Nr. 110
Das Amok-Team Menschen verlieren ihr eigenes Ich die Befehle des Bösen sind stärker als Sie von H. G. Francis
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Nr. 110
Das Amok-Team Menschen verlieren ihr eigenes Ich die Befehle des Bösen sind stärker als Sie von H. G. Francis
Auf den planetarischen und kosmischen Stützpunkten der USO, auf den Planeten des Solaren Imperiums und auf den übrigen Menschheitswelten schreibt man den Monat August des Jahres 2842 – eines Jahres, dessen erste Hälfte recht turbulent verlief, wie die vorangegangenen Ereignisse eindeutig und drastisch bewiesen. Jetzt herrscht in der Galaxis relative Ruhe. Der Aufbau des Solaren Imperiums geht kontinuierlich voran. Es gibt im Augenblick weder im Bereich des Inneren noch im Bereich des Äußeren Gegner von Bedeutung, und demzufolge haben sich die Verantwortlichen der Großadministration, der Solaren Abwehr und der USO nur mit kleineren Zwischenfällen zu beschäftigen. Kein Wunder daher, daß Perry Rhodan, der Großadministrator, Staatsgeschäfte Staatsgeschäfte sein läßt und zusammen mit seiner Frau Mory Abro, der Regierungschefin von Plophos, zu einer Expedition in ein weit entferntes Sonnensystem aufgebrochen ist. Dabei wäre, wie es sich plötzlich herausstellt, die Anwesenheit von Perry Rhodans Frau auf Plophos, einer der bedeutendsten Koloniewelten der Menschheit, gerade jetzt dringend erforderlich! Denn Plophos, das dabei ist, sich auf dem Sektor der Organverpflanzungen eine galaxisweite Reputation zu erwerben, wird von einer Welle von Terrorakten heimgesucht. Die Terroristen sind Menschen, die ihr eigenes Ich verloren haben und den Befehlen einer dunklen Macht gehorchen. Sie sind DAS AMOKTEAM …
Das Amok-Team
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Die Hautpersonen des Romans: Bolvo Querdain - Ein Amokläufer wider Willen. Jalzaar Awrusch - Stellvertreter des Regierenden Obmanns von Plophos. Horak Trepper und Trogfynn Kranmurt - Sie hassen und töten. Jackmo Pappron - Ehemaliges Mitglied der Solaren Abwehr. Dr. Baumgart - Leiter einer Transplantationsklinik auf Plophos. Alvmut Terlahe - Leiter einer Untersuchungskommission.
1. »Nun sieh dir das an, Ayke«, sagte Peter Ball. »Der Kerl ist verrückt!« Er deutete auf die Landebahn des Raumhafens von New Taylor hinaus. Ayke Somms, der Gepäckmeister, schüttelte verwundert den Kopf, als er sah, worauf Ball ihn hingewiesen hatte. Ein Personengleiter flog in halsbrecherischen Manövern auf die KOLURKA zu. Am Steuer der offenen Maschine saß ein dunkelhaariger Mann in lässiger Haltung. Er mußte zahlreichen Hindernissen ausweichen und schaffte es oft nur im letzten Moment, eine Kollision zu verhindern. So kurvte er um einen robotisch gesteuerten Technikwagen herum, prallte fast mit einem gepanzerten Spezialtransporter zusammen, kam gerade noch rechtzeitig unter einer landenden Privatjacht hindurch und flitzte dann nur ganz knapp an einem Polizeifahrzeug vorbei. Dieses wendete sofort und raste mit aufflammenden Signallichtern hinter ihm her. Er zog sein Flugzeug kurz vor der KOLURKA herum und fing ihren Schwung ab, indem er sie über die Piste schleudern ließ. Dabei hatte er seine Landung immerhin so genau berechnet, daß er direkt vor der Hauptbodenschleuse zum Stehen kam. Er sprang aus dem Gleiter, nahm seine Tasche vom Sitz und marschierte auf Ball und Somms zu. Er grüßte lässig, blickte auf sein Chronometer und sagte erleichtert: »Das war knapp. Ich habe es gerade noch geschafft, wie?« »Was denn?« fragte Ayke Somms und stellte sich ahnungslos. »Es ist der 6. August 2842, 14.58 Uhr.
Die KOLURKA startet in zwei Minuten.« »Dann wissen Sie mehr als ich, Mr. Freeman.« Die Polizisten landeten mit ihrem Gleiter und kamen zu ihnen. Einer von ihnen legte Freeman die Hand auf die Schulter und teilte ihm mit: »Das kostet Sie die Kleinigkeit von tausend Solar, mein Freund.« Freeman zuckte zusammen. »Sie meinen Soli, nicht wahr?« Der Ordnungshüter schüttelte den Kopf. »Sie haben mich schon recht verstanden. So wie ich Sie einschätze, haben Sie von vornherein damit gerechnet, daß Sie für diesen Spaß bezahlen müssen. Vermutlich haben Sie sich aber gesagt, daß die gebührenpflichtige Verwarnung noch erheblich billiger ist, als das Schiff zu verpassen und noch eine volle Woche länger auf Plophos bleiben zu müssen. Das ist es ja auch – es sei denn, Sie haben im Physician-Space gewohnt.« »Keineswegs«, sagte Ayke Somms. »Mr. Freeman kommt direkt aus der Baumgart-Klinik, wo er sich ein paar neue Nieren hat einpflanzen lassen. Ich vermute, daß der Aufenthalt für ihn dort auch nicht gerade billiger war.« »Gäste, die uns soviel Geld hierlassen, haben wir natürlich besonders gern«, erklärte der Polizist. »Falls Sie auch mal ein neues Herz benötigen, kommen Sie ruhig wieder. Dann gebe ich Ihnen eine solche Irrsinnsfahrt quer über den Raumhafen für 600 Solar. Würden Sie mir jetzt bitte den Scheck geben, oder zahlen Sie bar?« »Erst möchte ich wissen, ob die KOLURKA noch so lange wartet.« »Aber sicher doch, Mr. Freeman, wir warten doch noch auf den Transmittertechniker und Hyperphysiker Bolvo Querdain«, erwi-
4 derte Ayke Somms. »Warum haben Sie ihn nicht mitgebracht? Er war doch auch in der Baumgart-Klinik. Soweit ich weiß, hat er sich eine neue Leber implantieren lassen. Es soll aber einige Komplikationen gegeben haben.« Freeman fluchte lauthals. »Das kann über zwei Stunden dauern, bis Querdain kommt«, sagte er. »Dr. Baumgart hat mir gerade vor zehn Minuten gesagt, daß er noch mehrere Leberfunktionstests durchführen muß.« »Sie sagen uns nichts Neues«, entgegnete Ayke Somms. »Deshalb warten wir ja auch. Oder meinen Sie wirklich, Sie seien sonst noch zwei Minuten vor dem Start an Bord gekommen?« »Grinsen Sie nicht so dämlich, Somms, sonst reiße ich Ihnen den Kopf ab.« »Erstens kostet so etwas bestimmt mehr als tausend Solar, wenn es unter den Augen der Polizei geschieht«, sagte der Gepäckmeister. »Und zweitens gratuliere ich Ihnen, daß Sie sich in der kurzen Zeit so prächtig erholt haben.« »Wenn ich nicht befürchten müßte, daß Ihre uniformierten Wegelagerer mir noch mehr Geld aus der Tasche holen würden, dann würden Sie Ihr blaues Wunder erleben.« Freeman warf den Ordnungshütern noch einen grimmigen Blick zu und stürmte in das Innere des Schiffes. »So ist das«, sagte Ayke Somms seufzend. »Diese Leute kommen als halbe Leichen hierher, dann geben wir ihnen neue Organe, und sie meinen gleich, vor Kraft platzen zu müssen. Die Ärzte sollten sich lieber bemühen, liebe und nette Menschen aus ihnen zu machen. Das wäre erheblich besser.« Er verließ die Schleuse und trat in das helle Sonnenlicht hinaus. Ein wolkenloser Himmel spannte sich über New Taylor. Somms lehnte sich an eines der Landebeine des Kugelfrachtraumes und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Peter Ball kam zu ihm. Blinzelnd beobachtete er, wie die Raumhafenpolizisten den Gleiter wegschafften, mit
H. G. Francis dem Freeman gekommen war. »Ich habe eben mit Sammy gesprochen«, berichtete er. »Die Passagiere machen ihm die Hölle heiß. Sie meutern, weil wir nicht pünktlich starten. Sie wollen nicht einsehen, daß wir auf einen Fahrgast soviel Rücksicht nehmen.« »Sollen sie krakeelen«, antwortete Somms gleichmütig. »Bolvo Querdain hat's verdient, daß wir auf ihn warten. Er ist nicht nur ein feiner Kerl, sondern er hat auch viel für Plophos getan. Immerhin hat er unsere Transmittertechniker geschult und die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß wir unter wirtschaftlich vernünftigen Umständen in New Taylor ein stadtumspannendes Transmittersystem errichten können.« Er zündete sich eine Zigarette an und reckte sich. »Außerdem werden wir den Zeitverlust mühelos wieder aufholen. Von mir aus kann Querdain sich ruhig Zeit lassen.« »Er kommt schon«, sagte Peter Ball.
* Das Unheimliche in ihm machte sich noch nicht bemerkbar, als Bolvo Querdain an Bord kam. Ayke Somms begrüßte ihn mit Handschlag. »Ich freue mich, daß es Ihnen so gut geht«, sagte der Gepäckmeister. Die grauen Augen des Wissenschaftlers leuchteten auf, und ein zufriedenes Lächeln ging über sein massiges Gesicht. »Ich fühle mich einfach prächtig«, berichtete Querdain. »Die neue Leber funktioniert jetzt einwandfrei. Alle Komplikationen sind behoben.«
* Eine Stewardeß empfing Bolvo Querdain und führte ihn zu seiner Kabine. Er sah sie sich an. »Danke«, sagte er. »Ich bin zufrieden. Wären Sie wohl so nett, mir den Speiseraum
Das Amok-Team zu zeigen? Ich habe einen Bärenhunger. In der Klinik mußte ich wegen der Untersuchungen nüchtern bleiben. Ich habe also etwas nachzuholen.« Sie brachte ihn in den großen Salon, wo die anderen Passagiere bereits saßen und Erfrischungen zu sich nahmen. Suchend sah Querdain sich um. Er entdeckte Freeman, der ihm fröhlich zuwinkte. Lächelnd ging er zu ihm, begrüßte ihn und setzte sich zu ihm an den Tisch. Auch ihm teilte er mit, was für einen mächtigen Hunger er habe. Freeman hatte Verständnis. »Im Grunde genommen ist es ein Skandal«, sagte er. »Man bezahlt eine horrende Summe in der Klinik und erhält noch nicht einmal ein Abschiedsessen.« »Darauf kann ich gern verzichten«, entgegnete Querdain und tippte sich in die Seite. »Das neue Organ ist mir wichtiger. Gut essen kann ich überall, aber ich wüßte wirklich nicht, wo besser transplantiert wird als hier.« »Ihnen geht es wirklich gut?« »Ausgezeichnet.« Freeman musterte sein Gegenüber. Ihm war aufgefallen, daß Querdain plötzlich blaß geworden war und die Augen geschlossen hatte. »Soll ich einen Arzt rufen?« Querdain winkte ab. »Aber nein, Mr. Freeman. Es ist nur der Hunger. Das vergeht gleich wieder.« Aber es war nicht der Hunger. Irgend etwas Fremdes war in ihm. Er konnte es weder lokalisieren noch definieren. Er fühlte sich versucht, das Essen zu nehmen und es Freeman ins Gesicht zu schleudern. »Sie sehen aber nicht gut aus.« Querdain blickte auf. Sein Atem ging laut und schwer. »Mein Magen ist schon immer empfindlich gewesen. Manchmal macht er mir zu schaffen. Das nächstemal, wenn ich nach Plophos komme, werde ich auch ihn austauschen lassen.« Freeman gab sich nicht zufrieden. Besorgt beugte er sich vor und blickte dem Wissen-
5 schaftler ins Gesicht. »Es ist sinnlos, sich selbst zu belügen, Mr. Querdain«, sagte er. »Kommen Sie, ich bringe Sie zum Bordarzt.« »Sie hätten sich lieber einen neuen Kopf auf Plophos verpassen lassen sollen«, erwiderte der Transmittertechniker aggressiv. »Lassen Sie mich jetzt endlich in Ruhe, oder ich demonstriere Ihnen, wie gut ich in Form bin!« Er hielt ihm die Faust vor das Gesicht. Freeman erhob sich. »Guten Appetit«, wünschte er in einem Tonfall, der erkennen ließ, daß er genau das Gegenteil meinte. Auf dem großen Bildschirm neben der Dinnertheke sah er, daß die KOLURKA sich von Plophos entfernte. Querdain verkrampfte seine Hände. Mit brennenden Augen starrte er auf den Planeten, der immer kleiner wurde. In diesen Augenblicken wäre er gern auf ihn zurückgekehrt. ›Du bist verrückt‹, sagte er zu sich selbst. ›Kein Kommandant in der ganzen Galaxis würde dir diesen Gefallen tun. Es ist das fremde Organ, das dich stört. Dein Unterbewußtsein findet sich noch nicht mit ihm ab. Dr. Baumgart hat so etwas angedeutet. Du brauchst nur geduldig zu sein, dann kommt alles in Ordnung.‹ Er aß weiter. Querdain spürte, daß alles nicht so war, wie er es sich selbst einreden wollte. Woher kam plötzlich dieser Zerstörungswille? Er war immer ein ausgesprochen friedlicher Mensch gewesen. Wie kam er überhaupt auf den Gedanken, er müsse Freeman bestrafen? ›Besser wäre es noch, der Schiffsführung zu zeigen, daß ich mich ihrer Macht zwar beuge, aber auch nicht ganz machtlos bin.‹ Verwundert horchte er in sich hinein. Wieso dachte er plötzlich daran, die KOLURKA zu zerstören? Er schob das Essen, das er erst halb verzehrt hatte, zur Seite. Er konnte einfach nichts mehr über die Lippen bringen, obwohl er noch Hunger hatte. Er hätte schreien mögen.
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Freeman hatte recht. Für ihn gab es nur einen einzigen Weg, wenn er den totalen Zusammenbruch verhindern wollte. Er mußte sofort den Bordarzt aufsuchen. Als er an den Tisch kam, an dem Freeman saß, blieb er stehen. Freeman sah ihn fragend an. »Ich will … zum … Arzt«, sagte Querdain stammelnd. Die Beine gaben unter ihm nach, dann wurde es dunkel um ihn.
* Das Gesicht über ihm strahlte Ruhe und Zuversicht aus. »Machen Sie sich keine unnötigen Sorgen«, sagte der Mann mit der hellgrünen Hemdbluse. »Transplantationen sind kein Problem für uns.« Er verfolgte aus den Augenwinkeln heraus, daß der Arzt ihm eine Hochdruckspritze an den Arm setzte und ihm etwas injizierte. Die Wirkung setzte schlagartig ein. Er fühlte sich etwas wohler, und er erinnerte sich an das, was geschehen war. Warum war er zusammengebrochen, wenn es im Zusammenhang mit der ihm eingepflanzten Leber keine Probleme mehr gab? Er schloß die Augen. Zerstörung und Chaos – rief etwas in ihm. Er glaubte Feuer zu sehen. Eilig öffnete er die Augen wieder. Der Arzt hantierte an einigen Geräten, deren Funktion Querdain nicht kannte. Bislang hatte er die Ärzte bei ihrer Arbeit immer mit stiller Bewunderung beobachtet. Blindes Vertrauen hatte ihn erfüllt, und er hatte sich ihnen und ihrer Therapie überlassen, ohne auch nur je das Gefühl des Unbehagens zu haben. Jetzt veränderte sich etwas in ihm. Bolvo Querdain schloß die Augen abermals, und ein wilder Zerstörungswille erwachte in ihm. Warum schlug er den Arzt nicht einfach nieder, bevor dieser ihm ein vielleicht tödliches Gift spritzte? Der Arzt trat an ihn heran und griff nach seinem Arm. Seine Finger fühlten sich selt-
sam trocken und kühl an. Er mochte sie nicht. Die Berührung rief Abscheu in ihm hervor. Wütend schlug Querdain die Hände des Arztes zur Seite. Er sprang vom Untersuchungstisch und schrie: »Ich bin längst wieder in Ordnung. Lassen Sie mich in Ruhe.« Der Arzt wich nicht zurück, als Querdain an ihm vorbeigehen wollte. Er wollte ihn aufhalten. Der Transmittertechniker schlug ihn nieder. In diesem Moment griffen zwei Medoroboter ein. Querdain krümmte sich, ließ sich fallen und versuchte alles, was ihm gerade einfiel, um den Automaten zu entkommen. Aber das half alles nichts. Eine Hochdruckspritze zischte in seinem Nacken. Querdain verlor die Kontrolle über seine Muskeln. Er sank zu Boden, wurde jedoch sofort wieder aufgenommen und zum Untersuchungstisch getragen. Sicherheitsbänder schlangen sich um seine Handgelenke und seine Beine und fesselten ihn. Seufzend gab er nach. Er wußte, daß er sich nicht mehr aus eigener Kraft befreien konnte – und er war froh darüber. Die Stimme verstummte, die Amoklauf, Zerstörung und Mord von ihm forderte. Er horchte in sich hinein, aber er vernahm nichts mehr. »Was ist nur mit Ihnen los, Mr. Querdain?« fragte der Arzt und rieb sich das gerötete Kinn. »Wollen Sie es mir nicht sagen?« Querdain bewegte die Lippen, aber er sah sich außerstande, auch nur eine Silbe von sich zu geben. »Sie sollten schlafen«, riet ihm der Arzt. »Das Mittel, das die Roboter Ihnen verabreicht haben, gibt Ihnen die Möglichkeit dazu, wenn Sie nur wollen.« Querdain gab nach und lag völlig entspannt auf dem Tisch. Die Hände des Arztes und die Instrumente, die sie ihm anlegten, spürte er überhaupt nicht mehr. Er hatte sich völlig in seine Gedankenwelt zurückgezogen.
Das Amok-Team Er mußte an die Klinik denken und an das, was dort geschehen war. Hatte man ihn so sehr verändert, daß sich sein Charakter ebenfalls umformte? Diese Idee erschien ihm geradezu absurd. Der geniale Chirurg Dr. Baumgart hatte ihm eine neue Leber eingepflanzt. Sie war eine in Nährtanks herangezüchtete Drüse, die wichtige Stoffwechselaufgaben zu bewältigen und enge Beziehungen zu Blut und Kreislauf hatte. Mehr aber auch nicht. Sie hatte nichts mit der Innervation seines Körpers zu tun und schon gar nichts mit seinem Intellekt oder seinem Willen. Sie konnte sich nicht bewußt aufgrund von irgendwelchen Motiven für einen bestimmten Handlungsweg oder eine bestimmte Handlungsart entscheiden. Allein der Gedanke daran erschien Querdain so unwirklich, daß er ihn sofort wieder verwarf. Dennoch war etwas in der Baumgart-Klinik mit ihm geschehen, das ihn nachhaltig beeinflußt hatte. Wie mochte es den anderen Patienten in der Klinik ergangen sein? Bolvo Querdain erinnerte sich sehr gut an sie. Ob auch sie charakterlich verändert waren? Er dachte kurz darüber nach und kam dann zu dem Schluß, daß sie es waren. Plötzlich stieg Angst in ihm auf. Er glaubte immer mehr daran, das Opfer eines Verbrechens geworden zu sein zumal er wieder die Impulse vernahm, die ihm befahlen, den Arzt zu töten. Da er unter der Wirkung des muskelrelaxierenden Mittels stand, konnte er nicht gehorchen. Er war froh darüber. Zugleich mußte er immer wieder an die Klinik und ihre Patienten denken. Was machte es schon, wenn er auf der KOLURKA verrückt spielte? Vor wenigen Minuten hatte man ihm gezeigt, wie schnell man ihn in den Griff bekommen konnte. Ganz anders sah es mit den Patienten aus, die er bei Dr. Baumgart kennengelernt hatte. Wenn sie dem Zerstörungsbefehl nachgaben, dann mußten ihre Aktionen zu Katastrophen führen.
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2. 5. August 2842. Trogfynn Kranmurt schüttelte Bolvo Querdain die Hand. »Ich habe gehört, daß Sie morgen entlassen werden«, sagte er. Der Transmittertechniker blickte freundlich auf den Jungen hinab. Er nickte. »Ganz recht«, bestätigte er. »Ich habe eine neue Leber bekommen, und alles ist in Ordnung. Du siehst aber auch gesund aus.« »Das bin ich auch«, erwiderte Trogfynn. Er ging zusammen mit ihm über den Klinikflur zu dem Atrium, in dem sich einige andere Patienten aufhielten. Sie saßen in den weißen Stühlen und sonnten sich. »Ich muß noch im Schatten sitzen«, erklärte der Junge. »Meine Augen sind noch nicht so in Ordnung, daß ich ihnen zuviel Licht zumuten kann.« Er lächelte verlegen und wollte sich abwenden. Er nahm an, daß Querdain ihn allein lassen würde, aber der ältere Mann blieb bei ihm und begleitete ihn bis zu dem Platz, den er sich ausgesucht hatte. Unter zwei üppig grünenden Bäumen saßen zwei Männer und plauderten miteinander. Sie blickten auf und begrüßten die beiden Neuankömmlinge. »Mr. Pappron«, sagte der Transmittertechniker. »Ich glaubte Sie bereits wieder in den Bergen bei Ihren Tieren!« Jackmo Pappron erhob sich. »Das geht nicht alles so schnell«, entgegnete er. »Mein neues Herz arbeitet zwar so tadellos, daß ich überhaupt nichts von ihm spüre, dennoch bin ich noch nicht aus der medizinischen Beobachtung entlassen worden.« Er deutete auf den schlanken Mann mit dem schütteren Haar, der neben ihm gesessen hatte. »Mr. Trepper ist auch noch nicht soweit.« »Ich bin froh, daß es so ist«, sagte Horak Trepper. »So kann ich mir alles noch einmal in Ruhe überlegen.« Sie setzten sich wieder und bildeten dabei
8 einen Halbkreis, so daß sie sich bei der Unterhaltung ansehen konnten. Bolvo Querdain beobachtete Horak Trepper, einen Bankmann, der große finanzielle Transaktionen vorhatte. Davon hatte er zunächst nichts erzählt, doch die Presse hatte von seinen Plänen erfahren und sie an die Öffentlichkeit getragen. Danach hatte er in kleinem Kreise ein wenig mehr von seinen großen Vorhaben berichtet, zumal er gemerkt hatte, wie sehr er damit seine Zuhörer faszinierte. Ihm ging es um einen Konzern, der Waffen für Raumschiffe herstellte. Dieses Unternehmen war durch eine verfehlte Unternehmenspolitik bis an den Rand des Zusammenbruchs geführt worden und wartete jetzt auf einen Retter. »Mich reizt die Produktion von Waffen ungemein«, sagte der Finanzierungsspezialist, als habe er die Gedanken Querdains erraten. »Dies ist eigentlich das erste Geschäft, in dem ich mich persönlich stark engagiere.« Bolvo Querdain wunderte sich, daß er in diesen Minuten immer wieder an Feuer und Untergang denken mußte. Er wußte, was in den genannten Fabriken hergestellt wurde. Die Transmittertechniker, die er unterrichtet hatte, hatten ihm davon erzählt. Er blickte Horak Trepper an und dachte daran, wie unverantwortlich es im Grunde genommen war, Waffen so gefährlicher Art auf einem von Menschen bewohnten Planeten zu produzieren. Wenn es jemals zu einer Explosion von einigen Bomben kommen sollte, konnte Plophos entvölkert werden. Trogfynn Kranmurt lachte vergnügt. »Habe ich Ihnen eigentlich schon erzählt, daß ich Ihr Konkurrent bin?« fragte er. »Nein«, erwiderte Horak Trepper verblüfft. »Wie soll ich das verstehen?« »Nun, wir haben schon einige Male im Physikunterricht Bomben gebaut – natürlich nur ganz kleine – mit denen wir Experimente gemacht haben. Aber ich kenne das Prinzip. Ich könnte auch eine konstruieren, mit denen man ein mittleres Raumschiff erledigen kann. Natürlich würde ich so etwas nie tun.«
H. G. Francis »Natürlich nicht«, fügte Jackmo Pappron hinzu. Er war, wie Querdain erfahren hatte, früher ein hoher Regierungsbeamter von Plophos gewesen. Angeblich hatte er auch wichtige Geheimaufträge durchgeführt und war als Kurier zwischen Plophos und der Erde eingesetzt worden. Querdain war sich jedoch nicht darüber klar, ob er derartigen Gerüchten Glauben schenken durfte oder nicht. Auf jeden Fall wirkte Jackmo Pappron auch heute noch stark und zäh, obwohl er gebeugt ging und eine Glatze hatte. Er wurde in wenigen Tagen 118 Jahre alt. Querdain erinnerte sich daran, daß Pappron es abgelehnt hatte, die Patienten, die er hier kennengelernt hatte, zu einer Geburtstagsparty einzuladen. Allein der Gedanke an eine solche Feier schien ihn durcheinanderzubringen. Pappron war ein Mensch, der gern allein war. Wenn er sich zu anderen gesellte, dann mußte der Kreis möglichst klein sein. »Sie sprechen überhaupt nicht von Gewalt und von Bomben«, sagte Querdain scherzhaft zu Pappron. Der Kahlköpfige winkte ab. »Ich bin ein friedfertiger Mensch, so wie Sie auch«, antwortete er.
* Ein Servoroboter lenkte einen auf Antigravpolen schwebenden Trivideowürfel herein und schaltete ihn ein, als Horak Trepper ihn darum bat. »Gleich kommen Nachrichten«, erklärte er den anderen. »Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich …?« »Nachdem Sie schon eingeschaltet haben, bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als unsere Zustimmung zu geben«, erwiderte Jackmo Pappron. »Soll ich ihn wieder ausmachen?« fragte Trogfynn Kranmurt. Die anderen blickten ihn überrascht an. Der Junge hielt ein handlanges Rohr in der Hand. Damit zielte er auf den Würfel, in dem das dreidimensionale Bild einer attraktiven Sprecherin entstanden war. »Damit
Das Amok-Team kann man Stahlstifte verschießen. Ich wette, sie durchschlagen den Schirm.« »Ich drehe dir deine freche Nase um, wenn du so etwas anstellst«, drohte Horak Trepper. Trogfynn Kranmurt zuckte zusammen. Der Finanzfachmann hatte in einem geradezu wütenden Tonfall zu ihm gesprochen. Seine Augen blickten ihn kalt an, und das Gesicht sah jetzt absolut nicht mehr freundlich aus. »Der Junge hat doch nur einen Scherz gemacht«, sagte Jackmo Pappron, bestrebt, die plötzlich entstandene Spannung wieder abzubauen. »Eigentlich habe ich es ganz ernst gemeint, Sir.« »Gib mir mal deine Waffe.« Trogfynn reichte sie Pappron, während Horak Trepper das Gerät auf größere Lautstärke schaltete und damit jede weitere Konversation erstickte. Der ehemalige Regierungsbeamte hielt sich das Rohr vor das Auge und blickte hindurch. Er lächelte verschmitzt und warf es dem Jungen wieder zu. »Derart gefährliche Instrumente sollten Jugendlichen gar nicht erst zugänglich gemacht werden«, sagte Pappron zu Querdain. »Sind Sie nicht auch dieser Meinung?« Der Transmittertechniker grinste breit. Er hatte ihn genau beobachtet und begriffen – ganz im Gegensatz zu Trepper, der die Nachrichten konzentriert verfolgte. »Ganz recht«, sagte er, ohne die Blicke von den Bildern abzuwenden. Trogfynn warf die Röhre in die Luft, so daß sie sich einige Male überschlug, und fing sie wieder auf. Danach schleuderte er sie noch ein wenig höher. Dennoch landete sie sicher in seiner Hand. Das ermutigte ihn zu immer kühneren Würfen. Horak Trepper wurde nervös. Er fühlte sich sichtlich gestört. Querdain und Pappron verfolgten mit deutlichem Vergnügen, wie sich seine Aufmerksamkeit immer mehr den Nachrichten ab und dem Jungen zuwandte. Schließlich sagte er verärgert: »Wenn du damit nicht sofort aufhörst,
9 nehme ich dir das Ding weg.« Trogfynn verzichtete auf weitere Experimente. Trepper atmete auf. Er wandte sich wieder dem Trivideowürfel zu. Dort lief gerade ein Bericht über die Ankunft einer Springersippe auf dem Raumhafen von New Taylor. Ein Journalist interviewte den Patriarchen der galaktischen Händler, einen schwergewichtigen, rothaarigen Mann. Seinen mächtigen Bart hatte er zu zwei Zöpfen geflochten, die ihm bis auf den Gürtel hinabreichten. Die Kamera zeigte immer wieder sein Gesicht mit den blauen, lustig funkelnden Augen. Trogfynn griff hinter sich zu einem dickblättrigen Strauch, an dem schwere, blaue Beeren hingen. »Ich verstehe nicht, daß man die Springer so sehr in unsere Handelsgeschäfte einbezieht«, sagte Horak Trepper. »Wir sollten unsere Produkte möglichst selbst transportieren.« Trogfynn steckte eine Beere in das Rohr, setzte es an die Lippen und pustete kräftig hinein. Die Frucht pfiff Trepper am rechten Ohr vorbei und klatschte auf den Trivideowürfel. Der blaue Saft verteilte sich über das ganze Gesicht des galaktischen Händlers. »Ich mag diese Rotköpfe auch nicht«, sagte Trogfynn. »Ich hasse sie sogar. Sie sind für den Tod meines Vaters verantwortlich.« Horak Trepper starrte ihn an. »Das ist noch lange kein Grund, den Bildschirm zu beschmieren«, sagte er gefährlich leise. »Der Junge muß seine Aggressionen irgendwie abbauen«, sagte Bolvo Querdain. »Das müssen Sie doch verstehen.« »Seien Sie froh, daß er Ihnen die Beere nicht ins Auge geschossen hat«, fügte Jackmo Pappron hinzu. In seinen Mundwinkeln zuckte es verdächtig. Trogfynn erhob sich und ging an Trepper vorbei. Dieser holte mit dem rechten Arm aus und sagte: »Die nächste Frechheit wirst du mir bezahlen!«
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Seine Handbewegung bekundete deutlich, wie seine Worte gemeint waren. Trogfynn lief ein wenig schneller, blieb jedoch nach einigen Schritten stehen. Trepper wischte den Bildschirm sauber. Er fluchte leise vor sich hin. »Sie sollten den Bengel nicht auch noch verteidigen«, sagte er unwirsch zu Pappron und Querdain. »Gut, er kann nach der Operation endlich wieder sehen, und es besteht auch nicht mehr die Gefahr, daß er blind wird. Das ist aber noch lange kein Grund, derart übermütig zu werden. Eine Tracht Prügel zur rechten Zeit hat noch nie geschadet!« »Mr. Trepper?« rief Trogfynn. Der Bankfachmann blickte auf. Der Junge pustete in sein Rohr, und eine blaue Beere zerplatzte genau auf dem rechten Auge Treppers. Trogfynn drehte sich um und rannte in großen Sätzen davon. Horak Trepper wischte sich den blauen Saft mit einem Taschentuch ab. Seine Hände zitterten. »Ich werde mit Doktor Baumgart sprechen«, sagte er.
Leber körperlich fühlen zu können, obwohl er sich immer wieder sagte, daß es unmöglich war, dieses Organ wahrzunehmen. Das Transplantat verursachte keine Schmerzen und machte sich auch nicht durch ein Druckgefühl bemerkbar. Es schien vielmehr von eigenständigem Leben erfüllt zu sein, das sich irgendwie aus ihm befreien wollte. Seltsame Impulse gingen von ihm aus. Er spürte sie deutlich, denn sie befahlen ihm, irgend etwas aus seiner näheren Umgebung zu zerstören. Während die innere Unruhe immer ausgeprägter wurde, verweigerten ihm seine Muskeln nach wie vor den Befehl. Er war froh darüber, denn er wollte sich nicht beherrschen lassen. Der Arzt erschien in seinem Blickfeld. Er griff nach seinem Arm und merkte sofort, daß sich sein Patient in einer schweren Krise befand. Querdain fühlte, daß er abermals eine Injektion erhielt. Unmittelbar darauf wurde er ruhiger und sehr müde. Seine Gedanken kehrten in die Klinik zurück.
*
*
An diese Gespräche dachte Bolvo Querdain anderthalb Tage später nach seiner Entlassung. Er lag auf einem Untersuchungstisch im Raumschiff und konnte sich nicht bewegen. Wie ernst waren die versteckten und die offenen Drohungen zu nehmen, die er gehört hatte? Litten Jackmo Pappron, Trogfynn Kranmurt und Horak Trepper ebenfalls unter diesen suggestiven Impulsen, die zu Gewalttaten drängen? Er spürte wieder, wie das Unheimliche in ihm sich rührte. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Er wurde unruhiger. Wenn der Arzt ihm neben den Muskelrelaxantien auch noch Sympathikolytika injiziert haben sollte, um sein autonomes Nervensystem in den Griff zu bekommen, dann war diese Maßnahme gescheitert. Er glaubte, die Anwesenheit seiner neuen
Dr. Baumgart ergriff die Hand von Horak Trepper und schüttelte sie. »Wie wär's?« fragte er. »Wollen Sie sich nicht auch einmal eine meiner Vorlesungen anhören, so wie die anderen meiner Patienten auch?« Trepper überlegte nur kurz. »Das wäre eine angenehme Abwechslung«, antwortete er. »Ich nehme die Einladung dankend an.« Der Chirurg führte den Finanzfachmann in den Hörsaal, in dem bereits etwa einhundertfünfzig Studenten und dreißig Patienten versammelt waren. Als sie eintraten, wurde es sofort ruhig im Auditorium. »Ich möchte Ihnen heute einen besonderen Gast vorstellen«, sagte Baumgart und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Trepper, der zu einem noch freien Sessel ging. »Mr. Horak Trepper, der bekannte Finanzfach-
Das Amok-Team mann. Er hat sich ein neues Herz und zwei Nieren implantieren lassen. Die Operation ist absolut gelungen. Komplikationen haben sich nicht eingestellt. Mr. Trepper wird jedoch noch etwa acht Tage zur Beobachtung und Rehabilitation bei uns bleiben.« Der Bankspezialist genoß den Beifall sichtlich. Er setzte sich neben Bolvo Querdain, nachdem er Trogfynn Kranmurt noch einen verweisenden Blick zugeworfen hatte. Der Junge hatte zwei Reihen hinter ihm Platz genommen. In den folgenden zwei Stunden verfolgte er das Referat des Dozenten mit angespannter Aufmerksamkeit. Dr. Baumgart berichtete über Transplantationen und die damit zusammenhängenden Probleme. Nach der Vorlesung unterhielten Trepper, Querdain und der Arzt sich noch einige Minuten neben dem Podium. Als der Bankfachmann den Hörsaal verließ, traf er Trogfynn Kranmurt. Er zögerte, ging dann aber doch auf den Jungen zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Nun, Trog, wie ist es? Wollen wir uns nicht aussöhnen?« »Mein Name ist Trogfynn, Sir!« »So kleinlich wirst du wohl doch, nicht sein. Nun?« Der Junge schlug ein. Leider rutschte ihm die daumengroße Baumkröte, die er kurz zuvor von einem Gewächs abgenommen hatte, aus dem Ärmel. Sie geriet zwischen die beiden Hände. Trepper schrie vor Schreck auf. Er riß seine Hand zurück, doch es war schon zu spät. Er hatte das Tier zerquetscht und das Blut floß ihm klebrig über die Finger. Empört schlug er zu und traf Trogfynn am Kopf. Trogfynn fiel. Er versuchte, seinen Kopf mit den Armen zu schützen Trepper aber hatte sich noch nicht ausgetobt. Er riß ihn hoch und schlug ihm die geballte Faust noch zweimal ins Gesicht. Dann stieß er den Jungen von sich und ging davon. Trogfynn flog gegen die Wand, prallte mit dem Hinterkopf gegen einen Visiphonrahmen und sank dann in sich zusammen.
11 So fand ihn Bolvo Querdain einige Minuten später. Er rief sofort nach dem Arzt. Dr. Baumgart kam mit zwei Assistenten. »Der Junge ist bewußtlos«, sagte der Chirurg »Bringen Sie ihn sofort in den OP.« Baumgart blickte Querdain an. Er war kreidebleich. »Ich verstehe nicht, wie man so etwas tun kann«, sagte er. »Wissen Sie, wer es war?« Der Transmittertechniker schüttelte den Kopf. »Sind seine Augen in Gefahr?« »Das wird sich zeigen. Wenn die Schläge das Transplantat getroffen haben, sieht es schlecht aus für Trogfynn. Ich fürchte, dann wird er das Augenlicht endgültig verlieren.« Querdain sah den Medizinern nach, als sie den Jungen in den Operationsraum brachten. Ihm war unerklärlich, wie es zu einem derartigen Ausbruch der Gewalt in einer so friedlichen Anstalt wie dieser Klinik kommen konnte. »Ich wünschte, ich würde den Kerl erwischen«, sagte er leise. »Ich würde ihn zusammenschlagen, bis er …« Verwundert hielt er inne und schüttelte den Kopf. Eine Stunde lang wanderte er unruhig vor dem Operationsraum auf und ab. Er hörte die Stimmen der Ärzte durch die Tür. Die Spannung wurde langsam unerträglich für ihn, und er begriff nicht, daß man ihn nicht über das informierte, was drinnen geschah. Immer wieder hoffte er, daß einer der Ärzte herauskommen und ihm sagen würde, wie es um den Jungen stand. Vergeblich. Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er ging auf die Tür zu, um zu klopfen, als sie sich öffnete. Dr. Baumgart blickte ihn überrascht an. »Sie warten noch immer?« »Wie geht es ihm?« Der Chirurg schob die Hände in die Taschen seines grünen Kittels. »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte er beruhigend. »Trogfynn hat Glück gehabt. Wir konnten alle Schäden beheben. Er ist schon wieder zu sich gekommen und wird
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jetzt gerade in sein Zimmer gebracht. Morgen früh hat er alles vergessen.« »Hat er gesagt, wer es war?« »Nein, das hat er nicht.« »Seltsam.«
* In dieser Nacht schlief Bolvo Querdain fast überhaupt nicht. Er wälzte sich auf seinem Lager hin und her und wurde die düsteren Gedanken nicht los, die ihn quälten. Immer wieder horchte er in sich hinein. Am Morgen war er fest davon überzeugt, daß mit dem neuen Organ, das ihm eingepflanzt worden war, etwas nicht in Ordnung war. Die Leber verhielt sich nicht so, wie sie es tun sollte, sondern entwickelte ein eigenständiges Leben. Unmittelbar nach dem Frühstück ging er zu Dr. Baumgart. Er war fest entschlossen, ihm mitzuteilen, was er beobachtet hatte. Er wollte ihn bitten, das Transplantat wieder zu entfernen und durch ein anderes zu ersetzen. Diese Forderung war seiner Meinung nach durchaus berechtigt und sogar notwendig. Die Chefsekretärin versuchte ihn abzuwimmeln. »Dr. Baumgart hat jetzt wirklich keine Zeit«, sagte sie. »In einer Viertelstunde beginnt die Vorlesung. Er kann jetzt nicht mit Ihnen sprechen.« »Es ist aber wirklich wichtig.« »Um was geht es denn?« Bolvo Querdain blickte sie mit großen Augen an. Seine Lippen zitterten und sein Gesicht begann zu zucken. Unruhig strich er sich die grauen Haare aus der Stirn. »Nun sagen Sie es doch schon, Mr. Querdain, sonst haben Sie überhaupt keine Chance, mit dem Chef zu sprechen. Ich kann ihn unmöglich wegen irgendwelcher Kleinigkeiten stören.« »Verstehen Sie, es geht um …« Bolvo Querdain griff sich nach dem Hals und massierte ihn, seine Zunge war wie gelähmt. Er brachte kein Wort über die Lippen. Schweiß brach ihm aus. Irgend etwas
schien sein Sprachzentrum zu lähmen. So sehr er sich auch bemühte, er konnte der Sekretärin nichts über seine Beobachtungen mitteilen. Das Mädchen wandte sich ab. »Bitte, kommen Sie nach der Vorlesung wieder, Mr. Querdain. Jetzt geht es wirklich nicht«, sagte sie und verschwand durch die Tür zum Chefzimmer. »Hören Sie doch. Es geht um meine Leber. Sie verhält sich ganz anders, als sie eigentlich sollte«, entfuhr es dem Transmitterspezialisten. Leicht kamen ihm die Worte über die Lippen, bis er sich dessen bewußt wurde, daß ihn niemand hören konnte. Er verstummte und verließ das Vorzimmer. Als er sich dem Hörsaal näherte, kam Trogfynn Kranmurt aus seinem Krankenraum. Er trug eine dunkle Brille, die seine Augen schützte, sein Gesicht war noch immer verquollen und bläulich verfärbt. Auch mit Medikamenten hatten die Ärzte die Schwellungen nicht ganz beseitigen können, die die Schläge hinterlassen hatten. »Nehmen Sie mich mit?« fragte der Junge. »Aber gern doch«, sagte Querdain. Er griff nach der Hand Trogfynns. Überrascht blickte er den Jungen an, als dieser kicherte. »Was ist los mit dir?« »Ich wollte Mr. Trepper vorhin einen Besuch machen«, entgegnete Trogfynn. »Aber er war nicht da. Also habe ich mich ein bißchen in seinem Zimmer umgesehen. In der Luxusklasse ist es noch schöner, als bei uns, Sir.« Bolvo Querdain begriff. Er wußte, wer den Jungen verprügelt hatte. »Du hast dich umgesehen?« fragte er. »Was willst du damit sagen? Du hast doch nicht etwa … etwas mitgehen lassen?« Trogfynn blickte ihn an. Sein blasses Gesicht sah so unschuldig aus, daß Querdain den Gedanken an einen Diebstahl sofort wieder von sich schob. »Nein«, erwiderte Trogfynn. Studenten, Patienten und Gäste füllten
Das Amok-Team den Hörsaal bis auf wenige freie Plätze. Querdain und Trogfynn setzten sich an das Ende einer der vorderen Reihen. Unmittelbar darauf erschien Dr. Baumgart. Jackmo Pappron, der vor ihnen saß, drehte sich zu ihnen um und begrüßte sie mit einer freundlichen Geste. »Haben Sie schon gesehen?« fragte er. »Horak Trepper ist mit seinem ganzen Hofstaat erschienen.« Bolvo Querdain richtete sich etwas höher auf. Jetzt konnte er die Dame sehen, die neben dem Bankfachmann saß. Er erinnerte sich daran, ihr Bild in der Presse gesehen zu haben. »Heißt es nicht, daß sie seine finanzielle Basis ist?« fragte er. Pappron nickte. »Sie ist sozusagen nicht nur seine bessere, sondern auch seine goldene Hälfte«, erwiderte er. »Die beiden Männer neben ihr gehören zu seinem Stab. Und die Presse ist auch da. Dr. Baumgart scheint heute etwas Besonderes vorzuhaben.« Trogfynn rutschte fast vom Stuhl. »Sir«, sagte er flüsternd. »Ich glaube, ich muß Ihnen etwas gestehen.« Dr. Baumgart begann mit seiner Vorlesung. Aufgeregt zupfte der Junge an Querdains Arm. »Jetzt nicht«, sagte der Transmitterspezialist. »Sei leise.« »Aber, Sir, ich habe etwas angestellt, das muß ich Ihnen unbedingt …« Bolvo Querdain hielt ihm den Finger vor den Mund, doch dann sah er, wie erregt Trogfynn war. »Was ist denn?« fragte er wispernd. Der Junge antwortete ebenso leise: »Ich habe Fotos im Zimmer von Mr. Trepper gefunden. Ich wollte mich rächen, und da habe ich sie mitgenommen und in den Kasten da oben gesteckt.« Er wies auf den Projektor, neben dem Dr. Baumgart stand und dozierte. Bolvo Querdain erschrak. Ihm war sofort klar, daß er einen Skandal verhindern mußte. Das konnte nur dadurch geschehen, daß er den Dozenten
13 unterbrach. Er sprang auf, aber in diesem Augenblick schaltete Baumgart das Gerät bereits ein. »Das hier abgebildete Präparat zeigt sehr deutlich das hypertrophische rechte Herz eines …«, begann er. Die restlichen Worte gingen in dem allgemeinen Gelächter unter. Der Chirurg blickte verwirrt auf und drehte sich zu der Projektion an der Wand hinter ihm um. Er sah nicht die Darstellung des geschilderten Präparates, sondern Horak Trepper dreidimensional, farbig und gestochen scharf mit zwei kurvenreichen Blondinen am Strand in einer höchst albernen Pose. Seine dürftige Badekleidung und seine Figur, die vom athletischen Idealbild sehr stark abwich, steigerten die Wirkung der Darstellung auf das Publikum. Dr. Baumgart versuchte, das Unheil abzuwenden. Er schlug mit der Hand auf die Schaltung des Projektors, um das Bild verschwinden zu lassen. Doch die Hoffnung, daß nun endlich das erwartete Herz auf der Projektionswand erscheinen würde, trog. Wiederum präsentierte sich Horak Trepper dreidimensional, farbig und in einer Szene, die das Auditorium zur Raserei brachte. Der Finanzfachmann eilte mit Riesenschritten aus dem Hörsaal. Sein Gesicht wirkte wie aus Stein geschlagen. Kurz vor dem Ausgang wandte er Bolvo Querdain den Kopf zu, aber er blickte nur Trogfynn Kranmurt an. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte Querdain soviel Haß und Vernichtungswillen in den Augen eines Menschen gesehen wie bei Horak Trepper.
3. 7. August 2842 an Bord der KOLURKA. Bolvo Querdain betrat den großen Speisesaal des Schiffes. Er blickte sich suchend um und ging dann auf einen Tisch zu, an dem nur ein Passagier saß. »Mr. Freeman, erlauben Sie, daß ich mich zu Ihnen setze?« Erst jetzt bemerkte Querdain, daß der
14 Mann, den er in der Baumgart-Klinik kennengelernt hatte, seine Mahlzeit bereits beendet hatte. Freeman schien nicht gerade erfreut zu sein, wies ihn jedoch auch nicht zurück. »Ich komme nur, um mich bei Ihnen zu entschuldigen. Es tut mir leid, wie ich mich benommen habe.« »Sie waren krank, Mr. Querdain. Wie fühlen Sie sich jetzt?« Freeman taute sehr schnell auf. Er wurde zugänglicher. Ganz offensichtlich nahm er die Zwischenfälle nicht so schwer. »Es ist alles in Ordnung. Der Arzt sprach von einer vorübergehenden Krise. Sie ist überstanden.« Voller innerer Spannung musterte er sein Gegenüber. »Und Sie? Wie geht es Ihnen? Haben Sie keine Schwierigkeiten?« »Nein, keineswegs. Ich fühle mich so gesund wie schon lange nicht mehr. Ich habe nicht die geringsten Schwierigkeiten mit dem neuen Organ.« Querdain spürte, daß er die Wahrheit sagte. Freeman war frei. Für ihn gab es keinen Fremdkörper, der ihn zwingen wollte, etwas Schreckliches zu tun. »Ah, die hohen Herren«, sagte Freeman. Der Transmittertechniker drehte sich überrascht herum. Er wußte nicht, wovon sein Tischnachbar sprach. Vier Männer und zwei Frauen kamen in den Speisesaal. Sie wurden von einem Schiffsoffizier zu einem üppig gedeckten Tisch geführt. Querdain erkannte einige Gesichter wieder. Mit einigen dieser Männer hatte er kurz gesprochen, als er den Bau der Transmitterlinien vorbereitet hatte. »Die sind doch von der Regierung«, sagte er. »Ganz recht«, bestätigte Freeman. »Das ist die Regierungskommission, die zur Erde fliegt. Ich habe in den Nachrichten gehört, daß es um wichtige neue Handelsabkommen geht. Durch Produktionsausfälle und Streiks soll auf einigen Gebieten ein Engpaß auf Plophos entstanden sein. Deshalb fürchtet man, daß es in einigen Monaten zu erhebli-
H. G. Francis chen Produktionsstörungen kommen kann, wenn nicht rechtzeitig Lieferungsabkommen mit der Erde abgeschlossen werden. Eine komplizierte Geschichte, die mich als Terraner nur am Rande interessiert. Die Plophoser sollten die Nase nicht so hoch tragen, dann gäbe es keine Komplikationen.« »Die Beziehungen zwischen Plophos und der Erde sind gut. Dank Mory Rhodan-Abro«, entgegnete Querdain. »Aber sie könnten besser sein. Bitte, entschuldigen Sie mich jetzt, Mr. Querdain. Ich habe noch ein kleines Meeting mit einer jungen Dame.« »Die darf man nicht warten lassen.« Freeman ließ ihn allein. Querdain machte sich über das Essen her, das die Robotik ihm auf den Tisch gestellt hatte. Es schmeckte ihm, obwohl ihn seine Gedanken nicht in Ruhe ließen. Immer wieder blickte er zu der Regierungskommission hinüber. Galten die Zerstörungsbefehle ihr? Wollte das Fremde in ihm, ihn zu einem Amoklauf zwingen, bei dem das ganze Schiff zerstört wurde, nur um ein neues Handelsabkommen zwischen Terra und Plophos zu verhindern? Querdain wurde übel. Er schob das Essen zurück, senkte den Kopf und schloß die Augen. Er atmete tief durch und fühlte, wie er sich langsam wieder beruhigte. Immer wieder mußte er auch an die Ereignisse in der Klinik denken. Die lagen jetzt schon weit hinter ihm zurück, dennoch ließen sie ihn nicht los. Er erhob sich, denn er konnte keinen einzigen Bissen mehr herunterbekommen. Mit schlurfenden Schritten durchquerte er den Speiseraum. Sein massiges Gesicht war ausdruckslos, und seine Schultern wirkten gebeugt. In der Ausgangstür erschien Ayke Somms. »Hallo, Mr. Querdain. Wieder in Ordnung?« Er blickte den Gepäckmeister mit stumpfen Augen an und nickte. »Es ist schon gut«, sagte er. »Machen Sie sich keine Sorgen.« Ayke Somms sah ihm nach. Er ging zum
Das Amok-Team Visiphon, blieb jedoch unschlüssig neben dem Gerät stehen. Er wollte den Arzt davon verständigen, daß Querdain erneut krank wirkte. Als Bolvo Querdain in den Lift stieg, beendete Somms seine Überlegungen. Er ging in den Speiseraum. Querdain verließ den Schacht auf Deck fünfzehn im obersten Abschnitt. Erst als er vor dem Schott zur Beobachtungskuppel stand, fiel ihm auf, wie weit er von seiner Kabine entfernt war. Er war froh darüber, denn er fürchtete sich davor, mit sich und dem Fremden in ihm allein zu sein. Deshalb betrat er den mit astronomischen Beobachtungsgeräten bestückten Raum in der Hoffnung, hier genügend abgelenkt zu werden. Er sah Freeman, der mit einem hübschen Mädchen flirtete. Die beiden jungen Menschen standen neben einem Bildgerät und hatten nur Augen füreinander. Querdain drehte sich um und kehrte auf den Vorplatz vor dem Liftschacht zurück. Er wollte Freeman nicht schon wieder verärgern. Zögernd ging er in den Lift – und hier überfiel es ihn mit voller Wucht. Er spürte den Vernichtungswillen in sich. Mit aller Kraft wehrte er sich, obwohl er augenblicklich erkannte, daß er zu schwach war. Vor seinen Augen wurde es dunkel. Ihm war, als verlasse er seinen eigenen Körper, um sich aus ihm zu retten. Als er wieder zu sich kam, befand er sich in einem Vorraum auf Deck 7. Er lag verkrümmt auf dem Boden und preßte die Hände in seine Seite. Stöhnend richtete er sich auf. Er war allein. Durch die geschlossenen Schotte hörte er das Arbeiten der schweren Maschinen. In seiner unmittelbaren Nähe stand der Kalup'sche Konverter. Der Maschinenraum mit den Reaktoren und den Speicherbänken schloß sich an. Irgendwo hier auf diesem Deck standen auch die Antigravprojektoren, die beim Start und bei der Landung halfen, die ungeheure Masse des Raumschiffes zu bewegen. Was wollte er hier?
15 Oder war es richtiger zu fragen: Was sollte er hier? Handelte er wirklich nach einem fremden Willen? Und wenn es so war, erhielt er gezielte Befehle? Hatten die Zerstörungen, die er ausführen sollte, einen Sinn? Er erhob sich. Ihm war alles egal, wenn er nur nicht von dem Unheimlichen gequält wurde. Tief durchatmend ging er auf den Liftschacht zu, als es ihn erneut überfiel. Ein elektrischer Schlag schien ihn zu durchfahren. Es kam so plötzlich und gewaltsam, daß er sich viel zu spät dagegen aufbäumte. Deutlich fühlte er wie sein Ego zurückgeschleudert wurde. Ihm war, als würde er von der Brandung eines Meeres weggezogen, ohne sich dagegen wehren zu können. Wie ein verzweifelter Schwimmer, der mit Armen und Beinen das Wasser peitschte und doch nicht verhindern konnte, daß es ihn wegtrug, so prallte auch sein Wille wirkungslos an der Kette der Befehlsimpulse ab, die von seiner Leber ausgingen. Er stieg in den Lift und sank bis auf Deck 6 herab. Hier passierte er die großen Schleusenschotte zu den Frachträumen. Der Deckoffizier trat ihm entgegen. »Mr. Querdain«, sagte er besorgt. »Geht es Ihnen nicht gut? Haben Sie sich verirrt? Hier dürfen Sie sich nicht aufhalten. Das Frachtdeck ist für Passagiere gesperrt.« Querdain zog seine Hand aus der Hosentasche. Ein kleines Messer blitzte in seinen Fingern auf. Es war ein Obstmesser, das normalerweise für einen Zweikampf viel zu klein war. Jetzt aber griff der Transmitterspezialist damit einen völlig ahnungslosen Mann an. Die scharfe Klinge fuhr dem Offizier über den Hals und trennte die Schlagader auf. Die Wirkung war verblüffend für Querdain. Als der Raumfahrer merkte, wie schwer seine Verletzung war, gab er den Kampf gegen Querdain sofort auf und flüchtete zu einem Interkom. Er schaltete es ein. »Hilfe«, rief er. »Ich bin überfallen worden! Schnell, einen Arzt.« Zugleich drückte er den Alarmknopf. In
16 seinem Schrecken achtete er nicht auf Querdain, doch dieser dachte gar nicht daran, ihn noch einmal anzugreifen. Äußerlich ganz ruhig ging er weiter in die Frachträume. Hier hielt ihn niemand mehr auf. Ziellos machte er sich an einigen Containern zu schaffen, ohne jedoch merklichen Schaden anzurichten. Das änderte sich erst, als er auf zwei Reparaturroboter traf, die mit einem Schweißgerät arbeiteten. Querdain blieb einen kurzen Moment stehen. Er schlug sich die Hände vor das Gesicht. Wieder lehnte er sich gegen die Befehle auf, die ihn zwingen wollten, Dinge zu tun, die er nicht wollte. Wieder unterlag er. Mit wenigen Griffen desaktivierte er die Roboter, entriß ihnen das tragbare Schweißgerät und ging damit auf einen der zahlreichen Container zu. In Sekundenschnelle fraß sich die Flamme durch die Metallplastikhülle und schlug in die Fracht. Das in dem Behälter transportierte Gut explodierte krachend. Eine Stichflamme schoß aus dem Container hervor und erhitzte einen zweiten so sehr, daß auch die darin gelagerte Fracht explodierte. Querdain wurde zurückgeschleudert und stürzte zu Boden. Der Schaden war noch relativ gering. Auch der Energieausbruch war nicht übermäßig stark gewesen. Mehr als die beiden Container wurden nicht beschädigt, obwohl starke Flammen aus den entstandenen Rissen hervorschlugen. Der Transmittertechniker raffte sich auf und schleppte sich weiter. Er zog das rechte Bein etwas nach, achtete aber nicht darauf. Nur das verzerrte Gesicht ließ erkennen, daß er Schmerzen hatte. Dann blieb er stehen. Von fern hörte er das Heulen der Alarmsirenen. Er ließ das Schweißgerät fallen. »Nein«, flüsterte er. »Ich will nicht. Nein.« Tränen rannen ihm über das Gesicht. Er schwankte und begann am ganzen Körper zu zittern. Dann bückte er sich, nahm das Schweißgerät wieder auf und ging auf einen Container zu, auf dem »Explosives« stand.
H. G. Francis Die Flamme fraß sich bereits durch das harte Material, als er erkannte, daß er sich selbst umbringen würde, wenn er weitermachte. Er ging halb um den Container herum und stieß auf die Hauptluke. Jetzt setzte er das Schweißgerät an den Verschlüssen an. Sie lösten sich auf. Krachend öffnete sich die Luke. Querdain nahm eines der Päckchen aus dem Container und riß es auf. Ein rötliches Pulver befand sich darin. Er roch daran und verschüttete es auf den Boden. Langsam entfernte er sich von dem Behälter. Er blickte sich nicht um, obwohl hinter ihm Stimmen laut wurden. Er hörte seinen Namen, aber er reagierte nicht. Als er dreißig Meter von dem Container entfernt war, ließ er das leere Päckchen fallen. Er drehte sich um und richtete die Flamme des Schweißgerätes auf das Pulver auf dem Boden. Eine Stichflamme schoß hoch. Sie verbrannte sein Gesicht und sengte sämtliche Haare von seinem Kopf, aber er spürte es nicht. Als er sich aufrichtete, sah er eine Gruppe von Männern auf sich zukommen. Sie befand sich hinter einer Feuerwand, die durch den Frachtraum lief, und in der Hitze sahen die Gestalten verzerrt und verschwommen aus. Sein Mund öffnete sich. Er wollte eine Warnung schreien, ohne einen Laut über die Lippen bringen zu können. Dann ging die Hölle auf. Der Frachtraum erzitterte unter einer ungeheuren Explosion. Der Container zerriß wie eine Bombe. Eine Katastrophe wurde nur deshalb verhindert, weil Querdain die Ladeluke geöffnet hatte. So ging die Hauptkraft der Explosion zur Seite weg. Wäre der Container noch geschlossen gewesen, dann wäre alles im Frachtraum von einem Splitterregen durchsiebt worden. Querdain wurde von den Beinen gerissen und davongeschleudert. Er prallte gegen ein
Das Amok-Team Schott, verlor aber das Bewußtsein nicht. Krampfhaft hielt er das Schweißgerät fest. Er richtete sich keuchend auf und preßte die Hand gegen den Öffnungsknopf. Unendlich langsam öffnete sich das Schott. Als ein zweiter Container explodierte, war erst ein schmaler Spalt entstanden. Die Druckwelle schleuderte den Transmittertechniker hindurch. Querdain rollte bis vor die Füße von Ayke Somms. Der Gepäckmeister beugte sich über ihn und half ihm behutsam auf. »Um Himmels willen, Mr. Querdain, was ist passiert?« fragte er angstvoll. »Wie kommen Sie überhaupt hierher?« Er wollte ihm das Schweißgerät aus der Hand nehmen, doch der Transmittertechniker hielt es krampfhaft fest. »Gehen Sie, Ayke«, bat Querdain keuchend. »Ja, ich gehe sofort, Mr. Querdain, aber nur mit Ihnen.« »Bitte, gehen Sie, Ayke, ich will Sie doch nicht töten!« Ayke Somms blieb ganz ruhig. Er erfaßte auch noch nicht einmal annähernd, was geschah. »Wer spricht denn von töten, Mr. Querdain? Sie sind krank. Kommen Sie, ich bringe Sie zum Arzt. Legen Sie nur erst einmal das Schweißgerät weg.« Wieder griff er nach der Zerstörungswaffe Querdains. Der Transmitterspezialist schrie gequält auf. Er kämpfte wild und verzweifelt gegen das Ungeheuerliche in ihm. Tränen rannen ihm über das verbrannte Gesicht. Dann richtete er die Flamme gegen den Kopf des Gepäckmeisters. Das ging so schnell, daß Somms nicht mehr ausweichen konnte. Der entsetzliche Schrei des Sterbenden riß Querdain aus dem Bann. Er ließ das Gerät fallen. Die Flamme fraß sich in den Boden. Wie versteinert stand der Kranke vor dem Toten und starrte ihn an. Er zitterte am ganzen Körper. Der Lärm um ihn herum erreichte ihn nicht. Er hörte weder die
17 Alarmsirenen, noch das Krachen der zahlreichen Explosionen im Frachtraum, noch die Schreie der Verletzten und Sterbenden. Er sah, daß die Energie des Schweißgerätes wirkungslos in das Material des Bodenbelages schlug und Schäden anrichtete, die keinerlei Bedeutung für das Schiff hatten. Mit ruckenden Bewegungen bewegte er sich auf das Gerät zu. Jetzt benahm er sich wie ein schlecht ausgesteuerter Roboter. Er packte den Schweißbrenner und trug ihn vor sich her. So schwebte er im Liftschacht nach oben. Wie durch ein Wunder verfehlte er die Mannschaften, die Sekunden später bei Ayke Somms eintrafen und mit den Löscharbeiten begannen. So glaubte bis dahin noch jedermann an Bord, daß der Transmitterspezialist im Containerfrachtraum umgekommen war. Bolvo Querdain aber marschierte auf das Herz des Schiffes zu. Er näherte sich dem Antrieb der KOLURKA. Ihm war, als gehe er neben sich selbst her, als betrachte er seinen Körper, der jetzt von einem anderen Geist besessen und beherrscht wurde. Seltsamerweise verliefen seine Gedanken jetzt in ruhigen und kühlen Bahnen. Er hatte begriffen. Was er auch immer tat er konnte nichts gegen die Befehle ausrichten, die von seiner Leber kamen. Seine Gedanken aber kehrten in die Baumgart-Klinik zurück. Er erinnerte sich wieder an die Ereignisse der letzten Stunden. Einen Tag vorher hatte alles harmlos ausgesehen und schien ohne Bedeutung zu sein. Mit heimlichem Vergnügen hatte er die Streiche von Trogfynn Kranmurt beobachtet und verfolgt, wie sich zunächst zwischen ihm, dann aber auch zwischen dem bis dahin so zurückhaltenden Jackmo Pappron Spannungen ergaben. Er hatte sie nicht wichtig genommen. Eigentlich hatte das niemand der Beteiligten getan. Was bedeutete es schon, wenn ein elfjähriger Junge Haß gegenüber einem SpringerPatriarchen empfand? Unter normalen Um-
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ständen absolut nichts. Was besagte es schon, wenn ein so mächtiger Mann wie Horak Trepper Drohungen gegen einen elfjährigen Jungen aussprach? Unter normalen Umständen nichts. Was besagte es schon, wenn ein Finanzgenie wie Trepper sagte, die Springer sollte man von Plophos verscheuchen? Dann kündigten sich äußerstenfalls finanzielle Transaktionen an, die die Allgemeinheit kaum berührten und von ihr gar nicht bemerkt würden. Jetzt aber sah alles anders aus. Bolvo Querdain hatte eine seltsame Vision. Er sah Jackmo Pappron, Horak Trepper und Trogfynn Kranmurt mit brennenden Thermo-Schweißgeräten in den Händen. Sie bewegten sich wie Marionetten aus der Klinik heraus – wie ein Mordkommando, das entschlossen schien, das Chaos über Plophos zu bringen.
* Trogfynns Mutter blickte Horak Trepper angstvoll an. »Es tut mir aufrichtig leid, was mein Sohn angerichtet hat«, sagte sie stockend. »Ich weiß nicht, ob wir den Schaden wiedergutmachen können.« Der schlanke Mann strich sich das schüttere Haar aus der Stirn zurück. Sein Mund war hart und verkniffen. »Ich erkenne es an, daß Sie zu mir kommen, um sich für das Benehmen Ihres Jungen zu entschuldigen«, erwiderte er abweisend, »aber damit ist es nicht getan. Ich werde mir Maßnahmen vorbehalten, die Trogfynn ein für allemal klarmachen, was es bedeutet, einen Mann wie mich derart bloßzustellen.« Mrs. Kranmurt erbleichte. »Was meinen Sie damit, Mr. Trepper?« Er blickte sie durchbohrend an. »Wenn Ihr Mann sich ein Jahr lang vergeblich um Arbeit bemüht hat, wird der Junge vielleicht begreifen.« »Er hat keinen Vater mehr. Sie wollen mir
meine Existenz nehmen?« Sie sprang auf. »Das kann nicht Ihr Ernst sein, Mr. Trepper.« Der Bankspezialist antwortete nicht. Gelangweilt schaltete er den Trivideowürfel ein. Mrs. Kranmurt zweifelte nicht daran, daß er über genügend Möglichkeiten verfügte, seine Drohung zu verwirklichen. »Ich kann nicht glauben, daß Sie auf eine so billige Rache für einen Dummejungenstreich aus sind.« »Ihr Söhnchen hat mich in aller Öffentlichkeit blamiert. Er hat mich in Eheschwierigkeiten gebracht und ein wichtiges Geschäft gefährdet.« »Das kann ich nicht glauben. Nur wegen dieses albernen Strandbildes.« »Auf dem ich zufällig mit der Frau des Mannes abgelichtet bin, mit dem ich … aber was geht Sie das an. Machen Sie, daß Sie rauskommen.« Er erhob sich und ging auf sie zu. Mrs. Kranmurt blickte ihm in die Augen, und sie sah etwas darin, was ihr einen tödlichen Schrecken einjagte. Sie drehte sich um und floh aus dem Krankenzimmer. Auf dem Flur wäre sie fast mit ihrem Sohn zusammengeprallt. »Ma, was ist denn?« fragte Trogfynn bestürzt. »Komm, schnell«, sagte sie und legte den Arm um ihn. »Hat er dich geschlagen?« Sie erwiderte nichts darauf und versuchte nur, ihn mit sich zu ziehen Trogfynn aber riß sich los, rannte zurück und riß die Tür zu Treppers Zimmer auf. Der Finanzmann stand am Trivideowürfel. Er krallte seine Hände in seine Hemdbluse. Sein Gesicht war verkrampft. Er schien Schmerzen zu haben. Trogfynn betrat den Raum. Langsam ging er auf Trepper zu, wobei er überlegte, was er tun sollte. Vorsichtshalber griff er nach einer Vase, die auf dem Tisch stand. »Mr. Trepper? Sie haben meine Mutter …« Der Kranke fuhr herum. Seine Augen wa-
Das Amok-Team ren fast geschlossen. Das Gesicht glich einer Totenmaske. Trogfynn blieb unschlüssig stehen, sein Mut war verflogen. Jetzt fürchtete er sich. Er wollte das Zimmer verlassen, aber seine Beine gehorchten ihm nicht mehr. Wie gelähmt stand er Trepper gegenüber, der Schritt für Schritt auf ihn zukam und seine Hände nach ihm ausstreckte. »Mr. Trepper! Nein, tun Sie mir nichts!« stammelte Trogfynn. Der Bankfachmann hörte ihn nicht. Seine dürren Hände packten blitzschnell zu. Sie krallten sich um den Hals des Jungen und schlossen sich wie stählerne Klauen. Die Todesangst verjagte die Lähmung. Trogfynn kämpfte wie eine Wildkatze. Er schlug um sich, kratzte und hämmerte Trepper die Füße gegen die Beine, ohne die geringste Wirkung zu erzielen. Da flog die Tür auf. Jackmo Pappron kam herein. Er bewegte sich erstaunlich schnell. »Mr. Trepper, lassen Sie sofort den Jungen los«, rief er, doch seine Worte verhallten ungehört. Mit sicherem Griff packte er den Finanzfachmann am Kinn und an den Schultern und bog ihm den Kopf nach hinten zurück. Dabei bohrten sich Trepper die Fingerspitzen seines hageren Gegners seitlich in den Hals. Schmerzgepeinigt schrie er auf. Seine Hände lösten sich von Trogfynn. Der Junge stürzte betäubt zu Boden und auch Trepper sank in die Knie. Röchelnd versuchte er sich zu befreien. Es gelang ihm erst, als Pappron den Griff lockerte. Keuchend richtete Trepper sich auf. Er blickte sich um, als erwache er soeben erst aus einem tiefen und schrecklichen Traum. Er würgte und massierte sich den Hals. »Es tut mir leid, Mr. Trepper, ich konnte Sie anders nicht von dem Jungen freibekommen. Entschuldigen Sie bitte.« Pappron beugte sich über Trogfynn, der Trepper mit weiten Augen anstarrte. »Es ist alles gut, mein Junge«, sagte er. »Passen Sie auf«, rief Trogfynn mühsam.
19 Pappron blickte hoch. Die Hände Treppers legten sich ihm um den Hals doch er richtete sich mühelos auf. Ihm war weder sein hohes Alter, noch die schwere Operation anzumerken, die er hinter sich hatte. Geradezu spielerisch leicht bog er die Finger Treppers zur Seite. Er drehte sich zu dem Bankfachmann um, der vor ihm zurückwich. In den Augen Treppers erkannte er Mordlust und Zerstörungswillen. »Mr. Trepper«, sagte er betont ruhig. »Wir wollen doch bitte nicht vergessen, daß wir uns hier in einer Klinik befinden. Wir sind alle Patienten – Sie, der Junge und ich. Wir wollen uns entsprechend benehmen und über kleinen Reibereien nicht vergessen, daß wir zivilisierte Menschen sind, die nicht wie Tiere übereinander herfallen.« Treppers Lippen bewegten sich. Jackmo Pappron sah, daß er etwas sagen wollte, ohne die Kraft dazu zu haben. Eisiger Schrecken durchfuhr ihn. Er begriff, daß es Trepper in diesen Sekunden ebenso erging, wie es auch ihm schon ergangen war. Auch Trepper spürte das Fremde in sich, das ihn nach Belieben beherrschte. »Ich halte es für das Beste, wenn wir die Ärzte nicht von diesem Vorfall verständigen«, sagte Pappron. »Ich hoffe, Sie sind zu Ihrem eigenen Vorteil damit einverstanden?« Trepper nickte. Fragend blickte Pappron den Jungen an. Trogfynn rieb sich noch immer den Hals. Er würgte immer wieder, als müsse er sich erbrechen. »Ich weiß nicht, was er mit meiner Mutter gemacht hat«, sagte er leise. »Er soll ihr sagen, daß alles gut ist, sonst gehe ich zur Polizei und erzähle, daß er mich ermorden wollte.« Trepper versuchte ein Lächeln, aber es mißlang ihm. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse der Angst und des Entsetzens. »Deine Mutter braucht keine Angst zu haben«, versprach er. »Ich werde nichts gegen sie unternehmen.«
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»Sagen Sie es ihr«, forderte Trogfynn. Der Bankfachmann zuckte zusammen. Die Aggressivität des Jungen provozierte ihn, aber er überwand sich und ging auf den Flur hinaus, wo Mrs. Kranmurt wartete. Dr. Baumgart und zwei Assistenzärzte eilten aus der entgegengesetzten Richtung herbei. Trepper war vorher bei der Frau. »Es ist alles in Ordnung«, sagte er. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde Ihnen nicht schaden, sondern Ihnen durch meine Beziehungen helfen.« Sie starrte an ihm vorbei auf ihren Sohn, der sie zaghaft lächelnd anblickte. Jackmo Pappron ging den Ärzten entgegen. Er strahlte große Ruhe aus. »Sie sind durch ein Mißverständnis gerufen worden, Doktor«, erklärte er. »Wir hatten ein kleine, harmlose Meinungsverschiedenheit.« Dr. Baumgart ließ sich jedoch nicht so schnell besänftigen. »Meine Herren«, sagte er scharf. »Sie befinden sich hier in einer Klinik. Ich verlange, daß Sie Rücksicht auf die anderen Patienten nehmen. Tun Sie das nicht, werde ich Sie vorzeitig entlassen. Das Wohlergehen meiner Patienten ist mir wichtiger.« Er ging zu Trogfynn. »Und du wirst auf weitere Streiche verzichten, Trogfynn«, forderte er streng. »Wir haben deine Augen operiert, damit du sie wieder voll gebrauchen kannst. Es wäre ein schlechter Lohn, wenn du sie nur dazu nutzen würdest, anderen Patienten das Leben schwer zu machen.« Jackmo Pappron legte Trogfynn die Hand auf die Schulter. »Es ist wirklich alles in Ordnung, Dr. Baumgart«, beteuerte er. »Wir bedauern alle sehr, daß es überhaupt zu diesem Mißverständnis gekommen ist. Wir wissen zu schätzen, was es bedeutet, überhaupt hier sein zu dürfen und von Ihnen behandelt zu werden.« »Dann ist es ja gut«, erwiderte der Arzt.
4.
Bolvo Querdain gab nicht auf. Immer wieder versuchte er, sich gegen den anderen Willen zu behaupten, doch das Fremde in ihm blieb stärker als er. Ungehindert passierte er die großen Schotte zu den Haupttriebwerkskammern. In einer Zwischenschleuse blieb er grundlos stehen, wandte sich zur Seite und richtete die Flamme des hochenergetischen Schweißbrenners gegen die Wand. Der sonnenheiße Energiestrahl fraß sich in Bruchteilen von Sekunden durch das molekülverdichtete Material, erreichte die darunter liegenden Kabelstränge und schnitt sie durch. Eine Serie von Kurzschlüssen war die Folge. Überall schossen blaue Stichflammen aus den Wänden. Querdain wandte sich gleichgültig ab, öffnete das nächste Schott und ging hindurch. Ein Bordmechaniker stürmte ihm entgegen. Erst im letzten Moment begriff der Mann, was geschah. Fassungslos starrte er den Passagier an. Querdain ging wie eine Marionette auf ihn zu, den Schweißbrenner wie einen Schild vor sich haltend. Erschreckt wich der Techniker zurück, bis er zu einem Werkzeugkasten kam, der auf dem Boden stand. Er bückte sich und griff nach einem Hammer, doch jetzt griff Querdain ihn an. Er schlug ihm das Schweißgerät über den Kopf und betäubte ihn. Danach ging er nur wenige Schritte weiter und blieb vor einem Batterietank stehen. Er hob das Schweißgerät und richtete die Flamme gegen den Behälter. Der Bordmechaniker kam zu sich. »Nicht, tun Sie das nicht«, schrie er. »Das Zeug ist hochexplosiv!« Querdain ließ sich nicht aufhalten. Er blickte nicht einmal auf, als sich die Schotte öffneten und eine Gruppe von etwa zwanzig Offizieren und Mannschaften hereinkam. »Zurück«, rief einer der Offiziere. »Sie sprengen uns in die Luft, Mr. Querdain!« Der Transmittertechniker zitterte so heftig, daß die Flamme den Tank nur hin und
Das Amok-Team wieder berührte. Das genügte jedoch schon. Das hochfeste Material begann sich aufzulösen. Zwei Ingenieure rannten auf den Kranken zu. Sie hielten Kombistrahler in den Händen. Einer von ihnen löste die auf Paralysewirkung eingestellte Waffe auf Querdain aus, als die Flüssigkeit in dem Behälter explodierte und ihn zur Seite schleuderte. Querdain schrie gepeinigt auf. Er stürzte zu Boden. Ein Teil seiner Kleidung hatte Feuer gefangen. Aber auch der Ingenieur stolperte und fiel zu Boden. Dabei entglitt ihm sein Strahler. Die Waffe rutschte über den Boden und blieb in unmittelbarer Nähe Querdains liegen. Der Transmittertechniker kümmerte sich nicht um seine brennende Kleidung. Mit schmerzverzerrtem Gesicht nahm er die Waffe an sich und floh durch die Flammen weiter ins Innere des Schiffes. Hinter ihm löste die erste Explosion eine Reihe von weiteren Detonationen aus. Das alles hätte die Triebwerke der KOLURKA noch nicht lahmlegen können, wenn Querdain nicht weitergelaufen wäre. Er torkelte, kaum noch seiner Sinne mächtig, durch den Triebwerkssektor und schaltete die Waffe in seiner Hand auf Impulsbeschuß um. Dann richtete er sie auf die Generatoren, Speicherbänke, Projektoren und Reaktoren. Er feuerte blind um sich. Ein Ruck ging durch das Schiff. Die Antigravprojektoren fielen für den Bruchteil einer Sekunde aus, als die KOLURKA aus dem Linearraum in das Einsteinsche Kontinuum zurückkehrte. Das genügte. Das Schiff wurde schwer erschüttert. Querdain wurde von den Beinen gerissen und stürzte erneut zu Boden. Dennoch feuerte er immer weiter. Schließlich verlor er das Bewußtsein, und die Waffe schwieg. Das Chaos brach über den Triebwerkssektor herein. Querdain kam noch einmal für einen kurzen Moment zu sich. Er wußte, daß er sterben würde, aber das berührte ihn nicht mehr.
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* Enre Nolge betrat den Arbeitsraum von Alvmut Terlahe mit einer Akte unter dem Arm. »Neue Nachrichten, Sir«, sagte er. »Was gibt es?« »Die KOLURKA ist havariert. Der Kommandant des Schiffes hat die Behörde auf dem Raumhafen benachrichtigt.« Alvmut Terlahe erhob sich von seinem Platz hinter dem Arbeitstisch, auf dessen Platte mehrere aufgeschlagene Akten lagen. Er war der Leiter einer Untersuchungskommission und hatte die Aufgabe, den Überfall einer Horde von Amokläufern auf das Regierungsgebäude von New Taylor zu klären. Er nahm die Berichte aus den Händen von Enre Nolge entgegen, lehnte sich gegen einen Schrank und begann zu lesen. Sein Assistent beobachtete ihn. »Weshalb glauben Sie, daß dieser Bolvo Querdain etwas mit unserem Fall zu tun hat?« fragte Terlahe. »Ich sehe einige Parallelen«, erwiderte Enre Nolge. »Er ist Amok gelaufen. Sein Angriff galt aber ziemlich eindeutig dem Antrieb des Schiffes. Ich vermute, daß er damit indirekt die Regierungskommission treffen wollte, die sich an Bord befindet.« Terlahe äußerte sich nicht. »Wie ich sehe, ist bereits ein Passagierschiff zur KOLURKA unterwegs, um die Fahrgäste aufzunehmen und zur Erde zu bringen. Ein Flottentender wird den Havaristen bergen.« Er ging um seinen Schreibtisch herum und setzte sich wieder. »Der Name Querdain kommt mir bekannt vor.« »Es ist der Transmittertechniker, der hier zahlreiche Vorträge gehalten hat.« »Hm, ich erinnere mich.« Terlahe blickte auf. »Auch er war in einer der Transplantationskliniken, wenn ich mich recht entsinne. Es gibt also eine recht deutliche Parallele zu den anderen Amokläufern. Nolge, wir werden die Kliniken einmal unter die Lupe nehmen. Veranlassen Sie das Notwendige. Wir
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brauchen zunächst die Unterlagen über die Anstalten.« »Ich habe bereits einige Vorbereitungen getroffen, Sir«, antwortete der Assistent.
* Jackmo Pappron verließ das Untersuchungszimmer des Oberarztes und trat auf den Gang hinaus, an dem auch das Chefarztzimmer lag. »Das ist doch nicht möglich«, rief er überrascht aus. »Alvmut, du hier in der Klinik?« Er trat auf Alvmut Terlahe zu, den Leiter der Untersuchungskommission, den er von seiner früheren Tätigkeit als Regierungsbeamter sehr gut kannte. »Ich habe schon gehört, daß du hier bist, Jackmo«, sagte Terlahe. Er tippte dem Freund leicht mit den Fingern auf die Brust. »Was macht die neue Pumpe?« »Sie funktioniert hervorragend«, erwiderte Pappron. »Der Oberarzt hat mir gerade gesagt, daß ich morgen entlassen werde. Ich werde in die Berge zurückkehren und mich dort erholen. Aber du, was machst du hier? Willst du dir auch ein neues Herz verpassen lassen?« Terlahe schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht als Patient hier, sondern weil etwas geschehen ist, das die Regierung beunruhigt. Kennst du den Transmitterspezialisten Bolvo Querdain? Er ist hier Patient gewesen.« »Aber ja, Alvmut. Ich habe fast täglich mit ihm zusammengesessen und diskutiert. Querdain ist ein fabelhafter Mensch.« »Ist dir nichts Ungewöhnliches an ihm aufgefallen?« Pappron war, als fiele ein schwarzer Vorhang über ihn. Mit einem Schlage begriff er und war zugleich wie gelähmt. Das Fremde in ihm meldete sich. Er fühlte es deutlich, wie es ihm die Lippen verschloß. Er erkannte, daß etwas mit Querdain geschehen sein mußte. Als kriminalistisch geschulter SolAbAgent konnte er entsprechend kombinieren.
Seine Ahnung, daß Querdain ebenso unter dem Einfluß eines anderen Willen gelitten hatte, bestätigte sich allein durch die Frage Terlahes nach ihm. Fraglos wäre der Freund nicht hier gewesen, wenn Querdain diesem Willen nicht nachgegeben hätte. Da er von der Klinik sofort auf die KOLURKA gegangen war, konnte er nur dort aktiv geworden sein. Alvmut Terlahe blickte Pappron forschend an. Seine graublauen Augen schienen ihn durchdringen zu wollen. »Dir ist also etwas Ungewöhnliches aufgefallen, Jackmo«, stellte er nüchtern fest. »Wie kommst du darauf?« »Du würdest sonst kaum so lange schweigen.« Pappron schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es nicht«, log er. »Ich habe an etwas anderes gedacht. Du mußt einen Grund haben, wenn du hierher kommst und nach Querdain fragst. Ihm muß etwas passiert sein.« Terlahe zuckte unmerklich zusammen. Er überlegte. »Gib's schon zu«, forderte Pappron ihn mit leiser Stimme auf. Terlahe seufzte. »Jetzt verstehe ich, daß deine Gegner dich gefürchtet haben, Jackmo«, sagte er. »Du bist ein verdammt scharfer Denker.« Die beiden Männer verabschiedeten sich nach einer belanglosen Unterhaltung voneinander. Die freundlichen Worte täuschten, und beide wußten es. Eine unsichtbare Wand war zwischen ihnen aufgewachsen. Terlahe hatte erkannt, daß Pappron sehr viel mehr wußte, als er zugab. Er fragte sich, weshalb der Freund schwieg, und war verletzt, weil er gerade von ihm Hilfe erwartete. Jackmo Pappron wollte sich ihm mitteilen. Er kämpfte verzweifelt darum, das Fremde in sich niederzuringen. Er ahnte, daß dies seine vielleicht letzte Chance war, sich selbst zu retten, und dennoch schaffte er es nicht. So gingen die beiden Männer auseinander.
Das Amok-Team Jackmo Pappron ging mit müden Schritten zum Liftschacht und stieg in ihm bis zu seinem Zimmer hoch. Er legte sich in sein Bett, das aus einer Kombination von sorgfältig ausgesteuerten Antigravfeldern bestand. Konzentriert überlegte er, was er tun konnte, um das Unheimliche in ihm zu besiegen. Es mußte einen Weg geben, und er mußte ihn finden, wenn es ihm nicht so ergehen sollte wie Bolvo Querdain. Er wollte nicht zu einer menschlichen Bombe werden. Er fragte sich, was denn überhaupt das Ziel sein konnte – falls sich eine Planung hinter dem Geschehen verbarg. Querdain würde mit der KOLURKA zur Erde fliegen. Das war schon vorher bekannt gewesen. Also hatte man ihn für das Schiff entsprechend präparieren können. Er aber wollte nur auf seinen Landsitz in den Bergen zurück. Bei ihm lohnte es sich eigentlich nicht, ihn als Zerstörungsinstrument vorzubereiten. Jackmo Pappron stellte die Frage, was seine spätere Aufgabe sein würde, zurück. Dafür wandte er sich dem Problem zu, wie er sich anderen mitteilen konnte. Er zweifelte nicht daran, daß das ihm eingepflanzte Herz der Sitz des Fremden war. Er glaubte sogar, die von dort ausgehenden Impulse körperlich fühlen zu können. Sollte er zu Dr. Baumgart gehen und von ihm verlangen, das Herz auszutauschen? Er schüttelte den Kopf. Baumgart würde das Organ genau überprüfen und feststellen, daß es einwandfrei funktionierte. Er würde keinen Grund für eine erneute Umpflanzung sehen. »Geht es Ihnen nicht gut, Mr. Pappron?« Er fuhr hoch. Trogfynn Kranmurt stand neben ihm. »Ich wollte mich von Ihnen verabschieden«, sagte der Junge. »Ich werde nämlich entlassen. Meine Mutter ist schon da, um mich abzuholen.« Pappron hörte diese Worte wie von sehr fern. Er starrte auf den Recorder, den der Junge an der Seite trug. Es war ein tragbarer Trivideowürfel, der sowohl direkt empfan-
23 gen als auch mit Kassetten gefüttert werden konnte. Der ehemalige SolAb-Agent hatte selbst so ein Gerät. »Daß ich daran nicht gedacht habe«, sagte er. Vielleicht konnte er auf Band sprechen, in welcher Situation er sich befand. Vielleicht hinderte das Fremde ihn nicht daran. Wenn es so war, dann ergab sich unter Umständen auch eine Möglichkeit, das Band in die richtigen Hände zu spielen. Er mußte es versuchen. Wenn er es richtig anfing, dann konnte er vielleicht noch verhindern, daß Trogfynn zum Zerstörungsinstrument eines fremden Willens wurde. Er blickte den Jungen prüfend an. Er war überzeugt davon, daß Trogfynn normalerweise nicht so aggressiv war, wie er sich in der Klinik gezeigt hatte. »Sie konnten doch gar nicht wissen, daß ich entlassen werde«, erwiderte der Junge, der die Worte Papprons falsch verstand. Pappron schüttelte den Kopf. Er war verwirrt und konnte sich kaum noch konzentrieren. Er reichte Trogfynn die Hand. »Ich wünsche dir alles Gute«, sagte er. »Du bist ein tapferer Junge.« Trogfynn lächelte stolz und ging hinaus. Kaum war der ehemalige Regierungsbeamte allein, als er auch schon aus seinem Bett sprang. Er eilte an einen Schrank, öffnete ihn und nahm seinen Recorder heraus. »Jetzt werden wir doch mal sehen«, sagte er.
* Trogfynn Kranmurt blickte lange zur Klinik zurück, als er an der Seite seiner Mutter mit dem Gleiter abflog. »Du bist so still«, sagte sie. »Ich denke nach.« »Worüber?« »Ich weiß nicht, ob …« Er wollte sagen: »… ob es gut war, mir neue Augen zu geben!« Doch diese Worte brachte er nicht über die Lippen. Seine Mutter lächelte ahnungslos. Sie tätschelte sein Knie.
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»Ich bringe dich in die Schule. Da hast du Ablenkung. Du hast eine schwere Operation hinter dir, aber sie hat sich gelohnt. Jetzt kannst du wieder sehen.« Trogfynn wußte, daß es sich nicht gelohnt hatte, aber das konnte er selbst bei größter Anstrengung nicht sagen. Er schwieg, und seine Mutter nahm Rücksicht auf ihn. Als sie den Stadtrand von Ervmert erreichten, lag ein Flug von etwas mehr als einer Stunde hinter ihnen. In dieser Zeit hatten sie keine fünf Sätze miteinander gewechselt. Sie fragte: »Möchtest du auch zur Schule, oder möchtest du einige Tage warten? Du kannst es selbst entscheiden.« »Alle meine Freunde sind dort. Ich werde aber nicht lange bleiben. Nur eine Stunde oder so. Ich rufe dich dann an, wenn ich wieder nach Hause möchte.« Sie nickte. Wenig später landete das kleine Flugzeug neben einer Reihe von zierlichen Gebäuden, die in einer gepflegten Parklandschaft standen. Trogfynn verabschiedete sich von ihr.
* An Bord der KOLURKA kehrte Ruhe ein. Kommandant Ald Birage leitete das Übersetzen der Passagiere auf die LUREKAN, die dem Havaristen zur Hilfe gekommen war. Er gab die Aufsicht jedoch sofort an seinen Ersten Offizier ab, als ihm Barris The gemeldet wurde. Vor der geräumigen Kabine des Kommandanten wartete der Mann, der Birage sprechen wollte. Er war klein, dick und sah mürrisch aus. Der mächtige Kopf mit dem widerborstigen, roten Haar schien direkt auf der Schulter zu sitzen. Ein verschlissener Blusenanzug aus grobem Stoff ließ deutlich erkennen, daß Barris The auf sein Äußeres überhaupt keinen Wert legte. »Ich bin von der Regierung beauftragt worden, die Untersuchung hier an Bord durchzuführen«, erklärte er mit leiser Stimme.
»Von der Regierung?« fragte Birage, während er den Beamten in seine Kabine führte. »Das ist seltsam. Ich hatte jemanden von der Kriminalpolizei erwartet. Dann hängt der Amoklauf des armen Mr. Querdain also mit noch anderen Ereignissen zusammen?« Barris The wischte sich mit der Hand über die Nasenspitze und tat so, als habe er die Worte nicht gehört. »Als ersten möchte ich Mr. Ulif Freeman sprechen.« »Ich lasse den Passagier rufen«, sagte der Kommandant und erteilte den entsprechenden Befehl über Interkom. »Berichten Sie mir jetzt, was vorgefallen ist«, forderte The. »Ich will alles wissen. Was ist passiert?« »Ich habe doch schon alles an die Raumhafenbehörde durchgegeben.« Der Untersuchungsbeamte zündete sich eine Zigarette an und tat, als habe er abermals nichts gehört. Erwartungsvoll blickte er den Kommandanten an. »Also?« Ald Birage schilderte, was geschehen war. Dabei bemühte er sich möglichst genau zu sein, obwohl The ihn keineswegs dazu ermutigte. Der Beamte schien wesentlich mehr Interesse für seine Zigarette aufzubringen. Schließlich nickte er. Er schien geahnt zu haben, daß Freeman schon im nächsten Moment an die Tür klopfen würde. The erhob sich nicht aus seinem Sessel, als Freeman vor ihm stand. Forschend blickte er ihn an. »Ich hätte gern gewußt, was ich hier soll!« sagte der Passagier. »Sie sollen mir einige Fragen beantworten.« »Warum?« »Weil Sie Bolvo Querdain gekannt haben. Sie waren mit ihm zusammen in der Baumgart-Klinik, wo Sie sich neue Nieren haben einpflanzen lassen.« »Das ist richtig.« »Also?« Thes Stimme wurde lauter. »Berichten Sie. Erzählen Sie uns alles über
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diesen Mann.« Stockend begann Freeman. Er konnte nicht viel über Querdain sagen, denn er kannte ihn nicht so gut, wie The gehofft hatte. Offensichtlich bedauerte er es sehr, denn er gab sich sichtlich Mühe, dem Beamten interessant zu erscheinen. Doch The merkte sehr schnell, was los war. »Gut«, sagte er. »Ist das alles?« »Ja – ist es nicht genug?« »Die Informationen sind nichts wert«, erwiderte The mürrisch. »Sie bringen mich nicht weiter. Sie fühlen sich gut?« Freeman biß sich verärgert auf die Lippen. »Bis jetzt ging es mir ganz gut«, antwortete er. »Sie können gehen«, sagte The. »Geben Sie mir Ihre Adresse. Falls wir noch Fragen haben sollten, werden wir uns an Sie wenden.« »Das wird hoffentlich nicht mehr der Fall sein.« »Sie sind kein besonders netter Mann«, stellte der Kommandant fest, als Freeman gegangen war. »Es ist nicht meine Aufgabe, nett und verbindlich zu sein«, entgegnete der Untersuchungsbeamte unberührt, »sondern Verbrechen aufzuklären.«
5. »Mr. Terra ist nicht erreichbar, Mr. Trepper, es tut mir sehr leid. Er ist auf der Erde und macht dort einige Tage Urlaub«, sagte die weißblonde Sekretärin. Horak Trepper blickte auf ihr dreidimensionales Bild im Trivideowürfel. »Das ändert meine Pläne entscheidend«, erklärte er nachdenklich. »Wann ist er wieder zurück?« »In etwa zehn Tagen, Mr. Trepper.« »Danke.« Er schaltete aus. Ein sardonisches Lächeln lag auf seinen Lippen, als er in den Salon seiner Suite zurückkehrte, die er während seines Aufenthalts in der Baumgart-Klinik
bewohnt hatte. Professor Woul, sein Sekretär, Berater, Assistent und Freund, wartete auf ihn. Er ahnte nichts von den Informationen, die Horak Trepper soeben erhalten hatte. »Können wir gehen?« fragte Woul. »Ich bin fertig und werde mich nur noch von dem Chefarzt verabschieden. Warte bitte in der Maschine auf mich.« Er verließ die Krankenräume und schwebte im Lift nach unten. Niemand sah ihm an, welch schweren Kampf er kämpfte. Er bäumte sich gegen die Macht in ihm auf, die ihn zwingen wollte zu zerstören. Bei ihm richtete sich der fremde Wille mit aller Macht auf das, was er am besten beherrschte – finanzielle Transaktionen. Horak Trepper wehrte sich gegen das Böse, weil er wußte, daß eine einzige falsche Entscheidung genügte, unermeßliche Schäden anzurichten. Hunderttausende konnten durch ihn ihre Arbeit verlieren, wenn er nicht richtig handelte. Insofern war er viel gefährlicher als etwa ein Bolvo Querdain, dessen Aktion Leben, Gesundheit und Eigentum von nicht mehr als etwa eintausendzweihundert Menschen beeinflußt hatte. Horak Trepper war entschlossen, sich Hilfe bei Dr. Baumgart zu holen. »Ich muß es ihm sagen«, flüsterte er, als er auf das Chefarztzimmer zuging. »Er muß das Herz und die Nieren wieder herausnehmen. Mit ihnen stimmt etwas nicht.« Er dachte an Trogfynn Kranmurt, durch den er sich so sehr hatte reizen lassen. Was mochte erst geschehen, wenn er einem noch viel härteren Streß ausgesetzt war! Als er dem Chirurgen gegenüberstand, bewegten sich seine Lippen, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Er bekam kein Wort heraus, solange er versuchte, dem Arzt etwas über das Geschehen in den neuen Organen mitzuteilen. »Ich wollte mich nur von Ihnen verabschieden!« Diese Worte kamen leicht und mühelos über seine Lippen. Sie klangen noch nicht
26 einmal anders als sonst. Trepper spürte, wie die Angst in ihm aufstieg: Mußte er denn wirklich tun, was man von ihm verlangte? Der Arzt reichte ihm die Hand. »Ich wünsche Ihnen alles Gute«, sagte er herzlich. »Danke, Doktor.« Dr. Baumgart blickte Trepper verwundert an, als er versuchte, noch etwas mehr zu sagen. Eine solche Reaktion hatte er in den letzten Tagen schon öfter erlebt, aber auch jetzt dachte er sich nicht viel dabei. Er hatte diesen Patienten ein neues Leben geschenkt. Im Grunde war es daher nicht verwunderlich, wenn ihnen die Rührung die Lippen verschloß. Horak Trepper ging hinaus. Eine Stunde später begann die Konferenz in einer der wichtigsten Banken von Plophos. Horak Trepper begrüßte die Finanzgrößen dieses Planeten so souverän wie eh und je. Dafür nahm er eine Reihe von Komplimenten entgegen. Immer wieder wurde ihm bescheinigt, daß ihm die Operation nicht mehr anzumerken war. Niemand merkte, daß ein fremder Wille diesen Mann beherrschte. Kleine bissige Bemerkungen, die hier und da fielen, erzeugten jenes Spannungsfeld, das für Finanzkonferenzen mit Horak Trepper charakteristisch war. Geplant war der Bau von mehreren Transmitter-Großlinien, mit deren Hilfe Plophos Verbindung zu anderen Sonnensystemen aufnehmen wollte. Dieses Projekt erforderte Investitionen von einem Ausmaß, das bisher von keinem anderen auf Plophos geplanten und durchgeführten Großunternehmen erreicht wurde. Aus diesem Grunde hatten sich Männer und Frauen zusammengefunden, die an den Schleusen der Finanzkanäle dieser Welt saßen. Horak Trepper leitete die Konferenz mit unübertroffener Geschicklichkeit. Er verstand es, Gegensätze abzubauen und Interessen miteinander zu verbinden. Jeder der
H. G. Francis Teilnehmer war gewillt, sich an dem großen Geschäft zu beteiligen, aber jeder hatte auch Einwände und Bedenken, jeder stellte besondere Bedingungen und forderte andere Sicherheiten. Trepper fügte das Finanzierungsgebilde Baustein für Baustein zusammen. Prof. Woul half ihm dabei. Schließlich aber kam der entscheidende Punkt zur Sprache – die Finanzierungslücke von nahezu 30 Prozent, die von Horak Trepper geschlossen werden sollte. Dieser Brocken war größer, als der aller anderen Konferenzteilnehmer. »Sie können sich denken, daß auch mir eine derartige Summe nicht zur Verfügung steht. Durch die Veräußerung einiger für uns nicht mehr so wichtiger Konzernteile und Wertpapierdepots ist die Liquidität außerordentlich hoch, aber natürlich reichen die Mittel nicht aus, die Lücke zu schließen. Ich habe jedoch die feste Zusage einiger Freunde und auch die einiger Finanzierungsinstitute. Wir können den Vertrag also aufsetzen und abzeichnen.« Prof. Woul legte ihm die Hand auf den Arm. Das Zeichen war deutlich. Es sollte Trepper sagen, daß sie noch nicht soweit waren, ein Vertragswerk zu unterzeichnen, das Trepper zu so hohen finanziellen Leistungen verpflichtete. Die anderen Konferenzteilnehmer blickten Trepper fragend an. »Setzen Sie den Vertrag auf«, befahl er dem Protokollführer und erhob sich. »Meine Damen und Herren. Wir haben etwa eine Stunde Zeit, bis es soweit ist. Darf ich Sie zu einem kleinen Imbiß bitten?« Die Konferenz löste sich auf. Woul packte den Arm Treppers. »Das kannst du doch nicht machen«, sagte er erregt. »Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Du brauchst die Zusage von Peter Terra. Wenn er nicht einsteigt, bist du verloren. Das weißt du genau. Und ich bezweifle, daß er zu diesen Bedingungen mitmachen wird. Du kennst ihn. Er hat besondere Vorstellungen von Finanzierungspools dieser Art.«
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Trepper kämpfte verzweifelt um sein eigenes Ich. Er wollte seinem Freund mitteilen, daß es ein fremder Wille war, der ihn zu dieser geradezu selbstmörderischen Entscheidung zwang. Er wußte selbst, daß er mit der Unterzeichnung des Vertrages sein Vermögen aufs Spiel setzte. »Ich habe die Zusage von Terra«, log er. »Es ist alles in Ordnung. Ich habe vorhin mit ihm gesprochen und vorab seine Zustimmung erhalten.« Er blickte den Professor an. Woul schlug die Augen nieder. »Wenn es so ist«, sagte er stockend. »Dann ist ja alles in Ordnung.« »Komm, wir wollen die anderen nicht allein lassen.« Professor Woul versuchte in der folgenden Stunde, sich für einige Minuten zurückzuziehen, um mit Peter Terra visiphonieren zu können, aber Trepper ließ es nicht zu. Er wich nicht von seiner Seite und ließ ihn keine Sekunde lang allein. Er fand ständig einen Grund, bei ihm zu bleiben. »Ich habe das Gefühl, daß du mir mißtraust«, sagte Trepper schließlich lachend zu ihm, als der fertig abgefaßte Vertrag hereingebracht wurde. Woul blieb ernst. »Dazu gibt es keinen Grund«, entgegnete er, »denn immerhin geht es ja um dein Vermögen.« »Du mußt zugeben, daß ich bisher immer recht hatte, wenn ich auf meiner Entscheidung beharrte.« »Das ist richtig.« Das Vertragswerk wurde von Professor Woul verlesen und von den Konferenzteilnehmern unterzeichnet. Als Horak Trepper den elektronischen Schreiber in die Hand nahm, zitterte diese so stark, daß er zweimal zur Unterschrift ansetzen mußte. Er wußte, was er mit dieser Unterschrift angerichtet hatte, aber das konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen.
*
Professor Woul konnte vor Erregung kaum sprechen. »Du bist mir eine Erklärung schuldig«, sagte er. Horak Trepper lehnte an einem der großen Fenster, von denen aus er den südlichen Teil der Stadt überblicken konnte. Das Bankhochhaus überragte alle anderen Gebäude in dieser Gegend. »Komm, wir gehen hinaus«, schlug Trepper vor. Er schob seine Hand unter den Arm des Freundes und führte Woul auf die Dachterrasse des Penthouses hinaus. Ein sternenklarer Himmel spannte sich über New Taylor. Ein kugelförmiges Raumschiff, das vom Raumhafen aufstieg, war deutlich zu erkennen. »Du hast dich ruiniert«, sagte der Wissenschaftler zornig. »Du hast alles zerstört, was wir in langen Jahren aufgebaut haben. Ich verstehe einfach nicht, was du dir dabei …« Entsetzt weitete er die Augen, als sich Trepper auf ihn stürzte. Er hob die Arme, um die Faustschläge abzuwehren, konnte aber nicht verhindern, daß der Freund ihn am Kopf traf. »Hör auf, Horak. Bist du wahnsinnig?« rief er keuchend. Doch Trepper ließ nicht nach. Ungelenk schlug er auf den Professor ein. Er war untrainiert und hatte nie geboxt in seinem Leben. Seine Versuche, Woul niederzuschlagen, scheiterten daher kläglich. Dennoch ließ er nicht nach. Sein Assistent begriff nicht, was mit ihm los war. »Du hast den Verstand verloren«, sagte er und schlug zurück. Aber er war ebenso ungeschickt wie der Finanzfachmann. Die Angriffswut Treppers steigerte sich. Mit wilden Faustschlägen trieb er Woul quer über die Dachterrasse. Dabei störte es ihn nicht, daß sie kostbare Blumenbeete zertrampelten, Lampen zerstörten und Figuren aus seltenen Gesteinen zerschmetterten. Schließlich standen sie keuchend am Rand der Terrasse. Beide konnte kaum noch die Arme heben. Ihr Atem flog. Sie waren
28 erschöpft, doch es gab einen Unterschied zwischen ihnen, der Trepper grenzenlos überlegen machte. Am liebsten hätte er sich zu Boden fallen lassen. Er wollte nicht auf Woul einschlagen, aber das Fremde in ihm zwang ihn dazu. Und so hob er erneut die Arme und schlug abermals zu. Der Professor hatte nicht mehr die Kraft sich zu wehren. So traf Trepper ihn endlich am Kinn. Woul sackte ächzend in sich zusammen. »Hast du jetzt endlich genug, Horak?« fragte er, mühsam nach Luft ringend. Trepper antwortete nicht. Er drehte Woul um und zog ihn hoch. Sein Assistent wehrte sich nicht. Er glaubte, Trepper habe sich ausgetobt. Doch dann ging ein Ruck durch den Körper des Finanzgenies. Er riß den Professor mit unerwarteter Kraft hoch und schleuderte ihn über die Brüstung. Woul schrie gellend auf. Wild um sich schlagend, versuchte er sich zu retten, aber es war zu spät. Er stürzte über die Dachkante in die Tiefe. Trepper brach erschöpft zusammen. Er blieb mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf der Terrasse liegen. Der Kampf hatte ihn derartig erschöpft, daß er sich kaum noch bewegen konnte. Er geriet in einen Dämmerzustand, in dem er alles um sich herum vergaß. Erst als es zu regnen begann, kam er wieder zu sich. Die Wassertropfen schlugen ihm ins Gesicht und durchnäßten seine Kleidung. Er blickte auf sein Chronometer. Über zwei Stunden hatte er so auf dem Dach gelegen. Hatte noch niemand den Professor gefunden? Warum kam die Polizei noch nicht, um nach ihm zu suchen? Er erhob sich. Sein ganzer Körper schmerzte. Er konnte kaum gehen. So schleppte er sich mühsam zur Brüstung am Dachrand und starrte nach unten. Aber in dem Regen und in der Dunkelheit konnte er nichts erkennen. Er kehrte in sein Penthouse zurück, kleidete sich aus und trocknete sich ab. Dann zog er sich einen warmen Anzug an. Er fühlte sich müde und zerschlagen. Am liebsten
H. G. Francis hätte er sich ins Bett gelegt, um zu schlafen, aber das Fremde in ihm ließ es nicht zu. Er trank einen Schluck Whisky, als der Türgong ertönte. Von der Bar aus schaltete er die Korridorkamera ein. Vor dem Eingang zu dem Antigravschacht, der zu seinem Penthouse hinaufführte, standen mehrere Männer. Trepper zweifelte keinen Augenblick daran, daß es sich um Polizisten handelte. Er blieb ruhig, als sei nichts geschehen, als er zu einem Schrank im Nebenzimmer ging. Während der Gong erneut anschlug, streifte er sich eine Sportkombination und einen Deflektorgenerator über, den er sich für Jagdzwecke zugelegt hatte. Er schaltete das Gerät ein und wurde unsichtbar. Erst jetzt ging er zur Tür und gab den Zugang zum Liftschacht frei. An den Kontrollichtern konnte er verfolgen, daß die Polizisten zu ihm heraufkamen. Er wartete ab, bis die Beamten hereinkamen, dann schob er sich vorsichtig an ihnen vorbei und glitt durch die sich schließenden Türschotte. Er wußte, daß die Polizisten sofort merken würden, was geschehen war, wenn er sich im Lift abwärts bewegte, aber das war nicht zu vermeiden. So flammten die Kontrolleuchten wiederum auf. Als sich die untere Lifttür öffnete, sah Trepper, daß die Polizisten sich hatten übertölpeln lassen. Sie hatten keine Wache unten zurückgelassen. Er lief zum Hauptliftschacht und sprang hinein. Langsam schwebte er nach unten. Er wußte, daß jede Sekunde kostbar war. Je mehr Zeit er benötigte, um nach unten zu kommen, desto geringer waren seine Chancen, denn er mußte damit rechnen, daß die Ordnungshüter das Haus bereits umstellt hatten. Er verließ den Schacht daher bereits nach einigen Stockwerken und rannte auf ein Zwischendach hinaus, das sich wie eine Zunge aus glasfiberverstärktem Beton aus dem Gebäude herausstreckte. Wie erwartet, parkten hier einige schnelle Fluggleiter. Er kletterte in eine Maschine und startete. Dabei blickte er nach unten. Etwa einhundert
Das Amok-Team Meter unter ihm zog sich eine Kette aus Polizeiflugmaschinen um das Gebäude. Trepper rechnete damit, daß sie schon jetzt Spürgeräte einsetzten, mit denen sie ihn orten konnten. Als er zweihundert Meter weit geflogen war, lösten sich drei Polizeischweber aus der Kette und stiegen auf. Trepper beschleunigte, flog um ein Hochhaus herum, landete auf einer Parkzunge und programmierte den Gleiter neu ein. Dann sprang er hinaus. Die Maschine flog allein weiter. Er rannte in das Haus und preßte sich hinter den Glastüren in eine Nische, zugleich wurde er wieder sichtbar. Von seinem Versteck aus beobachtete er, wie die Polizeischweber um das Haus herumflogen und sich der Plattform näherten. Siedend heiß fiel ihm ein, daß sie ihn mit Infrarotspürgeräten suchen könnten. Er flüchtete den Gang entlang bis in einen Winkel, in dem er sich vor den Suchgeräten sicher glaubte. Er wartete ab. Als mehrere Minuten verstrichen waren, stieg er in den Liftschacht und ließ sich darin nach unten sinken. Ungesehen erreichte er das Erdgeschoß. Dann stand er vor den geschlossenen Ausgangstüren. Er zögerte nur kurz, bevor er nach einem Löschgerät griff und damit die Türlamellen aufschlug. Der Alarm, der sofort ausgelöst wurde, störte ihn nicht. Im Schutz seines Deflektorfeldes rannte er durch die Parklandschaft bis zu einem Taxigleiter, mit dem er seine Flucht fortsetzte. Er wußte, daß die Polizei seine Spur mühelos verfolgen konnte, aber das störte ihn nicht. Ihm kam es nur auf den Vorsprung an. Er hoffte, so schnell zu sein, daß er sein Ziel erreicht hatte, bevor seine Jäger das Taxi blockieren würden. Tatsächlich erreichte er den Industriebereich von New Taylor. Er landete und schickte das Taxi weiter. Auch diese Maßnahme würde ihm nicht viel helfen, aber die Polizei doch ein wenig aufhalten. Die Situation änderte sich schlagartig, als er auf die Rollstraße stieg, die unmittelbar darauf in eine Tunnelstraße einmündete.
29 Hier herrschte trotz der frühen Tagesstunde ein lebhafter Verkehr. Die Arbeiter und Angestellten der Frühschicht strebten ihren Arbeitsplätzen zu. Trepper brauchte jetzt nur noch darauf zu achten, daß er mit niemandem zusammenstieß. Unsichtbar konnte er sich unter die Menschen mischen und es der Polizei unmöglich machen, ihm auch weiterhin zu folgen. Er verließ das Band nach kurzer Fahrt wieder und näherte sich einem Industriegelände, das er sehr gut kannte. Er war mehr als einmal hier gewesen, um wichtige Besprechungen zu führen. Er wußte, wo die wichtigsten Maschinen standen, und wo mit wenigen Griffen schwerste Schäden angerichtet werden konnten. Er brauchte nur die positronisch gesteuerten Schnellaufladeschaltungen der energetischen Speicherbänke zu entsichern und mit falschen Programmwerten zu versehen. Wenn es ihm gelang, den Energiefluß der Fusionskraftwerke ausschließlich auf eine oder zwei der sieben Speicherbänke zu leiten, dann mußte es sehr bald zu einer Überladung und einer Spontanreaktion kommen. Der gesamte Industriekomplex würde in die Luft gehen, wenn er Zeit genug hatte, die fünf Hauptsicherungsschaltungen lahmzulegen.
* Zu diesem Zeitpunkt saß Jackmo Pappron noch immer in seinem Zimmer und bemühte sich, eine Nachricht abzufassen, die eine entscheidende Wende herbeiführen konnte. Aber er fand keinen Weg. Wenn er die Wahrheit in die Mikrophone des Recorders sprechen wollte, dann versagte seine Stimme. Es gelang ihm nicht, auch nur seine Lippen so zu bewegen, daß etwa ein Taubstummer von ihnen hätte ablesen können, was er mitzuteilen hatte. Als er einen Stift in die Hand nahm, um aufzuschreiben, was mit seinem neuen Herzen geschah, überfiel ihn eine Art Lähmung. Seine Hand gehorchte seinem Willen nicht mehr. Sie lag taub und gefühllos auf dem
30 Tisch und bewegte sich nicht, so sehr er sich auch anstrengte. Dagegen drängte alles in ihm nach Zerstörung. Das Fremde wollte ihn zwingen, irgend etwas zu vernichten und zu zerschlagen. »Es gibt nur eine Möglichkeit«, sagte er. »Nur das kann mich retten.« Er erhob sich und verließ sein Zimmer. In der Klinik war es ruhig. Pappron hörte nur die Nachtwache, die irgendwo unter ihm über die Flure schritt. Er empfand es als besonders angenehm, daß in diesem Haus noch nicht alles robotisiert war. So hatte er sich bis jetzt niemals ganz allein gefühlt. Das aber hatte sich geändert. Er wußte, daß er wirklich allein war. Er wäre es auch inmitten einer Menschenmenge von Tausenden von Menschen gewesen. Der OP-Raum war verschlossen, aber das überraschte ihn nicht. Als ehemaliger SolAb-Agent hatte er keine Schwierigkeiten, die Türen zu öffnen. Das Licht schaltete sich automatisch ein, als er den OP-Raum betrat. Unter einem großen Spiegel stand der Instrumententisch mit der sterilen Kammer. Pappron klappte den transparenten Deckel hoch und griff nach einem Skalpell. Es gab nur diesen einen Weg für ihn. Wenn er verhindern wollte, daß er zu einem Zerstörungsinstrument für einen fremden Willen wurde, dann mußte er sich so schwer verletzen, daß er einige Tage brauchte, sich wieder zu erholen. Vielleicht waren die Untersuchungsbehörden dem unheimlichen Geschehen schon soweit auf die Spur gekommen, daß er eine echte Chance bekam. Jackmo Pappron setzte das Skalpell an sein Handgelenk. Er drückte mit aller Kraft zu und zog die Klinge quer über den Arm. Eigentlich hätte das Blut jetzt hervorschießen müssen. Eigentlich hätte er eine klaffende Wunde haben müssen, aber seine Haut zeigte nur eine winzige, schwach blutende Kerbe. Pappron stöhnte, als er begriff, wie sehr er sich getäuscht hatte. Ihm war es nicht gelun-
H. G. Francis gen, das Skalpell fest genug gegen das Handgelenk zu drücken, weil ihn das Fremde zurückhielt. Er holte aus, um das Messer mit der Spitze zuerst in den Arm zu stoßen. Seine Hand öffnete sich, und das Skalpell fiel klirrend zu Boden. Pappron versuchte gar nicht erst, es wieder aufzuheben. Er wußte, daß auch dieser Weg versperrt war. Ob es ihm gefiel oder nicht, er mußte sich beugen. Er hatte sein eigenes Ich verloren. Das Fremde herrschte über ihn. Jackmo Pappron verließ den OP-Raum. Er schwebte im Liftschacht nach unten. Die Nachtschwester war nicht im Dienstzimmer. Die Tür eines Krankenappartments stand offen. Das zeigte Pappron an, wo sie sich aufhielt. Er erreichte die Ausgangstür und ging in die Dunkelheit hinaus.
* Für Trogfynn Kranmurt verlief der erste Schultag nach seiner Operation ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte. Niemand interessierte sich wirklich für ihn und seine teilweise erneuerten Augen, weder seine Intelligenzparallelen, noch die Psychologen oder die Pädagogiktechniker. Zwar hörte man ihm höflich zu, doch er spürte die Ungeduld seiner Gesprächspartner. Sobald er ihnen eine Gelegenheit dazu bot, sprangen sie auf die Themen über, die sie selbst viel mehr interessierten – etwa auf die Frage, ob es wirklich vertretbar und sinnvoll war, menschliche Verhaltensweisen in mathematische Formeln pressen zu wollen, oder die Frage, ob der Obmann Mory RhodanAbro sich nicht schon abgenutzt habe und durch eine frische Kraft – wie etwa den überaus ehrgeizigen Jalzaar Awrusch – ersetzt werden solle. Er konnte auch kein Problem darin sehen, daß der Hypnoseunterricht auch auf Diskussionsfächer wie Soziologie erweitert werden sollte. Deshalb hatte er auch keine Lust, darüber zu diskutieren. Er wollte es
Das Amok-Team noch nicht wahrhaben, daß er in den vergangenen Wochen den Kontakt zu seinen Mitschülern verloren hatte und sich jetzt erst wieder bemühen mußte, ihn wiederzufinden. Er holte sich die Genehmigung, der audiovisionell gesteuerten Diskussionsrunde über geschichtliche Fragen fernbleiben zu dürfen und schloß sich dafür der Chemiegruppe an. Dieses Fach hatte ihm schon immer viel Spaß gemacht, und sein Wissen auf diesem Gebiet übertraf das seiner Intelligenzparallelen bei weitem. Trogfynns Begeisterung über seinen Entschluß steigerte sich noch beträchtlich, als der leitende Pädagoge das Laboratorium für Experimente freigab. Der Junge setzte sich auf einen freien Platz und wartete darauf, daß der Computer ihm einige Themen zur Auswahl stellen würde. Chriso Ayan kümmerte sich kaum um diesen Schüler. Er wußte aus Erfahrung, daß er ihm einen viel größeren Gefallen tat, wenn er ihn allein ließ. Die Computerberichte waren erstaunlich für einen Jungen in diesem Alter. Ayan warf nur einen kurzen Blick auf Trogfynn und wünschte ihm gute Besserung. Dann beschäftigte er sich mit einem fünfzehnjährigen Schüler, dessen Wissen noch nicht halb so groß war wie das Trogfynns. Trogfynn Kranmurt bemerkte, daß der Pädagoge ihn allein ließ. In diesem Moment griff er in die Computersteuerung ein und tippte blitzschnell das von ihm gewünschte Programm in die Tastatur. Das mit seinen Daten gefütterte Gerät registrierte den Wunsch ohne Protest oder Meldung an Ayan. Erst eine halbe Stunde später erschien der Lehrer neben Trogfynn. »Na, Trog?« fragte er und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wie sieht's denn aus mit dir? Ich hoffe, dein Lerneifer hat nicht nachgelassen?« »Ganz bestimmt nicht, Mr. Ayan. Im Gegenteil. Mir macht alles noch viel mehr Spaß als früher, weil ich doch jetzt wieder gut se-
31 hen kann und auch keine Kopfschmerzen mehr habe.« »Womit hast du dich denn beschäftigt?« Trogfynn zögerte. Überrascht blickte Ayan ihn an. »Du hast doch kein Geheimnis vor mir?« »Ich wollte wissen, wie plastischer Sprengstoff gemacht wird, Mr. Ayan.« Der Lehrer lachte. »Du hast hoffentlich nicht vor, die Penne in die Luft zu sprengen«, sagte er. »Das wäre das Ende unserer Freundschaft.« Trogfynn schüttelte den Kopf. »Ich wollte es nur wissen. Stellen Sie sich vor, ich habe in der Baumgart-Klinik Mr. Horak Trepper kennengelernt. Er hat mir von den Sprengstoff-Fabriken erzählt, an denen er beteiligt ist, und deshalb wollte ich …« »Ich habe schon von deinen Begegnungen mit Mr. Trepper gehört. Er scheint nicht ganz so davon begeistert zu sein wie du, Trog.« Chriso Ayan ging weiter. Er war mit seinen Gedanken schon wieder bei einem ganz anderen Problem. Trogfynn atmete auf. Jetzt störte es ihn nicht mehr, daß man sich so wenig für seine Erlebnisse interessierte, denn er wollte allein sein. Er war verblüfft darüber, wie leicht es war, so etwas Gefährliches wie Sprengstoff herzustellen, wenn man die entsprechenden Grundmaterialien und die notwendigen Informationen besaß. Er verabschiedete sich, als er keine Lust mehr hatte, und flog mit dem Schülergleiterservice nach Hause. Erleichtert stellte er fest, daß seine Mutter nicht da war. So konnte er in sein kleines Labor gehen, ohne sich noch lange aufhalten zu müssen. Einen Teil der benötigten Chemikalien hatte er. Den Rest bestellte er über seinen Kleincomputer. Später würde man ohne große Schwierigkeiten rekonstruieren können, was er getan hatte. Er dachte flüchtig daran, befaßte sich jedoch nicht lange mit dieser Tatsache, weil ihn nicht interessierte, was später war. Er gehorchte blind dem
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Zwang, der von dem Fremden in seinen Augen ausging. Nur das Jetzt war wichtig, alles, was in der Zukunft lag, blieb ihm verborgen. Es befand sich hinter einer schwarzen Wand und wurde ihm erst sichtbar, wenn es zum Jetzt geworden war. Trogfynn experimentierte in seinem Labor und ließ sich durch nichts stören. Gegen Abend kam seine Mutter. Sie schaute kurz zu ihm herein und fragte: »Was machst du, Liebling?« Über die Schulter hinweg antwortete er: »Ich beende ein Experiment, das wir in der Schule angefangen haben. Es geht darum, einen Kunststoff zu finden, der auch unter Weltraum-Bedingungen noch stabil bleibt.« »Hast du vor, in den Weltraum zu fliegen?« »Natürlich nicht, Ma.« Er wußte, daß sie scherzte, aber er lächelte noch nicht einmal darüber. Er arbeitete konzentriert weiter und ließ sich auch nicht stören, als sie ihm nach einigen Minuten das Abendessen brachte. Er ging gegen neun Uhr ins Bett während sie noch mit einer Freundin vor dem Trivideowürfel saß und sich eine Komödie anschaute. Gegen elf Uhr sah sie noch kurz zu ihm ins Schlafzimmer. Trogfynn tat, als ob er schliefe, und sie glaubte es. Er wartete ab, bis er davon überzeugt war, daß sie eingeschlafen war. Dann erhob er sich lautlos, kleidete sich an und schlich sich ins Labor zurück. Dort arbeitete er noch eine knappe Stunde, bis endlich zwei kugelförmige Behälter vor ihm standen. Er trug sie vorsichtig hinaus auf das Parkdach und legte sie in den Gleiter seiner Mutter. Noch einmal kehrte er ins Haus zurück. Er holte sich das Essen und verzehrte es. Dann lief er zum Gleiter und startete mit den beiden Bomben an Bord.
6. Horak Trepper überwand alle Kontrollen und Hindernisse ohne große Schwierigkeiten. Er war annähernd darüber informiert,
welche Fallen gegen unliebsame Besucher eingebaut waren. So konnte er sie umgehen, ohne Alarm auszulösen. In der Haupthalle wurde rund um die Uhr gearbeitet. Er hatte es nicht anders erwartet und fühlte sich durch die Anwesenheit der Techniker nicht irritiert, zumal er sehr schnell merkte, daß sie müde und unaufmerksam waren. Ihre Schicht neigte sich dem Ende zu, und sie dachten an keine Gefahr. Zudem wurden die schwierigsten Kontrollen durch die positronischen Anlagen durchgeführt. Sie hatten nur das Unwägbare zu überwachen und hin und wieder Entscheidungen zu treffen, die man den Maschinen nicht überlassen wollte. In der riesigen, staubfreien Halle arbeiteten vier Männer. Sie saßen auf Antigravgleitern, mit denen sie sich vor den Instrumentenwänden hin und her bewegten. Zunächst wartete Horak Trepper, ob einer von ihnen die volltransparente Tür öffnen würde, die für ihn die letzte Schranke bildete. Als das jedoch nicht geschah, ließ er die Lamellen zurückgleiten und eilte durch den Eingang. Die Männer blickten zu ihm hinüber. »He, wer hat die Tür geöffnet?« fragte einer von ihnen. Neugierig näherten sie sich und untersuchten den Mechanismus. Trepper eilte lautlos durch die Halle. Er wollte sich so weit wie möglich von den Technikern entfernen, um nicht durch Geräusche oder unbedachte Bewegungen aufzufallen. »Die Elektronik spielt verrückt«, sagte einer der Techniker. »Das ist unmöglich«, antwortete ein anderer. »Das Ding geht nicht auf, wenn nicht jemand den Impuls dazu gibt.« »Regt euch nicht auf. Vielleicht wollte uns jemand einen Streich spielen. Kommt – an die Arbeit.« »Vielleicht ist jemand mit einem Deflektor hereingekommen?« Die anderen lachten über diese Bemerkung. Zwei Minuten später verging ihnen das
Das Amok-Team Lachen, als Horak Trepper damit begann, die Impulsfelder auf den Leuchtplatten der Steuergeräte zu berühren. Schlagartig änderten sich die Energieanzeigen. Das gesamte Programm geriet durcheinander. Eine Sirene heulte eine unüberhörbare Warnung. Die Männer fluchten. Fieberhaft versuchten sie, den Fehler zu finden. Sie jagten auf ihren Antigravgleitern vor den Instrumententafeln hin und her, kamen jedoch immer zu spät. Horak Trepper steigerte sich in einen Rausch hinein. Das Fremde in ihm triumphierte, als eine Hauptsirene mit unüberhörbarem Lärm einsetzte. »Das Ding fliegt in die Luft«, brüllte einer der Männer. »Das ist unmöglich. Wir müssen alles abschalten.« Trepper gestand sich ein, daß er sich zu viel vorgenommen hatte. Seine anfängliche Überzeugung, daß er mühelos eine Katastrophe herbeiführen konnte, erwies sich als verfrüht. Er kannte sich zwar annähernd aus, aber das genügte nicht. Er konnte ein heilloses Durcheinander durch Fehlschaltungen verursachen, aber den Kern der umfangreichen positronischen Sicherungen konnte er nicht zerstören. Es gelang ihm nicht, wie geplant, die Fusionskraftwerke so zu steuern, daß eine der Speicherbänke mit Hilfe der Schnellauflader zur Explosion gebracht wurde. Plötzlich stieß er mit einem der Techniker zusammen. Der Mann starrte entsetzt auf ihn, ohne ihn sehen zu können. Trepper wich zurück – und prallte mit einem zweiten Mann zusammen. »Da ist ein Unsichtbarer. Schnell – den Detektor!« Der Alarmruf gellte durch die Halle. Trepper sah keinen Ausweg mehr. Er wußte, daß man ihn finden würde, wenn er noch länger blieb. Deshalb rannte er auf einen der Ausgänge zu. Dabei lief er an der mit Instrumenten und Schaltungen übersäten Wand entlang. Seine gespreizten Finger
33 schleiften über die Impulsschalter. Diese flüchtige Bewegung genügte, sie zu aktivieren. Als er schon fürchtete, praktisch nichts erreicht zu haben, entstand in einem der positronischen Sektoren durch eine Serie von Kurzschlüssen ein Kabelbrand. Trepper lachte triumphierend auf. Jetzt strich er während seiner Flucht mit beiden Händen über die Tasten. Das Chaos brach aus. Die leuchtenden Bodenplatten erloschen. Überall krachten die automatischen Sicherungen durch. Ein Blitz schlug aus einem der Steuergeräte und erhellte die Halle. Trepper sah, daß die Techniker wie in Panik durcheinander rannten. Keiner von ihnen dachte jetzt noch an den Detektor. Sie schrien sich gegenseitig zu, was sie zu tun hatten, bis endlich einer von ihnen den Hauptschalter umlegte. Sofort kehrte Stille ein, die nur von dem Knistern der Flammen und den Schritten Treppers unterbrochen wurde. »Er rennt zum Ausgang M«, rief einer der Techniker. Der Amokläufer hörte, daß sie ihn verfolgten. Er lief weiter. Die Transparentschotte glitten vor ihm auf. Sekunden später stürzte er ins Freie. Er eilte durch das Gras der parkähnlichen Landschaft, in die die Fabrikanlagen eingebettet waren. Als er sich umdrehte und zurückblickte, merkte er, welchen Fehler er gemacht hatte. Er war zwar unsichtbar, aber seine Fußspuren zeichneten sich deutlich im Gras ab. Erschreckt stürmte er bis zu einem mit einem hellen Material ausgegossenen Weg. Die ersten Abdrücke seiner noch feuchten Füße waren zu sehen aber dann verlor sich seine Spur. Die Techniker kamen viel zu spät. Sie liefen ins Leere. Aus sicherer Entfernung beobachtete Trepper, wie der Werksschutz mit Robotern, Ärzte und Polizei eintrafen. Eines der weiter entfernten Gebäude brannte. Offensichtlich hatten seine Irrsinnsschaltungen doch erheblichen Schaden angerichtet.
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Das Fremde in ihm war jedoch noch nicht zufrieden. Trepper erinnerte sich daran, daß von diesem Fabrikgelände aus ein Tunnel zu einem Betrieb führte, der nur einige Kilometer weit entfernt war. Dort wurde Sprengstoff hergestellt. Der unterirdische Gang durfte nur von Direktionsangehörigen benutzt werden, und die Rollstraße sprach nur auf einen Code an. Dieser war ihm jedoch bekannt. So konnte er die Eingangstür zu dem Tunnel mühelos öffnen und das Band in Betrieb nehmen. Mit hoher Geschwindigkeit bewegte er sich auf die Fabrik zu. Er war jetzt davon überzeugt, daß er dort leichteres Spiel haben werde.
* Trogfynn zog es nach New Taylor. Während des Fluges von Ervmert dorthin überlegte er sich, wie er in den Raumhafen der Hauptstadt hineinkommen könnte. Er kannte sich dort nicht aus. Er war erst einmal in seinem Leben dort gewesen. Als er New Taylor erreichte, hatte er diese Frage schon wieder vergessen. Er sagte sich, daß er es irgendwie schon schaffen werde. Wichtiger war jetzt, nicht von Polizeistreifen kontrolliert und aufgegriffen zu werden. Ungehindert überflog er New Taylor. Die Sonne ging bereits auf. Die Stadt erwachte. Überall starteten Fluggleiter. In den Straßenschluchten arbeiteten Dienstroboter daran, die Gebäude und die Parklandschaften zu säubern. Den Raumhafen zu finden, war kein Problem. Ein gigantisches Raumschiff wies ihm den Weg. Staunend betrachtete Trogfynn es. Er schätzte, daß es über eintausend Meter hoch war. Das Raumhafengelände war riesig. Trogfynn wurde unsicher, als er sich ihm weiter näherte. Wohin sollte er sich wenden? Und wie sollte er an die Raumschiffe herankommen? Es war doch bestimmt nicht erlaubt, einfach zu ihnen hinüberzufliegen. Als er ein Hochhaus umflog, entdeckte er
den walzenförmigen Raumer der Springer. Alle Unruhe legte sich. Er hatte sein Ziel erkannt. Jetzt wußte er, was er zu tun hatte. Er landete auf dem großen Parkplatz vor dem Raumhafengebäude, nahm beide Bomben vom Sitz und stopfte sie sich unter die Bluse. Sie beulten sie kräftig aus, so daß er fürchtete aufzufallen. Er legte eine Bombe zurück, weil er glaubte, eine besser verbergen zu können. Dann überquerte er den Platz und betrat das Hauptgebäude mit der großen Abfertigungshalle, in der zahlreiche Passagiere darauf warteten, zu ihren Schiffen gebracht zu werden. Eine Gruppe von exotisch aussehenden Männern und Frauen kamen aus dem Zollsektor heraus. Einige Aras verhandelten mit einem uniformierten Raumfahrer. Sie waren erregt. Trogfynn beobachtete sie. Als sie sich dem Ausgang zum Landefeld hin zuwandten, schloß er sich ihnen an. Er hörte, daß die Aras bei dem Raumfahrer wegen eines verzögerten Starttermins protestierten. Immer dichter schloß er zu ihnen auf, bis er davon überzeugt war, jedermann müsse annehmen, daß er zu ihnen gehörte. Doch dann kamen sie an eine Sperre mit Polizeibeamten. Die Aras mußten umfangreiche Papiere vorweisen. Trogfynn zog sich zurück. Er schlenderte an den größtenteils unbesetzten Schaltern der großen Raumfahrtlinien entlang und hoffte, daß keiner der Beamten etwas merkte. Er wagte es nicht, zu ihnen hinüberzusehen, und blieb erst an einem Pressestand stehen. Er setzte sich auf eine freie Bank und blickte sich um. Er war bis jetzt nicht aufgefallen. Sollte er hier bleiben und warten, bis die Springer kamen? Die Sperren konnte er nicht überwinden. Das erschien völlig unmöglich, da er keinerlei Papiere besaß. Einige Minuten lang spielte er mit dem Gedanken, zum Gleiter zurückzukehren, um mit diesem einfach auf das Landefeld zu fliegen. Dann aber sagte er sich, daß es Sicherheitsvorkehrungen geben mußte, die ihn abfangen würden. Er schwebte in einem Liftschacht zwei
Das Amok-Team Etagen höher zu dem Aussichtsdach, das eine Stufe vor dem hoch aufragenden Hauptgebäude bildete. Ein frischer Wind wehte ihm ins Gesicht. Er brachte den Geruch von Öl, Maschinen und fernen Welten mit. Trogfynn spürte die Sehnsucht nach Abenteuer und exotischen Planeten in sich. Warum versuchte er nicht, als blinder Passagier an Bord eines der Schiffe zu kommen? Er fühlte sich plötzlich frei, als ob das Fremde in ihm sich zurückgezogen habe. Doch dann war es wieder da. Das war genau in dem Moment, als sich bei dem Walzenraumer der Springer eine Schleuse öffnete und ein Gleiter hervorkam. Trogfynn sah vier bärtige Springer in der Maschine. Sie flogen auf das Hauptgebäude zu und passierten den Kontrolldurchgang wenige Schritte neben ihm. Alles ging viel zu schnell. Bevor er begriffen hatte, daß dies eine ganz große Chance für ihn war, die Bombe zu werfen, waren sie schon vorbei. Er rannte zum Lift, ließ sich nach unten sinken und eilte dann durch die Haupthalle. Mehrmals stieß er mit Fluggästen zusammen und kam dadurch nicht so schnell voran, wie er gerne wollte. Immerhin erreichte er den Parkplatz so rechtzeitig, daß er den Gleiter der Springer noch sehen konnte. Er stürmte zu seinem Schweber, startete ihn und flog hinter den Händlern her. Die positronischen Kontrollen zwangen ihn auf die vorgesehene Sicherheitslinie und bestimmten auch seine Geschwindigkeit. So sehr er sich auch bemühte, näher an die Springer heranzukommen, es gelang ihm nicht. Aber er konnte sie immerhin verfolgen. Er begriff, daß sich erst dann eine Angriffsmöglichkeit für ihn ergab, wenn sie landeten. Vorher kam er nicht nahe genug an sie heran. Ein Erwachsener hätte es sicherlich geschafft, aber er kannte sich noch nicht genügend aus, um alle Möglichkeiten der positronischen Gleiterflugkontrolle ausschöpfen zu können. Er blickte auf das Chronometer. Es war bereits acht Uhr. Seine Mutter würde um diese Zeit in sein Zimmer sehen und feststel-
35 len, daß er nicht da war. Sie würde ihn suchen und spätestens in einer halben Stunde die Behörden verständigen. Er kannte sie. Sie war ängstlich. Schon einmal hatte sie nach ihm suchen lassen, obwohl es damals gar nicht nötig gewesen wäre. Trogfynn wußte nicht, ob er froh darüber sein sollte, daß seine Mutter bald etwas tun würde. Er selbst wünschte sich, daß dieser Alptraum möglichst schnell beendet wurde. Das Fremde in seine Augen aber konnte keine Störung gebrauchen, und es herrschte souverän über ihn. Die Springer landeten im ersten Einkaufsring, in dem es nicht nur große Kaufhäuser, sondern auch die Büros wichtiger Handelsgesellschaften gab. Sie gingen mit ihrer Maschine auf ein Parkdach nieder, auf dem schon etwa einhundert andere Gleiter standen. Trogfynn steuerte seinen Schweber an die Springer heran. Er sah etwa zwanzig Männer, Frauen und Kinder, die zwischen den Gleitern hin und herliefen. Sie waren ebenso gefährdet wie die Springer. Er versuchte, sich dem Befehl des Fremden zu widersetzen. Die rotbärtigen Raumfahrer mochte er nicht. Er haßte sie, weil er sie dafür verantwortlich machte, daß er keinen Vater mehr hatte. Die Plophoser in der Nähe der Händler haßte er nicht. Mit ihnen fühlte er sich sogar in gewisser Weise verbunden, weil sie, wie er, von dieser Welt waren. Er riß das Seitenfenster auf. Der Gleiter senkte sich ab. »He, Springer«, schrie er. Die vier Männer drehten sich zu ihm um. Sie waren noch etwa zwanzig Meter von ihm entfernt. Trogfynn zündete die Bombe und schleuderte sie aus dem Gleiter. Sie fiel den Springern direkt vor die Füße. Er riß den Schweber herum und beschleunigte, als sein Wurfgeschoß explodierte. Die Maschine wurde von dem Luftdruck hochgeschleudert. Er hatte alle Mühe, sie wieder abzufangen. Die automatischen Stabilisationsvorrichtungen verhinderten das Schlimmste. Trogfynn hörte durch das offene Fenster die Schreie der Verletzten. Er blickte zurück
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und das Entsetzen lähmte ihn. Er sah nur Blut und Trümmer. Er wollte schreien, aber er konnte nicht, denn das Fremde in ihm beherrschte ihn. Es zwang ihn schließlich auch, den Gleiter stärker zu beschleunigen und weiter von der Stätte der Explosion wegzubringen. Trogfynn kämpfte gegen das Unheimliche an. Er preßte sich die Hände vor die Augen. Am liebsten hätte er sich selbst geblendet, um damit das verhaßte, fremde Ego zu entfernen, aber seine Finger gehorchten ihm nicht. Der Gleiter steuerte auf ein Industriegebiet zu, in dem ein Gebäude brannte.
* Horak Trepper blieb stehen, als er das Haupteingangsportal der Waffenfabrik erreichte. Vor ihm schoben sich die Gleiter mit den Arbeitern und den Angestellten im Schrittempo durch die Kontrollen. Am Eingang brannten die Lampen der automatischen Geräte, die jeden erfaßten, der das Gelände betreten wollte. Trepper wartete. Er konnte sich nicht einfach mit den Maschinen durch die Sperren schieben, denn er wäre erfaßt worden, obwohl er unsichtbar war. So harrte er geduldig aus, bis ein offener Schweber kam. In ihm saßen zwei Frauen, die sich angeregt unterhielten. Sie sprachen über ein Attentat, das ein Junge auf mehrere Springer verübt haben sollte. Trepper näherte sich ihnen, griff vorsichtig nach dem Rand der schalenförmigen Maschine und schwang sich lautlos hinüber. Der Gleiter schwankte ein wenig, aber nicht stark genug, um die beiden Angestellten aufmerksam zu machen. Die automatischen Stabilisatoren glichen die seitliche Belastung nahezu vollständig aus. Trepper legte sich auf den Rücksitz. Aus dem Trivideowürfel klangen die Nachrichten. In ihnen war bereits die Rede von den Zerstörungsversuchen eines Unsichtbaren in einem wichtigen Industriebetrieb.
Trepper hörte nicht mehr hin. Der Gleiter hatte die Kontrollsperre erreicht. Er preßte sich fest an die Polster, um nicht in den Bereich der Sensoren zu kommen. Er wußte nicht, ob das ausreichte. Unwillkürlich hielt er den Atem an. Die beiden Frauen plapperten weiter, ohne sich stören zu lassen. Sie ahnten noch nicht einmal, welche Fracht sie in das Betriebsgelände einschleusten. Sie passierten das Tor und flogen auf das Verwaltungsgebäude zu. Der Mann hinter ihnen wartete, bis sie die Maschine abgestellt hatten, dann sprang er hinaus und lief davon. Hier kannte er sich bestens aus. Er war häufig genug hier gewesen. So machte es ihm keine großen Schwierigkeiten, an den Sprengstoffbereich heranzukommen. Auch hier gab es scharfe Kontrollen, aber sie wurden durch drei Polizisten durchgeführt, die nicht mit Detektoren ausgerüstet waren. So konnte er sich an ihnen vorbeischieben. Er ging auf das Fabrikationsgebäude zu, überholte einige Arbeiter und blieb dann vor den Schränken mit den Schutzanzügen stehen. Hier ging es um Weltraumwaffen von höchster Schlagkraft. Ihre Fabrikation war außerordentlich schwierig. Wer sich ohne Schutzanzug in die Hallen begab, riskierte sein Leben. Die von den Sprengstoffen ausgehenden Gase wirkten tödlich. Trepper konnte also gar nicht anders. Er mußte einen der Schränke aufbrechen und sich einen Schutzanzug überstreifen. Beunruhigt blickte er sich um, bis er einen Spiegel entdeckte. Er eilte auf ihn zu und atmete auf, als er sah, daß er nach wie vor vollkommen unsichtbar war. Seine Befürchtung, Teile des Schutzanzuges könnten sichtbar werden, erwiesen sich als unberechtigt. »He – wer hat meinen Schrank geplündert?« schrie jemand hinter ihm. Er fuhr herum. Für einen kurzen Moment vergaß er, daß man ihn nicht sehen konnte. Vor ihm stand ein vierschrötiger Mann mit einem hochroten Gesicht. Trepper zog sich vorsichtig zurück, wobei er sich immer wieder nach allen Seiten um-
Das Amok-Team sah. Er wollte auf jeden Fall verhindern, daß er mit jemandem zusammenprallte. Die Arbeiter kamen zu ihrem bestohlenen Kollegen. Erregt diskutierten sie, ohne daran zu denken, daß sie sich in Gefahr befanden. Der Finanzfachmann betrat die erste große Produktionshalle, in der die Maschinen Teile für Desintegratorkanonen herstellten. Sie interessierten ihn nicht. Er beschleunigte seinen Gang, da er fürchtete, daß die Arbeiter früher oder später auf den richtigen Gedanken kommen würden. Durch einen mit transparentem Material verschalten Gang geriet er in den Sektor, den er als Ziel ansah. Alle Arbeiter trugen Schutzanzüge. Große Schriften an den Wänden warnten eindringlich davor, die Helme zu öffnen. Der rostrote Sprengstoff kam als armdicker Strang aus einer vollrobotisierten Nebenhalle, in der die Vorproduktion durchgeführt wurde. Er lief in einer Wanne schlangenförmig durch die Maschinen, wobei er teilweise umgeformt und durch Gase auch chemisch verändert wurde. In diesem Bereich war er für Trepper unerreichbar, da er durch Energiefelder abgeschirmt wurde. Zugänglich wurde er nur in einem kleinen Abschnitt, in dem er durch Desintegratormesser erschütterungsfrei in die gewünschten Portionen zerteilt wurde. An diesem Produktionssektor arbeiteten zwei Männer an positronischen Instrumenten, die fortwährend chemische Analysen durchführten. Die beiden Techniker überwachten die Computer und den Produktionsablauf in diesem Teil der Halle. Nur dort konnte Trepper zuschlagen, und nur dort würde sich der Sprengstoff voraussichtlich zünden lassen. In den anderen Sektoren würden die Energiefelder sofort verstärkt und die rostrote Schlange zusätzlich gesichert werden, so daß sich die Explosion nicht durch die gesamte Fabrik fortpflanzen konnte. Als der Finanzfachmann überlegte, wie er vorgehen sollte, schrillten die Alarmsirenen. Eine Lautsprecherstimme forderte die Arbei-
37 ter und Angestellten auf, die Produktionsstätten augenblicklich zu verlassen.
* Alvmut Terlahe, der Vorsitzende der Untersuchungskommission, empfing seinen Assistenten Enre Nolge unmutig und nervös. »Sie könnten ruhig ein wenig pünktlicher hier erscheinen«, sagte er verärgert. »Die Arbeit wächst uns über den Kopf.« Nolge verzichtete auf eine Antwort. Er kam gleich zur Sache. »Was ist passiert?« »Professor Woul ist ermordet worden. Der Täter dürfte Horak Trepper sein – ein Mann, der eine Organverpflanzung hinter sich hat. Er dürfte es auch sein, der versucht hat, die HAVALWerke in die Luft zu jagen.« »Haben Sie eine Fahndung nach ihm ausgelöst?« »Selbstverständlich, sofort. Trepper ist im Besitz eines Unsichtbarkeitsdeflektors, das heißt, er kann sich weitgehend ungehindert bewegen.« Terlahe sprang auf und ging an die große Wandtafel, auf die ein Teil von New Taylor projiziert wurde. Er deutete auf einen Industriekomplex. »Hier ist er zuletzt geortet worden. Gerade lief die Meldung bei uns ein – natürlich über Umwegen – daß in der Waffenschmiede HHH ein Schutzanzug gestohlen worden ist.« Er erklärte mit knappen Worten, wozu dieser Anzug notwendig war. »Daraus läßt sich eindeutig schließen, was Trepper plant.« »Der Mann muß den Verstand verloren haben. Wie ich in den Nachrichten hörte, hat er einen Finanzierungsvertrag abgeschlossen, den er nicht erfüllen kann. Die Kommentatoren vermuten, daß er daran zugrunde gehen wird.« »Mag sein«, unterbrach ihn Terlahe unwirsch. »Darum geht es jetzt nicht. Ich habe die Fahndung nach Trepper veranlaßt. Ich habe dafür gesorgt, daß im gesamten Indu-
38 strieabschnitt Alarm gegeben wird, und daß die Waffenschmiede HHH besonders scharf kontrolliert wird. Es sind bereits Spezialtrupps mit Detektoren unterwegs. Aber das alles ist nicht wesentlich. Sie haben jetzt die Aufgabe, mir sofort einen Termin bei Jalzaar Awrusch zu besorgen.« »Was wollen Sie bei ihm erreichen?« fragte Enre Nolge. »Ich bin davon überzeugt, daß wir es mit organisierten Verbrechen zu tun haben. Das Attentat auf die Springer wurde von einem Jungen verübt. Es könnte jener sein, der gestern aus der Baumgart-Klinik entlassen worden ist, und der heute von seiner Mutter in Ervmert gesucht wird. Wir haben entsprechende Meldungen vorliegen.« »Ich verstehe nicht, Sir. Was haben der Junge und Trepper miteinander zu tun?« »Nichts – abgesehen davon, daß sie eine Organtransplantation durchgemacht haben. Das verbindet sie auch mit der Gruppe von Amokläufern, die das Regierungsgebäude stürmen wollte. Es bleibt also nur eine Konsequenz.« »Welche?« »Die Organbanken müssen geschlossen werden. Das aber kann ich nicht allein entscheiden. Dafür benötige ich die Genehmigung von Jalzaar Awrusch.« »Sie wollen die Organbanken sperren? Sir, wissen Sie, was das bedeutet? Tausende von Patienten werden warten müssen. Viele von ihnen befinden sich in Lebensgefahr. Bei ihnen kommt es auf jede Stunde an. Darüber hinaus aber wird eine solche Entscheidung Wellen schlagen. Die Nachricht wird in das Solare Imperium hinausgehen. Einen schlechteren Dienst können wir uns kaum tun.« Alvmut Terlahe stützte seinen Kopf in die Hände. »Glauben Sie nicht, daß ich mir das nicht auch schon alles überlegt habe?« fragte er. »Awrusch wird nicht mitmachen«, gab Nolge zu bedenken. »Er ist ehrgeizig wie kein anderer. Man sagt, daß er Mory RhodanAbro ablösen und selbst Obmann werden
H. G. Francis möchte. Glauben Sie, daß er in der Abwesenheit Rhodan-Abros eine solche Entscheidung treffen wird? Damit würde er doch beweisen, daß er diesen Fall nur mit Mitteln lösen kann, die dem Ansehen unseres Staates schwer schaden müssen.« »Ich weiß das alles«, erwiderte Terlahe schroff. »Rufen Sie an, und besorgen Sie den Termin. Ich werde Awrusch schon irgendwie überzeugen.«
7. Horak Trepper rannte quer durch die Halle. Er durfte keine Zeit mehr verlieren. Immer mehr uniformierte Männer vom Betriebsschutz erschienen in seiner Nähe. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis einer von ihnen einen Detektor mitbrachte. Trepper hatte seine anfängliche Idee aufgegeben, das Sprengstoffband mit einem Schuß aus einem Energiestrahler zu zünden. Das war viel zu unsicher. Er hatte sich an etwas anderes erinnert. Unmittelbar vor dem Sprengstoffband blieb er stehen. Er blickte auf das rostrote Material hinab, das sich langsam an ihm vorbeiwälzte und durch eine bogenförmig angeordnete Maschine glitt, in der es mit einer hochenergetischen Strahlenart beschickt wurde. Trepper erinnerte sich nicht mehr daran, um was für eine Bestrahlung es sich hier handelte, er wußte nur noch, daß der Betriebsleiter der Waffenschmiede auf einer der letzten Führungen gesagt hatte, sie müsse sehr genau dosiert werden. Schon sehr geringe Abweichungen genügten, den Sprengstoff zur Explosion zu bringen. War das eine bewußte Irreführung gewesen, um ein wenig mehr Spannung in die Demonstration zu bringen? Trepper glaubte nicht daran. Er betrachtete die Instrumentenscheibe der Maschine, auf der zahlreiche Tasten angebracht worden waren. Einige schienen eine Funktion zu haben, andere stellten offensichtlich Reserven dar. Er versuchte, aus den Beschriftungen die richtigen Schlüsse ziehen
Das Amok-Team zu können. Da hörte er Schritte hinter sich. Ein untersetzter Mann lief auf ihn zu. Im ersten Moment glaubte er, entdeckt worden zu sein. Dann aber merkte er, daß er Arbeiter nicht auf die Scheibe blickte. Er wich zur Seite, um ihm Platz zu machen. Der Techniker drückte seinen Finger auf eine Taste. Sofort flammten verschiedene Lichter auf und ein Zählwerk zeigte stetig fallende Werte an. Trepper begriff. Die Strahlenkanone wurde stufenweise ausgeschaltet. Das war nicht in seinem Sinn. Er blickte sich suchend um und entdeckte eine kleine Werkzeugtasche. Eilig lief er hinüber, nahm sie auf und schlug sie dem Arbeiter über den Kopf. Über den Besinnungslosen hinweg kehrte er an die Kontrolltafel zurück. Jetzt hatte er einen Anhalt dafür bekommen, wie er vorgehen mußte. Wenn er dafür sorgte, daß die Zahlenwerte stiegen, dann mußte es eigentlich zu der Katastrophe kommen, die er anstrebte. Er drückte die mit dem Gegenzeichen versehene Taste. Eine leichte Berührung genügte auch hier, um das Impulsfeld zu aktivieren. Das Zählwerk bewegte sich wieder. Jetzt aber stiegen die Werte an. Atemlos verfolgte Trepper die Zahlen. Er zuckte unwillkürlich zusammen, als ein Rotlicht warnend aufleuchtete. Sekunden später begann eine Sirene zu heulen. Er ließ den Finger auf der Taste. Ein weiteres Rotlicht begann zu pulsieren, und der Alarm wurde lauter. Jetzt mußte es genug sein. Trepper sprang wieder über den Techniker hinweg und wollte davonlaufen. Dabei merkte er, daß der Mann sich bereits bewegte. Es wäre ein Fehler gewesen, ihn hier allein zu lassen, denn er hätte die Schaltungen rückgängig machen können. So kehrte er zu ihm zurück, packte ihm beim Kragen und schleifte ihn über den Boden. Er war sich dessen bewußt, daß er jedem zufälligen Beobachter auf diese Weise eindeutig verriet, wo er war. Aber das war ihm egal. Er blickte immer wieder zu der bogenför-
39 migen Maschine hinüber. Die Sprengstoffschlange hatte ihre Farbe verändert. Sie sah jetzt nicht mehr rostrot, sondern tiefbraun aus und schien dicker geworden zu sein. Trepper erreichte eine Tür. Er öffnete sie und schleifte den Techniker hindurch. Zugleich hörte er die Schreie mehrerer Männer, die gesehen hatten, was geschah. Er fuhr herum. Etwa zwanzig Männer stürmten auf ihn zu, aber keiner hatte einen Detektor dabei. Dafür trugen fast alle Waffen. Trepper schnellte sich zur Seite, als er sah, daß einige mit ihren Paralysatoren feuerten. Die Strahlen streiften seinen rechten Fuß. Er stürzte zu Boden und kroch auf allen vieren weiter. Sein rechter Unterschenkel fühlte sich taub an. Er erreichte ein Fließband, zog sich am Gestänge hoch und ließ sich auf das Band fallen. Es trug ihn sofort weg. Die Wachen suchten den Abschnitt der Halle ab. Immer wieder bestrichen sie den Winkel mit ihren Paralysatoren, aber es war viel zu spät für sie. Das Band mündete in eine Maschine mit rotierenden Knetscheiben. Er rutschte rechtzeitig auf den Boden herunter und schleppte sich weiter bis zu einer Tür, durch die eine Gruppe von Männern und Frauen hereinkam. Er sah, daß mehrere von ihnen Detektoren trugen, mit denen sie ihn leicht finden konnten. Atemlos preßte er sich gegen die Wand. Die Gruppe war keine zwei Schritte von ihm entfernt, richtete ihre Aufmerksamkeit jedoch in den Sektor, in dem die anderen noch immer nach ihm suchten. Sie eilten an ihm vorbei und ließen den Durchgang offen. Allmählich kehrte das Gefühl in seinen Fuß zurück. Er konnte ihn schon wieder aufsetzen und sich darauf stützen. So kam er schneller voran als bisher. Plötzlich hörte er wilde Schreie hinter sich. Die Männer und Frauen rannten in panischer Angst auf ihn zu. Er begriff und ließ sich in eine mit einer öligen Flüssigkeit ge-
40 füllten Senke fallen. Die Gruppe stürmte an ihm vorbei. Er hörte ihre Schritte. Dann schien die Welt unterzugehen. Der Boden erzitterte und zerbarst unter ihm. Das Öl versickerte. Rings um ihn herum brannte die Fabrik. Er sah Trümmerstücke durch die Luft wirbeln. Obwohl er sich mitten in dem Chaos befand, hatte er das Gefühl, alles nur wie ein unbeteiligter Beobachter zu verfolgen. Er hatte keine Angst und fühlte sich auch nicht bedroht. Das Ölbad hatte ihn gerettet und ihn vor den schlimmsten Auswirkungen der Explosion bewahrt. Jetzt aber sah er keine Möglichkeit, durch die Flammen zu entkommen. Wohin er sich auch wandte, überall brannte es. Der Anzug schützte ihn vor der großen Hitze, aber nur bis zu bestimmten Temperaturgraden. Er überwand einen Wall von schwelenden Trümmerstücken und rannte dann auf eine Feuerwand zu. Er konnte ganz schwach erkennen, daß sich ihm dort ein Ausweg bot. Immer wieder drohte er zu fallen, aber ebenso oft konnte er sich abfangen. Sein Fuß funktionierte immer besser. Die Lähmung ging überraschend schnell zurück. Er kämpfte sich durch das Feuer hindurch und lief in einen Schwall von Löschwasser und Schaum hinein, den die robotischen Feuerwehrtrupps verspritzten. Darin wurde seine Gestalt so deutlich sichtbar, daß keiner der Beobachter ihn als den bislang unsichtbaren Attentäter identifizierte. Wenige Schritte weiter schon geriet Trepper in die Deckung einiger Fluggleiter. Er riß sich den Schutzanzug herunter und floh ohne ihn weiter. Die Jagd auf ihn begann erneut. Er sah, daß die Suchmannschaften einen großen Kreis bildeten. Darin mußte er sich fangen. Es gab keinen Ausweg mehr. Horak Trepper blieb stehen und blickte zurück. Die Waffenschmiede brannte. Die Explosion hatte sie weitgehend vernichtet. Was noch heilgeblieben war, wurde jetzt von den Flammen zerstört.
H. G. Francis
* Trogfynn Kranmurt fühlte sich von dem Feuer im Industriegebiet von New Taylor magisch angezogen. War es die Zerstörung, die ihn so faszinierte? Wenn er an das Attentat auf die Springer zurückdachte, fühlte er nichts. Ihm war absolut gleichgültig, was dort bei dem Kaufhaus geschehen war. Er wunderte sich darüber, daß er den Gleiter dorthin lenkte, wo soviel Polizei und Neugierige zu sehen waren. Dort konnte er sich doch nicht verstecken. Er sträubte sich jedoch nicht, sondern flog weiter, bis ihm auffiel, daß die Polizei ihre größte Aufmerksamkeit auf einen anderen Komplex richtete, der weiter westlich lag. Auf einem der Gebäude erkannte er die Buchstaben HHH. Sie riefen eine Erinnerung an das in ihm wach, was Horak Trepper in der Klinik erzählt hatte. Er wußte Bescheid und lenkte den Gleiter dorthin. Er kam jedoch nicht weit. Polizeifahrzeuge, die inmitten der parkähnlichen Landschaft standen, gaben durch blaue Lichtzeichen deutlich zu verstehen, daß sie eine Sperre eingerichtet hatten, die nicht überflogen werden durfte. Die positronische Einrichtung des Gleiters sprach an. Trogfynn gab die Landung durch einen Tastendruck frei. Die Maschine senkte sich langsam herab und setzte nur zwanzig Meter von den nächsten Polizisten auf. In diesem Moment schoß eine Stichflamme zu den Wolken hinauf. Die HHHWaffenschmiede explodierte. Trogfynn schloß geblendet die Augen. Er duckte sich tief hinter das Armaturenbrett und preßte sich die Hände gegen die schmerzenden Ohren. Der Gleiter wurde von dem Luftdruck der Explosion einige Meter weit zurückgeschoben und prallte mit dem Heck gegen einen Baum. Trogfynn hörte es krachen und blickte entsetzt auf den zerbeulten Gepäckraum. Er kauerte sich auf dem Sitz zusammen
Das Amok-Team und wagte zunächst nicht, sich zu rühren. Jetzt war alles aus. Die Polizisten würden zu ihm kommen, um nach ihm und dem Fahrzeug zu sehen. Fraglos wurden sie ihn erkennen und verhaften. Er mußte fliehen. Ruckartig richtete er sich auf, öffnete die Seitentür und sprang hinaus. Er landete genau in den Armen eines kahlköpfigen Mannes, der in leicht gebeugter Haltung vor ihm stand. »Mr. Pappron«, rief er keuchend. »Sie sind hier?« »Komm, Junge, steig ein.« Der ehemalige Regierungsbeamte dirigierte ihn energisch in die Kabine zurück. Trogfynn rutschte auf den Nebensitz und ließ den Platz hinter den Steuerelementen frei. Er wäre gar nicht auf den Gedanken gekommen, die Maschine selbst zu fliegen. »Wie kommen Sie hierher?« fragte er. »Haben Sie mich gesucht?« Jackmo Pappron blickte ihn mit unbeteiligten Augen an. »Wie kommst du hierher?« gab er die Frage zurück. »Kannst du darauf eine Antwort geben?« Der Junge schüttelte den Kopf. Nein. Das konnte er nicht. Er begriff, daß Pappron mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte wie er selbst. Er preßte die Lippen zusammen und schwieg. Als Jackmo Pappron den Gleiter über die Baumwipfel hinwegschweben ließ, sah er, daß die Fabrik brannte. Hilfsmannschaften kamen von allen Seiten herbei. Löschzüge kämpften sich bereits an das Feuer heran. »Was wollen Sie denn da?« fragte er überrascht, als Pappron die Maschine direkt auf das Feuer zu lenkte. Der ehemalige SolAb-Agent antwortete nicht. Er beschleunigte mit Höchstwerten. Niemand achtete auf sie. Die Polizisten wurden durch das Feuer abgelenkt. Viele von ihnen flogen ebenfalls auf das Fabrikgelände, um dort helfend einzugreifen. So fiel der Gleiter mit dem kahlköpfigen Mann und dem Jungen gar nicht auf. Ungehindert kam
41 er bis an die Löschzüge heran. »Da. Sehen Sie!« rief Trogfynn. Er deutete auf das Feuer. Eine menschliche Gestalt taumelte heraus. Sie wurde von den Flammen vollkommen eingehüllt und verschwand dann fast unter Wasser und Schaum. Dann aber wirbelte der Schaum davon, und die Gestalt verschwand im Nichts. »Ein Unsichtbarer, Mr. Pappron!« Der ehemalige Regierungsbeamte lenkte den Gleiter auf die Stelle zu, an der sich der Unsichtbare eben noch befunden hatte. Von allen Seiten liefen bewaffnete Männer herbei. Einige von ihnen trugen Detektoren, mit denen sie den Deflektorgenerator orten konnten. Pappron landete blind. »Trepper? Sind Sie hier?« rief er. Er hörte jemanden neben sich keuchen. Die Tür wurde aufgerissen, und der Unsichtbare setzte sich auf die hinteren Sitze. Trogfynn, der sich umgedreht hatte, konnte deutlich sehen, wie die Polster eingedrückt wurden. Jackmo Pappron riß den Gleiter nach oben. Er beschleunigte scharf und flog über die Wachen hinweg, die mit ihren Paralysatoren auf sie schossen. Trogfynn wurde getroffen. Er sackte bewußtlos in sich zusammen. Horak Trepper lachte schrill. »Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet, Pappron«, sagte er mühsam nach Atem ringend. »Ich dachte schon, daß sie mich erwischt hätten.«
* »Entkommen? Wie ist das möglich?« Alvmut Terlahe war außer sich. Ärgerlich schaltete er das Visiphon aus und starrte seinen Assistenten an, als ob dieser für das Versagen der Polizei verantwortlich sei. »Diese Narren«, sagte er. »Sie sagen, alles sei durcheinander gegangen, und man habe sich zunächst um die Verletzten kümmern müssen, als ob man eine solche Fahn-
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dung nicht besser organisieren könnte.« Er schob einige Akten zur Seite, die vor ihm auf seinem Schreibtisch lagen. »Vergessen Sie bitte nicht, daß Jackmo Pappron der Mann war, der Horak Trepper herausgeholt hat«, sagte Enre Nolge. »Dieser Mann wurde von der SolAb bestens geschult. Er hat, wie ich aus den Akten ersehen konnte, mehr als einmal derartige Husarenstücke durchgeführt.« »Gut«, gab Terlahe widerwillig zu. »Er hat uns hereingelegt. Das ist jetzt nicht unser Problem, sondern das der Polizei. Was haben Sie bei dem stellvertretenden Obmann erreicht?« »Nichts«, erwiderte Nolge ohne Umschweife. »Awrusch weigert sich vorläufig noch, die Organbanken schließen zu lassen. Er sagt, daß wir den Fall auf andere Weise lösen sollten.« Terlahe lachte verbittert auf. »Dieser Narr«, sagte er. »Er macht es sich leicht.« »Ganz so leicht auch wieder nicht Sir. Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Er hat es jetzt mit den Springern zu tun. Die Verhandlungen sollen äußerst schwierig sein. Die galaktischen Händler sind empört wegen des Mordanschlages auf ihren Patriarchen. Wie ich erfuhr, sollen sie geradezu horrende Forderungen gestellt haben.« Alvmut Terlahe schüttelte den Kopf. »Auch das ist nicht unser Problem. Wir haben zu klären, wer hinter diesen Amokläufern steht, und weshalb immer wieder neue Amokläufer auftauchen. Wir wissen zumindest, woher sie kommen. Ich werde selbst mit Awrusch sprechen. Er muß die Organbanken schließen.« Er nahm sich einen Umhang aus seinem Schrank. »Wissen Sie, wann Mory Rhodan-Abro wiederkommt?« »Das ist ungewiß.« Alvmut Terlahe eilte aus dem Büro.
*
Jackmo Pappron lenkte den Gleiter in die Straßenschluchten von New Taylor hinein. Dabei gelang es ihm scheinbar mühelos, die Verfolger abzuhängen. Er landete auf einem Parkdach eines Hochhauses, auf dem mehrere Flugzeuge standen. »Schnell. Wir müssen die Maschine wechseln. Helfen Sie mir, den Jungen hinüberzutragen.« Trepper, der seinen Deflektor ausgeschaltet hatte, schüttelte den Kopf. »Lassen Sie ihn doch hier. Was geht er uns an?« Wortlos ging Pappron um die Maschine herum, öffnete die Tür und nahm Trogfynn auf die Arme. Ihm war anzusehen, daß es nicht leicht für ihn war, ihn zu befördern, aber das störte Horak Trepper nicht. Der Bankier wartete in lässiger Haltung neben einem Gleiter, der flugbereit war. Er half ihm noch nicht einmal, Trogfynn in die Kabine zu legen. »Ich frage mich, weshalb ich Sie aufgegabelt habe«, sagte Pappron. »Ich hätte mir sonst Ärger ersparen können.« »Ich habe Sie nicht gerufen«, erwiderte Trepper kühl. »Sie sind freiwillig gekommen – oder?« Pappron setzte sich hinter die Steuerelemente und startete. Der Gleiter beschleunigte stark. Als sie schon glaubten, unbehelligt fliehen zu können, leuchtete eine rote Lampe am Armaturenbrett auf. »Das Ding hat eine Diebstahlsicherung«, sagte Pappron überrascht. »Schnell, Trepper, übernehmen Sie. Ich muß die Sperre lösen, sonst hängen wir in einer Minute bewegungslos in der Luft.« Der Finanzfachmann begriff sofort. Er wechselte mit Pappron den Platz und lenkte die Maschine weiter, während der ehemalige Regierungsbeamte die Verkleidung des Armaturenbretts blitzschnell öffnete. Trepper sah ihm verblüfft zu. »Wo haben Sie das gelernt?« fragte er. Pappron antwortete nicht. Er arbeitete zielstrebig weiter, bis er die positronische
Das Amok-Team Falle gefunden und herausgelöst hatte. Das rote Licht erlosch. Er atmete auf. Erschöpft lehnte er sich zurück. »Das war knapp«, sagte er. »Was war denn überhaupt los?« fragte Trogfynn Kranmurt mit schwacher Stimme. Sie wandten sich nach ihm um und sahen, daß der Junge sich mühsam aufrichtete. Er versuchte, seinen noch teilweise gelähmten Körper wieder unter Kontrolle zu bringen. Pappron erklärte, was er entdeckt hatte. »Wenn ich die Sperre nicht beseitigt hätte, wäre der Gleiter auf der Stelle schweben geblieben. Er hätte ein Signal ausgesendet, das die Polizei zu uns geführt hätte. Wer so eine Sicherung installiert hat, kann seinen Gleiter praktisch überall parken, ohne einen Diebstahl befürchten zu müssen.« »Es sei denn, daß er an einen so raffinierten Gauner wie Sie gerät«, fügte Horak Trepper hinzu. Er blickte Pappron forschend an. »Sie haben uns eigentlich kaum etwas von sich erzählt. Was haben Sie früher gemacht, als Sie noch jung waren? Sie beherrschen einige Tricks, die darauf schließen lassen, daß Sie sich nicht immer an die Gesetze gehalten haben.« »Das ist eben der große Irrtum, Mr. Trepper. Ich habe zwar einige Kenntnisse, wie Sie ganz richtig festgestellt haben, die nicht so recht zu einem harmlosen Bürger passen wollen. Aber ich habe die Gesetze nie gebrochen. Bei Ihnen bin ich nicht so ganz sicher. Auch Sie dürften einige Tricks kennen, aber wenn Sie sie anwenden, geht es nicht um einen Gleiter, sondern um sehr viel wertvollere Gegenstände.« »Ich bin dafür, daß wir dieses Thema beenden«, sagte Trepper schroff. »Sehen Sie lieber zu, daß Sie uns aus New Taylor herausbringen.« »Das ist meine Absicht.« Jackmo Pappron bog um ein Bürohochhaus herum und fädelte sich in einen breiten Strom von Gleitern ein, die sich nach Norden bewegten. Trepper und der Junge schwiegen und blickten sich immer wieder um. Sie konnten frei nach draußen sehen,
43 aber niemand konnte sie von außen erkennen, weil die Scheiben nur in einer Richtung durchsichtig waren. So brauchten sie kaum noch zu befürchten, von einer Polizeistreife gestellt zu werden, vorausgesetzt, der Gleiter wurde noch nicht als gestohlen gemeldet. Wenn das der Fall war, mußten sie damit rechnen, von den Sensoren erfaßt und identifiziert zu werden, die an jedem Polizeigleiter angebracht waren. »Ich glaube, wir haben Glück«, sagte Jackmo Pappron, als sie die Stadtgrenze erreichten. Jetzt löste sich der Gleiterstrom fächerförmig auf. Die Maschinen strebten ihrem Ziel auf direktem Kurs zu und wurden nur noch auf den Hauptverbindungslinien zwischen den großen Städten positronisch überwacht, so daß es nicht zu Zusammenstößen kommen konnte. »Wohin fliegen wir?« fragte Trepper. »Wenn Sie einverstanden sind, zu meinem Landhaus in den Bergen. Dort sind wir ungestört.« »Mir soll's recht sein.« Trepper horchte in sich hinein. War er wirklich dafür, Jackmo Pappron zu folgen? Wieder wurde er sich dessen bewußt, wie zwiespältig er dachte. Er, Horak Trepper, hatte nur den Wunsch, sich in Sicherheit zu bringen, um der Bestrafung zu entgehen. Das Fremde in ihm reagierte überhaupt nicht. Es schien kein Interesse daran zu haben, sich selbst zu sichern. Nachdem sie eine halbe Stunde geflogen waren, stand fest, daß sie nicht verfolgt wurden. »Wir werden noch an den Stadtrand von Nea Crin fliegen, um dort etwas einzukaufen«, sagte Jackmo Pappron. »Ich bin nicht darauf eingerichtet, drei Mann zu versorgen.« »Wir könnten uns etwas Wild schießen«, schlug Trepper vor. »Wäre das nicht weniger riskant?« »Der Wildhüter ist ein aufmerksamer Bursche«, entgegnete Pappron. »Er kennt mich sehr gut und weiß, daß ich
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in der Schonzeit nicht jage. Er würde sofort argwöhnisch werden. Nein, es ist besser, wenn wir uns kaufen, was wir benötigen.« Trepper schwieg und beugte sich der Entscheidung Papprons. Trogfynn sagte überhaupt nichts. Er massierte sich seine schmerzenden Glieder und machte Bewegungsübungen, um den Paralyseschock zu überwinden. Wenig später landeten sie auf dem Dach eines Kaufhauses, auf dem nur drei andere Gleiter parkten. »Ich halte es für besser, wenn ich einkaufe«, sagte Trepper. »Mich kennt man hier nicht, während Sie doch wohl schon öfter hier gewesen sein dürften.« Der ehemalige Regierungsbeamte nickte. »Warten Sie, ich schreibe Ihnen auf, was wir benötigen.« Er kritzelte einen Zettel voll und reichte ihn Trepper, der ihn sich in die Tasche steckte. Trogfynn stieg aus der Maschine und ging einige Schritte hin und her. Der Bankier zögerte. Er wollte allein gehen. Pappron nickte Trogfynn aufmunternd zu, und der Junge schloß sich Trepper an. Jackmo Pappron blickte den beiden nach, als sie durch die Tür verschwanden. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, daß seine Sicherheit maßgeblich von dem Verhalten Treppers abhing.
* Trogfynn konnte sich von Schritt zu Schritt besser bewegen. Er fühlte sich immer besser, und das sagte er dem großen, hageren Mann an seiner Seite auch, doch dieser ging mürrisch darüber hinweg. Er machte keinen Hehl daraus, daß er ihm die Streiche in der Baumgart-Klinik immer noch nicht verziehen hatte. Während Trepper sich darauf konzentrierte, die benötigten Waren so schnell wie möglich zusammenstellen zu lassen, blickte der Junge um sich. Das Geschäft war bei weitem nicht so modern wie jene von New Taylor oder von Ervmert, aber es war auch
interessant. Die Kunden mußten sich menschenähnlichen Robotern gegenübersetzen. Trepper las ab, was er haben wollte. Der Roboter blickte ihn höflich lächelnd an und gab die Wünsche per Funk an den zentralen Computer des Geschäftes weiter. Sekunden nachdem Trepper alles abgelesen hatte, fiel ein Paket durch ein Warenfach und glitt auf einem schimmernden Band auf Trepper zu. Trogfynn beobachtete währenddessen die anderen Kunden. Sie hatten es nicht so eilig wie sie. Die meisten saßen in dem sich anschließenden Cafe und plauderten miteinander oder ließen sich von der feinfühligen Sensorrobotik die Haare schneiden. Ein weißhaariger Mann kam aus dem Badetrakt. Überrascht blieb er am Ausgang stehen und starrte Trepper an. »Mr. Trepper«, rief er. »Mr. Horak Trepper – sehe ich recht? Sie hier? Das ist aber eine Überraschung.« Er ging mit ausgestreckter Hand auf den Bankier zu, Trepper sprang erschreckt auf und blickte sich hilfesuchend um. Die anderen Kunden waren aufmerksam geworden. »Der Mensch wird doch gesucht«, schrie eine Frau. »Das ist doch der Mörder!« Der Weißhaarige blieb stehen. Erst jetzt schien er sich daran zu erinnern, was in den letzten Stunden durch die Presse gegangen war. Trogfynn fühlte eine panische Angst in sich aufsteigen. Seine Hand glitt zu der Bombe, die er immer noch unter dem Hemd trug. Drei Männer eilten auf Trepper zu, und auch Trogfynn lief zu ihm hin, weil er von ihm Schutz erwartete. Als er sah, daß die anderen Kunden sich ebenfalls herbeidrängten, riß er die Bombe unter seinem Hemd hervor. »Zurück«, schrie er und krallte sich mit der linken Hand an den Gürtel des Finanzfachmanns. »Dies ist eine Bombe. Ich bringe Sie alle um, wenn Sie weitergehen.« Die Männer blieben zaudernd stehen. Der Weißhaarige warf sein Badetuch zu Boden. »Zum Donnerwetter Trepper, ich muß mit Ihnen reden. Sie müssen mir erklären, was
Das Amok-Team
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…« Er schob die anderen Kunden zur Seite. Trogfynn hob die Bombe und schleuderte sie auf die Männer. Sie prallte einem von ihnen gegen die Brust und fiel krachend zu Boden. Der Kunde bückte sich blitzschnell, packte die Kugel und warf sie zu Trogfynn zurück. Dieser reagierte unwillkürlich so wie die meisten Jungen es tun, wenn man ihnen einen Ball zuwirft. Er fing ihn auf. Als er begriff, was er getan hatte, war es schon zu spät. Die Bombe explodierte in seinen Händen und tötete ihn und Trepper. Auf dem Parkdach wartete Jackmo Pappron mit wachsender Unruhe. Er fuhr erschreckt zusammen, als er die Detonation hörte, und sah, wie die Eingangstür des Kaufhauses aus den Angeln flog. Er konnte durch den herausquellenden Rauch kaum etwas erkennen. Deshalb stieg er aus dem Flugzeug und lief auf die Tür zu. In diesem Moment öffnete irgend jemand auf der anderen Seite des Geschäfts eine Tür. Der entstehende Windzug zerriß die Rauchwolken. Jackmo Pappron konnte sehen, was drinnen geschehen war. Erschüttert blieb er stehen. Er war unfähig, sich zu entscheiden, bis er das Heulen einer Polizeisirene hörte. Mit großen Schritten kehrte er zum Gleiter zurück und startete. Immer wieder blickte er zurück. Er konnte die Hilfsfahrzeuge beobachten, die sich dem Kaufhaus von mehreren Seiten näherten. Um ihn kümmerte sich niemand. Pappron atmete auf. Er war froh darüber, daß er jetzt noch nicht mit der Polizei sprechen mußte. Er war noch nicht soweit. Zunächst mußte er mit sich selbst ins reine kommen. Wieder vernahm er die suggestiven Impulse von seinem Herzen her. Sie wollten ihn in eine andere Richtung zwingen. Das Fremde in ihm wollte ihn nach New Taylor zurücklocken, aber er widerstand ihm.
8.
Das Haus lag in einem kleinen Tal am Ufer eines Sees. An den sanften Hängen der Berge weideten die plophosischen Bergschafe, die ihm täglich frische Milch lieferten. Vor dem Haus lag der blaue Imart-Hund. Jackmo Pappron ließ das Signalhorn aufklingen. Der Hund sprang auf und lief ihm entgegen. Der ehemalige Regierungsbeamte flog bis unmittelbar vor das Haus und landete dort. »Hall, Vonton«, rief er, als er ausstieg. Er blickte zu dem Tier hoch, das ihn um einen halben Meter überragte. Lächelnd rieb er ihm das mit scharfen Zähnen bewehrte Maul. »Ich hoffe, du hast mich ein bißchen vermißt, Alter.« Der Hund nickte und schloß die Augen. Er wollte damit betonen, wie sehr ihm der Freund gefehlt hatte. Dann aber hob er die Lider und starrte Pappron fragend an. »Ja, die Operation ist durchgeführt worden, Vonton. Sie ist gut verlaufen. Ich fühle mich wieder ausgezeichnet.« Das halbintelligente Tier lief neben ihm her und senkte den Kopf tief herab, damit seine Augen auf gleicher Höhe mit denen des Plophosers waren. Pappron berichtete ihm alles, was er in der Klinik erlebt hatte, als er ins Haus gegangen war und sich dort in einen Sessel gesetzt hatte. Der Hund hockte sich vor ihn hin und hörte ihm aufmerksam zu. Pappron wußte, daß er auch das meiste von dem verstand, was er ihm erzählte. »Ich hatte gehofft, Trogfynn und Trepper retten zu können«, schloß er seinen Bericht. »Schon von Anfang an habe ich gefürchtet, daß sie umkommen würden. Und das wollte ich verhindern. Es ist mir nicht gelungen. Leider.« Er erhob sich, ging in seine Automatenküche und zapfte sich ein Bier ab. Er trank es genießerisch und kehrte zu dem Hund zurück, der noch immer auf seinem Platz hockte und mit dem Kopf nahezu die Decke erreichte: »Ich habe viel über diese Geschichte nachgedacht«, fuhr er fort, als er sich wieder
46 gesetzt hatte. »Zunächst wurde ich von diesen Suggestivimpulsen völlig überrascht, und nur deshalb wirkten sie so stark auf mich. Später wurde ich immer leichter mit ihnen fertig. So konnte ich nicht ein einzigesmal dazu mißbraucht werden, Gewalt anzuwenden und zu zerstören. Ich führe das darauf zurück, daß ich mentalstabilisiert bin. Du weißt, was das ist?« Der Riesenhund senkte bestätigend den Kopf. »Natürlich. Ich habe es dir ja schon erklärt. Überrascht hat mich nur, daß ich es nicht schaffte, schon früher einen Bericht für die Behörden abzufassen oder offen mit Dr. Baumgart über das Problem zu sprechen. Offenbar mußte ich mit dem Ding da drinnen in meiner Brust erst einmal fertig werden. Ich glaube, daß ich keine Schwierigkeiten mehr damit haben werde.« Vonton gab eine Reihe von Quietschlauten von sich. Pappron hörte angespannt zu. Schließlich nickte er. »Du hast recht. Ich sollte so schnell wie möglich mit der Polizei reden.« Die Tür öffnete sich, und ein antilopenähnliches Tier kam mit grazilen Bewegungen herein. Es lief zu Pappron und schob ihm seinen Kopf liebkosend in die Hände. Der ehemalige SolAbAgent strich ihm über das weiche, hellbraune Fell, das mit rötlichen Streifen durchsetzt war. »Sei so nett, Vill, stell den Fernseher an.« Das halbintelligente Tier knurrte zustimmend, tänzelte zu dem Trivideowürfel und tippte mit dem Vorderfuß gegen eine der Tasten. Das Bild baute sich sofort auf. Die Nachrichtensendung hatte schon begonnen. »… hat der Stellvertreter Mory RhodanAbros bestimmt, daß die Organbanken bis auf weiteres geschlossen bleiben«, verlas die Sprecherin. »Ab sofort dürfen die Transplantationskliniken keine für Verpflanzungen vorgesehenen Patienten mehr aufnehmen und behandeln. Organtransplantationen sind bis auf Widerruf verboten.« Jackmo Pappron nickte unwillkürlich. Er war mit dieser Maßnahme voll einverstan-
H. G. Francis den. »Diese Anordnung hat Empörung und scharfe Proteste der Chirurgen hervorgerufen«, fuhr die Sprecherin fort. »Mehrere prominente Ärzte konferieren zur Zeit mit dem Stellvertretenden Obmann, um bei Awrusch eine Abänderung der Bestimmung oder zumindest einen Aufschub zu erreichen. Sie weisen darauf hin, daß sich wenigstens zwanzig Patienten auf Plophos befinden, die nicht mehr länger auf ein neues Organ warten können. Die Opposition hat ebenfalls in scharfer Form Stellung zu der Entscheidung Awruschs genommen. Sie weist vor allem darauf hin, daß die mühsam erarbeitete Sonderstellung von Plophos als Transplantationszentrum nunmehr leichtfertig zerstört werde. Inzwischen ist es zu weiteren Zwischenfällen gekommen, in die Patienten der Organbanken verwickelt sind. In einem Kaufhaus bei Nea Crin starben bei einem Bombenanschlag Trogfynn Kranmurt und Horak Trepper. Beide sind …« Pappron gab der Antilope ein Zeichen. Das Tier schaltete das Gerät wieder aus. Pappron erhob sich, trank sein Bier aus und ging aus dem Haus. Er blickte in die untergehende Sonne. Er war froh, daß es ihm nicht gelungen war, sich in der Klinik mit dem Skalpell zu verletzen. Dort wäre er relativ leicht angreifbar gewesen. Hier fühlte er sich sicherer. Er war sich darüber klar, daß irgend jemand hinter diesen seltsamen Ereignissen stecken mußte. Die Suggestivimpulse kamen nicht von ungefähr aus den Organen. An intelligente Mikrowesen, die sich in ihnen eingenistet hatten, glaubte er nicht. Er konnte sich jedenfalls nicht vorstellen, daß sie eine solche Macht haben sollten. Was aber verbarg sich dann in seinem neuen Herzen? Pappron sah etwas über den Bergen aufblitzen. Er blickte hinauf und kniff die Augen zusammen, um mehr erkennen zu können.
Das Amok-Team »Vonton!« Der Hund kam sofort. Er hockte sich neben Pappron auf die Terrasse. »Da oben in den Bergen ist etwas«, sagte der Plophoser. »Du hast bessere Augen als ich. Kannst du etwas sehen?« Er beobachtete, wie sich die Pupillen des Hundes verkleinerten. Einige Minuten verstrichen. Pappron störte Vonton nicht, obwohl er bereits ungeduldig wurde. Dann zuckte der Hund zusammen. Er jaulte leise. »Was ist das?« fragte Pappron. »Ein Gleiter?« Der Hund nickte mehrfach. »Seltsam«, sagte Pappron. »Hier hat mich seit Monaten niemand besucht, und ich war froh darüber. Wer könnte das sein? Keiner meiner Freunde wäre so unhöflich, unangemeldet zu kommen. Sind es Touristen, die einfach nur so in der Gegend herumbummeln?« Vonton schüttelte den Kopf. »Woran siehst du das?« fragte Pappron. »Fehlen die üblichen Attribute wie Kameras, Freizeitkleidung und was der Dinge mehr sind?« Vonton nickte. »Sind sie bewaffnet?« Der Hund antwortete mit einem Quietschlaut. »Du kannst es nicht erkennen.« Jackmo Pappron kehrte ins Haus zurück. Er eilte zu seinem Recorder und stellte ihn auf Aufnahme, um schnell noch einen Bericht über seine Beobachtungen in der Baumgart-Klinik abzufassen. Doch Vonton kam herein. Er gab ein dumpfes Grollen von sich, das tief aus der Kehle kam. Pappron erschrak. Das war ein eindeutiges und unüberhörbares Alarmzeichen! »Sie kommen?« Vonton nickte. »Hast du jetzt Waffen gesehen?« Der Hund bestätigte abermals. »Das habe ich befürchtet«, sagte Pappron. Er schaltete den Recorder wieder aus, ohne etwas über die Suggestiv-Impulse erzählt zu haben. Zusammen mit dem Hund lief er
47 in einen Nebenraum, wo seine Jagdbüchse an der Wand hing. Es war ein uraltes Gewehr, das von Baltimore Jack Pappron im Jahre 2028 terranischer Zeitrechnung nach Plophos gebracht worden war. Dieser Vorfahr hatte zu den allerersten Siedlern gehört, die die Erde verlassen hatten, um den dritten Planeten der Sonne Eugaul zu kolonialisieren. Es war von Generation zu Generation vererbt und als echte Antiquität bewundert worden. Jackmo Pappron hatte sich die entsprechende Munition dafür von der Erde kommen lassen, weil er es stets abgelehnt hatte, mit einem Blaster auf Jagd zu gehen. Diese Waffe sollte ihm auch jetzt helfen. Er überprüfte sie kurz und lud sie durch, bevor er nach draußen rannte. Er sah den Gleiter sofort. Es war ein unauffälliges Modell der billigeren Klasse und hatte Fenster, die von beiden Seiten zu durchblicken waren. So konnte er die beiden Männer darin sehr gut sehen. Er bemerkte auch ihre Energiestrahler, die sie in den Händen trugen. Sofort erkannte er, daß es keinen Sinn hatte, sich ihnen hier draußen zu stellen. Solange sie im Gleiter saßen, blieben sie ihm überlegen. Er riß das Gewehr an die Schulter, zielte kurz und feuerte. Das Stahlmantelgeschoß durchschlug die Frontscheibe und zischte zwischen den beiden Männern hindurch. Der grauhaarige Mann am Steuer zog den Gleiter sofort zur Seite weg. Pappron sah, daß der andere seine Waffe auf ihn richtete. Er feuerte auf den Antigrav in der Bodenplatte des Flugzeugs. Eine blaue Stichflamme schoß aus dem Gleiter, und die Maschine sackte augenblicklich um mehrere Meter ab. Pappron konnte nicht mehr erkennen, ob der Beifahrer auf ihn gefeuert hatte. Er rannte ins Haus zurück und warf die Tür hinter sich zu. Durch das Fenster verfolgte er, wie die beiden Männer den Schweber zu Boden brachten. Sie gingen äußerst geschickt dabei vor und lenkten ihn auf das Haus zu. Pappron befürchtete, daß sie mit dem Bug durch die Fenster kommen würden. Er sah
48 ein, daß er nicht hier bleiben durfte, eilte zum gegenüberliegenden Fenster, öffnete es und sprang hinaus. Vonton und das antilopenähnliche Tier folgten ihm. Er rannte auf eine Geröllhalde zu, die fünfzig Meter vom Haus entfernt war. Wieder meldete sich das Fremde in seiner Brust. Es wollte ihn zwingen, sich zu ergeben. Er aber ließ sich nicht mehr beeinflussen. Als er die ersten Steine erreicht hatte, blickte er zurück. Vonton und Vill waren ihm nicht gefolgt. Sie umkreisten das Haus. Pappron feuerte einen Warnschuß ab, als er die beiden Männer hinter einer Hausecke hervorkommen sah. Vonton griff sie an. Er bleckte seine gewaltigen Zähne. Mit Riesensätzen stürzte er sich auf die Männer. Sie reagierten schnell und hart. Beide hoben ihre Energiestrahler und töteten den Hund mit mehreren Impulsschüssen. Als Pappron die Blitze sah, stöhnte er auf. Er hob das Gewehr an die Schulter und zielte auf den Kopf eines der beiden Männer, doch dann ließ er die Waffe zögernd sinken. Er wollte nicht töten. Doch dann brachten sie auch noch Vill um, obwohl ihnen von dem antilopenähnlichen Tier keine Gefahr drohte. Jetzt schoß Pappron. Die Kugel traf den Grauhaarigen an der Schulter, ohne ihn schwer zu verletzen. Dennoch stürzte er ins Gras. Der andere floh hinter das Haus. Auch Pappron zog sich zurück. Er durfte nicht auf dem gleichen Platz bleiben, wenn er nicht paralysiert werden wollte. Er stieg in der Deckung der Steine nach oben. Jetzt bedauerte er, daß er nicht sofort die Behörden verständigt hatte, als er dazu fähig war. Er hatte damit gerechnet, daß irgend jemand kam, um den Mann zu beseitigen, der offensichtlich nicht so gut gehorchte wie die anderen. Aus diesem Grund war es ein schwerer Fehler gewesen, sich nicht zu melden. Alvmut Terlahe wartete auf solche Berichte, weil er durch sie vermutlich
H. G. Francis entscheidend weiterkommen würde. Pappron blickte auf sein Haus hinunter. Er konnte die beiden Männer nicht sehen. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt. Zwei gewaltige Aasgeier näherten sich den toten Freunden. Jackmo Pappron wurde bleich. Er wollte nicht zulassen, daß sie von diesen Tieren zerrissen wurden. Er hob das Gewehr und feuerte zweimal, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß er seinen Standort damit eindeutig verriet. Die Geier stürzten wie Steine zu Boden. Pappron duckte sich und rannte ein Stückchen nach unten, dann warf er sich hinter einen Felsen und beobachtete das Haus. Die beiden Männer ließen sich nicht blicken. Er wurde unruhig. Solange er nicht wußte, wo sie waren, war er ihnen unterlegen. Hatten sie sich ins Haus zurückgezogen und warteten dort auf ihn? Er überlegte, wie er vorgegangen war, als er noch aktiver SolAb-Agent gewesen war. Was hatte er in solchen Situationen gemacht, um einen Mann zu fangen? Er hätte den Gleiter benutzt, der vor dem Haus parkte. Er hatte es getan, obwohl die Gefahr bestand, daß auch er abgeschossen wurde. Von dem Flugzeug aus aber war die Gegend viel besser zu übersehen. »Du kannst natürlich auch mit dem Ding fliehen«, sagte er laut zu sich selbst. »Wahrscheinlich rechnen die beiden Kerle sogar damit, daß du es versuchen wirst. Dennoch ist es deine beste Chance.« Er stieg langsam nach oben, bis er eine Querrinne erreichte, die den Hang zerschnitt. In ihr konnte er sich von der Geröllhalde entfernen und auf das Haus zukriechen, bis er auf die Rückseite sehen konnte, an der die Maschine stand. Auch dort waren die beiden Männer nicht. Er verfluchte die Tatsache, daß sie den Hund und die Antilope ermordet hatten. Die beiden Tiere hätten ihm helfen können und ihn überlegen gemacht. Das konnten seine Verfolger eigentlich nicht wissen. Beide Tiere stammen von Imart, dem zweiten Pla-
Das Amok-Team neten der Sonne Gator, der Heimat der berühmten Woolver-Zwillinge. Es gab nicht mehr viele Exemplare dieser Gattung dort, und nur wenige waren über das Gator-System hinausgekommen. Aus diesem Grunde waren sie in der Galaxis weitgehend unbekannt. Und selbst dort, wo man von ihrer Existenz wußte, ahnte man nichts von ihrer hohen Intelligenz und ihren besonderen Eigenschaften. Jackmo Pappron blieb im Gras liegen. Er senkte den Kopf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Im Tal wurde es dunkel. Die Sonne verschwand hinter den Bergen. »Du kannst nicht mehr so gut denken wie früher«, sagte er. »Jackmo, du wirst alt. Natürlich wußten die Burschen da unten genau über Vonton und Vill Bescheid, sonst hätten sie zumindest Vill nicht getötet.« Er rätselte daran herum, woher die Männer ihr Wissen haben konnten, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Vorsichtig kroch er weiter, bis er einen Gebüschstreifen erreichte. Im Schutz der Gewächse schob er sich langsam den Hang hinab auf das Haus zu. Das Gewehr behielt er ständig im Anschlag. Je näher er dem Gleiter kam, desto mehr wuchs die Überzeugung in ihm, daß die beiden Gegner sich im Haus versteckten, und daß sie dort auf ihn warteten. »Sollen sie«, sagte er mit einem grimmigen Lächeln. »Ich bin hier zu Hause und kenne mich ein wenig besser aus als ihr. Ich lege euch herein.« »Das wollen wir doch sehen«, sagte jemand hinter ihm. Jackmo Pappron fuhr herum. Gleichzeitig riß er das Gewehr hoch. Doch der grauhaarige Mann, der breitbeinig über ihm stand, schlug ihm die Waffe mit dem Fuß zur Seite. »Natürlich haben wir damit gerechnet, daß Sie hier vorbeikommen würden, Opa«, sagte er grinsend, »aber es hat doch recht lange gedauert.« Pappron drehte den Kopf zur Seite.
49 Der zweite Mann kam aus den Büschen hervor. Er zielte mit einem Energiestrahler auf ihn. Der ehemalige SolAb-Agent ließ sich ächzend zurücksinken. Er wußte, daß er verloren hatte, weil er einen schweren Fehler gemacht hatte. Er hatte zu wenig daran gedacht, was er in der Lage der Verfolger gemacht hätte. Das wurde ihm jetzt zum Verhängnis. Das flammende Abstrahlfeld der hochenergetischen Waffe näherte sich seinem Kopf. Es war vorbei. Er hatte verloren. »Nicht doch«, sagte der andere. Pappron blickte ihn verwirrt an. Der Grauhaarige zielte ebenfalls mit seinem Kombistrahler auf ihn, aber er hatte ihn auf Paralysewirkung geschaltet. Pappron wußte nicht, ob er erleichtert sein sollte, denn er ahnte zumindest, was auf ihn zukam. Der Grauhaarige schoß.
* Alvmut Terlahe eilte durch die kühlen Gänge des Regierungsgebäudes. Vor dem Büro des Stellvertretenden Obmanns wartete sein Assistent auf ihn. »Awrusch ist aufs höchste beunruhigt«, meldete Nolge. »Die Chirurgen machen ihm schwer zu schaffen.« »Das geschieht ihm recht«, erwiderte Terlahe kühl. Der Assistent öffnete ihm die Tür. Terlahe betrat das Büro und ging auf Awrusch zu. »Ich habe gehört, daß die Ärzte um den guten Ruf von Plophos fürchten«, sagte er. Das unmerkliche Lächeln auf seinen Lippen deutete an, daß er die Proteste der Mediziner für nicht ganz so wichtig nahm wie diese selbst. »Ich habe meine Entscheidung nicht revidiert«, entgegnete Awrusch. Er bot Terlahe Platz an, blieb aber selbst vor seinem großen Arbeitstisch stehen. Er lehnte sich an die Platte und verschränkte die Arme vor der Brust. Terlahe musterte den fast zwei Meter
50 großen Mann. Awrusch war mit 37 Jahren ungewöhnlich jung für sein hohes Amt. Seine schmalen, blauen Augen ließen eine hohe Intelligenz erkennen. »Ich habe es nicht anders erwartet«, sagte Terlahe. Er wußte, daß der Stellvertretende Obmann unglaublich ehrgeizig war. Es hieß, daß er unter dem Zwang stehe, sich ständig bestätigen zu müssen. Wie kaum ein anderer jagte er dem Erfolg hinterher. »Es ist nun einmal nicht möglich, alle Transplantationskliniken und alle Patienten zu überwachen und zu kontrollieren«, erklärte Awrusch. »Deshalb müssen wir auf alle Fälle verhindern, daß durch neue Patienten wiederum neue Probleme entstehen. Die Patienten, die wir haben, machen uns schon Sorgen genug.« »Es sind nicht alle, sondern nur ein kleiner Teil«, korrigierte Terlahe. »Leider wissen wir nicht, welche es sind – bis sie sich durch Gewalttaten selbst zu erkennen geben.« Awrusch setzte sich jetzt doch. Da er bei Terlahe keinen Widerstand gegen sich fühlte, wurde er zugänglicher und gab sich lockerer. »Darf ich fragen, ob Sie den Obmann verständigt haben?« »Rhodan-Abro? Bis jetzt nicht. Das halte ich nicht für notwendig. Wir haben zwar eine unangenehme Situation auf Plophos, aber wir befinden uns nicht in einer gefährlichen Krise, werter Mr. Terlahe.« »Es war nur eine Frage, Sir.« »Ich habe die USO unterrichtet«, sagte Awrusch »und Spezialisten angefordert. Ich habe zur Bedingung gemacht, daß diese Spezialisten mit Ihnen zusammenarbeiten.« »Mir geht es um den Fall, nicht um die Kompetenz«, erwiderte Terlahe bescheiden. Er wußte, daß Awrusch ihn nicht verstehen würde. Ein Mann wie er würde immer versuchen, die leitende Persönlichkeit in einer Gruppe zu bleiben, und sei sie auch noch so klein. »Was mir besondere Sorgen macht, ist die Tatsache, daß wir nicht wissen, wie viele
H. G. Francis Patienten unserer Kliniken sich bereits infiziert haben. Ich sage bewußt infiziert, obwohl ich mir darüber klar bin, daß diese ganze Geschichte mit Krankheitskeimen nicht unbedingt etwas zu tun haben muß. Was passiert, wenn einige Hundert dieser Patienten auf anderen Welten plötzlich Amok laufen? Was geschieht, wenn sie Schwerverbrechen begehen und wenn wir dafür verantwortlich gemacht werden?« Er starrte Terlahe an. Der Leiter der Untersuchungskommission schwieg. Er war nach wie vor der Meinung, daß Mory RhodanAbro sofort benachrichtigt werden mußte, aber er wußte auch, daß es sinnlos war, das noch einmal zu fordern. Awrusch würde nicht darauf eingehen. Er wollte diese Krise allein lösen, um sich und der Öffentlichkeit zu beweisen, daß er fähig war, RhodanAbro abzulösen und hauptamtlicher Obmann von Plophos zu werden. »Liegen Anfragen von anderen Planeten vor?« fragte Terlahe schließlich, als auch Awrusch beharrlich schwieg. »Meines Wissens doch nicht. Oder täusche ich mich?« »Bis jetzt hat sich noch niemand gemeldet, aber das kann sich stündlich ändern.« Die Chefsekretärin Awruschs kam herein. Sie legte dem stellvertretenden Obmann eine Meldung vor. Er nahm sie auf und las sie durch. »Zu Ihrer Information«, sagte er. »Quinto-Center hat die Entsendung von USO-Spezialisten genehmigt und ihr baldiges Eintreffen angekündigt.« Alvmut Terlahe atmete auf. Er war erleichtert, denn er fühlte, daß er dem Fall nicht mehr gewachsen war, obwohl die Zusammenarbeit mit der Polizei ausgezeichnet war. Die Amok-Krise drohte über die Grenzen von Plophos hinauszugehen, und in einem solchen Fall mußte die USO hinzugezogen werden. Damit wurde ihm zugleich auch ein großer Teil der Verantwortung genommen.
*
Das Amok-Team Jackmo Pappron hatte heftige Kopfschmerzen, als er wieder zu sich kam. Seine Glieder waren steif und unbeweglich. Er stöhnte. Ein nahezu unerträglicher Gestank drang ihm in die Nase. Er versuchte sich aufzurichten, schaffte es jedoch nicht. Er fiel zurück und wurde erneut bewußtlos. Als er wieder erwachte, ging es ihm etwas besser. Die Schmerzen waren nicht mehr ganz so stark wie vorher und er konnte auch schon etwas besser denken. Er lag auf dem Rücken. Es roch nach exotischen Tieren. Er verschränkte die Arme vor der Brust und massierte sich die Muskeln. Dadurch entkrampften sie sich schneller. Anschließend bearbeitete er seine Beine, bis er sie wieder bewegen konnte. Jetzt erhob er sich und machte einige gymnastische Übungen. Auf diese Weise überwand er den Paralyseschock relativ schnell. Pappron blickte sich um. Viel konnte er nicht erkennen. Er befand sich in einem winzigen Raum, der spärlich eingerichtet war. Durch die Tür und die geschlossenen Fenster drang der Tiergeruch herein. Eine stark beschmutzte Leuchtplatte an der Decke spendete ein wenig Licht. Pappron ging zur Tür und versuchte sie zu öffnen. Er war nicht überrascht, als es ihm nicht gelang. Dann machte er sich an den Fenstern zu schaffen und fand bald einen Schlitz, der breit genug war, einen Draht hindurchzulassen. Nach kurzer Suche fand er ein entsprechendes Werkzeug in einer Ecke in einem baufälligen Schrank, der sonst nichts enthielt. Er schob den Draht durch den Spalt am Fenster, erreichte damit den Impulsschalter und betätigte ihn. Das Fenster schwang auf. Pappron konnte in den Nebenraum sehen. In mehreren Käfigen wurden exotische Raubtiere gefangengehalten. Er sah gefleckte große Katzen, bärenartige Wesen von fünf Meter Höhe und eine Bestie, die ihn an einen Tausendfüßler erinnerte. Sie war etwa zwei Meter hoch und acht Meter lang. Direkt vor ihm, durch nichts mehr von ihm getrennt, kauerte ein Säbelzahntiger auf dem
51 blanken Boden. Blutspuren, Knochen und Fleischreste ließen klar erkennen, daß er gerade gefüttert worden war. Hatte die Portion aber ausgereicht, seinen Appetit zu beheben? Pappron trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Er beobachtete das Tier, das sich immer wieder die Lefzen leckte. Er Blick zur Käfigtür bewies ihm, daß er das Schloß leicht öffnen konnte, wenn er es erst einmal erreicht hatte. Von dort aus konnte er über den breiten Gang zwischen den Käfigen entkommen. Die Bestie gähnte gelangweilt und senkte den Kopf auf die mächtigen Pranken. Sie schloß die Augen und knurrte leise. Die mächtigen Muskeln seines Rückens zuckten, als sich eine Fliege darauf niederließ. Jackmo Pappron kaute auf den Lippen. Er mußte es wagen. Vorsichtig ließ er sich durch das Fenster gleiten. Seine Füße berührten den feuchten, glatten Boden. Langsam löste er sich vom Fenster und ging auf die Käfigtür zu. Dabei ließ er den Tiger nicht aus den Augen, obwohl er wußte, daß es jetzt keine Rettung mehr für ihn gab, wenn er ihn angreifen sollte. Er konnte nicht mehr zum Fenster zurückspringen. Selbst wenn er es vermocht hätte, dann hätte er es aber nicht mehr vor der Bestie schließen können. Als er die Käfigtür erreicht hatte, öffnete der Säbelzahntiger die Augen. Langsam hob er die Lefzen und entblößte die gewaltigen Reißzähne. Papprons Hand glitt durch das Gitter zum elektronischen Schloßschalter. Er betätigte ihn. Vor Schreck hätte er fast aufgeschrien, als die Tür sich ratternd öffnete. Der Tiger erhob sich. Er gähnte abermals und kam auf Pappron zu. Dieser schlüpfte durch die Tür hinaus und betätigte den Schalter erneut. Die Bestie ging dennoch weiter, strich nahe an ihm vorbei und begann mit einem Rundgang durch den Käfig. Sie tat, als sei überhaupt nichts geschehen. Er wandte sich ab und eilte über den Gang. Er fürchtete, daß jemand gehört hatte, wie die Käfigtür sich öffnete.
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H. G. Francis
Er erreichte ein breites Sicherheitsschott, das diesen Käfigtrakt verschloß. Er zögerte. Wenn er es aufgleiten ließ, gab er jede Deckung auf. Suchend blickte er sich um. Er konnte keinen anderen Ausgang finden. Also blieb ihm keine Wahl. Er mußte das Schott öffnen, auch auf die Gefahr hin, daß auf der anderen Seite jemand stand, der ihn sofort entdeckte. Er legte seine Hand auf die Kontaktplatte. Die Schotte glitten auf. Jackmo Pappron sah sofort, daß er verloren hatte. Mindestens zehn Männer standen im Kreis vor ihm. Sie sprachen miteinander, unterbrachen ihre Diskussion jedoch sofort, als sie ihn bemerkten. An ihnen vorbei konnte Pappron in eine Arena sehen, über der in großer Schrift stand: »ORBAG MANTEY«. In der Arena erkannte er Aufbauten, die nur für Artisten gedacht sein konnten. Er sah auch einen großen Käfig, wie Zirkusunternehmen ihn für Raubtierdressuren errichten. Er zweifelte nicht daran, daß er sich in dem Kuppelbau eines Weltraumzirkus befand. Jetzt erinnerte er sich auch daran, daß er ein solches Raumschiff auf dem Raumhafen von New Taylor gesehen hatte. Da ihn zirzensische Dinge nie sehr interessiert hatten, hatte er nicht darauf geachtet. Die Männer rannten auf ihn zu.
Jackmo Pappron blieb stehen. Er sah keinen Sinn darin, wegzulaufen oder sich zu wehren. Die Männer packten ihn und schleppten ihn zu einem anderen Schott. Sie brachten ihn durch einen stockdunklen Gang zu einer Tür und stießen ihn hindurch. Er hörte, wie sich das Schloß zusammenschob. In der Dunkelheit konnte er kaum etwas erkennen. Durch einen winzigen Spalt in der Wand fiel etwas Licht. Er tastete sich hinüber und kniete sich nieder, um hindurch zu sehen. Wieder blickte er in die Arena von ORBAG MANTEY. Er setzte sich hin und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Vergeblich versuchte er, sich aus den Ereignissen einen Reim zu machen. Er wußte nicht, was er hier sollte und welche Verbindung es zwischen dem Zirkus, den Organtransplantaten und den suggestiven Impulsen der eingepflanzten Organe geben konnte. Er dachte an Alvmut Terlahe. Hoffentlich gelang es ihm rechtzeitig, die geheimnisvollen Vorgänge zu enträtseln und diesem Zirkus auf die Spur zu kommen. Nur er konnte ihm jetzt noch helfen. ENDE
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