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Über dieses Buch »Von einem Thriller ist zu berichten… Der Thriller hat freilich den Vorzug, beklemmend realistisch zu sein. Er handelt vom arabisch-iranischen Krieg des Jahres 1981 nebst nachfolgendem Zusammenbruch des westlichen und nordamerikanischen Energiesystems und damit der kapitalistischen Wirt schaft.« (Frankfurter Rundschau) Bill Hitchcock, erfolgreicher Bankier, Frauenheld, Zyniker und Finanzgenie, glaubt nicht mehr an die Zukunft des westlichen Bankensystems. Er lebt zurückgezogen auf seiner Farm in Kalifornien, bis Saudiarabiens Regierung ihm anbietet, die ungeheuren Ölgewinne des Landes zu verwalten - immer hin 400 Milliarden Dollar! Er nimmt den Job an, gründet mit der geballten Finanzmacht der Ölländer ein internationales Bankenkonsortium und ver setzt die Banken in London, Frankfurt und New York in Angst und Schrek ken. Auf einer seiner Blitzreisen zu den wichtigsten Bankiers der Welt ver liebt er sich in Ursula Hartmann, die Tochter eines der bekanntesten Atom physiker der Schweiz. Von ihr erfahrt er, daß auch seine ölschweren neuen Herren bedroht sind. Die Gefahr kommt aus dem Iran, dessen größen wahnsinniger Herrscher in einem Handstreich das alte persische Weltreich rund um den Persischen Golf zurückerobern will. Für diesen Coup ist ihm jedes Mittel recht. Vor allem braucht er Atomwaffen, und die baut ihm Ursulas Vater. Als schreckenerregende, weil denkbare Zukunftsvision wer den nun die sich überstürzenden Ereignisse geschildert: In Saudiarabien wird die Regierung gestürzt, der Ölminister ermordet, iranische Panzereinheiten besetzen Kuwait und die Ölfelder am Golf. Atomkrieg in Nahost - die »Göt terdämmerung der Industriegesellschaft«! Der Autor von >Crash ‘81< kennt Schauplätze und Finanzgeschäfte, die er beschreibt, besser als jeder andere: Jahrelang war er in den Chefetagen von Banken und Konzernen, in politi schen Machtzentren und Luxushotels zu Hause. So konnte er diesen PolitThriller schreiben, der Amerika seit seinem Erscheinen in Atem hält und von dem Experten überzeugt sind, daß seine uns alle betreffende Schreckensvisi on wesentlich zur Neuorientierung der amerikanischen Energiepolitik beige tragen hat. Der Autor Paul E. Erdman, geboren 1932 in Kanada, wuchs in den USA auf. Er pro movierte an der Universität Basel, war in der Montan-Union tätig und vertrat das Stanford Research Institute in Europa. Bis 1970 leitete er die United California Bank in Basel. Spekulationen seiner Fachleute brachten ihn in Untersuchungshaft. Er kam gegen Kaution frei und verließ die Schweiz, bevor er zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Heute lebt er in Kaliforni en. Im Fischer Taschenbuch Verlag erschien sein Roman: >Der Milliarden Dollar Schnitt< (Bd. 1692).
Paul E. Erdman
Crash ’81 Der große Schock Roman
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1976 unter dem Titel >The Crash of ‘79< im Verlag Simon and Schuster, New York Aus dem Amerikanischen von Hans E. Hausner
Fischer Taschenbuch Verlag 1.- 20. Tausend: Mai 1979 21.- 30. Tausend: September 1979 31.- 50. Tausend: Juni 1980 Ungekürzte Ausgabe Umschlagentwurf: Hannes Jahn Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung des Wolfgang Krüger Verlages GmbH, Frankfurt am Main © 1976 by Daisy Chain International, Inc. Deutsche Ausgabe © Wolfgang Krüger Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1978 Gesamtherstellung: Hanseatische Druckanstalt GmbH, Hamburg Printed in Germany 680-ISBN-3-596-22.606-6 p0t0si
1 Sonoma County, Kalifornien Dezember 1987 Ich habe mich entschlossen, einen Bericht zu Papier zu brin gen über das, was 1982 wirklich geschehen ist - in dem Jahr, da die Welt, wie wir sie kannten, in Stücke brach. Ich bin mir nicht sicher, ob es heute überhaupt noch jemanden interessiert; die Leute hier in Kalifornien sicher am allerwe nigsten. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, daß sie verhungern oder erfrieren wie viele andere. Sie haben ihre Pferde, ihre Weingärten und ihre Betabende. Fischen ist ihnen wichtiger als denken. Weil sie vergessen wollen. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Aber ich will lieber nicht vergessen. Mir gefielen die alten Zeiten, als wir noch Flugzeu ge hatten, Fernsehen, trockene Martinis und Pornographie. Ich gebe es zu. Sicher, es gibt auch heute noch jede Menge Heilige der letzten Tage, die behaupten, es wären Hedonisten wie ich gewesen, die letztlich für das, was geschehen ist, verantwort lich waren; daß wir es waren, die Gottes Zorn auf uns luden uns, das heißt die Welt im allgemeinen und Amerika im be sonderen -, weil wir gar so versessen waren auf die Jagd nach Vergnügen und Geld. Quatsch! Gott hatte nichts damit zu tun. Menschen waren es, die alles ins Rollen brachten, genauer gesagt, eine Handvoll Menschen: der Schah von Persien und Prinz Abdullah von Saudiarabien, um nur zwei der Hauptakteure zu nennen. Aber ohne die Doppelzüngigkeit der Bankiers dieser Welt, die selbstsüchtige Dummheit der Europäer, die Listen der Russen (unserer neuen »Freunde«), die Gier der Schweizer und die namenlose Unfähigkeit der letzten drei Männer im Weißen Haus, insbesondere des Narren, der über den Krach des Jahres ‘82 präsidierte und damit unserem Land den Rest gab, wären selbst diese beiden nahöstlichen Potentaten niemals imstande gewesen, eine Verheerung solchen Ausmaßes anzurichten.
Man ziehe keine voreiligen Schlüsse. Ich bin genauso gläubig wie jeder andere. Das heißt aber nicht, daß ich der Verbreitung von Mythen zustimmen muß, soweit sie unsere unmittelbare Vergangenheit betreffen. Ich glaube nun einmal daran, daß wir es unseren Kindern und Kindeskindern schuldig sind, ihnen die Wahrheit zu sagen. Und die Wahrheit ist, daß es uns, meiner Generation, gelungen ist, unsere Welt so restlos zu vernichten, daß wir ihnen außer Armut und Verwirrung kein Erbe zu hinterlassen haben. Für sie also schreibe ich dieses Buch - nicht aber, wie manche meinen könnten, um mich rein zu waschen. Ich habe zwei Jahre damit verbracht, die Ereignisse der frühen 8oer Jahre wissenschaftlich zu erforschen. Ich habe mit vielen Menschen in unserem Land und in anderen Ländern gespro chen, die an diesen Ereignissen beteiligt und in sie verwickelt waren. Hauptsächlich aber habe ich mich auf mein eigenes Erinnerungsvermögen gestützt. Schließlich war ich ja dabei ganz an der Spitze -, als es geschah. Wo soll ich anfangen? Und mit wem? Der Herbst 1981 scheint mir nicht der schlechteste Zeitpunkt zu sein. Damals begann ich meine Arbeit für die Regierung. Nein, nicht für die amerikanische Regierung. Für die Regierung von Saudiarabien.
2 Ich bin der erste, der zugibt, daß meine Bestellung zum ober sten Finanzberater der saudiarabischen Regierung damals ei nige hochgezogene Augenbrauen hervorrief. Nicht, weil ich Amerikaner war - 1981 wimmelte es in Riyadh von Amerika nern -, sondern weil ich mich einige Jahre lang von der Bühne der internationalen Finanzwirtschaft ferngehalten hatte. Ich war ihr aus eigener freier Wahl ferngeblieben. Schon 1978 war ich zu der Ansicht gelangt, daß die Dinge in Stücke gehen mußten - mit »Dingen« meine ich alles -, und ich wollte nicht Teil dieser Entwicklung sein. Also verkaufte ich meine Ban ken, die in den Vereinigten Staaten sowie auch jene in Über see, trat von allen Aufsichtsratsposten zurück und ließ mich im nördlichen Kalifornien nieder, um mich dem Nichtstun hinzu geben. Ich war 47 Jahre alt und ein freier Mann. Viele Leute hielten mich für einen Exzentriker. Ein brillanter internationaler Bankmann, sagten sie, und: bedauerlich, daß er jetzt angefangen hat, an seine eigenen Weltuntergangstheorien zu glauben! Wie unrecht sie doch hatten! Zurückschauend bedauere ich nur, daß ich meiner ursprünglichen Überzeugung nicht treu blieb. Wie so oft, war es ein Freund, der mich dazu brachte, meine Meinung zu ändern. Diesmal war es Reggie Hamilton. Nicht, daß ich es ihm verdenke. Er meinte es gut - mit mir und mit den Arabern. Ich hatte ihn schon in den 50er Jahren kennenge lernt, bevor ich ins internationale Bankgeschäft einstieg. Da mals arbeitete ich in einer Denkfabrik in Menlo Park, von San Francisco ein Stück die Halbinsel runter. Internationale Wirt schaftsbeziehungen, das war mein Fachgebiet. Reggie war auf dem Energiesektor tätig. Nach ein paar Jahren brach ich meine Zelte ab, aber Reggie harrte aus. Trotzdem blieben wir Freun de - vermutlich darum, weil wir beide, jeder auf seine Art, eine gewisse Prominenz erreicht hatten. Meine Stärke war Geld verdienen, Reggies Gedanken kreisten um Öl. Und damit wären wir bereits bei den Arabern. Als sie in den
frühen 70er Jahren anfingen, die Besitztümer der internationa len Ölkonzerne zu übernehmen, verstanden sie noch nicht sehr viel vom Geschäft. Sie brauchten Hilfe von außen, aber nicht unbedingt von den Burschen der Standard Oil. Ihre Suche nach Talenten konzentrierte sich sehr bald auf Forschungsin stitute, insbesonders in Kalifornien angesiedelte. Forschungs institute, weil sie die Sachkenntnis besaßen und bereit waren, sie an den Höchstbietenden zu verkaufen; Kalifornien, weil die Araber, vor allem die Saudis, dort zu Hause waren. Ein be trächtlicher Teil der jungen Saudi-Elite erwarb seine akademi sche Bildung an den bekanntesten Universitäten der Westküste - Stanford, UCLA, Berkeley. Ich hörte sogar von einem Enkel Faisals, der im College durchgefallen, nach Riyadh zurückge kehrt und dort ein Gebrauchtwagenhändler mit politischen Ambitionen geworden war. Im Jahre 1973 waren die Saudis bereits hinter Reggie her, denn seine akademische Spezialität war die Berechnung der Preiselastizitäten in der Nachfrage nach alternativen Primär energien. Auf gut deutsch: Reggie rechnete aus, um wieviel der Preis von Rohöl und seinen Derivaten wie etwa Benzin innerhalb eines gewissen Rahmens von Parametern (wie etwa der Kohlenpreis) erhöht werden konnte, ohne den Erdölmarkt kaputtzumachen. Und 1973 sagte ihnen Reggie, daß sie den Preis für Rohöl aus dem Persischen Golf vervierfachen konn ten, ohne Gefahr zu laufen, auch nur einen einzigen Kunden zu verlieren. Das taten sie auch, und Reggie behielt recht. Später haben sie unter seiner Anleitung den Preis auf 16 Dollar pro Barrel er höht - und immer noch keinen Kunden verloren. Wenn man so will, war es Reggie gewesen, der diese Kerle reich gemacht hatte. Daher fragten sie ihn natürlich um Rat, als sie 1981 ein Gegenstück zu Reggie auf dem Finanzsektor suchten, einen Mann, der ihnen helfen würde, reich zu bleiben. Und Reggie schlug mich vor. Als er mich anrief, fühlte ich mich geschmeichelt. Und die Sache faszinierte mich. Schließlich schlug er mir ja vor, mein
Wissen an einer Ansammlung von Geld zu erproben, wie es sie in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben hatte. Überdies fing ich an, mich zu langweilen. Ich erklärte mich also einverstanden, mit seinen Freunden, beziehungsweise seinem Freund, wenigstens einmal darüber zu reden. Dieser Freund war Prinz Abdul Aziz al-Kuraishi, Präsident der saudiarabischen Staatsbank. Auf meinen Vorschlag trafen wir uns im Bohemian Club in San Francisco, einer der dortigen Nobelkaschemmen. Ich hielt das Lokal für besonders geeignet für den Fall, daß mein Gast mit Kopfputz, wallendem Gewand und Krummsäbel erscheinen sollte. Wie sich herausstellte, wirkte Reggie viel stärker wie ein Araber als er. Prinz alKuraishis Anzug kam aus der Savile Row, sein Akzent war ein Gemisch aus Cambridge und Oxford mit einem Hauch Stan ford, und er prunkte mit einem gestutzten Schnurrbart a la Sandhurst. Wir trafen uns in der Bar, und als ich al-Kuraishi einen Drink anbot, nahm er nicht nur an, er bestand sogar darauf, daß sein Martini Dry mit gut gekühltem Tanqueray Gin gemixt sein müsse. Ein Araber, der sehr kalten Martini Dry trinkt, kann kein grundschlechter Mensch sein, und das sagte ich alKuraishi auch. Ich fühlte mich versucht, nachzustoßen und ihn zu fragen, ob ich ihn mit Al anreden dürfe, ließ den Gedanken aber wieder fallen, als Reggie warnend eine Augenbraue hochzog. So gingen wir also dazu über, die in San Francisco üblichen Belanglosigkeiten zu wechseln, und bestätigten ein ander, daß das kultivierte Leben in dieser Stadt allem, was New York, Paris oder London zu bieten hatten, weil überlegen war. Reggie und ich waren Berufs-Kalifornier. Der Prinz erlaubte mir nicht, die Führung des Gesprächs an mich zu reißen, wie ich das für gewöhnlich tue; zumindest behauptet das meine geschiedene Frau. Er hielt sich auch nicht bei Belanglosigkeiten auf. Er sprach über die wirtschaftliche Lage in Italien und die Aussichten des englischen Pfunds und wollte wissen, wie ich die Absichten der Russen im Irak ein schätzte. Wir tauschten unsere Meinungen über einige ge
meinsame Bekannte aus: über den englischen Finanzminister (ein Dummkopf); den Aufsichtsratsvorsitzenden des Schwei zerischen Bankvereins (ein Bauer); den Schah von Persien (ein Verrückter). Besser gesagt, ich äußerte meine Ansichten, und der Prinz nickte. Offenbar hatte ich meine Prüfung bestanden, denn mitten im Lunch wechselte al-Kuraishi abrupt die Richtung unseres Ge sprächs - von mir und meinen Meinungen zu Saudiarabien und seinen Problemen. Wenn man dem Prinzen glauben sollte, beruhten sie allesamt auf einer weit verbreiteten Fehleinschät zung: daß die Saudis nicht mehr als ein Haufen blöder arabi scher Nomaden seien, die einfach Glück gehabt hatten. Daraus hatte die Welt den Schluß gezogen, daß man sie mehr oder weniger wie Kinder behandeln müsse. Und da Kinder Bewa cher brauchen, die sie vor ihren eigenen, ihrer Unreife zuzu schreibenden Torheiten schützen, war es ja nur natürlich, daß die zivilisierten Menschen des Westens diese Last auf sich nahmen. Diese Einstellung, versicherte uns al-Kuraishi, war überall die gleiche: in Washington, Bonn, New York und Tokio. Überall! Und damit mußte Schluß sein. Nicht nur war es beleidigend es kostete Saudiarabien gar nicht abzuschätzende Einkünfte. Washington zum Beispiel bot auch weiterhin nur acht Prozent Zinsen für Schatzanweisungen, die es Riyadh verkauft hatte ungeachtet der Tatsache, daß Saudiarabien den Vereinigten Staaten bereits an die 50 Milliarden Dollar geliehen hatte und praktisch ihre zweitgrößte Finanzierungsquelle darstellte, übertroffen nur von den 220 Millionen amerikanischen Steuer zahlern. Wären zehn Prozent unter diesen Umständen nicht ein angemessener Satz? Ich stimmte ihm zu. Aber es waren nicht nur die Regierungen. Die Banken der ganzen Welt, sagte al-Kuraishi, erwarteten von den Saudis, daß sie ihnen Geld zu Sätzen liehen, die volle zwei, manchmal auch drei Prozentpunkte unter dem üblichen Marktniveau la gen. Weil, sagten sie, die Saudis sie mehr brauchten als sie das
Geld der Saudis. Noch beleidigender waren die Banden von Schwindlern und Phantasten, die von überall her mit spleeni gen Investitionsprojekten ins Land geflogen kamen, angefan gen von Goldgruben in Dänemark bis zu Hockeymannschaften in Arizona. Aber nicht nur die Amerikaner und Europäer spielten diese Spiele. Am lästigsten, führte al-Kuraishi weiter aus, waren die Delegationen aus den Dutzenden von verarmten und notlei denden Ländern Afrikas und Asiens, zuzüglich einiger Süd amerikaner. Ihre Überlegung war höchst simpel. Sie brauchten Dollars. Die Araber hatten zu viele Dollars. Beide Probleme ließen sich lösen, indem ihnen die Saudis einfach ein oder zwei Milliarden überließen. Ob das Geld je zurückgezahlt werden würde, spielte keine Rolle. Warum sie sich das so lange hatten gefallen lassen? Es war die persönliche Entscheidung von König Khalid gewesen. Er wollte der Welt zeigen, daß die Politik seines Landes, unge achtet der Ermordung seines Vorgängers Faisal, die gleiche bleiben werde. Es würde keine Radikalisierung geben. Saudia rabien würde ein geduldiges, konservatives, verantwortungs bewußtes und religiöses Land bleiben. Aber genug war genug! Dann kam sein Angebot. Die Saudis hatten beschlossen, in der Finanzpolitik eine harte Gangart einzuschlagen. Sie brauchten einen erstklassigen Pro fi, der auf dem internationalen Geldmarkt zu Hause war und ihnen helfen konnte, mitzumischen. Einen Doktor No, wie alKuraishi sich in einer seltenen Anwandlung von Humor aus drückte. Einer Anregung Reggies folgend, hatten sie Erkundi gungen über mich eingezogen. Ich war der richtige Mann. Sie waren sich der Tatsache bewußt, daß man mich im üblichen Sinn des Wortes nicht kaufen konnte, aber sie waren zu der Überzeugung gelangt, daß mich die Aufgabe reizen würde. Ihr Angebot: der Posten eines obersten Finanzberaters des Königreichs Saudiarabien mit einem jährlichen Entgelt von fünfhunderttausend Dollar. Ich würde dem Staatsrat unter Kö nig Khalid verantwortlich sein und diesem Gremium auf dem
Umweg über al-Kuraishi Rechenschaft ablegen müssen. Das hieß praktisch, daß ich die Vollmacht besitzen würde, über die Geldmittel der saudiarabischen Staatsbank zu disponieren vorbehaltlich eines Vetos durch König Khalid, und den leitenden Prinzipien des Staatsrates unterworfen. Innerhalb der kommenden zwölf Monate erwartete die Staatsbank, über etwa 250 Milliarden Dollar verfügen zu können. Ich nahm das An gebot an. Zwölf Tage später flog ich mit Pan Am nach Beirut. Nach einer geruhsamen Nacht nahm ich die Frühmaschine nach Riyadh.
3 Um Riyadh zu beschreiben, genügen drei Worte: flach, trok ken, heiß. Doch die Limousine, die auf dem Flugplatz auf mich wartete, war klimatisiert; ebenso meine Suite im Hilton und der königliche Palast. Wie es schien, bestand meine erste Pflicht darin, Khalid meine Aufwartung zu machen. Al-Kuraishi stellte mich vor. Die Szenerie war nüchtern, geschäftsmäßig. Khalid saß hinter ei nem Schreibtisch, nicht auf einem Thron. Ich hatte den König nie zuvor gesehen, wohl aber vor einiger Zeit mit seinem Bru der Fahd, dem jetzigen Kronprinzen, zu tun gehabt. Khalid kam gleich darauf zu sprechen und ließ deutlich erkennen, daß er von dem, was Fahd ihm erzählt hatte, angetan war. Der König machte den Eindruck eines zähen und ziemlich humor losen Menschen. Rein physisch hinterließen seine Augen den nachhaltigsten Eindruck: dunkel und stechend. Diese Wörter klingen kitschig, ich weiß, aber ich entsinne mich ganz deut lich, daß ich mich sehr unbehaglich fühlte, als er mich fixierte, während sein Übersetzer das Wort hatte. Die Audienz dauerte vielleicht fünf Minuten. Nichts Bedeutendes wurde gesagt. Beim Hinausgehen wurde ich von einem anderen Mitglied des Hofes angesprochen - nach der Form seiner Nase und der Ar roganz seines Auftretens offenbar einer der Söhne des frühe ren Königs Faisal. Er stellte sich als Prinz Abdullah vor und ließ mich wissen, daß er der Minister für Meerwasserentsal zung sei. Er habe von meiner Ankunft in Riyadh gehört und wollte mich willkommen heißen. Er hätte, erklärte er, in den frühen 50er Jahren das Menlo Park College besucht. Er war sicher, daß wir viele gemeinsame Bekannte hätten. Er hoffte, ich würde ihm bald einmal das Vergnügen machen, mit ihm zu dinieren. Nachdem wir vielleicht 50 Worte gewechselt hatten, verabschiedete er sich mit dem für die Araber so typischen weichen Händedruck und ging einen Korridor hinunter. Schon bei diesem ersten Gespräch löste er in mir ein Gefühl des Un behagens aus.
Al-Kuraishi hatte sich während des Gesprächs im Hintergrund gehalten und erwähnte es auch mit keinem Wort, während wir zur Staatsbank hinübergingen. Ich erinnere mich, daß mir das sonderbar vorkam. Der erste Tag in einer neuen Stellung ist immer schwierig, auch wenn man ganz oben anfängt: man wird mit Dutzenden von Leuten bekannt gemacht, deren Namen man sofort wieder vergißt; der große Rundgang durch das Haus, der, wenn es sich um Banken handelt, unweigerlich beim Tresor endet. Um die Mittagsstunde hatte ich es hinter mir und war endlich al lein in meinem neuen Riesenbüro im obersten Stockwerk. Mein Name und mein Titel waren bereits auf englisch und arabisch an der Tür angeschlagen. Wenn man nicht weiter weiß, greife man zum Telefon. Genau das tat ich, nachdem ich das hausinterne Verzeichnis der An schlüsse zu Rate gezogen hatte. Der Hauptbuchhalter, der sich meldete, wußte schon, wer ich war. Ich bat ihn, mir die letzten Aufstellungen über den aktuellen Stand der Auslandsguthaben heraufzubringen, aus denen ich auch die Konditionen und Fälligkeitstermine ersehen konnte. Fünf Minuten später lagen sie auf meinem Schreibtisch. Nachdem ich fünfzehn Minuten damit verbracht hatte, die IBM-Ausdrucke durchzusehen, waren mir zwei Dinge klar: die Beträge, um die es ging, waren umwerfend, und die Saudis wurden nach allen Regeln der Kunst übers Ohr gehauen. AlKuraishi hatte recht gehabt. Was geschehen war, war gesche hen, aber es durfte auch nicht einen Tag länger so weiter ge hen. Saudiarabien war der bedeutendste Geldlieferant der westli chen Banken. Es konnte eine faire Behandlung fordern und brauchte nicht darum zu bitten. Ich rief al-Kuraishi an und teilte ihm mit, was ich zu tun beabsichtige. Er meinte, ich solle mich nicht aufhalten lassen. Ich kehrte zu meinen Computerlisten zurück und nahm mir die Bank of London und Manchester vor. Sie hatten eine Viertel milliarde Festgeld in englischen Pfunden auf neunzig Tage
Basis von Saudiarabien erhalten. Da das englische Pfund eine
der risikoreichsten Währungen der Welt darstellte, brachten
Einlagen in englischen Banken normalerweise eine nach inter
nationalen Maßstäben hohe Verzinsung. Der damalige Zins
satz für Dreimonatsgeld betrug 16 Prozent. Die Saudis beka
men 14 Prozent. Die Prolongation dieser Anlage war am 2.
November 1981, am morgigen Tag, fällig.
Ich rief den Hauptbuchhalter zurück. Mit einiger Mühe stellte
ich fest, daß er Djamdjum hieß. Ob das sein Vor- oder Famili
enname war, konnte ich nie herausfinden.
»Djamdjum«, fragte ich ihn, »hat die Bank of London und
Manchester schon wegen Prolongation dieser großen Einlage
angerufen, die wir bei ihnen haben?«
Er ließ nachsehen und antwortete mit Nein. Das klang logisch,
denn wegen des Zeitunterschiedes war es in London erst halb
zehn Uhr vormittags - Morgengrauen für die City.
»Lassen Sie zu mir durchstellen, wenn der Anruf kommt«,
sagte ich und wandte mich wieder den Positionsblättern zu.
Eine Stunde später war London am Apparat.
»Wer ist da?« belferte ich.
»Bank of London and Manchester, Auslandsabteilung.«
»Das weiß ich. Ihren Namen möchte ich wissen.«
»Ross.«
»Verbinden Sie mich mit Gates.«
»Wir haben keinen Mr. Gates in unserer Abteilung.«
»Ich meine George Gates. Er ist Ihr Boß.«
»Ich fürchte, Sir, Mr. Gates ist jetzt nicht zu sprechen. Ich rufe
ja auch nur wegen der Prolongation einer Einlage an, die mor
gen fällig wird. Eine reine Routinesache.«
»Jetzt nicht mehr. Ich wäre Ihnen dankbar, Ross, wenn Sie
aufhören würden, herumzureden. Verbinden Sie mich mit
Gates. Sagen Sie ihm, daß Bill Hitchcock ihn sprechen möch
te.«
»Ich kann es versuchen, Sir.« Es klang skeptisch.
Eine volle Minute lang hörte ich nichts. Dann eine laute
Stimme: »Hitchcock, sind Sie das?«
»Ja, George, ich bin’s.«
»Wo sind Sie?« Als ob er das nicht wüßte.
»In Riyadh.«
»Natürlich. Wir haben von Ihrer Ernennung gehört. Meine
Glückwünsche. Wir müssen zusammen essen gehen, wenn Sie
wieder in London sind.«
»Gern, George. Aber eigentlich wollte ich mit Ihnen nicht über
Essen reden. Ich glaube, wir haben ein paar Einlagen bei euch.
Große Einlagen.«
»Das ist richtig.«
»Eine wird morgen fällig, eine Viertel Milliarde Pfund, und
wie es scheint, möchten Ihre Leute sie gerne prolongieren.«
»Sie wissen doch, Bill, ich beschäftige mich nicht…«
»Tut mir leid, George, aber diesmal werden Sie sich damit
beschäftigen müssen. Sonst gibt es nämlich keine Prolongation
- weder für diese noch für alle anderen Einlagen, sobald sie
fällig werden.«
»Was meinen Sie damit, Hitchcock?« Die Stimme klang sehr
britisch.
»Genau das. Ihr Burschen habt mit den Saudis ein falsches
Spiel getrieben. 14 Prozent für ein neunzigtägiges Festgeld in
Pfund Sterling! Ich muß schon sagen!«
»Das ist der aktuelle Zinssatz, Hitchcock. Sie waren lange
nicht im Geschäft.«
»Blödsinn, Gates.«
»Bill« - wir sprachen uns also wieder mit dem Vornamen an -,
»wir leben in einer neuen Zeit. Offen gesagt, wenn die Saudis
bei uns oder sonst jemandem in London Festgelder plazieren
wollen, werden sie unsere Sätze akzeptieren müssen. Unter
Umständen können sie uns mit Öl erpressen. Mit Geld nicht.«
»Sie bieten also wieder nur 14 Prozent.«
»Das ist richtig.«
»Tut mir leid, George. Überweisen Sie morgen diese 250 Mil
lionen auf unser Konto bei der Chase Manhattan.«
Ich legte auf.
In der nächsten Stunde meldeten sich noch Barclays, National
Westminster und die Bank of Hongkong und Shanghai. Alle erwarteten sich Routineprolongationen auf fällig werdende Einlagen der Saudis. Ich lehnte in jedem einzelnen Fall ab. Alles in allem hatte ich mit vier Telefongesprächen dem briti schen Bankapparat fast eine Milliarde Pfund Sterling entzo gen. Es war halb zwei. Ich ließ mir ein Salat- und Tomaten sandwich und ein Glas Milch kommen und wandte mich wie der den IBM-Listen zu. Zwei Stunden später rief mich al-Kuraishi an. Der stellvertre tende Gouverneur der Bank of England, sagte er, habe angeru fen und warte noch in der Leitung. »Hat er ein Problem?« fragte ich. »Anscheinend. Er meint, wir würden eine Pfundkrise herauf beschwören. Er ist etwas verärgert. Ich wäre Ihnen sehr dank bar, wenn Sie das übernehmen könnten. Ich stelle durch.« Es knackte in der Leitung, und ich sprach wieder mit London. »Nett, wieder einmal mit Ihnen zu sprechen, Sir Robert«, be gann ich. Wir waren uns vielleicht drei- oder viermal im Le ben begegnet. »Doktor Hitchcock«, sagte er, »meine Glückwünsche zu Ihrer Ernennung.« »Danke.« »Wie ich gerade zu Mr. al-Kuraishi sagte, hier in der Bank of England haben wir gehört, daß Saudiarabien, Ihren Anweisun gen folgend, die Absicht hegt, morgen einige beträchtliche Beträge von britischen Banken abzuziehen. Die Zahl, die mir genannt wurde, lautet auf neunhundert Millionen.« »Das ist ungefähr richtig.« »Wir würden es zu schätzen wissen, wenn diese Verfügung einer Überprüfung unterzogen werden könnte. Sie werden vielleicht verstehen, daß eine Mißdeutung dieser Transaktion einen Run auf das Pfund auslösen könnte. Ich fürchte, die Re gierung Ihrer Majestät wäre sehr bestürzt.« »Ich verstehe. Aber das ist ja alles nicht nötig. Wenn Ihre Banken einem fairen Zinssatz zustimmen, bleiben die Gelder bei Ihnen. Wenn nicht, steigen wir auf Dollar um.«
»Ganz recht. Was schlagen Sie vor?« »Daß Sie den üblichen Satz von 16 Prozent bezahlen.« »Ja. Nun, lassen Sie mir eine Stunde Zeit, Hitchcock. Ich den ke, wir werden eine Lösung finden. Ich muß nur ein paar Tele fongespräche führen.« Ich blieb stumm. »Und, Hitchcock, wenn Sie das nächste Mal in London sind, sollten wir zusammen essen gehen.« »Unbedingt.« Englische Bankiers halten sehr viel vom ge meinsamen Lunch. »Sehr gut.« Um fünf waren die ganzen neunhundert Millionen Pfund Ster ling auf 90 Tage prolongiert - zu 16 Prozent. Auf Jahresbasis umgerechnet, belief sich die Zinsdifferenz auf 18 Millionen Pfund oder etwa 40 Millionen Dollar. Nicht schlecht für einen ersten Arbeitstag. Morgen würde ich mir die Schweizer und die Deutschen vornehmen und anschließend die New Yorker Banken. Eigentlich hatte sich alles recht gut angelassen, wenn da nicht dieses beunruhigende Gefühl gewesen wäre, daß etwas mit unserer Welt ganz und gar nicht in Ordnung war, wenn ein einziger Mann, der in der arabischen Wüste saß, mit einem halben Dutzend Telefongesprächen den britischen Bankappa rat auf die Knie zwingen konnte.
4 An jenem Abend hatte ich die Absicht, im Hilton zu bleiben und früh zu Bett zu gehen. Doch als ich ins Hotel zurückkam, erwartete mich dort eine Nachricht: Ich solle Mr. Falk in der Amerikanischen Botschaft anrufen. Es war schon sechs Uhr, aber ich versuchte es trotzdem. Er war noch da und fragte mich, ob ich ihn wohl an diesem Abend auf einen Drink tref fen könnte. Er sagte mir, wo er wohnte, in einem Etagenhaus nicht weit vom Hotel. Wir einigten uns auf halb acht. Er ver sprach, daß es auch etwas zu essen geben würde. Wie sich herausstellte, war Falk ein großgewachsener Mann um die vierzig und stammte aus Virginia. Ja, er war Oberst Falk, erklärte er mir, einer der Militärattaches an der Bot schaft. Womit auch die Herkunft des Feuerwassers geklärt war; sie brachten das Zeug mit Militärmaschinen aus Frank furt. Er würde sich freuen, mir mit allem zu dienen, was ich brauchte. Im Augenblick brauchte ich einen trockenen Martini, und das Glas, das Falk mir in die Hand drückte, war über alle Kritik erhaben. Ich habe schon immer behauptet, daß die ame rikanischen Militärs, was das Trinken angeht, ihr Handwerk verstehen. »Und welchen Eindruck haben Sie gewonnen?« fragte er, nachdem wir uns im Wohnzimmer häuslich niedergelassen hatten. Er trank Bourbon. »Wovon?« »Von der Lage.« »Ich habe nicht feststellen können, daß es eine gibt.« »Was hatte Khalid zu sagen?« »Eigentlich nichts.« »Na, wahrscheinlich war er verdammt liebenswürdig.« »Liebenswürdig ja, aber nicht übermäßig. Hätte er es sein sollen?« »Offen gestanden, ja. Er braucht uns dringend, und das weiß er auch.« »Mit >uns< meinen Sie die Vereinigten Staaten, nehme ich an.
Oder zielen Sie auf etwas Spezifischeres ab?«
»Sind Sie einer von denen?« fragte er.
»Was meinen Sie damit?« konterte ich.
»Die den amerikanischen Militärs feindselig gegenüberste
hen.«
»Teufel, nein, solange ihr mich nicht in eure Kriege verwik
kelt.«
»Ich freue mich, das zu hören. Jawohl, ich meine die amerika
nische Militärhilfe. Ohne uns wäre Khalid schon längst eine
Leiche.«
»Okay, das klingt interessant. Wer ist der Feind?«
»Khalid hat zwei: den Schah von Persien, der sich ernstlich
mit der Absicht trägt, aus dem Persischen Golf einen Persi
schen Binnensee zu machen.«
»Das nehme ich Ihnen mehr oder weniger ab. Und der andere -
Israel?«
»Nein. Da hat es nie echte Schwierigkeiten gegeben - zwi
schen Israel und Saudiarabien ist noch nie ein Schuß gefallen.
Nein, Khalids zweites Problem ist hier - in Riyadh. Sein Neffe
Abdullah.«
»Erklären Sie mir das.«
»Okay. Als Faisal ermordet wurde, rief man seinen Bruder
Khalid zum König aus - und nicht Faisals ältesten Sohn Ab
dullah.«
»Das nimmt Abdullah übel.«
»Ja. Er und seine sechs Brüder.«
»Das hätte mich an seiner Stelle wohl auch gefuchst. Also
möchte Abdullah gern Khalid abservieren lassen und sich
selbst auf den Thron setzen.«
»Genau.«
»Wie kommen Sie darauf, zu glauben, daß er es schaffen
könnte? Dazu brauchte er doch eine echte Hausmacht. Wenn
ich ihn heute morgen richtig verstanden habe, ist er Meerwas
serentsalzungsminister. Das ist doch kaum…«
»Sie haben ihn schon kennengelernt?« fragte Falk überrascht.
»Ja. Gleich nach der Audienz bei Khalid.«
»Dieser Hurensohn läßt sich doch keine Gelegenheit entgehen.
Was wollte er?«
»Nichts. Er schlug nur vor, daß wir einmal gemeinsam zu
Abend essen.«
»Tun Sie’s nicht.«
»Warum nicht?«
»Riyadh, müssen Sie wissen, ist eine sehr kleine Stadt. Die
Leute in der Regierung werden über alle Ihre Schritte genaue
stens informiert sein. Prinz Abdullah ist keine erste Adresse.
Darum hat Khalid ihn in dieses obskure Ministerium verbannt.
Wenn Ihr Name mit dem seinen in Verbindung gebracht wird,
dann…«
Er fuhr sich mit dem Finger über die Kehle.
»Ich hoffe, Sie meinen das nur bildlich.«
»Für den Augenblick ja. Später einmal, wer weiß?«
»Also gut, Falk. Ich werde es mir merken. Aber wie kommt es,
daß man Abdullah für so gefährlich hält?«
»Er hat einige der Spitzenleute in der Armee hinter sich. Und
wenn sich die Lage nicht ändert, wird er sie bald alle haben.«
»Was hat die Armee an Khalid auszusetzen?«
»Kennen Sie den Umfang der saudiarabischen Streitkräfte?«
»Offen gestanden, nein.«
»Stellen Sie sich das einmal vor: 36.000 Mann. Dazu eine
regionale Miliz von 25.000. Kläglich. Persien hat 250.000
Mann reguläre Truppen und weitere 300.000 Reservisten. Der
Irak kann innerhalb von zwei Wochen eine Viertelmillion
Mann in Marsch setzen. Ägypten hat 300.000 Mann reguläre
Truppen. Syrien 150.000. Sogar Jordanien - du lieber Himmel,
Jordanien! - hat eine größere Armee als Saudiarabien.« Falk
schüttelte angewidert den Kopf.
»Warum?«
»Weil Khalid schlau ist. Es, ist leichter, eine kleine Armee
unter Kontrolle zu halten. Also bleibt sie klein. Und den La
mettafritzen gefällt das nicht.«
»Und Abdullah hat ihnen versprochen, sie von der Leine zu
nehmen. Vorausgesetzt, daß sie ihm helfen.«
»Genau.« »Und warum unterstützt ihr da nicht Abdullah? Er scheint doch euer Typ zu sein.« »Passen Sie auf, Hitchcock«, antwortete Falk. »Sie müssen auch noch einen anderen Faktor berücksichtigen. Wie ich schon sagte, Khalid ist kein Dummkopf. Er weiß, daß er einen Verteidigungsapparat braucht. Aber statt ihn im inneren Be reich aufzubauen, besetzt er - wie das schon sein Vorgänger Faisal getan hat - die militärischen Schlüsselpositionen konse quent mit Ausländern. Insbesondere mit Amerikanern. Auf Söldner kann man sich verlassen. Die beteiligen sich nicht an Revolutionen gegen die Leute, die ihnen ihren Sold zahlen. Amerikanische Söldner sind vermutlich die verläßlichsten von allen. Es sind keine Landsknechte von der Art, wie man sie heute fast überall in Europa mieten kann. Sie werden von der Regierung finanziert und direkt oder indirekt vom Pentagon kontrolliert.« »Wie viele sind im Land?« »Im Augenblick haben wir etwas über 40.000 Mann reguläres amerikanisches Militärpersonal hier. Ihre Anwesenheit ergibt sich aus dem Beistandspakt zwischen den Vereinigten Staaten und den Saudis; angeblich sind sie da, um die saudiarabische Armee zu schulen; in Wirklichkeit besetzen sie die militäri schen Schlüsselpositionen. Dann gibt es noch ungefähr fünf zehnhundert >Irreguläre< - Berufssoldaten, die ihre Erfahrun gen in Vietnam gesammelt haben und unter der Aufsicht der Vinnel Corporation, einer in Los Angeles beheimateten Firma, stehen. Sie wurden schon 1975 unter Vertrag genommen auch wieder, um die saudiarabische Miliz zu >lehren<, die Ölfelder von Ghawar zu bewachen. Sie sind immer noch da. Dann haben wir ungefähr zwölfhundert Techniker, zum Groß teil frühere Angehörige der Air Force, die in der Luftabwehr sitzen und die Flugzeuge und Raketen des Landes in Form halten. Sie werden von McDonnel Douglas, Bell Helicopter, Litton Industries, Hughes Aircraft und ein paar anderen ameri kanischen Rüstungsproduzenten bezahlt. Wenn Sie alle zu
sammenzählen, ergibt sich die groteske Situation, daß auf jeden Amerikaner, der in irgendeiner Form mit der Verteidigung des Landes zu tun hat, vier reguläre saudiarabische Soldaten kommen.« »So ähnlich wie in der guten alten Zeit des Vietnamkriegs«, bemerkte ich. Falk ging darauf nicht ein und fuhr fort: »Sie sehen also: Wir beherrschen hier die Lage, und Khalid ist unser Partner. So lange er sich behauptet, behaupten auch wir uns. Solange wir bleiben, bleibt der Persische Golf stabil. Aber wie gesagt: Die se ganze Situation stört die Generäle maßlos. Sie hassen uns, genauso wie das ägyptische Oberkommando die Russen haßte, als die dort die militärische Lage unter Kontrolle hielten. Und das ist natürlich genau die Stimmung, aus der Abdullah Ge winn zieht. Wenn es ihm gelingt, das Steuer in die Hand zu bekommen, haben wir spätestens in einem Monat hier nichts mehr zu melden. Und dann sehen Sie sich vor!« »Wie wäre es mit noch einem Martini, Falk?« »Gute Idee.« Der Oberst servierte ihn mit einer Olive - die einzige Zutat aus Saudiarabien. »Und wie«, fragte ich, als wir es uns wieder gemütlich ge macht hatten, »wollt ihr es anstellen, euren Kumpel Khalid und somit uns alle an der Macht zu halten und Abdullah kalt zustellen?« »Indem wir den König dazu überreden, seinen Generälen zu geben, was sie haben wollen. Das Heer verdoppeln. Und die Luftwaffe. Eine richtige saudiarabische Marine aufs Wasser setzen. Die Kerle bis an die Zähne bewaffnen. Das wird ihre Gemüter so weit beruhigen, daß sie gar nicht mehr auf uns achten. Sie werden Khalid lieben, und Abdullah und seine Brüder vergessen. Und wir hätten lange Zeit Frieden am Golf.« »Ich verstehe«, sagte ich ein wenig skeptisch. »Warum nicht?« fragte Falk in erregtem Ton. »Das Geld kommt dem König aus den Ohren heraus. Warum sollte es nur
in den Banken herumliegen? Das ist doch unsinnig. Schauen Sie sich den Schah an. Er hat das größte und beste Heer zwi schen Europa und China. Er gibt drei oder vier Milliarden Dollar im Jahr aus - nur für neues Kriegsgerät. Und das muß Khalid auch tun.« »Drei oder vier Milliarden im Jahr?« »Na sicher. Vielleicht sogar ein bißchen mehr. Er braucht nur auf den Knopf zu drücken; um den Rest kümmert sich das Pentagon. In ein paar Jahren hätten wir hier einen anständigen Betrieb.« »Und was soll ich dabei?« Ich wußte es schon, aber warum nicht offen darüber reden? »Sehen Sie mal, Doktor Hitchcock, wir haben von Ihrer neuen Position gehört. Wir möchten Ihnen nur nahelegen, daß Sie die Lage hier im Lichte dessen prüfen, was ich Ihnen soeben er zählt habe. Ich bin ganz sicher, auch Sie werden zu der Über zeugung gelangen, daß Khalid ein militärisches Sofortpro gramm braucht. Sagen Sie ihm das. Seine Leute werden auf Sie hören. Sie werden beiden Ländern einen Gefallen tun.« »Ich fürchte, Falk, Ihre Leute überschätzen meinen Einfluß. Ich bin nur ein einfacher Bankmann, den man geholt hat, um eine konkrete Aufgabe zu erfüllen.« »Ich weiß. Aber in diesem Land ist nichts einfach. Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe, und denken Sie darüber nach. Wenn hier nicht sehr bald umfangreiche Veränderungen stattfinden, brennen alle Sicherungen durch. Dann werden Sie entweder für den Schah oder für Abdullah arbeiten. Ich glaube nicht, daß Ihnen das gefallen würde.« Falk stand auf. »Kommen Sie mit mir in die Küche, Hitch cock. Ich habe draußen das größte Steak, das Ihnen je unter die Augen gekommen ist - direkt vom Verpflegungsamt am Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt. Wir können weiter trin ken, während ich koche.« Das taten wir. Als ich gegen Mitternacht ins Hotel zurückkam, hatte ich einen sitzen. Aber so vollgepumpt war ich auch nicht, daß mir der Kerl nicht aufgefallen wäre, der mir nachschlich,
während ich zum Aufzug hinüber schwankte. Vielleicht wußte Oberst Falk doch, wovon er redete.
5 Ich fand später heraus, daß Falk auch mit seinen Äußerungen über den Schah von Persien recht hatte. Zu genau der gleichen Zeit - im November 1981 - war der Schah gerade dabei, letzte Hand an seine Kriegsmaschinerie zu legen, die tatsächlich eine der mächtigsten der Welt war. Es war auch eine Maschine, die der Schah voll zu nutzen beabsichtigte. Denn Mohammed Reza Pahlavi, Persiens König der Könige, war nicht eben ein sehr charakterfester Mann. Schon 1974 zitierte Time Magazi ne den damaligen Finanzminister der Vereinigten Staaten, William Simon, der vom Schah als einem »unverantwortlichen und leichtfertigen Verrückten« gesprochen hatte. Wie das meistens der Fall ist, war sein Knacks eine Folge seiner Lebensgeschichte. Trotz seines pompösen Titels war er in Wahrheit nicht mehr als der Sohn eines obskuren persischen Obersten - eines Mannes, der erst als Erwachsener lesen und schreiben lernte -, der im Jahre 1921 mit einem Staatsstreich die regierende persische Dynastie, die Kadscharen, gestürzt hatte. Vier Jahre später krönte sich der Oberst zum Kaiser und änderte, um sich ein wenig - bitter nötiges - Gepräge zu geben, seinen Namen in Pahlavi, das Wort, mit dem man die alte mit telpersische Sprache bezeichnete. Als neuer Herrscher Persi ens machte er seine Sache nicht schlecht - bis zum Zweiten Weltkrieg, in dem er auf seinen arischen Bruder Hitler statt auf Churchill setzte. Im August 1941 marschierten britische und russische Truppen ein, stürzten den Exoberst und setzten sei nen Sohn Mohammed als ihre Marionette ein. Nicht gerade ein ruhmreicher Anfang für den König der Köni ge. Schließlich zogen die Besatzer wieder ab, und Mohammed war sein eigener Herr. Aber nur für kurze Zeit. Im Jahre 1952 wurde Mossadegh Premierminister, ein Mann, dessen Ideen seiner Zeit weit voraus waren. Mossadegh verfolgte zwei Zie le: er wollte die persischen Ölfelder nationalisieren und sich selbst als neuen starken Mann des Iran etablieren.
Das gefiel dem Schah natürlich nicht, aber da er in seinem eigenen Land keinen Rückhalt besaß, konnte er nichts dagegen tun. Es gab jedoch auch noch einen anderen Herrscher, dem Mossadeghs Ideen ebensowenig gefielen - den neu gewählten amerikanischen Präsidenten, General Eisenhower. Was für Standard Oil schlecht war, war natürlich auch schlecht für die Vereinigten Staaten. Also schickte Eisenhower die CIA. Die CIA organisierte eine Militärrevolte, die drei Tage dauerte. Mossadegh wurde ins Gefängnis geworfen, und der Schah saß wieder sicher auf, seinem Thron, diesmal als Marionette der Amerikaner. Der Schah blieb auch noch die nächsten zehn Jahre eine Ma rionette der Amerikaner. Er tat, was ihm gesagt wurde, denn die Wirtschaft des Landes konnte sich nur mit amerikanischer Hilfe über Wasser halten. Worauf sich der König der Könige, vermutlich um seine Ta lente besser zur Entfaltung kommen zu lassen, zum Playboy der östlichen Welt mauserte. Er verstieß seine erste Frau, die Schwester König Faruks, und heiratete Soraya, eine dunkel haarige Schönheit aus Deutschland. In den Jahren nach 1950 verbrachten sie mehr Zeit im Ausland als im Iran. Als gern gesehene Partygäste begannen sie ihre Rundreisen für ge wöhnlich in Beirut und beendeten sie nach Aufenthalten in Rom, Cannes, Paris und London in New York. Dann ging es von neuem los. Im Winter verlegten sie ihr Domizil nach St. Moritz und unterbrachen ihr eintöniges Leben mit gelegentli chen Abstechern nach Gstaad, Zermatt und Klosters. Soraya wurde zum Liebling der deutschen Hausfrau. Jahrelang schmückten ihre Bilder Woche für Woche die Titelseite zu mindest einer deutschen, in Massenauflage erscheinenden Illustrierten - bis 1959, als sich der Schah, zu aller deutschen Entsetzen von ihr scheiden ließ. Der Grund: Sie hatte ihm keinen Erben geboren. Der Schah kam in die Jahre und wollte doch zumindest das stolze Geschlecht der Pahlavis, das sich nun schon über ganze 38 Jahre erstreckte, nicht aussterben lassen.
Also heiratete er ein einundzwanzigjähriges Mädchen, das sein Freund Adahir Zahedi - damals persischer Botschafter in Frankreich, später Bevollmächtigter des Schahs in Washington - ihm ausgesucht hatte. Zu dieser Zeit studierte sie an der Sor bonne. Farah Diba - das war der Name, durch den sie bekannt wurde - war in jeder Hinsicht ein durchschlagender Erfolg. Erstens gebar sie ihm prompt und regelmäßig Kinder - männ lichen und weiblichen Geschlechts. Zweitens war sie eine bezaubernde Frau. Und drittens erwies sie sich auch in den besten Kreisen als außerordentlich präsentabel. Mit ihrer Hilfe fand der Schah Aufnahme in den Jet-Set und noch höhere Kreise. Von den Kennedys wurden sie zu wiederholten Malen ins Weiße Haus zu Gast gebeten; in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts von den Johnsons; und als 1969 Pat und Dick Ni xon in die Bundeshauptstadt einzogen, gehörten der Schah, seine Orden, seine Uniformen und sein Kaviar in Washington bereits zur Standardausrüstung. Aber niemand nahm ihn ernst. Dann kam die Bombe von 1973. Die Araber belegten die Ölausfuhr nach dem Westen mit einem Embargo und erzwangen innerhalb weniger Monate eine Vervierfachung des Ölpreises - eine der erfolgreichsten Erpressungen der Weltgeschichte. Getreu seiner Vergangen heit steuerte der Schah nichts zu diesem Coup bei. Schließlich verabscheute er die Araber. Aber sobald die Gefahr einer mög lichen militärischen Intervention des Westens gebannt schien, wechselte er von einem Tag zum anderen seine Taktik und wurde der selbsternannte Sprecher der OPEC, der Organisation Erdöl exportierender Länder, des Ölkartells, das 1974 im Ge folge des arabischen Sieges an die Öffentlichkeit trat. Der Schah war nun über alle Maßen reich. Zum neuen Preis von über zehn Dollar pro Barrel beliefen sich seine Einnahmen auf 30 Milliarden Dollar im Jahr. Er war der anerkannte Füh rer der Weltmachtelite der Zukunft. Bald lag ganz Europa vor ihm auf dem Bauch. Er war von Delegationen sich duckender und anbiedernder Japaner umgeben, die nach persischem Öl dürsteten. Er wurde von Giscard d’Estaing gepriesen, von
Harold Wilson umarmt und von Gerald Ford verschwende risch bewirtet. Seine Aussprüche wurden sorgfältig aufge zeichnet von C. L. Sulzberger (mit Vorbehalten), von William Hearst (mit Begeisterung) und von Time Magazine (mit Bil dern). Der König der Könige hatte die Bühne betreten. Und seine Überheblichkeit, eine Folge innerer Unsicherheit, trat fast unmittelbar danach offen zutage. Als man ihm vorzu werfen begann, er mißbrauche seine Macht, konnte der echte Schah jetzt frei heraus sprechen. »Niemand«, sagte er, »soll uns auf die Finger schlagen, denn wir schlagen zurück.« Im Herbst 1981 war der Schah schon fast bereit zu schlagen. Sein Ziel: den Iran als Supermacht zu etablieren. Am 5. No vember jenes Jahres hielt er in seinem Palast in Teheran eine entscheidende Sitzung ab, die der Schlüssel zu Erfolg oder Fehlschlag werden sollte. Es ging um Atomwaffen. Es ist sehr einfach, Atombomben zu basteln, sofern man das tödlichste aller Elemente, Plutonium, besitzt. Man braucht dazu ein Stück in der Größe eines Fuß balls. Die großen Atomreaktoren wie Westinghouse oder Ge neral Electric in den Vereinigten Staaten oder Framatome in Frankreich produzieren eine solche fußballgroße Menge alle drei Tage. Im Jahre 1974 hatte Frankreich sich vertraglich verpflichtet, zwei solcher Reaktoren zu einem Kostenpunkt von zwei Milliarden Dollar das Stück im Iran zu errichten. Im Herbst 1981 waren beide in Betrieb. Bis zu diesem fünften November 1981 hatten sie Plutonium für etwa 40 Bomben produziert, keine großen, aber doch groß genug, das Zentrum von New York und Moskau zu zerstören - und natürlich jede kleinere Stadt wie etwa Riyadh oder Kuwait. Aus der richtigen Höhe abgeworfen, konnten zwei Bomben jede Flotte vernich ten, die durch die Straße von Hormuz in den Persischen Golf einzufahren versuchte. An der Besprechung nahmen außer dem Schah noch drei Her ren teil: General Mohammed Khatami, Chef der persischen Luftwaffe; Brigadier Fereydoun Shahandeh, Kommandant der
persischen Luftlandetruppen am Persischen Golf, und Profes sor Hadjevi Baraheni, Vorsitzender der persischen Atomkom mission. »Aber können Sie mit Sicherheit behaupten, daß es funktionie ren wird?« Zum zweiten Mal richtete der Schah die Frage an Baraheni. Und die Antworten des Professors waren immer ausweichend. »Ich kann es nicht mit Sicherheit behaupten, Majestät. Das kann niemand. Solange wir nicht eine, besser noch drei, te sten.« »Unmöglich«, erwiderte der Schah. »Das habe ich Ihnen schon mehrmals gesagt. Das ist unmöglich.« Er wandte sich an seinen obersten Militärberater, General Khatami. »Khatami, Sie kennen meinen Zeitplan.« »Jawohl, Majestät.« »Also dann denken Sie nach. Ich brauche eine Lösung. Und ich brauche sie jetzt!« Khatami war ein Stratege, kein Wissenschaftler oder auch nur Waffentechniker. Aber er war gerissen. »Ich denke, Majestät, wir sollten uns zunächst einmal darüber einig sein, daß wir uns im Hinblick auf dieses Vorhaben nicht auf unsere eigenen Wissenschaftler verlassen können. Sie sind alle zweitrangig.« Der Professor wollte protestieren, aber ein Blick auf den Schah veranlaßte ihn, den Gedanken wieder fallen zu lassen. »Zweitens«, fuhr Khatami fort, »wir wissen, daß der Bau von Atomwaffen in den Vereinigten Staaten und Europa eine ver hältnismäßig einfache Sache geworden ist. Ich habe gehört, daß es buchstäblich Tausende von Wissenschaftlern gibt sowohl Physiker wie Chemiker -, die das mit sehr bescheide nen Apparaturen zustande bringen, vorausgesetzt, sie haben sauberes Plutonium. Stimmt das, Baraheni?« Der Professor nickte und fügte hinzu: »Wir haben in Teheran mindestens ein Dutzend Leute, mich eingeschlossen, die es können.« »Warum bestehen Sie dann auf Tests?« warf der Schah ein. Der Professor zog es vor, die Frage nicht zu beantworten.
»Majestät«, fuhr General Khatami fort, »ich verstehe Professor Baraheni. Er hat einfach nicht die Erfahrung. Wir müssen je manden finden, der sie besitzt. Außerdem, das wissen Sie, brauchen wir mehr als nur primitive Atomwaffen. Ich habe Ihnen erklärt, was ich benötige.« Der Schah nickte. »Ich schlage vor«, sagte der General, »daß wir uns einen der besten Experten aus Amerika oder Europa holen - einen, von dem wir wissen, daß er ein Meister in seinem Fach ist. Wir zahlen ihm ein kleines Vermögen, sperren ihn für einen Monat zusammen mit einigen von Barahenis Leuten ins Institut hier in Teheran, und wir bekommen Bomben, die funktionieren ohne sie testen zu müssen.« »Aber das bringt Risiken mit sich. Was ist, wenn der Mann redet?« »Wenn er erst einmal in Teheran ist, wird er nicht reden kön nen. Dafür wird SAVAK sorgen.« »Aber vorher? Bevor er sich bereit erklärt, zu uns zu kom men?« wollte der Schah wissen. »Mit Geld kann man alles kaufen, Majestät. Bankiers, Ölhänd ler, Industrielle - die mächtigsten Männer des Westens haben vor Ihnen gekatzbuckelt, haben sich unsterblich lächerlich gemacht, hier in diesem Palast, um einer einzigen Sache wil len: Geld. Wissenschaftler sind auch nicht anders. Sie sind nur noch keinem begegnet. Die Menschen des Westens sind alle sehr habgierig. Alle.« »Das weiß ich«, erwiderte der Schah. »Es ist einer ihrer wider lichsten Charakterzüge. Aber welche sind die habgierigsten?« Khatami überlegte. »Die Amerikaner und die Schweizer«, antwortete er dann. Jetzt war der Schah an der Reihe nachzudenken. »Wie ge wöhnlich haben Sie recht, Khatami. Aber wir können es nicht riskieren, einen Amerikaner ins Vertrauen zu ziehen. Es muß ein Schweizer sein.« Der Schah unterbrach sich. »Wo finden wir einen solchen Mann in der Schweiz, Professor Baraheni?« »Aber ich teile nicht die Meinung von…«
»Sie sind nicht gefragt, ob Sie Khatamis Meinung teilen oder nicht. Beantworten Sie meine Frage.« »Ja, Majestät. Ich würde die Roche-Bollinger-Gruppe vor schlagen. Die Leute produzieren schwere Elektroanlagen. Sie sitzen in Baden bei Zürich. Sie bauen Atomreaktoren zur Stromerzeugung und exportieren sie in alle Welt. Sie stellen auch Waffen her. Konventionelle Waffen.« »Können Sie Namen besorgen?« fragte der Schah. »Nun ja, ich könnte…« kam zögernd die Antwort. »Ich denke, wir sollten dieses Problem der SAVAK überlas sen«, sagte Brigadier Shahandeh - sein erster Beitrag zu die sem Gespräch. Die von Shadah Tibrizi geleitete SAVAK war die umfangmä ßig bedeutendste Geheimpolizei mit angeschlossener Spiona georganisation außerhalb der Sowjetunion und dem Schah direkt unterstellt. Brigadier Shahandeh hatte zehn Jahre in diesem Nachrichtendienst zugebracht, bevor er das militäri sche Kommando am Golf übernahm. »Sie haben recht. Sehen Sie zu, daß Sie Tibrizi irgendwo auf treiben. In der nächsten Stunde will ich ihn sehen. Sie können jetzt gehen.« Die drei Herren vollzogen eine gemeinschaftliche Verbeugung und verließen in dieser Haltung rückwärts schreitend den Saal. Unglaublich im Jahre 1981, aber wahr.
6 Hätte ich gewußt, was in jener Woche in Teheran vorging, ich wäre kaum nach Rom gefahren. Ich wäre zweifellos schnur stracks nach Kalifornien zurückgeflogen und hätte mich be trunken. Aber naiv wie ich war, galt meine Sorge damals nicht dem Krieg, sondern dem Geld. Dem Geld Saudiarabiens. Und im November 1981 sah es so aus, als ob sich eine ganze Menge davon in ein Faß ohne Boden ergossen hätte. In das italieni sche Faß. Als meine Säuberungsoperation in Riyadh gerade in ruhigen Bahnen zu laufen begann, erhielt ich einen Anruf von Herrn Doktor Reichenberger, dem Vorstandsvorsitzenden der Leip ziger Bank in Frankfurt. Er faßte sich kurz. Die Italiener wür den ihre Auslandsschulden, die astronomische Höhen erreicht hatten, nicht zurückzahlen, wenn sich nicht wieder jemand finden sollte, der ihnen mit weiteren Milliarden Dollar unter die Arme griff. Die Bundesrepublik - das heißt, mit Garantien ihrer Regierung, die deutschen Banken - hatten es aus Solida rität mit einem Partner der Europäischen Gemeinschaft bereits dreimal getan. Aber sie würden es nicht wieder tun, teilte Rei chenberger mir mit. Italien war im wesentlichen ein bankrottes Land. Es hatte keinen Sinn, schlechtem Geld gutes hinterher zu werfen. Das Bundeskabinett war an diesem Morgen zu sammengetreten und hatte Reichenberger informiert, daß die Regierung keine neuen Garantien geben werde. Das bedeutete, daß die deutschen Banken selbst eine Rettungsaktion in die Wege leiten mußten. Die Leipziger Bank saß am tiefsten in der Patsche; darum war Reichenberger der Planer. Warum er mich angerufen hatte? Weil Saudiarabien nach Reichenbergers Schätzung bis jetzt etwa dreieinhalb Milliarden Dollar in ita lienische Anleihen gesteckt hatte. Die saudiarabische Staats bank war daher, nach der Bundesrepublik, Italiens größter Gläubiger. Dann zählte er die Bankengruppen in anderen Län dern auf, bei denen mehr als eine Milliarde auf dem Spiel
stand. Alle diese Gruppen wurden eingeladen, einen Sprecher zu einer Konferenz zu entsenden, die am Freitag, dem 12. November, in der Deutschen Botschaft in Rom ihren Anfang nehmen sollte. Ebenfalls anwesend würden Regierungsspre cher der einzelnen Länder sein. Würde auch Saudiarabien vertreten sein wollen? Unbedingt, antwortete ich. Entweder durch mich selbst oder den Leiter der saudiarabischen Staatsbank, Prinz al-Kuraishi, oder durch beide. Er hielt es kaum für nötig, sagte Doktor Reichenberger, darauf hinzuweisen, daß die Presse nicht informiert werden sollte. Dann legte er auf. Reichenbergers Angaben über die saudiarabischen Ausleihun gen an Italien stimmten. Nach den Aufzeichnungen in Riyadh beliefen sie sich auf genau 3,55 Milliarden Dollar. Zu den Schuldnern gehörten der italienische Staat; die Städte Rom, Mailand, Turin, Florenz und Neapel; der verstaatlichte Indu striekonzern IRI, zuzüglich einer Kette von IRITochtergesellschaften, einschließlich jener, die die italieni schen Autobahnen betrieb; die Automobilfabrik Alfa Romeo; FINSIDER, der Trust, dem die meisten Stahlfirmen angehörten. Alle diese Anleihen hatten eines gemeinsam: Sie waren unter der Voraussetzung gewährt worden, daß der italienische Staat »moralisch verpflichtet« war, für sie geradezustehen. Um die Mitte der 60er Jahre hatten diese italienischen Körper schaften begonnen, sich große Summen auf dem Eurodollar markt auszuborgen, das heißt, sich von europäischen Banken amerikanische Dollar zu leihen. In ihrer Eile, sich an diesem Anleihenmarkt zu beteiligen, brachten sich die Banken beina he um. Konnte es denn etwas Sichereres geben, als Anleihen an staatliche oder halbstaatliche Unternehmungen eines gro ßen, dem Westen zugehörigen, europäischen Landes aus zugeben? Eines Landes wohlgemerkt, dessen Bruttosozialpro dukt jedes Jahr oder zumindest fast jedes Jahr um zehn Pro zent zunahm? Italien war das Japan des Westens! Also flossen Milliarden ins Land, für gewöhnlich mit einer
Laufzeit von zehn bis fünfzehn Jahren und einem Zinssatz von etwa acht Prozent. Anfangs monopolisierten die großen Han delsbanken in London dieses Geschäft - bis es ihnen über den Kopf wuchs. In zunehmendem Maß waren es dann die soge nannten Konsortialbanken in London, Paris und Brüssel, die Italien mit mehr und mehr Milliarden versorgten. Auch diese Art von Bankinstituten war ein Kind der Mitte der 6oer Jahre. Die Überlegung, die ihrem Entstehen zugrunde lag, war diese: Wenn eine Gruppe sehr großer Banken aus verschiedenen Ländern - sagen wir die Chase Manhattan in New York, die Deutsche Bank in Frankfurt, der Credit Lyonnais in Paris, der Schweizerische Bankverein in Zürich - sich zusammen an einer Tochtergesellschaft beteiligten, dann würde diese neue »Tochtergesellschaft« aufgrund der Macht und der enormen Geldmittel ihrer Stammhäuser nahezu unbegrenzten Kredit genießen. Diese Konstruktion erwies sich als noch attraktiver, als man entdeckte, daß solche Banken mit sehr wenig Eigen kapital gegründet werden konnten und daß die europäischen Aufsichtsbehörden die beteiligten Mutterbanken nicht dazu anhielten, ihnen mehr und mehr Eigenkapital zuzuführen, um mit dem Wachstum der Töchter Schritt zu halten, auch dann nicht, als die Konsortialbanken große Mengen von Fremdan lagen aufnahmen und - wie im Fall Italiens - außerordentlich hohe Darlehen an einzelne Darlehensnehmer gewährten. Großartig, dachte man. Nicht gerade sehr umsichtig, aber sehr einträglich. Und sie legten sich sehr phantasievolle Namen zu: Orion, Midland and International Banks Ltd. (MAIBL), Union de Banques Arabes et Françaises, Western American Bank (Europe), und so weiter und so weiter. Um die Mitte der 70er Jahre gab es über 30 solcher Bankinstitute - und viele von ihnen verwalteten Milliarden Dollar. Sie alle stützten sich nicht auf ein von ihren Eigentümern eingezahltes Haftungska pital, sondern auf das Kapital und den Ruf ihrer Stammhäuser daheim. Ein recht seltsames Bankenungeheuer. Die Frage war: Wenn eine dieser Konsortialbanken bankrott ging, wer würde ihr beistehen? Nicht die Regierung Ihrer Ma
jestät, obwohl die meisten ihren Stammsitz in London hatten, denn zum Großteil gehörten sie nichtbritischen Instituten. Nicht die Europäische Gemeinschaft, denn diese besaß nicht die Befugnisse einer Bankaufsichtsbehörde. Und nicht die Vereinigten Staaten, obwohl viele große amerikanische Ban ken an diesem europäischen Bankenungeheuer beteiligt waren - in hohem Maße beteiligt waren -, denn schließlich befanden sie sich ja in Europa. Nein. Wenn wirklich etwas schiefging, waren es die Aktionäre und Einleger in New York oder Toronto oder Zürich, die die Rechnung würden bezahlen müssen. Und das war undenkbar. So erhielten also die Direktoren dieser MultimilliardenKonsortialbanken zum Großteil sehr strikte Anweisungen. Haltet euch an solide Darlehensnehmer. Und was konnte soli der sein als Darlehen, die durch die moralische Verpflichtung der Regierung eines der größten Länder Europas gedeckt wa ren? Schon allein darum, so wurde argumentiert, weil der We sten Italien unter keinen Umständen jemals im Stich lassen würde. Und den Profit nicht zu vergessen! Die Banken koch ten die Italiener nach allen Regeln der Kunst ein. Im Durch schnitt nahmen sie drei Prozent des Nennwerts jedes Darle hens, zahlbar im voraus, um dem Geschäft »zu einem guten Start zu verhelfen. Das machte dreißig Millionen Dollar für jede ausgeliehene Milliarde aus - ihr Honorar für ein paar Wo chen Schreibarbeiten und eine Menge Telefongespräche mit den anderen Banken des Konsortiums. Und dann Jahr für Jahr mindestens acht Prozent Zinsen - eine feine Sache, da sie sich viele Jahre lang den Dollar mit nur fünf Prozent leihen oder »kaufen« konnten. Eine sichere und sehr einträgliche Sache. Bis zur Mitte der 70er Jahre. Erst dann begannen diese schlauen europäischen Bankiers, einer nach dem anderen, sich zu fragen: »Wie wer den die Italiener jemals alle diese Darlehen zurückzahlen?« Und keiner wußte eine Antwort. Worauf der Hahn abgedreht wurde - zumindest von den Handelsbanken und ihren gemein samen Töchtern, den Konsortialbanken.
»Soll sich doch die Europäische Gemeinschaft eine Weile um Italien kümmern!« war ihr Standpunkt. Und sie hofften, die EG würde Italien auch mit genügend Dollar für die Rückzah lung versorgen, wenn die Darlehen fällig zu werden begannen. Die mächtige Bankenlobby legte sich ins Zeug, und die Euro päische Gemeinschaft - in Wahrheit fast ausschließlich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland - sprang hilfreich ein. Aber nicht blind. Die Deutschen sind die vorsichtigsten Finanziers der Welt. Sie verlangten Bürgschaften. Zuerst einen Teil von Italiens Goldreserven; dann die ganzen. Aber Italien brauchte immer noch Geld, um sich über Wasser zu halten: um Öl zu kaufen, um Weizen zu kaufen, um Whisky zu kaufen. Nach den Vereinigten Staaten war Italien der größte Whisky importeur der Welt. Und dann war Saudiarabien Italien zu Hilfe geeilt. Beim Mittagessen besprach ich die ganze Sache mit alKuraishi. Er war sehr beunruhigt. Nicht aus Gewinnsucht - wie die Londoner Banken - hatte Saudiarabien Italien so viel Geld geliehen. Als Italiens Ölrechnung nach dem Embargo des Jah res 1973 schwindelnde Höhen erreicht hatte - es kaufte sein Öl ausschließlich im Nahen Osten und in Libyen -, beschworen die Vereinigten Staaten und Europa Saudiarabien, es möge dem Land durch Recycling seiner Petrodollar helfen, daß heißt, es möge einen Teil der Dollar, die Italien den Saudis für das Öl zahlte, italienischen Unternehmungen als Darlehen überlassen. Saudiarabien zeigte Verständnis - für 3,5 Milliar den Dollar Verständnis. Aber unter der klar ausgesprochenen Bedingung, daß sowohl Amerika wie auch Europa für Italiens Schulden haften würden. Moralisch. »Das also ist die Moral des Westens«, bemerkte der Prinz. Mußte ich ihm nicht beipflichten? Aber vielleicht ließ sich noch etwas retten. Vielleicht, stimmte al-Kuraishi mir zu. Und vielleicht würden sie auch versuchen, die Araber zu nötigen, alle anderen zu retten. Unter solchen Umständen würde er nicht nach Rom gehen. Ich sollte allein fliegen.
Ich hatte Anweisungen, mich in keiner Weise festzulegen und, wenn möglich, nicht den Mund aufzumachen. Ich sollte die Rolle eines technischen Beobachters spielen. Und ich sollte mit Riyadh in Verbindung bleiben. Mit der Nachmittagsmaschine flog ich nach Rom. Nach einer Zwischenlandung in Beirut traf ich kurz vor Mitternacht in der italienischen Hauptstadt ein. Nach Riyadh war Italien eine Erholung. Nicht einmal das lächerliche Durcheinander auf dem Flughafen Fiumicino störte mich. Nach einer Woche Saudiarabien war es herrlich, wieder Frauen in der Öffentlich keit zu sehen, insbesondere italienische Frauen mit flatternden Haaren - und Röcken. Es machte sogar Spaß, Plakatwände zu sehen, die statt Philips-Radios und Hondas Cinzano und Whi te-Label-Scotch anpriesen. Auf der langen Taxifahrt in die Stadt legte ich die Reihenfolge meiner Prioritäten fest: zuerst ein Drink, dann eine Frau. Die Bar im Hassler war noch offen, gerade noch, und dort bekam ich meinen Drink. Aber - und ehrlich, das machte mir Sorge - ich stellte fest, daß ich einfach zu müde war, mich der Mühe zu unterziehen, eine Bettgefährtin zu finden. Meine Exgattin, diese frigide Tucke, hätte sich bei diesem Gedanken schiefgelacht. Ich glaube, ihre Probleme - sie hieß übrigens Anne - entspran gen samt und sonders der Religion. Sie war katholisch. Keine Katholikin, sondern katholisch. Mein Vater hatte mich ge warnt. Aber wenn man 21 ist, wer glaubt seinem Vater solches Zeug? Wir lernten uns an der Georgetown University kennen. Ich war dort wegen der Vorbereitungskurse für den Höheren Auswärtigen Dienst; sie, weil Jesuiten diesen Betrieb führten. In meinem letzten Semester heirateten wir; im Herbst gingen wir zusammen nach London. Im Winter ging ich zum ersten Mal fremd. Die Ehe war in der Hölle gestiftet worden. Ausgeruht und nun schon ein wenig aufgegeilt traf ich am nächsten Morgen kurz vor zehn in der Botschaft ein. Die Stimmung im Inneren des Hauses war die gleiche wie drau ßen. Italien im November kann ein sehr kaltes und deprimie
rendes Land sein. Der Konferenzraum war teuer und unelegant eingerichtet - einfach Knoll International von Wand zu Wand. Die moderne deutsche Seele spiegelte sich in der Sitzordnung wider. Hochachtung vor dem Geld war die Parole. Herr Dok tor Reichenberger hatte den Vorsitz übernommen. Zu seiner Rechten saßen die Amerikaner, zu seiner Linken war Saudia rabien, das heißt ich, plaziert. Links von mir befanden sich die Briten (ein Zeichen, wie tief das Land schon gesunken war); gegenüber den Engländern saßen natürlich die Franzosen. Einen Rang weiter der Iran und Japan, eine Einteilung, die den zwei Herren aus Teheran offensichtlich mißfiel. Dann die Hol länder und die Schweizer, schließlich Belgien und Kanada. Das waren sie: die elf Länder, die das Kapital der Welt kon trollierten. Das Tischende war Italien überlassen worden unserem Judas Ischariot! Jede Delegation bestand aus zwei Herren: der eine, der die Regierung seines Landes vertrat, für gewöhnlich ein hoher Beamter des Finanzministeriums oder der Nationalbank; der andere war der Präsident der »Führungsbank«, das heißt jener Handelsbank, die, direkt oder aufgrund ihrer Beteiligung an einer der Konsortialbanken, sich in Italien am meisten enga giert hatte. Saudiarabien war die Ausnahme, da Schatzkam mer, Nationalbank und Handelsbank zu jener einzigen Anstalt, zur Saudiarabischen Staatsbank, zusammengefaßt waren, als deren Vertreter ich hier saß. Nicht wenige Herren musterten mich neugierig, als der Herr Vorsitzende uns einander vorstell te. Der Gedanke schoß mir durch den Kopf, daß die Japaner vermutlich eifrig über die Frage rätselten, wie ein Araber es angestellt haben mochte, sich den Namen Hitchcock zuzule gen. Bis Mittag waren alle außer mir (ich hatte gepaßt) und den Italienern zu Wort gekommen. Keiner hatte irgendwelche Ver sprechungen gemacht. Nun setzte der Leiter der italienischen Delegation zu seiner Rede an. Sein Land brauche bloß ein paar Milliarden Dollar. Sonst könne es weder von Amerika und Europa Nahrungsmittel noch von den Arabern Öl kaufen, das
es 1982 brauche. Überdies würde es - könne es - keine weite ren Zinsen für die offen stehenden Eurodollar-Darlehen zah len, die sich auf insgesamt 16 Milliarden Dollar beliefen. Itali en, fuhr er fort, könne auch gar nicht daran denken, eines der Darlehen zurückzuzahlen, die ihm in den 60er Jahren gewährt worden waren und bedauerlicherweise nun fällig werden wür den, und die, wie er glaubte, etwa 2,6 Milliarden Dollar aus machten. »Sie brauchen ja nicht nur >ein paar Milliarden Dollar<«, unterbrach ihn der Mann aus dem Finanzministerium in Bern. »Sie brauchen ja viel mehr!« Kluge Leute, die Schweizer. Wenn es um ihr eigenes Geld geht, können sie sehr schnell addieren. Nun ja, meinte der Italiener, wenn der Herr aus dem nördli chen Nachbarland es so präzise haben wollte. Sie könnten in der Tat vielleicht auch vier Milliarden Dollar gebrauchen. Das sollte für das Jahr 1982 reichen. Zum großen Teil zumindest. »Vier Milliarden Dollar!« kreischte Doktor Reichenberger, seine Rolle als neutraler Vorsitzender vergessend. »Das ist unmöglich!« Ja, ja, nickten die Holländer und die Schweizer und der eine Belgier, der Flame war. Das war völlig unmöglich! Nun waren es natürlich nicht die Regierungsvertreter, die Bü rokraten, die damit rechnen konnten, auf Lebenszeiten ver sorgt in ihren Ministerien zu sitzen, die aus der Fassung gerie ten; es waren die Banker, die flotten Knochen in ihren grauen Straßenanzügen, die, weit mehr daran interessiert, sich selbstverständlich mit ihren Frauen - in Rom, Mailand oder Florenz fürstlich bewirten zu lassen, als an kühlen Überlegun gen, ob sie das Geld ihrer Banken herliehen oder herschenk ten, jahrelang das Geld ihrer gutgläubigen Anleger wie Zuk kerwerk ausgeteilt hatten. Es war die Zukunft ihrer Banken, nein, schlimmer noch, die ihrer Positionen an der Spitze eben dieser Banken, die hier auf dem Spiel stand. Die gleichen schmerzlichen Gedanken gingen offensichtlich gleichzeitig durch zehn Köpfe. Das Wort »schmerzlich« sollte
jedoch nicht zu der Annahme verleiten, die Herren machten sich Sorgen, die Italiener könnten 1982 verhungern und erfrie ren. Nein, ihre Überlegungen gingen in eine andere Richtung (und ich konnte es ihnen nicht einmal verdenken - schließlich war ich ja selbst Banker gewesen): Wenn Italien nicht von irgendwoher ein sehr großes neues Darlehen bekommt, wird es die in Kürze fälligen nicht zurückzahlen können. Das heißt, daß 2,6 Milliarden Dollar abzuschreiben sind. Schlimm, aber nicht unmöglich. Wenn aber Italien auch seine Zinszahlungen auf die übrigen offen stehenden Darlehen - an die 14 Milliar den Dollar - einstellt, dann müssen alle diese Darlehen von den Rechnungsprüfern neu eingestuft werden. Zunächst als »Darlehen ohne Ertrag«, dann als »dubios«, und dann, du liebe Zeit, als »uneinbringliche Forderungen«, die unverzüglich und in ihrer Gesamtheit abzuschreiben sind. Womit Eigenkapital und stille Reserven der Banken aufgezehrt sein würden, wenn nicht mehr. Chase und First National City würden vielleicht überleben, wenn auch schwer angeschlagen. Über London würde ein Chaos hereinbrechen. Und aus den Trümmern wür den Prozesse kommen, Schadenersatzklagen, man würde ih nen Mißwirtschaft, arglistige Täuschung, Betrug vorwerfen. Oh, Gott! Das ganze Leben ruiniert wegen dieser beschissenen Italiener! Einer der Kanadier brach das Schweigen, das sich über den Raum gesenkt hatte. »Aber Ihre Regierung«, wandte er sich an den Leiter der italienischen Delegation, »ist moralisch ver pflichtet, dieses Darlehen zurückzuzahlen.« Zuerst heimste er nur einen mitleidigen Blick für die Schau stellung solcher Naivität ein. Dann sagte der Sprecher der ita lienischen Regierung: »Womit?« Womit wirklich? Sie hatten weder Dollar noch Gold. Viel leicht könnten sich die Deutschen Venedig unter den Nagel reißen, die Schweizer Florenz und die Amerikaner Sizilien. Neapel würde natürlich keiner haben wollen. »Aber vielleicht«, fuhr der Italiener fort, »vielleicht könnte die amerikanische Regierung, eingedenk der strategischen Bedeu
tung Italiens für die NATO, und wissend, daß eine finanzielle Panik ausbrechen könnte, wenn nichts geschieht, ein solches Darlehen von vier Milliarden Dollar garantieren.« Ein ge drechselter Satz, eine lange Frage. Aber vielleicht ein Licht strahl. Bis einer von Harvards Besten, der Unterstaatssekretär im Finanzministerium der Vereinigten Staaten, antwortete: »Dem würde der Kongreß nicht zustimmen.« So viel über Amerikas Großherzigkeit. »Aber«, schränkte der Amerikaner ein, »vielleicht könnte sich der Kongreß entschließen, etwas beizusteuern, wenn die Län der mit großen Dollarüberschüssen ihrerseits mithelfen wür den.« Ich konnte förmlich spüren, wie sich zwanzig Augenpaare in zwei Richtungen bewegten: auf mich und auf die Männer aus dem Iran zu. Schließlich machten vier Milliarden Dollar, und das wußten alle hier im Raum, nicht einmal den Betrag aus, den die zwei großen Ölmächte am Persischen Golf in einem Monat vereinnahmten. Zu meinem Glück ahnte der Präsident der Persischen Zentral bank, was auf uns zukam. Er trug einen Präventivangriff auf den Mann aus Harvard vor. »Auch Sie«, erklärte er mit erhobenem Zeigefinger, »haben eine moralische Verpflichtung in bezug auf die Darlehen, die wir Italien, einem mit Ihnen verbündeten Land, gewährt ha ben. Der Iran und seine Brüder am Persischen Golf werden nicht zulassen, daß Sie sich dieser Verpflichtung entziehen.« Ein Bluff, aber ein guter. Der Unterstaatssekretär aus Wa shington sah seinen deutschen Verbündeten hilfesuchend an. Doch der gute Doktor Reichenberger dachte nicht daran, sich mit den Persern in einen Disput einzulassen. Der Iran hatte Milliarden Dollar als Einlagen - jedoch nur kurzfristig gebun den - in seiner Bank in Frankfurt liegen. So wie die »Brüder« am Golf: Kuwait, Abu Dhabi, Katar und natürlich Saudiarabi en. Seine Bank brauchte diese Petrodollars dringend - ganz besonders, wenn sich hier in Rom eine neue Finanzkrise an
bahnte. Andererseits waren es amerikanische Truppen, die in
Deutschland zwischen Frankfurt und den Russen standen.
Die Qual der Wahl für Herrn Doktor Reichenberger. Er sah
mich an. Ich schüttelte den Kopf. Meine Instruktionen waren
völlig klar gewesen.
Er schlug daher einfach vor, die Sitzung auf morgen, gleiche
Zeit, gleicher Ort, zu vertagen. Ich verließ die Botschaft, ohne
noch mit jemandem ein Wort zu wechseln.
Ins Hassler zurückgekehrt, rief ich sofort al-Kuraishi in Riy
adh an und erklärte ihm die Lage. Er nahm es ruhig auf. Er
fragte mich nach dem Iran. Ich berichtete ihm, welche Position
die Herren eingenommen hatten. Etwas weniger ruhig wies
mich der Prinz darauf hin, daß ich unbedingt darauf achten
müsse, mich mit der Haltung der Perser in keiner Weise zu
identifizieren. War das klar? Das war klar. Vielleicht, meinte
al-Kuraishi, könnte ich eine Zwischenlösung auf den Tisch
legen.
Ich ging in die Bar hinunter.
Sie saß allein am anderen Ende der Theke. Dunkles Haar, gut
gebaut, Anfang dreißig, in einem Hosenanzug von Pucci. Hüb
sche Nase. So viel über ihr Profil. Es reichte, um einen geilen
alten Bock aus der arabischen Wüste zu interessieren.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
»Ich habe nichts dagegen.« Sie hatte einen Akzent, aber ich
wußte nicht, wo ich ihn unterbringen sollte.
»Sind Sie Französin?«
»Nein, Schweizerin.«
»Und was machen Sie in Rom?« Gewiß keine neue Masche,
aber eine, die schon Millionen Male funktioniert hat.
»Ich begleite meinen Vater. Er besucht eine Konferenz.«
»Ach so. Womit beschäftigt er sich?«
»Er ist Physiker. Atomwissenschaftler. An der Eidgenössi
schen Technischen Hochschule in Zürich.«
»Faszinierend«, log ich. »Und Sie?«
»Sie wollen wissen, was ich tue?«
»Ja.«
»Eigentlich nichts. Mich um meinen Vater kümmern, wenn er daheim ist. Ihn begleiten, wenn er reist. Ich schreibe ein we nig. Versuche, hin und wieder ein gutes Werk für mein Volk zu tun.« »Und welches Volk ist das?« »Ich bin Jüdin«, erklärte sie ein wenig herausfordernd. »Ge nauer gesagt, Halbjüdin. Meine Mutter. Sie ist tot.« Feierliche Pause für die Verstorbene. Dann: »Was Sie da sa gen, interessiert mich. Aber bitte sagen Sie mir, ob ich da viel leicht ein heikles Thema berühre.« »Fragen Sie nur«, antwortete sie und sah mir mit jenem offe nen Ausdruck ins Gesicht, der für die Schweizer so typisch ist. »Aber warten Sie einen Augenblick«, sagte ich, »ich habe noch nichts bestellt.« Ich bestellte einen Martini. Der Kerl gab mir ein Glas warmen Wermut. Also wiederholte ich meine Bestellung und bekam schließlich ein Glas warmen Gin, auf dem ein winziger Eiswürfel schwamm. Wenn einer im Exil lebt, hat er es manchmal höllisch schwer. »Wo waren wir ste hengeblieben?« fragte ich. »Sie wollten mich etwas Heikles fragen.« »Stimmt.« Während ich meinen pinkelwarmen Martini weiter schlürfte, fiel mir gerade noch rechtzeitig ein, wie ich den Faden weiter spinnen sollte. »Ja also, es hat mich gewundert, daß Sie sich als Jüdin bezeichnen, wenn Ihr Vater doch nicht Jude ist.« »Sie überraschen mich. Sie sehen doch wie ein einigermaßen gebildeter Mann aus.« »Wirklich?« »Wissen Sie denn nichts über den Judaismus?« »Natürlich. Ich habe die Bibel gelesen. Was zum Teufel hat das damit zu tun?« »Es hat damit zu tun, daß es auf die Mutter ankommt, ob ein Kind Jude ist oder nicht. Das Kind einer jüdischen Mutter und eines nichtjüdischen Vaters ist jüdisch; umgekehrt ist es an ders.« »Okay. Ich habe etwas dazugelernt. Sie wurden also als Jüdin
geboren.« »Es geht nicht um die Umstände meiner Geburt. Ich wäre auf jeden Fall Jüdin.« »Warum?« »Weil ich alles bewundere, wofür die Juden eintreten. Sie halten sich für das auserwählte Volk und handeln danach. Sie sind anders als andere Völker und stolz darauf. Die Welt mag alles korrumpiert haben, aber mein Volk hat sie nicht korrum piert.« Das war ziemlich starker Tobak. Und religiöse Dinge waren mir eigentlich nie sehr wichtig. Aber was sie da eben gesagt hatte, war ein bißchen viel nach einem warmen Martini und einem enttäuschenden Vormittag. »Offen gesagt«, antwortete ich, »es fällt mir etwas schwer, Ihnen zuzustimmen. Was Geld betrifft, sind die Juden nicht anders als die andern. Im Gegenteil: Sie sind vielleicht noch ein wenig mehr daran interessiert. Man kann einen Juden kau fen, genauso wie man einen Araber, einen Italiener oder einen Eskimo kaufen kann.« Das süffisante Lächeln, das um ihre Lippen spielte, verdroß mich ein wenig. »Was tun Sie eigentlich?« fragte sie. »Sie nehmen offenbar an, daß das etwas damit zu tun hat, was ich eben sagte?« »Ja.« »Nun, ich bin Bankier.« Wieder dieses Lächeln, das ziemlich deutlich zum Ausdruck brachte, daß ich genau in ihre Vorstellung eines bigotten Geldwechslers paßte. »In New York?« setzte sie ihre Fragen fort. »Nein. In Riyadh.« Zum ersten Mal flackerte Interesse in ihren braunen Augen auf. »Sie meinen, Sie arbeiten mit den Arabern?« »Nein«, entgegnete ich, »für sie.« »Aber Sie sind doch Amerikaner.« »Ja.« »Sind Sie sich nicht manchmal selbst zuwider, wenn Sie am
Morgen aufwachen?«
»Nein. Warum sollte ich?«
»Lassen Sie mich Ihnen zunächst diese Frage stellen: Warum
arbeiten Sie für die Araber?«
»Des Geldes wegen.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit.
Na, wenn schon.
»Das würde ich Prostitution nennen.«
»Und?«
»Was meinen Sie?«
»Was haben Sie an Prostitution auszusetzen?«
»Jetzt nehmen Sie mich auf den Arm.«
»Nein. Ich meine es ernst.«
»Weil es erniedrigend ist. Den Männern mache ich keinen
Vorwurf. Ich habe nur das Gefühl - und es ist ein sehr starkes
Gefühl -, daß eine Frau immer darauf bedacht sein sollte, ihren
Stolz zu bewahren, auch den Stolz auf ihren Körper.«
»Unter allen Umständen«, fügte ich hinzu.
»Ja. Aber ich erwarte nicht von Ihnen, daß Sie das verstehen,
denn die Leute, für die Sie arbeiten, behandeln ihre Ziegen
besser als ihre Frauen.« Aus ihren braunen Augen schossen
Blitze.
»Um also zusammenzufassen, was Sie mir gesagt haben: zu
nächst glauben Sie, daß man Juden mit Geld nicht kaufen
kann. Und zweitens, daß es für eine Frau wie Sie undenkbar
ist, für Geld mit einem Mann zu schlafen.«
»So habe ich das nicht gesagt. Aber schön. Es entspricht in
etwa meinen Ansichten.«
»Lassen Sie mich kurz zurückgehen. Habe ich Sie vorhin rich
tig verstanden? Sie tun gute Werke? Im Rahmen jüdischer
Wohlfahrtsinstitute, wohltätiger Stiftungen?«
»Ja. Ich unterstütze vornehmlich Organisationen, die die Aus
wanderung osteuropäischer, speziell russischer Juden fördern.
Aber was hat das damit zu tun, wovon wir gesprochen ha
ben?«
»Ich komme gleich darauf. Was kostet es im Durchschnitt,
einen Juden von den Kommunisten freizukaufen?«
»Das hat man noch nie ausgerechnet.«
»Schätzen Sie.«
»Angefangen mit der Organisation an sich, dann mit den
Transportkosten, den Kosten der Ansiedlung in Israel… min
destens zehntausend Dollar, würde ich sagen.«
»Und Sie glauben fest an die Förderungswürdigkeit eines sol
chen Unternehmens?«
»Es ist eine der wichtigsten Aufgaben meines Lebens.«
»Würden Sie gerne heute nacht zwei Juden befreien?«
»Ich verstehe nicht.«
»Ich will es anders ausdrücken. Sie können heute abend einen
Betrag verdienen, der ausreichen würde, um zweien Ihrer
Glaubensgenossen in Osteuropa ein neues Leben zu schenken.
Für zehntausend Dollar pro Kopf.«
»Seien Sie nicht albern.«
»Das bin ich nicht.«
Sie geriet ein klein wenig in Erregung. Ich konnte es an der
Art erkennen, wie sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr.
»Und wie?«
»Indem Sie eine Stunde mit mir auf meinem Zimmer verbrin
gen.«
»Sie meinen, Sie wären bereit, mir zwanzigtausend Dollar
dafür zu zahlen, daß ich einmal mit Ihnen schlafe?«
»Ich habe nicht gesagt, daß es nur einmal sein würde. Ich sag
te…«
»Das ist doch widerlich!«
»Das finde ich nicht. Und auch diese Juden werden das nicht
so empfinden. Wenn es sich ergeben sollte, daß einer von den
zweien eine Frau ist - und das hoffe ich doch -, so wäre sie
sicher bereit, um aus Rußland herauszukommen, weit
Schlimmeres in Kauf zu nehmen, als in einem Moskauer Hotel
mit einem Amerikaner zu schlafen.«
»Sie sind nicht bei Trost.«
»Doch. Ich meine es ernst. Ich sehe die Dinge realistisch.«
Eine volle Minute saß sie stumm da und sah mich nur an.
»Darf ich Ihren Namen erfahren?« brach ich schließlich das
Schweigen. »Den werde ich Ihnen nach diesem Gespräch wohl kaum nen nen.« »Na schön. Ich heiße Hitchcock. Bill Hitchcock.« Ich streckte ihr die Hand entgegen. Nachdem sie ein wenig gezögert hatte, nahm sie meine Hand. »Ich heiße Ursula Hartmann.« »Ursula. Sehr schweizerisch.« »Ja. Und ich finde den Namen scheußlich.« »Ach, ich weiß nicht. Immer noch besser als Heidi.« »Das ist mein zweiter Vorname.« Sie grinste. Und dann kam ihr Vater in die Bar spaziert - der gute Herr Professor Hartmann höchstpersönlich. Er wurde von einem anderen Mann begleitet: groß gewachsen, blond, offenes Hemd, an die 40. Er hätte leicht die Rolle eines britischen Panzerkommandanten in einem Kriegsfilm spielen können nicht eben ein Typ, den man in Professor Hartmanns Gesell schaft erwarten würde; im Hinblick auf seine Tochter aller dings… Beide Herren nahmen zu Ursulas Rechten Platz, und sofort begannen die drei, sich in deutscher Sprache zu unterhalten. Es gab nicht den geringsten Hinweis darauf, daß sie die Absicht hatte, mich vorzustellen. Also ging ich nach zehn Minuten, von dem erhebenden Gefühl bewegt, daß ich mich lächerlich gemacht hatte - nicht zum ersten Mal in meinem Leben. Zurück an die Arbeit. Prinz al-Kuraishi hatte mir nahegelegt, mir eine Lösung einfallen zu lassen. Okay, er sollte sie haben. Vielleicht nicht sehr dauerhaft. Was soll’s? Wem fallen schon dauerhafte Lösungen ein? Meine persönliche, über viele Jahre hin erhärtete Einschätzung der Lage Italiens lautete: Seit dem Ende des Zweiten Welt kriegs glichen Italien und seine Wirtschaft einem an ein Was serrad gebundenen Mann. Hinauf und im Kreis herum und dann ein kaltes, nasses Eintauchen. Keine lebensbedrohende Prozedur. Der Mann mußte nur hin und wieder den Atem an halten. Dann kehrte er wieder in die schwindelerregende Welt
einer Illusion ewigen Wohlstands zurück. Bis zum nächsten Eintauchen. Wir hatten also nichts anderes zu tun, als Italien wieder einmal eine Atempause zu verschaffen. Vielleicht sollte ich ein paar Anrufe machen - versuchen, ein neues kurzfristiges Arrange ment auf die Beine zu bringen, zwei Milliarden vielleicht - ein Teil jetzt zahlbar, der Rest auf Abruf. Vielleicht auf sechs Monate, mit einer Option, auf weitere sechs Monate verlän gern zu können. Damit würde sich ein Zahlungsverzug bei den alten Anleihen vermeiden lassen. Dazu hatten mich die Saudis ja schließlich engagiert, um mitzuhelfen, finanzielle Brände zu löschen. Ich war sicher, al-Kuraishi würde einer substantiellen Beteiligung Saudiarabiens an dieser Rettungsaktion - eine halbe Milliarde etwa - zustimmen. Schließlich erreichte ich Henri Duvillard, den Vorstandsvor sitzenden der Banque Nationale de Paris. Bei der Konferenz war er sehr still gewesen. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis ich ihn mit Hilfe der Französischen Botschaft aufgestöbert hatte. Als ich ihn dann am Apparat hatte, dauerte es nur zwei Minuten: Er sagte dreimal Non, und das war’s. Die verdamm ten Franzosen sind immer schon kurzsichtige Leute gewesen. Also rief ich den Präsidenten von Barclays an. Ihm gefiel die Idee, aber seine Bank konnte die Mittel einfach nicht aufbrin gen. Ich versuchte, Reichenberger zu erreichen, aber er war ausgegangen, und die Botschaft hatte keine Ahnung, wo er sich aufhielt. Ich ließ überall Nachrichten zurück, saß in mei nem Hotelzimmer und fühlte mich in zunehmendem Maß de primiert. Endlich rief er zurück. Ja, er könne die großen deut schen Handelsbanken dazu bewegen, noch einem großen Dar lehen zuzustimmen. Vorausgesetzt, daß Sicherheiten angebo ten wurden. Aber die Italiener hatten keine anzubieten. Das hatten sie ja offen zugegeben, erinnerte ich ihn. Genau, ant wortete Reichenberger. Aber ohne Sicherheiten keine neuen Darlehen. Und was hielt er davon, mit der Regierung in Bonn zu reden, ob sie noch einmal die Garantie übernehmen würde? Nichts zu machen. Seine Regierung hatte sich diesbezüglich
unmißverständlich ausgedrückt. Aber wenn ich einen anderen Vorschlag hätte - irgendeinen anderen -, wäre er jederzeit be reit, darüber zu reden. Ganz gleich, wo. Immerhin ein Anfang. Nun war es Zeit, auf meinen Stab zu rückzugreifen. Wir - damit meine ich die Saudis - hatten ein kleines Büro in Rom: um die Darlehen abzuwickeln und Kon takte mit den italienischen Banken zu halten. Ich rief den Lei ter des Büros an und richtete zwei Ersuchen an ihn: mir ein komplettes Dossier über einen der größten italienischen Kon zerne zusammenzustellen und mir etwas durch Boten über bringen zu lassen. Dann rief ich die Nummer zwei der Amerikanischen Botschaft an. Er war schon seit mindestens fünfzehn Jahren in Rom und hatte mehrere Dummköpfe von Botschaftern kommen und gehen sehen. Und, das kann man mir ruhig glauben, die Verei nigten Staaten haben einige einmalige Exemplare in die italie nische Hauptstadt entsandt! Wie auch immer: Seine Frau war eine Cousine meiner Exfrau, und so wie meine frühere Gattin hatte auch sie eine Menge Geld und nicht viel im Kopf. Aber das störte ihn nicht; ich glaube, er hatte eine Vorliebe für Kna ben. Das war zumindest der Eindruck, den ich gewonnen hat te, wenn er mit Priscilla (das ist kein Witz; sie hieß wirklich so) auf seinen periodischen Heimaturlauben und Streifzügen durch die Vereinigten Staaten hin und wieder in meinem alten Haus in San Francisco aufkreuzte. Meine Exfrau freute sich wahnsinnig über seine Besuche; sie liebte es, ihn in der Stadt herumzuzeigen, so als ob er eine papistische Version von Hen ry Kissinger wäre. Das wäre ja auch wohl ganz in Ordnung gewesen. Nicht in Ordnung waren ihre Verklemmungen. Anne hatte Dutzende davon, und die meisten hatten ihren Ursprung im Schlafzim mer. Angeblich ist es entweder Geld oder Sex, was letzten Endes Ehen kaputtmacht. In unserem Fall war es nicht das Geld. Na und? Es ging darum, daß jetzt die Reihe an mir war, mich wenigstens zu einem kleinen Teil zu entschädigen. Ich lud ihn zum Abendessen ein, bat ihn jedoch ausdrücklich,
Priscilla nicht mitzubringen. Schon um zehn hatte ich alles
erfahren, was ich wissen wollte: welche Leute zu diesem Zeit
punkt die Finanzen des Landes in Händen hatten, und für wie
viel man sie kaufen konnte. Dann schickte ich ihn nach Hause.
Als ich in mein Zimmer zurückkehrte, lagen beide Päckchen,
die ich von den hier ansässigen Saudis erbeten hatte, auf dem
Tisch.
Warum sollte ich es also nicht versuchen?
7 Ihr Telefon klingelte nur zweimal, bevor sie den Hörer auf
nahm. »Ja?« meldete sie sich.
»Ich bin’s. Bill Hitchcock.«
»Und was wollen Sie?«
»Unser Gespräch fortsetzen.«
»Kommt nicht in Frage.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich muß auf meinen Vater warten. Er ist noch nicht von sei
nem Abendessen zurück.«
»Wo haben Sie gegessen?«
»Auf dem Zimmer.«
»Sie sind in Rom und essen auf dem Zimmer? Ziemlich lang
weilig, finden Sie nicht?«
»Ein bißchen schon.«
»Hören Sie, kommen Sie doch auf einen Schlummertrunk
rauf. Meine Zimmernummer ist 720-21.«
»Ich habe Ihnen schon gesagt, Mr. Hitchcock…«
»Bill.«
»Es ist unmöglich, wie ich schon sagte.«
»Also schön. Aber wenn Sie es sich überlegen sollten, kom
men Sie einfach rauf. Ich habe die Absicht, noch eine Weile
aufzubleiben. Ich lese.«
Das war die Wahrheit. Ich mußte ein hundert Seiten starkes
Dossier durchsehen. Ich war auf Seite 30, als jemand an die
Tür klopfte. Ich öffnete, und Ursula Hartmann stand vor mir.
Diesmal hatte sie keinen Hosenanzug an. Sie trug eine ziem
lich steife weiße Bluse und einen einfachen blauen Rock. Sie
sah aus wie eine von diesen verdammten Pfadfinderinnen.
Ich hatte einen Schlafrock an - sonst nichts. Meine Arbeits
kleidung, wenn man so will.
»Willkommen«, sagte ich und schüttelte ihr nach guter
schweizerischer Art die Hand. »Treten Sie ein und verschö
nern Sie meinen Kreis.«
Sie folgte meiner Einladung und blieb im Zimmer stehen.
»Mein Vater hat angerufen«, teilte sie mir mit. »Er sagte, er würde erst sehr spät zurückkommen. Also…« »Setzen Sie sich doch, um Himmels willen. Was darf ich Ih nen anbieten? Ich habe Gin, Scotch und Campari.« Ohne die sen roten Hustensaft ist Italien ja eigentlich nie so ganz kom plett. Sie nahm Gin und Tonic - genauer gesagt, zwei Gläser in knapp fünfzehn Minuten. Die Zeit verging mit belangloser Unterhaltung. Hauptsächlich sprachen wir über ihren Vater. »Wer war denn der weiße Riese, den Ihr Vater in die Bar mit gebracht hat?« fragte ich. »Ein Kollege.« »Ein Kollege? Soll das heißen, der Kerl kann auch denken?« »Er ist ein brillanter Wissenschaftler. Aus Israel.« »Ihr Vater betätigt sich also auch in dieser Richtung?« Sie machte ein überraschtes Gesicht, faßte sich aber gleich wieder. »Überhaupt nicht«, antwortete sie. »Vater hat Hunder te von Freunden unter den Wissenschaftlern auf der ganzen Welt. Professor Ben-Levi ist einer von ihnen. Das ist alles.« Ich sah keinen Grund, das Thema weiter zu verfolgen, und kam auf Reisen zu sprechen. Sie und ihr Daddy waren wirk lich viel herumgekommen. Darum kannte sie auch die meisten der guten Restaurants, die ich kennen- und liebengelernt hatte, angefangen von Pere Bise in Talloires bis zu Charles und Maurices kleinem Bistro in San Rafael - letzteres war zu einer Zeit in ihre Liste aufgenommen worden, als Daddy an der Universität Berkeley Vorlesungen gehalten hatte. Aber es waren keine kulinarischen Genüsse, die ich jetzt im Sinn hatte, wenngleich meine Vorlieben für Speisen eine ge wisse Parallelität zu meinen Neigungen auf sexuellem Gebiet aufweisen. Damit meine ich, daß ich in den letzten 20 Jahren meines Lebens niemals - kein einziges Mal - nur Steak zum Dinner gegessen hatte. Steak kann jeder zu sich nehmen. Das ist langweilig. Auch Sex kann langweilig werden, insbesonde re dann, wenn man 47 ist und alles erlebt hat, angefangen von dem gehetzten Liebesspiel mit der Pastorentochter auf dem Rücksitz eines aus zweiter Hand erworbenen Fords bis zum
Sextempore mit der Nichte eines englischen Lords auf dem Rücksitz des väterlichen Rolls auf der Heimfahrt von Ascot wie mir im vergangenen Sommer widerfahren. (Wobei ich mir vorkam wie einer, der auf der Oxford Street eine Bananen schale wegwirft.) Wie dem auch sei, man muß immer bereit sein, in Neuland vorzustoßen. Wer sich der Herausforderung stellt, hat mehr Spaß an allem: Beruf, Sex, was auch immer. Nun bin ich nicht so bescheiden zu glauben, daß es mir nicht gelungen wäre, Ursula Hartmann rumzukriegen - nach einer langen Reihe von Drinks, Dinners, Kinobesuchen, Theater und - als ausschlaggebendes Argument und, um die Aufrichtigkeit meiner Gefühle unter Beweis zu stellen - Oper. Aber mit 47 haßte ich die Oper. Also… »Nun, Ursula«, sagte ich, »es ist Zeit, daß wir zur Sache kommen.« Wieder begann die Zunge über die Lippen zu streichen. Und unter dem einfachen blauen Rock schlug sie die Beine über einander. »Was meinen Sie?« Ich stand auf, ging ins Schlafzimmer und kam mit dem brau nen - jawohl, dem braunen - Umschlag zurück, den der Mann aus dem saudiarabischen Büro einige Stunden zuvor in mei nem Hotel abgegeben hatte. Ich warf den Umschlag auf den Tisch. Sie saß dahinter auf dem Sofa. Ich stand ihr gegenüber und wollte sehen, was nun kommen würde. Dabei dachte ich, daß Ursula Hartmann ein wirklich sehr hübsches Mädchen war. Sie besaß jene anmutige Reife, wie sie Frauen über dreißig eigen ist. Sie nahm den Umschlag in die Hand, saß da und sah mich an. Ich steckte mir eine Zigarette an. Sie öffnete den Umschlag. Der Umschlag enthielt zwanzig Eintausend-Dollar-Noten, was meinem saudiarabischen Helfer hoch anzurechnen war. Tau send-Dollarnoten sind selbst in den Vereinigten Staaten und auch in kleinsten Mengen sehr schwer aufzutreiben. Wie der Mann das an einem Nachmittag in Rom geschafft hatte, war mir unverständlich, aber es erhärtete meine schon vor langer Zeit gewonnene Überzeugung, daß man, wenn es sich um
Geld handelt, Araber nie unterschätzen sollte. »Sie sind verrückt«, sagte sie, berührte einige der Banknoten, nahm sie aber nicht aus dem Umschlag. »Nein, nur halbwegs vermögend.« Diese Zwanzigtausend entsprachen etwa den Einkünften, die Saudiarabien in einer halben Sekunde aus seinem Öl zog. Ich versuchte eigentlich nichts anderes, als einen winzigen Teil jenes immensen Ver mögens unter Anwendung einer wahrhaft innovativen Metho de einer neuen Verwendung zuzuführen. Ich langte über den Tisch, löschte unterwegs meine Zigarette im Aschenbecher, ergriff ihre Hand und zog ein wenig daran. Und… sie erhob sich! Jetzt kam der riskanteste Teil meines Unternehmens. Würde sie diese fünfzehn Schritte ins Schlafzimmer tun oder zur Tür laufen? Ein oder zwei Sekunden lang hing die Entscheidung an einem Haar, doch dann überwand sie die kritische Bewußt seinsschwelle und begab sich mit energischen Schritten in mein Boudoir; ihr Schwung hätte das Herz so manchen schweizerischen Sonntags Wanderers höher schlagen lassen. Auch im Schlafzimmer zeigte sie Entschlossenheit und Sach lichkeit. Als erstes die frisch gestärkte weiße Bluse; dann der weiße BH. Schließlich der blaue Rock. Und dann stand sie in ihrem weißen Bikinihöschen da und sah mich herausfordernd an. Mittlerweile hatte ich meinen Schlafrock abgelegt, trat auf sie zu - es sollte ja schließlich doch kein »Geschäft« sein - und küßte sie. Zuerst war es nicht viel anders, als wenn ich eine jungfräuliche Tante zu ihrem achtzigsten Geburtstag geküßt hätte. Doch als sie spürte, wie ich mich zu regen begann, er laubte sie mir eine leise Berührung ihrer Zunge. Dann eine heftigere. Meine Hand ergriff die ihre und führte sie zwischen unsere Körper. Dort verharrte sie, während meine Hand ihre eigene gnadenreiche Mission aufnahm. Ihr Schamhaar war dicht, und es war feucht. Das brachte mich ziemlich auf Tou ren, denn das hatte ich nicht erwartet. Auf dem Bett wurde mir eine noch größere Überraschung
zuteil. Statt regungslos dazuliegen und gottergeben auf die Schmach zu warten, die ihr nun angetan werden sollte, glitt sie an meinem Körper hinab und nahm mein Glied schnell und vollständig in den Mund. Was dann geschah, läßt sich nur brutal wiedergeben: Keine zehn Sekunden später kam ich. Zweitausend Piepen die Sekunde! Herrgottimhimmel! Ich war aufs Kreuz gelegt worden! Denn damit hatte es sich. Bevor ich noch klar denken konnte, war sie vom Bett gesprungen und wieder in ihre Pfadfinder uniform geschlüpft. Dann stand sie da und sah auf mich hinun ter wie auf ein Stück Fleisch, das der Metzger irrtümlich ins Schlafzimmer geliefert hat. »Mr. Hitchcock«, sagte sie, »ich möchte Ihnen einen Rat ge ben.« »Gern«, antwortete ich, während ich mich in meinen Schlaf rock kämpfte. »Ich glaube, Sie sollten einen Aufenthalt in einer Sexklinik in Erwägung ziehen. Sie könnten dort Hilfe finden.« Und weg war sie. Zu guter Letzt noch dies: Als ich am nächsten Morgen in der Rezeption nach Post fragte, reichte mir der Concierge meinen braunen Umschlag. Ich öffnete ihn und fand darin nur einen Bogen Hotelbriefpapier mit folgenden Worten: »Hiermit be stätige ich den Empfang von 20.000 Dollar für geleistete Dienste.« Und ihre Unterschrift. Ich fand das reichlich geschmacklos. Man kann nicht immer gewinnen, dachte ich und beschloß zu versuchen, wenigstens das andere Spiel zu gewinnen. Also kehrte ich mit der Absicht in die Deutsche Botschaft zurück, den Bankleuten, die sich dort um neun Uhr ein zweites Mal zusammensetzen sollten, einen Kompromißvorschlag zu ma chen. Doch als ich etwas später - aber nicht zu spät - eintraf, erwartete mich ein wildes Durcheinander. Die Engländer be geiferten die Franzosen in schlechtem Französisch, und die Perser beschimpften in noch schlechterem Englisch die Ame rikaner. Die anderen saßen in stummer Betäubung mit Katern
verschiedener Größenordnung um den Tisch herum. Das war die versammelte Elite der kapitalistischen Welt! Der deutsche Vorsitzende machte dem Geschrei schließlich ein Ende, indem er offen aussprach, was offenkundig war: die hier Anwesenden würden keine Lösung finden. Also vertagte er die Sitzung und legte den Delegierten nahe, heimzufahren und Konsultationen mit ihren Regierungen aufzunehmen. Daran tat er recht, denn es war augenfällig, daß, wenn über haupt noch etwas getan werden konnte, um den finanziellen Zusammenbruch Italiens abzuwenden, es von jenen wenigen getan werden mußte, die in unserer Welt des Jahres 1981 noch die Macht hatten, ihren Willen durchzusetzen. Die Deutschen und die Araber entsprachen diesen Anforderungen; der Groß teil der Komiker, die an dieser Konferenz teilgenommen hat ten, entsprach ihnen nicht. Also wartete ich, bis sich der Saal fast geleert hatte und näherte mich dann still Doktor Reichen berger. Ich wollte mich privat mit ihm über diese Sache unter halten. Ich hätte da eine Idee. Je eher, desto besser, meinte er. Beim Lunch? Nein, er hatte schon die Ein-Uhr-Maschine nach Deutschland gebucht. Dann morgen in Frankfurt? Wir verab redeten uns zum Mittagessen im Frankfurter Hof. Den Rest des Tages verbrachte ich in unserem Büro in Rom, wo ich das Dossier durchsah, das sie gestern für mich zusam mengestellt hatten. Je länger ich es studierte, desto mehr war ich davon überzeugt, daß die Deutschen die richtigen Partner für uns waren. Zu meinem Plan gehörte auch der Einsatz poli tischer Hebelkraft, vielleicht sogar einer gewissen Brutalität. Die Deutschen haben für solche Dinge immer schon Ver ständnis gezeigt. Ich war daher einigermaßen optimistisch, als ich um sieben Uhr abends die Lufthansamaschine nach Frankfurt bestieg.
8 Die Geschichte vermerkt, daß auch Shadad Tibrizi - oberster Chef der SAVAK, des Schahs persönlicher Gestapo - an die sem Abend ein Flugzeug bestieg. In Teheran. Und auch er hatte einen Plan, der die Anwendung von Hebelkraft und, wenn nötig, Brutalität vorsah. Weiter gingen die Parallelen nicht. Ich hatte damals nichts anderes im Sinn, als Sicherheiten für ein neues Darlehen aufzutreiben. Was Tibrizi und sein Boß im Schilde führten, läßt sich am besten aus dem Decknamen ersehen, den der Schah für sein Vorhaben gewählt hatte: Pro jekt »Sassaniden«. Es ging um nichts geringeres als die Wie dererrichtung des alten Sassanidenreiches (A. D. 224-651), als die Grenzen des Iran den ganzen Persischen Golf umfaßt und es an Machtfülle keinem anderen Land der Erde nachgestan den hatte. Tibrizi reiste allein und unter seinem eigenen Namen. Warum auch nicht? Sein Gesicht war auf so gut wie allen Flughäfen der Welt bekannt. Er hatte die ganze erste Klasse des Fluges 707 der Pan Am für sich. Schließlich hatte das finanzielle Hilfsangebot des Schahs es der Fluglinie einmal ermöglicht, den Verkehr aufrechtzuerhalten. Die Stewardessen taten alles Striptease ausgenommen -, um ihn bei guter Laune zu I halten. Der aus Cleveland, Ohio, gebürtige Kapitän kam persönlich alle halbe Stunde aus dem Cockpit, um ihn über den Fortgang des Fluges zu unterrichten. Es machte Tibrizi Spaß, wenn Amerikaner vor ihm Kratzfüße machten. Darum flog er Pan Am statt Iran Air. Als auf dem Flughafen Kloten die Turbinen abgeschaltet und die Eingangsluken geöffnet wurden, bestiegen zwei Schweizer das Flugzeug. Es waren Franz Ulrich, der Chef des Schweizer Geheimdienstes, und sein Adjutant, der ihm auch als Chauf feur diente. Ulrich und Tibrizi kannten einander seit Jahren. Ulrich hatte ein Auge auf die Perser in der Schweiz, insbeson dere die Studenten, die gerne vergaßen, wer ihr Studium be zahlte, und sich hin und wieder gern den Mund über das Poli
zeiregime in ihrem Land zerrissen. Er hielt Tibrizi auf dem laufenden. Bis dahin hatten die Perser keine richtige Gelegen heit gehabt, sich erkenntlich zu zeigen, aber das war genau die Art, wie die Schweizer vorzugehen beliebten: wo immer mög lich, Guthaben anlegen. Eines Tages würden sie sich als nütz lich erweisen. Tibrizi brauchte das Flughafengebäude nicht zu betreten. Nachdem er das Flugzeug verlassen hatte, wurde er über die Einstiegstreppe hinunter und direkt zu dem Wagen geleitet, der auf der Rollbahn wartete. Dann durch das Tor zur Schnellstraße, die in die Stadt führte. Aber schon nach weni gen Kilometern bogen sie ab und setzten die Fahrt in Richtung Rhein fort. Um zehn Uhr war Tibrizi in einer Suite des Hotels Adler am Rande von Baden, der kleinen Stadt zehn Kilometer nördlich von Zürich, untergebracht. Baden war wegen zwei Dingen berühmt: wegen seiner Bäder aus der Römerzeit und weil es den Hauptsitz einer der bedeutendsten schweizerischen Gesellschaften beherbergte: Roche-Bollinger, führende Her steller von Turbinen, Generatoren, Kraftwerken - und nuklea ren Ausrüstungen, insbesondere großen Reaktoren. Tibrizi sprach seine Gebete und ging zu Bett. Am nächsten Morgen holte Ulrich - der die Nacht in Zürich verbracht hatte - Tibrizi wieder ab und fuhr mit ihm direkt zu dem zwanzigstöckigen Bürogebäude aus Stahl und Glas, das die Stadtmitte beherrschte. Dr. Hans-Peter Suter, der Präsident von Roche-Bollinger, wartete im Erdgeschoß, um sie zu be grüßen. Ulrich machte die Herren miteinander bekannt und ging. Er hatte dem Protokoll Genüge getan. Suter war nicht nur Präsident der Roche-Bollinger-Gruppe. Er war auch Oberst im schweizerischen Heer, wo er dem mit atomarer Abschreckung befaßten Planungsstab angehörte. Die Schweizer haben immer nur ein Milizheer mit wenigen tau send Mann regulärer Truppen unterhalten. Es war daher gar nichts Besonderes, daß der leitende Mann in einem großen Konzern eine doppelte Funktion als Geschäftsmann und Offi zier ausübte. Es wäre im Gegenteil höchst ungewöhnlich ge
wesen, wenn ein Mann von Suters Position nicht auch einen hohen militärischen Rang eingenommen hätte. Dieses System trägt wesentlich zu der Tatsache bei, daß es in der Schweiz so selten Meinungsverschiedenheiten in bezug auf die Politik des Landes gegeben hat. Sowohl der private wie auch der öffentli che Sektor befinden sich im wesentlichen in der Hand dessel ben Establishments. Schon in den 30er Jahren war die Herr schaft dieses militärisch-industriellen Komplexes zu einem anerkannten Faktum geworden. Sie hat sich als höchst wirk same »Regierungsform« erwiesen. Im 20. Jahrhundert war die Schweiz nie in einen Krieg verwickelt worden - weil die an der Macht befindliche Elite keine Vorteile darin erblickte, ganz im Gegenteil. Im Jahre 1981 stand die Schweiz, was Fi nanzkraft und Wohlstand betraf, in der Welt an zweiter Stelle. Nummer eins in Pro-Kopf-Einkommen und Reichtum war natürlich Kuwait. Das Geheimnis, wie die Schweiz es ge schafft hatte, sich aus den zerstörerischen Konflikten unseres Jahrhunderts herauszuhalten, lag in ihrer offen erklärten Neu tralitätspolitik begründet. Aber wen scherte die? Nein, die Schweiz war nie angegriffen worden, weil die Machtelite im mer darauf geachtet hatte, daß das Land über ein äußerst wirk sames Abschreckungspotential verfügte - gleichzeitig aber bei jedem größeren Konflikt seine Bereitschaft bekundet hatte, mit beiden Seiten »ins Geschäft zu kommen«. Im Zweiten Welt krieg zum Beispiel tat die Schweiz den Nazis unverblümt kund: Greift uns an, und jeder schweizerische Bürger zwi schen 17 und 50 Jahren wird sich in den Bergen verschanzen und einen Zermürbungskrieg nach Tito-Art gegen euch führen. Seid ihr aber so klug, uns nicht anzugreifen, wird es uns ein Vergnügen sein, euch mit allem zu beliefern, was unsere hochentwickelte Industrie herzustellen in der Lage ist. Natür lich gegen Barzahlung. Und genauso geschah es. Mit der er gänzenden Feinheit, daß die Schweizer als Entgelt für ihre Mithilfe - sie lieferten Deutschland Flakgeschütze, Steuerge neratoren, Flugzeugersatzteile, Präzisionsinstrumente sowie Werkzeugmaschinen und gestatteten den Nazis überdies die
Benützung des schweizerischen Schienennetzes, um Waffen und Truppen zur Unterstützung Mussolinis gegen die ameri kanischen und britischen Truppen nach Italien zu schicken auf zusätzlicher Gegenseitigkeit bestanden: Energie. Ruhrkoh le. Sie arbeiteten eine sehr präzise Formel aus, wonach die Nazis ihnen für jede Tonne militärischen Nachschubs für die deutschen und italienischen Truppen südlich der Alpen so und so viele Tonnen Kohle verkaufen mußten. Dieses Abkommen war für die Existenz der Schweiz in den fünf Jahren jenes blu tigen Konfliktes lebenswichtig. Denn die Schweiz besitzt we der Kohle noch Öl - keine Tonne, kein Barrel. Und ihr hydro elektrisches Potential war bereits völlig aufgebraucht. Es funktionierte. Die Deutschen ließen ihre Hände von der Schweiz. Und sie versorgten die Schweiz mit genügend Ener gie, um es ihr zu ermöglichen, nicht nur zu überleben, sondern auch zu florieren, während der Rest Europas allmählich in Schutt und Asche versank. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand die Schweiz, wie ganz Westeuropa, ihre neue Sicherheit in den Vereinigten Staaten. Der amerikanische Atomschirm bot ein Abschreckungsmittel für alle. Die weltweite wirtschaftliche Hegemonie der Verei nigten Staaten bürgte dafür, daß der materielle Bedarf ihrer Freunde in Europa stets gedeckt sein würde. Amerika kontrol lierte alles - angefangen vom Weizen bis zu Holz, Flugzeugen, Bananen und Öl. Ein Land brauchte nichts anderes zu tun als auf Amerikas Seite zu stehen, und alles war in Ordnung. Genau das tat die Schweiz - von einer bedauerlichen Ausnah me abgesehen -, und das Land florierte weiter wie nie zuvor. Doch zwischen 1973 und 1975 begann das gesamte Funda ment dieser beruhigenden Konstruktion in die Brüche zu ge hen. Der Hüter des Ganzen, die Vereinigten Staaten, trudelten plötzlich weltweit ab. Wie ein wimmernder, hilfloser Riese ging Amerika in Vietnam unter. Politisch verlor es alle Glaubwürdigkeit als Führungsmacht, als das Präsidialsystem nach Nixons Sturz um ein Haar zusammengebrochen wäre. Was die wirtschaftliche Entwicklung anging, beugten sich die
Vereinigten Staaten in Übersee rückhaltlos der arabischen Ölerpressung und mußten daheim einen empfindlichen Kon junkturrückgang hinnehmen. Im Sommer 1975 wurde den Schweizern klar, daß sie sich nicht mehr auf Amerika als Garant des Friedens und ihres Wohlstandes verlassen konnten. Also taten sie zwei Dinge. Sie entwickelten rasch ihre eigenen atomaren Waffen und bauten sie auch. Im geheimen natürlich, denn die Schweiz war ja eine der Signatarmächte des Atom sperrvertrags. Kaum ein Jahr später besaßen sie bereits über hundert nukleare Einheiten, angefangen von Bomben bis zu Raketenköpfen und Minen. Zweitens begannen sie, ihre wirt schaftlichen Beziehungen zu verlagern - von New York und Chicago in Länder wie Kuwait, Saudiarabien, Irak und, ganz besonders, den Iran. Kalt und logisch fingen sie an, um die Gunst dieser Länder zu werben, die die nach ihrer Ansicht wichtigsten Dinge anzubieten hatten: schnell wachsende und höchst gewinnbringende Märkte für die Produkte der schwei zerischen Industrie und nahezu unerschöpfliche Vorräte an der Welt kritischstem Bodenschatz - Öl. Der Schah von Persien kannte Einstellung und Mentalität der Schweizer vermutlich besser als jeder andere Regierungschef der Welt. Seit den späten 50er Jahren hatte er regelmäßig jedes Jahr mindestens einen Monat in der Schweiz verbracht. Zuge geben, er verbrachte ein gut Teil dieser Zeit damit, sich ein fach zu erholen, Partys zu besuchen und Ski zu laufen. Aber mit den Jahren vertieften sich seine Kontakte zu der kleinen Gruppe von Männern, die in der Schweiz das Sagen hatten die Industriellen, die Bankiers, die Politiker und die Militärs -, und nahmen in manchen Fällen sogar recht vertraulichen Cha rakter an. Mitglieder der schweizerischen Gesellschaft waren ständig Gäste in seinem Chalet in St. Moritz; er wurde häufig auf ihren Landsitzen in den Vororten von Zürich, am Genfer See und in Locarno gesehen. Zu Beginn seines jährlichen Be suches empfing der Schah von Persien - und nicht vice versa, wie vermerkt werden sollte - den eidgenössischen Bundesprä
sidenten in seiner Suite im Grand Hotel Dolder in Zürich. Und ungeachtet der Tatsache, daß er stets seine eigene umfangrei che Leibwache mitbrachte, stellten sowohl das Heer wie auch die Polizei der Schweiz weitere schwerbewaffnete Einheiten zur Verfügung, um den König der Könige, solange er Gast in ihrem Land war, vor jeder möglichen Belästigung zu schützen. Ein kostenloser Service. So waren die Beziehungen zwischen dem Schah und den Schweizern Ende 1981 wahrhaftig überaus heimelig. Tibrizi war gekommen, um sie noch heimeliger zu gestalten. Er war als persönlicher Vertreter des Schahs in der Schweiz, um einen Handel vorzuschlagen, der beiden Ländern zum Vorteil gereichen würde, einen Handel, der stark an jenen erinnerte, den die Schweiz 1940 mit den Nazis abgeschlossen hatte: Waffen gegen Energie. Um es genauer auszudrücken: Atomwaffentechnologie gegen billiges Öl - garantiertes billiges Öl. Doch dieses Thema sollte erst am Schluß angeschnitten wer den. »Herr Doktor Suter«, begann Tibrizi, »Seine Majestät hat mich ersucht, Sie seiner persönlichen Wertschätzung zu versi chern.« Er unterbrach sich. »Und Ihnen dies als Zeichen seiner Hochachtung zu übergeben.« Tibrizi zog ein kleines Päckchen aus der linken Tasche seiner Jacke und reichte es Suter. Suter strahlte. Das Strahlen fällt den Schweizern nicht leicht, und es war nur diese ganz besondere Ehre, die ihm seitens des Königs der Könige zuteil wurde, die bei Oberst Suter diese außerordentliche Wirkung zeigte. Aber sogleich ernüchterte sich sein Gesichtsausdruck wieder. Er mußte eine Entschei dung treffen: aufmachen oder nicht aufmachen. Im Verkehr mit fürstlichen Persönlichkeiten sind die Schweizer in Proto kollfragen nicht allzu versiert. Er öffnete das Päckchen. Es war sagenhaft. Es war eine runde Zierplatte aus reinem Gold, die einen Löwenkopf mit prächtig fliegender Mähne zeigte. Durchmesser: etwa sechs Zentimeter. Wert?
»Es wurde vor zwanzig Jahren in Hamadan gefunden«, erläu terte Tibrizi, als ob er seine Gedanken gelesen hätte. »Sieben tes Jahrhundert, glauben wir.« Er unterbrach sich. »Vor Chri stus.« Mindestens 25000 Dollar. »Ich fühle mich sehr geehrt«, sagte Suter. »Sehr geehrt. Ich hoffe, Sie werden Seiner Majestät meinen herzlichen Dank übermitteln.« »Das wird geschehen. Aber ich bin sicher, daß Sie Gelegenheit haben werden, das persönlich zu tun. Seine Majestät wird im Winter wieder in die Schweiz kommen und sich zweifellos sehr freuen, wenn er Sie - zusammen mit Ihrer Frau Gemahlin, selbstverständlich - in St. Moritz als Gäste begrüßen dürfte.« Bis jetzt hatten sie sich stehend unterhalten - und das störte Tibrizi, denn er war klein, noch kleiner als Suter. Deshalb bewegte er sich jetzt auf das Sofa zu. Wenn Suter Besuch empfing, saß er für gewöhnlich - nein, immer - hinter seinem Schreibtisch. Aber heute brach er mit der Tradition. Was zur Folge hatte, daß seine Sekretärin, als sie mit dem unerläßli chen Kaffee ins Zimmer kam und ihn neben dem Fremden hinter dem Kaffeetisch sitzen sah, die Tasse um ein Haar auf den Perserteppich hätte fallen lassen. Suters zorniger Blick ließ sie rasch ihre Fassung zurückgewinnen. Wenn sie Freitag abend zwischen sechs und acht im Zimmer 24 des Hotel Adler ihren obligatorischen Wochenendbeischlaf abbekam, würde sie seine Meinung über ihr ungebührliches Betragen noch zu hören bekommen. Nachdem sie das Chefzimmer verlassen hatte, ging Tibrizi zur zweiten Phase des Aufweichungsprozesses über, mit dem er seinen Gesprächspartner für seine Zwecke zu gewinnen dach te. »Dr. Suter«, begann er, »wie Sie wissen, empfindet Seine Majestät wegen der Tüchtigkeit, der Sauberkeit und der Ehr lichkeit der Schweizer große Wertschätzung für Ihr Volk. Und auch wegen seines technischen Könnens. Er ist der Meinung, daß die Beziehungen zwischen dem Iran und Ihrem Land ver stärkt werden müßten.«
Suter war mit seinen Gedanken noch bei der vom Schah aus gesprochenen Einladung nach St. Moritz. Wie um alles in der Welt konnte er seine Frau zu so etwas mitnehmen? Sie war nicht nur dick und häßlich; außer in ihrem Dialekt brachte sie kaum ein Wort in einer anderen Sprache heraus! Sie würde ihn unmöglich machen! »Seine Majestät wünscht«, fuhr Tibrizi fort, »daß diese neuen Beziehungen eine konkrete Form annehmen - als Teil eines Programms, das nach Seiner Majestät Meinung von großer Bedeutung für die Zukunft der Menschheit wäre. Er ist einer der wenigen Männer, die schon vor Jahren erkannt haben, daß Öl eine zu kostbare Ware ist, um einfach verbrannt zu werden - sei es als Treibstoff für Automobile, sei es, um elektrische Energie zu erzeugen. Seine Verwendung als Rohstoff sollte auf jene Bereiche beschränkt werden, wo die spezifischen Eigenschaften des Öls den Menschen unseres Planeten dienen können - zur Herstellung von Arzneimitteln, zur Produktion von Düngemitteln und ähnlichem.« Suter nickte, womit er zum Ausdruck bringen wollte, daß er der Weisheit des Königs der Könige seine uneingeschränkte Anerkennung zollte. »Seine Majestät hat daher ein einzig dastehendes Atomener gieprogramm entwickelt«, dozierte Tibrizi, »das mit der Zeit allen anderen Nationen als Vorbild dienen wird. Er hofft, daß der Energiebedarf des Iran bis zum Jahr 1988 zu mehr als 50 Prozent durch mit Kernenergie betriebene Anlagen gedeckt wird. Das einzige Land, das diesen Stand auch nur halbwegs erreichen wird, ist, wie Sie wissen, Ihr Land, die Schweiz.« Suter wußte es. Über 30 Prozent des Energiebedarfs der Schweiz wurden von Kernkraftwerken gedeckt - ein Prozent satz, der von keinem anderen Land, nicht einmal von den so genannten Atommächten, auch nur annähernd erreicht wurde. »Aufgrund der Gleichartigkeit der Energiepolitik unserer bei den Länder«, fuhr Tibrizi fort, »angesichts der Verträglichkeit unserer politischen Einstellungen im allgemeinen und im Hin blick auf die Technologie, die es Ihrem Land ermöglichte, in
bezug auf die Verwendung der Kernkraft für friedliche Zwek ke den ersten Platz unter den Nationen der Erde einzunehmen, hat Seine Majestät mich beauftragt, Ihre Firma einzuladen, als Hauptlieferant für die Errichtung von zwei Druckwasseratom reaktoren mit je 600 Megawatt Leistung tätig zu werden.« Als Suter die Bedeutung dieses langen Satzes zu erfassen be gann, erstickte er beinahe an seinem Kaffee - was Tibrizi arg belustigte. Aber noch während er hustete, fing Suter an zu rechnen. Zwei solche Reaktoren würden um die 2,2 Milliarden Dollar kosten. Roche-Bollinger würde rund 20 Prozent an einem solchen Auftrag verdienen, etwas weniger als eine halbe Milliarde. Über fünf Jahre verteilt wären das um die 100 Millionen Dol lar, etwa 250 Millionen Schweizer Franken pro Jahr, was be deuten würde, daß das Einkommen der Gesellschaft von 1982 bis 1987 um mindestens 50 Prozent höher sein würde als zur Zeit zu erwarten war; das wiederum ließ vermuten, daß die Aktien von Roche-Bollinger, die an der Zürcher Börse gehan delt wurden, im gleichen, wenn nicht noch höheren Verhältnis steigen würden. Wenn Suter jetzt durch seinen Mittelsmann in der Unionbank an der Börse zu kaufen begann und alles Bar geld investierte, das er aufbringen konnte, indem er auf seine Häuser und alles, was er besaß, Hypotheken und dann auf die bereits erworbenen Anteile noch weitere Kredite aufnahm, konnte er möglicherweise zehntausend Aktien zu einem Durchschnittspreis von 500 Schweizer Franken erwerben. Sobald die Öffentlichkeit von dem Geschäft erfuhr, würden die Aktien auf 1000 oder 1200 steigen, und er würde 5 Millio nen Schweizer Franken oder 2 Millionen Dollar verdient ha ben. Wieder schien Tibrizi seine Gedanken gelesen zu haben. »Wir würden es begrüßen, Herr Dr. Suter«, fügte er hinzu, »wenn Sie sich dazu verstehen könnten, die Sache - für den Augen blick - nicht übermäßig publik zu machen. Selbst innerhalb Ihrer eigenen Firma, wenn ich das anraten darf. Es wäre uns nicht angenehm, wenn unsere Freunde in Frankreich und in
den Vereinigten Staaten davon Wind bekämen. Sie haben nicht immer Verständnis dafür, daß die Interessen des Iran nicht immer mit den ihren übereinstimmen müssen.« Tibrizi beabsichtigte, durch seinen Mittelsmann im Schweize rischen Bankverein selbst ein paar Aktien Roche-Bollinger zu erwerben. Und warum auch nicht? Wie er seinen Herrn und Meister kannte - und er kannte ihn -, war die Anstalt in Liech tenstein, die das persönliche Vermögen des Schahs verwaltete, bereits auf dem Markt. »Wir würden es begrüßen«, sagte der Perser, »wenn eine Vor studie unverzüglich in Angriff genommen werden könnte. Ich habe hier…« und diesmal langte er in seine rechte Tasche »… die Vollmacht Seiner Majestät, die Zürcher Niederlassung der Bank Meli zu instruieren, eine Anzahlung von 100 Millionen Dollar auf das Projekt zu überweisen.« Er reichte Suter das Papier. Die Vollmacht legte fest, daß die Überschreibung am 2. Januar 1982 erfolgen sollte. Damit hatte Suter sechs Wochen Zeit, seine 10.000 Aktien zu erwerben. Die Bewegungen der Roche-Bollinger-Aktien würde unzwei felhaft eine gewisse Unruhe an der Zürcher Börse hervorrufen. Suter gab Tibrizi das Papier zurück. Der Perser ließ es mit der Vorderseite nach oben auf dem Kaffeetisch liegen. Er wollte den Köder wirken lassen, wenn er jetzt auf die nächste Phase des Geschäfts einging. »Es ist uns bekannt«, fuhr er fort, »daß Sie einen ausgezeich neten Kernphysiker hier haben. Professor Hartmann.« »Ja und nein. Er ist kein Angestellter unserer Firma. Aber er ist häufig als Berater für uns tätig. Die meiste Zeit widmet er seiner Lehrtätigkeit an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Er ist allerdings nicht auf den Typ von Reaktoren spezialisiert, für den Sie sich interessieren.« »Ja, aber Seine Majestät wünscht, daß der beste Mann zu die sem Programm eingeteilt wird - insbesondere in der Anfangs phase, was die Projektstudie betrifft. Wir wollen sowohl Leute mit Überblick als auch Spezialisten haben.«
»Nun, ich bin mir der Verfügbarkeit Professor Hartmanns im August nicht sicher.« »Herr Dr. Suter, ich muß offen mit Ihnen sein. Es sind gewisse Bedingungen an diesen Vertrag geknüpft. Eine davon ist Pro fessor Hartmann.« Er heftete seine Augen auf Suter, und der Schweizer steckte sogleich zurück. »Aber selbstverständlich. Sie haben mich vielleicht mißver standen. Professor Hartmann wird zweifellos Mitglied unseres Teams sein. Ich habe nur laut über die Frage nachgedacht, wann er uns zur Verfügung steht, nicht ob. Natürlich können wir - werden wir - darauf bestehen, daß Professor Hartmann sein Programm umplant, um unseren Bedürfnissen Rechnung zu tragen.« Das war dieser Punkt. »Und nun zu der zweiten Bedingung«, sagte Tibrizi. »Es sind nur diese zwei, das versichere ich Ihnen.« Suter riß sich zusammen. Wahrscheinlich wollte der Perser eine Provision. Ausländer wollten das immer. Und warum auch nicht? Solange er keine unverschämten Forderungen stellte. Das Problem waren die Amerikaner. Bevor sie diese Kunst erlernt hatten, war es möglich, Kosten dieser Art in Grenzen zu halten. Aber als sie einmal Bescheid wußten, kannten sie weder Maß noch Ziel - wie auch in anderen Din gen. Aber von Geld wurde nicht gesprochen. »Wir werden Sie ersuchen«, fuhr Tibrizi fort, »alles Erforder liche zu unternehmen, um zu gewährleisten, daß Professor Hartmann zuzüglich zu seiner normalen Beratertätigkeit unse re Regierung in Fragen der Waffentechnologie berät.« Suter blinzelte verwirrt. »Was meinen Sie?« »Wir wissen, daß Professor Hartmann die Oberaufsicht über den Bau von Atomwaffen für Ihr Land geführt hat. Wir möch ten, daß er das gleiche für den Iran tut.« Suter schluckte. Denn Tibrizis Worte hatten wie ein Schlag in den Magen auf ihn gewirkt. War dieser Mann verrückt? Abrupt erhob sich Suter vom Sofa, als wollte er sich im Un
terbewußtsein so weit wie möglich von dem Perser entfernen. »Mein lieber Herr Tibrizi, ich fürchte, Sie und Ihre Regierung sind völlig falsch unterrichtet. Die Schweiz ist eine Signatar macht des Atomsperrvertrags. Wir sind ein neutrales Land. Wir haben nie auch nur im entferntesten daran gedacht…« Wieder griff Tibrizi in die Tasche - diesmal in die Brusttasche seines grauen Anzugs. Dann erhob er sich. »Hier habe ich eine Liste der Atomwaffen, die Ihr Land zur Verfügung hat - nach Typen, Detonationswerten und gegenwärtigen Lagerstätten geordnet.« Mit eisiger Miene nahm Suter das Papier in Empfang. Sie wurde noch eisiger, als er die Liste durchsah. »Woher…?« »Nicht direkt, das versichere ich Ihnen. Bei Freunden spionie ren wir nicht. Wir haben diese Informationen von dritter Seite erhalten. Sie werden verstehen, daß ich nicht weiter ins Detail gehen kann.« Seine Quelle war Frankreich gewesen. Nachdem Frankreich sich aus der NATO zurückgezogen und auf diese Weise mili tärisch isoliert hatte, war es jahrelang bemüht gewesen, eine »Beziehung besonderer Art« mit den Nachbarn an seiner süd lichen Flanke herzustellen. Das war nicht neu. Frankreich und die Schweiz hatten sowohl vor dem Ersten wie auch vor dem Zweiten Weltkrieg heimlich militärisch zusammengearbeitet. Der Plan von 1939 war dem sehr ähnlich gewesen, über den sie sich schon 1912 verständigt hatten. Er bestand im wesent lichen darin, daß, wenn die Deutschen Frankreich und die Schweiz gleichzeitig angriffen, die französische Armee in Eilmärschen die Schweiz durchqueren und zusammen mit der eidgenössischen Armee in Süddeutschland eindringen würden. Doch wie schon der Kaiser vor ihm, griff Hitler nur Frankreich an, und der französisch-schweizerische Plan kam nie zum Tragen - er wurde begraben, aber nicht vergessen. Im Jahre 1975 wurde die gemeinsame militärische Planung erneut auf genommen. Sie war diesmal nicht gegen einen konkreten Feind - Deutschland - gerichtet, sondern entstammte viel mehr der beiderseitigen Überzeugung, daß der NATO-Schild, hinter
dem sich beide Länder verhältnismäßig sicher gefühlt hatten ohne allerdings etwas dazu beigetragen zu haben -, in dem Maße, wie der weltweite Rückzug der Vereinigten Staaten seinen Fortgang nahm, sich allmählich in seine Bestandteile auflösen würde. Die Auswirkungen der Katastrophe von Vietnam schienen kein Ende nehmen zu wollen. Wo solche gemeinsamen Gespräche und Planungen stattfin den, werden zwangsläufig Freundschaften geschlossen, kommt es zu politischen Verbindungen, die über das zulässige Maß hinausgehen; Indiskretionen sind die Folge. In diesem Fall war der Adjutant des Chefs des strategischen Planungsstabs der schweizerischen Armee, ein franzosenfreundlicher Genfer, ein dicker Freund seines Pariser Gegenstücks geworden. Schließ lich teilten sie eine gemeinsame Sprache und Kultur und emp fanden die gleiche Abneigung gegen die deutsche Sprache und Kultur - die der Mehrheit des Schweizer Volkes. Er gab die Liste in dem Glauben weiter, daß der Fortbestand der Schweiz unentrinnbar mit dem Frankreichs verknüpft war. Er wollte in dieser greifbaren und entscheidenden Form unter Beweis stel len, daß er und viele seiner Kameraden in der Schweiz das klar erkannt hatten, und er wollte beweisen, daß die Schweiz einen starken Verbündeten darstellen würde, einen, der mit Frank reich zusammen kämpfen und gewinnen konnte - selbst in einem Krieg, in dem Kernwaffen eingesetzt würden. Hinter dieser »verräterischen Tat« stand die Überlegung, daß diese, wenn überhaupt als solche zu bezeichnen, schlimmstenfalls als verfrüht zu werten war. Wenn ihre heimliche Allianz sinnvoll sein sollte, würden beide Länder irgendwann Informationen dieser Art austauschen müssen. Über die Meriten der militärischen Verbindung mit der Schweiz bestanden in Paris Unstimmigkeiten - wie ja in Paris über die meisten Dinge Unstimmigkeiten bestehen. Die Frage, ob sich die beteiligten Herren darüber im klaren waren, daß die Weitergabe der Liste der schweizerischen Kernwaffen dem knospenden Bündnis schaden würde, ist nie geklärt worden,
aber weitergegeben wurde sie. Sehr diskret. Und ausschließ lich im engsten Kreis. Im Jahre 1981 wurde die Sache bereits als ziemlich altbacken und abgegriffen angesehen. Also wurde sie in einen Handel zwischen SAVAK und dem Deuxieme Bureau mit einbezogen. Als Gegenleistung erhielt Paris von den Persern regelmäßige und vollständige Berichte über die Entwicklung des militärischen Aufbaus im Gebiet des Persi schen Golfs. Nicht, daß sie das Zeug, das sie bekamen, durch wegs für bare Münze nahmen - aber sie betrachteten es als wichtige zusätzliche Information über ein potentiell explosives Gebiet und eines, von dem Frankreich, wie ganz Europa, in seiner Energieversorgung abhängig war. Dr. Hans-Peter Suter, der sich mittlerweile hinter seinem Schreibtisch verschanzt hatte, zerbrach sich nicht über Tibrizis Quellen den Kopf. Es waren die Konsequenzen, die ihn zu fieberhaften Überlegungen nötigten. Schließlich setzte er zu einer Entgegnung an: »Diese unglaub liche Forderung ist doch nicht Ihr Ernst, Herr Tibrizi?« Tibrizis Antwort ließ nicht auf sich warten. »Es geht nicht um mich, Herr Dr. Suter; ich spreche nur als der Bevollmächtigte Seiner Majestät des Schahinschahs.« »Aber Sie müssen doch begreifen, daß ich ohne Zustimmung meiner Regierung über eine solche Sache nicht einmal mit Ihnen reden kann.« »Dafür haben wir volles Verständnis.« »Dann fürchte ich, daß wir im Augenblick…« »Gestatten Sie mir, Sie zu unterbrechen. Um Sie auf zwei Dinge hinzuweisen. Zunächst müssen Sie, glaube ich, sich darüber im klaren sein, daß wir, wenn wir Sie - ich meine na türlich die Schweiz - nicht für eine Mitarbeit gewinnen kön nen, uns einfach an eine andere Adresse wenden werden, um die zwei Reaktoren und die zusätzliche Technologie zu be kommen, die wir jetzt brauchen. Sie können sich doch wohl denken, daß es ein halbes Dutzend Länder gibt, die glücklich wären, wenn wir sie in dieser Sache ansprechen würden. Zwei tens - und ich meine, daß das ein wichtiger Punkt ist - ist Seine
Majestät bereit, mit Ihrem Land zu einem Gentleman’sAgreement zu kommen, das darauf hinausläuft, daß die Schweiz keinem neuen Ölembargo unterworfen werden wird, sobald - oder besser gesagt, falls - ein solches Embargo aber mals über die anderen Länder des Westens verhängt werden sollte. Wir würden die Lieferung und den Transport zu Ihren Raffinerien garantieren.« »Sind Sie von Seiner Majestät ermächtigt, eine solche Ver pflichtung einzugehen?« »Das bin ich. Aber zu Anfang des kommenden Jahres wird er gegenüber einem von Ihrer Regierung beglaubigten Vertreter persönlich eine diesbezügliche Erklärung abgeben - falls wir über die andere Frage zu einer Verständigung kommen.« Vielleicht ließ es sich machen, dachte Suter. Es mußte nur eben überzeugend gebracht werden. Was nicht allzu schwierig sein dürfte. Aus schweizerischer Sicht überwogen die Plus punkte. Und wie der Perser eben betont hatte, der Iran konnte sich ohne weiteres an ein anderes Land wenden - an Frank reich, Indien, Japan, wahrscheinlich sogar auch an Großbri tannien. Das Risiko? Daß es eines Tages herauskommen wür de, sowie diese verdammte Liste. Aber die eidgenössische Regierung brauchte sich offiziell nicht hineinziehen zu lassen. Wenn nötig, konnte sie in Abrede stellen, von einer zusätzli chen Abmachung zwischen Roche-Bollinger und dem Schah etwas gewußt zu haben. Und er, Suter, konnte jede Verantwor tung für das Verhalten von Einzelpersonen ablehnen, die man zur Ausführung eines Auftrags nach dem Iran geschickt hatte, der rein kommerzieller und ziviler Natur war. Shadah Tibrizi saß da und beobachtete Suter. Und er wußte, Suter hing an der Angel. Aber konnte Suter seinerseits die Herren in Bern überzeugen? Und wenn nicht? Na, wenn schon! Er würde eben anderswohin gehen. Und das, was er haben wollte, um vieles billiger bekommen. Es war doch so, daß er nie in dieses langweilige Land gekommen wäre, wenn der Schah nicht darauf bestanden hätte. Aber… »Herr Tibrizi«, sagte Suter schließlich, »ich werde tun, was
ich kann. Aber es wird eine Zeit dauern.« »Es wäre uns nicht recht, wenn es zu lange dauern würde. Seine Majestät möchte gern so bald wie möglich zu einer Ent scheidung kommen. Er hat mich sogar angewiesen, noch im Verlauf meines jetzigen Aufenthalts in der Schweiz zu ermit teln, ob unser Projekt durchgeführt werden kann oder nicht.« Der Oberst in Suter dachte an die enorme strategische Bedeu tung der Tatsache, daß sein Land gegen jedes Ölembargo ge feit sein würde. Der Direktor in Suter dachte an die Auftrags höhe von 2,2 Milliarden Dollar und den Gewinn von 500 Mil lionen Dollar für seine Gesellschaft. Und Herr Dr. Suter mußte an jene 10.000 Aktien Roche-Bollinger denken, die er zu er werben beabsichtigte und die ihm einen Gewinn von fünf Mil lionen Schweizer Franken einbringen würden. Im ganzen ge nommen fehlte ihm sicher nicht die nötige Motivation. »Ich werde noch heute Nachmittag nach Bern fahren, Herr Tibrizi.« »Ausgezeichnet. Ich werde vermutlich in diesem reizenden kleinen Gasthof bleiben, bis ich von Ihnen höre.« »Kann ich noch irgend etwas für Sie tun?« »Eigentlich nein. Obwohl ich vielleicht etwas Hilfe bei meinen Einkäufen brauchen könnte.« »Aber selbstverständlich. Meine Sekretärin wäre überglück lich, Ihnen helfen zu können.« Suter griff nach dem Telefon. »Fräulein Schneider, würden Sie bitte einen Augenblick he reinkommen?« Fünf Minuten später verließ der Perser in Begleitung von Tru di Schneider das Haus. Trudi wußte es noch nicht, aber in dieser Woche würde sie in Ausübung ihrer geschäftlichen Pflichten zweimal im Hotel Adler gefickt werden. Wobei sie feststellen würde, daß die Perser im Bett weit mehr Phantasie entwickeln als die Schweizer.
9 Während Shadah Tibrizi damit beschäftigt war, ein paar Dut zend goldene Uhren einzukaufen, einschließlich einer für Tru di als Vorspiel zu ihrer geplanten Einführung in die Kunst der berühmten »Persischen Stellung«, telefonierte Dr. Hans-Peter Suter mit dem eidgenössischen Verteidigungsminister Jacques Dubois. Sie kamen überein, sich um sechs Uhr abends in Bern zu treffen. Dubois versprach auch dafür zu sorgen, daß die übrigen Schlüsselfiguren der schweizerischen Regierung an wesend sein würden. Dubois saß in der Halle des Hotels Zum Hirschen, als Suter eintraf. Sie begaben sich in einen kleinen Konferenzsaal im zweiten Stock. Dort erwarteten sie bereits: Franz Ulrich, Chef des Schweizer Geheimdienstes und der Spionageabwehr, Ja kob Gerber, Finanzminister und zur Zeit auch Präsident der Schweizer Eidgenossenschaft - die Präsidentschaft stellt in Wahrheit nicht viel mehr als eine formelle Funktion dar; das Amt wird turnusweise von einem der sieben Bundesräte aus geübt, die als gesetzgebender Arm der Regierung anzusehen sind - und Enrico Rossi, der Außenminister. Diese Herren waren für die öffentlichen Angelegenheiten der Schweiz ver antwortlich. Auch verkörperten sie in etwa die Zusammenset zung der Wählerschaft des Landes; Gerber und Ulrich (der letztere nicht von der Bundesversammlung gewählt, eine Schlüsselfigur des Systems, vergleichbar mit dem Chef der CIA und dessen Position in der amerikanischen Machtstruktur) waren beide Deutsch-Schweizer; Dubois kam aus dem franzö sisch sprechenden Lausanne; Rossi stammte aus Locarno im italienischsprachigen Kanton. Es gab nur einen einzigen Grund, warum die Konferenz im Hirschen abgehalten wurde; Suter hatte Dubois schon von Baden aus darauf hingewiesen, daß der Inhalt des Gesprächs nicht zur Veröffentlichung bestimmt sein würde. Der Vertei digungsminister ließ sich davon nicht schrecken. RocheBollinger, die von Suter geleitete Gesellschaft, war der
Schweiz bedeutendster Hersteller von hochentwickelten Waf fensystemen - angefangen bei elektronischen Abwehrgeräten bis zu relativ einfachen kabelgeführten Antitankraketen - für Inlandmarkt und Export. Das Exportgeschäft wurde oft sehr unbürokratisch, aber nicht ohne volle Billigung der Regierung abgewickelt. Da die Schweizer, was ihren neutralen Status betraf, sehr empfindlich waren, hatte es sich eingebürgert, daß solche Dinge auf nicht regierungseigenem Territorium bespro chen wurden. In den Praktiken der Heuchelei sind die Schwei zer sehr konsequent. Dubois hatte zwei Liter Fendant bereitstellen lassen, dazu fünf langstielige, grün getönte Weingläser. Der Fendant kam aus Vaud, Dubois’ Heimatkanton, und darum trank er in der Öf fentlichkeit nie etwas anderes. Suter, obwohl ein Mann der Industrie, war von der Anwesen heit einer so imponierenden Reihe von Regierungsmitgliedern in keiner Weise beeindruckt. Die Schweiz ist ein sehr kleines Land, und die Schicht der gesellschaftlichen Elite hauchdünn. Mit Ulrich war er in Baden zur Schule gegangen; seit vielen Jahren stand er mit Dubois und dem Verteidigungsministerium in geschäftlicher Verbindung; Gerber hatte im Aufsichtsrat von Roche-Bollinger gesessen, bevor er Finanzminister ge worden war; Rossi war der Mann seiner Schwägerin und mit der italienischen Familie Martini und Rossi verwandt und wurde von allen, die ihn gut kannten, als einer der beständig sten Verbraucher des Familienerzeugnisses anerkannt. Suter war daher mit allen per du. Denn trotz ihrer unterschied lichen Herkunft sprachen sie bei dieser kleinen Konferenz alle deutsch. Natürlich sprachen sie alle mit der gleichen Geläufig keit französisch oder italienisch. Aber sie sprachen deutsch aus Achtung vor dem Mann, der zur Zeit das Amt des Präsidenten der Schweiz ausübte - Gerber -, dessen Muttersprache deutsch war. Die Schweiz ist ein kompliziertes Land. »Meine Herren«, begann Suter, nachdem alle Gläser gefüllt waren, »ich habe etwas enorm Wichtiges zu berichten.« Und von all den enorm wichtigen Dingen, die es zu berichten
gab, hatte Suter sich dafür entschieden, mit dem Anerbieten des Schahs zu beginnen, die Schweiz von einem zukünftigen Ölembargo zu verschonen. Damit machte er großen Eindruck auf die Anwesenden, denn die Schweizer reagieren äußerst empfindlich auf Embargos. Die Handelsembargos der Jahre 1944 und 1945 hatten sie in eine sehr üble Lage gebracht. Im Dezember 1944, sechs Monate nach der Landung der Ame rikaner in der Normandie, hatte die amerikanische Regierung die Schweiz aufgefordert, unverzüglich die Lieferung von Waffen und Industrieausrüstungen an die Nazis einzustellen, da sie sonst die Nahrungsmittelzufuhr des Landes auf unbe stimmte Zeit unterbinden würden. Damit setzten sie ihnen das Messer an die Kehle, denn die Schweiz hatte immer schon große Mengen von Nahrungsmitteln importieren müssen, um am Leben zu bleiben. Der Krieg hatte zur Folge gehabt, daß das Land von seinen traditionellen Lieferanten in West- und Osteuropa abgeschnitten worden war. Doch die Schweizer hatten Ersatz gefunden: Lateinamerika und insbesondere Ar gentinien, ein neutrales Land, das mit den Achsenmächten sympathisierte. Anfangs funktionierte das ziemlich reibungs los. Neutrale Schiffe unter schweizerischer (ja, die der schwei zerischen Marine!) und argentinischer Flagge segelten regel mäßig durch die Straße von Gibraltar und liefen Genua an. Gnädig gestattete Mussolini den italienischen Staatseisenbah nen, ihre Fracht den restlichen Weg in die Schweiz zu trans portieren. Das war der Hauptgrund, warum die Schweiz Mus solinis Familie gegen Kriegsende politisches Asyl anbot. Er selbst schaffte es nicht mehr; er wurde knapp vor der schwei zerischen Grenze gefaßt und vor der Mailänder Kathedrale an den Füßen aufgehängt. Doch als die Alliierten aus Italien ein Schlachtfeld machten, wurde die Route über Genua unpassier bar. Also ließ man sich eine neue Art von Mastdarmakrobatik einfallen. Am Grundprinzip änderte sich nichts. Doch nun wurden die Schiffe im neutralen Portugal entladen und die Güter auf dem Landweg durch das von Franco beherrschte Spanien und das
von den Deutschen beherrschte Vichy-Frankreich nach Genf geschleust. Mit anderen Worten: solange sich Deutschland und seine »neutralen Freunde« auf der Iberischen Halbinsel im Sattel hielten, war die Versorgung der Schweiz mit Lebensmit teln gesichert. Aber als die Amerikaner in Südfrankreich lan deten, war das Spiel aus. Sobald sie - und das war Ende 1944 dieses Gebiet unter Kontrolle hatten, waren die Amerikaner in der Lage, die Schweizer an der Nase zu packen. Dies geschah in Form eines Ultimatums: Entweder die Schweiz stellte ab sofort jegliche Unterstützung der Nazis ein, oder die Lebens mittelzufuhr des Landes würde auf unbestimmte Zeit abge schnitten werden. Zum Erstaunen der Amerikaner weigerten sich die Schweizer, dieser Forderung nachzugeben. Daraufhin wurde im Dezember 1944 das Lebensmittelembargo verhängt. Was zur Folge hatte, daß Weihnachten 1944 in der Schweiz keine sehr schöne Zeit war. Jeder der Männer, die jetzt, 37 Jahre später, im Hirschen um den Tisch saßen, konnte sich noch gut daran erinnern. Sie alle waren um die 20 - und hung rig gewesen. Die Wochen vergingen, und allmählich bestan den die Mahlzeiten nur mehr aus grobkörnigem Schwarzbrot und Gerstensuppe. Als dann die Gegenoffensive der Deut schen in den Ardennen zusammenbrach, wurde es bald auch dem standhaftesten Verfechter der schweizerischen Neutralität klar, daß die Schweiz sich in Kürze mit der schlechtesten aller Welten würde vertraut machen müssen: mit einer Welt ohne Nahrungsmittel und ohne Energie. Denn Anfang 1945 stand Deutschland kurz vor dem Zusammenbruch, und man konnte sich an fünf Fingern abzählen, daß die Nazis nicht mehr lange imstande sein würden, der Schweiz Kohle zu liefern. Und im Januar wurde das Handelsembargo auf alle Importe ausge dehnt - einschließlich Öl und Kohle. Den Schweizern blieb nichts anderes übrig: Sie mußten kapitulieren. Ihr Botschafter in Washington wurde angewiesen, unverzüglich um die Auf nahme von Verhandlungen nachzusuchen. Die amerikanische Delegation unter der Leitung eines Gesand ten, den Staatssekretär Stettinius persönlich bevollmächtigt
hatte, traf am 12. Februar 1945 in Bern ein. Die Schweizer versuchten, ihre feste Haltung zu bewahren. Der Gesandte brach die Verhandlungen ab. Was ihn angehe, ließ er die Schweizer wissen, er könne warten, bis sie zur Vernunft kä men. Monate- und jahrelang, wenn nötig. Er mußte genau zehn Tage warten. Am 8. März 1945 unterzeichneten die Schweizer ein Abkommen, das ihre völlige diplomatische Niederlage besiegelte. Noch am gleichen Tag wurde das Em bargo aufgehoben; die Amerikaner hatten ihren Willen durch gesetzt. Die Schweiz erklärte sich nicht nur bereit, alle wirt schaftlichen Beziehungen mit den Nazis unverzüglich abzu brechen; sie mußte sich auch verpflichten, den Amerikanern Goldbarren im Wert von Hunderten Millionen Dollar sowie eine große Menge Bargeld und Wertpapiere zu übergeben, die die Nazis in die Schweiz gebracht hatten - als Zahlung für Warenlieferungen und um im Schutz des schweizerischen Bankgeheimnisses persönliche Reserven auf die hohe Kante zu legen. Die gerissenen Bonzen hatten erkannt, daß sie Geld brauchen würden, um in irgendeinem südamerikanischen Zu fluchtsort einen neuen Anfang zu machen. Das Gold war für die Amerikaner ein ganz besonders wunder Punkt, denn es handelte sich fast ausschließlich um Diebesgut, gestohlen aus den Mündern von Juden oder aus den Tresoren der Nationalbanken Belgiens, Frankreichs und der Niederlan de. Bis dahin hatten die Schweizer fest daran geglaubt, daß Geld niemals stinken, daß man sich mit Geld aus jeder mißli chen Lage befreien könne; die Amerikaner belehrten sie eines Besseren. Selten war dieses Land so tief gedemütigt worden. Und alles nur, weil sie zugelassen hatten, daß man sie mit einem Embargo »erpreßte«. Gewiß, die ganze Affäre nahm ein verhältnismäßig glimpfli ches Ende. Im weiteren Verlauf entzogen sich die Schweizer so gut wie allen Verpflichtungen, die einzugehen man sie ge zwungen hatte. Sie gebrauchten Ausflüchte und stellten sich stur - bis zu Beginn des kalten Krieges, als die Amerikaner ihre Aufmerksamkeit notgedrungen wichtigeren europäischen
Problemen zuwenden mußten. Aber die Schweizer hatten eine Lektion gelernt. Nicht, daß es unmoralisch war, mit Diktaturen Geschäfte zu machen. Schließlich war die Schweiz ein neutra les Land; wenn sie nicht selbst ihre Interessen wahrnahm, wer sonst würde es tun? Aber sie hatten eines begriffen: Es war äußerst wichtig, schon im voraus alle möglichen Folgen sol cher Geschäfte einzukalkulieren. Im Kalkulieren war Jakob Gerber einer der Besten. Darum war er es auch, der Suter die erste Frage stellte: »Was will der Schah dafür haben?« »Dazu komme ich gleich«, lautete die prompte Antwort des Obersten. »Aber der Schah hat uns mehr angeboten, viel mehr.« Das Mehr war natürlich der Auftrag für die Kernreaktoren im Wert von mehr als zwei Milliarden Dollar. Suter wies darauf hin, daß ein solcher Auftrag das Prestige der schweizerischen Atomindustrie auf den ersten Platz der internationalen Rangli ste hinauf katapultieren würde. Der Auftrag würde zwei felsohne neue Exporte nach sich ziehen, auch weiterhin die Vollbeschäftigung in dieser Industrie gewährleisten und Ro che-Bollinger die Möglichkeit geben, seine Forschungs- und Entwicklungsabteilungen bedeutend zu erweitern - mit Hilfe von Auslandskunden und nicht auf Kosten der eidgenössi schen Regierung, die die Atomindustrie ihres Landes seit Jahr zehnten subventionieren mußte. Für Finanzminister Gerber war das ein entscheidender Punkt, und er gefiel ihm. Der einzige, dessen Gesicht während Suters Vortrag höchste Skepsis verraten hatte, war Franz Ulrich. Er wußte, wer der persönliche Vertreter des Schahs war. Über dieses Detail war Suter hinweggegangen. Und Ulrich wußte, daß ein Geschäft, bei dem Shadah Tibrizi seine Hände im Spiel hatte, mit Si cherheit ein sehr schmutziges und vermutlich auch äußerst gefährliches Geschäft war - gefährlich für den Kontrahenten. Aber er ließ Suter noch eine Weile brabbeln, bevor er ihn un terbrach. »Du hast etwas ausgelassen, Hans-Peter.«
Suter wollte die Sache auf seine Art zu Ende bringen. »Natür lich«, antwortete er, »ich bin ja noch nicht fertig.« »Das meine ich nicht. Ich meine, du hast uns noch nicht über deinen Herrn Tibrizi aufgeklärt.« Suter blieb eine Weile stumm und überlegte. Dann kam eine gut gewählte Antwort: »Warum klärst du uns nicht auf?« Es war Ulrich ein Vergnügen. Er schwang eine sehr moralisti sche Rede, in der er die Greueltaten geißelte, die SAVAK im allgemeinen und Tibrizi im besonderen in den letzten Jahren verübt hatten. Sie reichten von der unbefristeten Einkerkerung hunderter unbotmäßiger Intellektueller aus den Städten des Iran bis zum Massenmord an andersdenkenden Volksstämmen im Inneren des Landes. Außenminister Rossi unterbrach ihn schließlich. »Diese Dinge sind uns zum Großteil nicht neu, Franz. Wenn man mit Regie rungen im Nahen Osten Geschäfte machen will, kann man es sich nicht aussuchen, mit wem und wie man sie tätigt.« »Du hast recht. Aber das ist nicht der Kern der Sache. Das Wesentliche ist die: Tibrizi ist ein sehr ungehobelter Mann. Vielleicht ist er gerade deshalb in der Lage, die Politik seines Herrn so erfolgreich zu verfechten - in seiner Heimat. Aber auf der internationalen Ebene - da sieht es anders aus. Dem Mann fehlt es an Finesse. Seine Organisation ist völlig untauglich. Sie ist zwanzigmal größer als meine, dafür sind wir zwanzig mal so tüchtig. Ich kenne diesen Typ. Ich weiß, wie man mit Menschen seiner Art umgehen muß. Meiner Meinung nach war es sehr unvorsichtig von Hans-Peter, sich ohne mein Bei sein auf solche Gespräche einzulassen. Denn die ganze Sache ist einfach zu gut, um wahr zu sein. Irgend etwas stinkt!« »Jawohl!« erwiderte Suter in erregtem Ton. »Und der Gestank läßt sich direkt zu dir und deiner wunderbaren Organisation zurückverfolgen, du Arschloch!« Ulrich hatte sich zurückgelehnt, um sich eine Zigarre anzu zünden. Mit einem Ruck setzte er sich auf. »Was soll das hei ßen?« brüllte er. »Das!« erwiderte Suter, langte in seine Aktentasche und zog
Tibrizis Liste hervor. Ulrich wurde rot, als er den Inhalt sah. »Gib her«, ersuchte Rossi. Er warf einen Blick darauf und sagte: »Das ist ja unglaublich!« Der Verteidigungsminister war an der Reihe: »Stimmt genau.« Der Finanzminister bekam sie als letzter in die Hand. Er schien nicht übermäßig überrascht zu sein. »Tibrizi hat also Zuckerbrot und Peitsche mitgebracht. Ich frage mich schon die ganze Zeit, um was es sich wohl handeln mag. Was wollen die von uns, Suter?« Suter gab ihm die Antwort, indem er jenen Teil des Gesprächs mit dem Perser fast wortwörtlich wiederholte. Zunächst trat betroffenes Schweigen ein. »Tibrizi hat recht«, ergriff Dubois schließlich das Wort. »Der Schah könnte sich diese Technologie tatsächlich aus einem Dutzend verschiedener Nationen holen.« »Und wenn er nachtragend sein will«, fügte der Außenminister hinzu, »- der Schah ist sehr empfindlich -, könnte er gleichzei tig diese Liste in Umlauf bringen und unserem neutralen Sta tus ernstlich Schaden zufügen, möglicherweise für immer. Was mich veranlaßt, dich zu fragen, Suter: Hat er irgendwel che Andeutung in bezug auf seine Quelle gemacht?« »Nein«, antwortete Suter, »er hat nur von einer >dritten Seite< gesprochen.« »Es können nur die Franzosen gewesen sein«, sagte Ulrich. Keiner widersprach. Natürlich wußten alle über die franzö sisch-schweizerischen Gespräche über militärische Zusam menarbeit Bescheid, die schon seit Jahren geführt wurden. Aber niemand in diesem Raum hatte auch nur das geringste Interesse daran, die sich nun anbahnenden Beziehungen zu Paris zu gefährden. Als Alternative blieben nur die Deutschen oder, noch schlimmer, die Amerikaner. Rossi war es, der alle weiteren, möglicherweise gefährlichen Spekulationen schon im Ansatz entmutigte. »Na schön«, sagte er, »wir können nur hoffen, daß die Liste nicht auch noch in andere Hände gelangt ist. Hat Tibrizi diesbezüglich eine Andeutung gemacht?«
»Nein«, erwiderte Suter. »Aber er arbeitet offensichtlich unter einem äußerst intelligenten Auftraggeber. Der Schah würde kaum versuchen, mit dieser Liste Druck auf uns auszuüben, wenn er eine weitere Verbreitung ihres Inhalts bereits zugelas sen hätte. Ich bin der Meinung, wir sollten das Vorhandensein einer undichten Stelle als Tatsache akzeptieren und in unseren weiteren Überlegungen davon ausgehen.« Das erschien allen durchaus sinnvoll - allen außer Ulrich. »Willst du damit sagen, daß wir den oder die des Hochverrats Schuldigen ungestraft davonkommen lassen sollen?« fragte er. »Natürlich nicht«, beruhigte ihn Verteidigungsminister Du bois, der genaugenommen Ulrichs Vorgesetzter war. »Aber ich glaube, daß weder du noch ich daran interessiert sind, die ses Mißgeschick durch eine schwerfällige Untersuchung noch zusätzlich zu komplizieren. Also lassen wir die Sache bis auf weiteres ruhen. Seid ihr einverstanden, meine Herren?« Seine zwei Kollegen aus dem Bundesrat nickten zustimmend; sie fühlten sich sichtlich erleichtert. »Zur gegebenen Zeit«, fügte Dubois hinzu, »werde ich die Geschichte in Paris zur Sprache bringen. Bis dahin darf nichts an die Öffentlichkeit dringen. Hast du verstanden, Ulrich?« Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, dachte Ulrich, daß immer die Nachrichtendienste zu Sündenböcken gemacht werden, wenn so etwas passiert. Wenn nun aber die Sache unter den Teppich gekehrt wurde, trugen alle, die hier ver sammelt waren, die Verantwortung. Das konnte sich als nütz lich erweisen. Also nickte auch Ulrich. »Und nun«, sagte Verteidigungsminister Dubois, »wollen wir zum Kern der Sache kommen. Offen gestanden, glaube ich nicht, daß uns eine andere Wahl bleibt. Lassen wir den Aspekt der Erpressung zunächst außer Betracht. Wir haben ungeheuer viel zu gewinnen und, wenn wir es richtig anstellen, sehr we nig zu verlieren. Unser Nutzen ist augenfällig: Befreiung von der Sorge um die möglicherweise katastrophalen Folgen eines zukünftigen Ölembargos, dazu sehr bedeutende Rüstungshilfs aufträge für unsere Industrie. Die Negativa? Sie können sich
nur ergeben, wenn bekannt wird, daß wir Atomwaffentechnik
nach dem Iran exportieren und daß wir unsere Verpflichtung,
selbst keine Atomwaffen zu bauen, nicht eingehalten haben.
Aber wer sollte Interesse daran haben, die Welt davon in
Kenntnis zu setzen? Logischerweise nicht der Schah. Und
auch nicht die Franzosen, denn wenn sie es hätten tun wollen,
hätten sie es schon vor Jahren tun können. Die Liste? Eine
durchsichtige Fälschung, verfertigt und weitergegeben von
irgendeinem kleinen Beamten, der aus unbekannten Gründen
Unruhe stiften wollte. Unmöglich nachzuprüfen.«
»Aber wir müssen sicherstellen, daß der Schah eine bindende
Verpflichtung eingeht«, betonte Gerber.
»Ich werde ein entsprechendes Abkommen entwerfen«, bot
sich Außenminister Rossi an, »und beim nächsten Besuch
Seiner Majestät bei uns die endgültige Fassung persönlich
aushandeln. Ich wäre sowieso mit ihm zusammengetroffen.«
»Und wie soll ich mich verhalten?« fragte Suter.
»Sag Tibrizi, daß wir seinen Bedingungen zugestimmt haben.
Wenn er wünscht, daß ich ihm das persönlich bestätige, ruf
mich an. Ich werde eine Zusammenkunft mit ihm arrangie
ren.«
»Sie wollen, daß wir jetzt gleich jemanden nach Persien schik
ken«, fuhr Suter fort.
»Na, dann tu es.«
»Auch Professor Hartmann?«
»Ja.«
»Das könnte ein Problem sein.«
»Dann löse es.«
Der Verteidigungsminister schickte Ulrich hinunter, um noch
zwei Liter Fendant und ein Spiel Karten zu holen. In der
Schweiz ist ein zwangloser Abend unter Männern ohne Jass -
den Nationalsport des Landes - nicht komplett.
Jakob Gerber spielte als erster aus. Schließlich war er ja der
Präsident.
10 In der Woche, in der Tibrizi in der Schweiz seinen Auftrag ausführte, befand ich mich einige hundert Meilen weiter im Norden, in der Bundesrepublik, wo ich mich um eine Lösung des italienischen Problems bemühte - wie sich später heraus stellte, im Licht der Ereignisse, die 1982 über die Welt herein brechen sollten, eine wahrlich bedeutungslose Tätigkeit. Aber sie war das Sprungbrett, das mich schließlich in den Vorder grund und ins Zentrum des Weltgeschehens katapultierte. Wie gewöhnlich stieg ich im Frankfurter Hof ab. Er befindet sich in Gehweite der großen Banken, die in dieser Stadt ihre Hauptverwaltungen haben - in ausreichender Zahl, um aus Frankfurt die finanzielle Hauptstadt Deutschlands und somit Kontinentaleuropas zu machen. Doktor Reichenberger, Chef der Leipziger Bank, erwartete mich um die Mittagsstunde in der Halle. Wir gingen in die kleine Bar gleich links hinter dem Empfang. Er trank ein Bier, dazu einen Steinhäger. Ich bestell te Gin »On the Rocks« und dazu ein Glas Wasser. »Das war keine gute Idee, diese Konferenz in Rom«, begann er. »Das würde ich nicht sagen. Irgendwo muß man ja anfangen«, erwiderte ich. »Reine Zeitverschwendung«, fuhr er fort. Und fügte wie ein guter Deutscher, der er war, hinzu: »Ich hoffe, Sie wollen jetzt meine Zeit nicht noch mehr verschwenden.« »Ich habe Ihnen schon am Telefon gesagt, Hermann, daß ich da vielleicht eine Idee habe. Eine Idee mit Hand und Fuß.« Mit nichts bringt man einen Deutschen so sehr aus der Fassung wie mit dem unerlaubten Gebrauch seines Vornamens. Das zusätzliche Sakrileg, das ich beging, indem ich den zweiten Satz in Goethes Muttersprache an ihn richtete, hätte ihm ei gentlich unter die Haut gehen müssen. Aber Reichenberger zuckte nicht mit der Wimper und hielt beharrlich an seinem kehligen Englisch fest. »Und zwar?«
»Wir sichern uns das Pfandrecht auf ein gutes Stück ENI ihren gesamten Auslandsbesitz einschließlich ihrer Bohrrechte in der Nordsee, vor der nigerianischen Küste und im Pazifik.« ENI (Ente Nazionale Idrocaburi) war die staatliche italienische Ölgesellschaft. »Die müßten doch schon längst verpfändet sein.« »Nur etwa eine Milliarde. Der Rest ist frei und unbelastet.« »Es geht trotzdem nicht.« »Warum nicht?« »Weil es politisch unmöglich ist. Für die italienische Regie rung ist ENI ein Nationalheiligtum. Sie würden uns blockie ren.« »Nicht, wenn wir die richtigen Politiker kaufen.« »Hitchcock, ich dachte, Sie machten solche Sachen nicht mehr.« »Normalerweise nicht. Aber wir leben nicht in normalen Zei ten.« »Wie hoch veranschlagen Sie ENIs Auslandswerte?« »Es würde reichen, um unser Risiko zu decken. Die ENI ist nicht gerade die Exxon, aber immer noch eine der größten Ölgesellschaften Europas. Sogar ich war überrascht, als ich mir die Sache ansah. Mann, die Leute beschäftigen über hun derttausend Menschen. Es ist die größte internationale Kapi talgesellschaft des Landes.« »Was würde Longo dazu sagen?« Francesco Longo war der Präsident der Ente Nazionale Idrocaburi. »Der würde mitmachen. Die sogenannten nationalen Interes sen seines Landes sind ihm schnurz. Er ist Ölmann. Vermut lich würde er sogar jedes Angebot, das wir machen, voll und ganz unterstützen. Er braucht mehr Betriebskapital. Das heißt, daß wir vermutlich einen zusätzlichen Handel mit ihm ab schließen müssen. Keine große Sache. Mit einer Viertelmilli arde Dollar könnte man ihn wahrscheinlich gewinnen.« »Kennen Sie ihn?« »Klar. Erinnern Sie sich nicht? Vor ein paar Jahren, als ich noch meine Banken hatte, habe ich eine Eurodollar-Anleihe
für ihn gebastelt.«
»Stimmt, wir waren ja auch dabei. Sagen Sie mal, Hitchcock,
warum haben Sie eigentlich liquidiert?«
»Um Bargeld anzuschaffen.«
»Aber Ihre Banken sind doch gut gegangen.«
»Natürlich. So wie alle Banken, mit Ausnahme einiger weni
ger wie Franklin National. Oder Herstatt.«
Reichenberger zuckte zusammen. Wie alle deutschen Banker
sprach auch er nicht gerne über den Zusammenbruch der Her
statt-Bank im Jahre 1974. So wie amerikanische Banker nur
ungern das Thema Franklin National berührten. Beide waren
Milliarden-Dollar-Institute gewesen, und beide waren auf den
Bauch gefallen. Gegen Ende des Jahres 1981 wußten alle in
der Branche, daß solche Dinge wieder passieren konnten. Und
in unvorstellbar größerem Ausmaß. Und Reichenberger wußte
sehr genau, daß ein finanzieller Zusammenbruch Italiens das
auslösende Moment sein konnte.
»Sie wollten also nicht länger die Verantwortung tragen«,
stellte er fest.
»Keine persönliche Verantwortung für anderer Leute Geld.«
»Warum arbeiten Sie dann für die Saudis?«
»Weil ich jederzeit wieder aufhören kann.«
»Aber bis dahin sind Sie für ihr Geld verantwortlich.«
»Ja, aber das ist nicht dasselbe. Zwei- oder dreihundert Milli
arden Dollar haben nichts Persönliches mehr an sich. Selbst
wenn ich nur eine Milliarde verwalten sollte - das würde mich
nicht aufregen. Eine Million? Da wird die Sache schon pro
blematisch. Eine Million, das ist vielleicht ein nettes Haus und
eine hübsche Jacht. Sie können sich die Folgen vorstellen,
wenn ein Kunde das durch die Schuld seines Bankers verliert.
Aber eine Milliarde, das sind tausend nette Häuser und tau
send zwanzig Meter lange Fahrtenkreuzer. Wem macht das
Bauchweh? Und gar dreihundert Milliarden…«
»Ich verstehe.« Und ich war ganz sicher, daß er es verstand.
Reichenberger hatte etwa fünfzig solcher Milliarden in seiner
Bank liegen.
»Wen müssen wir in Italien kaufen?« »Minoli, den Finanzminister. Und Riccardo, Bank von Itali en.« »Sind Sie sicher, daß Longo nicht auch etwas haben möchte?« »Ganz sicher.« »Na schön«, sagte er skeptisch. »Erklären Sie mir mal, wie das laufen soll.« Ich hatte den Rechnungsabschluß der ENI bei mir. Die Aktiva der Gesellschaft beliefen sich auf acht Milliarden Dollar. Aber es war eine italienische Gesellschaft, und aus steuerlichen Gründen geben italienische Gesellschaften nie ihren wahren Wert an. Nach Schema F schlägt man mindestens fünfzig Pro zent auf. Mit anderen Worten, ENI war ein Zwölf-MilliardenDollar-Konzern. Ihre Vermögenswerte lagen zur Hälfte in Italien und reichten von der Kette der AGIP-Tankstellen, die sich über die ganze Halbinsel ausbreiteten, bis zu ihren Erdgaslagern im Potal und den Tochtergesellschaften auf dem Chemie-, Textil-, Bau- und Kernkraftsektor. Somit besaß die ENI im Inland als Garantie verfügbare Vermögenswerte von etwa sechs Milliarden Dollar. Interessanterweise beliefen sich die Forderungen italienischer Banken auf »nur« vier Milliarden Dollar. Das bedeutete, daß die italienischen Bankiers durch das Gesellschaftsvermögen im Inland gedeckt waren. Es konnte ihnen völlig gleich sein, ob jemand Pfandrechte auf die Vermögensrechte im Ausland erwarb. Auch diese Werte waren weit gestreut. Die AGIPKette hatte sich nach Deutschland, Skandinavien, Großbritan nien und in die Schweiz ausgedehnt. Es gab Raffinerien in Nordeuropa und in der Karibik. Dazu kamen eine ganze Men ge von Bohrrechten für einige der bedeutendsten neuen Ölfel der der Welt, die die ENI gekauft und bereits zu erschließen begonnen hatte. Über das Telex in unserem Büro in Rom hatte ich Riyadh ersucht, festzustellen, welchen Wert das alles ver körperte. Wenige Stunden später war die Antwort da. Im Wi derspruch zum allgemein verbreiteten Vorurteil (und Wunsch denken) hatten sich einige Saudis im Ölgeschäft schon sehr
gut herausgemacht. Sie hatten ihre Grundausbildung zunächst in Harvard oder Stanford erhalten und dann bei Exxon in New York oder bei Bechtel in San Francisco, wo man sie mit offe nen Armen als Praktikanten aufnahm. Nach Riyadh zurückge kehrt, leiteten sie eines der größten Unternehmen der Welt und mit außerordentlichem Erfolg. Der Begriff Wert war ihnen geläufig; sie verstanden etwas davon. Sie errechneten die glei che Bewertung, wie ich sie über den Daumen gepeilt hatte: Die Vermögenswerte der ENI außerhalb Italiens beliefen sich auf mindestens sechs Milliarden Dollar. Die ausstehenden Eurodollarschulden der Ente Nazionale Idrocaburi beliefen sich aber nur auf eine Milliarde. Damit verblieben fünf Milliarden Dollar frei und unbelastet. Wenn wir - das Konsortium - diese zu 50 Prozent beliehen, wäre das ein verdammt gut abgesichertes Darlehen. Selbst wenn wir sie zu 75 Prozent beliehen - sprich 3,75 Milliarden Dollar -, wäre das selbst unter normalen Umständen eine durchaus akzepta ble Sache. Aber Italien befand sich in einer, gelinde gesagt, höchst ungewöhnlichen Lage. Wenn wir den Italienern das Darlehen gewährten, würden wir ihnen ja nur gerade genug Bargeld geben, um ihnen zu ermöglichen, ihre alten Darlehen, die nun fällig wurden, an uns zurückzuzahlen. Womit die ge genwärtige Krise überwunden wäre. Aber auch die Zukunft würde gesichert sein. Wenn die Italiener wieder einmal versu chen sollten, sich ihren Verpflichtungen zu entziehen, würden wir Vermögenswerte in Höhe von fünf Milliarden Dollar in der Hand haben, die wir dem Meistbietenden zuschlagen konnten, um aller Sorgen ledig zu sein. Sauber. Das, Freunde, war es, wofür mir die Saudis mickrige fünfhunderttausend Dollar im Jahr zahlten. Ein echtes Sonder angebot. Reichenberger war von meinen Darlegungen offensichtlich beeindruckt und strengte sich ehrlich an, einen Fehler darin zu finden - vergeblich, denn es gab keinen. Aber er versuchte es. »Schön und gut, Hitchcock. Aber was geschieht, wenn wir zu guter Letzt diese Vermögensgegenstände übernehmen müs
sen? Könnten wir einen Käufer finden, der über die entspre chenden Mittel verfügt?« »Ich könnte mir vorstellen« antwortete ich, »daß es da unten in Riyadh einen gibt.« Das sagte ich nicht nur, um groß zu tun. Wenn es eine Indu strie gab, in die die Saudis vertrauensvoll investieren würden, war es die Ölindustrie. Die Vermögenswerte der ENI waren von ganz besonderem Interesse, denn sie umfaßten eine große Menge Einzelhandelsgeschäfte - die AGIP-Kette mit ihrem auffallenden Symbol eines fliegenden Drachen, dazu eine Rei he von Raffinerien auf den bedeutendsten europäischen Märk ten, plus einer ansehnlichen Tankerflotte, die in Liberien regi striert war. Reichenberger beschloß, den Kampf aufzugeben. »Wieviel würden diese italienischen Politiker uns kosten?« »Sie sind nicht billig. Man hat sie in den letzten Jahren zu sehr verwöhnt.« »Eine Million pro Kopf?« »Nein. Schließlich sind sie ja, verwöhnt oder nicht, Italiener. Eine halbe pro Kopf sollte reichen.« Priscillas Ehemann hatte angenommen, auch mit einer viertel Million auszukommen, aber in Geldsachen war er immer schon ziemlich kleinkariert gewesen. »Sind Sie sicher, daß die zwei es schaffen können?« »Ja. Ich habe Erkundigungen eingezogen.« »Schön. Entspricht es Ihren Plänen, daß wir uns die Kosten teilen?« »Mehr oder minder.« »Einverstanden.« Soviel über die moralischen Bedenken von Italienern, Ameri kanern und Deutschen. »Wann und wo?« fragte mein pragmatischer Gesprächspart ner. »Bestimmt nicht in Italien. Dort ist alles auf drei Seiten ange zapft. Überdies empfiehlt es sich nicht, Verhandlungen in der eigenen Umgebung des Kontrahenten zu führen. Das wissen
Sie doch, Hermann.« »Wo dann?« »Warum nicht hier?« Reichenberger willigte sofort ein. Vielleicht ein ganz klein wenig zu schnell. Und ich verpflichtete mich, die zwei Italie ner herzubringen - in zwei Tagen. Reichenberger lud mich nicht zum Essen ein, und ich ihn nicht. Er sagte, er hätte noch eine wichtige Besprechung, und ich sagte, ich hätte noch eine Menge Telefongespräche zu führen. Nachdem er gegangen war, bestellte ich mir noch einen Drink. Schließlich hatte ich eben bewiesen, daß ich trotz meines zeitweiligen Ruhestandes immer noch mit Europäern umzugehen verstand. Etwa zehn Minuten später senkte sich von hinten eine Hand auf meine Schulter. Und weil ich Handauflegen nicht sonder lich schätze, fuhr ich vielleicht ein wenig zu abrupt herum. »Mann Gottes, Hitchcock, ich bin’s ja nur.« »Ich« war Randolph Aldrich, Präsident und höchstes ausfüh rendes Organ der First National Bank of America - der große alte Mann der Bankwelt, und ich meine der internationalen Bankwelt. Beruflich kannte ich Randy seit langem, auf Armes länge entfernt. Seines Armes, nicht meines. Schließlich war er es gewesen, der meine Banken erworben hatte, als ich mich entschloß, sie zu verkaufen. Es war keine große Sache für die First National, und das ließ er mich damals deutlich spüren. Um die Verträge zu unterschreiben, gewährte er mir ganze zwanzig Minuten in seinem Büro. Aber ich kann sehr dickhäu tig sein, wenn es um 32 Millionen Dollar geht, und genau das zahlte mir die First National für mein bescheidenes kleines Bankenimperium. Die Zahlung erfolgte übrigens in bar, und nicht in Aktien der First National, denn die großen Tiere woll ten offensichtlich nicht, daß ich ein so dickes Aktienpaket in die Hand bekäme, das es mir unter Umständen ermöglichen könnte, mich in ihren Aufsichtsrat hineinzudrängen. Nach einem Vertragsabschluß - ganz gleich welcher Art - schöpft einer der Kontrahenten sehr bald den Verdacht, daß er übers Ohr gehauen wurde, und das ist dann für gewöhnlich das Ende
jeder persönlichen Beziehung zwischen den Vertragspartnern. In meinem Fall war das nicht geschehen; sonst wäre Aldrich jetzt nicht auf mich zugekommen. Seit jenen zwanzig Minuten in seinem Büro begegneten wir uns heute zum ersten Mal wie der. Mich stach der Hafer. »Setzen Sie sich doch, Randy«, lud ich ihn ein. »Und dann sagen Sie mir, was Sie heute abend vorha ben, und ob das Mädchen eine Freundin hat.« Das war nur gespielte Vertraulichkeit, denn Aldrich und ich gehörten zwei verschiedenen Welten an. Ich war vielleicht vierzig Millionen Dollar schwer. Sein Vermögen dürfte bei einer halben Milliarde gelegen haben. Ich hatte nur einen Teil meines Geldes geerbt, er alles. Aber er schien geneigt, sich meiner Stimmung anzupassen. »Hitchcock«, sagte er, »bei mir steht heute Trinken, nicht Fik ken auf dem Programm.« Er setzte sich und bestellte einen doppelten Scotch - pur. Kein Wasser, kein Soda, kein Eis. Die Hälfte kippte er, als der Drink kam, die zweite Hälfte fünf Sekunden später; dann bestellte er nach. Das war Klasse. »Hitchcock«, fuhr er fort, seine Gesichtsfarbe um einen Hauch rosiger, »was machen Sie in Frankfurt?« Weil ich ganz verschlagen sein wollte, sagte ich ihm die Wahrheit. Und als ich fertig war, meinte er: »Sie dilettieren, Hitchcock.« »Was tue ich?« »Sie dilettieren. Wen interessiert Italien? Sie vertrödeln nur Ihre Zeit. Wenn man Ihnen ein paar hundert Milliarden Dollar zum Spielen gegeben hat, brauchen Sie Ihre Zeit doch nicht mit einer Rettungsaktion für Katzendreck zu verschwenden. Um wieviel geht es denn überhaupt?« »Drei Milliarden plus«, antwortete ich - als ob ich mich ent schuldigen müßte! »Maximal ein Prozent von Saudiarabiens Eurodollarsegen, und möglicherweise ist überhaupt bloß ein Zehntel von diesen drei Milliarden ernstlich gefährdet.« Das Dumme war - er hatte recht.
»Und noch etwas«, fügte Aldrich hinzu. »Wenn Sie da schon unbedingt herumpfuschen wollen, warum zum Teufel gerade mit den Deutschen?« »Weil sie Bouillon in den Knochen haben und sich nicht scheuen, auf den Tisch zu hauen.« »Sie müssen erst noch in Ihre Stiefel hineinwachsen, mein Sohn«, sagte Aldrich, der ja ganze zehn Jahre älter war als ich. »Lassen Sie sich doch nicht vom äußeren Schein täuschen. Es sind immer noch wir in New York, die das Heft in der Hand haben. Vergessen Sie das nicht! Im Vergleich mit uns sind die deutschen Banker unwichtige Würstchen, und das gleiche gilt für die Schweizer, die Franzosen, die Holländer und die Bel gier. Hören Sie: In drei Tagen könnten wir ein Programm er arbeiten, um dieses kleine italienische Problem zu lösen. Mit >wir< meine ich meine eigene Organisation. In drei Tagen! Und wir hätten es kaum nötig, mit dem Hut in der Hand durch Europa zu ziehen. Fünf Telefongespräche - Ortsgespräche in New York - würden reichen. Verstehen Sie, Hitchcock?« Ich sah ihn nur an. »Und es wäre an der Zeit, daß auch Ihre neuen Freunde im Nahen Osten sich endlich darüber klar werden. Sicher, sie haben das Geld - für den Augenblick. Aber wir sind die einzi gen, die auch wissen, wie man mit Geld in dieser Größenord nung umgeht. Verstehen Sie? Natürlich verstehen Sie, Hitch cock. Darum schlage ich vor, daß Sie in dieser Richtung tätig werden. Es ist doch albern, Geld in diesen europäischen Wäh rungen und Banken anzulegen. Überlegen Sie doch nur, in welchen Schlamassel Sie da in Italien geraten sind. Wissen Sie, wieviel diese Leute uns schuldig sind? Nichts. Null. Null Komma null. Wieso? Weil ich diesen Italienern nie vertraut habe. Und jetzt sage ich Ihnen noch was. Es ist gut, daß wir uns heute getroffen haben. In New York spricht man immer wieder von Ihnen. Sie sind bei einer großen Sache dabei. Vor ausgesetzt, Sie gebrauchen Ihren Verstand. Und versuchen Sie nicht, sich gegen das System aufzulehnen.« Das System? Es gab kein gedrucktes Organisationsschema
dieses Systems, aber es bestand aus Randolph Aldrich und vielleicht zwei Dutzend anderen Männern in den Vereinigten Staaten. Für sie gab es keinen Zweifel, daß sie seit 1945 die Welt regierten, und nicht gerade schlecht regierten. Ursprüng lich stand ich allen diesen Theorien von »Verschwörungen« äußerst skeptisch gegenüber. Ich meine das Zeug, das man sich da erzählte, wonach die Rockefellers, die Rothschilds, die Althasen von Morgan Stanley, First Boston, Lehman Brothers und ähnlichen Etablissements in Wahrheit die Kontrolle über Amerika und somit über die Welt ausübten, indem sie den einzigen wirklich großen Kapitalmarkt der Welt beherrschten, und sie die Fäden zogen, die der Besitz solcher Geldmittel ihnen in die Hand gab - insbesondere jene Fäden, die von New York nach Washington laufen. Doch als ich in die Jahre kam, sah ich die Dinge mit weniger Skepsis. Nicht, daß ich auch nur einen Augenblick lang an eine wirkliche Verschwörung ge glaubt hätte. Aber vielleicht an etwas Ähnliches - etwas dem Inhalt nach Wohlmeinendes, in der Ausführung aber eher we niger Gutartiges. Ein sehr eng geknüpftes Netz verdienter Alt hasen. Es hatte einfach zu viele Übergänge und Überleitungen zu den Schlüsselpositionen in New York und Washington gegeben - in beiden Richtungen. Es fing schon in den 30er Jahren an, als Bernard Baruch die Tätigkeit eines Verbin dungsmannes zwischen New York und Roosevelt ausübte. Als Truman ans Ruder kam, übernahm John J. McCloy diese Funktion. Zuerst leitete er die neu gegründete Weltbank. Dann übernahm er von Lucius Clay das Amt des Hochkommissars für Deutschland. Er war »ihr« Mann, nicht Trumans Mann, und wurde auf diese Positionen gehievt, weil beide entschei dend dazu beitrugen, die Welt in der Nachkriegszeit zu einem sicheren Ort für den amerikanischen Kapitalismus zu machen. Clay zog in den Aufsichtsrat von Lehman Brothers ein. Im Jahre 1953 kehrte McCloy nach New York zurück, wo er Verwaltungsratsvorsitzender der Chase Manhattan Bank und Direktor von einem Dutzend der größten multinationalen Kon zerne Amerikas wurde. Eisenhower hatte seinen Charlie Wil
son, der mit seinem berühmten Ausspruch »Was gut für Gene ral Motors ist, ist auch gut für die Vereinigten Staaten« diese Verflechtung treffend und in aller Offenheit darlegte. Kennedy betrieb seine Politik mit Hilfe von Leuten wie George Ball (auch einer aus dem Lehman-Brothers-Klüngel) und George McBundy, der vom strategischen Planer der amerikanischen Außenpolitik zum Verwalter der Megadollar der Ford-Stiftung überwechselte. Johnson erbte MacNamara, der auf geradezu klassische Weise illustrierte, wie das »System« arbeitet. Von seinem Posten als Präsident der Ford Motor Company über siedelte er ins Pentagon, um den Vietnam-Krieg zu führen; im Jahre 1968 übernahm er die Leitung der uns schon bekannten Weltbank. Man könnte behaupten, daß es John Mitchell war, der bedeutendste Anleihejurist in den Annalen der Wall Street, der mithalf, Nixon ins Weiße Haus hinein- und wieder hinaus zubringen. Und Gerald Ford hatte praktisch keine andere Wahl, als die Hälfte seiner Präsidentschaft an den führenden Emeritus des Rockefellerschen Ausbildungslagers, den guten Doktor Kissinger, abzutreten. Schließlich nahm sogar Altmei ster Nelson Rockefeller persönlich Urlaub von seinem Gou verneursposten in New York, um sicherzustellen, daß Ford die andere Hälfte nicht vermurkste. Gegen Ende der 70er Jahre war der Würgegriff New Yorks, in dem Washington und seine weltumspannende Macht steckte, womöglich noch gnadenloser als je zuvor. Denn ohne den Segen der New Yorker Finanzkamarilla wäre die amerikani sche Bundesregierung, wie man so schön sagt, außer Betrieb gesetzt worden - und das in kürzester Zeit. Das hatte die Stadt New York schon 1975 erfahren. Denn die Stadt hatte ständig mehr Milliarden ausgegeben, als ihr an Steuereinnahmen zu flossen. Dem Bürgermeister und der ganzen Bevölkerung er schien es selbstverständlich, daß die New Yorker Banken freudigen Sinnes alles unternehmen würden, um der Stadt dieses Manko auf unbestimmte Zeit zur Verfügung zu stellen. Aber so ging das nicht. Wall Street gab dem Bürgermeister zu verstehen, er müsse sich an ihre Anweisungen halten, sonst
würden sie die Stadt bankrott gehen lassen. Was sollte er tun? In der Folge wurde die Stadtverwaltung weder von den Demo kraten noch von den Republikanern, sondern von der WallStreet-Kamarilla kontrolliert. Gegen Ende 1981 geriet die Bundesregierung in genau die gleiche Lage, nur daß das Aus maß ihrer Verschuldung und ihrer Verpflichtungen gegenüber den New Yorker Banken weit höher lag. Onkel Sam stand bei der New Yorker Clique mit gut einer halben Billion Dollar in der Kreide und mußte sich jede Wo che eine weitere Milliarde ausleihen, um im Geschäft zu blei ben. Denn die »große Rezession« der Jahre 1974 und 1975 und die starke Arbeitslosigkeit, die sie zur Folge hatte, waren nicht einfach vorübergegangen wie andere Rezessionen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Arbeitslosigkeit ging nicht auf »normale« 4 Prozent zurück. Nein, sie fiel 1976 auf 7,5 Pro zent, um dann erneut wieder anzusteigen. So kam es, daß die »vorübergehenden Maßnahmen«, die um die Mitte des Jahrzehnts ergriffen worden waren - Steuerrück vergütungen, verlängerte Arbeitslosenunterstützungen und Zahlungen der öffentlichen Fürsorge, Lebensmittel- und Klei dermarken, Bundeszuschüsse an die Regierungen der Bundes staaten, um ihnen zu helfen, eine in zunehmendem Maße mü ßiggehende Bevölkerung zu unterstützen -, zu dauerhaften Einrichtungen wurden. Daher war das »vorübergehende« Haushaltsdefizit in Höhe von 60 Milliarden Dollar pro Jahr nicht nur bestehen geblieben; es war rasch auf über 100 Milli arden gestiegen. Steuererhöhungen wären das klassische Mittel gewesen, die Regierungsfinanzen wieder ins Gleichgewicht zu bringen besser gesagt, das einzige Mittel. Höhere Steuern aber hätten zweifelsohne, zumindest vorübergehend, eine neue Wirt schaftskrise und eine noch höhere Arbeitslosigkeit zur Folge gehabt. Das war politisch und sozial unmöglich. Darum hatten die Herren in Washington, wie schon vor wenigen Jahren die Stadt New York, ständig neue Kredite aufgenommen, um die Differenz zwischen den Einnahmen und den Ausgaben des
Landes auszugleichen. Und zumindest bis Ende 1978 hatten die New Yorker Banken und ihre Satelliten im ganzen Land ständig neue Kredite gegeben. Es blieb ihnen ja wirklich nichts anderes übrig. Die Alternative wäre der Zusammen bruch der Regierung und das Ende eines Systems gewesen, das eine Einrichtung wie Wall Street möglich machte. Das Problem war, daß den Banken das Geld ausging! Und »sie« waren zu dem Schluß gekommen, daß dieses Problem nur auf eine von zwei Arten gelöst werden konnte. Am leich testen wäre es gewesen, sich der Mechanik des Zentralbanksy stems und des Finanzministeriums zu bedienen und einfach Geld zu drucken. Das aber hätte zu einer zügellosen Inflation geführt, die sehr wahrscheinlich ebenfalls das Ableben des Systems zur Folge gehabt hätte. Die bei weitem bessere Lö sung bestand darin, eine neue Quelle von Spargeldern anzu zapfen - schnell und gründlich. Und eine solche Quelle gab es im Nahen Osten, wo die Ölnationen einen in der Geschichte der Menschheit unerreichten Vorrat von Spargeldern ange häuft hatten: über eine halbe Billion Dollar, eine Summe, fast so hoch wie der Wert aller Aktien aller Gesellschaften, die auf der New Yorker Börse notierten. Die Vereinigten Staaten hat ten zweihundert Jahre gebraucht, um diesen Reichtum zu schaffen; die Araber kaum ein Jahrzehnt. Eine Rettung für Wall Street ließ sich in Riyadh finden - und vielleicht nur in Riyadh. Und Aldrich wußte das. Aber er wußte nicht, daß auch ich es wußte. Darum ging er mich in Frankfurt so massiv an. Ich bin überzeugt, er wäre spätestens in ein paar Wochen in Riyadh aufgekreuzt, wenn wir uns jetzt nicht zufällig getroffen hätten. In New York wurde die Lage immer angespannter. Also spiel te er sein Spielchen. »Kommen wir doch noch einmal kurz auf diese italienische Scheiße zurück, Hitchcock.« »Bitte.« »Wie hoch ist der Betrag, den Sie aufzutreiben versuchen?« »Ungefähr drei. Vielleicht dreieinhalb.«
»Wieviel werden Ihre Saudis beisteuern?« »Das ist noch nicht geklärt. Aber ich dachte etwa an eine halbe Milliarde.« »Okay, vielleicht ziehe ich gleich.« »Wieso? Ich dachte, Sie vertrauen den Italienern nicht.« »Um auszuhelfen, natürlich. Und ich will Ihnen noch was sagen: Wenn bekannt wird, daß wir uns diesem Rettungsteam anschließen, wird jede kleine Dreckbank in den Staaten mit machen wollen. Unser Name bedeutet Qualität. Und ich brau che Ihnen ja wohl nicht zu erzählen, daß Qualität auf dem Kapitalmarkt zur Rarität geworden ist. Sicher, das Geld da heim ist knapp. Aber wenn wir uns da anschließen, werden Sie die Beteiligungen in Rationen zuteilen müssen, Hitchcock.« Auch damit hatte Aldrich recht. Und wer war ich, daß ich mich gegen eine halbe Milliarde Piepen hätte wehren sollen? »In Ordnung«, sagte ich, »Sie sind dabei. Vorausgesetzt, die Burschen von der Leipziger Bank sind auch einverstanden.« »Augenblick mal, Hitchcock. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie mich richtig verstanden haben.« »Ich dachte, es wäre alles klar. Aber bitte, sagen Sie mir, wo ich falsch liege.« »Wenn wir reinkommen, bleiben die Deutschen draußen. Und die Schweizer und die Franzosen. Et cetera.« »Sie wollen eine rein amerikanische Schau abziehen?« »Stimmt genau, Hitchcock.« »Warum? Hören Sie mal, in Italien gibt es Risiken. Eine ganze Menge. Sie sagten doch selbst…« »Ich weiß genau, was ich sagte. Und ich weiß, was ein Risiko ist. Drei Milliarden Dollar mit einer Deckung von fünfzig Pro zent der Vermögenswerte der ENI zur Verfügung zu stellen, beinhaltet kein Risiko. Sie sind doch schlauer als Sie denken, Hitchcock. Dieses neue Darlehen ist ein Prachtstück. Mies sind nur die alten. Und um die müssen sich die Europäer sor gen.« »Und was ist mit den drei Milliarden Dollar, die Saudiarabien noch zu bekommen hat?«
»Hören Sie mal: Wenn wir dieses neue Paket präsentieren,
machen wir zur Bedingung, daß die alten Anleihen beschleu
nigt zurückgezahlt werden müssen.«
»Das wird den Europäern aber nicht gefallen.«
»Die Europäer sollen zum Teufel gehen.« Und genau dorthin
wollte Aldrich sie gerade schicken.
»Ich verstehe das nicht«, sagte ich.
»Also, dann hören Sie mir zu. Wieviel nehmt ihr Burschen
jetzt ein?«
»Ich nehme an, Sie meinen die Saudis.«
»Nein, nicht nur die Saudis. Die ganze Bande da unten am
Golf.«
»Wenn wir den Iran, Kuwait und die Vertragsstaaten dazu
nehmen…um die 120 Milliarden im Jahr, würde ich sagen.«
»Und wieviel geben Sie aus?«
»Etwa 50 Milliarden.«
»Bleiben also 70 Milliarden bar übrig.«
»In etwa«, antwortete ich. »Aber nicht mehr lange. Sie wissen
ja, daß die Länder am Golf allesamt große Entwicklungspro
jekte auf dem Programm haben. Schon in wenigen Jahren
werden sie fast so viel ausgeben wie sie einnehmen. Für
Stahlwerke, Straßen, Düngemittel, Industrien, chemische Fa
briken. Was so dazugehört.«
»Und Waffen«, fügte Aldrich hinzu. »Vergessen Sie die Waf
fen nicht.«
»Na schön. Aber worauf wollen Sie hinaus?«
»Sehr einfach: Woher wollen sie die materielle und technische
Befähigung nehmen, um alle diese verdammten Straßen und
Fabriken und was immer zu bauen? Aus dem einzigen Land,
das alles hat, was sie brauchen, aus den Vereinigten Staaten
von Amerika. Und am Ende werden sie mit Dollar dafür be
zahlen müssen, so wie die Europäer nach dem Zweiten Welt
krieg. Und die Japaner. Und alle anderen.«
»Hören Sie doch auf, Aldrich. Sehen Sie sich um. Wir schrei
ben nicht mehr das Jahr 1945. Alles, was Amerika liefern
kann, kann auch Europa liefern.«
»Falsch. Erstens: Europa löst sich in seine Bestandteile auf. Portugal ist schon verlorengegangen. Griechenland ist schwer erkrankt. So wie Italien. Und von England wollen wir gar nicht erst reden. Punkt eins. Punkt zwei, und jetzt hören Sie mir gut zu, alle diese Straßen und Fabriken und was immer werden den Arabern nichts helfen, wenn sie sich nicht vertei digen können.« »Wer ist der Feind?« fragte ich. »Wer ist kein Feind, wenn man auf der Hälfte aller Ölvor kommen dieser Erde sitzt? Drei kann ich Ihnen gleich nennen. Die Russen. Die uns wirklich an der Gurgel hätten, wenn sie den Golf kontrollieren könnten. Das gleiche gilt für den Schah. Und vergessen Sie die Israelis nicht.« »Aber ich bitte Sie, Aldrich. Die Israelis können doch kaum…« »Israel, mein Freund, ist immer noch die einzige Atommacht im Nahen Osten. Du lieber Himmel, Saudiarabien besitzt nicht eine einzige Unze Plutonium. Und keinen Reaktor, der ihnen in absehbarer Zeit welches liefern könnte. Sie sind völlig un geschützt, Mann. Außer…« »Außer was?« »Außer die Vereinigten Staaten halten auch weiterhin ihren Schutzschirm - den militärischen, einschließlich Atomwaffen über dieses Land. Wenn es da unten einmal losgeht - und eines Tages wird es losgehen, das ist so sicher wie wir hier sitzen -, sind die Europäer als Verbündete für die Araber nutzlos.« »Zur Sache, Aldrich.« »Ich fange noch einmal von vorne an. Die Zukunft Saudiara biens kann nur in einem engen Bündnis mit den Vereinigten Staaten liegen - militärisch, politisch und wirtschaftlich. Aber Bündnisse sollten - müssen heutzutage - Partnerschaften sein, wo beide Partner nehmen, aber auch geben. Ein praktisches Beispiel dessen, was wir auf dem wirtschaftlichen Sektor ge ben können. Wir lösen unverzüglich euer italienisches Pro blem für euch.« »Und was wollen Sie dafür haben?«
»Daß sich die Saudis den Rückfluß ihrer Petrodollar neu über legen.« »Haben Sie bestimmte Vorstellungen?« »Während der nächsten sechs Monate erwarten wir in New York eine ganze Menge Dollar. An die 50 Milliarden, um ge nau zu sein.« »Sie sind verrückt, Aldrich. Die Saudis würden niemals ihre Depositengelder in diesem Ausmaß in einem Land und in ei ner Währung konzentrieren.« »Lassen Sie mich ausreden, Hitchcock«, erwiderte er, und Scotch hin, Scotch her, da sprach der hartgesottene New Yor ker Banker, und er meinte es ernst. »Saudiarabien wird sich entscheiden müssen. Es kann weiterhin eine >Beziehung be sonderer Art< mit den Vereinigten Staaten unterhalten und weiterhin alles von uns bekommen - angefangen von schlüs selfertigen petrochemischen Anlagen bis zu Luftabwehrsyste men. Es kann auch weiterhin die besten Ingenieure, Betriebs leiter und Spezialisten auf militärischem Gebiet bekommen, die wir anzubieten haben. Es kann weiterhin den Schutz der einzigen Großmacht des Westens genießen. Für alle Zeiten. Der Preis heißt Dollar. Bargeld. Dollar, die im amerikanischen Bankenapparat angelegt werden. Jetzt. Nicht in fünf Jahren.« »Und die Alternative?« »Gibt es eine?« Aldrich klang genauso wie mein Oberst Falk unten in Riyadh. Oder, und das erschien mir noch wahrschein licher, es war Falk, der die von New York nach Washington weitergegebenen Gedanken nachplapperte. »Khalid sollte mal aus seinem Zelt kommen und sich umsehen. Es gibt andere Leute am Golf, bei denen man nicht erst so deutlich werden muß.« »Zum Beispiel?« »Zum Beispiel der Schah. Ein schlauer Mann, der Schah. Der ist auf Draht. Und er ist nicht erst gestern aufgewacht. Erin nern Sie sich noch an 1975? Die Banken in New York hatten eine halbe Milliarde Dollar in der Pan Am stecken und nicht die leiseste Hoffnung, das Geld je wiederzusehen. Diesen Idio
ten im Kongreß wäre es völlig schnurz gewesen, wenn die Fluglinie pleite gemacht hätte - mit unserem Geld. Ich flog persönlich nach Teheran, um in dieser Sache etwas zu unter nehmen. Der Schah war bereit, innerhalb von zwei Wochen eine viertel Milliarde aufzubringen, und eine weitere viertel Milliarde 1977. Wie es sich ergab, war es nicht nötig. Die Pan Am kam selbst wieder auf die Beine. Aber der Schah hat sich damals viele Freunde gemacht. Und seitdem tut sich einiges. So kauft er zum Beispiel jedes Jahr für drei Milliarden die besten Waffen ein, die unser Land liefern kann. Er hat zwei der modernsten Atomreaktoren bekommen. Er sagt, was er haben will, und er kriegt es.« »Vorausgesetzt, er läßt seinen Barbestand bei euch in New York.« »Stimmt genau, Hitchcock.« Aldrich erhob sich. »Na, dann plaudern Sie mal mit Ihren Freunden in Riyadh. Wenn die mit uns arbeiten wollen, arbei ten wir mit ihnen. Und zwar sofort. Ich hole euch Burschen aus dem italienischen Schlamassel heraus, und aus allen ande ren, die noch kommen könnten. Und glauben Sie mir, es wer den welche kommen. Über die Zinsen brauchen Sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Wir werden Ihnen die besten Kondi tionen bieten.« »Und was ist, wenn die Araber das alles nicht wollen?« »Das überlasse ich Ihrer Phantasie. Aber zunächst einmal: Erwarten Sie nicht, daß Sie es ganz leicht haben werden, Ihren Handel mit den Italienern zum Abschluß zu bringen.« Er ging davon und ließ mich mit der Rechnung für die Drinks zurück. Und mit der Erkenntnis, daß die Amerikaner damit beginnen wollten, gegenüber den Arabern eine harte Gangart anzuschla gen. Sollen sie doch, sagte ich. Wir hatten mehr Geld als sie. Wie bringt man den italienischen Finanzminister und den Prä sidenten der Bank von Italien dazu, alles liegen- und stehenzu lassen und innerhalb von zwei Tagen zu einem Treffen nach Deutschland zu kommen? Geht ganz leicht, wenn man Saudia
rabiens Geld hinter sich hat. Über die Art, wie die zwei Herren bestochen wurden, möchte ich nicht ins schmutzige Detail gehen. Schließlich weilen sie ja vermutlich noch unter den Lebenden. Nur so viel: Wir ga ben ihnen 25 Prozent bar auf die Hand und verpflichteten uns, den Rest nach Abschluß des Geschäftes auf ihre Schweizer Konten in Lugano zu überweisen, die in solchen Fällen übli che Abwicklung. Nachdem wir das hinter uns hatten und die beiden los waren, führten wir ein Konferenzgespräch mit dem Chef der ENI. Schließlich waren es ja die Vermögenswerte seiner Gesell schaft, die an eine Gruppe ausländischer Banken verpfändet werden sollten. Nicht, daß er den Handel hätte blockieren können. Die ENI gehörte dem Staat, und den hatten wir so eben gekauft. Aber wer hat schon Interesse daran, die Wellen hochgehen zu lassen? Wir versprachen ihm seine viertel Milli arde zusätzliches Betriebskapital. Er wollte 350 Millionen. Wir einigten uns auf 300 Millionen. Er wollte zehn Prozent Zinsen zahlen, wir wollten zwölf Prozent. Wir einigten uns auf elf Prozent. Er wollte das Darlehen auf zehn Jahre haben, wir wollten es ihm für ein Jahr geben. Wir einigten uns auf drei Jahre. Er wollte das alles schriftlich haben, und gleich jetzt. Das lehnten wir glatt ab. Wir kamen überein, ihm innerhalb von zwei Wochen eine gemeinsam von Reichenberger und mir unterzeichnete Absichtserklärung zu schicken. Es war der 2. Dezember 1981, und wir waren bereit, die Sache anzugehen. Randolph Aldrich hatte behauptet, er würde fünf Telefonate brauchen - alles Ortsgespräche -, um die drei Milliarden zu sammenzubekommen, die wir haben wollten. Reichenberger und ich rechneten uns aus, daß wir neun brauchen würden, alles Ferngespräche. Wir teilten uns das Territorium auf. Ich erklärte mich bereit, die amerikanischen, kanadischen, engli schen und japanischen Banken zu übernehmen. Und selbst eine verbindliche Erklärung für Saudiarabien abzugeben. Rei chenberger wollte sich um den europäischen Kontinent küm
mern und um den Iran. Wir arbeiteten in seinem Büro, keine drei Häuserblocks von meinem Hotel die Straße hinauf. Seine Leute hatten mittlerweile alles vorbereitet. Das Wichtigste war die Zusammenfassung der Bedingungen, unter denen das Dar lehen gewährt werden würde: Laufzeit, Zinsfuß, Rückzah lungsschema, und schließlich eine genaue Aufstellung über die Beteiligungen. Wir hatten eine »Länderquote« festgesetzt, eine Frist, innerhalb derer die Zusage erfolgen mußte - vierund zwanzig Stunden - sowie eine Konventionalstrafe für Nichter füllung nach einem über Telex gegebenen Einverständnis in nerhalb jener vierundzwanzig Stunden. Reichenberger hatte noch einen Punkt hineingenommen. Das ganze Geschäft würde in D-Mark, nicht in amerikanischen Dollar abgewickelt werden. Ich hatte nichts dagegen einzu wenden. Die Mark war immer noch die stärkste Währung der Welt. Meine Freunde in Riyadh würden begeistert sein. Unser Vorschlag ging gleichzeitig an die neun Führungsban ken, die wir mit von der Partie haben wollten. Daß die First National Bank of America nicht darunter war, braucht nicht erst erwähnt zu werden. Die einzelnen Ausfertigungen gingen an die jeweiligen Vorstandsvorsitzenden und wurden an jene Telexnummern gerichtet, die die diversen Banken für Mittei lungen heikler Natur reserviert halten. Sie gingen um Mitter nacht hinaus, und das bedeutete, daß sie am nächsten Morgen auf den Schreibtischen ihrer Empfänger liegen würden. Und am nächsten Morgen führten wir unsere neun Telefonge spräche. Sie waren in allen neun Fällen erfolgreich. Um vier Uhr nachmittags hatten wir unsere drei Milliarden und die 300 Millionen für die ENI dazu. Am Abend lud Reichenberger mich doch tatsächlich in sein Haus ein, dazu noch die Hälfte seines Vorstands, um die Geburt eines neuen deutsch saudiarabischen Finanzabkommens zu feiern. Am Ende waren alle, ich ausgenommen, ziemlich betrunken. Gott sei Dank, daß ich nüchtern blieb. Denn als ich am Tag darauf in die Leipziger Bank kam, stellte sich heraus, daß das ganze Geschäft über Nacht in die Brüche
gegangen war. Mit grimmigem Gesicht erzählte mir Reichen berger, was geschehen war. Schon um halb acht Uhr früh hatte sein Sekretär einen Anruf von der amerikanischen Führungs bank erhalten, was bedeutete, daß das Gespräch gegen Mitter nacht, New Yorker Zeit, angemeldet worden war. Der Inhalt: Nach gründlicher Überprüfung hatte der geschäftsführende Vorstand es abgelehnt, einer Beteiligung zuzustimmen. Man möge nicht mit ihnen rechnen. Ein für allemal. Um acht Uhr, die Kanadier - das gleiche. Die Japaner hatten sich nicht die Mühe gemacht, anzurufen. Sie hatten ein Telex geschickt: »Hiermit teilen wir Ihnen mit, daß wir uns aus Ihrem italieni schen Euro-Mark-Darlehens-Syndikat zurückgezogen haben. Gezeichnet: Mitsubishi Bank.« Als letzte waren die Briten gekommen - auch sie hatten gekniffen. Reichenberger war wütend. Und ich konnte es ihm nicht ver übeln. Bis auf eine Ausnahme waren alle Banken, mit denen er Kontakt aufgenommen hatte - die Schweizer, die Holländer, die Franzosen, die Belgier -, eingestiegen und bei ihrer Zusage geblieben. Die Ausnahme war der Iran. Für mich war es diese Ausnahme, die die Regel bestätigte, und diese Regel lautete: Wer sich mit dem Randolph-AldrichKlüngel anlegen will, darf nicht erwarten, gleich die erste Runde für sich zu entscheiden. In der neuen Welt der Finan zen, die nach der Ölrevolution entstanden war, zeichnete sich nun deutlich eine Grenze zwischen Befehlsgebern und Ge folgsleuten ab: Der Kampf zwischen Wall Street und ihren Satelliten in Übersee und dem europäischen Hartwährungs block hatte begonnen. Auf dem Spiel standen die arabischen Riesenvermögen und die Frage, wer ihre Verwendung letzten Endes steuern sollte. Die amerikanische Gruppe wußte, daß sie mit dem Strich durch die Rechnung des italienischen Darlehens Unheil he raufbeschwor. Wenn Italien finanziell in die Bredouille geriet, konnte es dann noch lange dauern, bis New York folgte? Wenn es aber New York nicht gelang, ein wesentliches Stück des arabischen Kuchens zu ergattern, war eine Katastrophe
dann nicht sowieso unvermeidlich? Die Amerikaner waren offensichtlich willens, bis zum Rand des Abgrunds hin Mut proben abzulegen. Und ich, so dämmerte mir plötzlich an je nem Morgen in Frankfurt, war in Wahrheit der Flügelmann. Wenn ich zum Beispiel nach Riyadh zurückkehrte und alles genau so berichtete, wie es sich zugetragen hatte - was dann? Den Saudis würde meine Geschichte gar nicht gefallen. Sie waren leicht gekränkt. Sehr nationalistisch. Sehr empfindlich, wenn es um Geld ging, ganz besonders um Geldverluste. Was wäre, wenn sie den Amerikanern den Hahn abdrehen würden? Keinen Penny mehr, Mr. Aldrich! Wenn der Geldmarkt in New York im Dezember 1981 angespannt war wie das Schlag fell einer Trommel, wie würde er erst in zwei Monaten ausse hen? Und wenn wir schon dabei waren, warum nicht mit den Engländern und dem Pfund Sterling das gleiche tun wie mit den Amerikanern und dem Dollar? Die verdammte Insel wür de in ihrer eigenen Interesselosigkeit versinken, und Aldrich und seine Freunde würden sich den Kopf zerbrechen, wie sie dieses Problem lösen sollten! Ich bin kein nachtragender Mensch. Bin es nie gewesen. Auch hat die Tatsache, daß ich in der Lage war, Macht auszuüben, mein Urteilsvermögen nie wirklich beeinflußt. Es war nur, daß Aldrich und seine Leute William H. Hitchcock möglicherweise arg unterschätzt hatten. Nicht, daß ich an jenem Dezembermorgen mit Herrn Doktor Reichenberger und seinen Leuten auf bestem Fuß gestanden wäre. Er war so wütend, er hätte mich umbringen können. Glücklicherweise war er zu sehr damit beschäftigt, eine neue Serie von Telexbotschaften abzufeuern, in denen er den Adressaten mitteilte, daß das italienische Euro-Mark-Darlehen »vorübergehend« zurückgestellt werden müsse. Wenn ich so zurückdenke, möchte ich meinen, daß er glaubte, ich hätte ihn an der Nase herumführen wollen. Ihn lächerlich machen - aus irgendeinem Grund, den ein ungeschliffener Amerikaner oder ein listiger Orientale gehabt haben mochte. Wenn man Deutschlands größter Bankchef ist und eine Drei-MilliardenSyndikatsbildung vermasselt - ein Dokument, unter dem in
fetter Schrift der Name steht -, nun, das spricht sich, gelinde gesagt, herum. Und die Leute fragen sich, ob die Hand dieses Mannes noch sicher ist. Schließlich war es der Name der Leip ziger Bank gewesen, die am Ende jedes Telex zu lesen stand auf Reichenbergers Drängen, nicht auf meines. Wir trösten uns über Ärgernisse hinweg, so gut wir können. Nach diesem Fiasko, dachte ich, brauchte ich etwas mehr als nur meine Gedanken, um mich zu trösten, bevor ich nach Riy adh zurückkehrte, um Bestandsaufnahme zu machen. Ein Aus flug, entschied ich, war angezeigt. Nach Zürich. Um ein paar Spielchen zu spielen. Aber nicht mit den Gnomen.
11 Genau 14 Hartmanns waren im Zürcher Telefonbuch ver zeichnet, aber nur einer hatte als Beruf »Professor« angege ben. »Hartmann-Seligmann« lautete der volle Name. Die schweizerische Telefongesellschaft besteht darauf, der Eintra gung nicht nur den Beruf, sondern auch den Mädchennamen der Ehefrau jedes männlichen Teilnehmers anzufügen. Der Name Seligmann stimmte. Also rief ich an. Und sie meldete sich. Ich sagte, ich würde im Lauf des Tages nach Zürich kommen. Eine Nacht. Würde sie…? Ja, sie würde. Aber nicht für lange. Sie und ihr Vater würden am 6. Dezember nach Teheran fliegen. Sie hatten noch eine Menge zu erledigen. Aber wie wäre es mit einem Drink bei ihnen zu Hause? Sie wohnte etwa vier Häuserblocks von der Universität - auf dem Berg östlich des Sees. Ich wußte ungefähr, wo das war. Ich sollte um sieben kommen. Was steckt hinter einem unerwarteten Zusammentreffen? Eine Menge. Denn hinter einem solchen Zusammentreffen verbirgt sich viel mehr als reiner Zufall. Zum Beispiel diese Rundreise Ende 1981. Zuerst war ich Ursula Hartmann begegnet. Dann Randolph Aldrich. Weder geplant noch erwartet. Aber das gleiche ist mir schon Hunderte Male - nein, vielleicht schon Tausende Male passiert. Und die Erklärung ist ganz einfach. Wie groß ist der Prozentsatz der Erdbevölkerung, der in Lu xusherbergen wie Hassler in Rom, dem Frankfurter Hof in Deutschland, Claridge’s in London oder dem Beverly Hills Hotel in Kalifornien absteigt? Winzig klein. Die Eintrittskarte, die zum Besuch dieser Etablissements berechtigt, heißt Reich tum, in Form von Geld, Ruhm, Gelehrsamkeit, politischer Macht. Das gleiche gilt für die Erste Klasse des Flugs TokioLos Angeles oder London-Johannesburg. Daraus erklärt sich, wieso man an solchen Orten immer Freunde trifft, oder Freun de von Freunden, oder eben Leute, die in irgendeinem Zu sammenhang mit der eigenen Tätigkeit stehen.
Ich erwähne das nur, weil diese zwei »Zufallsbegegnungen« außerordentlich großen Einfluß auf meinen späteren Lebens weg haben sollten. Ich will allerdings zugeben, daß ich mich nach diesem Anruf in Zürich zu fragen begann, ob es wirklich ein Zufall gewesen war, der mich mit Ursula Hartmann zusammengeführt hatte. Warum zum Teufel hatte sie sich bereit erklärt - einfach so -, mich wiederzusehen? Und wieso, um alles in der Welt, noch dazu in ihrem Haus! Ich meine, diese Geschichte in Rom war ein Spaß gewesen, aber doch kein Ereignis, das gemeinhin zu einem Sonntagabend mit der Familie führt. Aber dann dachte ich wieder, vielleicht war sie ein wenig… nun ja, überspannt. Schrullig. Nicht wirklich übergekarrt, nur mit leichten Fickproblemen. Eine Frau, die etwas Neues braucht, um sich aufzugeilen. Na ja, wir haben ja alle unsere Probleme. Stimmt’s? Ich flog also nach Zürich, fuhr in meine alte Bleibe, das Baur au Lac, duschte mich und nahm ein Taxi den Berg hinauf. Ich traf pünktlich um sieben Uhr ein - ganz im Gegensatz zu mei nem normalen Verhalten. Aber ich war bester Stimmung, denn es hatte eben zu schneien begonnen. Ich liebe Schnee. Er läßt die Welt sauber und frisch erscheinen, besonders nachts, wenn die Flocken vor den Scheinwerfern herumwirbeln. Für mein kalifornisches Gemüt gehören Schweiz und Schnee zusam men. Ich war also ausgesöhnt mit der Welt im allgemeinen und den Schweizern im besonderen. Doch nachdem ich das Haus betreten hatte, war ich nicht mehr so sicher. Da war zunächst einmal der gute Professor. Er be grüßte mich an der Tür. Mit dem ersten Eindruck ist das so eine Sache. Sicher, ich hatte ihn an der Bar in Rom gesehen. Aber von Angesicht zu Angesicht… Na ja, er sah einen nicht an, er starrte einen an. Er hatte langes, weißes Haar und dazu passende Augenbrauen. Er schüttelte einem auch nicht die Hand wie andere Menschen. Er packte sie, zerrte kurz daran, ließ los, und das war’s. Er war mindestens sechs Zoll kleiner als ich. Und etwa zwanzig Jahre älter.
Und dann das Haus. Es war dunkel und muffig. Bücherregale,
wo man hinsah, vollgestopft bis zur Decke.
Ursula saß auf dem Sofa im Wohnzimmer. Wie der Rest der
Sitzgarnitur war auch das Sofa mit einer erstickenden roten
Plüschdecke überzogen. Alles sehr ordentlich - aber steif. Sie
begrüßte mich wie eine jüdische Prinzessin aus der Schweiz.
Eine leise Berührung meiner Hand, und dann eine Geste, mit
der sie mich aufforderte, mich links neben sie zu setzen. We
nigstens hatte sie ihre Pfadfinderinnenuniform nicht an. Statt
dessen trug sie ein schwarzes Cocktailkleid - natürlich bis zum
Hals hinauf zugeknöpft. Aber das muß ich sagen: Sie sah
phantastisch aus.
»Ich habe Vater viel von Ihnen erzählt«, begann sie, »und wir
freuen uns beide sehr, daß Sie kommen konnten.«
Der Professor starrte mich immer noch an.
»Papa«, fuhr sie fort, »ich bin sicher, daß Mr. Hitchcock gern
einen Drink haben möchte.« Und dann zu mir: »Wir haben nur
Wermut. Wäre Ihnen das recht?«
Ich hasse das Zeug. Also antwortete ich: »Gewiß.«
Der Professor servierte es, als ob es goldener Nektar wäre.
Wie sich herausstellte, war es nicht einfach Wermut. Es war
sehr süßer Wermut.
Dann saßen wir alle drei da.
»Mr. Hitchcock«, begann der Professor plötzlich, »meine
Tochter hat mir erzählt, daß Sie jetzt im Nahen Osten leben.«
»Ja«, antwortete ich, »obwohl ich, offen gestanden, bisher nur
wenig Zeit dort verbracht habe.«
»Aber Sie sind dort ständig stationiert.«
»So könnte man es ausdrücken, ja.«
»In Saudiarabien, glaube ich.«
»Riyadh. Ja, Sir.«
»Wie ist dort das Klima um diese Jahreszeit?«
»Kalt. Und trocken.«
»Kennen Sie Teheran?«
»Ja.«
»Wie ist das Klima dort um diese Jahreszeit?«
»Kalt. Und trocken.«
»Und kennen Sie Abadan?«
»Ja.«
Und dann sagte er, ich schwöre es bei allen Heiligen: »Wie ist
das Klima dort um diese Jahreszeit?«
Und ich antwortete: »Warm. Und trocken.« Ich kann nur sa
gen: Wer keinen Abend bei einer Familie in Zürich verbracht
hat, der weiß nicht, was Leben ist.
»Wir gehen nach Iran«, teilte er mir dann mit. »Sagen Sie mir,
Mr. Hitchcock, was halten Sie vom Iran?«
»Faszinierendes Land. Sie wissen ja. Viele alte Ruinen und
so.«
»Nein, das meine ich nicht. Was halten Sie vom Regime im
Iran?«
»Nun ja, es ist nicht gerade das liberalste der Welt. Aber der
Schah scheint zu wissen, was er will.«
»Kennen Sie den Schah?«
»Ich bin ihm begegnet. Einmal. Kurz.« Ich log nicht. Es war
im Jahre 1972, in London, bei einer sehr großen Dinnerparty
im Savoy, zu der mich Jocelyn Hambro, der Handelsbanker,
eingeladen hatte.
»Was halten Sie von ihm?«
»Sehr intelligenter Mann.«
Der Professor nickte. »Gefestigt?« fragte er dann.
»Sie meinen geistig?«
»Ja.«
»Ich denke schon. Warum?«
»Vater«, unterbrach Ursula, »ich glaube, Mr. Hitchcock
braucht noch etwas zu trinken.«
Dann läutete die Türglocke. Der Professor ging in die Diele
hinaus. Ursula blieb auf dem Sofa sitzen.
»Ist es sehr arg für Sie?« fragte sie mit einer Stimme, die zum
ersten Mal nicht unnatürlich klang.
»Nein«, log ich, »aber um die Wahrheit zu sagen…«
»Wo sind Sie abgestiegen?« fragte sie schnell.
»Im Baur au Lac.« In diesem Augenblick kehrte Papa mit dem
blonden Errol-Flynn-Typ zurück. Aus Israel, hatte sie gesagt. »Darf ich vorstellen«, sagte ihr Vater, »mein Kollege, Profes sor Ben-Levi.« »Bill Hitchcock«, sagte ich. »Freut mich.« »Und ich«, gab er mit leichtem Oxford-Akzent zurück, »bin entzückt, Sie kennen zu lernen, Mr. Hitchcock. Wie ich gehört habe, sind Sie einer der reichsten Männer der Welt. Ich liebe es, reiche Männer kennen zu lernen. Das war schon immer mein Hobby. Vor Jahren, als ich noch an der Sorbonne stu dierte, lernte ich einen Rothschild kennen. Einen richtigen Rothschild. Reizender Mann. Seitdem kommen wir hin und wieder zusammen . Wir interessieren uns beide sehr für das alte Griechenland und haben auch dort gemeinsam ein bißchen gegraben. Aber ich langweile Sie.« »Nein, keineswegs«, antwortete ich und meinte es auch so. Der Bursche war eine Wohltat. »Sie müssen wissen, auch Ursula interessiert sich für Archäo logie. Stimmt das nicht, meine Liebe?« »Ja«, antwortete Ursula ruhig. »Ich finde, es ist einfach wunderbar, daß sie mit ihrem Vater nach Persien geht. Persepolis, Pasargadae, Susa! Wie ich Sie beneide, Ursula! Als ich noch Student in Oxford war, träumten wir von solchen Dingen. Aber Sie, Mr. Hitchcock«, fuhr er fort und richtete seine blauen Augen auf mich, »Sie interessie ren sich bestimmt mehr für die Welt der Gegenwart. Und viel leicht können Sie mir einen Rat geben. Ich habe soeben ein paar Goldminenaktien in London gekauft. Ich glaube, man nennt sie Kafirs. War das eine gute Idee? Wissen Sie, ich bin ein einfacher Physiker, so wie mein guter Freund Hartmann. Ich verstehe nichts von Geld. Sagen Sie mir, werde ich mit meinen Goldaktien auch ein reicher Mann werden?« Ben-Levi war all das, was Professor Hartmann nicht war: gut aussehend, witzig, von gewinnendem Wesen. Etwa in meinem Alter. Er trug keine Krawatte, und das in Zürich! Während ich ihm das Geheimnis des Goldes enthüllte, flogen seine Blicke hin und her und blieben häufiger auf Ursula haften, als ich
persönlich es für nötig gehalten hätte.
Als wir mit dem Gold fertig waren, bekundete er Interesse für
Immobilien. Dann kam New York. Er bewunderte New York.
Er wollte einmal dort leben. Aber er bewunderte auch Kalifor
nien. Er schwärmte für amerikanische Filme. Ob ich einige der
großen Stars kannte? Ich kannte ein paar und gab ein bißchen
an - um ihn, aber auch Ursula zu unterhalten.
Dann: »Wie ich höre, arbeiten Sie in Riyadh, Mr. Hitchcock.
Oder darf ich Sie Bill nennen?«
»Natürlich.«
»Es muß eine faszinierende Stadt sein.«
»Eigentlich nicht.«
»Ich kann mir natürlich kein Urteil erlauben, weil ich ja nie
dort war. Aber für uns besitzt es eine große Faszination - viel
leicht gerade darum, weil wir die Stadt nicht besuchen können.
Sagen Sie mal, was glauben Sie, wie lange wird sich dieser
Khalid noch halten?«
»Der König?«
»Ja.«
»Ich würde sagen, daß er das Heft fest in der Hand hat.«
»Und wie steht es mit diesen Jungtürken? Ich habe da so ko
mische Dinge über einen Mann namens Abdullah gehört. Er
ist einer von Faisals Söhnen.«
»Soviel ich weiß, alles nur Gerede.«
»Khalid bleibt also am Ruder. Meinen Sie, trifft das auch für
den Schah von Persien zu?«
»Offen gestanden, das weiß ich nicht.« Und damals interes
sierte es mich auch nicht sonderlich.
»Ich glaube, daß er noch eine ganze Weile auf seinem Thron
sitzen wird«, sagte Ben-Levi. »Er ist ja nicht so alt, wissen Sie.
Und er hat eine Armee, die ihm treu ergeben ist - und außeror
dentlich gut ausgerüstet. Sie haben sogar ein paar von den
neuen F-5FS. Tolle Flugzeuge. Wie ich höre, wird Ihr Land
ihnen noch in diesem Jahr weitere fünfzig liefern. Stimmt
das?«
»Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Aber für einen Physiker
scheinen Sie eine ganze Menge von Militärflugzeugen zu wis sen.« »Das ist in unserem Land ganz natürlich. In dieser oder jener Form sind wir alle mit unserem Militär verbunden. Ich habe schon seit langem einen Pilotenschein, und hin und wieder lassen sie mich über der Wüste eine Runde drehen. Macht Spaß. Aber im Moment interessiert mich mehr Ihr Fachgebiet - Geld. Wie geht es eigentlich den amerikanischen Banken?« »Sie haben Probleme. Aber sie werden überleben. Bis jetzt haben sie immer noch überlebt. Warum fragen Sie?« Der Kerl fing an, mir auf die Nerven zu gehen. »Nun, ganz offenbar hat mein Land das größte Interesse am Wohlergehen Amerikas. Das ist ja allgemein bekannt. Viele meiner Landsleute sind der Meinung, daß wir uns ohne Ihre Dollar in einer sehr heiklen Lage befänden - daß unsere Exi stenz bedroht wäre.« »Mein Freund«, sagte ich und hoffte, ihn damit zum Schwei gen zu bringen, »diesbezüglich können Sie und Ihre Landsleu te ruhig schlafen. Amerika fühlt sich für die Sicherheit Israels bis zur letzten Konsequenz verantwortlich. Na ja, fast bis zur letzten Konsequenz.« »Fast?« »Ja. Denn trotz allem, was wir in der Vergangenheit gesagt und getan haben… Wenn unsere nationale Existenz bedroht ist - ich fürchte, dann werden wir Amerikaner an uns selbst den ken müssen. Das werdet ihr Israelis sicher verstehen.« »Natürlich. Aber würden Sie mir das etwas deutlicher erklä ren?« »Okay. Sehen Sie mal. Genaugenommen gibt es doch in der Welt von heute nur zwei Dinge, die wirklich relevant sind: Geld und Öl. Und von diesen beiden ist Öl das wichtigere. Ohne Öl geht unsere Wirtschaft - und damit auch unser Geld zum Teufel. Daran wagt kein guter Amerikaner auch nur zu denken. Wie Sie sicherlich schon gehört haben, denken wir sehr materialistisch.« »Mit anderen Worten«, sagte Ben-Levi, »wenn ihr Amerikaner
vor die Wahl gestellt werdet, ohne Öl dazustehen oder Israel aufzugeben, werdet ihr euch wahrscheinlich für letzteres ent scheiden.« »Genau.« Er blieb eine Weile stumm. Aber nicht lange. »Ja, ich kann Ihren Standpunkt verstehen. Aber uns Israelis bleibt eine sol che Wahl erspart.« »Hören Sie doch auf«, sagte ich. »Sie haben eben selbst er klärt, daß Ihr Land ohne amerikanische Dollar untergehen würde. Sie brauchen amerikanische Dollar genauso wie wir arabisches Öl brauchen.« »Nein, mein Freund. Sie haben mir nicht genau zugehört. Ich sagte, daß einige meiner Landsleute so denken. Ich nicht.« »Und was denken Sie?« Weder Professor Hartmann noch seine Tochter hatten sich in den letzten fünf Minuten an unserem Gespräch beteiligt. Sie hörten gespannt zu und hingen praktisch an Ben-Levis Lippen. »Was ich glaube? Ich will es Ihnen sagen. Mein Land ist nicht auf Geld und Öl gebaut. Mein Land ist auf ein Volk und auf eine Religion gebaut. Die Juden haben Tausende Jahre in Isra el durchgehalten und in Wohlstand gelebt - ohne Öl und ohne Dollar. Wenn es nötig werden sollte, können wir das wieder tun.« Solche Worte hatte ich schon von vielen Juden gehört. Und offen gestanden, sie langweilten mich. Also warf ich einen Blick auf meine Uhr. Professor Ben-Levi verstand den Wink und sah auf die seine. Und dann war unvermittelt alles vor über. Der Israeli stand auf, verabschiedete sich und ging. Mir blieb nichts anderes übrig, als seinem Beispiel zu folgen. Ur sula ließ ein Taxi kommen. Fünf Minuten später stand es vor der Tür. Um halb neun war ich wieder im Hotel. Um zehn rief sie an. Sie hätte herüberkommen wollen. Aber es war einfach unmöglich. Ihr Vater brauchte sie. Sie mußte pak ken und sich vergewissern, daß das Haus in guter Ordnung zurückblieb. Es tat ihr leid, sehr leid. Aber sie hoffte, wir könnten uns im Nahen Osten treffen. Sie sagte, sie würde ihre
Adresse bei der Schweizer Botschaft in Teheran hinterlassen. Und das war alles, was an jenem 5. Dezember 1981 in Zürich geschah. An diesem Abend ging ich mit dem quälenden Gefühl zu Bett, daß der Besuch bei Hartmanns irgendwie manipuliert worden war. Daß ich zum Abschuß freigegeben worden war. Aber von wem? Und zu welchem Zweck? Am nächsten Morgen waren diese Gedanken verflogen. Du lieber Himmel, dachte ich, was könnte harmloser sein als zwei Physiker?
12 Wenn man das erste Mal nach Riyadh kommt, gelingt es ei nem irgendwie, sich einzureden, daß es wirklich eine exoti sche Stadt sei. Beim zweiten Mal wird einem klar, daß es eines der trostlosesten Nester auf Gottes Erdboden ist. Es liegt mit ten in der Wüste, besteht zum größten Teil aus elenden Hütten und Lehmwegen und wird von faulen Exnomaden bewohnt, deren Ziegen und Hunde das einzige Müllabfuhrsystem der Stadt darstellen. Welcher Mensch, der noch bei klarem Verstand ist, möchte in eine solche Senkgrube zurückkehren? Nun, es war der 6. Dezember 1981, halb zwölf Uhr vormit tags, und ich kehrte nach Riyadh zurück. Aus Zürich hatte ich Prinz al-Kuraishi ein Telegramm mit der kryptischen Nach richt geschickt, daß ich zu Konsultationen nach Saudiarabien zurückkommen würde. Ich hatte vorgehabt, den Tag damit zu verbringen, über meine Zukunft nachzudenken, die sich nach dem italienischen Fiasko sehr wahrscheinlich nach einem vom Flughafen Riyadh ziemlich entfernten Ort verlagern würde etwa nach dem zehntausend Meilen entfernten San Francisco. Aber die Serie meiner Fehleinschätzungen riß nicht ab. Von dem Augenblick an, in dem ich die Maschine verließ, war mir klar: Wenn die Saudis so etwas wie eine Verschißliste hatten, stand ich noch nicht darauf. Al-Kuraishi war nicht auf dem Flugplatz, wohl aber seine Limousine und sein Fahrer - direkt auf der Rollbahn. Ich fand die Erklärung in dem Billett, das mir der Fahrer reichte: Für Mittag war eine Sitzung im Pla nungsministerium angesetzt, an der ich teilnehmen sollte. Dieses Ministerium lag ungefähr zwanzig Minuten vom Flug hafen entfernt im Zentrum. Das Gebäude war etwa hundert Meter lang und zwei Stock hoch, eine Studie funktioneller Architektur im arabischen Geist. Das ganze riesige Erdge schoß bestand aus rosa Marmor, gediegen und überwältigend, und war - bis auf Wanddekorationen und einen mit einem Se kretär besetzten Schreibtisch - völlig leer. Der Sekretär saß weit hinten am Fuß einer elegant geschwungenen Marmor
treppe. Die Nennung meines Namens hatte eine Handbewe gung in Richtung Treppe und dann aufwärts zur Folge. Also ging ich nach oben. Im ersten Stock gab es wieder einen Empfangssaal, kleiner und mit weniger Marmor, dafür aber mit doppelt so vielen Teppichen ausgelegt. Halb versunken in einem solchen saß mein Prinz. Er entdeckte mich sofort, was nicht schwer war, denn es hielten sich nicht allzu viele Männer hier auf. Er hatte mit zwei Saudis geplaudert. Als ich auf ihn zutrat, machte er mich mit Scheich Ahmed Zaki Yamani, dem Ölminister, be kannt; Kronprinz Fahd war ich schon früher begegnet. Mein Herz schlug schneller. Angesetzt war eine Sondersitzung des Rates der Zwanzig, des Staatsrats des Königreichs Saudiarabi en. Wir hatten kaum zwanzig Worte gewechselt, als Stille eintrat. Khalid war gekommen. Der König, von vier bewaffneten Leibwächtern umgeben, rauschte durch den Empfangssaal und von da gleich weiter in den angrenzenden Konferenzsaal. Wir rauschten ihm nach. Die Plätze am Konferenztisch waren bezeichnet, der meine neben al-Kuraishi, der vierte vom Kopfende, wo Khalid ste henblieb, bis ein Diener die massiven Türen geschlossen hatte. Keiner sprach, keiner machte eine Bewegung, bevor Khalid sich gesetzt hatte. Erst dann folgten die neunzehn anderen Araber mit sehr hörbarem Rascheln ihrer Gewänder und ich seinem Beispiel. Der König eröffnete die Sitzung auf arabisch. Meine Ara bischkenntnisse beschränkten sich auf einen Satz, Yusharrifuni an uqabilikum, und das bedeutet: »Ich bin hoch erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, mein Herr.« Weder der König noch der Kronprinz, der sich weniger kurz hielt, gebrauchten den Satz. Nach Fahd kam Yamani. Dann der Planungsminister ein Scheich, dessen Namen ich vergessen habe. Schließlich Prinz al-Kuraishi. Offenbar gehörte mein Freund nicht zur Spitze. Das alles dauerte etwa dreißig Minuten. Dann öffneten sich die Türen, und einundzwanzig Diener, je einer für jeden Konferenzteilnehmer, traten ein. Sie brachten Tee. Und leite
ten eine Gesprächspause ein, in der man das Protokoll offen bar nicht verletzte, wenn man sich mit seinem Nachbarn un terhielt. »Um was geht es denn eigentlich?« fragte ich rasch alKuraishi. »Dem Planungsminister geht es an den Kragen«, antwortete der Prinz. »Die Maßnahmen seines Ministeriums berühren alle Sektoren unseres Landes. Das liegt auf der Hand. Daher ist der Rat der Zwanzig vollzählig erschienen. Unser System ist eben sehr demokratisch. Auf höchster Ebene.« »Was hat er falsch gemacht?« fragte ich. »Alles. Die ganze wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes ist ein einziger Trümmerhaufen.« »Aber mit den enormen Geldmitteln, die Sie zur Verfügung haben…« »Schon richtig«, fiel er mir ins Wort, »aber das Geldeinneh men ist nicht unser Problem; es ist das Geldausgeben. Wir müssen es schnell und gut anlegen, um ein autarkes Land mit einem breiten Produktionsprogramm zu werden. Und das ist uns nicht gelungen.« »Und wozu hat man mich…« Seine Hand gebot mir Schweigen. Im Saal war es plötzlich wieder still geworden. Offenbar auf Weisung des Königs hatte der Kronprinz den Vorsitz übernommen. Er mußte auf einen Knopf unter der Tischplatte gedrückt haben, denn plötzlich waren alle Diener verschwunden; gleichzeitig erschienen zwei Sekretäre und pflanzten sich hinter Fahd auf. Sie brachten keinen Tee, nur Aktenhefte. Fahd machte eine Handbewe gung, und eines der Dossiers wurde aufgeschlagen vor ihm auf den Tisch gelegt. Er las etwas daraus vor, wobei er wiederholt einen anklagenden Finger auf den Planungsminister richtete ich wollte, ich könnte mich seines Namens entsinnen -, der ihm genau gegenüber saß. Natürlich alles auf arabisch. Doch selbst in dieser mir fremden Sprache waren Sinn und Absicht nicht zu verkennen. Wieder bewegte Fahd seine Hand. Die Türen öffneten sich,
und zwei Herren wurden hereingeführt - in westlicher Klei dung. Da ihnen keine Stühle angeboten wurden, blieben sie am Ende des Tisches stehen. Fahd stellte sofort auf Englisch, auf perfektes amerikanisches Englisch um. »Mr. Jones«, begann er, »Sie sind Präsident des Multinational Research Institute. Und Sie, Mr. Rogers, sind der Leiter von Arthur D. Rand Associates.« »Jawohl«, antworteten sie im Chor. Sie vertraten zwei der bekanntesten amerikanischen Denkfabriken, die beide Tau sende von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Wirtschaftsex perten unter ihren Mitarbeitern hatten. Superberater für die wirtschaftlichen und politischen Supergebilde des Westens, angefangen von IBM bis zu British Petroleum und dem Penta gon. Sie schrieben die Drehbücher für die führenden Persön lichkeiten des politischen und des wirtschaftlichen Lebens. »Ihre Organisationen waren im wesentlichen für die Entwick lung unseres wirtschaftlichen Fünfjahresplans verantwortlich«, fuhr Fahd fort. »Stimmt das?« »Nicht in dieser Form«, antwortete Rogers. »Unsere Leute waren in rein beratender Funktion hier. Die Verantwortlich keit…« und Stille. Argumente solcher Art mochten in Palo Alto wirksam sein, aber nicht in Riyadh. Eine neue Handbewegung Fahds. Abermals legte ein Sekretär ein aufgeschlagenes Dokument vor ihn hin. »Das, und ich bin sicher, daß Sie es wiedererkennen, sind die Vorschläge, die Sie uns gemeinsam Ende 1978 vorgelegt ha ben. Soll ich Ihnen daraus vorlesen?« »Das wird nicht nötig sein«, antwortete Rogers. »O doch, es ist nötig. Es heißt hier auf Seite 36, oben, unter Zusammenfassung Punkt eins: >Wir werden für das König reich Saudiarabien einen Wirtschaftsplan erarbeiten, ihn nach Bedarf abändern und seine Ausführung überwachen. Der Plan wird ein Programm für die Verausgabung von 140 Milliarden Dollar in den fünf Jahren von 1979 bis 1983 beinhalten und darauf abzielen…<« Diesmal war es Jones, der dem Saudi ins Wort fiel. »Ich darf
Sie darauf hinweisen, Sir, daß von praktischer Durchführung nicht die Rede ist. Wir können Ihre Leute nicht zur Arbeit zwingen.« Wütend, mit rotem Gesicht, stand Jones da. Fahd zuckte nicht mit der Wimper. »Ihr Plan«,fuhr er unbeirrt fort, »sieht vor, daß Saudiarabien 140 Milliarden Dollar in die wirtschaftliche Erschließung des Landes investieren wird, in den Aufbau seiner Städte, seiner Industrie, seiner Schulen und seiner Landwirtschaft. Wieviel ist bis heute tatsächlich ausge geben worden?« Jones: »Ich fürchte, das weiß ich nicht. Ich bezweifle sogar, daß Fahd…« »Sie wissen es nicht. Sehr schön. Der Planungsminister weiß es auch nicht. Aber ich weiß es. Nicht die Hälfte. Nicht einmal ein Fünftel. Und die ersten drei Jahre Ihres Fünf-Jahres-Plans sind bereits um.« Und dann richtete Fahd plötzlich das Wort an mich. »Mr. Hitchcock«, sagte er und hielt das Aktenheft hoch, »wie wür den Sie einen solchen Plan beurteilen?« »Mist.« »Sie sind Amerikaner, Mr. Hitchcock. Der Plan hat uns über hundert Millionen Dollar gekostet. Was würden Sie mit den Leuten tun, die dafür verantwortlich sind?« »Rausschmeißen.« »Genau. Und das werde ich auch tun. Unverzüglich.« Er warf einen Blick auf meine zwei Landsleute, die immer noch steif am unteren Ende des Tisches standen. »Begleiten Sie die Her ren hinaus«, befahl er seinem Sekretär. Die Herren aus den Denkfabriken, jetzt beide aschgrau im Gesicht, wurden aus dem Saal geführt. Außer mir waren sie keinem auch nur einen Blick wert. Sie waren bezahlte Hilfs kräfte. Gastarbeiter. Wieder stellte Fahd auf arabisch um. Nach zehn Minuten er hob sich der Planungsminister - jetzt fällt mir sein Name ein: Hisham Nazer - und verließ den Saal. Ich muß gestehen, daß sein Abgang in wesentlich besserer Haltung erfolgte als der der Amerikaner. Dann wurde eine Abstimmung vorgenom
men. Was immer es war, der Beschluß wurde einstimmig ge faßt - mit einer Ausnahme. Prinz Abdullah, Faisals Sohn und Entsalzungsminister, hob nicht die Hand. Er saß mir gegen über und ignorierte seine Kollegen ebenso geflissentlich wie sie ihn. Und das war’s. Der König erhob sich und ging. Die meisten anderen folgten ihm. Aber al-Kuraishi forderte mich durch einen Wink auf, zu warten. Außer ihm und mir blieben noch drei Herren zurück: Fahd, Yamani und ein Mann, den ich nicht kannte. AlKuraishi brachte mich zu ihm. Es war Sultan Ibn Abdul Aziz, Verteidigungs- und Luftfahrtminister von Saudiarabien. Ich schickte mich an, mit meinem einzigen arabischen Satz zu glänzen, als er mich in bestem Sandhurst-Englisch unterbrach. »Sie sind ein sehr direkter Mann«, sagte er. »Wir sind es auch. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.« Womit er mich mehr als nur ein wenig verwirrte. Fahd kam auf uns zu. »Verzeihen Sie, daß ich Sie in diese Geschichte hineingezogen habe«, sagte er. »Der Grund ist sehr einfach. Wir müssen in dieser Sache unverzüglich etwas un ternehmen. Auf keinen Fall aber möchten wir unser Vorgehen als Affront gegen die Vereinigten Staaten gedeutet wissen. Es war eine geschäftliche Entscheidung. Nicht mehr und nicht weniger. Ihre Regierung sollte darauf hingewiesen werden, daß wir unsere Haltung in bezug auf die Bestellung amerikani scher Berater in keiner Weise zu ändern gedenken. Wir ändern nur unsere Methoden. Ich hoffe, Sie werden Gelegenheit fin den, Ihren Leuten das klarzumachen.« Gemein, dachte ich, aber was soll’s? Es würde meiner Reputa tion nicht gerade abträglich sein, wenn bekannt würde, daß Hitchcock in Riyadh den Henkersknecht spielte. Andererseits war nicht auszuschließen, daß ich als nächster an der Reihe sein würde. Fahd las meine Gedanken. »In wenigen Minuten werden wir völlig klargestellt haben, wie unsere neue Politik beschaffen sein wird. Sie ist vornehmlich auf eine Erweiterung Ihrer Tä
tigkeit als Berater unserer Regierung abgestellt, vorausgesetzt, daß Sie auch weiterhin mit uns zu arbeiten wünschen. Wir brauchen Leute, die es verstehen, schnell zu handeln, denn auch wir müssen schnell handeln, wenn wir Unstimmigkeiten innenpolitischer und vielleicht auch außenpolitischer Natur vermeiden wollen.« Er ließ seine Blicke von einem zum anderen wandern. »War um setzen wir uns nicht?« fragte er. Diesmal nahm Fahd am Kopfende des Tisches Platz - interes sant, dachte ich. Ich saß zu seiner Rechten, al-Kuraishi neben mir, und uns gegenüber Scheich Ahmed Zaki Yamani und Sultan Ibn Abdul Aziz. »Ich will gleich zur Sache kommen«, sagte Fahd, seine Worte immer noch an mich gerichtet. »Wie Sie soeben gehört haben, sind wir in allen Bereichen unseres Entwicklungsprogramms sehr weit zurück. Die Folge ist, daß die Jugend ungeduldig wird. Unsere Politik, sie im Ausland studieren zu lassen, er weist sich nicht unbedingt als reiner Segen. In zunehmendem Maß wird in ihren Kreisen für den >Fortschritt< agitiert; einer der Herren, die heute an unserer Konferenz teilgenommen haben - ich glaube, Sie haben ihn kennengelernt -, unterstützt bedauerlicherweise diese Bestrebungen. Es ist Ihnen sicher auch nicht verborgen geblieben, daß wir eine große Anzahl Palästinenser in unseren Streitkräften haben. Sie brauchten Arbeit; wir haben genügend Arbeit, die getan werden muß. Es sind tüchtige Leute. Es sind auch Radikale. Das alles bedeutet, daß wir endlich aufhören müssen, zu planen, und anfangen, etwas zu tun, bevor es zu spät ist. Sie werden sich vielleicht wundern«, fuhr er fort, »daß ich Ihnen diese Dinge anvertraue. Das müssen Sie nicht. Ihre Bot schaft ist voll informiert. Das hat nichts auf sich, denn die Amerikaner sind unsere Freunde. Von wesentlich größerer Bedeutung für uns aber ist die Tatsache, daß sich auch andere Länder über unsere exponierte Lage im klaren sind. Da ist vor allem unser mächtiger Nachbar im Norden zu nennen, und der Mann, der dieses Land regiert. Der Schah wird älter; seinen
ehrgeizigen Bestrebungen war bisher kein Erfolg beschieden. Er ist ein gefährlicher Mann - für uns, und daher auch für euch.« Nachdem Fahd einmal den Entschluß gefaßt hatte, von der Leber weg zu reden, legte er sich offensichtlich keinen Zwang mehr auf. »Es gibt, glaube ich, kaum jemanden in Ihrem Lande, der erle ben möchte, daß Saudiarabien einer örtlichen Revolte oder gar einem Angriff aus dem Norden zum Opfer fällt. Die wirt schaftlichen Folgen für die ganze westliche Welt wären kata strophal. Über dieses Thema brauche ich mich wohl nicht nä her auszulassen. Nun zu dem, was getan werden muß. Zu nächst und vor allem müssen wir - sofort und mit aller Ent schlossenheit - die Waffenlieferungen aus Ihrem Land be schleunigen. Das ist von allergrößter Wichtigkeit. Auch brau chen wir viel mehr Techniker, die uns mit diesen Waffen hel fen. Wir brauchen sie jetzt! Nicht in ein oder zwei Jahren!« »Nun«, warf ich ein, »wie ich meine Landsleute kenne, ist das Problem der Waffenlieferungen doch gewiß nicht unlösbar.« »Leider irren Sie«, entgegnete der Kronprinz. »Erklären Sie ihm das, Abdul.« Und das tat der gute Sultan Abdul Aziz. »Es ist eine Termin frage«, sagte er. »So haben wir zum Beispiel eine Bestellung von 120 Abfangjägern vom Typ F-16 bei Ihnen laufen. Wir haben diesen Auftrag vor fünf Jahren erteilt. Aber die ersten Maschinen sollen erst 1984 geliefert werden. Das ist unmög lich. Wir müssen sie nächstes Jahr haben. Alle.« »Es muß doch im Pentagon einen Mann geben, der etwas tun kann«, wagte ich einzuwenden. »Ich habe die letzten drei Tage mit Beamten des Pentagon verhandelt. Sie sind noch in Riyadh. Sie sind durchaus willens zu reden, aber sie sagen immer das gleicher Ihre Hände seien gebunden. Die Produktionskapazitäten seien begrenzt. Ich spreche nicht nur von Flugzeugen, Mr. Hitchcock. Wir brau chen Hawk-Raketen, wir brauchen Pershing-Raketen, wir brauchen Panzer, gepanzerte Mannschaftstransportwagen…« »Ja, ja«, unterbrach Fahd, »auf Einzelheiten kommen wir spä
ter zurück. Sie haben Mr. Hitchcocks Frage noch nicht beant wortet: Warum erfolgen diese Lieferungen so langsam?« »Weil die Amerikaner diese gleichen Waffen auch dem Iran, Israel, Jordanien, der Türkei und Korea versprochen haben«, antwortete Aziz. »Die Liste nimmt kein Ende. Diese Länder werden beliefert. Wir müssen warten.« »Wurden Ihnen diese Liefertermine nicht schon bekannt gege ben, als Sie die Waffen bestellten?« fragte ich, weil mir die ganze Geschichte unverständlich war. »Doch, das wurden sie«, gab der Verteidigungsminister zu, »aber wir befanden uns damals in einer ganz anderen Lage. Überdies nahmen wir an, daß in solchen Dingen mit einer gewissen Flexibilität gerechnet werden könnte.« Abermals unterbrach der Kronprinz. »Ich habe versprochen, offen und ehrlich zu sprechen, und das will ich auch weiterhin tun, Mr. Hitchcock. Was Sultan Aziz meint, wenn er von Fle xibilität spricht, ist dies: Man hat uns damals versichert, daß Fragen wie Liefertermine >arrangiert< werden könnten. Diese Versicherungen erhielten wir von Männern - Sie können sich sicher vorstellen, auf welche Art Leute ich mich beziehe -, die bei der Vergabe von Rüstungsaufträgen schon immer und in der ganzen Welt als Agenten für unsere Regierung tätig waren. Auf Provisionsbasis. Völlig in Ordnung. Mißverstehen Sie mich nicht; sie haben uns gute Dienste geleistet. Ich tadele sie nicht. Sie haben sehr erfolgreich gearbeitet - bis der amerika nische Kongreß anfing, solche Dinge zu untersuchen. Sie ken nen ja die Geschichte, die da im Zusammenhang mit Lockheed an die Öffentlichkeit gezerrt wurde - aber wozu Namen nen nen? Die Folge war, daß die amerikanischen Rüstungsbetriebe nun nicht mehr flexibel sind.« »Ich verstehe.« Und jetzt verstand ich wirklich. »Eine weitere Folge ist«, sagte Fahd, »daß wir nicht mehr mit unseren Agenten rechnen können. In Ihrem Land sind sie dis kreditiert. Man betrachtet sie als orientalische Hochstapler, Leute, die mit Bestechungen arbeiten, Leute, die nicht ernst zu nehmen sind. Wir aber…« - und er ließ seine Hand in einer
Bewegung kreisen, die außer ihm auch noch Scheich Yamani und Sultan Ibn Abdul Aziz einschloß… - »wir können uns nicht dazu hergeben, mit Ausländern zu feilschen.« Das waren Worte, wie sie ein Angehöriger der englischen Hocharistokratie im 19. Jahrhundert hätte sprechen können. Und doch wurden sie, daran war nicht zu zweifeln, im Jahre 1981 in Riyadh mit aller Aufrichtigkeit gebraucht. »Und daher«, fuhr Fahd fort, »möchten wir Sie ersuchen, in bezug auf gewisse Aspekte unserer politischen Entscheidun gen, auf die wir noch zu sprechen kommen, als Berater und gelegentlich vielleicht auch als Vermittler tätig zu sein. Wären Sie dazu bereit?« »Ich bin einverstanden«, antwortete ich. »Gut.« Er griff nach dem einen Dossier, das er zurückbehalten hatte. »Hier haben wir unsere Vorstellungen in großen Zügen darge stellt. Scheich Yamani und ich haben das Dokument gemein sam erarbeitet. Es hat auch die Billigung unseres Königs ge funden. Ich möchte, daß Sie es sofort und gründlich studieren. Wenn Sie irgendwelche Fragen haben, bin ich gerne bereit, sie zu beantworten. Ich brauche Sie wohl kaum darauf hinzuwei sen, daß der Inhalt streng-streng-geheim zu halten ist.« Seine Augen bohrten sich in die meinen. Ich verstand. Das war das Ende der Besprechung. Ich schüttelte dem Kron prinzen, Scheich Yamani und dem Verteidigungsminister die Hand und verließ in Begleitung al-Kuraishis den Saal. Ich hatte erwartet, daß der Prinz mich auffordern würde, in seine Limousine zu steigen, aber vor der Tür standen zwei glitzernde neue Fleetwoods - der seine und, wie es schien, der meine, letzterer von zwei Männern flankiert. »Der Name Ihres Fahrers ist Abdul«, erläuterte der Prinz. »Der andere Mann heißt Hamdan. Sie werden Ihnen ständig zur Verfügung stehen. Hamdan und einige seiner Kameraden wer den darauf achten, daß Sie im Hotel ungestört bleiben. Wir haben Ihnen das ganze oberste Geschoß des Intercontinental zugewiesen.«
Dann schüttelte er mir die Hand und ließ mich mit Abdul, Hamdan, dem Dossier des Kronprinzen und dem beseligenden Gefühl zurück, daß Hitchcocks Stunde endlich geschlagen hatte.
13 Im Intercontinental wurde ich gebührend empfangen. Der Di rektor und ein halbes Dutzend Lakaien trugen mich praktisch durch die Halle zu den Aufzügen. Dann nahmen Hamdan und seine Kollegen die Sache in die Hand. Das oberste Stockwerk war Sperrgebiet - Zutritt verboten! Ich bin sicher, daß selbst Howard Hughes zufrieden gewesen wäre. Ungestörtheit ist eine feine Sache, aber nur, wenn sie im Überfluß genossen werden kann. Zum Teufel mit den Klö stern! Allerdings war das oberste Stockwerk des Riyadh Inter continental von einem Kloster so weit entfernt wie ein Huren haus in Bangkok. Wenn ich es recht bedenke, stimmt der Ver gleich nicht: In Riyadh sind nicht einmal die Stubenmädchen weiblichen Geschlechts. Sonst aber war alles da, außer Alko hol. Aber damit hatte ich gerechnet. Ich duschte mich gründlich, zog mich um, bestellte mir telefo nisch etwas zu essen, holte eine Flasche Scotch aus einem Koffer und setzte mich, um Fahds heikles Dossier durchzuse hen. Es war nicht nur heikel - es war sensationell! Hier wurde vorgeschlagen, daß Saudiarabien aus der OPEC austreten soll te. Das auf Öl begründete Kartell würde durch ein saudiara bischamerikanisches Bündnis ersetzt werden. Einfach so. Sau diarabien wollte sich sofort und vorbehaltlos unter den ameri kanischen Schutzschirm begeben - politisch, wirtschaftlich und militärisch. Vor allem militärisch. Natürlich waren sich die Saudis darüber klar, daß eine solche Abkehr von ihrer bis herigen Politik zumindest am Anfang in Washington und New York mit großer Skepsis aufgenommen werden würde. Beson ders in New York. Daher würden sie mit den gleichen Metho den an die Sache herangehen, wie die Amerikaner sie bei der Präsidentenwahl 1972 angewendet hatten: Sie würden sich die Durchsetzung ihrer Pläne erkaufen. Aber nicht auf die primiti ve Art der Bestechung von Politikern. Wie Fahd bei der Kon ferenz bereits angedeutet hatte: Die herrschende Clique war zu dem Schluß gekommen, daß das libanesische System, Dinge
dieser Art zu steuern, nicht mehr taugte. Nein, die Saudis be absichtigten einfach, die amerikanischen Kapitalisten mit Ka pital zu überwältigen. Um ihren guten Willen zu zeigen. Und dann Gegenleistungen zu fordern. Warum das alles, und warum so plötzlich? Fahd hatte es drü ben im Planungsministerium angedeutet: Der Plan für den politischen und militärischen Aufbau des Landes war fehlge schlagen, wodurch die Regierung unter Khalid sowohl innenwie außenpolitisch in eine höchst exponierte Lage geraten war. Dieses Dokument war präziser. Der Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung Saudiarabiens hatte für die Zeit von 1979 bis 1983 Ausgaben in Höhe von genau 140997910000 Dollar vorgesehen. Die Jungs aus den Denkfabriken hatten die Ein künfte des Landes aus der Ölproduktion im selben Zeitraum auf 180 Milliarden Dollar geschätzt. Damit wäre ein beque mer, wenn auch bescheidener Überfluß von 39 Milliarden Dollar geblieben. Wenn man diesen Überschuß den bis 1979 angesammelten Barreserven hinzurechnete, würden die Saudis am Ende mit einem gut entwickelten Land und 89 Milliarden Dollar in der Bank dastehen. Richtig? Falsch. Weil das Ent wicklungsprogramm schiefgelaufen war. Bis 1983 würden die Ausgaben im besten Fall 45 Milliarden Dollar ausmachen. Und statt 180 Milliarden Dollar zu verdienen, würde Saudia rabien eine Viertelbillion einnehmen, denn die Staaten des Westens hatten weit höhere Mengen Öl verbraucht, und der Rohölpreis war weit schneller gestiegen, als man vorausgese hen hatte. Resultat? Statt mit mickrigen 89 Milliarden Dollar in der Kas se abzuschließen, sahen sich die armen Saudis mit der bedrük kenden Aussicht konfrontiert, mehr als 300 Milliarden Dollar zu besitzen. Vorausgesetzt, daß der Schah von Persien oder Prinz Abdullah und sein Anhang von lokalen Revolutionären nicht schon vorher einen Griff in die Kasse taten. Das vorge schlagene Bündnis mit den Vereinigten Staaten schien darauf abzuzielen, eben dies zu verhindern. In seinem Plan, der sich im restlichen Teil des Dokuments
intensiv mit der Anlage jener 300 Milliarden Dollar beschäf tigte, die die Saudis am Halse hatten, legte Fahd das größt mögliche Gewicht auf die dringende Notwendigkeit, Saudia rabien schlagartig aufzurüsten, und zwar ausschließlich mit amerikanischen Waffen, Geräten und Personal. Der ursprüng liche Fünf-Jahres-Plan hatte, ziemlich gleichmäßig über alle fünf Jahre verteilt, 22 Milliarden Dollar für militärische Aus gaben vorgesehen. Fahd wollte jetzt allein im Jahre 1982 24 Milliarden Dollar aufwenden! Und fast alles in den Vereinig ten Staaten kaufen! Fahd wollte in einem Jahr schaffen, wozu der Schah ein Jahrzehnt gebraucht hatte. Doch wie schon der Verteidigungsminister heute ausgeführt hatte: Damit, daß man solche Summen zuteilte und entsprechende Aufträge vergab, hatte man noch lange keine Liefergarantien in der Tasche, falls die vom amerikanischen Außenamt festgelegten Prioritäten nicht radikal zugunsten Saudiarabiens abgeändert wurden. Und das war der Punkt, wo der Fahd-Plan richtig interessant wurde - für mich persönlich. Denn was die Saudis im Sinn hatten, war eine massive - und ich meine, massive - Verlage rung ihrer Gelder aus so gut wie allen Finanzzentren der Welt nach New York. Bisher waren die Saudis - meiner Meinung nach vernünftigerweise - sorgsam darauf bedacht gewesen, ihre Risiken zu streuen. Ihre flüssigen Mittel waren verteilt worden auf Zürich, London, Paris, Frankfurt, Brüssel, Amsterdam, Singapur… es war eine lange Liste. Und die Liste der Währungen war nicht weniger lang: Deutsche Mark, Pfund, Franken, Gulden und so weiter. Aber im Jahre 1982 würde es nur noch New York, würden es nur noch Amerikanische Dol lar sein. Und es war nicht zu übersehen, daß ich der Mann sein sollte, der am Geldhahn sitzen würde. Was die Saudis mit ihrem Manöver beabsichtigten, war völlig klar: Sobald diese Milliarden erst einmal anfingen, sich nach New York zu ergießen - und die Hoffnung bestand, noch viele, viele Milliarden mehr zu bekommen -, würden die glücklichen Empfänger in ihrer Gesamtheit genau das darstellen, was die Saudis brauchten: eine überaus einflußreiche und mächtige
proarabische Lobby in Washington. Nicht verwunderlich, daß mir mein alter Kumpel Randolph Aldrich in den Sinn kam, der in der Präsidentenetage der First National Bank of America logierte. Sowohl im Pentagon wie auch im Außenministerium würde er für die saudiarabische Sache in vorderster Linie kämpfen. Und wenn wir auch noch der Stadt New York ein paar Milliarden liehen, würden sich vermutlich die Hälfte der jüdischen Politiker dieser Metropole beim Gebet nach Mekka wenden. Doch der absolute Knüller in Fahds Plan war die neue Ölpoli tik. Die Saudis dachten daran, der OPEC einen auf drei Jahre befristeten Preisstopp auf Rohöl vorzuschlagen. Wenn die anderen zehn Mitglieder nicht mitmachen wollten, was mit hundertprozentiger Sicherheit anzunehmen war, würde Sau diarabien das Kartell verlassen und mit den Vereinigten Staa ten eine langfristige, auf eben diesem Preisstopp basierende Absatzvereinbarung abschließen. Praktisch wäre es eine Preis garantie: Die Saudis würden das Ausbleiben jeglicher Preiser höhung garantieren, die Amerikaner das Ausbleiben jeglicher Preissenkung. Vom Standpunkt der Saudis gar nicht so dumm. Die Amerikaner würden sich für die Saudis begeistern, sobald das bekannt war. Und die Saudis würden alle mögliche militä rische Hilfe bekommen, die sie brauchten. Schnellstens. Als ich das ganze Dossier gelesen hatte, und manche Teile sogar zweimal, ging es bereits auf fünf Uhr Nachmittag. Cock tailstunde. Ich wollte schon meine Jacke anziehen und in die Bar hinuntergehen, als mir die entsetzliche Wahrheit ins Ge sicht starrte: Es gab keine Bar im Umkreis von Hunderten und Hunderten von Meilen. Und auch keine Frau. Du lieber Gott. Doch Allah war mir gnädig. Das Telefon klingelte. »Hitchcock«, quäkte es, »bist du es?« »Ja«, erwiderte ich zögernd. »Ich bin’s. Reggie Hamilton.« Ich hatte nichts mehr von ihm gesehen oder gehört seit jenem Lunch im Bohemian Club in San Francisco, mit dem alles angefangen hatte. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, deine Stim
me zu hören, Reggie. Wo bist du?« »In der Stadt.« »Und was tust du?« »Immer noch der alte Konsultationsjob - ich berate die Saudis in Ölfragen.« »Na, dann komm doch rüber. Junge, hab ich dir was zu erzäh len!« »Hör mal, Bill ich dachte, du würdest uns besuchen kommen.« »Uns?« »Na klar, meine Frau ist da. Wir haben ein Haus.« »Ja gern, wenn die Kerle mich rauslassen.« »Was meinst du?« Seine Stimme klang ein wenig ängstlich. »Na ja, ich genieße Schutz.« »Guten oder schlechten Schutz?« »Ich denke, guten. Komm, gib mir die Adresse, und mein Fah rer bringt mich gleich hin.« »Man sieht, du bist noch nicht lange da. Hier gibt es keine Adressen. Ich hole dich ab. In einer halben Stunde ungefähr. Okay?« Ich legte auf. Die Erleichterung, die ich bei dem Gedanken empfand, den Rest des Abends nicht allein verbringen zu müs sen, wurde allerdings von der Vorstellung überschattet, daß es möglicherweise keine sehr erfreuliche Zusammenkunft sein würde. Reggie Hamiltons Firma, dem Multinational Research Institute, war heute Mittag im Planungsministerium der Stuhl vor die Tür gesetzt worden, und ich war behilflich gewesen, Reggies Boß, dem rotbackigen Mr. Jones, das Gas abzudre hen. Als ich meine Suite verließ, blieb der Mann vor meiner Tür ruhig sitzen; er sagte nichts, und er bewegte sich nicht. Ham dan aber war da, als ich aus dem Aufzug in die Halle trat, und bot mir seine Dienste an. Ich sagte ihm, daß ein Freund mich abholen würde, und daß ich die Absicht hätte, bei ihm zu Abend zu essen. Kein Problem. Er und der Fahrer würden mir mit der Limousine zum Haus meines Freundes folgen und dort warten. Dann würden sie mich zurückfahren. Nachdem ich
ihm dreimal versichert hatte, das sei nicht nötig, gab ich auf. Zum Teufel! Wenn das eine der Regeln in dem neuen Spiel war, nun gut, ich konnte damit leben. Reggie fuhr einen Mercedes 300. Und er kannte sich in Riyadh aus. Sein Haus - ein Bungalow im amerikanischen Stil - stand in einem Vorort. Die Nachbarschaft bestand aus Häusern der gleichen Bauart. Theoretisch hätten sie in der Umgebung von, na, sagen wir, Palm Springs stehen können. Oder in Phoenix. Aber die Wirklichkeit war ganz anders. Die Straßen waren bessere Feldwege. Die Rasen bestanden aus Sand mit hier und dort ein paar Grasbüscheln. »Reggie«, sagte ich, als wir vor seinem Haus hielten, das tat sächlich keine Nummer hatte, da keines der Häuser einen Straßennamen aufwies, »du lebst ja auf großem Fuß.« Er lachte. »Warte, bis du es von innen siehst.« Seine Frau wartete vor der Tür auf uns. Wir kannten uns nur oberflächlich. Frauen von Männern, die für Forschungsinstitu te arbeiten, sind nicht gerade die interessantesten Weiblichkei ten auf der Welt, und ich habe immer jeden unnötigen Kontakt mit ihnen geflissentlich gemieden. Darum liebe ich San Fran cisco. Dort haben die Frauen zu den guten Clubs immer noch keinen Zutritt. Und meistens traf ich mich mit Reggie in einem dieser Clubs. Mit den Jahren war mir klar geworden, daß seine Frau überzeugt war, ich übe einen schlechten Einfluß auf ihn aus. Rund um die Bucht gab es Legionen von Ehefrauen, die ihre Ansicht über mich teilten. »Nun, das ist wirklich schön«, begann ich. »Wie viele Jahre ist es jetzt her, äh…« Ich hatte ihren Namen vergessen. »Pat«, sagte sie trocken. »Pat! Natürlich. Pat!« Ehefrauen machen mich eben genauso nervös wie ich sie. »Pat«, fuhr ich fort, »ich konnte leider keine Blumen finden. Aber wenigstens habe ich das mitgebracht.« Triumphierend hielt ich ihr eine Flasche Chivas Regal entgegen. Pat zuckte zusammen, Reggie strahlte. »Danke, Bill«, sagte er und griff eilig danach, während Pat mit
einem albernen Ausdruck im Gesicht einfach dastand. »Weißt du, was das Zeug hier kostet? Hundertfünfzig Dollar die Fla sche!« Wir standen immer noch vor dem Haus. »Wer ist das?« fragte Pat, die plötzlich merkte, daß ein Cadil lac hinter Reggies Mercedes geparkt hatte. »Abdul und Hamdan. Sie sind mir sehr ergeben«, erwiderte ich. Pat warf Reggie einen Blick zu, der offensichtlich die Mei nung bestätigen sollte, die sie vor diesem kleinen Geplänkel über meine Person geäußert hatte. Dann gingen wir ins Haus. Wie Reggie schon angedeutet hatte, war auch die Einrichtung nichts Weltbewegendes. Es war eine eher possierliche Mi schung aus Kaufhauskitsch und den Basaren des geheimnis vollen Ostens. Wie es schien, war Pat eine Kennerin von Neununddreißig-Dollar-Antiquitäten und Hundertneunund siebzig-Dollar-Teppichen geworden. Aber daheim in Palo Alto würden die Damen des Kaffeekränzchens zweifelsohne Augen und Ohren aufreißen, wenn Pat sie zur Schau stellte. »Also wirklich, Pat, Sie haben das Haus ganz wunderbar ein gerichtet«, sagte ich. Reggie blieb stumm. Die beiden waren vierundzwanzig Jahre verheiratet. Aber er verschwand in die Küche, um kurze Zeit später mit zwei steifen Scotchs zurückzukehren. »Willst du das Haus sehen?« fragte er, nachdem Pat ihrerseits in die Küche verschwunden war. »Nicht unbedingt«, antwortete ich. »Dann hast du wohl nichts dagegen, wenn wir ein paar Minu ten fachsimpeln?« »Absolut nicht.« »Okay. Sieh mal, Bill, diese Einladung ist eine abgekartete Sache.« »Wegen der Vorkommnisse heute Mittag im Planungsministe rium?« »Ja.« »Bist du auch in Schwierigkeiten?« »Nein. Ich hatte mit dieser blödsinnigen Planung nie etwas zu
tun. Ich habe die Burschen immer gewarnt. Man muß sich ja
an den Kopf greifen, was die aufgeführt haben. Aber du weißt
ja, wie das ist, Bill. Das ganze Team bestand aus einem Hau
fen junger Genies, die sich für allwissend hielten.«
»Du bleibst also.«
»Ja. Ich arbeite für Yamani im Ölministerium.«
»Du weißt, was los ist?« fragte ich vorsichtig.
»Alles.«
Reggie ging zu seinem Schreibtisch am anderen Ende des
Zimmers. Und zog ein Duplikat des Fahd-Planes aus einer
Schublade.
»Ich hätte es eigentlich wissen müssen«, sagte ich. »Wie weit
sind das deine Ideen?«
»Es ist einiges von mir dabei. Aber ich hatte sie schon vor
Jahren. Übrigens auch Yamani. Erinnere dich doch: Seit 1975
hat es keine Sitzung der OPEC gegeben, bei der Yamani,
wenn es um Preiserhöhungen ging, nicht passiven Widerstand
geleistet hätte. Die anderen Mitgliedsstaaten hassen ihn. Die
Iraner am meisten. Die Libyer nicht viel weniger. Die einzi
gen, die hin und wieder Partei für ihn ergriffen haben, sind die
Kuwaitis.«
»Wird Kuwait auch aus der OPEC austreten?«
»Könnte sein.«
»Mann, Reggie! Damit würden sie dem Kartell den Todesstoß
versetzen.«
»Genau.«
»Und wie würden der Iran und Irak und alle anderen darauf
reagieren?«
»Ich glaube nicht, daß sie Freudentänze aufführen werden.«
Ein dritter Pkw schien vor dem Haus vorgefahren zu sein.
Reggie erriet meine Gedanken. »Keine Bange. Es ist ein
Freund, kein Gegner. Ich habe dir ja gesagt: unsere Zusam
menkunft heute ist geplant.«
»Wer ist es?«
»Du kennst ihn. General Falk von der Botschaft.«
»Als ich ihn kennenlernte, war er noch Oberst Falk.«
»Er ist befördert worden.«
»Weiß er auch Bescheid?«
»In jeder Beziehung. Im wesentlichen ist er mein Gegenstück
im saudiarabischen Verteidigungsministerium. Ich bin Yama
nis Mann; er ist der Berater von Sultan Abdul Aziz, dem Ver
teidigungsminister.«
»Und ich bin für euch beide das Aushängeschild!«
»Du hast es erraten.«
»Prostitution mal drei!« sagte ich.
Reggie zuckte die Achseln.
»War das alles schon im Gange, als du mich damals in San
Francisco für diesen Job vorgeschlagen hast?« Meine Stimme
ließ erkennen, daß ich nicht allzu glücklich war.
»Es wurden diesbezügliche Überlegungen angestellt, ja«, ant
wortete Reggie.
Die Türglocke läutete. Pat kam aus der Küche, um zu öffnen.
Ich war ziemlich verärgert, aber es fiel mir schwer, verärgert
zu bleiben. Denn statt Blumen hatte auch Falk Whisky ge
bracht - Bourbon natürlich. Diesmal nahm sie die Flasche in
Empfang und flüchtete damit in die Küche.
»Reggie«, begann er, »warum zum Teufel wohnst du immer
noch in diesem Loch?« Damit sprach er mir aus der Seele.
Dies war wohl kaum eine Unterkunft, in der man Reggie, Ya
manis besten Mann, erwarten würde.
»Pat gefällt es«, entgegnete Reggie. »Mit einigen Unterbre
chungen bewohnen wir das Haus schon seit 1972.«
Falk verzog angewidert den Mund, ließ es dann aber sein. »Dr.
Hitchcock«, sagte er und nahm meine Hand in seine Tatzen,
»wie ich höre, sind Sie befördert worden. Meine Glückwün
sche!«
»Und meine Glückwünsche. Reggie hat mir erzählt, daß Sie
General geworden sind.«
»Das ist richtig. Und wenn alles so läuft wie es soll, werden
mich die Saudis auch noch zum Admiral machen. Stimmt’s,
Reggie?«
Er klopfte Reggie auf den Rücken und begab sich geradewegs
in die Küche. Sekunden später war ein schriller Schrei zu hö
ren; der gute General hatte, so hoffte ich, Pat einen kräftigen
Klaps auf den Arsch gegeben. So wie die Dinge in Riyadh
lagen, fühlte sich wohl selbst dieser knochige Arsch gut an.
Ich grinste Reggie an, und, zu seiner Ehre sei es gesagt, er
grinste zurück.
Falk war bald wieder da, sein gewohntes Wasserglas mit Ken
tuckys bestem Erzeugnis gefüllt. »Also dann, Hitchcock«,
sagte er, »wann fangen wir an?«
Ich sah Reggie fragend an. Er nickte zustimmend.
»Im Januar. Erst muß ich in der Staatsbank Ordnung schaf
fen.«
»Du lieber Himmel«, stöhnte er. »Das heißt, daß wir noch
einen ganzen Monat hier herumsitzen müssen.«
»Was meinen Sie?«
»Strenge Anweisungen. Keine Aktionen unsererseits - betreffs
Waffenlieferungen, verstehen Sie - bis zu Ihrem Startsignal.
So Sultan Aziz persönlich.« Falk schien heute bestrebt zu sein,
den Gebrauch von Zeitwörtern auf ein Minimum zu beschrän
ken. Es klang wie ein Memo aus dem Pentagon.
»Warum?«
»Ja, hat Ihnen denn keiner gesagt, vor welch schwieriger Auf
gabe ich stehe?« Falk wartete nicht auf Antwort. »Seit Jahren
versuche ich, es diesen Scheißern im Pentagon einzutrichtern.
Diese Israelis, diese Ägypter, diese Iraner zum Teufel zu
schicken. Hier - hier in Saudiarabien - wird die Kurve ge
kratzt. Gebt ihnen, was sie brauchen. Jetzt gleich. Aber nein.
Diese Armleuchter in Washington hören einem ja gar nicht zu.
Und warum? Weil sie alle gekauft sind. Gekauft! sage ich
Ihnen. Für einen alten Soldaten war es nicht leicht.«
Ich hätte die Alimente verwettet, die ich meiner Exfrau zahlen
muß - eine Summe, die sogar in Saudiarabien Respekt geboten
hätte -, daß Falk in Zürich oder Genf Millionen auf einem
Nummernkonto liegen hatte. Aber was soll’s? Ich denke nicht
daran, das private Unternehmertum zu kritisieren.
»Wissen Sie was?« fragte er mich noch einmal rhetorisch.
»Ich mußte mich mit den mächtigsten Lobbys in der Geschich te der Vereinigten Staaten anlegen. Der Schah hat alle gekauft, aber auch alle. Millionen Dollar hat er ausgegeben. Mann, die würden uns nicht mal Rüstungsgüter aus dem Zweiten Welt krieg herschicken, ohne sich vorher zu vergewissern, daß nie mand in Teheran, Tel Aviv oder Kairo sie haben will.« »Läßt sich das so schnell ändern?« »Verdammt noch mal, ja. Vorausgesetzt, daß Sultan Aziz mich richtig informiert hat. Sie, Hitchcock, warten ihnen mit Geld, und du, Reggie, mit Öl auf, und meine Arbeit wird zum Kin derspiel. Saudiarabien wird aussehen wie Deutschland 1939!« Ja, der General verstand es, die Dinge in die rechte Perspekti ve zu rücken. Wäre der Kandidat der radikalen Rechten 1980 Präsident geworden, hätte Falk einen prächtigen Außenmini ster abgegeben. »Falk«, sagte ich, »bei unserem letzten Gespräch haben Sie mir erzählt, daß Prinz Abdullah etwas im Schilde führt. Ist das plötzlich aktuell geworden?« »Aber sicher. Wie ich Ihnen sagte. Wie verrückt rekrutieren sie Palästinenser. In einem Jahr werden sie der saudiarabi schen Armee zahlenmäßig im Verhältnis fünf zu eins überle gen sein.« Eine Bestätigung erwartend, sah ich Reggie an. »Der General hat recht«, sagte er. »Und es sind nicht nur die Palästinenser. Die Jemeniten mischen auch mit.« »Erklär mir das«, bat ich. »Gern. Das ist nämlich der Punkt, wo alle schief gewickelt waren. Insbesondere meine Kollegen vom Institut. Um ein Land zu erschließen, braucht man zwei Dinge: Kapital und Arbeitskräfte. Keine Frage, daß Saudiarabien Kapital hat. Aber keine Arbeitskräfte. Die Hälfte fällt von vornherein aus: die Frauen. Damit verbleiben vielleicht 2,5 Millionen Männer, die in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden könnten. Aber sie weigern sich kategorisch, niedrige Arbeiten zu verrichten oder was sie als niedrige Arbeiten ansehen. Das gehört zur Tradition der Beduinen. Nicht, daß sie etwas gegen das kapita
listische System einzuwenden hätten oder es nicht verstünden. Sie sind ganz ausgezeichnete Händler. Es gibt keinen Saudi, der nicht davon träumen würde, seinen eigenen Laden zu be sitzen. Aber auf dem Bau oder in einer chemischen Fabrik oder im Hafen zu arbeiten - kommt nicht in Frage. Daher muß der Entwicklung Saudiarabiens zu einer Industrienation die Einfuhr von Arbeitskräften zugrunde liegen. Das Konzept ist nicht neu. Seit Jahren basiert das Wachstum Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz auf der Arbeit von Italienern, Spaniern, Portugiesen, Jugoslawen, ja sogar Türken. Das Prin zip ist das gleiche. Hier haben sie zwei Quellen von Arbeits kräften angezapft: die palästinensischen Flüchtlinge und die Jemeniten. Die Palästinenser waren die Facharbeiter - sie sind ein sehr kluges, ehrgeiziges und gebildetes Volk. Die Jemeni ten hat man für die Dreckarbeiten gebraucht. Davon hing der Erfolg des ganzen Fünf-Jahres-Plans ab.« »Und was ging schief?« fragte ich. »Das will ich Ihnen sagen«, mischte Falk sich ein. »Es sind alle miteinander Umstürzler! Sie wünschen sich nichts sehnli cher, als Khalid und Fahd und Yamani und Aziz - die ganze Clique - zu beseitigen und eine Volksrepublik auszurufen. Und dieser Prinz Abdullah - der kein Dummkopf ist - träumt davon, mit ihrer Hilfe das für Saudiarabien zu werden, was Nasser für Ägypten war. Richtig?« Er sah Reggie an. Und Reggie stimmte ihm zu. »Das ist der Grund für den gan zen Schlamassel. In dem Augenblick, wo man den Zuzug von Fremdarbeitern stoppt, ist der Industrialisierungsplan tot. Läßt man sie auch weiterhin ins Land, beschwört man die Revolution geradezu herauf.« »Wie viele sind denn schon da?« fragte ich. »Ungefähr eine Million. Der Fünf-Jahres-Plan sah eine weitere halbe Million vor«, antwortete Reggie. »Und darum wurde er heute Mittag zu Grabe getragen?« »Genau. Aber eine Million haben wir immer noch hier.« Und den Schah von Persien im Norden. Pat kam mit Sandwiches. Hammelpastete, erläuterte sie, auf
ungesäuertem Brot. Meiner Meinung nach hätte man sie stei
nigen müssen!
Das nachfolgende Dinner bestand aus angebrannten Lammko
teletts, glitschigem Reis und noch glitschigeren Erbsen aus der
Dose. Sogar die Engländerinnen können besser kochen als Pat.
Nach dem Essen zogen wir uns ins Wohnzimmer zurück.
»Wie geht es Anne?« fragte Pat.
Ich ignorierte sie.
»Wie geht es wem?« fragte General Falk.
»Dr. Hitchcocks Frau«, erklärte Pat.
Ich ignorierte sie immer noch, aber Falk, der seinen fünften
Bourbon intus hatte, gefiel das Thema. »Ich wußte nicht, daß
Sie ein kleines Frauchen haben«, sagte er. »Sie hätten sie mit
bringen sollen.«
»Das hätte ich auch getan«, erwiderte ich, »aber sie ist krank.
Geisteskrank.«
Falk zog sein Gesicht in verständnisvolle Falten, Reggie blick
te zur Seite, und Pat war einfach angewidert.
»Es begann mit ernsten Symptomen von Frigidität«, fuhr ich
fort, »und endete als klarer Fall von Habgier.«
Falk war offenbar nicht mitgekommen. »Und wo ist sie jetzt?«
»In einem Heim in Kalifornien. In meinem Heim.«
»Sie haben sich wirklich nicht verändert«, meinte Mrs. Hamil
ton. »Sie haben immer nur an Sex und Geld gedacht. Und an
sich selbst.« Sie hatte den Alkohol vergessen.
»Darauf wollen wir einen trinken, Reggie«, sagte ich, nach
dem sie uns wieder einmal verlassen hatte.
Er holte noch drei Whiskys, alle drei größeren Umfangs, sein
Glas vielleicht sogar das größte.
»Hört mal«, sagte ich, »ich muß bald gehen. Da wir ja alle an
diesem Spektakel beteiligt sind, wie wäre es, wenn wir uns
gleich jetzt einen Arbeitsplan zurechtzupfen würden?«
Es dauerte keine halbe Stunde. Reggie hatte schon alles ausge
rechnet, und General Falk war gar nicht so dumm wie er aus
sah, wenn er seine faschistischen Ideen vergaß und sich auf die
Lieferung von militärischen Kurzwaren konzentrierte. Wir
einigten uns darauf, daß wir mindestens sechs oder sieben Wochen für Vorbereitungsarbeiten brauchten, bevor die erste große Aktion über die Bühne gehen konnte. Wir stimmten auch darin überein, daß das den Vorstellungen unserer Herren - des Ölministers, des Verteidigungsministers und des Kron prinzen - in jeder Beziehung entsprach. Pat kam zurück, als General Falk und ich gerade gehen woll ten. Sie teilte uns mit, daß nur mehr fünfundzwanzig Tage bis Neujahr blieben und lud uns ein, den Silvesterabend mit ihnen zu verbringen. Ich sagte, ich würde es mir überlegen. Aber drei Wochen später, nachdem ich die Zwischenzeit damit verbracht hatte, Bankeinlagen hin- und herzuschieben, Fällig keitstermine umzugruppieren, tagsüber zu Besprechungen mit Fahd, Yamani und Aziz zusammenzutreffen und abends mehr oder minder als Gefangener im Intercontinental zu hocken, nahm ich die Einladung schließlich an. Es war erschütternd, aber in jener Silvesternacht waren es diese Menschen, die für mich einer »Familie« am nächsten kamen. Wenn nur Ursula da gewesen wäre! Aber sie war nicht da. Also ging ich hin. Ich erinnere mich noch an den Toast, den Falk - der, wie sich herausstellte, in den frühen 50er Jahren Schlußmann in der Fußballmannschaft von West Point gewesen war - um Mitter nacht ausbrachte: »Gentlemen, ich trinke auf das Jahr des gro ßen Spiels. 1982 oder pleite!« Damals dachte ich, er wäre bloß ein betrunkener General, der seine Metaphern durcheinander brachte.
14 1982 Am 18. Januar 1982 um elf Uhr Vormittag flog die Boeing 707 der Königlich Saudiarabischen Luftwaffe von Riyadh nach Teheran ab. An Bord befand sich die vom Kronrat zur praktischen Durchführung der neuen saudiarabischen Außen politik bestellte und in ihren Funktionen bestätigte Verhand lungsgruppe unter der gemeinsamen Führung von Kronprinz Fahd und dem saudiarabischen Ölminister Scheich Yamani. Von dem Trio, das jetzt die Geschicke Saudiarabiens lenkte, fehlte nur Sultan Ibn Abdul Aziz. Mein neuer Job war der des Finanzberaters dieser drei Herren. Daher meine Teilnahme an dieser Mission. Natürlich war Reggie Hamilton, der seit 1972 als Yamanis Ein-MannDenkfabrik tätig war, ebenfalls an Bord. Der Zweck der Mission: den Schah von Persien und seinen Ministerpräsidenten, Jamshid Amouzegar, davon in Kenntnis zu setzen, daß Saudiarabien seine Ölpolitik drastisch verän dern werde. Die Saudis wollten eine unabhängige Linie ver folgen. Die Taktik, die darin bestand, den Iran - mit entspre chend vagen Worten - in bilateralen Gesprächen und nicht erst bei der nächsten für April anberaumten Konferenz der OPECLänder über ihre neue Politik zu informieren, war Kronprinz Fahds Idee gewesen. »Stellen wir die Sache doch so hin«, hatte er bei unserem letz ten Gespräch am Vortag in seinem Palast vorgeschlagen, »daß der Iran mit seinen Versuchen, uns seine Holzhackermethoden aufzuzwingen, selbst eine Abkehr von der OPEC vollzogen hat. Wenn wir eine Vollversammlung der OPEC einberufen, könnte es uns passieren, daß wir uns auch allen anderen Mit gliedern entfremden. So aber wird nie jemand die Wahrheit erfahren.« Es war ein geschickter Schachzug. In den letzten Jahren hatte
der Schah darauf bestanden, daß er, und er allein, für die OPEC sprechen müsse. Und obwohl einer wachsenden Zahl ölproduzierender Nationen ernste Bedenken kamen, ob die Wirtschaft der westlichen Welt noch viel mehr verkraften könne, unternahm sein Land, im Gegensatz zu Saudiarabien, verzweifelte Anstrengungen, die Einkünfte aus der Ölproduk tion bis an die Grenzen des Möglichen zu steigern - wie sonst sollten die grandiosen Projekte des Schahs finanziert werden? Fahd aber hatte noch einen anderen Grund, warum er sich nicht vor einem öffentlichen Forum mit dem Schah und sei nem arroganten Ministerpräsidenten Amouzegar anlegen woll te. Er fürchtete, der Schah könnte, um sein Gesicht zu wahren, allzu heftig reagieren. Vielleicht militärisch. Und auf eine solche Art von Kraftprobe waren die Saudis noch nicht vorbe reitet. Im Flugzeug gab es reichlich Platz, um sich zu bewegen. Die Inneneinrichtung - mit freundlichen Empfehlungen der Boeing Corporation, nicht als Extra in Rechnung gestellt - war ein getreues Ausstattungsabbild der Präsidentenmaschine U.S. Air Force One mit einer Reihe von Konferenztischen und Gruppen von Klubsesseln, aber ohne Sitzreihen. Der Unterschied: keine Reporter, die einem auf der Pelle saßen, sich vollaufen ließen und einander dumme Streiche spielten. Fahd war mit sich selbst beschäftigt. Yamani aber war be schwingter Laune. Um Einzelheiten des Fahd-Yamani-Paktes auszuarbeiten, war ich mit diesem Mann im letzten Monat ein Dutzend Mal zur Besprechungen zusammengetroffen, die oft bis spät nachts andauerten. Obgleich erst 52, war er als Fahds Partner einer der mächtigsten Männer im Königreich Saudia rabien. Der Mann hatte Klasse. Seine Familie kam aus Mekka, wo sein Vater Religionswissenschaftler und auch Richter an jenen eigenartigen Gerichtshöfen war, wo nach den Vorschrif ten des Islam Recht gesprochen wurde. Sein erstes Examen hatte Yamani an der Kairoer Universität abgelegt, seine höhe ren Grade an den Universitäten von New York und Harvard erworben. Eine Familientradition wahrend, hatte er Rechtswis
senschaften studiert - aber die Rechtswissenschaften des We stens. Demzufolge stellte er eine ideale Mischung aus Ost und West dar. Er konnte sich über Mozart und Existentialismus unterhalten, aber er ging auch täglich in die Moschee und ritt wie ein Beduine. In London war er ein lebendes Zeugnis für die Künste der Schneider, die in der Savile Row residierten. Jetzt aber im Flugzeug trug er die Aha, die traditionelle flie ßende schwarze Robe der Araber, mit einer Ghutra, einem weißen Kopfputz, der von einer schwarzen Kordel zusammen gehalten wurde. Untadelig, eindrucksvoll - und liebenswert. Kurz nach dem Abflug kam er an den Tisch, an dem ich mit Reggie saß. »Dr. Hitchcock«, fragte er, »sind Sie dem Schah schon einmal begegnet?« »Einmal«, antwortete ich. »Kurz. Bei einem Dinner im Sa voy.« »Wann war das?« »1975, glaube ich.« »Und Amouzegar?« »Niemals.« »Da haben Sie Glück gehabt. Ein sehr unmanierlicher Mann. Erzählt gern dumme Witze.« Dann: »Sie haben in Georgetown studiert?« »Ja. An der Schule für den Höheren Auswärtigen Dienst.« »Wieso sind Sie dann nicht in den auswärtigen Dienst gegan gen?« »Weil ich mich entschloß, weiterzustudieren. An der London School of Economics. Wahrscheinlich hat mich mein Vater da beeinflußt. Er war Bankier, müssen Sie wissen. Ich sollte die Bank übernehmen, wenn er in den Ruhestand trat. Aber er starb. Ungefähr zehn Jahre später liquidierte ich.« »Ja, ich weiß. Sagen Sie mir, Dr. Hitchcock, was halten Sie von der Zukunft des kapitalistischen Systems?« Wie schon gesagt, Yamani hatte einen sehr beweglichen Geist. »Sie ist äußerst unsicher.« »Ich teile Ihre Meinung. Aber was veranlaßt Sie, so zu den ken?«
»Wollen Sie es einfach oder kompliziert?« Yamani lachte. Er kannte seine Volkswirtschaftler. »Einfach.« »Also schön. Ich werde es ganz einfach machen. Das System des Kapitalismus beruht auf Wirtschaftswachstum. Denn nur die Aussicht auf Zunahme der Kapitalgewinne lockt das Anla gekapital an, das unser System in Schwung hält. Besteht eine solche Aussicht nicht, und reicht das Anlagekapital in der Fol ge nicht aus, muß sich die Regierung einschalten. Sonst führt die daraus resultierende Arbeitslosigkeit zur Revolution. Einen Schulfall einer solchen Entwicklung stellen die Ereignisse in Portugal vor einigen Jahren dar. So weit alles klar?« Yamani nickte. »Wie es auch anders gehen kann, hat sich in England gezeigt. Als das Wirtschaftswachstum dort nach dem Zweiten Welt krieg zum Stillstand kam, hatte das zunächst den Verfall des Pfund Sterling und letztendlich den gleichen Verlust an Ver trauen nicht nur in die britische Währung, sondern auch in das ganze zukünftige Gewinnpotential des Vereinigten König reichs zur Folge. Worauf die privaten Anleger - Inländer wie Ausländer - sich entweder zurückzogen oder einfach aufhör ten, gutes Geld schlechtem nachzuwerfen. In dem Maße, wie die private Investitionstätigkeit sich verlangsamte, mußte die Regierung die Lücken füllen, indem sie eine Industrie nach der anderen übernahm. Sie tat auch noch etwas anderes: Sie stei gerte den Geldumlauf, um einer zunehmend beunruhigten Bevölkerung zunehmenden Wohlstand vorzugaukeln. Das Resultat? Jahr für Jahr steigende, zweistellige Inflationsraten. Die von militanten Gewerkschaften geführten englischen Massen durchschauten das Spiel. Sie erzwangen Lohnerhö hungen, die die Preissteigerungen übertrafen. Dabei mußte jemand zur Ader gelassen werden. Das war natürlich der Mit telstand. Die Regierung sah sich gezwungen, sie - die >Rei chen< - immer höher zu besteuern, um die Forderungen der Armen zu erfüllen. So gab der Mittelstand langsam auf. Das Resultat: Stagnation, Inflation und Steuern haben sich verbün det, um dem Kapitalismus in England die Totenglocke zu läu
ten.« Yamani war auch ein geduldiger Mann. Er hatte mir zugehört, ohne mich auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. »Und Amerika?« »Ein ähnlicher Prozeß, aber durchaus nicht der gleiche. Ich muß mich wiederholen: Das ganze kapitalistische System be ruht auf Wirtschaftswachstum. Aber worauf war das Wach stum in Amerika begründet? Billige Rohstoffe, Kapital im Überfluß, niedere Zinssätze - und, vor allem, billige, reichlich vorhandene Energiequellen. Nun, wir sind mit allen diesen Dingen am Ende. Ergo, das Wachstum kommt zum Stillstand. Das Resultat: In zehn Jahren geschieht eines von zwei Dingen: Unsere Bevölkerung erteilt dem kapitalistischen System eine blutige Abfuhr, wie sie es in Portugal beinahe getan hätte, oder unser System stirbt eines langsamen, dumpfen Todes, wie das jetzt in England geschieht.« »Läßt sich dieser Prozeß nicht aufhalten? Zum Beispiel: Sind wir nicht gerade dabei, etwas in bezug auf Kapital und Ener gieversorgung zu tun, das erheblich dazu beitragen würde, das jetzt vorherrschende Unbehagen zu beseitigen?« »Ich hoffe es von ganzem Herzen.« »Das tue ich auch«, erklärte er mit Nachdruck. »Es dürfte Ih nen ja mittlerweile klar geworden sein, daß wir, der Kron prinz, der König und ich - daß es unserer Meinung nach keine Alternative zum westlichen System gibt. Das östliche lehnen wir ab, und nicht nur wegen seiner Unfreiheit, seiner Unzu länglichkeit und seiner Schwerfälligkeit. Es sind vor allem die Prinzipien der Gottlosigkeit, auf denen es beruht, die wir ver abscheuen. Für uns Saudis ist der Kommunismus unakzepta bel.« »Das verstehe ich«, erwiderte ich, »im Gegensatz zum Groß teil meiner Landsleute. Aber eines ist sicher: Wenn Amerika vor die Hunde geht, kann nichts und niemand die Russen im Nahen Osten aufhalten. Außer vielleicht der Schah von Persi en.« Dieser letzte Satz war ein Fehler. Yamanis Augen flackerten
zornig. »Ja, genau. Das glaubt ihr Amerikaner nun schon seit vielen Jahren und glaubt es immer noch. Das ist doch albern. Ihr glaubt, daß der Schah der >große Stabilitätsfaktor< des Nahen Ostens ist. Daß ein starkes Persien die Russen für alle Zeiten vom Nahen Osten fernhalten wird. Daß ein allmächti ger Schah der einzige ist, der den Sowjets im Nahen Osten Paroli bieten kann. John Foster Dulles hat diese Doktrin in die Welt gesetzt, John Kennedy hat ihr restlos beigepflichtet - so wie alle seine überlebenden Nachkommen -, und sie paßte vorzüglich in Kissingers. saubere kleine Welt. Wissen Sie, was wirklich passieren kann?« Yamani war wütend. »Schauen Sie durch das Fenster!« fuhr er mich an. Ich gehorchte. Nachdem wir von Riyadh nach Osten gesteuert waren, hatten wir eben einen Bogen gemacht und flogen jetzt etwa fünf Meilen von der Küste entfernt über den Persischen Golf nach Norden. »Von hier bis zum oberen Rand des Persischen Golfs sind es ungefähr dreihundert Meilen. Unsere großen Ölfelder, die Ölfelder Kuwaits, des Irak und des Iran liegen alle nur ein paar Dutzend Meilen von dieser Küste entfernt. Wer diese Küste beherrscht, kontrolliert die Hälfte - die Hälfte! - der Ölvor kommen der Erde. Wenn ein Diktator wie Pahlavi eine solche Kontrolle an sich risse - und täuschen Sie sich nicht: Genau das ist seine Absicht! -, dann würde Ihr Kapitalismus sehr schnell den Geist aufgeben! Verstehen Sie das?« Mit Beto nung. »Ja.« »Dann müssen Sie auch Ihre Politiker daheim sehr rasch da von überzeugen, bevor es zu spät ist. Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten - damit Ihr System erhalten bleibt, damit wir überleben. Wenn Sie das gleiche tun wollen. Aber das hieße, daß Ihr Land diese törichten Illusionen in bezug auf den Schah endgültig - und ohne Vorbehalt - aufgeben muß.« Er unterbrach sich. »Sie werden ja selbst sehen. Morgen werden wir mit Pahlavi
zusammentreffen. Dann können Sie selbst urteilen.«
Er erhob sich abrupt und ging nach hinten. Offenbar war es
Yamani gewesen, der die Leitsätze für diesen Flug konzipiert
hatte. Er und der Kronprinz gingen aufs Ganze, wie man so
schön sagt.
Reggie, der die ganze Zeit neben mir gesessen hatte, ohne den
Mund aufzumachen, meldete sich jetzt zu Wort. »Er hat recht,
weißt du?«
»Vielleicht. Aber ich bin nicht überzeugt, daß der Schah von
Persien sämtliche Politiker Washingtons in der Tasche hat.«
»Wart’s ab. Nächste Woche sind wir dort.«
Ich ging ans Fenster zurück. Die Küste war flaches, braunes
Ödland.
»Glaubt Yamani ehrlich, daß der Schah militärische Operatio
nen ins Auge faßt, um sich das da unter den Nagel zu reißen?«
fragte ich Reggie.
»Ja. Und du kannst sagen, was du willst, Bill, er ist kein
Dummkopf.«
»Du hast recht.«
Und ich dachte auch darüber nach.
»Aber hat der Schah überhaupt die Möglichkeit dazu?« ließ
ich meine Zweifel laut werden. »Mag sein, er gewinnt eine
Schlacht oder auch zwei, aber dann würden wir ihm das Fell
versohlen. Und das gleiche würden wahrscheinlich auch die
Russen tun.«
»Das hängt davon ab«, antwortete Hamilton.
»Wovon?« fragte ich.
»Zu welcher Art Krieg es kommt.«
»Was soll das nun wieder heißen? Mann, Reggie, es gibt doch
nur eine Art von Krieg.«
»Nein«, erwiderte er. »Zwei. Einen konventionellen und einen
Atomkrieg.«
Ich starrte ihn nur an. »Hör doch auf, Reggie! Woher in Drei
teufelsnamen soll der Schah von Persien Atomwaffen neh
men?«
Reggie ging auf meine Frage nicht ein. Aber dreißig Minuten
später überflogen wir Abadan. Ich hätte den Blick nur nach unten richten müssen, um die Antwort auf meine Frage zu sehen.
15 Abadan, die iranische Stadt an der Nordspitze des Persischen Golfs, wird im Westen durch den Shatt-el-Arab nahe dessen Mündung vom Irak getrennt. Im Norden und Osten liegen die großen Erdölfelder des Iran. In Abadan selbst stehen die einstmals größten Raffinerien der Welt. Sie wurden von den Engländern errichtet und später über die Verwaltungsmaschi nerie des Iranian Oil Consortium von den »Sieben Schwe stern« gemeinsam betrieben. Im Jahre 1982 waren sie selbst verständlich zu hundert Prozent iranisches Eigentum. Der Schah hatte schon zu Beginn des Jahrzehnts beschlossen, Abadan zu einem bedeutenden Zentrum wirtschaftlicher Macht zu machen - zum Sitz der größten Konzentration von Schwerindustrie im Nahen Osten. Er hatte vor einer klassi schen wirtschaftlichen Entscheidung gestanden: den im Gebiet von Abadan verfügbaren ungeheuren Energieüberschuß zu den großen Bevölkerungszentren im Norden des Landes zu trans portieren oder nach dem Beispiel Pittsburghs oder des Ruhr gebiets in der unmittelbaren Umgebung der primären Energie quelle ein Industrieimperium zu errichten. Er hatte sich für letzteres entschieden. Und es dauerte nicht lange, bis Abadan, gestützt auf die billigste Energie der Welt, über eine massive Konzentration teils fertig gestellter, teils im Bau befindlicher Zementfabriken, Stahlwerke und Aluminiumfertigungsbetrie be verfügte. Sie erhielten ihre Energie in Form von Erdgas aus nur wenigen Meilen entferntem Speichergestein oder als Öl aus den Raffinierien in der Stadt selbst oder als Elektrizität, die von Gasturbinen erzeugt wurde, die in Elektrizität verwan delten, was früher einfach in der Wüste abgefackelt worden war. Die Lage der Stadt am Golf mit den Anlagen eines Tide hafens war für die industrielle Entwicklung ideal: Die Rohma terialien konnten auf dem Seeweg angeliefert, durch den Ein satz von Energie verarbeitet und entweder mit der Bahn nach Teheran im Norden transportiert oder, wieder auf dem See weg, auf die Weltmärkte gebracht werden.
So viel zu den wirtschaftlichen Trivialitäten. Als weniger tri vial erwies sich später die Tatsache, daß der Schah das Gebiet von Abadan auch als Standort für die Errichtung der größten Kernreaktoren des Iran ausersehen hatte. Oberflächlich gese hen eine lächerliche Entscheidung: Der klassische Fall von Eulen nach Athen tragen. Aber im Geschichtsbild des Schahs hatte sie durchaus Hand und Fuß. Denn in seiner Theorie wür de die Welt, noch bevor das 20. Jahrhundert zu Ende ging, zu der Erkenntnis kommen, daß Öl ein zu kostbarer Bodenschatz war, um als Energiequelle vergeudet zu werden. Sein Ge brauch würde auf Verwendungen beschränkt werden müssen, die die einzigartigen Eigenschaften des Erdöls nützten - für die Herstellung von Düngemitteln, Kunststoffen, Arzneien und Schädlingsbekämpfungsmitteln. Wenn das geschah, würde Abadan immer noch ein Übermaß an Energie besitzen: nuklea re, nicht konventionelle Energie. Doch die Pläne des Schahs im nuklearen Bereich waren nicht auf Abadan beschränkt. Das ganze Land sollte atomar ausge richtet werden. Daher vergab der Schah Mitte der 70er Jahre Aufträge für insgesamt sechs nukleare Anlagen: zwei für Aba dan, zwei für das Gebiet von Teheran, eine für Isfahan und eine für das Kaspische Meer - um die Russen zu ärgern. Es entbrannte ein wilder Kampf um diese Aufträge. Die Ameri kaner unternahmen verzweifelte Anstrengungen, um den Fuß in die nukleare Tür des Iran zu stellen. Das gleiche taten die Deutschen, die Engländer und natürlich die Franzosen. Auch Roche-Bollinger beteiligte sich an der Ausschreibung, aber damals brauchte der Schah die Schweizer noch nicht. Er brauchte die Westmächte - alle vier Westmächte. So bekamen also die Amerikaner die Aufträge für Teheran, die Engländer für Isfahan und die Deutschen für das Kaspische Meer - was die Russen noch mehr verärgerte. Schließlich wa ren sie 1941 im Iran einmarschiert, um die Deutschen hinaus zuwerfen. Die Franzosen bekamen Abadan. Alle Nationen waren sich einig: Der Schah war wirklich ein weiser und weitblickender Monarch. Schließlich zahlte er ja in
bar. Und weitere Aufträge würden folgen, wie RocheBollinger zu ihrem Entzücken gegen Ende 1981 entdeckten. Der Iran war der Traum jenes exklusiven Klubs westlicher Firmen, die mit Investitionen in Milliardenhöhe für Forschung und Entwicklung auf dem Kernkraftsektor Kopf und Kragen riskiert hatten. Denn während sie in ihren Heimatländern bei ihren Bemühungen, Kernkraftwerke so schnell und zahlreich wie möglich zu verkaufen, um ihre massiven Investitionen wieder einzubringen, oft stark behindert wurden, gab es im Iran keine solchen Probleme. Im Iran gab es keine antikapitali stischen Agitatoren wie den Konsumentenanwalt Ralph Nader und keine kommunistischen Organisationen wie die Umwelt schutzgruppen, die immer wieder den gleichen Unsinn über die Gefahren von Atomreaktoren für die Bevölkerung verzapf ten. War schon einmal ein Atomreaktor explodiert? Auch nur ein einziger? Natürlich nicht. Wäre Nader im Iran aufgekreuzt, der Schah hätte ihn binnen 24 Stunden an die Wand stellen lassen. Der Schah verkörperte jene Art von Führungsstil, an dem es Amerika nach dem Fall Nixons so schmählich fehlte. Wenn der Schah diese Aufträge auf so lockerer und wohlwol lender Basis vergab, hatte er mehr als nur Öffentlichkeitsarbeit im Sinn. Was er anstrebte, war die Zugehörigkeit zu jener anderen sehr bedeutenden Bruderschaft auf Erden (OPEC, die erste, beherrschte er bereits); sein Ziel war die Aufnahme in jene exklusive Gruppe von Nationen, die Atombomben und damit den Schlüssel zur Weltherrschaft besaßen. Nun, wie jeder Student der Naturwissenschaften nach Hiro shima wußte, brauchte man nur Plutonium, um eine Bombe herzustellen. Und er wußte auch, daß Atomreaktoren Plutoni um produzierten - und nicht zu knapp. Mit der Zeit sickerte dieses Wissen auch zu den Staatsmännern dieser Welt durch, insbesondere zu jenen Staatsmännern, deren Länder bereits Atomreaktoren besaßen, die brav funktionierten und Mengen von dem Zeug produzierten, das man brauchte, um diese gro ßen Bomben herzustellen. Ihre Schlußfolgerungen: Was gut war für die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion, Frankreich,
England und China, war offenbar nicht so gut für Schweden, Südafrika, Indien, Brasilien, Japan und den schäbigen Rest. Daher der Atomsperrvertrag. Und daher auch der wichtigste Punkt dieses Vertrags: Die Atommächte, das heißt jene Natio nen, die in der Lage waren, nukleare Technologie zu friedli chen Zwecken zu exportieren - sie alle erklärten, jawohl, man könne die Reaktoren praktisch nach Belieben exportieren, doch die Anlagen, in denen die abgebrannten Spaltstoffele mente wieder aufbereitet würden, müßten von einem interna tionalen Gremium streng kontrolliert werden. Warum dieses? Für die Antwort auf diese Frage bedarf es zusätzlicher Trivia litäten. Nehmen wir als Ausgangspunkt die Reaktoren, die die französische Firma Framatome ein paar Kilometer außerhalb von Abadan für den Schah erbaut hatte. Es waren Druckwas serreaktoren vom Typ PWR, jeder mit einer Nutzleistung von 600 Megawatt bei Verwendung von zu 20 Prozent angerei chertem Uran als Brutstoff. Dieser Brutstoff wurde in riesigen Anreicherungsanlagen in den Vereinigten Staaten hergestellt; sie verarbeiteten das Natururan und brachten es im Verlauf eines komplizierten und kostspieligen Prozesses auf den für eine kontrollierte Kernspaltung nötigen Konzentrationsgrad. Das angereicherte Uran wurde in lange, dünne Brennstäbe verpackt (sie waren nichts anderes als Metalldosen, gefüllt mit schwarzen Hartpellets aus angereichertem Uranoxyd) und an die Verbraucher in der ganzen Welt verkauft. Die Stäbe wur den sorgfältig zu von Kühlwasser durchströmten Bündeln zusammengefaßt und in die Kerne der Atomreaktoren einge führt; dort erzeugten sie dann auf Grund des Spaltprozesses große Mengen hoher Temperaturen, die nun in Form von Dampf die Turbinen antrieben und auf diese Weise elektri schen Strom erzeugten. Nach monatelangem Abbrand verloren diese Brennstäbe ihre Kraft. In einem außerordentlich schwierigen und gefährlichen Prozeß entfernten schwere Lademaschinen die verbrauchten Brennelemente und transportierten sie - sehr vorsichtig - zu einer angrenzenden Anlage, einem mit Kühlwasser gefüllten
Lagertank aus Beton. Diese Lagertanks waren recht spektaku läre Dinger, denn sobald die Brennstäbe eingetaucht wurden, strahlten sie ein intensives saphirblaues Licht aus. Dieses Licht kam von der radioaktiven Umwandlung der angehäuften Pro dukte der Kernspaltung, von denen einige, wie zum Beispiel Cäsium oder Strontium, noch nach Zehntausenden von Jahren tödlich wirken. Aber das wichtigste Überbleibsel war das gute alte Plutonium. Es konnte tödlich bleiben, so wie es war, oder aber tödlich werden als das entscheidende »explosive« Ele ment in Atomwaffen. Aber Plutonium konnte auch äußerst nützlich sein - als re zyklierter Brennstoff für den gleichen Atomreaktor, der es erzeugt hatte. Jetzt trat die Wiederaufbereitungsanlage in Funktion. Sie war eine Kombination aus Kläranlage und Teu felsmaschine. Ihre Funktion bestand darin, den radioaktiven Müll von der wertvollsten aller von Menschen geschaffenen Substanzen - dem Plutonium - zu trennen. Die Anlage selbst war ein ungeheures Gebilde: Von außen ein über hundert Me ter langes Blockhaus mit supermassiven Betonmauern (um die unschuldige Welt ringsum vor dem radioaktiven Tod zu be wahren); innen ein Bild wie aus einem Science-fiction-Roman: Systeme auf Systeme von Mechanismen, angefangen von Kränen bis zu mit Stahlklauen versehenen Manipulatoren, sie alle ferngesteuert von Männern, die durch dicke Glaswände von ihren Werkzeugen getrennt waren. Aber der Prozeß, der sich in diesen Anlagen vollzog, war nicht schrecklich kompli ziert. Die ganzen Geräte waren nur dazu bestimmt, den ver brauchten Brennstoff nach seiner Entfernung aus dem Lager tank zusammenzuhacken, in Säure aufzulösen und dann das Plutonium aus dem vorhandenen Abfall abzusondern. Was übrig blieb, war eine Brühe, die die Welt auf Jahrhunderte vergiften konnte und immer noch kann. Dieser Bodensatz wurde in ebenso monströsen Vehikeln abtransportiert und anschließend in unterirdische Lagerstätten gebracht, wo er, so steht zu hoffen, für alle Zeiten unberührt ruhen würde. Das Plutonium aber blieb. Nachdem es in der Brennstoffum
wandlungseinrichtung der Wiederaufbereitungsanlage entspre chend aufbereitet war, wurde es abermals in Oxidform in Me tallstäbe gepackt. Die Brennstäbe kehrten zu den Reaktoren zurück, und das Ganze fing wieder von vorne an. Womit wir beim springenden Punkt wären. Sobald ein Land eine passende Menge Plutoniumoxid besitzt, ist es eine relativ einfache Sache, eigene Atomwaffen herzustellen. Um das Plutoniumoxid zu bekommen, braucht man nur a) einen Atomreaktor und b) eine Wiederaufbereitungsanlage für nuklearen Brennstoff. Die ursprünglichen Atommächte hatten das schon früh er kannt. Zwar gestatteten sie den Verkauf von Atomreaktoren so gut wie jeder Größe und Form an jeden, der sie bezahlen konnte, aber sie weigerten sich standhaft, dem freien Verkauf von Wiederaufbereitungsanlagen zuzustimmen. Sie bestanden auf der Rückführung der abgebrannten Elemente in die Her kunftsländer - in die Vereinigten Staaten, nach England, Frankreich und so weiter -, wo das Plutonium extrahiert und zurückbehalten werden konnte. Als die Zahl in Betrieb stehen der Atomreaktoren weltweit zunahm, erwies sich diese Lösung als unpraktisch. Also wurde in einigen wenigen Fällen auch die Technologie für den Bau von Wiederaufbereitungsanlagen exportiert und die Errichtung solcher Anlagen »im Ausland« genehmigt - jedoch unter der kategorischen Bedingung, daß ihr Betrieb dauernd und zur Gänze von Inspektoren der Inter nationalen Atombehörde, einer Organisation der Vereinten Nationen, die ihren Sitz in Wien hatte, überwacht werden müsse. Mit Hilfe einer Unzahl von Geräten und Apparaten kontrollierten sie jeden Schritt - vom Eintreffen der verbrauch ten Brennzellen in der Wiederaufbereitungsanlage bis zur Ex traktion des Plutoniums und dem Neueinsatz der mit Plutoni um gefüllten Brennstäbe im Core. Einziger Zweck: jedes Aus sickern des Plutoniums aus dem Rezyklierungsprozeß zu ver hindern. Im Jahre 1976 wurde dem Iran gestattet, die Errichtung einer solchen Wiederaufbereitungsanlage für nukleare Brennstoffe
in Auftrag zu geben. Der Iran war schließlich der größte Kun de der Atomindustrien der Vereinigten Staaten, Großbritanni ens, Frankreichs und Westdeutschlands. Angesichts der gro ßen Zahl von Reaktoren, die im Iran im Bau waren, und, so hofften sie, den ausgezeichneten Aussichten auf weitere Auf träge für noch viel mehr Kernkraftwerke, Aufträge, die einen Umsatz von Milliarden Dollar bringen würden, kamen sie überein, daß im Fall des Iran eine Ausnahme gemacht werden müsse. Noch im gleichen Jahr wurde mit dem Bau einer solchen An lage im »Atompark« nördlich von Abadan begonnen. Im Sommer 1978 war sie fertig gestellt. Zusammen mit den zwei von der Framatome gelieferten 600 Megawatt starken Atomre aktoren, die bereits am gleichen Ort in Betrieb standen, war der Iran jetzt in der Lage, Woche für Woche 15 Pfund Pluto nium zu produzieren - und das auf eigenem Boden. Das ist etwa die Menge, die man braucht, um eine halbwegs wirksame Atombombe zu basteln. Aber selbstverständlich waren die Inspektoren der Internationalen Atombehörde da, um eben dies zu verhindern. Am 6. Dezember 1981 war Professor Hartmann, Mitglied der Physikalischen Fakultät der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, technischer Berater der RocheBollinger-Gruppe in Baden und militärischer Berater des Eid genössischen Militärdepartements in Bern, in Abadan einge troffen. Mit seiner Tochter Ursula. Sie waren mit einer Concorde der Air Iran gekommen und dann auf den Zubringer nach Abadan umgestiegen. Während des Fluges war ihnen keine besondere Aufmerksamkeit ge schenkt worden. Aber das änderte sich nach ihrer Ankunft am Persischen Golf. General Mohammed Khatami, Chef der irani schen Luftwaffe, und Professor Hadjevi Baraheni, Chef der iranischen Atomenergiebehörde, waren gekommen, um sie zu begrüßen. Ebenso vier Angehörige der SAVAK. Die Hart manns hatten angenommen, man hätte ihnen in der Stadt Ho telzimmer reserviert. Zu ihrer Überraschung kamen sie gar
nicht in die Stadt. Statt dessen brausten die zwei Mercedes der eine für die großen Tiere, der andere für die SAVAKMänner - aus dem Flughafen und rollten am Fluß entlang nach Norden. Ihr Ziel war das 30 Kilometer entfernte Khorrams hahr. Dort erwartete sie eine große Villa. Die Villa ähnelte im Stil einem amerikanischen Ranchhaus und hatte alles - vom Schwimmbecken bis zur Klimaanlage und eigenem Flügel für die Dienerschaft. Diese bestand aus einer Köchin, einem Dienstmädchen und einem“ Mann für die schweren Arbeiten im Garten. Einen Chauffeur gab es nicht. Für den Transport war die SAVAK zuständig. Dank der Concorde und einem sofortigen Anschluß in Teheran war es erst zwei Uhr nachmittags, als sie ankamen. Die Kö chin hatte den üblichen leichten iranischen Lunch vorbereitet: Joghurt, Obst, Tee. Die Iraner, die ja so sein können, begegneten dem Professor mit übertriebener Höflichkeit und seiner Tochter mit äußerster Liebenswürdigkeit. Man wies darauf hin, daß der Tag noch jung war und daß sich eine kleine Rundfahrt leicht bewerkstel ligen ließe. Um halb drei kreuzte »ganz zufällig« die junge Frau eines der österreichischen Inspektoren der Internationalen Atombehörde auf. Sie machte sich erbötig, Ursula die Sehenswürdigkeiten zu zeigen und ihr den Nachmittag über Gesellschaft zu leisten. Ursula, hocherfreut, eine deutsch sprechende Frau als Beglei terin zu haben, nahm das Angebot an. Die Männer, eine völlig andere Art von Landschaft vor ihrem geistigen Auge, gingen getrennte Wege. Ursula sah den Fluß, die Palmen und den Basar, während ihr Vater die Atomreaktoren und die Wiederaufbereitungsanlage besichtigen ging. Um sieben waren sie wieder allein in ihrem neuen Heim in Khorramshahr - mit der Dienerschaft drinnen und der SAVAK draußen. »Was meinst du?« fragte der Professor, als er sich, einen Sher
ry in der Hand, im Wohnzimmer niederließ. »Phantastisch!« antwortete die Tochter. Ursula sprudelte über vor Begeisterung. Nicht nur das Haus war ideal, sondern auch die Stadt, das Klima, Friedas Gesellschaft - alles! Das graue kalte Zürich im Dezember kam da nicht mit. »Und entspricht auch alles deinen Erwartungen, Vater?« fragte sie. Es entsprach. Alles ganz normal. »Wirst du jetzt hier arbeiten?« »Ja«, antwortete der Professor. »Das Gelände befindet sich etwa fünf Meilen außerhalb der Stadt. Ausgezeichneter Stand ort. Und es ist auch ein ausgezeichnetes Konzept, das sie hier haben. Man könnte sagen, daß die Iraner das erste futuristische Energiezentrum der Welt bauen. Die Franzosen haben hier bereits zwei große Reaktoren hingestellt. Ich bin hier, um den Boden für die zwei Roche-Bollinger-Reaktoren zu bereiten. Wenn alles nach Plan geht, sollten bis zum Ende des Jahr zehnts insgesamt zehn Reaktoren auf diesem Gelände stehen. Das ist einmalig.« »Aber warum eine solche Konzentration? Und warum gerade hier?« Viele Jahre lang war Ursula durchaus bereit gewesen, ihre Mutter zu ersetzen - nicht nur als Wirtschafterin in Zürich, sondern auch abends als Zuhörerin. Die Art, wie in Mitteleu ropa noch immer häusliche Pflichten erfüllt werden, hat eini ges für sich. Und es gab keine Veränderung im Hartmann schen Haushalt, auch wenn dieser nach dem Iran verpflanzt worden war. »Die Konzentration erfolgt eigentlich aus Sicherheitsgründen. Wenn etwas passiert, und theoretisch ist das ja immer möglich, würde das kein größeres Bevölkerungszentrum berühren. Wir sind hier von Wüste umgeben, und die vorherrschenden Winde gehen noch tiefer in die Wüste, die sich, wie man mir sagte, über tausend Meilen weit erstreckt. Und warum hier?« fuhr Hartmann fort. »Weil wir hier, obwohl es eine Wüste ist, eine schier unerschöpfliche Zufuhr von Wasser haben: den Fluß. Und dieser große Fluß bewässert den ganzen fruchtbaren Halbmond des Nahen Ostens. Früher oder später wird jeder
Tropfen zählen, denn Reaktoren verbrauchen unglaubliche Mengen Wasser für Kühlungszwecke. Reaktoren entwickeln auch viel Hitze und verursachen eine starke Verschmutzung. Aber wem kann das hier in der Wüste etwas ausmachen?« »Wie lange werden wir hierbleiben?« »Vielleicht sechs Monate. Vielleicht auch noch länger, wenn sich das Problem mit dem Brennstoff nicht lösen läßt.« »Ist das einer der Gründe, warum sie dich gerufen haben?« »Es scheint so«, antwortete ihr Vater. »Zusätzlich zu den Kernreaktoren haben sie auch eine Wiederaufbereitungsanla ge. Zum Rezyklieren der verbrauchten Brennstäbe, weißt du.« Ursula wußte. Man kann nicht sein ganzes Leben mit einem Atomphysiker verbringen und von solchen Dingen nichts wis sen. »Nun ja«, fuhr er fort, »offensichtlich ist etwas mit dem Klä rungsprozeß nicht in Ordnung. Nach dem Rezyklieren ent sprechen die neuen Brennstäbe mit ihren Plutoniumelementen nicht den Erwartungen. Ihr Ertrag liegt mindestens 25 Prozent unter der normalen Leistung.« »Warum?« »Das könnte zwei Gründe haben. Den Franzosen könnte ein Fehler bei der Planung unterlaufen sein. Aber das bezweifle ich. Schlamperei im Betrieb halte ich für wahrscheinlicher. Das Personal besteht ja fast ausschließlich aus Iranern. Die paar Franzosen, die noch da sind, um nach dem Rechten zu sehen, geben zu, daß die Qualität nicht die beste ist. Und noch eines: Aus mir unbekannten Gründen ist die Fluktuation unter den iranischen Ingenieuren äußerst hoch; das verstehe ich nicht.« »Nun, Vater, mich überrascht das nicht. Frieda, die Frau des österreichischen IAEA-Inspektors, die mir heute die Stadt zeigte, hat mir ein bißchen erzählt, wie es hier zugeht. Von ihrem Mann weiß sie, daß die iranischen Techniker, selbst wenn sie in Europa ausgebildet wurden, fachlich sehr unzuver lässig sind. Wie es scheint, haben einige während ihres Studi ums im Ausland radikale politische Ideen entwickelt. Wenn
man ihnen auf die Spur kommt, werden sie sofort entlassen und von hier >entfernt< - das ist das Wort, das sie gebrauchte. Du weißt doch, Vater, daß dieses Land im Ruf eines Polizei staats steht.« Der Professor zog es vor, nicht darauf einzugehen. Er wechsel te das Thema und befragte Ursula nach den Eindrücken, die sie im Basar gewonnen hatte. Sowohl in der Schweiz wie auch unter seinen ausländischen Kollegen galt Heinz Gerhardt Hartmann als Inbegriff des »un beteiligten« Wissenschaftlers: ein Mann mit einem brillanten wissenschaftlich geschulten Geist, eingeschnürt in das Korsett eines stumpfen, schwerfälligen und völlig apolitischen Cha rakters. Ein Schweizer eben. Er war kein junger Mann. Im Jahre 1916 in Schaffhausen ge boren, hatte er das Mathematische Gymnasium besucht, von wo er im natürlichen Verlauf der Dinge an die Eidgenössische Technische Hochschule ging. Eine logische Entscheidung, denn seine mathematischen Neigungen hatten ihn zur Physik geführt und zu weiterem Studium an die ETH, WO auch Ein stein vor Jahren einmal gelehrt hatte. Wie unter schweizeri schen Studenten üblich, war Hartmann im zweiten Jahr seiner Ausbildung ins Ausland gegangen, nach Göttingen, wo er mit 21 einer der jüngsten Studenten Dr. Werner Heisenbergs wur de. Heisenbergs Untersuchungen hatten bereits den Beweis erbracht, daß Kernspaltung möglich war. Heisenbergs Einfluß war es zu danken, daß Kernphysik für den Rest seines Berufs lebens Hartmanns Spezialgebiet wurde. In Göttingen begegnete er seiner zukünftigen Frau, einer deut schen Jüdin - Leah Seligmann von den Frankfurter Selig manns-, die an der Universität Medizin studierte. Er blieb drei Semester, vom Herbst 1937 bis zum Frühling 1939. Sein Ab gang erfolgte abrupt, ausgelöst durch das plötzliche Ver schwinden Leahs. Er kehrte nach Zürich zurück, um dort seine Studien fortzusetzen; sie lernte das Grauen von Dachau ken nen. Im Februar 1940 überschritt sie die deutsch schweizerische Grenze bei Schaffhausen; drei Tage später
waren sie Mann und Frau. Ihr Fall war ungewöhnlich, aber nicht einmalig. Ihre Familie hatte sie einfach losgekauft, wie das auch in Tausenden ähnlichen Fällen geschah. Die Selig manns waren eine der ältesten und weitest verzweigten Ban kiersfamilien der Welt. Das Netz der Familie spannte sich von Frankfurt über Hamburg und Paris und London bis nach New York und sogar San Francisco. Auch in der Schweiz gab es einen Ableger. So entkam sie einem Schicksal, das Millionen ihrer Glaubensgenossen erdulden mußten. Im Jahre 1943 wur de Hartmann Assistent des Leiters des Atomphysikalischen Instituts der Eidgenössischen Technischen Hochschule. Ihr einziges Kind, Ursula, wurde 1948 geboren. Im Jahre 1956 kam die ordentliche Professur. Leah starb im Alter von drei undvierzig Jahren, ein verspätetes Opfer der körperlichen und seelischen Qualen, die sie in dem kleinen Städtchen in der Nähe Münchens durchgestanden hatte. Zu diesem Zeitpunkt begann Hartmann seinen Rückzug aus der akademischen Welt. Natürlich behielt er seine Position und seinen Titel als Profes sor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule. Aber nie wurde er Dekan ihrer berühmten physikalischen Fakultät. Statt dessen wurde er Berater. Zuerst auf dem Gebiet der Kernkraft für Roche-Bollinger und dann auf dem Gebiet der Atomwaf fen für das Schweizer Militärdepartement. Innerhalb des letz teren Tätigkeitsbereiches entwickelte er programmgesteuerte Simulierungsverfahren, die es der schweizerischen Regierung erlaubten, Atomwaffen zu entwickeln, ohne sie testen zu müs sen. Wenn Hartmanns Modelle im Simulierungslaboratorium »explodierten«, war nicht daran zu zweifeln, daß sie auf genau die gleiche Art auf dem Schlachtfeld explodieren würden wenn sich einmal die Notwendigkeit ergeben sollte. So war Professor Hartmann also nach Meinung der »Einge weihten«, gleich vielen seiner Kollegen in den Vereinigten Staaten, Frankreich und England, in die Reihen der amorali schen Wissenschaftler getreten. Seine Einstellung, so dachte man, unterschied sich nicht wesentlich von jener der schweize rischen Bankiers, die nur allzu bereit waren, das schmutzige
Geld der Welt zu verwalten; es war, so rechtfertigten sie sich, nicht ihre Sache, die Welt zu bevormunden. Ihre Loyalität gehörte der Schweiz und ihrem Fortbestehen als ein zwar an Bodenschätzen armes und von Neid und Feindschaft umgebe nes, dennoch aber unabhängiges und wohlhabendes Land. In ihrer Tätigkeit kannten sie keinerlei moralische Bedenken. Sie erledigten einfach die Arbeit für ihre Kunden und somit für ihr Land. Gewissenhaft. So auch Hartmann. Sein Kunde, das schweizerische Militär, und sein Land waren für ihn eins. Es war seine Pflicht, ihnen gewissenhaft zu dienen. Punktum. Und wenn man von ihm verlangte, aus irgendwelchen Grün den schweizerischen nationalen Interesses den Persern als Berater für Waffentechnik zu dienen, so würde er das auf die gleiche Art tun. Korrekt. So sah die Welt - seine Kollegen an der Eidgenössischen Technischen Hochschule, seine Vorge setzten in der Roche-Bollinger-Gesellschaft und insbesondere jene im Eidgenössischen Militärdepartement - Professor Hartmann. Unendlich zuverlässig und ein hundertprozentiger Profi. Nach einer gründlichen Untersuchung Hartmanns und seines Werdegangs durch die SAVAK teilten auch die Iraner diese Meinung. Vielleicht war seine Tochter Ursula die einzi ge, die Professor Hartmanns Bild als fünfundsechzigjähriger, ein wenig gebückt gehender, weißhaariger, »reiner« Wissen schaftler nicht voll akzeptierte. Aber sie hielt den Mund. Wie abgemacht, wurde er am nächsten Morgen um neun wie der von Professor Baraheni und General Khatami abgeholt. Zu diesem Zeitpunkt war Hartmann einigermaßen verwirrt. In der Schweiz hatte man auf höchst umständliche Weise um seine Mitarbeit geworben. Der Verteidigungsminister selbst hatte ihn zum Abendessen in sein Haus in Bern eingeladen - eine Auszeichnung, für die es keine Präzedenzfälle gab. Und an diesem Abend Ende November des vergangenen Jahres hatte man ihm schließlich die entscheidende Frage gestellt: Ob er bereit wäre, dem Schah von Persien seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Atomwaffen zur Verfügung zu stellen? Er antwor tete ohne zu zögern und ohne Vorbehalte: Ja, wenn seine Re
gierung das wünschte. Aber nach allem, was er bisher gesehen hatte, gab es da nichts, was er hätte tun können - zumindest nicht im praktischen Sinn. Um Atomwaffen herzustellen, brauchte man spaltbares Mate rial. Doch wie er gestern in der Wiederaufbereitungsanlage in Khorramshahr festgestellt hatte, konnte kein Plutonium den wachsamen Augen der Inspektoren der Atombehörde entgan gen sein - es sei denn, er selbst hätte etwas höchst Ungewöhn liches übersehen. Erwartungsvoll sah er einer intensiveren Untersuchung dieser Operationen entgegen, die ihm ein inter essantes akademisches Rätsel aufgaben. Aber dazu sollte es nicht kommen. Statt die Richtung nach Norden, zum Atomgelände, einzuschlagen, fuhr General Kha tamis Mercedes nach Osten. Die Straße endete vor der Ein fahrt zu einer gewaltigen militärischen Installation. An ihr war nichts Geheimes. Sie war gemäß den im Zusammenhang mit dem Südostasiatischen Sicherheitsvertrag abgeschlossenen Verteidigungs- und Beistandsabkommen von den Amerika nern errichtet worden. Im Jahre 1981 stand sie vollständig unter iranischer Kontrolle, wenngleich die amerikanische Prä senz an der Ausrüstung immer noch deutlich erkennbar war. Der Luftstützpunkt war Heimathafen für 220 der perfektesten, allesamt von den Amerikanern gelieferten Maschinen der ira nischen Luftwaffe: 50 F-4-Phantom-Jagdbomber, Hersteller McDonnel Douglas; 50 F-14-Abfangjäger mit veränderlicher Tragflächenstellung, ein Produkt der Grumman Corporation; 120 Northrop F-5-Kampfflugzeuge. General Khatami, oberster Chef der Luftwaffe des Iran, wies stolz auf seine Schätze hin. Die äußere Umgrenzung des Stützpunktes bestand aus zwei fünf Meter hohen, alle fünf hundert Meter von Wachtürmen unterbrochenen Zäunen, die von Soldaten mit Hunden bewacht wurden, und einem ultra modernen, Tag und Nacht in Betrieb stehenden, elektronischen Überwachungssystem. Bis auf die Männer und die Hunde war alles aus Amerika gekommen, einschließlich der Zäune. Der Wagen des Generals rollte an den Kontrollpunkten vorbei,
ohne anzuhalten. Natürlich fuhren sie zwischen den Rollbah nen durch - zwei parallele Ost-West-Startbahnen und eine dritte, die diese diagonal von Südosten nach Nordwesten schnitt. Es herrschte ein reges Treiben. »Wir haben die besten Piloten und Techniker im Nahen Osten«, brüstete sich Khatami. »Nicht einmal die Israelis kön nen da mit.« »Wo werden sie ausgebildet?« fragte Professor Hartmann, der sich als Militärberater des Schweizer Militärdepartements sehr für solche Dinge interessierte. »Zu Anfang in Texas«, lautete die Antwort. »Das ist ideal. Die Flugbedingungen dort sind den unseren sehr ähnlich. Aber nach ihrer Rückkehr hierher absolvieren die Männer im we sentlichen das gleiche Trainingsprogramm. Die Luftwaffe der Vereinigten Staaten hat 600 Mann auf diesem Stützpunkt natürlich nur als Berater. Wie lösen Sie die Trainingsprobleme in der Schweiz?« »Das ist nicht leicht«, erwiderte Hartmann. »Wir haben ein fach nicht genug Luftraum. Aber gelegentlich benützen wir die französischen Anlagen im Mittelmeer. Vor Korsika, wissen Sie.« Natürlich wußte Khatami das. »Aber Ihre Ausrüstung reicht kaum an unseren Standard heran«, gab der Iraner zu bedenken. »Ja, da haben Sie recht. Im Grunde verlassen wir uns immer noch auf die Mirage. Aber die Lieferungen von Maschinen vom Typ F-16 sollten noch dieses Jahr einsetzen - wenn Nor throp die Termine einhalten kann.« Wie es schien, bezog die ganze Welt ihre Waffenarsenale aus den USA. Die Saudis, die Perser, die Ägypter, die Koreaner, die Israelis, die Deutschen - sogar die neutralen Schweizer. Nach zehn Minuten hatten sie den Großteil der Hangare und Werkstätten hinter sich, doch der Wagen des Generals rollte weiter nach Osten in die Wüste hinein. Eine kleine Weile spä ter wurde sein Ziel sichtbar - ein riesiger fensterloser Betonbau mit einem Schornstein, der gute fünfhundert Fuß hoch sein mußte. Nicht eben ein Objekt, das man in der Nähe von Roll
bahnen zu finden erwartet. Die Umzäunung war hier noch
aufwendiger.
»Ist das unser Ziel?« fragte Professor Hartmann.
»Ja.«
»Was ist das?«
»Offiziell ein Verbrennungsofen.«
Noch bevor der Wagen hielt, wußte der Professor Bescheid.
Zumindest von außen war es ein authentisches - in jeder Be
ziehung authentisches - Replikat der »sichtbaren« Anlage, die
von den Franzosen gebaut worden war und von den österrei
chischen Beamten der IAEA kontrolliert wurde. Hier aber war
kein Ausländer in Sicht. Das ganze Personal war offenbar
iranisch. Was die hohe Fluktuation und das »Verschwinden«
der Ingenieure und Techniker aus der anderen Anlage erklärte.
»Wie lange ist das schon in Betrieb?« war Hartmanns erste
Frage, nachdem er die technische Ausrüstung kurz geprüft
hatte.
»Sechs Monate«, antwortete Professor Baraheni.
»Wo haben Sie die Apparaturen her?«
»Das meiste haben wir auf dem offenen Markt gekauft. Wie
Sie wissen, werden die gleichen Instrumente auch zu anderen
Zwecken verwendet. In einigen Fällen mußten sie leicht modi
fiziert werden.«
»Und was Sie nicht auf dem offenen Markt finden konnten?«
Der schweizerische Professor deutete auf ein Schaltpult für
Überwachungsgeräte.
Der iranische Professor sah den General an. Khatami zuckte
die Achseln und entschloß sich, die Frage selbst zu beantwor
ten.
»Aus Israel. Wir versorgen sie mit Erdöl, wissen Sie.«
Die Amerikaner lieferten militärische Anlagen, die Franzosen
Atomtechnologie und die Israelis nukleares Spezialmaterial.
Offensichtlich waren jetzt die Schweizer dazu aufgerufen,
einen kleinen Beitrag zur Restauration des persischen Imperi
ums zu leisten. Professor Hartmann befand sich in der besten
Gesellschaft.
»Ihr Endprodukt ist Plutoniumoxid, nehme ich an?« fragte Hartmann. »Selbstverständlich. Genau das gleiche Endprodukt, wie es in der anderen Anlage hergestellt wird.« »Und wo…?« Der Schweizer Professor zog es vor, die Frage nicht zu beenden. Wieder zögerte sein iranischer Kollege. Aber der General zö gerte nicht. »Es ist sehr einfach. 25 Prozent der verbrauchten Brennstäbe aus den Kernreaktoren der Framatome werden hierher gebracht. Ohne Umwege. Sie kommen nicht in die Lagertanks in Khorramshahr und natürlich auch nicht in die dortige Wiederaufbereitungsanlage.« »Aber wie ist das möglich?« fragte der Schweizer. »Ganz einfach. Die IAEA-Inspektoren kümmern sich nicht um die Kernreaktoren. Warum sollten sie auch? Sie konzentrieren sich auf die Trennanlage, wo das Plutonium extrahiert wird.« »Aber sie müssen doch merken, daß die Mengen des von der Trennanlage produzierten rezyklierten Brennstoffs nicht stim men. Das ist doch leicht zu errechnen.« »Tja«, antwortete jetzt Professor Baraheni, »aber die in Khor ramshahr produzierten Mengen stimmen genau. Es ist die Qualität, die, na, sagen wir, nicht ganz den Erwartungen ent spricht.« »Ja natürlich. Darauf haben mich schon gestern die französi schen Techniker hingewiesen. Was tun Sie also hier?« »Auch ganz einfach. Wir ersetzen die >fehlenden< verbrauch ten Brennelemente durch Attrappen, die mit gewöhnlichem Uran gefüllt sind.« Und gewöhnliches Uran war ohne große Schwierigkeiten zu beschaffen. »Nach dem Recycling«, fuhr der Iraner fort, »ergibt das Uran durchaus funktionelle Brennstäbe. Sie funktionieren eben nur zu 75 Prozent >normal<.« »Und die Inspektoren der IAEA geben sich damit zufrieden?« »Natürlich. Es sind ja schließlich vorwiegend >dumme< Ira ner, die dort beschäftigt sind. Was kann man von denen schon
erwarten? Mit der Zeit werden sie es noch lernen, so hofft man. Und dann werden auch die wiederaufbereiteten Brenn stäbe optimale Ergebnisse zeitigen.« »Wieviel Plutoniumoxid haben Sie hier gewonnen?« »180 Pfund bis Ende der vergangenen Woche«, antwortete Baraheni. »Und wieviel Endprodukt haben Sie?« Die Iraner sahen sich verwundert an. »Das sagte ich Ihnen doch schon«, antwortete Baraheni. »Das ist unser Endprodukt. Wir haben hier nicht mehr und nicht weniger getan als drüben in Khorramshahr.« Das Gespräch hatte eine Wendung genommen, die dem Gene ral nicht behagte. »Worauf wollen Sie hinaus?« fragte er und kniff die Augen zusammen. »Ich war nur neugierig«, antwortete Hartmann, »was den End verbrauch betrifft.« Welchem Endverbrauch das Material zugeführt werden sollte, war dem Schweizer ebenso klar wie den zwei Iranern, und alle drei wußten das. »Ich bin ganz sicher, daß Herr Tibrizi diese Neugier in der Schweiz befriedigt hat, Professor Hartmann«, erklärte General Khatami. »Also bitte beantworten Sie meine Frage. Was haben Sie an Plutoniumoxid auszusetzen?« »Es ist unwirksam.« »Aber Sie mißverstehen uns«, warf Baraheni ein. »Wir haben ohne jeden Zweifel waffengerechtes Plutoniumoxid. Sie kön nen es selbst testen.« »Das bezweifle ich nicht. Ich habe nicht behauptet, daß Sie mit dem Endprodukt, das Sie hier haben, keine Nukleargeräte bauen können. Ich fürchte nur, daß sie dem Detonationswert nach äußerst unwirksam sein werden.« Jetzt fuhr der General auf Baraheni los. »Sie Idiot! Es ist so, wie ich es immer vermutet habe!« Tatsächlich war es General Khatami gewesen, der den Schah davon überzeugt hatte, daß ein Fachmann aus dem Ausland geholt werden mußte. Die Wahl war auf Hartmann gefallen.
»Herr Professor«, fuhr Khatami fort und wandte Baraheni den Rücken zu, »was genau brauchen wir?« »Ich fürchte, das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen, Herr General. Ich weiß nur aus eigener Erfahrung - oder vielleicht sollte ich sagen, aus eigenen Berechnungen -, daß wahrschein lich eine weit intensivere Reinigung nötig sein wird. Diese wird die Menge an« - und nun suchte der Professor, der sich bei dieser Unterhaltung gezwungen sah, sich der englischen Sprache zu bedienen, krampfhaft nach den richtigen Wörtern. »>Bang< ist, glaube ich, das richtige Wort - an >Bang< >stret chen<, die Sie aus Ihren 180 Pfund einfachem Plutoniumoxid herausholen können.« Der Professor lächelte über seinen klei nen Ausflug in idiomatisches Englisch. »Wie viele Bomben können wir mit unserem Material in sei ner jetzigen Form herstellen?« fragte der General. »Nehmen wir eine ganz gewöhnliche Bombe als Beispiel eine Bombe von der Art, wie sie über Hiroshima abgeworfen wur de. Ihr Detonationswert betrug 15 Kilotonnen. Bei Verwen dung von einfachem Oxid würden Sie etwa 15 Pfund je Bom be brauchen. Über den Daumen gepeilt rechnet man ein Pfund für jede Kilotonne. Sie könnten also mit dem, was Sie hier haben, 12 Fünfzehn-Kilotonnen-Bomben herstellen - ein run des Dutzend. Aber wie gesagt, sie wären nicht sehr wirksam. Und auch nicht gerade sehr vielseitig verwendbar, möchte ich hinzufügen.« Eine Pause trat ein. »Welcher Verwendung gedachten Sie diese Waffen zuzufüh ren?« fuhr der Professor fort, das plötzliche Stillschweigen des persischen Generals munter ignorierend. Der Chef der iranischen Luftwaffe ließ sich mit der Antwort Zeit. Es hatte den Anschein, als rechne er im Geist schnell etwas nach. »Was verwenden Sie in der Schweiz?« fragte er. »Metall.« Das verstand der General nicht. »Nein«, sagte er, »ich meine, was verwenden Sie statt Plutoni umoxid als Kernmaterial für die Waffen?«
»Wie ich schon sagte«, erwiderte Hartmann, »Metall. Plutoni
ummetall.«
»Und das ist wirksam?«
»Durchaus. Unsere Erfolge damit waren äußerst befriedi
gend.«
»Wie produziert man ein solches Metall?« fragte Khatami.
Professor Baraheni versuchte jetzt zu unterbrechen. »Es ist
doch eine reine Vermutung, daß…«
»Schnauze!« Dies auf persisch.
Die drei hatten die ganze Zeit vor dem Schaltpult gestanden,
von wo aus sie durch das dicke Sicherheitsglas die Haupt
trennkammer der Reinigungsanlage überblicken konnten. Als
sie die donnernde Stimme des Generals in ihrer Muttersprache
hörten, zuckten die hier beschäftigten Techniker, die den ho
hen Besuch geflissentlich ignoriert hatten, sichtbar zusammen.
»Verzeihen Sie, Professor Hartmann«, fuhr Khatami fort,
»aber was Sie da sagen, beunruhigt mich außerordentlich. Wir
haben Terminpläne, die wir unbedingt einhalten müssen. Also
ich wiederhole: Können Sie mir sagen, was wir tun müssen,
um Plutoniummetall zu produzieren?«
»Sie brauchen dazu einen hochentwickelten Unterdruck
schmelzofen, der mit Azetylenruß als Reduktionsmittel arbei
tet.«
Das sagte dem General überhaupt nichts, aber Generäle sind es
gewohnt, Dinge zu hören, die sie nicht verstehen. »Wo können
wir einen solchen Ofen bekommen?«
»Das wird nicht leicht sein. Wir in der Schweiz haben uns
unseren eigenen gebaut.«
»Wie lange hat das gedauert?«
»Ein Jahr, wenn ich mich recht entsinne.«
»Ein Jahr! Das ist unmöglich!« rief der General.
»Da ist natürlich auch die Zeit für Forschung und Entwicklung
mit eingeschlossen.«
»Könnten Sie jetzt einen in der Schweiz bauen lassen? Und
würde das schneller gehen?«
»Vielleicht ja, vielleicht nein. Und ich weiß auch nicht, ob
meine Regierung bereit wäre, ein solches Gerät zu exportie ren.« Den Weg physikalischer Gerätschaften in die Schweiz zurückzuverfolgen, würde bedeutend leichter sein, als dem »Rat« nachzuspüren, den ein Besucher, ein Schweizer Wissen schaftler, den Iranern gegeben haben mochte. »Ja, ja«, murmelte Khatami, wieder tief in Gedanken versun ken. »Vielleicht können wir eine Lösung finden. Was wir brauchen - sofort brauchen -, Professor, sind die genauen Spe zifikationen für so einen…« »Schmelzofen. Unterdruckschmelzofen«, ergänzte Hartmann. »Wir geben Ihnen den nötigen Büroraum, Personal, was im mer Sie brauchen. Baraheni! Kümmern Sie sich darum! Jetzt gleich!« Der General sah auf die Uhr. »Ich muß zum Stützpunkt zu rück. Also, das wird jetzt Ihr Arbeitsplatz sein, Professor Hartmann. Natürlich werden Sie auch einige Zeit in der Anla ge in Khorramshahr verbringen wollen. Wir bleiben in Kon takt. Mittlerweile wird Baraheni Ihnen hier alles beschaffen, was Sie brauchen. Es ist wohl nicht nötig, Sie darauf hinzu weisen, daß unsere Gespräche - wie auch die Existenz dieser Anlage - streng geheim zu halten sind. Aber man hat mir ge sagt, Sie verstünden solche Dinge.« »Durchaus«, erwiderte Hartmann, Vater der Schweizer Atom bombe und potentieller Geburtshelfer der iranischen. In den nächsten Tagen arbeitete er an den Spezifikationen für den Schmelzofen; in den Wochen darauf skizzierte er ein paar neue Ideen, die er auf dem Bombensektor entwickelt hatte. Am Heiligen Abend des Jahres 1981 traf der Schmelzofen in einem Hercules-Transportflugzeug der iranischen Luftwaffe ein; auch der Azetylenruß fehlte nicht. Woher? Die Markie rungen auf den Kisten machten das bald klar: Sie waren auf englisch und hebräisch abgefaßt. Nach Lösung einiger techni scher Probleme hatte Professor Hartmanns Schmelzofen be reits gegen Mitte Januar die ersten zwanzig Pfund Plutonium produziert. Und der Bau der ersten iranischen Atombombe einer einfachen, wenn auch äußerst »wirksamen« Bombe
schritt zügig voran. Am 15. Januar gab Professor Hartmann General Khatami seinen Tätigkeitsbericht. Khatami flog per sönlich nach Teheran hinauf, um ihn dem Schah zu überrei chen. Er nahm auch Ursula Hartmann mit. Ein Tapetenwech sel würde ihr gut tun, hatte ihr Vater gemeint. Ein paar Tage Teheran, um Einkäufe zu machen, hatte der General vorge schlagen, wären genau das richtige.
16 Am Nachmittag des folgenden Tages traf ich in Teheran ein. Wir wurden ohne jede zeremonielle Förmlichkeit empfangen. Dies war kein Staatsbesuch. Die Saudis waren auf eigenes Verlangen und nicht auf Einladung des Schahs gekommen. Das merkte man an der Behandlung. Die Boeing 707 der sau diarabischen Luftwaffe wurde nicht zur Passagierabfertigung, sondern auf einen mindestens einen Kilometer entfernten Ab stellplatz neben der Frachtabfertigung geleitet. Gewiß, der saudiarabische Botschafter und seine Sekretäre waren da, auch der iranische Ministerpräsident Jamshid Amouzegar. Aber kein Schah. Amouzegar, ein arroganter Typ mit groben Zügen, erledigte die Begrüßung auf der Rollbahn, als die saudiarabi sche Delegation die Treppe herunterkam, aber das war auch alles. Wenn Kronprinz Fahd über diesen kleinen Bahnhof ver stimmt war, ließ er es sich nicht anmerken. Die Delegation teilte sich. Fahd und Yamani wurden Suiten in der saudiarabischen Botschaft angeboten, ihr Personal in nicht näher definierte Quartiere gebracht. Für Reggie und mich hatte man Zimmer im Hilton reserviert, was Reggie in Ordnung fand und mir ebenfalls sehr recht war, weil ich mich für diesen Abend mit Ursula Hartmann verabredet hatte. Es war nicht leicht gewesen, diese Verabredung zu treffen. Ursula hatte mir die schweizerische Botschaft in Teheran als Adresse angegeben, aber es gehört nun mal nicht zu meinen Gewohnheiten, jungen Damen zu schreiben, um sie um ein Rendezvous zu bitten. Also rief ich einfach an. »Einfach« ist allerdings eine gewaltige Untertreibung. Von Riyadh aus ir gendeine telefonische Verbindung herzustellen, war mühevoll; von Riyadh aus Teheran zu erreichen, ein kühnes Unterfangen ; und der Botschaft der Schweiz eine Information, gleich wel cher Art, zu entlocken, so gut wie unmöglich. Die Schweizer sind das argwöhnischste und zugeknöpfteste Volk der Erde. Im Gegensatz zu ihnen sind die Rotchinesen warmherzig und geschwätzig. Ich kam keinen Schritt weiter. Mittlerweile war
es Januar geworden. Mittlerweile war aber auch offiziell ver lautbart worden, daß ich jetzt das Amt eines persönlichen Fi nanzberaters Kronprinz Fahds bekleidete. Also bat ich den Schweizer Botschafter in Saudiarabien - einen gewissen Dr. Werner Vetterli -, mich doch einmal, wann immer es ihm paß te, zu besuchen. Schon am nächsten Morgen war er da; um 8.15 Uhr früh! Ich machte vage Andeutungen von ein paar Milliarden, die der Schweiz ins Haus stünden - vage in bezug auf Zweck, Zeitpunkt und Ursache - und erwähnte dann ganz nebenbei, daß er mir eine kleine persönliche Gefälligkeit er weisen könnte. Mittags rief er an und gab mir die Adresse und die Telefonnummer in Khorramshahr. Nachmittags kam ich durch. In Anbetracht der heiklen Tätigkeit, die ihr Vater im Iran ausübte, erscheint es mir rückblickend seltsam, daß ich tatsächlich durchkam. Andererseits war es ja jahrelang die einfachste Sache der Welt, aus London oder Paris oder San Francisco jemanden in Moskau anzurufen und offen mit ihm zu sprechen - vorausgesetzt, man wußte seine Nummer. Bis sie dann Jahre später draufkamen. Was, zumindest für meine Be griffe, beweist, daß Geheimdienste sehr wahrscheinlich die überschätztesten Einrichtungen unseres Jahrhunderts sind. Jedenfalls war sie froh, daß ich anrief. Und sie sagte, daß sie ihr möglichstes tun werde, um zu dem Rendezvous in Teheran zu kommen. Wo wollten wir uns treffen? Wieder versprach sie, mir Nachricht in der Botschaft zu hinterlassen. Womit ich mich widerstrebend einverstanden erklärte. Kaum waren Reggie und ich im Teheran Hilton eingezogen, rief ich die Botschaft an. Und Wunder über Wunder, sie hatten eine Nachricht für mich. Sie wohnte im Hotel Ambassador. Und als ich im Ambassador anrief, war sie da - und wollte mich gleich sehen. Das Ambassador war ein nettes kleines Hotel mit Stil, wie das Algonquin in New York oder Browns in London - Hotels, in denen Damen sich wohlbehütet fühlen, in der Halle ihren Tee schlürfen oder in der Bar einen Drink nehmen können, ohne Belästigungen fürchten zu müssen. Ihre Ledertasche von Her
mes auf dem Schoß, saß Ursula in der Halle. In ihrem Win termantel und ihren schwarzen Handschuhen sah sie sehr un nahbar aus. Ihre herrliche Sonnenbräune paßte ausgezeichnet zu ihrem schwarzen Haar. Hübsch. Ich weiß nicht, wie es möglich ist, so durcheinander zugeraten, wenn man von schwarzen Lederhandschuhen berührt wird, aber als sie meine Hände in die ihren nahm, ging es mir so. »O Bill«, sagte sie, »ich bin so froh, dich zu sehen.« Ich hasse Gefühlsdemonstrationen jeglicher Art, aber aus ei nem mir unbekannten Grund störte es mich überhaupt nicht, daß sie Tränen in den Augen hatte. »Gehen wir ein wenig spazieren«, schlug sie vor. Also traten wir Arm in Arm in die Abenddämmerung hinaus, die in Teheran im Januar schon sehr früh anbricht. In der Stoßzeit, die dort schon um vier Uhr nachmittags einsetzt, herrscht Chaos auf den Straßen. Ein endloser Strom von Wa gen und schäbigen, als Omnibusse betriebenen Taxis, alle vollgestopft mit Menschen, ergießt sich aus der Stadtmitte in die breit hingelagerten Vororte. Auch auf den Gehsteigen drängen sich die Menschen - Männer, Frauen und Schulkinder in ihren Uniformen -, die es schrecklich eilig haben, irgend wohin zu gelangen. Eine Art Hochstimmung liegt in der Luft, so wie um fünf Uhr in der Fifth Avenue in New York, um sieben in Madrid oder noch später auf der Ginza in Tokyo. So häßlich Teheran auch war, ich fühlte dort die gleichen Schwingungen. Nach Ursulas Aufenthalt in Khorramshahr und den vielen Wochen, die ich in Riyadh zugebracht hatte, ver setzte es uns beide in eine Art Jubelstimmung. Die kalte fri sche Atmosphäre Teherans im Winter erweckte weihnachtli che Gefühle. Es kann natürlich auch sein, daß die Zeit meine Erinnerungen an jenen Abend ein wenig verzerrt hat. Viel leicht lag es einfach nur daran, daß Ursula da war und daß Ursula sich verändert hatte. Wie ein kleines Mädchen bestand sie darauf, in eine Bäckerei zu gehen und das persische Äquivalent eines Pfannkuchens zu kaufen. Die nächste Station war ein Spielzeugladen, wo sie
eine Puppe erstand. Dann blieben wir vor einigen Lichtspiel
theatern stehen und versuchten an Hand der Plakate - alle auf
persisch - zu erraten, welchen Film sie wohl drinnen spielten.
Wir kamen zu dem Schluß, daß Doris Day und Cowboyfilme
im Iran immer noch großen Anklang fanden.
»Weißt du, daß ich an dich gedacht habe?« sagte sie plötzlich,
während wir uns durch die Menge drängten.
»Ach ja?«
»Um die Wahrheit zu sagen, seit Zürich habe ich jeden Tag an
dich gedacht«, stellte sie fest.
»Hm.«
»Stört dich das?«
»Um Himmels willen, nein.«
»Bist du sicher?«
»Natürlich bin ich sicher. Glaubst du vielleicht, daß mir dein
hübsches kleines Gesicht nicht auch hin und wieder durch den
Kopf gegangen ist?«
»Meinst du das ehrlich?«
»Ja. Ich meine es ehrlich. Sehr ehrlich.«
Die behandschuhte Hand spannte sich um meinen Arm. »Wie
alt bist du?«
»Äh…« und ich verstummte, weil - und das ist die reine
Wahrheit! - ich immer vergesse, wie alt ich bin. Ich muß auf
mein Geburtsjahr zurückgehen und es mir ausrechnen. Jetzt
schrieben wir den Januar 1982, und darum: »Fast 48.«
»Ich bin 34. Ist das zu alt?«
»Natürlich nicht. Wenn einer zu alt ist, bin ich es.«
»Bill.«
»Ja.«
»Was war deine Frau für ein Mensch?«
»Ein Luder.«
»Wie lange wart ihr verheiratet?«
»Ist das wichtig?«
»Ist es dir unangenehm?«
»Überhaupt nicht. Laß mal sehen - 19 Jahre.«
»Keine Kinder?«
»Nein. Gott sei Dank.«
»Warum? Magst du keine Kinder?«
»O doch. Aber nicht von Anne.«
»So hieß sie?«
»Ja.«
»Ich mag Kinder.«
»Du lieber Himmel, ich auch!«
»Möchtest du noch Kinder haben?«
»Das hängt davon ab.«
»Wovon?«
»Von vielen Dingen.«
»Möchtest du von mir Kinder haben?«
Das war genau die Art von Geplapper, auf das ich mich nie
eingelassen habe. Es konnte eine Katastrophe auslösen. Aber
an jenem Abend in Teheran…
Plötzlich verhielt sie den Schritt. »Bill, ich muß dir etwas sa
gen.« Wir standen einander gegenüber. Ihr Gesicht war ernst.
»Was?« mit Hangen und Bangen.
»Diese Nacht in Rom. Ich weiß nicht, was in mich gefahren
ist. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so etwas
Dummes, so etwas Verrücktes getan. Es war Wahnsinn.
Glaubst du mir?«
»Ja.« Ich glaubte ihr, und sie wußte, daß ich ihr glaubte. Dann
stellte sie sich auf die Zehen, schlang ihre Arme um mich und
küßte mich. Inmitten von mindestens zehntausend Persern!
Wir gingen weiter. »Bill«, fragte sie, »glaubst du an eine höhe
re Bestimmung?«
»Doch, manchmal.«
»Ich glaube daran.«
»Denkst du an etwas Spezielles?«
Sie kicherte. »An dich«, antwortete sie.
»Warum an mich?«
»Willst du die Wahrheit hören?«
»Natürlich.« Und ich wollte sie hören.
»Ich glaube, daß ich seit 34 Jahren auf dich warte. Ich weiß,
daß eine moderne Frau solche Dinge nicht sagen sollte. Stört
es dich?«
»Nein.«
»Und du…?«
»Ich denke schon, ja. Ursula?«
»Ja.«
»Wie kommt es, daß du nie geheiratet hast?«
»Ich weiß es wirklich nicht. Wahrscheinlich darum, weil ich
nie einen Mann kennengelernt habe, den ich hätte heiraten
wollen.«
»Hast du nie Liebhaber gehabt oder wie man das heute
nennt?«
»Natürlich. Mit einem habe ich sogar fast ein Jahr zusammen
gelebt.«
»Ach ja?«
»Ja. Als ich in Lausanne an der Universität studierte.«
»Und was geschah?«
»Nichts geschah. Das war ja das Problem. Im Bett ging es eine
Weile hoch her, aber sonst passierte nichts. Stört dich das?«
»Um Himmels willen, nein.« Und dann: »Wovon hat er ge
lebt?«
»Bill - seitdem sind neun Jahre vergangen. Er hat Medizin
studiert. Ich habe nichts mehr von ihm gehört.«
»Und nachher?«
»Das war alles.«
»Na hör mal.«
»Es ist wahr. Bis Rom.«
»Und warum gerade in Rom?«
»Weil ich dich zuerst haßte. Und dann verliebte ich mich in
dich.«
»Ich… na ja, ich glaube, bei mir war es ähnlich.«
Das war genug. Wozu noch mehr sagen? Wir wußten beide,
daß etwas, das ganz zufällig in Rom begonnen hatte, an jenem
Abend in Teheran »geschehen« war - beiderseits mit Absicht.
Ich sah auf die Uhr, - eigentlich ohne Grund. Aber es beunru
higte Ursula.
»Hast du was?«
»Nichts. Ich wollte nur wissen, wieviel Uhr es ist.«
»Du mußt doch nicht schon gehen?«
»Nein, nein. Aber sogar wenn ich gehen müßte, das würde
doch jetzt nichts mehr ausmachen, nicht wahr?«
Sie strahlte. »Nein. Würde es dich stören, wenn ich Liebling
zu dir sagte?«
»Ja.«
»Weißt du, wie wir in der Schweiz sagen?«
»Nein.«
»Schatzi. So hat Mutter immer meinen Vater gerufen.«
»Hör mal, ich hab dich gar nicht nach deinem Vater gefragt.
Wie geht es ihm?«
Ein Fehler.
»Was ist denn?« fragte ich. »Ist er krank?«
»Nein. Krank ist er nicht.«
»Wo ist er? Im Hotel?«
»Nein. In Khorramshahr.«
»Hör mal«, fuhr ich fort, »wenn es mich nichts angeht…«
Wieder drückten beide Hände meinen Arm. »Ich möchte, daß
alles, was mich betrifft, auch dich angeht. Wenn du…«
Zwei Schritte vorwärts, einen Schritt zurück.
»Ursula« - und diesmal war ich es, der uns beide zum Stehen
brachte - »ich dachte, das wäre eine ausgemachte Sache?« Ich
war es jetzt, der in ihren Augen forschte. Und ich, der sie küß
te. Zum Teufel mit den Iranern!
»Bill«, sagte sie dann, »ich glaube, ich brauche dich ganz
schrecklich.«
»Nun, ich denke, du hast mich.«
Und wir gingen weiter nach der Stadtmitte von Teheran zu,
mindestens fünf Minuten lang in tiefem, beglückendem
Schweigen.
»Und jetzt«, sagte ich schließlich, »was ist in Khorramshahr
schiefgegangen?«
»So wie du das meinst, ist nichts schiefgegangen. Ich habe nur
meinen Vater noch nie so gesehen.«
»Wie: so?«
»Verschlossen. Er redet nicht mehr mit mir. Am ersten Abend
oder an den ersten zwei Abenden, ja. Aber dann immer weni
ger und weniger. Entweder ist er im Werk und arbeitet, oder
zu Hause; dann sitzt er in einer Ecke im Wohnzimmer. Mit
seiner Pfeife. Oft bis spät in die Nacht. Allein.«
»Warum fragst du ihn nicht einfach?«
»Das habe ich versucht. Vor etwa zwei Wochen. Kurz bevor
du angerufen hast.«
»Und?«
»Er sagte mir, daß ich es nicht verstehen würde. Daß meine
Mutter es vielleicht verstanden hätte.«
»Wie alt ist er?«
»65. Aber das ist es nicht. Er ist nicht senil. Ganz im Gegen
teil. Er benimmt sich wie… wie ein Getriebener.«
»Was genau macht er hier in Persien?«
»Ich weiß es nicht genau. Er spricht nicht mehr darüber. Ich
habe Uri gefragt, als er da war. Und er hat mir nahegelegt -
nicht sehr höflich, das muß ich sagen -, meinen Vater in Frie
den zu lassen und mich nicht in seine Arbeit einzumischen.«
»Uri?«
»Du kennst ihn, Bill. Professor Ben-Levi.«
Sicher kannte ich ihn: den witzigen, flotten, gut aussehenden
Israeli aus Zürich. In meinem Kopf begann ein Räderwerk zu
laufen. Und Ursula fühlte die Schwingungen.
»Sei nicht dumm, Bill«, sagte sie.
»Was meinst du, dumm?«
»Er bedeutet mir überhaupt nichts.«
»Ach ja?«
»Ach ja.«
»Was zum Teufel treibt er dann in Khorramshahr?«
»Es gab da ein Problem mit irgendwelchen Maschinen. Mit
einem Unterdruckschmelzofen. Er kam nur, um ihn in Ord
nung zu bringen.«
»Und wieso der gute alte Uri? Ich dachte, er wäre ein Israeli?«
»Das ist er. Man hat hier keine Vorurteile gegenüber den Ju
den. Ob sie nun Schweizer sind oder Israelis.«
Du lieber Himmel, dachte ich, ich hoffe nur, wir kommen
nicht wieder auf dieses Thema zurück. »Das verstehe ich
nicht«, sagte ich. »Was ist denn das große Geheimnis da un
ten?«
Was einige Minuten Schweigen nach sich zog.
»Hör mal«, fuhr ich fort, »bist du auch ganz sicher, daß dein
Vater nicht in irgendeine komische Sache verwickelt ist?«
Ich streifte Ursula mit einem Blick, aber diesmal mieden ihre
Augen die meinen.
»Was ist denn eigentlich der offizielle Grund für seine Anwe
senheit hier?«
»Er ist Berater. Er arbeitet für Roche-Bollinger. Sie bauen
Atomreaktoren. Er ist da, um eine Projektstudie für den Bau
von zwei schweizerischen Reaktoren auszuarbeiten.« Eine
gerade Antwort. Aber ihre Stimme klang plötzlich ganz flach.
»Ist er in der Schweiz auch noch für andere Stellen als Berater
tätig?«
»Natürlich. Er ist ein sehr tüchtiger Physiker.«
»Das ist mir klar.«
»Worauf willst du dann hinaus?«
»Okay. Ohne Umschweife: Berät er auch die schweizerische
Regierung?«
»Ja.«
»Das Militärdepartement?«
Eine lange Pause. »Ja«, mit leiser Stimme. Dann: »Nein!«
»Woher willst du das so genau wissen? Vielleicht ist es das,
was ihm Unbehagen bereitet«, sagte ich.
»Nein. Er ist kein Gefangener. Wir unterliegen hier keinem
Zwang.«
»Ich wollte damit auch nicht sagen, daß er unter Druck steht.«
»Das würde auch keinen Sinn ergeben. Ich kenne meinen Va
ter.«
»Vielleicht nicht so gut wie du denkst. Wie war das, was du da
eben in bezug auf deine Mutter sagtest?«
Sie wiederholte es.
»Klingt dir das plausibel?« fragte ich.
»Ja«, antwortete sie mit noch leiserer Stimme. »Ihretwegen haßt er die Deutschen wie die Pest. Von dem Tag an, als sie heirateten, hat er - und sie bis - zu ihrem Tod nie wieder deut schen Boden betreten. Heute haßt er die Araber noch mehr.« Da hatten wir’s. Natürlich hatte sie es gewußt. Aber es war ihr schwergefallen, es sich einzugestehen. »Hat er für die Schweiz am Bau von Atomwaffen mitgearbei tet?« Mittlerweile waren wir nun schon eine volle halbe Stunde unterwegs. Wir hatten die Stadtmitte erreicht und waren daran, sie wieder zu verlassen. Ich kann mich nicht erinnern, daß mich jemals etwas in einer so kurzen Zeitspanne so sehr bis ins Innerste aufgewühlt hätte. »Bill«, erwiderte sie, und nun schwang ein flehentlicher Ton in ihrer Stimme, »bitte verlange nicht von mir, dir darauf zu antworten.« »Okay.« Und ich legte meinen Arm um ihre Schulter. »Hör mal«, fuhr ich fort, »wir wollen das Thema für den Augen blick lassen. Aber…«, widersprach ich mir selbst, »… wenig stens verstehe ich jetzt eines.« »Was?« »Das Verbindungsglied zu Israel. Dein Freund Professor BenLevi!« »Er ist nicht mein Freund. Er übt seit Jahren einen sehr starken Einfluß auf meinen Vater aus. Einen viel zu starken Einfluß. Und keinen guten. Unter der glatten Fassade ist Ben-Levi ein sehr gewalttätiger Mann.« »Hast du etwas mit ihm erlebt?« »Ja. Und ich möchte auf keinen Fall darüber reden. Es ist nichts geschehen, Bill.« Und nun rollten richtige Tränen über ihre Wangen. »Ursula«, sagte ich, »laß uns heimgehen.« Wie durch ein Wunder fanden wir ein freies Taxi, und es ge lang uns sogar, es zum Ambassador zurückzudirigieren. Als wir in ihr Zimmer traten, war es bereits völlig dunkel. Wir drehten das Licht erst gar nicht an.
Reggie wartete schon, als ich am nächsten Morgen gegen neun ins Hilton zurückkehrte; besser gesagt, er ging nervös in der Halle auf und ab. »Wo zum Teufel hast du gesteckt, Bill? In einer Stunde sollen wir in der Botschaft sein!« »Kein Grund zur Sorge, Reggie. Ein geselliges, Beisammen sein, das sich ein wenig in die Länge gezogen hat.« Ich duschte und rasierte mich und legte meinen besten Ban kiersanzug mit Weste an. Ich war ein wenig müde. Anderer seits hatte ich ja seit meiner Ankunft im Iran keinen Tropfen getrunken und daher auch nicht die leiseste Spur eines Katers. Alles in allem gesehen war ich weit besser in Form, als die meisten Banker es sind, wenn sie auf Geschäftsreisen gehen. Aber ich war auch ein wenig nervös. Wenn ich nervös bin, rauche ich. Bevor noch der halbe Vormittag vorbei war, hatte ich ein ganzes Päckchen Winston geraucht. Was durchaus verständlich war, denn der heutige Tag im Leben William H. Hitchcocks würde kein Tag sein wie alle anderen. Um Punkt zehn trafen Reggie und ich in der saudiarabischen Botschaft ein. Minuten später erschienen Fahd und Yamani in Gesellschaftskleidung. Im Mercedes 600 hatten wir reich lich Platz. Eine Viertelstunde später fuhren wir durch das Tor des Palastes des Schahs von Persien. Sein Protokollchef erwar tete uns am Fuß der Treppe zum Haupteingang. Er führte uns unverzüglich in den Palast, durch eine Eingangshalle und in einen im Louis-XVI-Stil prächtig eingerichteten Empfangs saal. Der Schah stand in der Mitte des Raumes, flankiert von seinem Ministerpräsidenten Amouzegar und zwei Sekretären. Der Kronprinz und der Schah schüttelten sich die Hände. Der Protokollchef tat seine Pflicht und stellte uns vor. Dann ver beugte er sich vor dem Schah und verließ, nach rückwärts schreitend, den Saal. Der Schah geleitete uns zu einer großen Sitzgarnitur und lud Fahd ein, es sich auf einem Stuhl zu sei ner Linken bequem zu machen. Allen anderen blieb es über lassen, sich selbst einen Platz auf den drei Sofas zu suchen, die gegenüber diesen zwei Persönlichkeiten ein U bildeten. Ya mani und Amouzegar teilten sich die Sitzbank zur Rechten des
Schahs. Reggie und ich nahmen das Sofa zur Linken von Kronprinz Fahd. Für die zwei iranischen Adjutanten blieb nur das untere Ende der Sitzordnung übrig. Es spielte keine Rolle. Während der ganzen Audienz sprach keiner der beiden auch nur ein Wort. Reggie übrigens auch nicht. »Eure Majestät«, begann Fahd - es wurde englisch gesprochen -, »wir fühlen uns tief geehrt, von Ihnen empfangen zu wer den.« »Eure Hoheit«, erwiderte der Schah von Persien, »auch mir ist es eine Ehre, Sie auf iranischem Boden zu empfangen.« Wo mit er seinen und Fahds Rang in die korrekte Perspektive rückte, die eines Kaisers, der das Wort an einen bloßen Kron prinzen richtete. »Wenn es Ihnen recht ist«, fuhr Fahd fort, »möchte ich gleich auf den Zweck unseres Besuches zu sprechen kommen, dem Sie auf so liebenswürdige Weise zugestimmt haben.« »Ich bitte sehr«, antwortete Pahlavi. Kein Zweifel: Der Mann wußte sich Respekt zu verschaffen. In der kerzengeraden Hal tung eines englischen Brigadiers saß er da, sprach in perfekt artikuliertem Englisch, und auf seinem Gesicht zeigte sich nicht die leiseste Spur einer Regung. Fürwahr ein harter Kno chen. »Seine Majestät König Khalid und der gesamte Königliche Ministerrat«, sagte Fahd, »haben mich beauftragt, Sie davon in Kenntnis zu setzen, daß Saudiarabien es für nötig hält, seine Politik in bezug auf die zukünftige Preisbildung des Rohöls zu ändern.« »Ich verstehe«, sagte Pahlavi. »Und das ist der einzige Zweck Ihres Besuches?« »Ja«, antwortete Fahd. »Dann, fürchte ich, gibt es wirklich nichts, worüber wir reden könnten.« Fahd enthielt sich einer Antwort. Yamani blieb stumm. Amouzegar blieb stumm. Und keiner rührte sich. Das ging eine gute Minute so. Der Schah hatte einen durchdringenden Blick auf Fahd gerichtet und schien es darauf angelegt zu ha
ben, ihn aus der Fassung zu bringen. Aber er hatte einen eben bürtigen Gegner gefunden, denn schließlich war er es, der das Schweigen brach, das so unheilverheißend geworden war, daß meine Hände nicht feucht, sondern richtig naß geworden wa ren. »Ich denke«, sagte der Schah, »Sie haben mich verstanden.« »Das habe ich in der Tat, Eure Majestät«, erwiderte Fahd, ohne auch nur ein einziges Wort hinzuzufügen. Der Schah wollte sich nicht wieder in der Falle drückenden Schweigens fangen lassen. »Sie sind offenbar schlecht beraten, wenn ich das sagen darf. Von Ihrem Scheich Yamani - und von den anderen da.« Mit einer lässigen Handbewegung wies er in Reggies und meine Richtung. »Meine Auffassung ist ja bekannt. Für Diskussionen in bezug auf die Preisfestsetzung des Rohöls gibt es ein Forum und nur ein Forum. Das ist die OPEC. Wenn Sie eine Sondersitzung der OPEC-Minister ein zuberufen wünschen, ist das Ihr gutes Recht. Ich werde dabei allerdings nicht vertreten sein. Weil es nichts zu diskutieren gibt. Wir haben uns alle auf eine Formel geeinigt, wie wir die Preise bestimmen wollen. Sie werden im gleichen Maß erhöht wie die Preise im Westen. Das sind in diesem Jahr 15 Prozent. Das ist ihre Inflationsrate. Sie sind es, nicht wir, die diese ständigen Steigerungen notwendig machen.« »Eure Majestät«, erwiderte der Kronprinz von Saudiarabien, »Sie befinden sich in einem großen Irrtum, wenn Sie meinen, ich wäre schlecht beraten. Wir haben viel Mühe und Zeit auf diese Sache verwendet und haben, glaube ich - mit Hilfe dieser Herren - eine neue Ölpolitik entwickelt, die sich, auf lange Sicht gesehen, als richtig erweisen wird.« »Außerhalb der OPEC-Politik gibt es keine Ölpolitik«, erklär te Pahlavi. »Und die OPEC-Politik ist ein für alle Male festge legt und bedarf keiner Korrektur.« »Unsere neue Politik«, fuhr Fahd fort, als ob der Schah über haupt nichts gesagt hätte, »beruht auf unserer Überzeugung, daß sich die Wirtschaft der westlichen Welt in einem sehr anfälligen Zustand befindet und daß es im Interesse aller öl
produzierenden Länder liegt, eine Verbesserung dieser Lage anzustreben.« »Anfällig!« rief der Schah. »Wer erzählt Ihnen diesen Unsinn? Diese zwei Amerikaner? Wir haben von ihnen gehört. Ihr Mr. Hamilton und Ihr Mr. - Verzeihung - Dr. Hitchcock. Glauben Sie wirklich, daß diese Leute fähig sind, unsere Interessen zu vertreten? Wir wissen doch, wer ihre Herren sind, ihre wirkli chen Herren: Exxon, Shell, BP, Chase Manhattan, die Bank of America und die Rothschilds.« Er sah mich an, und ich erwiderte seinen Blick, indem ich eine Augenbraue hochzog. So ein Hurensohn! Fahd ignorierte diese Aufwallung, was ich ihm hoch anrechne te. »Saudiarabien beabsichtigt daher«, fuhr der Kronprinz fort, »den Preis seines Rohöls auf mindestens zwei, wahrscheinlich sogar drei Jahre einzufrieren. Das heißt, daß wir unsere För derleistung beträchtlich erhöhen werden.« »Das ist doch Wahnsinn!« protestierte Amouzegar. »Damit zerstören Sie alles, was wir seit 1973 aufgebaut haben.« »Nein«, entgegnete Yamani, der jetzt zum ersten Mal das Wort ergriff. »Wir werden genau das Gegenteil tun. Sie haben uns alle einer Katastrophe entgegengeführt, Amouzegar. Da mit ist Schluß. Die Welt braucht eine Atempause. Und wir werden sie ihr geben.« Was einen Wutausbruch des Schahinschah zur Folge haben würde, dachte ich. Aber nein. Statt dessen kam eine ruhige maßvolle Frage, würdig eines Mannes, der sich trotz aller sei ner Fehler als der Welt größter Ölstratege erwiesen hatte. »Sagen Sie mal, Yamani«, fragte Reza Pahlavi, »wie wollen Sie das eigentlich anfangen? Wollen Sie sich dem Markt aus liefern?« »Nein«, antwortete Yamani in seinem eleganten Englisch. »Natürlich nicht. Es liegt nicht in unserer Absicht, ein Chaos auf den Weltmärkten auszulösen. Höchstwahrscheinlich wer den wir langfristige Lieferverträge mit einigen der großen Verteiler abschließen.« »Mit den Amerikanern?«
»Sehr wahrscheinlich.«
»Ich verstehe. Auf Kredit?«
»Nein«, antwortete Yamani. »Gegen Barzahlung.«
»Dollar.«
»Ja.«
Die Finger des Schahs begannen auf der Armlehne seines Ses
sels zu trommeln. Die Rechenmaschine im kaiserlichen Schä
del kam auf Touren. »Und bei einer so >anfälligen< Weltwirt
schaft - wie Sie es ausdrücken, und ich muß wohl annehmen,
daß Sie, wenn Sie von Weltwirtschaft sprechen, die Vereinig
ten Staaten meinen - wollen Sie Ihre Einkünfte in Dollar anle
gen?«
»Ihre Annahme dürfte zutreffen.«
»Ich verstehe.« Und dann: »Dr. Hitchcock - übrigens haben
wir uns nicht vor einigen Jahren in London kennengelernt?«
»Ja. Im Savoy.«
»Ja, ja. Ich erinnere mich. Sagen Sie mir, wie wird sich das
alles auf den Devisenmärkten auswirken?«
»Zweifellos wird es eine wesentliche Stärkung des Dollar zur
Folge haben, Eure Majestät«, antwortete ich.
»Und das Pfund?«
»Schwer zu sagen.«
»Die Lira?«
Ich grinste und zeigte mit dem Daumen nach oben.
»Interessant«, sagte er. »Was würden Sie mir raten, Dr. Hitch
cock? Wo sollte ich dieses Jahr unser Vermögen anlegen?«
»Eure Majestät, auch Sie müssen einen Freund bei der Chase
Manhattan haben. Warum fragen Sie ihn nicht?«
»Touche, Hitchcock«, gab er zurück und beugte sich zu Fahd
hinüber. »Ich habe mich geirrt. Ich glaube, Sie haben da einen
guten Mann.«
Dann lehnte er sich zurück, hob aus irgendeinem Grund den
Finger und sagte zu Fahd: »Aber eines wundert mich. Warum
erzählen Sie mir das alles?«
»Auf Grund der langen und traditionellen Freundschaft, die
unsere zwei Nationen verbindet«, erwiderte Fahd mit unbe
wegtem Gesicht. »Wir haben nicht den Wunsch, Ihnen oder Ihrem Land Schwierigkeiten zu bereiten. Wir bewundern die Entwicklung Ihrer Nation unter Ihrer Führung. Wir sind über zeugt, daß unsere neue Ölpolitik Ihre Pläne für die Weiterent wicklung in keiner Weise stören wird. Ganz im Gegenteil. Wir sind in Frieden gekommen, um mit unserem Besuch zu de monstrieren, welchen Wert wir auf Ihre Freundschaft legen.« »Ich danke Ihnen für die edle Gesinnung, die aus Ihren Worten spricht, Eure Hoheit«, antwortete Pahlavi. »Aber Sie müssen verstehen, daß mich Ihre Pläne beunruhigen, wenn ich an mein Volk denke. Mein Volk und sein Herrscher sind so eng mit einander verbunden, daß sie sich wie die Mitglieder einer ein zigen Familie fühlen. Sie haben vor mir den gleichen Respekt, wie Kinder ihn vor ihrem Vater zu haben pflegen. Mein Volk erwartet von mir, daß ich ihm helfe und es beschütze. Ich bin nicht der Meinung, daß Ihre neue Politik sich zu seinen Gun sten auswirken wird. Aber ich respektiere die Entscheidung, die Ihr König, Sie selbst und Ihre Familie getroffen haben. Daher danke ich Ihnen für Ihren Besuch und bete zu Allah, er möge Ihnen eine sichere Heimkehr gewähren.« So wahr mir Gott helfe, das waren seine Worte. Damit erhob sich der Schahinschah des Iran, reichte seine Hand Fahd und dann der Reihe nach uns allen. Zu mir sagte er: »Lassen Sie es bitte meine Leute wissen, wenn Sie das nächste Mal im Iran sind. Ich möchte gern mehr von Ihren Ansichten über die Finanzmärkte hören.« Was er doch für ein Charmeur sein konnte! Und ich will ehr lich sein: Es war mir nicht unangenehm, mir vom Schah von Persien schmeicheln zu lassen. Der Kronprinz lud Reggie und mich ein, mit ihm und Yamani in der saudiarabischen Botschaft den Lunch einzunehmen. Und nachdem wir gegessen hatten, faßte er zusammen: »Ich glaube, meine Herren«, begann er, »es war ein nützliches Gespräch. Mit unserer Freimütigkeit haben wir die Achtung, die wir ihm entgegenbringen, deutlich zum Ausdruck ge bracht. Es würde ihm jetzt jede Rechtfertigung fehlen, Repres
salien gegen uns zu ergreifen. Und das ist wichtig, glaube ich. Der Schah legt großen Wert auf Legitimität. Er hat noch nie eine Maßnahme getroffen, ohne sicher zu sein, die Welt von ihrer Rechtmäßigkeit überzeugen zu können. Wir haben ihm keinen Anlaß gegeben. Jetzt müßten wir in aller Eile sicher stellen, daß wir, wenn er einen Anlaß findet - und ich kenne den Mann, er wird einen finden -, militärisch in der Lage sind, seinem Druck zu widerstehen. Sie haben ja gehört, wie er an fangs reagiert hat. Er war nahe daran, sich zu einem Affront gegen meine Person und damit gegen meine Regierung hinrei ßen zu lassen, der zu einem sofortigen und offenen Bruch hätte führen können. Dann steckte er zurück. Was ihn dazu bewo gen hat, werden wir vielleicht nie erfahren. Aber wenigstens haben wir Zeit gewonnen.« Eine Stunde später trat Fahd in der Boeing 707 der saudiarabi schen Luftwaffe den Rückflug nach Riyadh an. Die innenpoli tische Lage war zu gespannt, als daß er länger als nötig hätte fortbleiben wollen. Yamani, Reggie und ich hatten einen Lini enflug nach London gebucht. Vom Flughafen rief ich Ursula an. Sobald es meine Zeit er laubte, wollten wir uns wiedersehen. Aber nicht im Nahen Osten. In St. Moritz, um dort tagsüber Schi zu fahren und die Nächte in Zweisamkeit zu verbringen. »Bist du glücklich?« fragte sie dann. »Natürlich bin ich glücklich. Es sind ja nur ein paar Monate.« »Das habe ich nicht gemeint. Ich meinte, mit deinen Gesprä che heute Vormittag.« »Mit dem Schah?« »Ja.« »Tja, ich denke schon. Es ist sehr schwer, diesen Mann zu durchschauen. Aber ich glaube, es ging ganz gut aus.« »Also kein Ärger?« »Ärger?« »Hier im Nahen Osten.« »Nein. Zumindest nicht jetzt.« Eine kleine Pause. »Bill, ich habe heute mit Vater gesprochen.
Er klang wieder besser.« »Ich freue mich, das zu hören.« »Aber vielleicht nur, weil er nicht allein war. Uri Ben-Levi war bei ihm.« »Hast du auch mit ihm gesprochen?« »Ja. Aber ganz kurz. Ich mußte mit ihm sprechen, wegen Va ter.« »Verstehe.« »Bill?« »Ja.« »Wirst du mir schreiben?« Ich antwortete ihr, daß ich nicht schreiben, aber auf jeden Fall telefonieren würde. Reggie klopfte mir auf die Schulter und meinte, Yamani würde allein fliegen, wenn ich nicht aufhinge und mich beeilte. Wir rasten über die Rollbahn und schafften es. Da nun auch noch Ben-Levi um sie herumschnupperte, war es mir recht zuwider, Ursula allein zurückzulassen, aber anderer seits konnte ich es kaum noch erwarten, nach London und dann nach New York zu kommen, um in den dortigen Finanz kreisen eine der größten Bomben des Jahrhunderts einschlagen zu lassen. Doch in meinen verborgensten Gedanken, die gar so verborgen nicht waren, schloß ich nicht aus, daß an Bomben anderer Art gebastelt werden könnte, und die waren vielleicht das Werk des Vaters meiner Freundin. Ausgerechnet! Ich wußte, was ich wußte, und wie es so schön heißt, Wissen ist Macht.
17 Die Empfangshalle für VIPS hatte Hochbetrieb, als wir in Hea throw ankamen. Auch ein Mann vom Außenministerium war gekommen, obwohl das Foreign Office von unserem Besuch nicht informiert war. Yamani war leicht verstimmt. In zwanzig Minuten brachte uns der Rolls ins Claridge. Mr. Lund Hansen, der lange Däne, der das Hotel seit 1949 leitete, ließ es sich nicht nehmen, uns willkommen zu heißen. Es war Teezeit, und während wir zu den Aufzügen geleitet wurden, betätigte sich still und leise das ungarische Streichquartett im Hintergrund. Yamani bekam eine der königlichen Suiten - das Claridge ist zweifellos die einzige Luxusherberge auf Erden, die tatsächlich mehr als eine braucht; allzuoft steigen die No bilitäten dort in Massen ab, Reggie und ich bekamen einfache Appartements in verschiedenen Stockwerken. Um sechs gingen Reggie und ich auf einen Drink in die Cause rie hinunter. Der gute alte Mr. Robinson, der dort damals schon genau dreißig Jahre lang Drinks mixte, erinnerte sich an mich. Und darum war es ein sehr trockener Martini mit dem gewissen Etwas und einer Menge Eis, den er mir servierte, ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Wir kippten jeder zwei und gingen dann zum Dinner in Yamanis Appartement im obersten Stockwerk hinauf. In London war es kalt und feucht wie immer im Januar, aber im Fürstenappartement war von der Düsternis, die uns umgab, nichts zu merken. Im Salon brann ten zwei große offene Kamine und warfen ein warmes Licht auf die hellblauen Teppiche und taubengrauen Tapeten. Zwei Diener - das Claridge respektierte die Wünsche seiner arabi schen Gäste - standen zur Verfügung, um uns mit Häppchen und weiteren Drinks aus der Bar zu versorgen, die diskret am anderen Ende des Salons untergebracht war. Scheich Yamani fühlte sich hier offenbar ganz zu Hause und war ebenso offen bar mit dem bisherigen Verlauf der Dinge höchst zufrieden. Um acht öffneten sich die Mahagonitüren, die in einen getäfel ten Speisesaal führten, und wir drei gingen zum Dinner. An
einem Ende eines sehr langen Tisches brannten Kerzen, und um sie herum arbeiteten wir uns gemächlich durch schotti schen Lachs, Wachteln und Cherries Jubilee durch. Reggie und mir wurden zuerst ein weißer Burgunder und dann süper ber Bordeaux serviert. Ich kann bei jedem halbwegs genießba ren Wein die Gegend bestimmen, wo er wächst, aber - zu mei ner Ehre sei es gesagt - ich habe nie behauptet, in der Lage zu sein, das betreffende Weingut und das Jahr mit einiger Genau igkeit anzugeben. Sosehr es mich auch reizte, ich ließ mir kei ne der Flaschen zeigen. Yamani trank Tee. Nach dem Essen setzte sich Reggie, der seine dicke Aktenta sche mitgebracht hatte, zu Yamani auf eines der Sofas im Sa lon, und nun folgte eine Arbeitssitzung, bei der es hauptsäch lich um Zahlen ging. Ich saß da, hörte zu und trank einen Co gnac - vielleicht waren es auch zwei. Als sie auf Italien zu sprechen kamen, gab ich Yamani noch einmal den Rat, den ich ihm schon früher gegeben hatte. Am nächsten Morgen um neun wartete schon der Rolls vor der Tür. Wir bogen gleich in die Western Avenue ein und fuhren dann auf der M-40 bis zur Abfahrt von Gerrards Cross. Nach einer kleinen Weile befanden wir uns in einem der reizendsten Städtchen Englands - in Penn, der Heimat des vermutlich größten Kontingents auf der ersten Passagierliste der Mayflo wer. Beim Boars Head hielt unser Fahrer an, um sich nach dem Weg zu erkundigen. Zehn Minuten später gelangten wir durch das Tor mit der schlichten Aufschrift »Die Eichen« auf einen ausgedehnten Besitz: hügeliges Gelände, üppige grüne Weiden, weiße Zäune, Pferde, alles im Schatten Hunderter hoch aufragender alter Eichen. Nach etwa einer Meile kamen wir zum »Sommerhaus«, das in Wirklichkeit - wenigstens auf mich wirkte es so - ein im 18. Jahrhundert erbautes, über durchschnittlich großes Herrenhaus war. Der kreisförmige Vorplatz bot ein eher ungewohntes Bild: vier Silver Clouds der eine schwarz wie der unsere, zwei grau und einer rein weiß. Zusammen mit unserem Wagen repräsentierten diese Vehikel einen Wert von mehr als einer Viertelmillion Dollar.
Wir waren kaum ausgestiegen, als schon unser Gastgeber, passenderweise in einer Tweedjacke, pfeifenrauchend auf uns zukam. Die Hoffnung, einen echten englischen Landedelmann kennen zu lernen, wurde allerdings jäh zerstört, als er den Mund aufmachte. »Zaki«, sagte er zu Yamani (er sprach es »Zaahki« aus, denn der Mann kam aus dem Herzen von Texas), »willkommen in unserem kleinen Landhaus.« Wie mir sofort klar wurde, war das »unserem« nicht als Plura lis majestatis gemeint. Denn »Die Eichen« waren nur einer der vielen Schlupfwinkel, die dem größten Konzern der Welt ge hörten, der Exxon, Nachfolgerin des übelst beleumundeten Konzerns der Welt, Standard Oil of New Jersey. Und der Mann, der uns begrüßt hatte, war John Jay Murphy, Verwal tungsratsvorsitzender der Exxon. »Reggie«, fuhr er fort, »schön, daß du es noch geschafft hast.« »Nett, dich wiederzusehen, J. J.«, erwiderte Reggie in einem für mich überraschend vertraulichen Ton. »Und Sie sind Hitchcock«, fuhr J. J. fort. »Ich werde Sie Bill nennen.« »Ja«, gab ich zurück und kam mir ein wenig albern vor. »Freut mich, Junge, daß Sie mit von der Partie sind. Kommen Sie rein.« Das Innere war eine Wiederholung des Fürstenappartements im Claridge, nur auf einem wesentlich höheren und ver schwenderischeren Niveau. Drei Herren erwarteten uns drin nen: George Simpson, Vorsitzender und Präsident der Mobil Oil; Roger Smith, Chef der Texaco; und Fred Grayson, Spit zenmann der Standard Oil of California, oder SoCal, wie man sie nannte. Fred Grayson kannte mich natürlich, denn die SoCal war in San Francisco beheimatet, und über die Jahre hin hatten wir eine Anzahl Geschäfte miteinander getätigt. Zaki Yamani und Reggie Hamilton kannten alle. Diese Versammlung war der absolute Traum der einfältigeren unter den mit Kartellklagen befaßten Staatsanwälten im Ju stizministerium der Vereinigten Staaten: Ein einziges Bild des
heimlichen Zusammentreffens dieser vier Männer in einem Raum hätte genügt, um den Prozeß des Jahrhunderts auszulö sen. Denn diese vier amerikanischen Ölkonzerne kontrollierten 40 Prozent des gesamten Weltmarktes für Mineralölprodukte. In der Weltrangliste der größten Industriegesellschaften waren sie alle auf den ersten Plätzen zu finden. Jede einzelne verwal tete ein Einkommen, das größer war als das der meisten Na tionen der Erde. Zusammen waren ihre Einkünfte so hoch, daß nur eine Handvoll der größten Staaten es mit ihnen aufnehmen konnten. Wenn diese vier Männer und ihre Gesellschaften gemeinsam und in Übereinstimmung mit Saudiarabien handel ten, gab es keine Macht der Erde, die sie aufhalten oder auch nur behindern konnte. Einschließlich des Präsidenten der Ver einigten Staaten oder des Schahs von Persien. Jahrzehntelang herrschte die Meinung vor, daß sieben, und nicht vier Schwestern die Ölmärkte der Welt regierten; man zählte auch noch Royal Dutch-Shell, British Petroleum und Gulf hinzu. Aber das war eine falsche Vorstellung. Den Schlüssel zum Ölgeschäft - Belieferung und Preis - hielt jenes Land in Händen, das über so immense Reserven an unmittel bar greifbarem Öl verfügte, daß es jederzeit den Markt auf den Kopf stellen konnte - das Königreich Saudiarabien. Daher waren jene Leute, die direkten Zugang zu diesem Schlüssel hatten, die potentiellen Herren über die Energieversorgung der Welt. Es waren Exxon, Mobil, Texaco und SoCal, die diesen Zugang besaßen. Denn ihnen zusammen gehörte Aramco, und Aramco war der alleinige Geschäftspartner Saudiarabiens. »Zaki«, begann J. J. Murphy, nachdem wir sieben - die wahren sieben Schwestern, wie uns später ein Historiker beschrieb vor noch einem anderen Kamin Platz genommen hatten, in dem ein loderndes Holzfeuer prasselte, »für Sie haben wir Tee.« Alle brüllten vor Lachen; es war offenbar einer von Aramcos privaten kleinen Scherzen. Ein Mann in einem grauen Stra ßenanzug brachte den Tee und servierte ihn Yamani mit allen Zeichen größter Ehrerbietung.
»Und jetzt, Jungs«, fuhr J. J. fort, nachdem er sich vergewis sert hatte, daß der Scheich mit seinem Tee zufrieden war, »wie steht’s mit uns? Kaffee oder Feuerwasser?« Fünf zu eins stimmten wir für Feuerwasser; Reggie schien entschlossen, so lange wie nur irgend möglich einen klaren Kopf zu behalten. Manchen Leuten wäre es vielleicht sonder bar vorgekommen, daß die Bosse der großen amerikanischen Gesellschaften schon am Morgen becherten. Diese Leute hät ten nichts von der Herkunft und vom Werdegang dieser Män ner gewußt, die die Geschicke von Amerikas Ölriesen lenkten. Das waren keine Typen, wie sie aus den Universitäten von Harvard oder Princton kamen. Ihre geistige Heimat war weder die Wall Street noch die Pennsylvania Avenue. Sie waren alle Ingenieure. Raffinerien in Louisiana und Ölfelder in Alaska oder Venezuela waren ihre Schulen gewesen. Es waren harte Burschen, und harte Burschen in Amerika trinken. Und so tranken sie auch an jenem Januarmorgen in Buckinghamshire. Der Kontrast zwischen ihnen und dem weltmännischen, adret ten, teetrinkenden Yamani hätte nicht auffallender sein kön nen. »Nun, Zaki«, sagte J. J. offenbar der Sprecher der Gruppe, da er Exxon vertrat, und Exxon Aramco kontrollierte, »was haben Sie für Probleme?« Während sie das Eis in ihren Bourbohs rührten, blickte Yama ni von einem Ölproduzenten zum anderen. Ich war der einzige, der Scotch gewählt hatte. »Ich mache mir Sorgen«, begann Yamani. »Meine Regierung macht sich Sorgen. Und darum sollten auch Sie sich Sorgen machen.« Der Ausdruck auf ihren Gesichtern ließ erkennen, daß jeder der vier Ölmagnaten ernstlich beunruhigt war. Im Lauf des letzten Jahrzehnts hatten die Araber genügend Minen hochge hen lassen. Yamanis Worte schienen darauf hinzudeuten, daß wieder einmal eine fällig war. »Meine Sorge betrifft die Möglichkeit einer weltweiten De pression. Und sie entspringt auch der Angst, daß die Einheit
Saudiarabiens von innen her, von außen her, vielleicht auch aus beiden Richtungen, gefährdet sein könnte.« Er unterbrach sich. »Meine Regierung und ich nehmen an, Sie werden mir zustimmen, daß es in unser aller Interesse liegt, solche Gefahren abzuwenden.« »Aber natürlich, Zaki«, erwiderte J. J. »Sie wissen doch, daß wir seit vielen Jahren zu Ihnen und zu Ihrem Land stehen.« Das war sogar richtig. Seit dem Embargo des Jahres 1973 hatten sich die großen amerikanischen Ölgesellschaften als gefügige Werkzeuge der OPEC und insbesondere Saudiarabiens erwiesen. Saudiarabien diktierte, wer welche Mengen und zu welchem Preis bekommen sollte, und die vier Schwestern gehorchten. Als die Saudis darauf bestanden, die Niederlande mit einem totalen Embargo zu belegen, Frankreich jedoch nicht, taten die vier Schwestern genau das. Als Yamani ver langte, die amerikanische Sechste Flotte müsse von ihren tra ditionellen Treibstoffquellen abgeschnitten werden, taten die amerikanischen Ölgesellschaften, wie ihnen geheißen, und die Flotte mußte ihren Bedarf bei British Petroleum decken. Auf den ersten Blick hätte man meinen können, die amerikani schen Ölkonzerne brauchten diesem Befehl der Araber nicht zu gehorchen. Zwar war ihnen die Kontrolle über die Rohöl produktion entzogen worden, aber sie beherrschten immer noch die Tanker, die Raffinerien und die Tankstellen, die das weltweite Verteilungsnetz für den einzigen Exportartikel Sau diarabiens darstellten. In gewissem Sinn brauchten sie einan der. Aber das Embargo von 1973 zeigte, daß die vier Schwe stern die Saudis mehr brauchten als umgekehrt. Die Saudis konnten auch ohne sie auskommen. Es gab Dutzende anderer Ölgesellschaften, angefangen von Exxons Erzrivalen Royal Dutch Shell bis zu den kleinen Emporkömmlingen wie Occi dental Petroleum oder gar die Compagnie Franchise de Petro le, die mit Freuden als exklusive Verteiler saudiarabischen Rohöls an Aramcos Stelle getreten wären. Die vier Schwestern hingegen hätten sich einer finanziellen Katastrophe gegenü bergesehen, wenn die Saudis ihnen die Freundschaft gekündigt
hätten. Es gab einfach keine anderen Ölvorkommen auf der Welt, die an die von Saudiarabien angebotenen Mengen heran reichen konnten. Darum waren Exxon, Mobil, Texaco und SoCal in Wahrheit nicht Washington, sondern Riyadh treu ergeben, obwohl sie in amerikanischem Besitz standen, in Amerika ihren Hauptsitz hatten und von Amerikanern geleitet wurden. »Das weiß ich, J. J.«, erwiderte Yamani, »und ich möchte hinzufügen, daß meine Regierung mich beauftragt hat, Ihnen allen unseren Dank für Ihr loyales Verhalten auszusprechen.« Also wirklich! Das war ein neuer Ton! Innerhalb weniger Se kunden steckten sich Texaco und Mobil kubanische Zigarren an. SoCal orderte einen frischen Bourbon. J. J. ließ sich einen frischen Bourbon und eine Zigarre kommen. Es ließ sich alles gut an. »Und nun, meine Herren«, sagte Yamani und schenkte sich Tee nach, »habe ich einen Vorschlag für Sie. Einen sehr präzi sen Vorschlag. Ich kann schon jetzt die praktische Durchfüh rung garantieren, vorausgesetzt, Sie können uns Gegenseitig keit in der Form und insbesondere innerhalb des zeitlichen Rahmens garantieren, auf dem wir bestehen müssen.« Das Wort »Gegenseitigkeit« setzte der kollektiven Laune der amerikanischen Ingenieure einen leichten Dämpfer auf, denn, einer geheiligten Tradition folgend, erwarten Ölmagnaten, daß sie etwas bekommen, ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen. »Aber darauf komme ich noch später zu sprechen«, sagte Ya mani, was sie mit einem Seufzer der Erleichterung quittierten. »Also, Reggie, fangen wir mit ein paar Zahlen an. Wieviel pumpen wir jetzt?« Damit meinte er, wieviel Rohöl Saudiara bien zum gegenwärtigen Zeitpunkt fördern und an die Aram co, die die Weltmärkte versorgte, verkaufen ließ. »Knapp 11 Millionen Barrels pro Tag.« Ein Barrel hatte 159 Liter. »Und der Durchschnittspreis für Aramco?« »16 Dollar und 4 Cents«, antwortete Reggie.
»Stimmt’s?« wandte sich Yamani an die Amerikaner. J. J. beschloß, seinem Kollegen von Mobil die Beantwortung der Frage zu überlassen. »Entspricht genau unseren eigenen Berechnungen«, sagte der. »Gut. Und wieviel Barrels pro Tag importieren die Vereinig ten Staaten gegenwärtig, um ihren Inlandsbedarf zu decken?« »6,9 Millionen«, antwortete Mobil. Yamani sah Reggie an. »Bei mir sind es runde 7 Millionen«, sagte Reggie. »Kein wesentlicher Unterschied«, bemerkte Yamani und machte eine lässige Handbewegung. »Und nächstes Jahr?« »Die gleiche Menge«, antwortete Mobil. »Vielleicht sogar weniger, wenn ich an die Depression denke, in die wir hinein zuschlittern scheinen.« »Und 1984?« »Wenn irgendein wirtschaftliches Wunder geschieht, vielleicht zehn Prozent mehr.« Es hatte ganz den Anschein, als ob die Ölmagnaten den ge genwärtigen Status und das zukünftige Potential der amerika nischen Wirtschaft mindestens ebenso pessimistisch einschätz ten wie Yamani und ich selbst. »Hier also ist mein Vorschlag«, sagte Yamani abrupt, und die Amerikaner sahen ihn erwartungsvoll an. »Wir, das Königreich Saudiarabien, sind bereit, die Förderlei stung auf 18 Millionen Barrels pro Tag zu steigern.« Zunächst Schweigen. Dann ein kollektives »Mann!« Schließlich die unvermeidliche erste Reaktion J. J.s, der seine Denkweise von John D. Rockefeller geerbt hatte. »Mann Got tes, Zaki, das könnte den Preis kaputtmachen!« Die Welt da draußen ging am Rand einer wirtschaftlichen Katastrophe spazieren, hungerte nach Treibstoff zu einem für das System tragbaren Preis, und J. J. fürchtete ein Überange bot, das den Gewinn seiner Gesellschaft, der sich im vergan genen Geschäftsjahr auf läppische 3,7 Milliarden Dollar belau fen hatte, schmälern könnte! »Hören Sie mich bis zu Ende an, J. J.«, antwortete Yamani.
»Ich ziele nicht darauf ab, daß dieses Rohöl auf dem Welt markt verschleudert wird. Mein Vorschlag geht dahin, daß der Zuwachs verwendet wird, um Amerikas Importbedarf zur Gänze zu decken - auf der Basis langfristiger Festpreise.« Langfristig! Festpreise! Das waren Worte, wie sie die ameri kanischen Ölmagnaten seit einem Jahrzehnt von keinem Ara ber mehr gehört hatten. »Ist das Ihr Ernst, Zaki?« fragte J. J. mit andächtiger Stimme. »Es ist mein voller Ernst.« »Zu welchem Preis?« wollte J. J. wissen. Offenbar dachte er, daß es irgendwo einen Haken geben müsse, und daß dieser Haken der Preis war, und daß, wenn der Preis hoch war, Ex xon aufs Kreuz gelegt werden würde. »13 Dollar das Barrel.« Jetzt wären ihnen um ein Haar die Sicherungen durchgebrannt. Zwanzig Prozent unter dem Weltmarktpreis! Das war kein Einfrieren der Preise, was Yamani da vorschlug, das hatte nichts mit dem zu tun, was er dem Schah von Persien erzählt, was er mir gesagt hatte. Das war ein Preisabbau, der sich ge waschen hatte, der erste seit 1961, den er da den führenden Männern der größten Ölgesellschaften der Welt ganz offen anbot. Und sie hatten es nicht einmal verlangt, hatten nicht gewagt, auch nur eine Andeutung in dieser Richtung zu ma chen. J. J. gelang es noch am besten, seine Ruhe zu bewahren. Skep tisch fragte er: »Sie haben 13 gesagt. Nicht 30?« Darüber mußte selbst Yamani lachen. »J. J.«, antwortete er, »zum ersten Mal in Ihrem Leben haben Sie mich jetzt gleich zeitig richtig gehört und auch richtig verstanden.« »Na gut«, konterte Murphy, »aber was ist mit dem angeschrie benen Preis?« Eine verdammt gute Frage aus der Warte der Aktionäre der Exxon Corporation. Weil sie gleichzeitig in zwei Richtungen zielte. Einerseits war dieser Richtpreis ein fiktiver Preis, der als Grundlage für die Berechnung der Ertragsanteile diente, die Saudiarabien für jedes Barrel erhielt, das es über Vermitt
lung der Aramco an die Exxon verkaufte. Damals betrug die ser Preis 16 Dollar. Von J. J.s Standpunkt aus wäre eine Sen kung eine gute Sache gewesen. Wenn aber andererseits der angeschriebene Preis gleich, und der wahre Preis von 13 Dol lar pro Barrel geheim blieb, gab es überhaupt keinen Grund, warum Exxon und ihre Schwestern nicht den amerikanischen Tagespreis für Benzin und Heizöl beibehalten und die Diffe renz einfach in die Tasche stecken sollten. »Weiterhin 16 Dollar. Aber wir würden erwarten, daß Sie Ihre Verkaufspreise in den Vereinigten Staaten um durchschnittlich nur 15 Prozent herabsetzen.« »George«, wandte sich J. J. neuerlich an den Vorstandsvorsit zenden der Mobil Oil, von alters her eng mit Exxon verbündet, »wie sieht das unterm Strich aus?« George Simpson holte seinen Rechenschieber hervor, wie das alle Ingenieure tun, die sich mit einem Problem konfrontiert sehen, und ginge es auch nur darum, ein Wort richtig zu buch stabieren. »Ändert sich nichts«, antwortete er zehn Sekunden später. »Zaki«, sagte J. J. »Sie müssen…« »Immer mit der Ruhe«, warf SoCals Boß Fred Grayson ein, den es offensichtlich verdroß, daß er sich durch die Anwesen heit des Präsidenten der Exxon in den Hintergrund gedrängt sah. Die Chefs von Ölgesellschaften müssen auf ihre Selbst achtung bedacht sein. J. J. warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Reggie«, sagte Yamani, »erklären Sie den Herren doch, wie sie über die neuen Fördermengen disponieren sollten.« »Naja«, ergriff mein alter Freund jetzt das Wort, »es ist so, wie Scheich Yamani schon sagte. Die neue Fördermenge geht ausschließlich in die Vereinigten Staaten, und der neue Preis von 13 Dollar bezieht sich ebenfalls ausschließlich auf die Vereinigten Staaten. Und nur auf die zusätzlichen fünf Millio nen Barrels pro Tag. Für das >alte< Rohöl - die sieben Millio nen Barrels, die wir Ihnen schon jetzt liefern - bleibt der alte Preis bestehen. Für den Rest der Welt ändert sich nichts. Na
türlich heißt das auch, daß Sie möglicherweise Ihre Käufe in Kanada und Venezuela einschränken müssen. Und wahr scheinlich auch im Iran.« »Die Venezolaner werden nicht begeistert sein«, meinte Texa co, der dem Präsidenten dieses Landes sehr nahestand. »Der Schah auch nicht«, bemerkte Mobil, der die Iraner in den letzten Jahren mit Millionen-Beträgen bestochen hatte. »Ebensowenig wie die Europäer und die Japse«, steuerte SoCal bei. »Wie geht das zu, werden sie fragen, daß wir in den Staaten die Preise senken und auf ihren Märkten nicht?« Yamani hörte geduldig zu. »Das, meine Herren, sind Proble me, die Sie zu lösen haben werden. Und ich weiß, daß Sie sie lösen werden.« Damit war die Diskussion beendet. »Zaki«, kam J. J. auf die Kernfrage zurück, »was haben Sie da von >langfristig< gesagt?« »Wir garantieren auf drei Jahre Mengen und Preis.« »Was heißt das genau?« stieß der Exxon-Boß nach. »Das heißt, J. J. daß das Königreich Saudiaräbien über Ver mittlung der Aramco den Vereinigten Staaten garantiert, daß es den amerikanischen Markt mit durchschnittlich sieben Mil lionen Barrel pro Tag Rohöl vom Persischen Golf, das Barrel zum Festpreis von 13 Dollar, drei Jahre lang beliefern wird, vorausgesetzt, daß die Preisbestimmungen dieses Abkommens geheim gehalten werden und unter der Bedingung, daß auch andere Aspekte der Vereinbarung, die ich heute zu erzielen hoffe, auf Ihre persönliche Zustimmung und auf die Ihrer Re gierung stoßen.« Wäre Yamani Vorstandsvorsitzender der Exxon gewesen, ihr Gewinn für das Geschäftsjahr 1981 hätte vermutlich zehn Mil lionen Dollar betragen. Er war den amerikanischen Ingenieu ren unglaublich überlegen. Ich konnte es gar nicht fassen, daß die Vereinigten Staaten seit 60 Jahren praktisch ihre ganze Energiewirtschaft solchen Leuten überantworteten. »Okay«, sagte J. J. »hören wir uns den Rest an.« »Zunächst die kommerziellen Aspekte. Wir verlangen Voraus
zahlung in bar auf je 90 Tage Lieferung amerikanischen Roh öls - darunter verstehe ich die zusätzlichen sieben Millionen Barrel pro Tag - zum neuen Marktpreis.« »Wieviel macht das, George?« fragte J. J. Wieder der Rechenschieber. »8,2 Milliarden Dollar.« »Geht in Ordnung«, sagte J. J. Eine eher amüsante Äußerung, dachte ich damals; schließlich befanden wir uns im Herzen eines Landes, das einst die be herrschende Weltmacht gewesen war. Wenn Yamani oder sonst jemand von Großbritannien verlangt hätte, 8,2 Milliar den Dollar auf den Tisch zu legen, es wäre den Engländern beim besten Willen nicht möglich gewesen, auch nur die Hälf te aufzubringen. Und hier saß nun ein Kerl, J. J. Murphy, der vermutlich auch zwei- oder dreimal soviel hervorzaubern konnte, und das, ohne seine Bank zu bemühen. Nun ja, ein paar Anrufe würde er vielleicht tätigen müssen, denn jetzt kam Yamani auf Banken zu sprechen. »Das ist ein unwesentlicher Punkt«, fuhr er fort, »aber doch wichtig. Wir möchten nicht, daß Sie sich dieses Bargeld von einer der großen amerikanischen Banken beschaffen.« »Wie meinen Sie das?« fragte J. J. »Ich meine, daß Sie diese Gelder aus Ihren Guthaben oder Krediten bei nichtamerikanischen Finzanzinstituten ziehen sollen. Nicht von der Chase zum Beispiel, sondern vom Schweizerischen Bankverein oder der Deutschen Bank oder Fugi.« Yamani hatte offenbar schon vor langer Zeit gelernt, daß man sich deutlich ausdrücken mußte, um J. J. etwas klar zumachen. »Warum? Das wird nicht leicht sein«, konterte J. J. Yamani ignorierte das >warum<. »Wie hoch war Ihr gesamtes Betriebsvermögen zu Jahresultimo 1981?« fragte er. »Von uns vieren, meinen Sie?« erkundigte sich J. J. »Ja.« »Woher soll ich das wissen?« Yamani richtete den Blick auf den SoCal-Boß. Trotz seiner Vergangenheit als Ingenieur war er als ein in Finanzfragen
bewanderter Mann bekannt. »Vielleicht 80 oder 90 Milliarden«, antwortete SoCal. »Aber was spielt das für eine Rolle? Natürlich können wir das so handhaben, wie Sie es wollen, Zaki.« »Nein«, beharrte Yamani, »das will ich schriftlich niedergelegt haben. Wieviel von diesen 80 oder 90 haben Sie außerhalb der Vereinigten Staaten liegen?« Yamani kannte seine Ölgesellschaften. Sie sicherten sich nach allen Seiten gegen Verluste ab, einschließlich solcher, die ih nen durch Banken und Währungen entstehen könnten. »Genug davon«, funkte J. J. dazwischen. »In Ordnung, Zaki, wir sind einverstanden. Was haben Sie noch auf dem Her zen?« »Italien«, lautete Yamanis Antwort. »Und Bill Hitchcock wird Ihnen genau erklären, um was es sich handelt.« Zum ersten Mal stand ich jetzt im Mittelpunkt. Also erklärte ich ihnen die Lage. Erstens, daß Saudiarabien ausständige Forderungen in der Höhe von 3,55 Milliarden Dollar in Italien hatte. Zweitens, daß Italien der restlichen Welt alles in allem an die 16 Milliarden Dollar schuldete und daß es, wenn es nicht sehr bald eine Menge Geld aufbringen konnte, weder die Zinsen noch die Darlehen, die im laufenden Jahr fällig wurden, zurückzahlen konnte. Eine solche Nicht einhaltung von Verbindlichkeiten, stellte ich fest, würde nicht im weltwirtschaftlichen Interesse liegen, insbesondere nicht im Interesse Saudiarabiens. Und was nicht im Interesse Saudiara biens lag, lag offenbar auch nicht im Interesse der Aramco, und somit auch nicht im Interesse von Exxon, Texaco, Mobil und SoCal. Da niemand an dieser leicht dubiosen Logik An stoß nahm, fuhr ich fort. Ich wies darauf hin, daß alle >unsere< Probleme durch eine größere Kapitalspritze für Italien zu lösen wären. Aber wie? Sie hatten vielleicht davon gehört, daß im Dezember versucht worden sei, zu diesem Zweck ein internationales Bankenkon sortorium zusammenzubringen; bedauerlicherweise hatten sich die Verhandlungen im letzten Augenblick zerschlagen. Okay.
Saudiarabien hatte eine Lösung. Und zwar: Es würde alle nichtitalienischen Vermögenswerte der ENI für sechs Milliar den Dollar von der italienischen Regierung kaufen. Diese Vermögenswerte würden Raffinerien, Tankerflotte, petroche mische Anlagen der ENI außerhalb Italiens und natürlich die Kette der AGIP-Tankstellen in Europa umfassen. Als ich so weit war, wurde ich von J. J. Murphy, der im Ver lauf meiner Ausführungen die Augen mehr und mehr zusam mengekniffen hatte, jäh unterbrochen. »Von wem ist diese Idee?« »Von mir«, antwortete ich. »Was hat das alles mit Yamanis Vorschlägen zu tun?« Yamani, der dem Wortwechsel zwischen J. J. und mir bisher gleichgültig zugehört hatte, griff ein. »Alles. Wie ich schon anfangs sagte: Ich biete Ihnen ein Paket an, bei dem jedes Element zählt.« »Hören Sie, Zaki«, wandte J. J. ein. »Sie bringen da etwas absolut Neues. Hitchcocks Vorschlag läuft doch darauf hinaus, daß Sie den Grund für eine neue integrierte internationale Operation bereiten.« »Ganz recht«, erwiderte Yamani. »Wir haben viel von euch Amerikanern gelernt, und jetzt wollen wir das Gelernte prak tisch auswerten.« »Damit ladet ihr euch doch nur Sorgen auf. Was versteht ihr Saudis von Absatz und Vertrieb? Nichts. Dafür habt ihr uns.« »Stimmt, J. J. Und wir brauchen euch auch weiterhin. Sobald der Handel mit der ENI abgeschlossen ist - und der wird genau so abgeschlossen werden, wie Bill es eben ausgeführt hat -, werden wir Ihre Hilfe sogar in verstärktem Maß benötigen.« J. J. schwieg. »Wir haben«, fuhr Yamani fort, »eingehende Untersuchungen über die Aktivitäten der ENI in Europa angestellt. Mit ihrer Einzelhandelskette verdienen sie kaum noch etwas; die Kon kurrenz der Unabhängigen - Gelsenberg in Deutschland, Occi dental in Skandinavien, Getty auf anderen Märkten - ist zu stark. Wir möchten, daß sie mehr verdient. Das heißt, wir
möchten ein bißchen weniger Konkurrenz haben. Wir würden daher anregen, die Menge Rohöl, die den Unabhängigen auf diesen Märkten geliefert wird, ein wenig herabzusetzen.« »Haben Sie schon mal was von Kartellgesetzen gehört, Zaki?« fragte J. J. »Vermutlich mehr als Sie, J. J. Und ich weiß auch, wieviel Aufmerksamkeit Sie ihnen schenken. Und noch etwas: In Westdeutschland werden wir ein größeres Raffiniervolumen brauchen. Wir möchten zwei Raffinerien dazukaufen. Soviel ich weiß, hat Exxon jetzt dort einen gewissen Kapazitätsüber schuß. Wir werden jedes Angebot wohlwollend prüfen.« Jetzt lag die Sache auf dem Tisch des Hauses. Der nächste logische Schritt, den die vier Schwestern schon immer ge fürchtet hatten, war getan. Bisher hatte ein Monopol mit einem anderen Monopol Handel getrieben und Geschäfte gemacht: Die Araber kontrollierten die Produktion von Rohöl, und die vier Schwestern kontrollierten die Vermarktung der Erdölpro dukte. Nun sollte dieses Vermarktungsmonopol durchbrochen werden. Und war es einmal durchbrochen, erschien es unver meidlich, daß die Macht der internationalen Ölgesellschaften einen Abschwung erfahren würde, der vielleicht nie wieder aufgehalten werden konnte. »Zaki«, sagte J. J. mit sanfter Stimme, »wissen Sie, daß wir Sie auf diesen Märkten erledigen könnten? Wissen Sie noch, was mit Mattei passiert ist?« Der italienische Ölproduzent Mattei, der in den 6oer Jahren versucht hatte, die monopolistische Kontrolle, die die sieben Schwestern auf den europäischen Ölmärkten ausübten, zu brechen, war bei einem geheimnisumwitterten Flugzeugab sturz ums Leben gekommen. Aber das war es offenbar nicht, was J. J. meinte. Er wollte Yamani daran erinnern, daß die großen Konzerne, als Mattei sie herausforderte, einen Preis krieg organisiert hatten, der das ENI-Imperium an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hatte. »J. J. wenn Sie das versuchen…«
Yamani mußte den Satz nicht beenden. George Simpson fiel ihm ins Wort. »Zaki«, sagte er, »ich schlage vor, die Sitzung kurz zu unterbrechen.« Und erhob sich von seinem Stuhl. J. J. funkelte Simpson an, funkelte mich an, funkelte Yamani an und stand schließlich auf. Die vier amerikanischen Ölma gnaten verließen ohne ein weiteres Wort den Raum. »Bill«, sagte Yamani, als ob nichts geschehen wäre, »welche Struktur beabsichtigen Sie der Sache zu geben?« »Ich denke an eine in Liechtenstein beheimatete HoldingGesellschaft. Wir setzen eine Gruppe von Bankleuten - Ame rikaner und Schweizer - in den Vorstand, statten die Gesell schaft mit einer halben Milliarde Dollar Kapital aus und brin gen den Rest in Form langfristiger Darlehen auf. Die Eigen tumsrechte werden durch Inhaberaktien repräsentiert, die auf die Namen von Treuhändern lauten. Die Darlehen werden indirekt gewährt, vermutlich über New Yorker Banken. Es wäre nicht von Vorteil, wenn öffentlich bekannt würde, daß die Vermögenswerte der ENI an die Saudis übergegangen sind. Vielleicht könnten Sie die Herren, wenn sie zurückkom men, darauf hinweisen - ohne unbedingt ins Detail zu gehen.« »Richtig«, sagte Yamani, stand auf und ging ans Fenster, von dem aus man den Besitz überblicken konnte. Dort blieb er die folgenden zehn Minuten stehen. Dann kehrten die AramcoLeute zurück. Alle nahmen wieder ihre Plätze vor dem Kamin ein. »Wir sind einverstanden, Zaki«, sagte J. J. der, da er Exxon vertrat, wieder als Sprecher der Gruppe auftrat. »Mit einer Bedingung.« »Und zwar?« »Sie haben gesagt, Sie würden den Marktpreis von Rohöl für die Vereinigten Staaten auf drei Jahre einfrieren - ich meine die sieben Millionen Barrel pro Tag.« »Richtig.« »Wir wollen einen Preisstopp auf den angeschriebenen Preis für alles Rohöl, das wir in diesem Zeitraum abnehmen.« Nicht dumm. Denn Yamani hatte die elf Millionen Barrel pro
Tag, mit denen die restliche Welt beliefert werden würde, nicht in die Diskussion einbezogen. Den Richtpreis, der als Grundlage für die Berechnung der Ertragsanteile diente, die Aramco den Saudis zu zahlen hatte, konnte er jederzeit nach Belieben ändern und Aramco und ihren Inhabern eine schöne Stange Geld aus der Tasche ziehen. »Einverstanden«, sagte Yamani. Einfach so. »Und wie Bill mich eben erinnert hat: Es versteht sich wohl von selbst, daß alle diese Abmachungen nicht für die Veröffentlichung be stimmt sind.« Mann, der Kerl verstand es wirklich, Verhand lungen zu führen. Keine Frage, daß er von vornherein bereit gewesen war, den Richtpreis einzufrieren. J. J. war, gelinde gesagt, überrascht. Er sah seine drei Kollegen an. Sie nickten. Das war’s. »Und nun der entscheidende Aspekt«, sagte Yamani. Das eine muß ich sagen: Ob sie nun Ingenieure waren oder nicht, die Ölfritzen hatten die Ruhe weg. Nach dem ENI-Coup konnte es nur noch schlimmer kommen. Aber keine Augen braue zuckte. »Lassen Sie mich Ihnen gleich von Anfang an versichern«, fuhr Yamani fort, »daß das, was ich Ihnen jetzt vorzutragen gedenke, in keinerlei direktem Zusammenhang mit Aramco oder einer Ihrer Gesellschaften steht. Damit, J. J. will ich sa gen, daß es Sie keinen Penny kosten wird.« J. J. lachte in sich hinein. Das gefiel ihm. »Wenn das so ist, Zaki, werde ich mir noch einen Bourbon genehmigen.« Das tat er, und das taten auch die anderen, ich eingeschlossen Scotch, kein Bourbon -, und auch Reggie. Und nun begann Zaki Yamani Fraktur zu reden. Es war still im Raum, und es blieb still, während er die zunehmend gefähr liche Lage in Riyadh schilderte. Rebellion lag in der Luft. Selbst im Schoß der königlichen Familie gab es potentielle Aufrührer. Die große Anzahl von Palästinensern, denen man bedauerlicherweise so viele Schlüsselpositionen im saudiara bischen Wirtschaftssystem anvertraut hatte, stellte ein potenti ell revolutionäres Elitecorps dar, die Arbeiter - aus dem Iran,
aus dem Jemen, aus Pakistan -, die nicht viel weniger als eine Million zählten, das potentielle Fußvolk. Allesamt waren sie Gegner der herrschenden Elite. Von wem wurden sie finan ziert? Yamani warf die Arme in die Luft. Von wem wohl? Von Khadafi. Die amerikanischen Ölmagnaten nickten feier lich. Sie kannten diesen wahnsinnigen Libyer. Er war ja schließlich der erste gewesen, der den Würgegriff brach, mit dem sie die Produktion beherrscht und damit die Weltmarkt preise diktiert hatten. Er war der Verrückte gewesen, der im Konflikt von 1973 tatsächlich ein U-Boot beauftragt hatte, die Queen Elizabeth IL im Mittelmeer zu torpedieren. Er war der Mann, der 1975 das Massaker im Libanon geschürt und finan ziert hatte. Er war der arabische Revolutionär, dessen Geld es der IRA möglich machte, ihr Gemetzel in Nordirland endlos fortzusetzen. Khadafi. Ein Name, der Christen, Araber und Juden in gleicher Weise in Schrecken versetzte. »Aber es besteht kein Grund zur Panik«, sagte Yamani, als er merkte, daß seine Zuhörer von ungewöhnlicher Unruhe erfaßt wurden. »Wir haben die Dinge unter Kontrolle. Wir haben die gesamte Nationalgarde in und um Riyadh stationiert. Ein Be duine kann es immer noch mit zehn Palästinensern aufnehmen, wie Hussein in Jordanien bewiesen hat. Aber die Lage ist ernst und erfordert sofortige Maßnahmen.« Und dann ging Yamani mit bemerkenswertem Freimut auf die Person des Schahs von Persien ein. Der Mann war kein Kha dafi, sagte er. Und die amerikanischen Ölmagnaten nickten. Sie kannten den Schah. Sie konnten ihn alle nicht leiden. Sie wußten alle, daß er von Natur aus wankelmütig war. Aber er war kein Verrückter. Nichtsdestoweniger, fuhr der Scheich aus Riyadh fort, hatte er sich in jeder Beziehung übernommen. Das grandiose Rüstungsprogramm, die Industrialisierungsplä ne, die absurd kostspieligen Projekte für die nahezu komplette Neuerrichtung Teherans, einschließlich der Welt größtem Platz, ihm zu Ehren natürlich, und das luxuriöseste UBahnnetz der Welt - alles offiziell angekündigte Vorhaben. Aber wie ließ sich das finanzieren? Nur durch eine stetige und
rasche Erhöhung des OPEC-Ölpreises. Denn für den Iran war Zeit alles. Nach übereinstimmenden Informationen waren die Ölreserven bereits auf 40 Milliarden Barrel zusammenge schmolzen. Die Saudis hatten errechnet, daß sie in Wahrheit noch niedriger waren. Spätestens 1987, betonte Yamani, wür de dem Schah das Rohöl auszugehen beginnen. Und was dann? Hier also lag die andere Gefahr. Wenn der Schah in der OPEC seinen Willen durchsetzte, würde das Rohöl innerhalb von zwei Jahren 25 Dollar pro Barrel kosten, und das, meinte Ya mani, würde die Wirtschaft des Westens zweifellos vor unlös bare Probleme stellen; sie würde zusammenbrechen. Wenn Saudiarabien seine Förderleistung auf 18 Millionen Barrel täglich erhöhte, machte es eine Preissteigerung in absehbarer Zeit praktisch unmöglich. Damit aber würden sich die Saudis dem Schah von Persien direkt in den Weg stellen. Wie er rea gieren würde? Wieder warf Yamani die Hände in die Luft. Wer konnte das wissen? »Aber«, sagte er, »wir sind uns wohl alle darüber klar, daß der Mann über die größte und bestausgebildete Militärmaschine zwischen Europa und China gebietet. Wir in Saudiarabien haben die größten Ölreserven der Welt. Und nichts, womit wir wirksamen Widerstand leisten können.« Er unterbrach sich und strich nachdenklich seinen Bart. »Meine Herren«, sagte er dann zu den sechs Amerikanern, die um ihn herumsaßen, »wir brauchen amerikanische Unterstüt zung. Militärische Unterstützung. Unverzüglich und massiv. In einem Maß, das der Hilfe gleichkäme, die Israel 1973 erhalten hat. So einfach ist das. Sonst werden wir, und damit Sie, und damit Ihr Land in außerordentlich große Gefahr geraten. Seit Jahren versuchen wir alles, was in unserer Macht steht, um Ihre Regierung, den Kongreß und das Pentagon von der Dring lichkeit unseres Bedarfs zu überzeugen. Wir haben nichts er reicht. Und jetzt brauchen wir Ihre sofortige und uneinge schränkte Unterstützung. Sie müssen uns helfen, die für uns lebensnotwendigen Kräfte zu mobilisieren. Wie Sie heute hier
gehört haben, sind wir bereit, Ihnen Ihre Aufgabe leicht zu machen. Wir garantieren den Vereinigten Staaten ihre Ölver sorgung. Wir garantieren, daß der Ölpreis in Amerika sinkt und nicht steigt. Und diese Garantie bleibt bestehen, was im mer die anderen OPEC-Länder entscheiden mögen. Wenn nötig, können wir unsere Förderleistung sofort auf 20 Millio nen Barrel pro Tag erhöhen. Und noch etwas - sehr wichtig: Wir sind bereit, dem amerikanischen Geld- und Kapitalmarkt einen sehr großen Teil unserer Währungsreserven zur Verfü gung zu stellen. Wir sind willens, Amerika mit genug Öl und Geld zu versorgen, um Ihrer Industrie und Ihrer Regierung zu helfen, einen empfindlichen Konjunkturrückgang in den näch sten Jahren zu vermeiden. Bill Hitchcock, der die entspre chenden Untersuchungen im Währungsbereich angestellt hat, kann Ihnen später alle Einzelheiten geben. Aber - und damit schließe ich dieses Thema ab - alles, ich wiederhole: alles hängt davon ab, daß unser Ersuchen um umfassende amerika nische Unterstützung auf militärischem Gebiet eine sofortige und positive Erledigung findet. Wenn wir sie nicht bekommen, bekommen Sie weder unser Öl noch unser Geld. Dann müssen wir uns anderweitig umsehen.« J. J. Murphy fühlte sich berufen, für die vier Schwestern zu sprechen. »Zaki«, sagte er mit rauher Stimme, »wir werden alle nötigen Maßnahmen ergreifen, das verspreche ich Ihnen. Wenn dieser Vollidiot, dieser Hurensohn im Weißen Haus nicht spurt, bekommt er von keiner Seite je wieder auch nur einen Penny zu sehen. Nicht einmal einen Posten bekommt er, nachdem er aus dem Amt geflogen ist.« Nicht gerade eine sehr diplomatische Antwort auf Yamanis elegant formuliertes Ersuchen, aber sie ließ erkennen, daß J. J. sehr genau wußte, wie die große amerikanische Republik re giert wurde. Zum Mittagessen wurde die Sitzung unterbrochen, und nach her ergab es sich ganz von selbst, daß Ausschüsse gebildet wurden. Reggie, der alle nur erdenklichen Einzelheiten in be zug auf das Ölgeschäft im Kopf hatte, setzte sich mit Texaco
und Mobil zusammen. Er wies darauf hin, daß das Abkommen vom Justizministerium genehmigt werden müsse. Um diese Genehmigung zu erhalten, würde ein gewisser Teil des zusätz lichen billigen saudiarabischen Rohöls den anderen großen Ölgesellschaften zugeteilt werden müssen - insbesondere Gulf - und auch den Unabhängigen. Reggie meinte, man könnte dazu den 1955 vom Justizministerium ausgearbeiteten und genehmigten Schlüssel heranziehen; damals war das gleiche Problem in bezug auf die Aufteilung des billigen persischen Öls zutage getreten, das auf Grund eines mit dem iranischen Ölkonsortium abgeschlossenen Vertrages angeliefert wurde. Dazu kam dann noch wirklich langweiliges Zeug über die Frage, wie das kanadische, venezolanische, nigerianische, libysche und iranische Rohöl rund um die Welt verschoben werden sollte, um auf dem amerikanischen Markt Platz für das zusätzliche saudiarabische Öl zu schaffen, ohne daß jemand gemeint waren die Kanadier, Venezolaner, Nigerianer, Libyer und insbesondere der Schah von Persien - jemals die Einzel heiten erfuhr. Die Ölfritzen waren natürlich alte Hasen und wußten, wie man das machte, aber Reggie bestand darauf, die Logistik gleich hier festzulegen. Ich verstand jetzt, warum Yamani sich auf seinen Reisen immer von Reggie begleiten ließ. Reggie hatte auch seine eigenen Ideen, wie man die Un abhängigen in Europa unter Druck setzen konnte - der Schlüs sel zu meinem Plan, die ENI zu übernehmen. Ich setzte mich mit J. J. Murphy zusammen, der den New Yorker Banken, gelinde gesagt, sehr nahe stand, und mit Fred Grayson, dem Präsidenten der Standard Oil of California, der die kaliforni schen Banken kannte. Ich erläuterte ihnen meinen Plan, wie die saudiarabischen Megadollar unter den amerikanischen Banken verteilt werden sollten. Der Plan gefiel ihnen. Sie meinten sogar, das wäre überhaupt der Knüller. Einem pro saudiarabischen Bündnis zwischen Ölindustrie, Bankenapparat - und Rüstungsindustrie, denn mein Plan sah auch vor, ein paar Piepen in ihre Kassen fließen zu lassen - konnte Wa shington einfach nicht widerstehen.
Murphy hatte Vorsorge getroffen, daß wir alle auf den »Ei chen« die Nacht verbringen konnten, und daran hatte er gut getan. Die Sitzung dauerte noch den ganzen folgenden Tag lang. Erst Montag, den 22. Januar mittags, flogen wir an Bord der Boeing 707 der Aramco, die die ganze Zeit auf uns gewar tet hatte, nach New York ab. Ich erinnere mich: Als wir mit dieser Luxusmaschine in die Luft gingen, glaubten wir, die Welt in der Tasche zu haben.
18 Bedauerlicherweise gab es noch einen anderen Mann, der sich etwa zur gleichen Zeit der gleichen Illusion hingab: Moham med Reza Pahlavi, der Schahinschah von Persien. Während wir in London den Boden für einen Feldzug gegen die OPEC und den Schah bereiteten, hatte er in Khorramshahr den Boden für den Endkampf gegen uns alle bereitet. Zwei Tage, nachdem Yamani, Reggie und ich Teheran in Richtung England verlassen hatten, war der Schah zum Persi schen Golf hinuntergeflogen, um sich persönlich vom Fort gang der Arbeiten an seinem neuesten Spielzeug zu überzeu gen. Viele erwachsene Männer haben eine Schwäche für Spielsachen: elektrische Eisenbahnen, Motorboote, Modell flugzeuge, Zinnsoldaten. So auch der Schah. Allerdings spielte er mit Modellen in natürlicher Größe. Mit F-16-Jagdbombern, Chieftain-Panzern, gepanzerten Mannschaftstransportwagen. Er liebte es, sie selbst zu fahren und zu fliegen. Ein Sports mann in der besten königlichen Tradition. Die Spielsachen, mit denen er in Khorramshahr spielen wollte, waren anders. Man konnte sie weder fahren noch fliegen. Sie mußten abge worfen oder fallengelassen werden; es waren Atombomben. Wie Ursula mir später erzählte, war er am Morgen des 23. Januar in ihr Haus in Khorramshahr gekommen. Niemand hatte ihnen seine Ankunft angekündigt. Um neun Uhr läutete die Türglocke - genau die Zeit, da der SAVAK-Mann zu er scheinen pflegte, der ihren Vater jeden Morgen in die Trenn anlage auf dem nahe gelegenen Luftstützpunkt chauffierte. Sie öffnete die Tür - und vor ihr stand Seine Majestät. Sie erkann te ihn sofort. Was ganz natürlich war, denn sein Bild hing in Persien an jeder zweiten Wand. »Meine Liebe«, waren seine ersten Worte, »Sie müssen die Tochter von Professor Hartmann sein. Ich bin entzückt, Sie kennen zu lernen.« Ehre, wem Ehre gebührt: Er wußte, wann er ein hübsches Mädchen vor sich hatte, und er verstand es auch, sie zu bezau
bern - und oft genug auch, sie zu vernaschen. Gott sei Dank ging Ursula sofort auf Abwehrstellung. Am Blick seiner Au gen, wie er an jenem Morgen vor der Eingangstür stand, er kannte sie und zweifelte keinen Augenblick lang, daß ihr, wenn sie auch nur das kleinste Zeichen von Interesse hätte erkennen lassen, noch am, gleichen Tag das königliche Ding verpaßt worden wäre. Ursula spricht sonst nicht so, aber als sie mir erzählte, was an jenem Tag geschah, waren wir in St. Moritz und hatten gerade unseren ersten Krach hinter uns. Aber das war einige Monate später. Wie auch immer - so erzählte sie es mir -, sie machte ganz auf unschuldsvoll, so daß sich der Schah, wenn auch nicht völlig entmutigt - das wäre gar nicht seine Art gewesen -, zumindest vorübergehend von einem Direktangriff abhalten ließ. Faktisch brauchte sie gar nicht den Mund aufzumachen, denn schon Sekunden nachdem sie geöffnet hatte, war ihr Vater zur Tür gekommen. »Mein lieber Professor Hartmann«, sagte der König der Köni ge, »es ist mir ein außerordentliches Vergnügen. Ich hoffe, mein Besuch bereitet Ihnen keine Umstände.« »Keineswegs, Eure Majestät«, antwortete Hartmann in seinem kehligen Englisch. »Darf ich Sie hereinbitten?« Der Schah war nicht allein. Hinter ihm standen General Kha tami, der Chef der iranischen Luftwaffe, den der Zürcher Pro fessor sehr gut kannte, und ein zweiter hoher Militär, Brigadier Shahandeh, Chef der iranischen Luftlandetruppe am Persi schen Golf, der sich rasch dem Professor und schüchtern Ursu la vorstellte. Ursula eilte in die Küche, um Tee servieren zu lassen. Denn das hatte sie im Iran schon gelernt: Man kann jedermann, je derzeit, jederorts Tee servieren. Als sie nach etwa zehn Minu ten mit dem Tablett für die Gäste zurückkehrte, saßen alle rund um den Eßzimmertisch und sahen ihrem Vater zu, der auf einem Block gelben Papiers eine einfache Zeichnung machte. Diese Zeichnung - es gelang ihr später, sie an sich zu nehmen , von der sie mir an jenem Abend in St. Moritz erzählte, nach
dem sie sich entschlossen hatte, mir alles anzuvertrauen, sah so aus:
Es war eine Atombombe in all ihrer Schönheit und Einfach heit. Während sie einschenkte, erklärte ihr Vater: »Das ist natürlich eine grobe Vereinfachung. Sie macht nur das Prinzip anschaulich, nicht die Einzelheiten. Die Skizze zeigt auch nur eine Dimension - es ist eigentlich ein Aufriß. Sie sehen nur sechs Ausschnitte aus der Bombe, aber Sie müs sen sich das Ganze kugelförmig vorstellen mit insgesamt vier undzwanzig Ausschnitten. Die Sektoren sind konisch geformt und alle gleich groß. Zusammen, wie gesagt, müssen sie eine Kugel bilden, eine völlig perfekte Kugel. Aber ich fürchte, Eure Majestät, ich langweile Sie.« »Nein, nein«, wehrte der Schah ab. »Das ist faszinierend. Fas zinierend! Sprechen Sie weiter!« »Jedes dieser Stücke«, fuhr der Professor fort, während seine Finger über die Zeichnung glitten, »wird von einer starken Sprengladung gezündet, die eine Detonationsgeschwindigkeit von zwanzigtausend Fuß in der Sekunde erzeugt.« »Zwanzigtausend, sagen Sie?« forschte Seine Majestät.
»Ja, Sir. Es ist sehr wichtig, daß genau diese Geschwindigkeit erreicht wird«, antwortete Hartmann. »Zwischen dem chemi schen Sprengagens hier…« er zeigte mit dem Finger darauf »… und dem Plutoniummetall befinden sich Teile jenes Mate rials, das die radioaktive Verseuchung hervorruft.« »Und welches Material ist das?« fragte der Schah. »Das hängt natürlich davon ab, was Sie vorhaben«, erwiderte der schweizerische Physiker. »Ich verstehe«, murmelte der Schah nachdenklich. »Und wie funktioniert das nun?« fuhr Hartmann fort. »Ganz einfach. Man zündet die Sprengladung - man kann verschiedene Schalter dazu benützen -, und die Sprengladung bringt alle Kugelausschnitte gleichzeitig zusammen. Sie verstehen: Die hier entwickelte kinetische Energie würde verhindern, daß sie in den ersten Mikrosekunden der Reaktion auseinander geris sen werden. Die auf diese Weise geschaffene kritische Masse hat zur Folge, daß die nukleare Kettenreaktion exponentiell zunimmt, bis die enorme Gewalt der Atombombe hergestellt ist.« Er verstummte. »Das ist alles?« fragte der Schah ehrfurchtsvoll. »Das ist alles. Was ich hier aufgezeichnet habe, ist natürlich nur eine primitive Waffe. Es wäre sonst zu kompliziert. Aber ich hoffe, es veranschaulicht die Prinzipien, nach denen ich arbeite.« »Durchaus, durchaus«, erwiderte der Schah, der nun eine Pau se einschaltete, bevor er dem Professor weitere Fragen stellte. »Sie haben da etwas gesagt, das mich aufmerken ließ«, fuhr er fort. »Sie sagten, daß die Art des Materials…«, jetzt war es der Finger des Schahs, der auf die Zeichnung wies, »… davon abhängt, was man vorhat. Habe ich mich richtig ausgedrückt?« »Ja.« »Könnten Sie das etwas näher ausführen?« »Aber gern. Aber vielleicht wäre es besser, wenn ich Ihnen einige dieser Dinge an einem Modell demonstrieren könnte.« »Haben Sie eines zur Verfügung?« fragte der Schah sichtbar
erregt. »Natürlich nicht hier. Aber drüben im Werk. Vielleicht könn ten wir unser Gespräch dort fortsetzen.« Der Schah war so aufgeregt, daß er sogar vergaß, sich von Ursula zu verabschieden. Auch den Tee hatte keiner angerührt. Sie bestiegen den Mercedes 600 des Schahs - er liebte alles Deutsche, deutsche Frauen eingeschlossen. Von vier Jeeps eskortiert, zwei vorne, zwei hinten, erreichten sie den Luft stützpunkt und die nukleare Trennanlage in weiteren zehn Minuten. Der Schah hatte den Fahrer offenbar angewiesen, mit Bleifuß auf dem Gas zu stehen. Sie begaben sich schnurstracks in Professor Hartmanns Labo ratorium. Auf einem Arbeitstisch in der Mitte des Raumes lag eine schimmernde Metallkugel von etwa vier Fuß Durchmes ser. »Ist das…?« fragte der Schah. »Ja, Eure Majestät«, antwortete der Professor. »Darf ich… sie berühren?« »Aber natürlich.« Aller Augen waren auf seine Majestät gerichtet, als er sich der Kugel näherte und dann vorsichtig, zärtlich einen Finger, dann eine Hand, dann beide Hände auf die Atombombe legte. »Sie fühlt sich so kalt an«, sagte er, die Hände immer noch auf der Kugel, »aber sie ist wunderschön.« Schließlich trat er zurück. Wo seine Hände sie berührt hatten, ließ der Schweiß glanzlose Flecken auf dem schimmernden Metall zurück. »Ist sie… einsatzbereit?« fragte er dann. »Gewiß, Eure Majestät«, antwortete der Professor. »Aber es ist wirklich nichts Besonderes. Ihr Detonationswert beträgt nur fünfzehn Kilotonnen. Ich muß mich entschuldigen, aber bei diesem ersten Modell mußten wir uns sehr einschränken. Wir hatten ja nur eine geringe Menge Plutonium zur Verfügung.« »Nein, nein, mein lieber Professor. Bitte keine Entschuldigun gen. Man muß ja irgendwo anfangen«, sagte der Schah. »Sie sprachen von fünfzehn Kilotonnen. Wieviel ist das genau?«
»Nichts. Das ist nichts. Die Größe der Hiroshimabombe. Mehr
nicht. Aber unsere nächsten werden - wenn Sie wollen - um
vieles produktiver sein. Es hängt davon ab, was Sie vorha
ben.«
»Ganz recht«, sagte der Schah. »Aber jetzt wäre ich Ihnen sehr
dankbar, wenn Sie mir erklären würden, welche… Sorten lie
ferbar sind.«
»Wir können Ihnen praktisch jede Geschmacksrichtung bie
ten«, antwortete der Professor und ließ ein lautes Gegacker
vernehmen. Was zu einem Kichern seitens des Schahs und
einem Gewieher seitens General Khatamis führte. Brigadier
Shahandeh, dessen Englischkenntnisse beschränkt waren, be
kam den Witz nicht mit.
»Ich würde Ihnen zum Beispiel sehr empfehlen«, fuhr der
Professor fort und ging zu einem anderen Arbeitstisch hinüber,
»das hier zu verwenden.«
>Das hier< war ein weißes Pulver. Er schüttelte eine kleine
Menge aus einer Flasche.
Der Schah betrachtete es, berührte es aber nicht. »Was ist
das?«
»Lithium Fluorid.«
»Ich verstehe. Und was kann das?«
»Es ist eine der Substanzen, mit denen ich besondere Effekte
erziele.«
»Erklären Sie mir das, mein lieber Freund.«
»Gewiß. Stellen Sie sich eine Situation vor, wo Sie alle Be
wohner eines Gebietes töten möchten, ohne dem Gebiet selbst
allzu großen Schaden zuzufügen.«
»Wie groß wäre das Gebiet?«
»Ach, sagen wir Teheran.«
»Könnte es ein bißchen größer sein?«
»Teheran?«
»Nein, das Gebiet.«
»Aber natürlich. Kein Problem. Wie groß soll das Gebiet sein,
das Sie sich vorstellen?«
»Na, sagen wir 50 Quadratmeilen. Wie ein Ölfeld.«
»Kein Problem. Könnte auch noch größer sein.« »Gut, gut. Und wie würde das funktionieren?« »Nun, wir würden einfach etwas von dem Lithium Fluorid auf die äußere Oberfläche der Bombensektoren ummanteln. In einer, sagen wir, zwei Zoll dichten Schicht. Wir könnten eine ganz einfache Bombe verwenden - so eine wie die da drüben. Nun müßte man allerdings in der Form des Abwurfs sehr ge nau sein. Für ein Gebiet in dem von Eurer Majestät erwähnten Ausmaß würde ich zu etwa tausend Fuß raten - nicht mehr und etwa fünf Meilen von der Fläche, die Sie ins Auge gefaßt haben, entfernt.« »Und dann?« »Nun, wenn die Bombe detoniert, wird sie im Zielgebiet kei nen Schaden anrichten. Es ist ja nur eine kleine Bombe.« »Aber womit werden die Menschen in diesem Zielgebiet getö tet?« »Mit Fluor 18. Tödliches Zeug. Arbeitet schnell und sehr wirksam.« »Fluor 18?« »Ja. Die Atomexplosion, wissen Sie, würde das Fluorsalz zum Teil in Fluor 18 umwandeln. Fluor 18 ist ein Isotop mit einer Halbwertszeit von nur zwei Stunden. Aber es tötet Menschen, die ihm ausgesetzt sind, in wenigen Minuten. Die Menschen in Ihrem Gebiet wären tot, bevor sie noch begreifen würden, was mit ihnen geschehen ist. Ja, sie würden sogar eher glücklich sterben; sie würden glauben, daß jemand eine Bombe auf sie abgeworfen und sein Ziel verfehlt hat.« Wieder das Gegacker. »Wunderbar«, bemerkte der Schah. »Und Sie würden nichts weiter brauchen als das?« Er deutete auf das Pulver, das der Professor noch in der Hand hielt. »Ja. Einfaches Fluorsalz.« »Ja aber«, warf der Schah ein, und eine Furche grub sich in seine Stirn, »aber was ist mit unseren Leuten?« »Mit was für Leuten?« »Mit unseren Leuten.«
Allgemeine Ratlosigkeit. General Khatami fand den Weg aus
der Sackgasse. »Wenn ich Seine Majestät richtig verstanden
habe, bezieht sich seine Frage auf die Truppen, die das Zielge
biet dann besetzen sollen.«
»Ach so. Ich verstehe. Aber das ist kein Problem. Überhaupt
kein Problem. Das ist ja gerade das schöne an diesem Materi
al…«, er deutete wieder auf das weiße Pulver, »… wie ich
schon sagte: Seine Halbwertszeit beträgt nur zwei Stunden.
Ihre Truppen könnten am gleichen Tag einmarschieren.«
Der General sah den Schah an. Beide nickten.
»Genauso eine möchte ich haben«, sagte der Schah. »Nein.
Wenn ich es recht bedenke - zwei.«
»Gewiß«, sagte der Professor, schüttete vorsichtig das Salz in
die Flasche zurück und machte eine Notiz auf einem Block.
»General Khatami«, fuhr der Schah fort, »vielleicht haben Sie
noch etwas auf dem Herzen, wobei Ihnen der Professor helfen
kann.«
»Ja, da wäre etwas. Aber ich verlange vielleicht zu viel.«
»Aber bitte«, beruhigte ihn Professor Hartmann, »fragen Sie
nur. Wenn es nicht möglich ist, werde ich es Ihnen schon sa
gen.«
»Nun ja, also rein theoretisch folgende Situation. Nehmen wir
eine Stadt wie Mekka. Rein theoretisch natürlich.«
»Natürlich.«
»Sagen wir, wir möchten etwas in der Art unternehmen, wie
Sie es eben beschrieben haben - etwas, das dieser heiligen
Stätte keinen Schaden zufügt, aber auch, anders als dieses
Pulver, die Menschen nicht gleich tötet. Mit anderen Worten,
sie zwingt, die Stadt zu räumen, indem man sie wissen läßt,
daß sie an dem radioaktiven Niederschlag sterben müssen,
wenn sie bleiben. Verstehen Sie, was ich meine, Professor?«
»Ja, ich verstehe. Das Problem ist nicht neu. Es ist gelöst wor
den. Allerdings nicht von mir. Die Israelis waren es, die eine
Lösung gefunden haben.«
»Können Sie so eine Waffe entwickeln?«
»Natürlich. Damit.« Wieder eine Flasche, diesmal mit einem
grauen metallischen Pulver gefüllt. Der General und der Schah gingen hinüber, um es anzusehen. »Magnesium«, erklärte der Professor. »Einfaches Magnesium. Und wir gehen nach der gleichen Methode vor. Tragen eine Schicht auf die Bombe auf. Wenn sie explodiert, haben wir Natrium 24. Mit einer Halbwertszeit von 15 Stunden. Wenn wir die Bombe in einer Entfernung von sagen wir drei Meilen und in einer Höhe von sagen wir ein paar hundert Fuß abwer fen, haut das perfekt hin. Bei den besonderen Verseuchungsei genschaften dieser Waffe hätte die Bevölkerung genügend Zeit, die Stadt zu verlassen, bevor der Verseuchungsagens Wirkung zu zeigen beginnt.« »Und wenn er einmal Wirkung zu zeigen beginnt, wie lange würde das anhalten?« »Eine Woche. Vielleicht zwei, wenn man sichergehen will.« »Dann könnten unsere Truppen einmarschieren?« »Ja.« »Beachtlich«, meinte der Schah und nahm die Flasche mit dem Magnesiumpulver in die Hand. »Ich finde, wir sollten auch davon zwei Stück bestellen. Was meinen Sie, Khatami?« »Unbedingt.« Der Professor machte eine zweite Notiz. Zusammen zweimal Lithium Fluorid und zweimal Magnesium. »Jetzt fällt mir noch etwas ein«, sagte der Schah. »Nehmen wir an, wir wollten ein Gebiet völlig zerstören. Ein Gebiet im Ausmaß von…« Das Gespräch dauerte den ganzen Tag an. Der Schah bestellte insgesamt zwölf Bomben - mehr konnten mit der Menge Plu tonium, die bis zum 28. März zur Verfügung stehen würde, nicht produziert werden. Und an diesem Tag - dem 28. März 1982 - wollte der Schah sie geliefert bekommen.
19 Während der Schah mit seinen neuen Spielsachen in Khor ramshahr beschäftigt war, überflog ich den Atlantik in der Luxusmaschine der Aramco, die auch mit Schlafkojen ausge stattet war. Es war wie in den alten Stratosphärenflugzeugen der 50er Jahre. Wenn man in jenen Tagen ein Mädchen mit dabei hatte, war das Fliegen wahrlich eine Lust. Schlafkojen in den Flugzeugen und die Schlafwagen in den Fernzügen. Da mals besuchte ich das College, und diese Dinge haben einen tiefen Eindruck in mir hinterlassen. Als die Fluglinien und Eisenbahngesellschaften diese komfortablen Einrichtungen zum Ficken bei hoher Geschwindigkeit von einem Tag zum anderen abschafften, trugen sie meiner Meinung nach nicht unwesentlich zum Niedergang der westlichen Zivilisation bei. Diese meine Ansicht tat ich Reggie kund, der - und das möch te ich betonen - nicht etwa eine Koje mit mir teilte, sondern neben mir an der Bar stand, die - eine von Aramcos liebens wertesten Gesten - im hinteren Teil der Maschine unterge bracht war. Reggie widersprach mir. Der wirkliche Wende punkt - nein, Wendepunkte, Plural - war die Erfindung des trockenen Martini und des Intimsprays. Ich ließ mir das durch den Kopf gehen und mußte schließlich zugeben, daß Reggie der Sache vermutlich näher kam, aber nur, weil er in der Einsamkeit der arabischen Wüste viel mehr Zeit gehabt hatte, die Sache durchzudenken, während ich mich draußen in der wirklichen Welt bewegen mußte. Als ich etwa fünf Stunden später - in meiner Koje und allein erwachte, hatte ich mehr als nur leichte Kopfschmerzen. Im Inneren des Flugzeugs war es noch dunkel, denn schon beim Abflug hatte man alle Blenden geschlossen. Doch als ich mei ne öffnete, stand die Sonne hoch am Himmel. Wenn man in ostwestlicher Richtung fliegt, sind die Nächte kurz. In zwei Stunden würden wir auf dem Kennedy-Flughafen landen. Und dann würde es richtig losgehen. Es war kindisch gewesen, die halbe Nacht durchzusaufen, da so viel auf dem Spiel stand.
Aber Teufel noch mal! dachte ich. Was ist denn schon gar so wichtig? Ich dachte an Ursula. Das war wichtig. In New York würde ich gleich versuchen, sie anzurufen. Und Ursulas Vater, war der wichtig? Es war kaum daran zu zweifeln, daß der ver schrobene alte Bastard da unten tatsächlich mit Kernwaffen herumspielte. Und wenn schon. Welches Land spielte nicht damit herum? Die Frage war: Würde ein Land es wagen, sie einzusetzen? Ich war dem Schah begegnet, schon zweimal. Sicher, er war ein arroganter Hurensohn, keine Frage, aber war er so verrückt, sie wirklich verwenden zu wollen? Nein. Zu mindest jetzt noch nicht. Na schön, dann war also das wirklich dringliche Problem nicht der Krieg, sondern Geld. Nicht der Iran, sondern die Vereinig ten Staaten von Amerika. Wie konnte das nur so schnell ge gangen sein? fragte ich mich. Innerhalb eines Jahrzehnts, gan ze zehn Jahre von mehr als zwei Jahrhunderten. Gewiß, noch war es nicht sichtbar. Noch stand Amerika wie ein herrliches Gebäude auf einem Fundament, das gerade jetzt zu zerbrök keln begann. Das Fundament? Also diesbezüglich hat mir nie jemand etwas vormachen können. Amerika hat immer nur ein einziges Fundament gehabt: Geld. Genug Geld, Reichtum, wie immer man es nennen will, um es in ausreichenden Mengen zu verteilen und alle Welt glücklich zu machen. Das war es, was im 18. Jahrhundert die Engländer anlockte, im 19. Jahrhundert die Deutschen, die Italiener, die osteuropäischen Juden, und im 20. Jahrhundert die Puertorikaner, Mexikaner und Kubaner. Nicht die Verfassung, nicht Abraham Lincoln und nicht die Religionsfreiheit. Die Freiheit, einen Haufen Geld verdienen und es behalten zu können, das war schon immer Amerikas Magnet gewesen. Zynisch? Vielleicht. Aber auch richtig. Aber was würde geschehen, wenn die Goldmine erschöpft war? Wie würden die 220 Millionen Amerikaner reagieren, wenn sie erkannten, daß es mit dem Gold zu Ende ging? Das war meiner Meinung nach das wirkliche, das unmittelbare Problem. Weil sie es immer noch nicht wußten. Man hatte sie
so konsequent, so erfolgreich und so lange eingelullt, ge täuscht, belogen und beschwichtigt, daß die Mehrzahl immer noch dachte, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der 70er Jahre wären nur eine vorübergehende Erscheinung gewesen, und die guten alten Zeiten würden bald wiederkommen. Wenn ich es mir so recht überlege, möchte ich fast meinen, sie woll ten die Wahrheit gar nicht wissen. In den Jahren 1973 und 1974, den Jahren des Ölembargos, war das Land dem wirt schaftlichen Zusammenbruch verdammt nahe. Wenn die Ara ber den Hahn nur noch ein paar Monate länger geschlossen gehalten hätten… und dann, 1975, die Sache mit New York. Sicher, allgemein hieß es, selbst wenn die Stadt bankrott ge macht hätte, irgendwie hätte sich schon eine Lösung gefunden. Aber die großen Tiere mit Nelson Rockefeller an der Spit ze…die wußten Bescheid. Sie wußten schon damals, daß die amerikanische Wirtschaft auf so schwankenden Füßen stand, daß die Zahlungsunfähigkeit New Yorks eine Kettenreaktion auf den Finanzmärkten auslösen konnte. Aber wohin sie ge führt hätte, das wollte keiner wissen. Als es 1981 so aussah, als ob die Chrysler Corporation kaputtgehen würde… das hätte leicht ins Auge gehen können. Sicher, es hatte ja auch schon andere Fälle gegeben. Penn Central war pleite gegan gen, und Wall Street hatte es überlebt - gerade noch, wie man che zu wissen glaubten. Hätte auch schiefgehen können. Sehr gefährlich. Warum? Weil die Amerikaner nervös waren. Je derzeit in Panik geraten konnten. Im Jahre 1982 war es weder die Penn Central, noch Lockheed, noch Chrysler, noch die Stadt New York, die umzukippen drohten. Diesmal waren es die Banken. Nicht eine Bank, und nicht alle Banken. Sondern die Banken. In Amerika waren das vielleicht zwölf, höchstens fünfzehn Bankengruppen. Das waren die, bei denen alles Geld und aller Kredit in den Verei nigten Staaten zusammenkamen. Sie waren der Achsnagel des Systems. Man brauchte ihn nur herauszureißen, und alles war zum Teufel. Denn im Gegensatz zu einem von so gut wie aller Welt akzep
tierten Mythos ist es nicht die Bundesregierung, die für Ban ken »geradesteht«. Es sind andere Banken - die anderen gro ßen Banken -, die im Notfall für Banken einspringen. Die FDIC, die Federal Deposit Insurance Corporation, bürgt nur den kleinen Anlegern - bis zu 40.000 Dollar. Ende und aus. Natür lich wird den großen Banken nicht vorgeschrieben, wann sie ihren Pflichten als Auffangnetz nachzukommen haben. In ein fachen Fällen tun sie’s gleich. Und im Fall eines massiven Zusammenbruchs? Wer weiß? Wir Bankleute wußten das alle, jeder einzelne von uns. Ich erinnere mich da an einen Mann in der Schweiz, der dort ein Bankgeschäft betrieb und der es offen aussprach: Jeder Ban ker, sagte er, steht mit einem Fuß im Zuchthaus. Der dumme Kerl landete mit beiden Füßen im Knast. Aber nur, weil das »Versicherungssystem« in seinem Fall nicht zum Tragen kam. Er hatte nicht nach ihren Regeln gespielt, und darum ließen die großen Banken ihn hängen. Das ist eben das Risiko, sagte er später. Und er hatte recht. Denn wenn eine Bank Pleite macht, und wenn die Großen nicht helfend eingreifen - Gnade Gott dem Burschen, der die Bank geführt hat: Er hat keine Chance. Weil Banker von aller Welt gehaßt werden. Und jeder Banker weiß das. Darum müssen sie zusammenhalten. Sie wissen: Wenn sie einander nicht selbst vor den Wölfen schützen, hilft ihnen auch kein anderer. Am wenigsten die verdammten Be hörden in Washington und die verkalkten Bürokraten. Eine wilde und zwecklose Jagd nach dem Erfolg. Das war der Grund, warum ich verkaufte. Mein Vater hätte das nie ver standen. Er sah sich als echte Säule der Gemeinde - in der gleichen Klasse wie der Richter, der Pfarrer und der Arzt. Wenn ihm die Leute in den Arsch krochen, dachte er, sie täten es, weil sie ihn liebten. Scheiße. Sie taten es, weil sie nicht wußten, ob sie ihn nicht einmal brauchen würden. Das war alles. Meine Exfrau war genauso. Sie liebte es, die Frau des Bankiers zu sein. Wenn sie Einladungen zum Dinner aussand te, konnte sie fest damit rechnen, daß alle vollzählig erschei nen würden. Absagen gab es keine. Sie glaubte, es läge an
ihrem guten Aussehen und an ihrem Charme. Ha! Ich wurde die Bank los, und ich wurde sie los. Und ich war ganz sicher, daß ich nie wieder zu etwas zurückkehren würde, das dem gliche. Und da saß ich nun, jonglierte mit den Milliarden der Saudis und war in Ursula Hartmann vernarrt. Und flog geradewegs in das größte Schlamassel in der Ge schichte der amerikanischen Banken hinein. Es war kein Schlamassel, das über Nacht gekommen war - Schlamassel kommen nie über Nacht. Meine amerikanischen Kollegen hatten ein ganzes Jahrzehnt gebraucht, um den Punkt zu errei chen, den sie 1982 erreicht hatten. Und es waren die fünfzehn größten Banken - die, die alle anderen absicherten -, die am tiefsten in der Patsche saßen. Ihre Schwierigkeiten lagen auf beiden Seiten ihrer Bilanzen. Auf der Aktivseite, wo die For derungen und Investitionen einer Bank verzeichnet sind, war ihre Situation so schlimm, daß einem rechtschaffenen Bankre visor das Herz stehenbleiben konnte, obwohl es bekanntlich von furchtbar schlechtem Benehmen zeugt, wenn man in einer Bank tot umfällt. Mindestens fünfundzwanzig Prozent - ein Viertel - der Aktiva der fünfzehn größten Banken Amerikas waren nämlich wertlos. Natürlich wurden sie in den Büchern zum vollen Wert ausgewiesen, aber sie waren einfach nicht vorhanden. Sie bezogen sich auf Kredite und Investitionen, die unwiderruflich verlorengegangen waren. Um sich ein Bild zu machen, wie schlimm es Anfang 1982 stand, muß man die Zahlen sehen - keine detaillierten Aufstel lungen, nur die großen Posten. Damals betrugen die gesamten Aktiva aller Handelsbanken in den Vereinigten Staaten etwa eine Billion Dollar, in Zahlen 1 000.000.000.000. Davon ent fielen an die fünfundzwanzig Prozent, also etwa 250 Milliar den Dollar, auf die »Großen«, jene fünfzehn Spitzenbanken. Okay? Ihre Jahresberichte zeigten an, daß der Großteil dieser 250 Milliarden Dollar sicher angelegt war: in Staatsanleihen, insbesondere Kommunalschuldverschreibungen (was konnte sicherer sein als eine Stadtverwaltung?), in Immobilien (was konnte sicherer sein als Grundbesitz und Geschäfts- und
Wohnhäuser?), in Krediten an Amerikas größte Unternehmen (diese großen Gesellschaften, denen Amerika seinen Reichtum verdankte), in Tankern (greifbare Werte, wie es sie greifbarer gar nicht gab) und Darlehen an ausländische Staaten (doppelt sicher, denn nicht nur war der Empfänger eine Regierung und somit der sicherste mögliche Schuldner, die Banken hatten auch ihre ausländischen Staatsanleihen auf Dutzende ver schiedener Nationen verteilt). Alle Welt sollte glauben - das war sehr wichtig -, daß alle die se Darlehen so stabil waren wie die Rocky Mountains. Es war ja schließlich alles nur das Geld der Anleger. Wenn die Darle hen nicht zurückgezahlt wurden, bekamen auch die Anleger ihr Geld nicht zurück. Wenn bekannt wurde, daß eine solche Möglichkeit - nein, Wahrscheinlichkeit - bestand und eines schönen Tages alle Welt gleichzeitig vor dem Kassenschalter erschien, dann konnte keine Macht der Erde die Panik des Jahrhunderts aufhalten. Darum wurde die Wahrheit nicht be kannt gegeben - konnte nicht bekannt gegeben werden. Was war die Wahrheit? Fangen wir mit den Immobilien an. In den 6oer Jahren bekamen die Banken großen Appetit auf Ge winne. Wo Gott und die Welt sich den Beutel füllten, warum nicht die Banken - und warum nicht die Führungskräfte der Banken? Es wußten doch alle, daß das große Geld mit Immo bilien verdient wurde - und die Banken waren nicht dabei. Die Erschließer von Bauland verdienten es, und die Makler, die die Erschließer finanzierten. Die Banken kassierten nur acht Pro zent für ihr Geld. Wenn sie aber ins Baulanderschließungsge schäft einstiegen, konnten sie fünfzehn Prozent verdienen! Also stiegen sie ganz groß ins Immobiliengeschäft ein. Dazu schafften sie sich eine neue Einrichtung - die REIT, die Real Estate Investment Trust, die Immobilieninvestmentgesell schaft. Sie gründeten eine oder zwei oder drei dieser Tochter gesellschaften und liehen ihren Babys dann so viel Geld, wie sie brauchten. Die REITS nun fingen an, alles zu finanzieren, was ihnen vor die Augen kam - Eigentumswohnungen in Flo rida, Einkaufszentren in Arizona, Kurorte in Kalifornien, Bü
rohäuser in Manhattan. Zu zwölf Prozent, vierzehn Prozent, sechzehn Prozent. Wunderbar! Auf diese Weise gelang es den REITS, etwa einundzwanzig Milliarden Dollar zu veranlagen, während die Banken selbst die dazugehörigen Bauprojekte mit weiteren zehn Milliarden Dollar finanzierten. Ebenfalls mit vierzehn Prozent im Durchschnitt. Na ja, und dann passierte etwas. Die große amerikanische Konjunktur, die nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen hatte und scheinbar endlos fort dauerte, war plötzlich zu Ende. Die Leute konnten sich keine Eigentumswohnungen in Florida und keine teuren Büros in New York mehr leisten. Die REITS und die Banken blieben auf halbfertigen Projekten über die ganze Länge und Breite der Vereinigten Staaten sitzen. Also motteten sie sie einfach ein und warteten auf die nächste Konjunktur. Sie warteten und warteten und warteten - während die halbfertigen Bauten all mählich zerbröckelten und verfielen. Nicht aber die Darlehen in den Büchern der Banken. Die zerbröckelten in keiner Wei se. Alle 31 Milliarden Dollar waren als Aktiva ausgewiesen, obwohl mindestens die Hälfte - 15 Milliarden Dollar - unwi derruflich dahin war. Mit anderen Worten: 15 Milliarden Dol lar, Eigentum der Anleger, waren unwiederbringlich verloren. Sagten die Optimisten. Die Pessimisten schätzten die Verluste auf mindestens 20 Milliarden Dollar. Oder die Tanker. Auch hier ließ sich die Malaise bis in die späten 60er Jahre zurückverfolgen. Damals entschlossen sich alle führenden Banken - ich spreche wieder von jenen fünf zehn -, in großem Stil ins Auslandsgeschäft zu gehen. Warum? Weil Bankgeschäfte im Ausland im wesentlichen keinen lästi gen Richtlinien von Bankaufsichtsbehörden unterlagen. In den Staaten, wo die Regierung für alles nur Mögliche Vorschriften erließ, war es schwer, sich einen ehrlichen Dollar zu verdie nen, und dann die Steuern. Onkel Sam war einfach unersätt lich. Aber wenn man seine Bankgeschäfte im Ausland betrieb - ein Minimum an Bestimmungen und keine Steuern. Und die wenigen Steuern, die man im Ausland zahlte, konnte man Dollar für Dollar - auf die anrechnen, die man in den Vereinig
ten Staaten zu entrichten hatte. Die Folge war, daß die fünf zehn großen Banken um die Mitte der 70er Jahre mehr als 50 Prozent ihrer Gewinne aus dem Auslandsgeschäft schlugen. Eine weitere Folge war, daß die großen Banken nicht nur klei ne, sondern geradezu infinitesimale Steuerleistungen an die amerikanische Regierung erbrachten. Es gab Jahre, in denen sie überhaupt keine Steuern zahlten! Aber - und das war, wie sich bald herausstellte, ein großes »Aber« - als die großen Banken sich entschlossen, ins Auslandsgeschäft einzusteigen, fanden sie heraus, daß es da auch Konkurrenz gab. Insbeson dere bei sicheren Anleihen. Bei sicheren großen Anleihen, denn große Banken interessieren sich hauptsächlich für große Anleihen, weil sie ja großzügig denken. Und schließlich erfor dert ein Hundert-Millionen-Dollar-Darlehen nicht mehr oder nicht viel mehr Schreibarbeiten als eines von einer mickrigen Million. Nun, Tanker - nein, Supertanker - waren eine ideale Anlage. Erstens waren sie mehr als groß - sie waren enorm! Zweitens baute man sie überall wie verrückt, denn die Nach frage nach Öl und Ölderivaten stieg jedes Jahr um 10 bis 15 Prozent und würde auch in den nächsten dreißig Jahren nicht nachlassen. Und drittens gab es eine große Anzahl von Banken - schweizerische, deutsche, belgische Banken -, die sich für solche Anlagen nicht interessierten. Sie hielten sie für zu ris kant. Diese Idioten! Also schalteten sich die Amerikaner ein über ihre Filialunternehmen in London. Sie führten dem Tan kermarkt etwa 15 Milliarden Dollar zu - in Skandinavien, in Japan, in Griechenland, in Deutschland, Irland und Norwegen. Dann kam das Ölembargo des Jahres 1973. Auf der ganzen Welt nahm der Ölverbrauch schlagartig ab. Frachtsätze sanken ins Bodenlose. Niemand konnte die alten Tanker gebrauchen, und noch viel weniger die neuen, die mit dem Geld amerikani scher Banken gebaut wurden. So blieben also die amerikani schen Banken, wie auf den Immobilienprojekten, auch auf Tankern sitzen, die zur Hälfte, zu drei Viertel oder auch ganz fertig gebaut waren, aber jetzt Jahr für Jahr untätig in irgend
einem fernen norwegischen Fjord vor Anker lagen. Resultat: Mindestens die Hälfte der 15 Milliarden Dollar würden nie wieder zurückgezahlt werden. Zur gleichen Zeit etwa, da die großen amerikanischen Banken die Tanker entdeckten, entdeckten sie auch noch einen anderen Markt, einen noch größeren und noch exotischeren: Darlehen an ausländische Regierungen. Italien war natürlich eine ihrer ersten Entdeckungen. Nun, wir wissen ja schon, was uns dort passierte - uns allen, nicht nur den amerikanischen Banken. Obwohl sie gewarnt worden waren. Der Währungskommissar der Vereinigten Staaten hatte schon 1974 alle amerikanischen Banken gewarnt, Italien auch nur noch einen Penny zu leihen. Sie ließen sich davon nicht abhalten. Aber Italien war nichts im Vergleich zu den unterentwickelten Ländern. Alles zu sammen hatten amerikanische Banken - auch wieder fast aus schließlich die fünfzehn Großen - ihnen bis 1982 33 Milliar den Dollar geliehen. Alles aus den Ersparnissen freundlicher alter Damen aus dem nördlichen Teil des Bundesstaates New York oder aus Sacramento in Kalifornien, die alle glaubten, ihre Einlagen in der Bank am Platz würden dem Metzger am Platz für seine Fleischeinkäufe geliehen werden. Nein, nein. Ihr Geld ging in ferne Länder wie Zaire, Uruguay, Ägypten, Burma, Sri Lanka, die damit am Leben erhalten wurden und sich zu exorbitanten Preisen von den Arabern Öl und aus Europa, Japan und Amerika zu ebenso exorbitanten Preisen Fertigwaren kaufen konnten. Freilich, alle diese Dar lehen waren mit Staatsgarantien gedeckt, aber diese Garantien waren noch weniger wert als die der Stadt New York. Denn die einzige Einnahmequelle der meisten dieser Nationen - die Einkünfte, aus denen sie die Zinsen für ihre Darlehen und zum Fälligkeitstermin auch diese selbst zurückzahlen sollten - kam aus dem Verkauf von Rohstoffen und Nahrungsmitteln auf den Weltmärkten. Doch in der gedrückten Wirtschaftslage, in der sich die Welt in den 70er Jahren befand, waren die Preise, die sie für Kakao, Kaffee, Kupfer, Zink, Baumwolle etc. etc. be kamen, in alle Richtungen gegangen, nur nicht nach oben.
Folge: Uruguay, Ägypten, Sambia und Mexiko benötigten bis zu 40 Prozent ihrer gesamten Einkünfte, um den Zinsendienst für die ausstehenden Forderungen der amerikanischen Banken zu leisten. Bei Ländern wie Burma, Nicaragua, Algerien, Bo livien, Zaire, dem Sudan und Sri Lanka waren es 30 Prozent nur für die Zinsen. Dann kamen Marokko, Argentinien, Israel, Chile - die Liste nahm kein Ende. In ein paar Jahren würden die Geldmittel, die diese Länder für den Zinsendienst aufwen den mußten, an ihr gesamtes Einkommen heranreichen. Mit anderen .Worten: Diese Darlehen waren nicht nur dubios, sie waren miserabel. Von den 33 Milliarden Dollar waren kaum mehr als 25 Prozent sicher, der Rest - 25 Milliarden Dollar - waren vollständig abzuschreiben. Aber auch die Schlüsselbanken des Systems hatten ihr gerüt telt Maß Anteil an den Sorgen des gesamten Bankenapparats: Milliarden Dollar zweifelhafter Darlehen an im wesentlichen zahlungsunfähige amerikanische Gesellschaften - an erster Stelle die Fluglinien und Eisenbahngesellschaften. Dazu viele Milliarden Dollar, die die Banken in dubiosen Kommunal schuldverschreibungen investiert hatten: New York, Detroit, Cleveland, der Staat Massachusetts, die Liste nahm kein Ende. Nettobilanz: Von den 250 Milliarden Dollar, die die fünfzehn großen Banken der Vereinigten Staaten als Aktiva auswiesen, waren mindestens 50 Milliarden Dollar wertlos. Ihr gesamtes Eigenkapital aber, jenes Kapital, das nicht entnommen werden konnte, betrug nur 25 Milliarden. Mit anderen Worten, sie waren doppelt pleite. Dessen ungeachtet arbeiteten sie immer noch wie eh und je. Präsidenten und Vizepräsidenten, Kassierer und Hilfskassierer, alle waren sie glücklich und zufrieden. Weil nämlich alle, von diesen Leuten bis zu den Rechnungsprüfern und Bankreviso ren aus Washington, die Köpfe tief im Sand stecken hatten. Weil es eine amerikanische Bank - nach offizieller Lesart nicht nötig hatte, wie jedes andere Unternehmen die Dinge beim Namen zu nennen. Sie brauchten eine dubiose Schuld nicht dubios zu nennen - zumindest nicht nach außen hin.
Denn die Banken halten sich an ihre eigenen Regeln. Durch Darlehen entstandene Verluste müssen nicht gleich als solche deklariert werden; sie können nach Belieben eines leitenden Managers »abgeschrieben« werden. Dubiose Darlehen können zu soliden werden, indem man dem schlechten Schuldner noch etwas mehr Geld leiht; damit kann er die Zinsen auf das du biose Darlehen zahlen und erspart es so der Bank, das Darle hen als dubios auszuweisen. Verrückt, aber wahr. Das war nun schon alles traurig genug - ich meine die Haben seiten auf den Bilanzbögen der großen amerikanischen Banken -, aber wenn man sie in Verbindung zur Sollseite brachte, war die Lage ausgesprochen kriminell. Denn als Bank kann man so viele dubiose Aktiva haben wie man will; solange niemand davon weiß, werden die Leute nach wie vor ihr Geld hintragen. Und man kann die Situation immer weiter vertuschen. Wenn jemand sein Geld zurückha ben will, braucht die Bank keine Anleihen aufzukündigen, um sich die Mittel zu beschaffen - der Schuldner könnte ja sowie so nicht zahlen; nein, die Bank finanziert die Abhebungen, indem sie sich neue Anlagen sucht. Dieses System war die Erklärung für den Fortbestand des Bankenapparats. Wie jeder Bankier bestätigen kann, ist noch keine Bank je wegen dubioser Darlehen in ihren Büchern in die Binsen gegangen. Was die Banken kaputtmacht, ist Liqui ditätsknappheit, Mangel an Bargeld, um Zweiflern, wenn sie zur Kasse kommen, ihr Geld zurückzahlen zu können. Die klassische Methoden solche Klemmen zu vermeiden, besteht darin, kurzfristig zu verleihen und langfristig zu borgen. An ders ausgedrückt: Der vorsichtige Banker wird Darlehen auf ein Jahr geben und Einlagen auf zwei Jahre hereinnehmen. Das ist die goldene Regel des Bankgeschäfts. Da kann dann nichts passieren. In Amerika aber war man jahrelang genau verkehrt vorgegangen. Die Banken gaben dem Kongo auf fünfzehn Jahre befristete Darlehen und finanzierten sie mit Neunzig-Tage-Hinterlegungsscheinen in den Vereinigten Staa ten oder mit Dreißig-Tage-Geld auf dem Eurodollarmarkt.
Aber nicht nur verliehen sie langfristig und borgten kurzfristig, sie brachen auch jene andere Faustregel des Bankgeschäftes: Verteile deine Einlagen auf die größtmögliche Zahl von Anle gern. Wenn fünfundzwanzig Prozent deiner Einlagen auf nur zehn Einleger kommen, bist du in hohem Grad exponiert. An ein und demselben Tag kann die Hälfte dieser Einleger auf kreuzen und ihr Geld zurückverlangen - das du als Bank viel leicht nicht hast. Wenn du aber deine Einlagen auf Hundert tausende Anleger verteilt hast, und wenn keine zehn von die sen mehr als nur ein paar Prozent kontrollieren, kann so ein »Zufall« nicht passieren. Klare Sache. Aber in den 70er Jahren hatten die großen New Yorker Banken keine Wahl. Sie brauchten frisches Geld. Ihre Darlehen wurden nicht zurück gezahlt. Sie sahen sich gezwungen, neue zu gewähren, um die alten zu retten - und um ihr Gesicht nicht zu verlieren. So wa ren sie also willens, die traditionellen Grundsätze zu vergessen und sich mehr und mehr Geld von weniger und weniger Anle gern zu holen und kürzere und kürzere Verfallszeiten zu ak zeptieren. Das Risiko der Illiquidität war daher immer gegenwärtig. An fang 1982 war es vielleicht höher als je zuvor, weil die Geldund Kapitalmärkte austrockneten. Die Regierung der Vereinig ten Staaten schluckte fast alle Spareinlagen. Das mußte sie, um das Budgetdefizit zu decken, das zu Beginn des Geschäftsjah res 1982 eine Höhe von 136 Milliarden Dollar erreicht hatte. Die Folge: Es blieb einfach nicht genug übrig, um die großen Banken in die Lage zu versetzen, ihre monumentalen Darlehen zu verschleiern und gleichzeitig ihren noch lebensfähigen Kunden die gewohnten Kredite zur Verfügung zu stellen. Man konnte sich also vorstellen, was geschehen würde, sobald Yamani und ich mit den Milliarden der Saudis auf der Bildflä che erschienen. Freude würde herrschen in der Wall Street, denn wieder einmal war auf wunderbare Weise Strafaufschub gewährt worden von einem stets verzeihenden Gottob er nun Jehova hieß oder Allah oder sonst wie. Wichtig war nur, daß Er Geld regnen ließ.
Ich muß zugeben, ich war glücklich, als die Düsenmaschine der Aramco an jenem kalten Januartag auf dem KennedyFlughafen landete. Ich liebte New York. Es war die schönste Stadt der Welt. Kein anderer Ort kam ihr gleich. Abermals bestätigten sich die Gefühle, die ich für diese Stadt hegte, als wir in die Abfertigungshalle kamen. Ich warf einen halben Dollar in den Automaten und bekam die Frühausgabe der New York Daily News. Offenbar hatten sie einen Wink bekommen, denn die Schlagzeile lautete: Welcome Sheik: We’re up the creek! - etwa: Willkommen Scheich, wir sind aus der Klemme! Ich zeigte es Yamani, und er lachte. Ich rechne es ihm hoch an: Er fand New York nicht weniger berauschend als ich es immer gefunden habe. Exxon wartete schon auf uns, wie in alten Zeiten. J. J. und Yamani in einer Maschine! Die Burschen in New York muß ten sich fast überschlagen haben, um sicherzustellen, daß alles klappen würde: Nicht weniger als sechs der prächtigsten Li mousinen, die Menschenhand geschaffen hatte, waren da, und eine Abteilung von mindestens fünfzehn der baumlängsten Leibwächter, die ich je gesehen hatte. Sie schafften uns Bewe gungsraum. In weniger als fünf Minuten waren wir durch den Flughafen durch und auf der Schnellstraße. Unser Ziel war die Ecke Sixth Avenue und Fiftyfourth Street, Sitz der internatio nalen Hauptverwaltung der Exxon. In Erwartung unserer Ankunft waren alle Aufzüge, die die obersten Geschosse bedienten, abgeriegelt worden. J. J. und seine Kumpel fuhren direkt in den 51. Stock hinauf, in eine Welt luxuriöser Bürosuiten, wie sie nirgendwo sonst zu finden sind. Wir - damit meine ich Yamani, Reggie und mich - stie gen schon einige Stockwerke vorher aus, in der Zentrale der Aramco, die - wie bequem! - im Exxonhaus untergebracht war. Es war ein tolles Ambiente. Als erstes fiel einem ein Riesen porträt von König Khalid ins Auge. Reihenweise arabische Stiche und eindrucksvolle Photographien von Rohrleitungen in der Wüste. Wo amerikanische Ölmagnaten und arabische
Scheichs zusammenarbeiteten, war ihr Beitrag zur Innendeko ration einzigartig absurd. Doch was den Büros an künstleri scher Ausstattung fehlte, glichen sie durch das tiefe Gefühl ehrfürchtiger Scheu aus, das sie dem Besucher vermittelten: Hier stank es förmlich nach Geld. Yamani und Reggie fühlten sich hier ganz zu Hause. Reggie unternahm den aussichtslosen Versuch, mich mit den jungen Saudis bekannt zu machen, die die Büros bevölkerten, gab es aber bald auf, als ich ihm gestand, daß ich einen Araber nicht vom andern unterscheiden konnte. J. J. hatte uns in den ein undfünfzigsten Stock hinaufgebeten, wo wir mit seinen Kolle gen im Exxon-Vorstand zu Mittag essen sollten. Gott sei Dank hatte Yamani abgelehnt, wir machten uns lieber an die Arbeit. Man hatte mir ein Büro von immensen Proportionen mit einem kompletten Stab von Sekretärinnen zugewiesen. Yamani gab mir freie Hand, alle nötigen Knöpfe zu drücken, während er sich in eine Bürosuite am anderen Ende zurückzog, wo er vermutlich die Absicht hatte, auf die seinen zu drücken. Mein erster Anruf galt dem Mann, der in amerikanischen Fi nanzkreisen allgemein als der erste Mann bei der Spitze ange sehen wurde: Mr. Randolph Aldrich, Verwaltungsratsvorsit zender und Präsident der First National Bank of America. Mein Aramco-Mädchen hatte ihn in fünf Sekunden am Draht. Früher hatte ich fünf Tage gebraucht, um durchzukommen. »Hitchcock!« Fast schrie er. »Wo sind Sie?« »In New York, Randolph. Wie geht es Ihnen?« Von belanglosem Geplauder wollte er nichts wissen. »Wo in New York?« »Im Exxon-Haus.« »Hören Sie, setzen wir uns doch gleich zusammen.« »Na sicher, Randolph. Darum habe ich Sie ja angerufen.« »Bei Ihnen oder bei mir?« Ich wette, das war das erste Mal in zehn Jahren, daß Randolph Aldrich diese Frage gestellt hatte, einschließlich der Gelegenheiten, wenn der Präsident der Ver einigten Staaten ihn zu sprechen wünschte. »Bei mir«, antwortete ich prompt. »Um genauer zu sein, hier
im Aramco-Büro.«
»Ich weiß, wo das ist. Wann?«
»Sagen wir in einer Stunde.«
»Einverstanden. Wer kommt noch?«
»Niemand.«
Das gefiel ihm. »Wollen wir es bis auf weiteres dabei lassen,
Bill?«
»Sicher, Randy.«
Ich verabschiedete mich nicht, weil Aldrich sich niemals ver
abschiedete. Er legte einfach auf, wenn er alles gesagt hatte.
Ich muß sagen, ich bewundere kleine Charakterzüge dieser
Art. 61 Minuten später war Aldrich in meiner neuen Aramco-
Bürosuite.
»Sooft ich hierherkomme«, sagte er, auf eine Begrüßung ver
zichtend, »frage ich mich, was sich die Juden auf der anderen
Straßenseite denken, wenn sie aus dem Fenster schauen.«
Auf der Straßenseite gegenüber befanden sich die Sitze der
drei amerikanischen Fernsehgesellschaften.
Ich beschloß, auf seine Bemerkung nicht einzugehen, und das
aus zwei Gründen: erstens war es ein sehr alter Witz; zweitens
gehörte meine neue Freundin demselben Glauben an. Und
drittens, fällt mir gerade ein, sind mir die Juden um vieles
sympathischer als die Aldrichs dieser Welt. Ich saß hinter
meinem Schreibtisch, Aldrich nahm mir gegenüber Platz.
»Okay, Hitchcock, los geht’s. Wir haben gehört.«
Natürlich hatten sie gehört. Du lieber Gott, das supergeheime
Gespräch auf einem englischen Landsitz war schon 24 Stun
den alt. In weiteren 24 Stunden konnte man es vielleicht schon
Wort für Wort auf den Lochstreifen aller Fernschreiber lesen.
»Wie sieht es auf der Börse aus?« fragte ich.
»Um 16 Punkte gestiegen. Was haben Sie denn erwartet?«
Genau das. Die Börsenabteilungen der Banken kauften schon
ein, noch bevor es richtig losging. Ohne zu übertreiben und
ohne ihre Pläne erkennen zu lassen. Es war keine sehr nette
Welt, in der wir lebten.
»Also, Randolph, bevor es losgeht, könnten Sie mir wohl sa
gen, was Sie gehört haben?«
»Daß die Saudis endlich bereit sind, mit uns zusammenzuar
beiten. Ich habe Ihnen ja schon in Frankfurt gesagt, daß Ihnen
nichts anderes übrigbleiben würde. Erinnern Sie sich?«
»Ich erinnere mich.«
»Aber mit wieviel?« wollte er wissen.
»Dazu kommen wir noch. Eins nach dem andern. Zuerst
möchte ich noch etwas vorschlagen.«
»Bitte.«
»Ich möchte, daß Sie eine kleine Konferenz einberufen. Für
morgen Nachmittag. Um drei Uhr fünfzehn. Hier.«
»In Ordnung. Wen wollen Sie dabeihaben?«
Ich sagte es ihm. Insgesamt sechzehn Leute. Ich hatte die Liste
mit der Hand geschrieben.
Ich gab ihm die Liste. Er sah sie durch.
»In Ordnung. Ich kann wahrscheinlich alle erreichen, außer
Larsen.« Larsen war Präsident von General Dynamics.
»Was ist denn mit Larsen?« fragte ich. »Ist er verreist?«
»Nein. Er ist gestern abend gestorben. Ich werde den zweiten
Mann herbitten.« Er strich Larsen von der Liste und schrieb
einen anderen Namen hin. Vorhang für Mr. Larsen.
»Kann ich ein Telefon haben?«
Ich schob es ihm über den Schreibtisch. Er rief seine Bank an.
Er wählte selbst. »Marjory«, sagte er zu seiner neunundfünf
zigjährigen Sekretärin, die ich in der Vergangenheit wieder
holte Male hatte überwältigen müssen; es war nicht viel leich
ter gewesen als den Mont Blanc ohne Tunnel zu durchqueren.
»Ich möchte ein paar Herren morgen um drei hier bei Aramco
haben.« Nicht drei Uhr fünfzehn, wie ich vermerkt hatte. Er
las ihr die Liste vor und legte auf. Weder er noch ich zweifel
ten einen Augenblick daran, daß alle erscheinen würden.
Er gab mir die Liste zurück. Bei Papieren weiß man nie. »Also
schön«, sagte er, »ich höre.«
»8,2 Milliarden habe ich sofort für Sie verfügbar.« Das war
die Vorauszahlung für neunzig Tage arabisches Rohöl, wie mit
J. J. in England besprochen. Das Geld lag auf Abruf bereit.
»Konditionen?« fragte Aldrich.
»Nur immer mit der Ruhe. Ich fange ja erst an. Das ist jetzt
etwas Besonderes. Ich möchte es erst mal aus dem Weg ha
ben.«
»Okay. Um was geht’s?«
»Erinnern Sie sich an das italienische Geschäft, das Sie auf
fliegen ließen?«
»Ich?«
»Sie.«
»Ich erinnere mich.«
»Also, das läuft jetzt wieder. Aber diesmal ist noch ein beson
derer Dreh dabei. Wir - und damit meine ich…«
»Ich weiß, wen Sie meinen.«
»Na schön. Wir kaufen die ausländischen Vermögenswerte der
ENI. Sechs Milliarden Dollar. Wir haben eine Holding-
Gesellschaft in Liechtenstein, die als Käufer fungieren wird.
Es kann sofort losgehen. Seit gestern ist sie mit einem Kapital
von einer halben Milliarde Dollar ausgestattet. Alles einge
zahlt. Der Rest kommt in Darlehen auf fünf Jahre. Wir möch
ten, daß Sie ein Konsortium zusammenbringen, das die Darle
hen gibt. Wie gesagt, das Geld bekommen Sie von uns.«
»Auf fünf Jahre?«
»Um Gottes willen, nein. Auf der üblichen Basis.«
»Ausgeschlossen.«
»Hören Sie, Aldrich. Das gehört zum Paket.«
Das gab ihm zu denken. »Warum machen Sie es nicht selbst?
Wozu brauchen Sie uns?«
»Ein Grund: Die Saudis wollen es so. Sie verleihen ihr Geld
gern kurzfristig. Das sollten Sie jetzt schon wissen, Aldrich.
Sie wollen, daß ihre Banken ihre Darlehen langfristig, mittel
fristig oder sonst wie vergeben. Sie kennen ihre Denkweise:
Dazu sind Banken da. Wenn Banken ihr Geld haben wollen,
so…«
»Das habe ich schon so oft gehört, daß mir übel wird.«
»Na also. Wozu dann soviel Aufhebens? Überdies werden
sämtliche Vermögenswerte der ENI als Deckung dienen. Was
wollen Sie noch mehr? Ein so attraktives Geschäft ist Ihnen
noch nie angeboten worden. Sie fungieren dabei als Führungs
bank und verdienen von vornherein netto fünfzig Millionen
Dollar, ohne den Finger krumm zu machen. Ich serviere Ihnen
die ganze Chose auf einem Silbertablett, Aldrich - das Ge
schäft, das Geld und die Garantie.«
»Aber können Sie mir garantieren, daß die Saudis ihre kurzfri
stigen Einlagen so lange prolongieren, bis das Fünf-Jahre-
Darlehen fällig wird?«
»Na sicher. Und Yamani garantiert es Ihnen auch. Und Fahd
auch, wenn Sie darauf bestehen.«
»Wie hoch ist die Marge?«
»Sie haben keine schlechte Marge. Wir verlangen acht Prozent
für die Einlage. Sie können zehn für das Darlehen verlangen.
Eine Marge von zwei Punkten. Nicht übel, hm?«
»Wir haben ja auch ein Risiko.«
»Sicher.«
»Okay. Sonst noch was?«
»Ja. Wir möchten Sie im Vorstand der Liechtensteiner Hol
ding-Gesellschaft haben. Die Saudis sind nicht unbedingt er
picht darauf, die Tatsache publik zu machen, daß es de facto
zu hundert Prozent ihr Laden ist. Sie wissen ja, wie das ist.
Vielleicht können Sie auch jemanden von der Chase und von
der Chemical zum Mitmachen überreden. Die Aufsichtsrats
tantiemen werden, na sagen wir, großzügig sein.«
»Gut. Wer wird den Vorsitz haben?«
»Dr. Willi.«
Dr. Willi war einer der gerissensten und daher reichsten An
wälte in Vaduz. Kein Wunder, daß Aldrich ihn gut kannte.
»Willi kommt morgen früh mit den Dokumenten. Den italieni
schen Teil des Geschäfts hat er bereits festgenagelt.«
»Das glaube ich gern«, meinte Aldrich und grinste. Dann: »Sie
sagten, die Gelder wären verfügbar. Wo?«
»In Europa«, antwortete ich. »Die ganzen 8,2 Milliarden
kommen aus europäischen Banken. Eurodollar.«
»Teufel noch mal! Die werden schreien!«
»Warten Sie, bis Sie den Rest gehört haben.«
Der Rest war, daß amerikanischen Banken innerhalb der näch
sten Wochen weitere zwanzig Milliarden Dollar zur Verfü
gung gestellt werden würden.
»Warum zwanzig?« fragte Aldrich - eigentlich eine verdammt
dumme Frage.
»Weil ich es sage.« Was eine ebenso dumme Antwort war.
Aber er ließ es dabei bewenden.
»Wo kommen die her?«
»Von überall. Deutschland, Schweiz, Japan, Frankreich - von
überall.«
»Wieder Eurodollar?«
»Nein. Das meiste in europäischen Devisen.«
»Die Burschen drüben werden sehr laut schreien!«
»Tja. Das Leben ist hart.«
»Was habe ich dabei zu tun?«
»Die Abnehmer auf unserer Seite zusammenzutrommeln.«
»An wen denken Sie da?«
Die ersten zehn Banken in den Vereinigten Staaten. An wen
sonst? Die Saudis ließen sich niemals - und ich meine niemals
- mit Banken ein, die nicht unter den ersten fünfzig der Welt
rangliste zu finden waren. Ende und aus.
»Und wer bekommt wieviel?«
»Ich dachte, wir sollten uns da an das marxistische Prinzip
halten: Jedem nach seinen Bedürfnissen.«
Das gefiel Aldrich. »In Ordnung«, sagte er. »Ich finde mich
jetzt schon zurecht. Und wie sind die Konditionen?«
In meiner Erinnerung gehören Aldrich und diese Frage immer
zusammen.
»Wir geben Ihnen diese Gelder zu fünf Prozent.«
»Fünf?« fragte er, zum ersten Mal verwundert.
»Fünf.«
»Aber Notenbankgelder kosten acht.«
»Ich weiß. Aber nicht mehr lange.«
»Sie haben recht. Sie haben Köpfchen, Hitchcock.«
Die sogenannten Notenbankgelder waren nämlich das billigste
Geld, das amerikanischen Banken zur Verfügung stand. Es war Geld, das aus den außerordentlichen Reserven des Zen tralbanksystems der Vereinigten Staaten, des Federal Reserve System, sehr kurzfristig von einer Bank der anderen geliehen wurde. In ihrem durch nichts zu heilenden Irrsinn verfolgten die Leute, die an der Spitze des FRS standen, die Politik des knappen Geldes; sie ließen die Banken nach Geld hungern, weil irgendein Professor in Chicago ihnen einmal erzählt hatte, daß das die einzige Methode wäre, der Inflation Einhalt zu gebieten. Sicher, es war eine Methode. Aber doch nicht die allein selig machende. Nichtsdestoweniger war es eine von Einfalt geprägte Theorie - und daher eine, die vielen Politikern und den meisten Wirtschaftsjournalisten zusagte. Und eine, die schon hundert Jahre vor dem Chicagoer Professor erdacht worden war und damals auch nicht funktioniert hatte. Aber bitte. Die Herren in Washington waren Rechtgläubige. Aber ihre Macht, ihren Glauben aufzuzwingen, war auf die Verei nigten Staaten beschränkt. Sie hatten keine Möglichkeit, den enormen Zustrom arabischen Geldes zu blockieren. Und so bald die Saudimilliarden anfingen, den amerikanischen Ban kenapparat zu überfluten, würden die Zinssätze natürlich so fort absacken - die kurzfristigen wahrscheinlich wieder auf fünf Prozent. Aldrich hatte sich das blitzschnell ausgerechnet. »Also kom men diese Gelder auch kurzfristig«, sagte er, und seine Stim me verriet keine überschäumende Freude. »Natürlich. Dreißig Tage Maximum. Aber mein Gott, Aldrich, man kann nicht alles haben.« »Ich weiß.« Es klang verdrossen. »Und vergessen Sie nicht, mit wem Sie es zu tun haben. Ich kenne die Saudis jetzt schon. Sie sind genauso verantwor tungsbewußt wie andere Staatsmänner auch. Das Geld, das sie bringen, soll auf Dauer in den Vereinigten Staaten bleiben. Die Prolongationen werden automatisch erfolgen.« »Sie haben wohl recht, Hitchcock. Wie ich schon in Frankfurt sagte: Ohne uns würden sie bald in der Scheiße sitzen. Okay.
Es gefällt mir nicht. Aber viele andere Möglichkeiten haben wir ja jetzt nicht, stimmt’s?« Er wußte, daß ich wußte, in wel cher Verfassung sich seine und die anderen Banken in New York befanden. »Ich fürchte, ja. Aber versuchen Sie doch, die Dinge von einer anderen Seite zu sehen. Was würde geschehen, wenn wir nicht gekommen wären?« Das überhörte er. »Und wer wird meinen Konkurrenten und Kollegen die guten Nachrichten überbringen?« »Ich denke, das sollten Sie tun, Randolph. Damit man Sie endlich einmal zu den Großen zählt.« Ich weiß wirklich nicht, warum ich so dummes Zeug schwätze. »Wie soll der Transfer vor sich gehen?« fragte er. Ich erklärte es ihm. Die Durchführungsweise würde in allen Fällen die gleiche sein. Die Gelder würden auf fester DreißigTage-Basis auf die Londoner Zweighäuser der kreditnehmenden Institute übertragen werden. Die Zweighäuser würden die Gelder an die Hauptverwaltungen in den Vereinigten Staaten zurücküberweisen. Die Zentralen würden die Einlagen aus drücklich im Namen ihrer Auslandstöchter garantieren müs sen. Die Überschreibungen könnten in drei Tagen beginnen und würden dann gestaffelt weiterlaufen, bis die ganzen zwan zig Milliarden aufgebracht waren. Alles, was ich noch brauch te, war eine Liste der Banken, die sich beteiligen wollten, und wieviel sie hereinnehmen konnten. »Können Sie mir das noch heute zusammenstellen?« fragte ich. »Wahrscheinlich. Wie lange sind Sie noch da?« »Mindestens bis sechs.« »Ich rufe an. Und jetzt wegen dieser Konferenz morgen.« »Ja?« »Sie versuchen wohl, eine saudiarabische Lobby zusammen zubekommen?« »Stimmt.« »Warum nicht. Ich bin dafür, das wissen Sie ja. Wer soll den Vorsitz übernehmen?«
»Ich dachte an Sie, Randy.« »Gern. Wissen Sie, Hitchcock, ich arbeite gern mit Ihnen zu sammen.« »Ich auch mit Ihnen, Randy.« Um fünf rief er zurück. Er hatte Zusagen für die ganzen zwan zig Milliarden. Das meiste nahmen die New Yorker Banken, einschließlich Aldrichs eigener. Sie hatten es nötiger als die Burschen im Westen, erklärte er. Ich verbrachte die folgenden Stunden damit, Fernschreiben in die ganze Welt hinauszuschicken. Ich informierte Dutzende von Banken, daß die kurzfristigen Einlagen, die das König reich Saudiarabien bei ihnen hatte, nicht verlängert würden und daß weitere Instruktionen folgen sollten. Um sieben kam Zaki Yamani in mein Büro. Er freute sich, als er hörte, was alles schon getan war. Und er schlug vor, ich sollte für heute Schluß machen. Er hatte für morgen, neun Uhr vormittags, eine Konferenz angesetzt und wollte mich dabei haben. Sie würde im einundfünfzigsten Stockwerk stattfinden. J. J. würde den Vorsitz führen, und er dachte, ich würde Spaß an der Sache haben.
20 An jenem Abend war ich seit langer Zeit zum ersten Mal allein in New York. Ich wohnte im Plaza, einem stark überbewerte ten Etablissement, aber es lag nur wenige hundert Meter vom Exxon-Haus entfernt. Ich verließ das Aramco-Büro kurz nach sieben, ging ins Hotel hinüber, kippte ein paar Drinks an der Bar - stehenden Fußes, die einzig korrekte Art zu trinken, eine Tatsache, die in Ame rika nur in zwei Städten Anerkennung gefunden hat: in San Francisco und in New York. Nun war ich bereit. Wozu? Ich wußte genau, wozu, aber tut man das, wenn man am nächsten Tag ein mörderisches Pensum zu bewältigen hat? Man sollte es nicht tun, aber man tut es. Also zog ich mein Notizbuch heraus und wählte eine Nummer. Nach zwei Klin gelzeichen legte ich auf. Warum sollte ich solchen Unfug an stellen? Ich war todmüde, marschierte im Eilschritt auf die 50 zu, machte mir Sorgen - ja, ich machte mir Sorgen, auch wenn alles gut zu laufen schien - und dachte allen Ernstes daran, mit einem siebenundzwanzigjährigen Flittchen ein sündhaft teures Restaurant zu besuchen, wo ich sowieso nichts essen würde, dann in eine Bar zu gehen, um noch etwas zu trinken, und schließlich in ihre Wohnung, wo ich die ganze Nacht würde verbringen müssen (denn es galt als unmanierlich, zu ficken und dann nach Hause zu gehen wie in den guten alten Zeiten), um am nächsten Morgen als klappriges, todmüdes, mit Brummschädel behaftetes altes Wrack aus dem Bett zu krie chen. Hol’s der Teufel! dachte ich. Ich rief die Zentrale und meldete ein Gespräch mit Ursula in Persien an. Nach fünf Minuten rief das Amt zurück: mindestens zwölf Stunden Wartezeit. Sie sollte es lassen, sagte ich der Dame. Dann sagte ich »Scheiße«, stellte mich unter die Dusche und ging schlafen. Zwölf Stunden später wachte ich auf. Wieder unter die Brause, und ich fühlte mich kerngesund und sah auch so aus. Komisch, daß Müdigkeit einen so durcheinander bringen kann.
Um acht Uhr fünfundvierzig verließ ich, von Tatendurst er füllt, das Plaza. Als ich in den 51. Stock des Exxon-Hauses kam, stand J. J. im Gang vor dem Konferenzsaal und sprach mit Yamani. Als er mich sah, kam er gleich auf mich zu. »Wie sind Sie und Aldrich gestern zurechtgekommen?« wollte er wissen. »Gut.« »Wieviel Geld wollt ihr Burschen in die Staaten transferie ren?« »Hat Yamani Ihnen das nicht gesagt?« »Nein. Ich habe ihn nicht gefragt. Ich frage Sie.« Gestützt auf die Symbole seiner Macht in diesem 51. Stockwerk ging J. J. etwas zu plump vor. Wahrscheinlich war er darauf aus, sich auf der Börse ein privates Süppchen zu kochen. Zum Henker mit ihm. Er hatte genug Geld. »J. J.«, antwortete ich, »wenn es Sie etwas anginge, hätte ich Sie davon in Kenntnis gesetzt. Aber es geht Sie nichts an, und darum habe ich Sie nicht informiert.« J. J. bohrte weiter, als ob er mich nicht gehört hätte. »Das ENI-Geschäft ist auch dabei?« »Könnte sein.« »Ihr Burschen wollt also dieses verrückte Geschäft tatsächlich durchsetzen?« J. J. hatte offenbar darüber nachgedacht und war bereits drauf und dran, sich zu drücken. »J. J.«, sagte ich, »ich weiß, was in Ihrem Kopf vorgeht. Aber ich warne Sie: Wenn Sie versuchen, sich auch nur in einem Punkt nicht an die Abmachung zu halten, die wir in England getroffen haben, bekommen Sie es mit Yamani zu tun.« Er wurde purpurrot und beschloß, das Gespräch zu beenden. Aber ich war noch nicht fertig. »Übrigens erwarte ich noch Ihr Angebot für die zwei deutschen Raffinerien«, sagte ich. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich in den nächsten Tagen etwas Schriftliches von Ihnen haben könnte.« »Hören Sie, Hitchcock, machen Sie sich nicht so mausig. Das ist eine Sache, die nur Yamani und mich angeht.« »Sie irren, J. J. Das erledige ich. Dr. Willi ist in New York, um
den Papierkram zu erledigen. Ich werde veranlassen, daß er Sie heute Nachmittag anruft.« »Willi? Dieser Gauner?« »Dieser Gauner. Ich versuche immer, die besten Leute zu fin den, J. J.« Er ging steifbeinig davon. Das, dachte ich, würde ihn lehren, Bill Hitchcock nicht zu unterschätzen. Alles in allem hatte der Tag verheißungsvoll begonnen. Yamani, der von Texaco, Mobil und SoCal umgeben war, hatte uns beobachtet. Als das Gespräch beendet war, zwinkerte er mir zu. Nur wenige Minuten später trafen die drei Herren aus Wa shington ein: der Chef der Bundesenergiebehörde, der stellver tretende Staatssekretär für Wirtschaftsfragen im Außenmini sterium und der Unterstaatssekretär im Finanzministerium. Alle waren nervös. Schließlich waren sie ja nur zweite Garni tur. Sie waren für ihre Ämter zu jung und zu unerfahren. Und sie waren es gewöhnt, von Hunderten von willfährigen und nur mit beschränkten Fähigkeiten ausgestatteten Bürokraten umgeben zu sein. New York, das Exxon-Haus, der Konferenz saal der Exxon, die Präsidenten der vier größten amerikani schen Ölgesellschaften, Scheich Yamani, ich - sie gehörten einfach nicht dazu und wußten es auch. Und das machte sie nur noch aggressiver. Besonders den Burschen von der Bun desenergiebehörde. Er war 34 Jahre alt, Anwalt und dazu noch Südstaatler. Drei Punkte gegen ihn, wie man so sagt, noch bevor er den Mund aufmachte. Was ihn nicht daran hinderte, es sofort zu tun. »Meine Herren«, sagte er in ebenso lauter wie lang gezogener Sprechweise, »ich kann nur eine Stunde für Sie erübrigen. Ich glaube, wir sollten gleich zur Sache kommen.« J. J. sah ihn an, als hätte er irgendein Nagetier vor sich, das sich, jeder vernünftigen Erklärung hohnsprechend, in seinen Konferenzsaal im 51. Stock eingeschlichen hatte. »Junger Mann«, sagte J. J. was zur Folge hatte, daß Weatherspoon - der Name machte ihn auch nicht sympathi
scher - das Blut ins Gesicht schoß, »ich bin Ihnen für Ihren Vorschlag zu großem Dank verpflichtet.« Wenn er wollte, konnte der alte Bastard seine Worte dehnen, daß es eine Freude war, und er benützte die Gelegenheit, um einen armen Weißen aus Georgia so treffend zu parodieren, wie das nur ein Texaner zuwege brachte. »Warum kommen Sie nicht erst mal hier rüber? Ich möchte Sie mit ein paar Her ren bekannt machen.« Die Herren waren Yamani, Reggie und ich. Obgleich er erst zwei Monate im Amt war, kannte Weatherspoon schon alle hier anwesenden Ölfritzen. Als er mir die Hand gab, war sie feucht, was mich nicht wunderte. Die Herren aus dem Außenund Finanzministerium folgten seinem Beispiel. »Ich bin den Herren zu großem Dank verpflichtet«, sagte J. J. die Formulierung schien ihm zu gefallen -, »daß sie trotz ihrer vielen Arbeit innerhalb so kurzer Zeit nach New York kom men konnten. Aber nachdem Sie gehört haben, was wir Ihnen heute zu sagen haben, werden Sie zu dem Schluß kommen, daß es der Mühe wert war.« Die Betonung lag auf dem »wir«, aber seine Worte schienen das Mißtrauen der Besucher aus Washington nicht zu zerstreu en. Schließlich gehörten Aramco und die Araber zu diesem »wir«, jener unheiligen Allianz, die Amerika überhaupt erst den Energieschlamassel beschert hatte. J. J. rief die Versammlung zur Ordnung und gab den Vorsitz an Yamani ab. Yamani begann seinen Vortrag. Sieben Millio nen Barrel pro Tag garantiert für die Vereinigten Staaten, Lie ferung über Aramco. 13 Dollar das Barrel. Eine dreijährige Garantie auf Menge und Preis. Dazu die Gründe: Saudiarabien erkannte an, daß seine zukünftigen Wirtschaftsinteressen und die der Vereinigten Staaten im wesentlichen die gleichen wa ren. Er wünschte daher, der Periode der Konfrontation ein Ende zu setzen und eine Periode saudiarabisch-amerikanischer Zusammenarbeit einzuleiten. Er sprach präzise, elegant und völlig überzeugend. Dachte ich. Bis dazu Stellung genommen wurde.
»Das ist natürlich äußerst interessant«, begann Weatherspoon. »Es stellt natürlich eine tiefgreifende Veränderung dar. Der Vorschlag bedarf daher einer sorgfältigen Prüfung. Denn die Verzweigungen - positiver und negativer Natur - sind offenbar vielfältig.« Was überhaupt keinen Sinn ergab. Unglaublich! Denn Weatherspoon befand sich in einer Zwangslage. Er hatte sich darauf festgelegt - auch das unglaublich! -, für den höchstmöglichen Preis für Rohöl einzutreten, um auf diese Weise einen Anreiz für die Erschließung und Förderung im Inland zu bieten. 10 Dollar pro Barrel waren dafür mehr An sporn als genug, und das wußten alle im Saal. Aber 16 Dollar pro Barrel war der Preis, den Weatherspoon bei seinem Amts antritt vor ein paar Monaten öffentlich als »Lösung« der Ener giekrise angekündigt hatte. Dann ergriff der stellvertretende Staatssekretär im Außenmini sterium das Wort. »Ich stimme meinem Kollegen zu. Erstens wäre es, vom Standpunkt unserer nationalen Sicherheit aus gesehen, äußerst gefährlich, uns für die Deckung des Bedarfs an importiertem Öl einzig und allein auf ein Land zu verlas sen. Zweitens würde ein solches Programm naturgemäß ge wichtige und komplexe Fragen im Hinblick auf die Beziehun gen zu einer Anzahl unserer besten Freunde in Übersee auf werfen, die in der Vergangenheit stets zu den Vereinigten Staaten gehalten haben.« Damit meinte er Venezuela, Kanada, Nigerien - und natürlich Persien -, die die bedeutendsten Lieferanten von Rohöl an die Vereinigten Staaten waren. Diese »Freunde« hatten in der Stunde der Not tatsächlich zu uns gehalten - für 20 Dollar das Barrel! Und hätte sich ihnen die Gelegenheit geboten, hätten sie, ohne mit der Wimper zu zucken, den Preis auf 30 Dollar erhöht. Der einzige, dessen Ausführungen Hand und Fuß hatten, war der Unterstaatssekretär aus dem Finanzministerium. Er hatte die ganze Zeit über Zahlen gekritzelt und brachte das einzige Thema zur Sprache, das für ihn von Belang war.
»Ich sehe hier nichts Komplexes und nichts, was irgendwel cher Untersuchungen bedürfte. Dieses Angebot erspart unse rem Land drei Dollar je Barrel. Das sind 21 Millionen Dollar am Tag. 7,6 Milliarden im Jahr. Ganz einfach.« Weatherspoon und der Mann aus dem Außenministerium ver zogen den Mund. Nichts ist einfach. »Welche formalen Regelungen sind vorgesehen?« fragte der eine. »Ein langfristiger Vertrag zwischen der Regierung von Sau diarabien und Aramco«, antwortete Yamani. »Nichts weiter. Ich glaube aber, daß es im Interesse aller Beteiligten läge, wenn Ihre und unsere Regierung das Abkommen in aller Form offiziell guthießen.« Weatherspoon gefiel das gar nicht. Denn das bedeutete, daß die Bundesenergiebehörde als das erkannt würde, was sie in Wirklichkeit war - als nutzlos. Dem Außenministerium gefiel es auch nicht, denn es hatte heilige Eide geschworen, die Energiepolitik gegenüber dem Ausland nie wieder unter die Kontrolle der Ölkonzerne geraten zu lassen. Zwei bedeutende bürokratische Imperien sahen sich gefährdet. Nur der Unter staatssekretär aus dem Finanzministerium machte ein zufrie denes Gesicht. Tatsache war, daß er schon seit Monaten nach einem Weg suchte, Washington Lebewohl zu sagen. Jetzt lag der Weg klar vor ihm. Er zweifelte nicht daran, daß ihm ein gut gepolsterter Job in New York, in eben diesem Haus, ange tragen werden würde, wenn er jetzt gleich und rückhaltlos auf den Aramcozug aufsprang. Weatherspoon, der nach einem Ausweg suchte, wies sofort auf die Möglichkeit hin, daß ein so exklusives Abkommen mit der Aramco eine Verletzung der Bestimmungen des Kartellgeset zes darstellen könnte. Vom Präsidenten der SoCal sekundiert, hatte Reggie eine Antwort parat. Als in der Vergangenheit ein ähnliches Abkommen mit dem iranischen Ölkonsortium be schlossen worden war, hatte das Justizministerium eine aus drückliche Verzichtserklärung abgegeben. Es bestand kein Grund zu der Annahme, daß dieses Abkommen anders ge
handhabt werden sollte. Dann kam das Außenministerium mit der Heiligkeit der Verträge mit seinen alten Freunden, den Kanadiern, den Venezolanern, den Nigerianern und so weiter. Kein Problem, sagte J. J. Das Öl, das abzunehmen sie sich vertraglich verpflichtet hatten, würde einfach auf andere Weltmärkte umgeleitet werden - allerdings müßte man noch die Preise aushandeln. Was das Außenministerium veranlaßte, darauf hinzuweisen, daß es, sollte sich eine doppelgleisige Preisgestaltung herausbilden - niedere Preise für Amerika und hohe für die restliche Welt -, leicht zu einer Krise in den Be ziehungen mit unseren NATO-VERBÜNDETEN kommen könnte; eine undenkbare Vorstellung. J J. hatte die passende Antwort darauf. »Aber mein lieber Freund«, sagte er, »Exxons einziges Interesse ist immer nur gewesen, dem amerikanischen Konsumenten zu dienen. Unse rer Meinung nach wäre es hoch an der Zeit, daß ihr in Wa shington endlich anfangt, das gleiche Ziel anzupeilen.« Schließlich versuchte das Außenministerium noch einen letz ten Trick. »Und was ist mit Israel?« fragte er. »Zum Teufel mit Israel!« antwortete J. J. Damit schien er die übereinstimmende Meinung jedes einzelnen Ölmagnaten im Saal ziemlich treffend formuliert zu haben. Israel war eine lästige Sache. Hier ging es um etwas weit Wichtigeres: das Überleben der vier Schwestern! Fast eine Stunde saß Yamani scheinbar teilnahmslos da. Dann warf er mit voller Absicht einen Blick auf seine Uhr. »Meine Herren«, unterbrach er das Gespräch, »ich glaube, Sie sagten zu Beginn dieser Konferenz, daß Sie nur eine Stunde Zeit hät ten. Ich fürchte, wir haben Sie über Gebühr aufgehalten.« Einer Akte, die vor ihm auf dem Tisch lag, entnahm er drei identische Dokumente. »Hier ist unser Vorschlag in dreifacher Ausfertigung«, sagte er. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Präsidenten über seinen Inhalt informieren könnten, und erlaube mir zu ersuchen, er möge es mich wissen lassen, falls er daran interessiert sein sollte.« Dann erhob er sich, und damit war die Sitzung zu Ende. Die
Herren aus Washington hatten keine Wahl. Die drei Botenjun gen kamen zum Kopfende des Tisches, um Yamani und J. J. die Hand zu schütteln, und gingen. Es war zehn Uhr drei. Offen gestanden, ich fand die ganze Schau schlecht aufgezo gen. Wozu das Geplapper mit diesen Leuten aus der zweiten Garnitur? Warum waren Yamani und J. J. nicht gleich ins Weiße Haus gegangen? Diese Fragen stellte ich Yamani, nachdem wir in die Büros der Aramco zurückgekehrt waren. Er zögerte nicht mit seiner Antwort. »Bill«, begann er, »hier ging es darum, die Botschaft auf den Adressaten abzustimmen. Ich kenne Ihren Präsidenten. Nicht sehr gut, aber ich kenne ihn. Ein umgänglicher Mann. Aber auch ein Mann mit sehr beschränktem Wissen um wirtschaftliche Zusammenhänge und einer begrenzten Gedächtnisspanne für Darstellungen in mündlicher Form. Man muß ihm die Dinge schriftlich, wie derholt und in leicht faßlicher Form erklären, damit er sie be greift. Genauso erhält er jetzt meine Botschaft - in drei ver schiedenen schriftlichen Versionen aus drei verschiedenen Quellen und mit drei verschiedenen Schlußfolgerungen. Sie werden es ihm ermöglichen, a) zu begreifen, und b) zu einer vierten, seiner eigenen Schlußfolgerung zu gelangen, die es ihm erlaubt, seine einzigartigen Führungsqualitäten wieder einmal unter Beweis zu stellen.« In der Theorie völlig richtig, aber es lief nicht so. Die drei Herren kehrten mit der nächsten Maschine nach Washington zurück und waren schon um drei Uhr nachmittags im Arbeits zimmer des Präsidenten. Der Präsident warf kaum einen Blick auf die Dossiers. Denn sein Verstand angelte sich sofort einen, und nur einen wichtigen Punkt heraus. Jetzt war 1982. 1984 war ein Wahljahr. Das Angebot der Saudis würde eine Ermä ßigung des Benzinpreises in den Vereinigten Staaten um zehn Cents die Gallone zulassen. Daher würde er das saudiarabisch amerikanische Abkommen nicht nur gutheißen; er würde es sofort öffentlich und mit allem Trara tun. Um ihm das zu sagen, rief er persönlich um vier Uhr Yamani an. Er schlug ihm vor, morgen nach Washington zu kommen,
um ein gemeinsames Kommunique vorzubereiten. Yamani bat um 24 Stunden Aufschub. Der Präsident war einverstanden. Yamani gab diese Information sofort an mich weiter. Ich saß im Konferenzsaal der Aramco, wo ich der zweiten wichtigen Konferenz des Tages beiwohnte. Randolph Aldrich hatte den Vorsitz. Und er genoß jede Minute. »Meine Herren«, hatte er begonnen, »ich glaube, wir sind über den Berg - dank meinem alten Freund hier, Bill Hitchcock, und seinen Freunden in Saudiarabien.« Anwesend waren die Präsidenten der sechs anderen multina tionalen Bankriesen und neun ihrer größten Kunden - so groß, daß alle Banken geschäftliche Beziehungen dieser oder jener Art mit ihnen allen unterhielten. Die Namen der Konzerne: General Motors, General Dynamics, Lockheed, Litton Indu stries, McDonnell Douglas, Raytheon, Northrop, General Electric und Colt Industries. Sie alle hatten eines gemeinsam: Nicht nur gehörten sie zu den größten Gesellschaften der Welt, sie rangierten auch auf den Plätzen eins bis neun auf der Liste der Lieferanten militärischer Ausrüstung in den Vereinigten Staaten, sie waren das Produktionsende der Rüstungsindustrie. Sie hatten nur zwei Herren: das Pentagon und die Banken. Einer davon war anwesend: die Banken - unter der Führung von Randolph Aldrich, des großen Vorsitzenden des Finanz apparates. Und daher waren alle gekommen. Aldrich erklärte den Zweck dieser Zusammenkunft. Zwanzig Milliarden Piepen waren unterwegs. Von den Arabern. Die Tage des knappen Geldes waren vorüber. Die Burschen vom FRS, die das Land an den Rand des Ruins gebracht hatten, wa ren erledigt. Er wußte, wie angespannt die Lage auf dem Geldmarkt war - nicht für General Motors, natürlich. Aber damit war nun Schluß. »Jetzt kann man mit uns reden, meine Herren«, versicherte ihnen Aldrich. »Wir haben endlich das Geld, um unser Land wieder in Schwung zu bringen.« Und, fuhr er fort, es würde auch keine zehn Prozent mehr ko sten. Er hielt es für möglich, den Zinssatz an erste Adressen
innerhalb von zwei Wochen um zwei Punkte zu senken. Das würde ein Nachgeben aller Zinssätze im Land zur Folge haben - für kurzfristige, mittelfristige und sogar langfristige Kredite. »Wie Sie alle wissen«, fuhr er fort, »haben wir damit die Ge währ, daß der Dow-Jones-Aktienindex zum ersten Mal seit drei Jahren hochgehen wird. Meine persönliche Meinung ist, daß er in den nächsten sechs Wochen zweihundert Punkte zulegen wird. Sie wissen, was das für uns alle bedeutet.« Das wußten wir nur zu gut. Ihre Aktionäre waren schon seit Jahren hinter ihnen her, weil keine Bewegung in die Kurse kam. »Es ist wohl nicht nötig, daß ich mich weiter verbreite«, sagte Aldrich. »Wir alle können uns vorstellen, welche Wirkung das haben wird. Aber, und das ist das Wesentliche an dieser Zu sammenkunft, was Sie heute gehört haben, ist nur der Anfang. Noch viel mehr Geld ist unterwegs und zu noch günstigeren Bedingungen.« Das war natürlich aus dem Stegreif gespro chen. Aber es spielte auch keine Rolle mehr. »Nun wissen wir ja alle, daß man nichts umsonst bekommt. Was, werden Sie fragen, was wollen die Saudis dafür haben? Ich werde es Ihnen sagen. Vollständige, rückhaltlose und so fortige Unterstützung für ihr Rüstungsprogramm. Sie brauchen Flugzeuge« - sein Finger deutete auf Northrop und Lockheed »Panzer« - der Finger deutete auf General Motors - »Ihre Feu erschutzsysteme« - an Raytheon und Westinghouse gerichtet »Ihre Schiffe« - dies an Litton - »alles bis zu Handfeuerwaf fen« - was sich auf Colt Industries bezog. »Ich weiß, ich weiß, Sie haben die Aufträge seit Jahren vorliegen. Was die Saudis jetzt wollen, ist ganz einfach. Lieferung! Sie stellen die Liefe rungen sicher, und Sie bekommen weitere Aufträge. Mit be trächtlichen Anzahlungen - durch uns - auf jede einzelne Or der.« »Hören Sie mal, Randy«, sagte Litton Industries, »so einfach ist das nicht. Wir haben von den Saudis einen Auftrag auf drei Raketenzerstörer vorliegen. Das wissen Sie. Alle wissen das. Aber der Iran hat vier bestellt. Unsere Flotte sechs. Die Südko
reaner zwei. Die kommen alle vor den Saudis.« »Um das geht es ja«, unterbrach ich. »Wir wollen, daß das geändert wird.« »Erzählen Sie das dem Pentagon«, sagte Litton. »Das werden wir. Wir wollen aber auch, daß Sie es dem Pen tagon erzählen. Sie alle. Jetzt. Und erzählen Sie es auch dem Weißen Haus.« Seine Unterstützung erwartend, sah ich Al drich an. »Ja, darum geht es«, sagte er. »Sehen Sie mal, Hank…« (das war Litton), »und Abe…« (der Bursche von General Dyna mics, der anstelle des toten Larsen gekommen war), »und Jim…« (das war Mr. Großkopf von General Motors), »ich finde, wir sollten alle noch diese Woche ins Weiße Haus ge hen und dem Präsidenten unseren Standpunkt klarmachen.« General Motors gefiel das nicht. Er brauchte weder von den Arabern noch von sonst jemandem Geld. Aber wer konnte sagen, was die Zukunft bringen würde? In diesen Zeiten war alles möglich. Zumindest glaube ich, daß es solche Gedanken waren, die ihm durch den Kopf gingen - nach seinem gequäl ten Gesichtsausdruck zu schließen. »Na gut«, sagte er, »aber erwarten Sie keine Wunder. Und um Himmels willen, behalten wir das alles für uns. Wenn der Se nator aus dem Iran oder der aus Israel davon hört, kommen wir in Teufels Küche. Klar?« Sogar Aldrich nickte. Doch dann meldete sich Abe zu Wort Abraham Silberschmidt. »Moment mal«, sagte er, »wir kön nen Israel nicht so einfach ignorieren, wie Sie meinen.« »Warum nicht?« fragte General Motors. »Weil das alles einer Verlagerung oder zumindest einer poten tiellen Verlagerung von Kriegsmaterial von Israel zu den Ara bern hin gleichkommt.« »Na und?« fragte General Motors. »Und wenn es gegen Israel eingesetzt wird?« »Es wird nicht gegen Israel eingesetzt werden«, lautete die Antwort. »Ich glaube, Sie verstehen das nicht richtig, Abe. Was hier vorgeschlagen wird, ist gut für Israel. Kapieren Sie?«
»Nein. Wieso?« »Weil was gut für Saudiarabien ist, ist jetzt auch gut für die Vereinigten Staaten, und was gut für die Vereinigten Staaten ist, ist gut für Israel. Verstehen Sie?« Abe verstand es immer noch nicht. Aber keiner kümmerte sich um ihn, denn das war der Moment, in dem ich die Nachricht von Yamani bekam. Da ich nicht angewiesen wurde, die Mit teilung als vertraulich anzusehen, setzte ich die Anwesenden von ihrem Inhalt in Kenntnis. »Hitchcock«, sagte General Motors, »ich habe schon von Ih nen gehört. Aber, bei Gott, das ist wirklich allerhand, was Sie da geschafft haben. Kann ich das Telefon haben, Randy?« Randy schob ihm das Telefon hinüber, und in weniger als zwei Minuten hatte General Motors den Präsidenten am Draht. Er wünschte ihn morgen zu sprechen. Eine Angelegenheit von großer Dringlichkeit. Sie verabredeten sich für drei Uhr nach mittags. Eine Senkung des Benzinpreises um zehn Cents die Gallone, das hieß fünfhunderttausend General-Motor-Autos mehr im Jahr verkauft. Die arabische Lobby war geboren.
21 Die folgenden zwei Monate brachten eine Vielfalt von Aufga ben für mich, wie ich sie in so ständigem Wechsel noch hie erlebt hatte. Dieser narzißtische Reigen begann dementspre chend im Weißen Haus, wo der Präsident vor der nachmittäg lichen Pressekonferenz Yamani und Gefolge - mich, Reggie und J. J. - zu einem kleinen Lunch gebeten hatte. Die ganze Sache wurde als großer Erfolg der Regierung, als Achtungsbe zeigung für ihr Verhandlungsgeschick und als Wendepunkt in der Geschichte präsentiert. Die Fragen der Journalisten waren natürlich albern, weil sie es hauptsächlich darauf anlegten, zu erfahren, welche Wirkung das Abkommen auf die Haltung der amerikanischen Regierung gegenüber Israel haben würde. Yamani, der stets Geduldige, tat sein Bestes, um zu erklären, daß Israel überhaupt nichts damit zu tun hatte. Am Abend gaben J. J. und Exxon die Party aller Partys für die Freunde der großen Ölkonzerne im Kongreß. Sie waren zahl reich. Besonders jetzt, da es schien, daß das Ölkartell wieder das Heft in der Hand hatte. Am nächsten Morgen begab ich mich zu Yamani in seine Sui te im Hay-Adams, um mit ihm zu frühstücken und anschlie ßend die Presseberichte und Kommentare durchzusehen. Die New York Times befaßte sich ausführlich mit dem Abkommen. Die Schlagzeile auf der ersten Seite war sachlich: SAUDIARABIEN ZU LANGFRISTIGEM ÖL-VERTRAG MIT U.S. BEREIT. Der Leitartikel trug die Überschrift: DAS ENDE DER OPEC? Er ließ kaum Zweifel aufkommen, daß das Fragezeichen bald überflüssig sein würde. Wenn Saudiarabien jetzt seinen eige nen Weg ging, konnte es bestenfalls noch Monate dauern, bis das OPEC-Kartell sich auflöste. Bei fortschreitender weltwei
ter Rezession konnte der sich daraus ergebende Kampf um die westlichen Märkte leicht zu einem globalen Ölüberhang und einem Sturz des Ölpreises führen. Es war erfreulich zu sehen, daß Geduld und Zurückhaltung und nicht die von so manchen vertretene militante Einstellung in bezug auf den Nahen Osten dieses Resultat gebracht hatten. Eine These verfechtend, auf der er schon seit Jahren herumritt, faßte der Herausgeber der Times die finanziellen Aspekte zusammen: »Seit langem«, hieß es in seinem Artikel, »propagieren die Propheten von Untergang und Verderben einen Mythos: daß die OPECNationen Hunderte Milliarden überschüssige Dollar akkumu lieren und dabei das Gleichgewicht des Weltwährungssystems gefährden würden. Die heutige Lage beweist, wie falsch sie gedacht haben. Venezuela, Nigeria, Algerien, sie alle sind zu reinen Darlehensnehmern geworden, nachdem ihr Importbe darf stärker gestiegen ist als ihre Einkünfte aus der Ölproduk tion. Jetzt, da der Zerfall der OPEC unmittelbar bevorsteht, wird sich die Lage dieser Länder noch weiter verschlechtern.« Soviel zu diesem Kapitel. »Gewiß«, hieß es dann noch, »es hat immer eine Ausnahme gegeben und es gibt sie noch: Saudia rabien. Seiner einmaligen geographischen Lage, den enormen Einkünften aus der Ölproduktion und seiner dünnen Besied lung ist es zuzuschreiben, daß dieses arabische Land nicht imstande war, seine Ölgelder so schnell auszugeben, wie das andere OPEC-Nationen getan haben. Das hatte zur Folge, daß das Land immer noch über eine nicht unbeträchtliche Reserve an sogenannten Überschußgeldern verfügt - möglicherweise über hundert Milliarden. In jedem Fall aber ist der Betrag im Vergleich zum gesamten Geldvorrat des Westens bedeutungs los und stellt daher kaum ein potentiell brisantes Element auf den Finanzmärkten der Welt dar. Offenbar haben die Saudis erkannt, daß es nicht mehr so leicht ist, einen Markt für ihr Rohöl zu finden und auch nicht eine sichere Zuflucht für ihren eher bescheidenen Vorrat an Dollar. Gerüchten zufolge wird die Wall Street in dieser Woche mit saudiarabischen Geldern überschwemmt.
Es ist erfreulich, daß die Verantwortlichen in Riyadh endlich
zur Vernunft gekommen sind, und es steht zu hoffen, daß un
sere Weltuntergangspropheten bald ein gleiches tun.«
Das Wall Street Journal verzapfte seine Weisheiten unter der
Überschrift:
ARABISCHES GELD: IST ES GEFÄHRLICH?
Die New Yorker Schlagzeilenschreiber gingen an jenem Tag
äußerst großzügig mit Fragezeichen um. Der Leitartikler hatte
geschrieben: »Wie mittlerweile schon alle Welt weiß, haben
uns die Saudis Öl und Geld gegeben. Das Öl können wir ge
brauchen. Aber wie steht’s mit ihrem Geld? Es ist eine be
kannte Tatsache, daß die Araber dazu neigen, ihre überschüs
sigen Gelder sehr kurzfristig anzulegen und für gewöhnlich
über den Eurodollarmarkt in den amerikanischen Bankapparat
einfließen lassen. Was aber würde geschehen, werden berufs
mäßige Miesmacher fragen, wenn sie sich von einem Tag zum
anderen entschließen sollten, die Gelder wieder abzuziehen?
Auf diese Frage gibt es zwei Antworten. Erstens sind die Be
träge, um die es hier geht, nicht so exorbitant: vielleicht 20,
höchstens 30 Milliarden Dollar. Nach New Yorker Maßstäben
nicht gar so viel. Selbstverständlich könnte ein plötzlicher
Rückfluß Probleme schaffen, aber es wäre nicht das Ende der
Welt. Zweitens: Wo könnten die Araber mit ihrem Geld hin?
Sollen sie in mexikanische Pesos gehen? In brasilianische
Cruzeiros? Kaum. Die Araber haben endlich erkannt, daß der
Dollar unentbehrlich und daß der amerikanische Bankenappa
rat als einziger groß und entwicklungsfähig genug ist, um ihre
Gelder sicher und gewinnbringend aufzunehmen. Wir fragen
uns, warum sie so lange gebraucht haben, um das herauszufin
den.«
Glänzend, dachte ich. Schlecht informiert vielleicht, naiv,
albern, aber trotzdem glänzend.
»Na, Bill, was meinen Sie?« fragte Yamani, nachdem ich die
Zeitungen auf den Fußboden zurückgelegt hatte.
»Sie haben es geschafft«, erwiderte ich.
Er nickte. »Und jetzt«, meinte er, »ist es an Sultan Aziz zu zeigen, was er kann.« Sultan Ibn Abdul Aziz, Verteidigungsminister des Königreichs Saudiarabien, war in aller Stille am Abend zuvor eingetroffen. Seine Maschine war klammheimlich auf dem Stützpunkt An drew gelandet, und er hatte die Nacht in der saudiarabischen Botschaft verbracht, damit sein Name nicht in einem Washing toner Hotelregister erschien. Gegen Mittag ging ich mit Yamani hinüber. »Mr. Hitchcock«, sagte Sultan Aziz, als er mich sah, »Ihr Freund hier hat mir erzählt, daß Sie uns unsere Aufgabe sehr erleichtert haben.« Mein »Freund hier« war General Falk, Militärattache an der Amerikanischen Botschaft in Saudiarabien und alter Trink kumpan. Er stand neben Sultan Aziz und lachte. »Sie sind mir einer«, sagte er. »Wir waren heute morgen im Pentagon. Sie haben die Scheißer da drüben ganz schön auf die Palme ge jagt.« »Wie das?« Und ich stellte ihm die Frage, ohne Unwissenheit vorzutäuschen. »Das große Finale im Weißen Haus. Ich weiß nicht, wen Sie alles bewogen haben, den Präsidenten unter Druck zu setzen, aber wer immer es war, es hat funktioniert. Der Verteidi gungsminister, hat man mir erzählt, ist so wütend, daß er mit seinem Rücktritt gedroht hat.« »Warum?« fragte ich. »Weil der Präsident ihn gestern abend heruntergeputzt und ihm aufgetragen hat, die Lieferungen an die Saudis schleunigst in Gang zu bringen. Und heute morgen haben etwa 20 Abge ordnete das gleiche getan.« »Was hat er denn gegen die Saudis?« »Eigentlich nichts. Er hat nur schon immer eine Vorliebe für den Iran gehabt. Im Pentagon hat man sich zu der Theorie verstiegen, der Schah von Persien wäre der große Stabilisator des Nahen Ostens. Also bekommt er Waffen, die Saudis be kommen Versprechungen. Aber damit ist Schluß. Das müssen
schon ziemlich gewichtige Jungs gewesen sein, die Sie da zum Präsidenten geschickt haben, Hitchcock.« Ich denke schon, daß man General Motors, Exxon, Lockheed und Litton als ziemlich gewichtig bezeichnen kann. Noch am gleichen Nachmittag wurden Sultan Aziz, Yamani und General Falk persönlich ins Weiße Haus gebeten, um die guten Nachrichten unmittelbar vom Oberbefehlshaber entge genzunehmen. Der Verteidigungsminister war auch da. Er wurde ersucht, noch zu bleiben, nachdem die Besucher aus Saudiarabien gegangen waren. »Nun«, sagte der Präsident, »haben Sie noch Probleme?« »Nein, Mr. President. Ich stimme Ihrer Entscheidung inhalt lich voll zu. Aber da ist noch eine Kleinigkeit, die Sie viel leicht übersehen haben.« »Und zwar?« »Israel. Und ich möchte diesbezüglich etwas vorschlagen, Sir. Ich denke, es wäre gar nicht schlecht, wenn Sie den israeli schen Premierminister anrufen und es ihm erklären würden. Ganz diskret natürlich.« »Was erklären?« »Daß unsere Waffenlieferungen an Saudiarabien in keiner Weise eine Bedrohung für Israel darstellen. Daß sie aus schließlich zu Verteidigungszwecken geliefert werden und daß…« »Ich denke nicht daran. Diese Israelis gehen mir langsam auf die Nerven.« »Ich bin ganz Ihrer Meinung, Sir. Ich meine, was die Israelis betrifft. Sie sind so empfindlich. Bei allem vermuten sie Hin tergedanken und Nebenabsichten. So wie manche Frauen.« »Für solches Zeug habe ich keine Zeit. Sie müssen endlich mal lernen, daß wir ihnen keinerlei Erklärungen schulden. Sie ha ben sich an die Spielregeln zu halten. An unsere Spielregeln. Punktum.« Schon eine Woche später verließ ein Frachter mit vierund zwanzig funkelnagelneuen F-4-Jagdbombern einen Hafen im Golf von Mexiko. Sein Ziel war der saudiarabische Hafen
Jeddah. Ein anderer lief kurz darauf mit hundert gepanzerten Mannschaftstransportwagen der Type M-113 aus einem Hafen der Großen Seen aus. Wenige Tage später verließ ein anderes Schiff, ebenfalls für Jeddah bestimmt, mit fünfundsiebzig M 60-Schützenpanzern den gleichen Hafen. Zur gleichen Zeit flogen fünf Hercules-Transportflugzeuge von Los Angeles nach Jeddah; sie hatten eine große Anzahl verschiedener Ty pen von Boden-Luft-Raketen an Bord. Zur selben Zeit wurden die Waffenlieferungen der Vereinigten Staaten an den Iran, an Israel, Ägypten, an die Türkei und Südkorea aus unerfindlichen Gründen gedrosselt. Das fuchste den persischen Botschafter in den Vereinigten Staaten, Ardeshir Zahedi, gewaltig. Seine wohlüberlegte Ant wort kam in Form der glänzendsten Cocktail- und Dinnerparty des Jahres. Er konnte den halben Senat, ein Viertel des Abge ordnetenhauses und bis auf einen alle in Washington akkredi tierten Korrespondenten als Gäste begrüßen. Natürlich war auch der Verteidigungsminister gekommen. Um Mitternacht verschwand er mit dem Botschafter in Zahedis Bibliothek, um dort eine vertrauliche Unterredung zu führen. Nach der Party sandte Zahedi eine lange verschlüsselte Botschaft an den Schah. Am Tag nach Sultan Aziz’ Ankunft flog ich nach New York. Wie Yamani schon angedeutet hatte, mußte Sultan Aziz jetzt selbst sehen, wie er weiterkam. In Washington war grünes Licht gegeben worden. Jetzt mußte er sich die Rüstungsbetrie be vorknöpfen. In New York wartete genug Arbeit auf mich, um mich 24 Stunden am Tag in Atem zu halten. Geld von Europa nach den Vereinigten Staaten zu transferieren, war meine vordringlich ste und langweiligste Aufgabe. Es war eine verhältnismäßig einfache Routine. Die Ereignisse der letzten Tage vorweg nehmend und die Anweisungen Kronprinz Fahds und Yamanis befolgend, hatte ich schon im Dezember des vergangenen Jahres dafür gesorgt, daß sich die Fälligkeiten der Einlagen in europäischen Währungen in der zweiten Hälfte Januar und
Anfang Februar 1982 konzentrierten. So hatte zum Beispiel die Deutsche Bank in Frankfurt 500 Millionen DM der Staats bank des Königreichs Saudiarabien liegen, die am 25. Januar zahlbar wurden. Am 24. erhielt die Deutsche Bank eine Ka belanweisung aus Riyadh, die inhaltlich jener entsprach, die ich über die Fernmeldezentrale der Aramco aus dem ExxonHaus Ecke Sixth Avenue und Fiftyfourth Street nach Riyadh übermittelt hatte - in welcher sie aufgefordert wurden, die Kapitalsumme sowie die aufgelaufenen Zinsen am nächsten, dem Verfallstag, auf unser DM-Konto beim Londoner Zweig haus der First National City Bank zu überweisen. Gleichzeitig instruierten wir die First National City in London, diese 500 Millionen DM, die sie von der Deutschen Bank in Frankfurt erhalten würde, gegen Zahlung in Dollar an das Londoner Zweighaus der Dresdner Bank zu liefern. Ich hatte diese DM schon 1981 zu einem sehr guten Kurs verkauft. Ich erinnere mich noch, daß ich allein bei diesem kleinen Geschäft durch das Wechselkurs-Gefälle gute zwei Millionen Dollar Gewinn erzielte. Nun, jedenfalls wurde die First National City in Lon don dann angewiesen, den ihr aus dem Verkauf der DM zuge flossenen Dollarbetrag bis auf weiteres liegen zu lassen. Der nächste Schritt war dann, das Hauptbüro der Chase Manhattan in New York anzurufen und sie zu fragen, was sie für die 192 Millionen Dollar, die jetzt auf 30 Tage in London lagen, bieten würden. Sicher, theoretisch hatte ich versprochen, diese Gelder mit rund fünf Prozent abzugeben. Aber was soll’s? Chase bot fünfeinhalb Prozent und bestätigte den Satz in einem Telex nach Riyadh. Gleichzeitig schickte ich ein Telex nach Riyadh, in dem ich sie anwies, das Angebot anzunehmen und die First National City Bank in London zu instruieren, die 192 Millio nen Dollar auf das Zweighaus der Chase in London zu transfe rieren. Nach Erhalt der Gelder transferierte dieses Institut dann den Betrag sofort auf die Bücher der New Yorker Stammbank - eine rein buchmäßige Abwicklung. Am nächsten Tag verlie ßen die 192 Millionen Dollar plus 8 Millionen Dollar, um zu einer runden Summe von 200 Millionen Dollar zu kommen,
vom Leiter des Finanzwesens der United Airlines gemäß ihres Rahmenkreditabkommens in Anspruch genommen, die Chase und wurden auf das Konto der McDonnell Douglas in der Security Pacific Bank in Los Angeles transferiert - Entgelt für Flugzeuge, die bereits vor Monaten geliefert worden waren, die aber die United Airlines nicht hatte bezahlen können, weil sowohl sie wie auch ihre Banken zu wenig Bargeldreserven gehabt hatten, um einen solchen Betrag flüssigzumachen. Man wiederhole diese Reihe von Transaktionen hundertmal und wird damit eine genaue Beschreibung meiner Tätigkeit in New York in der Zeit zwischen dem 29. Januar und dem 15. Februar 1982 haben. Das Leben eines Bankiers ist eben nicht immer eitel Wonne. Wenn man, wie ich es tat, Geld in solchen Mengen nach New York transferiert, hat das natürlich, entgegen den Ausführun gen des Wall Street Journal und der New York Times, eine Wirkung. Eine große Wirkung. Wie nicht anders zu erwarten, fielen zunächst die Sätze für Notenbankgelder. Dann senkten die New Yorker Banken ihren Zinssatz für erste Adressen innerhalb einer Woche um ein ganzes Prozent. Die Zinsen von Schatzanweisungen, Bankak zepten und kaufmännischen Schuldverschreibungen fielen im gleichen Verhältnis. Während sich die Abwärtsbewegung fort setzte, schwappte dieser Trend auf den Markt der langfristi gen, festverzinslichen Wertpapiere über. Industrieobligationen, Kommunalschuldverschreibungen, Schatzanweisungen - alle Kurse gaben nach. Und die Börse - ja, die Börse, die in den 70er Jahren fast immer der große Verlierer gewesen war - kam endlich in Bewegung: steil nach oben. Am Tag meiner und Yamanis Ankunft in New York hatte der Dow-Jones-AktienIndex auf 798 gestanden. Zwei Wochen später stand er auf 995. Das Börsenvolumen, das im Durchschnitt 40 Millionen Aktien pro Tag betragen hatte, war auf 66 Millionen gestiegen - eine Rekordhöhe. Die führenden Werte waren die Luft- und Raum fahrtindustrien, die Fluglinien (vor dem Zusammenbruch ge
rettet), natürlich die Ölgesellschaften und, ebenso natürlich, die Automobilfabriken. Und selbstverständlich die Banken, besonders die großen Banken, die multinationalen Banken (vor allem jene, die ihren Sitz in New York hatten); weil nun infolge des massiven Zustroms arabischer Dollar das Gespenst eines Bankenzusammenbruchs gebannt war, konnten es die Leute kaum erwarten, ein Stück jener gewaltigen Geldmaschi ne - der Großbanken - zu ergattern. Hitchcock war der Liebling der Wall Street, das darf ich sa gen. Das Komische war nur, ich hatte buchstäblich keine Zeit, mich in meinem Ruhm zu sonnen. Ich sage das mit Bedauern; und es ist auch als Ratschlag für Leute gedacht, die meiner Karriere gefolgt sind: Ergötzt euch an Lob und Anerkennung, wenn sie euch gespendet werden, und genießt sie bis an die Grenzen des Möglichen, denn wenn es damit zu Ende geht und in meinem Fall ging es zu Ende, wie es das in allen Fällen tut -, ist für allezeit Schluß. Aber ich war von der gleichen Hochstimmung erfaßt worden wie alle. Mit billigem Öl und mit billigem Geld - was konnte mich, was konnte Amerika noch aufhalten? Mir würde noch genug Zeit bleiben, Ruhm und Reichtum zu genießen. Zugegeben, nicht überall herrschte Freude. Die Europäer wa ren so wütend, daß es fast komisch wirkte. Ihr Zorn galt nicht so sehr den Saudis als vielmehr - natürlich - den Amerikanern. Sie waren betrogen worden. Sie, die so lange und so treu an Amerikas Seite gestanden hatten, wurden der zwei wichtigsten Komponenten ihres Herzbluts beraubt: des Geldes und des Öls. Es war alles das Werk dieser verfluchten Amerikaner, die, in den 70er Jahren vom Glück verlassen, jetzt versuchten, wieder an die Spitze zu gelangen, indem sie die ganze westli che Welt beschissen. Diesem Europa, das nach dem Zweiten Weltkrieg so edelmütig die Hilfe des Marshall-Plans ange nommen und damit Amerika zu dem gemacht hatte, was es heute war, wurde ein arabischer, von Yankee-Händen geführ ter Dolch in den Rücken gestoßen. Es gibt nichts, was Europa so einen kann wie ein gemeinsamer
Feind. Darum waren es auch nicht nur die Franzosen, denen der Schaum vor den Mund trat; die Deutschen, die Engländer, ja sogar die Italiener - die wir mit unseren sechs Milliarden aus ihrem Finanzschlamassel geholt hatten - konnten sich im Lä stern durchaus mit ihnen messen. Mehr noch: Die Italiener behaupteten jetzt, die Amerikaner hätten Italien mit Absicht an den Rand eines Staatsbankrotts getrieben, um sich die Hälfte ihrer ENI für ein Spottgeld unter den Nagel reißen zu können. Während Amerika von den Europäern sein Fett bezog, beka men auch die Saudis einiges von ihren Freunden in der übri gen arabischen Welt zu hören. Kaum war der Wortlaut des saudiarabisch-amerikanischen Ölabkommens veröffentlich worden, spielte sich Libyens Herrscher, Mahmoud el-Khadafi, als selbsternannter neuer Wortführer der OPEC in den Vor dergrund. Er berief eine außerordentliche Sitzung nach Tripo lis ein. Die Saudis kamen natürlich nicht. Interessanterweise glänzten auch die Perser durch Abwesenheit. Also füllte Kha dafi das Vakuum. Die Saudis, sagte er, waren jetzt nichts an deres als ein Satellit der Vereinigten Staaten. Nicht, daß das saudiarabische Volk das gewünscht hätte. Nein, diese Rolle hatte ihm die faschistische Clique Khalid-Fahd-Yamani-Aziz aufgezwungen, die zu Lakaien der amerikanischen Imperiali sten geworden waren. Die Vereinigten Staaten, führte Khadafi weiter aus, hatten dem Rest der OPEC offenbar den Krieg erklärt. Sie würden bald merken, daß das ein Krieg war, den sie unmöglich gewinnen konnten. Der Imperialismus in allen seinen Formen war dem Untergang geweiht. Das hatte sich im Libanon gezeigt, in Nordirland, in Portugal, in Malta (Malta?), wo das Volk den Amerikanern und ihren Marionetten eine Niederlage bereitet hatte. Die herrschende Clique in Saudiarabien würde diese Lektion als nächste lernen müssen. Sie hatten die heilige ara bische Sache verraten. Der Irak und Algerien pflichteten Kha dafis Meinung ohne jede Einschränkung bei. Als diese Meldung über den Rundfunk verbreitet wurde, fragte ich Yamani, was er davon hielte. Er zuckte die Achseln. »Es
beweist nur die Richtigkeit unserer Auffassung«, antwortete er. »Wenn sich unsere Bemühungen hier nicht als erfolgreich erweisen, wenn es uns nicht gelingt, den Nahen Osten mit amerikanischer Hilfe zu stabilisieren, wird dieses Gebiet zum Balkan unserer Generation werden. Und wenn es explo diert….« Persönlich hielt ich Khadafis Ausführungen für das übliche Geschwätz eines Wahnsinnigen. Nicht so üblich und, wie ich fand, einigermaßen beunruhigend hingegen war die Tatsache, daß Khadafi kurz darauf Paris besuchte und anschließend Bonn. Wie es schien, wurde er in beiden Hauptstädten herzlich empfangen. Und es schien auch, als ob sich zwei unheilige Allianzen zu formen begännen: die Vereinigten Staaten und Saudiarabien auf der einen, die übrigen OPEC-Länder und Europa auf der anderen Seite. Der Iran verhielt sich seltsa merweise ganz ruhig. Iran. Ursula. Ihr Vater. Die Bombe. Es war nun eine Woche her - eigentlich schon zehn Tage -, seit ich mit Ursula in Teheran gewesen war. Und außer an jenem Abend, als ich nach meiner Ankunft aus London in New York versuchte, sie anzurufen, hatte ich, offen gestanden, nicht viel an sie gedacht. Frauen können das wohl nicht so verstehen. Aber verdammt noch mal, ich wette, die meisten Männer kön nen es mir nachfühlen. Denn sie wissen: wenn man bei dieser Jagd ins Netz geht, wie es mir passiert war, dann hängt man. Es hat nichts damit zu tun, ob man an jemanden denkt oder nicht. Es ist einfach so. Wenn sich aber andererseits die Lage im Nahen Osten zuspit zen sollte, war Khorramshahr nicht gerade der idealste Ort, um die Ereignisse heil zu überstehen. Ich ging also in Reggies Büro hinüber. »Reggie, du kennst dich doch hier viel besser aus als ich.« »Kann sein. Was möchtest du?« »Ich möchte jemanden im Iran anrufen. Aber ich will nicht zehn Stunden auf eine Verbindung warten. Könnten deine Leute hier in der Aramco das etwas schneller für mich besor
gen?«
»Das hängt davon ab«, antwortete Reggie. »Ist es ein geschäft
liches oder ein privates Gespräch?«
»Frag nicht so viel.«
Drei Minuten später hatte ich Ursula in der Leitung.
»Hallo?« Ganz schwach.
»Ursula! Ich bin’s!« Sehr laut.
»Bill! Wo bist du?«
»In New York. Ich habe vorige Woche versucht, dich zu errei
chen, Ursula, kam aber nicht durch.«
»Das macht nichts, Bill. Kommst du nach Persien?«
»Nein. Aber wir sehen uns doch bald in St. Moritz.«
»Ich weiß. Aber ich wollte, es wäre schon soweit.«
»Deswegen rufe ich ja an. Warum fliegst du nicht schon frü
her, Ursula? Ich habe hier noch zu tun. Aber ich sehe keinen
Grund, warum du nicht schon früher in die Schweiz zurück
kehren solltest. Ich komme dann nach.«
»Es ist nicht so schlimm hier, Bill. Ich meine, du fehlst mir
schrecklich. Und es stört mich entsetzlich zu sehen, wie dieses
Land regiert wird. Du würdest es nicht glauben, welche Angst
die Leute vor der Regierung, vor der Polizei und vor der Ar
mee haben.«
»Warum bleibst du dann?«
»Weil ich so beschäftigt bin, daß ich wirklich kaum Zeit habe,
darüber nachzudenken.«
»Beschäftigt womit?«
»Ich werde jeden Tag nach Susa hinaufgefahren. Es ist nur
eine Stunde von hier. Die Regierung hat mir erlaubt - wegen
Vater natürlich -, oben zu graben. Keine große Sache, aber ich
habe drei Männer dort, die mir helfen. Vater bezahlt sie. Wir
haben schon Dutzende von Scherben von Keramiken gefun
den, die wahrscheinlich aus dem frühen zweiten Jahrtausend
vor Christus stammen - aus der altelamischen Zeit. Einige
haben Aufschriften in ganz früher Keilschrift. Ich habe mei
nem Professor in Lausanne geschrieben, und er meint auch,
daß sie dem frühen zweiten Jahrtausend zuzurechnen sind, der
Zeit, als die Elamier dauernd mit den Sumerern Krieg führten -
damals lernte das Volk von Susa die Keilschrift kennen. Ich
habe jetzt angefangen, alles zu fotografieren und…«
»Ursula, ich weiß, wie wichtig dir diese Dinge sind«, sagte
ich, obwohl ich überhaupt kein Verständnis für diese ihre Nei
gung aufbringen konnte, »aber du hast noch dein ganzes Le
ben vor dir, um herumzugraben, wenn es dir Spaß macht. Ich
möchte nur vorschlagen, daß du es für eine Weile sein läßt und
schaust, daß du aus Persien herauskommst.«
»Nein, Bill. Ich kann nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich muß mich um Vater kümmern. Außerdem erwarten wir
einen Besuch.«
»Ah ja? Wen?«
»Du kennst ihn. Uri Ben-Levi.«
»Was zum Teufel treibt er denn immer da unten?«
»Er macht etwas mit Vater.«
»Mit oder gegen?«
»Bitte?«
»Nichts. Wann kommt er?«
»Am 4. März.«
»Na schön, laß ihn kommen. Was hat er mit dir zu tun?«
»Das habe ich dir doch schon gesagt, Bill. Nichts.«
»Warum bleibst du dann?«
»Weil Vater mich braucht.«
»Beschäftigt er sich immer noch mit diesen kleinen Spielsa
chen?«
»Laß uns jetzt nicht darüber reden, Bill.«
»Ich habe in Teheran mit dem Mann gesprochen, für den dein
Vater arbeitet. Weißt du, wen ich meine?«
»Ja.«
»Der Mann ist gefährlich. Für uns alle.«
»Ich weiß, Bill.«
»Na, dann rede doch um Himmels willen mit deinem Vater.
Und dann nichts wie raus.«
»Laß es mich auf meine Art versuchen. Vertraue mir. Ver
traust du mir?«
»Ja.«
»Bist du sicher?«
»Ja.«
»Und wir sehen uns am 18. März in St. Moritz?«
»Ja. Ich rufe dich vorher noch einmal an. Nur, um sicher zu
sein, daß alles in Ordnung geht.«
»Bill?«
»Ja.«
»Liebst du mich noch?«
»Ja.«
»Ich liebe dich sehr.«
Doch als ich auflegte, war ich alles andere als überglücklich.
Dieser verdammte Ben-Levi - schlich um Ursula herum und
stellte weiß Gott was mit ihrem Vater an. Dieser Hurensohn!
Am nächsten Tag hörte ich auf, daran zu denken. Weil ich bis
zum Hals in Arbeit steckte. Ich mußte noch einige Details der
Italientransaktion fixieren. Wir hatten die ENI-
Vermögenswerte, und Italien hatte seine sechs Milliarden. Der
letzte Aspekt der ganzen Transaktion war der Kauf der zwei
deutschen Raffinerien von Exxon gewesen. Die Saudis hatten
darauf bestanden, den deutschen Markt in die Hand zu be
kommen - oder zumindest ein gutes Stück davon. So war es
abgesprochen gewesen, und J. J. hatte sein Wort gehalten. Der
Preis, den er forderte, war um mindestens 25 Prozent zu hoch,
aber Yamani stimmte dem Ankauf trotzdem zu. Also bezahl
ten wir. Der andere Teil dieser Übereinkunft betraf eine leichte
Verlangsamung der Rohöllieferungen an die Unabhängigen,
die in Westdeutschland operierten. J. J. richtete auch das ein.
Wie, das weiß ich nicht, und es wollte auch keiner wissen.
Aber schon in einer Woche war es soweit. In gewissem Sinn
verkauften wir Amerikaner die Deutschen nach Strich und
Faden. Aber mein Gott - Geschäft ist Geschäft. Nichts gegen
die Deutschen. Es hätten genauso gut die Franzosen sein kön
nen.
Ein paar Tage später rief mich mein alter deutscher Freund Dr.
Hermann Reichenberger, Vorstandsvorsitzender der Leipziger
Bank, an. Er war in New York und schlug vor, zusammen zu
Mittag zu essen. Wir trafen uns im Madrigal, das zwar nicht
weit vom Exxon-Haus entfernt liegt, aber nicht gerade das
Stammlokal der Bankleute ist. Die Besucher waren fast aus
schließlich Verleger, die ihren Autoren flüssige Mahlzeiten in
der Hoffnung anboten, sie würden fürchterlich dankbar sein
und sich mit so gut wie allem einverstanden erklären. Ich setz
te mich ziemlich weit rückwärts an einen Tisch, von dem aus
ich einen Ausblick auf das genoß, was man in New York ge
meinhin einen Garten nennt. Hermann mußte bis nach hinten
kommen, um mich zu finden, und während er die dekadenten
Gäste musterte, verdüsterte sich sein Gesicht mit jedem
Schritt, den er auf mich zu machte.
Seine erste Frage, nachdem er sich gesetzt hatte, war: »Was
für ein Lokal ist das, Hitchcock?«
»Hier kommen die Goethes und die Schillers der Neuen Welt
zusammen«, antwortete ich. »Sehen Sie den Herrn da drü
ben?« Ich deutete auf den Herausgeber des New York Magazi
ne.
»Ja«, antwortete er.
»Er ist der Hermann Hesse der Second Avenue.«
»Ja, ja. Sehr interessant.«
Mein Hermann war beeindruckt. Die Deutschen bringen der
Literatur fast ebensoviel Achtung entgegen wie der D-Mark.
Und jetzt konnte er offensichtlich den Hauch von Größe spü
ren, der ihn umgab. »Sind Sie auf diesem Gebiet tätig?« wollte
er wissen.
»Sie meinen Literatur?« fragte ich.
»Ja.«
»Jetzt nicht mehr. Früher einmal.«
»Was genau?«
»Märchen. Aber ich habe es aufgegeben.«
»Welche Art Märchen?«
»Ich pflegte die Bilanzen meiner Banken zu veröffentlichen.«
Ein pfeifendes Lachen schüttelte den alten Hermann.
»Das ist ein guter Witz, Hitchcock, aber auch nicht mehr gar so gut. Können wir kurz über etwas Ernstes sprechen?« »Selbstverständlich.« »Ich will gleich zur Sache kommen. Es ist nicht sehr klug, was ihr da macht.« »Was meinen Sie?« »Ihr habt die Leute in Europa gründlich verärgert.« »Wen zum Beispiel?« »Unsere Bank. Die anderen deutschen Banken. Die französi schen Banken, die schweizerischen Banken, sogar die engli schen Banken.« »Wieso?« »Sie wissen, wieso. Sie haben von uns allen Einlagen in gro ßer Höhe abgezogen. Sie erinnern sich: Wir hatten ein Konsor tium, um diese italienische Anleihe aufzulegen. Sie haben das jetzt ausschließlich über amerikanische Banken durchgeführt. Und mit arabischem Geld aus Europa. So macht man sich keine Freunde, Hitchcock. Nota bene, wo Sie diese Klausel eingebaut haben, wonach die von den Saudis an Italien ge währten Kredite sofort zurückzuzahlen sind, während wir und alle anderen warten müssen.« »Hermann«, antwortete ich, »ich habe nichts - wirklich nichts - getan, was Sie unter den gleichen Umständen nicht auch getan hätten.« »Es ist nicht korrekt. Wir müssen zusammenleben. Wir müs sen zusammenhalten, wir Europäer und ihr Amerikaner. Sonst sind wir verloren.« »Verstehen Sie doch: Ich führe nur Entscheidungen aus, die in Riyadh getroffen werden. Die Saudis bestimmen die Politik, und ich vollziehe sie.« »Könnten Sie den Prozeß nicht wenigstens ein wenig verlang samen?« »Hören Sie, Hermann. Wenn ich dächte, daß Sie oder sonst eine große Bank in Europa tatsächlich Liquiditätsprobleme hätten - wir würden es tun. Aber ihr habt keine. Ihr tut euch vielleicht ein wenig schwer, aber sehen Sie mal: seit Jahrzehn
ten zieht ihr Geld aus den Vereinigten Staaten ab. Das hat sich bei den Banken hier empfindlich bemerkbar gemacht. Jetzt bekommt ihr am eigenen Leib zu spüren, wie das schmeckt. Ihr werdet euch damit abfinden müssen.« »Ich glaube nicht, daß unsere Regierung sich Ihrer Meinung anschließen wird. Wir haben eine große Anzahl von Arbeitslo sen in Deutschland. Sogar die Schweizer haben Probleme. Man vertraut euch Amerikanern nicht mehr.« »Ach, hören Sie auf, Hermann. Kein Europäer hat uns je ge traut.« Und dann bestellten wir. Und sprachen über nichts Besonde res. Erst beim Kaffee kam der wahre Zweck unseres Zusam mentreffens zum Vorschein. »Dr. Hitchcock«, sagte Dr. Reichenberger, »Sie wissen wahr scheinlich, daß unsere Bank einer der Hauptaktionäre von Gelsenberg ist.« »Ja.« Gelsenberg ist die einzige große deutsche Ölgesellschaft. »Die Gesellschaft hat einige sonderbare Erfahrungen ge macht.« »So?« »Ja. Vorige Woche sind plötzlich Schwierigkeiten bei der Beschaffung des Rohöls aufgetreten.« »So?« »Ja. Könnten Sie uns vielleicht bei der Aufklärung dieses Vor falls behilflich sein?« »Ich fürchte…« »Ich will Ihnen sagen, warum ich hoffe, Sie könnten uns hel fen. Sie wissen ja, daß wir Deutsche uns gegenüber Ihren Ölgesellschaften - Exxon, Gulf, Mobil, wie sie alle heißen - im mer sehr kooperativ verhalten haben. Im wesentlichen beherr schen sie unseren Markt, und wir Deutsche haben uns nie dar über beklagt. Nun bin ich der Meinung, daß es in niemandes Interesse liegen kann, wenn diese enge und von Toleranz ge tragene Beziehung untergraben würde.« »Ich fürchte…« »Sie werden gewiß gehört haben, daß Oberst Khadafi Bonn
besucht hat. Er hat einige Mitglieder unserer Regierung davon überzeugt, daß es in Deutschlands Interesse liegen würde, eine Beziehung besonderer Art mit seinem Land herzustellen - sehr ähnlich jener, die eben jetzt zwischen Ihnen und Saudiarabien zustande gekommen ist. Soweit ich das beurteilen kann, wäre das äußerst ungesund. Wirtschaftlich, politisch und vielleicht auch…« »Militärisch« ist ein Wort, das Deutsche in gemischter Gesell schaft nie verwenden. »Wir nehmen an, daß die großen internationalen Ölkonzerne Gelsenberg unter Druck setzen und…« Wieder versuchte ich, ihn zu unterbrechen, aber er ließ sich nicht aufhalten. »Und wir glauben, daß zwischen diesem Engpaß und der Übernahme des deutschen Tankstellennetzes der ENI durch die Saudis ein Zusammenhang besteht.« »Die Saudis haben es nicht übernommen. Soviel mir bekannt ist«, entgegnete ich, »handelt es sich um ein amerikanisch schweizerisches Konsortium.« »Es waren die Saudis«, erklärte Reichenberger. Ich zuckte die Achseln. »Und worauf wollen Sie nun hinaus?« »Blasen Sie’s ab. Es ist dumm.« »Hören Sie«, wandte ich ein, »ich habe Ihnen schon gesagt ich bin nur ein Botenjunge. In solchen Angelegenheiten sind mei ne Hände gebunden, Hermann.« »Schön«, sagte er. »Aber es könnte doch sein, daß Sie mit jemandem sprechen können, der nicht nur ein Botenjunge ist, wie Sie es nennen. Ich rate Ihnen, die Sache abzublasen, bevor die Schwelle der Unumkehrbarkeit erreicht ist.« »Ich werde sehen, was ich tun kann, Hermann.« Eine Stunde später hielt ich mein Versprechen. Ich sprach mit Yamani. »Nein«, sagte er zorniger, als ich ihn je gesehen hatte. »Wenn sie mit Khadafi ihr Spielchen treiben wollen, sollen sie doch. Wir werden ja sehen, wer am Ende der Stärkere ist.« Die Folge war, daß der Druck auf Gelsenberg womöglich noch
weiter zunahm. Und alles nur, weil ich meinem guten Willen nachgegeben hatte. Die große Neuigkeit des Tages war. der Rücktritt von Mr. Weatherspoon als Leiter der Bundesenergiebehörde. Sein Nachfolger im Amt war ein gewisser Mr. Sisler, ein außeror dentlich fähiger Mann. Zwanzig Jahre lang war er der rang höchste Vizepräsident von Exxon gewesen. Einem Gerücht zufolge hatte auch der Direktor des Zentralbanksystems mit seinem Rücktritt gedroht. Er behauptete, das Weiße Haus sa botiere seine Politik des knappen Geldes, indem es auf unver antwortliche Weise zulasse, daß die amerikanischen Geld märkte mit ausländischen Geldern überschwemmt würden. Einem anderen Gerücht zufolge habe der Präsident ihn aufge fordert, sich zum Teufel zu scheren. Nun, er kam weder dieser Aufforderung nach noch trat er zurück. Seine Amtszeit ging 1986 zu Ende, er würde dann einundneunzig Jahre alt sein, und er beabsichtigte, seinem Land so lange zu dienen, wie die letzten Errungenschaften der geriatrischen Medizin ihm dies ermöglichten. Wall Street reagierte begeistert. Zum ersten Mal seit Jahren stieg der Dow-Jones-Aktienindex weit über 1000. Barrons veröffentlichte - eigentlich war es nur der nochmalige Abdruck eines Beitrages, den sie ihren Lesern jedes halbe Jahr vorsetzten - einen Leitartikel mit der Überschrift: WIE WIRD DIESER WAHNSINN ENDEN? Der Schreiber wies darauf hin, daß jeder von Menschen ent deckte Konjunkturablauf - angefangen mit dem kurzfristigen Kitchin-Zyklus bis zu Kondratjews »langen Wellen« - abwärts strebte. Daß die Welt auf eine Periode akuter Gefahr zusteuer te und daß der seit kurzem zu beobachtende Anstieg gewagter Spekulationen nur bestätige, was Wirtschaftstheoretiker be reits vorausgesehen hatten. Am 1. März flog ich nach Texas, um im Houston Club einen Vortrag zu halten. Das Thema war: »Das neue Energiebünd nis«, und der Text war reine Propaganda für die Saudis. Nicht, daß ich über mangelnde Begeisterung meiner Zuhörer hätte
klagen können. Houston ist eine Stadt der Öl- und Rüstungs industrie. Sultan Abdul Aziz kam mit, um ein wenig exoti sches Kolorit beizusteuern und gleichzeitig einen Blick auf die militärische Hardware zu werfen, die aus den Fertigungsstra ßen der Firma LTV kam. Wie immer war natürlich auch Gene ral Falk an seiner Seite, um die Flagge der Pro-Saudi-Clique im Pentagon zu zeigen und um sicherzustellen, daß, wenn die LTV je einen General - nach ehrenhafter Versetzung in den Ruhestand natürlich - als Berater brauchen sollte, sein Name die Liste der Bewerber anführen würde. Alles ging ganz normal über die Bühne, bis wir ins Hyatt Re gency zurückkehrten, wo wir wohnten. Ich erinnere mich nur zu gut an den Zwischenfall. Wir waren die Strecke vom Hou ston Club zum Hotel zu Fuß gegangen und hatten die Archi tektur der Stadt bewundert, die ja auch noch nachts von spek takulärer Schönheit ist. »Sultan«, hatte ich zum saudiarabischen Verteidigungsmini ster gesagt, »das ist ohne Zweifel die interessanteste Stadt der Vereinigten Staaten. Und wenn ich ein Saudi wäre, ich würde viel Zeit hier verbringen.« »Warum?« hatte er gefragt. »Weil Houston meiner Meinung nach das Modell für die Zu kunft Ihrer Städte darstellt. Es erstreckt sich über ein Gebiet, das einst Einöde war - unglaublich heiß und entlegen, so wie Ihre Wüste. Vor zwanzig Jahren war die Stadt ein verwahrlo stes Nest. Aber mit dem Aufkommen der Klimaanlagen - Sie sehen ja selbst, wie sie sich entwickelt hat. Houston ist bereits die fünftgrößte Stadt der Vereinigten Staaten. Ich wette, in zehn oder fünfzehn Jahren ist sie Nummer drei - nach New York und Los Angeles. Und die ganze Stadt ist auf Öl und Geld und Klimaanlagen gebaut. Verstehen Sie, was ich mei ne?« General Falk, der auf der anderen Seite von Sultan Aziz ge gangen war, witterte sofort seine Chance: »Wissen Sie, Hitch cock, da ist was dran. Was wir hier brauchen, ist eine Studien kommission. Vielleicht eine kleine Beratungsfirma für Stadt
planung. Bei Gott, selbst ich könnte mich versucht sehen, meinen Abschied zu nehmen und so etwas auf die Beine zu stellen. Ich habe eine Menge Freunde hier. Man brauchte nur ein paar Millionen Startkapital und…« Wir hatten gerade das Atrium des riesigen Gebäudes betreten, als irgendein schwachsinniger Hurensohn das Feuer aus einem Maschinengewehr auf uns eröffnete. Er hatte es auf dem Geländer des zehnten Stockwerks in Stel lung gebracht, von wo aus man den Hof unten gut überblicken konnte. Er war ein miserabler Schütze; der einzige, den er traf, war ein Polizist, und der kam mit einem harmlosen Streifschuß davon. Aber nichts hätte seine Kameraden von der Polizei Houstons mehr in Rage bringen können. Schon Sekunden später waren sie haufenweise hinter ihm her. Der Bandit such te nicht lange nach einem Ausweg. Zusammen mit dem Maschinengewehr stürzte er sich in die Tiefe und blieb zerschmettert auf dem Fliesenboden liegen. Nach dem, was von ihm übriggeblieben war, zu urteilen, be stand kein Zweifel, daß es sich um einen Araber handelte. Mehr war nicht zu erfahren. General Falk war der Held des Abends. Beim ersten Knattern hatte er sich auf den Sultan geworfen und ihn so lange ge deckt, bis alles vorüber war. Um mich kümmerte sich kein Hund, was mich, als ich später in meinem Zimmer saß, nach denklich stimmte. Sicher, in dieser Nacht standen zwei Bullen vor meiner Tür und an die tausend waren über das Hotelgelän de verteilt. Aber trotzdem schlagen Episoden wie diese einem Menschen auf den Magen. Falk und Sultan Aziz blieben nicht lange. Zwei Stunden nach dem Zwischenfall wurden sie von der Luftwaffe ausgeflogen. Das war das letzte mal, daß ich die beiden sah. Es war auch der Augenblick, da ich mich entschloß, für eine Weile von der Bildfläche zu verschwinden. Ich bin nicht feige, aber, verdammt noch mal, ich habe diesen verschissenen Ara bern nie getraut. Ich versuchte die ganze Nacht, eine Verbindung mit Khor
ramshahr zu bekommen. Bei Tagesanbruch bekam ich sie. Die Verbindung war miserabel, aber ich konnte mich verständlich machen. Ich wollte unbedingt, daß Ursula früher als verspro chen nach St. Moritz kommen sollte. Diesmal gab sie nach, weil ich ihr sagte, daß ich auch schon früher da sein könnte. Ich schlug den 4. März vor. Sie wollte am 5. kommen. Also blieb es beim 5. Wo und um welche Uhrzeit? Fünf Uhr am Bahnhof. Das erschien ihr etwas sonderbar, aber sie erhob keinen Ein wand. Um sieben Uhr früh schlief ich endlich ein. Zu Mittag bekam ich eine Polizeieskorte zum Flughafen. Und auf dem Flug nach Los Angeles trank ich vier Martini. Offiziell flog ich nach Los Angeles, um ein großes Depositen geschäft mit Security Pacific abzuwickeln. Zu diesem Zeit punkt waren schon mehr als 32 Milliarden Dollar in kurzfristi gen Saudigeldern in die Staaten geflossen, und sie kamen im mer noch in der jetzt reduzierten Menge von zwei Milliarden Dollar die Woche. In Wahrheit wollte ich mich nur ein wenig von den groben Typen im Osten erholen. New York ist eine schöne Stadt, aber sechs Wochen hintereinander ist ein bißchen viel für einen Kalifornier, noch dazu einen, auf den in Houston geschossen worden war. Vom Flughafen fuhr ich direkt ins Beverly Hills Hotel, und mein erstes Ziel, nachdem ich mich eingetragen hatte, war die Bar in der Polo Lounge. Gus war da, begrüßte mich mit strah lendem Gesicht und wollte mir die neuesten Witze erzählen, die in Los Angeles die Runde machten. Ich hatte etwa 15 Mi nuten in der Bar gestanden, als zwei dunkelhäutige Typen hereinkamen und sich hinter mir an einen Tisch setzten. Ich warf einen Blick über die Schulter, und, bei Gott, was ich sah, gefiel mir gar nicht. »He, Gus«, sagte ich ganz leise. »Was sagten Sie, Dr. Hitchcock?« antwortete er mit, wie mir schien, dröhnender Stimme.
»Nicht so laut, Gus«, flüsterte ich. Gus kannte mich schon lange und war an komische Vögel gewöhnt; also tat er mir den Gefallen. »Was ist los?« fragte er - jetzt auch im Flüsterton. »Diese zwei Männer.« »Was für zwei Männer?« Ich zuckte mit dem Kopf zurück, wie ich es im Kino gelernt hatte. »Diese Araber. Kennen Sie sie?« Gus sah sie an, sah mich an und lachte. »Araber? Hören Sie, ich weiß nicht, wo Sie der Schuh drückt, aber der Mann links ist Mr. Levi, Präsident der Beverly Hills Synagoge. Sein Freund ist ein armenischer Teppichhändler - Faghali, glaube ich, heißt er. Sie kommen sehr oft her.« »Okay. In Ordnung, Gus. Geben Sie mir noch einen.« Als ich wenig später die Bar verließ, um mit dem Aufzug in mein Zimmer in den dritten Stock hinaufzufahren, wartete unten schon einer. Allein. Sicher, er war blond und seiner Kleidung nach ein Einheimischer. Aber wozu ein Risiko eingehen? dachte ich. Ich spazierte ein bißchen herum, bis er weg war. Und dann entschloß ich mich, zu Fuß hinaufzugehen. Es wa ren ja nur drei Stockwerke. Zum Abendessen besuchte ich einen Freund. Er kannte eine Menge junger Damen in der Stadt. Einige waren verfügbar, aber ich ging trotzdem um Mitternacht in mein Hotel zurück. Falk hatte seine Telefonnummer hinterlassen; ich sollte zu rückrufen. Er wollte nur wissen, ob alles in Ordnung war. Aber ja, sagte ich, ich hätte seit Houston nicht mehr an die Sache gedacht. Am nächsten Morgen flog ich nach San Francisco und fuhr dann mit dem Wagen zu meiner Ranch im Bezirk Sonoma hinauf. Es ist nur ein kleiner Besitz mit einigen tausend Stück Vieh und ein paar Pferden, aber ich habe einen ziemlich großen Forellenteich. An diesem Tag war es zu feucht, um zu reiten oder zu fischen. Und so saß ich nur herum und schwatzte mit
Manuel, meinem mexikanisch-amerikanischen Freund, der die Ranch für mich verwaltete. Gegen fünf war ich wieder in der Stadt und ging, auf der Suche nach Bekannten, in den Bohe mian Club. Ich fand sofort Gesellschaft in der Person Fred Graysons, des Präsidenten der Standard Oil of California. Die Kunde von Hitchcocks Milliarden hatte sich verbreitet, und so waren wir bald von Mitgliedern der Finanzwelt umringt. Ei gentlich war der Bohemian Club im 19. Jahrhundert als Treff punkt für Künstler und Schriftsteller entstanden. Beim Dinner bestand unsere Gruppe aus zwei Bankiers (Wells Fargo und ich), zwei Ölmagnaten (SoCal und Texaco), zwei Pipelinefrit zen (beide von Bechtel) und zwei Anwälten (der eine auf Kar tellrecht, der andere auf Steuern spezialisiert). Der einzige Künstler war der mexikanische Kellner, der uns bediente. Die Welt war schön. Nach dem Dinner bat ich Grayson um einen Gefallen. Ich bedurfte der Hilfe seiner Fernmeldezentrale. Kein Problem. Er fuhr selbst mit mir in den achtzehnten Stock hinauf, wo die Funkgeräte vierundzwanzig Stunden am Tag summten, wie sie das in den Zentralen aller großen internationalen Ölgesell schaften tun. Schließlich gebieten sie ja nicht über eine Firma oder ein Land, sondern über die ganze Welt. Sie stellten für mich eine Verbindung mit Aramco in New York her; die gaben mich an Aramco in Saudiarabien weiter, und drei Minuten später hatte ich Yamani in der Leitung. Fahd war nicht verfügbar. Ich sagte Yamani, daß ich ein paar Wo chen Urlaub machen wollte. Wo jetzt alles nach Plan lief, konnte al-Kuraishi, dachte ich, für eine Weile die Abwicklung überwachen. Für den Fall, daß ich gebraucht werden sollte, gab ich Yamani meine Adresse und Telefonnummer in St. Moritz. Yamani notierte alles und fragte mich dann: »Hat Sie diese Geschichte in Houston verunsichert?« »Aber nein. Ich bin nur ein bißchen müde.« Er verstand das. »Und wie sieht es bei Ihnen aus, Zaki?« fragte ich. »Es geht«, antwortete er. Und dann brach die Verbindung ab.
Grayson und ich genehmigten uns noch einen Schlummertrunk in seinem Büro und verabschiedeten uns. Am nächsten Tag nahm ich die Pan Am nach London, die Swissair nach Zürich, die Schweizerische Bundesbahn nach Chur und die Rätische Bahn nach St. Moritz. An jenem Abend war Ursula Hartmann in Khorramshahr mit Kofferpacken beschäftigt. Auch erwartete sie einen Besucher zu dessen zweitem Besuch, seit sie mit ihrem Vater nach Khorramshahr gezogen war: Professor Ben-Levi aus Tel Aviv. Es war nicht unkompliziert, von Israel nach Abadan zu flie gen, aber das schreckte Ben-Levi nicht ab. Wie üblich mit einem Mann der SAVAK am Steuer, war ihr Vater zum Flug hafen gefahren, um ihn abzuholen. Um sieben kamen sie an: lachend und scherzend und bester Laune, ganz und gar nicht die Art ihres Vaters, zumindest nicht nach seiner Ankunft in Persien - ein Land, das sie nach mehr als dreimonatigem Aufenthalt wütend zu hassen gelernt hatte. »Meine liebe Ursula«, sagte Ben-Levi noch in der Tür, »ich habe Sie noch nie so schön gesehen. Kommen Sie.« Er breitete seine Arme aus, und Ursula hatte keine Wahl. Doch als er versuchte, sie auf den Mund zu küssen, drehte sie den Kopf zur Seite. Er bekam eine Wange und einen leichten Schubs zurück. »Immer noch die gleiche Ursula«, sagte Ben-Levi, sein ewiges Lächeln ein wenig verzerrt. »Ja. Und ich gedenke auch so zu bleiben.« »Ursula«, warf ihr Vater ein, »bitte führe Uri weiter und gib ihm etwas zu trinken. Er hat einen langen Flug hinter sich. Ich muß ein paar Papiere aus meinem Arbeitszimmer holen.« Sie tat, wie ihr geheißen. »Wie geht es Ihrem Freund, dem Bankier, Ursula?« fragte Ben-Levi, als sie ihm den Sherry reichte. »Gut.« »Ihr Vater hat mir erzählt, daß Sie sich in Teheran mit ihm getroffen haben.«
»Ja.«
»Soviel ich weiß, arbeitet er für die Araber.«
»Ja.«
»Ist das klug?«
»Ist was klug?«
»Daß Sie Ihre Zeit mit ihm verbringen.«
»Ich glaube, ich handle wesentlich klüger als mein Vater,
wenn er mit Ihnen Umgang hat.«
In diesem Augenblick kam ihr Vater ins Zimmer. »Ursula!
Was soll das? Wie kannst du so mit unserem alten Freund
sprechen?«
»Freund? Wessen Freund? Mein Freund ist er nicht. Seine
Freunde sind ein paar verrückte Generäle oder Politiker in
Israel. Oder der Schah von Persien. Das sind seine Freunde.
Nicht wir, Vater.«
»Ursula!«
»Du kannst mir nicht länger den Mund verbieten, Vater. Ich
weiß, was du hier tust. Und ich weiß, daß Uri Ben-Levi es zu
verantworten hat, daß du hier bist und die schmutzige Arbeit
für ihn machst.«
»Du weißt sehr gut, daß ich aus freiem Willen hier bin. Und
mit Zustimmung unserer Regierung.«
»Ja. Auch mit der Zustimmung deines Gewissens?«
»Was meinst du?«
»Du baust Kernwaffen für den Iran. Für den Schah von Persi
en. Das weiß ich seit Monaten. Aber in dieser Zeit habe ich
auch gesehen, was rund um mich in diesem Land vorgeht. Das
ist nicht die Schweiz, Vater. Der Herrscher dieses Landes
braucht diese Waffen nicht zu Verteidigungszwecken, so wie
unser Land. Er hat die Absicht, sie zu verwenden. Um ganz
bewußt andere Menschen zu unterdrücken und zu ermorden.
So wie er bis jetzt alle Waffen, die ihm zur Verfügung stan
den, ganz bewußt dazu verwendet hat, um sein eigenes Volk
zu unterdrücken und zu ermorden. Hast du denn nicht gesehen,
was in diesem Land vorgeht? Es ist genauso schlimm wie
Spanien unter Franco, oder Chile unter den Generälen. Es ist
fast so schlimm wie in Nazi-Deutschland. Und diese Men schen haben meine Mutter umgebracht.« »Das ist doch völlig absurd«, mischte Ben-Levi sich ein. »Ha ben Sie vergessen, Sie verwöhnte kleine Närrin, daß 1973, als die ganze Welt uns den Rücken zukehrte, nur die Vereinigten Staaten, Holland und der Iran uns beigestanden haben?« »Na und? Sie reden so, wie viele amerikanische Juden vor langer Zeit geredet haben. Solange er Israel unterstützte, war es ihnen gleich, was Nixon ihrem Land antat. Sie waren wil lens, einen Mann zu akzeptieren, der nichts dabei fand, das ganze Gefüge ihres Landes - ihres eigenen Landes - zu unter graben, nur weil er angeblich ein Freund Israels war. Aber wie lange wäre er noch ein solcher Freund geblieben? Wahrschein lich war er verrückt, so verrückt wie der Mann, der den Iran regiert. Und genauso verrückt sind Leute wie Herr Uri BenLevi, die dem Schah helfen wollen.« »Versteh doch, Ursula«, sagte ihr Vater mit sanfter Stimme. »Wir helfen nicht dem Schah von Persien. Wir versehen ihn nur mit gewissen Werkzeugen, die Israel retten können.« »Indem ihr Hunderttausende Araber tötet? Sie ermordet?« »Es ist nicht nötig, sie zu ermorden«, antwortete ihr Vater. Nun wandte sich Ben-Levi an den schweizerischen Professor. »Du irrst dich, alter Freund. Es gibt keinen anderen Weg. Sie müssen vernichtet werden.« »Siehst du, Vater!« schrie Ursula. »Dieser Mann ist wahnsin nig. Wenn die israelische Regierung wüßte, was er hier zu tun versucht, würde sie ihn einsperren.« »Ich sage immer noch«, fuhr ihr Vater mit der gleichen ruhi gen Stimme fort, »daß es keine Toten geben wird. Wir können auch so erreichen, was wir wollen.« »Ich bin anderer Meinung«, erklärte Ben-Levi. »Wer seid ihr beide denn, daß ihr solche Entscheidungen tref fen wollt?« gab Ursula zurück. »Ich weiß, was der Schah will. Er will den ganzen Persischen Golf in seine Gewalt bekom men. Das ist doch jetzt ganz klar, Vater. Hast du denn nichts von den Truppenbewegungen rund um Khorramshahr, rund
um Abadan und im Norden gesehen? Jeden Tag treffen weite
re Zehntausende von Soldaten hier ein.«
Keine Antwort.
»Ihr gebt ihm diese Waffen und gebt ihm damit den Persi
schen Golf. Glaubt ihr denn, daß er sich mit der ganzen Mili
tärmacht, die er hier zusammenzieht, und euren Bomben zu
friedengeben wird? Wenn ihr das glaubt, seid ihr noch ver
rückter, als ich dachte. Er wird den ganzen Nahen Osten haben
wollen. Alles. Einschließlich Israel. Und niemand wird ihn
aufhalten können.«
»Ursula«, erwiderte ihr Vater, »die Würfel sind gefallen. Aber
ich versichere dir, daß meine Bomben keinen Menschen töten
werden.«
»Wie sollte das möglich sein?«
»Weil keine Absicht besteht, Bomben auf Araber abzuwerfen.
Sie werden auf unbewohnte Wüstengebiete abgeworfen wer
den, wenn überhaupt. Und wer immer sich in der Nähe aufhal
ten sollte, wird fliehen können, bevor die Radioaktivität ihn
töten kann.«
»Und dann?«
»Dann, mein Kind, werden sie keine Ölfelder mehr haben.
Und somit keine Bedrohung für Israel mehr darstellen.«
»Du irrst, mein Freund«, sagte Ben-Levi. »Sie werden immer
eine Bedrohung darstellen. Deine Methode reicht nicht aus.
Sie müssen sterben. Und deine Bomben müssen dementspre
chend konstruiert werden.«
»Sie sind widerlich, Ben-Levi. Und dumm«, sagte Ursula.
»Und ich werde nicht dulden, daß Sie sich je wieder in diesem
Haus aufhalten.«
»Ursula!«
»Ich meine es ernst, Vater. Morgen gehe ich fort. Ich will in
Frieden von hier weggehen. Dieser Mann soll nicht hierblei
ben. Ich gehe jetzt auf mein Zimmer.«
Und das tat sie.
Die zwei Männer sprachen noch bis Mitternacht miteinander,
und dann öffnete sich die Eingangstür und schloß sich wieder
hinter Ben-Levi, der die Nacht in einem Hotel in Abadan
verbringen sollte.
Eine halbe Stunde war es still im Haus. Dann klopfte es an
Ursulas Tür. »Bist du noch wach, Ursula?« fragte ihr Vater.
»Ja.«
»Dann komm raus, wir müssen miteinander reden.«
»Ich komme.«
Eine Minute später lag sie in seinen Armen.
»Es tut mir leid, daß ich so reden mußte«, sagte sie, »aber ich
hatte keine Wahl. Und ich bedauere es nicht.«
»Aber du siehst die Dinge falsch. Ich weiß jetzt, was du für
dieses Land empfindest, aber es gibt keinen anderen Weg.
Wenn die Araber jetzt nicht geschlagen werden, ist es zu
spät.«
»Aber Vater, du bist so naiv. Du gibst einem von Grund auf
bösen Diktator unermeßliche Macht. Letzten Endes hilfst du
mit, Israel zu zerstören. Für alle Zeiten.«
»Woher willst du das wissen, Ursula?«
»Du hast dich nie mit Politik beschäftigt, Vater. Du hast schon
in der Schweiz abgeschieden von der Welt gelebt, und jetzt
lebst du schon seit vier Monaten ebenso abgeschieden in
Khorramshahr. Du mußt dich ändern. Du mußt auch mit ande
ren Menschen reden, nicht nur mit Wissenschaftlern und Ge
nerälen. Mit freien Menschen. Menschen, die von diesen Din
gen etwas verstehen. Die werden dir bestätigen, was ich dir
jetzt gesagt habe.«
»Ich kann jetzt nicht weg.«
»Ich fahre morgen, Vater. Willst du mir etwas versprechen?«
»Ja.«
»Denk darüber nach, was ich gesagt habe. Es muß eine andere
Lösung geben. Für Israel und für uns alle. Es muß einen drit
ten Weg geben. Ich werde aus der Schweiz anrufen. Ich werde
auch darüber nachdenken. Ich werde mit Leuten reden.«
»Mit deinem Freund, Dr. Hitchcock?«
»Ja. Aber ich werde auch lesen. Und zuhören. Und dann rufe
ich dich an.«
»Gut. Geh jetzt schlafen, Ursula. Du hast eine lange Reise vor
dir.«
Um sieben Uhr früh flog sie ab. Sie war noch vor mir in St.
Moritz.
22 Auf die Sekunde genau fuhr mein Zug an jenem 5. März um fünf nach fünf in den Bahnhof von St. Moritz Bad ein. Dieser hauptsächlich für Schifahrer bestimmte Zug reichte aus, um jedermanns Herz höher schlagen zu lassen, selbst das eines möglichen Opfers arabischer Heckenschützen. Menschen aus aller Welt waren da, alle in Sportkleidung, und alle amüsierten sich blendend. Als Cocktailbar figurierte der Speisewagen mindestens 50 Jahre alt, holzgetäfelt und, so wahr mir Gott helfe, mit einem echten Ofen am anderen Ende. Zur Erhaltung des leiblichen Wohls wurde vorzugsweise Wein serviert weißer aus der Gegend des Genfer Sees und roter aus dem Valais. Zumindest den Ausländern. Auch die Eingeborenen taten sich daran gütlich, garnierten den Wein jedoch gelegent lich mit Kirschwasser, das aber, je näher wir unserem Ziel kamen, immer weniger gelegentlich konsumiert wurde. In meinem dunkelblauen Anzug, dunkelblauer Weste, dunkel blauer Krawatte und schwarzen Schuhen war ich anfangs Ge genstand des Spottes. Doch als ich dem Witzbold vom Dienst erklärte, daß ich zum Begräbnis eines Freundes fuhr, der an übermäßigem Bumsen in der sauerstoffarmen Luft des Hoch gebirges gestorben war, verzieh man mir meine unpassende Gewandung. Die Folge war, daß ich in ziemlich ausgelassener Stimmung in St. Moritz eintraf. Inmitten eines Haufens von Koffern saß Ursula allein im War tesaal. Als ich mich durch die Koffer auf sie zuschlängelte, stand einen Augenblick lang alles auf des Messers Schneide. »Bill«, fragte sie, sobald wir die einleitenden Formalitäten hinter uns hatten, »wo steigen wir ab? Ich habe mich erkun digt, und alle Hotels sind voll. Und weder auf meinen noch auf deinen Namen sind irgendwo Zimmer vorbestellt worden.« Sie denken immer praktisch, diese Schweizerinnen. »Keine Sorge«, sagte ich und setzte mich neben sie, nachdem der Träger mein Gepäck gebracht hatte - einen kleinen Hand koffer und eine große Aktentasche. Ursula registrierte das mit
einem kurzen Blick, sagte aber nichts. Die nächsten paar Mi nuten waren etwas gespannt. Dann kam Hans. »Grüezi, Herr Doktor«, sagte er. »Salü, Hans«, antwortete ich. »Ischt alles bereit?« Ursula starrte mich verwundert an. Was man ihr nicht verden ken konnte, denn ich bediente mich, ohne jede Hilfe vom Hei ligen Geist, jener geheimnisvollen Sprache der Schweizer, die als Schwyzerdütsch bekannt ist. »Bill«, rief sie, »wo hast du das gelernt?« »Im Internat, mein Schatz.« Die reine Wahrheit. Die Zeit zwi schen meinem 14. und meinem 17. Lebensjahr hatte ich an die Schweiz verschwendet - von einer unbedeutenden und einer bedeutenden Errungenschaft abgesehen. Die unbedeutende war, daß es mir gelang, mir einigermaßen akzeptable Kennt nisse der deutschen und der französischen Sprache sowie des örtlichen Dialekts anzueignen. Die bedeutende war, daß ich Schifahren lernte - richtig Schifahren lernte. »Hans«, fragte ich, »ist Gertrude hier?« »Jawohl, Herr Doktor. Sie kann es kaum erwarten, Sie zu se hen.« »Gertrude?« Das war Ursula. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen«, sagte ich, »aber wenn ich herkomme, verbringe ich immer einige Zeit mit Gertrude.« Hans organisierte zwei Träger, und wir gingen. Gertrude war tete schon. Und als sie begann, mich zu liebkosen, klatschte Ursula vor Entzücken in die Hände. Denn Gertrude war ein Pferd. Und hinter Gertrude stand ein mit Decken und Pelzen ausgestatteter Schlitten. Hans lud das Gepäck auf, und Ursula und ich schlüpften unter die Decken. Fünf Minuten später waren wir auf dem Hügel hinter der Stadt und wandten uns nach Westen. Es war einer jener Abende, die einen für alle Übel dieser Welt entschädig ten. Die Temperatur lag weit unter Null; die Luft enthielt auch nicht das kleinste bißchen Feuchtigkeit; Millionen Sterne leuchteten unvorstellbar hell; die Glöckchen an unserem
Schlitten, Ursulas nahe Wärme, des Lebens beschwingte Hei terkeit - das ist das St. Moritz, das ich niemals vergessen wer de. Eine Weile später, beim Suvretta-Haus, verließen Hans und Gertrude die Straße - und dann begann die Fahrt über den lan gen, gewundenen Weg hinauf. »Wo geht es hin?« fragte Ursula, als alle Merkmale der Zivili sation zurückzubleiben begannen. »Wart’s ab, und bis dahin laß deine Hand genau dort, wo du sie jetzt hast.« Ich beschloß, die meine ein wenig zu bewegen. »Bill!« rief sie. »Denk doch an Hans!« »Wenn du willst, bitte. Aber mir persönlich wäre es lieber, wenn Hans auf dem Bock bliebe.« Eine halbe Stunde später waren wir auf dem Plateau - auf der Chantarella. Auf diesem Plateau befinden sich zwei Baulich keiten: das Chantarella Hotel und das Chalet - die Villa Chan tarella -, das ich seit 1968 jeden Winter vom Hotel gepachtet hatte. In den Monaten, in denen ich nicht hier lebte - und das waren die meisten Wintermonate -, hatte Hans, der Chefportier des Hotels, ein Auge darauf. Aber wenn ich ihm ein Tele gramm schickte, war das Haus innerhalb von 24 Stunden be zugsfertig - einschließlich Theresas, der Haushälterin, Köchin, Hüterin meiner Garderobe und der schlimmsten Kicherliese, der ich je begegnet bin. Sie mußte die Glöckchen gehört haben, denn sie stand schon wartend vor der Tür. »Theresa!« rief ich, »ich komme!« »Doch nicht jetzt!« rief Ursula. »Halt!« sagte Hans - aber zu Gertrude, nicht zu mir. Und während Theresa zusah, wie ich versuchte, mich von Ursula und den Pelzen zu befreien, fing sie sofort an zu ki chern. Schließlich gelang es mir, in den Schnee hinunterzu springen. Darauf folgte eine herzliche Umarmung, die, wie es bei uns schon Brauch war, mit einem kräftigen Klaps auf The resas Hinterteil endete.
»Herr Doktor«, kreischte sie und fing an, noch herzhafter zu kichern. »Theresa«, sagte ich, »ich möchte Sie gerne mit meiner Ver lobten, Fräulein Ursula Hartmann, bekannt machen.« Das mit der Verlobten veranlaßte Theresa, das Kichern für eine kleine Weile einzustellen und vor Ursula zu knicksen. Dann aber machte sie sich an die Arbeit. Die zwei schwersten Koffer packte sie gleich selbst, während sie gleichzeitig Hans mit schriller Stimme Befehle erteilte. Weder ich noch - Gott behüte! - Fräulein Ursula durften etwas anrühren. Im Haus war alles, wie ich es haben wollte. Warm, das Feuer brannte, die Kerzen waren angezündet, und der Cognac stand bereit. Ein paar Minuten lang sah Ursula sich um und nahm alles in sich auf. »Bill«, sagte sie dann in sehr ernstem Ton, »mit wieviel Frauen warst du schon da?« »Ich schwöre dir bei allen Heiligen«, erwiderte ich, »das ist heute das…« Sie kam zu mir, küßte mich und war klug genug, um zu sagen: »Ich will es gar nicht wissen. Ich will nur dein Versprechen, daß ich die letzte sein werde.« »Darauf wollen wir trinken«, sagte ich und beeilte mich, die zwei Cognac-Gläser zu füllen. »Auf uns«, toastete ich. »Auf uns zwei«, erwiderte sie - und fing an zu weinen. »Nein, nein«, sagte sie und sah mir ins Gesicht, »es ist nichts Schlimmes. Ich war nur noch nie so glücklich. Noch nie!« Just in diesem Augenblick kam Theresa ins Zimmer. Als sie Ursulas Tränen sah, strafte sie mich mit einem mißbilligenden Blick, den näher zu beschreiben ich mir erspare. Aber die Bot schaft ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Wenn ich diesem netten schweizerischen Fräulein in irgendeiner Weise weh tat, ewige Verdammnis würde mein Lohn sein. Theresa war sehr katholisch. Aber Ursula ließ keinen falschen Eindruck entstehen. »Machen Sie sich keine Gedanken, Theresa«, sagte sie, ging zu ihr und tätschelte ihre Hand. »Ich finde, Ihr Dr. Hitchcock
ist der netteste Mann auf der ganzen Welt.« Das »Ihr Dr. Hitchcock« besiegelte Theresas Ergebenheit für Ursula auf Lebenszeit und bannte - fast - die Gefahr einer häuslichen Revolte. Denn Theresa warf mir noch einen Blick zu, der mir unmißverständlich nahelegte, ich müsse künftig mein Benehmen darauf abstellen, mich solcher Worte würdig zu erweisen. Dann nahm sie Ursula bei der Hand, zeigte ihr, wo alles war, half ihr beim Auspacken, sagte ihr, wie gut sie aussah, fragte sie nach ihren Lieblingsgerichten, wann sie zu essen pflegte, welchen Wein sie gern trank - kurzum, sie machte sich bei ihr auf geradezu widerliche Weise lieb Kind, während ich allein im Wohnzimmer zurückblieb, um über begangene und möglicherweise noch zu begehende Sünden nachzusinnen. Doch beim Abendessen ließ Theresa erkennen, wem ihr Herz wirklich gehörte. Sie stellte die beste Lasagne des Universums auf den Tisch. Es war mein Lieblingsgericht, und das wußte sie. Darum setzte sie es uns vor. Dazu zwei Flaschen Barbera, piemontesischen Rotwein. Um halb neun gingen wir zu Bett. Und als Theresa am näch sten Morgen an die Tür klopfte und mit Kaffee und heißen Croissants ins Zimmer trat, strahlte sie. Sie billigte meine Wahl. Es gibt keine bessere Zeit und keinen besseren Ort zum Schi fahren als St. Moritz im März. Ich bin im amerikanischen We sten gelaufen, und ich kenne jeden Wintersportplatz in den Alpen - keiner reicht auch nur im entferntesten an St. Moritz heran. Weil der Schnee um diese Jahreszeit perfekt ist - von zweitausend Meter aufwärts liegt Pulverschnee, die Sonne brennt heiß herunter, und das Ambiente ist weder so gekün stelt wie in Gstaad noch so muskelprotzig wie in Jackson Hole und ähnlichen Orten, sondern eine gesunde, erfrischende Kombination von beiden. Im März trifft sich hier alles, was in der Welt Rang und Namen hat. Am Morgen zogen wir los. Wir schleppten unsere Schi zur Luftseilbahn hinüber, deren Talstation auf dem Chantarella
Plateau liegt, keine hundert Meter von meiner Villa entfernt. Wir fuhren hinauf. Von dort ging es mit dem Schilift weiter zum Piz Nair. Alles in allem zwanzig Minuten von unserer Villa bis zum Gipfel. Ich ließ Ursula als erste abschwirren. Nur um zu sehen, wie sie es anpackte. Na, ich sah genug. Wie ein geölter Blitz und ohne einen Blick zurückzuwerfen, sauste sie hinunter und kam erst bei der Bergstation der Seilbahn wieder zum Stehen. Ich tat das gleiche - wenn ich davon abse he, daß ich bei der dritten Kehre stürzte und mir beinahe den Hals gebrochen hätte. Als ich endlich neben ihr stehenblieb und sie das weiße Zeug auf meinem Kragen sah, lachte sie und fragte: »Bist du gestürzt?« »Neue Bindungen«, antwortete ich, was mehr oder minder stimmte, denn ich hatte sie erst vor drei Jahren gekauft. »Noch mal?« »Natürlich.« Also gingen wir hinüber und setzten uns wieder in die Gon deln. Diesmal fuhren wir gemeinsam ab. Ich will nicht sagen, daß sie es mir leichter machte, aber zumindest nahm sie auf die Tatsache Rücksicht, daß es ganz natürlich ist, wenn je mand ein bißchen Zeit braucht, um sich an neue Bindungen zu gewöhnen. Nach vier weiteren Abfahrten schlug ich vor, eine Pause zu machen und uns einen Imbiß zu genehmigen. Etwa auf halber Höhe des Piz Nair gibt es ein wunderbares kleines Restaurant mit einer großen Terrasse, und dort ließen wir uns nieder. Auch meine Schuhe waren ziemlich neu, darum zog ich sie sofort aus und warf mich auf einen Liegestuhl. Es war sonnig und heiß. Ursula ging hinein, um die Erfrischungen zu holen. Sie kam mit Brot und Käse und einer Flasche Aigle zurück. »Wie lange können wir bleiben, Bill?« fragte sie nach einer Weile. »Zwei Wochen.« »Und dann?« »Dann werde ich wahrscheinlich nach Riyadh oder zurück nach New York fliegen müssen. Hängt davon ab. Aber darüber
wollen wir uns jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Ich bin hierher gekommen, um das alles zu vergessen. Zumindest für…« »Dr. Hitchcock!« hörte ich hinter mir eine Stimme. »Das ist aber eine Überraschung!« Ich hob den Kopf und blickte in ein offensichtlich nahöstliches Gesicht, von dem ich aber nicht recht wußte, wo ich es unter bringen sollte. Sogleich kehrte das Houston-Syndrom wieder in leichter Form eine Art wilder Aufruhr meiner inneren Orga ne -, bis ich ihn erkannte. »Ja«, sagte ich, ohne aufzustehen, »wir haben uns im Iran kennengelernt.« »Natürlich. Seine Majestät hat seitdem von Ihnen gespro chen.« »Wie nett. Ja. Und was machen Sie hier Schönes?« »Ich bin nicht hier, um meinen Urlaub zu genießen, das kann ich Ihnen versichern«, antwortete er. »So?« »Aber das müssen Sie doch wissen. Morgen kommt Seine Majestät. Im März kommt er immer nach St. Moritz.« »Natürlich.« Ich erinnerte mich tatsächlich, obwohl sich unse re Wege bisher noch nie in St. Moritz gekreuzt hatten. »Na schön«, sagte ich, »ich hoffe, Sie und Seine Majestät ha ben einen angenehmen Aufenthalt.« Eine ziemlich alberne Bemerkung, aber damit war ich ihn los. »Wer war das?« fragte Ursula, nachdem er in der Menge ver schwunden war. »Einer von den Burschen, die für den Schah arbeiten.« »Aha.« »Sag, hast du noch was von dem Wein?« An diesem Nachmittag machten wir noch vier Abfahrten, das reichte uns. Wir fuhren zum Chantarella hinunter und stellten die Schi weg. Theresa hatte eine große Platte Bündnerfleisch und Salzis für uns vorbereitet, dazu heiße Schokolade - der Welt gesündestes Getränk, wie sie behauptete. »Möchtest du zum Abendessen ausgehen?« fragte ich eine Weile später.
»Nein«, antwortete Ursula, »ich möchte ganz allein mit dir zu
Hause bleiben.«
Und das taten wir denn auch. Eine häusliche Atmosphäre. So
häuslich, daß ich sogar die Nachrichten im Fernsehen sah und
Theresa aus dem Haus scheuchte, um Ursula Gelegenheit zum
Kochen zu geben.
»Bill«, sagte sie, es war kurz nach Mitternacht, und sie lag
gerade auf mir, »könnte etwas geschehen, was diesen Zustand
verändert?«
»Was meinst du mit >diesem Zustande<«, fragte ich.
»Alles. Dich. Mich. Dieses Leben. Alles.«
»Tja, nichts bleibt ewig gleich.«
»Das meine ich nicht. Hast du Angst?«
»Wovor?«
»Daß etwas Ernstes passieren könnte.«
»Du meinst in bezug auf Geld? Oder Krieg? Oder was?«
»Ja.«
»Das will ich dir sagen. Vor ein paar Monaten würde ich dir
wahrscheinlich mit Ja geantwortet haben. Aber jetzt - nein. Ich
glaube, die Welt hat sich schon seit Jahren nicht mehr in so
guter Verfassung befunden. Also mach dir keine Sorgen.«
»Bist du sicher?«
»Ich bin sicher.«
Dieses Gespräch fand in den ersten Minuten des 7. März 1982
statt. Unglaublich, wenn ich jetzt so zurückdenke.
Am späteren Morgen läutete das Telefon - zum ersten Mal seit
unserer Ankunft. Es war der Perser, der uns gestern auf der
Terrasse angesprochen hatte. Der Schahinschah käme heute,
berichtete er mir, und gebe am Abend eine kleine Büfettparty
im Suvretta-Haus. Ich war eingeladen. Ob ich kommen woll
te? Sicher, sagte ich, und legte auf.
»He, Ursula!« brüllte ich, denn sie war noch im Badezimmer.
»Der Boß von deinem Papi hat uns für heute abend zu einer
Party eingeladen.«
Sie kam aus dem Badezimmer gestürzt. »Der Boß von meinem
Papi? Wovon redest du, Bill?«
»Mohammed.«
»Mohammed wer?«
Das war natürlich ein Stichwort, mit dem man alles mögliche
anfangen konnte, denn ich hatte schon immer eine Schwäche
für feinsinnige Wortspiele. Aber mir war klar, daß man in
Zürich vermutlich nie viel davon gehalten hatte. Und >Mo
hammed< eignete sich auch nicht sehr gut dazu.
Daher: »Mohammed Reza Pahlavi.«
»Ach der.«
»Was meinst du mit >ach den<, er ist der Schah von Persien!«
»Hast du angenommen?«
»Selbstverständlich. Warum nicht?«
»Ich hab nichts anzuziehen. Warum gehst du nicht allein?«
Mann! »Ach, komm doch. Wir werden uns gut unterhalten. Ist
es wegen deines Vaters?« Seitdem wir in St. Moritz waren,
hatten wir dieses Thema mit keinem Wort berührt.
»Natürlich nicht«, antwortete sie rasch. »Also gut. Um wieviel
Uhr?«
»Ich habe zu fragen vergessen. Wir werden um acht Uhr hin
gehen.«
Sie kehrte ins Badezimmer zurück, und ich ging ans Telefon.
Seit Tagen hatte ich bewußt jeden Kontakt mit Riyadh ver
mieden, aber ich wollte mein Urlaubsalibi nicht zu weit trei
ben.
»Fräulein«, sagte ich zu der Dame in der örtlichen Zentrale,
»geben Sie mir das Überseeamt in Bern.«
Es knackste ein paarmal, und ich hatte Bern. »Ich möchte eine
Verbindung mit Saudiarabien«, sagte ich. »Riyadh. Die Num
mer ist…«
»Tut mir leid, mein Herr«, unterbrach sie mich.
»Was tut Ihnen leid?«
»Ich kann Sie nicht mit Riyadh verbinden.«
»Hören Sie«, beharrte ich, »ich kenne diese Verzögerungen.
Melden Sie das Gespräch einfach an und…«
»Ich kann kein Gespräch mit Riyadh anmelden.«
»Zum Kuckuck, warum nicht?« Telefondamen können einen
Menschen fertigmachen. »Wir haben keine freien Leitungen.« »Hören Sie«, sagte ich, »die sind nie frei. Melden Sie das Ge spräch an, und wenn Sie dann eine freie Leitung haben, rufen Sie mich zurück.« »Sie mißverstehen mich. Alle Verbindungen mit Saudiarabien sind unterbrochen. Solange sie nicht wiederhergestellt sind, können wir keine Anmeldungen entgegennehmen.« »Wann ist das passiert?« »Gestern.« »Ach so«, antwortete ich und legte auf. Ursula kam fertig angezogen aus dem Badezimmer. »Wer war das, Bill?« »Niemand. Ich habe nur versucht, mit Übersee zu sprechen, und wie gewöhnlich sind die Ämter überlastet.« Wir beschlossen an diesem Tag, ein anderes Schigebiet zu versuchen. Wir fuhren mit der Drahtseilbahn in die Stadt hin unter und nahmen den Bus nach Pontresina und dann zur Dia volezza, einem phantastischen Berg zum Schifahren, wenn auch nicht ganz leicht. Es gab eine kleine Verzögerung; die Polizei wies den Bus an, auf dem Bankett zu warten, um eine Autokolonne vorbeizulassen, die vermutlich vom Flughafen in Samedan kam. Sie bestand aus vier Mercedes 600, jeder für sieben Passagiere, und zehn Polizisten auf Motorrädern. Die Vorhänge in den Limousinen waren alle zugezogen. »Wer das wohl sein kann?« sagte ich zu Ursula. Es war natürlich der König der Könige und das königliche Gefolge. Die Leute im Bus schien es nicht weiter zu berühren. Im März kommen alle möglichen Leute nach St. Moritz. Wir verbrachten einen schönen Tag auf der Diavolezza und kamen gegen fünf ins Chalet zurück. Es blieb uns genügend Zeit, um noch eine Weile herumzublödeln und für einen hei ßen Grog in einem heißen Bad… Hans und Gertrude waren um halb acht marschbereit, und so fuhren wir den Berg hinunter zum Suvretta-Haus. Es war das beste Hotel der Stadt. Das Palace war natürlich besser bekannt,
aber dort stiegen nur die Nouveaux Riches ab. Wer Reichtum oder Titel geerbt oder durch Heirat erworben hatte, war im Suvretta zu finden. Seit Jahren schlug der Schah hier seine Zelte auf. In den 50er Jahren, als er noch mit Soraya verheira tet gewesen war, hatte er das Schilaufen in den Schweizer Alpen lieben und auch dieses schweizerische Hotel mit seinen Kiefernwäldern und dem dahinter aufragenden Piz Nair schät zen gelernt. Ganz besonders genoß er die Abgeschiedenheit, die ihm die riesigen Parkanlagen des Hotels vermittelten und die ihn vor den taktlosen Blicken deutscher Touristen mit ih ren Rucksäcken voll Leberwurstbroten und sauren Gurken schützten. 1968 oder 1969 hatte der Schah eine Villa auf dem Gelände des Suvretta erworben. Sie lag etwa eine halbe Meile westlich von meinem Chalet auf der Chantarella, aber ein Stück weiter talwärts. Auf unserer Fahrt ins Hotel kamen wir daran vorüber; ich zeigte Ursula das Haus, aber es schien sie nicht sonderlich zu beeindrucken. Aus Anlaß des Galaabends war das Hotel hell erleuchtet und der Parkplatz voll von Limousinen und uniformierter Polizei. Unsere Ankunft im Schlitten erregte keinerlei Aufsehen. Im Suvretta-Haus nimmt man solche Dinge nicht zur Kenntnis. Kaum hatten wir die Halle betreten, als zwei Sicherheitsbeam te auf uns zutraten und unsere Einladungen sehen wollten. Ich konnte ihrem Ersuchen nicht nachkommen, weil ich keine hatte. Das paßte ihnen ganz und gar nicht. Um eine Szene zu vermeiden, verlangte ich Rolf Müller, den Hoteldirektor, zu sprechen. Sekunden später war er da. »Es tut mir so leid, Herr Doktor«, begann er, während er noch auf uns zukam. »Wir müssen sehr vorsichtig sein, weil doch Seine Majestät heute im Hotel ist.« Ich hatte in den vergangenen Jahren des öfteren Gäste hier einlogiert, und daher kannten wir uns. »Sind Sie zum Abendessen gekommen?« »Eigentlich nein. Ich wurde zu dieser Party eingeladen, aber ich habe leider keine schriftliche Einladung. Einer von den Leuten Seiner Majestät rief mich nur einfach heute morgen
an.« Er machte ein skeptisches Gesicht, was mich ärgerte. Schwei zerische Hoteldirektoren können manchmal verdammt hoch näsig sein. »Lassen Sie mich sehen«, sagte er und ließ uns einfach stehen. Ursula, der es nicht entgangen war, daß ich allmählich rot anlief, ließ ein spöttisches Lächeln um ihre Lippen spielen. »Shocking«, sagte sie. »Man stelle sich vor: Herr Dr. Hitch cock trifft ein und…« »Schon gut, Ursula. Hör auf.« Die Sicherheitsbeamten hatten sich zurückgezogen, beobach teten uns aber aus einiger Entfernung. Offenbar auch Schwei zer. »Herr Doktor!« rief Herr Müller, der jetzt eilig herangetrabt kam, hinter ihm der Perser von gestern. »Bitte entschuldigen Sie mich. Herr Khamesi hat mir gesagt, daß Sie natürlich…« »Dr. Hitchcock«, unterbrach ihn der Iranier - offensichtlich war er Khamesi - »es tut mir so leid, daß Sie belästigt wurden. Bitte kommen Sie mit mir.« Diesmal ließen wir Müller stehen. Ursula verpaßte mir einen leichten Rippenstoß, womit sie ihrer Befriedigung über diesen kleinen, aber überzeugenden Sieg Ausdruck verlieh. Wir gin gen in den Westflügel, gaben unsere Garderobe ab und wurden in den großen Ballsaal geführt. Wenn der Schah eine Party gab, ließ er sich nicht lumpen. Wir waren offenbar spät dran, denn das Empfangskomitee hatte sich schon zerstreut. Aber wir sollten nicht lange Mauerblümchen sein. Minuten später kam eine, na, sagen wir ruhig, fette Schweizerin auf uns zu. »Ursula!« kreischte sie in ihrem örtlichen Dialekt, »was machst du hier? Das ist ja eine Überraschung!« Sie faßte nach Ursulas Hand und schüttelte sie in bewährter schweizerischer Manier: dreimal und fest noch dazu. Mensch, dachte ich, wenn das die Art von Gästen ist, die der Schah sich einlädt, kann ich nur Gott danken, daß mir solche Partys bisher erspart geblie ben sind. Dann wirbelte sie herum und schrie jemandem in der Menge zu: »Hans-Peter!« Und dann noch einmal und noch
lauter: »Hans-Peter!« »Psst«, zischte er der fetten Dame zu, »du machst uns ja beide unmöglich!« Und dann zu Ursula: »Mein liebes Fräulein, was machen Sie denn hier? Ihr Vater ist doch nicht…« »Nein«, antwortete sie, »er ist noch in Persien. Ich bin nur zur Erholung hier.« Hans-Peter verlor keine Zeit, zu uns zu stoßen. Er war wütend. Schließlich machte sie uns miteinander bekannt. Hans-Peter war Dr. Hans-Peter Suter, der Generaldirektor von RocheBollinger, der Gesellschaft, für die ihr Vater als Berater arbei tete. Die Dicke war seine Frau. Ich wurde als amerikanischer Bankier vorgestellt. Kein Kommentar. »Hast du ihn kennengelernt?« fragte Frau Suter Ursula. »Wen?« »Seine Majestät«, flüsterte sie laut. Ursula brauchte nicht zu antworten, denn plötzlich erschien Seine Majestät an ihrer rechten Schulter. »Mein liebes Fräulein Hartmann«, begrüßte er sie, »welch ein unerwartetes Vergnügen, Sie hier wieder zu sehen!« Worauf er sie nicht gerade zart auf beide Wangen küßte. »Man hat mir berichtet, daß Sie in Susa außerordentlich interessante Funde gemacht haben«, fuhr er fort. »Ich hoffe, wir werden bald Ge legenheit haben, darüber zu plaudern. Privat.« Ich weiß wirklich nicht, wer mehr überrascht war: Hans-Peter, Frau Suter oder ich. Vielleicht war es Ursula, denn sie war knallrot im Gesicht, als sie von der königlichen Umarmung zurücktrat. Dann wandte sich der Schah an mich. »Wie liebenswürdig von Ihnen, zu kommen, Dr. Hitchcock. Wir haben von der Ge schichte in Houston gehört. Entsetzlich. Gott sei Dank, daß dieser Wahnsinnige niemanden getötet hat.« »Sowas passiert schon mal«, erwiderte ich. Was für Umstän de? »Was war denn?« fragte Ursula. »Hat er es Ihnen nicht erzählt?« antwortete der Schah. »Man hat versucht, Dr. Hitchcock zu ermorden. Ihn und einige seiner
Freunde. Jetzt ist er wenigstens hier in Sicherheit. Was seine
Freunde betrifft, bin ich allerdings im Zweifel.«
Keiner sagte etwas, und so fuhr er fort: »Warum kommen Sie
nicht einmal auf einen Plausch vorbei, Dr. Hitchcock? Wie ich
höre, sind wir doch praktisch Nachbarn. Und bringen Sie doch
Ihre charmante Freundin mit.« Worauf er Ursula abermals sein
königliches Lächeln schenkte und sich selbst einen königli
chen Blick in ihr Dekollete gestattete. Alter geiler Bock!
Dann wandte er sich an die Suters und bot der Dicken sogar
seinen Arm. »Kommen Sie«, sagte er, »ich möchte Sie mit
jemandem bekannt machen.« Er machte kehrt und marschierte
mit den zwei Schweizern davon.
»Um was geht es denn da?« fragte ich.
»Bitte?«
»Du und Mohammed.«
»Sei nicht albern.«
»Wann - und wo - seid ihr denn so dicke Freunde geworden?
Wie dicke will ich gar nicht fragen.«
»Wir sollten jetzt besser gehen.«
»Nein, nein, ich habe noch nicht gegessen.« Ich packte sie am
Arm und steuerte sie durch die Menge auf das Büfett zu.
Das war einmal etwas Neues. Kaviar, soweit das Auge reichte.
Schwarzer und roter, um keine Eintönigkeit aufkommen zu
lassen.
»Ich glaube, ich nehme Kaviar«, sagte ich.
»Ich auch«, sagte sie, als ob wir eine Wahl gehabt hätten.
»Ich hätte gedacht, er würde dir mittlerweile schon genug von
dem Zeug geschickt haben«, sagte ich.
»Bill«, konterte sie, »wenn du dich unbedingt lächerlich ma
chen willst, wo ich dir doch schon gesagt habe, daß…«
»Doktor Hitchcock«, ließ sich eine Stimme vernehmen, »wie
schön, daß Sie wieder in der Stadt sind.« Es war die Stimme
von Werner Meier, dem hiesigen Filialleiter des Schweizeri
schen Bankvereins.
»Herr Meier«, sagte ich, »ich möchte Sie mit einer Landsmän
nin von Ihnen bekannt machen - Fräulein Ursula Hartmann.
Eine sehr gute Freundin Seiner Majestät. Für einen Mann wie Sie eine nützliche Bekanntschaft.« Herr Meier verneigte sich und schlug die Hacken zusammen. Ursula hätte mich umbringen können. Meier lud mich ein, ihn doch gelegentlich in seiner Bank zu besuchen, wenn ich Zeit hätte. Zu einem kleinen Meinungs austausch. Er hatte von meinen Aktivitäten gehört. Sehr be achtlich, meinte er. Ich versprach zu kommen, und er verab schiedete sich. »Bill«, sagte Ursula, »wenn du es lieber magst, kann ich auch allein gehen. Jedenfalls gedenke ich nicht noch länger hier zu bleiben und mir deine dummen Bemerkungen anzuhören.« »Du brauchst nicht so empfindlich zu sein.« »Empfindlich? Ich?« »Also schön, gehen wir.« Wir waren ganze zwanzig Minuten auf der Party gewesen. Draußen wartete der Schlitten. »Bill«, fing sie an, nachdem wir ein paar Minuten schweigend durch den Schnee gefahren waren, »ich möchte dir genau er zählen, wie und wann ich…« »Offen gestanden«, unterbrach ich sie, »es interessiert mich nicht mehr besonders.« »Aber mich!« schrie sie so laut, daß sogar Gertrude aus dem Schritt kam. »Weil ich dich liebe und diesen Mann dort hasse. Er ist böse. Und er vernichtet meinen Vater.« So erzählte sie mir also, was sich im Januar in Khorramshahr zugetragen hatte: Sie erzählte mir vom Besuch des Schahs in ihrem Haus, von der Skizze, die sie auf dem Eßzimmertisch gefunden hatte, nachdem die Besucher gegangen waren, und schließlich auch von dem Gespräch zwischen Ben-Levi, ihrem Vater und ihr. »Darum habe ich Angst«, beschloß sie ihren Bericht. Und klammerte sich an mich. Ich gestehe, ich klammerte mich auch an sie. »Kannst du nicht etwas tun?« fragte sie. »Was kann ich tun?«
»Ich weiß es nicht. Aber Bill, du mußt etwas tun.« Die Logik
einer Frau.
»Okay, Ursula«, sagte ich. »Aber zuerst muß ich herausfinden,
was da unten überhaupt los ist. Einige seiner Bemerkungen
waren verwirrend, milde ausgedrückt. Offenbar weiß der
Schah mehr als ich.«
Dann: »Bill!« Manchmal klang ihre Stimme ein wenig schrill.
»Gott, Ursula. Was ist jetzt los?«
»Ist das wahr, daß jemand dich umbringen wollte?«
»Ja. Das heißt, er hat ein paar Schüsse auf unsere Gruppe ab
gefeuert. Aber ich bezweifle, daß er es auf mich abgesehen
hatte.«
»Wer?«
»Ein Araber.«
»Warum hast du mir das nicht erzählt?«
»Ich wollte dich nicht beunruhigen.«
»Bill«, sagte sie, »damit muß Schluß sein. Von nun an wollen
wir uns alles erzählen. Ja?«
»Ja«, erwiderte ich.
»Wir brauchen einander«, fuhr sie fort. »Sonst sind wir al
lein.«
»Ja«, sagte ich.
Und dann sprachen wir kein Wort mehr, bis wir daheim wa
ren. Sie ging direkt ins Schlafzimmer. Ich versprach ihr, gleich
nachzukommen - ich wollte uns nur in der Küche noch einen
Schlummertrunk machen. Das tat ich auch und rief auch noch
schnell das Überseeamt in Bern an. Die Verbindungen mit
Saudiarabien waren immer noch unterbrochen, sagte man mir.
Ich schlief nicht gut in dieser Nacht.
Auch Ursula dürfte schlecht geschlafen haben, denn schon um
sieben, noch vor dem Eintreffen Theresas, war sie auf den
Beinen, werkelte in der Küche herum, legte unsere Schiklei
dung zurecht und machte genügend Lärm, um mich um acht
aus dem Bett zu holen.
Als ich ins Frühstückszimmer kam, drehte ich zuerst das Ra
dio an - Beromünster, den deutschsprachigen Sender der
Schweiz. Es wurde ein Jodelprogramm ausgestrahlt. Also ver suchte ich den französischsprachigen Kanal - Sottens. In der Schweiz haben die Stationen keine Sendezeichen; sie tragen die Namen ihrer Standorte. Interessant, aber nicht sehr. Sottens jedenfalls sendete Mozart oder irgend so was Blödsinniges. Alles, nur keine Nachrichten. »Du bist ganz schön zappelig heute morgen«, sagte Ursula, als sie mir eine Tasse Kaffee brachte. »Ich bin nie zappelig«, gab ich zurück. »Also was wollen wir heute unternehmen?« fragte sie. »Wie der auf die Diavolezza?« »Ich habe eine bessere Idee«, antwortete ich. »Warum gehst du nicht einkaufen?« »Um acht Uhr früh?« »Also dann vielleicht eislaufen. Es scheint wieder ein herrli cher Tag zu werden. Und das Eis auf dem See muß ganz aus gezeichnet sein.« »Ich habe keine Schlittschuhe mit.« »Ich werde dir welche mieten.« »Und du?« »Ich habe ein bißchen was in der Stadt zu tun. Nichts Wichti ges. Wir können zusammen nach St. Moritz hinunter fahren. Und uns dann zum Essen treffen. Bei Hanselmann. Ich werde einen Tisch reservieren lassen.« Bevor wir gingen, versuchte ich noch einmal Bern. Immer noch keine Verbindungen nach Riyadh. In der Stadt kaufte ich ihr ein Paar Schlittschuhe im Sportgeschäft neben dem Palace Hotel und ging dann mit ihr zum See hinunter. Die Musik spielte bereits, und die Frischluftfanatiker zogen ihre Runden. Als gute Schweizerin schloß Ursula sich ihnen an. Ich begab mich zur Niederlassung des Schweizerischen Bank vereins, um Herrn Meier zu besuchen. Schweizerische Banken öffnen um acht, und als ich um halb zehn anlangte, bekam Herr Meier gerade seinen Vormittagskaffee und bat mich in sein Büro im Hintergrund. Es war alles andere als verschwen derisch eingerichtet. Schweizerische Banken huldigen dem
Grundsatz, daß Luxus den Charakter verdirbt. Aber obwohl die Möbel 20 Jahre alt waren - in der Nachrichtenzentrale hät te sich auch ein Astronaut wie zu Hause gefühlt. Die Gäste, die im Winter nach St. Moritz kamen, wollten wissen, wie es daheim zuging - daheim war alles von Tokio bis Johannesburg und Los Angeles. Der Schweizerische Bankverein hielt sich immer bereit, seinen Kunden zu dienen - in jeder Sprache, in jeder Währung, für größte und kleinste Transaktionen. Die Schweiz ist eine Demokratie. »Na, Herr Doktor«, begann Meier, »wie hat es Ihnen auf der Party gefallen?« »Phantastisch. Was meldet Reuter heute morgen?« »Die Nachrichten sind nicht sehr gut. Wollen Sie sehen?« Ich wollte. Er reichte mir einen Stoß Blätter, die aus dem Fernschreiber gerissen und auf seinem Schreibtisch aufge schichtet worden waren. Ich suchte mir die letzte Übersicht heraus. Saudiarabien stand im Brennpunkt des Interesses. Die Verbindungen mit diesem Land waren immer noch unterbro chen, aber einiges hatte man doch erfahren. Nach unbestätig ten Gerüchten hatten in und außerhalb von Riyadh bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Nationalgarde und der Armee stattgefunden. Andere Gerüchte wollten wissen, daß fanatisch antizionistische Kräfte die Oberhand gewonnen hat ten. Drei amerikanische Senatoren hatten bereits die energi sche Forderung erhoben, ein Waffenembargo über Saudiarabi en zu verhängen und alle Militärberater im Land sofort zu rückzuziehen. Das war gestern spät abends in Washington verlautbart worden. Jetzt war es zehn Uhr vormittags in der Schweiz, und das hieß fünf Uhr früh in Washington und New York, wo alle schliefen: Zionisten, Antizionisten, Senatoren, Bankiers etc. Daher:… »Wie sieht es auf dem Devisenmarkt aus, Herr Mei er?« fragte ich. »Die Spanne bei den Termingeschäften hat sich ein wenig vergrößert.« »In welcher Richtung?« Ganz unschuldig.
»Gegen den Dollar.«
»So? Wie denn das?«
»Nervosität, heißt es. Wegen der Vorgänge in Saudiarabien.
Nicht sehr logisch, aber Spekulanten handeln ja nie sehr lo
gisch, nicht wahr, Herr Doktor?«
Ich stimmte in sein Lachen ein.
»Wahrscheinlich einer, der einen großen Posten verkauft«,
tippte ich an.
Er zuckte die Achseln. Es gab immer einen »Großen«, der
entweder verkaufte oder kaufte. Zumindest, wenn man sich
auf die zitierbarste aller Quellen verließ, auf das Gerücht.
»Wie sieht der Kassamarkt aus?«
»Keine nennenswerten Bewegungen.«
»Hören Sie«, sagte ich, »könnten Sie mir wohl für vierund
zwanzig Stunden eine Linie einräumen?«
Schweizer Bankiers lieben diese Terminologie ganz und gar
nicht, und etwas auf 24 Stunden zu finanzieren, heißt ein ge
waltiges Risiko eingehen, aber… »In Ihrem Fall kein Problem,
Herr Doktor.« Ruhm und Reichtum haben gewisse Vorteile.
»Nur eine Million Dollar. Auf 24 Stunden.«
Augenbrauen rauf.
»Nichts in bar«, beeilte ich mich hinzuzufügen. »Nur Deckung
von einigen offenen Devisenaufträgen.«
Augenbrauen runter. »Selbstverständlich.«
»Okay. Kaufen Sie im Wert von je 250.000 Dollar schweizeri
sche, norwegische, venezolanische und kanadische Devisen. Je
eine Viertelmillion.«
»Gegen?«
»Amerikanische Dollar.«
»Lieferung?«
»Kassa.«
Augenbrauen rauf.
»Ich werde veranlassen, daß Ihnen das Äquivalent in amerika
nischen Dollar innerhalb von 24 Stunden telegraphisch über
wiesen wird. Aber wenn Sie eine Garantie haben wollen…«
»Nein, nein. Das ist doch nicht nötig, Herr Doktor.« Jetzt blie
ben die Augenbrauen auf halbmast. Aber er gab mir ein Auf tragsformular, das ich ausfüllte und unterschrieb. Er ging hin aus, um den Auftrag ausführen zu lassen. Er kam mit den Abrechnungen zurück. »Noch Kaffee?« fragte er. »Ja. Schwarz«, antwortete ich. »Herr Meier«, sagte ich, »wä ren Sie so freundlich, Ihre Niederlassung in Genf anzurufen und nach meinem Kontostand zu fragen? Die Kontonummer ist 4.359.392.« Das ist meine private Telefonnummer in Kali fornien minus einem Sechser an letzter Stelle. Ich bin doch nicht bekloppt. Ich hatte 1 374.565 Schweizer Franken auf meinem Konto. »Wie steht das Gold?« fragte ich. »150,25 Dollar die Unze«, antwortete er. Einfach so. »Okay, kaufen Sie zehntausend Unzen. Nehmen Sie das Geld in Genf als Deckung.« Ich unterschrieb ein zweites Formular. Wieder ließ mich der brave Mann in seinem schäbigen Büro zurück und marschierte hinaus. 30 Sekunden später war er zurück. »Es steht jetzt auf 152,35 Dollar.« »Kaufen«, sagte ich. Eine Minute später, die Telexbestätigung in der Hand, war er wieder da. »Wo wollen Sie es deponiert haben?« »Hier. In meinem Schließfach. Auch diese Devisen will ich hier haben.« »Nummer?« »1948«. Das war das Jahr, in dem ich meinen ersten großen Erfolg hatte. Mich konnte das Finanzamt nur mit einem Hyp notiseur erwischen, der bei Freud gelernt hatte. Meier machte jetzt ein fröhlicheres Gesicht. Mit den Devisen transaktionen hatte er ein paar Provisionen verdient, und mit dem Gold auch. Der Kaffee, den er mir angeboten hatte, war gut angelegt gewesen. Er nahm den Hörer auf und ließ sich mit Genf verbinden. »Der Mädchenname Ihrer Mutter?« »Nixon«, antwortete ich. Kaum richtig, aber das hatte ich je denfalls diesen Vollidioten in Genf erzählt. Ich hatte immer
geträumt, irgendwie würden sie mein Konto mit seinem ver wechseln, und dann wäre ich endlich wirklich reich. Ein junger Mann kam mit einem neuen Fernschreiben herein. Meier las es und reichte es mir weiter. Zaire, hieß es da, hatte auf alle seine Auslandsschulden ein Moratorium erklärt. Zaire schuldete der restlichen Welt etwa sieben Milliarden Dollar. Eine Hälfte der Weltbank und die andere den Banken in New York. Araber und Afrikaner taten gemeinsam das Ihre, um Öl ins Feuer zu gießen. »Herr Meier«, sagte ich, nachdem ich ein paar Sekunden hin und her überlegt hatte, »dürfte ich Ihre Gutmütigkeit noch weiter ausnützen und mich Ihrer Nachrichtenzentrale bedie nen?« »Unserer was?« »Ich würde gerne Ihren Fernschreiber benützen.« »Aber selbstverständlich. Noch eine Nachricht für Genf?« »Nein. New York.« Scheiße. »Lassen Sie abstoppen. Ich zahle es. Bar.« »Selbstverständlich«, sagte Herr Meier. Ich nahm mir ein Stück Papier von Herrn Meiers Schreibtisch und schrieb: »goldman sachs newyork zuhaenden robert kelly verkaufen sie heute bei boersenbeginn mein gesamtes depot an aktien und Obligationen und ueberweisen sie erloes unver zueglich auf mein konto bei bankofamerica sanfrancisco telex abrechnungen aller transaktionen an mich per adresse werner meier schweizerischer bankverein sanktmoritz Schweiz ge zeichnet william hitchcock.« Meier nahm das Papier, las es und ging hinaus, um es abzu schicken. Der Telexauftrag würde im Büro von Goldman Sachs bereits vorliegen, wenn mein Anlageberater am Morgen eintraf. »Wie ich Kelly kenne«, sagte ich zu Meier, als er wiederkam, »wird er Sie unter Verwendung der üblichen Schlüssel um Bestätigung ersuchen, daß ich tatsächlich diesen Auftrag er teilt habe. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es ihm bestätigen
würden.« »Aber selbstverständlich, Dr. Hitchcock.« »Diese Abrechnungen sollten am späten Nachmittag eintref fen. Ich würde sie gerne sehen. Ist zufällig um diese Zeit noch jemand da?« »Wir bereiten in dieser Woche alles für die Jahresabschlußprü fung vor. Heute abend sind alle bis zehn Uhr da, ich einge schlossen. Sie werden uns willkommen sein. Läuten Sie nur den Summer.« Bei uns zu Hause lassen wir den Summer summen und nicht läuten, aber was soll’s. Ich stand auf, schüttelte Meier die Hand und verließ, überaus zufrieden mit mir, die Bank. Weil ich wieder einmal eine von Hitchcocks Regeln beachtet hatte, die jeder Reiche befolgen muß, wenn er überleben will: wer es unterläßt, aufgrund ihm zugegangener Informationen zu han deln, ist verloren. Nicht, daß ich solche vertraulichen Kennt nisse besaß, doch wenn die Zeichen und Signale, die sich in den letzten 24Stunden gesammelt hatten, in die Richtung wie sen, in die sie nach meinem Dafürhalten wiesen, dann wußte ich, welche wirtschaftlichen Folgen zu erwarten waren - ich wußte es wahrscheinlich besser als sonst jemand. Und ich war schließlich kein Masochist. Es war ein wunderschöner Tag in St. Moritz. Wie üblich war die Stadt vollgestopft mit Autos und Fußgängern und Schiläu fern und Hunden, die sich in bester Stimmung die einzige Hauptstraße des Ortes hinauf- und hinunterdrängten. Es war ja schließlich eine Welt, in der Frieden und Wohlstand herrsch ten. Ich blieb bei einem Zeitungsstand stehen, um mir die He rald Tribune, Time Magazine, die Neue Zürcher Zeitung, das Journal de Geneve, den Economist und das New York Magazi ne zu kaufen. Dann ging ich zu Hanselmann, schnappte mir einen sonnigen und ruhigen Tisch auf der Terrasse, bestellte einen Campari Soda und las. Die Wangen rot, das schwarze Haar im Wind flatternd, war Ursula Hartmann pünktlich mittags zur Stelle. »Hier«, sagte sie und gab mir ein kleines Päckchen.
»Was ist denn das?«
»Eine Kleinigkeit.«
Ich öffnete das Päckchen. Es enthielt eine Schachtel, und in
der Schachtel lagen ein Paar Manschettenknöpfe. Sie waren
aus zwei Tscherwonzen, russischen Zehn-Rubel-Goldmünzen
gemacht.
»Mein Gott, Ursula, die sind ja wunderschön! Aber aus wel
chem Anlaß…?«
»Kein besonderer Anlaß. Ich hatte einfach Lust.«
»Danke. Vielen, vielen Dank.«
Sie beobachtete mich. »He«, sagte sie, »es sind nur Manschet
tenknöpfe.«
»Stimmt. Wie war das Eislaufen?«
Wir blieben bis drei und übersiedelten dann ins Chesa Veglia
auf einen Vor-Vor-Dinner-Drink, aus dem drei wurden.
Gegen halb sechs waren wir wieder im Chalet. Lange bevor
wir zum Haus kamen, hörte ich schon das Telefon klingeln.
Ich hätte mir mit dem Aufsperren Zeit lassen können, denn es
hörte nicht auf zu klingeln.
Es war New York, die First National Bank of America. Ge
nauer gesagt, der Vorstandsvorsitzende der First National
Bank of America.
»Hitchcock, Sie Hurensohn«, bellte Aldrich, »was soll das?«
»Immer mit der Ruhe, mein Freund«, erwiderte ich.
»>Mein Freund< können Sie sich sparen. Was für ein Ding
drehen Sie da?«
»Hören Sie, Aldrich, ich habe keine Ahnung, wovon Sie re
den. Kommen Sie bitte zur Sache.«
»Sie haben versprochen, daß diese Saudi-Kredite alle 30 Tage
prolongiert werden würden. Stimmt das?«
»Das stimmt.«
»Heute morgen waren vier Milliarden - vier Milliarden - zur
Prolongation fällig und wurden nicht erneuert.«
»Hören Sie«, sagte ich, »regen Sie sich doch nicht auf. Sie
wissen, daß unten in Saudiarabien etwas vorgeht. Wahrschein
lich keine große Sache. Aber die Verbindungen sind unterbro
chen. Sie haben nicht prolongiert, weil sie nicht durchgekom
men sind.«
»Ach ja? Hören Sie, Hitchcock, unser Zweighaus in London
hat genaue Instruktionen in bezug auf diese Gelder erhalten.
Bei Fälligkeit - und das heißt heute - sind sie auf die Leipziger
Bank in Frankfurt zu transferieren.«
»Von wem kommen diese Instruktionen?«
»Von niemand anderem als Prinz al-Kuraishi, geschäftsfüh
render Direktor der Staatsbank des Königreichs Saudiarabien.«
»Scheiße.«
»Was sagten Sie?« quäkte Aldrich.
»Scheiße!« brüllte ich.
»Und das ist noch nicht alles, Hitchcock.« Seine Stimme klang
verzerrt. »Sie haben uns und allen anderen Banken in New
York mitgeteilt, daß es bis auf weiteres keine Prolongationen
mehr geben wird. Heute nicht, morgen nicht, nächste Woche
nicht.«
»Hören Sie, Aldrich, ich habe nichts damit zu tun gehabt, das
schwöre ich Ihnen bei Gott. Ich habe seit fünf Tagen keine
Verbindung mit Riyadh. Ich komme nicht durch. Ich weiß
auch nicht mehr als Sie, was da unten los ist. Ich…«
»Ich glaube Ihnen«, unterbrach er mich; seine Stimme klang
ganz ruhig.
»Aber machen Sie sich keine Sorgen. Ich versuche es weiter.
Soviel ich weiß, arbeite ich noch für die Saudis. Wenn ich
durchkomme, werden sie sicher auf mich hören. Es liegt doch
nicht in ihrem Interesse, eine finanzielle Krise dieser Art her
auf zu beschwören.«
»Sicher«, sagte Aldrich.
»Ist etwas an die Öffentlichkeit gedrungen?« fragte ich.
»Natürlich nicht«, antwortete Aldrich, »aber Sie wissen ja, wie
das so geht.«
»Was sagt das Bundesamt dazu?«
»Diese Armleuchter! Sie haben gesagt, wir hätten diese Gelder
nie von den Saudis akzeptieren dürfen. Wir hätten uns das Bett
gebaut, jetzt sollten wir auch drin liegen. Unglaublich.«
»Tja also. Okay, Randy. Wir halten Kontakt.«
»Haben Sie meine Privatnummer, Bill?«
»Nein.«
Er gab sie mir. Er mußte wirklich fertig mit den Nerven sein,
dachte ich, wenn er so weit ging. Sofort versuchte ich es noch
einmal mit Bern. Die gleiche Antwort wie zuvor. Keine Ver
bindung. Ich rief die Swissair an. Alle Flüge nach Saudiarabi
en waren eingestellt. Es gab nicht einmal Wartelisten.
»Ärger?« fragte Ursula, die schon eine ganze Weile still in
einer Ecke gesessen hatte.
»Ja.«
»Mußt du fort?«
»Ja. Und nein. Ich muß fort. Aber ich kann nicht weg. Es ist
einfach lächerlich.«
»Was geht in Saudiarabien vor?«
»Ich weiß es nicht. Das ist es ja, was mich so fertigmacht.
Aber was immer unten los ist, es verheißt nichts Gutes.«
»Was wirst du tun?«
»Nichts. Hör mal, wollen wir nicht zum Dinner ausgehen?«
Wir zogen uns um und waren eine Stunde später wieder unten
in St. Moritz. Es war kalt und schneite in dichten Flocken. Der
nächtliche Himmel schien uns eingeschlossen zu haben.
»Ursula,«, sagte ich, als wir die Straße von der Drahtseilbahn
zum Palace Hotel hinuntergingen, »hättest du etwas dagegen,
wenn ich mich ein paar Minuten in der Bank aufhalten wür
de?«
»Natürlich nicht.«
Ich drückte auf den Summer, und Herr Meier öffnete mir per
sönlich. Er war etwas überrascht, Ursula an meiner Seite zu
sehen. In der Schweiz sind Geldgeschäfte Männersache. Aber
er ließ sie eintreten.
Er hatte einen ganzen Stoß Telexabrechnungen von Goldman
Sachs auf seinem Schreibtisch liegen. Ich hatte heute für 13
Millionen Dollar Effekten auf den Markt geworfen. Sogar
Meier war beeindruckt. Während der ganzen Zeit, die wir in
der Bank waren, sprach Ursula kein Wort.
»Sie haben sehr weitsichtig gehandelt«, meinte Meier.
»Wieso denn?«
»Indem Sie bei Börsenbeginn verkauft haben. Seitdem sind die
Kurse stark gefallen.«
»Wie stark?«
»37 Punkte nach dem Dow-Jones.«
»Umsatz?«
»78 Millionen.«
»Du lieber Gott! Und das Gold?«
»Hundertsechsundsechzig Dollar die Unze beim letzten Fi
xing.«
»Und der Dollar?«
»Seit heute morgen durchschnittlich um fünf Prozent gefal
len.«
»Neue Meldungen von Reuters?«
»Die Ford Motor Company hat die für morgen vorgesehene
Emission von Obligationen zurückgestellt. Eine Milliarde
Dollar, wie Sie ja wissen werden.«
»Sonst noch was?«
»Nach einer Meldung der französischen Nachrichtenagentur
sind König Khalid und Yamani tot.«
»Was wissen denn schon die Franzosen!«
Er zuckte nur die Achseln.
»Könnten Sie noch ein paar Fernschreiben für mich hinaus
schicken, Herr Meier?«
»Gewiß.« Mit meiner 13-Millionen-Transaktion von heute
Vormittag zählte ich jetzt zu den »Großen« - auch nach den in
St. Moritz angelegten Maßstäben.
Das erste Fernschreiben ging an Dean Witter, meinen Anlage
berater in San Francisco. Es lautete: »Kaufen Sie sofort Besitz
im San-Joaquin-Tal. Bin mit Kaufpreis von 10 Millionen Dol
lar einverstanden. Bestehen Sie auf Vorlage der Übertra
gungsurkunde innerhalb von 48 Stunden. Bargeld verfügbar
auf meinem Privatkonto Bank of America. Verfüge gleichzei
tig Überweisung an Sie. William Hitchcock.«
Das zweite Telex ging an die Bank of America und instruierte
sie, 10 Millionen Dollar an Dean Witter, eine an den Schwei
zerischen Bankverein in St. Moritz zu überweisen und die
restlichen zwei in Hundert-Dollar-Scheinen in mein Schließ
fach zu legen.
»Herr Meier«, sagte ich schließlich, »könnten wir Sie nicht auf
einen Drink einladen?«
»Ja«, erwiderte er ganz unerwartet. »Es wäre mir eine Ehre.«
So marschierten wir also zu dritt die Straße zum Palace hinun
ter und setzten uns an einen Tisch an der Bar.
»Dr. Hitchcock«, sagte er, als die Getränke serviert waren,
»ich muß Ihnen ein Geständnis machen.«
»Nur los.«
»Unsere Zentrale wurde von Ihren heutigen Transaktionen
unterrichtet.«
»Ja.« Mit etwas weniger Wärme in der Stimme.
»Ich wurde ersucht, Sie von einigen Dingen in Kenntnis zu
setzen, die sich heute ereignet haben.«
»Ja?«
»Ihr Botschafter war heute in St. Moritz. Zu Mittag. Auf eine
Stunde. Dann kehrte er nach Bern zurück. Er hat den Schah
besucht.«
»Ich verstehe.«
»Der Botschafter der Sowjetunion hat sich 45 Minuten in St.
Moritz aufgehalten. Gegen vier Uhr nachmittags ist er wieder
abgereist. Der deutsche Bundeskanzler, der in Pontresina Ur
laub macht, stattete gegen fünf derselben Persönlichkeit einen
Höflichkeitsbesuch ab. Und wie ich erfahren habe, befinden
sich die Franzosen in diesem Augenblick beim Schah.«
»Warum hat man Ihnen aufgetragen, mir das alles zu erzäh
len?«
»Unsere leitenden Herren in Zürich sind der Meinung, daß Sie
uns vielleicht helfen könnten, diese Vorgänge zu interpretie
ren.«
»Warum gerade ich?«
»Weil Sie über die Verhältnisse im Nahen Osten besonders gut
informiert sind.«
Mit spitzem Gesicht, die Hände im Schoß gefaltet, saß Ursula da. »Offen gesagt, Meier«, sagte ich, »ich liebe es nicht, in dieser Art angegangen zu werden. Auch schätze ich es gar nicht, daß Ihre leitenden Herren sich in dieser Weise für mich und meine finanziellen Transaktionen interessieren. Aber das gehört wohl zum System, nicht wahr?« Meier blieb stumm. »Also schön. Was das alles bedeutet? Das könnte Krieg be deuten. Und es könnte eine finanzielle Katastrophe bedeuten. Und es könnte beides bedeuten.« »Ist das der Grund, warum Sie in New York verkauft haben?« »Vielleicht.« »Meinen Sie, daß wir auch verkaufen sollten?« »Vielleicht. Vielleicht auch nicht.« »Sind es wie üblich die Israelis, die dahinter stecken?« fragte Meier. »Israel? Seien Sie nicht albern. In diesem Schachspiel nehmen die Israelis nicht einmal den Rang eines Bauern ein. Sie haben überhaupt nichts damit zu tun.« »Die Vereinigten Staaten?« »Ja, Herr Meier. Jetzt kommen Sie der Sache schon näher. Auf welche Seite wird Onkel Sam sich im Nahen Osten schlagen? Stimmt’s?« Er zog es vor, mit einer Frage zu antworten. »Haben Sie den Eindruck, die Araber könnten ihre Einlagen zur Gänze aus den Vereinigten Staaten abziehen und nach Europa zurückfließen lassen?« »Ich glaube, wenn ihr Schweizer und die Deutschen und die Franzosen so dumm seid, die Araber zu ihrem Wahnwitz zu ermutigen - und den Schah zu seinem -, ja, dann werdet ihr so viel Geld bekommen, wie ihr euch immer erträumt habt. Und mehr als das. Über Europa wird ein Unheil hereinbrechen, wie es seit 1939 keines gegeben hat. Und jetzt ziehen Sie Leine.« Er fing an, sich vielmals zu entschuldigen, doch als er nicht weiter beachtet wurde, gab er auf und ging. »Es ist nicht seine Schuld, Bill«, sagte Ursula.
»Ich weiß, ich weiß. Morgen schicke ich ihm Blumen.«
»Hast du das alles ernst gemeint?«
»Ja.«
»Aber was werden wir tun?«
»Ich weiß es nicht.«
»Und Vater?«
»Ich fürchte«, erwiderte ich, »deinem Vater kann nichts und
niemand mehr helfen.«
»Wenn ihm etwas zustößt«, sagte sie, »wirst du staunen, was
auch allen anderen zustoßen wird - der Schah eingeschlossen.«
23 Der Mann, auf den Ursula Hartmann sich bezog - der König der Könige des Iran, der Schahinschah von Persien -, hatte sich durchaus nicht benommen, wie man das von einem schlechten Menschen erwartet hätte. Seit seiner Ankunft in der Schweiz war genau das Gegenteil der Fall. Am 4. März 1982 war der Schah ganz friedlich in Zürich ge landet. Wie üblich war er im Dolder Grand Hotel abgestiegen. Es lag nahe der Klinik, in der er sich alle Jahre einer einge henden ärztlichen Untersuchung unterzog. Seine Begleitung war nicht groß: seine junge Frau, Farah Diba, ihre Kinder, ihre Kammerzofe, sein Flügeladjutant und etwa zwanzig Sicher heitsbeamte. Die Leute schenkten ihnen wenig Beachtung. Schließlich war es der fünfzehnte Winterurlaub, den der Schah in der Schweiz verbrachte. Am 7. März widmete sich der Schah, scheinbar bei bester Ge sundheit, kurz den Regierungsgeschäften. An jenem Morgen empfing er Herrn Enrico Rossi, den Außenminister der Schweiz. Rossi hatte die endgültige, auf französisch und per sisch ausgearbeitete Fassung des Abkommens mitgebracht, das zwischen dem Iran und der Schweiz geschlossen werden sollte. Darin verpflichtete sich der Iran, die Schweiz von jedem möglichen, innerhalb der nächsten zehn Jahre von der OPEC verhängten Embargo auszunehmen. Im Falle eines sol chen von den anderen OPEC-Produzenten verhängten Embar gos verpflichtete sich der Iran, die Schweiz auf die Dauer ei nes solchen Embargos in monatlichen Lieferungen mit einer Menge von Rohöl zu versorgen, die etwa 75 Prozent ihres normalen Verbrauchs gleichkam, und dies zu einem Preis, der nicht höher als 25 Prozent über dem Preis fon Abadan liegen durfte, der im Durchschnitt während der drei Monate vor der Verhängung des Embargos gegolten hatte. Es würde jedoch der Eidgenossenschaft obliegen, für den Transport des Rohöls vom Hafen Abadan bis zu den schweizerischen Raffinerien Sorge zu tragen. Alles in allem ein äußerst präzise abgefaßtes
Dokument. Nichtsdestoweniger runzelte der Schah die Stirn, als er es las. Zwar hatte er durch seinen Emissär Shadah Tibri zi tatsächlich versprochen, die Schweiz bei jedem zukünftigen Embargo auszunehmen - im Zug des quid pro quo, das keiner der Vertragspartner auch nur mit einem einzigen Wort er wähnte. Aber diese Details in bezug auf Mengen und Preise, das waren Ausschmückungen rein schweizerischen Ursprungs. Der Schah machte Rossi darauf aufmerksam. Rossi druckste herum, murmelte etwas von einem scheinbaren Mißverständ nis, entschuldigte sich für das scheinbare Mißverständnis, äußerte die Vermutung, daß das scheinbare Mißverständnis möglicherweise in der persischen Fassung aufgebauscht wor den sein konnte, daß die französische Version die authentische wäre, daß… Der Schah hörte dem kleinen Mann belustigt zu. Schließlich ließ er sich, ohne zu dem Schweizer ein Wort zu sagen, von seinem Adjutanten zwei Füllfedern bringen. Es waren natürlich goldene Füllfedern. Nachdem sie unterschrie ben hatten, durfte Rossi beide Federn behalten. Wieder einmal hatte Mohammed Reza Pahlavi bewiesen, daß er nicht nur ein Ehrenmann war, der zu seinem Wort stand, sondern auch ein großherziger, nachgiebiger, gütiger Herrscher und Bewahrer eines der kostbarsten Reichtümer der Menschheit. Nach dem Lunch flogen er und seine Frau mit seinem privaten Jet nach St. Moritz. Kurz vor dem Abflug bestiegen noch zwei Herren die Maschine, die vor knapp einer Stunde, aus Teheran kommend, auf dem Flughafen Kloten gelandet war. Einen großen Teil der Strecke steuerte der Schah selbst, überließ aber dann die Maschine vor der Landung dem schweizerischen Piloten. Der Schah kannte den kleinen Flughafen von Same dan: er lag eingezwängt zwischen den Bergen hinter Pontresi na im Süden und jenen von St. Moritz im Norden und hatte pro Jahr 1,6 Abstürze mit tödlichem Ausgang zu beklagen. Die meisten Sicherheitsbeamten waren bereits einen Tag vorher mit vier Mercedes 600 vorausgefahren. Alle vier Wagen stan den schon auf der Rollbahn, als die Motoren der Lear abge schaltet wurden. Ebenso die schweizerische Polizeieskorte.
Ursula und ich hatten sie durch die Stadt fahren sehen und noch am gleichen Abend unsere Bekanntschaft mit dem Schah erneuert. Was Ursula dazu veranlaßt hatte, den ganzen folgen den Tag Schmähreden gegen den Schah zu führen. Doch selbst noch am Morgen dieses Tages, während ich mit Hilfe der Nachrichtenzentrale des Schweizerischen Bankvereins meine Finanzen umgruppierte, hatte sich der Schah auch weiterhin untadelig benommen. Trotz der anstrengenden Party am Abend zuvor war er um acht Uhr aufgestanden und schon um neun auf dem Hang gewesen. Natürlich laufen Kaiser nicht allein Schi. Er war von seiner Kaiserin, ihren Kindern und einem guten Dutzend Sicherheitsbeamten begleitet. Als weiser Vater hatte er darauf bestanden, daß die Familie am ersten Tag nur den kleinen Übungshang benütze, der etwa 75 Meter von seinem Chalet entfernt war. Selbstverständlich hatte Herr Mül ler es eingerichtet, daß der Schilift den ganzen Vormittag über - oder eben so lange, wie Seine Majestät es wünschte - aus schließlich der kaiserlichen Familie zur Verfügung stand. Zwei erfahrene Schilehrer hielten sich bereit, um, wenn nötig, helfend einzugreifen. Natürlich bestritten die Kinder die Not wendigkeit, sich auf dem - von den Einheimischen sogenann ten - »Idiotenhang« erst lange warm zu laufen; weit lieber wären sie gleich auf die langen Hänge des Piz Nair hinaufge fahren. Aber Papa blieb hart. Zumindest bis elf, als die Eis flecken verschwunden waren. Dann ließ er sich erweichen. Er küßte seine Frau, tätschelte den Kindern die Köpfe, schickte sie alle den Berg hinauf und kehrte allein in sein Chalet zu rück. Der Schah war glücklich. Es war der vollkommene Beginn eines vollkommenen Tages vor einem vollkommenen Hinter grund gewesen: die ruhige, neutrale, saubere, sittenstrenge Schweiz. Ein in jeder Beziehung vollkommener Platz, um einen Krieg zu planen. Und genau das hatte der Schah für den Nachmittag vorgese hen. Dafür war das Chalet entsprechend eingerichtet. Der Süd flügel war für die Familie zum Sperrgebiet erklärt worden. Er
war von jenen zwei Herren in Besitz genommen worden, die sich knapp vor dem Abflug aus Zürich der kaiserlichen Reise gesellschaft angeschlossen hatten: General Mohammed Kha tami, Chef der iranischen Luftwaffe, und Brigadier Fereydoun Shahandeh, der Kommandant der iranischen Luftlandetruppen am Persischen Golf. Wie Militärs das gerne tun, hatten auch sie schon am Tag zuvor, unmittelbar nach Bezug ihres Quar tiers in St. Moritz, eine riesige Landkarte an die Wand gehef tet. Das Ausmaß der Karte war vielsagend: Sie zeigte ein Ge biet, das sich von Indien im Osten bis zum Mittelmeer im We sten, und von den südlichen Regionen Sowjetrußlands im Norden bis zum Jemen und dem Sudan im Süden erstreckte. Als der Schah sie an diesem Tag in ihrem Quartier besuchte, hatten sowohl der General wie auch der Brigadier das Ausse hen glücklicher Menschen. Warum auch nicht? Sie komman dierten die größte und bestgeschulte Armee des Nahen Ostens; die gewaltigste und höchst entwickelte Luftwaffe; eine moder ne, überaus bewegliche Kriegsmarine. Außerdem besaß der Iran der Welt stärkste und einsatzbereite ste Hovercraft-Flotte (in England gebaute LuftkissenFahrzeuge der Typen SRN-6 und BH-7) und ein Ehrfurcht gebietendes Raketenarsenal - amerikanische Hawks, englische Rapiers und französische Crotales. Selbst die neuen amerika nischen Phoenix waren bereits voll in das iranische »Luftver teidigungs«-System integriert. Um dieses ganze Waffenpoten tial zu bedienen, hatte der Iran eine Armee von 460.000 Mann (einschließlich Reserven), dem Vernehmen nach die schlag kräftigste Militärmaschine des Nahen Ostens (ausgenommen die Israelis); dies nicht zuletzt dank ihrer Schulung durch mehr als tausend amerikanische Militärberater, die seit Beginn der 70er Jahre eigens zu diesem Zweck im Iran stationiert gewe sen waren. »Haben Sie sie?« lautete die erste Frage, die der Schah an die zwei Männer richtete. »Ja«, antwortete General Khatami. Und an der Wand prangte, was der Schah verlangt hatte: eine
große Tafel mit einer kompletten Liste der einsatzfähigen Kampfmittel des Irans nach dem Stand vom 10. März 1982. Es war eine eindrucksvolle Liste. Der Iran besaß 486 Kampfflugzeuge, jedes einzelne startbereit. Dazu gehörten 80 Grumman F-14, der Welt modernste Mili tärmaschinen; 170 McDonnell Douglas F-4-Phantoms, nach den F-14 Amerikas beste mit Raketen ausgerüstete Kampfma schinen als Atombombenträger und Langstrecken-AllwetterJagdbomber; 221 Northrop F-5 mit einer Nutzlast von 3,5 Tonnen. Hubschrauber? Der Schah hatte 739 Stück, darunter 287 UH-1H214A - mehr als alle anderen Typen in Vietnam als Angriffshubschrauber eingesetzt -, 202 AH-1Js, die tödliche Seekobra, die erst 1974 aus amerikanischen Fertigungsstraßen gekommen waren. Zu Beginn des Jahres 1982 besaß der Iran mehr von diesen Maschinen als die U.S. Army. 1660 Panzer standen zur Verfügung: Die Liste umfaßte 400 M-47er und 460 M-60er, die besten, die die Vereinigten Staa ten zu bieten hatten. Der Kern der iranischen Panzerwaffe bestand jedoch aus 800 englischen Chieftains, den modernsten Kampfpanzern der Welt. Ihre 120-mm-Kanonen konnten bis zu einer Reichweite von 2000 Metern jeden feindlichen Panzer treffen und vernichten. Mit seinem Schnorchel besaß der Chieftain eine Wattiefe von 16 Fuß. Zuzüglich zu den Kampf panzern verfügten die persischen Streitkräfte auch noch über 2000 gepanzerte Mannschaftstransportwagen, vornehmlich der Typen BTR-60 und BTR-50 aus der Sowjetunion. Beide Ty pen waren mit Raketenwerfern ausgestattet. Die iranische Flotte war nicht groß - nur 39 Schiffe -, aber sie umfaßte sieben mörderische Einheiten: die zwei von den Ver einigten Staaten dem Schah leihweise überlassenen Flugzeug träger Kitty Hawk und Constellation, jeder 1062 Meter lang und mit 90 Phantom-Kampfbombern bestückt, und fünf der modernsten Kampfschiffe der Welt - Zerstörer der SpruanceKlasse, hergestellt und an den Iran verkauft von Litton Indu stries in Pascagoula, Mississippi. Es war eine ehrfurchterregende Liste.
Punkt für Punkt ging der Schah mit Khatami die Tabellen durch. Dann verließ er, offensichtlich befriedigt, den Raum, um seine Schikleidung ab- und etwas für den Nachmittag Ge eigneteres anzulegen. Um die Mittagsstunde fuhr ein grauer Cadillac vor dem Su vretta-Haus vor. Darin befand sich Mr. Stanton Sinclair, der Botschafter der Vereinigten Staaten in der Schweiz. Sinclair war Karrierediplomat. Zu Beginn der 70er Jahre hatte er als zweiter Mann an der Botschaft in Teheran gedient und an schließend die Interessen Amerikas in Athen, Chile und in der Türkei wahrgenommen, bevor er auf den ruhigen und beque men Posten in Bern versetzt worden war. Doch trotz seiner letzten Bestellung betrachtete er sich als Spezialist für Fragen des Nahen Ostens. Mit Unterbrechungen hatte er fast sieben Jahre in diesem Gebiet verbracht und kann te die Männer, die dort regierten. So auch den Schah. Darum hatte er auch keinen Einwand erhoben, als er vom persischen Monarchen kurzfristig nach St. Moritz gebeten worden war. Da sie sich von früher kannten, bedurfte es keines langen ein führenden Geplauders. Der Schah setzte sich vor den Kamin, der noch nicht brannte, und lud Sinclair ein, zu seiner Linken Platz zu nehmen. »Ich darf annehmen, Mr. Sinclair«, begann Pahlavi, »daß Ihre Regierung die Ereignisse in Saudiarabien mit großem Interesse verfolgt.« »Natürlich«, antwortete Sinclair. »Und ich darf ferner annehmen, daß sie meine begründeten Befürchtungen teilt.« »Ich bin nicht befugt, im Namen meiner Regierung dazu Stel lung zu nehmen, Eure Majestät.« »Versteht sich. Aber angesichts der Vorgänge in einem Land von so überragender Bedeutung für die nationalen Interessen der Vereinigten Staaten muß ein Mann mit Ihrer Erfahrung, Mr. Sinclair, doch gewisse Schlüsse gezogen haben.« »Was geht denn dort eigentlich vor, wenn ich fragen darf?«
konterte Sinclair.
»Meine Quellen - und ich habe ganz ausgezeichnete Quellen
in Saudiarabien und stehe in direkter Verbindung mit ihnen -
besitzen verläßliche, ich wiederhole: verläßliche Informatio
nen, wonach Ihre Freunde in Saudiarabien ausgeschaltet wur
den. Nicht nur ausgeschaltet, sondern, im Fall der Hauptbetei
ligten - Sultan Abdul Aziz, Yamani und, vor allem, Fahd -
ermordet. Vor zwei Tagen.«
»Von wem?«
»Von Prinz Abdullah und seinen Parteigängern.«
»Wie?«
»Sie wurden entführt und dann erschossen.«
»Und der König?«
»Der König lebt. Aber er ist nicht mehr im Amt. Abdullah sitzt
auf dem Thron.«
»Woher wollen Sie das so genau wissen?«
Der Schah machte eine ungeduldige Handbewegung. »Mein
lieber Mr. Sinclair. Glauben Sie, ich hätte Sie hierher gebeten,
um irgendwelchen Gerüchten zu lauschen?«
»Kaum.«
»Na eben.«
»Wünschen Sie, daß ich meiner Regierung von diesen Infor
mationen Mitteilung mache?«
»Ja.«
»Sie sagten, daß Sie angesichts dieser Ereignisse begründete
Befürchtungen hegen, Eure Majestät«, fuhr Sinclair fort.
»Ja.«
»Warum?«
»Kennen Sie Abdullah?«
»Nein.«
»Abdullah hat seine Hauptstütze in Khadafi. Er teilt die Mei
nungen, die Khadafi sich über die Welt gebildet hat. Er ist ein
glühender Antisemit und haßt die Vereinigten Staaten.«
Der Schah unterbrach sich. »Und er ist ein Feind meines Lan
des. Und meiner Person.«
»Warum?«
»Weil er danach strebt, den Persischen Golf zu beherrschen und die Macht auszuüben, die eine solche Herrschaft ihm ver leihen würde. Ich bin der einzige, der ihm im Wege steht. Da her sieht er in mir seinen Hauptfeind.« »Und die Vereinigten Staaten? Wie steht es mit den kürzlich abgeschlossenen Verträgen in bezug auf die Öllieferungen an die Vereinigten Staaten? Wird er sie einhalten?« Der Schah lachte. »Mr. Sinclair! Natürlich nicht!« »Und was wird er mit dem Öl machen?« »Was macht Khadafi damit? Libyens Produktion beträgt ein Drittel, ein Viertel seiner früheren Fördermenge. Ein Sechstel dessen, was er heute produzieren könnte, wenn er die Occiden tal und die anderen nicht hinausgeworfen hätte. Abdullah wird genau das tun, was Khadafi bereits getan hat. Auf seinem Öl sitzen.« »Das wäre Wahnsinn.« »Natürlich. Halten Sie Khadafi für geistig normal?« »Und das saudiarabische Volk? Das Entwicklungsprogramm des Landes?« »Abdullah wird die Leute dazu anhalten, den Koran zu lesen und ihre Ziegen zu hüten. Wie sie es früher getan haben. Wenn sie nicht erschossen werden wollen.« »Hat Abdullah die Armee hinter sich?« »Natürlich. Sie stellt seine wichtigste Stütze dar. Und die größte Gefahr für mich.« »Gefahr?« »Ja. Sie zerren schon seit Jahren an ihren Zügeln. Sie stehen bereit, mich anzugreifen - mit den von Ihnen gelieferten Waf fen, wie ich bemerken darf. Abdullah wird ihnen ihre Chance geben.« Zum ersten Mal zeigte sich deutliche Skepsis in Sinclairs Zü gen. »Wie denn?« fragte er. »Das Heer ist doch lächerlich klein.« »Kann sein. Aber dieses kleine Heer ist - dank der Unterstüt zung durch Ihr Land - vielleicht das bestausgerüstete der Welt. Aber darum geht es ja gar nicht. Die Saudis werden nicht -
müssen gar nicht allein vorgehen. Der Irak kann 350.000 Mann gegen uns in Marsch setzen. Und der Irak ist seit Gene rationen unser Feind. Gerade Sie sollten das wissen, Mr. Sin clair.« Mr. Sinclair nickte. Er wußte es. Er wußte aber auch, daß der Schah tödlichen Haß gegen die Irakis empfand. Denn der Irak war das einzige Land, mit dem es der Schah in seiner Regie rungszeit aufgenommen hatte. Und der Schah hatte die Partie verloren. Es war kein Konflikt im klassischen Sinn gewesen. Zu Beginn der 70er Jahre hatte der Schah versucht, den Sturz des Regimes in Bagdad durch eine Hintertür zu bewirken, indem er eine Militärrevolte im Land anzettelte. Seine Schütz linge und Söldner zugleich waren die Kurden, ein Volk, das im Norden des Irak lebte und sich immer schon der Unterwer fung durch die Regierung in Bagdad widersetzt hatte. Seit Jahren hatten die Kämpfe zwischen den Kurden und den Irakis hin- und hergewogt, ohne daß es zu einer Entscheidung ge kommen wäre, aber 1972 schlugen die Irakis ihre Feinde dann in die Flucht. Der Schah unternahm eine verzweifelte An strengung, um eine Wendung herbeizuführen; er bat Präsident Nixon persönlich um Hilfe - Hilfe für die Kurden. Aber da gab es ein Problem. Wenn nämlich moderne amerikanische Waf fen in den Händen der irakischen Kurden gefunden wurden, konnte es wohl sein, daß die Russen auf der anderen Seite eingriffen, und das wollten weder der Schah noch Nixon. Aber Nixon und Pahlavi - vielleicht die zwei gerissensten Staats männer unserer Generation - fanden eine glänzende Lösung. Sie würden die Kurden mit russischen Waffen versorgen! Woher solche Waffen nehmen? Israel. Im Krieg von 1967 hatten die Israelis enorme Mengen Kriegsmaterial von Ägyp ten erbeutet. Dem amerikanisch-persischen Ersuchen mußten sie wohl oder übel stattgeben; Nixon war der Mann, der durch die Lieferung amerikanischer Waffen ihr politisches Überle ben gewährleistete, und der Schah garantierte ihnen ihr wirt schaftliches Überleben, indem er sie mit Öl versorgte. Also wurden die sowjetischen Waffen gekauft, und Sinclair, zu
dieser Zeit zweiter Mann in Teheran, überwachte persönlich die Übergabe. Das einzig Bedauerliche war - es funktionierte nicht. Die Kur den wurden geschlagen und zur Flucht in den Iran gezwungen, und der Schah mußte eine bittere Pille schlucken. In der Tradi tion der Diktatoren des 20. Jahrhunderts unterzeichnete er 1975 einen Freundschaftsvertrag mit der Regierung des Irak. Jetzt aber, vier Jahre später, war die Rache in greifbare Nähe gerückt. Für beide Seiten, dachte Sinclair. »Was glauben Sie, wird geschehen?« fragte er den Schah. »Sie werden uns angreifen. Gemeinsam. Und bald.« »Haben Sie dafür Beweise?« »Ja. Warten Sie.« Der Schah verließ den Raum, begab sich in den Südflügel und kehrte nach wenigen Minuten wieder zurück. »Hier«, sagte er und reichte Sinclair eine Anzahl Luftbilder. »Das ist der Shatt-el-Arab«, fuhr er fort, griff nach dem ersten Bild und wies auf den Fluß, der die Grenze zwischen Irak und Iran bildete, wo die zwei Länder an der Nordspitze des Persi schen Golfs zusammentrafen. »Sie kennen ihn ja gut. Beach ten Sie jetzt bitte hier die unglaubliche Konzentration von Geschützstellungen und da die Raketenabschußrampen - ge genüber Abadan und Khorramshahr.« Er nahm ein zweites Bild zur Hand. »Das hier ist das Gebiet weiter nördlich - die schmale Ebene zwischen dem Tigris und der persischen Grenze. Die Panzerfahrzeuge sind ganz deut lich zu sehen. Hier - bereit auf Ahvaz vorzustoßen. Auf Dez ful. Offenbar planen sie, nach Osten und dann nach Süden zu marschieren, um Abadan und die umliegenden Ölfelder zu besetzen. Alles zusammen haben wir an die 1700 Panzer in diesem Kor ridor östlich des Tigris gezählt - 800 T-55, 450 M-60 und etwa 500 BTR-152. Das sind 90 Prozent aller Panzer, die der Irak besitzt. Seit 20 Jahren bedrohen sie unsere Südflanke, aber eine solche Konzentration haben wir bisher noch nie festge stellt.«
»Augenblick!« konterte Sinclair. »Ich erinnere mich genau,
daß es schon 1969 und 1971 und 1972 solche Ansammlungen
gegeben hat. Es waren die üblichen Wintermanöver der Irakis.
Und ich entsinne mich auch, daß diese Manöver stets im März
stattfanden. Jedesmal feuerten sie ein paar Granaten über den
Fluß. Und Sie ließen ein paar zurückfeuern. Das war alles.«
»Das mag schon sein«, erwiderte der Schah, »aber das ist jetzt
etwas anderes. Sie wissen ja, die Luftsicherung war immer die
Schwachstelle der Irakis.«
Sinclair nickte. Die Luftwaffe der Irakis war zwar zahlenmä
ßig beachtlich - 285 Luftfahrzeuge nach dem letzten Bericht,
den er gesehen hatte -, bestand aber zum Großteil aus veralte
ten sowjetischen und englischen Maschinen: MiG-21, Su-7,
MiG-17 und sogar ein paar Staffeln englische Hunters aus den
50er Jahren.
»Das war einmal. Jetzt haben sie 75 amerikanische F-5, 25
Mirage 111 und 30 F-15. Sie stehen einsatzbereit südlich von
Bagdad.«
»Aber«, erwiderte Sinclair ungläubig, »wo sollten sie denn
solche Maschinen herhaben?«
»Aus Saudiarabien«, antwortete der Schah mit einem starren
Lächeln. »Von Ihrem ehrenwerten Verbündeten.«
»Haben Sie Beweise dafür?«
»Ja.« Das dritte Bild war auf dem Boden aufgenommen wor
den. Ebenso ein viertes und fünftes. »Sehen Sie? Da - Phan
toms. Da - F-15.« Sein Finger stieß auf die Bilder herab.
Sinclair sah. Und er erkannte eine Phantom oder eine F-15,
wenn er sie vor sich hatte. Seine Ausbildung war sehr kom
plett gewesen. Und er sah auch, daß die Hoheitszeichen auf
den Maschinen die des Königreichs Saudiarabien waren.
»Diese Aufnahmen. Wo wurden sie gemacht?«
»Ich sagte es Ihnen schon. Auf einem Militärflugplatz südlich
von Bagdad.«
»Wann?«
»Vor zwei Tagen.«
»Wie haben Sie sie so schnell herbekommen?«
»Von zwei Offizieren. Gestern. Direkt aus Teheran.« »Aber die Unruhen in Saudiarabien haben doch erst vor drei oder vier Tagen begonnen.« »Genau. Die ganze Sache wurde gut vorbereitet: die schritt weise Konzentration im Irak, dann der Staatsstreich in Riyadh, schließlich die Verlegung von saudiarabischen Flugzeugen nach Bagdad. Khadafi und Abdullah - und ich bin sicher, auch Algeriens Boumedienne - arbeiten schon seit Monaten daran. Wahr scheinlich schon seit Jahren. Hier - « und wieder schwenkte er die Bilder - »hier sehen Sie, was sie haben wollen. Kontrolle über den Persischen Golf und das ganze Öl rundum. Und es ist sogar in gewisser Weise verständlich«, fuhr der Schah fort. »Fahd, Yamani, Sultan Aziz - auf ihre Art haben sie genauso töricht gehandelt wie Khadafi und seine Leute. Yamani und seine Spielchen mit den amerikanischen Ölgesell schaften. Fahd, der das gesamte Vermögen seines Landes amerikanischen Banken zur Verfügung stellte. Und Sultan Aziz, der mit amerikanischen Generälen durch die Vereinigten Staaten promenierte. Das war kompletter Wahnsinn. Und jetzt muß ich - muß mein Land - unter den unvermeidlichen Folgen leiden. Hören Sie, Sinclair. Die arabischen Nationalisten wol len Sie, wollen Amerika aus dem Nahen Osten heraushaben. Zusammen mit allen Ihren Freunden. Ich, und ich allein, stehe ihnen jetzt noch im Weg.« Er erhob sich. »Berichten Sie das Ihrer Regierung.« »Das werde ich tun, Eure Majestät. Und ich danke Ihnen.« Eilig verließ der Botschafter das Chalet. Kaum saß er in sei nem Cadillac, griff er nach dem Autotelefon. Die Herren im »Keller« der Botschaft in Bern wurden instruiert, bei seiner Rückkehr in etwa drei Stunden vollständig anwesend zu sein. Auch wünschte er, man möge Washington verständigen, daß in Kürze außerordentlich wichtige Nachrichten aus der Schweiz zu erwarten waren. Als er aufgelegt hatte, wies er seinen Fahrer an, einen Zahn draufzulegen. Nachdem der Amerikaner gegangen war, verzehrte der Schah
sein Lunch allein. Im ganzen Chalet herrschte Stille, bis auf ein gelegentliches Summen. Es war der Schah, der etwas vor sich hinsummte - vielleicht ein altes persisches Volkslied, vielleicht eine Sonate von Beethoven. Jedenfalls war er glück lich. Um zwei - nicht kurz nach drei, wie Herr Meier vom Schwei zerischen Bankverein mir später an diesem Tag in der Bar des Palace Hotels fälschlich berichtete - trafen die Russen ein. Es waren ihrer drei, und sie kamen in einem Bentley: der Fahrer, der russische Botschafter und sein Militärattache. Sie hießen Pjotr Schelest, Juri Woronow und Andrej Andropow. Pjotr Schelests einziges Auftreten bestand darin, daß er aus dem Wagen stieg und für Woronow und Andropow die Tür öffnete. Sie wurden von General Khatami begrüßt, der Andropow aus der Zeit kannte, als der Russe Militärattache in Teheran gewe sen war, während auch Sinclair als erster Sekretär an der ame rikanischen Botschaft gedient hatte. Der Schah stand vor dem Kamin - jetzt brannte das Feuer -, als sie eintraten. Er reichte den beiden Russen die Hand und lud sie ein, auf dem Sofa hinter dem massiven Kaffeetisch Platz zu nehmen. Er selbst ließ sich auf einem Armsessel ihnen gegen über nieder. Khatami blieb an der Seite des Herrschers stehen. »Wir werden uns in englischer Sprache unterhalten«, waren des Schahs erste Worte. Botschafter Woronow nickte, nach dem er sich der Zustimmung Andropows versichert hatte, und der Schah fuhr fort: »Ich weiß es zu würdigen, daß Sie so schnell gekommen sind.« »Wir haben volles Verständnis, Eure Majestät«, erwiderte Woronow. »Das Thema, über das ich mit Ihnen reden möchte, betrifft… die Araber.« Die Art, wie er die letzten zwei Worte aussprach, gab seinen Besuchern zu verstehen, daß er, der Schah, dieses rückständige, unwissende, wankelmütige arabische Volk ge nauso verachtete wie die Russen es verachteten. »Es ist ja nicht das erste Mal, daß diese Leute Schwierigkeiten machen.« Eine rätselhafte Erklärung, aber Russen sind an rätselhafte
Erklärungen gewöhnt. Daher: Stillschweigen auf dem Sofa. »Aber wenn es nur die Araber wären«, sagte der Schah, »ich hätte Sie niemals soweit inkommodiert, daß ich Sie bitte, mit ten im Winter nach St. Moritz zu kommen. Aber Sie sind ja den Winter gewöhnt, nicht wahr?« Die Russen waren sich nicht sicher, ob das eine rhetorische Frage war oder ob der Schah eine Antwort darauf erwartete. Abermals beschlossen beide zu schweigen. »Aber es sind nicht nur die Araber«, fuhr der Schah fort. »Jetzt sind es die Araber und… die Chinesen.« Jetzt war es soweit. »Wovon reden Sie denn?« fragte Andro pow. Er zog es vor, auf elegante Redewendungen zu verzich ten und auf den Kern der Sache vorzustoßen. »Ich spreche von Saudiarabien, lieber Freund«, lautete die sarkastische Antwort des Schahs. »Und was in aller Welt haben die Chinesen mit Saudiarabien zu tun?« Eine vernünftige Frage. »Wo haben Sie sich in den letzten Tagen aufgehalten?« »Eure Majestät«, sagte Andropow, »wir sind nicht hierher gekommen, um unsere Zeit zu verschwenden.« Im Zweiten Weltkrieg hatten die Russen Persien besetzt und den Vater des Schahs in seinem Palast gefangengehalten. Die Nummer, die er da wohl abziehen wollte, imponierte ihnen nicht. Der Schah studierte Andropows hochnäsigen Gesichtsaus druck und kam zu dem Schluß, daß es angebracht sein könnte, kurz kaiserliche Demut zu demonstrieren. »Mein lieber Herr Andropow. Ich versichere Ihnen, daß Sie Ihre Zeit in keiner Weise verschwenden. Ich betrachte mich als Freund der So wjetunion. Ich habe Sie hierher gebeten, so wie ein guter Nachbar den anderen einlädt, wenn sich beide in Gefahr be finden.« Stumm saßen die beiden Russen auf dem Sofa. »Also gut, ich werde es Ihnen erklären. Sie wissen natürlich, daß die regierende Clique in Saudiarabien gestürzt wurde. Und Sie wissen auch, daß jetzt Prinz Abdullah an der Macht ist.« Die Russen wußten es nicht. Daher antwortete Woronow:
»Selbstverständlich.« »Sie wissen aber vielleicht nicht, wer Abdullahs Erfolg erst möglich gemacht hat.« Das wußten sie natürlich nicht. »Wir haben verschiedene Ge rüchte gehört«, sagte Andropow. »Nun, ich brauche mich nicht auf Gerüchte zu verlassen«, sagte der Schah und vollzog damit die Rückkehr auf das Kö nig-der-Könige-Podest. »Ich kann mit Tatsachen aufwarten.« »Ja?« sagte Andropow und ließ die Maske der Gleichgültig keit fallen. »Die Jemeniten. Fast eine halbe Million Jemeniten leben in Saudiarabien. Sie haben die Schmutzarbeit für die Saudis ge macht. Sie haben auch die Schmutzarbeit für Abdullah ge macht.« »Es fällt mir schwer, das zu glauben«, entgegnete Andropow. »Die Jemeniten verfügen einfach nicht über die Organisation oder die Geldmittel, um so etwas durchzuführen.« »Sie haben recht. Darüber verfügen sie nicht. Die Organisati on, die Geldmittel und die Waffen kamen aus China. Halten Sie das für möglich?« Die Russen hielten es nicht für ganz unmöglich. Schon 1970 hatten die Chinesen den Südjemen infiltriert, und in den fol genden Jahren war das dortige Regime zu einem der radikal sten der Welt geworden. Aber die Russen hatten sich nicht weiter darum gekümmert. Der Jemen - diese Spottgeburt eines Wüstenvolkes auf der Südspitze der Arabischen Halbinsel ließ sich kaum zu einem Stützpunkt von großer strategischer Bedeutung ausbauen. Wenn sich aber die Chinesen der Jeme niten bedienten, um Einfluß auf den Mann zu gewinnen, der jetzt in Saudiarabien die Macht an sich gerissen hatte - dann sah die Sache anders aus. Wenn es etwas gab, das die Russen gar nicht gebrauchen konnten, so die Chinesen, wenn sie ihnen vom Süden her auf den Pelz rücken wollten. »Eure Majestät«, antwortete Andropow, der offensichtlich das Sagen hatte, »wenn das, was Sie da sagen, der Wahrheit ent spricht, so ist das eine äußerst ernste Angelegenheit für mein
Land. Wir würden eine solche Entwicklung mit großer Sorge verfolgen. Das verstehen Sie doch?« »Natürlich.« »Gut. Denn ich wollte sicher sein, daß Sie das verstehen.« Und dann, in scharfem Ton: »Woher haben Sie diese Informatio nen?« »Von einem von Prinz Abdullahs Männern. Er heißt Abdullah El Fahte. Er steht seit zehn Jahren in meinen Diensten.« »Und was ist mit den Amerikanern?« fragte der Russe. »Was soll mit ihnen sein?« konterte der Schah. »Für Saudiarabien tragen sie die Verantwortung. Sie haben eine große Zahl von Militärberatern in diesem Land stationiert. Warum haben sie nicht eingegriffen?« »Weil sie nichts wußten«, sagte der Schah. »Sie erfuhren erst vor wenigen Stunden, was geschehen ist. Sie erfuhren es von mir.« »Und was werden sie jetzt tun?« Der Schah zuckte die Achseln. »Sie befinden sich in einer sehr heiklen Lage«, meinte er schließlich. »Wenn sie etwas gegen Saudiarabien unternehmen, könnte es ihnen passieren, daß sie früher oder später die ganze arabische Welt gegen sich haben. Sehr heikel. Dazu kommt noch das Problem mit dem Irak«, fügte der Schah hinzu. »Was ist mit dem Irak?« Der Schah hatte einen zweiten Nerv berührt. Der Irak war seit Jahren so etwas wie ein Klient der Sowjetunion. »Sie scheinen aus der sich ergebenden Unruhe rund um den Persischen Golf Nutzen ziehen zu wollen. Indem sie mich angreifen. Ich vermute stark, daß sie ihr Vorgehen mit den Ereignissen in Saudiarabien koordiniert haben. Sie wissen ja vielleicht besser als sonst jemand, wie unzuverlässig die iraki sche Führung ist.« Gegen seinen Willen nickte Andropow. »Haben Sie Beweise für die Anwesenheit von Chinesen in Riyadh?« fragte Woronow, dessen Gedanken offenbar ein
wenig abgeschweift waren. »Natürlich. Von meinem Mann dort.« »Ich meine greifbare Beweise. Fotografien zum Beispiel.« »Noch nicht. Aber ich habe greifbare Beweise anderer Natur, mit denen ich alles, was ich Ihnen sagte, erhärten kann.« Der Schah wandte sich an Khatami, der die ganze Zeit neben ihm gestanden hatte, und flüsterte ihm etwas zu. Der General verließ sogleich den Raum und kehrte - womit sonst? - mit den gleichen Bildern zurück, die der Schah vor wenigen Stunden dem amerikanischen Botschafter gezeigt hatte. Der Schah folgte genau der gleichen Routine. »Das«, sagte er, nahm das erste Bild und zeigte auf den Fluß, der dort, wo die zwei Länder an der nördlichen Spitze des Persischen Golfs zusammentreffen, die Grenze zwischen dem Irak und dem Iran bildet, »das ist der Shatt-el-Arab. Beachten Sie bitte hier die unglaubliche Konzentration von Geschützstellungen, und da…« Und so weiter. Die Wiederholungsvorstellung endete mit der rätselhaften Anwesenheit saudiarabischer Flugzeuge amerika nischer Provenienz auf irakischem Boden - auch dies durch Bilder aus dem Fotoalbum des Schahs dokumentiert. Doch die Zusammenfassung, die dieser für die Russen bestimmten Aufmachung folgte, stand in auffallendem Kontrast zu der, die der Schah dem amerikanischen Botschafter vorgetragen hatte. »Nun«, sagte er, nachdem Khatami die Bilder wieder an sich genommen hatte, »was haben wir zu erwarten?« Er machte eine Pause. »Ich will es Ihnen sagen. Begleitet von den Se genssprüchen seiner Freunde im Jemen und in Peking und mit der tatkräftigen Unterstützung aller anderer Verrückten in der arabischen Welt - die im Irak, Khadafi in Libyen, Boumedien ne in Algerien - beabsichtigt Abdullah, den ganzen Persischen Golf unter seine Kontrolle zu bringen. Das bedeutet, daß unse re beiden Länder, der Iran und die Sowjetunion, es mit einer von Peking gesteuerten, mächtigen und extrem radikalen ara bischen Führung zu tun bekommen werden - direkt vor unserer Haustür. Aber nicht nur das, obgleich schon eine Entwicklung
dieser Art völlig unakzeptabel wäre. Es kommt noch viel schlimmer. Wer das Öl am Persischen Golf kontrolliert, kon trolliert die bedeutendste Machtquelle der Welt. Können Sie sich vorstellen, was es heißen würde, wenn letztlich die Chine sen tatsächlich in die Lage kämen, eine solche Kontrolle aus zuüben?« Der Schah bot eine meisterhafte Leistung. Einfach überwälti gend. Zwar kannten ihn die Russen nach der langen Besetzung seines Landes, aber auch er kannte sie. In- und auswendig. Vielleicht besser als jeder andere Herrscher auf Erden. Und er wußte, daß der Verfolgungswahn der Russen, wenn es um China ging, einfach keine Grenzen hatte. In Asien sahen sie hinter jedem Baum, hinter jedem Busch einen Chinesen; die Aussicht, in Zukunft auch hinter jedem Bohrturm einen sehen zu müssen, war ein bißchen viel. »Das ist unmöglich!« rief Andropow. »Ganz recht«, stimmte der Schah ihm zu. »Und ich werde dafür sorgen, daß es auch unmöglich bleibt.« »Wie?« fragten die Russen gleichzeitig. »Sehr einfach. Der Verluste, die mein Land erleiden wird, nicht achtend, werde ich einen Präventivkrieg führen. Ich wer de die irakische Luftwaffe zerstören. Gleichzeitig werde ich Kuwait, Bahrain, Katar, Abu Dhabi, Dubai und den nördlichen Teil Omans neutralisieren. Wir werden die Saudis einge schlossen haben, bevor sie noch wissen, wie ihnen geschieht. Und wenn Abdullah und seine Freunde sich dann nicht schleunigst verziehen und eine Wiederherstellung des Status quo möglich machen, werden wir auch sie vernichten.« »Und dann?« fragte Andropow. »Auch darüber habe ich lange nachgedacht. Und ich habe die Antwort gefunden. Ich bin Realist, müssen Sie wissen. Mir ist klar, daß man nicht versuchen sollte, in einer Weise zu han deln, die den natürlichen geopolitischen Kräften entgegen wirkt. Damit meine ich: es gibt drei Großmächte, die enormes Interesse daran haben, Frieden und Gleichgewicht im Nahen Osten zu sichern und zu erhalten. Das sind der Iran, die So
wjetunion und die Vereinigten Staaten. Ich werde vorschlagen, einen Drei-Mächte-Vertrag abzuschließen, der diesen Zweck auf den arabischen Territorien am Persischen Golf erfüllen soll. Ob es funktionieren wird? Ich bin überzeugt davon. Und ich will Ihnen auch sagen, warum. Genau so ein Abkommen kam 1942 in meinem Land zustande, wie Sie ja wissen. Die Sowjetunion, die Vereinigten Staaten und Großbritannien be setzten mein Land, regierten es und überließen es schließlich seinem legitimen Herren - mir. Es funktionierte zu jedermanns Nutzen - damals und seit damals bis zum heutigen Tag, wie unser heutiges Zusammentreffen wieder einmal beweist. Der einzige Unterschied zu jenem Abkommen und meinem heuti gen Vorschlag ist der, daß Großbritannien natürlich nicht mehr mitmischen kann. Es ist ja keine Großmacht mehr.« »Und was wollen Sie jetzt von uns?« fragte Andropow. »Nichts. Nur, daß Sie nicht eingreifen.« »Und wenn die Amerikaner eingreifen?« »Die Amerikaner werden nicht eingreifen«, erklärte der Schah überzeugt. »Wie bald brauchen Sie unsere Antwort?« »In drei Tagen.« Drei Minuten später waren die Russen gegangen. Eine Stunde später trafen die ersten Franzosen in schwarzen Citroens ein. Im Gegensatz zu den ersten beiden Zusammen künften war diese, zumindest zum Teil, schon vor geraumer Zeit angesetzt worden. Sie sollte auf kurze und auch auf lange Sicht wichtige Entscheidungen herbeiführen - wichtig für Per sien und wichtig für Frankreich. Die erste Gruppe kam von Dassault-Breguet, der größten Flugzeugfabrik Frankreichs. Das Thema, das seit vielen Mona ten zur Diskussion stand: die Mirage F-1. Genauer gesagt: 120 Stück davon. Zuzüglich zu den Flugzeugen umfaßte das Paket, das Dassault zu verkaufen hoffte, 1500 Raketen der Type Ma tra R 530 (die einen mit Radar, die anderen mit infraroten Zielsuchlenkköpfen) sowie 500 der neuen französischen laser gelenkten Typen, die in ihren charakteristischen Merkmalen
der sensationellsten und neuesten Errungenschaft im amerika nischen Raketenarsenal, der Phoenix, sehr ähnlich waren. Ihre Treffgenauigkeit lag selbst bei so kleinen Zielen wie einzelnen Panzerfahrzeugen oder am Boden stehenden Flugzeugen über 95 Prozent. Der von den Franzosen geforderte Preis? 5,1 Mil liarden Dollar. Die vorgeschlagene Zahlungsweise? 50 Prozent bei Unterzeichnung des Kaufvertrages, die andere Hälfte bei Lieferung. Um wenigstens etwas Schriftliches in der Hand zu haben, hat ten sie alle nötigen Dokumente und Unterlagen mitgebracht. Sie erhofften sich keine schnelle Abwicklung. Die Franzosen trieben seit Generationen Handel mit dem Nahen Osten. Also lehnten sich die Herren von Dassault-Breguet bequem zurück, während der Schah und seine zwei hohen Offiziere ihre Vor schläge langsam durchsahen. Schließlich legten die Perser die Dokumente zur Seite. Der Schah richtete einen durchbohrenden Blick auf den Präsiden ten von Dassault. Dann sagte er: »Wir sind einverstanden.« Der Franzose wartete mit seiner Antwort - er kannte diese Leute -, und er wartete zu Recht, denn sogleich ließ der Schah das unvermeidliche »Vorausgesetzt, daß Sie ein paar Bedin gungen annehmen und wir uns über eine Anzahl geringfügiger Abänderungen bei der finanziellen Abwicklung einigen kön nen« folgen. »Eure Majestät«, erwiderte der Mann von Dassault, »wie Sie wissen, sind wir sehr flexibel.« Natürlich waren sie flexibel. Als Käufer von Waffen war der Iran der größte Einzelkunde der Welt. Bisher hatten die Vereinigten Staaten diesen Markt beherrscht. Vielleicht waren jetzt die Franzosen am Zug. »Zunächst einmal die Lieferfrist«, begann der Schah. »Wir wünschen, daß binnen drei Tagen fünfzig F-1 nach Teheran geflogen werden, und in der gleichen Frist wollen wir tausend Matras geliefert bekommen.« »Das ist vollkommen unmöglich«, antwortete der Mann von Dassault. »Es ist durchaus nicht unmöglich«, gab der Schah zurück.
»Ihre Luftwaffe besitzt beides in ausreichender Menge. Wir verlangen nichts weiter, als daß sie ihr Inventar zu unseren Gunsten ein wenig reduziert.« »Eine solche Entscheidung könnte allein die Regierung tref fen. Wir haben über diese Maschinen keine Verfügungsgewalt mehr.« »Das weiß ich, mein Freund«, sagte Pahlavi. »Aber Sie wer den zustimmen, wenn die Herren in Paris zustimmen, nicht wahr?« »Natürlich.« »Das ist alles, was ich wissen wollte.« »Und der Preis?« »Durchaus akzeptabel.« Die Franzosen blinzelten und wechselten argwöhnische Blik ke. Da mußte doch etwas faul sein! »Ich glaube«, sagte der Schah, »Ihre zweite Delegation wird bald hier sein. Darf ich Sie bitten, so lange im Hotel zu warten, bis ich mit ihnen gesprochen habe?« »Ja, Eure Majestät.« Verdattert zogen sich die Herren von Dassault zurück. Eine Viertelstunde später hielt die zweite Gruppe von Citroens vor dem Chalet. Anders als die erste waren zwei der drei Wa gen von französischen Sicherheitsbeamten besetzt. Im mittle ren saßen der Premierminister und der Finanzminister der Französischen Republik. Anders auch als die Herren von Das sault, waren sie erst in letzter Minute nach St. Moritz gebeten worden. Aber gleich dem Amerikaner und den Russen, wenn auch auf viel höherer Ebene, waren sie der Aufforderung un verzüglich gefolgt. Der Verkauf von Waffen im Wert von 5,1 Milliarden Dollar war für die französische Regierung eine Sache von größter Bedeutung und erforderte daher eine Be handlung auf höchster Ebene. Der Schah begrüßte seine französischen Gäste mit der größt möglichen Ehrerbietung. Er war mit der französischen Sprache und mit französischen Umgangsformen bestens vertraut; er liebte es, seinen Gesprächspartnern diese seine Kenntnisse zu
demonstrieren. »Zunächst einmal, Monsieur«, wandte er sich an den elegant gekleideten und sehr intelligenten Premierminister, »möchte ich auf Dinge eingehen, die unsere beiden Länder betreffen und erst dann auf die um vieles kompliziertere, und äußerst schwere, internationale Krise, der wir uns gegenüber sehen.« »Aber selbstverständlich«, lautete die Antwort des Premiermi nisters. »Ich bin bereit, den Vertrag mit Dassault-Breguet zu unter zeichnen. Noch heute.« Gegen seinen Willen zog der Premierminister die Augenbrau en hoch. »Jawohl«, fuhr der Schah fort. »Sie sind ein wenig überrascht; das ist verständlich. Aber Sie werden sich in Kürze darüber klar sein, daß es nicht im Interesse unserer beiden Länder lie gen kann, über eine geschäftliche Transaktion von so gerin gem Umfang lange zu feilschen. Allerdings stelle ich zwei Bedingungen. Die erste ist, daß Sie mir unverzüglich fünfzig von den Flugzeugen und tausend Raketen liefern. Sie müssen mit französischen Besatzungen nach Teheran geflogen werden.« »Aber warum die…?« unterbrach ihn der französische Pre mierminister. »Warten Sie«, sagte der Schah. »Die zweite Bedingung betrifft die Frage der Finanzierung. Ich schlage vor, daß die Anzah lung in der Höhe von 50 Prozent durch eine von meiner Regie rung garantierte Anleihe abgedeckt wird, die mir von Ihren Banken einzuräumen wäre. Zu den üblichen Bankzinsen. Ich schlage weiter vor, daß die restlichen 50 Prozent in Form von Lieferungen iranischen Rohöls bezahlt werden. Wir sind be reit, Ihnen die entsprechende Menge im Laufe des nächsten Jahres zu - «, er überlegte kurz - »zu 12 Dollar je Barrel zu liefern. Und wir sind bereit, unverzüglich in Verhandlungen über den Ankauf wesentlich größerer Mengen Rohöl an Frank reich einzutreten. Auf drei Jahre und zum gleichen Festpreis. Wir sind ferner bereit, diese Verhandlungen auch auf andere
Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Italien und Deutschland, auszudehnen. Ich wäre Ihnen zu Dank verpflichtet, wenn Sie diese Länder bei nächster Gele genheit davon unterrichten würden.« »Das kommt völlig unerwartet«, bemerkte der Franzose. »Das verstehe ich. Sind Sie bereit, meine Bedingungen anzu nehmen?« »Ja. Durchaus.« »Es gibt da vielleicht noch ein Detail, das ich zur Sprache bringen sollte. Im Falle, daß wir in bezug auf langfristige Rohöllieferungen für Europa Einigkeit erzielen, würden wir entsprechende Vorauszahlungen erwarten. Sie könnten sich unter Umständen auf zehn Milliarden Dollar belaufen. Viel leicht auch etwas mehr.« Der Premierminister sah seinen Finanzminister fragend an. »Das wäre gewiß möglich, Eure Hoheit«, sagte der französi sche Geldmann. »Insbesondere im Hinblick auf die Entwick lung der letzten Tage. Wie Sie vielleicht wissen, sind die eu ropäischen Banken äußerst liquide geworden. Das ist die Folge des massiven Rückflusses arabischen Geldes aus den Verei nigten Staaten.« »Ja«, antwortete der Schah mit einem breiten Lächeln, »diese Entwicklung ist mir nicht unbekannt. Sind wir uns also im wesentlichen einig?« »Ja«, antworteten die beiden Franzosen wie aus einem Mund. »Und nun«, fuhr der Schah fort, während er seine Gäste auf merksam beobachtete, »möchte ich die Lage im Nahen Osten erörtern.« »Die Vorgänge in Saudiarabien?« fragte der Premierminister. »Ja. Wie Sie vielleicht noch nicht wissen, wurde die herr schende Clique in Riyadh gestürzt. Fahd, Yamani und Sultan Aziz sind ermordet worden.« Die Franzosen zuckten zusammen. Auch sie waren den Ver rückten dieser immer unlenkbareren Welt ausgeliefert. »Ja«, sagte der Schah, »wir tragen eine schwere Last. Aber was mich betrifft, ich drücke mich nicht vor meiner Verant
wortung. Das Problem sind, wie immer, die Vereinigten Staa ten. Erst vor wenigen Stunden empfing ich den amerikani schen Botschafter in der Schweiz. Er hat mir mitgeteilt, daß seine Regierung über die Lage in Saudiarabien sehr beunruhigt ist. Wie Sie wissen, haben die Vereinigten Staaten erst vor kurzem äußerst günstige Verträge mit dem Regime in Riyadh abgeschlossen - Verträge über Öllieferungen und die Rezyklie rung saudiarabischer Petrodollar. Beide erscheinen jetzt ge fährdet.« »Haben die Saudis die Öllieferungen eingestellt?« wollte der Premierminister wissen. »Das ist mir nicht bekannt«, antwortete der Schah. Es würde sich ja noch feststellen lassen. »Aber Sie wissen, wie es um die saudiarabischen Einlagen bei den amerikanischen Banken steht.« »Ja«, antwortete der Finanzminister. »Das neue Regime in Riyadh hat ihnen den Geldhahn abge dreht. Mit dem Ölhahn wird es nicht viel anders gehen.« »Und was hat Ihnen der amerikanische Botschafter zu verste hen gegeben?« »Sie werden eingreifen. Natürlich. Soviel ich weiß, ist die Siebte Flotte bereits unterwegs.« »Die Siebte Flotte?« »Ja. Gegenwärtig kreuzt sie vor Formosa.« »Das ist weit.« »Richtig. Und darum zweifle ich nicht daran, daß den Ameri kanern nichts anderes übrigbleiben wird, als ihre NATOStreitkräfte gegen die Saudis aktiv zu machen. Und damit viel leicht auch die übrigen Araber, denn ich bin überzeugt, daß weder Khadafi noch Boumedienne, noch die Irakis, noch die Syrer die Besetzung auch nur einer Fußbreite arabischen Bo dens durch die Amerikaner hinnehmen würden.« »Aber damit…« »Genau«, fiel der Schah ihm ins Wort. »Damit wäre das Schicksal Europas mit dem Amerikas verbunden. Wenn der Luftstützpunkt in Frankfurt oder die Flottenbasis in Neapel
aktiv gemacht werden, sind Sie erledigt. So oder so. Wenn die Amerikaner den Golf besetzen, können sie Europa ausbluten. Wenn nicht, werden die Araber euch alle unter Druck setzen.« »Und was ist mit den Israelis?« »Vergessen Sie die Israelis«, antwortete der Schah mit einer ungeduldigen Handbewegung. »In dieser Auseinandersetzung sind sie genauso wichtig wie Liechtenstein. Die Frage ist: Wie wir auf die Amerikaner reagieren sollen.« »Und was schlagen Sie vor?« fragte der Premierminister. »Daß wir - Europa und der Iran - uns von den Machenschaften der Amerikaner distanzieren. Jede Intervention von europäi schen Stützpunkten aus unmöglich machen - unter allen Um ständen. Sie haben es ja am eigenen Leib erfahren, wie Europa 1973 für den amerikanisch-israelischen Krieg gegen die Ara ber bezahlen mußte. Der Preis, den Sie 1982 bezahlen müßten, könnte lebensbedrohend sein.« »Aber sind Sie sicher, daß die neuen Männer in Riyadh eine solche Krise heraufzubeschwören beabsichtigen?« »Ich bin ganz sicher. Und ich bin überzeugt, daß die Irakis sie mit einem Angriff auf den Iran eskalieren werden. Sie warten ja schon seit Jahren auf eine solche Gelegenheit.« »Aber das verstehe ich nicht«, wandte der Premierminister ein. »Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Irak und den Ereignissen in Riyadh?« »Sehen Sie, Sie kennen den Nahen Osten - aber nicht so wie ich. Sobald die Pläne der Amerikaner offenkundig sind, wer den die Irakis unter dem Vorwand angreifen, wir wären Ver bündete der Vereinigten Staaten. Das ist natürlich Unsinn. Aber das werden sie behaupten.« »Und was gedenken Sie zu tun?« »Völlig neutral bleiben. Unser natürlicher Verbündeter ist Europa, nicht Amerika. Unser heutiges Gespräch sollte alle diesbezüglichen Zweifel beseitigt haben. Wir wenden uns an Frankreich und seine Freunde in Europa, um unseren Bedarf industrieller, finanzieller und militärischer Natur - zu decken. Als Gegenleistung garantieren wir Ihnen Ihre Energieversor
gung.« »Aber wenn die Irakis angreifen?« »Unsere Antwort wird maßvoll und begrenzt sein. Ich wieder hole: maßvoll und begrenzt. In diesem Zusammenhang wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Ihren Einfluß geltend machen würden, um die Ölfelder und Raffinerien im südlichen Iran vor Schaden zu bewahren. Schließlich könnte es ja sein, daß dieses Öl in Kürze nicht nur unser, sondern auch Ihr Herzblut dar stellt.« »Würden Sie uns bitte auf ein paar Minuten allein lassen?« sagte der Premierminister. »Selbstverständlich.« Der Schah bedeutete seinen Offizieren, den Raum zu verlassen. Er folgte ihnen. »Spricht er die Wahrheit?« war die erste Frage, die der Pre mierminister dem vertrautesten seiner Kabinettsmitglieder stellte. »Ich kann das nur aus meiner Perspektive beurteilen«, erwi derte der Finanzminister. »Und alles, was in den letzten 48 Stunden geschehen ist, scheint darauf hinzudeuten. Nach unse ren Schätzungen sind in dieser Zeit acht Milliarden Dollar aus den Vereinigten Staaten nach Europa zurückgeflossen. Alles saudiarabische Gelder. Die Clique um Fahd und Yamani ist zweifellos ausgeschaltet. Höchstwahrscheinlich tot, wie er sagte.« »Ja, ja. Wie hoch ist der Betrag, den wir gegenwärtig bei der Regierung der Vereinigten Staaten liegen haben?« »Rund vier Milliarden Dollar. In amerikanischen Schatzan weisungen.« »Wenn die Annahmen des Schahs sich als richtig erweisen, und wenn es uns mit Hilfe unserer deutschen und italienischen Freunde gelingt, die Amerikaner an der Verwendung unserer Stützpunkte zu hindern und so eine militärische Verwicklung Europas in diese Auseinandersetzung auszuschließen, könnte es dann unter Umständen zu einer Sequestrierung kommen?« »Wenn der Geldabfluß noch weiter zunimmt, ist den Ameri kanern alles zuzutrauen.«
»Verkaufen Sie, Fouquet.« »Jetzt?« Ungläubig. »Jetzt gleich«, lautete die Antwort. Finanzminister Fouquet verließ das Chalet und trabte zum Hotel hinüber, wo er ein Zimmer mit Telefonanschluß ver langte und erhielt. Zehn Minuten später kehrte er in das Wohnzimmer des Schahs zurück. Nach einer kleinen Weile erschien auch der Schah, einen neuen Stoß Dokumente in der Hand. Er legte den zwei Franzosen Abschriften vor. »Das sind prin zipielle Willenserklärungen zu den zur Diskussion stehenden Ölverträgen zwischen unseren beiden Ländern, wie auch zur Finanzierung der Anzahlung unserer Waffenkäufe in der Höhe von zweieinhalb Milliarden Dollar. Wir haben uns übrigens gedacht, daß es leichter sein würde, diese Kredite bei europäi schen Banken zu plazieren, wenn auch die französische Regie rung bereit wäre, sie zu garantieren. Wir haben einen entspre chenden Passus gleich eingefügt.« Der Premierminister sah seinen Finanzminister an. Fouquet zuckte nur die Achseln. Dann begannen beide zu lesen. »Im Prinzip dürfte das wohl akzeptabel sein«, sagte der Pre mierminister. »Wir wären bereit, diese Vertragsgrundlagen zu paraphieren. Für die endgültige Unterschrift bedarf es noch der Klärung einiger Einzelheiten, aber dazu brauchen wir mehr Zeit.« »Nun, dann…«, setzte der Schah an. »Es wäre natürlich angebracht, wenn Sie als erster jene Ver träge unterzeichneten, die sich auf den Waffenkauf beziehen.« »Aber selbstverständlich. Ich nehme an, es wird Ihnen mög lich sein, das Abkommen dahingehend zu ergänzen, daß Ihre Regierung sich mit der sofortigen Überlassung der ersten Lie ferungen aus Regierungsbeständen einverstanden erklärt.« »Gewiß.« General Khatami wurde ins Hotel zurückgeschickt, um die Herren von Dassault-Breguet zu holen. Dann setzten sich alle nieder, um die Vertragsentwürfe noch einmal zu lesen, auszu
bessern, noch einmal zu überprüfen und schließlich, einer nach dem anderen, zu paraphieren oder zu unterschreiben. Die Franzosen verabschiedeten sich um neun Uhr abends. Es war die längste Kolonne von schwarzen Citroens, die St. Moritz je gesehen hatte. Wieder einmal hatte sich der Nachrichtendienst meines Bank filialleiters als fehlerhaft erwiesen. Nach seinen Angaben hatte sich der Kanzler der Bundesrepublik einige Stunden nach dem Eintreffen der Franzosen in die Besprechungen eingeschaltet. Dem war nicht so. Der Kanzler befand sich tatsächlich zu die ser Zeit in St. Moritz. Er machte dort Urlaub. In Gesellschaft einer dreiundzwanzigjährigen japanischen Masseuse, die er aus Deutschland mitgebracht hatte. Sie hatten sich in ein klei nes Chalet in der Umgebung von St. Moritz zurückgezogen, knapp eine Meile vom Suvretta die Straße hinauf. Beide waren erschöpft - nicht vom Schifahren, denn weder sie noch er wa ren auch nur in die Nähe der Hänge gekommen. Nein, der Kanzler hatte die gewaltigen Spannungen abgebaut, die einen Regierungschef naturgemäß belasten. Die kleine Orientalin hatte ihn bei diesem Vorhaben unterstützt, was ihr bei dem schon ältlichen und etwas verlebten Staatsmann nicht immer leicht gefallen war. Also hatten es beide an der Zeit gefunden, sich ein wenig zu zerstreuen. Sie beschlossen, das Risiko auf sich zu nehmen, ins Suvretta-Hotel hinunterzugehen und sich dort an der Bar ein paar Drinks zu genehmigen. Natürlich wurden sie zusammen gesehen. Aber die Vorwürfe, die man später gegen den Kanzler erhob, waren völlig ungerechtfertigt. Es war nicht der Schah, der ihm, als Gegenleistung für eine kleine politische Gefälligkeit, dieses japanische Flittchen zu geführt hatte. Nein, es war nur einer dieser unglücklichen Zu fälle. Die Franzosen waren es, die später die Deutschen dazu überredeten, die Amerikaner aufs Kreuz zu legen. Die Japane rin hatte nichts damit zu tun. Gegen halb zehn Uhr abends war alles ruhig im Suvretta-Haus und auch im Chalet des Schahs. Kaiserin Farah Diba kam zu dieser Zeit aus ihren Gemächern, aber mit einer ungeduldigen
Handbewegung schickte der Schah sie wieder zurück.
»Khatami«, sagte er, »holen Sie mir diese Bänder.«
Auf den Bändern war natürlich das Gespräch zwischen den
beiden französischen Staatsmännern gespeichert, das sie in der
Zeit geführt hatten, als die Iraner das mit einer Abhörvorrich
tung versehene Wohnzimmer verlassen hatten.
Khatami holte die Bänder und spielte sie auf einem einfachen
Sony-Gerät ab, das einem der Kinder des Schahs gehörte. Der
Schah hörte eine oder zwei Minuten lang zu und sagte dann:
»Stoppen Sie da.«
Khatami stoppte.
»Jetzt lassen Sie’s ein bißchen zurücklaufen.«
Dann spielte das Gerät ab: »… könnte es da unter Umständen
zu einer Sequestrierung kommen?«
»Wenn der Geldabfluß noch weiter zunimmt«, hörten sie die
Stimme von Monsieur Fouquet, dem französischen Finanzmi
nister, »ist den Amerikanern alles zuzutrauen.«
»Verkaufen Sie, Fouquet«, lautete die Antwort des französi
schen Premierministers.
»Stopp«, wies der Schah Khatami an. Der stoppte das Gerät.
»Worüber haben Sie geredet?« fragte er seinen General.
»Über Geld«, antwortete Khatami.
»Natürlich, Sie Idiot. Aber was ist mit >Sequestrierung< ge
meint?«
Khatami hatte keine Ahnung. Er wußte nicht einmal, was das
Wort bedeutete. Auch der Schah wußte es nicht. Er schickte
Khatami nach einem Wörterbuch. Im Chalet gab es keines. Er
schickte Khatami zum Hotel hinüber. Dort gab es auch keines.
»Sequestrierung?« murmelte der Schah immer wieder vor sich
hin.
Aber Khatami interessierte sich nicht für kleine finanzielle
Rätsel. Sein Krieg war jetzt abrufbereit. Und über den wichtig
sten Aspekt war noch kein Entschluß gefaßt worden. »Eure
Majestät«, sagte er, »ich muß morgen in den Iran zurückkeh
ren.«
»Ja«, antwortete der Schah, »das weiß ich.«
»Aber die Frage der… Kernwaffen ist noch nicht entschie
den.« Nur zögernd wagte er sich an das Thema heran, denn
ihm war befohlen worden, niemals - niemals - auf fremdem
Boden über solche Dinge zu sprechen.
»Ich habe Ihnen doch befohlen, Khatami«, kam die erwartete
scharfe Antwort, »niemals…«
»Aber ich muß es wissen. Wie viele Phantoms rüsten wir mit
Bombenabwurfvorrichtungen aus?«
»Eine.«
»Nur eine?«
»Nur eine. Wir brauchen nur eine. Wir werden diese Bombe
über der Wüste abwerfen - nur zu Demonstrationszwecken.
Dazu brauchen wir nur ein Flugzeug mit einer Atombombe.«
»Aber Eure Majestät…«
»Das ist alles, Khatami.«
Ein sehr enttäuschter General wurde in sein Quartier im Süd
flügel des Chalets zurückgeschickt.
»Sequestrierung?« grübelte der Schah vor dem Kaminfeuer,
nachdem Khatami sich zurückgezogen hatte.
Er griff zum Telefon und rief die Zentrale des Hotels. »Ver
binden Sie mich mit Mr. Khamesi.« Einige Herren seines Ge
folges waren dort untergebracht.
»Eure Majestät wünschen?«
»Was bedeutet >Sequestrierung«
»Ich glaube, es heißt Zwangsverwaltung, Beschlagnahme,
Konfiskation oder so etwas ähnliches.«
»Beschlagnahme?«
»Ja. Soviel ich weiß, wird das Wort vornehmlich im finanziel
len Bereich gebraucht. Ich bin auf diesem Gebiet leider nicht
bewandert, Eure Majestät. Es tut mir sehr leid, aber…«
»Schon gut, Khamesi. Sagen Sie, haben Sie die Telefonnum
mer von diesem amerikanischen Bankier?«
»Amerikanischen…?«
»Hitchcock.«
»Ja, Sir.«
»Geben Sie sie mir.« Er bekam sie und legte auf, ohne noch
ein weiteres Wort an Khamesi zu richten. Dann wählte er. Nachdem mein schweizerischer Bankfreund die Bar im Palace verlassen hatte, gingen Ursula und ich allein zum Dinner in den Speisesaal. Wie immer war alles in Ordnung, aber weder Ursula noch ich hatten großen Appetit. Um neun waren wir wieder im Chalet, und wieder läutete das Telefon. Es war Herr Meier vom Schweizerischen Bankverein. »Ich möchte mich noch einmal entschuldigen, Dr. Hitchcock. Ich verstehe vollkommen, daß Sie vor einigen Stunden so verstimmt waren, und…« »Vergessen Sie es, Meier. Ich bin es, der sich entschuldigen muß. Betrachten wir beide die Sache als erledigt.« »Ich bin Ihnen sehr verbunden, Herr Doktor. Es gibt da übri gens etwas, das Sie wissen müßten.« »Ja?« »In New York ist der Teufel los. Oder war es noch vor einer Stunde bei Börsenabschluß.« »Was ist geschehen?« »Jemand hat angefangen, riesige Mengen Schatzanweisungen der amerikanischen Regierung auf den Markt zu werfen. Es ist unglaublich, wie sie in den letzten zwei Börsenstunden gefal len sind. Und der Dollar!. In zwei Stunden ist er heute Nach mittag um weitere zwei Prozent gefallen. Am stärksten ist er gegen den französischen Franc gefallen. Und ich sage Ihnen noch etwas. Wir steigen auch aus. Ich hoffe, das löst unser Problem.« Er wollte schon auflegen. »Augenblick, Werner. Was heißt das - Sie steigen aus?« »Wir raten unseren schweizerischen Kunden, ihren Aktienbe sitz in den Vereinigten Staaten zu liquidieren.« »Aber das ist doch Wahnsinn! Es hat sich noch nie gelohnt, in einer Panik zu liquidieren. Sobald der Nahe Osten zur Ruhe kommt, werden die Kurse wieder den Stand erreichen, den sie vor einigen Tagen hatten.« »Vielleicht. Aber wir fürchten, daß sich ein tiefgreifenderes Problem einstellen könnte. Wir haben noch nicht vergessen,
was Ihr Land uns 1941 angetan hat. Wir können es uns nicht
leisten, so etwas noch einmal zu riskieren.«
»Ich verstehe.« Und dann, bedrückt: »Danke, Werner.«
Wir legten beide auf.
Ursula sah mein Gesicht. »Was ist passiert?« fragte sie.
»Das Gedächtnis der Schweizer reicht zu weit zurück. Und die
Vereinigten Staaten haben sich in die Enge treiben lassen. Und
es gibt nichts, was man dagegen tun könnte. Vielleicht haben
die Schweizer die richtige Einstellung.«
»Geht es um Geld?« fragte sie.
»Natürlich.«
Sie war erleichtert. Es war nur Geld. Es hatte nichts mit ihrem
Vater zu tun. Sie holte sich ein Buch. Ich holte mir ein Bier.
Und dachte nach. Es war wie 1914. Jeder mit jedem auf Kolli
sionskurs, und keiner wußte genau, warum und wie es ange
fangen hatte.
Um zehn läutete abermals das Telefon. Ursula hob ab. Einige
Sekunden später, das Gesicht kreideweiß und ohne ein Wort
zu sagen, reichte sie mir den Hörer.
»Dr. Hitchcock, hier spricht Pahlavi. Es tut mir leid, Sie um
diese Stunde zu stören. Aber ich wäre Ihnen äußerst dankbar,
wenn Sie auf einen Drink und einen kleinen Plausch vorbei
kommen könnten.«
»Jetzt?«
»Ja. Wie ich schon sagte, ich bedaure es zutiefst, wenn ich
Ihnen damit Unannehmlichkeiten bereiten sollte. Aber mir
geht etwas im Kopf herum. Und bitte, bringen Sie unbedingt
Fräulein Hartmann mit. Ich bestehe darauf.« Und er legte auf.
»Ist das zu glauben?«
Sie blieb stumm.
»Na schön, laß uns herausfinden, was in seinem arischen Kopf
herumgeht. Holen wir unsere Mäntel und Stiefel. Es ist schon
zu spät, um den Schlitten kommen zu lassen.«
»O nein. Ich nicht.«
»Ursula! Sei nicht dumm. Du kannst deinem Vater nicht hel
fen, indem du den Kopf in den… Schnee steckst. Komm.«
»Nein!« Aber sie kam.
Es war ein Weg von einer halben Stunde. Der Mond war voll,
es war nicht sehr kalt; unter anderen Umständen wäre es ein
wunderschöner Abendspaziergang in den Alpen gewesen.
Aber die Umstände waren nicht danach. Das einzige Ge
räusch, das wir machten, kam von unseren Stiefeln, die im
Schnee knirschten.
Die Sicherheitsbeamten waren offenbar informiert. Sie ver
langten unsere Ausweise, gaben sich aber sofort zufrieden, als
ich ihnen meinen Paß zeigte - den ich immer, selbst in Sport
kleidung, bei mir trug.
Der Schah - er schien allein zu sein - kam persönlich zur Tür
und bemühte sich um Ursula, bis sie in einem großen Lehnses
sel vor dem Feuer Platz genommen hatte. Ihre fest zusammen
gepreßten Lippen zeugten von dem seelischen Tief, in dem sie
sich befand. Aber das war auch schon alles.
»Nun«, sagte der Schah, »was wollen wir trinken?«
»Ich hätte gern einen heißen Grog. Mit Rum«, antwortete Ur
sula. Sie wollte sich also benehmen.
»Für mich das gleiche.«
»Gut. Meine Dienerschaft ist schon gegangen. Ich fürchte, Sie
werden sich ein paar Minuten gedulden müssen. Aber nur
ganz wenige. Ich werde die Getränke vom Hotel herüberschik
ken lassen.« Er ging ans Telefon und gab die Bestellung auf.
»Nun, Dr. Hitchcock«, begann er.
»Nennen Sie mich Bill.«
»Gewiß. Und Ihr Name ist Ursula, nicht wahr, mein liebes
Fräulein?« wandte er sich an meinen Hausgast.
»Ja«, antwortete sie.
»Sie haben eine wunderbare Farbe, Ursula. Sie sehen reizend
aus, wenn ich das sagen darf.«
»Meine Haut bräunt sich schnell.«
»Ja. Meine auch. Also, Doktor - Bill, ich wäre Ihnen dankbar,
wenn Sie mir etwas erklären könnten. Was geht jetzt auf den
Finanzmärkten vor? Ich habe von dramatischen Geschehnissen
gehört.«
Ich erklärte es ihm. Die Saudis waren vor kurzem mit riesigen
Summen kurzfristiger Gelder nach New York gekommen.
Jetzt zogen sie sie wieder ab. Als sie gekommen waren, hatte
das zu einem Ansteigen des Dollar und der Kurse geführt.
Durch den Abzug der Gelder fielen der Dollar und die Kurse.
Ganz einfach.
»Aber kennen Sie die Gründe für diese plötzliche Sinnesände
rung? Ich dachte, Sie wären der oberste Finanzberater der
Saudis?«
Ein Schlag unter die Gürtellinie, aber…
»Ich war es. Vielleicht bin ich es noch. Es ist nämlich so, daß
ich schon seit fünf Tagen nicht um Rat gefragt werde. Sie wis
sen ja sicher, daß es unmöglich ist, eine Verbindung mit Riy
adh zu bekommen. Daher…«
»Ja, ich verstehe Ihre Lage. Also, Bill, ich weiß, was unten
vorgeht. Und ich will es Ihnen sagen.«
Er sagte es mir. Fahd, Yamani etc. waren tot. Abdullah war
der neue Herr im Haus.
»Dann habe ich offenbar meinen Job verloren.«
»Das würde ich auch sagen«, bemerkte er trocken. »Aber ich
darf wohl annehmen, daß Sie nicht darauf angewiesen sind.«
Kein Kommentar.
»Doch es sind ja nicht nur die Saudis, nicht wahr?« fuhr er
fort.
»Was meinen Sie?«
»Ich meine, daß anscheinend auch andere Leute ihr Geld aus
Amerika abziehen.«
»Damit mögen Sie recht haben. Sie wissen ja, wie das ist.
Wenn irgendwo eine Bewegung entsteht, wollen alle mit dabei
sein. Wenigstens für eine Weile.«
»An wen denken Sie da im besonderen?«
»Vielleicht an die Franzosen.«
»Ja, das habe ich gehört. Und sogar die Schweizer.« Er ließ
seine Worte wirken. Der Kerl war mir in allem so weit voraus.
Ich beschloß, stillzuhalten. »Was könnte die Schweizer dazu
bewegen?« fragte er.
»Es sind sehr vorsichtige Leute. Wenn internationale Verwick
lungen drohen, vertrauen sie keinem. Nicht einmal den Ame
rikanern.«
»Aber warum? Hat es etwas mit… Sequestrierung zu tun?«
Ich war überrascht. Bei mir setzt man solche Kenntnisse vor
aus. Aber der Schah von Persien?
»Ja. Muß wohl damit zu tun haben. Ja«, antwortete ich.
»Würden Sie mir das erklären?«
»Es geht auf die Ereignisse des Jahres 1941 zurück. Auf den
14. Juni jenes Jahres, um genau zu sein.« Ich spielte mich auf. Und warum auch nicht? In dieser Materie war ich zu Hause. Meine Dissertation hatte den Titel »Sequestrierung: Ihre An wendung und Wirkung im Zweiten Weltkrieg« gehabt. Man muß auf jedem Gebiet, Weltwirtschaft eingeschlossen, fleißig suchen, um ein Dissertationsthema zu finden. Ich hatte gesucht und dieses gefunden. »Und?« bohrte Pahlavi weiter. »Na ja, an diesem Tag wurde die amerikanische Durchfüh rungsverordnung 8785 für die Schweiz in Kraft gesetzt. Ei gentlich für ganz Europa.« »Warum gerade am 14. Juni 1941?« »Ich weiß es nicht, aber ich kann es mir vorstellen. Ursprüng lich wurde die Durchführungsverordnung im April 1940 erlas sen - zwei Tage nach der Besetzung Dänemarks und Norwe gens durch die Deutschen. Aber sie wurde nur in Ländern angewendet, die von den Nazis besetzt waren. Mitte Juni fol genden Jahres hatte Roosevelt Grund zu der Annahme, daß auch das restliche Europa das gleiche Schicksal würde er leiden müssen. Und Sie werden sich vielleicht erinnern: acht Tage später, am 22. Juni 1941, griffen die Deutschen die So wjetunion an.« »Ich möchte Sie nicht unterbrechen, aber woher wissen Sie das alles so genau?« Ich sagte es ihm. »Also gut«, sagte der Schah - aus irgendeinem Grund überaus zufrieden mit sich selbst - »und was hat - besser gesagt, hatte
es mit dieser Durchführungsverordnung für eine Bewandtnis?«
»Nun, die Vereinigten Staaten sequestrierten - konfiszierten,
beschlagnahmten, requirierten - nennen Sie es, wie Sie wollen,
an diesem Tag die gesamten Vermögenswerte der Länder Eu
ropas. Mit Ausnahme Englands natürlich.«
»Sie haben sie tatsächlich beschlagnahmt? Sie meinen, die
schweizerischen Banken konnten ihr Geld nicht aus Amerika
zurückbekommen?« Er war ganz aufgeregt. Und ich hatte
geglaubt, daß er das alles wisse.
»Genau.«
Aber damit gab er sich noch nicht zufrieden. »Augenblick.
Nehmen wir an, eine schweizerische Bank hätte Aktien ge
habt.
Sagen wir General Motors. Und wollte sie verkaufen. Sie mei
nen nun, daß sie das unter dieser Durchführungsverordnung
nicht tun konnte?«
»Nein, das habe ich nicht gesagt. Natürlich konnte sie verkau
fen. Aber der Erlös hätte in New York bleiben müssen. Für die
Dauer des Krieges war er blockiert.«
»Was heißt das, für die Dauer des Krieges? Im Juni 1941 be
fanden sich die Vereinigten Staaten nicht im Kriegszustand.
Weder mit Deutschland noch mit Japan noch mit sonst jeman
dem.« Kein Dummkopf, unser Schah.
»Ja. Sie haben recht.«
Er schüttelte den Kopf. »Aber mit welcher Begründung konnte
die amerikanische Regierung den Schweizern das antun?«
»Es ging ja nicht nur die Schweiz an«, antwortete ich. »Es
ging alle an: die Belgier, die Franzosen, die Norweger, die
Schweden. Alle.«
»Aber wie rechtfertigten sie ihr Vorgehen?«
»Ich kann Ihnen die Gründe praktisch auswendig hersagen.«
»Bitte.«
»Okay: >Um die Liquidierung von unter Zwang oder durch
Unterwerfung erworbener Vermögenswerte in den Vereinigten
Staaten zu verhindern und um den Gebrauch finanzieller Ein
richtungen in den Vereinigten Staaten auf eine Weise zu ver
hindern, die der Landesverteidigung und anderen amerikani schen Interessen zum Nachteil gereichen könnte und um jegli cher subversiven Tätigkeit in den Vereinigten Staaten den Boden zu entziehen< Reicht das?« »Unglaublich!« rief der Schah. »Ja, wirklich. Wenn man in Betracht zieht, daß die Vereinig ten Staaten zu dieser Zeit völlig neutral waren«, stimmte ich ihm zu. »Aber ein Punkt ist mir noch unklar. Sie sagten, diese Verord nung galt für alle Länder Europas und ihre Banken, einschließ lich der Schweiz.« »Ja.« Schon ein wenig überdrüssig. »Aber wie Sie wissen, bedienen sich viele Leute außerhalb Europas schweizerischer Banken, um für sie in den Vereinig ten Staaten zu investieren.« »Selbstverständlich.« »Das heißt, daß die wirklichen Eigentümer, die Treugeber keine Schweizer und auch keine Europäer waren. Die schwei zerischen Banken agierten für einen Einleger aus Brasilien oder aus Mexiko.« »Ja.« »Solche Vermögenswerte aber wurden von den Amerikanern gewiß nicht beschlagnahmt?« »O doch. Und wurden erst 1949 wieder freigegeben. Acht Jahre später.« »Mein Gott!« rief der Schah. »Jetzt verstehe ich.« Damals begriff ich noch nicht ganz, was er jetzt verstand. Das kam erst später. »Wollen wir den Gedanken doch einmal ausspinnen. Nehmen wir an, irgendwo begänne ein Krieg. Sagen wir im Nahen Osten. Und sagen wir, die Vereinigten Staaten wären, zumin dest am Anfang, nicht daran beteiligt.« »Ja.« »Könnten sie unter dieser alten Durchführungsverordnung die Vermögenswerte aller Länder im Nahen Osten beschlagnah men?«
»Ich nehme an, ja.«
»Und auch der europäischen Länder?«
»Damit würden sie wohl etwas zu weit gehen. Aber im Juni
1941 ging Washington ja auch ziemlich weit, finden Sie
nicht?«
»Ja, ja.« Er war ganz meiner Meinung.
»Warum stellen Sie so eine Frage?« ließ Ursula sich plötzlich
vernehmen.
»Wir reden von Geschäften, meine Liebe«, antwortete er.
»Ich weiß sehr gut, worüber Sie reden!« gab sie heftig zurück.
»Wie ich eben sagte, Bill…« setzte er an und kehrte Ursula
den Rücken.
»Sie wollen einen Krieg anfangen, nicht wahr?« schrie Ursula.
»Und Sie haben Angst um das viele gestohlene Geld, das Sie
in schweizerischen Banken liegen haben, nicht wahr?«
»Ursula«, sagte ich, »beruhige dich.«
»Ich will mich nicht beruhigen.« Sie funkelte den Schah an
wie eine schweizerische Tigerkatze. »Sie haben meinen Vater
in Ihr schmutziges Geschäft hineingezogen, nicht wahr? Mit
Ihrer verrückten Idee, sich Atomwaffen zuzulegen. Und jetzt
sitzen Sie da und sorgen sich um nichts anderes als Ihr Geld.«
Mann, O Mann!
»Ich glaube«, sagte Pahlavi, »es ist an der Zeit, daß Sie gehen,
Dr. Hitchcock, und diese Jüdin mitnehmen.« Und zu Ursula:
»Ich kenne Ihren Typ. Ihr Juden seid alle gleich. Unruhestifter.
Aber nicht mehr sehr lange.« Er erhob sich.
»Sie sind wahnsinnig«, fuhr Ursula ihn an. »Sie sind nur ein
einfältiger Bauer, der verrückt geworden ist, weil jemand so
dumm war, aus einem dreckigen persischen Bauern einen
Schah zu machen!«
»Hinaus!« brüllte Pahlavi.
»Und Sie haben sogar Angst vor den Worten einer Jüdin«,
fuhr sie fort. »Sie sind nicht nur ein wahnsinniger Bauer, Sie
sind auch ein Feigling.« Und, ich schwöre bei Gott, sie spuck
te ihn an.
Wir gingen. Die heißen Grogs waren noch nicht gekommen.
In den zwei folgenden Minuten tat der Schah etwas, das letzt endlich unser aller Leben berührte - Ursulas Leben vielleicht mehr als das vieler anderer. »Khatami!« belferte er, nachdem sich die Tür hinter uns ge schlossen hatte. »Khatami!« Die Pistole in der Hand, kam der General ins Zimmer gestürzt. »Stecken Sie das weg, Sie Narr«, sagte der Schah. Dann: »Ich befehle Ihnen, mit diesen Bombenabwurfvorrichtungen weiter zu machen.« »Was?« »Hören Sie zu, wenn ich mit Ihnen rede. Ich habe gesagt, Sie sollen sechs Phantoms mit Atombombenabwurfvorrichtungen ausrüsten. Haben Sie mich verstanden? Das hat als erstes - als allererstes - zu geschehen, sobald wir in den Iran zurückge kehrt sind. Und wir kehren morgen zurück. Wir alle. Informie ren Sie die Kaiserin. Bereiten Sie alles vor. Wir fahren um neun.« Wir brauchten fast eine ganze Stunde, um vom Suvretta-Haus zu unserem Chalet auf dem Chantarella-Plateau zu gelangen. Ursula verhielt sich die ganze Zeit über schweigsam. Sie ging sogleich zu Bett. Ich blieb auf. Ich hatte noch einige Anrufe zu erledigen. Zuerst rief ich Randolph Aldrich in New York an. Er war noch in seiner Bank. Drüben war es vier Uhr nachmittags. Ich erklärte ihm, was uns bevorstand. Das Geld der Saudis war schon nicht mehr das große Problem. Damit konnte man fertig werden. Ich befürchtete eine generelle Ab wanderung europäischen Kapitals von den Finanzmärkten der Vereinigten Staaten. Dieses Kapital belief sich auf über hun dert Milliarden Dollar. Aldrich wollte mir das nicht abnehmen. Ich kam auf die Sequestrierungstheorien zu sprechen, die scheinbar schon allerorten diskutiert wurden. Ich sagte ihm, daß man Washington veranlassen müßte, auf ein paar Tage die Rollläden herunterzulassen. Bis sich die Lage im Nahen Osten geklärt hatte. Seine Antwort: »Vergessen wir nicht, daß wir es waren, die die Leute in dieses Schlamassel mit den Saudis hineingetrie
ben haben. Heute hört doch keiner mehr auf uns. Legen Sie
sich nieder und versuchen Sie zu schlafen. Wir kommen schon
irgendwie durch. Wir sind immer noch durchgekommen.«
Ich legte mich nicht nieder und versuchte nicht zu schlafen. Es
war schon Mitternacht, aber es gelang mir, die Privatnummer
des amerikanischen Botschafters in Bern zu erhalten und die
Person, die sich am Telefon meldete, dazu zu bewegen, Sin
clair aus dem Bett zu holen. Wir waren uns nie begegnet, aber
er mußte wissen, wer ich war.
»Es tut mir unendlich leid, Sie um diese Stunde belästigen zu
müssen«, begann ich, »aber ich habe Informationen, die für
unsere Regierung von größter Wichtigkeit sind.«
»Ja?«
»Es steht für mich fest, daß der Iran einen Angriff auf seine
Nachbarn am Persischen Golf plant.«
»Kann sein«, sagte er. »Wie kommen Sie darauf?«
»Ich habe eben mit dem Schah gesprochen.«
»Tja. Viele Leute haben heute mit ihm gesprochen.«
»Aber der springende Punkt ist der: Ich weiß - hören Sie? - ich
weiß, daß der Iran Atomwaffen besitzt und der Schah beab
sichtigt, sie einzusetzen.«
»Das hat er Ihnen wohl selbst gesagt?«
»Natürlich nicht. Aber ich habe absolute Beweise aus anderen
Quellen.«
»Sind Sie im Nachrichtengeschäft, Mr. Hitchcock?«
»Um Himmels willen, nein. Ich weiß es, weil mir zufällig
bekannt ist, wer diese Waffen für den Schah entwickelt hat,
wo und womit sie gebaut werden. Alles.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Von der Tochter des schweizerischen Wissenschaftlers, der
daran beteiligt ist.«
»Schweizer? Ich bitte Sie, Mr. Hitchcock.«
»Hören Sie, ich…«
»Mr. Hitchcock, ich fürchte, unser Gespräch ist schon weit
genug gegangen. Wenn Sie mir mehr darüber erzählen wollen,
schreiben Sie es auf, stecken Sie es in einen Umschlag und
schicken Sie es mir. Ich werde gern veranlassen, daß einer meiner Leute der Sache nachgeht.« Damit brach die Verbin dung ab. Während dieses Gesprächs war Ursula aus dem Schlafzimmer gekommen. Sie sah mich an, als ich von dem toten Telefon aufblickte. »Du hast es versucht, Bill. Danke dir. Geh jetzt zu Bett. Du siehst sehr müde aus.« »Und du?« »Ich kann nicht schlafen.« »Über eines mußt du dir klar sein, Ursula. Wenn dein Vater beziehungsweise die Schweiz - dem Schah nicht geholfen hätte, hätte es ein anderer getan. Ein anderer Schweizer oder ein Franzose. Irgend jemand.« »Das weiß ich, Bill.« »Wir können beide nichts mehr tun. Ich fürchte, er hat uns alle geschlagen. Und wir werden eben damit leben müssen.« »Geh schlafen, Bill.« »Okay, ich gehe. Aber eines möchte ich dir noch sagen, Ursu la. Es ist nicht viel. Aber ich weiß von einem Kerl da unten in seinem Chalet, der nach dem Anschiß, den du ihm verpaßt hast, nicht so schnell ins Bett gehen wird.« Wieder danebengeraten. Denn der Schah wählte die gleiche Methode wie der deutsche Bundeskanzler, um sich von Ge danken zu befreien, die ihm nicht aus dem Kopf wollten. Wie das vermutlich auch einige amerikanische Präsidenten taten. Nichts daran auszusetzen, solange man sich dabei nicht erwi schen läßt. Der Schah hatte es in dieser Lage leicht. Er brauchte sich nicht heimlich davonzuschleichen wie sein deutscher Kollege. Nein. Wenn er im Winter nach St. Moritz kam, brachte er eine An zahl von Frauen im Ostflügel des Suvretta-Hauses unter. Und warum auch nicht? Es entsprach ja keineswegs nur einer mo dernen Tradition. Das alte Testament ist voll von Kaisern und Königen, die das gleiche taten. Salomon, David, Ahasverus, um nur einige wenige zu nennen. Und der Schah hielt sehr viel
von Tradition - von der Verpflichtung zur Tradition. Ein wenig unheimlich war nur, wen er sich just für diese Nacht ausgesucht hatte. Sie erwartete ihn - im Zimmer 316, nur we nige Türen von Mr. Khamesi entfernt, der als inoffizieller Haremswächter fungierte. Es war Trudi Schneider. Erinnern wir uns an sie? Das Hotel Adler in Baden, Zimmer 24, an Freitagabenden nach der Ar beit zwischen sechs und acht? Natürlich. An einem Mittwoch im November 1981 war sie zum ersten Mal von einem Perser gevögelt worden - von Shadah Tibrizi von der SAVAK. Und er war es gewesen, der sie mit der persischen Stellung vertraut gemacht hatte. Sie gefiel ihr. Sie war ganz verrückt danach. Sie träumte sogar davon. Und so geschah es, daß Trudi, als Tibrizi sie endlich Monate später wieder anrief und ein Ren dezvous in St. Moritz vorschlug, um ein Haar schon am Tele fon gekommen wäre. Es ging alles ganz leicht. Ihr Boß und seine Frau fuhren zur gleichen Zeit nach St. Moritz, um eine Party im gleichen Hotel zu besuchen, in dem sie absteigen sollte. Der gute Dr. Suter vermutete ein Techtelmechtel, wollte aber nichts tun, was seine freitagabendlichen Entspannungs übungen gefährden konnte. Also fuhr sie auf dem Rücksitz des Mercedes mit ihm und seiner Frau mit. Und jetzt blätterte sie in der Illustrierten Sie und Er und wartete auf Tibrizi. Endlich, lange nach zwei, klopfte es an der Tür. Sie öffnete. Und da stand - nicht Tibrizi, sondern der Schahin schah von Persien. »Meine Liebe«, sagte er, während sie nach Luft schnappte, »du bist ja noch reizender, als Shadah dich mir beschrieben hat. Und du bist Schweizerin.« »Aber…« Keine Zeit für ein Aber. Der Schah schloß die Tür und griff nach ihr. Sie wehrte sich. »Was bilden Sie sich eigentlich ein?« schrie sie. Aber schon lag sie auf dem Bett, und schon hatte er ihr das Nachthemd heruntergerissen. Und wenige Sekunden später war er in ihr. Zehn kräftige Stöße. Dann drehte er sie auf den
Bauch. Und nahm sie, nicht in der persischen, sondern in der
griechischen Stellung - nahm sie brutal, denn er war groß und
wütend. Nach einer Minute war alles vorbei.
Der Schah erhob sich, legte eine Tausend-Franken-Note auf
das Bett, zog seinen Reißverschluß zu und ging ohne ein wei
teres Wort.
Vermutlich zur gleichen Zeit - lange nach Mitternacht - er
wachte ich in meinem Schlafzimmer. Ich war allein. Ursulas
Stimme hatte mich geweckt. Sie führte ein Telefongespräch,
offenbar mit ihrem Vater in Persien.
»… und dann nannte er mich eine Jüdin. Wahrscheinlich weiß
er das von den SAVAK-Leuten. Doch dann sagte er - kannst
du mich hören, Vater? - gut. Ja, also dann sagte er: >Ihr Juden
seid alle gleich. Unruhestifter. Aber nicht mehr sehr lange.<
Hast du verstanden, Vater?«
Eine kurze Pause.
»Hast du darüber nachgedacht, was ich dir am Abend vor mei
ner Abreise gesagt habe?«
Wieder eine Pause.
»Hast du eine andere Lösung gefunden?«
Er mußte wohl ja gesagt haben.
»Oh, Gott sei Dank! Und du versprichst es mir?«
Wieder mußte er ja gesagt haben.
»Vater, ich liebe dich. Und Vater, du mußt dich retten. Kannst
du das?«
Eine lange Pause.
»Vater…«
Und dann konnte ich nicht mehr zuhören. Ich legte mir ein
Kissen auf den Kopf. Zehn Minuten später schlüpfte sie neben
mir ins Bett. Ich rührte mich nicht. Ich konnte ihr nicht helfen.
Aber wenigstens hatte sie mit ihm reden können, bevor auch
die Verbindungen mit dem Iran unterbrochen wurden.
Um neun Uhr morgens verließen der Schah, seine liebe Frau
Farah Diba und ihre geliebten Kinder St. Moritz, um nach
Teheran zurückzukehren. Da Ursula und ich beschlossen hat
ten, schon früh auf die Piste zu gehen, und versuchen wollten, alles zu vergessen, sahen wir ihre Autos durch die Stadt fah ren. Schweigend gingen wir weiter. Wir konnten ja nichts mehr tun, außer hoffen, daß »etwas« geschehen und den Lauf der Geschichte ändern würde. Es war wohl das gleiche, was die meisten Menschen im August 1914 oder im Oktober 1929 oder im September 1939 gehofft hatten, als ihre Welt in Stük ke zu gehen begann. Nur schrieben wir jetzt 1982, eine Zeit, in der man es für unmöglich hielt, daß so etwas sich wiederholen könnte. Aber alles wiederholte sich. Drei Tage später, am 19. März 1982, griff der Schah von Persien an.
24 Um halb sieben Uhr früh an jenem Montag im März begann der Vier-Tage-Krieg. Der Astrologe des Schahs hatte das Da tum für günstig befunden, und die Hofgeschichtsschreiber teilten seine Meinung. Ihre Berechnungen, bei denen sie sich des Persischen Kalenders bedienten, ergaben, daß einer der Vorgänger des Schahs auf den Tag genau vor 1756 Jahren die Gründung des Sassanidenreiches bekannt gegeben hatte, eines Reiches, das alle Länder umfaßte, die im Westen, im Norden und Osten an den Persischen Golf grenzten, und mehr als vier Jahrhunderte überdauerte. Die Herrlichkeit des alten Persien wiedererstehen zu lassen, das war das Ziel des Königs der Könige im Jahre 1982. Denn er war 62, und seine Zeit lief ab. Am Abend zuvor war er in seiner Kommandozentrale einge troffen. Sie befand sich in einem Bunker, 20 Meter unter dem Flugplatz in der Umgebung von Khorramshahr. Von diesem Flugplatz aus wurden die ersten Angriffe gestartet - so wie die Israelis es vorexerziert hatten: 100 Phantoms und 50 französi sche F-1, die am Tag zuvor eingeflogen worden waren - die Phantoms mit Phoenix-Raketen, die F-1 mit Matras ausgerü stet -, attackierten am Morgen im Tiefflug die acht irakischen Militärstützpunkte. Dank der beachtlichen Zielgenauigkeit der Luft-Boden-Raketen und dem Können der persischen Piloten, die allesamt von der Luftwaffe der Vereinigten Staaten ge schult worden waren, wurden noch vor Sonnenaufgang 33 der 285 Kampfflugzeuge des Irak am Boden zerstört. Saudiarabi sche Maschinen wurden nicht zerstört, denn es waren keine da. Der vom Schah eine Stunde später angeordnete zweite Luftan griff richtete sich gegen Umm Qasr, die Hafenstadt an der irakisch-kuwaitischen Grenze, wo die Russen einen Flotten stützpunkt für die Irakis gebaut hatten, der die Mündung des Shatt-el-Arab sichern sollte. 120 Northrop F-5 machten die Stadt innerhalb einer Stunde dem Erdboden gleich. Um halb neun wurden bereits iranische Truppen, ein Bataillon nach dem anderen, von Hubschraubern an Land gesetzt. Es lief alles
wie am Schnürchen. »Gut gemacht, Khatami«, sagte der Schah, als Berichte über diesen Erfolg in der Kommandozentrale einzutreffen began nen. Der Bunker selbst war ein Wunderwerk moderner Technolo gie. Er war von Bechtel in San Francisco gebaut und von Raytheon, Westinghouse, Litton Industries und Texas Instru ments mit den besten Fernmeldeeinrichtungen ausgestattet worden. Weder das Pentagon noch das Weiße Haus in Wa shington besaßen Nachrichtengeräte dieser Qualität. Nicht nur war der Bunker auf das vortrefflichste ausgerüstet; er befand sich zehn Meilen von der irakischen Grenze und fünfzehn Meilen nördlich des Persischen Golfs. Für einen Oberbefehls haber vielleicht ein exponierter Platz. Aber der Schah sah sich als einen zweiten Patton, nicht als einen zweiten Eisenhower. Um viertel vor neun war es daher nicht einer seiner Generäle, der den nächsten Befehl erteilte, sondern der Schah persönlich. »Jetzt gehen wir über den Fluß, Khatami.« »Jetzt?« »Jetzt.« Im dritten Luftangriff, dem dieser Befehl zugrunde lag, wur den sowohl Phantoms wie auch Maschinen des Typs F-5 ein gesetzt, und es war der massivste von allen. Er richtete sich gegen die Geschütz- und Raketenstellungen jenseits des Shatt el-Arab gegenüber von Khorramshahr und Abadan. Es wurde viel Napalm verwendet - mit verheerender Wirkung. Die iranische Luftwaffe erwies sich als die perfekteste im gan zen Nahen Osten; in bezug auf Wendigkeit und Kunstfertig keit übertraf sie sogar die Leistungen der Israelis in den frühen 70er Jahren. Als alle drei Angriffsoperationen um elf Uhr vormittags dieses 19. März mit überwältigendem Erfolg abgeschlossen waren,
hielt der Schah die Zeit für sein elegantestes Kriegsspiel für
gekommen.
»Shahandeh«, sagte er, »wir fangen an.«
Minuten später begann, was Militärhistoriker heute den
»Shatt-el-Arab-Laichsturm« nennen. Diese Operation erdacht von Brigadier Shahandeh und ihm nun zur Durchfüh rung anvertraut - war die erste große, vornehmlich auf dem Einsatz von Bodeneffektfluggeräten basierende Offensive. Für die Bodenbeschaffenheit dieses Gebietes war sie maßge schneidert. Man erinnere sich der irakischen Panzer im Korri dor zwischen dem Tigris und der persischen Grenze. Nun, hinter ihnen im Westen erstreckten sich die Sümpfe des Del tas, des Tigris und des Euphrats - aus militärischer Sicht ein unpassierbares Terrain. Unpassierbar für alle militärischen Fahrzeuge - ausgenommen die Hovercrafts, die auf ihren Luft kissen über alles hinwegbrausen konnten, das halbwegs flach war, über Wasser, Sümpfe, Strände, und das mit 40 Meilen in der Stunde bei voller Nutzlast. Diese beachtlichen Maschinen (allesamt für den Schah in England gebaut, dem in der Tech nik der Bodeneffektfluggeräte führenden Land) konnten ein ganzes Panzerbataillon befördern. In ihrem höhlenartigen In neren fanden Panzer (englische Chieftains) und gepanzerte MTWS (der Typen BTR-50 und BTR-60 sowjetischer Her kunft), in den Flügeln und auf den oberen Decks eine vollzäh lige Besatzung Platz. Ihr Aktionsradius betrug 150 Meilen. Aber sie konnten erst in Aktion treten, sobald der Flottenstütz punkt von Umm Qasr ausgeschaltet und die Feuerkraft der Irakis am Westufer des Shatt-el-Arab - dem Zugang zum Ti gris-Euphrat-Delta - gebrochen war. Dieses Ziel war um elf Uhr erreicht. Was den Schah veranlaßte, Shahandeh den Start befehl zu geben. Die nun folgenden Szenen auf den Stränden des Persischen Golfs ergaben ein Schauspiel, das keiner, der daran teilnahm, je wieder vergaß. Um elf Uhr fünf begann das gewaltige Heu len Hunderter von Hovercraft-Motoren die Luft zu erfüllen. Es war ein ohrenbetäubender Lärm. Während sich der Luftdruck innerhalb der Ringspalte auf der Unterseite der Vehikel erhöh te, begannen sich die mechanischen Ungeheuer langsam zu erheben. Dann fingen sie an, in Fünfergruppen, laichenden Fischen gleich, die Strände zu verlassen und, Wolken von
Gischt aufwirbelnd, über das seichte Wasser des Persischen Golfs zu gleiten. Es war, als hätte der Teufel selbst diese Ope ration ersonnen. Denn als diese grotesken Kriegsgeräte nun in Reihen um die Ecke bogen und die Arme des Shatt-el-Arab hinaufbrausten, hätte man meinen können, eine Invasion von Marsmenschen mitzuerleben. Erst zwei Stunden später, auf festem Boden und im Rücken der irakischen Streitkräfte, ließen sie ihre Rampen herunter. Zur gleichen Zeit begann das Gros der iranischen Panzer, die zwischen Dezful und Ahvaz massiert gewesen waren, einen Frontalangriff vom Osten her. Es war ein reines Massaker. Schon am frühen Nachmittag hatte die überwiegende Mehr zahl der irakischen Truppen vorgezogen, sich zu ergeben. Die Männer im Bunker von Khorramshahr verbrachten die Abendstunden des 19. März damit, vor der riesigen Landkarte an der Ostwand des Bunkers die Umgruppierung ihrer Einhei ten und die Aktivitäten des nächsten Tages zu planen. Nach einander wurden die Angriffsziele festgelegt: Kuwait, Bahrain, Katar, Abu Dhabi, Dubai, Oman. Schon um acht waren ihre Pläne komplett.
25 Der Krach des Jahres 1982 begann vermutlich zur gleichen Zeit - um die Mittagsstunden des 19. März in New York, das acht Zeitzonen hinter dem Iran lag. Denn um diese Mittags stunde begannen die großen Tiere dieser Stadt zu erkennen, daß ein wirtschaftliches Phänomen unaufhaltsam auf sie zu kam: eine finanzielle Panik. Eine abgewogene, durch die Zeit, die seitdem vergangen ist, erhärtete Analyse zeigt eindeutig, daß es nicht der Krieg im Nahen Osten war, der sie verursachte. Nein, die Nachricht vom Ausbruch jenes Konflikts in den frühen Morgenstunden des 19. März verleitete zu der Annahme, es handle sich wieder einmal um einen der üblichen Zusammenstöße an der Grenze zwischen dem Iran und dem Irak. Gewiß, diesmal taten sie erheblich mehr als nur ein paar Granaten aufeinander zu feu ern. Aber es war doch nur ein lokaler Konflikt. Die Amerika ner waren nicht direkt daran beteiligt, die Russen nicht, die Chinesen nicht. Nicht einmal die Saudis oder die Ägypter oder die Israelis. Nein, der Beginn des Vier-Tage-Krieges war kaum die Ursache. Aber es war vielleicht der Auslöser. Die einzige halbwegs vergleichbare Parallele war die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand in Sarajevo im Juli 1914: sie entfachte die lodernden Flammen des Ersten Weltkriegs, aber nur, weil das Feuer schon gelegt war. Es ist anzumerken, daß die ganze Finanzstruktur des Westens, insbesondere der Vereinigten Staaten von Amerika, einen seit den 20er Jahren nicht mehr registrierten Grad von Verwund barkeit erreicht hatte. Die Banken befanden sich in einer über aus prekären Lage; die größten Banken Amerikas waren aus gesprochene Zeitbomben. Schon 1976 hatte der Währungs kommissar die zwei größten New Yorker Banken - die First National City und die Chase Manhattan - zu »Problembanken« erklärt. Sicher, sie versuchten die Situation zu meistern. Sie kamen sogar wieder von der Liste herunter. Doch der Wahn
witz, der darin bestand, langfristige Darlehen zu geben und kurzfristige aufzunehmen, schlechtes Geld gutem nachzuwer fen, um uneinbringbare Forderungen nicht abschreiben zu müssen, Milliarden über Milliarden für die Entwicklungslän der aufzuwenden, Regierungen Geld zu leihen, das sie unmög lich in diesem, vielleicht nicht einmal im nächsten Jahrhundert zurückzahlen konnten, Schuldverschreibungen und Obligatio nen im Grunde bankrotter Stadtverwaltungen zu kaufen, um die Politiker bei der Stange zu halten - alle diese Praktiken hatten die Banken nun der Gefahr eines Runs auf ihre Einla gen ausgesetzt. Aber in einer Atmosphäre allgemeiner Prosperität und gläubi gen Vertrauens - Vertrauens insbesondere in die Institutionen der Regierung - kommt es niemals zu Runs. Weil gesunde staatliche Institutionen nach der Auffassung der Öffentlichkeit alles in Ordnung bringen können - selbst Banken. Aber 1982 näherte sich das Vertrauen der Öffentlichkeit in die öffentli chen Institutionen dem Nullpunkt. Die Verwaltungen der Städ te, die Regierungen der Bundesstaaten, sie alle befanden sich in einem Zustand der Lähmung: Sie hatten so lange über ihre Verhältnisse gelebt und so viele Anleihen gemacht, daß ihr Kredit praktisch erschöpft war. Sie konnten sich selbst nicht helfen, geschweige denn anderen beistehen. Doch der Schlüssel zu dem Anfang 1982 herrschenden Ver trauensverhältnis lag in der Situation der Bundesregierung in Washington. Zu dieser Zeit schuldete sie insgesamt 879 Milli arden Dollar! Und war genötigt, sich jede Woche weitere drei Milliarden Dollar zu leihen, um funktionsfähig zu bleiben. Wenn man alle Schulden zusammenrechnete, die sich Anfang 1982 in den Vereinigten Staaten akkumuliert hatten - die Schulden der Bundesregierung, der Bundesstaaten, der Städte, der großen Konzerne, der Einzelpersonen -, kam man auf Bil lionen. Nicht auf eine Billion. Auf Billionen. Na und? sagten die Wirtschaftler. Schulden sind in einer pro duktiven Gesellschaft eine gesunde Sache. Ohne sein Schuld instrumentarium wäre Amerika niemals das größte wirtschaft
liche Kraftwerk der Welt geworden. Noch dazu ein Kraftwerk, dessen Leistung in einem Maß zunahm, daß es das Ansteigen der Schulden ständig überflügelte. Aber auch eines, das mit Energie gespeist wurde. Und Öl war die wichtigste Quelle dieser Energie. Und was Öl und somit Energie betraf, war Amerika genauso verwundbar und katastrophengefährdet wie die Banken. Im Jahre 1982 waren alle Bestrebungen, auf dem Energiesektor unabhängig zu werden, kläglich gescheitert. Bald würde gut die Hälfte des Ölbedarfs der Vereinigten Staa ten durch Importe gedeckt werden müssen. Um das Kraftwerk auch weiterhin in Betrieb zu halten, bedurfte es - Fremder. Und genau darin lag - im Endeffekt - die Verwundbarkeit des amerikanischen Wirtschaftssystems begründet. In seiner inter national ungeschützten Lage. Fremde kontrollierten nicht nur die Energiequellen, sie kontrollierten auch einen strategischen Sektor des amerikanischen Finanzmarktes. Nicht in einem überragenden Verhältnis. Nicht einmal in ei nem bedenklichen Verhältnis. Aber in einem strategischen. Für etwa 80 Milliarden Dollar besaßen sie kurzfristige ameri kanische Schatzanweisungen. Für etwa 95 Milliarden Dollar besaßen sie Obligationen und Schuldverschreibungen von Aktiengesellschaften - amerikanischen Aktiengesellschaften. Und sie kontrollierten weitere 75 Milliarden Dollar in kurzfri stigen Einlagen im amerikanischen Bankenapparat. Alles zu sammen ein paar hundert Milliarden von den Billionen ameri kanischer Schulden. Aber sie genügten, um den Beginn einer Panik auszulösen, als sie anfingen, aus Amerika abzufließen. Und an diesem Montag, dem 19. März 1982, flossen sie ab. Und wie sie abflossen! Die Saudis allein schon zogen an die zwei Milliarden am Tag ab. Die Franzosen liquidierten ihren gesamten Besitz an amerikanischen Staatspapieren. Die Schweizer - und sie kontrollierten ausländische Investitionen für viele Milliarden in den Vereinigten Staaten - schlossen sich an diesem Tag in voller Stärke dem Exodus an. Sie fingen nicht an zu verkaufen; sie fingen an abzustoßen: Schatzanwei sungen, Obligationen der AT&T, General-Motors-Aktien. Sie
zogen ihre Einlagen aus den New Yorker Banken und aus den Londoner Niederlassungen der New Yorker Banken zurück. Und aus den Chikagoer Banken und ihren Zweighäusern in Übersee, aus den kalifornischen Banken und aus den Banken in Texas. Als letzte kamen die Deutschen. Und für die ameri kanische Finanzwirtschaft waren sie nicht weniger gefährlich als die Schweizer. Weil sie der amerikanischen Regierung fast ebensoviel geliehen hatten wie die Saudis. Warum? Warum dieser massive Rückzug aus den USA? Weil im Ausland das Mißtrauen gegen die Stabilität der amerikani schen Finanzwirtschaft schon seit Jahren zunahm. Weil das Mißtrauen gegen den amerikanischen Dollar schon seit Jahren zunahm. Weil das Ausland wußte, daß weder die Wirtschaft noch die Währung die Folgen einer zügellosen Geldpolitik, bedenkenlosen Schuldenmachens und unverantwortlicher, wenn nicht gar vernunftwidriger banktechnischer Transaktio nen auf die Dauer überleben konnten. Aber der Auslöser war letzten Endes der Krieg - der VierTage-Krieg. Die Europäer wußten, daß Amerika das Embargo von 1973 und 74 nur mit knapper Mühe überlebt hatte - da mals importierte es nur 15 Prozent seines Ölbedarfs. Jetzt, da sich dieser Anteil der 50-Prozent-Marke näherte, war alles möglich - einschließlich jener Reaktion, die die Franzosen, dann die Schweizer und schließlich alle fürchteten. Daß die Amerikaner alle ausländischen Gelder in den Vereinigten Staaten blockieren könnten; daß ein in Panik geratenes Wa shington auf jene Art von Kontrollen, ja, vielleicht sogar Se questrierungen, zurückgreifen könnte, die es 1941 in Kraft gesetzt hatte. Denn eine richtige Explosion im Nahen Osten würde einen weltweiten Wirtschaftskrieg zur Folge haben. Und dann war alles möglich. Darum zogen sie ab. Um den Mittag des 19. März waren an der New Yorker Börse bereits 50 Millionen Aktien auf den Markt geworfen worden. Der Dow-Jones-Index war um 56 Punkte gefallen. Der Pfand briefmarkt war ein Trümmerhaufen. Am vergangenen Freitag
hatte der Schweizer Franken mit 33 Dollarcents geschlossen; Montag Mittag stand er auf 38. Die Deutsche Mark hatte mit 31 Cents angefangen; jetzt stand sie auf 37. Der Yen hatte mit 300 zum Dollar begonnen; der Kurs war auf 260 gefallen. Man schätzte, daß die Liquidierungen der Auslandsguthaben in den ersten zwei Börsenstunden 12 Milliarden Dollar ausmachten und mit 5 Milliarden Dollar in der Stunde andauerten. Die Bundesreservebank in New York stand dieser massiven Kapitalflucht hilflos gegenüber. Sicher, ihre Aufgabe war es, einen geordneten Devisenmarkt aufrechtzuerhalten. Sie war für die Stellung des Dollars auf den internationalen Wäh rungsmärkten verantwortlich. Aber auf Drängen der amerika nischen Regierung war der Wechselkurs des Dollar freigege ben worden. Jedermann konnte ihn nach Belieben und zu dem von Angebot und Nachfrage bestimmten Preis kaufen und verkaufen. Und weil die amerikanische Regierung darauf be harrte, war nach den neu gefaßten Richtlinien des Weltwäh rungsfonds keine ausländische Regierung verpflichtet, der amerikanischen zu Hilfe zu kommen, als der Run auf den Dol lar begann. Also taten sie es nicht. Um elf Uhr vormittags an jenem 19. März schalteten sich die ersten Amerikaner außerhalb von New York ein. Klar, die großen Profis an den New Yorker Börsen und anderswo hatten gleich bei der Eröffnung angefangen, auszusteigen - wie ich schon vor einigen Tagen. Aber die kleinen Leute im Hinter land merkten erst gegen Mittag, was da gespielt wurde. Die erste Stadt, wo es schiefging, war Fort Wayne in Indiana, in der Zentrale der Hoosier National Bank in der Calhoun Street. Es war 11 Uhr 15, als sich die Reihen vor den Schaltern der Halle füllten und anfingen, auf den Gehsteig überzu schwappen. Im Mittleren Westen war der März kalt in diesem Jahr; draußen in der Calhoun Street wurden kaum mehr als minus vier Grad gemessen. Aber die Leute standen in Dreier reihen da und warteten, bis sie wieder einen Schritt vorrücken konnten. »Haben Sie gehört?« fragten sie einander immer wieder. Und
für gewöhnlich waren es Frauen, die fragten, denn zumindest zwei Drittel der Leute, die sich zu den Schaltern drängten, waren Frauen. Sie hatten im Radio gehört: von der Börse in New York, von den Kameltreibern, von den Franzosen, von den Schweizern, vom Dollar, vom Krieg. Und sie wollten einfach nur vorsichtig sein. In Fort Wayne, Indiana, waren die Leute nicht von der Sorte, die leicht in Panik gerät. Es war eine kleine Stadt, besiedelt von Menschen guter lutherisch deutscher Herkunft, die Mehrheit erst seit zwei Generationen dem Landleben entwöhnt, die meisten mit Hochschulbildung, die sie an der Purdue University, an der Indiana State, in Val paraiso oder Michigan erworben hatten. 50 Jahre waren seit den Geschehnissen des Jahres 1929 vergangen. Die meisten waren damals noch gar nicht geboren. Aber sie hatten die Ge schichten gehört, die Eltern und Großeltern ihnen immer wie der erzählten. »Wenn wir unsere Ersparnisse damals nur ein bißchen früher abgehoben hätten«, so endeten diese Geschichten, »hätten wir die 30er Jahre gut überstanden.« Die 80er Jahre wollten diese Frauen nicht auf die gleiche Wei se durchstehen müssen. Darum warteten sie jetzt in der Cal houn Street vor der Hoosier National. Nicht, daß die Hoosier National eine schlechte Bank gewesen wäre. Ganz im Gegenteil. Es war ein sehr solides Institut. Kei ne Darlehen an den Kongo, keine waghalsigen Grundstücks spekulationen in Florida, keine Kommunalschuldverschrei bungen des Bundesstaates New York. Sie waren Darlehensge ber der Zollner Corporation - Kugellager, Kolben, einer der bedeutendsten Zulieferer der großen Zwei in Detroit. Und der Timkin, einer Gesellschaft, die Benzinpumpen herstellte. Und der Farmer in den umliegenden Bezirken. Und der Kaufleute in der Stadt. Solide. Natürlich saßen auch sie auf einer Menge Schatzscheine, aber das taten auch alle anderen Banken im Land. Das Problem war nur, daß die Hoosier National Bank so wie jede andere Bank in den Vereinigten Staaten oder, wenn man so will, in der ganzen Welt, solide oder nicht, nie sehr
viel Bargeld in ihren Tresoren liegen hatte. Seitdem die große Masse Schecks und Scheckkarten verwendete, war das nie nötig gewesen. In den 30er Jahren, der Zeit der letzten Kata strophe, hatte die Hoosier National auch anders disponiert; jetzt verfügte sie nur mehr über sehr wenig Bargeld. Fred Willis war der Direktor. Ein guter Mann. 55, seit 30 Jah ren verheiratet, ein Veteran des Koreakriegs und Säule des Chors der lutherischen Concordia-Kirche, ein umsichtiger, rechtschaffener Mann. Aber um halb zwölf bekam er Angst. Er stand hinter den drei Kassenschaltern und überwachte den Geldabfluß. Dann ging er in sein Büro und rief seinen Stellver treter Marty Kohler zu sich. »Marty«, sagte Willis, »in einer Stunde ist unser Bargeld alle. Rufen Sie die First National of Indiana an; sie sollen uns eine Million herüberschicken. In kleinen Scheinen, wenn sie wel che haben.« Marty telefonierte, während Willis draußen wartete und sah, wie die Schlangen immer länger wurden. Marty Kohler stand bald neben ihm. »Mr. Willis«, flüsterte er, »sie können nicht. Sie sagen, sie sind selbst sehr knapp.« »Bleiben Sie hier, Marty, und sehen Sie zu, daß alles in Ruhe abläuft. Ich werde mit der Bundesreservebank sprechen.« Die nächstgelegene Zweigstelle der Bundesreservebank, die auch für dieses Gebiet zuständig war, befand sich in Chikago. Nachdem er mit allen möglichen unzuständigen Leuten ver bunden worden war, bekam Willis endlich den Hauptkassier an den Apparat. »Mr. Rogers«, sagte er, »hier spricht Fred Willis von der Hoo sier National in Fort Wayne. Wir haben da ein kleines Pro blem. Wir brauchen zwei Millionen in bar - in kleinen Schei nen, wenn es geht -, und wir brauchen sie gleich.« »Zwei Millionen?« »Ja. Und das beste wäre, wenn Sie sie gleich zum Flughafen hinaus schicken und eine Maschine chartern würden. Für die Kosten kommen wir auf.« »Willis, das ist unmöglich.«
»Was soll das heißen? Sind Sie nicht dazu da?« »Warum das alles?« »Weil wir einen Run hier haben, darum. Sie wissen doch, was sich in New York tut, oder?« »Natürlich. Aber das ist doch kein Grund zur Panik. Reden Sie doch mit den Leuten. Solche Dinge brauchen Zeit. Was kön nen Sie uns als Garantie anbieten?« »Wir haben sehr gute ausstehende Forderungen. Das wissen Sie ja. Wir verpfänden Ihnen die besten. Aber….« »Gut. Ich schicke Ihnen morgen einen Mann.« »Verdammt noch mal«, sagte Willis - er hatte schon seit Jah ren nicht mehr geflucht -, »ich brauche das Geld, und ich brauche es jetzt. In bar. Heute!« »Schreien Sie mich nicht an, Willis. Morgen schicke ich Ihnen einen Mann.« Und Chikago legte auf. Nun, Fred Willis hatte es versucht. Er forderte alle Kunden, die in der Halle standen, auf, ihm zuzuhören. Und sagte ihnen, daß es nicht nötig sei, heute noch mehr Geld abzuheben. Die Bundesreservebank würde am nächsten Morgen einen großen Betrag in Bargeld herüberschicken. Die Hoosier National war eine der besten Banken im Land. Sie war ihren Verpflichtun gen immer nachgekommen - auch vor 50 Jahren, als Zehntau sende anderer Banken ihre Türen hatten schließen müssen und würde es auch jetzt tun. Seine Worte zeigten nicht die geringste Wirkung. Um ein Uhr fünfzehn war das Bargeld alle, um ein Uhr zwanzig schloß die Hoosier National ihre Türen. Soviel über das Gebaren der Bundesreservebank an diesem Tag. Innerhalb der nächsten Stunde schlossen zwei weitere Banken in Fort Wayne, eine in South Bend, zwei in Indianapo lis und eine in Bloomington - insgesamt sieben im Bundesstaat Indiana. Es waren alles solide Banken. Aber sie konnten ihre Einleger nicht ausbezahlen - denn sie hatten kein Bargeld mehr. Aus irgendwelchen Gründen stand Indiana an jenem Montag
sehr allein da. Es gab ein paar vereinzelte Sperren - in Iowa, Utah und Nevada. Aber keiner der großen Bundesstaaten war betroffen. Die Banken in New York, Illinois, Texas und Kali fornien überstanden den Tag unversehrt. Um fünf Uhr nachmittags herrschte ein heilloses Chaos im Weißen Haus. Die Leiter aller Ministerien, Dienststellen und Behörden der Stadt wünschten den Präsidenten zu sprechen. Aber nur vier hatten es ins ovale Zimmer geschafft: der Au ßenminister, der Verteidigungsminister, der Finanzminister und der Chef der Zentralbank. Um fünf Uhr nachmittags an jenem Tag hatte Geld, nicht der Krieg, Vorrang. Soeben hatte der Vorsitzende der Bundesreservebank seinen Bericht über das Geschehen in Indiana beendet. Und der Prä sident hatte den Finanzminister um seine Meinung gebeten. »Es ist nicht unsere Schuld«, setzte der Finanzminister an, obwohl er das gar nicht gefragt worden war. »Es sind die Ban ken, die das verdammte ausländische Geld angenommen ha ben.« »Hören Sie mal«, sagte der Außenminister, »es sind keines wegs nur die Banken. Ihre Behörde hat diesen Ausländern für 80 Milliarden Dollar ihre eigenen Schatzanweisungen ver kauft.« »Was hätten wir denn tun sollen?« verteidigte sich der Fi nanzminister. »Versuchen Sie mal, diese Regierung zu finan zieren.« »Ich wollte nur darauf hinweisen, daß…« »Das reicht«, unterbrach ihn der Präsident. »Wie sieht es auf dem Markt für Schatzanweisungen aus?« »Der Markt ist ein einziger Trümmerhaufen«, antwortete der Finanzminister. »Jetzt stoßen sogar schon die Deutschen ab. Da geht doch jedem der Arsch auf Grundeis. Ich kann verste hen, daß die Leute in Indiana Manschetten gekriegt haben.« »Verdammt«, sagte der Präsident, »was sollen wir tun?« »Das will ich Ihnen sagen. Wir haben keine Wahl. Die Bun desreservebank muß eingreifen. Mit allem, was sie hat. Wenn
die Franzosen und die Saudis und die Schweizer und die Deut schen unsere Wechsel verkaufen, wird die Zentralbank sie kaufen müssen. Weil sonst keiner da ist. Die großen Banken in New York und Chikago werden sehr bald anfangen, sie abzu stoßen. Um jeden Preis. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Wahrscheinlich werden sie morgen bei Börsenbeginn damit anfangen. Wenn wir nicht einspringen, bricht der Markt zusammen. Völlig.« »Das darf nicht geschehen.« »Natürlich darf das nicht geschehen.« »Augenblick mal«, sagte der Chef der Zentralbank, »wissen Sie eigentlich, wovon Sie reden?« »Ich denke schon«, sagte der Finanzminister, der seinen Kol legen von der Bundesreservebank für einen finanziellen Höh lenmenschen hielt. »Ich glaube nicht«, lautete die Antwort. »Wenn wir anfangen, Schatzscheine aufzukaufen, überfluten wir den Markt mit Bar geld.« »Ja, um Himmels willen, das ist doch genau das, was wir brauchen.« »Begreifen Sie denn, was Sie da sagen? Das ist kein Geld, das wir aus Steuern oder aus Anleihen schöpfen. Sie schlagen vor, daß wir einfach Milliarden über Milliarden neues Geld druk ken und es auf den Markt werfen.« »Genau.« »Begreifen Sie denn nicht, wohin das führen könnte? Wissen sie, was in den 20er Jahren in Deutschland und Österreich passierte, als die Regierungen das dort versuchten? Die darauf folgende Inflation war…« »Hören Sie, meine Herren«, ergriff der Präsident das Wort, »ich will von diesen Theorien - Inflation, Gelddrucken und dieses Zeug - nichts mehr wissen. Ich will Taten sehen. Ich werde nicht zulassen, daß die Märkte, auf denen die Effekten der Regierung der Vereinigten Staaten umgesetzt werden, zusammenbrechen. Punktum. Und ich werde nicht zulassen, daß weitere Banken in unserem Land zusammenkrachen. Ha
ben Sie mich verstanden?« Und er streckte dem Vorsitzenden den Finger so dicht ans Gesicht, daß er ihm beinahe die Pfeife in den Hals gestoßen hätte. »Ich…« setzte der Vorsitzende an. »Sie werden genau das tun, was ich Ihnen sage«, donnerte der Präsident. »Sonst kriegen Sie einen Tritt in den Arsch. Wenn man Sie nicht vorher lyncht.« Theoretisch hatte der Präsident keine Macht über die Bundesreservebank. Doch wenn er mit seiner Sache an die Öffentlichkeit trat, hatte der Vorsitzende keine Chance, die Reaktion der Masse zu überleben. Da war es schon besser, den Forderungen dieser wirtschaftlichen Anal phabeten vorübergehend nachzugeben und die Ordnung zu einem späteren Zeitpunkt wiederherzustellen. »Wir werden mindestens 15 Milliarden Dollar neues Geld brauchen - amerikanisches Geld -, um morgen den Markt für Staatspapiere zu stützen. Und wir werden weitere 10 Milliar den an die Banken austeilen müssen, damit sie ausreichende Liquidität unterhalten können. Das sind zusammen 25 Milliar den Dollar Barkredite - aus dem Nichts gezaubert.« »Das wissen wir«, sagte der Finanzminister. »Aber wenn es Ihnen gelingt, den Markt für Staatspapiere zu retten, werden alle anderen folgen, die New Yorker Börse eingeschlossen. Dann sind wir alle Sorgen los.« »Wahrscheinlich werden wir Flugzeuge chartern müssen, um die Gelder noch vor dem morgigen Börsenbeginn zu vertei len«, sagte der Mann von der Zentralbank. »Warum sollen Sie nicht ein paar von unseren Maschinen verwenden?« bot der Verteidigungsminister an. »Gute Idee«, meinte der Präsident. Dann zur Bundesreserve bank: »Können Sie gleich damit anfangen?« »Selbstverständlich. Aber ich möchte ausdrücklich festhalten, daß ich diese Politik nicht gutheiße.« »Sie haben es festgehalten«, sagte der Präsident. »Und wie sieht es mit dem Dollar aus?« wandte sich der Prä sident an den Finanzminister. »Sackt ab wie ein Stein. Aber soll er doch, sage ich. In ein
paar Tagen, wenn das alles vorbei ist, kommt er aus eigener Kraft wieder hoch. Es hat doch keinen Sinn, daß wir diese Panik bekämpfen, indem wir uns Franken und Mark und Yen in Milliardenhöhe ausborgen. Wir müssen sie ja später wieder zurückzahlen. Wenn die Bundesreservebank morgen interve niert, werden sich diese Burschen in Europa schon beruhigen.« »Na fein«, sagte der Präsident, der von Devisenmärkten nichts verstand. »Und was tut sich im Nahen Osten?« »Die Lage ist ziemlich verworren«, antwortete der Außenmi nister. »Wir wissen nur, daß die Irakis sich wieder einmal mit den Iranern keilen. Es hat einige sehr schwere Luftangriffe gegeben. Nach sehr verläßlichen Berichten, die wir vor ein paar Tagen von unserem Botschafter in der Schweiz bekom men haben, sind wir der Meinung, daß die ganze Geschichte von den Irakis angezettelt wurde. Der Schah hat nur Vergel tungsmaßnahmen ergriffen.« »Woraus ich ihm keinen Vorwurf machen kann«, bemerkte der Verteidigungsminister. »Es ist also eine rein lokale Auseinandersetzung«, stellte der Präsident fest. »Sehr wahrscheinlich«, meinte der Außenminister. »Aber die Situation in Saudiarabien ist immer noch mysteriös.« »Was sagt unsere Botschaft?« »Die wissen auch nicht mehr als wir. Die Botschaft ist in Jed dah. Die saudiarabische Regierung sitzt in Riyadh. Und seit fünf Tagen ist Riyadh hermetisch abgeschlossen. Wir haben Grund zu der Annahme, daß Prinz Abdullah an der Macht ist. Wir wissen, daß tiefgreifende Veränderungen in der saudiara bischen Wirtschaftspolitik gegenüber den Vereinigten Staaten stattgefunden haben. Wie Ihnen bekannt ist, haben sie ihre Gelder ebenso abrupt abgezogen, wie sie sie in unserem Land plaziert haben.« »Womit sie den ganzen Schlamassel ausgelöst haben«, fügte der Finanzminister hinzu. »Es liegen allerdings keine Meldungen über sonstige feindse lige Handlungen gegen uns vor«, berichtete der Außenmini
ster. »Vor genau einer Stunde habe ich mit den Leuten von
Aramco gesprochen, und die sagen, daß das saudiarabische Öl
nach wie vor in unsere Tanker im Persischen Golf gepumpt
wird.«
»Also was schlagen Sie vor?«
»Ich glaube, wir müssen abwarten«, antwortete der Minister.
»Ich habe sowohl die Sechste wie auch die Siebte Flotte in
Alarmbereitschaft versetzt«, teilte der Verteidigungsminister
mit. »Ebenso auch die Dritte Armee in Deutschland.«
»Hat der Schah um Hilfe gebeten?« fragte der Präsident.
»Nein«, antwortete der Verteidigungsminister. »Aber wenn er
es tut, sollten wir ihm, finde ich, Beistand leisten. Er ist der
einzige verläßliche Partner, den wir im Nahen Osten haben.«
»Eines kann ich nicht verstehen«, sagte der Präsident. »Was
hat diesen Sturm eigentlich entfesselt? Was zum Teufel ist in
die Europäer gefahren, daß sie so in Panik geraten sind? Wis
sen die denn nicht, daß wir jede Situation meistern können
ob im Nahen Osten oder sonst wo? Wenn die Russen in die
Sache verwickelt wären, könnte ich es noch eher verstehen.
Wie äußern sich die Europäer dazu?«
»Ich habe versucht, den Kanzler in Bonn und den Premiermi
nister in Paris zu sprechen. Sie waren beide nicht erreichbar«,
erwiderte der Außenminister.
»Soll ich es versuchen?« fragte der Präsident.
»Es ist schon ein wenig spät drüben«, meinte der Minister.
»Aber wir könnten eines tun.«
»Und zwar?« fragte der Präsident.
»Über den heißen Draht mit Israel sprechen.«
»Israel? Wozu?«
»Nur um sie zu informieren. Außer Persien sind sie ja unsere
einzigen verläßlichen Verbündeten in diesem Gebiet.«
»Vergessen Sie Israel«, gab der Präsident zurück. »Wir haben
Wichtigeres zu überlegen.«
Israel vergessend, erläuterte der Präsident seinen strategischen
Meisterplan, um die Krise zu meistern. »Also schön. Ich wün
sche eine ständige Überwachung des ganzen Nahen Ostens -
mit Flugzeugen und Satelliten, wenn nötig. Morgen früh set zen wir uns wieder zusammen. Alle. Um neun. Ich habe das Gefühl, daß sich die ganze Geschichte morgen schon weitge hend beruhigt haben wird.« Der Präsident hätte sich nicht gründlicher irren können. Um sechs Uhr früh des 20. März Nah-Ost-Zeit (Zweiundzwanzig Uhr des 19. März Washington-Zeit) begann die iranische Be setzung von Kuwait, Bahrain, Katar, Abu Dhabi, Dubai und Oman - der zweite Schritt auf dem Weg zur fortlaufenden Einkreisung Saudiarabiens. Operation Kuwait war leicht. Die persischen Truppen, die schon den ganzen Südosten des Irak kontrollierten, marschier ten einfach nach Süden. Zu Mittag ergab sich die 3000 Mann starke Armee Kuwaits. Als nächstes stand Bahrain auf dem Programm. Die große und mächtige iranische Minderheit in Bahrain hatte schon seit Jahren den Anschluß an das Mutter land gefordert. Und am 20. März brachten die dort ansässigen Perser - die mittlerweile zu einer gut organisierten und ausge zeichnet bewaffneten paramilitärischen Truppe zusammenge schweißt worden waren - das Land in ihre Gewalt. Es wurden nicht mehr als hundert Schüsse gewechselt. Der Besetzung von Katar, Abu Dhabi und Dubai gingen Ver rat von innen und die Landung persischer Truppen voraus. In allen drei Scheichtümern lebten iranische Emigranten in gro ßer Zahl. Die besaßen die Kunstfertigkeiten und die Arbeits moral, die zum Aufbau einer modernen Wirtschaft erforderlich sind - Eigenschaften, an denen es der arabischen Bevölkerung mangelte. Im Morgengrauen besetzten diese Immigranten, die nach Art ihrer Brüder in Bahrain organisiert waren, die strate gischen Punkte. Als die regulären persischen Truppen von den Inseln Abu Musa und Tanb eintrafen, hatten sie kaum noch etwas zu tun. In Oman war keine Invasion nötig. Mitte der 70er Jahre hatte der Schah der omanischen Regierung großmütig Truppen zur Verfügung gestellt, die ihr helfen sollten, sich der Rebellen in Dhofar an der Südküste Omans zu erwehren. 1982 hatte der
Iran 5000 Fallschirmjäger und 125 Hubschrauber in diesem Gebiet stationiert. Überdies bestand die omanische Armee zum Großteil aus Belutschen, die zumeist im südlichen Persien rekrutiert worden waren. Die Fallschirmjäger und die Belut schis taten sich einfach zusammen und hißten die persische Flagge. Während all dies auf dem Boden vor sich ging, fand eine Um gruppierung der iranischen Luft- und Seestreitkräfte statt. Da zu gehörte vor allem die massive Verlegung militärischer Aus rüstung auf den neuen Flottenstützpunkt von Bandar Abbas, der von der persischen Westküste her den Zugang zum Persi schen Golf sicherte und fast genau östlich der wichtigsten potentiellen militärischen Zielgebiete Saudiarabiens lag. Wei tere Truppen konzentrierten sich in Chah Bahar an der persi schen Küste, im Westen der pakistanischen Grenze. Chah Ba har war der weitaus bedeutendste Militärstützpunkt im Arabi schen Meer; er war Anfang der 70er Jahre mit einem Kosten aufwand von einer Milliarde Dollar von den Amerikanern errichtet worden. Der Stützpunkt von Chah Bahar beherrschte den Golf von Oman; der von Bandar Abbas die Straße von Hormuz. Der Schah hatte jetzt den Persischen Golf und die anliegenden Länder und Scheichtümer gegen jede Intervention auf dem Seeweg abgeriegelt. Als zusätzliche Abschreckungsmittel kreuzten die Kitty Hawk und die Constellation voll einsatzbe reit, jede mit 90 Phantom-Flugzeugen an Bord, im Arabischen Meer. Kann sein, daß die Vereinigten Staaten dem Iran fast sein ganzes militärisches Potential geliefert hatten - angefan gen von den Stützpunkten bis zu den Flugzeugträgern und Phantom-Düsenflugzeugen -, aber es waren das Genie des Schahs und seiner wichtigsten militärischen Berater, die an diesen ersten beiden Kriegstagen im März die Kampfmittel des Irans auf so brillante Weise eingesetzt hatten. Nach ihren Berechnungen brauchten sie nur noch einen Tag, um den Krieg zu beenden; dann würde der Schahinschah Herr über das wertvollste Stück Land der Erde sein.
Der Verteidigungsminister hatte den Präsidenten um drei Uhr früh Washington-Zeit angerufen, um ihm von der Ausweitung des Krieges auf Kuwait Mitteilung zu machen. Schon um vier war das Weiße Haus hell erleuchtet. Um halb fünf trafen die ersten Limousinen ein; sie brachten den Außenminister, den Finanzminister, den Verteidigungsminister und den Chef des Generalstabs sowie den Leiter der CIA. Der CIA-Mann kam als letzter. Es war jetzt schon nicht mehr nur Kuwait, das in die Kämpfe verwickelt war, sondern alle Scheichtümer an der Westküste des Golfs. Es handelte sich um einen durch nichts provozierten Angriff der Perser. Nach An sicht des CIA-Manns würde der Iran in wenigen Stunden alle Zielgebiete überrannt haben. Diesmal behielt die CIA recht. »Sind sich die Herren darüber klar, was das bedeutet?« fragte der Finanzminister. »Ich will es Ihnen sagen. Der Schah von Persien kontrolliert jetzt das ganze Öl im Nahen Osten, Sau diarabien ausgenommen. Und ich zweifle keinen Augenblick daran - keinen Augenblick! -, daß er sich auch die Ölfelder von Ghawar schnappen wird. Damit hätte er hundert Prozent.« »Lassen Sie mir eine Karte bringen«, sagte der Präsident. Er hatte keine Ahnung, wo die Ölfelder von Ghawar waren. Die Karte kam. Er studierte sie. Die Ölfelder lagen nur dreißig Meilen von der Westküste des Persischen Golfs entfernt. »Okay«, sagte der Präsident und wandte sich nun an General Smith, den Chef des Generalstabs. Der General runzelte die Stirn. »Was haben Sie vor, Sir?« »Die Marineinfanterie, die Navy, was immer. Der Iran hat uns sauber hereingelegt. Ich will, daß der Schah seine Truppen zurückzieht. Aus allen besetzten Gebieten. Und zwar gleich.« »Tja, das wird etwas schwierig sein. Ich meine gleich.« »Was heißt das?« »Naja, wir haben dort praktisch nichts. Unsere nächste Kampfeinheit wäre wohl die Sechste Flotte. Aber die kreuzt natürlich im Mittelmeer. Und die Siebte liegt im Moment vor Formosa. Wenn wir eine davon in Marsch setzten, würde es noch eine Woche dauern, bevor sie am Golf eingreifen könnte.
Und selbst dann weiß ich nicht, ob wir etwas unternehmen sollten.« »In drei Teufels Namen, warum denn nicht?« »Weil der Schah uns eine enorme Feuerkraft entgegensetzen kann. Er läßt zwei unserer Flugzeugträger - Sie wissen ja, wir haben sie ihm vor ein paar Jahren leihweise überlassen - vor Chah Bahar kreuzen. Sie haben zweihundert Flugzeuge an Bord. Sie wissen ja, diese Phantoms, die wir ihnen verkauft haben. Und dann Chah Bahar selbst. Dort hat er einen ganzen Haufen F-14 - über den Daumen gerechnet mehr, als wir in ganz Europa haben. Und denken Sie an die Raketenstellungen auf Abu Musa - das ist eine kleine Insel im Golf, Sir. Wobei ich von der Annahme ausgehe, daß wir in den Golf hinein kommen - ich bin gar nicht so sicher, daß wir das können.« »Wollen Sie damit sagen, daß wir, die Vereinigten Staaten von Amerika, es mit dem Schah militärisch nicht aufnehmen kön nen?« donnerte der Präsident. »Nun ja, wir könnten. Aber die Verluste wären enorm hoch. Und dann ist noch etwas zu bedenken. Um den Schah wieder aus dem Golf herauszubekommen, müßten wir ein Landeun ternehmen im Ausmaß der Landung in der Normandie im Zweiten Weltkrieg starten. Nur, daß unsere Nachschubwege nicht 15 Meilen über den Kanal wären, sondern an die 5000 Meilen von Westeuropa. Ich glaube nicht, daß eine solche Vorgangsweise zu empfehlen wäre.« »Augenblick mal«, mischte sich der Vorgesetzte des Generals, der Verteidigungsminister, ein. »Ich glaube, wir sehen das Problem von der falschen Seite. Vergessen wir die Siebte Flot te. Sicher muß sie sofort in Richtung Golf unter Dampf gehen. Aber wir haben etwas übersehen. Wir haben eine militärische Präsenz in Saudiarabien. Dreitausend Mann regulärer Trup pen, eine Menge Techniker, dazu diese Burschen von der Ge sellschaft in Los Angeles, die die Saudis vor ein paar Jahren eingestellt haben, um diese verdammten Ölfelder von Ghawar zu überwachen. Und einen Haufen Leute bei Aramco. Wir müssen gut 8000 Mann in Saudiarabien haben. Aber nicht nur
das: Gott sei Dank haben wir in den letzten zwei Monaten riesige Mengen an Waffen an die Saudis geliefert. Das wissen Sie ja, Mr. President. Sie und ich haben das ja damals in die Wege geleitet. Mit diesem Burschen, der die saudiarabische Armee kommandiert - Sultan Abdul Aziz. Wir brauchen nichts weiter zu tun, als den Saudis von Europa aus Verstärkung zu schicken. Vom Rhein-Main-Stützpunkt in Frankfurt. In 48 Stunden können wir 25.000 Mann einfliegen. Mit der besten Ausrüstung, die wir in Deutschland haben.« »Bei Gott!« rief der Präsident. »Das ist die Lösung!« »Nicht so hastig«, sagte der Außenminister. »Sie vergessen dabei die Saudis. Wir wissen es nicht sicher, aber wir haben allen Grund anzunehmen, daß Ihr Sultan Abdul Aziz tot ist - er und die ganze proamerikanische Clique in Riyadh. Und daß jetzt dieser linksradikale Prinz Abdullah auf dem Thron sitzt.« »Na und?« entgegnete der Verteidigungsminister. »Genau«, sagte der Präsident. »Wenn der Schah sie angreift, werden die Saudis - und mir ist ganz schnuppe, welche politi schen Ansichten sie jetzt haben - für jede Hilfe dankbar sein, woher sie auch kommen mag.« »Und die Russen?« fragte der Außenminister. »Haben sie etwas unternommen?« fragte der Präsident. »Nein.« »Dann ignorieren wir sie doch einfach. Jetzt können sie nicht mehr intervenieren.« »Also gut«, sagte der Verteidigungsminister. »Dann müssen wir also die Luftbrücke von Deutschland in Gang setzen.« »Und wie steht es mit den Formalitäten?« fragte der Präsident. »Sollten wir nicht die NATO und Bonn informieren?« »Ja«, antwortete der Außenminister. »Aber das ist eine reine Formalität.« »Gut«, sagte der Präsident, »dann wollen wir mal.« In Bonn war es Vormittag, und in drei Minuten hatte er eine Verbindung mit dem Kanzler in seinem Büro. In weiteren drei Minuten hatte der Präsident ihm die Lage geschildert und sein Ersuchen vorgebracht: der amerikanischen Dritten Armee die
Benutzung des Rhein-Main-Stützpunktes zu gestatten. Auf
seine Ausführungen folgte ein langes Schweigen am anderen
Ende.
»Herr Kanzler«, sagte der Präsident, »sind Sie noch da?«
»Ja.«
»Nun?«
»Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht gleich antworten, Mr. Presi
dent.«
»Was?«
»Sie werden verstehen, daß unsere nationalen Interessen da
von berührt werden. Ich werde mich mit meinem Kabinett
beraten müssen. Ich fürchte, es wird ein paar Stunden dauern,
bis ich alle Herren hier habe. Im Augenblick ist der Bundestag
in Ferien.«
»Aber das ist eine Sache, die nicht warten kann!«
»Ich verstehe Ihre Lage. Sie müssen meine verstehen. Sobald
ich kann, rufe ich Sie zurück. Auf Wiederhören, Mr. Presi
dent.« Und er ließ den Präsidenten der Vereinigten Staaten am
anderen Ende einer unterbrochenen Verbindung hängen.
»Unglaublich«, sagte der Präsident, den Hörer noch in der
Hand. »Dieser verdammte Nazi will Zeit schinden.«
»Es gibt noch eine andere Alternative«, unterbrach General
Smith die Stille.
»Welche?« fragte der Präsident.
»Wir haben noch diese B-52 in Guam stationiert.«
»Na und?«
»Sie haben den nötigen Aktionsradius. Wir könnten Bomben
abwerfen.«
»Das ist doch absurd«, warf sein Boß ein. »Den Aktionsradius
haben sie. Aber nur, wenn sie die Flugzeuge bis zum äußersten
volltanken. Was sie dann noch an Abwurfmunition mitnehmen
können, würde praktisch keine Wirkung zeigen.«
»Ich habe nicht an reguläre Abwurfmunition gedacht, Herr
Minister.«
»Sie meinen Atombomben?«
»Ja. Aber verstehen Sie mich nicht falsch. Ich empfehle nicht,
daß wir Atombomben abwerfen. Ich schlage nur vor, daß wir dem Schah ein Ultimatum stellen, in dem wir ihm vage ihren Einsatz androhen. Sobald die B-52 über Persien erscheinen, wird er seine Truppen zurückziehen.« »Nein«, protestierte der Präsident. »Das kommt überhaupt nicht in Frage. Glauben Sie, ich hätte Lust, mir Amtsmiß brauch vorwerfen zu lassen?« »Ihr Leute im Pentagon setzt mich manchmal in Erstaunen«, ließ sich der Finanzminister vernehmen. »Was ist das für eine Welt, in der ihr lebt? In meinem ganzen Leben habe ich noch nie so etwas Absurdes gehört.« »Ich teile Ihre Meinung«, sagte der Außenminister. »Aber das Konzept, so absurd es auch sein mag, ist nicht ganz unreali stisch.« Alle wußten, daß der Außenminister gern in Rätseln sprach, und warteten geduldig. »Vor drei Tagen bekam ich einen Brief von Botschafter Sin clair in Bern, in dem er mir mitteilte, daß er einen Anruf von einem amerikanischen Bankier namens Hitchcock erhalten hätte.« »Ich glaube, den kenne ich«, sagte der Präsident. »Hat der nicht für die Saudis gearbeitet?« »Ja. Genau. Nun, er sagte richtig voraus - ich wiederhole: vor drei Tagen -, daß der Schah einen Angriff auf seine arabischen Nachbarn plane. Wie wir heute wissen, stimmte das. Obwohl Botschafter Sinclair ihm nicht glaubte. Und ich auch nicht.« Eine Pause. »Das Beunruhigende daran ist die Tatsache, daß er auch behauptete, der Schah besäße Atomwaffen und beabsich tige, sie einzusetzen.« »Woher wollte er das wissen?« fragte der Präsident. »Wie es scheint, aus einer schweizerischen Quelle.« »Vielleicht hat er Atomwaffen«, sagte der Präsident, »aber er würde sie niemals einsetzen. So wie auch wir sie nicht einset zen können. Ich kenne den Schah. Er ist ein vernünftiger Mann. Und ich glaube, ich habe die Lösung. Ja, ich werde ihm ein Ultimatum schicken. Ziehen Sie Ihre Truppen sofort zu
rück oder wir greifen ein. Und wir werden die Siebte Flotte sofort Fahrt aufnehmen lassen und dafür sorgen, daß er es erfährt. Mittlerweile können wir nur hoffen, daß die Saudis ihm ein paar Tage Widerstand leisten können, wenn er sie angreift. Dann können wir die Luftbrücke aus Deutschland starten.« Der Außenminister wurde beauftragt, die Botschaft an den Schah abzufassen und sie in spätestens zwei Stunden abzu schicken. Die Herren erhoben sich, um zu gehen. Vor den Fenstern des ovalen Zimmers begann es Tag zu werden. »Fred«, wandte sich der Präsident, nun schon ein wenig er schöpft, an seinen Finanzminister, »können Sie noch ein paar Minuten bleiben?« »Gewiß.« Er setzte sich wieder, während die anderen Herren das Zimmer verließen. »Wie wird sich das heute auswirken?« »An den Börsen?« »Ja. Und bei den Banken.« »Wir sind auf das Schlimmste vorbereitet, Mr. President. Kei ne Sorge, wir werden schon damit fertig.« Am Persischen Golf herrschte Ruhe, denn es war Nacht, und die Schlachten waren geschlagen. In den Vereinigten Staaten war es alles andere als ruhig, denn dort hatte eine finanzielle Schlacht von ungeheuren Ausmaßen begonnen. Selbst rückblickend ist es unmöglich zu erklären, aber irgendwie begannen die Massen in den Vereinigten Staaten allmäh lich und in ihrer Gesamtheit, einen Entschluß zu fassen: in der Welt braute sich ein schreckliches Unheil zusammen, die Eu ropäer verloren den Glauben an Amerika und stiegen aus. Nun wollten auch sie aussteigen. Aussteigen. Aussteigen aus Akti en, Obligationen, Sparkassen und Banken. Sie wollten Bargeld sehen. Bis jetzt hatte kein Mensch in den Vereinigten Staaten ernst lich darüber nachgedacht, welche riesige, unvorstellbare Men ge im Umlauf befindlicher liquidätswirksamer Vermögenswer
te gegen Bargeld eingetauscht werden konnte. Allein die Akti en, die an der New Yorker Börse gehandelt wurden, hatten einen Wert von 850 Milliarden Dollar. Die Staatspapiere, die das Publikum 1982 in Händen hielt, beliefen sich auf weitere 879 Milliarden Dollar. In Umlauf befindliche Schuldver schreibungen von Aktiengesellschaften weitere 750 Milliarden Dollar. Einlagen in Banken: eine Billion Dollar. Dazu noch Bankakzepte, Warenwechsel etc. in privatem Besitz. Wenn man alles zusammenrechnete, waren im Jahre 1982 vielleicht vier Billionen in liquiditätswirksamen Vermögenswerten ange legt, die zumindest theoretisch augenblicklich gegen Bargeld eingewechselt werden konnten. Was würde geschehen, wenn auch nur ein Prozent - ein einzi ges Prozent - dieser Vermögenswerte an einem Tag verkauft, eingetauscht, versilbert werden würde? Nun, am 20. März 1982 erfuhr man es. Chaos war die Folge. Furchtbare Szenen spielten sich ab an den Börsen in New York, Chicago und San Francisco und vor den Banken in fast allen Gemeinden und Städten in den Vereinigten Staaten. Aber das System brach nicht zusammen. Weil die Zentralbank den Run vorausgese hen hatte. Im Morgengrauen dieses Tages waren 25 Milliarden Dollar in neuen Scheinen an 10.000 Banken verteilt worden. Zusammen mit dem normalen Barbestand der amerikanischen Banken reichte das - in manchen Städten nur knapp -, um alle Einleger zufriedenzustellen, die Bargeld haben wollten. Selbst die Hoosier National Bank in Fort Wayne, Indiana, konnte an diesem Tag um neun wieder aufsperren. Die Zahl der Kassenschalter wurde verdoppelt. Und die Bank blieb ganz normal bis Geschäftsschluß offen, obwohl sie zu diesem Zeit punkt nur noch 4335 Dollar in der Kasse hatte. Um sechs Uhr Washingtoner Zeit und nachdem auch die kali fornischen Banken den Tag heil überstanden hatten, erschien der Präsident im Programm aller drei amerikanischen Fern sehgesellschaften, und seine Rede wurde über alle größeren Rundfunkstationen der westlichen Welt ausgestrahlt. Geduldig erklärte er, daß die Auseinandersetzung im Nahen Osten eine
rein lokale Angelegenheit sei. Daß die Großmächte nichts damit zu tun hätten. Daß bereits Gespräche im Gang seien, um einen sofortigen Waffenstillstand herbeizuführen. Daß nicht der geringste Anlaß zur Panik gegeben sei. Daß der amerikani sche Bankapparat über jeden Zweifel hinaus bewiesen habe, daß er jeden Run aushalten konnte. Und daß es an der Zeit sei, zur Vernunft zu kommen. Als er seine Rede beendet hatte, drehte kein Mensch seinen Apparat ab. Weil die ersten Filme vom Vier-Tage-Krieg gezeigt werden konnten - aufgenommen von einem kanadischen Team, das in Abu Dhabi einen Doku mentarfilm für die CBC gedreht hatte. Sie hatten ihr Material in Sicherheit gebracht, indem sie sich von einem Scheich mit nehmen ließen, der den Persern im letzten Moment in seinem Lear Jet davongeflogen war. Nach acht Uhr begann das Fernsprechnetz der Vereinigten Staaten heißzulaufen. Väter riefen ihre Söhne an, Mütter ihre Töchter, Kunden ihre Makler, Bankiers ihre Kollegen - und alle stellten die gleiche Frage: »Was meinst du, wie geht es morgen weiter?« Über die restlichen 99 Prozent jener vier Billionen Dollar in flüssigen Vermögenswerten war noch nichts entschieden. Eine Stunde später wurde das nun schon eine Woche andau ernde Schweigen in der saudiarabischen Hauptstadt unterbro chen. In einer von König Khalid und Kronprinz Abdullah ge meinsam herausgegebenen Erklärung wurde mitgeteilt, daß Saudiarabien vor zwei Stunden vom Iran angegriffen worden war. Die saudiarabischen Streitkräfte, hieß es, hielten ihre Stellungen. Dann folgte ein Aufruf an alle arabischen Brüder, ihnen im Kampf gegen die Arier aus dem Norden zu Hilfe zu kommen. Ein weiterer Aufruf war an die Vereinigten Staaten gerichtet. Saudiarabien würde jeden militärischen Beistand von seinen amerikanischen Freunden willkommen heißen. Nun wußten wir es also - endlich. Alle Gerüchte waren falsch. König Khalid war am Leben und, wenigstens zum Teil, Herr über Saudiarabien. Und die Saudis griffen niemanden an. Der Schah von Persien hatte uns alle für dumm verkauft.
Schon eine Stunde später hatte Oberst Khadafi von Libyen 120 Mirage-III-Kampfbomber nach Saudiarabien geschickt. Ägyp ten hatte seine ersten Flüge nach Riyadh gestartet, russische Transportflugzeuge mit den Elite-Fallschirmjägerbataillonen der ägyptischen Armee. Der König von Jordanien verpflichtete sich, an der Spitze seiner Panzerdivisionen die Wüste zu durchqueren, um sich dem Feind entgegenzustellen. Die Ver einigten Staaten ließen verlauten, daß die Siebte Flotte mit Volldampf voraus auf den Golf zusteuerte und daß mit den NATO-Partnern Gespräche im Gang waren, die den mögli chen Einsatz der in Deutschland stationierten Dritten Armee zum Inhalt hatten. Damit hatte der Schah gerechnet. Vielleicht nicht in diesem Ausmaß, aber immerhin, er war Realist. Deshalb zielte seine Strategie darauf ab, den Krieg in drei Tagen zu beenden. Dann würde er alle Ölfelder des Nahen Ostens in seiner Gewalt ha ben, noch bevor eine Gegenoffensive eingeleitet werden konn te. Und dann konnte er die Welt auf die Knie zwingen. Hände weg! Oder er jagte die Ölfelder in die Luft. Seine Strategie bewährte sich perfekt. Am Morgen des dritten Tages waren zwei iranische Panzerdivisionen auf dem besten Weg, die Ölfelder von Ghawar einzuschließen. 500 einsatzfä hige Kampfflugzeuge standen bereit. Alles zusammen hatte er über eine Viertelmillion Soldaten auf dem Schlachtfeld. Was sich ihnen entgegenstellte, war kläglich. Die Saudis hatten insgesamt - Armee plus Nationalgarde - 61.000 Mann. Ein Verhältnis von vier zu eins. Ein Kinderspiel. Gewaltig unterschätzt aber hatte er die Ausrüstung, die in den ersten Monaten des Jahres 1982 mit rasender Eile betrieben worden war. Die Amerikaner hatten große Mengen geliefert, insbesondere Panzer und Flugzeuge. Ja, die saudiarabische Luftwaffe war der iranischen in jeder Beziehung gleichwertig. Als Amerikaner die Kontrollen dieser Maschinen übernahmen - 1800 dienten als Instruktoren in Saudiarabien -, entwickelten die Saudis sehr bald deutliche Überlegenheit. So kam es, daß bereits 25 Prozent der iranischen Panzer zerstört waren, noch
bevor es zum ersten Zusammenstoß zwischen persischen und saudiarabischen Panzern kam. Das hatte der Schah nicht vo rausgesehen. Er hatte auch die saudiarabische Luftabwehr gröblich unterschätzt. Die Amerikaner hatten vier Jahre lang daran gearbeitet, und sie hatte 7 Milliarden Dollar gekostet. Am 1. Januar 1982 war sie voll einsatzfähig geworden. Es war die beste Anlage der Welt. In den ersten vier Stunden der Schlacht verloren die Perser 120 Flugzeuge. Um zwei Uhr nachmittags Nah-Ost-Zeit war der persische Vormarsch völlig zum Erliegen gekommen. Gleichzeitig be gannen die ersten Verstärkungen aus Ägypten und Libyen einzutreffen. Die jordanischen Panzer wären unterwegs. Und die Siebte Flotte hatte Singapur umfahren. Als die Dunkelheit ein Nachlassen der Schlacht erzwang, hatte es den Anschein - und das Klischee drängte sich auf -, als ob der David Saudi den iranischen Goliath zum Stehen gebracht hätte. Für immer zum Stehen gebracht hätte. Als die Nachrichten über den Fortgang der Kampfhandlungen an diesem dritten Kriegstag Westeuropa und die Vereinigten Staaten erreichten, folgten ihnen bald noch andere frohe Bot schaften. Die Behörden in Riyadh gaben offiziell das Ende des Kapitalabzugs aus den Vereinigten Staaten bekannt. Die Ban ken Westeuropas, die bisher 35 Milliarden Dollar aus den Vereinigten Staaten abgezogen hatten, schienen den ruinösen Ausstieg aus dem Dollar auffallend zu verlangsamen. Der Umsatz an der New Yorker Börse, der den von der Panik dik tierten Stand von 80 Millionen Aktien erreicht hatte, fiel auf den nur mehr zum Teil von der Panik diktierten Stand von nur 57 Millionen Stück. Und die Schlangen vor den Banken waren zwar immer noch lang, wuchsen aber wenigstens nicht weiter. Es stand immer noch alles auf des Messers Schneide. Spät abends wurde bekannt, daß Westdeutschland und die NATO den Einsatz der in Europa stationierten amerikanischen Streitkräfte im Nahen Osten gebilligt hatten. Das erste Hercu les-Transportflugzeug, beladen mit dem Besten, was die Ver einigten Staaten in puncto Mannschaften und Ausrüstungen zu
bieten hatten, würde in Kürze seinen vierstündigen Flug von Frankfurt nach Saudiarabien antreten. Europa wandte sich vom Schah ab, denn jetzt sah es so aus, als ob am Ende doch die Amerikaner, direkt oder indirekt, den Persischen Golf kon trollieren würden. Die Welt, so schien es, war an den Rand des Abgrunds gera ten. Aber nicht weiter.
26 Es war vier Uhr früh am 22. März im südlichen Iran. Der Schah, General Khatami und Brigadier Shahandeh hatten seit 48 Stunden nicht mehr geschlafen. Ihre grimmigen unrasierten Gesichter zeugten von tiefer Erschöpfung. Trotz der unge wohnten Stunde trafen ununterbrochen Meldungen von Kriegsschauplätzen in Saudiarabien ein, neue Befehle gingen hinaus, und der Bunker summte wie ein Bienenkorb. Aber der Schah saß schon eine halbe Stunde auf seinem Ses sel, dem Sessel des Oberbefehlshabers, ohne sich zu rühren und ohne ein Wort zu sprechen - seitdem er die Nachricht erhalten hatte, daß die erste amerikanische Hercules in Kürze vom Rhein-Main-Flughafen außerhalb Frankfurts abheben würde. »Majestät?« Das war Khatami. Keine Antwort. »Ich glaube, es ist nicht zu spät, sie zu stoppen, Sir.« »Halten Sie den Mund, Khatami. Ich überlege.« »Wir müssen mit den Russen sprechen, Eure Majestät. Sie werden nicht zulassen, daß die Amerikaner in den Nahen Osten eindringen.« »Die Russen haben sich zur Nichteinmischung bekannt. Sie werden sich doch nicht offen und militärisch mit der ganzen arabischen Welt anlegen. Seien Sie kein Narr, Khatami.« Wieder verfiel der Schah in Schweigen. Aufrecht, die Augen geschlossen, saß er da. Er trug seine Uniform. »Holen Sie mir den Professor.« »Bitte?« »Den Professor. Holen Sie ihn. Jetzt gleich!« Die Augen des Schah blieben geschlossen, während er diese Befehle brüllte. Und sie waren immer noch geschlossen, als Khatami zwanzig Minuten später mit Professor Hartmann zurückkehrte. Schweigend standen die beiden Männer vor dem Herrscher. »Professor«, stieß der Schah schließlich hervor, und jetzt
schlug er die Augen auf und richtete sie auf den Schweizer,
»ich will Sie noch einmal fragen. Sind Sie sicher? Sind Sie
Ihrer Sache ganz sicher?«
»Ich habe es Ihnen schon oft gesagt, Eure Majestät. Ich bin
sicher. Sie werden funktionieren.«
»Khatami.«
»Ja, Eure Majestät.«
»Sind sie aufgehängt?«
»Ja. Sechs. Maschinen und Besatzung in Wartestellung.«
»In Ordnung. Lassen Sie die Bomben scharf machen.«
»Jetzt?«
»Jetzt!«
Der General und der Professor gingen zum Aufzug zurück, der
sie wieder an die Oberfläche auf dem Flugplatz von Khor
ramshahr brachte, wo die Phantoms auf den Einsatz warteten.
»Shahandeh!« rief der Schah seinen Brigadier.
»Ja, Eure Majestät.«
»Ordnen Sie sofort den Rückzug an. Alle Panzer. Alle Trup
pen. Und ich wünsche, daß sich der Rückzug möglichst rasch
vollzieht.«
»Ja, Eure Majestät.«
Als nun der Befehl zum Rückzug über Funk an alle iranischen
Kommandeure hinausging, die sprungbereit im Norden und
Westen der Ölfelder von Ghawar standen, erreichte der Be
trieb im Bunker Fieberhitze.
Dreißig Minuten später kehrte General Khatami mit Professor
Hartmann zurück.
»Sie sind scharf gemacht, Eure Majestät.«
»Ausgezeichnet. Bitte bringen Sie uns Kaffee, Khatami. Set
zen Sie sich hier neben mich, Professor.«
Der schweizerische Professor tat, wie ihm geheißen. Der alte
Herr ließ keine Spur von Ermüdung erkennen. In seinen Au
gen spiegelten sich freudige Erwartung und tiefe Bewegung.
Khatami kam mit dem Kaffee zurück. Der Schah trank ihn
langsam. »Und nun«, sagte er, »werden wir das folgende
Kommunique ausgeben und direkt an die Regierungen in Riy
adh, Washington und Kairo übermitteln. Haben Sie verstan den, Khatami?« »Ja, Eure Majestät.« »Es wird wie folgt lauten: >Der Schahinschah von Persien, Mohammed Reza Pahlavi, fordert hiermit die Regierung von Saudiarabien und deren Verbündete auf, ihre auf den Ölfeldern von Ghawar stationierten Truppen unverzüglich zu übergeben. In zwei Stunden werden in der Nähe dieses Gebietes Atom bomben abgeworfen werden. Wer das Gebiet unverzüglich verläßt, braucht um sein Leben nicht zu fürchten. Wer sich jedoch länger als zwölf Stunden nach der Detonation der Bomben dort aufhält, muß mit tödlicher Radioaktivität rech nen. Alles Kriegsmaterial ist an Ort und Stelle zurückzulassen. Sollte irgendeine in die Kämpfe im Nahen Osten verwickelte Partei von diesem Zeitpunkt an mit militärischen Aktionen, gleich welcher Art, gegen den Iran vorgehen, muß das schul dige Land mit weiteren Abwürfen rechnen. Ich weiß, daß alle verantwortungsbewußten Regierungen die Befreiung der un terdrückten Völker in den Gebieten rund um den Persischen Golf begrüßen werden und daß die gesamte Menschheit der Wiederherstellung eines dauerhaften Friedens im Nahen Osten freudig zustimmen wird.<« »Ist das alles, Eure Majestät?« »Ja. Schicken Sie es raus.« Dann: »Wie viele Bomben sollten wir abwerfen, Professor Hartmann?« »Ich würde sagen, drei. Natürlich alle im Westen der Ölfelder, vielleicht zehn Meilen westlich. Und in Abständen von zehn Meilen untereinander, auf der Nord-Süd-Achse. Ich habe sie so eingestellt, daß sie in fünftausend Fuß Höhe detonieren.« »Ausgezeichnet. Wir werden die anderen drei Phantoms einsatzbereit und scharf gemacht in Wartestellung halten.« Khatami kehrte zurück. »Das Kommunique ist hinausgegan gen.« »Ausgezeichnet. Welche Flugzeit haben wir bis zum Zielge biet?« »Zweiundvierzig Minuten.«
»Sie werden dafür sorgen, daß die Maschinen in genau einer
Stunde abfliegen.«
»Ja, Eure Majestät.«
»Also Hartmann«, sagte der Schah. »Alle diese Bomben haben
Magnesium als Verseuchungsagens?«
»Ja, Eure Majestät, so wie Sie angeordnet haben.«
»Nach einer Woche können wir das Gebiet also besetzen?«
»Ich würde sagen, nach zehn Tagen. Um ganz sicherzugehen.«
»Bis dahin werden wir genug damit zu tun haben, diese Araber
zusammenzufangen und in Lager zu verfrachten. Sehr gut.«
»Darf ich jetzt gehen, Eure Majestät?« fragte Hartmann.
»Nein. Bleiben Sie hier.«
Der Schah erhob sich. »Ich werde jetzt schlafen«, sagte er.
»Wecken Sie mich in einer Stunde und vierzig Minuten, Kha
tami.«
Der König der Könige begab sich in seine privaten Gemächer
im hinteren Teil des Bunkers.
Um halb sieben Uhr Nahost-Zeit kehrte der Schah ausgeruht,
rasiert, in einer frischen, tadellos sauberen Uniform in die
Kommandozentrale zurück. General Khatami und Brigadier
Shahandeh hockten vor den Funktelefonen. Im Raum herrsch
te erwartungsvolle Ruhe.
Dann kam, auf persisch, die Stimme des Piloten des Führungs
flugzeuges aus dem Lautsprecher. »Noch eine Minute bis zum
Ziel. Keine Probleme.«
Dann, um 6 Uhr 32: »Bomben ausgeklinkt.«
Dreißig Sekunden später: »Alle drei Bomben sind explodiert.
Wir kehren zum Stützpunkt zurück.«
Mit einer Handbewegung gebot der Schah Schweigen. Dann
sprach er:
»Mit Allahs Hilfe haben wir diesen ruhmreichen Krieg ge
wonnen. Hiermit erkläre ich die Gründung des neuen Persi
schen Reiches für vollzogen.«
Im Bunker brach ein Sturm der Begeisterung los. Doch der
Schah, Herr seines Schicksals, wollte seinen Triumph auf jede
erdenkliche Art für die Geschichte aufgezeichnet wissen.
»Khatami«, wandte er sich an seinen Befehlshaber, »ich wün sche Luftbilder vom Zielgebiet zu haben. Unsere Kinder müs sen mit eigenen Augen sehen können, was wir vollbracht ha ben. Ich wünsche, daß Sie persönlich diesen Auftrag ausfüh ren. Gleich jetzt.« »Ja, Eure Majestät.« Der General verneigte sich vor dem König der Könige. Neben ihm stand der schweizerische Professor - schweigend, aber mit einem Ausdruck, der an Verzückung grenzte. An diesem Donnerstag, dem 22. März, um 6 Uhr 57, näherten sich 17 Phantoms unter Führung von General Falk, Luftwaf fenattache an der amerikanischen Botschaft in Riyadh, der die Führungsmaschine flog, von Osten her Khorramshahr. Sie hatten weit südlich von Abadan den Persischen Golf überquert und in 500 Metern Höhe eine Schleife um die Wüste gezogen. Es war der zweite Laichsturm des Vier-Tage-Kriegs. Sieben Minuten später, um genau 7 Uhr 04, begann der mör derische Angriff auf den Luftstützpunkt Khorramshahr. Um 7 Uhr 06 wurde eine der drei Phantoms, die immer noch mit scharf gemachten Atombomben ausgerüstet in Wartestellung auf der Rollbahn standen, getroffen. Die Explosion löste den Sprengzünder der Bombe aus. Die darauf folgende Atomex plosion zündete Mikrosekunden später die scharf gemachten Bomben in den anderen zwei Flugzeugen. Der Flugplatz und ganz Khorramshahr verschwanden von der Erdoberfläche. Der Krater im Mittelpunkt der Explosion war 25 Meter tief. Der Wind kam aus Norden und dann aus Nord nordosten. Die radioaktive Wolke hüllte die Ölfelder rund um Abadan und auch die Stadt selbst ein. Dann wurde der Wind stärker, und wenige Stunden später begann der radioaktive Staub auch auf Kuwait zu fallen. Die Bewohner Khorrams hahrs waren natürlich tot. Die Bevölkerung Abadans floh in die Wüste; die von Kuwait auf die offene See hinaus. Der König der Könige hatte sein Reich erobert. Doch nun lag es unter einer Wolke tödlicher Radioaktivität; und seine Be wohner waren entweder tot oder sie lagen im Sterben oder sie
versuchten durch Flucht, ihr nacktes Leben zu retten. Vom Schah von Persien blieb nichts zurück. Sein Kommando bunker und er waren verglüht. Der Nahe Osten lag acht Zeitzonen vor New York. Es war daher dort erst 23 Uhr des Vortags, als die ersten Informatio nen über die Geschehnisse am Persischen Golf in die wichtig sten Medien durchsickerten - zu spät für die meisten regulären Nachrichtensendungen. Die CBS aber, mit ihrem unvergleich lichen Nachrichtengespür, gab ihren Zuschauern zu verstehen, daß eine ganz dicke Sache am Kochen sei. Ihr Nachrichtenbü ro in New York machte in dieser Nacht nicht wie sonst den Laden dicht. Gegen halb zwölf bildeten sich die ersten kleinen Gruppen vor einigen New Yorker Banken. Um Mitternacht schätzte man die Wartenden schon auf 20.000. Auch alle jene, die die Erei gnisse der Woche verfolgt und »das Beste gehofft« hatten, wollten jetzt, solange es noch Zeit war, »aussteigen«. Um ein Uhr nachts, am Donnerstag, dem 22. März, veröffent lichte das Weiße Haus ein sehr kurzes Kommunique. Es ent hielt die Mitteilung, daß im Nahostkrieg Atomwaffen einge setzt worden waren. Wer sie eingesetzt hatte, war nicht klar. Aber alles deutete darauf hin, daß die Feindseligkeiten einge stellt worden waren. Amerikanische Truppen trafen laufend in Riyadh ein - 3000 Mann in der Stunde. Es war zu erwarten, daß sie das ganze Gebiet in nur wenigen Tagen wieder ins Gleichgewicht bringen würden. Um drei Uhr früh flogen zwei Teams von Atomwissenschaftlern im Auftrag des Präsidenten von Los Alamos nach dem Nahen Osten. Ihre Aufgabe: festzustellen, wann alle Sicherhei ten für die Männer der Dritten Armee gegeben sein würden, um die Ölfelder am Persischen Golf zu besetzen. Um vier Uhr früh wurde beschlossen, die amerikanischen Banken anzuweisen, ihre Schalter wie gewöhnlich offen zu halten. Eine andere Entscheidung würde nur eine unnötige Panik hervorrufen, vielleicht sogar Unruhen. Es war ein logi scher Beschluß. Und der Präsident erläuterte diese Logik in
einer Rede an die Nation um sieben Uhr früh. Er faßte die Ereignisse mit den Worten zusammen: »Wir können von Glück sagen, daß wir, die Vereinigten Staaten, diesen entsetz lichen Kampf um die Ölfelder des Nahen Ostens gewonnen haben. Zusammen mit unseren arabischen Freunden werden wir sicherstellen, daß die Zugänge zu den riesigen Boden schätzen des Persischen Golfs für alle Zeit frei und offen blei ben. Und nun, meine Freunde, ist es Zeit, daß wir wieder an die Arbeit gehen. Denn Amerika - seine großen Banken, seine großen Industrien - geht auch weiterhin seinen Geschäften nach.« Keiner glaubte ihm. Einer Schätzung zufolge tauschte das amerikanische Publikum an diesem Donnerstag weit über hundert Milliarden in liquidi tätswirksamen Vermögenswerten gegen Bargeld ein. Und am Freitag weitere 125 Milliarden. Im Verlauf einer einzigen Wo che war der gesamte Geldbestand der Vereinigten Staaten künstlich erhöht worden, indem man für 250 Milliarden Dollar neues Geld gedruckt hatte. Auf diese Weise war das im Um lauf befindliche Geld im wesentlichen verdoppelt worden aber nicht eine einzige Bank mußte schließen. Und weil nun das Wochenende unmittelbar bevorstand, war nicht einzuse hen, warum sich die Flut nicht drehen sollte. Die Leute wür den sich der Tatsache bewußt werden, daß das System sich bewährt hatte. Und Montag würden sie dann ein wenig verle gen ihr Geld wieder dorthin bringen, wo es hingehörte: in die Banken, nicht in ihre Taschen. Doch an diesem Freitag, an diesem Sonnabend und an diesem Sonntag machte sich ein neues Phänomen bemerkbar. Die Leute legten riesige Mengen von Bargeld in greifbaren Werten an: in Kleidung, Nahrungsmitteln, Benzin, Schuhen, Häusern, Pferden, Möbeln. Das Doppelte des normalen Geldumlaufs jagte nun wie verrückt der gleichen Menge von Gütern nach, die schon vor Ausbruch dieser Massenhysterie vorhanden gewesen war. Bald spielten Preise keine Rolle mehr. Es war der klare Fall einer laufenden Superinflation. Nicht die Banken
sahen sich als erste gezwungen, ihre Türen zu schließen. Es waren die Kaufhäuser, die Supermärkte, die Großhändler. Sie waren einfach ausverkauft. Und Sonntag Nachmittag schlossen sämtliche McDonald-Snackbars im ganzen Land. Weil ihre Besitzer erkannten, was allmählich auch allen ande ren dämmerte: Der Dollar war zu einer wertlosen Ware ge worden. Es war Wahnsinn, sich noch mehr von dem Zeug aufschwatzen zu lassen. So ging es auch mit dem Yen, der Deutschen Mark, mit dem Pfund und der Lira. Die Flucht aus dem Dollar hatte auch den Umlauf dieser Währungen explosi onsartig anschwellen lassen. In dem Maße, wie der »amerika nische Wahnsinn« sich ausbreitete, sahen sich überall die Re gierungen genötigt, ihre Länder mit noch mehr Banknoten zu überschwemmen. Jetzt waren auch diese wertlos. Die Banken blieben Montag geschlossen. Die meisten machten überhaupt nie wieder auf. Weil sie schon lange vor diesen Ereignissen pleite gewesen waren. Die Panik hatte zur Folge, daß diese Tatsache ans Licht kam. Aber der Frieden konnte aufrechterhalten werden. In ganz Amerika rückte die Nationalgarde in voller Stärke aus. Trotz dem wurden Dutzende von Banken niedergebrannt und Hun derte von Geschäften geplündert. An jenem Montag beschlossen Ursula und ich, die wir uns in St. Moritz in der wie immer wohlgeordneten Schweiz in Si cherheit befanden, zu heiraten. Denn die Schweiz deportierte jetzt alle Ausländer. Weil das Land sie, so hieß es, so wie die Dinge in der Welt standen, nicht länger unterstützen konnte. Wer mit einem Schweizer (einer Schweizerin) verheiratet war, durfte bleiben. Ursula war Schweizerin, und wir wollten beide bleiben, zumindest für eine Weile, bis sich die übrige Welt wieder ein wenig beruhigt hatte. Aber wir hatten die feste Ab sicht, später in die Vereinigten Staaten zu übersiedeln. Weil ich nicht daran zweifelte, daß dieses an Bodenschätzen so reiche Land das einzige sein würde, in dem es sich zu leben lohnte. Und schließlich besaß ich Tausende Morgen bestes Weideland - mit reichem Viehbestand - in Kalifornien. Auch
zweifelte ich nicht daran, daß Amerika sich sehr bald die fremdenfeindliche Politik der Schweiz zu eigen machen wür de. Auch die Frau eines amerikanischen Bürgers würden sie ja wohl hereinlassen müssen. Außerdem, glaube ich, brauchten wir einander. Es war eine Ziviltrauung im kleinen Büro des Bürgermeisters. Herr Meier vom Schweizerischen Bankverein - der jetzt auch geschlossen war, so daß Meier reichlich Zeit hatte - war unser Trauzeuge. Um halb vier war es vorüber. Um vier gingen wir zu Hanselmann zum Tee. Sie nahmen Goldmünzen in Zahlung, und davon hatte ich eine ganze Men ge. »Ich wünschte, dein Vater könnte bei uns sein«, sagte ich. »Ja.« »Aber vielleicht war es ihm so lieber. Ich glaube, wir verste hen beide, warum er es getan hat. Die Araber sind erledigt. Und wenn es bei diesem ganzen Schlamassel überhaupt einen Gewinner gibt, dann ist es Israel. Jetzt sind die Israelis in Si cherheit.« »Ja«, gab Ursula zu, »sie sind in Sicherheit. Aber wie lange? Vielleicht ein paar Jahre. Und das ist es, was mich beunru higt.« »Beunruhigt?« »Ja. Mein Vater - du kanntest ihn ja kaum, war ein sehr gründ licher und der ehrenhafteste Mann, den ich kannte. Und er hat mir etwas versprochen.« Gründlich? Ich sprach es nicht aus, aber ich fragte mich: Wie gründlich kann ein Mensch sein? Und versprochen? Was hatte er versprochen? Zwei Wochen später wußten wir es. Nicht nur amerikanische Atomwissenschaftler waren in den Nahen Osten gereist, son dern auch solche aus einem Dutzend verschiedener Länder Westeuropas. Sie alle zogen die gleichen Schlüsse: dieser Wahnsinnige, der Schah von Persien, hatte für die sechs Atombomben, die im Nahen Osten explodiert waren, unver ständlicherweise Kobalt als Verseuchungsagens verwendet.
Kobalt hat eine der längsten Halbwertszeiten aller dem Men schen bekannten Substanzen. Die Ölfelder Saudiarabiens, Kuwaits, aber auch Persiens würden auf mindestens 25 Jahre hinaus völlig unzugänglich bleiben. Als Weltmacht - und als Bedrohung für Israel - waren die Araber erledigt. Die Indu strienationen des Westens waren natürlich auch erledigt. Der Professor und seine Tochter waren gründlich gewesen. Aber diesmal waren die Israelis zu weit gegangen. Und manchmal frage ich mich, ob dieser Hurensohn Ben-Levi noch am Leben ist und zufrieden mit dem, was er angerichtet hat. Denn jetzt war die Welt gezwungen, mit einem Bankenapparat zu leben, der in Scherben lag, mit einem Währungschaos und der Aussicht, mit der Hälfte ihrer früheren Ölreserven ihr Auskommen finden zu müssen. Allmählich begannen die Lichter weltweit zu flackern und zu erlöschen. Der große Schock von 1982 war komplett.