TIM SULLIVAN
DAS FLORIDA PROJEKT V – Die Außerirdischen
Aus dem Amerikanischen von Monika Paul
GOLDMANN VERLAG
Deu...
9 downloads
850 Views
686KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
TIM SULLIVAN
DAS FLORIDA PROJEKT V – Die Außerirdischen
Aus dem Amerikanischen von Monika Paul
GOLDMANN VERLAG
Deutsche Erstausgabe Originaltitel: The Florida Project A Tom Doherty Associates Book, New York Der Goldmann Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann
Made in Germany • 1/90 • 1. Auflage © 1988 by Warner Bros. Inc. © der deutschsprachigen Ausgabe 1990 by Wilhelm Goldmann Verlag, München Umschlaggestaltung: Design Team München Satz: Fotosatz Glücker, Würzburg Druck: Elsnerdruck, Berlin Verlagsnummer: 23720 Lektorat: Christoph Göhler Redaktion: Antje Hohenstein Herstellung: Peter Papenbrok ISBN 3-442-23720-3
Die Außerirdischen planen die endgültige Zerstörung der Widerstandsbewegung. In einem geheimen Labor in den Everglades finden zu diesem Zweck teuflische Experimente statt. Der Sportstar Jack Stern und seine Verlobte, die Biologin Sabrina Fontaine, sollen die unfreiwilligen Ureltern einer »Herrenrasse« werden – einer Kreuzung zwischen Mensch und Reptil, einer neuen Soldatenrasse im Dienste der Außerirdischen. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt für die Führer der Widerstandsbewegung. Sie müssen das Labor in den Sümpfen Floridas ausfindig machen und das entsetzliche Projekt der Außerirdischen vereiteln, ehe alles zu spät ist…
Kapitel 1
Dichter Nebel hing über dem Moor. Verschwommene Umrisse tauchten im Dunst auf, als das Kanu langsam dahinglitt. Billy Tiger tauchte das Paddel in das stille Wasser, und immer deutlicher erkannte er, was die Schatten darstellten: Zypressen, Feigenbäume, Baumgruppen mit Palmen. Immerhin war er hier in den Everglades aufgewachsen, obwohl er einige Jahre weggewesen war. Die morgendliche Stille wurde nur durch das leichte Plätschern des Wassers unterbrochen. Sanft ließ er das Kanu neben einem Feigenbaum anlegen. Er warf die Angelrute aus, lehnte sich zurück und zog sich den Stetson tief ins Gesicht. Allmählich ging die Sonne auf, und alles wirkte friedlich. Er freute sich, endlich Zeit zu haben, seinen Gedanken nachhängen zu können und sich nicht mit den Problemen seiner Freundin Marie und seines älteren Bruders John beschäftigen zu müssen. John war sehr verärgert darüber, daß Billy schon nach zwei Jahren das College verlassen hatte. Alle vom Seminole Reservat hatten große Erwartungen in ihn gesetzt, und John hatte sich sehr bemüht, Billy auf die Schule zu bekommen, nachdem ihre Eltern gestorben waren. Aber so recht hatte es ihm auf der Universität nie gefallen, und jedesmal, wenn er nach Hause kam, sprach Marie von Heirat. Doch mit einer halben Collegeausbildung und ohne sich einen Namen gemacht zu haben, konnte sich Billy ihre Zukunft nur schlecht vorstellen. Aber er liebte Marie, und sie versicherte ihm ununterbrochen, daß das schließlich das wichtigste sei.
»Hey«, sprach er laut zu sich selbst, und seine Stimme hallte im Dunst. »Ich dachte, du bist hier, um zu fischen, und nicht, um über Probleme nachzudenken.« Der Schrei eines Flamingos war aus der Ferne zu hören. Ob ein Alligator ihn aufgescheucht hatte? Ein Aufplatschen war auch zu hören, aber es klang eher danach, als ob die großen Reptilien im Wasser Schutz suchten, als zu jagen. Plötzlich bewegte sich die Angelschnur. »In Ordnung«, rief er, ließ den Fisch noch etwas weiter hinausschwimmen, spielte mit ihm und wartete den richtigen Moment ab, ihn einzuholen. Einen Moment lang glaubte Billy, er hätte ihn verloren. Er spürte den Fisch nicht mehr, aber er wartete, da er wußte, daß sie sich oft unter das Boot zurückzogen. Billy schaute in das dunkle Wasser und atmete tief den Geruch des modrigen Sumpfwassers ein. Plötzlich zuckte die Schnur heftig. Der Fisch kämpfte mit aller Kraft. Zwanzig Meter vom Kanu entfernt schnellte etwas hoch, und ein silberner Rücken wurde sichtbar. Billy zog die Angelschnur ein. Gerade als er den zappelnden Fisch aus dem Wasser zog, hörte er ein fernes Brummen. Ein Boot? Aber er war viel zu beschäftigt, weiter darüber nachzudenken, er mußte den schlüpfrigen Fisch in das Kanu bekommen. Auf einmal wurde er von einem blauen Blitzstrahl geblendet. Als er wieder sehen konnte, brodelte das Wasser neben dem Kanu. Ein zweiter blauer Blitzstrahl und noch einer trafen das Wasser um ihn herum. Ein Feuerstrahl traf einen Feigenbaum, Äste flogen und zerbarsten unter einem gewaltigen Feuerhagel, und Rauchschwaden stiegen auf. Der Stamm krachte ins Wasser und traf das Kanu am Kiel. Ein Schatten flog über ihn hinweg. Als Billy aufsah, sah er silberne Scheiben, die über einen Zypressenbaum hinwegglitten, und Männer in roten Uniformen standen auf
ihnen. Sie trugen alle Sonnenbrillen und – ihre Gesichter waren grün. Nein, keine Menschen. Visitors. Das war unmöglich. Die Visitors waren vertrieben worden. Das Gift, mit dem die Wissenschaftler die gesamte Lufthülle der Erde getränkt hatten, hätte sie restlos vernichten müssen. Aber der beißende Rauchgeruch bewies, daß es sie immer noch gab. Ein blauer Laserschuß zischte an seinem Kopf vorbei und überzeugte Billy, daß alles, was immer er auch gehört hatte, falsch sein mußte; es waren wirklich Visitors, die ihn angriffen. Er griff nach seinem Gewehr, das er im Rucksack unter dem Sitz des Kanus versteckt hatte. Er hielt das Gewehr im Anschlag und blickte hoch. Plötzlich sah er einen Visitor zu sich hinunterschweben, die Waffe auf ihn gerichtet. Billy feuerte, und der Visitor flog rückwärts von seiner schwerkraftlosen Scheibe runter, schlug gegen den Feigenbaum und rutschte hinunter ins Wasser. Die Scheibe wackelte, kippte und stürzte wie ein Messer hinterher. Einen zweiten Visitor erledigte Billy mit dem nächsten Gewehrschuß, aber es waren so viele, und er mußte seine Angst hinunterwürgen, während seine Hände auf der Suche nach mehr Patronen verzweifelt in dem Rucksack herumtasteten. Whump! Der Bug explodierte in einem Flammenhagel, und das Kanu überschlug sich. Alles ging im Wasser unter: das Gewehr, der Rucksack, der Fisch, die Angelausrüstung, der Stetson und Billy. Solange er konnte, schwamm er unter Wasser und erreichte so die unterirdischen Wurzeln eines Feigenbaumes. Dort klammerte er sich an den Stamm des Sumpfriesen. Als er den
Atem nicht länger anhalten konnte, tauchte er an die Wasseroberfläche auf. Drei Laser zielten direkt auf ihn. Billy schloß die Augen und betete, aber die versengende Hitze, die er erwartete, traf ihn nicht. Statt dessen landeten zwei der Scheiben neben ihm. Von der dritten schoß ihm die gespaltene Zunge eines Aliens entgegen, der ihn ansprach. »Wir wollen dich nicht töten«, erklärte die metallene Stimme des Lizardmannes. »Wenn wir dich hätten töten wollen, hätten wir es schon tun können, bevor du uns gesehen hast.« »Was wollt ihr?« fragte Billy. Das grüne, schuppige Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze, die wohl ein Lächeln darstellen sollte. »Wir möchten nur, daß du mit uns kommst.« »Hab’ ich irgendeine Chance?« »Nein.« Die beiden Visitors knieten sich auf ihren schwerkraftlosen Plattformen nieder und steckten ihre Waffen in ihre Schultergurte. Mit ihren krallenartigen Händen griffen sie hinunter ins Wasser und zogen den keuchenden Billy an den Achselhöhlen zu ihrer Plattform herauf. »Warum tut ihr das?« schrie Billy auf. Wasser strömte aus seinen Kleidern, und seine schwarzen Haare hingen ihm schlaff über die Augen. »Was habt ihr mit mir vor?« Der Visitor, der zuvor gesprochen hatte, sagte diesmal nichts. Statt dessen wandte er sich wieder seiner Scheibe zu und bewegte sich ihnen voran auf dem Weg durch den Sumpf. Billy war nahe daran, sich von den beiden anderen loszureißen, aber als er hinunterblickte, sah er, daß das Wasser unter ihm weiß schäumte. Alligatorenschwänze bewegten sich heftig, während die Körper der beiden Visitors, die er erschossen hatte, unter Wasser gezogen wurden.
Er hatte keine Chance. Tropfnaß und eingekeilt zwischen zwei von ihren Flugscheiben, mußte er sich mit der Situation abfinden – und er betete, daß er später eine Möglichkeit zur Flucht haben würde.
Kapitel 2
Jack Stern bog in den Nutech-Parkplatz ein und steuerte seinen 1985 Datsun 280-ZX in eine Parklücke. Der Parkplatz war schon gut besetzt, und Menschen in Smokings und Roben stiegen aus und bewegten sich auf die monolithischen Gebäude zu. Neue und antike Skulpturen schmückten den gepflegten Rasen, Rasensprenger versprühten abseits der Gehwege Miniaturregenbögen im Widerschein der Sonne Floridas. Innen in einem der nächstliegenden Gebäude traf Jack auf eine wogende Menschenmenge. Das Foyer war mit viel Glas gestaltet und sah aus wie ein Terrarium mit vielen verschiedenen Arten von Bäumen und Blumen. Jack liebte das, aber er war zu sehr in seine Gedanken vertieft, um sich an dem herrlichen Anblick und den wundervollen Gerüchen erfreuen zu können. Er fragte sich, wo Sabrina blieb. Sie hatten sich hier treffen wollen, aber sie war nirgends zu entdecken. Ein attraktives Mädchen servierte auf einem Tablett kleine Sandwiches. Nach der langen Fahrt von Miami die Küste herauf war Jack hungrig und nahm sich eines. »Sind Sie nicht Jack Stern?« Jack wandte sich um und sah einen glatzköpfigen tiefgebräunten Mann mittleren Alters. »Ja, das bin ich.« »Würden Sie so liebenswürdig sein, mir ein Autogramm zu geben«, bat der Fremde mit jovialer Stimme. »Nun müßte ich eigentlich behaupten, daß es für ein Kind sei, aber es ist in Wahrheit für mich, warum sollte ich lügen? Ich bin ein großer Footballfan.«
Höflich signierte Jack eine Serviette für ihn, und der Mann verwickelte ihn in ein kurzes Gespräch. Er war ein großer Finanzberater für Nutech und ursprünglich aus New York heruntergekommen. Sabrina kannte er nicht. »Ich hoffe, die Dolphins werden es dieses Jahr schaffen«, erzählte er Jack, dem der Name des Mannes bereits wieder entfallen war. »Aber was hat Sie eigentlich zu Nutech verschlagen, Jack?« »Ich habe eine Freundin, die hier anfangen will zu arbeiten, sobald die Laboratorien eröffnet werden. Die Dame, die ich meine, heißt Sabrina Fontaine.« »Oh? Was ist sie von Beruf?« Jack lächelte. »Sie ist Biogenetikerin.« »Wunderbar«, äußerte der Footballfan. »Ich muß Ihnen jedoch gestehen, daß ich davon überhaupt keine Ahnung habe.« Er zwinkerte und machte eine weit ausholende Armbewegung. »Obwohl die Marktanalytiker behaupten, daß dies alles sehr vielversprechend sei.« Während der Mann weiterplapperte, hörte Jack plötzlich, wie eine weibliche Stimme seinen Namen rief. In der Hoffnung, Sabrina zu entdecken, wandte er sich der Menge im Foyer zu. Statt dessen kam eines der bedienenden Mädchen auf ihn zu. »Herr Stern«, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln. »Ich kenne Sie aus dem Fernsehen. Ich habe eine Nachricht für Sie.« Sie überreichte ihm ein gefaltetes Stück Papier, und Jack öffnete es, während er ihr dankte und sich bei dem Mann entschuldigte, der ihm in den Ohren gelegen hatte. Die Nachricht war kurz und liebevoll. Sie kam von Sabrina, die ihm erklärte, warum sie nicht zum NutechEinweihungsempfang gekommen war.
Großartig, dachte Jack, sie will hier anfangen zu arbeiten, und sie zeigt sich nicht – und das alles, nachdem ich den weiten Weg von Miami hierhergekommen bin. Aber da war noch etwas anderes. Jack spürte leichte Herzstiche, als er in Sabrinas Mitteilung weiter las, daß sie nicht vorhabe, den Job bei Nutech anzutreten. Sie habe einen Posten bei einer anderen Firma angeboten bekommen, und der verspreche aufregend zu werden wie keine Arbeit sonst. Sie könne ihm zunächst nichts Genaueres mitteilen und werde auch für einige Tage verreisen müssen, aber sie werde sich bald wieder melden. In Liebe, Sabrina. Jack fühlte sich gräßlich und inmitten dieser Geschäftsleute und Wissenschaftler völlig fehl am Platz, besonders in dem Wissen, daß Sabrina nicht kommen würde. Er lockerte seinen Schlips und schlenderte in Richtung auf den Hauptausgang des Gebäudes. Schon recht, das mußte ja ein toller neuer Job sein, ihn hier so stehenzulassen. Er vertraute ihr, natürlich, dennoch war sie ihm eine Erklärung schuldig, wenn sie sich das nächste Mal wiedersehen würden oder miteinander telefonieren sollten. Wenn er sie demnächst sehen würde. Wann würde das sein? Jack fühlte sich elend. Alles war so verdreht. Nicht, daß er daran zweifelte, daß es wirklich ihre Handschrift gewesen sei oder so. Aber, verdammt, es war überhaupt nicht ihre Art, so zu handeln. »Sind Sie nicht einer von den Dolphins?« fragte ihn eine junge Frau, als er gerade die Autotür öffnete. Abwesend unterschrieb er ihr ein Autogramm und stieg ein. Der Fahrersitz und das Steuerrad waren heiß wie die Hölle, als er startete. Während er nach Miami zurückfuhr, hatte Jack eine Vorahnung, daß etwas passieren würde, und das schien nicht sehr erfreulich zu werden. Und seine Vorahnungen trafen meistens zu.
Kapitel 3
Sabrina stand auf dem Rollfeld, und ihr üppiges dunkles Haar wehte im Wind. Noch vor zwei Tagen hätte sie niemandem geglaubt, der ihr gesagt hätte, daß sie heute hier auf diesem kleinen Lantana-Flughafen stehen und darauf warten würde, mitgenommen und zu einem Ort geflogen zu werden, den sie nicht kannte, noch dazu von jemandem, der ihr auch unbekannt war. Aber am Telefon hatte es einfach fantastisch geklungen, was dieser Dr. Morrow ihr erzählt hatte, und er wußte offensichtlich, wovon er sprach. Er hatte von einem großen Durchbruch in bezug auf die Wiederkombination tierischer Gene gesprochen, die sie unbedingt persönlich sehen müßte. Die einzige Möglichkeit, sie daran teilnehmen zu lassen, war nach Morrows Ansicht, für seine Gesellschaft Visigen zu arbeiten. Von dieser Gesellschaft hatte sie zwar gehört, aber Morrow erklärte ihr, da sie fast ausschließlich für die Regierung arbeiten würden, seien sie in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Möglicherweise war es doch nicht das, was sie sich vorstellte, aber sie wollte unbedingt die Wahrheit herausfinden. Es kostete sie ja nichts, sich alles einmal anzuschauen, und Morrow hatte ihr ein ziemlich hohes Gehalt angeboten, gegen das das Nutech-Angebot vergleichsweise dürftig war. Ein fernes Donnern kündigte ein Nachmittagsgewitter an. Aber es war bereits Viertel nach zwei, und die Kontaktperson mußte eigentlich jede Minute eintreffen. Wenn er rechtzeitig käme, würde sie nicht naß werden. Je länger sie wartete, um so größer wurden ihre Zweifel. Aber dies Gefühl kannte sie schon, und jedesmal, wenn sie
sich bisher vor einer wichtigen Entscheidung gedrückt hatte, hatte sie es später bereut. »So was, wie das hier«, beruhigte sie sich selbst. »Wer hat schon jemals von so etwas Geheimnisvollem gehört?« Das Treffen war wirklich sehr ungewöhnlich, aber wie sonst konnte sie herausfinden, ob Morrows Behauptungen richtig waren? Zwanzig bis dreißig Meter von ihr entfernt begann ein Helikopter zur Landung auf dem Rollfeld anzusetzen. Seine Drehflügel bliesen ihr warme Luft entgegen, und schon einen Augenblick später war er gelandet. Das Cockpit bestand aus verspiegeltem, dunklem Glas, so daß keiner erkennen konnte, wer darin saß. Das Wort »Visigen« auf dem Rumpf des Helikopters war umrundet von einem rechteckigen Symbol. Die Luke wurde geöffnet, und ein Mann trat heraus. Er trug einen Laboratoriumskittel und eine Sonnenbrille, sein Haar und sein Bart waren weiß. Er kam auf sie zu, lächelte und gab ihr die Hand. »Dr. Fontaine?« fragte er mit freundlicher Stimme. Sabrina schüttelte seine Hand. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Dr. Morrow.« Sein Händedruck war fest und dennoch sanft. Er hielt immer noch ihre Hand, als er sagte: »Ich sehe, Sie wollen unser Angebot annehmen.« »Ich habe kaum eine andere Wahl«, erwiderte Sabrina. »Trotz all der merkwürdigen Geheimnistuerei ist es ein Angebot, das ich kaum ausschlagen kann.« Wieder lächelte Morrow. »Ich sehe, Sie haben Ihr Gepäck dabei. Das ist gut. Unsere Niederlassung ist zwar nicht so weit entfernt, aber Sie werden sicherlich über Nacht bleiben wollen, um sich alles anzusehen.« »Wird es wirklich zwei Tage in Anspruch nehmen, alles zu sehen?«
»Doch, ich glaube, das ist gut geschätzt.« Ein anderer Mann stieg aus dem Helikopter. Er war jünger als Dr. Morrow und trug ebenfalls eine Sonnenbrille. Er nahm ihre Tasche und trug sie zum Helikopter. »Nun denn«, meinte Dr. Morrow, »wollen wir Ihre Besichtigung mit dem Einsteigen in den Helikopter beginnen?« Sabrina lächelte. Sie fühlte sich etwas beruhigter durch Dr. Morrows liebenswürdige Art. Seine Sprache hatte etwas Hypnotisches an sich, das ihre Ängste besänftigte. Er legte ihr die Hand auf die Schulter und half ihr, hineinzuklettern. Innen war Platz für vier Personen, das war viel für einen Hubschrauber. Es gab sogar einen Gepäckraum hinter der schwarzen Vinylpolsterung. Der Mann, der ihr das Gepäck abgenommen hatte, setzte sich neben den Piloten, und Dr. Morrow blieb neben ihr. Er fuhr mit seinem Smalltalk fort, während der Pilot mit dem Tower sprach, und langsam erhoben sie sich vom Boden. Die Gewitterwolken kamen immer näher, und sie mußten ihnen ausweichen. Lichtblitze zuckten durch die donnernden, grauen, wollartigen Wolkengebilde, als sie über den Sturm hinwegflogen und der Helikopter in Richtung Westen abbog. Das überraschte Sabrina; sie hatte die Laboratorien entweder im Süden bei Fort Lauderdale oder Miami oder noch eher im Norden bei Orlando erwartet. Dr. Morrow lächelte, als ob er ihre Gedanken lesen konnte. »Ja, unser Gelände liegt etwas abseits. Aber nur so können wir vermeiden, daß zu viele Menschen kommen und Fragen stellen, die zu beantworten wir nicht befugt sind.« »Ich verstehe.« Der Sturm lag jetzt hinter ihnen, und sie tauchten in blendendes Nachmittagssonnenlicht, obwohl es durch die verspiegelten Scheiben des Cockpits gedämmt wurde. Sie
flogen über Weideland, das in Rechtecke gegliedert war, und Sabrina erkannte in den zahlreichen blauen Linien Kanäle wieder. Zunächst erstreckte sich das flache Land bis zum Horizont, aber plötzlich tauchten die Wipfel von Bäumen auf. Sie wurden immer dichter und verwandelten sich dann in einen Dschungel. Sabrina wußte, daß der Boden hier feucht und sumpfig war. Sie hatten die Everglades erreicht. »Befindet sich Ihr Gelände an der Westküste Floridas?« fragte sie. »Nein.« »Das heißt, es liegt in den Everglades?« Dr. Morrow lächelte sie charmant an. »Nur auf diese Art und Weise können wir uns unsere Privatsphäre erhalten. Es gibt so viele neugierige Augen, die wissen wollen, was wir tun.« Sie flogen jetzt tiefer in das dunkle Herz des Dschungels. Der Hubschrauber setzte zur Landung an. Als sie langsam tiefer kamen, konnte Sabrina nur noch Bäume erkennen. Für einen Augenblick schien es, als ob sie mit den Baumspitzen zusammenstoßen würden. »Keine Angst«, beschwichtigte Dr. Morrow. »Wir kennen uns aus.« Sabrina starrte ihn an. Wieder lächelte er. Er schien sich über die Panik in ihren Augen zu amüsieren. »Es gibt wirklich keinen Grund zur Sorge«, meinte er. »Sind Sie sicher?« Sabrina schloß die Augen, als die Baumspitzen sie fast zu streifen schienen. Sie erwartete, Holz und Metall krachen zu hören, das Stottern der Maschine, die Explosion und ihren Aufprall auf dem Boden. Aber nichts dergleichen geschah. Vorsichtig öffnete Sabrina die Augen. Sie flogen durch die Bäume, als ob sie Geister seien. Unten lagen in einem Achteck schimmernde Gebäude. In ihrer Mitte sah sie etwas, das an ein römisches Amphitheater erinnerte, nur der Stil war ganz
fremdartig. So eine Architektur hatte sie noch nie zuvor gesehen. An den acht Ecken des Gebäudes befanden sich Türme, auf denen Projektoren befestigt waren. Sie waren durch das Hologramm eines Waldes geflogen. Nicht in einer Million Jahre würde jemand aus der Luft diesen Platz finden. Sabrina mußte zugeben, daß das ausgesprochen intelligent ausgeklügelt worden war. Plötzlich entdeckte sie Wachen in Uniformen. Scharlachrot. Sie hatte sie schon einmal im Fernsehen gesehen, und auf den Straßen Miamis. Zuerst hatte man sie willkommen geheißen, aber dann waren sie zum schrecklichsten Alptraum der Menschheit geworden: Visitors. Aber das konnte doch nicht möglich sein. Sie waren alle vernichtet worden – das hatte das Gift des Roten Staubs bewirkt. Sie sah Dr. Morrow an, und er erwiderte ihren Blick voll väterlicher Aufrichtigkeit. »Zunächst hatten wir uns überlegt, Sie zu täuschen«, erklärte er, »aber dann haben wir uns gesagt, daß Sie es sowieso herausgefunden hätten.« Träumte sie einen Alptraum? Voller Panik schaute sie hinaus, als sie landeten. Sie sah drei kleine weiße Raumschiffe – Kampffähren – wie ein Dreieck waren sie um den Landeplatz plaziert. Grüne Reptiliengesichter starrten sie durch das dunkle Glas an. Sie war in eine Falle gegangen. Ihre Furcht schlug um in Zorn. »Sie haben mich belogen.« »Nicht wirklich«, erklärte Dr. Morrow. »Hier auf diesem Gelände gibt es die neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen, das behaupte ich. Ich bin der festen Überzeugung, daß Ihr Aufenthalt hier für Sie sehr interessant sein wird – wenn Sie bereit sind, sich korrekt zu verhalten.« »Dann bin ich also Ihre Gefangene?«
»Lassen Sie es uns so ausdrücken«, erläuterte Morrow, während er die Lukentür öffnete, »daß wir Ihre Hilfe brauchen.« Er deutete ihr mit einer Handbewegung an, sie solle aus dem Helikopter klettern. Sabrina starrte auf den dampfenden Sumpf, der gesäumt wurde von schimmernden Aliengebäuden und Raumschiffen, bevölkert von uniformierten Reptilieneindringlingen. Sie wollte schreien, aber sie blieb stumm. Dr. Morrow wollte ihr wieder einmal behilflich sein, hinabzusteigen, aber diesmal zuckte sie vor seinen Händen zurück und kletterte selbst herab.
Kapitel 4
Die dunkle Seite des einzigen Mondes der Erde erschien auf Medeas Bildschirm. Eine tote Welt, mit kaum einer Spur von Wasser an ihrer Oberfläche. Einst hatte es ausgereicht, aber das war Millionen von Jahren her. Einige Monde der riesigen Gasgiganten dieses Sonnensystems hatten Wasser, aber dort gab es keine Industrie, die ihren Leuten half, es zu sammeln und aufzubewahren, die gab es nur auf der Erde. Aber wenn dies auch für sie lebenswichtig war, es interessierte sie nicht. Sie war verärgert über die Erdbewohner, sie hatte beschlossen, es ihnen heimzuzahlen, ihre verdammte Unverschämtheit. Gegenwärtig arbeiteten ihre Wissenschaftler an einem Antitoxin gegen den Roten Staub, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie zu diesem blauen und weißen Planeten zurückfliegen könnte, und sie würde diesen Affen eine Lektion erteilen. In der Zwischenzeit mußte sie eben warten. Ein aufflackerndes Licht auf der Konsole riß sie aus ihren rachsüchtigen Träumen. Sie setzte sich auf, um zu sehen, was los war, und drückte einen Knopf, um die Nachricht zu erhalten. Auf dem Bildschirm erschien ein Offizier ohne seine menschliche Maske. Es war ihr angenehm, seine Schuppen betrachten zu können und seine Zunge, die raus- und reinschnellte, während er höflich sprach. »Was gibt’s?« fragte Medea. »Sir, wir haben eine Nachricht von den Wissenschaftlern erhalten, die auf der Erde gestrandet sind.«
Sie nickte. »Und sie wollen wissen, ob wir eine Rettungsaktion versuchen. Ist es das?« »Ja.« »In Ordnung. Und diesmal gebt ihr ihnen eine definitive Antwort.« »Kann ich ihnen mitteilen, daß Sie ein Schiff schicken?« »Nein, ich finde, wir lassen sie für eine Weile dort, wo sie sind.« Der Offizier guckte erschrocken, seine gelben Augen verdunkelten sich vor Verwirrung. »Ich verstehe nicht, Sir.« »Das ist auch nicht nötig.« Medea schlug heftig mit ihrer Hand auf den Knopf und unterbrach den Kontakt. Sie saß an der Konsole und dachte einige Sekunden nach, bis ihr bewußt wurde, daß jeder in der Mutterschiffskommandozentrale sie beobachten konnte. Sie fuhr in ihrem Stuhl herum. »Vergeßt eure Pflichten nicht!« schnappte sie. Abrupt stand sie auf und ging zur Schalttür, die sich zischend öffnete. Medea bewegte sich schnell durch die Korridore des Mutterschiffs bis zu ihrem Privatquartier. Die Kommandozentrale war gut geeignet für Routinegespräche, aber sie wollte Morrow allein sprechen. Sein Gesicht zeigte sich auf dem Bildschirm. »Medea«, vergewisserte er sich. »Dr. Morrow.« »Sehr gut, mit mir persönlich in Kontakt zu treten. Ich hoffe, Sie haben gute Nachrichten für uns.« »Die Auslegung von gut ist relativ«, erwiderte Medea. Obwohl er seine menschliche Maske trug, war seine Enttäuschung deutlich zu erkennen. »Dann sollen wir also hierbleiben?« »Ich fürchte ja.« »Nun gut, dann. Wenn Sie meinen, es sei besser so.«
»Wie ich gehört habe, Dr. Morrow, haben Sie positive Resultate erzielt. Ich bin der Meinung, daß es eine Schande wäre, diese Experimente abzubrechen.« »Ich verstehe.« Dr. Morrow nickte. »Es gibt einige neue Entwicklungen, von denen Sie noch nichts gehört haben.« »Oh?« Medea züngelte mit ihrer gespaltenen Zunge, um ihr Interesse zu zeigen. »Ja, wir haben den Beistand einiger menschlicher Wissenschaftler.« »Ausgezeichnet. Das also steckt hinter Ihrer ganzen Geschäftigkeit, nachdem wir gezwungen waren, die Erde zu verlassen. Sehr bemerkenswert. Wie haben Sie es geschafft, sie zur Hilfe zu bewegen?« »Hätte ich Ihnen auf den Kopf zusagen sollen, daß sie ohnehin keine Chance haben, sich gegen uns zu wenden?« Er lächelte. Ein sehr überzeugender menschlicher Gesichtsausdruck. Die Techniker, die diese Masken entwickelt hatten, waren wirklich zu feiern. »Es scheint, daß ihr alles gut im Griff habt. Die Erdbewohner haben noch immer keine Ahnung, daß ihr noch auf dem Planeten seid. Wenn ihr das Geheimnis so lange aufrechterhalten könnt, bis ihr die gewünschten Erfolge erzielt habt, dann habt ihr einen großen Beitrag zu unserem Krieg geleistet, und sollt entsprechend befördert werden.« Dr. Morrow verneigte sich dankbar. »Ich werde mit euch in regelmäßiger Verbindung bleiben.« Mit einer raschen Bewegung ihrer klauenartigen Hand unterbrach sie die Verbindung. Mit Morrow und der Hilfe seiner Speichellecker auf der Erde, würde es bis zu ihrem nächsten Angriff auf die Menschen nicht mehr lange dauern. Das erste Mal waren sie von deren Widerstandsbewegung zurückgeschlagen worden – weil sie sehr viel Pech gehabt hatten. Jetzt, wo Diana im Gefängnis
saß, hatte sie, Medea, endlich wieder eine Chance, mit ihren Machtmitteln die Erde zu erobern. Ihre Feinde würden erstaunt sein, wenn sie die Erfolge sehen würden. Sehr überrascht sogar. Wenn Morrows Forschungsarbeit sich so entwickeln sollte, wie sie es erwartete, würde sie Donovan und die Widerstandsbewegung ein für allemal erledigen. Sie erhob sich und streckte ihre lappigen Arme. Die Disziplin auf dem Schiff ist zu lax geworden, dachte sie. Nachdem sie sich ausgeruht hätte, würde sie dafür sorgen, daß jeder, der Dienst hatte, seine menschliche Maske trug. Sie würden sie so lange tragen, bis sie die Macht über die Erde vollständig wiedererlangt hätten.
Kapitel 5
Die Straße zum Reservat schlängelte sich über sandige Hügel durch den Sumpf. T. J. Devereaux fuhr ungern hier hinaus; die Indianer mochten auch keine Fremden hier, daher mußte er mit einem möglichen Überfall rechnen. Immer tiefer führte ihn die Straße in den Schatten der riesigen Feigenbäume, und nasses Farnkraut klatschte gelegentlich gegen die Windschutzscheibe. Einige Augenblicke später sah er eine Hütte, von der er wußte, daß sie Walter Miles gehörte, der von allen nur »die Sumpfratte« genannt wurde. Die kleine Stadt Seminole war jetzt nicht mehr weit entfernt. Bald erreichte er das, was von dem Visitorfreizeitgebäude noch übriggeblieben war. Einige junge Leute lungerten auf den Treppenstufen herum. Rechts und links davon standen die Hütten, in denen die Indianer leben mußten. Seminoles – Miccosuccee, in der Tat gab es das immer noch, heute noch in diesem so aufgeklärten Zeitalter. Aufgeklärt? Zum Teufel, es gab immer noch eine Menge Menschen, die daran glaubten, daß die Visitors die Freunde der Menschen seien und die Widerstandsbewegung ein verfluchter Haufen von Terroristen. T. J. stellte den Wagen im Schatten der Gebäude ab und stieg aus dem Jeep. »Ist der Chef irgendwo?« fragte er einen der vier jungen Typen, die auf den Treppen saßen. Der Junge hatte eine Art Punkfrisur und trug die bunte Seminolekleidung, aber er sah ihn nicht einmal an. Schon früher hatte T. J. seine Erfahrungen im Reservat gemacht, daher verzichtete er darauf, ihn noch einmal zu fragen. Sie
würden ihn immer ignorieren, diesen verdammten Hellhäutigen. Shit. Innen war es stickig und heiß. An den Wänden des Flurs war die Farbe abgeblättert. T. J. vermutete, daß auch die Schule in keinem besseren Zustand sein würde. Es war offensichtlich so, daß sich die Umstände für die Indianer in keiner Weise gebessert hatten. Er klopfte an eine Tür am Ende des Gangs. »Kommt herein«, hörte er eine sanfte Stimme. T. J. öffnete die Tür. Ein alter Mann mit weißem Haar und tiefen Furchen im braunen Gesicht saß hinter einem Schreibtisch, auf dem sich Berge von Papier türmten. »Nun, was kann ich für Sie tun, Sheriff?« fragte ihn Martin Wooster, der Chief. Er lehnte sich zurück und legte seine spinnenartigen Hände auf die Armlehnen. »Chief, ich habe gehört, daß ihr einen Jungen vermißt.« T. J. nahm seinen Hut vom Kopf und fingerte am feuchten Schweißband herum. »Ich vermisse eine Menge Jungs. Wie kommt es, daß ihr euch plötzlich für einen davon interessiert?« »Ich wurde angerufen. Seine Freundin vermutet, daß irgend etwas faul ist.« »Er ist doch erst einen Tag vermißt, oder nicht?« Der Drehstuhl ächzte, als der Chief sein Gewicht verlagerte. »Vielleicht ist er nur nach Fort Lauderdale gegangen.« »Das glaubt das Mädchen nicht.« »So? Was meinen denn Sie, Sheriff?« Warum war der Alte so verdammt abweisend? T. J. hatte ihm nie etwas getan. »Ich möchte keine Vermutungen anstellen, ich möchte nur herausfinden, ob dem Jungen nicht doch etwas passiert sein könnte.«
»Na, vielleicht hat er sich nur vollaufen lassen und ist irgendwo hingegangen, um sich auszunüchtern. Vielleicht hat er auch eine neue Squaw.« Der Chief grinste ihn höhnisch an. »Ich habe das nicht gesagt.« »Aber Sie denken es. Sie denken, was für eine Idiotie, den weiten Weg fahren zu müssen, nur weil ein Mädchen ihren Freund vermißt.« »Hören Sie, solange ich denken kann, haben die Seminoles die gleichen Rechte wie alle anderen auch.« »Wir sind Miccosuccees.« »Das weiß ich. Seminole ist ein Creek-Wort und bedeutet soviel wie ›Weglaufen‹, es ist nur eine Art Oberbegriff.« Wooster schaute überrascht. Sein Gesichtsausdruck wurde zugänglicher, und er erläuterte: »Schauen Sie, Sheriff, wir mögen es nicht so gerne, wenn Außenseiter hierherkommen. Wir sind hier lieber unter uns, und so soll es auch bleiben.« »Ich will Ihnen keineswegs Ärger machen, Chief. Und ich habe auch nicht die Absicht, eine Busladung voller Touristen hier herauszubringen, falls ich einmal wiederkommen sollte. Außerdem gibt es in Kelleher County überhaupt keine Touristen.« Wooster lächelte fast. »Okay, Sie haben Ihren Standpunkt deutlich gemacht. Aber woher sollen wir wissen, inwieweit Sie sich hier einmischen werden, wenn Sie hier draußen auftauchen.« »Keine Sorge«, betonte T. J. »Ihr habt mein Wort drauf – was immer euch das auch wert sein mag.« »Noch keiner konnte behaupten, daß Martin Wooster dem Gesetz im Wege gestanden hat. Ich vermute, Sie wollen zunächst einmal mit Marie Whitley sprechen?« »Ein guter Anfang.«
Der Chief stand auf und deutete aus dem Fenster. »Sehen Sie dort drüben das Haus, das vierte von hier aus bei den kleinen Palmen? Das ist das Haus von Maries Mutter.« T. J. nickte. »Danke.« Der Chief setzte sich wieder und fuhr mit seiner Schreibarbeit fort, so als habe es nie eine Unterbrechung gegeben. Draußen sah T. J. wie die vier jungen Typen mit einem robusten Mann von etwa dreißig mit einem Cowboyhut aus Stroh und blauen Arbeitsjeans sprachen. »Ich habe gehört, daß Sie nach Billy Tiger suchen«, sprach der Mann T. J. an. »Das stimmt.« »Warum?« Dieser junge Mann hatte eine sonderbare Ausstrahlung, die beunruhigender wirkte als die höflichen Sticheleien des Chiefs. »Ich bin Ihnen keine Erklärung schuldig.« »Doch, das sind Sie.« »Wieso?« »Weil er mein Bruder ist.« T. J. nickte. »Ich bin T. J. Devereaux«, stellte er sich vor und streckte dem anderen die Hand entgegen. Billy Tigers Bruder betrachtete die Hand erst unschlüssig, aber nach kurzem Zögern schüttelte er sie kräftig. »John Tiger.« »John, eine junge Frau hat mich angerufen und mir erzählt, daß Ihr Bruder seit 24 Stunden nicht mehr aufgetaucht ist.« »So?« »Sie sagte, sie seien gestern nachmittag verabredet gewesen, aber seit vorletzter Nacht hat sie nichts mehr von ihm gehört. Sie macht sich große Sorgen.« »Sheriff, haben Sie noch nie etwas davon gehört, daß sich ein Mann und eine Frau voneinander trennen?« »Sie meinen, das ist der Grund?«
»Möglicherweise.« »Möglicherweise auch nicht. Schauen Sie, John, ich weiß, daß ihr es nicht gern habt, wenn sich Fremde in eure Angelegenheiten mischen, aber das hier könnte etwas Gefährliches sein.« »Billy wird wiederkommen.« »Ich hoffe, Sie haben recht. Aber ich glaube, es ist besser, wenn ich trotzdem mal mit dem Mädchen spreche.« »Machen Sie, was Sie wollen, aber ich sage Ihnen, Sie verschwenden Ihre Zeit.« »Wir werden sehen.« T. J. drehte John Tiger und den anderen den Rücken zu und ging. Gott, war es heiß. Jetzt hätte er gerne etwas getrunken. Vielleicht würde das Mädchen ihm etwas anbieten. Aber wie die Dinge standen, bezweifelte er das. Ein kleines metallenes Namensschild sagte ihm, daß er hier richtig bei den Whitleys war. Das Haus war winzig, aber sauberer als die anderen kläglichen Hütten. Vor der Eingangstür befand sich ein hübsch angelegter kleiner Blumengarten voller Chrysanthemen und Hibisken und eine blühende Bougainvillea. T. J. klopfte. Eine Frau mittleren Alters öffnete die Tür. Ungehalten herrschte sie ihn an: »Was wollen Sie hier?« »Miß Whitley rief mich an, Ma’am. Ist das Ihre Tochter?« »Marie«, rief die Frau, »hier ist jemand für dich.« Ohne ihn hereinzubitten, wandte sich die Frau um und verschwand in dem kühlen, dunklen Innern des kleinen Hauses. Einen Augenblick später erschien das Mädchen. Sie war hübsch, schlank und jung, und ihre Stimme klang angenehm. T. J. begann die Theorie anzuzweifeln, daß Billy Tiger davongelaufen war, um sich von ihr zu trennen.
»Vielen Dank, daß Sie gekommen sind, Sheriff«, begrüßte sie ihn. »Nichts zu danken, Miß. Das ist nun mal mein Job.« »Bitte, kommen Sie herein.« Innen im Wohnraum standen ein Fernseher, ein altes Sofa und zwei Stühle. Aus einem alten Kühlschrank holte sie ihm eine Cola und setzte sich ihm gegenüber auf einen Stuhl. »Keiner will so richtig mit mir reden«, erzählte T. J. ihr. »Das wird nicht leicht für mich sein.« »Sie haben Angst – und Wut. Irgend etwas geht da draußen im Sumpf vor sich.« »Was meinen Sie damit?« Der eiskalte Aluminiumbecher kühlte ihn, und er freute sich darüber. »Eine Menge Leute sind verschwunden, Sheriff. Nicht nur Billy.« »Sind Sie sicher?« »Absolut. Meine Leute denken, daß die Regierung ihre Hände im Spiel hat.« »Die Regierung? Warum sollte die Regierung Leute kidnappen?« »Das weiß ich nicht. Aber es gibt Gerüchte, daß es draußen in den Everglades ein Lager geben soll. Dem Umfang und dem Aussehen nach kann es sich nur um ein Regierungsprojekt handeln.« »Interessant. Also, wann genau, möglichst auf die Minute genau, haben Sie Billy Tiger das letzte Mal gesehen?« Nach dem Gespräch mit dem Mädchen traf T J. bei den jungen Männern erneut auf zornige Mienen. Er blickte sie freundlich an, stieg in seinen Jeep und fuhr zurück in Richtung Larkin im Kelleher County. Unterwegs hielt er, um mit dem alten Walter Miles zu reden. Inzwischen war die Sonne untergegangen, und die Geräusche des Sumpfes wurden immer lauter. Eine Minute lang klopfte er
vergeblich an die alte Hüttentür. Walter mußte ihn hören, so klein war die Hütte, selbst wenn er völlig betrunken war. Dann, als niemand antwortete, stieß er die Tür auf. Sie war nur angelehnt. Im Raum herrschte totales Chaos. Stühle und der einzige Tisch waren umgeschmissen, Becher, Teller, Töpfe und Pfannen waren auf dem Holzfußboden zerschmettert, und eine Sprungfedermatratze lag hochkant vor dem Ofen. Draußen zirpten die Grillen; sonst war es still. Der windstille Abend schien mit einem durchdringenden Geruch der Angst angefüllt zu sein. T. J. schüttelte den Kopf. Er dachte daran, wie fragwürdig ihm Maries Vermutungen vorgekommen waren. Jetzt sah es so aus, als ob er sich geirrt hätte.
Kapitel 6
Jack knallte den Telefonhörer auf die Gabel. Das war jetzt schon das vierte Mal innerhalb einer Stunde, daß er Sabrinas Nummer erfolglos gewählt hatte. Jetzt müßte sie eigentlich zurück sein; zwei Tage waren seit dem Nutech-Empfang vergangen. Wo, zum Teufel, steckte sie? Er hatte sich ein Hotelzimmer in der Stadt genommen, in einem ziemlich verrückten neuen Hotel, in dem man die Zimmertüren mit Plastikkarten statt Zimmerschlüsseln öffnete. Er saß auf dem Bettrand, frustriert, verärgert und auch ziemlich besorgt. Die Vorahnung, daß etwas nicht in Ordnung sei, hatte seit achtundvierzig Stunden weiter an ihm genagt. Er hatte seinen Trainer angerufen und ihn um ein bis zwei weitere freie Tage gebeten. Er mußte jetzt dringend nach Miami zurück, oder er würde sich eine Vertragsstrafe einhandeln. Aber was machte das schon. Er mußte Sabrina erreichen, bevor er Boca Bianca verließ. Wenn sie in den nächsten Stunden nicht ans Telefon gehen würde, müßte er die Polizei anrufen. Er hatte sich des öfteren gefragt, ob wirklich genügend Grund zur Besorgnis war, und schließlich entschieden, daß es so war. Noch nie hatte er so für eine Frau empfunden. Er war wütend, aber er hatte keine andere Wahl, als in »Silikon Beach«, wie Boca Bianca auch genannt wurde, zu bleiben, bis sich die Angelegenheit aufgeklärt hatte. Er legte sich auf den Boden und fing an, Liegestütze zu machen. Als er den fünfzigsten gemacht hatte, wußte er, daß er bald wieder anrufen würde, weil er das Warten nicht ertragen konnte. Nach zehn weiteren stand er auf, holte tief Luft und wählte wieder Sabrinas Nummer.
Er ließ es sechsmal klingeln und wollte gerade wieder auflegen, als am anderen Ende jemand abnahm. »Sabrina!« schrie Jack. »Wo hast du nur gesteckt? Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.« Sein Herz klopfte wild vor Erwartung, ihre Stimme zu hören. Ihm wurde ganz anders, als er die Stimme eines Mannes hörte: »Tut mir leid, Kumpel, Sie enttäuschen zu müssen, aber hier ist Sabrinas Großmutter.« Jack hielt sich den Hörer vom Ohr und starrte ihn an, als würde gleich eine Kobra herausgekrochen kommen. »Wer, zum Teufel, sind Sie?« fragte er. »Ich habe jetzt nicht die Zeit, Ihnen das zu erklären«, antwortete der Unbekannte. Und legte auf. Jack platzte fast vor Wut. Sein Gesicht war glühend heiß, und er war nahe daran, das Telefon mit seinen bloßen Händen auseinanderzureißen. Da war irgendein Eindringling in Sabrinas Apartment, vielleicht stahl er gerade ihr gesamtes Hab und Gut. Oder jemand war einfach in ihrer Abwesenheit dort eingedrungen. Nun gut, er würde schon mit ihm fertig werden, wer immer das auch sein mochte. Jack griff nach seinen Schlüsseln und nach der Hotelkarte. In zehn Sekunden war er schon zur Tür hinaus, und in fünfzehn die Treppen hinunter, und eine Minute später war er in dem Parkdeck. Er donnerte aus der Parklücke, fast so, als würde er sich auf dem Indianapolis Highway befinden und für Interstate 95 unterwegs sein. Aber um diese Zeit war kaum Verkehr auf den Straßen. Er würde in fünf bis zehn Minuten sein Ziel erreichen. »Nun mach schon«, brüllte er, als er einen Wagen überholte, dessen Fahrer lediglich annähernd die Geschwindigkeitsbegrenzung einhielt. Seine Reifen quietschten, als er bei Rot über die Straße fegte und die Auffahrt zum Highway hinaufdonnerte.
In drei und einer halben Minute hatte er das Haus erreicht, in dem Sabrina wohnte, und sprang aus dem ZX. Alle Lichter im Haus brannten. Sabrinas Wagen stand davor. Jack machte sich nicht die Mühe zu klopfen. Sollte die Tür versperrt sein, würde er sie aufbrechen. Aber es war kein Kraftakt nötig, denn der Türgriff drehte sich leicht in seiner großen Hand. Jack war zuvor nur ein einziges Mal in Sabrinas Haus gewesen. Sie war erst vor zwei Wochen dort eingezogen. Es war ein Einpersonenhaus mit einem geziegelten Dach, ganz typisch für die subtropischen Vororte Südfloridas. Er war sich ganz sicher, daß er sich sofort zurechtfinden würde. Er stand jetzt im Wohnraum. Gleich danach folgte die Küche, und der Eßraum befand sich gegenüber mit der Öffnung zum Wohnraum. Alles war miteinander verbunden. Möglicherweise hatte der Eindringling eine Waffe, möglicherweise hielt er sich in der Küche versteckt. Und dann mußte er überlegen, welche Tür der andere weiter wählen würde. Besser, als gar keine Chance zu haben. Sollte der Bursche keine Waffen haben – nun gut, dann konnte er Jack schon jetzt leid tun, vielleicht würde er ihm einen Präsentkorb ins Krankenhaus schicken. Die Beine weit gespreizt, senkte Jack die Schultern und hielt den Kopf hoch. Er nahm seine gewohnte Drei-Punkte-Stellung ein, erst dann erinnerte er sich, daß das hier kein Spiel war. Leise wie eine Katze sprang er in die Küche. Keiner war da. Er drückte sich gegen die Küchenschränke und versuchte eine möglichst kleine Zielscheibe abzugeben. Die Klimaanlage war eingeschaltet, aber dennoch schwitzte er. Jack kroch fast am Boden entlang, so daß seine Brust beinahe den Teppich berührte. Er erreichte den Eßraum. Auch der war leer.
Der Geschirrschrank stand offen, so als ob ihn jemand geöffnet und nicht wieder geschlossen hätte. Plötzlich hörte er, daß sich die Eingangstür öffnete. Vielleicht war der Unbekannte gegangen, geflüchtet. Dann hörte er, wie die Tür wieder geschlossen wurde. Oder täuschte er sich? Jack mußte es herausfinden. Es gab noch drei Räume: den Schlafraum, das Gästezimmer und das Arbeitszimmer. Das lag am nächsten. So schnell und leise wie möglich schlüpfte Jack hinein. Im Arbeitsraum war alles verwüstet. Schubladen waren aus dem Schreibtisch herausgezogen, überall auf dem Boden lagen verstreute Papiere, der Drehstuhl war umgeschmissen. Jemand hatte nach etwas Bestimmten gesucht – und das schien ihm sehr wichtig gewesen zu sein. Jack drückte sich an der Wand entlang bis zum Flur. Er schaute in den Gästeraum, den einzigen Raum, der nicht beleuchtet war. Soweit er es durch das spärliche Licht der Eßzimmerlampe sehen konnte, war er unberührt. Sein Herz schlug wild, als er in Richtung auf Sabrinas Schlafzimmer vorwärts kroch. Sollte der Unbekannte noch im Haus sein, mußte er sich dort verstecken. Sonst gab es keinen weiteren Raum. Jack wünschte sich, unsichtbar zu sein, so daß der Eindringling ihn weder atmen hören noch seinen Herzschlag oder selbst seinen Geruch wahrnehmen konnte. Noch konnte er abhauen, hinaus in die warme Nachtluft Floridas, in sein Auto. Er könnte zum Hotel zurückfahren und die Polizei anrufen. Es gab durchaus plausible Gründe, sich zurückzuziehen, aber er wollte es nicht. Jack sprang in den Raum. Ein Mann stand in Sabrinas Schlafzimmer, das ebenfalls völlig durchwühlt war. Er stand ungefähr vier Meter entfernt und war 35 bis 40 Jahre alt. Er trug eine Lederjacke. Sein Haar
war dünn und reichte ihm bis auf die Schultern. Sein Gesichtsausdruck war hinterhältig, und er schien sich zu freuen, erwischt zu werden. »Hallo, Seemann«, grinste der Unbekannte. Jack wollte ihn gerade zusammenschlagen, als etwas Kaltes gegen sein rechtes Ohr stieß. Blitzschnell erkannte er, was es war, obwohl er es nicht sehen konnte. »Lächle«, hörte er eine Stimme hinter sich. Jack zog eine Grimasse. »Nun, du scheinst dich offensichtlich zu wundern, was wir hier machen«, meinte der Mann in der Lederjacke. »Klar weiß ich, was ihr hier macht: absahnen«, stieß Jack durch seine zusammengebissenen Zähne hervor. »Bist du dir da sicher? Was gibt’s hier zu holen, na?« »Ihr plündert das Apartment meiner Verlobten.« »Setz mal deinen Grips ein, Mann«, herrschte ihn der Mann an. »Ist dir aufgefallen, daß hier irgend etwas fehlt, Stereoanlagen, Silberschmuck, Juwelen? Irgend so etwas?« Es stimmte. »Ja, aber warum seid ihr dann hier?« »Wir suchen Spuren, großer Junge. Wie im Krimi.« »Spuren?« fragte Jack, und sein Denken gab fast auf. »Spuren, um was herauszufinden?« »Wie dein Mädchen von den Visitors gefangengenommen werden konnte.«
Kapitel 7
Jack dachte angestrengt darüber nach, was sie gerade erzählt hatten. »Wie soll ich wissen, ob ihr es ehrlich mit mir meint?« fragte er. »Ich meine, wenn dieser Typ weiter seine Knarre an meinen Kopf hält.« »Nimm sie runter, Chris. Damit der Mann sieht, daß er es mit vernünftigen Leuten zu tun hat.« Das eisige Metall wurde von seinem Kopf entfernt, und Jack hörte es klicken, als die Pistole gesichert wurde. In der Gewißheit, daß er nie wieder so eine Chance wie jetzt haben würde, schwang er sich herum und senkte gleichzeitig seinen Körper. Er warf sich mit aller Kraft gegen den Mann mit der Waffe, und der knallte voll in den Tisch hinein. Eine Lampe, Make-up und eine Schachtel Kleenextücher flogen durch das Zimmer, und Sabrinas großer, ovaler Spiegel zerbarst in tausend Stücke. Der Mann war sehr kräftig und groß und schlug hart auf. Er hatte trotzdem noch genug Kraft, doch drei schnelle Schläge streckten ihn für den Rest des Kampfes nieder. Jetzt wandte Jack sich dem Mann mit der Lederjacke zu. »Warte einen Moment, Mann«, bat der, und das Grinsen auf seinem Gesicht war verschwunden. Einhalt gebietend hob er die Hand. »Wir wollen dir nur helfen. Laß uns nichts überstürzen.« Jack hörte ihm gar nicht zu und beachtete auch nicht die gestikulierende Hand. Er sah nur, wie die andere Hand in die Jacke griff, und das reichte ihm.
Augenblicklich stürzte er sich auf ihn. Der erste rechte Haken hätte eigentlich ausgereicht, aber Jack legte noch vier dazu, bis der andere anfing, auf den Boden zu sacken. Der Mann krachte auf die umgekippte Matratze, prallte daran ab und war still. Schwer atmend nahm Jack ihre Waffen an sich. Er ging in die Küche und holte die Eisschale aus dem Kühlschrank. Dann ging er zurück in das Schlafzimmer und legte ihnen die Eisstücke auf das Gesicht, bis sie sich bewegten. »Na, seid ihr bereit, mich zum Gefängnis zu begleiten?« fragte er den Mann, der ihm die Waffe an den Kopf gehalten hatte, als dieser zu sich kam und sich den Kiefer rieb. Er drehte sich um, und stieß seinen Kumpel mit dem Schuh. »Wie geht’s, Joker?« »Sie werden uns wohl nicht nehmen im Knast«, meinte die Lederjacke, sich langsam aufrichtend, so daß er auf dem Boden saß. »Um was wollen wir wetten?« Trotz des Sieges, den er errungen hatte, ahnte Jack, daß diese Männer keine normalen Einbrecher waren. Bevor er telefonieren wollte, sollten sie ihm alles erklären. Außerdem hatte er ja auch ihre Pistolen. Es gab also keinen Grund zur Eile. »Also erklärt mir, warum sie euch da nicht haben wollen.« »Weil wir vom CIA sind. Mein Name ist Ham Tyler. Und das ist mein Partner Chris.« »Ham Tyler. Wo hab’ ich nur den Namen schon mal gehört? Und was soll der Quatsch bedeuten, Visitors hätten Sabrina mitgenommen?« »Du hast richtig gehört«, erklärte Ham Tyler und befühlte vorsichtig eine Wunde auf seiner Wange. »Die Visitors sind für immer gegangen, Tyler.« »Nicht alle.«
»Also hör mal. Der rote Staub hat sie für immer von diesem Planeten vertrieben. Wenn sie zurückkommen wollten, müßten sie sofort sterben.« »Nun hör mal gut zu, mein hart zuschlagender Freund. Ist dir noch nie in den Sinn gekommen, daß eine Technologie, die achthundert Jahre weiter ist als die unsrige, in der Lage sein könnte, ein Gegenmittel zu entwickeln?« Jack sagte nichts mehr. Er hatte auch schon daran gedacht, und es war in den Wochen, nachdem die Visitors geflohen waren, viel darüber gesprochen worden. Aber heute war davon kaum noch die Rede. Es war jetzt so, als habe es nie eine Invasion der Visitors gegeben. Diese so schnell und weit verbreitete Selbstzufriedenheit war wirklich etwas beunruhigend, fand er, wenn er jetzt darüber nachdachte. »Ich sehe, daß Sie langsam verstehen.« Tyler stand langsam und etwas wacklig auf. »Und ich bin jetzt hier, um Ihnen klarzumachen, daß diese Lizards mehr getan haben, als darüber nachzudenken. Sie haben es bereits geschafft, das Gegenmittel zu finden.« »Ham Tyler.« Jetzt erinnerte Jack sich, wo er den Mann schon einmal gesehen hatte. »Sie haben mit Donovan und Julie Parrish zusammengearbeitet, nicht wahr? Ich sah Sie im Fernsehen.« »Na ja, nicht gerade sehr sinnvoll für einen CIA-Mann, in den Sechs-Uhr-Nachrichten gesehen zu werden. Das erschwert geheime Operationen etwas. Übrigens vielen Dank, daß Sie mein Gesicht so hübsch neu gestaltet haben.« Ham half Chris hoch. »Was arbeiten Sie, Mann?« fragte Chris, und seine dreihundert Pfund schmissen Ham fast wieder zu Boden. »Erkennst du ihn nicht wieder?« meinte Ham. »Er ist Rechtsaußen bei den Dolphins – Jack Stern.« »Kein Quatsch?«
»Nein, das ist wahr«, gab Jack zu. »Nun, wenn Sie wirklich ein Footballfan sind, Ham, werde ich Sie mal mitnehmen.« »Danke. Ich werde darauf zurückkommen, wenn wir Ihre Freundin gefunden haben.« »Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wo sie sein könnte?« »Möglicherweise.« Jack wollte nicht weiter darüber nachdenken. Er hatte keinen anderen Anhaltspunkt als Sabrinas Wegbleiben. »Ich komme mit euch mit.« »Huh?« Chris sah immer noch ziemlich angeschlagen aus. »Nein, Mann. Ham und ich arbeiten lieber für uns allein.« »Ich sagte, ich komme mit euch mit.« Jack richtete die 45er Automatik mit einer Hand auf sie, und mit der anderen die Walther. »Im Augenblick habt ihr keine Chance, ich habe die besseren Argumente.« »Der Mann hat recht«, meinte Ham und hob ein Stück Spiegelglas auf, um sich anzusehen, was Jack mit seinem Gesicht gemacht hatte. »Das zieht bei mir nicht«, meinte Chris. »Nimm’s leicht«, bat ihn Ham und warf den Glassplitter zurück auf den Boden. »Vielleicht kann uns Mr. Stern noch ganz nützlich sein.« Chris taxierte Jack mit einer hochgezogenen Augenbraue. »Bist du wirklich dieser Meinung?« »Ich denke schon«, grinste Ham. Es war leicht zu erkennen, wer von beiden der Boß war. »Machen Sie sich keine Gedanken über das Chaos hier«, bemerkte Ham. »Wir werden alles wieder in Ordnung bringen, wenn wir zurück sind.« Alle drei gingen auf die Eingangstür zu. Als sie am Geschirrschrank vorbeikamen, fragte Jack: »Warum habt ihr ausgerechnet da hineingeschaut?«
»Warum nicht?« wunderte sich Ham. »Es ist ein genauso guter Platz wie jeder andere auch.« Sie gingen hinaus in die Sternennacht, entschlossen, mit ihrer Suche zu beginnen.
Kapitel 8
Blaues Licht wirbelte um Billy herum, umkreiste ihn, und er hatte schreckliche pochende Schmerzen, als sei sein Kopf auf das Doppelte seiner normalen Größe angeschwollen. War das ein Alptraum? Krachende, zischende Geräusche dröhnten durch die Luft. Und ein Geruch war im Raum, der ihn an Gewitter erinnerte. Und diese gelben Augen beobachteten ihn… beobachteten ihn… beobachteten ihn… Und es tat weh. Mein Gott, tat das weh. Warum taten sie ihm das an? Er hatte niemandem etwas getan. Niemandem außer sich selbst. Und dieses schreckliche blaue Licht kreiste endlos um ihn. Wie lange war er schon hier? Und wo war er? Auf dem Grund des Sumpfes. Sie beobachteten ihn mit ihren kalten Reptilienaugen. Die Alligatoren. Das Kräuseln der Wasseroberfläche war jetzt über ihm, nicht mehr neben seinem Kanu. Aber wieso konnte er überhaupt atmen? Wie konnte er unter Wasser am Leben bleiben? Und warum? Es wurde doch auch behauptet, Alligatoren bevorzugten verwestes Fleisch. Vielleicht war es das, was sie mit ihm machten – sie warteten auf seine Verwesung, um ihn dann aufzufressen. Nein! Er lebte doch noch. Solange er lebte, konnten sie ihm nichts anhaben. Er würde gegen sie kämpfen. So schnell würde er nicht wieder aufgeben, nicht so wie damals unter diesen Reptilien an der Universität.
Noch immer spürte er diese kalten Blicke. Sie kamen aus einer anderen Welt als er – einer privilegierten Welt, einer Welt voller Menschen, die ihren Weg zu gehen verstanden. Reptilien. Billy war es vorgekommen, als ob sie ihn auffressen wollten, immer so höflich, immer wissend, was man sagen mußte und wann; immer taten sie verständnisvoll ihm gegenüber, dem Indianer; und wie positiv, demokratisch handelten sie, auch einen Seminolen in ihrer Klasse aufzunehmen, wie einen Goldfisch im Glas. Noch nie vorher hatte er sich so einsam in den Everglades gefühlt, selbst dann nicht, als er meilenweit vom Reservat nur noch mit Reihern und Kranichen zusammen war. Niemals vorher so einsam… »Ich bin dein Freund«, hörte er plötzlich eine fremde, unangenehme Stimme, irgendwo entfernt, weiter weg als das flackernde blaue Licht, das um ihn herumtanzte in seinem Fischtank. »Kannst du mich hören? Ich sagte, ich bin dein Freund.« »Ich höre euch.« »Glaubst du mir, daß ich dein Freund bin?« »Nein.« Ein stechender Schmerz durchzuckte Billy; er begann bei den Zehen und wanderte hinauf bis zu seinem Kopf. Er meinte, seine Schädeldecke müsse explodieren. Sein Körper zuckte, als ob Stromstöße hindurchgejagt würden. »Erst wenn du wirklich verstanden hast, daß ich dein Freund bin, wird der Schmerz aufhören«, erklärte die Stimme. »Nein«, stöhnte Billy. »Diejenigen, die dich in der Vergangenheit verletzt haben, sind verantwortlich für die Schmerzen, die du jetzt aushalten mußt«, fuhr die Stimme fort. »Das waren nicht deine Leute. Du bist ihnen nichts mehr schuldig. Schau, wie sehr sie dich verletzen, Billy.«
Der nächste Schmerzstoß schüttelte ihn; es war das Schlimmste und noch viel mehr, als er je in seinem Leben erfahren hatte. Sie versuchten, ihn zu töten. Aber wer waren sie? Waren es die Alligatoren? Oder war es jemand anderer? »Warum glaubst du noch an deine Leute?« Wieder war die Stimme zu hören. »Sie sind es, die dir das hier alles antun, du Narr. Ich will dir doch nur helfen.« »Nein. Ihr tut mir so weh, nicht sie.« »Nein, nicht ich, Billy. Sie.« Eine gewaltige Schmerzwoge durchströmte Billy. Er glaubte, er müsse auf den Boden stürzen, aber jemand hielt ihn fest. Etwas, was er nicht erkennen konnte. Sein Vater, Paul, hielt ihn an der Hand. Und seine Mutter hielt ihn an der anderen. Er schaute zu ihnen hoch, und sie lächelten ihm zu, weiße Zähne blitzten in ihren braunen Gesichtern. Vor ihnen lief Johnny und rief ihnen zu, sie sollten ihn fangen. Billy wünschte sich sehr, so zu werden wie er, wenn er größer sein würde. Plötzlich ließ der Vater seine Hand los. Er trug eine Uniform. Er mußte zurückgehen. Nach Vietnam. Um zu sterben. Und seine Mutter schrie. Sie schrie und weinte jeden Tag und jede Nacht, eine lange Zeit lang. Und dann wurde sie krank. Sie sagten, es sei Krebs. Und dann ging auch sie fort. In ein Krankenhaus. Sie wurde schwächer und schwächer, und dann starb auch sie, genauso wie Paul. Und John und Billy waren allein. Allein. »Du wirst nicht mehr länger allein sein«, sagte die Stimme. »Denn ich bin dein Freund.«
Vielleicht war es wahr. Er war jetzt ganz allein. Auch Johnny war nicht mehr bei ihm. Sie hatten ihn fortgebracht von Johnny – und von Marie. Ein neuer Stoß grausamer Schmerzen durchzuckte ihn. Aber dennoch hörte er nicht auf, daran zu denken, daß jeder Schmerz einmal vorbeigeht. Marie. Sie liebte ihn, und sie hatten ihn von ihr weggeschafft – und von John. Und derjenige, der ihm erzählen wollte, er sei sein Freund, der hatte ihn hierhergebracht, um ihn hier zu foltern, weit weg von denen, die er liebte. »Lügner!« schrie Billy. »Du bist nicht mein Freund! Du bist mein Feind!« Stöße von unerträglichen Schmerzen folgten. Billy wußte, daß sie ihn zu töten versuchten, aber das war ihm egal. Nie würde er zulassen, daß sie ihm sein Bewußtsein nahmen. Die Schmerzwellen waren jetzt so intensiv, daß er nichts mehr sehen, nichts mehr hören, nichts mehr fühlen konnte als den Schmerz, der durch seinen Körper zuckte und vibrierte. Dann ließen die Schmerzen nach. Zuerst dachte er, er müsse jetzt sterben, aber die Schmerzen ließen tatsächlich nach, und es blieb nur noch totale Erschöpfung zurück. Das blaue Licht drehte sich immer langsamer um ihn, bis es überhaupt kein Licht mehr gab. Billy fiel nach hinten. Er schlug mit dem Kopf auf, aber es tat nicht weh. Er war immer noch in diesem wasserartigen, transparenten Raum, aber jetzt war es dunkel und still. Irgendwo hörte er Schritte; sie kamen auf ihn zu. Er versuchte, die Augen zu öffnen, aber er schaffte es nur ein bis zwei Sekunden. Rings um ihn herum waren überall Lizards. Sie trugen alle rote Uniformen außer einem, der war ganz in Weiß gekleidet.
»Der hier ist stark«, erklärte der Lizard in Weiß, und seine gespaltene Zunge zuckte schnell hin und her. »Vielleicht ist er es, nach dem wir gesucht haben. Bringt ihn ins Laboratorium.« Billy spürte, wie Klauen seine Arme und Beine packten und ihn aus dem Fischtank trugen. Die Alligatoren hatten ihn, aber noch hatten sie ihn nicht gebrochen. Trotz der Erschöpfung fragte er sich, was sie als nächstes mit ihm vorhatten. Könnte es noch etwas Schlimmeres geben als das eben Erlebte? Es blieb ihm erspart, über solche Möglichkeiten nachzudenken, denn er sank in tiefe Bewußtlosigkeit.
Kapitel 9
»Wir nehmen kein Luftkissenboot«, erklärte Ham. »Zu laut und zu auffallend. Wir brauchen etwas Ruhiges. Wie ein Kanu. Gut genug für die Seminoles, gut genug für uns.« »Was ist, wenn wir schnell abhauen müssen?« fragte Chris. »Dann trennen wir uns und verstecken uns im Sumpf. Es wird ihnen leichtfallen, ein Luftkissenboot anzugreifen, aber drei Männer zu Fuß wird schwieriger sein.« »Hört mal«, wollte Jack wissen, während er sich eine Tasse Kaffee eingoß, »warum gehen wir eigentlich davon aus, daß sie Sabrina in die Everglades gebracht haben?« »Das tun wir nicht. Nicht sicher. Aber wir wissen, daß eine Frau am Freitag mit einem Hubschrauber vom LantanaFlughafen abgeholt worden ist. Die Beschreibung paßt auf Ihre Freundin. Der Bericht des Towers sagt außerdem aus, daß sie in Richtung Westen in die ›Glades‹ abbogen.« Jack nickte. Das war bei weitem der aussagekräftigste Hinweis, den er bisher bekommen hatte. Bis zum Jüngsten Tag hätte er weitersuchen können und wäre nicht so weit gekommen. Es hatte ihn immer gewundert, was alles über den CIA gemunkelt wurde. Wahrscheinlich stimmte es gar nicht. Es begann ihn zu interessieren, mit diesen beiden Männern zusammenzuarbeiten. Trotz allem, was letzte Nacht passiert war, bekam Jack immer mehr Respekt vor ihnen. »Stern, sind Sie sich immer noch absolut sicher, daß Sie uns bei unserem Auftrag begleiten wollen?« schreckte ihn Ham Tyler aus seinen Gedanken.
»Natürlich will ich das. Ich habe vor, Sabrina zu heiraten. Glauben Sie etwa, ich überlasse sie den gottverdammten Lizards, ohne überhaupt versucht zu haben, sie zu befreien?« »Wow, der einsame Ranger.« Ham hob eine Hand. »Es ist schon eine Sache, auf dem Footballfeld zu kämpfen. Aber diese Lizards spielen kein Spiel. Sie schießen, um zu töten. Und wenn sie dich nicht töten, ist das, was sie mit dir machen, wenn sie dich gefangengenommen haben, schlimmer als sterben.« »Ein Schicksal, noch schlimmer als der Tod?« schauderte Jack. »Glauben Sie, die Lizards werden Sabrina vergewaltigen?« »Noch schlimmere Dinge sind passiert«, erklärte Ham sehr ernst. »Wollen wir hoffen, daß sie nur an ihrem wissenschaftlichen Wissen interessiert sind.« Jack war überrascht, Ham so ernsthaft sprechen zu hören, ihn, der normalerweise immer zynisch war. Er hatte eine Menge harter Typen kennengelernt; meistens waren sie gar nicht so schlecht, wenn man sie erst einmal richtig kennengelernt hatte. Ham schien ihm ein Mann zu sein, der diese Arbeit aus dem aufrichtigen Wunsch heraus begonnen hatte, seinem Land zu helfen, und der im Laufe seiner Karriere Dinge erleben mußte, angesichts derer er den Blick für menschliche Werte etwas verloren hatte. Außerdem gehörte es zu seinem Job, Leute zu töten, und das verändert jeden Menschen. »Okay, dann wollen wir jetzt ausruhen. Der Wecker klingelt um sechs«, schlug Chris vor. »Können wir nicht sofort aufbrechen?« drängte Jack. »Sei kein weiser Mann«, quäkte Chris, und er parodierte Curly von den Three Stooges so perfekt, daß Jack nicht anders konnte, als auch zu lachen. Auch Ham mußte lachen, genauso wie Chris. Sie lachten darüber, wie sie lachten, und dann
lachten sie wieder darüber. Jack stand das Wasser in den Augen vor Lachen, und er fühlte sich gut. Er fiel auf das Hotelbett, und ihm wurde bewußt, daß er seit Tagen nicht mal mehr gelächelt hatte. »In Ordnung«, verabschiedete sich Ham und folgte dem riesigen Chris durch die Tür seines Hotelzimmers, »dann sehen wir uns morgen früh, Stern. Gehen Sie uns nicht verloren.« »Bis dann.« Einen Moment später waren sie schon verschwunden. Jack lag auf dem Bett, unruhig und voller Spannung darauf, was mit den Lizards passieren würde, die Sabrina verschleppt hatten. Er wußte, daß er Schlaf nötig hatte, daher machte er das Licht aus und schloß die Augen. »Ganz großes Spiel morgen, Jack«, sagte er laut zu sich selbst. »Du mußt dich jetzt ausruhen.« Aber er konnte nicht einschlafen, und er dachte immer wieder daran, was Sabrina geschehen sein könnte. So hart es auch für ihn gewesen wäre, ihm wäre es jetzt lieber gewesen, wenn sie mit einem anderen Mann abgehauen wäre. Gut, Ham konnte sich irren. Und auch der CIA hatte sich schon oft geirrt. Aber diesmal hatte Jack das starke Gefühl, daß sie recht behalten sollten.
Kapitel 10
Billy wußte nicht genau, wie lange er schon in dem roten Raum war. Zuerst hatte er sich an nichts erinnern können. Dann hatten sie ihn gefüttert, ihm etwas Wasser gegeben, und ihm ein wenig Schmerzen zugefügt. Ab und zu legten sie ihn auf einen Tisch, und einer dieser Alligatorenmenschen nahm ein kleines Messer und zog ihm etwas Haut vom Arm oder Rücken. Das war alles, was sie bisher mit ihm gemacht hatten, nicht so, wie es in dem transparenten Raum mit diesen blauen Lichtstößen gewesen war, die ihn umkreist hatten. »Warum machen Sie das?« fragte er sie manchmal, wenn sie ihm wieder ein Stückchen Haut abkratzten, »wollen Sie herausfinden, was Menschen ausmacht?« Sie antworteten nie. In dem dämmrigen roten Licht kratzten sie nur ganz leise an ihm herum, so als ob er eine Pflanze wäre. Na ja, vielleicht war er für diese Alligatoren tatsächlich so etwas wie eine Pflanze. Vielleicht wollten sie herausfinden, was das Beste an ihm sei, bevor sie ihn kochten und fraßen. Das würde erklären, warum sie ihn hierbehielten und ihn fütterten. Vielleicht wollten sie ihn mästen, bevor sie ihn töteten. Manchmal war sich Billy jedoch sicher, daß sie nicht vorhatten, ihn bald zu verspeisen. Sie hatten etwas anderes mit ihm vor. Er war so eine Art Meerschweinchen, eine Art Labortier, das sie testeten. Nein, keine weiße Ratte. Sie untersuchten nicht seine Gehirnströme, schlossen ihn an keine Apparaturen an und gaben ihm auch keine Medikamente. Wie konnten sie
herausfinden, was er dachte, wenn sie nur Hautgewebeproben von ihm untersuchten. Nein, was immer sie vorhatten, es war biologisch, nicht psychologisch. Die Tür wurde aufgestoßen, und ein Lizard in weißem Arbeitskittel trat ein, ein Tablett mit Essen in der Hand. »Na, wie geht’s?« fragte Billy. Der Alien stellte das Tablett auf einen Wandvorsprung, den Billy als Eßtisch benutzte. Zuerst war er vor diesen Tabletts, die ihm Lizardhände überreichten, zurückgewichen. Und er hatte sich die erste Zeit geweigert, sie überhaupt zu berühren. Aber durch die Tortur im transparenten Raum war er so schwach geworden, daß er sich zwang, ein paar Bissen zu essen. Das Essen war ungewöhnlich – klumpiger Brei und stärkehaltige Kringel –, aber er hatte sich daran gewöhnt. Er mußte wieder zu Kräften kommen, oder es würde unmöglich sein, auszubrechen, falls er eine Chance bekommen sollte. Aber die Gelegenheit würde kommen. Er durfte die Hoffnung nicht aufgeben, daß die Gelegenheit kommen würde. Sonst könnte er sich gleich hinlegen und beschließen zu sterben. Billy hatte versucht, Linien in die Wand zu kritzeln, um sich zu beschäftigen, aber das weiche Material ließ es nicht zu; selbst mit dem sonderbaren kleinen Löffel, den sie ihm zum Essen gegeben hatten, war es unmöglich. Sie hatten ihm nichts zu Schreiben gegeben, keine Bücher, keine Zeitschriften, kein Fernsehen; nur Essen und Wasser. In seinem ganzen Leben hatte sich Billy noch nie so gelangweilt, selbst nicht an der Universität in Florida. Das einzige, was die Langeweile mit sich brachte, war genug Zeit, Fluchtpläne zu schmieden. Wie er hier herauskommen könnte, war ihm allerdings noch unklar. Vielleicht könnte er den Mann, der das Essen brachte, überwältigen. Oder er könnte aus dem Löffel eine Waffe machen.
Der Löffel… Er hatte festgestellt, daß er immer mehr die linke Hand zum Essen gebrauchte. Er wußte noch von der letzten Invasion der Lizards auf der Erde, daß das bedeutete, daß die Konvertierung langsam von einem Besitz ergriff. Er kämpfte dagegen an und zwang sich dazu, die Rechte zu benutzen, wann immer die linke instinktiv nach dem Löffel griff. Nach einiger Zeit kostete es ihn ungeheure Willenskraft, die Hand zu wechseln, aber es gelang ihm noch jedesmal, obwohl es ihn immer mehr schwächte und er zitterte. Er nahm den Löffel und hielt ihn über den lauwarmen grünen Brei auf dem Tablett. Ganz bewußt hielt er ihn in der rechten Hand. Als er dann den Löffel senken wollte, begann er zu zittern. Alles, was er tun mußte, damit das Zittern aufhörte, war, die Hand zu wechseln, das wußte er, und die Versuchung war groß. Aber er wollte es auf keinen Fall, auch wenn es ihn töten würde. Indem er sein rechtes Handgelenk mit den Fingern der linken Hand festhielt, gelang es ihm, sich den Brei in den Mund zu stopfen. Der zweite Bissen war schon nicht mehr so schwierig, und bald wurde er ruhig und entspannt. Gerade als er sein Essen beendet hatte, wurde die Tür ein zweites Mal geöffnet. Ein Mann stand in der Türschwelle – jedenfalls sah er aus wie ein Mensch. Er trug einen Arbeitskittel und hatte weißes Haar und einen Bart. »Darf ich hereinkommen?« fragte er. Mit vollem Mund versuchte Billy den Rest des grünen Breis hinunterzuwürgen. »Warum nicht?« murmelte er. Der Mann trat ein. »Mr. Tiger, ich bin Dr. Morrow, der Direktor dieses wissenschaftlichen Komplexes.« Er streckte eine Hand aus. Billy entschied sich, sie zu schütteln. »Warum halten Sie mich hier fest?«
Dr. Morrow zog langsam seine Hand zurück. »Wir wollen nur einige Tests durchführen.« »Und wann sind Sie mit Ihren Tests fertig?« »Was weiter mit Ihnen geschieht, hängt ganz von Ihrem Verhalten während der Zeit ab, wo Sie hier unser Gast sind.« »Gast! Ich bin ein Gefangener, ein Meerschweinchen für Experimente. Wie bringen Sie es nur fertig, mich als Gast zu bezeichnen?« »Also gut. Sie sind ein Gefangener, Mr. Tiger. Fühlen Sie sich besser, wenn ich Sie so bezeichne?« »Allerdings. Ihr Lizards scheint immer noch nicht verstanden zu haben, wie wichtig die Wahrheit für ein menschliches Wesen ist. Wenn ich mich als Ihr Gast sehen würde und daß Sie mich freilassen, wenn ich mit Ihnen kooperiere, dann wäre das eine Lüge.« »Woher wollen Sie wissen, daß es nicht doch die Wahrheit ist?« »Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, daß dem nicht so sein kann. Schließlich weiß ich, was Sie und Ihresgleichen getan haben.« »Das gehört der Vergangenheit an«, erklärte Dr. Morrow selbstgefällig. »Oh, jetzt hören Sie aber auf. Glauben Sie, ich habe vergessen, wie Sie mich in dem Konvertierungsraum gefoltert haben, bis selbst mein Gehirn schmorte? Ich weiß, daß Sie ziemlich enttäuscht darüber sind, daß es nicht geklappt hat, und im Moment herrscht lediglich Pause, bis Ihnen etwas Besseres eingefallen ist, vermute ich.« »Im Gegenteil. Wir sind hocherfreut darüber, daß die Konvertierung bei Ihnen nicht gelungen ist, Mr. Tiger.« »Was?« Billy fiel erstaunt zurück. »Was sagen Sie da?« »Ich sagte, daß wir uns freuen, daß die Konvertierung in Ihrem Falle nicht gelungen ist.«
»Das müssen Sie erklären.« »Sehr gern.« Dr. Morrow machte eine Pause, und dann begann er voller Dramatik zu dozieren. »Wegen Ihrer Kraft, Ihrem Mut, Ihrer – Kompromißlosigkeit, wenn Sie wollen, sind Sie auserwählt worden, der Ahnherr einer neuen Rasse zu werden.« »Einer neuen Rasse?« »Sie werden ihr Vater sein, Mr. Tiger. Und sie wird die Qualitäten haben, die wir so sehr an Ihnen bewundern. Diese Qualitäten und noch mehr.« »Noch mehr? Was meinen Sie damit?« »Das wird sich bald zeigen, Mr. Tiger. Guten Tag.« Dr. Morrow ging zurück zur Tür, die sich wie von Geisterhand öffnete, um ihn hinauszulassen. Einen Moment später war er schon verschwunden. Als er wieder in seinem Käfig allein war, wurde Billy bewußt, daß er wahrscheinlich die günstigste Gelegenheit zur Flucht verpaßt hatte. Was Dr. Morrow gesagt hatte, hatte ihn so verwirrt, daß er nicht mehr daran gedacht hatte, ihn niederzuschlagen, als sich die Tür öffnete. Was konnte Dr. Morrow gemeint haben? Er, Billy Tiger, der Vater einer neuen Rasse? Absurd. Aber dieser Unsinn, den Dr. Morrow verzapft hatte, war schuld daran, daß er die beste Chance zur Flucht verpaßt hatte.
Kapitel 11
Jacks Wecker klingelte um sechs Uhr morgens, genau wie verabredet. Nun würden sie doch nicht ohne ihn aufbrechen. Der kleine Zwischenfall in Sabrinas Haus mußte Tyler überzeugt haben, daß er Jack ganz gut würde gebrauchen können, wenn es hart auf hart kam. Nach einer Dusche und Rasur zog sich Jack eine Jeans und ein Arbeitshemd an, warf den Rest seiner Sachen in eine Tasche und ging zur Rezeption des Hotels hinunter. Im Parkgeschoß traf er Ham und Chris. Sie saßen in einem Landrover, auf dessen Dachgepäckträger drei Kanus befestigt waren. »High-Tech, Stern«, grinste Ham, als Jack sein Gepäck in den Landrover warf. »Wir fahren, solange es geht, und dann paddeln wir den Rest des Weges. Auf diese Art werden wir sie todsicher überraschen.« »Das hoffe ich«, knurrte Jack, dessen Befürchtungen immer stärker geworden waren, was mit Sabrina passiert sein könnte. Und, falls die Visitors sie wirklich in ihrer Gewalt hätten, wie sollten sie sie erreichen, um sie da rauszubringen? »Laßt uns losreiten, Jungs«, schlug Tyler vor. Jack stieg ein, und sie fuhren zur Alligator Alley, einer Straße, die in Richtung Westen aus der Stadt hinausführte. Sie sprachen wenig, und wenn sie es taten, so ging es um die Landkarte oder praktische Überlegungen. Hinter ihnen ging die Sonne auf, als sie schließlich eine Straße in Richtung auf die Sümpfe einschlugen. Es war gerade elf Uhr, als sie den Highway verließen und auf einer Landstraße weiterfuhren, bis sie nach einer Stunde zu
einem Kiesweg kamen, dessen Rand auf einer Seite vom modrigen Wasser der Everglades gebildet wurde. Inzwischen fuhr Chris. Vor 90 Minuten hatte er mit Ham gewechselt. Die Reifen malmten sich durch den Kies, und Jack wurde immer mulmiger zumute. Sollten sie jetzt aus Versehen von der Straße abkommen, dann würden sie sich alle auf dem Grund des Sumpfes wiederfinden. »Nimm’s locker, Junge«, sagte Jack wie zu sich selbst. »Wir müssen schließlich schnell dort sein.« Chris blickte ihn finster an. »Wir dürfen wirklich keine Zeit verlieren«, betonte Ham. »Fahr so weiter, Chris.« Es kam Jack so vor, als ob er mit zwei Wahnsinnigen unterwegs wäre. Er hatte über Widerstandskämpfer in Irland gelesen, die auch nach dem Waffenstillstand noch weiterkämpfen wollten. Und auch Jesse James hatte weiter für die Konföderierten gekämpft, noch lange nach Appomattox. Vielleicht war Sabrina wirklich nur mit einem anderen Mann abgehauen, oder sie hatte wirklich nur das getan, was sie ihm in ihrer Nachricht hinterlassen hatte. Und wenn ihr Brief wirklich wahr sein sollte, dann würde sie längst zurück sein, wenn er dieses kleine Abenteuer mit zwei CIA-Männern hinter sich hatte. Falls er zurückkehren würde. Sie schienen wild entschlossen, unnötige Risiken eingehen zu wollen. Unnötig in jedem anderen Fall außer in dem, daß sie recht behalten sollten und es wirklich Visitors waren. Auf jeden Fall war es jetzt zu spät, umzukehren. »Holee!« Chris trat wild auf die Bremsen. Der Landrover schleuderte, und Kies flog hoch. Jack schloß die Augen, aber nicht, bevor er nicht noch das Polizeiauto sah, das sie rechts überholte. Es war kaum Platz für einen Wagen auf dieser Straße, geschweige denn für zwei.
Der Landrover drehte sich um die eigene Achse. Jack sah Chris’ Zigaretten über das Armaturenbrett fliegen und auf der Beifahrerseite hinausfallen. Er betete, als ihr Kühler fast über dem modrigen Wasser hing. Der Tumult aus Geschrei, Motorengeräusch und aufgewirbeltem Kies endete so abrupt, wie er begonnen hatte. Atemlos saßen die drei Männer einen Moment lang da und schwiegen. Ein großer Mann mit einem braunen Sheriffhut und einer Uniform sprang aus dem Polizeiwagen und schritt auf den Landrover zu. »Was, zum Teufel, macht ihr eigentlich, Jungs?« fragte der Sheriff. »Dort hinten steht ein Verkehrszeichen, das unmißverständlich vorschreibt, nicht mehr als 25 Meilen die Stunde zu fahren.« »Richtig, Sheriff«, bestätigte Ham. »Aber das hier ist ein Notfall.« Der Sheriff rollte die Augen. Als Ham ihm dann aber ihre Ausweise zeigte, schaute er sie schon etwas höflicher an. »CIA – nun, das kann man ja nicht ahnen.« Die Anspannung hatte etwas nachgelassen, und erst jetzt bemerkte Jack, daß ihn seine rechte Schulter und seine Seite schmerzten, weil er gegen die Wagentür geworfen worden war. Ham hatte Glück gehabt, weil er in der Mitte gesessen hatte und dadurch von Jack und Chris abgestützt worden war. Jack stieg aus, ging auf dem Kies auf und ab, schwang seinen Arm und streckte sich. Nach einer Minute entschied er, daß er wieder in Ordnung sei. »Also, was ist das nun für ein großer Notfall?« wollte der Sheriff wissen. »Russen sind mit dem Fallschirm über den ›Glades‹ abgesprungen, oder so etwas Ähnliches?« »Schlimmer als das, Sheriff«, Ham studierte sein Namensschild, »Devereaux.«
»Einige glauben, es gibt nichts Schlimmeres als das. Also, was ist es? Kubaner? Salvadorianer?« »Visitors.« Der Sheriff hatte in den riesigen, dunklen, dichtbewachsenen Sumpf hinübergeschaut. Während er zum zweiten Mal hinblickte, meinte er: »Visitors? Ich denke, die sind zu ihrem Planeten zurückgekehrt.« »Das denkt jeder, Sheriff. Und darum sind sie doppelt so gefährlich, gerade jetzt.« »Oh, das ist eine interessante Theorie, Mr. Tyler. Ich kaufe Ihnen das zwar nicht ganz ab, aber Sie scheinen daran zu glauben. Andererseits nehme ich nicht an, daß Sie nur so zum Spaß hier langjagen. Daher werde ich Ihnen auch keinen Strafzettel ausstellen. Irgend jemand in Washington würde ihn ja sowieso zerreißen.« »Vielen Dank, Sheriff.« Ham ging zurück zum Landrover. »Nicht so schnell, Mr. Tyler. Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.« Diesmal verdrehte Ham die Augen. »Und was soll das nun wieder heißen?« »Nun, hier passieren einige merkwürdige Dinge in letzter Zeit.« »Und was sind das für merkwürdige Dinge?« »Leute verschwinden einfach. Keiner sieht sie mehr, so als wären sie Oppossums, die in einer Schlange verschwinden.« Ham nickte zur Bestätigung. »Das sieht stark nach unseren schuppigen Freunden aus, Sheriff.« »Würden Sie darauf wetten?« »Aber ja, verdammt.« »Mir scheint zwar, daß es wahrscheinlich auch noch andere Erklärungen geben könnte, aber ich werde euch dennoch erst einmal begleiten. Mal sehen, was ihr herausfindet.« Ham und Chris sahen einander an. Chris zuckte die Achseln.
»Warum nicht. Wir können bestimmt noch einige Hilfe brauchen.« »Danke«, freute sich T. J. Devereaux. »Aber erst einmal müssen wir wohl eure Karre wieder richten, damit wir losfahren können.«
Kapitel 12
Ihre innere Uhr sagte Sabrina, daß die Zeit für ihre tägliche Propagandadosis wieder näher rückte. Ganz sicher war sie sich nicht, denn sie kannte weder Zeit noch Datum, noch wußte sie, wie lange sie schon hier war. Die Tür ihres Zimmers öffnete sich, und Dr. Thorkel trat ein. Er war ein freundlicher Mann Ende Fünfzig, ein Wissenschaftler, dem Sabrina ein- oder zweimal vorher begegnet war. »Wie fühlen Sie sich heute, Dr. Fontaine?« fragte er sie. »So gut es unter diesen Umständen geht.« »Nun, und haben Sie bis heute irgendwo gesehen, daß jemand aufgefressen wurde?« Sabrina sagte nichts. Als Thorkel sie das letzte Mal besuchte, hatten sie darüber gesprochen, daß die Visitors Menschen auffraßen, etwas, wovon sie der festen Überzeugung gewesen war, daß jeder es inzwischen wußte. Thorkel schien dieser Tatsache gegenüber blind zu sein. Er glaubte immer noch fest daran, daß die Visitors hier auf der Erde seien, um der Menschheit zu helfen. Und das nach allem, was passiert war! »Meine liebe Frau Dr. Fontaine, ich habe Dinge in diesem Komplex gesehen, die einfach wunderbar sind. Wenn die Visitors uns solches Wissen vermitteln können, so müssen dagegen alle kleinen Mißverständnisse zwischen unseren beiden Rassen verblassen. Für die Entwicklung der Menschheit ist es meiner Meinung nach außerordentlich wichtig, mit ihnen zu kooperieren, sehen Sie das nicht ein?« »Dr. Thorkel«, erwiderte Sabrina und versuchte, höflich zu bleiben. »Man hat Sie wahrscheinlich gezwungen, nur noch
das Gute zu sehen. Sie waren bereits zu dem Zeitpunkt hier, als die Visitors versuchten, unsere Erde unter ihre Kontrolle zu bekommen. Es ist daher wahrscheinlich, daß man Sie einer Gehirnwäsche unterzogen hat, so daß Sie nun glauben, was Sie glauben sollen.« »Gehirnwäsche? Ist Ihnen jemals in den Sinn gekommen, daß Sie einer Gehirnwäsche durch die Terroristen ausgesetzt waren, die gegen die größte Hoffnung gekämpft haben, die die Menschheit je hatte?« »Ich bin noch nie in meinem Leben jemals einem Terroristen begegnet. Ich habe in einem Labor gearbeitet, aus dem man die älteren Wissenschaftler verschleppt hat. Wenn sie überhaupt zurückkamen, sprachen sie plakativ von den Visitors als unseren Freunden, viele aber kamen nie wieder zurück.« »Vielleicht hat man einige in Haft behalten.« »Gefangengehalten? Man hat sie nie wieder gesehen. Höchstwahrscheinlich mußten sie als Abendessen für einen Haufen Visitors herhalten.« Traurig schüttelte Thorkel den Kopf. »Die Visitors möchten nur, daß Sie endlich die Wahrheit erkennen. Wenn Sie weiterhin auf diesem Unsinn bestehen, werden sie sich gezwungen sehen, Ihnen beizubringen, was die Wahrheit ist.« »O Doktor«, stieß sie verächtlich hervor, »Sie machen mich krank. Wann werden Sie endlich erkennen, daß Sie ein Verräter Ihres eigenen Volkes sind. Wenn mir jemand einen Vortrag über die Wunder der Visitortechnologie halten sollte, dann lassen Sie es Dr. Morrow tun. Schließlich ist das ja seine eigene Sache.« »Aber er arbeitet auch für uns, Dr. Fontaine. Können Sie das nicht einsehen?« »Nein, das kann ich nicht.« »Also, als Wissenschaftlerin verfügen Sie doch über ein umfassendes Wissen. Wir sollten unsere bedauernswerten
Kabbeleien vergessen und für die gute Sache aller intelligenten Wesen des Universums zusammenarbeiten.« »Sagen Sie erst einmal den Visitors, sie sollen ihre Waffen niederlegen. Sollten wir jemals zusammenarbeiten, so müssen sie zuerst aufhören, uns und unseren Planeten auszubeuten.« »Ich hatte Sie anders eingeschätzt, Dr. Fontaine. Ich hatte ja keine Ahnung, wie engstirnig Sie in Ihrem Denken sind.« Sabrina wandte sich von ihm ab. Sie hatte den dringenden Wunsch, nicht mehr mit Dr. Thorkel sprechen zu müssen, jetzt nicht und auch nie wieder. Sie ignorierte ihn, bis er ihre Gefangenenzelle verlassen hatte. Kurz bevor sich die Tür automatisch schloß, hörte sie außerhalb der Zelle etwas, daß sie erstarren ließ. Es war ein grauenhafter, wehklagender Schrei. Es klang nicht wirklich menschlich, der schreckliche Schrei eines Tieres, aber mit einem Pathos darin, wie ihn nur ein Mann oder eine Frau zum Ausdruck bringen können. Zum erstenmal wünschte sich Sabrina, die Tür möge sich schnell schließen, im Gegensatz zu früher, wo sie wünschte, sie möge offenbleiben, damit sie hinauslaufen könnte. In diesem Moment wollte sie nur nicht mehr diesen furchtbaren Angstschrei hören müssen. Ihre Erleichterung darüber, daß sich die Tür endlich schloß, war fast physisch. Sie fiel zurück auf das Bett und zitterte vor Furcht. Der Schrei, den sie gerade gehört hatte, hatte sie in einer Art und Weise aufgewühlt, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Eine elementare, beinahe tierhafte Angst hatte von ihr Besitz ergriffen. Nie mehr wollte sie so etwas hören, aber sie wußte, daß es anders kommen würde. Sie wurde ständig beobachtet, und ihre Reaktion hatte sie bestimmt verraten. Früher oder später würden sie das gegen sie einsetzen.
Auch Billy Tiger hatte die Schreie gehört. Manchmal wurde er nachts von diesen Monsterschreien wach. Es wurde auch nichts dagegen getan, ihn davor zu schützen. Eine Art Folter? Aus irgendeinem Grunde glaubte Billy nicht daran. Es kam ihm eher vor wie das Ergebnis eines ihrer Experimente. Aber was für eine Kreatur konnte solche Schreie ausstoßen? Er wälzte sich im Bett herum und legte sich das Kissen über den Kopf. Er würde noch wahnsinnig werden von diesen Schreien. Es lag etwas Vertrautes in ihnen. Und das machte ihm am meisten zu schaffen. Wie es schien, hatte er diese Stimme schon tausendmal gehört, aber nicht auf diese grauenhafte, verzerrte Weise. Wessen Stimme konnte das sein? Er rief sich alle Leute, die er gekannt hatte und die verschwunden waren, ins Gedächtnis und war sich dann sicher, daß es keiner von ihnen sein konnte. Lange lag er wach und dachte über das Problem nach, bis er dann endlich eindöste. In seinen Träumen war er allein, genauso wie in dem Konvertierungsraum. Wieder verfolgten ihn die Alligatoren, aber diesmal wußte er, wer sie wirklich waren. Sie jagten ihn durch die Flure des Lagers und zeigten ihm ihre gelben, dolchförmigen Zähne. Er kämpfte mit ihnen, wich ihnen aus, überlebte dabei aus irgendeinem Grund diese Stätte des Horrors. Später öffnete er eine Tür nach der anderen auf der Suche nach einem Weg, hier herauszukommen. Schließlich kam er an eine Tür, hinter der es völlig dunkel war. Endlich, da war er sich sicher, hatte er den Ausgang erreicht. Aber irgend jemand – oder irgend etwas – darin versperrte ihm den Weg. Er wollte damit kämpfen, aber er konnte nicht. Er sah es, und er schrie. Er schrie wieder und wieder.
Er wachte von seinem eigenen Schrei auf. Und dieser Schrei ließ ihn sein Herz gefrieren. Denn er hatte mit der gleichen Stimme geschrien, wie dieses halbmenschliche Wesen, das er dort draußen hinter seiner Tür gehört hatte.
Kapitel 13
Jack fuhr im Auto des Sheriffs mit. Plötzlich sah er ein Schild, das auf ein Seminolenreservat hinwies, ca. fünf Meilen die Straße hinunter. »Daher kommt Billy Tiger«, erklärte T. J. »Und dahin ist er nicht mehr zurückgekehrt.« Jack schaute ihn an, den stämmigen Mann des Gesetzes. »Und Sie sagten, daß seine Freundin Sie angerufen und über sein Verschwinden informiert hat?« »Yup. Sehr besorgt. Der Chief und Billys Bruder behaupten zwar, er sei mit einem anderen Mädchen auf und davon, aber sie ist da anderer Meinung.« »Normalerweise wissen die Partner, wenn es zu Ende ist. Aber wenn alles in Ordnung ist und jemand verschwindet, dann ist man schon etwas besorgt.« T. J. zog ein Päckchen Kaugummi aus seiner Hemdtasche. Er bot Jack eins an, der lehnte zuerst ab, nahm dann aber doch eins, schob es sich in den Mund und begann zu kauen. »Die beiden CIA-Männer kommen mir vor wie ein Pärchen im Poker, das einen Drilling schlägt. Sie wirken eher wie ein altes Ehepaar als wie Arbeitskollegen.« »Sie halten zusammen, das stimmt.« Jack schaute nach hinten und musterte den Landrover, der T. J.’s Polizeiwagen folgte. »Ehrlich gesagt, als Sie vorhin vorschlugen, in getrennten Wagen zu fahren, fiel mir ein Stein vom Herzen. Diese Burschen sind es zu sehr gewohnt, Risiken auf sich zu nehmen; sie machen verrückte Sachen, selbst wenn es gar nicht nötig ist.« »Sie sind ein Paar, das Spaß haben will«, gluckste T. J.
»Ich kannte ein paar dieser Typen, als ich in der Armee in Korea war.« »Solange wir vor ihnen fahren, können sie nicht so schnell fahren. Außerdem ist es jetzt egal, wie schnell sie fahren. Wir sind gleich da.« T. J. bog jetzt in einen schmalen Weg ab, der sich wie ein Tunnel durch die wuchernde Vegetation zog. Die Farnwedel und Äste der Bäume wuchsen so tief, daß sie auf das Dach des Wagens schlugen. Im Landrover war es für Ham und Chris noch schlimmer. An einem kleinen Ufer, das wie ein Erdwall aus dem braunen Wasser herausragte, stoppte T. J. den Wagen und stellte den Motor aus. Jack stieg aus dem Polizeiwagen, reckte sich und blickte gedankenverloren in die Dunkelheit der Everglades, die sich trotz der Mittagszeit ausbreitete. »Hier ließ Billy Tiger sein Kanu ins Wasser«, erklärte T. J. »Keiner hat ihn seitdem mehr gesehen.« Hinter ihnen tauchte der Landrover auf, und wenige Minuten später waren Chris und Ham schon bei ihnen. Beide schwiegen. T. J. war mit seinem Bericht fast fertig: »Jetzt hindert mich nur eine Tatsache daran, doch zu glauben, daß Billy mit einer anderen Frau weggelaufen ist, und das ist folgende: Er ist nicht der einzige, der verschwunden ist, und alle anderen vermißten Personen sind nicht so begehrenswerte Junggesellen wie Billy. Einer von ihnen ist ein alter Penner, Walter Miles, der zum gleichen Zeitpunkt verschwand wie Billy. Leider gab es niemanden, der sich um Walter gekümmert hat. Aber er ist weg, genauso wie Billy.« »Also fangen Sie langsam an, meinen Argumenten etwas mehr zu vertrauen«, meinte Ham. »Ich weiß, daß Sie ein nachdenklicher Mann sind, Sheriff Devereaux.« »Nennen Sie mich T. J. Hier tut das jeder.«
»Wir haben drei Kanus dabei.« »Hab’ ich schon mitgekriegt«, nickte T. J. und schlug nach einem Moskito auf seinem Nacken. »Jack und ich können zusammen eins nehmen, und ihr Jungs nehmt jeder ein eigenes. Wir können mehr in Erfahrung bringen, wenn wir alle in verschiedene Richtungen fahren. Dann treffen wir uns um 18.00 Uhr wieder hier.« Sie banden die Kanus los und hoben sie runter. Chris lief schnell, ließ das schnittige grüne Boot ins Wasser und kletterte an Bord, ohne daß seine Kampfstiefel naß geworden wären. Sein hellbraunes Haar flatterte im Wind, als er leicht und schnell in den Sumpf paddelte. Ham folgte ihm ebenso schnell, und Jack trug das dritte Boot zum Wasser und setzte es auf. T. J. stieg hinein und bat Jack, ihn abzustoßen. Jack tat es und versank bis zu den Knien im Wasser, bevor es ihm gelang, auch ins Boot zu kommen. T. J. lachte nicht, aber Jack spürte, daß es ihn amüsierte, wie unbeholfen der große Footballstar dabei war. Okay, dachte Jack. Jedem sein eigener Sport. Nachdem sie einige Zeit gepaddelt waren, drehte sich T. J. zu ihm um und fragte ihn höflich: »Jack, möchtest du auch mal paddeln?« »Oh.« Er hatte schon damit gerechnet, daß auch er einmal drankommen würde, aber sie hatten nur ein Paddel, und er saß hinten. Er tauchte es so ungeschickt ins Wasser, daß sie beide naß wurden. »Du mußt es seitlich ins Wasser tauchen«, erklärte ihm T. J. ruhig. »Und dann achte darauf, die Handgelenke zu drehen. So gehorcht das Paddel dir, aber ohne, daß wir jedesmal naß werden.« Jack gluckste. »So lernt man jeden Tag etwas Neues«, grinste er und versuchte, den Anweisungen zu folgen. Jetzt ging es besser, und langsam wurde Jack immer vertrauter damit. Es
war eine gute Übung für Arme und Schultern, aber auch für Beine und Rumpf. Langsam wurden die beiden Männer still, als sie so durch den Sumpf glitten. Es ist eine archaische Welt, dachte Jack; es hätte ihn nicht gewundert, wenn plötzlich der schuppige Kopf eines Dinosauriers aus dem Wasser aufgetaucht wäre und gebrüllt hätte. Die riesigen Bäume mit ihren verschlungenen unterirdischen Wurzeln, die Schwämme, die Kletter- und Schlingpflanzen, das leise Plätschern des Wassers um das Paddel, all das erinnerte an ein prähistorisches Schauspiel. Er mußte an seinen Paläontologielehrer denken, der behauptet hatte, daß Alligatoren und Krokodile schon vor den Dinosauriern auf der Erde gewesen seien. »Hörst du«, flüsterte T. J. plötzlich in ungewohnter Schärfe. Energisch hob er die rechte Hand, damit Jack still blieb. »Hörst du das?« Jack war leicht verärgert, daß seine Erinnerungen so plötzlich unterbrochen wurden, aber dann hörte er es auch. Ein tiefes Summen drang hinter den Zypressenbäumen am modrigen Ufer hervor. Und dann sah er sie: zehn, vielleicht zwölf von ihnen. Sie glitten auf silbernen Scheiben zwischen den Bäumen hindurch durch die Luft. Visitors!
Kapitel 14
T. J. griff zu seiner Waffe, als die Aliens zu feuern begannen. Das Wasser um sie herum zischte, als blaue Blitze auf Jack und T. J. zurasten. »Hast du eine Waffe, Jack?« schrie T. J. und feuerte wild um sich. »Nein, ich weiß ja, daß du keine hast.« Einem der Aliens floß grüne Flüssigkeit aus dem Nacken, dann überschlug er sich und stürzte mit einem gewaltigen Knall ins Wasser. Seine Scheibe wackelte und donnerte gegen das Ufer. T. J. duckte sich, als ein Blitzstrahl ein großes Loch in seinen Hut brannte. Trotzdem hatte er immer noch seinen 38er in der Hand. »Bist du in Ordnung?« brüllte Jack. »Es ist nur mein Hut«, schrie T. J. und feuerte wieder, nachdem er sorgfältig gezielt hatte. Diesmal verfehlte er, und der Visitor schwebte rechts über ihm und zielte wieder auf ihr Boot. Der Alien schaute über die Schulter, als er an Jack vorbeisauste. In der Hoffnung, nicht das Kanu umzukippen, sprang Jack auf seine Füße und schlug mit dem Paddel um sich wie mit einem Baseballschläger. Er traf den Visitor in den Magen. Zischend fiel er von seiner Scheibe. T. J. schoß wieder und zielte gut, aber inzwischen waren sie von vielleicht acht Visitors total umzingelt, die sie wie Bussarde umkreisten. Eine der Scheiben sauste ziellos durch die Luft, kam plötzlich auf sie zu, und es sah so aus, als ob sie das Boot treffen würde.
»Paß auf!« schrie T. J. Er schoß auf sie, aber der Schuß verfehlte die Scheibe. Sie flog über seinen Kopf hinweg und fiel langsam herunter. »Halt durch!« rief Jack. Er sprang aus dem Kanu und griff mit beiden Händen nach der Scheibe. Er konnte ihre Vibration fühlen, als er seine Beine vor und zurück schwang. T. J. hatte einen Augenblick Ruhe vor den Angriffen der Visitors, weil die erstaunt beobachteten, wie Jack sich mit einem Bein auf die Plattform hochzog und hinaufkletterte, während sie schon drei Meter über den Sumpf schwebte. Er hockte jetzt auf ihr und duckte sich, als er sah, daß sie direkt auf eine Zypresse zusteuerte. »Wie steuert man dieses Ding?« brüllte er. Bevor er es begriffen hatte, war er schon gegen den Baum gestoßen. Er verfehlte aber den Stamm, und weil er zu niedrig flog, trafen ihn auch nicht die dicken Äste. Statt dessen trafen ihn viele kleine Zweige. Er versuchte, sein Gesicht vor ihnen zu schützen, aber an seinen Armen fühlte es sich an, als ob sie Rasierklingen zerschneiden würden. Dennoch hielt er irgendwie die Balance. Plötzlich merkte er, daß die Mitte der Scheibe ihn festhielt. Seine Füße blieben dort stehen, und er mußte nur den Körper bewegen, um die Scheibe in die gewünschte Richtung zu steuern. Er sah, wie erschrocken die Aliens waren, als er direkt auf sie zuflog. Doch sie faßten schnell wieder Mut, weil sie feststellten, daß er unbewaffnet war. Jack sah das Paddel neben dem Kanu treiben. »T. J.«, rief er, »wirf mir das Paddel zu.« T. J. versuchte es zu greifen, aber ein Blitzschuß versengte seine Hand. Vor Schmerz zog er die Hand zurück. Aber mit der anderen hob er die Pistole und zielte. Er schoß den Visitor, der ihm am nächsten war, von seiner Scheibe und griff gleichzeitig nach dem Paddel. Triumphierend hielt er es hoch,
und Jack steuerte das Kanu an und schnappte es aus T. J.’s verbrannter Hand. Zwei Visitors drehten sich auf ihren Scheiben in seine Richtung und kamen mit voller Kraft auf ihn zugeflogen. Jack war schon öfter von zwei Gegnern gleichzeitig angegriffen worden, und er wußte, was er zu tun hatte. Als er bei den Steelers spielte, hatte er zwar kein Paddel in der Hand gehabt, dafür hatten aber die Pittsburgher auch keine Laserpistolen im Anschlag. Als sie ihn erreichten, hielt Jack das Paddel wie ein Schlagholz und verließ sich auf die Erfahrung, die er in anderen Situationen gemacht hatte. Als sie über ihm waren, drehte er es blitzschnell. Er erwischte sie tatsächlich und stöhnend fielen sie ins Wasser. Jetzt gab es nur noch vier oder fünf von ihnen. Wenn er nur eine der Laserwaffen erreichen könnte… Drei von ihnen schwebten jetzt um das Kanu herum. T. J. zielte auf einen von ihnen, aber der Hammer klickte in eine leere Kammer. Er hatte keine Zeit mehr, neu zu laden. Als ihm klar wurde, daß T. J. dringend Hilfe brauchte, steuerte Jack auf das Kanu zu. Doch plötzlich sah er, daß etwa zwanzig Scheiben auf sie zukamen. Verstärkung. Als sie näher kamen, hob Jack das Paddel hoch. Ein blauer Laserschuß riß es ihm aus der Hand. Der Geruch von verbranntem Holz stieg ihm in die Nase. Er Heß die neu ankommende Visitortruppe noch dichter an sich herankommen und schlug dann mit seinen Fäusten zu. Ein kräftiger Kinnhaken haute den Visitor von seiner Scheibe und warf ihn in die Arme des nächsten. Durch das zusätzliche Gewicht kippte die zweite Scheibe um, und beide stürzten ins Wasser. Wie ein Wilder sauste Jack durch ihre Reihen, bis er T. J. seinen Namen rufen hörte.
Einer der Visitors hielt dessen dünnes Haar in seinen Klauen. Ein anderer zielte mit einer Laserpistole auf seine Schläfe. T. J. blickte Jack direkt in die Augen, dreißig Meter unter ihm. »Hau hier ab, Jack, du hast noch eine Chance! Los, Jack, hau ab!« »Wenn Sie flüchten, wird er sterben müssen«, drohte der Anführer der grausamen Aliens. »Hör nicht auf ihn, Jack«, schrie T. J. zu ihm hoch. »Wenn du bleibst, müssen wir beide sterben.« »Sie haben mein Wort, daß Sie am Leben bleiben, wenn Sie aufgeben.« Jack glaubte ihm zwar kein Wort, aber er konnte T. J.’s Tod nicht riskieren. »In Ordnung«, sagte er ruhig. »Kehren Sie in Ihr Boot zurück«, befahl ihm der Visitor. Jack steuerte die Scheibe zum Kanu und sprang hinein. Das Kanu schaukelte von einer Seite zur anderen. »Du verdammter Idiot«, beschimpfte ihn T. J. »Wenn wir sterben müssen«, erklärte Jack ernst, »sterben wir zusammen.« Der Visitor zischte etwas in seiner eigenen Sprache. Eine Scheibe kam aus der Ferne herangeschwebt. Sie war größer als die, die Jack bisher gesehen hatte, und ein seltsames Gerät war darauf montiert, das aussah wie eine Art Filmscheinwerfer. Der Visitor auf dieser Scheibe steuerte sie so, daß sie direkt auf das Kanu gerichtet war. »Jetzt kommt’s, Junge«, meinte T. J. Violette Wellen strömten aus dem Gerät. Jack drehte sein Gesicht weg und hoffte, daß es nicht weh tun würde.
Kapitel 15
»Du nimmst doch nicht an, daß sie einfach nur verlorengegangen sind, oder?« fragte Ham. »Eigentlich nicht«, murmelte Chris. »Der Sheriff hat in dieser Gegend die meiste Zeit seines Lebens verbracht.« Ham zuckte die Achseln. Meistens verstand Chris seinen Sarkasmus, aber diesmal schien er ihn nicht bemerkt zu haben. Stern und Devereaux waren seit zwei Stunden überfällig, und langsam wurde es dunkel. Ham war sich ziemlich sicher, daß die Visitors sie gefangengenommen hatten. »Ich finde, wir müssen sie suchen«, schlug Chris vor. »Yeah. Aber wenn schon der Sheriff dort draußen seine Hosen runterlassen mußte, sollten wir lieber jemanden finden, der sich hier außergewöhnlich gut auskennt.« »In Ordnung, Kemosabe.«
Sie fuhren zum Reservat, das nur eine halbe Meile entfernt war. »Nett, wie die Leute hier leben«, knurrte Ham, als sie auf das Freizeitzentrum zugingen. »Wo, zum Teufel, ist die Hütte vom Boß?« »Das hier ist das einzige öffentliche Gebäude, Ham«, Chris schaute sich um, »außer der Schule dort drüben.« Ham wurde auf ein kleines Schild aufmerksam, das darauf verwies, daß sich hier das Büro von Chief Martin Wooster befand. Er öffnete die Wagentür und stieg aus. Jetzt war es dunkel, und er machte sich keine großen Hoffnungen, den
Chief noch bei der Arbeit anzutreffen. Er versuchte die Tür zu öffnen, doch sie war verschlossen. Er drehte sich um und schüttelte den Kopf. Da fielen ihm vier junge Männer auf, die langsam näher kamen. »Oh, Mist«, murmelte er. »Das hat uns gerade noch gefehlt.« Wichtigtuerisch kamen sie auf ihn zu. Chris stieg jetzt ebenfalls aus dem Landrover aus und starrte sie an. Im Halbkreis gruppierten sich die vier um Chris und Ham. »Ihr seid etwas spät dran, um Perlen zu kaufen«, witzelte einer von ihnen. Er war groß und breitschultrig und grinste höhnisch. »Deshalb sind wir nicht hier«, gab Ham ruhig zurück. »Dann vielleicht ein paar Indianerkopfkokosnüsse?« »Nichts dergleichen. Wir wollen mit dem Chief sprechen.« »Um diese Zeit?« Der Sprecher der Gruppe wippte bedrohlich mit seinem Körper, als ob er gleich auf Ham einschlagen wolle. Ham wich nicht zurück. »Das ist richtig, und es ist sehr wichtig.« »Yeah, aber sicher.« Plötzlich schlug der andere zu. Aber Ham war schon zur Seite gesprungen. Er drehte sich auf seinem linken Fuß, zog das rechte Bein hoch, trat mit dem rechten Fuß zu und schrie. Dann schlug er dem anderen gegen die Brust, daß er ihn nach Luft schnappen hörte, drehte ihn herum, stieß ihm sein Knie in den Rücken und drückte ihn mit einem halben Nelson nieder. Die anderen drei rannten auf sie zu, aber das Klicken von Chris’ 45er Automatik hielt sie zurück. »Schön ruhig bleiben«, drohte er ihnen, »ihr wollt doch gesund bleiben.« Die drei wichen zurück. Ham stieß ihren Kumpel vorwärts. »Ihr Jungs seid nicht gerade sehr freundlich, oder?«
Ein Schuß krachte durch die schwüle Luft wie ein Donnerschlag. »Laßt das!« rief jemand hinter den Hütten herüber. Chris zögerte. Dann hörte er es klicken. »Laßt das, sagte ich, oder ich schieß’ euch über den Haufen.« Ein Mann mit einem Strohhut trat aus dem Schatten der Hütte hervor. Er trug eine doppelläufige 12-kalibrige Schrotflinte, und man sah ihm an, daß er wußte, wie man damit umgeht. »Während ihr hier nachdenkt, habe ich neu geladen. Im Moment habe ich für jeden von euch eine Kugel hier in meinem Vogeltöter. Werden Sie jetzt Ihre Waffe fallenlassen?« »Wir haben damit nicht angefangen«, erklärte Chris. Der junge Mann richtete die Schrotflinte auf Chris, und fragte die vier Indianer: »Stimmt das?« Keiner von ihnen sagte etwas. »In Ordnung. Steck die Pistole ein, und ich werde meine Flinte entsichern.« Verächtlich schaute er die vier Jugendlichen an. »Warum zieht ihr nicht Leine, Jungs?« Ham ließ den Jungen los, der ihn angegriffen hatte, und Chris steckte die Pistole in den Halfter. Die vier zogen sich zurück und verschwanden im Schatten des Dämmerlichts. Als sie verschwunden waren, ließ der Mann die Sicherung einschnappen und legte sich die Schrotflinte in beide Arme. »Woher wußten Sie, daß Sie mir vertrauen können?« wollte er wissen. »Sie haben so ein ehrliches Gesicht«, antwortete Ham. »Ihr seid Profis, stimmt’s?« »Ja, das ist richtig. Ich bin Tyler. Das ist Chris.« »Ich will nicht fragen, für wen Sie arbeiten, ich rate euch nur, schnell wieder zu verschwinden.« »Sie haben uns noch nicht gesagt, wer Sie sind.« »Ich heiße John Tiger.«
»John Tiger… haben Sie einen Bruder Billy?« fragte Ham. John Tiger lächelte etwas verzerrt und schüttelte den Kopf. »Hat etwa der verrückte Sheriff etwas damit zu tun, daß Sie hier sind?« »Devereaux? Nein, wir suchen Ihren Bruder nicht. Noch jemand anderer wird vermißt.« »Im Sumpf wird immer jemand vermißt.« Ham schnalzte ärgerlich mit der Zunge. »Wir wollen den Chief sprechen.« »Er ist ein vielbeschäftigter Mann.« »Das bin ich auch«, meinte Ham. »Aber ich spreche mit Ihnen.« John Tigers Augen verdunkelten sich etwas. »Sie brauchen mir den Gefallen ja nicht zu tun.« »Ist schon in Ordnung, John.« Ein weißhaariger Mann kam auf sie zu. »Laß mich mal mit ihnen sprechen.« »Chief Martin Wooster?« fragte Ham. »Yeah.« »Mag sein, daß Sie uns nicht leiden können, aber wenn Sie wüßten, wer Ihre neuen Nachbarn hier in den Everglades sind, würden Sie selbst die Alligatoren für alte Freunde halten.«
Kapitel 16
In ihrem Traum schwebte Sabrina frei durch das All. Sie flog so sanft an den Planeten vorbei, wie sich jemand im Bett umdreht. Jede der Welten, die sie besuchte, war wunderschön, und jede war anders. Zuletzt erreichte sie die Erde, und die war der schönste Planet von allen. Plötzlich jedoch verdunkelte sich der Planet ihrer Geburt, und sie nahm beunruhigende Veränderungen wahr. Weiße Wolkengebilde verbargen zunächst noch die Verwandlung der Welt, die blauen Meere hatten plötzlich Flecken und dunkle Stellen. Sie wurden grün und grob, scharfe Furchen bildeten sich. Sie ähnelten der Haut eines Lizards. Sabrina erschrak vor dieser gräßlichen Umwandlung. Sie wollte schreien, aber kein Laut kam aus ihr heraus. Immer tiefer sank sie hinunter, die Schwerkraft der Erde zog sie, und sie konnte nichts dagegen tun. Schuppenartige, grüne Gebilde wuchsen aus dem nordamerikanischen Kontinent heran. Sie hatten Krallen und griffen nach ihr, und sie fiel direkt in sie hinein. Die Klauen schlossen sich über ihr, als sie hineintaumelte. Sie öffnete vor Schreck die Augen. Dr. Morrow stand über ihr. Er trug wie immer seine menschliche Gesichtsmaske. »Was wollen Sie?« fragte sie. »Ich hörte Sie schreien«, erklärte er ihr lächelnd, »daher kam ich herein, um zu sehen, ob ich Ihnen helfen kann.« Sabrina seufzte. Sie setzte sich auf und griff nach einer Karaffe mit Wasser, die neben ihrem Bett stand. »Sie können mir helfen, wenn Sie mich gehen lassen. Solange Sie das nicht tun, sehe ich keinen Grund, mit Ihnen zu sprechen.«
»Sie werden mit mir sprechen, meine liebe Frau Dr. Fontaine – entweder von sich aus oder auf einem anderen Weg.« Sabrina setzte die Karaffe heftig zurück auf den Tisch. »Soll das eine Drohung sein?« »Sie können es nennen, wie Sie wollen. Aber Sie werden mit mir reden.« »Haben Sie etwa vor, mich in den Konvertierungsraum zu sperren, Dr. Morrow?« »Wenn nötig.« »In dem Fall vereiteln Sie lediglich Ihre eigenen Pläne.« »Was wissen Sie über meine Pläne?« Sein Gesicht war ausdruckslos, und seine Sonnengläser reflektierten zwei kleine Bilder ihres verärgerten Gesichts. »Ich weiß, daß Sie mich brauchen.« Das wußte sie natürlich nicht genau, aber sie mußte diese Provokation riskieren, um herauszukriegen, ob an ihrer Vermutung wirklich etwas Wahres war. »Was veranlaßt Sie zu diesem Denken?« »Warum sonst hätten Sie sich so große Mühe gemacht, mich hierher zu locken?« »Haben Sie noch nichts davon gehört, daß wir Wissenschaftler gerne aus dem Weg räumen?« fragte Dr. Morrow trocken. »Ja, davon habe ich gehört.« Sabrina blieb ruhig, sie spürte, daß Morrow dem wirklichen Grund auswich. »Aber Sie sind ganz schön unterbesetzt hier, und Ihre Forschung ist ziemlich eilig. Darum haben Sie mich und die anderen gekidnappt.« »Sie wissen von den anderen?« »Natürlich«, bluffte sie. »Nun gut«, meinte Dr. Morrow nach einigen Momenten tiefen Nachdenkens. »Wir werden Ihnen noch etwas Zeit lassen, mit sich selbst ins reine zu kommen, Dr. Fontaine. Aber nicht unbegrenzt viel Zeit. Wir werden Sie konvertieren, wenn
Sie nicht bereit sind, sich von dem Wert unserer Arbeit zu überzeugen und mit uns zusammenzuarbeiten. Das wäre schade.« »Ja, das wäre es, besonders wenn Sie mein Denken zerstören«, antwortete Sabrina kühl. »Denn dann würde ich Ihnen überhaupt nicht mehr nützen.« »Falls der Prozeß Ihren Geist zerstört. Es gibt gute Chancen, daß das nicht der Fall sein wird.« »Ich bin ziemlich sicher, daß ich das nicht durchstehen würde«, wandte Sabrina mit echter Überzeugung ein. Dr. Morrow ging auf die Tür zu, die sich sofort öffnete. Er drehte sich noch mal zu ihr um und zeigte mahnend mit dem Finger auf sie. »Seien Sie sich nicht zu sicher, Dr. Fontaine. Und seien Sie sich vor allem nicht so sicher, daß ich nicht bereit sein werde, Sie zu konvertieren, wenn alles fehlschlägt.« Er schritt hinaus. Im selben Moment, als sich die Tür schloß, hörte Sabrina wieder diesen schrecklichen Schrei, den sie schon einen oder zwei Tage vorher gehört hatte. Sie schauderte in ihrer Zelle und wollte schon aufschreien, aber sie zwang sich, keine Emotionen zu zeigen. Die Visitors beobachteten sie und sollten keinerlei Anzeichen von Schwäche an ihr bemerken.
Kapitel 17
Der Kaffee in Chief Woosters bescheidenem Büro hatte sie alle wieder etwas munter gemacht. Auch Marie Whitley war auf Wunsch des Chiefs dazugekommen, und sie war nach Hams Bericht sehr bestürzt. »Sheriff Devereaux wollte helfen, und jetzt ist auch er verschwunden«, klagte sie. »Was hat das zu bedeuten?« »Viele Menschen wollen unbedingt glauben, daß wir es längst hinter uns haben«, erklärte Ham. »Ich verstehe überhaupt nicht, wovon Sie reden«, warf Marie irritiert ein. »Nun, was jetzt geschieht, ist in etwa vergleichbar damit, wie Menschen heute über die Nazis denken; sie glauben, es sei eine Untat in der Vergangenheit gewesen, die nie wieder vorkommen wird. Aber sie täuschen sich«, erklärte Ham. »Es waren Menschen wie Sie und ich, die in etwas hineingeraten waren, das sie überforderte. Viele von ihnen spürten vielleicht, daß da etwas falsch lief, aber sie hatten es mit einer großen Macht zu tun, und sie waren nur kleine Leute. Was lag da näher, als es geschehen zu lassen?« »Ich verstehe immer noch nicht.« »Ich will damit erklären, daß die Visitors noch hier sind.« »Die Visitors? Ich dachte…« »Sie dachten auch, daß sie alle verschwunden sind. Aber das ist nicht wahr. Nicht alle von ihnen. Einige von ihnen verstecken sich hier in den Everglades.« »Woher wissen Sie das?« wollte Chief Wooster wissen. »So sicher wie Sie und ich hier um den Kaffeepott sitzen, Chief. Ich war in eine Menge komplizierte Geheimaufträge
verwickelt. Chris und ich haben beide schon eine Menge Agenten aufgespürt. Das Ding hier riecht verdammt danach. Etwas sehr Mächtiges verbirgt sich hinter dem Verschwinden so vieler Menschen, und das ist niemand von der Erde.« »Aber was macht Sie da so sicher?« »Wer anderes als die Visitors könnte es sein? Kubaner? Russen? Die operieren nicht auf diese Art und Weise.« »Wahrscheinlich haben Sie recht«, meinte Marie. »Wir verstehen immer noch nicht, warum sie Leute kidnappen…« Sie wurde zornig: »… oder sie töten.« »Meine Vermutung ist die«, Ham goß sich noch eine Tasse Kaffee ein, »daß sie Leute für ihre Labors brauchen. Sie arbeiten sehr spezialisiert offenbar an irgendwelchen biologischen Forschungen. Wir müssen davon ausgehen, daß sie bereits ein Antitoxin entwickelt haben.« »Garantiert, wenn sie immer noch da sind«, murmelte Marie. »Aber das ist nur eine von vielen Möglichkeiten. Wir dürfen bei allem Respekt vor unseren Wissenschaftlern nicht vergessen, daß diese Lizards uns Jahrhunderte der Entwicklung voraushaben. Sie reisen vom Sirius zur Erde, haben ein Heilmittel gegen Krebs entwickelt und eine so gute menschliche Maske kreiert, daß wir sie nicht mehr erkennen können – und sie hatten Erfolg mit der Paarung eines Mitglieds ihrer Rasse mit einer von uns.« »Das Starkind Elizabeth«, erinnerte sich Marie, voll Bewunderung in der Stimme. »Dann sind Sie also überzeugt, daß die Visitors ihre Pläne, unsere Welt zu erobern, noch nicht aufgegeben haben?« fragte Chief Wooster. Ham nickte. »Nein, natürlich nicht. Sie brauchen unser Wasser – und die Nahrung.« Bei dem Gedanken, was vielleicht gerade mit Billy geschah, zuckte Marie zusammen.
»Was können wir jetzt bloß tun, Mr. Tyler?« wollte sie wissen. »Sie können uns helfen, sie zu bekämpfen«, gab Ham ihr zu verstehen, »oder Sie lehnen sich zurück in Ihrem Sessel und lassen sie machen, wie es in den Dreißigern so viele in Europa taten.« »Ich werde Ihnen helfen.« »Nein, warte eine Minute, Marie«, wandte der Chief ein. »Du weißt nicht, ob diese Männer recht haben. Du weißt noch nicht einmal, ob sie wirklich diejenigen sind, für die sie sich ausgeben.« »Das ist mir egal«, erklärte Marie trotzig. »Ich will, daß Billy zurückkommt, und diese Männer sind seit langem die einzigen, die mir Hoffnung machen. Jeder andere hier ist allein um sich selbst besorgt, und nichts passiert.« »Das ist ungerecht, Marie. Die Sache ist doch die, daß wir lieber unsere Probleme alleine lösen, anstatt uns von CIAMännern sagen zu lassen, was wir tun sollen.« »Ist es denn besser, wenn der halbe Stamm verschwindet, als uns von diesen Männern helfen zu lassen?« wollte Marie wissen. »Stolz allein hilft nicht, irgendwann muß man anfangen, etwas zu tun.« »Viele sind aber überzeugt, daß die Regierung hinter unserem Problem steckt«, gab der Alte zu bedenken. »Genauso, wie es in der Vergangenheit immer war.« »Warum sollten sie die Leute von hier kidnappen?« schaltete Ham sich ein. »Warum sollten sie, fragen Sie?« Der Chief warf Ham einen verärgerten Blick zu. »Sie sind die Regierung, Mr. Tyler. Wie können wir Ihnen vertrauen, nach allem, was hier passiert ist? Woher sollen wir wirklich wissen, daß Sie hier sind, um uns zu helfen?«
»Sie sind gar nicht hier, um uns zu helfen«, erklärte eine Stimme an der Tür. Alle drehten sich um und sahen John Tiger das enge Büro betreten. »Wie meinst du das?« fragte der Chief. »Sie sind hier, weil sie unsere Hilfe brauchen.« Der Chief und Marie starrten Ham und Chris an. »Was wollen Sie uns damit sagen?« fragte Ham nach einigen peinlichen Minuten, während derer sie alle geschwiegen hatten. »Ich habe heute etwas draußen im Sumpf gehört. Schüsse und andere Geräusche. Nachdem alles wieder ruhig war, habe ich nachgesehen. Ich fand ein umgekipptes Kanu – und ein Paddel, in zwei Stücke zerteilt.« »Gebrochen?« »Nein – in zwei Teile gebrannt.« Chris pfiff. »Sie haben sie erwischt, kapiert ihr«, rief Ham. »Genauso wie Billy Tiger, Walter Miles und all die anderen.« »Und nur euch zwei haben sie laufen lassen?« fragte John mißtrauisch. »Ihr zwei mögt stark sein, aber alleine kommt ihr nicht gegen sie an.« »Wollen Sie uns helfen?« fragte Ham. »Ist es das?« »Ich möchte nur eins von euch, daß ihr zurückgeht nach Miami oder Washington oder wo immer ihr herkommt und uns hier in Ruhe laßt.« »Sind Sie verrückt geworden? Sie wissen ganz genau, was hier los ist. Wie können Sie dem allen die kalte Schulter zeigen?« »Ich bekämpfe sie auf meine eigene Art und Weise, mit meinen Leuten. Was sagst du dazu, Martin?« Der Chief fuhr sich mit seiner zerknitterten Hand durchs schlohweiße Haar. »Ich glaube, ich sehe die Sache genauso, Johnny.«
Marie stand auf und starrte John Tiger mit feurigen Augen an. »Er ist dein Bruder!« schrie sie ihn an. »Diese Männer können uns helfen, aber für dich zählt nur dein Stolz.« »Weißt du, was diese Leute deinen Brüdern und Schwestern in Zentralamerika angetan haben?« preßte er durch zusammengebissene Zähne hervor. »Sie haben uns benutzt und dann weggeworfen, wie es ihnen paßte, weil sie glauben, wir seien keine Menschen.« Mit diesen Worten stürzte er aus dem Büro. Sie hörten seine Stiefel durch die Flure hallen, bis er das Gebäude verlassen hatte. Marie wandte sich an Ham und Chris. »Mir ist das egal. Ich will euch helfen.« »Danke«, erwiderte Ham. »Wir können es gebrauchen, genauso, wie er es gesagt hat.« Er schaute zu Chief Martin Wooster hinüber. »Was ist mit Ihnen, Chief?« Der Chief nippte an seinem Kaffee, machte ein mürrisches Gesicht und knurrte: »John ist ziemlich aufbrausend, genau wie sein Vater war. Trotzdem hat er die Wahrheit gesagt.« »Heißt das, Sie unterstützen uns nicht?« wollte Ham wissen. »Nein, in diesem Fall bin ich auf eurer Seite«, erklärte der Alte. »Die Zeiten haben sich geändert. Aber ich kann nicht garantieren, wie der Rest des Stammes darüber denken wird.« »Werden Sie mit ihnen sprechen?« »Ich werde es versuchen.« Der Chief goß ihnen allen noch eine Tasse Kaffee ein.
Kapitel 18
»Es ist kein blendender Plan«, erläuterte Jack, »aber es ist der einzige, der uns noch bleibt.« T. J. nickte. Jedesmal wenn sie in dieser Doppelzelle aufgewacht waren, hatten sie sich entschieden, daß der geeignetste Zeitpunkt zum Ausbruch der war, wenn ihnen das Essen hereingebracht wurde. Sie würden sie niederschlagen und aus der Tür rennen. Sie wußten zwar nicht, wo sie eigentlich waren, aber sie würden frei sein und kämpfen können. Die ersten Stunden, als sie wieder zu Bewußtsein gekommen waren, hatten sie sich merkwürdig lethargisch gefühlt. Sie hatten es für Nachwirkungen des Gerätes im Sumpf gehalten. Erst in den letzten Stunden waren ihre alten Kräfte zurückgekehrt. Keiner von beiden wußte genau, wieviel Zeit seit ihrer Gefangennahme vergangen war, aber sie waren sich sicher, daß es mehr als 24 Stunden her sein mußte. »Ich weiß, daß Sabrina hier ist«, meinte Jack und streckte seine Muskeln. »Falls – wenn überhaupt – wir hier raus sind, werde ich sie finden.« Wieder nickte T. J. »Das werden wir dann sehen, aber erst einmal müssen wir aus dieser Mausefalle raus.« T. J. durchsuchte die Zelle nach etwas Schwerem, das sie als Waffe einsetzen könnten. Alle Ausrüstungsgegenstände waren solide und haltbar, aber so leicht wie Balsaholz. Der Tisch, an dem sie aßen, sah aus, als ob er mindestens zwanzig Pfund wiegen würde, aber er war so leicht wie eine Feder. T. J. schaute vor Ärger und Enttäuschung finster drein.
»Ich vermute, daß sie ganz genau wissen, daß wir das Zeug gegen sie einsetzen könnten«, murmelte er. »Und deshalb haben sie uns Dinge reingestellt, die noch nicht mal eine Fliege verletzen würden.« »Aber das hier haben sie vergessen.« Jack hielt seine Fäuste hoch. »Auch ich war mal recht gut mit meinen Fäusten«, erinnerte sich T. J. »aber das ist schon ein Weilchen her.« Als T. J. gerade seine Wurstfinger massierte, öffnete sich die Tür. Ein Visitor ohne Gesichtsmaske stand auf der Türschwelle und hielt ein Tablett mit Essen in den Händen. Jack und T. J. täuschten Desinteresse vor, wie sie es geplant hatten. Ohne zu zögern trat der Visitor ein, nachdem er den Kristallschlüssel wieder in seine Tasche gesteckt hatte. Jack wartete, bis er hinter ihm war, dann sprang er über einen Stuhl und verpaßte ihm einen kräftigen Schlag auf seinen hornigen Kopf. Die gespaltene Zunge des Aliens schoß aus dem Maul, dann stöhnte er auf und sackte zu Boden. Jack beugte sich über den Visitor, während T. J. schon an der Tür war. »Was machst du noch da, Jack?« flüsterte er. »Komm weiter.« »Noch eine Sekunde, T. J.« Jack durchsuchte den Körper des Visitors, mit dem Fuß schubste er die klebrigen Klumpen des blaugrünen Essens auf dem Boden zur Seite. Dann fühlte er in der Tasche etwas Glattes und Zackiges. »Ich hab’s.« Er zog den Kristallschlüssel hervor und hielt ihn hoch. Schließlich nahm er noch das Tablett und stand auf. »Wenn du dich jetzt nicht beeilst«, drängte T. J. »dann trifft uns gleich was… direkt zwischen die Augen.« Schon waren sie draußen und rannten los. T. J. bewegte sich schnell für einen Mann seines Alters. Sie sprinteten einen Korridor hinunter und bogen um eine Ecke. Ein Visitor kam ihnen direkt entgegen. Erstaunt blieb er stehen und starrte sie
mit seinen gelben Augen aufmerksam an. Dann erst griff er zu seiner Laserpistole und begann zu zielen. Jack sprang vor T. J. Vor sich das Tablett als Schutz, duckte er sich und stürzte sich kopfüber auf den Alien. Das Plastiktablett zischte und hatte in der Mitte ein Loch, durch das ein blauer Laserstrahl geschossen war, der nur knapp Jacks Kopf verfehlt hatte. Ein zweiter Schuß brannte eine Ecke in das Tablett, und ein dritter riß ein U-förmiges Loch in den unteren Teil. Jack tänzelte auf dem Korridor hin und her wie ein Stürmer, der von der gesamten Verteidigungsmannschaft gejagt wird. Das Tablett hatte jetzt nur noch die Größe einer Untertasse, und geschmolzene Plastikstücke tropften herunter. Jack wußte fast nicht mehr weiter. Der Alien setzte zu einem Schuß an, der Jack erledigt hätte. Doch der stieß plötzlich einen blutrünstigen Schrei aus und warf das qualmende Plastiküberbleibsel wie einen Baseball auf den Visitor. Es traf ihn an der Schulter, und etwas von dem brennenden Plastik verschmolz mit seiner roten Uniform. Er zischte und wollte es herunterreißen. Aus Angst, sich die Klauen zu verbrennen, versuchte er es mit dem Lauf seiner Laserpistole. Da war Jack schon an ihm dran. Er schlug mit der Rechten zu und spürte das lederne Fleisch und den harten Reptilienkiefer darunter. Der Visitor verlor den Halt und fiel mit der Schulter zuerst auf den Boden des Korridors. T. J. stand schon hinter ihm. »Laß uns weiterlaufen, Jack«, schlug er vor. Er schaute auf den Alien herunter. »Guter Schlag.« »Danke.« Wieder liefen sie um eine Ecke, ohne daß ihnen diesmal jemand begegnete, und um noch eine. Als sie durch den dritten Gang rannten, bemerkte Jack, daß das Licht nur schwach
brannte. Er erinnerte sich, daß die Visitors bei hellem Licht nicht gut sehen können. Sie befanden sich wahrscheinlich im Arbeitsbereich. Mit erhobener Hand deutete er T. J. an, stehenzubleiben, und lugte vorsichtig durch ein vergittertes Schott um eine Ecke. Er sah einen Visitor an einem Gerät arbeiten, das so ähnlich war, wie das, was sie gegen ihn und T. J. im Sumpf angewandt hatten. Aber er strahlte kein menschliches Wesen damit an. Er versetzte damit einen Alligator in Schlaf. Es war ein riesiger Alligator, vielleicht 15 Fuß lang. Er bewegte sich in einem Tank, und hinter diesem standen unzählige andere Tanks. Alle enthielten Reptilien – nicht nur Alligatoren, sondern auch Schlangen, Lizards, und wer weiß, was sonst noch. Es sah aus wie ein Laboratorium voller Versuchstiere in der Universität. Der Visitor massierte den Alligator mit den violetten Wellen, bis er k.o. war. Es sah so aus, als ob das Reptil lächelte, sein riesiges, gekrümmtes Maul zog sich hinter den Augen hoch, und ein zufriedener Ausdruck lag darin. Eine noch größere Maschine glitt herein, die von einem Mann gesteuert wurde. Er saß auf einem Sitz hinter einer halbkreisförmigen Konsole und konzentrierte sich auf ein Gerät, das an einem langen, gekrümmten Hebel einen rechteckigen Behälter enthielt. Die Maschine begann zu surren, und Jack sah in dem dunklen Raum grüne Funken aufleuchten. Das Wasser in dem Tank, in dem der Alligator schlief, schäumte, als ob er es aufwühlen würde, aber er rührte sich gar nicht. Das Wasser sprudelte nach oben, aber es floß nicht an den Seiten des Tanks herunter, selbst wenn es den offenen Rand des Glastanks erreichte. Alles in seinem Innern stieg nach oben – sowohl der Alligator als auch die riesigen Schlammklumpen des dreckigen Wassers. Als alles sich vor der Maschine in richtiger Position befand, glitt der gesamte Apparat – Fahrer,
Alligator, Wasser und alles andere – ruhig zu einem Ausgang, ähnlich einem Flugzeughallentor. »Was glaubst du, ist hinter diesem Tor?« fragte Jack. »Das brauchen Sie jetzt noch nicht zu wissen«, hörte er eine Stimme hinter sich. »Eines Tages werden Sie es herausfinden.« Das war nicht T. J.’s Stimme. Jack wirbelte herum. T. J. war noch da, aber eine schuppige Hand hielt eine Laserpistole an seinen Kopf.
Kapitel 19
Dr. Thorkel betrat zum erstenmal die Räume von Dr. Morrow. Die Zimmer des großen Wissenschaftlers wurden gedämpft beleuchtet durch eine sich drehende Lichtskulptur, deren Farben wechselten. Immer wieder wirkte das modische Design der Visitors beruhigend auf Dr. Thorkel, und er war überzeugt, daß auch sie selber es erholsam fänden. Die Tür schloß sich hinter ihm. Dr. Morrow saß an einem Schreibtisch und sah ihm entgegen, als er an der faszinierenden Skulptur vorbeiging, deren Farben sich in den dunklen Sonnengläsern von Dr. Morrow spiegelten. »Dr. Thorkel, ich freue mich, daß Sie gekommen sind.« Und wieder einmal bewunderte er auch die Umgangsformen der Visitors, besonders die von Dr. Morrow. Sie waren Zeichen einer wirklich zivilisierten Rasse. »Es ist mir ein Vergnügen.« »Doktor, unsere Arbeit an dem Prototyp hat einen Punkt erreicht, wo die Theorie nicht länger ausreicht. Stimmen Sie dem zu?« Dr. Morrow lehnte sich in seinem Stuhl zurück und preßte die Fingerspitzen gegeneinander. »Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Sie richtig verstanden habe«, meinte Thorkel. »Bitte, setzen Sie sich.« Dr. Morrow deutete auf einen Stuhl, der ihm direkt gegenüberstand. Thorkel setzte sich. Er schaute Dr. Morrow hinter seinem Schreibtisch an und beobachtete das bunte Licht, das sich über sein Gesicht zog und in den dunklen Gläsern leuchtete. »Die Wirksamkeit des Prototypen muß getestet werden, stimmen Sie mir da zu?«
»Natürlich. Woher sollen wir sonst wissen, ob er effektiv ist?« »Genau. Wir müssen wissen, wie er auf die Praxis reagiert – ein kontrollierendes Experiment, würden Sie es auch so nennen?« »Ich bin auch der Meinung, daß das der nächste Schritt in unserem Programm sein sollte«, Dr. Thorkel fuhr sich mit den Fingern durch das wenige dünne Haar hinten auf seinem sonst fast kahlen Kopf. »Aber an wem wollen Sie den Prototyp testen?« Dr. Morrow lächelte. »Sind Sie damit einverstanden, das mir zu überlassen, Dr. Thorkel?« Ein merkwürdiger Unterton in Dr. Morrows Stimme machte ihn unsicher. Zum erstenmal kam ihm in den Sinn, daß auch er selbst es sein könnte. Schnell verdrängte er diesen Gedanken. Solch ein Experiment wäre sicherlich unproduktiv. »Es würde mich sehr interessieren, an wen Sie dabei denken.« »Das ist mir klar«, versicherte Dr. Morrow. »Auf gewisse Art und Weise wird es auch für Sie ein Test sein, Dr. Thorkel.« »Für… mich?« Dr. Morrow lachte harsch und zischend; und diesmal klang es überhaupt nicht menschlich. Da Billy nicht einschlafen konnte, stieg er aus dem Bett und schritt in seiner winzigen Zelle auf und ab. Sie hatten damit aufgehört, Gewebeproben von ihm abzukratzen, und so kamen sie nur noch halb so oft. Die Zellentür öffnete sich nur noch, wenn ihm jemand Essen brachte. Daraus folgerte er, daß sie ihn nicht länger für ihre Experimente brauchten, und daß es jetzt an der Zeit sei, hier abzuhauen. Er war jetzt hungrig und schloß daraus, daß sie gleich kommen würden. Wenn er jetzt nicht flüchtete, würde er es wohl nie tun.
Er lauerte in der Nähe der Tür und wartete. Nachdem eine halbe bis eine Stunde vergangen war, öffnete sich die Tür. Billy duckte sich und machte sich bereit, den Bewacher anzuspringen. Aber der war nicht allein. Er wurde von zwei weiteren Visitors begleitet, die beide ihre Laserpistolen sofort auf Billy richteten. Außerdem trug sein Wächter kein Tablett mit Essen. Statt dessen hatte er etwas dabei, das aussah wie eine riesige Schreibtischlampe. Er richtete sie auf Billy. »Was habt ihr vor?« schrie der junge Mann entsetzt. Das konnte doch nicht möglich sein. Gerade jetzt, wo er vorhatte, sich zu befreien. Ein zirpendes Geräusch kam aus dem Gerät. Violette Strahlen schossen auf ihn zu. Billy versuchte, ihnen auszuweichen, aber die Wellen durchdrangen den ganzen Raum. Sie fingen ihn ein, aber es tat ihm weder weh, wie er es erwartet hatte, noch verbrannten sie ihn. Im Gegenteil, sie badeten ihn mit ihrer Wärme, streichelten ihn und beruhigten seine Ängste. Schon war er beinahe eingeschlafen. Der Wärter kam in die Zelle und faßte ihn am Ellenbogen. Billy wurde sanft weggeführt.
Kapitel 20
»Entfernt euch nicht zu weit«, rief Ham Chris und Martin vom Kanu aus zu. »Versucht in Hörweite zu bleiben, wenn wir uns nicht mehr sehen sollten.« Ham paddelte, und Marie saß nahe am Bug als Ausguck. »Schau dir das an«, sagte er und beobachtete, wie das Wasser vom Paddel tropfte. »Für uns ist es so selbstverständlich, aber die Visitors sind acht bis zehn Lichtjahre unterwegs gewesen, nur um ihre Klauen hier hineinzuhalten.« »Ja, es erscheint uns merkwürdig, daß Wasser auf anderen Planeten so etwas Seltenes ist.« »Soweit ich es verstanden habe, ist Wasserstoff das am häufigsten vorkommende Element im Universum. Es ist Sauerstoff, der selten ist, und für Wasser braucht man beides, sowohl Wasserstoff als auch Sauerstoff.« »Also, wenn sie wirklich hier im Sumpf sein sollten, dann haben sie soviel Wasser, wie sie es sich immer gewünscht hatten.« »Für einige von ihnen, ja«, stimmte Ham zu. »Aber nicht für die ganze Rasse, und dann haben sie auch noch einen Proteinmangel.« Marie zuckte zusammen. Als Kind hatte sie mal gesehen, wie ein Alligator einen kleinen Hund aufgefressen hatte; und dieses Bild hatte sie immer vor Augen, wenn sie daran dachte, wie die Visitors Säugetiere fraßen. »Nach dem, was John Tiger Martin erzählte«, erinnerte sich Ham und tauchte das Paddel wieder ein, »muß es irgendwo hier in der Nähe gewesen sein, wo er das verbrannte Paddel gefunden hat.«
»Ich kann nichts entdecken.« Marie blinzelte, als Sonnenlicht durch das dichte Laub drang. »John wird das Paddel an sich genommen haben.« Ham paddelte weiter und suchte eifrig nach irgendeinem Zeichen eines Kampfes. Einen Moment lang glitten sie stumm dahin, dann sah er plötzlich etwas. »Schau mal dort drüben, der Zypressenbaum.« »Welcher?« »Der große in der Mitte, dort am Ufer, bei diesen anderen Zypressen.« Wieder blinzelte Marie, doch dann sah sie es auch. »Der Stamm ist versengt.« »An verschiedenen Stellen. Hier haben sie Stern und Devereaux mitgenommen. Darauf wette ich.« Sie bewegten sich dichter an die Bäume heran. »Sie müssen aus dieser Richtung gekommen sein.« Ham deutete hinter die Uferböschung. »Tief aus dem Sumpf dort.« »Dort geht keiner mehr hin«, erklärte ihm Marie. »Niemals hat das jemand getan.« »Hört sich unheimlich an«, meinte Ham. »Warum geht dort keiner hin?« »Es ist sehr gefährlich, ganz viel totes Holz, das dich hindert, weiterzukommen, voll von Alligatoren und riesigen Klapperschlangen. Wenn es irgendwo furchtbar ist, dann dort.« »Genau der richtige Platz für unsere schleimigen Freunde.« »Ja, das kann ich mir vorstellen, daß es dort leicht für sie ist, sich versteckt zu halten. Aber wie, frage ich mich, können sie dort überleben?« »Machst du Witze? Für diese verdammten Lizards ist es dort wahrscheinlich wie in Miami Beach«, entfuhr es Ham, und er fischte zwei Laserpistolen auf, die im Wasser trieben.
John Tiger stemmte das Paddel gegen die riesige Feigenbaumwurzel, die aus dem Wasser ragte, und stieß sich ab. Er wußte, daß der Rest des umgefallenen Baumes unter Wasser lag, und er wollte vermeiden, daß der Boden seines Kanus von einer anderen Wurzel aufgerissen wurde. Er hoffte, daß die beiden CIA-Männer weit weg in einem anderen Teil des Sumpfes herumpaddelten, weil er vermutete, daß Marie und Martin bei ihnen waren. Er wollte nicht, daß sie hier an diese Stelle kamen, jetzt noch weniger als sonst. Sollten die Visitors wirklich hier sein, dann würde er sich irgendwie mit ihnen einigen, ohne daß ein junges Mädchen und ein alter Mann gefährdet wären. Fünf Meter trennten ihn von einem Alligator, der auf einem Baumstamm in der Sonne lag. Er hörte auf zu paddeln. Von jetzt an durfte er keinerlei Geräusch mehr machen. Er erinnerte sich, wie er und Billy als Jungs vor zehn oder zwölf Jahren einmal mit ihrem Kanu hierhergekommen waren. Der alte Mann hatte ihnen den Hintern versohlt, weil es so gefährlich war, und das so, daß sie nie wieder hierher zurückgekehrt waren, auch als Männer nicht. Aber John erinnerte sich an eine riesige Schlickfläche, die sich über Hunderte von Yards erstreckte. Er vermutete, daß hier das Alienlager sein müßte. Wenn seine Erinnerung korrekt war, mußte er es gleich erreicht haben. John schob ein paar Farnwedel zur Seite, und da war es. Schimmernde weiße Türme ragten aus dem Schlick. Sie wurden durch Mauern verbunden, auf denen Wachposten auf und ab gingen. Ganz genau konnte er sie von hier aus nicht erkennen, aber sie trugen rote Uniformen. Auf den Türmen konnte er Maschinen erkennen, die in den Himmel gerichtet waren. Bäume schienen in der Luft zu schweben, eine durch die Maschinen projizierte Illusion.
Die Visitors hatten die Schlickfläche zubetoniert und ihr Lager darauf gebaut. Tyler hatte recht gehabt. John beobachtete sie eine Zeitlang und überlegte, was er jetzt tun sollte. Warten, bis es dunkel geworden war, und dann einbrechen und versuchen, seinen Bruder zu finden? Oder sollte er lieber zurückgehen und Verstärkung holen? Gerade als er sein niedriges Versteck zwischen einem toten Baum und dem schlammigen Ufer verlassen wollte, zerbarst einer der Farnwedel plötzlich in Flammen, und nur noch das verkohlte Ende des Stengels blieb übrig. John begann wie wild zu paddeln, während rings um ihn herum die Lasergeschosse zischten. Sie feuerten auf ihn von den Türmen herunter. Da haben sie doch noch einen weiten Weg vor sich, um mich einzufangen, dachte er. Er schnellte durch das Wasser, und sein Herz schlug wild. Zwischen den Schlägen hörte er plötzlich ein tiefes Brummen. Er schaute über die Schulter hoch und sah einen Visitor, der ihn auf einer Antischwerkraftscheibe verfolgte. Nein, nicht nur eine Scheibe, drei oder vier. Im nächsten Moment würde der Himmel voll von ihnen sein. Als die erste näherkam, sprang John aus dem Kanu und wich dem Laserfeuer aus. Der Schlamm unter seinen Füßen blubberte, aber er sank nicht tiefer. Wenn es ihm gelingen würde, das dichte Laubwerk zu erreichen, wo sie ihn nicht sehen könnten, hätte er eine Chance. Der Schatten des Visitors war dicht über ihm, als er losrannte. Blaue Laserblitze schlugen dicht neben ihm ein. Die anderen Visitors waren noch weit hinter diesem Streber. Wenn er diesen hier erledigen könnte, so konnte er ziemlich sicher sein, es zu schaffen.
Er spürte die Hitze eines Geschoßstrahles, der knapp an seinem Gesicht vorbeiblitzte. Dennoch lief er langsamer. Er hörte den Visitor vor Befriedigung mit der Zunge schnalzen. John blickte über die Schulter und sah, daß die Scheibe sich senkte. Plötzlich sprintete er los in den Schatten eines gewaltigen Feigenbaumes. Der Visitor wechselte die Richtung, um ihm zu folgen, und übersah dabei einen dicken Ast, der ihm gegen den Kopf schlug. John hörte ihn keuchen und dann ein Aufplatschen. Aber er drehte sich nicht mehr um, um seinen gefallenen Feind zu sehen. Er rannte weiter in das Dickicht hinein, tiefer und tiefer in den Sumpf.
Kapitel 21
Kurz nachdem Jack und T. J. in ihre Zelle zurückgebracht worden waren, kamen die Visitors noch einmal, trieben sie hinaus und einen langen Korridor hinunter. Schließlich wurde ein Schlüssel umgedreht, eine Tür öffnete sich, und sie atmeten die erste frische Luft seit Tagen. »Verfüttern sie uns jetzt an die Alligatoren«, überlegte T. J. »oder fressen sie uns selbst?« Jack konnte einen flüchtigen Blick auf etwas erhaschen, das aussah wie ein Theater. Sitzreihen um Sitzreihen zogen sich ringsherum die Wände hinauf. Überall saßen Visitors, Hunderte von ihnen ohne ihre menschlichen Gesichtsmasken. T. J. wurde in die Arena gestoßen, die Tür schloß sich hinter ihm, und Jack wurde hart weggeschubst. Sie drängten ihn eine Rampe hinauf, an deren Ende sich ein kleiner Raum befand mit einem kleinen verspiegelten Fenster, von dem aus man in die Arena sehen konnte. Er sah T. J. nahe an einer Wand stehen und sich verwirrt umschauen. Hinter ihm öffnete sich in einer Nische eine Tür, und ein Visitor trat heraus. Er reichte T. J. seinen 38er, Halfter und alles. T. J. nahm ihn entgegen, untersuchte ihn schnell und schnallte sich den Pistolenhalfter um seinen kräftigen Körper. Die Menge gluckste und zischte und wurde dann angespannt still, als ob gleich etwas passieren würde. Am anderen Ende der Arena öffnete sich eine Tür im Boden. Zunächst konnte Jack nichts erkennen, aber dann nahm er eine Bewegung im Schatten wahr. Und dann kam etwas zum Vorschein, das aussah wie ein lebendig gewordener Alptraum.
»Nein!« keuchte Jack. Sie hatten T. J. zusammen mit einem Monster in die Arena gestoßen. Das Untier richtete sich auf seinen Hinterbeinen auf und war acht bis neun Fuß hoch. Seine Hände und Füße waren riesige Klauen mit Krallen, seine Haut schuppig und dick wie Panzerplatten. Sein Gesicht war einfach grauenhaft. Eine lange Schnauze mit Zähnen, die wie gelbe Nägel aussahen, ragte aus einem Schädel heraus, der im übrigen wie ein menschlicher Kopf aussah. Die Augen waren unverkennbar menschlich, obwohl sie tief in diesem hornigen Saurierkopf saßen. Feindselig musterten sie jetzt T. J. während das Ungeheuer langsam durch den staubigen Arenaboden auf ihn zukam. Sein acht Fuß langer Schwanz peitschte hinter ihm her. T. J. war in dem Moment, als er den Monsterreptilienmann sah, wie erstarrt stehengeblieben. Er wollte es nicht glauben, daß er wirklich hier stand und nicht träumend in seiner Zelle lag. Die Menge tobte und jubelte wie die Römer damals im Circus Maximus. Jack beobachtete sie durch das verspiegelte Glas voller Haß und Verachtung, so daß er im ersten Augenblick nicht einmal Sabrina erkannte. Sie war dort drüben mit zwei anderen Menschen – wenigstens sahen sie aus wie Menschen. Zwei Männer mittleren Alters saßen rechts und links von ihr, ein kahlköpfiger, der andere weißhaarig mit Bart. Als der Bestienmann T. J. fast erreicht hatte, vergrub Sabrina ihr Gesicht in ihren Händen. Wenigstens wußte er jetzt, daß sie lebte – und er war in ihrer Nähe. »Äußerst genial, nicht wahr?« fragte Dr. Morrow. »Die Kombination von genetischem Material eines Menschen mit einem im Sumpf lebenden Reptil ist uns gelungen. Dr. Thorkel hat wesentlich am Zustandekommen dieses herausragenden
Ergebnisses der Rekombination von DNA beigetragen. Und wie Sie dort unten sehen können, das Experiment ist geglückt.« Sabrina schaute weg. »Es ist grauenhaft«, stöhnte sie. »Ich hatte gehofft, daß Sie das sagen.« »Wie konnten Sie nur dabei behilflich sein, so etwas Entsetzliches zu produzieren?« fragte Sabrina Dr. Thorkel. »Dr. Fontaine«, protestierte Thorkel schwach, »niemals zuvor ist so etwas auf der Erde versucht worden. Sicherlich werden Sie zugeben müssen, daß…« »Daß Sie ein Verräter an der menschlichen Rasse sind«, fauchte sie. »Ja, das kann ich allerdings sehen.« »Kommen Sie, kommen Sie«, warf Dr. Morrow ein, »lassen Sie uns jetzt das Schauspiel anschauen.«
T. J. kannte Alligatoren, aber so etwas wie das hier, sah man vielleicht nach einer halben Gallone schwarzgebrannten Whiskeys. War das wirklich real? Aber der Staub und sein Angstschweiß, die Hitze der Sonnenstrahlen, die in seinem Nacken brannten, das Gewicht seines 38ers, alles bestätigte ihm, daß es wirklich war. Nun, glücklicherweise hatte er wenigstens seine Waffe. Er wußte, wie man Alligatoren mit einer Pistole töten konnte. Hoffentlich würde er treffen. Er mußte dieses häßliche Monster ganz nahe an sich rankommen lassen, bevor er abdrückte. »Nun komm schon, du Teufelsbraten«, fluchte T. J. »Komm ein bißchen näher.« Seine feuchten Finger entsicherten die Waffe und spannten den Hahn. »Nun komm schon.« Das Monster öffnete sein riesiges Maul und stieß einen Schrei aus, der weder menschlich noch reptilienähnlich klang, sondern wie die grauenhafte Kombination von beidem.
T. J.’s Nackenhaare standen zu Berge. Jetzt wollte er nicht mehr, daß das Monster näherkam. Er hatte sechs Schüsse; vielleicht könnte er es mit einem Schuß schon wegjagen, falls er nicht treffen sollte. Mit weit gespreizten Beinen hielt T. J. den Revolver mit beiden Händen. Er ließ es noch etwas dichter rankommen. Er zielte auf die Brust. So würde er vielleicht ein inneres Organ verletzen. T. J. schoß, seine kräftigen Arme zuckten zurück. Durch den Schuß war das Publikum plötzlich still geworden. Das Monster zuckte krampfhaft, aber es blieb stehen. »Guter Schuß, alter Junge«, lobte sich T. J. selbst. Er wartete darauf, daß es umfiel, aber plötzlich erkannte er voller Angst, was los war. In der gepanzerten Brust der Bestie war lediglich eine kleine Kerbe zu sehen, mehr nicht. Die Kugel konnte da gar nicht eindringen, geschweige denn ein inneres Organ verletzen. Das Monster schaute herunter auf seine massive Brust und betrachtete die Delle, dann warf es den Kopf zurück und brüllte. Als es sich langsam wieder auf T. J. zubewegte, schrie die Menge enthusiastisch auf.
Kapitel 22
»Da haben Sie Ihren Beweis«, meinte Dr. Thorkel. »Kein Schuß kann da durchdringen. Aber sind Sie nicht auch meiner Meinung, diesen Karneval hier jetzt zu beenden.« Überrascht schaute Sabrina Dr. Thorkel an. Begann er endlich zu verstehen? »Nun seien Sie aber nicht so empfindlich, Dr. Thorkel«, höhnte Dr. Morrow. »Bisher haben wir nur gesehen, wie hart der Panzer ist. Jetzt wollen wir doch auch sehen, wie effektiv es im Töten ist.« »Nein!« schrie Sabrina auf. »Bitte tun Sie das nicht.« Aber Dr. Morrow hatte seine ganze Aufmerksamkeit wieder den beiden dort unten in der Arena zugewandt, und die Menge zischte vor Spannung. Diesmal ließ T. J. die Bestie noch näher an sich herankommen, bevor er schoß. Als er sich sicher war, sie nicht zu verfehlen, zielte er auf den Kopf und schoß das zweite Mal. Der Kopf des Reptilienmannes flog zurück. Gespannt hielt T. J. den Atem an und wartete darauf, daß er umfiel. Der Kopf rollte vor und zurück auf dem dicken Nacken, er schwankte, doch dann riß er die Schultern zurück und stieß Töne aus, die an ein Lachen erinnerten. »Ich schlag’ ihm den Schädel ein«, murmelte T. J. Das Monster war jetzt nur noch fünf Meter von ihm entfernt und starrte ihn an. T. J. war sich darüber klar, daß seine einzige Chance diejenige wäre, ihm die Augen rauszuschießen. Plötzlich wurde das Monster schneller. Es stürzte auf T. J. zu wie ein Alligator auf zwei Beinen. Der schoß auf seinen Bauch und versuchte wegzulaufen.
Plötzlich knickte T. J.’s Knöchel um, und er fiel auf den staubigen Boden. Er drehte sich um und sah wie das Untier die Richtung wechselte, um ihn einzuholen. Es öffnete sein Maul und brüllte, und wieder schoß er. Die Kugel traf das weiche Gewebe des Gaumens. Das Monster kreischte vor Entsetzen, und seine Krallenhände hielten sich mit einer sehr menschlich wirkenden Geste das Maul zu. T. J. stand auf, obwohl sein Knöchel dabei sehr schmerzte. Er rannte auf die gegenüberliegende Wand zu. Zwei Kugeln waren noch in seinem Revolver. Seine letzte Chance. Der Reptilienmann schüttelte seinen massigen Kopf, Blut lief ihm an der Schnauze herunter. Offensichtlich hatte die Kugel nur etwas Fleisch aufgerissen. Noch zwei Kugeln. Jetzt mußte er das Auge treffen, oder er war erledigt. Blind konnte es nicht viel ausrichten. Aber eine Kugel würde reichen, wenn sie durch das Auge dringen und das Gehirn verletzen würde. Das Monster stürmte auf ihn los. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte sich T. J. so sehr gewünscht, wegzukommen, aber er blieb stehen. Als es seinen Schatten fast erreicht hatte und wieder nur noch fünf Meter von ihm entfernt war, schoß er das fünfte Mal. Die Kugel prallte am knochigen Wulst über dem linken Auge ab und machte es noch wütender. Kopfüber stürzte es auf ihn zu, und sein Schwanz wirbelte Staubwolken auf. T. J. wartete, bis er den Gestank der Bestie riechen konnte, und schoß auch dann noch nicht. Die riesigen, schwimmhäutigen Klauen griffen nach ihm, aber es hatte den Kopf immer noch gesenkt. T. J. konnte noch nicht auf die Augen schießen.
Verzweifelt wartete er immer noch ab, ohne den Auslöser zu drücken. Da packte ihn das Monster bei der Taille und hob ihn vom Boden hoch. »Jesus«, stöhnte er. Es war kein Fluch, sondern ein Gebet. Er spürte, wie seine Rippen knackten und seine Knochen brachen und daß er sterben würde. Und er wünschte sich nur noch, daß dieser Horror zu Ende sei. Er hörte, wie die Menge wild und enthusiastisch Beifall klatschte, als er unter Schmerzen den Revolver an den Kopf des Monsters hielt. Es drehte den Kopf, um ihn besser sehen zu können, und sein menschliches Auge auf der rechten Seite seines klobigen Schädels blinkte. Jetzt. T. J. hob mühsam die Hand, seine Finger waren starr und zitterten. Jetzt. Da schmiß ihn diese groteske Kreatur wieder auf den Boden der Arena. T. J. landete unter Schmerzen und dem Gefühl, daß seine sämtlichen Knochen gebrochen waren. Dennoch hatte er immer noch den Revolver in der Hand. Er versuchte, wegzukriechen, als die rechte Klaue des Biests wieder nach ihm griff. Aber sein Körper gehorchte nicht mehr seinem Willen. Ob er sich die Wirbelsäule gebrochen hatte? Die Klauen grabschten ihn bei der Kehle und hoben ihn hoch. T. J. schmeckte, wie ihm heißes Blut in den Mund lief. Ihm wurde schwindlig, weiße Sternchen tanzten vor seinen Augen. Alles um ihn wurde langsam dunkel, aber er hielt immer noch den Arm hoch. Jetzt starrte ihm das Monster direkt ins Gesicht, als es ihn vor seine grauenhafte Schnauze hielt. T. J. hätte schwören können, daß es ihn angrinste, als es seinen Rachen aufriß und seine dolchartigen Zähne zeigte. Speichel tropfte aus seinem Maul.
Er hatte die Pistole im Anschlag, als das Monster den Kopf aufrichtete, um ihn besser sehen zu können. T. J. zielte auf das Auge und machte sich bereit, zu schießen. Bevor er abdrücken konnte, legte sich um sein Handgelenk etwas, das ihn festhielt wie ein Schraubstock. Entsetzt erkannte er den schuppigen Schwanz des Monsters. »Drückt ab!« befahl er seinen Fingern. Der Saurierschädel schien ihn auszulachen, als alles Leben aus seinem sterbenden Körper wich. Immer noch versuchte er abzudrücken. Wenn nur das Auge in die richtige Position kommen würde. Da! Da war es! Jetzt mußte er nur noch den Hahn spannen. Mit der freien Klaue schlug ihm das Monster die Pistole aus der Hand, so leicht, wie ein Kind eine Fliege erschlägt. Das letzte, was T. J. noch hörte, war, wie der 38er harmlos durch die Luft flog.
Kapitel 23
»Wie grauenhaft«, schluchzte Sabrina. Sie weinte bitterlich über den Tod des fremden Mannes. Dr. Thorkel streichelte ihren Arm und versuchte, sie zu trösten. »Vielleicht wissen Sie jetzt, daß die Visitors nichts Gutes wollen.« »Es tut mir so leid, Dr. Fontaine«, beteuerte er. »Es tut mir ja so leid.« »Bitte ersparen Sie mir Ihre Sentimentalität«, herrschte Dr. Morrow sie an. »Ihr Menschen seid viel zu emotional.« »Das war zuviel«, ereiferte sich Dr. Thorkel. »Sie haben mir nicht gesagt, daß Sie so etwas vorhatten.« Er deutete auf die blutrünstige Menge, die hinter den dreien kreischte und zischte. »Es war nie davon die Rede, daß der Prototyp an unschuldigen Menschen ausprobiert wird.« »Sind Sie wirklich so ein Narr, Dr. Thorkel, daß Sie nie auf die Idee gekommen sind, daß wir diese lebenden Kampfmaschinen für noch andere Zwecke als reine Forschung konstruiert haben?« Dr. Morrow lächelte, die Karikatur einer menschlichen Geste, und Sabrina hätte ihm am liebsten die Maske runtergerissen, damit man seine wahre Reptiliennatur sehen könnte. »Wir waren mit der Rekombination menschlicher und reptiler Gene erfolgreicher, als Sie sich in Ihren kühnsten Träumen vorstellen konnten, nicht wahr?« »Aber wieso versagten die Schüsse?« fragte Dr. Thorkel, für den auch in dieser Situation noch immer die Wissenschaft im Vordergrund stand. »Wir haben etwas in die Mixtur gemischt, Dr. Thorkel. Eine molekulare Verdichtung, die die Kreatur sowohl schützt als sie auch stärker und schneller macht.«
»Unglaublich«, seufzte Dr. Thorkel. »Merken Sie endlich, daß Sie alle nur unterentwickelte Affen sind, Doktor?« wollte Dr. Morrow wissen. »Ihr Menschen erstaunt mich. Ihr glaubt immer noch, uns mit eurer primitiven Wissenschaft vertreiben zu können. Einmal ist euch das zwar gelungen, aber wir verfügen über ein Wissen, das euch alle zerstören wird. Wir hatten es anders geplant, das schon. Es wäre leichter gewesen, einfach die Herrschaft über eure rührende Rasse zu übernehmen, wie wir es ursprünglich vorhatten. Jetzt aber haben wir keine andere Wahl, als euch zu bekämpfen. Und wir werden auch Ihren Geist brechen, Dr. Fontaine, so wie wir den Geist aller Menschen brechen werden.« »Sie werden nie über uns siegen«, erklärte Sabrina mit eisiger Stimme. »O nein?« Dr. Morrow gab einigen Technikern ein Zeichen, die Arena zu säubern. Dann richteten sie ein auf drei Beinen montiertes kugelartiges Gerät auf das Monster. Das Monster hörte auf zu fressen, als es die Strahlung des Gerätes spürte. Es wollte sich dieser ungeheuren Kraft widersetzen, aber selbst seine Kraft war ohnmächtig gegen das Aliengerät. Schon bald war es hinter der Tür verschwunden. Einige Augenblicke später öffnete sich eine andere Tür in der Arenawand. »Ist heute noch nicht genug Blut geflossen?« fragte Sabrina entsetzt. »Meine liebe Frau Dr. Fontaine, der Prototyp hat gerade seinen ersten Test hinter sich. Und er war gut im Vergleich mit dem schwerfälligen Vertreter Ihrer Rasse.« »Der arme Mann hat tapfer gekämpft.« »Ja, aber wir wollen doch sehen, wie es gegen jemanden kämpft, der körperlich sehr fit ist – ein Athlet.«
Dr. Morrow hob die Hand, und zwei Wachposten erschienen in einer dunklen Öffnung am anderen Ende der Arena. Zwischen sich hielten sie eine dritte Person, der ein dritter Wachposten eine Laserpistole an den Kopf hielt. Er überragte alle drei, und sein blondes Haar wehte im Wind. Sabrinas Herz schlug wild, als sie ihn erkannte. »Ich denke, dieser hier ist genau der richtige Gegner für unsere kleine Schöpfung. Würden Sie da nicht zustimmen?« »Nein.« Hatte sie Halluzinationen? Dr. Morrow beobachtete sie verstohlen. »Nein? Aber warum nicht, Dr. Fontaine? Sicherlich haben Sie kein spezielles Interesse an so einem Dummkopf?« »Wie ist er hierhergekommen? Warum?« Tränen liefen ihre Wangen hinunter. »Er hat nach Ihnen gesucht. Ein seltsames Verhalten für einen Ihrer Gladiatoren, wenn Sie mich fragen.« Sabrina erinnerte sich, daß auch ihre Kollegen immer solche Anspielungen auf Jack gemacht hatten. Dummkopf, Affe, Muskelprotz hatten sie ihn genannt. Aber keiner von ihnen kannte ihn richtig. Er war intelligent und trotz seines Berufes zärtlich. Sie hatte viel an ihn gedacht, seit sie hier gefangengehalten wurde, aber sie hätte nie geglaubt, daß er sie finden würde. »Kennen Sie diesen Mann, Dr. Fontaine?« fragte Dr. Thorkel. »Ja.« Sabrina wischte sich die Tränen fort. »Ja, ich kenne ihn.« Es war jetzt nicht mehr möglich, das zu verheimlichen. Ihre Reaktion war eindeutig gewesen und hatte ihre Gefühle für Jack im selben Augenblick gezeigt, als sie ihn sah. Stolz stand er jetzt im Zentrum der Arena. Er schien keine Angst zu haben, trotz allem, was er gerade gesehen hatte. T. J. Devereaux war sein Freund gewesen, obwohl sie sich nur
kurze Zeit kannten. T. J. sollte nicht vergeblich gestorben sein – das hatte sich Jack geschworen. »Sabrina«, rief er mit klarer Stimme. »Ich liebe dich.« »Jack!« schrie sie. Sie war von ihrem Sitz hochgesprungen, aber Dr. Morrows Hand um ihren Arm hielt sie zurück. Sie hätte sich aus seinem Griff losreißen können, aber sie befürchtete, daß das Folgen für Jack haben würde. Mit einer gebieterischen Handbewegung unterbrach Dr. Morrow das Ganze. Jack wurde fortgeführt, aber er warf noch einmal einen langen Blick zu Sabrina hinüber, bevor sich die Tür in der Arenawand hinter ihm schloß. »Ja«, grinste Dr. Morrow, »er ist genau der richtige Gegner für das nächste Schauspiel in der Arena, da bin ich mir ziemlich sicher.« »Gibt es…« Sabrina war so geschockt, daß sie kaum sprechen konnte. »Sagten Sie etwas, Dr. Fontaine?« »Gibt es… irgendeine Möglichkeit, einen anderen Kämpfer auszusuchen, vielleicht einen Nichtmenschlichen?« »Nichtmenschlich – eine interessante Idee«, grübelte Dr. Morrow, »aber für die Praxis nicht geeignet. Nein, ich fürchte, wir brauchen einen Menschen.« Sabrina schämte sich, betteln zu müssen, selbst für Jacks Leben. Aber sie hatte keine andere Chance. »Wenn es unbedingt ein Mensch sein muß, könnten Sie…« »Könnte ich was, Dr. Fontaine?« »Könnte es jemand anderer sein als Jack?« »Ah, Sie möchten, daß ich Ihnen einen Gefallen tue?« Durch die dunklen Gläser starrte Morrow sie an. »Und was für einen Preis wollen Sie dafür zahlen?« Sabrina seufzte. »Ich werde alles tun, um was Sie mich bitten«, versprach sie demütig. »Gut«, er lächelte. »Dann verstehen wir zwei uns.«
Sie nickte und wischte sich mit der Hand die Tränen fort. Sie war geschlagen, genau wie Morrow es vorausgesagt hatte. Sie würde für ihn arbeiten. Aber schließlich hatte sie erst mal Jacks Leben gerettet.
Kapitel 24
Wie ein wildes Tier hatte John Tiger im Dickicht des Sumpfes gelebt, er ernährte sich von Beeren und einer Schlange, die er getötet hatte. Auf Umwegen hatte er sich langsam in Richtung Reservat durchgeschlagen. Er verließ nie den Schatten der Bäume oder des Dickichts, so daß sie ihn nicht entdecken konnten. Es tat ihm leid, daß Billy nun noch länger auf Hilfe warten mußte, aber gefangen würde er ihm kaum etwas nützen. Wenigstens er mußte frei sein, damit Billy noch eine Chance hätte. Seine Kleidung war zerrissen und schmutzig. John kroch unter einigen kleinen Palmbüschen durch. Plötzlich hörte er Stimmen und lag ganz still. Ein Frosch quakte neben ihm. Ein Moskito umkreiste sein Gesicht, aber er schlug nicht danach. Flach lag er auf dem Bauch im Schlamm. Die Stimmen kamen näher, und er hörte noch ein anderes Geräusch: das sanfte Plätschern des Wassers, wie es das Paddel eines Kanus hervorruft. Waren es Menschen? Vielleicht – vielleicht auch nicht. Vielleicht hatten sich die Visitors diese Möglichkeit, den Sumpf zu durchqueren, zu eigen gemacht, um ihn zu suchen. Die Stimmen kamen noch näher und gewannen an Klarheit. Sie klangen wie menschliche Stimmen, tief wie die von Männern. Auf einmal hörte er die höhere Stimme einer Frau. Marie. John kämpfte sich durch Disteln und Dornen hindurch. »Marie!« schrie er. Jetzt konnte er sie sehen, Marie und einige Männer in Kanus, sie umkreisten einen toten Baum,
dessen Zweige wie die Hände eines Skeletts aus dem Wasser ragten. Die beiden CIA-Männer waren bei ihr, und Martin zeigte ihnen den Weg! »Martin! Ich bin’s, John Tiger!« Sie blickten zu ihm herüber, als er durch hüfthohes Sumpfwasser auf sie zuwatete. »Johnny!« schrie Marie. »Paß auf die Alligatoren auf.« »Geh zurück an Land, John«, rief ihm Martin zu. »In einer Minute sind wir bei dir, mein Junge.« Der kräftige CIA-Mann begann auf ihn zuzupaddeln, aber John befolgte Martins Vorschlag nicht. Er watete weiter auf sie zu. »Ich habe das Lager gefunden«, erzählte er ihnen atemlos. »Aber sie entdeckten mich, und seitdem verfolgen sie mich.« »Jetzt komm erst mal, Junge«, drängte ihn Martin. Er beugte sich bereits vor, um ihn ins Kanu zu ziehen. »Eigentlich ist hier kein Platz für drei, aber irgendwie werden wir das schon hinkriegen.« John stand jetzt bis zur Brust im Wasser. Er war noch ungefähr drei Meter vom Kanu entfernt. Er hob seine Hand und eilte auf sie zu. Martins kräftige Finger griffen nach seinen Händen und begannen ihn aus dem Wasser zu ziehen. Ein blauer Lichtstrahl blendete John plötzlich. Zuerst dachte er, es sei die Sonne, die vom Wasser reflektiert wurde, aber dann roch er den grauenhaften Geruch verbrannten Fleisches. Martin starrte ihm direkt in die Augen. In seiner Brust war ein Brandloch, durch das John das Tageslicht sehen konnte. Martin wollte noch sprechen, aber er konnte es nicht mehr. Er brach zusammen, eine Hand baumelte im Wasser. John hielt immer noch seine andere Hand. »Martin.« Sein ganzes Leben lang hatte er diesen Mann gekannt. Der Alte hatte sich um ihn und Billy nach dem Tod
der Eltern gekümmert. Er konnte doch jetzt nicht einfach sterben. Blaue Lasergeschosse sausten kreuz und quer durch die Luft hinter dem Kanu, aber John beachtete sie nicht. Immer noch hielt er Martins Hand. »Johnny!« hörte er Marie vom anderen Kanu aus herüberschreien. Tyler war neben ihr. Er zog eine Laserpistole heraus und feuerte auf einen Visitor, der mit seiner Antischwerkraftscheibe herunterkam. Der Visitor wurde am Kopf getroffen. Vor Schmerz heulte er auf und fiel hinunter ins Wasser. Auch Chris schoß. Er traf den nächsten. Eine Scheibe nach der anderen stürzte ins Wasser. Wieder kam einer angeflogen, und Marie schoß mit einer riesigen Schrotflinte. Sie traf ihn nicht, da er direkt über ihrem Kopf war, aber der Schuß brachte die Scheibe zum Kippen, und er fiel in den Sumpf. Aber schon im nächsten Augenblick gelang es ihr, einen herunterzuschießen. John nahm sie und die beiden anderen zwar wahr, wie sie kämpften, aber er konnte immer noch nicht glauben, daß dies alles Wirklichkeit sein sollte. Erst als er sah, daß ein Visitor sie verfolgte, wurde er auch aktiv. Chris feuerte eifrig in die andere Richtung, während John in das Kanu sprang und von dort aus auf die Scheibe hechtete. Er erwischte den Visitor an den Beinen, aber es gelang ihm nicht, ihn umzuschmeißen. Der Alien fiel auf Hände und Knie und John rutschte quer über die Scheibe unter seine Brust. Sein Feind fummelte an der Laserpistole herum und wollte offensichtlich versuchen zu schießen. John zog sein Messer raus. Gerade als der Visitor abdrücken wollte, stieß er mit dem Messer zu.
Die schwarzen Lippen des Visitormauls öffneten sich, und blaugrüner Schleim rann auf Johns Hand. Er stieß den Körper von der Scheibe und nahm stolz den Platz des Visitors ein. Immer noch umkreisten vier oder fünf Visitors die beiden Kanus. Keiner von ihnen hatte jedoch mitbekommen, wie es Johns Gegner gerade ergangen war. John versuchte die Scheibe zu steuern, fand es leicht und stürzte sich erneut in den Kampf. Tyler schoß gerade einen Visitor von seiner Scheibe, als John hinter einem von ihnen auftauchte. Er beugte sich vor und klopfte dem Alien auf die Schulter. Der Visitor hörte auf, den Laser abzufeuern, und drehte langsam den Kopf herum. John lächelte ihn an. »Sieh mal dort!« John deutete mit dem Zeigefinger in die Ferne. Der Visitor schaute hinüber, um zu sehen, was John meinte. Als er sich wieder John zuwandte, traf ihn ein gewaltiger Kinnhaken, der ihn von der Scheibe schmiß und kopfüber ins Wasser stürzen ließ. »Klasse!« schrie Chris von unten herauf. John lächelte, aber nicht lange. Ein Visitor war plötzlich neben ihm, und hielt ihm den Laser direkt an den Kopf. Plötzlich gab es einen gewaltigen Donnerschlag, der Visitor griff sich an die Brust und schlug dann im Wasser auf. Mit dem rauchenden Gewehr in ihren Händen saß Marie unten im wackelnden Kanu. Schießpulvergeruch vermischte sich mit der feuchten Luft. Die letzten beiden Visitors sahen einander an, und dann schossen sie davon in den Sumpf, so schnell wie ihre Scheiben sie tragen konnten.
Kapitel 25
»Diese Männer sind nicht unsere Feinde«, erklärte John dem versammelten Stamm vor dem alten Visitor-Center. »Ich habe gesehen, wie tapfer sie gegen die Visitors kämpfen, und ich glaube ihnen, daß sie uns helfen wollen.« »Du hast sie erlebt, als sie um ihr Leben kämpfen mußten, John Tiger«, widersprach in der Menge ein Mann mittleren Alters. »Aber wenn sie hier nicht aufgetaucht wären, würde Martin Wooster heute noch leben.« »Martin wußte, auf was er sich einließ«, entgegnete John. »Ich selbst war dabei, als er diese Männer in sein Büro bat, um mit ihnen zu sprechen. Es war seine Entscheidung, daß es das Beste für unser Volk sei, ihnen zu helfen, das Lager der Visitors zu finden.« »Sie haben uns in Ruhe gelassen, bis diese beiden CIAMänner auftauchten«, schrie eine Frau wütend. »Vielleicht lassen sie uns auch in Ruhe, wenn die beiden hier wieder verschwunden sind.« »In Ruhe gelassen?« Jetzt sprach Marie. »Wer wurde in Ruhe gelassen, wenn unsere Leute gekidnappt wurden, wenn sie nur die Stadt verließen?« »Wir wissen nicht, ob man sie gekidnappt hat«, beharrte die Frau auf ihrer Meinung. »Du möchtest das gern glauben, Marie, aber wir alle wissen auch, warum. Du willst einfach nicht wahrhaben, daß dein Mann dich verlassen haben könnte.« »Billy hat mich nicht verlassen«, stieß Marie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Er wurde gewaltsam gefangengenommen.«
»Wie willst du das wissen? Hast du es gesehen?« »Ich muß es nicht erst regnen sehen, um zu wissen, daß Wolken am Himmel sind«, erwiderte Marie. »Ich glaube, Marie hat recht«, mischte sich eine andere Frau ein. »Letztendlich stimmt hier in letzter Zeit etwas nicht. Die Tiere sind unruhig, Leute sind verschwunden, und nachts hört man seltsame Geräusche im Sumpf.« Ein Gemurmel der Zustimmung erhob sich aus der Menge. »Hört mal«, ergriff John Tiger das Wort, »wir sind fünf- bis sechshundert Mann stark. Wir könnten den Kampf gewinnen. Fast alle Visitors mußten die Erde verlassen, aber dort draußen im Sumpf sind noch ein paar. Das bedeutet, daß sie ein Mittel gegen den roten Staub entwickelt haben. Und unser Planet und wir alle sind so lange in Gefahr, bis alle von ihnen restlos verschwunden sind.« Ham und Chris schauten einander an, als die Menge Beifall klatschte und dem zustimmte, was John gesagt hatte. »Er redet fast wie ein Politiker«, meinte Chris grinsend. »Der nächste Häuptling«, stimmte Ham zu. »Laßt uns dorthin gehen und sie vernichten!« schrie jemand. Die Menge raunte, und einige Männer machten sich zu ihren Hütten auf, um ihre Gewehre zu holen. »Wartet einen Augenblick!« rief Ham. »Wartet eine Minute!« Nach einigen Minuten waren sie ruhig genug, um Ham anhören zu können. »Ich weiß, daß ihr alle jetzt sofort kämpfen wollt«, begann er. »Aber wir müssen zunächst einen Plan entwickeln. Ihr könnt nicht einfach losrennen und dort losschießen.« »Warum nicht?« wollten ein paar Leute wissen. »Weil ihr dann verlieren werdet.« Plötzlich waren alle irritiert.
»Ihr verliert nicht wegen mangelnden Mutes oder Kampffähigkeit. Ihr werdet verlieren, weil die Visitors eine neue Technologie entwickelt haben. Eure Waffen reichen nicht aus, um sie heute zu besiegen.« »Also, was schlagen Sie vor, was wir tun sollen, Ham Tyler?« wollte Marie wissen. »Sollen wir abwarten, bis sie uns hier töten? Wir können nur kämpfen.« »Ich sagte nicht, daß ihr nicht kämpfen sollt, nur, daß ihr nicht die richtigen Waffen habt, um gegen sie zu kämpfen. Ich werde euch diese Waffen besorgen.« »Dann aber schnell«, drängte John Tiger. »Wir wollen nicht noch mehr Zeit verstreichen lassen.« »Bringt mich zu einem Telefon«, bat Ham. »Und ich werde sie vielleicht schon morgen haben, wenn nicht eher.« »Was sollen wir in der Zwischenzeit machen?« »Euren strategischen Plan entwickeln«, Ham grinste etwas. »Wir können diese Lizards besiegen.« John nickte und brachte Ham und Chris in das Büro von Martin. Marie begleitete sie. »Jetzt bist du also der neue Chief«, wollte Ham wissen. »So ist es.« Ham hob den Hörer und wählte Los Angeles. In dem kleinen Raum hörte man das Rufzeichen trotz des Lärms der Klimaanlage. Nach dem vierten Klingeln wurde abgehoben. »Hallo?« fragte eine ferne Stimme. »Hallo, hier ist Ham Tyler. Ich hätte gern Mike Donovan oder Julie Parrish gesprochen.«
Kapitel 26
»Finden Sie unsere Laboratorien interessant, Dr. Fontaine?« fragte Dr. Morrow, als sie durch die Genetik-Abteilung des Komplexes schritten. »Ich würde lügen, wenn ich nein sagen würde«, gab Sabrina zu. Sie blieben vor einem Hologramm stehen, das die Vergrößerung einer lebenden Zelle auf die Größe eines Fußballs zeigte. Dreidimensional konnte man das Innere von jedem Blickwinkel aus sehen, als ob man selbst innerhalb dieser pulsierenden Zellwand stehen würde. Farbliche Abstufungen unterstrichen die Unterschiede zwischen den Genen: solche, die sich schon immer in der Zelle befunden hatten, und diejenigen, die durch das Laboratorium hineingesetzt worden waren. »Setzen Sie sich bitte an die Konsole«, forderte Dr. Morrow sie auf. »Bekommen Sie ein Gefühl für alles.« Sie berührte ein rotes Rechteck auf der Konsole, und es begann aufzuleuchten. Das Hologramm zeigte ein Gen, das wie eine winzige rote Spirale in die Zelle hineingesteckt worden war. »Ist das ein Übungsgerät?« fragte sie. »Nein, Sie haben gerade eben das Gen in die Zelle eingefügt.« »Wie arbeitet es?« wollte Sabrina wissen. »Das ist ein Miniaturroboter, der genauestens Ihr Kommando beantwortet. Wir können ihn auch veranlassen, daß Sie nur sprechen müssen, und er gehorcht Ihrem Willen.«
Er gehorcht Ihrem Willen. Das war der Schlüsselgedanke im Denken aller Visitors. Die Dinge mußten ihrem Willen gehorchen – und genauso die Menschen. Für Dr. Morrow würde nur eine Welt perfekt sein, in der er nie gefragt und nie kritisiert werden würde – außer von seinem Vorgesetzten natürlich. »Das ist eine ganz außergewöhnliche Maschine, Dr. Morrow«, erklärte Sabrina. »Was ich allerdings nicht verstehe, ist, warum Sie dann mich und Dr. Thorkel brauchen, wenn Sie über solch hochentwickelte Technologien verfügen?« »Es gab auch noch andere. Wie Sie weigerten die sich zu kooperieren. Nach einiger Zeit ließ mich ihre Unnachgiebigkeit müde werden.« Die Kälte in seiner Stimme ließ sie innerlich erstarren, aber sie versuchte, es nicht zu zeigen. »Aber das beantwortet meine Frage nicht, Dr. Morrow.« »Nun gut, dann werde ich Ihnen jetzt antworten.« Gedankenvoll neigte er den Kopf und überlegte, dann erklärte er: »Wenn wir mehr Zeit hätten, würden wir Sie nicht brauchen.« Wenn sie mehr Zeit hätten! Vielleicht war das Antitoxin auf die Dauer der Bakterie nicht gewachsen. Vielleicht hatten sie nur noch einige Wochen oder Monate. »Selbstverständlich«, fuhr Dr. Morrow fort, »wären wir sonst niemals auf die Hilfe primitiver Wissenschaftler angewiesen. Aber es gibt gewisse Besonderheiten in der Genstruktur eines Säugetiers, die uns rätselhaft sind. Wenn wir Zeit hätten, würden wir irgendwann dahinterkommen, aber…« »Aber Sie haben keine Zeit«, beendete Sabrina für ihn den Satz. »Das weiß ich.« »Ja, klug wie Sie sind. Ich wußte, daß Sie unsere Situation eines Tages verstehen würden, sobald wir Ihre Hartnäckigkeit bezwungen hätten.«
»Sie wissen genau, daß ich es nur tat, um Jack zu retten.« »Ja, aber ich sehe auch, daß das, was Sie bisher hier gesehen haben, Ihre wissenschaftliche Neugier geweckt hat. Und ich bin sicher, daß Sie in einiger Zeit freiwillig den Wunsch äußern werden, mit mir zusammenzuarbeiten, ohne daß wir Sie dazu zwingen müssen.« Sabrina wollte zuerst protestieren, aber plötzlich wurde ihr klar, daß es klüger wäre, ruhig zu bleiben und Morrow in dem Glauben zu lassen, daß sie sich bald nicht mehr widersetzen würde. Wenn sie ständig weiter ihre wahren Gefühle äußerte, wäre das auf die Dauer nur zu ihrem Nachteil. »Kommen Sie«, forderte Dr. Morrow sie auf. »Ich möchte Ihnen etwas zeigen, Dr. Fontaine.« »Nennen Sie mich Sabrina«, bat sie ihn. Dr. Morrow schien darüber erfreut: »Sabrina, wenn Sie mir bitte folgen wollen.« Er führte sie durch ein Labyrinth von Laboratorien und Lagerräumen. Am Ende eines langen Korridors standen zwei Wachen vor einer Tür. »Was glauben Sie, warum wir noch hier auf der Erde sind?« fragte er sie, als sie auf die Tür zugingen. »Sie waren mit der Entwicklung eines Antitoxins erfolgreich«, antwortete Sabrina, die jedes Wort sorgfältig bedachte, »und ihr habt bemerkenswerte Resultate in der Genforschung erzielt.« »Ja, wir haben einen Virus produzieren können, der die Bakterie eine Weile in Schach hält.« Er schaute sie direkt an, aber sein Gesicht war unergründlich hinter den dunklen Gläsern. »Sie haben das vermutet, nicht wahr?« »Vermutet?« Sie stellte sich dumm. »Vermutet was?« »Daß wir nicht vollständig erfolgreich waren, den Roten Staub zu bekämpfen. Aber letztendlich wird es uns noch gelingen.«
Sie standen jetzt vor den beiden Wachen mit Lizardgesichtern. Dr. Morrow zog einen spitzen Kristallgegenstand aus der Tasche seines Laborkittels. »Die Dinge, die wir bisher diskutiert haben, gehören alle nicht zu unserer wirklichen Arbeit. Nun wollen wir mal sehen.« Er öffnete die Tür. Gegenüber der Tür standen endlose Reihen winziger kokonartiger Gefäße. In ihnen entdeckte Sabrina Säuglinge, in Fötuslage zusammengerollt und mit geschlossenen Augen. Sie atmeten und schwammen in Nährlösungen, in künstlichen Gebärmuttern. Als Sabrina sie mehr aus der Nähe betrachtete, erkannte sie, daß sie unterschiedliche Charakteristika aufwiesen, sowohl menschliche als auch die der Visitors. Einige waren rosa, andere grün, und die rosafarbenen hatten Furchen in ihren Schädeln und Klauenfinger, während die grünen herausragende Nasen, spitze kleine Münder oder rote Haarbüschel an ihren schuppigen Köpfen hatten. Es war grauenhaft, aber faszinierend. »Haben Sie von dem Kind Elizabeth gehört?« wollte Dr. Morrow wissen. »Seine Geburt war ein Experiment, das gelungen ist. Aber wir wissen immer noch nicht, wieso es gelungen ist. Sie würden es daher vielleicht eher einen Unfall nennen. Aber jetzt sind wir ganz nahe dran, es herauszufinden. Das ist unsere wirkliche Aufgabe hier.« »Und wenn es Ihnen gelungen ist?« fragte Sabrina. »Was dann?« »Dann wird es noch ein Kind wie Elizabeth geben, und wir werden es großziehen.«
Kapitel 27
Die beiden Soldaten standen vor Dr. Morrow. Trotz seiner menschlichen Maske wurden sie von ihm eingeschüchtert. Sie warteten darauf, daß er zu sprechen begann. »Sie sind euch also entkommen«, zischte er in ihrer eigenen Sprache. »Wir waren in der Minderheit«, platzte einer von ihnen heraus. »Dann werdet ihr beide sterben müssen.« Beide wurden still. Sie hatten soeben ihr Todesurteil vernommen und konnten nichts tun, um es rückgängig zu machen. Sie schauten sich gegenseitig an und wünschten sich beide, sie hätten sich nie zu diesem Erddienst gemeldet. Auf Dr. Morrows Schreibtisch piepte ein Kommunikationsgerät, das Zeichen, daß ein weiterer Besucher draußen wartete. »Geht jetzt«, befahl er den unglücklichen Soldaten. »Ich komme später auf eure Exekution zurück.« Die Tür öffnete sich automatisch und fast wären sie mit Dr. Thorkel zusammengestoßen. »Dr. Thorkel«, begrüßte ihn Morrow, »wie schön, daß Sie gekommen sind.« Als ob er eine andere Möglichkeit gehabt hätte, schließlich war er herbestellt worden. »Was ist mit den beiden?« wollte er wissen. »Nichts, nichts. Bitte kommen Sie her und setzen Sie sich.« Dr. Thorkel wählte einen Stuhl aus und setzte sich. Die Arme über der Brust verschränkt, wartete er, was Dr. Morrow ihm sagen wollte. Er wußte, daß der Alien-Wissenschaftler erst nach einigem Geplauder zur Sache kommen würde.
»Sie sind ein Erdbewohner«, begann Dr. Morrow, »und ich komme vom Sirius.« »Ja.« Was sollte ich anderes dazu sagen, dachte Dr. Thorkel. »Unsere Wege sind sehr verschieden… in gewisser Hinsicht.« »In der Tat.« Dr. Morrow begann auf und ab zu gehen. »Und dennoch ist uns die erfolgreiche Produktion eines Kindes gelungen, das die besten Eigenschaften beider Rassen besitzt.« »Das Kind Elizabeth, bekannt als das Starkind.« »Wir sind jetzt nahe dran, das Experiment wiederholen zu können. In der Tat sind wir jetzt an jenem Punkt des Verfahrens angelangt, wo wir die geeignetsten Zuchteltern heraussuchen müssen.« »Denken Sie schon an jemand Bestimmten?« fragte Dr. Thorkel, der schon einen dumpfen Verdacht hegte, wer es sein würde. Dr. Morrow blieb stehen. »Ich dachte, Dr. Fontaine würde ganz reizend sein.« »Sie ist eine gesunde menschliche Frau, das ist wahr«, stimmte Dr. Thorkel zu. »Aber ist sie nicht ein bißchen zu alt für so eine körperliche Tortur?« »Nach dem Zeitfaktor scheint sie am geeignetsten zu sein.« Dr. Thorkel schüttelte den Kopf. Die arme Frau, dachte er. Und er trug einen Teil der Verantwortung dafür. Vielleicht gab es noch eine Chance, es Morrow auszureden. »Haben Sie schon daran gedacht, wer der… Vater sein soll?« »Nun, wir haben hier Techniker, Biologen, Soldaten. Aber keinen mit wirklich herausragenden Fähigkeiten – außer einem einzigen Individuum.« »Und dieses Individuum – Ihre Bescheidenheit hindert Sie, es auszusprechen – sind Sie höchstpersönlich.« »Nun wissen Sie, in welcher heiklen Lage ich bin. Aber ich sehe wirklich keine andere Möglichkeit.«
Es war durchaus wahrscheinlich, daß Dr. Morrow sich sein Vorhaben genau überlegt hatte und wußte, worauf es ankam. Dr. Thorkel fühlte sich außerdem nicht in der Lage, jetzt viel darüber zu sprechen. Aber er würde alles tun, um den Alien von seinem verrückten Plan abzubringen. Das war das mindeste, was er für Sabrina Fontaine tun konnte. »Obwohl ich mit ziemlich vielen Ihrer Gebräuche vertraut bin«, begann Dr. Morrow, »so haben doch die Paarungsrituale eine merkwürdige Intimität, die ich erst einmal gründlich studieren müßte, bevor ich sie praktizieren kann. Das ist der Grund, warum ich Sie herkommen ließ.« »Sie wollen, daß ich Sie unser… Paarungsverhalten lehre? Es tut mir leid, aber ich habe selbst nur wenig Erfahrung damit.« »Dr. Thorkel, ich habe weder die Zeit noch die Lust, diese langwierig kennenzulernen. Ich möchte nur, daß Sie Dr. Fontaine meine Entscheidung erklären.« Dr. Thorkel fiel fast vom Stuhl. Die ganze Situation war absurd, aber er wagte nicht, laut über Morrow zu lachen. »Ich werde mich bemühen«, antwortete er ernst. Die perfekte menschliche Maske über Dr. Morrows Reptiliengesicht strahlte. »Ich danke Ihnen«, lächelte er. »Ich weiß, Sie haben mich verstanden.« Als Dr. Thorkel zur Tür ging, spürte er, daß Morrow ihm nachsah. Draußen aber, als er sicher war, daß ihn die Wachen nicht mehr hören konnten, brach er in schallendes Gelächter aus. Er konnte gar nicht mehr aufhören. Jedesmal, wenn er an Morrows peinlichen Vorschlag dachte, liefen ihm wieder Lachtränen übers Gesicht. Und plötzlich wurde ihm klar, was es für Dr. Fontaine bedeuten mußte. Das war nicht mehr so lustig. Warum begehrte Dr. Morrow sie, sie war doch eine menschliche Frau? Viele Visitors hatten sich für Menschen beiderlei Geschlechts auch sexuell begeistert. Sehr merkwürdig. Vielleicht war es ein
Minderwertigkeitskomplex wegen ihrer Rasse oder weil sie teilweise auch Säugetiere waren. Das könnte auch die Erklärung für Elizabeths Zeugung sein. Aber das waren nichts als Vermutungen. Er mußte jetzt zu Sabrina gehen und ihr alles erzählen.
Kapitel 28
»Ham behauptet, es gebe ein Vernichtungslager«, erklärte Mike Donovan, »und das sei dort draußen in den Everglades versteckt.« »Verdammt noch mal«, fluchte Elias Taylor. »Diese Lizards sind noch schwerer zu vertreiben als Küchenschaben.« »Und um einiges gefährlicher«, fügte Julie Parrish hinzu. Die drei Genossen schlenderten durch ein Warenhaus in der City von Los Angeles, in dem ein geheimes Lager mit Alienwaffen untergebracht war. Die Kisten voller Laser waren die Beute Hunderter kleiner Kämpfe und Straßenschlachten. »Meint ihr, wir sollten das L.A.-Mutterschiff benutzen?« fragte Julie. »Das wäre so, als ob man eine Fliege mit einem Holzhammer erschlagen würde«, meinte Mike. »Natürlich könnten wir den ganzen Komplex aus dem Sumpf pusten, aber dann wüßten wir nicht, was sie dort eigentlich machen – und das scheint doch sehr wichtig zu sein.« Julie kratzte sich an ihrem Kopf mit dem blonden Haar. »Wie steht’s mit einem Shuttle?!« »Mit einem können wir schon nach Florida fliegen. Auch die Visitors müssen eins dort haben, sonst hätten sie wohl kaum dort unterkriechen können.« »Und höchstwahrscheinlich mehr als eins«, seufzte Elias, und schlug mit einer Hand auf eine der Kisten. »Daher bin ich immer noch dafür, das Mutterschiff zu nehmen, und sie ein für allemal restlos zu vernichten.« »Aber was ist mit den Leuten, die sie gefangengenommen haben, Elias?« erinnerte Julie ihn.
»Die haben sie doch wahrscheinlich schon längst verspeist«, seufzte Elias. »Aber ich muß zugeben, daß wir davon nicht ausgehen dürfen.« »Genau, und deshalb fliegen wir mit einem Shuttle voller Waffen zu jenem Indianerstamm in den ›Glades‹. Ham hilft ihnen, eine Widerstandsbewegung zu organisieren. Er kann sie kaum für wenige Stunden zurückhalten, damit sie auf uns warten.« »Das ist Bewußtsein.« »Was glaubst du, Julie, was sie da draußen machen?« grübelte Mike. »Ham glaubt, daß es irgendein wissenschaftliches Lager ist. Kannst du dir das vorstellen?« »Ich weiß es nicht, Mike. Vielleicht eine Konvertierungseinheit, die mit Menschen experimentiert und die sie zurückließen, als ihre Armada gezwungen war zu fliehen.« »Wenn das der Fall sein sollte, dann rechnen sie damit, daß sie in Massen zurückkehren können«, ereiferte sich Elias. »Viele Menschen glauben, daß wir sie nie wiedersehen werden. Vielleicht wird diese Nachricht sie wachrütteln.« »Ja, das muß sie«, stimmte Mike zu.
Das Hologramm von Dr. Morrow war überlebensgroß, so daß er aufgedunsen wirkte und einen Meter über dem Boden schwebte. »Ich bin hocherfreut über die gute Entwicklung Ihrer Forschungen«, begrüßte ihn Medea, »und im selben Moment erzählen Sie mir, daß die Menschen Sie entdeckt haben.« »Vier von ihnen sind unseren Wachen entkommen«, erläuterte Dr. Morrow. »Wie sie mir erzählten, sind sich die Wachen sicher, daß es lediglich dort ansässige Sumpfbewohner sind. Wirklich kein Grund, alarmbereit zu
sein. Die Behörden würden deren Behauptungen sowieso nicht ernst nehmen.« »Ihr Studium der menschlichen Sozialgebräuche ist sehr oberflächlich«, schnappte Medea. »Ihre Behauptungen müssen von den Beamten sogar ernst genommen werden.« »Dann wird ein Überfall auf ihre Stadt sie zum Schweigen bringen.« »Nur, wenn Sie sicher sein können, daß wirklich alle getötet werden.« »Wenn wir alle unsere Streitkräfte nachts einsetzen…« »Das könnte klappen. Ich werde darüber nachdenken.« »Aber wir haben nicht mehr allzuviel Zeit«, erinnerte Morrow sie. »Doch, es gibt noch genug. Sie berichten, Sie seien kurz vor einem wissenschaftlichen Durchbruch«, entschied Medea. »Sollte dem nicht so sein, so werde ich ein Raumschiff schicken, das euch unverzüglich von der Erde wegholt.« »Ich sehe keinen Grund, der dagegen spricht, das Experiment jetzt im Raum zu beenden, Medea.« »Sie haben eine geeignete menschliche Frau für die Ausführung gefunden?« »Ja.« »Und wer wird die Frau schwängern?« »Das werde ich machen, Medea.« Das war eine Überraschung. »Sie? Sind Sie sich sicher, daß das klug ist?« »Aber es gibt hier keinen anderen.« »Dr. Morrow, sagten Sie nicht gerade, daß das Experiment auch im Raum durchgeführt werden kann. Allein hier auf dem Schiff gibt es viele passende Männer, ohne die anderen Schiffe der Flotte überhaupt zu erwähnen. Wie können Sie da behaupten, der einzig denkbare Vater bei diesem Plan zu sein?«
»Ich kenne die Frau«, antwortete Dr. Morrow. »Ich arbeite mit ihr.« Hörte sie da etwas Panik in seiner Stimme? »Na und?« fragte sie und stellte ihn auf die Probe. »Sie können nach der Befruchtung doch weiter mit ihr arbeiten, oder etwa nicht?« »Ja, aber es gilt außerdem, die menschlichen Gebräuche und einiges andere in Betracht zu ziehen.« »Seit wann lassen wir uns von ihren primitiven Ritualen verführen?« fragte Medea. »Es ist besser, wenn sie sich nicht aufregt während der Empfängnisstufe«, erklärte Dr. Morrow verzweifelt. »Es scheint eher zu klappen, wenn die Frau vertraut ist mit dem Befruchter, wenn eine gewisse Intimität…« »Genug, Dr. Morrow«, befahl Medea. »Sie sind sich offensichtlich nicht bewußt, wie sehr Sie sich offenbaren.« Einige Momente schwieg Dr. Morrow, und dann fragte er sanft: »Was meinen Sie damit?« »Sie sind in die Frau verliebt.« »Nein, ich…« »Ja, ich weiß. Sie interessieren sich nur für sie, weil sie der guten Sache unseres Krieges und unserer Wissenschaft dient.« »Natürlich.« »Natürlich«, sagte Medea sarkastisch. »Sie vergessen, daß ich die Früchte menschlicher Liebe gekostet habe und weiß, wie berauschend ein Mensch sein kann.« »Dann werden Sie einen anderen aussuchen?« Dr. Morrow war sichtlich enttäuscht. »Überhaupt nicht. Sie werden Ihren menschlichen Liebling bekommen, Dr. Morrow… ob sie es nun mag oder nicht.«
Kapitel 29
Sabrina konnte kaum glauben, was Dr. Thorkel ihr da berichtete. »Wollen Sie mir erzählen, daß… daß der Alien sich in mich verliebt hat?« »So in der Art, Doktor.« »Das ist unglaublich. Ich kann das einfach nicht glauben, was Sie mir da erzählen.« Thorkel konnte jedoch nicht das sagen, was er dachte, weil er wußte, daß man ihre Unterhaltung abhörte. Aber vielleicht würde sie eine Andeutung verstehen. »Sie sollten erfreut sein, daß er Sie gewählt hat, Dr. Fontaine«, erzählte er ihr. »Denken Sie an die Vorteile, die diese Ehre für Sie mit sich bringt.« Sabrina runzelte die Stirn. Auch jetzt hatte Dr. Thorkel die Ausmaße von Morrows teuflischer Verrücktheit offensichtlich noch nicht verstanden. Er rückte näher an sie heran. »Dr. Fontaine«, strahlte er, »Sie machen allen Wissenschaftlern des Universums Ehre.« Bevor sie sich von ihm entfernen konnte, umarmte er sie. Sie wehrte sich dagegen, aber dann flüsterte er ihr etwas ins Ohr, das sie aufhorchen ließ. »Nutzen Sie seine Verliebtheit, damit wir hier rauskommen«, erzählte er ihr, bevor er ihre Taille losließ. »Locken Sie ihn.« Sie merkte, daß er sie intensiv ansah, als er sie losließ. Einen Augenblick später war er wieder der alte trottelige Dr. Thorkel, der darüber plauderte, wie wundervoll eine Beziehung mit Dr. Morrow sein könnte. Jetzt erkannte sie, wie klug er handelte und daß er ein ehrlicher Mann war; er hatte sich in seinem
Wissensdurst von Dr. Morrows klugen Lügen verführen lassen. Aber jetzt war er auf ihrer Seite, und sie hatte einen wertvollen Verbündeten gewonnen. »Wann werden Sie Dr. Morrow empfangen wollen?« fragte er. »Vielleicht war ich eben etwas zu heftig«, murmelte Sabrina. »Aber die Idee ist so neu für mich. Ich muß eine Zeitlang meine Gedanken ordnen.« »Selbstverständlich. Ich werde Sie jetzt allein lassen, so daß Sie in Ruhe darüber nachdenken können, welche ruhmreiche Zukunft unsere Freunde, die Visitors, mit Ihnen vorhaben.« Mit diesen Worten ging er hinaus, und Sabrina blieb in ihrem hypermodernen, zellenartigen Apartment zurück. Sie setzte sich und machte sich klar, daß mit dem, was Thorkel ihr mitgeteilt hatte, sie möglicherweise eine Chance haben würde, aus dem Lager herauszukommen. Wenn sie Morrow hinhalten konnte und indirekt lenken, könnte sie vielleicht Jacks Leben retten. Aber wenn sie schlecht spielen würde, dann würde sie seinen Tod auf dem Gewissen haben. Maries Augen blitzten feurig. »Wir müssen sofort handeln. Wir können nicht endlos warten, bis diese Leute uns Waffen bringen. Jede Minute, die wir hier rumsitzen, können Leute in diesem Vernichtungslager sterben.« »Ich weiß, daß es hart ist, Marie«, besänftigte sie John Tiger, »aber Tyler hat recht. Es hat keinen Sinn, dorthin nur mit Schrotflinten und Macheten zu gehen. Unsere Leute mußten schon einmal gegen Eindringlinge kämpfen, die hervorragende Waffen hatten, und was passierte? Die Hälfte unserer Vorfahren endete damals auf jenem historischen Marsch gegen unsere Unterdrückung, und sie waren die Überlebenden im Krieg gegen den weißen Mann.« »Nicht jeder marschierte«, meinte Marie. »Einige Leute blieben im Sumpf.«
»Versteckt wie Tiere vor der Macht unserer Feinde«, stöhnte John. »Diejenigen, die die Geschichte ignorieren, sind dazu verurteilt, ihre Fehler zu wiederholen.« »Wo hast du denn das her?« »Von Billy. Das zumindest hat seine Collegezeit der Familie gebracht.« Jemand klopfte an die Bürotür. »Herein«, rief John. »Wie haltet ihr’s durch?« Ham trat ein, hinter ihm Chris, dessen bulliger Körper die ganze Tür ausfüllte. »Wir sind okay«, grinste Marie ihn an. »Wir diskutieren gerade über Philosophie.« »Na ja, was anderes gibt es kaum zu tun, bis Donovan mit seinen Lasern hier ist.« »Wir versuchen, geduldig zu bleiben«, erklärte Marie, die etwas von Johns kleinem Vortrag verstanden zu haben schien. Das Telefon klingelte. »Hallo«, meldete sich John. Er wandte sich an Ham. »Es ist für Sie.« Außer Ham hätte keiner die ferne, knackende Stimme verstehen können. »Okay, verstanden.« Er legte auf. »Was gibt’s?« fragte Marie, die die schlechten Nachrichten vorauszuahnen schien. Ohne eine Gefühlsreaktion zu zeigen, berichtete Ham: »Das Shuttle, in dem sich die Waffen befinden, ist ausgefallen. Ein Techniker arbeitet daran. Er ist ein Visitor, arbeitet aber mit uns zusammen. Er kennt sich damit aus, aber es dauert. In der Zwischenzeit laden sie die Waffen an Bord eines anderen Shuttles.« »Und wann werden sie dann kommen?« wollte John wissen. »Sie werden bestimmt kommen. Aber erst mal gibt es eine Verzögerung.«
»Aber eine Verzögerung können wir nicht gebrauchen«, klagte Marie, und Verbitterung stieg in ihr hoch. »Das Leben vieler Menschen hängt davon ab, daß wir so bald wie möglich eingreifen.« »Ich weiß«, antwortete Ham, »und genau das werden wir auch tun.«
Kapitel 30
Zum tausendsten Mal fragte sich Jack, was sie eigentlich mit ihm vorhatten. Er hatte erwartet, an das Monster verfüttert zu werden, das T. J. getötet hatte, aber immer noch hielten sie ihn in diesem kleinen Plastikraum gefangen, fütterten ihn und beobachteten ihn, als hätten sie nicht seinen Freund im Handumdrehen getötet. O Gott, wie brannte er auf Rache für T. J. Wenn er hier herauskäme – falls er überhaupt herauskommen sollte – korrigierte er sich selbst. Dann würde er alles tun, um Rache zu üben. Einen Pluspunkt hatte er noch: Sie hatten ihm bei seiner erneuten Festnahme zwar die Laserpistole abgenommen, aber nicht den Kristallschlüssel. Er wußte zwar nicht, wie viele Türen des Lagers man damit öffnen konnte, aber einige bestimmt. Zunächst einmal mußte er sich aber wieder befreien, bevor er es ausprobieren konnte; aber solange er lebte, gab es immer wieder eine Chance. Jacks Träume wurden vom automatischen Öffnen der Zellentür unterbrochen. »Fütterungszeit im Zoo?« Er machte sich nicht mal die Mühe, sich umzudrehen. »Jack…« Einige Sekunden lang fürchtete er hinzuschauen. So lange hatte er davon geträumt, diese süße Stimme zu hören, so daß er jetzt glaubte, noch zu schlafen. Das konnte nur wieder einer ihrer Horrortricks sein, die diese verdammten Visitors sich mit ihm ausgedacht hatten, ein Trugbild von Sabrina. Auf alles gefaßt, drehte er sich um.
Doch da stand Sabrina, und das sanfte Licht des Korridors umhüllte ihre schöne Gestalt. »Sabrina, bist du es wirklich?« »Ja, Dr. Morrow war damit einverstanden, daß ich dich einige Minuten sehen darf.« Er ging zu ihr, beugte sich vor und berührte versuchsweise ihre Wange. Sie war weich und warm, genauso wie er sie in Erinnerung hatte. Wie konnte ein Traumbild so vollkommen sein? »Haben sie dir in irgendeiner Weise weh getan?« fragte er. »Nein, sie haben mich wirklich gut behandelt, bestimmt.« »Es tut mir so leid, daß du mit ansehen mußtest, was mit T. J. geschah.« »Der Mann in der Arena… Gott, wie grauenhaft.« »Er war mein Freund.« Jack fühlte, daß ihm Tränen des Mitleids, aber auch der Enttäuschung und des Zorns aufstiegen. »Er hat mir geholfen, dich zu finden, als sie uns gefangennahmen.« »O Jack.« Sie hielt ihn fest und drückte seinen starken Körper an sich. »Es tut mir so leid.« Jack hätte sie jetzt am liebsten geliebt, und er spürte, daß auch sie es sich wünschte, aber sie wurden beobachtet. Niemals wieder würde er zulassen, daß Sabrina so eine Erniedrigung erleben mußte. Leidenschaftlich klammerte sie sich an ihn, als ob sie nicht wüßte, daß sie in einem Goldfischglas steckten. »Halt mich fest, Jack.« Sie liebkoste seinen Nacken. »Sie können uns nicht hören, wenn wir flüstern wie jetzt.« Und dann lauter: »Ich habe dich so vermißt.« Also wußte sie Bescheid. »Niemals hätte ich gedacht, daß ich dich wiedersehe, Baby«, und er küßte sie. »Du solltest Dr. Morrow dafür dankbar sein.«
Obwohl er wußte, daß das Theater war, wurde er allein bei dem Gedanken zutiefst wütend, diesem Monster etwas schuldig zu sein, das sie hier gefangenhielt und T. J. hatte töten lassen. Er sagte daher nichts, weil er genau wußte, daß seine Antwort jetzt nicht sehr überzeugend klingen würde. »Wir werden hier rauskommen«, flüsterte er ihr zu. »Auf irgendeine Art und Weise werden wir es schaffen!«
»Sind Sie sich da sicher, daß das hier in irgendeiner Weise hilfreich ist?« zischte Dr. Morrow. »Es scheint mir eher zu schaden. Falls sie… diesen Mann liebt, wird es ihr noch weniger gefallen, sich mit mir zu paaren.« Dr. Thorkel schaute ihn an. »Vertrauen Sie mir«, bat er und bewunderte insgeheim seine eigene Verstellungskunst. »Sie wird Ihnen dafür so dankbar sein, daß Sie sie um jeden Gefallen bitten können.« Morrow blieb stehen und betrachtete seinen menschlichen Assistenten irritiert. »Ist das typisch für menschliches Verhalten?« »Lesen Sie unsere Liebesromane. Schauen Sie sich Seifenopern an. Lesen Sie christliche Zeitungen.« »Dazu habe ich keine Zeit«, knurrte Morrow. Das weiß ich auch, dachte Thorkel, sonst hättest du längst gemerkt, daß ich lüge. Etwas unterschied Menschen und Visitors ganz wesentlich: die menschliche Eigenschaft, neue Einsichten zu gewinnen und sich weiterzuentwickeln. Nur weil Albert Thorkel bisher mit ihm kooperiert hatte, nahm Morrow an, daß er es auch in Zukunft immer tun würde. Er konnte sich gar nicht vorstellen, daß der Anblick eines so grauenhaften Experimentes, wie das in der Arena, die Meinung eines Mannes über die Visitors so drastisch verändern würde. Wissenschaft war das größte in Thorkels Leben, aber
wissenschaftlich das größte war für ihn ihr Dienst am Menschen. Er schätzte vieles, was er von den Visitors gelernt hatte, aber er verabscheute die grausame Anwendung ihres Wissens. Sie schienen der Meinung zu sein, daß menschliche Wesen gleichzusetzen wären mit Labortieren, allenfalls etwas höher. »Vertrauen Sie mir«, wiederholte er. »Ich vermute, ich habe keine andere Wahl«, beklagte sich Dr. Morrow und lehnte sich bedrohlich nach vorne. »Aber um sicher zu gehen, daß ich Ihnen immer noch vertrauen kann, möchte ich Ihnen etwas zeigen.« »Was?« fragte Dr. Thorkel. »Das werden Sie gleich sehen.« Morrow winkte ihm, er solle ihm durch die Tür folgen. »Jetzt machen wir erst mal einen kleinen Spaziergang.« Als er der Aufforderung nachkam, wußte Dr. Thorkel bereits, daß es ihm nicht gefallen würde, was er da gleich sehen müßte.
Kapitel 31
»Na, wie sieht’s da drinnen aus, Willie?« wollte Mike Donovan wissen und spähte in das schimmernde Herz des Shuttles. »Bescheiden«, stöhnte Willie, »sehr bescheiden.« Mike mußte lächeln, trotz der nervösen Spannung. »Du meinst, schlecht, Willie.« »Ja… schlecht. Diese kleinen Maschinen sind extrem kompliziert, aber ich werde es in kurzer Zeit geheilt haben.« »Repariert.« »Wie bitte?« Willies verdutzter Blick amüsierte Mike. »Du sagtest, daß du sie in kurzer Zeit ›geheilt‹ haben wirst, ich nehme an, du meinst ›repariert‹.« »Danke. Eines Tages werde ich die Kompliziertheit eurer Sprache auch noch meistern, hundertprozentig, aber es wird wohl noch dauern.« »Gut, aber jetzt haben wir keine Zeit mehr. Du kannst weiter am Shuttle arbeiten, wenn wir aus Florida wieder zurück sind.« »Wir müssen also jetzt los?« »Alle Waffen haben wir in ein anderes Shuttle verladen. Ham braucht uns sofort, aber wir müssen erst noch einen ganzen Kontinent überqueren.« »Ich wollte Ham und Chris damals gleich begleiten.« »Ich weiß, Willie«, Mike klopfte ihm auf die Schulter, als Willie aus dem Inneren herausgeklettert kam. »Aber er hielt es für besser, wenn er es allein mit Chris machen würde. Es scheint, als hätte er recht gehabt – bis zu einem gewissen Grad.« »Und den haben wir jetzt erreicht?«
»So ungefähr.« Sie überquerten den riesigen Raumschiffhafen und stiegen in ein kleines Raumschiff, um das Dutzende von Helfern, Menschen und Visitors, herumschwirrten. Die letzten Kisten wurden vom kaputten Shuttle herangeschleppt und verladen. An Bord wurden sie kurz von Julie und Elias begrüßt, die zunächst noch die Ladung begutachteten. Willie begann die Kommandokonsole durchzuchecken, während die letzten Kisten an Bord gehievt wurden. Das kleine Raumschiff war so vollgestopft, daß es kaum noch genug Platz für die vier Genossen gab. »Wie gut, daß wir jetzt die Antischwerkraftmaschinen haben«, grinste Julie. »Ein konventionelles Flugzeug würde mit so einer schweren Ladung gar nicht hochkommen.« »Wir haben auch noch ein paar Extras dabei«, schmunzelte Elias, »um das Ganze etwas pikanter zu machen.« »Laßt uns hoffen, daß wir rechtzeitig da sein werden, damit wir diese Extras auch noch einsetzen können.« Willie bewegte einen Hebel, und die Maschine fing an zu surren. Wenige Augenblicke später schwebten sie aus dem Shuttlehafen in die sternenklare kalifornische Nacht. Sobald sie genug Abstand zum Mutterschiff hatten, schossen sie davon.
Die Schnellübertragung war zu Ende. Der Führer hatte nicht nur dem Plan voll zugestimmt, die Sumpfbewohner zu überfallen, bevor sie eine Widerstandsbewegung gebildet hatten, er hatte sich sogar darüber gewundert, daß es noch nicht passiert war. Das bedeutete keine gute Akteneintragung für Medea. Ihre einzige Chance, wieder wettzumachen, was sie durch ihr Zögern verschuldet hatte, war die vollständige Vernichtung
jedes menschlichen Wesens, das von der Existenz der Visitors im Sumpf wußte. Das schien nicht so schwierig zu sein, wie es aussah, grübelte sie. Die einzige offizielle Person, die das Lager entdeckt hatte, war ein Offizier niedrigen Ranges gewesen, und der war liquidiert worden. Sein Begleiter wurde gefangengehalten, genauso die Frau, die er liebte. Früher oder später würde man entdecken, daß die Stadt – das Reservat, wie sie es nannten – vernichtet worden war, aber dann wäre es schon zu spät. Jeder andere in der Umgebung hätte wenig Chancen gegen die Visitors, wenn das Reservat vernichtet sein würde. Und dann könnte Dr. Morrow seine schöne Dr. Sabrina Fontaine an Bord des Mutterschiffes bringen. Etwas überraschte selbst Medea. Sabrina war es gelungen, selbst solch einen analytischen Geist wie den Dr. Morrows zu faszinieren. Sie mußte eine interessante Frau sein. Aber jetzt war nicht die Zeit für Mutmaßungen. Die Entscheidung über die Sumpfbewohner war definitiv gefallen. Ihre kleine Revolution würde schon im Keim erstickt werden. Ihre Hand fuhr über die Kommunikationskonsole. Einen Augenblick später schwebte Dr. Morrows Gesicht vor ihr – wie immer in seiner bärtigen menschlichen Verkleidung. »Der Führer stimmt mit mir überein, daß ihr die Sumpfbewohner angreifen sollt. Treffen Sie entsprechende Vorbereitungen, es muß sofort geschehen«, erklärte Medea. »Ausgezeichnet, Kommandant«, strahlte Morrow. »Ihr nehmt auch den Prototypen mit, um zu sehen, wie er sich auf einem Schlachtfeld verhält.« »Ja.« »Und wenn er sich draußen als effektiv erweist, dann werdet ihr sofort mit der Entwicklung einer Armee dieser Bastardkampfmaschinen beginnen.«
Dr. Morrow war so erfreut, daß er kaum sprechen konnte, und energisch nickte er mit dem Kopf vor Zustimmung. »Und in dieser Zeit werden Sie mit Ihrem Versuch beginnen, Dr. Sabrina Fontaine zu schwängern. Wir können die lächerlichen Erfindungen bekämpfen, mit denen uns die Menschen vertreiben wollen – es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir ein Antitoxin mit Dauerwirkung entwickelt haben. Und Ihnen, Doktor, gilt schon jetzt großer Dank für Ihre hervorragende Arbeit – aber wir können nichts machen, wenn sie die potentielle Macht des Starkindes Elizabeth für sich nutzen.« »Ich brenne darauf, beginnen zu können, Kommandant!« Dr. Morrow zitterte vor freudiger Erwartung. »Das möchte ich auch hoffen«, schnappte Medea, und sie beendete die Übertragung genauso abrupt, wie der Führer es vor wenigen Minuten mit ihrer Unterhaltung getan hatte. »Beginnen Sie sofort.«
Kapitel 32
»Wir müssen ohne die versprochenen Waffen aufbrechen«, erklärte Ham den Indianern und Sumpffreaks, als sich alle in der Dämmerung versammelt hatten. »Sie werden zwar bald hier sein, aber wir können nicht länger warten.« »Aber du hast gesagt, ohne diese Laser können wir sie nicht bekämpfen«, meinte ein graubärtiger Sumpffreak. »Wieso hast du deine Meinung geändert?« »Das habe ich nicht«, gab Ham zu. »Aber wir können sie überraschen. Ich habe mit Mike Donovan verabredet, wo wir sein werden, und sie haben Sensoren an Bord des Raumschiffes, die sie direkt zu dem Vernichtungslager führen können, wenn sie erst mal dort in der Nähe sind.« »Was soll uns das nützen, wenn sie uns bis dahin alle getötet haben?« »Ein Spruch der Infanterie des Zweiten Weltkrieges lautete: ›Sie können dich töten, aber sie können dich nicht fressen.‹ In unserem Fall machen sie beides. Wenn dir das also solche Angst macht, daß du nicht kämpfen kannst, dann mußt du hier bleiben.« Der Bärtige ließ betroffen den Kopf hängen, und Ham fuhr fort: »Alles, was wir tun können, ist beieinanderzubleiben, bis die Verstärkung mit den Waffen da ist. Ich kenne Mike Donovan gut, und ich bin mir ganz sicher, daß er dort sein wird. Mehr kann ich nicht sagen, um euch zu überzeugen. Wenn ihr glaubt, daß wir keine Chance haben, dann bleibt hier. Aber wenn wir erst einmal aufgebrochen sind, dann erschieße ich jeden persönlich, ob Mann oder Frau, der abzuhauen versucht. Das hier ist kein Spiel.«
Es gab Gemurmel und einige ängstliche Blicke in Richtung Graubart, und dann Rufe wie: »Wir halten zu dir!« »Dann los!« rief Ham. Hunderte von Leuten zerstreuten sich wie Nebel über dem Sumpf, verschwanden zwischen Bäumen und Zypressen, bis sie kaum noch wahrnehmbar waren, wie winzige Schatten im frühmorgendlichen Tau.
»Er wird langsam ungeduldig, Sabrina«, flüsterte Dr. Thorkel ihr zu und nahm einen Trinkbecher vom Plastiktablett. Dann posaunte er mit dröhnender Stimme: »Dr. Morrow wünscht, daß ich Ihnen ausrichte, wie gut wir mit der Arbeit vorankommen, und läßt fragen, ob Sie sich heute mit ihm treffen möchten.« »Ihn treffen? Wo?« Dr. Thorkel runzelte die Stirn. »In seinen oder Ihren Räumen, wie Sie möchten.« Sabrina sagte nichts. »Er hat mir etwas Furchtbares gezeigt«, murmelte Dr. Thorkel. Eigentlich hatte er das für sich behalten wollen, aber er konnte nicht. Es war einfach zu schrecklich. Jetzt war es noch ein weiterer Ansporn für Sabrina, Dr. Morrow hinzuhalten. Er sah ihre Reaktion und die Angst in ihren Augen, aber nur einen Augenblick lang. »Zu Dr. Morrows Vorschlag…«, begann er. Sabrina bemühte sich, nicht bedrückt zu scheinen. Sie mußte jetzt nachdenken, oder sie wären wieder am Ausgangspunkt. »Aber, uh, die Annäherungsphase der Werbung ist noch nicht vorbei, tatsächlich hat sie erst begonnen.« »Ja, ich weiß. Ich habe ihm das auch erklärt, aber ich weiß nicht, ob er… die Tiefe Ihrer Ansicht über… die traditionellen Paarungsrituale versteht.«
Sabrina nickte. Sie mußten Dr. Morrow noch etwas länger hinhalten, bis es eine Möglichkeit für sie alle drei gab, freizukommen. Vielleicht war es das beste, ihn erst einmal zu treffen und dann irgendwelche Entschuldigungen zu finden, die ihn noch etwas vertrösten würden. Die Idee mit der Annäherungsphase konnte sie auch nicht mehr lange hernehmen; sie mußte sich etwas völlig Neues ausdenken. »Sehr gut, ich möchte ihn etwas später am heutigen Tag treffen«, erklärte sie, »falls er nicht zu beschäftigt ist.« »Ich bin sicher, daß er Zeit für Sie haben wird«, erwiderte Dr. Thorkel, küßte sie auf die Wange und flüsterte: »Unglücklicherweise!« Er stellte den Becher zurück und ging zur Tür. Traurig schaute er sie noch einmal an, bevor sich die Tür schloß. Er hatte es gut gemeint, aber es schien nicht gut genug zu sein. Seine Bemühungen waren wohl alle etwas zu spät. Deprimiert ging er zurück in seine Räume. Sabrina zermarterte sich das Hirn, womit sie Dr. Morrow hinhalten konnte. Großer Gott, sie konnte nicht zulassen, daß er sie berührte, selbst um ihre eigene Haut zu retten. Aber es ging nicht um ihre Haut, erinnerte sie sich. Es ging um Jack. Jack… Nach dem, was Morrow über sie wußte, war Jack der einzige Mann in ihrem Leben, mit dem sie je intim gewesen war. Vielleicht konnte sie das einsetzen – und Morrows Unwissenheit über menschliche Gebräuche – nicht nur, um den Alien fernzuhalten, sondern auch, um Jack aus der Zelle herauszukriegen. »Not macht erfinderisch«, murmelte sie, »und diese Idee scheint sehr vielversprechend zu sein.«
Die beiden Wachen, namenlos wie die ganze Siriusbrut für militärische Zwecke, wollten nicht sterben. Seit ihrem
schicksalhaften Zusammentreffen mit Dr. Morrow hatten sie keinen Befehl mehr erhalten und warteten jetzt auf die letzte Mitteilung, die sie über die Form ihres Todes informieren würde. Ihr Quartier war zur Gefangenenzelle geworden. »Glaubst du, daß sie uns an das Monster verfüttern werden«, zischte der eine, »so wie sie es mit den Menschen machen?« »Ich weiß es nicht«, züngelte der andere. »Aber spielt das eine Rolle?« »Nein, ich vermute nicht.« Sein Kamerad war träge geworden, während sich der andere Todeskandidat die letzten Stunden noch etwas unterhalten wollte. »Ich glaube, sie sind froh, wenn es uns nicht mehr geben wird«, murmelte die zweite Wache. »Und sie werden alle Gene zerstören, die so etwas wie uns produzieren, um endgültig das Militär vor so unerwünschten Elementen wie uns zu schützen.« Ein Moskito schwirrte durch den kleinen Raum. Die Zunge der ersten Wache schnellte danach und erwischte ihn. Er schluckte den Leckerbissen, bevor er weitersprach. »Ja, aber irgend etwas daran ist gegen das Recht.« »Recht? Was hat das Recht damit zu tun? Wir haben ein unverzeihliches Verbrechen verübt, und deshalb sind wir zum Tode verurteilt worden. Das ist…« Die Tür glitt auf, und Dr. Morrow persönlich trat ein. Die beiden Wachen schwiegen, ihre Argumente hatten sie vergessen. »Ich weiß jetzt, auf welche Art und Weise ihr exekutiert werdet«, erklärte er. Sie warteten. »Ihr werdet in der Arena sterben«, informierte sie Dr. Morrow mit eisiger Stimme. »Nein«, rief Wache Nummer eins, »ihr werdet uns doch nicht dieser Bestie ausliefern!«
»Ganz im Gegenteil.« Seine menschliche Maske war unergründlich. »So wie ich es mir vorstelle, wird es viel amüsanter.« »Was denn?« fragte Wache zwei matt. »Ihr zwei werdet euch in der Arena gegenüberstehen.« Die beiden Wachen schauten einander an, als Dr. Morrow in ein nervöses Gelächter ausbrach, das sich fast menschlich anhörte, und hinausging.
Kapitel 33
Dr. Morrow hatte es großen Spaß gemacht, den beiden Wachen seine hinterhältigen Absichten über ihren Tod anzudeuten, jetzt wollte er Sabrina sehen. Das war wirklich ein guter Tag heute. Ihre Entscheidung, ihn endlich zu empfangen, begeisterte ihn. Die beiden ängstlichen Salamander würden während ihrer kleinen Feier zur Unterhaltung beitragen, bevor er sie befruchten würde. Entschlossen ging er zu ihrem Apartment. Dies war ein großer Augenblick für die Geschichte der Wissenschaft – und natürlich für die Geschichte seiner Rasse. Zunächst hatte er befürchtet, sie gewaltsam zwingen zu müssen, aber die Anwesenheit Jack Sterns im Lager hatte sie überzeugt, ihm entgegenzukommen. Und durch die Unterstützung Dr. Thorkels erwartete sie ihn sogar freudig, wie jemanden ihrer eigenen Rasse. Jetzt war er an ihrer Tür. Er steckte seinen Schlüssel hinein, wartete, bis sich die Tür öffnete, und trat ein. »Dr. Morrow.« Sabrina lächelte ihn an. »Bitte kommen Sie herein.« »Ja.« Die Tür schloß sich hinter ihm. »Vielen Dank.« Wieder lächelte sie. Sie unterdrückte einen Schauder, daß man bei diesen Kreaturen selbst hinter den menschlich getarnten Zähnen noch die Fangzähne erkennen konnte, wenn sie glücklich waren. »Darf ich Ihnen etwas anbieten?« »Nur… Wasser.« Er konnte ja schlecht in ihrer Gegenwart eine Ratte vertilgen. Außerdem hatte sie ja gar keine Nagetiere da.
Sie goß Eiswasser in einen Trinkbecher und stellte ihn auf den Tisch. »Möchten Sie sich nicht setzen?« Er setzte sich. »Ich habe Lust auf etwas Wein. Ich hoffe, das stört Sie nicht.« »Nein, natürlich nicht«, stotterte er. »Wenn es Ihnen hilft.« Als sie das Weinglas füllte, dachte Dr. Morrow daran, wie sehr die ganze Situation an das Fernsehen erinnerte. Solche Szenen hatte er oft während seines Trainings angeschaut, aber sie zu erleben, war doch etwas ganz anderes. Obwohl sein Herz heftig klopfte, machte ihm das alles ungeheuren Spaß. »Sie wissen bestimmt«, begann Sabrina, »daß Sie ein sehr attraktiver Mann sind.« Dr. Morrow fühlte sich durch das Kompliment geschmeichelt, andererseits verwirrten ihn ihre Worte ebensosehr, wie sie ihn erfreuten. Sie hatte ihn einen Mann genannt, aber sie würde ja wohl wissen, wie seine körperliche Erscheinung wirklich aussah. Sie hatte viele Sirianer im Lager gesehen; ohne Zweifel wußte sie auch, daß er eine Maske trug, so perfekt sie auch war. »Dr. Thorkel hat mit Ihnen darüber gesprochen?« Morrow fand das Wort peinlich und unangenehm. »Über das Liebemachen?« »Ja, das hat er.« Sie lehnte sich vor. Zum ersten Mal fiel Dr. Morrow auf, wie elegant ihre freifließende Kleidung war. Sie wirkte verführerisch. »Wir haben einen Mythos«, erzählte Sabrina, »über einen wunderschönen Garten und die beiden ersten Menschen auf der Welt. Sie sind unschuldig, bis eine Schlange sie besucht und zur Sünde anstiftet. Ich finde diese Idee sehr erotisch.« »Ah – faszinierend.« Das erklärte vieles. Dr. Morrow liebte Mythologien. »Auch wir haben eine Mythologie.« »Oh?«
»Ja. Es betraf meine Rasse am Anfang der Zeit. Eine Rasse affenartiger Kreaturen regierte damals unsere Welt, unterjochte unseren Stammesvater und stiftete Unmut und den Wunsch nach Vergeltung in ihren Herzen.« Befremdet starrte Sabrina ihn an. War das Verstehen, was in ihren Augen lag, oder verachtete sie es, wie er den Mythos beschrieben hatte. Sie waren so kompliziert, diese Säugetierkreaturen, so beeinflußbar durch primitive Wünsche und Aberglauben. Wenn sie nur etwas sagen würde, dann hätte er einen Anhaltspunkt, wie sie seine Worte aufgenommen hatte. »Das ist eine wunderbare Geschichte«, sagte sie schließlich, »aber jetzt wollen wir über uns sprechen.« »Über das Freien meinen Sie?« »Uh-hunh, und über mehr als das.« Dr. Morrow war so aufgeregt, daß er sich kaum beherrschen konnte. »Die Annäherungspunkte haben wir jetzt hinter uns«, erklärte sie. »Jetzt kommt die Vereinigungsphase.« »Die Vereinigungsphase?« Das war wirklich kompliziert. »Bitte erklären Sie mir das.« »Sie müssen mit der körperlichen Annäherung beginnen«, hauchte Sabrina verführerisch und lehnte sich dichter an ihn. »Die… körperliche Annäherung?« Worüber sprach sie denn? »Das wissen Sie nicht? Oh, Dr. Morrow, Sie waren zu nachlässig mit dem Studium der menschlichen Verhaltensweisen!« »Zugegeben, ich war völlig mit anderen Dingen beschäftigt.« »Wurde Ihnen während Ihres Trainings nicht erzählt, daß eine Frau nur durch ihren früheren Liebhaber auf ihren neuen Partner vorbereitet werden kann?« »Was? Nein, ich glaube, davon haben sie mir nichts erzählt.«
»Das wird für uns alle drei eine wundervolle Erfahrung sein«, seufzte Sabrina. »Uns… drei?« »Natürlich.« Sie lächelte charmant. »Sie, ich – und Jack.« Einen Moment lang glaubte Dr. Morrow seinen Ohren nicht zu trauen. Endlich murmelte er: »Jack…« »Natürlich.« Sie nickte. »Sie denken doch nicht etwa, ich könne ohne dieses Zwischenstadium von einem Mann auf den nächsten wechseln, oder?« »Nein, das erwarte ich nicht.« Er mußte alles tun, damit das Experiment erfolgreich sein würde. »Wunderbar!« Begeistert stieß Sabrina mit ihrem Weinglas gegen Dr. Morrows Trinkbecher. »Auf uns!«
Kapitel 34
»Da ist es«, meinte Ham. »Ja, Sir.« Vorsichtig teilte Chris die Farnkräuter, um besser sehen zu können. »Sieh mal, da sind Hologramme. Kein Wunder, daß es bisher keiner aus der Luft entdecken konnte.« Sie schlichen zurück, um die anderen zu treffen. Während sie sich unterhielten, versuchte Ham eine Strategie zu entwickeln. »Ich glaube, es ist besser, bis zur Dunkelheit zu warten«, erklärte er, »obwohl die Lizards im Dunkeln besser sehen.« »Na ja, wir haben ja die Leuchtkugeln. Sie werden ganz schön geblendet sein, wenn wir diese Dinger loslassen.« »Sie rechnen nicht mit uns heute nacht, aber sie wissen, daß wir von ihrem Lager erfahren haben. Es würde mich nicht wundern, wenn sie selbst einen Angriff auf uns geplant hätten.« »Hat was für sich«, stimmte Chris zu. »Bleibt uns nur zu hoffen, daß sie gerade jetzt noch nicht ahnen, daß wir zwei in ihrer Nähe sind, Partner.« »Wie sollten sie, außer sie hätten einen Spion ins Reservat eingeschleust.« »Keine der vermißten Personen ist jemals wieder aufgetaucht, also können wir in diesem Punkt sicher sein«, meinte Ham. Chris grinste, während sie weiterliefen. Geschützt durch dichten Pflanzenwuchs, so daß man weder etwas sehen noch hören konnte, hatten ihre Leute ungefähr eine Meile vom Lager entfernt ein Camp errichtet. Sie fällten Bäume, befreiten sie vom Astwerk und nagelten Äste darüber als Hand- und Fußtritte. Mit ihnen wollten sie die Mauern der Visitorgebäude
überwinden und hofften, daß genug von ihnen auf die andere Seite gelangen würden, um die Tore zu öffnen. »Das wird ja ein Kampf wie ihn unsere Vorväter geführt haben«, freute sich Ham. »Jetzt können wir nur noch hoffen, daß die Kavallerie rechtzeitig eintrifft.« Chris und Ham hatten als einzige das Gelände ausgekundschaftet, und zwar aus drei Gründen: Sie waren beide Scharfschützen, sie hatten als einzige Laserpistolen, und außerdem hatten sie schon öfter gegen Visitors gekämpft. Doch jetzt hatten sie schon lange keinen Visitor mehr gesehen oder irgendein Anzeichen von ihnen, und es dauerte noch Stunden bis zur Dunkelheit. »Nun komm schon, Donovan!« Ham schaute hinauf in den hellen Himmel. »Komm endlich.«
Sie waren irgendwo über Texas, als Mike Donovan fragte: »Willie, kannst du dieses Ding nicht etwas schneller fliegen lassen?« »Nein«, meinte Willie. »Wenn du mit Höchstgeschwindigkeit fliegen willst, mußt du schon das Mutterschiff benutzen. Shuttles sind nur für interplanetarische Reisen konkretisiert und daher geschwindigkeitsmäßig begrenzt.« »Konstruiert«, verbesserte Mike und klopfte auf eine Kiste. »Wie bitte?« »Konstruiert. Du sagtest ›konkretisiert‹, und ich glaube, du meintest ›konstruiert‹.« »Danke, Mike.« »Warum haben wir bloß nicht das Mutterschiff genommen?« fragte Elias. »Wir hätten längst in Florida sein können.« »Das hätten wir nicht riskieren können«, erklärte Julie. »Etwas so Großes wie das Mutterschiff wäre sofort von den Visitors entdeckt worden. Nach der Geschwindigkeit, mit der
es sich bewegt, hätten sie sofort feststellen können, was es ist, und früher erkennen können. Nur so wie jetzt können wir uns an sie anschleichen.« »Wenn wir sie nur finden«, fügte Mike hinzu, »und auch noch rechtzeitig.« Er beobachtete den Bildschirm und sah, wie die Ebenen von Texas unter ihnen dahinschossen. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte er gedacht, sie flögen mit Höchstgeschwindigkeit. Aber heute kam es ihm vor, als ob sie so langsam reisen würden wie der Tod persönlich. »Sie kommen jetzt sofort mit uns mit«, kommandierte der Wachmann. Jack dachte daran, auf ihn draufzuspringen, aber die Laserpistole stieß ihm direkt an die Wange. So hatte er keine Chance. Das war’s dann wohl. Er hatte keine andere Wahl, als zu tun, was sie von ihm verlangten. Während sie aus der Zelle gingen, überlegte er, was wohl mit Sabrina passiert sein mochte. Dr. Morrow mußte endlich verstanden haben, wer er wirklich war und wie er zu ihr stand. Ob er sie dafür bestraft hatte, oder würde er ihn gegen sie einsetzen? Oder plante er etwas noch Furchtbareres? Auf dem Korridor waren noch zwei Wachen mehr, so daß er jetzt keine Chance hatte, abzuhauen. Drei Laser waren einfach zuviel, vor allem jetzt, wo die Wachen extrem vorsichtig waren. Sie stießen ihn heftig zum Zentrum des Lagers. Einige Augenblicke später standen sie vor einer Tür. Einer der Wachen steckte einen Kristallschlüssel in ein Loch neben der Tür. Die Tür öffnete sich. Sie traten in einen schwach beleuchteten Raum. Kerzenlicht. Jack blinzelte und versuchte, etwas zu erkennen. Ein Mann saß
dort auf einem Stuhl in einem weißen Jackett, bärtig, mit silbern schimmerndem Haar. Dr. Morrow. Gegenüber von Dr. Morrow saß eine Frau, die an einem Weinglas nippte und in ein hauchdünnes Nachtgewand gekleidet war. Es war Sabrina. »Laßt uns allein«, befahl Dr. Morrow den Wachen. Sie gehorchten. Als sie allein waren, begann Sabrina zu sprechen. »Hallo Jack«, begrüßte sie ihn. »Sabrina – was soll das alles hier bedeuten?« wollte Jack wissen, unsicher, was er jetzt machen sollte. »Wir werden uns jetzt lieben, Jack«, erklärte ihm Sabrina, so als hätte sie ihm mitzuteilen, wie die Speisekarte aussehe. »Was soll das heißen, ›wir‹?« fragte Jack. »Du und ich – und Dr. Morrow.«
Kapitel 35
»Natürlich verstehst du, Liebling«, betonte Sabrina. »Du und ich werden beginnen, und dann wird Dr. Morrow weitermachen, wie es der Brauch ist.« Der Brauch? Worüber sprach sie nur? Hatten sie etwas mit ihrem Gehirn gemacht? Konvertierung? Oder bluffte sie und wollte mit einem neuen Plan Zeit gewinnen? Wenn das letztere der Fall sein sollte, wollte er es nicht kaputtmachen. »Ja, natürlich«, gab er endlich zu verstehen. »Möchten Sie auch etwas Wein, Mr. Stern?« fragte Dr. Morrow höflich. »Ich weiß, daß das zum Brauch dazugehört.« »Ja, ich würde gern auch ein Glas trinken. Danke.« »Diese beiden Weingläser habe ich in meinem Gepäck mitgebracht. Und eine Flasche Rothschild ‘79.« Sie goß ihm ein Glas schäumenden Wein ein. Jack nahm das Glas und trank es in einem Zug aus. Es wärmte ihn und half ihm, klarer zu verfolgen, was Sabrina da für ein Schauspiel inszenierte. Er hatte keine Ahnung, was sie Dr. Morrow über menschliche Verhaltensweisen erzählt haben mochte. Er ahnte aber, daß es besser war, nichts zu sagen und sie reden zu lassen. »Zunächst wird Jack Ihnen zeigen, wie man küßt«, erklärte Sabrina. »Komm her, Jack.« Er stellte das Glas ab und ging um den Tisch herum. Dort beugte er sich zu ihr herunter und küßte sie leidenschaftlich. »Wenn du soweit bist«, flüsterte sie ihm ins Ohr, als sie ihn liebkoste, »schlag ihn nieder.«
»Werden wir jetzt ins Bett gehen?« fragte Dr. Morrow. »Nicht so schnell«, hielt Sabrina ihn hin. »Das richtige Liebesspiel braucht Zeit und Geduld. Und ich bin sicher, daß Sie als Wissenschaftler diese beiden Eigenschaften sehr gut verstehen.« Jack stand hinter Sabrinas Stuhl, streichelte ihre Schultern und küßte ihren weichen Nacken. Oh Gott, wie sehr hatte er sie vermißt. Aber er mußte sich jetzt beherrschen. »Möchten Sie es jetzt auch einmal versuchen, Dr. Morrow?« wollte Sabrina wissen. »Das, was er gerade mit Ihnen gemacht hat, meinen Sie?« fragte Morrow begierig. »Ja, das möchte ich.« »Dann kommen Sie«, und Sabrina deutete ihm an, zu ihnen herüberzukommen. Dr. Morrow erhob sich laut aus seinem Stuhl und trat neben Jack. »Sie haben gesehen, wie er es gemacht hat, Doktor«, erklärte Sabrina. »Machen Sie es jetzt genauso.« Sie spürte seine Hände auf ihrem Nacken, kaum zu unterscheiden von denen eines Menschen. Und dennoch war er kein Mensch. Er trug nur eine menschliche Verkleidung, und er haßte Menschen, wie so viele seiner Rasse, vielleicht aufgrund ihres alten Mythos’. »Das fühlt sich gut an«, lobte sie ihn. Dr. Morrow rieb ihre Schultern immer mehr, und vergaß Jacks Gegenwart dabei völlig. »Und jetzt der Kuß?« fragte er und brannte vor Begierde. Jacks Hände schossen vor und preßten Dr. Morrows Kehle im Würgegriff zu. Morrow rang nach Luft, während Jack immer fester zudrückte. Sabrina sprang vom Tisch auf und schrie, als die Wachen hereinstürzten. »Er wird sterben, wenn ihr nicht dort stehenbleibt, wo ihr seid.«
Die Wachen zögerten. »Ihr Narren«, stieß Morrow unter Würgen hervor, »tötet sie.« Jack drückte ihm die Luftröhre noch fester zu. Unfähig zu atmen, krümmte sich Dr. Morrow hilflos in Jacks kräftigen Armen. »Wenn ihr auf uns schießt«, drohte Jack, »reiß’ ich ihm den Kopf ab.« Etwas übertrieben, dachte er selbst, aber er vermutete, daß sie wenig über die wirkliche Stärke menschlicher Kräfte wußten. Sie sahen, daß Dr. Morrow in großen Schwierigkeiten war, und das schien zu genügen. »Zieht euch zurück«, befahl Jack den Wachen. Sie wichen zurück und bewegten sich in Richtung auf die Tür. Erleichtert lockerte Jack den Griff etwas. »Nimm ihre Waffen an dich, Sabrina«, rief er ihr zu. Sabrina lief vor, als Jack plötzlich einen reißenden Schmerz in seinem Unterarm spürte. Dr. Morrow biß ihn, seine messerscharfen Zähne hatten seine menschliche Maske zerrissen. Jack versuchte, ihn weiter festzuhalten, aber der Schmerz war zu stark. Dr. Morrow konnte sich aus seinem Griff befreien. Aber bevor Morrow sich ihm ganz entzogen hatte, erwischte Jack ihn noch bei seinen Haaren. Jeder Mensch wäre jetzt gestürzt, aber nicht Dr. Morrow. Statt dessen riß seine Kopfhaut auf, und man sah die grünen Schuppen, die sich unter der weißen, menschlichen Maske verbargen. Dr. Morrow lief los und ließ Jack mit dem Skalp in den Händen zurück. Mit wenigen Schritten stand er zwischen den beiden Wachen und riß sich auch noch die restliche Maske herunter. »Schau dir das Ding an, das mit dir Liebe machen wollte«, keuchte Jack angeekelt. Dr. Morrows gelbe Augen funkelten.
»Dafür werdet ihr bezahlen!« brüllte er. »Ihr beide!« Sabrina stand neben Jack, ihre Hand umfaßte seine. »Wie rührend ihr beide ausschaut«, spottete Morrow, der seine Fassung langsam zurückgewann. »Zum Schluß wieder vereint.« »Sie können uns vernichten, Dr. Morrow«, erklärte Jack. »Aber unsere Gefühle füreinander können Sie nicht zerstören.« »Dann werde ich Ihnen Gelegenheit geben, Ihre Gefühle zu zeigen, Mr. Stern«, zischte Morrow. »Bringt sie in die Arena.« Jacks Herz verkrampfte sich. »Nein, bringt Sabrina da nicht hin. Sie wußte nicht, daß ich so handeln würde. Nehmt mich, aber nicht sie.« »Ruhe!« brüllte Morrow. Er wandte sich seinen Wachen zu. »In die Arena!«
Kapitel 36
Die beiden verurteilten Wachen wurden durch Stiefeltritte unsanft aus ihren Träumen geweckt. Seltsame Träume von Freiheit hatte Wache Nummer eins, und Wache Nummer zwei Alpträume vom Sterben. Die Einzelheiten ihrer jeweiligen Träume lösten sich auf, und übrig blieb bei jedem die entsprechende Stimmung, während man sie zwang, aufzustehen und durch das Lager zu marschieren. »Wohin bringt ihr uns?« fragte Wache Nummer eins. »Sie führen uns in den Tod«, antwortete Wache Nummer zwei, als keine der Wachen sich zu einer Antwort herabließ. Der erste Visitor schwieg, während sie einen Gang langgestoßen wurden und durch eine Tür in die Arena kamen. Sie war voller Zuschauer, die bis oben hinauf an den Wänden saßen. Sie zischten und wollten Blut sehen – mein Blut, dachte er, und das Blut meines todgeweihten Freundes. In seiner Spezialloge an der gegenüberliegenden Wand saß Dr. Morrow. Die Wachen stießen die beiden Todeskandidaten in seine Richtung. Helles Licht blendete sie. Dr. Morrow war ohne seine menschliche Verkleidung und trug eine rote Anzugjacke. Als er seine rechte Klaue hob, wurde die Menge sofort ruhig. »Ihr werdet heute nacht ein noch nie dagewesenes Schauspiel erleben«, dröhnte er, und seine harsche Stimme echote durch die schweigende Arena. »Aber zunächst etwas Amüsement.« Ein Gemurmel entstand in der Menge, die Vorfreude auf die versprochene Unterhaltung. »Diese beiden Feiglinge hier vor euch, die vor einem Kampf gegen Menschen davonrannten, werden jetzt die Gelegenheit
erhalten, sich zu retten. Sie erhalten primitive Waffen und kämpfen solange, bis einer von ihnen tot ist.« Die Menge brüllte Beifall. Nochmals hob Dr. Morrow die Hand und bat um Ruhe. »Der Sieger wird zum Heimatplaneten zurückgeschickt, aber mit Schande beladen, um dort ein Leben der Schinderei und Achtung führen zu müssen.« Die Menge johlte und pfiff vor Gier auf das Ereignis. Die Lichter, die die beiden anstrahlten, wurden abgedunkelt, so daß sie nur so schwach wie Mondlicht waren. Kaum hatten sich die Augen der beiden erholt, so daß sie jetzt alles erkennen konnten, erschien eine Wache, die zwei lange Degen mit gezackten Klingen trug. Diese wurden den beiden Gladiatoren überreicht. Sie standen beide da und hoben die schweren Waffen ein wenig über den dreckigen Boden, während die Menge sie laut anfeuerte, endlich mit dem Kampf zu beginnen. Ein blauer Laserschuß brannte Wache Nummer zwei beinahe einen Zeh weg. Er sprang vor, hob aber immer noch nicht den Degen. Der nächste Strahl ließ Nummer eins hochspringen. »Wenn ihr nicht versucht, euch gegenseitig zu töten«, versicherte ihnen Dr. Morrow von seiner Loge aus, »werde ich meine Wachen veranlassen, euch niederzumetzeln. Also macht keinen Fehler.« »Wir müssen versuchen zu kämpfen«, murmelte Wache Nummer eins, »so daß wenigstens einer von uns überlebt.« Die Vorstellung, seinen Freund töten zu müssen, war furchtbar, aber Nummer zwei mußte zustimmen. Sie waren beide in demselben Laboratorium geschaffen worden und hatten einen gemeinsamen Vertrag unterzeichnet. Jetzt waren sie es einander schuldig, diese blutige Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.
Sie begannen einander zu umkreisen, immer wieder, auf die Gelegenheit wartend, anfangen zu können. Beide glaubten, ihren Traum noch mal zu erleben. Der eine von ihnen sah die Chance zu leben, der andere nichts als den Tod. Wache Nummer eins schwang den Degen. Er zischte durch die Luft und verfehlte seinen Gegner nur um einige Zentimeter. Viele in der Menge brüllten auf, während einige über den offensichtlich halbherzigen Angriff nur glucksten. Wache Nummer zwei holte als Antwort weit aus, und die Menge reagierte etwas enthusiastischer, obwohl in ihren Schreien Unzufriedenheit über die bis jetzt schwachen Anstrengungen der beiden Kämpfer mitschwang. Wieder umkreisten sie einander und ließen gelegentlich ihre Degen durch die Luft wirbeln, während die Menge immer unruhiger wurde. Dr. Morrow befahl einer Wache, erneut mit dem Laser auf ihre Füße zu schießen, um das Ganze etwas anzuheizen. »Wenn nicht einer von euch hier stirbt, werdet ihr beide den langsamsten und qualvollsten Tod sterben, den ihr euch vorstellen könnt.« Die Energiestrahlen brannten unter ihren Fußsohlen, und die beiden Freunde wußten, daß sie kämpfen mußten, als ob es ihnen damit ernst wäre. Plötzlich sah Nummer eins den Degen seines Gegners aufblitzen und spürte einen brennenden Schmerz in einem Schnitt in seiner Schulter. Er legte eine Klaue auf die Wunde und spürte, wie grüner Schleim herausquoll. Geschockt und wütend griff er seinen Freund an, ohne an die Konsequenzen zu denken. Sein Degen schwang zur Seite, als ihm plötzlich klar wurde, daß er eine schutzlose Zielscheibe bot. Mit einem einzigen Schlag konnte ihn sein Gegner vernichten.
Seltsamerweise tat Nummer zwei das nicht. Statt dessen schwang er den Degen hoch über seinen Kopf und zögerte, und indem er die Arme weiter obenhielt, erlaubte er seinem Freund, seinen Körper ungeschützt anzugreifen. Nummer eins schloß die Augen und erledigte ihn mit einem einzigen Schlag. Die Menge tobte, ihre Blutrünstigkeit war durch dieses sinnlose Töten erwacht. Der einsame Kämpfer stand über den Körper seines Freundes gebeugt und hätte sie alle am liebsten umgebracht. Sein Freund hatte sich widerstandslos töten lassen, und so jedem von ihnen beiden den Traum erfüllt. Traurig ließ er sich von den Wachen aus der Arena führen, wo alles für das nächste Ereignis vorbereitet wurde.
Kapitel 37
»Laßt den Toten dort liegen«, kommandierte Dr. Morrow. »Und bringt die Akteure für unser nächstes kleines Drama herein.« Die Tür am anderen Ende der Arena öffnete sich langsam, und zwei Menschen wurden hereingestoßen: Jack und Sabrina. Ein halbes Dutzend bewaffneter Wachen folgte Jack und hielt die Laser permanent auf ihn gerichtet. Sie zwangen ihn und Sabrina in die Mitte der Arena zu gehen, wo sie stehenblieben und warteten auf… Jack hörte ein knirschendes Geräusch unter seinen Füßen, begleitet von einem Schleier aufwirbelnden Staubs. Er sah, wie sich ein Loch im Arenaboden öffnete, und eine dicke Staubwolke stieg in die nächtliche feuchte Luft auf. Dr. Morrow gab einen Befehl in der Visitorsprache, und die Wachen drängten Sabrina von Jack weg. Man brachte sie zu einem Pfahl und fesselte sie mit roten Stricken. »Jack«, wimmerte sie. »Was haben sie mit mir vor?« Er wünschte, zu ihr gehen zu können, aber vier Waffen waren auf ihn gerichtet. Er stand da und mußte mit ansehen, wie zwei Wachen sie festbanden. Er wünschte, sie nur für ein paar Sekunden unter seine Fäuste zu bekommen. Und er schwor sich, wenn Dr. Morrow von seiner Liege herunterkommen sollte, würde er diesen Sadisten mit seinen bloßen Händen in Stücke reißen, Laser hin oder her. Kaum hatten sie Sabrina sicher gefesselt, kamen sie zurück zu Jack und richteten wieder die Waffen auf ihn. Die Menge wurde augenblicklich ruhig, als Dr. Morrow sich an sie wandte.
»Meine verehrten Freunde«, begann er. »Ihr habt lange und treu im Dienste unserer Sache gearbeitet. Morgen werden wir die Ortsbewohner hier im Sumpf angreifen, und wir werden sie alle restlos vernichten, so daß nie mehr ein Gerücht über unsere Anwesenheit hier ihre schlechtorganisierten Regierungen erreichen kann.« »Aber heute nacht, als Vorgeschmack auf die Freude, die uns morgen erwartet, werden wir uns an einem Schauspiel erfreuen können, wie es keiner von euch vorher jemals erlebt hat. Die Paarung einer menschlichen Frau, eines Mannes und…« Mit einer Klaue deutete Dr. Morrow auf die gegenüberliegende Wand, und eine Tür im Boden öffnete sich. Jack beobachtete alles genau, und seine Hoffnungen schwanden, als der krallenartige Fuß des Prototypen sichtbar wurde, gefolgt von seinen schuppigen baumstammgroßen Beinen, seinem gepanzerten Rumpf und schließlich seiner abscheulichen Fangzahnschnauze. »Wenn Mr. Stern so grausam ist, die arme Bestie zu töten«, erläuterte Dr. Morrow, »dann sind er und Dr. Fontaine frei. Aber wenn die Bestie sie töten sollte…« Absichtlich beendete er den Satz nicht. Die Menge, die zunächst darauf gewartet hatte, daß er weitersprechen würde, begriff langsam den Witz. Ihr Beifall brandete auf wie eine Flutwelle. So, dachte Jack, weil das Tête-à-tête zu dritt nicht gelungen ist, plante er jetzt mit dieser grotesken Karikatur den Akt, den er mit Sabrina hatte vollziehen wollen. Das also war seine Rache. Aber anstelle von Dr. Morrow war jetzt der Prototyp, und da gab es kein Erbarmen. Der gigantische Reptilienmann trat aus dem Schatten, und bewegte sich zunächst langsam. Seine riesige Gestalt wirkte so, als ob sie zur Trägheit gezwungen wäre, aber Jack hatte ihn
schon mal erlebt. Kein Mensch konnte sich so schnell bewegen. Er mußte ihn überlisten, wenn Sabrina und er überhaupt eine Chance haben sollten. Die Augen unablässig auf das Monster gerichtet, ging er langsam zur nächsten Wand. Der Reptilienmann hörte auf, sich zu bewegen, seine kleinen glänzenden Augen wanderten von Jack zu Sabrina und wieder zurück. »Hey, du!« rief ihm Jack zu. Das Monster drehte ihm den Kopf zu. »So ist es richtig«, brüllte Jack angriffslustig. »Ich rede mit dir, du häßlicher Bastard.« Die Menge war wegen seines unerwarteten Verhaltens ruhig geworden. Sie spürte, daß sie einen spannenderen Kampf sehen würde, als sie erwartet hatte. Der Prototyp schien über Jacks Hetzreden verwirrt zu sein. Nach einigen Sekunden jedoch entschied er, daß das Ganze bedeutungslos sei, und wandte sich Sabrina zu, die sich gequält an dem Pfahl krümmte. Als Jack merkte, daß ihm die Aufmerksamkeit entzogen wurde, blickte er sich verzweifelt um. Er griff nach einem Klumpen Schlamm und warf ihn gegen das Monster. Der Klumpen prallte an dessen gepanzertem Schädel ab. Es war zwar nur eine leichte Berührung, aber Jack war sich sicher, daß es ausreichte, um ihn von Sabrina abzulenken, und wenn auch nur für einen Moment. »Sabrina«, schrie er, »steh still. Durch deine Bewegungen machst du ihn nur auf dich aufmerksam.« Sabrina war zu Tode erschrocken und versuchte wimmernd, sich selbst zu befreien. Trotzdem bemühte sie sich, sich so zu verhalten, wie Jack es ihr zurief. Sie atmete tief ein und zwang mit enormer Willensanstrengung jeden Muskel ihres Körpers, sich zu beruhigen.
»Komm schon, großer Junge«, brüllte Jack, »hierher!« Er sprang hin und her und schwang seine Arme. »Bist du ein Hasenfuß?« Der Reptilienmann stand da und sah ihn an, sein Schwanz wedelte zornig im Staub. Sein mißgestalteter Kopf fiel zurück, und er stieß einen markerschütternden, nichtmenschlichen Klagelaut aus. Jack drückte seinen Rücken gegen die Wand. »Komm her, du häßliche Echse!« Das Monster stürmte ihm entgegen.
Kapitel 38
Jack wirbelte herum und schrammte mit einem Arm gegen die Wand, während er sich blitzschnell zwischen die Beine des Monsters duckte. Der Bestienmann knallte mit dem Kopf voran gegen die Wand. Ein gewaltiges Crack tönte durch die Arena. Taumelnd schaute das Monster auf den Boden, um dort die Überreste seines Gegners zu entdecken, bis es merkte, daß es ausgetrickst worden war. »Sehr gut!« rief Dr. Morrow aus seiner Loge. »Wirklich sehr clever, Mr. Stern. Aber Sie haben bisher nur erreicht, daß die Bestie noch wütender geworden ist.« Jack versuchte nicht hinzuhören. Er tanzte vor dem wütenden Monster auf und ab, verspottete es, und forderte es heraus, ihm zu folgen. »Sie haben schon einmal gesehen, wieviel Kraft es hat«, rief ihm Morrow zu, »und Sie wissen auch, daß es durch Schußwaffen unverwundbar ist.« Der kräftige und geschmeidige Schwanz des Monsters schnellte vor und zurück wie eine Peitsche, während Jack weiter vor ihm hin- und hersprang. »Aber Sie wissen noch nicht, daß wir die Absicht haben, eine ganze Armee dieser kampfsüchtigen Bestienmänner zu produzieren. Stellen Sie sich das einmal vor, wie sie alle aus dem Sumpf auftauchen, die Menschen töten und terrorisieren und euch von unten demoralisieren, während wir euch mit unseren Schiffen von oben angreifen.« Dr. Morrows fußgroße
Zunge schoß voller Begeisterung aus seinem Maul, als er sich ausmalte, wie süß seine Rache sein würde. Das Monster öffnete seinen Rachen, tief wie eine Höhle, röhrte einen grauenhaften nichtmenschlichen Kriegsschrei. Dabei stürzte es erneut auf Jack zu. Jack stand furchtlos da und beobachtete das Monster, das sich bedrohlich vor ihm aufbaute. »Jack!« schrie Sabrina. Sie fühlte sich unfähig, länger ruhig zu bleiben. »Paß auf!« Er wartete, bis der Schatten des Monsters über ihm war, erst dann bewegte er sich. Er warf sich seitlich nach vorn und rollte sich im Staub. Er hörte das Monster zischen, als es versuchte, seine Wucht nach vorn abzubremsen. Aber dazu war es zu spät. Durch Jacks Rolle wurde es aus dem Gleichgewicht geworfen. Sein Klauenfuß stieß gegen Jacks Schulter, und er fürchtete, daß der gewaltige Körper der Bestie auf ihn fallen und ihn töten würde. Jack rollte sich weiter über den Boden, trotz der Schmerzen in seiner verletzten Schulter. Der Schwanz des Monsters traf seinen Kopf und betäubte ihn. Er gab auf, lag ganz flach auf dem Rücken im Staub und hielt sich die Schulter. Die Lichter der Arena tanzten um ihn herum, und er wartete darauf, daß das Monster fiel. In den wenigen Sekunden, seit er vor der auf ihn losstürmenden Bestie hin und her gesprungen war, hatte er völlig die Orientierung verloren. Er war sich sicher, daß es jetzt auf ihn fallen und ihn töten würde. Ein gewaltiger Knall erschütterte die Erde. Obwohl er schon fast bewußtlos war, fragte sich Jack, was dafür die Ursache sein könnte. Ein Erdbeben? Nein, unmöglich in diesem Teil der Welt. Obwohl es ihn ungeheuer schmerzte, gelang es ihm, sich hinzuknien. Und dann sah er das Monster auf dem Rücken
liegen. Wie eine Bowlingkugel war es herumgewirbelt und jetzt lag es da, hilflos wie ein neugeborenes Baby. Jack faßte sich an die Schulter und fühlte, wie ihm warmes Blut durch die Finger floß. Langsam ging er von dem gefallenen Koloß fort. Undeutlich nahm er die kreischende Menge wahr. Erst als er aufsah, bemerkte er wieder Dr. Morrow, der finster zu ihm herunterschaute. »Ihnen muß noch was Besseres als das einfallen«, schrie Jack zu ihm rauf, »wenn Sie die Menschen wirklich ausrotten wollen.« Dr. Morrow schnaubte vor Wut und winkte seinen Wachen zu, seiner Neuschöpfung auf die unsicheren Füße zu helfen. Vier von ihnen sprangen in die Arena, um ihm zu helfen. Als es ihnen kaum gelungen war, es hochzuhieven, wedelte das Monster wütend mit den Armen, und die vier Wachen fielen taumelnd in den Staub. Wieder brüllte die Menge vor Vergnügen über das Schauspiel. Das Monster wälzte sich endgültig hoch und stand, es warf seinen Saurierkopf zurück und brüllte wieder. Dieses Mal bewegte es sich vorsichtig im Kreis, so wie es das bei Jack gesehen hatte. Ein zweites Mal würde es sich kaum überraschen lassen. Der fremde, menschliche Gesichtsausdruck verriet, daß es sich offensichtlich bemühte, seinen Gegner abzuschätzen. Wenn ich nur ein Gewehr hätte, dachte Jack, aber dann erinnerte er sich fröstelnd, wie es T. J. ergangen war. Seine einzige Chance war, dafür zu sorgen, daß es seine Kräfte verausgabte, und es dann auszutricksen. Aber er war sich nicht sicher, wie lange er selbst das durchstehen würde. Plötzlich rannte das Monster direkt auf ihn zu, jeder seiner schweren Fußtritte wirbelte kleine Staubstürme auf, und sein
Schwanz war hoch aufgerichtet wie bei einer Kobra im Angriff. Jack sank der Mut, als er erkannte, wie nahe es an ihn herankam. Diesmal würde es nicht stolpern. Als es fast über ihm war, machte er drei schnelle kleine Schritte und sprang, so hoch er konnte, und landete schließlich hart auf dem Rücken des Monsters, an dem Punkt, wo das Rückgrat in den Schwanz überging. Das Monster heulte vor Schmerz und Enttäuschung laut auf. Jack stieß sich mit den Füßen ab und landete einige Meter hinter ihm. Die Menge traute kaum ihren Augen. Die Zuschauer kreischten und johlten und zischten. Der Tumult schien auch das Monster zu verwirren. Jack fing an, wieder mehr an Selbstsicherheit zu gewinnen. Er erkannte, daß der Prototyp zwar über gewaltige körperliche Kräfte verfügte, aber noch sehr unerfahren war. Schließlich war er alles in allem nur ein paar Tage alt. Sein erster Gegner war ziemlich schnell in seinem zähneknirschenden Rachen gelandet, und daher erwartete er mit Jack nicht viel Ärger. Wenn er ihn weiter über seine nächsten Schritte im unklaren lassen konnte, hätte er eine Chance, doch noch zu gewinnen. Plötzlich schlug der Schwanz blitzschnell aus, so schnell wie eine Bullenpeitsche. Bevor Jack reagieren konnte, hatte er sich um seinen Nacken gewickelt. Wie mit einem Lasso zog das Monster ihn zu sich heran. Gelähmt von den gewaltigen Kräften seines Gegners, konnte sich Jack nicht mehr wehren. Der grauenhafte Rachen kam immer näher und näher. Eine schuppige klauenartige grüne Hand – menschlich daran schienen nur die Gelenke – griff nach ihm. Er fühlte, wie sich die messerscharfen Klauen in seine Halsgrube bohrten, während er hochgehoben wurde.
Die Schreie der Menge erstarben, und er hörte nur noch ein Klingeln, als die Blutzirkulation zu seinem Kopf unterbrochen wurde. Durch die Arenalichter hindurch erkannte er schwach die Sterne, die bald zu hellen tanzenden Sternchen vor seinen Augen wurden, als er langsam das Bewußtsein verlor. Aber bevor er ganz weg war, sah er noch, wie das Monster seinen riesigen Rachen öffnete, um seinen Kopf zu verschlingen. Jack wollte dagegen ankämpfen, aber er konnte seine Arme nicht mehr heben. Seine Anstrengungen äußerten sich nur noch in krampfhaften Zuckungen seiner Beine. Der ekelhafte Atem des Monsters schlug ihm entgegen. Er würde sterben. Aber was sollte aus Sabrina werden, falls er jetzt sterben sollte? Jack hörte ein schrecklich rasselndes Geräusch, und wußte, daß es aus seiner Kehle kam. Seine Luftröhre wurde zusammengedrückt, und sein Gehirn erhielt keinen Sauerstoff mehr. Der Rachen des Monsters öffnete sich immer mehr, und es hielt nur noch inne, um voller Befriedigung Jacks verzweifeltes Zappeln in der Luft zu genießen. Plötzlich wurde das scheußliche, halbmenschliche Gesicht von blauem Licht angestrahlt, so daß es geblendet wurde, und dann brannte ein Laser ein Loch in seine Panzerplattenbrust. Während das Monster vor Schmerz laut aufheulte, fiel Jack hustend und spuckend in den Staub. Irgendwie schaffte er es, auf die Füße zu kommen und auf Sabrina zuzustolpern, während blaue Laserstrahlen durch die Dunkelheit schossen, und Hunderte dunkelgekleideter Figuren die Wände herunter glitten.
Kapitel 39
Als er das Ende der Wand auf der Behelfsleiter erreicht hatte, sah John Tiger, was die Wachen so abgelenkt hatte, daß Ham und Chris keine Schwierigkeiten hatten, sie abzuschießen. Eine Frau stand gefesselt an einem dicken Pfahl in der Mitte einer offenen Arena, und ein Mann stolperte auf sie zu, um ihr zu helfen. Und ein seltsames Ding heulte vor Schmerzen dicht unter den Sitzreihen, die in Kreisen die Arena umgaben. Die Laute, die aus dem Rachen der Bestie kamen, ließen Johns Herz erstarren. Obwohl sie grauenhaft entstellt klang, hatte er doch Billys Stimme erkannt. Dieses Ding da unten – sollte es das sein, was sie mit seinem Bruder gemacht hatten? Mit einer 357er Magnum in der Hand kletterte John die Reihen hinunter, ohne auf den Tumult um ihn herum zu achten. Die Visitor-Techniker flüchteten in Panik und gaben ihm so den Weg frei. Er sah einen Kader von Wachen um einen Visitor in einer Loge, den sie eiligst aus der Arena durch einen Ausgang hinter seinem Sitz lotsten. John erreichte die unterste Sitzreihe und sprang über die Balustrade in die Arena. Die Bestie nahm ihn nicht wahr, da sie ihre ganze Aufmerksamkeit der Frau zugewandt hatte, die jetzt von dem verletzten Mann entfesselt wurde. Als sie jedoch hörte, wie John in die Arena sprang, drehte sie sich um und sah ihn an. Es war ein Monster, halb Reptil, halb Mensch. Der Reptilienanteil war furchtbar genug, aber der menschliche Anteil hatte eine seltsame Ähnlichkeit mit Billy, genauso wie
es John vorgekommen war, als er es das erste Mal wahrgenommen hatte. Jetzt stand das Monster da und taxierte ihn, seine schwarzen Augen waren irgendwie die Augen seines Bruders, seine Bewegungen eine groteske Parodie von Billys Gang. »Was haben sie mit dir gemacht?« fragte John. »Was in Gottes Namen haben sie nur mit dir gemacht?« Das Ding sprach nicht. John merkte, daß es das wahrscheinlich gar nicht konnte, aber er fuhr fort, mit ihm zu sprechen, und ignorierte das Schweigen, auf das seine Worte trafen. »Billy, erkennst du mich?« fragte er. »Ich bin dein Bruder John.« Das Monster bewegte unsicher den Kopf. Verstand es, was er zu ihm sagte? »Tiger!« hörte er eine Stimme durch das Geschrei und die Gewehrschüsse brüllen. »Geh weg davon!« Vage war sich John bewußt, daß es Ham Tylers Stimme war, aber er schenkte ihr keine Beachtung. Er ging noch dichter an dieses Alptraumgeschöpf heran, das ihn so sehr an seinen Bruder erinnerte. »Du bist mein Bruder Billy«, erklärte ihm John. »Mein Bruder.« Er war jetzt nur noch wenige Meter von dem Ding entfernt. Abrupt blieb er stehen, als er plötzlich ein tiefes Brummen vernahm. War es eine Alienmaschine? Nein, es war ein natürliches Geräusch, und es kam aus der Kehle dieses Wesens, das er ansah. »Es ist nicht dein Bruder!« schrie die Frau. »Sie haben es aus seinem genetischen Material gemacht, aber er ist es nicht.« Das Brummen wurde lauter. Was sagte die Frau? Daß es nicht Billy war? Das konnte John nicht glauben, nicht, wenn er in diese Augen sah. Das war sein Bruder, den er nach dem Tod
ihrer Eltern großgezogen hatte. Wie konnte er diesen Jungen nicht kennen, wenn er ihn selbst aufgezogen hatte? Das Wesen, das aussah wie Billy, knurrte wütend, sein Schwanz richtete sich auf wie ein Fragezeichen und senkte sich dann wieder. Es rannte direkt auf John zu. In diesem Augenblick wußte John, daß diese Kreatur jetzt jemand anderer war, auch wenn sie jemals Billy gewesen sein sollte. Er mußte jetzt seinen Revolver heben und auf diesen fremden Gegner schießen, aber es rannte genauso wie sein Bruder. »Schieß!« brüllte Jack Stern. »Schieß auf die Augen! Das ist die einzige Chance, die du hast!« Er konnte es nicht tun. Er konnte dieses Wesen nicht töten, was auch immer es war. Es war zu sehr Billy. Er konnte nur stehenbleiben und darauf warten, daß es ihn in den Boden rammte wie einen Zeltpflock. Ein Feuerstrahl von blauem Licht schoß herunter und blendete sie, und das Wesen jaulte vor Schmerz, als es zusammenbrach. Es fiel neben John wie ein gefällter Zypressenbaum, seine schuppigen Arme weit ausgebreitet. John blieb weiter regungslos zwischen seinen Klauen stehen und betrachtete das zornige, erschrockene Gesicht dieses Wesens, das ihn so an Billy erinnerte. Er war ihm so nahe, daß er seinen stinkenden Atem riechen konnte. Ein neuer Laserschuß schlug in den mißgestalteten Schädel. Einige Sekunden lang zuckte der Körper noch, dann stöhnte es noch mal und war still. John starrte auf das entsetzliche Geschöpf, bis ein Visitor von der Wand fiel und tot einige Meter von ihm entfernt aufschlug. Er schaute hinauf und sah, wie der bärtige alte Sumpffreak gerade sein Gewehr lud und daß ein Visitor seinen Laser auf ihn gerichtet hatte, um zu feuern.
John zielte mit seinem Revolver auf den Alien und schoß sechsmal. Als die Echse keuchte und zusammensank, schaute der alte Mann zu ihm herunter und hob grinsend seinen Daumen.
Jack war es endlich gelungen, Sabrina von den roten Stricken zu befreien, mit denen sie gefesselt war. Mit nur einer Hand war es etwas schwierig gewesen, aber er hatte es doch noch geschafft. Glücklicherweise hatte Ham den Reptilienmann mit seinem Laser erschießen können. Er band den letzten Strick los und zog Sabrina an seine Brust. Ham und Chris feuerten auf eine Gruppe von Wachen an der gegenüberliegenden Wand. Die Wachen schossen zurück, und in der Dunkelheit leuchteten die blauen Laserstrahlen besonders grell. Rings um die beiden CIA-Männer fielen die Leute um. »Kommt her«, schrie Ham Jack und Sabrina zu. Sabrina hatte Schwierigkeiten, Jack zu stützen. Er war sehr schwach und wackelig. John Tiger kam ihnen zu Hilfe, und den beiden gelang es, ihn zur nächstliegenden Wand zu schleppen. »Johnny!« Er blickte hoch und sah Marie, die mit einem Gewehr an der Schulter in die Arena sprang. Sie rannte auf sie zu. »Du hättest lieber da oben bleiben sollen«, warf John ihr vor. »Sieh dir das da an.« Er deutete auf den Eingang der Tribüne, aus dem Dutzende bewaffneter Visitorwachen herausströmten. Das Laserfeuer war jetzt so gewaltig, daß es wie eine blaue Lichtwand aussah. Ham und die anderen zogen sich zurück und begannen, über die Wand zu klettern, um das Lager wieder zu verlassen, während unablässig auf sie geschossen wurde.
»Wir sind umzingelt«, stellte John fest. »Aber warum schießen sie nicht auf uns?« »Wahrscheinlich haben sie vor, uns gefangenzunehmen, wenn sie die anderen erst einmal ausgeschaltet haben«, überlegte Sabrina. »Mit uns brauchen sie sich nicht zu beeilen – wir stecken hier fest.« »Vielleicht auch nicht«, sagte Jack plötzlich. Er griff in seine Tasche und zog den Kristallschlüssel heraus. Sie halfen ihm, zu der Tür hinter ihnen zu gelangen, und er steckte ihn in eine Öffnung neben der Tür. Die Tür glitt auf. Die vier rannten in die Dunkelheit hinein. Sie wollten Jack immer wieder helfen, aber er stieß ihre Hände zurück. »Ich bin wieder in Ordnung«, versicherte er. »Und jetzt laßt uns versuchen, einen Weg aus diesem Schlachthaus zu finden.« Die Gewehre hielten sie im Anschlag, während sie einen langen Korridor hinunterrannten. Als sie um die Ecke bogen, standen sie zwanzig bewaffneten Visitors direkt gegenüber.
Kapitel 40
»Ich werde sofort ein Mutterschiff losschicken«, erklärte Medea. »Wie lange, glauben Sie, daß Sie sie aufhalten können?« »Wir können diesen Mob bis in alle Ewigkeit aufhalten«, erwiderte Dr. Morrow. »Aber sie werden jetzt Verstärkung herholen. Und trotz ihrer primitiven Waffen sind sie uns dann zahlenmäßig zu sehr überlegen.« »Machen Sie, was Sie tun müssen, bis das Schiff da ist«, war Medeas letzter Kommentar, und ihr Bild verschwand. Dr. Morrow verfluchte sie im stillen, als die Übertragung zu Ende war. Sie hätte schon ein Schiff schicken sollen, als er sie das erste Mal darum gebeten hatte. Jetzt mußten sie um ihr Leben kämpfen, und vielleicht würde seine ganze Arbeit dabei zerstört werden. Er verließ den Raum. Noch während er durch die Tür eilte, bellte er nach Technikern und Arbeitern und befahl ihnen, mit der Beladung aller Dinge in die drei Raumschiffe zu beginnen.
Wache Nummer eins hielt immer noch den gezackten Degen in der Hand. Der Wächter, der ihn beobachten sollte, war weggerufen worden, um gegen die angreifenden Menschen auszuhelfen. Und jetzt hatte er sich auf den Weg zu Dr. Morrows Räumen gemacht, um den Verantwortlichen für den Tod seines Freundes zu töten. Er kannte eine Abkürzung vom Hauptflur zum nächsten und bog in diese ein. So würde er nicht gesehen werden und konnte Zeit gewinnen.
Am Ende des niedrigen Durchgangs hörte er den Lärm einer Gruppe von Soldaten. Er drückte sich an die Wand und wartete darauf, daß sie vorbeigingen. Einer von ihnen rief plötzlich etwas. Hatten sie ihn entdeckt? Nein, fünf Schritte vor ihm hielten sie an und starrten auf etwas, was vor ihnen aufgetaucht war. Der Kapitän befahl ihnen, die Waffen zu nehmen und zu feuern. »Wartet!« schrie Wache Nummer eins.
Jetzt war alles vorbei, da war sich Jack sicher. Sie konnten nirgends mehr hinrennen, um dem Feuer zu entkommen. Die Wachen richteten ihre Waffen auf sie. Er umarmte Sabrina noch einmal fest und schloß die Augen. Plötzlich kläffte eine Stimme etwas in der Aliensprache. Ein Visitor trat aus dem Schatten und hielt eine seiner Klauen hinter seinen Rücken, als ob er dort etwas verborgen hätte. Der Kapitän, der soeben den Schießbefehl erteilt hatte, zögerte. Der Neuankömmling trat näher und flüsterte leise. Der Kapitän beugte sich vor, um besser verstehen zu können, was er sagte. Plötzlich schoß der Arm des Nachzüglers hinter seinem Rücken hervor, und er schlug den Kapitän mit einem Schlag seines gezackten Degens nieder. Der hielt sich den Nacken und schrie, dann sank er zu Boden. Gleich darauf sprang der Angreifer über seinen Körper und schlug auf die Wachen ein, die ihm am nächsten waren. Einige Sekunden lang waren diese so geschockt, daß sie nicht wußten, was sie tun sollten. Vier von ihnen stellten sich vor ihren Kapitän, bevor sie zu feuern begannen, und drei andere waren schon verletzt oder tot, ehe der erste Schuß den Angreifer traf. Im selben Augenblick sprangen Jack und die anderen dazwischen, hoben die Laserpistolen der gefallenen Wachen auf und mischten sich in den Tumult. Die Chancen standen
jetzt zwölf gegen vier – fünf, wenn man den Wachmann zu ihnen rechnete, der immer noch um sich schlug, während er seine Wunde festhielt. Jack duckte sich und drückte auf den Auslöser. Ein blauer Lichtblitz schoß heraus und durchbohrte die Brust des nächsten Visitors. Marie erledigte einen anderen. Jetzt waren es nur noch zehn, zwei zu eins. John Tiger griff kopfüber einen Alien an, der gerade seine Waffe auf Sabrina richtete, schlug ihn zu Boden und kräftig ins Gesicht. Zwei andere wollten ihn daraufhin angreifen, aber Sabrina schoß sofort auf einen von ihnen. Der Laserstrahl brannte durch ihn durch und traf auch noch den zweiten, so waren sie beide erledigt. »Jetzt sind nur noch sieben übrig«, brüllte Jack und setzte einen schönen Kinnhaken auf die Zähne seines Visitors. »Und wir waren in der Minderheit.« Sabrina und Marie schossen auf zwei Visitors, die schon längst versucht hatten, Jack anzugreifen. Aber er hatte nicht lange genug am gleichen Platz gestanden, so daß sie ihn nicht richtig ins Visier bekommen hatten. Die Wache schlug mit seinem Degen einen anderen nieder. Die restlichen drei Wachen feuerten wild um sich. Ein Laser zischte an Johns Ohr vorbei, und der Visitor, der ihn eben erst verfehlt hatte, war augenblicklich tot. Die letzten beiden Soldaten wollten losrennen, aber jetzt gab es für sie keinen Ort mehr, wo sie den Feuergeschossen entkommen konnten. Vier Laser schossen im gleichen Moment. Keiner konnte noch sagen, welcher der Schützen die beiden erledigt hatte. Der Visitor, der ihnen mit seinem Überraschungsangriff geholfen hatte, warf seinen Degen zur Seite und sackte in sich zusammen. Erst jetzt erkannte Jack in ihm den Überlebenden der abendlichen Gladiatorenschlacht.
»Geht jetzt«, krächzte der Alien. »Ich will hier sterben.« »Nein, wir können dich nicht zurücklassen«, entschied Jack. »Nicht, nachdem du uns geholfen hast.« In seinem Schmerz starrte ihn der Alien spöttisch an. »Ihr seid eine seltsame Rasse.« »Warum?« fragte Jack. »Weil wir denen helfen, die uns helfen?« »Ich habe es nicht für euch getan, Terraner. Dr. Morrow hat mich gezwungen, meinen Freund zu töten, und ich wollte Rache üben. Es war närrisch von mir, euch zu helfen, aber ich hoffe, auch ihr wollt Dr. Morrow töten…« Die Wache zitterte in Jacks Armen, und dann entspannte sich der Körper. Sorgsam legte Jack ihn auf den Boden. »Du wirst deine Rache haben«, murmelte er.
Kapitel 41
»Wo bist du, Donovan?« Ham Tyler schaute hinauf in die Sterne. Seine Leute saßen hinter selbstgebauten Barrikaden, um sich selbst zu schützen, nicht nur vor Lasergeschossen, sondern auch vor einem Gerät, das Leute einschlafen ließ. »Mach dir keine Sorgen«, beruhigte ihn Chris. »Er wird bald da sein.« »Keine Sorgen machen?« Ham schaute ihn ärgerlich an. »Stern und seine Freundin werden da drin gefangengehalten und ebenso Tiger und Marie.« »Du hast ganz schön was für das Mädchen übrig, oder, Ham?« »Es ist völlig unwichtig, was ich fühle. Alle sind wichtig in dieser Sache – wenn sie noch leben sollten.« »Sie leben«, erklärte Chris, »schon allein deshalb, um sie als Verhandlungsbasis einsetzen zu können.« »Ich hoffe, du hast recht.« »Klar hab’ ich recht, Boß, und Mike Donovan wird auch bald hier sein. Ich weiß, daß ihr beide so eure Schwierigkeiten habt, erinnere dich, wie er uns in Zentralamerika hat warten lassen, aber du mußt zugeben, daß er letztlich doch immer gekommen ist.« »Stimmt.« Ham schaute auf die vor kurzem noch weißen Wände, die sich aus dem Schlamm erhoben. Manchmal sah man einen blauen Laserstrahl in der Zone von etwa hundert Metern ausbrennen, die die beiden Streitkräfte voneinander trennten. »Was zum Teufel sie darin wohl machen? Glaubst du, sie greifen uns lieber an, als daß sie uns hineinlassen?«
»Sie müssen da etwas auf Lager haben«, überlegte Chris. »Das ist es, was ich befürchte.«
Die Rücken an die Wand gedrückt, krochen die vier durch das Alienlager. Sie erreichten einen stillen, verlassenen Bereich, der auf eine einzige Tür mitten in einer Mauer zuführte. »Laßt uns hineingehen«, schlug Jack vor. Er steckte wieder den Schlüssel in die entsprechende Öffnung, und die Tür öffnete sich. Drinnen war es dunkel. Jack schloß die Tür hinter ihnen und bewegte sich vorsichtig vorwärts. Gedämpftes Licht führte ihn, die anderen folgten dicht hinter ihm. Es war ein riesiger Raum. Man hörte das Echo ihrer Fußtritte, als sie große Bottiche und Maschinen untersuchten, die aussahen wie gewaltige Fleischwölfe. »Was ist das?« wollte Jack wissen. »Eine fleischverarbeitende Anlage«, erklärte Sabrina. »Hier werden die Opfer hergebracht, nachdem man ihnen Gewebeproben entnommen hat.« »Woher weißt du das?« Jack wollte es nicht glauben. »Einer der Wissenschaftler, die hier arbeiten, Dr. Thorkel, hat mir von diesem Ort hier erzählt. Er hat es auch erst kürzlich herausgefunden.« »Billy…«, flüsterte Marie. Es war zu schrecklich, sich das vorzustellen. John legte den Arm um sie und führte sie von diesem Alienschlachthaus weg. Marie schluchzte, aber John konnte nicht weinen, nicht bevor er seine Rache gehabt hatte. »Es tut mir so leid«, sagte Sabrina. »Aber das wußte ich nicht.« Jack legte beruhigend die Hand auf ihren Arm. »Laß sie einen Augenblick allein.«
Sie nickte. Ihr fiel ein, daß sie niemals ohne Hilfe aus diesem Irrgarten herausfinden würden. Dr. Thorkel hatte bestimmt in den letzten paar Tagen seine Freiheit genutzt. Er wußte vielleicht, wie sie hinausgelangen konnten. Außerdem konnte sie ihn schlecht hierlassen, nachdem er versucht hatte, ihr zu helfen. »Jack, ich glaube, ich kenne jemanden, der uns helfen könnte, hier herauszukommen.« »Dr. Thorkel?« »Und da behaupten sie, daß du nur ein großer, doofer Spieler bist.« Sie umarmte ihn. »Seine Räume müssen hier ganz in der Nähe sein.« Am anderen Ende des Schlachthauses steckte Jack seinen Kristallschlüssel in die Wand. Die Tür öffnete sich, und sie schauten auf einen Korridor mit vielen Türen. »Die da hinten müßte seine sein«, meinte Sabrina. Jack gab Marie und John ein Zeichen, ihnen zu folgen, und alle vier schlichen in Richtung auf Dr. Thorkels Tür. Ihre Vorsicht zahlte sich aus; sie sahen nirgends einen Visitor. Jack steckte wieder den Schlüssel hinein. Die offene Tür gab den Blick frei auf einen kahlköpfigen Mann mittleren Alters, der große Brillengläser trug. Er saß unbeweglich an einem Schreibtisch. Die vier schlüpften in den Raum, und die Tür schloß sich hinter ihnen. »Dr. Thorkel«, rief Sabrina ihn an. Der Mann am Schreibtisch drehte sich um. Sofort spürte Sabrina, daß etwas nicht stimmte. Dr. Thorkels Gesicht schaute sie an, und dennoch… »Ich wußte, daß ihr hierherkommen würdet«, kam eine merkwürdig schnarrende Stimme aus Dr. Thorkels Mund.
Wandtüren öffneten sich auf allen Seiten und vier rotgekleidete Visitors kamen herausgesprungen, die sofort ihre Waffen auf sie richteten. »Also doch ein Verräter…« rief Jack. »Im Gegenteil, Mr. Stern.« Dr. Thorkel hob eine Hand und begann sich eine Gesichtsmaske runterzuziehen. Wenige Sekunden später saß Dr. Morrow vor ihnen. »Dr. Thorkel war etwas zu mutig in letzter Zeit. Ich bin sicher, daß er ein ausgezeichnetes Mahl ergibt, wenn man ihn gut zubereitet.« »Sie haben ihn getötet«, schrie Sabrina wütend. »Es klingt zwar grausam, aber es stimmt.« »Sie werden dafür bezahlen, das wissen Sie«, stieß John Tiger hervor. »Unterstützung ist schon unterwegs.« »Ihr werdet niemals hier aus dem Sumpf rauskommen«, schnaubte Marie voll grimmiger Befriedigung. »Im Gegenteil, liebe Frau.« Dr. Morrow zog an einem Knopf auf Dr. Thorkels Schreibtischkonsole, und ein Bildschirm schaltete sich ein. »Die Landezone befindet sich hinter den Wänden der Arena.« Sie sahen Visitors, die drei Raumschiffe mit wissenschaftlichen Ausrüstungsgegenständen beluden. »Medea schickt ein Mutterschiff, das ziemlich bald in die Erdatmosphäre eintreten wird.« Dr. Morrow gluckste vor Freude. »Tatsächlich genau in einer Minute. Und Sie, Dr. Fontaine, werden mich auf der kurzen Reise zum Mutterschiff begleiten.« »Da wird ja kaum noch Platz sein für diese Jungs hier«, gab Jack zu bedenken, und zeigte mit einer knappen Kopfbewegung auf die Wachen, die die Waffen immer noch auf sie gerichtet hatten. »Nur ein paar ganz Auserwählte dürfen mitkommen, stimmt’s nicht, Dr. Morrow?« Nervös schnellte Dr. Morrows lange Zunge aus seinem Maul herein und heraus. »Wir werden so viele wie möglich
mitnehmen, und die Kampffähren kommen wieder zurück und holen diejenigen, die zunächst zurückbleiben müssen.« »Diejenigen, die zurückbleiben müssen, werden tot sein«, verriet Jack. »Sie haben Waffen, um den Angriff so lange abwehren zu können, bis die Raumschiffe wieder hier sein werden.« »Lüge! Noch eine Kampfflotte ist auf dem Weg hierher, angeführt von erfahrenen Widerstandskämpfern«, berichtete John Tiger. »Und sie sind ausgestattet mit Laserwaffen.« »Unsinn.« Morrows gelbe Reptilienaugen warfen einen schnellen Blick auf seine Wachen. »Jetzt merkt ihr wohl, was sie vorhaben. Euch gegen mich aufhetzen.« Jack stellte fest, daß es nur vier Wachen waren. Wenn sie sich gegen Morrow auflehnen würden, wäre das sehr gut, wenn nicht, so waren sie doch durch das Gerede sehr verwirrt und würden einen Kampf verlieren. Eine der Wachen zischte etwas in der Aliensprache, und Dr. Morrow antwortete offenbar sehr unfreundlich. Seine wütende Antwort schien die Rebellion der Wachen erst zu wecken. Jetzt oder nie, dachte Jack. Die drei anderen Wachen sahen ihre Gefangenen an. Sie beobachteten die Konfrontation zwischen ihrem Meister und ihrem Kollegen. Sie zielten zwar immer noch mit ihren Lasern auf die vier Menschen, aber sie waren verwirrt und konnten nicht so schnell handeln. Jack schlug auf den ihm am nächsten Stehenden ein. Der krümmte sich und fiel dann auf einen anderen, der hinter ihm stand. John Tiger sprang vor und verpaßte der dritten Wache einen ordentlichen Kinnhaken. Der letzte Visitor begann wie wild loszufeuern. Aber Marie und Sabrina stürzten sich beide auf ihn, und durch ihr Gewicht stürzte er. Sein Laser flog ihm aus der Hand und knallte auf den Plastikboden.
Einen Augenblick später waren alle vier Wachen entwaffnet. John hielt sie mit einem Laser in Schach, während Jack und Marie sie durchsuchten, um sicherzugehen, daß sie nicht noch mehr Waffen hätten. »Jetzt reicht’s!« zischte Dr. Morrow. »Stellt euch dort drüben hin.« Jack sprang auf die Füße und sah, daß Dr. Morrow seinen schuppigen Arm um Sabrinas Hals gelegt hatte. Seine Klaue hielt einen Laser gegen ihren Kopf. »Glauben Sie etwa, ich bin total unbewaffnet?« schnarrte er. »Sie und ihre Freunde unterschätzen mich, Mr. Stern.« Jack senkte seine Laserpistole. »Erschieß ihn, Jack!« schrie Sabrina. »Nun machen Sie schon«, heuchelte Morrow. »Versuchen Sie, erst mich zu töten, bevor ich sie töte.« »Kommen Sie«, erklärte John. »Wir sind in der Mehrheit. Lassen Sie sie gehen.« »Sie wird sterben, bevor ich sie gehen lasse«, schnarrte Dr. Morrow. »Es steht unentschieden. Geht ihr, und ich lasse sie am Leben.« Jack bewegte sich ein kleines Stückchen auf sie zu, und Dr. Morrow drückte den Laser fester gegen Sabrinas Schläfe. »Geht!« »Tu, was er sagt, Mann«, meinte John. »Am Ende werden wir alle überleben.« »Aber du verstehst das nicht«, stöhnte Jack, ohne Dr. Morrow und Sabrina eine Sekunde aus den Augen zu lassen. »Du weißt nicht, was er mit ihr machen will.« John legte Jack seine Hand auf die Schulter. »Ich verlor einen Bruder durch diese Horrorgestalt«, erzählte er. »Und ich möchte nicht, daß diese Frau stirbt, obwohl ich nichts sehnlicher wünsche, als ihn ein für allemal zu erledigen.«
Jack wußte, daß er recht hatte, aber er konnte die Vorstellung nicht ertragen, daß Sabrina wieder mit diesem Monster weggehen mußte. »Ich befahl euch zu gehen!« kreischte Dr. Morrow. John und Marie führten Jack sanft zur Tür. Bevor sie sich schloß, warf Jack noch einen letzten Blick in Sabrinas braune Augen, und er sah sowohl Liebe als auch Verzweiflung darin. Eine Explosion erschütterte den Korridor. Schreie wurden laut, und Rauch zog durch die Gänge. »Sie sind da!« jubelte Marie vor Freude. »Unsere Verstärkung ist hier!«
Kapitel 42
Ein riesiges rundes Ding schwebte über den holographierten Bäumen. Für einen Moment hielten die kämpfenden Parteien inne, und jeder, ob Mensch oder Visitor, schaute hinauf zu dem seltsamen Ding. Ein Mutterschiff. Aber nicht lange. Die Geräusche des Laserfeuers wechselten sich ab mit dem Puffen der Gewehrschüsse, das unheimliche Heulen der Lichtstrahlen wurde unterbrochen von Raketenexplosionen, und das Brummen der Flugscheiben der Visitors betonte alles noch. Die Widerstandskämpfer hatten das Lager umzingelt. Wie Ameisen bewegten sie sich zielstrebig über die Sumpfebene. Der Sumpf surrte vom Geräusch der Wasserflugzeuge und dem Dröhnen der Fluggleitboote. Von den Wänden und Türmen floß der helle blaue Tod herab, aber die Widerstandsbewegung gab nicht auf, Stunden um Stunden kämpften sie und jubelten, wenn wieder eine Wache von den Wänden oder Türmen fiel, stöhnten leise, wenn sie einen der ihren verloren. »Es ist uns immer noch nicht gelungen, durch die Wand zu kommen«, schrie Ham Tyler in einen Walkie-talkie. »Sie ist nahtlos – unmöglich, irgendwelche Eingänge zu finden.« »Sie können es nicht ewig da drinnen aushalten.« Mike Donovans Stimme krächzte durch das Sprechgerät. Mike wartete in dem kleinen Raumschiff, das Willie von Los Angeles hierhergesteuert hatte. Sie warteten auf Dr. Morrow, daß er seinen Fluchtversuch beginnen würde. Das Shuttle war weit genug vom Lager versteckt, um nicht entdeckt zu werden. Das wäre dann ihre letzte Überraschung. Julie, Elias und Willie waren noch bei ihm.
Ham führte die Schlacht und gab Anweisung, daß ein Raketenwerfer direkt auf das Zentrum der Mauer gerichtet werden sollte. Das Raketengeschoß zischte über die Sumpfebene, explodierte gewaltig beim Einschlag und hinterließ nicht einen einzigen Kratzer auf der schimmernden, weißen Oberfläche. Ham stellte fest, daß sich die Scheibenreiter zurückzogen und hinter die Lagermauer flogen. Vielleicht sollte er noch ein oder zwei mehr losfeuern lassen. »Schießt einen über die Spitze!« brüllte er durch das Getöse hindurch. Wieder wurde eine Rakete abgeschossen, aber sie explodierte wenige Meter über den Türmen. Durch einen Feldstecher erkannte Ham, daß ein wellenförmiges Kraftfeld das ganze Lager umhüllte.
Ein Schuß traf den Gastank eines Gleitbootes. Als es hochging, flogen die Körper der Passagiere durch die Luft. Ham war wütend, wenn er daran dachte, daß es jetzt keine Möglichkeit mehr gab, auf die Wachen zu schießen, da das Kraftfeld sie schützte. »Es muß einen Weg geben, dort hineinzugelangen.« Ham wußte, daß er sich an einen Strohhalm klammerte, aber er mußte es versuchen. »Vielleicht steht das Feld nicht lange unter Spannung – es kostet vielleicht zuviel Energie.« »Kann sein«, erklärte Chris trocken, »kann aber auch nicht sein.« »Was können wir sonst tun?« Ham wandte sich wieder dem Mann am Raketengeschoß zu, aber bevor er noch einen Feuerbefehl erteilen konnte, passierte plötzlich etwas. Eine vertikale Linie zeichnete sich in der Mitte der Wand ab. Sie befand sich ca. acht Fuß hoch über dem Boden. Sie öffnete sich, und da standen Jack Stern, Marie Whitley und John Tiger
und hielten die sie verfolgenden Visitors mit Laserpistolen in Schach. Während er schoß, blickte Stern über seine Schulter und winkte den Widerstandskämpfern zu. »Worauf wartet Ihr noch?« bellte Ham. »Nichts wie los!« Eine wahre Flut von Kämpfern kletterte über die Barrikaden und drückte sich durch den offenen Eingang in das Lager. Die Visitors, die Jack und die anderen gejagt hatten, drehten sich um und rannten so schnell sie konnten davon, als sie sie kommen sahen. Ham und Chris drängten zur Mauer, wobei sie sich vor feindlichem Feuer ducken mußten. Als sie Jack Stern erreichten, sah Ham, daß er kurz vor einem Zusammenbruch stand. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und verstört, sein Hemd zerrissen, und auf seiner Schulter klebte Blut. »Du siehst aus wie der Teufel«, lächelte Ham. »Komm mit mir.« »Sie haben Sabrina«, keuchte Jack. »Ich muß zu ihr zurückgehen.« »Sie wird nicht mehr da sein, wenn du…« Ham brauchte den Satz nicht zu beenden. Sie hörten das Aufheulen der Maschinen in dem Raumschiff, wodurch die Abreise von Dr. Morrow und seinen wenigen auserwählten Überlebenden angekündigt wurde. »Sabrina!« schrie Jack verzweifelt, als die erste Kampffähre sich über den weißen Türmen erhob. »Wir haben noch eine Überraschung auf Lager, um sie einzufangen«, tröstete ihn Ham. »Und jetzt komm! Schnell!« Dem Laserfeuer ausweichend, sprinteten sie über das sumpfige Gelände. Ham war erstaunt, daß Jack sich nicht nur noch aufrecht hielt, sondern er ihn anhalten mußte, nicht so schnell zu laufen und auf die anderen zu warten. Eine zweite Raumfähre erhob sich über dem Lager wie ein Albinogeier.
»Hier lang.« Ham führte sie einen Weg entlang, der durch dichtes Gestrüpp geschlagen worden war. Über sich hörten sie das Heulen von Maschinen, die angelassen wurden. In ein paar Minuten waren sie da. Sie standen jetzt auf einem Platz, wo man die Vegetation siebzig Meter breit weggeschlagen hatte. Versteckt in dieser abgelegenen Lichtung stand ein Raumschiff. Seitlich wurde eine Luke geöffnet, und sie alle kletterten an Bord – Jack, Chris, Ham, Marie und John. Auf dem Bildschirm sahen sie, wie der dritte und letzte Kampfflieger vom Lager hochstieg. »Glaubst du, du kriegst ihn, Donovan?« fragte Ham. »Wir werden sehen, was wir tun können«, meinte Mike Donovan. An den Kontrollapparaturen saß Willie. Elias Taylor stand neben ihm, und Julie Parrish saß neben einer der großen Laserkanonen. »Willkommen an Bord«, begrüßte er sie. Das Shuttle erhob sich vom Boden. In dem Moment, als sie über die Baumspitzen stiegen, berührte Willie ein Licht auf der Konsole, und plötzlich schossen sie so schnell davon, daß ihnen allen der Atem stillstand. Die ersten beiden Kampfflieger der Alien hatten abgedreht und schossen dem schwebenden Mutterschiff entgegen. Das dritte hatte gerade zum Wendemanöver angesetzt, als Julie es entdeckte. Sie feuerte eine Breitseite und traf direkt von der Seite. Wenige Sekunden später wendete der getroffene Kampfflieger in Richtung Sumpf und weg vom Mutterschiff. »Ich habe gehofft, daß sie das machen werden«, grinste Julie. »Sie sind nicht bereit, noch länger auf den nächsten Schuß von uns zu warten.« Willie steuerte das Shuttle so, daß sie sie verfolgen konnten, und der Sumpf unter ihnen kam wieder näher.
»Sie hoffen, uns austricksen zu können«, erklärte Mike Donovan, »oder uns zu verlieren. Aber sie sind getroffen, nicht wir.« Ihr Opfer wich ihnen aus, ging noch tiefer und flog gefährlich nahe an die Bäume heran. Mike machte die nächste Kanone klar. »Haltet Euch«, rief Willie. »Was?« fragten alle zusammen. »Er meint ›Haltet euch alle fest‹«, schrie Mike, aber es war schon zu spät. Sie wurden gegen die Wände geschleudert, als Willie eine scharfe Kurve flog. Jetzt hatten sie den feindlichen Flieger fast erreicht, und Mike donnerte mit der Laserkanone eine ganze Serie von Schüssen auf sie ab. Wie eine rote Blume loderte die Explosion aus dem Inneren des getroffenen Kampffliegers, und eine Flammenschicht wuchs aus der nächsten. Trümmer flogen rauchend in den Sumpf, bis sie zischend ins Wasser fielen. »So, jetzt sehen wir mal, was die anderen so machen«, schrie Elias. Wieder flog Willie eine scharfe Kurve, und seine Nase zeigte gen Himmel. Seine Finger sausten über die Konsole, und wieder flogen sie mit rasender Geschwindigkeit vorwärts.
Kapitel 43
Das Mutterschiff war gewaltig, größer als jedes andere Gebilde der Erde. So ein Ding im Himmel schweben zu sehen, war schon verrückt genug, aber immer näher an es heranzukommen, das war der Wahnsinn. Jack glaubte, jeden Augenblick würden sie damit zusammenstoßen, aber das Mutterschiff war viel weiter entfernt – und daher auch noch größer, als er es sich vorstellen konnte. Willie hatte Kontakt mit ihm aufgenommen und ihnen erzählt, daß er der Pilot des zertrümmerten Raumschiffs sei und daß sie verfolgt worden wären, aber das feindliche Raumschiff in einem irrsinnigen Kampf zerstört hätten. »Meinst du, sie glauben uns?« wollte Mike wissen. Willie zuckte die Achseln. »Vielleicht.« »Sie könnten uns in ihm landen lassen, das könnten sie doch?« fragte Ham. »Sie warten nur darauf, uns an Bord kommen zu lassen, um dann zu wissen, wer wir wirklich sind.« »Könnte sein«, stimmte ihm Mike zu. »Meinst du, wir sollten wieder umkehren?« wollte Willie wissen. Jeder an Bord tat so, als ob er nichts verstünde. »Zurückfliegen?« fragte Jack entsetzt. »Hört zu, ich weiß nicht, ob es euch etwas bedeutet, aber dort ist jemand an Bord, den ich liebe.« Mike und Julie nahmen Jack beiseite. »Er hat jemanden verloren, den er geliebt hat«, erklärte Julie. »Das ist auch einer der Gründe, weshalb er uns heute hilft.« Jack war beschämt. »Das tut mir leid«, sagte er zu Willie. »Es ist nur, daß…«
Willie sah traurig aus, wie er da an der Konsole saß. »Ich verstehe, mein Freund. Wir müssen weitermachen.« »Jetzt gibt es sowieso kein Zurück mehr«, meinte Mike. Das Mutterschiff zog sie gerade herein. Und Willie konnte das Raumschiff nicht länger allein manövrieren. Das letzte, was Jack noch erkennen konnte, bevor sie in den riesigen Flughafen reingezogen wurden, war die Küste Floridas, die Straßen Miamis und Fort Lauderdales tief unten und die grünen und gelben Rechtecke des Farmlandes im Kontrast zu dem saftigen Grün der Everglades weiter westlich. Und dann waren sie drinnen in dem gewaltigen Mutterschiff. Das Shuttle setzte auf dem Boden auf, als letztes in einer ordentlichen Reihe von Alienschiffen. »Zieht das jetzt an«, bat Mike alle, während er die Techniker auf dem Bildschirm beobachtete. Er händigte ihnen Decken aus rotem Material aus. Auseinandergefaltet waren es Visitoruniformen. Spitze Kappen und dunkle Brillengläser machten ihre Verkleidung perfekt. »Das Raumschiff dort bei der Tür hat gerade ein paar Lizards ausgespuckt«, erzählte ihnen Chris. »Aber Ihre Freundin war nicht dabei.« »Sie muß im allerersten Flieger gewesen sein«, erklärte Ham. »Und jetzt kann sie irgendwo hier auf der riesigen Mutter sein.« »Wenn wir Morrow finden«, versicherte Jack, »dann finden wir auch Sabrina. Laßt uns sie suchen gehen.« »Moment noch«, meinte Mike. »Ich war vorher schon mal an Bord solcher Schiffe. Wir werden niemanden finden, wenn wir einfach drauflos rennen. Ihr müßt hinausklettern und euch so verhalten, als ob ihr hier zu Hause seid. Auch wenn ihr nicht wißt, wo ihr seid, tut so, als ob ihr es wüßtet. Wenn wir erst einmal in der Infrastruktur des Schiffes drin sind, dann können
wir Katz und Maus spielen und auch rennen, aber hier sind wir die reinsten Zielscheiben. Habt ihr verstanden?« Jack mochte diesen Typen. Er hatte eine starke, vernünftige Ausstrahlung, die Vertrauen einflößte. Ihre Chancen waren gering, aber wenn es jemand schaffen konnte, dann war es diese Gruppe. »Alles klar«, antwortete er und beobachtete, wie der letzte Visitor das Shuttle verließ, während die Arbeiter sich fertigmachten, um das Raumschiff, in dem sie noch waren, wieder aufzutanken. »Dann nichts wie los.« Die Luke öffnete sich, und Willie sprang als erster hinaus. Jack reichte ihm einen Koffer mit Ausrüstungsgegenständen so ruhig wie möglich und folgte dann. Gleich danach stiegen Marie, John, Ham, Julie, Elias und Chris aus. Als sie alle auf dem Boden der Landebahn standen, schwang Mike seinen geschmeidigen Körper aus der Luke und ging hinter ihnen her. Die Visitortechniker hantierten mit riesigen Schläuchen, Dampf sprühte aus den Mündungen, als sie sich an die Arbeit machten. Niemand von ihnen schenkte der Gruppe, die langsam auf den nächsten Ausgang zuging, viel Aufmerksamkeit. Sie waren für die Techniker nur die Überlebenden eines mißlungenen Auftrages auf der Erde. Mike blickte sich so unauffällig wie möglich um. Er sah nicht ein einziges grünes Gesicht. Jeder trug seine menschliche Maske, vielleicht als Vorfreude auf eine geheime Operation auf der Erde. Er spürte eine Hand auf seiner Schulter. Als er sich umdrehte, sah er direkt in das Gesicht eines Visitors, der ihn in der Aliensprache ansprach. Mike hatte plötzlich einen dicken Kloß im Hals vor Angst. Er hatte keine Ahnung, was der Lizard zu ihm sagte, und seine Ignoranz wurde langsam verdächtig.
Der Visitor wiederholte seine raspelnde Frage. Verzweifelt deutete Mike auf seinen Mund und machte dumpfe Geräusche, stöhnte und krächzte so kratzend, wie seine Kehle es hergab. Willie kam dazu und sprach schnell mit dem verblüfften Alien. Dann griff er Mike am Ellenbogen und führte ihn weg. Sobald man sie nicht mehr hören konnte, erzählte Wille ihm: »Er hat nach einem Freund gefragt, der als Wache ins Lager geschickt worden war.« »Was hast du ihm gesagt?« »Daß sein Freund noch dort unten ist.« »Glaubst du, das hat gereicht?« fragte Mike. »Das weiß ich nicht«, antwortet Willie. »Geh weiter.« Mike spürte, wie sich die Augen des Technikers in seinen Rücken bohrten. »Er beobachtet uns immer noch, nicht wahr?« »Ja, er…« Ein markerschütternder Schrei unterbrach Willies Antwort. Jack schaute zurück und sah, daß die Techniker auf sie zeigten und brüllten. Visitors zogen an ihren Schläuchen und starrten sie an. »Rennt!« schrie Mike. Sie schossen auf den Ausgang zu, Fußtritte klapperten hinter ihnen her, und Laserstrahlen blitzten über ihre Köpfe hinweg.
Kapitel 44
Jack wirbelte herum und zog seine Laserpistole heraus. Er sah Mike und Willie auf die anstürmende Horde von Technikern feuern, die sich durch die vor ihnen stürzenden Körper jedoch nicht aufhalten ließen. »Wir müssen hier raus!« brüllte Ham, der schon im Durchgang stand. Elias und die anderen waren hinter ihm. Sie sprinteten den nächsten Flur entlang und dann nach links. Dann liefen sie wieder nach rechts und kurz darauf nach links. Mike hoffte, daß sie durch ihren Zickzackkurs die Techniker abhängen würden, wenigstens im Moment. Ihre einzige Chance war, das Herz des Schiffes zu erreichen, das Kommandozentrum, bevor die ganze Mannschaft über ihre Anwesenheit Bescheid wußte. »Wir müssen uns aufteilen!« entschied er. Sie mußten für kurze Zeit die Verfolger verunsichern, vielleicht gelang es ihnen so, zur Kommandozentrale zu kommen. Andernfalls saßen sie in dieser Falle fest. Jetzt lag alles an ihm, denn er, Mike, war der einzige, der in der Lage war, die Kommandozentrale schnell zu finden. Er preschte durch einen niedrigen Gang, als ihm plötzlich zwei Visitors entgegenkamen. Er schoß sie nieder, bevor sie ihre Laser auf ihn richten konnten. Er sprang über ihre rauchenden Körper und lief dann wieder nach links. Er vertraute jetzt ganz allein seinem Orientierungssinn, um das Zentrum des Schiffes zu finden. Plötzlich stand er vor vier Gängen, zwischen denen er wählen mußte. Welchen Weg sollte er einschlagen? »Mike!«
Er sprang zur Seite, als ein Visitor von oben heruntergesprungen kam. Bevor der Visitor auf den Boden schlug, brannte ein Laserstrahl ihm durch den Bauch. Julie kam angerannt, um Mike aufzuhelfen. »Guter Schuß«, kommentierte er. Sie umarmte ihn. »Mit so langen Beinen wie deinen Schritt zu halten, ist gar nicht so einfach.« Und sie rannten gemeinsam weiter, einen Gang nach dem anderen hinunter, oft mußten sie sich ihren Weg erkämpfen oder wieder zurücklaufen, wobei sie sich ganz auf Mikes Gespür verließen. Schließlich standen sie vor einem vertikalen Zylinder, wo alle Gänge endeten wie die Speichen eines Rades. »Hier ist es!« stieß Mike atemlos hervor. Julie nickte, prustend und keuchend neben ihm. Eine Türklinke bewegte sich, und sie erschraken. »Schnell!« Mike riß das Gitter eines Belüftungsschachtes weg und hob Julie hoch, so daß sie hineinkriechen konnte. Er folgte und hatte kaum das Gitter wieder eingesetzt, als sich alle Türen um die Kommandozentrale öffneten. Dutzende von Visitors stürzten aus den Türen, ihre Laser im Anschlag, und liefen die Gänge hinunter. Viele rannten direkt unter Julie und Mike vorbei. Als der letzte von ihnen verschwunden war, stieß Jack mit dem Fuß das Gitter hinunter und sprang auf den Boden. Jetzt mußte er unbemerkt die nächste Tür erreichen. Langsam schlich er sich heran, bückte sich und überschlug sich. Dann war er drinnen und richtete seine Laserpistole auf die überraschten Visitors, die an ihren Konsolen standen. »Geht dort rüber«, befahl er ihnen und winkte mit seinem Laser. Sie gehorchten. »Jetzt öffnet die Tür und laßt sie offen.«
Ein Visitor steckte einen Kristallschlüssel in eine Öffnung neben der Tür, und sie glitt auf. »Julie«, rief er, »alles in Ordnung. Du kannst kommen.« Julie trat ein, ihren Laser ebenfalls im Anschlag. »Und jetzt«, befahl Mike, »gebt das Kommando, dieses Ding zu sprengen.« Die Visitors schauten ihn in heller Panik an, ihre künstlichen Augen weiteten sich ungläubig. »Dann werden wir alle sterben müssen«, stieß einer von ihnen endlich hervor. »Es wird einige Zeit dauern, bis das Kommando ausgeführt werden kann«, erzählte ihnen Mike. »Genug Zeit, um die Shuttles zu erreichen.« »Aber euer Planet entfernt sich immer mehr mit jeder Sekunde«, sagte eine Stimme hinter ihnen. Mike und Julie wirbelten gleichzeitig herum. Eine dunkelhaarige Frau sah sie ängstlich an. Um ihren Nacken lag der schuppige Arm eines Visitors, der keine Maske trug. In der Klaue des anderen Armes hielt er eine Laserpistole, deren Mündung auf den Kopf der Frau gerichtet war. »Wir wollen auch gar nicht nahe der Erde sein, wenn dieses Ding hier hochgeht, das wäre doch dumm von uns, oder?« fragte Mike cool. »Wenn ihr aber zu weit weg seid«, erklärte Dr. Morrow, »schaffen die Shuttles es nicht, euch zu eurem Planeten zurückzufliegen.« »Wir werden es schon schaffen«, versicherte Julie. »Ah«, seufzte Dr. Morrow. »Aber Dr. Fontaine wird es nicht schaffen. Sie wird hier sterben, wo wir jetzt stehen.« »Dann werden Sie sterben«, versprach Mike. »Dann werden wir alle sterben.« Dr. Morrow schien Spaß an diesem kleinen Spiel zu haben. »Genug jetzt, Mr. Donovan. Werfen Sie Ihre Waffen weg, oder ich töte Sie hier auf der Stelle.«
Mike und Julie zögerten. »Jetzt sofort!« kreischte Dr. Morrow. Sie warfen ihre Laser zu Boden, da sie keine andere Chance gegen Dr. Morrows Rücksichtslosigkeit sahen. »Sie haben verloren, Mr. Donovan und Dr. Parrish.« Dr. Morrow grinste hämisch: »Und nicht nur diesen Kampf, sondern den ganzen Krieg.« »Das wird sich zeigen«, erwiderte Julie. »Noch ist nichts entschieden.« »Aber es ist aus. Dr. Fontaine und ich werden ein Kind zeugen, so eins wie Elizabeth, ein Kind, das ich persönlich dazu erziehen werde, alle seine Kräfte gegen Ihre Rasse einzusetzen, um euch alle endgültig zu vernichten.« »Diese Art von Kräften erreicht das Kind niemals ohne Preta-na-ma«, erklärte Mike, »und Preta-na-ma lehrt Frieden.« »Es ist ein Fehler von ihnen, zu glauben, daß die alten Geheimnisse nur althergebracht weitergegeben werden«, widersprach Dr. Morrow. »Es ist die Aufgabe der Wissenschaftler, neue Wege zu finden, um große Dinge zu erreichen.« »Ist es die Aufgabe eines Wissenschaftlers, den Geist eines Kindes nachteilig zu beeinflussen?« fragte Julie. »Aus einer großen Philosophie ein Werkzeug des Hasses zu machen? Ich denke, da irren Sie sich, Dr. Morrow.« »Nein, Sie irren sich, und Sie sind erledigt«, höhnte er. »Wenn Sie nur genug Vorsorge getroffen hätten, die Tür hinter sich zu schließen.« Er schubste Sabrina einen Schritt vorwärts über die Türschwelle. »Aber das habt ihr nicht getan, nicht wahr?« »Und Sie auch nicht.« Eine kräftige Hand schoß hervor und griff Dr. Morrows Handgelenk so fest wie ein Schraubstock. Die Laserpistole fiel zu Boden, und Dr. Morrow keuchte und
gab Sabrina frei. Jack Stern hob ihn vom Boden hoch und warf ihn mit einer Hand gegen die Wand. Immer noch hatte er Dr. Morrows Handgelenk fest umklammert, und das Geräusch brechender Knochen war deutlich zu hören. »Ihre Waffen!« schrie Morrow. »Nehmt ihre Waffen an euch!« Aber die Mannschaft der Kommandozentrale war nicht schnell genug. Mike stürzte sich auf die beiden Laser, die er und Julie erst vor wenigen Minuten fallenlassen mußten. Dr. Morrow wurde immer noch an die Wand gedrückt, und Jacks linke Hand drückte jetzt seine Kehle zusammen. Er keuchte und spuckte, seine gelben Augen traten aus den Höhlen. Jeder, ob Mensch oder Visitor, beobachtete sein Ende schweigend. Es war, als ob ein Ritual vollzogen würde, das niemand unterbrechen durfte. Das Ritual der Rache. Grüne Flüssigkeit quoll aus Dr. Morrows Maul und tropfte auf Jacks Hand. Er öffnete weit sein schuppiges Maul, so daß man die spitzen Zähne darin sehen konnte. Ein neuer Schwall grüner Flüssigkeit brach aus ihm heraus, und dann wackelte sein Kopf und fiel zur Seite. Dr. Morrow war tot.
Kapitel 45
»Geben Sie Anweisung zur Zündung«, befahl Mike. »Aber die Explosion könnte auch Ihre Welt zerstören«, murmelte einer der Visitors ängstlich. »Sie haben doch gehört, was Ihr Boß gesagt hat, bevor er starb – wir bewegen uns ganz schnell von der Erde weg.« »Aber es kann dennoch nicht weit genug sein.« »Ich denke doch.« »Und wenn es nicht so ist, werden Sie nie mehr zur Erde zurückkehren können.« »Wir haben keine andere Chance. Also machen Sie schon.« Der Visitor streckte die Klaue über der Kommandokonsole aus und zögerte. Mike zielte ihm mit dem Laser direkt zwischen die Augen. »Tun Sie es!« Der Visitor gehorchte, eine Computergraphik illustrierte den weiteren Prozeß, als er den geheimen Code eingab, der aus dem Mutterschiff eine riesige Wasserstoffbombe machen würde, so gewaltig, daß sie die ganze Erde zerstören könnte. Schließlich schaute er von der Konsole auf. »Ich habe es getan«, raspelte er. Mike stieß ihn aus der Tür hinaus. Jack stand über dem Körper von Dr. Morrow und massierte seine gewaltigen Hände. Sabrina umarmte ihn und führte ihn sanft an einem Arm davon. Julie nahm den anderen, und sie folgten Mike und seiner Geisel, während der Rest der Kommandozentralenmannschaft dumm glotzend zurückblieb.
Draußen vor der Tür trafen sie auf Willie, Ham, Chris, Marie, Elias und John, die auf sie warteten und Waffen in den Händen hielten. »Kommt mit«, forderte Mike sie auf. »In wenigen Minuten geht dieses ganze Ding hier hoch.« »Das hast du gemacht?« fragte Ham, und sein gewöhnlicher Zynismus war völlig verschwunden. »Du hast es wirklich getan, Mike?« »Vielleicht. Wir müssen jetzt schnell in ein Raumschiff gelangen. Unser Freund hier ist, glaube ich, der Schiffsingenieur.« Mike klopfte mit seinem Laser gegen den Hinterkopf des Visitors. »Ich hoffe, daß sie ihn nicht sterben lassen wollen.« Noch einmal schaute er zurück zur Kommandozentrale. »Na, wollt ihr in dem Raum sterben?« schrie er der Mannschaft zu. »Viel Spaß.« Sie rannten hinaus und den nächsten Gang entlang. »Jetzt gibt es kein Zurück mehr«, meinte Chris. »Wenn sie den Zerstörungscode wieder rückgängig machen könnten, würden sie es versuchen.« Sie rannten nicht weiter durch die Gänge des Mutterschiffes. Statt dessen gingen sie hinter Mike und seinem Gefangenen her hinein in einen geräumigen dunklen Raum voller Visitors. »Du sagst kein Wort«, befahl Mike seiner Geisel, »oder du bist der erste, der tot sein wird.« »Laßt uns gehen, und wir werden euren Ingenieur nicht töten«, erklärte Mike in deutlichem, autoritärem Ton. »Wir wollen nur wieder zurück zu unserem Planeten fliegen.« Wie das Standbild eines Films hatte die Menge aufgehört sich zu bewegen und schwieg. »Laßt uns durch zum Flugplatz, ohne Schwierigkeiten zu machen, und gebt uns ein Raumschiff. Wenn ihr das alles tut,
bleibt er am Leben. Wenn ihr uns angreift, sehe ich mich gezwungen, ihn zu töten.« »Bildet einen Kreis um Mike«, schlug Ham seinen Mitkämpfern vor. Und so taten sie es, und alle zusammen bewegten sich jetzt wie einer durch den Raum. Sie gingen so dicht an den wütenden Visitors vorbei, daß sie sie atmen hören konnten. Langsam näherten sie sich dem Ausgang aus diesem Raum. Jack hatte Schweißtropfen auf der Stirn, die ihm die Schläfen und Wangen herunterliefen. Noch vor wenigen Tagen hatte er in Miami mit seinen Teamkameraden gearbeitet – und jetzt steckte er mitten in einem Kampf gegen Wesen, die die Erde erobern wollten. Immer noch waren sie in diesem Raum. Wenn sie erst mal den Gang erreicht hatten, würde es für die Visitors viel schwieriger werden, sie aufzuhalten. In dem niedrigen Gang würde ein Engpaß entstehen, falls sie sie jagen sollten. Jack schaute sich um, mit der schwitzigen Hand den Laser festhaltend. Julie und Sabrina – sein Liebling Sabrina – standen jeweils auf einer Seite bei ihm. Zum ersten Mal dachte er daran, daß sie es schaffen könnten. Ein dämonisches Heulen ertönte plötzlich in dem Raum, hallte durch die Gänge wider und gellte ohrenbetäubend. »Was, zum Teufel, ist das?« brüllte Jack durch den Lärm hindurch. Doch die erschrockenen Gesichter der Visitors verrieten ihm, was es war: das Warnsignal, das die drohende Zerstörung des Mutterschiffes bekanntgab. Schrille Schreie, Gezische und harsche Flüche erfüllten den Raum. Ein blauer Blitzstrahl schoß zu ihnen herüber und verfehlte nur knapp Maries Kopf. Mike schubste den Ingenieur beiseite. »Rennt!« brüllte er.
Seine Kampfgefährten rannten vor ihm her. Sie sprinteten einen dunklen Gang entlang, verfolgt von den Laserstrahlen ihrer Feinde.
Kapitel 46
Irgendwie schafften sie es bis zur Abflugrampe, ohne jemanden zu verlieren. Zu diesem Zeitpunkt war das ganze Schiff im Zustand totaler Panik, alle Visitors rannten verwirrt durcheinander, oder sie machten ihre Shuttles klar zum Abflug. Mike hob die Hand, als sie den Durchgang erreicht hatten, von dem aus man den ganzen Flughafen überblicken konnte. »Wartet, bis sie einen vollgetankt haben«, schlug er vor. »Und wenn sie an Bord gehen wollen, dann brechen wir durch. Wenn es uns gelingt, uns durch die Menge zu kämpfen, dann haben wir eine Chance.« Sie warteten alle, und sie waren sich darüber im klaren, daß ihre Chance ziemlich klein war. Eines der Raumschiffe hob jetzt vom Boden ab, und die riesige Luke öffnete sich, um es in die sternenklare Dunkelheit fliegen zu lassen. Enorme Schläuche wurden in das nächste Raumschiff gesteckt. Gerangel und Kämpfe fanden statt, weil jeder Visitor versuchte, in das nächste abfliegende Shuttle zu kommen. Irgendwie gelang es jedoch den Technikern, sie davon abzuhalten, das Raumschiff zu stürmen. Vielleicht spürten sie, daß sie nur eine Chance zum Überleben hatten, wenn sie Ruhe bewahrten. Dieser kurze Moment genügte den Widerstandskämpfern, durch die überfüllte Halle auf das neu aufgetankte Raumschiff zuzurasen. Sie sprinteten an hin- und herschnellenden Zungen und weit aufgerissenen gelben Augen vorbei. Diejenigen, die sie erkannten, stießen wilde Schreie aus, aber ihre Stimmen gingen im allgemeinen Chaos unter.
Sie hatten nur noch wenige Meter vor sich, als die Luke geöffnet wurde, und die Techniker den ersten Visitors erlaubten, an Bord zu klettern. Jack trieb einige Visitors zur Seite und war der erste, der die Laderampe erreichte. Er drehte sich um, um Sabrina neben sich zu ziehen. »Haltet sie auf!« raspelte eine schneidende Reptilienstimme. Jack hob einen Visitor hoch über seinen Kopf und schmiß ihn in die Menge, während seine Freunde an Bord kletterten. Der Körper riß ein halbes Dutzend Visitors zu Boden und leerte die Rampe. Die ganze Zeit heulte die Sirene im Hintergrund und verkündete den bevorstehenden Untergang. Jack zog sich mit seinen kräftigen Armen die Rampe hoch und schaltete den drohenden Ton für immer aus. Willie war schon an der Konsole, und schon erhob sich das Shuttle vom Boden. Als Willie das Raumschiff auf die Sterne zusteuerte, sah Jack unter ihnen die tobenden Visitors, die ihre Klauen noch immer voll Wut und Enttäuschung nach ihnen reckten. Die riesige Ladeluke des Flughafens begann sich zu schließen. »Willie…«, Mike versuchte, ruhig zu bleiben. Willie ließ seine Hand über die Konsole gleiten. Der Ausgang wurde immer schmaler. An Bord des Shuttles beobachteten alle es voll faszinierter Angst. Die Maschine pulsierte, und die Hafenpforte ließ ihnen nur wenige Zentimeter Platz, als sie hinausschossen. Dann schloß sie sich endgültig. »Stern!« schrie Ham. »Feuere mit der Laserkanone auf die Schalttafel neben der Eingangspforte.« Jack sprang auf den Drehstuhl, der im hinteren Teil des Raumschiffes über dem Boden schwebte. Er betrachtete die Apparaturen, unsicher, was er zu tun hatte. Und dennoch, er hatte seine Hände gerade auf die Griffe gelegt, als er auch
schon den Feuermechanismus auslöste und sah, wie sich die zischenden Blitzstrahlen in den gebogenen Rumpf des Mutterschiffes brannten. Die Landungsluke wurde wieder geöffnet. Er hörte nicht auf zu feuern, bis es ihm gelang, seine Schüsse zu kontrollieren. Der Bug eines anderen Raumschiffes erschien in der geöffneten Luke. Eine Feuergarbe zerschnitt die Schalttafel des Mutterschiffes. Flammen leckten heraus, und die Tür bebte. Das herausfliegende Raumschiff, dessen Pilot das vollständige Öffnen der Tür nicht abwarten wollte, kollidierte mit den Seitenpfosten und explodierte. Die Widerstandskämpfer jubelten und umarmten einander. Aber noch war nicht alles überstanden. »Wieviel Zeit bleibt uns noch, bis das Mutterschiff explodiert?« fragte Julie. »Eine Minute«, antwortete Willie, ohne den Blick von der Konsole zu heben. »Vielleicht auch zwei.« »Der Rest von ihnen wird es kaum schaffen, aus dem Schiff herauszukommen, aber ein Shuttle ist vor uns gestartet.« Willie nickte. Einen Augenblick später flogen sie eine Kurve und der atemberaubende Anblick des Planeten Erde mit seiner weiß-blauen Krümmung wurde sichtbar. Und sie sahen ein winziges schimmerndes Stäubchen über der Scheitelkrümmung, den fliehenden Kampfflieger. »Sie ahnen nicht, daß wir hinter ihnen sind«, stellte Mike fest. »Kannst du sie einholen, Willie?« Der Alien nickte und flog schneller. »Wir sind nahe genug an eurer Welt, um die Schwerkraft gut nützen zu können«, erklärte er, »aber zu weit entfernt, um schnell manövrieren zu können, da unsere Antischwerkraftmaschinen gegen die Kraft der Gezeiten ankämpfen müssen.«
Immer schneller sanken sie der Erde zu und näherten sich den ahnungslosen Passagieren in dem anderen Raumschiff. Willie schaute erstaunt hoch, als Mike sich höchstpersönlich an die andere Laserkanone setzte. »Feuer!« brüllte er, als der Rumpf des Shuttles sichtbar wurde. Jack und Mike feuerten im gleichen Augenblick. Blaue Flammen tanzten um das Raumschiff, aber es explodierte nicht. Statt dessen überschlug es sich und raste zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Verfolg sie!« schrie John Tiger, ganz aufgeregt in der Hitze des Gefechts. »Du schaffst es!« brüllte Mike. »Leg los, Willie!« Der getroffene Kampfflieger schoß in Zickzacklinien durch den Raum, direkt auf das von Kratern zerfurchte Gesicht des Mondes zu. Willie beobachtete ihren Kurs auf dem Bildschirm und tat sein Bestes, ihre serpentinenartige Flugbahn zu verfolgen. Sie hatten ihn fast erreicht, als das kampfunfähige Shuttle sich überschlug und direkt auf das Mutterschiff zuschoß. »Sie werden langsamer«, rief Jack. »Wir können sie noch einholen.« »Also los«, brüllte Elias. »Pack sie, Willie.« »Nein!« schrie Willie. Ihr Raumschiff überschlug sich, und Willie arbeitete wie rasend an der Konsole. Die Widerstandskämpfer schrien enttäuscht auf. Und dann sahen sie, wie weise Willie gehandelt hatte. Gezackte Linien reinen weißen Lichtes kamen aus dem gekrümmten Rumpf des Mutterschiffes. Sie vergrößerten sich zu riesigen blendenden Lichtgebilden, die einen Feuerball bildeten, während die getroffenen Trümmer in der Hitze zerschmolzen.
In dem blendenden Licht konnten sie jetzt weder die Erde noch den Mond erkennen. Über ihnen war ein winziger schwarzer Fleck, der sich neben dem Atompilz abzeichnete. Es war das getroffene Raumschiff, das sich überschlug und noch zu wenden versuchte. Dann wurde es von dem allgegenwärtigen Licht geschluckt. Das Licht breitete sich jetzt über dem gesamten Raum aus und näherte sich dem zweiten Raumschiff – nämlich ihrem. »Nein!« schrie Marie. »Hilf uns, lieber Gott«, betete Jack. »Wenigstens haben wir sie zuerst getroffen«, meinte Ham. Das brennende Licht füllte die Leere jetzt vollständig aus, aber es vergrößerte sich nicht mehr. Sie hielten den Atem an. Und warteten. Das Licht blieb – dann wurde es langsam schwächer. Keiner von ihnen bewegte sich, als es immer kleiner wurde und langsam in der Dunkelheit des Weltraumes verschwand, bis schließlich keine Spur mehr davon zurückblieb.
Wie aus einer Trance wurden sie plötzlich von einer knatternden weiblichen Stimme geweckt. Das Bild Medeas, der Flottenkommandeurin erschien mitten unter ihnen. Die Übertragung kam von ihrem Mutterschiff, das hinter dem Mond stationiert war. »Warum antwortet mir keiner an Bord?« fragte sie wütend. »Kannst du uns in die Übertragung einschalten, Willie?« fragte Mike. Medeas Augen weiteten sich, als sie plötzlich Mike Donovan vor sich sah. »Dr. Morrow?« wollte sie wissen. Ganz offensichtlich platzte sie beinahe vor Wut. »Was hat das zu bedeuten?«
»Dr. Morrow ist tot«, erzählte ihr Mike. »Das Schiff und seine sämtlichen Geheimnisse sind zerstört. Ein netter Versuch, aber Sie haben schon wieder verloren.« Medeas Nasenflügel bebten. Trotz des schönen menschlichen Gesichtes, das sie trug, konnte man darunter ihre Reptiliennatur erkennen. Wütend ließ sie ihre Hand fallen, und die Übertragung war beendet. Als die Freunde laut zu jubeln begannen, hob Mike beschwichtigend eine Hand hoch. »Laßt uns erst abwarten, ob wir wirklich sicher nach Hause kommen, bevor wir anfangen zu feiern.« Willie steuerte das Shuttle auf die sonnenbeschienene Seite der Erde. Als sie dicht genug dran waren, schaltete er die Maschinen aus und ließ jetzt die Schwerkraft der Erde ihre Arbeit machen. Sie sanken herrlichen weißen Wolken entgegen und dem tiefblauen Ozean, und bahnten sich an der Küste entlang ihren Weg nach Hause.
Kapitel 47
Jack stand da und beobachtete das Lagerfeuer, den einen Arm in der Schlinge und den anderen um Sabrinas Taille gelegt. Sie hatte ihren Kopf an seine Schulter gelehnt, während die Indianer mit den anderen Widerstandskämpfern tanzten und lachten und ihren Sieg über einen gemeinsamen Feind feierten. Mike, Julie, Elias und Willie waren an die Westküste zurückgekehrt. Jack war traurig gewesen, als sie abreisten, aber sonst waren alle anderen hier heute nacht. John Tiger und Marie kamen von der anderen Seite des Feuers auf sie zu. Sie trugen die traditionellen leuchtenden Farben und Federn ihres Volkes. »Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll«, entschuldigte sich Sabrina. »Ihr seid uns keinen Dank schuldig«, widersprach John mit erhobener Hand. »Marie und ich, wir haben beide jemanden verloren, den wir liebten. Es war ein harter Kampf, aber ich glaube, wir beide haben daraus gelernt.« »Was war das?« Sie drehten sich um und sahen, daß Ham und Chris mit Getränken in der Hand auf sie zukamen. »Was hast du dabei gelernt?« wollte Ham wissen. »Daß wir manchmal zusammenarbeiten müssen. Klingt sentimental, aber es ist wahr.« »Das«, erklärte Ham und zog eine Flasche hervor wie ein Friedensangebot, »war es, was ich dir damals bereits sagen wollte, als wir uns das erste Mal sahen.« John sagte einen Augenblick lang nichts und blickte Ham abschätzend an. »Yeah, vielleicht hast du das.« Und plötzlich
grinste er: »Es lag nicht daran, daß ich deine Botschaft nicht verstanden hatte, sondern daß Leute wie du uns bisher viel Anlaß geboten haben, mißtrauisch zu sein.« »Laßt uns darüber ein anderes Mal sprechen«, grinste Ham und bot die Flasche wieder an. John lächelte und akzeptierte und nahm einen kräftigen Schluck, um gleich darauf das Gesicht zu verziehen. »Was ist das für ein Stoff?« keuchte er. Ham blickte Chris verschwörerisch an und dann Jack und Sabrina. »Lizardöl«, grinste er. Sie mußten alle lachen. Heute nacht fühlten sie sich alle großartig, aber sie wußten auch, daß der Krieg noch nicht zu Ende war. Mike und Julies Abwesenheit unterstrichen diese Tatsache noch. Aber bis die Visitors zurückkehren würden, konnten sie sich ihres Lebens erfreuen, und das war etwas, was sie in den letzten vergangenen Tagen kaum von sich behaupten konnten. »Jack?« Ham bot ihm die Flasche an. »Nein danke. Wir wollen lieber etwas Spazierengehen.« »Aber nicht zum Lager«, meinte Marie. »Dort ist eine riesige Truppe von Biologen und Wissenschaftlern, die untersuchen, was die Visitors zurückgelassen haben.« Sabrina lächelte sie an. »Du hast recht, Marie. Es ist dort wahrscheinlich zu bevölkert.« »Viel Spaß«, wünschte John ihnen noch. Jack und Sabrina erklärten lächelnd, daß sie das vorhätten, und gingen Hand in Hand davon.