…dann antworten Sie mit Ja
Helen Brooks
Julia 1465 18 – 2/91
Gescannt von suzi_k
Korrigiert von vampyrL
1. KAP...
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…dann antworten Sie mit Ja
Helen Brooks
Julia 1465 18 – 2/91
Gescannt von suzi_k
Korrigiert von vampyrL
1. KAPITEL
„Nach London? O Cory, bitte tu das nicht! Ich bin sicher, dass du auch hier Karriere machen kannst." Cory Masters blickte ihren guten Freund Leslie Batley-Thomas an, den sie schon ihr ganzes Leben kannte - und ebenso lange liebte. Sie konnte ihm unmöglich sagen, dass sie das verschlafene kleine Städtchen im grünen Norden Yorkshires seinetwegen verlassen und gegen die Anonymität der Großstadt eintauschen wollte. Obwohl ihr nach Weinen zu Mute war, lächelte Cory strahlend. Ihre smaragdgrünen Augen mit den violetten Sprenkeln verrieten nichts von ihrem Schmerz. „Ich kann es nicht mehr rückgängig machen, Leslie." Sie strich sich eine Strähne des seidigen dunkelbraunen Haars aus dem Gesicht. „Vor einer Woche fand das Bewerbungsgespräch statt, und ich hätte nie gedacht, dass ich mich gegen die anderen Bewerberinnen durchsetzen würde. Aber heute Morgen habe ich von Mr. Hunters Sekretärin die Zusage bekommen, und in vier Wochen fange ich an. Sie wird mich einarbeiten und mir alles zeigen, bevor sie Ende Mai mit ihrem Mann in die USA geht." „Aber warum hast du mir nie gesagt, dass du dir eine neue Herausforderung wünschst?" fragte Leslie. Sein jungenhaftes Gesicht sah verletzt aus, und er runzelte die Stirn. „Außerdem verlässt Carole sich fest darauf, dass du ihr bei den Hochzeitsvorbereitungen hilfst - sie ist eben nicht besonders praktisch veranlagt", fügte er nachsichtig hinzu. „Immerhin bist du ihre Brautjungfer!" „Ich weiß." Wieder rang sie sich ein Lächeln ab. Sie würde die Brautjungfer der wunderschönen jungen Frau sein, die vor kurzem in Corys kleinen Heimatort gezogen war und in die Leslie sich auf den ersten Blick verliebt hatte. Carole James hatte blonde Locken, tiefblaue Augen und eine perfekte Figur mit endlos langen Beinen. Und sie ist nicht nur bildhübsch, sondern auch nett, dachte Cory wehmütig. Ein wenig unbeholfen vielleicht und sicher keine Intelligenzbestie, aber sehr sympathisch. „Ich werde wie versprochen Caroles Brautjungfer sein", versuchte sie Leslie zu beschwichtigen. „Die meisten Vorbereitungen können schon erledigt werden, bevor ich nach London gehe, und der Termin für die Trauung steht auch bereits fest. Du hast doch alles mit deinem Onkel besprochen, nicht wahr?" Leslies Onkel war der Vikar des kleinen Städtchens. „Außerdem kann ich im September noch einmal vor der Trauung nach Hause kommen, falls Carole bei den letzten Vorbereitungen noch meine Hilfe benötigt", sagte sie abschließend. „Natürlich tut sie das", erwiderte Leslie vorwurfsvoll. Vor Ärger vergaß Cory einen Moment lang ihren Schmerz. Wie konnte er nur so unsensibel sein? Seit ihrer Kindergartenzeit hatten sie und Leslie praktisch Tür an Tür gewohnt und waren immer unzertrennlich gewesen. Sie gehörte fast mit zu seiner Familie und er zu ihrer. Und sogar als sie nach der Schule an unterschiedlichen Universitäten studiert und andere Leute kennen gelernt hatten, war niemand ihnen je so nah und vertraut gewesen, wie sie es einander waren. Nicht, dass sie jemals ausdrücklich über ihre Beziehung gesprochen hatten, aber das war auch nicht nötig gewesen. Cory hatte gewusst, was sie einander bedeuteten. Oder zumindest habe ich immer geglaubt, es zu wissen, dachte sie bitter. „Leslie, ich weiß, dass Carole keine Familie hat, aber deine Eltern werden ihr sicher mit Rat und Tat zur Seite stehen." Sie bemühte sich, ruhig und gelassen zu klingen. „Die Festhalle ist bereits reserviert, und deine Mutter hat auch schon einen Catering-Service beauftragt. Du brauchst dir also wirklich keine Gedanken zu machen." „Aber Carole braucht doch deine moralische Unterstützung..." „Dafür hat sie ja immerhin auch noch dich", unterbrach Cory ihn. Langsam war sie
mit ihrer Geduld am Ende. Corys Mutter hatte leuchtend rotes Haar, und außer dem rötlichen Schimmer im dunkelbraunen Haar hatte sie ihrer Tochter auch das aufbrausende Temperament vererbt. „Du bist also fest entschlossen, nach London zu gehen?" fragte Leslie nach einer bedeutungsschweren Pause und presste die Lippen zusammen. „Ja", erwiderte sie fest. Am liebsten wäre sie sofort abgereist. Während der letzten Monate hatte sie mit ansehen müssen, wie Leslie die blonde Schönheit angebetet und sich ihr praktisch zu Füßen geworfen hatte. Und die Verlobungsfeier, die in der letzten Woche stattgefunden hatte, war die reinste Tortur für Cory gewesen. Bis zum Hochzeitstermin Mitte September waren es noch mehr als sechs Monate, und sie würde es nicht ertragen können, die ganze Zeit in Thirsk zu verbringen. Aus irgendeinem Grund schien Carole sie zu ihrer besten Freundin erkoren zu haben. „Dann gibt es wohl nichts weiter dazu zu sagen", bemerkte Leslie steif, fuhr jedoch fort: „Ich verstehe einfach nicht, warum du mit dem Jobwechsel nicht noch einige Monate warten und noch eine Zeit lang bei Stanley & Thornton's arbeiten kannst. Du hast gesagt, dass du eine Veränderung brauchst, was in deinem Alter ja verständlich ist", Cory hätte ihn am liebsten erwürgt, „aber sechs Monate mehr oder weniger hätten doch wirklich keinen Unterschied gemacht." „Vielleicht hatte ich ja angesichts meines hohen Alters das Gefühl, dass mir die Zeit wegläuft", entgegnete sie wütend, während Leslie zur Tür ging. Carole war gerade zwanzig Jahre alt und damit vier Jahre jünger, worauf sie bereits mehrere Male mit unschuldiger Engelsmiene hingewiesen hatte. Cory hatte sich jedes Mal uralt gefühlt. „Vielleicht hatte ich ja das Gefühl, etwas aus meinem Leben machen zu müssen, bevor es zu spät ist." Noch während sie es aussprach, wurde ihr klar, wie Recht sie damit hatte. Sie hätte Yorkshire schon vor mehreren Jahren verlassen sollen. Leslie stürmte aus dem geschmackvoll in Rosetönen gehaltenen Wohnzimmer, und einen Moment später hörte sie die Haustür ins Schloss fallen. Cory atmete tief ein, hob trotzig das Kinn und bemühte sich, die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Keine Tränen mehr! Sie versuchte, sich zu beruhigen, und wartete, bis ihr Herz wieder langsamer schlug. In den vergangenen Monaten hatte sie mehr als genug geweint. In vier Wochen würde sie Thirsk endlich verlassen, und selbst wenn sie die Stelle als Chefsekretärin des Inhabers von „Hunter Operations" nicht würde behalten können - sie hatte weder Leslie noch ihren Eltern gesagt, dass sie vorerst nur auf Probe eingestellt worden war -, würde sie auf keinen Fall wieder zurückkehren. In all den Zukunftsplänen, die Cory seit ihrer Kindheit geschmiedet hatte, hatte der große, gut aussehende Mann im Mittelpunkt gestanden, der gerade so aufgebracht aus dem Haus gerauscht war. Jetzt würde sie ganz von vorn damit beginnen müssen, ihr weiteres Leben zu planen. All ihre Träume von einem glücklichen, harmonischen Familienleben mit Leslie waren zerstört. Aber Cory beschloss, sich zusammenzunehmen, denn sie hatte in letzter Zeit genug Tränen wegen Dingen vergossen, die sich nicht ändern ließen. Sie wollte nicht den Respekt vor sich selbst verlieren. Sie richtete sich auf und hob das Kinn. Übertriebenes Selbstmitleid lag ihr nicht. Sie war jung und intelligent, und ihr Leben würde auch ohne Leslie Batley- Thomas weitergehen - mochte sie ihn auch noch so sehr lieben. Nein! An Leslie wollte sie jetzt nicht denken. Er war zwar ein großartiger, attraktiver Mann, aber er war bereits vergeben, und damit würde sie sich endgültig abfinden müssen. „Cory, ich freue mich, Sie wieder zu sehen. Bitte nennen Sie mich doch Gillian." Es war ein kalter Aprilmorgen vier Wochen später. Cory war am vergangenen Freitag in ihr kleines, aber gemütliches Einzimmer-Apartment gezogen. Als sie an
ihrem ersten Arbeitstag das beeindruckend große und vornehme Gebäude von Hunter Operations betrat, war sie nervös und angespannt. Sie musste an das kleine Büro von Stanley & Thornton's denken. Doch Gillians warmes Lächeln half ihr, die aufkommende Panik zu überwinden. „Hallo, Gillian", erwiderte sie und wunderte sich, dass ihre Stimme so normal klang. „Ich freue mich auch, Sie zu sehen. Wie geht es Ihnen?" „Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, und bin einem Nervenzusammenbruch nahe. Aber davon abgesehen, geht es mir ausgezeichnet", antwortete Gillian strahlend. Sie war so nett gewesen, Cory in der Empfangshalle abzuholen. Gemeinsam gingen sie zum Fahrstuhl. Gillian drückte auf einen der Knöpfe und fragte Cory: „Sie können es sicher kaum erwarten, Max endlich kennen zu lernen. Schließlich ist es sehr ungewöhnlich, dass man seinem zukünftigen Chef erst am ersten Arbeitstag vorgestellt wird, nicht wahr?" „Das stimmt", erwiderte Cory schwach. Denselben Gedanken hatte sie auch schon gehabt. „Er ist gerade von einer furchtbar anstrengenden Reise in den Fernen Osten zurückgekommen, die aber sehr erfolgreich verlaufen ist. Sie werden sicher gut mit ihm auskommen, Cory. Er ist ein ganz außergewöhnlicher Chef. Wenn mein Mann Colin nicht so eine fantastische Stelle in den USA gefunden hätte, hätte ich sicher niemals freiwillig bei Hunter Operations gekündigt - besonders nachdem ich fünfzehn Jahre lang für Max gearbeitet habe. Aber Colin muss so bald wie möglich in die USA. Sie wissen ja, wie diese großen Konzerne funktionieren", fügte sie fröhlich hinzu. Cory wusste es nicht, behielt das aber lieber für sich. Gillian erzählte immer noch unbekümmert weiter, als sich die Fahrstuhltüren öffneten. Ehrfurchtsvoll betrachtete Cory den dicken cremefarbenen Teppich und die elfenbeinfarbenen Leinentapeten. Plötzlich hörte sie eine wütende Männerstimme rufen: „Gillian? Wo, zum Donnerwetter, ist das Fax von Katchui?" Cory blickte den großen Mann an, der im Türrahmen stand und diesen fast auszufüllen schien. Doch Max Hunter schenkte ihr keinerlei Beachtung. Gillian, die sich offenbar durch nichts aus der Ruhe bringen ließ, gab ihr ein Zeichen, in ihrem Büro gegenüber zu warten. Dann ging sie auf Max Hunter zu und erwiderte gelassen: „Das Fax liegt bereits seit drei Tagen auf Ihrem Schreibtisch, aber vermutlich haben Sie es unter lauter anderen Papieren vergraben." Sie verschwand in seinem Büro, aber erst eine Weile später schaffte Cory es, sich in Bewegung zu setzen und in Gillians Büro zu gehen, in dem sie bald arbeiten würde. Allerdings kamen ihr, nachdem sie den Furcht erregenden Max Hunter kennen gelernt hatte, ernsthafte Zweifel, ob diese Stelle wirklich das Richtige für sie war. Ihr zukünftiger Chef war sehr groß - über einen Meter neunzig - und hatte auffallend breite Schultern. Er war noch nicht alt. Gillian hatte ihr erzählt, dass sein Vater, der Hunter Operations in den späten fünfziger Jahren gegründet hatte, vor fünfzehn Jahren gestorben war, so dass sein Sohn schon mit dreiundzwanzig das Unternehmen geerbt und die Geschäftsleitung übernommen hatte. Auf sie hatte der Mann mit den strengen Gesichtszügen und den silbergrauen Strähnen im schwarzen Haar jedoch etwas älter gewirkt als achtunddreißig. Und sein Verhalten ... Cory atmete tief ein, als sie sich in einen der gepolsterten Sessel in Gillians geräumigem Büro sinken ließ. Das also war der „außergewöhnliche Chef", von dem Gillian während des Vorstellungsgesprächs so geschwärmt hatte. „Alles wieder im Lot." Gillian lächelte strahlend, als sie zur Tür hereinkam, die ihr Büro mit dem ihres Chefs verband. „Er telefonierte gerade mit Mr. Katchui, als er das Fax suchte, und Max hasst es, wenn er nicht alles hundertprozentig unter Kontrolle hat - typisch Mann." Cory nickte nur und strich sich den engen Rock ihres marineblauen Kostüms glatt,
das sie ein Vermögen gekostet hatte. Dann räusperte sie sich und wollte Gillian eine besonders kluge Frage stellen, als diese ihr zuvorkam und eindringlich sagte: „Machen Sie sich keine Gedanken wegen Max' Verhalten, Cory. Eigentlich ist er ein großartiger Mensch, und ich bin immer gut mit ihm ausgekommen." „Wirklich?" Cory brauchte alle Ermunterung, die sie bekommen konnte. „Aber sicher." Gillian nickte. „Es dauert eine Weile, bis man sich an seine Art gewöhnt hat. Max weiß sehr genau, was er will, und noch genauer, was er nicht will. Unprofessionelles Verhalten ist ihm ein Gräuel." Das war wohl als Aufmunterung gemeint, und Cory rang sich ein Lächeln ab. „Er stellt sehr hohe Ansprüche an sich und andere", fuhr Gillian fort. Das wurde ja immer schöner! „Ich habe zehn Bewerbungsgespräche für ihn geführt. Ich kenne Max inzwischen sehr gut, und Sie waren die Einzige, die seinen Ansprüchen genügen kann. Einige der Kandidatinnen passten ganz einfach nicht ins Unternehmen, und zweien sah man sofort an, dass sie sich in nicht allzu ferner Zeit ein Baby wünschten. Sie kamen natürlich überhaupt nicht infrage. Max hasst es, sich ständig an neue Sekretärinnen gewöhnen zu müssen. Er mag auch keine Frauen, die sich die ganze Zeit die Fingernägel lackieren, und natürlich erwartet er hundertprozentige Einsatzbereitschaft, erstklassige Arbeit und absolute Diskretion", fügte sie gelassen hinzu. „Natürlich." Cory schluckte. Eigentlich sollte ic h mich geschmeichelt fühlen, dass sie ausgerechnet mich ausgewählt hat, ermahnte sie sich. Doch es fiel ihr schwer. „Jetzt weiß ich also, was Mr. Hunter nicht schätzt", wandte sie sich betont gelassen an Gillian. „Können Sie mir auch sagen, was er schätzt?" Der Klang der tiefen, kühlen Stimme ließ beide herumfahren. „Im Wesentlichen fünf Dinge: Intelligenz, Rückgrat, Stil, Courage und ..." Er machte eine Pause. „Und?" Nur unter Schwierigkeiten brachte sie die Frage heraus. Max Hunters Erscheinung überwältigte sie, doch sie wollte es sich nicht anmerken lassen. Er besaß, wie sie bereits festgestellt hatte, strenge Gesichtszüge und sah auffallend gut aus: sonnengebräunte Haut, markante Wangenknochen und volle Lippen. Doch das Auffälligste waren seine Augen - goldbraun, mit dichten tief schwarzen Wimpern -, die sehr durchdringend blickten. Noch nie hatte Cory solche außergewöhnlichen Augen gesehen. Sie machten Max, gemeinsam mit seiner Größe und seinem muskulösen Körper, unglaublich attraktiv. Sie konnte nicht glauben, dass dies ihr Chef sein sollte. „Und Schönheit", fügte er trocken hinzu. Mit seinen bernsteinfarbenen Augen musterte er sie blitzschnell von Kopf bis Fuß, dann lächelte er und trat auf sie zu, um ihr die Hand zu schütteln. Schnell sprang Cory auf. Ihre schmalen Finger verschwanden gänzlich in seiner großen Hand, doch ihr Händedruck war fest, und sie brachte sogar ein Lächeln zu Stande. Die letzte Be merkung war sicher nicht ernst gemeint gewesen. Denn Gillian war zwar immer sowohl elegant als auc h teuer gekleidet und perfekt geschminkt, doch als hübsch konnte man die unscheinbare, mütterlich wirkende Frau mit dem runden Gesicht wohl kaum bezeichnen. „Sie sind laut Gillian die perfekte Besetzung für diese Stelle", bemerkte er nachdenklich. Seine Stimme war tief und rau, und er hatte einen leichten Akzent, den Cory nicht zuordnen konnte. Ihr lief ein Schauer über den Rücken. „Mein Name ist Cory Masters." Sie hatte ihre Hand so bald • wie möglich zurückgezogen, denn die Berührung seiner warmen Haut machte sie noch nervöser. „Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Mr. Hunter." „Gleichfalls", erwiderte er gelassen. „Aber nennen Sie mich doch bitte Max." Max. Wie, um alles in der Welt, soll ich es nur fertig bringen, meinen Chef mit Vornamen anzusprechen? dachte Cory hilflos.
„Max steht für Maximilian", fügte er ruhig hinzu, nur sein Blick ließ erahnen, dass er bemerkt hatte, wie schnell sie die Hand zurückgezogen hatte. „Mein Vater behauptete immer, dass er mich nach dem Roboter Maximilian in einem seiner Lieblingsfilme benannt hat: Das schwarze Loch." Cory hatte noch nie davon gehört, doch sie nickte. „Aber in Wirklichkeit hatte er den Namen wegen des römischen Kaisers Maximilian ausgewählt. Er kommt aus dem Lateinischen und bedeutet der Größte." Er betrachtete sie prüfend, und um seinen Mund zuckte es leicht. Ob Roboter oder römischer Kaiser, der Name passt perfekt zu ihm, dachte Cory nervös. Er war mit Abstand der atemberaubendste Mann, dem sie je begegnet war, und sie hatte eine Stelle als seine Sekretärin und persönliche Assistentin angenommen. Sie musste völlig verrückt sein! „Gillian sagte, sie würde Ihnen während der kommenden Wochen alles Wichtige zeigen und erklären", fuhr er fort. „Im folgenden Monat werden Sie Ihr dann zur Hand gehen und in der Woche darauf hoffentlich bereits in der Lage sein, selbstständig zu arbeiten. Fragen Sie Gillian von mir aus ruhig Löcher in den Bauch, wenn Sie etwas Wichtiges wissen müssen, aber belästigen Sie mich nicht damit. Ich weiß nicht, wie die Organisation dieses Büros funktioniert, und ich will es auch gar nicht wissen. Dafür ist meine Sekretärin zuständig, und dafür bezahle ich sie. Ich erwarte, dass Sie mir innerhalb von fünf Sekunden jede Information geben können, die ich brauche. Ausreden lasse ich nicht gelten. Habe ich mich klar ausgedrückt?" „Absolut klar." Cory hielt sich kerzengerade, und bevor sie nachdenken konnte, erwiderte sie freundlich und gelassen: „Ich habe bereits gemerkt, dass Sie von Ihrer Sekretärin erwarten, dass Sie in allen Einzelheiten weiß, was sich auf Ihrem Schreibtisch befindet." Max antwortete nicht sofort, und mit seinem scharfen Verstand schien er zu analysieren, was genau sie mit dieser Bemerkung gemeint hatte. „Da haben Sie absolut Recht", erwiderte er betont ruhig. Doch er hatte die Augen leicht zusammengekniffen, und Cory wusste, dass er ihre ironische Anspielung auf das verschwundene Fax verstanden hatte. Er nickte kurz, ging hinaus und schloss die Verbindungstür hinter sich. Hätte sie doch nur den Mund gehalten! Mit solchen Bemerkungen würde sie sich nur selbst schaden. Das aufbrausende Temperament hatte Cory von ihrer impulsiven rothaarigen Mutter geerbt. Ein wenig mehr von der Gelassenheit ihres Vaters würde ihr nicht schaden. „Gut", Gillian klang unbeteiligt, „zuerst sollten Sie sich mit allen Unternehmen vertraut machen, die zum Hunter-Operations-Konzern gehören. Hier ist eine Aufstellung mit den wichtigsten Zahlen und zumeist vertraulichen Informationen. Außerdem habe ich eine Liste der wichtigsten Personen erstellt, mit denen Sie zu tun haben werden. Es sind sowohl Mitarbeiter von Hunter Operations als auch von anderen Unternehmen, mit ihren Eigenarten und wunden Punkten, um Ihnen den Umgang ein wenig zu erleichtern. Bitte vernichten Sie diese Liste, sobald Sie alles im Kopf haben, sonst werde ich womöglich noch wegen Rufmordes angezeigt!" „Ja, selbstverständlich - und vielen Dank!" Gillians Lächeln war herzlich und ansteckend. Cory fühlte sich schon ein wenig besser, doch ihre Hände zitterten, als sie sich setzte. Max Hunter ist sicher froh darüber, dass ich erst eine Probezeit durchlaufen muss, dachte sie ironisch und strich sich eine dunkle Strähne ihres glänzenden Haars aus dem Gesicht, die sich aus dem französischen Zopf gelöst hatte. Und sie konnte es ihm nicht einmal verdenken. Aber wenn er sich nach der Probezeit dagegen entscheiden sollte, ihr ein festes Arbeitsverhältnis anzubieten, würde es auf keinen Fall an mangelnder Einsatzbereitschaft oder schlechter Arbeit liegen.
Cory hörte gerade einer hochinteressanten und nicht gerade schmeichelhaften Beschreibung von Max Hunters derzeit größtem Konkurrenten zu, als der Summer von Gillians Telefon ertönte. „Ja, Max?" Nach einer kurzen Pause fügte sie etwas erstaunt hinzu: „Ja, von mir aus sehr gern, ich werde Cory fragen." Cory blickte auf, doch Gillians Miene verriet nicht, worüber sie gerade mit Max gesprochen hatte. „Max lässt fragen, ob Sie heute Mittag schon etwas vorhaben. Er hat vorgeschlagen, dass wir gemeinsam zum Lunch ins Montgomery's gehen könnten, um Ihren Einstand bei Hunter Operations zu feiern. Ich habe nichts anderes vor, wie sieht es mit Ihnen aus?" „Montgomery's?" Cory war erst vor einer Woche nach London gezogen und hatte den Namen noch nie gehört. Doch Gillians Tonfall ließ sie erahnen, dass es sich nicht um ein Fast-Food-Restaurant handelte. „Ja, ich komme sehr gern mit", erwiderte sie schwach. Nachdem Gillian Max ausgerichtet hatte, dass sie beide mitkommen würden, fragte Cory: „Um was handelt es sich beim Montgomery's, Gillian?" „Es ist ein ,In- Restaurant'", erwiderte Gillian vorsichtig. „Ein sehr ... gutes übrigens. Ich war ein oder zwei Mal dort, das Essen ist ausgezeichnet", fuhr sie betont gelassen fort, doch Cory war klar, was sie damit meinte. „Ich verstehe." Cory verließ der Mut. Männer wie Max Hunter luden ihre Sekretärinnen sicher häufig in derart vornehme Lokalitäten ein, aber sie war bei weitem nicht so weltgewandt und erfahren wie Gillian. Sollte das Essen etwas wie ein Test sein? Während sie sich eine überwältigende Fülle neuer Informationen einzuprägen versuchte, verging der Vormittag wie im Flug. Kurz vor zwölf Uhr ging sie in den kleinen in Rosa und Weiß gehaltenen Waschraum, der zu ihrem zukünftigen Büro gehörte, um sich etwas frisch zu machen. „Was, um alles in der Welt, tust du hier, Cory?" fragte sie ihr Spiegelbild. Die elegante Frisur, das dezente, aber perfekte Make- up, das teure Kostüm und die italienischen Pumps - das war doch nicht sie, Cory Masters. Sie kam sich völlig fehl am Platz vor und bereute bereits, dass sie sich überhaupt um die Stelle beworben hatte. Aus smaragdgrünen, ängstlichen Augen blickte ihr Spiegelbild sie an. Cory schluckte und bemerkte, dass ihre Handflächen vor Nervosität feucht waren. Sie atmete tief ein und versuchte, sich zu beruhigen. Dann ließ sie kaltes Wasser über ihre Handgelenke laufen und frischte rasch ihr Make- up auf. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Schließlich musste sie die Miete bezahlen, und obwohl es- lediglich ein Einzimmer-Apartment in einem alten Haus in Chiswick war, kostete es ein kleines Vermögen. Sie brauchte jeden Penny ihres Gehalts. Allerdings würde es sich nach der Probezeit verdoppeln, so dass sie dann sehr gut verdiente. Sicher hätte sie auch eine billigere Wohnung finden können, aber sie hatte sich nun einmal auf den ersten Blick in das liebevoll restaurierte viktorianische Haus verliebt, und von ihrem im Obergeschoss gelegenen Apartment aus hatte sie einen fantastischen Blick. „Cory?" rief Gillian fragend. Cory atmete noch einmal tief ein und strich sich den Leinenblazer und die jadegrüne Bluse glatt, bevor sie hinausging. Die beiden Frauen hatten sich gerade die Mäntel angezogen, als die Tür zu Max' Büro aufging und er heraustrat. Seine Bewegungen waren geschmeidig wie die einer Raubkatze und hatten eine ähnlich Furcht erregende Wirkung. Max machte sich nicht die Mühe, sie mit einem freundlichen Wort zu begrüßen. Er forderte sie lediglich mit einer lässigen Handbewegung auf, ihm zu folgen. Seine Miene war undurchdringlich. Genau in diesem Moment klingelte Gillians Telefon. „Lassen Sie es klingeln." Das war eindeutig ein Befehl, und Gillian nickte. Doch als Max die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, sprang der Anrufbeantworter an,
und eine Männerstimme fragte: „Gill? Bitte geh ans Telefon, wenn du da bist, es ist wichtig!" „Das ist Colin", murmelte Gillian und lief wieder hinein. Max lehnte sich gegen die Wand und betrachtete Cory. Sie wollte sich ihre Nervosität nicht anmerken lassen und hielt seinem Blick stand. „Wie war Ihr erster Tag bisher?" fragte er rau, und ihr lief ein Schauer über den Rücken. „Gut." Zur Bekräftigung nickte Cory. Insgeheim hoffte sie, dass er sich ihre hochroten Wangen damit erklären würde, dass es im Büro sehr warm war. Meine Nervosität ist einfach lächerlich, dachte Cory und überlegte fieberhaft, was sie nur sagen könnte. In nicht allzu ferner Zeit würde sie täglich von neun Uhr bis um fünf - oder sogar bis um sechs oder sieben - für diesen Mann arbeiten, aber wenn sie so weitermachte, würde sie mit Sicherheit nicht einmal eine Woche durchhalten. Bei ihrem Vorstellungsgespräch im Februar war sie so ruhig und gelassen gewesen. Zwei Tage zuvor hatte Leslies und Caroles Verlobungsfeier stattgefunden. Cory war so voller Schmerz und Verzweiflung gewesen und hatte Gillians nicht enden wollende Fragen und Tests gleichmütig und ruhig überstanden. Das Schlimmste, was passieren konnte, war bereits geschehen: Leslie würde eine andere Frau heiraten. Was hatte es da schon geändert, ob ihre Bewerbung erfolgreich verlaufen würde oder nicht? Dieser Gedanke hatte sie erfüllt, bis - ja, bis sie an diesem Morgen um genau neun Uhr in zwei goldbraune Augen geblickt hatte, die zu dem unbewegtesten Gesicht gehörten, das sie je gesehen hatte. Allerdings war es, wie sie sich widerstrebend eingestehen musste, auch mit Abstand das attraktivste. „Gut?" Er betonte das Wort und zog spöttisch die Brauen hoch. „Könnten Sie sich etwas genauer ausdrücken?" Nein, das beabsichtigte sie nicht, und ebenso wenig würde sie sich von seiner herablassenden Frage aus der Reserve locken lassen. Merkwürdigerweise kamen ihr zwei der von Max so ge schätzten Eigenschaften zu Hilfe: Rückgrat und Courage. Statt kühl und ironisch, wie sie ihm am liebsten geantwortet hätte, erwiderte Cory zurückhaltend und höflich: „Es wäre wohl anmaßend, mir jetzt, nach nur drei Stunden, schon ein Urteil zu erlauben. Aber Gillian war besonders nett und hilfsbereit." „Das ist sie immer", bemerkte Max warm. Die offensichtliche Zuneigung ließ seine Stimme noch verführerischer klingen. „Sie ist eine wirklich außergewöhnliche Sekretärin." „Genau das sagte sie über ..." Cory unterbrach sich. Sie war sich ganz und gar nicht sicher, ob es Gillian recht wäre, wenn sie deren Bemerkung über ihren Chef wiederholte. Doch es war bereits zu spät. „Über wen?" fragte Max, doch er kannte die Antwort bereits. „Über Sie", musste Cory wohl oder übel gestehen. „Sie sagte, Sie seien ein außergewöhnlicher Chef." „Und Sie bezweifeln das?" Cory fühlte sich überrumpelt. Sie blickte ihn ratlos mit ihren smaragdgrünen Augen an. Sie hatte die Lippen leicht geöffnet, während sie fieberhaft überlegte, was sie darauf antworten sollte. Max Hunter schien sehr amüsiert zu sein. Lässig lehnte er sich zurück. „Ja oder nein?" fragte er leicht spöttisch. Cory musste an Mr. Stanley denken. Zwischen ihrem alten und ihrem neuen Chef lagen Welten. Dem kleinen, stämmigen Mr. Stanley mit seiner gründlichen, aber auch pedantischen Arbeitsweise wäre es nie eingefallen, sich auf diese Art mit seiner Angestellten zu unterhalten. Aber noch war sie nicht Max Hunters Sekretärin,
und vielleicht hatte er bereits beschlossen, dass sie es auch nie werden würde. Cory war sich nicht sicher, ob sie selbst es wollte. Insgeheim musste sie Gillian Recht geben: Max Hunter war wirklich ein außergewöhnlicher Chef. Endlich fiel ihr eine passende Antwort ein. „Ich bin mir sicher, Gillian hat völlig Recht mit der Einschätzung, dass Sie einzigartig sind, Mr. Hunter", sagte sie unschuldig. „Max", korrigierte er sie. „Ich musste mir schon weniger diplomatisch ausgedrückte Beleidigungen anhören. Ich hoffe, Sie arbeiten ebenso gut, wie Sie schlagfertige Antworten geben." Auf ein Wortgefecht wollte sie sich lieber nicht einlassen. „Besser", erwiderte sie betont fröhlich. Diese Stelle werde ich nicht lange behalten, dachte sie dabei. „Dann werden wir sicher gut miteinander auskommen." Er richtete sich auf, als Gillian aus dem Büro kam. In diesem Moment bemerkte Cory die lange, gezackte Narbe. Sie begann oberhalb des rechten Ohrs und verlief über den Hals bis zum Hemdkragen. Max musste einmal einen schweren Unfall gehabt haben. Einen Moment lang konnte sie den Blick nicht von der Verletzung abwenden, die sich als weiße Linie von seiner gebräunten Haut abhob. Was, um alles in der Welt, war ihm passiert? „Es tut mir Leid, dass ich Sie beide habe warten lassen." Gillian schien ganz durcheinander zu sein. „Colin geht es nicht gut." Max nahm ihren Arm und führte sie zum Fahrstuhl. „Ist er krank?" fragte er überraschend sanft. „Es ist nichts Ernstes." Gillian atmete tief ein. „Vermutlich eine leichte Lebensmittelvergiftung." „Aber Sie vermissen ihn, und ganz sicher ergeht es ihm mit Ihnen nicht anders." Gillian nickte und rang sich ein Lächeln ab. „Ich weiß, es ist albern, aber wir sind zum ersten Mal getrennt - und immerhin sind wir schon seit zwanzig Jahren verheiratet. Doch zum Glück hat Colin endlich eine schöne Wohnung gefunden, und wenn ich in sechs Wochen zu ihm fliege, wird bereits alles fertig eingerichtet sein." Sechs Wochen! Falls Cory dann noch in diesem Unternehmen arbeiten sollte, wäre sie von da an allein mit Max Hunter. Gillian würde nicht mehr da sein, um sie zu beruhigen. Cory stolperte, als sie hinter der älteren Frau in den Fahrstuhl steigen wollte, doch sofort schloss sich eine kräftige Hand um ihren Ellenbogen und hielt sie fest. „Vorsicht." Max stand direkt hinter ihr, und neben seiner beeindruckenden Größe von einem Meter neunzig wirkte Cory mit ihren ein Meter sechzig geradezu winzig. „Danke", murmelte sie. „Nichts zu danken. Ich möchte schließlich nicht, dass Sie sich gleich am ersten Arbeitstag das Genick brechen", erwiderte er gelassen. „Und besonders nicht innerhalb dieses Gebäudes, sonst verklagen Sie mich noch wegen fahrlässiger Körperverletzung." „Ich würde nie auf die Idee kommen, Sie wegen etwas zu verklagen, was ich mir selber zuzuschreiben habe", antwortete Cory entrüstet. „Tatsächlich nicht?" fragte er ironisch. „Nein." Sie sah zu ihm auf und hielt seinem spöttischen Blick stand. „Das wäre nicht anständig." „Nicht anständig ..." wiederholte er amüsiert. Cory wurde klar, dass sie sich nicht sehr geschickt ausgedrückt hatte, doch jetzt war es zu spät. „Und Sie selbst sind immer ... anständig, Cory?" fragte er gespielt arglos. „Natürlich." Dass Max Hunter sie nicht mochte, war offensichtlich. Seine Ablehnung wurde mit jedem Wort und Blick deutlich. Gillian gegenüber war er
freundlich und mitfühlend gewesen, doch sie, Cory, schien er provozieren zu wollen. Er war ein Mann mit all den Eigenschaften, die sie hasste - ein arroganter, gefühlloser Macho. „Dann hat Gillian eine gute Wahl getroffen." Mit dieser Be merkung hatte Cory nicht gerechnet, und sie war froh, dass sich genau in diesem Moment die Fahrstuhltüren öffneten. „Und jetzt entspannen wir uns ein bisschen beim Essen, nicht wahr?" Max' Stimme klang ruhig und gelassen, und Cory hatte das Gefühl, dass der Mann, der sie und Gillian durch die vornehme Eingangshalle führte, ein gänzlich anderer Mensch war als derjenige, den sie bisher als Max Hunter kennen gelernt hatte. Als er durch die große Glastür mit den polierten Messingknäufen nach draußen trat, die ihm von einem eilfertigen Mitarbeiter aufgehalten wurde, schien er das Musterexemplar eines erfolgreichen Unternehmers und Geschäftsmannes zu sein: kühl, gelassen und von unerschütterlichem Selbstvertrauen. Vor dem Gebäude parkte ein silberblauer Rolls- Royce im Halteverbot. Max half den beiden Frauen beim Einsteigen, und Cory hatte das Gefühl, in einem farbenprächtigen Film mit besonders aufwendigen Kulissen mitzuwirken. Jeden Augenblick würde der Regisseur auftauchen und „Schnitt!" rufen. Sobald der Chauffeur Max sah, riss er den Schlag der Limousine auf. Cory stieg hinter Gillian in den Wagen, die bereits auf der lederbezogenen Rückbank Platz genommen hatte. Insgeheim wünschte sie, ihr Rock wäre weniger eng. Er war wadenlang und von schlichter Eleganz, behinderte sie aber beim Einsteigen, und sie spürte förmlich Max' Blick auf ihrem Po, über dem sich der Stoff spannte. Als sie schließlich neben Gillian saß, war sie erhitzt und außer Atem. Max nahm neben ihr Platz. Sein Oberschenkel berührte ihren, und ihr wurde noch heißer. Er ist dein Chef, nichts weiter, ermahnte sie sich. Cory hätte später weder sagen können, wie lange die Fahrt zum Montgomery's dauerte, noch, worüber sie auf dem Weg dorthin gesprochen hatten, denn sie hatte sich die ganze Zeit nur darauf konzentriert, nicht die Fassung zu verlieren. Doch sie musste sich relativ normal verhalten haben, denn Gillian schien entspannt und fröhlich, als der Wagen vor dem vornehmen, luxuriösen Restaurant hielt. Vielleicht hatte es auch am Champagner gelegen. Als Max den Barschrank aus matt glänzendem Holz gegenüber der Sitzbank geöffnet hatte, hatte Cory sich bemühen müssen, ihn nicht erstaunt anzusehen. Doch sie konnte nicht verhindern, dass sie völlig verblüfft war. Die gekühlten Gläser, die Max ihr und Gillian reichte, waren elegant und langstielig, und der Champagner schmeckte unbeschreiblich köstlich - trocken und fruchtig zugleich. Max hob sein Glas. „Auf die neue Mitarbeiterin von Hunter Operations", sagte er, und Cory wurde rot. „Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie mich auf diese Weise willkommen geheißen haben, als ich für Sie zu arbeiten anfing, Max", bemerkte Gillian. „Damals wusste ich eben noch nicht, wie man seine Sekretärin behandelt", erwiderte Max lächelnd. „Aber das haben Sie mir ja beigebracht." Cory beneidete die andere Frau darum, wie gelassen sie mit Max Hunter umging. Natürlich war sie auch einige Jahre älter als er und kannte ihn inzwischen sehr gut, aber Cory bezweifelte, dass sie selber es je fertig bringen würde, eine so unbefange ne Beziehung zu ihm aufzubauen - die Grundlage jeder guten Zusammenarbeit zwischen Chef und Sekretärin. Max Hunter jagte ihr einfach zu viel Angst ein. Wie bitte? Sofort, als Cory sich bei diesem Gedanken ertappte, sträubte sie sich innerlich dagegen. Bisher hatte es noch kein Mann fertig gebracht, sie einzuschüchtern - noch nicht einmal der Direktor ihrer Schule, vor dem selbst die
mutigsten Schüler Respekt gehabt hatten. Sie hatte keine Angst vor ihrem neuen Chef. Wie konnte sie so etwas Lächerliches auch nur denken? Es musste am Champagner liegen. „Cory? Geht es Ihnen gut?" fragte Gillian sanft. Cory schreckte aus ihren Gedanken hoch und bemerkte, dass sie mitten auf dem Bürgersteig stehen geblieben war. Max hielt geduldig die Tür zum Restaurant auf. Sein durchdringender Blick verunsicherte sie. Sie musste an einen Tierfilm denken, den sie am Abend zuvor im Fernsehen gesehen hatte. Ein Löwe hatte einem Gnu aufgelauert. Die Augen, mit denen er seine Beute beobachtete, bevor er es angriff, hatten denen von Max geglichen: bernsteinfarben, faszinierend und erbarmungslos zugleich. Doch dann lächelte Max, und plötzlich war er wieder nur ein außergewöhnlich attraktiver, intelligenter und interessanter Mann. Das Essen war unbeschreiblich köstlich. Sie saßen abseits der anderen Gäste in einer Nische, und Cory gelang es endlich, sich ein wenig zu entspannen. Während des Essens war Max ein ebenso charmanter wie unterhaltsamer Gesprächspartner, und als Cory den letzten Bissen von der köstlichen Crepe Suzette verzehrte, war sie gelassen und guter Laune. Umso unerwarteter traf es sie, als Max sich zu ihr wandte und unvermittelt fragte: „Nun, Cory, haben Sie sich schon entschieden, ob Sie die Flucht ergreifen oder bleiben werden?" Spöttisch zog er die Brauen hoch. „Was?" Sofort registrierte sie, dass ihre Stimme zu laut war. Sie durfte sich nicht anmerken lassen, wie überrumpelt sie sich fühlte. Gillian war kurz zuvor zu den Waschräumen gegangen, und sicher hatte Max nur auf diese Gelegenheit gewartet. Ganz ruhig bleiben, ermahnte sie sich insgeheim, während er sich zurücklehnte und sie aus zusammengekniffenen, goldbraunen Augen beobachtete wie der Löwe das Gnu, nur dass sie nicht einfach davonlaufen konnte. Max Hunter gehörte zu den Menschen, die auf andere auch dann einschüchternd wirkten, wenn sie es gar nicht beabsichtigten. Doch über seine Absichten war sie sich im Moment nicht im Klaren. Er war so groß und kräftig und so ... männlich. Nichts, was er tat, keine noch so kleine Geste, schien unbeabsichtigt oder zufällig zu sein. Jetzt ist aber Schluss, ermahnte sich Cory. Als Nächstes würde sie ihm noch unterstellen, er habe übernatürliche Kräfte. Das würde ihm sicher gefallen. Der Gedanke brachte Cory wieder zur Vernunft. Sie atmete einige Male tief ein. Dann lächelte sie und sagte betont gelassen: „Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen, Max." „Tatsächlich nicht?" Seine dunklen Pupillen setzten sich deutlich von der bernsteinfarbenen Iris ab. „Sie haben also nicht in Erwägung gezogen, auf der Stelle wieder zu kündigen?" „Nein, das habe ich nicht." Cory war kein Mensch, der schnell aufgab. „Ich bin ja vorerst noch nicht fest angestellt", erwiderte sie ruhig. „Und vielleicht werden Sie nach der Probezeit der Meinung sein, dass ich für die Stelle nicht geeignet bin", fügte sie hinzu. „Meine Meinung stand bereits nach fünf Minuten fest", antwortete er. „In meiner Position muss ich sofort in der Lage sein, mir ein Bild von der Persönlichkeit eines Menschen zu machen." „Ist das nicht ein wenig vorschnell?" Missbilligend runzelte Cory die Stirn. „Nein, ich fälle Urteile auf der Grundlage jahrelanger Erfahrung und eines natürlichen Misstrauens gegenüber meinen Mitmenschen", entgegnete er leicht spöttisch. „Und ich täusche mich nie, Cory. Nicht mehr." „Oh, dann waren Sie also auch einmal so unvollkommen wie wir Normalsterblichen?" Sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, wünschte Cory sich, sie hätte ihre Zunge besser im Zaum gehalten. So konnte man doch nicht mit
seinem Chef sprechen - vorausgesetzt, man hatte vor, auch in Zukunft für ihn zu arbeiten. Mr. Stanley hätte auf der Stelle einen Herzinfarkt bekommen - aber Max Hunter war eben nicht Mr. Stanley. Offenbar amüsierte es ihn, dass er sie in Verlegenheit gebracht hatte. „Ich bin froh, dass ich Sie nicht zum Feind habe. Und ...", er trank den letzten Schluck Kaffee und fuhr dann fort, „... außerdem werden Sie als meine Sekretärin und Assistentin sehr eng mit mir zusammenarbeiten, oft elf oder zwölf Stunden am Tag. Ich verachte Menschen, die nicht offen ihre Meinung sagen, und langweilige Frauen mag ich auch nicht." Nach einer kurzen Pause stellte er fest: „Ich verzeihe fast alles, was ohne böse Absicht passiert. Aber Heuchelei und Unehrlichkeit verachte ich ebenso wie unterwürfige Menschen, die der Meinung sind, dass der Chef immer Recht habe. Ich habe zwar tatsächlich immer Recht", sagte er lächelnd, „aber wenn Sie meine Meinung immer teilen würden, wäre das doch auf Dauer sehr langweilig." Prüfend blickte er sie an und setzte dann unvermittelt hinzu: „Und es ist auch nicht weiter schlimm, dass ich Ihnen unsympathisch bin - denn das bin ich doch, nicht wahr?" Das war eher eine Feststellung als eine Frage, und Cory war sprachlos. Über ihren verwirrten Gesichtsausdruck musste Max Hunter lachen, aber es klang so, als würde er nicht allzu oft lachen. „Machen Sie sich deswegen keine Gedanken", versuchte er sie zu beruhigen. „Ob Sie es glauben oder nicht, für mich ist das eine Ihrer besten Eigenschaften. Einer der Gründe, warum Gillian und ich so gut zusammengearbeitet haben, ist die Tatsache, dass sie glücklich verheiratet ist. Unsere Beziehung war immer rein geschäftlicher Natur." Wollte er sie etwa davor warnen, für ihn zu schwärmen? Cory schwankte zwischen Erleichterung und Empörung, doch schließlich gewann Letzteres die Oberhand. Was für ein eingebildeter, überheblicher Kerl! „Macht und Reichtum machen einen Mann in den Augen vie ler Frauen sehr attraktiv. Und obwohl ich zugeben muss, dass mir das in manchen Situationen nicht gerade ungelegen kommt", in seiner dunklen Stimme schwang ein Ton mit, der ihr einen Schauer über den Rücken laufen ließ, „ist es bei der Arbeit schlichtweg lästig und manchmal sogar riskant. Als meine Sekretärin werden Sie Zugang zu absolut vertraulichen Papieren haben, die sich vorzüglich dazu eignen würden, sich persönlich an mir zu rächen." „Mr. Hunter." Cory konnte sich nicht erinnern, schon einmal so wütend gewesen zu sein. „Nicht einmal in meinen kühnsten Träumen würde ich auf die Idee kommen, so etwas zu tun - noch nicht einmal, wenn ich Sie für den unwiderstehlichsten Mann auf der Welt halten würde." „Was Sie nicht tun", fügte Max hinzu. „Nein, allerdings nicht", fügte sie empört hinzu. „Sehen Sie, es ist die perfekte Lösung für uns beide. Ich kann mir sicher sein, dass meine Sekretärin zuverlässig und vertrauenswürdig ist und dass sie - laut den Empfehlungen, die ich sowohl von Mr. Stanley als auch von anderer Seite erhalten habe niemals ihre berufliche Professionalität durch unangebrachte Gefühle beeinflussen lassen würde. Ihnen bietet die Stelle die Möglichkeit, Karriere zu machen und etwas von der Welt zu sehen, außerdem bekommen Sie ein angemessenes Gehalt. Ganz abgesehen davon, dass Sie Ihrer engen kleinen Heimatstadt entkommen. Warum haben Sie sich eigentlich entschlossen, von dort fortzugehen?" fragte er unvermittelt. Auf diese Frage war Cory nicht vorbereitet, und sie fühlte sich überrumpelt. Betont ruhig erwiderte sie: „Es war einfach an der Zeit für mich, auf eigenen Füßen zu stehen und etwas Neues kennen zu lernen. Ich habe Berufserfahrung und ausgezeichnete Kenntnisse", brachte sie mühsam hervor, denn es lag ihr nicht, sich
selbst zu loben, „und mit vierundzwanzig Jahren wurde es Zeit für mich, beruflich weiterzukommen. Ich ..." „Ich habe Sie nicht gebeten zu wiederholen, was in Ihrem Be werbungsschreiben steht", unterbrach Max sie kühl. „Ich möchte den wirklichen Grund erfahren war es ein Mann?" Cory war sich bewusst, dass er ihr den Schmerz, den sie noch immer empfand, vom Gesicht ablesen konnte, bevor eine unbändige Wut von ihr Besitz ergriff. Ihre grünen Augen schienen Funken zu sprühen, und sie ballte die Hände zu Fäusten. „Eins möchte ich ein für alle Mal klarstellen", sagte sie beherrscht, „sollte ich nach der Probezeit weiter für Sie arbeiten, haben Sie selbstverständlich Anspruch darauf, dass ich im Beruf mein Bestes gebe. Aber mein Privatleben geht nur mich etwas an." Es war also wirklich ein Mann, dachte Max, als er ihr wütendes Gesicht betrachtete. Und ganz offensichtlich war sie noch, lange nicht über ihn hinweg. Doch er ließ sich nichts anmerken und erwiderte nur gelassen: „Da haben Sie sicher absolut Recht." Und als Gillian sich dem Tisch näherte, fügte er hinzu: „Dann können wir jetzt wohl zurückfahren. Und, übrigens, Cory..." Cory, die gerade aufgestanden war, wandte sich zu ihm um. Sie stand so dicht bei ihm, dass der herbe Duft seines After Shaves sie umgab. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück und stieß dabei gegen den Tisch. „Ja?" fragte sie vorsichtig. „Sie haben die Probezeit bereits bestanden - schon seit heute Morgen um fünf nach neun."
2. KAPITEL Für Cory waren die folgenden Wochen geradezu eine Offenbarung. Sie lernte täglich so viel Neues, dass die Stunden wie im Flug vergingen, und die neue Arbeit gefiel ihr. Das war noch untertrieben - sie liebte ihre neue Tätigkeit und konnte es morgens kaum erwarten, ins Büro zu kommen. Bei Stanley & Thornton's hatte sie gute und schlechte Tage gehabt. Sekretärin der Geschä ftsleitung zu sein war interessant und anspruchsvoll gewesen, für Max Hunter zu arbeiten war jedoch etwas völlig anderes. Doch als Cory am Morgen des siebzehnten Mai aufwachte -einem strahlend schönen Tag -, war sie nervös, denn von heute an würde sie die unzähligen Aufgaben, die Gillian scheinbar so spielend bewältigt hatte, allein übernehmen müssen. Vor lauter Aufregung hatte sie das Gefühl, Schmetterlinge im Bauch zu haben. Cory schlug die Decke zurück und blickte aus dem Fenster. Sie versuchte sich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass Max Hunter seit dem Lunch an ihrem ersten Arbeitstag sehr zurückhaltend gewesen war. Gillian schien seine Gedanken lesen zu können und hatte ihm nie Anlass zur Verärgerung gegeben. Doch Cory hatte bereits festgestellt, dass er nicht gerade ein Muster an Nachsicht war, und sie hatte das Gefühl, dass er sich Mühe hatte geben müssen, um ihr gegenüber während der Einarbeitungszeit immer geduldig und höflich zu sein. Max Hunter hatte wenig Verständnis für Menschen, die sich Fehler erlaubten. Keine Panik, versuchte sie sich zu beruhigen, während ihr Herz wie wild klopfte. Sie musste sich eingestehen, dass Max' Angewohnheit, beim Arbeiten das Jackett auszuziehen und den Schlips zu lockern oder ganz abzunehmen, nicht gerade dazu beigetragen hatte, dass sie sich in seiner Gegenwart entspannte. Gedankenverloren biss sie sich auf die Lippe. Wie konnte sie nur so albern sein! Ob Max sein Jackett beim Arbeiten auszog oder nicht, konnte ihr doch gleichgültig sein - er war ihr Chef, nichts weiter! Doch sie konnte sich noch lebhaft daran erinnern, wie sie an ihrem zweiten Arbeitstag in sein Büro gekommen war, um ihm einen Bericht zu bringen. Max hatte an seinem mit Papieren überhäuften Schreibtisch gesessen. Die Enden seines Schlipses hatten rechts und links vom Kragen gebaumelt, und die obersten drei Hemdknöpfe waren geöffnet gewesen und hatten den Blick auf seine gebräunte, muskulöse Brust freigegeben. Cory war bei diesem Anblick beinahe schwindelig geworden. Zum Glück hatte Max sich sofort in den Bericht vertieft und ihre Verwirrung nicht bemerkt. Cory konnte nicht glauben, was damals in ihr vorgegangen war. Sie wurde immer noch rot, wenn sie nur daran dachte, was für Gefühle er in ihr ausgelöst hatte, obwohl sie sich doch gar nicht zu ihm hingezogen fühlte. Diese Tatsache rief sie sich jeden Tag mehrmals in Erinnerung. Es war nur einfach so, dass Max sich so sehr von ihrem früheren Chef unterschied. Mr. Stanley war mit seiner kleinen, untersetzten Statur und seinem ständigen Schniefen - er litt unter einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung - nicht gerade ein Abbild männlicher Attraktivität gewesen. Ihre Reaktion auf Max war rein körperlicher Natur, und sie würde bald darüber hinweg sein. Hoffentlich sehr bald, dachte sie und seufzte. Noch war sie in seiner Gegenwart ständig nervös, und sie wollte sich dies um keinen Preis anmerken lassen. Cory atmete einige Male tief ein und sah sich in dem sonnendurchfluteten Zimmer um. Ihr Blick fiel auf die große Keksdose, die auf dem Kühlschrank der winzigen Küchenzeile stand. Am vergangenen Wochenende hatte sie das erste Mal, seit sie nach London gezogen war, ein Wochenende bei ihren Eltern in Yorkshire verbracht. Vor der Abfahrt hatte ihre Mutter den Kofferraum von Corys kleinem Auto mit genug Essensvorräten
für eine ganze Woche gefüllt. Das Wochenende war sehr schön gewesen. Cory hatte schon immer ein enges Verhältnis zu ihren Eltern gehabt und es sehr genossen, die beiden wieder zu sehen. Am Samstag waren sie abends gemeinsam ausgegangen, und alle drei hatten zu viel gegessen und zu viel getrunken. Das erste Wiedersehen mit Leslie nach über sechs Wochen war nicht einfach für Cory gewesen. Sie war spät am Freitagabend nach Gillians Abschiedsfeier nach Yorkshire gefahren. Sobald Leslie das kleine knallrote Auto am Samstagmorgen vor dem Haus ihrer Eltern entdeckt hatte, hatte er geklingelt und mit ihr sprechen wollen. Erst nach drei Stunden war es ihr ge lungen, ihn loszuwerden. Ihn loszuwerden? Bei diesem Gedanken hielt Cory überrascht inne. Seit wann wollte sie Leslie loswerden? Sie hatte es nicht so gemeint. Doch seit er mit Carole verlobt war, fühlte sie sich ihm gegenüber befangen und wusste nicht mehr, wie sie sich verhalten sollte. Und er schien nicht glücklich zu sein. Sofort wehrte sie sich innerlich gegen diesen Eindruck. Sicher strengten ihn nur die vielen Vorbereitungen für die Hochzeit an. Das war normal und verständlich. Cory riss sich aus ihren Gedanken und ging ins Badezimmer, um in Ruhe zu duschen. Sie hatte noch viel Zeit, denn sie war eine Stunde bevor ihr Wecker klingelte aufgewacht. Doch sie wollte schon früh ins Büro fahren, damit sie Max' Post durchsehen und bereitlegen konnte, bevor er zur Arbeit kam. Sie wollte ihren ersten Tag allein bei Hunter Operations so beginnen, wie sie auch weiterhin zu arbeiten beabsichtigte: fleißig und enga giert und überdurchschnittlich einsatzbereit. Dass hohe Ansprüche an sie gestellt wurden, war ihr sehr recht. Nach der schmerzlichen Erfahrung mit Leslie wollte Cory gar nicht erst Gefahr laufen, noch einmal so verletzt zu werden. Eine anspruchsvolle Arbeit würde sie ablenken, und außerdem hätte sie wenig Gelegenheit, jemanden kennen zu lernen. Plötzlich sah Cory in Gedanken Max' bernsteinfarbene Augen vor sich. Schnell redete sie sich ein, dass ihre Nervosität in seiner Gegenwart lediglich damit zu tun habe, dass er ihr Chef war und ihre berufliche Zukunft bei Hunter Operations in seinen Händen lag. Das war der einzige, wirklich der einzige Grund, warum sie sich so zu ihm hingezogen fühlte. Schon um Viertel nach acht war Cory bei der Arbeit. Anhand der Papiere, die Max' gesamten Schreibtisch bedeckten, stellte. sie fest, dass er wohl fast das ganze Wochenende hier verbracht haben musste. Max Hunter war eindeutig ein Workaholic. „Guten Morgen", sagte er geistesabwesend. Als sie etwas erwidern wollte, fuhr er fort: „Sie werden heute mit mir nach Japan fliegen." Er klang so gelassen, als würde er lediglich um eine Tasse Kaffee bitten. „Nach Japan?" Cory war sprachlos. Er nickte, ohne den Blick von den Papieren auf seinem Schreibtisch abzuwenden. „Das Geschäft mit Katchui wird immer komplizierter, ich muss mit ihm persönlich darüber sprechen." Max hob den Kopf und sah sie an. Der Blick seiner goldbraunen Augen schien sie festzuhalten. Dann senkte er ihn wieder und fuhr fort: „Bitte buchen Sie Flüge erster Klasse für heute Nachmittag um drei Uhr. Außerdem hätte ich gern einen Kaffee - stark, ohne Milch und ohne Zucker. Und ein Sandwich mit Schinken oder Pute - kein Grünzeug oder Käse", fügte er trocken hinzu. „Ich werde mich darum kümmern", erwiderte Cory betont gelassen. Max sollte auf keinen Fall bemerken, wie überrumpelt sie sich fühlte. „Bis spätestens heute Mittag brauche ich eine schriftliche Wiedergabe des Tonbands, das auf Ihrem Schreibtisch liegt." „Wie ... wie lange werden wir etwa in Japan bleiben?" traute Cory sich
vorsichtig zu fragen. „Fünf Tage, höchstens eine Woche." Wieder ließ er den Blick über ihr Gesicht gleiten. „Das ist doch kein Problem für Sie, oder?" Sein Ton ließ nur eine einzige Antwort zu. „Nein, natürlich nicht", versicherte sie schnell. Der Vormittag verging wie im Flug. Es war bereits elf Uhr, als sie nach Hause fuhr, um in aller Eile zu packen und ihren Reisepass herauszusuchen. Um zwölf war Cory schon wieder bei der Arbeit. Erst kurz vor halb zwei fiel ihr ein, dass sie ihrer Mutter noch nicht erzählt hatte, dass sie verreisen würde. Schnell wählte sie die Nummer ihrer Eltern, doch als jemand am anderen Ende abhob, betrat Max mit einigen Papieren in der Hand das Zimmer. O nein! Cory hörte, wie ihre Mutter sich meldete, und wollte nicht einfach auflegen. Max kam sonst nie in ihr Büro. Seit ihrem ersten Arbeitstag hatte er stets den Summer bedient, wenn er mit ihr oder Gillian sprechen wollte. Hastig sagte sie: „Hallo, ich bin es, Cory. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich auf Geschäftsreise nach Japan gehe. Mach dir also keine Sorgen, wenn du mich einige Tage telefonisch nicht erreichen kannst." „Nach Japan?" fragte ihre Mutter. „Wie aufregend! Zum Glück warst du ja schon letztes Wochenende bei uns. Es war so schön, dich zu sehen!" „Ich fand es auch sehr schön", erwiderte Cory nervös, denn Max stand noch immer neben ihr. „Vergiss nicht, Tabletten gegen Reisekrankheit mitzunehmen", ermahnte ihre Mutter sie. „Du weißt ja, dass dir immer..." „Entschuldige bitte, aber ich muss jetzt auflegen", unterbrach Cory sie. Sie konnte Max' ungeduldigen Blick förmlich spüren. „Vielen Dank, dass du Bescheid gesagt hast, Darling. Ich wünsche dir eine schöne Reise, und pass auf dich auf. Ich liebe dich." „Und ich liebe dich." Seit sie von zu Hause weggegangen war, um zu studieren, hatte sie sich immer auf diese Art von ihrer Mutter verabschiedet, und sie hatte nie weiter darüber nachgedacht, bis sie jetzt aufblickte und Max direkt ins Gesicht sah. „Sind Sie fertig?" Seine Stimme war ausdruckslos, doch Cory wusste nur zu genau, was er mit dieser Frage ausdrücken wollte, und sie ärgerte sich. Bereits in der ersten Woche hatte Max ihr ausdrücklich erlaubt, private Telefongespräche zu führen. Er hatte also keinen Grund, jetzt ungehalten zu sein. Außerdem hätte sie ihre Mutter nicht von der Arbeit aus anzurufen brauchen, hätte er sie etwas früher über die bevorstehende Reise informiert. „Ja, ich bin fertig, danke der Nachfrage", erwiderte sie kühl, um ihm deutlich zu machen, dass sie seinen versteckten Vorwurf für ungerechtfertigt hielt. „Dann sehen Sie sich doch bitte einmal diese voraussichtlichen Umsatzzahlen an. Die Tabelle, die Mr. Masons Sekretärin aufgestellt hat, ist absolut unübersichtlich, und ich möchte es Mr. Katchui nicht zumuten, sich durch diesen Zahlenwust hindurchzuquälen. Ich weiß nicht, wie hoch das Gehalt dieser Frau ist", fügte er verärgert hinzu, „auf jeden Fall bekommt sie mehr, als sie verdient." Wortlos nahm Cory die Papiere entgegen. Sie konzentrierte sich so sehr darauf, Max' Hand nicht zu berühren, dass ihr einige Blätter aus der Hand glitten. Sie bückten sich gleichzeitig danach, und Max war ihr so nahe, dass sie seinen Duft und seine Körperwärme wahrnehmen konnte. Schnell wich sie einen Schritt zurück und ließ vor Schreck auch die restlichen Papiere fallen. „Oh, das tut mir Leid." Sie atmete tief ein und sah zu, wie Max sich hinkniete und die Papiere einsammelte. Dabei versuchte sie, nicht darauf zu achten, wie sich seine muskulösen Schultern unter dem dünnen Seidenstoff seines Hemdes abzeichneten und die maßgeschneiderte Hose sich über seinen schlanken Oberschenkeln spannte.
Ein heiseres „danke" war alles, was sie herausbrachte. „Gern geschehen." Er warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor er in sein Büro ging und die Tür mit einem lauten Knall hinter sich schloss. Erst zehn Minuten bevor sie zum Flughafen aufbrechen mussten, bekam sie Max wieder zu Gesicht. Zum Glück hatte sie gerade die Verkaufszahlentabelle fertig gestellt. „Die Übersicht ist fertig", sagte Cory lächelnd und wagte es nicht, Max anzusehen, bis die Tabelle ausgedruckt war. Er warf einen kritischen Blick auf die erste Seite. „Ausgezeichnet", bemerkte er anerkennend und schenkte ihr ein Lächeln, was äußerst selten vorkam. „Haben Sie die Zahlen überprüft?" „Ja." Cory verschwieg, dass sie mehrere Fehler entdeckt hatte und Mr. Mason einige Fragen hatte stellen müssen. „Gut. Wir sollten jetzt losgehen. Sind Sie bereit?" Er knöpfte sich den Hemdkragen zu und band sich den Schlips um. „Ja, ich bin fertig", erwiderte sie. Ob seine Haut wohl am ganzen Körper diesen schimmernden Goldton hatte wie im Gesicht, am Hals und an den Händen? Er war auffallend groß und kräftig, aber schlank. Unbekleidet musste er einfach fantastisch aussehen. Bei diesem Gedanken lief Cory ein Schauer über den Rücken, und sie war sehr erleichtert, dass Max noch einmal in sein Büro ging, um einige Dinge zu holen. Was, um alles in der Welt, war nur mit ihr los? Sie konnte es sich nicht leisten, sich so mit ihrem Chef zu beschäftigen. Cory war verunsichert, denn noch nie hatte ein Mann, nicht einmal Leslie, sie derart in Aufruhr versetzt. Während sie ihren Schreibtisch aufräumte und ihr Gepäck holte, redete sie sich wiederholt ein, dass eine derartige Reaktion auf Max mehr als unangeme ssen sei. Schließlich war sie lediglich seine Sekretärin. Sie musste alles daransetzen, sich ihm gegenüber nie etwas anmerken zu lassen. Womöglich würde er sonst noch denken, dass sie ernsthaft an ihm interessiert sei - und das war sie doch wirklich nicht. Max erhielt kurz hintereinander noch einen wichtigen Anruf aus den USA und einen weiteren von Mr. Katchui, so dass sie erst um kurz vor zwei das Büro verlassen konnten. Doch der Chauffeur brachte sie souverän in kürzester Zeit zum Flughafen Heathrow. Cory war zwar schon mehrmals geflogen, aber niemals erster Klasse. Doch vor lauter Nervosität konnte sie den ungewohnten Luxus und die zuvorkommende Bedienung nicht wirklich ge nießen. Offenbar gehörte Max zu jenen Männern, die sich ihrer weiblichen Begleitung gegenüber wie ein perfekter Gentleman verhielten. Und obwohl es durchaus nicht unangenehm war, von ihm um die Taille gefasst und sicher durch die Menschenmassen geführt zu werden, brachte seine Nähe sie völlig durcheinander. Max' starke Wirkung auf die anderen Frauen in seiner Umgebung war offensichtlich, doch er schien keine Notiz davon zu nehmen. Die älteren Frauen begnügten sich damit, ihn verstohlen zu mustern, und die ganz jungen waren schlichtweg beeindruckt und eingeschüchtert von seinem Auftreten. Doch einige der Frauen in der VIP-Lounge warfen Max eindeutige Blicke zu und lächelten betörend. Cory dagegen ignorierten sie. Im Flugzeug lockerte Max sofort den Schlips, zog das Jackett aus und lehnte sich entspannt in seinem Sitz zurück. „Wir haben einen langen Flug vor uns, ziehen Sie sich die Schuhe aus, und machen Sie es sich bequem. Sie wirken so verkrampft", sagte er gelassen und betrachtete sie mit seinen bernsteinfarbenen Augen. „Wir werden fast zwölf Stunden fliegen und durch den Zeitunterschied etwa um die Mittagszeit in Tokio ankommen. Nachmittags treffen wir uns mit Mr. Katchui. Wie Sie sehen, wird es ein langer Tag. Ich rate Ihnen also, nach dem Essen ein paar Stunden zu schlafen."
Cory nickte. „Machen Sie nicht so ein sorgenvolles Gesicht." Max beugte sich zu ihr hinüber. „Sie hätten diese Stelle nie bekommen, wenn ich nicht überzeugt davon wäre, dass Sie in der Lage sind, alle Aufgaben zu meiner vollen Zufriedenheit zu meistern. Und das sage ich nicht, um nett zu sein. Vielleicht ist es Ihnen noch nicht aufgefallen, aber ich bin kein ausgesprochener Menschenfreund." Als sie ihn nur wortlos ansah, bemerkte er trocken: „Das war ein Scherz, aber Sie brauchen nicht darüber zu lachen, nur weil ich Ihr Chef bin." „Keine Angst, das werde ich auch nicht", erwiderte Cory schlagfertig. Es brachte sie völlig durcheinander, ihm so nahe zu sein, doch sie rang sich ein Lächeln ab. „Es hätte mich auch gewundert." Er lehnte sich zurück und betrachtete sie eine Weile unter halb geschlossenen Lidern, bevor er hinzufügte: „Wer immer er auch sein mag, er ist es nicht wert, dass Sie seinetwegen leiden, Cory. Glauben Sie mir." „Was?" Cory sah ihn erstaunt an. „Von wem, um alles in der Welt, reden Sie?" „Von dem Kerl, der Ihnen den Laufpass gegeben hat. So war es doch, stimmt's?" „Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie sprechen ..." „Was ist passiert?" fuhr er fort, ohne auf ihren Einwurf zu achten. „Hat er eingesehen, dass er einen Fehler begangen hat, und versucht, sie zu überreden zurückzukommen?" „Niemand hat mich zu irgendetwas überredet", entgegnete Cory empört. „Es sieht mir aber ganz danach aus." Was, um alles in der Welt, meint er nur? grübelte sie. Er konnte doch unmöglich von Leslie wissen? Nicht, dass es da überhaupt etwas Wissenswertes gibt, fügte sie ironisch in Gedanken hinzu. „Max, es hat mich wirklich niemand zu irgendetwas überredet", wiederholte sie unsicher. Zwischen ihr und Leslie war nie etwas passiert. Sie war immer nur seine gute alte Freundin Cory gewesen, mit der er über alles reden und bei der er sich ausweinen konnte. Ich habe mich ganz schön an der Nase herumführen lassen, dachte sie plötzlich. Max riss sie aus ihren Gedanken. „Warum haben Sie ihm dann gesagt, dass Sie ihn lieben?" „Ich soll Leslie gesagt haben, dass ich ihn liebe?" Sofort wünschte Cory, sie hätte Leslies Namen nicht erwähnt, doch es war zu spät. „Leslie heißt er also? Ich fand schon immer, dass dieser Name besser zu Frauen als zu Männern passt - aber das kommt natürlich auch auf den Mann an", stellte er unverhüllt spöttisch fest. Cory atmete tief ein und versuchte, sich zu beruhigen. „Max", erwiderte sie betont gelassen, „das ist ein Missverständnis. Ich habe schon seit dem Wochenende nicht mehr mit Leslie gesprochen ... und ganz sicher habe ich ihm nicht gesagt, dass ich ihn liebe. Wenn Sie mein Telefonat vorhin im Büro meinen ... da habe ich mit meiner Mutter geredet." „Mit Ihrer Mutter?" Zum ersten Mal kam sie in den seltenen Genuss, Max Hunter sprachlos zu sehen. „Ja", antwortete sie kühl, aber insgeheim freute sie sich darüber, wie verblüfft er war. „Wie Sie sich vielleicht erinnern, haben Sie mich nicht gerade frühzeitig über diese Reise informiert. Da ich aber auch ein Leben außerhalb von Hunter Operations führe, gibt es Menschen, die sich Sorgen machen, wenn ich eine Woche lang nicht ans Telefon gehe." Schon hatte Max sich wieder gefangen. „Wie zum Beispiel Leslie?" fragte er ironisch.
Wie hatte sie nur so unvorsichtig sein können, Leslies Namen preiszugeben? Fieberhaft überlegte sie, wie viel sie Max verraten sollte. Er beobachtete sie aufmerksam. Seine fast goldfarbenen Augen wurden durch die Farbe seines Hemdes noch betont. Cory kam er vor wie eine Raubkatze, die zum Sprung auf ihre Beute ansetzt. Reiß dich zusammen, Cory, ermahnte sie sich. Offenbar legte Max Wert darauf, sein gesamtes Umfeld unter Kontrolle zu haben, und dazu gehörte auch, alles über das Privatleben seiner Sekretärin zu wissen. Über Gillian hatte er alles Wichtige gewusst: dass sie mit fünfundzwanzig ihre Jugendliebe geheiratet hatte und dass das Paar keine Kinder bekommen konnte und deshalb beschlossen hatte, sich ganz auf den Beruf zu konzentrieren. Doch Cory sah nicht ein, warum sie verpflichtet sein sollte, über ihr Privatleben Rechenschaft abzulegen. „Leslie ist nur ein guter Freund", sagte sie schließlich. „Und ich kenne ihn schon seit vielen Jahren. Reicht Ihnen das?" „Nein." Ihre grünen Augen wurden dunkel vor Zorn, als er ungerührt hinzufügte: „Ich muss mich darauf verlassen können, dass Ihre Arbeit durch nichts beeinträchtigt wird, auch nicht, dadurch, dass Sie einer unerwiderten Liebe nachtrauern." „Wie können Sie es wagen ...?" Wütend funkelte sie ihn an. „Es ist nun einmal notwendig, dass ich diese Dinge weiß", entgegnete er. „Und Sie müssen mir gegenüber in dieser Ange legenheit wirklich ehrlich sein." „Hören Sie mir einmal zu, Max ..." Sie verstummte und verbiss sich die hitzige Bemerkung, die ihr auf der Zunge gelegen hatte. Immerhin bekam sie ein mehr als großzügiges Gehalt, und als seine Sekretärin und Assistentin würde sie unendlich wertvolle Erfahrungen machen. Es gab sicher unzählige Frauen, die für diese Stelle alles geben würden. Vermutlich war also seine Forderung gerechtfertigt, sich hundertprozentig auf sie verlassen zu können. „Leslie ist meine Jugendliebe, und er hat sich gerade mit einer anderen Frau verlobt", sagte sie ausdruckslos. „Aber Sie brauchen keine Angst zu haben, ich trauere ihm nicht nach." Ihr wurde klar, dass sie es tatsächlich nicht tat. Mit bebender Stimme fuhr sie fort: „Ich bin wirklich entschlossen, bei meiner Arbeit das Beste zu geben. Entweder, Sie glauben mir das, oder nicht, aber ich werde sicher nicht vor Ihnen auf die Knie fallen und Sie darum anflehen." „Das brauchen Sie auch nicht", erwiderte er überraschend sanft. „Aber eine Frage möchte ich Ihnen noch stellen." Cory nickte nur. „Wenn er morgen vor Ihrer Tür stehen und Sie um eine zweite Chance bitten würde, was würden Sie tun? Und versuchen Sie bitte nicht, mich anzulügen." „Ich weiß es nicht", antwortete sie wahrheitsgemäß. Max sah unglaublich sexy aus. Gedankenverloren betrachtete sie sein markantes Gesicht und die silbergrauen Strähnen in seinem tiefschwarzen Haar. Wie viele Geliebte er wohl schon gehabt hatte? „Sie wissen es nicht?" Max schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen. „Und wie lange glauben Sie, diesen Mann schon zu lieben?" „Schon immer." Wieder schüttelte er den Kopf: „Aber wenn er Ihnen morgen seine ewige Liebe schwören würde, wüssten Sie nicht einmal, ob Sie mit ihm zusammen sein wollten oder nicht?" So, wie er es ausdrückte, klang es herzlos. Cory wurde rot und sah ihn verwirrt an. Der Blick ihrer grünen Augen schien ratlos. „Das haben Sie doch gesagt, nicht wahr, Cory?" fragte er unbarmherzig. „Sie verdrehen mir die Worte im Mund", konnte sie nur hervorbringen.
„Tatsächlich?" Er lächelte. Und dann tat er etwas, was sie endgültig durcheinander brachte und außerdem ihre Vorstellungen von Treue, Liebe und Besonnenheit erschütterte. Ohne den Blick von ihrem Gesicht abzuwenden, beugte Max sich vor und küsste sie auf den Mund. Es war nur der Hauch einer Berührung und dauerte den Bruchteil einer Sekunde. Dann lehnte er sich zurück, schloss die Augen und sagte: „Der Mann ist ein Dummkopf, und eigentlich wissen Sie das auch. Sie sind jung und schön, Cory, also vergessen Sie ihn, denn Sie haben Ihr ganzes Leben noch vor sich, und Sie werden noch Tausenden von Männern begegnen." Er hat mich geküsst. Cory konnte keinen klaren Gedanken fassen und war unendlich dankbar, dass Max' Augen geschlossen waren und er nicht sehen konnte, wie rot ihr Gesicht war. Eigentlich konnte man die flüchtige Berührung seiner Lippen nicht einmal als KUSS bezeichnen. Beruhige dich, Cory, ermahnte sie sich. Er hatte ihr nur Mut machen wollen, und sicher hatte es ihm nicht mehr bedeutet als ein freundlicher Klaps auf den Rücken. Es war nicht seine Schuld, dass er so starke Gefühle in ihr aus löste. Cory lehnte sich in ihrem Sitz zurück und schloss die Augen. Doch, es ist seine Schuld, dachte sie. Es gab Männer, mit denen man mit Leichtigkeit eine rein freundschaftliche Beziehung aufbauen konnt e, und andere, mit denen dies auf Grund ihrer Ausstrahlung und Attraktivität etwas schwieriger war. Und dann gab es noch Max Hunter. Sie war noch nie einem derart charismatischen - und erotischen Mann begegnet. In seiner Gegenwart wurde selbst die abgebrühteste und selbstbewussteste Geschäftsfrau so fromm wie ein Lämmchen. Es tröstete Cory ein wenig, dass er auf die meisten anderen Frauen dieselbe Wirkung zu haben schien wie auf sie. Doch immerhin war er ihr Chef. Wenn sie also weiterhin bei Hunter Operations arbeiten wollte, durfte sie sich um keinen Preis anmerken lassen, wie stark sie sich zu ihm hingezogen fühlte -wenn auch nur rein körperlich. Doch mit ein wenig Selbstdisziplin würde sie das fertig bringen. Dann musste sie wieder an Leslie denken. Hatte sie sich wirklich von ihm an der Nase herumführen lassen? Ja, das habe ich, dachte sie sofort. Ihr fiel ein, wie oft er von ihrer gemeinsamen Zukunft gesprochen hatte, wie sie einander geküsst und Zärtlichkeiten ausgetauscht hatten. Als sich ihre Wege während des Studiums trennten, hatten sie einander zugestanden, auch mit anderen auszugehen. Doch wann immer sie Leslie von einer Verabredung erzählt hatte, hatte er verletzt und gekränkt reagiert, so dass sie nie mit anderen Männern hatte ausgehen können, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Er dagegen hatte eine Freundin nach der anderen gehabt. Wütend auf sich selbst, musste Cory sich eingestehen, dass sie sich von Leslie hatte manipulieren lassen. Als er Carole kennen gelernt hatte, hatte er angefangen, sich ihr, Cory, gegenüber zu verhalten, als wäre er ihr großer Bruder. Außerdem hatte er die Dinge so darzustellen versucht, als wäre ihre Beziehung von jeher nur freundschaftlicher Art gewesen - bis Cory schließlich fast geglaubt hatte, sie hätte sein Verhalten in der Vergangenheit missgedeutet. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Wenn er einfach zugegeben hätte, dass er sich in Carole verliebt hatte, hätte sie nicht den Respekt vor ihm verloren, und vermutlich hätte sie trotz allem nicht aufgehört, ihn zu lieben. Cory grübelte, warum ihr das alles nicht schon früher klar geworden war und warum erst Max Hunter, der sie noch nicht einmal gut kannte, ihr die Augen hatte öffnen müssen. „Sie machen aber ein grimmiges Gesicht", bemerkte er mit leisem Spott. Schnell öffnete sie die Augen und sah ihn an. Sein Blick ruhte auf ihr. „Ich ... ich habe nur nachgedacht", erwiderte sie unsicher. „Ich frage lieber nicht, worüber", sagte er amüsiert. „Möchten Sie sich die
Speisekarte ansehen? Die Stewardess hat sie gerade gebracht." Cory bedankte sich und gab vor zu studieren, was es zu essen und zu trinken gab. Je besser sie Männer zu verstehen glaubte, umso weniger schien sie sie tatsächlich zu durchschauen. Aber wie auch immer - sie würde diese Reise genießen, die so vielversprechend begonnen hatte. Noch immer war sie sich über ihre Gefühle für Leslie völlig im Unklaren. Aber eins wusste sie genau: Es war richtig gewesen, aus Yorkshire wegzugehen. Doch sie hatte das ungute Gefühl, dass sie vom Regen in die Traufe gekommen war. Und das hatte in erster Linie mit Max Hunter zu tun. Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Männer mit einer solchen Ausstrahlung sollten nicht frei herumlaufen dürfen, dachte sie resigniert. Aber zum Glück brauchte sie nicht zu befürchten, ihm gegenüber schwach zu werden. Denn für Max Hunter war sie nichts weiter als seine Sekretärin. Außerdem war er ein überzeugter Junggeselle, der sicher schon die Herzen unzähliger Frauen gebrochen hatte. Und eigentlich sollte sie dankbar dafür sein, denn sie war sich nicht sicher, ob sie seinem Charme widerstehen könnte. „Ihr Mund ist ausgesprochen hübsch und Ihr Lächeln rätselhaft", sagte Max unvermittelt. Cory schrak zusammen. Er schien völlig entspannt und hatte die Augen geschlossen. „Darf ich erfahren, worüber Sie lächeln?" „Nein." „Das hatte ich vermutet", erwiderte er. „Machen Sie es sich bequem. Sie sind viel zu angespannt." Er wusste nicht, wie Recht er damit hatte.
3. KAPITEL Kurz vor Mittag landeten sie in Tokio auf dem Narita-Flugha fen. Mr. Katchui hatte seinen Wagen mit einem Chauffeur geschickt, der sie vor dem Treffen am Nachmittag zum Hotel bringen sollte. Während des Fluges war Cory nur dann und wann für wenige Minuten eingenickt, denn in Max' Gegenwart war sie zu nervös, um sich zu entspannen und fest zu schlafen. Sie fühlte sich müde, war jedoch sehr gespannt auf Tokio und blickte aufmerksam aus dem Fenster, als sie den schmalen, von Landwirtschaft geprägten Gürtel um den Flughafen hinter sich gelassen hatten. Max bemerkte ihr Interesse und erzählte ihr einige wissens werte Dinge. Tokio war eine Stadt der Superlative. Fünf Millionen Pendler fuhren täglich zur Arbeit und verbrachten oft vier Stunden mit der Hin- und Rückfahrt. „Vier Stunden?" Cory war entsetzt. „Die armen Menschen!" „In jedem anderen Land würde es deswegen Proteste und Aufruhr geben. Aber in Japan bringt man schon Kindern Selbstdisziplin und Geduld bei, und man behandelt einander mit großem Respekt." Er lehnte sich leicht gegen Cory, um besser aus dem Fenster sehen zu können. Ihr lief ein Schauer über den Rücken. „Die Stadt ist in eigenständige Ortschaften unterteilt, die alle einen eigenen Charakter haben und untereinander mit einem ausgeklügelten und hoch effizienten U-Bahnnetz verbunden sind. Hier funktioniert alles nahezu perfekt." „Also eine Stadt ganz nach Ihrem Geschmack?" fragte Cory. „Ja, denn die Kriminalitätsrate ist äußerst niedrig, und die meisten Gebiete der Stadt sind sehr sicher", erwiderte Max kurz angebunden, denn ihr leichter Sarkasmus war ihm nicht entgangen. Er lehnte sich zurück und erzählte ihr Interessantes über die Stadtteile, die sie durchquerten. Als sie durch Shibuya fuhren, drehte sich der Chauffeur plötzlich um und sagte in atemberaubendem Tempo etwas auf Japanisch zu Max, der genauso schnell auf Japanisch antwortete. Dann wandte er sich an Cory und erläuterte: „Der Fahrer hat mich gebeten, Ihnen eine Geschichte über den Bahnhof von Shibuya zu erzählen, die in Tokio sehr bekannt und beliebt ist. Der Akita-Hund Hachiko begleitete jeden Morgen sein Herrchen, einen Professoren, der an der Universität arbeitete, zum Bahnhof und holte ihn abends wieder ab. Doch eines Tages kehrte der Professor nicht zurück, denn er war plötzlich krank geworden und gestorben. Der Hund wartete, bis der letzte Zug kam, und lief dann todtraurig nach Hause. Doch am nächsten Morgen erschien er wieder am Bahnhof, und so machte er es sieben Jahre lang, bis er schließlich starb. Die Einwohner Tokios waren gerührt und beeindruckt von der Treue des kleinen Hundes und stellten ihm zu Ehren eine Bronzestatue am Bahnhof auf." „Oh." Cory konnte sich lebhaft vorstellen, wie der kleine Hund vergeblich gewartet hatte. „Was für eine traurige Geschichte!" „Um die Loyalität zwischen Menschen ist es im Vergleich dazu schlecht bestellt", bemerkte Max. Cory sah ihn an und meinte, einen Anflug von Trauer in seinen Augen zu sehen. „Ich glaube, die meisten Menschen sind durchaus fähig, einem anderen treu zu sein", erwiderte sie gelassen und blickte wieder zum Fenster hinaus. „Tatsächlich?" Max' Ton ließ sie herumfahren. Seine Miene war undurchdringlich, doch seine Stimme klang hart. „Dem kann ich nicht zustimmen. Ich bin der Meinung, dass die Mono gamie ein Hirngespinst ist, an das wir uns wider besseres Wissen klammern und das mehr Unheil angerichtet hat als alle Kriege der Weltgeschichte." Offensichtlich schien er das wirklich zu meinen. Einen Moment lang war Cory sprachlos und sah ihn entgeistert an. In ihren grünen Augen spiegelte sich ihre
Bestürzung, als sie schließlich sagte: „Das ist aber ein sehr hartes Urteil über Beziehungen zwischen den Geschlechtern." „Ich würde es eher als realistisch bezeichnen", entgegnete er kurz angebunden. Sein Blick war kalt. „Zumindest, was Bezie hungen zwischen Männern und Frauen betrifft." Cory wusste, dass sie besser nichts mehr hinzufügen sollte, doch sie konnte nicht anders. „Ich bin anderer Meinung", erwiderte sie ruhig. „Ich kenne sehr viele glückliche Paare, die einander treu sind und für niemand anders Augen haben." Max wandte den Blick nicht von ihrem Gesicht. Er schüttelte den Kopf. „Das ist eine sehr kühne Behauptung. Woher, um alles in der Welt, wollen Sie wissen, ob diese Paare wirklich glücklich sind? Und noch viel weniger können Sie beurteilen, ob sie sich treu sind oder einander ab und zu betrügen, denn was das angeht, sind die meisten Menschen geradezu ein Muster an Diskretion." „Sie meinen also, alle Welt hüpft ständig mit jemand anders ins Bett oder würde es zumindest gern tun?" fragte Cory hitzig. Ihre Empörung schien ihn zu amüsieren. Er lächelte spöttisch. „Ich würde vielleicht nicht den Ausdruck .hüpfen' dafür verwenden, aber im Prinzip ist es so." „Was für ein Blödsinn!" platzte sie heraus, denn seine herablassende Art hatte sie in Rage gebracht. „Blödsinn?" Er fuhr herum, als hätte sie ihn geschlagen. Cory wurde ein wenig unbehaglich zu Mute. Zumindest habe ich ihm das selbstgefällige Lächeln ausgetrieben, dachte sie, während sie sein wütendes Gesicht betrachtete. Es kam sicher nicht oft vor, dass jemand Max Hunter ganz offen sagte, er würde Blödsinn reden. „Ja, Blödsinn", wiederholte sie. „Sicher sind die Lebensgewohnheiten in der Großstadt anders als auf dem Land, und Ihre Meinung beruht vermutlich auf den Erfahrungen, die Sie in Ihrem Bekanntenkreis gemacht haben. Aber ich kenne in meiner Heimatstadt viele Paare, die schon seit zwanzig Jahren glücklich verheiratet sind." „Sie wollen mir doch nicht ernsthaft weismachen", entgegnete er kühl, „dass diese Muster an Tugendhaftigkeit ihr Leben lang einem einzigen Menschen treu sind?" Voll unterdrückter Wut blickte er sie an, aber Cory war entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. „Doch, das will ich", gab sie trotzig zurück. „Dann müssen Sie wohl aus Wolkenkuckucksheim kommen", erwiderte er und seufzte resigniert angesichts ihrer Naivität. Cory war so wütend, dass sie kein Wort herausbrachte. Sie konnte ihrem Chef ohnehin wohl kaum sagen, was sie über ihn dachte: dass er ein arroganter, überheblicher Chauvinist sei. Sie blickte aus dem Fenster und versuchte, sich zu beruhigen. Es würde zu nichts führen, sich mit Max anzulegen. Doch plötzlich kam ihr ein Gedanke. Sie wandte sich zu Max um und fragte ausdruckslos: „War der kleine Hund, der jahrelang so treu auf sein Herrchen gewartet hat, ein Männchen oder ein Weibchen?" Der Blick seiner goldfarbenen Augen hielt den ihrer smaragdgrünen, der unterdrückten Zorn verriet, gefangen. Gelassen antwortete er: „Wenn ich mich recht erinnere, war es ein Weibchen." Sie nickte nachdenklich. „Das überrascht mich nicht." Nur ein kleiner Sieg, aber immerhin ein Sieg, dachte sie erfreut. Das elegante Hotel in Ebisu gehörte zu den neu erbauten Freizeiteinrichtungen auf dem ehemaligen Gelände der Sapporo-Brauerei. Die Zimmer und Tagungsräume waren luxuriös, geschmackvoll eingerichtet und äußerst gepflegt. Cory beschloss, nach der langen Reise ein kurzes Bad zu nehmen. Danach zog sie die in dem wunderschönen Badezimmer bereitgelegte Yukata an, eine Art Kimono, und betrachtete sich kritisch im Spiegel. Ihre Haut war leicht gerötet, und ihre
grünen Augen glänzten. Das Haar fiel ihr in seidigen Wellen auf die Schultern und verlieh ihr ein sanftes, sehr feminines Aussehen. Max hatte sie noch nie mit offenem Haar gesehen ... Sofort verdrängte sie diesen Gedanken, kleidete sich in Windeseile an und fasste das Haar im Nacken zusammen. Max' Zimmer lag direkt neben ihrem. Als er eine Viertelstunde später an ihre Tür klopfte, hatte sie bereits eine Weile gewartet. Lässig lehnte er am Türrahmen, und bei seinem Anblick war Cory insgeheim froh darüber, dass sie ein wenig Zeit gehabt hatte, um zur Ruhe zu kommen. Sein volles pechschwarzes Haar hatte er wie immer streng aus dem Gesicht gekämmt. Es war noch feucht vom Duschen, und einige widerspenstige Strähnen fielen ihm in die Stirn und verliehen ihm ein jungenhaftes Aussehen. „Fertig?" Er lächelte geistesabwesend. „Ja, ich ... ich muss nur noch meine Handtasche holen", antwortete sie schnell. Der komfortable Flug in der ersten Klasse, die Fahrt vom Flughafen und das luxuriöse Hotel, das alles war ungewohnt und beeindruckend für Cory, und sie hoffte inständig, den Anforderungen gewachsen zu sein, die auf dieser äußerst wichtigen Geschäftsreise an sie gestellt würden. Der Magen zog sich ihr zusammen bei der Vorstellung, Max zu enttäuschen. „Was ist los?" fragte er ruhig. Er war ins Zimmer gekommen und sah sie eindringlich an. „Nichts", erwiderte sie unsicher. „Sie lügen." Für einen so großen Mann bewegte er sich aus gesprochen flink und geschmeidig. Mit zwei Schritten stand er vor ihr, hob ihr Kinn an und blickte ihr in die Augen. „Was macht Ihnen Angst? Das Treffen mit Mr. Katchui oder ich?" Er glaubt wohl, er könne meine sämtlichen Gedanken lesen, dachte Cory wütend. Um nichts in der Welt würde sie zugeben, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Trotzig richtete sie sich auf, was Max angesichts der Tatsache, dass sie ihm nicht einmal bis zur Schulter reichte, nicht sonderlich beeindruckte. „Weder noch", entgegnete sie, ohne den Blick abzuwenden. „Sollte ich denn Angst haben?" „Warum, um alles in der Welt, sind Sie so überempfindlich, Cory?" Sie wich einen Schritt zurück. „Überempfindlich?" Cory hatte sich immer als ausgeglichenen Menschen gesehen. Natürlich war sie manchmal aufbrausend und impulsiv, wofür sie stets die Gene ihrer Mutter verantwortlich machte. Doch noch nie hatte sie jemand als überempfindlich bezeichnet. Und bevor sie Max Hunter kennen gelernt hatte, hatte sie sich mit Sicherheit auch noch nie so verhalten. „Das bin ich überhaupt nicht", entgegnete sie wütend. „Natürlich nicht", stimmte er ihr spöttisch zu. Cory widerstand dem Drang, nach ihm zu treten. Sie warf ihm lediglich einen kühlen Blick zu. „In einer Stunde holt uns Mr. Katchuis Chauffeur ab", sagte Max betont gelassen. „Bis dahin könnten wir in der Lounge bei einem Kaffee noch einmal die wichtigsten Fakten und Zahlen durchgehen." Sie nickte zustimmend. Mit Max in der Lounge Kaffee zu trinken, wo sich noch viele andere Leute aufhielten, war ihr auf jeden Fall lieber, als mit ihm allein im Hotelzimmer zu bleiben dort war ihr die Atmosphäre zu intim. Intim? Cory wurde rot und ärgerte sich über sich selbst. Warum nur gingen ihre Gedanken, was diesen Mann betraf, immer in dieselbe Richtung? Schließlich konnte man sie wohl kaum als Flittchen bezeichnen. Im Gegenteil, sie hatte die meisten Annäherungsversuche von Männern als unangenehm empfunden und sich auf nichts eingelassen. Sie hatte auf Leslie warten wollen. Hoffnungslos altmodisch, dachte sie bitter. Sicher hatte Leslie sich insgeheim des Öfteren über sie lustig gemacht, und auch Max Hunter würde sich vermutlich ausschütten vor
Lachen, wenn er wüsste, dass sie mit vierundzwanzig Jahren noch immer Jungfrau war. „Cory, ich möchte Sie daran erinnern, dass ich nicht Ihr Feind bin", sagte Max ruhig. Sie war bereits an ihm vorbei zur Tür gegangen. Er umfasste ihre Schulter und drehte Cory zu sich um. Die Berührung ließ sie erbeben, doch sie zeigte ihre Erregung nicht. „Das weiß ich", erwiderte sie betont gelassen. „Sie können wirklich ganz beruhigt sein. Ich habe großes Vertrauen in Sie und bin mir sicher, dass Sie nichts, was während dieser Reise auf Sie zukommt, überfordern wird." O doch, es gibt etwas, das mich überfordert, und dieses Etwas ist einen Meter neunzig groß und hat bernsteinfarbene Augen, dachte Cory verzweifelt. Sie hatte sich während der vergangenen sechs Wochen vergeblich bemüht, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen, doch sie würde es sich ihm gegenüber niemals anmerken lassen. „Das hoffe ich." Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ich bin mir ganz sicher." Max lächelte ebenfalls, schob sie sanft aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. „Damit wir bei unserem Treffen mit Mr. Katchui nicht einschlafen, sollten wir erst einmal ein paar Tassen Kaffee trinken. Danach bereiten wir uns auf das Gespräch vor." Er war wieder ganz der kühle, distanzierte Geschäftsmann, doch Cory war insgeheim froh darüber. Mit Max Hunter, dem mehrfachen Millionär und erfolgreichen Unternehmer, konnte sie umgehen - mit dem Mann Max Hunter sah es jedoch ganz anders aus. Entgegen ihrer Be fürchtungen bereitete Cory das Treffen mit Mr. Katchui keinerlei Schwierigkeiten. Die Fahrt zum Sitz des Unternehmens war ein ganz besonderes Erlebnis. Wie in den meisten japanischen Großstädten hatte die Mehrzahl der Straßen in Tokio keine Namen. Doch der Chauffeur schien den Weg im Schlaf zu kennen und steuerte den Wagen mit atemberaubender Geschwindigkeit durch das riesige Labyrinth von Straßen und Alleen. Als sie in Nagatacho ankamen, überraschte und beeindruckte Max sie mit seinen Kenntnissen und der Leichtigkeit, mit der er sich in dem fremden Kulturkreis bewegte. Er schien genau zu wissen, wie tief er sich vor jemandem verbeugen musste, was je nach Alter und gesellschaftlichem Stand der betreffenden Person unterschiedlich war. Und dank seiner diskreten Hinweise brauchte auch Cory nicht zu befürchten, einen Fauxpas zu begehen. Mr. Katchui und sein junger Assistent sprachen sehr gut Englisch und waren die Liebenswürdigkeit in Person. Nachdem das Geschä ftliche erledigt war, bestanden sie darauf, Max und Cory in ein kleines, aber exklusives Restaurant einzuladen, das auf Kaisekit -Ryori-Küche spezialisiert war. Das Essen war einfach köstlich, doch Cory war inzwischen so erschöpft, dass sie kaum etwas schme ckte und ebenso gut Sägespäne hätte essen können. Sie ließ sich ihre Müdigkeit aber nicht anmerken, sondern unterhielt sich lächelnd mit Max und ihren Gastgebern, bis ihr die Mundwinkel schmerzten und der Kopf dröhnte. Die drei Männer hatten den ganzen Abend Sake getrunken, Cory dagegen nur Mineralwasser. Trotzdem war ihr nach dem Essen so schwindelig, als hätte sie eine ganze Flasche des harmlos aussehenden, aber hochprozentigen japanischen Nationalgetränks getrunken. Auf der Fahrt nach Hause hatte sie das Gefühl, alles um sie her würde sich drehen. Unter großer Anstrengung verabschiedete sie sich höflich von Max' Geschäftspartnern, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Als sie aber mit Max ins Hotel ging, stolperte sie und wäre fast der Länge nach hingefallen. „Ist alles in Ordnung?" Max hatte sie sofort beim Arm ge nommen und
festgehalten. Nach einem kurzen Blick auf ihr aschfahles Gesicht und die Ringe unter ihren Augen stieß er einen unterdrückten Fluch aus und sagte: „Ich hätte gleich merken müssen, wie übermüdet Sie sind." Cory wollte etwas betont Munteres sagen, doch nach Max' Blick zu urteilen, brachte sie nur etwas Unzusammenhängendes heraus. Sie wünschte sich sehnlichst, endlich in ihrem Hotelzimmer zu sein und schlafen zu können. „Setzen Sie sich einen Moment." Max drückte sie in einen großen Sessel bei der Rezeption. Cory wollte kein Aufsehen erregen, doch sie war zu schwach, um Widerstand zu leisten. Sie hörte, wie Max einem der Hotelangestellten, der ihr zur Hilfe kommen wollte, in gebieterischem Ton etwas zurief. Daraufhin öffnete der junge Mann die Türen des Fahrstuhls. „Mir ... mir geht es wirklich gut", versicherte Cory und versuchte aufzustehen. Bevor sie jedoch wusste, wie ihr geschah, hatte Max sie .schon hochgehoben und trug sie scheinbar ohne jede Anstrengung Zum Fahrstuhl. Ich muss wohl träumen, dachte sie. Doch Max Hunter hielt sie tatsächlich in seinen starken Armen, und seine Wärme und sein Duft hüllten sie ein und verstärkten ihre Verwirrung. Sie war ihm so nah, dass sie seinen Herzschlag spüren konnte. Schon als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, hatte sie sich vorgestellt, wie es wäre, in seinen Armen zu sein. Als sie ihn besser kennen gelernt und bemerkt hatte, dass er nicht nur unglaublich gut aussah, sondern auch über einen messerscharfen Verstand und ein unbestechliches Urteilsvermögen verfügte, war ihr dieser Gedanke immer häufiger gekommen. Und offensichtlich war sie nicht die Einzige, auf die er so anziehend wirkte. Seit Cory bei Hunter Operations arbeitete, hatten schon unzählige Frauen im Büro angerufen und mit Max sprechen wollen. Sie versuchte, sich aufzurichten, und protestierte schwach: „Mir geht es wirklich gut, Sie brauchen mich nicht zu tragen." Mit seinen goldbraunen Augen betrachtete er sie prüfend und stellte dann geduldig fest: „Es geht Ihnen ganz und gar nicht gut, und ich werde nicht zulassen, dass Sie vor Schwäche umfallen. Entspannen Sie sich also, und halten Sie endlich still." „Wirklich, Max, ich..." „Ich meine es ernst, Cory." Er duldete keinen Widerspruch. Doch wie sie sich in Max Hunters Armen entspannen sollte, war ihr schleierhaft. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt, und ihre linke Brust berührte seine. Sie spürte seinen muskulösen, starken Körper, und die Nähe zu ihm überwältigte sie und brachte ihre Gefühle vollends durcheinander. Wenn sie den Kopf nur ein wenig bewegte, würden ihre Lippen seine Haut streifen ... Bei diesem Gedanken erbebte Cory. Inständig hoffte sie, Max würde nichts bemerken. „Ich habe gesagt, Sie sollen sich entspannen." Die Fahrstuhltüren öffneten sich, und er trat auf den Flur hinaus. „Falls Sie Angst haben, dass ich über Sie herfalle, kann ich Sie beruhigen", sagte er trocken. „Wir befinden uns auf einer Geschäftsreise, und Sie sind meine Sekretärin." Das weiß ich nur zu gut, dachte Cory verzweifelt. Sie kannte diesen Mann erst seit zwei Monaten, und trotzdem hatte er ihr ganzes Leben schon vö llig durcheinander gewirbelt. Zum Glück ahnte er das nicht. Sollte er es jemals erfahren, würde sie vor Scham im Erdboden versinken. Vor der Tür ihres Zimmers stellte er sie behutsam auf die Füße. „Danke." Cory war froh darüber, wie normal ihre Stimme klang. „Gern geschehen", erwiderte er trocken. „Geben Sie mir Ihren Schlüssel." „Das ist wirklich nicht nötig." „Den Schlüssel, Cory", wiederholte er leicht ungeduldig.
Sie gab nach. Max schloss auf, trug sie hinein und stieß mit dem Fuß die Tür hinter sich zu. Dann ließ er Cory vorsichtig aufs Betts sinken. „Sie versprechen mir jetzt, sich nicht von der Stelle zu rühren und erst einmal auszuschlafen. Notfalls bleibe ich die ganze Nacht hier sitzen und passe auf, dass Sie keine Dummheiten machen." Ungläubig sah sie ihn an. „In Ordnung", brachte sie nur hervor. „Wenn Sie noch einmal ins Badezimmer müssen, sollten Sie das tun, bevor ich gehe." Seine Stimme war ausdruckslos, doch Cory hatte den Eindruck, als würde ihn die Situation auch ein wenig amüsieren. „Dahin gehe ich aber allein", platzte sie heraus. Um seinen Mund zuckte es verdächtig. „Ich hatte auch nicht vor, Sie weiter als bis zur Tür zu begleiten." Sie wurde rot vor Verlegenheit. „Ich muss sowieso nicht ins Badezimmer", erwiderte sie betont gelassen. Warum kam sie sich in Max' Gegenwart immer so linkisch und unbeholfen vor? Sie ließ sich doch sonst nicht so leicht aus dem Gleichgewicht bringen. Max zog ihr die Schuhe aus. Dann setzte er sich aufs Bett und begann, behutsam einen ihrer geschwollenen Füße zu massieren. Ihr lief ein Schauer über den Rücken. „Sie hätten lieber etwas bequemere Schuhe anziehen sollen", stellte er mit einem missbilligenden Blick auf die sündhaft teuren, eleganten Pumps, fest. „Auf langen Flügen kommt es leicht zu derartigen Schwellungen." Cory hätte den Fuß am liebsten weggezogen, wollte ihm aber um keinen Preis Anlass zu der Vermutung geben, dass er mehr für sie war als nur ihr Chef. Max wandte sich dem zweiten Fuß zu. Mit seinen kräftigen Fingern massierte er sanft ihre samtweiche Haut. „Ich habe morgen um neun ein Treffen, aber ich brauche Sie erst wieder bei der Besprechung mit Mr. Katchui, die um drei Uhr im Satsui-Komplex stattfinden wird. Ich möchte, dass Sie sich aus schlafen, damit Sie am Nachmittag ausgeruht sind." „Ich kann schon um neun Uhr fit sein", entgegnete Cory empört. Sie bezweifelte, dass er Gillian je einen ähnlichen Vorschlag gemacht hatte. Er warf ihr einen ironischen Blick aus den Augenwinkeln zu und erwiderte: „Ich will keineswegs Ihren Arbeitseinsatz in Abrede stellen. Und", fügte er hinzu, „ich hätte auch von Gillian nicht erwartet, dass sie mit zu dem Treffen am Morgen kommt, falls Sie sich das gefragt haben." „Das habe ich nicht", antwortete sie ein wenig zu schnell. Es erschreckte sie, wie gut Max sie zu durchschauen schien. „Sie sind eine schlechte Lügnerin, Cory Masters." Er nahm ihren Fuß von seinem Schoß und stand auf. „Im Gegensatz zu den meisten Frauen." Einen Moment lang befürchtete sie, er hätte durchschaut, was in ihr vorging, und ihr Herz begann wie wild zu schlagen. „Ich verstehe durchaus, dass Sie Ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen wollen", fügte er hinzu. „Aber wenn ich an diesen auch nur den geringsten Zweifel gehabt hätte, hätte ich Sie gar nicht mit auf diese Reise genommen." Ein Blick in seine großen, geheimnisvollen Augen sagte ihr, dass er es ernst meinte. „Und ich täusche mich nie." „Nie?" Sie fand seine Arroganz unausstehlich. „Nein, nie", erwiderte er mit unerschütterlichem Selbstvertrauen. „Wie schön für Sie!" Mühsam setzte Cory sich auf. „Es muss ein erhebendes Gefühl sein, unfehlbar zu sein und über den Normalsterblichen zu stehen." „Ich habe nicht behauptet, dass ich in der Vergangenheit nie einen Fehler begangen habe. Ich habe lediglich gesagt, dass ich jetzt keine mehr mache",
berichtigte Max sie im Weggehen. Offensichtlich wollte er nicht weiter darüber sprechen. Doch Cory konnte ihre Zunge nicht im Zaum halten, und sie brannte darauf, mehr über diesen faszinierenden Mann zu erfahren. „Dann müssen Sie aber einmal einen sehr schwerwiegenden Fehler begangen haben, dass Sie so vorsichtig geworden sind." Er wandte sich zu ihr um und betrachtete sie wortlos. Cory hielt den Atem an, und als sie meinte, das angespannte Schweigen nicht länger ertragen zu können, erwiderte er schließlich ausdruckslos: „Wenn es ein schwerwiegender Fehler war, einer Frau zu vertrauen, die ihren schönen Körper und ihren kranken Geist benutzt hat, um mich dazu zu bringen, eine unschuldige junge Frau in den Tod zu treiben - dann haben Sie vermutlich Recht." „Was ...? Ich ... ich verstehe nicht." Sie verstummte, zutiefst erschrocken über den traurigen Ausdruck seiner Augen. Wieder blickte Max sie an, ohne etwas zu erwidern. Unvermittelt schüttelte er den Kopf. „Warum sollten Sie auch. Das alles liegt schon sehr weit zurück. Ich hätte nicht davon reden sollen." Cory wollte etwas entgegnen, doch sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Max fuhr fort: „Wie gesagt, man sollte die Vergangenheit ruhen lassen. Wir alle machen Fehler, Cory. Auch Sie haben sich in diesem Leslie getäuscht, der Ihnen den Laufpass gegeben hat, nachdem er Sie jahrelang hinters Licht geführt hat. Tja, leider sind die Schlimmsten immer die besten Liebhaber." Cory wollte ihren Ohren nicht trauen. Sie blickte ihn entgeistert an, und auf ihren Wangen brannten rote Flecken. Was für eine unglaubliche Unverfrorenheit! Fieberhaft suchte sie nach einer Antwort. Während sie noch überlegte, beugte Max sich zu ihr, strich ihr flüchtig mit dem Finger über den Mund und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer.
4. KAPITEL Cory war völlig durcheinander und überzeugt, dass sie die ganze Nacht nicht würde schlafen können. Doch das Gegenteil war der Fall, und sie erwachte erst wieder, als es bereits dämmerte. Sie lag noch immer angezogen auf dem Bett, und ihr war kalt. Vorsichtig stand sie auf und fühlte sich bereits wesentlich besser als am Abend. Rasch zog sie sich aus, duschte, putzte sich die Zähne, und sobald sie sich wieder im Bett befand, sank sie in tiefen Schlaf. Als sie das nächste Mal aufwachte, war es bereits hell, und die Sonne schien zum Fenster herein. Cory warf einen Blick auf ihren Reisewecker und stellte fest, dass es schon Mittag war. Sie hatte mehr als zwölf Stunden im Bett gelegen und war munter und ausgeruht. Nachdem sie sich ausgiebig gestreckt hatte, stand Cory auf und ging ins Badezimmer, wo sie ein heißes Bad nahm. Ihr Haar war noch nass, und sie hatte sich gerade ihren kurzen weißen Bademantel übergestreift, als es an der Zimmertür klopfte. Sie zuckte zusammen. Als es zum zweiten Mal klopfte, band sie den Gürtel ihres Morgenmantels fest zu und öffnete vorsichtig die Tür. „Guten Tag." Max war wieder ganz der kühle, gelassene Unternehmer - und er sah einfach fantastisch aus, wie Cory sehnsüchtig bemerkte. Verstohlen musterte sie das moosgrüne Hemd, die grün-grau gemusterte Krawatte und den silbergrauen Anzug, und plötzlich wünschte sie, sie würde mehr tragen als nur einen knappen Morgenmantel. Aber vermutlich würde das keinen Unterschied machen, dachte sie resigniert. Für Max Hunter war sie ungefähr so interessant wie ein Tomatensandwich. „Guten Tag." Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ich habe Ihren Rat befolgt und ausgeschlafen. In etwa zehn Minuten bin ich fertig." „Gut." Er nickte flüchtig. „Ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen, dass ich für ein Uhr Essen bestellt habe, da wir um zwei abgeholt werden. Ich komme in ...", er warf einen Blick auf seine goldene Rolex, „... etwa fünfundzwanzig Minuten vorbei und hole Sie ab, wenn Ihnen das recht ist." „Ja, natürlich", antwortete Cory, und Max drehte sich ohne ein weiteres Wort um und ging. Während sie sich die Haare föhnte, grübelte Cory darüber nach, warum Max so distanziert gewesen war. Vielleicht war das morgendliche Treffen nicht so verlaufen, wie er erwartet hatte. Hätte sie doch mitkommen sollen? Aber schließlich hatte sie lediglich das getan, was er ihr gesagt hatte. Sie nahm ihr Haar hinten mit einer Spange zusammen und schminkte sich dezent. Das Make- up verlieh ihrer samtweichen Haut einen seidigen Schimmer, und ein Hauch grüner Lidschatten und etwas Mascara betonten ihre langen dunklen Wimpern. Sie betrachtete die mitgebrachten Kleidungsstücke und entschied sich für einen langen, engen Leinenrock in Jadegrün und eine kurzärmelige Bluse, dazu Ohrstecker aus Gold und hochhackige Pumps. Es war ein elegantes, aber schlichtes Outfit, denn um keinen Preis wollte sie bei Max den Eindruck erwecken, sie wolle seine Aufmerksamkeit erregen. Und aus diesem Grunde würde sie das enge schwarze Kleid, das sie ebenfalls mit auf die Reise genommen hatte, auch nicht in seiner Gegenwart tragen. Als sie einen letzten Blick in den Spiegel warf, klopfte es bereits an der Tür. All ihre guten Vorsätze, gelassen zu bleiben und sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, waren jedoch vergessen, als Max wenig später vor ihr stand. „Gut, dass Sie kommen - ich bin schon fast verhungert", bemerkte sie betont fröhlich. „Ich auch." Max schien wieder besser gelaunt zu sein. Dann zog er die Brauen
zusammen und fügte hinzu: „In diesem Outfit wirken Sie sehr kühl - und ausgesprochen britisch. Nichts an Ihnen erinnert mehr an die Aphrodite von vor einer halben Stunde." Von wegen Aphrodite, dachte Cory. Ihr Anblick hatte ihn doch völlig kalt gelassen. Sie lächelte höflich, ohne etwas zu erwidern, und gemeinsam fuhren sie mit dem Fahrstuhl nach unten. Sie waren bereits lange vor zwei Uhr mit dem Essen fertig. In der Lounge warteten sie auf Mr. Katchuis Wagen und unterhielten sich angeregt. Nicht ein einziges Mal gab Max Cory Anlass zu der Annahme, er sei unaufmerksam oder geistesabwesend, und doch fragte sie sich mehrmals, worüber er wohl nachdachte. Vieles an Max Hunter war ihr rätselhaft. Gerade das aber macht ihn so anziehend, dachte Cory, als sie in Mr. Katchuis Limousine einstiegen. Die Faszination, die er auf sie ausübte, hatte allerdings noch andere Gründe. Er war skrupellos und scheute sich nicht, andere Menschen absichtlich zu beeinflussen. Doch er hatte Recht gehabt mit dem, was er am vergange nen Abend über Leslie gesagt hatte, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass Max sich auf eine so kleinliche Art aus einer Beziehung davonstehlen würde. Was immer man auch von ihm denken mochte - ein Feigling war er nicht. Wollte sie damit etwa sagen, dass Leslie einer war? Ja, Leslie war schon immer ein Feigling gewesen, sie hatte es sich nur nicht eingestanden. Und wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie ihn mehr liebte wie einen großen Bruder. Cory blickte aus dem Fenster des Wagens. Wie hatte sie sich nur so lange selbst etwas vormachen können? Sie hatte so gelitten, als er sich in Carole verliebt hatte und jetzt war sie geradezu erleichtert darüber, dass sie ihn los war. „... wenn Ihnen das recht ist?" „Wie bitte?" Cory war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht gehört hatte, was Max gesagt hatte. „Ich ... ich habe wohl geträumt", murmelte sie und wurde rot. „Offensichtlich", erwiderte er kurz angebunden. Es gab vermutlich nicht viele Frauen, die ihm nicht ständig ihre volle Aufmerksamkeit schenkten. „Ich habe Ihnen gerade vorgeschlagen, dass wir beide heute Abend in ein typisches japanisches Gasthaus gehen könnten, das einer meiner Geschäftsfreunde mir empfohlen hat. Es soll ganz anders sein als die auf westliche Besucher ausgerichteten Hotels." Überrascht sah sie ihn an. „Ja, das klingt sehr vielversprechend", stimmte sie schnell zu. „Wenn man in Tokio ist, sollte man es sich nicht entgehen lassen, einmal das wirkliche Japan kennen zu lernen", fuhr Max fort, „und unser Zeitplan lässt uns ab morgen kaum eine freie Minute, so dass wir den heutigen Abend nutzen sollten." Das Treffen mit Mr. Katchui verlief äußerst erfolgreich und war erst um sieben Uhr beendet. Max nahm das Angebot seines japanischen Geschäftspartners, der ihm seinen Wagen zur Verfügung stellen wollte, nicht an. Er und Cory fuhren mit dem Taxi in den Südwesten der Stadt. Die Häuser in Tokio waren nicht entsprechend ihrer Lage, sondern nach dem Zeitpunkt ihrer Erbauung nummeriert, doch Max hatte eine genaue Wegbeschreibung erhalten, so dass sie das japanische Gasthaus, ein Ryokan, auf Anhieb fanden. „Ich hoffe, ich bin nicht unpassend angezogen?" sagte Cory unsicher. „Nein, ganz und gar nicht." Max' Lächeln verschwand schlagartig, und sie hatte das Gefühl, dass sie sich den warmen Ausdruck in seinen Augen nur eingebildet hatte. „Ich habe Hunger", fügte er betont gelassen hinzu. „Gehen wir hinein." Auf einem Weg aus runden Steinplatten gingen sie durch einen wunderschönen kleinen Garten mit einem kleinen Teich voller Seerosen. Im gefliesten Vorraum
erwartete sie eine zierliche, hübsche Frau mittleren Alters in einem Kimono. Cory folgte Max' Beispiel und zog die bereitgestellten japanischen Hausschuhe an. Sie war überwältigt von der schlichten Schönheit des kleinen Raums, in den die Japanerin sie und Max führte. Die Zimmerdecke bestand aus Holz, der Boden war mit Tatarm- Matten aus Reisstroh und Schilfrohr ausgelegt, und rings um den flachen Tisch lagen Sitzkissen. Trotz der kargen Einrichtung wirkte der Raum nicht kalt, sondern strahlte eine friedliche und sehr intime Atmosphäre aus. „Werden wir hier essen?" Fragend sah sie zu Max auf. Vielleicht wartete man hier nur, bis in einem anderen Zimmer der Tisch gedeckt war? „In einem Ryokan", erklärte er ruhig, „bekommen alle Gäste ein eigenes Zimmer zugewiesen, wo auch die Mahlzeiten eingenommen werden. Warum fragen Sie? Ist das ein Problem für Sie?" Ob das ein Problem war? Natürlich war es das! Er konnte doch wohl nicht erwarten, dass sie sich praktisch neben ihn auf den Fußboden legte und ein gemütliches Abendessen in trauter Zweisamkeit mit ihm einnahm! „Nein, natürlich nicht", erwiderte sie und lächelte. „Ich hatte es mir nur etwas anders vorgestellt. Es ist sehr ... sehr japanisch." „Allerdings", stimmte er ihr zu. „Und obwohl sich hinter den Papiertüren dort Bettzeug und Decken befinden", er wies auf die Schiebetüren eines Schrankes in der Ecke, „werden wir hier lediglich zu Abend essen - falls Sie sich das gefragt haben." „Das habe ich nicht." Das stimmte sogar. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich der eiskalte Max Hunter, der sowohl seine Gefühle als auch seine gesamte Umgebung stets unter absoluter Kontrolle zu haben schien, auch nur vorüberge hend für eine so unbedeutende Person wie sie interessieren sollte. „Tatsächlich nicht?" Amüsiert beobachtete er, wie sie rot wurde. In dem kleinen, hellen Raum mit den niedrigen Türen, durch die Max nur gebückt gehen konnte, wirkte er noch größer als sonst. Einen Moment lang war Cory versucht, ihn glauben zu lassen, was er wollte, doch das konnte sie sich nicht erlauben. „Nein, das habe ich mich wirklich nicht gefragt", wiederholte sie und sah ihm in die Augen. „Etwas anderes würden Sie sicher niemals tun." „Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das als Kompliment oder als Beleidigung auffassen soll", erwiderte Max und zog die Brauen hoch. „Nein, nein, so habe ich es doch nicht gemeint..." versicherte Cory schnell und errötete. „Natürlich mögen Sie Frauen ... ich meine ... ich wollte damit nicht sagen, dass Ihr Liebesleben ..." „Wir können uns also darauf einigen, dass ich ein ganz normaler Mann mit ebenso normalen Begierden bin." Max wandte den Blick nicht von ihrem erhitzten Gesicht. „Wie können Sie dann so sicher sein, dass ich keine Hintergedanken habe?" Wie war sie nur in diese ausweglose Lage geraten? Cory sah ihn starr an. Ihr Herz klopfte, und die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Offenbar bemerkte Max ihre Aufregung, denn er wies Cory an, auf einem der Sitzkissen Platz zu nehmen. „Setzen Sie sich, bevor Sie noch umfallen!" Kaum hatte er das gesagt, öffnete sich die Tür, und die Frau trat ein, die sie hereingeführt hatte. Sie brachte in einer Karaffe Sake, den traditionellen japanischen Reiswein, und dampfende kleine Handtücher in einem Körbchen. Erstaunlich behände ließ sich Max ebenfalls nieder. Ihm schienen die komplizierten japanischen Rituale bestens vertraut zu sein. „Nachdem Sie das Tuch zum Reinigen Ihrer Hände verwendet haben, benutzen Sie es als Serviette", erklärte er ihr. Cory nickte nur. Sie schämte sich ein wenig vor der Japane rin, weil sie die
Gebräuche des Landes nicht besser kannte. Die Frau goss Sake in kleine Gefäße, die nicht größer waren als Eierbecher. Dann kniete sie sich neben den Tisch. „Wir werden doch allein essen, nicht wahr?" fragte Cory unsicher. „Wäre Ihnen das lieber?" In Max' bernsteinfarbenen Augen glitzerte es leicht. „Ja. Ich weiß nicht, wie man sich in Japan beim Essen richtig verhält, und ich möchte nicht unangenehm auffallen." „Das würden Sie keineswegs, Cory", beruhigte er sie überraschend freundlich. „Aber wenn Sie sich dann wohler fühlen, essen wir natürlich allein." Er sagte etwas auf Japanisch zu der zierlichen Frau, die daraufhin aufstand, sich lächelnd verbeugte und hinausging. Erst jetzt wurde Cory bewusst, dass sie nun mit Max allein war. Er würde doch wohl nicht denken ... Nein, beruhigte sie sich selbst. Sie hatte ihm nie auch nur den geringsten Anlass zu derartigen Vermutungen gegeben - im Gegenteil. Und außerdem fand er sie kein bisschen attraktiv. Max, der direkt neben ihr saß, füllte ihr Glas mit dem hochprozentigen Reiswein, der wie trockener Sherry schmeckte. Er hatte sein Jackett ausgezogen und die obersten Knöpfe seines Hemds geöffnet. Cory trank einen großen Schluck Sake, um sich Mut zu machen. „Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja ... Sie wollten mir gerade erklären, warum es so abwegig ist, dass ich ganz niedere Beweggründe hatte, Sie in dieses kleine Paradies einzuladen." Cory spürte eine unbändige Wut in sich aufsteigen. Offensichtlich machte es ihm Spaß, sie in Verlegenheit zu bringen. Doch noch viel mehr war sie auf sich selbst wütend. Denn obwohl Max sie so herablassend behandelte und obwohl sie seinen Lebensstil ablehnte, fühlte sie sich nach wie vor unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Es ist eben rein körperlich, redete sie sich ein. Sie beschloss, Max mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Vielleicht lag es am Sake, dass sie trotz ihrer Aufregung in der Lage war, betont locker zu antworten: „Aus dem einfachen Grund, weil Sie mein Chef sind." Mit gekonnt unschuldigem Augenaufschlag blickte sie ihn an. „Deshalb wird unsere Be ziehung selbstverständlich immer rein geschäftlicher Natur sein." Max verzog keine Miene, wirkte aber plötzlich angespannt. Gelassen fuhr Cory fort: „Darüber hinaus sind Sie ein weltgewandter Mann, außerdem einige Jahre älter als ich und verfügen deshalb natürlich auch über wesentlich mehr Erfahrung. Wir beide haben - abgesehen von unserer Arbeit - absolut nichts gemeinsam. Hinzu kommt, dass ich nichts für oberflächliche Affären übrig habe, was Sie als Großstädter vermutlich hoffnungslos altmodisch finden." Nach einer langen Pause atmete Max tief ein und erwiderte: „Natürlich." Seine Stimme klang kühl und beherrscht, doch sein spöttisch-arroganter Tonfall war gänzlich verschwunden. „Noch etwas Sake?" Er füllte ihr Glas, und obwohl sie seit mehr als sieben Stunden nichts gegessen hatte, trank sie es in einem Zug leer. Schließlich wurde das Essen gebracht. Es gab Meeresfrüchte im Teigmantel, dazu Gemüsesuppe, Reis und zahlreiche andere Köstlichkeiten. Max erklärte ihr, dass es in Japan üblich sei, die Suppe hörbar zu schlürfen, als Zeichen dafür, dass man sie mochte. Gemüse wie auch Reis aß man mit Stäbchen, wobei die Schüssel ganz nah an den Mund gehalten wurde. Cory hörte aufmerksam zu und genoss das Essen, das ihr großartig schmeckte. Sie hatten bereits eine ganze Flasche Sake getrunken, als Cory plötzlich merkte, wie warm ihr war. Sie fühlte sich leicht und unbeschwert, und all die Sorgen und Probleme der vergangenen Monate waren vergessen. Max musste in der letzten halben Stunde unmerklich an sie herangerückt sein, denn sie saßen nun Schulter an Schulter. Cory wäre gern ein wenig zur Seite gerutscht, doch sie wollte nicht unhöflich erscheinen. Sie musterte ihn verstohlen und fragte sich, was für Frauen er wohl bevorzugte. Kühl-elegante Blondinen?
Üppige Brünette? Oder temperamentvolle Rothaarige? Vermutlich liebt er alle, dachte sie resigniert. Gillian hatte ihr erzählt, dass er ständig neue Freundinnen hatte und seine Beziehungen nie länger als ein paar Monate dauerten. „Er behandelt sie gut und verwöhnt sie nach Strich und Faden", hatte Gillian gesagt und ein wenig missbilligend den Kopf geschüttelt. „Bevor es jedoch kompliziert wird, beendet er das Ganze." „Und die Frauen lassen sich das einfach so gefallen?" Cory war sprachlos gewesen. „Max lässt sich nur mit Frauen ein, die dieselbe Einstellung haben wie er", hatte Gillian erklärt. „Er steckt all seine Energie in das Unternehmen, trägt große Verantwortung und arbeitet unglaublich hart. Deswegen möchte er in seinem Privatleben keinerlei persönliche Verpflichtungen einge hen - und schon gar keine emotionale Bindung. So ist er eben. Andererseits ist er ehrlich, was das anbetrifft. Er macht seinen Freundinnen keine falschen Versprechungen." Gillian hatte an dieser Stelle das Thema gewechselt. Vielleicht hatte sie bereut, so viel über Max' Privatleben preisgegeben zu haben. Cory hatte jedenfalls den Eindruck gehabt, als wäre es noch nicht die ganze Wahrheit gewesen. Sie erinnerte sich an das Gespräch am vergangenen Abend, das sie zutiefst verstört hatte. Auch wenn Max dies bestreiten würde, so war sie doch überzeugt, dass der „Fehler", von dem er gesprochen hatte, ihn noch immer beschäftigte. Cory fragte sich, was damals wohl passiert war. „Das war einfach köstlich", stellte sie unvermittelt fest, um den Gedanken zu verdrängen. Max hatte sich entspannt neben ihr ausgestreckt. Seine faszinierende Ausstrahlung wurde durch den sehr feminin wirkenden Raum noch verstärkt. „Ja", langsam ließ er den Blick über ihr Gesicht gleiten, „äußerst delikat ..." „Was ist das für ein Geräusch?" Schon seit einigen Minuten war von draußen ein wehmütiger, fast klagender Ton zu hören, der ihr Gefühl verstärkte, in einer ganz anderen Welt zu sein. „Das ist ein Soba-Verkäufer, der durch die Straßen geht und Nudeln feilbietet", erklärte Max. „Er kündigt sein Kommen mit einer Flöte an." Er setzte sich auf, und Cory wollte die Gelegenheit ergreifen, unauffällig ein wenig von ihm abzurücken. Dabei löste sich ihre Spange, und das dichte Haar fiel ihr wie ein seidiger Umhang auf die Schultern. Sie stieß einen erschrockenen Laut aus und wollte die Spange wieder aufheben. „Nicht." Max hielt ihre Hand fest. Ihr stockte der Atem. Er lehnte sich zurück und sagte leise: „Ich habe mich schon seit Wochen gefragt, wie Sie mit offenem Haar aussehen. Es ist eine Schande, eine solche Schönheit zu verbergen." „Bei der Arbeit würde es mich stören, das Haar offen zu tragen", verteidigte Cory sich. „Aber wir sind jetzt nicht bei der Arbeit", erwiderte Max rau. Cory merkte, wie die Spannung zwischen ihnen wuchs, und sie erbebte insgeheim. Sie wusste, dass er sie küssen würde, und ebenso gut wusste sie, dass es eine große Dummheit wäre, das zuzulassen. Doch als sie in seine bernsteinfarbenen Augen sah, hatte sie ihre Gefühle nicht mehr unter Kontrolle. Langsam nä herte Max sich ihr, und sie wartete ungeduldig und sehnsüchtig auf den Moment, da seine Lippen ihre finden würden. Max küsste sie - behutsam zuerst, dann fordernd. Doch er versuchte nicht, sie an sich zu ziehen. Sie hatte erwartet, dass er ein sehr erfahrener Liebhaber war - das war ihr sofort klar ge wesen, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Allerdings hätte sie sich nicht träumen lassen, dass er ihr nur mit einem KUSS den Atem rauben und in ihr ein verzehrendes Verlangen wecken könnte.
Jetzt weiß ic h also, wie es ist, von Max Hunter geküsst zu werden, dachte Cory wehmütig. Sicher fiel es seinen ehemaligen Geliebten schwer, einen anderen Liebhaber zu finden, der neben ihm Bestand hatte. Sie schloss die Augen und gab sich ganz ihren Gefühlen hin. Sie spürte, dass Max sich an sie presste, und eine Welle des Be gehrens durchflutete sie, als er ihr den Hals und den Nacken küsste. „Sie sind so schön, Cory", flüsterte er. „Ihre Haut ist so zart -fast durchsichtig ... und Ihr seidiges Haar ..." Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren und aufgehört zu denken und überließ sich ganz der Erregung, die Max' Liebkosungen in ihr auslösten. Wieder küsste er ihren Mund fordernd und leidenschaftlich, und sie spürte sein Herz heftig schlagen. Cory hatte ihm die Hände auf die breiten Schultern gelegt. Schauer der Lust liefen ihr über den Rücken, als er die Hände über ihren Körper gleiten ließ, und sie wünschte sich, seine Haut an ihrer zu spüren. Leise stöhnte sie auf. Nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hätte sie sich ausgemalt, dass ein Mann sie derart erregen könnte. Irgendwann merkte sie, dass Max sie nur noch festhielt und sie sanft auf die Stirn küsste. Voller Scham wurde ihr bewusst, wie widerstandslos sie sich ihm hingegeben hatte. „Ich muss Sie um Verzeihung bitten, Cory. Ich hätte das nicht tun dürfen." Sie löste sich schnell von ihm, und er versuchte nicht, sie festzuhalten. Hätte Cory ihn angesehen, hätte sie seinen verwirrten Blick bemerkt. Stattdessen zupfte sie verlegen ihre Bluse zurecht, und als sie aufsah, war seine Miene undurchdringlich. Gelassen sagte er: „Es gibt keine Entschuldigung für mein Verhalten - außer vielleicht den Zauber, den diese Umgebung auf mich ausübt." Cory beschämte und erschreckte es, wie leicht es ihm fiel, sie in seinen Bann zu schlagen. Sie hätte sich gleich von ihm zurückziehen und mit einer lockeren Bemerkung über seinen Annäherungsversuch hinweggehen sollen. Max hatte ihr deutlich gemacht, er wolle nicht, dass seine Sekretärin für ihn schwärmte. Er war ein erfahrener Mann, und vermutlich hatte der Kuss ihm nichts bedeutet. Sie nahm all ihren Mut und ihre Selbstbeherrschung zusammen und rang sich ein Lächeln ab. „Sicher lag es auch am Sake", erwiderte sie, so ruhig sie konnte. „Ich hätte niemals so viel getrunken, wenn ich gewusst hätte, dass er mir so zu Kopf steigt." Tatsächlich hatte sie sich jedoch noch nie in ihrem Leben so nüchtern gefühlt. „Ja, er macht leichter betrunken, als man annimmt", bestätigte Max mit einer Gelassenheit, die sie erneut zum Erröten brachte. Offensichtlich ließ ihn das kleine Intermezzo völlig kalt. Wie hatte sie sich nur so gehen lassen können? Die wenigen Minuten, die sie noch im Restaurant blieben, kamen Cory wie Stunden vor. Sie wagte nicht, ihre Haare wieder zusammenzufassen - aus Angst, die Spange würde ihr aus den noch immer zittrigen Händen fallen. Auf dem Nachhauseweg war Max wieder ganz der kühle, gelassene Mann von Welt. Cory gab sich alle Mühe, ein lockeres Gespräch mit ihm zu führen. Doch sie hatte ihre Gefühle und Empfindungen, als sie in seinen Armen gelegen hatte, noch allzu gut in Erinnerung: die Berührung seiner Lippen, seinen Duft... Sie wusste, dass der Kuss Max nichts bedeutet hatte. Für ihn ist es lediglich in Ausrutscher gewesen und ihm nicht wichtig genug, um darüber weiter nachzudenken, dachte sie bitter, als sie die Lichter der unzähligen Restaurants und Lokale während der Taxifahrt vorüberziehen ließ. Wie konnte er nur so kalt und gefühllos sein! Aus den Augenwinkeln warf sie ihm einen Blick zu. Max sah ruhig und entspannt aus. Cory konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was eine Frau dazu bringen konnte, mit ihm eine Beziehung
einzugehen - es sei denn, sie war genauso kalt wie er. Zum Glück war er vorhin nicht weitergegangen. Sie hatten sich nur geküsst, und immerhin war ihr durch sein Verhalten endlich klar geworden, was für ein Mensch er war. Eigentlich bin ich froh darüber, dass mir die Augen geöffnet wurden, redete sie sich ein. Sie bewahrte die Fassung, bis Max ihr im Hotel flüchtig eine gute Nacht wünschte und verschwand. Dann sank sie wenig später aufs Bett und ließ in Gedanken jedes Wort, das er gesagt hatte, jeden Blick und jede Liebkosung Revue passieren. Schließlich seufzte sie tief. Wie hatte sie sich nur in eine solche Situation bringen können? Kein Wunder, dass Max so erregt gewesen war - schließlich hatte sie sich ihm förmlich an den Hals geworfen! Nein, das habe ich nicht, sagte Cory energisch zu sich selbst und stand auf. Was passiert war, war nicht allein ihre Schuld. Ein erfahrener Mann wie Max hätte dem Ganzen Einhalt gebie ten können. Nachdem sie ein heißes Bad genommen hatte, wusch sie sich die Haare und zog sich ihren Morgenmantel an. Cory betrachtete ihr besorgtes Gesicht im Spiegel und schwor sich, nie wieder zuzulassen, dass Max Hunter sie küsste. Wenn sie auch nichts ungeschehen machen konnte, war sie jedoch zumindest in der Lage, etwas daraus zu lernen. In ein paar Tagen würde sie sich ohne Scham daran erinnern können und die Ereignisse des heutigen Abends lediglich als eine wichtige Erfahrung betrachten. Das glaubst du doch selbst nicht, dachte Cory resigniert. Die Gefühle, die Max' Kuss in ihr ausgelöst hatten, waren das Überwältigendste gewesen, was sie je empfunden hatte. Für ihn allerdings hatte es kaum eine Bedeutung gehabt. Sie blinzelte heftig, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Einen Moment lang wünschte sie, sie hätte niemals die Stelle bei Hunter Operations angenommen.
5. KAPITEL Vor dem Frühstück am folgenden Tag schminkte Cory sich sorgfältig. Sie hatte sich bis drei Uhr morgens unruhig im Bett hin und her gewälzt. Schließlich hatte sie beschlossen, dass es auf jeden Fall besser sei, sich abzulenken, als sich ununterbrochen über Max den Kopf zu zerbrechen. Also war sie aufgestanden, hatte ihre Notizen durchgesehen und zwei Berichte fertig geschrieben, die Max vielleicht am nächsten Tag brauchen würde. Um sechs Uhr duschte sie und legte sich hin. Um sieben stand sie wieder auf und probierte sämtliche mitgebrachten Kleidungsstücke an - bis auf das figurbetonte schwarze Kleid, Sie wollte ruhig und gelassen wirken, aber trotzdem feminin und attraktiv. Seufzend warf Cory einen Blick auf den Kleiderhaufen auf ihrem Bett. Am Ende wählte sie einen schlichten silbergrauen Rock, eine weiße Bluse und weiße Pumps. Nichts Besonderes, aber elegant und dezent. Die Ringe unter den Augen kaschierte sie geschickt mit Make-up, und die Haare flocht sie zu einem strengen französischen Zopf, wobei sie den Gedanken an Max' Bemerkung vom Vorabend energisch verdrängte. Als sie fertig war, sah sie auf die Uhr und stellte fest, dass sie noch zehn Minuten Zeit hatte. Um halb neun wollten sie und Max sich zum Frühstück treffen. Cory beschloss, nicht zu warten, bis er bei ihr klopfen würde, sondern schon hinunterzugehen. Sicher wäre es angenehmer, ihm unter lauter anderen Menschen im Speisesaal gegenüberzusitzen. Und so hatte sie bereits am Tisch Platz genommen und nippte an einem Glas frisch gepresstem Orangensaft, als Max in den Saal kam. Sie lächelte und sagte betont locker: „Guten Morgen, Max. Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen?" „Ja, vielen Dank." So sieht er auch aus, dachte Cory empört. Er wirkte ausgeruht und strahlte wie immer unerschütterliches Selbstbewusstsein aus. „Und wie war Ihre Nacht?" fragte er. „Ausgezeichnet, danke", erwiderte sie vergnügt. Nachdem Max bestellt hatte, fuhr sie fort: „Ich habe vor dem Frühstück noch die wichtigsten Daten und Fakten zusammengetragen." Das war noch nicht einmal gelogen - drei Uhr morgens war vor dem Frühstück. Sie reichte ihm die beiden Berichte und schenkte dann in zwei Tassen Kaffee ein. „Ausgezeichnet", lobte Max, nachdem er das Ganze überflo gen hatte, und blickte auf. Ja, das sind sie allerdings, du gefühlloser Mistkerl, dachte Cory. Der Gedanke daran, wie kalt und unsensibel er war, begleitete sie den ganzen Tag, und als sie zum Essen ins Hotel zurückkehrten, fühlte sie sich wie ausgelaugt. Doch mit eiserner Selbstdisziplin brachte sie es fertig, sich Max gegenüber nichts anmerken zu lassen. Als sie danach ins Bett ging, war sie innerhalb weniger Minuten eingeschlafen. Auf diese Art vergingen die nächsten Tage wie im Flug. Cory tat ihr Bestes, um Max' Vorstellungen von der perfekten Sekretärin gerecht zu werden. Sie arbeitete so konzentriert und effektiv, dass sie sich fast wie ein Roboter vorkam. Max dagegen war so gelassen und kühl wie immer. Nicht mit einer Silbe erwähnte er den Abend im Ryokan. Cory war froh darüber und hütete sich ihrerseits, ihn darauf anzusprechen. Wenn sie und Max jedoch gemeinsam zu Abend aßen und er sich vom eiskalten Geschäftsmann in einen unterhaltsamen, aufmerksamen Gesprächspartner verwandelte, war das eine andere Sache. Max verhielt sich dann wie wohl allen
Frauen gegenüber auch, deren Gesellschaft er sich nicht ausgesucht hatte: höflich, charmant und äußerst korrekt. Obwohl Cory sich immer wieder zur Vernunft rief, fühlte sie sich fast gegen ihren Willen nach wie vor unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Am Tag ihrer Abreise hatte sie schließlich das Gefühl, ihm völlig verfallen zu sein. Während des endlos langen Abschiedszeremoniells mit Mr. Katchui und seinen Geschäftspartnern lä chelte sie, bis ihr die Mundwinkel schmerzten, und bemühte sich, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Dinge zu sagen. Mr. Katchui überreichte ihr ein kleines Geschenk und überhäufte sie mit Komplimenten. Cory war überrascht und gerührt. „Sie haben einen besonders guten Eindruck gemacht", bemerkte Max anerkennend, als sie mit dem Taxi zum Flughafen fuhren. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er mir etwas schenken würde." Er wies auf das kleine Päckchen auf ihrem Schoß. „Machen Sie es auf." „Oh, wie hübsch ...!" Es war eine Figur aus Silber in Form des kleinen Hundes Hachiko. Auf der dabei liegenden Karte stand: „Treue sollte stets belohnt werden." Obwohl sie es nicht als schmeichelha ft empfand, mit einem Hund verglichen zu werden, freute Cory sich. „Ist das nicht nett?" Sie zeigte Max die Karte. „Vielleicht soll es eine Anspielung auf mich sein", bemerkte er trocken. „Nein, bestimmt nicht", versicherte sie ihm schnell. Er betrachtete sie eine Weile lang wortlos. „Und sehen Sie das auch so, dass Treue belohnt werden sollte?" fragte er dann, und in seiner Stimme schwang ein Ton mit, den Cory nicht zu deuten wusste. „Ja, das tue ich - nur ist es in der Realität leider nicht immer der Fall", antwortete sie vorsichtig. „Allerdings nicht", erwiderte Max ungewohnt heftig. Offensichtlich hatte sie ihn an einer empfindlichen Stelle getroffen. Überrascht sah sie ihn an. Er schien sich einen Ruck zu geben und sagte dann: „Entschuldigen Sie bitte, es ist nur so, dass ich einmal jemanden im Stich gelassen habe und nicht die Gelegenheit hatte, meinen Fehler wieder gutzumachen." „Ich verstehe." Cory war verwirrt. Max hatte sich bemüht, betont locker zu klingen, doch seine Miene drückte etwas anderes aus. Sein Blick war derselbe wie an jenem Abend, als er ihr von der Frau erzählt hatte, für deren Tod er sich verantwortlich fühlte. „Nun, wir alle machen einmal einen Fehler", erwiderte sie unbeholfen. „Wie Recht Sie doch haben!" Sein Ton war spöttisch und he rablassend. „Ich weiß, dass es banal klingt", verteidigte sie sich. „Aber sicher würde es Ihnen auch nicht gefallen, wenn ich Sie aus fragte. Manchmal sind Sie wirklich kein einfacher Gesprächspartner." „Tatsächlich nicht?" Unvermittelt wandte Max sich zu ihr um. Er schien empört zu sein. Vermutlich ist er es nicht gewohnt, dass eine Frau ihn kritisiert, dachte Cory leicht schadenfroh. Normalerweise warfen Frauen sich ihm wohl zu Füßen und himmelten ihn an. In diesem Moment sagte er, wie um ihren Gedanken zu bestätigen: „Sie sind die Einzige, die dieser Ansicht ist." „Vielleicht bin ich die Einzige, die es Ihnen gesagt hat", erwiderte Cory ruhig. Max Hunter aus der Fassung gebracht zu haben hatte sie für die vergangenen Abende entschädigt, an denen sie nervös und angespannt mit dem attraktivsten Mann der Welt an einem Tisch hatte essen müssen. Max runzelte die Stirn und betrachtete Cory nachdenklich. Er kniff die bernsteinfarbenen Augen zusammen und sah noch erotischer aus als sonst. „Also ..."
Sein ratloser Gesichtsausdruck, der ihn fast jungenhaft wirken ließ, irritierte sie. „Finden Sie wirklich, dass ich ein schwieriger Gesprächspartner bin? Ich bin sicher, dass Gill anderer Meinung war - wir konnten über praktisch alles reden." Gill war auch nicht verrückt nach dir, dachte Cory. Sie brachte kein Wort heraus. Wie konnte jemand nur so ein berechnender Geschäftsmann und Macho, gleichzeitig aber auch so faszinierend, charmant und erotisch sein? Nach einer Weile veränderte sich sein Gesichtsausdruck, und er lehnte sich zurück. „Der Mensch, den ich im Stich gelassen habe, war meine Verlobte. Jemand machte mir weis, sie würde mich betrügen. Sie bestritt dies, aber ich glaubte ihr nicht und trennte mich in aller Öffentlichkeit von ihr. Um das Gesicht nicht zu verlieren, fing ich eine Affäre mit ihrer Schwester an, die mir schon länger zu verstehen gegeben hatte, dass sie dafür offen wäre." Erschüttert sah Cory ihn an. „War es die Schwester, die ...?" Sie verstummte. „... mir eingeredet hat, meine Verlobte wäre mir untreu? Ja, so war es", antwortete Max bitter. „Wie haben Sie die Wahrheit herausgefunden?" brachte Cory mühsam heraus. „Drei Wochen nachdem ich mich von meiner Verlobten Laurel getrennt hatte, fuhr sie mit dem Auto gegen eine Steinmauer und verunglückte tödlich", erwiderte Max ausdruckslos, doch um seinen Mund zuckte es leicht. „Die Polizisten waren der Meinung, es wäre ein Unfall gewesen. Doch Laurels Schwester Anne beichtete mir, dass Laurel sich das Leben genommen habe. Aber schon bald widerrief sie ihr Geständnis und behauptete, dass es tatsächlich ein Unfall gewesen sei." „Und wenn es nun doch so passiert ist?" fragte Cory vorsichtig. „Nein. Laurel war eine ausgezeichnete und vorsichtige Autofahrerin", entgegnete er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. „Einige Wochen später starb mein Vater an einem Herzanfall. Sein gesamter Besitz, also auch das Unternehmen, ging auf mich über, so dass ich für Schuldgefühle keine Zeit mehr hatte." Keine Zeit? Er fühlte sich doch offenbar noch immer schuld ig! „Wie hat Ihre Familie das Ganze aufgenommen?" Cory versuchte, ruhig zu klingen, doch es fiel ihr schwer. Sicher hatte ihm seine Mutter oder ein anderes Familienmitglied zur Seite gestanden. „Es gab niemanden außer meinem Vater", sagte Max kurz angebunden. „Ich habe keine Geschwister. Meine Mutter starb, als ich zwei Jahre alt war, und mein Vater hat nach ihrem Tod nicht wieder geheiratet." Cory war zutiefst erschüttert. Sie kannte Max inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er Mitleid nicht schätzen würde. Wie schrecklich, seine eigene Mutter nicht kennen gelernt zu haben, dachte sie. Doch es erklärte vieles. Es musste ihn sehr geprägt haben, ohne die zärtliche Liebe und Fürsorge einer Mutter aufzuwachsen. Und dann war sein Vertrauen in Frauen noch derart erschüttert worden. Kein Wunder, dass er so zynisch und desillusioniert ist, überlegte Cory resigniert. Und natürlich hatten sein Reichtum und die Tatsache, dass er so unglaublich gut aussah, noch dazu beigetragen. Er brauchte nur mit den Fingern zu schnippen, und schon warfen sich ihm vermutlich Hunderte von Frauen an den Hals. Bei diesem Gedanken musste sie unwillkürlich an den Abend denken, an dem Max und sie in dem japanischen Gasthaus gegessen hatten. Vermutlich glaubt er, ich sei genau wie alle anderen, dachte sie wehmütig und beschämt. Sie setzte sich auf und sagte munter: „Ich gebe zu, dass Sie sicher gute Gründe hatten, den Glauben an Liebe und Treue zu verlieren. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht existieren." „Sie wollen mir doch nicht schon wieder von Ihrem kleinen Dorf erzählen, wo nur gute Menschen leben und alles eitel Sonnenschein ist?" fragte Max sarkastisch. Diese Worte ernüchterten Cory, die eben noch voller Mitgefühl gewesen war.
Ihre grünen Augen funkelten wütend, als sie schnippisch erwiderte: „Sie können es einfach nur nicht ertragen, dass Sie sich getäuscht haben. Aber ich kenne Hunderte von Paaren, wie zum Beispiel meine Eltern, die glücklich verheiratet sind - Menschen, die bereit sind, ihre Fehler einzugestehen, und die nicht davonlaufen." Mit einem Schlag war der Ausdruck gelassener Überlegenheit aus seinem Gesicht verschwunden. Erschrocken stellte Cory fest, dass sie wohl etwas zu weit gegangen war - immerhin war er ihr Chef. Doch sie wollte nicht nachgeben. Soll er mich doch entlassen, wenn er will, dachte sie trotzig. Sie hatte genau wie er das Recht, ihre Meinung zu sagen. „Weglaufen? Was wollen Sie damit sagen?" Seine Miene war undurchdringlich. „Wie würden Sie Ihr Verhalten denn sonst beschreiben?" Cory hob das Kinn und blickte in seine wunderschönen goldbraunen Augen. „Sie haben doch selbst gesagt, dass Anne Ihnen absichtlich Lügengeschichten erzählt hat. Unter diesen Umständen ist es verständlich, wie Sie reagiert haben. Wenn jemand schuld an Laurels Tod ist, dann nicht Sie, sondern ihre Schwester." Er blickte einen Moment lang in ihre grünen, violett gesprenkelten Augen. Dann fragte er ruhig: „Wenn man jemanden liebt, sollte man ihm dann nicht vertrauen?" Cory erwiderte seinen Blick. Sie wusste nicht, worauf er hinauswollte. Vorsichtig antwortete sie: „Ja." „Ich dachte, ich würde Laurel über alles lieben, und wollte bis an mein Lebensende mit ihr zusammenbleiben. Aber als sie mir schwor, sie habe keine Affäre mit einem anderen Mann, habe ich ihr nicht geglaubt, denn natürlich hatte Anne das Ganze außerordentlich geschickt eingefädelt. Als Laurel mir gegenüber ihre Unschuld beteuerte, sagte sie mir unter anderem, dass ich ihr glauben würde, wenn ich sie wirklich liebte. Und sie hatte Recht." Cory spürte, dass er noch mehr sagen wollte, und wartete angespannt. „Und warum habe ich ihr nicht geglaubt? Weil mein Stolz verletzt worden war. Liebe, dieses angeblich edelste aller Gefühle, existiert nicht, auch wenn hoffnungslos romantische Dichter uns das immer wieder einreden wollen. Paare, die einander treu sind und zusammenbleiben, tun dies aus den unterschiedlichsten Gründen - weil sie Kinder haben, weil sie noch niemand anders begegnet sind aber jedenfalls nicht aus Liebe." Cory sah ihm an, dass er jedes Wort ernst meinte. In diesem Moment wurde ihr schlagartig klar, dass sie ihn liebte. Sie liebte Max Hunter, einen Mann, der nicht einmal wusste, was Liebe war. „Liebe ist nur eine Bezeichnung für sexuelles Verlangen, eine rein körperliche Anziehung zwischen zwei Menschen. Warum sonst gibt es so viele Scheidungen?" fuhr Max gelassen fort. „Doch die meisten Frauen und Männer können keinen Sex miteinander haben, ohne sich einzureden, sie würden einander lieben. Vermutlich hat man sie in ihrer Kindheit einer Gehirnwäsche unterzogen", stellte er verächtlich fest. Cory war noch zu benommen von ihrer Erkenntnis, um antworten zu können. Sie hatte sich in diesen mächtigen, reichen, attraktiven und unglaublich erotischen Mann verliebt, der eine Frau wie sie nicht einmal eines Blickes würdigen würde. Sie war weder schön noch weltgewandt, geschweige denn sexuell so erfahren, wie er es mit Sicherheit von einer Frau erwartete. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte Max: „Denken Sie an den Abend, als wir im Ryokan waren. Ich habe Sie begehrt, und ich weiß, dass Sie mich auch begehrt haben. Aber wenn wir miteinander geschlafen hätten, hätten wir lediglich unsere Be gierde befriedigt, nichts weiter. Es hätte nichts bedeutet, und doch hätte es mit Sicherheit unsere Zusammenarbeit beeinträchtigt. Es ist schade, dass Sexualität so überbewertet wird. Dabei ist- die Befriedigung des Triebes etwas so
Normales wie essen oder trinken." Cory sah ihn ungläubig an. „Wollen ... wollen Sie damit sagen, dass Sie nicht an die Liebe glauben?" Ihre Stimme zitterte. „Allerdings." Angesichts seiner Überheblichkeit spürte sie eine unbändige Wut in sich aufsteigen. Gleichzeitig stellte sie erschrocken fest, wie viel Macht er bereits über sie hatte. „Das glaube ich Ihnen nicht", erwiderte sie leise. „Natürlich nicht", antwortete Max verächtlich. „Schließlich hat man Ihnen etwas anderes beigebracht." „Das hat man mir nicht beigebracht", rief Cory empört und erschrak sofort über ihre laute Stimme. Etwas leiser fuhr sie fort: „Du meine Güte, es ist doch normal, jemanden zu lieben und sich zu wünschen, geliebt zu werden! Das ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis und viel stärker als Lust." „Da bin ich anderer Meinung." Max betrachtete sie kühl. „Dann war das, was Sie für Leslie empfanden, also Liebe und nicht Lust?" Er ging noch einen Schritt weiter und fragte: „Vielleicht irre ich mich, aber war es nicht so, dass Sie wegen dieser großen Liebe todunglücklich nach London gekommen waren und ein paar Wochen später nicht einmal mehr wussten, ob Sie mit ihm zusammen sein wollten oder nicht?" Er warf ihr einen triumphierenden Blick zu und fuhr fort: „Und wenn Sie ihn wirklich so sehr lieben würden, wie Sie glauben, dann hätten Sie damals im Ryokan sicher anders reagiert. Wie Sie sehen, ist dieses grundlegende menschliche Bedürfnis', wie Sie es nennen, ziemlich vergänglich." Das reicht, dachte Cory wütend. Sie konnte seine Arroganz und Selbstzufriedenheit kaum noch ertragen. Mit aller Macht zwang sie sich, ruhig zu bleiben. „Aber Sie sagten doch selbst, dass das, was wir fühlten, Begierde war", erwiderte sie mit unschuldigem Lächeln. „Wenn ich also mit Ihnen geschlafen hätte, wäre es nichts anderes gewesen, als zum Beispiel ein Sandwich zu essen, wenn man Hunger hat. Es wäre nicht von Bedeutung und hätte nichts mit meiner Liebe zu Leslie zu tun." Max' arrogantes Lächeln war wie weggewischt. Ihm schienen tatsächlich die Worte zu fehlen. Insgeheim freute Cory sich diebisch, bis er sanft, aber eindringlich antwortete: „Glauben Sie mir, Cory, wenn ich mit Ihnen schlafen würde, wäre das etwas ganz anderes, als ein Sandwich zu essen, und mit Sicherheit wäre es von Bedeutung." Sie warf ihm einen vorsichtigen Blick zu. Er ist wirklich wütend, dachte sie erschrocken. „Und wenn Sie mich damit provozieren wollen, werde ich Ihnen beweisen, dass ich Recht habe", setzte er hinzu. Ohne ihren erschrockenen Aufschrei zu beachten, rückte er näher. „Nein, ich wollte wirklich nicht... Sie haben doch selbst gesagt..." Sie konnte nicht zu Ende sprechen, denn Max verschloss ihr die Lippen mit einem KUSS, der ihr den Atem raubte. Er küsste sie leidenschaftlich und fordernd, und trotz allem, was sie gerade gesagt hatte, schmolz Cory widerstandslos dahin. Er berührte nur ihre Lippen, doch sie spürte die Erregung im ganzen Körper. Cory merkte, wie ihre Brustspitzen hart wurden. Sie war so berauscht von seinen liebkosenden Küssen, dass ihr schwindelig wurde. Max zog sie an sich, und sein Duft hüllte sie ein. Er ließ seine Hände über ihre schmalen Hüften gleiten. Sie spürte, dass er erregt war. Die Leichtigkeit, mit der er ein übermächtiges Verlangen in ihr wecken konnte, erschreckte sie. Wir liegen doch nicht einmal zusammen im Bett, dachte sie verwirrt, sondern wir sind mit einem Taxi auf dem Weg zum Flughafen - mitten im dichten Berufsverkehr!
Offensichtlich hatte Max gerade etwas Ähnliches gedacht. Er rückte von ihr ab und betrachtete sie prüfend. „Nun? Wie war das im Vergleich zu einem Schinkensandwich?" fragte er. Cory wollte ihm eine schlagfertige Antwort geben, doch sie war zu durcheinander. Sorgfältig strich sie sich die Bluse und den Rock glatt. Sie hätte auch gern ihre Frisur in Ordnung gebracht, doch ihre Hände zitterten zu stark. So ruhig, wie sie nur konnte, erwiderte sie: „Ist Ihnen klar, dass das sexuelle Belästigung ist?" „Sexuelle Be...?" Er verstummte. „Cory, ich habe es nicht nötig, eine Frau sexuell zu belästigen", sagte er heftig. „Außerdem hat es Ihnen doch genauso viel Spaß gemacht wie mir." „Das tut nichts zur Sache", erwiderte sie ebenso heftig. „Ich wollte nicht von Ihnen geküsst werden, darum geht es. Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind, Max Hunter? Unter Spaß verstehe ich nicht, dass jemand in einem Taxi über mich herfällt." Eine ganze Weile schwieg er, und Cory spürte förmlich, wie frostig die Atmosphäre zwischen ihnen wurde. „Ich glaube das einfach nicht." Max war offensichtlich ebenso verwirrt wie wütend. „Natürlich nicht", erwiderte Cory kühl. „Sie sind ja auch überzeugt, dass Sie nur mit den Fingern zu schnippen brauchen, und schon liegen Ihnen sämtliche Frauen zu Füßen. Und mit Frauen, die ihre Liebhaber so häufig wechseln wie die Farbe ihres Nagellacks, mag das ja auch funktionieren. Aber glauben Sie mir, Max Hunter, nicht alle Frauen sind so. Einige sind etwas wählerischer, und wenn sie Nein sagen, meinen sie es auch." „Tatsächlich?" „Ja." Sie hielt seinem Blick stand. „Sie sind wirklich der letzte Mann, den ich provozieren würde." So viel Verstand habe ich immerhin noch, fügte sie in Gedanken hinzu. Er brauchte sie ja nur zu berühren, und sie schmolz förmlich dahin! Und wenn er auch der erotischste Mann ist, den ich je kennen gelernt habe abgesehen davon, dass ich mich bis über beide Ohren in ihn verliebt habe - , gibt ihm das noch lange nicht das Recht, mit mir zu tun, was ihm gerade gefällt, dachte Cory entschlossen. Und auch über seine Vergangenheit wollte sie nichts mehr erfahren, denn es hatte sie zutiefst erschreckt, wie sie darauf reagiert hatte. Am liebsten hätte sie Max in die Arme geschlossen, ihn getröstet und ihm versichert, dass es doch einige treue und ehrliche Frauen auf der Welt gebe. Doch solche Frauen interessierten Max gar nicht, und mit Sicherheit wollte er auch nicht von einer Frau getröstet werden. Höchstens im Bett, dachte sie bitter. Keiner von ihnen sprach ein Wort, bis sie am Flughafen ankamen. Cory versuchte, ihre Gelassenheit zurückzuerlangen. Sie musste sich eingestehen, es war nicht Max' Schuld, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Schließlich hatte er sie gleich zu Anfang davor gewarnt. Nein, sie allein war an diesem heillosen Durcheinander schuld. Und in Zukunft würde sie Wortgefechten mit ihm aus dem Weg gehen, denn sie wusste nun, wozu das führte. Als der Flughafen in Sicht kam, warf sie Max einen verstohlenen Blick zu. Der Rückflug würde der reinste Albtraum werden, und zusammenarbeiten könnten sie nach diesem Fiasko auch nicht mehr. Ob er sie wohl sofort oder erst nach ihrer Rückkehr entlassen würde? Cory seufzte. Ich habe eine fantastische Stelle aufs Spiel gesetzt, dachte sie wehmütig. Und, was noch schlimmer war, sie würde Max vermutlich nie wieder sehen. „Ich werden Ihnen nicht den Kopf abreißen, nur weil Sie Ihre Meinung geäußert haben, Cory", meinte Max spöttisch. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich langweilige Frauen nicht mag - und langweilig sind Sie sicher nicht. Davon
abgesehen bin ich schon ein großer Junge. Ich kann Kritik vertragen." Vorsichtig blickte sie ihm in die bernsteinfarbenen Augen. Schon in der ersten Woche hatte sie festgestellt, dass sie sich immer dann, wenn Max ruhig und gelassen erschien, besonders vor ihm in Acht nehmen musste. „Ich hätte das alles nicht sagen sollen", erwiderte sie. „Warum? Glauben Sie, Sie haben sich geirrt?" „Nein, das habe ich nicht", antwortete sie energisch. „Dann muss ich Sie wohl noch einmal daran erinnern, was ich von Menschen halte, die ihrem Chef immer Recht geben", bemerkte er kühl. „Sie sollten nicht mit gespaltener Zunge reden, Cory." Wütend wollte sie etwas erwidern. Doch Max kam ihr zuvor, indem er sich zu ihr beugte und ihr einen flüchtigen KUSS gab, bevor das Taxi hielt. „Aussteigen", sagte er und betrachtete selbstzufrieden ihr ge rötetes Gesicht. „Ich werde Ihnen einiges diktieren, während wir auf den Abflug warten. Ich möchte einige Gedanken zu Papier bringen, bevor ich sie wieder vergesse." Cory wusste, dass es nicht ratsam wäre, sich weiter mit ihm anzulegen. Doch als sie gemeinsam durch die Flughafenhalle gingen, staunte sie über die Leichtigkeit, mit der er das Gespräch beendet hatte und wieder in seine Rolle als ihr Chef geschlüpft war. Eigentlich sollte mich das nicht weiter verwundern, dachte sie sarkastisch. Max Hunter wusste nur zu gut, wie man mit Frauen umging - sei es nun seine alte Tante, seine Sekretärin oder seine derzeitige Geliebte. Er kann es nicht ertragen, eine Situation nicht vollständig unter Kontrolle zu haben, dachte sie. Desha lb ließ er niemanden an sich heran. Wer ihm zu nahe kam, prallte gegen eine unsichtbare Mauer. Kurz gesagt: Max Hunter war mit Vorsicht zu genießen.
6. KAPITEL In den Wochen nach ihrer Rückkehr aus Japan wusste Cory vor lauter Arbeit nicht, wo ihr der Kopf stand, und die Tage schie nen nur so vorbeizufliegen. Doch es gab zwei bemerkenswerte Ereignisse während dieser Zeit: Eins war blond und eins brünett. Als zum ersten Mal eine von Max' Freundinnen ins Büro gerauscht kam, war Cory nicht darauf vorbereitet. Neben der wunderschönen Blondine, die ein meergrünes Seidenkleid von Dior trug und einfach perfekt aussah, kam sie sich unscheinbar und gewöhnlich vor. Keine fünf Minuten später verkündete Max, er werde mit Karin essen gehen, wobei er nicht vergaß, Cory zu erzählen, dass Karin ein schwedisches Model sei, und sie auf die makellos lackierten Nägel aufmerksam machte. Cory überhörte die sarkastische Anspielung auf ihre Auseinandersetzung im Taxi geflissentlich, und auch als Max drei Stunden später immer noch nicht zurück war, redete sie sich weiterhin ein, es interessiere sie nicht, was er tat. Eine Woche später ging er mit einer Brünetten zum Essen, die von ebenso makelloser Schönheit war wie die Blondine. Als Cory um fünf Uhr das Büro verließ, war er noch nicht wieder da. Sie schlief in der Nacht kaum, obwohl sie sich immer wieder ermahnte, sich zusammenzureißen. Denn es war sicher nicht das letzte Mal, dass so etwas passierte, und wenn sie die Stelle behalten wollte, würde sie sich damit abfinden müssen. Gillian hat Recht gehabt mit ihrem Urteil, Max sei ein außergewöhnlicher Chef, stellte Cory fest, als sie an einem Sommermorgen einige Monate später ins Büro kam und er ihr mitteilte, sie werde mit ihm und zwei Geschä ftspartnern zum Essen ins Bloomsbury's gehen, ein schickes und äußerst elegantes Restaurant. Was man auch über ihn sagen mochte, er war seinem Personal gegenüber zumindest sehr großzügig. Diesen Monat war sie bereits mehrmals mit Max zu einem Geschäftsessen gegangen, und ihre Arbeit war interessant und abwechslungsreich, aber ... Cory seufzte. Sie fühlte sich innerlich zerrissen. Seit der Japanreise hatte er nie wieder versucht, sich ihr zu nähern. Im Gegenteil, er war zwar charmant, aber zurückhaltend und distanziert gewesen - der perfekte Chef, so, wie Gillian ihn beschrieben hatte. Eigentlich sollte ich darüber froh sein, ermahnte sie sich nicht zum ersten Mal. Warum störte es sie dann, dass er offensichtlich auf Abstand ging? Würde er weiterhin Annäherungsversuche machen, wäre das Zusammenarbeiten mit ihm nicht möglich. Also war sein Verhalten doch wirklich zu ihrem Besten. Auch das Wochenende, das sie gerade mit einiger Not hinter sich gebracht hatte, hatte nicht dazu beigetragen, ihre Gemütsverfassung zu verbessern. Sie war nach Hause gefahren, um das Kleid anzuprobieren, das sie als Brautjungfer tragen sollte. Das Brautkleid selbst bestand aus Unmengen von weißem Chiffon und Satin und stand der blonden Carole ausgezeichnet. Die Kleider der Brautjungfern hatten denselben Schnitt, waren jedoch leuchtend rosa und eher für Schulmädchen angemessen. Außerdem passte die Farbe weder zu Corys rötlichem Haar noch zu ihrem Teint. Selbst ihre Mutter hatte sie nur mitfühlend anlächeln können. Und was war nur mit Leslie los gewesen? Er war Cory wie ein Schoßhund auf Schritt und Tritt gefolgt. Sie hatte Mühe gehabt, ihn abzuschütteln. Zwei Mal hatte er versucht, mit ihr unter vier Augen zu sprechen, und beide Male war sie ihm entkommen. Wenn Leslie bereute, sich verlobt zu haben, betraf das ausschließlich ihn und Carole. Sie, Cory, würde sich auf keinen Fall einmischen. Sie seufzte und verdrängte diese unangenehmen Gedanken. Sie hatte wirklich keine Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, dafür hatte sie zu viel zu tun. Außerdem musste sie heute Mittag mit Max und zwei wichtigen Geschäftspartnern
essen gehen. Cory war gerade mit einem komplizierten und streng vertraulichen Dokument beschäftigt, als das Telefon klingelte. Ohne den Blick vom Comp uterbildschirm zu wenden, nahm sie den Hörer ab. „Sekretariat von Mr. Hunter. Guten Morgen, wie kann ich Ihnen helfen?" „Cory?" Es war Mavis von der Rezeption. „Hier ist jemand, der Sie sprechen möchte." „Mich?" fragte Cory überrascht. „Ein Mr. Leslie Batley-Thomas. Er sagte, er wäre ein alter Freund von Ihnen und Sie würden ihn erwarten." „Wie bitte?" platzte Cory ungläubig heraus. Sie warf einen verstohlenen Blick auf die Verbindungstür zu Max' Büro und fuhr dann leise fort: „Ich hatte keine Ahnung, dass er kommen würde, Mavis, und außerdem weiß ich vor lauter Arbeit nicht, wo mir der Kopf steht. Würden Sie so nett sein, ihm das scho nend beizubringen?" „Gut." Nach kurzem Zögern fügte Mavis hinzu: „Aber er scheint darauf zu bestehen, heute noch mit Ihnen zu sprechen." Das kann ich mir vorstellen, dachte Cory grimmig. Leslie hatte schon immer erwartet, dass sich alles nur nach ihm richtete. Sie wartete eine Zeit lang, und schließlich hörte sie Mavis sagen: „Er behauptet, er sei nur für wenige Stunden in London und müsse unbedingt mit Ihnen reden. Es gehe um Leben und Tod." Um Leben und Tod - von wegen! Wütend blickte Cory den Telefonhörer an. „Warum gucken Sie denn so böse?" hörte sie plötzlich Max fragen. Sie blickte auf. Er lehnte lässig am Türrahmen und beobachtete sie. O nein, dachte sie, auch das noch! Er zog die Augenbrauen hoch und wies auf den Telefonhörer. Siedend heiß fiel Cory ein, dass Mavis noch immer auf eine Antwort wartete. „Ich komme sofort, Mavis", sagte sie hastig und legte auf. „Gibt es Probleme?" fragte Max scheinheilig. Allerdings, dachte sie verzweifelt. Doch sie hatte nicht vor, ausgerechnet ihm davon zu erzählen. „Nein, es möchte nur jemand mit mir sprechen, der sich nicht angekündigt hatte", erwiderte sie, „ein alter Freund." Max betrachtete sie eindringlich und kniff dann die goldbraunen Augen zusammen. „Es ist dieser Leslie, nicht wahr?" Cory spürte, wie sie rot wurde, und ärgerte sich darüber. „Ich hatte mich schon gefragt, wie lange es wohl dauern würde", fügte er spöttisch hinzu. „Wie lange was dauern würde?" „Bis er einsehen würde, dass er einen großen Fehler begangen hat", erklärte Max gelassen. „Jetzt versucht er natürlich, alles rückgä ngig zu machen. Werden Sie diesen Kriecher zum Teufel jagen, oder soll ich das übernehmen?" Er hielt sie an den Handgelenken fest, doch ansonsten war ihm keine Gefühlsregung anzumerken. Max war ihr so nahe, dass sie seinen Duft und seine Wärme wahrnehmen konnte, und ein heftiges Verlangen überkam sie. Sie fühlte sich ihm gegenüber wehrlos, doch das wollte sie sich um keinen Preis anmerken lassen. „Das Ganze geht Sie überhaupt nichts an", entgegnete sie scharf. „Da irren Sie sich." Der Druck seiner Hände wurde stärker und schmerzte sie. „Es geht mich sehr wohl etwas an. Denn wenn Sie sich von diesem Kerl um den kleinen Finger wickeln lassen, werden Sie sich nicht mehr voll auf Ihre Arbeit konzentrieren können - und dafür bezahle ich Sie. Und sagen Sie nicht, dass Sie das nicht gewusst haben, als Sie den Vertrag unterschrieben haben." Wie konnte jemand nur so überheblich sein! Er glaubt wohl, ich wäre seine
Leibeigene, dachte Cory empört. Die tolle Stelle konnte er sich jedenfalls ... „Außerdem möchte ich natür lich nicht, dass jemand Sie verletzt", setzte er sanft hinzu. „Oh, Entschuldigung - habe ich Ihnen wehgetan?" „Was?" Überrascht blickte sie ihm in die Augen, deren warmer Blick sie gefangen hielt. Wenn jemand es schaffte, sie um den kleinen Finger zu wickeln, dann sicher nicht Leslie Batley-Thomas. „Oh ... ja, ein bisschen." Sie trat einen Schritt zurück und rieb sich die Handgelenke. „Cory, ich kenne Hunderte von Männern wie diesen Leslie", sagte Max behutsam. „Im Grunde ist er eine schwache Persönlichkeit. Er fühlt sich nur zu Ihnen hingezogen, weil Sie stark sind. Wenn Sie jetzt nachgeben, werden Sie ihn für den Rest Ihres Lebens am Hals haben, das wissen Sie doch so gut wie ich. Er ist nicht der Richtige für Sie." Das weiß ich doch, dachte sie verzweifelt und erwiderte, so< ruhig sie konnte: „Mir ist klar, dass Leslie und ich nicht zueinander passen, Max." „Aber er sieht das anders." Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. „Das ist möglich." Sie wollte nicht mit Max darüber sprechen. Er hatte die Fähigkeit, anderen Menschen mehr Informa tionen zu entlocken, als diese preisgeben wollten. Außerdem wartete Leslie an der Rezeption auf sie. „Ich wette, er sieht es anders." In Max' Stimme schwang ein Ton mit, den Cory nicht zu deuten wusste. Doch sofort hatte er sich wieder unter Kontrolle und lächelte ironisch. „Nein, vermutlich nicht", antwortete sie unsicher. „Ich gehe jetzt wohl besser nach unten und rede mit ihm." „Tun Sie das." „Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde das Dokument rechtzeitig fertig geschrieben und alles Wichtige vor dem Essen erledigt haben", versicherte sie ihm. „Ich pfeife auf das Dokument." Wieder klang seine Stimme merkwürdig. Und obwohl Max sich einen Moment später bereits umgedreht hatte und gelassen in sein Büro schlenderte, war Cory sicher, dass sie es sich nicht eingebildet hatte. Sie schloss für einen Moment die Augen und wünschte, sie wäre an diesem Morgen gar nicht erst aufgestanden. Als sie wenige Minuten später aus dem Fahrstuhl in die Eingangshalle trat, war sie fest entschlossen, Leslie eine Abfuhr zu erteilen. Doch als sie ihn mit hängendem Kopf nahe der Rezeption sitzen sah, gab es ihr einen Stich ins Herz. „Cory!" Leslie sprang sofort auf, als er sie sah. Sein hübsches Gesicht leuchtete auf, und noch vor gar nicht so langer Zeit wäre sie hocherfreut über einen solchen Empfang gewesen. „Ich muss unbedingt mit dir reden." „Hallo, Leslie." Sie bemerkte Mavis' neugierigen Blick und führte Leslie zu einer Sitzgruppe, die etwas weiter entfernt von der Rezeption war. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung?" fragte sie betont locker. „Ob etwas nicht ...?" Er blickte sie verzweifelt mit seinen braunen Augen an. „Cory, du musst mir verzeihen - ich war so ein Idiot." Es war noch schlimmer, als sie befürchtet hatte. „Was, um alles in der Welt, sollte ich dir denn verzeihen?" Sie lächelte strahlend. „O Cory", begann Leslie weinerlich. Er benimmt sich wie ein verzogener kleiner Junge, dachte sie. Wie ein Junge, der gierig das schönste Geschenk an sich gerissen hat und feststellen musste, dass es sich um eine leere Schachtel handelt. Nur dass Carole kein leerer Karton war, sondern ein menschliches Wesen. Sie hatte als Kind ihre Eltern verloren und war bei einer Tante aufgewachsen, die jedoch wenig Zeit für sie gehabt hatte. Carole war geradezu ausgehungert nach Liebe und Zuneigung, und offensichtlich war Leslie damit überfordert. Aber das war ein Problem, das die beiden gemeinsam zu lösen
hatten. Sie, Cory, hatte damit nichts zu tun. „Du musst mir verzeihen, dass ich dich verlassen habe", sagte Leslie sanft. „Ich hätte das, was uns verbindet, nicht so leichtfertig aufgeben dürfen." „Uns verband und verbindet eine Freundschaft, Leslie", erwiderte sie und sah ihm fest in die Augen. „Du und Carole, ihr gehört zu meinen engsten Freunden." „Das glaube ich dir nicht", entgegnete Leslie scharf. Sein Gesicht war gerötet. „Ich weiß, dass du mich liebst. Wir zwei gehören zusammen. Das mit Carole ... das hat mir nur klargemacht, wie sehr ich dich liebe, und ich möchte all das rückgängig machen." Lieber würde sie sterben! „Ich werde Carole sagen, dass wir uns wieder gesehen und uns ausgesprochen haben, und dann sage ich die Hochzeit ab und ..." „Leslie." Sie unterbrach ihn energisch. „Du hast eine Entscheidung getroffen, und ich denke, es war die richtige. Wir beide sind gute Freunde Wir würden nie als Liebespaar glücklich miteinander werden. Du bist sicher nur aufgeregt wegen der bevorstehenden Hochzeit und ..." „Sprich nicht mit mir, als wäre ich ein kleines Kind." Leslie war blass geworden. Er machte ein Gesicht, an das sie sich noch gut erinnerte - so hatte er als kleiner Junge geblickt, wenn er seinen Willen nicht bekam. „Ich weiß genau, warum du nach London gegangen bist. Du konntest es nicht ertragen, Carole und mich zusammen zu sehen. Du willst mich doch, Cory." „Ich halte es für falsch, beurteilen zu wollen, was andere Menschen wollen oder denken." Cory schwankte zwischen Schrecken und Erleichterung, als sie sah, dass Max sich ihnen näherte. Er zog leicht die Augenbrauen hoch und sagte dann durchaus höflich: „Ich möchte nicht stören, aber ich brauche Sie dringend, Cory." Sie warf ihm einen ungläubigen Blick zu, hatte sich aber schnell wieder gefangen. „Max, dies ist Leslie, ein alter Freund. Leslie, mein Chef Max Hunter." Misstrauisch betrachtete Leslie Max. Er registrierte den maßgeschneiderten Anzug, den perfekten Haarschnitt und die markanten Gesichtszüge, und er kniff die Augen zusammen. Max hingegen versuchte nicht, seine Verachtung zu verbergen. Man sah ihm allzu deutlich an, was er von Leslie Batley- Thomas hielt. „Jetzt wird mir alles klar", zischte Leslie. „Cory, wie konntest du nur?" „Begrüßt man sich so auf dem Land?" fragte Max trügerisch gelassen. „Sagt man nicht so etwas wie ,sehr erfreut'?" „Wie lange geht das schon so?" Leslie war aschfahl geworden. „Und versuch nicht, mich anzulügen, Cory." „Wenn Sie wirklich ein alter Freund von Cory sind, dann müssten Sie wissen, dass sie immer die Wahrheit sagt", bemerkte Max ruhig. „Und manchmal ist das ganz schön schmerzhaft", fügte er ironisch hinzu. „Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind ....?" begann Leslie, doch Max schnitt ihm das Wort ab. „Ich weiß sehr genau, wer ich bin, Leslie", entgegnete er kühl. „Ich bin Corys Arbeitgeber und außerdem der Besitzer dieses Gebäudes. Und ich möchte, dass Sie verschwinden, sobald Sie das Gespräch mit meiner Sekretärin beendet haben." „Und wenn ich das nicht tue?" fragte Leslie trotzig und warf Cory einen verstohlenen Blick zu. Die Situation drohte zu eskalieren. Cory versuchte, ruhig zu bleiben, und sagte so gelassen, wie sie konnte: „Du hast sicher Verständnis dafür, dass du mir vorher Bescheid sagen musst, wenn du an einem Arbeitstag hier vorbeikommst,
nicht wahr, Leslie?" „Ich musste dich einfach sehen, Cory." „Nein, das müssten Sie nicht." Max' Stimme war eiskalt. „Und jetzt verschwinden Sie." Wie, um alles in der Welt, sollte sie sich nun Leslie gegenüber verhalten? Immerhin würde sie bei seiner Hochzeit die Brautjungfer sein. Cory war sich sicher, dass sie mit der Situation fertig geworden wäre, wenn Max nicht mit dem Feingefühl einer Dampfwalze hereingeplatzt wäre. „Ich bleibe bis morgen in London", wandte Leslie sich an sie. Er klang verzweifelt. „Können wir uns noch einmal sehen?" Sie hätte ihm alles versprochen, um ihn loszuwerden. Also nickte sie und antwortete: „Ruf mich nachher zu Hause an, dann können wir in Ruhe weiterreden." „Wenn Sie nicht sofort das Gebäude verlassen, lasse ich Sie hinauswerfen", sagte Max drohend. Leslie warf Cory einen letzten Mitleid heischenden Blick zu, wandte sich um und ging mit hängendem Kopf hinaus. „Das ist also der Mann, um den Sie so viele Tränen vergossen haben?" fragte Max mit beißendem Spott. „Ich hätte Ihnen wirklich einen besseren Geschmack zugetraut, Cory." Eben noch hatte sie sich verwirrt und hilflos gefühlt, doch jetzt spürte sie eine ohnmächtige Wut in sich aufsteigen. „Leslie ist sicher nicht perfekt, aber immerhin weiß er, was Liebe ist." „Das bezweifle ich nicht. Aber er sollte sich entscheiden, für wen er diese Liebe empfindet, finden Sie nicht?" fragte Max schneidend. „Sicher weiß er doch, dass Polygamie nach unseren Gesetzen nicht erlaubt ist, oder?" Cory wurde rot. „Leslie ist etwas durcheinander." „Offensichtlich. Wie dem auch sei, jetzt, da Sie damit fertig sind, den armen Kerl zu trösten, wäre es nett, wenn Sie wieder an die Arbeit gehen würden." Er sah sie durchdringend an. „Weiß seine Verlobte eigentlich, dass er zu Ihnen gerannt kommt, um sich auszuweinen?" Wollte er damit etwa sagen, sie hätte Leslie dazu ermuntert? „Ich weiß es nicht, Max, aber ich gebe Ihnen gern Caroles Telefonnummer, dann können Sie sie selbst fragen", gab sie kühl zurück und erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich denke, die arme Carole musste Ihretwegen schon genug erleiden." Cory zitterte vor Wut. Wären sie nicht in der Eingangshalle gewesen, hätte sie Max eine Ohrfeige gegeben. Doch eine Chefsekretärin durfte sich nicht zu so etwas hinreißen lassen, egal, wie sehr man sie provozierte. „Ich werde mir nicht die Mühe machen, Ihnen darauf eine Antwort zu geben", erwiderte sie stolz und ging an ihm vorbei zum Fahrstuhl. Max folgte ihr. Es herrschte eisiges Schweigen, während sie nach oben fuhren. „Ich möchte das Dokument sehen, sobald es fertig ist", sagte er kühl, bevor er in sein Büro ging und die Tür hinter sich zuschlug. Cory fand es tröstlich, zu sehen, dass auch ein Max Hunter sich nicht ständig unter Kontrolle hatte. Sie arbeitete den Rest des Vormittags äußerst konzentriert und ließ nicht zu, dass ihre Gedanken auch nur ein einziges Mal abschweiften. Sobald sie zu Hause wäre, würde sie in Ruhe über alles nachdenken können. Um keinen Preis aber wollte sie Max einen Anlass geben, an ihrer Arbeit etwas zu bemängeln. Die Geschäftspartner kamen um kurz nach zwölf, und Max' Chauffeur fuhr sie gemeinsam in dem Rolls- Royce zum Bloomsbury's. Das Bloomsbury's war ein hochelegantes Restaurant. Auf den Tischen lagen
blendend weiße Damasttischdecken, und von den Decken hingen Kronleuchter. Aufmerksame Ober huschten fast lautlos umher, und Gespräche wurden leise geführt. Cory hatte bereits mehrmals hier gegessen und war nicht mehr überwältigt von dem dezenten Luxus. Sie spielte ihre Rolle als Max' Sekretärin und Assistentin perfekt: höflich, gelassen und zuvorkommend. Max war wie immer der vollkommene Gastgeber, doch Cory spürte die Spannung zwischen ihnen. Als sie um kurz nach drei Uhr. wieder im Wagen saßen, war sie am Ende ihrer Kräfte, ließ sich jedoch nichts anmerken. Der Chauffeur setzte Max' Geschäftspartner ab. Als sich die Autotüren hinter ihnen geschlossen hatten, merkte Cory, wie die Spannung zwischen ihr und Max wuchs und unerträglich wurde. Aus den Augenwinkeln warf sie ihm einen Blick zu, doch seine Miene war undurchdringlich. Wie konnte jemand sich nur so unter Kontrolle haben? Max Hunter war wirklich der gefühlloseste Mann, dem sie je begegnet war. Cory ließ sich gegen die Rückenlehne aus weichem Leder sinken. Sie waren noch einige Meilen vom Büro entfernt, und sie versuchte, ein wenig zur Ruhe zu kommen. Erst jetzt erlaubte sie sich, die Ereignisse des Vormittags Revue passieren zu lassen. Als Erstes fiel ihr ein, dass Leslie sie angelogen hatte. Zuerst hatte er behauptet, er wäre nur für ein paar Stunden in London, später hatte sich dann herausgestellt, dass er bis zum nächsten Tag bleiben würde. Cory graute bereits vor dem Abend. Was könnte sie Leslie sagen, was sie ihm nicht bereits morgens mitgeteilt hatte? Sie ließ ihre Gedanken schweifen und merkte erst eine Viertelstunde später, dass sie nicht auf dem Weg ins Büro waren. Sie blickte aus dem Fenster und wusste nicht, wo sie sich befanden. Unvermittelt setzte sie sich auf. Max hatte sich entspannt zurückgelehnt. Obwohl er die Augen geschlossen hatte, merkte sie instinktiv, dass seine Gelassenheit nur gespielt war. „Wo sind wir, Max?" fragte sie scharf. „Ich kenne diese Gegend nicht." Als er die bernsteinfarbenen Augen öffnete und sie ansah, krampfte sich ihr der Magen zusammen. Offensichtlich führte er etwas im Schilde. „Wir sind ...", er warf einen Blick aus dem Fenster, „... in der Pelham Street, in der Nähe des Thurloe Square." Ganz ruhig, lass dich nicht aus der Ruhe bringen, ermahnte Cory sich insgeheim. Sie hatte oft genug miterlebt, wie Max jemanden provozierte, bis derjenige die Beherrschung verlor. Und wenn sein Gegenüber am wenigsten damit rechnete, ließ er die Falle zuschnappen. Aber diesmal würde ihm das nicht gelingen. „Das ist nicht der Weg zum Büro", bemerkte sie grimmig. „Nein, wir sind bereits mehrere Meilen davon entfernt", erwiderte Max ungerührt. Sie versuchte, sich zu beruhigen. „Wohin fahren wir dann, Max?" „Zu mir nach Hause", antwortete er ruhig. „Ich muss einige wichtige Papiere holen." Nach Hause. Sie würde einfach im Wagen bleiben, während er die Dokumente holte. Cory nickte nur und sah aus dem Fenster. Sie hatte gewusst, dass Max am Rand von Harlow wohnte, doch als der Chauffeur die Sicherheitstore in der drei Meter hohen Mauer öffnete und das riesige Anwesen in Sicht kam, war sie überwältigt. „Möchten Sie einen Kaffee?" Cory riss sich von dem Anblick des palastartigen, L-förmigen Gebäudes los. „Nein, vielen Dank, ich werde im Auto warten, bis Sie die Sachen geholt haben." „Das kommt gar nicht infrage", entgegnete Max gelassen. „Meine Haushälterin Mrs. Brown würde es mir nie verzeihen, wenn ich einen Gast im
Wagen warten ließe, ohne ihm eine Erfrischung anzubieten." „Ich möchte lieber hier bleiben", sagte Cory höflich. „Und ich möchte, dass Sie mit hineinkommen." Sie blickte in seine goldbraunen Augen und wusste, dass er nicht nachgeben würde. „Wenn Sie darauf bestehen ..." Betont gelangweilt zuckte sie die Schultern. „Das tue ich." Max lächelte ironisch und reichte ihr die Hand, um ihr aus dem Wagen zu helfen. Sobald Cory ausgestiegen war, ließ sie seine Hand wieder los. Er fasste sie am Ellenbogen und führte sie zum Haus. Durch den Stoff ihrer leichten Jacke spürte sie die Wärme seiner Finger. Sie gingen eine breite Treppe hinauf und traten durch die massiven Eichentüren. Das Haus wirkte majestätisch mit dem glänzenden Parkettfußboden, der getäfelten Decke, der riesigen Freitreppe und der Galerie, von der die Schlafzimmer abgingen. Cory betrachtete die wunderschönen Gemälde. Ein einziges musste mehr gekostet haben, als sie in einem ganzen Jahr verdiente. „Gehen wir in den Salon", forderte Max sie auf. Der Raum war unglaublich groß und ebenso geschmackvoll wie teuer eingerichtet. Auf dem Boden lag ein cremefarbener Teppich, in dem sie bis fast zu den Knöcheln versank. Die Einrichtung bestand aus Sofas und Sesseln in einem sanften Honigton und einigen sorgfältig ausgewählten antiken Möbeln. Durch die großen, von seidenen Vorhängen eingerahmten Terrassentüren blickte man auf einen makellos gepflegten Rasen. In einiger Entfernung sah sie die spiegelnde Oberfläche eines Swimmingpools in der Sonne glänzen. Eigentlich sollte mich das nicht überraschen, dachte Cory, als sie den Garten betrachtete, der wie verzaubert in der flirrenden Hitze des Julinachmittags dalag. Schließlich wusste sie, dass er Multimillionär war. Sie hätte sich also denken können, dass er nicht in einer kleinen Dreizimmerwohnung lebte. Aber was sie hier sah, übertraf ihre Vorstellungen an Schönheit und Reichtum bei weitem. „Fühlen Sie sich wie zu Hause." Max' Stimme war tief und sanft. Cory wollte eine höfliche Bemerkung darüber machen, wie sehr ihr das Anwesen gefiel. Doch sie sah ihm nur starr in die Augen und brachte kein Wort heraus. Ihr war bewusst geworden, wie perfekt Max in diese Umgebung passte und dass sie beide in völlig verschiedenen Welten lebten. „Möchten Sie jetzt vielleicht doch einen Kaffee trinken? Oder lieber etwas Kaltes?" „Nein ... nein, danke", erwiderte sie stockend. Sie wollte sich nicht anmerken lassen, wie überwältigt sie war. Sicher war Max die Gesellschaft von Frauen gewohnt, die all diesen Reichtum zur Kenntnis nahmen, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich werde einfach warten, bis Sie die Papiere zusammengesucht haben", sagte sie höflich. „Das könnte allerdings länger dauern. Ich habe mich nämlich entschlossen, heute nicht mehr zum Büro zurückzufahren." Cory unterdrückte die aufsteigende Panik und antwortete so ruhig wie möglich: „Wie Sie meinen. Soll ich mir ein Taxi rufen, oder wird Ihr Chauffeur mich ins Büro bringen?" „Der Chauffeur ist nicht mehr da." „Dann werde ich mit dem Taxi fahren." „Nein, das werden Sie nicht. Aber Sie können sich gern eins der fünf Gästezimmer aussuchen." Er lächelte ungerührt. Corys Herz begann, wie wild zu schlagen, doch sie versuchte, ruhig zu bleiben. „Ich fahre zurück, Max."
„Nein, Cory", entgegnete Max gelassen, „Sie werden bis morgen hier bleiben." „Sind Sie völlig verrückt geworden?" „Ich möchte einfach verhindern, dass Sie sich wieder mit die sem Leslie einlassen. Das wäre nicht gut für Sie." Er betrachtete sie unter gesenkten Lidern. Mit einem Mal waren das beeindruckende Anwesen, Max' Reichtum und das großzügige Gehalt, das er ihr bezahlte, vergessen. Voller Wut rief Sie: „Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind, Max Hunter? Wie können Sie es wagen, mir zu sagen, was ich zu tun und zu lassen habe? Ich werde jetzt sofort gehen, und Sie können sich eine neue Sekretärin suchen. Dass ich für Sie arbeite, heißt noch lange nicht, dass Ihnen meine Seele ge hört!" = „Eigentlich habe ich weniger an Ihre Seele gedacht." Ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sie an sich gezogen. Er ignorierte ihre Versuche, sich zu wehren, und küsste sie mit einer Leidenschaft, die ihr den Atem nahm. Trotz ihrer Empörung merkte sie, dass sie machtlos war gegen das Verlangen, das er in ihr wachrief und das sich in ihrem ganzen Körper auszubreiten schien. Mit der Zunge liebkoste er ihre Lippen, während er die Hände über ihre schlanken Hüften gleiten ließ. „Cory", flüsterte er, „Sie sind so süß, wenn Sie wütend sind." Max zog sie enger an sich, und sie spürte, dass er erregt war. Seine Liebkosungen machten sie wehrlos. „Sagen Sie mir, dass Sie sich heute Abend mit Leslie treffen wollen. Sagen Sie, dass Sie ihn brauchen, dass er Ihnen das geben kann, was ich Ihnen gebe ..." Seine Worte holten Cory unsanft in die Wirklichkeit zurück. Sie riss sich los. „Zumindest benimmt Leslie sich immer wie ein Gentleman. Er würde sich nie einer Frau gegen ihren Willen aufdrängen." „Tatsächlich?" Max lächelte spöttisch. „Den Eindruck machte er auf mich auch. Er wäre sicher damit zufrieden, sein Leben lang an einem Ring durch die Nase umhergeführt zu werden." „Soll das heißen, dass Sie körperliche Gewalt gutheißen?" fragte sie heftig und versuchte, ihre Scham und Erniedrigung darüber zu verbergen, dass sie sich ihm so widerstandslos hingegeben hatte. „Natürlich nicht. Ich verachte alle Männer - und Frauen -, die glauben, mit roher Gewalt etwas erreichen zu können." „Und das soll ich Ihnen glauben?" „Es ist mir gleich, ob Sie mir glauben, Cory", sagte er, „aber es ist die Wahrheit. Das hier", er wies auf die lange Narbe an seinem Hals, über die sie sich schon so oft den Kopf zerbrochen hatte, „ist ein kleines Andenken an jemanden, der auch der Meinung war, mich mit Gewalt zu etwas überreden zu können -ohne Erfolg." Verwirrt über diesen plötzlichen Einblick in Max' Vergangenheit, fragte sie mit zittriger Stimme: „Wer hat das getan?" „Eine meiner kleinen Freundinnen." Er verzog den Mund zu einem sarkastischen Lächeln. „Sie hatte es leider versäumt, mir mitzuteilen, dass sie verheiratet war. Als ich es herausfand, trennte ich mich von ihr - und das gefiel ihr nicht." „Und sie hat Ihnen das angetan?" Cory war erschüttert. Max schien mit dem weiblichen Geschlecht nur katastrophale Erfahrungen gemacht zu haben. „Ja^" Seine Stimme war eiskalt. „Natürlich hat sie zuerst damit gedroht, sich umzubringen - eine bei Frauen sehr beliebte Methode. Als das nicht funktionierte, bekam sie einen Wutanfall und warf alles nach mir, was ihr in die Hände fiel unter anderem auch einen viktorianischen Spiegel." Ironisch fuhr er fort: „Ich hatte Glück im Unglück, wie mir der Arzt mitteilte. Ich hätte auch leicht verbluten können. So musste ich lediglich einige Tage im Krankenhaus verbringen. Und natürlich bin ich seitdem vorsichtig geworden." „Wie schrecklich!" Cory konnte nicht verbergen, wie verstört sie war. Doch Max schüttelte nur den Kopf und erwiderte trocken: „Vielleicht war Carmen als
Spanierin etwas temperamentvoller als die meisten anderen Frauen, aber ich denke nicht, dass sie ansonsten eine Ausnahme war." „Sie glauben, dass jede Frau ihren Mann betrügen und Gewalt anwenden würde? Das können Sie doch nicht ernst meinen!" „Doch, das tue ich. Habgier und Verlangen sind die stärksten menschlichen Begierden, und wenn eine von ihnen Überhand nimmt, hat das zumeist fatale Folgen, bis hin zur Katastrophe." Cory war eine Weile sprachlos. Doch dann richtete sie sich auf, sah ihn mit ihren smaragdgrünen Augen an und erwiderte ruhig: „Wenn Sie das wirklich glauben, tun Sie mir Leid, Max Hunter." Sie sah ihm an, dass sie ihn getroffen hatte, doch ungeachtet dessen fuhr sie fort: „Sie sind vielleicht reich und mächtig, die ganze Welt liegt Ihnen zu Füßen, doch in Wirklichkeit haben Sie nichts. Von dem Leben, das normale, liebenswerte Menschen führen, haben Sie nicht die blasseste Ahnung." Eine Zeit lang herrschte Schweigen. „Es gibt keine ,normalen' Menschen, Cory", erwiderte Max dann. „Wir alle haben hässliche Eigenschaften, nur können ma nche Menschen diese besser verbergen als andere." Cory hob entschlossen das Kinn. „Wenn Sie sich Frauen wie diese Carmen zur Gesellschaft aussuchen, sind Sie selbst daran schuld. Gleich und gleich gesellt sich gern." „Lebensweisheiten vom Land - wie nett", sagte Max spöttisch. „Nein, sondern einfach nur gesunder Menschenverstand", entgegnete sie, so ruhig sie konnte. Max tat ihr wirklich Leid. Doch dass sie ihn am liebsten in die Arme geschlossen und geküsst hätte, verschwieg sie. Sicher hätte er das als Ausdruck ihres Verlangens und nicht ihres Mitgefühls gedeutet. Aber ihr tat das Herz weh, wenn sie an den kleinen Jungen dachte, der in seiner Kindheit alles gehabt und dem doch das Wichtigste ge fehlt hatte: die zärtliche Liebe einer Mutter. „Ich möchte jetzt gehen", sagte sie energisch. Max zuckte gelassen die Schultern. „Das ist leider nicht möglich." „Ich werde Ihre Haushälterin bitten, mir ein Taxi zu rufen. Und notfalls sage ich ihr auch, warum", warnte sie ihn. „Sie haben kein Recht, mich gegen meinen Willen hier festzuhalten." „Mir fällt gerade wieder ein, dass Mrs. Brown bis morgen bei ihrer Schwester ist", erwiderte Max gelassen. „Wir sind also ganz unter uns, Cory." „Sie haben das alles geplant?" Plötzlich erinnerte sie sich, dass Max gestern mit seiner Haushälterin telefoniert hatte und verstummt war, als sie, Cory, das Büro betreten hatte. „Natürlich habe ich das. Ich muss Sie schließlich vor sich selbst schützen." „Was?" Cory war so wütend, dass ihre grünen Auge n Funken zu sprühen schienen. „Sie locken mich unter einem Vorwand her, um mit mir zu schlafen, halten mich hier gefangen und behaupten, Sie wollten mich beschützen?" „Mit Ihnen schlafen? Sogar bei den oberflächlichen Frauen, mit denen ich sonst zu tun habe, bin ich es gewohnt, den ersten Schritt zu machen. Aber selbstverständlich stehe ich Ihnen gern zur Verfügung, wenn Sie bereit sind." „Das bin ich nicht, und ich werde es auch niemals sein, Max Hunter, damit Ihnen das ein für alle Mal klar ist." Wie konnte er es nur wagen, sie als männermordendes Weib darzustellen? „Wie schade!" meinte er trocken. „Es hat Spaß gemacht, Sie zu küssen." „Lassen Sie mich jetzt sofort gehen", verlangte sie. „Sie fangen an, sich zu wiederholen, Cory." Max nahm sie beim Arm und führte sie aus dem Salon. „Wenn Sie sich Ihr Zimmer angesehen haben, können Sie sich einen Bikini anziehen und den Swimmingpool ausprobieren. Und", fuhr er mit
einem selbstgefälligen Lächeln fort, „bevor Sie Ihre Zeit damit verschwenden: Das einzige funktionierende Telefon habe ich in meinem Arbeitszimmer eingeschlossen. Und das gesamte Grundstück ist von einer Mauer umgeben, dessen Tor sich nur mit einem geheimen Nummerncode öffnen lässt." „Sie sind einfach unglaublich!" „Vielen Dank, dass Sie es noch einmal erwähnen", erwiderte Max ungerührt, „besonders da Sie ja noch nicht in den Genuss gekommen sind, all meine Fähigkeiten kennen zu lernen, was wir selbstverständlich jederzeit nachholen können. In Ihrem Zimmer finden Sie sicher etwas Passendes zum Anziehen. Da Sie nun schon einmal hier sind, sollten Sie versuchen, Ihren Aufenthalt zu genießen. Ein Sonnenbad am Pool, Champagner und ein ausgedehntes Abendessen stellen sicher nicht die unangenehmste Art dar, den Tag zu verbringen. Und wer weiß, vielleicht geschieht ein Wunder, und Ihre Abneigung gegen mich ist heute Abend ein wenig geringer geworden." Wenn er wüsste, dachte Cory verzweifelt.
7. KAPITEL Max hatte sie zu ihrem Zimmer geführt und sich mit einem ge lassenen „bis gleich" von ihr verabschiedet. Cory öffnete die Tür und blickte sich sprachlos um. Sie stand in einem kleinen Wohnzimmer, das mit einem modernen, in die Wand eingelassenen Fernseher, einer Stereoanla ge, einem Regal vo ller CDs sowie einer Bar und einem Kühlschrank ausgestattet war. Der Raum war, ebenso wie das angrenzende Schlafzimmer, ganz in Bordeauxrot und Gold gehalten, das luxuriöse Bad in cremefarbenem Marmor. Cory öffnete den begehbaren Kleiderschrank, der voller Designerkleider war. Genug für zehn verschiedene Geliebte, dachte sie trocken. Doch nicht Max' Reichtum brachte sie aus der Fassung, sondern er selbst. Sie verstand nicht, warum er sie hierher gebracht hatte. Noch morgens war er lediglich ihr Chef gewesen, und solange er sich dementsprechend verhielt, hatte sie ihre Gefühle unter Kontrolle. Doch jetzt war sie sich nicht mehr sicher, wie Max zu ihr stand. Und als er sie im Salon an sich gezogen hatte, war ihr wieder bewusst geworden, wie schwach ihr Widerstand bezüglich seiner Person war. Warum hatte Leslies Besuch ihn nur zu solch einer Reaktion veranlasst? Max hatte ihr bereits in Japan deutlich zu verstehen gegeben, dass sie für ihn lediglich seine Sekretärin war. Und das einzige Kompliment, das er ihr je gemacht hatte, war, dass sie nicht langweilig sei. Cory ließ sich aufs Bett sinken und überlegte, was sie tun sollte. Da sie nicht vorhatte, sich den ganzen Tag im Zimmer einzuschließen, gab es nur eine andere Möglichkeit: Sie würde zu Max an den Pool gehen und sich so kühl und unnahbar verhalten wie möglich. Einem Mann, der so von sich überzeugt war, konnte es nicht schaden, einmal die kalte Schulter gezeigt zu bekommen. Sie stand auf und warf einen zweiten Blick in den Kleiderschrank. Die meisten Bikinis schienen nur aus winzigen Stofffetzen zu bestehen, die kaum etwas verbargen. Schließlich fand Cory zu ihrer Erleichterung einen einteiligen Badeanzug, in dem sie sich etwas weniger entblößt fühlen würde. Sie zog ihn an und betrachtete sich im Spiegel. Der Stoff des Badeanzugs ging von silbergrau in ein tiefes Violett über. Es war ein Designerstück und wunderschön, aber auch aufreizend. Er ließ ihre Beine schier endlos erscheinen, und der tiefe Ausschnitt betonte ihre kleinen, festen Brüste. Bei dem Gedanken, sich Max so zu zeigen, wurde ihr heiß. Cory zog das farblich dazu passende Oberteil an. Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel, atmete tief ein und ging nach unten. Max wartete bereits auf sie, und als Cory ihn sah, zog sich ihr der Magen zusammen. Er trug nur eine knappe Badehose und sah noch atemberaubender aus als sonst. Sie warf einen kurzen Blick auf seinen muskulösen, sonnengebräunten Körper und zwang sich dann wegzusehen. Erst als sie am Fuß der Treppe ankam, wagte sie es, ihn anzuschauen. Max blickte sie an. „Sie sehen wunderschön aus." Seine tiefe Stimme ließ sie erbeben. „Nur eine Sache stört mich ..." Er löste ihre Spangen, und das Haar fiel ihr auf die Schultern. „Viel besser", meinte er zufrieden. „Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass Sie Ihr Haar immer so tragen sollten." Sie zuckte schweigend die Schultern und hoffte, Max würde nicht merken, wie sehr er sie durcheinander brachte. „Am Swimmingpool stehen Champagner und Erdbeeren für uns bereit", erzä hlte er betont locker, während er sie zur Terrassentür führte! „An heißen Sommertagen gibt es nichts Besseres, finde ich." Cory war sicher, dass er schon unzählige Frauen damit verführt hatte. Doch sie war nicht seine Geliebte - sie war nur seine Sekretärin. Daran sollte ich mich immer wieder erinnern, ermahnte sie sich ironisch, für den Fall, dass Max es vergessen
sollte. Als sie die Rasenfläche zur Hälfte überquert hatten, fasste er sie plötzlich an den Armen und drehte sie zu sich herum. „Ich weiß nicht, warum Sie glauben, die Unnahbare spielen zu müssen." Der Duft seines teuren After Shaves hüllte sie ein, und er ließ den Blick langsam über sie gleiten. „Aber es wäre für uns beide einfacher, wenn Sie akzeptieren würden, dass Sie heute hier bleiben und Ihr Loverboy enttäuscht zu seiner Verlobten heimkehren wird." An Leslie hatte Cory gar nicht mehr gedacht. Schuldbewusst und wütend entgegnete sie: „Wer gibt Ihnen eigentlich das Recht, sich in das Leben anderer Menschen einzumischen?" „Niemand gibt mir irgendetwas, Cory", erwiderte er gelassen. „Ich nehme mir, was ich will." Er ignorierte ihren wütenden Blick und lächelte - jenes seltene Lächeln, das sie vollends verwirrte. Dann küsste er sie flüchtig auf die Nase und fügte hinzu: „Bei so viel Starrsinn ist ein kühles Bad im Pool sicher hilfreich." Noch während er das sagte, nahm er sie auf die Arme und trug sie zum Schwimmbecken. „Wagen Sie es ja nicht, mich ins Wasser zu werfen!" Cory wehrte sich aus Leibeskräften, doch er hielt sie ohne Mühe fest. „Können Sie schwimmen?" Sie wollte es abstreiten, doch Max hatte ihr die Antwort bereits vom Gesicht abgelesen, und im nächsten Moment tauchte sie in das kühle Wasser ein. Als sie wieder an die Oberfläche kam, schwamm Max neben ihr. Er lächelte und sah aus wie ein Schuljunge, der gerade jemandem einen Streich gespielt hatte. „Wie können Sie es wagen, Sie ..." „Passen Sie auf, was Sie sagen", warnte er sie lächelnd. „Sie befinden sich in keiner sehr günstigen Lage." Mit wenigen kraftvollen Zügen schwamm sie an den Rand des Beckens und legte das triefend nasse Oberteil ab. „Sie schwimmen ausgezeichnet, fast wie ein Mann", meinte er anerkennend. „Soll das ein Kompliment sein?" fragte sie und lächelte spöttisch. „Frauen können die meisten Dinge ebenso gut wie Männer - oder besser." Max erwiderte ihr Lächeln. „Die meisten Frauen, die ich kenne, benutzen den Pool ausschließlich, um sich in Szene zu setzen. Sie sind viel zu besorgt um ihre Frisuren und ihr Make-up, um zu schwimmen." „Sie suchen sich eben nicht die richtigen Frauen aus, das habe ich Ihnen schon einmal gesagt." Ohne auf eine Antwort zu warten, glitt sie durch das Wasser ans andere Ende des riesigen Beckens. „Wer hat Ihnen beigebracht, so zu schwimmen?" Befriedigt stellte Cory fest, dass es ihm nicht ge lungen war, sie einzuholen. „Meine Eltern. Sie sind beide sehr gute Schwimmer." Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Wir haben einmal ge meinsam einen Tauchkurs besucht. Dabei mussten wir im November in einem ehemaligen Steinbruch trainieren. Das war zwar nicht angenehm, aber es hat mich abgehärtet. Mein Vater und ich haben danach noch am Fortgeschrittenenkurs teilgenommen." „Ich verstehe." Max versuchte, es zu verbergen, doch Cory merkte, dass er beeindruckt war. „Sind Sie auch in anderen Lä ndern tauchen gegangen?" fragte er interessiert. „Nur ein paar Mal", erzählte sie betont locker. „Ich fand es immer interessant, wie unterschiedlich die Unterwasserwelt aussieht." Sie stieß sich vom Rand ab und schwamm mit kräftigen Zügen los. Max hatte sie fast eingeholt, als sie das Ende der Bahn erreichte. „Sie schwimmen wie eine Nixe." Seine Stimme klang rau, und Corys Herz begann, heftig zu klopfen. Er ist viel zu attraktiv, und er setzt seinen Charme zu
offensichtlich ein, warnte sie eine innere Stimme. „Verstehen Sie sich gut mit Ihren Eltern?" erkundigte Max sich. „Ja, sehr", erwiderte sie kurz angebunden. Je weniger er über ihr Privatleben wusste, umso besser, denn sie war sich bewusst, dass er sämtlich Informationen speichern - und womöglich zu seinem eigenen Vorteil verwenden würde. Er nickte nachdenklich. „Ein richtiges Zuhause und eine liebevolle Familie sind ein Geschenk von unschätzbarem Wert", sagte er leise. „Mein Vater hatte während meiner Kindheit zu wenig Zeit, um mir seine Liebe zu zeigen. Und als ich nach dem Studium zurückkam, war es bereits zu spät. Wir hatten keine Gelegenheit mehr, uns richtig kennen zu lernen." Kaum hatte Max das ausgesprochen, schien er es bereits zu bereuen, =Cory einen Einblick in seine Gefühlswelt gegeben zu haben. „Trauen Sie sich zu, mit mir um die Wette zu schwimmen?" fragte er unvermittelt und lächelte. „Ich würde sogar gewinnen, wenn Sie mir eine Hand auf dem Rücken festbinden", entgegnete Cory kühn. Sie gewann nicht, doch ebenso wenig gelang es Max, sie zu überholen. Sie schwammen Kopf an Kopf, bis Cory merkte, dass ihre Kräfte nachließen. Sie setzte sich auf den Beckenrand, während Max noch über zehn Minuten weiterschwamm. Voller Sehnsucht betrachtete sie die kraftvollen, geschmeidigen Bewegungen seines durchtrainierten Körpers. Seit sie Max Hunter kennen gelernt hatte, war sie nicht mehr dieselbe. Sie konnte sich ein Leben ohne ihn schon nicht mehr vorstellen, und es erschreckte sie. Was sie für Leslie empfunden hatte, hatte mit die sem verzehrenden Verlangen nichts zu tun. „Wie wäre es mit einem Glas Champagner?" Max stieg aus dem Wasser und hielt ihr die Hand hin. Hastig zog Cory sich das Oberteil an, bevor sie seine Hand nahm und sich hochziehen ließ. „Das ist sinnlos, Cory", sagte er rau. „Selbst wenn Sie sich von Kopf bis Fuß verhüllen würden, könnten Sie Ihre langen, schlanken Beine, die schmale Taille und Ihre wundervollen Brüste nicht vor mir verbergen." „Max, bitte tun Sie das nicht." Ihr Herz begann wie wild zu schlagen. Der Blick seiner goldbraunen Augen hielt sie fest. „Warum, zum Teufel, denn nicht?" fragte er ungeduldig. „Ich begehre Sie, Cory, und Sie begehren mich - auch wenn Sie versuchen, sich vom Gegenteil zu überzeugen. Es macht mich wahnsinnig, Sie jeden Tag im Büro zu sehen. Am liebsten hätte ich Ihnen die Kleidung vom Leib gerissen und Sie an Ort und Stelle auf Ihrem Schreibtisch geliebt." „Das ist nichts weiter als Lust", erwiderte Cory angespannt. Nie wieder würde sie ihren Schreibtisch mit denselben Augen betrachten können. „Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich mich nicht auf oberflächliche Affären einlasse, Max Hunter." „Sie sind sturer als ein Mann", sagte Max wütend. Mit einer heftigen Bewegung zog er sie an sich. Angesichts seiner Unbeherrschtheit merkte Cory, dass auch er durcheinander war. Sie war zu erschöpft, um sich zu wehren. Ein unterdrücktes Schluchzen drang aus ihrer Kehle. Sie lehnte sich an Max und merkte, wie angespannt er plötzlich war. So standen sie eine Weile in der heißen Julisonne, bis es aus ihm herausbrach: „Warum sind Sie so anders als die anderen Frauen? Und warum machen Sie mich so verrückt? Was ich auch tue, immer muss ich an Sie denken." Cory war so überrascht, dass sie kein Wort herausbrachte. Doch sie wusste, dass sie auf keinen Fall ihren Gefühlen nachgeben durfte, sosehr sie sich auch danach sehnte. Denn wenn sie sich auf eine Affäre mit Max einließe, würde es ihr das Herz brechen, wenn sie enden würde - und enden würde sie mit Sicherheit. Max hielt sie sanft fest und begann, ihr zärtlich den Rücken zu streicheln. „Ich
begehre Sie so, Cory, und wenn ich an diesen unsensiblen Klotz denke, der sich an Sie heranschmeißt..." „Leslie?" Sie blickte ihn überrascht an, obwohl sie sicher war, dass seine Worte geheuchelt waren. „Wie können ausgerechnet Sie es wagen, Leslie als unsensibel zu bezeichnen?" Aufgebracht dachte sie daran, wie viele schlaflose Nächte sie wegen Max schon verbracht hatte. „Sie kennen ihn ja nicht einmal!" „Das ist auch nicht nötig", erwiderte Max arrogant, und bevor sie etwas entgegnen konnte, beugte er sich zu ihr und küsste sie mit einer Leidenschaft, die ihr den Atem raubte. Ihr Verlangen wuchs, und ihre Brustspitzen wurden hart und zeichneten sich deutlich unter dem dünnen Stoff ab. „Ich wusste doch, dass Sie mich auch wollen." Er ließ eine Hand über ihre Brüste gleiten, und sie stöhnte auf. Als ob ihr plötzlich bewusst würde, was sie tat, riss sie sich los und trat einen Schritt zurück. Immer muss er beweisen, dass er Recht hat, dachte sie empört und verletzt. „Das tue ich nicht", sagte sie schwer atmend. „Sicher tun Sie das." Er lächelte überheblich. „Aber sosehr ich Sie auch begehre, ich kann warten, bis Sie bereit sind. Ich habe noch nie eine Frau bedrängt, die nicht mit Leib und Seele bereit war." Cory wollte etwas erwidern, kühl und herablassend, wie es die weltgewandten Frauen taten, mit denen er sich sonst abgab. Doch sie wusste, dass sie in Tränen ausbrechen würde, sobald sie den Mund öffnete. „Kommen Sie." Er führte sie zu einem Sitzplatz im Schatten eines großen Baumes. Inmitten eines Halbrundes aus blühenden Büschen standen zwei Liegestühle und ein niedriger Tisch, auf dem sic h eisgekühlter Champagner, zwei hohe Gläser und eine riesige Schüssel voller Erdbeeren befanden, daneben zwei kleine Schüsseln, Löffel und Schlagsahne. Eine perfekte Idylle. Ein bisschen zu perfekt, dachte Cory sarkastisch. Sie betrachtete misstrauisch den Champagner und war froh, dass sie im Bloomsbury's so gut gegessen hatte. Max war ein Meister der Verführung, und sie zweifelte nicht daran, dass er mit dieser Taktik schon unzählige Erfolge erzielt hatte. Doch diesmal würde sein Plan nicht aufgehen. Max glaubte, dass sie ihn nur körperlich begehrte, und er nahm an, dass sie bereits mit Leslie und anderen Männern geschlafen hatte. Er täuschte sich. Cory beobachtete wehmütig, wie er sich lässig im Liegestuhl zurücklehnte. Wenn sie nur für ihn schwärmen würde, wäre es schon schwer genug. Doch sie liebte ihn so sehr, dass es ihr das Herz brechen würde, wenn er eines Tages ihren Körper nicht mehr aufregend und begehrenswert finden würde. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als Max ihre Seele und ihren Körper zu schenken und eine Familie mit ihm zu gründen. Doch vermutlich würde er sie nur auslachen. „Hier." Max riss sie aus ihren Gedanken, indem er ihr ein Glas perlenden Champagner an die Lippen führte. „Ich möchte Ihnen beibringen, wie man das Leben genießt." „Ich genieße mein Leben", entgegnete sie hastig „Nein, das tun Sie nicht", widersprach er. „Aber Sie werden es lernen." Wieder führte er ihr das Glas an die Lippen. „Ent spannen Sie sich." Cory hatte noch nie so köstlichen Champagner getrunken. Doch das Wohlgefühl, das er in ihr auslöste, war vergänglich -wie eine Affäre mit Max es sein würde. Sie nahm das Glas und stellte es energisch ab. „Täusche ich mich, oder waren Sie nicht der Ansicht, dass eine Affäre mit Ihrer Sekretärin nicht nur lästig, sondern unter Umständen auch gefährlich wäre?" Sie hatte nicht vergessen, wie sie sich darüber geärgert hatte, als Max ihr dies an ihrem ersten Arbeitstag klargemacht
hatte. Er nickte lächelnd. „Ausnahmen bestätigen die Re gel." „Und Sie glauben wirklich, dass wir ohne weiteres eine Affä re haben und trotzdem täglich zusammenarbeiten könnten?" Sie erwiderte sein Läche ln nicht. „Ich halte das durchaus für möglich." Max beobachtete sie aufmerksam. „Warum nicht?" „Und wenn es vorbei ist?" fragte sie leise. • „Wir sind beide erwachsen", erwiderte er gelassen. „Wenn wir von vornherein wissen, worauf wir uns einlassen, sehe ich da kein Problem. Außerdem sind Sie keine Frau, die nachtragend wäre." „Max, Sie haben nicht die geringste Ahnung, was für eine Frau ich bin", antwortete sie verletzt. „Das sollte ein Kompliment sein", versicherte Max ihr schnell, als er bemerkte, dass er sich nicht sehr geschickt ausgedrückt hatte. „Cory, Sie faszinieren mich", sagte er leise und umfasste ihr Gesicht. „Ich finde Sie wundervoll und ziemlich sexy." Das ist also seine Taktik, dachte Cory. Dieser verführerische Charme war ihr neu, und sie konnte sich gut vorstellen, wie er auf Frauen wirkte. Und natürlich wusste er das auch. „Und Sie hatten Recht, ich habe wirklich bekommen, was ich verdiente." Er wies auf die Narbe an seinem Hals. „Ich bin immer nur nach dem Äußeren einer Frau gegangen und habe mich nie wirklich für ihre Seele interessiert. Nach dem, was ich mit Laurel und Anne erlebt hatte, wollte ich kein Risiko eingehen." Er versucht, mich mit seinem jungenhaften Charme einzuwickeln, dachte Cory misstrauisch. Max betrachtete ihr wachsames Gesicht. Plötzlich legte er den Kopf zurück und lachte. „Offensichtlich habe ich keinen Erfolg damit, an Ihr Mitgefühl als Frau zu appellieren", sagte er. „Vielleicht sollten wir einfach den Tag genießen, Erdbeeren essen und noch ein Glas Champagner trinken. Und ich verspreche Ihnen, dass ich keinen weiteren Verführungsversuch machen werde. Wie hört sich das an?" „Gut", antwortete sie vorsichtig. Wieder lachte er. „O Cory, Sie sind wirklich einzigartig." Er lehnte sich vor, um sie zu küssen. Doch kurz bevor seihe Lippen ihre berührten, hielt er plötzlich inne und runzelte leicht die Stirn. „Einzigartig", murmelte er noch einmal. „Max?" Sein Gesichtsausdruck beunruhigte sie. „Ist alles in Ordnung?" Mit sichtlicher Mühe zog er sich zurück und rang sich ein Lächeln ab. „Was sollte denn nicht in Ordnung sein?" fragte er betont locker. „Die Nacht ist noch jung, und ich habe die schönste Frau ganz Londons an meiner Seite." Doch Cory war sicher, einen Ausdruck der Verwirrung in seinen Augen gesehen zu haben, und sie spürte, dass eine Veränderung in Max vorgegangen war. Seine Gelassenheit wirkte aufgesetzt. Schnell wandte er sich ab und füllte zwei Schüsseln mit Erdbeeren. Als er sich ihr wieder zuwandte, war seine Miene ausdruckslos. Sie verbrachten den Nachmittag damit, zu schwimmen, sich zu sonnen, Erdbeeren zu essen und Champagner zu trinken. Erst als die Schatten länger wurden und schließlich die Dämmerung über den blühenden Garten hereinbrach, gingen sie ins Haus. Max hatte sich Cory gegenüber äußerst korrekt verhalten. Und obwohl sie wusste, dass sie froh über seine Zurückhaltung sein sollte, gab es ihr einen Stich ins Herz, wenn sie an das Gespräch dachte, das sie vorher geführt hatten. Max verabschiedete sich mit den Worten, es würde in etwa einer Stunde Essen geben. Cory beschloss, ein Bad zu nehmen. Als sie in der eleganten, frei stehenden Wanne im heißen Wasser lag, musste sie unweigerlich an Max denken, doch sie
erlaubte sich nicht, diesen Gedanken weiterzuverfolgen. Sie hatte ihm gesagt, dass sie nicht an einer Affäre mit ihm interessiert sei, und er schien dies endlich zu akzeptieren. Punkt. Ich sollte mir lieber um den armen Leslie Gedanken machen, erinnerte sie sich schuldbewusst. Vermutlich rief er bereits seit Stunden bei ihr an und fragte sich, warum sie nicht abnahm. Sicher würde er denken ... Es ist mir ganz egal, was er denkt, dachte Cory plötzlich wütend. Sie stieg aus der Wanne und ging ins Schlafzimmer. Obwohl Max sicher auch nicht ganz unschuldig war, war es doch eigent lich Leslie gewesen, der sie in diese unangenehme Lage gebracht hatte. Er war schlicht und ergreifend zu feige gewesen, Carole die Wahrheit zu sagen, bevor er nach London gekommen war, um herauszufinden, ob sie, Cory, ihn mit offenen Armen empfangen würde. Von wegen armer Leslie! Cory schnaufte empört. Carole war diejenige, die ihr Mitleid verdiente. In dem kleinen Wohnzimmer legte sie eine CD mit ruhiger, entspannender Musik ein und drehte den Lautstärkeregler hoch. Dann ging sie zurück ins Schlafzimmer, um den riesigen Kleiderschrank durchzusehen. Nach langem Suchen hatte sie das am wenigsten aufreizende Kleid herausgesucht. Sie cremte sich von Kopf bis Fuß ein und föhnte sich die Haare. Dann stellte sie sich nackt vor den Spie gel und betrachtete sich kritisch - die samtige, honigfarbene Haut, die schmale Taille und die kleinen, festen Brüste. Nicht schlecht, aber auch nichts Besonderes, stellte sie seufzend fest. Sie schloss für einen Moment die Augen und musste an die wunderschönen Frauen denken, die alles dafür taten, mit Max gesehen zu werden. Er würde seine Ansichten über die Liebe niemals ändern. Je eher sie sich damit abfand, umso besser. „Cory?" Einen Moment lang glaubte sie, sich eingebildet zu haben, Max' Stimme zu hören. Ich werde langsam verrückt vor Sehnsucht, dachte sie wehmütig, öffnete die Augen - und sah im Spiegel, dass Max an der Tür stand und sie ansah.
8. KAPITEL „Ich habe angeklopft." Cory sprang hastig zum Bett und hielt sich das Kleid vor die Brust, das sie jedoch nur sehr notdürftig verhüllte. „Raus", befahl sie wütend. „Ich sagte doch, ich habe geklopft", verteidigte er sich. „Aber die Musik ist so ohrenbetäubend laut, dass Sie es wahrscheinlich nicht gehört haben." „Natürlich nicht!" Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. „Sie haben kein Recht, hier so hereinzuplatzen. Würden Sie jetzt bitte gehen?" „Sie wissen genau, was ich eigentlich gern tun würde." „Ich warne Sie, Max Hunter, wenn Sie mich anrühren ..." „Ich weiß, dass Sie keine sonderlich gute Meinung von mir haben, Cory", erwiderte er trocken, „aber nicht einmal ich würde mich zu so etwas hinreißen lassen." Er wandte sich um. „Ziehen Sie sich etwas über", rief er ihr über die Schulter zu gerade so, als wäre sie mit voller Absicht nackt vor ihm auf und ab stolziert. Cory war so wütend, dass sie das Kleid fallen ließ, den Überwurf vom Bett riss und ihn sich umlegte und hinter Max her ins Wohnzimmer rannte. Aufgebracht rief sie seinen Namen. Max blieb stehen und wandte sich um. „Das reicht - ich habe genug! Von dem hier", wild gestikulierend wies sie auf das wunderschöne Zimmer, „von Ihnen, von der ganzen lächerlichen Situation - und auch von Ihrem tollen Job!" Sie war so außer sich, dass sie zitterte. „Soll das heißen, Sie kündigen?" fragte Max kühl. „Ja, das heißt es!" erwiderte Cory heftig. Es war schon schwer genug gewesen, täglich mit ihm zusammenzuarbeiten und so zu tun, als würde er ihr nichts bedeuten. Doch jetzt, da sie wusste, wie er über die Liebe dachte, würde es kaum noch zu ertragen sein. Irgendwann würden ihre Gefühle sie verraten, und dann hätte er ein leichtes Spiel mit ihr. „Ich kündige fristlos." „Seien Sie nicht albern", sagte Max verärgert. „Aber wir normalen Menschen benehmen uns eben manchmal albern", rief Cory, wütend über seine Gefühllosigkeit. „Wir sind nicht perfekt, und manchmal verlieben wir uns auch in die falschen Personen." „Sie geben also zu, dass Leslie nicht der Richtige ist?" Ich habe nicht von Leslie gesprochen, dachte sie verzweifelt. „Das hat nichts mit Leslie zu tun", erwiderte sie hastig. „Ich wollte damit nur sagen, dass es normal ist, Fehler zu begehen. Aber Sie haben viel zu viel Angst, um Gefühle zuzulassen. Stattdessen haben Sie oberflächliche Affären, die Sie schnell immer dann beenden, wenn etwas Ernstes daraus werden könnte." Cory wusste, dass sie zu weit ging, doch sie konnte sich nicht länger beherrschen. „In Wahrheit sind Sie nichts weiter als ein Feigling", stellte sie bitter fest. „Sie haben Angst vor Ihren Gefühlen, und auch für die Gefühle anderer wollen Sie keine Verantwortung übernehmen. " Max kam auf sie zu, und einen Moment lang hatte sie Angst, er würde sie schlagen. Doch stattdessen zog er sie heftig an sich. „Du glaubst also, dass ich aus Eis bin, Cory?" brachte er wütend heraus. „Du weißt wohl gar nichts über Männer. Aber das sollte mich eigentlich nicht verwundern, nachdem ich Leslie kennen gelernt habe." Er beugte sich zu ihr und küsste sie - hart und fordernd. Cory war nicht entgangen, das er zur vertraulichen Anredeform übergegangen war. Sie wusste, dass sie sich eigentlich mit Händen und Füßen wehren müsste, doch sie brachte es nicht fertig. Sie liebte ihn zu sehr. Sie hatte lange gegen diese Liebe angekämpft, doch je besser sie Max kennen lernte, desto mehr liebte sie ihn. Cory wusste nicht, wann sie damit begonnen hatte, seinen KUSS zu erwidern. Doch als sie es merkte, war es bereits zu spät. Sie küsste ihn mit einer Leidenschaft
und Hingabe, die sie selbst erschreckt hätte, wenn sie sich dessen bewusst gewesen wäre. Doch sie war so erfüllt von den Empfindungen, die seine Liebkosungen in ihr auslösten, dass sie an nichts anderes denken konnte. Sie war wie benommen, und erst als sie spürte, wie Max ihr sanft über den Rücken strich, bemerkte sie, dass der Bettüberwurf verrutscht und sie bis zur Taille entblößt war. Max ließ den Mund über ihre Wange, ihren Hals und dann weiter zu ihrem Nacken gleiten, und mit jeder Liebkosung nahm ihr Verlangen zu. „O Max." Sie hielt sich an seinen breiten Schultern fest, und ihr Atem ging stoßweise. Als er bemerkte, wie bereitwillig sie sich ihm hingab, hielt er inne. „Cory, hör mir einen Moment zu." „Sag jetzt nichts", flüsterte Cory. Sie war so überwältigt von ihren Gefühlen, dass sie die Worte, die sie so lange nicht ausgesprochen hatte, nicht länger für sich behalten konnte. „Ich liebe dich so..." Cory spürte seine Abwehr deutlich, obwohl er sich nicht bewegte und kein Wort sagte. Dann ließ er sie langsam los und trat einen Schritt zurück. Seine Miene war undurchdringlich. „Du weißt genau, dass es nicht wahr ist", sagte er kalt. „Ich bin dir ja nicht einmal sympathisch." Schnell zog sie die Decke hoch und bedeckte ihre Blöße. Sie war rot geworden, doch sie wandte den Blick nicht von seinem Gesicht ab. Da war etwas in seinem Ausdruck, das sie nicht deuten konnte. Wie hatte sie nur so die Kontrolle über sich verlieren können? Es war schlimm genug, dass sie sich nicht gewehrt hatte, als er sie an sich zog. Doch dass sie ihm ihre Liebe gestanden hatte, war unverzeihlich. Noch konnte sie sagen, sie hätte es nicht ernst gemeint. Max hatte doch selbst gesagt, dass die meisten Frauen nur mit einem Mann schlafen würden, wenn sie sich einredeten, sie würden ihn lieben. Oder sie könnte ihm die Wahrheit beichten - so schmerzlich und erniedrigend es. auch für sie sein mochte. Damit würde sie sich ein für alle Mal von Max Hunter verabschieden müssen, denn das Letzte, was er sich wünschte, war eine liebeskranke Sekretärin. Cory spürte, dass es für sie nur eine Möglichkeit gab, wenn sie nicht den Verstand verlieren wollte. „Nein, Max, es ist die Wahrheit", antwortete sie leise. Eine tiefe Trauer hatte sie ergriffen. „Ich liebe dich wirklich, schon seit langer Zeit. Das ändert aber nichts an meiner Meinung darüber, wie du dein Leben führst." „Und was ist mit Leslie?" Er schien nicht im Geringsten erfreut über ihre Liebeserklärung. „Wie kannst du so etwas sagen, wenn er und du ...?" „Leslie und mich verbindet nichts", antwortete Cory resigniert. Sie war sicher, dass Max von nun an nur noch Verachtung für sie übrig hatte. „Mir ist klar geworden, dass er für mich immer nur wie ein Bruder war." „Aber vielleicht würdest du doch mit ihm glücklich werden." Max klang so gefühllos, dass es Cory einen Stich ins Herz gab. Wollte er sie überreden, zu Leslie zurückzugehen? Noch nie in ihrem Leben hatte jemand sie so verletzt. Nun, da Max wusste, dass sie ihn liebte, versuchte er um jeden Preis, sie loszuwerden. „Ich habe dir gesagt, wie ich empfinde." Stolz hob sie den Kopf. Ihr Gesicht war aschfahl. „Aber keine Angst, Max, ich weiß, dass du meine Gefühle niemals erwidern wirst. Aber vielleicht verstehst du jetzt, warum ich nicht weiter für dich arbeiten kann." Jetzt, da sie ihm ihre Liebe gestanden hatte, war es ihr unmöglich, zur unpersönlichen Anredeform zurückzukehren und ihn zu siezen. „Ich bin eben nicht so kühl und weltgewandt wie die Frauen, mit denen du sonst zu tun hast, und eigentlich bin ich froh darüber", fügte sie hinzu. Max atmete tief ein. Nervös strich er sich das Haar aus der Stirn, und Cory
bemerkte, dass er um seine Fassung rang. „Zum Teufel, Cory, du hast dir nie etwas anmerken lassen ... nie etwas gesagt..." „Und so wäre es auch geblieben, wenn du mich nicht gezwungen hättest, hierher zu kommen." Cory kämpfte mit den aufsteigenden Tränen, doch sie wollte nicht vor Max weinen. Zumindest konnte er ihr keinen Vorwurf daraus machen. Es war allein seine Schuld, denn er hatte wieder einmal seinen Willen durchsetzen wollen. Mit dem Mut der Verzweiflung hob sie das Kinn und fragte: „Würdest du mir jetzt bitte ein Taxi rufen?" Noch bevor sie zu Ende gesprochen hatte, hörte man einen Wagen auf die Auffahrt fahren. Dann ertönten laute, fröhliche Stimmen, und es klingelte an der Tür. „Cory." Zum ersten Mal erlebte sie, dass Max die Worte fehlten. „Das wollte ich dir gerade sagen - ich habe einige Freunde eingeladen. Nach unserem Gespräch heute Nachmittag dachte ich, es wäre in deinem Sinn, wenn wir nicht allein wären, sondern eine kleine Party veranstalteten." Cory ließ sich ihre Verzweiflung nicht anmerken und erwiderte ruhig: „Das ist eine gute Idee. Ich werde mich umziehen und komme dann nach unten." Draußen hörte man weitere Autos vorfahren. Max warf ihr noch einen Blick zu, nickte kurz und ging hinaus. Sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sank Cory auf den Boden. Sie war am Ende ihrer Kräfte. Sie hatte sich also nicht getäuscht, als sie meinte, am Nachmittag eine Veränderung in Max' Verhalten gespürt zu haben. Von einem bestimmten Moment an war er zwar charmant und aufmerksam, doch gleichzeitig distanziert gewesen. Nun wurde Cory klar, dass er sich entschieden hatte, die Finger von ihr zu lassen. Und er war lediglich in ihr Zimmer gekommen, um ihr mitzuteilen, dass das romantische Essen zu zweit abgesagt sei und stattdessen eine Party stattfinden werde. Voller Scham und Verzweiflung dachte sie daran, wie sie sich ihm hingegeben hatte. Und zu guter Letzt hatte sie ihm auch noch gesagt, dass sie ihn liebe! Als Max bei ihr gewesen war, hatte sie die Tränen nur mit Mühe zurückha lten können. Doch jetzt war ihr Schmerz zu groß, um zu weinen. Wie sollte sie den Abend nur überstehen? Einen winzigen Moment zog sie in Erwägung, die Gelegenheit zu nutzen und sich davonzustehlen. Sicher stand das Tor noch offen. Doch nicht umsonst hatte sie den Stolz und das Temperament ihrer Mutter geerbt, und ihr Vater hatte ihren Kampfgeist schon im Kindesalter gestärkt, als sie sich im Kindergarten ge gen zwei ältere Mädchen hatte behaupten müssen. Nein! Sie würde sich nicht geschlagen geben, sondern den Abend mit Selbstbeherrschung und Stil durchstehen. Und morgen würde sie für immer aus Max' Leben verschwinden. Sie atmete einige Male tief ein, um ihr heftig klopfendes Herz zu beruhigen. Dann stand sie, noch etwas unsicher, auf und ging ins Schlafzimmer. Sie betrachtete das auf dem Boden liegende Kleid, das sie mit dem Ziel ausgesucht hatte, ihre Reize möglichst wenig zur Schau zu stellen. Doch jetzt war alles anders. Sie würde sich für immer von Max Hunter verabschieden, aber vorher wollte sie noch einen großen Auftritt haben. Cory warf einen Blick in den Kleiderschrank, wusste jedoch bereits, was sie anziehen würde - ein enges Kleid aus dunkelroter Seide. Sie strich mit der Hand über den weichen Stoff und fragte sich, was für eine Frau wohl den Mut hätte, ein derart erotisches Kleid zu tragen. Zu dem Kleid gehörten hochhackige elegante Pumps, die ihr wie angegossen passten. Ob das ein Zeichen war? Wieder kamen ihr die Tränen, doch Cory kämpfte energisch dagegen an. Später kann ich mir immer noch die Augen ausweinen, dachte sie grimmig. Zuerst würde sie dafür sorgen, dass Max seine Entscheidung bereute. Sie würde ihm beweisen,
dass sie ebenso sexy und begehrenswert war wie die Flittchen, mit denen er sich sonst umgab. Sorgfältig frisierte Cory sich das Haar, bis es ihr Gesicht in weichen Wellen umrahmte. Sie betonte ihre violett gesprenkelten Augen mit leuchtend blauem Lidschatten und ihre langen Wimpern mit tief schwarzer Mascara. Die vollen Lippen malte sie mit einem roten Lippenstift aus. Als sie das Kleid und die Pumps angezogen hatte und sich im Spiegel betrachtete, erkannte sie sich kaum wieder. Der tiefe Ausschnitt, das eng anliegende Oberteil des Kleides und der knielange bauschige Rock hoben ihre Re ize so hervor, dass jeder normale Mann sich nach ihr umdrehen würde. Das Kleid war bestens dazu geeignet, ein angeschlagenes Selbstbewusstsein zu heilen, und Cory war unendlich dankbar dafür. Ich werde nie wieder sagen, dass Designerkleider Geld verschwendung sind, schwor sie sich. Sie hatte noch nie so begehrenswert ausgesehen, und niemand würde vermuten, dass sich unter dem betörenden Dekollete ein gebrochenes Herz verbarg. Als Cory den Salon betrat, war Max sofort an ihrer Seite. „Du siehst wunderschön aus", sagte er rau. Sein Gesicht war ausdruckslos, doch sie hatte für einen Moment das Verlangen in seinen Augen aufblitzen sehen. „Danke. Du siehst auch nicht schlecht aus", erwiderte sie gelassen. Nicht schlecht? Max sah einfach unwiderstehlich aus. Er trug ein cremefarbenes Seidenhemd, das am Hals leicht offen stand. Die bordeauxrote Fliege hing noch locker um seinen Kragen. Mit einer flüchtigen Handbewegung winkte er einen Ober herbei, der mit Champagner gefüllte Gläser auf einem Tablett herbeitrug. Sie nahm ein Glas und dankte ihm, bevor sie sich im Raum umsah. Zu ihrem Erstaunen waren bereits dreißig Gäste da, und weitere waren in der Eingangshalle zu hören. „Wie hast du das alles innerhalb so kurzer Zeit organisiert?" fragte sie. „Für solche Gelegenheiten nutze ich einen bestimmten Catering-Service", erklärte Max gelassen. „Die Leute kennen meine Vorlieben genau und arbeiten schnell und gut. Und meine Freunde", er lächelte ironisch, „amüsieren sich gern." Cory betrachtete die Ober in ihren eleganten Uniformen, die lautlos umhereilten. Die Türen zum Garten waren geöffnet, und eine kleine Band spielte. Max brauchte nur mit den Fingern zu schnippen, und schon bekam er, was immer er wünschte. Er brauchte weder sie noch sonst jemanden. Die Welt lag ihm zu Füßen. „Mein Süßer..." Eine üppige Blondine näherte sich. Sie war in Begleitung eines Mannes, was sie jedoch nicht davon abhielt, Max mit Blicken förmlich zu verschlingen. „Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen." „Drei Wochen, um genau zu sein, Adrianne", entgegnete Max trocken. „Ich habe dich und Frank auf Charles' vierzigstem Geburtstag getroffen." Er schüttelte dem Mann die Hand und zog Cory sanft an seine Seite. „Ich möchte euch Cory Masters vorstellen. Cory, dies sind Frank und Adrianne Peers. Frank und ich sind schon seit unserer Studienzeit befreundet." Adrianne bedachte Cory mit einem aufgesetzten Lächeln und taxierte sie abschätzend. „Cory ..." Sie streckte ihr eine gebräunte Hand mit tiefrot lackierten Nägeln hin. „Wie entzückend!" Cory war sich nicht sicher, ob Adrianne mit „entzückend" ihren Namen meinte oder ob sie der Ansicht war, sie wäre Max' derzeitige Geliebte. Höflich erwiderte sie: „Ich freue mich, Sie beide kennen zu lernen." Sie lächelte erst Adrianne, dann Frank zu. Frank machte einen sehr sympathischen Eindruck, wirkte jedoch mindestens zwanzig Jahre älter als Max. „Masters ...?" Adrianne sprach den Namen gedehnt aus. „Sind Sie vielleicht die
Tochter von Sir Gerald?" „Nein." Cory bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Der Vorname meines Vaters ist Robert." „Tatsächlich?" Das klang sehr herablassend. „Und woher kommen Sie, wenn ich fragen darf?" „Aus Yorkshire", erwiderte Cory höflich. Sie spürte, wie Max neben ihr eine ungeduldige Bewegung machte. „Und meine Eltern stammen aus Essex, Franks aus Bourne mouth und Adriannes aus dem Londoner East End, nicht wahr?" Er achtete nicht darauf, dass Adrianne puterrot wurde, und fuhr äußerst trocken fort: „Damit haben wir wohl alle Fragen beantwortet. Bitte entschuldigt uns, ich möchte Cory noch den anderen Gästen vorstellen." Max zog sie mit sich. „Adrianne tut immer sehr vornehm", erklärte er. „Sie erzählt gern von dem Unternehmen ihrer Eltern und erwähnt natürlich nicht, dass sie nur ein kleines Fischgeschäft im East End betreiben. Dort ist sie als eins von zehn Kindern in sehr ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Laut Frank sind ihre Eltern und Geschwister großartige Menschen, aber seit Adrianne Frank geheiratet hat, gibt sie sich nicht mehr mit ihnen ab. Ihr richtiger Name ist übrigens Annie, aber das klingt natürlich nicht vornehm genug", fügte er ironisch hinzu. „Du magst sie also nicht." „Sie zu heiraten war der größte Fehler, den Frank je begangen hat. Aber er sieht das anders." Max zuckte die Schultern. Er schien darüber verärgert zu sein. „Sie flirtet mit jedem Mann, der ihr über den Weg läuft, ist habgierig und wirft Franks Geld zum Fenster hinaus." Er lächelte verächtlich. Cory erwiderte nic hts. Sie fragte sich verzweifelt, wie sie den Abend überstehen sollte. Merkte Max denn nicht, wie er sie quälte, indem er vor seinen Gästen so tat, als wäre sie seine Geliebte? Sie sammelte all ihre Kraft und brachte es fertig, sich nichts anmerken zu lassen, während Max, den Arm um ihre Taille ge legt, sie allen vorstellte. Sie tanzte, lächelte und unterhielt sich höflich. Weder sie noch Max erwähnten mit einem Wort, was passiert war. Er war so kühl und distanziert, dass es Cory fast das Herz brach. Es war bereits nach drei Uhr morgens, und bis auf ein Dutzend waren bereits alle Gäste gegangen. Die wunderschönen Frauen in ihren Roben von Gucci und Versace sahen noch immer so kühl und elegant aus wie bei ihrer Ankunft. Und auch die Männer wirkten keinesfalls müde. Sie strahlten lediglich Macht, Reichtum und Selbstbewusstsein aus. Cory war körperlich und psychisch so erschöpft, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Max ließ für die verbliebenen Gäste Kaffee und Croissants im Speisezimmer servieren. „Ich würde jetzt gern schlafen gehen", sagte sie zu ihm. „Gut." Er beugte sich zu ihr und streifte ihre Lippen sanft mit seinen. Cory erstarrte. „Wir müssen miteinander reden, aber das ist jetzt nicht wichtig", sagte er. Sie nickte nur. Was er damit sagen wollte, war ihr klar: Sie war nicht wichtig für ihn. Ein Ober kam auf Max zu und sprach auf Französisch auf ihn ein. Max nickte und wandte sich dann zu Cory um. „Ich muss mich um ein kleines Problem kümmern. Es macht dir doch nichts aus ...?" „Nein, geh nur." Bitte, bitte, geh! Nachdem Max sie allein gelassen hatte, schleppte sie sich mit letzter Kraft die Treppe hinauf. Plötzlich hörte sie, wie jemand leise ihren Namen rief. Sie drehte sich um und sah Frank am Fuß der Treppe stehen. Cory hatte sich lange mit ihm unterhalten. Er war humorvoll und sehr sympathisch, vor allem hatte er etwas Gütiges an sich, das ihn von den anderen Gästen unterschied. Frank hatte ihr erklärt, dass seine Frau eine schwierige Kind heit gehabt habe, dass
sie an einem Minderwertigkeitskomplex leide und deshalb unsicher sei. Offensichtlich wollte er sich für Adriannes Taktlosigkeit entschuldigen, und Cory hatte seine Erklärung bereitwillig akzeptiert, obwohl Adrianne ihr etwa so unsicher vorkam wie ein Haifisch auf Beutejagd. Sie, Cory, und Frank hatten sich ausgiebig über zahlreiche Themen unterhalten, von Musik bis zu Mythologie, seinem Lieblingshobby. Sie hatten über fast alles geredet - nur nicht über Max. „Cory?" Er stieg die Stufen zu ihr hinauf und sah sie eindringlich an. „Darf ich Ihnen eine sehr persönliche Frage stellen?" Sie blickte ihn fragend an. Mit seinen braunen Augen und dem runden Gesicht erinnerte er sie an ihren Vater. „Es geht um ... um Max. Lieben Sie ihn?" Beinahe hätte sie entgegnet, dass ihn das nichts angehe. Doch offensichtlich hatte es ihn einige Überwindung gekostet, ihr diese Frage zu stellen. Sie wusste nicht, wie sie darauf antworten sollte. „Weshalb möchten Sie das wissen, Frank?" „Max ist mein bester Freund , und ich halte sehr viel von ihm", erwiderte Frank leise. „Aber Sie sind einer der nettesten Menschen, die ich seit langem kennen gelernt habe, und ich möchte Sie warnen. Wenn Sie sich auf eine Beziehung mit Max einlassen, werden Sie danach nicht mehr dieselbe sein. Er wird Ihnen sicher nicht absichtlich wehtun, doch nach einiger Zeit beginnt er, sich zu langweilen, und dann ... Normalerweise lässt er sich nur mit Frauen ein, die wissen, woran sie bei ihm sind. Doch ich habe das Gefühl, dass es bei Ihnen ... nicht der Fall ist." „Machen Sie sich keine Gedanken, Frank." Cory wurde rot. „Es ... ist nicht so, wie Sie denken." „Max ist ein sehr tüchtiger Mensch", fuhr Frank eindringlich fort. „Er hat Hunter Operations durch harte Arbeit zu dem ge macht, was es heute ist. Aber er ist eben so, wie er ist." „Wirklich, Frank, ich bin nur seine Sekretärin, nichts weiter", wiederholte Cory leise. Und als er immer noch nicht überzeugt schien, fügte sie hinzu: „Eigentlich bin ich nicht einmal mehr das - ich habe nämlich heute gekündigt." „Sie haben gekündigt?" Frank wirkte erleichtert. „Was Max braucht, ist jemand wie Gillian", sagte sie traurig. „Ich weiß genau, was er braucht." Frank sah sie mitfühlend an. „Aber er will es sich einfach nicht eingestehen." Cory lächelte, obwohl sie die Tränen nur mit Mühe zurückhalten konnte. Franks Anteilnahme rührte sie sehr. „Danke, Frank. Ich glaube nicht, dass wir uns je wieder sehen werden, aber Max kann froh sein, dass er einen Freund wie Sie hat." Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn leicht auf die Wange. Sie ging die Treppe weiter hinauf. Oben angekommen, wandte sie sich noch einmal um und hob zum Abschied die Hand. Dann betrat sie ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Im Schlafzimmer schaltete Cory eine Lampe ein, die ein sanftes Licht verbreitete. Sie stellte sich vor den Spiegel. „Du hast es geschafft", sagte sie anerkennend zu der schlanken, hübschen Frau, die sie anblickte. „Und zwar mit Stil." Dann sank sie auf den Teppich neben dem Bett und ließ end lich ihren Tränen freien Lauf.
9. KAPITEL Cory schlief sehr unruhig, und als sie am nächsten Morgen erwachte, waren ihre Nerven zum. Zerreißen gespannt. Sie zog die Kleidungsstücke an, die sie bei ihrer Ankunft getragen hatte. Aus dem riesigen Kleiderschrank hatte sie sich lediglich einen BH und einen Slip aus weißer Spitze herausgesucht, die vermutlich das Zehnfache von dem kosteten, was sie darüber trug. Cory betrachtete sich ein letztes Mal im Spiegel. Sie sah blass und erschöpft aus. Der Magen zog sich ihr zusammen beim Gedanken daran, dass sie nun allein mit Max frühstücken musste. Doch sie war fest entschlossen, nicht die Fassung zu verlieren, bevor sie für immer aus seinem Leben verschwinden würde. „Guten Morgen." Max klang entspannt und gelassen. Er saß bereits am Frühstückstisch. Das schwarze Haar war aus der Stirn gestrichen und noch feucht vom Duschen. Er sah einfach fantastisch aus. „Guten Morgen", erwiderte Cory betont ruhig und betrachtete überrascht den Tisch, der mit Essen förmlich überladen war. Wie so oft schien Max ihre Gedanken zu lesen. „Das ist Mrs. Browns Werk", erklärte er beiläufig. „Sie ist heute Morgen zurückgekommen." Cory nickte wortlos. Vermutlich ist er ursprünglich davon ausgegangen, dass seine Verführungskünste bis zum Morgen erfolgreich wären, dachte sie trocken. Und weil er nicht bereit war, auf sein gewohntes üppiges Frühstück zu verzichten, hatte er seine arme Haushälterin in aller Herrgottsfrühe nach Hause beordert; Typisch Max, dachte sie empört. Wie hatte sie sich nur in so einen kaltblütigen, berechnenden Mann verlieben können? Mrs. Brown war eine rundliche kleine Frau mit rosigen Ap felbäckchen. Fröhlich begrüßte sie Cory und häufte ihr Essen auf den Teller. Wahrscheinlich glaubte sie, dass Cory mehr sei als lediglich Max' Sekretärin. Und wenn eine Frau mit ihm die Nacht verbringt, ist sie am nächsten Morgen normalerweise sicher ausgehungert, dachte Cory ironisch. Dieser Gedanke verdarb ihr vollends den Appetit, doch sie zwang sich, etwas gebratenen Speck und zwei gegrillte Tomaten zu essen. Die Würstchen, Pilze und Baked Beans brachte sie jedoch nicht hinunter. Max hatte sich sofort wieder hinter seine Zeitung zurückgezogen, nachdem er Cory begrüß t hatte, und kam nur zum Vorschein, um Mrs. Brown um Toast und Kaffee für sie beide zu bitten. Cory war insgeheim froh darüber. Erst als sie fertig gegessen hatte, legte er die Zeitung beiseite. „Ich möchte mit dir über etwas sprechen." Er schien völlig entspannt zu sein, gerade so, als hätte er die Ereignisse des vergangenen Tages schon wieder vergessen. „Worüber?" fragte sie betont locker und zog die Augenbrauen hoch. „Ich möchte nicht, dass du kündigst." Natürlich nicht, dachte sie. Max war es gewohnt, für Geld alles zu bekommen, was er wollte - sogar eine perfekt organisierte Party. Wenn seine Sekretärin plötzlich kündigte und keine eingearbeitete Nachfolgerin zur Hand war, war das für ihn eine mittlere Katastrophe. „Ich trage die Schuld an allem, was passiert ist. Es war ein unverzeihlicher Fehler, dich hierher zu bringen", fuhr er gelassen fort. „Aber ich sehe keinen Grund, warum wir nicht weiterhin zusammenarbeiten können. Du bist eine ausgezeichnete Arbeitskraft, Cory, und was du gestern Abend gesagt hast ... das hast du doch nicht wirklich ernst gemeint. Du kennst mich ja nicht einmal. Diese Sache mit Leslie, der Umzug in die Großstadt, die neue Arbeit - das alles hat dich eben ein wenig durcheinander gebracht." Das reicht, dachte sie. Die Erniedrigung, ihre Gefühle vor Max bloßgelegt zu
haben, war schlimm genug zu ertragen. Doch dass er mit ihr sprach, als wäre sie ein Schulmädchen, das seinen Klassenlehrer anhimmelte, brauchte sie sich nicht gefallen zu lassen. Cory setzte sich sehr gerade hin und sammelte all ihre Kräfte, um sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen. „Es gibt nichts mehr darüber zu sagen, Max. Ich bleibe bei meiner Kündigung. Selbstverständlich werde ich aber meine Nachfolgerin einarbeiten. Ich weiß ja, wie ungern du dich mit diesen Dingen befasst." Max stieß einen unterdrückten Fluch aus. „Hör auf damit. Ich will nicht, dass du Hunter Operations verlässt!" Er sah sie auf dieselbe Art an wie am Tag zuvor am Pool, als er gesagt hatte, sie sei einzigartig. Cory stockte der Atem. Emp fand Max vielleicht doch mehr für sie, als er zugeben wollte? „Warum nicht?" fragte sie sanft. Er blickte sie eine Weile lang schweigend an, und sie zwang sich mit aller Macht, sich die jäh aufkeimende Hoffnung nicht anmerken lassen. Plötzlich war Max' Miene wieder undurchdringlich. „Weil du, wie gesagt, eine ausgezeichnete Kraft bist. Und außerdem kommen wir gut miteinander aus." Glaubte er etwa, dass er sie damit überreden konnte? „Und ich bin nicht langweilig", fügte sie ausdruckslos hinzu. „Genau." Du Mistkerl, dachte Cory. Sie stand auf und sagte mit unbewegter Miene: „Tut mir Leid, aber das reicht mir nicht. In vier Wochen verlasse ich Hunters Operations. Du solltest dich besser nach einer Nachfolgerin umsehen, denn ich werde meine Meinung nicht ändern." „Du wirst nicht so einfach eine neue Stelle finden", wandte er ein. „Das ist mein Problem, nicht deins", erwiderte sie kühl. „Du willst also reumütig zu deinem Loverboy zurückkehren?" „Was ich tue und lasse, geht nur mich etwas an, Max." Wie konnte er es wagen? Eine Weile blickte er sie schweigend an. Corys Herz schlug heftig, und sie hielt den Atem an. Nach einer Zeit, die ihr endlos erschien, sagte er betont kühl: „Also gut, Cory, ich akzeptiere deine Kündigung. Es wäre nett, wenn du dich mit unseren gewohnten Vermittlungsagenturen in Verbindung setzen und die drei besten Kandidatinnen für mich aussuchen würdest." Er warf ihr einen letzten Blick zu und wandte sich dann um. „Ja." Cory war blass geworden und zitterte am ganzen Leib, während er aus dem Zimmer ging. Wie hatte sie nur glauben können, dass er sich in sie verliebt hätte? Sie blieb noch eine Weile stehen und blickte starr vor sich hin. Als Mrs. Brown eintrat, ging Cory schnell nach oben, um ihre Jacke und ihre Handtasche zu holen. Max wollte nur ihren Körper - und nur nach seinen eigenen Bedingungen. Damit würde sie sich ein für alle Mal abfinden müssen. Die folgenden vier Wochen waren die schwersten in Corys Leben. Die Leute bei den Vermittlungsagenturen waren äußerst hilfsbereit. Doch angesichts der Tatsache, dass ihre Nachfolgerin so kurzfristig zu arbeiten anfangen und über sehr hohe Qua lifikationen verfügen musste, war es nicht leicht, eine geeignete Kraft zu finden. Trotzdem schaffte Cory es, Max innerhalb kurzer Zeit drei passende Kandidatinnen vorzustellen: Eine Sechsundzwanzig- jährige, die aussah wie ein Model und unglaublich gute Empfehlungen mitbrachte, eine elegante Blondine, die sich sicher nicht von Max einschüchtern lassen würde, und eine mütterlich wirkende Mittfünfzigerin, die zwanzig Jahre lang für ein Unternehmen gearbeitet hatte, das Bankrott gemacht hatte.
Cory verspürte eine wilde Freude, als Max sich für die dritte Kandidatin entschied. Doch schon bald kam ihr die Erkenntnis, dass sie keinen Anlass zur Freude hatte. So oder so werde ich Max nie wieder sehen, dachte sie ernüchtert. An einem Samstagmorgen, nachdem sie ihre Nachfolgerin Bertha Cox bereits zwei Wochen eingearbeitet hatte, erwachte Cory mit dem starken Wunsch nach liebevoller elterlicher Fürsorge. Und so packte sie schnell einige Sachen ein und brauste mit ihrem kleinen roten Auto nach Hause. Sie erzählte ihren Eltern alles, die voller Verständnis waren. Sie unterhielten sich viele Stunden lang, und Cory ließ sich nach Herzenslust verwöhnen. Am Sonntag, als sie gerade beim Mittagessen saßen, blickte ihr Vater plötzlich auf und sagte unvermittelt: „Ich hab's! Tante Mildreds Cottage - dass ich darauf nicht schon eher gekommen bin!" Cory blickte ihn verständnislos an. In diesem Moment war an der Haustür Leslies unverkennbares Klopfen zu hören. Seit ihrer Ankunft war er bereits fünf Mal vorbeigekommen, und sie hatte sehr unhöflich werden müssen, um ihn loszuwerden. Sie seufzte. „Ich schicke ihn weg." Ihre Mutter ging zur Haustür. „Tante Mildreds Cottage in Shropshire", wiederholte ihr Vater mit gedämpfter Stimme, als würde das alles erklären. „Was ist damit?" fragte Cory geduldig. „Sie ist gerade für drei Monate auf einer Kreuzfahrt, schmeißt ihr ganzes Geld zum Fenster hinaus, das verrückte alte Huhn, und sie hat ihr Cottage in dieser Zeit den anderen Familienmitgliedern zur Verfügung gestellt. Das ist genau das Richtige für dich - ruhig und friedlich." Ihr Vater strahlte sie an. „Dad, ich weiß nicht ..." „Du wolltest dich doch erholen, bevor du eine neue Arbeit anfängst. Hast du genug Geld, um für ein paar Monate die Miete für dein Apartment in London zu bezahlen?" Cory nickte. Ihr Bankkonto wies ein solides Guthaben auf. „Siehst du, dann gibt es doch gar kein Problem. Nach der Hochzeit kannst du einfach wieder nach London ziehen." Sie seufzte. Ich werde wirklich etwas Erholung brauchen, um diese Hochzeit zu überstehen, dachte sie. „Überleg es dir. Du brauchst Ruhe und Frieden, und beides wird Leslie dir nicht lassen, solange du hier bist." Cory nahm es sich zu Herzen und dachte darüber nach. Aber erst an ihrem letzten Tag bei Hunter Operations entschied sie sich endgültig. Sie hatte sich unzählige Male vorgestellt, wie dieser Tag verlaufen würde. Doch so schlimm, wie er wirklich wurde, hatte sie es sich in ihren schlimmsten Albträumen nicht ausgemalt. Max verhielt sich ihr gegenüber seit einigen Tagen so kühl, dass Bertha Cox, Corys Nachfolgerin, ihnen schon merkwürdige Blicke zugeworfen hatte. Doch bis Freitag, ihrem letzten Arbeitstag, hatte Cory sich wacker geschlagen. Aber als sie um fünf Uhr ihre Jacke anzog, um gemeinsam mit Bertha das Büro zu verlassen, steckte Max den Kopf zur Tür herein und teilte ihr beiläufig mit, dass er gern noch einmal mit ihr reden würde, bevor sie ging. Cory verspürte ein flaues Gefühl im Magen, ließ sich aber nichts anmerken. „Ich verabschiede mich schon einmal von Ihnen, Cory", sagte Bertha eilig. „Ich erwarte heute die ganze Familie zum Essen und muss schnell nach Hause." Sie umarmte Cory flüchtig und war gegangen, bevor diese etwas erwidern konnte. Fantastisch, vielen Dank, Bertha. Cory fühlte sich im Stich gelassen, konnte Berthas Verhalten jedoch gut verstehen. Sie atmete tief ein, klopfte an die Verbindungstür und betrat Max' Büro. Als Erstes sah sie eine Flasche Champagner und zwei Gläser. Max saß an
seinem Schreibtisch und lächelte. Seine goldbraunen Augen leuchteten, und es gab ihr einen Stich ins Herz. „Du dachtest doch wohl nicht, dass ich dich so einfach gehen lassen würde?" fragte er sanft. „Setz dich zu mir, Cory", forderte er sie auf, da sie noch immer wie versteinert an der Tür stand. „Ich bleibe lieber stehen", erwiderte sie, obwohl sie sehr wackelig auf den Beinen war. „Bitte." Er stand auf, nahm sie beim Arm und führte sie zu einem Stuhl vor seinem Schreibtisch. Dann goss er Champagner in zwei Gläser und reichte ihr eins. Mit einem strahlenden Lächeln hob er sein Glas. „Auf uns." „Auf uns?" Verzweifelt hoffte Cory, dass das Unmögliche geschehen war und Max eingesehen hatte, dass er nicht ohne sie leben konnte. Seine Stimme war sanft und ein wenig rau. „Von jetzt an bist du nicht mehr meine Sekretärin, und ich bin nicht mehr dein Chef. Wir können uns also ganz unbefangen näher kennen lernen und uns dabei so viel Zeit lassen, wie wir wollen. Du kannst doch nicht leugnen, dass wir einander begehren." „Du meinst, dass ich dich nicht liebe, sondern nur begehre", entgegnete Cory leise. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. „Aber du irrst dich. Immerhin werde ich dir keinen Vorwurf machen können, denn du hast mich ja vorgewarnt, nicht wahr?" „Cory, hör mir bitte zu." Er stellte das Glas ab und zog sie an sich. „Ich begehre dich so sehr, dass ich kaum noch einen klaren Gedanken fassen kann", sagte er heiser. „Und ich weiß, dass du ebenso empfindest. Das kannst du doch nicht abstreiten." Er zog sie noch enger an sich. Cory war entschlossen, stand haft zu bleiben, doch ihre Liebe war stärker als ihre Vernunft. Als er sie küsste, schmolz ihr Widerstand dahin. Eine Welle des Begehrens durchflutete sie, und all die Gründe, die dagegen sprachen, sich mit Max einzulassen, waren vergessen. Einen Moment lang war sie geneigt, das zu nehmen, was er ihr geben konnte, und sich über die Zukunft keine Gedanken zu machen. Max küsste sie voller Leidenschaft. Er ließ die Hände über ihren Körper gleiten und entfachte ein Feuer der Begierde in ihr. Cory stöhnte leise auf. Doch plötzlich vernahm sie eine leise innere Stimme, die sie davor warnte, sich ihren Gefühlen vollends hinzugeben. Max bot ihr eine leidenschaftliche Affäre an, aber keine Liebe. Die Tür zu seinem Herzen war seit langem verschlossen, und vielleicht würde sie sich nie wieder öffnen. Cory verlangte nicht, dass er ihr ewige Liebe schwor oder einen Heiratsantrag machte. Doch ohne seine Liebe, ohne den Schlüssel zu seinem Herzen hätte sie nichts. Sie würde nicht glücklich mit ihm werden. Cory wusste, was sie tun musste, auch wenn es ihr das Herz brechen würde: Sie musste ihm für immer Lebewohl sagen -und ihr Leben allein weiterleben. Und je eher sie es hinter sich brachte, umso besser. Max schien zu spüren, dass etwas in ihr vorging. „Cory?" fragte er leise. „Was ist mit dir?" Sanft löste sie sich aus seiner Umarmung und trat einen Schritt zurück. „Ich kann mich nicht auf eine Affäre mit dir einlassen, Max. Ich liebe dich zu sehr. Bitte versuch nicht, mit mir Kontakt aufzunehmen. Ich werde meine Meinung nicht ändern." Sie musste ihm ihre Entscheidung ein für alle Mal klarmachen, damit er seine Verführungsversuche aufgab. Denn sie wusste nicht, ob sie ihm nicht doch eines Tages erliegen würde. „Das kann ich nicht glauben." Max sah überrascht und verärgert aus, doch da war noch etwas anderes, ein Ausdruck in seinen Augen, den sie nicht deuten
konnte. „Du kannst mich nicht erpressen, Cory", sagte er kühl. „Falls du glaubst, dass ich dich heiraten werde, wenn ..." „Das reicht." Eben noch hatten Schmerz und Verzweiflung sie fast zerrissen, doch jetzt verspürte Cory nur noch eine unbändige Wut. Sie musste sich beherrschen, um sich nicht auf ihn zu stürzen und ihn zu ohrfeigen. „Ich würde dich nicht einmal dann heiraten, wenn du der einzige Mann auf der Welt wärst, Max." Ihre Stimme zitterte. „Ich liebe dich, ich werde dich wohl immer lieben, aber mit dir verheiratet zu sein wäre ein Albtraum. Du hast dein Herz verschlossen und bist zu feige, um dich deinen Gefühlen zu stellen. Ich will dich nicht erpressen, Max", fügte sie voller Verzweiflung hinzu, „ich sage dir Lebewohl." Sie wandte sich zum Gehen. An der Tür drehte sie sich noch einmal um. „Ich weiß, dass du eine schwere Kindheit hattest, und was damals mit Laurel passiert ist, war schrecklich. Aber das alles ist viele Jahre her. Und wenn du dein Leben nicht änderst, wirst du einsam und verbittert werden." Sie wartete darauf, dass er ihr eine sarkastische Antwort ge ben würde. Doch er schwieg, und nur seine Augen funkelten wütend. Cory sagte Lebewohl - das hatte sie bereits vor drei Wochen an jenem Morgen ihn Max' Haus getan. Sie ging hinaus und zog die Tür leise hinter sich ins Schloss. Bis sie auf die belebte Straße trat, rechnete sie damit, dass Max versuchen würde, sie aufzuhalten. Sie nahm weder die vielen Menschen um sie her wahr noch die Wärme des sonnigen Augusttages. Wie sollte sie es nur ertragen, Max nie wieder zu sehen? Seine Augen hatten vor Wut gefunkelt - sicher hasste er sie jetzt. Doch Cory hatte endgültig einen Schlussstrich ziehen müssen, denn offensichtlich betrachtete Max es als Herausforderung, sie zu erobern. Tränenblind lief sie umher. Als sie das dritte Mal mit jemandem zusammenstieß, blieb sie stehen, atmete tief ein und versuchte, sich zu beruhigen. Ich werde zu Tante Mildreds Cottage fahren, entschloss sie sich. Sie konnte sich nichts anderes vorstellen, was ihr genug Kraft geben könnte, um die nächste Hürde zu überwinden - die Hochzeit von Leslie und Carole. Weiter wollte sie noch nicht denken, denn sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie ihr Leben danach bewältigen sollte.
10. KAPITEL Es war Mitte September. Cory war noch am Abend ihres letzten Arbeitstages zum Cottage ihrer Tante gefahren. Da Tante Mildred Telefone als furchtbare Erfindung der mo dernen Welt betrachtete, die nur ihre Ruhe und ihren Frieden störten, war Cory einige Male in das nächste Dorf gewandert, um von dort aus ihre Eltern anzurufen. Von diesen seltenen Gelegenheiten abgesehen, hatte sie in den vergangenen drei Wochen mit niemandem gesprochen. Doch die stille, friedliche Ab geschiedenheit und die unberührte Natur, die das Cottage umgab, waren genau das gewesen, was sie gebraucht hatte. Cory hatte zu Fuß die umliegenden Täler erkundet und am Fluss dem leisen Rauschen des Wassers und dem Klopfen der Spechte gelauscht. Inmitten von Gänseblümchen, Kornblumen und wilden Orchideen hatte sie zugesehen, wie die Lerchen am Himmel ihre Bahnen zogen, und den Duft des frischen Grases eingesogen. Erst abends, wenn die Schatten länger wurden und es zu dämmern begann, war sie einen der heckenumsäumten Pfade entlang zurück zu „The Honeypot" gegangen, wie das kleine Cottage genannt wurde. Ihr Abendessen, das aus Huhn oder frisch geräuchertem Schinken, jungen Kartoffeln, Salat und anderem frischem Gemüse bestand, hatte sie in Tante Mildreds Garten gegessen, wo sich das Geißblatt an den Bäumen emporrankte und die warme Abendluft erfüllt war vom Gesang der Amseln, Rotkehlchen, Finken, Drosseln und Zaunkönige. Jeden Morgen war sie bei Sonnenaufgang aufgestanden, hatte sich über den strahlend blauen Himmel und die weißen Schäfchenwolken gefreut und in Gedanken Tante Mildred gedankt, dass sie, Cory, in ihrem Cottage Zuflucht suchen durfte. In der ersten Zeit hatte sie ständig voller Sehnsucht an Max gedacht und nachts nicht schlafen können. Der Schmerz über das, was geschehen war, war nicht vergangen. Doch sie hatte schließlich eingesehen, dass sie nicht anders hatte handeln können. Und auch die romantische, friedliche Atmosphäre des Cottage hatte dazu beigetragen, dass es ihr mit jedem Tag ein wenig besser ging. Cory warf einen letzten Blick auf den romantischen kleinen Garten, in dem die Bienen summten und Kletterrosen sich emporrankten. Morgen würden Leslie und Carole heiraten. Es war an der Zeit, ins wirkliche Leben zurückzukehren. „Carole, du siehst wirklich wunderschön aus." Cory hatte gerade die letzten Rosenknospen in Caroles blonden Locken befestigt und sich vergewissert, dass der üppige Chiffonschleier festsaß. „Danke." Die Braut hatte vor, Rührung feuchte Augen. Sie nahm Corys Hand und sagte mit zittriger Stimme: „Ich bin dir so dankbar, dass du mir Leslie nicht weggenommen hast. Ich weiß, dass du es gekonnt hättest. Aber als er merkte, dass du nicht wolltest, haben wir uns ausgesprochen, und ich bin mir sicher, dass wir sehr glücklich miteinander werden." „O Carole." Leslies Verlobte hatte also von seinem Besuch in London gewusst! Ruhig erwiderte Cory: „Er kann sich glücklich schätzen, dich zur Frau zu nehmen." Sie meinte es ernst. Carole liebte ihren Verlobten über alles, und sie schä mte sich nicht, es zu zeigen. Die beiden würden eine glückliche Ehe führen. Die anderen Brautjungfern, zwei Cousinen von Leslie im Grundschul- und Teenageralter, kamen herein. Auch sie trugen bereits ihre leuchtend rosa Kleider. Es wurde Zeit, zur Kirche zu fahren. Cory warf nur einen flüchtigen Blick in den Spiegel. Sie wusste, dass das rosa Kleid mit dem weiten Tüllrock ihr ebenso wenig stand wie die Rosenknospen in ihrem Haar. Doch als sie vor der Kirche vorfuhren,
zwang sie sich, zumindest für den Fotografen zu lächeln. Angesichts der Tatsache, dass sie Max nie wieder sehen würde, war ein Kleid, in dem sie wie ein Knallbonbon aussah, ein geringes Problem. Cory lächelte in die Kamera, bis ihr Blick auf eine große, dunkle Gestalt fiel, die neben der Kirche stand. „Wir machen ein paar Bilder neben dem Portal, um diese wundervollen Kleider richtig zur Geltung zu bringen", wies der Fotograf sie an. Wie benommen folgte Cory den anderen beiden Brautjungfern. „Cory?" Max' tiefe Stimme ließ sie insgeheim erbeben. Sie hatte mit gesenktem Kopf an ihm und den anderen Hochzeitsgästen vorbeigehen wollen. Doch jetzt verspürte sie den festen Griff einer Hand auf ihrem Arm. Sie hob den Kopf und blickte Max in die goldbraunen Augen. „Was ... was tust du hier?" fragte sie mit zittriger Stimme. „Ich habe auf dich gewartet", antwortete er sanft. „Max, wir haben einander alles gesagt, was es zu sagen gibt, und ..." „Ich weiß", erwiderte er leise und sah sie voller Sehnsucht an. „Und du hast eigentlich einen Besseren verdient als mich. Seit drei Wochen suche ich nach dir. Hat dein Vater dir das nicht erzählt?" „Du hast mit meinem Vater gesprochen?" Ungläubig blickte sie ihn an. „Er wollte mir nicht sagen, wo du warst", erzählte Max trocken. „Und er hat mir eine ziemliche Standpauke gehalten, was ich ihm nicht verdenken kann. Aber dann habe ich doch in Erfahrung gebracht, dass du dir für die Hochzeit eine Woche Urlaub genommen hattest. Also habe ich gewartet und bin hergekommen." Cory zitterte am ganzen Leib, doch sie zwang sich, vernünftig zu bleiben. Dass Max hergekommen war, hatte nichts zu bedeuten. Sie kannte seine Ansichten über Liebe und Treue. Daran hatte sich nichts geändert. „Cory, wir müssen miteinander reden." „Ich bitte Sie, meine Liebe", ermahnte der Fotograf sie. Die anderen beiden Brautjungfern warteten bereits vor dem Kirchenportal. „Die Braut wird jeden Moment ankommen. Können Sie nicht später mit dem Gentleman sprechen?" „Nein, der Gentleman -will jetzt mit ihr sprechen", entgegnete Max ungeduldig und sah ihn an, als wäre er ein lästiges Insekt. Doch der Fotograf ließ sich in sein Handwerk, das er als hohe Kunst betrachtete, von niemandem hineinpfuschen auch nicht von Max Hunter, der ihn um gut einen Kopf überragte. „Ich werde Sie persönlich dafür verantwortlich machen, wenn die Fotografien nicht zu Stande kommen", empörte er sich. „Zum Teufel mit Ihren Fotografien!" Zum ersten Mal klang Max wie er selbst. „Max, bitte geh jetzt. Du darfst Carole nicht den Hochzeitstag verderben." Das Wortgefecht zwischen Max und dem Fotografen hatte bereits für mehr Aufmerksamkeit gesorgt, als Cory lieb war. „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich dich nicht mehr wieder sehen möchte." Ich liebe dich zu sehr ... „Und ob du das möchtest. Du liebst mich doch", erwiderte er sanft, aber energisch. Alle Menschen in ihrer Nähe schienen angespannt zu lauschen. Niemand sagte ein Wort. Sie sah ihn an, und es gab ihr einen Stich ins Herz, als ihr bewusst wurde, dass sie nie wieder einen Mann so lieben würde wie ihn. „Ich meine es ernst, Max. Ich will dich nicht mehr sehen." Dann wandte sie sich um und folgte dem Fotografen zur Kirche. Die Trauung war die reinste Qual für Cory, doch sie lächelte und ließ sich nichts anmerken. Sie fragte sich, warum Max hergekommen war, und wagte es nicht, sich umzudrehen und nachzusehen, ob er ihr in die Kirche gefolgt war. Eigentlich müsste ich wütend auf ihn sein, dachte sie. Doch als sie Max erblickt hatte, hatte eine ungestüme Freude sie überwältigt.
Es erschreckte Cory, wie stark ihre Gefühle für Max noch immer waren. Während Leslies Onkel eine etwas in die Länge gezogene Ansprache hielt, erinnerte sie sich immer und immer wieder daran, dass sich zwischen ihr und Max nichts geändert hatte. Eine Beziehung mit ihm würde bedeuten, dass sie ständig zwischen höchstem Glück und tiefster Verzweiflung hin- und hergerissen wäre. Und wenn er sich von ihr trennen würde - und irgendwann würde er es tun -, wäre sie am Boden zerstört. Aber er ist doch meinetwegen hergekommen. So schnell dieser Gedanke gekommen war, so schnell verdrängte sie ihn wieder. Er war nur gekommen, weil er immer noch hoffte, sie ins Bett locken zu können. Die Handlungen der meisten Männer wurden nicht von ihrem Kopf, sondern von einem ein ganzes Stück tiefer sitzenden Organ aus gesteuert. Und Max war da sicher keine Ausnahme. Warum hatte er nur ausgerechnet jetzt kommen müssen? Wann immer sie sich während der vergangenen Wochen vorgestellt hatte, Max noch einmal zu begegnen, war sie in ihren Gedanken stets perfekt gekleidet und frisiert gewesen. Und jetzt sah sie mit dem leuchtend rosa Kleid, den Rosenknospen im Haar und dem wenig dezenten Make- up aus wie eine Zirkusprinzessin. Vielleicht ha tte er ihren Anblick so schrecklich gefunden, dass er schon wieder gefahren war? Bei diesem Gedanken durchfuhr sie ein scharfer Schmerz. Cory schloss für einen Moment die Augen und wünschte, der Gottesdienst wäre endlich vorbei. Als schließlich der Hochzeitsmarsch ertönte und Carole an Leslies Seite strahlend zum Ausgang schritt, nahm Cory wie automatisch den Arm von Leslies Trauzeugen John. Sie rang sich ein Lächeln ab und folgte dem Brautpaar, ohne nach rechts und links zu blicken. Und auc h während sie sich vor der Kirche noch einmal alle gemeinsam fotografieren ließen, wagte sie es nicht, den Blick suchend über die Menschenmenge gleiten zu lassen. Die Hochzeitsfeier sollte in der Festhalle des Städtchens stattfinden, die bequem zu Fuß erreicht werden konnte. Als Cory sich mit den beiden anderen Brautjungfern auf den Weg machen wollte, blieb sie plötzlich wie angewurzelt stehen. An der Straße, die zur Kirche führte, parkte ein tiefroter Ferrari. Ein Ferrari. Die Wagentüren öffneten sich, und ein großer, schlanker Mann stieg aus. „Cory", sagte Max leise, „bitte warte einen Moment." Cory wies auf die Festhalle, die auf der anderen Straßenseite lag. „Ich ... ich muss zur Hochzeitsfeier", erwiderte sie stockend. „Ich werde nicht wegfahren, bevor wir miteinander gespro chen haben", entgegnete er unnachgiebig. Unfähig, etwas zu sagen, sah sie ihn an. Etwas in seiner Stim me hatte eine ungestüme Hoffnung in ihr geweckt. Doch sie wagte nicht, daran zu glauben. Cory merkte, dass die beiden anderen Brautjungfern noch immer abwartend neben ihr standen. Betont ruhig stellte sie ihnen Max vor. „Jennifer, Susan, dies ist Max, ein ... Freund von mir. Max, dies sind Jennifer und Susan." „Sehr erfreut." Er warf den beiden ein flüchtig es Lächeln zu. Sie wurden rot und lächelten ebenfalls. „Ich darf Cory sicher für einen Moment entführen, nicht wahr?" „Nein, das darfst du nicht, Max", protestierte sie, doch er hatte sie bereits am Arm genommen und zu einer kleinen Bank unter einer riesigen Buche gezogen. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist?" Cory versuchte, hart zu bleiben, doch es fiel ihr schwer. Max sah einfach umwerfend aus. Er trug eine anthrazitfarbene Hose und eine schwarze Lederjacke, die seinen dunklen Teint und die schwarzen Haare noch stärker hervorhoben. Doch was sie wirklich ge fangen hielt, waren seine
Stimme, die fast unmerklich zitterte -und der gequälte Ausdruck seiner Augen, den sie während der vergangenen Wochen nur zu oft auf ihrem eigenen Gesicht gesehen hatte. „Bitte, Cory, du musst mir zuhören", sagte er leise. „Ich ... ich liebe dich. Ich hätte es dir sofort sagen müssen, als ich dich hier wieder sah. Aber es ist das erste Mal, dass ich diese Worte sage, und es fällt mir nicht leicht." „Nein." Cory schüttelte den Kopf. Eine Rosenknospe fiel ihr aus dem Haar. „Du weißt selbst, dass du mich nicht liebst. Bitte sag so etwas nicht." Ich werde nicht weinen, schwor sie sich insgeheim. „Doch, Cory, ich liebe dich wirklich." Jetzt zitterte seine Stimme nicht mehr. „Das musst du mir glauben - und wenn ich den Rest meines Lebens damit verbringen werde, dich davon zu überzeugen. Ich habe lange gegen meine Gefühle angekämpft, aber sie sind zu stark. Ich will dich, Cory. Nicht nur für einen Monat oder ein Jahr ich will dich für den Rest meines Lebens. Für immer." „Nein." All der Schmerz, den sie seinetwegen erlitten hatte, sprach aus ihrem Gesicht, als sie flüsterte: „Du kannst mich unmöglich lieben. Als ich dir gesagt habe, was ich für dich empfinde, wolltest du mich zu Leslie zurückschicken." Noch nie hatte jemand sie so verletzt. „Ich hätte niemals zugelassen, dass du zu ihm zurückgehst", erwiderte Max rau. „Aber zu diesem Zeitpunkt versuchte ich noch, mir einzureden, du würdest mir nicht mehr bedeuten als all die anderen Frauen. Ich hatte. Angst vor meinen eigenen Gefühlen, doch ich hätte niemals zugelassen, dass er dich berührt - eher hätte ich ihn umgebracht. Was ich für dich empfinde ..." Er atmete tief ein und schüttelte den Kopf. „Es ist so intensiv, so übermächtig - ich habe noch nie etwas Derartiges erlebt, und es erschreckt mich." Er schien verwirrt und ratlos, doch Cory wagte es nicht, ihm zu glauben. Sie hatte zu oft miterlebt, wie er andere Menschen manipulierte und skrupellos für seine Zwecke ausnutzte. „Du hast mir selbst gesagt, dass Liebe nicht existiert", wandte sie mit zittriger Stimme ein. „Woher willst du also wissen, ob das, was du empfindest, wirklich Liebe ist? Und was hat dich dazu gebracht, deine Meinung zu ändern?" „Du", antwortete er sanft. „Du warst es, Cory. Und dann bist du verschwunden, und mir wurde klar, dass ich ohne dich nicht leben kann. Ich weiß, was ich fühle, aber ich weiß nicht, wie ich mit diesen Gefühlen umgehen soll. Ich habe noch nie jemanden so geliebt. Die vergangenen drei Wochen waren die schlimmsten meines Lebens", sagte er gequält. Sie sah ihm in die Augen - in seine wunderschönen bernsteinfarbenen Augen, die so hart und gefühllos blicken konnten. Doch jetzt drückten sie nichts weiter aus als Verzweiflung und Schmerz. Sein Blick berührte etwas tief in ihr. Max hatte nach ihr gesucht. Er war zu ihr gekommen. „Ich liebe dich, Cory", wiederholte er mit bebender Stimme. „Ich weiß nicht, wie ich es dir beweisen soll. Aber ich möchte mit dir alt werden und Kinder haben und Hunde und Katzen und alles, was dazu gehört. Aber für mich ist es ein großer Schritt ins Ungewisse. Verdammt, ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll..." „Max. .." „Nein, sag nichts, bis ich dich überzeugt habe", unterbrach er sie voller Leidenschaft. „Du hast gesagt, es wäre sicher ein Albtraum, mit mir verheiratet zu sein, und vielleicht hast du Recht. Ich kann dir nur versprechen, dass ich nie aufhören werde, dich zu lieben. Ich werde ganz und gar dein sein, Cory - mit Leib und Seele." „Max ..." „Auch wenn du mich wegschickst, werde ich nicht aufgeben." Das klang flehend und kämpferisch zugleich. „Ich habe viele Frauen begehrt, aber es hat mir nie etwas
bedeutet. Doch die Liebe, die ich für dich empfinde ..." Max versagte die Stimme. Er schluckte und fuhr dann fort: „Sie bringt mich fast um den Verstand ... und doch wäre es noch schlimmer, ohne sie leben zu müssen." „Ich weiß", sagte Cory sanft. „Als du an deinem letzten Tag das Büro verlassen hast, wurde mir klar, dass ich einen großen Fehler begangen hatte", fuhr Max rau fort. „Ich fuhr zu deiner Wohnung, aber dort warst du nicht mehr. Ich habe Höllenqualen ausgestanden, weil ich befürchtete, dich wieder in Leslies Arme getrieben zu haben." Cory wusste, dass Max annahm, sie hätte bereits mit Leslie und mit anderen Männern geschlafen. Und sie wusste ebenfalls, dass er erfahrene Liebhaberinnen sehr schätzte. Sie war sich nicht sicher, wie er auf das reagieren würde, was sie ihm sagen musste - also würde sie es schnell hinter sich bringen, bevor sie der Mut verließ. „Max, ich habe nicht mit Leslie geschlafen - ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen." „Wirklich nicht?" Max war überrascht, doch in seinen Augen las Cory noch etwas anderes, und ihr Herz klopfte vor Freude wie wild: tiefe Dankbarkeit - und männlichen Besitzerstolz. Es machte ihm also nichts aus, dass sie nicht so erfahren war wie die anderen Frauen. „ Ich bin hergekommen, um dir zu sagen, dass du zu mir gehörst und dass ich dich liebe, Cory." Um seinen Mund zuckte es leicht. „Und um dich zu bitten, mir zu verzeihen." Er hatte sie bisher nicht ein einziges Mal berührt, doch nun umfasste er ihr Gesicht und sah sie eindringlich an. „Du darfst nicht Nein sagen, Cory. Bitte gib mir noch eine zweite Chance." Ihr war nicht bewusst gewesen, dass sie weinte, bis er ihr behutsam die Wangen trocken wischte. Unter Tränen lächelte sie und sagte: „Weil der Chef immer Recht hat?" Er sah sie abwartend an. Die Ungewissheit schien an ihm zu nagen. „Cory?" Sie gab ihm die einzig mögliche Antwort. „Ich liebe dich, Max. Und ich werde dir beibringen, wie du mir deine Liebe zeigen kannst - mir und unseren Kindern und Enkeln und ..." Dann lag sie in seinen Armen. Sie küssten sich und schmiegten sich eng aneinander. Es war ein inniger, leidenschaftlicher KUSS, und Cory verschwendete keinen Gedanken daran, dass sie an einem Septembernachmittag auf einer Bank neben der Kirche saßen. Sie konnte nur noch daran denken, dass Max sie liebte. Er liebte sie, und er hatte nach ihr gesucht und auf sie gewartet... Nur für einen kurzen Moment löste Max die Lippen von ihren. „Ich möchte, dass du meine Frau wirst", sagte er. „So bald wie möglich." „Hast du Angst, du könntest einen Rückzieher machen, wenn du länger darüber nachdenkst?" neckte sie ihn. „O nein." Voller Zärtlichkeit blickte er sie an. „Aber ich möchte die anderen Männer auf Abstand halten. Du bist zu schö n und zu begehrenswert, um ohne einen Ehering herumzulaufen." Corys Wimperntusche war verlaufen, ihre Nase hatte mittlerweile sicher dieselbe leuchtend rosa Farbe wie das entsetzliche Kleid, und ständig lösten sich Rosenknospen aus ihrem Haar. Doch was machte das aus, solange Max sie schön und begehrenswert fand? Sie lächelte. Mit leuchtenden Augen sah sie ihn an, und sein Herz zog sich vor Zärtlichkeit zusammen. Max ist wirklich ein außergewöhnlicher Chef, dachte Cory überglücklich. Doch als Ehemann würde er einfach unvergleichlich sein. Und so war es auch. - ENDE