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John Maddox Roberts
DER DRAUFGÄNGER
37. Roman des Conan-Zyklus
A JOHN MADDOX ROBERTS
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John Maddox Roberts
DER DRAUFGÄNGER
37. Roman des Conan-Zyklus
A JOHN MADDOX ROBERTS
DER DRAUFGÄNGER 37. Band der Conan-Saga
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h WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 06/4959
Titel der amerikanischen Originalausgabe CONAN THE BOLD Deutsche Übersetzung von Edda Petri Das Umschlagbild schuf Thomas Thiemeyer
Redaktion: Friedel Wahren Copyright © 1989 by Conan Properties, Inc. Copyright © 1992 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany 1992 Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Satz: Rudolf Schaber, Wels Druck und Bindung: Pressedruck ISBN 3-453-06235-3
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-Saga Band 37: Conan der Draufgänger
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Eins Die Heimstatt stand auf einer kleinen Lichtung, umgeben von Hügeln, die dicht mit Laubbäumen bewachsen waren. Familienoberhaupt war Halga. Der ergrauende Mann stützte sich auf seinen Speer und sah zu, wie seine drei Söhne das Vieh auf die Weide trieben. Er war zutiefst zufrieden, denn der Winter war mild gewesen und die Herde beträchtlich gewachsen. Jetzt standen die Bäume in vollem Laub. Die Bäche waren voller Fische. Die Entbehrungen des Winters waren der Zeit des Überflusses gewichen. Sein Blick wanderte von der Herde zu dem jungen Mann, der aus dem Steinhaus trat. In schnellen Schritten kam er auf Halga zu. Von den schweren Wunden, mit denen er vor einigen Wochen aus der piktischen Wildnis herausgetaumelt war, sah man nichts mehr. Tagelang hatte er in todesähnlichem Koma gelegen, während die Frauen in Halgas Haushalt ihn pflegten. Cimmerische Heilkunst war primitiv und bestand hauptsächlich daraus, die Wunden sauber zu halten und größere mit langen Haaren aus Pferdeschwänzen zu nähen. Die Cimmerier glaubten an die Heilkraft des eigenen Körpers. Da dieser junge Bursche ein Cimmerier war, überlebte er. Als er sprechen konnte, hatten sie herausgefunden, daß er Conan hieß und ein Hochländer aus dem Nordosten war. Er war jünger als Halgas Söhne – höchstens siebzehn, aber größer als sie. Bei mildem Wetter trug er nur seinen Waffengurt, ein Lendentuch und Sandalen. Über die kräftigen Schultern hatte er den Jagdspieß geschwungen. »Na, hast du Lust auf die Jagd zu gehen, Conan?« fragte Halga. »Ich bin fast verrückt geworden, nur so im Bett zu liegen und bedient zu werden«, antwortete der junge Mann. »Deine Söhne sagten mir, daß es in den Hügeln Rehe und Hirsche und in den niedrigen Marschen wilde Bullen gebe.« »Geh auf Rotwild. Wilde Bullen sind keine Jagdbeute für einen einzelnen Mann«, warnte Halga. »Besonders, wenn er noch nicht ganz
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bei Kräften ist. Weidmannsheil! Wildbret wäre eine willkommene Abwechslung nach Rind und Schaf.« Ohne weitere Worte drehte sich der junge Mann um und ging zum Tor der Palisade. Halga blickte ihm nachdenklich hinterdrein. Seine Tochter Naefa hatte den Großteil der Pflege für sich beansprucht, sehr zum Vergnügen ihrer Eltern und Brüder. Das Mädchen war im heiratsfähigen Alter, und cimmerischen Frauen war es verboten, innerhalb des eigenen Clans zu heiraten. Der Bursche war ein durchaus annehmbarer Heiratskandidat. Von den schweren Wunden hatte er sich selbst für einen Cimmerier schnell erholt, und diese Rasse brachte keine Schwächlinge hervor. Schon vor der vollständigen Genesung besiegte Conan Halga und dessen Söhne im Schwertkampf. Nie hatte Halga einen Mann gesehen, der die Klinge schneller zu schwingen verstand. Sicher, der Bursche schien ungebärdig und voll Wanderlust zu sein. Das würde sich mit zunehmendem Alter und einem Eheweib an der Seite geben. Die gesunde Kampfeslust konnte er bei Raubzügen auf die benachbarten Pikten und Bossonier austoben. Schon bald würden Halga und seine Nachbarn einen Raubzug gegen die einen oder die anderen ausführen, es sei denn, der Feind schlüge vorher zu. Doch das war im Grunde belanglos. Kämpfen war beinahe das einzige Freizeitvergnügen der Cimmerier, und die Ehre blieb die gleiche, ob man angriff oder angegriffen wurde. Der Gegenstand von Halgas Überlegungen war selbst hin- und hergerissen, als er durch das Tor der Holzpalisade schritt, das für ihn immer noch fremd war. Die Hochländer verwendeten solche Befestigungen nicht. Doch die Cimmerier im Südwesten lebten so nahe an feindlichen Stämmen, daß sie mehr Schutz benötigten als die im Norden, wo es nur zu Fehden unter Nachbarn kam. Hier war jede Heimstatt von einer Holzpalisade umschlossen. Außerdem hatten mehrere Familien gemeinsam ein zentrales Fort, wohin sie in Kriegszeiten flüchten konnten. Da die Cimmerier aber niemals Verteidigungstaktik anwendeten, dienten die Forts nur als Schutz für Frauen,
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Kinder und Vieh, während die Männer blutdurstig angriffen oder sich erbittert im offenen Kampf verteidigten. Mit geschultertem Spieß marschierte Conan auf die dichtbewaldeten Hügel zu. Er fühlte sich wieder ganz bei Kräften, hatte auch schon öfter vom Weggehen gesprochen, aber noch keine Schritte unternommen, sich zu verabschieden. Er sehnte sich danach, fremde Länder zu durchstreifen, sein Glück unter fremden Völkern zu machen und alle die Wunder zu sehen, welche den Menschen in seiner Heimat verborgen blieben, da sie in unwirtlichem Gebirge oder tiefen Wäldern lebten. Schon jetzt war er weiter herumgekommen als die meisten Cimmerier in seinem Alter. Diese Abenteuer hatten in ihm den Appetit auf mehr geweckt. Doch jetzt war sein Herz von einem anderen Begehren erfüllt, welches die Klugheit des Wanderlebens in Zweifel zog. Ursprung dieses Begehrens war Naefa, Halgas Tochter, die kein Geheimnis daraus machte, daß sie Conan als Ehemann begehrte. Zu ihren Gunsten sprach seine cimmerische Herkunft. Männer seines Volkes wurden ermutigt, jung zu heiraten und viele Kinder in die Welt zu setzen. Das Leben in Cimmeria war hart, von allen hyborischen Ländern war es das primitivste. Scharenweise wurden die Männer in den ständigen Fehden und Kriegszügen erschlagen. Frauen und Kinder wurden geraubt und zu Sklaven gemacht; obwohl es den meisten erwachsenen Frauen gelang, sich das Leben zu nehmen, bevor sie Sklavinnen wurden. Alle litten unter der Hungersnot in den strengen Wintern, die weitaus zahlreicher waren als die milden. Die einzige Antwort auf das Aussterben war eine hohe Geburtsrate. Allerdings hatten die Cimmerier durch ihre mühevolle Geschichte und rauhe Umwelt auch einige Vorteile errungen. Der Prozeß unerbittlicher Auslese hatte sie stärker und ausdauernder gemacht als die meisten Völker. Krankheit war beinahe unbekannt und ihre Genesungskraft beinahe legendär. Aus diesem Grund konnte Conan jetzt schon auf die Jagd gehen, während ein Mann anderer Herkunft mit
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denselben Wunden schon wochenlang im Grab gemodert hätte. Stärke und Ausdauer der Cimmerier machten ihre Kinder zu Lieblingsobjekten der Sklavenjäger, wodurch die Notwendigkeit der Kampfkunst bei den Erwachsenen verstärkt wurde. An dies alles dachte Conan nicht, als er dahinmarschierte. Seine Gedanken waren bei Naefa. Er konnte sie heiraten und sich hier niederlassen. Es war nicht unüblich für einen Mann, in den Clan der Frau einzutreten, besonders wenn er mit seinem eigenen im Streit lag. Conans Verhältnis zu den Häuptlingen seines Clans war um ein Haar in offene Feindschaft ausgeartet. Daher hatte er keine Gewissensbisse gehabt, sein Volk zu verlassen und sein Glück woanders zu suchen. Seit er hier war, waren Halga und seine Söhne wie Vater und Brüder zu ihm gewesen, und Naefa ... In diesem Gedankenaufruhr stieß er auf die Fährte eines Bocks. Erfreut, sich mit etwas Einfacherem beschäftigen zu können, nahm er die Pirsch auf. Größe und Tiefe der gespaltenen Hufabdrücke sagten ihm, daß es sich um ein großes Tier handelte. Ein Haarbüschel an einem Zweig verriet, daß der Bock jung und völlig gesund war. Ihm wurde der Mund wäßrig bei dem Gedanken an Wildbraten. Er sah sich schon, das tote Tier über den Schultern, Halgas Haus betreten und den Dank und das Lob Naefas und ihrer Mutter empfangen. Es war eine durchaus angenehme Vorstellung, viel zu angenehm für einen jungen Burschen, der sich vorgenommen hatte, die große weite Welt kennenzulernen und etwas aus sich zu machen – vielleicht etwas Großes. Während Conan den Bock abwechselnd ganz konzentriert und dann wieder in Tagträumen versunken verfolgte, wurde er beobachtet. Dunkle Augen folgten ihm auf Schritt und Tritt. Eine untersetzte, aber geschmeidige Gestalt blieb ihm lautlos auf den Fersen. Der Verfolger war Pikte, Angehöriger einer Rasse, die so uralt war, daß sie vollständig zum Land gehörte. Wie ein stummer Schatten folgte er dem jungen Cimmerier. In den dunklen Augen blitzte Wildheit. Doch Conan bemerkte ihn nicht.
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Kurz vor Mittag entdeckte Conan den Bock. Er äste auf einer kleinen Lichtung. Es war ein feines, fettes Tier, das nach dem milden Winter schon frühzeitig gut im Futter stand. Conan schlich sich so an, wie er es gelernt hatte: ein paar leise Schritte, wenn das Tier den Kopf gesenkt hatte und äste, sobald es aber den Kopf hob, zur Statue erstarren. Die primitiven Augen und das Gehirn eines Tieres registrierten kaum mehr als Bewegung; daher entging ein Jäger seiner Aufmerksamkeit oft, wenn er ganz still stand, obwohl er offen zu sehen war. Beim Anpirschen bewunderte Conan das glänzende Fell, die strahlenden Augen und das herrliche Geweih, an dem noch trocknende Bastfetzen hingen. In Wurfweite blieb er stehen. Als der Kopf mit dem Geweih sich das nächste Mal nach unten bewegte, hob der Cimmerier den Spieß und schleuderte ihn blitzschnell. Er warf mit gestrecktem Arm und verlieh dem Spieß gerade im richtigen Moment noch eine winzige Drehung aus dem Handgelenk, wodurch die Waffe, um die eigene Achse wirbelnd, geradlinig dahinsauste. Spieß- und Speerwurf waren die schwierigsten Kriegskünste, aber der junge Conan galt als Meister. Die meisten hätten auf das Herz hinter der Schulter gezielt, um ganz sicher zu töten. Ein Treffer in Lunge oder Bauch hätte auch den Tod gebracht, aber dabei konnte das Tier leiden. Conan war anders. Für ihn gab es nur einen Treffer: ins Schwarze oder daneben. Daher hatte er den Punkt direkt hinter den Ohren des Bocks gewählt. Selbst für einen guten bossonischen Bogenschützen war dies ein schwieriges Ziel. Mit einem Spieß wagte es kaum jemand. Die Waffe traf ihr Ziel haargenau, drang zwischen die Wirbel und fällte den Hirsch, als wäre er vom Blitz getroffen worden. Conan lief mit gezücktem Messer auf ihn zu und schnitt ihm die Kehle durch, obwohl diese Gnade nicht mehr nötig war. Beim Ausweiden waren ihm die Waffen hinderlich, daher legte er den Waffengurt ab und hängte ihn an einen Ast. Er war zur Hälfte mit dem Häuten fertig, als ihn ein Geräusch mit gezücktem Messer herumwirbeln ließ.
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Der Mann, der lässig an einem Baum lehnte, war einen guten Fuß kleiner als Conan; aber in Schultern und Brust ebenso breit. Das Haar war so schwarz wie das des jungen Cimmeriers; aber die Augen waren dunkel, und die Haut wirkte dunkelbraun. Conan verfluchte sich wegen seiner Leichtsinnigkeit, als er das eigene Schwert in der Hand des Mannes sah. Sein blutiger Jagdspieß lehnte am Baum dahinter. Ein Pikte! Pikten waren seit Urzeiten die Erzfeinde der Cimmerier. »Tod ist der Preis für Unachtsamkeit, Cimmerier«, sagte der Pikte. Conan spürte, wie ihm die Ohren vor Scham brannten. »So leicht bin ich nicht zu töten, Pikte, auch wenn es Messer gegen Schwert gilt.« Der Pikte grinste, wobei sich das bemalte Gesicht verzog. »Eine tapfere Rede; aber du weißt, daß du unrecht hast. So schnell schon hast du meine Lektion vergessen?« Conan widmete sich wieder dem Häuten. »Ich habe sie nicht vergessen. Schon die erste Lektion meines Vaters lautete: Laß deine Waffen nie außer Reichweite!« »Dann muß dein Kopf bei einem Weib sein. Das ist keine Entschuldigung. Tote können mit Frauen nichts mehr anfangen. Jeder andere Pikte hätte dich auf Anhieb getötet.« Conan brummte vor sich hin. Vor Monaten hatte ihn eine Kriegerschar der Schwarzberg-Pikten durch die piktischen Wälder und über die Berge gejagt. Er hatte in einer Höhle Zuflucht gesucht, die aber schon besetzt war. Tahatch, ein Krieger der Großes-Tal-Pikten, hatte sich dort versteckt. Ihn verfolgte eine andere Horde der Schwarzbergkrieger. Die beiden hatten notgedrungen drei Tage und Nächte lang in der engen Höhle beisammenbleiben müssen und sich die Zeit mit geflüsterten Erzählungen vertrieben. Als sie endlich wieder auftauchen konnten, waren sie mehrere Wochen lang gemeinsam durch die Berge gestreift. Sie hatten gejagt und gelegentlich mitternächtliche Überfälle auf Schwarzberg-Dörfer durchgeführt. Tahatch war auf der Suche nach Abenteuern und Ruhm, um in die Graue-Wolf-Bruderschaft aufgenommen zu werden, welche
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die angesehenste aller Kriegerbünde war. Conan hatte sich für einen hervorragenden Waldläufer gehalten, doch mußte er feststellen, daß er im Vergleich zu dem Pikten ein Anfänger war und noch viel zu lernen hatte. Vor einigen Wochen waren sie während eines Kampfes mit einer Kriegerschar, welche die Wälder nach den nächtlichen Räubern durchkämmte, getrennt worden. Conan war kaum mit dem Leben davongekommen und hatte annehmen müssen, daß Tahatch tot sei. Doch jetzt stand der Pikte heil und gesund vor ihm, frisch mit Bärenfett eingeschmiert. »Ein feiner Hirsch«, sagte Tahatch. Conan verstand die Andeutung und deutete auf die Innereien. »Nimm dir! Ich kann sowieso nicht alles tragen.« Der Pikte hockte sich hin und griff nach der Leber. Er hielt das glitschige Organ in den Händen und biß hinein. Conan blickte beiseite. Er hatte begeistert die Kampfkünste und die Fertigkeiten im Wald erlernt; aber die Essensgewohnheiten des Pikten hatten ihm nicht die Sinne geraubt. »Wie bist du entkommen?« fragte Conan, als er den Hirsch mit der Axt vierteilte. »Einen ganzen Tag lang hielt ich mich im Sumpf versteckt. Ich holte nur durch ein Schilfrohr Luft. Das ist ein alter Trick im Tal; aber die Schwarzbergkrieger kannten ihn wohl nicht.« Er riß einen großen Bissen aus der rohen Leber. Blut tropfte auf den Halsschmuck, der einen Großteil der Brust bedeckte. Der Schmuck war aus vielen Reihen von Bärenklauen gefertigt. Eberzähne bildeten die Armbänder, die über dem Bizeps beider Arme prangten. Er trug einen Umhang aus wunderschönem Wolfsfell, wobei der zähnefletschende Wolfskopf wie eine Maske die Stirn bedeckte. Tahatch war ein ausgezeichneter Jäger, und bei den Pikten war es Sitte, niemanden über solche Fähigkeiten im Zweifel zu lassen.
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Als Conan mit der Zerteilung des Wildes fertig war, wickelte er so viel, wie er tragen konnte, ins Fell und schwang sich die Last auf die Schultern. Für einen Mann, der schon von Waffengurt und Waffen samt Spieß beschwert war, war dies recht lästig. Der Pikte stand auf und rülpste genüßlich. »Ich werde dir beim Tragen helfen«, bot er an. »Wenn es nicht zu weit ist«, fuhr er einschränkend fort. Dann warf er sich ohne sichtbare Mühe etwa einen Zentner Hirschfleisch auf die Schulter. Ihn störte auch nicht, daß die Haut dabei mit Blut beschmiert wurde. »Wo wohnst du?« fragte er, als sie bergab gingen. »Bei einem Cimmerier, der nicht weit von hier lebt. Wir sind noch vor Sonnenuntergang dort.« »Du vielleicht«, meinte der Pikte mürrisch. »Aber nicht ich. Deine Stammesgenossen würden mich umbringen. Meine Leute würden auch nie verstehen, wie ich mich mit einem Cimmerier anfreunden konnte. Nein, sobald wir die Heimstatt sehen, müssen sich unsere Wege wieder trennen.« Halga wußte, daß etwas nicht stimmte, als seine Söhne auf die Heimstatt zuliefen. Nirgendwo sah er das Vieh. Nur große Gefahr konnte die jungen Männer dazu gebracht haben, die ihnen anvertraute Herde im Stich zu lassen. Er traf sie am Tor. Kaum war der letzte hindurch, legte er sofort den Riegel vor. »Räuber«, stieß der älteste Sohn hervor. »Vielleicht dreißig.« »Pikten?« fragte Halga. »Nein«, antwortete der junge Mann, der Dermat hieß, »ein gemischter Haufen. Ich sah drei Bossonier, einige Gundermänner und eine Menge, deren Stammeszugehörigkeit ich nicht kenne.« »Sklavenjäger«, sagte Halga grimmig. Er wünschte, Conan wäre da gewesen. Ein zusätzliches Schwert wäre nützlich gewesen. Vier Männer gegen dreißig – das sah nicht gut aus, selbst wenn die vier Cimmerier waren. Aber herbeiwünschen konnte er Conan nicht. »Sklavenjäger sind nicht tapfer genug für einen Kampf bis ans bittre
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Ende«, erklärte sein jüngster Sohn. »Wenn wir ein paar töten, laufen die anderen weg. Du wirst schon sehen.« »Möglich ist es«, sagte Halga vorsichtig. »Wir können immer hoffen. Aber seid aufs Schlimmste vorbereitet. Sollte es eintreffen ...« Er blickte seine älteren Söhne an. »Dann müßt ihr euch um eure Frauen kümmern. Ich sorge für eure Mutter und Schwester.« Er war froh, daß die kleineren Kinder in diesem Jahr bei einer anderen Familie zur Pflege waren. »Verstanden«, sagte Dermat und strich mit dem Daumen über die scharfe Klinge seines Schwertes. »Meine Frau werden sie nicht als Spielzeug bekommen.« Die Cimmerier waren stolze und kriegerische Menschen, die den Tod gering achteten, die Sklaverei jedoch fürchteten. Während der jüngste Sohn die Speere zusammentrug, teilten Halga und die beiden anderen Söhne ihren Frauen mit, was sie möglicherweise erwartete. Die Frauen empfingen die Nachricht mit der ihrer Rasse eigenen Gleichmütigkeit. Der Tod war eine alltägliche Realität. Nur Scham und Schande waren unerträglich. »Wenn wir sterben müssen«, erklärte die dunkeläugige Naefa, »wird Conan uns rächen.« Halga nickte. »Ja, ich möchte nicht der Sklavenjäger sein, den dieser junge Mann verfolgt.« Er sagte dies, um seine Tochter zu trösten. Zwar würde Conan sicher einige seiner Verwandten zusammenrufen, um die Sklavenjäger zu verfolgen; aber die Räuber hätten dann schon blitzschnell die nächste Grenze überschritten. Cimmerier haßten es, ihr Heimatland zu verlassen, selbst für einen Rachezug. Als Halga zur Palisade zurückkehrte, waren die Feinde bereits zu sehen. Er zählte dreißig, wie sein Sohn berichtet hatte. Das Licht der Nachmittagssonne glitzerte auf Helmen und Speerspitzen. Vom Wehrgang im Innern der Palisade aus sah er, wie sich der Anführer näherte. Er war ein großer Mann in goldgetriebener Rüstung und der dunkelhäutigste Mensch, den Halga je getroffen hatte. Zwei Gundermänner mit Augen wie Feuersteine begleiteten ihn.
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»Sei gegrüßt, Cimmerier!« rief der Anführer. Weiße Zähne blitzten im mahagonifarbenen Gesicht. »Ich bin Taharka, früher Offizier in der Armee von Keshan. Meine Begleiter und ich sind auf einem Jagdausflug. Wir suchen nach zweibeinigem Wild.« »Ich weiß, was ihr jagt, Fremder!« rief Halga zurück. »Hier werdet ihr nichts außer Tod und einem Wolfsbauch finden. Wir begraben nämlich Sklavenjäger nicht auf unserem Land.« »Das solltet ihr euch noch einmal gründlich überlegen«, entgegnete der Dunkelhäutige, immer noch hinterhältig lächelnd. »Das Leben eines Sklaven bedeutet trotz allem Leben.« Halga spuckte über die Brustwehr. »Manche Dinge sind wichtiger als das Leben.« »Einige meiner Männer warnten mich, daß ihr Cimmerier ein stures, unvernünftiges Volk seid.« Das Lächeln war jetzt verschwunden und war von einer drohenden Miene abgelöst worden. »Sie haben dich nicht genug gewarnt«, rief Halga, »sonst hättest du einen weiten Bogen um uns gemacht.« Ein Gundermann beugte sich zu Taharka hinüber und sagte leise: »Es ist sinnlos, mit dem da weiterzusprechen, Anführer. Laß uns ihn und die anderen Krieger erschlagen. Die Frauen und Kinder bringen guten Profit. Aber wir müssen es schnell erledigen. Cimmerier töten nämlich lieber die eigene Familie, als sie in Gefangenschaft geraten zu lassen.« »Wilde«, meinte Taharka verächtlich. »Keine Ahnung, wie es in der Zivilisation zugeht. Eine ordentliche Gesellschaft braucht Sklaven, das ist doch jedem vernünftigen Menschen klar. Einige werden als Sklaven geboren, einige in Kriegen dazu gemacht, und einige werden von ihren Eltern aus Not verkauft. Daran ist doch nichts verkehrt. Viele Sklaven sind zu hohen Ämtern und Ehren aufgestiegen. Ein Sklave muß nur länger klettern als andere.« »Wie du meinst, Herr«, sagte der Gundermann. »Aber diese hochmütigen Barbaren sind Vernunftgründen nicht zugänglich. Laß uns sie
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töten.« »Na schön«, meinte Taharka. »Schick das Pack rein, um die Krieger zu erledigen. Wir mischen uns nicht ein, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Schließlich sind wir geschäftlich hier und wollen uns kein Ruhmesblatt verdienen. Hier gibt es keine Dichter, welche unsere Taten besingen.« Die beiden blonden Gundermänner liefen los, um die Befehle weiterzugeben. Taharka lächelte vor sich hin. Das Land dieser Barbaren mit kümmerlichen Höfen und armseligen Herden war wahrlich kein Preis; aber es bot Möglichkeiten. Ein verschlungener Pfad hatte ihn hierhergeführt. Auf diesem Pfad war er dem Verlies und dem Henker mehrmals um Haaresbreite entkommen. Flucht vor den Behörden in Tauran hatte ihn in eine Räuberhöhle in den Bergen nahe Tanasul geführt. Dort hatte er sich die Bande aus Meuchelmördern und Straßenräubern zusammengesucht, die er dank seiner überlegenen Willenskraft, seiner kraftvollen Persönlichkeit und seiner hervorragenden Erziehung beherrschte. Ihre erste Sklavenjagd ins nordwestliche Nemedien hatte einen hübschen Gewinn abgeworfen. Dann hatte er sich für das Grenzland zum südwestlichen Cimmerien entschieden, weil die unglaublich zähen und kräftigen Kinder dieser Gegend auf den Sklavenmärkten Höchstpreise erzielten. Selbst Hunger, Krankheit und Überarbeitung vermochten diese Geschöpfe nicht umzubringen. Taharka war ein hochgewachsener Mann und ungewöhnlich gutaussehend, was er auch wußte. Er war nicht so dunkel wie ein Kushite und hatte die Hakennase und die Raubvogelzüge der Stämme, die am Fluß Styx, südlich von Stygien, wohnten. Er liebte es, sich wie ein Aristokrat zu gebärden, obwohl kein edles Blut in ihm floß. Sein Vater war ein einfacher Ladenbesitzer gewesen, der jeden Kupferling gespart hatte, um dem Sohn die bestmögliche Erziehung angedeihen zu lassen. Er hatte ihn auch erbarmungslos gezwungen, immer der Beste zu sein. Bildung und Talent hatten ihm eine Offiziersstelle in der Kavallerie des Königs seines Landes eingebracht.
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Unglücklicherweise konnten weder Bildung noch Talent die Tatsache lange verbergen, daß Taharka Charaktereigenschaft wie Ehrlichkeit oder Ehre vollkommen fehlten. Eine besonders gemeine Schurkerei führte dazu, daß er um sein Leben laufen mußte, während die einstigen Kameraden der königlichen Kavallerie ihn verfolgten. Kaum hatte er die Grenze Keshans überschritten, nahm er seinen wahren Beruf auf und wurde ein mit allen Wassern gewaschener Verbrecher in vielen Ländern. Für Halga war er nur ein Sklavenräuber wie viele andere, allerdings ungewöhnlich dunkelhäutig. Als Halga die beiden Gundermänner loslaufen sah, wußte er, daß der Angriff bald beginnen würde. Er hatte wenig Hoffnung, war aber bereit, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Für einen unbefangenen Beobachter wirkten der Cimmerier und seine Söhne entspannt, beinahe gelangweilt. Die teilnahmslose Miene eines Cimmeriers in Ruhestellung verriet mit keinem Zeichen, welch ungeheure Wildheit ihn überfiel, sobald der Kampf begonnen hatte. Die Sklavenjäger versuchten nicht, die Palisade zu umzingeln, wofür Halga äußerst dankbar war. Vier Krieger reichten nicht aus, selbst eine so kleine Befestigungsanlage zu verteidigen. Einen Augenblick lang dachte er, es wäre vielleicht sinnvoll gewesen, ein starkes Blockhaus zu bauen, wie es bei den Gundermännern und Bossoniern üblich war; aber solche beengenden Behausungen widerstrebten cimmerischer Lebensart, ganz gleich, welch starken Schutz sie boten. Die ersten Angreifer liefen auf die Palisade zu und gingen in die Hocke, wobei sie die Schilde auf den Rücken legten. Die nächsten sprangen auf diese provisorische Plattform. Sobald der erste in Reichweite kam, schnellten die Cimmerier auf. Als erster steckte ein zingarischer Pirat den Kopf über die Brüstung. In Sekundenschnelle sauste Halgas Klinge durch die Luft und köpfte ihn direkt über den Augen. Ein Nemedier mit breitem Krummschwert tauchte vor Halgas Jüngstem auf, der einen Speer in jeder Hand hielt. Als die geschwung-
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ene Klinge in der Luft war, stieß er zu und durchbohrte mit der Linken das Gesicht des Feindes unter dem Kinngurt des Helmes. Die Speerspitze drang nach oben bis ins Gehirn. Als der Nemedier nach hinten fiel, beugte sich der tapfere Junge über die Brüstung und schleuderte den Speer in der rechten Hand so gewaltig hinab, daß er Schild und Rücken des Mannes durchbohrte, auf dem der Nemedier gestanden hatte. Doch dies bekam ihm übel. Als er sich zum Wurf vorbeugte, fügte ihm ein Bossonier von unten mit der Hellebarde eine tiefe Wunde im linken Arm zu. Ohne Schmerzensschrei zog der Junge sein Schwert, um von nun an einhändig weiterzukämpfen. Halgas Schwert blitzte mit den Klingen seiner Söhne in solcher Übereinstimmung, als führten die drei einen Tanz auf, den sie einstudiert hatten. Drei Angreifer fielen zu Boden, keiner im Besitz aller jener Gliedmaßen, mit denen er hinaufgeklettert war. »Bogenschützen!« rief ein Gundermann. Sein Gesicht zwischen den Wangenplatten des schwarzen Helmes war vor Wut verzerrt. »Schießt!« Halga hatte die Bogenschützen unter den Feinden gesehen und war deshalb besorgt. Meist konnte man Pfeilen ausweichen; aber wenn ein Mann sich im Schwertkampf verteidigen mußte, konnte er nicht die Augen nach Pfeilen offenhalten. Schon bald zischten die langen Pfeile der Bossonier wie hungrige Schlangen heran. Halga erschlug noch zwei Feinde, dann traf ihn ein Pfeil in die Seite. Er packte den Schaft mit beiden Händen und brach ihn ab. Er konnte weiterkämpfen, wußte aber, daß es sich nur noch um Minuten handelte. Er wandte sich an seinen jüngsten Sohn. »Mein Sohn«, sagte er. Seine Stimme klang so fest, als spräche er über das heutige Hüten der Herde, »deine Brüder und ich müssen unsere Pflicht erfüllen, und du mußt hierbleiben und die Feinde noch etwas aufhalten.« »Geh nur, Vater!« rief der Junge und trennte einem aquilonischen Schurken die Hand ab. »Selbst mit einer Hand kann ein Cimmerier diesen Abschaum eine Zeitlang aufhalten.«
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Halga sprang zu Boden und hielt mit einer Hand den abgebrochenen Pfeilschaft. Es war nicht der Schmerz – Schmerz bedeutete ihm nichts –, sondern er wollte verhindern, daß der Pfeil sich weiterbohrte und er wegen der Blutungen seine Aufgabe nicht mehr erfüllen konnte. Er steckte das Schwert in die Scheide und packte einen breitklingigen Speer. Für diese Aufgabe wollte er nicht das Schwert benutzen, das mit dem Blut von Sklavenjägern besudelt war. Zum letzten Mal betrat er sein Heim, als seine Söhne auf das ihre zu gingen. Als Halga herauskam, war der Speer mit Blut bedeckt. Er trieb die Klinge in den Türpfosten des Hauses. Jetzt hatte er alles getan, um seine Ehre zu sichern, und die Ehre seiner Familie, seines Stammes, seiner Sippe, seines Clans und seines Volkes war unbeschmutzt. Mit ruhigem Herzen zog er zum letzten Mal das Schwert aus der Scheide, das ihm sein Vater vererbt hatte. Die Feinde befanden sich schon innerhalb der Palisade. Beinahe jubelnd bahnte sich Halga einen Weg durch die gegnerischen Scharen, gefolgt von seinen beiden älteren Söhnen. Jeder tötete noch viele Feinde, ehe er selbst tot darniedersank. Kurze Zeit später überblickte Taharka die blutige Walstatt im Hof. »Vier Männer vollbrachten dies? Ein Graubart, ein Junge und zwei Krieger in voller Manneskraft? Wie viele haben wir verloren?« »Zweiundzwanzig, Anführer«, antwortete ein Gundermann. »Und wie viele Sklaven haben wir erbeutet?« fragte Taharka ruhig. »Keinen!« rief ein Argossier, dessen Gesicht die Spuren des Brandeisens eines Scharfrichters zeigte. »Und überhaupt waren gar keine Kinder da, die wir hätten nehmen können! Nur vier Frauen, und die wurden alle von ihren Männern getötet, ehe wir die Palisade überwunden hatten!« »Es sieht fast so aus«, sagte Taharka, »als sei dies hier doch kein so gutes Gebiet, um Sklaven zu machen. »Und wer hat uns in dieses blödsinnige Unternehmen reingehetzt?« rief der Argossier. »Du, Taharka! Du mit deinen schönen Reden über leichte Beute und schnellen Reichtum!«
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»Über den ersten Beutezug, den ich plante, warst du mehr als glücklich«, entgegnete Taharka. Seine Stimme war gefährlich ruhig; aber der Argossier war zu wütend, um es zu merken. »Ein lohnender Beutezug wiegt diese Katastrophe niemals auf!« Er trat vor und stand Brust an Brust vor Taharka. »Ich zweifle deine Fähigkeit als Anführer an. Ich ...« In diesem Augenblick schoß Taharkas große braune Hand vor. Seine Finger verkrallten sich in den Locken des Argossiers. Mit kurzer Drehung aus dem Handgelenk hatte er den Mann so gewendet, daß dieser die anderen anschaute. Fast gleichzeitig zog er einen Kurzdolch. Blitzschnell stieß er dem Argossier die Spitze in die Kehle. »Nun sind wir noch zu siebt«, erklärte Taharka und ließ den zuckenden Körper fallen. »Genug, um den Kern einer neuen Bande zu bilden. Schließlich waren es die Schwächlinge, die als erste starben.« Er blickte die anderen Männer an, als wären sie seine Brüder. »Um die ist es nicht schade. Männer wie wir sollten sich nicht mit solchem Abschaum belasten. Gut, daß sie weg sind.« Die Gesichter der anderen hellten sich auf. Diese Lektion hatte er beim Militär gelernt: Männer hielten fast alles aus, solange man ihnen einredete, daß sie zur Elite gehörten. Götter des Styx! dachte er. Diese Barbaren sind wirklich Einfaltspinsel! »Nehmen wir von hier mit, was wir tragen können, und dann nichts wie weg!« befahl Taharka barsch. »Das hier war ein Fehler; aber es gibt mehr als genügend reiche Orte, die wir ausplündern können. Wir sind nicht weit von der Grenze zu Aquilonien. Ziehen wir dorthin! Mal sehen, was wir finden.« Die Sonne war fast untergegangen, als Conan den Rauch sah. Einen Augenblick lang dachte er, es seien schon die Feuer fürs Abendessen; aber dann verwarf er diesen Gedanken. Dazu war der Rauch zu dick, zu schwarz und zu unheilverheißend. Der Pikte, der hinter ihm mit dem Fleisch auf den Schultern dahintrottete, sah den Rauch im selben
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Moment; aber dank seiner Nase konnte er die Situation sofort beurteilen. »Stroh, Haselzweige und Wolle! Da brennt ein Haus, mein Freund.« Conan ließ das Wildfleisch fallen und lief los. Der Pikte folgte ihm vorsichtig. Er wollte nicht kopfüber in eine unbekannte Gefahr rennen. Die beiden erreichten den langen Abhang zum Tal, in dem Halgas Heimstatt lag. Conan brach durchs Gebüsch und blieb mit entsetzt geweiteten Augen stehen. Langsam ging er auf die rauchenden Ruinen zu. Er wußte, daß dort drinnen niemand mehr am Leben war. Die Leichen waren vor dem Haupthaus aufgestapelt. Alle waren grauenvoll verstümmelt worden. Er brauchte eine Zeitlang, um herauszufinden, welche der vier Frauenleichen Naefa war. Als Tahatch kam, bedeckte er die Toten mit schwelenden Decken, die er in einem Haus gefunden hatte. »Sie sind nicht leicht gestorben«, sagte der Pikte und betrachtete die Leichen der Sklavenjäger, welche den Hof übersäten. »Kein schlechtes Ergebnis für nur vier Krieger. Neulinge in der Bruderschaft des Grauen Wolf hätten es kaum besser machen können.« »Ich muß sie begraben«, sagte Conan, »und eine Steinpyramide errichten.« Dann sah er den blutigen Speer im Türpfosten stecken. Die Hitze hatte das Blut schwarz gefärbt. Conan betrachtete ihn mit ernster Miene. »Was bedeutet der Speer?« fragte Tahatch. »Er soll mich an eine uralte Sitte meines Volkes erinnern. Er bedeutet ›Räche uns!‹ Es muß dieser Speer gewesen sein, mit dem Halga die Frauen tötete.« »Und wirst du es tun?« fragte der Pikte. »Ja, und wenn es den Rest meines Lebens erfordert«, gelobte Conan. »Das schwöre ich bei Crom!« Noch nie hatte der Pikte in seinem ganzen bewegten Leben eine so grimmige Miene auf dem Gesicht eines Mannes gesehen. »Dann solltest du die Räuber verfolgen. Man kann den Rauch meilenweit sehen. Bald
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werden die Familie und alle Verwandten hier sein und die Steinpyramide errichten.« »Du hast recht. Kommst du mit mir?« Tahatch schüttelte den Kopf. »Tote Cimmerier gehen mich nichts an. Außerdem bin ich schon viel zu lange meinem Clan ferngeblieben.« »Dann hilf mir, die Spuren zu lesen«, bat Conan. »Auch der kleinste Hinweis, der mir hilft, mehr über diese Unholde zu wissen, erleichtert es mir, sie zu verfolgen und zu töten.« »Gern«, sagte der Pikte. Er ging mit gesenktem Kopf hin und her, hockte sich hier und da hin, um Fußabdrücke, zerbrochene Waffen, Kleidungsfetzen und andere Gegenstände genau zu untersuchen, von denen selbst Conan mit seinen scharfen Augen nichts gesehen hatte. Zufrieden mit der Untersuchung der Heimstatt, ging Tahatch daran, die Palisade abzuschreiten. »Sie sind in diese Richtung gegangen«, erklärte er und zeigte nach Süden. »Ich wette, daß sie dort ihre Pferde zurückgelassen haben«, sagte Conan. »Komm, laß uns nachsehen, ob wir dort noch mehr herausfinden können.« In schnellem Lauf folgten die beiden der Spur der Räuber. Gelegentliche Blutflecken im Gras zeigten an, daß nicht alle Überlebenden unverwundet waren. Nach einigen Minuten kamen sie zu einer niedergetrampelten Stelle mit frischem Pferdemist. Die Sklavenjäger hatten einen Ort gewählt, der gerade eben außer Sichtweite der Palisade lag. Wieder untersuchte der Pikte alles genau. Nach einigen Minuten richtete er sich auf. »Es leben noch sieben. Einer davon ist verwundet. Es waren zwei bossonische Bogenschützen dabei, und keiner der Toten ist Bossonier.« »Woher weißt du, daß es zwei waren?« fragte Conan. »Auf dem Hof fand ich einen abgebrochenen Pfeil mit einer Kerbe aus Horn und einer aus Knochen. Ein einziger Bogenschütze
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verwendet nicht zwei verschiedene Typen.« Conan wußte, daß dies stimmte. Die Bossonier waren bekannt, daß sie mit ihren Waffen überaus genau waren. »Einige Pferde sind nach Art der Gundermänner beschlagen«, fuhr der Pikte fort. »Es waren aber keine Gundermänner unter den Toten. Die Pferde könnten gestohlen sein; aber zwei der nach Gunderart beschlagenen Pferde trugen Reiter, als sie von hier aufbrachen.« »Selbst bei so vielen zusätzlichen Pferden hätten sie die Tiere bestiegen, die schon ihre Sättel trugen. Ja, wahrscheinlich sind zwei Gundermänner unter den Überlebenden. Was liest du noch vom Boden?« Tahatch schüttelte den Kopf. »Sie waren nicht lange hier und ließen nur wenig zurück. Und manche gehören zu Völkern, über die ich nichts weiß.« Er hielt einige Fäden eines rotgefärbten Stoffs hoch. »Noch nie habe ich solche Fasern gesehen. Die Farbe kenne ich auch nicht. Wenn ich es wüßte, könnten wir daraus auf ein weiteres Volk schließen. Und das hier...« Er streckte Conan die Hand entgegen. Erst bei genauem Hinsehen entdeckte Conan das Haar. »Dies ist ein Haar aus dem Bart eines Mannes. Doch er gehört einer Rasse an, die ich nicht kenne. Sein Bart ist sehr schwarz und kraus.« »Das reicht«, erklärte Conan. »Ich muß aufbrechen. Es wäre leichter, wenn ich die Kerle erwische, ehe jeder von ihnen eigene Wege geht.« »Auch ich muß gehen«, sagte Tahatch. »Es wäre nicht sehr klug, in der Nähe zu bleiben, wenn die anderen Cimmerier kommen, um zu sehen, was brennt. Vielleicht solltest du mit ihnen sprechen. Es kostet dich Zeit, aber du hast bessere Möglichkeiten, wenn du nicht allein bist.« Conan schüttelte den Kopf. »Nein, wir sind hier zu nahe der Grenze. Meine Landsleute sind wild und nicht zu besänftigen, wenn sie Rache suchen; aber sie sind verdammt zaghaft, wenn es darum geht, das eigene Land zu verlassen. Ich muß allein gehen. Leb wohl, mein Freund! Ich stehe in deiner Schuld. Du und dein Clan können von mir alles verlangen, sobald ich diese Sache erledigt habe.«
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»Leb wohl und Weidmannsheil, Conan.« Tahatch blickte dem jungen Cimmerier nach, als er nach Süden ging. Er erwartete nicht, Conan lebend wiederzusehen. Dann machte auch er sich auf den Weg. Er schlug um die Heimstatt Halgas, die immer noch brannte, einen weiten Bogen. Mit dem seiner Rasse angeborenen Sinn fürs Praktische kehrte er zurück zu der Stelle, wo das erbeutete Wildbret lag.
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Zwei Conan lief die ganze Nacht und den halben nächsten Tag. Der nimmermüde Trott des Cimmeriers verschlang die Meilen, brachte ihn aus den Bergen ins sanft hügelige Land, nahe der Grenze zu den Bossonischen Marschen. Selbst im Mondlicht hatte er keine Mühe, der Spur zu folgen, da die vielen Pferdehufe überdeutliche Eindrücke hinterlassen hatten. Conan hatte gehofft, die Sklavenjäger würden die Nacht über rasten, aber das taten sie nicht. Offenbar fürchteten sie bei ihrer verringerten Zahl die Verfolger. Er war sicher, daß sie langsamer werden würden, sobald sie die Grenze überschritten hatten. Diese übergroße Zuversicht wollte er ausnutzen. Als die Sonne vom leicht bewölkten Himmel herabbrannte, bedauerte er, nicht zur Heimstatt zurückgekehrt zu sein, um etwas Proviant und einen Wasserschlauch zu holen, ehe er die Verfolgung aufnahm. Conans Stärke und Ausdauer waren größer als die normaler Männer, aber auch er war nur ein Mensch. Er wußte, daß er bald ermüden und schwächer werden würde. Sieben hartgesottene Schurken konnten ein beachtlicher Feind sein, wenn er nicht in Hochform auf sie traf. Mit diesen düsteren Gedanken lief er dahin. Plötzlich sah er einen Mann im Gras liegen. Er näherte sich der reglosen Gestalt. Der Mann trug zerfetzte Kleidung nach Art der Nemedier, und er atmete noch. Langsam ging Conan auf ihn zu und hockte sich neben ihn. Leidenschaftslos betrachtete er den sichtlich Sterbenden. Der Mann hatte eine tiefe Schwertwunde in der Seite empfangen, die ihn bald ins Jenseits befördern würde. Die blutigen Ohrläppchen und die hellen Streifen an Fingern und Handgelenken verkündeten, daß die, welche ihn hier zurückgelassen hatten, nichts verschwendeten. Einer der früheren Kameraden hatte ihm in einer Anwandlung von
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Großherzigkeit einen Wasserschlauch und einen Beutel mit getrocknetem Fleisch und Käse dagelassen. Conan nahm einen großen Schluck Wasser und spritzte dann etwas davon ins Gesicht des Sterbenden. Der Kerl blinzelte, dann waren seine Augen klar auf den Cimmerier gerichtet. Der Bart des Mannes war schwarz, aber glatt. Es war nicht der Krausbart. »Ein Cimmerier«, krächzte der Mann. »Ich bin verloren.« »Das bist du schon seit geraumer Zeit«, sagte Conan und zeigte auf die Wunde. »Das war ein gerissener Streich. Murcha, Halgas Zweitältester Sohn, muß ihn geführt haben. Es war sein Lieblingsstreich.« Der Bandit fluchte leise. »Die Hunde haben mich hier wie verfaultes Fleisch liegen lassen. Mitra verfluche sie!« »Ich habe vor, sie noch vor Mitra zu finden«, erklärte Conan. »Sag mir, wer sie sind!« »Warum sollte ich dir etwas sagen? Ich sterbe sowieso.« Der Mann gab sich Mühe, ein trotziges Gesicht zu machen, was ihm schlecht gelang. »Du hast noch einige Stunden zu leben. Diese Stunden können dir wie Tage vorkommen.« Das bleiche Gesicht wurde noch blasser. »Ich habe gehört, daß die Cimmerier nicht foltern.« »Hilflose Menschen zu foltern, macht uns kein Vergnügen. Das stimmt«, sagte Conan. »Andererseits geht es jetzt nicht ums Vergnügen. Du und deine Kumpane haben meine Freunde getötet. Ich habe vor, Rache zu üben. Dein Schweigen verzögert mein Vorhaben. Ich werde keinerlei Skrupel haben, dies Schweigen zu brechen.« Er ließ die Drohung einsinken, ehe er weitersprach. »Los, Mann, rede! Das waren doch keine Freunde, wenn sie dich hier zum Sterben liegenließen.« »Set möge sie holen!« stieß er heraus und bewies damit eine große Toleranz in religiösen Dingen. »Na schön. Jetzt sind noch sechs übrig.
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Zwei sind bossonische Bogenschützen, Murtan und Ballan, ganz gewöhnliche Diebe. Die anderen beiden sind Gundermänner, Brüder ... Heißen Gunter und Wolf. Die sind gefährlich ... Wegen Totschlags aus dem eigenen Land verbannt.« Der Schurke verzog das Gesicht und stöhnte, als die nächste Schmerzwelle über ihm zusammenschlug. Conan wartete, bis der Anfall vorbei war, dann sagte er: »Und die letzten beiden?« »Einer ist Aquilonier und heißt Axandrias. Er ist ein aalglatter, doppelzüngiger Schwindler und Scharlatan. Er behauptet, magische Kräfte zu besitzen; aber ich sah ihn nur ganz billige Taschenspielertricks zeigen.« »Und der letzte?« »Ach, der! Ich würde ausspucken, hätte ich genug Kraft. Er ist unser Anführer, der uns in dies Wolfsloch brachte. Er heißt Taharka und stammt aus Keshan. Er gibt an wie ein General und redet wie ein König; aber er ist nur ein Verbrecher wie wir, der der Schlinge entkommen ist wie wir alle.« »Sagte er, wohin er will?« »Es wurde von Ophir geredet. Dort herrscht Krieg. Da kann man leicht eine neue Bande zusammenstellen und wieder auf Raubzüge ausziehen. In der Umgebung eines Krieges läßt sich’s immer gut leben.« »Gut«, sagte Conan und stand auf. Er nahm den Beutel und den Wasserschlauch. »Du brauchst das nicht mehr.« »Willst du jetzt meinen Kopf?« fragte der Bandit. »Nein, ich überlasse dich dem Tod, den du dir so reichlich verdient hast.« »Aber was ist mit deiner Rache? Töte mich.« »Es ist nicht meine Rache, die ich suche, sondern die der Familie, die ihr umgebracht habt. Einer von ihnen versetzte dir den Todesstreich. Ich bin zufrieden. Du hast geredet, deshalb habe ich dich nicht gefoltert, mehr Gnade habe ich nicht versprochen. Denk an deine Sünden, während die Geier näher kommen.«
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Conan hörte den Mann noch leise fluchen, als er weiterging. Mit dem Proviant fühlte er sich erheblich besser. Auch wenn die Ration karg war, brauchte er nicht mehr. Sein vollendet entwickeltes System, ausgebildet durch das harte Leben in den Bergen, würde auch noch die letzte Spur Kraft aus dem trockenen Fleisch und dem steinharten Käse ziehen. Er hatte viele Jahre bei weitem schlimmer gegessen. Dieser Proviant reichte als Kraftquelle für seine Rachemission. Taharka hatte gute Laune. Das Land um ihn herum war grün und angenehm, die Luft frisch, sein Pferd hervorragend und er bei bester Gesundheit. Solche Umgebung lenkte die Gedanken eines Mannes auf die guten Dinge des Lebens: Beute, schöne Frauen, spritzigen Wein und das dahinfließende Blut der Feinde. Die Männer hinter ihm ritten mit düsteren Mienen und gesenkten Köpfen. Diese Tatsache entging ihm keineswegs. Sie bewies lediglich, daß sie niedrige Kreaturen waren, die sich vom Unglück anderer die eigene Lebensfreude vergällen ließen. Axandrias, der Aquilonier, ritt an die Seite des Anführers. Taharka lächelte ihm zu. Der Quacksalber war der einzige, den er schätzte. Bei Axandrias spürte er eine gewisse Seelenverwandtschaft, einen Mann, der so wenig Gewissen oder Skrupel hatte wie er selbst. Im Gegensatz zu den ernsten Gundermännern und den ängstlichen Bossoniern ließ Axandrias sich nicht durch solche Lächerlichkeiten wie Treue, Angst oder Ehre die Freude am Leben rauben. »Unsere Kameraden, Anführer, sind unglücklich«, sagte Axandrias. »Sie finden es unwürdig, mit leeren Händen aus dem Hochland zurückzukommen.« »Ich teile ihren Kummer über unsere leeren Geldbörsen durchaus«, sagte Taharka. »Doch solch Leid ist schnell behoben. Schließlich arbeiten wir uns nicht die Finger wund, um mühsam unseren Lebensunterhalt zu erringen. Laß die anderen arbeiten! Mit einem sekundenschnellen Risiko haben wir, was sie besitzen. Dies ist der Ruhm im Leben eines Gesetzlosen, Axandrias.«
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»Es ist, wie du sagst, Herr.« Der Aquilonier fuhr sich mit der Hand durch das gewellte blonde Haar, das vom Duftöl glänzte. Die protzigen Ringe an den Fingern blitzten. Über dem breiten Gürtel trug er nur eine ärmellose Weste aus grüner Seide, so daß die glatten breiten Schultern und Arme zur Geltung kamen. Axandrias war das Bild eines schönen Mannes und stets darauf bedacht, daß seine Umwelt diesen Anblick genießen konnte. »Aber diese Männer sind einfältig und haben das Gefühl, daß ein unheilvoller Geist unsere Expedition überschattet. Es sind keine gelehrten und kultivierten Männer wie wir, Herr. Sie sind abergläubisch und fürchten, daß Unheil sich auf sie senkt.« Taharka lächelte. Die plumpe Vertraulichkeit des Mannes, sich mit ihm auf eine Stufe zu stellen, amüsierte ihn. »Das ist das feige Denken dümmlicher Männer. Sie halten es für ein Unglück, daß die Kameraden starben. Sie sollten erkennen, daß es vielmehr ein Glück ist, daß sie selbst verschont blieben.« »Ich verstehe das natürlich, Herr«, sagte Axandrias. »Doch diese armen Kerle, befangen in altmodischem und bäurischem Denken, sind durch die drastische Reduzierung ihrer Zahl deprimiert. Als wir dreißig waren, hatten wir außer den regulären Truppen des Königs oder der Grenzfürsten wenig zu fürchten. Jetzt sind wir nur noch sechs und daher erheblich angreifbarer.« Er lächelte, um zu zeigen, daß er weit über solch kleinmütigem Denken stand. Seine Beinkleider aus rotem Samt waren nur leicht blutbefleckt und schimmerten im Sonnenlicht. Das schmale aquilonische Schwert und der Dolch in seinem Gürtel funkelten vor Juwelen. Mit jeder Bewegung wies er darauf hin, wie geeignet er war, als Zweiter nach Taharka das Kommando zu führen. »Ach was, die Burschen haben die falsche Einstellung«, knurrte Taharka. »Wir haben zwar viele Männer verloren; aber das ist doch belanglos. Auf der ganzen Welt ist nichts so leicht zu ersetzen wie ein Mensch. Jeder hält sich für einzigartig und unersetzlich; aber das ist reine Selbsttäuschung. Solltest du je Anführer werden, Freund Axandrias, mußt du wissen, daß Menschen, seien sie Sklaven oder
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Freie, wenige oder Hunderttausende, nichts sind. Ihr Tod ist willkommen, wenn er deinem Zweck dient. Ihr Leben ist zu Ende, wenn es dir nicht paßt.« »Weise Worte, o Herr«, schmeichelte der Aquilonier. »Hier wollen wir uns umsehen. Vielleicht kann man den Leuten etwas von ihrem überflüssigen Reichtum abnehmen. Die Gegend steht im Ruf, reich zu sein.« »Aber auch gut überwacht, Herr«, warnte Axandrias. »Als Einheimischer weiß ich, wovon ich spreche. Ich habe meinen Namen in die Wände der sichersten Verliese dieses Landes gekratzt.« »Ja, aber da warst du jung und töricht. Vor allem fehlte es dir an der richtigen Führung. Doch dies ist jetzt alles behoben.« Taharkas Miene wurde ernst. »Aber im Ernst, bist du ganz sicher, daß wir der Sippe dieser Wilden, die wir getötet haben, entronnen sind?« Er beugte sich nieder und pflückte eine Blume direkt unter dem Steigbügel. Mit geschlossenen Augen sog er den Duft ein. »Hundertprozentig sicher. Sobald Räuber die Grenze überschritten haben, geben die Cimmerier die Verfolgung auf. Das war schon immer so Sitte bei ihnen.« »Dann können wir eine Rast einlegen«, sagte Taharka. »Schließlich sind wir nicht Diebe geworden, um uns abzumühen und zu quälen.« »Diese Gegend liegt an der Grenze und wird von Bossoniern, Gundermännern und Aquiloniern bewohnt«, erklärte Axandrias. »Sollten wir ihnen in die Hände fallen, dürften mit Sicherheit einige von uns hängen. Ich fürchte, wir sind bei unserem eigenen Volk nicht sehr willkommen. Daher rate ich, das Land schnell zu durchqueren. In Nemedien können wir uns ausruhen und vergnügen und danach gemütlich nach Ophir weiterreiten.« »Unsinn! Männer, welche die hiesigen Bauernlümmel nicht überlisten oder im Kampf besiegen oder entkommen können, sind fehl am Platz in meiner Schar. Ich dulde viele schlechte Eigenschaften bei meinen Männern, fördere manche sogar, aber niemals Feigheit. Wir
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müssen Risiken eingehen, wenn wir den einmal gewählten Weg weitergehen wollen.« Axandrias lächelte und nickte. Im Innern dachte er, daß ein Mann, den die Soldaten des Königs in dieser Gegend nicht suchten, leicht so hochmütige Reden schwingen konnte. Aber Taharka war ein verschlagener und gewiefter Führer, und Axandrias hatte nicht vergessen, wie er mit dem unbotmäßigen Argossier kurzen Prozeß gemacht hatte. Taharka drehte sich im Sattel um. »Murtan, Ballan, reitet voraus und seht euch um! Wenn ihr eine leichte Beute ausmacht, kommt sofort zurück! Wir suchen nach Reisenden, die in kleiner Zahl mit vielen Waren dahinziehen. Aber denkt dran, daß wir niemanden in der Nähe einer Stadt überfallen. Ansonsten sind wir ehrliche Roßhändler.« Zufrieden lehnte er sich zurück. Als die beiden Bossonier wegritten, wandte er sich nochmals an Axandrias. »Siehst du, man muß die Männer beschäftigen, wenn die Moral schlecht ist, sonst werden sie aufsässig. Ein kleiner Diebstahl und ein paar durchschnittene Kehlen bringen sie gleich wieder in gute Stimmung. Sobald wir eine Marktstadt erreichen, werden wir diese Pferde verkaufen« – er deutete auf die Pferdeherde, die von den beiden Gundermännern betreut wurde – »und kräftig einen heben.« »Darauf freue ich mich schon, Herr«, sagte der Aquilonier. Conan war schon sechs Tage unterwegs, als er auf die ersten Spuren gegnerischer Schandtaten stieß. Eigentlich sah man nur die Hufschläge vieler Rosse; aber der Instinkt sagte ihm, daß der Tod diesen Ort besucht hatte. Der Cimmerier untersuchte die Straße. Zwischen den wild durcheinanderlaufenden Hufeindrücken klebten schwarze Flecken getrockneten Bluts. An manchen Stellen hatte man mit Stiefeln Erde darüber gescharrt; aber das Blut war durchgedrungen, so daß Fliegenschwärme die Stellen markierten.
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Sein Geruchssinn und eine besonders dichte Ansammlung von Insekten führten ihn zu einem Gebüsch neben der Straße. Wie erwartet hatte man die Leichen der Opfer dorthingeschleift und liegengelassen. Zum Glück war es nicht nötig, daß er näher herantreten mußte. Es waren vier Leichen: drei Männer und eine Frau. Ihre Kleidung war so blutverschmiert, daß sie nicht mehr wert war, gestohlen zu werden. Sie gab Conan aber den Hinweis, daß es sich um einen Kaufmann und seine Frau samt zwei Dienern gehandelt haben mochte. Schmuck und Wertsachen waren geraubt worden. Conan beeilte sich, fortzukommen. Es war keineswegs ratsam, in der Nähe des Schauplatzes dieses Gemetzels angetroffen zu werden. Die Männer des Königs nahmen oft den nächstbesten Fremden fest. Außerdem mochten die Seelen der Erschlagenen noch in der Nähe weilen, um sich zu rächen. Es müßte leicht sein, den Schurken auf der Spur zu bleiben, dachte Conan, wenn sie bei jeder passenden Gelegenheit solche Mordtaten begehen. Der Cimmerier war von Natur aus selbst ein Gesetzloser; aber solch wahlloses Morden konnte er einfach nicht begreifen. Diese Männer zu töten, würde eine seiner wichtigsten Taten sein. Während er so in schnellem Lauf Meile um Meile zurücklegte, wurde ihm klar, daß er bald ein Reittier haben mußte, sonst lief er Gefahr, die Beute aus den Augen zu verlieren. Er hätte sie schon längst verloren, wären die Männer nicht so gemütlich dahingeritten, voll Vertrauen auf ihre Stärke und in trügerischer Sicherheit, nicht verfolgt zu werden. Sollten sie Angst bekommen, wären sie ihm schnell entkommen. Gegen Abend kam er zu einer Stadt. Sie lag am Zusammenfluß zweier Ströme. Eine niedrige Steinmauer umschloß ein Dreieck aus Häusern und öffentlichen Bauten. Das Stadttor war in der Mitte der Mauer eingebaut, welche die Grundlinie des Dreiecks bildete. Die Grasfläche davor war eingezäunt und diente als Gemeindeweide. Conans begrenzte Erfahrungen mit Städten sagten ihm, daß die Tiere der Besucher und durchreisenden Kaufleute auch auf dieser
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Weide grasten. Obwohl er gern festgestellt hätte, ob die Pferde der Gesuchten darunter waren, ging er zuerst aufs Tor zu. Ein Wächter lehnte auf seinen Speer gestützt da und musterte den jungen Mann verächtlich. »Wie heißt du, Cimmerier? Und was willst du hier?« Conan geriet in Wut und hätte am liebsten die Klinge gezogen, um dem unverschämten Hund den Schädel zu spalten. Aber das hätte nichts gebracht, man hätte ihn nur zur Rechenschaft gezogen. Stadtvolk besaß keinen Sinn für Ehre. Schlimmer noch, die Banditen, die er suchte, hätten sich aus dem Staub machen können, während er sich bemühte, aus dem Verlies zu entfliehen. »Ich heiße Conan und suche nach Männern, die vielleicht hier vorbeikamen. Hast du einen dunklen Mann aus dem Süden gesehen, der mit einem Aquilonier, zwei Bossoniern und zwei Gundermännern unterwegs ist? Ich nehme an, sie wollten Pferde verkaufen.« Die Augen des Postens verengten sich. »Warum willst du das wissen?« Conan fand diese Reaktion sehr befremdlich und hielt es für besser, die Morde an der Straße nicht zu erwähnen. »Ich plane Geschäfte mit ihnen. Aber damit mußt du dich nicht befassen.« »Ich weiß nichts über die Männer«, erklärte der Wachposten. »Du kannst die Stadt betreten, aber mach keinen Ärger. Ich rate dir auch, über die Männer, die du suchst, zu schweigen. Es könnte sein, daß jemand sich mit dir über sie unterhalten möchte.« Verwirrt trat Conan durch den Torbogen und durchquerte den kurzen Tunnel in der Stadtmauer. Es war klar, daß der Posten mehr wußte, als er preisgeben wollte. Der junge Cimmerier war voll Mißtrauen über die seltsamen Sitten der Zivilisation. Vielleicht sollte er nach Einbruch der Dunkelheit zurückkommen und dem Mann eine Antwort abzwingen. Doch erst brauchte er Ruhe und etwas zu essen und trinken. Viele Tage war er nun schon unterwegs und war bei kärglicher Verpflegung
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hart gelaufen. Er hatte Durst, war halb verhungert und todmüde. Als er auf dem Boden des Proviantbeutels angelangt war, hatte er einige Münzen gefunden. Jetzt konnte Conan sie gut gebrauchen. Auf seine Fragen hin erklärte man ihm, daß die einzige Herberge der Stadt in der Nähe des Tores liege. Es war ein niedriges, langgestrecktes Haus aus Holz und Stein mit wenigen kleinen Fenstern. Aus dem Kamin stieg Rauch auf. Conan zog den Kopf ein und trat durch die niedrige Tür. Drinnen trat er gleich beiseite, um gegen das Sonnenlicht draußen nicht wie ein Scherenschnitt dazustehen. Als sich seine Augen an die Dämmerung gewöhnt hatten, sah er einen großen Raum mit zwei langen Tischen in der Mitte. An einem Ende war eine offene Feuerstelle, in der sich aufgespießte Fleischbrocken langsam drehten. Am anderen Ende gab es eine durch einen Vorhang geschützte Tür. Daneben saß eine zusammengesunkene Gestalt, in einen deckenähnlichen Umhang gehüllt. Der Schankwirt kam ihm entgegen. Er wischte sich die Hände an der Schürze ab, die seinen Wanst bedeckte. Mißtrauisch blickte er den beinahe nackten Cimmerier an. »Was möchtest du, Fremder?« »Essen und einen Platz zum Schlafen«, antwortete Conan. »Ich kann bezahlen.« Der Mann deutete auf die Spieße. »Wir haben das Fleisch eben erst aufgesteckt. Der Bäcker hat auch noch kein Brot geliefert. Wenn du warten willst, bringe ich dir Wein. Der ist jederzeit zu haben.« Obwohl Conan durstig war, hielt er es für besser, so früh am Tag keinen Wein auf leeren Magen zu trinken. »Zeig mir erst einen Platz, wo ich ein paar Stunden schlafen kann. Ich esse später. Ich muß einer Spur folgen und habe keine Zeit zu verschwenden.« »Ach ja? Nun, folg mir, dann zeige ich dir deine Unterkunft.« Der Mann führte Conan zu der Tür mit dem Vorhang. Als er hindurchgehen wollte, hob die kauernde Gestalt den Kopf und blickte ihn an. Zu seinem Erstaunen war es eine Frau, ja, kaum älter als er. Sie
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hatte starke, regelmäßige Züge, die schön gewesen wären, wenn nicht eine lederne schwarze Augenklappe das Gesicht entstellt hätte. Verblüfft blieb der Cimmerier stehen. Der Blick aus dem einen Auge wirkte geisteskrank. Hinter dem Vorhang war der Raum durch weitere Vorhänge in kleine Kammern abgeteilt, die sauber mit Stroh ausgelegt waren. Conan legte seine wenigen Habseligkeiten nieder, während der Wirt eine Kerze anzündete. »Das reicht«, sagte Conan. »Wer ist das Mädchen, das da draußen sitzt? Der Blick, den sie mir zuwarf, war nicht gerade freundlich.« »Das ist die irre Kalya. Beachte sie gar nicht. Sie ist in der Gegend sehr bekannt. Von Männern hält sie nichts.« »Ich erkenne ein Habichtsauge, wenn ich eins sehe«, bemerkte Conan. »Weshalb ist sie bekannt?« »Weil sie gefährlich ist. Halt dich von ihr fern. Es gibt sehr viel bereitwilligere Mädchen, wenn du eins willst. Kalya durchstreift die Grenzgebiete auf der Suche nach einem Mann, an dem sie sich rächen will. Wenn du mich fragst, existiert er nur in ihrem armen, wirren Gehirn. Die Männer des Königs rühren sie nicht an, weil sie verrückt ist und irgendwie aus edler Familie stammt. Sie kommt ab und zu in diese Stadt. Immer hat sie etwas Geld, um für alles zu bezahlen; aber niemand fragt genau, woher sie es hat. Sie kam gestern abend und schläft seitdem, so wie du sie gesehen hast, immer im Sitzen und mit dem Rücken an der Wand.« Der fette Mann lachte und schüttelte den Kopf. »Welch eine Schande. Sie könnte ein bildschönes Mädchen sein.« »Weck mich, wenn das Essen fertig ist«, bat Conan und streckte sich auf dem Stroh aus. Er hatte keine Zeit für verrückte Weiber. Mit der Hand am Schwertgriff sank er in den Schlaf. Conan erwachte und hatte das Schwert schon erhoben, als jemand in die Kammer trat. Er steckte die Klinge zurück in die Scheide, als er sah, daß es nur ein zerlumpter Junge war, der ihn mit schreckgeweiteten Augen ansah, weil der Barbar so blitzschnell reagiert hatte.
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»Das Essen ist fertig, Herr«, stammelte der Junge. »Ihr wolltet doch geweckt werden.« Conan lächelte beruhigend und dankte. Dann legte er die Waffen an. Neben der Tür zum Schankraum stand ein Wasserbecken. Er spritzte sich Wasser ins Gesicht und trocknete sich mit einem schmuddeligen Handtuch ab. Dann schob er den Vorhang beiseite. Jetzt waren mehrere Gäste im Schankraum. Die meisten sahen wie Reisende aus. Die Verrückte hockte immer noch neben der Tür. Offenbar hatte sie sich nicht bewegt, doch jetzt hielt sie den Kopf hoch und ließ unentwegt die Raubvogelaugen durch den Raum schweifen. Conan nahm am Tischende Platz und bediente sich von den Platten in der Mitte. Er hatte keine Ahnung, wann er wieder eine Mahlzeit bekommen würde, daher häufte er sich eine ordentliche Portion auf. Der Junge goß ihm Rotwein aus einem Krug ein. Dann widmete sich der Cimmerier dem mächtigen Rippenstück. Er war halbwegs fertig, als ein Mann in einer schmierigen Lederhose ihm gegenüber Platz nahm. Er nahm einen Becher und ließ sich von dem Jungen einschenken, ehe er Conan seine Aufmerksamkeit schenkte. Er lächelte und zeigte dabei bräunliche Zähne. Weintropfen hingen im schlecht gepflegten Schnurrbart. »Fremder, ich hörte, daß du Fragen über gewisse Männer gestellt hast, die hier vielleicht durchkamen und Pferde verkaufen wollten. Ich heiße Rario. Ich bin Roßhändler und könnte dir vielleicht helfen.« »Die Männer, die ich suche, sind Räuber«, erklärte Conan. »Einer stammt aus dem Süden und heißt Taharka, dann noch ein aquilonischer Schurke namens Axandrias, zwei Gunder ...« Der Roßhändler hob die Hand. »Bitte, sprich nicht so laut. Über derartige Sachen kann man nicht in aller Öffentlichkeit reden.« »Ich habe diese Geheimnistuerei satt!« knurrte Conan unwirsch. »Diese Männer werden von keinem Gott geschützt, den ich kenne. Und was ich mit ihnen zu schaffen habe, geht nur mich ganz allein etwas an.«
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»Und ich will dir ja gern helfen«, erklärte Rario. »Aber hier ist nicht der richtige Ort. Ich habe meine Pferde draußen vor der Stadt auf der Koppel. Vielleicht können wir uns dort später treffen.« »In Ordnung«, sagte Conan. »Wenn das die einzige Möglichkeit ist, Antworten zu bekommen.« »Hervorragend. Nun, iß in Ruhe auf, trink einen Schluck Wein oder zwei und laß dir Zeit. Ich treffe dich später an der Koppel. Nenn dem Posten meinen Namen, dann läßt er dich ohne Fragen durch. Bis später, Cimmerier!« Der Mann verbeugte sich etwas spöttisch und ging. Conan hatte die letzte Rippe abgenagt und sah sich nach etwas Kräftigerem um, als plötzlich die Einäugige neben ihm stand. Ihr brauner Umhang war sehr weit, aus rauhem Stoff gefertigt und hatte einen Schlitz für den Kopf. Er fiel von den Schultern bis auf die Knöchel. Wie die Frau darunter aussah, blieb ihr Geheimnis. »Ich möchte mit dir sprechen«, sagte sie ohne lange Einleitung. Gesellschaft war das letzte, was Conan wollte; aber es war bei seinem Volk Sitte, Geisteskranke freundlich zu behandeln. Er deutete auf den freien Platz gegenüber und gab dem Jungen ein Zeichen, noch einen Becher zu bringen. »Ich bin Kalya. Die irre Kalya nennt man mich. Wahrscheinlich hat man dich vor mir gewarnt.« Ihre Stimme war verblüffend rauh und krächzend. Sie klang eher wie ein Rabe als eine junge Frau. Im düsteren Licht konnte Conan auf jeder Seite des Halses eine Narbe erkennen. Jemand hatte vor einiger Zeit einen Dolch durch Hals und Kehlkopf des Mädchens gejagt. Damals mußte Kalya noch ein Kind gewesen sein. Er nahm einen Schluck Wein. Es war eine harte Welt; aber was ging es ihn an? »Meinen Namen kennst du«, fuhr sie fort. »Und wie heißt du? Dem Aussehen nach bist du ein Cimmerier.« »Stimmt. Ich heiße Conan.« Der Junge stellte einen Becher vor die Frau und schenkte ein. Aus dem seitlichen Schlitz des Umhangs tauchte der linke Arm auf. Im Schein des Feuers und der Kerzen blitzte ein enger stählerner Panzerhandschuh auf.
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»Du suchst nach bestimmten Männern. Ich hörte, was du mit dem elenden Schwein Rario sprachst. Ich suche auch einen Mann. Vielleicht ist er unter den von dir Gesuchten.« »Möglich, aber was geht mich das an?« fragte Conan. »Hier, iß doch.« Er deutete auf die vollen Platten. »Ich habe kaum Geld«, sagte sie. »Ich bezahle. Die Männer, hinter denen ich her bin, zahlen für dies Mahl, auch wenn sie es nicht wissen.« Conan fühlte sich in der Haut des Wohltäters nicht besonders gut. Kalya hatte den ersten Becher mit einem Zug geleert und winkte dem Jungen, nachzuschenken. Es war schlimm genug, den Tisch mit einer Irren zu teilen; aber eine betrunkene Irre war unerträglich. Zu seiner Erleichterung sah er, daß sie sich aufs Essen stürzte. Eine Zeitlang aßen beide stumm. Keiner der anderen Gäste schien mit ihnen sprechen zu wollen, was Conan nur recht war. Ihm kam nie der Gedanke, welch furchteinflößender Anblick sie beide waren. Der wölfische junge Barbar und die wilde irre Frau hätten auch härteren Typen Furcht eingeflößt, als es die Gäste an diesem Abend in der Taverne waren. Schließlich lehnte Kalya sich zurück und wischte sich den Mund mit dem Saum ihres Umhangs ab. Sie tat dies mit der linken Hand. Die rechte hatte Conan noch nicht gesehen. »Du hast noch nicht gesagt, warum du hinter diesen Männern her bist, Cimmerier.« »Stimmt«, antwortete Conan. Er war von Natur aus nicht zurückhaltend; aber die seltsamen Erfahrungen hier hatten ihn mißtrauisch gemacht. Er wollte nicht noch jemanden ins Vertrauen ziehen. »Du hast Rario gegenüber einen Namen erwähnt«, fuhr sie fort. »Axandrias. Ihn suche ich.« Das Funkeln in dem gesunden Auge und die Haltung des Kopfes ließen Conan die Haare zu Berge stehen. In diesem Augenblick sah sie wirklich völlig geisteskrank aus. »Ich weiß über diesen Mann nichts außer dem Namen und der Nation, Mädchen. Es mag tausend Aquilonier geben, die Axandrias
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heißen. Was weiß denn ich?« »Er ist es!« zischte sie. »Ist der von dir Gesuchte ein Quacksalber, ein Möchtegernzauberer und Schwindler?« »So hat man mir erzählt«, gab Conan zu. »Ich bin dem Mann noch nicht begegnet. Was ich mit ihm abzumachen habe, dauert nicht lange. Außerdem ist es nur einer von sechs.« Kalya schlug mit dem Handschuh so hart auf den Tisch, daß sich alle Köpfe herdrehten. »Ich wußte es! Mitra hat endlich meine Gebete erhört. Bald schon werde ich ihn packen können!« Conan winkte ab. »Das geht mich alles nichts an. Ich habe meine eigenen Angelegenheiten mit diesen Männern zu erledigen und will nicht noch mehr Zeit verschwenden. Ich muß weiter.« Er stand auf. Die Frau erhob sich ebenfalls. »Du gehst jetzt zu Rario. Ich werde mitkommen. Auch ich möchte ein Wort mit ihm wechseln.« »Meine Sache geht dich überhaupt nichts an, Weib!« fuhr Conan sie wütend an. »O doch!« sagte sie ungerührt. »Zahl jetzt den Wirt und laß uns gehen.« Wutschnaubend bezahlte Conan. Dann gingen beide hinaus auf die von Fackeln beleuchteten Straßen. Er sagte kein Wort, bemerkte aber, daß Kalya nicht so kokett wie die meisten Stadtdämchen einhertrippelte, sondern weite Schritte wie ein Krieger machte. Ihr Kopf reichte ihm kaum an die Schulter; aber er verstand, warum Männer einen weiten Bogen um sie machten. »Du willst dich an diesen Männern rächen, stimmt’s, Cimmerier?« fragte sie plötzlich. »Und was geht dich das an?« schnappte er zurück. »Weil meine Rache zuerst kommt.« »Still! Das Tor.« Schweigend gingen sie auf das Tor zu. Im Fackelschein sah er, daß der Posten noch derselbe Mann war, den er morgens schon getroffen hatte.
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»Ah, der Barbar!« rief der Wachposten. »Du willst zu Rario, nicht wahr? Das ist – aber wer ist das?« Er spähte ins Dunkel außerhalb des Lichtkreises der Fackel. »Die irre Kalya! Was willst du ...« Die Worte erstarben ihm im Hals, als Conan ihn vorn packte, hochriß und gegen die Mauer preßte. »Stehst du immer so lange Wache?« fragte der Cimmerier. »Aber«, keuchte der Mann, »aber, was?« Die Augen traten ihm hervor, als er sich freizumachen versuchte. »Halt!« stöhnte er verzweifelt. »Rario hat mir befohlen, heute nacht Wache zu halten. Er hat meiner Ablösung Geld gegeben, damit ich eine Doppelschicht mache.« Angst stand im Gesicht des Mannes. Der Barbar vor ihm sah erbarmungslos wie Stein aus, und die Wahnsinnige hinter ihm schien nach Blut zu dürsten. »Laß ihn los, Conan!« verlangte Kalya. »Das ist ein räudiger Hund, der jedem für ein paar Münzen gefällig ist. Rario ist der, welcher vielleicht nützliche Informationen für uns hat. Suchen wir ihn.« Mit verächtlichem Schnauben ließ Conan den Unglücklichen fallen. »Bleib hier und verhalte dich ja still«, warnte er ihn. Kein Laut kam, als die beiden durchs Tor hinaustraten. Die Gemeindeweide lag friedlich im Mondlicht. Lediglich ein großes Lagerfeuer brachte Farbe ins Bild, wo Hirtenjungen Wache hielten. Warum nicht dort beginnen? Conan und Kalya schritten aufs Feuer zu. Die Jungen blickten erschreckt auf, als sie vor ihnen standen. »Ich glaube, es ist Zeit, nach den Zäunen zu sehen«, sagte Kalya. Die Jungen folgten eilig ihrem Vorschlag. »Axandrias gehört mir!« erklärte sie. »Du kannst die anderen haben; aber Hände weg vom Aquilonier, verstanden?« »Hör zu, Mädchen«, sagte Conan ärgerlich, »jeder kann sehen, daß du mißhandelt wurdest. Ich bezweifle nicht, daß deine Rache gerechtfertigt ist. Aber ich habe geschworen, diese Männer zu verfolgen und zu töten. Ich lasse mir dabei nicht von einem schwachsinnigen Weibsstück ins Handwerk pfuschen.«
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»Weibsstück!« Tödlicher Haß glitzerte in dem einen Auge. »Von Kindheit an habe ich mein Leben der Auslöschung dieses Mannes gewidmet! Glaubst du vielleicht, ich lasse mich durch einen ungebildeten, dreckigen Wilden aufhalten? Dies ›Weibsstück‹ wird dir eine Lektion in Höflichkeit und Schwertkunst erteilen, Barbar!« Sie griff nach hinten und zog den Umhang über den Kopf. Noch ehe der Stoff den Boden berührte, hatte sie mit der Rechten ein Schwert gezückt. Conan stand wie vom Blitz gerührt. Der Wechsel von Freundlichkeit zu Feindseligkeit war verblüffend. Außerdem war ihre Kleidung bizarrer als alles, was der Cimmerier je gesehen hatte. Die Frau trug unter dem Umhang nur sehr wenig, und das bestand hauptsächlich aus Rüstung. Ein Kettenhemdärmel mit feinen Plättchen bedeckte den rechten Arm von der Schulter zum Handgelenk. Sie trug leichte Beinschienen, der rechte Schenkel wurde von einem zusätzlichen Schutz aus beschlagenem Leder bedeckt. Die rechte Brust steckte in einem Netz aus feinem Stahl, die linke war nackt. Den Stahlhandschuh über der linken Hand hatte Conan schon gesehen. Er hatte eine hohe ausgestellte Manschette, die fast bis zum Ellbogen reichte. Außer diesen Schutzkleidungsstücken trug sie nur noch einen Lendenschurz, der von einem wunderbar gearbeiteten Waffengurt gehalten wurde. »Vorsicht, Weib!« rief Conan. »Ich habe noch nie meine Klinge gegen eine Frau gezückt; aber du stellst meine Geduld auf eine harte Probe.« Trotz aller Skrupel lag seine Hand bereits am Schwertknauf. Dieses Geschöpf sah mehr wie ein wildes Tier als ein Mensch aus. Ihr Schwert war nicht groß. Es war schmal und leicht geschwungen. Der Knauf bestand aus einem Körbchen, das aus dünnen Stäben geflochten war und die Hand vollständig umschloß. Aufgrund ihrer Rüstung war klar, daß sie gelernt hatte, mit rechtem Arm und rechtem Bein zu eröffnen. Conan nahm alles in Windeseile wahr und hatte seine Verteidigung schon im Kopf, als der Umhang noch kaum auf der Erde lag.
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Kalya ging in Angriffsstellung. Ihr Schwertarm senkte sich. Doch da beschrieb der Fuß des Cimmeriers schon einen seitlichen Bogen. Ehe sie das Gleichgewicht wieder erlangt hatte, wurde ihr der rechte Fuß weggerissen, sie fiel zu Boden und mußte sich mit dem Panzerhandschuh abstützen. Doch noch im Fall riß sie die Klinge hoch und schlug senkrecht zu. Jeden anderen hätte sie erwischt, doch Conan wich aus, allerdings so knapp, daß ihm der Schweiß ausbrach, wenn er daran dachte, was hätte passieren können. »Crom!« fluchte Conan und tat einen Satz nach hinten. »Was soll das heißen? Unser Streit heißt doch nicht, daß wir uns umbringen wollen, Mädchen!« Kalya kam auf die Beine. »Hör auf, mich Mädchen zu nennen, du widerlicher Wilder! Zieh dein Schwert, wenn du nicht willst, daß ich Mord zu den anderen Verbrechen auf meinem Gewissen lade.« Conan kreiste, um ihr Auge zu blenden. Doch geschickt wich sie jedesmal aus, wenn der Feuerschein auf ihr Gesicht fiel. Sie kämpfte aus der Hocke heraus, die Knie gebeugt, die Hand mit dem Handschuh direkt unterm Kinn, um ihre Blöße zu schützen. Es war die seltsamste Rüstung, die Conan je gesehen hatte, schien aber alle lebenswichtigen Teile mit einem Mindestmaß an Gewicht zu schützen. »Zieh!« rief sie mit gerötetem Gesicht. »Ja, zieh, Cimmerier!« erschallte eine Stimme. Die beiden wirbelten herum. Mehrere Schattenfiguren standen außerhalb des Feuerscheins. Conans Schwert zischte aus der Scheide. Seine starken Zähne blitzten. Endlich war hier ein Gegner, den er niedermachen konnte. Ein Mann trat vor. Conan war nicht überrascht, daß es Rario war. »Du hast Ärger gebracht, Cimmerier. Hier nahe der Grenze sollte ein Mann vorsichtig sein, wenn er Fragen stellt.« »Ich will nur herausfinden, wo Taharka und seine Männer sich aufhalten«, entgegnete Conan. »Ein paar offene Worte, und ich mache mich auf den Weg, ohne dich weiter zu belästigen. Offene Worte bekommt man aber hier nicht ohne weiteres.«
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»Du bist ein ahnungsloser junger Bursche«, sagte der Roßhändler. »Du hast kaum mehr Verstand als dieses gestörte Mädchen. Du hättest dich als herumziehender Bettler ausgeben und ab und zu eine verschleierte Frage fallen lassen sollen. Dann wären wir vielleicht ins Geschäft gekommen.« »Hör auf, in Rätseln zu sprechen!« fuhr Conan ihn an. »Ich habe mein Anliegen offen vorgebracht. Jetzt mach es auch so.« Der Mann schüttelte den Kopf und lachte leise über so viel Unbedarftheit. »Junge, hast du dir mal überlegt, daß die Männer, die du verfolgst, Banditen sein könnten und daß Leute, die mit ihnen Geschäfte machen, eine ähnliche Abneigung gegen Ordnungshüter haben könnten? Schau, wenn ein Gesetzloser aus den Bergen kommt, sucht er keinen ehrlichen Kaufmann auf, der alle notwendigen Lizenzen hat und das Wohlwollen der Obrigkeit genießt. Nein, mein Junge! Er sucht sich einen zwielichtigen Händler, der ohne viele Fragen kauft. Kurz gesagt, er geht zu einem Händler, wie er ehrerbietigst vor dir steht.« Rario lächelte. Im Feuerschein glänzten die Ringe in seinen Ohren. »Dieser Mann Taharka war tatsächlich vor einigen Tagen bei mir. Er hatte ein paar gute Pferde zu verkaufen, und ich habe sie für einen guten Preis erworben.« »Aber warum war deine Zunge bis jetzt gelähmt, Mann?« fragte Conan, der kein Auge von den Figuren ließ, die unheilverheißend das Feuer umringten. »Ich wollte nur wissen, ob sie hier waren und wohin sie geritten sind.« »Ja, aber das sind peinliche Fragen für jemanden wie mich«, erwiderte Rario. Jetzt schimmerte Stahl in seiner Hand. »Schau, Pferde sind leicht an den Mann zu bringende Waren. Aber wenn jemand lästige Fragen stellt, woher sie stammen, wer der rechtmäßige Besitzer ist oder ob die Reiter, die eben noch draufsaßen noch leben, dann ...« Er hob die Schultern. »Dann könnten sich auch die königlichen Beamten dafür interessieren. Es kommt zu neuen Fragen, Gerichtsverhandlungen, und alle möglichen Leute stecken die Nase in die Angelegenheit.«
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Conan war wie betäubt. »Du meinst, daß das alles davon kommt, daß du mit gestohlenen Pferden handelst? Geldgier und Angst bringen soviel Ärger?« »Vorsicht, Barbar!« warnte Rario. »In meinem Gewerbe muß ich aufpassen. Deine Unverschämtheit mißfällt mir. Ich glaube, es ist an der Zeit, dich dafür zu bestrafen. Männer!« Der Roßhändler machte ein Zeichen mit der Hand, worauf drei Männer aus der Dunkelheit vortraten. Sie waren groß und trugen Felle und leichte Kettenhemden. Zwei griffen Conan an. Es zeigte sich auf Anhieb, daß sie ihr Handwerk verstanden. Sie näherten sich von zwei Seiten. Der eine zielte auf den Kopf des Cimmeriers, der andere auf die Beine. Statt sich einen Angreifer vorzunehmen, kämpfte Conan gleichzeitig gegen beide. Ein tiefer Schwerthieb sauste durch die Luft. Conan sprang hoch und riß die Knie fast ans Kinn. Gleichzeitig parierte er die Klinge, die über seinen Kopf sauste. Dabei wehrte er den Schlag nicht nur ab, sondern zielte auf das Handgelenk des Gegners. Schwert samt Hand flog durch die Luft und erwischte den Cimmerier noch an der Schulter. Er wirbelte herum und landete vor dem anderen Gegner. Der Mann erholte sich noch vom letzten Schlag, da traf ihn die Klinge des Cimmeriers. Sie durchschlug das Kettenhemd, drang durch Fleisch und Knochen bis in die Eingeweide. Conan riß das Schwert heraus und wirbelte wieder herum. Blutstropfen flogen in hohem Bogen von der Klinge, als Conan dem Mann den Kopf abschlug, der ungläubig seinen Armstumpf betrachtete. Das Ganze hatte nur einen Augenblick lang gedauert. Jetzt sah Conan, daß Kalya gegen den dritten Kumpan Rarios kämpfte, während der Roßhändler sich auf Conan stürzen wollte. Conan fiel auf, daß die Frau mit ihrem Schwert die Hiebe parierte oder austeilte und mit der behandschuhten Rechten Angriffe von links abwehrte. Rarios Klinge zuckte vor. Conan blockte den Schlag ab. Sein Gegenhieb hätte Rario aufgeschlitzt, wenn dieser nicht zurückgesprungen
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wäre. Den Vorteil ausnutzend, überschüttete Conan ihn mit blitzschnellen Hieben. Mit jedem Schlag drängte er die Parade des Gegners mehr nach rechts. Den letzten Schlag führte er mit voller Kraft. Er sauste an Rarios Deckung vorbei und spaltete ihm den Schädel. Der Cimmerier riß die Klinge heraus und drehte sich zu Kalya um, die gerade ihren Gegner erledigte. Als der Mann auf ihren nackten Bauch zielte, wischte sie die Klinge beiseite und führte einen bildschönen Hieb gegen den Hals. Die Schwertspitze traf direkt unter dem rechten Ohr und sauste kaum fingertief quer über die Kehle. Das reichte. Der Mann brach fluchend in die Knie. »Wir machen uns lieber davon, Cimmerier«, sagte Kalya. Sie wischte die Klinge ab und steckte sie zurück in die Scheide. Gleichgültig betrachtete sie die drei Männer, die Conan getötet hatte. »Keine Eleganz, aber viel Schnelligkeit und Kraft. Wer war dein Schwertmeister?« »Ich hatte nie einen. Cimmerier werden mit dem Wissen geboren, wie man kämpft. Einige sind besser als andere. Was meinst du mit ›wir‹, Weib? Ich bin hinter den Banditen her. Ich brauche keine Reisegefährtin. Geh, wohin du willst.« Sie nahm ihren Umhang auf. »Wir verfolgen beide dieselben Männer. Es wäre leichter, wenn wir unsere Kräfte vereinigen, oder?« Sie drehte sich um und betrachtete ihn mit ihrem einen Auge. Sie wirkte diesmal voll bei Verstand. »Barbar, du magst ein großer Krieger in deinen Bergen sein. Ich bin sicher, daß du auch in den Marschen eine gute Figur abgibst, selbst hier im Grenzgebiet kannst du dich einigermaßen durchschlagen; aber wir haben eine lange Verfolgungsjagd vor uns, und in den großen Städten im Süden würdest du wie ein losgelassenes wildes Tier wirken. Du würdest einen Galgen oder ein Verlies zieren, ehe du diesen Taharka und seine Männer gefunden hättest. Ich dagegen kenne mich in diesen Fuchsbauten aus.« Es verletzte Conans Stolz, so belehrt zu werden; aber vermutlich hatte Kalya recht. Ein zivilisierter Mann brauchte in der Wildnis einen
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Führer, und er brauchte einen in der Zivilisation. Darüber dachte er nach, als er die letzten Blutstropfen von der Waffe wischte. »Schön, du hast recht«, sagte er. »Wir werden uns gemeinsam auf den Weg machen, zumindest so lange, wie ich dich ertragen kann.« »Wahrscheinlich wird mir die Geduld vorher ausgehen«, widersprach Kalya. »Komm, laß uns nachsehen, was für Pferdefleisch der Schurke auf Lager hat. Die Wache kann jeden Augenblick genug Mut aufbringen und nachsehen, wie das kleine Scharmützel ausging. Dann müssen wir schon im Sattel sitzen und weit weg sein.«
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Drei Sie ritten am östlichen Rand Aquiloniens dahin und vermieden größere Städte, wo es Garnisonen mit den Wachhunden des Königs gab, die überall herumschnüffelten. Taharka war sehr zufrieden. Seine fünf engen Gefolgsleute hatten ihre Niedergeschlagenheit über die cimmerische Pleite überwunden. Er hatte inzwischen seiner Bande noch mehrere neue Galgenstricke einverleibt. Das Land war fett, die Kaufleute waren reich und reisten oft ohne Bewaffnete. Die Bande war so vorsichtig, niemals einen leben zu lassen, der Alarm hätte schlagen können. Alle glänzten in neuer Rüstung. Die Pferde waren prachtvoll, die Schabracken aus bunter Seide und gefärbtem shemitischen Leder. Taharka fand, daß nichts das Herz eines Mannes mehr erfreute als eine pralle Börse, ein gutes Reittier zwischen den Knien und prächtige Kleidung. »Herr«, rief einer der Gundermänner, »langsam sind wir es müde, immer unter Sternen zu reiten und zu schlafen! Laßt uns doch in der nächsten Stadt eine Rast einlegen und etwas von unserem Geld ausgeben.« Taharka dachte nach. Zu einem guten Anführer gehörte auch, daß er wußte, wann er die Zügel etwas lockerer lassen mußte. Sie waren viele Meilen vom Schauplatz ihres letzten Verbrechens entfernt, und bis jetzt war von Verfolgung nichts zu merken. »Die Idee gefällt mir!« rief er. »Axandrias, gibt es einen geeigneten Ort, der nicht allzuweit entfernt liegt?« Der Aquilonier ritt neben ihn. »Keine Meile von hier zweigt eine Straße nach Osten ab. Wenn wir diese nehmen, sind wir noch vor dem Nachteinfall in Croton. Das Territorium wird sowohl von den Aquiloniern wie auch von den Nemediern beansprucht, aber keines der beiden Länder hat dort Soldaten stationiert. Alle Gauner der Grenze versammeln sich dort. Es ist die übelbeleumundetste Stadt, die du dir wünschen kannst.«
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»Klingt wie der ideale Platz, um uns ein paar Tage zu erholen«, erklärte Taharka. »Auf, reiten wir nach Croton!« Die Männer brachen in wüstes Freudengeheul aus. Bei Sonnenuntergang ritten sie durch das halbzerfallene Stadttor. Croton sah tatsächlich so übel aus, wie Axandrias behauptet hatte. Die Stadtmauer war fast eine Ruine, überall in der Stadt weidete das Vieh. Nicht nur Pferde und Maultiere, sondern auch Kamele rupften zufrieden Gras. Die Bossonier und Gundermänner staunten mit offenen Mäulern die fremdartigen Tiere an, die sie in ihrem Teil der Welt noch nie gesehen hatten. »Bei Set!« rief Taharka. »Die Hälfte alle Schmuggler dieser Welt kommt wohl durch Croton.« »Keine schlechte Schätzung«, sagte Axandrias. Niemand stellte ihnen Fragen, als sie einritten. Für eine Kleinstadt in einer abgelegenen Gegend war Croton erstaunlich kosmopolitisch. Auf dem Marktplatz hörte man viele Sprachen und sah Menschen in den Trachten zehn verschiedener Nationen. Aquilonier und Nemedier überwogen; aber es gab auch Shemiten und Ophirier neben einigen Hyperboreern, Nordheimern und Brythuniern. Der Markt war ein Kaleidoskop aus Farben, Geräuschen und Gerüchen. Überall boten Gauner ihre geschmuggelten oder gestohlenen Waren feil. In chaotischem Durcheinander priesen Männer Stoffballen in allen Farben, Schmuck, Glaswaren, Waffen und andere Sachen an. Die Nase war nicht weniger Angriffen als die Augen ausgesetzt. Die Gerüche starker Gewürze, Räucherstäbchen, Weihrauch, Parfüm und Drogen schwängerten die Luft. Wie Taharka erwartet hatte, waren alle angebotenen Waren solche, wie sie von Schmugglern bevorzugt wurden: leicht zu transportieren, von hohem Wert und in allen Ländern sehr geschätzt. Taharka beugte sich hinunter und fragte einen Mann, der gerade Dolche mit Elfenbeingriffen begutachtete. »Freund, kannst du mir sagen, wo ein müder Mann mit Geld etwas Ruhe, gute Verpflegung und
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Unterhaltung findet?« Der Mann zeigte eine enge Straße hinab, die auf beiden Seiten von Verkaufsbuden gesäumt war. »Durch die ›Straße aller möglichen Freuden‹. Am Ende findest du des Wanderers Paradies. In dieser Herberge käme nur ein Toter nicht auf seine Kosten – solange man zahlen kann. Paß auf deine Börse auf, und verstau deine Habe sicher, dann wirst du bestimmt nicht enttäuscht werden.« Taharka dankte dem Mann und ritt an der Spitze seiner Bande die enge Straße entlang. Zwischen den Buden und Menschen war es schwer, durchzukommen. Die ausgelegten Sachen waren verlockend, vor allem jene in den oberen Geschossen und Fenstern. Dort winkten nämlich Frauen, die wenig oder gar nicht bekleidet waren. Sie kamen auch an mehreren kleineren Tempeln vorbei. Die obszönen Skulpturen und Bilder an den Säuleneingängen machten klar, daß drinnen nur die verrufensten Götter angebetet wurden. Dann erreichten sie den Hof von Wanderers Paradies. Da die meisten Leute in der Stadt auf der Durchreise waren, war diese Herberge riesig. Die Männer übergaben ihre Pferde Stallburschen und traten durch die große Tür. Die Herberge war in östlichem Stil erbaut: drei Stockwerke hoch, mit einem großen überdachten Innenhof und zwei Reihen von überdeckten Baikonen. Im Dach gab es in der Mitte eine Öffnung, durch die man den Himmel sah. Außerdem plätscherte noch ein Springbrunnen an einer Seite. Auf der Gegenseite lag eine kleine Kampfarena, wo Sklaven gegeneinander oder gegen wilde Tiere kämpfen konnten. Dieser Sport war in Aquilonien streng verboten und in Nemedien verpönt; bei weniger zartbesaiteten Gemütern indes hochgeschätzt, wurde er betrieben, wo das Auge des Gesetzes nicht zusah. Die vielgestaltige Gesellschaft, die es sich im Hof bequem gemacht hatte, war groß und laut. Taharka fand mit seinen Männern einen Tisch neben der Arena. Sofort eilten Sklaven herbei, um ihnen Erfrischungen zu bringen. Taharka sorgte dafür, daß Männer und Pferde gut
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untergebracht wurden, und befahl dann ein Festmahl. Schon bald aßen und tranken sie nach Herzenslust, während nemedische Mädchen verführerisch auf einer Plattform tanzten, die über dem Springbrunnen errichtet war. »Nur das ist das richtige Leben für einen Mann!« rief Taharka. »Haben wir nicht ein schönes Leben gewählt, meine Freunde?« Er wußte, daß diese Art Kameradschaft wichtig war, um bei den Leuten die Loyalität zu festigen und die Moral zu heben. Jetzt würden sie sich noch mehr Mühe geben, damit er mit ihnen zufrieden war, und dadurch konnte er sie um so leichter opfern. Taharka sah, daß mehrere argossische Sklavenhändler die Herberge betraten. Die brutal aussehenden Männer trugen Gürtel und Armbänder aus Leder, das mit Metall beschlagen war. Alle führten aufgerollte Peitschen mit sich, die Zierde ihres Gewerbes. Der Anblick lenkte die Gedanken des Keshaniers in neue Bahnen. Er schmiedete rasch einen Plan und legte ihn geistig unter den vielen anderen ab, die er im Kopf hatte. »Meine Börse ist offen, und für meine Männer ist mir nichts zu schade.« Wilder Jubel folgte diesen Worten. Er genoß es, daß die Männer so billig zu beeindrucken waren. Der Tag rückte vor. Die Männer aßen und tranken, bis sie nicht mehr konnten. Ab und zu stemmte sich einer vom Tisch hoch und verschwand schwankend mit einer der Liebesdienerinnen, die unter diesen Schurken ihrem Gewerbe nachgingen. Nach geraumer Zeit kehrten die Männer zurück, aßen und tranken weiter. Als es dunkel wurde, stellte man um den Innenhof und auf den Balkonen Fackeln auf. Diener versorgten die Tische mit Kerzen, die in kunstvoll geschmiedeten Eisenhaltern oder in fremdländischen bunten Flaschen steckten. Schon bald schien der pralle Mond durch die Öffnung auf das lustige Treiben, das immer weiterging. Taharka lehnte sich zurück und überblickte fröhlich die Szene. Er hatte mäßig gegessen und getrunken, sich auch nicht von den dienst-
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baren Damen verwöhnen lassen. Seine Genüsse waren nicht so schlicht, wie sie seinen Männern behagten. Inzwischen wurde gewürfelt und die Beute den Glückstreffern nach umverteilt. Taharka hatte vor, sich später am Spiel zu beteiligen und sich den Großteil der Beute zu holen, indem er das Element des Zufalls ausschaltete. Er winkte dem Wirt. »Komm, setz dich zu uns! Füll einen Becher mit deinem vorzüglichen Wein und erweis unserem Tisch die Ehre deiner Anwesenheit! Du siehst aus, als hättest du es nötig, dich auszuruhen. Laß deine Diener eine Zeitlang für die Gäste sorgen.« »Gern, Südländer«, sagte der Wirt. Er nahm mit lautem Stöhnen Platz und goß Wein aus einer Karaffe in ein dünnes Glas. »Es ist viel los, und ich schufte Tag und Nacht, um meine Gäste glücklich zu machen. Erst taten mir die Füße nur weh, jetzt sind sie abgestorben.« Er nahm einen großen Schluck und seufzte zufrieden. Der Wirt hatte einen dichten hellbraunen Bart, der ihm fast bis auf den dicken Bauch fiel. Obwohl er nicht alt war, spiegelte sich der Fackelschein auf seinem kahlen Schädel. Er hatte fette Backen, funkelnde Augen und das ständige Lächeln eines Wirts, der sein Handwerk verstand. »Ist alles so, wie du es wünschst, mein Freund? Solltest du noch etwas brauchen – klein oder groß –, mußt du es nur sagen, und ich werde es mit Freuden herbeischaffen, wenn es in meiner Macht steht.« »Du bist sehr gastfreundlich. In der Tat haben sich einige meiner Männer erkundigt, ob heute abend irgendwelche Kämpfe in der Arena stattfinden.« »Selbstverständlich ist heute ein Kampf. Ein Kaufmann hält einen berühmten Kampfsklaven hier in der Stadt, und eine Karawane kam heute morgen aus Zamora. Der Sklavenaufseher ist ein mutiger Mann und will den Sklaven herausfordern. Es dürfte ein ausgezeichneter Spaß werden.« »Also nur ein Kampf?« fragte Taharka. »Ja, leider! Vor einigen Jahren konnte ich noch während der Hauptreisezeit zehn Kämpfe pro Abend bieten. In jenen Tagen waren
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die Könige nicht so zimperlich. Außerdem kamen mehr Karawanen aus Zamora, Brythunien und Turan, wo man richtigen Männersport zu schätzen weiß. Die letzten Kriege haben viel zerstört.« Die beiden Männer nahmen einen kräftigen Schluck auf die immer schlechter werdenden Zeiten. »Ich habe Agenten ausgeschickt«, sagte der Wirt. »Sie haben versprochen, mir einen ingarischen Kampfstier und einen hyrkanischen Tiger zu liefern. Aber die Tiere kommen erst viel später in der Saison.« »Ach, so läuft der Kampfsport hier ab?« fragte Taharka. »Ab und zu ein Kampfsklave oder ein freier Herausforderer? Das scheint mir doch eine recht zufällige und wenig verläßliche Art und Weise zu sein, ein so wichtiges und aufbauendes Vergnügen zu bieten. In den Ländern im Osten und Süden werden die Kämpfe regelmäßig auf geschäftlicher Basis abgehalten.« »Früher war das hier auch so. In den Städten dieses Gebiets gab es jede Menge Trainingsanstalten. Zu Zeiten meines Vaters hatte Croton drei Karawansereien, von denen jede an die zwanzig ausgebildete Kampfsklaven besaß. Jetzt müssen wir uns eben durchschlagen, so gut es geht. Zwei oder drei Kämpfe pro Woche ist das Maximum, was wir so das Jahr über bieten können.« »Bis zum Tod?« fragte Taharka. »Selbstverständlich!« antwortete der Wirt entrüstet. »Die Zeiten hier sind nicht wie früher; aber wir sind schließlich nicht heruntergekommen!« »Angenommen«, sagte Taharka vorsichtig, »jemand könnte dich mit einem ständigen Nachschub an kräftigen Kämpfern versorgen. Sagen wir, genug, um vier oder fünf gute Paare jeden Abend antreten zu lassen? Was ließe sich das ein Geschäftsmann wie du kosten?« Taharka nippte am Wein. Das gierige Aufblitzen in den Augen seines Gegenübers verriet ihm, daß er ins Schwarze getroffen hatte. Der Wirt strich sich durch den lockigen Bart und überdachte die Möglichkeiten. »Das wäre schon eine Menge wert. Es gibt vier
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Karawansereien in der Stadt – meine ist die größte. Wenn ich jeden Abend ein derartiges Vergnügen bieten könnte, beträte niemand mit Geld eine andere. Die Zeit, da wir am meisten Gäste haben, fängt gerade erst an. Wenn du mir gute Talente brächtest, könnten du und ich ein hübsches Vermögen beiseite schaffen, noch ehe der Mond dreimal gewechselt hat.« »Das klingt gut. Ich glaube, wir kommen ins Geschäft.« »Aber« – der Wirt hob warnend die Finger – »es müssen gute Kämpfer sein und willig. Keinem echten Mann macht es Spaß, verängstigte Sklaven zu sehen, die sich auf die zitternden Körper schlagen. Ein temperamentvoller, technisch einwandfreier Kampf ist immer ein erfreulicher Anblick. Ein Mann, der noch höhnisch lacht, wenn sein Blut schon verspritzt, ist eines der schönsten Schauspiele. Ich habe schon erlebt, wie man Herbergen wie meine auseinandernahm, weil die Menge über einen schlechten Todesstoß empört war.« »Keine Angst«, versicherte Taharka. »Ich bin in diesen Dingen Experte. Ich werde dir nur allerbestes Material bringen. Wir könnten Eintritt verlangen und ihn erhöhen, wenn ein Kämpfer berühmt geworden ist. Außerdem könnten wir einen Anteil an den Wetten kassieren und vieles mehr. Mit solchen Veranstaltungen läßt sich ein Vermögen machen.« Sie verhandelten noch eine Zeitlang, sprachen Preise und Anteile ab. Als sie sich über alles geeinigt hatten, umfaßten sie sich an den Handgelenken, um das Abkommen zu besiegeln. Dann stand der Wirt auf und widmete sich wieder den anderen Gästen. »Herr«, sagte Axandrias, der mit respektvollem Schweigen zugehört hatte, »das klingt alles sehr gut; aber ich sehe einige kleine Schwierigkeiten bei der Durchführung.« »Und die wären?« fragte sein Anführer. »Na, zum einen die Kosten.« »Habe ich dir nicht gesagt, daß nichts so billig wie ein Mensch ist?«
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»Das schon; aber der Unterhalt von Sklaven dieser Art kostet viel. Es müssen Männer von hoher Qualität sein. Temperament und Kampfgeist sind bei Sklaven selten. Die findet man gewöhnlich nur dort, wo ein Krieg stattfand und man gefangene Krieger kaufen kann. Dann muß man sie zu allen Zeiten bewachen und mit hochwertiger Nahrung versorgen. Man braucht Möglichkeiten, um sie richtig unterzubringen und zu trainieren. Ich frage mich, wie wir dies alles in einer dünnbesiedelten Gegend finden sollen. Außerdem mußt du an deine eigenen Männer denken.« »Warum sollten sie etwas dagegen haben?« fragte Taharka. »Warum?« Axandrias vollführte eine ausschweifende Handbewegung und rang nach Worten. »Es wäre beinahe so, als würde man sich auf ehrliche Weise den Lebensunterhalt verdienen!« Taharka grinste. Dabei sah man die Juwelen, die seine unteren Vorderzähne zierten. »Keine Angst, mein scharfsinniger Freund! Bei dem Geschäft wird es keinerlei Ehrlichkeit geben. Wir werden wenig ausgeben und jede Menge einstecken.« Gelächter und eine Bewegung in der Menge unterbrachen ihn. »Ah, da kommen die Kämpfer! Schau zu, ich werde dir später erklären, wie man es richtig macht.« Die beiden Gegner wurden von ihren Trainern durch die johlende Menge an Ketten geführt, die an den Halsringen befestigt waren. Am Rand der Arena wurden die Ketten abgenommen, und die Männer stiegen in die etwas tiefer gelegene Kampfgrube hinab. Es wurden eifrigst Wetten abgeschlossen. Durch das Gebrüll drang die Stimme des Ausrufers, der die Namen der beiden Wettkämpfer verkündete. Einer stammte aus dem Süden und war beinahe so dunkelhäutig wie Taharka. Der andere war ein hellhäutiger Typ aus dem Norden. Die Männer trugen nur enganschließende Helme aus Leder und an metallbeschlagenen Gürteln lederne Unterleibschützer. Um die Hände waren dicke Handschuhe mit Lederriemen gebunden, die bis zum Ellbogen reichten. Jeder Handschuh war mit Bronze und über den Knöcheln mit einer Reihe fast zehn Zentimeter
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langer Dornen besetzt. Die Männer jubelten und klatschten. Manche warfen Münzen in die Arena. »Zwanzig auf die Weißhaut!« brüllte Wolf, Gunters Bruder. »Gemacht!« rief Taharka. Er wettete nur aus Jovialität, da er Spiele nicht liebte, bei denen er den Ausgang nicht bestimmen konnte. Aber es spielte keine Rolle. Sollte er verlieren, würde er das Geld später zurückgewinnen, wenn seine Männer zu betrunken waren, um seine Kunstfertigkeit mit den Würfeln zu merken. Die beiden Kämpfer standen sich gegenüber, die Fäuste in Brusthöhe. Das Fackellicht ließ die Bronzespitzen aufblitzen. Auf das Kommando des Kampfrichters hin rückten sie vor. Der Mann aus dem Süden kämpfte angriffslustiger. Blitzschnell kamen seine kräftigen Schläge. Der Nordländer war vorsichtiger und wehrte die Schläge mit den dick umwickelten Unterarmen ab. Innerhalb von Minuten bluteten seine Arme. Doch bis jetzt war noch kein schwerer Schlag auf seinen Kopf oder eine andere lebenswichtige Stelle niedergegangen. Der Dunkle wurde sichtbar müde. Als der Arm des Südländers unter dem Gewicht der Bronzehandschuhe allmählich sank, griff der Sklave aus dem Norden an. Mit mehreren Treffern erzielte er große Risse in der Brust des Gegners, so daß dieser stark blutete, was ihn noch mehr schwächte. Bald boten die herabsinkenden Arme dem Kopf keine Deckung mehr. Jetzt setzte der andere zum Todesschlag an. Beim Überraschungstreffer in die Magengrube nahm der Dunkle die Arme herunter und krümmte sich. Der nächste Schlag landete in seinem Gesicht. Die Bronzedornen gruben sich tief in Wange und Kiefer. Der Nordländer mußte sich mit dem Knie gegen die Brust des Gegners stützen, um die Spitzen herauszuziehen. Der Dunkle war halbtot und konnte sich nicht mehr wehren, als der andere ihm den Lederhelm vom Kopf riß. Der Sieger packte das kurze Haar des Unterlegenen und zerrte ihn in eine halb sitzende Stellung. Dem armen Kerl hing der Unterkiefer herab und die Augen waren nach oben
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gerollt, so daß man nur das Weiße sah. Bei jedem röchelnden Atemzug trat roter Schaum aus Mund und Nase. Der Sieger blickte sich im Publikum um und hielt die Bronzefaust, von deren Dornen Blut tropfte, salutierend neben das rechte Ohr. Der Kampfrichter gab das Zeichen, den Kampf zu beenden. Die Dornen lösten sich, man hörte ein ekliges Knirschen, dann sank der Dunkle leblos zu Boden. Ein Schauer von Münzen regnete in die Arena, alle von den glücklichen Gewinnern geworfen. Taharka zählte zwanzig Goldmünzen ab und gab sie Wolf. »Siehst du?« sagte er zu Axandrias und deutete auf die Kampfgrube. Der Fackelschein fiel auf Blut und Gold. »Da gibt es großen Reichtum zu machen, alles auf Kosten eines wertlosen Sklaven. Das werden wir tun! Ich rede mit den Sklavenhändlern am Tisch dort drüben. Möglicherweise heure ich ein paar an. Wir könnten die Dörfer beiderseits der Grenze überfallen. Was wir brauchen, sind kräftige junge Männer, die gut gebaut sind. Du hast gesehen, wie die Kämpfe hier abgehalten werden: Einzelkämpfe mit einfachen Handwaffen, leicht zu lehren. Die meisten Zuschauer verstehen nicht viel von kunstfertigem Schwertkampf. Was zählt, sind allein Wildheit und Mut. Und diese Dinge kann man künstlich hervorrufen.« Axandrias nippte an seinem Wein und überlegte kurz. »Du denkst an Drogen, Herr?« »Genau! Mit einer Mischung aus den richtigen Drogen und bestimmten einfachen Zaubersprüchen kann man aus dem stumpfsinnigsten Ackerknecht einen reißenden Tiger machen, zumindest für ein paar Minuten. Das reicht, denn diese Kämpfe dauern nicht lange. Wir wollen den Leuten ja nicht beibringen, wie man mit einem Bogen schießt, eine Lanze vom Sattel aus wirft oder andere komplizierte Kampfformen auf einem Schlachtfeld ausführt.« Der Anführer der Banditen strahlte befriedigt. »Wir bleiben bei einfachen Nahkampfwaffen: Handschuhe mit Dornen, Kurzschwert,
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Dolch und vielleicht Stöcke für die hoffnungslos Ungeschickten. Die Grundkenntnisse lassen sich in wenigen Tagen beibringen. Wenn wir sie hierherbringen, erledigen die Drogen den Rest.« »Ein wirklich guter Plan«, stimmte Axandrias zu. »Aber wir müssen auch an die Obrigkeit denken. Wir sind hier zwar in einem ziemlich gesetzlosen Landstrich, aber größere Sklavenjagden ziehen rasch die Aufmerksamkeit auf sich.« »Das ist die Schönheit eines Grenzgebiets, mein Freund. Wenn wir in Aquilonien auf Raubzug gehen, ziehen wir uns wie Nemedier an. In Nemedien sind wir Aquilonier. Streit gibt es dann nur zwischen den beiden Nationen. Ehe man uns verdächtigt, sind wir mit unserer Beute längst über alle Berge.« »Hervorragend!« schmeichelte Axandrias. »Also, mein Freund«, sagte Taharka, »du hast Kenntnis in Magie und Thaumaturgie. Ich möchte, daß du morgen die Stadt durchstreifst und nach jemandem suchst, der diese Künste praktiziert und die nötigen Drogen besitzt. Er soll dir die passenden Sprüche beibringen. Sei nicht knauserig mit der Bezahlung. Diese Ausgaben sind ein Nichts im Vergleich zu dem Gewinn, den wir mit diesem Plan herausholen können. Aber wir brauchen einen guten Zauberspruch.« »Wird erledigt«, sagte Axandrias mit Begeisterung. »Deshalb beschwöre ich dich, heute nicht zuviel zu trinken und dich auf morgen vorzubereiten.« »Ich trinke nie sehr viel, Herr. Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, daß das Leben eines Gesetzlosen zehnmal gefährlicher für einen Mann ist, der sich vorsätzlich hilflos macht. Derartige Narren zieren die Galgen der ganzen zivilisierten Welt.« »Dann denkst du wie ich.« Taharka betrachtete die geröteten Gesichter der anderen Männer. Er nahm einem Bossonier den Lederbecher aus der Hand und schüttelte die Knochenwürfel darinnen. »Nun, Freunde, wer ist für ernsthaftes Würfeln?« Als die Männer ihr Gold auf den Tisch warfen, drehte Taharka sich
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zu Axandrias um. »Welch ein Glück wir hier mit ein paar Cimmeriern hätten, wie?« Am nächsten Morgen stand Axandrias spät auf, machte sich aber sogleich auf die Suche. Ein paar Fragen bei den Drogenverkäufern auf dem Markt führten ihn zu einem kleinen Tempel. Er war nicht leicht zu finden. Mehrmals war er in die falsche Gasse eingebogen, ehe er die richtige fand. Zu beiden Seiten des Tempels standen große Lagerhäuser. Als erstes fiel Axandrias auf, daß diese Straße im Gegensatz zu den anderen gepflastert war und daß die Pflastersteine vom vielen Gebrauch ganz glatt waren. Er schloß, daß diese Straße weit älter war als alles, was er in der Stadt gesehen hatte. Es war ein kleines Geheimnis; aber die Welt war voll von Geheimnissen, und es zahlte sich nicht aus, lange darüber nachzudenken. Die Vorderseite des Tempels schloß die Straße ab, die Seiten schienen sich weit über die Nebengebäude zu erstrecken. Hinter dem Tempel erhob sich die Stadtmauer in ungefähr zwanzig Schritten Entfernung. Die Fassade des Tempels schreckte Axandrias beinahe davon ab, einen Fuß hineinzusetzen. Die Schnitzereien waren so uralt und verwittert, daß er keine Einzelheiten mehr erkennen konnte. Es blieb nur der Eindruck gewaltiger angsteinflößender Gestalten mit großer Macht und halb menschlichen, halb schlangenähnlichen abstoßenden Figuren, die sich durch Korridore bewegten, die von einem Nichts ins nächste Nichts führten. Ja, ein solcher Tempel zieht wenige Beter an, dachte Axandrias. Er holte tief Luft, ging zum Säulenvorbau und betrat den Tempel. Trotz der Wärme draußen war es im Tempel empfindlich kühl. Durch Fensterschlitze oben in den Mauern fiel nur wenig Licht. Axandrias befand sich in einem Hypostylon. Zu beiden Seiten standen hohe Säulen, die in Doppelreihen nach hinten führten und Abbilder von Menschen mit Schlangenköpfen waren. Auf den gebogenen Schultern ruhte das Dach. Ihr Blick war starr nach unten gerichtet, auf
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jeden der dort vorbeiging. Axandrias sah in der Dunkelheit weiter hinten ein Licht. Mit leiser Furcht ging er darauf zu. Mehrmals blieb er stehen und warf einen Blick auf die Schlangenhäupter über ihm. Immer noch starrten sie leer und rätselhaft herab; aber beim Gehen hatte er das ungute Gefühl, daß sie sich bewegten. Aus dem Augenwinkel glaubte er zu sehen, wie sich etwas bewegte, als züngelten lange gespaltene Zungen aus den schuppigen Mäulern. Die Lichtquelle war eine Flamme, die in einer Bronzeschale loderte. Die Schale stand auf einem Dreifuß. Er entdeckte keinerlei Brennstoff für die Flamme. Dies störte ihn aber nicht weiter. Da er auch von Zauberkunststücken etwas Ahnung hatte, nahm er an, daß die meisten Magier mit ähnlichen Taschenspielertricks arbeiteten. Doch irgend etwas stimmte nicht. Er schaute zurück. Das helle Rechteck des Eingangs war mindestens fünfzig Schritt entfernt. Als er hingegen vor dem Tempel gestanden hatte, war die Stadtmauer seiner Schätzung nach nur etwa zwanzig Schritt entfernt gewesen. Das bedeutete, daß dieses Gebäude durch die Mauer und dahinter weiter führte. Noch ein Rätsel! Aber er war nicht hergekommen, um Rätsel zu lösen. »Was führt dich hierher?« erklang eine Stimme hinter ihm. Axandrias drehte sich rasch um, die Hand am Schwertknauf. Der Sprecher war ein großer hagerer Mann in einem weiten schwarzen Gewand. Sein Kopf war kahlgeschoren, und das leichenblasse Gesicht wirkte so reglos wie das der Steinschlangen. Axandrias atmete erleichtert aus. »Verzeih mir, guter Priester. Du hast mich erschreckt. Ich hörte dich nicht kommen. Bist du der einzige Priester dieses Tempels?« »Bin ich. Die Götter, denen ich diene, sind älter, als Menschen erträumen können, und fast vergessen in diesem dekadenten Zeitalter.« Der Akzent des Priesters war seltsam. Axandrias war weit herumgekommen, hatte ihn aber noch nie gehört. Auch die Wortwahl und Satzstellung des Mannes waren irgendwie seltsam.
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»Vielleicht werden die Zeiten sich bessern. Wie das Leben so spielt, bin ich hergekommen, weil ich auf der Suche nach bestimmten Drogen und vielleicht dem einen oder anderen Zauberspruch bin. Auf dem Markt sagte man mir, daß der Priester dieses Tempels oft magische Substanzen besitze, die sonst nicht zu haben sind, und daß er ein berühmter Magier sei.« »Sagte man dir auch, daß ich auch so ein Bettler wie die anderen sei?« Axandrias erkannte, daß es an der Zeit war, vom rein geschäftlichen Ton auf einen anderen auszuweichen. Er war schon vielen Zauberern wie diesem begegnet. Sie waren verarmt, aber zu stolz, um zuzugeben, daß sie ihre Sachen und Dienste verkaufen mußten, um zu leben. »Guter Priester, ein solcher Gedanke käme mir nie in den Sinn! Ich bin ein Student der thaumaturgischen Künste, allerdings noch ein blutiger Anfänger. Zur Zeit arbeite ich an einem Buch über die Wirkung bestimmter Drogen und Sprüche, welche Wildheit hervorrufen. Um glaubwürdig schreiben zu können, muß ich die Wirkungen selbst ausprobieren.« Der Priester nickte. »Dies ist der einzig wahre Weg, Wissen zu erlangen. Die Stoffe, welche du suchst, sind sehr selten in diesem entlegenen Landstrich. Man muß sie einführen, und das ist sehr kostspielig.« Axandrias grinste im Innern. Endlich kamen sie zum Geschäft. Aber er mußte weiterhin den Schein des eifrigen Schülers wahren. »Das hatte ich erwartet. Ich stamme aus einer guten Familie und verfüge über erhebliche Mittel. Und Gold ist doch nur wertloses Metall, wenn das Ziel die Bereicherung von Wissen ist.« »Komm mit!« Der Priester führte ihn an der Flamme vorbei durch ein kleines Portal. Sie betraten einen langen Raum. Auch hier ließen die Fensterschlitze hoch oben Licht ein; aber es war von seltsamer Farbe. Axandrias war sicher, daß es durch bunte Glasscheiben fiel. Im Raum standen überall Apparate, Bücher und Instrumente, von
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denen der Aquilonier kaum etwas kannte. Allen gemeinsam war nur, daß sie unendlich alt wirkten. Es gab Instrumente aus Silber, Gold und durch das Alter schwarz gewordener Bronze. Kristalle funkelten neben Edelsteinen, die Axandrias auch noch nie gesehen hatte. Er blieb vor einem Podest stehen, auf welchem ein dickes Buch lag. Der Einband war mit den Gesichtsknochen eines menschlichen Schädels geschmückt. In den Augenhöhlen steckten zwei riesige Rubine. »Dieser Band scheint große Macht zu bergen«, sagte Axandrias. In Wahrheit interessierten ihn nur die Rubine. »In der Tat«, sagte der Priester mit seiner Grabesstimme. Er schlug den Deckel auf und zeigte die erste Seite. Das Pergament war sehr dick und gelblich. Die Buchstaben darauf trugen die Farbe rostigen Eisens. Axandrias berührte die Seite. Sie war merkwürdig glatt. Er machte darüber eine Bemerkung. »Dies ist ein Buch mit Zaubersprüchen, welche der Magierkönig Angkar schrieb. Er lebte im voratlantischen Reich Walkh. Wer diese Schrift lesen kann, dem sind enthüllt die Geheimnisse der Verständigung mit Wesen, welche das Universum beherrschten, noch ehe die Welt geschaffen war. Er war ein Zauberer allumfassenden Bösens, wie man es in heutiger Zeit gar nicht mehr kennt. Als Krönung seiner Herrschaft stellte er dies Buch zusammen. Von fünfzig Unterkönigen ließ er sich die Töchter schicken, im ganzen über neunhundert. Diese Seiten sind aus den abgezogenen Häuten der Prinzessinnen gemacht. Die Buchstaben sind mit dem Blut königlicher Nachkommen geschrieben. Als das Buch beendet war, ließ er die Knochen seines eigenen Gesichtes als Zierde auf den Einband setzen. Sie wurden seinem Schädel entnommen, während er noch atmete. Der Einband ist seine eigene Haut.« Axandrias zog die Hand fort, als wäre das Buch weißglühend. »Wir leben wahrlich in einer dekadenten Zeit«, sagte er mit bebender Stimme. »Kein Magier von heute könnte ein solches Meisterwerk der Magie schaffen.«
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»Ja, die großen Künste werden nicht mehr geschätzt«, stimmte ihm der Priester zu. »Und dennoch – die guten Zeiten werden wiederkehren. Diese Mauern haben viel gesehen. Dies Buch ist uralt, doch der Tempel war schon alt, als es geschrieben wurde. Kontinente haben sich gehoben und sind wieder versunken, seit dies Gebäude steht. Viele Städte haben an dieser Stelle schon gestanden. Das armselige Dorf Croton ist die jüngste Ansiedlung.« In den tiefliegenden Augen des Priesters funkelte ein seltsames Licht. »Ehe die barbarischen Hyborier diesen Teil der Welt überrannten, stand hier die mächtige Stadt Karutonia. Jetzt erinnert nur noch der jämmerlich verstümmelte Name an sie. Über eine Million Menschen wohnten in jener Stadt. Die Überreste ihrer größten Tempel und Grabmäler stehen immer noch in der Nähe, allerdings von Erde bedeckt und überwachsen. Sie sind so riesig, daß die Menschen sie jahrtausendelang für natürliche Hügel hielten.« »Fürwahr«, sagte Axandrias, jetzt überzeugt, daß der Priester den Verstand verloren hatte. »Dies ist ein uralter Ort.« »Uralt?« Der Priester lachte trocken und humorlos. »Die Stadt Karutonia war eine der jüngsten Gründungen. Dieser Tempel stand hier schon, als alles nichts als Sandwüste war. Es gab eine Zeit, da stand er auf dem Boden eines großen Sees. Äonen zogen über diesen Tempel dahin und ließen ihn unverändert. Wind und Regen, welche die Figuren an der Fassade abschliffen, machten aus Bergen Sandhaufen.« »Ja, ich verstehe«, sagte Axandrias und wollte verzweifelt das Thema wechseln. »Ich bin an den richtigen Ort gekommen. Für jemanden, der solche Geheimnisse kennt, müssen die Kleinigkeiten, die ich suche, absolut lächerlich sein.« Er hob ganz nebenbei den Deckel von einer einfachen Kupferschüssel. Darunter verbarg sich ein Einblick in Abgründe, die so tief waren, daß es ihm fast den Verstand raubte. Es war, als schaue er in einen unendlich großen Sternenwirbel. Sofort klappte er den Deckel zu und bemühte sich, den Magen wieder an den angestammten Platz zu befördern. Der Priester schien davon nichts bemerkt
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zu haben. »Ich habe, was du willst«, sagte der Priester. Er trat zu einem Schrank und öffnete die geschnitzte Tür. Zu Axandrias Erleichterung kamen nur Fächer und Schubladen zum Vorschein. Die Gerüche exotischer Kräuter erfüllten den Raum. Der Priester zog eine Schublade heraus und entnahm ihr ein hölzernes Kästchen. Er schob den Deckel zurück und zeigte Axandrias den Inhalt. Es lagen Hunderte kleiner, grünlicher, gummiartiger Bällchen darin, jedes etwa von der Größe einer getrockneten Erbse. »Die äußere Schicht jeder Pille«, erklärte der Priester, »ist der hart gewordene Saft des Julakbaums der Barachan Inseln. Er gibt Stärke und Ausdauer. Früher wurde er oft von den Elitegarden der Könige benutzt, ehe sie in die Schlacht zogen. Hineingemischt sind die Ausscheidungen bestimmter stygischer Skarabäen, welche dem Körper und dem Auge außergewöhnliche Schnelligkeit verleihen. Kern jeder Pille ist der Saft des grünen Mohns. Er wirkt zweifach: Der Benutzer spürt keine Angst, sondern ungeheure Angriffslust und ist gegen Schmerzen unempfindlich.« Der Priester stellte das Kästchen auf ein Schreibpult und tauchte einen Pinsel in Tinte. Während er schrieb, fuhr er fort. »Wer dies Medikament braucht, kann es ohne großes Risiko einnehmen, solange er vorsichtig ist und es nur in Abständen nimmt.« Der Priester zeigte Axandrias, was er auf den Deckel geschrieben hatte. Es waren die zeitgenössischen aquilonischen Buchstaben, aber die Silben entstammten einer scheußlichen Sprache. »Wenn du diesen Zauberspruch sagst, während du jemandem eine Pille gibst, tritt die Wirkung schneller ein und ist viel stärker. Jedoch ist sie zerstörerisch. Wer davon täglich einnimmt, wird in kurzer Zeit aufgebraucht sein. Ich schlage vor, das Mittel nur entbehrlichen Sklaven, Sträflingen oder ähnlichem Abschaum zu geben.« »Genau dies war meine Absicht«, sagte Axandrias. »Und der Preis?« »Fünfhundert aquilonische Goldstücke.« Das war viel, aber Taharka hatte ihm gesagt, er könne auch das Doppelte ausgeben. Axandrias
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nahm die pralle Börse aus der Tunika und zählte die Münzen ab. Als der Priester ihn zum Eingang zurückbegleitete, sagte er: »Solltest du wieder die Hilfe eines Zauberers benötigen, komme zu mir. In diesen weltlichen Zeiten bin ich gern bereit, einem Schüler der Großen Künste zu helfen.« »Du kannst sicher sein, daß ich nicht zögern werde, dich aufzusuchen«, sagte Axandrias und schwor insgeheim, dies nie zu tun. Als er wegging, blickte ihm der Priester nach. Langsam bewegten sich die Mundwinkel zu einem widerlichen Lächeln noch oben. Als Axandrias am Eingang der engen Straße war, schaute er zurück und betrachtete sich nochmals die Fassade des Tempels. Die Neugier ließ ihm keine Ruhe. Er lief eine Parallelstraße bis zu einer Treppe, die auf die Stadtmauer hinaufführte. Er ging hinauf und blickte umher. Da standen die beiden Lagerhäuser rechts und links vom Tempel. Er beugte sich vor. Das flache nichtssagende Dach des Tempels erstreckte sich etwa zwanzig Schritt auf die Straße, ehe es in der Mauer verschwand. Er drehte sich um und schritt die Mauer ab. Sie war etwa vier Schritt dick. Durch eine Schießscharte beugte er sich nach außen und erwartete, den größeren Teil des Tempels unten zu sehen. Aber da war nichts. Nur die rauhe Steinmauer und dahinter die Wiese, auf der friedlich Ochsen grasten. Ihm standen die Haare zu Berge. In seinem Kopf drehte sich alles. Wo war der Rest des Tempels? In dieser Nacht übertrat er die selbst auferlegte Beschränkung und trank, bis er die Besinnung verlor.
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Vier »Wie konnten wir sie nur verlieren?« fragte Kalya. »Haben sie vielleicht die große Straße nach Belverus genommen?« »Vielleicht auch die Abkürzung direkt in die Hölle! Was weiß denn ich?« meinte Conan mürrisch. In den letzten Tagen war seine Laune immer schlechter geworden, als die Spur erst kalt wurde und schließlich ganz verschwand. Bald würden sie das kriegsgebeutelte Ophir erreichen, und die Chancen, die Gesuchten zu finden, würden noch geringer werden. Anfangs war die Verfolgung leicht gewesen. Kaum ein Tag verging, da Aasvögel sie nicht zu halbverborgenen Leichen geführt hatten, denen alle Wertsachen abgenommen worden waren. Mehr als einmal waren sie auf eine Patrouille königlicher Soldaten oder örtlicher Miliz gestoßen, die nach den Verbrechern suchten. Die meisten glaubten, daß Taharkas Schandtaten das Werk von Gesetzlosen aus der Gegend gewesen seien. Der Keshanier war zu gerissen, um in einer Region lange genug zu bleiben, um besondere Aufmerksamkeit zu erregen. Conan mußte erkennen, daß er und Kalya ihrer Sache zu sicher gewesen waren, als sie ihre Aufgabe für leicht gehalten hatten. Sie hatten sich auf einen möglichen Kampf vorbereitet, statt sich auf die Verfolgung zu konzentrieren. »Dieser Taharka ist schlauer, als wir dachten«, sagte Kalya. »Er hat seine Taktik wieder geändert. In Cimmerien und den Grenzregionen ging er auf Sklavenjagd, auf der Straße nach Ophir verlegte er sich auf Wegelagerei, wobei er keine Zeugen leben ließ. Jetzt hat er etwas anderes gefunden.« Conan zog die Zügel an und blieb stehen. Sie standen am Rand der Berge. Vor ihnen erstreckte sich weites Grasland. Bald würden sie die Ebene von Ophir erreichen. »Glaubst du, daß sie nicht mehr nach Ophir geritten sind?«
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Sie hob die Schultern. »Diese Männer bleiben selten auf einem klaren Kurs. Sie sind wie Kinder, die sich etwas vornehmen und von der geringsten Kleinigkeit ablenken lassen. Vielleicht kehren sie wieder zurück nach Ophir, vielleicht verlegen sie sich aber auch auf eine ganz andere Art von Handwerk. Was es auch ist – ich befürchte, daß wir uns immer weiter von ihnen entfernen, wenn wir in diese Richtung weiterreiten.« Conan dachte über das Problem nach. Die endlose Grasebene rief ihn. Zu gern wäre er darüber hinweggaloppiert, um zu sehen, welche Wunder sie barg. Aber die Pflicht rief ihn, seinen Racheplan weiterzuverfolgen. Er konnte sich irgendwann später austoben. Er trieb sein Pferd an. »Reiten wir zurück bis zu der Stelle, wo wir sie verloren«, schlug er vor. Eine Woche später stiegen sie vor einer kleinen Herberge an der Straße ab. Hier gab es kaum mehr als eine Wasserstelle für die Pferde, eine Hütte mit Essen und Wein und eine Scheune für das Pferdefutter. Vor der Scheune war eine Plane gespannt, unter der einige Holztische und Bänke standen. Ein halbes Dutzend Einheimische aß und trank im Schatten der Plane. Nachdem Conan und Kalya ihre Pferde mit Stroh abgerieben und getränkt hatten, setzten sie sich und bestellten gekühlten Wein. Eine pummelige grauhaarige Frau brachte ihn. Als sie die Flasche hinstellte, musterte sie den Cimmerier besorgt. »Du bist ein kräftiger Bursche«, sagte sie. »Wenn ich du wäre, würde ich in dieser Gegend nicht in Begleitung von nur einem Mädchen reisen.« »Was soll das heißen, Großmutter?« fragte Conan. »Ist es hier besonders gefährlich, kräftig zu sein?« »Allerdings, so wie’s aussieht«, antwortete die Alte. »Die Männer hier haben gerade darüber geredet. Es treibt sich eine Bande von Sklavenjägern herum. Sie haben Höfe und Dörfer überfallen, sogar
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einige Städte. Komischerweise nehmen sie nie Frauen oder Kinder, nur Männer in den besten Jahren und nur kräftige und gesunde.« »Sie spricht die Wahrheit, Fremder«, mischte sich ein Mann ein, der wie ein Fuhrmann gekleidet war. »Sie haben zwei Frachtwagen überfallen, die meinem Herrn gehörten, und mehrere kräftige junge Männer mitgenommen.« »Ich habe gehört, daß es Nemedier sind«, meinte ein Mann, dessen Bettelpack neben ihm lag. »Manche sagen, daß auch Argossier dabei sind.« »Sie rauben die Männer nicht nur«, ergänzte ein fetter Mann im Gewand des königlichen Scharfrichters. »Vor einigen Tagen sollte ich in Volsino zwei Schurken wegen Viehdiebstahls hängen. Der Gemeindevorsteher wollte mir weismachen, daß sie im Gefängnis Selbstmord begangen hätten. Durch ein paar Fragen in der Stadt fand ich heraus, daß er sie diesen Nemediern verkauft und mich so um meinen Lohn betrogen hatte. Ich werde ihn wegen Korruption verklagen, wenn ich wieder in der Hauptstadt bin.« Verärgert leerte er seinen Becher. »Das ist seltsam«, meinte Kalya. »Starke Männer sind als Sklaven immer gefragt; aber auch Frauen und Kinder. Die Schwächeren lassen sich leichter zusammentreiben und bewachen und ernähren. Noch nie habe ich gehört, daß Sklavenhändler leichte Beute zurücklassen und nur die Starken nehmen, es sei denn, ein König plant ein großes Bauprojekt, für das er Arbeiter braucht.« »So etwas gibt es hier nicht«, sagte der Scharfrichter, »seit das Grabmal des alten Königs vor vielen Jahren fertig wurde. Die Stygier bauen dauernd Tempel; aber durch den Krieg in Ophir sind Gefangene dort billig, daher würden sie sie dort kaufen.« »Es ist alles sehr merkwürdig«, meinte ein Hirte, der sehr nach seiner Herde roch. »Aber ich bin zu alt. Mich wollen sie nicht mehr, und meine Söhne habe ich auf die Bergweiden geschickt, bis die Gefahr vorbei ist.«
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»Du brauchst dir meinetwegen keine Sorgen zu machen, Großmutter«, sagte Conan. »Um mich zu fangen, bedarf es eines sehr kühnen Sklavenjägers, und auch das Mädchen ist keineswegs so harmlos, wie sie aussieht.« Als die Alte in die Hütte zurückgegangen war und die anderen wieder miteinander plauderten, beugte Conan sich über den Tisch. »Was hältst du davon? Könnte das nicht mit Taharka und seiner Bande zu tun haben?« »Ich weiß nicht, aber ich spüre, daß es da eine Verbindung gibt. Dieser Mann ist voller Ränke und Pläne. Gut möglich, daß er auch diesen Plan ausgeheckt hat. Wozu, weiß ich nicht, aber ich bin sicher, daß eine Schurkerei dahintersteckt.« »Aber die Sklavenjäger sollen Nemedier sein«, warf Conan ein. »Nemedische Kleidung kann man ebensoleicht wie jede andere anziehen. Räuber haben schon immer alle möglichen Verkleidungen benutzt. Ich finde, wir sollten unsere Suche auf dieses Gebiet konzentrieren. Wenn wieder eine Schandtat begangen wird, können wir davon ausgehen, daß Taharka und Axandrias die Finger im Spiel haben.« Während die Pferde ausruhten, verwickelten Conan und Kalya die Einheimischen in Gespräche. Conan wollte ganz offen Fragen stellen; aber Kalya trat ihn jedesmal unter dem Tisch. Er verfiel in mürrisches Schweigen und hörte nur noch zu. Dabei lernte er die kunstvolle Art der jungen Frau zu schätzen, die den Leuten viele Dinge aus der Nase zog, ohne bei den mißtrauischen und vorsichtigen Landbewohnern Verdacht zu erregen. Eines stellte sich sehr schnell heraus: Die nächste Stadt, in der sich Schurken, Gauner, Schmuggler und Rebellen versammelten, hieß Croton. Sie lag kaum weiter als einen Tagesritt entfernt in Richtung der nemedischen Grenze. Die Sonne war beinahe untergegangen, als sie in Sichtweite der Stadt kamen. Conan betrachtete staunend die Tiere, die vor der Stadtmauer
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weideten. »Sind das Kamele?« fragte er. »Ja«, antwortete Kalya. »Hier fangen die östlichen Länder an. Dort drüben liegen Nemedien, Brythunien, Corinthien, Zamora, Turan und die Vilayet-See.« »Und dahinter?« fragte Conan, der von der Aufzählung dieser fernen Länder und Leute fasziniert war. »Länder, die teilweise eine Legende sind: Hyrkanien, Khitai, Vendhya. Hinter diesen soll sich ein gewaltiger Ozean bis an den Rand der Welt erstrecken.« »Eines Tages werde ich sie alle sehen«, schwor der Cimmerier. »Sobald ich meine Aufgabe mit diesen Banditen erledigt habe.« »Du bist schon ein seltsamer Typ, mein Freund.« Einen Augenblick lang schien der Waffenstillstand zwischen ihnen fast in Freundschaft überzugehen. »Ich habe bisher kaum mehr als eine Handvoll Cimmerier kennengelernt; aber keiner hatte Sehnsucht, ferne Länder zu sehen. Sie redeten nur immer, daß sie nach Hause zurückkehren wollten.« »Ich bin nicht wie meine Landsleute«, stimmte Conan ihr zu. »Ehe ich alt genug war, das Schwert eines Mannes zu halten, rebellierte ich gegen jeden, der über mich oder mein Leben bestimmen wollte. Mein Vater, die Dorfältesten, der Häuptling meines Clans – alle haben mich kräftig durchgeprügelt, bis ich für solch eine Behandlung zu groß wurde. Als ich es mir bei Venarium verdiente, zum Krieger gemacht zu werden, gaben sie den Versuch auf.« »Du warst in Venarium dabei?« fragte sie. Die Nachrichten über diese Schlacht waren vor einigen Jahreszeiten in Aquilonien in aller Munde gewesen. Die Aquilonier hatten die Grenze ins angestammte Land der Cimmerier überschritten und die Stadt Venarium erbaut. Sie besetzten sie mit Grenzbevölkerung aus Gundermännern und Bossoniern. Die Cimmerier hatten die Siedlung in einem Tag und einer Nacht in einem grauenvollen Blutbad dem Erdboden gleichgemacht. Alle drei Völker waren ausgezeichnete Krieger und kämpften ohne Gnade.
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Conans Gesicht verdüsterte sich, als folgten seine Gedanken einem Pfad, den er nicht einschlagen wollte. »Das ist Vergangenheit«, erklärte er kurz. »Sehen wir lieber, was wir in dieser Stadt der Halunken finden.« Sie ritten in die Stadt. Die Buden am Markt waren schon geschlossen, nur die zahlreichen Vergnügungsstätten waren hell erleuchtet. Musik spielte. Der Tag war vorbei, und der Abend hatte begonnen. Kalya fragte einen Teppichhändler, wo sie nächtigen konnten. Der Mann musterte ihre staubige und etwas abgerissene Kleidung mißtrauisch. »Am besten schläft und vergnügt man sich in Wanderers Paradies; aber die Preise haben sich dort verdreifacht, seit jede Nacht die neuen Attraktionen stattfinden. Ich rate euch, einen der Ställe in der Nähe des Stadttors aufzusuchen, die an die Mauer angebaut sind. Dort könnt ihr die Pferde unterstellen und ganz billig einen Raum im Obergeschoß bekommen. Es ist auch viel ruhiger als in einer Herberge, und die Flöhe sind auch nicht bissiger.« »Wir nehmen deinen Rat gern an«, sagte Conan. »Was ist das für ein Vergnügen, wodurch die Preise dreimal so hoch sind in dem Laden, den du erwähntest?« »Was, ihr habt davon noch nicht gehört? Geht hin! Ich garantiere euch, daß ihr etwas erlebt, das den Eintrittspreis und das viele Geld für mittelmäßigen Wein wert ist.« Sie fanden einen Stall, wie der Mann ihn vorgeschlagen hatte, und mieteten sich und die Pferde dort ein. Ein paar Türen weiter gab es ein öffentliches Badehaus. Dort konnten die beiden den Reiseschmutz aufweichen lassen. Zu dieser späten Stunde waren sie die einzigen dort. Als Conan sich in dem Holzzuber wohlig zurücklehnte, überdachte er die nächsten Schritte. Die Männerabteilung war von den Frauenbädern durch einen Holzrahmen getrennt, der mit Stoff bespannt war. Er fragte Kalya nach ihrer Meinung. »Ich glaube, wir sollten uns in Wanderers Paradies umsehen«, sagte sie. »Wir sind hergekommen, um Verbrecher zu suchen, nicht um uns zu vergnügen«, entgegnete er.
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»Kannst du dir einen besseren Ort vorstellen?« Er spürte ihre Herablassung durch die Trennwand. »Diese Art Männer, mit einem Haufen Geld, wollen sich austoben. Wenn der Laden die besten Vergnügungen bietet, dann sind sie auch dort.« »Vielleicht sind Frauen dort nicht willkommen«, warnte er. »Wo ich gelernt habe, das Schwert zu führen, waren Frauen auch nicht erwünscht. Ich habe mich nicht abschrecken lassen und sie gezwungen, mich zu unterrichten. Wenn nötig, tue ich das hier wieder.« »Du bist gewohnt, deinen Kopf durchzusetzen«, sagte er. »Eine Frau, die allein ihren Weg in dieser Welt gehen will, darf nicht schwächlich sein. Wir können doch nicht alle als barbarische Muskelprotze anfangen.« Conan verzog das Gesicht. »Du hast eine Zunge wie die Feile eines Schwertschmiedes, Weib; aber ich widerspreche ja nicht mehr. In Ordnung, wir gehen in diesen Vergnügungspalast, und sollte jemand etwas gegen deine Anwesenheit haben, ziehen wir unsere Klingen und machen ihn nieder.« Kalya schenkte ihm ihr seltenes, wunderbar melodisches Lachen. »Ja, das werden wir tun, Cimmerier! Solche Reden höre ich gern.« Wie sich herausstellte, hatte niemand etwas dagegen, daß Kalya Wanderers Paradies betrat. Der stolze Eintrittspreis ließ ihnen nicht mehr viele Goldstücke; aber der Menschenmenge, die sich hineindrängte, schien das Vergnügen soviel wert zu sein. Drinnen herrschte ein ohrenbetäubendes Geschrei. Sie nahmen jeder einen Krug viel zu teuren Biers von der Schankmaid entgegen und versuchten herauszufinden, was den Lärm verursachte. Auf den Rat der Schankmaid hin stiegen sie die Treppe zur oberen Galerie hinauf, wo weniger Gedränge als im Innenhof herrschte und es auch nicht ganz so lautstark zuging. Mehrere Männer schien Kalyas Augenklappe nicht daran zu hindern, sie mit lüsternen Blicken zu betrachten. Einige flüsterten ihr sogar eindeutige Anträge ins Ohr. Conan versenkte die Faust im Bauch des einen. Dann stiegen sie über die sich
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krümmende und keuchende Gestalt weiter. Beim nächsten Antrag blitzte Kalyas Dolch auf und zerschnitt dem Mann den Gürtel. Mit rutschenden Beinkleidern taumelte er auf die Brüstung zu, verlor das Gleichgewicht und fiel unten auf einen Tisch. Damit erntete er riesiges Gelächter. Die beiden bahnten sich einen Weg an die Brüstung. Von dort aus blickten sie in eine Arena neben einem Springbrunnen. In der Kampfgrube standen sich zwei bewaffnete Männer gegenüber. Sie trugen glänzende Eisenkappen, mit Metall beschlagene Armbänder und Schamteilschützer, sonst nichts. Jeder hielt ein Kurzschwert, das leicht gekrümmt war, außerdem noch einen kleinen Schild – einen Fuß im Durchmesser – über dem Unterarm. »Eine Kampfarena«, murmelte Kalya. »Hast du so etwas schon mal gesehen?« »Ja«, antwortete Conan. »In Vanaheim und Hyperborea.« »In Cimmerien gibt es keine?« fragte sie. Ihr Gesicht war trotz der gleichgültig gesprochenen Worte sehr blaß. »Nein! Mein Volk hält keine Sklaven, die Gundermänner auch nicht und die Pikten nur selten. Ich fürchte, wir sind dazu einfach zu primitiv.« »Ja, es entspricht sicher nur dem zivilisierten Geschmack«, meinte sie. Dann runzelte sie die Stirn. »Sieh mal, bei diesen Männern stimmt irgend etwas nicht!« Das Kommando zum Beginn des Kampfes war noch nicht gegeben worden. Noch wurde gewettet. Die Sklaven starrten einander mit hervorquellenden Augen an, die Hände spielten ruhelos an den Schwertgriffen. Der eine zitterte am ganzen Körper wie ein übernervöses Rennpferd vor dem Start. So jung er war, hatte Conan doch schon gegen viele verschiedene Nationen gekämpft und wußte, daß nur wenige so entspannt in einen Kampf auf Leben und Tod hineingingen wie die Cimmerier. »Das sind Sklaven, die zum Kampf abgerichtet sind«, erklärte er. »Keine Krieger.«
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»Es ist unnatürlich«, beharrte Kalya. »Ich habe nur ein gutes Auge, aber ich kann erkennen, wenn Männer Angst haben. Die beiden haben keine Angst, nur Haß und das Verlangen, einander an die Kehle zu gehen und zu töten. Männer, die man zum Kampf zwingt, sollten nicht so sein.« »Und was willst du damit andeuten?« fragte Conan beunruhigt. »Ich weiß nicht, ich ...« Das Kommando, den Kampf zu beginnen, unterbrach sie. Großes Jubelgeschrei ertönte, als die beiden Sklaven aufeinander losgingen. Obwohl Conan die Blutgier der Menge abstieß, sah er fasziniert hin. Wie Kalya gesagt hatte, fürchteten die Männer einander nicht. Beide waren jung und muskulös und entsprachen einander in Größe und Gewicht. Sie kämpften angriffslustig. Ihre Hiebe fielen ungeheuer schnell. Obwohl die Spitzen der Schwerter nach oben geschwungen ausliefen, waren sie geeigneter zum Aufschlitzen als zum Zustoßen. Und so wurden sie auch benutzt. Die kleinen Schilde blockten die meisten Hiebe ab, aber einige trafen dennoch. Keiner der Kämpfer schien seine Wunden zu bemerken. Wütend und ohne auf Gefahr zu achten, schlugen sie aufeinander ein. »Tapfer, aber idiotisch«, bemerkte Conan. »Mir war Angriff immer lieber als Verteidigung; aber was nützt es, den Feind zu verwunden, wenn man selbst dabei verwundet wird?« »Das war ein geschickter Schlag!« sagte Kalya und ballte die Faust, als Blut floß. »Aber sieh mal! Er zeigt nicht, daß er etwas fühlt!« »Man spürt oft mitten im Kampf den Schmerz einer Wunde nicht«, erklärte Conan. »Das geschieht erst hinterher.« »Aber doch nicht eine solche Wunde wie die seine! Sieh, jetzt werden sie langsamer. Aber ich schwöre, daß es nur vom Blutverlust kommt, von nichts anderem.« Sie beugten sich über das Geländer. Um miteinander sprechen zu können, mußten sie die Köpfe nahe zusammenstecken. So nahe, daß Conan unter der Augenklappe eine Narbe erkannte.
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Unten blitzte ein Schwert auf. Ein Mann heulte vor Wut und Haß auf. Der Verlierer krümmte sich und faltete die Arme über dem Bauch, als könne er so die Därme vor dem Herausquellen schützen. Es war sinnlos. Mit unzusammenhängendem Gestammel starb er. Der Sieger hob triumphierend die Arme. Münzen prasselten um ihn herab. Taumelnd entfernte er sich. Diener säuberten die Arena, dann wurde das nächste Paar hereingeführt. Conan und Kalya sahen sich noch drei weitere Kämpfe an. Jedesmal sahen sie die gleiche hirnlose Wildheit, mäßiges Können, absolutes Fehlen von Angst und keinerlei Reaktion auf Schmerzen. Jedesmal entschieden Blutverlust, durchschnittene Muskeln oder Nerven, durchstochene Organe oder herausquellende Innereien den Kampf. Als der letzte tote Kämpfer weggeschleppt wurde, musterten Conan und Kalya die Galerien und den Innenhof. Der Lärm legte sich etwas. Viele gingen schon. Jetzt widmeten sich die Gäste ruhigerem Zeitvertreib: Trinken, Spielen und Huren. »Siehst du irgendwo jemanden, den wir uns näher anschauen sollten?« fragte Kalya. »Nein, aber...« Conan hatte etwas entdeckt. Auf der anderen Seite des Hofes waren Schilde, Speere und andere Wurfwaffen gegen die Wand gelehnt, außerdem noch einige Stöcke, die beim Gang durch die Menge gehindert hätten. Ein Mann mit dümmlichem Gesicht und einem Holzprügel bewachte sie. Zwei Eibenstäbe kamen Conan sehr bekannt vor. »Dort«, sagte er und zeigte mit dem Finger hinüber. »An der Wand, zwischen der kordavischen Streitaxt und dem Stab mit Silberknauf, lehnen zwei bossonische Langbogen. Wir sind von den Marschen weit weg, wo es diese Waffen gibt.« Kalya lächelte. Das irre Funkeln leuchtete in ihrem Auge auf. »Wir sollten uns mit den beiden Männern daneben unterhalten.« Conan stützte das Kinn auf die Hand. Er ließ die Bogen nicht aus den Augen, damit niemand die Waffen wegnahm, während er und seine
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Begleiterin gerade nicht hinschauten. »Und wie stellen wir das an? Sollen wir sie töten oder beiseite nehmen und Fragen stellen? Oder sollen wir ihnen folgen, um zu sehen, wo die anderen sind?« »Ich schlage vor, wir reden mit ihnen irgendwo unter vier Augen und finden heraus, was sie wissen. Wenn du sie gleich erschlägst, ist zwar ein Teil deiner Rache erfüllt, aber ich bin meiner Rache um keinen Schritt nähergekommen.« Nachdenklich nippte sie an ihrem Bier. »Möglich, daß die anderen vorausgeritten sind und die beiden zurückblieben. Wenn ja, dann müssen wir das herausfinden. Ihnen folgen, hm.« Sie dachte kurz nach. »Klingt verführerisch, ist aber gefährlich. Wenn sich die Bande getrennt hat, reiten wir vielleicht tagelang hinter den beiden her, ohne etwas zu erreichen, während die anderen längst über alle Berge sind. Selbst wenn sie uns heute abend noch zur Bande führen, stehen wir sechs hartgesottenen Kerlen gegenüber. Und wahrscheinlich hat sich die Bande noch vergrößert. Du bist nur hinter den sechs Schurken her, die du verfolgt hast, und mir geht es nur um Axandrias. Da wollen wir es doch nicht mit zehn oder zwanzig gleichzeitig aufnehmen.« »Klingt sehr vernünftig«, sagte Conan, leerte seinen Krug und stellte ihn auf einen freien Tisch. »Wenn die Bossonier ihre Bogen holen, folgen wir ihnen an einen verlassenen Ort und stellen ihnen ein paar Fragen. Wenn ihre Antworten uns befriedigen, machen wir sie kalt.« Die nächste Stunde trieben Conan und Kalya sich in der Nähe des Eingangs herum und taten so, als interessierten sie sich für die vielen Glücksspiele, in die andere vertieft waren. Sorgfältig musterten sie die Leute, sahen aber niemanden, auf den die Beschreibung der Banditen gepaßt hätte. Die Bossonier waren nirgends zu entdecken. Conan konnte auch keinen Gundermann sehen, auch keinen dunkelhäutigen Südländer. Es waren jede Menge Aquilonier da; aber Kalya versicherte ihm, daß Axandrias nicht darunter sei. »Diese Schlange würde ich in mondloser Nacht auf dem Grund eines Brunnens erkennen.« Kalya versank in den wortlosen, starren Trancezustand, dem sie den
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Beinamen die ›Irre‹ verdankte. Conan stieß sie mit dem Ellbogen an. »Die obere Galerie, direkt gegenüber«, sagte er. Sie schaute auf und sah zwei Männer aus einer Tür auf den Balkon kommen. Dorthin brachten die Huren ihre Freier. »Sieht aus, als hätten sie mehr übrig für Fleischeslust als für Kampfsport«, sagte sie. Über die Nationalität der beiden bestand kein Zweifel. Sie waren mittelgroß und kräftig gebaut. Ihre Haare waren braun und gerade geschnitten. Sie trugen enganliegende Stahlkappen und die ärmellosen Lederwamse, dick mit Silber- und Bronzeplättchen besetzt, wie die bossonischen Bogenschützen sie liebten, dazu enganliegende Beinkleider aus weichem braunen Leder und die passenden knielangen Stiefel. Der linke Unterarm steckte in einer Hülle aus steifem Leder, das außen kunstvoll verziert, innen aber weich war, um den Arm vor der zurückschnellenden Bogensehne zu schützen. An Ketten hingen Kurzschwert und Dolch vom Gürtel. Die beiden gingen die Treppe hinunter und überquerten den Hof. Sie wechselten ein paar Worte mit dem Mann, der Waffen und Schilde bewachte, und nahmen dann ihre Bogen. Zu jedem Bogen gehörte noch ein bunt verzierter Lederköcher, aus dem die bunten gefiederten Pfeilschäfte herausragten. Sie hatten nicht bemerkt, daß ein Cimmerier und eine einäugige Frau sie beobachteten, als sie die Treppe hinabgingen. Als sie ihre Waffen aufgenommen hatten, waren diese beiden nicht mehr in der Herberge. D aßen marschierten die Bossonier zu ihrer Unterkunft. Mit geschulterten Bogen unterhielten sie sich leise. Es gab keine Straßenbeleuchtung in der Stadt, nur der Mond stand fast dreiviertelvoll am Himmel. Sein Licht war für Männer, die in den dichten Wäldern der bossonischen Marschen aufgewachsen waren, mehr als ausreichend. Dort entzündete man nachts selten ein Feuer, um nicht die räuberischen Pikten wie mit einem Leuchtfeuer anzulocken. Sie bogen in eine Gasse ein und gingen weiter. Was dann geschah,
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passierte so blitzschnell, daß die Männer viel zu überrascht waren, um sich zu wehren. Ohne Warnung rissen ihnen kräftige Hände die Kappen von den Köpfen. Dann schlossen sich die Hände jeweils um ein Ohr und knallten ihnen mit voller Kraft die Köpfe zusammen. Ein Dolch blitzte zweimal auf. Die Schwertgurte fielen herab, die Hände preßten sie von hinten gegen die Hauswand. Stahl zischte aus der Scheide, als sie herumgerissen wurden, um den Angreifern ins Gesicht zu blicken. Jeweils unter dem Kinn der Bossonier berührte eine Schwertspitze die Kehle. Eine Klinge war schmal und leicht gekrümmt, der Griff in der Hand einer einäugigen Frau. Die andere war breit und gerade, und der Besitzer ... »Cimmerier!« zischte der grauäugige Mann. »Welch schwarzes Unheil führt einen elenden Hund deiner Rasse hierher?« »Sprich schneller, falls du dich deines Atems noch länger erfreuen willst«, sagte der Cimmerier. »Heißt ihr Murtan und Ballan?« »Warum sollten wir einem schwarzhaarigen Schwein und einer halbnackten Hure antworten?« keifte der mit den braunen Augen. Er zuckte zusammen, als sich die Schwertspitze der Frau in seine Kehle bohrte und ein warmer Blutstrom herabfloß. »Weil wir die Schwerter an euren Kehlen haben«, antwortete Kalya. »Nicht ihr an unseren. Wir stellen die Fragen, und ihr antwortet. So einfach ist das.« Sie drückte noch etwas tiefer, um ihre Worte zu unterstreichen. »Ich bin Murtan«, sagte Grauauge. »Und das ist Ballan. Und was nun?« »Ich bin schon lange hinter euch her«, sagte Conan. »Ihr habt eine cimmerische Familie ausgelöscht. Das waren meine Freunde, und ich bin hier, um Rache zu nehmen.« Der Mann lächelte gequält trotz des Stahls an seiner Kehle. »Ja, wir haben sie erledigt, na und? Was macht’s schon aus, daß es ein paar schwarzhaarige Krieger samt ihren Weibern weniger gibt? Ich wünschte, die Bälger wären auch dort gewesen.«
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»Das sind harte Burschen, Conan«, sagte Kalya. Sie hielt beide Waffengurte in der Hand. Die Bossonier betrachteten sie wie halb verhungerte Männer das Essen. »Vielleicht könnten wir ihre Manieren etwas verbessern.« Blitzschnell sauste ihre Klinge ins Gesicht des Mannes und hielt direkt unter einem Auge inne. »Nichts tut so weh, wie ein Auge zu verlieren. Das kann ich beschwören.« »Redet!« fuhr Conan die beiden an. »Ihr könnt leicht oder qualvoll sterben; aber sterben werdet ihr! Wo ist der Rest der Männer, die die cimmerische Heimstatt überfielen? Ich will Taharka, die beiden Gundermänner und den Aquilonier Axandrias. Sind sie noch bei euch?« Murtan ließ kein Auge vom Waffengurt und hob die Schultern. »Was gehen die uns an? Ja, der listige Keshanier ist immer noch unser Anführer. Die Gunderbrüder gehören auch noch zu seinem Haufen.« »Und Axandrias?« zischte Kalya. »Was ist mit ihm?« Der Mann musterte sie. »Du mußt eins der Weiber sein, mit denen er immer angibt, eine von denen, die er benutzte und weinend zurückließ. Ja, der schleimige Angeber schmeißt sich jeden Tag und mit jedem Atemzug mehr an Taharka ran.« »Wo sind sie?« fragte Conan. »Auf Sklavenjagd mit den Argossiern«, antwortete Ballan. »Sie müßten morgen oder übermorgen wieder hier sein.« »Dann stimmt es also«, sagte Conan, »daß sie diejenigen sind, welche die Sklaven rauben. Und dann schicken sie sie in die Kampfgrube, stimmt’s?« »Stimmt«, sagte Murtan. »Das haben Taharka und Axandrias unter sich ausgekocht. Sie benutzen auch noch Drogen und Zaubersprüche dabei. Axandrias fühlt sich als großer Zauberer. Wir bekommen lediglich unsere Befehle, Sklaven einzufangen. Es war ein lockeres Leben; aber wir beide hatten vor, die Bande zu verlassen und auf eigene Faust loszuziehen, weil der braune Mann und der Aquilonier zu fein geworden sind, um uns in ihre Pläne einzuweihen.« »Wir haben alles erfahren, was wir wissen müssen«, sagte Conan zu
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Kalya. »Hast du noch weitere Verwendung für die beiden?« »Nein.« Sie ließ die Klinge sinken. »Die beiden sind mir einerlei. Ich will nur Axandrias. Mach, was du willst, mit ihnen.« Als sie zurücktrat, entriß Conan ihr die Waffengurte und warf sie den beiden vor die Füße. »Hier sind eure Schwerter«, rief er. »Benutzt sie!« Ungläubig starrte Kalya ihn an. »Töte sie sofort, du Narr! Willst du Rache oder Ruhm?« Ballan grinste verschlagen, als er das Schwert aufnahm, und fuhr sich mit der Hand über den Schnitt am Hals. »Er ist ein Cimmerier, Weib. Ich hatte mir wegen dir mehr Sorgen gemacht als wegen dieses schwarzhaarigen Köters.« »Tritt beiseite, während wir ihn aufschlitzen!« rief Murtan. »Für dich haben wir später Verwendung. Dein Gesicht ist abstoßend, aber dein Körper sieht durchaus brauchbar aus. Das bißchen Rüstung wird dir auch nicht viel helfen.« Wütend wollte Kalya sich auf ihn stürzen, aber Conan hob abwehrend die Hand. »Ich töte keine Unbewaffneten. Allerdings sind zwei Bossonier mit Schwert und Rüstung nicht gefährlicher als ein Nackter. Fragt die Geister, die immer noch im einstigen Venarium spuken, wo mein Clan jetzt sein Vieh im Winter weidet.« Bei der Erwähnung von Venarium verloren die beiden Bossonier die Fassung und griffen an. Ihre Schwerter waren kurze Stoß- und Wurfwaffen, mit Wespentaille und langen Spitzen. Sie hielten die Klingen niedrig für einen Stoß nach oben, wie mit einem Dolch. Da ihr Gegner keine Rüstung trug, hielten sie einen Schlag von oben für unnötig, der mehr Zeit erfordert hätte. Conan trat einen Schritt zurück und hielt seine längere und breitere Klinge in einer Hand. Da er nicht wußte, wer von beiden zuerst angreifen würde, nahm er keine besondere Verteidigungsposition ein, sondern stand wie unbeteiligt da. Er sah so entspannt aus wie eine große Raubkatze – und ebenso trügerisch friedlich.
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Kalya hielt den Atem an. Sie war sicher, daß der Cimmerier im nächsten Augenblick tot sein würde, so unvorbereitet stand er da. In ihrer Schwertausbildung hatte man ihr viele formale Positionen und komplizierte, beinahe tanzartige Schritte beigebracht. Ihr Lehrer hatte darauf bestanden, daß man sich nur mittels Beherrschung aller dieser Übungen gegen einen Angreifer schützen könne. Als Murtan zustieß, um dem Cimmerier den Bauch aufzuschlitzen, wechselte dieser in Sekundenschnelle von Unbeweglichkeit zu atemberaubender Geschwindigkeit. Die lange Klinge zuckte vor, als er einen Schritt nach vorn ging, und sauste in einem mächtigen Hinterhandstreich nach oben. Gleichzeitig packte er mit der linken Hand Murtans Handgelenk hinter dem Schwert und stieß sie beiseite. Die Klinge traf Murtan direkt über der rechten Hüfte und schnitt erbarmungslos durch Leder, Fleisch und Knochen. Kaum hatte Conan sein Schwert aus Murtans Rippen gerissen, glitt die Klinge weiter, direkt über Ballans Gesicht. Der zweite Bossonier taumelte nach hinten. Sofort stellte Conan den rechten Fuß vor, das Schwert wechselte die Richtung, schlug auf Ballans Schulter und schnitt durch Schlüsselbein und Rippen. Das Herz war zerteilt, ehe der große Cimmerier die Klinge herausziehen konnte. Kalya schüttelte den Kopf. Sie konnte nicht glauben, daß sie das sah! Sie hatte zum Staunen nur Sekunden. Dann lagen beide Bossonier zuckend auf dem Kopfsteinpflaster und hauchten ihr Leben aus. Ein Kampf, der aus drei Hieben bestand, von denen zwei tödlich waren! Alle von einem Mann geführt, ehe seine Gegner richtig zuschlagen konnten. Ihr Schwertmeister hatte erklärt, daß ein Schlag aus der Hinterhand nach oben der schwächste Schlag überhaupt und der stärkste der von oben schräg nach unten sei, da hinter diesem das gesamte Gewicht und die Muskelkraft des Körpers steckten. Er hatte ihr beigebracht, daß manche sehr erfahrenen Kämpfer auch die Muskeln der Lenden und des Führungsbeins einsetzen konnten. Und nun hatte sie gesehen, wie dieser vermeintlich schwächste Schlag durch
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Leder, Fleisch und Knochen schnitt wie durch Rauch. Die Technik dieses Barbaren war minimal; aber seine Schnelligkeit, sein Zeitgefühl und seine Koordination wirkten beinahe übernatürlich. »So, damit sind es schon zwei weniger«, sagte Conan, als er die Klinge säuberte. Mit einem einzigen Schwung steckte er das Schwert wieder in die Scheide. »Jetzt können wir die anderen vier abwarten. Sieh mal in ihren Börsen nach. Wir könnten etwas Geld gebrauchen.« Kalya durchsuchte die Toten mit der kaltblütigen Routine eines Abenteurers, der stets am Rand seiner Existenz lebt. Es war kein Diebstahl, einem toten Gegner die Wertsachen abzunehmen. »Man nennt mich die irre Kalya«, sagte sie. »Aber ich habe noch nie einen so Irren wie dich gesehen! Du bist bereit, durch die Welt zu reiten, um Menschen zu rächen, die nicht einmal mit dir verwandt waren, und wenn du zwei der Mörder erwischst, machst du sie nicht einfach einen Kopf kürzer, wie sie es verdient hätten!« Wütend blickte sie zu ihm auf. »Das waren nicht nur Mörder, sondern auch Sklavenhändler! Aber du läßt dich auf einen Mann-gegen-Mann-Kampf ein, als wären es ehrenwerte Krieger!« »Mann-gegen-Männer-Kampf«, verbesserte Conan sie. »Gegen nur einen zu kämpfen, wäre zuviel der Ehre gewesen. Es waren Bossonier. Sie kannten die Cimmerier. Als ich ihnen die Waffen zurückgab und sie herausforderte, zu zweit gegen mich zu kämpfen, war das die größte Beleidigung, die ich ihnen zufügen konnte. Und das wußten sie genau. Du kannst beruhigt sein, daß sie in tiefster Schande starben.« »Hast du nicht daran gedacht...« Kalya hatte protestieren wollen, daß die Bossonier über sie hergefallen wären, falls Conan nicht gesiegt hätte. Bei diesem Gedanken lief es ihr eiskalt über den Rücken. Mit Sicherheit hätten die beiden ihre Wut an ihr ausgelassen. Aber sie unterdrückte die Vorwürfe, damit der Cimmerier sie nicht etwa für ängstlich und unkriegerisch halten sollte. »Wie konntest du dir sicher sein, daß du sie nicht unterschätzt hast?« Conan dachte kurz nach, während sie die Wertsachen der Toten in
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ihrem Beutel verstaute. Als sie weitergingen, antwortete er. »Die Bossonier sind die Feinde meines Volkes; aber sie sind großenteils ehrenhafte Leute. Die beiden waren Abschaum, von ihrem Volk ausgestoßen, und solche Männer sind nur selten erstklassige Krieger.« Unausgesprochen, aber sehr deutlich drückte er aus, daß er sich für ein hervorragendes Mitglied dieser Kaste hielt. »Außerdem sind die Bossonier tapfere Kämpfer, stur und kaum zu schlagen, wenn sie sich verteidigen, aber im Angriff sind sie nicht besonders gut. In Angriff und Gegenangriff sind wir Cimmerier die Besten der Welt.« Sein Selbstvertrauen war offensichtlich nicht zu erschüttern. Kalya wechselte daher das Thema. »Damit kommen wir lange aus«, sagte sie und klopfte auf den gutgefüllten Beutel. Er war aus scharlachrot gefärbtem kordavischen Leder gefertigt. Seine Goldstickerei glänzte im Mondschein. »Die beiden hatten mehr Gold bei sich, als ich seit Monaten gesehen habe. Wir können die nächsten Wochen, ja sogar Monate, bequem davon leben. Sollten Taharka und der Rest uns irgendwie entkommen, können wir auch noch länger damit auskommen, wenn wir uns etwas einschränken und nur so viel zu essen kaufen, wie wir und die Pferde unbedingt brauchen. Dann reicht es fast ein Jahr. Bei gutem Wetter können wir im Freien schlafen.« »Ausgezeichnet«, sagte Conan gedankenverloren. »Es hätte sich bei dieser Art von Verfolgung vielleicht ein Problem ergeben, wenn wir durch Geldmangel aufgehalten worden wären. Aber ich bin nicht überrascht, daß sie soviel Gold hatten. Die vielen Leichen, die wir auf dem Weg fanden, müssen eine beträchtliche Beute ergeben haben. Und dieser kürzlich begonnene Sklavenhandel wirft bestimmt auch riesigen Gewinn ab.« »Ja.« Sie hatte das Gefühl, daß er nur sprach, um die Stille zu füllen. Sie hatte sich für zu vernünftig dazu gehalten. Als die Beziehung zu dem Cimmerier kaum mehr als zeitweilig unterdrückte Feindschaft gewesen war, hatte sie sich wohler gefühlt. Vor Mitras Altar hatte sie feierlich geschworen, sich nie wieder mit einem Mann einzulassen.
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Axandrias war Ursache dieses Schwures. Jedesmal, wenn sie an ihn dachte, brannte ihr zerstörtes Auge ebenso schmerzlich wie damals, als er das rotglühende Eisen hineingestoßen hatte.
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Fünf Der Priester warf Kräuter in das Bronzebecken mit den glühenden Kohlen. Das Becken hatte die Form dreier ineinander verschlungener Schlangen, wobei die Köpfe den Boden bildeten und die Schwänze einen Schädel hielten, dessen Decke entfernt war, so daß er als Schüssel diente. Alles war aus den Särgen valusischer Könige gearbeitet. Auch die Holzkohle hatte magische Bedeutung. Für ihre Herstellung hatte man das Holz von Galgen verwendet. Der Rauch stieg nicht wie natürlicher Rauch auf, sondern quoll über die Seiten des Beckens und wand sich schlangengleich über den Boden. Der Priester sang und rezitierte lange Gebete und Zaubersprüche. Seit vielen Stunden sang und betete er schon. Die hohe Zauberkunst erforderte eine Ausdauer, die jeden Krieger niedergestreckt hätte, wenn er nicht gerade einer der mächtigsten und stärksten war. Jedes Wort mußte genauestens ausgesprochen werden, ganz gleich, wie oft es wiederholt wurde. Weit nach Mitternacht erschien über dem Becken eine glühende Kugel. Mehrere Minuten lang pulsierte die Kugel und schwankte hin und her, wurde heller und verblaßte dann wieder so, daß man sie kaum noch erkennen konnte. Doch allmählich wurde sie fester. Ein schemenhaftes Gesicht formte sich in ihrem Innern. Es war ein menschliches Gesicht; aber die Züge waren zu vollkommen, um wirklich menschlich zu sein. Es war, als hätte ein Bildhauer alle Gesichtszüge, die der Vollkommenheit am nächsten kamen, vermischt und dann beseelt. Obgleich es vollkommen war, war es nicht schön, da ihm jede Spur menschlichen Gefühls fehlte. »Es ist viele Jahre her, seit du uns zum letzten Male riefst«, sagte das Gesicht über dem Kohlebecken. Die Sprache war eine sehr archaische Form des Prästygischen. »Dieser uralte Tempel liegt schon seit Generationen abseits der üblichen Pfade menschlicher Ereignisse«, sagte der Priester. »Ich mußte
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mich um nichts kümmern außer um die Zeremonien, Zauberei und die erhabene Welt des Übernatürlichen. Jetzt hat es jedoch den Anschein, als bildeten wahrlich bedeutende Ereignisse an diesem Ort einen Knoten.« »Uns ist schon seit längerer Zeit aufgefallen, daß Schattenmächte sich Karutonia nähern, das jetzt Croton genannt wird. Wenn alle Mächte den Knotenpunkt erreichen, könnten Ereignisse stattfinden, die nicht ganz uninteressant wären. Was hast du uns zu berichten?« »Alles, was bisher geschah, scheint oberflächlich betrachtet trivial zu sein. Doch alle Prüfungen, welche ich anwendete, weisen darauf hin, daß es Vorläufer großer Ereignisse sind. Vor einigen Tagen kam ein Mann in den Tempel. Er suchte nach bestimmten Drogen und Zaubersprüchen. Er war nur ein armseliger kleiner Bandit, der sich als Student der Großen Künste ausgab. Normalerweise hätte ich mich mit einem solchen Abschaum nie abgegeben; aber ich hatte gerade vor seinem Eintreffen eine Warnung erhalten, daß er wichtig sei. Daher heuchelte ich Interesse und Vertrauen und gab ihm, was er begehrte. Ich habe festgestellt, daß er und seine üblen Kumpane stattlichen Gewinn damit machen, indem sie die Sklavenkämpfe wiederbeleben.« Der Priester machte eine Pause und sog den Rauch aus dem Kohlebecken tief ein. »Gestern abend ereignete sich wieder etwas. Zwei Fremde ritten in die Stadt. Einer ist ein großer angeberischer Kerl aus dem Norden. Obwohl er fast noch ein Junge ist, gleicht er im Aussehen den alten Königen von Atlantis. Eine Frau begleitete ihn. Jegliche Weichheit ist aus ihr herausgebrannt, so daß sie jetzt aus dem Stahl eines Kriegers besteht. Die beiden dürsten nach Rache und nichts anderem. Schon kurz nach ihrer Ankunft stöberten sie zwei Kumpane des Banditen auf und töteten sie. Ich sah dies durch die Augen, welche ich an jeder Ecke dieses elenden Nestes habe. Was diese Ereignisse bedeuten, kann ich noch nicht sagen. Es ist schwierig, sich vorzustellen, daß so unbedeutende menschliche Angelegenheiten das Interesse höherer Mächte erregen könnten.«
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»Noch sind nicht alle Stücke am richtigen Ort«, erklärte das Gesicht. »Du wirst uns täglich über neue Entwicklungen berichten. Bis diese Angelegenheit erledigt ist, werden wir den Ereignissen in diesem Sektor viel Aufmerksamkeit widmen. Halte dich bereit für die Rückkehr der Meister.« »Ich werde warten, bis sie zurückkehren, Herr«, sagte der Priester und verneigte sich so tief, daß er mit der Stirn den Boden berührte. Conan erwachte und hatte schon fast sein Schwert gezückt. Im Raum war es dunkel. Nur ein Mondstrahl drang durch den Spalt der Fensterläden. Was hatte ihn geweckt? Als er sich vom Bett rollte, kam es ihm so vor, als sähe er etwas am Fenster. Es sah wie ein menschliches Gesicht aus, war aber winziger als ein Menschenkopf. Mit zwei schnellen Schritten war er am Fenster und stieß die Läden auf. Draußen schienen nur die Dächer der Häuser im Mondlicht. Er schüttelte den Kopf und rieb sich die Augen. Vielleicht hatte eine Eule auf dem Fensterbrett gesessen, die in seinem schlaftrunkenen Zustand menschlich ausgesehen hatte. Als er zum Bett zurückkehrte, kam er an der in den Umhang gehüllten Gestalt Kalyas vorbei. Sie saß wie üblich mit dem Kopf auf den Knien und schlief, während Conan das Bett benutzte. Ihr neuer Reichtum hatte ihnen den Luxus ermöglicht, ein Zimmer in einer richtigen Herberge, dicht unterm Dach, zu mieten. Etwas glänzte auf dem Teppich neben der Frau. Neugierig beugte Conan sich hinab. Es waren die spärlichen Rüstungsteile, die ihr als Kleidung dienten. Offenbar war auch Kalya nicht so abgehärtet, das Metall die ganze Nacht über zu tragen. Der Cimmerier hatte sich so lautlos bewegt, daß er sie nicht geweckt hatte, obwohl diese Frau wachsam wie eine Raubkatze war. Einmal wach, dachte er nach. Gestern waren sie den ganzen Tag in der Nähe des Wanderers Paradies geblieben; aber die Sklavenhändler waren nicht erschienen. Es war unwahrscheinlich, daß sie die Gegend verließen, solange das Geschäft blühte. Daher hatten Conan und Kalya
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beschlossen, in Croton zu bleiben, bis die Schurken auftauchten oder sie eindeutig erfuhren, daß sie geflohen seien. Ihre größte Angst war, daß die Obrigkeit die Kerle fangen und aufhängen könnte und Conan und Kalya so um ihre gerechte Rache betrogen würden. Da er nicht wieder einschlafen konnte, stand er lautlos auf und öffnete die Tür. Die geölten Angeln quietschten nicht. Er stieg die Treppe drei Stockwerke hinab in den Schankraum. Alles war still in der Herberge, von einigen gedämpften Schnarchtönen abgesehen. Im Schankraum glühten nur die Kohlen in der Feuerstelle. Draußen waren die Straßen dunkel und still. Der Mond stand tief im Westen. Sein seitliches Licht warf lange Schatten zwischen den Gebäuden. Die einzigen Lebenszeichen waren die Fackeln, mit denen einige Nachtschwärmer mühsam nach Hause tappten. Conan ging ein paar Minuten auf und ab. Hier war nichts zu tun für ihn. Er wollte schon in die Herberge zurückkehren, als ihn eine Stimme aufhielt. »Junger Mann, auf ein Wort!« Die Stimme kam aus einer dunklen Nische neben ihm. Conan wirbelte herum, schon hatte er das gezückte Schwert in der Hand. »Wer da? Zeig dich!« Ein Mann trat hervor. Er war in einen dunklen Umhang gehüllt, die Kapuze überschattete das Gesicht. »Sehe ich so furchterregend aus? Ich trage keine Waffen. Für einen Krieger wie dich bin ich wirklich keine Bedrohung.« Ärgerlich schob Conan die Klinge zurück in die Scheide. »Wer bist du? Und warum treibst du dich in dunklen Ecken herum?« »Ich bin ein Niemand, nur ein kleiner Priester beinahe vergessener Götter. Ich würde dir gern einige Fragen stellen. Komm mit in meinen Tempel, wo wir uns unterhalten können. Ich werde mich auch erkenntlich zeigen. Du magst doch das Gold, oder?« »Ja, aber ich habe im Augenblick genug. Welches Interesse könntest du an mir haben? Ich kenne weder dich noch deine Götter.«
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»Meine Fragen betreffen eine Bande von Sklavenhändlern, bei denen auch ein aquilonischer Scharlatan ist.« »Was weißt du darüber?« fragte Conan aufgeregt. »Gehen wir in meinen Tempel«, sagte der Priester. »Dort werde ich dir alles offenbaren.« »Das möchte ich dir auch raten!« brummte Conan. Er fühlte, daß er sich auf etwas einließ, das ihm eigentlich gegen den Strich ging. Aber wenn der Mann etwas über Taharka und die anderen wußte, war es vielleicht doch sinnvoll, mit ihm zu reden. Während er dem Priester folgte, lag seine Hand am Schwertknauf. Conan war jung und hatte wenig Erfahrung mit der Lebensart zivilisierter Menschen; aber er war nicht dumm. Es konnte eine Falle sein. Seiner Meinung nach konnte dieser Mann nur auf eine Art von der Verbindung zwischen Conan und Taharkas Bande wissen: Jemand hatte gesehen, wie er die beiden Bossonier tötete. Danach konnte aber jemand dem Schurken davon erzählt haben, so daß dieser angebliche Priester ihn in einen Hinterhalt führte. Diese Aussicht bereitete ihm aber kein großes Kopfzerbrechen. Der junge Cimmerier hatte so großes Selbstvertrauen, daß er sicher war, sich jederzeit mit Hilfe seines Schwertes zu befreien, vielleicht sogar die anderen vier Mörder zu töten, so daß er in wenigen Minuten seiner Verpflichtung zur blutigen Rache ledig wäre. Danach könnte er unbeschwert nach Süden reiten, nach Zamora und Turan und in alle die anderen Länder, von denen er Kalya und viele andere hatte erzählen hören. Erst heute hatte er sich bei der Warterei die Zeit damit vertrieben, mit vielen Händlern und Karawanenreisenden zu sprechen. Seine Ohren sogen die Berichte über fremde Länder förmlich ein. Selbst diese Kleinstadt war für ihn hochinteressant, da hier Menschen und Waren aus vielen Ländern zu finden waren. Die Geschichten über riesige Städte mit hohen, geheimnisumwitterten Türmen, uralten Bauten, Grabmälern und Palästen erweckten in ihm den fast übermächtigen Wunsch, hinzureiten und alles mit eigenen Augen zu sehen.
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Als sie in eine gepflasterte enge Gasse einbogen, erblickte der junge Cimmerier die Fassade des Tempels. Es war zu dunkel, um Einzelheiten erkennen zu können. Daß sein Begleiter ein Priester war, machte ihm nichts aus. Conan konnte zwar Zauberer nicht ausstehen; aber nicht alle Priester waren Zauberer. Er hatte Priester des Mitra und anderer Götter kennengelernt, die nicht schlimmer waren als andere Menschen. Sein eigener Gott war Crom, der keine Priesterschaft besaß. In der Zivilisation war alles anders, das wußte er. Seine Sippe hätte sich über die Vorstellung halb totgelacht, daß es irgend jemand gäbe, dessen Beruf es war, zwischen Cimmeriern und Crom zu vermitteln. Kaum hatten sie den Tempel betreten, wurde Conan unbehaglich. Er spürte aber nicht die Gegenwart von Angreifern, das wäre ihm lieber gewesen. Er spürte auch nicht die Gegenwart großer, übler Zauberei. Es war vielmehr das unvorstellbare Alter des Ortes, die Gewißheit, daß alles viel zu alt war, als daß es von Menschenhand erbaut sein könnte. Eine Spirale wie aus Eis legte sich um ihn. Der Tempel gefiel ihm überhaupt nicht; aber eine Mischung aus Stolz und Neugier hielt ihn davon ab, auf dem Absatz kehrtzumachen und wegzulaufen. »Welche Götter werden hier verehrt?« fragte Conan, dem das Alter und die Architektur des Tempels aufs Gemüt schlugen. Als er hinauf schaute, hatte er wieder den Eindruck, daß ein winziges menschliches Gesicht zwischen den Schlangenhäuptern auf ihn herabsah. Es war verschwunden, ehe er sicher sein konnte, überhaupt etwas gesehen zu haben. »Die Wesen, denen dieser Tempel geweiht ist«, antwortete der Priester, »sind keine Götter im üblichen Sinne. Es sind Wesen, die unvorstellbar alt und riesig sind; aber es sind natürliche Geschöpfe des Universums, wie wir auch. Ihre Kräfte sind wahrlich gottähnlich, wenn man es vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet. Wir, ihre Priester, beten sie nicht an, wir nehmen Verbindung mit ihnen auf. Wir befolgen ihre Gebote, als Gegengabe schenken sie uns gewisse Macht und andere Belohnungen.«
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Für Conan waren diese Erklärungen völlig unverständlich. Aber für ihn waren die meisten zivilisierten Religionen albern, und diese klang noch verrückter als die meisten. »Wie heißen diese Wesen?« fragte er. Sie näherten sich dem Becken, wo eine Flamme ohne Brennstoff brannte. Die Flamme war grünlich, aber er spürte keine Wärme. »Unsere Götter haben keine Namen, welche Menschen aussprechen könnten. Wir haben Titel für einige: die Uralten, die Großen Mächte. Meistens nennen wir sie nur die Meister. Es gibt auch Titel für einzelne: Er-welcher-vom-toten-Stern-geboren-wurde, der Selbstmordgott und andere mehr. Die Stygier hielten große Stücke auf ihren Gott Set. Sie hätten es gern, wenn die Menschen ihn als den ältesten Gott ansehen würden; aber der alte Set ist nur ein soeben geborener Säugling im Vergleich zu den Uralten, nichts als ein Abklatsch ihrer Macht und Herrlichkeit.« »Ich will mit deinen Göttern nichts zu tun haben, Priester«, erklärte Conan. Die unheimliche Flamme zog ihn in ihren Bann. Er streckte die Hand aus und führte sie durchs Feuer. Er spürte nur ein leises Prickeln. »Von welcher Art ist dieses Feuer, das grün leuchtet und keine Hitze ausstrahlt?« Der Priester lächelte fast unmerklich. »Dies ist eines der Instrumente, mit deren Hilfe wir Verbindung mit unseren Göttern aufnehmen. Feuer ist eines der Elemente, doch ist das Feuer hier auf Erden eine unreine Version der wahren himmlischen Flamme.« Conan nickte langsam, von der Flamme halb hypnotisiert. »Ja, mein Vater war Schmied und lehrte mich einiges über das Feuer.« »Dieses Feuer«, sagte der Priester, »erzählte mir schon einiges über dich. Du bist nicht wie andere Menschen.« »Was? Natürlich nicht! Ich bin ein Cimmerier, und wir sind besser als alle anderen Menschen.« »Das habe ich nicht gemeint. Du hast soeben deine Hand durch die reine Flamme geführt. Wärst du ein gewöhnlicher Sterblicher, wäre deine Hand in Sekundenschnelle bis auf die Knochen verbrannt.«
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»Was!« Jetzt war Conan hellwach. »Und du hast mich nicht gewarnt!« Er packte den Schwertknauf so fest, daß die Knöchel weiß wurden. Der Priester trat zurück. Die Wildheit in den gletscherblauen Augen des Mannes erschreckten ihn. Er hatte das Gefühl, einen halbzahmen Tiger vor sich zu haben, der eben noch ruhig und höflich war, in der nächsten Minute aber vor primitiver Wildheit fast barst. Ihm waren solche Menschen schon begegnet; aber das lag viele, viele Jahre zurück. Solche Barbaren waren zu jeder Zeit sehr selten. Es gab eine Unzahl von Wilden, die unfähig waren zu denken, die gefangen waren in Aberglauben und Stammesbräuchen. Zivilisierte Menschen wurden von Gesetz und Obrigkeit beherrscht, obgleich es viele gab, welche sich als Gesetzlose diesen Banden widersetzten. Wirklich selten war der wahre Barbar und am seltensten der Mann, welcher Volk und Sippe verließ, um sich einen eigenen Weg in der Welt zu schaffen. Es hatte solche Männer in der Vergangenheit gegeben. Männer, um die sich Legenden rankten, die Zentren ganzer Mythenkreise wurden. Sie waren Generale, Könige, Kaiser geworden und hatten verkommenen Zivilisationen neues Leben eingehaucht. Sie hatten überströmende, primitive Lebenskraft und verfügten über schreckenerregendes Ungestüm. Der Priester hob beschwichtigend die Hand. »Halt ein! Ich wußte, daß dir kein Leid geschehen konnte, Mann. Es gehört zu meinem Beruf, solche Dinge zu wissen. Laß uns friedlich miteinander sprechen, dann werde ich dir alles erklären. Es gibt einige Dinge, die ich über dich wissen muß. Als Gegenleistung helfe ich dir, mit denen fertig zu werden, welche du verfolgst.« »Wozu sollte ich dich dabei brauchen?« fragte Conan. »Schon bald müssen sie von ihrem letzten Raubzug zurückkehren, und dann werde ich meine Rechnung mit ihnen begleichen.« »Deine Klinge wird nicht ausreichen«, warnte der Priester. »Taharka aus Keshan ist mehr, als es den Anschein hat, mehr als du. Wenn du ihn besiegen willst, mußt du ihn genau kennen.«
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»Warum?« fragte Conan. »Ich werde ihn herausfordern, mit ihm kämpfen und ihn töten. So einfach ist das! Und damit sind die Geister meiner Freunde befriedigt.« Der Priester blieb geduldig. Er wählte seine Worte sorgfältig, aber nicht so einfältig, daß er den jähzornigen Cimmerier beleidigt hätte. »Wäre er ein gewöhnlicher Mann, würde dies ausreichen. Aber wenn ihr beide nur gewöhnliche Männer wärt, hätte ich euch niemals Beachtung geschenkt.« »Sprich weiter!« verlangte Conan mürrisch. Die Sache begann ihm zu mißfallen. Warum sollte ein Priester sich bei seiner Rache einmischen? Andererseits sollte er herausfinden, was es mit Taharka auf sich hatte, wenn der Priester recht hatte. »Erzähl mir als erstes etwas über dein Volk und deine Vorfahren.« »Ich bin kein Poet«, sagte Conan, »aber an die Geschichte meines Volkes kann ich mich noch einigermaßen erinnern.« Er zählte seine Vorfahren auf. Wie bei den meisten barbarischen Völkern galt auch den Cimmeriern die Ahnenreihe als das höchste Gut. Obwohl Conan nicht besonders ausgebildet war, dies Wissen in seiner Erinnerung zu bewahren, kannte er wie alle anderen seines Clans mehrere Jahrhunderte der Geschichte seiner Sippe. »Das reicht«, sagte der Priester, nachdem die langwierige Schilderung beendet war. »Ich habe jetzt genügend Anhaltspunkte. Ich möchte, daß du deine Hand über die Flamme hältst. Schneide dich, so daß einige Tropfen Blut in die Schale fallen.« »Ich denke nicht daran, das zu tun!« widersprach der Cimmerier aufgebracht. »Ich will mit deinem Zauber nichts zu tun haben.« Der Priester lächelte. »Angst vor ein bißchen Blut? Nein, du mußt nicht befürchten, daß ich einen Zauberspruch über dich verhänge. Die Geschichte eines jeden Volkes liegt in seinem Fleisch und seinem Blut. Mittels einer bestimmten Kunst, über welche mein Orden verfügt, kann ich einen Teil deiner Vergangenheit in dein Blut zaubern. Das würde viel erklären.«
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Conan war wütend über die Annahme, daß er Angst habe, sein eigenes Blut zu vergießen. Ein älterer Mann wäre vielleicht vorsichtiger gewesen, aber der heißspornige junge Barbar streckte die Hand über die kalte Flamme und ritzte mit der Dolchspitze die Haut. Purpurtropfen fielen in die Schale. Doch zu seinem Erstaunen fielen sie nicht auf den Boden, sondern lösten sich in den grünen Flammen auf. Der Priester sang leise, beinahe flüsternd. Wieder starrte der junge Cimmerier in die Flammen, und abermals zogen sie seine Sinne hypnotisch in ihren Bann. Die Flammen veränderten die Farbe, in ihren Tiefen bildeten sich Schemen, die sich bewegten. Er wußte nicht, wie ihm geschah; aber er wurde wie in einem Traum mitten unter sie hineingezogen. Er sah Scharen dunkelhaariger weißhäutiger Krieger in schrecklichem Kampf mit Feinden, deren Haar goldblond oder rot war, auch mit solchen, deren Haare hellbraun und deren Haut dunkel war. Das waren seine eigenen Leute, die Cimmerier, welche mit ihren Feinden, den Aesir und Vanir, den Hyperboräern und Pikten kämpften. Es hätten nahe Verwandte von ihm sein können, wenn die Waffen nicht aus Bronze statt aus Stahl bestanden hätten. Ihm wurde klar, daß er seine Vorfahren aus grauer Vorzeit erblickte, die noch keinen Stahl kannten. Bald darauf sah er ähnliche Menschen, doch deren Waffen und Werkzeuge bestanden aus geglätteten Steinen. Sie eilten durch Täler, in denen das Eis nie schmolz, und kämpften mit anderen Feinden und weißen Schneeaffen und mit Wesen, für die er keine Namen hatte. Er war sich halb bewußt, daß der Priester ihn zurück durch die Geschichte seines Volkes führte. Es gab vor den Eiszeiten Wanderungen, auf denen die Cimmerier mit einer Rasse kleiner Menschen zusammenstießen, welche auf ihren zähen und kräftigen kleinen Pferden über die Ebenen ritten. Es gab Jahre auf dichtbewachsenen dschungelähnlichen Bergen und in Tälern, wo Riesenschlangen umherglitten und Trommeln monoton erschallten. Schwarze Menschen
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mit Speeren verwehrten ihnen den Durchzug und sangen wilde Kriegslieder hinter langen Hautschilden. Die Flammen entrückten ihn noch weiter in die Vergangenheit. Es gab die Zeit der Sintflut und großer Umwälzungen, als Berge ausbrachen und zu Türmen aus Feuer und Rauch wurden, flüssiges Gestein wälzte sich wie ein Strom ins Tal. Die Meere stiegen an und überschwemmten Kontinente, während mancher Boden eines Ozeans austrocknete. Wieder sah er sein Volk in einer früheren Epoche – und immer kämpften und töteten die Menschen. Er sah Männer wie sich selbst, aber nicht so primitiv wie jetzt, sondern mit bunten Seidengewändern und Federkopfschmuck. Er sah sie im knietiefen Wasser gegen eine Invasion von Pikten kämpfen. Conan erkannte sie als Pikten, obwohl sie in großen Doppelkanus kamen, wie Pikten sie heute nicht mehr benutzten. Er sah einen Mann auf einem goldenen Thron sitzen, das Kinn auf die geballte Faust gestützt, in den Augen loderte das Grauen. Neben ihm stand ein beidhändiges Schwert. Der Mann trug eine Krone, aber ansonsten hätte er Conans Zwilling sein können. Weiter und weiter ging es in die Vergangenheit, bis sich in seinem Kopf alles drehte. Endlich gelangte er in eine Zeit, da auf einer Waldlichtung eine Familie haariger, beinahe menschlicher Geschöpfe neugierig eines der Kinder betrachtete, das weniger behaart war und Dinge tun konnte, zu denen keines der Geschwister fähig war. Dann blickte Conan wieder in die grünen Flammen. Ganz verblüfft schüttelte er den Kopf. »Was sollte das bedeuten, Priester? Es kam mir vor, als sähe ich die ganze Geschichte meines Volkes, lange ehe es den Fuß auf Cimmerien setzte.« »Genau dies hast du gesehen«, bestätigte der Priester. »Die Geschichte der Vorfahren eines jeden Menschen steht in seinem Blut wie auf Pergament geschrieben. Es kann sie aber nur einer lesen, der weiß, wie man die Erzählung freisetzt.« »Wenn das stimmt«, sagte Conan nachdenklich, »dann ist mein Volk
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viel, viel älter, als alle Geschichtenerzähler vermuten.« »Das trifft auf die meisten Völker zu«, sagte der Priester. »Die meisten Kulturen erinnern sich nur an die jüngste Geschichte, ein paar Jahrhunderte, höchstens einige Jahrtausende. Doch gab es schon Menschen, als die Kontinente noch andere Gestalt als heute hatten. Dein Volk identifiziert sich mit ihrem Bergland, dem nebligen Cimmerien; aber sie waren dieselben Menschen, als die Berge im Norden noch Inseln in einem riesigen Meer waren und von prämenschlichen Wesen bewohnt wurden, die jetzt nicht mehr auf dieser Welt leben. Und du bist – wie ich vermutete – vom Blut der Könige, welche Valusia, Thule und Commorien eroberten. In den nachfolgenden Zeiten sind sie zu Geschöpfen geworden, die kaum besser sind als die Affen, von denen sie abstammen. Sie haben es nochmals zu einer barbarischen Kultur gebracht, sind aber die gleichen Menschen geblieben.« Conan dachte höchst ungern über solche Dinge nach. Allein die Vorstellung der Kürze und Unwichtigkeit einer einzelnen menschlichen Existenz im Vergleich zu diesen Einblicken entzog ihm den Boden unter den Füßen. »Und was hat das alles mit meiner Mission zu tun?« fragte er mürrisch. »Sehr viel.« Der Priester deutete zu einer Tür. »Komm, wir wollen uns setzen und darüber sprechen.« Conan hatte das Gefühl, als sei er tagelang ohne Rast geritten, als er dem Priester folgte. Zu seiner Erleichterung war der Raum, den sie betraten, nicht exotisch ausgestattet. Es gab einen geschnitzten Holztisch, zwei passende Stühle und eine Anrichte mit Flaschen und Gläsern. Die Wände waren von einfachen Teppichen bedeckt. Vor dem einzigen Fenster waren die Läden fest geschlossen. Er folgte der Aufforderung des Priesters und setzte sich auf das dicke Kissen des Stuhls. Er konnte es nicht fassen, wie erschöpft er war. Der Priester nahm eine Flasche und schenkte zwei Gläser voll. Er reichte Conan eines, der nicht so müde war, um nicht zu warten, bis
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sein Gegenüber getrunken hatte. Der Wein schmeckte köstlich und erfrischte ihn. Es war ein weitaus besserer Jahrgang als die Tropfen, die er sonst in den Schenken trank. Der Priester nahm Platz. »Wir hatten heute nacht einen winzigen Einblick, was in deiner Vergangenheit liegt. Deine Vorfahren haben einige der großen Zeitalter jüngster Geschichte durchschritten.« (Jüngster Geschichte? dachte Conan.) »In letzter Zeit gab es wenig große Männer oder bedeutende Ereignisse. Es ist, als hätten die Götter und die Uralten an den unwichtigen Problemchen der Menschen kein Interesse mehr.« Er trank einen Schluck Wein und dachte kurz nach. »In den letzten Jahren hat sich etwas verändert. Gewisse Personen unter uns sind aufgestanden, schicksalhafte Personen, wie die der Vorzeit. Diese Personen sind zu Großem bestimmt – von den Göttern oder anderen Mächten auserwählt. Möglich, daß die großen Tage wiederkehren.« Die Augen des Priesters leuchteten vor fanatischer Erwartung. Conan war sicher, daß dieser Mann nicht aus reinem Wohlwollen handelte. »Die Priester meines Ordens sind ausgebildet, die Zeichen zu erkennen, wodurch diese Personen und Ereignisse kenntlich gemacht sind. Ich bin fest überzeugt, daß du solch ein Mann bist – und Taharka aus Keshan ebenfalls.« Die Sache wurde zu kompliziert. »Taharka ist ein sterblicher Mensch«, widersprach Conan, »und ich und die Gundermänner und der aquilonische Scharlatan ebenfalls. Wenn wir uns begegnen, werden wir unsere Klingen zücken und herausfinden, wer von uns der Bessere ist. Bis jetzt kenne ich keinen, der es mir mit irgendeiner Waffe gleichtun kann.« »Es geht um mehr, als daß sich zwei Männer mit ihren Klingen aufschlitzen. Du und dein Feind – ihr seid Männer, die das Geschick des Reiches ändern können.« Zum ersten Mal wurde der Priester richtig lebhaft. »Laß mich deine Handlungen führen!« Conan mußte sich bemühen, nicht laut loszulachen. »Ein Barbar aus dem Norden, ein Bandit aus dem Süden und ein Sklavenhändler? Wir
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haben nur eins gemeinsam: Die Menschen der zivilisierten Welt würden über uns lachen, wenn sie es wagten. Sie tun es nur nicht, weil es sie das Leben kosten würde. Mit Sicherheit würden die Götter für ihre großartigen Pläne andere Männer wählen.« Er leerte das Glas. »Du bist wahrlich ein Barbar«, sagte der Priester, »und noch ein Knabe. Du hast alles Vertrauen der Welt in deine Körperkraft und dein Können gesetzt, aber kein Vertrauen in deine anderen Fähigkeiten, welche dich von den gewöhnlichen Menschen unterscheiden. Bis du deine wahre Natur erkennst, kann ich nicht viel für dich tun. Doch denk immer daran: Taharka von Keshan ist ein Mann, der dir sehr ähnlich ist. Er stammt aus einer etwas höheren Kultur und ist auch recht gebildet, was seine Kultur betrifft; aber er ist dennoch ein Barbar. Im Gegensatz zu dir plagen ihn keinerlei Gewissensbisse oder Skrupel. Zivilisierte Menschen halten dich vielleicht für wild und ungezähmt, doch trägst du den strengen Verhaltenscode deines Volkes in dir. Taharka fehlt so etwas. Er hat jegliches Gesetz, das sein Volk vielleicht hatte, abgestreift und tut jetzt nur noch das, was ihm Vorteile zu bringen scheint. Er hätte nie gegen die beiden Bossonier gekämpft und wird auch nie kämpfen, wenn er glaubt, er könnte verlieren. Er schickt lieber einen anderen oder benutzt Gift.« Conan stand auf. »Dazu werde ich ihm keine Gelegenheit geben. Ich muß ihn stellen und töten, ehe er weiß, daß ich ihm auf der Spur bin. Ich danke dir für deinen Rat, Priester, aber ich werde die Sache nach meiner Art lösen.« »Viel Glück, junger Barbar.« Der Priester schenkte ihm noch ein eisiges Lächeln. »Aber ich glaube nicht, daß es leicht sein wird.« Conan trat auf die Straße. Er war froh, die bedrückende Atmosphäre im Tempel zu verlassen und frische Luft zu atmen. Überrascht sah er, daß die Morgendämmerung schon über der Stadt aufzog. Vögel und Vieh erhoben die Stimmen. Er roch, daß Brot gebacken wurde. Schnell kehrte er zurück zur Herberge. Als er die Kammer unter dem Dach
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betrat, funkelte Kalya ihn wütend an. »Wo bist du die ganze Nacht über gewesen? Ich wette, du hast dich herumgetrieben und mit losen Weibern vergnügt.« »Und was geht es dich an, wenn es so wäre?« fragte Conan, den ihre besitzergreifende Art ärgerte. Hätte sie ihn einfach gefragt, wo er gewesen sei, hätte er ihr alles erzählt. »Wir brauchen das Gold, um auf dem Weg zu bezahlen, den wir für unsere Rache zurücklegen müssen. Es ist nicht dazu da, daß du es für Wein und Huren ausgibst!« »Seit wann bin ich dein Besitz, Weib?« brüllte Conan. »Ich habe diese Männer schon verfolgt, ehe wir uns trafen. Ich kann meine Aufgabe sehr gut ohne dich erledigen! Spiel dich nicht so auf!« Er legte den Waffengurt ab und warf sich aufs Bett. »Ich brauche jetzt Schlaf. Stör mich nicht!« Dann fügte er hinzu: »Zähl das Geld, ehe du weggehst. Wenn auch nur eine Münze fehlt, kannst du mich mit deinem niedlichen kleinen Schwert aufschlitzen.« »Das werde ich auch tun!« Es klimperte, als sie die Münzen zählte. Dann folgte ein lauter Knall, als sie die volle Börse gegen die Wand warf. »Es ist alles da! Wo warst du?« »Wenn du mich weniger unverschämt fragst, Weib, erzähle ich es dir vielleicht.« Er zog einen Halm aus dem Strohsack, der ihn gestört hatte. Sie zischte etwas in einer Sprache, die Conan nicht verstand, stürmte hinaus und knallte die Tür zu. Conan grinste und drehte sich auf die Seite. Ehe er einschlief, dachte er noch, daß er die Situation nicht besonders gut gemeistert hatte. Kalya könnte in Schwierigkeiten geraten ohne ihn, wenn sie so wütend durch die Stadt lief. Er überlegte kurz, ob er hinterher gehen sollte; aber eine große Müdigkeit überfiel ihn. Die Reise in die Vergangenheit hatte ihn mehr Kraft gekostet, als er gedacht hatte. Mochte Crom über Kalya wachen! Das Weib hatte früher gut auf sich aufgepaßt, da würde es es auch noch heute schaffen. Im nächsten Augenblick war er eingeschlafen.
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Sechs »Das muß der letzte Überfall in dieser Gegend sein, Anführer«, sagte Axandrias. Er spähte nach etwaigen Verfolgern aus. Die erbeuteten Sklaven hatte man auf Pferde gebunden, um schneller fortzukommen. »In Ordnung«, antwortete Taharka. »Es scheint, wir haben unseren Aufenthalt hier etwas zu sehr ausgedehnt.« Eine ihrer Unterbanden war von einer nemedischen Kavallerieabteilung, die den plötzlichen Anstieg von Sklavenjagden untersuchen sollte, auf frischer Tat festgenommen worden. Unglücklicherweise befanden sich die Patrouille und die Sklavenjäger zur selben Zeit auf derselben Straße. Die Schurken hatten keine glaubwürdige Erklärung abgeben können, warum sie Bauernburschen, geknebelt und gefesselt, mit sich führten. Taharka und seine Gruppe hatte man auch in der Ferne entdeckt; aber er war weit genug weg gewesen, um so viel Vorsprung zu gewinnen, daß er die Verfolger abschütteln konnte. »Aber noch betrachten uns die Götter der Diebe und Sklavenhändler mit Wohlwollen«, sagte der Keshanier. »Pech hatten diese Bande Argossier und der Abschaum, den wir in Croton rekrutierten. Sie können ruhig die nemedischen Galgen zieren, während wir unsern Profit gemütlich vertrinken.« »Vielleicht verfolgen sie uns noch immer«, sagte der Aquilonier und blickte wieder nervös über die Schulter zurück. »Wir haben schon vor geraumer Zeit die Grenze überschritten«, meinte Taharka. »Die überqueren sie nicht. Sie werden eine Botschaft an den nächsten Militärstützpunkt in Aquilonien schicken, damit man dort die Augen offenhält. Aber bis jemand nach uns in Croton sucht, sind wir längst auf dem Weg zu den ergiebigen Feldern Ophirs. Ist das nicht eine schöne Aussicht?«
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»Wie du meinst, Herr.« Axandrias kamen Zweifel, ob es klug gewesen war, sich Taharka anzuschließen. Dieser Mann war skrupellos und gerissen. Seine Pläne brachten Gewinn, aber er schien sich den regulären Soldaten gegenüber für absolut unverwundbar zu halten. Ihm machte es Spaß, seine gefährlichen Spielchen bis an den Rand der Katastrophe zu treiben. Axandrias’ Instinkt riet ihm, beim ersten Anzeichen von Gefahr wegzulaufen. Hätte er das Kommando gehabt, hätte er die Gefangenen sofort freigelassen, als man sie verfolgte, und wäre so schnell wie möglich vom Schauplatz des Verbrechens weggeritten. Die Gundermänner schienen ebenfalls niedergeschlagen zu sein. Mit düsteren Blicken musterten sie die Pferde mit den gefesselten Burschen. Axandrias wußte, daß sie ihm mißtrauten und ihn um den vertrauten Umgang mit dem Anführer beneideten. Er konnte gut damit leben, daß sie ihn nicht ausstehen konnten, aber er fühlte, daß es nur eine Sache der Zeit sei, bis sich einer ihrer großen Dolche ihm in den Rücken bohrte. Es war nicht zu früh, sich gegen diese Möglichkeit Schutzmaßnahmen zu überlegen. Den Rest des Weges schmiedete er finstere Pläne, wie er sich von den Brüdern befreien konnte. Es war noch früher Nachmittag, als sie in Croton einritten. Ihre Opfer waren durch Drogen so betäubt, daß sie keinen Ärger machten. Von überallher wurden Taharka und seine Männer lautstark begrüßt. Sie waren berühmte Männer geworden bei den Leuten, welche diese Art von Menschenspielen überaus schätzten. Während die anderen weiterritten, machte Axandrias an einem Brunnen Rast. Aus einem steinernen Dämonenmund floß Wasser in einen Trog. Vom langen Ritt war er wie ausgetrocknet. Gierig beugte er sich über den Trog und trank vom Wasserstrahl. Als er den Kopf hob, sah er, daß jemand ihn aus einem im Schatten liegenden Hauseingang beobachtete. Beim Trinken musterte er die Gestalt unauffällig. Irgendwie kam ihm der Mann verdammt bekannt vor – oder war es eine Frau?
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Trotz der Hitze war die Gestalt in einen weiten Umhang gehüllt. Die rechte Hand blitzte metallen, als sie den Kragen umfaßte. Ein Auge lag tief im Schatten. Dann sah er die Augenklappe. Ansonsten konnte er nichts sehen; aber irgendwie kam ihm alles bekannt vor. War es die Haltung oder das Funkeln des Raubvogelblicks aus dem einen Auge? Er wischte sich die Hand an den staubigen Beinkleidern trocken und ritt weiter. Wenn der Fremde etwas von ihm wollte, würde er das bald erfahren. Sollte er gefährlich sein, war es besser, ihm mit dem Rest der Bande als Rückendeckung gegenüberzutreten. Schließlich hatte er sich nicht einer Bande angeschlossen, um einer Gefahr allein zu begegnen. Er gesellte sich bei der großen Herberge zu den anderen. Der Wirt hatte ihnen einen ungenutzten Stall überlassen, der zwischen der Rückwand der Herberge und der Stadtmauer stand. Arbeiter hatten den verkommenen Stall in eine Unterkunft für die Sklaven umgebaut. Der kleine Hof davor war in eine behelfsmäßige Arena umgewandelt worden, wo den Sklaven die Grundbegriffe für den Kampf mit den Waffen beigebracht wurden. Da die meisten erbeuteten Sklaven Bauern oder Hirten waren, kannten sie keine Waffen außer dem Stock. Hier drillte man die Unglücklichen, mit Dolch und Schwert umzugehen. Als Axandrias näher ritt, wurde gerade ein Paar mit Dolchen aufeinander gehetzt. Der Trainer war jedoch ein Fremder. »Wer ist das?« fragte Axandrias, als er neben Taharka sein Pferd zügelte. »Wo sind Murtan und Ballan?« Die beiden waren zurückgelassen worden, um die Sklaven zu trainieren, während die anderen für Nachschub sorgten. »Das möchte ich auch gern wissen«, sagte der Keshanier. Seine Stirn über der Adlernase war gerunzelt. »Bin ich denn immer nur von Idioten umgeben? Ich überlasse den Schurken wirklich nur einfache Aufgaben; aber nicht einmal diese erfüllen sie, sondern machen sich aus dem Staub. Die beiden saufen unmäßig. Bestimmt liegen sie irgendwo im
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Stroh und schlafen ihren Rausch aus. Das wird ein schmerzliches Erwachen geben!« Taharka stieg ab und warf die Zügel einem Stallburschen zu, der aus dem hinteren Teil der Herberge herbeikam. Dann lehnte er sich über den Zaun, der den Hof vor dem Stall umgab, und schrie den Mann an, der die Sklaven trainierte: »He, du! Ausbilder! Komm sofort her!« Der Mann warf ihm einen Blick zu und schnalzte mit der Peitsche, die er in der rechten Hand hielt. Die beiden Sklaven gingen auseinander. Er steckte das Kurzschwert, das er in der Linken gehalten hatte, in die Scheide. Die Sklaven waren schweißüberströmt und zitterten vor Erschöpfung. Sie trugen nur gesteppte Lendenschurze und harte Lederhelme. »Ihr beide könnt euch im Schatten ausruhen, während ich mit eurem Herrn spreche«, sagte der Mann und trat zu Taharka. Der Keshanier musterte den Mann abschätzend, der auf ihn zuging. Er war groß, hager, aber muskulös. Haar und Bart hatten die Farbe dunklen Honigs, beinahe braun. Die Gesichtszüge waren ebenmäßig, allerdings mit einigen Narben, die Augen blau. Er trug eine Weste aus Metallplättchen, die mit Ketten verbunden waren. Stahlbänder bedeckten die hohen Stiefelschäfte. Der schwungvolle Gang verriet den geborenen Kämpfer, etwas, das man mit Training nie erreichen konnte. Taharka gefiel der Mann. »Ein Hyperboräer«, murmelte einer der Gundermänner. »Das ist ein übles Volk.« Taharka lächelte. Alle Männer hielten Angehörige eines anderen Volkes für übel. »Du mußt Taharka sein«, sagte der Mann und rollte seine Peitsche auf. »Ich bin Kuulvo. Der Wirt heuerte mich an, mit diesen Hunden zu arbeiten. Dafür bekomme ich freie Unterkunft und Verpflegung und so viel Wein, wie ich trinken kann. Ich habe früher schon Rekruten ausgebildet, und die hier sind nicht schlimmer als die meisten Frischlinge. Sie werden dir im Ring keine Schande machen, wenn du ihnen etwas von dem Zeug des Schamanen einflößt.«
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»Dann kennst du also unsere Methode?« sagte Taharka. »Ich habe Augen im Kopf. Drei Nächte lang habe ich die Kämpfe beobachtet. Ausgezeichnete Vorstellung! Aber ich erkenne falschen Mut, wenn ich ihn sehe. Diese Schmuggler und Karawanentreiber denken vielleicht, daß sie blutrünstige Kämpfer sehen, die keine Angst haben; aber ich war zu lange Soldat und Schwertträger – mich kann man nicht hinters Licht führen.« »Was ist mit den beiden Bossoniern passiert, die ich zurückließ, als ich vor einigen Tagen wegritt?« fragte Taharka. Der Hyperboräer hob die Schultern. »Da mußt du schon den Wirt fragen, der mich angestellt hat. Ich habe gehört, daß man sie umgebracht hat; aber Genaueres weiß ich nicht.« »Umgebracht?« rief Taharka. »Ohne meine Erlaubnis? Welche Unverschämtheit!« Dann ruhiger: »Mach weiter mit deiner Arbeit, guter Mann. Du gefällst mir. Heute abend wollen wir uns in Ruhe unterhalten. Komm an meinen Tisch, nachdem ich gebadet und mich ausgeruht habe. Gehen wir, Axandrias!« Beim Hineingehen wandte Taharka sich an Axandrias. »Dieser Mann aus Hyperborea sieht doch wie ein Schlitzohr aus, wie? Er ist stark und kann mit den Waffen umgehen. Anscheinend ist es ihm gleichgültig, wie er sich seinen Lebensunterhalt verdient. Wäre er nicht ein guter Zuwachs für unsere Bande?« »Gute Kämpfer kann man immer brauchen, Herr«, sagte Axandrias. »Solange sie sich nicht für mehr als gut halten.« »Ja, das können wir nicht dulden«, stimmte Taharka zu. »Und wo steckt nur dieser Wirt?« Sie fanden ihn, als er das richtige Aufstellen eines großen Fasses im Lagerraum neben der Schenke überwachte. Als er die Männer sah, kam er sofort herüber. »Ihr seid zurück! Willkommen! War euer Ausritt gewinnbringend?« »In Maßen«, antwortete Taharka. »Unsere Argossier und noch ein paar bekamen Heimweh und ritten wieder in heimische Gefilde. Die
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sehen wir nicht wieder. Aber sag, was ist mit meinen Bossoniern passiert, denen ich die Sklaven anvertraut hatte? Ich komme zurück und sehe, daß ein Hyperboräer ihren Platz eingenommen hat.« »Ach, die beiden! Das ist eine traurige Geschichte, mein Freund. Drei Morgen ist es her, daß man sie in einer Gasse erschlagen und ohne Geldbörsen fand.« »Bestimmt waren sie besoffen!« knurrte Taharka mit Abscheu. »Sie waren als Kämpfer keine Asse, aber eigentlich recht fähig. Wie konnten sie sonst einer Bande von Straßenräubern in die Hände fallen?« »Meine Mädels sagten, daß sie nüchtern von hier weggingen. Natürlich hätten sie noch in einer Taverne auf dem Heimweg einen lüpfen können; aber warum sollten sie fürs Trinken bezahlen, wenn sie hier alles umsonst bekamen? Außerdem war es keine Bande von Straßenräubern. Beide wurden durch nur einen mächtigen Schwerthieb getötet. Vielleicht trafen sie alte Feinde, die mit ihnen eine alte Rechnung zu begleichen hatten.« »Im Grunde ist es unwichtig«, erklärte Taharka. »Für mich stellten sie keinen großen Wert da. Außerdem hast du offensichtlich einen guten Ersatzausbilder gefunden.« »Ja, das war wirklich ein Glücksfall! Kuulvo ist Söldner. Er war in den vergangenen Jahren mehrmals hier. Die Abteilung, in der er diente, wurde in den Kriegen unten in Ophir besiegt. Da ist er desertiert und hergekommen, um sich auszuruhen. Sein Beutel war fast leer, er wollte sich gerade nach einer neuen Bande umsehen, der er sich andienen konnte. Ich bot ihm Unterkunft, Verpflegung und Wein, wenn er unsere Sklaven bis zu deiner Rückkehr betreute. Ich weiß, daß er ein hervorragender Kämpfer ist und in der Ausbildung von Männern viel Erfahrung hat.« »Das hast du gut gemacht, mein Freund«, sagte Taharka. »Ich habe mit dem Mann gesprochen. Er sieht wie ein gefährlicher Bursche aus. Meine begrenzte Erfahrung mit Männern aus dem Norden sagt mir, daß es wilde Burschen sind.« Er drehte sich um und ging.
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»Ach, Wirt, sag mir, ist dir ein einäugiger Mann aufgefallen, der trotz der Hitze mit einem Umhang herumläuft?« fragte Axandrias. »Ich sah so einen am Marktplatz und hatte den Eindruck, daß er mich beobachtete.« »Ein einäugiger Mann?« wiederholte der Wirt erstaunt. »Nein! Ich – aha! Der, von dem du sprichst, ist kein Mann, sondern ein Weib! Sie ist jetzt drei oder vier Tage in der Stadt. Trotz der Augenklappe ist sie nicht häßlich. Einige wollten schon ihre nähere Bekanntschaft machen, aber sie ist blitzschnell mit dem Dolch und dem Stahlhandschuh, den sie über der linken Hand trägt. Und sollte das nicht genügend abschrecken, sorgt ihr Begleiter dafür, daß ihr niemand nahetritt.« Der Wirt lachte, daß sein Bauch wackelte. »Das ist ein großer Muskelprotz. Soll aus Cimmerien stammen, habe ich gehört. Er sieht so furchterregend aus, daß jeder wilde Bulle wie angenagelt stehenbliebe.« Taharka blieb an der Tür stehen und drehte sich um. »Ein Cimmerier, sagst du? Erstaunlich, einen Mann so weit von seinen nebligen Bergen anzutreffen.« »Ja, genau das dachte ich auch«, sagte der Wirt. »Ich war nicht sicher, ob er wirklich ein Cimmerier war. Ich habe nur wenige gesehen. Aber ein Händler, der jedes Jahr nach Asgard reist, bestätigte es.« »Seltsam«, meinte Taharka. »Aber schließlich geht uns das nichts an. Komm, Axandrias!« Sein Blick befahl dem Aquilonier, keine weiteren Fragen zu stellen. Nach einem Bad und frischer Kleidung setzten sich die beiden an einen Tisch im Schankraum und tranken Wein, während sie aufs Essen warteten. Nachdem Taharka den Reisestaub mit einem Schluck goldenen Weines hinabgespült hatte, wandte er sich an seinen Stellvertreter. »Also, mein Freund, was soll das alles bedeuten? Zwei unserer Bande sind tot, du siehst ein einäugiges Weib, das dich beobachtet, und sie wird von einem Cimmerier begleitet. Was bedeutet das alles?« »Ich weiß es nicht, Anführer. Irgend etwas an diesem Weib läßt mir keine Ruhe; als ich sie sah, wußte ich nicht, ob unter dem Umhang ein
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Mann oder eine Frau steckte.« Er leerte den Becher und schenkte sich nochmals ein. »Was den Cimmerier und die toten Bossonier betrifft, kann ich nichts sagen. Es stimmt zwar, daß wir in jenem Land waren; aber das ist mehrere Wochen her. Er konnte uns unmöglich so weit verfolgen. Außerdem ist allgemein bekannt, daß kein Bewohner dieses Nebellandes sich weit vom heimischen Herd wegwagt.« »Der schon!« widersprach der Keshanier. »Die beiden Bossonier wurden durch mächtige Schwerthiebe getötet, und wir Wissen aus Erfahrung, wie Cimmerier mit ihren Klingen umgehen können.« »Der Wirt sprach nur von einem Cimmerier«, protestierte Axandrias. »Vielleicht tötete ein Mann beide Gegner. Wenn ja, dann ist es ein Mann, mit dem man rechnen muß.« Er winkte ab. »Aber egal. Ob wir Grund haben, ihn zu fürchten, werden wir bald wissen. Bis dahin bleiben wir auf der Hut, was immer eine gute Idee ist.« Axandrias nickte. Ihm war nicht wohl in seiner Haut. Erschrocken blickte er auf, als ein riesiger Mann neben ihm stand. Seine Hand griff zum Schwert. Doch eine breite narbige Hand legte sich auf seine Schulter und drückte ihn nieder. »Du bist nervös, mein Freund«, sagte Kuulvo der Hyperboräer. »Ich bin nur hier, um mich zu euch zu setzen, weil dein Anführer mich heute nachmittag darum bat.« »Schleich dich nie wieder so an mich heran!« fuhr ihn der Aquilonier wütend an. »Ich lasse nicht mit mir spaßen.« »Nie würde ich mir erlauben, mit einem so gefährlichen Mann meinen Spaß zu treiben«, widersprach Kuulvo, ohne seinen Sarkasmus zu verbergen. Er setzte sich und nahm einen Becher von dem Tablett mit der Weinkaraffe. Taharka amüsierte sich über die Spannung zwischen den beiden. Er hatte die Absicht, den Hyperboräer in seine Bande aufzunehmen, und es war immer vorteilhaft, eine gesunde Rivalität zwischen den Männern zu haben. Sie sollten ihm gegenüber loyal sein, nicht untereinander. Sollte einer sich gegen ihn verschwören, gäbe es immer einen Rivalen,
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den Plan zu verraten, um sich beim Anführer lieb Kind zu machen. Er nahm die Karaffe und schenkte Kuulvo den Becher randvoll. »Der Wirt sagte mir, daß du erst vor kurzem aus den Kriegen in Ophir kamst«, sagte er. »Das stimmt«, meinte Kuulvo, nachdem er den halben Becher in einem Zug geleert hatte. »Ich würde gern mehr über diese Kriege hören, da ich mit meinem Haufen bald hinreiten will. Wer kämpft und weswegen?« »Das ist alles eine herrliche Verwirrung«, begann Kuulvo. »Etwa ein Dutzend Satrapen hat eine Allianz gebildet und rebelliert gegen den König. Diesen unterstützen etwa zwanzig andere. Alle sind bereit, beim ersten Anzeichen eines Vorteils die Seite zu wechseln. So kämpfte ich zum Beispiel unter meinem letzten Dienstherren Asnan von Khalkat zweimal gegen den König und dreimal für ihn. In der letzten Schlacht wußte keiner von uns so recht, auf welcher Seite wir kämpften.« »Hervorragend!« rief Taharka. »Genau der richtige Ort für Männer wie uns. Kuulvo, ich habe vor, dich mit meiner Truppe nach Ophir mitzunehmen.« »Was ich bis jetzt von deinen Männern gesehen habe«, sagte der Hyperboräer, »gibt es nur wenig Söldnerführer, die sie anheuern würden.« »Das hatte auch ich nicht vor«, widersprach Taharka. »Da ich selbst General war, möchte ich nicht unter einem Hauptmann dienen. Die inneren politischen Probleme Ophirs sind mir völlig gleichgültig, daher habe ich nicht den Wunsch, Partei zu ergreifen. Außerdem endet eine solche Laufbahn oft nicht nur mit einer Niederlage, sondern mit Auslöschung. Wir möchten lieber alle Konflikte vermeiden, durchs Land reiten und, wenn die Gelegenheit günstig ist, ein bißchen Profit machen.« Er unterstrich seine Worte mit vielen Gesten. Seine tiefe Stimme floß wie Honig, die kostbaren Ringe funkelten im Schein der Kerzen. »Also als Banditen?« fragte Kuulvo. »Damit kann man reich werden,
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wenn man den vielen Heeren aus dem Weg geht, die durchs Land trampeln.« »Ein Führer und Berater, der mit dem Krieg und dem Land vertraut ist, wäre wertvoll. Du scheinst ein tapferer Mann zu sein, bist kräftig und kannst mit dem Schwert umgehen. Ich weiß, daß deine Mittel erschöpft sind und du Arbeit brauchst. Ich biete dir in meinem Haufen eine Stellung. Nach dem geheimnisvollen Tod der Bossonier sind wir nur noch zu viert; aber unsere Zahl wird anwachsen, wenn wir uns zu den Schlachtfeldern durchschlagen.« Der Hyperboräer dachte kurz nach. »Dann hast du also nicht vor, hierzubleiben und deine Sklaven kämpfen zu lassen? Es steckt ein Riesengewinn darin.« »Mich langweilt diese Art der Unterhaltung«, erklärte Taharka. »Bald, vielleicht schon morgen werden wir wegreiten.« »Verstehe. Die Obrigkeit schafft es immer wieder, auch die besten Geschäfte zu versauen. Ja, ein Ausflug nach Ophir würde mir durchaus behagen. Im Augenblick herrscht in den meisten Ländern Friede. Das ist sehr selten und für jemanden wie mich ungünstig.« Er grinste. Axandrias lief es bei dem wilden Funkeln in den Augen des Nordmannes kalt über den Rücken. »Wie den Hai im großen Ozean zieht mich der Blutgeruch an, ganz gleich, wie schwach oder wie weit entfernt er ist.« »Ein Mann nach meinem Herzen«, sagte Taharka und hob bestätigend seinen Becher. »Ich heiße dich in unserem Haufen willkommen. Mit wir wirst du reich werden und stets genug Aufregung haben.« Die Gundermänner kamen zu ihnen. Taharka erklärte ihnen Kuulvos neuen Rang. Die Brüder nahmen ihn mit falscher Herzlichkeit, viel Rückenklopfen und Freundschaftsschwüren auf. Niemand nahm diese Bekundungen ernst. Banditen lebten ihr eigenes Leben und mußten jederzeit willig und bereit sein, einander zu verraten, um das eigene Leben zu retten oder mehr Gewinn zu scheffeln.
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Taharka sah einen Mann in die Schankstube treten. Ein kahlköpfiger Kerl unbestimmbaren Alters, seltsam gekleidet. Eine Schankmaid begrüßte ihn. Er sprach mit ihr. Dann blickte sie suchend umher. Mit ausgestrecktem Arm zeigte sie zum Tisch der Banditen. Die billigen Armbänder klingelten. Der Mann bahnte sich langsam einen Weg durch die Menge. Taharka stieß Axandrias in die Seite. »Kennst du den Kahlkopf, der auf uns zukommt?« Überraschung zeigte sich auf dem Gesicht des Aquiloniers. »Das ist der Priester, der mir die Drogen verkaufte. Was will der denn hier?« Der Schnitt der Kleidung verursachte in Taharka ein ungutes Gefühl. Es ähnelte Gewändern, die er früher schon einmal gesehen hatte und die er niemals wieder sehen wollte. »Taharka aus Keshan?« fragte der Priester und verneigte sich tief. »Der bin ich«, antwortete Taharka und vermied es ausdrücklich, dem Priester einen Platz anzubieten. »Wie kann ich dir behilflich sein?« »Ich möchte mit dir sprechen, Herr. Unter vier Augen.« »Mir gefällt es aber ausgezeichnet in der Gesellschaft meiner Männer. Weshalb sollte ich mit dir woanders hingehen? Ich warne dich, noch habe ich eine große Menge von der Medizin, welche du uns verschafftest, und brauche noch keine wieder zu kaufen.« Seine Männer grinsten über die vermeintliche Verlegenheit des Priesters. »Es hat damit nichts zu tun«, erklärte der Priester. »Die Sache könnte für dich von größtem Wert sein, wenn du mich anhörst. Ich verlange nur eine Stunde deiner Zeit. Du bist zurück, ehe die Abendvergnügungen beginnen.« Die Augen des Mannes waren bezwingend; aber Taharka konnte es sich nicht erlauben, daß seine Männer glaubten, er lasse sich von einem Gebeteplärrer einschüchtern. »Gewinn interessiert mich immer«, sagte er herablassend und stand auf. »Wartet hier auf mich! Ich werde nach meiner Rückkehr zu Abend essen.« Axandrias war beunruhigt, als sein Anführer fortging. Er hatte
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Taharka nichts von seinen Bedenken wegen des unheimlichen Tempels erzählt, weil er sich seiner Angst geschämt hatte, nachdem er sich davon erholt hatte. Er hob die Schultern. Sollte Taharka nicht zurückkommen, würde er die Bande selbst anführen. Eigentlich machte er sich mehr Sorgen wegen der Frau mit der Augenklappe und ihrem cimmerischen Begleiter. Taharka folgte dem Priester durch die dämmrigen Straßen Crotons. Sie wechselten kein Wort. Schließlich erreichten sie die gepflasterte Gasse. Taharka hatte das Gefühl, Eishände umschlössen sein Herz, als er die Fassade des uralten Tempels erblickte. Warum hatte dieser Idiot Axandrias ihm nichts davon erzählt? Doch dann wurde ihm klar, daß es für den Aquilonier – wie für die meisten Menschen – ja nur ein alter halbverlassener Tempel war. Jedes Land hatte massenhaft solche Bauwerke. Der Priester drehte sich beim Betreten der Säulenhalle um. »Ich bin ein Priester der...« »Ich weiß, welchen Göttern du dienst«, unterbrach ihn Taharka und blickte forschend die Straße hinab. Es war niemand zu sehen, aber er wollte kein Risiko eingehen. »Laß uns hineingehen und darüber sprechen.« »Ja«, sagte der Priester. Sie gingen ins düstere Innere des Tempels. »Hat man schon früher mit dir Verbindung aufgenommen?« »Ja«, antwortete Taharka und zückte seinen Dolch. Dann stieß er die Klinge bis zum Griff in den Rücken des Priesters, direkt links von der Wirbelsäule. Als der Mann zusammenbrach, stieß Taharka noch zweimal zu. Röchelnd verschied der Priester. Taharka blickte beunruhigt umher, als er die Klinge am Gewand des Priesters säuberte. Er war ein Mensch, der selten Angst und niemals Gewissensbisse hatte. Doch an diesem verfluchten Ort lief es ihm eiskalt über den Rücken. Er schaute hinauf zu den höhnischen Schlangengesichtern an den Säulen. Er hatte früher schon solche gesehen.
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Er schüttelte sich, um die düstere Stimmung loszuwerden. Dann packte er die Leiche bei den Füßen und schleifte sie hinter eine Säulenreihe, wo sie in der Dunkelheit nicht bemerkt werden würde. Er hatte keine Lust, nach einem besseren Versteck zu suchen. Dieser Tempel zog wahrscheinlich keine zehn Besucher pro Jahr an. Da konnte es mehrere Tage dauern, bis jemand die Leiche entdeckte. Bis dahin würde er längst über alle Berge sein. Beim Hinausgehen fiel ihm ein, daß Hunde vielleicht die Leiche erschnüffeln und verraten könnten. Daher schloß er die Tür. Er hatte sie schon fast zugezogen, als er wie unter Zwang noch einmal hinauf schaute, direkt in das winzige Menschengesicht über dem Schlangenhauptkapitell. Zitternd schloß er die Tür zu und ging schnell davon. Eigentlich gab es doch keinen Grund zur Aufregung, oder? Selbst wenn man den Priester fand, würde man ihm kaum Fragen wegen eines so unbeliebten Menschen stellen. Trotzdem war ihm nicht wohl. Der Ausdruck des Gesichtchens, das auf ihn herabgeblickt hatte, war eindeutig belustigt gewesen. Axandrias schaute auf, als sein Anführer näher kam. Der Gesichtsausdruck jagte ihm einen Schrecken ein. Taharka hatte selbst bei den scheußlichsten Folterungen seiner Opfer ein fröhliches Gesicht gemacht und in der größten Gefahr nie die Ruhe verloren. Doch jetzt sah er aus, als habe er Dämonen erblickt. Als der Keshanier den Tisch erreicht hatte, war seine Miene wieder nichtssagend, aber Axandrias sah, welche Mühe es ihn kostete. »Was wollte der Priester denn, Herr?« fragte er. Sein Interesse war keineswegs nur geheuchelt. Wenn Taharka eine Schwachstelle hatte, wollte er diese kennen. »Ach, einfach lächerlich!« erklärte er. »Der Kerl hatte noch andere Drogen und Zaubersprüche, die er mir anbot. Ich sagte ihm, daß er meine Zeit nicht mehr vergeuden solle. Ihr wißt ja, wie diese verarmten Priester sind: Ständig versuchen sie den Einfaltspinseln Geld aus der Tasche zu ziehen.«
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Axandrias dachte an die Schätze, welche er in dem uralten Tempel gesehen hatte, und wußte, daß Taharka log. Sehr interessant! »Ja, die sind alle gleich, Herr!« Taharka nahm ein gebratenes Huhn und machte sich mit dem kurz zuvor benutzten Dolch ans Werk. »Bei allen Göttern! Ich bin halb verhungert!« Er goß sich ein großes Glas Wein ein und schüttete es mit ungewöhnlicher Hast hinunter. »Männer«, erklärte Taharka, nachdem er sich etwas gestärkt hatte, »ich bin froh, wenn ich dieses elende Nest nicht mehr sehen muß! Aufgrund der Beschreibung unseres neuen Kameraden ist Ophir der einzig richtige Platz für uns.« Die Gundermänner nickten pflichtgemäß. In Wahrheit hatten sie das bequeme Leben in Croton genossen. Wie die meisten Männer ihrer Art hatten sie für Anstrengungen wenig übrig. »Wie du meinst, Führer.« Für Axandrias war alles ein großes Rätsel; aber er hatte das Gefühl, daß er seine eigene Position verbessern konnte, wenn er herausfände, warum der Anführer sich so seltsam benahm. Darüber mußte er noch gehörig nachdenken. Im dunklen Tempel bewegte sich etwas. Im Schatten über den Schlangenhäuptern huschten winzige menschenähnliche Gestalten umher und berieten sich quiekend wie Fledermäuse. Einer verließ seinen luftigen Standort und flog zur reglosen Gestalt des Priesters herab. Piepsend untersuchte das Ding den Leichnam. Dann hob es den Kopf und stieß einen gebieterischen Schrei aus. Ein Rauschen erhob sich in dem Tempel, als mehr als ein Dutzend der kleinen Wesen auf ihren Lederschwingen herabflogen. Sie hatten menschliche Gestalt, ihre Gesichter waren Karikaturen menschlicher Gesichter; aber sie waren mit kurzem dunklen Fell bedeckt. Finger und Zehen endeten in schwarzen Klauen, und sie hatten glatte echsenähnliche Schwänze. Wenn sie die Lederflügel zusammenfalteten, bedeckten diese den Kopf.
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Nach einigen Minuten aufgeregter Beratung hockten sich die Homunculi auf den Leichnam und stimmten einen irrsinnigen Singsang an, der ab und zu von schrillen Schreien unterbrochen wurde. Die Köpfe und Schwänze hoben und senkten sich im Rhythmus. Von Zeit zu Zeit wechselten sie die Stellung, unterbrachen aber nie den Rhythmus ihres Zauberliedes. Die dämonische Zeremonie dauerte mit höchster Konzentration mehrere Stunden lang. Endlich bewegte sich der Leichnam des Priesters. Eben noch hatte er reglos dagelegen, als ein heftiges Zucken die dürre Gestalt schüttelte. Triumphierend quiekten die Homunculi auf. Dann setzten sie ihren Zaubergesang fort. Der Priester stöhnte und ächzte. Die Lunge spuckte blutigen Schaum aus Nase und Mund. Langsam verebbte der Blutstrom, und er atmete normal. Dann zitterten die Augenlider und öffneten sich. Leer starrten die Augen mehrere Minuten lang nach oben, bis der Blick sich festigte und das Bewußtsein wiederkehrte. Das hagere Gesicht bekam wieder einen Ausdruck. Erst war es von Entsetzen, dann von Angst und zuletzt von wilder Wut beherrscht. Es dauerte eine Zeitlang, bis die übliche Maske der Abgeklärtheit wieder zu sehen war. Langsam und unter großen Schmerzen richtete der Priester sich auf, so daß er mit dem Rücken gegen die Säule saß. Die winzigen Dämonen schwirrten übermütig über ihm und sangen unter Freudensprüngen von ihrem Sieg. Ihr Lied – zu höllisch für menschliche Ohren – bewirkte ein schwaches Lächeln auf den Lippen des Priesters. »Gut gemacht, meine kleinen Diener! Ihr sollt reich belohnt werden.« Ächzend schob er sich auf die Füße und suchte an der Säule Halt. Er mußte seine Kräfte sammeln. Vom Tod ins Leben zurückzukehren, war keine leichte Aufgabe, nicht einmal für ihn. Mit einigen taumelnden Schritten schaffte er es zur nächsten Säule. Als er die Flamme erreichte, konnte er schon wieder fast normal gehen. Während er in das grüne Feuer starrte, kehrte die Stärke mit doppelter Geschwindigkeit in seinen Körper zurück.
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Er streckte die Hände aus, bis die Flammen über ihnen zusammenschlugen. Mit den Fingerspitzen malte er komplizierte Figuren ins Feuer, die für kurze Zeit in strahlenden Farben aufleuchteten. »So, Taharka aus Keshan, du hast also etwas von deinem Geschick gesehen«, erklärte der Priester und blickte in die Ferne, als sähe er etwas am Horizont. »Und du hast Angst vor dem, was du gesehen hast. Gut so! Du wirst deinem Schicksal nicht entrinnen, auch wenn du dich noch so sträubst.« Die Finger tanzten weiter im Feuer, und allmählich formte sich in den Flammen ein Gesicht.
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Sieben Kalya war außer sich vor Wut. Ihr ganzes junges Leben hatte sie Männern mißtraut und sie gefürchtet. Dann hatte sie diesem cimmerischen Riesen beinahe vertraut, dessen Ehrencodex dem ihren zu gleichen schien, der auch auf einem Rachezug war. Und jetzt hatte er sich als ebenso falsch erwiesen wie alle anderen. Falls er für seine Abwesenheit in der vorigen Nacht keine wirklich begründete Entschuldigung vorbringen konnte, würde sie ihm nie mehr trauen. Na schön! Mit Axandrias würde sie auch allein fertig werden, wie sie es vorgehabt hatte, ehe sie Conan traf. Als sie durch den Bazar ging, brütete sie über die Beleidigung nach, die der Cimmerier ihr ins Gesicht geschleudert hatte. Die Menschen gingen dem irren Funkeln in ihrem Auge eilends aus dem Weg. Ziellos wanderte sie den größten Teil des Vormittags umher. Es gab nichts zu tun, aber sie wollte nicht zurück in die Kammer, die sie mit Conan teilte. Früher hatte sie die Zeit immer schnell vergehen lassen, indem sie sich in ihren Umhang wickelte, sich irgendwohin setzte und an nichts dachte. Diese Angewohnheit hatte viel dazu beigetragen, daß die Leute sie für verrückt hielten. Aber im jetzigen Zustand war es ihr unmöglich, so dazusitzen. Sie verbrachte daher einige Stunden auf der Stadtmauer. Hier oben war sie ganz allein, eine Wohltat nach der Menschenmenge in der Stadt. Sie warf ihren Umhang ab, zückte die Waffen und ging eine Reihe von anstrengenden Übungen mit Schwert und Dolch durch. Sie stieß, schlug und parierte die Schläge eines Phantomgegners, durchbohrte Lungen, wirbelte herum, um den Feind im Rücken abzuwehren. Die Klingen und ihre Rüstung beschrieben glitzernde Linien im Sonnenlicht, als sie ihre komplizierten, beinahe tanzartigen Schritte ausführte. Falls jemand in der Stadt sie beobachtete, wagte er es nicht, sich ihr zu nähern. Sie sah aus wie eine Raubkatze, die mit ihrer Beute spielte.
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Schließlich stand sie keuchend da, der Körper schweißüberströmt. Die harten Übungen hatten sie etwas beruhigt, aber keineswegs ihre Wut besänftigt. Sie steckte die Waffen zurück in die Scheiden und setzte sich im Schneidersitz auf den Umhang. Sie bewegte keinen Muskel, während ihr die Nachmittagssonne den Schweiß auf der Haut trocknete. Ein Laut außerhalb der Mauer riß sie aus dem beinahe tranceähnlichen Zustand, in den sie gefallen war. Sie spähte nach Osten hinaus, um zu sehen, was ihre Ruhe gestört hatte. Dann sah sie die Kette von Reitern, welche sich dem Stadttor näherte. Auf die Entfernung hin konnte sie sie nicht genau identifizieren; aber aus der Art des Reitens schloß sie, daß die meisten gefesselt waren. Ihr Herz klopfte schneller, als sie aufstand, um besser sehen zu können. Könnten das die Gesuchten sein? Sie schüttelte den Kopf und verbesserte sich. Es gab nur einen einzigen Mann, den sie finden wollte. Am Rest war sie nicht mehr interessiert. Die anderen konnten von ihr aus noch tausend Jahre leben. Die Reiter waren kurz vor dem Tor. Wenn es wirklich Taharka und seine Sklavenjäger waren, mußten sie über den Marktplatz, um ihre Gefangenen in den Sklavenpferch zu bringen. Schnell warf sie den Umhang über und lief leichtfüßig die Stufen zur Straße hinab. Dann zwang sie sich, langsam weiterzugehen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Auf dem Marktplatz suchte sie sich einen Hauseingang, der im Schatten lag. Kaum hatte sie dort Stellung bezogen, da kam die Sklavenkarawane, lautstark begrüßt, auf den Platz. Kalya stockte der Atem, als zwei blonde Männer in ihr Gesichtsfeld ritten. Doch dann entspannte sie sich, da keiner der beiden Axandrias war. Es mußten die beiden Gundermänner sein. Sie waren ein Paar Wölfe aus dem Norden und sahen sehr gefährlich aus. Die beiden führten eine Reihe von Pferden, auf denen Männer mit gefesselten Händen saßen. Die Gefangenen waren still und blickten ins Leere, was darauf hindeutete, daß man sie schon unter Drogen gesetzt hatte.
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Der nächste Reiter zwang ihr stumme Bewunderung ab. Groß, gutaussehend, exotisch, dunkelhäutig – das konnte nur Taharka sein! Er ritt mit absolut königlicher Haltung. Bei jedem gewöhnlicheren Mann hätte die farbenprächtige bestickte Kleidung aufgeputzt gewirkt. Bei ihm jedoch vollendete sie die außergewöhnliche Erscheinung. Kalya war so von ihm gebannt, daß sie beinahe den kleineren Reiter hinter ihm übersehen hätte. Ihr Blut kühlte sich ab, als sie sah, wer der Mann war. Wie es der Zufall wollte, blieb der Reiter am Brunnen stehen, um zu trinken. Sie musterte ihn scharf. Er hatte sich kaum verändert. Immer noch gutaussehend, aber mit einer Verschlagenheit, die seinen Anblick abstoßend machte. Er saß hervorragend im Sattel und beugte sich mit unverschämter Anmut zum Wasserstrahl herab. Dann sah er Kalya. Reglos stand sie da, zu stolz, sich zu verstecken. Sie sah, daß er sie musterte, und las von seinem Gesichtsausdruck ab, daß er sie nicht erkannte. Das war auch kaum zu erwarten, da es viele Jahre her war, seit er sie gesehen hatte, und sie jetzt mit Sicherheit nicht mehr das kleine Mädchen der letzten Begegnung war. Nachdenklich runzelte er kurz die Stirn, ritt aber dann betont uninteressiert weiter zur Herberge. Nachdem er weg war, zitterte Kalya am ganzen Leib. Es war nicht aus Angst, sondern das übermächtige Gefühl, endlich das gesuchte Beutetier aufgestöbert zu haben. Seit ihrer Kindheit hatte sie ihr ganzes Leben damit verbracht, diesen Mann zu verfolgen, um ihn zu töten. Die ganze Zeit über hatte sie ihn nie zu sehen bekommen, war nie wirklich sicher gewesen, daß er nicht gestorben und ihrer Rache entkommen war. Jetzt hatte sie Gewißheit, auch die Gewißheit, daß der kritische Höhepunkt ihres Lebens erreicht war. Wäre sie etwas philosophischer und nicht so verbissen gewesen, hätte sie vielleicht bedacht, daß eine junge Frau von nicht einmal zwanzig noch viele Jahre vor sich hatte und daß es zu früh war, jetzt schon das Ende zu erwarten. Doch Rache wütete schon so lange in ihr, daß ihr dieser Gedanke nie gekommen war. Hätte jemand ihr
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vorgehalten, daß ihre Konzentration auf Haß und Vergeltung eine Verschwendung ihres Lebens sei, hätte sie diesen Gedanken als absurd von sich gewiesen. In ihrer und Conans Welt waren der tägliche Kleinkram und die sorgfältige Planung eines langen und erfüllten Lebens nur Sorgen kleiner, unwichtiger Menschen. Wer das Herz eines Helden besaß und sich für die Straße der Könige entschieden hatte, mußte jegliche Erwartung eines friedlichen Lebensabends verschmähen. Wenn das Leben Würze und Spannung haben sollte, mußte man bereit sein, es jederzeit bedenkenlos fortzuwerfen. Doch an dies alles dachte Kalya nicht, als sie durch die alten gewundenen Straßen Crotons ging. Ihre Faust war um den Schwertgriff unter dem Umhang geballt. Sie fühlte eine beinahe ekstatische Hochstimmung. Endlich war der Feind in Reichweite! Ihr wurde bewußt, daß sie sich von Gefühlen beherrschen ließ, das sichere Ende für jemanden, der sich auf einen Kampf auf Leben und Tod einließ. Als sie das Schild einer Schenke erreichte, ging sie hinein, setzte sich an das einzige Fenster und bestellte Wein. Beim Trinken des kühlen Roten überdachte sie ihre Aussichten. Sie bemühte sich, den Lehren ihres Waffenmeisters zu folgen, die Wut zu vergessen und statt dessen leidenschaftslos das anstehende Problem zu überdenken. Sobald die Situation ganz klar vor ihr lag, wäre sie fähig, einen Plan auszuarbeiten, wie sie ihr Ziel erreichte, ohne dabei getötet zu werden. Ihr Lehrer hatte stets darauf hingewiesen, daß in manchen Situationen ein Sieg unmöglich sei und man daher das Vorhaben aufgeben müsse. Doch an diese Möglichkeit wollte sie jetzt nicht denken. Es gab auch noch einen dritten Weg, hatte man ihr gesagt. Manchmal konnte man sein Ziel nur erreichen, wenn man sein eigenes Leben opferte. Dies sollte man nur in äußerster Notlage in Betracht ziehen, wenn zum Beispiel der Lehensherr den Tod eines Rivalen befahl und es nur die Möglichkeit gab, sich heimlich an die Seite des
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Feindes zu schleichen und ihn inmitten seiner Leibgarde niederzustechen. Doch sollte man ein so drastisches Mittel nicht leichtfertig einsetzen. Kalya war jedoch willig, eher bei der Ausführung ihrer Rache zu sterben, als sie aufzugeben. Sie dachte über die Aussichten nach. Die Bossonier waren tot, Axandrias hatte noch drei Kumpane. Nachdem sie diese gesehen hatte, war ihr klar, daß die Bossonier die ungefährlichsten der Bande gewesen waren. Die beiden Gundermänner waren Feinde, mit denen man rechnen mußte, da sie ihrer Meinung nach lange Erfahrung in gemeinsamem Kampf hatten. Geriet ein einzelner Gegner zwischen sie, hatte er kaum eine Chance. Der Keshanier war noch mehr zu fürchten. Sie hatte schon viele Männer gesehen, die ein martialisches Äußeres zur Schau trugen, um ihre Feigheit zu verhehlen. Aber das geübte Auge einer Kriegerin hatte ihr verraten, daß dieser Mann ebenso unbezwingbar war wie sein Aussehen. Die leichte Drehung im Sattel bewies die Körperbeherrschung eines Meisters mit dem Schwert. Welche Bosheit der Götter hatte aus diesem prachtvollen Geschöpf einen elenden Banditen und Mörder gemacht? Kalya schob die Frage als unwichtig beiseite. Es zählte schließlich nur Axandrias. Wie konnte sie ihn töten, ohne selbst getötet zu werden? Noch gestern wäre die Beantwortung der Frage leicht gewesen: Sprich mit Conan darüber und denk dir eine Möglichkeit aus, alle vier umzubringen, entweder einen nach dem anderen oder paarweise. Vielleicht sogar alle auf einmal. Mit dem Cimmerier an der Seite wäre das durchaus denkbar gewesen. Aber jetzt verbot ihr der Stolz, ihn um Hilfe zu bitten. Es wäre recht einfach gewesen, Axandrias zu ermorden; aber das kam nicht in Frage. Es mußte von vorn geschehen. Er mußte erfahren, wer sie war und warum er sterben mußte. Alles andere wäre unbefriedigend. Es würde auch nichts nützen, Axandrias zu einem Duell herauszufordern. Diese Kerle kannten keine Ehre. Axandrias
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würde sein Schwert zücken, um sie von vorn abzulenken, während die anderen sie von hinten kaltlächelnd niedermachen würden. Kalya hatte einen kleinen Vorsprung. Er hatte sie nicht erkannt. Vielleicht konnte sie sich nähern, ohne daß er wußte, wer sie war und was sie vorhatte. Vielleicht konnte sie sogar sein Vertrauen gewinnen. So sehr sie diesen Gedanken verabscheute, wußte sie doch genau, daß er sich viel darauf einbildete, jeder Frau mit seinem Charme die Sinne rauben zu können. Auch das konnte sie gegen ihn einsetzen. Die Sonne versank schon hinter dem Türmchen des Hauses auf der anderen Straßenseite, so daß Kalyas Tisch in tiefem Schatten stand. Zeit zu gehen. Sie leerte den Becher und verließ die Schenke. Sie war nicht allein, als sie in Wanderers Paradies ging. Die Kämpfe dort machten die Herberge zum Zentrum aller Vergnügungssüchtigen, wenn die Läden und Märkte schlossen. Einheimische und Fremde drängten sich zu der großen Karawanserei, um zu wetten und das Blutvergießen zu bejubeln. Kalya hatte heute auch Lust auf etwas Blutvergießen. Wie üblich herrschte in der Herberge riesiges Gedränge. Sie drückte dem Türsteher einige Münzen in die Hand und trat ein. Eine Schankmaid kam mit einem Tablett voller Weinbecher auf sie zu; aber Kalya winkte ab. Das Mädchen schnitt ihr hinterrücks eine Grimasse. Kalya gehörte nicht zu den beliebtesten Gästen, da sie selten Wein bestellte, sondern sich ganz auf die Kämpfe konzentrierte. Im Schankraum blieb sie bei einer Schmucktruhe aus exotischem Holz und Bronze stehen, die Elfenbeinintarsien der kushitischen Kunstschule aufwies. Wie erhofft, saßen die Sklavenhändler an dem großen Tisch neben der Arena. Sie wollte gerade hinübergehen, als ein fünfter Mann an den Tisch trat. Kalya verschluckte einen Fluch, als sie den Mann erkannte. Der Hyperboräer! An den langen Abenden, die sie mit Conan in der Herberge gewartet hatte, hatten sie sich die Zeit damit vertrieben, die Gäste zu beobachten und sie mit den Augen von Kriegern zu beurteilen. Es gab viele zähe
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Männer, die ihre Waffen zu führen wußten. Darunter waren Schutztruppen der Karawanen, Banditen oder bezahlte Söldner. Aber keiner hatte Kalya oder Conan als gefährliche Gegner beeindruckt. Nur der große Hyperboräer war eine Ausnahme. Conan hatte erklärt, daß er diese Nation und alle Bewohner zutiefst verabscheute; aber Kalya wußte, daß alle Nordländer die Bewohner der anderen Länder im Norden haßten. Der Cimmerier hatte – wenn auch ungern – zugegeben, daß dieser Hyperboräer selbst für ihn kein leichter Gegner wäre. Hatte er sich jetzt diesen Banditen zugesellt? Aber das war nicht mehr ihr Problem! Conan mußte mit dem Mann fertig werden, wenn er die überlebenden Sklavenjäger stellte. Ihre Gedanken galten einzig und allein Axandrias. Sie holte tief Luft und ging gespielt gelangweilt zum Tisch neben der Sklavengrube hinüber. Taharka war in ein Gespräch mit seinem neuen Gefolgsmann vertieft. »Sag mir, mein Freund, was weißt du über einen großen jungen Cimmerier, der abends oft hierherkommt?« »Der junge Cimmerier?« Kuulvo zog eine Augenbraue hoch. »Ich habe ihn gesehen. Er redet nicht viel und ist meist in Begleitung eines einäugigen Weibsstücks. Wir haben uns einmal abends über Kampfkunst unterhalten. Wahrscheinlich kann er wie alle in seinem Volk mit dem Schwert gut umgehen; aber er ist ein unerfahrener junger Bursche. Möchtest du ihn rekrutieren?« »Hältst du ihn für einen wertvollen Zuwachs?« fragte Taharka unverbindlich. »Er ist mindestens so gut wie der Rest, den du hast. Aber seine Nation und meine Nation sind Feinde. Früher oder später würde es zu einem Schwertkampf zwischen uns kommen. Dann würde ich ihn töten, und du hättest keinen ...« Er brach ab, als die Menge zwischen den Tischen eine Lücke ließ, so daß er die Frau im Umhang erblicken konnte. »Wer ist das?« murmelte Kuulvo vor sich hin. »Die Einäugige!
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Und anscheinend ohne Begleiter.« Kalya trat an die Seite des Tisches und musterte alle unverschämt aus ihrem einen Auge. Ihr Blick schweifte über Axandrias und blieb auf Taharka haften. »Bist du der Fremde, der die Sklaven hier kämpfen läßt?« Ihre rauhe Stimme klang herausfordernd. »Ja, der bin ich«, antwortete Taharka mit amüsiertem Lächeln. »Hast du einen Kämpfer, den du gegen einen von mir antreten lassen willst?« »Ich hörte, daß du jedem freien Herausforderer eine gut gefüllte Börse bietest.« Die Männer am Tisch hörten auf zu reden. Schweigen breitete sich aus. Blitzschnell lief ein Raunen durch die Menge, daß an Taharkas Tisch etwas Interessantes stattfinde. Alle Ohren waren weit offen. »Dies biete ich in der Tat«, sagte Taharka. »Doch bis jetzt hatte noch kein Mann den Mut, das Angebot anzunehmen. Eintausend aquilonische Goldkronen für den, der gegen einen meiner Kampfsklaven in die Arena geht. Nochmals tausend, wenn er lebend wieder herauskommt. Wenn ihm das nicht gelingt, wird das Gold an den ausbezahlt, den er vorher bestimmt hat. Wer ist dein Herausforderer? Der Cimmerier, von dem ich schon hörte?« »Nein«, antwortete Kalya. »Ich selbst.« Sie zog den Umhang über den Kopf und ließ ihn zu Boden gleiten. Vor Überraschung verstummten alle. Dann folgten Fußstampfen und donnernder Applaus. Kalya war in der bizarren Mischung aus Rüstung und Nacktheit auch für Männer, die schon viel Seltsames gesehen hatten, ein ungewohntes Bild. »Du willst in der Arena kämpfen?« Taharka strich sich durch den parfümierten Bart und überlegte. »Sie hat doch keine Chance, Anführer«, sagte der Hyperboräer. »Na und?« Taharka war ehrlich überrascht. Er wandte sich wieder an Kalya. »Welche Waffen wählst du?« »Du siehst sie vor dir«, sagte sie und kreuzte die Arme vor dem Körper. Blitzschnell hatte sie Schwert und Dolch gezückt. Die blanken Klingen blitzten im Licht der Kerzen und Fackeln. Das Publikum brach
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in blutrünstiges Gebrüll aus. Taharka überflog die Gesichter, die zu seinem Tisch blickten. Alle glänzten vor Gier nach Blut oder Fleisch. Die Sache lief hervorragend. Zwar hatte er die Sklaven noch nicht mit Waffen dieser Länge ausgebildet; aber das spielte keine Rolle. Die mit Drogen vollgepumpten Männer würden Schnitte von diesen scharfen und leichten Klingen kaum spüren. Sollte entgegen aller Erwartung die Frau gewinnen und das Experiment überleben, würde diese Sensation den Verlust mehr als aufwiegen. Am besten wäre ein Doppeltod. »Du bist eine freie Frau«, erklärte Taharka, »und kannst dein Leben wegwerfen, wenn du willst. Ich nehme deine Herausforderung an.« Wildes Geschrei folgte dieser Erklärung. »Der Wirt wird die Gewinnsumme aufbewahren.« Er nickte dem Dicken zu. Eilfertig holte der Wirt eine Eisenschatulle, um sie mit dem Gold zu füllen. Er rieb sich vor Freude die Hände, als er an den Profit dachte, den er bei einem solchen Kampf machen würde. Eine Amazone tot im Sand! Das würde die Sensation des Jahres werden und sein Geschäft verdoppeln. »Mein Mann wird mit Kurzschwert und Schild kämpfen«, sagte Taharka. »Ich habe niemanden ausgebildet, mit einem solchen Messerchen umzugehen, wie du es hast. Ist dir das recht?« Seine Augen funkelten vor boshafter Freude. Kalya hob die Schultern. Die wohlgeformten Muskeln an Hals und Schultern bewegten sich anmutig unter der glänzenden Haut. »Mir ist das alles einerlei.« Taharka wandte sich an den Hyperboräer. »Geh in den Pferch und wähl einen von denen aus, die heute abend kämpfen sollten. Er sollte schnell sein und mit dem Schwert umgehen können.« »Wie du befiehlst, Herr«, sagte Kuulvo. Er stand auf und ging. »Nun, tapfere Maid«, sagte Taharka. »Du brauchst einen Betreuer, der dich in die Arena begleitet. Er wird dir den Waffengurt halten, damit du beim Kampf nicht davon behindert wirst. Möchtest du, daß dein Körper eingeölt wird? Das ist so üblich.«
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»Normalerweise darf kein Mann meinen Körper berühren«, sagte sie. »Aber wenn es so üblich ist, nehme ich an.« Sofort erhob sich großes Geschrei unter den anwesenden Männern, die sich alle freiwillig meldeten, diese Dienstleistung zu übernehmen. »Hervorragend«, sagte Taharka. Er wandte sich an die Gunderbrüder. »Wolf, hol das Öl...« »Nein!« Kalya trat zu Axandrias und steckte die Klingen wieder ein. Mit den bloßen Fingern der rechten Hand strich sie ihm übers bärtige Kinn. »Der hier ist der hübscheste von euch. Ich wette, seine Hände sind so weich wie sein Bart. Er soll mein Betreuer sein.« Pfeifen und Johlen folgten ihren Worten. Taharka lachte schallend. »Wie du willst! Dieser hübsche Bursche wird sich um dich kümmern. Axandrias, mach deine Sache gut!« Axandrias hatte die junge Frau mit offenem Mund angestarrt, seit sie den Umhang abgelegt hatte. Noch nie hatte er einen so wunderschönen Körper gesehen. Die raubtierartigen Muskeln betonten die verführerischen weiblichen Kurven. Wen störte es, daß sie nur ein Auge hatte? Als sie ihm den Bart gestreichelt hatte, war sein Mißtrauen wie Schnee in der Wüstensonne geschmolzen. Er stand auf und machte mit schwungvoller Armbewegung eine tiefe Verbeugung. »Es wird mir eine Ehre sein, einer so schönen Dame dienen zu dürfen.« Die Männer machten lüsterne Bemerkungen und Gesten, als er eine der Schankmaiden ins Badehaus schickte, um eine Flasche Duftöl zu holen. Als sie das Öl gebracht hatte, stieg er mit Kalya zum Boden der Arena hinab. Kalya reckte und streckte sich, um ihren Körper richtig zur Geltung zu bringen. Dann fragte sie Axandrias: »Worauf wartest du? Öl mich ein!« Grinsend und unter den Anfeuerungsrufen der Zuschauer verteilte er das Öl auf Kalyas Schultern und Rücken. Sie lächelte und posierte für die Menge. Dabei hatte sie größte Mühe, nicht vor der Hand des Mannes zurückzuschrecken, den sie töten wollte. Er verstrich das Öl
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auf ihrem nackten Schenkel. Seine Hand blieb dort länger als nötig, dann auf dem straffen Bauch. Er streichelte ihr über die Rippen unter der von der Rüstung bedeckten rechten Brust. Dann glitten seine Finger zu ihrer nackten linken Brust hinüber. In diesem Augenblick schoß ihre behandschuhte Linke, zur Faust geballt, vor und traf ihn am Kinn, so daß er nach hinten zu Boden stürzte. Das Publikum applaudierte lautstark, brach aber entsetzt ab, als sie das Schwert herausriß und dem Aquilonier die Spitze an die Kehle setzte. »Ich bin nicht hergekommen, um mit einem von Drogen halbbetäubten Sklaven zu kämpfen, Axandrias«, zischte sie. »Sondern deinetwegen! Steh auf und zieh!« Axandrias rieb sich das Kinn und stand mühsam auf. »Was soll das heißen, du elende Hure? Was habe ich ...« »Möchtest du sehen, was deine Hände angerichtet haben, du feiger Hund? Möchtest du sehen, was das glühende Eisen Kalya angetan hat? Dann schau her!« Sie hob die Augenklappe. Man sah nur eine scheußlich vernarbte Grube ohne eine Spur des Auges. »Kalya!« krächzte er. Sein Gesicht war aschfahl geworden. »Aber Kalya starb vor langer Zeit!« »Soviel Glück hattest du nicht, Mörder!« fuhr sie ihn an und umschlich ihn wie ein Panther. »Der Dolchstich durch meinen Hals zerstörte meinen Gesang, aber du hast mich damit nicht getötet. Ich verstehe aber, warum du mich für tot hieltest. Eine solche Wunde reicht normalerweise aus, um ein neunjähriges Mädchen zu töten! Jetzt zieh endlich dein Schwert, oder ich spieße dich Wurm auf, so wie du es verdienst.« Sie sprang vor und zielte, aber er wich geschickt nach hinten aus und zückte die eigene schmale Klinge. Zweimal erklangen die Schwerter, dann stieß Axandrias sich von der Wand ab und zwang sie zum Rückzug. »Du hättest mit deiner Mutter sterben sollen, du Miststück. Na
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schön, damals hatte ich keinen Erfolg, aber jetzt kann ich die Sache bereinigen!« Er überschüttete sie mit wilden Hieben, aber sie wehrte alle mit ihrer beidhändigen Verteidigung ab. Sie lächelte eisig, als sie seine Hiebe parierte und ihn langsam wieder zurückdrängte. Das Publikum tobte vor Begeisterung über diese phantastische Vorstellung. Taharka blickte leicht verwirrt in die Arena, als Kuulvo mit einem Sklaven an der Leine zu ihm trat. »Was ist denn das?« fragte der Hyperboräer. »Konnten sie nicht warten?« »Es scheint, daß das Weib gegen Axandrias einen alten Groll hegte und ihn trickreich überlistete, mit ihr in die Arena zu steigen.« »An Können mangelt es ihr nicht«, sagte Kuulvo. »Vielleicht hast du bald einen Gefolgsmann weniger. Geschieht ihm recht, wenn er nicht einmal ein Weib besiegen kann.« »Oh, so weit lasse ich es nicht kommen«, widersprach Taharka. »Schließlich muß ich auf meinen guten Ruf bedacht sein. Wie kann ich mir die Ergebenheit meiner Männer bewahren, wenn sie annehmen müssen, ich lasse sie wegen einer Ehrensache sterben?« Der Beifall verdoppelte sich, als Kalya Axandrias gegen die Mauer trieb. Sie warf den ganzen Körper in einen Stoß, der ihn an die Wand gespießt hätte, wenn er nicht in letzter Sekunde durch einen schnellen Sprung zur Seite hätte ausweichen können. Er überschlug sich wie ein gelernter Akrobat. Einige bejubelten seine Nummer, andere buhten ihn wegen seiner Feigheit aus. »Es reicht«, erklärte Taharka. »Wolf, Gunter, in die Arena und erledigt das Weibsstück!« Lautes Protestgeschrei brach aus, als die blonden Riesen in die Kampfgrube stiegen. »Nein! Wir wollen einen fairen Kampf!« riefen viele. Die beiden scherten sich nicht darum. Kalya fluchte wie ein Beserker, als sie die beiden auf sich zukommen sah. Noch fünf oder sechs Hiebe, dann hätte Axandrias tot auf ihrem Schwert gesteckt; aber der Kampf hatte zu lange gedauert. Sie hatte ihn töten wollen, ehe seine
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Kumpane ihm zu Hilfe kommen konnten; aber er war so schnell und geschickt gewesen wie eine glatte Otter. Kalya wich zurück zur Wand, als die Gundermänner mit ihren breiten Klingen auf sie zukamen. Axandrias hatte sich neben sie postiert. Sein Gesicht war nicht mehr angstverzerrt. Er grinste tückisch. Wutschreie kamen aus der Menge, als die drei Männer gegen die eine Frau losgingen, die jetzt so zerbrechlich aussah. Doch dann wurde es ganz still. Eine fünfte Gestalt sprang in die Arena und landete katzengleich hinter den drei Männern. Sie wirbelten herum, als sie den markerschütternden Kriegsruf hörten. »So leicht nicht, ihr elenden Hunde!« schrie Conan. »Dreht euch um und stellt euch einem, der lieber Gunderblut als Bier trinkt!« »Cimmerier!« brüllte Gunter. »Wir werden dich am lebendigen Leib zerstückeln, ehe wir uns an deiner Hure vergnügen.« Die beiden gingen gegen Conan vor, während Kalya wieder zum Angriff auf Axandrias ansetzte. Sie hätte vor Erleichterung weinen können. Nicht weil Conan ihr das Leben rettete, sondern weil er ihr eine zweite Gelegenheit bot, ihre Beute zu töten. Das ganze Haus bebte vor Geschrei und hektischen Wetten. Nur zwei Männer sahen mit eiskalter Berechnung zu. »Soll ich ihnen helfen, Anführer?« fragte Kuulvo. »Nein«, erklärte Taharka und strich sich mit den Fingern durch den Bart, bis die Ringe aufblitzten, »sechs sind zuviel für diese Arena. Da könnte einer leicht durch Zufall getroffen werden, und was wäre damit gewonnen? Nein, unsere drei werden schon mit den beiden fertig.« »Da bin ich nicht so sicher«, widersprach Kuulvo. »Der Cimmerier würde selbst mir beträchtliche Schwierigkeiten machen.« In der Arena wogte ein erbitterter Kampf. Alle wollten den Tod des Gegners, nichts weniger. Die Gundermänner griffen Conan gleichzeitig an. Er hatte Mühe, die sausenden Hiebe mit seiner Klinge zu parieren. Er hielt sein Breitschwert mit beiden Händen; aber selbst die zusätzliche Hebelwirkung half ihm im Hagel der Schläge nur wenig.
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Er sah eine Öffnung, als einer der Brüder mit dem wutschnaubenden Axandrias zusammenprallte. In der Sekunde, als Wolf das Gleichgewicht verloren hatte, traf ihn Conans Schwert in der Mitte und durchschnitt mühelos die Rüstung. Blut spritzte über den Kampfplatz. Gunter schrie vor Wut auf und verdoppelte seine Attacken. Da Conan jetzt nicht mehr so unter Druck stand, wehrte er die Schläge des Gegners ohne große Schwierigkeiten ab. Als er zum Todesstreich ansetzte und vorsprang, rutschte er in einer Blutlache aus. Dank seines hervorragenden Gleichgewichtssinns konnte der Cimmerier sich noch fangen, war aber einen Augenblick lang vornübergebeugt und damit verwundbar. Zähnefletschend hob Gunter die Klinge und sprang herbei, um Conan an der Wirbelsäule zu durchbohren. Axandrias hatte sich bei seiner Attacke zu weit vorgebeugt. Ein Schlag von Kalyas Schwertknauf schickte ihn in den Sand. Hilflos erwartete er den Todesstreich, doch Kalya zögerte. Sie genoß den Moment. Da sah sie, wie Gunter das Schwert über Conan schwang. Ohne zu denken, ließ sie Axandrias liegen und stieß dem Gundermann den Dolch bis zum Heft in die Achselhöhle über dem Kettenhemd. Gunter erstarrte, dann löste sich aus seiner Kehle ein Todesschrei. Als sie sich umdrehte, um Axandrias ebenfalls zu töten, kletterte dieser gerade die Stufen aus der Arena hinauf. Sie schrie vor Wut und Enttäuschung und lief los, Conan auf den Fersen. Die Herberge bebte, als ein ungeheures Jubelgeschrei sie begrüßte. Der Wirt kam ihnen mit ausgebreiteten Armen entgegen. Sein Gesicht war vor Aufregung tiefrot. »Fünftausend!« schrie er. »Fünftausend jeden Abend, wenn ihr in meiner Arena kämpft. Wir werden alle reich!« Conan schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht, so daß er seitwärts taumelte. »Wo sind die Sklavenhändler? Wir wollen sie haben!« Er blickte suchend umher; aber die aufgeregte Menschenmenge erschwerte es, jemanden zu entdecken.
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Auf der anderen Seite des Schankraums berieten sich Taharka, Axandrias und Kuulvo. »Das sind Dämonen, Herr«, keuchte Axandrias. »Laßt uns so schnell wie möglich fortreiten.« »Dein Rat ist besser als deine Schwertkunst, Freund«, sagte Taharka. »Und nun zur Sache. Die Menge könnte leicht über unsere unsportliche Taktik ungehalten werden. Axandrias, geh und hol unsere besten Pferde. Ich packe inzwischen so viel Gold zusammen, wie ich finden kann. Kuulvo, du kommst mit mir!« Conan glaubte Taharka zu sehen und bahnte sich energisch mit Kalya im Schlepptau einen Weg zu dem Schurken. Da brach vor dem Haupteingang Tumult aus. Die Leute, die dort gestanden hatten, wurden beiseite gestoßen. Eine Schar Bewaffneter drang ein. »Soldaten des Königs! Soldaten des Königs!« riefen jene, welche zurückgestoßen wurden. Schweigen breitete sich aus, als die Männer hereinkamen. Als erstes sah man zwei Offiziere, einer trug nemedische Rüstung, der andere die Uniform des Königs von Aquilonien. Hinter ihnen kamen Bewaffnete in Rüstung mit Schwertern und Stäben mit Eisenspitzen, die mit Haken besetzt waren, um damit Fliehende zurückzuholen. »Ruhe!« brüllte der aquilonische Hauptmann. »Wir suchen eine Bande von Sklavenhändlern, die unsere beiden Nationen überfallen haben und freie Männer in Ketten mitnahmen. Sie haben auch die königlichen Scharfrichter betrogen. Alles bleibt hier, während wir suchen!« Die Augen des nemedischen Offiziers wurden groß. Strahlen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Mitra sei gepriesen! Die Hälfte aller noch nicht gehängten Schurken ist hier versammelt! Treibt sie zusammen, Männer. Hier gibt es massenhaft Kopfgeld zu verdienen.« Als die königlichen Soldaten vorwärtsstürmten, brach die Hölle los. Männer sprangen aus den Fenstern, kletterten die Pfosten hoch, um die Galerien zu erreichen, liefen in Richtung Keller oder versuchten mit Gewalt an den Soldaten vorbeizukommen. Fackeln wurden aus den
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Haltern gerissen und in den Teich geworfen, wodurch alles dunkel und das Chaos noch größer wurde. Kalya packte Conans Arm. »Komm, wir müssen weg! Sie werden alle einfangen, und dann sitzen wir monatelang in irgendeinem Verlies herum, bis alle aussortiert sind.« »Wenn das passiert, sind uns die beiden für immer entwischt«, sagte Conan. »Los!« Er nahm ihre Hand und schaffte es bis zur nächsten Treppe. Kraftvoll bahnte er ihnen einen Weg nach oben. Manchmal packte er den Nächstbesten am Gürtel und schleuderte ihn übers Geländer. Auf diese Weise gelangten sie auf den obersten Balkon. Hinter ihnen keuchten schon die Soldaten die Treppe herauf. Sie hörten Klingen klirren. Conan griff eine Schankmaid an der Schulter. »Schnell, gibt’s einen Weg aufs Dach?« »Nein«, antwortete das zu Tode erschrockene Mädchen. »Mein Herr hat Angst, daß Gäste ohne zu zahlen abhauen.« »Möge Crom alle fressen! Kalya, warte hier einen Augenblick!« Der Cimmerier sprang auf das Geländer. Trotz der Dunkelheit war er so sicher wie eine Bergziege. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und langte nach der Kante des Daches über ihm. Er konnte sie mit den Fingerspitzen gerade erreichen. Kalya stockte fast der Atem, als er sich nach außen abstieß und über die Kante zog. Sein Schwert klirrte, als er sich bäuchlings aufs Dach warf. Kalya hörte eisenbeschlagene Stiefel hinter sich. Die Soldaten des Königs. Einer blickte in ihre Richtung und rief. »Da ist einer der Halunken. Los, fangen wir ihn.« Sie kamen auf Kalya zu. Doch da streckte ihr Conan die Hand hin. Verzweifelt packte sie den kräftigen Unterarm über dem schweren Bronzearmreif. Mit ungeheurer Muskelanstrengung zog er sie nach oben. Eine Hand griff noch nach ihrem Schwertgurt, rutschte aber ab. Ihr Magen verknotete sich, als sie frei über dem Innenhof schwang. Im
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nächsten Augenblick lag sie schon neben Conan auf dem kühlen Bleidach. Selbst nach seinen bisherigen Beweisen staunte sie über die ungeheure Stärke des jungen Cimmeriers. Unten hörten sie, wie jemand verdutzt fragte: »Wo ist er hin? Bei Set! Dieser Schurke hatte den weichsten Hintern, den ich je bei einem Mann gefühlt habe!« Die beiden auf dem Dach hielten sich die Hand vor den Mund, um nicht laut herauszuplatzen und damit ihr Versteck preiszugeben. »Komm«, flüsterte Conan, »wir müssen zurück zu unserer Herberge. Unsere Pferde und unsere Sachen sind dort.« Kalya folgte ihm zur Dachkante. Zwischen der Herberge und dem nächsten Haus lag eine schmale Gasse. Es war dunkel, aber ihr wurde bei dem Gedanken an den leeren Raum unter ihr ganz mulmig. »Spring!« befahl Conan. »Es ist nicht weit.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Cimmerier. Lieber gehe ich zurück und kämpfe mir den Weg mit dem Schwert frei.« »Wenn du nicht springen willst, mußt du eben fliegen, mein Vögelchen!« Er packte sie an den Riemen ihrer Rüstung. Sie protestierte, als er sie hochschwang. Dann kam ein grauenvolles, schwereloses Gefühl – und schon landete sie auf dem Strohdach des Nebenhauses. Sie rutschte zurück, konnte sich aber noch vor der Kante fangen. Ein Schlag neben ihr verkündete Conans Eintreffen. »Jetzt über den First«, befahl er. Sie kletterte hinter ihm über den First und auf der anderen Seite hinab. Zum Glück grenzte das Haus direkt an eines mit flachem Dach. Sie überquerten es. Danach kam schon die halb verfallene Stadtmauer. Ein kurzer Lauf, dann waren sie an ihrer Unterkunft, in die sie durch ein offenes Fenster im oberen Geschoß einsteigen konnten. In der Kammer rafften sie schnell ihre Habe zusammen. In der Ferne hörten sie, wie der Tumult näher kam. »Bei Crom, Mädchen!« sagte Conan. »Zuerst dachte ich mir ja nichts, als du weg warst. Aber als es dunkel wurde, befürchtete ich, daß du
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irgendeinen verrückten Plan schmieden könntest. Ein Glück, daß ich noch rechtzeitig zur Arena kam.« »Ich sollte wütend auf dich sein«, sagte sie. »Aber du hast mir das Leben gerettet. Also stehe ich in deiner Schuld.« Sie stopfte die letzten Sachen in die Satteltasche. »Du hast meins gerettet, also sind wir quitt. Außerdem hat es mir gutgetan, den Gundermann zu töten. Ich wünschte, ich hätte den anderen auch erledigt; aber unter diesen Umständen ist alles noch mal gutgegangen. Los, nichts wie weg, ehe die Soldaten des Königs das Tor dichtmachen!« Sie schlichen sich in den Stall und sattelten die verschlafenen Pferde. Dann ritten sie so schnell wie möglich in der Dunkelheit zum Tor. Sie hätten sich keine Sorgen machen müssen. Männer flohen in großer Zahl hindurch, zu Fuß und zu Roß, daß die Soldaten keine Chance hatten, die Flut aufzuhalten. Beim Vorbeireiten entriß Kalya einem Mann einen Umhang, als Ersatz für den, welchen sie im Wanderers Paradies hatte zurücklassen müssen. Wenige Minuten später preschten die beiden in wilder Flucht durch die mondbeschienene Nacht. Kuulvo und Axandrias ritten hinter ihrem Anführer, als die Stadt Croton langsam in der Ferne verschwand. Da fiel dem großen Hyperboräer auf, daß Taharka tief über den Sattelknopf gebeugt ritt. War er bei der überstürzten Flucht aus der Herberge oder später in der Stadt verwundet worden? Er ritt an den Keshanier heran, packte ihn an der Schulter und richtete ihn auf. Verblüfft sah er, daß Taharka sich vor Lachen gekrümmt hatte. Tränen flossen ihm aus den Augen. »Hast du je so etwas gesehen?« fragte Taharka. »Chaos und Verwirrung! Das ist die wahre Freude meines Lebens, Freund. Blut und Wahnsinn wiegen alle Mühen auf!« Er brach wieder in Gelächter aus. Auch Kuulvo stimmte lauthals ein. »Ja, Anführer, du hast recht! Wie ich sehe, bin ich auf jemanden gestoßen, der die Welt mit den gleichen Augen sieht wie ich.« Die beiden lachten schallend weiter.
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Axandrias war froh, noch am Leben zu sein. Er war auch froh, die beiden Gundermänner los zu sein; aber jetzt hatte er das Gefühl, zwischen zwei Verrückte geraten zu sein. Er seufzte und schüttelte den Kopf, als sie in Richtung der blutigen Schlachtfelder um Ophir weiterritten. Als sie sicher sein konnten, daß niemand sie verfolgte, zügelten sie die Pferde und gingen im Schritt weiter. Da es unsinnig war, die ganze Nacht durchzureiten, wählten sie einen Lagerplatz in der Nähe eines Baches. Dürres Holz gab es in Hülle und Fülle. Während Conan die Pferde anpflockte und trockenrieb, entfachte Kalya mit Feuerstein und Stahl ein Feuer. Als Conan fertig war, saß sie auf dem gefalteten Umhang im Feuerschein. Er lächelte bei diesem Anblick. »Du hast in der Arena verdammt hübsch ausgesehen. Wird wohl am Öl gelegen haben.« »Dann hast du alles mitangesehen?« fragte sie. »Nicht um alles auf der Welt hätte ich das verpassen mögen«, antwortete er. »Solange du es nur mit Axandrias zu tun hattest, wollte ich nicht eingreifen. Doch als die Gundermänner hinabstiegen, wurde mir klar, daß ich mitmischen sollte.« »Hast du auch gesehen, wie ich ihm zeigte, was einmal mein Auge gewesen war?« Ihre heisere Stimme klang seltsam schüchtern. »Krieger haben viele Narben. Es sind Zeichen der Ehre. Wenn ein kleines Mädchen so etwas überlebt, ist es ein Beweis, daß sie eine wahre Kriegernatur hat.« »Danke, daß du das sagst.« Sie beugte sich über ihre Hände. Ihr eingeölter Körper schimmerte im Feuerschein golden. Sie schien in Gedanken weit weg zu sein. »Meine Mutter war eine sehr reiche, aber sehr einsame Witwe. Wir lebten in einem prächtigen Haus in Tarantia. Eines Tages besuchte uns ein gut aussehender junger Mann. Axandrias. Er stammte aus einer ordentlichen Familie und behauptete, ein Freund meines toten Vaters zu sein. Meine Mutter war ebenso vertrauensselig
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wie einsam. Schon bald besuchte uns der Schwindler täglich. Ich verabscheute ihn; aber meine Mutter duldete kein böses Wort gegen diesen Mann.« Sie holte tief Luft und fuhr fort: »Eines Tages kam ich von unseren Nachbarn zurück und fand zwei unserer Diener tot in ihrem Blut auf dem Boden des Atriums liegen. Ich rannte ins Zimmer meiner Mutter. Da war Axandrias mit noch zwei Männern. Meine Mutter saß nackt auf einen Stuhl gebunden. Die Männer folterten sie und schrien sie an, endlich zu verraten, wo ihr Reichtum versteckt sei. Ehe ich weglaufen konnte, hatte Axandrias mich schon gepackt. Er hielt mich vor sie. Dann nahm er einen glühenden Dolch aus dem Kohlebecken und näherte ihn meinem Auge. Dabei brüllte er, daß er mich blenden werde, wenn sie nicht redete. Ihr Entsetzen war so groß, daß sie die Kontrolle über die Stimme verlor. Das mißfiel Axandrias, und er drückte die glühende Klinge in mein Auge.« Conan sagte nichts, als sie die schreckliche Geschichte weiterberichtete. »Ich verlor das Bewußtsein, wie du dir vorstellen kannst. Als ich wieder aufwachte, hatte ich grauenvolle Schmerzen, aber was ich auf dem Stuhl sah, war viel, viel schlimmer. Ich hätte nicht geglaubt, daß dies meine Mutter war, hätte ich sie nicht vorher dort sitzen sehen. Ich versuchte, laut zu schreien, aber ich hatte keine Stimme mehr. Ich brauchte unendlich lange, um auf die Straße zu kriechen und Hilfe zu holen. Verwandte nahmen mich widerstrebend auf und sorgten dafür, daß ich eine gute Erziehung genoß. Obwohl ich nur ein Auge hatte und meine Kehle vernarbt war, hofften sie, daß meine Familienverbindungen eine gute Heirat ermöglichen würden. Doch diese Überlegungen waren unnötig.« Sie streichelte den Schwertknauf. »Ich heiratete das Schwert.« »Das war eine kalte Hochzeit«, bemerkte Conan. »Aber mir war sie recht! Als ich das Gefühl hatte, lange genug geübt
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zu haben, sagte ich Verwandten und Freunden Lebewohl und machte mich auf die Pirsch. Die beiden anderen erwischte ich schon innerhalb eines Jahres. Sie starben nicht schnell; aber ihre Qualen waren nichts im Vergleich zu denen meiner Mutter, als sie starb.« Conan nahm ihre Hand und zog sie hoch. »Wir werden beide unsere Rache stillen – du und ich«, gelobte er. »Aber heute nacht wollen wir sie vergessen.« Als er sie in die Arme schloß, legte sie die Hand gegen seine starke Brust. »Einen Augenblick. War unter denen, für die du Rache suchst, auch deine Frau?« »Ja«, sagte er. »Aber sie ist nun tot.« Er umschloß sie fest. Ihre Rüstung fühlte sich kalt an; aber nicht lange...
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Acht Vor ihnen lag die Grasebene von Ophir. Es war keine richtige Steppe, wie die Weiten im Osten, sondern sanft hügelig. Das Land wurde von vielen Strömen und Flüssen durchzogen. »Das ist ein herrliches Land«, sagte Conan. »Und wir haben ihre Spur verloren. Wie sollen wir sie hier je wiederfinden?« In seiner Stimme schwang aber keinerlei Enttäuschung mit. Er wäre zufrieden gewesen, dies Land für den Rest seines Lebens zu durchstreifen, bis der letzte seiner Feinde tot war. »Wir finden sie bestimmt«, erklärte Kalya. »Aber es wäre reine Zeitverschwendung, ziellos umherzustreifen und zu hoffen, eines Tages auf sie zu stoßen. Wir werden sie statt dessen zu uns kommen lassen, zumindest die Nachricht über sie. Diese Sorte von Schurken kann nicht lange an einem Ort verweilen, ohne aufzufallen. Ich rate folgendes: Wir reiten in eine der vom Krieg erschütterten Provinzen, wo Leichengeruch diese Geier am wahrscheinlichsten anlockt. Dort suchen wir uns eine nicht zu kleine Stadt, wo mehrere Straßen zusammenlaufen. Der gesamte Klatsch der Gegend läuft durch einen Markt an einem Straßenknotenpunkt.« Conan nickte. »In Ordnung, ich bin deiner Meinung. Wenn sie in der Gegend sind, werden wir früher oder später von einem dunkelhäutigen Mann aus dem Süden hören, der eine Räuberbande anführt. Das ist ein guter Plan. Hast du schon eine Stadt im Sinn?« »Ich war noch nie in Ophir; aber ich glaube, wir müssen nur dieser Straße folgen. In jedem Dorf erkundigen wir uns nach vielversprechenden Orten. Es dürfte nicht lange dauern, den richtigen zu finden.« Sie trieben die Pferde an und ritten von den Bergen Aquiloniens hinab in die Ebenen Ophirs. Zeitweise war die Straße kaum mehr als ein Trampelpfad. Sie kamen in ein Dorf an der Grenze. Diese Gegend war zu abgelegen, als daß die kriegerischen Parteien sich dafür interessierten; aber vom Dorf führte
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eine breitere Straße in eine Marktstadt am Rand des Kriegsschauplatzes. Hier war noch nicht alles zerstört; aber der Krieg hatte deutliche Spuren hinterlassen. Verkrüppelte und verwundete Soldaten lagen auf der Straße oder suchten in der Stadt Genesung. Von den nahen Weiden hatte man die Schafe und Rinder in abgelegene Täler getrieben, in der Hoffnung, daß sie dort von Plünderern nicht entdeckt würden. Niemand wunderte sich, daß das Paar sich erkundigte, wo denn das Zentrum des Krieges sei. Man nahm an, daß Conan ein Söldner auf der Suche nach Arbeit sei. Die meisten glaubten das auch von Kalya, da sie auf den ersten Blick in ihrem Umhang, der nur das harte Gesicht mit dem einen Adlerauge freigab, nicht als Frau zu erkennen war. Zwischen den Städten jagten sie auf den Hügeln neben der Straße, weil ihnen frisches Fleisch besser mundete als das eingepökelte. Unter Kalyas Sachen war auch ein kurzer Jagdbogen. Bei ihrer Bogenkunst und Conans Fertigkeit mit Speer und Schlinge mangelte es ihnen nicht an guten Braten. In Friedenszeiten hätten die Lehnsherren und ihre Wildhüter solche Wilderer gejagt und getötet; aber der Krieg ließ niemandem dazu Zeit. Conan erzählte Kalya über Halgas Familie und Naefa und das Blutbad auf der kleinen cimmerischen Heimstatt. Darüber hinaus hatte er wenig Lust, über seine Vergangenheit zu sprechen. Es reichte auch. Kalya war so von Rachedurst erfüllt, daß sie kaum mehr wissen wollte, als daß Conans Mission der ihren glich. Nichts anderes hätte die beiden mehr zusammenschmieden können. Endlich erreichten sie die Stadt Leucta. Sie lag auf ebenem Grund. Drei größere Handelsstraßen kamen hier zusammen und bündelten viele Nebenstraßen. Die Stadtmauer war hoch und stark. Das Banner eines bedeutenden Satrapen wehte hoch oben. Obwohl die Stadt im Kriegsgebiet lag, hätte es nur eine große Armee gewagt, die Stadt anzugreifen. »Ich glaube, wir haben unseren Standort gefunden«, sagte Kalya. »Sieh nur, wie die Speerspitzen und die Rüstungen auf der Mauer
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blitzen. An jeder Schießscharte ein Helm. Ich wette, daß hier dreimal so viele Soldaten wie in Friedenszeiten liegen. Hier hören wir mit Sicherheit etwas über die Schurken.« Ein Hauch von Traurigkeit lag in ihrer Stimme; denn das bedeutete, daß ihre lange Idylle vorbei war und sie ihr blutiges Handwerk wieder aufnahmen. »Ja, sieht so aus«, sagte Conan nachdenklich. »Aber was tun wir, während wir auf die Neuigkeiten warten? Ich habe vom Leben in der Stadt nicht viel Ahnung. Was ich weiß, beschränkt sich darauf, vor den Ordnungshütern zu fliehen oder im stinkenden Stroh eines Verlieses aufzuwachen.« »Als erstes müssen wir jeden Ärger vermeiden«, erklärte Kalya. »Wir haben noch genug Gold, um eine Weile für alles zu bezahlen. Also keine Diebereien und vor allem keine Schlägereien! In der Stadt wimmelt es von Soldaten, wie wir schon aus der Ferne sehen können. Laß dein Schwert in der Scheide und bezähm deinen Jähzorn. Wenn unser Geld zur Neige geht, wird uns schon etwas einfallen.« Das Stadttor war schwer bewacht. Auf der Mauer darüber standen Bogenschützen, den Pfeil auf der gespannten Sehne. Mißtrauisch musterten sie die Reisenden unten. Conan und Kalya mußten mit einem bunten Haufen aus Händlern und Schaustellern warten, ehe sie hinein durften. Um die Zeit zu vertreiben, fingen einige der Fahrenden an zu jonglieren und Purzelbäume zu schlagen, um sich und ihre Umgebung zu unterhalten. Conan war besonders von einem Mann fasziniert, der mit sechs Dolchen gleichzeitig jonglierte. Er verwandelte sie in die blitzenden Flügel eines Windrads. Und immer gelang es ihm, sie wieder bei den Griffen zu packen. Der Cimmerier bewunderte außergewöhnliches Können, vor allem wenn es dabei um Waffen ging. »Sind die Dolche scharf?« fragte Conan, als der Mann eine Pause machte. Der Mann runzelte leicht verärgert die Stirn. »Überzeug dich selbst.« Er schickte einen wirbelnden Dolch zu Conan herüber. Der Cimmerier
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fing ihn direkt vor dem Gesicht mit Leichtigkeit auf. Der mit Leder umwickelte Griff ließ die Waffe sicher in der Hand liegen. Er bewunderte die perfekte Ausgewogenheit. Als er mit dem Daumen über die Klinge strich, stellte er fest, daß sie ebenso scharf war wie sein breiter Dolch. Das Gesicht des Gauklers heiterte sich bei diesem geschickten Fangen auf. »Mir scheint, du kennst dich mit Waffen aus, mein Freund! Die meisten wären erschreckt zurückgewichen, wenn man einen Dolch so nahe an ihr Gesicht wirft.« »Die meisten Menschen fürchten sich vor Stahl«, sagte Conan. »Ich liebe Stahl wie andere ihre Familie.« Er warf die Waffe zurück. Der Gaukler fing sie nicht nur, sondern wirbelte sie nach oben und ließ die anderen folgen. Die Bewegung war so schnell gewesen, daß Conan das eigentliche Fangen nicht gesehen hatte. Es sah wie Zauberei aus; aber der Cimmerier spürte gewöhnlich das Kribbeln echter Zauberei. Er wußte, daß er es mit meisterlichem Können zu tun hatte. Als sie direkt vor dem Tor standen, musterte sie ein Schreiberling abfällig von oben bis unten. Er saß hinter einem kleinen Falttisch mit Tintenfässern, mehreren Bronzestiften und stygischen Papyrusblättern. Er hatte die tintenverschmierten Finger und das wichtigtuerische Gehabe des typischen kleinen Beamten. Sie nannten ihre Namen, und er schrieb sie auf. »Welche Geschäfte führen euch hierher?« fragte der Tintenfuchser. »Wir sind nur auf der Durchreise«, antwortete Kalya. »Vielleicht suchen wir uns auch Arbeit.« »Söldner?« fragte der Mann. »Wenn ja – wir gestatten keine Rekrutierung in unserer Stadt.« »Die Zeiten sind unsicher«, fuhr sie fort. »Es kommen viele Karawanen durch euren Markt. Vielleicht braucht jemand bewaffneten Schutz.« »Noch zwei Vagabunden«, sagte er. »Davon hat die Stadt schon viel
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zu viele. Ist euch klar, daß es gegen unsere Gesetze ist, Schulden zu machen, die ihr nicht bezahlen könnt? Darauf steht Auspeitschen.« »Wir können für alles bezahlen, was wir brauchen«, erklärte sie und schüttelte den Beutel, so daß es klingelte. Conan schäumte vor Wut über solche Unverschämtheit. »Na gut«, meinte der Schreiber. »Ihr müßt selbst für eure Unterkunft und eure Pferde sorgen. Auf den Straßen und dem öffentlichen Platz ist das Übernachten verboten. Sobald ihr eine Herberge gefunden habt, die euch aufnimmt müßt ihr die Anschrift bei der Stadtwache melden. Während eures Aufenthalts müßt ihr jeden Tag vor der Mittagsstunde euren Aufenthaltsort bestätigen, sonst sucht die Stadtwache nach euch und wirft euch ins Verlies, wenn ihr die Strafe nicht bezahlen könnt. Wenn ihr die Stadt verlaßt, meldet euch bei mir, damit ich eure Namen von meiner Liste streichen kann. Ist das klar?« »Absolut«, antwortete Kalya mit zusammengebissenen Zähnen. Sie bezahlten ihre Maut und ritten in die Stadt. »Ich habe Männer getötet, wenn sie solchen Ton anschlugen«, sagte Conan. »Wenn es so in den Städten zugeht, ziehe ich das Leben als Barbar bei weitem vor.« Kalya lächelte ihn an, was selten vorkam. »Ich war schon in viel schlimmeren Orten. Da bekam ein Fremder einen Papyrus und mußte ihn jeden Tag von der Obrigkeit abzeichnen lassen und auf Verlangen vorzeigen. Wurdest du ohne erwischt, warf man dich sofort ins Verlies. Aber mach dir keine Sorgen. Am schlimmsten sind abgelegene Nester wie diese Stadt. Sie sind begierig, allen zu beweisen, wie zivilisiert sie sind. Deshalb bestehen sie auf diesen lächerlichen Verordnungen und Schikanen. Große Städte wie Tarantia sind weit offen, und du kannst dort – innerhalb gewisser Grenzen – tun und lassen, was du magst.« »Wenn diese Aufgabe erledigt ist«, sagte er, »werde ich diese Städte aufsuchen.« Obwohl Conan ein Barbar war, fand er die Wunder der Zivilisation verführerisch und verlockend. »Ich vielleicht auch«, sagte sie unbestimmt. In Wahrheit hatte Kalya
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sich über das Leben nach der Vernichtung Axandrias’ noch keinerlei Gedanken gemacht. Sie konnte sich kaum noch an die Zeit erinnern, als es einen anderen Lebenssinn gegeben hatte. Sie fanden einen Stall für die Pferde und eine wenn auch beengte Unterkunft für sich. Danach verbrachten sie den Nachmittag auf dem Markt und in den Tavernen mit Fragen nach Taharka und seiner Bande. Niemand hatte von einem solchen Gesetzlosen gehört. »Es ist zu früh, um mutlos zu werden«, sagte Kalya, als sie aus der fünften Schenke traten. »Wenn sie in diese Richtung geritten sind, können sie den Distrikt nur wenige Tage vor uns erreicht haben. Sie brauchen Zeit, um eine neue Bande zusammenzustellen und eine für Überfälle günstige Gegend zu finden. Und dann dauert es auch noch eine Weile, bis sie wegen ihrer Untaten berühmt-berüchtigt werden. Wir müssen uns damit abfinden, hier eine Zeitlang zu bleiben, vielleicht sogar für ein paar Wochen.« »Das ist keine angenehme Aussicht«, sagte Conan. »Die Vergnügen in diesem Nest werden bestimmt schnell langweilig. Ich bin auch nicht sicher, daß ich meine Zeit nur damit verbringen kann, mich gut zu benehmen.« »Dann müssen wir etwas finden, das dir mehr Spaß macht.« Am Abend stießen sie auf eine große Taverne im Freien, die an den Marktplatz anschloß. Die eigentliche Taverne war ein kleines Gebäude mit engem Schankraum; aber der Hof war groß, gepflastert und von einem kunstvoll geschmiedeten Eisenzaun umschlossen. An den kleinen Tischen saßen die in der Stadt stationierten Soldaten oder Fremde auf der Durchreise. In der Mitte gab es eine große freie Fläche, auf der die Akrobaten ihre Vorstellung gaben. »Das sieht wie der ideale Platz aus, um Klatsch zu hören«, meinte Kalya. »Mal sehen, was wir aufschnappen.« Sie traten ein und erregten ziemliches Aufsehen. Das kam auch daher, daß Kalya den Umhang zurückgeschlagen hatte. Viele, die sie tagsüber gesehen hatten, waren äußerst erstaunt, daß sie kein Mann war. Auch der junge Cimmerier fiel
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auf. Allerdings betrachtete man den Barbaren eher abschätzend als bewundernd. Unterwürfig führte der Wirt sie an einen Tisch in der Nähe des freien Platzes in der Mitte. »Sind das nicht die Gaukler, mit denen wir vor der Stadt gewartet haben?« sagte Conan. »Das sind sie«, antwortete Kalya und bewunderte die Saltos und die Bodenakrobatik. Es waren acht – vier Männer und vier Frauen. Sie verrenkten die Körper unglaublich, sprangen herumwirbelnd so hoch, daß sie sich unweigerlich den Hals brechen mußten; aber ihre Partner fingen sie auf und balancierten sie in unglaublichen Stellungen, die jedes Gesetz der Schwerkraft Lügen straften. Sie bildeten Pyramiden und verschlangen sich ineinander – manchmal ziemlich obszön. Das Publikum applaudierte wild und johlte. Die Akrobaten verabschiedeten sich schweißüberströmt. Jetzt kamen die Feuerschlucker und Jongleure. Ihnen folgten etwas ruhigere Darbietungen. Fahrende Sänger spielten ihre Instrumente und sangen die neuesten Ereignisse aus nah und fern. Conan und Kalya hörten bei diesen Liedern besonders gut zu; aber in keinem wurden die Männer erwähnt, die sie suchten. Als die Sänger unter mäßigem Beifall abtraten, lief der Messerjongleur, mit dem Conan geredet hatte, in Begleitung einer jungen Frau in die Mitte. Sie war ein geschmeidiges Geschöpf. Das blonde Haar war streng nach hinten gebunden. Außer einem mehr als knappen Lendentuch trug sie nur noch Schmuck. Helfer stellten ein Holzbrett auf, groß wie eine Tür. Der Mann wirbelte die Dolche mit erstaunlicher Kunstfertigkeit durch die Luft. Als das Brett fest stand, schickte er die Klingen hoch in die Luft. Jede landete im Zentrum eines Tisches. Anerkennungsrufe wurden laut. Einige Zuschauer untersuchten die Dolche, um sich zu vergewissern, daß sie wirklich scharf waren. Conan zog die Klinge heraus, die zitternd in seinem Tisch steckte, und warf sie dem Jongleur zurück, der ihm als Zeichen des Wieder-
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erkennens zunickte. Als er alle Dolche eingesammelt hatte, stellte sich die junge Frau vor das Brett. Er zeichnete mit den Klingen ihre Umrisse nach. Dies war kein ungewöhnliches Kunststück, so daß der Applaus sich in Grenzen hielt. Nachdem der Mann seine Dolche wieder geholt hatte, warf er sie direkt auf sie. Jede Klinge schien die Frau zu durchbohren; aber sie wich blitzschnell aus, gewandter als ein Aal. Die Zuschauer starrten mit offenen Mäulern, als sie dem Tod nur um Haaresbreite entglitt, denn der Jongleur warf seine Waffen in atemberaubender Geschwindigkeit, und die Frau wich nie über die Brettkante hinaus. »Das muß irgendein Trick sein!« rief Kalya. »Du hast zwei Augen, Conan. Sag mir, täuscht er die Würfe nur vor, und aus dem Brett springen die Klingen mittels irgendeines Mechanismus heraus? Ich habe gehört, daß manche Scharlatane solche Kniffe benutzen.« »Nein«, erklärte Conan, »die Dolche fliegen wirklich durch die Luft. Beide sind einfach phantastisch geschickt. Als Kind in Cimmerien haben wir oft aus Spaß Messer auf Ziele geworfen; aber so etwas habe ich noch nie gesehen. Den Mann möchte ich nicht beleidigen, wenn er weiter weg wäre, als ich mit dem Schwert reichen kann.« »Ich muß lernen, wie er das macht!« erklärte Kalya. »Du hast doch heute mit ihm geredet. Bitte ihn an unseren Tisch, wenn er mit seiner Darbietung fertig ist.« Unter dröhnendem Applaus beendete die Frau ihre Verrenkungen, und der Jongleur sammelte seine Klingen wieder ein. Der Applaus verstummte, als die Zuschauer merkten, daß die Vorführung noch nicht vorbei war. Die Frau stellte sich steif vor das Brett, die Beine geschlossen, die Arme seitlich fest angelegt. Der Jongleur wählte nur fünf seiner Dolche aus. Drei in der rechten, zwei in der linken Hand. Er legte eine dramatische Pause ein. Alle hielten den Atem an und warteten, was geschehen würde. Gleichzeitig schossen beide Hände vor, und die fünf Klingen wirbelten auf die Frau zu. Jäh riß sie die Beine auseinander, und die
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Arme flogen in Schulterhöhe hinauf. Im selben Moment hörte man, wie der Stahl sich ins Holz bohrte. Die beiden Dolche, die der Mann mit der linken Hand geschleudert hatte, steckten zu beiden Seiten ihrer Kehle, und zwar so dicht, daß die Haut leicht eingedrückt war. Von den drei Dolchen aus der rechten Hand waren zwei direkt unter den Achselhöhlen gelandet, so daß die lederumwickelten Griffe gegen ihre Brüste drückten. Die fünfte Klinge bebte zwischen ihren Schenkeln, so hoch, daß die obere Kante den Saum des winzigen Lendentuchs berührte. Die Artisten verbeugten sich unter donnerndem Applaus. Conans scharfe Augen hatten mitbekommen, daß die Klingen beim letzten Wurf etwas langsamer flogen; aber das Können und die Nervenstärke der beiden waren unfaßbar. Er winkte ihnen, an den Tisch herüberzukommen. Der Jongleur nickte zustimmend. Als er die Dolche eingepackt und den Abbau des Bretts überwacht hatte, trat die Frau aus der Herberge. Sie trug jetzt ein kurzes farbenprächtiges Gewand. »Das war phantastisch«, sagte Kalya, als die beiden sich setzten. »Wo habt ihr nur ein solches Können erlernt?« »Es ist einfach«, antwortete der Jongleur. »Man wird für diese Kunst geboren, verbringt viele Jahre mit Üben, und wenn man alles einigermaßen beherrscht, heiratet man eine Frau, die einem vertraut.« Er hatte ein sympathisches häßliches Gesicht mit breitem Mund. »Sie hat mehr als nur Vertrauen«, widersprach Kalya. »Diese Beweglichkeit! Ich halte mich für überdurchschnittlich schnell und geschickt; aber selbst an meinem besten Tag könnte ich mich nicht so bewegen wie du. Hast du dir das Wohlwollen eines Gottes erworben, so begabt zu sein?« Die Frau lachte melodisch. »Nein, ich habe mein Können durch normale schwere Arbeit erworben. Wie mein Mann wurde ich für diese Kunst geboren. Meine Familie besteht seit Generationen aus Akrobaten und Tänzern. Von Geburt an ließen mich meine Eltern Übungen ausführen, um meine Gelenke geschmeidig zu machen. Ehe ich laufen
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konnte, lernte ich schon Salto schlagen. Mit sieben trat ich mit der Truppe meiner Familie auf. Wir gaben in Zamora Vorstellungen, als dann Vulpios Familie, alles Jongleure, zu uns stieß.« Als das Essen aufgetragen war, übernahm Vulpio das Erzählen. »Ich stellte fest, daß meine Spezialität Messerwerfen ist. Ohne lebendiges Ziel – vor allem ein so schönes – ist es nur ein unterhaltsames Kunststückchen. Ryula war fast im heiratsfähigen Alter, als wir uns ihrer Truppe anschlossen. Im Gegensatz zu ihren Schwestern hatte sie keine Angst vor den Klingen.« »Ihr habt ein sagenhaft gutes Ende der Vorstellung gegeben«, sagte Kalya. »O nein, wir waren nicht der letzte Akt«, widersprach Ryula. »Es kommt noch etwas, nachdem die Leute Gelegenheit hatten, etwas zu essen und zu trinken. Ihr müßt es unbedingt sehen.« Beim Essen bemerkte Conan, daß die beiden Artisten äußerst mäßig aßen und am Wein nur nippten. Außer Brot, einigen dünnen Käsescheiben und Gemüse verzehrten sie nur ein paar Streifen gerösteten Fisch. Das war verständlich. Schließlich hing ihr Lebensunterhalt, ja ihr Leben von einem klaren Kopf und bester körperlicher Verfassung ab. Conan fand, daß ihm ein solches Leben nicht behagen würde. Er mußte ab und zu in allem etwas über die Stränge schlagen. Als die Platten geleert und abgetragen waren, sprang ein Mann in exotischem Gewand in die Mitte des freien Platzes und drehte eine laute Rassel. »Verehrte Gäste!« rief er. »Wir haben heute abend zu eurer Unterhaltung den erstaunlichsten Magier, welcher je diese oder jede andere Stadt mit seinen Wundern beglückte. Bereitet eure Augen auf Anblicke vor, wie sie so phantastisch niemals außerhalb der geheimnisumwitterten Klöster von Vendhya und dem fernen Khitai zu sehen waren. Ich präsentiere euch den großen Hurappa!« Mäßiger Applaus. Das Publikum hier war kosmopolitisch, die meisten waren weit herumgekommen und skeptisch. Um es zu
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beeindrucken, bedurfte es mehr als einer vollmundigen Anpreisung. Man wollte Taten sehen, nicht Worte hören. »Seht euch das an«, flüsterte Vulpio. »Er ist erst vor kurzem zu uns gekommen. Ich versichere euch, daß ihr noch nie so etwas erlebt habt.« Der Mann, welcher die provisorische Bühne betrat, sah nicht wie der übliche Zauberkünstler aus. Er trug weder ein weites Gewand mit mystischen Symbolen noch einen fremdländischen Kopfputz. Er hatte keine falschen Augenbrauen, sein Bart war nicht seltsam gefärbt. Er kam ohne allen Schnickschnack, selbst ohne Zauberstab aus Haselnuß. Hurappa war sehr groß und hager. Das ärmellose Gewand ließ die langen drahtigen Arme frei. Es war schlicht schwarz ohne jede Verzierung und fiel bis auf die Knöchel. Sein Kopf war völlig kahl und so fleischlos wie ein gebleichter Totenschädel. Beim Mund waren keine Lippen sichtbar. Die Augen, schwarz wie ausgebrannte Sterne, starrten aus dunklen Höhlen. »Set!« flüsterte jemand am Nebentisch. »Der königliche Scharfrichter ist ein fröhlicher Anblick im Vergleich zu diesem Gespenst.« »Guten Abend, Freunde!« sagte Hurappa. Seine Stimme schien aus einer tiefen Gruft zu kommen. »Ich erbitte eure Nachsicht für eine kurze Zeit. Schenkt mir eure Aufmerksamkeit. Ich werde versuchen, euch mit einigen Proben meines nichtigen Könnens zu unterhalten. Schaut genau her!« Er machte mit einer Hand eine Bewegung. Das Publikum schrie erschreckt auf. Die ganze Herberge war von einem Feuerwall umgeben, als brenne die Stadt. Die Leute sprangen in Panik auf und stießen Bänke um. Dann verblaßte die Lohe, ohne Rauch oder Wärme zu hinterlassen, und die Menschen beruhigten sich wieder. »Nur eine Illusion, meine Freunde!« rief der Magier. »Illusion ist meine Kunst. Denkt immer daran, daß alles, was ihr seht, nur Trugbilder sind, eine Unterhaltung an einem lauen Sommerabend. Niemandem wird auch nur das geringste Leid durch mein armseliges Können geschehen.« Diese letzte Behauptung klang selbst in Conans ungebildeten Ohren falsch.
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Während das Publikum gebannt zusah, wie Hurappa zwischen den Tischen riesige Blumen wachsen ließ, die so echt wirkten, daß man ihren Duft roch. Doch sobald einer die Hand ausstreckte, um sie zu pflücken, waren sie verschwunden. In einer Ecke des Hofes saß ein kleiner geflügelter Sphinx aus Stygien, ein längst verstorbener Besitzer hatte ihn dort zur Zierde aufgestellt. Auf Befehl des Zauberers richtete sich das steinerne Geschöpf auf und verließ den Sockel. Der Körper glich dem eines Löwen, das unheilverheißende Haupt dem eines uralten stygischen Priesterkönigs. Hurappa sprach ein Wort, worauf es riesige Fledermausschwingen ausbreitete und in die Nacht hinausflog. Eine Frau schrie auf. Alle blickten auf sie. Aufgeregt zeigte sie auf das Podest, wo der kleine Sphinx wie üblich still saß. Eine Illusion folgte er anderen. Schnee rieselte herab, eine Eisschicht bedeckte alles. Große Eiszapfen hingen vom Dach. Die Menschen zitterten vor Kälte an diesem warmen Sommerabend. Schnee und Eis verschwanden, wurden von einem Dschungel abgelöst, in dem bunte Vögel und Insekten schwirrten. Als der Dschungel verblaßte, setzten sich die Sterne am Himmel in Bewegung und tanzten zu einer unhörbaren Musik. Die Sterne wurden schwächer, als die Sonne über dem Horizont heraufstieg. Es war so echt, daß viele dachten, es sei wirklich schon Morgen, bis jemand rief, daß sie ja im Norden aufgehe. Dann versank die Sonne, und es wurde wieder Nacht, wie es gewesen war, ehe der Mann seine Magie vorgeführt hatte. »Ich danke euch für eure freundliche Aufmerksamkeit«, sagte er. »Und nun möchte ich euch noch mit der letzten Illusion erfreuen. Nochmals warne ich euch, immer daran zu denken, daß es nur eine Illusion ist.« Zum ersten Mal schloß er die Augen und stimmte einen leisen Gesang an. Conan wartete auf ein krönendes Wunder. Um so erstaunter war er, als sich vor seinen Augen ein kleiner Spiegel formte. Er war rund und nur eine Handbreit im Durchmesser. Doch dann dehnte er sich aus, bis er so groß wie ein stehender Mann war. Der Cimmerier konnte sich darin genau sehen. Aber dann verblaßte sein Spiegelbild. Ein anderer
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Mann stand da: groß, gut gebaut, das rabenschwarze Haar und der kurze Bart ergraut. Er saß an einem Schreibtisch aus kostbaren Hölzern und las in einer Schriftrolle. Conan konnte das Gesicht nicht erkennen. Die Kleidung war überaus prächtig, ein schmaler Goldreif lag um die Stirn. Neben dem Mann hingen ein Staatsgewand und eine Krone. Jetzt drehte der Mann den Kopf und runzelte die Stirn, als habe er etwas gehört. Verblüfft holte Conan tief Luft. Das war doch das Gesicht seines Vaters! Aber wie konnte ein cimmerischer Schmied zu solch königlicher Ausstattung kommen? Da wurde ihm klar, daß er sein eigenes Gesicht sah – nur um dreißig Jahre gealtert. Dann verschwanden König und Gemach. Conan blickte in die Tiefe des Alls, wo Sterne im Todeskampf flammende Strahlen kalten Feuers in undenkbare Tiefen des Äthers schleuderten. Conan hatte das Gefühl, durch diese unfaßbare Unendlichkeit an ein fernes Ziel gerissen zu werden. Dann war er in einem Gemach, das weit prächtiger als das vorige war. Es herrschte barbarischer Prunk: goldene Vertäfelung an den Wänden mit schlüpfrigen Malereien. Eine Wand war von oben bis unten ein Regal, auf dem konservierte Menschenköpfe lagen, manche mit Kronen. Überall standen offene Truhen mit Juwelen. In der Mitte all dieser Pracht stand ein Thron auf einem Podest. Männer in kostbarer Kleidung verbeugten sich tief vor dem Mann auf dem Thron. Wunderschöne nackte Sklavinnen in Ketten lagen ihm zu Füßen. Er trug ein goldenes Gewand und lachte, als er Wein aus einem Glas trank, das aus einem Rubin geschnitten war. Sein Gesicht war dunkel, von ergrauendem Haar umgeben. Es war das Gesicht, das Conan ein einziges Mal in der Karawanserei in Croton gesehen hatte. Dann sah er wieder sein eigenes Spiegelbild. Gleich darauf schrumpfte der Spiegel zu einem Nichts. Conan schüttelte den Kopf und blinzelte. In seinen Ohren dröhnte es. Langsam bekam er mit, daß es donnernder Applaus war. Die Menschen klatschten und jubelten wie besessen. Der Illusionist war
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verschwunden. Kalya blickte ihn seltsam an. Er schüttelte wieder den Kopf. Was war geschehen? Vulpio und Tyula standen auf und verabschiedeten sich mit dem Versprechen, sie an einem anderen Abend wiederzusehen. Conan ging nachdenklich mit Kalya zurück in ihre Herberge. Er legte den Riegel vor, als sie die Lampe anzündete. Sie legte Umhang und Rüstung ab. »Was hast du im Spiegel gesehen?« fragte er sie. »Spiegel? Von welchem Spiegel sprichst du?« Ihr Körper schimmerte alabasterweiß im Schein der Lampe. »Nun, die letzte Illusion des Zauberers! Hast du keinen großen Spiegel vor dir und seltsame Bilder darin gesehen?« »Ich sah keinen Spiegel«, antwortete sie. »Nur den großen Drachen, wie alle anderen auch. Nach einer Minute Zaubergesang erhob sich das riesige Schuppentier über die Mauer, als stünde es außerhalb der Stadt. Es war über hundert Schritte hoch, und als es die Flügel ausbreitete, verdeckte es fast den gesamten Himmel. Die Leute haben geschrien, als es über die Stadt Feuer spuckte. Dann flog das Ungeheuer weg – wie der Sphinx. Ich habe mich gewundert, weil du mich angestarrt hast, als die Illusion verschwunden war, als sähest du etwas in weiter Ferne.« Sie setzte sich neben ihn. Er legte ihr den starken Arm um die Schultern. »Ich erzähle dir, was ich sah.« Dann beschrieb er, so gut er konnte, die Visionen im Spiegel. Als er fertig war, dachte Kalya nach. »Das ist mysteriös«, sagte sie. »Der böse Herrscher auf dem Thron ist eindeutig Taharka, älter und mächtiger. Vielleicht ist das andere eine Prophezeiung. Vielleicht bedeutet sie, daß du sehr lange leben und König werden wirst.« Er legte sich nieder und zog sie an sich. »Ich hoffe nicht. Der König sah nicht glücklich aus, sondern tief besorgt.« Die nächsten Tage verliefen ereignislos. Sie sahen zwar die Gaukler oft; aber Conan hatte Scheu, den Zauberer aufzusuchen und ihn wegen der Vision im Spiegel zu befragen. Er fürchtete, daß er nichts Gutes hören werde. Als er schließlich vorsichtig Erkundungen einzog, sagte
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man ihm, daß der Illusionist nach dem Abend, da Conan ihn gesehen hatte, verschwunden sei. Da der Mann sich beim Schreiber nicht abgemeldet hatte, hatte der Direktor der Truppe ungeheure Schwierigkeiten bekommen. Um sich zu beschäftigen, jagte Conan auf den Hügeln vor der Stadt und verkaufte das Wild an die Wirte der Herbergen. Durch das halblegale Wildern kam er bei der Obrigkeit nicht in Verruf. Kalya unterrichtete einige junge Männer, die ihre Fechtkunst verbessern wollten. Eines Abends waren sie auf einem großen Hof in der Nähe der Gauklerunterkunft. Kalya lernte von Ryula einige Ausweichbewegungen, während Conan und Vulpio Dolche auf einen Pfosten warfen. Die Strahlen der Abendsonne ließen die Klingen aufblitzen, wenn sie durch die Luft wirbelten. »Du lernst schneller als alle, die ich unterrichtet habe«, sagte Vulpio und zog die Dolche aus dem Holz. Conan mußte an seinen kräftig ziehen, da er mit zu großer Kraft warf. »Ich habe für Waffen mit Klingen ein Gefühl«, sagte der Cimmerier. »Aber an dein Können komme ich nie heran.« »Und ich beherrsche keine andere Kunst als das Messerwerfen«, meinte Vulpio achselzuckend. »Du bist ein Krieger und mußt viele Waffen beherrschen. Du kannst nicht viele Jahre nur mit einer üben.« Als es nicht mehr hell genug war, um weiterzuüben, gingen die Männer zu den Frauen. Kalya tupfte sich den Schweiß mit einem Lappen vom Körper. Ryula sah so kühl und elegant wie immer aus. Ein Mann kam herüber. Es war Gorbal, der Direktor der Truppe. »Endlich!« rief Gorbal und breitete die Arme theatralisch aus. »Endlich können wir diese Stadt verlassen, wo die Leute unserer Vorführungen müde sind und Melonenschalen statt Münzen werfen!« »Das sind gute Neuigkeiten«, sagte Vulpio. »Wir sollten schon längst viel weiter im Süden sein.«
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»Allerdings«, stimmte ihm Gorbal zu. »Morgen zieht eine große Karawane auf der Straße nach Süden. Endlich sind genug Kaufleute und Reisende zusammengekommen, die in diese Richtung wollen. Eine kleine Karawane wäre eine zu leichte Beute für diese Räuberbande.« »Räuberbande?« fragte Conan. »Gibt es viele im Süden?« »Allerdings«, sagte Gorbal. »Hörte ich nicht, daß du ein Karawanenwächter warst, junger Conan? Du solltest zu Hazdral gehen. Er führt das Kommando und zahlt für ein gutes Schwert bestimmt nicht schlecht. Ich wette, daß er die Amazone ebenfalls anheuert.« Er schüttelte den Kopf. »Besonders, da diese neue Bande jetzt ihr Unwesen in der Gegend treibt.« »Es gibt eine neue Bande?« fragte Kalya betont gleichmütig. »Es sieht so aus. Heute kam die Meldung in die Stadt, daß eine mächtige Bande im Süden herumzieht. Der Anführer soll ein großer dunkelhäutiger Bursche sein, mit dem Auftreten eines Königs und dem Herz einer Viper. Sein Stellvertreter soll ein wilder Hyperboräer sein, ebenso grausam wie sein Herr.« Ein Lächeln breitete sich langsam auf Conans Gesicht aus. »Kalya, komm! Gehen wir zu diesem Hazdral.« »Ja, unbedingt«, sagte sie. »Ich habe diese Stadt auch satt.« »Wenn ihr mitkommt, sind wir noch sicherer«, sagte Vulpio. »Hier, wenn du uns schon beschützt, solltest du auch eine ordentliche Waffe haben.« Er warf Conan einen seiner perfekt ausbalancierten Wurfdolche in der Scheide zu. Conan steckte die Waffe hinten in den Gürtel. »Danke, mein Freund. Und jetzt müssen wir um unseren Sold feilschen. Ihr habt nichts zu fürchten, solange wir euch verteidigen.« Zum ersten Mal seit Wochen glücklich machten sich die beiden auf die Suche nach dem Karawanenführer.
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Neun Axandrias hatte den idealen Unterschlupf beinahe zufällig gefunden. Von dem Augenblick an, da sie die Grenze Ophirs überschritten hatten, hatten sie üble, hartgesottene Verbrecher angezogen, wie ein Magnet Eisenspäne anzieht. Burschen mit beschnittenen Ohren, Brandzeichen auf der Stirn und tätowierten Gesichtern kamen einzeln oder in kleinen Gruppen, als sie hörten, daß ein Anführer eine Bande für Überfälle im größeren Stil sammelte. In wenigen Tagen hatte Taharka schon eine Meute, die so groß war wie die, mit der er in Cimmerien eingefallen war. Jetzt brauchte er nur noch eine sichere Ausgangsbasis für seine Unternehmungen. Axandrias war auf Erkundung ausgeritten. Er brannte darauf, die Gunst des Anführers wiederzugewinnen. Der Neid, daß Kuulvo von Taharka bevorzugt wurde, fraß ihn fast auf. Er ritt mit zwei stillen Shemiten vom letzten Lagerplatz einen halben Tag lang. In offenem Gelände mußten sie viele Wachtposten aufstellen, die vor Soldaten warnen sollten. Aber derartige Disziplin war nicht nach dem Geschmack der Banditen, die ein fauler, leichtsinniger und aufmüpfiger Haufen waren. Gegen Mittag hatte Axandrias eine Rast eingelegt, um etwas zu essen und die Weinschläuche zu entkorken. »Hör mal«, sagte der eine Shemite und hielt die Hand ans Ohr, »ich höre fließendes Wasser. In der Nähe muß ein Fluß sein.« »Ich höre es auch«, stimmte Axandrias zu. »Aber wo? Ich sehe nichts. Los, suchen wir, ehe wir essen.« Sie ritten an einem Hügel entlang, sahen aber kein Wasser. »Jetzt ist das Rauschen hinter uns«, sagte der andere Shemite. »Seltsam«, murmelte der Aquilonier. »Versuchen wir’s mal auf dem Hügel.« Sie ritten hinauf und kamen an einen schmalen Felsspalt, der von unten nicht zu sehen war. Sie trieben die Rosse hinein. Gleich darauf eröffnete sich ihren Augen ein phantastisches Bild. Der Hügel
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war innen hohl. In der Mulde wuchs Gras. Weiter hinten sah man den Eingang einer gewaltigen Höhle, aus der der Fluß kam, den sie gehört hatten. Er durchquerte die Mulde und stürzte in ein tiefes Sickerloch am Rand. Offenbar verlief er dann unterirdisch, da er vor dem Hügel nicht wieder an die Oberfläche trat. Axandrias stieg ab und trank vom Fluß. Das Wasser war rein und süß. Sie ritten zur Höhle, um sie zu erforschen. In der Vergangenheit hatten Menschen sie als Festung benutzt, da eine Mauer aus rohen Steinen vor dem Eingang aufgeschichtet war. Sie war mannshoch und bot nur durch einen schmalen Spalt Zugang für einen Mann. Das Höhleninnere bestand aus einem riesigen Raum, der durch Sonnenstrahlen erleuchtet wurde, die durch Löcher in der Decke fielen. »Das ist hervorragend!« rief Axandrias. »Unser Anführer muß es sich sofort ansehen!« Am nächsten Tag hatte Taharka Mulde und Höhle besichtigt und war begeistert gewesen. »Diese Stelle ist wie für uns geschaffen, mein Freund. Die Tiere können in Ruhe weiden und nicht weglaufen. In der Höhle sind wir geschützt, und wir haben Frischwasser. Ein einzelner Wachposten am äußeren Zugang kann uns rechtzeitig vor jedem herannahenden Feind warnen. Das hast du gut gemacht, mein Freund. Wirklich hervorragend.« Axandrias lächelte und blähte sich vor Genugtuung auf. »Da ist noch mehr, Anführer; aber das sollen die anderen nicht sehen. Komm mit mir in die Höhle!« Die beiden betraten die große Kammer. Der Aquilonier hatte eine Fackel angezündet und führte Taharka tief in die Eingeweide des Berges. »Dies entdeckte ich, nachdem ich die Shemiten zu dir zurückgeschickt hatte, damit sie dich holen sollten.« Sie bogen in einen Seitentunnel ein, der mit einem Reisighaufen abschloß. Axandrias zog einige Zweige beiseite und legte einen niedrigen Gang frei. Das Reisig war mit Ruten an einer Art Tür befestigt. Sie schlichen gebückt durch den Gang und waren kurz darauf im Freien auf dem Hügelhang.
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»Hier ein paar Pferde anbinden, Herr«, sagte Axandrias, »Säcke mit Beute im Gang verstecken. Dann kann man – sollte etwas mißglücken – jederzeit wegreiten und einen neuen Anfang machen.« Taharka lachte und schlug Axandrias auf die Schulter. »Du bist wirklich ein wertvoller Mann, mein Freund. Das habe ich immer gewußt. Wir wollen das als unser Geheimnis behalten. Die Kerle dürfen nie denken, daß ich sie im Stich lassen könnte. Außerdem käme es im Gang zu schrecklichem Gedränge, wenn alle davon wüßten und fliehen wollten.« Sobald sich die Bande häuslich eingerichtet hatte, nahm man die organisierten Raubzüge wieder auf. Da man selten die volle Stärke benötigte, hatte Taharka drei Gruppen gebildet, die getrennt zuschlugen und dadurch mehr Territorium abgrasten. Einen Haufen führte er selbst, die anderen beiden waren Axandrias und Kuulvo unterstellt. Die Angehörigen der drei Gruppen wurden ständig ausgewechselt, damit die Ergebenheit dem Anführer gegenüber erhalten blieb. Taharka hatte eine feste Regel aufgestellt: Keiner durfte jemanden näher als einen halben Tagesritt vom Schlupfwinkel entfernt überfallen. Je länger das Versteck geheim blieb, desto länger konnten sie ihre Raubzüge ausführen. Sollten sie sich in der Gegend zu einer zu großen Landplage entwickeln, hätten die Satrapen Ophirs ihre Streitigkeiten möglicherweise lange genug begraben, bis sie die Schurken gemeinsam vernichtet hätten. Wochenlang ritt die Bande aus dem hohlen Hügel heraus und mit Beute schwer beladen wieder hinein. Nichts war vor ihnen sicher. Arme Höfe und reiche Karawanen – alle wurden sie Beute der raffgierigen Schurken. Niemals kehrten sie mit leeren Händen zurück. Hatte ein größerer Raubzug keine Schätze eingebracht, nahmen sie auf dem Rückweg einem unglücklichen Hirten die Herde als Proviant für die Bande weg. Manchmal erbeuteten sie nur Rinder oder Schafe, beim nächsten Mal aber konnten es wieder Schätze sein. Die Überfälle waren erstaunlich einfach. Die Machthaber in Ophir
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waren so mit dem Bürgerkrieg beschäftigt, daß sie weder Zeit noch Menschen zum Schutz der Bewohner einsetzen konnten. Taharka hatte immer einige Männer in der Nähe von Garnisonen postiert. Sobald die Soldaten gegen einen Feind ausritten, wurde ihm das gemeldet, und eine der drei Abteilungen konnte die ungeschützten Distrikte überfallen. In der Höhle stapelte sich das Diebesgut. Viele Karawanen zogen durch Ophir, selbst in kleineren Städten gab es Häuser reicher Kaufleute, die sich zu plündern lohnten. Hinzu kamen noch die zahllosen Landsitze der Adligen. Diese Männer hatten die örtlichen Lehnsherren bestochen, ihren Besitz in Ruhe zu lassen, aber das galt nicht für die Banditen. Truhen mit Juwelen und Goldmünzen waren an den Wänden der Höhle aufgestapelt. Eingefärbte Seidenballen aus dem Osten, von denen ein Pfund mehr wert war als Gold, lagen turmhoch übereinander. Die rauchige Luft der Höhle wurde von den Wohlgerüchen der Gewürze und Räucherstäbchen vertrieben. Hinzu kamen noch exotischere Drogen und das Harz heilkräftiger Pflanzen. Den Grasboden der Mulde hatte man in mehrere Pferche aufgeteilt. Gleich am Eingang standen die Pferde der Räuber. Auf den sattesten Grasflächen weideten die besten Tiere: hervorragende Schlachtrosse, Rennhengste, für die Jagd oder für königliche Meldereiter besonders ausgebildet. Auch menschliche Beute wurde hier zusammengepfercht, allerdings nach Wert getrennt. Hauptanteil bildeten die einfachen Arbeiter für die Steinbrüche und Bauprojekte in Stygien. Handwerker für die Werkstätten und Plantagen im Süden und Osten hatten einen eigenen Pferch. Gebildete Jungen, die man als Haussklaven in kultivierte Haushalte verkaufen konnte, waren wieder eigens untergebracht. Weiter abseits und unter strenger Bewachung lebten schöne junge Frauen, Mädchen und Jungen, welche die höchsten Preise erzielten. Über diesem Pferch war eine Plane aus Segeltuch gespannt, um die
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Insassen vor den der Schönheit abträglichen Unbillen der Witterung zu schützen. An einem Spätnachmittag saß Taharka inmitten seiner Pracht. Aus Kissen, Truhen und Seidenballen hatte man ihm einen Thron errichtet. Er trank aus einem goldenen Becher seltenen Wein, während seine Männer umherliefen. Gefangene hatten in der Mitte der Höhle eine große Feuerstelle ausgehoben, über der sich an Spießen fette Ochsen aus der Herde eines Adligen drehten. Neben der Feuerstelle stand ein riesiges Silberbecken aus einem Tempelraub. Ein Kochsklave hatte aus kostbaren Gewürzen eine Soße zubereitet. Sklavinnen tauchten kleine Besen hinein, um die Braten zu bestreichen. Alle Männer trugen inzwischen wilde Gewandungen aus unterschiedlichster Kleidung, juwelenbesetzte Waffen und hervorragende Rüstungen. Wie ihr Anführer tranken sie Spitzenweine aus Gold- und Silberbechern oder aus Kristallgläsern. Die Sklavinnen, welche sie bedienten, waren hübsch, aber nicht so schön, daß sie draußen mit der zum Verkauf bestimmten Gruppe gehalten wurden. Taharka stand auf – etwas unsicher – und gebot Schweigen. Sofort verstummten alle. Axandrias lächelte zynisch, als er aus dem mit Amethysten besetzten Silberkelch trank. Er wußte, was kam. Diese Rede hatte er in der Vergangenheit schon in allen möglichen Variationen gehört, als sie für andere Banden gehalten wurde, die jetzt tot oder in alle Winde zerstreut waren. »Meine Freunde«, rief Taharka und schwenkte hoheitsvoll seinen Goldbecher, »gibt es einen unter euch, der mit meiner Führung und dem Leben, das ich euch gebe, unzufrieden ist? Wenn ja, muß er mich nur fragen, und ich werde ihm jeden Wunsch erfüllen!« Die Männer brüllten begeistert. »Dann seid ihr also alle zufrieden?« Wieder lautstarke Zustimmung. »Ausgezeichnet! Ich persönlich kann mir kein besseres Leben für einen Mann vorstellen!« Wichtigtuerisch schritt er zum Feuer und tat so, als schnuppere er in der Luft. »Es ist stickig«, erklärte er. Dann holte er aus einer Truhe eine
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Handvoll kristallisierter Harzkugeln. Er warf das Duftharz auf die Kohlen, und sofort erfüllte herrlicher, würziger Duft die Höhle. »So, das ist besser. Ein Vermögen an Weihrauch und Räucherstäbchen haben wir hier. Alles für den Mitratempel in Numantien bestimmt; aber jetzt duftet es hier in unserer Höhle und würzt uns das Fleisch. So ist es doch passend, oder, Männer?« Laute Zustimmung war die Antwort. »So werden wir von jetzt an immer leben«, erklärte Taharka mit seiner melodischen schönen Stimme. »Wir werden jede Menge bestes Fleisch essen, das mit den erlesensten Gewürzen verfeinert ist. Wir werden die Weine des Adels trinken, in Samt und Seide gekleidet gehen, geschmückt mit Gold, Juwelen und Bernstein aus dem Norden, Perlen aus dem Osten und Korallen aus den südlichen Meeren. Unsere Pferde werden wir uns aus den Gestüten der Könige holen. Erstklassige Sklaven werden uns jeden Wunsch erfüllen.« Die Männer johlten und jubelten bei diesen ekstatischen Visionen von Beute. Vor wenigen Wochen waren sie noch halbverhungerte Aasgeier gewesen, die sich auf den Bergen und Hügeln versteckten und für einige Kupferlinge Kehlen durchschnitten. Jetzt sahen sie ein langes Leben voller Luxus und Laster vor sich. »Daher wollen wir unsere bisherigen großen Erfolge feiern«, rief Taharka, als der Lärm sich etwas gelegt hatte, »und morgen wieder hinaus reiten, um noch reicher zu werden!« Mit Gebrüll stürzten sich die Männer auf die Ochsen und schnitten mit ihren Dolchen dicke Scheiben ab. Dann steckten sie sich die tropfenden Fleischstücke in den Mund, der bisher nur an das alte Brot und faulige Wasser der Verliese und Gefangenenlager gewöhnt gewesen war. Die Faulen ließen sich auf Seidenballen fallen und von den Sklavinnen das Essen auf schweren Silberplatten bringen. Taharka blickte befriedigt drein. Wie immer staunte er, daß man Männer so leicht kaufen konnte. Er sah die massige Gestalt Kuulvos auf sich zukommen. »Mein Anführer«, sagte der Hyperboräer, »ich glaube, du solltest mit
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mir kommen. Es gibt da etwas, das ich dir zeigen möchte.« Er scherte sich nicht viel um das Festmahl. Wie Taharka war auch Kuulvo in bezug auf Essen, Trinken und Weiber recht gemäßigt. Ihm bereiteten Chaos und Blutvergießen das größte Vergnügen. Taharka kannte ihn als ernsten Mann; daher mußte es wichtig sein, was er ihm zeigen wollte. »Aber natürlich, geschätzter Freund. Der Abend ist für einen Spaziergang wie geschaffen. Ich wollte ohnedies die Sklavenpferche inspizieren. Gehen wir!« Die beiden traten aus der Höhle hinaus. Die Männer ließen sie hochleben, nur Axandrias schwieg beleidigt. So sehr der Aquilonier es auch versuchte, er vermochte die einäugige Frau nicht aus dem Gedächtnis zu streichen. Wie konnte dies Phantom aus seiner Vergangenheit wieder lebendig werden und ihn verfolgen? Schlimm genug, daß sie von den Toten auferstanden war; aber sie hatte ihn öffentlich erniedrigt! In Anwesenheit seines Anführers war er von einem Weib besiegt und fast getötet worden. Und wer war dieser riesige Cimmerier, der sie begleitete? Nach der Flucht aus Croton hatte er Taharka von dem Vorfall erzählt, der ihm die Feindschaft der Frau eingetragen hatte. »Damals war ich viel jünger, Herr«, hatte er erklärt. »Mir fehlte es an Klugheit und Urteilsvermögen. Jetzt wäre ich niemals mehr so ungeschickt, einen Zeugen bei einer solchen Tat am Leben zu lassen.« Taharka hatte sein übliches falsches Mitgefühl ausgespielt. »Junge Männer machen immer Fehler, mein Freund. Auch ich habe in meiner Jugend viele Fehler gemacht; aber wir lernen schließlich aus unseren Jugendtorheiten, stimmt’s? Ich finde es von dem Mädchen ziemlich kleinlich, die Sache so persönlich zu nehmen.« Seit dem Kampf in der Arena war Axandrias noch hagerer geworden, und sein Gesicht wirkte sehr gealtert. Er trank viel mehr als früher und aß kaum. Der Gedanke an das Weib nagte in seinem Innern und raubte ihm den Appetit. Welches Höllenwerk hatte das tote Kind in eine wahnsinnige Rachedämonin mit zerstörtem Gesicht und
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herrlichem Körper verwandelt? In seiner Erinnerung war das blitzende Schwert eine blutrünstige Schlange. Axandrias starrte finster in seinen Becher. Dann leerte er ihn und verlangte nach weiterem Wein. Taharka schlenderte gemütlich durch das Lager. Beim Pferch der besten und schönsten Gefangenen blieb er stehen. Ehrerbietig traten die Wachen zurück, als er eintrat. Er strich ab und zu über die menschliche Ware und prüfte die Zartheit der Haut, die Festigkeit oder die Spannkraft der Muskeln, je nachdem, was er unter den Fingern hatte. Er drückte den Finger in einen Bauch, ob er auch elastisch war, oder öffnete einen Mund, um sicherzugehen, daß die Zähne in Ordnung waren. Der Geruch im Pferch war eklig; aber das war eine der unangenehmen Seiten des Sklavenhändlerdaseins, und der menschliche Bestand würde vor dem Verkauf noch gewaschen werden. Ein Blick genügte ihm, den Zustand der anderen Sklaven zu erkunden. Bei den Pferden verbrachte er mehr Zeit. Er hielt sich für einen Pferdekenner und hatte einige der edlen Tiere für seinen persönlichen Gebrauch ausgewählt. Das Schnellste war bereits in der Nähe des Notausgangs untergebracht, den Axandrias entdeckt hatte. Da seine Männer von Natur aus keine Entdecker waren, würden sie das Loch im Abhang, seine Lebensversicherung, wohl nie finden. »Die Sklavenpferche sind bald überbelegt«, sagte Taharka. »Es wird Zeit, daß wir bald eine Ladung auf die Sklavenmärkte nach Stygien bringen.« »Es müssen schon bald einige Schritte unternommen werden«, sagte Kuulvo. »Darüber will ich mit dir reden. Komm noch einige Schritte weiter.« Er ging den steilen engen Weg hinauf, der durch den Felsspalt nach draußen führte. Die beiden Männer blieben dahinter stehen und schauten auf den Abhang und die Ebene. Der Wachposten verneigte sich. Meilenweit erstreckte sich das Land. »Ein schöner Blick«, meinte Taharka. »Und was wolltest du mir
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zeigen?« Wie nebenbei legte er die Hand auf den Schwertknauf. Nie verließ ihn das Mißtrauen gegen Verrat. »Sieh doch!« Kuulvo zeigte auf den Abhang und das Land. »Als wir herkamen, wuchs überall nur Gras. Kein Weg führte hier herauf. Und nun sieh, wie es sich verändert hat.« Ein breiter kahler Streifen markierte den Weg den Hügel herauf. Auf der Ebene teilte sich der breite Weg in drei schmalere, aber deutlich erkennbare Spuren: Die Routen, welche die Banden auf ihren Raubzügen ritten. »Mit jedem Tag wird der Streifen breiter und deutlicher«, sagte der Hyperboräer. »Das ist auch nicht zu ändern, wenn so viele Pferde jeden Tag darübertrampeln. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Truppen irgendeines Satrapen die Gegend durchsuchen. Sobald ein Späher einen dieser Trampelpfade entdeckt, ist unsere Zeit begrenzt.« Taharka strich sich den Bart. »Ich verstehe, was du meinst. Aber dieses Versteck ist so gut, daß ich es äußerst ungern aufgebe.« »Ja, es ist ein guter Platz«, stimmte Kuulvo zu. »Aber nur, solange er geheim ist. Man kann ihn zwar von unten nicht sehen, aber man muß nur dem Weg folgen. Hör auf meinen Rat: Laß uns diesen Ort verlassen – und zwar schnell! Außerdem haben wir die Gegend nicht schlecht ausgeplündert. Noch ist sie reich; aber es ist unklug, alles bis auf die Knochen abzunagen. Laß uns ins östliche Grenzgebiet dieses Landes reiten, wo man uns noch nicht kennt, und ein neues Versteck suchen. In sechs Monaten oder einem Jahr können wir hierher zurückkommen. Inzwischen ist das Gras wieder hoch gewachsen, und alle Spuren unserer Anwesenheit sind verwischt. Und alle haben sich so erholt, daß sie für die nächste Ernte reif sind.« »Das ist ein ausgezeichneter Rat«, meinte Taharka. »Ich habe schon festgestellt, daß die Sklavenpferche zu voll werden. Laß uns noch ein paar Raubzüge machen, bis sich der Transport richtig lohnt. Du kannst die Ladung in wenigen Tagen nach Süden schaffen. Nimm ein Drittel der Männer mit. Sobald du wieder bei uns bist, verziehen wir uns in eine sicherere Gegend.«
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»Ich rate dir, sofort aufzubrechen, mein Anführer«, widersprach Kuulvo. »Ich bringe die Sklaven nach Süden. Aber gleichzeitig solltest du mit Axandrias und den anderen aufbrechen. Wir können einen Treffplatz ausmachen, an dem ich wieder zu euch stoße.« Taharka schlug ihm lachend auf die Schulter. »Es ist gut, klug zu sein, aber du wirst mir zu vorsichtig, mein Freund. Das Leben verliert seinen Reiz, wenn man sich zu viele Sorgen macht. Komm, kehren wir zurück zum Gelage. Bis jetzt sind wir noch auf keine Abteilung irgendeines lokalen Fürsten gestoßen. In drei oder vier Tagen kannst du mit den Sklaven aufbrechen. Es gibt noch viele Orte, die wir noch nicht geplündert haben. Das erledigen wir während deiner Abwesenheit. Wir alle werden längst weit weg sein, ehe die Bluthunde der Obrigkeit unsere Spur aufnehmen.« »Wie du meinst, Anführer.« Kuulvo hob die Schultern. Wie schon Axandrias vor ihm hatte der Hyperboräer Taharkas Neigung bemerkt, alles auszureizen und nur wenig oder gar keinen Sicherheitsspielraum zu lassen. Es war, als würde irgend etwas den Anführer daran hindern, die Wirklichkeit des Sturmes zu erkennen, den er mit seinen Verbrechen überall aufwühlte. Aber mir kann es ziemlich gleichgültig sein, dachte Kuulvo. Er würde mit seinen Männern und der Sklavenkarawane unterwegs sein. Sollten Taharka und die übrigen bei seiner Rückkehr vernichtet sein, scherte ihn das nicht. Es gab immer Kriege, neue Leute und reiche Gegenden, die man ausplündern konnte. Für einen Gesetzlosen war nur das eigene Leben wichtig. »Morgen«, sagte der Anführer auf dem Weg zurück in die Höhle, »möchte ich, daß du nach Norden reitest. Ein Späher meldete heute nachmittag, daß eine große Karawane auf der Straße von Leucta herunterkommt. Da viele zu Fuß gehen, bewegt sie sich langsam. Wenn du deine Männer morgen bei der Straße in einen Hinterhalt aufstellst, müßtest du die Karawane übermorgen erwischen.« »Ist sie gut bewaffnet?« fragte Kuulvo. »Kaum«, antwortete Taharka. »Es wird einige Bewaffnete geben;
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aber Karawanenführer sind bei solchen Ausgaben immer knickrig. Lieber nehmen sie einen Haufen Tunichtgute und glauben, daß die Zahl allein abschreckt. Als ob sich ein Wolf von der Zahl der Schafe abhalten ließe!« »Also leichte Beute«, sagte Kuulvo und grinste. »Ja, aber es bedarf großer List und guter Führung. Ich unternehme einen Streifzug nach Westen und bin morgen abend wieder hier. Axandrias will ich nach Süden schicken, damit er Vieh raubt. Das dürfte einfach genug sein für ihn.« Kuulvo zog die Brauen hoch. »Du hast zu dem hübschen Burschen kein Vertrauen mehr?« Taharka seufzte. »Nein! Leider ist er nicht mehr der Mann, der er war, als ich ihn rekrutierte. Damals war er schnell, drahtig, sogar einigermaßen tapfer. Vor allem aber war er amüsant. Jetzt nagt etwas an ihm. Ich bin sicher, es hat mit diesem einäugigen Weibsstück zu tun.« »Das war ein schwerer Schlag für jemanden, der sich für einen Krieger hält«, sagte der Hyperboräer. »Das Weib hat ihn übertölpelt und besiegt. Wenn sein Kopf nur noch damit beschäftigt ist, statt mit...« Das Gespräch wurde unterbrochen. Männer kamen schreiend und aufgeregt redend aus der Höhle. In ihrer Mitte beschimpften sich zwei giftig. Kaum im Freien, sprang der eine beiseite und zückte die Klinge. Die anderen Gesetzlosen bildeten einen weiten Kreis um die beiden Streithähne. »Was soll das heißen?« brüllte Taharka und durchbrach den Kreis, gefolgt von Kuulvo. Der eine Kämpfer war ein Corinthier und hieß Parva. Der andere war zu seinem Erstaunen Axandrias. »Ich verlange eine Erklärung!« befahl er. »Dieser Hund zweifelt meine Autorität an!« schrie Axandrias und zeigte auf Parva. »Ich habe nur gesagt, daß du ein feiger Speichellecker bist, der sich beim Anführer einschmeichelt und sich vor der Arbeit und Gefahr drückt!« rief Parva. »Und ich sage es nochmals! Tritt mir mit der Klinge
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entgegen, wenn du halbwegs der Mann bist, für den du Großmaul dich ausgibst!« Das ist äußerst ungewöhnlich, dachte Taharka. Vielleicht war sein Stellvertreter dabei, wieder etwas von seiner Männlichkeit zurückzugewinnen. Allerdings war von Anfang an nicht viel davon vorhanden gewesen. »Ihr kennt alle die Spielregeln unserer Bruderschaft«, erklärte er. »Ich ziehe niemanden vor. Ein Mann hat eine Anklage vorgebracht, der andere hat sie zurückgewiesen. Sie müssen es auskämpfen, und einer muß sterben! Wie wollt ihr kämpfen?« Parva hielt sein Krummschwert hoch. »Hier seht ihr meine Waffe!« Axandrias hatte sein gerades schmales Schwert gezogen. »Hier ist meine, du Hund! Komm und schluck ein Stück davon!« Die beiden stürzten aufeinander los. Wildes Gejohle erhob sich beim ersten Klirren des Stahls. Der Streit paßte Taharka hervorragend. Wenn Axandrias wirklich unbrauchbar war, dann war es besser, wenn er jetzt starb. Die beiden Männer verschwendeten keine Zeit, herumzutänzeln und sich gegenseitig abzutasten. Das kam Taharka seltsam vor; denn Axandrias hatte sich immer gebrüstet, ein gewiefter Kämpfer zu sein, der mehr mit Können und Finten arbeitete als mit Kraft und Wut. Aber jetzt schlugen sie wie die Wahnsinnigen aufeinander ein. Die Schwerter erklangen ohne Pause. Beide schlugen, parierten, stießen, wehrten ab – einfach meisterlich sowohl in bezug auf Schnelligkeit als auch auf List. Axandrias trieb den Corinthier langsam in Richtung Sklavenpferche zurück. Parva wich gekonnt aus. Er schob die Sohlen seiner poitainischen Stiefel über die Erde, um ja nicht auf einen Stein zu treten. Kurz vor dem Zaun setzte er zu einer stürmischen Attacke an. Er schlug nach dem Kopf des Aquiloniers, verlockte ihn zum Parieren und trat gleichzeitig zu. Sein Stiefel erwischte den Unterarm des Gegners, so daß dessen schmale Klinge davonflog und im Pferch einen Sklaven durchbohrte. Der Aufschrei des Unglücklichen ging im Jubel über dieses meisterliche Manöver unter. Alle warteten blutrünstig auf den Todesstreich.
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Wutschnaubend riß Axandrias seinen Dolch aus der Scheide, eine breite zingarische Klinge, einen Fuß lang, leicht geschwungen und mit zwei rasiermesserscharfen Kanten. Ohne auf den nächsten Angriff des Gegners zu warten, hechtete er vorwärts. Völlig überrascht sprang Parva einen Schritt zurück und versetzte dem Aquilonier beim Parieren eine Schnittwunde im Arm. Der Schlag war schwach und etwas zu langsam. Axandrias parierte mit dem Dolch. Dann packte er mit der linken Hand Parvas Handgelenk, setzte seinen Dolch als Hebel an und preßte die Hand gegen einen Zaunpfahl. Vor Schmerz brüllend ließ Parva sein Schwert fallen. Der Dolch blitzte auf seine Kehle zu; aber er warf sich mit der Kraft der Verzweiflung nach hinten und riß Axandrias mit. Der Dolch verfehlte sein Ziel um Haaresbreite. Durch Stoß- und Zugkraft wurde Axandrias im Halbkreis herumgeschleudert. Anstatt aufzustehen, rollte er vorwärts, sprang auf und stand wieder vor seinem Feind. Parva wußte, daß er ein toter Mann wäre, wenn er sich jetzt nach seinem Schwert bückte. Bösartig grinsend zog er seinen schmalen Dolch aus Khauran. »So«, höhnte der Corinthier, »du bist doch kein solcher Schwächling, wie du immer getan hast! Du hast mich überrascht, Schönling, aber du brauchst mehr als diesen Trick, um noch zehnmal zu atmen.« Axandrias streckte die Hand aus und krümmte einladend die Finger. »Komm her, laß uns den Tanz beenden! Die Männer fangen an, sich zu langweilen. Den ganzen Tag haben sie nur die Därme von Kühen gesehen. Es wird Zeit, daß sie die eines Schweines erblicken.« Wütend gingen die beiden wieder aufeinander los. Parva kam von unten, als wolle er Axandrias aufschlitzen. Als der Aquilonier auch in die Hocke ging, um seine Eingeweide zu schützen, richtete Parva sich auf und führte die Klinge gegen den Hals des Gegners. Mit phantastischer Geschwindigkeit riß Axandrias genau im richtigen Zeitpunkt die linke Hand hoch und schlug Parvas Hand mit
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dem Dolch beiseite. Gleichzeitig trat er vor. Sein Krummdolch sauste durch die Luft. Die Klinge traf Parvas Unterleib. Die Zuschauer verstummten jäh. Die beiden Männer standen reglos wie Statuen aneinandergepreßt da. Parvas Hand erhob sich noch über Axandrias’ Kopf hinaus und hielt dann inne. Die schlaffen Finger ließen den Dolch fallen. Axandrias drehte die Klinge, um die konvexe Schneide nach oben zu bringen, und riß sie hoch. Der Dolch schnitt durch den Körper, bis die Klinge vom Brustbein aufgehalten wurde. Wieder drehte er die Waffe, stieß zu und riß sie in einer Kreisbewegung nach oben. Dabei durchschnitt er Herz und Lunge. Axandrias stützte sich mit der linken Handfläche auf Parvas Brust und stieß sich von dem Mann ab, der nun nur noch ein stehender Leichnam war. Einen Augenblick lang stand Parva da. Seine Augäpfel rollten nach oben, bis man nur noch das Weiße sah. Dann fiel der tote Körper zu Boden. Die Männer bejubelten wie verrückt diesen hervorragenden Kampf. Sie umringten Axandrias, schlugen ihm auf den Rücken und gratulierten ihm zu seinem Sieg. Lächelnd nahm er das Lob entgegen. Dann lief er taumelnd zum Fluß. Er kniete nieder, hielt das Gesicht ins Wasser und trank. Als der Durst gestillt war, wusch er Arme und Waffe. Taharka kam zu ihm, als er die Klinge zurück in die Scheide steckte. »Das war hervorragend, mein Freund. Ich glaube, von jetzt an hast du mit den Männern keinen Ärger mehr.« Axandrias stand auf und nickte. Seine Augen waren klar. Er sah sehr müde aus. »Ja, diese Sticheleien hinter meinem Rücken wurden unerträglich. Als einer mich direkt beleidigte, wußte ich, daß es Zeit war, dem Ganzen ein Ende zu machen.« »Schon gut«, sagte Taharka. »Jetzt ruh dich aus. Ich habe für dich morgen einen gemütlichen Streifzug ausgesucht.« »Ich kann jede Aufgabe ausführen, die du mir zuteilst«, meinte Axandrias mürrisch. »Ich bin nicht weniger fähig als der Hyperboräer.«
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»Das weiß ich doch«, beruhigte ihn Taharka. »Übermorgen bekommst du eine wirklich wichtige Aufgabe. Aber jetzt ruh dich aus. Ein Kampf auf Leben und Tod mit einem würdigen Gegner kostet viel Kraft.« Axandrias nickte und ging. Die Blicke des Anführers folgten ihm. Diesen Mann durfte man nicht aus den Augen lassen. Axandrias taumelte zu seinem Schlafplatz. Es war eine kleine Nische in der Wand der Haupthöhle, nicht weit vom Fluchttunnel entfernt. Seine übliche Bettgefährtin kam zu ihm, aber er winkte ab. Im Schein einer Fackel überprüfte er den Inhalt des Holzkästchens. Ja, da war noch ein ordentlicher Vorrat an Pillen, die er vom Priester bekommen hatte. Als er gehört hatte, wie Parva ihn beleidigte – der Mann hatte so gebrüllt, daß er es einfach nicht überhören konnte –, hatte er eine der grünen Harztabletten genommen. Sobald er die Wirkung spürte, war er hinausgegangen und hatte den Corinthier herausgefordert. Schließlich hatte der Priester doch gesagt, man könne ohne Risiko ab und zu eine nehmen. Erst draußen hatte er sich entschlossen, ganz auf Nummer Sicher zu gehen, und hatte auch den Zauberspruch gemurmelt. Der Erfolg hatte das Risiko aufgewogen. Und es war ja nur dieses eine Mal.
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Zehn Conan ritt einen kleinen Hügel hinauf und musterte die Karawane. Dicht hinter ihm ritt Kalya. Sie trug eine lange Lanze, deren Schaft sie in eine Halterung am Steigbügel gesteckt hatte. Der Cimmerier hatte nicht gelernt, eine Lanze vom Pferd aus zu benutzen, daher verließ er sich auf sein Schwert. Die Karawane erstreckte sich fast eine halbe Meile dahin. Einige Wachen in glitzernden Rüstungen ritten vornweg. Auch die kleine Nachhut glänzte in der Sonne. Dazwischen bewegten sich die vielen Packtiere, schwer beladene Wagen, Reisende zu Fuß, sogar Sänften auf den Schultern von Sklaven. Der Anblick war fröhlich und bunt; aber Conan war nicht in der Stimmung, sich daran zu ergötzen. »Möge Crom alle diese Narren verfluchen!« raunte er Kalya zu. »Schau sie dir an! Ausgedehnt wie eine Schlange mit gebrochenem Rückgrat! Dieser Haufen ist ein Geschenk für jede Räuberbande, die zufällig vorbeikommt. Dicht gedrängt könnte nur eine mächtige, kühne Truppe den Angriff wagen. Aber so ...« Verärgert winkte er ab. »Selbst für eine kleine Truppe ein Kinderspiel.« »Warum sagst du das nicht Burra?« fragte sie neckend. Burra war der Anführer der Wachen. Er war ein arroganter Angeber. Sein Urteilsvermögen war so gering wie seine Intelligenz. Er betrachtete Conan als einen untermenschlichen Barbaren und machte aus dieser Ansicht keinen Hehl. Er hatte den Cimmerier und Kalya zum Flankenschutz eingeteilt, weil er derartig gesellschaftlich unter ihm Stehende möglichst weit vom Leibe haben wollte. »Ich werde es ihm sagen«, erklärte Conan. »Und diesem fetten Tölpel Hazdral ebenfalls!« »Du kannst es ebensogut der Eidechse auf dem Fels dort erzählen. Das nützt genausoviel. Außerdem – wäre es für uns nicht ausgezeichnet, wenn die Banditen angriffen? Wenn wir kein so
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verführerisches Ziel bieten, bleiben die Sklavenhändler vielleicht fern und berauben uns der Gelegenheit, sie in die Finger zu bekommen.« »Stimmt«, sagte er. »Du hast recht. Aber es geht mir einfach gegen den Strich, einen Angriff herauszufordern, wenn ich den Leuten meinen Schutz versprochen habe.« »Wir können nicht alle beschützen! Das ist Aufgabe der Wachmannschaft, und du hast gesehen, welche Witzfiguren das sind. Außerdem – was bedeuten uns schon diese Schafe?« Sie dachte kurz nach. »Naja, Vulpio und Ryula sind Freunde; aber den anderen würde ich nicht den Schweiß von meinem ...« »Reite mit mir!« unterbrach Conan sie. »Wir müssen noch einen Versuch machen, diese Schwachköpfe zu überzeugen. Wenn sie nicht hören wollen, kommt ihr eigenes Blut über ihre Köpfe.« Er drückte dem Pferd die Fersen in die Weichen. Kalya schüttelte leicht verzweifelt den Kopf und folgte ihm. Als sie in die Nähe des unter dem Gewicht des fetten Hazdral keuchenden Pferdes kamen, unterhielt der Karawanenführer sich gerade mit Burra. Die beiden musterten den jungen Cimmerier und die einäugige Frau keineswegs wohlwollend. »Warum seid ihr nicht auf eurem Posten?« rief Burra. Seine kostbare turanische Rüstung blitzte in der Sonne. Er war ein untersetzter Mann mit einem völlig kahlrasierten Quadratschädel und einem langen Schnurrbart, dessen Enden bis fast auf die Brust hingen. »Weil ich weder dort noch irgendwoanders bei der Karawane etwas ausrichten kann«, erwiderte Conan. »So auseinandergezogen, wie wir uns fortbewegen, kann uns jede kleine Bande jederzeit überfallen und mit der Beute fort sein, ehe die Wachposten irgend etwas dagegen tun können.« »Du bist zu ängstlich, junger Mann«, sagte Hazdral. »Du hast keine Ahnung, wie man eine Karawane führt. Ich bin schon seit Kindesbeinen unterwegs, und diese Karawane ist dreimal so groß wie jede, die ich bisher führte. Banditen sind Feiglinge, sonst wären sie ja
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Krieger. Sie werden nie so viele Menschen angreifen, wie wir hier haben.« »Wenn wir im wilden Land der Pikten wären«, meinte Conan, »wären wir schon längst in Stücke gehauen worden.« »Dies ist aber nicht einer deiner dunklen Wälder im Norden, Junge«, höhnte Burra. »Dies ist ein zivilisiertes Land, von dem du keine Ahnung hast. Halt den Mund und wag es nicht, erfahrenen Männern gute Ratschläge zu erteilen! So, und nun zurück auf deinen Posten!« »Du bist ein Narr und wirst als ein solcher sterben!« zischte Conan. Dann drehte er um und ritt davon, ohne sich um die Beleidigungen und Drohungen zu kümmern, die Burra hinterherschrie. Er ritt zur Mitte der Karawane zurück, wo eine Reihe großer langsamer Wagen wertvolle Ware transportierte. Mittendrin befanden sich die kleineren Wagen der Schausteller. Die meisten gingen zu Fuß neben den Wagen her und übten. Sobald Conan auftauchte, stellten sie das Jonglieren, Springen und Singen ein. »Bleibt dicht beisammen«, riet Conan. »Wir sind in großer Gefahr. Haltet eure Waffen griffbereit. Ihr seid zu nahe bei der für Banditen verführerischsten Ladung.« Dabei deutete er auf die Wagen, deren Holzräder unter den schweren Lasten laut quietschten. »Und ihr habt verdammt wenig Schutz von den Wachen, sollte ein Angriff kommen.« Dann ritt er so schnell weiter, daß er eine Staubwolke aufwirbelte. Hinter ihm redeten die Schausteller aufgeregt und besorgt durcheinander. Conan und Kalya hatten an diesem Tag die linke Flanke zu bewachen. »Wir sollten uns möglichst hoch halten«, sagte Conan. »Wenn sie kommen, greifen sie von der Seite an. Ich möchte so früh wie möglich gewarnt sein.« Nach einiger Zeit fanden sie einen Hügel, der die anderen Anhöhen überragte. Von dort aus sahen sie die Karawane unten gemächlich dahinziehen. Die Sonne senkte sich schon auf die Hügel hinter der Karawane.
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»Du irrst dich«, sagte Kalya und stellte sich in den Steigbügeln auf. »Sie kommen von vorn.« »Was?« Da sah Conan die Gruppe Bewaffneter, die den Weg versperrte. Sie schwenkten ihre Waffen und brüllten. Die Vorhut brüllte zurück. Als Burra sah, daß er den Banditen zahlenmäßig überlegen war, gab er seinen Männern den Befehl zum Angriff. Einen Augenblick lang zögerten die Räuber, dann preschten sie davon, verfolgt von den johlenden Männern Burras. »Sollen wir hinreiten?« fragte Kalya. »Nein«, antwortete Conan. »Schau!« Er zeigte nach Westen, wo zwei winzige Gestalten in vollem Galopp auf die Karawane zuritten. »Die Haupttruppe kommt von der Seite, wie ich gesagt habe, und mit der Sonne im Rücken.« Er hatte noch nicht ausgesprochen, da ergoß sich eine mächtige Reiterschar über die Hügel im Westen und preschte auf die Karawane zu. Gegen die Sonne war es schwierig, ihre Zahl abzuschätzen. »Komm!« rief Conan. »Mal sehen, ob wir noch etwas tun können; aber der Kampf ist bereits verloren. Es ist sinnlos, wenn wir dabei auch sterben.« Sie ritten Seite an Seite in das Chaos hinein. Die Banditen waren zwischen den Wagen, sprangen von den Pferden, machten die Fahrer nieder und rissen Ballen und Truhen auf. Zwei Räuber sahen die beiden Reiter und ritten ihnen entgegen. Ein Shemite wollte Conan mit dem Speer durchbohren, doch der Cimmerier packte den Speer hinter der Spitze und riß dem Mann die Waffe aus der Hand. Im nächsten Augenblick drang sein Schwert durch Helm und Kopf des Gegners, der tot aus dem Sattel ins Gras kippte. Conan drehte sich um und sah, wie Kalya gerade ihre Lanze in eine sich am Boden krümmende Gestalt stieß. Schnell ließ er den Blick über das Geschehen schweifen. Ein Gesetzloser hielt sich etwas abseits und dirigierte die Reiterschar. Dies mußte der Anführer sein. Conan trieb sein Pferd in diese Richtung. Der
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Mann wandte ihm das Gesicht zu. Aber zwischen den Helmplatten blitzte helle Haut auf. Also nicht Taharka! Dann erkannte er den Mann. Der Hyperboräer! Zumindest hatten sie die richtige Bande gefunden. Der Versuch, sich dieser Karawane anzuschließen, hatte sich ausgezahlt. Der große Mann ritt auf Conan zu. Der weiße Roßschweif auf seinem Helm wippte heftig. Er zog sein Schwert. Die Klingen der beiden Männer prallten aufeinander – einmal, zweimal. Dann waren sie vorbeigeritten, rissen die Pferde herum, um den nächsten Waffengang zu wagen. Da sprang ein Schurke mit dem Dolch in der Hand von einem Wagen auf Conan herab. Der Cimmerier zerteilte ihn mit dem Schwert beinahe in der Luft. Dann bedrängte ihn der Hyperboräer wieder. Sein Pferd preßte Conans Tier zurück, so daß ein Bein an einem Wagen eingezwängt wurde. Mit wildem Wutschrei führte Conan einen Streich mit der Rückhand und traf den Helm des Hyperboräers über der Schläfe mit solcher Macht, daß dieser im Sattel taumelte. Das gegnerische Roß wich zurück, so daß Conan zu Boden gleiten konnte. Er rollte sich unter den Wagen, um aus der Reichweite der stampfenden Hufe zu gelangen. Die Schmerzen im Schenkel waren stark, aber es war nichts gebrochen, nur die Abschürfungen bluteten leicht. Er hörte ein Signalhorn, dann sich entfernenden Hufschlag. Er kroch unter dem Wagen hervor und sah die Banditen wegreiten. Bündel und menschliche Gestalten lagen über ihre Sättel geworfen. Hinkend und vor Schmerzen bei jedem Schritt zusammenzuckend, schleppte Conan sich an den Wagen vorbei zu der Schar weinender Frauen und dem Stöhnen der Verwundeten und Sterbenden. »Kalya!« rief er. »Wo bist du?« Dann sah er sie. Mit seinem Pferd am Zügel ritt sie auf ihn zu. »Als ich dich fallen sah, befürchtete ich das Schlimmste«, sagte sie. »Aber dann sah ich dich unter den Wagen rollen.« Sie übergab ihm die Zügel. Mühsam hievte er sich in den Sattel.
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»Es war nicht gerade meine Sternstunde als Krieger«, gab er zu. »Aber ich lebe. Bist du verwundet worden?« »Ich spüre nichts. Siehst du etwas?« Sie drehte sich zu ihm. Er musterte ihren spärlich bekleideten Körper. »Ich sehe nichts, und viele Stellen sind bei dir ja nicht verborgen. Wie viele haben wir verloren?« »Das kann uns doch gleich sein«, antwortete sie. »Komm, laß uns nachsehen, ob Vulpio und Ryula noch leben.« Sie trabten zu den Wagen der Schausteller hinüber. Dort herrschten lautes Klagen und Wehgeschrei, wie Conan erwartet hatte. Die schönsten Frauen der Karawane waren bei der Gauklertruppe gewesen. Vulpio beugte sich über einen toten Banditen und zog seinen Dolch aus der Kehle des Mannes. Gramzerfurcht blickte er ihnen entgegen. »Sie haben Ryula geraubt!« rief er. »Einer hat sie wie einen Sack Mehl über den Sattel geworfen. Ich hatte meinen letzten Dolch schon geworfen.« »Wie konnte dieses schlüpfrige Fischlein sich nur erwischen lassen?« fragte Kalya. »Ein Speerschaft traf sie von hinten, als sie einem verwundeten Freund half«, sagte Vulpio. Er sah, wie ein Bandit aufstehen wollte, und warf ihm einen Dolch direkt durchs Auge. »Sie war noch betäubt, als der Schuft sie packte. Wir müssen hinterherreiten.« »Genau mein Gedanke«, sagte Conan. »Wir sollten diese Verbrecher unbedingt verfolgen. Such dir ein gutes Pferd aus, und dann nichts wie los!« Einige Reiter kamen auf sie zu. Es waren Hazdral und Burra. »Wie ist die Situation hier?« fragte der Karawanenführer. »Sie haben einige Frauen geraubt«, antwortete Conan. »Wir reiten hinterher.« »Das werdet ihr schön bleiben lassen«, sagte Hazdral. »Wir haben Wichtigeres zu tun, als ein paar Zirkusflittchen zu befreien. Ich habe schon genug Ärger mit den Kaufleuten, deren Ware gestohlen wurde. Reitet zu den anderen Wachen!«
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»Ich verfolge die Verbrecher«, erklärte Conan wütend. »Und Kalya auch. Was deine Wachen betrifft...« Er musterte Burra und den Rest verächtlich, »da sehe ich nicht eine blutige Waffe.« Burra trieb sein Pferd neben Conan. »Was?« rief er. »Du bist dir zu gut, um mit uns zu reiten, Barbar? Ich habe von deiner Unverschämtheit genug!« Er griff nach dem Schwert; aber ehe er es halb herausgezogen hatte, beschrieb der Arm des Cimmeriers einen Halbkreis und trennte Burras Kopf vom Rumpf. Der lange Schnurrbart flatterte hinterher, als der Kopf zu Boden fiel. »So«, sagte Conan zu Hazdral, »damit habe ich meinen Sold verdient. Deine Karawane ist jetzt viel sicherer; aber du kannst dein Gold behalten, Fettwanst.« Er funkelte die anderen Wachen an. »Hat noch jemand Lust, mich aufzuhalten?« Alle blickten angestrengt weg. »Gut so!« Es gab viele herrenlose Pferde. Und so dauerte es nicht lange, bis sie mehrere eingefangen hatten. Außer Conan, Kalya und Vulpio hatten noch vier Akrobaten gebeten, bei der Verfolgung mitreiten zu dürfen. Ihre Frauen waren ebenfalls geraubt worden, und sie wollten sie zurückholen. Als alle bewaffnet waren, faßten sie noch Proviant und ritten los. Conan bildete die Spitze. Doch schon nach einer guten Stunde ließ er halten. »Es ist zu dunkel, um der Spur weiter zu folgen«, erklärte er. »Aber die Verbrecher werden nicht anhalten«, protestierte Vulpio. »Bis Sonnenaufgang haben sie viele Stunden Vorsprung.« »Das stimmt«, sagte Conan gelassen. »Aber wenn wir jetzt weiterreiten, verlieren wir die Spur vielleicht ganz. Es ist besser, jetzt, da wir sie deutlich vor uns haben, aufzuhören und ganz früh weiterzureiten, als morgen den ganzen Tag damit zu vertun, die Spur zu finden.« »Er hat recht«, bekräftigte Kalya. »Wir lagern hier.« Die anderen Männer fluchten und schimpften, gehorchten aber. Während die Pferde angepflockt wurden, trat Kalya zu Conan.
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»Das war doch der Hyperboräer, der dich aus dem Sattel gehoben hat, oder?« fragte sie. »Ja, noch einmal wird er das nicht tun. Aber dadurch wissen wir, daß wir bald Taharka und Axandrias finden werden.« Als er das Funkeln in ihrem Auge sah, fügte er hinzu. »Vielleicht finden wir aber auch über hundert Männer bei ihnen. Wir müssen sorgfältig planen.« Taharka trat aus der Höhle, um die Beute zu inspizieren, die ohne viel Federlesen von den Pferden der heimgekehrten Männer fiel. Warenballen und bewußtlose Gefangene wurden gleichermaßen ins Gras geworfen. »Ein lohnender Beutezug«, meinte der Führer, als Kuulvo neben ihm abstieg. »Bist du auf Widerstand gestoßen?« Ihm war der Verband um den Kopf des Hyperboräers aufgefallen. »Kaum der Rede wert«, antwortete Kuulvo. »Mit einer beachtlichen Ausnahme: Dieser junge Cimmerier aus Croton. Bei Ymir, bei seinem Schlag haben mir die Ohren gedröhnt! Wäre mein Helm nicht so gut...« »Der Cimmerier?« unterbrach ihn Taharka. »Wer ist dieser Mann? Und warum verfolgt er jeden unserer Schritte?« Axandrias hatte die letzten Worte gehört, als er sich über eine stöhnende Frau beugte. »War das einäugige Weib auch bei ihm?« In seinen Augen stand wieder das gehetzte Flackern. »Ich habe es nicht gesehen«, antwortete der Hyperboräer achselzuckend. »Ich schon«, erklärte ein übel aussehender Kerl mit stygischem Helm aus gehärtetem Stahl. »Ein fast nacktes Weibsstück mit Augenklappe war dabei. Sie hat drei Männer mit der Lanze erledigt.« »Hm, mit der Lanze ist sie ebensogut wie mit dem Schwert«, meinte Taharka. »Sie ist eine Frau mit vielen Fähigkeiten. Ich nehme an, es war reiner Zufall. Die beiden können mit Waffen umgehen und haben als Wachen bei einer Karawane angeheuert, die zufällig durch unser Gebiet kam. Überlegt doch! Wir haben die Karawane angegriffen, sie haben
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uns nicht aufgelauert.« »Nein!« widersprach Axandrias. »Diese beiden sind Dämonen und wurden von einem Rachegott geschickt, um uns zu vernichten.« »Deine Phantasie geht mit dir durch, mein Freund«, wies Taharka ihn zurecht. »Hör mit diesem hirnlosen Geschwätz auf, ehe du noch die Männer in Unruhe versetzt!« Axandrias senkte den Kopf. »Tut mir leid, mein Anführer. Diese beiden Schakale quälen mich so, daß ich mich vergaß.« »Kein Grund zur Sorge«, sagte Taharka. »Sie sind nur zu zweit, wir dagegen viele. Sollten sie uns Ärger machen, beseitigen wir sie. Jetzt aber zu wichtigeren Sachen.« Er musterte die Gefangenen abschätzend. »Was sind das für welche?« »Akrobaten und Sänger«, sagte Kuulvo. »Eine große Truppe von Schaustellern reiste mit der Karawane. Die hübschesten haben wir rausgesucht.« »Hervorragend. Frauen mit solch seltenen Fähigkeiten werden in den Bordellen im Süden ein nettes Sümmchen einbringen. Das Haus höchster Lust in Khorshemish ist immer interessiert, Frauen mit außergewöhnlicher Körperbeherrschung und Gelenkigkeit zu kaufen.« »Wann soll ich sie nach Süden bringen?« fragte Kuulvo. »Mein Raubzug gestern brachte auch viele Gefangene ein«, sagte Taharka. »Mit diesen hier wird es unerträglich eng. Such dir heute abend Männer aus, sammle alle Ketten und Fesseln ein, die du findest, und brich bei Morgengrauen auf. Wir sprechen heute abend noch über den Ort, wo wir uns nach deiner Rückkehr treffen werden.« Nach dem üblichen Gelage saß Taharka auf seinem Thron und brütete vor sich hin. Das war absolut nicht seine Art. Normalerweise war er spontan, lebte von einem Augenblick zum nächsten, Vergangenheit und Zukunft hatten wenig Bedeutung. Er nahm sich, was er wollte. Andere Menschen waren lediglich Objekte, die er nach Lust und Laune benutzte. Reichtum und Luxus waren angenehm, daher erwarb er sich diese Güter ohne Erlaubnis der vorigen Besitzer. Für ihn
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war die Welt tot, wenn sie nicht mit Aufregung gefüllt war; daher stiftete er so viel Chaos und Durcheinander wie nur möglich und wo immer er war. Wenn ihn jemand ärgerte, ihn bedrohte oder auch nur lästig wurde, tötete er ihn ohne jeden Skrupel. Er war auch jederzeit bereit, jene zu verraten, die ihm vertrauten. Bei allen Aktivitäten profitierte er von seiner Intelligenz, seiner Fähigkeit, zu planen und zu organisieren, und vor allem durch seine außergewöhnliche Führungskraft und seine Eigenschaft, Menschen zu bezaubern und ihr Vertrauen zu erringen. Diese Fähigkeiten hatten ihm bisher immer gereicht, seine Welt zu beherrschen, die vor unterlegenen Menschen nur so wimmelte. Doch jetzt hatte etwas seine Welt verändert. Jemand hatte persönliches Interesse daran, ihn zu verfolgen. Die einäugige Frau wollte zweifellos Axandrias umbringen. Aber dieser junge Cimmerier nicht. Irgendwie war Taharka sicher, daß der Bursche hinter ihm her war. Es mußte mit diesem Überfall in Cimmerien zusammenhängen. Ein derartiger Rachedurst lag weit außerhalb seines Vorstellungsvermögens; aber er wußte, daß er bei anderen Menschen eine starke Kraft sein konnte. Was hatte er getan, daß dieser Mann ihn um die halbe Welt verfolgte, die Bossonier und Gundermänner getötet hatte und anscheinend den Rest seines Lebens damit verbringen wollte, ihm auf den Fersen zu bleiben, um ihn zu töten? Noch dazu ein Mann, der einer Nation angehörte, die bekanntlich höchst ungern den heimischen Herd verließ! Es war ein Rätsel, und Taharka hatte für Rätsel nichts übrig. Er war glücklich, wenn er seine Welt und ihre Bewohner beherrschen konnte. Diese störende Episode war eine Verletzung seines Ordnungsprinzips. Während er solch deprimierenden Gedanken nachhing, hob er den Silberbecher an die Lippen. Doch dann hielt er auf halber Strecke inne, als er den unnatürlichen Lichtschein sah, der sich darin spiegelte. Ein unheimliches Grün! Er drehte den Becher, aber kein grüner Stein saß im schimmernden Metall.
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Er blickte in der Höhle umher, woher dieses unheimliche Licht stammen mochte. Man hörte nur das laute Schnarchen der schlafenden Galgenvögel. Die Feuerstelle schimmerte dunkelrot. Die Glut kühlte nach dem Festmahl ab. Hier und dort glommen kleine Fackeln oder Kerzen, mit denen die Männer die Schlafstellen erleuchteten. Als er den Kopf wendete, sah er, daß das grüne Licht von weit hinten aus der Höhle kam. Es lief ihm kalt über den Rücken. Eine winzige Seitenhöhle erglühte von diesem geheimnisvollen grünen Licht. Er hatte dies Licht schon früher gesehen, zum letzten Mal in einem Tempel in der Stadt Croton. Langsam erhob er sich und stieg vom Thron. Er trat zu einem Schnarcher und schüttelte ihn an der Schulter. Der Mann wachte nicht auf. Ungeduldig trat er ihn kräftig in die Rippen, doch vergeblich. Alle Säufer verfluchend, versuchte er andere zu wecken. Doch alle schnarchten ruhig weiter. Da wußte er, daß dies kein natürlicher Schlaf war. Er überlegte, ob er durch den Notausgang fliehen sollte; aber er war schon früher mit Situationen dieser Art fertig geworden. Kein Grund zur Panik! Er nahm sein Schwert und gürtete es um. Langsam und vorsichtig schlich er nach hinten. Diese kleine Seitenhöhle war ihm noch nie aufgefallen; aber er hatte das Höhlensystem auch nie genau erforscht. Die Decke war hoch genug, daß er aufrecht gehen konnte. Nach wenigen Schritten sah er den Ursprung des Lichtes. In einer Vertiefung des Höhlenbodens brannte ein grünes Feuer, von dem keinerlei Wärme ausging. Dahinter saß ein Mann in ärmellosem schwarzen Gewand. Er war hager und hatte brennende schwarze Augen. »Sei gegrüßt, Taharka aus Keshan«, sagte der unheimliche Fremde. »Du auch, Priester«, antwortete Taharka und legte die Hand auf den Schwertknauf. »Was führt dich in mein bescheidenes Heim?« »Dein Geschick, wie du wohl weißt. Du kannst auch jeden
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Gedanken an Gewalt fahren lassen, falls du ihn nährst. Der Priester des Tempels in Karutonia, welches du als Croton kennst, war unvorsichtig. Er weilte schon zu lange an einem Ort, weit entfernt vom Zentrum der Mächte, wo die großen Ereignisse, welche den Kosmos bestimmen, ihren Ursprung haben. Ich bin viel zu mächtig, als daß du mir mit deinen lächerlichen Waffen ein Leid zufügen könntest.« »Ach ja, der Priester«, sagte Taharka. Es brächte nichts, den Unschuldigen zu spielen. Das war ihm klar. »Da ich keine Lust hatte, länger mit eurer Sekte zu tun zu haben, habe ich ihn bei der erstbesten Gelegenheit getötet.« »Du hast ihn nicht getötet«, widersprach der Fremde. »Er meldete deine Untat einige Stunden nach dem Geschehnis.« Das klang nicht gut. »Ich habe ihn nicht getötet? Aber ich habe ganze Arbeit geleistet. Schließlich bin ich auf diesem Gebiet kein Anfänger.« Er war beleidigt, daß man ihm unterstellte, sein Handwerk nicht zu beherrschen. Der schmallippige Mund des Priesters verzog sich zu einem leichten Lächeln. »So leicht bringt man uns nicht um! Ich könnte auch sagen, daß es unmöglich ist, uns zu töten. Nur bestimmte Götter verfügen über die Möglichkeit, uns zu vernichten.« »Und was willst du von mir?« fragte Taharka. Angesichts solcher Macht fühlte er sich hilflos. Er vermutete, daß der Priester oder Zauberer oder was er sonst war, ziemlich aufschnitt; aber es bestand kein Zweifel, daß der Mann über große Macht verfügte. »Setz dich!« Der Mann deutete auf eine Stelle vor dem Feuer, ihm gegenüber. Taharka gehorchte. »Denk einige Jahre zurück! Ein gewisser Tempel in Kuthchemes. Du erinnerst dich doch, was geschah, oder?« »Ja, natürlich«, gab Taharka widerstrebend zu. »Ich hatte bei einem Raubzug nach Zamboula fünf oder sechs Mädchen aus adligen Familien erbeutet.« Er lächelte bei der Erinnerung. »Hübsche Dinger, keins älter als vierzehn. Es war ihr erster Ausflug. Man hatte mir gesagt, daß ein bestimmter Tempel der Stadt, der irgendeinem lächerlichen
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Gott geweiht war, einen guten Preis für sie bezahlen würde.« »Ja«, sagte sein Gegenüber, »bestimmte Zeremonien erfordern solche Geschöpfe. Was geschah, nachdem du deine Ware verkauft hattest?« Das Gesicht des Banditen wurde ausdruckslos, seine Stimme klang gequält. »Einer der Priester bat mich, mit ihm in den inneren Teil des Tempels zu gehen, wo er mir etwas zeigen wollte. Aus einer Laune heraus folgte ich ihm. Er führte mich weit hinein. Ich war sicher, daß ich das Opfer einer Illusion geworden war, weil der Tempel, den ich von außen gesehen hatte, viel zu klein war, um innen soviel Raum zu haben. Es gab da auch seltsame Säulen. Sie waren wie Schlangen geformt, hatten aber menschliche Gesichter. Ihre schuppigen Gesichter schienen mir beim Vorbeigehen zu folgen. Wir kamen an eine große Flamme, die grün und ohne Wärme brannte – wie diese hier. Er forderte mich auf, hineinzusehen und meine Hand ins Feuer zu halten. Wie unter einem mir unverständlichen Zwang gehorchte ich. Er erklärte mir einige Geheimnisse eurer Sekte und daß ich an einem bestimmten Ort unter einer besonderen Konjunktion der Gestirne und anderer Mächte geboren sei und es mir daher vorherbestimmt sei, eine entscheidende Rolle in der Geschichte meiner Zeit zu spielen.« »Und war dies Schicksal denn nicht verlockend? Enthüllte er dir nicht einige der Freuden deines Schicksals?« Taharka lachte verbittert. »O ja, das tat er allerdings. Er zeigte mir, wie ich im Triumph durch zerstörte Städte ritt und mit meinem Schwert besiegte Könige köpfte. Ich sah mich inmitten unvorstellbarer Pracht. Aristokraten warfen sich vor mir zu Boden. Tausende der erlesensten Sklaven und Sklavinnen waren bereit, mir jeden Wunsch zu erfüllen. Eine ganze Welt lag mir zu Füßen – nur zu meiner Belustigung.« »Wahrlich, wahrlich«, sagte der Mann. »Nun nähern wir uns der Zeit, da mächtige Abenteurer, wenn sie kühn genug sind, die Throne der Welt mit ihren blutbefleckten Händen erringen können. Manche
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könnten sogar über Imperien herrschen, aufgrund ihrer Rücksichtslosigkeit. Es gibt einige – wenige –, die so bedenkenlos, ohne jede Skrupel, nach der absoluten Macht streben und diesen Weg gehen, daß es in ihrer Macht steht, die gesamte Welt zu erobern und zu beherrschen! Hat er dir dies nicht alles enthüllt?« »Doch, das hat er getan«, fauchte Taharka. »Und er zeigte mir auch, was am Ende meiner Herrschaft liegt! Er zeigte mir den unaussprechlichen Gott, den deine Sekte aus dem Blut, das ich auf meinem Weg zum Thron der Welt vergossen habe, heraufbeschwören würde. Er machte mir klar, daß ich zehntausend Jahre oder noch länger als eine Art abstoßender Zwitter regieren würde!« Er sank in sich zusammen. Seine Miene versteinerte sich. »Nein, ich danke dir, Priester; aber ich ziehe es vor, ein einfacher Bandit zu bleiben, meine bescheidenen Vergnügungen zu genießen und von Tag zu Tag zu leben. Es klingt sehr verlockend, über die ganze Welt zu herrschen; aber der Preis ist zu hoch.« »Er zeigte dir zu viel«, sagte der Mann. »Es ist nicht gut, zu viel von der Wahrheit zu enthüllen. Na schön, es gibt noch andere. Wir hatten gehofft, du seiest unser Mann, da deine Fähigkeit, Böses zu tun, größer als bei jedem anderen Kandidaten ist. Aber du bist nicht der einzige.« Taharka war von den Worten des Priesters nicht befriedigt; aber er wollte ihn so schnell wie möglich loswerden. »Sag mir etwas, wenn du schon soviel weißt. Wer ist dieser Cimmerier, der mein Schatten geworden ist?« »Ein Cimmerier?« fragte die Gestalt im schwarzen Gewand. »Ich weiß von keinem Cimmerier.« Ein mächtiges Rauschen erfüllte die Luft. Flammen züngelten in dem Raum. Taharka war geblendet. Schützend hielt er die Hände vors Gesicht, als sei es tatsächlich ein Feuer. Als er die Augen wieder öffnete, sah er nur ein Bild seiner Erinnerung. »Priester?« rief er. Keine Antwort. Er streckte die Hände aus; aber da waren nur die Felswände der Höhle. Fluchend kehrte er zurück in die Haupthöhle.
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Als die Lichtblitze vor seinen Augen endlich erloschen waren, konnte er wieder die Fackeln sehen. Er riß eine davon aus der primitiven Lehmhalterung. Fast eine Stunde lang durchsuchte er den hinteren Teil der Höhle; aber er konnte keine Spur der Höhle finden, in der er mit dem Zauberpriester gesprochen hatte. Diese Nacht schlief er schlecht. Sein Leben war viel zu kompliziert geworden. Gegen Mittag des zweiten Tages kamen Conan Zweifel, ob es klug gewesen war, diesen Haufen Möchtegernbefreier anzuführen. Als Akrobaten mochten sie hervorragend sein; aber reiten konnten sie nicht. Die Männer waren zwar finster entschlossen, wurden aber schnell sattelwund. Sie fielen so oft vom Pferd, daß nur ihre akrobatischen Fähigkeiten sie davor schützten, sich das Genick zu brechen oder ernstlich zu verletzen. »Vielleicht müssen wir sie zurücklassen«, sagte Kalya, als sie neben Conan trabte. »So verschwenden wir nur Zeit.« Er war geneigt, ihr zuzustimmen. »Ich weiß, daß die unbedingt ihre Frauen zurückholen wollen«, sagte er. »Und ich wünschte, wir könnten sie mitnehmen – besonders Vulpio. Aber ich fürchte – was ist das?« Er zeigte auf eine Staubwolke am Horizont. »Reiter! Kommen die Schurken etwa zurück?« Kalya spähte angestrengt nach vorn. »Die Richtung ist verkehrt, es sei denn, sie haben einen weiten Kreis geschlagen. Was tun wir jetzt?« »Wir warten hier«, entschied Conan. »Wir lassen die Pferde so lange wie möglich rasten. Wenn wir wissen, wer die Reiter sind, wissen wir auch, ob wir fliehen oder bleiben sollen.« Die Gaukler blieben mit ihnen stehen, jederzeit zur Flucht bereit. Als sie Banner über der großen Reiterschar erblickten, entspannten sie sich etwas. Banditen führten keine Fahnen. Der Anführer der Kavallerie hob die Hand, als sie sich Conans kleiner Schar näherten,
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worauf die ganze Abteilung diszipliniert anhielt. Einige Offiziere ritten vorwärts. »Wir sind das Adler-Schwadron des Königs von Ophir«, erklärte der Mann in der prächtigsten Rüstung. »Wir suchen nach einer großen Bande Gesetzloser, die diese Gegend heimgesucht und Sklaven und Beute gemacht haben. Habt ihr sie gesehen?« Conan verkniff sich die Frage, in wessen Auftrag diese Soldaten ritten. »Wir folgen ihrer Spur«, sagte er nur. »Sie überfielen die Karawane, bei der wir waren, und nahmen einige Frauen gefangen. Wenn du willst, kann ich euch führen.« Der Offizier blickte ihn überrascht an. »Du kannst in dieser weglosen Ebene einer Spur folgen?« »Aber leicht«, versicherte der Cimmerier. Für Conan war es unverständlich, daß Menschen, die in diesem Land groß geworden waren, den deutlichen Zeichen nicht folgen konnten, die eine so große Reiterschar hinterlassen hatte. Aber vielleicht war das ein Teil des Preises, den man bezahlen mußte, um zivilisiert zu sein. »Dann führ uns zu ihnen«, verlangte der Offizier. »Dafür bekommst du auch eine stattliche Belohnung.« »Ich reite ein Stück voraus«, sagte Conan. »Laß deine Männer nicht vor mich, sonst verwischen sie die Spuren.« Die Offiziere gaben die notwendigen Befehle, und Conan ritt los. Die Soldaten betrachteten Kalya erstaunt und auch bewundernd, hielten aber die Zunge im Zaum.
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Elf Axandrias blickte auf, als der Posten rief. Der Mann schwenkte seinen Speer, um Aufmerksamkeit zu erregen. Schnell verließ der Aquilonier das Pferd, das er angesehen hatte, und sprang über den Zaun. Als er den Hügel zum Felsspalt hinauflief, genoß er die Energie und Stärke, die er in sich spürte. Am Morgen war er mit dröhnendem Kopf, verdorbenem Magen und einem Gefühl aufgewacht, daß der Tod durchaus erstrebenswert sein könnte. Er hatte am Abend zuvor zuviel getrunken, wie er es sich seit einiger Zeit angewöhnt hatte. Nur als Experiment hatte er mit dem Dolch eine der Pillen halbiert und geschluckt. Diesmal verwendete er keinen Zauberspruch, also konnte es ihm bestimmt nicht schaden. Innerhalb von Minuten hatte er sich völlig erholt und fühlte sich wie ein Jüngling. Den Vormittag hatte er damit verbracht, mit mehreren Männern hintereinander Schwertkämpfe zu üben. »Sieh mal, Hauptmann!« rief der Wachposten, als er bei ihm eintraf. »Reiter nähern sich! Viele!« »Mitra!« rief Axandrias. Er verspürte keine Angst, doch sein Blut geriet in Wallung. »Bleib hier! Ich hole den Anführer.« Rasch lief er zur Höhle. »Herr! Komm heraus! Wir bekommen Besucher, und ich wette, daß sie königliche Farben tragen.« Taharka schlenderte heraus und schnallte die Rüstung um. »Wie viele?« fragte er barsch. »Das kann man noch nicht sagen; aber sie haben eine riesige Staubwolke aufgewirbelt. Sie haben einen für uns schlechten Zeitpunkt gewählt. Ein Drittel unserer Männer fehlt.« »Vielleicht finden sie uns nicht«, meinte Taharka. »Du hast doch diese Stelle nur zufällig entdeckt.« Er sagte dies nur, um einer Panik vorzubeugen, da er genau wußte, daß jeder, der Augen im Kopf hatte, das Versteck finden mußte. »Ich gehe zum Wachposten hinauf und
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sehe es mir selbst an. Ruf die Männer zu den Waffen. Laß einige auf dem Rand Posten beziehen. Wenn sie Bogenschützen heraufschicken, können sie uns wie die Häschen in der Grube abschießen. Wenn du damit fertig bist«, fuhr er leise fort, »geh zu unserem Notausgang und sieh nach den Pferden. Bring frisches Wasser und Proviant hin, falls uns urplötzlich Sehnsucht nach südlichen Gefilden überkommen sollte.« »Verstanden, Anführer«, grinste Axandrias. Die Kavallerieabteilung wurde langsamer und blieb am Fuß des Hügels stehen. Während der letzten Meilen hatten selbst die dümmsten Soldaten die kahlen Stellen im Gras gesehen, wo die Banditen sich getroffen hatten, um in ihr Versteck hinaufzureiten. Alle sahen die breite Spur, die in der Felsspalte verschwand. »Also, das ist mir ein Rätsel«, sagte der Offizier. »Alles deutet darauf hin, daß sie den Hügel hinaufritten; aber ich sehe niemanden dort oben. Haben sie sich in Luft aufgelöst? Ist es Zauberei?« »Das glaube ich nicht«, sagte Conan. »Ich wette, da oben ist mehr, als wir von unten sehen können. Ich bin in den Bergen groß geworden und weiß, wie trügerisch sie sein können. Warten wir, bis es dunkel ist, dann werde ich die Sache für euch erkunden.« Der Offizier winkte ab. »Nicht nötig! Entweder sind die Verbrecher dort oben – in dem Fall wird meine Schwadron sie im Nu vernichten –, oder sie sind nicht dort – dann möchte ich nicht noch mehr Zeit verschwenden.« Conan zuckte mit den Achseln. »Wie du meinst.« Er ritt zurück zu Kalya und den Akrobaten. »Kommt mit!« Sie ritten ein Stück weiter, während die Kavalleristen sich auf einen Angriff vorbereiteten. »Aber vielleicht töten sie Axandrias!« protestierte Kalya wütend. »Ich lasse mich nicht um meine Rache betrügen!« »Ich auch nicht«, sagte Conan. »Aber wir brauchen – so glaube ich – keine Angst zu haben. Ganz gleich, was wir von Taharka halten, er ist
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auf keinen Fall ein Idiot. Wenn ich mich nicht irre, steht den Soldaten eine unangenehme Überraschung bevor, wenn sie den Hügel stürmen. Wir halten uns von ihnen fern und möglichst in Deckung.« »Aber wie bekommen wir Ryula und die anderen Frauen lebendig da heraus?« fragte Vulpio. »Als erstes müssen wir das Versteck besichtigen«, erklärte Conan. »Dann können wir Pläne machen. Bis dahin müssen die Frauen leider sehen, wo sie bleiben.« Eine schrille Pfeife ertönte. Die Soldaten ritten vorwärts. Anfangs waren sie schnell, aber auf dem Hügel verlangsamte sich ihre Attacke. Die Pferde rutschten teilweise auf dem steilen Gelände und brachten die Ordnung durcheinander. Urplötzlich standen Bewaffnete vor dem Felsspalt und am Abhang direkt daneben. Pfeile durchbohrten die anrückenden Soldaten. Dann sausten aus allen Richtungen lange Speere auf die verwirrten Reiter zu. Die ersten Reihen fielen zurück und stifteten bei den Nachrückenden Verwirrung. Conan vermied den ausgetretenen Pfad und ritt seitlich in beträchtlichem Abstand zur Kavallerie vorsichtig hinauf. Er hörte die Offiziere Befehle brüllen, um die Männer wieder in irgendeine Ordnung zu bringen. Dazu bedienten sie sich auch großzügig ihrer flachen Klingen. Der Cimmerier sah, daß auf der Seite der Spalte ein Felskamm wie eine Festungsmauer über einem Tor aufragte. Dort standen Männer mit Bogen. Zum Glück waren es lausige Bogenschützen, mit Ausnahme einiger Shemiten, die diese Kunst von Geburt an übten. Dann beobachtete Conan, wie eine imposante Gestalt mit offensichtlicher Genugtuung das Blutbad besichtigte. »Taharka!« Wütend zeigte er auf den Mann in vergoldeter Rüstung. Kalya zischte. »Wo dieser Erzschurke ist, kann sein blonder Köter nicht weit sein.« Sie preschte den Hang hinauf. Conan hielt sich an ihrer Seite. Jetzt hatte Taharka die beiden entdeckt. Sein Gesicht verfinsterte
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sich. Er deutete auf sie und rief den Bogenschützen etwas zu, worauf diese die Richtung wechselten und auf Conan und Kalya zielten. Conan beugte sich hinüber, packte Kalyas Zügel und riß beide Pferde in den Stand, als die ersten Pfeile herabprasselten. »Zurück!« brüllte er. »Wir haben keine Rüstung und keine Schilde.« Enttäuscht und wutschnaubend gehorchte ihm Kalya. Die anderen machten gern kehrt. Die Gaukler waren zwar nicht ängstlich, aber Kampferprobung gehörte nicht zu ihren besonderen Talenten. Auch die Soldaten zogen sich widerstrebend zum Fuß des Hügels zurück. »Du hattest recht, Fremder«, sagte der Kommandant, als der Cimmerier zu ihm zurückritt. »Du hättest diesen verdammten Platz erst auskundschaften sollen, ehe ich meine Männer zum Angriff losschickte. Hinter der Felsöffnung muß ein riesiger Krater liegen, wenn so viele Männer sich dort verstecken können – und die Pferde auch, das wette ich.« Der Mann ließ noch kurz seine Wut ab, dann fragte er: »Würdest du heute nacht für uns den Kundschafter machen? Ich werde dich für deine Dienste mit viel Gold belohnen.« Conan wollte gerade jede Art Bezahlung zurückweisen, als Kalya sich einmischte. »Wieviel?« »Fünfzig Goldroyale«, schlug der Offizier vor. »Einhundert«, sagte Conan. Er lernte schnell. »Und ich bringe einen Gefangenen mit, den du verhören kannst.« »Gemacht«, erklärte der Offizier. »Was benötigst du? Rüstung? Waffen? Du brauchst es nur zu sagen.« »Ich habe alles, was ich brauche«, sagte Conan. »Ich werde nach Mitternacht aufbrechen, wenn die meisten schlafen.« »Wie du willst.« Der Kommandant ritt zu seiner Truppe zurück und gab den Befehl zum Ausschwärmen, um einen Ausbruch der Banditen zu verhindern. Conan ritt ein Stück abseits und schwang sich aus dem Sattel. »Nimm mich mit!« sagte Kalya. »Nein! Du kannst zwar mit der Klinge umgehen, aber du hast keine
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Übung darin, dich ungesehen in ein feindliches Lager zu schleichen. Ich habe das schon als Kind gelernt. Außerdem bin ich nur zur Erkundung unterwegs. Wenn du dabei wärst und Axandrias entdecktest, würdest du dich auf ihn stürzen und das ganze Lager in Aufruhr versetzen, ehe jemand Luft holen könnte. Wir würden niemals lebendig zurückkommen. Laß mich jetzt allein. Ich brauche etwas Ruhe vor dieser Mission.« Damit legte er sich ins Gras und war im Nu eingeschlafen – die Hand am Schwertknauf. Wutschnaubend stampfte Kalya davon. Als der Kommandant mit seinen Offizieren an einem kleinen Lagerfeuer saß und sich beriet, jagte ihnen eine dämonische Gestalt Schrecken ein. »Mitra! Was ist das?« stieß ein Offizier hervor, dessen Bart blau gefärbt war. »Nur euer Kundschafter«, antwortete Conan. Sie steckten die Waffen wieder in die Scheiden, als sie die bizarre Figur erkannten. Der Cimmerier trug nur ein knappes Lendentuch und den Waffengurt. Er hatte sogar die Sandalen abgelegt. Sein Schwert war quer über den Rücken gebunden. Alle Metallteile hatte er mit dunklem Stoff umwickelt, damit sie nicht glänzten oder klirrten. Von Kopf bis Fuß war er mit Ruß eingerieben. »Du siehst aus wie ein Kobold aus diesen piktischen Wäldern, von denen du erzählt hast«, sagte der Kommandant. »Da du aber auf Erkundung und nicht zu einer Parade willst, nehme ich an, daß dieser Aufzug passend ist. Bring mir den Plan des Lagers und einen Gefangenen, dann zahle ich dir gern das Gold, das du verlangst.« Wortlos nickte Conan und verschwand in der Dunkelheit außerhalb des Lichtkreises des Feuers. Er bewegte sich lautlos, damit keiner der ophirischen Soldaten ihn bemerkte. Ein kurzer Trab brachte ihn zum Fuß des Hügels. Schon bald erreichte er die Felswand, die er gesehen hatte. Er wollte sich vom Felsspalt möglichst fernhalten, da dieser Zugang mit Sicherheit bewacht war.
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Und so wählte er eine Wand, die dreihundert Schritt links vom Felsentor lag. Langsam und lautlos arbeitete er sich hinauf, indem er jeden Vorsprung, jeden festen Grasbüschel ausnutzte. Sein rußbedeckter Körper vermengte sich mit dem Untergrund so sehr, daß ein Beobachter ihn aus zwanzig Schritt Entfernung nicht mehr hätte erkennen können. Auf dem Gipfel legte er sich auf den Bauch und blickte in die riesige Mulde hinab, wo vereinzelt Lagerfeuer brannten. Dann spähte er vorsichtig nach rechts und links. Rechts, wo die Eingangsspalte lag, drohte keine Gefahr; aber links vor ihm saß ein Mann, die Arme auf die Knie gelegt, und schnarchte leise vor sich hin. Der Cimmerier überlegte kurz, ob er ihn ausschalten sollte. Nein, er stellte keine direkte Bedrohung dar und konnte ihm auf dem Rückweg vielleicht nützlich sein. Wie eine Eidechse glitt Conan den Abhang in die Talmulde hinunter. Gebückt schlich er weiter. Wie erwartet schliefen die meisten Männer in der Nähe kleiner Feuer, die Waffen in Reichweite. Keiner rechnete mit einem nächtlichen Angriff der zivilisierten Kavallerie. Wer diese Art Kampf nicht gewohnt war, tötete eher Kameraden als Feinde. Ab und zu unterhielten die Männer sich leise. Conan verstand nicht alle Sprachen; aber dem Tonfall nach war die Stimmung keineswegs überschwenglich. Das war zu erwarten. Den ersten Angriff hatten sie mühelos zurückgeschlagen, aber jetzt saßen sie hier eingekesselt und hatten kaum mehr eine Gelegenheit zum Ausbruch. Die Soldaten indessen konnten aus Ophir Verstärkung holen. Conan überquerte die gesamte Mulde. Er fand die Pferche für Rinder und Schafe, aber wo waren die Sklaven? Einige Pferche standen leer. Der Geruch dort verriet ihm, daß hier bis vor kurzem noch Menschen untergebracht waren. Hatte man die Sklaven in die Höhle geschafft, die er hinten sah? Seine nackten Sohlen erzeugten kein Geräusch, als er zur Felsmauer vor der Höhle lief.
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Er schlich sich in die Nähe der Öffnung und vernahm leises Gemurmel. Er begab sich zum Ende der Mauer und zog sich mühelos hinauf. Dann lag er mit dem Bauch auf dem Mauerkranz und sah hinunter. Einige Männer saßen um ein Feuer, dessen Schein es ihm unmöglich machte, näher heranzupirschen. Die Männer beratschlagten, was man tun solle. Einige sprachen sich für einen massiven Ausbruch aus, bei dem jeder in eine andere Richtung laufen und so viel Beute wie möglich mitschleppen sollte. Nirgends sah Conan Gefangene. »Schluß jetzt mit dieser unmännlichen Zaghaftigkeit!« ertönte eine Stimme machtvoll aus dem hinteren Teil der Höhle. Conan hatte die Stimme noch nie gehört, wußte aber, wem sie gehörte. Dann sah er eine kraftvolle große Gestalt in den Lichtkreis des Feuers treten. Der dunkelhäutige Mann trug noch immer die Prachtrüstung und war mit Juwelen und Goldketten behängt. Die Männer verstummten beschämt. »Sind wir Weiber, daß wir uns von der Anwesenheit einer Handvoll verweichlichter Stadtschergen geschlagen geben?« Neben dem Anführer stand ein kleinerer Mann mit seidener Weste. Er war blond. Conan vermutete, daß es Axandrias war. Aber der Mann hatte sich verändert. Die Wangen waren eingesunken, die Augen steckten in tiefen Höhlen, und die Blicke schossen nervös und bösartig hin und her, wie bei einem Raubtier, das von Feinden umringt war und nach einer Gelegenheit suchte, zu töten oder zu fliehen. »Habt ihr sie heute nicht mit Leichtigkeit zurückgeschlagen?« fragte Taharka lautstark. »Saht ihr nicht, wie der tapfere Axandrias in der Felsspalte drei Reiter mit ebenso vielen Streichen niedermachte? Was habt ihr von dieser Horde lächerlicher Paradesoldaten zu befürchten?« Kurzer halbherziger Jubel wurde laut. »Wir werden ihr Blut trinken!« rief Axandrias. »Keiner soll von einer Niederlage sprechen. Sollte es einer wagen, so wird dieser Verräter von mir zur Verantwortung gezogen. Möchte jemand jetzt zur Flucht raten?«
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Kein Mann wagte es, ihm in die Augen zu sehen oder die Stimme zu erheben. Conan fand, daß diese wütende ausgezehrte Gestalt mit dem ranken, schlanken Mann, den er in der Arena mit Kalya gesehen hatte, nur noch wenig Ähnlichkeit hatte. Doch dies Rätsel beschäftigte ihn nicht. Wo war der Hyperboräer? »Bei Tagesanbruch greifen wir an«, erklärte Taharka. »Mit einem einzigen Schlag werden wir sie wie Spreu in alle Winde zerstreuen.« Conan verließ die Mauer. Er hatte genug gesehen und gehört. Es war zwar verlockend, in die Höhle zu stürmen und beide Schurken umzubringen; aber – soweit er sehen konnte – gab es nur einen Zugang zur Höhle, was seine Aussichten, lebend herauszukommen, verschwindend gering machte. Beim Kampf morgen würde er eine bessere Gelegenheit haben. Auf dem Rückweg blieb er beim schlafenden Wachposten stehen. Ein Schlag mit dem Dolchgriff vertiefte den Schlaf des Mannes. Der Cimmerier warf den Bewußtlosen über die Schulter und trug ihn ins Lager zurück. Inzwischen wußte er, daß er von den Banditen wenig zu fürchten hatte. Wahrscheinlich waren die einzigen Posten, die nicht schliefen, jene am Felsspalt. Im Lager warf der Cimmerier dem Kommandanten den Gefangenen vor die Füße. Während der Mann stöhnend zu sich kam, berichtete Conan vom Plan und dem Lager der Gesetzlosen. Auch Kalya und die Akrobaten hörten gespannt zu. »Ein hervorragender Bericht«, lobte der Kommandant, als Conan fertig war. »Wärst du interessiert, als Späher in meine Schwadron einzutreten? Der Sold ist großzügig, und niemand erwartet von dir, strammzustehen.« »Vielleicht später einmal«, antwortete Conan. »Ich muß noch einen Auftrag ausführen, ehe ich bei irgend jemandem in Dienst treten kann.« »Wie du willst. Ich glaube, der Schurke ist jetzt so weit, daß er mit uns sprechen kann. Der Foltermeister soll kommen.« Ein Mann mit einem kleinen Kohlebecken, in dem mehrere glühende Instrumente lagen, trat vor.
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»Darf ich ihm erst einige Fragen stellen?« sagte Conan. »Du hast es dir verdient. Er gehört dir.« Der Gefangene saß da. Sein Gesicht war das Abbild von Niedergeschlagenheit und Ergebenheit. Folter war bei ihm nicht nötig. »Wo sind die Sklaven, die ihr erbeutet habt?« fragte Conan. »Nach Süden gegangen«, antwortete der Mann. »Vor zwei oder drei Tagen.« »Führt sie der Hyperboräer?« »Ja, er und etwa zwanzig Männer. Ich wünschte, ich wäre bei denen.« »Dein Schicksal wäre dasselbe. Für welchen Markt sind sie bestimmt?« »Khorshemish.« Vulpio trat vor. »Wie sind die Gefangenen gefesselt?« »In Reihen zu zehn«, antwortete der Mann. »Alle an einer Hauptkette, die durch vernietete Halsringe führt.« Vulpio fluchte. »Verdammt, so ein Pech!« »Wieso?« fragte der Cimmerier. »Normale Handfesseln oder Fußeisen, Stricke oder so könnte meine Frau in Sekundenschnelle abstreifen. Entfesselung ist eine unserer leichtesten Darbietungen. Aber aus einem genieteten Halsring kann keiner heraus, ohne ihn aufzuschneiden.« »Wir holen sie ein, ehe sie Khorshemish erreichen«, versicherte Conan ihm. »Sie kommen nicht schneller voran als der Langsamste, während wir beritten sind.« »Da ist nur noch die Kleinigkeit von zwanzig Männern und dem Hyperboräer«, meinte Kalya. »Vielleicht können wir sie heimlich herausholen«, sagte Conan. Er wandte sich an den Kommandanten. »Ich übergebe ihn wieder dir. Viel Spaß!« »Er wird mir seine Geheimnisse anvertrauen, keine Angst. Ruh dich etwas aus. Du hast sie dir verdient, junger Barbar. Denk an mein Angebot.«
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Conan und Kalya saßen in ihre Umhänge gewickelt bei den Pferden. Der Cimmerier erzählte ihr alle Einzelheiten seines Abenteuers im Lager der Verbrecher. »Dann leben also beide noch«, sagte Kalya. »Vielleicht können wir morgen unsere Rache vollstrecken. Wenn ja – hast du dann immer noch vor, dem Rest zu folgen und Ryula und die anderen zu befreien? Eigentlich gehen sie uns ja nichts an. Der Hyperboräer hat weder dir noch mir ein Leid zugefügt. Von mir aus kann er ewig leben.« »Das stimmt«, meinte Conan, »aber nachdem ich die Sache einmal angefangen habe, möchte ich sie auch zu Ende führen. Ich habe ihnen – zwar nur im Scherz – gesagt, sie brauchten keine Angst zu haben, wenn ich die Karawane beschütze. Trotzdem hat man uns Ryula direkt unter der Nase weggeschnappt. Und Vulpio ist ein Freund.« Sie lächelte, was er allerdings in der Dunkelheit nicht sehen konnte. »Und ich weiß, daß du deinen Freunden gegenüber immer zuverlässig bist. Ja, ich fühle genauso. Selbst wenn ich morgen Axandrias töte, werde ich nicht ruhen, bis wir die Sache durchgestanden haben. Aber jetzt laß uns schlafen. Es wird in drei Stunden wieder hell, und ich möchte ungern den Kampf verschlafen.« Bei Tagesanbruch saßen alle im Sattel und erwarteten den Angriff. Der Kommandant wußte, was er zu erwarten hatte. Daher hatte er seine Truppe geschickt verteilt. Statt einer langen dünnen Reihe hatte er drei gestaffelte Reihen gebildet: eine, um die Vorhut der Angreifer aufzufangen, und zwei mit Bogenschützen an den Flanken, um die Banditen schon zu schwächen, ehe sie richtig auf die Reiter stießen. Sie warteten, bis die Sonne höher gestiegen war. Irgend etwas war mit der Attacke im Morgengrauen mißlungen. Als die Banditen schließlich auftauchten, war das Feld nicht geschlossen in Angriffsformation, sondern in kleinen Gruppen, die wahllos irgendwie durchkommen wollten. Einige riskierten sogar die Felshänge. Sobald der Kommandant sicher war, daß es sich nicht um ein Ablenkungsmanöver handelte, schickte er kleinere Abteilungen los, um
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die Flüchtigen einzufangen. Als er Conan sah, rief er: »Was ist los, Cimmerier? Wo bleibt dein Großangriff?« »Keine Ahnung!« rief Conan zurück. »Aber ich werde der Sache auf den Grund gehen.« Damit trieb er sein Pferd den Hang hinauf, ohne auf großen Widerstand zu stoßen. Die meisten Verbrecher schienen einzig und allein an ihrer Flucht interessiert zu sein. Als er durch das Felstor ritt, prallte er mit einem Gegner zusammen, der ihm, sein Schwert wild schwingend entgegenkam. Conan machte ihn mit einem Hieb nieder und ritt in die Talmulde hinein. Dort wirkte alles verlassen. Kein Zeichen von Taharka oder Axandrias. Ein paar Männer bemühten sich, ihre Pferde die Abhänge hinaufzutreiben, um auf einem anderen Weg als durch den Spalt zu fliehen, wo die Ophirer warteten. Nachdem Conan sich überzeugt hatte, daß keiner der beiden Gesuchten dabei war, ritt er zur Höhle und stieg vor dem Eingang ab. Kalya wie immer dich hinter ihm. »Wenn ich hineingehe«, befahl Conan, »zählst du bis drei, dann kommst du nach. Wenn du zu schnell folgst, könnte dich meine Klinge durchbohren.« Mit gezücktem Schwert sprang er durch den engen Eingang. Seine Klinge sauste nach rechts und links, so schnell, daß man sie kaum sehen konnte. Hätte jemand drinnen gewartet, wäre er unweigerlich halbiert worden. Der Cimmerier wirbelte einmal um die eigene Achse, immer die tödliche Klinge schwingend. Dann war er sicher, daß niemand drinnen wartete. Es gab Zeiten, in denen ein Kämpfer nicht die Zeit hatte, das Gelände in Ruhe zu erforschen und danach Entscheidungen zu fällen. Gleich darauf kam Kalya, ebenfalls die Klinge in der Hand. Als sie sah, wie Conan die Waffe zurück in die Scheide steckte, richtete sie sich auf. Ihre Augen wurden groß beim Anblick der Truhen und Seidenballen, welche die Verbrecher bei ihrer überstürzten Flucht aufgerissen oder umgestoßen hatten, um noch etwas Beute zu retten. »Wo sind die Schurken?« fragte Kalya. »Ist es möglich, daß sie mit den anderen geflohen sind?«
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Conan schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Axandrias hätte sich vielleicht so versteckt; aber ich hätte Taharka mit Sicherheit gesehen. Dieser Mann wäre doch wie ein Löwe unter Straßenkötern aufgefallen.« Die beiden erforschten die Höhle, wobei sie einige kleine Wertsachen an sich nahmen, getreu dem Motto: Was nicht dein, das laß nicht liegen! Schon bald kam der ophirische Kommandant mit einigen Männern. »Ja, die meisten hätten wir. Die paar, die entflohen, werden unserem Netz nicht entkommen, und schon bald werden ihre Köpfe die Hauptstraße verschönern.« Er blickte sich in der Höhle um. »Mann, welch eine Aufgabe! Ich werde Sets Hilfe brauchen, um die diebischen Finger meiner Männer von diesen Schätzen fernzuhalten. Was tust du, junger Cimmerier?« »Ich spüre einen Luftzug«, antwortete Conan. »Dann sind deine Sinne feiner als meine«, meinte der Kommandant. »Was hat es mit deinem geheimnisvollen Wind auf sich?« »Er sagt mir, daß es vielleicht noch einen zweiten Ausgang aus der Höhle gibt. In meiner Heimat gibt es viele Höhlen. Komm mit!« Er schritt in die Tiefe der Höhle und folgte einem Seitentunnel. Am Ende lag ein Reisighaufen. Schnell riß er ihn beiseite. Tageslicht drang herein. Mit wenigen Schritten waren sie auf einer Wiese. Der Kommandant zeigte auf die Pferdeäpfel. »Da standen Pferde. Zwei, schätze ich. Mir scheint, die Anführer waren auf ein Schicksal, wie es sie ereilte, wohl vorbereitet.« Conan fluchte sekundenlang schrecklich. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Was ist los? Hast du den Verstand verloren?« schrie Kalya ihn an. Ihr Gesicht war vor Wut tiefrot angelaufen. »Wir hatten sie, und dann sind sie uns wieder durch die Finger geschlüpft!« »Welch ein Halunke!« rief Conan, immer noch lachend. »Da hält der Kerl eine flammende Rede, feuert seine Männer an und ist die ganze
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Zeit auf dem Sprung zur Flucht! Seine Männer ermahnt er zu höchster Treue und Tapferkeit und läßt sie im Stich, wenn sie ihn am meisten brauchen! Hat es je einen solchen Schurken gegeben?« »Zweifellos besitzt dieser Mann die Hinterlist einer Schlange und die Ethik eines Höflings«, erklärte der Kommandant. »Aber im Augenblick können wir nichts tun. Wir müssen diese Waren sichten und zurück zur Garnison schaffen. Soll sich doch der König von Koth um den Schurken kümmern! Vor zwei Jahren kam aus Koth eine Seuche hierher, vielleicht ist das die gerechte Strafe.« »Willst du nicht hinterher, um die Sklaven zu befreien, die er mitgenommen hat?« fragte Conan. »Die meisten sind Untertanen deines Königs.« Der Kommandant zuckte mit den Achseln. »Unter anderen Umständen täte ich das bestimmt; aber wir haben Krieg. Da gibt es größere Probleme als die Wehwehchen einiger Gefangener. Mein Befehl lautete, die Verbrecherbande aufzureiben und mich sofort wieder zum Dienst zu melden. Aber ich wünsche euch viel Glück.« Axandrias und Taharka ritten die Nacht hindurch. Beide hatten an den Sätteln Beutel verschiedener Größe hängen. Sie hatten den Inhalt sorgfältig ausgewählt: ein Maximum an Wert und ein Minimum an Gewicht und Umfang. Bei Sonnenaufgang blickte Taharka wieder, mit sich und der Welt zufrieden, zuversichtlich in die Zukunft. Der Aquilonier war noch etwas niedergeschlagen, doch heiterte sich seine düstere Miene mit der aufgehenden Sonne auf. »Genau jetzt wagen unsere einstigen Kameraden den Ausfall gegen die Ophirier«, sagte Taharka. »Wenn sie meinem Plan sorgfältig folgen, könnte der Großteil entkommen.« »Das glaube ich nicht«, entgegnete Axandrias. »Die sind doch ein nutzloser Haufen von Narren. Ohne gute Führung werden sie nie einen so kühnen Angriff wagen.« »Dir scheint es jetzt nicht mehr so leid zu tun wie gestern abend, daß
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wir weggeritten sind.« Taharka hatte Axandrias beinahe mit Gewalt zur Flucht überreden müssen. Der Aquilonier war noch in der kampflüsternen Stimmung der letzten Tage gewesen und hatte tatsächlich bleiben und kämpfen wollen. »Mein Blut war in Wallung«, verteidigte sich Axandrias. »Ich war zum Kampf bereit. Aber richtig überlegt, wäre es armselig gewesen, mein Leben so wegzuwerfen.« »Ja, ja«, meinte Taharka, »es ist manchmal hart, einen guten Schwertkampf auszulassen. Das Blut, das dem Krieger in den Ohren singt, ruft zu ruhmreichem Gemetzel.« »Ja, so kam es mir vor«, gab Axandrias zu. »Aber es wird zukünftig noch mehr als eine Gelegenheit geben, meinen Schwertarm zu üben.« »O ja, in der Tat«, sagte Taharka. Im Innern lachte er. Ihm war klar, daß der Aquilonier sich aus dem Drogenvorrat bedient hatte. Es war erschreckend, wie die dämonischen Pillen den Mann auszehrten. Unter dem Einfluß der Drogen wurde er wild, schnell und kräftig; aber er war in zehn Tagen um ebenso viele Jahre gealtert. Das früher glänzende blonde Haar hing strähnig und dünn herab und sah mehr wie mattes Messing aus, nicht mehr wie Gold. Er hatte auch an Gewicht verloren und war hager geworden. »Und was tun wir jetzt, Herr?« fragte Axandrias. »Wir haben bis auf ein paar Sachen, die wir mitgenommen haben, alles verloren.« »Wieso?« fragte Taharka. »Wir haben bei geringen Kosten den Reichtum des Landes abgeschöpft. Hattest du etwa vor, dich als Fürst oder Kaufmann niederzulassen? Wolltest du heiraten und fette Bälger aufziehen? Was haben wir verloren? Eine Zeitlang lebten wir wie die Könige. Bald werden wir das in einem anderen Land wieder tun. Verloren haben wir lediglich ein paar Männer. Na und? Ich glaube mit Sicherheit voraussagen zu können, daß wir in dem Land, in das wir jetzt reiten, viele solcher Kerle finden.« Trotz seiner düsteren Stimmung mußte Axandrias lächeln. »Ja, Herr, ich muß zugeben, daß du recht hast. Was bedeuten schon Männer,
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Frauen oder Waren für dich oder mich? Reiten wir weiter und machen ein anderes Land zu unserer Schatztruhe.« Taharka lachte laut, beugte sich hinüber und schlug dem Aquilonier auf die Schulter. »Das ist die richtige Einstellung! Das ist der Axandrias, den ich vor drei Jahren rekrutierte und wie einen Bruder liebe! Was wir zurückließen, ist nur Firlefanz. Die großen Tage kommen erst. Los, sehen wir, welche Wunder auf uns warten!« »Großartig, mein Anführer!« rief Axandrias, obwohl er wußte, daß Taharka sich eines Tages so nahe an den Abgrund wagen würde, daß beide hineinstürzen würden. »Und was tun wir als nächstes?« »Wir müssen Kuulvo und die Sklavenkarawane einholen. Vorher sollten wir noch ein Märchen einstudieren, wie die Ophirier sich mit großer Übermacht auf uns stürzten und vertrieben. Kuulvo hat einen ordentlichen Haufen bei sich. Mehr waren wir auch nicht, als wir in Cimmerien einfielen. Mit dem Preis für die Sklaven und dem, was wir bei uns haben, werden wir leicht wieder ins Geschäft kommen.« »Das klingt ausgezeichnet, Herr«, sagte Axandrias. »Unternehmen wir wieder Raubzüge durchs Land wie in Ophir?« Taharka dachte nach. »Nein, das haben wir schon so lange gemacht, daß es mich langweilt. Warum sich ein herrliches Leben verschaffen, wenn es zu Langeweile führt? Außerdem herrscht in dem Land Friede, da sind die Bedingungen nicht so günstig. Ich habe vor, weiter nach Süden zu ziehen, durch Shem bis zur Grenze von Stygien.« »Aber, Herr«, widersprach Axandrias, »Stygien ist doch auch ein Land mit geordneten Verhältnissen, wo wir auf ernsthaften Widerstand stoßen.« »Aber in Shem geht’s drunter und drüber«, erklärte Taharka. »Und die Grenze ist der Styx. Ich beschäftige mich schon längere Zeit mit der Möglichkeit, beim Handel auf dieser großen Wasserstraße mitzumischen. Dort herrscht wesentlich regerer Verkehr als auf irgendeiner königlichen Hauptstraße der hyperboräischen Länder.« »Handelsschiffe überfallen?« Axandrias war trotz seiner Zweifel
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begeistert. »Banditen auf dem Land sind gang und gäbe. Auf dem Meer gibt es überall Piraten. Schwebt dir eine Art Zwitterwesen vor – ein Flußpirat?« »Man hat es in der Vergangenheit schon versucht«, sagte Taharka. »Aber da ich nicht dabei war, hat man es natürlich nie richtig angepackt.«
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Zwölf Kuulvo langweilte sich. Er war nicht unglücklich, das Lager verlassen zu haben, das seiner Meinung nach eine Falle war, in der die Bande festsaß, wenn die Feinde gut organisiert vorrückten. Aber hier war es auch nicht viel besser. Es gab kaum mühsamere Aufgaben, als eine Sklavenkarawane von einem Ort an einen anderen zu bringen – vor allem, wenn die Orte weit auseinanderlagen. Bei einem solchen Transport saßen die Reiter so gemütlich in den Sätteln wie bei einer Theatervorstellung. Sklaven waren noch langsamer als Fußtruppen, da die wenigstens gelernt hatten zu marschieren. Wenn sich bei der Karawane auch noch Frauen befanden – wie bei dieser –, war die Situtation noch schlimmer. Am übelsten waren Kinder. Die übliche Methode, solche Plagen zu beseitigen, bestand darin, die lästigen Dinger mit dem Kopf gegen den nächsten Stein zu schleudern; aber dann störten die heulenden Mütter mit ihrem Klagegeschrei die Ruhe. Es war wirklich grauenvoll lästig. Wenn er damit nicht – bei relativ wenig Einsatz – soviel verdient hätte, wäre ihm das Leben als normaler Söldner bei weitem lieber gewesen. Der Hyperboräer ritt die Karawane entlang auf und ab. Wenn nötig benutzte er die Peitsche. Eine bestimmte Reihe von Sklaven machte ihm weniger Mühe als die anderen. Wie der Rest waren sie zu zehnt zusammengekettet; aber es waren fünf Frauen dabei. Sie hielten sich gerade und schienen nicht so schnell zu ermüden wie die anderen. Als er darüber nachdachte, wurde ihm klar, daß es wahrscheinlich die Frauen aus der Schaustellergruppe waren. Kein Wunder, daß sie als Akrobatinnen den Anstrengungen des Marsches besser gewachsen waren als andere Frauen. Kuulvo nahm ein Taschentuch heraus und wischte sich den Hals ab. Es war ein langer Ritt bis Khorshemish. Da rief einer aus der Vorhut: »Hauptmann! Zwei Reiter kommen von Norden!«
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Kuulvo zog die Zügel stramm. »Zwei Reiter sind selten eine Gefahr«, sagte er zu den Männern neben ihm. Dennoch lockerte er aufgrund langjähriger Erfahrung das Schwert in der Scheide. Ein Klimawechsel konnte dazu führen, daß die Klinge im entscheidenden Moment kleben blieb. Er spähte in die Ferne, wo die beiden Reiter schnell größer wurden. »Der Größere ist unser Anführer Taharka, wenn ich mich nicht irre«, sagte er. »Und wer außer Axandrias könnte der neben ihm sein?« »Wo ist der Rest der Männer?« fragte ein Bandit, der eine buntlackierte, kunstvoll gearbeitete Rüstung trug. »Die Geschichte werden wir von ihren Lippen hören«, sagte Kuulvo und war sicher, daß er die Antwort kannte. Taharka und Axandrias preschten schwungvoll heran. »Guten Tag, Männer!« rief der Anführer. »Hattet ihr bis jetzt eine angenehme Reise?« »Nicht schlimmer, als wir erwarteten«, antwortete Kuulvo. »Ich sehe, daß ihr leicht, schnell und allein reitet. Wie ist das möglich?« »Oh, das ist eine traurige Geschichte«, sagte Taharka. »In der Tat traurig, traurig, traurig. Doch das Leben eines Gesetzlosen ist ständig dem Zufall und unvorhergesehenen Ereignissen unterworfen. Eins unsrer Rudel war unvorsichtig. Man hat gesehen, wie es in unserem Versteck verschwand. Kurz darauf kampierten mehrere Abteilungen ophirischer Soldaten vor unserer Haustür. Kavallerie und Fußtruppen. Es kam zu einem bösen Kampf. Wir wehrten uns heroisch.« Er seufzte. »Aber es gab kein Entkommen. Alle wurden erschlagen oder in die Flucht geschlagen. Nur durch ein Wunder gelang es Axandrias und mir, eine Gasse durch die feindliche Streitmacht zu bahnen und zu fliehen.« Bestürzte Schreie wurden laut. Viele blickten ängstlich in die Richtung, aus der die beiden Reiter gekommen waren. »Verfolgen euch die Ophirier?« fragte einer. »Nein, wir haben sie vor vielen Meilen schon abgeschüttelt. Aber ist es nicht wirklich ein Wunder, daß wir uns retten konnten?«
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»Wir sind überglücklich, daß ihr dem Rachen des Todes entfliehen konntet, Anführer«, sagte der Hyperboräer trocken. Er hatte sofort gesehen, daß Taharkas Rüstung makellos war und er keinen Kratzer hatte. Zumindest Axandrias sah aus, als habe er gekämpft. Kuulvo hatte so seine Vermutungen, warum der Aquilonier in letzter Zeit so oft zu einem Löwen geworden war. »Doch nun schart euch um mich, meine Getreuen!« rief Taharka. »Ich habe Pläne, große Pläne für uns alle. Hört mich an. Dann werden wir unser Vieh auf den Markt treiben.« Die Männer hörten respektvoll zu, während er seine Träume von Blutvergießen, Ruhm und Reichtum erläuterte. Außer seiner melodischen Stimme und dem Stöhnen der Sklaven hörte man nur leisen Hufschlag und gelegentlich das Knallen einer Peitsche. »Wie gehen wir vor?« fragte Kalya. Sie lag mit Conan auf einem Hügel und blickte nach Süden. In der Ferne sah man die Karawane wie eine Reihe Ameisen dahinziehen. Sie hatten die Pferde und die Gefährten unterhalb des Gipfels gelassen, damit sie nicht gegen den Himmel zu erkennen waren, falls sich ein Sklavenhändler umdrehte. »Wir warten, bis es Nacht ist«, antwortete der Cimmerier. »Dann können wir näher heranreiten. Sie scheinen nicht mit Verfolgung zu rechnen. Das ist gut so. Vielleicht stellen sie dann auch keine besonderen Wachen auf.« »Das sind aber mindestens zwanzig.« Kalya bemühte sich, die Reiter zu zählen. »Vielleicht mehr. Meinst du, daß wir sie in der Nacht überfallen und alle töten können, ehe sie richtig aufwachen?« »Unmöglich«, sagte Conan. »Nicht, wenn Taharka und der Hyperboräer dabei sind. Aber ich kenne eine bessere Methode. Dazu brauchen wir zwar ein paar Tage; aber es dauert sowieso noch lange, bis sie ihr Ziel erreichen.« »Und wie machen wir’s?«
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»Nicht wir«, sagte er. »Nur ich.« Als er das wilde Funkeln in ihrem Auge aufglühen sah, lächelte er. »Keine Angst, ich werde Axandrias nicht töten, und du bekommst deine Chance!« »Wehe dir, wenn du das nicht tust!« drohte sie. »Wie willst du sie allein vernichten?« »Wie ein Pikte«, erklärte er. In der Nacht half Kalya ihm, den Körper mit Ruß einzureiben. Die anderen saßen niedergeschlagen da. Sie wußten, daß ihre Frauen in der Nähe waren und unter der Schmach der Sklaverei litten; aber sie konnten nichts dagegen unternehmen. Der Cimmerier stand auf. Kalya hielt ihm sein Schwert hin. »Nein, das ist alles, was ich brauche«, sagte er und steckte den Dolch in das Lendentuch. Es war eine schwere Waffe. Zehn Zoll lang, mit breiter Klinge und einer Schneide, die ein Haar im Flug halbierte. Ohne ein weiteres Wort verschwand er in der Dunkelheit. Hyras aus Zamora war unglücklich. Man hatte ihn und seinen Landsmann Nargal eingeteilt, die ganze Nacht am Nordrand des Lagers Wache zu stehen. Viel lieber hätte er sich mit den hübschen Sklavinnen vergnügt. »Warum müssen wir diesen Dienst tun?« fragte er mürrisch seinen Freund. »Schließlich hat der Anführer gesagt, daß wir nicht verfolgt werden.« »Na ja, er kommt sich wie ein großer General vor und will Wachposten und« – er spuckte aus – »Disziplin.« Sein pockennarbiges Gesicht verzog sich zu einem bösartigen Grinsen. »Wenn ich mir so ein Leben gewünscht hätte, wäre ich nicht aus der Armee in Zamora desertiert.« »Manchmal ist mir die Garnison in Shadizar auch lieber als diese windige Steppe«, pflichtete ihm Hyras bei. »Wenigstens werden wir hier nicht ausgepeitscht«, meinte Nargal. »Aber dieser Wachdienst ist schwachsinnig. Set soll unsere Anführer
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holen! Die schlafen fest – und verdammt, das tue ich jetzt auch!« Er lehnte sich gegen seinen Sattel und schloß die Augen. Ohne Ansprache nickte auch Hyras bald ein. Ein paarmal fuhr er noch aus dem Schlaf hoch und bemühte sich halbherzig, wach zu bleiben. Aber dann schlief auch er fest. Keiner der Wachen hatte die Gestalt bemerkt, die wie eine Schlange auf Armeslänge an sie herangekrochen war. Plötzlich wachte Hyras auf. Die Sonne stand noch unter dem östlichen Horizont; aber die ersten Strahlen färbten den Himmel schon rosig. Die Sterne verblaßten schnell am Firmament; schon verkündeten Vogelstimmen den neuen Tag. Schuldbewußt blickte Hyras umher; aber wie es schien, war ihr Pflichtversäumnis unbemerkt geblieben. Nargal saß immer noch gegen den Sattel gelehnt da. Als es heller wurde und der Himmel blau schimmerte, sah er, daß der Kopf seines Kameraden immer noch nach vorn hing, so wie er eingeschlafen war. Sein schwarzer Spitzbart ruhte auf dem purpurroten Hemd. Hyras gähnte und reckte sich. Dann überlegte er, ob der Mann, der zum Küchendienst eingeteilt war, schon mit dem Frühstück fertig sei. Plötzlich zuckte er zusammen. Nargal hatte doch ganz sicher ein gelbes Hemd getragen. Er war auf dies Kleidungsstück unendlich stolz gewesen und hatte den vorigen Besitzer vorsichtig getötet – ihm das Genick gebrochen –, damit ja kein Fleck es beschmutzte. Er kroch zu seinem Freund hinüber und legte ihm die Hand auf die Schulter, um ihn wachzurütteln. Voll Entsetzen riß er die Hand zurück und starrte auf seine nasse klebrige Handfläche. Nargals Kopf fiel hilflos nach hinten, leere Augen starrten gen Himmel. Die Kehle war eine einzige Wunde. Hyras quollen die Augen aus dem Kopf. Mit ersticktem Schrei sprang er auf und blickte wild umher. Aber er sah nichts. Schreiend lief er ins Lager. »Zu den Waffen! Nargal ist tot! Zu den Waffen!« Im Lager brachen Geschrei und Unruhe aus. Taharka packte Hyras mit eisernem Griff.
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»Wer hat Nargal getötet?« fuhr ihn der Anführer an. »Ich weiß es nicht!« schrie Hyras immer noch beinahe in hysterischer Panik. »Ich muß wohl einen Augenblick lang die Augen geschlossen haben. Als ich sie wieder öffnete, war er tot. Es ist das Werk der Dämonen!« Taharka schleuderte ihn wütend zu Boden. »Dämonen? Idiot! Dies Dämonenwerk muß ich mir ansehen!« Er eilte mit den anderen Männern an die Stelle, wo er die Wachen aufgestellt hatte. Bei der Besichtigung von Nargals Leiche kam es zu vielen geflüsterten Vermutungen. »Wahrlich, das muß das Werk von Dämonen sein«, meinte ein Bandit aus Khoraja. Der Mann war wegen seines starken Aberglaubens bekannt. Er schwenkte den Arm und erklärte: »Seht ihr? Nichts als Gras. Wie könnte ein Feind sich so unsichtbar machen, daß er sich unbemerkt anschleichen könnte? Nicht ein einziger Busch ist da, hinter dem sich ein Feind verstecken könnte. Und welch natürliches Wesen könnte einen Mann so nahe bei einem Kameraden töten, ohne diesen zu wecken?« Kuulvo schnaubte vor Wut. »Und welcher Dämon braucht eine Klinge, um einen Mann zu töten? Ich habe schon viele durchschnittene Kehlen gesehen und durchschaue die Methode. Für mich sieht es so aus, daß Hyras gegen Nargal Groll hegte und – als der Mann schlief – die Gelegenheit ausnutzte, ihn zu töten. Worum ging’s denn, Hyras? Ein Weib? Ungerechte Verteilung der Beute?« »Ich schwöre, daß das nicht stimmt!« schrie der Bandit. »Er war mein Freund! Wir sind zusammen aus der Armee Zamoras desertiert und Seite an Seite viele Jahre herumgezogen.« »Ich glaube, du lügst!« erklärte Taharka. »Ein anständiger Zweikampf zwischen Männern ist eine Sache, aber ich werde es nicht zulassen, daß sich meine Männer ungestraft im Schlaf gegenseitig ermorden.« Er nickte Axandrias zu. Der Aquilonier zückte sein Schwert und durchbohrte Hyras’ Herz, ehe der verblüffte Zamorer wußte, wie ihm geschah.
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Zufrieden blickte Taharka auf die beiden Leichen. »Dieser wurde für den Mord gerecht bestraft, und Nargal verdiente ebenfalls den Tod, weil er im Dienst schlief. Nachdem das jetzt erledigt ist, wollen wir frühstücken. Wir haben einen langen Marsch vor uns.« Sie kehrten zurück ins Lager, wo die Sklaven mit matten Augen herumlagen oder dasaßen. Die Männer rollten ihre Decken zusammen, als ein greller Schrei ertönte. »Es ist Pushta«, murmelte ein Nemedier mit zitternder Stimme. »Ich dachte, er schlafe noch. Aber er ist tot, genau wie Nargal.« Die Männer liefen zur dritten Leiche. »Zwei Morde in einer Nacht«, sagte Taharka. »Das ist beunruhigend.« Trotz der nach außen gezeigten Ruhe rasten seine Gedanken. Wie hatte das geschehen können? »Er lag die ganze Nacht neben mir«, erklärte der Nemedier. »Ich habe keinen Ton gehört.« »Ich auch nicht«, pflichtete ein Ophirier bei. Aus seiner Stimme hörte man die abergläubische Angst. »Und ich schlief auf der anderen Seite.« »Vielleicht haben wir Hyras übereilt hingerichtet«, sagte Axandrias. »Wenn eure Freunde tot sind«, dröhnte Taharka, »dann deshalb, weil ihr Schwachköpfe tief schlaft, wenn ihr wachsam sein solltet! Ich bin erstaunt, daß überhaupt noch einer von uns am Leben ist, so wie ihr euch jeden Abend bis zur Besinnungslosigkeit vollaufen laßt. Eines Nachts werden die Sklaven euch mit ihren Ketten erwürgen. Dann bin ich euch wenigstens los! Aber jetzt brecht das Lager ab und besteigt eure Gäule! Ich will so schnell wie möglich weg von diesem verdammten Ort.« Beim Weiterreiten dachte Taharka über die seltsamen Ereignisse der vergangenen Nacht nach. Hatte es mit den Priestern und ihren uralten schrecklichen Göttern zu tun? Trieben sie ihn auf ein nur ihnen bekanntes Ziel zu? In der nächsten Nacht blieben die Männer wachsam. Leise unterhielten sie sich und spähten nervös mit großen Augen in die
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Dunkelheit außerhalb des Lagerfeuers. Dennoch fielen einige in unruhigen Schlaf. Am Morgen fand man wieder zwei Leichen. Die Kehlen waren ihnen von einem Ohr zum anderen aufgeschlitzt worden. Diesmal war die Bestürzung noch größer als am Vortag. Einige Männer sattelten und ritten auf der Stelle davon. Sie ließen die Sklaven und alles zurück, was ihnen auf der Flucht hinderlich sein könnte. Taharka mußte zwei Männer exemplarisch exekutieren, um die anderen wieder zur Vernunft zu bringen. »Mehr halten wir nicht aus, Anführer«, sagte Kuulvo, als sie weiter nach Süden ritten. »Was kann es sein?« fragte Taharka, selbst einer Panik gefährlich nahe. »Welche böse Macht vermag in der Dunkelheit in ein bewachtes Lager einzudringen und die Männer lautlos zu töten? Das muß ein übernatürliches Wesen sein.« »Natürlich oder übernatürlich«, meinte Axandrias, »noch eine Nacht wie die letzten beiden, und die Männer bringen sich in ihrer unvernünftigen Angst gegenseitig um.« »Stimmt«, sagte Kuulvo, »er hat recht. Ich rate, daß wir drei von jetzt an etwas abseits vom Lager schlafen. Die Männer sind kein Schutz, die bringen uns eher um. Es wäre sicherer, wenn einer von uns immer wach bliebe.« »Ja, besser als nichts«, meinte Taharka. »Wie viele Tage brauchen wir noch, bis wir Khorshemish erreichen?« »Wenn wir die Sklaven hart antreiben«, antwortete Kuulvo, »müßten wir am Abend des dritten Tages von heute an dort sein. Morgen abend kommen wir in dichter besiedeltes Gebiet, wo es Höfe und Dörfer gibt.« »Nur noch eine Nacht in der Wildnis«, sagte Taharka. »Wenn wir morgen in ein ordentliches Dorf kommen, verschanzen wir uns dort über Nacht. Ein Pferch mit kräftiger Lehmmauer könnte ein sicherer Ort für uns und unsere unfreiwilligen Schützlinge sein.« »Was nützen Lehmmauern, wenn unser Feind übernatürlich ist?«
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fragte Axandrias. Seine Augen waren tief umschattet. Das Zahnfleisch wich von den Zähnen zurück, so daß diese doppelt so lang aussahen. Weiße Strähnen mischten sich ins fahlblonde Haar. Seit die Morde angefangen hatten, nahm er beinahe ständig Drogen. »Du auch, mein Freund?« fragte Taharka. »Von dir hätte ich am wenigsten geglaubt, daß du eine Beute abergläubischer Ängste wirst.« »Ich glaube nicht wirklich, daß Dämonen am Werk sind«, verteidigte sich der Aquilonier mürrisch. »Aber normale Sterbliche können es kaum sein.« Taharka wollte seine Ängste wegen des Priesters in der Höhle nicht preisgeben. Aber es war eine seltsame Methode, wenn dieser verfluchte Orden der Zauberer ihn wirklich jagte. In dieser Nacht kam noch etwas Neues zu dem Schrecken, unter dem sie – wie es ihnen vorkam – schon ewig litten. Die überlebenden Banditen hatten ein großes Feuer errichtet und hielten sich innerhalb des Lichtscheins auf. Alles blieb ruhig, so daß sich gegen Morgengrauen die Schlaflosigkeit der vergangenen Tage bemerkbar machte. Die Männer nickten ein. Da riß sie ein Schrei aus dem Halbschlaf. Ein Nemedier starrte entsetzt auf einen gefiederten Pfeilschaft, der ihm sechs Zoll lang aus der Brust ragte. Im Nu waren alle auf den Beinen, zückten die Schwerter und ergriffen die Speere. Ihre Augen waren schreckgeweitet, als sie in die Dämmerung hinausspähten. »In welche Richtung blickte er, als er getroffen wurde?« fragte Kuulvo. Ein Dutzend verschiedener Antworten brachte keine Klarheit. Dann hörte man ein Geräusch, als schlüge jemand mit der Reitpeitsche gegen einen Sattel. Ein Mann taumelte in den Lichtkreis. Eine blutige Pfeilspitze ragte ihm aus der Brust. Alle drehten sich dorthin, woher der Pfeil gekommen war. Ein lautes Surren – dann ein Schmerzensschrei. Ein Ophirier ging in die Knie und fiel aufs Gesicht. Direkt unter dem linken Schulterblatt steckte ein Dolchgriff. »Wir sind alle verloren!« kreischte ein hakennasiger Shemite. In Panik rannte der Mann in die Dunkelheit hinaus. Dann hörte man nur
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noch einen markerschütternden Schrei. Taharka packte eine Peitsche und eilte zu den Gefangenen. »Auf die Beine, ihr Hunde! Aufstehen!« Er wandte sich an die Männer, die ihm noch geblieben waren. »Kommt her! Wir benutzen dieses Menschenvieh als Schutzwall, wenn wir keinen Wall aus Stein haben können.« Schnell sprangen die Männer zwischen die Sklaven und stellten die Unglücklichen kreisförmig auf. Die Sklaven waren verwirrt, gehorchten aber. Auf ihren gesenkten Gesichtern erkannte man nicht viel – mit einer Ausnahme: eine drahtige schwarzhaarige Schönheit stieß die Frauen neben sich mit dem Ellbogen an und wies mit dem Kopf zu dem erdolchten Toten hinüber. Die Frauen lächelten, allerdings so, daß die Sklavenjäger es nicht sehen konnten. »Der Himmel wird heller«, meinte Kuulvo. »Jetzt können wir nachsehen, was uns soviel Leid zufügt.« Aber als die Sonne aufging, enthüllte sie nur das sanft wogende Grasland. »Es sind noch elf übrig«, erklärte Conan. »Heute nacht schlagen wir zum letzten Mal zu.« »Ich bin froh, daß du uns vorige Nacht mitgenommen hast«, sagte Kalya. »Es war mir ganz und gar nicht recht, daß du ganz allein deinen Spaß daran hattest.« »Ja«, stimmte ihr Vulpio bei, »es hat meinem Herzen wohlgetan, eine Klinge in den Rücken eines dieser Schweine zu versenken und mit eigenen Augen zu sehen, daß es meiner Ryula noch gutgeht.« »Morgen früh bei Sonnenaufgang werdet ihr beide wieder vereint sein«, erklärte der Cimmerier. »Wenn wir uns morgen unter sie mischen, möchte ich, daß du dicht bei mir bleibst«, befahl er dem Messerwerfer. »Versuch nicht, mit den Schurken in einen Schwertkampf zu geraten. Das ist nicht deine Spezialität, mein Freund. Wenn ich auf einen Mann zeige, durchbohrst du ihn mit einem Dolch – und möglichst so schnell, daß er sich nicht ducken kann.«
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»Sie werden meine Klingen nie sehen, das verspreche ich dir. Ins Auge oder in die Kehle – und jedesmal!« »Kalya, versuch nicht, mit Taharka zu kämpfen. Der gehört mir! Wenn er dich angreift, lauf weg! Ich schlage vor, daß wir die anderen erledigen, ehe wir uns Taharka, Axandrias oder den Hyperboräer vornehmen. Wenn wir mit diesen Männern kämpfen, können wir mit Sicherheit nicht auf die anderen achten.« »Mir liegt nur etwas an Axandrias«, sagte Kalya. »Ihr könnt den Rest haben; aber ich verspreche nicht, daß ich weglaufe.« Er funkelte sie an. »Du bist ein widerspenstiges Weib.« Sie lächelte ihn an. »Wenn ich das nicht wäre, würde ich dir nicht viel nützen, oder?« Das Dorf war uralt. Die Lehmhäuser waren auf den Ruinen einer früheren Siedlung erbaut. Es gab einen alten Steintempel, dessen Mauern eingestürzt waren und die jetzt als Steinbruch für die Behausungen der Schäfer genutzt wurden. In einer Ecke des Dorfes befand sich ein großer Pferch für die Schafe. Die unteren fünf Fuß der Mauer waren aus Steinen errichtet und stammten wohl aus Zeiten, als es dem Dorf noch gutging. Darüber hatte man im Laufe der Jahre noch fünf Fuß Lehmziegel aufgetürmt. Taharka schloß mit dem Dorfältesten einen Handel ab. Die Schafe wurden aus dem Pferch gelassen und die Sklaven hineingetrieben. Nachdem die bedauernswerten Gefangenen den Platz notdürftig gesäubert hatten, begutachtete Taharka alles und rümpfte die Nase. »Welch ein Gestank! Schafe stinken noch mehr als Sklaven. Aber an Gestank ist noch keiner gestorben – mal eine angenehme Abwechslung! Kuulvo, sorg dafür, daß keiner der Männer in eine Schenke geht und sich sinnlos besäuft.« »Ich werde aufpassen«, versprach der Hyperboräer. »Aber wir haben größere Sorgen als Saufgelage. Desertieren liegt den Männern viel näher.«
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»Dann müssen wir alle die Nacht hindurch hierbehalten. Axandrias, laß ein ordentliches Abendessen zubereiten. Nimm ein paar Sklaven mit, die es herbringen. Das sollte die Stimmung der Männer etwas heben. Aber bestell nur so viel Wein, daß man das Essen damit hinunterspülen kann, und laß ihn kräftig mit Wasser mischen.« »Glaubst du nicht, daß wir hier sicher sind?« fragte der Aquilonier. »Bis ich genau weiß, wer uns auf den Fersen ist«, antwortete Taharka, »gehe ich davon aus, daß wir noch in Gefahr sind. Das rate ich euch auch. Kuulvo, bleib in der Nähe des Tores und laß keinen Mann hinaus.« »Jawohl, Herr«, sagte der Hyperboräer und ging, um den Befehl auszuführen. Taharka holte einen Kamm aus feinem Elfenbein heraus und fuhr sich damit durch den parfümierten Bart. Seit den Ereignissen der vorigen Nacht war er ziemlich sicher, daß es keine übernatürlichen Wesen waren, die ihm das Leben zur Hölle machten. Pfeile und Wurfdolche waren eindeutig irdische Waffen. Aber wer? Konnten es dies einäugige Weibsstück und der Cimmerier sein? Er weigerte sich, dies zu glauben. Wie konnten zwei Jugendliche derartig blutig zuschlagen? Und warum verfolgten sie ihn hartnäckig wie Rachedämonen? Taharka hatte uralte Sagen über Könige und Helden gehört, die so furchtbar gesündigt hatten, daß die Götter aufmerksam wurden und grauenvolle Kreaturen ausschickten, um die Verbrecher Tag und Nacht zu verfolgen, ganz gleich, wohin sie flohen, bis sie schließlich dem Wahnsinn anheimfielen oder sich selbst das Leben nahmen. Aber das waren Ammenmärchen. Und überhaupt hatte er nichts verbrochen, was eine solche Feindschaft auslösen könnte, oder? Nein, dachte er, viel wahrscheinlicher war es, daß die Sache mit den Priestern in schwarzen Gewändern und ihren höllischen Plänen zusammenhing. Er brach in Schweiß aus, als er an sie dachte. Ganz gleich, was es ihn kostete oder wen er opferte – er mußte unter allen Umständen diesen Priestern aus dem Weg gehen.
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Axandrias hatte diese Sorgen nicht, als er zur Dorfschenke ging. Für ihn stand fest, daß Kalya ihn verfolgte und seine Kameraden nur aus Bosheit tötete, um ihm zu zeigen, daß sie immer näher kam. Sie war zu einem ständigen Alptraum geworden. Sie erschien ihm aber nicht nur im Schlaf, sondern auch tagsüber. Manchmal war sie das kleine Mädchen, dann wieder die einäugige Furie, die ihm in der Arena von Croton gegenübergestanden hatte. In manchen Nächten wachte er schreiend auf, weil der Gestank verbrannten Fleisches ihm die Nase verätzte. In der Schenke befahl er, ein reichhaltiges Mahl zuzubereiten; aber die Düfte aus der Küche widerten ihn an. Taharka hatte ihm nicht verboten, Wein zu trinken; daher ließ er sich einen Becher bringen. Doch als er vor ihm stand, ekelte ihn der Geruch ebenfalls an. Während der letzten Tage hatte er sich zwingen müssen, so viel zu essen, daß er am Leben blieb. Nichts schien mehr wichtig zu sein – außer Blut, Kampf und das Weib, das längst hätte tot sein sollen. Als die Schatten länger wurden und das Licht abnahm, zog Taharka Kuulvo und Axandrias beiseite. »Meine Freunde«, sagte er, »ihr wißt, daß ich ein kluger Mensch bin. Daher habe ich einige Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Kommt mit!« Er führte sie aus dem Pferch. Hinter ihnen verzehrten die Männer lautstark ihr Abendessen. Conan, Kalya und ihre Gefährten umschlichen das schlafende Dorf in der Dunkelheit der späten Nacht. In der Ferne bellte ein Hund, der vielleicht ihre Anwesenheit spürte. Ein schrilles Fiepen verkündete, daß ein Nager gerade Bekanntschaft mit einer Eule gemacht hatte. Ansonsten war alles still. Ohne entdeckt zu werden, erreichten sie die Mauer um den Pferch. Conan gab den Akrobaten ein Zeichen. Einer stellte sich mit dem Rücken an die Mauer und hielt die verschränkten Finger vor sich. Der nächste trat auf diesen improvisierten Steigbügel und stellte sich auf die Schultern des Untermannes, wobei er ebenfalls die Finger vor sich
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verschränkte. Die beiden letzten Akrobaten sausten mit zauberischer Geschwindigkeit diese menschliche Leiter empor. Vulpio folgte ihnen. Conan holte tief Luft und rannte auf den Untermann zu, sprang in dessen Hände und schwang sich so hoch wie möglich. Unter seinem beträchtlichen Gewicht gingen die Männer leicht in die Knie; aber er schaffte es auf die Mauer hinauf. Dann legte er sich auf den Bauch und zog Kalya hinauf. Als sie an der Mauer hinaufrutschte, kratzte ihre Rüstung laut gegen den hartgebackenen Lehm. »Was ist das?« rief einer der Männer im Pferch. »Schürt das Feuer höher!« Leise fluchend sprang Conan auf den Boden und riß sein Schwert heraus. Es blieb keine Zeit, die beiden anderen Akrobaten heraufzuziehen. Kalya landete neben ihm. Sofort suchte sie mit ihrem einen funkelnden Auge nach Axandrias. Der Cimmerier sah Vulpio hinter sich und stürmte auf das Feuer los, das hoch aufflackerte, nachdem jemand einen Armvoll Reisig daraufgeworfen hatte. Alles hing vom Moment der Überraschung ab. »Das sind doch nur Menschen!« stieß einer verwundert hervor. Ein bösartig aussehender Argossier griff Conan mit einem erhobenen zweihändigen Krummschwert an. Conans erster Schlag fegte das Schwert beiseite, der zweite traf den Mann mitten ins Gesicht, der dritte drang ihm tief in die Schulter. Als der Cimmerier die Klinge herauszog, sah er, wie zwei Männer rechts und links auf ihn losstürmten. Er richtete die Schwertspitze auf den linken, drehte sich aber blitzschnell und griff den rechten Mann an. Dieser trug ophirische Kleidung und stieß eine Lanze auf Conans Bauch zu. Der Cimmerier erwischte die Lanze direkt hinter der Spitze und riß den Mann zu sich heran, um ihn mit dem Schwert zu durchbohren. Dann ließ er die Lanze los und zog mit beiden Händen seine Klinge aus dem Brustkorb des Gegners. Der Feind zur Linken sank mit einem Dolch im Auge zu Boden. Kalya durchschnitt mit ihrer schlanken Klinge einem Corinthier die Kehle.
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Wieder wollte sich ein Ophirier auf Conan stürzen, aber ein Pfeil, den ein Mann von der Mauer schoß, durchbohrte ihn. Dann griffen noch drei an. Der Cimmerier war mehrere Sekunden lang heiß beschäftigt. Als ein Schwert von rechts kam, wich er aus, ließ aber gleichzeitig seine Klinge mit der Hinterhand herabsausen, so daß die Schwerthand am Gelenk abgetrennt wurde. Er duckte sich vor einem Keulenschlag. Doch streifte er ihn, so daß er Sterne vor den Augen sah, ehe er den Gegner mit einem horizontalen Streich aufschlitzte. Conan taumelte etwas, als er sich umdrehte, um den dritten Feind zu entdecken. Dieser wollte gerade eine doppelklingige Streitaxt schwingen, da tauchte plötzlich ein Dolch vor seiner Kehle auf, und er stürzte nach hinten. Ein Mann stolperte vorbei und versuchte, sich einen Pfeil aus dem Rücken zu ziehen. Da traf ihn der nächste, kaum eine Handbreit vom ersten entfernt. Der Mann fiel mit dem Gesicht ins Feuer. Conan zählte schnell die Toten. »Noch drei!« rief er. »Wo sind sie?« Er suchte mit Kalya den ganzen Pferch ab, während die Akrobaten ihre Frauen glücklich in die Arme schlossen und die anderen Gefangenen mit den Ketten rasselten, um auch befreit zu werden. »Sie sind nicht da!« rief Kalya. »Beschützt sie irgendein Gott, daß sie uns immer wieder entkommen?« Conan lief zu Vulpio und Ryula hinüber. »Ryula, wo sind die anderen drei? Der Dunkle, der Aquilonier und der Hyperboräer?« »Sie haben am Abend den Pferch verlassen«, antwortete Ryula. »Sie erklärten den anderen, daß sie außerhalb des Eingangs wachen wollten.« Der Cimmerier lief zum Eingang. Er war von außen verriegelt. Mit einem mächtigen Satz sprang er hoch und erwischte die Oberkante der Mauer mit den Fingerspitzen. Seine Muskeln spannten sich an und schienen die Haut darüber zum Platzen zu bringen, als er sich hinaufzog. Von oben konnte er nichts sehen. Nur in der Ferne hörte er den Hufschlag galoppierender Pferde. Wild fluchend sprang er hinab und öffnete das Tor. Aus Fenstern und Hauseingängen lugten die Dorfbewohner hervor. Das ungewohnte
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Lärmen hatte sie aufgeschreckt. Conan kehrte zurück zu den Gefährten, die bei den ehemaligen Gefangenen standen. »Es sieht so aus, als müßten wir euch hier verlassen«, sagte er. »Die Schurken sind uns wieder entkommen. Ryula, sagten sie, wohin sie wollten, nachdem sie euch verkauft hätten?« »Sie sprachen davon« – Ryula küßte nochmals ihren Mann –, »daß sie nach Süden an die stygische Grenze wollten.« Noch ein Kuß. »Sie hatten vor, Piraten auf dem Styx zu werden.« Sie lachte und weinte gleichzeitig, so daß sie kaum zu verstehen war. »Diese Art Verbrechen haben die Hunde noch nicht ausprobiert«, sagte Kalya. »Es war zu erwarten, daß sie keine Schurkerei auslassen würden.« »Wir werden versuchen, ihrer Spur zu folgen, wenn es hell wird«, sagte Conan. »Vulpio, du warst ein treuer Freund. Obwohl du kein Krieger bist, war ich sehr froh, deine Dolche heute nacht als Rückendeckung zu haben. Hier ...« Er holte einige Goldmünzen aus dem Beutel. »Nimm das! Der Dorfschmied wird morgen den ganzen Tag lang schuften müssen, um alle Halsringe zu öffnen. Du kannst damit bezahlen und für euch alle auf dem Heimweg Essen und Trinken kaufen.« »Wir wissen gar nicht, wie wir dir danken sollen«, sagte Ryula. Der Cimmerier hob die Schultern. »Ich bin hier, weil es Männer gibt, die ich töten muß.« Damit drehte er sich um und ging davon. Kalya wischte ihre Klinge sauber und folgte ihm. »Es waren insgesamt nur vier oder fünf«, meinte Kuulvo. »Wir hätten sie töten sollen, dann wäre die Sache ausgestanden gewesen.« Die drei ritten nach Süden. Die Säcke mit der Beute lagen angenehm schwer über den Sätteln. »Ich stimme dir zu, daß es lästig ist«, sagte Taharka. »Aber da standen noch mehr auf der Mauer. Wir wissen nicht, wie viele – und sie hatten Bogen. Sie waren im Vorteil. Es wäre kaum ratsam gewesen, unter diesen Bedingungen mit ihnen zu kämpfen. Sollten sie uns je
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wiederfinden, werden wir die Bedingungen festsetzen.« »Wenigstens wissen wir jetzt, wer es ist«, meinte der Hyperboräer. »Keine Geister, sondern normale Sterbliche.« Axandrias tief eingesunkene Augen zuckten gejagt, wie sie es in letzter Zeit ständig taten. »Diese beiden«, krächzte er, »dieses Weib und der Cimmerier – ich bin nicht sicher, daß sie wirklich sterblich sind.«
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Dreizehn »Das ist ein Fluß?« Conan blieb der Mund vor Staunen offen, als er zum ersten Mal den Styx sah. Das breite schlammige Band war fast eine Meile breit. Die Dörfer an den Ufern lagen so dicht beieinander, daß es zwischen ihnen kaum freie Flächen gab. Weite fruchtbare Felder erstreckten sich hinter ihnen. Über allem lag das glitzernde Netz der Bewässerungskanäle. In der Ferne sah man die Türme und Kuppeln großer Tempel. Die breiten Straßen entlang des Flusses waren gepflastert und voller Reiter, Karren, Wagen und Fußgänger. Doch am eindrucksvollsten aber war der Fluß, vor allem seiner enormen Breite wegen. Auf ihm fuhren Boote, Flöße, Lastkähne und sogar richtige Schiffe. Die meisten Boote hatten dreieckige Segel an schrägen Rahen. Einige wurden auch durch lange Ruder seitlich bewegt, oder ein Mann stand achtern und arbeitete mit einem langen Ruder, das wie ein Fisch durchs Wasser glitt. Manche Kähne – nahe am Ufer – wurden gestakt. Es gab auch kleine Paddelboote. »Schau!« Kalya zeigte auf ein riesiges Schiff, das sich um die Flußbiegung schob. Es hatte zwei große Rümpfe, die mit einem Deck verbunden waren. Hunderte von Rudern tauchten auf beiden Seiten der Rümpfe im Takt ins Wasser, blitzten auf und tauchten wieder ein. An zwei hohen Masten befanden sich Schrägrahen mit gerefften purpurfarbenen Segeln. Am Fockmast flatterte ein riesiges scharlachrotes Banner, auf dem eine Kobra mit Goldfäden eingestickt war. Die Rümpfe leuchteten buntbemalt, wobei Blau und Grün überwogen. Steven und Achtersteven waren vergoldet und mit geschnitzten Häuptern von Kobras, Geiern, Schakalen und Löwen verziert. In der Mitte des Verbindungsdecks war ein Holzturm errichtet worden, der durch polierte Bronzeplatten geschützt war. Ferner standen Katapulte und anderes Kriegsgerät auf Turm und Deck.
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»Was ist denn das?« fragte Conan. Von so einem Ding hatte er noch nicht einmal geträumt. Es war eine schwimmende Festung. Man hörte übers Wasser das Dröhnen einer großen Pauke, die den Takt für die Ruderer angab. »Das ist eine stygische Kriegsgaleere«, antwortete Kalya. »Ich habe Bilder davon gesehen, aber die vermittelten nur einen schwachen Eindruck. Man sagt, daß die Priesterkönige Hunderte davon besitzen.« »Hunderte!« wiederholte Conan staunend. »Aber soviel Reichtum kann es in der ganzen Welt nicht geben!« Er war von allem Neuen ganz benommen. Ja, in der Tat, deshalb hatte er die nebligen, kalten Berge Cimmeriens verlassen! »Ja, es stimmt«, sagte sie, »daß der Reichtum anderer Nationen im Vergleich zum Gold der Priesterkönige Stygiens verblaßt. Das hörte ich bisher immer; aber ich konnte es bis jetzt nicht glauben. Sieh dort!« Sie zeigte auf eine kleine Barke, die vom Ufer ablegte. Jeder Zoll daran schien vergoldet zu sein, selbst die Ruderblätter. Die schwarzen Sklaven darin waren alle von einer Größe und Farbe. Galionsfigur war das Haupt einer Löwin, den Achtersteven zierte ein Kuhkopf mit breit ausladenden Hörnern. »Das muß die Barke einer Prinzessin oder vornehmen Dame sein.« »Woher weißt du das?« Auf die Entfernung konnte er das Geschlecht der Gestalt, die mittschiffs auf einem Thron saß, nicht genau erkennen. »Ich habe gelesen, daß die Kuhgöttin und die Löwengöttin Beschützer der Frauen sind.« Conan hatte in den Steigbügeln gestanden, seit sie die Anhöhe erreicht hatten, von der aus man den Fluß überblickte. Jetzt setzte er sich wieder. »Das ist wunderbar! Ich könnte Jahre damit verbringen, alles zu erforschen«, sagte er. »Aber für unsere Mission sieht’s nicht gut aus. Wie sollen wir die Männer in einem so dicht bevölkerten Land finden? Es müssen hier – soweit ich jetzt schaue – mehr Menschen leben, als ich im Leben gesehen habe! Und es gibt viele Dunkelhäutige.
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Im Norden war es leicht, sich nach Taharka zu erkundigen.« »Wir werden es schon schaffen«, beruhigte sie ihn. »Schließlich sind wir nicht so weit gekommen, um sie jetzt zu verlieren.« Sie waren durch Koth und Shem geritten, hatten die Spur der Verbrecher mehrmals verloren und mußten in jedem Dorf bei jedem Bauern fragen, ob jemand die drei gesehen hatte. Seit Tagen hatten sie keine zuverlässige Auskunft mehr erhalten, und jetzt waren sie am Fluß. »Ob sie den Fluß überschritten haben?« fragte Conan. »Möglich, aber ich glaube es nicht. Die stygische Seite wäre gefährlicher für sie. Es ist ein undenkbar altes Land, und das Volk wird viel strenger kontrolliert als jede aquilonische Stadt. Sie wären dort als Fremde ständig unter Beobachtung der Obrigkeit. Ich bin sicher, daß sie ihre dunklen Geschäfte vom Nordufer aus aufnehmen – oder von einer Insel!« »Und du meinst, daß wir in einigen Tagen von ihnen hören werden?« Kalya lachte heiser. »Kannst du dir vorstellen, daß sich dieser Erzschurke Taharka irgendwo länger als ein paar Tage aufhält, ohne eine Schurkerei anzuzetteln? Komm, suchen wir uns eine Stadt, wo es viel Verkehr von beiden Flußufern aus gibt. Schon bald werden wir Berichte über Tod und Vernichtung hören. Dann wissen wir, daß wir sie gefunden haben.« Die Stadt hieß Pashtun. Sie lag nicht am Ufer des Styx, sondern auf einer ziemlich großen Insel nördlich der Flußmitte. Zum Nutzen beider Nationen beanspruchten weder Stygien noch Shem die Insel für sich. Sie diente beiden als Hafen und Zwischenlager für die Waren, die auf dem Fluß befördert wurden. Sie lag auch nahe der Mündung mehrerer schiffbarer kleiner Zuflüsse und war daher der ideale Ort für Kaufleute und Reisende, wo auch die Agenten verschiedener nahegelegener Königreiche Pläne schmiedeten und Geheimnisse austauschten. Im Zentrum der Insel lag eine hohe Felskuppe, wo mehrere Herbergen und Schenken standen. Conan und Kalya hatten sich in
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einer davon eingemietet. Die Preise auf der Insel waren hoch; aber für einen so günstigen Platz waren sie bereit, mehr zu zahlen als üblich. Als die Sonne am dritten Tag ihres Aufenthalts sank, saßen sie auf der Dachterrasse ihrer Herberge und blickten nach Süden zum stygischen Ufer. In der Ferne ragten riesige Pyramiden auf. Conan hatte immer noch Schwierigkeiten zu glauben, daß sie Menschenwerk waren und keine natürliche Erhebung in der Landschaft. Man hatte ihm erzählt, daß es Grabmäler von Priesterkönigen waren und daß sie schon viele Jahrhunderte lang dort standen. »Warum tun sie das?« fragte Conan und zeigte auf das gegenüberliegende Ufer, wo die Fassade eines großen Tempels stand. Winzige weißgekleidete Gestalten wandelten von einem Eingang zum anderen, schwangen Weihrauchfässer, rasselten mit Sistra und schlugen die Trommeln, die bei dieser Entfernung nicht zu hören waren. »Sie begehen diese Zeremonien Tag und Nacht – warum?« »Es ist ihre Tradition«, antwortete Kalya. »Sie glauben, daß die ständige Verehrung der Götter sie so reich und mächtig macht. Die Priesterkönige bleiben an der Macht, indem sie das dem einfachen Volk erzählen.« Conan rutschte hin und her. »Was nützt es, reich zu sein, wenn du dein Leben damit verbringen mußt, langweilige Musik zu machen und Götter anzubeten, die niemals etwas sagen oder sich ihren Gläubigen zeigen?« Kalya lächelte. »Du bist doch ein echter Barbar, Conan, und verstehst die Art der zivilisierten Menschen nicht.« »Wofür ich sehr dankbar wäre – aber wir danken Crom nie für etwas.« Er nahm einen Schluck kühlen Würzwein. Anfangs war ihm der Geschmack seltsam vorgekommen; aber inzwischen mochte er ihn. Er schmeckte leicht bitter. Fruchtfleisch schwamm darin. »Welch ein Gott ist dein Crom?« fragte Kalya. »Er ist unzugänglich und schrecklich und macht sich um uns wenig Sorgen – wir uns auch nicht um ihn. Er lebt in einer Höhle auf einem
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hohen Berg in Cimmerien. Wenn wir geboren werden, gibt er uns den Geist eines Kriegers, die Fähigkeit, Unbillen zu ertragen und unsere Feinde zu töten. Wir finden, daß er als Gott uns damit genug gegeben hat. Die übrige Zeit verbringt er unserer Meinung nach mit seiner Fehde gegen Ymir von den Nordheimern.« »Er ist ein Gott, der genau deiner kalten nordischen Heimat entspricht«, sagte sie. »Die Götter des Südens sind exotischer. Die Stygier haben Hunderte von Göttern. Ich unterhielt mich heute morgen mit einem Gelehrten. Stundenlang klärte er mich über die Eigenschaften verschiedener Götter auf. Es gibt Götter für jede Art von Wetter, für jeden Vogel, jedes Tier, jeden Fisch und jedes Reptil, für jeden Wochentag und für jedes Organ des menschlichen Körpers. Der größte von allen ist Set, die Alte Schlange, aber ihm dient nur ein Kollegium von Priestern. Alle anderen wagen nicht an ihn zu denken, weil er so schrecklich ist.« Conan erinnerte sich an den Priester in dem seltsamen Tempel in Croton. Er hatte von Set gesprochen, aber gemeint, daß dieser ein Säugling sei im Vergleich zu den Göttern dieses Tempels. Plötzlich stimmte ihn dieses Gespräch über Götter und ihre demütigen Gläubigen niedergeschlagen. Ein Mann kam auf die Dachterrasse und sah sich nach einem freien Tisch um. Er trug die Kleidung eines Kaufmanns aus Khemi, der Hafenstadt an der Mündung des Styx, wo der große Fluß sich mit dem Westlichen Meer vereinigte. Da alle Tische besetzt waren, trat er zu Conan und Kalya, bei denen noch Plätze frei waren. »Darf ich mich zu euch setzen?« fragte er. Als sie nickten, nahm er Platz. »Ich sehe, du kommst aus Khemi«, sagte Kalya. Sie lernten schnell, wie sich das Leben am Fluß abspielte. »Wie läuft der Handel auf dem Fluß?« »Blüht und gedeiht«, antwortete der Kaufmann und wies mit der Hand aufs Wasser. »Wie ihr seht, sorgt Vater Styx für uns alle. Schaut dorthin!« Er zeigte auf einen langen Zug aus zusammengebundenen
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Lastkähnen, deren hochaufgetürmte Ladung mit einer Segeltuchplane bedeckt und mit einem Netz gesichert war. »Getreide für Messantia, um eine Hungersnot in Süd-Argos zu lindern. Und da drüben ...« Er deutete auf eine Flottille aus Fischerbooten, die am Nordufer ablegten. Die Netze hingen über großen Stangen, an Bug und Heck steckten Fackeln. »Das sind die Nachtfischer, welche die Tagfischer ablösen. Während des Tages fischen sie tief; aber gegen Abend fallen riesige Insektenschwärme über den Fluß her, um zu fressen. Die Fische kommen nach oben, um die Insekten zu fressen, und die Fischer fangen die Fische, damit diese von den Menschen gefressen werden. Alles hat eine gewisse Schönheit, meint ihr nicht auch?« »In der Tat«, stimmte Kalya ihm zu. »Aber ist der Fluß immer so gütig?« »Ich nehme an, ihr seid Fremde und kommt aus dem Norden«, sagte der Kaufmann und nahm einen Becher Wein aus Kalyas Hand. »Ist dies euer erster Besuch am großen Fluß?« »Wir sind gerade erst angekommen«, antwortete Conan. »Ja dann!« Der Mann holte tief Luft. »Ihr müßt wissen, daß Vater Styx sehr freigebig ist, aber auch launisch. Neben Reichtum birgt er Gefahren. Im südlichen Abschnitt des Flusses wimmelt es vor Krokodilen und Flußpferden. Ein Flußpferd sieht komisch aus, kann aber ein bösartiges, gefährliches Vieh sein. Dann gibt es Flußottern, deren Gift absolut tödlich ist. Da aber Schlangen in Stygien heilig sind, darf man sie nicht töten.« Er lehnte sich zurück und genoß seine Rolle. »Jetzt ist der Fluß ruhig; aber häufig gibt es grauenvolle Stürme. Sie kommen ohne Warnung, wenn zwei Götter in Streit geraten. Das Wasser ist seicht, da stauen sich schnell große Wellen auf. Die Boote kentern leicht, weil Flußschiffe keinen großen Tiefgang haben können. Jedes Jahr ertrinken viele Menschen.« »Gibt es auch Räuber auf dem Fluß?« fragte Kalya und drehte ihr Weinglas in der Hand.
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»Selten. Aber wenn welche auftauchen, halten sie sich nicht lange. Wenn sie lästig werden, schickt der nächste Satrap eine Kriegsgaleere oder eine Abteilung Kavallerie, um das Räubernest auszuheben. In der Provinz Khopshef wird es bald zu einer solchen Aktion kommen. Ich kam gerade dort durch, es liegt westlich von hier und hat keine größeren Städte. Da hat es in den letzten Jahren schon öfter Piraterie gegeben.« »Was ist denn in Khopshef geschehen?« fragte Conan. Er gab sich Mühe, seine Aufregung zu verbergen; dabei preßte er den Weinbecher so stark zusammen, daß dieser sich verbog. »Seit ein paar Wochen«, begann der Kaufmann, »kommen immer wieder Schiffe den Fluß herab – ohne Ladung oder Besatzung. Meist hat man Löcher in ihren Rumpf geschlagen; aber im Fluß bleiben Schiffe nicht lange auf dem Boden, die Strömung treibt sie wieder hoch. Deshalb sind auch Leichen oder Leichenteile ans Ufer gespült worden. Sie sind immer ausgeweidet, damit die Gase die Toten nicht nach oben treiben; aber ein paar kommen immer hoch, wenn auch manchmal nur in Stücken. So teilt Vater Styx seinen Kindern mit, daß Verbrechen auf ihm begangen werden und etwas dagegen geschehen muß.« »Welche Boote sind so angegriffen worden?« fragte Kalya. »Kleinere Kauffahrer, Schiffe, die leichte Ladung und Passagiere befördern. Meist sind das ziemlich teure Schiffe.« »Auf diesen ist die Ladung vermutlich auch kostbarer, und die Passagiere sind reich«, stellte Kalya fest. »Genau«, antwortete der Kaufmann. »Jetzt ist die Zeit, da reiche Stygier Pilgerfahrten zu einem berühmten Tempel unternehmen. Die Fahrt auf dem Fluß ist bequemer als die über Land. Oft führen sie großen Reichtum mit sich.« Sie redeten noch lange mit dem Kaufmann. Er war ein wandelndes Lexikon über den Fluß, die Menschen und ihre Sitten und Gebräuche. Er war entzückt, jemanden gefunden zu haben, der von all dem nichts
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wußte und begierig war, so viel wie möglich zu erfahren. Sie hatten ihn mit Würzwein freigehalten, und er revanchierte sich mit Geschichten über den Fluß. Endlich verabschiedeten sie sich. Es war schon spät, als Conan und Kalya ihre teure Schlafkammer aufsuchten, um Pläne zu schmieden. Am nächsten Morgen gingen sie zu den Anlegestellen am Fluß, um sich nach einer Schiffspassage in den Westen zu erkundigen. Pferde und Sättel hatten sie verkauft, als sie sich die Unterkunft auf der Insel gesucht hatten. Es gab so viele Grenzen und Kontrollen an der großen Straße, daß sie lieber auf dem Fluß fuhren. An den Kais lagen viele Boote. Manche waren schmutzig oder stanken nach Fisch. Andere sahen zu unzuverlässig aus, als daß sie ihnen trauten. Ein Schiff machte sich zum Ablegen fertig. Auf Deck waren Seidenballen aufgetürmt. Es roch aus den Luken nach Kräutern und Gewürzen. Das Schiff wirkte solide, die wenigen Passagiere an Deck waren teuer gekleidet. »Wohin fahrt ihr?« rief Conan einem Mann auf dem Mitteldeck zu, der Befehle brüllte. »Nach Khemi«, antwortete er. »Hast du noch Platz für zwei Passagiere?« rief der Cimmerier. »Meine Kabinen sind alle belegt«, sagte der Mann. »Aber wenn ihr sofort an Bord kommt und auf Deck bleiben wollt, könnt ihr mitfahren.« Die beiden sprangen an Bord. »Ich hörte, daß die Fahrt durch gefährliche Gewässer führt«, meinte Conan. »Wir können mit unseren Waffen recht gut umgehen.« Der Schiffer zuckte mit den Achseln. Sein Turban war aus scharlachroter Seide, ein Goldring blitzte im linken Ohr. »Dann ist euer Leben ja sicherer. Der Preis für die Passage ist derselbe. Er ist gesetzlich festgelegt: zwanzig Silberschekel aus Shem oder zwei Goldkobras aus Stygien für die Fahrt von Pashtun nach Khemi.« »Aber wir wollen gar nicht nach ...«, erwiderte Conan, doch Kalya
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stieß ihn in die Rippen. »Abgemacht«, sagte Kalya und gab dem Mann das Geld. Er zeigte auf den leeren Teil des Decks. »Sucht euch einen Platz für eure Decken. Wenn die Sonne hoch steht, spannen wir ein Segel auf, um Schatten zu haben. Ich bin Kapitän Amyr, und mein Wort ist Gesetz an Bord der Stolz von Luxur.« Damit drehte er sich um und brüllte einen Haufen Nichtstuer an der Pier an, worauf diese sich in Bewegung setzten und kleine Truhen über die Planke an Bord trugen. »Warum hast du den ganzen Fahrpreis bezahlt?« fragte Conan mürrisch. »Wir wollen doch nicht bis Khemi.« »Weil es Verdacht erregt hätte, wenn wir gesagt hätten, daß wir nur bis zu den Piratengewässern wollen.« Sie breiteten Decken aus und sahen interessiert zu, wie die Stolz von Luxur ablegte. Das Schiff mit dem hochtrabenden Namen war eine flache Barkasse, ungefähr fünfundzwanzig Schritt lang und zehn Schritt breit. Sie war nicht neu, aber frisch gestrichen. Alles machte einen gepflegten Eindruck. Bald stellten sie fest, daß den Menschen an Deck die Diener der Passagiere waren, welche die Kabinen gemietet hatten. »Ich habe noch nie so viele unbewaffnete Männer gesehen«, sagte Conan, als sie am Bug standen und auf den Fluß hinausschauten. »Wir befinden uns in einem straff durchorganisierten Land«, erklärte Kalya. »Du hast doch die vielen Soldaten und königlichen Wachen am Ufer gesehen. Die Herrscher sind reich und mächtig, das Land ist friedlich, und die Menschen verlassen sich darauf, daß die Regierung sie beschützt. Es gibt Polizei, Gerichte und andere zivilisierte Einrichtungen.« »So ein Leben führt nur zur Schwäche«, widersprach der Cimmerier. »Männer sollten sich auf ihr eigenes Schwert verlassen.« »Ich widerspreche dir keineswegs«, sagte sie. »Unser Mann Taharka hat hier ein ausgezeichnetes Jagdrevier gefunden; aber seine Tage sind gezählt, wenn die Obrigkeit erst nach ihm sucht.«
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»An der piktischen Küste haben Seeleute von den Piraten erzählt, die auf dem Westlichen Ozean ihr Unwesen treiben«, sagte Conan. »Die Vanir sind berüchtigte Räuber. Ihre Langschiffe überfallen die Dörfer an der Küste, sie plündern und rauben. Die Seeleute erzählten auch von den zingarischen Piraten. Die haben schlanke Kampfschiffe und segeln aus Buchten und von Inseln herbei, um Kaufschiffe anzugreifen. Taharka muß sich ein Boot verschafft und es mit bewaffneten Halsabschneidern bemannt haben. Der Kerl hat offenbar nie Schwierigkeiten, die Schurken zu finden, die er gerade braucht.« Kalya blickte nachdenklich in die Ferne. »Ich glaube, daß es noch einen anderen Weg gibt«, sagte sie schließlich. »Ein Boot für Überfälle braucht einen Hafen und erregt zwangsläufig Interesse. Wir haben gesehen, wie dicht bevölkert die Ufer sind und wie dicht befahren der Fluß ist. Es wäre sehr schwierig, ein Schiff anzugreifen, ohne gesehen zu werden.« »Sie könnten von einer kleinen Insel aus operieren«, meinte Conan. »Davon gibt’s viele. Nachts fallen sie dann über ihre Opfer her, wenn diese bei den Inseln oder auf dem Fluß vor Anker liegen. Manche Schiffe fahren sogar nachts.« »Möglich, aber überleg mal: Wir hatten keine Probleme, eine Passage auf diesem Schiff zu bekommen. So ist es bei den anderen bestimmt auch. Wären wir Flußpiraten, könnten wir doch auch leicht am Anlegeplatz herumlungern, bis wir ein mögliches Opfer sehen, und dann eine Passage buchen. Sobald wir in die Nähe unseres Verstecks kommen, bringen wir Besatzung und Passagiere um – wahrscheinlich während sie schlafen. Dann kommen unsere Verbündeten mit kleinen Booten vom Ufer und laden die Beute ein, während wir die Leichen und das Schiff weit von unserem Schlupfwinkel entfernt beseitigen. Danach gehen wir einfach irgendwo an Land und suchen uns ein neues Opfer, das uns in die andere Richtung mitnimmt.« »Das ergibt einen Sinn«, meinte Conan. »Es wäre schwierig, einer solchen Bande auf die Schliche zu kommen, selbst wenn viele
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Patrouillen danach suchen.« Er grinste sie an. »Du hast den Verstand einer Verbrecherin.« Kalya nickte ernst. »Ich wäre eine gute Verbrecherin geworden. Indem ich mein Leben der Verfolgung eines Schurken widmete, wurde ich selbst eine Schurkin.« Die Fahrt flußabwärts verlief sehr ruhig. Kam der Wind von achtern, wurde das breite Segel gesetzt, um die Kraft der Strömung zu unterstützen. Conan erfuhr, daß die Fahrt flußaufwärts sehr viel anstrengender war und man die meiste Zeit rudern mußte. Das Schiff legte oft an beiden Flußufern an, setzte Passagiere ab, nahm neue an Bord. In manchen Nächten lag sie in einem Hafen vor Anker, oft auch nur in Untiefen. Conan und Kalya befragten jeden, der von flußabwärts kam, ob in Khopshef noch immer Piraten ihr Unwesen trieben. Man sagte ihnen, daß man fast jeden Tag neue Anzeichen für Raub und Mord entdecke. Noch war es aber zu keiner großen Empörung gekommen. Bei dem regen Schiffsverkehr erschien das Verschwinden eines kleinen Boots zufällig oder nicht bedrohlich. Diese Tatsache stimmte Conan niedergeschlagen. »Es sind so viele Schiffe auf dem Wasser«, stöhnte er, »wie sollen wir sie da finden?« »Vielleicht müssen wir viel Zeit aufwenden«, antwortete Kalya, »und mit mehreren Schiffen flußaufwärts und flußabwärts durch diesen Abschnitt fahren. Am bequemsten wäre es natürlich, wenn wir zufällig auf einem Schiff wären, das sie überfallen.« »Soviel Geld haben wir nicht. Das meiste würde schon die Passage aufbrauchen«, protestierte Conan. »Du könntest rudern lernen«, meinte sie. »Ich bin ein Mann des Schwertes«, widersprach er heftig, »und kein Trottel, der sich über dem Ruder totschwitzt.« »Ich habe nur Spaß gemacht«, versicherte sie ihm. »Aber mir ist aufgefallen, daß sie nicht nur Gold und Silber als Beute nehmen, sondern auch sperrige Waren. Die müssen sie irgendwo lagern und
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weiterverkaufen. Es muß in der Gegend einen Händler geben, der auch mitten in der Nacht Lieferungen entgegennimmt. Durch ihn könnten wir den Piraten auf die Spur kommen.« »Und wie finden wir einen solchen Mann?« fragte Conan. »Überlaß das nur mir! Du bist ein großer Krieger im wilden Norden; aber ich kenne mich bei zivilisierten Dieben und Hehlern aus.« »Welchen Monat haben wir?« fragte Conan, als sie ihre Habe ans Ufer trugen. Der Kapitän war überrascht gewesen, als sie ihre Fahrt auf halber Strecke nach Khemi abbrechen wollten; aber da sie von ihrem Fahrpreis nichts erstattet haben wollten, war er zufrieden. Jetzt konnte er zwei weitere Passagiere an Bord nehmen und kassieren. »Es ist die zweite Woche nach dem ersten Vollmond des Jahres. Der Monat der Hungersnot nach aquilonischer Berechnung. Warum fragst du?« Conan blickte umher: Palmen, Obstgärten und Bauern, die auf den Feldern schon die nächste Getreideernte säten. »Im Norden herrscht jetzt die bitterste Zeit des Winters, aber hier ist Frühling, vielleicht schon Sommer. Das ist schwer zu sagen, da es keine Jahreszeiten gibt.« Er warf sich einen Beutel über die kräftige Schulter, dann gingen sie auf eine Kleinstadt zu, die Nakhmet hieß. Trotz des stygischen Namens lag sie auf dem Shem-Ufer des Flusses. Derartige Namen waren nicht ungewöhnlich, da die mächtige Nation des Südens oft Teile des Nordufers ihrem Reich einverleibt hatte. »Stimmt«, sagte Kalya. »Dieses Land ist wie ein Traum. Hier gibt es weder Winter noch Sommer, die Menschen teilen das Jahr nach dem Wasserstand des Flusses ein. Eine Ernte wird eingeführt, während die nächste schon gepflanzt wird. Auf einem Feld tragen die Bäume reife Früchte, auf dem daneben stehen sie erst in voller Blüte. Irgendwie kommt es mir unnatürlich vor.« »Und es ist heiß«, sagte Conan. »Aber mir gefällt es. Stygien, drüben auf dem anderen Ufer, wird mir zu sehr von den Priesterkönigen
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beherrscht. Dort sind die Menschen zu gezähmt und schicksalsergeben. Aber dieses Land ist nach meinem Geschmack.« »Es ist angenehm«, sagte sie gedankenverloren, »aber ich fürchte, daß Taharka sich hier wie zu Hause fühlt. Der Süden ist sein Element, dadurch hat er vielleicht Vorteile. Woanders war er ein Fremder, hier beinahe ein Einheimischer. Sein Land Keshan liegt am Styx, südlich von Stygien.« Der Gedanke an Länder, die noch weiter entfernt lagen als Stygien, rissen den jungen Cimmerier zur Begeisterung hin. »Ich habe mit Reisenden über diese Länder gesprochen: Punt und Zembabwei, reich an Gold und Elfenbein, und Kush und Darfar, wo alle Menschen eine Haut haben, so schwarz wie Ebenholz. Sie sagen, daß es noch weiter im Süden riesige Königreiche gibt, von denen die Menschen hier nicht einmal die Namen kennen. Eines Tages werde ich sie alle besuchen.« »Du hast den Geist eines Wanderers«, sagte Kalya. »Auch ich bin weit umhergezogen; aber nur, weil meine Rache mich dazu trieb.« Conan fragte sie nicht, was sie tun würde, nachdem sie Axandrias getötet hätte. Er wußte, daß diese halbwahnsinnige junge Frau keinen Gedanken an die Zeit aufwendete, die nach der Erfüllung ihrer Rache lag. Jedesmal, wenn er dieses Thema anschnitt, wurde sie wütend. In der Stadt stand ein großer Tempel für einen der shemitischen Götter. Conan und Kalya hatten schon bemerkt, daß die Menschen in diesem Land nicht besonders religiös waren; aber einen großen Tempel zu erbauen, war Sache des Bürgerstolzes. Die Tempel wurden ständig renoviert oder erweitert. Viele Türme, an denen sie vorbeikamen, waren eingerüstet, weil die Bewohner dieses Ortes ihren Turm ein Stückchen höher als den der Nachbarn errichten wollten. Neben einem Tempel fanden sie eine weiträumige Herberge. Das Heiligtum war einem häßlichen kleinen Schurkengott geweiht, der BaalSepa hieß. Der Wirt war ein schmuddeliger aalglatter Mann. Sein Bart entsprach der letzten Mode: quadratisch zugestutzt und in geometrisch genaue Reihen von engen Löckchen gedreht. Die Pomade und das
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Parfüm rochen sieben Meilen weit gegen den Wind. Er zog seinen zylindrischen Hut als Gruß und verneigte sich fast bis zu den grünen Pantoffeln. »Seid gegrüßt, o Freunde! Wie kann ich euch dienen? Habt ihr unseren Tempel schon besucht? Er enthält mehr Statuen Baal-Sepas als irgendein anderer in Shem. Außerdem sind seine Marmorreliefs die feinsten, das Minarett ist fünf Fuß höher ...« »Ein beeindruckender Bau, zweifellos«, unterbrach Kalya seinen Redefluß. »Mit Sicherheit werden wir ihn gebührend betrachten, wenn wir Zeit haben. Doch jetzt brauchen wir ein Zimmer und eine Mahlzeit.« »Wir sind halb verhungert«, fügte Conan hinzu, mehr um den Wirt vom nächsten Wortschwall abzuhalten als aus wirklichem Hunger. Der Schankraum sah vielversprechend aus. »Ihr sollt mein bestes Zimmer bekommen«, versprach der Wirt. »Hier, nehmt Platz, ruht euch aus. Ich werde sofort einen Diener schicken, um alle eure Wünsche zu erfüllen.« Keuchend und schwitzend lief er fort, um den nächsten Gast zu begrüßen. »Ja, schon besser«, meinte Conan, als sie sich gesetzt hatten. Die anderen Gäste waren zumeist Männer. Einige sahen wie Bilderbuchschurken aus. Hier trafen sich drei nach Süden führende Straßen. Viele Männer sahen wie Karawanentreiber aus und rochen nach Kamelen. »Soviel Ordnung und Gesetzesüberwachung hat mich fast wahnsinnig gemacht.« »Ja, die Leute hier scheinen eher von unserem Schlag zu sein«, pflichtete ihm Kalya bei. »Dies sollte genau der richtige Platz sein, um etwas über unsere Sklavenhändler-Flußpiraten zu erfahren.« Nach dem Essen zeigte der Wirt ihnen sein ›bestes Zimmer‹, das genauso aussah wie alle anderen. Es war klein und eng; aber die beiden hatten auf ihrer langen blutigen Suche schon schlimmere Unterkünfte erlebt. Wenigstens gab es ein Fenster, das frische Luft hereinließ, und es schien ohne Ungeziefer zu sein.
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»Das tut’s«, meinte Conan. »Sag mir, Wirt, angenommen, wir hätten ein paar Sachen zu verkaufen, wertvolle Dinge, welche die Obrigkeit nicht unbedingt sehen soll. Wo fände ich einen zuverlässigen Käufer dafür?« Mit verschwörerischem Grinsen steckte der Wirt den Kopf zum Flur hinaus und schaute in beide Richtungen. Dann zog er ihn wieder zurück und schloß die Tür. »Solltet ihr derartige Sachen haben, die nicht sehr groß sind, und solltet ihr die lästigen Formalitäten wie Zoll, Erlaubnisscheine und so weiter umgehen wollen, wäre ich vielleicht interessiert. Darf ich sie sehen?« »Nun, wir tragen diese Gegenstände nicht mit uns herum«, mischte Kalya sich ein. »Du mußt verstehen, daß Geheimhaltung äußerst wichtig ist. Und die Gegenstände sind ziemlich groß. Wer sie kaufen will, muß die Möglichkeit haben, große Mengen abzunehmen.« Sie ließ – wie nebenbei – ihren Umhang zu Boden gleiten. Dem Wirt fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Ja, hm! Verstehe! Ich fürchte, große Mengen kann ich nicht abnehmen; aber in der nächsten Stadt nach Westen hin, in Ashabal, gibt es einen Händler. Er heißt Ra-Harakhte. Er ist ein gebürtiger Stygier, wie der Name sagt. Er ist für eine großzügige Abwicklung der Handelsgeschäfte bekannt.« »Wie weit ist es bis zu dieser Stadt?« fragte Conan. »Ein kurzer Morgenspaziergang am Fluß entlang. Solltet ihr mit RaHarakhte handelseinig werden, erwähnt bitte meinen Namen.« »Das werden wir bestimmt tun«, versicherte Kalya. »Wünsche wohl zu ruhen, meine Freunde«, sagte der Wirt und ging sich verneigend zur Tür. »Ich hatte nicht erwartet, so schnell einen vielversprechenden Tip zu bekommen«, sagte Conan und hängte den Schwertgurt an einen Pflock. Kalya saß auf dem Bett, das kaum mehr als eine dünne Matratze auf einem Netz aus Seilen war. Sie hatte die Füße auf den Schenkeln gekreuzt. Ihre Rüstung und die anderen Sachen lagen auf dem
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Fußboden. »Vielleicht haben wir doch noch einen langen Weg vor uns. Möglich, daß dies nur ein Hehler von vielen in der Gegend ist. Aber ein guter Anfang ist es auf alle Fälle! Taharka und die anderen fühlen sich bestimmt in Sicherheit. Sie haben uns wochenlang nicht gesehen. Ich wette, daß sie glauben, uns abgehängt zu haben.« »Haben sie auch«, meinte Conan. »Aber das werden wir ändern.« Er setzte sich neben sie. Dann ließ er sich auf den Rücken fallen und reckte sich wohlig. »Ich hätte nie geglaubt, wie ermüdend so eine lange Schiffsreise sein kann. Du?« »Wie müde bist du?« fragte sie. Dabei blickte ihr Auge diesmal keineswegs blutrünstig. »Nicht so müde«, sagte er und zog sie neben sich. Am nächsten Vormittag standen sie mit den Beuteln, in denen ihre Habe steckte, vor einem langgestreckten Lagerhaus am Hafen der Stadt Ashabal. Vor dem Eingang saß ein riesiger Schwarzer, der nicht mehr als einige billige Schmuckstücke, einen weißen Lendenschurz und einen weißen Turban trug. Er saß auf einem niedrigen Schemel. Neben ihm an der Wand lehnte ein Prügel, der mit Eisendornen besetzt war. Als sie auf den Eingang zukamen, stand der Schwarze auf und musterte sie angriffslustig und mißtrauisch. »Wir suchen einen Mann namens Ra-Harakhte«, sagte Conan. »Ist dies der Ort, wo er seine Geschäfte tätigt?« »Er ist mein Herr«, antwortete der Schwarze hochmütig. »Was wollt ihr von ihm?« »Das werden wir ihm sagen, wenn wir mit ihm sprechen«, erklärte Kalya. »Mein Herr ist ein bedeutender und reicher Kaufmann«, sagte der Schwarze. »Welche Geschäfte sollten zerlumpte Fremde wie ihr ihm schon anbieten?« Ganz locker versetzte Conan dem Mann einen Faustschlag übers Maul, so daß er gegen die Wand knallte und langsam herabrutschte, um
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vor dem Eingang zusammenzubrechen. Ein dünnes Blutgerinnsel floß aus einem Mundwinkel in den Staub. Sie stiegen über den Fleischkoloß hinweg und betraten das kühle Innere. Ein Mann mit finsterem schmalen Gesicht stapelte in einer Ecke Ballen. Er trug ein buntes Seidengewand und einen schwarzen Seidenturban. Aus dem Gürtel ragte ein juwelenbesetzter Dolchgriff. »Ich habe schon immer gesagt, daß der Fettsack zu arrogant war. Eines Tages mußte so etwas passieren.« »Bist du Ra-Harakhte?« fragte Conan. »In voller Lebensgröße. Und ihr?« Offenbar legte der Mann keinen Wert auf große Formalitäten wie die meisten Südländer, denen der Cimmerier bis jetzt begegnet war. »Conan aus Cimmerien und Kalya aus Aquilonien«, sagte er. »Ihr seid weit weg von eurer Heimat. Wie kann ich euch behilflich sein?« Die beiden sahen sich im Lagerhaus um, das ein reiches Angebot aller möglichen kostbaren Waren bot. »Wir suchen Arbeit«, sagte Kalya und prüfte die Webqualität einer dünnen Seide. »Ich brauche niemanden«, erklärte der Kaufmann. »Warum kommt ihr zu mir?« »Bei der Arbeit, die wir suchen«, sagte Conan, »sind Gefahr und Belohnung gleich groß. Wir können beide mit unseren Waffen hervorragend umgehen und lieben die Obrigkeit nicht besonders. Man sagte uns, daß du geschäftlich mit Leuten zu tun hast, die möglicherweise Verwendung für uns haben könnten.« Er wagte viel; aber er wollte keine Zeit verschwenden. »Dann hat man euch belogen«, sagte der Kaufmann. »Ich bin ein gesetzestreuer Mann und ein ergebener Untertan des Königs.« »Dann wollen wir dich nicht länger belästigen«, sagte Kalya. »Verlaßt unsere schöne Stadt nicht allzuschnell«, sagte Ra-Harakhte. »Bleibt und bewundert unseren großen Tempel. Er ist Ashar, dem Gott der Winde, geweiht und hat die größte Kuppel in ganz Shem. Betet
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zum Gott, damit er euch führe. Es könnte sein, daß euch – wenn ihr abends draußen vor der Schenke der Vier Winde sitzt – Männer ansprechen, die solche Arbeit anbieten, wie ihr sie sucht. Der Gott ist für seine Großzügigkeit bekannt.« »Ich habe immer auf göttliche Führung vertraut«, sagte Kalya mit ernstem Gesicht. »Komm, Conan, gehen wir und sehen wir uns dieses erstaunliche Bauwunder an.« Sie hoben ihre Beutel wieder auf und gingen hinaus. »Vielleicht sind wir bald am Ziel«, meinte Conan. Am Abend saßen sie vor ihrem Wein vor der Schenke und warteten, daß sich die Dunkelheit auf die Stadt senkte. Die letzten Sonnenstrahlen fielen auf die vergoldeten Türmchen und die Kuppel des Tempels von Ashar. Sie hatten ihn tatsächlich besichtigt. Kalya hatte sogar eine Spende dargebracht und einige Münzen in das große Messingbecken am Eingang geworfen. Außerdem hatte sie Räucherstäbchen vor der goldenen Statue des Gottes angezündet. Er war groß und dünn. Aus seinen kugelrunden Backen strömte pausenlos Wind. Als Conan diesen plötzlichen Anfall von Frömmigkeit tadelte, hob sie nur die Schultern und meinte: »Es schadet nichts, wenn man sich mit den örtlichen Göttern gut stellt.« Jetzt legte sie dem Cimmerier die Hand aufs Knie. »Wer ist denn das?« Zwei Männer kamen näher. Einer war ein gutgebauter großer Stygier, der andere ein braunhäutiger Mann aus dem Süden. Conan erstarrte; aber der Mann war nicht Taharka. Seine Haare waren in unzählige Zöpfchen geflochten, auf Wangen, Kinn und Stirn waren parallele Narben eingeritzt. Die beiden kamen an den Tisch und nahmen unaufgefordert Platz. »Wir haben gehört, daß ihr beide euch für Gesetzlose ausgebt«, sagte der Stygier knallhart. »Das ist wahr«, antwortete Conan. »Wir leben schon geraume Zeit von unserem Schwert.«
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»Gewisse Umstände zwangen uns, die Länder im Norden zu verlassen«, setzte Kalya hinzu. »Dies Land hier ist verdammt friedlich. Wir hörten, daß gewisse Leute unseres Schlags hier blühende Geschäfte machen. Wir kämen sehr gern mit diesen Leuten zusammen.« Der braune Mann grinste und zeigte dabei spitz zugefeilte Zähne. »Wer hat schon je von einem Weib gehört, das auf dem Fluß Kehlen durchschneidet?« »Hm, aber wer würde schon ein Weib verdächtigen?« meinte der Stygier. »Ihr werdet es nicht bereuen, wenn ihr uns nehmt«, sagte Conan. »Wir können kämpfen und verlassen unsere Kameraden nie.« »Ich glaube, ich gebe euch eine Chance«, sagte der Stygier. »Wir können immer gute Kämpfer gebrauchen, die nicht empfindlich sind, wenn es um ihren Lebensunterhalt geht. Wir haben gehört, wie du den fetten Wachmann Ra-Harakhtes mit einem einzigen Schlag flachgelegt hast.« Der Mann lachte lauthals. Dabei sah man die Zähne, von denen zwei – zu Conans Erstaunen – aus Gold gemacht waren. »Zwei Stunden lang ist er nicht aufgewacht, dies wertlose Großmaul. Und die nächsten Wochen wird er sich von Brei ernähren müssen.« »Wer ist euer Anführer?« fragte Conan. Der Stygier beugte sich über den Tisch und sagte leise: »Unser Anführer ist ein Mann aus Keshan namens Taharka.« Conan zeigte keinerlei Regung, auch Kalyas Gesicht blieb ausdruckslos, nur ihre Nägel gruben sich in sein Knie. »Versteht er sein Geschäft?« fragte Conan. »Allerdings, Mann!« raunte der Braune. »Über unsere Taten wird viel spekuliert; aber niemand weiß, wer wir sind oder wo unser Stützpunkt liegt. Dazu ist der Keshanier zu ausgekocht. Bei seinem Haufen haben wir ein prächtiges Leben.« »Hier sind zu viele Leute«, sagte der Stygier. »Kommt mit auf unser Boot. Es liegt am südlichsten Ende des Kais. Dort können wir einen heben und in Ruhe reden, ohne Angst vor Lauschern haben zu
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müssen.« Sie gingen mit den beiden Männern zum Ufer hinunter und aufs Boot. Es war aus gebündeltem Schilf gemacht, lag hoch im Wasser und schwankte heftig, als sie es betraten. Conan war klar, daß selbst er hier große Schwierigkeiten bekäme, falls die Piraten sie in eine Falle gelockt hatten. Er war an so schwankenden Untergrund nicht gewöhnt. Sie dagegen hatten jahrelange Erfahrung mit Booten. »Ihr seid Landratten, was?« lachte der Dunkelhäutige. »Ihr müßt euch ans Leben auf dem Fluß gewöhnen, wenn ihr in diesem Hyänenrudel mitlaufen wollt.« »Kommt, jetzt trinken wir erst mal was«, sagte der Stygier. Er öffnete einen geflochtenen Strohkorb und holte einen Weinschlauch heraus. Sie ließen ihn kreisen. Als alle einen kräftigen Schluck genommen hatten, erklärte der Stygier in groben Umrissen das Vorgehen der Piratenbande. »Wir sind in viele kleine Banden aufgeteilt, versteht ihr«, erklärte der Stygier und begleitete seine Worte mit anmutigen Handbewegungen. »Am besten sind Gruppen von vier oder sechs. So wenige ziehen keine Aufmerksamkeit auf sich. Wir beobachten die Schiffe auf dem Fluß genau. Welche Ladung führen sie? Wie sind die Passagiere und so weiter. Wenn wir ein geeignetes Boot haben, gehen wir als Passagiere an Bord. Wir gehen immer einzeln, höchstens zu zweit. Manchmal reiten einige in den nächsten Hafen, damit wir nicht in derselben Stadt einsteigen. So vermeiden wir jeden Verdacht.« Der Weinschlauch machte die nächste Runde. »Und was ist, wenn ihr mehr Leute für ein Boot braucht? Ich habe welche mit vielen Männern gesehen, die allerdings oft nicht bewaffnet waren.« »Dann bleiben wir an Bord. Bald kommen wir in einen Hafen, wo wieder Mitglieder unserer Bruderschaft warten. Wir verständigen uns durch Geheimsignale. Geben wir das Zeichen, daß wir Verstärkung brauchen, kommen sie auch an Bord.« »Das klingt nach einem hervorragenden Plan«, meinte Kalya. Sie nahm noch einen Schluck. »Wie werdet ihr mit der Mannschaft und den Passagieren fertig, wenn es Zeit ist?«
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»Am besten ist es, sie im Schlaf zu töten«, meinte der Stygier seelenruhig. »Sobald wir den vorher festgelegten Flußabschnitt erreichen, warten wir, bis das Schiff bei einer Insel oder Untiefe vor Anker geht.« »Eins ist euch doch klar«, meinte der Dunkelhäutige, »Zeugen können wir nicht zurücklassen. Darauf besteht der Anführer. Töten, aufschlitzen und dann über Bord mit ihnen, zusammen mit einem Gewicht, das sie auf den Grund zieht.« Er schenkte ihnen wieder ein Lächeln seiner spitzen Zähne, während er die Tätigkeiten gestenreich untermalte. »Und wo ist diese Stelle?« fragte Conan. »Die wechselt von Woche zu Woche. Zu einem bestimmten Zeitpunkt kommt ein Bote und nennt mir den neuen Ort. Wir töten so nahe wie möglich an diesem Punkt. Wenn wir dann das Signal geben, kommen kleine Boote vom Ufer und bringen uns samt Beute ans Ufer.« »Und wenn ihr in der Nähe des vereinbarten Punktes nicht töten könnt?« »Gelegentlich ist es nötig, bei Tageslicht anzugreifen und alle kaltzumachen«, erklärte der Stygier. »Oder abends, wenn noch alle wach sind. Deshalb wäre es günstig, zwei geübte Schwertkämpfer wie euch dabei zu haben. Trügen wir alle Schwerter, würde man uns sofort verdächtigen. Aber zwei so offensichtliche Ausländer...« Er zuckte mit den Achseln. »Alle wissen, daß die Leute im Norden Wilde sind und sich immer mit Waffen behängen. Das fiele nicht auf.« Er geriet direkt in Begeisterung. »Da sind zum Beispiel auf einem Boot nur an die drei oder vier Männer, die sich ernstlich gegen uns zur Wehr setzen. Die haben Dolche oder einen Knüppel am Gürtel. Flußleute sind oft Schläger. Erfahrene Schwertkämpfer sind selten. In diesem Fall würdet ihr euch gemäß meinem Befehl neben einem solchen Mann aufstellen. Auf mein Zeichen hin zieht ihr die Klingen und macht sie nieder, ehe sie es richtig mitbekommen.«
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»Sobald diese Kerle ausgeschaltet sind«, fuhr der Dunkle fort, »sind die Passagiere selten ein Problem. Die meisten fallen auf die Knie und bitten um ihr Leben. Denen könnt ihr die Kehlen wie Schafen durchschneiden.« »Unmännliches Benehmen«, knurrte Conan. Die beiden Flußpiraten dachten, er spräche von den Passagieren, und nickten grinsend. »Ja, das klingt nach einem guten Plan«, meinte Kalya. »Wir haben das gesetzestreue Leben mehr als satt.« Sie wandte sich an den Cimmerier. »Was sagst du, Conan?« Dabei tat sie so, als sei sie leicht betrunken. »Ja, klingt nach ‘ner Menge Spaß«, antwortete Conan. »Leute, die für ihren Besitz nicht kämpfen, sollten überhaupt nichts haben – bei Crom!« »Nicht mal das Leben!« stimmte Kalya ihm zu. Dann fragte sie betont gleichgültig: »Wann lernen wir euren großen Anführer kennen?« »Vielleicht bald«, antwortete der Stygier. »Gewöhnlich überwacht er die Plünderungen.« Dann hob er den Weinschlauch. »Willkommen bei unserer Bruderschaft!«
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Vierzehn Taharka saß auf der Veranda seiner Villa und betrachtete die ruhige Landschaft. Der breite Fluß strömte dahin. Viele Boote kamen vorbei. Taharka wußte, daß er sie alle haben konnte. Es ist beinahe so, als flögen mir Vögel schon gebraten zu, mit dem Messer zum Zerteilen, dachte er. Diese Gewißheit gab ihm das Gefühl der Zufriedenheit. Im Gegensatz zu denen, die da unten vorbeischwammen, kannte er die Realität der Welt und wußte, daß unter dieser friedlichen Oberfläche Blut und Gemetzel lagen. Ein Sklave reichte ihm eine Schale mit Süßigkeiten. Er nahm ein Stück, warf es sich in den Mund und biß mit den starken weißen Zähnen kraftvoll zu. Taharka hatte die alte Villa, die lange verlassen war, auf einer kleinen Insel nahe dem stygischen Ufer entdeckt. Außer ihr gab es hier noch einige Ruinen, meist alte Tempel. In Stygien war es fast unmöglich, mehrere Minuten lang zu gehen, ohne auf irgendwelche Ruinen zu stoßen, so uralt war die Zivilisation dieses Landes. Da der Ort ideal für seine Zwecke war, hatte er die Villa in Besitz genommen und von seinen Sklaven und Männern herrichten lassen. Jetzt bot sie einen behaglichen Wohnsitz. Sollte ein vorbeifahrendes Schiff bemerken, daß sie wieder bewohnt war, nähme man an, daß ein reicher Kaufmann oder Adliger sich dort niedergelassen habe. Bis jetzt war noch kein Vertreter der Obrigkeit erschienen, um die Sache zu untersuchen. Ein großer Mann kam die lange Treppe vom Fluß herauf. Die unteren Stufen waren fast schwarz, weil sie einen Teil des Jahres überflutet waren, wenn der Fluß Hochwasser führte. Der Rest glänzte weiß und war im Lauf der Jahre glatt geworden. Taharka sah, daß es Kuulvo war. Er trug immer noch seine hyperboräische Kleidung und Rüstung – trotz des warmen Klimas. Anscheinend war es die Regel, daß Barbaren sich nie den örtlichen Sitten anpaßten.
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»Wie geht’s, mein Freund?« fragte Taharka und wies einladend auf die Sitzkissen. Der Hyperboräer ließ sich nieder und nahm den Helm ab. »Gut, Herr. Sechs reiche Boote diese Woche erbeutet und alle Waren schon veräußert. Es ist kaum zu glauben, daß wir mitten in dieser zivilisierten Gegend so ungestört arbeiten können. In anderen Ländern begünstigen die Kriegswirren und die Gesetzlosigkeit das Räuberhandwerk.« »Andere Länder, andere Methoden«, meinte Taharka. »Hier ist es unabdingbar, daß wir keine Sklaven nehmen und keine Gefangenen für Lösegeld festhalten. Der materielle Reichtum des Landes macht das unnötig. Bei so vielen Schiffen fällt der Verlust von ein paar Booten kaum auf. Durch die großen Entfernungen, die sie auf dem Fluß zurücklegen, dauert es lange, bis man eins vermißt.« Kuulvo nahm eine kandierte Frucht und biß hinein. »Es läßt sich hier wirklich aushalten«, meinte er. »Im Norden rufen ein paar Sklavenjagden schon die Armee des Königs auf den Plan. Wird eine Karawane vermißt, gerät gleich die ganze Provinz in Aufruhr.« »Ist es hier nicht viel besser?« fragte Taharka. »Ist dieser Ort nicht wie geschaffen für dich und mich?« »Ja, schon«, antwortete Kuulvo zögernd. »Aber es gibt auch Dinge, die mir sehr mißfallen. Es ist zu leicht, zu friedlich. Diese blökenden Schafe abzustechen ist so, als würde man in einem Schlachthaus arbeiten. Keine Angst, keine Aufregung, kein harter Ritt, mit den Verfolgern dicht auf den Fersen. Es ist beinahe, als würde man ganz normal für den Lebensunterhalt arbeiten – und die Arbeit wird verdammt langweilig.« Taharka seufzte. »Ich weiß, mein Freund. Du hast recht. Mir fehlt auch die Gewalt. Aber es dürfte bald lebendiger werden. Diese unnatürliche Ruhe kann nicht mehr lange dauern. Früher oder später müssen die Soldaten dieses Landes etwas gegen uns unternehmen – und die sind wirklich furchteinflößend.« »Mächtig, aber langsam«, sagte Kuulvo. »Wir sind längst über alle
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Berge, ehe sie uns in die Finger bekommen.« Er nahm ein Glas mit gekühltem Wein, das ihm ein wunderschönes nacktes Mädchen anbot; dem Gesicht nach stammte sie von den Nomaden der Wüste im Südwesten. »Irgendwie muß ich immer noch an diesen Cimmerier und das einäugige Weib denken. Die beiden haben uns mehr Leid zugefügt als alle königlichen Soldaten zwischen hier und Aquilonien.« Taharka rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Eine Wolke hatte sich über den herrlichen Morgen gelegt. »Die haben uns längst verloren«, sagte er. »Schon damals im Norden Koths. Sie werden uns nie finden. Vielleicht sind sie tot.« Verstimmt trank er einen Schluck Wein. Sein Blick fiel auf den Hügel hinter der Villa und die mächtige Tempelruine, welche die Insel krönte. Er hatte vorgehabt, jemanden hinzuschicken, um den Ort zu erforschen. Vielleicht gab es im Tempel etwas, das sich auszugraben und zu plündern lohnte, vielleicht eine mit Schätzen angefüllte Grabkammer. »Sie sind nicht tot«. Die Stimme kam aus dem Eingang zur Villa. Der Mann, der dort stand, sah aus, als sei er soeben aus dem Grab erstanden. »Die einäugige Dämonin verfolgt mich noch immer. Wer einmal gestorben ist, wird kein zweites Mal sterben.« Axandrias war nur noch Haut und Knochen. Die Muskeln spannten sich wie Seile über die hervorstehenden Knochen. Sein Kopf glich wahrlich einem Totenschädel. Das dünne weiße Haar klebte wie ein Pilzgeflecht auf der gesprenkelten Haut. Die blutleeren Lippen wichen krampfartig zurück und enthüllten große gelbe Zähne. Seine Augen waren so grauenvoll, daß selbst seine abgebrühten Kameraden den Blick nicht lange ertragen konnten. »Friedlich, Axandrias, mein Freund«, sagte Taharka. »Selbst wenn sie noch leben und wenn sie uns hier finden sollten, brauchen sich Männer wie wir doch nicht vor ihnen zu fürchten, oder? Nicht vor einem einzigen Mann, ganz gleich, wie kriegerisch, und einer Frau mit einem Auge und der Stimme eines Raben? Es ist lächerlich, wenn wir vor
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solchem Abschaum Angst haben.« Doch diesmal fehlte seiner Stimme die Überzeugungskraft, sogar die falsche Freundlichkeit, die er sonst so kunstvoll übermittelte. »Sie werden kommen«, erklärte Axandrias mit seiner Grabesstimme. »Und schon bald.« Starren Blicks kehrte er zurück in die Villa. »Herr«, sagte Kuulvo, »dieser Mann hat den Verstand verloren. Warum tötest du ihn nicht und machst dem Irrsinn ein Ende? Es wäre ein Gnadenbeweis.« »Um ganz ehrlich zu sein, mein Freund«, sagte Taharka vertraulich, »ich muß dir gestehen, daß ich nicht sicher bin, daß ich ihn töten kann! So sehr sein Körper verfällt, so gefährlich ist er geworden. Er schläft nicht mehr; daher kann man ihn nicht überraschen. Er sieht aus wie ein wandelnder Leichnam; aber er ist doppelt so schnell und stark als damals, als er in der Arena von Croton kämpfte.« Er legte das Kinn in die Hand und dachte nach. »Gestern ging er neben mir her, als wir einen Sklaven überraschten, der eine Frau im Korridor umarmte. Aus irgendeinem Grund störte unseren Freund Axandrias dieser Anblick. Er zog den Dolch und tötete beide so blitzschnell, daß ich die Klinge kaum sah. Er halbierte beide Körper geradezu – allein mit einem Dolch! Es hat den ganzen Nachmittag gedauert, bis der Korridor wieder sauber war.« Er legte sich zurück und nahm einen tiefen Zug. »Nein, mein Freund, ich hätte ihn töten sollen, als er anfing, diese verfluchten Harzklümpchen zu schlucken und Scarabäussaft zu trinken und die Götter mögen wissen was noch! Am schlimmsten ist, daß er sich zu einem grauenvollen Langweiler entwickelt hat! Früher war er amüsant. Jetzt denkt er an nichts anderes als an dieses einäugige Weibsstück! Ich wünschte beinahe, sie erschiene hier, damit die beiden den Kampf austragen können. Dann könnten wir den Sieger töten, während er oder sie jubelt.« »Er ist eine große Last, Herr«, sagte Kuulvo. Taharka beugte sich zu seinem Untergebenen hinüber. »Ich nehme nicht an, daß du ihn jetzt gleich umbringen willst, oder? Sein gesamter
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Anteil an der Beute fiele dir zu.« »Ich glaube nicht, mein Führer«, sagte der Hyperboräer. »Ich bemühe mich, nur natürliche menschliche Wesen zu töten. Aber die Drogen werden ihn in wenigen Tagen umbringen. Es ist kaum zu glauben, daß er noch atmet.« »Wollen wir es hoffen«, meinte Taharka mürrisch. Kuulvo stand auf. »Nun, ich muß gehen. Man hat mir gemeldet, daß uns möglicherweise heute nacht zwei Boote in die Hände fallen. Das ist recht erfreulich; aber wir wollen doch nicht übertreiben. Selbst die trägste Obrigkeit in diesem Land muß irgendwann tätig werden.« »Mach dir deshalb keine Sorgen«, sagte Taharka, stand auf und reckte sich. »Wir bleiben nicht mehr lange hier. Ein paar Wochen, einen oder zwei Monate – dann versuchen wir etwas anderes, ehe wir uns langweilen.« »Das paßt mir gut«, sagte Kuulvo. »Was hast du als nächstes vor?« »Vielleicht nehmen wir ein Schiff zur Mündung des Styx und von dort zu einem Hafen, wo mehr los ist. Messantia vielleicht oder die Barachan-Inseln. Diese Flußpiraterei war angenehm, aber öde. Ich habe gehört, daß Piraterie auf den Meeren wirklich aufregend sein soll.« Kuulvo lächelte. »Klingt gut. Ein richtiger Kampf – mit Blut und Angst! Echte Kämpen, keine Schafschlächter. Ja, das ist etwas, worauf man sich in der Tat freuen kann!« Taharka sah dem Hyperboräer nach, wie er die Treppe hinabging, wo sein schlanker, schnittiger Kutter festgemacht war. Es war ein gutes Leben; aber der Mann aus Keshan würde froh sein, weit weg zu kommen. Dieses Land legte sich ihm aufs Gemüt. Besonders diese Insel machte ihn niedergeschlagen. Ohne zu wissen, warum, blickte er wieder zur großen Tempelruine hinauf. Ja, er würde froh sein, von hier aufzubrechen. Vielleicht früher als geplant. Das Schiff war größer als das, auf dem Conan und Kalya zuletzt gefahren waren. Es war auch prächtiger. Die Kabinen waren größer
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und eleganter ausgestattet, außerdem gab es mehr davon. Der Cimmerier wußte inzwischen, daß die meisten Passagiere mit Kabinen reiche Pilger aus einer Stadt waren, die viele Wochen weiter östlich lag. Sie wollten die großen Tempel in Khemi besuchen und dort beten. Eine solche Pilgerfahrt dauerte hin und zurück etwa ein Jahr. Kurz gesagt: Sie waren die idealen Opfer für die Piraten. Der Frachtraum enthielt vor allem die vielen Gewänder und sonstige Habe der Reisenden. »Wir nähern uns dem Ziel«, sagte Kalya. Die beiden saßen auf dem Vorderdeck zwischen aufgerollten Tauen, schlammverkrusteten Ankern und Käfigen, wo die zukünftigen Mahlzeiten lautstark grunzten und krähten, da sie nicht wußten, welches Schicksal ihnen bestimmt war. »Es muß bald sein«, meinte Conan. Er saß im Schneidersitz da, das große Schwert über dem Schoß, und schärfte die Klinge mit einem kleinen Wetzstein. Der Stahl glänzte hell in der Sonne. Seine Haut war nie blaß; aber jetzt hatte die heiße Sonne der südlichen Breiten ihn so gebräunt, daß ihn kaum jemand als Abkömmling einer hellhäutigen Rasse einschätzte. Die beiden waren vor drei Tagen an Bord gekommen und hatten eine Deckspassage genommen. Der Stygier und der dunkle Südländer hatten sich schon vorher bei der Mannschaft als Stauer anheuern lassen. Sie hatten sichergestellt, daß die zwei Stellen frei waren, indem sie eine Nacht zuvor zwei betrunkenen Seeleuten die Kehle durchgeschnitten hatten. Der Cimmerier und seine Begleiterin waren sich viel selbst überlassen. Beide sahen fremdländisch aus, besonders nachdem sich Kalya wegen der Hitze ihres Umhangs entledigt hatte. Bis jetzt hatten sie kein Wort mit den Piraten gewechselt. Diese hatten durch kein Zeichen zu erkennen gegeben, daß man sich kannte. Conan schaute auf, als zwei nackte Füße zwischen ihm und Kalya entlangliefen. Es war der Stygier. Er übersah die beiden und tat so, als suche er etwas zwischen den aufgerollten Tauen. »Heute nacht«,
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flüsterte er. »Nachdem wir festgemacht haben und alle schlafen. Zwei Boote werden von Norden kommen. Sobald wir sie sehen, schlagen wir zu. Conan, du bleibst beim Kapitän. Du, Weib, tötest den Steuermann. Wir erledigen die Besatzung.« Ohne ein weiteres Wort ging er weg. »Heute nacht«, sagte Kalya aufgeregt. »Diesmal dürfen wir sie nicht entwischen lassen!« »Nein, sie werden uns nicht entkommen«, gelobte Conan und blickte prüfend an der rasiermesserscharfen Schneide entlang. Als er eine Stelle entdeckte, die ihm weniger scharf als der Rest vorkam, bearbeitete er sie wieder mit dem Wetzstein. Als es dunkel wurde, befanden sie sich zwischen zwei Ortschaften. An diesem Flußabschnitt lagen die Dörfer nicht so dicht gedrängt wie woanders. Auf dem Südufer reichte die Wüste beinahe bis zum Wasser. Das Nordufer dagegen war überwiegend Weideland. Hier lagen die Dörfer oft mehrere Meilen auseinander. Die Passagiere nahmen ihr Abendbrot ein, als das Schiff mehrere Meter vom Nordufer entfernt vor Anker ging. »Seht die Schrecken des Krieges!« sagte ein Priester im Gewand des niederen Gottes Bes. Wichtigtuerisch zeigte er auf das leere Südufer. »Dies war einst eine reiche Region mit fruchtbarem Boden, vielen Menschen und fettem Vieh. Ein Priesterkönig regierte dort in grauer Vorzeit. Er wurde neidisch auf seine Nachbarn und bekriegte sie. Aus Lust an der Eroberung verlegte er sich aufs Plündern und vernachlässigte seine Pflichten dem Land gegenüber. Die Bewässerungskanäle füllten sich mit Unrat und wurden unbrauchbar. Die Dämme bröckelten und gestatteten dem Zorn Vater Styx’ Zutritt. Die fruchtbaren Felder wurden Weiden! Als der Priesterkönig schließlich starb, nützte der erbeutete Reichtum niemandem etwas, denn das Land war unbrauchbar.« Mit ehrfürchtigem Schweigen lauschten die Reisenden seinen Worten. »Das klingt für mich, als hätte der Mann ein herrliches Leben gehabt, solange er König war!« sagte Conan laut. »Mit den Nachbarn zu
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kämpfen ist doch viel besser, als den ganzen Tag dem Hintern eines Ochsen zu folgen und Steuern zu zahlen, um eine Horde priesterlicher Parasiten zu unterstützen.« Er nagte die letzten Fleischreste von einer Rippe und warf sie in den Fluß. »Du bist ein Barbar und denkst daher entsprechend«, sagte der Priester. Für ihn war es wohl das erste Mal in seinem Leben, daß jemand seine Worte in Frage stellte. »Ihr im Norden lebt wie die Tiere, schlachtet einander ab und freßt euch gegenseitig auf wie die schwarzen Wilden im Süden. Der Lebensinhalt eines zivilisierten Menschen ist es, seinem König zu dienen, die Götter zu verehren und ihre Diener, die Priester, zu ehren!« »Dann möge Crom mich vor der Zivilisation schützen!« erklärte Conan. »Ein solches Leben saugt dem Stärksten die Männlichkeit aus den Knochen.« Nicht wenige lächelten über die Niederlage des Priesters. »Meinst du, daß Taharka heute nacht in einem der Boote ist?« fragte Kalya, als sich der Cimmerier wieder gesetzt hatte. »Das bezweifle ich«, antwortete er. »Aber du kannst sicher sein, daß jemand auf den Booten weiß, wo man ihn finden kann – und auch Axandrias. Wir müssen ein paar leben lassen, um sie auszufragen.« Auf dem Schiff war alles still, wenn man von den Schnarchern absah. Jemand stieß Conan an. Es war der Stygier. Er hielt die Finger an die Lippen und ließ sich neben dem Cimmerier nieder. »Die Boote kommen. Nehmt eure Stellungen ein!« Conan und Kalya standen auf und reckten sich. »Wo ist dein brauner Freund?« fragte er nicht besonders leise. »Still!« zischte der Stygier. »Willst du alle wecken? Er ist unter uns auf dem Hauptdeck – warum?« »Wie ist das Signal, um die anderen Boote herbeizuholen?« fragte Conan, während Kalya zum Hauptdeck ging. »Eine Laterne wird dreimal auf und ab geschwenkt«, antwortete der Pirat. »Was ist denn los mit dir?«
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»Nichts«, sagte Conan, zog sein Schwert und schlug wortlos zu. Der Schwertknauf zertrümmerte den Kehlkopf des Stygiers, so daß er keinen Warnschrei ausstoßen konnte. Vom Hauptdeck hörte man einen unterdrückten Schrei. Der Cimmerier sprang hinunter. Da wischte Kalya schon ihre Klinge ab. Sie stand über der reglosen Gestalt des Braunhäutigen aus dem Süden. Conan blickte umher. Auf dem Hauptdeck schliefen die Matrosen und Diener noch. Nur einige wälzten sich herum, offenbar vom Lärm aus den Träumen gerissen. Der Kapitän stand am Heck und hielt das lange Steuerruder. Er spähte an der mit Sand gefüllten Kiste vorbei, in der das Kochfeuer noch glühte. »Wer ist dort?« fragte er leise. »Habe ich da nicht einen Schrei gehört?« Conan trat neben ihn und hob die Laterne, die beim Ruder stand. »Kein Grund zur Aufregung«, sagte er. Dann beugte er sich über die Reling, hob die Laterne hoch und senkte sie fast bis zum Wasser hinab. Das tat er dreimal. »Was tust du?« sagte der Kapitän scharf. »Bist du besoffen oder verrückt?« »Keins von beidem«, antwortete der Cimmerier. »Es werden gleich Piraten an Bord kommen. Wenn du dein Leben behalten möchtest, schlage ich vor, daß du still bist und mir nicht im Weg stehst.« »Piraten?« wiederholte der Kapitän ungläubig. »Du hast wirklich den Verstand verloren! Du bist...« Er klappte den Mund zu, als sich ein bösartiges dunkles Gesicht über die Reling schob. »Sind alle tot?« fragte der Besucher. »Alle tot«, antwortete Conan. »Komm an Bord!« Die Augen des Kapitäns wurden groß, als sich ein halbes Dutzend Männer über die Bordwand schwang. Das zweite Boot legte vorn am Bug an. »Set!« fluchte ein Pirat. »Die sind nicht tot, sondern schlafen nur.« Die Schlafenden wachten auf und schrien laut.
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Doch noch lauter und markerschütternd schrie der junge Cimmerier. Vor Schreck erstarrten alle. Dann stürzte er sich zwischen die Piraten. Blitzschnell hatte er dem einen den Schwertarm abgeschlagen. Während dieser ihn verblüfft anstarrte, flog schon der Kopf eines anderen auf Deck. Er sah, wie Kalya einen Mann durchbohrte, dann tauchten weitere Gesichter vorn am Bug über der Reling auf. Das zweite Boot hatte festgemacht. Mit riesigem Satz sprang Conan vor und spaltete einen turbangekrönten Kopf, der sich über die Holzwandung schob. Kalya war mit einem Mann beschäftigt, der anscheinend mit dem Schwert umgehen konnte. Conans Klinge drang tief in die Brust eines Piraten. Kaum hatte er das Schwert herausgezogen, kletterte ein Pirat an Bord und fiel auf Deck. Conans Fuß brach ihm das Genick, ehe er aufstehen konnte. Dann erblickte Conan eine vertraute Gestalt. »So!« brüllte eine bekannte Stimme. »Haben wir endlich eine Mannschaft, die kämpft?« Der Akzent war schwer und eindeutig hyperboräisch. Der große Mann wippte auf den Fußballen und hielt sein langes Breitschwert in der Hand. Zwei in Panik geratene Matrosen wollten an ihm vorbeischlüpfen. Er schlug sie wie lästige Insekten beiseite. Schreiend und aus tödlichen Wunden blutend, wälzten sie sich auf dem Deck. Die grauen Augen des Hyperboräers weiteten sich, als er Kalyas nackten Rücken sah. Er tat einen Schritt vorwärts und wollte gerade zuschlagen, während sie mit dem Gegner beschäftigt war, als Conans Klinge sein Schwert traf und ablenkte. Geschwind wie eine Raubkatze wirbelte der Hyperboräer herum, um sich der Gefahr zu stellen. »Cimmerier!« brüllte er. »Du bist also nicht tot! Da lacht doch mein Herz, denn jetzt kann ich dich töten!« Auf Deck herrschte völliges Chaos. Passagiere und Besatzung rannten schreiend umher und konnten nicht fassen, welch grauenvolles
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Schicksal über sie hereingebrochen war. Das Deck war vom Blut schlüpfrig geworden, so daß viele ausrutschten und hinfielen. Andere stolperten über die Gefallenen. Nur wenige waren so kühn, ihre Schmuckdolche zu ziehen. Da sie aber ungeübt waren, fuchtelten sie damit nur sinnlos in der Luft herum. Einige behielten ihren Verstand und sprangen auf der Landseite über Bord und wateten ans Ufer. »Dich wollen wir nicht, du hyperboräischer Hund!« schrie Conan. »Wir suchen deinen Herrn und seine Schlange Axandrias. Wo sind sie?« Mit tödlichem Haß funkelte der Cimmerier seinen Gegner an. Er hielt das Schwert mit beiden Händen hoch über dem Kopf. Beide Männer warteten, daß der andere sich zuerst bewegte. »Du wirst bald in seiner Gegenwart sein. Ich werde ihm eure Köpfe bringen. Wie heißt du eigentlich, Junge?« »Ich bin Conan aus Cimmerien, ein Krieger.« »Und ich bin Kuulvo aus Hyperboräa, ein Krieger. Warum verfolgst du meinen Herrn?« »Er tötete Freunde von mir«, antwortete Conan, ohne seine Wachsamkeit auch nur für eine Sekunde aufzugeben oder sich vom Chaos ringsum ablenken zu lassen. »Mein Herr ist ein großer Gesetzloser; aber er versteht die Männer aus dem Norden nicht.« Dann griff Kuulvo an. Gedankenschnell sauste sein Schwert auf Conans Seite zu. Gerade noch rechtzeitig konnte der Cimmerier seine Klinge herabbringen und parieren. Er zielte auf Kuulvos Hals, doch der Hyperboräer tat einen Schritt nach hinten, riß sein Schwert hoch und traf Conans Klinge einen Fingerbreit vor seiner Kehle. Es folgte etwa zwanzig Herzschläge lang ein schneller Schlagabtausch. Die beiden Riesen ließen ihre mächtigen Schwerter tanzen wie Knaben, die mit Stöcken fochten. Ein Pirat taumelte an Conan vorbei. Der Cimmerier schlug ihm blitzschnell mit dem Schwertknauf den Schädel ein und stieß den Leichnam Kuulvo in die Arme, damit dieser den Zwischenfall nicht ausnutzen konnte. Dann hob er sein Schwert zu einem Schlag, der den
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Hyperboräer von der Schulter bis zur Leibesmitte gespalten hätte; aber die Klinge bohrte sich in die Holzrah über seinem Kopf. Mit einem Triumphschrei rammte ihn Kuulvo mit der Schulter, so daß der Cimmerier gegen die Holzwandung donnerte. Conan sah erst Sterne, dann die Klinge, die direkt auf sein Gesicht zukam. In letzter Sekunde warf er sich zur Seite. Holz splitterte. Nur mit Mühe konnte Kuulvo sein Schwert herausziehen. Doch da fuhr ihm schon der kräftige Arm Conans zwischen die Beine. Mit geballter Kraft schleuderte der Cimmerier ihn über die Reling ins Wasser. Conan wollte dem Feind hinterhersetzen und rief über die Schulter zurück: »Denk dran, einen mußt du leben lassen!« Ein unartikulierter Schrei Kalyas war die Antwort. Er sprang und tauchte zu der Stelle, wo Kuulvo im Styx verschwunden war. Als er hochkam, sah er nichts, weil ihm die rabenschwarze Mähne über die Augen fiel. Schnell schüttelte er sie aus dem Gesicht, doch da legte sich ihm schon ein starker Arm von hinten um den Hals. Er zog den Dolch und stieß nach hinten; aber wie eine Eisenklammer packte ihn eine Hand am Gelenk. Er rang nach Atem. Gegen die Stärke Kuulvos konnte er in dieser schwachen Position nichts ausrichten. Mit der freien Hand griff Conan zurück und erwischte den Knopf des Helmes, wo der Federbusch saß. Mit letzter Kraftanstrengung zog er daran. Der Kinngurt riß, der Helm gab nach. Schnell packte er den Hyperboräer am Schopf und trat mit beiden Beinen nach hinten. Kuulvo mußte loslassen; aber nicht, ohne Conan zu zwingen, den Dolch aus der Hand zu geben. Mehrere Sekunden rangen die Männer miteinander, was auf dem schlammigen Flußboden schwierig war. Dann umschlang der Hyperboräer Conan mit beiden Armen in der Mitte und preßte, um ihm das Kreuz zu brechen. Dabei hatte er auch die Arme des Cimmeriers ausgeschaltet, indem er sie bei der erbarmungslosen Umschlingung mit an den Körper drückte. Es gelang
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Conan nicht, sich dem mörderischen Griff des Gegners zu entwinden. Kuulvo war der stärkste Mann, den er je getroffen hatte. Hätte Kuulvo den Kopf gesenkt gehalten, hätte er dem Cimmerier vielleicht das Rückgrat brechen oder ihn ertränken können; aber er wollte sich an der Qual des Gegners weiden, hob den Kopf und grinste Conan triumphierend ins Gesicht. Kaum hob der Hyperboräer das Kinn, da grub ihm Conan die Zähne in den Hals. Er spürte, wie die Knorpel der Kehle knackten. Dann schoß ihm ein Blutstrom in den Mund. Kuulvo wollte schreien, konnte aber nicht. Er ließ den Cimmerier los, um die Zähne von seiner Kehle zu reißen. Conan packte seine Handgelenke und zwang den Hyperboräer nach hinten, bis beide unter Wasser verschwanden. Wenige Minuten später sah Kalya Conan an Bord klettern. So erschöpft hatte sie den Cimmerier noch nie gesehen. Er holte sein Schwert aus der Rah und steckte es zurück in die Scheide. Er beachtete die klagenden Passagiere überhaupt nicht. »Hast du noch einen lebend?« fragte er. Kalya deutete auf den Mann, dem sie den Dolch an die Kehle gesetzt hatte. Er lag vor ihr. »Er sagt, er wolle mit einer Frau nicht reden. Ich werde ihn überzeugen müssen.« Conan hockte sich neben den Mann. Seine Augen loderten, Blut tropfte ihm aus dem Mund. Voll Schlamm und mit Schlingpflanzen im Haar sah er aus wie ein Dämon, den jemand vom Grund des Styx heraufbeschworen hatte. Er packte den Mann am Hemd und zog den erschreckten Kopf dicht vors Gesicht. »Hör mir zu, Flußratte! Ich habe gerade deinem Anführer die Kehle durchgebissen. Das werde ich mit dir auch tun. Sag uns, wo Taharka sich versteckt, oder du wirst leiden, wie noch kein Mensch vor dir gelitten hat!« Augenblicklich gab der Mann nach und versorgte sie großzügig mit genauen Angaben von Ort, Strecken und Entfernungen. Am Ende
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seines Redeschwalls übergab Conan den Mann dem Kapitän des Schiffes. »Er gehört dir«, sagte er dabei. »Wir werden nun den Anführer dieser Piratenbande töten. Komm, Kalya!« Als sie in eines der Piratenboote geklettert waren, drehte er sich um und betrachtete angeekelt die Passagiere. »Ihr seid die feigsten Schafe, die ich je gesehen habe. Ihr verdient wirklich, daß euch jeder kleine Pirat ausraubt.« Mit offenen Mäulern starrten die Menschen hinterher, als er mit Kalya in die neblige Nacht hinausruderte.
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Fünfzehn Taharka war unruhig. Das bange Gefühl wegen der Insel hatte sich noch verstärkt. Gerade heute hatte er von einem einheimischen Händler gehört, daß der Ort verrufen sei und die Leute ihn jahrhundertelang gemieden hätten. Der Mann hatte erzählt, daß die schöne Lage viele verlockt habe, hier zu bauen – als letzter hatte ein reicher Kaufmann die Villa errichtet, in der Taharka wohnte. Aber alle waren nach kurzer Zeit geflohen. Manche hatten sogar Selbstmord begangen. Alle bösen Gerüchte drehten sich um die Tempelruine der Insel. In diesem Land gab es Hunderte von Göttern. Niemand wußte mehr, welchem Gott dieser Tempel geweiht war. Taharka hatte beschlossen, seine Flußpiraterie sofort aufzugeben. Er hatte schon Befehl zum Packen gegeben. Das hieß zwar, viel von der Beute zurückzulassen, die sich in Lagerhäusern stapelte; aber derartige Überlegungen konnten ihn in seinem Entschluß nicht wankend machen. Auf den Meeren würde es wieder jede Menge Beute und Sklaven geben. Jetzt mußte er nur noch auf die Rückkehr seines zuverlässigen Anführers Kuulvo warten. Wo blieb der Mann? Er hätte vor Einbruch der Nacht zurück sein müssen! Ein Geräusch. Taharka drehte sich um und runzelte die Stirn, als er sah, wer es war. »Es ist zwecklos«, sagte Axandrias. »Wir können fliehen, aber sie werden uns finden.« Einen Augenblick lang verstand Taharka nicht, wen der Aquilonier meinte. »Uns finden? Meinst du dein früheres Opfer, den jungen Barbaren? Glaubst du wirklich, daß wir deshalb weggehen?« Die Wahnvorstellung Axandrias’ machte ihn wütend. »Sie werden uns finden!« schrie Axandrias. »Sie verfolgt mich jede Nacht im Traum. Wo ich gehe oder stehe, ist sie hinter mir her! Tausendmal habe ich sie geblendet und getötet, sie verfolgt mich dennoch!«
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Taharka schüttelte den Kopf. Der Verstand dieses Mannes war ebenso zerrüttet wie sein Körper. Es tat ihm leid, daß er ihn nicht schon längst getötet hatte. »Du irrst dich, mein Freund. Geh jetzt und ...« »Nein, er irrt sich nicht«, sagte eine Stimme hinter ihm. Taharka wirbelte herum und riß das Schwert aus der Scheide. Er hörte auch das Schwert des Aquiloniers zischen, als Axandrias blank zog. »Siehst du!« Das Gesicht des Aquiloniers wirkte beinahe verzückt in seinem Entsetzen. »Sie ist gekommen! Mein kleiner einäugiger Liebling, komm her! Laß mich zu Ende bringen, was ich vor so langer Zeit begann, du Herzchen.« Seine Stimme klang grotesk liebevoll und einschmeichelnd. Kalya trat näher. Hinter ihr ragte die riesige Gestalt des Cimmeriers auf. Conan überflog den Raum mit einem Blick und prägte sich blitzschnell genau ein, wo Fenster und Türen waren, wo die Kerzenleuchter und die Möbel standen. Er duldete jetzt keinerlei Hindernisse. Kalya war über Axandrias’ Aussehen entsetzt. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er ein bildhübscher Mann gewesen, kaum anders als der, an den sie sich aus der Kindheit erinnerte. In wenigen Monaten war er zu einem grauenvollen Skelett geworden. Sie war so bestürzt, daß sie beinahe seiner ersten Attacke erlegen wäre. Axandrias war sagenhaft schnell. Er überwand den Abstand zu Kalya wie durch Zauberei; seine Klinge schoß mit der unnatürlichen Geschwindigkeit einer Kobrazunge vor. Kalya parierte verzweifelt. Er trieb sie zurück. Dann nahm sie eine seitliche Position ein und umkreiste den Schurken. Während sie sich ständig schützen mußte, suchte sie nach einer Öffnung in seinen atemberaubenden Angriffen. Er sah zerbrechlich aus; aber seine Schläge waren die stärksten, die sie je empfangen hatte. Was ist das? dachte sie. Doch dann hatte sie keine Zeit mehr zum Nachdenken, sie mußte kämpfen. »Wer bist du, Barbar?« fragte Taharka. »Warum verfolgst du mich durch die ganze Welt?« Er hielt sein schweres Schwert vor sich. Ein
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Blick darauf genügte, um Conan zu sagen, daß der Mann über einen sehr starken Arm verfügte. »Ich bin Conan aus Cimmerien, ein Krieger. In Cimmerien kehrte ich zum Heim meiner Freunde zurück, welche du und deine Räuberbande hingemordet hatten.« Conan stand da, das Schwert locker in der rechten Hand. Er schenkte dem erbitterten Kampf zwischen Kalya und dem so veränderten Axandrias keine Aufmerksamkeit. Er hatte ihr versprochen, daß es ihr Kampf sei und er sich nicht einmischen werde. »Der Familienvater war Halga. In den Türpfosten seines Hauses hatte er den Speer getrieben, mit dem er seine Frau und seine Tochter tötete, damit die beiden nicht dir und deinem Gesindel in die Hände fielen. In Cimmerien bedeutet dies Zeichen: ›Räche uns!‹ Das hätte ich aber in jedem Fall getan. Sie gehörten nicht zu meinem Clan; aber ich lebte unter ihrem Dach und genoß ihre Gastfreundschaft. Ich kann nicht ruhen, bis sie gerächt sind.« »Das ist doch nicht dein Ernst!« rief Taharka. Er war sicher, daß Conan ihm irgendein glaubwürdigeres Motiv verheimlichte. »Niemand würde soviel Zeit und Mühe aufwenden, um den Tod einiger namenloser Barbaren zu rächen.« »Dein hyperboräischer Hund hatte recht. Du verstehst die Menschen aus dem Norden nicht. Er war ein Schurke, aber er war ein Mann. Und die Menschen, die du ermordet hast, waren nicht namenlos. Ihre Namen leben in den Liedern ihrer Sippe weiter, und sie sind hier eingeätzt.« Er schlug sich über dem Herz auf die breite Brust. »Ihre Seelen schreien nach deinem Blut. Sie sollen es bekommen.« Die beiden Männer schlugen gleichzeitig zu. Funken sprühten aus den Klingen bei diesem ersten kraftvollen Schlagabtausch. Conan war erstaunt. Wenn der Hyperboräer schon stark gewesen war – dieser Mann war noch stärker. Die Klingen trafen aufeinander und machten eine Art irrwitziger Musik. Sie gierten nach Fleisch, fanden es aber nicht. Die Gegner trieben sich durch den Raum. Angriff, Abwehr –
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ständig bemüht, den beiden anderen Kämpfern nicht in die Quere zu kommen. Kalya kämpfte beinahe ekstatisch. Sie hatte das Gefühl, als sei dieser Kampf der Höhepunkt ihres Lebens. Axandrias atmete wie ein Blasebalg. Seine unmenschliche Schnelligkeit ließ etwas nach. Kalya vollführte einen Stoß auf seine Brust. Als er parierte, senkte sie die Klinge und stieß sie ihm in den Bauch. Blitzschnell hatte sie ihr Schwert wieder herausgezogen, um seinen nächsten Schlag abzuwehren. Er kämpfte weiter, als spüre er die Verwundung überhaupt nicht. Inzwischen war ihr klar, daß er die Drogen eingenommen hatte, welche die Sklaven so kampfgierig gemacht hatten. Zweifellos waren sie auch für seinen körperlichen Verfall und die übernatürliche Kraft verantwortlich. Ihr war das recht. Sie wollte so lange wie möglich mit ihm die Klingen kreuzen. Bei diesem Gedanken erwischte sie ihn am Hals. Blut sickerte aus der Wunde. Sein nächster Hieb traf sie am Schenkel, direkt über dem Lederschutz; aber ohne darauf zu achten, führte sie einen Hieb gegen seinen Schwertarm. Als Axandrias zurückwich, ging sie zum Endkampf über. Sie wußte, daß er jetzt ihr gehörte. Die Droge verlor schnell an Wirkung. Sie webte ein betäubendes Gespinst aus Stahl um ihn. Sein Arm wurde bei jeder Abwehr schwächer. Dann warf sie sich mit aller Kraft in einen Vorwärtsstoß. Ihr Schwertmeister hatte ihr eingeschärft, einen solchen Stoß nur in äußerster Notlage auszuführen, da sie dabei aus dem Gleichgewicht geriet und weit ausgestreckt für jeden Gegenschlag offen war. Kalya hatte den perfekten Zeitpunkt erwischt. Als Axandrias seine Klinge hochriß, um – wie er glaubte – den nächsten Schlag abzuwehren, flog sie mit gestrecktem Arm auf ihn zu. Die Schwertspitze drang ihm durch das linke Auge, durch die dünne Knochenschicht, durchs Gehirn und wieder aus dem Schädel heraus. Als er stürzte, riß er das Schwert mit. Kalya stand über dem reglosen Körper und blickte ihn staunend an. Dann ertönte ihr Triumphschrei.
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Taharka konnte es nicht glauben; aber dieser junge Mann war stärker als er. Noch nie hatte er einen Gegner getroffen, der ihm an Stärke gleichkam. Immer hatte er seine körperliche Überlegenheit als Selbstverständlichkeit betrachtet. Dieser junge Barbar war nicht nur stärker als er, sondern auch schneller und geschickter. Taharka litt nicht unter übermäßigem Stolz. Er mußte fliehen. Er zog sich zu einem Stuhl zurück, über dem ein wunderschöner Gobelin lag – Beute von irgendeinem namenlosen Schiff. Beim Vorbeilaufen packte er den Gobelin und schleuderte ihn auf den Cimmerier. Conan hob die Arme und ging einen Schritt zurück. Da lief Taharka an ihm vorbei zur Tür. Conan warf den Gobelin von sich und sah, wie Taharka bei der Tür etwas aus einem Waffengestell an sich riß. Der dunkelhäutige Mann schwang einen Speer in der Rechten. Sein Arm schoß vor, und der Speer sauste auf Conans Brust zu. Es blieb keine Zeit, ihn mit dem Schwert abzufangen. Instinktiv duckte Conan sich. Gerade wollte er dem fliehenden Taharka nachsetzen, als ein grauenvolles Stöhnen ihn aufhielt. Entsetzt über das, was er sehen würde, drehte er sich um. Die scharfe Spitze des Speeres war direkt über Kalyas Hüfte eingedrungen. Sie hatte ihr Inneres zerschnitten. Blutbefleckt ragte die Spitze eine Handbreit aus der anderen Hüfte heraus. Kalya zerrte am hölzernen Schaft, doch das bereitete ihr noch mehr Schmerzen. Conan umfing sie. »Kalya!« rief er und legte sie behutsam auf den Boden. »Hat er dich mir auch noch genommen?« Sie blickte auf ihren geschundenen Körper und dann auf Axandrias’ Leiche. Sie hob den Kopf und lächelte Conan an. Ihr Gesicht war bleich. »Es ist gut so, Conan. Für mich gab es keinen Grund mehr zu leben, nachdem er tot ist.« Ihr Gesicht verzerrte sich, als eine neue Schmerzwelle sie überkam. »Aber eines muß ich noch sagen.« Sie atmete schwer. »Seit meiner Kindheit habe ich mein Leben lang einen Mann gehaßt. Ich bin froh, daß ich Gelegenheit hatte, einen zu lieben, ehe ich sterbe.« Mit letzter Kraft streichelte sie ihm das Gesicht. »Und jetzt, Liebster, geh und töte dieses Monster für mich.« Ihre Hand fiel
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herab. Der Körper in Conans Armen wurde schlaff. Behutsam wickelte er sie in einen kostbaren Wandteppich und legte sie auf die Tischplatte, die mit Intarsien verziert war. Dann griff er zu seinem Schwert und machte sich auf die Suche nach Taharka. Der Keshanier war in Panik. Kein Boot! Die Wahnsinnige und ihr Freund hatten alle Boote losgebunden und in den Fluß gestoßen, sogar ihr eigenes Boot. Er sah, wie der Cimmerier auf dem Pfad hinter ihm herlief. Da rannte er los, in die einzige Richtung, die ihm blieb: den Hügel hinauf. Nach wenigen Minuten war er bei der Tempelruine. Nebel zog sich zusammen und streute das Licht des Mondes. Die uralten Steine schimmerten unheimlich. Ein Silberhauch überzog den Granit und Marmor. Taharka glaubte, es sei alles nur ein Trick des Lichtes. Es mußte so sein! Der gesamte obere Teil des Baus war Ruine; aber es gab einen Eingang, von dem eine lange Treppe nach unten ins Dunkle führte. Vielleicht sollte er sich dort im Schatten verstecken und den jungen Barbaren überrumpeln. Mit dem Schwert in der Hand eilte er die Stufen in die Dunkelheit hinab. Conan erreichte die Ruine wenige Minuten später. Seine scharfen Ohren hatten die Schritte des Keshaniers gehört. Jetzt wollte er die Ruine nach dem Feind absuchen. Obwohl ihn Kalyas Tod betäubt hatte, gefror ihm an diesem Ort fast das Blut in den Adern. Seine Sinne waren in Aufruhr; aber die Rache trieb ihn an. Er würde diese Insel nicht ohne Taharkas Blut am Schwert verlassen! An diesem alten Gemäuer haftete etwas abstoßend Vertrautes. Conan sah den Eingang und die Treppe und wußte irgendwie, daß Taharka dort hinabgestiegen war. Vorsichtig, das Schwert quer vor sich haltend, ging er hinterher. Es war in dieser gruftähnlichen Kammer nicht völlig dunkel. Conans Ohren lauschten auf jedes Geräusch, auch wenn es noch so schwach war. Er wußte nicht, woher das Licht kam, das alles irgendwie geheimnisvoll durchdrang und gerade ausreichte, damit er sehen
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konnte. Er hatte den Eindruck, daß riesige Gestalten roh aus den Steinwänden herausgehauen waren. Doch wenn er genau hinsah, waren sie nicht zu erkennen. Schaute er aber geradeaus, verschmolz die riesige Masse in etwas Fremdes, Grauenvolles. Er schüttelte den Kopf, um ihn zu klären. Er hatte wirklich keine Zeit, über den Schmuck des Tempels nachzugrübeln. Er war hergekommen, um einen Mann zu töten. Und dies wollte er vollbringen, ehe er die Stufen wieder hinaufstieg. Der Korridor war ungemein lang und ohne sichtbare Seitengänge. Ihm kam es vor, als ob die Insel niemals so lang sein könnte; aber für derartige Geheimnisse hatte er jetzt keine Zeit. Vor ihm schien sich ein Licht zu formen. Es war schwach grünlich. Solange dieses unnatürliche Licht ihm den Todfeind zeigte, war er zufrieden. Dann hörte er ein Geräusch, das ebenfalls von diesem Licht auszugehen schien. Es klang, als bräche sich ein unsichtbares Meer an einem unvorstellbar weit entfernten Ufer. Jetzt hatte er die Lichtquelle erreicht. Es war ein hohes Bogenportal. Conan trat hindurch und blieb staunend stehen. Der Raum war riesig. Er konnte die Wände trotz des großen Feuers in der Mitte kaum erkennen. Vor ihm erstreckten sich zwei Säulenreihen, deren Kapitelle wie schlangenköpfige Menschen aussahen. Er hatte so etwas in Croton schon erblickt; aber hier waren die Säulen zehnmal so hoch wie die winzigen Säulchen dort. Das Feuer loderte in einem großen Becken in der Mitte des Raumes. Sein Schein beleuchtete mehrere Männergestalten außerhalb des Feuerkreises. Hinter dem Becken sah er eine große Versammlung von Männern, deren Gesang ihm wie Meeresrauschen vorgekommen war. Der Cimmerier ging auf die Gruppe beim Feuer zu. Beim Näherkommen sah er, daß sie alle kahlgeschoren waren und schwarze Gewänder trugen. Eigentlich war er nicht mehr überrascht, daß einer der Männer der Priester des Tempels in Croton war. Neben ihm stand der Zauberkünstler, der ihm die Vision im Spiegel gezeigt hatte. Doch
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es ging ihm nur um den Mann zwischen den beiden Priestern. Taharka aus Keshan hielt sein Schwert gezückt. Auf seinem Gesicht lag eine seltsame Mischung aus Angst und Triumph. Ein dritter Priester stand auf der Plattform, welche das Becken umgab. »Nun sind die Kandidaten versammelt«, verkündete er feierlich. Conan beachtete diese Bemerkung nicht. »Ich bin gekommen, um diesen Mann zu töten«, erklärte er und zeigte mit dem Schwert auf Taharka. »Mischt euch nicht ein!« »Halt!« rief der Priester und streckte die knochige Hand aus. Conan prallte zurück, als sei er gegen eine Wand gelaufen. Er kochte vor Wut. Sollte er nie das Vergnügen haben, diesen Unhold zu töten? »Es muß gemäß des Rituals geschehen«, sagte der Priester. »Nur einer von euch kann leben. Viele Götter beobachten diesen Kampf. Sein Ausgang wird entscheiden, ob unsere Uralten zurückkehren sollen oder ob die jugendlichen Götter weiterregieren dürfen. Keiner von euch beiden ist Meister der Magie, daher muß die Sache durch einen Kampf entschieden werden.« »Das hatte ich sowieso vor«, sagte Conan trotzig. »Geht mir aus dem Weg!« Er stemmte sich gegen die unsichtbare Wand, aber ohne Erfolg. »Der Kandidat für die Uralten ist Taharka aus Keshan. Wird er siegen, kommt die Herrschaft des wahren Bösen zurück.« Der Priester wollte unparteiisch klingen, aber er konnte seine hämische Freude nicht ganz unterdrücken. »Wenn Conan aus Cimmerien gewinnt, müssen wir für weitere fünfzig Generationen ein Schattendasein führen.« Der Zauberer aus der Gauklertruppe erhob jetzt zum erstenmal die Stimme. »Ihr beide seid natürlich nur die Gefäße des göttlichen Willens. Euer Kampf hier ist nur das irdische Abbild des titanischen Kampfes, welcher jetzt den Kosmos erschüttert, da die Götter um den Sieg kämpfen. Es ist in der Tat eine Ironie des Schicksals, daß die von ihnen ausgewählten Männer, die das Schicksal entscheiden, keine Könige, Kaiser oder große Magier sind, sondern nur zwei primitive Wilde. Mir scheint, die Götter haben auch einen gewissen Sinn für Humor.«
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Conan mißfiel das ganze Theater. Er dürstete nach dem Blut Taharkas, und diese Priester behinderten ihn mit ihrer unsauberen Magie und dem unverständlichen Geschwätz. Er sah, daß auch Taharka von magischen Fesseln zurückgehalten wurde. Der Gesang der Schar schwarzgekleideter Mönche auf der anderen Seite der Flamme klang nicht mehr wie Meeresrauschen, sondern wie dröhnender Donner. »Möge der Kampf beginnen!« verkündete der ›Zauberer‹. Die unsichtbaren Bande fielen von Conan ab. Ohne zu zögern, stürzte er sich auf Taharka. Der Keshanier war ebenso stürmisch. Die drei Priester auf der Plattform um die Flamme wurden beiseite gefegt und fielen höchst unwürdig zu Boden, als die beiden Männer wie die Wahnsinnigen aufeinander losgingen. »Du hast meine Freunde getötet!« rief Conan. »Und meine Frau! Ich werde dafür dein Blut trinken, Taharka!« Seiner wahnsinnigen Wut begegnete Taharka mit grimmiger Gelassenheit. Er blockte sämtliche stürmischen Attacken des Cimmeriers ab und wartete darauf, daß der Gegner sich eine Blöße gab. »Deine Freunde sind mir völlig egal, Junge«, stieß er heraus. »Und was das einäugige Weib betrifft – das war ein Unfall. Hättest du den Speer mit deinem Körper aufgefangen, wie ein Held es hätte tun müssen, wäre sie nicht gestorben.« Jetzt sah er eine Gelegenheit und schlug zu; aber der junge Barbar war ihm mit seiner animalischen Schnelligkeit überlegen. Conan trieb ihn vor sich her. Die grüne Flamme schlug bis zur Decke hinauf. Es kam Conan so vor, als sei Taharka noch stärker als die beiden vorigen Gegner. Oder wurde er selbst schwächer? Der Keshanier wechselte die Taktik und griff seinerseits wildentschlossen an. Jetzt wurde Conan zurückgetrieben. »Spürst du es, Junge?« fragte Taharka schweißüberströmt. »Die Uralten betrügen. Sie geben mir Stärke. Es sind keine ehrenwerten Götter, Junge. Deshalb erwählten sie wohl auch mich zu ihrem
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Kandidaten, um die ganze Welt zu beherrschen. Doch neide mir den Sieg nicht. Mein Schicksal wird grauenvoll sein.« »Warum kämpfst du dann?« fragte Conan. Schweiß machte seinen Griff unsicher, so daß er nicht mehr richtig parieren konnte. Er rang nach Atem. Die letzten Worte hatten ihn viel Kraft gekostet. Er beschloß, nicht mehr zu sprechen, bis die Sache entschieden war. »Doch ehe mich ihre Götter ergreifen, habe ich viele Jahre voller Vergnügen«, keuchte Taharka. »Vor allem, weil ich dich jetzt töten werde. Ich liebe es zu töten!« Eine blitzschnelle Attacke trieb Conan von der Plattform. Er fiel nach hinten und landete schmerzhaft, da er zu erschöpft war, um das Gleichgewicht zu halten. Das Schwert entglitt seiner schweißnassen Hand und klirrte zu Boden. Er wollte aufstehen. Da schwang Taharka das Schwert zum letzten Streich. Conans Sturz hatte die Gegner auf zehn Schritte getrennt. Der Cimmerier wußte, daß er vielleicht nur noch zwei Sekunden zu leben hatte. »Leb wohl, Junge«, sagte Taharka triumphierend. »Du warst der beste von allen, die ich getötet habe.« Conan griff hinten in den Gürtel. Dann wendete er alle Kraft auf, die er noch hatte. Taharkas Augen drehten sich nach innen, als wolle er den Dolch betrachten, der plötzlich zwischen seinen Augen herausragte. Er taumelte, stolperte nach hinten und fiel ins Feuer. Die Flammen loderten kurz auf, züngelten bis an die Decke, dann senkten sie sich wieder und glühten grün dahin. »Wie kann das sein?« fragte der dritte Priester. »Alle Zeichen verkündeten, daß die Rückkehr der Uralten bevorstehe.« Unsagbar haßerfüllt blickte er den Cimmerier an. »Dieser hier«, sagte der Priester aus Croton, »ist eine der großen Unwägbarkeiten. Er ist einer der Sterblichen, welche durch die Geschichte stürmen und die Werke der Menschen und der Götter zunichte machen.« »Arbeit und Planung von Jahrhunderten durch einen Taschen-
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spielertrick zerstört«, sagte der ›Zauberer‹. Die Verbitterung war nicht zu überhören. Conan ließen diese Klagen kalt. Er war unendlich erleichtert, daß die Blutschuld gesühnt war und er jetzt um Kalya trauern konnte. »Ihr habt doch selbst gesagt, daß es nur ein Abbild eines größeren Kampfes war. Ich glaube, Crom selbst setzte den Dolch zwischen die Augen Eurer Uralten.« Er ging zu seinem Schwert und bückte sich, um es aufzuheben. Als er sich aufrichtete, waren alle Priester verschwunden, und die grüne Flamme wurde schnell blasser. Er steckte das Schwert in die Scheide und ging müde hinaus. Conan stieg tropfnaß aus dem Fluß. Er blieb am Nordufer einen Augenblick lang stehen und blickte zurück auf die Insel. Noch immer stieg Rauch aus der Villa auf. Als er dorthin zurückkam, plünderten Sklaven fröhlich das Haus. Er hatte sie vertrieben und aus kostbaren Hölzern einen Scheiterhaufen errichtet. Dann legte er Kalya in voller Rüstung, die Waffen an der Seite, behutsam darauf. Ihre Füße ruhten auf der Leiche Axandrias’. Dann steckte er alles in Brand, ging zum Fluß und schwamm die Meile ans Nordufer. Jetzt überlegte er, in welche Richtung er gehen sollte. Nach Norden in die Heimat? Im Osten lagen die Länder, welche ihn gerufen hatten, als er zum ersten Mal die wogenden Hügel Ophirs erblickt hatte. Dorthin? Oder nach Westen zum großen Meer mit Schiffen und geheimnisvollen Inseln? Oder nach Süden, in die üppigen Länder, wo es Dschungel und Wilde gab, von denen er und Kalya so oft während der langen Nächte auf dem Fluß gesprochen hatten? Er hatte keine Ahnung, wohin er ziehen sollte. Es gab aber einen alten Brauch in Cimmerien, der ihm die Entscheidung abnahm. Er zog sein Schwert. Dies würde er so hoch wie möglich werfen. Wenn es herunterkam – und nicht mit der Spitze steckenblieb –, würde ihm die Klinge die Richtung weisen, in die er gehen sollte. Mit mächtigem Schwung schleuderte der junge Barbar das
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Schwert nach oben. Es drehte sich und blitzte im herrlichen Sonnenlicht des Südens.
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