischen Bemühungen in geistiges, spekulatives Forschen verwandelten" 2 ist soviel wie nichts erklärt. Man müßte uns sagen können, woher die Freimaurerei kam, und darüber sind sich die Historiker der Freimaurerei nicht einig. Charles Bernardin, selbst Freimaurer, hat herausgefunden, daß von zweihundert Werken über die Freimaurerei, alle vor 1909 veröffentlicht, achtundzwanzig ihren Ursprung auf die Bauleute des Mittelalters, neun auf das antike Rom, sieben auf die Genesis, sechs auf die Juden, achtzehn auf die Ägypter, drei auf die Sündflut und fünfzehn auf die Erschaffung der Welt zurückführten ! Charles Bernardin behauptet, folgenden Satz eines Br. •. Olivier gelesen zu haben: „Die alte maurerische Tradition versichert, und ich meinerseits bin ganz dieser Meinung, daß unsere Gesellschaft schon vor der Erschaffung des Erdballs und zwar in verschiedenen Sonnensystemen existierte!" 3 Wenn der freimaurerische Historiker Albert Lantoine schreibt: „Die Freie Maurerei von einst mußte der neuen Freimaurerei weichen, und ihre so charakteristischen Werkzeuge — Symbole des Maßes, des Gleichgewichtes und der Harmonie, die sich übrigens schon früher andere Denkgesellschaften zu ei1 Bernard Fay, La franc-maçonnerie et la révolution intellectuelle du XVIIIe siècle, S. 76 f. 2 Michelle Cotta, L'Express, 13. 11. 1967. 3
H. de Thier, L'Eglise et le Temple, S. 13.
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1. Kapitel
ohne irgendeine weitere Erwähnung brachte. Soviel scheint sicher, daß er bereits vor der Gründung der Großloge versucht hatte, „die katholische Freie Maurerei von ehedem behutsam unter protestantische Schirmherrschaft zu bringen". Wenn die Persönlichkeit Andersons mysteriös bleibt, so ist uns sein W e r k umso besser bekannt. Es sind seine berühmten Konstitutionen, die sogenannten „Anderson-Konstitutionen", die die Grundlage der spekulativen Freimaurerei ausmachen. Der H e r z o g von Warthon, der erste Großmeister der Großloge, hatte ihre Abfassung befohlen; Desaguliers und Anderson arbeiteten daran. Die „Konstitutionen" beginnen eigenartig: „Adam, unser Stammvater, nach dem Bilde Gottes, der Großen Architekten des Universums, geschaffen, muß die freien Wissenschaften, insbesonders die Geometrie, in seinem Herzen eingeprägt besessen haben. Denn nach dem Sündenfall finden wir diese Prinzipien im Herzen seiner Nachkommen wieder, so daß man mit der Zeit dank der Beobachtung des Proportionsgesetzes, wie es aus der Mechanik hervorgeht, ein praktisches System von Sätzen bilden konnte. Damit gaben die mechanischen Künste dem Gelehrten die Gelegenheit, die Elemente der Geometrie in ein System zu bringen, und diese so geordnete edle Wissenschaft ward zur Grundlage aller Künste, besonders der Maurerei und Architektur, und zugleich zu der Regel für ihre Entwicklung und Erklärung." Es folgt ein Abriß der Universalgeschichte, der „in nichts der ,Geschichte' Bossuets" gleicht, wie Bernard Fay nicht ohne H u mor sagt, wo er die anmaßend maurerische Sicht der Weltgeschichte folgendermaßen zusammenfaßt: „Von unserem Vater Adam ging diese Wissenschaft (die Geometrie) auf seine Söhne über, besonders auf Kain und Seth, denn es scheint, daß Abel nicht genug Zeit gehabt hat, um seine Studien abzuschließen, und daß seine maurerische Karriere keine glänzende war, während Kain ganz im Gegenteil eine Stadt baute und ein hervorragender Maurer wurde. Sodann übernahmen und entwickelten die Propheten, das israelitische Volk und der große König Salomon die Maurerei, die aber auch anderen Nationen keineswegs gänzlich unbekannt geblieben war, nämlich den Assyrern, Ägyptern, Griechen und Römern. Sie setzte sich im römischen Reich fest und drang in seine
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entlegensten Teile, so daß sie auch nach England zu den Sachsen kam, die von Natur und Gesetz her eine Anlage für Freiheit und Philosophie hatten. Sie nahmen sie an, unterrichteten sich darin und machten große Fortschritte; schließlich gaben ihr die moderne Zeit und das Haus Hannover wieder den vollen Glanz und die volle Bedeutung, die sie in den besten Zeiten gehabt hatte" 9 . Das Ganze erscheint etwas dürftig und grenzt ans Lächerliche, doch wie Bernard Fay sehr richtig gesehen hat, „schufen die Verfasser eine Art Evangelium für eine intellektuelle und utilitaristische Kirche. Darin besteht die Neuartigkeit und Kühnheit des Textes." Aus dem Evangelienbuch, das in gewissen Logen bei der ersten Seite des Johannes-Evangeliums aufgeschlagen daliegt, hat man einen Beweis für die christliche Grundhaltung der Freimaurerei erblicken wollen. Das Argument hält nicht stand. Der Br. •. Camille gibt in der maurerischen Zeitschrift „La Chaine d'Union" (Die Kette der Einigung) vom April 1935, S. 260, zu: „Was das Buch betrifft, das, bei der ersten Seite des Johannes-Evangeliums aufgeschlagen, im Tempel liegt und auf welches der Neophyt seinen Eid leistet (.. .), so bildet dieses eine sehr eklektische Zusammenfassung des alten Esoterismus, in welcher der Ursprung des Lebens im Universum erklärt wird." Man hat gesagt, daß „der geniale Einfall Andersons darin bestand, den Rahmen, die Methoden, die Sprache der alten Bauleute zu bewahren und daran eine Art Bedeutungswandel vorzunehmen: Der rauhe Stein, den einst die Maurer bearbeiteten, soll fortan der Mensch selbst sein" 10 . Das ist aber nur ein Aspekt des maurerischen Symbolismus, der bei vielen anderen esoterischen Traditionen Anleihen gemacht hat, den jüdischen, kabbalistischen, rosenkreuzerischen, templerischen und anderen. Wir werden anläßlich der maurerischen Einweihung darauf zurückkommen. Was am Text der „Konstitutionen" auf den ersten Blick überrascht, ist das Aufgeben des Katholizismus, von welchem die früheren Regeln der Steinmetzzünfte inspiriert waren. In dem „Regius Manuscript", dem ältesten bekannten maure9 10
B. Fay, a. a. O., S. 88. Le Monde, 13. 5. 1973.
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1. Kapitel
rischen Dokument oder „maurerische Gedicht" (14.—15. Jh.) wird verkündet, daß „jeder Maurer Gott und die heilige Kirche lieben muß, ebenso seinen Meister und seine Mitgesellen". Die Maurer beten „zum Allmächtigen und Seiner süßen Mutter Maria, damit diese ihnen die Kraft geben, die Artikel und Punkte einzuhalten, wie es die Vier Heiligen Märtyrer (die Vier heiligen Gekrönten) getan haben, die den Ruhm der Zunft bilden". In dem Cooke-Manuskript von 1410 heißt es vom Maurer: „Seine erste und Hauptpflicht besteht darin, Gott, die heilige Kirche und alle Heiligen zu lieben." Die Konstitutionen der Bauhütte oder Logenkonförderation der Steinmetzen des Heiligen Römischen Reichs, die Franz Rziha untersucht hat, beginnen alle mit der Anrufung: „Im N a men des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und der glorwürdigen Mutter Maria sowie ihrer seligen Diener, der Vier heiligen Gekrönten ewigen Angedenkens" 1 1 . N u n verkündet Anderson in seinem Konstitutionenbuch: „Obgleich in alten Zeiten die Maurer gehalten waren, in jedem Lande der Religion des betreffenden Landes oder der betreffenden Nation anzugehören, welcher Art sie auch war, wird es jetzt für zweckmäßiger gehalten, sie nur der Religion zu verpflichten, in der alle Menschen übereinstimmen und jedem seine eigenen Ansichten zu lassen, was auch immer ihre Denomination oder ihr Bekenntnis sei, durch das sie sich unterscheiden lassen. Dadurch wird die Maurerei das Einigungszentrum und das Mittel werden, um eine aufrichtige Freundschaft zwischen den Personen zu knüpfen, die sich sonst für immer fremd geblieben wären." An dieser Stelle der „Konstitutionen" fragt sich der Großmeister des Grand Orient von Frankreich, Jacques Mitterand: „Welches ist also diese universale Religion? Diese Frage stellen heißt bereits den revolutionären Charakter des Texts von Anderson erkennen .. . Gleich als erstes lehnt Anderson die Staatsreligion ab . . . Aber das genügt ihm nicht. . . (Er läßt) jedem seine eigenen Ansichten. So haben alle Ansichten, im Besonderen aber die religiösen, gleiches Recht. Solche Ideen mußten sehr weit führen, und da sie für alle Breitengrade gültig sind, erwuchs aus ihnen in der T a t eine ,universale Religion' im u
La Pensée catholique 104, 1966.
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etymologischen Wortsinn, insofern sie die Menschen untereinander v e r b i n d e t . . . Die katholische Kirche täuschte sich nicht über die Bedeutung des Ereignisses . . . Durch die Bulle ,In Eminenti' sprach Klemens XII. die Exkommunikation der Freimaurer aus, wobei er sich anklagend über das Geheimnis äußerte, mit dem die Maurer ihre Arbeiten umgaben und noch umgeben" 12 . In den Anderson-Konstitutionen gibt es viele eigenartige Punkte, besonders aber jene Passage, wo es heißt, daß der Maurer gehalten ist, „das Moralgesetz als wahrer Noachide zu beobachten, denn alle Menschen kommen in den drei großen Artikeln Noes überein". Was soll das W o r t „Noachide" hier bedeuten? „Die Artikel Noes, auf die man sich hier bezieht, sind nicht biblisch", bemerkt sehr richtig ein gut informierter Mitarbeiter der „Pensée catholique" in Nr. 104, 1966. Man kennt sie nur aus der rabbinischen Tradition. Der Talmud und jüdische Theologen und Philosophen wie Maimonides (1135— 1204) sind die einzigen, die sich damit befassen. Daraus ergibt sich jedenfalls, daß die maurerische Verpflichtung, an Gott zu glauben, in den Anderson-Konstitutionen auf ungewöhnliche Weise formuliert wurde. „Im christlichen Geist — welcher Konfession auch immer — hätte eine solche Formulierung nicht spontan entstehen können. Gewiß war die Existenz der Noeschen Gebote im 18. Jahrhundert den christlichen Gelehrten und Hebraisten bekannt, einem Basnage, einem Richard Simon, einem Jurieu. Abwegig jedoch ist die Idee, Menschen des 18. Jahrhunderts die Religion Noes als ,gültige' Religion aufzuerlegen, wo sie doch für jeden Christen nur die Religion des ersten Bundes, die durch Abraham und Moses und schließlich durch das Christentum abgelöst wurde, bedeuten kann. Vom Standpunkt des Judaismus dagegen ist der Noachismus die einzige Religion, die für die ganze nichtjüdische Menschheit allzeit in Kraft geblieben ist, während die Juden die Funktion des ,Priesters' über die Menschheit ausüben und zu diesem Zweck den Priestertumsvorschriften unterworfen sind, die allein sie betreffen, also dem mosaischen Gesetz." 12
Jacques Mitterand, La politique des franc-maçons, S. 45.
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1. Kapitel
Elie Benamozagh, ein berühmter Rabbiner des 19. Jahrhunderts, lehrte ebenfalls: „Die Menschheitsreligion ist nichts anderes als der Noachismus . . . Das ist die Religion, die Israel bewahrt hat, um sie den Heiden zu übermitteln . . . Der Noachide befindet sich im Schoß der einzigen wahrhaft universalen Kirche als Gläubiger dieser Religion, worin der Jude der Priester ist und den Auftrag hat — vergeßt das nicht! — die Menschheit in ihrer Laienreligion zu unterrichten, während er selbst die Religion des Priesters auszuüben hat" 13 . Somit wären also die Freimaurer nur die Laien Israels! Eine andere Passage der Konstitutionen hat Polemiken ausgelöst. Was meinte Anderson damit, als er schrieb, daß „ein Maurer niemals ein stupider Atheist noch ein religionsloser Libertin sein darf"? Auch das muß man im historischen Zusammenhang sehen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts macht sich der atheistische Libertin breit. „Er ist geradezu ein Zeittyp, der in den Blättern ,Spectator' oder ,Tatler' und in den Romanen von Fielding in lebhaften Farben geschildert wird. Er ufert aus in den Hell fire Clubs, lästert Gott vor seinem Glas Gin und zieht in berüchtigten Straßen den Degen" 1 4 . Die Gründer der Großloge wollen die Logen nicht durch vulgäre Schreier und vom Gin betrunkene Libertins überschwemmt sehen. Sie visieren höher. Sie streben danach, sich des Adels, der herrschenden Klasse zu bemächtigen, und wenn sie einen ausschweifenden Großmeister wie den H e r z o g von Warthon in Kauf nehmen, so deshalb, weil er wenigstens von Rang und Einfluß ist. Die Anderson-Konstitutionen scheinen von Désaguliers vorbereitet worden zu sein. Anderson machte vielleicht die Arbeit, während Désaguliers „den größten Teil des Materials und die Grundgedanken lieferte" 15 . Man hörte auch „von einer großen Rede über die Freimaurerei und die Freimaurer", deren Verfasser Désaguliers gewesen sei, und von der das Blatt des Grand Orient von Frankreich 16 seltsamerweise sagt, daß „sie außeror13
La Pensée catholique 104, 1966.
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Alec Mellor, Nos frères séparés, les Franc-maçons (Unsere getrennten Brüder, die Freimaurer), S. 86. 15 16
Humanisme, Dez. 1976. Ebd.
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dcntlich interessant wäre, weil sie uns wahrscheinlich (. . .) einen Begriff von den Freimaurern dieser Epoche, nämlich vom /.weck der Einweihung geben könnte". Das Geheimnis wurde jedoch so gut gewahrt, daß die heutigen Maurer sich noch immer über den „Zweck der Einweihung" im Sinne Desaguliers im Unklaren sind. 1731 trifft man Desaguliers in Holland an, im Haag, wo er als Großmeister einer Loge vorsteht, die eigens von einer speziellen Abordnung eingerichtet worden ist, um den H e r z o g von Lothringen einzuweihen, der dann H e r z o g von Toskana und deutscher Kaiser werden sollte. Bei seiner Rückkehr nach London initiiert Desaguliers den Prince of Wales. Die Freimaurerei geht also auf die Eroberung der großen Welt aus und es gelingt ihr mit bestürzender Leichtigkeit. 1713 heiratet Desaguliers eine Tochter William Putseys, von der er zwei Söhne bekam; Alexander wurde Pastor und T h o mas trat in die Armee ein, wurde Artillerieoberst und Schildknappe Georgs III. Wenn man der „Biographie universelle" von Feller Glauben schenken darf, fand der Gründer der Großloge ein düsteres, ja klägliches Ende. Er sei wahnsinnig geworden, habe sich „bald als Harlequin, bald als Clown verkleidet . . . In einem solchen Anfall von Wahnsinn ist er gestorben" 17 . Bedenken wir auch das religiös-philosophische Klima, in welchem die Großloge von England entsteht. Die Sekten vermehren sich. Es ist die Zeit der Wiedertäufer, der Quäker, der Shaker. Diese Sekten bekriegen sich untereinander, und das Geheimnis des Erfolgs der Freimaurerei besteht vielleicht darin, daß sie über diese Streitigkeiten hinweggeht. In den Salons erregen die ausgefallensten Theorien die Gemüter leidenschaftlich. 1705 veröffentlicht Bernard de Mandeville, ein zwielichtiger Arzt in London, die „Fabel von den Biete nen . „Nach ihm sind alle Handlungen des Menschen zwangsläufig. Jeder tut das, wozu ihn seine Begierde treibt. Die Begierden aber werden von seinen Vergnügungen angestachelt. Der 17
Ebd.
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Mensch gehorcht unwiderstehlich dem, was ihn anlockt. Und das, was ihm angenehm ist, lockt ihn zwangsläufig an. Für Mandeville ist die Menschheit ein großer Bienenkorb, in dem jeder notwendigerweise den W e g verfolgt, den sein Instinkt ihm aufzwingt. (Die fruchtbarsten Menschen) sind die, die von ihren Wünschen am meisten angestachelt werden. Es lebe also die Begierde, es lebe die Leidenschaft, es lebe das Laster! Sie allein haben auf Erden den Fortschritt gezeugt und sie allein treiben uns vorwärts. Je mehr verdorbene, unersättliche, mit einem W o r t lasterhafte Menschen es in einem Gesellschaftskörper gibt, umso aktiver ist dieser, umso glücklicher und umso gesünder" 18 . In London veröffentlicht Franklin seinen „Essay on liberty and necessity, pleasure and pain"*. Der Mensch, so sagt er, ist eine Mechanik; alle seine Regungen sind durch Impulse von außen bedingt. Wie Mandeville sieht Franklin im Vergnügen die Quelle aller menschlichen Tätigkeit. Es gibt also weder Laster noch Tugend, sondern nur Reflexe. Und alle sind normal, da natürlich. Das einzige Laster bestünde darin, seinen Reflexen nicht zu gehorchen, doch das sei unmöglich. „Wir nehmen an", schreibt Franklin, „daß Gott, der Schöpfer und H e r r des Universums, unendlich weise, gut und mächtig ist. Aufgrund seiner Weisheit und seiner unendlichen Güte kann man behaupten, daß alles, was er (Gott) getan hat, unendlich weise und gut ist. Infolge seiner unbegrenzten Macht kann man behaupten, daß im Universum nichts existiert, was nicht von ihm erlaubt worden ist und was nicht gut ist. Das Übel gibt es somit nicht, ebensowenig Verdienste oder Verschuldungen noch irgendeine Vorliege von Seiten Gottes für einen Teil seiner Schöpfung" 1 9 . Ein sonderbarer Franklin, der einen neuen Text für das Meßbuch der Kirche von England verfaßt in Zusammenarbeit mit Lord Despenser, „einem der notorischesten Wüstlinge von England, der bei sich zu Hause eine Art sakrilegisches Kloster gegründet hat: die berüchtigten ,Mönche von McOmenham', die 18
B. Fay, a. a. O., S. 62.
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Ebd., S. 117.
* (Essay über die Freiheit und die Bedürfnisse, das Vergnügen und das Leiden).
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in liturgischem Gewand und Ordenstracht zusammenkamen, um beim Trinken und H u r e n Gott zu lästern" 20 . So stellt sich die Gesellschaft dar, durch solche Extravaganzen gestört, gespalten und zerstritten, als die von Désaguliers erfundene moderne Freimaurerei auf den Plan tritt. „Die Atmosphäre der Loge", sagt Bernard Fay sehr richtig in seiner Studie „La Révolution intellectuelle au XVIII e siècle", „¡st die einzige, in der diese verschiedenen Geister ohne anzustoßen in enge Berührung miteinander kommen können, weil die Loge durch ihren mystizistischen Charakter die Reibungen unterbindet. Durch seltsame Riten in ungewöhnlicher Umgebung schließt sie alle diese Menschen zusammen und ermöglicht ihnen eine Zusammenarbeit, ohne den Eindruck zu vermitteln, sich zu kompromittieren. Darin liegt die große Geschicklichkeit des maurerischen Rituals: Dem Profanen mag es bizarr und selbst lächerlich erscheinen, die Schürze, das Winkelmaß, der Hammer, der Zirkel, die Kelle und das ganze Brimborium der bunten Kleinodien, die unverdaulichen Reden, die der Kabbala, dem Talmud, den Neuplatonikern, den Arabern und Orientalen entnommen, wenig durchdacht oder falsch verstanden sind. Alles das erscheint dem, der eine ernsthafte mystische bzw. eine tiefere religiöse Bildung besitzt oder über solide Fachkenntnisse in Orientalistik verfügt, wie gepanschter Wein. Aber all das ist faszinierend für Geister, die nicht allzu vornehm, eher neugierig sind; für solche, die bereits von dem Hochgefühl angetan sind, sich unter einer großen Anzahl von Leuten zu befinden, die ebenso wie sie angeregt, aber grundverschieden voneinander sind" 21 . Die Loge ist ein Theater und lebt und webt im Geheimnis. Aber was für ein Geheimnis ist das? Die Antwort ist zur Gänze in wenigen Sätzen des Vorwortes enthalten, das Désaguliers für die Übersetzung des „Philosophe religieux" von Nieuwentyt verfaßt hat — eine Übersetzung, aus der man alle die Stücke weggelassen hatte, die sich auf „die geoffenbarte Religion" bezogen. „Ich meine", sagt Désaguliers, „von dieser Übersetzung sagen zu können, daß sie womöglich noch mehr Gutes bewirken 20
Ebd., S. 128.
21
Ebd., S. 99.
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1. Kapitel
wird als das Original, insofern Sie uns hier die Verteidigung der natürlichen Religion vortragen, die Verteidigung der geoffenbarten Religion aber ausgelassen haben, deren Schwäche den Freidenkern eine Gelegenheit zum Triumph hätte bieten können, die nun durch die Kraft Ihrer Argumente für die natürliche Religion zuschanden werden" 2 2 . Der Reverend Desaguliers glaubt sichtlich nicht mehr an die Offenbarung. Zu denselben Ergebnissen wie Fay kommt der Freimaurerhistoriker Albert Lantoine bei seinem Versuch, die Vorgänge von 1717 zu erklären. Er schreibt: „England war stets ein Land, das sich für religiöse Systeme und exegetische Kontroversen begeistert hat. Es gibt dort außer den Anglikanern und Presbyterianern die Sozinianer, die die Gottheit Christi leugnen und vor allem die Arminianer, deren Glaube die Toleranz als Dogma hat. Es ist das Toleranzprinzip, das Locke in seinem ,Essay on human understanding' als Grundlage jeder Politik betrachtet und das infolge der sozialen Umwälzungen nach und nach unvermerkt in den Geist der Gebildeten eingedrungen ist" 23 . V o n den Kirchen gelöst, über denen sie zu stehen behauptet, geht die Freimaurerei gegenüber den Fürsten auf Distanz. Man hat sich noch zu wenig Gedanken gemacht über die Paragraphen der „Konstitutionen", die den Staat betreffen: „Wenn . . . ein Bruder sich dem Staat gegenüber aufrührerisch gezeigt hat, soll man ihn in seiner Meuterei nicht unterstützen. Aber man kann Mitleid mit ihm als einem Unglücklichen haben. Und wenn er keines anderen Verbrechens überführt ist, kann man, obgleich die Maurerei aus Loyalität der betreffenden Landesregierung keinen Anlaß zu Argwohn oder politischer Unzufriedenheit geben darf, den Maurer nicht aus der Loge ausstoßen, und so bleibt die Beziehung zu der Vereinigung bestehen" 24 . Das heißt also: loyal dem Staat gegenüber, aber auch loyal gegen den Verschwörer, der immer auf das unzerreißbare Band bauen kann, das ihn mit der Loge verbindet. Diese Haltung hat 22
Ebd., S. 85.
23
A. Lantoine, a. a. O., S. 28. B. Fay, a. a. O., S. 91.
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die Freimaurerei beibehalten und unaufhörlich bahnen sich in ihrem Innern unter dem Deckmantel des Geheimnisses politische Entwicklungen an, die nichts Spontanes haben. Das Geheimnis ist es, was die Macht der Freimaurerei ausmacht. Es war notwendig, damit sich alle die zusammentun konnten, die die moralische und geistige Disziplin der Kirche nicht mehr hinnehmen wollten. Schon früher hatte es sehr wohl Versuche zu Widerstand und zu Zusammenschlüssen gegeben, die jedoch ungeordnet waren. Wohl gab es einen Johann Valentin Andreae, den Professor in Tübingen, der unter dem N a men Christian Rosenkreuz die Sekte der Rosenkreuzer erfand, oder den Engländer Toland, der die Statuten einer „Socrates Society" verfaßte und noch viele andere. Aber die Freimaurerei von Desaguliers mit dem für alle annehmbaren Gott, mit ihrer Toleranz gegenüber den Sekten, mit ihrem Geheimnis, das die freien Diskussionen erlaubt, wurde ganz von selbst das Einigungszentrum für all jene, die sich Rom und der Monarchie göttlichen Rechts zu gehorchen weigerten. Als großes Sammelbecken aller Häresien, aller Revolten ist die Loge die Opposition . . . außer in England! Warum? Weil das hannoveranische England, protestantisch und liberal, die ideale territoriale Basis für den „neuen Geist" ist. Die Logen, die sich von 1729 an im Ausland bildeten, von Gibraltar bis Bengalen, von Paris bis Moskau, von Lissabon bis Kopenhagen, standen alle unter der Führung der Großloge von London, der Stadt, wo die Logen als Instrument für politischen Einfluß, als Spionagenetz des Handels erscheinen — als Mittel, zu arrivieren. Bernard Fay betont mit Recht die Bedeutung der von ihm so genannten „freimaurerischen Komplizenschaft", der freimaurerischen „Karriere", die im 18. Jahrhundert häufig ist: „Der gesellschaftliche Erfolg der Freimaurer, als Körperschaft wie als Individuen, ist keineswegs eine Episode oder ein Detail des maurerischen Kreuzzugs, er ist vielmehr dessen Wesen" 25 . Wir werden die Geschichte der Großloge von London nun nicht mehr weiterverfolgen. Sie interessiert uns nur in ihren Anfängen, als Desaguliers seine mysteriöse Geheimgesellschaft gründete, die nun über zweihundertfünfzig Jahre existiert und 25
Ebd., S. 100.
1. Kapitel
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in dieser ganzen Zeit eine bedeutende, manchmal sogar entscheidende Rolle hinter den Kulissen der Geschichte gespielt hat — in der Geschichte nämlich, die man nicht aus den H a n d büchern lernt. Schließlich noch ein Detail, das nicht ohne Bedeutung ist: „Der Klerus ist massenweise in die Freimaurerei eingetreten und hat sich dort wohl gefühlt. Übrigens sind viele Ungläubige in den Klerus eingetreten, der ihnen zusagte, denn dort würde man sie wenigstens nicht mit Fragen nach ihren religiösen Ansichten belästigen. Die Arbeit der Entchristlichung Englands vollzieht sich im Innern des Christentums und die Maurerei ist dabei das wirksamste Instrument. Sie trägt unaufhörlich neue rationalistische Elemente und unchristliche Mythen in das religiöse Leben Englands hinein, die sich von England aus in das religiöse Leben von ganz Europa ausbreiten" 26 . In diese Situation platzt die Bulle „IN E M I N E N T I " .. .
26
Ebd., S. 127.
2. KAPITEL
„Tiradenautomaten" Wie man Meinung fabriziert — Die Ideenschlacht — Das „Alter der Vernunft" — Die Vorurteile — Kommunismus im 18. Jahrhundert
Zu Ende des 18. Jahrhunderts schrieb Barruel: „Die ganze Sekte besteht in ihren Meinungen." Damit meinte er ihre Doktrin. „Sie würde gänzlich zunichte werden und nicht mehr existieren, wenn ihre Jünger diese Doktrin aufgäben und sich den Prinzipien der Gesellschaft anpaßten. Mit den Waffen der Illusionen, der Irrlehren und der Finsternis führen die Jakobiner einen Krieg gegen den Geist eines jeden Volkes" 27 . Einfach indem sie ihre Meinungen verbreitet, bemächtigt sich die Freimaurerei des Menschengeistes und damit der ganzen Gesellschaft. Alles ist scheinbar in O r d n u n g : der König in Versailles, die Bischöfe auf ihrem T h r o n , Frankreich mit seiner Monarchie. Aber alles ist angegriffen, korrumpiert und im Begriff, zusammenzubrechen, denn die öffentliche Meinung hat sich gewandelt. So sagte etwa der Br. •. Marmontel: „Man brachte die ganze Nation soweit, Dinge zu wollen und in Worte zu fassen, an die sie noch nie gedacht hatte. Wenn das Volk daran zweifelt, antwortet man ihm, wie Crisplin* seinem Erben: Das ist eure Lethargie. Die Nation ist eine große Herde, die nur geweidet sein will, und mit guten Hunden können die Hirten sie führen, wohin sie wollen" 28 . 27 Abbé Barruel, Mémoires pour servir d l'histoire du Jacobinisme. (Memoiren im Dienste der Geschichte des Jakobinismus), London, 1797, Bd. 5, Schluß. 28 La Vigie, 6. 3. 1913. * Komödienfigur wie z. B. Arlequin.
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Die besser beratenen Zeitgenossen verstanden sehr wohl, daß es sich um die Eroberung der Intelligenz handelte. Übrigens erschien im 18. Jahrhundert in Deutschland ein antifreimaurerisches Journal mit dem signifikanten Titel „Eudaemonia: der gute Geist" 29 . Der „böse Geist" konnte die Gesellschaft erst nach langer Vorbereitung erobern. Die großen Ideenumwälzungen geschehen nicht von heute auf morgen. Joseph de Maistre schrieb anfang des 19. Jahrhunderts: „Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts waren die Menschen durch den Protestantismus genügend bearbeitet und vollkommen für die Gottlosigkeit vorbereitet. Bayle hatte das Banner erhoben und überall konnte man eine stille Gärung bemerken, einen Aufstand des Hochmuts gegen alle überkommenen Wahrheiten sowie die allgemeine Tendenz, sich durch Unabhängigkeit und durch Neuheit der Meinungen hervorzuheben. Locke trat auf und mit dem Gewicht seines ehrenwerten Charakters und der Autorität seiner großen Nation sagte er den Menschen, vielmehr wiederholte er es (denn es gibt keine Torheit, die nicht schon einmal gesagt worden wäre), daß ,all unsere Erkenntnis von unseren Sinneseindrücken herrührt und daß der menschliche Verstand nur eine catnera obscura ist' (das ist sein Ausdruck), ,daß keine Idee von gut oder böse, von Laster oder T u gend ursprünglich im Menschen selbst ist'" 30 . Man darf sich nicht vom Schein der „Neuheit", nicht von den Ideen des „Jahrhunderts des Lichts" einnehmen lassen. Es gibt daran nichts Neues, weder am Begriff noch an der Formulierung. Paul Hazard machte 1913 in seiner Vorlesung am Collège de France die Bemerkung, daß der „Kritizismus" des 18. Jahrhunderts in der Geschichte des menschlichen Denkens keine neue Erscheinung ist. Bereits Bayle hat alles in Frage gestellt und war selbst nur ein Schüler. Die Renaissance mit ihrer Schule von Padua, die das menschliche Wissen vom Glauben trennt, liegt all diesen neuen Ideen zugrunde. V o n Italien aus erobert sie Frankreich (Charron, Montaigne) und England. Anfang des 17. Jahrhunderts schien sie sich vollends durchzusetzen. Dann stellte sich ein Gleichgewicht ein. Der Klassizismus lehnte die 29
Abbé Barruel, a. a. O., Bd. 4, S. 195.
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Joseph de Maistre, Lettres et opuscules, Bd. 2, S. 202.
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Diskussion ab, nahm die wesentlichen Grundlagen des Glaubens als endgültig feststehend an und schuf damit eine stabile geistige Sicherheit, eine dauerhafte Lebensordnung. Aber er war nur eine Episode. Gegen 1690 machte sich mit den Libertinern, also denen, die „frei denken" wollen, der Geist der Diskussion stark. „Die mächtige Stimme Bossuets war verstummt; nun triumphierte dieser Diskussionsgeist mit den Philosophen des 18. Jahrhunderts." Es gibt keinen Fortschritt der Ideen, wohl aber eine Ideenschlacht. Der Vorsprung, den eine Idee im Lauf der Geschichte gewinnt, folgt dunklen Gesetzen, aber immer bedarf es einer machtvollen Stimme, die die Ideen verkündet, oder einer listigen Propaganda, mit der sie sich einschmeicheln. Die Verteidiger der christlichen Ideen haben vielleicht zu sehr auf die „mächtige Stimme" gebaut und die Propaganda nicht genügend beachtet. Der freimaurerische Historiker Albert Lantoine hat eine solche Propaganda bei den antichristlichen Autoren des 17. Jahrhunderts sehr gut beschrieben: „Die Reformatoren legen sämtlich ihre Ideen nicht dialektisch in einem Lehrbuch dar — das wäre zu gefährlich —, sondern verdeckt, etwa als Forschungsreise. Diese Reise wird fast immer von einem Schiffbruch unterbrochen, der die Passagiere in ein Land bringt, wo sie, höchst verwundert, unbekannte Sitten entdecken. Höchst verwundert? — Nicht immer, denn es ist klüger, diese Sitten nicht zu sehr anzupreisen. Manchmal ist es sogar geschickter, sie zu tadeln. . . Wesentlich ist, daß man sie darlegt. Sie sollen den Leser zum Nachdenken bringen. Dieses Verfahren ist bei uns während des ganzen 17. Jahrhunderts unter einem despotischen, stets auf der Lauer liegenden System angewandt worden. Die ,Abenteuer Telemachs' von Fenelon, die dem Autor übrigens die Ungnade des Königs einbrachten, gehören wie die Reisen von Jacques Sadeur und Tyssot de Patot oder die ,Histoire des de Varambes' von Varasse d' Alais einer Tradition an, die schon Thomas Morus unter den Idealen der griechischen Philosophen vorfand. Diese Reisen sind das Vorspiel zu den philosophischen Systemen des 18. Jahrhunderts. Auf der unbekannten Insel, an der die Helden des engli-
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sehen Philosophen Bacon landen, hatte einst Salomon regiert. Die Niederlassung, die wir beschrieben finden, trägt immer noch den Namen: ,Haus Salomons'" 31 . Das sind Propagandamethoden, die sich noch nicht gut offen zeigen können. Aber in dem Maße, wie sie in den Menschen eingingen, konnte man rascher und weiter voranschreiten. Es gibt noch einen anderen Aspekt, unter dem man die Ideen des „Jahrhunderts des Lichts" prüfen sollte. Wenn man die Autoren des 18. Jahrhunderts liest, fällt einem auf, daß sie anscheinend den Sinn für die Geschichte verloren haben. Ihre Personen sind Tiraden-Automaten. Für sie ist der Mensch überall derselbe. Man spricht nicht von einem bestimmten Menschen unter bestimmten Bedingungen zu einer bestimmten Zeit, sondern vom Menschen schlechthin. Sieyès verkündet: „Die angeblichen historischen Wahrheiten haben nicht mehr Realität als die angeblichen religiösen Wahrheiten." Der neue Gedanke besteht darin, daß man im „Zeitalter des Lichts" glaubt, das „Alter der Vernunft" erreicht zu haben. Diese Geisteshaltung gab Taine sehr zu denken. Er wies darauf hin, daß das ererbte Vorurteil, gegen das sich die neue Lehre erhob, seine Rechte ebenso gut geltend machen könne wie nunmehr die Vernunft. W a r es nicht „eine Ansammlung langer Erfahrungen"? Das soziale Gesetz, das heute wie eine willkürliche Ubereinkunft erscheint, war nach Taine zuerst „ein zweckmäßiges Hilfsmittel für das öffentliche Wohl". „Würde der Mensch des kostbaren Vermächtnisses beraubt, das ihm die Weisheit von Jahrhunderten übermittelt hat, so fiele er wieder in seinen wilden Zustand zurück und würde wieder das werden, was er zuvor war: ein ruheloser Wolf, hungrig, umherschweifend und verfolgt" 32 . Taine folgerte daraus, daß man zugeben muß, daß „je älter und allgemeiner ein Brauch ist, er auf desto tieferen Ursachen beruht, auf Gründen der Physiologie, der Gesundheitspflege, der sozialen Vorsorge". Als Beispiel nannte er die Monarchie. Was aber ist die Monarchie? 31 32
A. Lantoine, a. a. O., S. 89.
H. Taine, Les origines de la France contemporaine. L' ancien Régime, Paris 1876, S. 271.
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Taine schreibt: „Im Chaos des Rassengemischs und der einstürzenden Gesellschaften fand sich da und dort ein Mensch, der durch seinen Einfluß eine Schar von Getreuen um sich sammelte, die Fremden verjagte, die Räuber in Schach hielt, die Sicherheit wieder aufrichtete und die Landwirtschaft wiederherstellte, das Vaterland gründete und seiner Nachkommenschaft sein Amt als erblicher Richter und geborener Feldherr wie ein Eigentum übermittelte. Durch diese ständige Weitergabe wurde ein wichtiges öffentliches Amt dem Wettbewerb entzogen, auf eine Familie fixiert und somit in sicheren H ä n d e n verankert. Von da an besitzt die Nation eine lebendige Mitte, und jedes Recht findet einen offenkundigen Beschützer" 33 . Die revolutionären Ideen sind zuallererst ein Bruch mit der Geschichte, ein Verwerfen der angesammelten Erfahrung von Jahrhunderten. Man löscht alles aus und beginnt wieder von neuem, indem man alles auf der Idee aufbaut, die man sich von den Dingen zurechtmacht. In seinen „Memoiren" beschreibt Mathieu Dumas diese seltsame Geisteshaltung: „Man sprach von der Erstellung einer neuen Staatsverfassung wie von etwas ganz Leichtem, von selbst Gehendem. Die besten und tugendhaftesten Menschen sahen darin den Anfang eines neuen glücklichen Zeitalters für Frankreich und für die ganze zivilisierte Welt. Die Ehrgeizigen freuten sich auf die große Karriere, die sich vor ihnen auftat. Kein Mensch jedoch, weder der trübsinnigste noch der ängstlichste noch der größte Enthusiast hätte auch nur eines von den außergewöhnlichen Ereignissen vorausgesehen, die den versammelten Ständen bevorstanden" 34 . Wer die Geschichte nicht mehr zu befragen, gemachte Erfahrungen nicht in Rechnung stellen brauchte, um zu ermessen, was aus einer Gesellschaft wird, die grundsätzlich ihre Dogmen, ihren Glauben und ihre Institutionen verleugnet, dem erschien alles erstaunlich leicht. Es genügte, die öffentliche Meinung für sich zu haben. Necker sagte 1784 — nach Tocqueville — : „Die meisten Fremden können sich nur schwer einen Begriff von der Autori» ebd., S. 274. 34
ebd., S. 398.
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Das „Jahrhundert des Lichts" Die Freimaurerei unter Ludwig XV. — Die Großmeister — Kardinal Fleury löst die Logen auf — Aufdeckung der Freimaurerei: Die Franzosen wundern sich — Europa ist beunruhigt — Die Verschlagenheit des Chevaliers Ramsay — Ludwig XV. gegen einen Kompromiß — Der getäuschte König — Komplizenschaften — Eine regelrechte Regierung
Im Mai 1737 notierte Barbier, Advokat am Pariser Parlament, in seiner „Chronique de la Régence et du règne de Louis XV"* — nach der Mode der Zeit führte er Tagebuch — folgendes: „Die Herren vom Hof haben kürzlich einen Orden erfunden, der sich nach dem Beispiel Englands ,Frimaçons' nennt. Dort gibt es verschiedene Orden und wir müssen ja diese fremdländische Unsitten sofort nachahmen. Diesem Orden sind einige Staatssekretäre und mehrere Herzöge und Standesherren beigetreten. Man weiß nicht das Geringste über die Statuten und Vorschriften und den Zweck dieses neuen Ordens. Die Leute versammeln sich, nehmen neue Ordensritter auf und die oberste Regel ist, ein unverbrüchliches Stillschweigen zu bewahren über alles, was geschieht. Wie gefährlich sind doch solche derart geheimen Versammlungen von Standesherren für einen Staat, besonders nach den Änderungen, die im Ministerium erfolgt sind! Kardinal Fleury glaubte, diesen Ritterorden im Keim ersticken zu müssen und hat allen diesen Herren verboten, sich zu versammeln und solche Kapitel abzuhalten." * (Chronik der „Regentschaft" und der Regierung Ludwigs XV.)
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Die Freimaurerei erscheint also in Frankreich von Anfang an als okkulte Macht und ihre politische Tätigkeit ist in der Bemerkung Barbiers mehrmals angedeutet. Berichtet er doch, daß Kardinal Fleury sich beklagt, daß mehrere Staatssekretäre hineingezogen seien und daß die erfolgten Veränderungen im Ministerium ihm Anlaß zu großer Vorsicht dieser Gesellschaft gegenüber gäben. Der Kardinal ist sogar so klug, sie aufzulösen . . . Man hebt aber eine Geheimgesellschaft nicht durch einen Ministerialerlaß auf. Der freimaurerische Historiker Albert Lantoine berichtet, daß „die Freimaurer, von ihren englischen Brüdern abgerichtet, im Anfang ihre Arbeit betreiben konnten ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Es gibt aber kein Geheimnis, das nicht nach außen dringt, und wenn es das Geheimnis selbst nicht ist, so doch das Geheime des Geheimnisses." Die ersten offiziellen Dokumente über die Tätigkeit der Freimaurerei in Frankreich gehen auf das Jahr 1738 zurück. Man kann aber mit gutem Grund annehmen, daß die Freimaurerei schon früher dort eingeführt wurde. Selbst wenn man erst das Jahr 1732 annimmt, hätte die königliche Regierung mindestens fünf Jahre gebraucht, um ihre Existenz festzustellen. Das Geheimnis war gut gewahrt worden, und als Fleury sich 1737 der Freimaurerei gegenübersieht, ist sie bereits eine festformierte Gesellschaft. Die ersten Logen versammelten sich nach englischem Beispiel bei den Gastwirten. Ordensgroßmeister von Frankreich ist 1735 der englische Chevalier McLean. Die französischen Logen nehmen die „Konstitutionen" Andersons von 1723 an. „Dieser Text", schreibt der ehemalige Großmeister des Grand Orient von Frankreich Jacques Mitterand, „hatte in Frankreich eine viel größere Resonanz als in England. Es scheint, daß die Engländer zu jener Zeit nichts weiter im Kopf hatten, als daß der Freimaurerei drei Männer vorstünden: Payne, ein überzeugter Protestant, Anderson, ein Pastor und Desaguliers, Mitglied des anglikanischen Klerus und Hofkaplan des Prinzen von "Wales. Man hat nicht beachtet, daß Desaguliers, die Seele der Bewegung, Professor für Experimentalphilosophie und Mitglied der Royal Society sowie Freund und Mitarbeiter Newtons war. In Frankreich jedoch ist der Katholizismus Staatsreligion und die Kartesianer finden in Andersons Text den Widerhall ihrer eigenen Gedanken. Gegen die Staats-
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religion zu sein bedeutet Gewissensfreiheit, wie sie in den Konstitutionen von 1723 herausgestellt wird" 38 . 1736 gibt Ramsay folgende Definition der Freimaurerei: „Die Welt ist nichts als eine große Republik, in der jede Nation eine Familie, jeder einzelne ein Kind ist. Um diese wesentlichen Prinzipien, die der menschlichen Natur entnommen sind, wieder aufleben zu lassen, wurde die Freimaurerei in erster Linie gegründet" 39 . Die Anfänge der Freimaurerei in Frankreich sind immer noch wenig bekannt. „Wer hat den H e r z o g von Antin zum Großmeister ernannt?" schreibt Lantoine. „Man weiß es nicht und wird es auch niemals wissen" 40 . Louis Pardaillan de Gondin, H e r z o g von Antin, war 1734 eingeweiht worden; Großmeister wurde er 1738. Man weiß von ihm, daß er ein „Libertin" und stadtbekannter Liebhaber der Mlle Le Duc von der Oper war. Sein Nachfolger im Jahre 1743, Louis de Bourbon-Condé, Graf von Clermont, war „von noch zweifelhafterer Moral". Seine Jugendzeit verbrachte er in Verschwendung und Leichtlebigkeit. Mit vierzehn Jahren ließ er zum Andenken an seinen Affen Macathy ein prächtiges Mausoleum bauen. Sehr früh schon hatte er ein Abenteuer mit der Tochter des Herrn de Matignon, Madame de Grave, „einer Frau ohne besondere Skrupel", die außerdem als Animierdame galt, wie die Lebewelt von ihr sagte. „Später ist er fester Geliebter der Herzogin von Bervillon und in den Zwischenfall beim T o d Adrienne Lecouvreurs verwickelt. Danach wird er fester Geliebter der Tänzerin Camargo, die ihm zwei Kinder und zwei Millionen Schulden hinterläßt. Schließlich lebt er mit Mlle Le Duc und vollführt mit ihr seine weiteren Abenteuer. Am 22. März 1742 vergaß er, daß er das , Licht' erhalten hatte und zelebrierte zu Longchamps das ,Finsternisoffizium' (die Rumpelmette) mit einem Auftritt, der einen Skandal verursachte" 41 . 38
J. Mitterrand, a. a. O., S. 65.
39
Ebd., S. 66.
40
A. Lantoine, a. a. O., S. 7.
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G. Bord, La franc-maçonnerie en France, S. 164— 167.
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Sehr bezeichnend dabei: „Am Tage nach diesem Skandal wurde er von den Stuhlmeistern von sechzehn Pariser Logen zum ständigen Großmeister der Freimaurerei ernannt, die nun die ,Grande Loge' von Paris bildete, ,Grande Loge de France' genannt" 4 2 . In politischer Hinsicht ist der Graf von Clermont dadurch bekannt, daß er das Parlament gegen Ludwig XV. unterstützte. Als Prinz von Geblüt, für die Kirche bestimmt und tonsuriert, ging er schließlich zur Armee dank einer Dispens Klemens' XII., der ein Jahr zuvor die Freimaurerei verboten hatte! Diese Dispens erlaubte ihm, die beträchtlichen Pfründen zu nutzen, die mit seinem kirchlichen Stand verbunden waren. Lantoine geht mit diesem zweiten Großmeister der französischen Freimaurerei wenig zimperlich um: „Als Soldat bedeckte er sich mit Schande, da er bei der Schlacht von Krefeld floh und zum Gespött der Zeitungsschreiber wurde. Die Logen ließ er von einem Tanzmeister leiten, einem La Corne, der der Kuppler bei seinen heimlichen Liebschaften gewesen sei. Ein Zeitungsschreiber sagte bei seinem Tode, daß es in der Tat schwer wäre, einen zweiten ähnlich gottlosen und ähnlich zügellos ausschweifenden Menschen aufzufinden" 4 3 . Der Herzog von Chartres, der das Großmeisteramt nach dem T o d e des Grafen von Clermont antrat, war dadurch bekannt geworden, daß er den Protest der Prinzen von Geblüt gegen den Präsidenten Maupéou unterzeichnete, der den König unterstützte. Er wurde sogar nach Villers-Cotterets verbannt, wodurch er in die Opposition geriet. Unter seiner Großmeisterschaft entsteht eine erste Spaltung in der französischen Freimaurerei und es bildet sich die nationale Großloge, die im Jahre 1779 den Namen „Grand Orient de France" annimmt. Doch berufen sich schließlich alle Logen auf den H e r z o g von Chartres, den zukünftigen Philippe Egalité. Von ihren Anfängen an erscheint die Freimaurerei als dem König feindlich, und man kann zum mindesten sagen, daß ihre Großmeister nicht durch Tugendhaftigkeit glänzen. Der Orden 42
J. Berteloot, La franc-maçonnerie et l'Eglise catholique, motifs de condamnation, S. 77. 43 A. Lantoine, a. a. O., S. 66.
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rekrutierte seine Beschützer und Anhänger aus dem korruptesten Teil des französischen Adels, sodaß man lange Zeit von den Freimaurern nur deren Libertinage im Gedächtnis behielt. Lantoine stellt fest: „Die Freimaurer benötigen, um sich vor den Indiskretionen des Staates zu schützen (sie), an ihrer Spitze eine Persönlichkeit von hoher Geburt, deren Dienste oder deren Familienansehen ihnen die Gunst oder Sympathie des Monarchen einbrachten. Vielleicht wird dadurch das bereits heraufziehende Unwetter zwar nicht verhindert, aber doch wie beim Blitzableiter auf dem Dachfirst in seinen Wirkungen abgeschwächt." Kardinal Fleury läßt sich indessen nicht einschüchtern und sein Polizeichef Hérault bekommt den Auftrag, die Logen genauer zu überwachen. Im August 1737 findet eine erste Hausdurchsuchung statt, wie zufällig bei einem Engländer. Man beschlagnahmt rituelle Ornate und die Statuten der Freimaurerei. Die große Polizeiaktion aber war erst am 10. September 1737. Sie wurde von Maître Jean Delespinay angeführt, dem königlichen Rat und Kommissär am Chätelet. Er kam abends um halb zehn Uhr mit einem Überfallkommando nach La Râpée"' zu einem gewissen Chapelot, einem Weingastwirt „zum Saint Bonnet". Die Freimaurer wurden in flagranti ertappt. Die meisten Anwesenden, bemerkt Delespinay in seinem Bericht, „hatten Schürzen von weißem Fell an und ein blaues Seidenband um den Hals, an dem einige ein Dreieck, andere eine Kelle und andere einen Zirkel oder andere Freimaurerwerkzeuge trugen". Chapelot, der Wirt, behauptete, daß er die Namen seiner Gäste nicht kenne und daß er, wenn ihm der königliche Erlaß bekannt gewesen wäre, sich vorgesehen hätte, sie bei sich aufzunehmen. Er wurde nichtsdestoweniger zu 1000 Livres Geldstrafe verurteilt und seine Weinstube wurde für sechs Monate geschlossen. Die maurerische Solidarität griff ein und die Loge entschädigte Chapelot. Man mußte sich die Wirte warmhalten. Seither waren die Freimaurer auf der H u t , verlangsamten aber keinesfalls ihre Tätigkeit. Am 17. November 1737 schreibt Herr de Raucourt, Freimaurer, an Herrn Bertin du Röchet, * Viertel von Paris.
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ebenfalls Freimaurer: „Es gibt hier viele Standesherren, die bei sich zu Hause Logensitzungen halten." Indessen verlor der Polizeichef die Freimaurer nicht aus den Augen. Er wiederholt an alle Gastwirte, Besitzer von Weinstuben und anderen Lokalen das Verbot, diese bei sich aufzunehmen, macht das Verbot in ganz Paris bekannt und läßt es öffentlich anschlagen, damit es jeder lesen kann. Die Pariser erfuhren somit die Existenz der Freimaurerei zugleich mit deren Auflösung. Der Polizeichef hatte die Angelegenheit wirklich ernst genommen. Er hatte eine Anzeige mit Schilderung der freimaurerischen Bräuche erhalten. Diese ließ er veröffentlichen und das machte einen ungeheuren Lärm. Lantoine stellt fest: „Die Freimaurer sind bestürzt, die englischen Maurer wütend, denn wenn das Geheimnis der Freimaurerei, um nach Frankreich zu gelangen, den Kanal überquert hat, kann sein Bekanntwerden auch umgekehrt den Weg nach Großbritannien gehen und bei den Profanen* ausgeplaudert werden." Das war übrigens auch der Fall. Der freimaurerische Autor Lionel Vibert, der eine ziemlich vollständige Bibliographie über die „Verbreitung freimaurerischer Geheimnisse im 18. Jahrhundert" publiziert hat, teilt mit, daß 1738 in London bei Torbuck unter dem Titel „The secrets of Masonry made known to all men" eine neue Version der „Masonry disected" von Prichard erschien. Dieses Werk enthielt einen „Brief aus Paris", in dem eine Ubersetzung der Anzeige an den Polizeichef enthalten war. So lückenhaft diese Denunziation gewesen war, löste ihr Bekanntwerden in den Logen einen großen Skandal aus und bei der Öffentlichkeit ein großes Gelächter, da diese nur Lächerliches an den maurerischen Zeremonien und der Ausstaffierung der Brüder sah. Der Freimaurer Abbé Camus schreibt am 23. Dezember 1738: „Man läuft uns zur Zeit in Paris auf allen Straßen nach, und es gibt keinen Gassenjungen, der uns nicht zuschreit und sich mit unseren Zeichen großtut." Ein anderer Freimaurer, Bertin du Röchet, berichtet seinerseits, daß in seiner lieben Stadt Epernay die Bevölkerung ganz aus dem Häuschen ist: „Welcher Skandal! Welche Schande . . . Die Nichtfreimaurer.
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Die Brüder werden ausgepfiffen, verhöhnt, mit Spottliedern bedacht. Dieses Unwesen breitet sich sogar in der Provinz aus. Unsere Stadt wird mit Abschriften der Berichte (von Hérault) überschwemmt. Das Volk hebt die H a n d , schlägt den Daumen nach innen und grüßt sich nur noch: ,Guten Tag, Monsieur Jakin, habe die Ehre, Monsieur Bouasse!'* Eine Dame hat ihre jungen H u n d e auf diese Namen ,getauft'." Die öffentliche Neugier wurde durch zahlreiche Broschüren befriedigt, die jetzt erschienen und die Geheimnisse der Freimaurerei bekanntmachten. 1742 erschien „Le Secret des Francs-Maçons" von Abbé Pérau. Ein Zeitgenosse Marvilles vermerkt mit Datum vom 10. Februar 1744 in seinem Tagebuch: „Die Broschüre erregt Aufsehen und findet Absatz. Die Eiferer für den Orden sagen, daß alles, was darin steht, falsch sei und dieses Buch auf Befehl der Regierung verfaßt, um den Orden in schlechten Ruf zu bringen und zu vernichten." Die Freimaurer geben heute zu, daß die Beschreibungen in den Broschüren des 18. Jahrhunderts richtig waren. N u r waren sie unvollständig. 1744 erscheint ein „Catéchisme des Francs-Maçons", der die genaue Beschreibung der Einweihung zu den drei ersten Graden der Freimaurerei enthält, auch daß die Freimaurerei als übereinander gestufte Geheimgesellschaft organisiert ist, wo niemand weiß, was sich im nächsthöheren Grad abspielt. „Die Engländer sind wütend", schreibt Marville am 9. Februar 1744 an Maurepas, „daß das Geheimnis der Freimaurerei bekanntgemacht worden ist. Man versichert, daß in London beschlossen worden sei, andere Geheimnisse zu erstellen, und daß die Freimaurer alle Franzosen degradieren und sie für immer aus ihrer Gesellschaft ausschließen wollen, daß sie außerdem alles tun, um die Namen derer zu erfahren, die die Geheimnisse aufgedeckt haben, und daß man so viele umbringen wird, als man entdecken kann." Man muß schon annehmen, daß das, was man Mitte des 18. Jahrhunderts über die Freimaurer erfuhr, sehr schwerwiegend war, wenn es die Regierungen beunruhigen konnte. „Man unterstellt ihnen nichts Geringeres als Projekte zur * Booz und Jakin sind die beiden Säulen des freimaurerischen Tempels.
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Zerstörung der Religion und zur Absetzung der Regierung", sagt der Autor der „Franc-Maçons écrasés". „Man hat sie deshalb sehr häufig verfolgt: In Italien wurden sie vom Bannstrahl der Exkommunikation getroffen; die Republik Venedig und der König von Sardinien haben sie aus ihren Staaten verbannt. Vor einigen Jahren verfolgte sie die Königin von Ungarn in Wien. Die Niederlande verboten ihre Versammlungen durch Plakate an jeder Straßenecke. Im russischen Reich ergriff man Vorsichtsmaßnahmen gegen ihre Ausbreitung. Zu Bern in der Schweiz zwang man sie, vor dem Magistrat einen Eid zu leisten, daß sie auf alle beim Eintritt in den Orden übernommenen Verpflichtungen verzichten würden. Auch an anderen Orten wurden sie geächtet." So viele Mächte trafen sich also in derselben Besorgnis: Die Freimaurerei ist eine Geheimgesellschaft, die Komplotte schmiedet gegen Religion und Monarchie. Das plötzlich auf die Freimaurer gerichtete grelle Licht beunruhigte die Verschworenen. Es wurde absolut notwendig, die Welt irrezuführen. Die öffentliche Meinung hatte vor allem das gegen sie, daß sie eine Geheimgesellschaft waren. Man mußte also ein Mittel finden, das Geheimnis anders zu erklären als mit den Erfordernissen einer politischen oder philosophischen Verschwörung. Was kann man aber sonst noch tun als sich verschwören? — Sich amüsieren, antwortete der Chevalier Ramsay, der Großmeister des Ordens! Das war ein genialer Einfall. Ramsay erklärte dem König, daß die Freimaurerei eine Gesellschaft von braven Bürgern sei, welche „alle Menschen aufgeklärten Geistes, von guten Sitten und angenehmem Wesen versammeln wolle, die nicht nur für die schönen Künste begeistert seien, sondern noch mehr für die großen Prinzipien der T u gend, der Wissenschaft und der Religion, so daß die Interessen der Bruderschaft mit denen der ganzen Menschheit zusammenfielen". Also eine Gesellschaft von Schöngeistern, von Männern angenehmer Gemütsart? Ist es dazu notwendig, sich durch ein Geheimnis zu binden und sich im Geheimen zu versammeln? Kardinal Fleury ließ sich nicht düpieren noch zum Komplizen machen. Er hält nach wie vor sein Verbot aufrecht. „Chevalier Ramsay", sagt Bernard Fay nicht ohne Humor,
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„war ein adeliger Schotte, der nicht in Schottland wohnte und der keineswegs adelig war" 44 . Nichtsdestoweniger war er eine einflußreiche Person der Freimaurerei im „Jahrhundert des Lichts". Er war 1686 zu Aye in Schottland geboren, sein Vater war ein einfacher Bäcker gewesen. Ramsay studiert zu Edinburgh und wird Erzieher der Söhne des Gräfes von Wemyss. In der protestantischen Religion aufgewachsen, verbrachte er seine Jugend im Zweifel an der Religion, wie viele Schöngeister damals. Nach einigen Jahren wechselte er von den Anglikanern zu den Sozinianern über, von diesen zum Deismus, vom Deismus zum Indifferentismus und vom Indifferentismus zum Pyrrhonismus. Er fühlte sich nun als Mann von Welt, als Philosoph, und als solcher bereiste er die Welt. „Er begab sich nach Holland, dem großen Jahrmarkt der Religionen, wohin nach einem damaligen Sprichwort der Teufel, falls er Schule halten wollte, sich gewiß begeben würde und sicher sein könnte, dort Schüler zu finden." Entscheidend war für ihn, der sich von da an Chevalier de Ramsay nannte, die Begegnung mit Fénelon. Wer von den beiden die Eroberung des anderen machte, darüber kann man streiten. Soviel ist sicher, daß Chevalier Ramsay katholisch wurde und in der Umgebung Fénelons lebte gleichwie Madame Guyon, an deren mystischen Erlebnissen er teilnahm. Man findet ihn nun als Schüler, Herausgeber, Biographen und Nachahmer Fénelons. Roger Priouret drückt sich so aus 45 : „Fénelon schrieb schlecht, war ein Pedant und fabulierte ein wenig. Montesquieu beurteilte ihn als fade." Das hinderte aber nicht, daß „Fénelon im ganzen 18. Jahrhundert gelesen wurde, was er Ramsay verdankte, und Ramsay verdankte Fénelon, auf Kosten der Quietisten gelebt und beinahe den Zutritt zur Académie Française geschafft zu haben". Nach dem T o d des Bischofs von Cambray — Fénelon — wurde Ramsay der Herausgeber seiner Werke. 1723 beschrieb er sein Leben und veröffentlichte den „Télémaque" mit einem eigenen Vorwort. 44
B. Fay, u.a. O., S. 135.
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Le Monde, 27. 4. 1950.
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In seiner „Vie de Fénelon" fallen seltsame Worte auf, die er ihm, dem Verächter Bossuets, in den Mund legt: „Wenn die Herrscher die Gewohnheit haben, als Gesetz nur ihren eigenen Willen anzuerkennen, untergraben sie die Fundamente ihrer Macht. Es wird eine plötzliche und heftige Revolution geben, die, statt die übertriebene Autorität zu mäßigen, sie rettungslos niederschlagen wird" 46 . So wirkt Ramsay durch kleine Andeutungen mit am neuen Geist. Natürlich wird er Freimaurer und versucht einen großen Coup. Am 20. März 1737 schreibt er an Kardinal Fleury, um ihn zu bewegen, die Freimaurerei anzuerkennen. Der Kardinal lehnt ab. Der Rat des Königs hatte am 4. September 1736 die Freimaurerei verboten. Lantoine stellt fest, daß „Kardinal de Fleury nicht der Mann ist, sich von den ,guten Absichten' der Geheimgesellschaften täuschen zu lassen. Trotz Ramsays hinterlistigem Angebot will er lieber nicht darauf bauen. Er verbietet die maurerischen Sitzungen, wie bereits — siehe oben — das ,Entresol' verboten worden war, das Bolingbroke als ,Gentlemen-Café' betitelte, das d'Argenson jedoch, der als Polizeichef klarer sah, eine politische Vereinigung nannte" 47 . Ramsay hatte einen guten Zeitpunkt gewählt. Die Jesuiten steigerten ihre Angriffe auf Ludwig XV. wegen seines Privatlebens, wie sie sagten, und Ramsay bot dem König das Bündnis mit den Freimaurern gegen die Jesuiten an. „Eure Eminenz", schrieb Ramsay an Kardinal Fleury, „wird ihrem Namen durch die Protektion (der Freimaurer) zu größerem Ruhm verhelfen als Richelieu dem seinen durch die Protektion der Académie Française." „Im Jahr 1737", schreibt der große Historiker Ludwigs XV., del Perugia, „würde das Gewicht des Hauses Bourbon, wenn es sich am Aufbau des freimaurerischen Mondialismus beteiligt hätte, zweifellos das Ende des Katholizismus beschleunigt und den Triumph des ,Lichts' um ein Jahrhundert vorgezogen haben. 46 47
A. Lantoine a. a. O., S. 143.
A. Lantoine, Histoire de la franc-maçonnerie française. La franc-maçonnerie chez elle (Die Freimaurerei unter sich), S. 121.
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N u n wählen nach der Weigerung Ludwigs XV. im Jahre 1737 die hohen Würdenträger der Freimaurerei ihre Großmeister während eines halben Jahrhunderts aus bourbonischem Blut. Zunächst beschränken sie sich auf einen Bastard, den H e r zog von Antin, dann auf Vertreter von Seitenlinien, den H e r zog von Clermont und den Prinzen Conti, um schließlich bei einem Glied des jüngeren Zweigs, dem H e r z o g von Chartres, dem zukünftigen Philippe Egalité, zu landen, der in der Folge zum Königsmörder wird." Die Dokumente bezeugen somit, daß Ludwig XV. selbst in dem Augenblick, als er von der Gesellschaft Jesu angegriffen wurde, sich weigerte, Protektor der Freimaurerei zu werden, womit er ein Ersatzbündnis von ungeheurer Stärke ablehnte. 48 Nachdem es der Freimaurerei nicht gelungen war, Ludwig XV. in ihre Reihen zu locken, machte sie sich daran das Hindernis zu umgehen, um doch allmählich den Zugang zur Macht zu erreichen. „Von der Jahrhundertmitte an, von 1761 bis 1775", schreibt der freimaurerische Historiker Bouton, „ist der Graf von SaintFlorentin Staatssekretär der Maison du Roy, des einflußreichsten königlichen Ressorts. Er war im September 1735 in Gegenwart von Montesquieu in der ,Loge d'Aumont', Rue de Bussy, eingeweiht worden. Seine Sekretäre sind Nogaret, der 1788 Stuhlmeister des ,Patriotisme', des Hof-Orients werden wird, und Moët, der in Paris, Rue Montmartre, gegenüber der Rue des Augustins wohnt und Stuhlmeister der am 17. Januar 1753 gegründeten Loge ,Le Secret' ist sowie selbst 1743 den ,Ordre bachique de La Fidélité' gegründet hat. Also sehr aktive Propagandisten der Freimaurerei, vor allem Moët, Generalsekretär der Pariser Logen (.. .). Kein Wunder, daß die Depeschen des Königs, von Saint-Florentin abgefaßt, die Freimaurerei nicht sehr beunruhigen. Für die auswärtigen Angelegenheiten gibt es den H e r z o g von Choiseul, der ebenfalls im Grand Conseil und im Depeschenrat sitzt. Er hat Freimaurer in seiner Familie, die Gegner der Jesuiten sind und die Philosophen protegieren. Er ist mit Voltaire in Korrespondenz und empfängt bei sich alle ,Feinde der Reli48
Paul del Perugia, Louis XV, S. 96.
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gion'. Bei der Justiz ist d'Aguesseau Protektor und Verteidiger Diderots und der Enzyklopädisten" 49 . Nach dem T o d Kardinal Fleurys wird dieser nicht durch einen Premierminister ersetzt, sondern Maurepas, Minister der „Maison du Roy" und Staatssekretär der Marine, wird direkter Vorgesetzter des Polizeichefs. D'Argenson sagt, daß Maurepas Freimaurer ist, man versichert, daß Marville es ist, und in den Salons fragt man sich, „ob der König es auch ist". „Die Geheimgesellschaften", bemerkt Lantoine, „die im allgemeinen Anlaß zu Schmähreden geben, erhalten auch großartige Schmeicheleien (. ..). Wenn eine Gesellschaft solchen Kredit erhält nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch bei Personen von hohem Rang, deren ein wenig törichte Vermutungen noch ihren Glanz erhöhen, wie soll man sich dann über die Milde der Unterdrückung wundern, die man an O r t und Stelle walten läßt? Man hätte zu streng verfahren müssen und an zu hoher Stelle" 50 . Der neue Polizeichef ist Monsieur de Marville; Ludwig XV., dem sehr daran gelegen ist, Auskünfte aus erster H a n d zu bekommen, empfängt Herrn de Marville jeden Montag in Privataudienz. Die Weisung des Königs bleibt stets die gleiche: Versammlungsverbot für die Freimaurerei. Am 21. April 1740 verhaftet die Polizei sechs Freimaurer, wovon zwei Engländer sind. Diese Maßnahmen veranlassen die Anhänger, ihre Vorsichtsmaßnahmen zu verdoppeln, und das Geheimnis der Loge verdichtet sich. Man fragt sich aber, ob die Überwachung stets gut durchgeführt wurde. In den „Mémoires" d'Argensons gibt es eine Bemerkung, die nachdenklich macht: „Man beginnt wieder aufs Großartigste mit den Freimaurerzeremonien und das Haupthospiz ist bei dem Grafen von Mailly. Die Polizei wagt keine Durchsuchungen." Marville stellt auch gleich fest, daß die Protektion des Grafen von Clermont kein leeres W o r t ist. Einige Wochen nach seiner Ernennung an die Spitze des Ordens greift der Prinz zugunsten 49 André Bouton, Les franc-maçons manceaux (von Le Mans) et la révolution française, S. 45. 50 A. Lantoine, a. a. O., S. 57.
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eines eingekerkerten Freimaurers ein, des Advokaten Petit von Aine, der überrascht worden war, als er Einberufungen austrug. Der Prinz ließ den Polizeichef wissen, daß „er diesen Sekretär einer Freimaurerloge mit seiner Hochachtung auszeichne". Es ist zu beachten, daß die Freimaurerei bereits so stark ist, daß sie einen Prinzen von Geblüt ins Spiel bringen und ihre Beschützer intervenieren lassen kann, wenn die Polizei bei der Ausführung der Befehle des Königs zuviel Eifer aufwendet. Herr de Boislisle erzählt in seinen „Lettres de M. de Marville", daß „die Polizeimaßnahmen gegen die Freimaurer weitergingen, seit der König im Jahre 1740 erklärte, er wolle nicht mehr, daß man die Logen dulde". Indessen verhaftet man nur Komparsen, Weinwirte, die die Freimaurer bei sich aufgenommen haben. Die hohen Würdenträger wie der Prinz von Bourbon-Conde, von dem man sicher weiß, daß er Großmeister des Ordens ist, da man bei einer Logendurchsuchung Dokumente mit seinem Wappen sichergestellt hat, werden keineswegs beunruhigt. Gilt nicht Maurepas selbst als Freimaurer? Das scheint unzutreffend zu sein, aber bereits die Tatsache, daß man es damals sagte, zeigt an, daß er für reichlich liberal gegenüber der Sekte galt. Eine Note von Maurepas an den König vom 11. Juni 1745 zeigt, wie der Minister versucht, die Tatsachen zu bagatellisieren: „Eure Majestät wird sich durch das heutige Schreiben selbst überzeugen, daß man die Freimaurer nicht außer Acht gelassen hat und daß ihre Drohungen nichts bewirkten. Es waren übrigens nur kleine Leute da. Was man ihnen abgenommen hat, waren nur Instrumente, Werkzeuge und andere bekannte Dinge, die zur Aufnahme dienen, keineswegs aber Statuten. Man wird ihre weiteren Schritte mit gleicher Aufmerksamkeit überwachen." Der T o n dieser Note ist verräterisch. Offensichtlich antwortet Maurepas auf eine strenge Anweisung des Königs und die Note will nichts anderes als ihm einreden, daß er die Gefahr überschätzt. Maurepas täuschte übrigens den König, wo er schrieb, es gebe bei diesen Versammlungen nur „kleine Leute". Die Mitgliederliste dieser Loge ist bis auf uns gekommen und darin fi-
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gurieren: ein Mitglied der Universität, ein Bankier, ein Architekt, ein Advokat, ein ehemaliger Bittschriftenbearbeiter, ein Edelmann und der Leibchirurg des Königs, Doktor Dibon, ebenso der Kammerdiener des Königs, Marinot! Dazu noch drei Benediktiner. Die Verschwörung ist also viel weiter fortgeschritten, als man den König glauben macht. Allein in Paris gibt es siebzig aktive Logen. Die Anhänger lassen geschickt verlauten, daß die höchsten Persönlichkeiten des Königreichs Freimaurer seien und daß der König es selbst sei. Man weiß nicht mehr, was man glauben soll, wem man trauen kann. Durch das Wirken einer Geheimgesellschaft im Gesellschaftskörper werden alle seine Verhältnisse verzerrt. Wer aber ist es, der um die Jahrhundertmitte die Freimaurer so begünstigt? Es ist die Fronde des Adels, der nach der Oligarchie trachtet, wie sie der englische Adel ausübt. Die Freimaurerlogen sind ein idealer Rahmen für diese dauernde Konspiration gegen die königliche Autorität. Eine erste Französische Revolution, die sich im Geheimnis der Loge zusammenbraut, ist die Revolution des Adels, der nach Macht und Privilegien begehrt. Diese erste Revolution geht mit einer zweiten schwanger, der Revolution der Bourgeoisie. Parlamentarier, Bankiers und Kaufleute bilden das Gros dieser Gruppe, die der Adel am Zügel zu halten glaubt und deren er sich nur als manövrierbarer Größe bedient. Die Nation spaltet sich, jeder von den drei Ständen hat seine Politik und strebt nach Macht. Beherrscht der König nicht mehr als Schiedsrichter sie alle ungeachtet des Eigennutzes, den sie vertreten, so ist es mit dem Königreich vorbei; aus den Parteien werden ebensoviele Zersetzungsfermente. Im Jahr 1752 zählt man in Paris 22 Logen und 200 in der Provinz. Gewisse Städte haben mehrere Logen. In Rouen gibt es z. B. sieben. Eine rasche Entwicklung, die nach Lantoine nicht ohne einen „vollkommenen Wirrwarr" abläuft. „In der Grande Loge de France gab es mehrere feindliche Parteien, die im Orden eine solche tumultuóse Verwirrung stifteten, daß die Logenleitung im Juni 1767 die Einstellung der Arbeiten befahl (. . .). Die Loge erlebte dabei bewegte Tage. Trotz des verordneten ,Schlafs' ging die Verwaltung weiter. Die Korrespondenz
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mit der Provinz wurde fortgesetzt und es wurden dort neue Logen geschaffen." Die Freimaurerei fühlt sich mit ihrer Geheimorganisation stark und spottet der Verbote der Regierung. Sie bildet bereits einen Staat im Staate. Sie erreicht übrigens sehr schnell die Aufhebung des Verbots und im Jahre 1771 reorganisiert sie sich mit der Protektion des Herzogs von Luxemburg unter dem Namen „Grand Orient", so daß Lantoine schreiben kann: „Die Freimaurerei hat es fertiggebracht, mit der Komplizenschaft des Staates zu leben, der sie in legaler Weise zerstören wollte" 51 . Mehr als das, sie bildet eine Schattenregierung. Joseph de Maistre, damals Mitglied der Loge der Illuminaten von Lyon, schreibt an Ferdinand von Braunschweig: „Ohne Zweifel ist der Freimaurerorden als eine weitreichende Regierung zu betrachten '52. Robinson, der den englischen Logen angehörte und sie verlassen hatte, hinterließ folgendes Bild der freimaurerischen Bewegung im 18. Jahrhundert: „Ich hatte die Möglichkeit, alle Versuche zu verfolgen, die fünfzig Jahre lang unter dem Vorwand gemacht wurden, die Welt mit der Fackel der Philosophie zu erhellen und die Wolken zu zerstreuen, deren sich der religiöse und zivile Aberglaube bedient, um alle Völker in Europa in Finsternis und Knechtschaft zu halten. Ich konnte beobachten, wie das Ausgreifen dieser Lehren immer mehr und immer enger mit den verschiedenen freimaurerischen Systemen verbunden war. Schließlich sah ich eine Gesellschaft sich bilden, die nur ein Ziel hatte, nämlich alle religiösen Einrichtungen fast bis auf den Grund zu zerstören und alle in Europa bestehenden Regierungen zu stürzen. Ich sah, wie diese Gesellschaft ihre Prinzipien mit solchem Eifer verbreitete, daß sie fast unüberwindbar geworden war, und ich stellte fest, daß die Personen, die den Hauptanteil an der Französischen Revolution hatten, Mitglieder dieser Gesellschaft waren, daß ihre Pläne nach den Prinzipien dieser Gesellschaft gefaßt und mit ihrer Beihilfe durchgeführt wurden" 5 3 . Die wirkliche Revolution ist in den Logen herangewachsen, wo sich das geistige Klima bildete, das sie ermöglicht hat. Und die 51
Ebd., S. 65 f.
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Revue Internationale des Sociétés secrètes, 1932, S. 56. Ebd.
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Revolutionen brechen aus, wenn sie ihrem Ziel, das sie sich gesteckt haben, nahe sind. Will man sie verstehen, so muß man sie zu dem Zeitpunkt erfassen, wo sie im Geist der Menschen entstehen, diesen von der alten O r d n u n g lösen und für die neue O r d n u n g bereitmachen. Man darf die Tätigkeit der Freimaurerei seit dem 18. Jahrhundert weder über- noch unterschätzen. Sie kann nicht die ganze Geschichte erklären, aber die Geschichte kann nicht ohne sie erklärt werden. V o r allem bildet sie einen geheimen Faktor, eine okkulte Aktion im Leben der Völker, durch welche das ganze soziale Leben verzerrt wird. Es ist interessant, die Haltung der Freimaurerei bei der Verurteilung durch Klemens XII. zu beobachten. Sie tut, als ob sie der Bulle „In Eminenti" überhaupt keine Rechnung trüge. So bitten z. B. die Freimaurer von Sables d'Olonne ihren Pfarrer, aus Anlaß der Einrichtung ihrer Loge eine Messe zu lesen. Der Pfarrer fragt bei Bischof de L u f o n an. Dieser beschließt klugerweise, nach Paris zu schreiben: „Ich weiß", schreibt er dem Ministerium, „daß diese Gesellschaft infolge des Geheimnisses, mit dem sie sich umgibt, notwendigerweise von der Kirche verfolgt werden mußte, aber ich sehe, daß in Paris und in den anderen großen Städten des Königreichs sich Logen öffentlich halten können ohne Beschwerden von Seiten des Magistrats." In der Erwartung, „die Meinung der Regierung" kennenzulernen, gibt Mgr. de Luipon seine eigene kund. Er befindet, „eine Gesellschaft, deren Zusammenhalt ein furchtbarer Schwur, deren Zeremonien eine strafbare Vermischung von Heiligem mit profansten Dingen ist, nicht als etwas Gleichgültiges ansehen zu können. Das ist zum mindesten die Meinung, die sich die Öffentlichkeit von der Sache gemacht hat. Und wäre diese Meinung auch unbegründet, so wäre doch die Weigerung der Freimaurer, sich offen zu erklären, Grund genug, ihnen das Ärgernis, das sie dadurch verursachen, anzulasten, und aus diesem Grund schon sind sie strafbar." Die Antwort aus Paris war negativ. Es durfte keine Messe für die Loge gelesen werden.
4. KAPITEL
Die Geheimgesellschaften Condorcets Frage — Papus' Antwort — Die Einheit der Geheimgesellic haften — Die Meinung Tillys — Die Freimaurerei bei der Vorbereitung der Französischen Revolution — Die Frage Drumonts — Ursachen der Stärke der Freimaurerei — Frauen in der Loge — Die Loge zu den „Neuf Soeurs" — Voltaires Einweihung
In seiner „Esquisse d'un tableau de l'Esprit humain" stellt Condorcet die Frage nach den frühesten Anfängen der Freimaurerei: „Wir wollen untersuchen, ob sich nicht etwa in einer Zeit gefährlichen philosophischen Bekehrungseifers Geheimgesellschaften gebildet haben, um eine kleine Anzahl grundlegender Wahrheiten durch einige Anhänger heimlich und ohne Gefahr festzumauern und verbreiten zu lassen als sicheren Schutz gegen die herrschenden Vorurteile. Wir wollen nachforschen, ob man nicht den berühmten Templerorden den Geheimgesellschaften zuzählen kann, gegen den sich die Päpste und Könige so niederträchtig zusammentaten und den sie derart barbarisch behandelt haben" 54 . Ob es sich um die Templer, um die Rosenkreuzer oder um andere Geheimgesellschaften handelt, soviel ist offenkundig, daß seit den Anfängen des Christentums unter verschiedenen Namen eine Gegenkirche existiert, in der die Rebellion Satans „in der Zeit" verwirklicht wird. Der Okkultist Dr. Encausse, in der okkulten Welt als Papus bekannt, in dieser geheimen Geschichte des Christentums sehr bewandert, gibt in seiner Abhandlung „Traité élémentaire d'occultisme" ein treffendes Beispiel: 54
A. Lantoine, a. a. O., S. 111.
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„Man nimmt allgemein an, daß der Protestantismus spontan aus der Lehre Luthers entstanden ist, während es sich in Wirklichkeit um ein Komplott handelte, das reiflich vorbereitet und rasch durchgeführt worden ist. Im einstigen Zentrum der Freischöffen im alten Deutschland versuchten die Eingeweihten mehrfach, das Volk durch eine religiöse Reform geistig zu befreien. Die ersten Resultate waren jämmerlich . . . Doch sieht man von da an in Deutschland eine ganze Bewegung entstehen, die nur nicht genügend beachtet wurde: den geheimen Zusammenschluß aller deutschen Fürsten und kleinen Feudalherren, die von der H ö h e ihrer Schlupfwinkel aus die Straßen und Flüsse beherrschen. Alle sind untereinander durch geheimnisvolle Agenten, jene fahrenden Sänger in Verbindung, die von Schloß zu Schloß ziehen, ferner die Philosophen und eben die Maurer . . ., die von Stadt zu Stadt wandern. Aus dieser okkulten Tätigkeit entsteht eine so gut organisierte Gruppierung, daß die vom Papst ausgesandten Soldaten der römischen Polizei, die sich des Mönchs Luther bemächtigen sollen, der soeben seine Absicht der Rückkehr zu den Prinzipien des Evangeliums dargelegt hat, ihn von den Soldaten des Fürsten von Sachsen umgeben finden, die sie nicht durchlassen. Daraufhin große Aufregung im Vatikan! Aber das erstaunlichste ist, daß wenige Monate später halb Deutschland protestantisch war. Das wäre niemals von selbst geschehen . . . Es war keine Kleinigkeit, die religiöse Einstellung eines ganzen Landes wie Deutschland so tiefgreifend zu verändern. So etwas muß seit langer Zeit vorbereitet gewesen sein. Liest man einige — sehr gut geschriebene — Werke katholischer Autoren über die Reformation, so wird man über eine Mitteilung sehr überrascht sein: In mehreren protestantischen Gegenden hat man Zeichnungen von phrygischen Mützen und ineinandergeschlungenen Händen gefunden, die, lange vor der Reformation entstanden, den an der Erschaffung des Protestantismus beteiligten Fürsten als Losung dienten" 55 . W e r weiß schon, daß die Rosenkreuzer, deren Name und Existenz erst seit 1614 bekannt wurde, ihr Hauptwerk die Re55
Permanences, April 1966.
Die Geheimgeselischaften
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formation nannten? Wer weiß, daß Luther in seinem Siegel das Rosenkreuzer-Emblem hatte? Papus zeigt die Rolle dieser geheimen Geschichte, die der offiziellen voran- und neben ihr hergeht, bei der Vorbereitung der Französischen Revolution auf: „Es gibt naive Menschen, die ein Geschichtsbuch aufschlagen und darin das schöne Bild eines heftig gestikulierenden Mannes finden, der ,A la Bastille!' schreit. Sie stellen sich vor, daß der Sturm auf die Bastille ganz einfach infolge der Volkswut geschah, die der Volkstribun mit seiner Heldentat hervorrief. Ich bedaure ihnen sagen zu müssen, daß sie sich sehr täuschen, und daß es bis zu dem Schrei Camille Desmoulins' zweiundvierzig Jahre gebraucht hat. Um auf die Bastille losgehen zu können, mußte man vorher alle Offiziere, die an diesem Tage in Versailles Wache halten sollten, zum Eintritt in den Freimaurerorden bewegen. Man mußte sich der — geheimen oder eingestandenen — Komplizenschaft der ersten Diener des Königs versichern. Man mußte das Volk von Paris mit Waffen versehen; zu diesem Zweck wurden die Kanonen für die Einnahme der Bastille vierzehn Tage vorher durch vertrauenswürdige Männer zu den i n validen' transportiert. Schließlich mußte man eine Revolte anstiften und die Pariser zum Angriff auf die Staatsfestung brina gen. Es gibt keine große Revolution, sei sie politisch oder religiös, die spontan ausbricht. Man wird immer und unter allen Umständen eine unterirdische, okkulte Tätigkeit finden, die der Ausgangspunkt der Geschehnisse ist. Manche glauben, aus der Vielheit der Geheimgesellschaften schließen zu müssen, daß sie keinen bestimmenden Einfluß auf die Geschichte hätten haben können. Die okkultistische Zeitschrift „Le Voile d'Isis" antwortet in der Januarnummer 1935 auf diesen Einwand und bekräftigt die Einheit der Geheimgesellschaften: „ . . . Selbst wenn einige dieser Organisationen, die sich an den äußersten Enden befinden, in Opposition zueinander stehen, so wird das in nichts die einheitliche Leitung behindern, weil diese Leitung über der Opposition steht und keinesfalls nur in dem Bereich, in dem sie zu stehen vorgibt ( . . . ) . Die Elemente, die sich untereinander bekämpfen, gehorchen alle,
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wenngleich unbewußt und ungewollt, einer einzigen Führung, deren Existenz sie nicht einmal ahnen" 5 6 . Gustave Bord interpretiert dieses Phänomen etwas anders: „Gibt es einen einzigen Willen, einen leitenden Ausschuß, einen höchsten Oberen über allen geheimen Oberen? Ist es eine N a tion, eine Rasse, die das Ganze anführt? Albion oder Israel? Nein, die Freimaurerei hat keine solchen höchsten Oberen, dafür sind die Systeme zu verschieden, zu zahlreich und oft untereinandere verfeindet. Es ist der freimaurerische Gedanke, der, sich ausbreitend, diese ganze Welt lenkt, ohne daß die meisten Freimaurer auch nur etwas davon wissen" 57 . So lautete auch die Analyse von Maurras: „Nein, ich zweifle am Jahrhundertplan' im Singular (. . .). Ich will lieber mehrere aufeinanderfolgende Pläne gelten lassen, die je nachdem zusammenstimmen oder nicht, Pläne, die von den schon vorher existierenden Ideen, Interessen, Meinungen in eine Richtung gebracht werden — Pläne, die sich in einigen Punkten treffen, in anderen widersprechen, wie es ja auch der Fall ist" 58 . Ich glaube, daß die Päpste das Problem am besten erkannt haben, als sie von der „Synagoge Satans" sprachen. Der Geist der Freimaurerei ist der Geist der Revolte, der Geist der Erbsünde. Die religiösen Umwälzungen sind stets von einer politischen Umwälzung begleitet. In seinem Werk „A political and culturel History of Modern Europe" weist Carlton J. H. Hayes darauf hin, daß „die religiösen Minderheiten dazu neigen, sich der Autorität der Monarchen, die ihnen einen anderen Glauben auferlegen, zu widersetzen". Und er zeigt, wie in Frankreich, Flandern, Ungarn und England die Agitation solcher Minderheiten gegen die Autorität unter dem Titel „Demokratie" läuft. Selbst die Kirche wurde von den demokratischen Ideen in Mitleidenschaft gezogen: Zwei spanische Jesuiten, die einen großen Einfluß hatten, Mariana ( 1 5 3 6 - 1 6 2 4 ) und Suarez ( 1 5 4 8 - 1617), unterstützen das demokratische Prinzip. So treibt eine Revolution die anderen voran. 56
Revue Internationale des Sociétés secrètes, 1933, S. 105.
" G. Bord, a. a. O., S. 204. 58
René Benjamin, Charles Maurras, ce fils de la mer, S. 84.
Die
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Am Ende des 18. Jahrhunderts förderte Luthers Revolution die Revolution der Enzyklopädisten. Die Zeitgenossen begreifen nicht immer die Verkettung der Freignisse, aber viele merkten, daß etwas in der Luft lag. Graf Tilly erzählt in seinen „Memoiren", daß gegen 1785 ein H e r r de Noe eines Tages bei der Jagd auf seinen normannischen Ländereien zu ihm sagte: „Mein Herr, schlagen Sie unsere Annalen auf, wir sind eine Nation für Tragödien. Seit langer Zeit haben wir nur mehr Tragödien in unserem Theater. Aber die Fronde, die Religionskriege, die Bartholomäusnacht, das alles ist nichts im Vergleich zu dem, was uns erwartet. Sie werden mir im Jenseits Neuigkeiten berichten können, falls man sich dort wiedersieht. Die Königin ist verhaßt, der König schwach, der Minister ungeschickt und korrupt, die Finanzen — der Vorwand zu jeder Revolution — sind erschöpft . . . Frankreich wird untergehen, mein Herr, und zwar noch zu Ihren Lebzeiten. Es ist ein altes Eisen, das im Feuer wieder gehärtet und, bereits verkommen, wieder im Blut verjüngt werden muß" 59 . Aus solchen Worten spricht eine romantisch verbrämte Dekadenz, durch die die führenden Klassen, erschöpft, ihre Schwäche zu rechtfertigen suchen. Anstatt sich aufzuraffen, danken sie ab. Gewisse freimaurerische Autoren leugnen der Opportunität halber, daß sich die Freimaurerei in irgend einer Weise an der Vorbereitung der Revolution von 1789 beteiligt habe. Diese These wird aber heute kaum noch aufrecht erhalten. Der große freimaurerische Historiker Albert Lantoine führte bereits vor über fünfzig Jahren genügend Gründe gegen diese Theorie auf. „Was die Frage betrifft, ob die Freimaurerei die Organisatorin der Revolution war, genügt es, die Reaktion der verschiedenen ausländischen Regierungen jener Zeit zu studieren. Alle ergreifen sie Maßnahmen gegen die Sekte. Beginnen wir bei Friedrich II. von Preußen und Katharina II. von Rußland. Sie, ,die Exfreundin von Diderot und d'Alembert, die von der Lektüre Voltaires begeistert war', läßt die Logen schließen. Der König von Sardinien tut dasselbe. Der deutsche Kaiser Franz II. setzt freimaurerische Beamte ab. Selbst England verbietet 1799 die Geheimgesellschaften und fordert von allen Logen eine be59
Lantoine, a. a O., S. 142.
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stimmte Erklärung. Kaiser Josef II. läßt trotz seiner liberalen Ansichten 1789 die Logen schließen und fordert von den Beamten den Schwur, ,bei Strafe der Absetzung und Verbüßung niemals mehr einer Geheimgesellschaft anzugehören'. Königin Elisabeth von Portugal übergibt 1792 die Freimaurer der Inquisition" 60 . Louis Blanc beschreibt in seinem monumentalen Werk „Histoire de la Révolution française" wohl am besten, welch große Bedeutung die Freimaurerei am Vorabend der Revolution hatte. Er schreibt über das Ende der Regierung Louis Philippes. Selbst Maurer, kennt er die Dinge von innen her und hat eine umfangreiche Dokumentation angelegt. Zu der Zeit, da er seine „Geschichte" publizierte, 1847— 1862, stand einem Aufdecken der Rolle, die die Freimaurerei in der Revolution gespielt hatte, nichts mehr im Weg. Daher die Bedeutung seines Zeugnisses: „Eine Gesellschaft, die aus Menschen aller Länder, jeder Religion und jeden Ranges zusammengesetzt ist, welche durch symbolische Absprachen einander verbunden und durch Treueid verpflichtet sind, unverbrüchlich das Geheimnis ihrer internen Existenz zu wahren, die sich grausigen Prüfungen unterziehen und phantastische Zeremonien begehen, im übrigen jedoch Wohltätigkeit üben und einander für gleich halten, obwohl in drei Klassen: Lehrling, Geselle und Meister eingeteilt, das ist die Freimaurerei! ( . . . ) . Am Vorabend der Revolution hatte die Freimaurerei gerade einen ungeheuren Aufschwung genommen. In ganz Europa verbreitet, stand sie dem grüblerischen deutschen Wesen nahe, agitierte heimlich in Frankreich und bot überall das Bild einer Gesellschaft, deren Prinzipien denen der bürgerlichen Gesellschaft entgegengesetzt waren. (. . .) Schon durch diese maßgebenden Grundlagen ihrer Existenz neigte die Freimaurerei dazu, die Institutionen und Vorstellungen der übrigen Welt herabzusetzen. Gewiß enthielten die maurerischen Anweisungen Unterordnung gegenüber dem Gesetz, Beachtung der von der umgebenden Gesellschaft anerkannten Sitten und Gebräuche, Respekt gegenüber den Herrschern. Es stimmt, daß die Freimaurer bei ihren Banketten in Monarchien auf den König, in Republiken auf den Magistrat tranken. Aber derartige Vorsichtsmaßnahmen einer Gesell60
Ebd., S. 85 f.
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Schaft, die von so vielen argwöhnischen Regierungen bedroht war, genügten nicht, den von Natur revolutionären, wenn auch im allgemeinen friedlichen Einfluß auf die übrige Welt zu annullieren (...)• Andererseits das Dunkel, das Geheimnis, das man nach vielen tapfer bestandenen düsteren Prüfungen erfährt, das man unter Strafe der Ausstoßung und des Todes zu bewahren hat; besondere Kennzeichen, an denen sich die Brüder noch an den Grenzen der Erde erkennen; Zeremonien, die sich auf eine Mordgeschichte beziehen und Rachegedanken zu enthalten scheinen — nichts könnte geeigneter sein, Verschwörer zu formen. Und nichts ist natürlicher, als daß beim Herannahen der von der kreißenden Gesellschaft gewollten Krise eine solche Einrichtung sowohl der berechneten Verwegenheit der Sektierer wie den vorsichtig zuwartenden Freiheitsgeistern die Waffen lieferte" 61 . Erst vor kurzem schrieb ein früherer Großmeister des Grand Orient, Jacques Mitterand, in seiner „Politique des Francs-Maçons" 62 : „Es ist richtig, daß im Jahr 1723 die durch die AndersonKonstitutionen lancierten liberalen Ideen in Frankreich einen besonders geeigneten Nährboden vorfanden . . . Nicht allein schufen die in der Loge und um sie herum zusammengebrauten Ideen das Klima, in dem die Enzyklopädie verbreitet werden konnte, sondern es fand auch die verordnete Gleichheit unter den Logenbrüdern, ob Bürger oder Edelleute, ihre Fortsetzung in der revolutionären Brüderlichkeit." Das erfordert einen Kommentar. Erstens hat man festgestellt, daß es zur Zeit der Französischen Revolution die Hauptsorge der Regierungen war, ihren Beamten den Eintritt in die Freimaurerlogen zu verbieten. Damit ist bereits offenkundig, daß das maurerische Geheimnis es möglich machte, in die Verwaltung eines Landes eine okkulte Macht einzuschleusen, von der Regierung und Regierte keine Kenntnis haben und deren Bestrebungen der bestehenden Ordnung feindlich sein konnten. Was ist aber eine Regierung wert, die sich nicht mehr auf ihre Exekutionsorgane verlassen kann? Die okkulte Macht wird dann zur wirklichen Macht. 61
Louis Blanc, Histoire de la révolution française, Paris, S. 38.
« S. 48.
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Dieser Aspekt der Freimaurerei, daß sie sich als Staat im Staat einrichtet, wurde nicht genügend beachtet. Dabei hätte dies genügen müssen, um sie nicht nur in einer Monarchie, sondern noch mehr in der Demokratie zu verbieten, wo die öffentliche Gewalt schwächer und durchlässiger ist. Was die „maurerische Brüderlichkeit" betrifft, von der der Br, •. Jacques Mitterand spricht, so ist sie, anders als die Brüderlichkeit der Revolution, nur die Brüderlichkeit von Eingeweihten, von Parteigängern, der Zement einer neuen Kaste, die geschlossener als der ehemalige Adel und mehr zu fürchten ist, weil okkult. Als am 16. 12. 1899 im Saal der „Agriculteurs de France" der erste Kongreß der „Action française" unter dem Vorsitz von Eduard Drumont stattfand, hatte H e r r Copin-Albancelli die Frage zu behandeln: Was macht die Macht der Freimaurerei aus? Drumont hatte in seiner Ansprache gesagt: „Man muß immer auf die gleiche Frage zurückkommen: ,Warum sind wir bei einem solchen Reichtum an Intelligenz und Energie dort angelangt, wo wir jetzt sind?'" 63 . Die Antwort gab Copin-Albancelli, der selbst Freimaurer gewesen war. Er zeigte auf, daß es mehrere Ursachen für die Macht der Freimaurer gibt: „Der Hauptgrund besteht darin, daß die Freimaurer bereit waren, sich einreihen zu lassen, sich zu organisieren, zu disziplinieren und zu hierarchisieren. Dadurch, daß man sich einreihen ließ, wurde jeder von ihnen integrierender Bestandteil einer Gruppe, die eine unendlich größere Macht besaß als jeder einzelne Zugehörige, da diese Macht durch Addition aller Einzelkräfte entsteht. Wenn nun diese größere Macht ihre Anstrengung auf einen bestimmten Punkt richtet, was geschieht dann? Sie wird zusammen und mit einem Stoß sovielmal stärker als die Macht des isolierten Einzelnen sein, als die Gesellschaft Mitglieder zählt. Wir dagegen sind nicht zusammengeschlossen. Wir halten uns einzeln. Wir beobachten wachsam alles, was uns trennt, und verstehen nicht das zu sehen, was uns einigen sollte. Die Folge dieser Geisteshaltung ist, daß jeder von uns sein Stückchen Kraft einer Gesamtheit von Kräften entgegensetzt, deren 65
L'Action française, 25. Dezember 1899.
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jede der unseren gleich ist. Wohin geraten wir damit? Zu demselben Resultat, zu dem eine Zelle in meiner Fingerspitze gelangte, wenn sie ohne Hilfe der Nachbarzellen gegen die Gesamtheit aller Zellen, die einen starken Arm bilden, kämpfen wollte. Ist das nicht ganz einfach und ganz leicht zu verstehen? Denken Sie daran, daß das ein Naturgesetz ist, das überall auftritt, daß die niederen Elemente sich zusammenschließen, um höhere zu bilden, die sich ihrerseits wieder zusammentun, und so weiter bis zur Bildung des Körpers, der schließlich ein Ganzes ausmacht. N u n gibt es in unserem augenblicklichen politischen System außer der Freimaurerei keinen anderen politischen Zusammenschluß. Die Freimaurer gehorchen also, da sie sich zusammentun, einem Naturgesetz, und nur mit Hilfe dieses Gesetzes werden sie uns überlegen. Die Natur will aber nicht nur die Gruppierung, sondern auch die Hierarchisierung aller Wesen. Es gibt keinen organisierten Körper ohne die Hierarchie der ihn bildenden Elemente. Die Zellen meines Organismus, die zusammen mein Gehirn ausmachen, haben eine edlere Funktion als die Zellen meines Magens. Die Natur ist weise, sie richtet sich nicht nach dem Gesetz der Gleichheit und sie würde meinem Gehirn nicht aufgrund des angeblich unverbrüchlichen allgemeinen Wahlrechts die Leitung meines ganzen Organismus entziehen unter dem Vorwand, daß es nur einmal vorhanden ist, und sie den Zehen übergeben, weil sie zu zehnt sind. Wenn die Natur auf solche Abwegigkeiten stößt, ändert sie deshalb ihren Kurs nicht; sie geht darüber hinweg und zerstört die Monstren durch den ruhigen Gang ihrer Gesetze. Wenn wir also im Konzert der Nationen zwar noch nicht vom Plan der Geschichte verschwunden sind, aber nur noch eine bleiche und moribunde Figur darstellen, wissen Sie, woher das kommt? Daher, daß die Freimaurerei skrupellos über das Prinzip der Gleichheit lügt, das sie für uns gut genug findet, während sie für sich selbst sorgfältig die fruchtbaren Prinzipien der Disziplin und der Hierarchie bewahrt." Eine originelle, aber zutreffende Sicht! Die Freimaurerei erkannte sehr früh, daß die Neugier der Frauen schlimmer sein kann als die der Polizei und organisierte
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sogenannte Adoptionslogen, „in der die Damen die Kelle, den H a m m e r und das Winkelmaß handhaben konnten ganz wie die Männer" 6 4 . Was den Klerus angeht, so wurde er sehr rasch vom maurerischen Geist angesteckt. Am Vorabend der Revolution gibt es siebenundzwanzig Logen, die von Kirchenmännern geleitet werden. Beim Adel ist die Ansteckung noch verständlicher. Er erstrebt in den Logen die Macht, die ihm der König verweigert. Achtundvierzig Standesherren sind Meister vom Stuhl. „Neben dem Herzog von Orléans findet man mehrere Angehörige der Familie Rohan, den H e r z o g von La RochefoucauldLiancourt und den Herzog von La Rochefoucauld-d'Einville, die Mehrzahl der Noailles und die angesehensten Mitglieder der Familie Polignac, Männer und Frauen; die Montmorency, die Bouillon, die Ségur ( . . . ) . Die Elemente des Adels, die dem Einfluß der Freimaurerei entgehen, sind die am wenigsten glänzenden und aktiven" 65 . Die Herzogin von Bourbon, Schwägerin des zukünftigen Philippe Egalité, war Großmeisterin der Adoptionsloge, in der man auch ihre Schwester, die Herzogin von Orléans, die Maitresse des Herzogs, Madame de Genlis, sowie die Oberhofmeisterin der Königin, die Prinzessin Lamballe finden konnte" 66 . Albert Lantoine sagt über diese Gesellschaft „mit den nach dem Wechselfieber der Zeit sich wandelnden Wahrheiten", für ihn die „einzige humane Religion": „Wenn es eine Gesellschaft gibt, die als einzige unter den Stürmen, die alle anderen Menschenwerke vernichten, Jahrhunderte überdauert, so muß in ihr eine geheimnisvolle Kraft vorhanden sein" 67 . Diese „geheimnisvolle Kraft" rührt unmittelbar vom Ziel des Unternehmens her, welches ist: die Kirche zu zerstören, die Monarchie zu zerschlagen. Die Freimaurerei sitzt an T h r o n und Altar wie der fressende Schimmel, so daß das zu zerstörende Objekt ihren Bestand und ihr Leben ausmacht. 64
B. Fay, o.a. O., S. 158.
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Ebd., S. 177.
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A. Lantoine, a. a. O., S. 71. A. Lantoine, La franc-maçonnerie chez elle, S. 428.
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Die Organisation der Freimaurerei mit ihren Logen, in denen •.ich durch Hinzuwahl gleichgesinnte Individuen versammeln, mit all den Eigenheiten des Ordens ist einer feinfühligen, differenzierten und jedem Milieu angepaßten Art von Aktion förderlich. So etwa bei der Loge zu den „Neuf Soeurs", die als intellektuelles Zentrum dient: „Lalande und Helvetius — der Philosoph — waren die beiden Initiatoren. Nach Helvetius' T o d blieb seine Witwe dort als l'.geria. Franklin installierte sich zu Passy in ihrer Nähe und erwarb so sehr ihre Gunst, daß sie sich von 1777 bis 1785 nicht von ihm trennen konnte. D a n k ihrer und ihrer Freunde wurde er in die Loge zu den ,Neuf Soeurs' aufgenommen; zweimal wurde er zum Stuhlmeister gewählt (1779—1781) und leitete als solcher die Arbeiten. Im Zentrum dieser ebenso intellektuellen wie eleganten französischen Maurerei sitzend, konnte er manövrieren. Systematisch, sorgfältig und kühn machte er sich daran, die amerikanische Revolution in Gang zu bringen" 68 . Mehr noch: Es gelang ihm „den Mythos von der tugendhaften Revolution durchzusetzen". „Bis dahin galten Revolutionen als Verbrechen gegen die Gesellschaft", bemerkt Bernard Fay. „Von nun an sollte man darin die Erfüllung einer der größten sozialen Aufgaben sehen. Der Satz: ,Die Revolution gegen die Tyrannei ist die heiligste aller Pflichten' galt als Formel seit der Französischen Revolution, als Gesinnung seit der amerikanischen . . ."69 Die ganze progressistische Intellgentsia der Zeit pflegte die Loge zu den „Neuf Soeurs" zu besuchen. So Parny, Roucher, François de Neufchäteau, Chamfort, der Maler Vernet, der Bildhauer H o u d o n , die Schriftsteller Demeusier und Fontanes; auch Mitglieder des Parlaments wie Derval, d'Espréménil, de Sèze, der Präsident Du Paty, Zeitungsschreiber wie Fallet, der Sekretär der „Gazette de France", aber auch Finanzleute wie Bailly, Gelehrte wie Lacépède, Berthelot, E. de Beaumont, Fourcroy, Lalande; Standesherren wie der Prinz Salm, der 68
B. Fay, a. a. O., S. 173.
69
Ebd., S. 175.
56
1. Kapitel
Prinz Charles Rohan, der H e r z o g La Rochefoucauld d'Einville, der Marquis de Condorcet. Nimmt man zu diesen glänzenden Namen noch einige obskure, die jedoch bald glänzen sollten wie eine Feuersbrunst, die Herren Pétion, Brissot, Danton, Rabaut Saint-Etienne und den Abbé Siéyès, so wird man zugeben müssen, daß das „viele Leute" ergab. Die „Neuf Soeurs" bildeten auch Tochtergesellschaften, so die „Amerikanisch-gallische Gesellschaft" zur Propagierung der amerikanischen revolutionären Ideen, die damals jene Rolle spielte wie heute die progressistischen Gruppen für die Dritte Welt, sowie die „Gesellschaft der Freunde der Schwarzen" als Vorfahrin der antirassistischen Bewegung. Die Loge zu den „Neuf Soeurs" genoß das Vorrecht, Voltaire einzuweihen und der Stuhlmeister machte ihm ein seltenes Kompliment: „Mein sehr lieber Bruder, Sie waren Freimaurer, noch bevor Sie den Charakter erhielten, und Sie haben die diesbezüglichen Aufgaben erfüllt, bevor Sie die Verpflichtung dazu vor uns besiegelt hatten" 70 . Als Voltaire gestorben war, untersagte Ludwig XVI., daß man zu Ehren des Gottlosen Zeremonien abhielt. N u r die Loge der „Neuf Soeurs" trotzte dem Verbot und organisierte ein maurerisches Begräbnis, bei dem Franklin anwesend war. „Diese Kühnheit war so groß", berichtet Bernard Fay, „daß hochgestellte und treue Freimaurer wie der Marquis de Condorcet sich nicht dabei zu zeigen wagten" 71 . Voltaire sah zwar nicht mehr den Vorhang zur Revolution von 1789 sich heben, aber er steckte viel zu viel hinter den Kulissen, um nicht über das Stück, das gespielt werden würde, im Bilde gewesen zu sein: „Alles um mich her", sagte er am 1. März 1764 zum Marquis de Chauvelin, „sehe ich Samen für eine Revolution ausstreuen, die unfehlbar kommen wird, deren Zeuge zu sein ich aber leider nicht die Ehre haben werde. Die Franzosen kommen in allem zu spät, aber schließlich kommen sie doch. Das Licht hat sich allmählich so verbreitet, daß es bei der ersten Gelegenheit 70
Berteloot, a. a. O., S. 24.
71
B. Fay,
a. a. O., S. 179.
Die Geheimgeselischaften
57
hervorbrechen wird; das wird ein schönes Schauspiel sein. Die jungen Leute haben Glück, sie werden schöne Dinge erleben!" 72 . In der „petite maison" des Herzogs von Chartres in der Vorstadt Saint-Antoine hielt der Grand Orient von Frankreich am 22. Oktober 1773 seine erste Versammlung ab. Ein Jahr später, am 20. August 1774, richtete er sich in der Rue Pot-de-Fer, heute Rue Bonaparte, im ehemaligen Noviziat der vertriebenen Jesuiten ein. Später emigrierte er in das ehemalige Haus der „Dames de la Miséricorde" (Barmherzigen Schwestern), das damals mit den Nationalgütern verkauft worden war. 1806 übersiedelte er in die Rue Four Saint-Germain 75, in den ehemaligen Konvent der Barnabiten. Als das Gebäude durch den Abbruch der Rue de Rennes beseitigt wurde, zog der Grand Orient in die Rue Cadet um, wo er sich noch heute befindet 73 . Das Zusammentreffen ist zu häufig, um nicht beabsichtigt gewesen zu sein. Der Grand Orient ließ sich mit Vorliebe in den Räumen nieder, aus denen die Priester und Ordensfrauen vertrieben worden waren.
72
A. Lantoine, a. a. O., S. 142.
73
L'Oeuvre française, 9. 8. 1917. J. Mitterand, a. a. O., S. 67.
5. KAPITEL
Der Klerus eines „fin de siècle" Folgen des Jansenismusstreits — Der Atheismus, öffentlich proklamiert — Unordnung in der Kirche
Im Jahr 1722 schrieb Lieselotte von der Pfalz: „Ich glaube, daß es in Paris unter den Kirchenmännern und unter den Weltleuten keine hundert Personen gibt, die den Glauben haben und die auch nur an Unseren Herrn glauben. Das macht einen schaudern" 74 . Der Jansenismusstreit rief eine üble Unordnung in der Kirche hervor. Von der Bulle „Unigenitus" (1713) an bis gegen 1757 hörte man in Frankreich von nichts anderem mehr sprechen als von Appellanten und Nichtappellanten, Jansenisten und Molinisten. Der freimaurerische Historiker Bouton, der bemerkenswerte Monographien über die Freimaurerei der Region von Le Mans veröffentlicht hat, bemerkt, daß das von den Oratorianern geleitete Kolleg von Le Mans damals eine große philosophische Kühnheit an den T a g legte. Im Jahre 1772 ließ der Vikar Paillé den P. Beurier aus der Kongregation der Eudisten als Fastenprediger gegen die Jansenisten kommen. „Die Jansenisten von Le Mans, sehr aufgebracht, wollen ihm einen bösen Streich spielen: Sie lassen ihn beim Besteigen der Kanzel in eine Abortgrube fallen." In diesem Kolleg von Le Mans wurden sämtliche Generationen der Le Manser Elite des 18. Jahrhunderts in einem Geist der Unabhängigkeit und der Bestreitung der religiösen Autorität herangezogen. Man ist daher nicht überrascht, daß die Orato74
A. Lantoine, a. a. O., S. 5.
1. Kapitel
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rianer Girardeau, Professor für Philosophie, und Mollet de la Barre, Physikprofessor des Kollegs, sich 1786 in der Loge „Moria" zu Le Mans einweihen ließen. Ferner, daß zur Zeit der Revolution die Kongregation der Oratorianer bei der Nationalversammlung in Gunst stand und mit dem größten Teil ihrer Mitglieder für die Konstitution war. In ihrer Kirche in Paris wurden die meisten von den „konstitutionellen" Bischöfen* geweiht. Die Jesuiten reagieren : „Im Jahr 1735 predigt Pater de Sulpont in der Pfarrkirche Saint-Thomas in La Flèche ,gegen die Schlaffheit der Minister, die alle Parteigänger, wenn nicht sogar Akteure der Häresie sind, indem sie eine verächtliche Handvoll aufständischer Priester unterstützen oder schonen, die mit zwei, drei verrückten oder unwissenden Bischöfen zusammenstecken.' 1764 wird das Kolleg von Le Mans in eine Militärschule umgewandelt. Man unterrichtet kein Latein mehr. „Professor Valard, ein ausgezeichneter Latinist, hatte seine alten Bücher und Hefte, alles, was er besaß, auf ein Wägelchen geladen und setzt sich auf den unordentlichen H a u f e n . Inmitten der zusammengelaufenen Schüler kommt der Karren ins Wanken, und der gute Mann schreit sie an: ,Ihr werdet in der Unwissenheit verkommen, ihr werdet zu nichts mehr taugen! Man verjagt Vergil, H o r a z und Cicero aus der Schule. Ich nehme sie mit fort, die Antike gibt euch auf. Weint, ihr Unglücklichen, ihr seid verloren!'" Der Jansenismusstreit, das Infragestellen in der Kirche, die freimaurerische Verführung fördern bei der Intelligenz „einen Geist des Mißtrauens und der Opposition gegenüber der kirchlichen Autorität" und machten die Geister „anfällig für die Angriffe der Philosophen wie für die sonderbarsten religiösen Verirrungen: 1759 kann man in einer Kapelle von Le Mans Menschen in Krampfzuständen beobachten" 7 5 . Die größten Narreteien stellen sich beim Klerus ein. Als anno 1780 François Yves Bernard seine Pfarre in Nouans in Besitz 7i
A. Lantoine, a. a. O., S. 5. * die 1790 die zivilrechtliche Verfassung der französischen Geistlichkeit annahmen.
r Der Klerus eines „fin de siecle"
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nehmen will, sieht er den Pfarrer von Meurcé in Jägermontur, das Gewehr über die Schulter, den kuschenden H u n d zur Seite ankommen und Gewehr und Jagdtasche ablegen, bevor er in die Sakristei tritt, um zu zelebrieren. Außerhalb der Kirche trägt kein Pfarrer mehr das Priesterkleid, man hat es in der Sakristei an die Wand gehängt" 7 6 . Die Unordnung ist allgemein, genau nach dem Satz: Wenn eine Gesellschaft sich auflöst, sind alle Körperschaften, aus denen sie besteht, ebenfalls betroffen. „Das geringe Ansehen von Dubois*, die Unentschlossenheit des Kardinals Noailles, des Erzbischofs von Paris, die römische Intrige des Börsenspekulanten und Simonisten Abbé de Tencin, des traurigen Bruders einer traurigen Schwester, die Uneinigkeit der Bischöfe hinsichtlich des Jansenismus . . ., die Schmähschriften, die scharfe gegenseitige Kritik unter den Prälaten verschlimmern wie zur Zeit des großen Schismas die Krise durch Meinungsstreit und moralische Unordnung im Gefolge der Schriften Bayles (1806) und der Libertinage — im doppelten Wortsinn — des Großpriors von Vendôme, des Priesterpoeten Chaulieu . . . Drei Jahre nach dem T o d Ludwigs XIV. erntet ein Schüler des Jesuitenkollegs Louis le Grand für folgende tendenziösen Verse in seiner Ödipustragödie Applaus: ,Unsere Priester sind nicht das, was ein einfältiges Volk von ihnen denkt; in unserer Leichtgläubigkeit besteht ihr ganzes Wissen.' Er war vierundzwanzig Jahre alt. Zwei Jahre später veröffentlicht Montesquieu, ein zweiunddreißigjähriger Romanschriftsteller, ohne Verfasserangabe die ,Lettres persanes', in denen der König den Opfern des Maître Law** als ,großer Magier' vorgestellt wird, der seine Untertanen überzeugt, daß ein Stück Papier Geld ist." Ein anderer, viel größerer Magier „ist der Papst, der glauben 76
Ebd., S. 25.
* Kardinal, Erzieher Ludwigs XV. ** Hochstapler und Finanzminister, 1671 — 1729, führte in Frankreich das Kreditwesen ein.
1. Kapitel
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macht, daß drei nur eins ist"; dieser Papst ,ist ein altes Götzenbild, daß man aus Gewohnheit beweihräuchert" 77 . Der Atheismus wird öffentlich proklamiert. Helvetius preist ihn in seinem Buch „De l'Esprit". Diderot betrachtet den Unglauben als eine Station auf dem Weg zur Freiheit. Der Baron Holbach hält Gott nur für eine Hypothese und O. de la Mettrie erklärt sich als Atheisten. Wir haben bereits gesehen, daß der Klerus massenweise in die Freimaurerei eintrat. Man zählt allein in der Loge der „Neuf Soeurs" dreizehn Geistliche; „die Anwesenheit zahlreicher Enzyklopädisten und Freidenker sowie die Einweihung Voltaires (am 7. April 1778) scheint sie nicht gestört zu haben", sagt de Thier, der folgende Erklärung dafür hat: „In dieser Zeit war die Liebenswürdigkeit — die natürliche und die erworbene — kein leeres Wort. Man hatte gelernt, einander höflich zu begegnen" 78 . Das ist sehr schön gesagt, doch in den Logen werden die Kleriker zu Revolutionären, nicht aber die Philosophen zu Christen. Roger Peyrefitte beziffert die der Sekte angehörigen Priester am Vorabend der Revolution auf zweitausend 79 und Bernard Fay weist darauf hin, daß „viele Ungläubige in den Klerus eintraten". Nehmen wir noch einmal die Monographie von Bouton vor. Das Domkapitel der Kathedrale von Le Mans enthält nur einen Freimaurer, den Domherrn René des Antieux de Marbé von der Loge „La Nouvelle Union". Am 13. Dezember 1780 gibt er sein Kanonikat auf, „um sich mit einer hübschen jungen Witwe zu verheiraten". Während der Revolution leistet ein einziger Domherr von Le Mans, der Freimaurer Abbé Louis, den Konstitutionseid. Er gehört dem „Komitee der Dreißig" an und wird die rechte H a n d Duports bei der Organisierung der Revolution. Der 14. Juli 1790, das Fest der Fédération de Paris* sollte ihn in den priesterlichen Gewändern und einem Trikoloregürtel sehen, wie er 77 78 79
Revue internationale des Sociétés secrètes, 24. 6. 1929. H. de Thier, a. a.O., S. 14. Robert Peyrefitte, Les fils de la lumière, (Die Söhne des Lichts), S. 77.
* „Pariser Bündnis" (der verschiedenen Bürgervereinigungen zugunsten des neuen Systems).
Der Klerus eines „fin de siecle"
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seinem Freimaurer-Mitbruder Talleyrand, Bischof von Autun, als Diakon dient, der auf dem Champs de Mars im Regen unter Trommel- und Trompetenschall die Messe feiert. Nach der Auflösung des Komitees der Dreißig ist der Domherr Louis, der sich in dieser Gesellschaft durch lebhafteste Tätigkeit ausgezeichnet hatte, ohne Vermögen und ohne Stand, da das Parlament nicht mehr vorhanden ist. Im August 1791 übernimmt er vom Hof die geheime Mission, die Diamanten, die Marie Antoinette in Sicherheit bringen will, nach Brüssel zum Grafen Mercy-Argenteau zu bringen. Er entledigt sich dieser Aufgabe geschickt und ehrenvoll. Schließlich säkularisiert er sich vollständig, heiratet und wird der berühmte Baron Louis, der ausgezeichnete Finanzminister der Restauration 80 . All diese Unordnung in der Kirche ließ nicht vermuten, welch tiefe Lebenskraft der französische Katholizismus in der Folge beweisen sollte. „Die Freimaurer von 1790 hofften, die Kirche absorbieren und den Klerus auflösen zu können." Sie stießen auf unerwarteten Widerstand. Daher beschlossen sie nun, „daß die Kirche nicht umgemodelt, sondern zerstört werden muß" 81 . Die antichristliche Verschwörung wechselte die Tonart und die Heftigkeit ihrer Angriffe sollte das ganze 19. Jahrhundert beherrschen.
80
A. Bouton, a. a. O., S. 29.
81
B. Fay, a. a. O., S. 195.
6. KAPITEL
Jeder Eitelkeit ihr Ordensband Die Memoiren Casanovas — Die maurerische Internationale — Beim Kerzenschein ernannte Ritter — Die Einweihung Montesquieus — Der freimaurerische Egalitarismus — Anglomanie — Tempel, Liturgie und „Priester"
„Ich habe sechs oder sieben Vaterländer . . .", schreibt der Prinz de Ligne am Vorabend der Revolution. Dieser knappe Satz ist eine Art Zusammenfassung der freimaurerischen Internationale jener Zeit. Wer sich die Mühe macht, ein wenig aufmerksam die Memoiren Casanovas zu lesen, findet darin ganz andere Dinge als Schilderungen seines lockeren Lebenswandels. Als Freimaurer hütet Casanova das Geheimnis, aber er kann der Versuchung nicht widerstehen, sich seiner Einweihung (wahrscheinlich im Jahr 1750) zu rühmen. „In Lyon verschaffte eine respektable Person, deren Bekanntschaft ich bei Herrn de Rochebaron (dem Platzkommandanten von Lyon) machte, mir die Gunst, an den erhabenen Lappalien der Freimaurerei teilzunehmen. Als Lehrling kam ich nach Paris und wurde dort nach ein paar Monaten Geselle und Meister. Die Meisterschaft ist zweifellos der höchste Grad der Freimaurerei, denn alle anderen Grade, die man mich in der Folge einnehmen ließ, waren nur hübsche Erfindungen, die zwar symbolisch sind, jedoch der Meisterwürde nichts mehr hinzufügen. . . . Ein junger Mann von guter Herkunft, der reisen und die Welt kennenlernen will samt der sogenannten großen W e l t . . ., muß sich in eine Einrichtung einweihen lassen, die man Freimaurerei nennt. Jene Menschen, die nur in der Absicht Freimaurer werden
8. Kapitel
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wollen, das Geheimnis des Ordens zu erfahren, laufen große Gefahr, mit der Kelle alt zu werden, ohne jemals ihr Ziel erreicht zu haben. Es gibt zwar ein Geheimnis, aber es ist so fest versiegelt, daß es noch niemals jemandem gesagt oder anvertraut worden ist. Wer an der Oberfläche der Dinge bleibt, glaubt, daß das Geheimnis in Worten, Zeichen und Berührungen besteht oder daß schließlich das große W o r t beim letzten Grad kommt. Irrtum! W e r das Geheimnis errät — denn man weiß es niemals, außer man errät es —, ist nur durch häufige Logenbesuche dahin gelangt, durch Nachdenken, Uberlegen, Vergleichen und Schlüsseziehen. Er vertraut es nicht einmal seinem besten Maurerfreund an, denn er weiß, daß dieser, falls er es nicht, wie er selbst, erraten hat, nicht imstande wäre, daraus Nutzen zu ziehen, selbst wenn er es ihm ins O h r flüstern würde. So schweigt er und das Geheimnis bleibt stets gewahrt. Alles, was in der Loge vor sich geht, muß geheim bleiben; wer sich keine Skrupel macht, das, was dort geschieht, bekanntzumachen, verrät keinesfalls das Wesentliche. Er weiß es nämlich nicht, und wenn er es wüßte, würde er die Zeremonien bestimmt nicht verraten haben." Casanova fügt merkwürdigerweise hinzu: „Die Freimaurerei enthält neben einer großen Zahl hochverdienter Männer eine Anzahl Halunken, die keine Gesellschaft dulden würde, da sie, moralisch gesehen, der Ausschuß der Menschheit sind" 82 . Dies aus der Feder des großen „Libertin" zu hören, ergibt eine besondere Note. Jedenfalls wußte er sich der einen wie der anderen Sorte zu bedienen. Seine beiden treuen Protektoren, der Prinz de Ligne und dessen N e f f e , der Graf Waldstein, H e r r von Dux in Böhmen, sind Freimaurer 8 3 . Einige kurze Anspielungen in den Memoiren Casanovas geben eine Idee von der freimaurerischen Internationale. Casanova ist in Amsterdam. „ H e r r d ' O . lud mich zum Souper in die Loge der Bourgmestres ein, eine besondere Gunst, denn gegen alle Regeln der Freimaurerei ließ man dort sonst niemals mehr als die vierundzwanzig Mitglieder zu, aus denen sie sich zusammensetzt, und diese vierundzwanzig Freimaurer waren 82
83
Casanova, Mémoires, Ed. Livre de poche, Bd. 2, S. 141. Ebd., Bd. 3, S. 361.
Jeder Eitelkeit ihr Ordensband
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die reichsten Millionäre der Börse . . . H e r r d ' O . sagte mir, daß ich mit einer Gesellschaft gespeist hätte, die über ein Kapital von 300 Millionen verfüge" 8 4 . Eine Plutokratie also als okkulte Macht schon im 18. Jahrhundert! Man kann sich denken, daß die wahre Macht in den Niederlanden in den Händen dieser „reichsten Börsenmillionäre" lag. Eine andere Stelle der Memoiren verrät die Existenz eines geheimen Netzes, das zwischen der Freimaurerei und der Staatskanzlei gesponnen worden war: „Um das Jahr 1760 schrieb ich aus der Schweiz an Madame d'Urfe, sie solle mir ein warmes Empfehlungsschreiben für Herrn de Chavigny, den französischen Botschafter, schicken und ihm zur Beschleunigung der Sache sagen, daß ich im Interesse unseres Ordens das größte Bedürfnis hätte, diesen Diplomaten näher kennenzulernen" 8 5 . Von der Mitte des 18. Jahrhunderts an ist die Freimaurerei bereits eine Macht, eine verdächtige Macht! Casanova gesteht es selbst; „Es gibt überall Maurer, überall geheime Zusammenkünfte, überall mystische Logen und reguläre Logen, überall Abenteurer, die den Grandseigneurs den Stein der Weisen, dem Adel glänzende Ehrentitel, der Bürgerschaft goldene Schwerter und Kellen anbieten. Überall teilt man das ,Licht' freigiebig aus und man verkauft — allerdings sehr teuer — ,Erleuchtungen'" 8 6 . Joseph de Maistre spöttelt über diese „beim Kerzenschein zuhinterst in einem Appartement [dem Logentempel] geschlagenen Ritter, deren Würde sich beim Verlassen der Schwelle verliert" 87 . Das hindert nicht, daß der „Orden", wie man sagt, überall unbemerkt eindringt und allein durch die Tatsache seiner Heimlichkeit mächtiger erscheint, als er vielleicht ist. Man rechnet mit ihm, das ist das Wichtigste, und man muß dabei sein. Die Mode hatte mit den französischen Adeligen angefangen, die nach England gingen, und es gehörte zum guten Ton, als Freimaurer von dort zurückzukommen. Bekannt ist das Aben84
Ebd., Bd. 3, S. 656.
85
Edb., Bd. 4, S. 106.
86
B. Fay, a. a. O., S. 155.
87
J. Mitterrand, a. a. O., S. 34.
68
8. Kapitel
teuer Montesquieus, wie er auf einer Reise in England Lord Chesterfield begegnete, der ihn in London am 16. Mai 1730 zugleich mit dem Grafen von Sade einweihen ließ 88 . N u n waren die englischen Hochgradfreimaurer an der Reihe, sich nach Frankreich zu begeben, um dort Logensitzungen abzuhalten. Der H e r z o g von Richemond und Désaguiliers brachten im Hôtel Bussy eine Loge zusammen, zu der der Graf Waldgrave, der englische Botschafter, Montesquieu, der Marquis de Lomorin, Lord Duroley und der Graf de Saint-Florentin, der Staatssekretär Ludwigs XV., gehörten 89 . „Die Grande Loge", schrieb der Br. •. Grouillard kurz vor dem T o d Ludwigs XV., „kann mit nichts besser verglichen werden als mit unserem englischen P a r l a m e n t . . . So wie die englische Verfassung für uns das vollkommenste Muster einer Regierung ist, ebenso ist unsere ,Grande Loge' das wunderbarste Werk, das je von Menschen ausgedacht wurde" 90 . Hatte nicht Montesquieu die Überlegenheit des englischen Parlamentarismus verteidigt und von einem Weltparlament geträumt? Das waren die Ideen der Adeligen, die in die Freimaurerei eintraten. Man hat sich über die Schwärmerei des Adels für diese egalitäre Gesellschaft gewundert und Bernard Fay schreibt, daß dies das seltsamste Schauspiel in diesem glanzvollen und fieberhaften Jahren gewesen sei, in denen die Revolution vorbereitet wurde. . . . Es war der „maurerische Selbstmord des Hochadels" 91 . Fay nennt den H e r z o g von Orléans, Mirabeau, La Fayette, die Noailles, die La Rochefoucauld, die Bouillon, die Lameth und andere liberale Adelige, die ihren Stand verließen und — schließlich ihr Vermögen, ihren Rang und ihren Kopf verloren. Alle waren sie Freimaurer. Über den maurerischen „Egalitarismus" wäre viel zu sagen. Für del Perugia „stellte die Freimaurerei damals eine außergewöhnliche Schule der Ungleichheit, der ,Auserwählten' (,élus') im religiösen wie im demokratischen Sinn dar. Sie wa88 89
B. Fay, a. a. O., S. 130. Ebd.
90
P. del Perugia, a. a. O., S. 54.
91
B. Fay, a. a. O., S. 189.
Jeder Eitelkeit ihr Ordensband
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ren die zum ,Licht' geborenen, hocherhoben über die Nichteingeweihten, die im Obskurantismus verblieben. Diese Absonderung ist bereits an dem ganzen rituellen Verhalten abzulesen (...). Die antiegalitäre Haltung wurde durch das Ritual deutlich zum Ausdruck gebracht. Es gab eine Vielfalt von Titeln, Würden, Vorrängen, Kreuzen und Halsbändern . . . In den Logen der Provinz saß der reiche Kaufmann, der Federfuchser, der Geldverleiher, der Gerichtsdiener, der reiche Handwerker nicht nur neben dem Vicomte der Gegend — in der Loge wurden sie sogar ihresgleichen und zuweilen ihre Vorgesetzten dank so glänzender Titel wie ,Ritter von der Sonne', ,Fürst des königlichen Geheimnisses' usw. . . . So setzte im 18. Jahrhundert die Loge den Bürger mühelos zwischen Jourdain und Prudhomme. Auf den Anzügen des dritten Standes glänzen die Insignien, die Schürzen, die Medaillen. Wenn er in Montpellier lebt, sitzt der Theoretiker der Egalité in dem hochvornehmen Kapitel vom Goldenen Vließ. Von solchem Aufstieg war der Bürger berauscht. Und der Großmeister, der H e r z o g von Chartres, nahm, ohne mit der Wimper zu zucken, den Titel ,Großmeister des Obersten Rates der Reiche des Orients und des Okzidents' an" 92 . „Was die Brüderlichkeit' betrifft", stellt der freimaurerische Historiker Albert Lantoine fest, „so sahen die Freimaurer darin keineswegs denselben humanitären Sinn, den wir diesem W o r t heute beilegen. Sie nannten sich Brüder, wie sich die Mitglieder der religiösen Orden Brüder nennen, weil sie derselben Bruderschaft angehören ( . . . ) . Die Freimaurer hatten den Namen Bruder angenommen, wie Voltaire ihn in seinen Briefen gebrauchte und jene ,Brüder' nannte, die seine Meinung teilten, nämlich die wir er ,écraser l'infâme' [die „Infame", die Kirche vernichten] wollten" 93 . Man könnte die Freimaurerei des 18. Jahrhunderts treffend so bezeichnen: Jeder Eitelkeit ihr Ordensband! Die Konstitutionen Andersons bestimmen, daß die Großwürdenträger ihren Schmuck vergoldet an blauen Bändern und ihre Schürze blaugerändert tragen sollen, die Brüder Aufseher sol92
P. del Perugia, a. a. O., S. 54.
93
A. Lantoine, a. a. O., S. 100.
8. Kapitel
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len den Schmuck aus Silber am roten Band mit rotgeränderter Schürze tragen, die anderen Brüder weiße Schürzen und den Schmuck an weißen Bändern. Dieser Schmuck bestand aus einem Dreieck, einer Wasserwaage und einem Lot; lediglich der Großmeister trug einen Zirkel 94 . Später ging man bei den Hochgraden der sog. schottischen Freimaurerei in Phantasie und Aufwand noch viel weiter. Die Freimaurerei war englisch. Alles Englische war modern, also war die Freimaurerei in Mode. Bekannt ist die Erwiderung Ludwigs XV. an den Grafen Lauraguais: „Lauraguais, was hast du in England gemacht?" „Ich habe das Denken gelernt, Sire!" „Den Pferden?" Man sagt, daß Lauraguais durch seine Pferdeställe bekannter war als durch seine Bibliothek. Pater Berteloot macht in seiner Arbeit „La Franc-Maçonnerie et l'Eglise catholique" eine seltsame Bemerkung — ein Detail wiederum, das den Historikern entgangen ist — : „Fast alle großen Namen im französischen Wappenbuch, die im 18. Jahrhundert an der Spitze der Logen standen, waren genau jene, die auch an der Spitze der protestantischen Bewegung des 16. Jahrhunderts gestanden hatten" 95 . Es ist der gleiche Geist, der Geist des „Bestrebens". Die Freimaurerei schafft nichts Neues, sie organisiert nur die häretischen Strömungen, die bis dahin im Verborgenen leben mußten. Zwar hält sie noch geheim, was in den Logen vor sich geht, aber man weiß, daß sie existiert, daß diese und jene hohe Persönlichkeit dazugehört. Die Partei hat sich konstituiert und nichts Entsprechendes steht ihr gegenüber. W e r wäre auch auf die Idee gekommen, eine christlich-royalistische Partei zu gründen? Noch schlimmer ist, worauf der Br. •. Jacques Mitterrand hinweist: „Die Staatsmacht wagt nicht einen Orden offen anzugreifen, der sehr hohe Persönlichkeiten enthält wie die Noailles, die Montmorency, die Aumont und sogar Saint-Florentin . .., den Minister des Königs. Außerdem ist soeben der Herzog von Antin Großmeister geworden (. . .). Am 24. Juni 1740 hielt er die 94
Ebd., S. 83.
95
J. Berteloot, a. a. O., S. 44.
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rituelle Rede und diese Rede war die gleiche, die 1736 der Chevalier de Ramsay verfaßt hatte; der H e r z o g von Antin identifizierte sich also damit. Fleury wagte nicht, sich zu rühren, und wie er 1745 stirbt, wird der Graf von Clermont, ein Prinz von Geblüt, Großmeister des Ordens . . ."96. Wo in Paris kamen die Freimaurer zusammen? Gustave Bord nimmt an, daß von 1771 an die Grande Loge ihr Lokal gewöhnlich im Hôtel Charras hatte, Rue de la Sourdière. Die Dissidenten tagten vor 1773 in der Rue Saint-Antoine und nach 1775 in der Rue d'Argenteuil, immer in Privathäusern. „Als der Grand Orient sich bildete, versammelten sich seine Mitglieder manchmal beim H e r z o g von Orléans, aber meistens fanden die Versammlungen entweder beim H e r z o g von Luxemburg oder in öffentlichen Lokalen statt . . ." Da sie kein eigenes Lokal hatten, trugen die Freimaurer ihre Loge sozusagen mit sich herum. „Man breitete einfach die auf eine Leinwand gemalte Darstellung einer Loge auf dem Boden aus und man erzählt, daß der Chevalier de Beauchaine sich damit begnügte, die zur Abhaltung der Sitzung notwendigen Embleme mit Kreide auf dem Parkettboden aufzuzeichnen. Abbé Pérau schreibt 1744 in seinem Buch 'Le Secret des Francs Maçons', daß „in der Mitte des Empfangsraum ein großer freier Platz war, auf welchen man mit Kreide zwei Säulen malte', und daß die für die Aufnahme notwendigen Bilder ebenfalls mit Kreide auf den Boden aufgezeichnet wurden" 9 7 . Erst seit 1774 hatten die Freimaurer eigene Räume — im ehemaligen Noviziat der Jesuiten an der Ecke Rue Mézière und Rue Pot-de-fer (heute Rue Bonaparte Nr. 82). Das ehemalige Noviziat der Jesuiten, die seit zehn Jahren aus Frankreich vertrieben waren, war für 5400 Franken — eine hohe Summe für jene Zeit — vom Grand Orient gemietet worden, der sich dort am 12. August 1774 niederließ. Gustave Bord hat den Plan dieser Loge minutiös rekonstruiert: „Die Werkstätten lagen 25 Stufen über dem Straßenniveau und bestanden aus drei Sälen, zu welchen man durch eine lange 96
J. Mitterand, a. a. O., S. 67.
97
G. Bord, a. a. O., S. 266.
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8. Kapitel
Reihe von Säulengängen gelangte, so daß man beim Eintritt den T h r o n in einer Entfernung von 125 Fuß sehen konnte. Der erste Saal war mit einer farbigen Blumentapete geschmückt; der zweite mit weißblauem Moiré und zwei Doppelreihen blauer, mit Goldfransen verzierter Bänke. Diese beiden Säle waren durch eine große Anzahl von Kristallüstern beleuchtet. Der dritte Saal, der für die Arbeiten diente, war 78 Fuß lang und 21 Fuß breit [ca. 20 zu 7 m].Der östliche Teil war 27 Fuß lang und 25 Fuß tief mit himmelblauem Plafond, er bestand aus einem drei Stufen hohen Podium. Die geschnitzte Täfelung hatte einen Sockel und darüber kannelierte Pilaster in Gold und Silber. Dieser Teil des Saals war mit 150 Kristallüstern beleuchtet. Im Hintergrund befand sich ein weiteres Podium, ebenfalls drei Stufen hoch. Es trug ein drittes, eine Stufe hohes Podium, auf welchem ein Sessel in blauem, mit Gold verziertem Samt stand, der Thron des Allergnädigsten Großmeisters. Ein mit Gold und Silber gestickter Teppich, in den leuchtendsten Farben abschattiert, bedeckte den Altartisch. Uber dem Thron befand sich ein mit goldenen und silbernen Ornamenten geschmückter Baldachin und darüber ein Leuchter mit zwanzig Kerzen. Auf dem zweiten Podium standen zwei Sessel in blauem Samt für den Erlauchtesten General-Administrator und den Hochehrenwerten Großkonservator. Auf dem ersten Podium standen die mit gleichem Stoff bezogenen und im Halbkreis aufgestellten Sessel für die Großoffiziere. An der Südseite befanden sich die Schreibtische des Großredners, der Kammerredner, des Generalschatzmeisters und des kassenprüfenden Architekten. An der Nordseite standen die Schreibtische des Generalsekretärs, der Kammersekretäre und des Siegelbewahrers. Der andere Teil des Saales war 51 Fuß lang und 21 Fuß tief. Er war blau tapeziert und mit Silberborten, Silberfransen und vergoldeten Festons geschmückt. Bekrönt war er von einem azurblauem Plafond, der von 200 Kerzen auf Armleuchterreihen angestrahlt wurde. Er war mit zwei Reihen silberverzierter Bänke ausgestattet, die auf zwei Stufen standen. Auf der höheren weiter innen hielten sich die Offiziere und die ältsten Deputierten auf. Auf der Westseite standen die dreieckigen Tische der Aufseher, sie waren mit blauen Teppichen in Gold- und Sil-
Jeder Eitelkeit ihr Ordensband
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berstickerei bedeckt, die die Attribute dieser Offiziere wiedergab. Daneben standen zwei Goldsäulen mit Kapitalen, deren jede einen Leuchter mit fünfzehn Kerzen trug" 98 . Ich habe geglaubt, diese Beschreibung bringen zu müssen, weil sie zwei wichtige Aspekte der Freimaurerei unterstreicht; einmal, daß sie sich wie eine Religion gibt mit einem Tempel mit ganz eigener symbolischer Anordnung, einer Liturgie und Offizianten; und ferner ist es offensichtlich, daß die Freimaurerei damals (1774) keinerlei Eingreifen der königlichen Regierung mehr befürchtet. Sie bestand also wenn nicht offiziell, so doch offiziös.
98
Ebd., S. 2 6 5 - 2 6 9 .
7. KAPITEL
Der Okkultismus Hr. Jahrhundert des Aberglaubens — Salomons Schlüsselbein — Der ' •i il von Saint-Germain — Cagliostro — Martinez Pasqualis — Eine IW iiirrkung Barbey d'Aurevillys — Die Erzählung der Mme Campane — Die Rosenkreuzer
Lantoine gibt zu, daß das 18. Jahrhundert, „dieses Jahrhundert des Unglaubens, auch das Jahrhundert des lächerlichsten Aberglaubens ist. Die Okkultisten profitieren vom Geheimnis des Tempels, um sich dort auf die Suche nach dem Stein der Weisen zu machen und sich mit kabbalistischen Praktiken zu befassen. Diese Mischung des rationalistischen und des mystischen Elementes ist eine der überraschendsten Besonderheiten der Freimaurerei, eine Besonderheit, die immer noch besteht'"13. Lantoine zitiert Bulwer Lytton, der in seinem „Zanoni" eben-falls feststellt, daß diese „Zeit des vornehmen Skeptizismus und der angeblichen Weisheit auch die Zeit der allerblindesten Leichtgläubigkeit und des allermystizistischesten Aberglaubens war... die Zeit, wo der Magnetismus und die Magie Anhänger unter den Schülern Diderots fanden, wo die Prophezeiungen von Mund zu Mund gingen, wo der Salon eines deistischen Philosophen zu einem Herakleia wurde, wo der Nekromant die Schatten der Toten heraufbeschwor; die Zeit schließlich, wo man an Mesmer und an Cagliostro glaubte"100. Louis Blanc schreibt101: „Man sprach von Personen, die untereinander durch furchtbare Eide verbunden seien und dies mit ausschließlich finsteren Absichten. Man hielt sie für Inhaber von " A. Lantoine, a. a. o., S. 20. 100 Ebd., S. 216 (La Franc-Maçonnerie chez elle) 101 Louis Blanc, a. a. O., S. 36.
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8. Kapitel
Geheimnissen, die Schätze wert seien, und schrieb ihnen magische Kräfte zu. Das Gerücht verbreitete sich und fand Glauben, daß unbekannte Chemiker sich in der Vorstadt Saint Marceau in Laboratorien niedergelassen hätten, die durch wachsame Vorsicht der Verfolgung entgingen. Männer mit stechendem Blick, unverständlicher Sprache, schmutzigem Kittel seien eifrig beschäftigt, Gold zu machen oder Quecksilber zu härten, Diamanten auf das Doppelte zu vergrößern oder Elexiere herzustellen." Eine seltsame „Beleuchtung" für das Jahrhundert des Lichts! Zu den damals am meisten verbreiteten Büchern gehörte die „Clavicula Salomonis", das „große Zauberbuch" oder das „Schlüsselbein Salomons", das die Beschreibung der obersten Höllengeister enthielt, Luzifers, Astaroths, Beelzebubs, Luzifugers, Rochefocales; das Buch beschrieb mit größter Ernsthaftigkeit deren Macht und Funktion. Die Suche nach dem Stein der Weisen ist das große Anliegen des müßigen und verarmten Adels. Das „aurum potabile" (flüssige Gold), von dem man behauptete, daß es fähig sei, gewöhnliches Metall in Gold umzuwandeln, heilt auch Krankheiten und verlängert das Leben. Es ist das Allheilmittel, die Universalmedizin. „Die Elementargeister der kabbalistischen und gnostischen Mystik sind wohltätige Genien. Man verleiht ihnen für gewöhnlich ein angenehmes Äußeres, aber man hält sie für verborgen und sehr auf ihre Ruhe bedacht. Sie herrschen über die Elemente und halten sich dabei in den ihnen eigenen Bereichen auf: die Undinen im Wasser, die Gnomen in der Erde, die Sylphen in der Luft und die Salamander im Feuer. Für das okkulte Treiben wird auch die schwarze Magie herangezogen, die höllischen Mächte, doch auch die weiße Magie, die die himmlischen Sphären bevorzugt. Im 18. Jahrhundert macht sich die weiße Magie gewisse physikalische Experimente zu eigen, besonders solche, die mit elektrischen Phänomenen zu tun haben. Selbst der große Newton verschmähte es nicht, damit in den Salons eindrucksvollste Effekte hervorzurufen" 1 0 2 . In den Memoiren von Casanova gibt es einen ganzen okkul102 Jacques Branchu, Notes sur les ,Mémoires de Casanova' dans l'édition du Livre de poche (Bemerkungen über die Memoiren Casanovas im Verlag „Livre de poche"), Bd. 2, S. 413.
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ten Abschnitt mit ausgesprochenen Gaunereien, der die Epoche sehr gut kennzeichnet. Casanova hatte den kabbalistischen N a men Paralis gewählt und zu seinem Rosenkreuzernamen gemacht. Branchu sagt: „Vielleicht ist das eine Umformung von Gabalis, dem Namen des Helden eines satirischen Buches, das 1760 in Paris veröffentlicht worden war: ,Le Comte de Gabalis ou les extravagants mystères cabalistes et rose-croix' :: " von Abbé Montfaucon de Villars. Will man dem Werk Glauben schenken, so hatten die Geheimwissenschaften damals insgesamt den Grafen von Gabalis, deutschen Ursprungs, zum Oberhaupt, der nach Frankreich gekommen war, um den Verfasser einzuweihen" 103 . Soviel ist sicher, daß die Freimaurerei alle esoterischen, okkulten, kabbalistischen Sekten in sich aufnimmt. Die Loge ist frei, sie weist allein das christliche Dogma zurück, als wenn sie stillschweigend eingestehen würde, daß alles, was dazu dienen kann, dieses in den Seelen zu zerstören, auch ihrem Endzweck dient. Diese große Bedeutung des Okkultismus in der Freimaurerei des 18. Jahrhunderts wurde von Anne Osmont in einer N u m mer der „Documents maçonniques" (März 1942) ausgezeichnet beschrieben: „Der Graf von Saint-Germain und Cagliostro spielten eine bedeutende Rolle, letzterer hauptsächlich bei der Gründung der Freimaurerei und ganz besonders bei der Entwicklung okkulter Praktiken in dieser Gesellschaft. In dem Maße, wie die Logen einen offiziellen Charakter annahmen, bildeten sich in ihrer näheren und weiteren Nachbarschaft geheimere, mehr dem Okkultismus zugeneigte Logen. Benjamin Fabre veröffentlicht in ,Franciscus de equo a capite galeato' die Schriften eines dieser Logengründer. Dieser steht in enger Beziehung zu den ,Elus Cohens' von Martinez de Pasqually und den ,Amis Réunis de Savalète de Langes'. . . . . Cagliostro lehrte sogleich öffentlich, in dem er Sprechstunde abhielt, und übte stärksten Einfluß auf hohe Persönlichkeiten aus. Kardinal Rohan, damals Fürstbischof von Straß103
Ebd., Bd. 2, S. 419.
* „Der Graf Gabalis oder die überspannten Geheimnisse der Kabbalisten und der Rosenkreuzer".
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8.
Kapitel
bürg, rief ihn dorthin, ließ ihn in seiner Nähe wohnen und unterhielt ihn großartig. In Gegenleistung dafür empfing er einen Unterricht, der ihn mit allen himmlischen Geistern und auch mit einigen anderen weniger hohen Wesen in Beziehung bringen sollte. Zunächst umgab sich Cagliostro mit sehr jungen Personen, die er seine Tauben nannte und bei denen er geschickt die Intuition entwickelte. Er praktizierte mit ihrer Hilfe jene Form des Hellsehens, die man das ,Wasserglas-Hellsehen' nennt; das Wassser dient dabei als Spiegel für eine nervliche und optische Konzentration. Das geschah mit großen Zeremonien bei angezündeten Räucherpfannen, die angenehme Düfte verbreiteten, mit Anrufung des Engels Anael, des Fürsten des Astrallichtes, souveränen Herrn der Venus, der Gefallen an duftenden Blumen findet, an rosa Farben, an allem, was verfeinerten Sinnen schmeichelt. Die bereitwilligen und eifervollen Seher erhielten oft wirkliche Offenbarungen und der Ruf Cagliostros wurde allgemein. Als Marie Antoinette durch Straßburg kam, um in Paris den Dauphin zu heiraten — so will die Legende wissen —, habe sie Cagliostro konsultiert und dieser habe ihr im magnetisierten Wasser die Guillotine gezeigt. Kardinal Rohan hegte von Kindheit an eine starke Zuneigung für die Erzherzogin, die noch jünger als er war, und man glaubt, daß der Fürst wegen dieser aussichtslosen Liebe Geistlicher geworden ist. Cagliostro erzählte ihm von mystischen Hochzeiten und machte sich unentbehrlich mit dem Versprechen einer Ekstase zweier Herzen, die sich jenseits der Misere des Fleisches lieben. Inzwischen weihte er den Kardinal in die Geheimnisse der magischen Medizin ein, während der H e r z o g von Chartres, der spätere Philippe Egalité, sich in seinem Laboratorium im Palais Royal bemühte, Gold zu machen. . . . Der zukünftige Philippe Egalité rechnete wahrscheinlich damit, Cagliostro benutzen zu können. Er hätte sich sonst kaum die Mühe gemacht, ihn in den Logen um Orléans einzuführen, noch feierlich die Bankette arrangiert, die für den Wundertäter in den Loireschlössern gegeben wurden in eben dem Jahr, als die Halsbandaffäre spielte. . . . Cagliostro, geputzt, graziös, charmant mit den Damen in seiner begeisternden und blumenreichen Art, die nichts von einem Stubengelehrten oder einer Bibliotheksratte an sich hatte,
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versprach in aller Unverfrorenheit, gealterte Schönheiten zu verjüngen, Gold machen zu können und unfehlbare Heilmittel zu haben. Was brauchte man mehr? Er wurde eine Art Halbgott und verschmähte keineswegs, die entsprechende Haltung dazu einzunehmen. Vom Misraim-Ritus ausgehend, gründete er die ägyptische Freimaurerei, von der einige Logen überlebt haben, und wagte sich an eine Einweihung, die ihm zufolge dem Hochgradadepten unvorstellbare Kräfte verleihen würde. Um die Einweihung erhalten zu können, mußten die Adepten zuerst nachweisen, daß sie alle Grade der als untergeordnet angesehenen offiziellen Freimaurerei besaßen. Sie mußten außerdem dem Großen Gründer, der in den Augen der Seinen eine Art Moses war, einen Gehorsamseid leisten. In strengem Training wurden ihre Augen für die Welt des Unsichtbaren aufgetan. Um den Meistergrad zu erwerben, mußte man mit den Engeln in Verbindung stehen und von ihnen gewisse materielle Pfänder, geschriebene Zeugnisse und vor allem das heilige Pentagon (Fünfeck) als Beweis der Erneuerung erhalten haben. Es ist zu einfach zu sagen: ,Das waren Narren, Schwachköpfe': Es ist nur zu sicher, daß etwas mehr dahintersteckte. Goethe empfing Cagliostro, und wenn er sich auch im ,Großkophta' über die Schwärmerei des Volkes für diesen fabelhaften Scharlatan lustig machte, gehörte er dennoch zu seinen Adepten, und vielleicht finden wir in den magischen Teilen des ,Faust' ebenso wie in der ,Grünen Schlange' seinen Einfluß. Mozart gehörte dem Misraim an und die ,Zauberflöte' legt Zeugnis davon ab, zumal die Freimaurerei sich heute noch bei ihren Zeremonien des ,Marsches der Osirispriester' bedient. . . . Nach Ablauf von vierzig Tagen hatte die Askese ihre Wirkung getan und der Eingeweihte konnte sich den Vorstehern stellen, um den höheren Grad zu erhalten. Dadurch wurde er zu einem übermenschlichen Wesen und das Einweihungsritual zum Meister verleugnet das in keiner Weise: Sobald der Mensch das heilige Pentagon besitzt, braucht er nicht mehr den kubischen Stein dreieckig zu machen noch Steine in Brot zu verwandeln. Der Mensch verlangt nur noch nach vollkommener Ruhe, um zur Unveränderlichkeit zu gelangen und um von sich sagen zu können: ,Ego sum qui sum' (ich bin der ich bin). So hatte sich der H e r r dem Moses gegenüber erklärt. Es entbehrt nicht der Anmaßung, sich auf die gleiche Ebene zu stel-
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len; aber wie sollte man nicht die Versuchung dazu spüren? Das Rituale sagt nichts dazu. Das begonnene Werk ist vollendet. Der Mensch, der so glücklich gewesen ist, zur Zahl der Auswerwählten zu gehören, gelangt auf den Gipfel des Ruhms und des Glückes. Er wird Meister, der ohne Hilfe irgendeines Sterblichen tatkräftig wirken kann. Sein Geist wird von göttlichem Feuer erfüllt werden, sein Leib rein wie der des unschuldigsten Kindes, seine Geistesschärfe grenzenlos, seine Macht unermeßlich; er wird dazu beitragen, die Wahrheit über die ganze Erde zu verbreiten. Er erhält eine vollkommene Erkenntnis vom Großen Chaos, von der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Auserwählte, der diese Exerzitien gemacht hat, erhält außer dem heiligen Pentagon, das er für sich selbst bekommt und das mit den Siegeln und den sieben Chiffren der sieben uranfänglichen Engel versehen ist, noch verschiedene andere Pentagone, über die er zugunsten von sieben Personen, Männern oder Frauen nach seiner Wahl und Neigung, verfügen kann. Jedes Pentagon trägt auf unberührtem Papier Namen und Siegel eines der uranfänglichen Engel; und während er selbst mit allen sieben Engeln in Verbindung treten kann, so der Besitzer eines der sieben Pentagone nur mit dem Engel, dessen Siegel und Chiffre er besitzt . . . Er kann den sieben ersten Engeln befehlen, aber mit der Einschränkung, die im Kapitel vom ,Lehrling' besprochen wurde. (Er befiehlt keineswegs in eigener Macht, sondern kraft der Gewalt seines Meisters, dessen Grad und Ursprung er nicht kennt.) Cagliostro wurde jedoch nicht deswegen verfolgt, sondern wegen seiner Gaunereien, weil er fabelhafte Summen unter dem Vorwand erpreßt hatte, alte buckelige Damen verjüngen zu können. Selbst nach der Halsbandaffäre verlor er keineswegs seine Anhänger. Wäre er nicht in den Kirchenstaat gegangen, wäre ihm nichts zum Verhängnis geworden. . . . In der Rue Saint-Claude, wo er wohnte, zeigt man heute noch sein Haus. Vor einigen Jahren hat ein schlauer Gastwirt sogar eine ,Cagliostro-Bar' eröffnet. Seit dem Krieg ist das Schild verschwunden. Die Leser von Alexander Dumas bewundern jetzt noch Joseph Balsamo'." Der Graf von Saint-Germain, ein Okkultist, polyglott und
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redegewandt, wurde dank der Fürsprache des Marschalls de Belle-Isle am Hof sehr gut aufgenommen. Später, 1760, als er im H a a g aufgrund einer für Frankreich ungünstig ausgefallenen diplomatischen Mission bloßgestellt worden war, wurde er vom Stathouder gerettet, der seine Auslieferung verweigerte. Nach zwanzig Jahren Nomadenlebens starb er, verarmt, als Gast des Landgrafen von Hessen-Kassel 104 . Saint-Germain war den revoulutionären Ideen nicht gefolgt. Man sagt, er sei Monarchist geblieben, und daß er später über die Wendung, die die Ereignisse genommen hatten, bestürzt gewesen sei. „Madame d'Adhémar erzählt in ihren ,Souvenirs', daß die Königin seit Beginn der Regierung (Ludwigs XVI.) von Zeit zu Zeit nichtUnterzeichnete Briefchen erhalten habe, worin ihr Ratschläge gegeben und Katastrophen angekündigt worden seien. . . . Im Jahr 1789 erhielt Marie Antoinette folgenden Brief: ,Madame, ich war eine Kassandra, aber meine Worte drangen vergeblich an Ihr Ohr; nun ist die Zeit für Sie gekommen, die ich Ihnen angekündigt habe. Jetzt handelt es sich nicht mehr darum, zu lavieren, sondern sich mit Energie dem Unwetter, das bereits grollt, entgegenzustellen!'" Zur gleichen Stunde fand Madame d' Adhémar ein nicht weniger mysteriöses Briefchen bei sich zuhause vor: „Alles ist verloren, die Sonne sinkt zum letzten Mal über der Monarchie. Morgen gibt es sie nicht mehr. Es wird ein zweites Chaos geben, eine Anarchie ohnegleichen . . . Für die königliche Familie kann ich nichts tun, nicht für den H e r z o g von O r léans, der morgen triumphieren und in einem Zug das Kapitol nehmen wird, um dann über den Tarpejischen Felsen:;" zu stolpern" 105 . Joachim Martinez Pasqualis — oder Pasqually —, nach manchen ein portugiesischer Jude, dessen Familie sich in Frankreich niedergelassen hatte, war 1710 in Grenoble geboren. Als Adept der jüdischen Kabbala behauptete er, darin die Wissenschaft von den göttlichen Dingen gefunden zu haben und direkt mit Gott in Verbindung zu stehen. 104
Revue Internationale des Sociétés secrètes, 24. 6. 1929.
105
Aspects de la France, 14. Januar 1952.
* Felsen in Rom, von dem die Vaterlandsverräter hinabgestürzt wurden.
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Zu Marseille, Toulouse und Bordeaux gründete er einen freimaurerischen Ritus, genannt Ritus der „Elus Cohens", d. h. der Auserwählten Priester; Cohen bedeutet auf hebräisch Priester. Der Ritus umfaßte neun Grade. N u r die in den Grad der „Elus" eingeweihten Freimaurer konnten in die martinistische Sekte eintreten. Der letzte Grad war den höheren Graden der Rosenkreuzer vorbehalten. Man befand sich jetzt mitten im „Jahrhundert des Lichts" und Lantoine muß zugeben: „Die Epoche ist dem Aberglauben und den übernatürlichen Praktiken günstig und wir wundern uns nicht sehr, unter den Anhängern dieses seltsamen Kultes Menschen zu finden wie den Maler van Loo, der den ,Diable Boiteux' [hinkender Teufel] schuf, oder über Cazotte, Bacon de la Chevalerie oder selbst den Baron Holbach" 1 0 6 . Es ist ein bekanntes Phänomen, daß der Unglaube zum Aberglauben führt. In Bordeaux gesellt sich Martínez zur Loge „La Française" und beginnt damit, seine Lehre unter den Freimaurern zu verbreiten. Am 26. März 1763 schreibt er an die Grande Loge de France : „Ich habe in Bordeaux einen Tempel zu Ehren des Großen Architekten erbaut, der die fünf vollkommenen Ordnungen umfaßt, deren Verwahrer ich bin." Sein Orden wurde schließlich von der Großloge anerkannt, doch beunruhigt über die Rivalität der „Elus Cohens" löst sie den Vertrag auf. Martínez Pasqualis geht daraufhin nach Paris und mit dem Beistand einiger Brüder gründet er am 21. März 1767 das „Tribunal Souverain" zusammen mit Bacon de la Chevalerie, den er zu seinem Vertreter macht. Im Jahr 1790 hatte der Ritus der „Elus Cohens" Tempel in Bordeaux, Metz und Paris. Ein weiterer Tempel wurde in Lyon durch den Br. •. Willermoz gegründet, der in der Freimaurerei bereits eine bedeutende Stellung innehatte und nun daran ging, Lyon zum aktivsten Zentrum des Ritus von Martínez Pasqualis zu machen. Claude de Saint-Martin, ein Schüler des portugiesischen Juden, sollte in der Entwicklung der okkultistischen Freimaurerei eine bedeutende Rolle spielen. Als Leutnant im Fox'schen Regi106
A. Lantoine, La Franc-maçonnerie chez elle, S. 198.
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ment nahm er seinen Abschied, um sich ganz den „Elus Cohens" widmen zu können. Er wurde Pasqualis' Sekretär und veröffentlichte ein Werk „Des erreurs et de la vérité"* von dem Voltaire sagte: „Niemals hat man etwas Absurderes, Obskureres, Verrückteres und Dümmeres gedruckt." War das vielleicht der Grund für seinen Erfolg? Verwirrt und erschreckt durch die magischen Praktiken, mit denen Pasqualis seine Lehre begleitete, zog sich Saint-Martin unmerklich von den „Elus Cohens" zurück und gründete schließlich eine eigene Sekte. Nach dem T o d des Gründers erlitt der Ritus der „Elus Cohens" mehrere Spaltungen und schlief 1778 ein. „Nun entschloß sich Willermoz, um die martinistische Tradition zu erhalten, sie in die strenge Observanz der Templer einzubauen, zu deren Vorstehern er gehörte. Er verfaßte neue Riten und bereitete die vollständige Neuordnung des Ordens vor. Die Arbeit war auf gutem Wege, als die Revolution ausbrach. Es war nicht mehr die Zeit f ü r die Magie und der Orden sank ab. Im Jahre 1806 gehörte Bacon de la Chevalerie dem Großkonsistorium des Ritus des Grand Orient von Frankreich an. Willermoz starb 1824 zu Lyon. Er vermachte seine Befugnisse und Instruktionen seinem Neffen Joseph Antoine Pont ( . . . ) . Die alten Mitglieder des Ordens der ,Elus Cohens' fuhren fort, die Lehren von Martinez entweder einzeln oder in geheimen Gruppen von je neun Personen, die sie den ,kabbalistischen Areopag' nannten, weiterzuverbreiten. Die okkulte Lehre von Martinez wurde also ins 19. Jahrhundert übermittelt einerseits durch die ,Elus Cohens', andererseits durch Freimaurerbrüder des ,Régime Ecossais Rectifié' [Erneuerte schottische Observanz], Inhaber der Geheimlehren von Willermoz. Im Jahr 1880 kam ein Pariser Okkultist, Dr. Encausse, genannt Papus, zur Kenntnis der Lehren von Saint-Martin (. . .). Er errichtete im Jahre 1884 mit einigen Anhängern einen mystischen Orden, dem er den Namen ,Martinistischer Orden' gab ( . . . ) . Der Nachfolger von Papus, der Br. •. Charles Détré, starb 1918 und übertrug seine Befugnis dem Br. •. Jean Bricaud aus * [Uber die Irrtümer und die Wahrheit].
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Lyon. Nach dem Tode Bricauds 1934 geriet der Orden in Vergessenheit" 107 . Aus diesem kurzen Uberblick über die okkultistische Freimaurerei mit den sich ablösenden Riten und Areopagen scheint hervorzugehen, daß auch die Großloge von England zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein Zusammenschluß älterer Sekten war. Die Kirche des Irrtums sieht man nirgends entstehen; sie begleitet die wahre Kirche vielmehr durch alle Jahrhunderte. Die Erleichterungen der modernen Zeit gaben der Freimaurerei die Möglichkeit, eine stabile Organisation aufzubauen, die von da an in der Gesellschaft die institutionalisierte Gegenkirche darstellt. Der Okkultismus hat stets mit den Geheimgesellschaften Schritt gehalten. Barbey d'Aurevilly schreibt darüber in seinem Buch ,,L' Ensorcelée" merkwürdige Dinge 108 : „Ich habe immer geglaubt, instinktiv wie durch Überlegung, daß es zwei Dinge sind, auf denen die Magie letztlich beruht, nämlich auf der Überlieferung gewisser Geheimnisse, die von den Eingeweihten auf mysteriöse Weise von Mund zu Mund und von Generation zu Generation weitergegeben werden, und auf dem Eingreifen okkulter und böser Mächte in das Ringen der Menschheit. Mit dieser Meinung habe ich die Geschichte aller Zeiten, aller Orte, aller Zivilisationsstufen der Völker für mich, und was ich für unendlich wichtiger halte als alle Geschichte: die unverbrüchliche Zeugenschaft der römisch-katholischen Kirche, die an zwanzig Stellen ihrer Konzilsakten die Magie, die Hexerei, die Zauberei nicht als Unding oder bösartige Fälschung verurteilt hat, sondern als reale Tatsachen, die durch ihre Dogmen sehr gut erklärt werden. Was das Eingreifen der bösen Mächte in die menschlichen Angelegenheiten betrifft, so habe ich hier ebenfalls das Zeugnis der Kirche für mich, und übrigens glaube ich, daß das, was sich heute in der Welt abspielt, niemandem mehr, auch nicht dem Widersetzlichsten gestattet, daran zu zweifeln . . ." Madame Campan erzählt in ihren „Mémoires" (S. 162), daß Marie Antoinette kurz, nachdem sie nach ihrer Niederkunft mit dem Dauphin vom Wochenbett aufgestanden war, vom Pfarrer 107
Bulletin d'information anti-maçonniques, 13. 3. 1943.
108
Barbey d'Aurevilly, L'Ensorcelée (Die Verhexte), S. 72.
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von Sainte-Madeleine in Paris einen Brief erhielt mit der Bitte um eine geheime Zusammenkunft. Mme Campan empfing den Priester, der ihr eine kleine Schachtel für die Königin übergab, die einen Ehering enthielt samt folgendem Attest des Pfarrers: „Diesen Ring habe ich unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses erhalten und übergebe ihn Ihrer Majestät mit dem Geständnis, daß er ihr im Jahre 1771 gestohlen worden ist, um durch einen bösen Zauber zu verhindern, daß sie Kinder bekomme." Die Königin sagte, daß sie den Ring tatsächlich beim H ä n d e waschen verloren habe. Es sei ungefähr sieben Jahre her. 109 Die Geschichte der Rosenkreuzer ist außerordentlich mysteriös. Es scheint, daß Johann Valentin Andreae, Pfarrer von Adelsberg, ohne es zu wollen der Gründer des Ordens der Rosenkreuzer wurde. Es beginnt mit einem Roman, den Andreae im Jahre 1610 veröffentlicht, der „Fama fraternitatis". Darin erzählte er die fabulöse Geschichte des Christian Rosenkreuz, der ein Geheimnis entdeckt habe, das, seit Jahrhunderten vergraben, das Glück der Menschheit bedeuten könne. Rosenkreuz habe darauf ein Geheimkolleg gegründet, eine Loge, deren Mitglieder sich zu strengstem Stillschweigen verpflichten mußten. Die Teilnehmer praktizierten Wohltätigkeit, Internationalismus und die Förderung der wahren Moral und der wahren Religion. Das ist bereits das zentrale Thema der Freimaurerei. Da Buch hatte besonders in England großen Erfolg, wo man an die wirkliche Existenz der Rosenkreuzer glaubte. Im Jahre 1614 publizierte Andreae ein neues Werk: „Die univerale Reformation der ganzen Welt" und 1616 „Die chymische Hochzeit des Christian Rosenkreuz", im Jahr 1617 die „Rosa florescens", in der er die Verteidigung des Rosenkreuzes führte, so daß man sich fragen kann, ob Andreae nur ein einfacher Romanschriftsteller war oder ob er nicht unter dem Deckmantel des Romans die okkulte Lehre verbreitet hat. Wie wir gesehen haben, wurde dieses Verfahren auch von anderen angewandt. In jedem Fall muß man annehmen, daß die Kirche diese Vermutung hatte, da sie dem seltsamen Pfarrer von Adelsberg befahl, mit diesen Veröffentlichungen Schluß zu machen und sie zu widerrufen. 109
De Lescure, Marie-Antoinette et sa famille, Paris 1879, S. 129.
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„Andreae zog sich nach Straßburg zurück, wo er 1619 den ,Turis Babel, judiciorum de fraternitate Rosae Crucis Chaos' drucken ließ. In diesem Werk verwahrte sich Andreae feierlich gegen die Existenz der Gesellschaft der Rosenkreuzer, die sich wirklich gebildet hatte, und erklärte, daß er nur eine Serie von Romanen geschrieben und den Namen Rosenkreuz gewählt habe, weil er durch sein Familiensiegel dazu angeregt worden sei, ein Andreaskreuz mit einer Rose in jedem Winkel. Er spottete über die Leute, die an die Wirklichkeit seiner Erzählungen geglaubt hatten, was nun lange genug gedauert habe, da es ihm gelungen sei, seine Leser zum Besten zu halten. Andreae hatte gut protestieren. Man wollte seinen Behauptungen nicht glauben und es bildeten sich in Deutschland Gesellschaften, die durch seine Werke inspiriert waren. Auch Frankreich hatte seine Gesellschaft vom Rosenkreuz unter Ludwig XIII. Man weiß nicht, ob man die Affäre mit den Plakaten ernst nehmen soll, die die R. •. C. •. [Rosenkreuzer] oder die Spaßvögel im Jahre 1622 in den Straßen von Paris anbrachten: ,Wir, Abgeordnete des Hauptkollegs der Brüder vom Rosenkreuz, halten uns in dieser Stadt sichtbar und unsichtbar auf.' (. . .) In England war Robert Fludd ein Verteidiger des Ordens der Rosenkreuzer, in dem er die alte Symbolik des von Jesu Christi Blut gefärbten Kreuzes sah. (.. .) In London bildeten sich Gesellschaften vom Rosenkreuz unter dem Einfluß von Fludd, dessen philosophische Lehren sie annahmen. Man kann sogar sagen, daß es ebensowohl die Theorien von Fludd waren, die von den Maurerphilosophen der Logengründung von 1717 angenommen wurden, als die Methode Bacons (. . .). Fludd, der im Militärdienst gestanden war, gab das Waffenhandwerk bald auf, um sich der Naturwissenschaft, der Literatur, der Alchimie und der Theosophie zu widmen. Nachdem er Deutschland, Frankreich und Italien bereist hatte, kam er nach England zurück und ließ sich als Arzt nieder. Seine Philosophie war wie die Jakob Boehmes von Paracelsus und Cornelius Agrippa von Nettesheim inspiriert. Sie ist eine Mischung von Hirngespinsten der Alchimie, von kabbalistischen Ideen, von neuplatonischen sowie hebräischen Traditionen, die aus den angeblichen Schriften des Hermes Trismegistos geschöpft und mit den Ambitionen und Träumereien der
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Rosenkreuzer vermengt waren. Es ist der am wenigsten degenerierte Pantheismus, fast Materialismus, unter der Maske des Mystizismus mit Hilfe allegorischer Interpretation dargeboten, durch die er den wahren Sinn der christlichen Offenbarung liefern zu können beanspruchte" 110 . Andreae hatte gut versichern, daß sein Rosenkreuz nicht existiere; die Ideen, die er darlegte, schufen es. Das ist übrigens die gebräuchliche Methode jener Zeit, als sich die Sekten nicht öffentlich zeigen durften. Man denke an den Fall Bacons (1560—1626), des Kanzlers Jakobs I. von England. Er kannte sicherlich die Werke von Andreae, von Robert Fludd, als er die „Neue Atlantis" schrieb. Wie die utopische Insel von Thomas Morus hat in dem Werk von Bacon die Insel Bensalem die republikanische Staatsform angenommen; wie Andreae setzt er an die Spitze seiner Konstruktion eine Geheimgesellschaft: das „Haus Salomons". Ob die Geheimgesellschaften, um ihre Ideen bekanntzumachen, sich hinter einer romanhaften Fiktion verbargen oder ob der Roman dazu dienen sollte, einen gewissen Geisteszustand zu erzeugen — alles, was den Menschen eingegeben wird, existiert in irgend einer Weise und wirkt auf die Meinung. Aus uns näherer Zeit habe ich bereits berichtet, wie die modernistische Sekte zu Beginn des Jahrhunderts den Roman von Fogazzaro „II Santo" dazu benutzte, um ihre Häresie in der Kirche zu verbreiten 111 . Eine andere Methode ist dann die Bayles und der Enzyklopädisten, die darin besteht, die christlichen Dogmen mit scheinbarem Respekt darzulegen, dann aber übergroße Einwände vorzubringen, die ihnen entgegenstehen. Die Hauptsache ist: den Zweifel säen!
110
G. Bord, a. a. O., S. 2 4 - 2 7 .
111
Jacques Ploncard d'Assac, L'Eglise Occupée.
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Die Illuminaten in Bayern Professor Weishaupt — Die Anwerber — Auf dem Weg zu einer Weltdiktatur — Das Wort Nationalismus taucht auf — Weishaupts Geheimnis — Die unbekannten Vorgesetzten
Professor Weishaupt von der Universität Ingolstadt war 1776 in die Freimaurerei eingeweiht worden. Er hatte ihren Mechanismus begriffen und auch verstanden, welch große Bedeutung dabei das Geheimnis als Mitte des Zusammenhaltes und der Tätigkeit besaß. Es kam ihm die Idee, auf die Freimaurerei einen besonderen Orden aufzupropfen, dessen Meister er wäre, um durch ihn die Gesellschaft beherrschen zu können. Er wählte einen Namen, der bereits von den Manichäern gebraucht worden war und den auch die Rosenkreuzer wieder angenommen hatten: „Illuminaten". Für sich selbst wählte er den Namen Spartakus. Der Orden wurde am 1. Mai 1776 gegründet. Adam "Weishaupt war damals achtunddreißig Jahre alt. Die Sache ging in dem kleinen Zimmer vor sich, das er als Professor der Universität Ingolstadt innehatte. Sie waren zu fünft, Weishaupt und vier von seinen Schülern, Jurastudenten. Es war ein seltsames Recht, das dieser linksgerichtete Professor lehrte. Die Philosophen von Voltaire bis Rousseau hatten gelehrt, daß die Menschen gleich und frei seien, daß niemand das Recht habe, ihnen eine Religion vorzuschreiben, und daß das Volk souverän sei. Weishaupt ging noch weiter: Man muß jede Religion zerstören, die bestehende Gesellschaft zerstören und das Privateigentum abschaffen. Über die Illuminaten sind wir besser unterrichtet als über die anderen freimaurerischen Obödienzen, da die bayerische Poli-
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zei die wesentlichen Papiere Weishaupts in den Jahren 1786 und 1787 beschlagnahmen konnte*. Die Dokumente wurden veröffentlicht und wir besitzen eine erschöpfende Studie darüber in den „Mémoires pour servir à l'histoire du Jacobinisme"** von Augustin Barruel (1741 — 1820). Weishaupt schrieb: „Für meine Pläne kann ich die Menschen nicht so brauchen, wie sie sind, ich muß sie erst umformen. Jede Klasse meines Ordens muß eine Vorschule für die nächste sein"***, und wenn es nicht möglich ist, öffentlich zu handeln, „muß man es verstehen, in der Vertraulichkeit der Geheimgesellschaften die Meinung zu machen" (ebd.). Von jedem Kandidaten verlangte er, „ein Buch zu halten, in welchem sie jeder Person, mit der sie umgehen, drei oder vier Blätter bestimmen. Unter dem Namen . . . wird alles an H a n d lungen gebracht, auch das Kleinste"****. Jeden Monat hatte er darüber seinen Vorgesetzten Bericht zu erstatten. Das Illuminatentum versteht sich also zu allererst als ein Informationsnetz. Des weiteren erklärt Weishaupt, der die Technik der maurerischen Grade vollkommen begriffen hatte, daß jeder Illuminât glauben müsse, daß der jeweilige Grad, dem er angehört, der höchste sei. Das strengste Geheimnis muß gewahrt bleiben: „Nur gegen Obere ist verständige Offenheit T u gend."***** Beim ersten Grad schwört der Novize: Ich gelobe „vor Gott dem Allmächtigen, daß ich den Feinden des menschlichen Ge* Der apostatische Priester Lang war in Regensburg vom Blitz getroffen worden, als er die Dokumente bei sich trug. Sie wurden von der bayerischen Polizei sichergestellt (d. U). ** Memoiren zur Geschichte des Jakobinismus. *** [Fr] (In Ermangelung der deutschen Quelle aus dem Französischen zurückübersetzt): Augustin Barruel, Mémoires pour servir à l'histoire du Jacobinisme, Bd. II, nach: Einige Originalschriften . . . (s. u.), Bd. I, Brief an Cato. »»•»- EJnlg£ Originalschriften des Illuminatenordens, welche bei dem gewesenen Regierungsrath Zwack durch vorgenommene Hausvisitation zu Landshut den 11. und 12. Oktobro 1786 vorgefunden wurden. Auf höchsten Befehl Seiner Churfürstlichen Durchlaucht zum Druck befördert. München, gedruckt bey Anton Franz, Churfl. Hofbuchdrucker und zu haben in den drey Buchhandlungen, S. 29 f., Reform der Statuten der 1. Classe: Instructio insinuatorum, S. 61, 64; Brief an Ajax, S. 180 f. — Bei diesen Zitaten wurde die Rechtschreibung auf den heutigen Stand gebracht (d. U.). *****
Einige Originalschriften, S. 17, Statuten der Illuminaten.
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schlechtes und der bürgerlichen Gesellschaft nach meinen Kräften widerstehen werde""'. Die Formel ist kaum kompromittierend. Beim zweiten Grad (Minerval) wird alles deutlicher. Die Versammlungen werden mit einer Lesung aus der Bibel, aus Seneca, Epiktet, Marc Aurel und Konfuzius begonnen und man studiert gemeinsam geschickt ausgewählte Bücher. Diejenigen, die keine Neigung erkennen lassen, weiter in die Ziele des Ordens initiiert zu werden, erhalten die ersten drei Grade der l'reimaurerei und dort läßt man sie. Die anderen werden aufgefordert, in den Grad des „Illuminatus Minor, Minerval", einzutreten. Hier die Rede, die man ihnen bei der Einweihung hält: „Anrede bei der Aufnahme eines Illuminati minoris. Oberer Deputierter. Ob.: ,Es gibt aber gewisse allgemeine Verbrechen in der Welt, die der Kluge und Rechtschaffene jedes Zeitalters gern abgestellt wissen möchte. W e n n wir sehen, daß in dieser schönen Welt jeder Mensch glücklich sein könnte, daß unsere eigene Glückseligkeit aber oft durch fremdes Leiden und durch die Bosheit der Verirrten gestört wird, folglich nicht dauerhaft ist; daß die Bösen so mächtig sind, mächtiger als die Guten; daß der Reiz zur Untugend so stark, daß einzelnes Kämpfen dagegen fruchtlos ist, daß der ehrliche Mann kaum ungestraft ehrlich sein kann: so entsteht natürlich der Wunsch, es möchten einmal die edleren, würdigeren Menschen in ein dauerhaftes Bündnis miteinander treten, in ein Bündnis, das nie wieder getrennt, noch entweiht werden könnte, um den Bösen fürchterlich zu werden, allen Guten ohne Unterschied aufzuhelfen, sich selbst Ruhe, Zufriedenheit und Sicherheit zu verschaffen, durch die kräftigsten Mittel das Laster zu fesseln, zu vermindern, durch Mittel, die zugleich Tugend und Wohlwollen befördern und die bisher noch zu unkräftigen Reize zur Rechtschaffen* Nachtrag von weiteren Originalschriften, welche die Illuminatensekte überhaupt, sonderbar aber den Stifter derselben, Adam Weishaupt, gewesenen Professor zu Ingolstadt betreffen und bey der auf dem Baron Bassusischen Schloß zu Sandersdorf, einem bekannten Illuminatenneste, vorgenommenen Visitation entdeckt, sofort auf Churfürstlich höchsten Befehl gedruckt, und zum geheimen Archiv genommen worden sind um solche jedermann auf Verlangen zur Einsicht vorlegen zu lassen. München 1787, zu haben bey Joseph Lentner. Zwo Abtheilungen, S. 93.
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heit sinnlicher, mächtiger und anziehender machten — durch Mittel, die auf höhere Kräfte der menschlichen Natur gegründet wären"*. Die Sprache ist noch ziemlich vorsichtig, aber der Betreffende ist schon für die Idee gewonnen, daß er sich dieser „Gesellschaft von Menschen" zur Verfügung stellen muß, die darangehen, den „Bösen" zu widerstehen und den „Guten" zu helfen. Weishaupt lehrt zynisch: „Man kann alles mit den Menschen machen, wenn man ihre vorherrschenden Neigungen zu seinem Vorteil zu nützen versteht"**. Solche Leute hat Weishaupt zum Grade der „Illuminati maiores" und zum „Schottischen Novizen" geführt a ). Dieser Grad dient der Einführung zu dem des „Schottischen Ritters" b), der die Karriere der Düpierten beschließt. Weishaupt veranlaßt die Kandidaten, ihre Lebensgeschichte zu schreiben, ohne etwas zu verschweigen: „Ich habe sie in meiner Gewalt***, sagt er und er legt ihnen nicht weniger als eintausendfünfhundert Fragen vor: über ihr Leben, ihre Erziehung, ihren Körper, ihre Seele, ihre Gesundheit, ihre Passionen, ihre Neigungen, ihre Bekanntschaften, ihre Beziehungen, ihre Meinungen, ihre Wohnung, ihre Kleidung, ihre Eltern, ihre Freunde, ihre Feinde etc. Es gibt aber noch Wichtigeres; er fragt: „Mit einem Wort: Sind Sie mit der Welt, wie sie jetzt ist, zufrieden?" „Würden Sie dies nicht zu ändern, die Guten zu sammeln, fest zu vereinigen, mächtiger als die Bösen zu machen suchen, wenn es in ihrer Gewalt stünde?"****. „Sind Sie erbötig, sich der Einrichtung zu unterwerfen, welche dieser Grad des O(rdens) fordert, nämlich daß jeder von uns monatlich in seinem Q. L. anzuzeigen verbunden ist, welche Bedienung, Pfründen oder dergl. er dermalen zu vergeben hat, oder durch sein Vorwort [Fürsprache] dazu helfen kann, * Der ächte Illuminat oder die wahren unverhesserten Rituale der Illuminaten. Enthaltend 1) die Vorbereitung, 2) das Noviziat, 3) den Minervalgrad, 4) den kleinen und ij großen Illuminatengrad. Ohne Zusatz und ohne Hinweglassung. Edessa, 1788, S. 100. ** Der ächte Illuminat, S. 117. a) Barruel II, S. 81, b> Barruel II, S. 90. *** [Fr.] Barruel II, S. 83. Der ächte Illuminat, S. 196.
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damit die Obern Gelegenheit haben, würdige Subjekte unter den 0(rdens)-Mitgliedern dazu vorzuschlagen?"*. Der Zweck des Ordens wird deutlicher sichtbar: Es handelt sich darum, die Initiierten unter dem Deckmantel des Geheimnisses in die Staatsverwaltung zu bringen, und zwar so weit, daß eines Tages, obwohl scheinbar alles gleich bleibt, die Dinge selbst nicht mehr gleich sind. Bei der Aufnahme des Illuminatus maior verliest der geheime Sekretär die „Allgemeine Ubersicht des ganzen Ordenssystems": „Mit einem Wort, man muß ein allgemeines Sittenregiment einführen, eine Regierungsform, die allgemein über die ganze Welt sich erstreckt, ohne die bürgerlichen Bande aufzulösen, in welcher alle übrigen Regierungen ihren Gang fortgehen und alles tun können, nur nicht den großen Zweck vereiteln, das Gute wieder über das Böse siegend zu machen. Dies war schon Christus' Absicht, die Einführung der reinen Religion"**. „Man muß um die Mächtigen der Erde her eine Legion von Männern versammeln, die unermüdet sind, alles zu dem großen Plan, zum Besten der Menschheit zu leiten und das ganze Land umzustimmen; dann bedarf es keiner äußeren Gewalt." „Unser kleiner H a u f e muß . . . alle Stellen, wo Macht für die gute Sache zu erringen ist, zu gewinnen suchen"***. Das ist buchstäblich die „Unterwanderung der öffentlichen Verwaltung" wie bei der „Résistance"****, so sehr gehorchen die Geheimgesellschaften zwangsläufig den gleichen Gesetzen. Auf diesem Grad der Illuminateneinweihung führt Weishaupt seine Adepten ohne ein unterscheidendes Merkmal in die freimaurerischen Logen ein. Sie müssen unter den Freimaurern jene ausfindig machen, die sie für das Illuminatentum gewinnen können. Damit tritt man in die „Klasse der Mysterien" ein. Der „Epopte" oder der „Illuminierte Priester" muß einen Fragebogen über das folgende Thema beantworten : „Entspricht der jetzige Zustand des Volkes demjenigen, für den der Mensch auf die Erde gesetzt worden ist? Zum Beispiel die Regierungen, * Ebd., S. 197. « Ebd., S. 208. *** Ebd., S. 209. « « - £) e r Widerstand in Frankreich im Zweiten Weltkrieg.
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die bürgerliche Gesellschaft, die Religionen der Völker, erfüllen sie den Zweck, zu dem die Menschen sie angenommen haben?"*. Die einzuschärfende Leitidee ist: „Man muß die Gesellschaft ändern." Man spricht auch von der Reinheit des ursprünglichen Christentums, der Geheimlehre der alten Weisen, den Untaten des Nationalismus (hier aus der Feder von Weishaupt erscheint dieses W o r t zum ersten Mal) und des Patriotismus. „(. . .) Der Nationalismus trat an die Stelle der Menschenliebe, mit der Abteilung des Erdreichs und der Länder wurde auch das Wohlwollen geteilt und ihm Grenzen angewiesen, über welche es sich niemals erstrecken sollte. N u n wurde es zur Tugend, auf Unkosten derer, die nicht in unsere Grenzen eingeschlossen waren, sein Vaterland zu vergrößeren. Nun, wenn es ein Mittel war zu diesem Zweck, so war es erlaubt, Fremde zu verachten. (.. .) Auf solche Art war schon bei der ersten Entstehung der Staaten der Same der Zwietracht in ihnen gestreut, der Patriotismus fand seine Strafe in sich selbst ( . . . ) . Vermindert den Patriotismus, so lernen sich die Menschen wieder als solche kennen ( . . .)"**• „Und macht endlich die Vernunft zur Religion des Menschen, so ist die Aufgabe gelöst"***. Die allgemeine Meinung war indessen noch nicht weit genug fortgeschritten, um Weishaupt folgen zu wollen, ohne daß man einige Vorsichtsmaßnahmen ergriff. In der Korrespondenz zwischen Zwack und Knigge, zwei bedeutenden Eingeweihten, gibt es eine interessante Stelle, die die Probleme der Propaganda betrifft, wie sie sich den Illuminaten stellt? Knigge kennt einerseits Männer, die jede Offenbarung verachten, andererseits auch solche, die noch ein Bedürfnis nach einer geoffenbarten Religion haben. Wie kann man derart ungleiche Individuen im gleichen Schritt in die gleiche Richtung führen? Knigge schreibt: * [Fr] Barruel II, S. 100. ** Nachtrag II, S. 63 f., Anrede an die neu aufzunehmenden Ill{uminati) ¿¿r(igentes). *** [Fr] Barruel II, S. 121.
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„Um auf beide Klassen von Menschen zu wirken und sie zu vereinigen, müsse man eine Erklärung der christlichen Religion erfinden, die den Schwärmer zur Vernunft brächte, und den Freigeist bewöge, nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten, dies zum Geheimnis der Freimaurerei machen und auf andere Zwecke anwenden. Von einer anderen Seite haben wir es mit Fürsten zu tun. Indes der Despotismus derselben täglich steigt, reißt zugleich allgemeiner Freiheitsgeist allerorten ein. Also auch diese beiden Extreme müssen vereinigt werden. Wir sagen also: Jesus hat keine neue Religion einführen, sondern nur die natürliche Religion und die Vernunft in ihre alten Rechte setzen wollen. Dabei wollte er die Menschen in ein größeres allgemeines Band vereinigen, und indem er die Menschen durch Ausbreitung einer weisen Moral, Aufklärung und Bekämpfung aller Vorurteile fähig machen wollte, sich selbst zu regieren, so war der geheime Sinn seiner Lehre, allgemeine Freiheit und Gleichheit unter den Menschen wieder ohne alle Revolution einzuführen. Es lassen sich alle Stellen der Bibel darauf anwenden und erklären, und dadurch hört aller Zank unter den Sekten auf, wenn jeder einen vernünftigen Sinn in der Lehre Jesu findet (es sei nun wahr oder nicht). Weil aber diese einfache Religion nachher entweiht wurde, so wurden diese Lehren durch die Disciplinam Arcani und endlich durch die Freimaurerei auf uns f o r t g e p f l a n z t . . . " „Da nun hier die Leute sehen, daß wir die einzigen echten wahren Christen sind, so dürfen wir dagegen ein Wort mehr gegen Pfarrer und Fürsten reden . . ."*. Für den illuminierten Hierophanten hätte Jesus nur die Herrschaft der Vernunft gepredigt und eine Geheimgesellschaft gegründet, um den Menschen ihre ursprüngliche Freiheit und Gleichheit zurückzugeben. So wird der Eingeweihte unmerklich dazu gebracht, sich gegen jede religiöse und bürgerliche Gewalt zu stellen. Diejenigen, die von Weishaupt zum Grad des „Regenten" oder des „Illuminierten Fürsten" zugelassen werden, müssen „freie, von jedem Fürsten unabhängige Männer" sein und sie müssen bekundet haben, wie unzufrieden sie mit der allgemeinen Verfassung oder mit dem gegenwärtigen Zustand des Menschengeschlech* Nachtrag I, S. 104 f., Philo an Cato.
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tes sind, wie sehr sie nach einer anderen Form der Regierung der Welt verlangen*. Bei der Einweihung zu diesem Grad wird der Postulant in Ketten vor ein Skelett, eine Krone und ein Schwert geführt. Man fragt den, der ihn einführt: „Wer hat ihn denn in diese Knechtschaft gebracht? A. Die Gesellschaft, der Staat, die Gelehrsamkeit, die falsche Religion"**. Hiermit ist man beim H ö h e p u n k t des Weishauptschen Aufbaus angelangt, beim Grad des Magiers oder des „Königsmenschen". Von diesem Grad schreibt Weishaupt: „Aber aus [den] H ä n den gebe ich diesen Grad nicht: er ist der Schlüssel zur alten sowohl als neuen Geschichte, zur Religion, und zu jeder Staatsverfassung in der Welt"***. Es handelt sich tatsächlich um das Gegenprinzip, um das satanische Prinzip des Königsmenschen, um die fortwährende Erneuerung der Erbsünde. „Diejenigen, die am Glück des Menschengeschlechtes arbeiten wollen", lehrt Weishaupt sodann, „müssen alle Prinzipien, die die Ruhe (des Menschen) und seine Zufriedenheit und sein Glück stören, zersprengen und entkräften" (. . .)****. „In den höheren Graden sollte man dann . . . b) aus allen Schriften den Ursprung aller religiösen Lügen und deren Zusammenhang entwickeln"*****. „In Ihren Rezeptionen habe ich nichts auszusetzen, als daß Sie so geschwind und mit einmal ausgehen, besonders bei Leuten, die man erst durch Umwege dahin bringen muß, wo man sie erwartet. Sie sollten nach und nach durch Umwege, mit Suspensionen, Erwartungen verfahren, unbestimmte, vage Begierden erst entstehen lassen, und dann, wenn sich der Kandidat * [Fr] Barruel II, S. 131. Die neuesten Arbeiten des Spartacus und Philo in den Illuminaten-Orden, jetzt zum ersten Mal gedruckt und zur Beherzigung bey gegenwärtigen Zeitläuften herausgegeben (München) 1794. (Imprimatur Spreti, Churfürstliches BücherCensur-Collegium, München 1793), S. 137 f. *** Nachtrag I, S. 72. »»s- |-p r j ¿ ¿ ^ s. 146, Preuves tirées de l'apologie même de Weishaupt, Système corrigé de l'Illuminisme. BS,S
Nachtrag I, S. 72; S. 106, Brief an Cato.
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äußert, ihm das Objekt vorweisen, nach welchem er sodann mit beiden Händen greifen wird"*. Es ist bemerkenswert, daß die Brüder Anwerber den ausdrucksvollen Titel „Insinuant" (Einschmeichler, Einschleicher) tragen. Welcher Menschentyp ließ sich vom Illuminatentum anlokken? Der Freimaurerhistoriker Baylot hat das Porträt eines der Hauptadjutanten Weishaupts, Knigges, mit einigen Strichen gezeichnet: „Dieser mondäne Edelmann, Alleskönner, brillant, aber oberflächlich mit einer snobistischen Note, körperlich schwach und schlecht gebaut, gehörte einer alten hannoveranischen Familie an. Trotz seiner Benachteiligungen wußte er sich im Besitz einer Verführungskunst, der eine hochentwickelte Bildung zugutekam. Als Reaktion auf den Mangel an gewissen Fähigkeiten empfand er das Bedürfnis, Gefallen zu wecken, als sei das die einzige Chance, sein Leben zu ertragen. Seine Laufbahn war eklektisch, er selbst das Bild einer verzettelten Persönlichkeit, jedoch mit nicht zu verachtenden Gaben ausgestattet. Vom Landgrafen Friedrich II. von Hessen mit ökonomischen Aufgaben beauftragt, kurze Zeit Tabaksdirektor, inspirierte er ein Amateurtheater, komponierte und war Dichter." „Knigge hatte 1772 der Loge ,Zum gekrönten Löwen' in Kassel angehört. Als beweglicher Geist wechselte er zwischen Templerforschungen, alchimistischen Arbeiten und den Spekulationen eines okkultistisch gefärbten Esoterikertums, die ihn mit den Rosenkreuzern in Verbindung brachten" 113 . Das war also die wichtigste Persönlichkeit des Illuminatentums, dem er, Knigge, seit 1780 anhing. Drei Jahre später überwarf er sich mit Weishaupt und verfolgte in Heidelberg „eine eklektische Karriere als Literat und Komponist". Auf Empfehlung Goethes wurde er 1790 zum Großlandvogt und Schulinspektor von Bremen ernannt und starb am 4. 5. 1796. Das Geheimnis, auf das Weishaupt soviel Wert legte, wurde 113
Jean Baylot, La voie substituée, Lüttich 1968, S. 46.
* Originalschriften. S. 231, Spartacus an Cato, 21. März 78 [identisch mit Anm. 112 im Original].
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nicht von allen Adepten gewahrt. Einige, durch die Projekte des Ingolstädter Professors erschreckt, plauderten aus. Die Polizei entdeckte die Archive der Sekte. Weishaupt mußte nach Gotha fliehen. Dort blieb er fünfundvierzig Jahre. Das Illuminatentum hatte zehn Jahre gedauert und nach Weishaupt einige tausend, nach anderen einige hundert Adepten zusammengebracht. Baylot vermerkt sehr richtig, daß dieser kleine, unbekannte Professor die Regeln der modernen Verschwörung „kodifiziert" hat: „Da er nur Mißerfolge zu verzeichnen hatte, wäre sein Prestige oder besser gesagt seine Berühmtheit nicht zu erklären. Er verdankt sie seinen Zielen. Zum ersten Mal geschah es, daß jemand mit wissenschaftlicher Unbefangenheit eine Technik des Komplotts mit stufenweisem Unterricht bis zur Meisterklasse entwickelt hat" 114 . Das Illuminatentum drang weit über die Grenzen Bayerns hinaus. Als Mirabeau sich 1786 und 1787 im Auftrag von Vergennes und Calonne in geheimer Mission nach Berlin begab, lernte er das Illuminatentum kennen und sang in seiner „Histoire secrète de la cour de Berlin" (Geheimgeschichte des Berliner Hofs) sein Loblied 115 . Weishaupt hatte mit der pedantischen deutschen Genauigkeit die Gedanken Rousseaus in eine Schlachtordnung gebracht. „Ohne jeden Zweifel", so bekräftigt der Historiker Baylot, „steht der ,Discours sur l'inégalité' am Anfang seiner Initiation. Während der ganzen Dauer des Illuminatentums findet man in den von ihm ausgearbeiteten Texten die großen Gedanken Rousseaus über die Natur, den Menschen, den Fortschritt, die Gleichheit, die ursprünglichen Neigungen und das Glück wieder" 116 . Der wesentliche Beitrag Weishaupts zur Subversion ist seine Methode der Infiltration ins Staatsgefüge: „Er spannt sein Adeptennetz aus in der Regierung, in der Verwaltung, in der Armee, in den Gerichten, in den freien Berufen, im Klerus und im Handel. Dieses Netz vervollständigt sich durch das Leben selbst immer mehr. Zunächst mit einem Menschen eingepflanzt, besetzt es nach und nach die leitenden 114
Baylot, a. a. O., S. 48 f.
115
Ebd., S. 50.
116
Ebd., S. 64.
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Stellen. So wird Schritt für Schritt sogar die amtliche Tätigkeit von den Lehren des Ordens beeinflußt, der nach und nach an die Stelle der etablierten Gewalten tritt. Er wird selbst die Gewalt auf natürliche Weise, nur durch die Entwicklung seiner Existenz" 117 . Das Rituale des „Illuminatus maior" sagt: „Es gilt alle Stellen zu erobern, die die Macht innehaben"*. „Denn in der Verborgenheit beruht ein großer Teil unserer Stärke. Deswegen soll man sich mit dem Namen einer anderen Gesellschaft decken. Die Logen der unteren Freimaurerei sind indessen das schickliche Kleid für unsere höheren Zwecke, weil die Welt nun schon daran gewöhnt ist, von ihnen nichts Großes zu erwarten, welches Aufmerksamkeit verdient. Auch ist der Name einer gelehrten Gesellschaft eine sehr schickliche Maske für unsere unteren Klassen, hinter welche man sich stecken könnte, wenn irgend etwas von unsern Zusammenkünften erfahren würde. Man sagt sodann: Man versammle sich heimlich, teils um der Sache mehr Reiz, mehr Interesse zu geben, teils um nicht jeden zulassen zu müssen, um manchen Hindernissen durch mißgünstige und spöttische Leute auszuweichen, oder um die Schwäche eines noch ganz neuen Instituts zu verbergen" 118 . Baylot bemerkt, daß „die Technik der Weishauptschen Geheimgesellschaft im 20. Jahrhundert eine Mauserung durchgemacht hat. An ihre Stelle trat die Theorie von den ,wirksamen Minderheiten', einer gewissen kalkulierten Gewalt, deren kaltes Forschen die auf das Geheimnis gesetzte, durch die Geschehnisse enttäuschte H o f f n u n g wettmacht. Dies wurde zu der eigentümlichen Lehre der französischen Anarchisten, denen George Sorel sein Talent geliehen hat. Formuliert wurde sie von Bakunin, nicht von Marx, dessen Genosse und späterer Gegner Bakunin war, bevor Lenin die Prophetien beider miteinander verquickte: „,Eine Geheimgesellschaft muß eine Art revolutionären ,Generalstab' aus ergebenen, energischen, intelligenten Menschen bilden, die vor allem aufrichtige, von Ehrgeiz und Eitelkeit freie Freunde des Volkes sind. Für die internatio117
Ebd., S. 68.
118
Ebd., S. 59.
* Die neuesten Arbeiten, S. 165.
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nale Organisation in ganz Europa genügen hundert fest und ernsthaft verbündete Revolutionäre'" 119 . „Lenin betrachtete die Freimaurerei als ,Mittel' und als ,Paß'. Er brauchte das freimaurerische Milieu, um seine Geheimgesellschaft, die ,Internationale brüderliche Union', ausweiten zu können" 1 2 0 . Lenin „dachte nicht anders als Weishaupt, als dieser aus seinem Exil in Gotha schrieb, daß alle Gesellschaften nach Art der seinen von ausgeschlossenen oder enttäuschten Freimaurern gegründet seien, die entdeckt hätten, was man aufgrund des menschlichen Hanges zum Mysteriösen mittels einer erneuerten Maurerei machen könnte" 121 . Die Freimaurerei erscheint als ein wahrer Nährboden des Umsturzes. Wenn sie ihn nicht selbst auslöst, so dient sie doch den Handelnden als Deckung. Aus den Logen sind hervorgegangen die Illuminaten, die Carbonari, die Anarchisten, die Kommunisten. Alle kommen sie aus derselben Spelunke. Haben die „Unbekannten Vorgesetzten" in den letzten zweihundert Jahren diese Angriffe in Gang gesetzt? Oder sind diese Sekten spontan im freimaurerischen Milieu entstanden? Ich für meinen Teil möchte es lieber durch die Idee erklären — die Idee, die unweigerlich ihre Folgen nach sich zieht. Barruel hat den Mechanismus sehr gut beschrieben: „Die Philosophen bilden die Schule der Sophisten des Atheismus heran. In dieser Schule werden die Sophisten der Rebellion herangebildet und in beiden Schulen die Sophisten der Anarchie: Ni Dieu ni maître! Weder Gott noch Herr! (. . .). Der Philosophismus ganz allgemein ist der Irrtum des Menschen, der alles auf seine eigene Vernunft reduziert und hinsichtlich der Religion jede andere Autorität außer der natürlichen Erkenntnis verwirft. Er ist der Irrtum dessen, der jedes Geheimnis, das seiner Vernunft unbegreiflich ist, ablehnt — dessen, der die Offenbarung verwirft und die christliche Religion total umstürzt unter dem Vorwand der Erhaltung der Freiheit, der Rechte der Vernunft und der Gleichheit dieser Rechte für alle Menschen" 122 . L'alliance révolutionnaire, fehlt im Original). 120
Baylot, a. a. O., S. 69.
121
Ebd., S. 107. Barruel, a. a. O., S. 3.
122
London-Straßburg,
1873
(Verfasserangabe
9. KAPITEL
Die Einweihung Seltsame Zeremonien — Die Schule des Zweifels — Das Geheimnis des Tempels — Kosmopolitismus und Koedukation — Die Gegenkultur — „Ni Dieu ni maître — Kein Gott mehr und kein Meister" — Das Skelett in der Loge von Béziers — „Wenn die Neugier dich herführt, so geh wieder!" — Der Reflexionsraum — Strumpfsockige Eidesleistung — Das Lycopodiumrohr — Die Einweihung zum Gesellengrad — Das Gestirn der Gedankenfreiheit — Die Gnosis — Die Einweihung zum Meister — Das Geheimnis Hirams — Die Mittlere Kammer — Die menschliche Gottheit — Okkulte Macht — Eine illegale Gesellschaft
Die Einweihung zum ersten Grad der Freimaurerei, so wie sie in Frankreich im 18. Jahrhundert durchgeführt wurde, ist uns durch einen „Rapport confidentiel au Grand Collège des Rites", einen „vertraulichen Bericht an das Große Ritenkollegium" bekannt, der im November 1895 vom Br. •. Louis Amiable, 33. Grad, abgefaßt wurde. Amiable erwähnt darin einen „Recueil précieux de Maçonnerie adonhiramite", eine „kostbare Zusammenstellung adonhiramitischer Maurerei", die einen „Katechismus für Lehrlinge" enthält. Der Kandidat kam mit verbundenen Augen in die Loge. „Er wurde ohne besondere Umstände hineingeführt und die Prüfungen beschränkten sich auf drei Reisen, die nichts weiter als Spaziergänge waren. Diese Reisen wurden auch erklärt und zwar so: Frage: ,Warum läßt man Sie reisen?' Antwort: ,Damit ich zu der Erkenntnis komme, daß man niemals mit dem ersten Schritt zur Tugend gelangt.' Frage: ,Was haben Sie auf dem W e g gesucht?'
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8. Kapitel
Antwort: ,Ich habe das Licht gesucht, auf das sich die Erklärung bezieht, die ich vor Ihnen abgegeben habe."' Das war banal genug und man könnte diesen Fragen und Antworten einen ganz verschiedenen Sinn unterlegen. Weiter erklärt Br. •. Amiable, daß bei der Wiederaufnahme der freimaurerischen Tätigkeit unter dem Konsulat* „der pseudoägyptische Kult, der mit Cagliostro in Schwang kam und von Mozart durch seine ,Zauberflöte' populär gemacht wurde, bei den Freimaurern entschiedenen Vorrang erhielt. In Ermangelung geistiger Arbeiten wie vor 1789 und in Ermangelung fruchtbarer Diskussionen, die das argwöhnische System des ,18. Brumaire'** nicht toleriert hätte, mußte man die ,Brüder', die sich versammelt hatten, um die Neophyten zu empfangen, irgendwie unterhalten. Deshalb waren vierzehn Jahre später die Prüfungen viel mehr geworden und hatten in der Neuausgabe dieses Handbuchs von 1803 einen ganz anderen Charakter angenommen. Der Titel war leicht verändert: ,Recueil élémentaire de la Franc-Maçonnerie Adonhiramite'. Jetzt findet man unter anderen Schaustückchen den Sprung oder Sturz, der den Weg durch die Luft versinnbilden soll, einen wirklichen Lauf durch Feuer und den Gebrauch von Reinigungswasser." Diese burlesken Zeremonien waren nach Bruder Amiable dazu angetan, „die Ernsthaftigkeit der maurerischen Arbeiten zu gefährden, da sie für gewöhnlich Gelächter auslösten". Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Einweihung sorgfältig kodifiziert. Ich habe dabei das „Manuel général de la Maçonnerie", das „Allgemeine Handbuch der Maurerei" vor Augen, das 1856 in Paris bei „Teissier, einem Fabrikanten von Freimaurerzierat, Rue de Grenelle-Saint H o n o r é 37" gedruckt wurde. Verweilen wir einen Augenblick bei den Einzelheiten in diesem Handbuch: Für die Einweihung zum Grad des Lehrlings „muß die Loge in Blau gehalten und mit goldenen Sternen übersät sein; im Osten auf einem dreistufigen Podium befindet sich ein drapierter Thron. Zur Linken des Meisters vom Stuhl (Vorsitzender der Loge) steht ein Schreibtisch, Altar genannt, an dem sich der * Napoleons. ** 9. November 1799.
Die Einweihung
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Redner aufhält. Rechts davon ist ein weiterer Altar, an dem der Sekretär sitzt. Unterhalb des Podiums sind rechts und links zwei weitere Altäre für den Schatzmeister und den Hospitalier. Die Zeremonienmeister stehen mit dem Rücken zu den beiden Altären. Dem Orient gegenüber, im Okzident, befinden sich ebenfalls zwei Altäre auf einem einstufigen Podium. Es sind die Plätze für die beiden Aufseher. Der eine überwacht die südliche Säule, der andere die nördliche. Die beiden ,Experten' müssen unten stehen, mit dem Rücken zu den Aufseheraltären. Der Bruder ,couvreur':;* muß neben der T ü r stehen und sie bewachen. Zur Vollständigkeit einer Loge müssen außer den genannten zwölf Offizieren noch ein Großexperte, ein Br. •. ,terrible'**, ein Siegel- und Stempelbewahrer, ein Revisor-Architekt und ein Tafelmeister vorhanden sein, insgesamt also siebzehn Personen. Die Loge muß durch drei Lampen erleuchtet sein, zwei bei den Aufsehern und eine neben dem Schatzmeister." Für die Einweihung zum Grad eines Gesellen ist die Dekoration dieselbe. Für die Einweihung zum Grad des Meisters ändert sich die Dekoration: „Die Loge muß eine schwarze Tapete haben, die Totenköpfe, Tränen und gekreuzte Knochen zeigt; sie wird durch neun Lampen in Dreiergruppen erleuchtet. Bei einer Aufnahme muß in der Mitte ein Teppich oder eine kleine Matratze sein mit einem schwarzen Schleier überdeckt, auf dem ein Akazienzweig liegt. Die Meisterloge wird ,Mittlere Kammer' genannt; alle Brüder müssen den H u t aufsetzen, der Vorsitzende wird mit ,Tres respectable' (Höchstachtbarer) angeredet, die Aufseher mit ,Sehr Ehrwürdige' und die Mitglieder mit ,Sehr ehrwürdige Meister'." Es folgt die Erklärung der geheimen Zeichen, durch die alle Maurer einander erkennen können: Tempelhüter, der für die „Deckung" der Loge zu sorgen hat, d. h. „die durch persönlichen Augenschein erreichte Gewißheit, daß nur Freimaurer bei der Arbeit anwesend sind" (Eugen Lennhoff, Internationales Freimaurer-Lexikon, unveränderter Nachdruck 1980 der Ausgabe Wien 1930, S. 307). „,Fürchterlicher Bruder': ist eine Erfindung der französischen Freimaurerei, die den Vorbereitenden Br., in Schreckgestalt vermummt, zum Neophyten in die Vorbereitungskammer schickt. . ." (Eugen Lennhoff, Internationales Freimaurer-Lexikon, S. 546).
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Beim einfachen Zeichen „wird der Daumen auf die Magengrube gelegt, die Finger sind geschlossen und gestreckt, dann wird die H a n d bis zur Stirn erhoben, wobei der Körper sich leicht nach rechts dreht und der rechte Fuß nach hinten rückt. Am Ende werden H a n d und Körper wieder in Ausgangsstellung gebracht." Beim Zeichen der Trauer müssen „die gefalteten H ä n d e so auf den Kopf gelegt werden, daß die Handflächen nach außen stehen; das rechte Bein wird dabei im rechten Winkel hinter das linke gestellt und man ruft: ,A moi, les enfants de la veuve!' (Hierher, Kinder der Witwe). Die ,Order', eine Art maurerisches ,Stillgestanden', besteht darin, daß man die rechte H a n d auf die Magengrube legt und stillsteht." Nach dem Ersten Weltkrieg kam von den amerikanischen Freimaurern die Mode, während der Schweigeminute zu Ehren der Toten so zu grüßen. Das wurde in ganz Europa übernommen und nicht selten machen ahnungslose Leute beim Trompetensignal für die Toten dieses Stillgestanden. Sie führen damit, ohne es zu wissen, ein maurerisches Ritual aus. Das „Berühren" — immer noch beim Meistergrad — besteht darin, daß man beim Händereichen „die beiden Daumen kreuzt, die Fingerspitzen leicht biegt und so wie mit Krallen auf das Handgelenk drückt". Die Gangart in der Loge ist eigenartig: „Man hält vorerst die Fersen zusammen, hebt dann das rechte Bein nach vorn, erst leicht nach links, dann nach rechts gedreht und stellt den Fuß auf den Boden, das linke Bein hinter dem rechten in H ö h e der W a d e gekreuzt. Dasselbe geschieht mit dem linken Bein, dann wird das rechte Bein vorgestellt, das linke folgt und wird hinter das rechte gekreuzt. Zum Schluß werden die Fersen zusammengebracht, die Fußspitzen auseinander, so daß es die Figur eines Winkelmaßes ergibt." Der Meister trägt eine blaue Schärpe von rechts nach links. Am Ende der Schärpe hängt ein Kleinod, Zirkel und Winkelmaß gekreuzt. Die Schürze ist aus weißem Satin, blau gefüttert und umrandet. Die Losung ist „Ghiblim" und das heilige Wort „Mak-Benah". Gehen wir einige Grade höher hinauf, so kommen wir zu dem „Auserwählten Rosenkreuzer". Zur Einweihung in diesen wichtigen Grad benötigt man drei Räume:
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„Der erste heißt Vorbereitungsraum, der zweite Ratszimmer und der dritte Dunkelraum oder Höhle. Der erste Raum ist schlicht möbliert, von einer einzigen gelben Kerze in einem Leuchter aus schwarzem Holz erhellt, der auf einem Tisch aus gewöhnlichem H o l z steht; als Sitzgelegenheit eine kleine Bank. Der zweite Raum, das Ratszimmer, hat eine schwarze Tapete mit roten Tränen übersät. Der Altar muß rot mit schwarzer Umrandung sein; in der Mitte ein Dolch, von dem neun schwarze Strahlen wie Flammen ausgehen, ringsumher schwarze Tränen. Auf dem Altar müssen ein Dolch, ein Zirkel, das Buch der Weisheit, ein Schlegel und eine schwarze Schärpe liegen. Links vom Altar in einer Ecke ist ein Gemälde, das drei Köpfe, jeder auf einem Stein ruhend, darstellt. Das Zimmer ist mit sechs großen Lampen beleuchtet, die an der Wand befestigt sind. Im Innern, auf der rechten Seite vom Ausgang her, befinden sich neun Leuchter mit acht Kerzen, die neunte steht höher, zwei Fuß von den anderen entfernt. Das dritte Zimmer soll eine wilde Wüste darstellen, ringsum stehen einzelne große Felsbrocken, unbehauene Steine, um den Steinbruch von Ben Acar anzudeuten. An der Seite stellt eine Dekoration einen Höhleneingang dar. Rechts vor der Höhle sieht man einen aus dem Felsen springenden Brunnen, links einen schnuppernden H u n d ; im Innern, etwa in der Mitte der Höhle, muß eine Lampe auf einem Stein stehen. An der Seite ist ein Transparent angebracht, das erst im gegebenen Moment aufleuchtet. Im Hintergrund steht eine Puppe, die einen Mann darstellt, der sich einen Dolch ins H e r z stößt. Am Eingang der Höhle sind zwei Männer auf der Flucht zwischen den Felsen hindurch dargestellt und zwei, die sie verfolgen." Was soll man von dieser burlesken und unheimlichen Dekoration halten? Offensichtlich birgt diese Maskerade Hintergedanken. Wie Bernard Fay bemerkt, „ist dieser ganze Ablauf bei den maurerischen Einweihungen mit ihrem komplizierten Symbolismus eine lange Kette falscher Vorspiegelungen, die in zweifacher Beziehung in einer Leere enden. Verstand und H e r z des Eingeweihten werden durch den prunk- und geheimnisvollen Schein aufgeregt und ergriffen. In Wirklichkeit aber wird der
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Einzuweihende nicht zu einer bestimmten Disziplin oder zu einer tapferen Geisteshaltung geführt, sondern von Frage zu Frage in immer feiner ausgeklügelte Dunkelheiten getrieben, durch die alle Probleme in die Länge gezogen werden, ohne auch nur ein einziges anzupacken. So bietet die Freimaurerei als neue Religion der Menschheit eine trügerische Gottheit und eine täuschende Art von Kult dar" 123 . Die Freimaurerei ist die Schule des Zweifels und kann deshalb, als furchtbare, zerstörerische Macht, nicht aufbauen. In allerjüngster Zeit bestätigte der Großmeister des Grand Orient, der Br. •. Prateau, nochmals die "Wichtigkeit der maurerischen Einweihung: „Die Freimaurerei ist eine philosophische Gesellschaft, die auf eine Initiationspraxis gegründet ist. Die Freimaurerei ist keine Ideologie, sie ist auch kein Glaube, sie ist eine Geistesverfassung . . ,"124. Die freimaurerische Zeitschrift „Humanisme", Juli 1975 erklärt, wie wichtig die Dekoration des Tempels für den Einweihungsvorgang und damit für die Schaffung des maurerischen Geisteszustands ist. Das sind Dinge, die man festhalten muß, wenn man sich eine richtige Vorstellung von dieser geheimnisvollen Maurerei machen will. Bei dieser Dekoration des Tempels, heißt es in dieser Zeitschrift des Grand Orient, „dienen alle Formen und Farben, die Anordnung der Gegenstände sowie die Gegenstände selbst dazu, den Maurer zu überzeugen, daß er sich in einer Welt befindet, die von der sichtbaren Welt verschieden ist, in einer erfundenen Welt, in der alles zugleich dies und auch etwas anderes ist und zwar hier wie überall. Der Tempel ist ein Ort, der seinem Wesen nach zweideutig ist; er erklärt die Wirklichkeit für nichtig, indem er ihr eine kosmische Dimension verleiht. . . . In der Urzeit lag das verlorene Paradies in einer mythischen Vergangenheit; später versetzten es die Religionen als höchstes Ziel in eine ebenso mythische Zukunft ,post mortem'. Den Freimaurern, die die Zukunft des Menschen auf Erden, und nur auf Erden, errichten wollen, kommt es zu, das Paradies in der wahrnehmbaren Welt zu schaffen. Um das zu erreichen, 123
Documents maçonniques, Januar 1943.
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Humanisme, Juli 1975.
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müssen sie die Zeit symbolisch stille stellen, ihren Lauf an einem bestimmten Ort, der den Kosmos darstellen soll, anhalten. Eines der Kennzeichen unserer Tempel ist die Teilhabe an den Geheimnissen, die von der Esoterik unserer Lehre herrühren. N u r die Eingeweihten können daran arbeiten; doch ist der Eingeweihte kein Bewahrer einer Botschaft, die ihn an einen Glauben bindet; ihn zum Sklaven irgend eines Dogmas zu erniedrigen, wäre in der T a t die Verneinung dessen, was man ihm als Licht dargeboten hat. Wir trachten nur danach, ihn von seinen profanen Bindungen zu befreien . . . Alles, was unser Gedächtnis an Religiosität von den Vorfahren übernommen und angehäuft hat, muß ,exorzisiert' werden. Der Adept weiht sich selbst von T a g zu T a g mehr ein, damit er fähig wird, die Rolle des Baumeisters seines eigenen Schicksals in die H a n d zu nehmen ohne überflüssiges göttliches Eingreifen . . . Erinnern wir uns an das Ritual des ersten Grades: Zu Beginn der Lehrlingsarbeiten ist es immer Mittag, wenn sie beendet werden, immer Mitternacht (. . .). Der Freimaurer stellt sich wie ewig existierend zwischen Mittag und Mitternacht; er will durch sein Werk unsterblich werden, unverwundbar und unerreichbar für die schädigenden Einwirkungen der Zeit." Man könnte darüber lächeln, aber die Wirkung dieser Geistesverirrung ist nicht auf das Logeninnere begrenzt, und damit ist sie etwas, was uns alle angeht. „Die beiden Pole unserer philosophischen und fortschrittsfördernden Tätigkeit", sagt der Großmeister Behar 125 , „waren stets die Einweihung und das Staatsleben, der Aufbau unserer Werkstätten und der Aufbau der Gesellschaft." Der maurerische „Geisteszustand" strebt also darnach, die Gesellschaft zu erobern und sie nach den Prinzipien zu formen, die nicht nur nicht christlich, sondern von Natur wesentlich antichristlich sind. „Die Freimaurerei", fährt der Großmeister Behar fort, „benutzt eine Methodenlehre, die ihre Wirksamkeit über Jahrzehnte und unter verschiedenen Regierungen bewiesen hat. Heute greift die profane Welt zu diesen Prinzipien und versucht, 125
Ebd., April 1976.
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zwischen losen Elementen, die seit zweihundert Jahren in der Loge vereinigt sind, einen Dialog herzustellen (. . .). Was sind also die Ziele unserer Tätigkeit? Wenn wir uns auf unsere lange Geschichte stützen, finden wir bei allen Unternehmungen des Grand Orient von Frankreich einen gemeinsamen Nenner: das Anstreben der kidturellen Befreiung als Folge der Gewissensfreiheit. Alle Diskriminierungen zwischen Völkern und Geschlechtern werden bekämpft, womit sich das Problem des Kosmopolitismus und der Koedukation stellt. Die Gewohnheiten der profanen Gesellschaften müssen geändert werden: Sie müssen von der Wirksamkeit unserer Methodenlehre überzeugt werden, von der sich bestimmte Gruppen und Kollektive bereits leiten lassen. Ob man das Psychodynamik, ,brain-storming' oder Socio-Drama nennt, man kann nicht umhin, ganz objektiv in diesem Verhalten deutlich erkennbare Punkte unserer maurerischen Methoden zu sehen, so wie wir sie seit zweihundert Jahren anwenden. Die immer mehr sich ausbreitende Anwendung unserer Symbole (. . .) dient fortwährend den Zielen, die wir uns gesteckt haben" 126 . Demnach besteht sehr wohl der Wille zu einer freimaurerischen Einwirkung auf die Gesellschaft, auf ihre Geisteshaltung, ihre Sitten und ihre Politik. „Speziell in Frankreich", sagt Großmeister Behar, „wurden im Schoß der maurerischen Logen die Ideen ausgearbeitet, die zum großen Teil der Motor der Französischen Revolution von 1789 waren. Später, unter der dritten Republik, spielte die Freimaurerei eine entscheidende Rolle im Kampf des Säkularismus, der sich mit dem Ideal der Freiheit des Einzelnen gegenüber der Indoktrinierung durch die Kirche identifizierte." Und der „Humanisme" vom Mai 1975 bemerkt nachdrücklich: „Es ist gut, daran zu erinnern, daß die Freimaurerei am Ursprung der Französischen Revolution gestanden hat. In den Jahren vor dem Sturz der Monarchie wurde die Erklärung der Menschenrechte und die Verfassung lange und minutiös genau in den Freimaurerlogen ausgearbeitet. Und ganz selbstverständlich adoptierte die französische Republik bei ihrer Proklamation die glanzvolle Devise, die die Freimaurer seit je126
Ebd., Dezember 1975.
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her auf die Ostseite des Tempels geschrieben haben: ,Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit'." Nach dem Großmeister Prouteau ist „in Frankreich das Ideal des Grand Orient stets mit den Prinzipien und dem Charakter der republikanischen Institutionen des Landes verwachsen gewesen. So oft unser Land seine wesentlichen Texte und Einrichtungen änderte, mußte der Grand Orient sofort seine Kräfte mobilisieren, um Vorschläge zu machen und, wenn nötig, zu handeln. Wie auch die politische Z u k u n f t unseres Landes sein mag, sei sie morgen sozialistisch oder liberal, ich erkläre: ,Wir wollen, daß diese Option zuvörderst den Bestand und die Sicherung der republikanischen Demokratie garantiert'" 127 . Ebenso wie es keine religiöse Wahrheit mehr gibt, gibt es also auch keine politische Wahrheit mehr. Die Demokratie ist nur ein Mechanismus, der eine liberale oder sozialistische Gesellschaft hervorbringt, ohne daß dabei ein Werturteil mitwirkt. Wir finden hier wieder den Mechanismus der Initiation, denn „Initiation und Demokratie sind Synonyma, gleichbedeutende Begriffe" 128 . „Das Hauptkennzeichen der Initiation (wenn sie auch ein persönlicher Vorgang ist) bildet ihr sozialer Aspekt, insofern sie durch die Loge und in ihr vor sich geht. Denn im Mittelpunkt des maurerischen Lebens steht die Loge als bleibende Gruppe von variabler Bedeutung, der der Freimaurer angehört; er kommt mindestens zweimal im Monat zur Arbeit in die Werkstatt, die im Prinzip ein maurerischer Tempel ist. Das symbolische Universum, in dem diese Arbeiten vor sich gehen, ist für den Nichteingeweihten schwer mitteilbar (. . .), doch hat es die Wirkung, einen Prozeß kultureller Konditionierung gegenüber der profanen Welt einzuleiten. Wenn die Maurer die Tempelschwelle überschreiten, versetzen sie sich in einen Zustand geistiger Verfügbarkeit, einer Aufnahmebereitschaft . . . Die Loge ist der Ort, wo sich am besten eine Gegenkultur ausarbeiten läßt und wo zugleich die Lehrzeit in der kollektiven Selbstregierung einer Menschen-Zelle vonstatten geht, 127
Ebd., Juli 1975.
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Ebd., Juni 1976.
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die dann auf den sozialen Kontext (Unternehmen, Kollektive usw.) übertragen werden kann" 129 . Anders ausgedrückt: Gehirnwäsche und Konditionstraining der sozialen Gruppe. Hierin liegt das ganze maurerische Geheimnis. „Das maurerische Geheimnis ist eine Methodenlehre. Es ist ein außerhalb der Einweihung unübertragbares Geheimnis, weil es von einem Gruppenphänomen herrührt (. . .). In der T a t sind die Ruhe und das geschlossene Universum unseres Tempels notwendig, um in einem delikaten und langwierigen Prozeß Erfolg zu haben: in der Entwicklung des freien Menschen, der von sich selbst und von der Gesellschaft befreit ist" 130 . Man hat sich lange durch den maurerischen Symbolismus täuschen lassen. Man wollte darin den Ausdruck einer „uranfänglichen und außerzeitlichen Tradition sehen, von der die verschiedenen geistigen Formen gleichsam viele Facetten sind, jede an genaue geschichtliche Bedingungen geknüpft" 1 3 1 . Diese metaphysischen Prinzipien, auf denen die verschiedenen Traditionen gegündet sind, „widersprächen einander nur scheinbar". Das ist die Illusion des postkonziliaren Ökumenismus, der Irrtum René Guénons, der die traditionellen Formen mit Wegen vergleichbar fand, die alle zum gleichen Ziel führen, die sich „aber als Wege trotzdem unterscheiden". „Nur derjenige, der das Ziel erreicht hat, steht über allen Wegen, und zwar weil er keinen mehr zu gehen braucht." Weit davon entfernt, zur wesentlichen Erkenntnis zu gelangen, endet die maurerische Einweihung in der Grundverneinung: „Ni Dieu ni maître" — „Kein Gott mehr und kein Herr". Die maurerische Einweihung führt zu einer echten Entfremdung der Person. Ragon gibt dies in seinem Ritual für die drei ersten Grade zu: „Jeder Profane, der Maurer wird, hört auf sich selbst zu gehören. Er ist nicht mehr sein eigener Herr, sondern gehört einem Orden an, der auf dem ganzen Erdball verbreitet ist" 132 . Nachdem der Profane vom Sekretär der Loge, in die er ein129 130 131 132
Ebd., Juni 1976. Ebd., Nov. 1974. Serge Hutin, Les Francs-Maçons, S. 32. Documents maçonniques, März 1942.
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geweiht werden möchte, schriftlich vorgeladen worden ist, führt man ihn in einen f ü r Sonnenstrahlen unzugänglichen, durch eine Lampe erleuchteten Raum. Es ist der „Reflexionsraum". Die schwarz angestrichenen Wände sind mit Todessymbolen versehen, die geeignet sind, Schrecken und Traurigkeit hervorzurufen und dadurch Sammlung bewirken. Als die Polizei 1941 unter der Regierung von Marschall Pétain die Loge von Béziers in Besitz nahm, entdeckte sie darin die Leiche eines siebenjährigen Mädchens. Der Gerichtsarzt Dr. Roulaud, vom Staatsanwalt offiziell beauftragt, begab sich am 19. Dezember 1941 um 16 U h r in die Loge und protokollierte: „Die untersuchte Leiche ist die eines Mädchens von 103 cm Größe, also etwa im Alter von sieben Jahren." Darauf beschreibt der Gerichtsarzt genauestens diese Leiche, die zwei Kilogramm wog und deren Weichteile „völlig ausgetrocknet, holzig und leicht" waren. Die Eingeweide waren entfernt worden. Es blieb nur das „Skelett, die Muskeln der Glieder und pergamentierte Hautteile". Die Arterien waren „knallrot gefärbt", die Venen „blau injiziert", „die Blase und der After waren weit geöffnet und pergamentartig" erhalten. Durch zwei Löcher, die im oberen Teil des Schädels gebohrt waren, konnte man die Leiche an die Wand hängen, so daß der Anblick noch entsetzlicher wurde. Schauderhafte Einzelheit: Man hatte „die Augenlider, die noch die langen, blonden Wimpern trugen" und die Lippen verschont, „die als dünne, ausgetrocknete Borte eine fast intakte Reihe kleiner vergilbter Zähne umrandeten". Zwei fotografische Abbildungen dieser Leiche aus der Loge von Béziers sind in den „Documents maçonniques", August 1942, S. 23, zu finden. Wahrscheinlich hatten nicht alle Logen die Mittel, das Schauderhafte so weit wie die Loge von Béziers zu treiben. Aber in allen Reflexionsräumen findet man Schädel, Schienbeine, Trauerdraperien, Transparente, die einen Menschenkörper aufleuchten lassen, Silhouetten in luminiszierendem Material, Skelette aus bemaltem Schmiedeeisen usw. . . Auf jeden Fall handelt es sich darum, Schauder hervorzurufen. Bei der damaligen Öffentlichkeit, der die Einweihungsze-
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remonien der Freimaurerei völlig unbekannt waren, rief die Entdeckung der Leiche in der Loge von Béziers Empörung hervor. „Ohne irgend eine wissenschaftliche Notwendigkeit", so schrieben die „Documents maçonniques", „ohne irgend ein Recht dazu, gegen alle Gesetze hat sich die Maurerei die unglückliche Leiche jenes kleinen Mädchens angeeignet, um sie in ihren makabren Zeremonien eine Rolle spielen zu lassen, nur um die Brüder damit zu beeindrucken." O h n e Zweifel war es das Bestreben, die Adepten in einen „speziellen Zustand geistiger Hypnose und physischer Kraftlosigkeit" zu versetzen, wie dies zur Vorbereitung auf die Einweihung erforderlich war. Als einziges Mobiliar hat der Reflexionsraum einen Tisch und einen Stuhl. Auf dem Tisch liegen ein Totenkopf, Schreibzeug, ein Brot, ein Gefäß mit Wasser, etwas Salz und Schwefel in zwei weiteren Gefäßen. Inschriften zwischen den makabren Wandmalereien verstärken den Schrecken, den man einjagen will: „Wenn die Neugier dich hergeführt hat, geh wieder fort! Wenn deine Seele Grauen verspürt, geh nicht weiter! Wenn du glaubst, dich verstellen zu können, zittere, denn man wird dich durchschauen. Wenn du ausharrst, wirst du, durch die Elemente gereinigt, aus dem Abgrund der Finsternis hervorgehen und das Licht erblicken." V o r dem Eintritt in den Reflexionsraum muß der- Laie dem „Bruder Sachverständigen" seine Brieftasche und alle Metallgegenstände, die er bei sich trägt, übergeben. Er bekommt sie nach der „Prüfung" zurück. Allein gelassen, soll der Profane nachdenken. Eine halbe Stunde Einsamkeit in dieser schauerlichen Ausstattung, diesem fensterlosen Raum — die lautlose Umgebung, das Geheimnis der Sekte, der man beitreten will, ohne etwas von ihr zu wissen, all das soll den Unvorsichtigen beeindrucken, der sich durch seinen Wunsch, der Freimaurerei anzugehören, hat verlocken lassen. Nach der halben Stunde Nachdenken öffnet sich die T ü r und ein Bruder in voller maurerischer Ausstattung, die Schürze umgebunden, eine blaue Schärpe über Brust und Schulter, einen
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Degen in der H a n d , überreicht dem Profanen ein auf der Spitze des Degens steckendes Blatt Papier. — Füllen Sie dieses Blatt aus! befiehlt der Bruder und zieht sich sofort wieder zurück. Es ist ein Personalfragebogen, außerdem eine Reihe von Fragen über die Ansichten des Profanen; zugleich wird er gebeten, sein Testament zu machen. Der Bruder kommt mit demselben Zeremoniell zurück, um das Testament und die Antworten zu holen, und läßt den Profanen wieder allein. Während dieser Zeit entscheidet die Loge, ob der Kandidat aufgenommen werden soll oder nicht. Ist seine Aufnahme beschlossen, holt der Bruder den Kandidaten. Er bindet ihm die Augen zu, nimmt ihm Rock und Krawatte ab, entblößt ihm den linken Arm und die linke Schulter und zieht ihm den rechten Schuh und Strumpf aus. In dieser sonderbaren Aufmachung wird er zur T ü r des Tempels geführt. Beim Anklopfen, das durch den Begleiter geschieht, ruft der „Erste Aufseher": — Meister vom Stuhl, es wird wider die Regel an die T ü r des Tempels geklopft! — Bruder Erster Aufseher, antwortet der Meister vom Stuhl, sehen Sie nach, wer der Profane ist, der so kühn ist, unsere Geheimnisse zu stören. Der Bruder Erster Aufseher gibt diesen Befehl an den zweiten weiter und dieser wiederum an den Bruder „couvreur" (Tempelhüter), der die T ü r halb öffnet, dem Aufzunehmenden die H a n d auf die Brust legt und spricht: — W e r sind Sie und was begehren Sie? Hier schaltet sich der Bruder Sachverständiger ein: — Der Mann, den ich bringe, ist ein Profaner, der als Maurer aufgenommen werden will. — Fragen Sie diesen Profanen, worauf er seine H o f f n u n g stützt, in den Orden der Freimaurer aufgenommen zu werden! Die Antwort kommt weiterhin vom Bruder Sachverständigen: — Er hofft, aufgenommen zu werden, weil er von freiem und ehrbarem Stand und untadeligen Sitten ist. Nachdem er sich nach seinen Personalien erkundigt hat, öffnet der Bruder Türhüter endlich die Tür, worauf der Meister vom Stuhl sagt:
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remonien der Freimaurerei völlig unbekannt waren, rief die Entdeckung der Leiche in der Loge von Béziers Empörung hervor. „Ohne irgend eine wissenschaftliche Notwendigkeit", so schrieben die „Documents maçonniques", „ohne irgend ein Recht dazu, gegen alle Gesetze hat sich die Maurerei die unglückliche Leiche jenes kleinen Mädchens angeeignet, um sie in ihren makabren Zeremonien eine Rolle spielen zu lassen, nur um die Brüder damit zu beeindrucken." O h n e Zweifel war es das Bestreben, die Adepten in einen „speziellen Zustand geistiger Hypnose und physischer Kraftlosigkeit" zu versetzen, wie dies zur Vorbereitung auf die Einweihung erforderlich war. Als einziges Mobiliar hat der Reflexionsraum einen Tisch und einen Stuhl. Auf dem Tisch liegen ein Totenkopf, Schreibzeug, ein Brot, ein Gefäß mit Wasser, etwas Salz und Schwefel in zwei weiteren Gefäßen. Inschriften zwischen den makabren Wandmalereien verstärken den Schrecken, den man einjagen will: „Wenn die Neugier dich hergeführt hat, geh wieder fort! Wenn deine Seele Grauen verspürt, geh nicht weiter! Wenn du glaubst, dich verstellen zu können, zittere, denn man wird dich durchschauen. Wenn du ausharrst, wirst du, durch die Elemente gereinigt, aus dem Abgrund d e r Finsternis hervorgehen und das Licht erblicken." V o r dem Eintritt in den Reflexionsraum muß der Laie dem „Bruder Sachverständigen" seine Brieftasche und alle Metallgegenstände, die er bei sich trägt, übergeben. Er bekommt sie nach der „Prüfung" zurück. Allein gelassen, soll der Profane nachdenken. Eine halbe Stunde Einsamkeit in dieser schauerlichen Ausstattung, diesem fensterlosen Raum — die lautlose Umgebung, das Geheimnis der Sekte, der man beitreten will, ohne etwas von ihr zu wissen, all das soll den Unvorsichtigen beeindrucken, der sich durch seinen Wunsch, der Freimaurerei anzugehören, hat verlocken lassen. Nach der halben Stunde Nachdenken öffnet sich die T ü r und ein Bruder in voller maurerischer Ausstattung, die Schürze umgebunden, eine blaue Schärpe über Brust und Schulter, einen
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Degen in der H a n d , überreicht dem Profanen ein auf der Spitze des Degens steckendes Blatt Papier. — Füllen Sie dieses Blatt aus! befiehlt der Bruder und zieht sich sofort wieder zurück. Es ist ein Personalfragebogen, außerdem eine Reihe von Fragen über die Ansichten des Profanen; zugleich wird er gebeten, sein Testament zu machen. Der Bruder kommt mit demselben Zeremoniell zurück, um das Testament und die Antworten zu holen, und läßt den Profanen wieder allein. Während dieser Zeit entscheidet die Loge, ob der Kandidat aufgenommen werden soll oder nicht. Ist seine Aufnahme beschlossen, holt der Bruder den Kandidaten. Er bindet ihm die Augen zu, nimmt ihm Rock und Krawatte ab, entblößt ihm den linken Arm und die linke Schulter und zieht ihm den rechten Schuh und Strumpf aus. In dieser sonderbaren Aufmachung wird er zur T ü r des Tempels geführt. Beim Anklopfen, das durch den Begleiter geschieht, ruft der „Erste Aufseher": — Meister vom Stuhl, es wird wider die Regel an die T ü r des Tempels geklopft! — Bruder Erster Aufseher, antwortet der Meister vom Stuhl, sehen Sie nach, wer der Profane ist, der so kühn ist, unsere Geheimnisse zu stören. Der Bruder Erster Aufseher gibt diesen Befehl an den zweiten weiter und dieser wiederum an den Bruder „couvreur" (Tempelhüter), der die T ü r halb öffnet, dem Aufzunehmenden die H a n d auf die Brust legt und spricht: — Wer sind Sie und was begehren Sie? Hier schaltet sich der Bruder Sachverständiger ein: — Der Mann, den ich bringe, ist ein Profaner, der als Maurer aufgenommen werden will. — Fragen Sie diesen Profanen, worauf er seine H o f f n u n g stützt, in den Orden der Freimaurer aufgenommen zu werden! Die Antwort kommt weiterhin vom Bruder Sachverständigen: — Er hofft, aufgenommen zu werden, weil er von freiem und ehrbarem Stand und untadeligen Sitten ist. Nachdem er sich nach seinen Personalien erkundigt hat, öffnet der Bruder Türhüter endlich die Tür, worauf der Meister vom Stuhl sagt:
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— Fragen Sie diesen Profanen, ob er wirklich die Absicht hat, in die Freimaurerei aufgenommen zu werden! Da der Kandidat, immer noch mit verbundenen Augen, nacktem Fuß und entblößter Schulter, bei seinem Entschluß zu bleiben scheint, befiehlt der Meister vom Stuhl: — Lassen Sie ihn hereinkommen! In dem Augenblick drückt der Bruder Türhüter seine Degenspitze auf die Brust des immer noch blinden Kandidaten und die T ü r wird krachend zugeschlagen. Die Stimme des Meisters vom Stuhl erschallt: — Mein Herr, die Eigenschaften, die wir für die Aufnahme in unseren Reihen verlangen, sind: größte Aufrichtigkeit, absolute Folgsamkeit und unerschütterliche Standhaftigkeit. Ihre Antworten auf die Fragen, die ich Ihnen nun stelle, werden uns erkennen lassen, was wir von Ihnen zu halten haben. Der Stuhlmeister nimmt sodann ein minutiöses Verhör vor über die Vorstellung, die sich der Profane von der Freimaurerei macht, über die Pläne, die er dabei verfolgt, über seine politischen und philosophischen Vorstellungen, ob er damit einverstanden ist, sich zivil beerdigen zu lassen; zum Schluß sagt er: — N u n werden wir Sie einigen unumgänglichen Prüfungen unterziehen. Ich mache Sie jedoch darauf aufmerksam, mein Herr, sollte Sie im Lauf dieser Prüfungen die Kraft und der Mut verlassen, so sind Sie jederzeit berechtigt zurückzutreten. Diese Prüfungen sind geheimnisvoll und symbolisch. Wenden Sie dabei alle Aufmerksamkeit auf, deren Sie fähig sind! Sich an den Bruder Sachverständigen wendend: — Bruder Sachverständiger, lassen Sie ihn die erste Reise antreten! Versuchen Sie sich diese Szene vorzustellen: Der Kandidat, immer noch die Augen verbunden, auf dem nackten Fuß humpelnd, mit nackter Schulter, an beiden H ä n d e n vom Bruder Sachverständigen geführt, „reist", indem er von der Nordsäule zum Orient, vom Orient zum Süden, vom Süden zum Okzident wandert. „Die erste Reise", so sagt das Rituale, „soll voller Schwierigkeiten sein, mit ganz kleinen Schritten erfolgen und in unregelmäßigem Tempo, jedoch sehr langsam vor sich gehen. Um die ,Reise' durch kunstvoll angeordnete Hindernisse und durch Mühen schwierig zu machen, bedient man sich der Ein-
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richtung des Raums, ohne jedoch Mittel anzuwenden, die den Kandidaten verletzen könnten. Man läßt ihn einmal langsam, dann ein wenig schneller gehen; ab und zu muß er sich bücken, als wenn er durch einen unterirdischen Gang gehen müßte; dann wird er aufgefordert, einen großen Schritt zu tun, als wenn er über einen Graben springen sollte. Schließlich muß er eine unregelmäßige Gangart einschlagen, so daß er die Beschaffenheit des Geländes nicht beurteilen kann. Um dem Kandidaten Angst zu machen, werden Donner und Hagel nachgeahmt." Nach diesen widerwärtigen Leibesübungen schlägt der zweite Aufseher mit dem Schlegel und sagt: — Meister vom Stuhl, die erste Reise ist beendet. N u n geruht der Meister vom Stuhl folgende Erklärung abzugeben: — Die erste Reise ist das Sinnbild des Menschenlebens; es sind die Stürme und Leidenschaften, der Zusammenstoß der verschiedenen Interessen, die Schwierigkeiten der Unternehmungen, die Hindernisse, welche Ihnen Konkurrenten vor die Füße legen, die Ihnen schaden und Sie abbringen wollen. Das alles ist durch die Unebenheit des Wegs, den Sie durchschritten haben, und durch den Lärm, den Sie hörten, versinnbildet. „Sie haben einen schwierigen W e g voller Unebenheiten eingeschlagen; mit Mühe haben Sie eine Anhöhe erstiegen, von deren Gipfel Sie herabgestürzt wären, hätte Sie nicht ein schützender Arm gehalten. Das soll heißen, daß man sich in der Welt oft große Mühe gibt, zu einer Stellung zu kommen, sie aber nur sehr schwer ohne Hilfe und Stütze erlangen kann . . ." Die Anspielung ist deutlich: Durch ihre okkulte Hilfe ermöglicht Ihnen die Freimaurerei, einen besonderen Platz in der Gesellschaft einzunehmen; Sie gehören ihr jedoch völlig zu eigen. Der Meister vom Stuhl fragt: — Wollen Sie nun die weiteren Prüfungen ablegen? Es folgt die zweite Reise. Sie besteht vor allem aus der „Wasserprobe". Hier ist kein Hindernis zu überschreiten; der Kandidat hört nur Degenklirren und dumpfe Schreie. Er wird dreimal in der Loge umhergeführt. Dann ergreift der Bruder Sachverständiger seinen entblößten Arm und taucht ihn in ein mit Wasser gefülltes Gefäß.
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— Auf dieser zweiten Reise haben Sie weniger Schwierigkeiten überwinden müssen, als auf der ersten, erklärt der Meister vom Stuhl, das bedeutet: Je mehr man auf dem Weg der T u gend fortschreitet, umso leichter wird der Weg. Das Waffengeklirr, das Sie gehört haben, bedeutet die Kämpfe, die der Mensch führen muß, um die Leidenschaften, die ihn umringen und ihn unterjochen wollen, zu besiegen. Ihre H ä n d e wurden ins Wasser getaucht als Symbol der Reinigung. — Hier handelt es sich um eine Parodie der christlichen Taufe, besser gesagt um ihre Nichtigmachung, denn die „Reinigung", von der hier die Rede ist, ist eine Gehirnwäsche, die den Freimaurer dazu bringen soll, jeden dogmatischen Gedanken abzulegen. — Mein Herr, sagt der Meister vom Stuhl, Sie haben manche Schwierigkeiten überwunden; das ist ein gutes Vorzeichen für die Prüfungen, die Sie noch zu bestehen haben. Fühlen Sie sich in der Lage, die dritte Reise anzutreten? Der Neophyt muß antworten: — Ich will die Reise machen. — Offenbar schreibt das Ritual ihm nun seine Antworten vor. — Wenn es so ist, lassen Sie den Kandidaten die dritte Reise antreten. Es ist die Feuerprobe. Sie geschieht schweigend, mit großen Schritten. Dreimal ist der Neophyt von Flammen umgeben. Danach erklärt ihm der Meister vom Stuhl: — Mein Herr, Sie haben sicher bemerkt, daß diese Reise noch weniger mühsam war als die vorherige. Das ist eine Wirkung Ihrer Ausdauer auf dem W e g der Tugend. Nach dieser Huldigung vor der maurerischen Tugend macht der Meister vom Stuhl den Kandidaten aufmerksam: — Mein Herr, wir werden von Ihnen nun sogleich eine Verpflichtung verlangen, die uns Ihre Verschwiegenheit zusichert^ diese von Ihnen selbst zu schreibende Verpflichtung muß mit ihrem Blut unterzeichnet sein. Willigen Sie ein? Auf die bejahende Antwort des Neophyten fährt der Meister vom Stuhl fort: — Wir nehmen Ihr Versprechen zur Kenntnis und werden dessen Ausführung fordern, wenn es nötig wird. Der maurerische Schraubstock zieht sich immer enger um den Unvorsichtigen zusammen, der sich dieser Gesellschaft ver-
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pflichtet. Schon gehört er sich nicht mehr selbst an, ist kein freier Mensch mehr. — Bruder Sachverständiger, fährt der Meister vom Stuhl fort, überreichen Sie dem Profanen den Kelch der Bitterkeit. Der bittere T r u n k wird ihm überreicht; nachdem er ihn getrunken hat, sagt der Meister vom Stuhl: — Mein Herr, dieser T r a n k ist durch seine Bitterkeit ein Sinnbild für die unvergleichlichen Kümmernisse des Menschenlebens; nur das Zeugnis eines reinen Gewissens vermag diese zu lindern. Jetzt können Sie sich zurückziehen. Die Versammlung wird Ihre Antworten auswerten. Wie auch das Ergebnis sein mag, Sie müssen sich verpflichten, das, was Sie bei uns gesehen und gehört haben, niemals bekanntzumachen. Schwören Sie das? Führen Sie den Herrn aus diesem Raum. Während der Profane an der Tempeltür wartet und, die Augen immer noch verbunden, in seinem lächerlichen Aufzug sich fragen mag, ob man vielleicht seinen Strumpf verlegt hat, oder was seine Freunde wohl sagen würden, wenn sie ihn in diesem Aufzug sähen, beraten die Logenbrüder und äußern sich durch Aufstehen und Hinsetzen. Wird der Kandidat zugelassen, so muß er dem Bruder Hospitalier (Gastmeister) zunächst eine bestimmte Summe zahlen. Noch immer mit verbundenen Augen und in der vorigen Aufmachung wird er wieder in den Tempel geführt und der Meister vom Stuhl gibt den Befehl: — Aufstehen und stillgestanden, meine Brüder! Das geschieht, wie gesagt, mit rechtwinklig abgebogenem Arm. Sodann wird der Neophyt zum Orient des Tempels geführt, um dort seine Verpflichtung einzugehen. Man gibt ihm in die linke H a n d einen Zirkel, dessen eine Spitze gegen seine linke Brust gerichtet ist, mit der rechten H a n d berührt er die Klinge eines Schwertes, das auf dem Statutenbuch des Ordens liegt. — Der Eid ist ernst, warnt der Meister vom Stuhl, und Sie müssen ihn in voller Freiheit leisten. Willigen Sie ein? Wie könnte man jetzt noch zurücktreten? Der Mensch ist in einem unheimlichen Räderwerk gefangen. Er wird „freiwillig" auf seine Freiheit verzichten. — Ich werde Ihnen die Eidesformel vorlesen, sagt der Meister vom Stuhl, Sie müssen sagen: „Ich schwöre es":
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— Ich schwöre und verspreche auf das Schwert, das Symbol der Ehre, und auf das Gesetzbuch, alle Geheimnisse, die mir durch diese verehrliche Loge anvertraut werden, sowie alles, was ich hier sehen und hören werde, unverbrüchlich zu bewahren, darüber niemals etwas zu schreiben, wenn ich nicht ausdrücklich die Erlaubnis dazu erhalten habe und dann nur so, wie man es mir bedeuten wird. Ich verspreche außerdem, mich nach den Konstitutionen, den allgemeinen Statuten des Ordens sowie den besonderen Statuten dieser verehrlichen Loge zu richten. Sollte ich meineidig werden, willige ich in die Strafe ein, die mir gemäß den maurerischen Satzungen auferlegt werden wird, und mein Andenken soll allen Maurern ein Abscheu sein. — Hier hält der Meister vom Stuhl etwas inne, dann fährt er fort: — Mein Herr, bereitet Ihnen der soeben geleistete Eid keine Besorgnis? Sind Sie bereit, ihn zu wiederholen, nachdem Sie das Licht empfangen haben? Nach der bejahenden Antwort wendet sich der Meister vom Stuhl an den Bruder Aufseher und fragt: — Was begehrt der Profane? — Das Licht. — Man gebe ihm das Licht und Sie alle, meine Brüder, erfüllen Sie Ihre Pflicht. Darauf stehen alle Brüder mit ihrem Schwert in der Hand auf und richten die Schwertspitze auf den Neophyten. Der Meister vom Stuhl schlägt dreimal mit dem Schlegel. Beim dritten Mal läßt der Bruder Sachverständiger die Binde von den Augen des Kandidaten fallen. Im selben Augenblick wird der Neophyt dreimal von einem Lycopodiumpulverblitz geblendet und sieht das leuchtende Delta mti dem Buchstaben G in der Mitte. Nach einer kurzen Stille, während welcher sich der Laie wieder an das Licht gewöhnt hat und die Szenerie in der Loge erkennen kann, sagt der Stuhlmeister zu ihm: — Mein Herr, die auf Sie gerichteten Schwerter zeigen Ihnen an, daß alle Maurer Ihnen in allen schwierigen Umständen zu Hilfe eilen werden, vorausgesetzt, daß Sie unsere Gesetze genau einhalten. Sie zeigen Ihnen aber auch an, daß Sie uns alle als Rächer der Maurerei und der Tugend finden werden, immer
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bereit, den Meineidigen zu bestrafen, so Sie sich schuldig machen sollten. — Bruder Sachverständiger, lassen Sie den Neophyten nähertreten. — Man überreicht ihm nun eine Art Freimaurerkatechismus, „Instruktion für den ersten symbolischen Grad". In dieser kleinen Schrift steht, daß „jeder Lehrling, der den Gesellengrad erreichen will, sich einem Examen unterziehen muß, wobei er zufriedenstellende Antworten auf die weiteren an ihn gestellten Fragen geben muß: 1. über die zwei ersten Paragraphen der Konstitution des Grand Orient von Frankreich; 2. über die Organisation und das innere Regime der Loge, über die Befugnisse der Offiziere, über die Einweihung zum ersten Grad und zwar sowohl nach den allgemeinen Statuten der Föderation als nach den besonderen." Es folgen die Erklärung der Einteilung und Ausstattung des Tempels, die Zeichen, die Berührungsriten, das heilige W o r t und die Art und Weise, es auszutauschen, das Losungswort und die Halbjahreslosung. Weiter erklärt man ihm den Sinn der Gangart, des Beifalls mit Händeklatschen, des Beifalls mit Zurufen, des symbolischen Alters usw. So ist der Lehrstoff beschaffen, den der Lehrling sich in sechs Monaten aneignen muß. Er ist höchst dürftig, ein merkwürdiges Gemisch von Esoterik und Rationalismus. Am interessantesten ist die Erklärung, die sich im Ritual der Pariser Loge „La demente amitié" findet: „Die Toleranz der Ideen hat nicht die Toleranz der Taten zur Folge (sie) und wir sind unversöhnliche Gegner aller Organisationen, die dazu neigen, dem Menschen seinen freien Willen versagen zu wollen, namentlich der religiösen Organisationen, die uns knechten wollen. Wir erklären uns als Gegner aller Priester und Mönche. Wir lassen nur eine einzige Regierungsform für Frankreich zu, die Republik." Die Beschreibung der Zeichen, an denen sich die Maurer erkennen, ist wie gesagt recht pittoresk, der Austausch der Parole aber ziemlich lächerlich: — Sagen Sie mir die Parole, verlangt der Meister vom Stuhl. — Ich kann weder lesen noch schreiben, ich kann nur buchstabieren, antwortet der Lehrling. Sagen Sie mir den ersten Buchstaben und ich werde den zweiten sagen.
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—J
— A (antwortet der Lehrling) — K — I — N „Jakin" ist der Name einer Säule an der Nordseite des salomonischen Tempels, an der die Lehrlinge ihren Lohn empfingen. Die Losung ist „Tubalkain" nach dem Namen des ersten Mannes, der nach der biblischen Geschichte Metall bearbeitet hat. Die Zahl 3, die beim „Berührungsritus" des Grades, beim besonderen Gang, beim Beifall durch Händeklatschen, bei der Akklamation (Beifall durch Zurufe) und beim Kuß unter Brüdern wiederkehrt, erinnert daran, daß die Dreizahl in den alten Mysterien Unendlichkeit, Ewigkeit und Allmacht bedeutete. Das Dreieck ist das Symbol für diese Attribute. „Die Loge ist ein Rechteck, das sich von Osten nach Westen, von Süden nach Norden erstreckt, ihre H ö h e reicht vom Zenith zum Nadir; das soll heißen, daß die Maurerei universal ist. Sie ist nach Osten ausgerichtet, weil die Maurerei, so wie die ersten Sonnenstrahlen vom Osten kommen, vom Orient ausgegangen ist. Die Loge wird von drei großen Pfeilern getragen, die man Weisheit, Kraft und Schönheit nennt und die symbolisch durch den Meister vom Stuhl und die beiden Aufseher dargestellt werden." Der kleine maurerische Katechismus grenzt oft ans Lächerliche, so bei folgendem: — Was haben Sie gesehen, als Sie das Licht empfingen? — Die Sonne, den Mond und den Meister der Loge! — Welcher symbolische Zusammenhang besteht zwischen den Gestirnen und dem Meister der Loge?: — So wie die Sonne dem T a g vorsteht und der Mond der Nacht, so steht der Meister der Loge vor und erleuchtet sie133. Der zweite Grad in der Freimaurerei ist der des Gesellen. 133 Ebd., März 1942: „L'initiation au grade d'apprenti"(Die Einweihung zum Lehrlingsgrad) von R. Vallery-Radot nach den „ Cahiers des grades symboliques du Grand Orient de France, 1880, und der Instruction pour le premier grade symbolique, 1934, sowie der Instruction pour le premier degré symbolique écossais, 1929.
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„Mit einem Schlegel und einer Wasserwaage versehen, beginnt man die erste Reise. Das Ziel ist, den dem ersten Grad dargebotenen groben Stein zu behauen und daraus einen kubischen Stein zu formen, der zum Aufbau des Menschheitstempels dienen soll. Zu dieser Arbeit muß das Studium der Sinne hinzukommen, das zur Erkenntnis der menschlichen Persönlichkeit führt und die Bildung der Gedanken erklärt." „Auf der zweiten Reise lernt der Neophyt mit Lineal und Zirkel Linien auf das gut rechteckig behauene Material zu zeichnen. Dies symbolisiert die Suche nach Gerechtigkeit und Wahrheit. Durch das Lineal, das der Neophyt noch hat als Emblem des richtigen Urteils, und durch den Hebel, der hinzukommt als Emblem der Arbeitskraft, symbolisiert die dritte Reise das Studium der Natur. Auf der vierten Reise wird ihm zu dem Lineal eine Wasserwaage gegeben. Diese stellt die ,Anstrengung dar, die wir fortwährend unternehmen müssen, um die gesellschaftliche Gleichheit zu verwirklichen. Sie dient auch dazu, das Andenken der Wohltäter der Menschheit zu ehren und an ihr Beispiel zu erinnern."' „Auf der fünften Reise wird der Neophyt, während er endlich alle Werkzeuge weglegt und die Hände frei hat, aufgefordert, sich nur mit geistigen Arbeiten zu befassen: Alle Bindungen, die ihn noch an Vorurteile und Irrtümer fesseln, sind endgültig zerrissen. Der Neophyt wird aufgefordert, die fünf Stufen des Tempels zu besteigen und den fünfzackigen flammenden Stern zu betrachten. — Was bedeutet dieser Stern? — Er ist unser Polarstern, das Gestirn der Gedankenfreiheit. Es ist das Zeichen, das durch seine fünf Zacken die ,fünf Organe' ausdrückt, die uns helfen, unsere Fähigkeiten auszuüben, das heißt unsere fünf Sinne (die der Neophyt nun aufzählt, als sei er gerade in ein unerhörtes Geheimnis eingeweiht worden). — Enthält dieser Stern kein anderes Emblem? Der Neophyt muß antworten: — In der Mitte sieht man den Buchstaben G, der Geometrie bedeutet, eine der höchsten Wissenschaften, die der Menschengeist jemals hervorgebracht hat. Deshalb sehe ich in diesem
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symbolischen Buchstaben auch noch ganz besonders die menschliche Intelligenz." — Sind Sie Geselle? fragt der Meister vom Stuhl in der Instruktion des Grand Orient. — Ich kenne den Buchstaben G, antwortet der Neophyt. — Was bedeutet dieser Buchstabe? — Dieser Buchstabe ist das Monogramm für Gravitation, Geometrie, génération"", Genie und Gnosis. Die Gravitation ist die Urkraft, die die Bewegung und das Gleichgewicht der Materie regiert. Sie regiert die Umläufe der Erde und aller Himmelskörper. Die Geometrie ist das Fundament der positiven Wissenschaft, ohne sie würde der Menschengeist sich in leere Spekulationen verirren. Deswegen hat Pythagoras über die T ü r seines Tempels geschrieben: ,Hier darf niemand eintreten, der nicht die Geometrie kennt.' Die Zeugung ist die Vitalkraft, die die Reihe der Lebewesen fortsetzt. Um das Rätsel des Lebens entziffern zu können, müssen wir ihre Phänomene kennen. Das Genie ist die menschliche Intelligenz in ihrem hellsten Glanz. Der Mensch, der damit begabt ist, soll es dazu benutzen, die anderen auf dem Weg der Gerechtigkeit und Wahrheit zu führen. Die Gnosis schließlich, die ihrer Etymologie nach zur Sprache der ersten Philosophen gehört, ist die umfassendste geistige Erkenntnis, der Impuls, der den Menschen antreibt, immer mehr zu lernen und der der Hauptmotor des Fortschritts ist." „Fünf Reisen, der Buchstabe G, das Monogramm der fünf den menschlichen Geist befruchtenden Worte, das Ganze im flammenden fünfzackigen Stern zusammengefaßt, das ist der Grund dafür, daß der Geselle behauptet, fünf Jahre alt zu sein. Er ist so alt, wie seine Erkenntnis ist, die Erkenntnis des Sterns. Dieser Stern war nämlich bei den Hermetikern das geheimnisvolle Pentagramm, der Mikrokosmos der Kabbalisten" 134 . Die Einweihung zum Grad des Meisters kann unsere Kenntnis über die Freimaurerei noch vertiefen. „Ursprünglich gab es nur zwei Grade in der Maurerei; erst 134 Documents maçonniques, Juli 1942. * Zeugung.
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1739 erscheint die Einweihung zum Meistergrad. Hier verlassen wir die reinen Symbole der Architektur. Wir haben ein echtes liturgisches Drama vor uns: den T o d Hirams. Man hat nie in Erfahrung gebracht, woher diese Legende kommt. Keine der alten maurerischen Handschriften erwähnt den tragischen T o d des salomonischen Tempelbauers. Außerdem findet sich vor 1725 kein Hinweis auf das Aufnahmezeremoniell des dritten Grades. Um diese Zeit verfaßt ein Unbekannter in allen Einzelheiten den dramatischen Bericht von der Ermordung Hirams durch drei Gesellen, die beschlossen, ihm hinterrücks die Geheimnisse der Meisterschaft zu entreißen. . . . Was die Meister betrifft, ,die wahren', so scheint Oswald Wirth anzunehmen, daß es in die okkulten Wissenschaften Eingeweihte waren, deren unsichtbarer Einfluß auf den Willen der Brüder wirkte. Der Hiram-Mythos wäre somit nur die Verkörperung dieses Willens. Hiram hat nämlich nie existiert. Der geschichtliche Hiram aus dem Buch der Könige ist zwar der Gießer, der die beiden Säulen des Salomontempels herstellte, er war jedoch nie Oberarchitekt. Die Phantasie der keltischen Rosenkreuzer vom schottischen Ritus trieb unter Mißachtung der Wirklichkeit ihr Spiel mit der Ähnlichkeit der Namen ,Hiram, König von Tyrus' und ,Aden Hiram', dem Architekten in dem wundervollen Märchen von der Königin von Saba und vom König Salomon, das Gérard de Nerval in seinem ,Voyage en Orient', seiner ,Orientreise' erwähnt. Oswald Wirth sieht darin auch eine Übertragung des assyrischen Ischtarmythos" 135 . Auf dieser allegorischen Erzählung über den T o d Hirams ruht jedoch „als auf einer heiligen Grundlage" die ganze Freimaurerei. Louis Blanc schildert die Geschichte, wie man sie Generationen von Maurern erzählt hat, wie folgt: „Adoniram war von Salomon beauftragt, die Bauarbeiten am Tempel zu Jerusalem zu leiten. Seine Arbeiter waren dreitausend Mann. Um sie bei der Auszahlung der Löhne nicht zu verwechseln, teilte Adoniram sie in drei Klassen ein: Lehrlinge, Gesellen und Meister. Man unterschied und erkannte sich untereinander mit Hilfe von Worten, Zeichen und Berührungsarten, die geheim bleiben mußten. N u n aber beschlossen drei Ge135
Ebd., Oktober 1942.
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seilen, die sich das Meisterwort aneignen wollten, Hiram zu zwingen, es ihnen zu enthüllen, oder aber ihn zu ermorden. Sie verstecken sich im Tempel und stellen sich an die verschiedenen Tore. Als Adoniram am Südtor erscheint, fragt der erste Geselle nach dem Meisterwort; da jener es ihm verweigert, schlägt er ihn mit einem Lineal als W a f f e heftig über den Kopf. Adoniram flüchtet nach dem Westtor, wo schon der zweite Geselle auf ihn wartet, der ihn mit einem Winkelmaß ins H e r z sticht. Seine letzten Kräfte sammelnd, versucht Hiram sich durch das Osttor zu retten, aber der dritte Geselle hält ihn auf, und da er ihm das W o r t nicht entreißen kann, streckt er ihn mit einem Schlegelschlag tot zu Boden. In der Nacht nahmen die Mörder den Leichnam und begruben ihn auf dem Berg Libanon. Dort wurde er von neun Meistern, die Salomon auf die Suche geschickt hatte, gefunden. Nachdem das Grab, auf dem eine Akazie wuchs, durchwühlt war und die, welche den Leichnam zu fassen bekamen, ,Mac Benac' schrien, ,das Fleisch löst sich vom Knochen', wurde beschlossen, daß dieses W o r t von nun an den Meistern das verlorengegangene W o r t ersetzen sollte. Das ist die seltsame Geschichte, die in der Freimaurerei bei der Aufnahme zum Meistergrad wieder wachgerufen und dargestellt wird, da die Zeremonie sich um einen Sarkophag abspielt, beim Schein einer aus einem Totenkopf gebildeten Blendlaterne, in einem Saal, in dem auf schwarze Draperien weiße Skelette gestickt sind. (. ..) Wieviel Stoff zu Praktiken solcher Art gibt es doch für derartige Komplotteschmieder! Und was war das für ein heiliges Wort, das man zurückerobern mußte? (. . .) Symbolische Dinge fügen sich leicht den verschiedensten Interpretationen. Manche behaupteten sehr bald, daß die Freimaurerei die Fortsetzung des so tragisch berühmten Templerordens sei. In dessen System sei Adoniram Jacques Molay, die Mörder seien Philipp der Schöne als Personifizierung politischer und Papst Klemens V. als Personifizierung religiöser Tyrannei und auch die Richter, die man in Henker umgewandelt habe; das verlorene Wort sei ,die Freiheit'. Bald traten Neuerungen von furchterregendem Charakter auf. Da die drei Grade der gewöhnlichen Maurerei eine große Anzahl von Personen umfaßten, die nach Stand und Prinzipien jedem Vorhaben eines Umsturzes der Gesellschaft entgegen
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waren, begann man den Stufen der mystischen Leiter, die zu erklimmen war, neue hinzuzufügen. Man gründete Hinterlogen für die eifrigen Seelen, man führte die Hochgrade der ,Auserwählten', der ,Sonnenritter', ,von der strengen Observanz', ,des Kadosch' oder regenerierten Menschen ein. Das waren lichtscheue Heiligtümer, deren Pforten sich den Anhängern erst nach einer langen Reihe ausgeklügelter Prüfungen öffneten, in denen der Fortschritt ihrer revolutionären Erziehung, die Standhaftigkeit ihres Glaubens und die Gestähltheit ihres H e r zens zu testen war. Neben einer Unmenge teils kindischer, teils unheimlicher Praktiken bezieht sich hier alles auf die Ideen von Freilassung und Gleichheit. So stellt z. B. bei der Aufnahme in den Sonnenrittergrad der Meister vom Stuhl die Frage an den Ersten Aufseher: ,Wieviel Uhr ist es?' und dieser muß antworten: ,Die Stunde der Finsternis unter den Menschen.' Auf die Frage nach seinen Motiven muß der Aufzunehmende antworten: ,Ich komme das Licht suchen, denn meine Begleiter und ich haben uns in der Nacht, die auf der Welt herrscht, verirrt. Hesperus, der Stern Europas, ist von Wolken verdunkelt, von Wolken des Weihrauchs, den der Aberglaube den Despoten darbringt.' Der siebte Grad der Hochgradfreimaurerei, der Grad des ,Ritters vom Schwert' und ,des Rosenkreuzers' brachte ebenfalls bezeichnende Szenen mit sich. Die Formen und Allegorien dieses Grades hatten ihren Ursprung in der Geschichte von der Babylonischen Gefangenschaft der Juden, von der Zerstörung ihres Tempels und von der Erlaubnis des Kyrus an Jerobabel, ihn wieder aufzubauen. In Rot gekleidet, mit der schottischen Schürze angetan, in Ketten wurde der Aufzunehmende unter dem Namen Jerobabel zum T h r o n des Kyrus geführt, der in einem grün tapezierten Saal mit siebzig Fackeln (in Erinnerung an die siebzig Jahre Gefangenschaft der Juden) aufgestellt war. Wer sind Sie? fragte Kyrus. — Der erste unter meinesgleichen, Maurer von Rang, Gefangener durch Unglück. — Ihr Name? — Jerobabel. — Ihr Alter? — Siebzig Jahre — Welcher Anlaß führt Sie her? — Die Tränen und das Elend meiner Brüder! — Nennen Sie mir die Geheimnisse der Maurerei, das ist der Preis für Ihre Freiheit. — Als Salomon uns die ersten Grundsätze der Maurerei gab, lehrte er uns, daß die Gleichheit unser höchstes Gesetz sein muß. Hier besteht sie aber nicht. Ihr
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Rang, Ihre Titel, Ihre prunkvolle Überlegenheit, Ihr H o f , alles das ist mit den Geheimnissen unseres Ordens unvereinbar. . .. Ich habe jedoch unverbrüchliche Verpflichtungen übernommen. Sollte ich, um frei zu werden, sie übertreten? Lieber will ich Gefangener bleiben. — Darauf tat der Herrscher sieben Schläge und beglückwünschte den Aufzunehmenden zu seiner Tugend, seiner Festigkeit und gab den Befehl, ihn von seinen Ketten zu lösen. Sodann bewaffnete man ihn mit einem Degen und sagte zu ihm: ,Sie sollen als Oberhaupt über Ihresgleichen anerkannt sein.' Und er ging seinen Brüdern zu verkünden, daß der Schlaf des Volkes zu Ende und der T a g der allgemeinen Befreiung endlich angebrochen sei. Auf solche unterirdische Schulen, in denen ein derartiger Unterricht stattfand, spielte Condorcet an, als er sich vornahm, in einem (dann durch seinen T o d abgebrochenen) Werk über die Geschichte des Fortschritts des Menschengeistes davon zu handeln, welche Schläge die monarchische Abgötterei und der Aberglaube von den Geheimgesellschaften, den Töchtern des Templerordens, erhalten habe. Darum darf man sich nicht wundern, daß die Freimaurer den besonders mißtrauischen Regierungen einen vagen Schrecken einjagten, daß sie in Rom durch Klemens XII. in den Bann getan, in Spanien von der Inquisition gejagt, in Neapel verfolgt und in Frankreich von der Sorbonne ,der ewigen Strafe für schuldig' erklärt wurden. Gleichwohl fand die Freimaurerei dank des geschickten Mechanismus ihrer Einrichtungen bei den Fürsten und beim Adel mehr Beschützer als Feinde. Herrscher wie der große Friedrich fanden Gefallen daran, die Kelle zu schwingen und die Schürze umzubinden. Warum nicht? Die Existenz der Hochgrade wurde ihnen sorgfältig verheimlicht, und sie wußten von der Freimaurerei nur das, was man ihnen ohne Gefahr zeigen konnte, und darüber brauchten sie sich keineswegs zu beunruhigen, wurden sie doch in den niedrigen Graden zurückgehalten, wo der tiefere Grund der Lehren nur undeutlich durch die Allegorie hindurchschien und wo viele nur eine Gelegenheit zur Zerstreuung und Belustigung sahen mit fröhlichen Banketten, mit Prinzipien, die auf der Schwelle der Logentür vergessen bzw. wieder aufgenommen wurden, und Formeln ohne Anwendung im täglichen Leben, mit einem W o r t : eine Komödie der ,Egalität'. In diesem Bereich aber
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grenzt die Komödie an die Tragödie, und so geschah es, daß durch eine ebenso gerechte wie bemerkenswerte Fügung der Vorsehung die hochmütigsten Verächter des Volkes dazu gebracht wurden, die gegen sie selbst gerichteten heimlichen Machenschaften mit ihrem Namen zu decken und ihnen mit ihrem Einfluß blind zu dienen" 136 . Die Freimaurerei als Initiationsgesellschaft behauptet, ihre Anhänger zur Kenntnis von Geheimnissen führen zu können, die sich jedoch wie eine Fata Morgana immer wieder vor ihnen zurückziehen, deren Enthüllung aber stets im nächsthöheren Grade erwartet wird. „Im Altertum", sagt Oswald Wirth, „bereiteten die ,kleinen Mysterien' auf die große Einweihung vor, die ausschließlich den Elitegeistern vorbehalten war. Auch die Maurerei initiiert in zwei Etappen, Lehrlingszeit und Gesellenzeit folgen aufeinander und führen in zwei Graden das gesamte Vorbereitungsprogramm durch, das durch die endgültige Einweihung, die zum Meister, ergänzt wird. Diese könnte nicht auf einmal verliehen werden, denn sie ist die logische Folge der vorher erreichten Fortschritte. Wer nach dem dritten Grad strebt, muß die ersten zwei Grade völlig besitzen. Daher die Notwendigkeit, zum ersten Ausgangspunkt zurückzukehren, um sich von dort aus für eine neue Richtung zu engagieren. Für den Aspiranten auf den Meistergrad genügt nicht mehr das Begrabenwerden in der engen Gruft wie bei seinem ersten Initiationstod. Dieses Mal hat er sich viel tiefer im Schoß der Erde eingeschlossen, diesmal ist er zu ihrer dunklen Mitte gelangt, dorthin, wo das umwandelnde Denken ausgearbeitet wird, das die verlorene Wahrheit zurückbringt, durch welche die durch Korruption kompromittierten Institutionen wieder erneuert werden sollen. Diese Höhle, in der die ewige wiederaufbauende Verschwörung wohnt, dieser Mithrasorden, in dem das untergegangene Licht wiedergeboren wird, um umso glänzender wiederzuerscheinen, das Grab der Vergangenheit, in dem die Zukunft im Werden ist, dieser innere, verborgene und nur für die Eingeweihten, die der höchsten Offenbarung würdig sind, erreich136
L. Blanc, a. a. O, S. 3 6 - 4 0 .
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bare Ort, dieses allein den Meistern bekannte Heiligtum, das ist die ,Chambre du Milieu', die ,Mittlere Kammer'"*. „Die Loge wird nämlich bei dieser Gelegenheit ,Mittlere Kammer' genannt; sie ist völlig schwarz anstatt in Weiß gehalten und mit Todesemblemen versehen. Ihr Okzident trägt den Namen Hikal und wird durch eine einzige Grablampe erhellt. Den Orient, in dem sieben Sterne und ein Delta, glänzender als das der beiden vorherigen Grade, leuchten, nennt man Dhebir. In der Mitte befindet sich ein mit einem schwarzen Tuch bedeckter Katafalk, der ein Skelett oder wenigstens einen Schädel enthält. Auf dem schwarzen Tuch liegt ein Akazienzweig. In gewissen Logen wird von dem Meister vom Stuhl, den beiden Aufsehern und dem Neophyten noch ein wirkliches Drama gespielt. Der Stuhlmeister leitet das Spiel und erzählt, wie, nachdem Hiram die Arbeiter in drei Kategorien eingeteilt hatte, Lehrlinge, Gesellen und Meister mit ihren jeweiligen Zeichen, Berührungsriten und heiligen Worten, drei Gesellen, die die Meisterschaft nicht hatten erlangen können, beschlossen, Hiram die geheimen Meisterlosungen zu entreißen." Oswald Wirth gibt nun den Bericht von der Ermordung Hirams, den wir schon aus dem Text von Louis Blanc kennen und führt weiter aus: „Nachdem der Hauptsachverständige, die beiden Aufseher und der Neophyt vom Norden anfangend langsam die Runde durch den Tempel gemacht haben, kommen sie beim T.•. R.•., dem Höchstachtbaren (so nennt man den Meister der Loge) an und berichten, daß alles Suchen erfolglos gewesen sei. ,Suchen Sie noch einmal', sagt der Höchstachtbare. Eine weitere Suche ist ebenso erfolglos. ,Suchen Sie dennoch weiter', rät der Höchstachtbare. Diesmal entdeckt der Hauptsachverständige, von den zwei Aufsehern begleitet, einen Erdhügel, dessen Erde frisch durchwühlt ist. Sie ,reisen' ein zweites Mal und entdecken auf dem Erdhügel einen Akazienzweig. Auf der dritten Reise tut ihnen der Höchstachtbare kund, daß der Akazienzweig ganz sicher von den Mördern Hirams gepflanzt worden ist, um den Ort, wo sie die Leiche vergraben haben, wiederfinden zu können. * Mittlere Kammer: In manchen Systemen Bezeichnung des Tempels des Meistergrades. Der Ausdruck stammt aus 1 Könige (nach Eugen Lennhoff, Internationales Freimaurer-Lexikon, S. 1049).
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Der Neophyt wird aufgefordert, den Zweig in die H a n d zu nehmen. Da das heilige Meisterwort und das Meisterzeichen verloren gegangen sind, sollen nun das erste Zeichen und das erste Wort, die bei der Entdeckung der Leiche Hirams vorkommen würden, die verlorengegangenen Worte ersetzen. Die Suchenden durchwühlen die Erde, entfernen das Leichentuch, und die Brüder Freimaurer machen das Zeichen des Abscheus, indem sie beide H ä n d e über den Kopf heben, mit den Handflächen nach vorn, die Finger gestreckt und gespreizt, den Oberkörper zurückwerfen und die Arme fallen lassen. Der Hauptsachverständige, über den Katafalk gebeugt, sagt mit trauriger Stimme: ,Mac Benac', was bedeutet: ,Sohn der Verwesung' oder auch: ,das Fleisch hat sich vom Knochen gelöst'." Oswald Wirth übersetzt: „Er lebt im Sohne fort." Dies wird von nun an das W o r t des Meisters. .„Siehe da, die Leiche unseres Meisters Hiram', sagt der Höchstachtbare, ,seufzen wir, seufzen wir! Seufzen wir!' Er bückt sich über die Leiche, hebt ein Dreieck auf, hält es empor und spricht: ,Seht das mystische Kleinod unseres Meisters Hiram! In der Mitte des Dreiecks erglänzt der Buchstabe G. Vergessen wir unseren Schmerz und heben wir diesen Schatz sorgfältig auf!' Daraufhin führt der Br. •. Zeremonienmeister den Aufzunehmenden zum Dhebir, damit er dort den Akazienzweig niederlegt. Die Draperie wird entfernt und der Dhebir erscheint hellglänzend. Der Höchstachtbare legt das Dreieck in einen Schrein. Alle Brüder kehren auf ihre Plätze zurück bis auf den Bruder Zeremonienmeister und den Aufzunehmenden, der immer noch den Akazienzweig in der H a n d hält. Er leistet nun den neuen Eid vor dem Höchstachtbaren, der ihn zum Meister vom Schlegel und Degen weiht. Für den Initiierten", sagt Wirth, „ist Hiram nichts anderes als der maurerische Geist." Die drei Gesellen, die Hiram ermordet haben, sind die Symbole der Unwissenheit, der Scheinheiligkeit und des Fanatismus. Beachten wir, daß Hiram nicht von den Feinden der Maurerei, sondern von seinen eigenen Brüdern erschlagen wurde. Der Neophyt soll die Leiche durch seine Berührung wiederbeleben, sie ist Symbol für die Handlung des Propheten Elisäus, als er sich über das tote Kind der Sunamitin legte, um es wieder
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aufzuerwecken. So geht die Seele Hirams in seine Söhne ein. Der Br. •. Oswald Wirth nennt das „die menschliche Gottheit". Der Freimaurer weiß, daß seine eigene Person nichts ist, er interessiert sich nicht für sie, vielmehr geht er bis zum innersten Prinzip der Initiation zurück, das er, ohne es genau erkennen zu können, in seiner geheimnisvollen Realität als unbekannten Gott erahnt: Es ist das transzendente Ich, das vielleicht in allen denkenden Wesen identisch ist. „Dieses Ich nimmt keinen Platz im Weltenraum ein und kann nicht in der Zeit begrenzt werden, ist also von göttlicher Wesensart. Daher sind es die Initiierten, denen das Versprechen in Psalm 82, Vers 6 gilt: ,Ich habe gesprochen: ihr seid Elohim (Götter), und ihr alle seid Kinder des Gedenkens'"* 137 . Die Entdeckung der Logenarchive bei der Besetzung der Logen unter der Regierung von Marschall Pétain ermöglichte es, die Kenntnisse von der Freimaurerei zu überprüfen und zu vertiefen. In der Zeitschrift „Les Documents maçonniques", die die Arbeiten der Spezialisten der Pariser Nationalbibliothek und des „Service des Sociétés secrètes" im Justizministerium unter der Leitung von Professor Bernard Fay, Generaladministrator der Bibliothèque Nationale, veröffentlichte, gab J. de Boistel folgenden Kommentar über die maurerischen Einweihungen 1 3 8 : „Die Verleihung der Grade erfolgte zwar auf Antrag des Kandidaten, sie trat aber nur nach einem Urteil der Maurer der höheren Grade in Kraft. Dieses System ständiger Auswahl verstärkte die Autorität der Würdenträger und der Gradinhaber. Und während es einem Maurer niedrigeren Grades verboten war, in den Werkstätten der Maurer höherer Grade zu verkehren, so sind Hochgrade durch die Statuten verpflichtet, fleißig die Werkstätten niedrigeren Rangs zu besuchen. Wenn z. B. ein Meister Rosenkreuzer wurde, trat er in ein Kapitel ein. Er war jedoch von keiner der Verpflichtungen, die seine bisherige Eigenschaft ihm auferlegte, befreit. Er blieb in 137
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* Nach der Vulgata: Psalm 81,6: „Ich sprach: Ihr seid Götter und insgesamt Söhne des Höchsten."
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seiner Loge eingetragen, als wenn sich in seinem maurerischen Leben nichts Neues ereignet hätte, und war für die Mitglieder dieser Loge ein Meister wie jeder andere. Dieses System erlaubte es den Hochgradfreimaurern jeglichen Ranges, sich inkognito in den Werkstätten der niedrigeren Grade zu ergehen und dort die Eingebungen, die sie ihrerseits erhalten hatten, zu verbreiten. Copin-Albancelli weist darauf hin, daß die Freimaurerei nicht nur eine Geheimgesellschaft ist, sondern in Wirklichkeit eine Überlagerung von Geheimgesellschaften, wobei die eine der anderen gegenüber geheim bleibt; er vergleicht das Ganze mit einer Pyramide . . . Stellen wir uns also diese freimaurerische Pyramide vor, deren Basis von den Geheimgesellschaften der Lehrlinge gebildet wird, welche die Geheimgesellschaften der Gesellen tragen und diese wiederum die der Meister. Diese Überlagerung setzt sich von Grad zu Grad fort bis zur Spitze, wobei die sichtbare Spitze beim Grand Orient und der Grande Loge der 33. Grad, beim Misraim-Ritus der 90. Grad ist, und es ist die Annahme erlaubt, daß es noch höhere und noch geheimere Logen gibt! Betrachten wir die Sache nun umgekehrt und stellen wir uns die höchste Gruppe vor, die unbemerkt ihre inspirierende Einwirkung auf die unmittelbar unter ihr stehenden Gruppen ausübt. Die gleiche Wirkung wird von diesen unter gleichen Bedingungen nach unten weitergegeben, und so geht es fort bis zur Pyramidenbasis. Wir hätten damit einen Mechanismus von vollendeter Einheitlichkeit und erschreckender Effektivität vor uns, insofern er einem unbekannten Generalstab ermöglichte, seine Befehle, ohne sich verraten zu müssen, von Grad zu Grad an eine immer größere Anzahl von militanten Maurern vermitteln zu lassen, die durch ihre Ausbildung bereits vorbereitet sind, erstens sie zu empfangen und zweitens sie unter die profane Welt zu bringen. „Man soll die Maurerei überall spüren, man darf sie aber nirgendwo entdecken" (Konvent des Grand Orient von 1922, S. 362). Dazu der Konvent von 1928: „Nach vielen Stunden, nach arbeitsamen Wochen mit eigenen Überlegungen sowohl als Meinungsaustausch werden unsere Brüder FF. •. nun wunderbar unterrichtet sein, und sie ver-
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lassen den Tempel geschult, für den Kampf gewappnet; doch hängen sie ihre Schürze und ihre Eigenschaft als Freimaurer an die Logensäulen und als einfache Bürger, aber ganz von unserem Geist durchtränkt, gehen sie wieder in den Alltag hinaus. Jeder wird seinem Gewissen entsprechend, aber — ich wiederhole es — ganz und gar gesättigt von der empfangenen Lehre in seiner Partei, in seiner Umgebung, in seiner Gewerkschaft wirken. So stelle ich mir die Wirkung unseres Ordens nach außenhin vor. Das Ergebnis wird fruchtbar sein, nicht weil verborgen, sondern weil sich ganz allmählich der maurerische Einfluß überall bemerkbar machen wird; zur großen Verblüffung der Profanen wird überall derselbe Geist, derselbe Zusammenhalt auftreten und wie aus einem gut gebauten Syllogismus wird eine Schlußfolgerung hervorgehen und sich zwangsläufig dem Geist der profanen Welt aufdrängen. . . . So wird es kommen, daß zahlreiche profane Organisationen, meistenteils ohne es zu ahnen, das edle Blut empfangen, das wir ihnen übertragen. Ich sehe voraus, daß wir ganz diskret, auf vollkommene Weise die Kader für die großen politischen und sozialen Organisationen bilden werden und zwar aus zwei Gründen: erstens, um das inspirierende Gehirn für sie zu sein und zweitens, um uns die Kontrolle über die Durchführung zu sichern." Das gleiche Thema kam auch beim Konvent des Grand Orient von 1929 vor. S. 254: „Wir werden es fertig bringen zu überreden und zu überzeugen, indem wird die Prinzipien unserer Lehre der Gesellschaft einträufeln und indem wir nach und nach, aber mit Zähigkeit uns selbst dort einschleichen." Und auf dem Konvent im folgenden Jahr 1930, S. 142: „Um uns klar auszudrücken: Wir sind hier vor allem Maurer, das ist selbstverständlich, aber im gewöhnlichen Leben sind wir Männer, die am öffentlichen Leben teilnehmen. Durch diese profane Tätigkeit können wir die politische und gesellschaftliche Organisation unseres Landes endgültig ausrichten, deswegen sind wir fast alle Mitglieder der politischen Parteien, die sich die effektive Leitung der Gesellschaft streitig machen . . ." Und alles das geschieht im geheimen: „Die Kraft der Freimaurerei liegt in ihrer Zurückhaltung. Unsere Gegner fürchten uns umso mehr, je weniger wir ihnen
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von unseren Handlungsweisen sagen" (Kongreß des Grand Orient 1928, S. 81). „Meine Brüder FF.-., die den Wunsch geäußert haben, die Maurerei möge sich dann und wann zu äußeren Kundgebungen bereitfinden, flehe ich an, darauf zu achten, daß unser Orden seine Kraft und seine Geltung nur bewahren kann, wenn er seinen geheimen Charakter aufrechterhält" (Kongreß des Grand Orient 1929, S. 201). Im Jahr 1913 hatte sich die Frage gestellt, ob die Freimaurerei eine Anmeldung gemäß dem Gesetz über die Vereine vornehmen solle. Der Hauptredner der Grande Loge de France, Br. •. Harrent, der mit der Bearbeitung der Frage beauftragt war, gab vor der Loge „L'Alliance" folgende Erklärung ab: „Es gibt etwas noch Gewichtigeres als den sorgfältigen Vergleich zwischen Vor- oder Nachteil einer Anmeldung, als den Versuch, die derzeitige Rechtsprechung zu verstehen oder die zukünftige Rechtsprechung zu erraten, selbst als die streng gesetzlichen Überlegungen. Es geht um den maurerischen Geist selbst, dem wir folgen, den wir beschützen, verteidigen und erhalten müssen. Warum würden wir uns eigentlich anmelden? Was würde eine Anmeldung uns verschaffen, das wir nicht schon hätten? Was wir haben, besitzen wir seit Jahrhunderten: das, was die Maurerei schon vor uns hatte. Und sie hat mit dem, was sie gehabt hat, mit der Freiheit, die sie sich genommen hat trotz Gesetzesdrohungen, keine schlechte Arbeit geleistet. Mir scheint eher, daß sie in der Geschichte nennenswerte Fortschritte gemacht hat, ohne das Bedürfnis gespürt zu haben, die Namen ihrer Verwaltenden und ihre Statuten in irgend eine Präfektur, in irgend ein Ministerium zu tragen. Sie ist Jahrhunderte lang ihren geraden Weg gegangen. Wenn man sie zu ignorieren beliebte, war sie's zufrieden; wenn man sie kennenlernen wollte, konnte man sie finden. Und die Regierungen, die zu gewissen Zeiten versucht haben, sie kennenzulernen, haben in gewissen Augenblicken zu spüren bekommen, was sie das gekostet hat! (stürmischer Beifall). Sagen Sie mir, meine Brüder FF. •., hat die Maurerei bisher unter den verschiedenen Regierungen ohne Anmeldung nichts
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besessen? Haben unsere französischen Obödienzen nicht bis heute dieses Recht ausgeübt? Die Grande Loge und der Grand Orient besitzen Mobiliar und Gebäude. Wer hat sie in ihrem Besitz gestört? Im Namen welcher Interessen könnte man sie stören? Im Namen welcher anfechtbaren Rechte und welcher nicht vorhandenen Rechtsprechung könnte man es tun? Und welche Regierung hat jemals gewagt, die Verantwortung für einen solchen Akt auf sich zu nehmen? Selbst in der Zeit, in der wir zweifellos außerhalb des Gesetzes standen, hat keine Staatsgewalt, nicht einmal eine reaktionäre, das versucht ( . . . ) • Ohne eine solche Anmeldung weiß man nichts von uns und tut nichts. Eine Anmeldung jedoch würde uns bekanntmachen und ermöglichen, daß man gegen uns vorgeht. Es ist strenge Pflicht für den Gesetzesvollzieher, die Einhaltung der Gesetze nachzuprüfen, ob wir als eingetragene Gesellschaft wirklich nur Eigentümer im Rahmen unserer eigenen Bedürfnisse sind. Welch ein ,Vorteil' für uns, wenn die verschiedenen Verwaltungen ein solches Recht zur Neugier hinsichtlich unserer Hilfsquellen und ihrer Verwendung hätten! Was bietet man uns für die Anmeldung an? Das Recht, vor Gericht aufzutreten? Gegen unsere Brüder? Haben wir nicht eine maurerische Justiz (bravo, sehr gut!), von der wir sagen können, daß sie wirklich ,der anderen gleichwertig' ist? (lebhafter Beifall). Wenn Sie also eine angemeldete Gesellschaft sind, haben Sie das Recht Beiträge zu erheben, geben aber gleichzeitig Ihren Mitgliedern auch das Recht, sich anderswo als bei uns zu verteidigen. Wir sollten daher ein wenig über die Resultate nachdenken, die die Ausübung dieses Rechts mit sich bringen kann. Wir bekämen dann, wenn Minderjährige bei uns eintreten, regelmäß Eingriffe der Familienväter; wenn eine Frau bei uns eintritt, könnten wir mit dem Einschreiten des Ehemannes rechnen. Wir müssen uns auf diese kleinen Nachteile gefaßt machen, die mir jedoch sehr groß erscheinen. Wir werden verpflichtet sein, der Verwaltungs- und Justizbehörde — beide Worte stehen im Gesetz — unsere Register auszuliefern. Sie haben dann das Recht, nach Belieben zu uns zu kommen, um den Stand unseres Registers zu prüfen. Ich weiß, daß es keine Verpflichtung gibt, alle vorhandenen Mitglieder anzumelden, aber es wird schwer sein, Verwaltungs- und Ju-
Die Einweihung
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stizbeamten, sobald sie zu uns hereinkommen, zu wehren, ihre Nase überall, wo sie nur möchten, hineinzustecken. Ich glaube, daß wir besser daran tun, ihnen keinen Vorwand dazu zu geben. Das ist auch das beste Mittel, ihrer manchmal recht indiskreten Neugier auszuweichen (Beifall). Die französische Maurerei war nie eine legalisierte, angemeldete Gesellschaft, da die in ihrer langen Geschichte an ihrer Spitze stehenden Maurer nie geglaubt haben, daß das gut für die Maurerei sei. Die Freimaurerei hat sich nicht wie andere Gesellschaften den Forderungen der Gesetze angepaßt, denn wir sind keine Gesellschaft wie alle anderen"139.
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Bulletin d'Informations anti-mafonniques, 23. 5. 1942.
10. KAPITEL
Warum wird man Freimaurer? Was man 1940 in den Freimaurerarchiven fand — Die Befragung — Die Drohung — Der Gehörnte und seine Geschichte — De Gaulle, Wiederhersteller der Freimaurerei — Die Freimaurerei im Parlament — Das II. Vatikanum — Welche Freiheit? — Das Zentrum der Kontestation — Das Modell der Republik
Warum wird man Freimaurer? Da die Freimaurerei eine auf Einweihung beruhende Geheimgesellschaft ist, kann der Bewerber keine Vorkenntnisse über die Sekte haben, in die er einzutreten verlangt. Man geht nicht zur Maurerei, wie man einer Partei beitritt, deren Programm man kennt. Von der Maurerei weiß der Profane nichts Sicheres; es gibt nur ein Gerücht, ein Gefühl, daß es sich um eine Gesellschaft handelt, die eine geschichtliche Rolle gegen die Kirche und die Monarchie gespielt hat, eine Gesellschaft von Karrieremachern, die sich gegenseitig heimlich unterstützen. Man mußte auf die Ausbeutung der freimaurerischen Archive nach der Auflösung der Freimaurerei durch die Regierung Marschall Pétains im Jahr 1940 warten, um die Frage beantworten zu können: Warum wird man Freimaurer? Man braucht nur die bis dahin geheimgehaltenen Akten der „Brüder. •. Befrager" aufzuschlagen, um zu erfahren, wer Freimaurer werden wollte und was erforderlich war, um in die Maurerei aufgenommen zu werden. Die Zeitschrift „Les Documents maçonniques" hat im August 1942 einige Berichte der Brr. •. Befrager veröffentlicht. Hier ein typisches Beispiel: „Der Profane L. . . ist heute, trotz einer intensiven katholi-
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10. Kapitel
sehen Erziehung in seiner frühen Jugend, Freidenker und er wird es bleiben, denn er hat große Gedankenmühe aufbringen müssen, um die ihm in seiner Jugend tief eingeprägten Glaubensvorstellungen gründlich abwerfen zu können. Ohne selbst Revolutionär zu sein, würde er nichts tun, eine Revolution zu verhindern." Die Loge verlangte keine ergänzenden Auskünfte. Diese Geisteshaltung sagte ihr vollkommen zu. Schlagen wir einen anderen Bericht auf: „Ich fragte den Profanen", erklärte der Br.-. Befrager: „Sind Sie Praktizierender (Katholik), Deist, Materialist?" Er antwortete: „Ich weiß es selbst nicht." Er bekannte auch seine Schwäche seiner Frau und seinem Kind gegenüber, die beide die katholische Religion praktizierten. Er und seine Frau bereuen nun sehr, ihrer Tochter eine religiöse Erziehung gegeben zu haben. Die Tochter möchte tatsächlich ins Kloster gehen; das wäre schon geschehen, wenn sie schon einundzwanzig und nicht erst achtzehn Jahre alt wäre. Der B r . B e f r a g e r schließt daraus: „Es wäre angebracht, daß die Brr. •. der Werkstatt (soll heißen: Loge) diesen Profanen erst einmal einlüden. Meiner Meinung nach ist er kein Charakter. Es mangelt ihm an Energie, und wenn seine Frau auch von seinem Gesuch unterrichtet ist, wird es notwendig sein, die Frage der religiösen Praxis in dieser Familie zu klären und zu bereinigen." Ein weiterer Bericht bezüglich eines gewissen Q. . .t: „Ich glaube, daß er ehrlich ist, denn auf sich gestellt hat er seine erste Frau und sogar seine Tochter zivil begraben lassen und das in Lyon, wo er bei einem solchen Vorgehen alles zu verlieren hatte. Q . . .t neigt trotz allem dazu, an die Existenz eines Höchsten Wesens zu glauben, obwohl er keine der vorhandenen Religionen, die er als Handelsgesellschaften bezeichnet, anerkennt. Er ist trotz allem durchaus materialistisch eingestellt; er pendelt zwischen beiden Extremen und wartet auf eine wissenschaftliche Klärung, die alle Menschen einig machen könnte." Was kann diesem unsicheren, vom Zweifel befallenen Mann die Maurerei bringen? Was erwartet er von ihr? Man hatte ihm erzählt, die Freimaurerei sei eine Gesellschaft vom freien Denken, in der er die Wahrheit finden würde. Der
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Profane geht arglos auf die Suche nach der Wahrheit, aber die Maurerei hat diese niemals gegeben. Von Einweihung zu Einweihung wird versprochen, ihm die Weisheit zu enthüllen, und wenn er an seinem Lebensende die Bilanz seines maurerischen Lebens zieht, muß er feststellen, daß er, nachdem er die Geheimnisse der alten Kulturen summarisch und in erstaunlicher Primitivität gestreift hat, ein Skeptiker geworden ist. In der Loge hat er nur gelernt, die verborgene Stütze der Sekte zu benutzen, um im Leben vorwärts zu kommen, und in ihrem Schatten genoß er die Vorteile maurerischer Macht. Ohne sie wäre er nichts geworden. O h n e ihn wäre sie aber auch nichts. Deshalb ist es für die Maurerei außerordentlich wichtig, sich den totalen Zugriff auf die bei ihr eintretenden Menschen zu sichern. Eine Weisung an alle Brr. •. Befrager vermerkt deutlich, daß „die Grande Loge sich alle Garantien, selbst übertriebene, verschaffen muß, bevor sie einen Profanen aufnimmt". Die Weisung fährt fort: „Wir warnen sie (die Profanen), daß wir im Falle eines Schwindels ihrerseits so weit gehen würden, sie in ihrem Besitz und in ihrer Person zu treffen." Und die Logen hatten die Mittel, diese Drohung durchzuführen. In dem Bericht bezüglich des Profanen Hubert A. . . . lesen wir: „Er erklärt sich bereit, sich ganz den Interessen der Freimaurerei zu widmen, in die er eintreten möchte. Er würde vor keinem ihrer Befehle zurückschrecken, sei er wie er wolle. Er würde auch nicht zögern, einen Spion, der sich unter uns eingeschlichen hätte, ohne Duell und ohne Kampf niederzuschlagen" 140 . Hier handelt es sich klar um eine Mordverpflichtung. Es gibt aber nicht nur eventuelle Spione. Es können sogar Umstände auftreten, von denen man sich aus dem Folgenden ein Bild machen kann: Es war im Jahre 1934, als sich eines Tages bei der Zeitung „Gringoire" ein Mann einfand, der sich als Freimaurer ausgab und der der Zeitung anbot, Informationen über die geheimen Beratungen der Logen zu geben. Der „Gringoire" veröffentlichte mehrere Wochen lang Informationen über die Maurerei, die Aufsehen erregten. 140
Ebd., 111,4.
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In der Bar der Abgeordnetenkammer näherte sich eines Abends Marc Rucart, ein Abgeordneter der radikalen Partei, dessen Zugehörigkeit zur Loge bekannt war, dem Herausgeber des „Gringoire" de Carbuccia und sprach ihn an: „Nanu, jetzt verletzen Sie das Geheimnis unserer Sitzungen?" „Sie sind mächtige Männer", erwiderte H e r r de Carbuccia. „Sie inspirieren unsere Innen- und Außenpolitik, Sie lenken ja praktisch den Staatskarren. Wenn wir erfahren, was bei Ihnen geschieht, erfahren wir unser unmittelbar bevorstehendes Schicksal." Der Br. •. Rucart gab sich keine weitere Mühe und beendete das Gespräch mit den Worten: „Wenn wir nur den Schuft hätten, der Sie informiert!" Halt, sagte sich Carbuccia, Rucart hat, ohne es zu wollen, die Zuverlässigkeit unseres mysteriösen Korrespondenten bestätigt. Übrigens waren die Redakteure des „Gringoire" nicht weniger neugierig geworden als der Br. •. Rucart. Der geheimnisvolle Informant lehnte jedoch jedes H o n o r a r ab. Eines Tages beschloß der Redaktionssekretär Paul Lombard, ihn auszufragen: „Aber was bewegt Sie eigentlich dazu, uns aufzuklären?" Der Mann blieb einen Augenblick stumm, dann erzählte er, daß er seit zwanzig Jahren bei den Freimaurern sei und heute nur noch an Rache gegen sie denke, nach dem, was sein Meister vom Stuhl ihm angetan habe. „Was hat er Ihnen denn angetan?" „Er hat mir Hörner aufgesetzt, mein Herr." Und die Moral von der Geschichte? Der Arger eines betrogenen Ehemanns hatte genügt, das Geheimnis der Logen allen Franzosen bekannt zu machen. Es war trotzdem eine kuriose Geschichte: Eine Geheimgesellschaft agierte im Schoß der Republik, und ohne diesen betrogenen Ehemann hätte man nichts von dem erfahren, was im Jahre 1934 von ihr ausgeheckt wurde 1 4 1 . Die Enthüllung der maurerischen Geheimnisse ist jedoch nicht so einfach, wie man glauben möchte, und ganz richtig läßt Alexander Dumas seinen Joseph Balsamo sagen: „Bei uns weiß der unbedeutende Bruder nichts. 141
Horace de Carbuccia, Le massacre de la victoire, S. 186.
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Er kennt höchstens die Namen einiger Kollegen. Diese N a men bedeuten aber nichts. Der Aufbau unserer Konstitutionen ist bewunderungswert, aber im höchsten Maß aristokratisch. Die Untertanen wissen und können nichts; man versammelt sie, um ihnen Nichtigkeiten zu sagen oder sie solche sagen zu lassen. Dennoch tragen sie mit ihrer Zeit und ihrem Geld zur Festigkeit unseres Baues bei" 142 . Vor jeder Initiation wird der Bewerber bei sich zu Hause durch drei Brr. •. Befrager unter Leitung des Meisters vom Stuhl verhört, die nun seine Vergangenheit sowie seine Gedanken so gründlich wie nur möglich erforschen. Die Befragung bezieht sich auf die Vergangenheit des Bewerbers, auf seine gegenwärtigen Umstände, auf die Menschen, mit denen er verkehrt, auf seine religiösen Ansichten, seine philosophischen Ideen, seine Ambitionen, auf seine Familie: Verwandte, Frau und Kinder; auf seine berufliche Umgebung: Untergebene, Gleichgestellte, Vorgesetzte, Lieferanten, Kunden; auf seine politischen, wirtschaftlichen und sozialen Vorstellungen, bis endlich die bereits erwähnte Frage kommt: Was hat ihn veranlaßt, einen Aufnahmeantrag an uns zu stellen? Eine ebenfalls wichtige Frage: Ob er finanzielle Mittel besitzt und ob sie dem Orden zugute kommen können? Der Grand Orient verlangt von dem Bewerber, sehr ausführliche und präzise Fragebögen zu beantworten. Der Befrager Nr. 1 muß seinen Bericht auf ein blaues Formular schreiben, das nicht weniger als vierundfünfzig „Tendenzfragen" enthält, so z. B.: „Haben Sie außereheliche Kinder?", „Was halten Sie von dem Gesetz und der Sitte, wonach das uneheliche Kind in einer anderen Situation ist als das eheliche?" (Diese 1940 im Grand Orient entdeckten Fragebögen liegen vor der Gesetzgebung durch Giscard d'Estaing, die eine große Anzahl maurerischer Forderungen in die Gesetze der fünften Republik eingeführt hat.) „Werden Sie sich begraben oder einäschern lassen?" „Werden Sie bereit sein, den Mitgliedern der Freimaurerei bei jeder Gelegenheit den Vorzug vor allen anderen Menschen zu geben?" 142
Alexander Dumas, Joseph Balsamo, 4. Bd., S. 128.
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Der Meister vom Stuhl gibt dem Befrager Nr. 1 eine Sondermahnung: „Um unseren Brüdern möglichst vollständige Auskünfte geben zu können, sind Sie verpflichtet, sich mit dem Bewerber in seiner W o h n u n g zu verabreden." Der Befrager Nr. 2 ist beauftragt, sich über „die politischen und sozialen Tendenzen" des Profanen zu erkundigen. Dieser muß achtundzwanzig Fragen auf einem weißen Formular beantworten, z. B.: „Sind Sie für den Verteidigungskrieg, den kolonialen Eroberungskrieg oder andere Kriege?" „Wie denken Sie über das Eigentumsrecht?" „Welche Zeitung lesen Sie?" „Welcher Politiker vertritt am meisten Ihre Ideen?" Dem Befrager Nr. 2 gibt der Stuhlmeister einen Rat: „Wenn es Ihnen möglich wäre, den Profanen für Ihren Teil der Untersuchung bei seiner täglichen Beschäftigung zu befragen, könnten Sie unseren Brüdern aufgrund Ihrer Beobachtungen wertvolle Auskünfte über die speziellen Charaktereigenschaften des Antragstellers geben." Dieselbe Weisung wird dem Befrager Nr. 3 gegeben. Dieser muß fünfundzwanzig „Fragen über Moral und Philosophie" auf einem rosa Formular beantworten, z. B. : „Wie denken Sie über die ,freie Liebe'? Sind Sie mit der absoluten Gedankenfreiheit sowie der Freiheit, die Gedanken auch auszudrücken, einverstanden, selbst wenn die geäußerten Meinungen umstürzlerisch und gefährlich für Sitten und Gebräuche oder für die Erhaltung der Gesellschaftsordnung zu sein scheinen? Welches sind Ihre Lieblingsautoren? Was ist Ihr Lieblingsbuch?" Nachdem alle Befrager die Antworten auf diese Fragen niedergeschrieben haben, muß jeder seinen persönlichen Eindruck abgeben und ein detailliertes Geheimgutachten formulieren unter dem Siegel des maurerischen Geheimnisses 143 . Blättern wir in den Berichten weiter: Bei der Frage nach der „politischen Neigung" vermerkt der Br. •. Befrager, daß der Laie D. . .y auf der „extremen Linken der radikalen Partei oder auf der Rechten der sozialistischen steht. Er hält sich jedoch an kein bestimmtes Programm, dem er 143
Documents maçonniques, Februar 1942.
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in allem folgen würde." Zu der Frage „Armee" findet er, daß selbst ein mittelmäßiger Mensch etwas anderes werden sollte als Berufssoldat. Für ihn ist das, abgesehen vom materiellen Standpunkt, ein Beruf ohne Nutzen und ohne Würde. Zur Frage „Heirat oder wilde Ehe" ist er bei dem heutigen barbarischen Seelenzustand des Bürgers (sie) für Aufrechterhaltung der Institution Ehe, wäre aber bereit, eine Gesetzgebung, die der wilden Ehe näher als der Ehe stünde, ins Auge zu fassen. (Nochmals: Diese Antworten wurden vor der Gesetzgebung unter Giscard d'Estaing gegeben.) Zum Abschluß schreibt der Br. •. Befrager: „In jedem Punkt würdig, bei uns einzutreten" 144 . Uber den Profanen A. . .d schreibt der Befrager am Schluß: „1926 hat er bei der Teilwahl des 2. Sektors aus H a ß gegen den Faschismus kommunistisch gewählt, was zu seinen Gunsten spricht" 145 . In einem Bericht über den Kandidaten B. . . d lesen wir, daß dieser sich „völlig von der Herrschaft der katholischen Dogmen befreit hat, insofern er sich standesamtlich mit einer jüdischen Gefährtin trauen ließ". Dazu noch ist er „überzeugter Antimilitarist und auch leidenschaftlicher Internationalist". Aus diesen Gründen, schließt der Br. •. Befrager, „halte ich es nicht für nötig, mich weiter über diesen Profanen zu verbreiten und beeile mich, mich sehr günstig zu seiner Aufnahme in die Loge ,Marat' zu äußern. Ich werde auch mit beiden Händen und rückhaltlos dafür stimmen und möchte unserer Werkstatt noch viele andere so hochwertige Rekruten wünschen." Womit sich langsam der Charakter des durchschnittlichen Freimaurers abzeichnet. Anhand eines Absagefalls wollen wir unseren Eindruck erhärten. Ein gewisser T. . .t wird abgelehnt, weil „er bei der Wahl zwischen Heirat und wilder Ehe in Verlegenheit gerät", weil er „Gegner der Homosexualität" ist und auch „Gegner der allgemeinen Formel: ,Mein Leib gehört mir'". Dagegen wird L. . .é aufgenommen, weil er „für Abtreibung und großzügigste Freiheit" ist und weil für ihn „sein Vaterland das Universum ist". 144
J. Pioncard d'Assac, Les franc-maçons, 77 e Lettre politique.
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Documents maçonniques, Februar 1942.
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Ich denke, daß wir jetzt das Schema eines perfekten Freimaurers vor uns haben, nicht aus Klatschgeschichten erstellt, sondern aus den vertraulichen Berichten der Brr. •. Befrager; denn alle haben die gleiche Tonart. Um in der Loge aufgenommen zu werden, wird empfohlen zu sein: Internationalist, Antimilitarist, Anhänger der wilden Ehe, der Abtreibung, der Homosexualität sowie antikatholisch bis in die Familie hinein . . . und vielleicht, das kann nicht schaden, zivil mit einer Jüdin verheiratet. Alle diese Haltungen werden von der Freimaurerei als positiv betrachtet. Ich wiederhole: Es handelt sich hier um Geheimdokumente, die natürlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren und nur durch die Ereignisse von 1940 bekannt werden konnten. Damit ist das maurerische Geheimnis durchlöchert. Es besteht darin, eine Gesellschaft vorzubereiten, die auf diesen Prinzipien aufgebaut ist. Es zeigt sich, daß wir heute dort angelangt sind. Wir gewahren die verborgene H a n d , die uns dorthin geführt, die geheime Macht, die die Gesetze der ultraliberalen Gesellschaft inspiriert hat. Gegenkirche und Staat im Staate, das ist die Freimaurerei, wie sie sich durch ihre eigenen Archive geoffenbart hat. Seit 1944 ist das Treiben der Loge wieder geheim. Der Triumph der freimaurerischen Ideen unter den beiden letzten Republiken hat jedoch den Freimaurern eine solche Frechheit erlaubt, daß sie heute ohne weiteres einen Teil von dem laut proklamieren, was sie gestern noch verborgen hielten. Der Zufall wollte, daß innerhalb weniger Tage sowohl Fred Zeller, der Großmeister des Grand Orient, als Richard Dupuy, Großmeister der Grande Loge, vertrauliche Mitteilungen an das „Europa-Parlament" — eine Zeitung von sehr speziellem und vertraulichem Charakter, die sich an die „politische Klasse" richtet — gaben. Zuerst zu dem Geständnis des Großmeisters des Grand Orient: „ General de Gaulle ist es gewesen, der uns wieder Kraft und Frische gegeben hat. Er hat erklärt: ,Ich werde Frankreich die Republik zurückgeben und es gibt keinen Grund dafür, ihm nicht auch die Freimaurerei zurückzugeben.'" Es folgen statistische Daten über die Maurerei im Jahr 1973: Der Grand Orient zählte 450 Logen, davon 140 in Paris.
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Der Großmeister des Grand Orient war überzeugt, daß die Maurerei dazu berufen ist, im 20. Jahrhundert eine ebenso bedeutende Rolle zu spielen wie im 18. Jahrhundert. Wenn man weiß, daß diese Rolle darin bestand, die Revolution des 18. Jahrhunderts vorzubereiten, sollte man sich gut vorsehen. Noch eine interessante Angabe: In der Nationalversammlung und im Senat zählte der Grand Orient damals hundertundfünfzig Mitglieder gegenüber dreihundertundfünfzig in der dritten Republik. „Wieso diese Verluste?" fragte der Journalist. Antwort: „Weil der maurerische Orden verfolgt, zerstreut, verschleppt und niedergemacht wurde, das hat uns zwanzig Jahre zurückgeworfen." So hat die Auflösung der Freimaurerei 1940 unter der Regierung Marschall Pétains ihr einen schweren Schlag versetzt, was beweist, daß man diesen Staat im Staat sehr wohl zerstören kann. Ohne de Gaulle jedoch . . . „Welchen Parteien gehören die freimaurerischen Parlamentarier an?" „Allen", antwortet der Großmeister Zeller. „Aber was geschieht", fragte der Journalist, „wenn ein Freimaurer François Mitterands oder J. J. Servan-Schreibers einen Freimaurer de Gaulies, Pompidous oder Messmers trifft, was reden sie?" Hier ist die Antwort: „Sie informieren sich gegenseitig, geben einander Auskünfte über die Zukunft, über die verschiedenen politischen, ökonomischen, sozialen Probleme, die die Freimaurerei bereits im voraus von Grund auf studiert hat. Dann verteidigen sie die Standpunkte der Maurerei im Parlament. Mit anderen Worten: Unsere Brüder Parlamentarier sind beauftragt, die in unseren Werkstätten erarbeiteten Daten ins Parlament zu ,transportie(« ren . Das ist genau die Parallelmacht in der Republik. Aufgrund der Wahlplakate glaubt man, für einen Anhänger Giscard d'Estaings oder Chiracs, für einen Radikalen oder einen Marxisten zu stimmen, und ohne es zu ahnen hat man für einen Mann gestimmt, der einer Geheimgesellschaft angehört, deren ge-
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heime Beschlüsse er „transportiert". Das steht in einem so ausdrücklichem Widerspruch zu den demokratischen Prinzipien, daß man nicht verstehen kann, wieso die Staatsgewalt das Vorhandensein dieses Staats im Staate duldet, es sei denn, daß sie selbst eine geheime Emanation davon ist. Jedenfalls war der Großmeister Zeller mit dem Verhalten der Staatsgewalt gegenüber der Maurerei sehr zufrieden: „Wir haben uns über unser Verhältnis zu den öffentlichen Gewalten nicht zu beklagen. Zur Zweihundertjahrfeier des Grand Orient wird eine Briefmarke herausgebracht werden. H e r r Galley (der frühere Postminister) hat uns das versprochen. Und H e r r Hubert Germain, der jetzige Postminister, wird es halten. Für unsere demnächst stattfindenden Veranstaltungen zur Zweihundertjahrfeier (des Grand Orient) können wir wohl mit der Anwesenheit des Regierungschefs rechnen. H e r r Arthur Conte (Leiter des französischen Fernsehens, d. Ü.) hat uns freundlichst versprochen, in unseren Tempel in der Rue Cadet zu kommen, um für diese Gedenkfeier eine perfekte Koordination zwischen Radio und Fernsehen zu ermöglichen." Der Großmeister der Grande Loge seinerseits äußerte sich so über das Geheimnis der Loge: Es existiert ein maurerisches Geheimnis und zwar ein zweifaches. Zunächst gibt es ein satzungsgemäßes Geheimnis, das notwendig ist, um verschiedene zur Erkenntnis führende Stufen einzuhalten . .. Sodann gibt es ein zweiteiliges Grundgeheimnis der unverletzbaren und nicht mitteilbaren Einweihung. ( . . . ) Außer diesem zweiteiligen echten Geheimnis besteht die Pflicht, seine Zugehörigkeit zur Freimaurerei niemals zu offenbaren." Zur Täuschung der Liberalen fügte der Großmeister lässig hinzu, daß dieses Geheimnis nur noch „in einigen zurückgebliebenen Gegenden, die bei den Exkommunikationsbullen Pius' IX. stehengeblieben sind", einzuhalten sei, daß aber „ein Freimaurer gemäß der neuen Konstitution von 1969 nach Belieben seine maurerische Zugehörigkeit offenbaren kann, nur darf er nicht die eines Bruders bekanntgeben". Wir warten heute noch darauf, daß die maurerischen Abgeordneten und Senatoren dem Volk ihre Namen bekanntgeben! Wenn auch die Maurerei die Namen der Mitglieder nicht herausgibt, wenn auch ihre Treffen geheim bleiben, so spielt sie doch seit einiger Zeit eine öffentliche Rolle. Über dieses neue
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„In-Erscheinung-Treten" befragt, antwortet der Großmeister der Grande Loge: „Weil die Menschheit eine Ethik braucht und weil sie bis jetzt nach religiösen Ethiken lebte. Es findet sich, daß alle geoffenbarten Religionen mit dem dogmatischen Apparat, den sie unter der Gefahr, ihre authentische Tradition zu verlieren, bewahren müssen, inmitten des modernen Lebens sowohl theoretisch als praktisch immer schwerer eingehalten werden können." Da bietet sich die Freimaurerei an, alle Religionen zu ersetzen und die Menschen zu veranlassen, in diese „Religion, in der alle übereinstimmen", hineinzugleiten, die Religion, von der die maurerischen Konstitutionen von 1717 sprechen. Der Großmeister Dupuy fand, daß „das Ereignis des Zweiten Vatikanischen Konzils eine beträchtliche Ö f f n u n g der Kirche hin zur Welt darstellt". Er verriet, daß er mit Johannes XXIII. Beziehungen unterhalten habe, die „mehr als herzlich" gewesen seien, daß „Johannes XXIII. und das II. Vatikanum den gegenseitigen Aufklärungs- und Abrüstungsarbeiten für ein besseres Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei einen außerordentlichen Impuls gegeben hätten". So wie die heutige Kirche in den Pluralismus und in die Religionsfreiheit hineingleitet, kommt sie am Ende dahin, einfach eine maurerische Obödienz zu werden. So sah man wenigstens die Sache in der Grande Loge, die sich als die „spiritualistische" Obödienz der Maurerei bezeichnet. In politischer Hinsicht gab der Großmeister der Grande Loge eine eindeutige Erklärung ab: „Wir arbeiten für die Errichtung einer Universalrepulik, und diese Republik geht über ein vereinigtes Europa." Solches also bereitete sich anno 1974 im geheimen Grund der Grande Loge mit ihren zweihundertundfünfzig Logen vor, von denen hundertundfünfzig in Paris sind. Es ist gleichwohl merkwürdig, daß eine universale Gesellschaft im Dunkeln und vom Geheimnis umhüllt zweihundert Jahre überstanden und es von Erschütterung zu Erschütterung jedesmal fertiggebracht hat, die politischen und religiösen Strukturen der Christenheit zu zerstören. Man kann sich wirklich die Frage stellen, ob der verborgene Teil der Geschichte nicht
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der wichtigere ist, ob die okkulten Mächte nicht wichtiger sind als die sichtbaren. Jacques Mitterrand, der ehemalige Großmeister des Grand Orient, schreibt 1975 in seiner „Politique des Francs-Maçons" zynisch: Für die Maurerei gibt es kein „Denkverbot", außer für „die Gedankenverderbnisse wie den Faschismus und den Antisemitismus", „die Dogmen und die Religionen", weil die letzteren „die Menschen knechten", während die Maurerei sie freimacht. „Wenn daher ein politisches Regime gegen die Übergriffe einer Kirche, welches auch ihre Religion sei, kämpft, so kann dieses Regime auf der ganzen Welt nur eine Demokratie sein, die ihr Leben zu schützen weiß, indem sie ihre Rechte verteidigt. Wenn ein politisches System gegen die Freimaurerei kämpft oder sie verbietet, so ist es eine Diktatur oder eine unvollkommene Demokratie." „Es ist absolut logisch", gibt Mitterrand zu, „daß der Faschismus die Freimaurerei verbietet. Zwischen beiden besteht ein Kampf auf Leben und T o d , so wie im Spanien Francos." Haben aber die kommunistischen Länder nicht auch die Freimaurerei verboten? Müßten die Freimaurer dem Kommunismus nicht genauso feindlich sein wie dem Faschismus? H ö r e n wir die Antwort, sie ist interessant: „Für diese politischen Regime (Kommunismus und Faschismus) gibt es kein gemeinsames Maß. Diejenigen, die keine Unterscheidung zwischen der Sowjetunion, China, den Volksdemokratien und dem Faschismus vornehmen, sind vor der Geschichte im Unrecht. Übrigens", fügt er hinzu, „ist es für die Partei seit Oktober 1945 kein Problem mehr, wenn Kommunisten in die Freimaurerei eintreten." Diese „Vetternschaft" zwischen der Freimaurerei und dem Kommunismus wird von dem ehemaligen Großmeister des Grand Orient mit zwei Namen gekennzeichnet: „Auf Weltebene schenkte ein Freimaurer — Rouget de l'Isle — allen Völkern die Marseillaise gegen alle Tyrannen und der Freimaurer Eugène Potier allen Proletariern die Internationale." Welche Rolle spielte die Maurerei während der „heißen" Tage im Juni 1968? Die Antwort des ehemaligen Großmeisters ist beunruhigend, insofern er eine geheime Aktion durchblicken läßt, es aber vorzieht, darüber zu schweigen:
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„Es kommt nicht in Frage, die traditionelle Verschwiegenheit der Freimaurer zu brechen, wenn sie an ihrem Platz an den großen demokratischen Kämpfen teilnehmen. Es genügt zu sagen, daß Freimaurerstudenten auf den Barrikaden gewesen sind." Wie zur Zeit der Kommune* ließ der Großorient sogar ein Plakat anschlagen, auf dem er „mit Ergriffenheit die großartige Bewegung der Studenten und der Arbeiter in Stadt und Land" begrüßte . . . „Bei diesem Ereignis" schreibt Br. •. Mitterrand, „waren die auffallendsten Parolen jene, die der Jugend der ganzen Welt gemeinsam sind", nämlich „Ablehnung jeglicher autoritären Gesellschaft im Zeichen der betonten Kontestation." „Welche andere Organisation war von jeher ein stärkeres Zentrum der Kontestation — und ist es heute noch — als die maurerische Loge?" „Der Student denkt die Sorbonne zu entsakralisieren, indem er allgemein die große Vorlesung** ablehnt . . . Der junge Arbeiter, der Gewerkschaftler, die Gewerkschaftszentrale wollen die Fabrik demokratisieren . . . In Universität wie Fabrik handelt es sich darum, den autoritären Geist abzuweisen .. ." Auf diese Weise kommt man von der Christenheit weg zu einer permissiven Gesellschaft, und das heißt zu einer „Ungesellschaft". „Die Freimaurer", meint der ehemalige Großmeister, „sind in den letzten zwanzig Jahren allen Problemen zu Leibe gegangen." „Das geht von der Verteidigung der Republik bis zum Recht auf Wehrdienstverweigerung, zur Verstaatlichung des Schulwesens, zu den Problemen der Jugend, zur Familienplanung, zum Recht auf freie Zeugung und zur Lage der Fremdarbeiter .. ." Man gehe noch einmal diese Aufzählung durch und man wird feststellen, daß alle diese Ideen, die den Verfall der Moral (Sittenlosigkeit der Jugend, Abtreibung), den Verfall der Gesellschaft (Fremdarbeiter), den politischen Verfall (Wehrdienstverweigerung, Nuklearwaffen) und den religiösen Verfall (Kampf * 1871. ** Der Sinn: keine Vorlesungen mehr im bisherigen Stil, der Professor soll nur noch Berater, Hilfe sein; es soll kein Lehrsystem im bisherigen Sinn mehr geben.
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gegen die katholischen Schulen) verursacht haben, durch die Logen mit Hilfe ihres geheimen Komplizennetzes auf allen Sektoren der Gesellschaft — die Kirche inbegriffen — in die öffentliche Meinung hineingetragen worden sind. Geht man der Sache auf den Grund, so erschrickt man über die Kühnheit einiger und die Verblendung der Vielen. „Wir haben der Republik als Modell gedient", verkündet der Grand Orient Anno 1976146, und der damalige Großmeister Serge Behar erklärt: „Mit allem Nachdruck sage ich: Wir sind weder neutralistisch noch unpolitisch. Wir haben eine Vision für die Erneuerung von Gemeinwesen und Welt. Die Prinzipien der sozialen Solidarität, der Befreiung und Selbstbestimmung der Völker, der Herabsetzung des Mündigkeitsalters zum Beispiel sind typische Leitgedanken, die dank unserer Zähigkeit und der anderer fortschrittlicher Gruppen in Gesetze der Republik verwandelt wurden (. . .). Unsere Politik ist ganz die unsere. Wenn es uns in den Sinn käme, uns mit einer politischen Partei, welcher auch immer, zu verschmelzen, so würden wir überflüssig, weil sich damit die Logen des Grand Orient von Frankreich in eine schon vorhandene Körperschaft aufgelöst hätten und das Einigungszentrum dadurch zerstört wäre. Unsere Originalität, unsere Fortschrittlichkeit besteht ja gerade darin, das Einigungszentrum für alle Menschen zu sein, die die Demokratie lieben, so wie wir sie bei unseren Arbeiten in der Loge erdenken und praktizieren. Es ist dies der eingebrachte Wert, der unersetzliche Beitrag des Grand Orient von Frankreich" 147 .
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Humanisme, Sept. 1976. Ebd.
11. KAPITEL
Die Kirche und die Freimaurerei Die Bulle „In Eminenti" vom 28. April 1738 — Verurteilung der Freimaurerei — Der „Geheimbrief" — Gleichgültigkeit des Episkopats — Der Hirtenbrief Bischof de Belsunces — Benedikt XIV. wiederholt die Verurteilungen — Klemens XIII. und das „Unkraut im Feld des Herrn" — Pius VI., Zeuge der Französischen Revolution, brandmarkt die „weitreichende Verschwörung" — Pius VII. und die Carbonari — Thron und Altar — Leo XII. warnt die christlichen Fürsten — Pius VIII. und die römische Jugend — Gregor XVI. und die „Geschichte der Geheimgesellschaften und deren Konsequenzen" — Pius IX. oder die Illumination von Gaeta — Die „eingeschlafenen Mächte" — Die „Synagoge Satans" — Die „Denkschrift über die Geheimgesellschaften" für das Erste Vatikanische Konzil — Leo XIII. und die Enzyklika „Humanuni genus" — „Eine Macht, die fast einer Souveränität gleichkommt" — Der große Irrtum der jetzigen Zeit — Einem allgemeinen Umsturz entgegen — Die freimaurerische Infiltration in der Kirche — Mgr. Jouin — Die Gemeinschaft der Kirchen und das Moiseum — Jules Romains hat es erraten
A m 28. April 1738 m a c h t P a p s t K l e m e n s X I I . d e r C h r i s t e n heit die G r ü n d e b e k a n n t , d i e ihn d a z u g e f ü h r t h a b e n , d i e E x k o m m u n i k a t i o n ü b e r die F r e i m a u r e r a u s z u s p r e c h e n . E s sei P f l i c h t seines A m t e s , sagt er, d a n a c h z u t r a c h t e n , „ v o r allem die U n v e r s e h r t h e i t d e s w a h r e n G l a u b e n s z u e r h a l t e n u n d alles a n z u w e n d e n , w a s d a z u d i e n e n k a n n , d e n I r r t ü m e r n u n d Lastern den Z u g a n g zu versperren, um in diesen schwierigen Z e i t e n die G e f a h r e n u n d U n o r d n u n g e n v o m k a t h o l i s c h e n E r d kreis z u v e r b a n n e n " . N u n a b e r v e r r ä t „ein ö f f e n t l i c h e s G e r ü c h t , d a ß sich gewisse Gesellschaften, Versammlungen, Vereinigungen oder Gemeins c h a f t e n , gewisse K o n v e n t e o d e r K o n v e n t i k e l bereits w e i t u n d
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von T a g zu Tag weiter ausbreiten, die für gewöhnlich Freimaurer genannt werden oder unter einer anderen Bezeichnung bekannt sind, deren Namen je nach den verschiedenen Sprachen wechselt". Was geschieht nun dort? W a r u m kommen diese Leute im Geheimen zusammen? „In diesen Gesellschaften", erklärt Klemens XII., „binden sich Menschen jeder Religion und jeder Sekte, eine natürliche Ehrenhaftigkeit zur Schau tragend, untereinander durch einen ebenso engen wie undurchdringlichen Pakt gemäß den Gesetzen und Statuten, die sie sich gemacht haben. Sie verpflichten sich außerdem durch einen auf die Bibel geleisteten Eid und unter strengsten Strafen, alles, was in der Dunkelheit des Geheimnisses geschieht, durch ein unverletzliches Stillschweigen zu verbergen." Jeder Zusammenschluß hat notwendigerweise ein Ziel — eben das, was die Mitglieder veranlaßt hat, sich zusammenzutun. Wem leuchtet da nicht ein, daß weder die religiöse noch die bürgerliche Gesellschaft eine Geheimgesellschaft in ihrem Innern dulden kann? Noch bevor die Kirche zu diesen Versammlungen der Freimaurerlogen Stellung bezog, waren zahlreiche weltliche Mächte in Aufregung geraten. „In mehreren Staaten", bemerkt der Papst, „werden die betreffenden Gesellschaften seit langem als der Sicherheit der Königreiche entgegenstehend geächtet und gebannt." Die Begründung der Staatsmänner war einfach, und Klemens XII. nimmt sie auch für sich in Anspruch: „Wenn man dort (in der Loge) nichts Böses täte, brauchte man nicht das Licht zu scheuen." „Bedenken wir also", fährt der Papst fort, „welche großen Übel für gewöhnlich aus dieser Art Gesellschaften oder Konventikel nicht allein für die Ruhe der weltlichen Staaten hervorgehen, sondern mehr noch für das Heil der Seelen." Was ihn selbst angeht, so erinnert Klemens XII. daran, daß es seine Pflicht ist, „Tag und Nacht als treuer und kluger Diener der Familie des Herrn zu wachen, damit diese Sorte von Menschen (. ..) nicht das H e r z der Einfältigen verderbe noch unschuldige Seelen im Dunkeln niederschlage". Aus all diesem und — so fügt der Papst auffallenderweise
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hinzu — „aus anderen gerechten und vernünftigen Uns bekannten Gründen haben Wir nach Anhören mehrerer Unserer ehrwüdigen Brüder, der Kardinäle der heiligen römischen Kirche, aus eigenem Antrieb und aus der Fülle Unserer apostolischen Gewalt Uns entschlossen und haben dekretiert, diese Gesellschaften, Versammlungen, Vereinigungen, Konvente, Kongregationen oder Konventikel, Freimaurer genannt oder unter gleich welcher anderer Benennung bekannt, zu verurteilen und zu verbieten, wie Wir sie hiermit verurteilen und verbieten durch diese Unsere Konstitution, die auf immer Gültigkeit haben soll." Die Bulle „In Eminenti" geht sodann auf Einzelheiten der römischen Vorschriften über: „Wir verbieten kraft des heiligen Gehorsams allen und jedem Christgläubigen, gleich welchem Stand oder Grad, welcher Lage, welchem Rang, welcher Würde und welchem Vorrang sie angehören, ob Kleriker oder Laie, vom weltlichen oder Ordensklerus, der sogar eine besondere Erwähnung verdient, zu wagen oder sich herauszunehmen, unter welchem Vorwand und welcher Begründung auch immer, in die sogenannten Gesellschaften der Freimaurer oder auch anders bezeichnete einzutreten, sie zu propagieren, zu unterhalten, ihnen Asyl zu gewähren bei sich oder sonstwo; sich bei ihnen einzuschreiben, ihnen sich zuzugesellen oder ihren Versammlungen beizuwohnen, ihnen Möglichkeit oder Erleichterung zur Abhaltung ihrer Versammlungen zu verschaffen, ihnen irgend etwas zukommen zu lassen, ihnen Rat, Hilfe oder Begünstigung, öffentlich oder geheim, direkt oder indirekt zu geben, durch sich selbst oder durch andere, auf welche Weise es auch immer sei, oder andere aufzufordern, zu veranlassen oder zu verpflichten, sich bei dieser Art Gesellschaften einschreiben zu lassen. Wir befehlen ihnen ausdrücklich, sich jeglicher Beziehung zu diesen Gesellschaften, Versammlungen, Konventen, Vereinigungen, Kongregationen oder Konventikeln unter Strafe der Exkommunikation ganz und gar zu enthalten. Diese Strafe ziehen sich alle zu, die dem oben Verkündeten zuwiderhandeln, und zwar durch die T a t selbst und ohne jede weitere Erklärung. Niemand, außer im Sterbefall, kann absolviert werden, außer durch Uns oder den jeweiligen römischen Papst. Außerdem wollen und befehlen Wir, daß die Bischöfe, Präla-
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ten, Oberen und sonstigen Ortsordinarien sowie die Inquisitoren, die beauftragt sind, die Häresie zu verfolgen, gegen die Übertreter eine Untersuchung einleiten und gegen sie vorgehen, welchen Grades, Standes, welcher Lage, welchen Ranges, welcher Würde oder welchen Vorranges sie auch seien, und sie mit den verdienten Strafen als außerordentlich häresieverdächtig zu treffen und zu belegen. Wir gewähren allen und jedem von ihnen die Freiheit, gegen die genannten Übertreter die Untersuchung einzuleiten und vorzugehen, sie mit den verdienten Strafen zu treffen und zu belegen, ja sogar zu diesem Zweck, falls erforderlich, den weltlichen Arm zu Hilfe zu rufen. Wir wollen auch, daß man den Kopien dieser Schreiben, auch den gedruckten, jedoch von einem öffentlichen Notar unterfertigt und mit dem Siegel einer mit kirchlichen Würden bekleideten Person gesiegelt, den gleichen Glauben schenkt wie diesen selbst, wenn sie im Originaltext vorgelegt oder gezeigt würden. Keinem Menschen sei es erlaubt, diesem Wortlaut Unserer Erklärung, Verurteilung, Unseres Verbots, Interdikts in verwegenem Handeln Abbruch zu tun oder entgegenzuhandeln. So jemand wagen sollte, das zu versuchen, so wisse er, daß er sich den Zorn des Allmächtigen und der heiligen Apostel Petrus und Paulus zuzieht." Bei der Wiedergabe der Bulle „In Eminenti" läßt man im allgemeinen diese disziplinarischen Verfügungen als bloße Längen, die der Verurteilung nichts hinzufügen, aus. Das ist aber nicht meine Meinung. Das Detail, in das sich die Bulle begibt, die offensichtliche Sorge, jeden eventuellen Fall, alle Ausreden, jede Komplizenschaft in Kirche oder bürgerlicher Gesellschaft vorzusehen, die ganze peinliche Genauigkeit, all dies verstärkt noch die Verurteilung und unterstreicht ihre Tragweite. Klemens XII. will wirklich „den Irrtümern den Zugang verschließen". Ich habe hervorgehoben, daß Klemens XII. an einer Stelle seine Verurteilung der Freimaurerei nicht allein durch die dargelegten Gründe rechtfertigt, sondern, wie er sagt, „durch andere gerechte und vernünftige Uns bekannte Gründe". Man hat immer gefragt, welches diese verborgenen „Gründe" sein könnten. Roger Peyrefitte versichert in seinem Buch „Les
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Fils de la Lumière" („Die Söhne des Lichts"), in der Vatikanischen Bibliothek Kenntnis vom Wortlaut des „Geheimbriefs" Klemens' XII. erhalten zu haben. Peyrefitte ist ein Nachforscher, der oft „hinten herum" etwas erhält, was andere auf direktem Wege nicht erhalten . . . Wie dem auch sei, man sollte diesen achtzehnseitigen Brief in italienischer Sprache und, wie Peyrefitte sagt, von der H a n d Klemens' XII. unterzeichnet, kennen 148 . Er „beginnt mit der Aufstellung des Grundsatzes, daß es in Sachen von Gewissen und Glauben Pflicht eines Katholiken ist, die Gefahr zu vermeiden, in Versuchung zu fallen und Ideen anzunehmen, deren Natur einem nicht genau bekannt ist". Er wiederholt die These, daß eine Lehre, die man geheim halten zu müssen glaubt, nichts Gutes anstreben kann. Der Gedanke, der schon in der Bulle „In Eminenti" ausgesprochen wurde, ist im „Geheimbrief" genauer dargelegt: „Ein Katholik muß vor allem den Glauben haben und an die geoffenbarte Wahrheit glauben. Jede Theorie oder Lehre, die mit dem katholischen Glauben in Widerspruch steht, ist für uns notwendigerweise falsch und lügnerisch. Ein Katholik, der sie bekennt und sich durch einen Eid an sie bindet, um sie anzuerkennen und zu propagieren, ist ein schlechter Katholik, vielmehr ein Nichtkatholik, ein Apostat und ein Parteigänger des Antichrist. Was für ein Bedürfnis kann ein Katholik haben, andere Lehren zu bekennen und zu propagieren, wenn er bereits die seine hat, die von Gott kommt, weil von Christus?" Der „Geheimbrief" kommt sodann auf das maurerische Geheimnis zurück: „Der Christ täuscht sich umso mehr, als die Gesellschaft, der er beigetreten ist, ihre Lehre gemäß ihren Konstitutionen nur in Abstufungen bringt derart, daß er niemals, selbst nicht, wenn er die höchsten hierarchischen Grade erreicht, die Gewißheit hat, daß diese Lehre und der wahre und tiefere Sinn dieser Lehre, die wirklichen und tiefsten Absichten dieser Gesellschaft ihm jemals bekannt werden. Wir kennen sehr wohl die wahre Lehre und den wahren Sinn der Lehre dieser Sekte, der verdorbensten und der gefährlichsten von allen, eben weil sie mit der vollendeten Kunst der Kinder der Finsternis ihre wahre Natur verbirgt und ihre wahre 148
R. Peyrefitte, a. a. O., S. 395.
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Lehre in Dunkel hüllt. Wir halten für sicher, daß es nicht notwendig ist, über solche offenkundigen Dinge öffentlich zu disputieren, denn das, was man in der Öffentlichkeit von ihnen weiß, genügt, um die Unverträglichkeit dieser Sekte mit der christlichen Denkungsart zu bestätigen." Peyrefitte versichert, daß Pius IX., bis dahin liberal, nachdem er vom „Geheimbrief" Kenntnis genommen habe, sofort „seine Meinung über den Liberalismus und seine Verbündete, die Freimaurerei, geändert hat". „Zur Erinnerung und zur künftigen Warnung", sagte Klemens XII. weiter, „lassen Wir das Ganze aufzeichnen. Eine Lehre, die nicht die tiefe Realität und die Wahrheit der Gottheit Christi anerkennt, des wahren Sohnes Gottes, der Mensch geworden ist für das Heil der Welt, kann sich nicht christlich nennen. Sie ist sogar antichristlich, weil sie Christus das verweigert, was die Grundlage Seiner Offenbarung und Seiner Kirche ausmacht. Ihr habt bereits gesehen, welche Verwüstung das Schisma angerichtet hat bei denen, die sich christlich nennen (Anspielung des Papstes auf die Jansenisten), die aber aus Stolz oder aus Eigensinn nicht die Wahrheit einer einzigen christlichen, katholischen, apostolischen und römischen Kirche anerkennen wollen. Diese falschen Christen verurteilen Jesus jeden T a g durch ihre Lehre aus demselben Grund, wie der Sanhedrin Ihn verurteilt hat: weil Er sich als Sohn Gottes bekannt hatte . . . Und während bisher jene, die sich dem Christentum und seiner Lehre widersetzten, offen und loyal ihre Überzeugungen und Funktionen bekannten, haben diese Menschen im Gegenteil, inspiriert durch ihre angeborene Bosheit — und da die Kinder der Finsternis in dieser Welt klüger als die Kinder des Lichtes sind —, dieses hinterhältige System erfunden, Christus und Seine Kirche durch die Christen selbst zu bekämpfen (. . .). Heute sind die Juden, die Christus verurteilt haben, nicht allein die unter den Hebräern, die in ihrem Irrtum verharren, sondern auch die unter den Christen, die diesem folgen, bewußt oder unbewußt. Nachdem die Juden die Christen entzweit und eine große Anzahl von ihnen zu Agenten des Antichrist gemacht hatten, suchten sie ein Mittel, die Existenz Gottes zu leugnen. Deshalb haben sie die menschliche Vernunft als Gegenstand ihres Kultus eingeführt, sie als freie und einzige Kraft der Menschheit pro-
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klamiert und sie auf den Altar erhoben: anmaßende Anbetung, durch welche sie sich selbst anbeten, monströser Stolz, der die Sünde Luzifers wiederholt, Revolte des Menschen gegen seinen Schöpfer und Herrn, dessen Existenz sie leugnen; denn wenn Gott existiert, kann der Mensch nicht vom Menschen angebetet werden. Anstatt die höchste Ehre und den größten Stolz in die demütige Anbetung Gottes zu setzen, der dem Menschen das Denkvermögen und die Erkenntnis verliehen hat, um Ihn zu erkennen, Ihm zu dienen und Seine Wahrheit zu suchen, behaupten sie mit Verachtung, daß sie die Wahrheit selbst in ihrer Gewalt haben und daß die materiellen Entdeckungen, anstatt zu einer allmählichen und dunklen Erkenntnis Gottes zu führen, dessen Nichtexistenz beweisen". Klemens XII. ist dem Problem auf den Grund gegangen: „Der Existenz Gottes würde also die menschliche Vernunft widersprechen, und die menschliche Vernunft, Ziel in sich, weil dazu bestimmt, mit dem physischen T o d e zu enden, wäre der wahre und einzige Gott eines allein für die Verherrlichung des Menschen und seiner Vernunft geschaffenen Universums. Das ist die wahre Lehre der Freimaurerei, einer Geheimsekte, die die Existenz Gottes leugnet, indem sie damit prahlt, sie nur als Symbol zu nehmen. Wer ist dieser Gott, der von eben der Vernunft geleugnet wird, die sie ins Zentrum des Universums versetzen? Es ist der ,Oberste Baumeister des Universums'. Wo es etwas Höheres gibt, muß es notwendigerweise auch etwas Untergebenes geben, das mit diesem nichtalleinigen Gott das Universum gebaut hat und weiter baut. N u n kann aber Gott, wie er sein muß, wenn man Ihn als den Allmächtigen, den Schöpfer und Herrn betrachtet, nur der alleinige Architekt des Universums sein, wie Er es für den wahren Christen in Seiner unteilbaren und einigen Dreifaltigkeit ist. Eine Oberherrschaft dieses Gottes als Architekt des Universums* zu behaupten, heißt praktisch die einzige vernünftige Möglichkeit der Existenz Gottes leugnen." Der „Geheimbrief" kommt nun zur Schlußfolgerung: Die Freimaurer erkennen einen Gott als Architekten an, „sich selbst aber bezeichnen sie als Maurer und damit als ständige, direkte und notwendige Mitarbeiter des Architekten, die an seiner Tätigkeit teilnehmen, nicht seine Söhne und Diener. Sie sind zu* neben anderen Baumeistern
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gleich die Ziegel, aus denen sich T a g für T a g dieses Universum aufbaut, in dessen Zentrum es keinen Gott gibt, sondern die menschliche Vernunft, die wahre Werkmeisterin von allem nach ihrer Lehre. Sie sind die Maurerei, das heißt die Werkstatt, die die Maurer vereint und aus der die Bausteine dieses Menschenbaues hervorgehen. Die Zeit wird kommen, wo viele von ihnen sich zum Schluß als Atheisten bekennen werden. Aber es wird auch die Zeit kommen, wo sich der Geist vieler von diesen so arglistigen Banden befreien wird, wo viele aufbegehren werden gegen solchen Stolz und solche Anmaßung, die Uns veranlaßt zu sagen, daß diese Sekte satanisch ist, weil sie die Lehren verteidigt, denen die Sünde Luzifers innewohnt, und viele werden nach harten Anstrengungen in der wahren Kirche dieses Licht finden, die von Gott erleuchtete menschliche Vernunft, die sie heute vergeblich im Irrtum und im Stolz suchen (. . .). Die Zeit wird kommen, wo die menschliche Vernunft selbst ihnen den Lichtfunken schenken wird, auf daß sie sich mit dem wahren Licht vereinigen können. Wie Jesus sagt: Es wird W u n d e r geben, die, wenn es möglich wäre, selbst die Auserwählten verwirren würden. Doch Christus wird selbst kommen mit Kraft und Herrlichkeit. Festigen Wir uns also in der Geduld. Und während Wir, kraft Unseres Lehramtes, den Weg der Wahrheit und des Lebens zeigen und kraft Unserer Gewalt auf solch feierliche Weise den Katholiken einen solchen Irrtum verbieten, daß niemand sagen kann, er sei nicht gewarnt worden, erwarten wir auch, daß, wie es die Regel ist, der Irrtum durch den Irrtum selbst zerstört wird." Roger Peyrefitte veröffentlichte 1966 dieses Dokument in einem Buch, das große Verbreitung fand. Vom Vatikan ist kein Dementi gekommen. Wie dem auch sei, dieser Text bildet eine meisterhafte Darlegung des fundamentalen Irrtums, als dessen historische Erbin und Tempelhüterin sich die Freimaurerei gefunden hat. Man sollte beachten, daß Klemens XII. niemals, weder in der Bulle noch im „Geheimbrief", von Maurerzünften, Erbauern von Kathedralen spricht, die vom wahren Glauben abgewichen wären. Er spricht von der Freimaurerei als von einer neuen Sekte. Das ist eine Feststellung, die man im Auge behalten muß, wenn man die unklare H e r k u n f t der Freimaurerei untersucht.
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Noch zwei Beobachtungen drängen sich auf: Klemens XII. und alle seine Nachfolger sagen stets, wenn sie von den Freimaurern sprechen: „Welches auch der Name ist, mit dem sie bezeichnet werden", so offenkundig und stetig war diese ihre Taktik, immer neue Sekten mit neuen Bezeichnungen zu schaffen. Ferner ergibt sich, wenn man die ganze Reihe der päpstlichen Enzykliken liest, die interessante Feststellung, daß sie dreihundert Jahre lang alle ein gleiches, fortdauerndes Komplott anprangern. Wir haben gesehen, daß Klemens XII. den Bischöfen befahl, die „Häresie zu verfolgen". Man scheint nicht sehr auf ihn gehört zu haben. Die bischöflichen Hirtenschreiben scheinen selten gewesen zu sein, besonders in Frankreich, wo die Bulle „In Eminenti" nicht vom Parlament registriert worden war. Indessen kennen wir einen außerordentlich interessanten Hirtenbrief von Henri François Xavier de Belsunce de Castelmoron, dem Bischof von Marseille, mit Datum vom 14. Januar 1742 149 : „Könnten Wir, geliebte Brüder, ohne Uns vor Gott und den Menschen schuldig zu machen, Stillschweigen wahren über eine solch bizarre und mysteriöse Gesellschaft, die beginnt, sich in unserer Stadt einzurichten und die heute soviel von sich reden macht? Könnten Wir ruhig sein, während jene unter Euch, die unter Verachtung aller Autorität sich für diese Vereinigung engagiert haben, sich aus ihrer Botmäßigkeit eine falsche Ehre machen und mit größter Aufdringlichkeit die Zahl der Mitglieder zu erhöhen suchen? Wenn in unserem Königreich alle heimlichen Versammlungen ausdrücklich verboten sind, mit wieviel mehr Grund dann jene, deren undurchdringliches Geheimnis allein schon genügen müßte, den berechtigtesten Alarm auszulösen! Welch unheilvolle Folgen für Religion und Staat hat man nicht von einer Vereinigung zu erwarten, in der unterschiedslos Leute jeder Nation, jeder Religion, jeden Standes aufgenommen werden, unter welchen eine innige Einigkeit herrscht, die sich jedem Unbekannten und jedem Fremden wohlgesonnen 149
Revue Internationale des Sociétés secrètes, Okt. 1921.
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zeigt, sobald er durch ein verabredetes Zeichen zu verstehen gegeben hat, daß er Mitglied dieser mysteriösen Gesellschaft ist!" Bischof Belsunce qualifizierte diese Logenvereinigungen als einen „Skandal, der schon ein öffentlicher" geworden sei. Am 16. März 1751 wiederholte Benedikt XIV., eben Nachfolger von Klemens XII. geworden, die Verurteilung: „Gerechte und schwerwiegende Gründe verpflichten Uns, die Gesetze und Sanktionen der römischen Päpste, Unserer Vorgänger, kraft Unserer Autorität von neuem zu bekräftigen und zu bestätigen, nicht allein jene, von denen Wir befürchten, daß sie durch Einwirkung der Zeit oder durch menschliche Nachlässigkeit abgeschwächt oder zunichte gemacht wurden, sondern auch jene, die erst neuerdings in Geltung gesetzt worden sind und noch ihre ganze Kraft besitzen." Diese Auslegung der päpstlichen Pflicht, die Verurteilungen, die vom Vorgänger kommen, ins Gedächtnis zu rufen und zu bestätigen ohne Rücksicht auf „Zeiteinwirkung", ist etwas Fundamentales. Die Wahrheit steht über der Zeit. Ein verurteilter Irrtum bleibt verurteilt, was auch immer „menschliche Nachlässigkeit" oder „Zeiteinwirkung" tut. Nichts von diesen Verurteilungen dürfte in Vergessenheit geraten. Von dieser traditionellen Standpunktbestimmung geht Benedikt XIV. auf die noch frische Verurteilung der Freimaurerei durch seine Vorgänger über. Er beginnt damit, die dekretierten disziplinaren Maßnahmen in Erinnerung zu rufen und fügt hinzu — was die Hinterlist der Sekte zeigt —, „daß, wie Wir erfahren haben, sich Leute fanden, die sich nicht scheuten, öffentlich zu behaupten und zu veröffentlichen, daß die soeben von uns erwähnte von Unserem Vorgänger erlassene Exkommunikationsstrafe nicht mehr zutreffe, weil die genannte Konstitution nicht durch Uns bestätigt worden sei, so als ob die apostolischen Konstitutionen eines Papstes zu ihrem Fortbestand die Bekräftigung notwendig hätten". Benedikt XIV. wehrte sich nicht allein dagegen, das Urteil seines Vorgängers, worin auch immer, modifiziert zu haben, sondern er griff die „sehr ernsten" Gründe der Verurteilung wieder auf, die, wie er sagte, zurecht erfolgt sei, weil „in dieser Art von Gesellschaften und Konventikeln sich Menschen aller
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Religionen und aller Sekten vereinigen, woraus man genugsam ersieht, welches Übel dadurch für die Reinheit der katholischen Religion entstehen kann"; und außerdem gibt es dort „den engen und undurchdringlichen Pakt des Geheimnisses", „den Schwur, dieses Geheimnis unverletzlich zu halten, als wenn es irgend jemandem erlaubt wäre, sich auf den Vorwand eines Versprechens oder Eides zu stützen, um von einer Antwort dispensiert zu sein, wenn er von der legitimen Obrigkeit gefragt wird, ob in diesen Konventikeln nichts geschieht, was gegen die Verfassung der Religion oder des Staates und gegen die Gesetze gerichtet ist". Übrigens „werden in verschiedenen Ländern die genannten Gesellschaften und Gesellungen bereits durch die Gesetze der weltlichen Fürsten verboten und in den Bann getan". Von ihren allerersten Anfängen an wird die Maurerei also für ein internationales dauerndes Komplott gegen T h r o n und Altar gehalten. Dies so sehr, daß Benedikt XIV. „alle katholischen Fürsten und alle weltlichen Mächte zu Beistand und Hilfe aufruft, da die Herrscher und Mächte von Gott erwählt sind, um Verteidiger des Glaubens und Beschützer der Kirche zu sein" 150 . Zwanzig Jahre nach der Verurteilung der Freimaurerei durch Klemens XII. wird am 6. Juli 1758 Kardinal Rezzonico, Bischof von Padua, Nachfolger Benedikts XIV. Zum Gedenken an Klemens XII., der ihm den Purpur verliehen hat, nimmt er den N a men Klemens XIII. an. Verweilen wir einen Augenblick bei dem Zeitpunkt, zu dem das neue Pontifikat beginnt. Die philosophischen Ideen haben ihre große Stunde, der Unglaube hat erschreckende Fortschritte gemacht. Die Bücher, von denen man spricht, sind „L'Esprit" von Helvetius, der „Emile" von Rousseau, die „Enzyklopädie" von Diderot und d'Alembert. Einer der ersten Akte Klem e n s ' X I I I . ist am 31. Januar 1759 die Verurteilung des „Esprit", danach der „Enzyklopädie"und des „Emile". „Der Feind alles Guten", sagt dieser Papst in seiner Enzyklika vom 25. November 1766, „hat Unkraut in das Feld des Herrn gesät und das schlechte Gras ist schnell gewachsen; es hat sich so vermehrt, daß es droht, die gute Ernte zu ersticken. 150
Ebd., 1921, S. 624.
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Es wird höchste Zeit, die Sichel anzulegen. Nichts gibt es, was die Gottlosen von heute nicht anzugreifen wagen. Gott selbst wird zum Objekt ihrer schamlosen Verwegenheit. Sie stellen Ihn als ein stummes Wesen dar, untätig, ohne Vorausschau und ohne Gerechtigkeit! Unsere Seele, so schön in ihrem Ursprung und in ihrer Natur, erniedrigen sie auf den Stand des Tieres. Für sie ist die Materie alles. Und selbst jene, die derartige Irrtümer verwerfen, maßen sich in unseren Tagen an, unsere Geheimnisse hochmütig auszuforschen und alles ihrer armseligen Vernunft zu unterwerfen. Die Gefahr ist umso größer, als Bücher, die derartige Lehren verbreiten, geschickt zusammengestellt, mit Kunstfertigkeit geschrieben, überall hindringen und überall das Gift des Irrtums verbreiten" 151 . Den Gang der „neuen Ideen" kann man in den päpstlichen Enzykliken über das ganze 18. Jahrhundert verfolgen. Die christliche Gesellschaft zeigt sich allmählich überrascht: Plötzlich wird sie von allen Seiten angegriffen. Klemens XIV. schreibt in seiner Bulle „Cum summi apostolatus" vom 12. 12. 1769: „Wann hat man gesehen, daß Menschen, vom Reiz der Neuheit verführt, von einer Sucht nach abseitigem Wissen eingenommen, derart närrisch davon angezogen sind und es mit solcher Maßlosigkeit suchen?" Das ist nun aber auch der Zeitpunkt, wo eine ganz klare Sicht und Formulierung der Frage beginnt. Die verschiedenen Päpste des „Siècle des Lumières", des Jahrhunderts der Aufklärung, wußten genau, woher der Angriff kam. Sie sprachen nicht vom „sens de l'histoire"*, vom Trend der Geschichte, durch den alles erklärt würde. Am 25.12. 1775 brandmarkt Pius VI. — er wählte seinen Namen zum Andenken an den von ihm besonders verehrten hl. Pius V. — mit folgenden Worten „die Sekten des Verderbens": „Die Schurkerei dieser entarteten Menschen ist wahrlich außerordentlich (. . .). Bei ihrem unheilvollen Verführungswerk sind sie (. . .) nur die Instrumente dessen, der sich an die 151
Ebd., 1922, S. 142.
" r „Sens de l'histoire": Die Geschichte verläuft in einer bestimmten (zwangsläufigen) Richtung. S. dazu Marcel Lefebvre, „Sie haben Ihn entthront", Stuttgart 1988, S. 137.
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Schlange wandte, um unsere Stammeltern zu verführen und zu verderben"; und er erhebt Anklage gegen „diese Unglücksphilosophen, deren verderbte Lehren alle Bande auflösen, die die Menschen untereinander vereinen und in gerechter Abhängigkeit von legitimen Vorgesetzten halten" und — dies ist heute wichtig zu betonen — „es sogar fertigbringen, in das Heiligtum einzudringen ". Die Hinrichtung Ludwigs XVI. hatte Pius VI. tief erschüttert; er hielt vor den in Rom versammelten Kardinälen folgende denkwürdige Rede: „Ludwig XVI. wurde zum T o d e verurteilt und das Urteil ist vollstreckt worden. Welche Menschen nur haben ein solches Urteil gesprochen? Mithilfe welcher Manöver wurde es im voraus entschieden? Hatte der Nationalkonvent das Recht, sich als seinen Richter aufzustellen? Keinesfalls! Diese Versammlung hatte, nachdem sie das Königtum, die beste aller Regierungsformen, abgeschafft hatte, die öffentliche Autorität in die H a n d des Volkes gelegt, das unfähig ist, auf die Vernunft zu hören und irgendeinem Plan zu folgen, ohne Unterscheidungsgabe, um die Dinge zu beurteilen; das den größten Teil seiner Entschlüsse nicht nach der Wahrheit, sondern nach seinen Vorurteilen trifft, unbeständig, leicht zu täuschen und zum Bösen zu treiben, undankbar, anmaßend und grausam; das sich ein Vergnügen daraus macht, Menschenblut fließen zu sehen, sich an der Marter und der Todesnot seiner Opfer zu weiden wie in der Antike, als es zu den Schauspielen in den Zirkus lief. Noch einmal, o Frankreich, das du, wie du sagst, einen katholischen König haben mußtest, weil es so das Grundgesetz des Königreichs verlangt: Du hast diesen katholischen Monarchen gehabt, und nur deshalb, weil er katholisch war, hast du ihn gemordet" 152 . Pius VI. fragt sich: Wie konnte es dazu kommen? Eine Frage, die seine Nachfolger sich immer wieder, bei jedem neuen Schritte der Revolution stellen sollten! Wenn man aber nicht diese allererste Frage in die folgenden einbezieht, verfälscht man die ganze historische Perspektive, nimmt man einen 152
Ebd., 1932, S. 257.
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spontanen Ausbruch an da, wo nur logische Folgerichtigkeit vorliegt. Bilden wir uns nicht ein, daß die damaligen Zeitgenossen nicht verstanden hätten, was gespielt wurde! „Seit langer Zeit schon", sagt Pius VI. in seiner Ansprache vom Juni 1793, „hatten die Kalvinisten begonnen, sich in Frankreich zum Untergang der katholischen Kirche zu verschwören. Aber um dahin zu gelangen, galt es zunächst die Geister vorzubereiten und die Völker mit jenen gottlosen Prinzipien zu sättigen, die die Neuerer in der Folge unaufhörlich in ihren Büchern verbreiteten, welche nichts anderes atmen als Verrat und Verführung. In dieser Absicht haben sie sich mit den entarteten Philosophen verbündet. Die Generalversammlung des französischen Klerus im Jahre 1755 hatte die grauenhaften Komplotte dieser Anstifter der Gottlosigkeit entdeckt und bloßgestellt. Und Wir selbst, die Wir die abscheulichen Manöver einer so perfiden Partei voraussahen, zeigten gleich zu Anfang Unseres Pontifikates in Unserer an alle Bischöfe der katholischen Kirche gesandten Enzyklika die herannahende Gefahr auf, die Europa bedrohte. Hätte man auf Unsere Darlegungen gehört, so brauchten Wir jetzt nicht über diese weitreichende Verschwörung, die gegen die Könige und die Reiche angezettelt worden ist, zu seufzen." Ich bitte, die Ausdrücke gut im Gedächtnis zu behalten, deren sich Pius VI. als Zeuge der Ereignisse bedient, um die Ursache dieser Ereignisse aufzuzeigen, die heute in der Geschichte unter dem Namen der Französischen Revolution katalogisiert sind. Pius VI. spricht von „einer angezettelten weitreichenden Verschwörung". Er spricht nicht von einer spontanen Schwenkung der Geister. Nein, er sagt: Eine weitreichende Verschwörung ist angezettelt worden. Das ist deshalb wichtig, weil, wenn eine zu einem bestimmten Ziel zusammengetretene Vereinigung den Lauf der Geschichte hat beeinflussen können, eine andere Vereinigung mit entgegengesetzten Prinzipien den Lauf der Geschichte auch wieder umkehren kann. Soweit eine erste Feststellung. Diese gegen die Könige und die Reiche angezettelte Verschwörung, die der Papst im Juni 1793 brandmarkt, hatte sich unter der scheinhaften Maske der Freiheit abgespielt. Der Papst erinnert daran, daß er selbst auf den „scheinhaften" Charakter dieses Wortes hingewiesen hat:
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„Die entfesselten Philosophen gehen daran, die Bande zu zerreißen, die alle Menschen untereinander vereinen, sie an ihre Herrscher binden und bei ihrer Pflicht halten. Sie sagen und wiederholen bis zum Überdruß, daß der Mensch frei geboren wird, niemandes Autorität unterworfen ist. Sie stellen daher die Gesellschaft dar als eine Ansammlung von Dummköpfen, deren Stupidität sich vor den sie unterdrückenden Königen zu Boden wirft, so daß die Eintracht zwischen Priestertum und Königtum nichts anderes ist als eine barbarische Verschwörung gegen die menschliche Freiheit." Dem „täuschenden" W o r t „Freiheit" hat man das Wort „Gleichheit" beigefügt, „das nicht weniger täuschend ist", fährt der Papst fort. Die Gesellschaft kann aber nicht auf zwei Lügen beruhen, die der menschlichen Natur konträr sind. Dies sagt Pius VI. mitten in der Französischen Revolution! Er erinnert auch daran, daß „die Religion die sicherste Wächterin und das festeste Fundament der Reiche ist, weil sie gleicherweise den Mißbrauch der Autorität bei den regierenden Mächten wie die Ausschweifungen der Freiheit bei den gehorchenden Untergebenen im Zaum hält. Und deshalb trachten die Aufwiegler, die Gegner der königlichen Vorrechte danach, diese zu vernichten und bemühen sich, zu allererst den Abfall vom katholischen Glauben zu erreichen." Pius VI. war ein klarblickender Zeuge dieser Revolution, die aus einer in der Tiefe der Freimaurerlogen gesponnenen Verschwörung geboren war, und er hat deren Mechanismus aufs Vollkommenste auseinandergenommen. Man kann die päpstlichen Akte Pius' VI., des Zeugen der Revolution, nicht als überholt oder für heute wertlos abstempeln. Wenn die Ideen der Neuerer von der Kirche für verdammungswürdig gehalten wurden, so sind sie es für immer. Wenn nicht, so würde damit die Wahrhaftigkeit der Kirche selbst in Frage gestellt. Rom hat sich in seiner Analyse der Vorrevolutionszeit nicht getäuscht: Eine Gesellschaft, deren Netz die ganze Christenheit umspannt, hat durch geschickte und listige Propaganda eine geistige Strömung organisiert, die selbst in das Innere der Kirche eingedrungen ist und die Geister korrumpiert hat. Angesichts dieser vielfältigen Angriffe haben die Fürsten, oft selbst
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von den neuen Ideen angesteckt, die doch die Grundlagen ihrer eigenen Autorität zerstören sollten, es nicht verstanden, einen Widerstand zu organisieren. Die „Philosophenpartei" war die einzig organisierte; es stand ihr keine andere Partei gegenüber, die fähig gewesen wäre, in ihre Projekte einzugreifen und sie selbst zu bekämpfen. N u n liefen die Dinge, wie sie logischerweise laufen mußten: Thron und Altar sind umgestürzt, die Grundlagen der Gesellschaft verändert oder vielmehr zerstört, denn der Irrtum kann die Wahrheit nicht ersetzen und jede Gesellschaft, die auf falschen Grundsätzen beruht, ist auf Sand gebaut. Die folgende Zeit sollte es an den T a g bringen. Seit die Gesellschaft die christlichen Prinzipien verleugnet hat, hat sie ihre Stabilität nie mehr zurückgewonnen. Selbst die Kirche, durch den Irrtum der modernen Zeit angesteckt, fand nicht die notwendige Kraft, die Geister wieder ins Lot zu bringen. Und die Geheimgesellschaft, diese mysteriöse Maurerei, ist weiterhin im gesamten Gefüge der Gesellschaft tätig. Nach dem Ende der Revolution dachte die Kirche keineswegs daran, zu kapitulieren oder sich mit dem Irrtum zu arrangieren. Am 13. August 1814 veröffentlicht Kardinal Consalvi, der Staatssekretär Pius' VII., ein Edikt, in dem er daran erinnert, daß „die frühere römische Gesetzgebung rigorose Strafen gegen alle verborgenen und geheimen Vereinigungen von Personen verhängte, und zwar weil deren eifersüchtig gehütetes Geheimnis Grund genug war für die Vermutung, daß man in solchen Versammlungen sich gegen den Staat und die öffentliche Sicherheit verschwöre und eine Schule der Verderbnis schaffe". Daher mußten die Päpste „immer dieselben Gesinnungen hegen und wahren gegen die Zusammenschlüsse, die unter den Namen Freimaurer, Illuminaten, Ägypter oder anderen bekannt sind. Diese Zusammenschlüsse begleiten nämlich ihr lichtscheues Wirken mit zum mindesten undurchsichtigen Formeln, Zeremonien, Riten, Geheimhaltungseiden. Da sie sich merkwürdigerweise aus Personen aller Nationen und Klassen, aller Kulte und Moralbegriffe zusammensetzen, kommt man nicht umhin, Verdacht zu hegen, daß sie nicht nur die Throne, sondern auch die Religion umstürzen wollen, besonders die einzig wahre Religion Jesu Christi, zu deren H a u p t der römische Pontifex von dem göttlichen Stifter und Gesetzgeber selbst eingesetzt worden ist.
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Von diesen Tatsachen unterrichtet und von ihrem wohlbekannten Eifer beseelt, setzten die Päpste Klemens XII. und Benedikt XIV. glorreichen Andenkens, obschon sie nicht, wie es heute allen möglich geworden ist, die unheilvolle Entwicklung der geheimen Absichten dieser infernalen Vereinigungen voraussehen konnten, die ganze Strenge ihres apostolischen Amtes dem Überborden des Stroms entgegen, der alles zu verschlingen drohte." Der Kardinalstaatssekretär erinnert sodann an die Verurteilungen und Maßnahmen der voraufgegangenen Päpste aufgrund der „sehr ernsten Beweggründe, die alle Mächte der Erde hätten veranlassen müssen, die Freimaurerei zu verbieten — Beweggründe, die angesichts der eklatanten Erfahrung nicht einmal für den wenigstinformierten Mann aus dem Volk mehr kommentiert zu werden brauchen". Die Zeitgenossen der Französischen Revolution haben sich also keineswegs getäuscht, wenn sie die Freimaurerei für die soziale Umwälzung verantwortlich machten, die durch ihren Geist vorbereitet und in ihren Komplotten beschlossen worden war. Kardinal Consalvi fährt fort: „Doch in der allgemeinen Umwälzung, die sich auf allen Gebieten vollzog, und über dem Unglück von Staat und Kirche hat man diese gerechten, heilsamen und unumgänglichen Maßnahmen straflos außer acht gelassen. Seine Heiligkeit, unser H e r r Papst Pius VII., in der Absicht, ein promptes und wirksames Mittel gegen ein Übel einzusetzen, das unverzüglich ausgerottet werden muß, und sich dem entgegenzustellen, daß dieser gefährliche Krebsschaden den ganzen Staatskörper (des Kirchenstaates) erfaßt, hat uns beauftragt, durch gegenwärtiges Edikt allen Seinen höchsten Willen bekanntzumachen, dem Gesetzeskraft zukommen und der als Regel dienen soll für die Gerichtshöfe sowie die zivilen und geistlichen Richter in allen Ländern, Städten, Gebieten und Provinzen, die der weltlichen Herrschaft des Heiligen Apostolischen Stuhls Untertan sind. Durch diese Anordnungen soll gesagt sein, daß, was den inneren Glauben und die kirchlichen Strafen betrifft, die sich diese Unglücklichen zugezogen haben, die in der vergangenen Epoche [gemeint ist die Französische Revolution und die napoleonische Besetzung des Kirchenstaates] oder in der Folge (verhüte Gott, daß es sich um unsere geliebten Untertanen han-
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delt!) das Unglück gehabt haben oder haben werden, den obengenannten maurerischen Kongregationen und Vereinigungen wie auch immer anzugehören, Seine Heiligkeit sie gänzlich und ohne Ausnahme den in den obengenannten Konstitutionen seiner Vorgänger statuierten Strafen und gesetzlichen Regelungen unterwirft. . ." Kardinal Consalvi erkennt an, daß die „tödliche Pest das Gebiet und die Untertanen des Kirchenstaates zwar nur wenig oder gar nicht mit diesem Gift infiziert hatte, . . . inzwischen jedoch viele sich durch die Umstände haben mitreißen lassen", doch die Regierung „kennt sie alle, ebenso wie die Orte ihrer Versammlungen" .. . und „wird sie im Auge behalten". Niemand bringe als Ausrede, er habe „nichts Böses in dem teils uninteressanten, teils lächerlichen Vorbereitungsunterricht gefunden, durch den man aber künstlich die Neugier der Eingeweihten in Spannung hält, um sie für Geheimnisse von so großer Verruchtheit bereit zu machen . . .". „Die sogenannten freimaurerischen Vereinigungen und weitere ähnliche unter alter oder neuer Benennung oder unter dem neuestens erfundenen Titel der ,Carbonari', die ein angebliches päpstliches Approbationsbreve verbreitet haben, das in sich selbst den offensichtlichen Charakter der Fälschung trägt", bleiben verboten. Untersagt ist, „ihnen im eigenen Haus oder anderswo Asyl zu gewähren, und es ist jedermann untersagt, ihre Instrumente, Wappen, Embleme, Statuten, Aufzeichnungen, Patente und alle entsprechenden Dinge zum wirklichen Gebrauch der genannten Vereinigungen in Besitz zu haben oder bei sich oder anderen aufzubewahren". Die Denunzianten erhalten, „wenn sie hinreichende Beweise zur Stütze ihrer Behauptungen vorgelegt haben, auf Kosten des Delinquenten eine angemessene Belohnung. Seine Heiligkeit will, daß diesbezüglich alle darauf hingewiesen werden, daß in dieser jedem Einzelnen als Bürger und als Christen auferlegten Verpflichtung, eine die Ordnung der Republik und der Religion bedrohende Verschwörung dem aufzudecken, der ihre Folgen zu verhindern vermag, nichts Unschickliches oder Unehrenhaftes liegen kann. Jeder im entgegengesetzten Sinn geleistete Eid wird zu einem Band der Bosheit, das keinerlei Verpflichtung ergibt, die entgegengesetzte Verpflichtung jedoch voll und ganz bestehen läßt.
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Die Strafen für alle Zuwiderhandlungen gegen die Verfügungen des gegenwärtigen Ediktes werden körperlich und sogar sehr hart sein, je nach deren Eigenschaft und Böswilligkeit und den Umständen der Übertretung. Damit werden eine teilweise oder gänzliche Konfiszierung des Besitzes des Verurteilten oder Geldstrafen verbunden sein. Die Richter und Gerichtsdiener sollen einen Teil davon erhalten, je nach dem Nutzen und der Wirksamkeit ihrer Bemühungen um Aufspürung und Bestrafung der Delinquenten, die nach den Bestimmungen des Gesetzes überführt worden sind." Was die Lokale betrifft, wo sich die Logen versammeln, so werden sie „als dem Fiskus verfallen" erklärt werden 153 . Das sind natürlich keineswegs Maßnahmen einer „permissiven Gesellschaft", und an der Überraschung mancher Leser läßt sich ermessen, wieweit die liberalen Ideen nach nicht einmal zweihundert Jahren in die Köpfe, die sich am besten geschützt wähnen, eingedrungen sind. Eine angegriffene Gesellschaft verteidigt sich. Die Kirche weicht nicht vor den „neuen Ideen" zurück. Sie hat die Logik ihrer eigenen Prinzipien für sich. In seiner Enzyklika „Ecclesiam" vom 13. September 1821 spricht Pius VII. von einer erstaunlichen Anzahl von Schuldigen, „die sich in den letzten Zeiten gegen die Kirche zusammengetan haben und eine falsche und nichtige Philosophie verbreiten. Die meisten von ihnen haben okkulte Gesellschaften, heimliche Sekten gegründet." Der Heilige Stuhl habe sich alsbald dagegen erhoben, „mit Kraft und Mut, und die finsteren Absichten, die sie gegen die Religion und die bürgerliche Gesellschaft schmieden, ans Licht gebracht". Und Pius VII. bedauert, daß „der Eifer des Heiligen Stuhls nicht die erwartete Wirkung (gehabt hat) . . . Vielmehr haben diese Männer es gewagt, neue Geheimgesellschaften zu gründen." Auch diesmal hat das wachsame Papsttum die Regierungen der Heiligen Allianz gewarnt, wie es im 18. Jahrhundert die christlichen H ö f e gewarnt hatte. Diesmal handelt es sich um die „Carbonari", „eine neugebildete Gesellschaft, die sich weithin über ganz Italien und andere Länder verbreitet hat, und, obgleich je nach den Umständen unter verschiedenen Namen so153
Ebd., 1928, S. 648.
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wie in mehrere Zweige aufgeteilt, dennoch sowohl nach der Gemeinsamkeit ihrer Meinungen und Anschauungen als nach ihrer Verfassung nur eine einzige ist." Die „Carbonari" nahmen eine neue Taktik an: „Sie tragen einen besonderen Respekt und einen wunderbaren Eifer für die Lehre und Person Unseres Erlösers Jesus Christus zur Schau, ja sie haben manchmal die sträfliche Kühnheit, Ihn den Großmeister und das H a u p t ihrer Gesellschaft zu nennen. Aber diese Reden, die sanfter als Ol träufeln, sind nur Kunstgriffe, deren sich diese perfiden Menschen bedienen, um desto sicherer jene zu treffen, die nicht auf dem Wachposten sind." Wie interessant sind doch diese alten Texte! Man entdeckt darin die Anfänge einer Taktik, die nicht mehr darauf ausgeht, die Kirche frontal anzugreifen, sondern sich in sie infiltriert und Christus zu einem revolutionären Agitator macht, dessen Botschaft von der Kirche entstellt worden sei. Das Resultat dieser Taktik wird in der Revolution von 1848 deutlich werden. Wie seine Vorgänger legt Pius VII. besonderes Gewicht auf das Geheimnis, das die Geheimgesellschaften zu Staaten im Staate, zu Sekten in der Kirche macht. Der Papst spricht hier von dem „so strengen Eid", den die Carbonari „nach dem Beispiel der ehemaligen Priszillianer schwören müssen, zu keiner Zeit, zu keiner Gelegenheit und unter keinen Umständen auch nicht das Geringste, was ihre Gesellschaft betrifft, den Menschen, die nicht zugelassen sind, zu entdecken, auch daß sie sich niemals mit den niederen Graden über Dinge unterhalten werden, die die höheren Grade betreffen" 1 5 4 . Die Anspielung auf die Priszillianer ist nicht ohne Interesse: Zu Ende des 4. Jahrhunderts brachte Marcus, ein Ägypter aus Memphis, den Manichäismus nach Spanien. Er bekehrte den Rhetor Elpidius und eine Frau von hohem Ansehen namens Agape zu diesem System. Die beiden Proselyten gewannen Priszillus, einen Mann von edler Abkunft, der als beredt und zugleich von ruhelosem Charakter bekannt war. Dieser legte so großen Eifer für die Verbreitung der Häresie an den Tag, daß er sogar einige Prälaten aus Andalusien, darunter Instantius und Salvianus, gewann. Priszillus lehrte „einen guten und einen bösen Geist, ein 154
Virebeau, Les papes et la franc-maçonnerie, S. 20.
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Reich des Lichtes und ein Reich der Finsternis und den Kampf zwischen den beiden Welten; die vom göttlichen Wesen ausgegangenen menschlichen Seelen als auf die Erde geschickt zum Kampf gegen die Mächte der Finsternis, jedoch besiegt, im Körper eingekerkert und den anderen unterworfen; einen Erlöser, der einen Scheinleib angenommen habe; den Namen der christlichen Mysterien ohne deren Substanz; die Verachtung der Ehe und der Fortpflanzung; die Abstinenz von Tierfleisch; die Verwerfung des Dogmas von der Auferstehung des Fleisches; die durchgehende allegorische Auslegung der Heiligen Schrift, besonders des Alten Testamentes und gewisser apokrypher, für heilig gehaltener Schriften; die Erlaubtheit von Lüge und Meineid, um seinen Glauben zu verbergen und den katholischen Glauben zu heucheln („iura, periura, secretum prodere noli" war nach dem heiligen Augustinus ihr Prinzip) und eine zügellose, all dieser Voraussetzungen würdige Moral. Das war in summa die Lehre einer Sekte, die ebenso gefährlich wie abscheulich war. Sie verschwand erst vollständig nach dem Konzil von Braga im Jahre 563" 155 . Aber die Häresien leben in irgend einem irregeleiteten Geist immer wieder von neuem auf. ihr Name, ihre Form, ihr Vokabular wechseln, aber immer wieder findet man eine manichäische Vorstellung von der Gesellschaft, die Idee des Kampfes zwischen zwei Welten als reale Basis des Kampfes der Demokratie gegen Thron und Altar im 19. Jahrhundert, später dann des Klassenkampfes. Wichtig ist in der Enzyklika „Ecclesiam" auch die Bemerkung Pius' VII., daß die Logenmitglieder sich niemals mit denen der unteren Grade über die Angelegenheiten der höheren unterhalten dürfen. Das ist der spezifische Charakter der Maurerei, nämlich nicht allein eine Geheimgesellschaft zu bilden, sondern einen Überbau von Geheimgesellschaften einzurichten. Sicher leuchtet jedem die bedeutende geheime Macht einer so aufgebauten Gesellschaft ein, die zur Durchführung ihrer Absichten in verschiedenen Richtungen und sogar anscheinend widerspruchsvoll sowohl in der einen als in der anderen Partei spielen kann. Am 10. April 1821 stellt Consalvi, immer noch als Staatsse1S5
Revue Internationale des Sociétés secrètes, 1928, S. 1001.
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kretär Pius'VII., fest, daß zu Beginn des 19. Jahrhunderts „die Sektierer, obschon verschiedenen unerlaubten Gesellschaften angehörend, nicht mehr im Dunklen noch unter dem Schleier des Geheimnisses einmütig danach streben, ihre der Religion und dem T h r o n feindlichen Absichten auszuführen. Sie haben öffentlich angekündigt, daß das Ziel ihrer Vereinigungen darin liegt, die bestehenden legitimen Formen der monarchischen Regierungen zu stürzen. Sie haben durch ihre Schriften und ihre Taten restlos demonstriert, was ihre wahren religiösen Prinzipien sind. Man hat sogar Opfer unter ihren Schlägen fallen sehen einzig deshalb, weil sie, ihrer Pflicht getreu, gegen die Stimme der Verführung taub geblieben sind." Daher bekräftigt die römische Regierung nicht nur die Verbote und Strafen gegen die Freimaurer und die Mitglieder ihrer Filialen, sondern verstärkt sie noch. Es ist interessant, daß alle Päpste, die seit dem Auftreten der Freimaurerei von ihr zu sprechen haben, wie Leo XII. hervorheben, daß es ihre Aufgabe „als höchste Instanz der Kirche ist, die von den Feinden des christlichen Namens zur Ausrottung der Kirche Jesu Christi angelegten Hinterhalte bereits von weitem aufzudecken". Genau dies, stellt Leo XII. in seinem Apostolischen Brief „ Q u o graviora" vom 13. Mai 1826 fest, haben seine Vorgänger getan. Aber die Verschlagenheit der Verschwörer ist so groß, daß sie das Gerücht verbreitet haben, mit dem Tode Klemens' XII. sei auch die Verdammung der Freimaurerei hinfällig geworden: „Zweifellos war es absurd zu behaupten, d a ß die Gesetze der früheren Päpste hinfällig werden, wenn sie nicht ausdrücklich von ihrem Nachfolger bestätigt worden sind." Benedikt XIV. hatte das Manöver vereitelt, indem er in seiner Enzyklika „Providas" die Verurteilung wiederholte, und Leo XII. kommentiert melancholisch: „Hätte es Gott gefallen, daß jene, die damals an der Macht waren, diese Dekrete so zu schätzen gewußt hätten, wie es das Heil der Religion und des Staates erforderte", und daß sie „ihre Macht angewandt hätten, die Sekten, deren Perfidie der Heilige Apostolische Stuhl ihnen aufgedeckt hatte, zu bekämpfen und zu vernichten! Damals hätten sie damit Erfolg gehabt. Aber sei es, daß diese Sektierer
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ihre Werke mit Gewandtheit zu verschleiern wußten, sei es, daß man in schuldhafter Nachlässigkeit oder Unvorsichtigkeit diese Sache als vernachlässigenswert oder zum mindesten von geringer Bedeutung hingestellt hat, sind aus diesen alten maurerischen Sekten andere, noch gefährlichere von noch größerer Dreistigkeit hervorgegangen." In diesem Passus der Enzyklika „Providas" ist eine sehr klare Kritik an den Regierungen vor der Revolution erkennbar und sie verschweigt auch kaum die Kritik an den Regierungen der Heiligen Allianz, die manchmal kleinlich und polizeistaatlich, jedoch auf dem Gebiet der Ideen absolut unachtsam und ganz von einer Scheinphilosophie eingenommen waren. Leo XII. verwandte viel Fleiß darauf, „den Stand, die Zahl und die Stärke dieser Geheimgesellschaften auszumachen". Er nennt eine neue Sekte „Der Universitätsstudent", „die ihren Sitz an mehreren Universitäten errichtet hat und in der junge Menschen anstatt unterrichtet, von gewissen entarteten Lehrern in Mysterien, die man Mysterien der Bosheit nennen könnte, eingeweiht und dort zu allen Verbrechen herangebildet werden . . .". Es war der Anfang der Perversion der Universität, die zusammen mit der Perversion der Kirche selbst uns in die jetzige Situation bringen sollte. „Meidet mit Sorgfalt solche, die das Licht Finsternis und die Finsternis Licht nennen", lehrt Leo XII. . . ., aber wo ist für Menschen mit verbundenen Augen das Licht, wo die Finsternis? Leo XII. hat mit am besten die Künstlichkeit der „Restauration", die dem Sturz Napoleons folgte, erkannt. Militärisch besiegt, blieb die Revolution in ihren Prinzipien dennoch intakt. „Von daher kommt es", erklärt er, „daß selbst lange Zeit, nachdem die Fackel der Revolution von den Geheimgesellschaften zum ersten Mal in Europa angezündet und durch ihre Agenten in die Weite getragen worden war, auch nach den glänzenden Siegen der mächtigsten Fürsten Europas, die Uns die Unterdrückung dieser Gesellschaft erhoffen ließen, die strafbare Tätigkeit dieser Gesellschaften immer noch kein Ende genommen hat." Schon befürchtet man „neue Wirren und neue Aufstände, die diese Sekten nicht aufhören anzuzetteln".
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Was den Frieden der Kirche angeht, so ist er „nicht allein gestört, sondern gänzlich zunichte gemacht". „Man darf nicht glauben, daß Wir, wie die Skeptiker meinen, alle diese Übel und auch anderes, das Wir nicht vermelden, fälschlich und verleumderisch diesen geheimen Sekten zuschreiben. Die Werke, die ihre Mitglieder über Religion und Gemeinwesen zu veröffentlichen wagten, ihre Verachtung der Autorität, ihr H a ß gegen die Souveränität, die Angriffe gegen die Gottheit Jesu Christi und sogar gegen die Existenz Gottes, der Materialismus, den sie bekunden, ihre Gesetzbücher und ihre Statuten, in denen ihre Projekte und ihre Ansichten dargelegt sind, beweisen das, was Wir über ihre Anstalten zum Sturz der rechtmäßigen Fürsten und zur vollständigen Vernichtung der Kirche berichtet haben." Leo XII. hält es für „absolut sicher", daß es für alle diese Verschwörungen eine einheitliche Leitung gibt. Die verschiedenen Sekten sind „trotz der Verschiedenheit ihrer Namen" durch das Band der infamsten Pläne miteinander verbunden. Den Bischöfen, die vor den Drohungen zittern, sagt Leo XII. in großartiger Weise: „Haltet euer Leben nicht für kostbarer als euch selbst!", als wenn er schon eine gewisse Anfälligkeit für die neuen Ideen beim Episkopat bemerkt hätte. „Bedient euch der Autorität, die Gott euch verliehen hat! Deckt (euren Gläubigen) die Hinterlist der Sektierer auf und zeigt ihnen die Mittel, die sie anwenden sollen, um sich vor ihnen zu bewahren", und er erinnert an die Aufforderung Klemens' XII., der mitten im „Jahrhundert des Lichts", am 14. September 1738, an die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe und Bischöfe schrieb: „Wenn wir uns durch die Verwegenheit der Bösen erschüttern lassen, ist es geschehen um die Stärke des Episkopats, die höchste und göttliche Autorität der Kirche; wir dürfen nicht glauben, noch christlich zu sein, wenn wir so weit gekommen sind, vor den Drohungen und Hinterhalten der verderbten Menschen zu zittern .. ." Die christlichen Fürsten mahnt Leo XII.: „Die gegenwärtigen Umstände sind derart, daß ihr die Geheimgesellschaften niederschlagen müßt, nicht allein zur Verteidung der katholischen Religion, sondern auch für eure eigene Sicherheit und die eurer Untertanen. Die Sache der Religion ist heute so stark mit der der Gesellschaft verknüpft, daß man sie nicht mehr voneinander
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trennen kann, denn jene, die zu diesen Sekten gehören, sind nicht weniger Feinde eurer Macht als Feinde der Religion. Sie greifen die eine wie die andere an und wollen beide gestürzt sehen. Wenn sie es vermöchten, würden sie weder die Religion noch die königliche Autorität bestehen lassen . . . Es ist nicht allein der Religionshaß, der ihren Eifer beseelt, sondern die H o f f n u n g , daß die eurer Herrschaft Untertanen Völker, wenn sie die von Jesus Christus und Seiner Kirche für die heiligen Dinge errichteten Schranken stürzen sehen, durch dieses Beispiel leicht dazu gebracht werden, ebenso die Formen der politischen Regierungen zu ändern und zu zerstören." Diese Menschen „sind die gleichen, die unsere Väter sich nicht scheuten die Erstgeborenen des Teufels zu nennen. Und daß man sich ja nicht vom harmlosen Anschein der untersten Grade täuschen läßt! Obgleich man für gewöhnlich die ernstesten und verbrecherischsten Dinge nicht denen anvertraut, die nicht bis zu den höheren Graden gelangt sind, ist es gleichwohl offenbar, daß Kraft und Verwegenheit dieser gefährlichen Gesellschaften zunehmen mit der Zahl und der Zustimmung der Beteiligten. Deshalb sind jene, die über die unteren Grade nicht hinausgekommen sind, als Komplizen bei denselben Verbrechen zu betrachten . . ,"156. Rom verfolgt die Aktivität der freimaurerischen Geheimgesellschaften sehr genau. Von der allerersten Verurteilung durch Klemens XII. an gibt es keinen Papst, der Verurteilung und Warnungen nicht erneuert hätte. Am 24. Mai 1829 kommt Pius VIII. auf die „Geheimgesellschaften der Aufrührer" zu sprechen: „Diese Menschen, die durch einen mysteriösen Schwur das Geheimnis ihrer unerlaubten Gesellschaften wahren und mit allen Mitteln verbergen, was in ihren Versammlungen geschieht, sind dadurch höchst verdächtig jener Verruchtheit, die, in unseren Tagen dem Unglück der Zeit entsprechend aus dem Schacht des Abgrunds aufgestiegen, sich gegen jede Autorität in der heiligen Kirche und der bürgerlichen Gesellschaft erhebt." Pius VIII. legt besonderes Gewicht auf „einige Geheimgesellschaften, die sich erst jüngst gebildet haben und deren Ziel es ist, die Seelen der studierenden Jugend in der Schule und an 156
Ebd., 1929, S. 554.
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den Gymnasien zu verderben, wo gewisse verdorbene Lehrer eingeschleust worden sind, um diese Schüler auf die Wege Baals zu führen, und in beharrlicher und perfider Anstrengung ganz bewußt Verstand und H e r z dieser Schüler durch ihren Unterricht besudeln. Das führt dahin, daß diese Leute in derart beklagenswerte Freizügigkeit geraten, daß sie, jeder Respekt vor der Religion verloren, jede Regel des Betragens verworfen, die Heiligkeit der reinen Lehre mißachtend alle göttlichen und menschlichen Gesetze verletzen und sich ohne Scham allen Unordnungen, allen Irrtümern und jeder Verwegenheit ausliefern" 157 . Wie interessant, diese Zeilen heute zu lesen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts geschrieben wurden! Die Methoden, die Angriffsstellen, die Resultate sind die gleichen wie heute. Es gibt nichts Neues im Kampf zwischen Wahrheit und Irrtum! Er wird niemals enden, und die dadurch verursachte Unruhe zeigt lediglich den größeren oder geringeren Widerstand der Gesellschaft gegen die zerstörerischen Prinzipien an. Am 13. Mai 1846 ließ Gregor XVI. einen Schriftsteller zu sich kommen, der durch seine Unerschrockenheit, seinen Mut und seinen Geistesschwung bekannt geworden war, Jacques Crétineau-Joly. . . „Mein Kind", sagte der Papst, „Sie haben stets den Mut gehabt, Ihre Meinung zu sagen. Ich bitte Sie, spitzen Sie Ihre Feder und versprechen Sie mir, ohne sich von Hindernissen aufhalten zu lassen, die Geschichte der Geheimgesellschaften und ihrer Folgeerscheinungen zu schreiben." Der Papst vertraute dem Schriftsteller eine große Anzahl wichtiger Schriftstücke an als Material zu dem geplanten Werke. Die „Geschichte der Geheimgesellschaften" wurde infolge verschiedener Umstände nicht publiziert, aber die wichtigsten vom Papst Cfetineau-Joly anvertrauten Dokumente stehen in den beiden Bänden, die 1858 unter dem Titel „L'Eglise romaine en face de la Révolution" (Die römische Kirche angesichts der Revolution) erschienen sind 158 . Papst Pius IX. war von der römischen Partei gegen Kardinal 157
G. Virebeau, a. a. O., S. 25.
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Lambruschini, den Kandidaten der absolutistischen und österreichischen Partei, gewählt worden. Er galt als liberal. Louis Veuillot schrieb später darüber: „Der Aufruhr lag mit Blumen in der H a n d vor dem Papst auf den Knien und verlangte heulend seinen Segen" 159 . Pius IX., vom Volksjubel berauscht, führt im Kirchenstaat das konstitutionelle System ein. Aber die Geheimgesellschaften wollen mehr. Sie verlangen den Krieg gegen Osterreich. Der Papst lehnt ab und sogleich wird er zum Vaterlandsverräter erklärt. Er muß sogar ein Revolutionsministerium unter Mamiami hinnehmen (April 1848). Am 29. Juli hatten die Gemäßigten sich wieder gefangen, Mamiami wurde vertrieben und Graf Pellegrino Rossi, der frühere Botschafter König Louis-Philippes in Rom, wurde von Pius IX. aufgefordert, das neue Ministerium zu bilden. Die Antwort der Geheimgesellschaften ließ nicht auf sich warten: Am 15. November wurde Graf Rossi, als er die Stufen zum Ministerium hinaufstieg, durch einen Dolchstoß getötet. Die Geheimgesellschaften verlangen die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung. Die Volksmenge bewegt sich zum Quirinal. Der Papst läßt die bei ihm akkreditierten europäischen Botschafter wissen, daß er der Gewalt weiche. Er flieht nach Gaeta, ins Königreich Neapel. Es ist der 24. November 1848. Völlig düpiert war Pius IX. niemals. Schon am Tage seiner Thronerhebung, am 9. November 1846, hatte er die Verurteilung seiner Vorgänger gegen die „Geheimgesellschaften, die, aus dem Abgrund der Finsternis hervorgegangen, überall in der heiligen und profanen O r d n u n g nur Verwüstung und T o d zur Herrschaft bringen", erneuert. Das Abenteuer, das er erlebt hat, hat ihn überzeugt, daß die Gefahr weit größer ist, als von ihm vorausgesehen, und vielleicht anderswo sitzt, als man gemeinhin glaubt, nämlich im Herzen der Kirche. Deshalb greift er die Warnungen Leos XII. auf: „Um leichter die reine, unveränderliche Lehre der katholischen Kirche zu verderben, um die anderen besser täuschen und sie in die Fallstricke ihrer Irrlehren ziehen zu können, sparen 159
Louis Veuillot, Pie IX., S. 40.
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die Feinde weder Manöver noch Ränke, damit sogar der apostolische Stuhl selbst auf irgendeine Weise als Komplize und Beschützer ihres Wahnsinns erscheinen soll. Jedermann weiß, wie viele geheime und gefährliche Gesellschaften, wie viele Sekten diese Propagierer verkehrter Dogmen unter verschiedenen Namen und zu verschiedenen Zeiten geschaffen, installiert und betitelt haben, um dadurch umso sicherer ihre Ausgeburten, ihre Systeme und den Wahnsinn ihrer Gedanken in die Köpfe eindringen zu lassen, die widerstandslosen Herzen zu korrumpieren und allen Verbrechen den breiten W e g der Straflosigkeit zu bahnen. Diese abscheulichen Sekten des Verderbens, die für das Heil der Seelen wie für das Wohl und die Ruhe der zeitlichen Gesellschaft gleich verhängnisvoll sind, wurden von den Päpsten, Unseren Vorgängern, verurteilt. Wir selbst haben sie in Unserer an alle Bischöfe der katholischen Kirche gesandten Enzyklika vom 9. September 1846 verurteilt und Wir verurteilen, verbieten und ächten sie heute kraft Unserer höchsten apostolischen Autorität aufs Neue" 1 6 0 . Am 9. Dezember 1854 wendet Pius IX. auf die Mitglieder der Geheimgesellschaften die furchtbaren Worte Christi an: „Ihr seid die Söhne des Teufels und wollt die Werke eures Vaters tun." Im Konsistorium vom 15. September 1865 kommt er nochmals auf das Problem der Geheimgesellschaften zu sprechen: „Unter die zahlreichen Machenschaften und Ränkespiele, mit denen die Feinde des Christennamens gewagt haben die Kirche Gottes anzugreifen und, wiewohl vergeblich, versucht haben, sie niederzuschlagen und zu vernichten, muß man zweifellos die entartete Gesellschaft von Menschen zählen, die gemeinhin freimaurerisch genannt wird (. . .). Sobald Unsere Vorgänger, die römischen Päpste, ihrem Hirtenamt getreu deren Hinterhalte und Betrügereien aufgedeckt hatten, glaubten sie, keinen Augenblick versäumen zu dürfen, um diese Verbrechen atmende Sekte, die sich an die heiligen und die öffentlichen Dinge heranmacht, mittels ihrer Autorität zu unterdrücken, mit Verdammung zu belegen und gleichwie mit dem Schwert auszurotten." Pius IX. ergriff die Gelegenheit, um an die Kritik seiner Vorgänger an der „Weichheit" der Unterdrückung der Subversion 160
Revue Internationales des Sociétés secrètes, 1930, S. 553.
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zu erinnern. Hatte doch Benedikt XIV. die katholischen Regierungen ermahnt, „alle ihre Kräfte und ihre ganze Sorge auf die Unterdrückung dieser zutiefst perversen Sekte zu verwenden und die Gesellschaft gegen die gemeinsame Gefahr zu verteidi«
gen . „Hätte es doch dem Himmel gefallen, daß diese Monarchen den Worten Unseres Vorgängers ihr O h r geliehen hätten! Hätte es dem Himmel gefallen, daß sie in einer so ernsten Sache mit weniger Weichlichkeit gehandelt hätten! (. . .) Die freimaurerische Sekte (.. .) ist weder besiegt noch zu Boden geschlagen. Im Gegenteil hat sie sich derart entfaltet, daß sie sich in diesen so schwierigen Zeiten überall ungestraft zeigen und ihr Haupt noch kühner erheben kann (. . .). Schmerz und Bitterkeit empfinden Wir, da Wir sehen, daß, wo es sich darum handelt, diese Sekte gemäß den Konstitutionen Unserer Vorgänger zu verwerfen, mehrere von denen, deren Funktion und Amtspflicht es gewesen wäre, alle Aufmerksamkeit und allen Eifer auf einen solch ernsten Gegenstand zu richten, sich stattdessen gleichgültig und gleichsam eingeschlafen zeigen" 161 . Ein beachtenswertes Bild: „eingeschlafene Mächte"! Am 26. Oktober 1865 schreibt Pius IX. einen ernsten Brief an Mgr. Darboy, den Erzbischof von Paris, der geglaubt hatte, beim Begräbnis des Großmeisters des Grand Orient, des Marschalls Magnan assistieren und ihm angesichts der auf dem Sarg ausgebreiteten Freimaurerzeichen die Absolution erteilen zu müssen. Man sieht daran, welche Bedeutung der Erzbischof von Paris den päpstlichen Enzykliken beilegte! Am 21. November 1873 bemüht sich Pius IX. noch einmal, die Gefahr aufzuzeigen: „Jeder, der Charakter, Tendenzen und Ziel der Geheimgesellschaften, unter welchem Namen sie auch immer sich verstekken mögen, wirklich begriffen hat und den Charakter, die N a tur und die Entwicklung dieses fast auf der ganzen Erde der Kirche erklärten Krieges damit vergleicht, kann nicht in Zweifel ziehen, daß die jetzigen Drangsale der Hinterlist und den Anschlägen der Sekten als Hauptursache zuzuschreiben sind. Sie sind es, die die Synagoge Satans bilden, deren vereinigte 161
Ebd. 1930, S. 553.
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Streitkräfte wie ein zur Schlacht geordnetes Heer mit entrolltem Banner zum Angriff auf die Kirche aufmarschiert sind (.. .). Sie (die Synagoge Satans) hat sich eingeschleust und heimlich hineingestohlen; rastlos arbeitend, nach Belieben täuschend, ist sie jetzt aus ihren finsteren Schlupfwinkeln, wo sie sich verbarg, herausgetreten, um sich öffentlich als Macht kundzutun" 1 6 2 . Am 29. Mai 1875 spricht Pius IX. von dem „satanischen Geist der Sekte, der sich besonders gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts in den gewaltsamen Revolutionen Frankreichs gezeigt hat, die die ganze Welt erschütterten und die bewiesen, daß man sich auf eine vollständige Auflösung der menschlichen Gesellschaft gefaßt zu machen hat, wenn man nicht die Macht dieser ganz verbrecherischen Sekte niederringt" 163 . Am Ende seines Lebens wird der große Papst des „Syllabus" sagen, daß die Menschen, „die sich anstrengen, eine Allianz zwischen Licht und Finsternis herzustellen, gefährlicher sind als die erklärten Feinde" 164 . Man beachte, daß ich gut begreifen kann, daß man für die Kirche oder für die Gegenkirche ist, daß es aber eine Verirrung ist, zu behaupten, das Licht mit der Finsternis verbinden zu können. Mgr. Gay, damit beauftragt, für das Erste Vatikanische Konzil ein „Mémoire sur les sociétés secrètes", eine Denkschrift über die Geheimgesellschaften zu verfassen, schrieb: „Es erscheint offenkundig, daß im Ganzen genommen die Lehre der Freimaurerei nicht nur eine Häresie noch die Gesamtheit aller Häresien ist, wenn es auch mehr als gewiß ist, daß in ihr die Häresien wuchern. Die Freimaurerei geht nä'mlich weit über die Grenzen der Häresie im eigentlichen Sinn hinaus und steigert deren Verkehrtheit ins Unermeßliche. Sie ist in Wahrheit der Abgrund aller Irrtümer, gleichsam der ,Schacht des Abgrunds'" (Off. 9,2) 165 . Als am 20. August 1884 Leo XIII. eine ganz der Freimaurerei gewidmete Enzyklika „Humanuni Genus" veröffentlicht, ist ei162
Ebd., 1930, S. 824.
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Ebd., 1930, S. 824.
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6. 3. 1873, in Lu Vigie, 24. 4. 1913.
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nes klar: Rom ist nunmehr im Bilde, daß die von den Logen verbreiteten Ideen den Rahmen ihrer Adepten bei weitem überschritten haben und daß die bürgerliche Gesellschaft, zuweilen sogar die religiöse, sich von den neuen Lehren hat einnehmen lassen. Und wenn auch die Notwendigkeit, die „Sekte der Freimaurerei" zu verbieten, weiterbestand, so genügt das allein nicht mehr, man mußte zugleich damit die Kritik der freimaurerischen Ideen unternehmen. Die Ideenschlacht, im 19. Jahrhundert von den parlamentarischen und liberalen monarchischen Mächten so weich geführt, mußte kraftvoll geführt werden, so wie Pius IX. sie mit dem Syllabus tatkräftig begonnen hatte. In „Humanuni Genus" erinnert Leo XIII. zu Anfang daran, daß seine Vorgänger den Feind „in dem Augenblick erkannten, als er, aus dem Dunkel einer okkulten Verschwörung tretend, sich am hellen T a g zum Angriff aufwarf. Da sie wußten, wer er war und was er wollte, gaben sie, gleichsam in die Zukunft schauend, den Fürsten und Völkern das Alarmsignal und machten sie wachsam gegen Hinterhalt und Ränke des überfallbereiten Feindes." Leider wurden diese Warnungen „von denen, die das unmittelbarste Interesse", über diese „lebensgefährliche Sekte" zu wachen, hätten haben müssen, kaum gehört. „Daher kommt es, daß in einem Zeitraum von 150 Jahren die Sekte der Freimaurer unglaubliche Fortschritte gemacht hat. Dreist und listig zugleich, ist sie in alle Stufen der sozialen Hierarchie eingedrungen und beginnt im Innern der modernen Staaten eine Macht anzunehmen, die fast der Souveränität gleichkommt." Diese neue Gegebenheit ist festzuhalten: das Auftreten einer okkulten Macht in der Gesellschaft, die in das Räderwerk des Staates eindringt. Das ist ein Ereignis von großer Bedeutung. Die Geschichte läuft fortan auf zwei Ebenen, die eine öffentlich, offiziell, demokratisch, die andere geheim, für die Augen der Masse unsichtbar, autoritär. An diese Feststellung knüpfte sich nun eine polemische Auseinandersetzung über das Wesen dieser okkulten Macht. Leo XIII. schrieb: „Es gibt auf der Welt eine gewisse Anzahl von Sekten, die, obleich nach Namen, Riten, Form und H e r kunft verschieden, sich dennoch gleichen und durch die Entsprechung ihrer Ziele und Prinzipien miteinander übereinstim-
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men. In Wirklichkeit sind sie mit der Freimaurerei identisch, die für alle anderen gleichsam der Mittelpunkt ist, von dem sie ausgegangen sind und in den sie einmünden." Das ist ein Gedanke, auf den Leo XIII. oft zurückgekommen ist, namentlich in der Enzyklika vom 19. März 1902, die sein politisches Testament war. Dort hob er als die wichtigste von allen eine lichtscheue Sekte hervor, die die Gesellschaft seit langen Jahren als Todeskeim in ihrem Körper trage. „Als permanente Personifizierung der Revolution bildet sie eine Art umgestülpte Gesellschaft, deren Ziel es ist, eine okkulte Souveränität über die anerkannte und gesetzlich verankerte Gesellschaft auszuüben, und deren Daseinsgrund ganz und gar im Krieg gegen Gott und seine Kirche besteht. Es ist nicht notwendig, sie zu nennen, denn alle Welt hat sie an ihren Zügen erkannt, die Freimaurerei (. . .). Indem sie in ihren Riesennetzen fast die Gesamtheit aller Nationen umfaßt und sich mit anderen Sekten verbindet, die sie durch verborgene Fäden in Tätigkeit setzt; indem sie sodann deren Anhänger durch den Köder gebotener Vorteile an sich zieht und festhält; indem sie die Regierungen bald durch Versprechungen, bald durch Drohungen nach ihren Absichten lenkt, hat es diese Sekte fertiggebracht, sich in alle Klassen der Gesellschaft zu infiltrieren. Sie bildet eine Art unsichtbaren und nichtverantwortlichen Staat innerhalb des legitimen Staates." Alles spricht dafür, daß alles „von ein und demselben Führungszentrum" ausgeht nach einem „im voraus festgelegten Plan" 166 . Die erwähnte Polemik entstand zwischen der Auffassung Leos XIII. und der eines großen Historikers der Freimaurerei, Gustave Bord; Bord glaubte nicht an einen vorgefaßten Plan. Nach ihm ist es „die freimaurerische Idee, die ohne Unterlaß fortschreitet und zerstört", „es ist die Mentalität, die alle Eingeweihten zum Handeln bewegt" 167 . Das ist jedoch nur ein scheinbarer Widerspruch: Die Freimaurerei als Trägerin einer bestimmten Ideologie verseucht die Geister und diese wieder verbreiten die Prinzipien der Sekte weiter. Ein und dieselbe geistige Verfassung läßt immer weitere 166
La Vigie, 22. 8. 1913.
167
Ebd.
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gleiche Sekten hervorwuchern und macht es der Muttersekte leicht, zweieinhalb Jahrhunderte zu überdauern. Wenn es sich, wie Leo XIII. in „Humanuni Genus" sagt, für die Freimaurer darum handelt, „die ganze aus den christlichen Institutionen hervorgegangene religiöse und gesellschaftliche Ordnung von Grund auf zu zerstören und an deren Stelle eine neue, nach ihren Ideen geformte zu setzen, deren Grundprinzipien und Gesetze dem Naturalismus entnomnmen sind", dann wird klar, daß es gerade die Einheit der christlichen Institutionen ist, die die Einheit der Gegenkirche bewirkt. „Der erste Grundsatz der Naturalisten", erklärt Leo XIII., „ist, daß in allen Dingen die Natur oder die menschliche Vernunft die Lehrmeisterin und Herrscherin ist. Handelt es sich um Pflichten gegen Gott, so machen die Naturalisten entweder wenig Aufhebens davon oder sie verändern deren Wesen durch vage Meinungen und irrige Gefühle. Sie leugnen, daß Gott Urheber irgend einer Offenbarung ist. Für sie gibt es außer dem, was die menschliche Vernunft begreifen kann, weder ein religiöses Dogma noch eine Wahrheit noch einen Lehrer, an dessen W o r t man aufgrund seines offiziellen Mandates glauben müßte. Da aber die ganz eigentliche und spezielle Sendung der katholischen Kirche darin besteht, die von Gott geoffenbarten Wahrheiten in ihrer Fülle aufzunehmen und in unversehrter Reinheit zu bewahren ebenso wie auch die Autorität, um zu lehren, und die übrigen vom Himmel für die Rettung der Seelen gegebenen Hilfsmittel, so ist sie es, gegen die ihre Feinde die größte Erbitterung entwickeln und ihre heftigsten Angriffe richten. . . . Daher setzt sich die Freimaurerei vor, die Autorität der Kirche innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft zunichte zu machen, so langer und verbissener Mühe dies auch bedarf. Daher jene Folgerung, die die Freimaurer fleißig unters Volk bringen und für die sie unaufhörlich kämpfen: nämlich daß es absolut notwendig ist, Kirche und Staat zu trennen. Sodann schließen sie sowohl von der Gesetzgebung als von der Verwaltung des Gemeinwesens den so heilsamen Einfluß der katholischen Religion aus und enden logischerweise bei dem Anspruch, den Staat ganz abseits von den Einrichtungen und den Vorschriften der Kirche zu errichten." Dieser Anspruch wird seit Paul VI. im Namen der Religions-
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freiheit und der pluralistischen Gesellschaft voll akzeptiert. Es sollte nicht einmal hundert Jahre dauern, bis die Ideen der Freimaurer die Spitze der Kirche erreichten. Aber es gibt etwas, das die Freimaurerei nicht vermag, nämlich ihre Verurteilung durch zehn Päpste zu annulieren, die all denen gilt, die sich von ihren Prinzipien leiten lassen. Ich sprach soeben von der „Religionsfreiheit", die vom II. Vatikanum heimlich eingeführt wurde. H ö r e n Sie, was Leo XIII. im voraus darüber gesagt hat: „Die Freimaurer, die ihre Reihen Adepten aus den verschiedensten Religionsgemeinschaften öffnen, kommen dadurch in die Lage, den großen Irrtum der heutigen Zeit glaubwürdig erscheinen zu lassen, der darin besteht, die Frage der Religion zu etwas gleichgültigem zu machen und alle religiösen Formen auf die gleiche Stufe zu stellen. N u n aber genügt dieses Prinzip für sich allein, um alle religiösen Formen zu zerstören, insbesondere aber die katholische Religion; denn da sie die einzig wahre ist, kann sie nicht dulden, daß alle anderen Religionen ihr gleichgestellt werden, ohne die größte Kränkung und das größte Unrecht zu erleiden." Der Naturalismus zieht „den Zusammenbruch der Wahrheiten nach sich, die die Grundlage der natürlichen Ordnung bilden und die zu einer vernünftigen und praktischen Lebensführung so nötig sind, daß es (ohne sie) zu einem Rückschlag auf die privaten und öffentlichen Sitten kommen wird". Denn laßt nur die Wahrheit schwinden, „und es wird unmöglich werden, festzustellen, worin das Wissen von gerecht und ungerecht besteht und worauf es sich stützt". Schon zu Ende des 19. Jahrhunderts stellt Leo XIII. fest, daß „dort, wo anstelle der christlichen Moral (die Moral ohne Gott) getreten ist und mit größter Freiheit zu herrschen begonnen hat, man sehr bald die Redlichkeit und die Integrität der Sitten untergehen, die ungeheuerlichsten Meinungen aufwachsen und erstarken und die Verwegenheit der Verbrechen allüberall ausufern sah". Was soll man heute sagen, wo nun auch noch die „permissive Gesellschaft" sich vollends auflöst, die aus der freimaurerischen Utopie hervorgegangen ist? Man fragt sich manchmal, warum die gegenwärtigen Regierungen die Sittenlosigkeit zu dem Ausmaß anwachsen lassen,
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das wir heute erleben. In „Humanuni genus" ist eine interessante Antwort zu finden: „Es haben sich in der Freimaurerei Anhänger gefunden, die dafür sind, daß man alle Mittel anwenden solle, um die Masse mit allen Freizügigkeiten und Lastern zu sättigen-, sind sie doch gewiß, sie unter dieser Bedingung ganz in ihrer H a n d zu haben und als Werkzeug zur Ausführung ihrer kühnsten Projekte benützen zu können." Leo XIII. brandmarkt die Zerstörung der Ehe durch die Ehescheidung, die aus der gesetzmäßigen Verbindung „eine unstabile, vergängliche Verbindung macht, welche aus der Laune eines Augenblicks entsteht und aufgelöst werden kann, wenn diese Laune sich ändert". Die Zerstörung der Familie, die ja das große Werk der Freimaurerei im 20. Jahrhundert werden sollte, wird möglich durch den Zugriff auf die Erziehung der Jugend. „Die Freimaurer hoffen, dieses zarte Alter leicht nach ihren Ideen formen und seine Biegsamkeit in dem von ihnen gewünschten Sinn ausnützen zu können." Über all diesen falschen Prinzipien aber thront das Prinzip der Demokratie. Für die Naturalisten, schreibt Leo XIII., „sind die Menschen gleich in ihren Rechten; alle sind in jeder Hinsicht von gleicher Verfassung. Da alle von N a t u r aus frei sind, hat keiner unter ihnen das Recht, einem seinesgleichen zu befehlen. Und es heißt den Menschen Gewalt anzutun, wenn man beansprucht, sie irgend einer Autorität zu unterwerfen, es sei denn, daß diese Autorität von ihnen selbst ausgeht. Alle Gewalt liegt beim freien Volk. Jene, die die Befehlsgewalt ausüben, sind deren Inhaber nur durch Mandat oder Verleihung vom Volk, so daß, wenn der Volkswille wechselt, man den Staatsoberhäuptern ihre Autorität wieder nehmen muß, auch gegen ihren Willen. Die Quelle aller Rechte und aller bürgerlichen Funktionen liegt entweder in der Menge oder in der Gewalt, die den Staat regiert, aber nur, wenn diese nach den neuen Prinzipien konstituiert ist. Außerdem muß der Staat atheistisch sein. Es findet sich in den religiösen Formen kein Grund, die eine oder andere davon zu bevorzugen; also sind alle auf die gleiche Stufe zu stellen." Wer erkennt nicht, daß diese „falschen Prinzipien", wie Leo XIII. sie nennt, heute im katholischen und konservativen Lager fast einheitlich angenommen worden sind, sogar von der kirchlichen Hierarchie selbst?
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Die freimaurerischen Ideen haben also die christliche Auffassung von der Gesellschaft verdrängt. Da aber der Irrtum die Wahrheit nicht auslöschen kann, bleibt diese bestehen. Was falsch, verdammungswürdig und verdammt war, bleibt falsch, verdammungswürdig und verdammt. Leo XIII. hat übrigens den Irrtum im Gleichheitsprinzip, der Grundlage des demokratischen Systems, mit bewundernswerter Klarheit dargelegt: „Wenn man bedenkt, daß alle Menschen von gleichem Stamm und gleicher Natur sind und alle das gleiche letzte Ziel erreichen sollen, und wenn man die Pflichten und Rechte in Betracht zieht, die aus dieser Gemeinsamkeit der H e r k u n f t und der Bestimmung hervorgehen, ist nicht zu bezweifeln, daß alle gleich sind. Da sie aber nicht alle die gleichen Verstandesgaben haben und sich durch geistige Fähigkeit und physische Kraft voneinander unterscheiden, da es schließlich unter ihnen tausend Unterschiede an Sitten, Geschmack, Charakter gibt, verstößt nichts so sehr gegen die Vernunft, als alle über den gleichen Leisten schlagen zu wollen und in die Einrichtungen des bürgerlichen Lebens eine streng mathematische Gleichheit einzuführen. Wie nämlich die vollkommene Bildung des menschlichen Körpers aus der Einheit und dem Verband der Glieder hervorgeht, die weder die gleiche Kraft noch die gleiche Funktion haben, sondern deren harmonisches Zusammenspiel dem ganzen Organismus seine plastische Schönheit, seine Kraft und seine Eignung für die notwendigen Dienste verleiht, so findet sich auch innerhalb der menschlichen Gesellschaft eine fast unendliche Menge von ungleichen Teilen. Wären sie alle untereinander gleich, hätten alle die Freiheit, nach ihrem jeweiligen Belieben zu handeln, so würde es nichts Mißgestalteteres geben als eine solche Gesellschaft. Wenn im Gegenteil in einer weisen Hierarchie der Verdienste, des Geschmacks und der Fähigkeiten jeder von ihnen zum allgemeinen Wohl beiträgt, so ergibt sich das Bild einer wohlgeordneten und der Natur gemäßen Gesellschaft. Von den schädlichen Irrtümern, die wir eben genannt haben, drohen dem Staat die furchtbarsten Gefahren. Unterdrückt die Gottesfurcht und die den Gesetzen Gottes geschuldete Achtung, laßt die Autorität der Fürsten in Mißkredit fallen, gebt der
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Revolutionsmanie freien Lauf und ermutigt sie noch, laßt gegenüber den Leidenschaften des Volks die Zügel schleifen, nehmt alle Bremsen weg — außer bei den Strafen —, so werdet ihr durch die Gewalt der Tatsachen beim allgemeinen Umsturz landen und beim Untergang aller Institutionen . . ." Ebendort sind wir angelangt und erleben sogar das, was Leo XIII. nicht einmal vorauszusagen wagte, die Infragestellung auch der Strafe. Wie hat es zu diesem völligen Umsturz der Gesellschaft kommen können? „Die Freimaurer", antwortete Leo XIII., „haben das Volk durch eine trügerische Sprache verführt, und die Gier nach Veränderungen in ihm weckend, haben sie es zum Ansturm auf die beiden Mächte, die kirchliche und die bürgerliche, gebracht." Dieser Mythos der Veränderung, den man auch in den W o r ten Giscards findet, erklärt sich übrigens durch den Mißerfolg auch der permissiven Gesellschaft, denn man ändert nicht etwas, das einem paßt. „Zuallererst", sagt Leo XIII. zu den Bischöfen, „reißt der Freimaurerei die Maske herunter, mit der sie sich bedeckt, und laßt sie sehen, wie sie ist! Zweitens unterrichtet euer Volk durch Ansprachen sowie durch Hirtenbriefe, die speziell dieser Frage gewidmet sind." Und er rät ihnen, „die Elemente der geheiligten Prinzipien darzulegen, die die christliche Philosophie bilden, um die geistigen Krankheiten der Menschheit durch gediegene Wissenschaft zu heilen". Schließlich fordert er die Gutwilligen auf, sich zusammenzutun und „eine gigantische Koalition des Gebets und der T a t zu bilden." Leo XIII. hat sich also mit Entschlossenheit in den Ideenkampf begeben. Bei einem weiteren Schritt gegen die Geheimgesellschaften am 8. Dezember 1892 zeigt er, daß „es eine feindliche Macht gibt, die auf Anstiftung und Antrieb des bösen Geistes nicht aufgehört hat, den christlichen Namen zu bekämpfen, und die sich stets bestimmte Menschen beigesellt hat, um deren destruktive Anstrengungen zu sammeln und gegen die geoffenbarten Wahrheiten Gottes zu richten sowie mittels unheilvoller Zwietracht auch gegen die Einheit der christlichen Gesellschaft. Das
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sind gleichsam zum Angriff bereite Kohorten, und niemand weiß zu sagen, wieviel die Kirche zu allen Zeiten durch ihre Attacken gelitten hat. N u n aber ist der gemeinsame Geist aller früheren Sekten, die sich gegen die katholischen Institutionen erhoben haben, wieder zum Leben erwacht in der Sekte, die man freimaurerisch nennt . . . Die maurerischen Sektierer versuchen, den niederen Klerus durch Versprechungen zu verführen. Zu welchem Zweck? Nichts ist leichter zu erraten, sofern die Erfinder dieser Falle nicht genügend Vorsicht anwenden, ihre Absicht zu tarnen. Ihr Ziel ist, die Diener der heiligen Dinge unmerklich für sich zu gewinnen und sie, wenn sie sich erst einmal in den neuen Gedanken verfangen haben, zu Rebellen gegen die legitime Obrigkeit zu machen." N u n sind aber „Christentum und Freimaurerei wesentlich unvereinbar, so daß, wenn man sich dem einen zuwendet, man sich vom anderen scheiden läßt". Daher muß man selbst jenen mißtrauen, „die sich tarnen mit der Maske der allumfassenden Toleranz, des Respekts für alle Religionen, der Manie, die Grundsätze des Evangeliums mit denen der Revolution zu versöhnen, Christus mit Belial, die Kirche Gottes mit dem gottlosen Staat". „Und da es sich um eine Sekte handelt, die überall eingefallen ist, genügt es nicht, in der Defensive zu bleiben, sondern man muß mutig in die Arena steigen und sie frontal angreifen" 168 . Unter Pius X. sind die Dinge bereits gelaufen. Der Freimaurergeist hat das Innere der Kirche selbst erreicht. Der Papst täuscht sich nicht darüber; er weiß, hier wird der wesentliche Kampf zu führen sein! Daher der Antimodernisteneid, den er im September 1910 dem Klerus auferlegte. Er ist von so großer Bedeutung, daß wir hier seinen unverkürzten Text wiedergehen wollen:
168 j{evue Internationale des Sociétés secrètes, 1931, S. 1234.
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Der Antimodernisteneid Iusiurandum contra errores modernismi — Aus dem Motu proprio „Sacrorum antistitum" des hl. Papstes Pius X. vom 1. September 1910"' „Ich, N. N., umfasse fest und nehme an alles und jedes Einzelne, was vom irrtumslosen Lehramt der Kirche bestimmt, aufgestellt und erklärt worden ist, insbesondere diejenigen Hauptstücke der Lehre, welche den Irrtümern der Gegenwart unmittelbar entgegenstehen. Erstens: Ich bekenne, daß Gott, der Anfang und das Ende aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der Vernunft „durch das, was geschaffen ist" (vgl. Rom. 1,20), das heißt durch die sichtbaren Werke der Schöpfung, als die Ursache durch die Wirkung mit Sicherheit erkannt und insofern bewiesen werden kann. Zweitens: Ich anerkenne die äußeren Beweismittel der O f fenbarung, das heißt die Taten Gottes, in erster Linie die W u n der und Prophetien als ganz sichere Zeichen des göttlichen Ursprungs der christlichen Religion und halte fest, daß sie dem Verstand aller Zeiten und Menschen, auch derer dieser Zeit, auf das beste angepaßt sind. Drittens: Mit gleich festem Glauben glaube ich, daß die Kirche, die Hüterin und Lehrerin des geoffenbarten Wortes, durch den wahren und historischen Christus selbst während seines Lebens unter uns unmittelbar und direkt errichtet und daß sie auf Petrus, den Fürsten der apostolischen Hierarchie und seine in allen Zeiten folgenden Nachfolger erbaut wurde. Viertens: Die von den Aposteln durch die rechtgläubigen Väter immer in demselben Sinn und in derselben Bedeutung bis zu uns übermittelte Glaubenslehre nehme ich ohne Rückhalt an; und deshalb verwerfe ich ganz und gar die irrgläubige Erdichtung einer Entwicklung der Dogmen, die von einem Sinn zu einem anderen übergegangen seien, der von jenem abweiche, * Aus dem Lateinischen übersetzt in Anlehnung an die Ubersetzung in Der Antimodernisteneid, Deutscher und lateinischen Text, Freude an der Wahrheit Nr. 17, Wien, die sich ihrerseits anlehnt an Neuner-Roos, Der Glaube der Kirche. — Der zweite Teil des Eidtextes ab „In schuldiger Ehrerbietung", der im französischen Original dieses Buches nicht enthalten ist, wurde mit aufgeführt (d.O.).
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welchen die Kirche zuvor festgehalten hat. Ebenso verwerfe ich jeden Irrtum, welcher das der Braut Christi übergebene und von ihr treu zu behütende Gut durch eine philosophische Erfindung oder eine Schöpfung des menschlichen Bewußtseins, das durch menschliches Bemühen allmählich herausgebildet worden und in Zukunft in unbegrenztem Fortschritt zu vollenden sei, ersetzt. Fünftens: Als ganz sicher halte ich fest und bekenne aufrichtig, daß der Glaube nicht ein blindes Gefühl von Religion ist, das aus den Schlupfwinkeln des Unterbewußtseins durch den Drang des Herzens und der Neigung des sittlich geformten Willens hervorbricht, sondern daß er eine wirkliche Zustimmung des Verstandes zu der von außen „durch H ö r e n " (vgl. Rom. 10,17) empfangenen Wahrheit ist, durch die wir auf die Autorität Gottes, des Höchstwahrhaftigen hin für wahr halten, was uns vom persönlichen Gott, unserem Schöpfer und Herrn, gesagt, bezeugt und geoffenbart worden ist. In schuldiger Ehrerbietung unterwerfe ich mich und von ganzem Herzen schließe ich mich an allen Verurteilungen, Erklärungen, Vorschriften, welche in der Enzyklika „Pascendi" und in dem Dekret „Lamentabili" enthalten sind, besonders insoweit sie sich auf die sogenannte Dogmengeschichte beziehen. Zugleich verwerfe ich den Irrtum derer, die behaupten, daß der von der Kirche vorgelegte Glaube der Geschichte widerstreiten könne und daß die katholischen Dogmen in dem Sinn, in dem sie jetzt verstanden werden, nicht mit den wirklichen Ursprüngen der christlichen Religion in Einklang gebracht werden könnten. Ich verurteile und verwerfe auch die Ansicht derer, die sagen, ein gebildeter Christ nehme eine Doppelpersönlichkeit an, die eine des Glaubenden und die andere des Historikers, als ob es dem Historiker erlaubt wäre das festzuhalten, was dem Glauben des Gläubigen widerspricht, oder Voraussetzungen herzuholen, aus denen folgt, daß die Dogmen falsch oder zweifelhaft sind, wenn man sie nur nicht direkt leugnet. Ich verwerfe ebenso jene Weise, die Heilige Schrift auszudeuten und zu interpretieren, welche unter Hintansetzung der Überlieferung der Kirche, der Entsprechung zum Glauben („analogia fidei") und der Normen des Apostolischen Stuhles sich den Erfindungen der Rationalisten anschließt und die
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Textkritik ebenso ungebunden wie planlos als einzige und oberste Regel hochhält. Auch die Ansicht derer verwerfe ich, die daran festhalten, daß ein Lehrer der Theologiegeschichte zunächst jede vorgefaßte Meinung vom übernatürlichen Ursprung der katholischen Überlieferung oder von verheißener göttlicher Hilfe zur steten Bewahrung einer jeden geoffenbarten Wahrheit ablegen müsse; darnach müsse er die Schriften der einzelnen Väter rein nach den Grundsätzen der Wissenschaft interpretieren unter Ausschluß jeder geheiligten Autorität und mit derselben Freiheit des Urteils, mit der man jedes profane Denkmal erforscht. Endlich bekenne ich ganz allgemein, daß ich so fern als möglich bin von dem Irrtum, der die Modernisten daran festhalten läßt, daß die heilige Überlieferung nichts Göttliches enthalte, oder, was noch viel schlimmer ist, daß sie dies im pantheistischen Sinn nehmen, so daß nichts übrig bleibt als die nackte, einfache Tatsache in einer Linie mit den gewöhnlichen Geschehnissen der Geschichte, nämlich von Menschen, die durch ihren eigenen Fleiß, ihre Geschicklichkeit und ihre Erfindungsgabe die von Christus und seinen Aposteln begonnene Schule in den folgenden Zeitaltern fortgesetzt haben. Daher halte ich mich mit der größten Festigkeit und werde mich bis zum letzten Hauch meines Lebens halten an den Glauben der Väter an das sichere Charisma der Wahrheit, welches in der apostolischen Nachfolge des Bischofsamtes („in episcopatus ab Apostolis successione", vgl. hl. Irenaeus von Lyon) ist, war und immer sein wird; nicht daß man sich an das halte, was entsprechend der Bildung eines jeden Zeitalters besser und geeigneter scheinen könnte, sondern daß „niemals in anderer Weise geglaubt, niemals in anderer Weise" verstanden werde (vgl. Tertullian) die von Anfang an von den Aposteln gepredigte absolute und unveränderliche Wahrheit. Ich gelobe, daß ich das alles treu, unversehrt und aufrichtig beobachten und unverletzlich bewahren und davon niemals, sei es in der Lehre oder irgendwie in W o r t und Schrift abweichen werde. So gelobe ich, so schwöre ich, so helfe mir Gott und dieses heilige Evangelium Gottes!" Der hl. Pius X. beabsichtigte, den freimaurerischen Ideen den Weg zu versperren, indem er ihnen die christlichen Gedan-
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ken entgegenstellte. Die Sekte würde sich dort nicht infiltrieren können, wo die Geister gefestigt wären und die Dogmen integral verteidigt würden. Eine etwaige freimaurerische Anstekkung würde sich durch die verseuchten Ideen verraten. Für die bürgerliche Gesellschaft galt dasselbe. Das Wichtigste war, die fundamentalen Prinzipien der christlichen Gesellschaft in Erinnerung zu bringen. V o r allem in seinem Brief über den „Sillon"* ruft der hl. Pius X. die Doktrin der Kirche ins Gedächtnis. Erstes Prinzip: „Man kann die Gesellschaft nicht anders erbauen, als wie Gott sie erbaut hat ( . . . ) . Die Zivilisation ist nicht mehr zu erfinden, noch der neue Staat in den Wolken zu bauen. Er war und er ist; es ist die christliche Zivilisation, der katholische Staat. Es handelt sich einzig darum, ihn auf diesen natürlichen und göttlichen Grundlagen zu erneuern und ihn ohne Unterlaß gegen die stets wiederkehrenden Angriffe der ungesunden Utopie, der Revolte und der Gottlosigkeit wiederherzustellen: O M N I A I N S T A U R A R E I N C H R I S T O . " Der hl. Pius X. verurteilt jene, die die politische Autorität ursprünglich „ins Volk verlegen, von dem sie dann auf die Regierenden übergeht, jedoch in der Weise, daß sie dennoch im Volk verbleibt". Er erinnert an das, was Leo XIII. über dieses Thema in seiner Enzyklika „Diuturnum illud" über den politischen Prinzipat gelehrt hat: „Viele Menschen von heute schreiten auf den Spuren jener, die sich im vergangenen Jahrhundert den Namen Philosophen zugelegt haben und erklären, daß jede Macht vom Volke ausgehe, so daß folglich jene, die die Macht in der Gesellschaft ausüben, sie nicht als ihre eigene Autorität, sondern als vom Volke delegierte ausüben und unter der Bedingung, daß diese Autorität vom Volkswillen, von dem sie ja stammt, zurückgefordert werden kann. Ganz entgegengesetzt ist die Ansicht der Katholiken, die das Recht zu befehlen von Gott als von seinem natürlichen und notwendigen Prinzip ausgehen lassen. Wenn das Volk der Inhaber der Gewalt bleibt", fährt der hl. Pius X. fort, „was wird dann aus der Autorität? Dann gibt es kein Gesetz im eigentlichen Sinne mehr, keinen Gehorsam! Der ,Sillon' hat das erkannt, da er im Namen der Menschen* „Notre charge apostolique"vom 25. 8. 1910.
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würde die dreifache Emanzipation fordert, die politische, wirtschaftliche und geistige. Der zukünftige Staat, an dem er arbeitet, soll weder Herren noch Diener haben; die Bürger werden alle frei sein, alle Kameraden, alle Könige . . . Eine O r d n u n g oder Vorschriften wären ein Angriff auf die Freiheit, die Unterordnung unter welche Obrigkeit auch immer wäre eine Herabminderung des Menschen, der Gehorsam eine Rangerniedrigung. Stellt uns, ehrwürdige Brüder, die traditionelle Lehre der Kirche die sozialen Beziehungen im Staat, und wäre es auch der beste, auf diese Weise dar? Bedarf nicht jede Gesellschaft von Geschöpfen, die unabhängig und von Natur ungleich sind, einer Autorität, die ihre Tätigkeit auf das Gemeinwohl hinlenkt und ihnen ihr Gesetz auferlegt? Und wenn sich in der Gesellschaft verderbte Menschen finden (und immer gibt es solche), muß dann die Autorität nicht um so stärker sein, je bedrohlicher der Egoismus der Bösen ist?" In meinem Buch „L'Eglise occupée" 169 (Die besetzte Kirche) habe ich die Affäre des „Sillon" ausführlich behandelt. Maurras hat das Vorgehen des hl. Pius X. in seinem Kampf gegen die freimaurerischen Ideen in Kirche und Staat sehr gut zusammengefaßt. Er sagt: „Eine Denkungsart zieht ihren Kreis, und wenn man draußen steht, gibt sie einem ganz einfach zu verstehen, daß man außerhalb ihrer ist, daß man sich irrt . . ." 170 . Der hl. Pius X. hatte von jenen „dunklen Giftküchen" gesprochen, in denen man diese lebensgefährlichen Lehren zusammenbraut, die keinen klarsichtigen Geist verführen dürften. Doch verhehlte er sich nicht, daß sogar im Innern der Kirche einige verführt worden waren. Mit außergewöhnlicher Schärfe sagt er das in seiner Enzyklika „Pascendi" vom 8. September 1907: „Die Urheber der Irrlehren hat man heute nicht mehr unter den erklärten Feinden zu suchen. Sie verbergen sich — und das ist ein Anlaß zu Besorgnis und sehr heftiger Angst — im Innern und im Herzen der Kirche (. . .). Denn nicht mehr von außen, sondern in ihrem Innern zetteln sie ihren Untergang an. Die Gefahr steckt heute schon fast in den Eingeweiden und Blutgefäßen der Kirche." 169
Editions de Chiré, Chiré-en-Montreuil, 1975.
170
Charles Maurras, La démocratie religieuse, S. 267.
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Der Leser, der sich näher mit diesem Aspekt, dem Eindringen der freimaurerischen Ideen in die Kirche befassen möchte, sei auf Kapitel 16 von „L'Eglise occupée" verwiesen. Im 20. Jahrhundert gibt es keine großen Enzykliken über die Freimaurerei mehr. Wohl segnet Benedikt XV. das Werk von Mgr. Jouin „Contre les sectes ennemies de la religion" (Gegen die religonsfeindlichen Sekten) 171 , wohl ermutigt Pius XI. 1922 den gleichen Prälaten, über „diese Geheimgesellschaften zu sprechen, die immer bereit sind, die Feinde Gottes und der Kirche, welche es auch sein mögen, zu unterstützen" und die „nicht ablassen, diesen sinnlosen H a ß immer mehr anzufachen, der weder Friede noch Glück bringen kann, sondern mit Sicherheit zum Untergang führt" 1 7 2 . Sehr bald aber herrscht Schweigen. Abbé Ernest Jouin wußte zu Beginn des 20. Jahrhunderts, gegen 1909, wenig über die Freimaurerei. Eines Tages unterhielt sich Bidegain, der die Logen frequentiert, sie aber, indem er die Plakataffäre aufdeckte, mit einigem Lärm verlassen hatte, mit Abbé Jouin und drängte ihn, einen volkstümlichen Roman gegen die Sekte zu schreiben. „Ich bin nicht naiv genug", sagte Abbé Jouin, „um nicht an die Bösartigkeit der Freimaurerei zu glauben, aber ich kenne sie zu wenig, um über sie schreiben und sie in Romanen bekämpfen zu können." „Ihr seid alle gleich", antwortete Bidegain. „Die Ordensleute eröffnen Schulen, die Ordensschwestern bauen Kapellen, die Pfarrer und die Vikare gründen Wohltätigkeitsvereine, und wenn man eure Werke zerstört hat, fangt ihr mit dieser Penelope-Arbeit geduldig wieder von vorne an. So macht euch doch endlich einmal an den Feind heran: Zerstört die Freimaurerei, dann könnt ihr alles schaffen, was ihr wollt." Abbé Jouin dachte einen Augenblick nach, dann sagte er: „Ich werde mich daranmachen." „Am andern Tage", erzählte er später, „begann ich mir eine freimaurerische und okkultistische Bibliothek zuzulegen. Als ich dann dieser sowohl immensen als bestürzenden Literatur gegenüberstand, fand ich, daß es sich nicht mehr darum han171 172
Revue Internationale des Sociétés secrètes, 1932, S. 59. Ebd.
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delte, einen Roman zu schreiben, sondern eine wissenschaftliche Zeitschrift mit den alten und neuen Dokumenten über diese vielfältigen Fragen herauszugeben, die sich sowohl an die Forscher als auch an den einfachen Leser richten soll. Ab 1. Januar 1912 erschien die „Revue internationale des Sociétés secrètes". Sie sollte bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erscheinen. Mgr. Jouin starb 1932 als Apostolischer Protonotar und als Pfarrer von St. Augustin in Paris. Am 26. Mai 1927 erklärte der Br. •. Bernier, Ratspräsident des Ordens des Grand Orient, in Mühlhausen: „Zweihundert Jahre lang war die Kirche unsere gefährlichste Feindin. Es scheint jetzt, daß sie einsieht, sich im W e g getäuscht zu haben . . .". Auf dem Konvent von 1929 meint Br. •. Ramadier, daß Papst Benedikt XV. versucht habe, als eine Art Schiedsrichter über die Staaten in den Völkerbund einzutreten. Uber Pius XI. sagt er: „Der Papst hat keine Angst vor den freimaurerischen Ideen, wenn er hoffen kann, sich diese anzupassen." Die Jahre vor dem Krieg sind reich an listigen Infiltrationen, an kühnen Thesen als Vorboten einer unzweifelhaften geistigen Verwirrung. 1926 veröffentlichte Jean Izoulet, Professor am Collège de France, ein eigenartiges Buch, das ihm die Ermutigung des Präsidenten der „Alliance Israélite Universelle", Sylvain Lévi, einbrachte. Der Buchtitel allein ist schon verräterisch: „Paris, capitale des Religions ou la mission d'Israël" (Paris, Hauptstadt der Religionen, oder die Sendung Israels). „Teilt den Völkerbund, die Gesellschaft der Nationen'", schrieb Izoulet, „teilt ihn in zwei Gesellschaften, die eine geistlich, die andere weltlich. Teilt ihn auf in eine Gesellschaft der Kirchen und in eine Gesellschaft der Staaten. Ihr werdet damit einerseits in Genf die zeitliche Macht der Banken und der Armeen haben und andererseits in Paris die geistige Macht der Wissenschaft sowie der Gewissen, der Kirchen und der Universitäten." Izoulet empfahl ein „Religionskartell" oder ein „Mo'iseum" in Paris, „etwa auf den Champs-Elysées oder auf der Place de l'Etoile, über dem der Zionsstern prangen soll". Man soll ein „Internationales Büro der Religionen" schaffen
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und es in Paris einrichten, weil Paris „der Herd der Französischen Revolution ist, die, obwohl man das bis jetzt noch nicht weiß, die Vertiefung und die Vollendung der Reformation ist, so daß nach der Prophezeiung Joseph de Maistres Paris sichtbar der Sitz einer,Neuen Religion', meinetwegen eines enorm erneuerten Christentums wird". Das „Internationale Büro der Religionen" soll wie der jüdische Sanhedrin aus siebzig Mitgliedern bestehen, „und für diesen Sitz der Siebzig, der bestimmt ist, alle Religionen der Erde einander anzunähern sowie sie auf organische Weise und ohne irgend einen Druck auszuüben auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, möchte ich einen magischen Namen vorschlagen .. . etwa Moses, und . . . ich möchte es . . .: Moi'seum nennen, das Moi'seum von Paris" 173 . Zwei Jahre später beschloß die Grande Loge de France im Geheimnis ihres Konvents: „Weben wir mit unseren geschickten H ä n d e n das Grabtuch, das eines Tages alle Religionen einhüllen soll!" 174 . Die Zwischenkriegszeit war, wie gesagt, fruchtbar an Projekten, die wir heute ausgeführt sehen. Man schlage nur etwa das Buch „Hommes de bonne volonte" (Menschen guten Willens) von Jules Romains auf, das in dieser Zeit erschien. Es ist zum mindesten interessant, die Vorschläge, die Jules Romains einer von seinen Personen, einem Freimaurer Lengneau, in den Mund legte, wieder hervorzuziehen: „Warum kann ihr Gott (der der Katholiken) unseren jungen Architekten nicht tolerieren? Er braucht ihm nur diese Welt zu überlassen und für sich selbst die andere behalten." Worauf ihm Jerphanion antwortet: „Was Sie ihm anbieten, wäre die Situation eines Gottes im Exil." „Vielleicht", gibt L. zu, „aber mit großen Ehren . . . H a t der Gott der Bibel nicht schon ein wenig zugunsten Christi abgedankt? .. . Nun, wir wollen sehen . . . Sie kennen den berühmten Traum von einem Papst, der einmal einer der Unsrigen sein wird?" Und fröhlich, im T o n eines Schlußworts, fügte er hinzu: „Wir haben bereits Freimaurerbischöfe!" 173
Ebd. 1930, S. 123.
174
Convent de la Grande Loge de France, Oktober 1928, S. 128.
12. KAPITEL
Die Verschwörung der Meister Die Falle — Pater Riquet in der Loge — Die vertraulichen Mitteilungen Joseph des Maistres — Eine seltsame Zeremonie in der Grande Loge — Ungewöhnliche Entscheidung der skandinavischen Bischofskonferenz — Die Veränderlichkeit Pater Capriles — Die Kirche in Evolution — Der permanente Charakter der Freimaurerei — Die geheime Republik — Mgr. Pézéril in der Loge — Die Verschwörung der Meister — Der Große Architekt des Universums — Die Betrügerei des Pater Riquet — Die „gemeinsame Mutter aller Häresien" — Die Visionen des Br.•. Corneloup — Noch einmal P. Riquet! — Der sonderbare Mgr. Pézéril — Kanon 2335 — Die Religionsfreiheit — Bereit sein, die Dogmen zu diskutieren — Die Sünde Luzifers — „Wir sind keine Bittsteller . . . " — Der Vatikan dementiert, daß Paul VI. Freimaurer ist! — Und Kardinal Villot versichert, daß er es auch nicht ist — Ein merkwürdiger Vortrag in der Loge „Espérance et Cordialité" zu Lausanne — Johannes XXIII. und die gnostischen Gesellschaften — Verzichtet die Kirche darauf, Juden und Moslems zu bekehren ? — Auf ein Konzil von Jerusalem zu?
D a s J a h r 1950: N o c h h ä l t R o m s t a n d g e g e n ü b e r d e n hinterlistigen K a m p a g n e n f ü r eine „ W i e d e r v e r s ö h n u n g " z w i s c h e n d e r K i r c h e u n d d e r F r e i m a u r e r e i . W a s f ü r eine „ W i e d e r v e r s ö h n u n g " soll das sein? E s h a t n i e m a l s ein E i n v e r s t ä n d n i s g e g e b e n , w o n a c h Streit a u f g e t r e t e n w ä r e . D i e F r e i m a u r e r e i w u r d e v e r u r teilt w e g e n d e r I d e e n , die bei i h r e r G r ü n d u n g f ü h r e n d w a r e n . P . C o r d o v a n i aus d e m D o m i n i k a n e r o r d e n , P r ä f e k t d e r H e i l i g e n A p o s t o l i s c h e n P a l ä s t e , w i r d b e a u f t r a g t , dies i n E r i n n e r u n g z u r u f e n — d a s ist also bereits n o t w e n d i g g e w o r d e n : „Nichts wurde an der Gesetzgebung der Kirche gegenüber d e r F r e i m a u r e r e i g e ä n d e r t " , s c h r e i b t e r a m 19. M ä r z 1950 i m „Osservatore R o m a n o " . . . „Die Bischöfe wissen, d a ß K a -
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non 684 und besonders Kanon 2335, der alle jene mit Exkommunikation belegt, die in der Freimaurerei — ohne Unterschied der Riten — eingeschrieben sind, immer noch in Kraft sind, so heute wie gestern; und alle Katholiken müssen das wissen und sollen sich daran erinnern, um nicht in die Falle zu geraten und um auch die Tatsache richtig beurteilen zu können, daß gewisse naive Leute glauben, sich ungestraft Katholiken und Freimaurer nennen zu können." In Wirklichkeit handelte es sich um alles andere als um Naivität. Es bestand eine Infiltration maurerischer Ideen in der Kirche. P. Cordovani, der es wohl wissen konnte, unterstrich: „Ich wiederhole, dies (die Exkommunikation) gilt für alle maurerischen Riten, selbst wenn sie von gewissen Riten aufgrund zufälliger und variabler, Personen und Sachen betreffender Umstände erklären, daß sie der Kirche gegenüber nicht feindlich eingestellt seien . . . Ist diese moderne Tendenz mancher Menschen, die den Katholizismus gerne mit allen Ideologien und allen sozialen Bewegungen, mit jedem Avantgardismus und jeder Kehrtwende in Harmonie bringen möchten, nicht bei vielen, wenn auch unbewußt, das Merkmal der Häresie?" Was 1950 noch als Häresie galt, kann das in zwanzig Jahren Wahrheit werden? Wahrheit und Zeit — ein unendliches Thema! P. Cordovani ist von keinem Zweifel angefochten. Er folgt ganz einfach der ständigen Lehre der Kirche — und des gesunden Menschenverstandes : „Die Kirche hat ein göttliches Lehrgut, die Offenbarung Gottes. Sie besitzt eine Kühäreng, die sie bewahren muß, da sie eine Bedingung zum ewigen Heil ist. Bei wesentlichen Elementen kann es keinen Kompromiß geben, sondern nur eine absolute T r e u e . . . Die erkünstelten Doppelbegriffe wie ^evolutionäre Katholiken', ,kommunistische Katholiken', ,freimaurerische Katholiken' usw. sind ein H o h n für uns, die wir kein getrübtes Wasser wollen (•••)• N u r die Wahrheit macht uns frei und nicht Kompromisse und hybride Verbindungen, die der Vernunft Gewalt antun, noch bevor der Glaube dadurch beleidigt wird." N u n hat aber die Freimaurerei eine ganz andere Ansicht von den Dingen: „Die zukünftige Welt", schreibt der Br. •. Riandey, Großkommandeur der Suprême Conseil de France, des Obersten
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Rates von Frankreich, „wird etwas Neues schaffen, nachdem sie das Christentum und andere derzeitige Formen der Spiritualität assimiliert hat; sie wird vielleicht, in Anologie zu dem ökonomischen Phänomen der totalen Kollektivierung*, eine Art Pantheismus entstehen lassen, in dem alle Arten von Kulten sich verschmolzen und amalgiert finden und neubelebt zu heute noch unvorstellbaren Zielen hin." Das ist das Problem der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Am 24. Juli 1958 nennt Pius XII. als „Wurzeln der modernen Apostasie den wissenschaftlichen Atheismus, den dialektischen Materialismus, den Rationalismus, den Laizismus und als ihre gemeinsame Mutter die Freimaurerei""^. Im Jahr 1960 auf der römischen Synode mahnt Papst Johannes XXIII.: „Was die Freimaurersekte betrifft, so sollen die Gläubigen daran denken, daß die vom Kirchlichen Gesetzbuch — can. 2335 — verhängten Strafen immer noch in Kraft sind" 176 . Wir schreiben das Jahr 1961. Da erscheint auf der Bühne ein Jesuit: Pater Riquet, der sich am 18. März in eine geschlossene „weiße" Sitzung** der Loge von Laval begibt. Der Meister vom Stuhl dieser Loge ist der Br. •. Marius Lepage, Bewunderer eines berüchtigten Satanisten des vorigen Jahrhunderts, Stanislas de Guaitas. Für Guaita geht Satan in Gott über: „Nicht die Schuld hat die Sünde verursacht, sondern der Gewissensbiß als eine Folge der Unwissenheit und der Verzweiflung." Stanislas de Guaita, ein apostatischer Priester vom Ende des letzten Jahrhunderts, notorischer Kabbaiist, wichtiges Mitglied der luziferischen Gesellschaften, hat u. a. dieses gotteslästerliche Gedicht (vom März 1883) hinterlassen: Die schwarze Messe „Bevor ich in den ewigen Schatten rolle, wo mein Fleisch in einem finsteren Riesenbecken braten wird, balle ich die Fäuste zum Himmel und werde dreimal schreien: 175
Le Temple, Sept. 1946, in Permanences, Oktober 1966.
176
Arriba, 15.3. 1959.
* Umwandlung in Kolchosewirtschaften. **• Sitzung der niederen Grade, zu der man eingeladen sein muß.
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,Monstrum, sei verflucht!' Und mein erhabener Groll wird, zusammen mit den Blitzen meiner Stimme, aufsteigen als Weihrauch des Hasses, den mein Verbrechen ausströmt (.. .). Und du, Luzifer, du vom Himmel gefallener Stern, strahlender, in die Finsternis gestoßener Geist (. . .), erschlössest mir den Ozean tiefer Wollust, unerschöpflich rasende Wellen. Du lehrtest mich den Reiz der Hölle kosten. Man leidet dort, das ist wahr; doch zugleich ergötzt man sich, da man seine Galle baden kann. O Luzifer, mein Henker von morgen, ich verehre dich, ich liebe dich." Solche Gedanken sind es, die den Meister vom Stuhl der Loge „Volney" entzücken! Wollte Pater Riquet dort „den Reiz der Hölle kosten"? Der „Figaro littéraire" vom 25. März 1961 machte sich keine Sorgen wegen Stanislas de Guaita, sondern hielt den Besuch des Pater Riquet für ein bedeutendes Ereignis: „Wie man sich denken kann, war die historische Begegnung zwischen Pater Riquet und den Freimaurern von Laval, die als ein Versuch zu neuen Beziehungen zwischen der Kirche und der Maurerei auf der Grundlage eines gemeinsamen Humanismus und der Respektierung bestimmter Werte gelten könnte, nicht improvisiert. Sie muß im Hinblick auf das ökumenische Konzil interpretiert werden, das 1962 stattfinden soll und zu dessen Vorbereitung Menschen aller Konfessionen von gutem Willen und großem Mut sich bemühen, einen gemeinsamen Boden zu finden, einen gemeinsamen Nenner', über dem alle die sich vereinen können, deren Ideal humanistisch und nicht materialistisch ist (. ..). Für viele heutige, dem Ökumenismus offene Katholiken sind die Mitglieder der Loge ebenso ,getrennte Brüder' wie die Orthodoxen, die Anglikaner und die Protestanten." Wenn man diesen Text heute noch einmal durchliest, so leuchtet er ganz einzigartig hinter die Kulissen des Vorkonzils und auf eine von den Modernisten angezettelte Verschwörung hin. Eine Gruppe von Eingeweihten hatte alles vorbereitet, um den furchtbarsten Betrug der Geschichte zu begehen.
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H a t sich nun die Freimaurerei geändert, oder sind gewisse Katholiken von ihrem Geist durchtränkt worden? Die Antwort erfolgt in der freimaurerischen Revue „Symbolisme" von Seiten des Br.•. Sirius 177 : „Was bedeutet es den anglikanischen, den protestantischen, den freidenkerischen, mit einem W o r t all jenen Freimaurern, die die Sakramente der Kirche nicht zu empfangen wünschen, ob die Freimaurerei exkommuniziert ist oder nicht?" 178 . Der Mann hatte recht! Im Gegenteil, fährt er nicht ohne Ironie fort, man kann feststellen, daß vielmehr Katholiken die Einweihung empfangen möchten „und zwar als Zugangsweg zu einer esoterischen Erkenntnis und Selbstverwirklichung". Damit bekunden sie nur „ein Verlangen, einen Schatz wiederzufinden, der der Kirche gehört, der in der Kirche war und der esoterisch war und ist, aus dem einfachen Grunde, weil zwar alle Menschen im Prinzip zu glauben fähig sind, aber nicht alle fähig zur Erkenntnis". Die Erkenntnis, die die Kirche gebe, sei nur elementar, die Freimaurerei allein führe zu der Erkenntnis. Dasselbe lehrte man schon Joseph de Maistre, als er noch Freimaurer war. Er ließ sich eine Zeitlang davon einnehmen, bevor er über diese „beim Kerzenschein und tief drin im Logenbau geschlagenen Ritter" spöttelte, „deren W ü r d e sich beim Durchschreiten der T ü r verflüchtigt". Joseph de Maistre schrieb im Januar 1816 aus St. Petersburg einen Brief an den Grafen de . . , 179 : „Um den Gedanken festere Form zu geben, genügt es, wenn Eure Exzellenz weiß, daß es zur Zeit in Europa unzählige Menschen gibt, die sich ausgedacht haben, der Katholizismus verheimliche unaussprechliche Geheimnisse, die dem Menschen in keiner Weise zugänglich sind. Es ist das, was die Deutschen transzendentales Christentum' nennen. Sie glauben, daß dieses Christentum am Anfang eine wirkliche Einweihung war, daß die Priester jedoch bald diese göttlichen Geheimnisse entschwinden ließen, so daß es zur Zeit kein wahres Priestertum mehr gibt. Der H a ß und die Verachtung 177
Permanences, Okt. 1966.
178
Nr. 354, Okt. — Dez. 1961, S. 4 5 - 5 0 , in J. Mitterrand, a. a. O., S. 34.
179
J. de Maistre, a. a. O., Bd. 1, S. 391.
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gegen jede Hierarchie ist ein allgemeines Kennzeichen all dieser Illuminaten, und das geht soweit, daß Saint-Martin mit all der Frömmigkeit, von der seine Bücher voll sind, gestorben ist, ohne einen Priester zu rufen." Das war für bestimmte katholische Kreise ein erster Zugang zur Freimaurerei. Ich bezweifle, daß dieser heute noch Erfolg haben würde. Der liberale Zugang ist viel verführerischer. Im Jahre 1962 begannen hartnäckige Gerüchte über eine geänderte Haltung des Vatikans, in dem jetzt Johannes XXIII. regierte, gegenüber der Freimaurerei zu kursieren. Die italienische, Zeitung „II Nazionale" machte sich zu deren Echo 180 : „Die Freimaurerei befleißigt sich, das Gerücht zu bestätigen, daß sie nunmehr im Vatikan willkommen sei"; daß Johannes XXIII. einem Diplomaten in einer Geheimaudienz geraten habe, in der Freimaurerei zu bleiben*; daß gewisse Jesuiten in die Freimaurerei eingeweiht und nicht deshalb getadelt worden seien; daß Mgr. Roncalli den Namen Johannes aus besonderer Vorliebe für das Evangelium des hl. Johannes angenommen habe, das einen maurerischen Sinn hat. Dazu kommt ein Artikel in ,France Observateur' vom 27. September 1962: ,Neues in der Freimaurerei verkündet Christian Hébert. Und was gibt es dort Neues? Die Ankunft von Nachwuchs aus der Kirche, ohne daß von Rom Verurteilung oder Exkommunikation kommt, sondern als wenn das Konzil eine Art Interregnum schüfe mit Handlungsfreiheit in der H o f f n u n g auf die ,große Wiederversöhnung'. Solche Gesuche um Mitgliedschaft werden neuerdings formuliert. Zur Zeit bleiben sie noch im Wartestand. Die militanten Katholiken, die in die Freimaurerei eintreten möchten, erklären, daß sie nicht auf ihren Glauben verzichten wollen, daß sie aber das Prinzip der ,freien Untersuchung' anerkennen und es nicht ablehnen, die Dogmen zu diskutieren. Eine solche Erklärung genügt, um ihnen die Pforten der Grande Loge zu öffnen." In Paris konnte man in der Grande Loge einer seltsamen Zeremonie beiwohnen. „Mit Orgel- und Fanfarenklang", berichtet 180
Ii Nazionale, 8. 4. 1962.
* Dem Baron Yves de Marsaudon, Botschafter des souveränen Malteserordens beim Vatikan, Verfasser von L'oecuménisme vu par un franc-maçon de tradition (Anm. d. Ü.).
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das „Journal du Parlement" am 20. Dezember 1967, „empfing der S.D.S. Großmeister der Grande Loge de France, Richard Dupuy, mit dem Gefolge seiner Großoffiziere, seines Großkanzlers und seiner Deputierten am letzten Freitag in den Sieben Tempeln in der Rue Puteaux 9 die höchsten Autoritäten der Hauptstadt sowie die Nicht-Eingeweihten von ,ganz Paris'. Im Tempel Franklin Roosevelt vollzog er die maurerische Liturgie, die Anbetung des Großen Architekten des Universums. Die Präfekten von Paris und der Pariser Umgebung, der Präsident des Stadtrates, der erste Vorsitzende des Rechnungshofes, der Vorsteher der Advokatenschaft des Ordens, die Advokatenschaft, die Wissenschaft, die Kunst, die Presse folgten mit ungewöhnlicher Sammlung dem Ablauf dieser ,Mysterien', die kein Geheimnis mehr bleiben sollen. Von seinem hohen T h r o n herab schlug Richard Dupuy auf das Pult, auf dem das Große Buch aufgeschlagen war, und pries das Gesetz der Liebe und der Brüderlichkeit unter den Menschen. Musik, Opernarien und Opernchöre bildeten den Rahmen von Gossecs Einweihungsmusik bis zum Freimaurermarsch von Naudot; dazwischen wurde ein Gedicht von Kipling durch den Schwiegersohn des Großmeisters großartig vorgetragen. Neben der Marseillaise wurde sogar die Uraufführung einer Kantate von Julien Falk ,Im Anfang war das Wort'geboten! Wieder in der abgasgeschwängerten Luft des Boulevard des Batignoles fragten sich die Nicht-Eingeweihten, ob sie nicht aus einer anderen Welt kämen, in der Glaube und Unglaube sich feierlich zu einer verblüffenden Einheit vereinigt hatten." Dies ist der „liberale", „humanistische" Zugang. Wenigstens kann man den Freimaurern nicht vorwerfen, daß sie ihre Ziele verhehlen! Der ehemalige Großmeister des Grand Orient, Jacques Mitterrand, schreibt: „Den Menschen auf den Thron zu erheben anstelle Gottes, wenn das die Sünde Luzifers ist, dann begehen alle Humanisten seit der Renaissance diese Sünde. Es war einer der Anklagepunkte bei der ersten Exkommunikation durch Papst Klemens XII. im Jahre 1738. Diese Exkommunikation, die weiter auf den Freimaurern liegt, stört sie kaum, und es wäre ein Irrtum zu glauben, daß sie sich viele Gedanken darüber machen . . ."
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Warum sollten sie auch, wo sie nur zu warten brauchen, bis die neuen Priester diese Sünde Luzifers begehen? „Zu Anfang des Jahres 1968", fährt Jacques Mitterrand fort, „übermittelte eine Gruppe französischer Katholiken den Bischöfen einen Text, der im Januar 1968 in ,Esprit et Technique' erschien. Der folgende Abschnitt über die Freimaurerei ist aufschlußreich genug: ,Die unterzeichneten Katholiken haben darüber nachgedacht, wie es heute mit der Exkommunikation steht. Zum ersten erscheint sie ihnen unwirksam, weil sie im vorliegenden Fall (der Freimaurer) das angestrebte Ziel in keiner Weise erreicht. Vor allem erscheint sie ihnen als veraltete Waffe, als anachronistisch. Verständlich im Zusammenhang einer Christenheit, hat sie in einer mehr und mehr pluralistischen Gesellschaft kaum einen Sinn'" 181 . Der Hirnmechanismus, der diese Katholiken vom rechten Wege abbringen wird, ist in Gang gesetzt: Sie haben „nachgedacht". Sie hatten sich keineswegs damit beschäftigt, die Verbote der Kirche zu studieren und zu respektieren. Nein, sie hatten „nachgedacht". Es ist das protestantische Vorgehen der „freien Untersuchung", des Individualismus. Sie dekretieren eine Verurteilung als anachronistisch, die keinesfalls zufällig oder aus Gelegenheitsgründen erlassen worden war, sondern die fundamentalen mit dem katholischen Dogma unvereinbaren Ideen der Freimaurerei betraf. Der Existenz der katholischen Wahrheit tragen sie keine Rechnung mehr, sondern sie verschreiben sich dem „Pluralismus", den sie feststellen und den sie ohne Vorurteil gelten lassen einfach deshalb, weil er existiert. Im Jahr 1967 läßt die skandinavische Bischofskonferenz der nordischen Länder (Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland, Island) zu, daß ein Freimaurer in die katholische Kirche eintritt, ohne mit der Freimaurerei zu brechen. In „L'Eglise et le Temple" (S. 171) schreibt Abbé de Thier: „In Sachen Maurerei und Kirche wird also die Doppelmitgliedschaft möglich. Die Affäre erregt offensichtlich Aufsehen. Die Kongregation für die Glaubenslehre, früher das Heilige Offizium, reagiert mit einem gekünstelten Kommentar, der es mit niemandem verderben will. Chi va piano va sano. J. Ploncard 181
J. Mitterrand, a. a. O., S. 162.
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d'Assac, der Wortführer einer katholischen Fraktion (sie), interpretiert das Kommuniqué als Dementi. Er schreibt: ,Dieses Kommuniqué ist klar und läßt die T ü r zu keiner Spekulation offen. Die Versuche derer, die die Kirche und die Maurerei einander annähern wollen, sind gescheitert.' In Wirklichkeit wollte die Kongregation nur einer vorzeitigen Verallgemeinerung der skandinavischen Maßnahmen vorbeugen." Abbé de Thier hatte recht. Damals dachte ich, daß der Verrat von unten käme; er kam von oben! Es kommt vor, daß die Freimaurer selbst über das Schauspiel, das die postkonziliare Kirche bietet, erstaunt sind. Im November 1968 stellte die Zeitschrift des Grand Orient „Humanisme" fest: „Es gibt keine Versammlung von Kontestierenden mehr, in der man nicht Christen auf den vordersten Plätzen antrifft. Es ist eine Mode, ein Bedürfnis geworden, als ob man die in Jahrhunderten des Konservativismus verlorene Zeit einholen wollte ( . . . ) . Diese Gärung innerhalb der Kirche verändert von Grund auf die traditionellen Beziehungen zwischen uns, die, man muß wohl so sagen, stark von einem kritischen Geist getragen waren ( . . . ) . Sicherlich gibt es Grund, wachsam zu bleiben. Aber wie die Dinge jetzt laufen .. ., bringt das Schauspiel, das uns die Kirche darbietet, unsere herkömmlichsten Ideen ins Wanken und setzt uns wirklich in Erstaunen." Eines war klar: Die Kirche hatte sich geändert und nicht die Freimaurerei. Von jetzt an sollte alles schnell gehen. „Das Verbot ist aufgehoben", versicherte die „Aurore" am 24. Mai 1971: „Seit ein paar Jahren erst praktiziert eine Fraktion in der Kirche auf Initiative der Jesuiten die Ö f f n u n g zur Freimaurerei. Diese durch die persönlichen Kontakte des P. Riquet berühmt gewordene Aktion war im wesentlichen auf die ,reguläre' Freimaurerei hin orientiert, das heißt auf die von der Großloge von England anerkannten Logen. In Frankreich betraf das vor allem die nationale französische Grande Loge von Neuilly. Seither hat sich alles geändert. Die ,Öffnung', die vom Sekretariat für die Nichtglaubenden gesteuert wird, zog keinen Ausschluß nach sich. Der Grand
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Orient von Frankreich und die Grande Loge von Frankreich sind direkt betroffen. Und die Jesuitenzeitschrift, die in Rom erscheint, hat soeben diese neue Orientierung ,gedeckt'. Zum erstenmal seit der Revolution wird man Prälaten sehen, die in der Loge, in geschlossener ,weißer' Sitzung sprechen. Praktisch ist das Interdikt, das die Freimaurerei betraf, zur Stunde bereits aufgehoben." Die „Civiltä Cattolica", in der, wie man versichert, nicht ein Artikel ohne Erlaubnis des Vatikans erscheint, hatte tatsächlich einen Artikel von P. Giovanni Caprile veröffentlicht, der befand, daß der Dialog in Verabredung mit allen freimaurerischen Gruppen vor sich gehen müsse ohne gehässige Ausschlüsse oder Behinderungen „und daß die Exkommunikation aufgehoben werden müsse" 182 . Die Stellungnahme P. Capriles ist ein gutes Beispiel für die „Besetzung" der Kirche durch die modernistischen Ideen und für den Umsturz, den diese seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in ihr bewirkt haben. Man sollte zu diesem Zweck einmal nachlesen, was derselbe P. Caprile in derselben Zeitschrift unter derselben Zensur zehn Jahre früher über denselben Gegenstand geschrieben hat. Sie werden sehen, das Ergebnis ist überraschend: „Die Kirche", schrieb P. Caprile damals, „hat stets die Lehrgrundsätze des Christentums und die der Freimaurerei als unvereinbar betrachtet: zwei einander entgegengesetzte Systeme und Lebensauffassungen, zwei nicht miteinander zu versöhnende Ansichten von der Welt und dem Wirklichen ( . . . ) . Was die Sekte bekennt und in ihren Ritualen verteidigt, wovon sie sich in ihrer Aktion inspirieren läßt, ist der Naturalismus mit all seinen praktischen, lehrmäßigen und moralischen Konsequenzen, während das Christentum eine Religion ist, die auf das Übernatürliche gegründet ist (. . .)", und das trotz „einiger Bekundungen von Interesse und Respekt gegenüber der Kirche und ihren Lehren, einiger Vorschläge zu einer Zusammenarbeit auf sehr eng begrenzten Gebieten, eines gemäßigteren Tons im Reden und bei der antiklerikalen Aktion". „Über dieses Sammelsurium von Irrtümern, das schon so und so oft von der Kirche verurteilt und niemals von irgend einer 182
Permanences, Okt. 1971.
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Richtung der Freimaurerei zurückgewiesen wurde, möchte man jetzt einen Schleier breiten!" Ist das derselbe Mann, der zehn Jahre später sagt: Man muß die Verurteilung aufheben; was wahr war, wird nun falsch? H a t er das gedacht? H a t man es ihm auferlegt? Man wird das zweifellos niemals erfahren, aber welch ungeheurer Betrug! Die Freimaurer haben bei der Korrumpierung der römischen Kirche mitgeholfen, die ihnen zwei Jahrhunderte standgehalten hatte und die heute auf freiem Gelände"" kapituliert hat. Der Großmeister des Grand Orient, Fred Zeller, sagte, man ignoriere keineswegs „die tiefgehende Erneuerungsbewegung", die die Kirche beseele, noch „die tragische Revision, der sie ihre alte Tradition unterzieht. Die Kirche macht eine Evolution durch. Sie hat jetzt aufgehört — übrigens nicht überall — mit ihren Verleumdungskampagnen, ihrer Unterdrückung, ihrer Intoleranz, die uns in der Vergangenheit soviel Verdruß bereitet hat. Wir wollen unsererseits ebenfalls dem Sektierertum ein Ende setzen. Greifen wir einander nicht überflüssig an! Unsere Beziehungen werden sich zweifellos in den nächsten Jahren verbessern. Dennoch legen wir im Augenblick keinen großen Wert darauf, mit Mitgliedern der Hierarchie in Verbindung zu treten, trotz der dringenden Bitten von Seiten ihrer Vertreter. Nicht weil die Kirche versucht, sich zu wandeln, müssen wir uns nun in ihre Arme stürzen! Wir haben auf beiden Seiten noch große Fortschritte zu machen. Die Kirche behauptet immer noch, die Wahrheit zu besitzen. Unser Ehrgeiz besteht allein darin, sie zu suchen. Wie können unsere Wege sich da kreuzen?" 183 . Ein unerträgliches Schauspiel, daß diese „Mitglieder der Hierarchie" als Bittsteller an der Logentür anklopfen und zu hören bekommen: „Ihr behauptet immer noch die Wahrheit zu besitzen. Ihr müßt diesen Anspruch aufgeben, wenn ihr wollt, daß unsere Wege sich treffen!" Im Jahre 1973, anläßlich der Zweihundertjahrfeier der Gründung des Grand Orient, beschloß die Fünfte Republik das Er183
Le Monde, 20. 6. 1972.
* „Auf freiem Gelände": außerhalb der freiwillig verlassenen Festung.
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eignis zu begehen, indem sie eine Briefmarke zu 90 Centimes herausgab mit dem Winkelmaß, das die Welt beherrscht. Bei dieser Gelegenheit definierte der Großmeister des Grand Orient die Freimaurerei folgendermaßen: „Als Erbin der Initiationstraditionen verbreitet die Freimaurerei ihre Lehre in symbolischer Form und regelt den Gang ihrer Arbeiten gemäß Riten, die sich im Laufe der Zeiten entwikkelt haben. . . . Wenn unsere Meister Anderson und Desaguliers die Existenz der Freimaurerei im Jahre 1717 enthüllten, so deshalb, weil sie sich bewußt geworden waren, daß im Jahrhundert des Lichts eine neue Welt im Entstehen sei. Newtons Wissenschaft schmetterte die Theologen und die Fanatiker zu Boden. Die industrielle Entwicklung nahte heran. Die Menschen suchten noch tastend nach neuen politischen und sozialen Strukturen. Der freimaurerische Orden erschien also zu einer Zeit, als es keine andere Organisation mit uneigennützigem Zweck gab, in der sich helle Köpfe zusammenfinden konnten, die vor allem durch ein außerordentlich starkes Bedürfnis nach Information, Unterrichtung und Aktion zusammengeschweißt waren. Unbestreitbar war die Maurerei ein revolutionäres Ferment in einer Gesellschaft, die sich nur schwer von der feudalen Epoche lösen konnte, um in eine unbekannte, in ständiger Evolution befindliche Gesellschaft überzugehen. Die maurerischen Logen waren der Schmelztiegel, in dem sich das republikanische und progressistische politische Denken geformt und angereichert hat. Sie bildeten in ganz Frankreich — und auch in der Armee jener Zeit — eine weitreichende, permanente beratende Versammlung, in welcher die Programme und Strategien zur Schaffung und Entwicklung der republikanischen Institutionen ausgearbeitet wurden." Halten wir einen Augenblick inne vor diesem Bild. Ist man nicht betroffen, wie es Punkt für Punkt bestätigt, was Klemens XII. über die Gefährlichkeit der Logen durch die von ihnen verbreiteten Ideen, eine Gefährlichkeit nicht allein für die Religion, sondern auch für die „zeitliche Macht" warnend gesagt hat? Ebenso sollten wir die Aussage des Großmeisters Fred Zeller festhalten, daß die Maurerei zu einer Zeit erschien, wo es keine
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organisierten Parteien gab. Wir sind heute derart an die Vereinnahmung der Geister durch die Parteien gewöhnt, daß wir uns nur schwer die außerordentlich große Macht vorstellen können, die in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts der Freimaurerei durch ihre hierarchisierte und geheime Organisation erwuchs. Auch heute noch genießt die Maurerei durch ihre geheimen Verzweigungen und das heimliche Eindringen in alle Parteien einen beträchtlichen Vorteil gegenüber den gewöhnlichen Parteien. „Eines der großen Verdienste unseres Ordens", erklärte der Großmeister Zeller, „besteht darin, daß er alljährlich den Logen die wichtigen Fragen zum Studium vorlegt, die die Menschen bewegen und die während des 19. und 20. Jahrhunderts Quellen der Inspiration für die Gesetzgeber waren. Die meisten der Männer, die diese Inspirationen in die T a t umsetzten, waren Freimaurer. (. . .) Die Freimaurerei war immer die Republik im Schatten. (. . .) Wir sind dasselbe wie unsere Väter schon im 18. Jahrhundert: eine .société de pensée', eine Denkgesellschaft, die in liberaler Weise allen Menschen guten Willens geöffnet ist, welches auch ihre H e r k u n f t , Rasse, soziale Stellung, philosophische Uberzeugung sei. Wir nehmen sie alle mit derselben Bereitwilligkeit auf: Gläubige und Atheisten, Gemäßigte und Revolutionäre, Gelehrte und Tatmenschen. Wir wollen das ,Einigungszentrum' sein." Diese Geheimgesellschaft, die seit 250 Jahren besteht, hat es fertiggebracht, die Gesellschaft zu entchristlichen, die katholische Kirche auf den Rang einer einfachen Konfession unter anderen herabzudrücken, die überkommenen Einrichtungen der weltlichen Staaten zu zerstören und an ihre Stelle den permanenten Parteienkampf zu setzen. Es liegt auf der H a n d , daß sich in einer Gesellschaft, wie sie heute ist, die Stellung der Freimaurerei zu der nach und nach von deren Ideen „besetzten" Kirche verändert. Doch auch die besiegte Feindin betrachtet sie, wie man an der Rede des Großmeisters Zeller feststellen kann, noch mit einem Rest Mißtrauen. „Jahrhundertelang war die Kirche eine furchtbare Macht der Reaktion. Die Maurerei hat sich ihr entgegengestellt. Sie hat gut daran getan. Ihr wirksames Eingreifen, vor allem unter dem Ministerium unseres Bruders Emile Combes zur Zeit der Tren-
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nung von Kirche und Staat, hat Frankreich zweifellos vor dem Schicksal Spaniens und Portugals bewahrt. Manche Gläubige haben versucht, den Katholizismus in einem seiner christlichen Botschaft besser angepaßten Sinn zu entwickeln^). Wir begrüßen den Mut und den Glauben dieser Menschen, lehnen es jedoch ab, uns in die Angelegenheiten der Kirche zu mischen, bedeutet doch der Klerikalismus schließlich keine wirkliche Gefahr mehr . . ." Anders ausgedrückt, die Freimaurerei fürchtet die Kirche nicht mehr und hat nicht einmal den Wunsch, sich „in ihre Angelegenheiten zu mischen". Die Erledigung der alten Gegnerin überläßt sie den von ihr gesäten modernistischen Ideen. — Doch das ist menschlich gedacht; der Heilige Geist ist auch noch da; das Spiel ist nicht zu Ende. Die Freimaurerei unterläßt es nicht, ihren Sieg auf spektakuläre Weise zu verkünden, so etwa bei dem Auftreten Mgr. Pezerils, des Auxiliarbischofs von Paris, im Juni 1971 in der Grande Loge von Frankreich: „Es war das erste Mal seit der Französischen Revolution, daß ein amtierender Bischof offiziell von einer maurerischen Loge empfangen wurde" 1 8 4 . Und Mgr. Pezeril war vom Großmeister Simon eingeladen worden, dem Mann, der die empfängnisverhütende Pille durchgesetzt hat! Derartige Situationen gab es aber nicht nur in Frankreich. Selbst in Rom kündigte der Großmeister der italienischen Großloge Lino Salviani unter Garantie von kompetenter Seite an, daß das neue Kirchliche Gesetzbuch „die Exkommunikation der Freimaurer aufheben wird". Ein Zeichen für die Evolution der Kirche auch in Italien, bemerkte „Le Monde" am 21. September 1973, war die feierliche Bestattung von General Enzo Garibaldi, dem Enkel der „großen Garibaldi" und hohen Würdenträger (33. Grad) der Großloge vom Schottischen Ritus, in der Basilika Santa Maria dei Angeli, Piazza del Gesü. Eine derart öffentliche religiöse Zeremonie zu Ehren eines notorischen Freimaurers wäre einige Jahre früher undenkbar gewesen. Unzählige kleinere Fakten unterstreichen die fortschreitende Besetzung der Kirche. So wurde zum Beispiel am 28. November 184
Ebd., 11. Sept. 1973.
Die Verschwörung der Meister
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1974 in der Kirche „des Billetts" in Paris eine maurerische Musik von Mozart aufgeführt 1 8 5 . So ließ Mgr. Riobe, Bischof von Orleans, eine Messe f ü r die Seelenruhe Salvador Allendes lesen, der ein hoher Würdenträger der südamerikanischen Maurerei war, was die „Aurore" veranlaßte zu schreiben: „Die alten philosophischen Spaltungen sind im Begriff, in die Luft zu fliegen." Was schlägt die Freimaurerei nun der Kirche vor? Der Großmeister der Grande Loge, Simon, machte beim Konvent von 1974 die Enthüllung: „Wenn die Soziologen heute im Jahr 1974 verkünden, daß die Stunde der kollektiven Einsicht gekommen ist, antworten die Freimaurer: Die kollektive Einsicht ist das, was wir die Loge nennen. Wir haben 250 Jahre gebraucht, um das Werkzeug zu schmieden, das wir heute einer bedrohten Menschheit zur Verfügung stellen . . . Unsere Obödienz gedenkt, an der von manchen so genannten ,Verschwörung der Meister' aktiv teilzunehmen. Wenn wir auch zugeben, daß nicht alle Meister Freimaurer sind, so behaupten wir jedenfalls, daß der symbolische W e g immer noch der privilegierte W e g ist, um zur Initiationsaskese zu kommen. Was ist also ein Meister im Jahre 1974? Er ist nicht unbedingt ein Mensch, der behauptet, zu wissen, sondern einer, der die Zugangswege zur Erkenntnis besitzt." „Von dieser ,Verschwörung der Meister' sind die Kirchen nicht ausgeschlossen" 186 . Der römisch-katholischen apostolischen Kirche Jesu Christi, die seit zweitausend Jahren verkündet, die geoffenbarte Religion zu sein, wird ein Sitz im Areopag der Meister angeboten, wenn sie nur ein wenig bereit ist, sich einweihen zu lassen! Und Rom rührt sich nicht, schleudert keine seiner großartigen Enzykliken zur Verteidigung der einzigen Wahrheit dagegen, wie es das im Laufe der Jahrhunderte getan hat! P. Riquet erklärt in dem berühmten „Figaro", der Zeitung des Geschäftsbürgertums, seine Bereitschaft, den Dialog mit dem Großmeister der Grande Loge zu beginnen, „einen ernsthaften Dialog in gegenseitigem Respekt vor Glauben und Überzeugungen des anderen". Und er wartet nicht einmal die Antwort der Loge ab, um zu versichern, daß es „einem Katholiken 185
Le Figaro, 28. 11. 1974.
186
Aspects de la France, 27. 3. 1975.
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nicht verboten ist, sich eine gültige (sie) Erklärung geben zu lassen, daß er sich durch seine Zugehörigkeit zur Grande Loge de France nicht zum Komplizen von, noch solidarisch mit einem kirchenfeindlichen Unternehmen macht. Daraus könne er schließen, daß er nicht von der Exkommunikation betroffen sei, die nach Kanon 2335 den gegen die Kirche und die legitimen bürgerlichen Gewalten Komplotte schmiedenden Gesellschaften gilt. . . Ich sehe darin kein Geheimnis und mache auch keines daraus" 187 . Der Großmeister der Grande Loge stürzt sich sogleich auf die Bruchstellen in dem Gedankengang von P. Riquet. Er erklärt sich über dessen Ausführungen sehr befriedigt, denn er sieht darin „die Anerkennung der Tatsache des Nichtglaubens, d. h. also die Pluralität der Wahrheit". So liefert der Jesuit Riquet die katholische Wahrheit dem Großmeister der Grande Loge aus. Wahrlich ein erstaunliches, unglaubliches Schauspiel! Die Dialektik des P. Riquet überrascht den Historiker ebenso wie den Theologen 1 8 8 . Nach ihm „liegt der Ursprung der jetzigen Freimaurerei bei den Zünften der Steinmetze, der Erbauer der Kathedralen. Von ihren Statuten und ihren Einweihungsriten haben sich die Logen inspirieren lassen, deren Zusammenschluß im Jahr 1717 die Großloge von London, später von England geschaffen hat." Ich habe bereits im 5. Kapitel hervorgehoben, daß kein Papst jemals eine Sonderform der Zünfte der Kathedralenbauer verurteilt hat, die im 18. Jahrhundert entstanden wäre. Alle Päpste sprachen von einer neuen Sekte, die 1717 unter dem Namen Freimaurerei als geheime philosophische, dem Katholizismus feindlich gesonnene Denkgesellschaft auftrat. Die freimaurerischen Riten sind übrigens bei weitem nicht alle dem Maurerhandwerk entnommen. Es gibt darunter gnostische, jüdische, templerische, rosenkreuzerische, kabbalistische und magische Riten. Pater Riquet jedoch weiß nichts davon oder gibt vor, nichts zu wissen. Für ihn „hat sich die Großloge von England seit zweihundert Jahren ständig befleißigt, die Prinzipien ihrer ersten Gründer zu bewahren. Sie unterhält Be187
Aspects de la France, 27. 3. 1975.
188
Le Figaro, 18. 2. 1975.
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Ziehungen nur mit den nationalen Großlogen, die ebenso treu an diesen ,Landmarken' festhalten, diesen Fixpunkten, durch welche die maurerische Tradition authentisch definiert wird: zuerst und vor allem der Glaube an ein Höchstes Wesen, den Großen Architekten des Universums, dann die Bibel als das ,Heilige Gesetzbuch', das in den Logen aufgeschlagen daliegen muß und auf welches jeder Kandidat sein Versprechen zu leisten hat, es sei denn, daß ein anderes seinem speziellen Glauben entsprechendes Buch — der Koran, der Zend-Avesta oder die Gesetze des Manu* — seinem Versprechen einen sakralen Charakter zu geben vermag." Und der Jesuit Riquet zuckt nicht zusammen vor dieser versenkbaren Bibel, die man nach Belieben mit dem Koran, dem Zend-Avesta oder den Gesetzen des Manu vertauschen kann, um den Profanen beim Eintritt in die Loge den Eid auf das maurerische Geheimnis leisten zu lassen. Man versteht nun, daß der Meister Oswald Wirth, ehrlicher als der Jesuit, in „L'Ideal Maçonnique" schreibt 189 : „Die Freimaurerei hütet sich wohl, den ,Großen Architekten' näher zu erklären; sie läßt jedem ihrer Adepten allen Spielraum, sich davon gemäß seinem Glauben und seiner Philosophie eine Idee zu machen." Uns zeitlich schon ganz nahe bestätigte die offizielle Zeitschrift des Grand Orient „Humanisme" vom Juni 1976: „Das Dogma von der Gottheit verpflichtet, an einen persönlichen Gott zu glauben, der durch Moses oder den heiligen Paulus, durch Mohammed oder Luther mit Autorität gelehrt wurde, während das Symbol des Großen Architekten, das für uns das Zeichen des Schöpfergottes der Bibel ist, für andere die pantheistische Gesellschaft Indiens, der Stoiker oder Spinozas, die endliche Gottheit von William James, das große Wesen August Comtes oder die ideale Weisheit darstellen kann. Etwas bescheidener könnte es sogar die Energie bedeuten, die die Wissenschaft erforscht." „Der Große Architekt des Universums, den die Freimaurer bekennen", sagt der Br. •. Maréchal 190 , „ist vor allem ein Symbol, und wie alle freimaurerischen Symbole kann es mehrere 189
Revue Internationale des Sociétés secrètes, 1934, S. 359.
190
S. Hutin, a. a. Q, S. 82.
* Gesetzbuch der Brahmanen.
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Erklärungsmöglichkeiten in sich vereinigen. Der Große Architekt des Universums ist auch der Mensch, der nach und nach die Gesetze des Kosmos entdeckt, die Naturkräfte bändigt und sie seinen Zwecken dienstbar macht." Diese Vorstellung von dem Großen Architekten des Universums hat man „verglichen mit den Bemühungen eines Teilhard de Chardin, zu zeigen, daß Gott, wenn er als Unerkennbarer präexistiert, sich für den Menschen in seiner Gravitation zum Geist hin verwirklicht" 191 . Was bemerkenswert an diesen „Bemühungen" ist: daß sie alle den Christen zur Loge hintreiben, niemals aber den Freimaurer zur Kirche her! Aber P. Riquet hat nichts gelesen oder versteht nicht zu lesen. Er legt großen Wert auf seinen Großen Architekten und auf seine „Landmarken"! Er schreibt: „Da der Grand Orient von Frankreich auf diese wesentlichen Bedingungen verzichtete, beschloß die Großloge von England im Jahre 1877 die Beziehungen abzubrechen, die bis dahin den Freimaurern des französischen Grand Orient gestattet hatten, in allen von der Mutterloge in London anerkannten regulären Logen als Brüder empfangen zu werden. Es ist ein unbestreitbares Faktum, daß im 19. Jahrhundert die Logen des Grand Orient in Frankreich, Belgien, Spanien, Italien sich einer politischen Aktion zuwandten, die sich immer feindlicher gegenüber der Kirche und dem Papsttum entwickelte. Aufgrund dieser Tatsachen hatte die katholische Kirche 1917 in ihrem neuen Kirchlichen Gesetzbuch die im 19. Jahrhundert von Gregor XVI., Pius IX. und Leo XIII. formulierte Zensur gegen diejenigen aufrecht erhalten, die ,einer maurerischen oder anderen Sekte anhängen, welche Komplotte gegen die Kirche und gegen die legitimen bürgerlichen Gewalten schmiedet' (can 2335). Diese Exkommunikation trägt in ihrer Allgemeinheit nicht dem tiefgehenden Unterschied Rechnung, der in der T a t zwischen der ,traditionellen' Freimaurerei, die sich jede feindliche Tätigkeit gegen welche Kirche auch immer untersagt, und jener besteht, die im Fahrwasser des Grand Orient von Frankreich oder desjenigen von Italien ein Herd von Machenschaften gegen die Kirche gewesen ist." 191
H. de Thier, a. a. O., S. 82.
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Der Jesuit Riquet ist ein Betrüger. Die Verurteilung der Freimaurerei datiert nicht vom 19. Jahrhundert oder von der Verabschiedung des Großen Baumeisters des Universums durch den Grand Orient; sie datiert vom Anfang eben dieser „traditionellen" Freimaurerei, nämlich der 1717 in London gegründeten. Es sind nicht die „Abweichungen", die Papst Klemens XII. und seine Nachfolger verurteilen, sondern die Urprinzipien, wie sie in den „Landmarken" und den „Konstitutionen" Andersons enthalten sind. Das hindert nicht, daß sich die ganze Kampagne der Modernisten für die Aufhebung der Verurteilung der Freimaurerei um diesen Betrug dreht. Er muß von den Jesuiten ausgeheckt worden sein, denn am 19. Oktober 1974 gebrauchte P. Caprile in der „Civiltä Cattolica" dieselben Lügenargumente: „Nicht allein bei den Katholiken, sondern auch innerhalb der Freimaurer stellt man den lebhaften Wunsch fest, zu den besseren und authentischeren Ursprungstraditionen zurückzukommen, die nichts mit den Anschuldigungen wegen Atheismus oder den unleugbaren Bekundungen eines solchen, mit einer systematischen Aversion gegen die Kirche etc. (seitens gewisser abgewichener, wenn auch zahlenmäßig unbedeutender Gruppen) zu tun haben." Die Bekundungen „systematischer Aversion gegen die Kirche", von denen P. Caprile spricht, hatten einen Daseinsgrund nur insofern, als die Kirche die Freimaurerei nach dem W o r t Pius' XII. als „gemeinsame Mutter" der zeitgenössischen Häresien brandmarkte. Gegen eine „besetzte" Kirche, die weithin von den Ideen des Jahrhunderts, d. h. den durch die Freimaurer-Intelligentsia aufgezwungenen Ideen besetzt ist, brauchten die Freimaurer keine „systematische Aversion" mehr zu haben, weil sie Komplizenschaft, Wohlgefallen und geistige Verwandtschaft im Innern der Kirche selbst vorfanden. Daher das Angebot „eines Sitzes im Rat der Meister". Das geht sehr weit. Es ist die berühmte Vision des Br. •. Corneloup: „Um einen zentralen Hof hat ein Architekt die Tempel für alle Religionen gebaut. In der Mitte unter einer zum Zenit weit geöffneten Kuppel ein ganz einfacher Sockel. Auf dem Sockel wächst ein blühender Rosenstrauch zum Himmel empor. Die Menschen kommen zum Gebet in den Tempel ihrer Wahl. Nach dem Gebet gehen sie in den Hof und mischen sich
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unter die anderen, auch unter jene, die nicht in irgend einen Tempel eingetreten sind. Und sie alle, ohne daß sie irgend etwas von ihrem Glauben, ihren speziellen Glaubensvorstellungen aufgegeben hätten, vereinen sich in der Bewunderung, der Ehrfurcht und der Liebe für die Rose, das Emblem des Lebens" 192 . Was trotzdem beunruhigend ist! Um so mehr, als sich diese Vision schon in den Reden eines hochinitiierten Freimaurers des 19. Jahrhunderts findet, nämlich von Crémieux, der 1861 erklärt: „Ein Messianismus der neuen Zeit muß anbrechen und sich entfalten. Ein Jerusalem neuer Ordnung muß das Rom der Cäsaren und das der Päpste ablösen. Das ist das Ziel der universalen israelitischen Allianz. Sie richtet sich nicht allein an unseren Kult, sondern will alle Religionen durchdringen "193. Der Jesuit Caprile beeilt sich, zum Schluß zu kommen: „Was wir heute von der Freimaurerei wissen, erlaubt nicht länger, sie unterschiedslos anzuklagen noch ihr den Prozeß zu machen, indem man sich auf Gemeinplätze stützt ( . . . ) . Heute gibt man zu, daß — zum mindesten bei Anrechnung der konkreten Bedingungen unserer Zeit — maurerische Vereinigungen existieren können und existieren, die in keiner Weise gegen die Kirche und gegen den Glauben ihrer katholischen Mitglieder konspirieren. Von nun an kommt es den einzelnen Bischofskonferenzen zu, ein Urteil zu fällen über die verschiedenen Typen der Freimaurerei und deren effektive Haltung gegenüber der Kirche." Diese Haltung ist in keiner Weise ein Maß für die Schädlichkeit oder Unschädlichkeit der Freimaurerei. Sie dient lediglich zur Bemessung des Grades von Widerstand, den der Vatikan den seit ihrer Formulierung im 18. Jahrhundert als falsch und gefährlich erkannten Ideen der Freimaurerei entgegengesetzt hat. Es ist evident genug, daß diese Ideen in dem Maße, als sie die bürgerliche und zum großen Teil auch die kirchliche Gesellschaft erobert haben — was der Jesuit Caprile verschämt als „die konkreten Bedingungen unserer Zeit" bezeichnet —, als ganz normal und gewöhnlich gelten. Aber kann eine falsche und verderbliche Idee wahr und ungefährlich werden nur durch 1.2
S. Hutin, a. a. O., S. 28.
1.3
Revue Internationale des Sociétés secretes, 1922, S. 213.
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die Wirkung der Zeit? Das soll uns der Jesuit Caprile vordemonstrieren. Und voller Eile, diese maurerische Angelegenheit zu liquidieren, kommt er zu dem raschen Schluß: „Wie sollen sich jene verhalten, die bis jetzt als exkommuniziert betrachtet wurden allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Freimaurerei? Niemand kann in seinem Gewissen und in aller Loyalität besser als sie urteilen über die Natur und die Tätigkeit des freimaurerischen Kreises, dem sie angehören. Wenn ihr katholischer Glaube darin nichts systematisch Feindliches, Organisiertes gegen die Kirche, ihre Lehr- und Moralgrundsätze findet, so können sie darinbleiben. Sie brauchen nicht mehr als exkommuniziert angesehen werden (. . .). Sie können die Sakramente empfangen und voll am Leben der Kirche teilnehmen. Sie bedürfen keiner besonderen Absolution von der Exkommunikation. (. ..). Es erscheint nicht als notwendig, daß sie sich in der Beichte über ihre bisherige Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die — dies einmal angenommen — nicht unter die Exkommunikation fällt, anklagen." Die Freimaurer beobachten diese Kapitulation ihrer alten Feindin und analysieren die Situation fehlerfrei: Der Br. •. Charles Riandey, Großkommandeur des Obersten Rates des Alten und angenommenen schottischen Ritus in Frankreich, schreibt in seinem Vorwort zu „L'Oecuménisme vu par un franc-maçon de tradition""" von Yves Marsaudon: „In dem Maße, als die Evolution sich beschleunigt, die die heutige Welt einem vor kurzem noch unvorhersehbaren Geschick entgegentreibt, drängt sich uns die Enge aller spirituellen, kulturellen, wissenschaftlichen, sozialen und ökonomischen Rahmen auf, die bis zu unserer Epoche die Ideen und die Handlungen bestimmt haben. Zum Teil sind diese Rahmen schon gesprengt. Die päpstlichen Initiativen haben dazu beigetragen. Wir sind überzeugt, daß sie noch ganz zerstört werden" 194 . Die Freimaurer können die Kapitulation der postkonziliaren Kirche leicht dick unterstreichen; der selbstmörderische Wahnsinn steigert sich immer mehr. Im Februar 1975 dekretieren die katholischen Bischöfe von England und Wales, daß ein „Katho194
Permanences, Febr. 1975.
* Der Okumenismus aus der Sicht eines traditionellen Freimaurers.
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lik, der aufrichtig glaubt, seine Zugehörigkeit zur Freimaurerei gerate nicht in Konflikt mit seiner Treue zur katholischen Kirche, in Verbindung mit einem Bischof treten kann, um die "Weiterungen dieser Mitgliedschaft zu besprechen" 195 . Indessen wünscht P. Riquet zur Erleichterung seiner Aufgabe eine Geste, ein Wort von Seiten der Führung der Freimaurerei. Aber er erreicht nicht nur nichts, sondern der Großmeister Simon, der Mann der Pille, antwortet kalt das Folgende: „Die Grande Loge ist der Kirche keine Rechenschaft schuldig. Da sie sich wie alle regulären maurerischen Obödienzen der Welt an die Anderson-Konstitutionen hält, steht sie über den Religionen (. . .). Diese Unabhängigkeit der Freimaurerei hinsichtlich der römisch-katholischen Kirche, wie übrigens jeder Kirche, wurde soeben in gleicher Weise vom Generalsekretär der vereinigten Großloge von England festgestellt" 196 . Der Anspruch der Freimaurer, „über der Religion zu stehen", verdrießt den Jesuiten Riquet nicht, und kriecherisch versteift er sich und sagt: „Indem der derzeitige Großmeister Mgr. Pezeril einlud, am Sitz seiner Obödienz zu sprechen, bekundete er seinen aufrichtigen Wunsch, mit der Kirche zu einem ,seriösen Dialog' zu kommen — in gegenseitigem Respekt vor Glaube und Überzeugung des anderen. Es ist einem Katholiken nicht verboten, darin eine gültige Zusicherung zu finden, daß seine Zugehörigkeit zur Grande Loge von Frankreich ihn nicht zum Komplizen eines kirchenfeindlichen Unternehmens noch damit solidarisch macht. Er konnte also daraus schließen, daß ihn die Exkommunikation nicht mehr betrifft, die vom Kanon 2335 für Vereinigungen bestimmt ist, ,die Komplotte gegen die Kirche und die legitimen Gewalten schmieden'. Ich sehe darin kein Geheimnis und mache auch keines daraus" 197 . Dabei wird vergessen, daß man gegen die christliche Gesellschaft durch Ideen ebenso konspirieren kann wie durch Taten. Als sich Mgr. Pezeril in die Grande Loge begab, stellt ihm ein Freimaurer diese Frage: „Bin ich exkommuniziert?" 195 196 197
Le Figaro, 8. 2. 1975. Le Monde, 15. 3. 1975. Ebd.
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Worauf der Bischof antwortete: „Im Moment, wo sie diese Frage stellen, betrifft das Interdikt sie nicht." Also ganz so, als sei die Exkommunikation aufgehoben. Es wird versichert 198 , daß die Gläubigen, die ihre Priester befragen, bevor sie in die Loge eintreten, von ihnen an P. Riquet verwiesen werden, der sie berät. Eine unerwartete Folge davon geht aus dieser Notiz in der „Aurore" hervor: „Man kann nicht sagen, daß die maurerischen Würdenträger alle die Tätigkeit dieses Ordensmannes, der die Weichenstellung an der Tempeltür kontrolliert, sehr zu schätzen wüßten" 199 . Indessen ist die Angelegenheit mit Rom noch nicht geregelt. Man kann sich denken, daß Widerstände den Vormarsch der Modernisten behindern. P. Riquet faßte die Situation im April 1975 wie folgt zusammen 2 0 0 : „In einem Brief vom 19. Juli 1974 an Kardinal Krol, den Präsidenten der Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten, informiert Kardinal Seper als Präfekt der Glaubenskongregation diesen, daß zufolge einer ausführlichen Befragung der betroffenen Bischofskonferenzen über dieses Problem ,die große Mannigfaltigkeit der Antworten, die die Verschiedenheit der Situation in jedem Land zeigt, es dem Heiligen Stuhl nicht erlaubt, die allgemeine Gesetzgebung zu ändern, die in Kraft steht und bis zur Veröffentlichung des neuen Kirchlichen Gesetzbuches durch die mit seiner Revision beauftragte Kommission in Kraft bleibt. ,Es ist nämlich möglich, daß Kanon 2335, der die Mitgliedschaft in einer maurerischen Sekte betrifft, in diesem neuen Gesetzbuch nicht mehr erscheinen wird.' Dieser Aussicht fügt der Kardinal eine wichtige Erklärung bei: ,Was den einzelnen Fall betrifft, darf man nicht vergessen, daß das Strafrecht im engen Sinn zu interpretieren ist. Deshalb kann man in aller Sicherheit die Meinung der Autoren lehren und anwenden, die dafür halten, daß dieser Kanon 2335 nur die Katholiken betrifft, die wirklich gegen die Kirche konspirieren.' 1,8 199 200
L'Aurore, 14. 3. 1975. Ebd. Le Monde, 17. 4. 1975.
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Sobald eine maurerische Loge sich ausdrücklich jede feindliche Tätigkeit gegen die Kirche versagt, kann also gesagt werden, daß die Katholiken, die ihr angehören, nicht mehr ipso facto von der Exkommunikation durch den Kanon 2335 betroffen sind. Man kann sich auf die Meinung von P. Bayer, des Dekans der juristischen Fakultät der Gregoriana in Rom beziehen: ,Die Einschreibung in eine nichtsektiererische Loge, die nicht antichristlich ist, kann vom kirchenrechtlichen Standpunkt keine Strafe implizieren. Um eine Exkommunikation kann es sich nur handeln, wenn diese Mitgliedschaft sich auswirkt in Untreue gegen Gott, Aufgeben des Glaubens an Christus, Gefahr, ihn zu verlieren, Unmöglichkeit, den Glauben an die Kirche zu bekennen. Eine Mitgliedschaft, die nicht zu solchem führt, kann also keine Exkommunikation mit sich bringen. Und nichts hindert den Maurer, der sich in dieser Lage befindet, die Sakramente zu empfangen'" 2 0 1 . P. Riquet atmet auf. „Die Kirche nach dem II. Vatikanum ist also nicht mehr ganz jene Kirche des Syllabus und der Inquisition, welche die Reaktionen der Freimaurer jener Zeit hervorrief. Wenn die Kirche den Klerikalismus verwirft und ihren Willen kundtut, die Menschenrechte einschließlich der Religionsfreiheit zu befördern, welcher Grund bleibt dann noch für den einstigen Antiklerikalismus?" Augenscheinlich keiner mehr! Die Freimaurer legen dennoch die Waffen nicht nieder. Ohne Zweifel erkennt der Großmeister des Grand Orient Jacques Mitterrand an: „Es hat sich einiges in der Kirche geändert . . . Die päpstlichen Antworten auf die brennendsten Fragen wie den Zölibat, die Geburtenkontrolle werden in der Kirche heftig bestritten. Das Wort des Papstes wird von gewissen Bischöfen, Priestern und Gläubigen in Frage gestellt . . . Die Neigung dieser Katholiken zur Infragestellung und Befreiung verfehlt zwar nicht, bei den Freimaurern Sympathie hervorzurufen . . ., aber zwischen dieser und der Möglichkeit, daß irgend ein Kirchenfürst in einer Loge empfangen würde und dem Gedanken Raum schaffen könnte, daß ein offizieller Dialog möglich ist, besteht noch eine unpassierbare Grenze." Man muß bis zum Ende gehen: bereit sein, die Dogmen zu 201
Ebd.
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diskutieren, dann allerdings ja, denn „für den Freimaurer ( . . . ) ist ein Mensch, der das Dogma diskutiert, bereits ein Freimaurer ohne Schurz"101. „Wenn ein Mensch seine Glaubensvorstellungen als Dogma betrachtet, kann er niemals in Freiheit Zeugnis geben (. . .). Die Freimaurer verurteilen die religiösen Wahnideen und stellen sie mit jeder anderen Wahnidee auf die gleiche Stufe der Zerstörung der Freiheit (...)• I m Namen der Rechte des Kindes (. . .) verurteilen die Freimaurer des Grand Orient die religiöse Schule, die das Kind dem Dogma unterwirft, und verteidigen die laizistische Schule, die durch ihren Unterricht bei dem Kind die geistige Befreiung vorbereitet. ( . . . ) . Als eine Denk- und Aktionsgesellschaft kennt die Obödienz oder die Loge kein Tabu, und es gibt kein Problem, das von irgend einem Verbot getroffen werden könnte" 203 . In dieser Angelegenheit sind die Freimaurer viel klarer als die modernistischen Katholiken. Sie folgen der Logik ihrer Prinzipien, jene tun es nicht. Man erlebt manchmal Verblüffendes. Nachdem die konziliare Kirche ihre ganze Symbolik beseitigt hat, will sie nun in der freimaurerischen Symbolik eine „Vertiefung des Glaubens" erblicken. Ich erfinde nichts. Ein belgischer Priester namens de Thier schreibt wörtlich: „So erstaunlich es erscheinen mag: Die Freimaurerei als Schule des Symbols — des Symbols, das in der postkonziliaren Kirche so bedroht ist — könnte bei manchen Menschen einer Vertiefung des Glaubens dienlich sein" 204 . Im September 1972 erfuhr man, daß der Ritus der Weihe einer Kirche „vereinfacht" worden ist, namentlich die Gebete des Exorzismus wurden abgeschafft. Sind wir bereits bei dem angelangt, was Pius IX. mit einem so starken Wort „die Synagoge Satans" nannte? „Wenn das die Sünde Luzifers ist, den Menschen anstelle Gottes auf den Altar zu erheben", schrieb, wie gesagt, der ehemalige Großmeister des Grand Orient Jacques Mitterrand, „dann begehen alle Humanisten von der Renaissance an diese Sünde. Dies war einer der Beschwerdepunkte gegen die Frei202
J. Mitterrand, a. a. O., S. 1 8 7 - 1 8 9 .
203
J. Mitterrand, in Humanisme, März 1975.
204
H. de Thier, a. a. O., S. 82.
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maurer, als sie im Jahre 1738 durch Papst Klemens XII. zum ersten Mal verurteilt wurden." Behalten wir diesen Text im Auge, er ist fundamental! Die Freimaurerei macht sich „die Sünde Luzifers" zu eigen. Warum plötzlich dieses Eingeständnis? Wird sich die Kirche nun nicht darüber hermachen? Wird sie diese satanische Gegenkirche anprangern, die darangeht, die Christenheit umzustürzen? Nein, nichts geschieht! Absolutes Schweigen aus Rom auf diese Proklamation, daß Gott durch den Menschen ersetzt wurde. Der Großmeister bestätigt es uns: Die Kirche ist im Begriff, ihren Charakter zu ändern: „Zwischen der Politik Pius' XII. und der seiner Nachfolger besteht ein kapitaler Unterschied. Der Wille, die Mächte um Rom herum zu versammeln, ist geblieben, aber sein moralischer, philosophischer, politischer und gesellschaftsbildender Inhalt ist ein anderer. Indem sie dies tut, ist die Kirche in sich selbst folgerichtig, denn in einer Zeitspanne von dreißig Jahren hat sich das Gemeinwohl, wie sie es versteht, aufgrund der Umstände geändert. Bei Pius XII. hatte das Gemeinwohl einen reaktionären, quasi faschistischen Charakter. Bei Johannes XXIII., namentlich dann bei Paul VI. hat das Gemeinwohl einen ausgesprochen progressistischen Charakter. Die Kräfteverhältnisse in der Welt haben sich geändert, und die Kirche hat das zu berücksichtigen gewußt." „Trotz seiner Schwächen, trotz seiner Anhänglichkeit an eine ganze knechtende Vergangenheit, die es in keinem seiner Texte verleugnet hat, wurde das Konzil stark von einer modernistischen Welle erfaßt, die manchmal von fast einem Fünftel der Konzilsväter unterstützt wurde. Die Zeiten waren vorbei, da die Kirche ihr Anathema auf den Protestantismus, den Liberalismus, den Modernismus schleudern, da sie Kommunisten und Freimaurer mit der Exkommunikation treffen und so gleichzeitig den Geist der Revolution wie das Recht auf freie Kritik und eigenmächtiges Urteil anschwärzen konnte. Es hat sich etwas geändert in der Kirche . . ." Auf dem Konvent des Grand Orient von 1976 legt der Großmeister Behar die Position der Freimaurerei hinsichtlich der „ Ö f f n u n g zur Welt" in der postkonziliaren Kirche sehr gut dar:
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„Gegenüber dem Apparat der katholischen Kirche, der durch den Sturzbach der wissenschaftlichen und politischen Entwicklung und durch jene neuerlichen gefährlichen und jammervollen Spaltungen aus dem Geleise geraten ist, ist die Haltung des Grand Orient von Frankreich, der z. B. in der Liberalisierung, der Empfängnisverhütung und der Abtreibung eine bedeutende Rolle gespielt hat, auf die Zukunft hin offen. Aber wir haben ein wachsames Auge auf die Versuche der katholischen Kirche, die Freimaurerei Frankreichs und der Welt in gute und böse Freimaurer einzuteilen. Wir sind keine Bittsteller in bezug auf einen gewissen diskriminierenden Kanon" 2 0 5 . Im Sommer 1976 lief in Rom ein Gerücht um: Zahlreiche Priester und Bischöfe seien Logenmitglieder. Eine italienische Zeitschrift, „II Borghese", schrieb, die Zahl der Kleriker, die Mitglieder der Loge seien, sei „weit größer als die der namentlich als Logenmitglieder bekannten. Wir besitzen darüber eine detaillierte Liste mit Datum und Nummer der Einschreibung und den Anfangsbuchstaben. Derartige Listen sind auch im Besitz hoher vatikanischer und anderer kirchlicher Persönlichkeiten. Wir wissen auch, daß eine geheime Untersuchung begonnen wurde, um die Verursacher dieser undichten Stellen herauszufinden." Unter den genannten Namen figurieren u. a. Kardinal Pellegrino, Erzbischof von Turin, der seit dem 2. Mai 1960 Freimaurer sei, und Kardinal Poletti, Vikar von Rom (11. Februar 1969). Aus der Umgebung des Papstes wurde hauptsächlich sein Privatsekretär Pasquale Macchi genannt, der am 23. April 1958 eingeweiht worden sei, als er noch der unbekannte Sekretär des zukünftigen Papstes Montini, des Erzbischofs von Mailand war. Der peinlichste Fall war der von Mgr. Bugnini, der von Tito Casini in seinem Buch „Nel fumo di Satana" (Im Rauch Satans) als Freimaurer denunziert wurde. P. Bruckberger erzählt die Affäre folgendermaßen: Als die Anklage bekannt wurde, ärgerte das den Vatikan erheblich, da Bugnini der Urheber der so umstrittenen postkonziliaren Liturgiereform gewesen war. „Was macht der Papst?" schrieb P. Bruckberger, „wird er einen Freimaurer auf einem Schlüssel205
Humanisme, Sept. 1976.
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posten in der Kirche belassen? Unmöglich. Man muß Bugnini feuern! Bugnini wurde also von heute auf morgen gefeuert. Wird er nun für sein mörderisches Werk bestraft? Wird er von seinen heiligen Funktionen suspendiert, von denen man mit Grund annehmen kann, daß er sie in sakrilegischer Weise ausgeübt hat? Wird er exkommuniziert? Nicht im allergeringsten! Er wird zum Pronuntius im Iran ernannt, vertritt also dort den Papst und die katholische Kirche." Schließlich erlebte man einen ganz ungewöhnlichen Auftritt: Der Vatikan dementiert, daß Paul VI. Freimaurer sei. Die Freimaurer, in Verlegenheit geraten, wußten nicht recht, wie reagieren. Als erstes liefen sie zum Vatikan um Hilfe, und die „Aurore", die gerne den Sprecher der Loge und der Synagoge macht, versicherte kühn, daß es keine Freimaurerprälaten mehr gebe . . . seit Karl X. Aber kaum eine Woche später brachte die Zeitung von der Rue de Richelieu die Enthüllung, daß Kardinal Danielou, der unter seltsamen Umständen verstorben war, die Grande Loge de France frequentiert habe. Man habe ihn dort mit dem Großmeister der Obödienz in der Krypta der von den Freimaurern in Besitz genommenen alten Kirche Rue Puteaux gesehen. Der „Express" wiederum gestand seine Beunruhigung über die Enthüllungen maurerischer Infiltrationen in der Kirche: „Diese Ungeschicklichkeiten sind gefährlich, sie kompromittieren den Beginn eines Dialogs zwischen der Kirche und der Freimaurerei." Ein weiterer Artikel im „Borghese" berichtet, daß in einem der bedeutendsten römischen Institute vor einigen Monaten ein Vortrag über Liturgie stattgefunden habe, bei dem Mgr. Annibale Bugnini der Redner gewesen sei. Unter den Anwesenden figurierten Mitglieder der römischen Kurie, Vertreter religiöser Orden und Persönlichkeiten der römischen Laienwelt. Das Auditorium war der Bugninischen Liturgiereform keineswegs günstig gesonnen, und ein Dominikanerpater machte sich indiskret daran, den vom Redner mitgebrachten Akt durchzublättern. Er stieß auf einen Brief eines hohen Würdenträgers der Freimaurerei, der an seinen B r . B u g n i n i ! adressiert war. Von da an begannen die Gerüchte über die Zugehörigkeit Bugninis zum Grand Orient zu kursieren. Nach und nach überschlug sich das Gerede; Dokumente kamen in die H ä n d e der „Traditionali-
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sten" und ein voluminöser Akt über Mgr. Bugnini und seine Beziehungen zur Freimaurerei wurde Kardinal Seper, dem Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre, zugeleitet, der das explosive Dossier in die H a n d des Papstes legte. Bugnini wurde unmittelbar darauf von seinen Funktionen enthoben . . . und in den Iran geschickt, um den Papst zu vertreten. Seither kursieren noch weitere Dossiers hinter dem Bronzetor. Eines davon signalisiert, daß der Bischof von Orleans feierlich in der örtlichen Loge empfangen worden sei, wie Mgr. Pézéril in Paris. Der österreichische Kardinal König, in der Presse in Verdacht geraten, dementierte seine Zugehörigkeit zur Freimaurerei und verklagte den Herausgeber der Zeitung, die die Information gebracht hatte; doch als er erfuhr, daß dieser die Angelegenheit einem großen katholischen Rechtsanwalt übergeben hatte, habe der Kardinal seine Klage schleunigst zurückgezogen. In Rom, schrieb „II Borghese" weiter, spricht man von einer „Weißen Maurerei", die seit fünf Jahren unter dem rätselhaften Zeichen Acme existiere und die 120 Mitglieder zähle, zum größten Teil Kleriker. Es ist schwer herauszufinden, was an diesen Gerüchten wahr ist, aber ich weiß von einer hohen staatlichen Persönlichkeit, die, zur Abhaltung eines Vortrags im Grand Orient gedrängt, sich zunächst wehrte, jedoch zu einer Zusage genötigt wurde durch . . . Mgr. Pézéril und P. Riquet. Kardinal Villot seinerseits gab sich Mühe, seine Zugehörigkeit zur Freimaurerei durch einen Brief an H e n r y Coston, den Herausgeber der „Lectures Françaises", zu dementieren. Er ging sogar soweit zu sagen, daß er die Maßnahmen der Kirche gegen die Freimaurerei billige! Ich selbst erhielt einen sehr eigenartigen Brief von einem schweizerischen Freimaurer, dem Br. •. M. •. aus Ciarens, datiert vom 27. Dezember 1976. Dieser Br. •. schrieb, er freue sich, daß die Freimaurerei die „Sympathie intelligenter Kirchenmänner (sie)" gewinne, „die in der Freimaurerei und anderen Initiationsorden einen Weg sehen, ihren Glauben durch Kenntnis der Symbole zu festigen(!)". Ich hätte wahrscheinlich diesem Brief des Br. •. aus Ciarens keine große Bedeutung beigemessen, wenn ich nicht zu gleicher Zeit erfahren hätte, daß die für ihre maurerischen Neigungen
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bekannte „Tribüne de Lausanne" am 12. September 1976 einen Bericht über einen von Mgr. Pisoni, „Bischof von Mailand", in der Freimaurerloge von Lausanne „Esperance et Cordialité" gehaltenen Vortrag veröffentlicht habe 206 . Der Redner habe gesagt: „Papst Klemens XII. war krank, alt und fast blind, als er im Jahre 1738 den Text der Bulle mit der Exkommunikation der Freimaurerei approbierte ( . . . ). Ein Papst in vollem Besitz seiner geistigen und physischen Fähigkeiten würde niemals ein solches zweifelhaftes Dokument unterzeichnet haben." Und „Bischof" Pisoni habe seltsamerweise hinzugefügt, daß „seit Beginn des Jahrhunderts die Dinge sich geändert haben und daß es eine Ö f f n u n g der Kirche zur Freimaurerei gegeben hat". Diese Ö f f n u n g machte einen beträchtlichen Fortschritt im Jahr 1967, als der skandinavische Episkopat beschloß, daß Katholiken nicht mehr auf ihre Beziehungen zur Freimaurerei zu verzichten brauchten, „falls ihre Loge nicht das Christentum bekämpfe". Ein zweiter Hauptpunkt: der Brief des Heiligen Stuhls, der anno 1974 den gesamten Weltepiskopat bevollmächtigte, den Modus des skandinavischen Episkopates zu übernehmen. „Mit anderen Worten", kommentierte Mgr. Pisoni, „ist es heute durchaus möglich, der Freimaurerei anzugehören, ohne unter die kollektive Exkommunikation von einst zu fallen . . .". Mit diesem Mgr. Pisoni, „Bischof von Mailand", ist es eine merkwürdige Sache. Man braucht nur das Annuario Pontificio zu befragen, um festzustellen, daß der Erzbischof von Mailand Kardinal Colombo ist. Ein falscher Bischof also? Ein einfacher Monsignore? Die Angelegenheit ist nicht geklärt worden. Über alle diese Affären maurerischer Zugehörigkeiten in der Kirche breitet sich rasch ein seltsames Schweigen aus, sobald ein etwas konkreteres Gerücht sich zu verbreiten beginnt. Übrig bleibt der Artikel aus der „Tribüne de Lausanne". Ebenfalls aus Italien kam uns Ende 1976 eine sonderbare Nachricht. In Rom war soeben ein erstaunliches Buch erschie206
Itinéraires, Januar 1977.
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nen: „Les prophéties du pape Jean ou l'Histoire de l'Humanité de 1935 à l'an 2035" (Die Prophetien des Papstes Johannes oder die Geschichte der Menschheit vom Jahre 1935 bis zum Jahr 2035). Der Autor, Pier Carpi, für seine esoterischen Neigungen bekannt, erzählt darin, daß er bei seinen Nachforschungen in der Festung San Leone di Montefeltro in der Romagna, in der Cagliostro Ende des 18. Jahrhunderts gefangen war, die Bekanntschaft eines alten Rosenkreuzers gemacht habe, der ihm „Prophezeiungen" des späteren Papstes Johannes XXIII. mitgeteilt habe, die dieser 1935, als er apostolischer Legat in Griechenland und in der Türkei war, während dreier Versammlungen einer Geheimgesellschaft gemacht habe 207 . „Der Eingeweihte Roncalli" habe „Krieg, Revolutionen, Schismen, geistigen Niedergang und Aufstieg, das Erscheinen großer Mystiker, Verfolgungen und Triumphe vorausgesagt. Die Vereinigten Staaten würden als Präsidentin eine Frau haben, die die beiden Amerika vereinigen, schließlich ins Kloster gehen und eines Tages tot an der Berliner Mauer aufgefunden werden würde. Diese Mauer werde verschwinden und Europa werde sich vereinigen. In Afrika werde ein Diktator Umstürze verursachen. Von China aus würden sich mystische und pazifistische Strömungen über die Menschheit ergießen. Mysteriöse Schriftrollen, auf den Azoren gefunden, würden der Medizin zu phantastischen Fortschritten in der Lebensverlängerung verhelfen. Rom werde eine verlassene Stadt werden; der Papst werde als Pilger barfuß die Welt durchziehen." In diesen „Prophetien" gibt es nichts, was man nicht auch sonst in den unzähligen Offenbarungen der hermetischen, kabbalistischen, magischen und anderen Sekten findet, die in einer aus den Fugen geratenen Christenheit emporwuchern. Inzwischen fehlt wie bei der berühmten Liste der Freimaurerprälaten jeder Hinweis, der solche Aussprüche des späteren Papstes bestätigen könnte. Zweifellos ist es nicht leicht, etwas zu beglaubigen, was geheim bleiben soll. Doch hat man bei Dingen dieser Art auch immer einer möglichen Mystifikation zu mißtrauen sowie der religiös-politischen Intrige, die zu ei207
Le Nouvelliste, Sitten, 14. 12. 1976.
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nem geheimen Einverständnis zwischen Kirche und Freimaurerei auf höchster Ebene treiben möchte. Auf jeden Fall mußten in der Affäre des „Initiierten Roncalli" sowohl der „Osservatore Romano" als Radio Vatikan reagieren. Sie veröffentlichten eine Erklärung von Mgr. Capovilla, dem ehemaligen Privatsekretär Johannes' XXIII.: Georges H u ber, römischer Korrespondent der Schweizer Zeitung „Le N o u velliste", Sitten, faßte diese Erklärung wie folgt zusammen: „Mgr. Roncalli führte ein Tagebuch, in das er täglich all seine Treffen, Besuche etc. eintrug. Nun ist in seiner Agenda von 1935 aber keine Spur von irgend einem Treffen mit Mitgliedern einer Geheimgesellschaft zu finden. Und mit gutem Grund! Mgr. Roncalli kannte sehr wohl die Haltung der Kirche gegenüber den Geheimgesellschaften, so daß er als Papst, als er zu seinem 80. Geburtstag ein Glückwunschtelegramm einer maurerischen Loge erhielt, dem Staatssekretariat befahl, in seinem Dankschreiben gemäß der strengen Reserve des Heiligen Stuhls gegenüber Natur und Methoden der Freimaurerei jeden zweideutigen Ausdruck zu vermeiden. Es ist klar, unterstreicht Mgr. Capovilla, daß Johannes XXIII. jeden Verkehr mit der Freimaurerei vermeiden wollte." In dem „Tagebuch einer Seele" Johannes' XXIII. ist eine Stelle, die man seit der Veröffentlichung von Pier Carpis Buch hervorhebt und die wirklich recht merkwürdig ist. Sie wurde vom Papst am Ende seines Lebens geschrieben: „Sich auf das Apostolat jeden Tages beschränken und keine Zeit damit verlieren, die Zukunft vorauszusagen. Es genügt, sich mit der Gegenwart zu befassen. Es kommt uns nicht zu, unsere Phantasie spielen zu lassen, uns den Kopf zu zerbrechen und die Zukunft gestalten zu wollen. Der Vikar Christi weiß, was der H e r r von ihm erwartet. Der Papst darf sich nicht vor Christus hinstellen und ihm Ratschläge geben und Zukunftsprojekte aufdrängen wollen." Man könnte es so verstehen, daß Johannes XXIII. hier eine alte Versuchung abweist. W u r d e er in der Türkei oder in Griechenland von einer gnostischen Gesellschaft angegangen und versucht? Erkannte er den Irrtum und daß es „Zeit verlieren" heißt, wenn man „die Zukunft voraussagen will"? Auf jeden Fall ist die Überlegung im „Tagebuch einer Seele" weder banal noch dürfte sie grundlos gewesen sein.
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Was die Reserven Mgr. Capovillas gegenüber der Freimaurerei betrifft, so sind sie aus der Optik unserer Tage gewiß interessant und eigenartig. Nicht so vorsichtig wie sein Vorgänger, hat Paul VI. nicht gezögert, die Leiter des allein den Juden vorbehaltenen Ordens der B'nai B'rith zu empfangen und vor ihnen zu erklären: „Wir sind, was Uns betrifft, höchst zufrieden, Fortschritte in den christlich-jüdischen Beziehungen feststellen zu können und Wir wünschen, daß diese Zusammenarbeit im Sinn eines gegenseitigen Kennen- und Schätzenlernens verstärkt werde" 208 . Ende März 1977 wurde über die Agenturen der Weltpresse eine überraschende Information verbreitet: „Die katholische Kirche verzichtet von jetzt an darauf, an der Bekehrung der Juden zu arbeiten." Fast überall wurde Erstaunen und Unglauben laut: Die Kirche, die aus dem Bruch mit der Synagoge entstanden ist, soll sich nun so entwickeln, daß sie zur Synagoge zurückkehrt? Kurz gesagt, man war wieder einmal völlig verwirrt. Worum handelte es sich in Wirklichkeit? Seit zehn Jahren tritt jährlich ein „Comité international de liaison catholique-juif", ein „Internationales jüdisch-katholisches Verbindungskomitee" zusammen, dessen bisherige Treffen in Paris, Marseille, Antwerpen, Rom und Jerusalem stattgefunden hatten. 1977 trat das Komitee in Venedig zusammen und zwar vom 28. bis 30. März. Die Arbeiten wurden von Mgr. Ramon Torella Carconte, dem Vizepräsidenten des Sekretariats für die Einheit der . . . Christen, eröffnet. Bei dem Treffen in Venedig sah man Repräsentanten der katholischen Kirche und des „Internationalen jüdischen Komitees für interreligiöse Beratungen". Das Hauptreferat, das im Mittelpunkt des Ansichtenaustauschs stand, wurde von einem Laien, Tomaso Frederici, Professor für Bibelwissenschaften an der päpstlichen Urbans-Universität in Rom gehalten. Die Theorie, die Frederici entwickelte, war folgende: Die Kirche hat als Mission, „den Namen des einzigen Gottes bekanntzumachen". „In der Erfüllung dieser Mission fühlt sich die 208
La Croix (Genval, Belgien), 19. 12. 1976.
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römisch-katholische Kirche der Aufgabe des jüdischen Volkes in der Welt nahe." Diese Auffassung über die Mission der Kirche „schließt jeden Proselytismus übler Art aus". Sie verwirft jede Form von Zeugnis oder Predigt, die auf die eine oder andere Weise einen physischen, moralischen, psychologischen oder kulturellen Druck auf die Juden, sei es als Einzelpersonen, sei es als Gesamtheit, nach sich zöge. Diese Auffassung verwirft alles, was die freie Entscheidung in religiösen Dingen stören oder auch nur mindern könnte. „Ebenso wird jedes diskriminierende Urteil, jede Verachtung oder geringere Achtung der Juden als Gesamtheit wie als Einzelpersonen hinsichtlich ihres Glaubens, ihrer Handlungen, insbesondere ihrer religiösen Kultur, ihrer vergangenen oder gegenwärtigen Geschichte, ihrer Existenz und deren Bedeutung verworfen. Während jeglicher Druck in Hinsicht auf die ,Bekehrung der Juden' zu mißbilligen ist, sind im Gegenteil alle Bemühungen, die dem Studium der Geschichte Israels, seiner Erwählung und seiner Berufung, seiner Sendung in der Geschichte und seiner Privilegien gewidmet sind, zu ermutigen. Professor Frederici hält dafür, daß auf der Linie der Erklärung ,Nostra Aetate' des II. Vatikanums sowie der sie erläuternden Direktiven folgende Punkte von katholischer Seite eine Vertiefung erfordern: der Judaismus im Plane Gottes; die Änderung der Haltung der katholischen Kirche hinsichtlich ihrer Beziehungen zum Judaismus; die Bereitschaft der Kirche zu einem Dialog ohne Hintergedanken mit dem jüdischen Volk." Die Juden akzeptierten selbstverständlich alle Kapitulationen dieser sonderbaren Neuerer, ließen aber bezüglich der Verschmelzung beider Religionen ein gewisses Zögern erkennen 209 . Die Affäre verursachte einen solchen Lärm, daß der Vatikan sich entschloß, ein offizielles Kommunique zu veröffentlichen, worin er lediglich „Rechenschaft geben wollte über das Schema, in welches sich anläßlich inoffizieller Gespräche die Mitglieder eines rein beratenden Komitees eingeschaltet haben". „Man darf nicht", fuhr das Kommunique des Vatikans fort, „diesem Kommunique von Venedig eine Autorität zu209
Le Nouvelliste, Sitten, 8. 4. 1977.
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schreiben, die es nicht hat, und noch weniger seine Worte oder Absichten auf tendenziöse Weise hinaufspielen" 210 . Das konnte aber nichts daran ändern, daß die Operation lanciert worden war und daß die Presse sich auf diese Sätze stützte, die im „Express" vom 18. April 1977 sehr gut zusammengefaßt waren: „Abrüstung im Vatikan. Der Vatikan verzichtet darauf, die Juden zu bekehren. Bald wird er dasselbe hinsichtlich der Moslems tun" 211 . „Die katholische Kirche", schreibt der Verfasser des Artikels, Alain de Penanster, „erkennt den Judaismus als im Plane Gottes weiterbestehend an." „Gemeinsames Ziel: den Namen des einzigen Gottes bekannt zu machen." Um dieses zu erreichen, erklärt sich die katholische Kirche „mit der Aufgabe des jüdischen Volkes in der Welt eng verbunden". „Warum", fragt Penanster, „hat Rom diesen Text, der am 30. März in Venedig vom i n t e r nationalen Komitee zur Verbindung zwischen der katholischen Kirche und dem Judaismus' ausgearbeitet worden war, erst sechs Tage später und mit Zurückhaltung veröffentlicht?" Penanster gibt zwei Gründe dafür an: „Weil der Vatikan keine Prahlerei liebt, und weil gewisse Prälaten erachteten, daß hier der Ökumenismus zu weit gehe." Der erste Grund liefe darauf hinaus, daß man sich versteckte, um einen bösen Streich zu spielen; der zweite ist klar. „Der Vatikan", fährt Penanster fort, „wird an drei Klippen anstoßen: Die Gottheit Christi, die von den Juden bestritten wird, ist für die Christen fundamental, die Jesus bei den Diskussionen nicht,vergessen' können. Zweite Schwierigkeit: Die Katholiken riskieren, Toleranz und Relativismus zu verwechseln. Sie müssen sich fragen, warum die Kirche, wenn sie ihres Glaubens sicher ist, auf seine Verbreitung zu verzichten scheint. Bleibt schließlich noch der Schatten des Islams. Besprechungen derselben Art sind zwischen Katholiken und Moslems im Gang." Das Problem ist richtig gestellt; der „Express" löst es natürlich in der maurerischen Optik des „Großen Architekten des Universums": „Den Katholiken bleibt, ein alte triumphalistische Gewohnheit abzulegen und zuzugeben, daß das Kommen des 210
L'Aurore, 15. 4. 1977.
2,1
L'Express, 18. 4. 1977.
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Reiches Gottes nicht mehr nach der Anzahl der Konversionen zu einer Kirche zu berechnen ist, sondern nach der Umwandlung der Herzen ohne Buchführung." „Le Soir", Brüssel, berichtet hierzu, daß ein römischer Prälat, dessen Namen er nicht nennt, gesagt habe: „Die Juden drängen uns, von Christus abzusehen, und die Moslems wollen, daß wir Mohammed als Propheten anerkennen. Alle fordern von uns ein ,mea culpa', was aber gestehen sie uns zu?" Nichts, Eminenz, absolut nichts! „Für die Moslems ist die Auferstehung übrigens nicht das Gleiche, worauf sich das Christentum bezieht. Der Islam läßt nämlich die Kreuzigung Christi nicht gelten und damit auch nicht das Prinzip seines Opfers zur Erlösung des Menschengeschlechts, ein fundamentales Prinzip. Nach dem Koran wurde ein Doppelgänger gekreuzigt. Gott rettete Jesus, indem er ihn im Alter von 33 Jahren lebendig zu sich rief." Mehr noch, der Islam „verurteilt strikt das Prinzip der Vaterschaft Gottes (Jesus als Sohn Gottes), die Grundlage der Trinität, weil er darin eine Leugnung der Einzigkeit Gottes sieht; die daran glauben, werden im Islam als Polytheisten oder Heiden betrachtet". „Während die katholische Kirche genügend Autorität genießt, um die Interpretation gewisser Dogmen des Christentums zutage zu fördern", sagt Aled Attar, „ist keine Autorität der muselmanischen Welt in der Lage, auch nur ein Komma im Koran zu ändern, zumal es bei den Moslems eine Entsprechung zum Vatikan der Kirche nicht gibt. Mit anderen Worten: Selbst wenn die Kirche Mohammed als Propheten anerkennt, werden die Muselmanen niemals Jesus Christus als den gekreuzigten Sohn Gottes anerkennen" 212 . Diese katholisch-jüdisch-islamische Verwirrung paßt durchaus in den Jahrhundertplan der Freimaurerei und stimmt mit dem Glaubensbekenntnis der Anderson-Konstitutionen überein, wonach der Maurer gehalten ist, „das Moralgesetz als wahrer Noachide zu beobachten". Wenn man ein wenig hinter die Kulissen der Geheimgesellschaften dringt, klären sich die Dinge, aber zugleich packt einen der Schrecken. Die Sache ist schon viel weiter vorange212
Le Soir, 29. 4. 1977.
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schritten, als man glaubt. Anfang Mai 1977 sprach Kardinal Suenens als Präsident einer „Sammlung der Kirchen" in Genf folgenden eigenartigen Satz aus: „Ich erwarte kein Vatikanum III, Ich hoffe auf ein Jerusalem II" und kündigte seine Reise nach Jerusalem „mit Freunden aus verschiedenen Konfessionen" an 213 . Ausgerechnet in Belgien, in Antwerpen, bildete sich eine Kontaktgruppe für die Beziehungen zwischen Juden und Christen. „La Libre Belgique" bemerkte am 30. März 1977 wie nebenbei, „daß das Judenchristentum in den ersten Zeiten des Christentums eine Lehre bildete. Nach dieser Lehre war die Initiation zum Judaismus notwendig, um in die Kirche Jesu Christi eintreten zu können." Die belgische katholische Tageszeitung war so freundlich einzuräumen, daß „wir noch nicht so weit sind, es sei jedoch im Rahmen des ökumenischen Geistes eine Annäherung zwischen den beiden religiösen Gruppen notwendiger denn je, wenn nicht unerläßlich". Warum? Das sagt man uns nicht! Der „Moderator" dieses Kolloquiums, Guido Van H o o f , hob hervor, daß Judaismus und Christentum den gleichen Ursprung hatten. Die Unterschiede hätten sich erst später geltend gemacht, im Lauf der Jahrhunderte. Das ist offenkundig falsch. Der unheilbare Bruch zwischen der Kirche und der Synagoge beruht auf der Weigerung der Synagoge, Jesus Christus als den Messias anzuerkennen.
213
La Libre Belgique, 3. 5. 1977.
Nachwort Es wird, glaube ich, keinen Leser geben, den nach der Lektüre dieser knappen Aufzeichnungen über das Geheimnis der Freimaurer nicht die Angst überkommt, in einer Trickgesellschaft zu leben, in der nichts, was wahr aussieht, auch wirklich wahr ist, da man niemals ganz die Hintergründe erfährt. Die Lehre von mehr als zehn Päpsten seit dem 18. Jahrhundert, im 12. Kapitel dargelegt, und dann das plötzliche Schweigen Roms — das ist einigermaßen erschreckend und sogar in etwa dämonisch. Vor all den unbestreitbaren Tatsachen, die die Archive preisgegeben und die so verschiedengeartete Zeugen verraten haben, die Augen zu schließen und sie ignorieren zu wollen würde zu nichts führen. Wenn es eine Möglichkeit gibt, dem Zugriff der „Synagoge Satans" zu entgehen, dann nur, indem man ihre Geheimnisse ans Licht bringt. Diese „Geschichte neben der Geschichte" ist etwas sehr Seltsames. Aber diese unterirdische Welt hat ihre Stärke nur durch ihr Geheimnis. In dieses hineinzuleuchten heißt ihre Pläne ganz und gar durchkreuzen. Der Historiker hat seine Aufgabe nur dann ganz erfüllt, wenn er versucht hat, die verborgenen Triebkräfte der Ereignisse zu erkennen. Eben darum habe ich mich mit der größten intellektuellen Redlichkeit bemüht. Das ist das einzige Zeugnis, das ich von denen erwarte, die diese Seiten gelesen haben. Paris, im Mai 1979
Jacques Ploncard d'Assac
Z u d e m Glossar w u r d e n vor allem b e n ü t z t : K u r t Schilling, Geschichte d e r P h i l o s o p h i e , II. Bd. D i e N e u z e i t , 2 . v e r b . A u f l . M ü n c h e n / B a s e l 1 9 5 3 ; H e r d e r s K o n v e r s a t i o n s l e x i k o n , 3. A u f l . F r e i b u r g i. Br. 1902 -1910.
Glossar Es w u r d e versucht, mittels d e r E r k l ä r u n g wichtigerer im Buch v e r w e n deter Begriffe u n d N a m e n eine Art Kulisse f ü r die E n t s t e h u n g s - u n d Entwicklungszeit der Freimaurerei herzustellen. ARKANDISZIPLIN: Im 17. J h . a u f g e -
gegeben
kommene
griffsbildung
Praxis
Bezeichnung
der Urkirche,
für
von
die ihrer
und
zugunsten
den
an
einer
der
äußeren
Be-
Erfahrung
Phänomenen.
Lehre und ihrem Kult den H e i -
D e r G r u n d d e r N a t u r bleibt u n -
den
erreichbar (und uninteressant). —
nichts,
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Katechumenen
nur nach und nach etwas mitzu-
Das
teilen u n d erst m i t d e r T a u f e alle
w i c h t i g e r als ihr B e s i t z ( L e s s i n g ) .
Suchen
der
Wahrheit
ist
Glaubenswahrheiten zu offenba-
D a d e r M e n s c h auf allen G e -
r e n . Sie d i e n t e z u m S c h u t z g e g e n
b i e t e n i n d e n V o r d e r g r u n d tritt,
falsche
Brüder,
Maske
des
Geheimnisse
unter
der
löst e r sich a u c h p r a k t i s c h v o n
Katechumenen
die
die
den g r o ß e n M ä c h t e n der Gesell-
wollten,
schaft, der N a t u r , von Gott. Er
u m sie z u v e r r a t e n u n d z u e n t s t e l -
w i r d g e s e h e n n i c h t m e h r als G l i e d
len.
eines g r ö ß e r e n G a n z e n — Fami-
Ein
ausspähen
weiterer
Grund:
die
Tiefe und Unergründlichkeit der
lie, V o l k , S c h ö p f u n g G o t t e s
G e h e i m n i s s e des H e i l s , d i e m a n
sondern
nur schrittweise
W e s e n . D e s h a l b ist d i e A . n i c h t
haupt die
—
—
Verwendung
(Fisch),
wenn über-
erfassen kann. D a h e r das
der
Symbole
verhüllte
mehr
als an
orientiert,
isoliertes, der
—,
autarkes
Vergangenheit
sondern
auf
die
Zu-
Kreuz,
k u n f t hin. E i n G r u n d g e d a n k e d e r
das „ m a g i s c h e Q u a d r a t " ( P a t e r -
A . ist d e r F o r t s c h r i t t ; als A n n ä h e -
noster).
r u n g a n ein I d e a l d e r V e r n u n f t bleibt e r i m m e r U t o p i e .
AUFKLÄRUNG: A b l ö s u n g d e s D e n -
Klassisches
kens von der philosophisch-theo-
Frankreich,
Land wiewohl
der
A.
von
ist der
logischen T r a d i t i o n des Christen-
englischen Philosophie (Empiris-
t u m s u n d des A b e n d l a n d e s . D i e
mus,
A.
zum
D e i s m u s , s. d.) b e e i n f l u ß t . Sie b e -
ihn
g i n n t d o r t b e r e i t s m i t B a y l e (s. d.)
Maß
macht aller
den
Menschen
Dinge
und
will
besonders
Lockes,
s. d.,
g a n z auf sich selbst stellen. S o g a r
u n d r e i c h t bis z u m h u n d e r t J a h r e
die
später
letzten
metaphysischen
stembildungen des
17. J h .
Sy-
geborenen
Condorcet
(Des-
(s.d.), d e r als e i n z i g e r F ü h r e r d e r
c a r t e s , s . d., L e i b n i z ) w e r d e n a u f -
A. n o c h die zweifellos v o n d e r A.
238
Glossar
(wenn auch eher ungewollt) vor-
BARRUEL, A U G U S T I N S . J . ( 1 7 4 1 —
b e r e i t e t e , d o c h viel m e h r s c h o n
1820) : W a n d e r t e n a c h d e m V e r -
vom
bot
Geist Rousseaus
Französische
inspirierte
Revolution
miter-
der
Gesellschaft
Frankreich
(1764)
in
und war
lebt. F ü r s t d e r f r a n z ö s i s c h e n A .
Professor
ist V o l t a i r e
Osterreich. N a c h der Aufhebung
Infame"
(„Zerschmettert
die
in
Jesu
aus
Deutschland
und
— d i e K i r c h e ) . D i e A.
des O r d e n s 1 7 7 3 d u r c h K l e m e n s
g e h t i n F r a n k r e i c h bis z u m M a t e -
XIV. nach Frankreich zurückge-
rialismus u n d Atheismus (La M e t -
k e h r t , g r i f f er b e r e i t s 1781 in „Les
t r i e : „ d e r M e n s c h als M a s c h i n e " ;
Helviennes ou lettres provinciales
H o l b a c h ) , wie i m m e r auch hier
philosophiques" die A u f k l ä r u n g s -
mit d e m politischen Ideal des G e -
philosophen
meinwohls
bis
(„größtes
Glück der
größten Zahl") verbunden.
zur
heftig
Revolution
Pamphlete
und
an,
schrieb
zahlreiche
begann
schon
1789 m i t k r i t i s c h e n A u f s ä t z e n g e BABEUF, FRANÇOIS N O Ë L ( 1 7 6 0 —
1797): Publizist in der Französischen
Revolution,
schaffung
des
forderte
Eigentums
Abund
Gütergemeinschaft. BAJUS,
MICHEL
Katholischer
gen die Revolution u n d z u r V e r teidigung der religiösen und politischen W a h r h e i t . In seiner Zeitschrift führte
„Journal er
Ecclésiastique"
einen
großartigen
K a m p f , bis e r 1792 n a c h E n g l a n d ( 1 5 1 3 - 1589):
Theologe,
fliehen mußte.
be-
Dort machte
e r sich
an
sein
k ä m p f t e die scholastische t h e o l o -
H a u p t w e r k „ M é m o i r e s p o u r ser-
gische
M e t h o d e z u g u n s t e n stär-
vir à l ' h i s t o i r e du J a c o b i n i s m e " ;
kerer Betonung der Schrift, V o r -
e s e r s c h i e n 1797 i n L o n d o n , h a t t e
l ä u f e r d e s J a n s e n i s m u s (s. d . ) ; ir-
g r o ß e n E r f o l g u n d w u r d e i n alle
rige M e i n u n g ü b e r U r s t ä n d , E r b -
Sprachen übersetzt. Den Angrif-
sünde, Verhältnis von Gnade und
f e n u n d V e r l e u m d u n g e n d e r Be-
Lehrte
s c h u l d i g t e n g e l a n g es, sein W e r k
völlige V e r d e r b n i s d e r m e n s c h l i -
Freiheit,
Rechtfertigung.
von den Universitäten zu verban-
chen N a t u r d u r c h die E r b s ü n d e
nen, ja das Wissen von B. und
und absolute Unfreiheit der ge-
seinem W e r k fast g a n z auszulö-
fallenen N a t u r z u m G u t e n ; auch
schen.
d e r G e r e c h t e ist g e g e n ü b e r d e r
staltete 1973 d e r Verlag „ D i f f u -
G n a d e nicht frei.
76 Sätze aus
sion d e l a P e n s é e F r a n ç a i s e " e i n e
seinen
wurden
Schriften
Nach
137 J a h r e n v e r a n -
1567
N e u a u s g a b e des u n a u f f i n d b a r ge-
v o m hl. P i u s V . v e r u r t e i l t ,
1579
w o r d e n e n W e r k e s . B. schreibt da-
noch
XIII.
rin
einmal
von
Gregor
B a j u s u n t e r w a r f sich 1580.
die
Verantwortung
Französische
für
Revolution
die drei
Glossar subversiven K r ä f t e n z u : d e n U n -
239
BIDEGAIN, JEAN (gest. 1 9 2 6 ) : B e -
g l ä u b i g e n , die d a s C h r i s t e n t u m ,
k a n n t d u r c h d i e „ a f f a i r e des f i -
den F r e i m a u r e r n , die die T h r o n e ,
ches
u n d d e n I l l u m i n a t e n (s. o . 8 . K a -
über die „Loyalität" d e r zu h ö h e -
pitel), d i e alle R e l i g i o n u n d A u t o -
ren
rität u m s t ü r z e n w o l l t e n .
ziere A u s k u n f t geben sollten, je-
BARTHOLOMÄUSNACHT:
rikalen"
(Informationszettel)", Rängen
die
ausersehenen
Offi-
doch zur Ausmerzung von „KleBluthochzeit", Hugenotten
„Pariser
Ermordung
(s. d.)
in
aller
Paris
nach der Hochzeit Heinrichs von und
Navarra,
Provinz
fortgesetzt.
in
Der
Antirepublikanern
am
23./24. A u g u s t 1572, f ü n f T a g e Bourbon
und
gedacht waren.
der An-
schlag ging von d e r K ö n i g i n m u t ter K a t h a r i n a de' Medici aus, um einer R a c h e der H u g e n o t t e n f ü r den (gescheiterten) Anschlag v o m 22. A u g u s t auf i h r e n F ü h r e r C o ligny z u v o r z u k o m m e n .
BOSSUET, J A C Q U E S B E N I G N E ( 1 6 2 7
— 1704):
Bischof
von
Meaux,
„das O r a k e l von Frankreich", Erzieher
des
Dauphins
Ludwigs
X I V . , g r ö ß t e r K a n z e l r e d n e r seiner
Zeit,
bekehrte
Protestanten,
zahlreiche
besonders
durch
seine „ E x p o s i t i o n d e l a d o c t r i n e catholique". K o n t r o v e r s e mit Fen e l o n (s. d.) w e g e n d e s s e n q u i e t i stischen
(s. d.)
Neigungen.
Er-
BAYLE, PIERRE ( 1 6 4 7 - 1 7 0 6 ) : E r -
folgreiche Zurückweisung janse-
ster P h i l o s o p h d e r f r a n z ö s i s c h e n
n i s t i s c h e r (s. d.) I r r l e h r e n .
A u f k l ä r u n g (s. d . ) , d i e e r m i t seinem
historisch-kritischen
terbuch einführt
—
Wör-
der Beginn
der historischen Kritik; v o r allem
CAGLIOSTRO,
(eigentlich
ALEXANDRE
Giuseppe
GRAF
Balsamo)
ein V e r z e i c h n i s d e r „ I r r t ü m e r d e r
(1742-1795):
Menschheit",
s t a p l e r v o n s e l t e n e m F o r m a t . Als
kung
„die
in
deren
Vernunft
Aufdek-
vor
allem
Goldmacher,
g r o ß ist". D i e D o g m e n s i n d i h m
und
durchaus
suchte
widervernünftig.
For-
Italienischer
Geisterbeschwörer
Besitzer des er
fast
Hoch-
Lebenselexiers
alle
Höfe
und
dert absolute T o l e r a n z , z u m er-
H a u p t s t ä d t e E u r o p a s h e i m . 1786
stenmal
Athei-
w e g e n d e r H a l s b a n d a f f ä r e (s. d.)
s t e n , u n d volle F r e i h e i t d e s sittli-
aus F r a n k r e i c h a u s g e w i e s e n , 1791
auch
gegenüber
chen Lebens und des uns angebo-
in R o m von der Inquisition z u m
renen
aller
T o d e verurteilt, von Pius VI. be-
Moralgesetzes
von
Religion und O f f e n b a r u n g . V o n
g n a d i g t u n d auf d e r F e s t u n g S a n
g r o ß e m E i n f l u ß auf d a s 18. J a h r -
L e o n e bei U r b i n o g e f a n g e n g e h a l -
hundert.
ten.
240
Glossar (1835 — 1921):
z i e l t auf e i n e v ö l l i g u n a b h ä n g i g e ,
Französischer Staatsmann, bruta-
f ü r alle K l a s s e n g l e i c h e B i l d u n g
ler G e g n e r d e r k a t h o l i s c h e n K i r -
ab,
c h e ; f ü h r t e als M i n i s t e r p r ä s i d e n t
neigte der Revolution, und zwar
und
Kultusminister
1902-1905
den Girondisten zu, nach deren
das
Vereinsgesetz
von
Sturz er angeklagt wurde, flüch-
COMBES,
EMILE
1901
auch
für
Erwachsene.
C.
s t r e n g d u r c h , l ö s t e viele O r d e n s -
tete, g e f a n g e n w u r d e und im G e -
genossenschaften auf u n d besei-
fängnis Gift nahm.
tigte
1904
ihr
brach
mit
dem
Unterrichtsrecht, Heiligen
Stuhl
und brachte den Gesetzesentwurf für
Trennung
von
Kirche
und
S t a a t ein.
BRUNO, GIORDANO ( 1 5 4 8 — 1 6 0 0 ) :
I t a l i e n i s c h e r P h i l o s o p h . Als D o minikaner der Ketzerei verdächtigt, v e r l ä ß t e r d e n
Orden und
f ü h r t 1 5 J a h r e ein u n s t e t e s W a n CONDORCET,
DE
ANTOINE
(1743-1794):
MARQUIS
Spätester Phi-
derleben.
Eine
schönheitstrun-
kene A n d a c h t v o r der W e l t verei-
losoph der französischen Aufklä-
nigte er mit einem
o f t messer-
r u n g (s. d.). U b e r t r u g d e n F r ü h -
scharfen
und
positivismus d'Alemberts
p h ä n o m e n a l e n G e d ä c h t n i s . E r ist
vismus:
Stehenbleiben
(Positibei
dem
Dichter,
Verstand begeisterter
einem
Verkünder
T a t s ä c h l i c h e n des B e w u ß t s e i n s —
u n d M ä r t y r e r des neuen Weltge-
ausdrückliche
fühls.
Leugnung
aller
darüber hinausreichenden
Reali-
Ausgehend
stem des
vom
Weltsy-
Kopernikus kommt er
tät, nicht nur E r k e n n b a r k e i t ; Phi-
zur
losophie
Zusammenfas-
s t e m e . I n d e r W e l t als G a n z e m ,
Einzelwissenschaften)
n i c h t e r s t i n G o t t , ist b e r e i t s d e r
sung
ist
der
nur
Unendlichkeit
Weltsy-
und das utopische Prinzip der Be-
Zusammenfall
rechnung und Beherrschung der
sie e r h ä l t i m m e r m e h r P r ä d i k a t e
Tatsachen
durch
des
(Technik!)
auf
indem
die die
er erstmals
aus den
Vernunft Geschichte,
die
Zukunft
Gesetzen der Entwick-
l u n g v o n d e r V e r g a n g e n h e i t bis zur
Gegenwart
vorauszubestim-
der
der
jenseitigen
Gegensätze;
Schöpfergottes.
D o c h ist d e r E i n f l u ß P l o t i n s bei B . z u m ä c h t i g , als d a ß i h m d i e Jenseitigkeit
Gottes
je
wirklich
verloren gehen könnte. — W u r d e 1592 e i n e m V e r f a h r e n d e r heili-
m e n v e r s u c h t e . Ziel aller K u l t u r
gen
Inquisition
ist f ü r C . d i e p l a n m ä ß i g e r a t i o -
nach
7 Jahren
unterstellt
und
Gefangenschaft
nale E r a r b e i t u n g d e r g r ö ß t m ö g l i -
1600 z u R o m auf d e m C a m p o d e '
chen
F i o r i als K e t z e r ( e r s t e r A n k l a g e -
Summe
von
Lust-
und
G l ü c k s w e r t e n f ü r alle. Sein E n t -
punkt:
wurf
steme) verbrannt.
einer
Nationalerziehung
die
unendlichen Weltsy-
Glossar DEISMUS:
Von
gangene
religiös-philosophische
Richtung des
England
ausge-
sich
241 stellenweise
mit
Gedanken
d e s hl. A u g u s t i n u s , w u r d e j e d o c h
18. J h . , d i e a n ei-
durch den eingeschlagenen W e g
nem überweltlichen persönlichen
grundlegend für den philosophi-
G o t t f e s t h ä l t , ihn a b e r n u r als U r -
schen Idealismus.
h e b e r d e r W e l t u n d v o n i h r völlig getrennt denkt und jedes übernatürliche
Eingreifen,
damit
jede
O f f e n b a r u n g v e r w i r f t . Alle p o s i t i v e n R e l i g i o n e n s i n d n u r auf E r findung
und
Betrug
beruhende
Verdunkelungen der wahren, der „Natur"-Religion des ursprünglichen
Zustands.
Dem
kalt-ab-
strakten D. fehlt jedes Verständnis f ü r d a s h i s t o r i s c h e W e s e n u n d die m y s t i s c h e n T i e f e n d e r R e l i giosität. D e r D . , d i e V e r n u n f t r e l i gion d e r A u f k l ä r u n g , n a h m leicht eine p a n t h e i s t i s c h e W e n d u n g u n d schlug
in
Frankreich
bald
zum
Atheismus um.
EMANATION ( A u s f l i e ß e n , H e r v o r gehen):
Die
stammende,
aus
dem
besonders
Neuplatonikern
(s. d.)
Orient von
den
ausgebil-
dete und auch von den Gnostik e r n (s. d.) v e r t r e t e n e p a n t h e i s t i sche
Lehre
vom
notwendigen
H e r v o r g e h e n des U n v o l l k o m m e nen
aus
dem
Vollkommenen
d u r c h ein U b e r f l i e ß e n d e r Fülle d e s l e t z t e r e n , w o d u r c h ein S t u fenreich
abnehmender Vollkom-
menheit (Plotin: das „Eine", G o t t — das D e n k e n ( N u s ) — die Seele als „ d r i t t e r G o t t " — d i e S i n n e n welt,
Mischung
von
Seiendem
und Nichtseiendem, der Materie) entsteht.
DESCARTES,
RENÉ
(1596-1650):
Begründer der antischolastischen
DUALISMUS: U r s p r ü n g l i c h n u r d i e
Philosophie
Unterscheidung
in
der
Neuzeit.
zweier
ethisch-
D u r c h A b b a u allen W i s s e n s b e -
religiöser G r u n d p r i n z i p i e n , eines
hauptet er im universalen m e t h o -
g u t e n u n d eines bösen G o t t e s von
dischen Zweifel eine einzige, je-
gleicher
d o c h a b s o l u t e G e w i ß h e i t , die des
c h r i s t l i c h e r Z e i t f i n d e t sich d e r D .
Selbstbewußtseins
(Perser).
In
ergo
in der Gnosis, besonders im M a -
s u m , ich d e n k e , a l s o bin i c h " ) .
n i c h ä i s m u s (s. d . ) , m i t e i n e m G o t t
Aus der Abhängigkeit und Zer-
des Lichtes u n d e i n e m G o t t d e r
s t ö r b a r k e i t m e i n e r selbst g e l a n g e
Finsternis, beide in beständigem
ich
jedoch
zur
(„cogito,
Macht
Realität
meines
Kampf. In neuerer Zeit im Ge-
Schöpfers und Erhalters, Gottes,
gensatz
und d u r c h die „veracitas" ( W a h r -
d i e j e n i g e W e l t e r k l ä r u n g , die z w e i
haftigkeit) Gottes, der mein Mei-
völlig
nen
Substanzen, geistige u n d k ö r p e r -
nicht
täuschen
kann,
Realität der Außenwelt.
zur
Berührt
liche,
zum
Monismus
verschiedene annimmt
und
Arten der
(s. d.) von einen,
242
Glossar
unerschaffenen
Substanz
(Gott)
übertragen. V o n den
englischen
die G e s a m t h e i t d e r e r s c h a f f e n e n
D e i s t e n (s. d.) ( S h a f t e s b u r y , T o -
Substanzen
land,
(Welt)
gegenüber-
stellt.
s. d.
usw.)
auf
eine
der
M a s s e des V o l k e s v o r z u e n t h a l t e n de Vernunftreligion
EKLEKTISCH : Systemen
Aus
verschiedenen
Elemente
nach
Ge-
schmack auswählend u n d zu et-
angewendet.
Esoterik heute: okkultes Wissen. F Ê N E L O N , FRANÇOIS DE SALIGNAC
was doch nicht N e u e m , sondern
(1651 — 1715):
Abgeleiteten kombinierend.
Cambray,
Erzbischof
neben
Bossuet
von (s. d.)
die f ü r die französische KirchenENZYKLOPÄDISTEN : D i e H e r a u s g e -
geschichte
ber und Verfasser der französi-
Entwicklung
chen „Encyclopédie", der alpha-
Literatur der sog. klassischen P e -
betisch
riode einflußreichste Gestalt des
geordneten
Darstellung
des
umfassenden
gesamten
Wis-
des
17. J h .
der
französischen
und
die
französischen
Klerus.
Kontro-
sens d e r Z e i t , aller W i s s e n s c h a f -
verse mit Bossuet w e g e n der von
ten,
F.
Künste
und
einheitlicher
Gewerbe,
aus
weltanschaulicher
verteidigten
(quietistischen,
s . d.) A n s i c h t e n d e r M m e G u y o n
G r u n d h a l t u n g , 35 B d e . , 1751 —
(s. d.) ü b e r d a s geistliche L e b e n .
1780,
Hauptorgan
Seine „Maximes des Saints" w u r -
Herausgeber:
d e n v o n R o m i n 2 3 S ä t z e n als g e -
der
literarisches Aufklärung.
D i d e r o t u n d d ' A l e m b e r t , a b 1757
fährlich
D i d e r o t allein. W i c h t i g s t e M i t a r -
d i e A b h a n d l u n g ü b e r die „ r e i n e
beiter:
Voltaire,
Holbach,
Tur-
verurteilt,
insbesondere
Liebe" („l'amour pur"). F. unter-
got, G r i m m , Rousseau, Montes-
w a r f sich bereitwillig.
quieu
ge-
seines
für
Haupttendenz
Enkel
Ludwigs XIV.,
(s. d.).
schickt
Die
verdeckte
teilweise
seinen
— Wegen
Zögling,
den
verfaßten
des g r o ß z ü g i g a n g e l e g t e n W e r k e s
pädagogischen
ist d i e e n t s c h i e d e n e B e k ä m p f u n g
Abenteuer Telemachs",
der geoffenbarten
K ö n i g f a l s c h als S a t i r e v e r s t a n d ,
Religion.
—
Werkes
I m w e i t e r e n S i n n alle A n h ä n g e r
vom
der darin vertretenen philosophi-
Bistum verwiesen.
Hof verbannt und
„Die das in
der sein
schen Richtung. FRANKLIN, BENJAMIN ( 1 7 0 6 — 1 7 9 0 ) :
ESOTERISCH ( v o n g r i e c h . „ e s o t e -
Amerikanischer
ron", inneres): Geheim, nur f ü r
Altmeister
Eingeweihte bestimmt. V o n
Pädagogik. An vorderster Front
griechischen
den
Mysterienreligionen
der
Staatsmann
und
amerikanischen
f ü r die Loslösung der K o l o n i e n
auf p h i l o s o p h i s c h e G e h e i m l e h r e n
vom
wie
v e r t r a t b e r e i t s 1754 d e n P l a n ei-
die
pythagoräische
(s. d . ) ,
Mutterland
England
tätig;
Glossar ner konstitutionellen fassung
mit
Bundesver-
Zentralregierung,
243
GIRONDISTEN: schen
In
der
Französi-
Revolution Partei der ge-
wirkte dafür in London, konnte
mäßigten
j e d o c h die Gleichstellung d e r K o -
nach den A b g e o r d n e t e n des D e -
lonien mit d e m M u t t e r l a n d nicht
partements
erreichen.
setzgebenden
Kongreß
Darauf und
nahm
der
er
am
Unabhängig-
k e i t s e r k l ä r u n g teil
und erreichte
Republikaner, Gironde
benannt
in
der Ge-
Versammlung
von
1 7 9 1 . O b w o h l sie m i t d e n J a k o b i nern das Königtum gestürzt und
als G e s a n d t e r i n P a r i s ( 1 7 7 8 — 8 5 )
f ü r die
die Bündnisse mit F r a n k r e i c h u n d
stimmt
S p a n i e n , die n ö t i g e n K r e d i t e u n d
durch Berufung an das V o l k zu
den Friedensschluß.—
retten und w u r d e n
F. säkula-
Schuld hatten,
des
Königs
suchten
ge-
sie
ihn
immer hefti-
risierte die a m e r i k a n i s c h e t h e o l o -
g e r e F e i n d e d e r J a k o b i n e r . Bei i h -
gische G e m e i n d e - I d e e z u m f r ö h -
rem Versuch einer Anklage M a -
lichen K l u b w e s e n mit „ g o o d w i l l " ,
rats
„Wahrheit der Praxis",
„Schön-
V e r r ä t e r ; sie f l o h e n i n d i e P r o -
stürzte
Robespierre
sie
als
heit des Z u s a m m e n s p i e l s " in lusti-
vinz, ihr von der Bevölkerung u n -
ger und pfiffiger Manier, aber im
terstützter bewaffneter Aufstand
Tieferen nach wie vor altpurita-
scheiterte.
nisch, n u r „ a u f g e k l ä r t " . seinen
Rat
wurde
—
1755
Auf Neu-
schottland, K a n a d a , auf brutalste Weise protestantisiert.
GNOSIS, im S i n n v o n GNOSTIZISMUS: Z u n ä c h s t G e s a m t n a m e v e r schiedener
Sekten
der
ersten
J a h r h u n d e r t e nach Christus. Also GENERALSTÄNDE
(ETATS
GÉNÉ-
Religion,
nicht
Erkenntnis
des W o r t e s
hung
des
Bürgerstandes
d i e H e l l e n i s i e r u n g d e r L e h r e als
Adel
und
Geistlichkeit
ständigte
neben vervoll-
Ständevertretung
von
ihre
„Gnosis",
Erhebung
zur
das
trotz
RAUX): S e i t 1 3 0 2 d u r c h E i n b e z i e -
mehr
Philosophie
bedeutet.
ganz Frankreich, wurden zur U n -
C h a r a k t e r i s t i s c h f ü r d i e G . ist
terstützung der königlichen Poli-
die
tik, z u r G e l d b e w i l l i g u n g e i n b e r u -
Christentums,
fen, suchten dabei eigene Politik
Unterschied zwischen diesem hä-
zu machen und R e f o r m e n zu er-
retischen
Christentum
zwingen.
anderen
hellenistischen
1789 Jahren
Durch
Ludwig
erstmals wieder auf
Druck
nach
XVI. 175
einberufen,
äußerste
Hellenisierung wodurch
sich und
des der den
Myste-
rienkulten fast verwischt. D u r c h halb
intellektuell
wuchernde
k o n s t i t u i e r t e n sie sich als N a t i o -
Phantasmen
nalversammlung
samtmythologie für das Verhält-
die Revolution.
und
begannen
nis
des
Versuch
jenseitigen
einer Gottes
Gezur
244
Glossar
W e l t , das Geisterreich, die W e l t -
s t e n , vielleicht allen H ä r e s i e n u n d
schöpfung
S e k t e n bis h e r a u f z u r L e h r e T e i l -
von
mit
Personifizierung
Begriffsnamen
wie
„Weis-
heit" — „Sophia". D e r G r u n d z u g
hard de Chardins und z u m heutigen Progressismus.
ist ein „ m e h r w i s s e n w o l l e n " als die göttliche O f f e n b a r u n g bietet. Durch
Verbindung
mit
den
M y s t e r i e n k u l t e n u n d E i n f l u ß des p e r s i s c h e n D u a l i s m u s (s. d.) seinem
positiv
prinzip
ist
ganze
für
Natur
Schlechtes,
schlechten die
etwas
was
mit
Welt-
Gnosis
die
Böses
und
durch
den
tat-
sächlichen Verfall der N a t u r im späten Römerreich noch verstärkt wurde. erste,
Ihr g e g e n ü b e r steht das höchst vollkommene
gei-
stige W e s e n , d a s , sich selbst in seinen V o l l k o m m e n h e i t e n
erfas-
s e n d , diese z u e i g e n e n P e r s o n e n („Äonen")
ausformt,
deren
Ge-
samtheit die „Fülle (Pleroma) des göttlichen
Lebens"
bildet.
Der
„ D e m i u r g " , Weltbildner, gestaltet die t o t e M a s s e d e r b ö s e n M a t e r i e u n d regiert die Welt. D i e A u f e r s t e h u n g C h r i s t i w i e d i e des M e n schen wird geleugnet.
allem v o n T e r t u l l i a n , a b e r a u c h Plotin
(s.
RENÉ
Philosoph und esoterischen der
(1886-1951):
Schriftsteller mit
(s. d.)
Freimaurerei
Neigungen, nahestehend.
V o n H a u s aus Katholik, strebt er e i n e S u p e r k i r c h e a n . 1910 tritt e r z u m Islam ü b e r u n d v e r f a ß t z a h l r e i c h e W e r k e , s o ü b e r die i n d i sche Lehre, die T h e o s o p h i e , den Symbolismus
des
verschiedene
Seinsformen
Kreuzes,
über (Wie-
d e r g e b u r t ) , die christliche Esoterik, ü b e r die wesentliche Einheit aller R e l i g i o n e n u. v. a. G u e n o n u n d seine S c h ü l e r h a b e n n i e m a l s auf i h r e d r e i A n l i e gen verzichtet: den Okzident zu orientalisieren, aufzuwerten
die
und
Freimaurerei das
Christen-
t u m unter der Farbe des Spiritualismus v o n i n n e n h e r z u p e r v e r t i e r e n . Alles dieses i m N a m e n u n d unter der Decke der „Tradition", im Kampf gegen den Materialis-
B e k ä m p f t w u r d e d i e alte G . v o r von
GUENON,
Neuplatonismus).
m u s u n d R a t i o n a l i s m u s (vgl. So-
ciété Augustin Barruel,
H e f t 10,
S . 2 2 ) . G . s t i r b t 1951 i n K a i r o u n -
A b e r auch weiter d u r c h die g a n z e
ter
G e s c h i c h t e hin bleibt d i e G n o s i s
W a h e d Yahia.
dem
Namen
Sheik
Abd
el
— d i e „ a l t e S c h l a n g e " — in d e n verschiedensten rasit,
die
Formen der Pa-
gefährlichste
GUYON, JEANNE
MARIE
BOUVIÈRE
Verzer-
DE LA MOTHE ( 1 6 4 8 - 1 7 1 9 ) : Be-
rung, der H a u p t f e i n d des Chri-
kannt durch den Quietismusstreit
stentums, s. Albigenser, K a t h a r e r
(s. d.) u m i h r e n S e e l e n f ü h r e r L a -
usw., a b e r siehe a u c h d e n I s l a m .
combe,
I h r G e i s t f i n d e t sich i n d e n m e i -
b e e i n f l u ß t w a r , w o d u r c h sie selbst
der von
Molinos
(s. d.)
Glossar in Auseinandersetzung Hof,
dem
und
mit
Kreis
um
mit d e m
Livres
Saint-Cyr
teuer
aber
brauchen
als
zu
Schiffe,
geriet.
n i c h t D i a m a n t e n ! " ) v o n ihr a b g e wiesen w o r d e n w a r , zu finanzie-
ß e r g e w ö h n l i c h e n Mission f ü r die
ren. D u r c h eine nächtliche s e k u n -
Ausbreitung
d e n l a n g e B e g e g n u n g m i t e i n e r als
Lacombe von
migkeit" Mme
(s. d.)
angeboten, („wir
ihrer „au-
Durch
Bossuet
245
der
wahren
überzeugt,
Guyon
Fröm-
verzichtete
auf
Kinder
Königin
maskierten
Dirne
im
und
P a r k v o n V e r s a i l l e s hielt sie d e n
V e r m ö g e n , um in A r m u t nach ih-
K a r d i n a l hin. Als d e r J u w e l i e r d i e
r e n A n s c h a u u n g e n teils auf R e i -
(bei
sen,
Zahlungen
teils
haltend
in
zu
Klöstern leben.
Vorträge
Als
sie
der
Lamothe
gebliebenen)
monierte,
kam
der
sich
Betrug auf, R o h a n wie Lamothe
selbst m i t d e n S c h r i f t e n v o n M o l i -
w u r d e n verhaftet, ersterer wieder
n o s b e f a ß t e , w u r d e m a n auf sie
freigelassen,
a u f m e r k s a m und z o g ihre Lehre,
markt und eingesperrt. Das V o l k
aber auch ihren Lebenswandel in
hielt d i e a b s o l u t u n b e t e i l i g t e K ö -
letztere
gebrand-
Z w e i f e l . Bei i h r e r z w e i t e n V e r -
nigin f ü r s c h u l d i g ; d i e s e A f f ä r e
h a f t u n g 1688 v e r t e i d i g t e sie F é -
samt dem P r o z e ß gegen R o h a n
n e l o n , v e r g e b l i c h . Sie w u r d e j e -
und
d o c h rehabilitiert.
Königtum entscheidend.
HALSBANDAFFÄRE: französischer 1785, der
Folgenreicher
Hofskandal
die L a m o t h e s c h a d e t e d e m
HELVETIUS, CLAUDE-ADRIEN ( 1 7 1 5
um
— 1771): Philosoph d e r f r a n z ö s i -
unmittelbar vor Ausbruch
s c h e n A u f k l ä r u n g . Sein B u c h „ D e
Revolution.
1'esprit" w u r d e w e g e n B e f e h d u n g
D e r naive Kardinal H e r z o g R o -
Französischen
alles B e s t e h e n d e n i n K i r c h e u n d
han,
Staat
Bischof
suchte
die
scherzte der
von
durch
Gunst
Königin
Straßburg,
auf
Parlamentsbefehl
öf-
Klatsch
ver-
fentlich verbrannt. V o n Friedrich
Hofes
und
d. Gr.
des Marie
Antoinette
wurde
der
Flüchtling
in
P o t s d a m mit A u s z e i c h n u n g auf-
wiederzugewinnen. Eine Schwind-
genommen.
lerin,
den
Sensualismus
echte letzte Valois) L a m o t h e , be-
(nicht
mehr
zog
Liebes-
Reflexionen Quellen des Bewußt-
die mittels
briefe men
Gräfin
gefälschter
(aber
der Königin große von
brachte die
falsche
ihm
ihn
Königin
Anschließend an Condillacs
Empfindungen
und
Sum-
seins w i e bei L o c k e , s o n d e r n n u r
diese"
und
d i e E m p f i n d u n g , sie ist d i e „ S u b -
soweit,
für
stanz", der K e r n des Menschen)
R a t e n k a u f ei-
s u c h t e r d i e S e l b s t l i e b e als e i n z i -
„für
zuletzt den
—
nes e i n z i g a r t i g e n D i a m a n t e n h a l s -
ges
schmucks, der ihr um 1 600 000
Handlungen
Motiv
aller zu
menschlichen erweisen,
das
246
Glossar
sich h i n t e r allen a n g e b l i c h e n M o -
HUGENOTTEN: N a m e d e r f r a n z ö -
tiven v o n M o r a l , P o l i t i k u n d R e -
sischen
ligion v e r b i r g t . Sie ist bei i h m al-
sten). D i e von Genf aus o r g a n i -
lerdings,
sierten
wenn
„richtig verstan-
Protestanten Anhänger
(Kalvinider
neuen
den", d u r c h E r z i e h u n g mit d e m
Lehre gewannen trotz zuerst zö-
aufklärerischen höchsten Prinzip
gernder,
des G e m e i n w o h l s v e r e i n b a r .
schiedener die
H E R M E S TRISMEGISTOS
malgrößte
(der drei-
Hermes):
Begründer
und
wahrscheinlich l.Jh. v.Chr.
Mythischer
Priester in
einer
Ägypten
entstandenen,
im von
d e n G r i e c h e n a u f g e g r i f f e n e n religiös-philosophischen
Lehre;
sie
setzten d e n N a m e n ihres G o t t e s H e r m e s a n d i e Stelle d e s ä g y p t i schen von
Gottes
Toth,
Hermapolis,
des
Gottes
Erfinders
der
Schrift, Beschützers der Wissenschaften, terboten,
großen
Magiers,
Seelenführers.
GötAlles
Wissen der Wissenschaft und Religion w u r d e a u f ihn ü b e r t r a g e n und
als
„hermetische
hochgeschätzt.
Bücher"
Grundgedanke
des a u c h j ü d i s c h e E l e m e n t e e n t haltenden
Systems
ist
die
Exi-
stenz des von G o t t geschaffenen V e r s t a n d e s (nus), der w i e d e r die Seele
schafft,
die
verschiedene
K ö r p e r d u r c h w a n d e r t ; die G ö t t e r des Volksglaubens w e r d e n geduldet.
Die
arabische
Philosophie
h a t viel d a r a u s e n t l e h n t .
dann
vereinzelt
Eindämmung
französischen
entdurch
Könige
auf-
g r u n d d e s Beitrittes H o c h a d l i g e r u n d von Mitgliedern des Königshauses B o d e n u n d auch politische Bedeutung.
Die
Zugeständnisse
des
von
Saint
Edikts
Germain
(1562) b e a n t w o r t e t e n die H. mit blutigen
Ausschreitungen;
das
Blutbad von Vassy gab ihnen den V o r w a n d z u m offenen Krieg, der in 8 e i n z e l n e n K r i e g e n sich ü b e r 70 J a h r e erstreckte. Auf Krieg — mit
aufseiten
der
argen Greueln
—
H.
besonders
folgte jeweils
E d i k t , auf d i e als F r i e d e n s s c h l u ß g e d a c h t e H o c h z e i t des H . H e i n rich v o n N a v a r r a m i t d e r k a t h o l i schen
Prinzessin
mäusnacht
(s. d.).
die
Bartholo-
Den
trefflich
o r g a n i s i e r t e n , als s e l b s t ä n d i g e p o litische
Macht
gewährte
auftretenden
Heinrich von
H.
Navarra
als K ö n i g H e i n r i c h I V . d u r c h d a s Edikt von Nantes
1598
Gleich-
stellung mit den Katholiken. N u n w a r e n d i e H . ein S t a a t i m S t a a t m i t e i g e n e r V e r f a s s u n g u n d eigenem Heer, der gegen den König Bündnisse
mit
dem
Ausland
schloß. HIEROPHANT:
D e r oberste
Prie-
Diese Sonderstellung brach Ri-
s t e r bei d e n E l e u s i n i s c h e n M y s t e -
chelieu,
rien.
selbst m a c h t e d e n H . d u r c h E i n -
aber erst Ludwig X I V .
Glossar schränkung ihrer Rechte,
inten-
sive f r i e d l i c h e , a b e r a u c h s t r e n g e Bekehrungsbemühungen kehrten
massenhaft
zurück)
und
vor
trug;
gegen
den
„Jesuitismus"
setzt der J. eine eigene F r ö m m i g -
H.
k e i t s f o r m , d e n Q u i e t i s m u s (s. d.).
Kirche
T r o t z der Verurteilung von fünf
(die
zur
247
allem
1685
Sätzen
des
„Augustinus"
durch
durch A u f h e b u n g des Edikts von
Papst I n n o z e n z X. u n d des Ein-
N a n t e s ein E n d e . T r o t z V e r b o t s
greifens
wanderten
der J.
Baden,
viele
H.
aus
Württemberg,
nach
Hessen,
Ludwigs große
XIV.
machte
Fortschritte
durch
die g l ä n z e n d geschriebene Satire
Brandenburg, der Schweiz, H o l -
Pascals
land und England.
( 1 6 5 7 ) g e g e n d i e J e s u i t e n u n d ih-
„Lettres
provinciales"
ren „Probabilismus" JANSEN,
CORNELIUS
Bischof
von
Hauptwerk
(1585—1638),
Ypern:
In
„Augustinus"
seinem über-
ihm
als
(s. d.), v o n
Zweckmoral
gegeißelt,
sowie durch den Anschluß m e h rerer Bischöfe.
Die
Frauenabtei
s p i t z t e er, z u r ü c k g e h e n d auf B a -
P o r t Royal, der H e r d des Janse-
j u s (s. d . ) , d i e L e h r e d e s hl. A u g u -
nismus, w u r d e 1709 a u f g e h o b e n ,
stinus
über
Urständ,
Erbsünde,
1710 z e r s t ö r t , 2 0 1 S ä t z e des l e t z -
G n a d e , Freiheit in Richtung Prä-
ten
destination
Quesnel,
(Vorausbestimmung),
Haupts
der
1718
Jansenisten,
durch
die
„Unigenitus"
des s t a r r e n n i e d e r l ä n d i s c h e n K a l -
Bulle z u m S t a a t s g e s e t z g e m a c h t ,
vinismus
Er
w o r a u f d i e sich n i c h t U n t e r w e r -
starb jedoch in Frieden mit der
f e n d e n (die „ A p p e l l a n t e n " i m G e -
Kirche.
gensatz
gefördert
wurde.
Erst nach seinem T o d erschien sein „ A u g u s t i n u s " u n d l ö s t e d e n romfeindlichen,
vielfach
häreti-
s c h e n JANSENISMUS a u s . D i e s e r e ligiöse
Strömung
wurde
u. a.
d u r c h ihre e n g e V e r b i n d u n g m i t
zu
verurteilt
Bulle
w o r i n er d u r c h die N a c h b a r s c h a f t
den
und
die
„Akzeptanten")
a u s w a n d e r n m u ß t e n . Sie b i l d e t e n in den N i e d e r l a n d e n die schismatische
Kirche von Utrecht.
Der
G e i s t des J a n s e n i s m u s w i r k t e jedoch
in
der
Kirche
noch
im
19. J h . f o r t .
d e r Z e i t p h i l o s o p h i e z u e i n e m Bestandteil d e r f r a n z ö s i s c h e n Gei-
KABBALA
s t i g k e i t ; sie t r u g d i e s c h w e r s t e n
r u n g " ) : A n g e b l i c h v o n G o t t selbst
(hebräisch
„Überliefe-
K ä m p f e in die Kirche Frankreichs
dem Moses mitgeteilte tiefere Er-
und entfremdete durch ihren un-
kenntnis der im Gesetz verborge-
kirchlichen Rigorismus die Gläu-
nen Geheimnisse, die von Moses
bigen den S a k r a m e n t e n und der
a n d u r c h a u s e r l e s e n e israelitische
Kirche, was zweifellos zur f r ü h e n
G e i s t e r als T r a d i t i o n n e b e n d e r
Entchristlichung Frankreichs bei-
S c h r i f t w e i t e r g e g e b e n w o r d e n sei.
248
Glossar
E i g e n t l i c h ist d i e K . d a s i m S c h o ß
Vorstellungen;
des J u d e n t u m s e n t s t a n d e n e h a l b -
uns das W e s e n der Welt.
pantheistische
s t a n z ist „ d e r u n b e k a n n t e T r ä g e r
welches
orientalische
tionslehre schen
Religionssystem,
(s. d.)
Emana-
mit
Elementen
hellenisti-
vereinigt.
Mit
einer
Vielheit
von
Sub-
Eigenschaf-
ten", W a h r h e i t die Ubereinstimm u n g oder der Widerspruch zwi-
Wurzeln wohl schon im babylo-
schen
n i s c h e n Exil, w o die J u d e n m i t
drücklich
orientalischen
in i h r z e i g t sich
Vorstellungen.
Der
festgestellte
aus-
Umfang
Ideen,
besonders
dessen, was nicht m e h r g e w u ß t
bekannt
wurden,
w e r d e n k a n n , d i e B e g r e n z u n g al-
d ü r f t e ihr K e r n schon um die Zeit
les m e n s c h l i c h e n W i s s e n s bei L.
Christi, ihre letzte Ausgestaltung
h a t e n t s c h e i d e n d auf die A u f k l ä -
persischen,
w o h l i m 13. J h . n i e d e r g e s c h r i e b e n
r u n g u n d d a n n t i e f e r auf K a n t
worden
gewirkt.
sein.
Seit
dem
16. J h .
e t w a ist d i e K . z u s a m m e n m i t d e r G n o s i s (s. d.) d a s g r o ß e A r s e n a l freimaurerischer Lehren.
MAISTRE, JOSEPH DE ( 1 7 5 4 - 1 8 2 1 ) :
Sardischer
Staatsmann,
zuletzt
Staatskanzler u n d Minister in T u LOCKE, J O H N ( 1 6 5 2 — 1 7 0 4 ) : E n g -
rin. D e r a u s g e p r ä g t e s t e u n d k o n -
lischer
großem
s e q u e n t e s t e V e r t r e t e r rein k a t h o -
E i n f l u ß auf A u f k l ä r u n g u n d s p ä -
lischer A n s c h a u u n g e n . „ C o n s i d é -
tere
Philosoph
von
Vorweg-
rations sur la F r a n c e " : Verteidi-
(s. d.) w e n d e t e r
g u n g des K ö n i g t u m s von Gottes
Philosophie.
n a h m e der A.
In
sich v o n d e r W e l t z u m M e n s c h e n ,
Gnaden
von den anfangs noch vorhande-
„ D u p a p e " : eine Verherrlichung
nen
Tendenzen
der
Geschichte
epochemachend
systematischen
gegen
die des
Revolution; Papsttums
( v o n D e s c a r t e s h e r , s . d.) z u r K r i -
und
tik des m e n s c h l i c h e n V e r s t a n d e s ,
sche B e g r ü n d u n g des päpstlichen
wenn
Primates.
auch
concerning
sein
Werk
human
„Essay
als
klassi-
understand-
i n g " n o c h e b e n s o ein o b j e k t i v e s
MANI
Weltbild
M a n i c h ä e r . M . t r a t 2 4 2 n . C h r . als
sein
will
wie
kenntnistheoretischer
ein
und
chologistischer T r a k t a t von Methode.
Alle
erpsy-
(MANICHÄUS):
„Gesandter
des
Stifter
wahren
der
Gottes"
der
auf: wie einst B u d d h a nach In-
Vorstellungen
dien, Zoroaster nach Persien, Je-
stammen aus der E r f a h r u n g , der
sus n a c h W e s t e n , s o e r als d e r
ä u ß e r e n ( s e n s a t i o n s ) u n d d e r in-
letzte
neren (reflexion). D e r A u f b a u des
C h r i s t e n g a b e r sich als d e r v o n
B e w u ß t s e i n s ist e i n e s e h r d i f f e -
Jesus verheißene Paraklet (Heili-
renzierte
ger Geist) aus.
Klassifizierung
der
und vollkommenste.
Den
249
Glossar N a c h M. gibt es v o n A n b e g i n n
seines
Lichtreiches,
des
Göttli-
z w e i gleich e w i g e , u n g e z e u g t e le-
c h e n u n d U n g ö t t l i c h e n i n d e r ei-
bendige W e s e n , d e r e n eines g u t
genen N a t u r u n d in d e r W e l t er-
(Licht), deren anderes böse (Fin-
folgen.
sternis) ist. J e d e s W e s e n h a t sein
das Essen der Frucht v o m B a u m
Reich, bevölkert von unzähligen,
d e r E r k e n n t n i s (also d e r S ü n d e n -
aus
fall d e r Bibel).
ihm
hervorgegangenen We-
sen. D i e s i c h t b a r e W e l t u n d d e r M e n s c h sind e n t s t a n d e n a u s e i n e r Vermischung
der
dunklen
Ge-
lichten.
Der
schlechter mit den Mensch
wurde
nach
dem
im
Lichtreich erschauten Ideal gebildet, indem die Fürsten der Finsternis d e m g u t e n G o t t L i c h t t e i l e entrissen u n d in die Materie einschlossen.
D i e s e r L i c h t f u n k e ist
der vernünftige Geist des
Men-
s c h e n , ein A u s f l u ß d e s g u t e n G o t tes, s o m i t g ö t t l i c h e r S u b s t a n z .
Erster Schritt d a z u w a r
Der
Manichäismus
Leibfeindlichkeit und
Kinderzeugung
Auferstehung. nach
Das
dem Tode
mit seiner
verneint
Ehe
sowie
die
Weiterleben
besteht
in
der
R ü c k k e h r des göttlichen Funkens z u m Allgott. Somit steht der M a n i c h ä i s m u s v o n A n f a n g bis E n d e im krassen Gegensatz z u m Christentum. MIRABEAU, MARQUIS
HONORÉ DE
RIQUETTI
(1749-1791):
Be-
A b e r auch die M a t e r i e hat ihre
deutendster Politiker in den An-
eigene Seele, w e l c h e d e r Sitz d e r
fängen der Französischen Revo-
bösen
lution, in seinem von Ausschwei-
Begierlichkeit
ist.
So
er-
klärt der Manichäismus das Böse
fungen,
i m M e n s c h e n als n a t u r n o t w e n d i g ,
G e f ä n g n i s u n d Exil a u s g e f ü l l t e n
Schulden,
Skandalen,
den im gefallenen Menschen vor-
Leben der machtvollste K ä m p f e r
handenen
gegen
Zwiespalt
als
einen
den
Absolutismus.
Hatte
uranfänglichen, durch den Kör-
1789
per bedingten Zustand. D e m n a c h
l u n g als A b g e o r d n e t e r d e s d r i t t e n
gibt e s k e i n e E r b s ü n d e u n d k e i n e
Standes
Erlösungsbedürftigkeit. Die „Er-
Beredsamkeit
lösung" besteht nach M. in der
benden Einfluß. M. erstrebte den
B e f r e i u n g d e r i n aller N a t u r e i n -
S t u r z des „ A n c i e n r é g i m e " u n d
geschlossenen funken
durch
göttlichen die
Licht-
Kraft
in
der durch
Nationalversammseine
glänzende
zeitweise
maßge-
die E r r i c h t u n g e i n e r k o n s t i t u t i o
der
nellen M o n a r c h i e . In d e n Debat-
S o n n e (Jesus) u n d d i e u m g e b e n d e
t e n ü b e r d i e V e r f a s s u n g f o r d e Hi-
Luft (den Heiligen Geist).
e r ein a b s o l u t e s V e t o r e c h t f ü r d r n
I m M e n s c h e n sollte d i e B e f r e i u n g der Lichtteile d u r c h die E r kenntnis
des
guten
Gottes
und
König, der ihm aber wegen s r i n n V e r g a n g e n h e i t m i ß t r a u t e , wir .in dererseits a u c h die Versammluii|;
250
Glossar
weil er, w i e s o o f t v o n a n d e r e n , so
jetzt vom
Sein
Hof
rascher T o d
glück
für
den
Geld
nahm.
w a r ein
König
und
Unfür
Frankreich.
der „reinen Liebe" zu erreichen. Sein
Hauptwerk
„Geistlicher
Wegweiser" wurde besonders in Spanien u n d Italien gelesen u n d rief
zahlreiche
sche
mystisch-pietisti-
Vereinigungen
hervor,
die
MITHRA: U r a l t e r p e r s i s c h e r S o n -
alle F o r m e n d e s k i r c h l i c h e n L e -
nengott. D e r Mithraskult w a r der
bens verwarfen und verhöhnten.
an Einfluß bedeutendste heidni-
Papst
sche M y s t e r i e n k u l t i m r ö m i s c h e n
die L e h r e d e s M . i n e i n e r e i g e n e n
Kaiserreich, besonders unter den
Bulle, i n w e l c h e r d a s I n q u i s i t i o n s -
Innozenz
XI.
verurteilte
Beamten und den Soldaten ver-
d e k r e t v o n 1678 m i t 8 6 v e r u r t e i l -
b r e i t e t . G e r a d e d u r c h seine F o r -
ten
d e r u n g eines sittlichen Lebens mit
selbst w u r d e l e b e n s l ä n g l i c h e i n g e -
Belohnung im Jenseits w a r er der
k e r k e r t . E r s t a r b v e r s ö h n t mit d e r
Hauptrivale des f r ü h e n Christen-
Kirche.
Sätzen
bestätigt w u r d e ;
M.
tums. D e r Kult w u r d e von Kaiser K o n s t a n t i n d . G r . (4. J h . ) v e r b o ten, d u r c h Kaiser Julian Apostata
MONISMUS: P h i l o s o p h i e , d i e n u r
wiederhergestellt; er verschwand
eine A r t von S e i e n d e m a n n i m m t ,
endgültig unter Kaiser T h e o d o -
entweder
sius.
n u r Geistiges. D e n U r s p r u n g der
Alte
Mithrasheiligtümer
Deutschland
sind
die
in
Saalburg
und Osterburken. MOLINOS,
nur
Materielles
oder
W e l t e r k l ä r t d e r M . e n t w e d e r aus ihrer
eigenen
Substanz
(athei-
stisch) o d e r e r l ä ß t die W e l t g a n z in der Gottheit aufgehen, so daß
MIGUEL ( 1 6 4 0 — 1 6 9 6 ) :
alle
Dinge
der
göttlichen
nur
Modifikationen Wesenheit
sind:
Spanischer Priester, Vertreter der
pantheistischer Monismus, in der
q u i e t i s t i s c h e n (s. d.) M y s t i k . A u f -
N e u z e i t s t r e n g n u r bei S p i n o z a .
grund
seiner
Frömmigkeit
in
R o m als S e e l e n f ü h r e r l a n g e bis i n die
höchsten
Lehrte
Kreise
völlige
Seele,
auch
Streben
Verzicht
auf
der alles
M O N T A I G N E , M I C H E L DE ( 1 5 3 3 —
1592):
Französischer
Philosoph.
Neigte in den Hugenottenkriegen
Vollkommenheit.
(s. d.) m e h r z u r k a t h o l i s c h e n P a r -
M . s i e h t d a s W e s e n d e s geistli-
tei, w a r j e d o c h m i t d e m H a u p t
chen Lebens in der (erworbenen
der
oder eingegossenen)
Navarra,
nach
nach
geschätzt.
Passivität
Vernichtung
Beschauung aller
aktiven
K r ä f t e , um die R u h e in G o t t in
Hugenotten,
Heinrich
befreundet.
—
von Sein
W e r k , d i e E s s a y s , sind d e r S p i e gel s e i n e r a r i s t o k r a t i s c h e n
Seele
Glossar
251
Freiheit
„L'Avenir" greift er das Unter-
des Geistes. W e i l die natürliche
richtsmonopol der Universität —
Erkenntnis
eine E r r u n g e n s c h a f t d e r F r a n z ö -
und
seiner
postulierten keine
echten
Ergeb-
nisse e r r e i c h e , k ö n n e n w i r u n s r u -
sischen
hig i n D e m u t d e r g ö t t l i c h e n O f -
g r ü n d e t mit Lacordaire eine freie
fenbarung unterwerfen.
Schule.
M.
war
ein t r e u e r S o h n d e r K i r c h e — a u s Skeptizismus. bei
M.
so
—
Im G r u n d sind
Skepsis
wie
Glaube
m e h r eine eigenartige Außenseite. Sein
Ideal
ist
Skeptiker,
nicht
Pyrrhon
der
Revolution
In Pairskammer und Nationalbewundertsten
f ü r d i e U n t e r r i c h t s f r e i h e i t ist sein
son-
V e r d i e n s t . A u c h d u r c h seine f ü r die
den Werke
krates u n d die Unerschütterlich-
Elisabeth
keit des Stoikers Seneca. Im Mit-
auch
in
t e l p u n k t seines D e n k e n s s t e h t d e r
und
die
Begriff
schichte
der vorgeblichen
Gegenüber
„scholastischen
muß
Parlamentarier
E u r o p a s . D i e „ L o i F a l l o u x " 1850
zen b e w u ß t e Nichtwissen des So-
Verbildung"
und
antike
(s. d . ) ,
Natur.
an
versammlung wird M. einer der
dern das der menschlichen Gren-
der
—
nach ihm
die
Hagiographie
bahnbrechen-
„Histoire
de
de
Hongrie",
Sainte alsbald
Deutschland verbreitet, klassisch des
schöne
Ge-
Benediktinerordens
wirkte er wie kein anderer Franzose
gegen
die
Vorurteile
der
Erziehung überall die N a t u r er-
„modernen
halten und wecken.
u n d f ü r die gerechte W ü r d i g u n g
Welt"
Frankreichs
der Kirche. MONTALEMBERT,
DE
CHARLES
( 1 8 1 0 - 1870):
Frankreich,
COMTE
G l e i c h w o h l t r e n n t e e r als s o g e -
von
n a n n t e r „ e d l e r L i b e r a l e r " sich i n
Pu-
seiner
Pair
Kammerredner,
Spätzeit
vom
integralen
blizist u n d H i s t o r i k e r . V o r k ä m p -
Katholizismus eines Veuillot u n d
fer f ü r kirchliche u n d politische
f a n d mit S c h m e r z in den Sätzen
Freiheit gegen den Absolutismus
des
der Nachrevolutionszeit und ge-
Toleranz
Syllabus
Redefreiheit
verurteilt
und
und damit
gen die U n t e r d r ü c k u n g d e r ka-
sich selbst als L i b e r a l k a t h o l i k e n .
tholischen
Wenige
Iren
und
Polen;
für
Tage
korporative Gesellschaftsordnung
mitten
(das
fentlichte
„Ancien
régime");
f ü r die
im
vor
seinem
I. V a t i k a n u m er
aus
Tod veröf-
heftigster
Be-
f r o m m e mittelalterliche K u n s t ge-
s o r g n i s ü b e r ein e t w a i g e s U n f e h l -
gen
barkeitsdogma
den
halbheidnischen
Prunk
einen
den
Papst
der Renaissance; f ü r die katholi-
b i t t e r k r ä n k e n d e n Brief. D e n n o c h
sche Kirche gegen Gallikanismus
w o h n t e Pius IX., um seinen gro-
und Voltairianismus.
ß e n D i e n e r z u e h r e n , e i n e r stillen
Als
Mitar-
beiter von Lamennais' Zeitschrift
M e s s e f ü r ihn bei.
Glossar
252
M O N T E S Q U I E U , C H A R L E S BARON DE
NATURALISMUS:
(1689—1755): Französischer phi-
p h i e d a s B e s t r e b e n , alles G e s c h e -
losophisch-politischer Schriftstel-
hen auf natürliche Art zu erklä-
ler, d e r B e g r ü n d e r d e r G e s c h i c h t s -
ren,
wissenschaft in der Aufklärung.
schen
Lernte von Locke, m e h r noch von
göttlicher
der
auch der göttlichen O f f e n b a r u n g ,
Betrachtung
der
englischen
In
Leugnung
der
über dem
Men-
geistiger
oder
liegender
Prinzipien,
besonders
s t a a t l i c h e n E i n r i c h t u n g e n . I n sei-
führt
nem H a u p t w e r k „ V o m Geist der
Atheismus. A n a l o g im religiösen
G e s e t z e " findet er die B e d i n g u n -
Bereich.
gen
des
politischen
Lebens
zum
Philoso-
Materialismus
und
der
V ö l k e r überall in der N a t u r , dem
NECKER,
G e i s t des V o l k e s , s e i n e n A n l a g e n ,
Stammte aus G e n f , in Paris Ban-
JACQUES
(1732-1804):
dem Klima und den Verhältnissen,
kier u n d S t a a t s m a n n v o r u n d zu
w i r k t d a d u r c h s t a r k auf H e g e l u n d
Beginn der Französischen Revo-
die
lution.
spätere
Geschichtswissen-
Gewährte
dem
Staat
s c h a f t a u c h d e s 19. J h . Sein d a m i t
große Kredite, wurde von Lud-
doch
uto-
w i g X V I . i n h ö c h s t e r N o t 1777
gip-
zum Generaldirektor der Finan-
wieder
verbundenes
pisch-abstraktes
Staatsideal
felt in d e r — von L o c k e s t a m m e n -
zen
den — G e w a l t e n t e i l u n g : die ge-
nanzpolitischen Geschicks konnte
s e t z g e b e n d e G e w a l t (des S o u v e -
er
r ä n s , in England das Parlament),
S t a a t s f i n a n z e n n i c h t s a n i e r e n ; als
z u r V o r b e u g u n g des Mißbrauchs
er die Lage u n d die V e r s c h w e n -
gemacht; die
trotz
großen
bedrohlich
fi-
zerrütteten
s o w o h l als z u s t ä r k e r e r D u r c h p o l i -
d u n g des H o f e s darlegte, w u r d e
tisierung
e r 1781 e n t l a s s e n . 1788 auf D r ä n -
des V o l k e s
davon ge-
t r e n n t d i e r i c h t e r l i c h e u n d d i e voll-
gen
ziehende
wieder
Gewalt.
Diese
Staats-
lehre w u r d e w e n i g e r f ü r die F r a n -
der
öffentlichen
Meinung
Generaldirektor,
ver-
langte N. zu den Generalständen
z ö s i s c h e R e v o l u t i o n als f ü r d e n li-
(s. d.)
beralen Staat u n d die konstitutio-
dritten Standes, w u r d e deswegen
nelle
Monarchie
des
Vertretung
des
in
a m 11. Juli 1 7 8 9 w i e d e r e n t l a s s e n .
h a t aller-
D i e V o l k s u n r u h e n (14. Juli S t u r m
dings auch, zumal außerhalb der
auf d i e Bastille) e r z w a n g e n seine
englischen insularen Verhältnisse,
R ü c k b e r u f u n g , d o c h seine s c h w a n -
zur S c h w ä c h u n g des Staates u n d
kende
z u m Freiwerden der bestechlichen
d i e V o l k s g u n s t . Als d i e k o n s t i t u -
Gewalten im Staat (Kapital, Par-
ierende
teien, Interessenvertretungen) ge-
mer
führt.
ablehnte, trat er zurück.
ganz E u r o p a wichtig,
19. J h .
doppelte
Haltung brachte Versammlung
1790
seinen
ihn im
um
Som-
Anleiheantrag
253
Glossar NEOPHTT: D e r „ N e u g e p f l a n z t e " ,
auch in jeweils n e u e r Weise, d e r
in altchristlicher Zeit der N e u g e -
Aufschwung
taufte, später der in einen O r d e n
P r o b l e m o d e r G e g e n s t a n d als A b -
neu A u f g e n o m m e n e .
s p r u n g zu „ d e m E i n e n " statt. Systematisch
vom
ergriffenen
vorgestellt
seine
Lehre
r i e n k u l t d u r c h die K u l t h a n d l u n g ,
„Eine" — G o t t —, vorzüglich ne-
das O p f e r , Anteil an d e m G o t t
g a t i v b e s t i m m t als d a s U n - b e d ü r f -
und
Erlösung vom
Diesseits zu
tige,
drei
hat
NEUPLATONISMUS: S t a t t im M y s t e -
Hauptstücke:
Un-teilbare,
das
Un-räumliche,
s u c h e n , b e a n s p r u c h t d e r N . auf
U n - e n d l i c h e , a b e r n i c h t i n dies-
bessere u n d
seitiger
dem geistigen G o t t
angemessenere Weise
durch
die
Unvollendbarkeit,
son-
d e r n i m G e g e n t e i l , „weil d i e Fülle
Erkenntnis — das wahre „ O p f e r "
seiner
—
Befreiung von der Welt und
u m f a ß b a r ist".
die
ekstatische Vereinigung
mit
inneren Wirksamkeit
un-
D a s E i n e , selbst n i c h t S e i e n d e ,
dem Gott zu geben. So der Ägyp-
ist
t e r PLOTIN ( 2 0 4 — 2 7 0 ) , d e r g r o ß e
alles S e i e n d e n , d i e ü b e r f l i e ß e n d e
eben
darum
der
Ursprung
P h i l o s o p h des N . u n d e i n e r d e r
Quelle der Welt. — Aus dem ab-
einflußreichsten überhaupt.
getrennten,
P . s p r i c h t u n d lebt g a n z i n P i a -
stillstehenden
Einen
geht d e r N u s hervor, die zweite
tons Begriffen und G e d a n k e n g ä n -
Gottheit,
gen. D e n n o c h f ü h r t in W a h r h e i t
und das G e d a c h t e : das G a n z e der
zugleich
die
Denken
keine Brücke von d e m neuen Zeit-
Urbilder,
alter d e s j e n s e i t i g e n G o t t e s — sei
Welt.
e s d i e c h r i s t l i c h e o d e r die h e i d n i -
E b e n e s c h a f f t d e r N u s d i e Seele
—
Ideen,
das
geistige
Auf der nächstunteren
sche Philosophie — z u r Zeit des
—
genuin griechischen Weltgefühls
d r i t t e n G o t t , u n d m i t ihr die s i n n -
zunächst Weltseele
—,
den
der Heiligkeit der N a t u r (zu der
liche W e l t . D u r c h d i e S e e l e g e -
die G ö t t e r g e h ö r e n ) , d e r Göttlich-
w i n n e n die u n b e w e g l i c h e n Ideen
keit
natürlich-diesseitigen
Schaffenskraft in der Sinnenwelt,
Seins. P . h ä t t e sich s o g a r m i t d e m
i n d e m sie sich i n d e r S e e l e z u
l a t e i n i s c h - a f r i k a n i s c h e n hl. A u g u -
Keimkräften verwandeln.
des
stinus
kämpfend
verständigen
k ö n n e n , erst r e c h t m i t d e n g r i e c h i -
Unterhalb
d e r Seele die
Sin-
n e n w e l t h a t z u g l e i c h teil a n d e r
schen Kirchenvätern; er u n d Pia-
Materie, dem Nichtseiendem, das
t o n h ä t t e n sich m i t k e i n e m W o r t
z w i s c h e n d a s Sein g e m i s c h t ist —
verstanden.
d a h e r das W e r d e n —, d e m D u n -
In Plotins Schriften, zunächst
kel, in d a s s t e l l e n w e i s e L i c h t fällt.
als G e h e i m l e h r e f ü r w e n i g e b e -
E n t g e g e n d e r G n o s i s ist f ü r P l o -
stimmt,
tin d i e W e l t s c h ö p f u n g n i c h t b ö s e .
findet
jedesmal,
wenn
254
Glossar
D i e s e s W e l t b i l d b e k o m m t seine Realität j e d o c h erst v o m dritten
der in K a n t , Fichte, Schelling u n d Schopenhauer genauso wirkte.
Schritt, d e m in der Wirklichkeit e r s t e n : d e m A u f s t i e g d e r Seele z u
NEWTON,
d e m Einen. N u r in dieser H a n d -
nach Galilei u n d Kepler d e r dritte
lung gewinnt der Mensch Anteil
u n d letzte der Klassiker der neu-
am j e n s e i t i g e n S e i n . Ziel ist d i e
zeitlichen Naturwissenschaft u n d
ISAAC
( 1 6 4 3 - 1727)
ist
wirkliche E n t r ü c k u n g z u m Einen,
ihr V o l l e n d e r ,
d i e E k s t a s i s , die d e m P l o t i n , l a u t
Forschungen in Astronomie, Me-
insofern
er
ihre
seinem H a u p t s c h ü l e r Porphyrios,
chanik u n d O p t i k z u s a m m e n mit
während
verschiedenen
dieser
bei
ihm
lebte,
v i e r m a l w i d e r f a h r e n ist.
kungen
D i e S u b s t a n z d e r Seele ist d e r
auf
eigenen eine
Entdek-
durchgehende
Formel bringt, w o d u r c h erst das
f r e i e W i l l e , v o r allem d e r W i l l e
neue Weltbild von der N a t u r ge-
zum Aufstieg zu dem Einen zu-
genüber dem
alten
nächst über die vier K a r d i n a l t u -
scholastischen
als
genden,
h ö h e r über die
cher und bestimmbarer N a t u r z u -
Askese u n d schließlich z u r T h e o -
s a m m e n h a n g abgeschlossen wird.
ria, d e r S c h a u G o t t e s u n d H e i m -
Die Unterschiede der Himmels-
sodann
k e h r in die himmlische H e i m a t . In
den
Schulen
von
Syrien,
A t h e n (formal n o c h die platonis c h e A k a d e m i e ) , A l e x a n d r i e n lebten
die
Alles,
Gedanken was
Philosophie
an
Plotins
fort.
nichtchristlicher
und
Religion
noch
und
den
Sieg
des
einheitli-
u n d E r d m e c h a n i k sind jetzt a u f gehoben, Welt
der
Mensch
gegenüber
durch den wurf seiner und
tritt
und
kann
mathematischen Phantasie
größtenteils
der sie Ent-
begreifen
auch
beherr-
schen.
existierte, w a r N . D e n V e r f a l l des Heidentums
aristotelischein
T r o t z d e m ist d i e s e N a t u r e r k l ä rung
nicht unabhängig von
der
Christentums konnte der N. (dem
Bindung an den jenseitigen Gott,
auch der Kaiser Julian Apostata
im
angehörte) nicht aufhalten, doch
i n i h r e r s a c h l i c h e n G r ö ß e n u r als
die
Gedanken
Plotins
wirkten
Gegenteil
Schöpfung
kann
Gottes
die
Natur
methodisch
n i c h t n u r auf d e n hl. A u g u s t i n u s ,
rein verstanden w e r d e n . N. ent-
sondern über den Christen Pseu-
n a h m d i e G r u n d l a g e aller s o l c h e n
d o d i o n y s i o s A r e o p a g i t a ( u m 500
exakten mathematischen Berech-
i n S y r i e n ) s e h r s t a r k auf d a s M i t -
nungen, den absoluten R a u m und
telalter. Ü b e r J o h a n n e s E r i u g e n a
die a l l g e m e i n e M a s s e n a n z i e h u n g ,
und
Elemente
der Mystik
Eck-
als
deutlich
erklärte
„dogmati-
h a r d s w u r d e n sie a u c h u n t r e n n -
sche" Begriffe aus d e r M e t a p h y -
barer
sik, u n d z w a r a u s d e r d e r C a m -
Bestandteil
der
Neuzeit,
255
Glossar bridger Neuplatoniker: der R a u m
die meisten F r a n z i s k a n e r u n d Je-
ist d a s „ S e n s o r i u m " G o t t e s , seine
suiten zuneigten. — D i e Janseni-
Allgegenwart;
die
K r a f t ist die
mus",
PENTAGON: F ü n f e c k . PENTAGRAMM :
s t e n (s. d . ) , G e g n e r d e r J e s u i t e n , verstiegen
Allmacht Gottes.
zur
sich
zum
„Tutioris-
Sicherheit
der
Ver-
p f l i c h t u n g , d i e gilt, s o l a n g e n i c h t
Drudenfuß,
Dru-
die f ü r Freiheit s p r e c h e n d e Mei-
denkreuz, Mahrkreuz: Magisches
nung gewiß oder „höchst wahr-
Zeichen, F ü n f e c k aus drei inein-
s c h e i n l i c h " ist.
ander in
verschränkten
einem
Zug
Dreiecken,
gezeichnet.
Volksaberglauben
noch
Im
heute
z u m S c h u t z g e g e n d i e D r u d (die das Alpdrücken bewirkt) im G e brauch.
PYRRHON
von
VON
ELIS
Demokrits
lehre — V e r w e r f e n des Zeugnisses d e r S i n n e — a u s g e h e n d , s i e h t überhaupt für
kein
streitende
Kriterium
mehr
Wahrnehmungen
und Gedanken.
PLOTIN: S. N e u p l a t o n i s m u s .
(360 — 270),
Wahrnehmungs-
Die W a a g e der
V e r n u n f t soll s t ä n d i g i n S c h w e b e PROBABILISMUS:
In
der
Moral-
sein, d a r u m m u ß j e d e s J a d u r c h
t h e o l o g i e d i e L e h r e , d a ß m a n sich
ein
in Fällen des Zweifels, ob V e r -
Dies
pflichtung o d e r Freiheit vorliege,
menschlichen Wertprädikate „gut"
f ü r Freiheit entscheiden darf, so
und
oft das Nichtbestehen von Ver-
„häßlich".
pflichtung Von
jeher
wahrscheinlich bei
ist.
und
Nein gilt
ausgeglichen vor
werden.
allem
„schlecht", Genau
für
die
„schön" wie
und
die
Stoa
E p i k u r erstrebt die v o n
P.
vernünftiger
begründete ältere, radikale Skep-
maßgebend,
sis l e t z t l i c h d i e p r a k t i s c h e U n b e -
Pflichterklärung
wurde der P. von Bartholomäus
rührbarkeit und Autarkie.
d e M e d i n a O . P . u m 1560 z u m System entwickelt. W e g e n laxer
Von
H a n d h a b u n g erwuchsen dem P.
selbst ist n u r b e z e u g t , d a ß e r die
i m 17. J h . G e g n e r , d i e s t a t t d e s P .
Seelenwanderung
den
lehrten,
auch
um
gründete in K r o t o n in Unterita-
„Probabiliorismus"
wonach
eine
Meinung,
zu-
PYTHAGORAS
von
Samos
lehrte
Wissenschaftler
war.
und Er
gunsten der Freiheit befolgt wer-
lien
d e n z u d ü r f e n , sich auf w i c h t i -
m e m Leben mit kultischen Regeln
gere
Gründe
und
der
Verpflichtung
als
die
zugunsten
sprechenden
b e r u f e n m u ß t e . D i e s e r f a n d seine Vertreter im Dominikanerorden, w ä h r e n d sich d e m
einfachen P.
einen einer
Orden
zu
Art von
gemeinsaPhilosophie
und Wissenschaft. O f f e n b a r stand er mit der — gegenüber d e m nationalen griechischen W e s e n a r t f r e m d e n — Welle
256
Glossar
religiösen A u f s c h w u n g s in Z u s a m -
Bulle
m e n h a n g , die, i n V e r b i n d u n g m i t
Bulle „ U n i g e n i t u s " 1 7 1 3 p r o m u l -
d e m D i o n y s o s k u l t , im 6. J h . v. C h r .
g i e r t w u r d e u n d i n d e r 101 S ä t z e
Griechenland
Qu.s verworfen wurden.
überlief
mit
einer
Lehre der scharfen T r e n n u n g von K ö r p e r u n d Seele u n d d e m Ziel der Befreiung vom Rad der Geburten durch Reinigungen in Mysterienkulten. — Die Philosophie der Pythagoräer w a r Zahlentheorie
und
Zahlenspekulation,
die
Z a h l e n e r h a l t e n ein e i g e n s t ä n d i g e s L e b e n . Alles i n d e r W e l t ist n u r Z a h l . D i e B e s c h ä f t i g u n g mit d e n Zahlen — dem gegenüber der N a t u r R e i n e n , E x a k t e n — ist bei i h nen eine F o r m des Strebens der Seele n a c h R e i n i g u n g u n d B e f r e i u n g von d e r N a t u r . D o c h die Beg r ü n d u n g d e r M a t h e m a t i k als exakte W i s s e n s c h a f t d u r c h die P y t h a g o r ä e r ist e i n e t y p i s c h g r i e c h i s c h e L e i s t u n g . — D e r O r d e n als
gegen
Qu.,
QUIETISMUS:
die
Abart
mit
der
der
Mystik,
die d a s W e s e n d e s g e i s t l i c h e n L e bens in der e r w o r b e n e n o d e r eingegossenen
Beschauung
(Gebet
d e r R u h e ) s i e h t u n d völlige H i n gabe
an
Gottes
Wirken
durch
V e r n i c h t u n g der aktiven Seelenkräfte (mystischer T o d ) verlangt, d a m i t die R u h e in G o t t z u r „rein e n L i e b e " G o t t e s f ü h r e . Passivit ä t soll n a c h T h e o r i e u n d P r a x i s e i n i g e r l i t e r a r i s c h e r H ä u p t e r des Qu. auch gegenüber Naturtrieben und
Versuchungen
des
Teufels
gelten, da die in G o t t versenkte Seele
zur
Selbstentäußerung
durch Erleiden von Sündenfällen g e l a n g e n soll.
S t a a t k o n n t e sich n e b e n d e r e b e n -
D e r Q u . lehnt jegliche Aszese
falls r e l i g i ö s g e b u n d e n e n g r i e c h i -
ab. E r w u r d e w i e d e r h o l t v o n d e r
schen Polis nicht halten; die Philo-
K i r c h e v e r w o r f e n . E r ist i n vielen
s o p h e n s c h u l e e r h i e l t sich n o c h i m
Irrlehren
5. u n d 4. J h .
( H e s y c h a s t e n i m 6 . J h . , s p ä t e r bei
älterer Zeit vorhanden
den Brüdern und Schwestern vom freien Q U E S N E L , PASCHALIS ( 1 6 3 4 — 1 7 1 9 ) :
Letztes
Haupt
des
Jansenismus
(s. d.), d e s s e n G e i s t e r v o n f r ü h e r Jugend
bis
z u m T o d beibehielt.
( E r s t a r b als A p p e l l a n t . ) U m seine „Réflexions morales" (1694) ent-
Geist)
und
besonders
d u r c h M o l i n o s (s. d.) im 17. J a h r hundert
verbreitet
worden,
auf
d e n sich d e r B a r n a b i t L a c o m b e , der Seelenführer der M m e G u y o n (s. d.), b e r u f t .
brannte der Jansenistenstreit aufs
ROSENKREUZER:
n e u e ; sie w u r d e n v o m P a p s t 1708
m a l s 1614 i n d e r L i t e r a t u r m i t z w e i
verurteilt u n d verboten.
Erscheinen
erst-
Da der
Schriften des württembergischen
Kampf nicht aufhörte, erbat Lud-
Pastors J o h a n n Valentin Andreae
wig X I V .
( 1 5 8 6 - 1 6 5 4 ) m i t d e m T i t e l : „All-
1711 v o m P a p s t e i n e
Glossar
257
gemein und General Reformation
Diese Geschichte des Christian
der Gantzen weiten Welt. Bene-
Rosenkreuz, einer fingierten Per-
ben der F a m a Fraternitatis Dess
s o n , gilt v i e l f a c h als M y s t i f i k a t i o n
Löblichen creutzes
Ordens an
alle
des
Rosen-
Gelehrten
und
H ä u p t e r Europas geschrieben." Der
zweite
Fraternitatis
Templerordens,
der,
zwar
seine
Geheimnisse
und
Schätze
„Fama
bewahrend, weiterbestanden und
Brüderschaft
auf seine W i e d e r e r s t e h u n g z u ei-
Teil, oder
des
verboten, jedoch im Untergrund
die
des H o c h l ö b l i c h e n O r d e n s d e s R .
nem
C.", berichtet die mysteriöse G e -
wartet
s c h i c h t e des a n g e b l i c h 1378 g e b o -
Zeiten des H u m a n i s m u s , der R e -
renen
naissance
Christian
eine
Rosenkreuz,
Wallfahrt
nach
der
Jerusalem
günstigeren habe,
Zeitpunkt
welcher
und
ge-
nach
den
der
Reformation
—
Einen echten
g e k o m m e n sei.
machte, in D a m a s k u s u n d Fez in
Rosenkreuzer-Orden
die u r a l t e n g e h e i m e n W e i s h e i t e n
g e g e b e n . W o h l h a b e n sich auf d i e
und Erkenntnisse der Araber ein-
„Fama"
geweiht
schaften gebildet, auch solche der
wurde
Deutschland
und
mit
später
anderen
in
Klo-
damals
hin
hat es
zahlreiche
noch
nie
Gesell-
inoffiziellen
Frei-
s t e r b r ü d e r n die B r u d e r s c h a f t d e s
maurerei, w e n n dies auch von ihr
Rosenkreuzes
b e s t r i t t e n w i r d . J e d e n f a l l s h a t sie
mit
dem
Zweck
g r ü n d e t e , die Kirche z u m U r c h r i -
sich
s t e n t u m z u r ü c k z u f ü h r e n u n d die
k r e u z e r g r a d e einverleibt, z. B. d e n
menschliche W o h l f a h r t in
Grad
und
Kirche
zu
Staat
begründen.
Ein
später verschiedene des
kreuz",
„Ritters
englisch:
vom
RosenRosen-
„Knight
Rose
v e r b o r g e n e s H a u s „ S a n c t i Spiri-
C r o i x " als T r ä g e r d e s 18. G r a d e s
t u s " sei i h r e Z u f l u c h t s s t ä t t e g e w e -
des A. u. A. Schottischen Ritus;
sen.
e n t s p r e c h e n d e S t u f e n g i b t e s bei
Dort
kreuz, seine 120
sei
Christian
Rosen-
106 J a h r e alt, g e s t o r b e n ; verborgene
Jahre
Grabstätte
später
sei
aufgefunden
zahlreichen anderen Hochgradrit e n . A u ß e r d e m w u r d e n 1785 d i e beiden
Orden
der
„Chevaliers
worden. Die zum Grabe führende
Rose-Croix" und der „Chevaliers
T ü r h a b e die Ü b e r s c h r i f t getra-
Templiers
gen:
patebo".
mengelegt u n d die A d e p t e n „ S o u -
Z u s a m m e n mit d e m unverwesten
verain Princes Rose-Croix d ' H é -
Leichnam
rodom"
„post
120 habe
annos man
zahlreiche
d'Hérodom"
genannt.
Bezeichnung
zusam-
Interessant
mystische Schriften g e f u n d e n , besonders das „Buch T" mit golde-
wird
nen Buchstaben, welches von den
Templerorden
R o s e n k r e u z e r n f o r t a n w i e d i e Bi-
f ü h r t , insofern einige seiner Mit-
bel v e r e h r t w o r d e n sei.
glieder,
auf
Hérodom.
ist
die
den
nach
Sie
ursprünglichen
(s. d.) der
zurückge-
Verurteilung
258
Glossar
seines G r o ß m e i s t e r s J a c q u e s M o -
eine
lay
ein
(1313)
nach
flüchtet,
in
Schottland
einheitliche einheitliches
Richtung Ritual
und
ausgear-
nicht
b e i t e t . D a m i t ist d a s R o s e n k r e u -
mehr unter dem N a m e n Templer
z e r t u m ein fester Bestandteil der
aufgetreten seien, s o n d e r n einen
Freimaurerei geworden.
Konvent Haus) die
„Hérodom"
(Heiliges
gegründet und
insgeheim
Templertradition
hätten. die
Kilwinning
ge-
Diese
fortgesetzt
Niederlassung
verborgene
Grundlage
sei und
der Ausgangspunkt der Freimaurerei. Die T e n d e n z e n zur Astrologie, Magie, Alchimie, T h e o s o p h i e , die im
16. J a h r h u n d e r t D e u t s c h l a n d
besonders
heimsuchten,
lehnen
die R o s e n k r e u z e r vielfach ab u n d sublimieren
den
Gedanken
der
G o l d m a c h e r e i zu einer spirituellen A l c h i m i e ( J a k o b B ö h m e ) , d a mit d e r v o n seiner h o h e n W ü r d e herabgesunkene gehoben
und
Mensch wieder
emporzur
ur-
sprünglichen Gottebenbildlichkeit transformiert werde durch Weisheit u n d E r k e n n t n i s : die Gnosis. Anfangs
noch
vorhandene
SOZINIANER: M i t d e m P r o t e s t a n tismus
zusammenhängende
Irr-
l e h r e d e s 16. J h . , d i e w e g e n L e u g nung
der
Dreifaltigkeit
gleich-
wohl von Lutheranern und Kalvinisten blutig verfolgt w u r d e u n d in Polen eine Z u f l u c h t fand. Ihre Lehre (niedergelegt 1605 im R a kower Katechismus)
leugnet mit
der
Dreipersönlichkeit
auch
die
Gottheit
Notwendigkeit
der
Gottes
Christi,
die
Gnade
und
die Erlösung. In P o l e n 1588 d u r c h d e n Italien e r F a u s t o S o z z i n i ( 1 5 3 9 — 1604) organisiert,
hatte
sie
die
Stadt
R a k o w als M i t t e l p u n k t m i t e i n e m G y m n a s i u m , das 1638 v o m S t a a t aufgelöst w u r d e . Ein D e k r e t des W a r s c h a u e r R e i c h s t a g s v o n 1658 besiegelte ihr Schicksal in P o l e n ; ihre
Anhänger
flohen
nach
christliche Elemente wichen m y -
Deutschland,
stisch-gnostischen
u n d in die N i e d e r l a n d e . In E n g -
Vorstellungen,
nach
Siebenbürgen
wobei die schillernde H i r a m - L e -
land
g e n d e , d i e f a s t alle F r e i m a u r e r -
S e k t e als U n i t a r i e r e r h a l t e n .
und Amerika
h a t sich
die
g r a d e d u r c h z i e h t , sich i n t i e f s t e r Bedeutung
auf
Luzifer
bezieht,
TAINE, HIPPOLYTE ( 1 8 2 8 - 1 8 9 3 ) :
der, von der „ T y r a n n e i " besiegt,
Französischer
sich i n d e r F r e i m a u r e r e i
—
K u l t u r h i s t o r i k e r . T . ist als P h i l o -
„Synagoge
Satans"
—
endlich
freimachen
konnte
und
erneut
der
Philosoph
und
soph Positivist u n t e r d e m E i n f l u ß von
Comte
und
Mill
und
ver-
zur Erringung der Herrschaft an-
s u c h t , als s o l c h e r h i s t o r i s c h e E r -
gesetzt hat.
eignisse aus „ g a n z kleinen b e d e u -
1875
w u r d e von Jules
Simon
tungsvollen
Tatsachen"
analy-
Glossar
259
tisch z u e r k l ä r e n . Alles m u ß sich
s c h i e d e n e n F o r m e n g e h t ins 4 . J h .
durch drei Faktoren: Rasse, Mi-
zurück.
lieu (als G e s a m t h e i t d e r ä u ß e r e n Umstände) und M o m e n t erklären lassen.
Seine
Milieutheorie
hat
v i e l f a c h auf die E r f o r s c h u n g d e r sozialen U m s t ä n d e geistiger u n d künstlerischer
Produktion
anre-
g e n d g e w i r k t . Sein u n v o l l e n d e t e s Hauptwerk
„Origines
France contemporaine"
de
la
kritisiert
ebenso gründlich wie g e d a n k e n reich die F r a n z ö s i s c h e R e v o l u t i o n und
das
napoleonische
Regime.
D e n g r o ß e n E i n f l u ß auf die Liter a t u r s e i n e r Z e i t v e r d a n k t e r ein e m g l ä n z e n d e n Stil u n d o f t t r e f fenden Einzelurteilen.
CHARLES
HERZOG
( 1 7 5 4 - 1838): U n -
DE
verwüstlichster
scher Philosoph, wollte das Christentum seiner Mysterien entkleid e n (er e r f a n d d e n N a m e n „ D e oder „Freidenker",
d.
h.
Vertreter einer Religion, frei von D o g m e n ) . In seinem W e r k „ P a n theistikon" (Ritual einer „ S o m a tischen Gesellschaft") näherte er sich e i n e m m a t e r i a l i s t i s c h e n M o n i s m u s (s. d.), d e n er als e r s t e r „Pantheismus" nannte.
MAURICE
europäischer
Staatsmann seiner Zeit, verstand durch außerordentliche diplomatische
Gewandtheit,
verbunden
mit g r o ß e r Skrupellosigkeit, vieru n d f ü n f z i g Jahre lang der
Französischen
dem
Directoire,
Bourbonen,
—
unter
Revolution,
Napoleon,
den
Orléans
—
den
d u r c h alle W e c h s e l f ä l l e h i n d u r c h immer wieder obenauf zu
kom-
m e n u n d die G e s c h i c h t e E u r o p a s maßgebend
mitzuformen.
Bischof v o n A u t u n ,
TOLAND, JOHN ( 1 6 7 6 — 1 7 2 2 ) : Iri-
isten"
TALLEYRAND,
bis
1788
ihn d e r
P a p s t w e g e n seines m a ß g e b l i c h e n Agierens f ü r die Säkularisierung d e r K i r c h e n g ü t e r u n d f ü r die Z i vilkonstitution
des
Klerus
mit
dem Bann bedrohte. TEMPLER: D i e 1 1 1 9 v o n H u g o d e P a y n s mit s i e b e n a n d e r e n R i t t e r n zum Schutz der Christen im Heiligen L a n d g e g r ü n d e t e r i t t e r l i c h e Genossenschaft,
die
1128
von
P a p s t H o n o r i u s II. als g e i s t l i c h e r R i t t e r o r d e n ( R e g e l v o m hl. B e r n -
TALMUD ( h e b r ä i s c h „ L e h r e " ) : G e -
hard von Clairvaux) bestätigt und
s a m t n a m e d e r f ü r die J u d e n ne-
v o n A l e x a n d e r III. 1 1 6 3 e n d g ü l t i g
ben
errichtet wurde.
der
Bibel
Schriftwerke,
gionsgesetzlichen gen
enthalten.
maßgebenden
welche
reli-
D e r O r d e n , dessen erstes H a u s
Überlieferun-
neben dem ehemaligen salomoni-
Die
die
wichtigsten
L e h r e n w u r d e n s c h o n E n d e des
schen
Tempel
lag
(daher
der
N a m e ) , g l i e d e r t e sich i n R i t t e r ,
2. Jh. zur Mischna zusammenge-
dienende Brüder und Ordenska-
faßt. D e r ganze T a l m u d in ver-
pläne , hatte auch sog. affiliierte
260
Glossar
(männliche tiarier.
u n d weibliche)
Ter-
E r v e r b r e i t e t e sich d a n k
s t a r k e n Z u z u g s u n d vieler S c h e n -
O r d e n , in D e u t s c h l a n d z. B. an die
Johanniter
oder
Deutsch-
ordensritter.
k u n g e n bald im A b e n d l a n d , be-
Diese
kurze
Wiedergabe
des
sonders in England, Frankreich,
P r o z e ß v e r l a u f s ist d i e a l l g e m e i n
Portugal
übliche
und
Spanien.
Ordens-
Version.
Dennoch
will
tracht: weißer Mantel mit r o t e m
das Interesse am O r d e n , den P r o -
K r e u z auf d e r l i n k e n Seite. A n
zeßgründen, dem Verhalten von
der Spitze des O r d e n s , der nun
König und Papst nicht verstum-
i m K a m p f g e g e n die U n g l ä u b i g e n
men, zumal G r ü n d e f ü r die A n -
als e i n e d e r b e s t e n T r u p p e n h ä u -
nahme
fig V e r w e n d u n g f a n d , stand der
s t i s c h e n U m p r ä g u n g des O r d e n s
vom
geltend gemacht werden.
Generalkapitel
gewählte
einer
esoterisch-kabbali-
Großmeister. Nach 1291
dem
Fall
von
Akkon
residierte der Großmeister
zunächst
in
Zypern,
dann
in
UTILITARISMUS:
der
hatte
— 1832),
den
Nieder-
g a n g d e r O r d e n s z u c h t z u r Folge. A u f g r u n d schwerlich haltbarer Anklagen
wegen
Ungläubigkeit
Jeremy
baren
der
bei
Grundsatz
(1748
Hume als
zur
das
brauch-
Erklärung
und Gestaltung der ethischen und sozialen
dens w u r d e dem
Bentham
lernt
Nützlichkeitsprinzip
u n d U n z u c h t i n n e r h a l b des O r des
Ethik
H o e r e s ) . Sein V a t e r , d e r E n g l ä n -
Frankreich. D e r große Reichtum stellenweise
„Die
Neuzeit und der Gegenwart" (W.
Tatsachen
kennen
und
1307
auf Betreiben
m a c h t es in „ g r o ß a r t i g e r Einsei-
Orden
verschuldeten
tigkeit"
zur
Grundlage
seines
f r a n z ö s i s c h e n K ö n i g s P h i l i p p des
Denkens. Streben nach Lust und
Schönen in Frankreich der Pro-
V e r m e i d u n g v o n U n l u s t sind d i e
zeß
einzigen
gegen
ihn
eingeleitet,
Ge-
s t ä n d n i s s e w u r d e n auf d e r F o l t e r
chen
erpreßt,
ihn
brannt;
viele 1314
Großmeister
T.
wurden
starb Jacques
der
verletzte
Molay
in
Güter
des
Ordens,
der
1312 v o n P a p s t K l e m e n s V . a u f Betreiben Philipps d. Sch. a u f g e hoben worden war, Frankreich
und
nahmen
England
ein
Doch
rücksichtslos
menschlikann
für
gegen
die
anderen durchgeführtes Luststreben niemals erfolgreich sein: Im echten Glücksstreben jedes Ein-
P a r i s auf d e m S c h e i t e r h a u f e n . Die
Triebfedern
Handelns.
in die
H e r r s c h e r in Besitz, in a n d e r e n L ä n d e r n f i e l e n sie a n v e r w a n d t e
z e l n e n ist d a s G l ü c k aller a n d e ren
miteingeschlossen.
Dadurch
k o m m t er zu seiner Formel vom „größten
Glück
der
größten
Z a h l " . N a c h f o l g e r s i n d v o r allem die
amerikanischen
Philosophen
J a m e s Mill u n d J a m e s S t u a r t Mill.
Inhalt I . L O N D O N , FEBRUAR 1 7 1 7 Das Gasthaus zum Apfelbaum — Der Reverend Jean-Theophile Désaguliers — H e r k u n f t der Freimaurerei — D e r Reverend J o h n Anderson — Die „Konstitutionen" — D a s A u f g e b e n des Katholizismus — Die N o a c h i d e n — Die Libertins — D a s G e heimnis der Freimaurer I I . „TIRADENAUTOMATEN" W i e m a n M e i n u n g fabriziert — Die Ideenschlacht — D a s „Alter d e r V e r n u n f t " — D i e V o r u r t e i l e — K o m m u n i s m u s i m 18. J a h r hundert I I I . D A S „JAHRHUNDERT DES L I C H T S " Die Freimaurerei unter Ludwig X V . — Die Großmeister — Kard i n a l F l e u r y löst d i e L o g e n a u f — A u f d e c k u n g d e r F r e i m a u r e r e i ; d i e F r a n z o s e n w u n d e r n sich — E u r o p a ist b e u n r u h i g t — D i e Verschlagenheit des Chevaliers R a m s a y — Ludwig X V . gegen einen K o m p r o m i ß — D e r getäuschte König — Komplizenschaften — Eine regelrechte R e g i e r u n g I V . D I E GEHEIMGESELLSCHAFTEN Condorcets Frage — Papus' Antwort — Die Einheit der Geheimgesellschaften — D i e M e i n u n g Tillys — D i e F r e i m a u r e r e i bei d e r V o r b e r e i t u n g d e r F r a n z ö s i s c h e n R e v o l u t i o n — D i e F r a g e D r u m o n t s — U r s a c h e n d e r Stärke der Freimaurerei — F r a u e n in der Loge — Die Loge zu den „Neuf Soeurs" — Voltaires Einweihung V . D E R KLERUS EINES „ F I N D E SIÈCLE" Folgen des Jansenismusstreits — D e r Atheismus, öffentlich p r o klamiert — U n o r d n u n g in d e r Kirche V I . JEDER EITELKEIT IHR ORDENSBAND Die Memoiren Casanovas — Die maurerische Internationale — Beim Kerzenschein e r n a n n t e Ritter — D i e E i n w e i h u n g M o n t e s -
262
quieus — Der freimaurerische Egalitarismus — Anglomanie — Tempel, Liturgie und „Priester" V I I . D E R OKKULTISMUS D a s J a h r h u n d e r t des Aberglaubens — Salomons Schlüsselbein — Der Graf von Saint-Germain — Cagliostro — Martinez Pasqualis — E i n e B e m e r k u n g B a r b e y d ' A u r e v i l l y s — D i e E r z ä h l u n g d e r M m e Campane — Die Rosenkreuzer V I I I . D I E ILLUMINATEN IN BAYERN Professor Weishaupt — Die A n w e r b e r — Auf d e m W e g zu einer W e l t d i k t a t u r — D a s W o r t „ N a t i o n a l i s m u s " t a u c h t auf — W e i s haupts Geheimnis — Die unbekannten Vorgesetzten I X . D I E EINWEIHUNG Seltsame Z e r e m o n i e n — Die Schule des Zweifels — Das G e heimnis des T e m p e l s — Kosmopolitismus u n d K o e d u k a t i o n — Die G e g e n k u l t u r — „Ni Dieu ni maitre — Kein G o t t m e h r und kein Meister" — D a s Skelett in d e r L o g e v o n Beziers — „ W e n n die N e u g i e r dich h e r f ü h r t , so geh wieder!" — D e r Reflexionsraum — Strumpfsockige Eidesleistung — D a s L y c o p o d i u m r o h r — Die Einweihung z u m Gesellengrad — D a s Gestirn der Gedankenfreiheit — Die Gnosis — Die Einweihung z u m Meister — Das Geheimnis H i r a m s — Die Mittlere K a m m e r — Die m e n s c h l i c h e G o t t h e i t — O k k u l t e M a c h t — E i n e illegale Gesellschaft X. W A R U M WIRD MAN FREIMAURER? W a s m a n 1940 in d e n F r e i m a u r e r a r c h i v e n f a n d — D i e B e f r a g u n g — D i e D r o h u n g — D e r G e h ö r n t e u n d seine Geschichte — De Gaulle, Wiederhersteller der Freimaurerei — Die Freimaurerei im P a r l a m e n t — D a s II. V a t i k a n u m — W e l c h e F r e i h e i t ? — Zentrum der Kontestation — Das Modell der Republik X I . D I E K I R C H E UND DIE FREIMAUREREI D i e B u l l e „ I n e m i n e n t i " v o m 28. A p r i l 1 7 3 8 — V e r u r t e i l u n g d e r Freimaurerei — D e r „ G e h e i m b r i e f " — Gleichgültigkeit des Epis k o p a t s — D e r H i r t e n b r i e f Bischof de Belsunces — B e n e dikt X I V . w i e d e r h o l t die V e r u r t e i l u n g e n — K l e m e n s X I I I . und das „ U n k r a u t im Feld des H e r r n " — Pius VI., Z e u g e der Französischen Revolution, b r a n d m a r k t die „weitreichende V e r s c h w ö r u n g " — Pius VII. u n d die C a r b o n a r i — T h r o n u n d Altar — L e o X I I . w a r n t die christlichen Fürsten — Pius V I I I . u n d die römische J u g e n d — G r e g o r X V I . u n d die „Geschichte der G e heimgesellschaften u n d ihrer K o n s e q u e n z e n " — Pius IX. o d e r
die Illumination v o n G a ë t a — Die „eingeschlafenen M ä c h t e " — Die „ S y n a g o g e Satans" — D i e „ D e n k s c h r i f t ü b e r die G e h e i m g e sellschaften" für das Erste Vatikanische Konzil — Leo XIII. und die Enzyklika „ H u m a n u n i g e n u s " — „Eine M a c h t , die fast einer Souveränität gleichkommt" — D e r große Irrtum der jetzigen Zeit — Einem allgemeinen U m s t u r z entgegen — Die freimaurerische Infiltration in d e r K i r c h e — M g r . J o u i n — D i e G e m e i n schaft der Kirchen und das Moiseum — Jules R o m a i n s hat es erraten X I I . D I E VERSCHWÖRUNG DER MEISTER D i e Falle — P a t e r R i q u e t in d e r L o g e — D i e v e r t r a u l i c h e n Mitteilungen Joseph des Maistres — Eine seltsame Z e r e m o n i e in der Grande Loge — Ungewöhnliche Entscheidung der skandinavischen Bischofskonferenz — Die Veränderlichkeit Pater Capriles — Die Kirche in Evolution — D e r p e r m a n e n t e C h a r a k t e r der Freimaurerei — D i e g e h e i m e R e p u b l i k — M g r . Pézéril in d e r Loge — Die V e r s c h w ö r u n g der Meister — D e r G r o ß e Architekt des U n i v e r s u m s — D i e Betrügerei des P a t e r R i q u e t — D i e „gem e i n s a m e M u t t e r a l l e r H ä r e s i e n " — D i e V i s i o n e n d e s Br. • . C o r neloup — N o c h einmal P. Riquet! — D e r sonderbare Mgr. Péz é r i l — K a n o n 2335 — D i e R e l i g i o n s f r e i h e i t — B e r e i t s e i n , d i e D o g m e n zu diskutieren — D i e S ü n d e Luzifers — „ W i r sind keine Bittsteller..." — D e r Vatikan dementiert, d a ß Paul VI. F r e i m a u r e r ist! — U n d K a r d i n a l V i l l o t v e r s i c h e r t , d a ß eres a u c h n i c h t ist — E i n m e r k w ü r d i g e r V o r t r a g i n d e r L o g e „ E s p é r a n c e e t Cordialité" zu L a u s a n n e — J o h a n n e s X X I I I . u n d die gnostischen Gesellschaften — Verzichtet die Kirche d a r a u f , J u d e n u n d M o s l e m s z u b e k e h r e n ? — A u f ein K o n z i l v o n J e r u s a l e m z u ?
Nachwort Glossar