Lobo � Lobo
Der Einzelgänger � Nr. 107 � 107
John Tyler �
Das Erbe des Killers �
Sahara
Er hatte sich einen teufli...
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Lobo � Lobo
Der Einzelgänger � Nr. 107 � 107
John Tyler �
Das Erbe des Killers �
Sahara
Er hatte sich einen teuflischen Plan ausgedacht – aber er hatte nicht mit Lobo gerechnet. Die Hauptpersonen des Romans: Craig Brüssel – Er ist reich und skrupellos. Eine tödliche Mischung. Auch für ihn selbst. Cecilie Brüssel – Sie ist jung und hübsch; und sie ist die Erbin des Killers. Al Clay borne – Tut, was man ihm sagt. Leider hat er den falschen Auftraggeber. Chuck Matthews – Ist es leid, ständig herumzuziehen. Aber er muß feststellen, daß es nicht immer ungefährlich ist, sich irgendwo niederzulassen. Lobo – Treibt eine Herde von Texas nach Arizona und muß dann erfahren, daß die eigentliche Arbeit dort erst beginnt. Flirrend heiß lag die Luft über dem winzigen Drecknest, in das Lobo langsam über die Main Street hineinritt. Der Ort war wie ausgestorben. Kein Mensch war auf der Straße. Nur ein abgemagerter gelber Köter schleppte sich, auf drei Beinen humpelnd, quer über die Straße zu einem ausgetrockneten Trog, der sonst vielleicht als Tränke dienen mochte, jetzt aber Skorpionen und Eidechsen als Unterschlupf diente. Nach etwa dreihundert Yards verbreiterte sich die Straße zu einem dreieckigen Platz. In der Mitte stand ein morscher, hoher Pfahl, von dessen Spitze schlapp und bewegungslos ein schmutziges Tuch herabhing, das man mit sehr viel Mühe und Phantasie als Sternenbanner erkennen konnte. Lobo hatte die mexikanische Grenze hinter sich, er war wieder in Texas. Die halb zerfallenen Häuser, die den Platz begrenzten, ließen 2
nicht erkennen, ob sie noch bewohnt wurden. Fast überall war die Farbe aufgeplatzt und abgeblättert. Die hölzernen Bretter und Balken waren rissig und hatten sich verzogen. Niemand schien sich die Mühe machen zu wollen, die entstandenen Fugen und Spalten zu stopfen. Lediglich ein Haus an diesem Platz gab einen versteckten Hinweis darauf, daß dieser Ort noch bewohnt wurde. Das betreffende Haus hatte einen besonders breiten und überdachten Stepwalk. Über der Eingangstür in der Mitte hing ein hölzernes Schild, dessen Aufschrift allerdings nicht mehr zu lesen war. Dennoch war unzweifelhaft zu erkennen, daß es sich hier um den Saloon handeln mußte. Der schwere, süßliche Geruch von Whisky und verschaltem Bier umgab dieses Gebäude und wirkte weit auffälliger als ein Firmenschild. Lobo lenkte sein Pferd dorthin und band es im schmalen Schatten, den das Haus warf, an den Haltebalken. Hölzerne Läden vor den Fenstern hielten die Sonne ab und bewirkten, daß der Schankraum in ein dämmriges Licht getaucht wurde. Lobo blieb eine Zeitlang an der Tür stehen. Seine Augen waren noch von der gleißenden Sonne geblendet und mußten sich erst an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnen. Der Saloon war sehr spärlich eingerichtet. Grobe Tische und Stühle waren das einzige Mobiliar. Von der Decke herab hingen an eisernen Drähten und Ketten schmutzige Ölfunzeln. Die Wände waren mit Plakaten von Tänzerinnen beklebt. Die Farben waren im Laufe der Zeit verblaßt und mit einer gelblichen Schicht aus Staub und Zigarrenqualm überzogen. Zahlreiche Einschüsse in der Decke und in den Wänden deuteten darauf hin, daß es in diesem Ort nicht immer so friedlich zuging wie im Augenblick. In einer Ecke der Kneipe saß ein hagerer, unrasierter Mann hinter einem Glas Bier und reinigte sich mit seinem Bowiemesser 3
die Fingernägel. Er war außer Lobo der einzige Gast. Er sah nicht auf, als Lobo zur Theke ging und dem Wirt ein Zeichen gab. »Whisky«, bestellte Lobo. Der Keeper, ein gedrungener Mexikaner mit schulterlangem, pechschwarzem Haar schob Lobo ein Glas und eine Flasche zu. Er beobachtete Lobo, wie der den Korken mit den Zähnen aus der Flasche zog und die gelbe Flüssigkeit in sein Glas goß. Lobo nahm einen tiefen Schluck und füllte sein Glas von neuem. Der Whisky tat gut. Der Staub und Schmutz eines langen, harten Ritts mußten hinuntergespült werden. »Kommst du von der Grenze?«fragte schließlich der Keeper und deutete mit der Hand vage in die Richtung, in der Mexiko liegen mußte. Lobo antwortete mit einem Nicken. »Hier was zu erledigen?« fragte der Mexikaner weiter. ,,Auf der Durchreise«, antwortete Lobo. Der Keeper holte tief Luft und stöhnte dann leicht. »Hier ist jeder nur auf der Durchreise«, sagte er und blickte traurig vor sich auf die Theke. Mit dem Zeigefinger malte er Kreise in eine verschüttete Whiskylache. »Jeder!« bestätigte auch der Mann, der in der Ecke am Tisch saß und sich noch immer die Fingernägel reinigte. Er sah nicht auf dabei. Daraufhin sagte für lange Zeit niemand etwas. Nur das unregelmäßige Brummen einer fetten, blaugrün schimmernden Fliege und das harte Ticken einer Uhr hinter der Theke störten die Stille. Schließlich räusperte sich wieder der Keeper. »Geschäftlich unterwegs?« fragte er. Lobo schüttelte den Kopf. »Ich nehme, was kommt«, antwortete er. Wieder stöhnte der Wirt leicht und resignierend. 4
»Hierher kommt keiner geschäftlich!« »Keiner!« bestätigte wieder der Mann in der Ecke ohne aufzublicken. »Chuck Matthews war der einzige, der hier Geschäfte gemacht hat«, fuhr der Keeper fort. »Der einzige«, kam das Echo aus der Ecke. Danach war wieder lange Zeit Stille, die nur vom Ticken der Uhr zerhackt wurde. Diese Stadt war für Lobo ungefähr so interessant wie ein Kaninchen für einen Büffeljäger. Lobo hatte keine Lust, den Dialog mit dem Keeper fortzusetzen. Schweigend trank er an seinem Whisky, während die fette Fliege ihre Runden drehte, der Wirt in der Whiskylache malte und der Mann in der Ecke seine Fingernägel reinigte. Gestört wurde die Stille erst, als ein weiterer Gast den Schankraum betrat. Als die Perlenschnüre vor der Eingangstür raschelten, drehte sich Lobo um. Der Mann trug eine abgewetzte, glänzende Hose, die vor vielen Jahren einmal grau gewesen sein mochte, inzwischen aber nur noch eine schmutzige, verwaschene Farbe aufwies. Seine Füße steckten in dunklen, ausgetretenen Lederstiefeln, die dick mit Staub bedeckt waren. Der Fremde trug keine Halfter. Doch der Griff eines Revolvers ragte aus seinem Hosenbund. Der Mann hatte ein rundes, freundliches Gesicht. Er war glatt rasiert. Seine kurzgeschnittenen Haare gaben eine hohe, gewölbte Stirn frei. Der Fremde begrüßte die Anwesenden mit einer knapp angedeuteten Handbewegung und ging dann zur Theke. Sein Körper war dabei leicht nach vorn gebeugt, seine Schritte waren groß und ausgreifend. »Alles klar, Alter?« fragte der Fremde den Keeper und zwinkerte ihm freundlich mit einem Auge zu. »Gib mir ein Bier, aber ein großes. Dieser Tag ist dazu gemacht, etwas zu unterneh5
men.« Der Mexikaner füllte ein Glas und schob es dem Fremden hin. Der Mann nahm tiefe, lange Züge und setzte erst wieder ab, als das Glas leer war. Während er sich mit der rechten Hand den Schaum von den Lippen wischte, schob er mit der linken das Glas dem Keeper wieder zu. »Das war für den Anfang«, sagte er dabei. »Jetzt noch eins für den Durst!« »Wann geht es denn los?« fragte der Mexikaner, während er das Glas ein zweites Mal füllte. »Sobald Chuck noch einen dritten Mann gefunden hat«, antwortete der Fremde. »Aber nicht in dieser Stadt«, sagte der Keeper. »Den findet er hier nie.« »Nie«, meldete sich wieder der Mann aus der Ecke. Lobo wurde aufmerksam. Anscheinend war hier ein Job zu haben. Er konnte gut eine Arbeit gebrauchen. Die paar Dollar, die er noch in der Tasche hatte, reichten nicht mehr lange. »Was ist das für ein Job, für den dieser Chuck noch einen Mann sucht?« fragte Lobo. Der Fremde setzte sein Glas ab und musterte Lobo aufmerksam. »Bist du ein Cowboy?« fragte er dann. »Wenn es sein muß, bin ich Cowboy«, antwortete Lobo. »Dann bist du unser Mann«, sagte der Fremde und hielt Lobo die Hand hin. »Mein Name ist Pete. Manche nennen mich auch Punky Pete. Wir suchen noch einen guten Mann, der mit uns einhundertfünfzig Longhorns nach Arizona treibt.« »Meine Name ist Lobo«, sagte Lobo und ergriff die ausgestreckte Hand. * 6
Das alles hatte sich vor genau vier Wochen abgespielt. Lobo erinnerte sich in dem Augenblick wieder daran, als er seinen grauen Morgan-Hengst auf einem flachen Hügel zügelte und in das Tal hinabsah. Unter ihm standen in kniehohem, frischem grünen Gras einhundertfünfzig Longhorns und fraßen an den saftigen Spitzen. In den letzten Wochen hatte er, zusammen mit Chuck und Pete, die Rinder aus Texas quer durch Neu Mexiko bis nach Arizona getrieben. Jetzt hatten sie ihr Ziel erreicht. Nur noch wenige Meilen lagen zwischen ihnen und Red Bugville, dem Ort, in dem sich Chuck niederlassen wollte. Chuck Matthews war ein Mann, der ein wildes und hartes Leben hinter sich hatte. Jahrelang hatte er allein in der einsamen Wildnis Montanas als Fallensteller und Pelztierjäger gelebt. Dann hatte er sein Jagdrevier immer weiter in den Süden verlegt. Ein alter Traum zog ihn nach Texas. Er wurde einer der ersten Pony-Express-Reiter der Speditionsgesellschaft Rüssel, Major & Waddell, verdiente Geld beim Eisenbahnbau als Schwellenleger und Wachmann, arbeitete als Scout für die Armee und für Siedler, gewann ein Vermögen beim Pokern, wurde wieder ausgeraubt und schaffte es trotz alledem dennoch, mit seinem wenigen ersparten Geld ein paar abgemagerte Longhorn-Rinder zu kaufen. Und dann, schon nach kurzer Zeit, trugen einhundertfünfzig Longhorns sein Brandzeichen. Dieses Land, auf dem Lobo jetzt stand, war der Traum von Chuck Matthews gewesen. Hier wollte er Land pachten oder kaufen und eine große Rinderzucht beginnen. Lobo sah Chuck und Pete aus dem Tal herauf zu ihm hoch reiten. Übermütig schwenkte Chuck seinen Hut und stieß schrille Schreie aus. Dicht vor Lobo zügelte er erst sein Pferd. 7
»Wir haben es geschafft, Lobo«, sagte Chuck noch etwas atemlos vom schnellen Reiten. »Hier wollte ich immer hin!« »Hoffentlich gibt es in Red Bugville auch ein anständiges Bier«, sagte Pete. »Sonst hat sich die ganze Sache nicht gelohnt.« »Da kannst du dich gleich erkundigen«, sagte Lobo und deutete auf drei Reiter, die sich in schnellem Galopp aus der Richtung näherten, in der die Stadt lag. Die drei Reiter hielten genau auf Lobo, Chuck und Pete zu. Sie trugen lange Staubmäntel, die wie Fahnen hinter ihnen her wehten. Als sie sich näherten, konnte Lobo ihre Gesichter erkennen. Es waren Gesichter von der Art, wie sie Lobo nicht mochte. Ihre Augen lagen dicht beieinander, die Augenbrauen waren über der Nasenwurzel zusammengewachsen. Alle drei hatten zerschlagene Nasenbeine und erweckten auch sonst den Eindruck, als ob sie Prügeleien nicht unbedingt aus dem Wege gingen. Zahlreiche schlecht verheilte Narben hatten ihre Gesichter entstellt. Als der mittlere der drei dicht genug heran war, hob er einen Arm und zügelte sein Pferd. Auch die anderen beiden stoppten ihre Tiere. Der mittlere schob seinen Hut in den Nacken und musterte mit einem spöttischen Grinsen die drei Cowboys. »Ihr macht wohl eine kleine Pause, was?« fragte der Mann im Staubmantel. »Das ist nicht ganz richtig«, antwortete Chuck. »Unser Weg ist hier zu Ende.« »Was soll das heißen?« fragte der Narbengesichtige mit einer sehr leisen Stimme, in der aber ein drohender Unterton mitschwang. »Ganz einfach«, antwortete Chuck. »Ich werde mich hier niederlassen.« Der Mann im Staubmantel kniff die Augen zusammen. Dann schüttelte er langsam den Kopf. 8
»Das wird nicht gehen«, sagte er mit einem bösen Grinsen. »Warum sollte das nicht gehen?« fragte Chuck. »Mister Brüssel wird etwas dagegen haben«, antwortete der Mann im Staubmantel. Dann wandte er sich nach seinen beiden Begleitern um. »Ist es nicht so?« »Richtig, Al«, antworteten die fast gleichzeitig. »Mister Brüssel wird das gar nicht gefallen.« »Wer ist Mister Brüssel?« fragte Chuck. »Mein Boß«, antwortete der Mann, der Al genannt wurde. »Und er schickt mich, um dafür zu sorgen, daß auch getan wird, was er will.« »Bestellt eurem Boß einen schönen Gruß«, sagte Chuck, ohne sich einschüchtern zu lassen. »Aber ich werde morgen früh in die Stadt reiten und Land für meine Tiere pachten.« »Das hat Mister Brüssel bereits getan. Es ist nichts mehr übrig«, antwortete Al. »Dieses Land ist groß genug«, sagte Chuck. »Die Regierung wird für mich ausreichend Weideland haben!« Der Oberkörper von Al straffte sich. Auch seine beiden Begleiter setzten sich jetzt aufrecht in die Sättel. Ihre Hände wanderten langsam zu den Griffen ihrer Revolver. Lobo ließ die drei keinen Augenblick aus den Augen. Er wurde das Gefühl nicht los, daß es Ärger geben würde. »Sie scheinen mich nicht verstanden zu haben, Mister«, sagte Al. »Mister Brüssel will nicht, daß hier ein weiterer Rinderzüchter auftaucht. Dies ist sein Land. Nur er züchtet hier Rinder, verstanden?« »Wenn einer von euch den Revolver berührt, schieße ich ihn vom Pferd«, drohte Chuck. »Mich interessiert nicht, was euer Boß will oder nicht. Er wird sich daran gewöhnen müssen, mich als Nachbarn zu haben.« Dann ging alles blitzschnell. 9
Einer der drei Männer mit den Staubmänteln zog plötzlich seinen Revolver. Doch er war nicht schnell genug. Die Bewegung, mit der Chuck seine Waffe zog, war kaum mit den Augen zu verfolgen. Der Revolver flog ihm förmlich in die Hand. Ebenso schnell schlug er den Hahn zurück und schoß aus der Hüfte. Der Mann mit dem Staubmantel schrie gellend auf. Seine linke Hand preßte sich gegen den rechten Arm. Chucks Kugel hatte dem Mann das Handgelenk zerschmettert. Die anderen beiden hatten ebenfalls versucht, nach ihren Waffen zu greifen. Doch jetzt erstarrten sie in der Bewegung. Die Sicherheit und Geschicklichkeit, die Chuck bewiesen hatte, ließ es ihnen ratsam erscheinen, keine Gegenwehr zu leisten. »Verschwindet!« befahl Chuck. »Bestellt eurem Boß viele Grüße von Chuck Matthews. Er wird sich an mir die Zähne ausbeißen.« Mit fest aufeinandergepreßten Lippen und mit flackernder Angst in den Augen wendeten die Männer ihre Pferde. Sie hielten die Hände so, daß Chuck sie im Auge behalten konnte. Fürs erste hatten sie Respekt vor ihm. Erst als die Männer nicht mehr zu sehen waren, schob Chuck seine Waffe in die Halfter zurück. »Gut gemacht, Alter«, lobte Pete und klopfte Chuck anerkennend auf die Schultern. »Jetzt wissen sie wenigstens, mit wem sie es zu tun haben!« »Ich fürchte, wir werden noch eine Menge Ärger bekommen«, sagte Lobo. Er teilte nicht ganz die Begeisterung von Pete. Zu oft schon hatte er solche Situationen erlebt. »Das fürchte ich auch«, sagte Chuck nachdenklich. »Trotzdem werde ich morgen in die Stadt reiten. Ich werde Land kaufen und eine Farm aufbauen. Daran wird mich niemand hindern. Auch dieser Brüssel nicht.« »Du wirst morgen nicht allein sein«, sagte Lobo. Dann stieg er vom Pferd und begann, seinen 44er Army Colt zu reinigen. 10
* Die Hauptstraße von Red Bugville war leer und verlassen, als Lobo und Chuck in den Ort ritten. Es war Mittag, die Stunde der größten Hitze. Um diese Zeit hielt man sich besser in den kühlen Räumen der Häuser auf. »Ein friedliches kleines Städtchen«, murmelte Chuck und betrachtete interessiert die niedrigen Holzhäuser, die die Main Street begrenzten. Dieser Ort sollte seine neue Heimat werden. Er sah sich alles ganz genau an. »Ich hoffe, du hast recht«, sagte Lobo. Er traute der Stille nicht so ganz. Es war zu ruhig in Red Bugville. Fast totenstill. Automatisch zuckte Lobos Hand zu seinem Revolvergriff, als sich plötzlich ein Schatten neben einem Berg aufgestapelter Kisten bewegte. Der Schatten gehörte zu einem Mann, der dicht an den Häusern entlang vor den beiden Reitern davonlief. Der Mann überquerte eine Seitenstraße und verschwand dann in einem Hauseingang. Über dem Eingang stand in dicken schwarzen Buchstaben ›SALOON‹. Lobo hatte die Augen zusammengekniffen und blinzelte gegen die hochstehende Sonne. Genau hatte er den Mann nicht erkennen können. Er war noch zu weit entfernt gewesen. Aber es war Lobo aufgefallen, daß der Fremde einen langen Staubmantel getragen hatte. Einen von der gleichen Art, wie ihn auch die drei Gunmen getragen hatten, die Chuck gestern einen ersten Besuch abgestattet hatten. »Hast du ihn gesehen?« fragte Lobo Chuck. »War ja deutlich genug«, antwortete Chuck Matthews. »Meinst du, er hat auf uns gewartet?« »Das wird sich herausstellen«, antwortete Lobo und löste die Sicherungsschlaufen an seiner Halfter und am Sattelscabbard. 11
Dann zog er die breite Krempe seines Stetsons tiefer ins Gesicht, so daß seine Augen im Schatten lagen. Das Landbüro lag genau neben dem Saloon. Ein weißes Schild und ein aufgemaltes Sternenbanner verrieten, daß es gleichzeitig das Büro des Richters war. Chuck und Lobo waren jetzt noch etwa sechzig Yards vom Office entfernt. Die Hufe der Pferde traten kleine Staubwolken aus dem trockenen, gelben Lehmboden der Hauptstraße. Lobo und Chuck lenkten ihre Tiere geradewegs auf das Landbüro zu. Aber ihre Augen waren starr auf das schwarze Loch gerichtet, durch das der Mann im Staubmantel im Saloon verschwunden war. »Es geht los«, flüsterte Chuck plötzlich leise. Er hatte zuerst die Bewegung im Innern des Saloons gesehen. Dann traten drei Männer mit langen Staubmänteln auf den hölzernen Stepwalk. Einer von ihnen hatte die rechte Hand verbunden. Lobo erkannte sie sofort wieder. Es waren die drei Revolvermänner von Craig Brüssel. Ihre bösartigen, brutalen Gesichter vergaß man nicht so schnell. Die drei Killer hatten die Daumen hinter die Schnallen ihrer Halfter gehakt. Ihre Mäntel waren seitlich zurückgeschlagen und hatten die Griffe ihrer Revolver freigegeben. Sie lehnten sich lässig gegen die Säulen, die die Überdachung des Stepwalks abstützten. Ihr Wortführer, der Mann, der Al genannt wurde, kaute auf einem dicken Stück Kautabak. Ein feiner Faden von braunem Tabaksaft lief aus seinem Mundwinkel und rann durch die Stoppeln seines unrasierten Kinns. Wortlos blickten sie den beiden Reitern entgegen. »Was hältst du davon?« fragte Chuck. »Es war richtig, daß ich gestern meinen Revolver überprüft habe«, erwiderte Lobo. Sie wußten beide, daß die drei Killer 12
nicht zufällig dort standen. Als Lobo und Chuck noch etwa dreißig Yards vom Landbüro entfernt waren, setzten sich die drei Gunmen in Bewegung. Parallel zu den beiden Reitern gingen sie auf das Office zu. Die Augen der Killer blieben unverwandt auf Lobo und Chuck gerichtet. Ihre Arme waren leicht abgewinkelt und schwebten steif und unbeweglich dicht über den abgewetzten Griffen ihrer Revolver. Gleichzeitig mit Chuck und Lobo erreichten die Revolvermänner das Landbüro. Breitbeinig bauten sie sich vor dem Eingang auf. Der Killer, der einen Verband um die rechte Hand trug, stand etwas abseits. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Chuck und Lobo glitten aus den Sätteln und schlangen die Zügelenden um den hölzernen Haltebalken vor dem Office. Sie rückten ihre Halfter zurecht und betraten dann die erste Stufe der kleinen Treppe, die zum Stepwalk vor dem Landbüro führte. Nur noch drei Schritte trennten sie von den Killern. Plötzlich hatte der Anführer der Revolvermänner seine Waffe in der Hand. »Stop!« befahl er und ließ den brünierten Lauf des Revolvers zwischen Lobo und Chuck hin und her pendeln. Chuck gehorchte nicht sofort. Er machte noch einen weiteren Schritt und blieb erst stehen, als Al den Hahn der Waffe spannte. »Geh mir aus dem Weg«, forderte Chuck scharf. Seine stahlgrauen Augen blitzten den Killer drohend an. Al setzte ein spöttisches Grinsen auf und schüttelte langsam den Kopf. »Große Worte, Rinderzüchter«, sagte er. »Du spuckst verdammt große Worte!« Dann wandte sich Al an den Mann, der neben ihm stand, aber ohne Lobo und Chuck aus den Augen zu lassen. »Wie war das noch, Hustler?« fragte Al. »Haben wir diesem 13
Mann nicht erzählt, daß es hier kein Land mehr zu kaufen gibt?« Der Angesprochene nickte. »Doch, das haben wir ihm erklärt«, sagte Hustler. »Wir haben ihm gesagt, daß Mister Brüssel schon alles gepachtet hat.« »Genau, so war es«, meldete sich Al wieder. »Wie kommt es nur, daß dieser Mann das nicht begriffen hat? Waren wir nicht deutlich genug?« Bei diesen Worten bohrte Al den Lauf seines Revolvers in Chucks Seite. »Waren wir nicht deutlich genug, Rinderzüchter?« Chuck warf einen blitzschnellen Seitenblick auf Lobo. Die Killer bemerkten ihn kaum, aber Lobo verstand sofort. Die Revolvermänner hatten sie lange genug aufgehalten. Jetzt wurde es Zeit, daß sie den Weg freimachten. Lobo spannte seinen Körper und konzentrierte sich auf den Killer, der Hustler genannt wurde. Dann wartete er auf ein Zeichen von Chuck. Chuck hatte den Lauf eines gespannten Revolvers im Bauch. Er mußte anfangen. Langsam und vorsichtig hob Chuck beide Arme, bis seine Hände in Kopf höhe waren. Es sah so aus, als ob er sich ergeben wollte. Scharf blickte er dem Killer in die Augen. »Doch, du hast dich deutlich genug ausgedrückt«, sagte Chuck. »Nur hast du mich anscheinend nicht ganz begriffen. Du hast nicht begriffen, daß ich mich hier niederlassen und eine Rinderzucht aufbauen werde. Die größte, die dieses Land je gesehen hat. Und du hast auch nicht begriffen, daß ich mir dafür Land kaufen oder pachten werde. Daran wird mich kein Mister Brüusel hindern und kein Revolver. Revolver sind unnütz, wenn man damit nicht umgehen kann.« Bei den letzten Worten bog Chuck plötzlich den Oberkörper zur Seite und ließ seine beiden erhobenen Arme gleichzeitig niedersausen. Mit der einen Hand stieß er die Waffe von seinem Körper weg, die andere schmetterte er dem Killer gegen den 14
Kopf. Al Clayborne war von dem plötzlichen Angriff überrascht. Für Bruchteile von Sekunden war er handlungsunfähig. Als er sich wieder gefaßt hatte, war es bereits zu spät. Zwar krümmte sich sein Zeigefinger um den Abzug der Waffe, aber daß Projektil bohrte sich nutzlos in den Staub der Straße. Lobo zögerte keinen Augenblick. Als er sah, wie Chuck zuschlug, schnellte er vor und packte Hustler bei den Schultern. Der Mann war wie gelähmt. Lobo stieß ihn zurück, riß ihm den Revolver aus der Halfter und schleuderte die Waffe auf die Straße. Als Hustler sah, wie sein Revolver durch die Luft wirbelte, faßte er sich wieder. Mit einem tierischen Gebrüll warf sich der Kerl auf Lobo. Lobo empfing ihn mit einem gut plazierten Faustschlag. Doch der Killer war hart im Nehmen. Der Hieb stoppte ihn nicht. Er warf sich auf Lobo und krallte beide Hände um den Hals des Halbbluts. Der Mann hatte Bärenkräfte. Vergeblich versuchte Lobo, die Finger des Mannes aufzubiegen. Lobo fühlte sein Blut immer stärker in den Schläfen pochen. Seine Augen drohten, aus den Höhlen zu treten, seine Lungen spannten sich. Lange konnte er nicht mehr durchhalten. Mit der rechten Hand holte Lobo weit aus und rammte seine Faust in die ungedeckte Seite des Killers, dicht über der Hüfte. Hustler schnappte aufstöhnend nach Luft. Der klammernde Griff um Lobos Hals löste sich nur wenig. Doch für Lobo war es genug. Lobo saugte gierig die Luft in seine Lungen. Sofort kehrten seine Kräfte zurück. Er ließ die Faust nach oben sausen und schmetterte sie gegen das Kinn des Killers. Hustlers Kopf flog nach hinten, seine Hände lösten sich endgültig von Lobos Hals. Während der Kerl nach hinten taumelte, setzte Lobo nach. Mit 15
der Linken schlug er den Revolvermann zu Boden. Für Sekunden hatte er Zeit, sich nach Chuck umzusehen. Chuck und Al rollten ineinander verkrallt über den Stepwalk. Das Gesicht von Al war bereits von Schlägen verquollen. Chuck schien die Situation im Griff zu haben. Plötzlich warf sich Hustler von neuem auf Lobo. Er hatte sich schneller als erwartet wieder erholt. Mit beiden Armen umklammerte er Lobos Beine. Lobo verlor das Gleichgewicht. Seine Hände griffen Halt suchend nach der Säule des Stepwalks, dann stürzte er zu Boden. Ein langer Holzspan bohrte sich schmerzhaft in seinen Handballen. Das Messer sah Lobo erst im letzten Augenblick. Hustlers Hand war für eine Sekunde in seinem Hemd verschwunden, dann blitzte plötzlich ein Sonnenstrahl auf der langen, blanken Klinge auf. Lobo hatte keine Zeit mehr, auszuweichen. Fast instinktiv bog er seinen Körper zur Seite. Vergeblich versuchte er, den Messerarm des Gunmans zu fassen. Mit einem harten, knirschenden Geräusch bohrte sich die klinge in die morschen Bretter des Stepwalks, nur einen Fingerbreit neben Lobos Hals. Hustler hatte den Stich mit aller Kraft geführt. Die Klinge saß tief und fest in dem Holz. Es gelang ihm nicht sofort, das Messer wieder herauszuziehen. Viel Zeit gab ihm Lobo allerdings nicht. Lobo spürte das kalte Metall der Klinge an seinem Hals und wußte, daß er dem Killer keine Gelegenheit zu einem zweiten Stich geben durfte. Er winkelte beide Beine an und stieß sie dann mit aller Gewalt vor. Hustler riß den Mund auf und schnappte nach Luft. Seine Augen drohten, aus den Höhlen zu treten. Er glich jetzt einem Karpfen auf dem Trockenen. Seine Hände lösten sich vom Horngriff des Messers und verkrampften sich an der Stelle, an der ihn Lobo getroffen hatte. Ein leises Stöhnen entrang sich seiner Kehle. 16
Lobo wälzte Hustler von sich weg und erhob sich. Der Kerl hatte genug. Für einige Zeit würde er sich nicht mehr Leuten in den Weg stellen, die Land pachten wollten. Auch Chuck hatte seinen Gegner mit einem Faustschlag ausgeschaltet. Al lehnte schwer atmend mit dem Rücken gegen die Hauswand des Landbüros. Seine Arme hingen schlaff herunter. Er war nicht mehr in der Lage, weiter zu kämpfen. Kraftlos rutschte der Anführer der Killer an der Wand zu Boden und blieb dort sitzen. Chuck strich sich mit einer Hand durchs Haar und setzte dann wieder seinen Hut auf. Sein Gesicht zeigte kaum Spuren des Kampfes. Grinsend drehte er sich nach Lobo um. »Man wird sich in dieser Stadt noch daran gewöhnen müssen«, sagte Chuck, »daß man einen Chuck Matthews nicht mit ein paar Revolvermännern aufhalten kann!« »Das wird nicht einfach sein«, sagte plötzlich eine Stimme hinter Lobo und Chuck. Begleitet wurden die Worte von einem metallischen Klicken, das immer dann entsteht, wenn man den Hahn eines Revolvers spannt. Lobo und Chuck wirbelten herum. Etwa zwanzig Schritt hinter ihnen stand der dritte der Killer und hielt einen gespannten Revolver in der Hand. Mit ihm hatte keiner mehr gerechnet; weil er die rechte Hand verbunden hatte. Chuck hatte ihm am Abend vorher die Hand zerschossen. Jetzt hielt er die Waffe in der linken Hand. Der Mann setzte ein brutales Grinsen auf, das sein von Narben entstelltes Gesicht noch gefährlicher aussehen ließ. »Du hast mich zum Krüppel geschossen, Rinderzüchter«, sagte der Revolvermann weiter. »Dafür wirst du jetzt büßen müssen!« Drohend schwenkte der Lauf seiner Waffe zwischen Lobo und Chuck hin und her. Lobos Hand schwebte unmittelbar neben dem abgewetzten 17
Griff seines Army Colts. Dennoch konnte er es nicht wagen, zu ziehen. Obwohl der Revolvermann seine Waffe in der linken Hand hielt, würde er schneller sein. Sein Revolver war bereits gezogen und gespannt. »Ich werde jetzt zwei Dinge gleichzeitig erledigen«, redete der Killer weiter. »Ich werde dafür sorgen, daß du dich hier nicht niederläßt und ich werde dir eine bleibende Erinnerung an diesen Tag schenken!« Ein gemeines Grinsen lief über sein Gesicht. »Kannst du dir denken, was ich meine?« Chuck konnte sich sehr wohl denken, was der Revolvermann meinte. Er kannte Leute dieses Schlages. Er hatte oft genug mit ihnen zu tun gehabt. Aber er antwortete nicht. Er suchte nach einer Möglichkeit, den Mann zu überlisten. Die Lösung sahen Lobo und Chuck fast gleichzeitig. Mit einem kurzen Blick verständigten sie sich. Mehr als vier Wochen waren sie zusammen geritten. Von Texas quer durch Neu Mexiko bis weit nach Arizona hinein. Auf diesem Trail hatten sie sich kennengelernt. Sie brauchten nicht mehr viel Worte zu wechseln, sie verstanden sich auch so. Ein Blick genügte. »Es sieht so aus, als ob du in der besseren Position wärest«, sagte Chuck leise zu dem Killer. Dabei bewegte er sich langsam seitwärts. Er entfernte sich immer weiter von Lobo, der bewegungslos stehenblieb. Nur der Abstand zwischen Chuck und dem Revolvermann blieb gleich. Der Mann mit dem Revolver grinste. »Du bist ein kluger Rinderzüchter«, höhnte er. ,,Zu schade, daß du gestern so unvorsichtig warst. Du hättest nicht auf mich schießen dürfen. Möglicherweise wäre dann noch etwas aus dir geworden.« Chuck antwortete lediglich mit einem Schulterzucken. Immer noch bewegte er sich weiter seitwärts. Immer weiter entfernte er sich von Lobo. 18
Noch schwenkte der Lauf des Revolvers, den der Killer in der Hand hielt zwischen Lobo und Chuck hin und her, aber der Bogen, den der Lauf beschrieb, wurde ständig größer. Der Revolvermann schien nicht zu begreifen, was Chuck beabsichtigte. Leute seines Schlages konnten zwar grausam und brutal sein, aber Intelligenz besaßen sie nur sehr begrenzt. Lobos Sehnen und Muskeln spannten sich. Der Zeitpunkt, in dem er handeln mußte, rückte näher. Alles mußte präzise und blitzschnell gehen. Er konnte sich keinen Fehler leisten. Die geringste Ungenauigkeit konnte Chuck das Leben kosten. Lobo mußte warten, bis sich der Lauf des Revolvers, den der Killer hielt, wieder einmal von Chuck wegbewegte. Für Bruchteile von Sekunden würde er auf kein Ziel gerichtet sein. In diesem Moment mußte Lobo ziehen, spannen und schießen. Er mußte genau schießen. Der Killer mußte mit einem Schuß kampfunfähig sein. Jetzt hielt der Revolvermann den Lauf seiner Waffe auf die Brust Lobos gerichtet. Noch immer stand auf seinem Gesicht das dreckige Grinsen. Lobos Finger zuckten kaum merklich. Seine Hand war nun in der richtigen Position. Er war bereit zu ziehen. Obwohl die Sonne inzwischen im Zenit stand und die Luft heiß und drückend über der Stadt lag, waren Lobos Handflächen völlig trocken. In solchen Situationen konnte schon wenig Schweiß tödlich sein. Der Revolver des Killers bewegte sich zurück auf Chuck. Chuck wußte, daß es jetzt soweit war. Er blieb stehen und blickte seinem Gegner scharf in die Augen. Auch Chuck war völlig ruhig. Er hatte keine Angst. Er vertraute Lobo. Er wußte, daß das Halbblut, das er in einem winzigen Nest in Südtexas auf seine Lohnliste als Cowboy gesetzt hatte, gut war. Plötzlich schien der Killer zu spüren, daß etwas in der Luft lag. 19
Die Anspannung der beiden Männer, die er in Schach hielt, übertrug sich auf ihn. Seine Augen begannen zu flackern. Er wurde unsicher. Aber er konnte sich nicht erklären, warum. »Hast du Angst, Rinderzüchter?« fragte der Killer mit leichtem Zittern in der Stimme. Seine Augen zuckten zwischen Lobo und Chuck hin und her. Dann bewegte er den Lauf seiner Waffe zurück auf Lobo. Diese Bewegung konnte er nicht vollenden. Lobos Hand zuckte zum Griff seines Army Colts. Seine Finger schlossen sich um die abgewetzten Griffschalen. Sein Zeigefinger schob sich in den Abzugsbügel, während er die Waffe schon halb aus der Halfter heraus hatte. Sein Daumen fand den geriffelten Teil des Hammers. Seine Knie knickten leicht ein, während auch die linke Hand vorschoß und den Hammer vollständig zurückschlug. Die Waffe schlug in Lobos Hand, als die Feuerzunge den sechseckigen Lauf verließ. In das Donnern der Detonation mischte sich ein gellender Schrei. Es war der Revolvermann, der den Schrei ausgestoßen hatte. Er brüllte wie ein verwundetes Tier. Er brüllte noch, als sich die dichte Wolke von verbranntem Pulver längst verzogen hatte. Er stand noch immer an der gleichen Stelle, von der aus er Chuck und Lobo in Schach gehalten hatte. Er stand dort einfach und schrie. Seine Waffe lag mehrere Yards neben ihm. Seine beiden Arme hingen nutzlos und kraftlos herab. Die rechte Hand trug einen weißen Verband. Bald würde er auch an der linken einen tragen müssen. Das Projektil aus Lobos Waffe hatte seinen Unterarm aufgerissen. Ruhig schob Lobo seinen Revolver in die Halfter zurück. Er hätte den Mann töten können. Es wäre Notwehr gewesen. Niemand hätte ihm einen Vorwurf daraus gemacht. Aber er wollte nicht seinen ersten Besuch in Red Bugville mit einer Leiche 20
beginnen. Der Mann war gestraft genug. Er würde seine beiden Hände vielleicht niemals mehr gebrauchen können. »Du bist ein guter Mann, Lobo«, sagte Chuck schließlich und legte Lobo anerkennend die Hand auf die Schulter. »Ich bin froh, daß ich dich damals in Texas auf meine Lohnliste gesetzt habe.« »Bedank dich dafür bei Punky Pete«, sagte Lobo. »Du hast es ihm zu verdanken, daß ich mit euch geritten bin.« Chuck lachte. »Ich werde dem guten Pete ein Bier dafür kaufen«, antwortete er. »Ich wüßte nicht, wie man sich sonst bei ihm bedanken könnte.« Lobo nickte. »Aber vorher sollten wir uns wohl besser einmal ansehen, wie das Land hier in der Gegend verteilt ist«, gab er zu bedenken. »Ich schätze, jetzt wird uns niemand mehr aufhalten.« »Jedenfalls rate ich das keinem«, sagte Chuck und legte seine Hand leicht auf den Griff seines Revolvers. Er war jetzt in einer Stimmung, in der er es mit einer ganzen Armee aufgenommen hätte. * Das Mädchen stand im Schatten einer alten Scheune. Es beobachtete das Halbblut und den Rinderzüchter, die auf die Tür des Landbüros zugingen. Sie stand schon sehr lange dort. Sie hatte auf die beiden gewartet. Mindestens ebenso lange wie die drei Revolverhelden. Chuck entdeckte das Mädchen, kurz bevor er die Tür zum Office aufstieß. Als er sie sah, blieb er wie angewurzelt stehen. Das Mädchen war noch sehr jung. Sie mochte vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt sein. Doch zeichnete sich unter ihrer knappen, weißen Bluse bereits ein sehr fraulicher Körper 21
ab. Ihr Gesicht war auffallend bleich. Die vollen, roten Lippen wirkten wie Blut im Schnee. Aus großen, mandelförmigen dunklen Augen blickte sie zu den beiden Männern herüber. Sanfte Wellen von pechschwarzem, langem Haar umspielten ihr Gesicht. Sie stand dort unbeweglich, und ihre jugendliche, auffallende Schönheit wirkte in dieser fast menschenleeren, traurigen Stadt irgendwie unwirklich. Sie war wie eine Erscheinung. »Siehst du, was ich sehe, oder kann ich die Sonne hier schon nicht mehr vertragen?« fragte Chuck und hielt Lobo am Arm zurück. »Ich glaube, wir sehen beide das gleiche«, antwortete Lobo. Auch er war von der Schönheit des Mädchens beeindruckt. Plötzlich bewegte sich die Erscheinung. Das Mädchen drehte sich um und verschwand im Innern der Scheune. Die Dunkelheit verschluckte sie. Chuck schloß wieder die bereits halb geöffnete Tür des Landbüros und ging wie in Trance die beiden Stufen des Stepwalks, die auf die Straße führten, herunter. Er ging quer über die Straße und steuerte auf das riesige Tor der Scheune zu, durch das das Mädchen verschwunden war. Lobo lief ihm nach und holte ihn auf halber Strecke ein. Er faßte Chuck am Arm und hielt ihn zurück. »Was hast du vor, Chuck?« fragte Lobo. »Willst du dir zuerst eine Frau suchen oder zuerst Land pachten?« Das Mädchen hatte Chuck anscheinend die Sinne geraubt. Es sah so aus, als ob er erst jetzt wieder in die Wirklichkeit zurück fände. Er sah Lobo an, als ob er aus einem Traum erwachte. Dann fuhr er sich mit einer Hand über die Augen. »Hast du so etwas schon einmal gesehen?« fragte Chuck. Aber er erwartete darauf keine Antwort, und Lobo sagte nichts. Chuck blickte zu der Stelle, an der das Mädchen verschwun22
den war, so, als ob sie dann wieder auftauchen würde. Sie tat es nicht. Chuck wandte den Kopf. Er sah zum Landbüro hinüber, dann wieder zum Tor der Scheune. Schließlich entschied er sich für das Landbüro. »Ich werde sie wiederfinden«, sagte Chuck. »Wenn mit der Pacht alles geregelt ist, werde ich sie wiederfinden.« Mit schnellen Schritten ging Chuck zurück zum Office. Lobo folgte ihm. Al und Hustler waren inzwischen verschwunden. Auch der Mann, dem Lobo die Hand zerschossen hatte, war nicht mehr zu sehen. Niemand hinderte Lobo und Chuck, das Büro zu betreten. Aber mehrere Augenpaare beobachteten sie. * Ein kleiner, schmächtiger Mann stand mit dem Rücken zur Tür und blickte aus dem Fenster des Offices, das zur Straße zeigte, als Lobo und Chuck das Landbüro betraten. Auf seiner Stirn trug er eine schwarze Schirmmütze, seine vor der Brust verschränkten Arme steckten in schwarzen Manschetten, die bis zum Ellenbogen reichten. Als Lobo die Tür hinter sich schloß, drehte sich der Mann um. Auf seiner langen, knorpeligen Nase saß eine kreisrunde Brille mit einem dünnen Metallrahmen. Hinter den dicken Gläsern funkelten listige, kleine Auglein. Ein dünner, langer Spitzbart hing von seinem weit vorstehenden Kinn herab. Seine schmalen, fast blutleeren Lippen verzogen sich zu einem freundlichen Grinsen, als er die beiden Männer musterte. Das Männchen deutete auf zwei mit Leder bezogene Sessel, die vor einem gewaltigen Schreibtisch standen. Als Lobo und Chuck Platz nahmen, setzte er sich selbst hinter den Schreibtisch auf einen ungewöhnlich hohen Stuhl. Die geringe Körpergröße des Männchens wurde dadurch ausgeglichen. Er thronte jetzt hoch 23
über Lobo und Chuck und wirkte fast doppelt so groß. »Sie haben sich da auf etwas eingelassen«, piepste das Männchen mit einer hohen Fistelstimme, »das Sie jetzt noch nicht übersehen können. Aber mir gefällt das. Ich habe schon lange gehofft, daß es irgendwann einmal eintreffen würde.« Chuck und Lobo sahen sich erstaunt an. Sie begriffen nicht, was der Mann meinte. Das Männchen bemerkte die verwunderten Gesichter und kicherte in sich hinein. Sein dünner Spitzbart zitterte und wippte auf und ab. »Ich habe Sie beobachtet«, erklärte das Männchen. »Ich habe gesehen, wie Sie sich mit den Revolvermännern von Craig Brüssel angelegt haben. Das ist schon häufig geschehen. Da sind Sie nicht die ersten. Aber Sie sind die ersten, die es geschafft haben, trotzdem bis zu mir ins Büro zu kommen.« Ein leichter Unterton von Bewunderung schwang in der Stimme des Mannes mit. »Was ist mit den anderen geschehen, die sich vor uns schon mit den Killern angelegt haben?« fragte Chuck. Das Männchen zupfte an seinem Spitzbart und glättete ihn. »Ein paar von den Leuten, die vor ihnen hier waren, sind einen Tag später weitergezogen«, erklärte das Männchen mit der Schirmmütze. »Die anderen haben sich hier niedergelassen.« »Haben also Land gepachtet?« fragte Chuck. Das Männchen schüttelte den Kopf. »Nein, geschenkt wurde ihnen das Land. Da ist dieser Staat sehr großzügig. Er gab ihnen soviel Land, wie sie brauchten. Nur, sie brauchten nicht mehr sehr viel.« Das Männchen machte eine lange Pause, um die Wirkung der Worte zu erhöhen. Dann redete es weiter. »Das Land, das sie erhielten, war zweieinhalb Yards lang und einen Yard breit. Aber drei Yards tief. Ihre Besitzurkunde war 24
ein kleines Holzkreuz mit ihrem Namen.« Während das Männchen redete, strich es ununterbrochen über seinen Bart. Die kleinen Äuglein hinter den Brillengläsern zuckten unruhig hin und her und funkelten listig. »Ich habe hier nicht viel zu tun«, sagte es weiter. »Schon seit Jahren ist Mister Brüssel mein einziger Kunde. Ich hoffe deshalb, daß Sie auch weiterhin soviel Erfolg haben, wie heute morgen gegen den Vormann von Mister Brüssel. Ich wünsche es mir. Es würde meine Arbeit ein wenig interessanter machen. Ich weiß schon fast gar nicht mehr, wie man Pachtverträge aufstellt. Sie wollen doch Land pachten, oder?« Chuck nickte. »Ich habe vor, mich hier niederzulassen. In dieser Gegend gibt es ausgezeichnetes Weideland. Ich möchte hier eine Rinderzucht aufbauen.« »Jaja«, sagte das Männchen. »Das ist hier gutes Land. Wie geschaffen für Rinderzucht. Aber es liegt fast alles brach, weil Craig Brüssel jede neue Farm verhindert. Solange er keinen Konkurrenten hier hat, kann er die Rinder zu seinen Bedingungen verkaufen.« »Was muß ich tun, um eigenes Land zu bekommen?« fragte Chuck. »Vor allen Dingen höllisch aufpassen. Sie wären nicht der erste, den man zufällig mit einer Kugel im Rücken findet.« »Ich bin es gewohnt, auf mich aufzupassen. Wer das in diesem Land nicht kann, lebt nicht allzulange«, erwiderte Chuck. »Ich wünsche es Ihnen«, sagte das Männchen mit seiner hohen Stimme. »Ich wünsche es Ihnen auch in meinem Interesse. Ich möchte endlich mal wieder etwas zu tun haben. Bisher hat sich in dieser Stadt nur der Leichenbestatter nicht über mangelnde Arbeit beklagt.« Dann erhob sich das Männchen. Es öffnete eine Tür, die zu 25
einem angrenzenden Raum führte. »Kommen Sie mit mir«, sagte es und winkte mit seinen langen, knochigen Fingern. »Kommen Sie mit!« Das Männchen führte Lobo und Chuck in einen Raum, dessen Wände bis zur Decke mit Büchern und Plänen vollgestopft waren. In einer Ecke stand, versteckt in einem hohen Mahagonischrank, ein gewaltiger Tresor. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch, auf dem eine sorgfältig gezeichnete Landkarte ausgebreitet lag. Lobo sah sofort, daß es ein Plan von Red Bugville und Umgebung war. Mit einer großen Geste zeigte das Männchen auf all die Dinge, die diesen Raum ausfüllten. »Mein Reich«, sagte es dabei mit einer Mischung aus Stolz und Wehmut in der Stimme. »Das Herz des Landbüros!« Chuck hielt sich nicht lange damit auf, die Bücher und Papierrollen, die in den Regalen lagen, zu bewundern, sondern ging sofort zu dem Tisch in der Mitte des Raumes und beugte sich interessiert über den Plan. Jedes noch so kleine Haus, jede Farm war eingezeichnet. Mit verschiedenen Farben waren die Grenzen der jeweiligen Grundstücke markiert. Das Männchen trat neben Chuck und deutete auf die Linien. »Meine einzige Beschäftigung«, sagte es traurig. »Hier verbringe ich meine Zeit. Dies ist sicher der genauste Plan, den es im ganzen Land gibt.« Chuck deutete auf einen Punkt etwas außerhalb der Stadt. »Dort ungefähr habe ich zur Zeit meine Rinder stehen«, sagte Chuck. »Wie ich sehe, gehört das Land dort noch niemandem.« »Stimmt«, bestätigte das Männchen. »Das Gebiet ist noch zu haben. Ist aber für Rinderzucht nicht gut geeignet. Die nächste Wasserstelle ist weit entfernt.« »Was gehört alles zu Craig Brüssels Ranch?« fragte Lobo und versuchte, sich jede Einzelheit des Plans einzuprägen. 26
»Nicht viel«, antwortete das Männchen. »Nur der südliche Teil dieses Tals.« Dabei deutete es auf ein Gebiet, das am Rand der Karte lag und mit roten Strichen markiert war. »Aber Brüssel hat seine Rinder auch auf diesen Weiden stehen«, fuhr das Männchen fort und deutete auf einen anderen Teil des Plans, der blau eingegrenzt war. Dieses Gebiet war bedeutend größer und anscheinend auch besseres Land. Es wurde von zwei Flüssen durchzogen, die in der Mitte einen kleinen See bildeten. »Wem gehört das Land?« fragte Chuck. »Es gehört der Tochter von Brüssel«, erklärte das Männchen. »Besser gesagt, der Stieftochter. Sie hat es von ihrer Mutter geerbt. Es war die zweite Frau von Brüssel. Sie starb letztes Jahr bei einem Reitunfall. Sie hat sich das Genick gebrochen. Zur Zeit verwaltet Brüssel das Land. Erst wenn das Mädchen volljährig ist, kann sie selbst darüber verfügen.« Lange stand Chuck über den Plan gebeugt. Er versuchte, sich markante Punkte in der Landschaft zu merken. Flüsse, Berge und vor allen Dingen die Grenzen von verkauften und bereits gepachteten Grundstücken. Schließlich richtete er sich auf und nickte dem schmächtigen Mann aus dem Landbüro zu. »Ich weiß jetzt, welche Gebiete noch zu haben sind«, sagte Chuck. »Ich werde in den nächsten Tagen in der Gegend herumreiten, um mir alles an Ort und Stelle anzusehen. Am Ende der Woche bin ich wieder da. Ich schätze, daß Sie dann mit mir einen Vertrag aufstellen können.« Fast sah es aus, als ob dem Männchen bei Chucks Worten Tränen in die Augen stiegen. Aber wenn, waren es Freudentränen, denn er strahlte über das ganze Gesicht. »Hoffentlich«, sagte das Männchen mit etwas gebrochener Stimme. »Ich hoffe, es wird so, wie Sie es gesagt haben. Es wäre zu schön, wenn ich mal wieder richtig arbeiten könnte. Ich 27
werde Ihnen den besten Vertrag ausstellen, den man sich denken kann.« »Ich werde hier Land pachten«, versicherte Chuck mit fester Stimme. »Verlassen Sie sich darauf!« * Das Mädchen lehnte am Haltebalken neben den Pferden, als Lobo und Chuck das Landbüro verließen. Sie hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt. Als sie die beiden Männer hinter sich bemerkte, drehte sie sich um. Um ihren hübschen Mund lag ein herausfordernder Zug. Aber in ihren Augen flackerte Angst. Unruhig zuckten ihre Pupillen hin und her. Wieder war Chuck von der jugendlichen Schönheit des Mädchens überwältigt. Wie angewurzelt war er zuerst stehengeblieben. Jetzt bewegte er sich langsam auf sie zu und tippte mit einer ungelenken Geste an den Rand seines Stetsons. Er konnte seine Augen nicht von ihr wenden. »Ich habe auf Sie gewartet«, sagte das Mädchen leise, als Chuck dicht vor ihr stand. »Ich habe Sie beobachtet, ich muß Sie sprechen.« Chuck war überrascht. Er war noch keine zwei Stunden in der Stadt, aber er schien schon eine bekannte Person zu sein. »Wenn ich irgend etwas für Sie tun kann, wird mir das ein Vergnügen sein«, sagte Chuck und versuchte, sein charmantestes Lächeln aufzusetzen. Das Mädchen schien ihn tief beeindruckt zu haben. Lobo beobachtete die beiden interessiert. »Sie können etwas für mich tun«, fuhr das Mädchen fort. »Deshalb bin ich hier. Aber ich fürchte, es wird kein Vergnügen sein.« »Für Sie etwas zu tun, wird mir immer ein Vergnügen sein«, antwortete Chuck mit einer großen Geste. Er geriet ins Schwärmen, und einen Augenblick lang lächelte ihn das Mädchen an. 28
Doch sofort danach wurde ihr Gesicht wieder ernst. »Sie sind Rinderzüchter«, stellte das Mädchen plötzlich unvermittelt fest. »Und Sie wollen sich hier in Red Bugville niederlassen.« Chuck nickte. »Stimmt genau«, sagte er. »Ich hoffe nicht, daß Sie auch gekommen sind, um mich daran zu hindern. Denn dann würde es mir nicht leichtfallen, meinen Willen durchzusetzen.« »Ich will Sie nicht hindern«, antwortete das Mädchen schnell. »Ganz im Gegenteil. Ich freue mich, daß Sie hier sind.« Bei den letzten Worten senkte das Mädchen ein wenig die Augen. Ihre Wangen erröteten leicht. »Endlich finde ich jemanden, der mich nicht sofort wieder zum Teufel jagen will«, lachte Chuck. »Wenn ich es nicht ohnehin vorgehabt hätte, jetzt würde ich mich ganz sicher hier niederlassen. Auch wenn ein ganzes Dutzend Craig Brüssels mir ihre Revolverhelden auf den Hals schicken würden.« »Craig Brüssel ist mein Vater«, sagte das Mädchen. »Ich bin Cecilie Brüssel.« Diese Eröffnung verfehlte nicht ihre Wirkung. Chuck pfiff leise durch die Zähne. Er hatte alles mögliche erwartet, das allerdings nicht. »Ich kann verstehen, daß Sie überrascht sind«, sagte das Mädchen weiter. »Ich weiß, daß mein Stiefvater seine Revolverhelden auf Sie gehetzt hat. Ich habe Sie beobachtet. Ich habe den ganzen Morgen in der Scheune dort drüben gestanden. Ich habe gesehen, wie Sie gekämpft haben. Deshalb bin ich jetzt hier. Ich brauche Ihre Hilfe. Sie haben es geschafft, Clayborne und seine beiden Killer auszuschalten. Sie können mir helfen!« Chuck lehnte sich an den hölzernen Haltebalken und holte erst einmal Tabak und Zigarettenpapier aus seiner Tasche. In aller Ruhe drehte er sich eine Zigarette und beobachtete dabei das 29
Mädchen nachdenklich. Dieser Tag schien mit Überraschungen nicht sparen zu wollen. »Aufweiche Art soll ich Ihnen helfen?« fragte Chuck schließlich und riß ein Streichholz mit dem Daumennagel an. Dann sog er tief den Rauch des Tabaks in seine Lungen. »Schützen Sie mich vor meinem Vater«, antwortete Cecilie. Sie sagte es, als ob das die größte Selbstverständlichkeit der Welt wäre. Lobo und Chuck tauschten einen verwunderten Blick. »Mein Stiefvater will mich töten«, sagte das Mädchen mit leiser, aber fester Stimme. »Ich werde Ihnen alles erklären.« Chuck blies eine kräftige Rauchwolke aus und entfernte einen Tabakkrümel von seiner Lippe. »Das wäre schön«, sagte er dabei. Er war gespannt, was nun für eine Geschichte folgen würde. »Mein Vater, Craig Brüssel, hat kaum eigenes Land«, begann das Mädchen. »Seine Rinder weiden fast ausschließlich auf meinem Land. Ich habe alles von meiner Mutter geerbt. Ihm gehört nichts. Doch solange ich noch nicht volljährig bin, verwaltet mein Stiefvater alles. Nur wenn ich sterbe, fällt es an ihn. Deshalb bin ich sicher, daß ich den Tag, an dem ich volljährig werde, niemals erleben werde.« Das Mädchen machte eine kurze Pause und versuchte, in Chucks Gesicht zu forschen, wie ihre Worte gewirkt hatten. Doch Chucks Gesicht blieb ausdruckslos. Er hörte nur interessiert zu. »Craig Brüssel ist ein skrupelloser, rücksichtsloser und brutaler Mann«, erzählte Cecilie weiter. »Jedes Mittel ist ihm recht, das ihm mehr Geld und Macht bringt. Mord gehört dazu. Um an das Land meiner Mutter zu kommen, hat er sie getötet. Er hat sie eigenhändig erschlagen. Später hat er dann erzählt, es sei ein Reitunfall gewesen. Niemand hat gewagt, an seinen Worten zu zweifeln. Seit einiger Zeit bin ich nun sicher, daß er mich eben30
falls aus dem Weg räumen will. Ich habe hier keine Freunde. Wenn Sie mir nicht helfen, wird es ihm gelingen.« Chucks Zigarette war inzwischen bis auf einen winzigen Rest abgebrannt. Chuck zerdrückte die letzte Glut zwischen Daumen und Zeigefinger und schnippte dann die Asche auf die Main Street. Sein Gesicht war nachdenklich geworden. Er war sich nicht sicher, was er von der Geschichte halten sollte. Die Anschuldigungen, die Cecilie gegen ihren Stiefvater vorbrachte, waren zu ungeheuerlich. Auf der anderen Seite hatte er keinen Grund, an den Worten des Mädchens zu zweifeln. Einen Teil der Methoden von Craig Brüssel hatte er an eigenem Leib erfahren. Dazu kam, daß Chuck Matthews ein Mann war und Cecilie eine Frau. Eine verdammt hübsche dazu. Ohne es sich richtig einzugestehen, hatte er sich schon längst dazu entschieden, ihr zu glauben und zu helfen. »Ich will nicht, daß Sie mir völlig uneigennützig helfen«, begann das Mädchen plötzlich wieder. »Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich hier Land besitze. Viel Land. Es sind die besten Weiden in weitem Umkreis. Dieses Land biete ich Ihnen an. Sie sind Rinderzüchter. Sie suchen Land. Helfen Sie mir, und sie besitzen die beste Ranch in ganz Arizona.« Lobo beobachtete das Mädchen scharf. Ihre Stimme war immer bittender und drängender geworden. Sie schien wirklich Angst zu haben. Todesangst. Lobo glaubte ihr. Chuck und Lobo verständigten sich mit einem kurzen Blick. Dann hatten sie sich entschieden. »Ich denke, wir werden Ihnen helfen können«, begann Chuck. »Allerdings sind wir keine Gunmen oder Pistoleros. Solche Aufgaben übernehmen wir nicht gegen Bezahlung. Wir werden Ihnen helfen, wenn Ihr Leben in Gefahr ist. Aber nicht, um Ihr Land zu bekommen. Irgendwann können Sie mir einen Preis machen. Vielleicht kaufe ich Ihnen einen Teil ab.« 31
Die Augen des Mädchens wurden feucht. »Ich danke Ihnen, Mister«, hauchte sie. Sie machte einen zögernden Schritt vor. Fast sah es so aus, als ob sie Chuck um den Hals fallen wollte. Doch im nächsten Augenblick hatte sie sich wieder gefaßt. Sie wischte sich eine der dunklen Haarsträhnen aus dem Gesicht und sah Chuck fest in die Augen. »Ich danke Ihnen«, wiederholte sie mit ruhiger Stimme. Chuck winkte ab. »Es gibt noch keinen Grund, mir zu danken«, sagte er. »Noch haben wir nichts für Sie getan.« »Ich habe gesehen, wo Sie ihre Herde stehen haben«, sagte das Mädchen. »Wenn es Ihnen recht ist, werde ich Sie morgen früh aufsuchen. Ich möchte mich erst einmal ein paar Tage verstecken. Wenn ich Zeit habe, in aller Ruhe nachzudenken, finde ich vielleicht etwas, das mich vor meinem Stiefvater schützt. Denn solange ich in seinem Haus lebe, muß ich ständig um mein Leben fürchten.« »Ich freue mich auf Ihren Besuch«, antwortete Chuck. »Und ich kann Ihnen versichern, daß Ihnen nichts geschieht, solange Sie in meinem Lager sind.« Cecilie ergriff mit einer schnellen Bewegung Chucks Hand und schüttelte sie. Ebenso bedankte sie sich bei Lobo. Dann drehte sie sich um und lief wieder auf die Scheune zu, in der sie den ganzen Morgen auf den Rinderzüchter gewartet hatte. Ihr langes, seidiges Haar wehte wie eine Fahne hinter ihr her. Kurze Zeit später tauchte sie wieder auf. Sie saß auf einer schneeweißen Stute. In vollem Galopp jagte sie die Hauptstraße hinunter und verschwand nach kurzer Zeit hinter den letzten Häuserreihen. Mit einem seltsam verträumten Blick sah Chuck ihr nach. Auch noch, als sie schon längst nicht mehr zu sehen war. »Ich denke, daß es jetzt Zeit wird, Pete über die Entwicklung zu unterrichten«, sagte Lobo und holte mit den Worten Chuck 32
wieder in die Wirklichkeit zurück. Lobo wußte, daß das Mädchen auf Chuck einen Eindruck gemacht hatte, dessen ganze Tragweite der Rinderzüchter wohl bisher selbst noch nicht ganz begriff. »Du hast recht«, murmelte Chuck ein wenig abwesend. Wenig später hatten die beiden Männer Red Bugville verlassen. * Das Land, durch das Lobo und Chuck ritten, war sanft gewellt und fruchtbar. Fast überall wuchs saftiges, kniehohes Gras. Nur vereinzelt durchbrachen Bäume mit weit ausladenden, dicht belaubten Ästen und kleine Felsgruppen die Gleichmäßigkeit. Dieses Land war für Rinderzucht wie geschaffen. »Du hast eine gute Wahl getroffen«, sagte Lobo zu Chuck. »Dieses Land wartet geradezu darauf, von riesigen Herden beherrscht zu werden.« Chuck nickte, aber er war nicht ganz bei der Sache. Noch immer wurden seine Gedanken von dem Mädchen beherrscht. Immer und immer wieder zog ein einziger Name durch seinen Kopf: Cecilie! Der Klang dieses Namens ließ ihn nicht mehr los. Immer wieder tauchten die gleichen Bilder der letzten Stunden vor ihm auf. Cecilie im Schatten der Scheune, neben den Pferden, mit wehenden Haaren auf der weißen Stute, Cecilie mit Angst und Verzweiflung im Blick, mit Tränen in den Augen, Cecilie lachend und dankbar erleichtert. Fast hatte er den eigentlichen Grund, aus dem er hier war, vergessen. Seine Herde und der Erwerb von Weidegründen war in den Hintergrund gerückt. »Was hältst du von ihr?« fragte Chuck Lobo plötzlich, nachdem sie lange schweigend nebeneinander hergeritten waren. »Sie ist ein sehr nettes Mädchen«, antwortete Lobo. 33
Chuck lächelte und nickte. »Das ist sie«, bestätigte er. »Sie ist das netteste Mädchen, daß ich je gesehen habe. Und ich habe viele Mädchen gesehen. Seit fünfzehn Jahren treibe ich mich in allen Gegenden des Westens herum. Aber ich habe noch nie ein Mädchen gesehen, das mit ihr vergleichbar wäre.« Plötzlich verfinsterte sich das verklärte Lächeln Chucks. Seine linke Hand tastete prüfend über sein Kinn und seine Wangen, die von den schwarzen Stoppeln eines zwei Tage alten Bartes bedeckt waren. »Ich hätte mich heute morgen rasieren sollen«, murmelte Chuck. »Meinst du, daß es ihr aufgefallen ist? Was hat sie wohl für einen Eindruck von mir?« Lobo mußte lächeln. Chuck, der Mann der alle Gefahren und Tücken des Westens kannte und durchgemacht hatte, wurde plötzlich wieder zu einem kleinen Kind mit ganz eigenen, kleinen Sorgen. »Ich glaube nicht, daß sie das gestört hat«, beruhigte Lobo den Rinderzüchter. »Ich fürchte, sie hat eigene Probleme, die sie ganz in Anspruch nehmen.« »Du hast recht«, bestätigte Chuck. »Craig Brüssel. Wenn er ihr auch nur ein einziges Haar krümmt, werde ich ihn töten.« Chucks Gesicht wurde sehr ernst. Lobo hatte ihn so noch nie gesehen. »Ich werde ihn töten, so wahr ich Chuck Matthews heiße«, fuhr Chuck mit bitterer Stimme fort. Dann zerriß der Schuß die Stille. Lobo sah den gleißenden Mündungsblitz in einem etwa fünfzig Yards entfernten Busch aufblitzen, sofort danach hörte er auch schon die Detonation. Lobo, riß den linken Fuß aus dem Steigbügel und warf sich mit einem langen Sprung nach rechts von seinem dahintrabenden 34
Pferd. Noch im Flug zog er seinen Revolver aus der Halfter, aber er wußte bereits, daß der Schuß nicht ihm gegolten hatte. Starr und bewegungslos saß Chuck auf seinem ebenfalls stillstehenden Pferd. Es sah so aus, als ob er gegen eine unsichtbare Mauer geritten wäre. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Chuck auf das Gebüsch, aus dem der Schuß gefallen war. Aufseiner linken Brustseite war sein Baumwollhemd an einer Stelle zerrissen. Ein dunkler, feuchter Fleck breitete sich schnell ringsherum aus. Unendlich langsam hob der Rinderzüchter seinen Arm und preßte seine Hand auf die Stelle. Dann begann er zu wanken. Noch kurz gelang es ihm, das Gleichgewicht zu halten, dann knickte sein Oberkörper in sich zusammen. Chucks Gesicht grub sich in die schweißnasse Mähne seines Hengstes. Seine Knie, mit denen er sich noch im Sattel hielt, verloren ihre Kraft. Seitwärts rutschte Chuck Matthews vom Pferd und schlug hart mit der Schulter auf dem Boden auf. Zusammengekrümmt blieb er liegen. Unruhig tänzelte sein Pferd zur Seite. Mit langen, weiten Sprüngen jagte Lobo auf das Gebüsch zu, in dem der Heckenschütze lauern mußte. In seiner Faust hielt Lobo seinen 44er Army Colt. Der Hahn war gespannt, der Lauf auf den Busch gerichtet. Lobo achtete nicht darauf, daß er völlig ohne Deckung lief. Er hatte Chuck vom Pferd fallen sehen. Jetzt ließen ihn Wut und Verbitterung alle Vorsichtsmaßnahmen vergessen. Lobo achtete jeden Mann, der sich einem fairen Kampf stellte. Aber Feiglinge, die versteckt aus dem Hinterhalt schossen, verachtete er. Obwohl Lobo offen und ungeschützt lief, stoppte ihn keine Kugel. Ungehindert erreichte er nach wenigen Augenblicken das Gebüsch. Mit beiden Händen stieß er die Zweige zur Seite. Schußbereit und aufmerksam drang er immer tiefer in das 35
Buschwerk ein. An einer Stelle war das Gras niedergedrückt, einige Zweige geknickt. Eine abgeschossene Patronenhülse lag auf dem Boden. Hier hatte der Heckenschütze gelauert. Von hier war der Schuß gefallen. Noch immer lag der scharfe Geruch verbrannten Pulvers in der heißen Luft. Gedämpfter Hufschlag ließ Lobo herumwirbeln. Scharfe, dünne Zweige peitschten schmerzhaft sein Gesicht, als er sich einen Weg in die Richtung bahnte, aus der das Geräusch kam. Dann sah er den Reiter. Der Mann war schon fast dreihundert Yards entfernt. Wie ein Wahnsinniger schlug er die Zügelenden auf die Kruppe seines Pferdes und versuchte, alles aus dem Tier herauszuholen. Man sah ihm an, daß er Angst hatte. Sein Mut reichte aus, um aus dem Hinterhalt auf einen ahnungslosen Mann zu schießen. Aber als er Lobo mit gezogenem Revolver auf sich zuhetzen sah, hatte er es vorgezogen, zu fliehen. Lobo hob seine Waffe und richtete sie auf den Rücken des Mannes. Er visierte lange und sehr sorgfältig. Sein Zeigefinger lag ruhig am Stecher. Aber er drückte nicht ab. Alles in ihm sträubte sich. Lobo konnte nicht auf einen Fliehenden schießen. Langsam senkte Lobo seinen Arm mit der Waffe. Sein Daumen ließ den Hahn zurückschnappen. Dann war der Reiter mit einem schrillen, triumphierenden Lachen in einer Senke verschwunden. Lobo schob seine Waffe in die Halfter zurück. Der Schütze würde nicht ungestraft davonkommen. Lobo hatte ihn erkannt. Er hatte ihn erkannt an dem langen, gelblichen Staubmantel, an der hageren Statur und an dem bösen, schrillen Lachen. Es war AI Clayborne, der Vormann und Pistolero von Craig Brüssel. Für den Schuß, den er heute auf Chuck abgegeben hatte, würde er büßen müssen. Keine Flucht würde ihm mehr nützen. Lobo würde ihn finden. Überall. Ganz gleich, wo immer 36
er sich auch verkriechen würde. * Chuck Matthews lag ausgestreckt auf dem Rücken, als Lobo zu ihm zurückkam. Sein rechter Arm lag noch immer auf der linken Seite seiner Brust, an der ihn das Projektil aus der Waffe von Al Clayborne getroffen hatte. Seine Augen waren geschlossen. Nur schwach, aber gleichmäßig hob und senkte sich seine Brust. Chuck atmete noch. Lobo kniete sich neben den Rinderzüchter. Er riß Chuck das Hemd auf und besah sich die Wunde. Chuck war schwer getroffen. Es sah nicht gut für ihn aus. Aus seinem eigenen Hemd fertigte Lobo einen einfachen Verband. Er zog ihn stramm und fest über die Wunde, um den starken Blutverlust so weit wie möglich einzudämmen. Plötzlich öffnete Chuck die Augen. Er blickte Lobo an und zwang sich zu einem Lächeln. »Sieht nicht gut aus für mich, was?« fragte er mit heiserer, flüsternder Stimme. Lobo schüttelte den Kopf. Er wußte, daß man Chuck nicht belügen konnte, nur um ihn zu trösten. Chuck war stark genug, um auch die bitterste Wahrheit ertragen zu können. Und nur, wenn er die Wahrheit kannte, konnte er die Kraft aufbringen, die nötig war, um zu überleben. Chuck schloß wieder die Augen. Seine Lippen preßten sich fest aufeinander. Lange blieb er so liegen. Lobo ließ ihm Zeit, die ganze Situation zu begreifen. Schließlich begann Chuck erneut zu sprechen. Diesmal war seine Stimme bereits fester und sicherer. »Aber ich atme noch«, sagte der Rinderzüchter. »Ich habe ein Stück Blei im Körper, aber ich atme noch. Der Mann, der auf 37
mich geschossen hat, hat seine Chance nicht genutzt. Es wäre besser für ihn gewesen, wenn er genauer gezielt hätte. Solange ich noch atme, wird er verdammt vorsichtig sein müssen.« Chuck machte eine kurze Pause und sammelte neue Kraft. Dann sah er Lobo an. »Hast du ihn erkannt?« fragte Chuck. »Hast du gesehen, wer es war?« Lobo nickte. Aber noch bevor er etwas sagen konnte, sprach Chuck bereits weiter. »Es war einer der Killer von Craig Brüssel. Ich bin mir sicher. Einer der drei Killer!« »Es war Al Clayborne«, sagte Lobo. »Al Clayborne«, wiederholte Chuck. Er sprach den Namen sehr langsam und betont deutlich aus. So, als ob er ihn sich für alle Ewigkeiten einprägen wollte. Das Reden hatte Chuck angestrengt. Erschöpft schloß er wieder die Augen. Tief atmete er durch. Lobo schob seinen Arm unter die Schulter des Rinderzüchters und hob ihn vorsichtig hoch. »Ich werde dich zu einem Arzt bringen«, sagte Lobo. Er trug Chuck zu seinem Pferd und hob ihn in den Sattel. Dann bestieg er das gleiche Pferd, um den Verletzten beim Reiten besser stützen zu können. »Bring mich zu meiner Herde«, meldete sich Chuck schließlich wieder. »Pete soll mich verarzten. Er ist besser als jeder Doc!« Lobo drückte seinem Hengst die Fersen in die Seite. Langsam ritt er los. Bis zum Lager waren es noch einige Meilen. Es würde ein harter Ritt für Chuck Matthews werden. * Die Sonne hatte den höchsten Punkt ihrer Bahn bereits erreicht, 38
als Chuck Matthews am nächsten Tag wieder erwachte. Er lag im kühlen Schatten eines mächtigen Cottonwoodbaumes und verspürte ein fürchterliches Stechen und Dröhnen in seinem Kopf. Der Liter Whisky, den ihm Pete eingeflößt hatte, bevor er begonnen hatte, die Kugel aus seiner Brust zu schneiden, begann jetzt seine Nachwirkungen zu zeigen. Chuck fuhr sich mit einer Hand zur Stirn. Sein Körper fühlte sich taub und zerschlagen an. Seine Glieder waren noch gefühllos und gehorchten nur zögernd seinem Willen. Es dauerte eine ganze Zeit, bis Chuck bemerkte, daß seine linke Hand zur Faust geballt war. Er fühlte, daß sie etwas Hartes, Fremdes umkrampfte. Langsam öffnete er seine Finger und etwas Schweres, Bläuliches rollte aus seiner Hand. Allmählich erinnerte er sich wieder. Ihm fiel wieder ein, daß er Pete darum gebeten hatte, daß Projektil aus seiner Brust aufzubewahren. Nach einer langen, gefährlichen Operation hatte ihm dann Pete das Stück Blei in die Hand gedrückt, das Chuck beinahe getötet hätte. In diesem Augenblick hatte Chuck geschworen, die Kugel erst dann aus der Hand zu geben, wenn er sie auf das Grab von Al Clayborne legen konnte. »Wie fühlt man sich denn so, wenn man am Rand der Hölle gestanden hat?« fragte plötzlich eine freundliche Stimme. Als Chuck den Kopf wandte, blickte er in das grinsende runde Gesicht von Punky Pete. Pete hatte einen feuchten Lappen mitgebracht und wischte Chuck den Schweiß von der Stirn. Die Kühle des Wassers erfrischte den Rinderzüchter. Fast schon fühlte er sich wieder so, als ob nie jemand auf ihn geschossen hätte. »Ich danke dir, Pete«, sagte Chuck. Noch fiel ihm das Sprechen nicht leicht. »Du hast gute Arbeit geleistet.« »Denk nur nicht, ich hätte das aus reiner Gefälligkeit getan«, ereiferte sich Pete mit gespielter Entrüstung. »Ich wollte nur ver39
hindern, daß du den großen Abgang machst, bevor du mich für den letzten Monat ausbezahlt hast!« Chuck grinste. Pete war der beste, Partner, den er sich vorstellen konnte. Zwar kreisten seine Gedanken ständig um ganze Wagenladungen Bier und Whisky, aber wenn es darauf ankam, konnte man sich felsenfest auf ihn verlassen. »Wo steckt eigentlich Lobo?« fragte Chuck nach einiger Zeit und versuchte, sich aufzurichten. Pete drückte ihn sanft, aber bestimmt wieder zurück. »Schön liegen bleiben, Boß«, sagte Pete dabei. »Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis du wieder aufstehen kannst. Bis dahin mußt du schon Lobo und mir die Geschäfte überlassen.« Irgend etwas im Tonfall von Pete machte Chuck unruhig. Lange forschte er im Gesicht seines Partners. Dann wußte er schlagartig, was los war. »Cecilie!« stieß Chuck hervor. »Wo ist das Mädchen? Sie ist heute morgen nicht erschienen! Sie wollte am Morgen hier sein. Was ist los? Wo ist sie?« Pete hatte einiges zu tun, um den Rinderzüchter ruhig zu halten. Mit beiden Händen hielt er ihn auf dem Boden fest. Die Wunde war noch nicht verheilt. Chuck durfte sich nicht viel bewegen. »Ruhig, Boß«, befahl Pete. »Wenn du noch einmal versuchst, aufzustehen, werde ich dich mit dem Griff meines Revolvers beruhigen müssen.« Chuck verstand, daß es Pete ernst meinte. Er wußte auch, daß sein Partner recht hatte. Zögernd entspannte er sich, und Pete ließ ihn los. »Das Mädchen ist wirklich heute morgen nicht erschienen«, erklärte Pete dann. »Wir haben bis vor einer Stunde auf unseren hübschen Besuch gewartet. Dann ist Lobo losgeritten, sie zu suchen. Er wird Craig Brüssel einmal einen kleinen Besuch 40
abstatten.« Chuck atmete schwer. Es kostete ihn viel Mühe, ruhig zu bleiben. »Ich bringe ihn um«, murmelte Chuck. »Wenn Brüssel ihr etwas getan hat, bringe ich ihn um. Und wenn es meine letzte Tat ist.« »Vorerst wirst du gar nichts tun«, sagte Pete. »Der einzige, der im Augenblick etwas tun kann, ist Lobo. Wir müssen uns auf ihn verlassen.« * Lobo hatte bis Mittag auf Cecilie Brüssel gewartet. Dann wußte er, daß sie nicht mehr kommen würde. Er war zu Punky Pete gegangen und hatte sich nach dem Zustand yon Chuck Matthews erkundigt. Pete hatte ihm beruhigend zugezwinkert und erklärt, daß Chuck über den Berg wäre. »In vier Tagen wird Chuck mit mir das erste große Bier trinken«, hatte Pete gesagt, und Lobo war zu seinem Pferd gegangen, hatte die Satteltaschen mit viel Munition und etwas Trockenfleisch gefüllt, hatte sich auf den Rücken seines MorganHengstes geschwungen, dem Tier die Fersen in die Seiten gedrückt und war in die Richtung geritten, in der die Ranch von Craig Brüssel lag. Lobo hatte den Plan aus dem Landbüro noch sehr genau im Kopf, und die Landschaft war ihm dadurch so vertraut wie ein Gebiet, in dem er jahrelang gelebt hatte. Der kleine Mann aus dem Landbüro hatte den Plan sehr sorgfältig gezeichnet. Nach einem dreistündigen Ritt erreichte Lobo die Ranch von Craig Brüssel. Von dem höchsten Punkt eines Hügels aus konnte er auf das riesige Anwesen hinabblicken, das in einem weiten Tal an einem kleinen See lag. 41
Am unteren Teil des Sees befanden sich großflächige Korrals und Stallungen. Zahllose Rinder hatten dort mit ihren Hufen Staub aus dem Boden gestampft und aufgewirbelt, der jetzt wie dichter Nebel über allem lag. Das Brüllen und Schnauben der dichtgedrängt stehenden Tiere drang als dumpfes Dröhnen zu Lobo hoch. Am oberen Teil des Sees, dort, wo ein schmaler, sprudelnder Bach ständig frisches Wasser zuführte, befand sich das eigentliche Wohnhaus. Es war aus massivem Stein gebaut und glich mit den zahlreichen Schießscharten und Türmen eher einer Festung als einem Ranchhaus. Lobo rückte seine Halfter zurecht und löste die Sicherungsschlaufe, bevor er seinen Hengst erneut antrieb und langsam in das Tal hinabritt. Er wußte nicht, was ihm dort unten bevorstand und wie er empfangen würde. Aber der heimtückische Überfall auf Chuck Matthews und die drohende Gefahr, in der sich Cecilie befand, ließen Lobo keine andere Wahl. Auf einem freien Platz, hundert Yards vor dem Haus, standen etwa zwanzig bis dreißig Cowboys in einem Kreis zusammen und feuerten mit Flüchen und lauten Rufen zwei Kampf hähne an, die sich in der Mitte des Kreises zerfleischten. Einer der Cowboys, der Mann, der die Wetten annahm, hielt einen riesigen Packen Dollarscheine in der Hand. Die Cowboys verwetteten hier den Teil ihres Lohnes, der nicht für Whisky ausgegeben worden war. Die Männer blickten nicht auf, als Lobo an ihnen vorbeiritt. Der blutige Kampf der beiden Hähne nahm sie zu sehr in Anspruch. Dennoch war sich Lobo sicher, daß er längst entdeckt worden war. Er wurde auch das Gefühl nicht los, daß der Lauf einer Waffe ununterbrochen auf ihn gerichtet war. Vor dem Eingang zum Wohnhaus stieg Lobo aus dem Sattel. Er schlang die Zügelenden um den hölzernen Haltebalken und 42
ging langsam auf die Tür zu. Ein dichtes Geflecht von wild rankenden Rosen rahmte die Tür ein und strömte einen süßlichen, betäubenden Duft aus. Neben dem Eingang saß ein Cowboy lässig in einem Schaukelstuhl. Seinen breitkrempigen Hut hatte er tief ins Gesicht gezogen. Quer über die Knie hielt er ein Gewehr. Sein Zeigefinger lag am Abzug. Als Lobo fast die Tür erreicht hatte, stellte der Cowboy plötzlich ein Bein vor und versperrte Lobo den Weg. Es war die einzige Bewegung, die er machte. Sonst veränderte sich seine Haltung nicht. »Was gibt es?« fragte der Cowboy. Seine Stimme war heiser und krächzend. »Prügel«, antwortete Lobo. »Es sei denn, du ziehst dein Gehwerkzeug sofort zurück.« Der Cowboy schien erstaunt. Mit der Antwort hatte er wahrscheinlich nicht gerechnet. Langsam hob er einen Arm und schob seinen Hut ein Stück zurück. Prüfend musterte er Lobo. Erst jetzt konnte Lobo das Gesicht des Mannes sehen. Der Cowboy hatte einen ungewöhnlich langen Schädel. Eingefallene, unrasierte Wangen und ein schütterer Kinnbart verstärkten noch den Eindruck. Die Augen des Mannes lagen tief in ihren Höhlen und wirkten fast schwarz. Das einzig Kräftige und Gesunde in diesem Gesicht schien die gewaltige Knolle der Nase zu sein, die von unzähligen blauen und violetten Adern überzogen war. Langsam klappte der Unterkiefer des Cowboys herab und gab den einzigen Zahn frei, den der Mann noch im Mund hatte. »Was hast du da gesagt?« fragte der Cowboy ungläubig. Lobo war sich sicher, daß der Mann sehr wohl verstanden hatte. Trotzdem antwortete er ihm. »Du hast dein Bein falsch stehen«, sagte Lobo. »Es stört mich so.« 43
Der Cowboy blickte auf sein ausgestrecktes Bein mit einem Ausdruck im Gesicht, als ob er es erst jetzt zum ersten Mal bemerkte. »Mein Bein steht so genau richtig«, sagte er dann betont langsam. Sein Daumen wanderte zum Hahn seines Gewehres. »Wahrscheinlich hast du recht«, lenkte Lobo ein. »Du kennst ja dein Bein schon länger als ich.« Im nächsten Augenblick mußte der Cowboy einsehen, daß Lobo nicht der Mann war, der sich leicht einschüchtern ließ. Lobo bückte sich blitzschnell und faßte mit beiden Händen den Fuß des Cowboys. Dann richtete er sich wieder ruckartig auf. Ehe der hagere Mann im Schaukelstuhl begriff, was geschah, verlor er bereits das Gleichgewicht. Er wirbelte nach hinten und schlug mitsamt dem Stuhl um. Verzweifelt ruderten seine dürren Arme in der Luft. Das Gewehr entglitt seinen Händen, noch bevor es ihm gelang, den Hahn zu spannen. Lobo gab ihm noch einen kleinen Stoß und ließ dann sein Bein los. Der Cowboy überschlug sich und verlor seinen Hut. Sein Gesicht prallte gegen eine Kufe des Schaukelstuhls. Er stieß einen unterdrückten Schrei aus und preßte beide Hände gegen den Mund. Er dachte nicht mehr daran, Lobo zu behindern. Lobo stieß die Tür zum Ranchhaus auf und betrat das Halbdunkel der Diele. Der ganze Raum war mit kostbaren Teppichen ausgelegt. Die Wände waren mit dunklem Samt bespannt. In der Mitte hing von der Decke herab ein gewaltiger, vergoldeter Leuchter mit zahlreichen winzigen Öllampen und unzähligen geschliffenen Glaswürfeln. Gewaltige, mit dunklem Leder bezogene Sessel standen in allen vier Ecken des Raumes. An der Wand, die der Eingangstür gegenüberlag, hing ein riesiges Ölgemälde, das vom Fußboden bis fast zur Decke reichte. Es zeigte einen hochgewachsenen, 44
schlanken Mann in einem schwarzen Anzug. Der Mann stützte sich auf ein langläufiges Gewehr mit kostbaren Verzierungen und Einlegearbeiten. Er blickte stolz in ein Tal, in dem Tausende von satten, gutgenährten Rindern weideten. Die vier Ecken des Bilderrahmens wurden von geschnitzten Rinderhörnern gebildet. An ihnen hingen dekorativ gekreuzte Brandeisen, die das Zeichen von Craig Brüssels Herde trugen. Die beiden Seiten links und rechts des Raumes wurden von zwei geschwungenen Treppen beherrscht, die in das darüberliegende Stockwerk führten und in einer breiten Veranda endeten. Die Treppenstufen waren mit einem dicken roten Teppich belegt. Er machte es Lobo leicht, die einzelnen Stufen leise und unbemerkt zu betreten. Lobo war sich sicher, Craig Brüssel in den oberen Räumen zu finden. Unten befanden sich meistens in Häusern dieser Art nur die Wohnungen des Personals und Wirtschaftsräume. Vor der ersten Tür am Ende der Treppe blieb Lobo stehen. Er preßte sein Ohr an das Holz der Tür und lauschte kurz mit geschlossenen Augen. Hinter der Tür war alles ruhig. Vorsichtig drückte Lobo die verzierte Messingklinke herunter. Dann spähte er durch einen schmalen Spalt. Neben dem weit geöffneten Fenster des Raumes stand ein breites, schwarz lackiertes Bett. Der Boden war mit weißen Schafsfellen ausgelegt. Eine ebenfalls schwarz gestrichene Kommode mit vielen kleinen Schubladen und einem großen, ovalen Spiegel darüber stand dem Bett gegenüber. Sonst war der Raum leer. Lobo schloß die Tür wieder leise. Plötzlich wirbelte er herum. Mit einem leisen Quietschen der Angeln hatte sich die Tür hinter Lobo geöffnet. Lobos Hand fuhr zur Halfter und umklammerte den Griff des Revolvers. Sein Zeigefinger schob sich in den Abzugsbügel und legte sich leicht auf den Abzug. 45
Ein fast sechs Fuß hoher, schrankbreiter Neger mit völlig kahlem Kopf stand Lobo gegenüber und musterte ihn erstaunt aus zusammengekniffenen Augen. In einer Hand hielt er ein Tablett mit einer zierlichen, bunt bemalten Porzellantasse und einer dazu passenden Kaffekanne. Mit der anderen Hand schloß er geräuschlos die Tür. Langsam kam der Neger auf Lobo zu. Er schien ein steifes Bein zu haben, denn er hinkte leicht. Lobo ließ ihn nicht aus den Augen, aber er zog seinen Revolver nicht. Als der Neger auf gleicher Höhe mit Lobo war, blieb er stehen. »Mister Brüssel ist allein«, flüsterte der Neger mit einer dunklen, wohltönenden Stimme. »In der Zigarrenkiste auf dem Schreibtisch hat er eine Derringer!« Dann war er an Lobo vorbei und hinkte Stufe für Stufe die Treppe hinunter. Er verschwand mit dem Tablett in einem der unteren Räume, aus dem Geklapper von Töpfen und Geschirr heraufklang, als der Neger kurz die Tür öffnete. Er hatte sich nicht mehr umgedreht. Lobo entspannte sich. Seine Hand löste sich vom Griff des Revolvers. Es gab offenbar Leute in diesem Haus, die seinen Besuch erwartet hatten. Allerdings konnte er sich die Sache noch nicht erklären. Die Leute, die ihn erwarteten, schienen auf seiner Seite zu stehen. Lobo hatte nicht viel Zeit, weiter darüber nachzudenken. Es würde wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, bis sich der Cowboy aus dem Schaukelstuhl vor der Tür erholt hatte. Lobo hatte keine Lust, sich mit einer kleinen Armee von bezahlten Killern anzulegen. Lobo schlich zu der Tür, aus der der Neger gekommen war. Er öffnete sie, glitt in den Raum und drückte dann die Tür wieder hinter sich zu. Vom Boden bis zur Decke war der Raum mit Schränken und 46
Regalen voller Bücher mit ledernen Rücken angefüllt. In einer Ecke stand ein kleiner Tresor, dessen graue Stahltür mit Motiven aus Indianerkämpfen bemalt war. Beherrscht wurde der Raum von einem gewaltigen Schreibtisch aus schwerem, massivem Eichenholz, der nur spärlich mit Schnitzereien verziert war. Auf dem Tisch lag lediglich eine braune Schreibunterlage aus dickem Büffelleder, ein Tintenfaß mit einer langen grauen Feder, ein kristallener Briefbeschwerer und eine kleine Holzschatulle, die Zigarren enthalten mochte. Oder eine Derringer. Am Fenster, das von schweren, dunkelbraunen, geschwungenen Samtvorhängen halb verdeckt wurde, stand ein Mann mit dem Rücken zu Lobo. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt. Der Mann war hochgewachsen und von schlanker Statur. Er trug einen eleganten dunklen Anzug, einen von der gleichen Art, wie ihn auch der Mann auf dem Ölgemälde in der Diele trug. Langsam drehte sich der Mann um, als er hörte, daß jemand den Raum betreten hatte. Er hatte ein fein geschnittenes, ebenmäßiges Gesicht. Auf seiner Oberlippe wuchs ein schmaler pechschwarzer Schnurrbart, der kurz geschnitten war. Der Mann zeigte keine Spur von Überraschung, als er Lobo entdeckte. Sein Gesicht drückte eher Verärgerung aus. »Ich mag es nicht, wenn man ohne anzuklopfen meine Räume betritt«, sagte der Mann und musterte Lobo mit hochmütiger Verachtung. »Da haben Sie ganz recht, Mister Brüssel«, gab Lobo zu. »Mein Verhalten ist nicht sehr höflich. Aber ich passe es immer den jeweiligen Bedingungen an.« Craig Brüssel drehte sich vollends um und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Fenster. Die Arme verschränkte er vor der Brust. 47
»Und wer bestimmt die Bedingungen?« fragte Brüssel. Um seine schmalen Lippen spielte ein amüsiertes Lächeln. »Bisher Sie allein«, gab ihm Lobo zur Antwort. »Künftig allerdings werde ich mitmischen.« Brüssel lachte geziert. »Und was sind Ihre Bedingungen?« fragte er. »Das wird sich noch herausstellen«, erwiderte Lobo. »Nicht alles auf einmal. Vorerst habe ich lediglich eine einzige Frage.« Craig Brüssel tat, als ob ihn die Anwesenheit Lobos ungeheuer amüsierte. Doch Lobo spürte, daß Brüssel Angst hatte. Sein Lächeln saß ihm wie angefroren im Gesicht. »Was wollen Sie wissen?« fragte Brüssel. »Ich will sehen, ob ich Ihnen weiterhelfen kann. Schließlich beweist meine augenblickliche Geduld ungeheure Großzügigkeit.« »Die Großzügigkeit wird wohl eher von meinem Revolver bewirkt«, antwortete Lobo. »Aber ich will mich nicht mit Ihnen streiten. Ich will lediglich wissen, wo Ihre Stieftochter ist.« Mit einem Schlag wurde das Lächeln des Ranchers noch unnatürlicher. Seine Augen blickten jetzt eisig. Für wenige Sekunden wich das Blut aus Brüssels Lippen. Er brauchte einige Zeit, bis er sich wieder gefaßt hatte. »Ich verstehe Sie nicht«, preßte er hervor. »Was soll die Frage?« »Wo ist Cecilie?« fragte Lobo noch einmal, ohne auf das Stammeln des Mannes einzugehen. Lobos Stimme war um einige Grade kälter und schärfer geworden. »Cecilie«, wiederholte Craig Brüssel den Namen. »Was wollen Sie von meiner Tochter?« »Ich will sie sprechen«, antwortete Lobo. Brüssel kaute auf seiner Unterlippe. Auf seiner Stirn bildeten sich kleine Schweißtropfen. »Sie ist nicht zu sprechen«, sagte Brüssel leise und löste sich vom Fenster. Langsam schlenderte er auf den Schreibtisch zu. 48
»Sie ist heute morgen in aller Frühe abgereist. Sie soll auf eine Schule im Osten. Sie ist in einem Alter, in dem die Kindheit langsam zu Ende geht. Es wird Zeit, daß sie etwas Vernünftiges lernt und eine richtige Erziehung erhält.« Brüssel redete immer schneller. Er steigerte sich in die Geschichte hinein, die er erzählte. Lobo glaubte ihm kein Wort. Er hatte den Verdacht, daß Brüssel alles in dem Augenblick erfand, in dem er es aussprach. »Ihre Mutter ist früh gestorben«, redete Brüssel weiter. »Ein bedauerlicher Reitunfall. Dem Mädchen fehlt jetzt die Mutter. Deshalb soll sie auf eine Schule.« Der Rancher stand jetzt hinter dem Schreibtisch. Seine rechte Hand tastete nach der Holzschatulle, die neben der Schreibunterlage stand. »Auf einer Ranch wie dieser ist eine gute Erziehung nicht möglich«, sagte Craig Brüssel. »Es tut mir leid. Aber sie können das Mädchen nicht sprechen.« Jetzt hob der Rancher die Schatulle hoch. Mit der linken Hand öffnete er den Deckel. »Darf ich Ihnen eine Zigarre anbieten?« fragte Brüssel. »Zum Trost gewissermaßen?« »Ich mag Ihre Marke nicht«, antwortete Lobo und hatte im selben Augenblick seinen Revolver in der Hand. Er hatte blitzschnell gezogen und den Hahn gespannt. Brüssel hatte der Bewegung kaum mit den Augen folgen können. Jetzt wurde der Rancher bleich, als er in das sechseckige Auge des 44er Army Colts blickte. Die Schatulle in seinen Händen zitterte. Seine Hand schwebte unbeweglich über dem geöffneten Kästchen. Lobo ging auf ihn zu und nahm ihm die Schatulle aus der zitternden Hand. Auf dem Boden der Kiste lag eine Derringer mit einem versilberten und reich verzierten Lauf. Die Perlmuttschalen des Griffs glänzten matt. 49
»Seltsame Zigarren haben Sie«, sagte Lobo und nahm die kleine Waffe heraus. Er klappte den Lauf zur Seite und entlud sie. Dann reichte er die Derringer dem zitternden Rancher zurück. »Ich will noch einmal über diesen kleinen Scherz hinwegsehen«, sagte Lobo dabei. »Beim nächstenmal haben Sie meine Kugel zwischen den Augen. Oder in der Brust. Wie mein Freund Chuck Matthews.« »Wer – wer ist Chuck Matthews«, stammelte Brüssel. Seine Selbstbeherrschung war jetzt vollständig von ihm abgefallen. Jetzt hatte er nur noch Angst. »Er wird sich noch persönlich bei Ihnen melden und vorstellen«, sagte Lobo. »Ich rate Ihnen dann nicht, zu versuchen, ihm ebenfalls solche Zigarren anzubieten.« Lobo deutete dabei auf die nutzlose Derringer in Brüssels schlaffer Hand. Dann schob Lobo seinen Revolver in die Halfter zurück, drehte sich um und verließ den Raum. Er nahm den Schlüssel der Tür mit und verschloß sie von außen. Er brauchte noch etwas Zeit. Er mußte versuchen, eine Spur von Cecilie zu finden. Craig Brüssel sollte ihn nicht dabei stören. Als Lobo fast die Eingangstür zum Ranchhaus erreicht hatte, erhob sich aus einem der schweren Sessel in der Diele ein Mann. Lobo hatte ihn zuerst nicht bemerkt, weil der Sessel im Schatten lag. Jetzt erkannte er den Neger, der ihn vor der Derringer gewarnt hatte. »Al Clayborne und Hustler haben das Mädchen mitgenommen«, begann der Neger ohne Umschweife. »Sie sind in der Nacht losgeritten. Sie sind zum Apachengebiet am Blue Angel River. Die Apachen sind zur Zeit mal wieder sehr unruhig. Sie haben angekündigt, jeden Weißen, der ihr Gebiet betritt, zu töten. Clayborne wird dafür sorgen, daß die Indianer das Mädchen finden. Cecilie wird von den Apachen umgebracht, und 50
niemand wird vermuten, daß eigentlich Craig Brüssel sie getötet hat.« »Wann sind sie losgeritten?« fragte Lobo. Heiße Wut stieg in ihm auf. Das, was Craig Brüssel hier plante, war teuflisch. »Bei Sonnenaufgang«, erwiderte der Neger. »Wenn du sie noch einholen willst, mußt du dich beeilen.« Lobo wandte sich zur Tür und öffnete sie. Dann drehte er sich noch einmal um. »Warum erzählst du mir das?« fragte Lobo. Es interessierte ihn, was der Neger für eine Rolle spielte. Bitterkeit huschte über das Gesicht des Negers, und in seinen Augen funkelte Haß. Wortlos bückte er sich und zog den Stoff seines rechten Hosenbeins ein Stück höher. Eine fürchterliche Narbe, die das Knie und den unteren Teil des Beines entstellte, wurde sichtbar. »Deshalb!« sagte der Neger. »Cecilie versucht, vor ihrem Vater zu fliehen. Ich habe auch einmal versucht, vor ihm zu fliehen. Ich habe es nicht geschafft, und Brüssel hat mir das Bein zerschlagen. Ich werde niemals mehr fliehen können. Aber wenn es Cecilie schafft, ist Brüssel erledigt. Das wird meine Rache sein!« »Wußtest du, daß ich hier auftauchen würde?'.' fragte Lobo. »Cecilie hat mir von einem Rinderzüchter und einem Halbblut erzählt«, erwiderte der Neger. »Sie hat gesagt, daß sie zu denen fliehen wollte. Du bist ein Halbblut.« »Ich werde das Mädchen finden«, sagte Lobo mit fester Stimme. »Dann werde ich zurückkommen und mit Brüssel abrechnen.« »Du mußt ihn töten!« rief ihm der Neger nach. Lobo hörte es, als er sich bereits in den Sattel seines Morgan-Hengstes schwang. »Er wird seine Strafe bekommen«, sagte Lobo. Dann zog er sein Pferd herum und preschte los. Er hoffte, daß er die Ranch 51
ebenso ungehindert wieder verlassen könnte, wie er sie betreten hatte. Aber er hatte sich getäuscht. Plötzlich peitschte hinter ihm ein Schuß. Zischend pfiff ein Projektil dicht über Lobos Kopf hinweg. »Haltet den verdammten Bastard auf!« brüllte Craig Brüssel. »Laßt ihn nicht entkommen!« Lobo duckte sich tief über den Hals seines Pferdes und sah sich um. Brüssel stand am Fenster seines Hauses und brüllte seinen Leuten Kommandos zu. In der Hand hielt er einen langläufigen Revolver. Doch Lobo war schon zu weit vom Haus entfernt. Brüssels Waffe bedeutete keine Gefahr mehr. Lediglich die Cowboys, die immer noch den blutigen Kampf der beiden Hähne beobachteten, konnten gefährlich werden. Lobo mußte dicht an ihnen vorbei. Die Cowboys hoben ihre Köpfe, als sie die Schüsse hörten. Noch begriffen sie nicht recht, was geschehen war. Nur vereinzelt griffen sie zu ihren Revolvern. Doch keiner zog. Lobo gab ihnen nicht viel Zeit, über die Situation nachzudenken. Er hieb seinem Hengst die Fersen in die Seiten und jagte genau auf die dicht zusammenstehenden Cowboys zu. Die Männer gestikulierten wie wild mit den Armen, als sie den Reiter auf sich zupreschen sahen. Dann stieben sie wie die Hasen zur Seite. Mit Riesensätzen versuchten sie, sich vor dem galoppierenden Pferd in Sicherheit zu bringen. Keiner von ihnen dachte daran, auf Lobo zu schießen. In der nächsten Sekunde war er an ihnen vorbei. Keine Kugel folgte Lobo, als er den Hügel hinaufritt und die Ranch verließ. Die Cowboys versuchten, ihre Kampfhähne wieder einzufangen. Das war ihre einzige Sorge. * 52
Lobo lenkte sein Pferd in Richtung Norden. Er kannte das Indianergebiet, das ihm der Neger beschrieben hatte, und er kannte die Apachen. Er wußte, daß Cecilie kaum eine Chance hatte, wenn sich Brüssels Plan erfüllte. Die Landschaft, durch die Lobo ritt, hatte sich in den letzten Stunden auffallend verändert. Das sanft gewellte und fruchtbare Land war zerklüfteter geworden, ausgedörrter und wilder. Schluchten und schroffe Felsen machten ein schnelles Fortkommen nicht leicht. Doch Lobo hatte lange Jahre in dieser Gegend gelebt. Er kannte Abkürzungen und schmale Pfade, die ein Fremder nicht finden konnte. Er hoffte deshalb, daß er Clayborne, Hustler und dem Mädchen immer näher kam. Er hoffte es für das Mädchen. Gegend Abend machte Lobo eine kurze Rast. Er versorgte seinen Hengst mit Wasser aus der Sattelflasche und schob sich selbst ein Stück Trockenfleisch zwischen die Zähne. Er beschloß, auch in der Nacht weiterzureiten, wenn der Mond ausreichend Licht spendete. Die Banditen hatten viele Stunden Vorsprung, und die Zeit drängte. Nach einer halben Stunde setzte Lobo seinen Weg fort. Er ritt mit lockeren Zügeln und überließ es seinem Hengst, den sichersten Weg zu finden. Er konnte sich auf das Tier verlassen. Es war trittsicher und ausdauernd. Sorgfältig prüften seine Hufe bei jedem Schritt den Boden. Gegen Mitternacht fand Lobo die ersten Hinweise auf die Anwesenheit von Indianern. Er wunderte sich, daß sich die Roten so weit nach Süden gewagt hatten, aber es gab keine Zweifel. Kleine Steine, die kreisförmig oder in Kreuzform angeordnet waren und mit denen sich die einzelnen Krieger untereinander Hinweise gaben, fanden sich immer häufiger neben dem Weg 53
oder versteckt unter Zweigen von dornigen Büschen. Einem Weißen wären die Zeichen kaum aufgefallen. So harmonisch und unauffällig paßten sie sich dem Boden und dem übrigen Geröll an. Doch die langen Jahre, die Lobo selbst bei den Apachen verbracht hatte, hatten seinen Blick geschult. Seinen Augen entging nichts. Zwei Stunden nach Mitternacht schnaubte plötzlich der Morgan und blieb stehen. Er hob seinen Kopf und sog prüfend die Nachtluft durch die Nüstern ein. Sofort glitt Lobo aus dem Sattel und führte das Pferd seitwärts zwischen zwei Felsen. Beruhigend tätschelte er den verschwitzten Hals des Tieres und strich ihm über den Kopf. Dann schlang er die Zügelenden locker um die Zweige eines niedrigen Busches. Obwohl Lobo selbst noch nichts Auffälliges bemerkt hatte, wußte er, daß etwas Fremdes in der Nähe war. Er konnte sich auf die Witterung seines Hengstes verlassen. Lobo zog seine Winchester aus dem Scabbard und lud vorsichtig und geräuschlos durch. Dann ließ er sein Pferd zurück und setzte den Weg zu Fuß fort. Er brauchte nicht weit zu gehen. Schon nach wenigen hundert Yards roch er den scharfen, harzigen Geruch eines Feuers. Lobo wandte sich nach links und ging dem leichten Wind entgegen, der ihm den Rauch zutrug. Lobo ging schnell und zügig. Er wußte, daß es keine Indianer sein konnten, die er vor sich hatte. Ein Feuer der Apachen konnte man nicht viele hundert Yards weit riechen. Aber selbst für Weiße waren die Fremden vor ihm reichlich unvorsichtig. In einer Gegend, in der es von unruhigen Apachen nur so wimmelte, war es nie ratsam, ein Feuer zu unterhalten. In so einer Situation aß man sein Fleisch besser roh. Das leise Wiehern eines Pferdes verriet Lobo, daß er sich in unmittelbarer Nähe des fremden Lagers befand. Er ließ sich zu Boden gleiten und schob sich langsam vor. Das Gewehr hielt er 54
in beiden Händen. Mit den Ellbogen stützte er sich ab. Schon bald flackerte der matte Lichtschein des Feuers zwischen den Büschen und erleuchtete die umliegenden Felswände. Die letzten Yards legte Lobo kriechend auf dem Bauch zurück. Dann öffnete sich plötzlich das Gebüsch und gab eine kleine, mit trockenem Gras bewachsene Lichtung frei. In der Mitte lagen kreisförmig angeordnete, kopfgroße Steine, die brennende Holzscheite umschlossen. Es waren drei Personen, die um das flackernde Feuer hockten. Ihre Gesichter wurden rötlich von der Glut beleuchtet. Zwei Männer und eine Frau. Die Frau war gefesselt. Lobo hatte Al Clayborne, Hustler und Cecilie Brüssel gefunden. * Manuka, der junge Apachenkrieger, saß schon seit Sonnenuntergang auf dem spitzen Felsen, das Gesicht dem Morgen zugewandt, die Augen geschlossen. Seit einigen Tagen gingen seine Gedanken neue, bisher unbekannte Wege. Begonnen hatte alles an dem Tag, an dem sich sein Stamm mit den Kriegern der Suma vereinigt hatte. An diesem Tag hatte er Ulschin zum erstenmal gesehen. Das junge Mädchen trug einen gewaltigen geflochtenen Korb, der einen Teil der Felle enthielt, aus denen ihr Wickiup gebaut wurde. Den ganzen Tag hatte Manuka sie beobachtet, versteckt in einem dicht belaubten Baum. Am Abend hatte sie ihn entdeckt, und sie hatte ihm zugelächelt. Seitdem war sie ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Er hatte sich vom Stamm zurückgezogen und nachgedacht. Morgen würde er zu ihrem Vater gehen und ihm seine Stute für Ulschin anbieten. Die Stute war das Wertvollste, was er besaß. Es war alles, was er für Ulschin bieten konnte. 55
Manuka bedauerte, daß er noch so jung und als Krieger unerfahren war. Bisher hatte er noch nicht viele Kämpfe bestanden. Er fürchtete, daß ihn der Vater Ulschins nicht ernst nehmen würde. Ulschins Vater war ein alter, großer Krieger. Sein hartes, faltiges Gesicht und sein ganzer Körper war von vielen ehrenvollen Narben bedeckt. An der Lanze vor seinem Zelt hingen zahlreiche Skalps. Doch Manuka würde beweisen, daß er ebenfalls ein großer Krieger war. In den bevorstehenden Kämpfen würde er es zeigen. Niemand würde mehr an ihm zweifeln dürfen. Er hatte sich entschieden. Er würde Ulschin zur Frau nehmen und ein großer Krieger werden. Sein Stamm würde stolz auf ihn sein. Ein großes, heißes Feuer brannte in Manuka und erfüllte seinen Körper mit Kraft. Er öffnete seine Augen. Die Nacht hatte ihren tiefsten Punkt erreicht, aber bald würde sich am fernen östlichen Horizont ein schmaler, silbriger Streifen bilden, der ständig größer werden und die Nacht verdrängen würde. Ebenso wie dieses Licht würde auch Manuka wachsen, und der Ruhm seiner Taten würde das weite Land erfüllen. Das war der Augenblick, in dem der junge Apache den einsamen Reiter im Tal unter sich entdeckte. Der Mann schien ein Weißer zu sein. Er trug die Kleidung der Weißen und hatte sein Gesicht unter der breiten Krempe eines Hutes versteckt. Der Mann ritt ein schlankes braunes Pferd, und Manuka sah trotz der Dunkelheit, daß es ein ausgezeichnetes Tier sein mußte. Sicher und geschickt tastete es mit seinen Hufen den unsicheren Boden ab. Manuka erhob sich, während er den Reiter beobachtete, und seine rechte Hand umschloß den hölzernen Griff seines langen Kampfmessers. Diesen Mann mußten ihm die Götter geschickt haben. Jetzt würde er Ulschins Vater ein angemessenes Brautge56
schenk machen können. Er würde beweisen können, daß er ein Krieger war. Bald würde auch vor seinem Zelt der erste Skalp an einer Lanze wehen. Geschmeidig und völlig geräuschlos glitt Manuka von dem Felsen, auf dem er viele Stunden nachgedacht hatte. Nur mit dem Messer bewaffnet, folgte er dem fremden Weißen im Laufschritt. Es war nicht schwer, ihm zu folgen. Auf dem harten, steinigen Boden verursachten seine hirschledernen Mokassins kein Geräusch. Zudem ritt der Mann in der Dunkelheit nur sehr langsam. Manuka konnte es sich leisten, dem Fremden in nur sehr kurzem Abstand zu folgen. Als das Pferd des Reiters schnaubte, blieb Manuka wie angewurzelt stehen. Er fürchtete, daß ihn das Tier gewittert und verraten hatte. Die Knöchel des jungen Apachen wurden weiß, als sich seine Finger noch stärker um den Holzgriff des Messers verkrampften. Auch der Reiter blieb stehen und zügelte sein Tier. Er schien zu verstehen, daß ihn das Pferd vor etwas warnen wollte. Geräuschlos glitt er aus dem Sattel und verschwand seitwärts zwischen zwei Felsen. Kurz darauf tauchte er wieder als dunkler Schatten auf und setzte seinen Weg zu Fuß fort. Das Pferd ließ er zurück. Erst jetzt verstand Manuka, daß ihn das Tier unmöglich gewittert haben konnte, da der leichte Nachtwind von vorn wehte. Es mußte etwas sein, daß Manuka selbst noch nicht kannte. Manuka überlegte lange, ob er das unbewachte Pferd des weißen Mannes stehlen sollte, oder ob es besser wäre, dem Mann zu folgen. Schließlich entschied er sich dafür, dem Reiter nachzuschleichen, um neben dem Pferd auch den Skalp des Reiters zu erbeuten. Schließlich brauchte er einen Beweis, daß er ein tapferer Krieger war, der furchtlos kämpfen konnte. Wenn der kommende Tag anbrach, mußte er etwas in der Hand haben, wenn er 57
Ulschins Vater gegenübertrat. Schon nach wenigen Schritten wußte Manuka, warum das Pferd des weißen Mannes geschnaubt hatte. Der Geruch von verbranntem Harz und Holz lag süßlich und schwer in der Luft. Es war der Geruch von einem Feuer, wie es nur Weiße machen. Ein Indianer würde vorsichtiger sein. Kampflust und ein fieberndes Verlangen nach Ruhm und Siegen durchströmte heiß und drängend den Körper des jungen Apachenkriegers. Womöglich würde er in dieser Nacht mehr als einen Skalp erringen können. Er stellte sich vor, wie er beladen mit Beute und Trophäen von besiegten Feinden zurück ins Lager kommen würde. Er würde die Dinge vor dem Zelt von Ulschins Vater aufhäufen und ihm alles mit einer selbstbewußten Geste anbieten. Der alte Mann würde nicht mehr daran zweifeln können, daß Manuka ein tapferer Krieger war, und Ulschin würde seine Squaw werden. Manuka nahm sein Messer fest in die Hand und führte es zuerst an seine Stirn, danach an sein Herz. All seine Kraft sollte auf das blitzende Metall übergehen. In dieser Nacht würde sich alles entscheiden. Noch bevor der Himmel grau wurde und neues Licht auf die Erde flutete. Der sehnige, schlanke Körper des Apachenkriegers verschwand zwischen den dunklen Büschen und grauen Felsen. * Al Clayborne und Hustler hockten um ihr kleines Feuer und hielten dicke Fleischbrocken an langen Holzspießen in die Flammen. Von Zeit zu Zeit schnitten sie sich kräftige Stücke davon ab und ließen sie zwischen ihren Zähnen verschwinden. Fett glänzte auf ihren Lippen, lief durch ihre Bartstoppeln und tropfte vom Kinn auf die Erde. 58
Cecilie saß etwas abseits an einen Baum gelehnt. Ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt und an den Stamm des Baumes gebunden. Sie hielt ihre Augen geschlossen, aber den Kopf stolz emporgereckt. Der flackernde Schein des Feuers tanzte auf ihrem bleichen Gesicht. »Ich würde mich noch gern mit dem Mädchen beschäftigen, bevor wir sie den Indianern übergeben«, sagte Hustler nach einiger Zeit kauend und warf einen Seitenblick auf Cecilie. Auf seinem Gesicht machte sich ein dreckiges, böses Grinsen breit. »Du weißt, was der Boß gesagt hat«, antwortete Al Clayborne. »Dem Mädchen wird kein Haar gekrümmt. Das übernehmen die Rothäute.« »Aber es ist doch verdammt schade, alles den Indianern zu überlassen«, widersprach Hustler. »Ich meine ja auch nur, so ein kleiner Spaß wird wohl noch erlaubt sein.« Seine Stimme war rauh, ganze Bäche von Fleischsaft und Fett flossen von seinen Lippen. Al Clayborne richtete sich langsam auf. Seine Haltung wurde drohend. »Ich wiederhole es noch einmal«, sagte er betont scharf. »Der Boß hat genaue Anweisungen gegeben. Du wirst dich daran halten. Das Mädchen wird nicht angefaßt. So, wie sie ist, wird sie an einen Baum gebunden, sobald wir in der Nähe eines Indianerlagers sind. Wir werden ein Feuer mit viel Rauch anzünden und verschwinden.« »Ich weiß, was Brüssel gesagt hat«, knurrte Hustler mürrisch. Clayborne hatte ihn eingeschüchtert. »Dann halte dich auch daran«, fuhr Al fort. »Der Boß zahlt für diesen Job mehr Geld, als er mir in meinem ganzen Leben gezahlt hat. Deshalb werde ich den Auftrag so erfüllen, wie er bestimmt hat. Wer mich daran hindert, wird umgelegt.« Hustler sah, daß Clayborne seine rechte Hand in die Nähe sei59
nes Revolvers brachte. Beschwichtigend hob Hustler beide Arme. »Laß gut sein, Al«, sagte Hustler. »War nur eine Idee von mir. Du weißt, wenn der Boß etwas anordnet, halte ich mich natürlich daran. Clayborne entspannte sich langsam wieder, und auch Hustler kaute weiter an seinem Fleisch, als ob nichts geschehen wäre. Lediglich hin und wieder musterten sich die beiden Männer mit einem mißtrauischen Seitenblick. Lobo lag gut versteckt in einem dicht belaubten Busch und beobachtete die beiden Banditen durch einige Farnwedel hindurch. Er war sich sicher, daß die beiden nicht damit rechneten, daß sie verfolgt würden. Die Ahnungslosigkeit der beiden Banditen erleichterte ihm die Sache. Behutsam schob er sich wieder zurück. Er achtete sorgfältig darauf, daß sich keiner der langen Grashalme oder Zweige bewegte oder brach. Bei einem plötzlichen Kampf wäre er zwar der Überlegene gewesen, weil die Überraschung auf seiner Seite war, aber das Mädchen wäre in dem Fall zu gefährdet gewesen. Cecilie mußte zuerst in Sicherheit gebracht werden, dann erst konnte er sich um die beiden Männer kümmern. Lobo nahm sich vor, die beiden Banditen lebend in seine Gewalt zu bringen. Erstens deshalb, weil er kein Killer war und niemals einen Mann hinterrücks erschoß. Zum zweiten, weil Chuck Matthews mit Clayborne abzurechnen hatte. Die Abrechnung sollte vor einem ordentlichen Gericht stattfinden. Außerdem brauchte Lobo Clayborne und Hustler als Zeugen. Wenn Craig Brüssel das Handwerk gelegt werden sollte, brauchte Lobo die beiden, um die Anschuldigungen gegen den Rancher erhärten zu können. Als Lobo sich weit genug zurückgezogen hatte, daß er nicht mehr vom Lichtschein des Feuers beleuchtet werden konnte, 60
erhob er sich und lief geduckt in einem weiten Halbkreis um das Lager. Bei dem, was er nun vorhatte, würde ihn die Winchester nur behindern. Er lehnte deshalb die Waffe gegen einen dicht mit Efeu bewachsenen Baum und tarnte sie mit Blättern und Zweigen. Dann schlich er erneut auf das Lager zu. Lobo schätzte, daß er jetzt auf die Stelle des Platzes stoßen würde, an der das Mädchen angebunden saß. Sobald der Lichtschein des Feuers von neuem durch die Zweige flackerte, warf er sich zu Boden. Geschickt wie eine Eidechse schlängelte er sich um Felsbrocken, Baumwurzeln und dornige Sträucher. Da Clayborne und Hustler nicht damit rechneten, daß sie jemand überfallen würde, konnte Lobo auf die üblichen Vorsichtsmaßnahmen verzichten. Er kam schnell voran. Schon nach wenigen Minuten hatte er wieder die Feuerstelle mit den beiden Banditen vor sich. Noch immer saßen sie ahnungslos um die Flammen und brieten gelangweilt ihr Fleisch. Von Zeit zu Zeit nahmen sie einen tiefen Schluck aus ihren Sattelflaschen. Doch an der Art, wie die Männer tranken, erkannte Lobo, daß es sich bei der Flüssigkeit wohl eher um Whisky als um Wasser handelte. Die Augen von Hustler jedenfalls waren bereits glasig verschleiert. Lobo hob den Kopf und wagte einen Blick über die Buschreihe hinweg, die ihn verbarg. Dann entdeckte er den Baum, an dem Cecilie angebunden saß, nur drei Yards neben sich. Zehn Minuten später lag Lobo, dicht an den Boden gepreßt, hinter ihr. Er konnte sie mit seiner Hand erreichen. »Beweg dich nicht«, flüsterte er mit kaum hörbarer Stimme. »Bleib genauso sitzen. Ich bin gekommen, um dich zu befreien.« Nur kurz zuckte das Mädchen zusammen. Dann hatte sie sich in der Gewalt. Obwohl ihr die freudige Erregung einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte, ließ sie sich nichts anmerken. Sie hatte begriffen, daß es jetzt auch an ihr lag, wenn 61
die Sache klappen sollte. Lobo wartete, bis er sicher war, daß das Mädchen alles verstanden hatte. Dann flüsterte er weiter. »Ich werde jetzt die Fesseln zerschneiden«, hauchte er. »Trotzdem wirst du genauso sitzen bleiben, wie du jetzt sitzt. Du bewegst dich erst, wenn es zum Kampf kommt. Dann wirfst du dich hinter den Baum flach auf die Erde.« Ganz leicht senkte Cecilie ihren Kopf und gab Lobo zu verstehen, daß sie verstanden hatte. Keinem anderen wäre die Bewegung aufgefallen. Lobo schob sich noch einige Inches weiter vor und ergriff dann die gefesselten Hände des Mädchens. Die Blutzirkulation war durch die stramm gebundenen Lederriemen unterbrochen, die Hände fühlten sich kalt an. Als Lobo das Leder zerschnitt, atmete Cecilie tief ein und hielt dann die Luft an. Ihre Brust spannte sich unter der engen, weißen Bluse. Die Erregung nahm ihr fast den Atem. In der nächsten Sekunde war sie frei. Hinter ihrem Rücken dehnte Cecilie ihre Hände. Sie spreizte die Finger und ballte sie zur Faust. Ungehindert strömte von neuem das Blut durch ihre Adern. Noch kurz blieb Lobo liegen, dann schob er sich geräuschlos wieder zurück. In diesem Augenblick erhob sich Hustler. Vom Whisky schon stark angeschlagen, stand er unsicher neben dem Feuer und reckte sich ausgiebig. Ein lang anhaltender Rülpser entrang sich seiner Kehle. Mit staksigen Schritten taumelte er um das Feuer herum und ging wie zufällig auf den Baum zu, an dem Cecilie saß. Mit einem blödsinnigen, betrunkenen Gesichtsausdruck stierte er das Mädchen an. Lobo war erst vierYards von dem Baum entfernt. Jetzt blieb er liegen und preßte sich dicht auf den dunklen Boden. Wenn 62
Hustler in seine Richtung blickte, mußte er ihn sehen. Blitzschnell glitt Lobos rechte Hand an seinem Körper entlang und umschloß den abgewetzten Holzgriff seines Army Colts. Sein Daumen legte sich auf den geriffelten Teil des Hahns. Der Körper des Mädchens verkrampfte sich. Angsterfüllt starrte sie dem Banditen entgegen. Sie konnte sich denken, was Hustler von ihr wollte. Inzwischen schien der Alkohol seine letzten Hemmungen hinweggeschwemmt zu haben. Cecilies Finger zerrten nervös an den zerschnittenen Enden der Fesseln. Sie wagte nicht einmal mehr zu atmen. Winzige Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, und das flackernde Licht des Feuers spiegelte sich in ihnen wieder. Breitbeinig blieb Hustler dicht vor dem Mädchen stehen. Mit seinem betrunkenen Grinsen blickte er auf die Gefangene herab. Noch immer waren Mund und Kinn von dem Fett des gebratenen Fleisches verschmiert. Eine Fliege kroch über sein aufgedunsenes Gesicht, ohne daß er sie bemerkte. Lange wippte Hustler auf seinen Fersen von vorn nach hinten und versuchte so, sein Gleichgewicht zu halten. Schließlich beugte er sich zu dem Mädchen hinab. Seine schmutzige, grobe Hand packte sie am Kinn und hob ihr Gesicht an. Stinkender Alkoholdunst schlug Cecilie entgegen. Die Augen des Mädchens waren in panischer Angst weit aufgerissen. Verzweifelt krampfte sie ihre Hände hinter ihrem Rücken ineinander. Ihr einziger Gedanke war, aufzuspringen und zu laufen. Weit weg, irgendwohin. Weg von diesen widerlichen, skrupellosen Banditen. Doch sie wußte auch, daß sie in dem Fall verloren war. Sie konnte nur hoffen. Hoffen auf das Halbblut, das irgendwo hinter ihr im Gebüsch liegen mußte. Vorsichtig und langsam zog Lobo seinen Revolver aus der Halfter. Sorgfältig brachte er die Waffe in Anschlag und legte die linke Hand auf den Hahn. Der sechseckige Lauf war jetzt genau 63
auf das rötliche Gesicht von Hustler gerichtet. Lobo hatte nicht vor, den Mann zu töten. Aber in dem Augenblick, in dem Hustler entdeckte, daß Cecilies Fesseln zerschnitten waren, würde der Bandit sterben. »Wie gefällt es dir so bei uns?« lallte Hustler und strich mit dem Daumen der Hand, die ihr Kinn festhielt, über ihre Wange. Cecilie zitterte vor Angst und Ekel. Mit verzweifelter Anstrengung kämpfte sie dagegen an, laut zu schreien und dem Banditen die Hand wegzuschlagen. »Ich möchte, daß es dir die letzte Nacht bei uns besonders gut geht«, redete Hustler mit unsicherer Stimme weiter. Sein trunkenes Gesicht war von höhnischem Grinsen verzerrt. Die Angst des Mädchens schien ihm zu gefallen und ihn immer mehr anzustacheln. »Bitte – bitte nicht«, stammelte Cecilie leise. Sie nahm all ihre Kraft zusammen. Sie spürte, daß sie bald am Ende ihrer Widerstandskraft angelangt war. Lobo bemerkte ebenfalls, daß das Mädchen nicht mehr lange durchhalten würde. Es mußte bald eine Entscheidung fallen. Mit der linken Hand hatte der betrunkene Bandit bisher versucht, das Gleichgewicht zu halten. Doch jetzt packte er mit der Hand grob den dünnen Stoff von Cecilies weißer Bluse dicht an ihrem Hals. Gierig hefteten sich seine Augen auf ihre noch bedeckte, bebende Brust. Seiner Kehle entrang sich ein tierisches Stöhnen. Dann begann er langsam, den Stoff zu zerreißen. Das harte, metallische Klicken eines einrastenden Revolverhahns ließ Hustler zusammenzucken. »Dreh dich um, Hustler, sonst kriegst du eine Kugel in den Rücken!« Al Clayborne stand breitbeinig neben dem Feuer und hielt seinen Revolver in Hüfthöhe auf seinen Partner gerichtet. »Dreh dich um, aber beeil dich damit. Ich warte nicht lange!« Hustler erstarrte in der Bewegung. 64
Seine Hände lösten sich von dem Mädchen. Langsam richtete er sich auf und drehte sich um. Jetzt hatte er Angst. Deutlich flackerte sie in seinen Augen. »Hör zu, Al«, stammelte Hustler. »Mach keinen Unsinn! Du darfst das alles nicht falsch verstehen!« Clayborne ging nicht auf die Worte ein. »Komm zum Feuer«, befahl er. Mit unsicheren Schritten stakste Hustler zurück zum Feuer. Seine Arme waren weit vom Körper abgespreizt. Er ließ die auf ihn gerichtete Waffe nicht aus den Augen. »Al«, begann Hustler noch einmal. »Ich wollte dem Mädchen nichts tun. Ich weiß, was der Boß gesagt hat. Und wenn der Boß etwas gesagt hat, halte ich mich daran. Ich wollte nur feststellen, ob sich die Fesseln in der Zwischenzeit gelöst haben. So was kommt vor. Ich wollte vermeiden, daß das Mädchen heute nacht verschwindet.« Claybornes Gesicht blieb hart und ausdruckslos. »Setz dich«, befahl Al Clayborne. »Wenn du noch einmal aufstehst, knall ich dich ab. Ohne Warnung.« Hustler ließ sich auf den Boden fallen und setzte sich gehorsam an seinen früheren Platz. Er wagte es nicht, Gegenwehr zu leisten. Erst jetzt ließ Clayborne den Hahn seines Revolvers zurückschnappen und schob die Waffe in die Halfter. Dann setzte auch er sich wieder. Cecilie atmete erleichtert auf. Sie lehnte den Kopf an den rauhen Stamm des Baumes und schloß die Augen. Sie hatte es geschafft. Es war ihr gelungen, ihre Hände trotz der Bedrohung auf dem Rücken zu behalten. Sie hatte den Banditen getäuscht. Cecilie war sehr stolz auf sich. Nun war sie erschöpft, aber sehr zuversichtlich.
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* Nachdem beide Banditen wieder am Feuer saßen, blieb Lobo noch einige Minuten bewegungslos liegen und beobachtete sie. Erst dann ließ er seinen Colt zurück in die Halfter gleiten und schob sich weiter zurück. An der gegenüberliegenden Seite des Lagerplatzes reichte das Buschwerk bis dicht an das Feuer der beiden Killer. Dort war es möglich, bis auf wenige Yards an die Männer heranzuschleichen. Lobo nahm sich vor, von dort aus seinen Überraschungsangriff zu starten. Er wollte versuchen, einen der beiden niederzuschlagen und den anderen so lange mit dem gespannten Revolver in Schach zu halten, bis es Cecilie gelungen war, die Banditen zu fesseln. Der Überfall sollte ohne Blutvergießen ablaufen. Lobo wollte die Killer lebend und unverletzt dem Richter in Red Bugville übergeben. Außerdem mußte er vermeiden, daß durch eine Schießerei die Apachen, die sich in der Gegend aufhielten, alarmiert wurden. Er hatte ihre Zeichen gesehen. Er hatte nicht vor, sie herbeizulocken. Als Lobo genügend weit entfernt war und nicht mehr vom Lichtschein des Feuers erreicht werden konnte, erhob er sich und lief aufrecht weiter. Nach wenigen Minuten hatte er den mit Efeu umrankten Baum erreicht, an dem er seine Winchester versteckt hatte. Er bog die Ranken und Blätter beiseite und tastete nach der Waffe. Doch seine Hände faßten ins Leere. Lobo ließ sich zu Boden gleiten und untersuchte sorgfältig die Umgebung des Baumes. Er konnte sich unmöglich getäuscht haben. Dies war genau der Baum, an dem er das Gewehr versteckt hatte, bevor er sich an das Lager der Banditen heranschlich, um das Mädchen zu befreien. Er fühlte deutlich die knorrigen Wurzeln und die grobe, an vielen Stellen aufgesprungene 66
Rinde. Zudem war es der einzige Baum in weitem Umkreis, der mit Efeu bewachsen war. Dennoch war das Versteck leer. Doch schon eine Sekunde später wußte Lobo, wo seine Waffe war. Das metallische Klicken, das die Mechanik einer Winchester verursacht, wenn man den Unterhebel durchzieht, verriet Lobo, daß er es in dieser Nacht mit mehr Gegnern zu tun hatte, als nur mit Clayborne und Hustler. Das metallische Geräusch war von der linken Seite gekommen. Ohne lange zu zögern stieß sich Lobo ab und flog in einem weiten Bogen nach rechts hinter einen umgestürzten Baumstamm. Die Reaktion kam keinen Augenblick zu früh. Gleißendes Mündungsfeuer zerriß die schwarze Dunkelheit der Nacht. Die Detonation eines Schusses peitschte die Stille. Gleichzeitig fühlte Lobo einen brennenden Schmerz, wie von glühendem Eisen gezogen, an seinem Bein. Noch bevor er auf dem Boden aufschlug, wußte er, daß er getroffen war. Seine linke Hand tastete zu der Wunde, während er mit der rechten den Revolver aus der Halfter riß. Er war nicht schwer verletzt. Die Kugel hatte ihn nur gestreift und eine tiefe Fleischwunde gezogen. Lobo schlug den Hammer seiner Waffe zurück. Er richtete sich leicht auf und versuchte, seinen Gegner in der Dunkelheit zu entdecken. Dann schoß er zweimal, blitzschnell hintereinander. Die Mündungsflamme des ersten Schusses beleuchtete wie ein heller Blitz die Gegend. In diesem Licht sah Lobo schemenhaft die kleine, hagere Gestalt eines Apachen. Sie kniete neben einem Stein und hatte Lobos Winchester im Anschlag. Der zweite Schuß war gezielt auf den Indianer gerichtet. Mit einem abgerissenen, unterdrückten Schrei fiel der Apache nach hinten. Lobo sprang auf und setzte über den Baumstamm, der ihm als Deckung gedient hatte. Mit zwei Sätzen hatte er den Indianer 67
erreicht. Er achtete nicht auf den Schmerz der Wunde an seinem Bein, der wie ein Messerstich seinen Körper durchzog. Lobo schlug den Lauf der Winchester mit dem linken Unterarm zur Seite und ließ seine rechte Faust mit dem Revolver gegen die Schläfe des Apachen sausen. Der Indianer verkrampfte sich und bäumte sich auf. Seine Finger krümmten sich um den Abzug des Gewehrs. Ein Schuß löste sich, und das Projektil pfiff zischend und heiß dicht an Lobos Kopf vorbei. Dann erst fiel der Apache in sich zusammen. Schlaff und bewegungslos blieb er liegen. An seiner Schulter klaffte die Wunde, die Lobos Kugel verursacht hatte. Es war keine ernsthafte Verletzung. Erst der Schlag gegen die Schläfe hatte den Indianer außer Gefecht gesetzt. Lobo wand dem bewußtlosen Apachen die Winchester aus der Hand. Er hatte jetzt keine Zeit zu verlieren. Clayborne und Hustler mußten die Schüsse gehört haben. Lobo sprang auf und lief, ohne auf seine Deckung zu achten, zu der Stelle, an der er Cecilie gefesselt zurückgelassen hatte. Als Lobo fast das Lager erreicht hatte, löste sich eine Gestalt aus dem Schatten eines Baumes und sprang auf Lobo zu. Lobo riß den Unterhebelspanner seiner Winchester nach vorn und legte auf die Gestalt an. Erst im letzten Augenblick erkannte Lobo, daß es Cecilie war. Lobo faßte das Mädchen bei der Hand und riß sie mit sich. Zweige und Sträucher peitschten sein Gesicht, als er zu der Stelle lief, an der er seinen Hengst versteckt hatte. Plötzlich schrie Cecilie auf und fiel zu Boden. Lobo blieb stehen, faßte sie bei der Schulter und versuchte, sie wieder aufzurichten. Ein erneuter Schmerzensschrei Cecilies verriet Lobo, daß sich das Mädchen verletzt hatte. »Mein Bein«, stammelte sie mit leiser Stimme. »Ich kann mein Bein nicht bewegen!« 68
Lobo kniete sich neben sie und betastete vorsichtig ihre Beine. Als er ihren rechten Fuß berührte, schrie Cecilie abermals leise auf. Lobo hatte den Verdacht, daß der Fuß gebrochen war. Plötzlich zerfetzte ein Kugelhagel die Blätter und Zweige der umliegenden Büsche. Ohne einen wirklichen Gegner sehen zu können, feuerten Clayborne und Hustler wie wild in die Gegend. Vorsichtig hob Lobo das vor Schmerz stöhnende Mädchen hoch und trug sie hinter einen nahen Felsbrocken. Einige Querschläger folgten ihnen jaulend, aber wirkungslos. In der Deckung lud Lobo die leergeschossenen Kammern der Winchester und des Revolvers neu. Im Augenblick konnte er nichts anderes tun. Es war zu gefährlich, weiterzulaufen, auch wenn Clayborne und Hustler nur blind schossen. Dann brach mit einem Mal die wilde, sinnlose Schießerei ab. Die beiden Banditen schienen es sich anders überlegt zu haben. An dem vereinzelten Knacken von brechenden Zweigen erkannte Lobo, daß die Killer jetzt den Wald durchkämmten. Lobo drückte dem Mädchen seine Winchester in die Arme. »Kannst du damit umgehen?« fragte er. Cecilie nickte nur und spannte die Waffe. Ihre Lippen waren fest aufeinander gepreßt. Sie schien starke Schmerzen an ihrem Fuß zu haben. »Du bleibst hier und rührst dich nicht von der Stelle«, befahl Lobo dem Mädchen. »Die Winchester benutzt du nur, wenn du entdeckt wirst. Ich werde mich um Clayborne und Hustler kümmern.« Wieder nickte Cecilie, und Lobo verließ die Felsnische. Er lauschte kurz und wandte sich dann in die Richtung, in der er einen der Banditen vermutete. Er hoffte, daß der Apache, den er niedergeschlagen hatte, der einzige Indianer war, der sich hier in der Gegend herumtrieb. Andernfalls würde er keine großen 69
Chancen haben, das Mädchen lebend zurückzubringen. Der Lärm, den Clayborne und Hustler mit ihrer sinnlosen Schießerei veranstaltet hatten, war wahrscheinlich meilenweit zu hören gewesen. Ein dünner, silbriger Streifen am östlichen Horizont kündete allmählich den neuen Tag an, als Lobo in einer flachen Mulde in Deckung ging und lauschte. Er preßte sein Ohr an den Boden und versuchte, die Banditen anhand der Erschütterungen, die ihre Schritte verursachten, auszumachen. Dann zerriß ein schriller, fast unmenschlicher Schrei die Stille. Es war der Todesschrei eines Menschen. Lobo schnellte aus der Mulde und hastete in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. In seiner rechten Hand lag der gespannte Revolver. Dornen und spitze Zweige rissen und zupften an seiner Kleidung. Der Streifschuß an seinem Bein brannte wie Feuer. Nach fünfzig Yards blieb Lobo abrupt stehen. Vor ihm, auf dem Boden, saß einer der Banditen. Es war Hustler. Er lehnte mit dem Rücken gegen einen Baum und starrte Lobo aus weit aufgerissenen Augen an. Doch diese Augen konnten ihn nicht mehr sehen. Hustler war tot. Aus seiner Brust ragte der Griff seines eigenen Messers. Fast instinktiv wirbelte Lobo herum, als er hinter sich ein kaum hörbares, pfeifendes Geräusch hörte. Mit einem gewaltigen Sprung flog der junge Apache auf Lobo zu. Der Indianer hatte sich schneller von der Bewußtlosigkeit erholt, als Lobo erwartet hatte. In seinen Augen glomm ein wildes Feuer. Matt glänzte das erste Licht des Morgens auf der langen, scharfen Klinge des Messers, das der Apache in der hoch erhobenen Faust hielt. Er war bereit, zuzustoßen. Lobo knickte in den Knien ein und glitt seitwärts zu Boden. Er riß den Revolver hoch und legte auf den Indianer an. Doch war 70
es zu spät, um abzudrücken. Dicht pfiff die Schneide des Messers an Lobos Hals vorbei. Die Klinge verfehlte ihn nur knapp. Gleichzeitig riß der Apache ein Bein hoch und stieß Lobos Revolver zur Seite. Lobo drückte sich vom Boden ab und sprang nach hinten. Der Indianer folgte ihm mit der gleichen Schnelligkeit. Ein Fuß des Apachen traf den Revolver und riß ihn Lobo aus der Hand. In einem weiten Bogen wirbelte die Waffe durch die Luft und verschwand zwischen dichten Farnsträuchern. Von neuem stieß der Indianer mit dem Messer zu. Mit einer seitlichen Drehung seines Körpers entging Lobo nur knapp dem tödlichen Stich. Dann gelang es ihm, mit beiden Händen den Messerarm des Apachen zu fassen. Der Indianer stieß einen gepreßten Schmerzensschrei aus, als Lobo ihm die Hand auf den Rücken bog. Der Apache krümmte sich unter dem harten Zugriff Lobos. Aber er ließ das Messer nicht los. Plötzlich stieß sich der junge Apache vom Boden ab, wand sich mit einer geschmeidigen und elastischen Bewegung und rammte dann mit aller Kraft seinen Kopf gegen die Brust Lobos. Für eine Sekunde verlor Lobo das Gleichgewicht. Der klammernde Griff, mit dem er den Indianer gefaßt hielt, lockerte sich. Es war nur der Bruchteil eines Augenblicks, aber für den Apachen war es lang genug. Es reichte ihm, um den Arm frei zu bekommen und nach hinten wegzufedern. Als der Apache von neuem angriff, hatte Lobo bereits sein eigenes Messer in der Hand. Lobo stand etwas nach vorn gebeugt und heftete seinen Blick fest auf seinen Gegner. Seine rechte Hand umklammerte den glatten Holzgriff seines Bowiemessers. Während der Indianer noch nach hinten schnellte, hatte es Lobo bereits aus der Scheide am Stiefelschaft gezogen. Das alles war so schnell gegangen, daß es der Apache kaum 71
wahrgenommen hatte. Jetzt stoppte er mitten in seinem Angriff und starrte erstaunt auf die breite, gefährliche Klinge in Lobos Faust. Mit wiegenden, katzenhaften und geschmeidigen Schritten umrundete er seinen Gegner. Er schien zu begreifen, daß er mit Lobo mehr zu tun haben würde als mit Hustler. Ruhig und konzentriert beobachtete Lobo ihn. Jetzt waren die Waffen wieder gleich verteilt. Lobo hatte keine Angst. Es war nicht der erste Messerkampf, den er mit einem Indianer austrug. Die Klinge in der Hand des Indianers drehte sich. Die scharf geschliffene Schneide wies jetzt nach oben. Lobo bemerkte es sofort und wußte im gleichen Augenblick, was der Indianer vorhatte. Der Apache würde versuchen, von oben einen Stich vorzutäuschen, um dann ungehindert die Klinge in Lobos Leib zu rammen. Lobo kannte die Tricks und wußte, wie er sich zu verhalten hatte. Die nackte Brust des jungen Apachen hob und senkte sich gleichmäßig. Seine schwarzen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er konzentrierte sich voll auf den Angriff. Dann sprang er los. Wie von einer Sehne geschnellt flog er auf Lobo zu. Er riß den linken Arm hoch und täuschte, wie es Lobo erwartet hatte. Lobo spannte jeden Muskel seines Körpers, blieb aber bewegungslos stehen. Er wartete, bis ihn der Apache fast erreicht hatte. Dann erst reagierte er mit einer leichten Drehung seines Körpers. Gleichzeitig schoß seine unbewaffnete Hand vor und bohrte sich in den ungeschützten Leib des Apachen. Der Indianer hatte sein Messer noch immer unten, um es in Lobos Körper zu stoßen. Jetzt kam er nicht mehr dazu, seine Absicht auszuführen. Lobos Faust stoppte ihn im Flug und schleuderte ihn zur Seite. Er krümmte sich und schnappte nach Luft. Sein Gesicht verzerrte sich vor Wut und Haß. Dennoch war 72
er sofort wieder auf den Beinen. »Manuka wird dich töten«, preßte der Indianer hervor und sprang erneut auf Lobo zu. Diesmal war sein Angriff unkontrolliert und völlig ohne System. Es war nicht schwer für Lobo, den Apachen wieder mit einem Faustschlag zu bremsen. Bisher hatte Lobo sein eigenes Messer noch nicht benützen müssen. Inzwischen schien der Indianer einzusehen, daß er auf diese Weise seinen Gegner nicht besiegen konnte. Schwer atmend starrte er Lobo an. In seinem Gesicht spiegelte sich nicht nur Wut und Schmerz, sondern auch Bewunderung wider. Einem guten Gegner würde er niemals den Respekt versagen. Das war genau der Augenblick, in dem der knappe, scharfe Knall eines Revolverschusses aufbellte und der Indianer wie von einer gewaltigen, unsichtbaren Faust gepackt und herumgeschleudert wurde. Der Apache preßte beide Hände gegen seine Brust und krümmte sich auf dem Boden. Ein leises Röcheln entrang sich seiner Kehle, dann lag er still. Manuka, der junge Apachenkrieger, war tot. Mit einem bösartigen, gemeinen Grinsen auf den Lippen trat Al Clayborne aus einem Gebüsch heraus auf die kleine Lichtung. In seiner Hand hielt er locker einen noch rauchenden Revolver. »Ich habe dir das Leben gerettet, Halbblut«, sagte er und blickte Lobo höhnisch an. Wortlos und voller Verachtung wandte sich Lobo ab und suchte in dem hohen Farnkraut seinen Revolver wieder, den ihm der Indianer aus der Hand getreten hatte. Als er ihn fand, ließ er prüfend die Trommel rotieren und schob dann die Waffe zurück in die Halfter. Grinsend sah ihm Clayborne dabei zu. »Du magst es nicht, wenn man sich in deine Angelegenheiten einmischt, was?« fragte Clayborne. »Du bist wohl ein Mann, der faire Zweikämpfe liebt, auch wenn man dabei verliert.« Er erhielt darauf keine Antwort. 73
Dann schlug Clayborne plötzlich den Hammer seines Revolvers erneut zurück und richtete den Lauf auf Lobo. Mit einem Schlag verschwand auch das dreckige Grinsen und wich einer brutalen, bösartigen Fratze. »Ich mag es auch nicht, wenn man sich in meine Angelegenheiten mischt«, zischte Al. »Und ich mag nur solche Zweikämpfe, in denen ich gewinne. Dies ist einer davon!« Er forschte in Lobos Gesicht, wie seine Worte gewirkt hatten. Lobo sah dem Banditen fest und furchtlos in die Augen. Er schätzte seine Möglichkeiten ab, mit einem Sprung den Revolver zu erreichen. Clayborne konnte ihn nicht einschüchtern. Als der Bandit spürte, daß er mit der Waffe Lobo nicht beeindrucken konnte, verzerrte sich sein Gesicht noch mehr. »Ich bewundere deinen Mut, Bastard«, knurrte Clayborne. »Aber diesmal wird er dir nichts nützen.« Clayborne wich einige Schritte zurück, um Lobo keine Gelegenheit zu geben, den Revolver zu erreichen. »Sag mir, wo das Mädchen ist. Ich weiß, daß du Cecilie losgeschnitten hast. Wo hast du sie versteckt?« Auch auf diese Frage erhielt Clayborne keine Antwort. »Ich knall dich ab, Bastard!« drohte der Bandit. »Ich will wissen, wo Cecilie ist. In meinem Revolver sind noch fünf Schuß. Wenn du mir nicht bald sagst, wo das Mädchen ist, werde ich dich mit Blei spicken. Aber erst die letzte Kugel wird dich töten.« Lobo kümmerte sich nicht um die Drohungen. Clayborne hatte einen Fehler begangen. Er hatte zugelassen, daß Lobo seinen eigenen Revolver wieder in der Halfter hatte. Zwar war Clayborne im Vorteil, da seine Waffe bereits gezogen und gespannt war. Doch Lobo war sich sicher, daß spätestens der zweite Schuß, der fiel, Clayborne töten würde. Der Bandit würde nur die Chance für einen einzigen Schuß haben. 74
»Ich warte nicht mehr lange, Bastard«, sagte Clayborne mit gefährlich leiser Stimme. Der Lauf seines Revolvers hob sich unmerklich und war dann auf Lobos Schulter gerichtet. Lobo spannte die Muskeln und Sehnen seiner rechten Hand. Sie schwebte jetzt unmittelbar neben dem Griff seines Colts. Seine Augen waren unverwandt auf den Gegner gerichtet. Er war bereit, zu ziehen. Mit einem Mal begann der Wald und die Büsche ringsum zu leben. Äste und Zweige knackten und brachen unter den weichen Mokassinsohlen von mehreren Apachenkriegern, die plötzlich von überallher auftauchten. Der erste packte Clayborne an der Kehle und warf ihn zu Boden. Ein weiterer stürzte sich auf Lobo. Lobo empfing den Indianer mit einem gewaltigen Faustschlag und schmetterte ihn zurück. Hilflos taumelte der Apache einem anderen Krieger in die Arme und riß ihn mit um. Schon im nächsten Augenblick war Lobo mit einem Satz seitwärts in den Büschen verschwunden. Mit weit ausholenden Sätzen jagte Lobo auf die Felsnische zu, in der er Cecilie zurückgelassen hatte. Hinter sich hörte er die schrillen, panischen Schreie von Al Clayborne. Der Bandit hatte wahrscheinlich mit seiner Schießerei die Indianer herbeigelockt. Cecilie hatte von den Apachen getötet werden sollen. Jetzt wurde der Bandit selbst ein Opfer seines teuflischen Plans. Cecilie stand am Eingang der Felsnische, als Lobo sie erreichte. Sie hielt die Winchester schußbereit an der Schulter. Lobo hielt sich nicht lange mit Erklärungen auf. Er hob das Mädchen hoch, warf sie sich über die Schulter und lief weiter. Wenige Minuten später hatte er seinen grauen Morgan-Hengst erreicht, der friedlich an einem Maulbeerbusch knabberte. Keiner der Apachen war Lobo gefolgt. Wahrscheinlich reichte ihnen Clayborne aus, um ihre Rache für den getöteten Krieger zu befriedigen. 75
Lobo setzte Cecilie in den Sattel und schwang sich dann ebenfalls auf den Rücken des Tieres. Mit einer Hand hielt Lobo die Zügel, mit der anderen stützte er das verletzte Mädchen. Dann jagte er den schmalen, steinigen Weg zurück, den er in der Nacht geritten war. Die Sonne tauchte hinter den östlichen Bergen auf, als Lobo die weite Grasebene erreichte und sich sicher sein konnte, daß er den Apachen entkommen war. * »Die beiden verstehen sich ausgezeichnet«, sagte Punky Pete zu Lobo und reichte ihm eine Blechtasse mit frisch aufgebrühtem, heißem Kaffee. Mit seinem ausgestreckten Arm wies er auf einen fünfzig Yards entfernten Cottonwoodbaum, unter dessen weit ausladenden Ästen Chuck Matthews und Cecilie Brüssel saßen. Seit Lobo das Mädchen vor zwei Tagen zurück in das Lager gebracht hatte, war sie dem Rinderzüchter nicht mehr von der Seite gewichen. Unermüdlich pflegte sie Chucks Schulterwunde, wechselte die Verbände und briet ihm riesige, saftige Steaks. Ihre eigene Verletzung hatte sich als nicht so schlimm herausgestellt, wie Lobo befürchtet hatte. Ihr Bein war nicht gebrochen, und die Schwellung an dem gestauchten Fußgelenk war bald zurückgegangen. Unter der guten Pflege hatte sich Chuck schnell erholt. Zwar war er durch den hohen Blutverlust noch stark geschwächt, und auch der linke Arm war noch nicht wieder so beweglich, wie es Chuck sich wünschte, aber in wenigen Tagen würde er wieder auf den Beinen sein. »Wenn das Mädchen weiterhin so großzügig mit unseren Fleischvorräten umgeht, wird Chuck zwar stark wie ein Bär, 76
aber uns bleiben nur noch ein paar Bohnen«, knurrte Pete und schlürfte mit gespieltem Ärger an seinem Kaffee. »Vor allem dann, wenn wir auch noch Gäste bewirten müssen«, ergänzte Lobo und blinzelte gegen die Sonne. Schemenhaft war über einem der Hügel ein Reiter aufgetaucht, der jetzt langsam in das Tal herabritt. Punky Pete verschluckte sich fast bei Lobos Worten und verschüttete die Hälfte des Kaffees. »Gäste?« preßte er schließlich hervor und schnappte keuchend nach Luft. »Was für Gäste?« Lobo deutete wortlos auf den Reiter, der sich inzwischen bereits bis auf wenige hundert Yards genähert hatte. Schon war der durch das hohe Gras gedämpfte Hufschlag deutlich zu hören. Der Reiter galoppierte genau auf Lobo und Pete zu und zügelte dann dicht vor ihnen sein schwitzendes Pferd. Der Mann tippte mit einer Hand grüßend an den breiten Rand seines Stetsons, während er mit der anderen das nervös tänzelnde Tier ruhig zu halten versuchte. Dabei verrutschte seine dunkelbraune Rindslederweste ein wenig und gab einen fünfzackigen, Silber glänzenden Stern frei. Pete faßte an das Zaumzeug des Pferdes und hielt den Kopf des Tieres fest. »Ich wußte gar nicht, daß mein Kaffee so gut ist, daß man sich deshalb auf den weiten Weg bis hierher macht«, sagte Pete dabei und grinste den Sheriff freundlich an. Doch das Gesicht des Sheriffs blieb ernst. »Ich komme nicht, um Kaffee zu trinken«, sagte er knapp. Er richtete sich im Sattel auf und sah sich prüfend um. Als er Chuck und Cecilie unter dem Baum entdeckte, verfinsterte sich seine Mine noch mehr. Er zog sein Pferd herum und ritt auf den Baum zu. Lobo und Pete folgten ihm langsam. 77
Chuck Matthews richtete sich auf, soweit es seine Verletzung zuließ, als ihn der Sheriff erreichte. Erwartungsvoll sah er den Reiter an. Die ernste Miene des Sheriffs ließ nichts Gutes erwarten. »Chuck Matthews, nehme ich an«, begann der Sheriff. Er sprach mit einer dunklen, rauhen Stimme. Chuck nickte. »Was kann ich für Sie tun, Sheriff?« »Mitkommen«, antwortete der Sternträger knapp. Cecilie und Chuck tauschten einen verwunderten Blick. Chucks Hand tastete nach der des Mädchens. Er umklammerte sie, als ob er sie für immer festhalten müßte. »Worum geht es?« fragte Chuck schließlich. »Mord!« erwiderte der Sheriff. »Sie werden beschuldigt, zwei Cowboys von Craig Brüssels Farm ermordet zu haben.« Chuck Matthews war für einen Augenblick sprachlos. Die Anschuldigungen waren zu ungeheuerlich. Als er sich wieder gefaßt hatte, war seine Stimme sehr leise. »Wer beschuldigt mich?« fragte er. »Craig Brüssel«, erwiderte der Sheriff. »Wen habe ich ermordet?« fragte Chuck weiter. »Einen Cowboy, der sich Hustler nannte, und den Vormann Al Clayborne«, sagte der Sheriff. Trotz der sehr ernsten Situation mußte Chuck lachen. Doch es war ein kurzes, bitteres Lachen. »Hat Craig Brüssel auch gesagt, warum ich die beiden ermordet habe?« fragte Chuck. »Hat er«, antwortete der Stern träger scharf. »Sie sollen versucht haben, Brüssels Tochter zu entführen.« Chuck brauchte einige Zeit, bis er den ganzen Sinn der Worte verstanden hatte. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Es fiel ihm schwer, ruhig zu bleiben. 78
»Kennen Sie Brüssels Tochter?« fragte Chuck schließlich. Der Sheriff nickte. »Natürlich«, sagte er und streifte mit einem kurzen Blick das Mädchen neben Chuck. »Sieht das Mädchen hier aus, als sei es von mir gegen seinen Willen entführt worden?« fragte Chuck und deutete mit einer Kopfbewegung auf Cecilie, die zärtlich Chucks Hand streichelte und den Sheriff erstaunt mit großen Augen ansah. »Es ist nicht meine Aufgabe, das zu beurteilen«, erwiderte der Sternträger und rückte seine Revolverhalfter zurecht. »Glauben Sie, daß es einen Grund für mich gibt, das Mädchen zu entführen?« fragte Chuck. »Allerdings«, gab der Sheriff zur Antwort. »Craig Brüusel besitzt hier viel Weideland. Sie haben Rinder und wollen Land kaufen, aber Brüssel will nichts abgeben. Sie könnten versuchen wollen, ihn mit der Tochter zu erpressen.« »Sheriff, Sie irren sich in einem Punkt«, mischte sich jetzt das Mädchen ein. »Craig Brüssel besitzt hier kaum Land. Die ganzen Weiden, die er benutzt, gehören mir. Ich habe sie von meiner Mutter geerbt. Erst wenn ich sterbe, fallen sie an meinen Vater.« »Aus diesem Grund hat Brüssel versucht, seine Stieftochter umzubringen«, fuhr Chuck fort. »Clayborne und Hustler sollten die Sache übernehmen. Diese beiden Killer haben das Mädchen entführt. Erst im letzten Augenblick ist es Lobo gelungen, das Mädchen zu retten.« »Brüssel erzählt eine andere Version«, sagte der Sheriff kalt. »Ich hoffe, Sie haben für Ihre Behauptungen Beweise. Wir mögen es nämlich nicht gern, wenn irgendwelche Fremden angesehene Bürger unseres Ortes verleumden.« »Welche Beweise hat Brüssel?« fragte Lobo. »Er hat die Aussage seines Vormanns«, antwortete der Sheriff. Lobo war überrascht. Es erstaunte ihn, daß es Clayborne gelun79
gen war, den Apachen zu entkommen. »Sie sagten eben, Chuck hätte Clayborne und Hustler ermordet«, sagte Lobo. »Wie kann Brüssel dann von Clayborne diese Version haben. Ermordete reden selten!« »Es ist dem Vormann noch gelungen, bis zur Ranch zu kommen«, erklärte der Sternträger. »Er war schwer verwundet und entsetzlich entstellt. Kurze Zeit später ist er gestorben.« Plötzlich war Punky Pete mit einigen großen Schritten bei Chuck. Er riß den Verband des Rinderzüchters auf und zeigte dem Sheriff die Schußwunde an der Schulter. »Sehen Sie her, Sheriff, sagte Pete. »Sehen Sie sich diese Wunde an. Können Sie sich vorstellen, daß ein Mann mit so einer Verletzung gegen zwei Killer kämpft und beide erledigen kann?« Der Sternträger ließ sich nicht davon beeindrucken. »Wenn Sie unschuldig sind, haben Sie nichts zu befürchten. Dann wird es Ihnen sicher auch nichts ausmachen, mich zu begleiten. Ich muß Sie verhaften. Ganz gleich, wie ich über den Fall denke.« Chuck Matthewes erhob sich langsam und brachte seinen Verband wieder in Ordnung. »Sie wollen mich einsperren«, sagte Chuck dabei. »Das Wort dieses Banditen Craig Brüssel genügt Ihnen, mich einzusperren. Aber ich habe nichts zu befürchten. Ich werde mit Ihnen reiten.« Erschrocken sprang Cecilie auf. Sie schlang ihre Arme um Chuck und versuchte, ihn zurückzuhalten. »Du darfst nicht mit ihm reiten!« flehte sie. »Du bist verwundet! Wenn du dich anstrengst, bricht die Wunde wieder auf.« »Es wird schon gehen«, sagte er. Dann schob er sie zur Seite und wandte sich an Pete. »Sattel mir mein Pferd«, befahl er kurz. Pete reagierte nicht sofort. Er drehte sich zu dem Sternträger um und sah ihm herausfordernd ins Gesicht. »Ich hoffe, Sie wissen, was Sie da tun, Sheriff, sagte Pete dabei. 80
»Der Mann, den Sie verhaften wollen, ist schwer verwundet. Der Vormann von Craig Brüssel hat ihn aus dem Hinterhalt angeschossen. Seit vier Tagen hat er sich nicht aus dem Lager bewegt. Ich bin nicht sicher, ob er den Ritt in die Stadt durchhält.« »Kümmere dich um mein Pferd«, unterbrach ihn Chuck ungeduldig. »Wann wird die Verhandlung sein, Sheriff?« fragte Lobo. »Morgen mittag«, erwiderte der Sheriff. »Mister Brüssel wünscht, daß die Sache so schnell wie möglich geklärt wird.« »Wenn Mister Brüssel etwas wünscht, dann dürfen der Sheriff und der Richter auch nicht zögern«, sagte Chuck bitter und sah den Sternträger verächtlich an. »Wenn Sie unschuldig sind, ist das in Ihrem eigenen Interesse«, erwiderte der Sheriff. Er wartete, bis Chuck im Sattel saß, und zog dann sein Pferd herum. »Wir werden langsam reiten. Wenn Sie wegen ihrer Wunde eine Pause machen wollen, müssen Sie sich melden.« »Es wird schon gehen«, sagte Chuck. Dann hieb er dem Hengst die Fersen in die Seiten und ritt in die Richtung, in der Red Bugville lag. Der Sheriff folgte seinem Gefangenen. * Die Nacht war ruhig und klar. Vereinzelt krächzten einige Vögel, in weiter Ferne heulte ein Kojote. Verärgert blickte Punky Pete in die Flammen. »Chuck Matthews ein Mörder«, murmelte er und schlug mit der Hand nach einem Insekt, das sich auf seiner Wange niedergelassen hatte. Lobo lag etwas abseits auf seinem Sattel, die Hände unter dem Kopf verschränkt. Er hörte dem Gemurmel und den Flüchen 81
Petes zu, aber seine Gedanken waren ganz woanders. Bei Sonnenuntergang hatte sich Cecilie Brüssel ein Pferd gesattelt und war losgeritten. Sie hatte erklärt, sie könne Chuck nicht allein lassen. Alle Warnungen Lobos und Petes hatte sie in den Wind geschlagen. Allein wollte sie nach Red Bugville reiten, um in Chucks Nähe zu sein. Sie hatte darauf bestanden, nicht begleitet zu werden, und Lobo hatte ihr den Willen gelassen. Doch Lobo fürchtete, daß er da einen Fehler gemacht hatte. Noch immer schwebte das Mädchen in höchster Gefahr. Wenn es Clayborne wirklich geschafft hatte, zurückzukommen und den Apachen zu entfliehen, wußte Brüssel womöglich auch, daß Cecilie noch lebte. Der Farmer würde alles daran setzen, seine Stieftochter auszuschalten. Er würde sie suchen und töten. Es wäre sicherlich besser gewesen, das Mädchen die Nacht über im Lager zu behalten. Auf der anderen Seite aber konnte Lobo Cecilie nicht wie ein kleines Kind oder wie eine Gefangene behandeln. Lobo erhob sich von seinem Sattel und streckte sich ausgiebig. Dann zog er seine Jacke zu und schlenderte zum Feuer. »Ich werde noch mal einen kleinen Rundgang um die Herde machen«, sagte Lobo zu Pete. Pete nickte mißmutig. »Hoffentlich ist die verdammte Nacht bald vorbei«, sagte Pete. »Ich kann es gar nicht erwarten, daß die Gerichtsverhandlung endlich beginnt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich auf den Augenblick freue, in dem der Richter sagt: »Craig Brüssel, verurteilt zum Tode durch den Strang.« Lobo grinste. »Warten wir es ab«, sagte er. »Aber ich fürchte, daß du das nicht hören wirst. Einer von uns beiden muß morgen bei der Herde bleiben. Ich werde als Zeuge bei der Verhandlung aussagen. Ich weiß schließlich, wer Hustler und Clayborne getötet hat. 82
Da bleibt dir nichts anderes übrig, als dir hier morgen einen schönen Tag zu machen.« »So etwas Ähnliches habe ich mir schon gedacht«, schimpfte Pete und warf mit aller Kraft ein Stück Holz in das Feuer. Lobo hörte ihn noch schimpfen, als er schon weit vom Feuer entfernt war. Chuck Matthews einhundertfünfzig Longhorns standen ruhig und sattgefressen zusammen. In den wenigen Tagen, in denen sie hier in diesem Tal standen, waren ihre Bäuche dick und prall geworden. Die Anstrengungen und Auszehrungen des langen Trails von Texas quer durch New Mexiko bis nach Arizona waren ihnen nicht mehr anzusehen. Als Lobo seinen Rundgang fast beendet hatte, schreckte ihn gedämpftes Hufgetrappel auf. Es mußte eine große Zahl Reiter sein, die sich näherte. Doch noch konnte er nichts erkennen. Lobo lockerte seinen Revolver und ging mit schnellen Schritten zum Lagerplatz zurück. Er stellte sich etwas abseits neben das Feuer und wartete. Punky Pete hatte die Reiter ebenfalls gehört, war aufgesprungen und hatte sein Gewehr aus dem Sattelscabbard gerissen. Schußbereit lag er jetzt in einer kleinen Mulde im Schatten. Er konnte den ganzen Platz gut übersehen und, wenn es sein mußte, auch mit Kugeln bestreichen. Das Hufgetrappel wurde lauter und näherte sich schnell. Dann waren die ersten Reiter als graue Schemen zu erkennen. Lobo schätzte, daß es zehn bis fünfzehn Mann waren. Als Lobo den ersten von ihnen erkannte, wußte er, daß es gut war, daß Pete mit dem geladenen Gewehr auf der Lauer lag. »Es ist Craig Brüssel«, raunte Lobo Pete zu. Pete stieß den Unterhebel der Winchester nach vorn. Lobo hörte deutlich das harte Knacken der Mechanik. »Der Mann ist mir willkommen«, gab Pete zur Antwort. Seine 83
Stimme war leise und gefährlich. Als die Reiter in den Lichtschein des Feuers kamen, zügelten sie ihre Tiere. Craig Brüssel ritt bis dicht an die Feuerstelle heran und sah sich um. »He!« rief er. »Ist hier jemand?« Er ließ sein Pferd auf den Hinterbeinen im Kreis tänzeln und versuchte, die Dunkelheit mit seinem Blick zu durchdringen. »Allerdings ist hier jemand«, antwortete Lobo. »Und der hat einen Revolver in der Hand, dessen Lauf auf deinen Kopf gerichtet ist!« Brüssel blickte in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Er blinzelte, konnte aber nichts sehen. »Du bist das Halbblut, das mich vor ein paar Tagen schon einmal besucht hat, stimmt's?« rief Brüssel. »Ich erinnere mich genau an deine Stimme!« »Dann erinnerst du dich auch sicher daran, daß ich mit meinem Revolver umgehen kann«, gab Lobo zur Antwort. »Ich erinnere mich daran«, antwortete Brüssel. »Aber das will ich dir im Augenblick nicht vorwerfen.« Lobo sah, daß Brüssel seinen Leuten ein Zeichen mit der Hand gab. Sofort setzten die Männer ihre Pferde wieder in Bewegung und ritten auseinander. Offensichtlich sollten sie sich über das ganze Lager verteilen, um in Lobos Rücken zu gelangen. »Stop!« befahl Lobo und ließ den Hammer seiner Waffe laut und hörbar einrasten, um seinem Befehl Nachdruck zu verleihen. »Halt deine Leute zusammen, Brüssel! Der erste, der von jetzt an seinen Platz ohne meine Erlaubnis verläßt, hat eine Kugel im Kopf. Die zweite Kugel ist für dich selbst.« Brüssel stieß ein kurzes, gezwungenes Lachen aus. »Du nimmst dir ja sehr viel vor!« höhnte Craig. »Wenn ich richtig informiert bin, hat ein Revolver nur sechs Schuß. Wenn du jeden von uns umlegen willst, mußt du eine Zauberwaffe 84
haben.« Einige der Männer honorierten den Scherz mit einem leisen Kichern. Aber keiner wagte es, seinen Platz zu verlassen. »Vielleicht habe ich eine Zauberwaffe«, sagte Lobo. »Du kannst es ja darauf ankommen lassen!« »Lassen wir die Kindereien«, sagte Brüssel schließlich. »Ich bin nicht hier, um mich mit dir über Waffen zu unterhalten.« Er bemühte sich, sein nervös tänzelndes Pferd ruhig zu halten. »Ich will dir ein Geschäft vorschlagen!« »Ich mache mit dir keine Geschäfte«, antwortete Lobo knapp. »Nicht so voreilig«, versuchte Brüssel zu beschwichtigen. »Hör dir erst einmal die Bedingungen an. Ich werde die Anzeige gegen Matthews zurückziehen und dafür sorgen, daß er freigesprochen wird. Dann werde ich ihm ein Stück von meinem Land abtreten. Ausreichend für seine Longhorns, auch wenn die Herde mal größer werden sollte. Außerdem biete ich dir einen Job auf meiner Ranch an. Was hältst du davon?« »Wenn das alles ist, was du wolltest, hast du den weiten Weg hier heraus umsonst gemacht«, antwortete Lobo kalt. »Für den Job, den ich dir angeboten habe, zahle ich dir hundert Dollar pro Woche«, fuhr Brüssel unbeirrt fort. »Soviel hast du in deinem ganzen Leben sicher noch nicht verdient. Als Gegenleistung will ich nur eine Information. Ich will lediglich wissen, was mit Cecilie, meiner Tochter, ist.« Lobo hatte den Verdacht, daß Brüssel nicht genau wußte, ob das Mädchen noch lebte. Wenn es Clayborne wirklich geschafft hatte, den Apachen zu entkommen, war er wahrscheinlich nicht mehr in der Lage gewesen, alles zu erklären. Womöglich war er unmittelbar, nachdem er die Ranch erreicht hatte, gestorben. Auch der Sheriff schien den Rancher nicht informiert zu haben. »Morgen bei der Gerichtsverhandlung wirst du alles erfahren«, antwortete Lobo vage. 85
Brüssel schien zu bemerken, daß er mit seinen Versprechungen bei Lobo nicht weiterkam. Er begann, sich aufs Drohen zu verlegen. »Du bist sehr mutig, Halbblut«, sagte Brüssel. »Aber Mut ist nicht immer der beste Weg. Ich gebe dir noch eine Chance. Ich erhöhe mein Angebot auf einhundertfünfzig Dollar pro Woche. Wenn du das auch nicht akzeptierst, werde ich meine Leute bitten, sich mit dir zu beschäftigen.« »Ich gebe dir den guten Rat, so schnell wie möglich zu verschwinden«, erwiderte Lobo. »Wenn du diese Empfehlung nicht annimmst, werde ich meinen Revolver bitten, sich mit dir zu beschäftigen.« Craig Brüssel begriff langsam, daß er in der schlechteren Position war. Im hellen Schein des Feuers stand er mit seinen Leuten wie auf dem Präsentierteller. Seinen Gegner indes konnte er in der Dunkelheit nicht erkennen. »Zweihundert Dollar pro Woche!« rief Brüssel und versuchte, die Situation noch für sich zu entscheiden. »Meine Geduld ist jetzt zu Ende«, antwortete Lobo ruhig und gefährlich leise. Mit Befriedigung bemerkte er, daß Craig Brüssels Leute unruhig wurden. Auch Brüssel sah ein, daß er nichts erreichen konnte. »Das war heute ein Fehler, Halbblut!« rief er. »Ich fürchte, von euch wird keiner den morgigen Abend erleben. Niemand darf es wagen, mit Craig Brüssel so umzuspringen.« Der Rancher riß sein Pferd herum und preschte, ohne auf seine Leute zu achten, davon. Seine Männer folgten ihm. * Das kleine Feuer war inzwischen weit heruntergebrannt, und auf den letzten glühenden Scheiten hatte sich ein weißlicher 86
Belag gebildet. Lobo und Pete hatten abwechselnd Wache gehalten. Zwar war es unwahrscheinlich, daß Brüssel noch in dieser Nacht zurückkam, aber Lobo nahm die Drohung des Ranchers ernst. Lobo lehnte sich gegen den Stamm des Cottonwoodbaumes und stützte sich auf den Schaft der Winchester. Dann pflückte er einen dünnen Grashalm und schob ihn sich zwischen die Lippen. Er blickte in das weite, fruchtbare Tal, in dem vielleicht in wenigen Jahren Tausende von Rindern weiden würden, die alle von den einhundertfünfzig Longhorns abstammen würden, die jetzt friedlich und dichtgedrängt nur wenige Yards neben ihm standen. Plötzlich zerriß ein gräßlicher, hallender Schrei die Stille der Nacht. Mit einem Schlag warfen die Longhorns die Köpfe hoch, und der Wald ihrer Hörner begann zu leben. Nervös und erschrocken scharrten ihre Hufe den Boden. Die Tiere schnaubten und stöhnten. Instinktiv war Lobo zu Boden geglitten. Er lud seine Winchester durch und beobachtete die ständig unruhiger werdenden Rinder. Es fehlte nicht mehr viel, und sie würden unaufhaltsam in Stampede geraten. Hastende, schleichende Schritte ließen Lobo herumfahren. In Hüfthöhe brachte er die Winchester in Anschlag und legte den Zeigefinger auf den Abzug. Aber er drückte nicht ab. Im letzten Augenblick erkannte er Pete, der mit dem Revolver in der Hand auf ihn zulief. Pete warf einen prüfenden Blick auf die Herde. »Die Rinder haben genauso einen Schreck gekriegt wie ich«, flüsterte Pete. »Es fehlt nicht mehr viel, und sie gehen uns durch.« »Bleib hier«, raunte Lobo zurück. »Versuch, die Tiere zu beruhigen. Ich werde mich mal ein wenig umsehen. Das klang 87
gerade fast so wie der Schrei eines Esels.« Im gleichen Augenblick hörte Lobo den Hufschlag. Ein einzelner Reiter näherte sich langsam und vorsichtig. Lobo zog Pete in den Schatten des Cottonwoods und lief dann geduckt in die Richtung, aus der der Hufschlag kam. Schon nach wenigen Yards sah Lobo den Reiter als schwarzen Umriß gegen den klaren Sternenhimmel. Lobo warf sich hinter einen Ginsterstrauch und ließ den Reiter auf sich zukommen. Lobo erkannte ihn nicht, als er vorbeiritt. Dann richtete sich Lobo plötzlich auf und legte seine Winchester auf den Fremden an. »Halt«, befahl Lobo mit lauter Stimme. »Was verschafft uns die Ehre?« Erschrocken warf der Fremde beide Arme in die Luft und wirbelte herum. Er verlor den Halt auf seinem Tier und plumpste seitwärts zu Boden. Mit wenigen schnellen Schritten hatte Lobo den Fremden erreicht und zog ihn wieder hoch. Während er ihm mit einer Hand die Winchester in die Seite bohrte, tastete er ihn mit der anderen nach Waffen ab. Der Mann war anscheinend unbewaffnet. Jedenfalls trug er keine Halfter. »Nicht schießen«, piepste das Männchen mit einer sehr hohen Fistelstimme, die Lobo irgendwie bekannt vorkam. »Ich bin ein Freund, ich bedeute keine Gefahr. Für niemanden.« Lobo ließ den Mann los und sah ihn sich dann genauer an. Dann erkannte er ihn. Es war das Männchen aus dem Landbüro. Derselbe, der Chuck versprochen hatte, den besten Vertrag aufzusetzen, den Chuck je gesehen hätte. Beruhigt ließ Lobo den Hahn seiner Waffe zurückschnappen und führte dann das Männchen zum Lagerplatz. Er warf einige Zweige in die schwache Glut und entfachte das Feuer neu. Die neu aufflackernden Flammen beleuchteten die lange, knorpelige Nase, auf der eine kreisrunde Brille mit einem sehr dün88
nen Metallrahmen saß. Der lange, dünne Spitzbart wippte keck an dem weit vorstehenden Kinn. Freundlich grinste das Männchen Lobo an. »Mich haben sie wohl nicht erwartet«, kicherte das Männchen, als es Lobos verwundertes Gesicht sah. »Und ich muß sagen, diese Überraschung zu bereiten, hat mir viel Spaß gemacht. Eigentlich hatte ich ja vor, mich völlig geräuschlos anzuschleichen. Aber mein Maultier hat da nicht mitgemacht. Sie haben vielleicht den kleinen Schrei gehört.« »Allerdings haben wir den gehört«, schaltete sich Pete ein und trat ebenfalls in den Kreis, der von den Flammen beleuchtet wurde. »Der kleine Schrei hat fast die Herde in Stampede gebracht!« »Das war nicht beabsichtigt«, entschuldigte sich das Männlein mit seiner hellen Stimme. »Ich hoffe, ich habe Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereitet.« »Was treibt Sie mitten in der Nacht hierher?« fragte Lobo schließlich. »Ich nehme doch nicht an, Sie wollen irgendwelche Vermessungsarbeiten vornehmen.« »Nein, ganz sicher keine Vermessungsarbeiten«, sagte er. »Ich bin nur gekommen, um Ihnen mitzuteilen, daß Cecilie in meinem Haus wohnt. Sie ist dort sicher, Brüssel wird sie dort nie vermuten.« »Das ist nett von Ihnen, aber ist das alles?« fragte Lobo. »Im großen und ganzen, ja«, erwiderte das Männlein und setzte ein verschmitztes Grinsen auf. »Ich soll Ihnen nur noch von Cecilie bestellen, daß Sie morgen sehr früh erscheinen sollen. Sie hat sich da einen feinen Plan ausgedacht.« »Und der wäre?« fragte Lobo. »Das darf ich leider noch nicht verraten«, gab das Männchen zur Antwort. »Ich mußte ihr versprechen, daß ich nichts verrate.« 89
Lobo hatte eigentlich keine Lust, sich auf solche Ratespiele einzulassen. Dazu war die Situation zu ernst. Aber er fragte auch nicht weiter. »Wie geht es Chuck?« fragte Pete. »Hat er den Ritt gut überstanden?« »Bestens«, erwiderte das Männchen. »Unser Doc hat sich um seine Schulterwunde gekümmert und hat ihn neu verbunden. Ich habe den Eindruck, der Sheriff ist inzwischen ebenfalls auf seiner Seite. Das wird morgen eine gute Verhandlung.« »Wir wollen es hoffen«, sagte Lobo. Er war nicht ganz so sicher, wie es dieses Männlein anscheinend war. »Ich muß dann wieder zurückreiten«, sagte nach einiger Zeit das Männchen. »Cecilie wird sonst vielleicht unruhig und macht Dummheiten.« Lobo fing dem Männlein das Maultier ein und half ihm in den Sattel. »Bis morgen«, piepste das Männchen und war wenige Minuten später verschwunden. * Der neue Tag versprach heiß zu werden. Schon kurz nach Sonnenaufgang flimmerte die Luft wie sonst nur zur Mittagszeit. Lobo sattelte sorgfältig sein Pferd und überprüfte seinen Revolver und seine Winchester. »Ich weiß nicht genau, ob ich dich beneiden soll oder nicht«, überlegte Punky Pete, während er Lobo half, das Pferd zu satteln. »Einerseits sollte man sich bei diesem Wetter nur in einem schattigen Saloon hinter einem großen, kühlen Bier aufhalten, andererseits könnte der Ritt dorthin schon eine entsetzliche Qual werden.« »Sei froh, daß dir die Entscheidung abgenommen wird«, ant90
wortete Lobo und schwang sich in den Sattel. »Der Mann hat keinen Sinn für die Nöte seiner Mitmenschen«, schimpfte Pete hinter ihm her und ließ sich dann resignierend in den Schatten des Cottonwoods plumpsen. Nach einer Dreiviertelstunde hatte Lobo Red Bugville erreicht. Die hölzernen und teilweise zerfallenen Häuser der Stadt schienen sich unter der gleißenden Sonne zu ducken. Auf den ersten Blick hin war die Stadt wie ausgestorben. Doch dann entdeckte Lobo in einer schmalen Seitenstraße etwa fünfzehn bis zwanzig Pferde, die an einem morschen Lattenzaun angebunden standen, und wußte damit gleichzeitig, daß der erste Eindruck trügerisch war. Craig Brüssel war längst in der Stadt und war im Augenblick wahrscheinlich damit beschäftigt, die strategisch wichtigsten Punkte mit seinen Leuten zu besetzen. Es sah ganz so aus, als ob Brüssel sich auf einen harten, erbitterten Kampf vorbereitete. Lobo vermutete, daß er längst beobachtet wurde. Wahrscheinlich war auch ständig der Lauf einer Waffe auf seinen Kopf gerichtet. Er zog es deshalb vor, teilnahmslos am Landbüro, dem Versteck Cecilies, vorbeizureiten, um das Mädchen nicht frühzeitig zu gefährden. Statt dessen wandte er sich dem Sheriffs Office zu, an dessen Rückseite sich ein stabiles, stark befestigtes Gebäude befand, das als Gefängnis diente. Dort hatte Chuck Matthews die Nacht verbracht, und Lobo interessierte sich dafür, wie es dem Rinderzüchter ging. Lobo schlang die Zügelenden seines Hengstes nur sehr locker um den hölzernen, glattgewetzten Haltebalken, damit sich das Tier losreißen konnte, wenn es zu einer Schießerei kam. Dann zog er die Winchester aus dem Scabbard und stieg die beiden Stufen des Stepwalks hoch. Noch bevor Lobo die Tür des Offices öffnen konnte, wurde sie von innen aufgerissen. Der Sheriff grinste Lobo an und ließ ihn 91
eintreten. »Wir haben Sie erwartet«, begrüßte der Sheriff Lobo. Lobo tippte leicht an seinen Hut und sah sich im Raum um. Er war nicht der erste, der sich an diesem frühen Morgen im Office des Sheriffs eingefunden hatte. Ein hochgewachsener, athletischer Mann ging mit wiegenden Schritten auf Lobo zu und streckte ihm die Hand hin. »Ich bin Richter Oates«, begrüßte der Mann Lobo. »Und Sie sind wahrscheinlich der Cowboy von Chuck Matthews.« Die beiden Männer schüttelten sich die Hand. »Lobo Gates«, stellte Lobo sich vor. »Einen schönen guten Morgen!« rief Chuck plötzlich aus dem hinteren Teil des Büros. Lobo ging der Stimme nach und fand den Rinderzüchter hinter dicken Eisenstäben in dem angrenzenden Raum. Chuck kaute mit vollen Backen auf einem kräftigen Stück Wurst und hielt in der anderen Hand eine dampfende Tasse Kaffee. »Schön, daß du gekommen bist«, begrüßte Chuck Lobo. Er grinste dabei so fröhlich, daß Lobo nicht den Eindruck hatte, einen Gefangenen vor sich zu haben, der des zweifachen Mordes beschuldigt wurde. »Meinst du, ich lasse mir deine Verhandlung entgehen?« erwiderte Lobo und versuchte, herauszukriegen, ob hier etwas gespielt wurde, von dem er noch keine Ahnung hatte. »Welche Verhandlung?« fragte Chuck und runzelte die Stirn. Er tat so, als ob er noch nie etwas von einer Verhandlung gehört hätte. Plötzlich hellte sich sein Gesicht wieder auf. »Du meinst sicher die Sache mit Craig Brüssel?« »Richtig, die meine ich«, bestätigte Lobo. »Brüssel scheint das alles ernster zu nehmen als du. Er hat inzwischen seine Leute in der ganzen Stadt verteilt. Aus jedem zweiten Fenster ragt der 92
Lauf eines Revolvers.« »Ich weiß«, erwiderte Chuck und wurde für einen Moment wieder ernst. »Aber diese Verhandlung wird erst heute mittag sein.« »Und was macht der Richter jetzt schon hier?« fragte Lobo. »Er wird Cecilie Brüssel und Chuck Matthews trauen«, antwortete Chuck kurz. Für Sekunden verschlug es Lobo die Sprache. Das war das letzte, was er in dieser Situation erwartet hatte. Aber jetzt konnte er sich alles erklären. Das fröhliche Grinsen von Chuck, das verschmitzte, geheimnisvolle Auftauchen des Männchens aus dem Landbüro in der vergangenen Nacht und das Verschwinden von Cecilie Brüssel. »Meinen herzlichen Glückwunsch«, sagte Lobo schließlich. »Wann soll denn die Trauung stattfinden?« »Sobald Cecilie hier ist«, erwiderte Chuck. »Wir erwarten die Braut in jeder Minute.« »Dann ist es vielleicht besser, ich hole das Mädchen ab«, gab Lobo zu bedenken. »Die Stadt wimmelt von Brüssels Killern. Wenn Craig Brüssel seine Tochter entdeckt, wird es möglicherweise nie zur Trauung kommen.« »Das wird er nicht wagen«, schaltete sich der Sheriff ein, der lässig im Türrahmen stand. »Hier in der Stadt ist das Mädchen absolut sicher.« Im gleichen Augenblick wurde die Tür des Offices erneut aufgerissen, und das Männlein aus dem Landbüro stürzte in den Raum. Atemlos blieb es vor dem Sheriff stehen und versuchte zu sprechen. Aber erst, als ihm der Richter einen Stuhl zugeschoben hatte, gelang es dem Männchen, einige Worte herauszubekommen. »Cecilie«, stammelte es. »Brüssels Leute haben sie aufgehalten. 93
Auf der Straße, genau vor dem Haus…« Lobo wartete nicht weiter ab. Er lief aus dem Office und stürzte auf die Straße. Seine rechte Hand stieß den Unterhebel der Winchester nach vorn. Der Sheriff und Richter Oates folgten ihm. Aus dem Stall, der dem Landbüro gegenüberlag, drang ein spitzer, schriller Schrei. Lobo lief quer über die Straße und dachte in keinem Augenblick an seine Deckung. In der nächsten Sekunde tauchte er bereits in das Halbdunkel des Stalles. Lobo sah Cecilie Brüssel sofort. Sie stand an der Rückwand und wurde von zwei brutal aussehenden Männern mit unrasierten Gesichtern gehalten. Sie bogen ihr mit roher Gewalt die Arme auf den Rücken. Vor ihr stand breitbeinig Craig Brüusel und schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. Lobo riß seine Winchester in Anschlag und drückte ab. Mit einem knirschenden Geräusch bohrte sich das Projektil in einen der dicken Stützbalken dicht neben Craig Brüssel. Der Rancher wirbelte erschrocken herum und griff nach seinem Revolver. Aber er erstarrte in der Bewegung, als er Lobo sah. Er wagte es nicht, die Waffe zu ziehen. Lobos Winchester flößte ihm Respekt ein. »Die nächste Kugel trifft nicht mehr den Balken«, versprach Lobo und lud erneut durch. »Laßt das Mädchen los!« Nur zögernd gehorchten die Killer. Weinend lief das Mädchen auf Lobo zu und preßte sich dicht an ihn. »Lauf ins Office«, befahl Lobo ihr. Richter Oates und der Sheriff erreichten den Stall, als Cecilie auf die Straße hinauslief. Verwundert blickte Brüssel auf die beiden Männer. Doch dann hellte sich sein Gesicht auf. »Das Halbblut war auch an dem Mord an meinen beiden Leuten beteiligt«, begann Brüssel und zeigte auf Lobo. »Sie müssen ihn verhaften, Sheriff. Gerade hat er versucht, mich zu töten.« »Das wird noch geklärt werden«, erwiderte der Sheriff ruhig. 94
Dann drehte er sich um und ging zurück zu seinem Büro. Das Mädchen war inzwischen in Sicherheit. Doch Brüssel schien sich nicht zufrieden geben zu wollen. Er lief hinter dem Sheriff her und hielt ihn am Arm zurück. »Was geht hier eigentlich vor?« fragte er und starrte den Sternträger an. »Was hat Chuck Matthews mit meiner Tochter vor?« »Sie heiraten«, gab ihm der Sheriff zur Antwort und ging weiter. Craig Brüssel stand mitten auf der Main Street, als ob ihn der Schlag getroffen hätte. Sein Unterkiefer klappte herunter, seine Augen drohten, aus den Höhlen zu treten. Dann setzte er mühsam einen Fuß vor den anderen und betrat das Büro hinter dem Richter. »Ich verbiete das«, murmelte Brüssel und schnappte verzweifelt nach Luft. »Ich laß das nicht zu!« »Das Mädchen ist alt genug«, erklärte Richter Oates mit ruhiger Stimme. »Sie haben nichts zu verbieten.« »Das habe ich doch!« schrie Brüssel plötzlich mit schriller Stimme und sprang einen Schritt zurück. In seiner Hand glänzte matt der Lauf seines Revolvers. Cecilie, Lobo, der Sheriff und der Richter standen an der ihm gegenüberliegenden Seite des Raumes. Brüssel konnte sie bequem in Schach halten. »Meine Tochter verläßt jetzt mit mir diesen Raum«, sagte Brüssel mit fester Stimme. »Sonst verläßt ihn außer mir niemand mehr.« »Sie bedrohen einen Sternträger mit der Waffe«, meldete sich der Richter mit einer tiefen, klaren Stimme. »Ich hoffe, Sie wissen, was das bedeutet.« »Halten Sie sich da raus, Richter!« schrie Brüssel. »Das hier ist eine Sache zwischen mir und meiner Tochter!« »Und ich bin auch noch daran beteiligt!« rief plötzlich das 95
Männlein aus dem Landbüro, das nur zwei Yards neben Brüssel stand. Es warf sich mit einem gewaltigen Sprung, den ihm kaum einer zugetraut hätte, auf den Rancher und drückte seinen Revolverarm nach unten. Ein Schuß löste sich, aber das Projektil bohrte sich nur in die dicken Bodenbretter. Schon in der nächsten Sekunde war Lobo bei Brüssel, riß ihm die Waffe aus der Hand und schmetterte ihn mit einem Faustschlag gegen die Wand. Brüssel zitterte vor Wut und Haß, als er sich langsam wieder erhob. »Verlassen Sie mein Office«, befahl ihm der Sheriff knapp und bestimmt. »Ich bringe euch alle um«, murmelte Brüssel mit fast tonloser Stimme. »Niemand nimmt Craig Brüssel sein Land wieder weg.« Als die Tür hinter Brüssel zufiel, begann Richter Oates mit der Trauung. * Ein Gewehrschuß peitschte auf und zersplitterte das Fenster des Office. Jetzt zweifelte niemand mehr daran, daß es Craig Brüssel mit seiner Drohung ernst war. Lobo hatte schon seit einer halben Stunde, verdeckt durch einen Vorhang, beobachtet, daß der Rancher rings um das Büro des Sheriffs seine Leute postierte. Versteckt hinter Fensterbrüstungen und umgestürzten Wagen lagen die Killer auf der Lauer. Die meisten Einwohner von Red Bugville hatten Brüssels Vorbereitungen beobachtet und vorsichtshalber für einige Zeit die Stadt verlassen. Von ihnen war keine Hilfe zu erwarten. »Was halten Sie davon, Sheriff, wenn Sie mir für einige Zeit mein Gewehr zurückgäben?« fragte Chuck nach einiger Zeit aus seiner Zelle heraus. »Ich habe den Eindruck, daß Sie bald jeden 96
Schützen gebrauchen könnten.« Der Sheriff blickte den Richter fragend an und schloß dann Chucks Zelle auf, als Oates zustimmend nickte. Chuck schnallte seine Halfter um und nahm sich ein Gewehr aus dem Ständer. Dann umarmte er noch einmal seine junge Braut und schob sie anschließend in den stark befestigten Zellenteil. Die Detonation eines weiteren Schusses zerriß die Stille des Morgens, ein Projektil flog durch das zersplitterte Fenster. »Sheriff!« brüllte Craig Brüssel. »Ich gebe dir noch eine Chance, lebend davonzukommen! Schick mir Cecilie und den verdammten Rinderzüchter nach draußen!« Niemand aus dem Office antwortete ihm. »Keiner wird sonst lebend entkommen!« schrie Brüssel weiter. »Ich leg euch alle um!« Seine Stimme war schrill und kreischend. »Brüssel, du hast jetzt bereits verloren«, erwiderte ihm der Richter mit seiner dunklen, besonnenen Stimme. »Gib auf, und du kannst wenigstens noch dein Leben retten!« »Ich werde auch mein Land retten!« schrie Brüssel zurück. »Alles werde ich retten!« Durch einen schmalen Schlitz in der Tür sah Lobo, daß Craig Brüssel einen mit alten Lappen umwickelten Stock in den Händen hielt. Er tauchte ihn in einen Eimer mit Petroleum und zündete die Fackel an. »Jetzt behaltet mal das Landbüro im Auge!« schrie Brüssel weiter. »Ich werde euch einmal zeigen, was ich von Verträgen und Landzuteilungen halte!« Mit der Fackel in der Hand lief Brüssel auf das Landbüro zu. Lobo riß seine Winchester an die Schulter, aber es war bereits zu spät. Brüssel warf sich hinter einen hölzernen Trog, der als Viehtränke diente, und war von einer Kugel nicht mehr zu erreichen. Dann schleuderte er die brennende Fackel durch ein Fenster des Landbüros. 97
Das Männlein mit der gewaltigen Nase schrie neben Lobo gequält auf. »Meine Arbeit«, jammerte es, »meine ganze Arbeit!« Ohne daß Lobo etwas dagegen unternehmen konnte, lief das Männr chen zur Tür, riß sie auf und rannte quer über die Straße auf sein Büro zu. Aber es kam nicht einmal bis auf den Stepwalk. Blitzschnell hatte sich Brüssel aufgerichtet, seinen Revolver gezogen und geschossen. Das Männchen überschlug sich und blieb bewegungslos mitten auf der Straße liegen. »Gebt mir Feuerschutz«, sagte Lobo knapp, als der Schuß verhallt war, und ging zur Tür. Lobo riß die Tür auf und warf sich auf die Straße. Er rollte über der Schulter ab und federte sofort wieder hoch. Aus der Hüfte heraus feuerte er auf Brüssels Männer und zwang sie in Deckung. Hinter sich hörte er das Stakkato der Schüsse, die aus dem Office abgefeuert wurden. Mit weit ausholenden Schritten flog Lobo auf das Landbüro zu. Aus dem Fenster quoll bereits dicker schwarzer Rauch. Er vermischte sich mit dem beißenden Pulverdampf, der die Main Street mehr und mehr einhüllte. Mt einem gewaltigen Satz warf sich Lobo über die Brüstung durch das Fenster des Landbüros. Lobo fand die Fackel, die Brüssel geworfen hatte, und schleuderte sie zurück auf die Straße. Noch hatte sie nicht viel Schaden angerichtet. Lediglich einer der dicken Ledersessel hatte Feuer gefangen. Lobo erstickte die Flammen mit dem Teppich. Der Rauch des verbrannten Leders biß in den Augen, und Lobo stieß die Tür, die zum Treppenhaus führte, auf. Er stürzte die Treppe hoch und warf sich im ersten Stock platt auf die Veranda, die um das ganze Haus herumlief. Von hier oben hatte er eine ausgezeichnete Schußposition. Jetzt war es unmöglich für Brüssels Männer, das Sheriffs Office zu stürmen. Aber Brüssel schien noch immer nicht aufgeben zu wollen. Mit 98
einigen seiner Leute hatte er sich in den Stall zurückgezogen. Jetzt sah Lobo plötzlich, was der Rancher vorhatte. Brüssels Männer arbeiteten sich in der Deckung von einigen Wagen zu dem Office und dem Landbüro vor. Die dicken Eichenplanken der Wagen hielten jeder Kugel stand. Jeweils drei Banditen hatten unter einem Wagen Platz. Zwei von ihnen trugen brennende Fackeln, einer schob den Wagen langsam und vorsichtig, aber unaufhaltsam vor. Schon flogen die ersten Fackeln auf den Stepwalk des Sheriffs Office. Das ausgedörrte, trockene Holz fing sofort Feuer. Nach wenigen Sekunden bereits stand die Vorderfront des Büros in hellen Flammen. Es schien so, als ob Brüssel auch diesmal gewinnen würde. Lange konnten es die Verteidiger sicher nicht mehr aushalten. Die Hitze wurde unerträglich. Auch das Landbüro hatte Feuer gefangen. Lobo spürte die Flammen und sah die Funken über sich aufsteigen. Der Geruch von Harz lag in der Luft. Von der Straße her erscholl das Triumphgeschrei von Craig Brüssel. Lobo schickte eine Kugel in seine Richtung, dann blieb ihm nichts weiter übrig, als sich zurückzuziehen. Das ganze Haus würde in wenigen Augenblicken ein flammendes Inferno sein. Mit einemmal begann der Boden zu dröhnen. Lobo spürte das Zittern in den Balken des Hauses, und einen Augenblick glaubte er an eine gewaltige Explosion. Doch dann sah er die riesige Staubwolke, die sich der Stadt näherte. In Sekundenschnelle hatte die Staubwolke die ersten Häuser der Stadt erreicht. Je näher sie kam, um so stärker und intensiver wurde das Dröhnen des Bodens. Ein Inferno brach über die Stadt herein und wälzte sich über die Hauptstraße. Einhundertfünfzig in Panik geratene Rinder jagten alles niederstampfend über die Main Street. Sie rissen die Wagen um, unter denen die Banditen Deckung gesucht hatten, und zersplitterten 99
mit ihren scharfen Hufen das Holz. Lobo genoß den Anblick keinen Augenblick. Er flog die bereits in Flammen stehende Treppe hinunter und warf sich aus dem Haus. Über die Köpfe der dahinjagenden Rinder hinweg schoß er auf die Banditen und lief zurück zum Sheriffs Office. Er preßte sich dicht an die Häuserwände, um nicht von den langen, scharfen Hörnern der Tiere aufgeschlitzt zu werden. Chuck, Cecilie, der Sheriff und der Richter kamen ihm bereits entgegen. Auch sie waren der Flammenhölle entkommen, weil die Rinder genau im richtigen Augenblick aufgetaucht waren. »Hast du die Brandzeichen erkannt?« brüllte Chuck Lobo über das Dröhnen hinweg zu. »Es sind deine Tiere«, antwortete Lobo ebenso laut. Dann war auch schon alles vorbei. Das Dröhnen wurde leiser und verlor sich allmählich. Der Sheriff verschwand in der Staubwolke, die dicht über der Straße lag, und entwaffnete die Cowboys, die die Stampede überlebt hatten. Die Männer waren so eingeschüchtert, daß sie keine Gegenwehr leisteten. Willenlos ließen sie sich verhaften. Craig Brüssel konnte nicht mehr verhaftet werden. Er hatte genau in der Mitte der Straße gestanden, als die Rinder über die Stadt hereingebrochen waren. Ein kleiner Mann in einer grauen, abgewetzten Hose tauchte plötzlich aus der Staubwolke auf. Mit einer Hand preßte er sich ein Taschentuch vor den Mund, mit der anderen zupfte er an den Haarstummeln auf seinem Kopf. Neben Chuck und Lobo blieb er stehen. Er ließ das Taschentuch sinken, und ein freundliches, rundes Gesicht strahlte die beiden an. »So ein Viehtrieb macht ganz schön durstig, Alter«, sagte Punky Pete und legte eine Hand um Chucks Schulter. »Wie wär's denn jetzt mit einem großen Bier?«
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