KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
OTTO
HEFTE
ZIERER
COLUMBUS GESCHICHTE ...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
OTTO
HEFTE
ZIERER
COLUMBUS GESCHICHTE EINER
VERLAG
GROSSEN
IDEE
SEBASTIAN
LUX
MURNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • ÖLTEN
1. K a p i t e l DER LÄSTIGE BITTSTELLER
A,
Ln einem strahlend blauen Spätsommertage des Jahres 1477 durchschritt ein hochgewachsener, bartloser Mann in Seemanns-'\ kleidung das im maurischen Stil gehaltene Tor, das zum Innenhof des Kolonialamtes zu Lissabon führte. Der Seemann schien nicht das erstemal hierherzukommen; denn er nahm mit einem kurzen, beinahe her rischen Zuruf seinen Weg an der Wache vorbei, die verdutzt die Hellebarde hob und betrat den Innenhof, von dem hintei ein paar kurzstämmigen Palmen die geschnitzte Treppe zu den Amts räumen hinaufführte. Während der sonnengebräunte Mensch mi dem enganliegenden Wams, den gepufften Hosen und den derber Stiefeln in großen Schritten den Hof durchmaß, erspähte zufällig einer der Schreiber, die auf der Bogengalerie des Rückgebäudes hii und her eilten, sein Kommen. „Um Gottes willen!" rief er halblau seinem Nachbarn zu. „Der Vetter von Messer Marco Millione komm wieder einmal!" Ein paar der Federfuchser blieben stehen, spitztei vorsichtig hinter den Säulen in den Hof hinab und grinsten. Dam: rannten sie mit ihren Aktenstößen oder Tintenflaschen eilig weiter, um in ihren dumpfigen Stuben die Neuigkeit auszubreiten. Messer Marco Millione war jener Spottname, den vor fast zwei- ' hundert Jahren die Venezianer ihrem Mitbürger Marco Polo gegeben hatten, als dieser von seiner phantastischen Reise nach den Ländern Kathai und Zipangu, aus dem Reich des Groß-Chans und aus anderen Fabelreichen 1 ) zurückgekehrt war und darüber seine Berichte geschrieben hatte, die den Europäern damals sehr unglaubhaft erschienen waren. Unseren Seemann also, der schon seit Jahrenj mit ungebrochener Hartnäckigkeit das Kolonialamt mit seinen Be sudien beehrte, hatte die Bosheit der Schreiber den Vetter diese; *) Kathai (Catai): so benannte man in der Zeit vor Columbus China. Zipang (Cippangu) war Japan, der Groß-Chan war der Fürst der Mongolei. Marco Pol war der erste Europäer dies Mittelalters, der diese Länder betreten hatti
Marco Millione genannt. — Aber unbeirrt betrat der Fremde festen Schrittes die Galerie, sah sich nach den Zimmertüren um und, nachdem er alles ebenso gefunden hatte wie bei seinem letzten Besuch vor einem halben Jahr, klopfte er an die geschnitzte Türe des ehrenwerten Senhor Grimalone, Kabinettsrates Seiner portugiesischen Majestät. „Insulae Occidentales et ceterae" — stand auf dem Türschild zu lesen; denn man war hier ebenso genau wie gelehrt: „Amt für die westlichen Inseln und so weiter". Wegen dieses „und so weiter" oder „et ceterae" war der Seemann seit drei Jahren zum Bittsteller des Kolonialamtes geworden. Hinter der Mauerecke kicherten ein paar törichte Schreiberlinge. „Habt Ihr ihn gesehen?" wisperte der eine dem anderen zu. „Er bringt bestimmt wieder ein neues Königreich auf den Markt!" Sie lachten nun ganz ungeniert, und als der Fremde in das. Zimmer des Käbinettsrates trat, hörte er eben noch den Abschluß ihres Gesprächs: „Er ist der lästigste aller Petenten, ein närrischer Querkopf!" Dann stand der Seemann vor dem hohen Beamten. Dieser thronte auf hochgeschraubtem Drehstuhl hinter einem gewaltigen Pult und fixierte den Bittsteller über eine scharfe Brille hinweg, während auch hier die kritzelnden Schreiber mit ihrer Arbeit innehielten und zu spötteln begannen. „Ach, Ihr seid es, Christobal Colombo", sagte der Rat sehr gedehnt. „Nun, was führt Euch zu uns? Euere Akten liegen noch immer bei Seiner Eminenz, dem Kardinal Fernando Martinez; es hat sich nichts weiter in der Angelegenheit geändert." „Euer Gnaden", erwiderte Columbus bescheiden, indem er den runden Hut verlegen in den Händen wand, „als ich vor einigen Monaten in See ging, um England zu befahren, dachte ich kaum daran, daß ich neue Beweise für meine Annahme finden könnte. Doch ich hatte Gelegenheit, mit einem Kauffahrer über Thule hinaus nach Ultima Thule1) zu segeln. Dies Inselland liegt nun viel weiter im nordwestlichen Ozean, als der ägyptische Geograph Ptolemäus angenommen hat. Das Meer war dort nicht gefroren, und Ebbe und Flut waren so stark, daß der Unterschied 26 Klafter betrug." „Interessant, Colombo! Fürwahr, an Euch ist ein Poet verlorengegangen! Aber es genügt, wenn Ihr diese erstaunliche Kunde drüben in der kartographischen Abteilung zu Protokoll gebt. Oder *) Mit Thule bezeichneten die alten Völker die Faröer-Inseln, mit Ultima Thule (äußerstes Thule) Island.
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noch besser, wenn Ihr selber eine Eurer wirklich schön gezeichneten J Karten anfertigt. Es wird uns sicherlich nicht auf ein Entgelt an- ? kommen!" „Euer Gnaden, es handelt sich nicht um einige wenige Eskudi Verdienst, Euer Gnaden kennen meinen Plan. Die Leute in Ultima ' Thule, das sie auch Eisland nennen, kennen eine alte Sage oder einen überlieferten Bericht, nach dem vor einem halben Jahrtausend | einer der Ihren weit im Westen auf Grünland gestoßen sei. Ich glaube Grund zur Annahme zu haben, daß es sich da um eine nörd- jj liehe Insel des indischen Meeres handelt. . ." „Wir kennen Eure Idee, Colombo! Wartet ruhig den Gang d e r l amtlichen Entscheidungen ab!" Schon gab der Rat Seiner Majestät durch geringe Zeichen seinen erwachenden Unwillen kund, er wies auf den hohen Berg Akten und Einlaufe, die ihrer Bearbeitung harrten, und die buckligen Schreiber beugten sich erschreckt über die Papiere, in denen sie eifrig weiterschrieben. In diesem Augenblick betrat ein junger, feingliedriger Mann in vornehmer Kleidung, mit buntgepufften Ärmeln und Spitzenkragen das Kabinett von der anderen Seite. Die Bürogehilfen, die seiner ansichtig wurden, rutschten tief erschrocken von den Sesseln und verneigten sich beinahe bis zum Boden. Das war nämlich der oberste Chef des Kolonialamtes, Seine Königliche Hoheit Prinz Johann, Thronfolger von Portugal, der seit einiger Zeit abgeordnet war, sich in dieses wichtigste der Ministerien einzuarbeiten. Seine Gnaden, Herr Rat Grimalone, welcher ein wenig schwerhörig war, hatte das plötzliche Auftauchen des Prinzen überhört und fuhr daher 1 den lästigen Bittsteller ungnädig an: „Es ist gut, Colombo! Ihr 1 könnt gehen, wenn Ihr nächstes Jahr wieder anfragt, wird vielleicht I ein Ergebnis vorliegen. Ihr sollt Euch nicht mehr aufhalten lassen." i Aber Christoph Columbus starrte den Prinzen an, der gnädig lächelnd auf ihn zukam. Der Thronfolger hatte ein schmales, rassiges i Antlitz, dem man ansah, daß es häufig Wind und Sonne ausgesetzt 1 wurde; denn Prinz Johann galt selber für einen guten Seemann und 1 glich fast ganz seinem berühmten Urahn, Heinrich dem Seefahrer. I „Ihr also seid Christobal Colombo!" sagte er mit klingender! Stimme. Der Kabinettsrat fiel beinahe von seinem hohen Drehsessel. I Columbus verneigte sich tief und bejahte. „Man hat mir die Akten J vorgelegt", fuhr der Prinz fort, „ich habe sie genau studiert. Sagt J einmal, Colombo, wie kommt Ihr eigentlich als schlichter Seemann I zu solchen Kenntnissen und Annahmen, wie Ihr sie in Eurer EinM gäbe vortragt?" 4
„Hoheit, ich habe den Vorzug gehabt", erwiderte Christoph ganz ohne Verlegenheit, „viel zu lesen; meine Freunde ermöglichten mir den Zutritt zu den Klosterbibliotheken. Anderes lernte ich auf meinen zahlreichen Reisen, die mich von der Levante, den türkischen Küsten, nach den westlichen Inseln, England und weit ins atlantische Meer führten, die Seeleute aller Nationen trugen ein Teil meiner Anschauungen zusammen. Aber das meiste habe ich dann ernsthaft studiert." Der Prinz begann in dem Kabinett auf und ab zu gehen. „Senhor", sagte er, „vergebt mir, aber Ihr seid eben doch kein Gelehrter. Die meisten Schriften sind lateinisch verfaßt, der Aristoteles sogar griechisch, und sehr viel über die Gestalt unserer Erde wurde von den gelehrten Mauren in arabischer Sprache geschrieben. Wie wollt Ihr da durchkommen? Sagt mir ehrlich, wie Ihr zu Eurer Weisheit gelangt seid?" Columbus merkte nun, daß man ihm mißtraute. Seine Wangen färbten sich dunkler. Aber dann mühte er sich, eine gute Darstellung seiner bisherigen Erkenntnisse zu geben. „Eure Hoheit dürfen mir glauben, daß es ein mühsamer Weg für einen unstudierten Mann war. Aber er brachte midi dahin, zu erkennen, daß die alte Zeit an die Kugelgestalt der Erde geglaubt hat. Ptolemäus im zweiten Jahrhundert nach Christus lehrte dies, ja sogar Aristoteles führte die Tatsache, daß im Atlasgebirge in Afrika ebenso wie in Indien Elefanten lebten, zum Beweis eines ehemaligen Zusammenhanges der Erdteile auf einer großen Kugelfläche an. Die Pythagoreer lehrten ein halbes Jahrhundert vor der Geburt des Erlösers, daß sich die Erde als eine Kugel um das große Zentralfeuer der Sonne drehe. Ich fand in uralten Handschriften die Kunde, daß die Karthager viele Jahrhunderte vor der christlichen Zeit ein Land fern im Westen entdeckt, ja der Sage nach sogar Seekrieg mit diesem Westlande geführl haben. Die Sage von Atlantis, die Herodot und Piaton erwähnen, ist nie verstummt; als aber das Römerreich und die gelehrten Schulen der Antike im Sturme der Völkerwanderung versanken, ging das Gedächtnis an das alte Wissen verloren, und was bis dahin Kenntnis gewesen war, wurde nun zur dunklen Legende. Aber in diesem, unserem glorreichen Jahrhundert, Eure Hoheit, hat sich das Bild der Erde jäh erweitert. Die großartigen Entdeckungen, welche unter dem Protektorate der portugiesischen Könige gemacht wurden und die Küsten Afrikas bis Guinea erschlossen, die allgemein erwachte, emsige Tätigkeit der Seemächte, neue Wege zu erschließen, nicht zuletzt die brennende Notwendigkeit, die unentbehrlichen 5
Handelswege nach Indien der Bedrohung durch die Ungläubigen j zu entziehen, all das zusammen hat das Interesse an den geo- 1 graphischen Erkenntnissen ungemein erhöht." Der Prinz hielt mit seinem Rundgang inne, er maß Columbus staunend mit den Augen. „Ich finde Eure Belesenheit wunderbar, Senhor! Sagt mir, welche Bücher Euch besonders belehrt haben!" „Natürlich habe ich die lateinische Übersetzung der Abenteuer Marco Polos gelesen, Eure Hoheit. In der Bibliothek des Allerheiligen-Klosters zu Lissabon fand ich ferner die ,Imago mundi', das Weltbild des Kardinals d'Ailly, und wenn Ihr mir gestattet, im selben Atemzuge die Geschichten des englischen Abenteurers John Mandeville zu nennen, so habt Ihr meine Lieblingsbücher beisammen. Schon früher —• so gestehe ich gern — hat mich ein Satz des altrömischen Dichters Seneca auf meine Gedanken gebracht, der in seinem Trauerspiel Medea sagt: Es werden Jahrhunderte kommen, da der Ozean die Banden sprengt, mit denen er uns umschließt, ein unermeßliches Land sich auftut, der Steuermann neue Welten entdeckt und Thule nicht mehr der entfernteste Punkt der bekannten Welt ist." Prinz Johann klatschte in die Hände. „Bravo, Colombo! Ihr scheint mir ein beschlagener Mann zu sein! Aber seht zu, daß Ihr Euch mit der Heiligen Schrift vertragt, die doch ausdrücklich von einem Erdk r e i s , nicht von einer Kugel spricht!" Er lachte ein wenig. Columbus aber ließ sich nicht beirren. „Jesaias spricht", sagte er, „siehe die Inseln harren auf mich im Meer von längst her, daß sie deine Kinder von ferne herbringen, samt ihrem Silber und Gold dem Namen des Herrn, deines Gottes." Der Prinz begann wieder seinen Rundgang. Man merkte wohl, daß er überlegte. „Und Ihr habt dies alles ganz allein zusammengetragen, was da in Eurer Bittschrift aufgeschrieben steht?" Der Prinz trug anscheinend immer noch Zweifel an der Originalität des Mannes. „Ich bin bereit", erwiderte Columbus, „zu Schiff nach Westen I über den Ozean zu fahren —• bis nach Indien. Es handelt sich n u r 1 um Schiff und xYusrüstung; denn ich bin kein vermögender Mann."« „Wovon lebt Ihr, Colombo?" „Ich bin Seemann, Hoheit, ich fahre auf Schiffen des Centurioni-Konzerns oder auch für die Firma;}] Di Negro e Spinola. W e n n ich an Land bin, zeichne ich Karten für'! das Seeamt." „Und zwar, wenn es zu bemerken verstattet ist", fiel der Kabinettsrat untertänig ein, „recht ordentliche und wohl zu gebrauchende, Eure Hoheit!" R
Der Prinz schien die Anwesenheit des Petenten völlig vergessen zu haben und blickte über Columbus weg in eine nur ihm siditbare Ferne. Halb zu seinem Kabinettsrat, halb zu sich selber sprach er die folgenden Worte, die Columbus, jäh aufhorchend, vernahm. „Bei Santa Maria, woher er nur alles hat? Das Komische an dem Fall ist die Tatsache, daß sogar Toscanelli die Ideen bestätigt, ja, daß er sogar eine Karte des Westens gezeichnet hat! Man muß eine Junta de los Mathimaticos') gründen und die Angelegenheit wissenschaftlich anfassen, ehe man in Frankreich oder England die Fährte wittert!" Und ohne Gruß oder Blick verließ der Prinz das Kabinett durch dieselbe Türe, durch die er gekommen war. Columbus versuchte, mit mühsam gesetzten Worten eine Erklärung zu bekommen, aber der Bat drängte ihn fast zur Türe hinaus. „Geht, Colombo, geht! Ihr werdet Nachricht zu seiner Zeit erhalten. Ja, es ist aussichtsreich; Seine Hoheit interessiert sich persönlich. Jetzt aber geht! — Alles andere ist Amtsgeheimnis. Kein Wort mehr, geht!" Und er zerrte ihn am Ärmel seines Wamses und schob ihn hinaus.
2. K a p i t e l DUNKLES SPIEL Wie vor den Kopf geschlagen verließ Columbus das Kolonialamt von Lissabon. Der Prinz hatte ihm ein furchtbares Geheimnis verraten, — unbeabsichtigt und in der hochmütigen Mißachtung des kleinen Seemannes hatte er in ihm einen schrecklichen Verdacht geweckt. Denn Prinz Johanns letzte Worte offenbarten nichts weniger als die Tatsache, daß man den berühmten und auch dem Columbus bekannten Florentiner Arzt und Gelehrten Toscanelli insgeheim als Sachverständigen zugezogen hatte, daß ein Ausschuß bestand oder doch gegründet werden sollte, um den kühnen Plan des Columbus auszuwerten. Eine Karte des Westens war gezeichnet worden: seine Idee, seine Gedanken und sein Angebot! Freilich, es lag in der Luft, und an allen Orten der Welt war man daran, die Nebelschleier an den Horizonten des alten Erdkreises zu durchstoßen. Columbus hatte gewiß nicht den Einfall von der Kugel*) Diese Junta war die Kommission zur Prüfung von Angelegenheiten der Seefahrt.
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gestalt der Erde oder vom Land im Westen gepachtet, aber er war '. doch der erste gewesen, der alles zusammenfaßte und in den Bereich des Möglichen rückte, vor allem dadurch, daß er sich persönlich bereit erklärte, sein Leben zu wagen und die Fahrt ins Ungewisse anzutreten. Wenn man ihn nun zu betrügen die Absicht hätte? Er hatte sein Leben und all seine Hoffnungen an den Plan gehängt. Schauer des Schreckens jagten ihm über den Rücken. So stürmte er heimwärts, dem Hause des Freundes zu, bei dem er während seiner Aufenthalte in der portugiesischen Hauptstadt zu wohnen pflegte. Es war das ansehnliche Haus des Florentiner Kaufherrn Giraldi, nahe dem Hafen.
* Kaum nahm Columbus sich die Mühe, Monna Felipa Monis de Perestrello, seine eheliche Liebste, zu begrüßen, der kleine Diego zerrte vergeblich an den Rockschößen desi Vaters — Christoph schob die Familie beiseite und bat den vertrauten Freund in ein verschlossenes Kabinett. „Ich bin verraten!" rief er aus und warf sich verzweifelt in den Schiffsstuhl, während Giraldi als der Geruhsamere bedächtig zwei Gläser mit dunklem Madeirawein füllte. „Trink erst, Christopher! Man soll kein Ding schlimmer sehen, als es ist. Also trink erst in Ruhe und dann sag mir, was geschehen ist!" Hastig stürzte Columbus den feurigen Wein hinunter, während Giraldi ihn genußvoll kostete. „Die Portugiesen verkaufen mich!" rief Columbus erneut, „die verhandeln hinter meinem Rücken mit allen möglichen Leuten, geben meinen Plan preis und wagen am Ende selber die Expedition nach dem Westen, ohne sich um mich, einen ausländischen See- " mann, zu kümmern. Meine Idee stehlen sie mir!" Giraldi machte einige besänftigende Gesten und trank abermals ein Schlückchen des Roten. „Hör zu, Christopher! Du weißt, daß ich gute Beziehungen zum Seefahrtsamt habe, als Florentiner muß man sich in der Fremde Freunde kaufen, um bestehen zu können. Ich j habe also unlängst — kurz nachdem du deine Englandreise an- j tratest — meinen Bekannten, der im Ministerium Schreiber ist und J mir schon manchen günstigen Hinweis gegeben hat, eingespannt, um 1 in deiner Sache klarer zu sehen. Du hast mich nun seit deiner An- * kunft noch gar nicht reden lassen, sonst wüßtest du längst, was ge- • schehen ist. Seit du vor dreieinhalb Jahren zuerst deine Denkschrift • eingereicht hast und anfangs verlacht worden bist, hat man d i e « Einstellung im Kolonialamt gründlich geändert. Zuerst tauften s i e B 8
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dich den Vetter Messer Marco Millione, weil ihnen alles zu phan^ tastisch erschien. Auch galtest du als genuesischer Abenteurer nicht viel; hier sammeln sich zu viele, die nichts als Glücksritter sind. Aber eines Tages muß Prinz Johann auf den Akt Colombo gestoßen sein und nahm ihn mit sich, zeigte ihn dem gelehrten Kardinal Martinez und bat ihn um sein Gutachten. Weil dieser jedoch sicherzugehen wünschte, so schrieb er an meinen berühmten Landsmann Toscanelli." Columbus sprang entsetzt hoch. Er starrte den Freund an. „Wie — das wußtest du? Und warntest mich nicht?!" „Aber, wann hätte ich dich warnen sollen?" entgegnete jener. „Du läßt mich ja nicht zu Worte kommen. Die Sache ist viel harmloser, als du denkst." Aber Columbus witterte nun überall Verrat. Betrübt schüttelte er das Haupt. „Ach ich Narr!" rief er, „warum habe ich mir von jenen Schurken all meine Papiere abnehmen lassen?" „Vielleicht zu deinem Glück! Hör zu: Toscanelli, der Gelehrte, dem alle Bibliotheken offenstehen, der Griechisch und Lateinisch wie seine Muttersprache beherrscht und der demnach den Ptolemäus und Aristoteles in der Ursprache gelesen hat — dieser Mann ist zu denselben Ergebnissen gekommen wie du und hat deine Theorie völlig bestätigt. Ja, er soll —• so vertraute mir mein Gewährsmann an —• sogar eine nach Breitengraden eingeteilte Karte gezeichnet haben, in der die Wege nach Kathai und Zipangu nach Meilen angegeben sind." „Diese Karte müßte man haben!" ächzte Columbus. Eine Weile schwiegen die beiden, dann kehrte das Mißtrauen des Genuesen wieder. Er überlegte: „Warum geschah all dies hinter meinem Rücken? Weshalb fertigte man mich so kurz ab und betrieb dennoch meine Gedanken?" „Weißt du was, Christopher", schlug Giraldi vor, „ich habe Empfehlungen an Toscanelli, er ist Florentiner wie ich, und was die Portugiesen vermögen, das können wir Italiener schon lange. Auch wir schreiben an ihn, vielleicht schickt er uns eine Kopie jener Karte, die hier in Lissabon anscheinend geheime Staatssache ist!'' Da verklärte sich das finstere Antlitz des Columbus, er rieb sich die Hände. „Prachtvoll, Giovanni!" meinte er, „gib mir gleich Papier, Feder und Streusand, ich werde mich mit Toscanelli in Verbindung setzen!"
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Wenige Wochen später war die Antwort da. Mit fliegenden Händen öffnete Columbus den Brief. Toscanelh schrieb wie an einen alten Freund. Der gemeinsame Glaube an das Land im Westen verband sie wie Verschworene. „Ich sehe Euer edles und großes Verlangen, dahin zu reisen, wo die Spezereien wachsen. Deshalb sende ich Euch die Antwort auf Euren Brief, und zwar die Abschrift jenes anderen, den ich auf Verlangen einer hochgestellten Person am Hofe des Königyvon Portugal vor kurzem dorthin geschickt habe. Ich lege Dir hier die Seekarte bei, die mit jener übereinstimmt, welche ich dem Freunde in Lissabon sandte." Columbus und Giovanni stürzten sich sogleich auf die feingezeichnete Karte des Toscanelh, die zuunterst unter den Papieren lag. Sie zeigte den weiten westlichen Ozean bedeckt mit Tausenden von Inseln und weit drüben am jenseitigen Rand der bewohnten Erde die Wunderländer: die große Insel Zipangu: Japan — den geheimnisvollen Kontinent Kathai: China, und südlich davon, hinter einem Sehleier von Inseln verborgen, das Märchenland Indien, wo dem Vernehmen nach Gold und Elfenbein, Edelgestein und Seide so häufig waren, wie anderswo Eisen, Marmelstein und Linnen; wo die kostbaren Gewürze wild wachsen, die Wälder aus Zimmetbäumen sind, die Muskatnüsse wuchern und mit Pfefferschoten die Kamine gefeuert werden. Indien lag nach den Maßstäben von Toscanellis Karte näher, als Columbus jemals zu hoffen gewagt hatte.
* Nachdem sie die Karte eingehend geprüft und erörtert hatten, hoben die beiden Freunde die Köpfe. „Wenn die im Kolonialamt drüben", sagte Giraldi, „erfahren, daß du dieses Dokument besitzt, das sie als geheime Staatssache bewachen, dann fürchte ich um dein Leben, Christopher! Du bist dir bewußt, daß Portugal die Ausfuhr von Seekarten, insbesondere von jenen Gebieten, die Portugal eben kolonisiert oder zu kolonisieren beabsichtigt, streng bestraft, ja wohl mit dem Tode büßen läßt. W e h e dem Fremden, der im verbotenen Besitz solcher Staatsdokumente angetroffen wird!" Die Faust des Christoph Columbus krampfte sich fest um das Pergament des Toscanelli. Er würde dieses Blatt nicht wieder hergeben. Freiwillig nicht! Jetzt erst kam ihm das falsche Spiel der Krone Portugals zum Bewußtsein. Dreieinhalb Jahre hatten sich die Männer vom Kolonialamt im Besitz seiner Geheimnisse befunden, und wäre nicht das Glück auf seiner Seite gewesen, so hätte 10
man ihn beiseite geschoben, und längst schon segelte eine Flotte unter fremdem Befehl im geheimen Auftrag nach Westen, um das Unerhörte zu vollbringen. Der Ausbruch des spanischen Konfliktes hatte offenbar dieses Unternehmen seiner Widersacher hinausgezögert. Die beiden Reiche Aragon und Kastilien strebten zu einer Vereinigung in einem einzigen Spanien, und der liebe Nachbar Portugal hatte sich Mühe gegeben, diese Stärkung der spanischen Macht zu hintertreiben. So war man auf der iberischen Halbinsel eine Zeitlang vollauf beschäftigt, und so hatte man die Angelegenheit des Columbus zurückgestellt. Die Anstrengungen der Krone waren eine Weile nach der Landseite gerichtet. Und nur deshalb lag die Seekarte des Toscanelli so lange verstaubt in den Akten. Aber jetzt, nachdem der Konflikt zur Ruhe gekommen war, würde der alte Geist Heinrichs des Seefahrers wieder aufleben, schon drängten sieh die Seefahrer und Abenteurer mit Angeboten und Plänen in allen Vorzimmern des Prinzen Johann. Es würde bald eine Schar billiger Kapitäne gefunden sein, die ausführten, was man den Columbus nicht ausführen ließ. Wieder überlief es den Christoph Columbus kalt bei der Vorstellung, daß man ihm seine Idee stehlen könne. „Ich werde um Audienz bitten", erklärte er dem Freunde. „Man muß einen Vertrag mit mir machen, oder ich suche mir andere Partner." Giraldi wiegte nachdenklich das Haupt. Seine umfangreichen Handelsverbindungen, der Austausch von wirtschaftlichen und politischen Neuigkeiten, wie er zwischen den großen Handelshäusern betrieben wurde, setzten ihn in die Lage, Dinge zu erfahren, die andere kaum ahnten. Und so warnte er den Genuesen. „Man spricht davon", sagte er, „daß sich der Senat von Venedig mit deinen Plänen befaßt habe — der venezianische Gesandte, dieser natürliche Feind des portugiesischen Kolonialamtes, gibt jährlich Riesensummen für die Erkundung all derartiger Pläne aus, wie es der deinige ist. Denn Venedig, das bis vor einem Menschenalter noch den Handel Mitteleuropas beherrschte, spürt allmählich den Zug nach dem Westen. Jede neuentdeckte Insel, jedes Schiff, das nach Guinea oder Westafrika segelt, schädigt den Handel der Lagunenstadt. Venedig kann nicht wünschen, daß man Land im Westen findet. Der Gesandte der Republik San Marco läßt dein T u n und Treiben seit einiger Zeit genauestens beobachten." Einen Moment stutzte Columbus, dann schüttelte er drohend die Faust in der Richtung, in der das Kolonialamt lag und der Rat 12
Grimalone auf seinem Drehschemel hinter den Akten kauerte. „Seht euch vor, ihr Portugiesen!" rief er, „Venedig, Genua und Frankreich werden sich um mich streiten, wenn ich einmal entschlossen wäre, meine Hilfe anderswo zu suchen!"
3. K a p i t e l VERRAT? Die Ereignisse kamen nur zäh in Fluß. Wieder verstand es das Kolonialamt, mit halben Versprechungen, mit Liebenswürdigkeit und Hinauszögern Zeit zu gewinnen. Allmählich vergaß Columbus die erste Warnung, die ihm das Schicksal bei jener zufälligen Begegnung mit dem Prinzen Johann zugespielt hatte. Er brachte die folgenden Jahre zwischen Seefahrten, Kartenzeichnungen und Studien zu. Seine Ehe zerbrach. Monna Feliza Monis de Perestrallo war nicht die Frau, die entsagen konnte, um einem Manne in schwersten Lebenskämpfen wie ein Freund zur Seite zu stehen. Aber durch sie hatte Columbus die Inseln des Ozeans näher kennenlernen können, da Porto Santo bei Madeira durch den Vater Monna Felizas verwaltet wurde. In jenen Jahren war Columbus am Strande der Insel auf und ab gelaufen, er hatte jeden angeschwemmten Zweig, der über das Meer aus dem Westen kam, wie einen Boten aus dem verheißenen Lande begrüßt. Keines der dunklen Gerüchte war ihm entgangen; so erzählte man sich, daß man die Leiche eines fremdartigen, braunen Menschen'am Strand gefunden habe, der aus dem westlichen Ozean ausgespien worden sei. Ein Matrose — leider hatten ihn unterdes die Rifkabylen als Sklaven verschleppt —• sollte vor einiger Zeit riesige Bambusgewächse gesichtet haben, die weit im Westen in der aufgewühlten Herbstflut des Atlantik getrieben hätten. Solches und ähnliches hatte den Genuesen in seinen Vorstellungen von den Westländern bestärkt. Entscheidend aber wurde nun die Kunde, daß am 28. August 1481 König Alphons V. von Portugal im Wahnsinn verstorben sei und Prinz Johann als der Zweite seines Namens den Thron bestiegen habe. Dieser Mann nahm die Zügel der Regierung gleich fester in die Hände. Indem er sich „Herr von Guinea" nennen ließ, gab er die Absicht kund, daß er die alte Kolonialpolitik der Vorfahren wie-
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der aufzunehmen gedenke. Ein allgemeiner Sturm auf das Seefahrts- und Kolonialamt setzte ein. Abenteurer, Kapitäne, ehemalige Verbrecher und Glücksritter trugen ihre Dienste an, forderten Schiffe, Mannschaft und Geld und versprachen, die Welt zu erobern. Auch Christoph Columbus belebte seine Hoffnungen neu. Er fuhr nach Lissabon und bat um Audienz bei der neuen Majestät. Zu seiner Überraschung ließ man ihn gleich vor und gewährte ihm die Gnade einer Unterredung mit dem König.
Der König erkannte ihn wieder. Er unterbrach die höfische Verbeugung des Seemanns, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte. „Lassen Sie das, Colombo", sprach er mit derselben hellen und jugendlichen Stimme, die Columbus von damals her immer noch im Gedächtnis hatte, „wir kennen uns seit langem. Laßt uns von der Sache sprechen!" Johann II. hatte ein kleines, holzgetäfeltes Gemach, dessen W ä n d e mit schweren flandrischen Gobelins bedeckt waren, zu dieser Unterredung gewählt. Sie befanden sich allein darin. „Sie werden also nach Indien segeln", fuhr der König fort, „und Sie werden es mit portugiesischen Schiffen tun. Sagen Sie Ihre Bedingungen." Wie oft hatte Columbus seine Vertragsbedingungen schon bekanntgegeben! Er wollte sich nicht mit einem Trinkgeld begnügen und die Beute den Königen überlassen. Als gleichberechtigter Partner verlangte er viel — er, der kleine Fuchs, der mit dem Löwen teilen will. „Meine Bedingungen, Majestät", sagte Columbus mit Festigkeit, „sind immer dieselben: ein Schiff und Ausrüstung, um Indien zu ft ; finden, und sobald ich die erhofften Länder und Reiche gefunden [ habe, 1. den Titel eines Großadmirals der westlichen Meere, 2. die lebenslängliche Vizekönigschaft über alle entdeckten Reiche, und 3. für mich und meine Nachkommen für ewige Zeiten den zehnten [i Teil aller Gewinne, die aus den Entdeckungen gezogen werden. Das wäre alles, Majestät!" König Johann lachte schallend. „Ihr seid nicht billig, Senhor Colombo! Das ist der Vorschlag eines Staatsvertrages, wie ihn , j Könige miteinander schließen. Ihr aber steht als einfacher Seemann vor mir. Besinnt Euch und seid vernünftig: Ihr sollt eine bestimmte Summe Geldes und einen Titel, ein Landgut oder die Statthalterschaft über eine Insel haben, das müßte genügen!" 14
( „Nicht mir, Majestät!" entgegnete Columbus. „Ich habe Reiche zu vergeben, denen nichts an Reichtum und Größe gleich ist. Portugal wird durch mich die erste Macht dieser Erde sein." „Nicht durch Euch, Senhor! Wenn es geschehen soll, so kann nur die Kraft unseres Staates erobern, was Ihr findet." Christoph Columbus hielt einen Augenblick inne, um sich zu sammeln. Schon oft waren die Verhandlungen an diesem Punkte gestanden und immer daran gescheitert. Er würde die Situation noch einmal klarlegen. „Majestät erlauben", begann er, „daß ich die Gründe aufführe, die Portugal wie alle westlichen Nationen aufs Meer hinaustreiben, ja, die Portugal und die anderen Länder Europas nötigen, Kolonien zu erwerben, neue Seewege zu finden und den Handel in andere Bahnen zu lenken. Von Bankleuten hörte ich, daß die Menge des in Europa umlaufenden Goldes noch nicht die Summe von 20 Millionen Dukaten ausmacht, was viel zu wenig ist, um die Wirtschaft in Fluß zu halten. Die Goldwäschereien in Sachsen und Spanien sind beinahe erschöpft, die Silbergruben Europas, die Bergwerke im Harz, in den Alpen, den spanischen Gebirgen, ermüden zusehends; eine andere Möglichkeit, Geld zu bekommen, besteht aber für Europa nicht, weil die Produkte der hochkultivierten Länder des Ostens unsere Erzeugnisse meist übertreffen und diese Länder unserer ausgeführten Ware nicht bedürftig sind. Ohne Gewürze — wie Pfeffer, Muskat, Zimt, Safran und Nelken —, ohne Zucker und die Luxuswaren des Orients kann aber die Wirtschaft Europas nicht mehr bestehen. Wie sollte ohne solche Gewürze das Fleisch gelagert, der Proviant auf Seereisen konserviert werden, wie sollten ohne die Früchte des Orients die Leckereien und ohne die Gespinste Chinas die Seidenkleider unserer Damen bestritten werden! Ohne den Handel mit den Ländern der heißen Zone kann Europa nicht mehr sein! Venedig und auch Genua", fuhr Columbus fort, „haben, wie Majestät wissen, das Geschäft des Vermittlers besorgt. Zuerst hatte Venedig mit seiner Flotte, mit Heeren und Eroberungen, dann mit Verträgen, jetzt aber schon durch Tributzahlung an die Heiden die Handelswege nach dem Orient offengehalten. Venedig ist durch alledies reicher als irgendeine Stadt Europas geworden. Wer in Lübeck, London oder Brüssel, in Paris, Madrid oder Lissabon Pfeffer in der Wurst oder Kandiszucker im Kuchen ißt, derzinstden Venezianern. Seit die Türken Konstantinopel erobert und den Balkan besetzt haben, beherrschen die Söhne Mohammeds durch ihre Kaperschiffe die Seewege. Alle wissen es, daß über kurz oder lang Europa diese Abhängigkeit von dem guten Willen der Ungläubigen 15
brechen und einen eigenen, freien Weg zu den Gewürzwäldern, zu den Goldbergwerken und Rohstoffquellen finden muß. Wenn ich dies Werk wage, und ich werde es vollbringen, Majestät, dann darf man mir nicht ein Trinkgeld anbieten wollen!" König Johann stampfte wütend auf. „Senhor, Ihr redet, als hättet Ihr bereits Indien im Sacke und bötet es feil!" „Ich werde es finden, Majestät, und derjenige, der mit mir den Vertrag geschlossen haben wird, kann sich des Gewinnes erfreuen!" „Höre ich recht, Colombo? Sagtet Ihr — derjenige? Also habt Ihr schon mit anderen Mächten verhandelt!" Columbus schwieg eine Weile, ehe er endlich verneinte. „Nein, Majestät — nur Portugal erfreut sich des Vorzugs." Da lachte König Johann lauthals hinaus. „Des Vorzugs!" wiederholte er höhnend und wandte dem Verblüfften den Rücken.
4. K a p i t e l SPIEL UND GEGENSPIEL Man ließ den Christoph Columbus wie einen Fisch, der aufs Trockene geraten war, wieder eine Zeitlang nach Luft schnappen. Er geriet langsam in Schulden und hatte sowohl Anfeindungen als auch Verhöhnungen auszustehen. Ein dunkler Abschnitt des Lebens brach über Christoph und den kleinen Diego herein. Um diese Zeit erhielt der venezianische Gesandte zu Lissabon ein Schreiben seiner Republik. Der Senat Venedigs befahl, alles daranzusetzen und weder mit Gold noch mit Freundlichkeiten zu sparen, wenn nur die neuen Kolonialpläne der Portugiesen verhindert würden. „Messere", hieß es da, „Eurem erleuchteten Verstände wird es kaum entgangen sein, in welch kritische Lage die Republik des heiligen Markus geraten ist. Wenn wir zurückdenken, daß die Tage des Dogen Francesco Foscari kaum ein Menschenalter hinter uns liegen, daß damals Venedig unbestritten der Umschlaghafen der Welt war und jährlich tausend Millionen Dukaten Umsatz machte, daß es völlig in unserer Hand lag, den Luxus der Völker zu lenken, so sehen wir erst, was nun bedroht erscheint. Unsere Staatseinkünfte sind die größten der Welt, die Flotte mit 17 000 Matrosen, die auf 300 Schlachtschiffen und 3000 kleineren Kriegsfahrzeugen dienen, hält das Regiment der Meere in den Fäusten. Unser Arsenal 16
gilt als das gewaltigste der Erde und vermag in acht Tagen 25 Schlachtkreuzer auszurüsten; die Paläste, die mitten im Meer auf den Wäldern Dalmatiens errichtet sind, werden auf einen Wert von vielen Millionen Dukaten geschätzt und 200 000 Menschen wohnen in unserer Stadt. Aber, Messere, wir leben von dem Handelsmonopol, das uns mit dem Orient verbindet. Die letzten Jahrzehnte waren nicht glücklich für Venedig. Der unselige Krieg mit Mailand hat uns gelähmt, hat unsere Blicke von der mütterlichen See abgezogen und den Türken den Atem gegeben, den Osten Europas in Flammen zu setzen. Ihr wißt, Messere, während wir um die Handelsstraßen nach Deutschland, um Etschtal und Brennerpaß kämpften, während unsere Dukaten Söldner gegen Mailand warben, haben die Türken den Riegel am Bosporus geschlossen. Konstantinopel, das vor zwei Jahrhunderten ein venezianischer Doge an der Spitze eines Kreuzfahrerheeres erstiegen hat, ist erstürmt, Saloniki ist gefallen, Kreta und die Kastelle in Griechenland sind belagert, und die Adria trägt neuerdings Schiffe, deren Mastspitzen der Halbmond krönt. Unser Levantereich im Osten schwankt, diese Kette von Stützpunkten wird aufgerissen, wir sind abhängig geworden von Verträgen, und der Handel Europas droht uns zu entgleiten. Genuesische Schiffe, Pisaner, ja Engländer und Franzosen kreuzen in immer größerer Zahl im Mittelmeer. Man drängt sich in unseren Handel. Man sucht nach neuen Wegen zu den Gewürz- und Goldländern. Nicht daß wir glaubten, Indien könnte auf Schnellerem Wege erreicht werden als auf jener Straße, die schon der Admiral Alexanders des Großen —• Nearchos — fuhr, nämlich über Ägypten, den Persischen Golf und das Indische Meer; aber wir haben errechnet, daß jedes neuentdeckte Stück Tropenlandes eine Schmälerung unseres Handels, eine Einbuße unseres Monopols bedeutet, von dem wir heute mehr als je abhängig sind. Messere, Ihr habt die Richtlinien unserer Politik begriffen: wir müssen alles daransetzen, daß solche Entdeckungen künftig unterbleiben und womöglich ausgelöscht werden, ehe sie vollzogen sind. Man hat Euch nach Lissabon geschickt, Ihr tragt große Verantwortung um Venedig." Der Gesandte der Dogenstadt war ein Mann regsamster Tatkraft. Als er dieses Schreiben des Zehnerrates gelesen hatte, begann er, seine Goldfäden zu dichtmaschigen Netzen zu verspinnen. Noch tiefer als sonst griff er in die geheimen Schatullen und streute venezianisches Gold in gierig geöffnete Hände. Einige Schreiber und Kapitäne des Seeamtes zu Lissabon hatten in dieser Zeit gute Tage.
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Zur selben Zeit geschah es, daß der deutsche Kaufmann Martin Behaim aus Nürnberg, der sich mit den gelehrten Dingen der Seefahrt und Geographie beschäftigt und bei Regiomontanus, einem deutschen Wissenschaftler aus Franken, studiert hatte, in Lissabon zu hohen Ehren gelangte. Er brachte zwei wundersame deutsche Geräte mit. Das eine der beiden Instrumente war eine Erfindung seines Lehrers, der zwar niemals auf dem Meere gefahren war, aber gleichwohl eines der bedeutendsten Hilfsmittel zur Orientierung auf der horizontlosen See, nämlich den Jakobsstab, verbessert hatte. Dieses Instrument machte das Messen der Sternhöhe möglich, und da der deutsche Gelehrte in Tabellen die Sternorte für viele Jahre vorausberechnet und zusammengefaßt hatte, war es künftig möglich, daß ein Seemann mit Hilfe von Stab und Tabelle sich zu jeder Tages- und Nachtzeit auf den wüsten Wassern zurechtfand, wenn immer er nur ein Stückchen Himmel sah. Das andere Wunder war eine große, schief auf einer Achse ruhende Kugel, auf der die Karte dieser Erde aufgetragen war, auf daß jedermann ersehe, wie die Gestalt des Erdballs sei. Dieser Martin Behaim, der solch merkwürdige Instrumente mitgebracht hatte, sollte zusammen mit den beiden königlichen Leibärzten Rodrigo und Joseph und dem Bischof von Ceuta eine geheime Junta für geographische Fragen bilden. Die Verhandlungen dieser Kommission waren streng geheim. Selbst der Freund des Columbus, der Kaufherr Giraldi, war gegenüber diesen Verschwiegenen machtlos; so erfuhr man nichts Näheres über den Inhalt der Beratungen. Um so mißtrauischer wurde Columbus. Längst schon hatte er den Glauben an die Ehrlichkeit der portugiesischen Absichten verloren. Unglück schien sich um sein Haupt zu sammeln. Der Gesandte der Republik San Marco erhielt gegen eine beträchtliche Summe für eine kurze Stunde Einblick in die Protokolle der königlichen Junta. Dies konnte nur zur Nachtzeit geschehen. Ein Vermummter brachte die Papiere und holte sie wieder ab, jede Minute kostete zehn Dukaten. Doch Venedig war immer noch reich. •
Ein Mann aus Madeira hatte sich gemeldet, der bereit war, den Plan des Columbus ohne diesen auszuführen und den neuen Seeweg nach Indien zu finden. Er war bedeutend bescheidener als der Genuese und wollte sich mit einer großen Summe zufrieden geben. In größter Heimlichkeit wurde die Expedition vorbereitet. Eine IS
ausgeschiedene Kriegskaravelle wurde mit Verbrechern aus den Staatsgefängnissen bemannt, denen man im Falle des Gelingens Begnadigung versprach. Im Sommer 1484 ging das Schiff von Lissabon aus nach Kap Verde in See, angeblich um Lebensmittel für die dortige Station hinzubringen. Der venezianische Gesandte war der einzige außer dem König, seiner Junta und einigen Leuten im Seeamt, der wußte, daß dieses Schiff den Auftrag hatte, immer weiter westwärts zu segeln, bis das neue Land aus den Wassermassen des Atlantik steige. Columbus aber saß brütend im Hause Giraldis und zeichnete Karten, schrieb neue Gesuche und rechnete seine Schulden zusammen. Diego, sein Sohn, spielte drunten mit den Gassenjungen von Lissabon.
* Der Kapitän aus Madeira legte auf der Höhe seiner Heimatinsel das Steuer nach Westen herum und verschwand hinter der Kimmung eines völlig ruhigen Ozeans. Sein Schiff fuhr stetig nach Westen. Für dieses Abenteuer also hatte der König seine guten Eskudis bezahlt. Fünf Tage lang durchschnitt der Kiel die Wogen mit Westkurs von Europa weg, der Wind war günstig und stand brav nach Südwest; die D ü n u n g war gleichmäßig, aber der Anblick dieser endlosen, grünblauen Wasserwüste war nichts für die Nerven. In den Taschen des Mannes aus Madeira klang venezianisches Gold. Es nahm zu an Gewicht. Am fünften Tage war es schwerer als die Eskudis des Königs geworden; da wendete der Kapitän unter dem Jubel der Besatzung das Steuer und lavierte nach Osten, nach Portugal zurück. Er brachte neben dem Ruf großer Kühnheit die ' sichere Botschaft nach Lissabon, daß die Kunde der alten Schriften sich bestätigt habe: bei Kap Finis Terrae sei die Welt zu Ende und jenseits davon gebe es nur endloses, mörderisches Meer.
5. K a p i t e l FLUCHT Das Abenteuer des Mannes aus Madeira ließ sich natürlich, nachdem es einmal geschehen war, nicht lange geheimhalten. Seine Schiffsmannschaft verlief sich und brachte die erstaunliche Botschaft in alle Schenken, die zwischen Lissabon und Porto am Ozean 19
liegen. So dauerte es nicht lange, bis Freund Giraldi nach Hause kam und dem enttäuschten Christopher erzählen konnte, daß sich seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt hatten: die Krone Portugals ging auf Westfahrt. Ohne Columbus! Der Genuese raste, sein Zorngeschrei dröhnte durchs Haus. Furchtsam verbarg sich der kleine Diego hinter den Stapeln mit Fässern und Waren im Gewölbe. Entgegen der Mahnung des Freundes lief Christoph Columbus sogleich zum Seeamt, aber er kam nicht weit. Die beiden Wächter am Zugang zum Innenhof kreuzten die Spieße vor seiner Brust und antworteten auf seine fordernde Gebärde, sie hätten den bestimmten Auftrag, ihm den Zutritt zu verwehren. „Zum Teufel", schrie Columbus, „kennt ihr mich denn! Ich bin der Freund Seiner Majestät und wurde von ihr in Privataudienz empfangen!" Da lachte der ältere der Söldner in seinen grauen Bart. „Senhor!" grinste er spöttisch, „sicher kennen wir Euch! Ihr seid der Narr, der Indien im Westen sucht!" Da wandte sich Columbus tief entmutigt um und ging langsam zum Hause Giraldis zurück. Es war offenbar zu Ende. Der Mißerfolg des Mannes aus Madeira hatte die ganze Sache für Portugal erledigt.
* Was tun? Wovon nun leben? Die drängende Not würgte. Jetzt, da die großen Pläne wie Nebel im Morgenwind zerflattert waren, erkannte Columbus, daß seine Lage in Lissabon unhaltbar geworden war. Er steckte zu tief in Schulden. Giovanni Giraldi gewährte ihm und Diego das Gnadenbrot. Ihm — dem Manne, der vom König den Zehnten neuer Erdteile gefordert hatte! Nein, es war unerträglich. Schien es nicht besser, zuzugestehen, daß man sieben Jahre des Lebens vor den falschen Türen gewartet hatte, daß alles ein Fehlschlag war? Christoph Columbus beschloß, sich anderwärts in der Welt umzusehen. Den Anstoß dazu gab ein Unbekannter, der eines Abends, eben, als die Verzweiflung des Genuesen den Tiefpunkt erreicht hatte, bei Giraldi eintrat und Columbus zu einem Wort unter vier Augen zu sprechen begehrte. Der Agent kam vom venezianischen Gesandten. Nach einigen zögernden Übergangsworten trug er sein Anerbieten vor: Er bot gutes Venezianer Gold für Kartenmaterial und Unterlagen. Aber Columbus lachte ihn nur aus. Was brauche er Geld? Er brauche Schiffe, Männer, Taten — nicht Almosen! Da begann der Unbekannte umzuschwenken. Er deutete an, daß er wohl eine dementsprechende Eingabe an den Rat von Venedig vermitteln könne. Columbus möge nur alles schriftlich darlegen. 20
Die Republik San Marco trüge sich lange schon insgeheim mit dem Gedanken, selber auf Entdeckung nach Westen zu gehen. Venedig aber war die erste Geldmacht der Erde. — Columbus schrieb das Gesuch, das mit der gesiegelten Kurierpost des Gesandten nach der Lagunenstadt abging. Aber nie kam Antwort. Da bot Christoph Columbus das unentdeckte Land im Westen auf allen Märkten aus. Sein aufgestörter Blick flog rings durch Europa. Da war England, die seemächtige Insel im Meer — aber es lag seit fünfundzwanzig Jahren im Krieg der weißen und roten Rose und hatte sicherlich kein Interesse für die Abenteuer des Weltmeeres. An Genua, die flottenmächtige Heimatstadt, schrieb der Besessene Briefe, doch Genua gab ebensowenig Antwort wie Venedig. Die beiden Handelsstädte Italiens hatten den Plan in geheimer Sitzung beraten und dann beiseite gelegt. Er schien ihnen zu phantastisch, zu ungewiß und — gottlob! •— ihnen auch nicht mehr gefährlich. Darum schwiegen sie. Aber noch war da das aufstrebende Frankreich. Der Ruhm des Königs der Händler, Jacques Coeurs, dessen Schiffahrtslinien einst das Mittelmeer durchzogen hatten, war noch nicht verstummt, obschon der königliche Kaufmann Coeur seit einem Menschenalter tot war. Columbus bot also seine Dienste der Krone Karls VIII. von Frankreich an. Die Briefe, in denen er sein Anerbieten niederlegte, gingen auf verborgenen Schmugglerwegen außer Landes. Schifferfreunde und Handelsleute Giraldis besorgten sie, ohne daß die Staatspolizei davon eine Ahnung hatte. Das Leben des Columbus hing daran. Frankreich war die einzige Macht, die Antwort gab. Sieur Guillon de Roy, jener Seeheld, der sich als Bürger der Seinestadt Rouen damals mit dem Gedanken trug, einen Hafen — Le Havre — an der Strommündung zu gründen, damit der Atlantische Ozean erschlossen würde, dieser Herr de Roy schrieb dem Genuesen freundliche Antwort. „Monsieur' - , hieß es in dem Schreiben, „Ihre Absicht, das westliche Indien im Großen Ozean zu entdecken und den Kiel der Schiffe gen Sonnenuntergang zu führen, erscheint uns weder unmöglich, noch den Gesetzen der Geographie widersprechend. Die Admiralität Seiner Königlichen Majestät hat Interesse für den Plan und ist gern bereit, Ihnen die Kosten der Reise sowie die eines angemessenen Aufenthaltes zu vergüten, wenn Sie es erwägen sollten, nach Rouen zu kommen, um die Verhandlungen anzuknüpfen. Wir werden sie sicherlich zu einem guten und befriedigenden Ende führen. 21
Da ich Ihrem Briefe entnahm, daß Sie sich im Besitze gewisser Karten des westlichen Ozeans befinden, möchte ich nicht verfehlen, mein besonderes Interesse an diesen zu erwähnen und Ihnen um des Gegenstandes willen mitzuteilen, daß auch Frankreich bei der Erschließung des Ozeans schon viel vorgearbeitet hat. In unserer bretonischen Stadt San Malo gibt es eine Hochseefischergilde, welche ihre Netze an geheimen und nur diesen Leuten bekannten Fischplätzen auszuwerfen pflegt. Kein Fremder wird jemals die Fangplätze der Leute von San Malo erfahren. Aber das Gerücht raunt davon, daß sie weit nach Westen zu Fischbänken segelten, welche sie Neufundland nennen. U n d einer unserer Indienkapitäne — Jean Cousin —, der gleich den Portugiesen den Weg um Afrikas Spitze herum nach Osten suchte, hat dieses Jahr zu Protokoll gegeben, daß ihn Stürme weit nach Westen verschlagen hätten und daß er meine, dort Streifen einer Küste gesehen zu haben. Sie sehen, mein Herr, daß Sie in Frankreich nur fortsetzen werden, was andere schon begonnen haben. W e n n Sie sich in Rouen melden, werden Sie finden einen wohlgeneigten Guillon de Roy du Plessis, Admiral der Krone."
* Nun drängte die Entscheidung. Giraldi schloß sich der Meinung des Columbus an, daß von Portugal nichts mehr zu erwarten sei. Frankreich also sollte die Fabeliänder als Geschenk aus den westlichen Meeren heben. Und nun wurde das Mißtrauen noch wacher. Christoph Columbus wurde bespitzelt. Man hatte es zwar im Seeamt vermieden, einen Vertrag mit dem Genuesen zu schließen, aber man wünschte keineswegs, daß der Abenteurer ins Ausland ging, um dort sein Wissen und seine seemännischen Erfahrungen feilzubieten. Als Columbus wenige Tage nach dem Eintreffen des französischen Briefes zum Hafen kam, um sich ein Schiff zu suchen, fand er die Kapitäne davon unterrichtet, daß ein gewisser Christoph Columbus weder als Passagier noch als Matrose zur See fahren dürfe. Und als er ärgerlich und voll trüber Ahnungen heimeilte, traf er den Gerichtsvollzieher im Hause, der seine letzte Habe pfändete. Wenn Giraldi nicht gebürgt hätte, würden ihn die Schergen in den Schuldturm geworfen haben. Verschüchtert kauerte Diego wieder hinter den Waren im Gewölbe. 22
Es war für Columbus klar, daß die Krone Portugals das Verderben des abgewiesenen Bittstellers wollte. Vielleicht hatte auch Venedig einen Wink gegeben, um den Gefährlichen auf solche Weise zu erledigen. Wenig später kam ein gesiegeltes Schreiben des Kolonialamtes, in dem man den Christobal Colombo aufforderte, sich unverzüglich mitsamt allen Karten, Unterlagen und sonstigem schriftlichem Material — seine Westfahrt betreffend — auf dem Seeamt einzustellen. Es gab keinen Zweifel mehr: sie wollten ihn seiner Pläne und Karten berauben! Da half nur mehr eines — die Flucht! Eine lange Nacht saßen die Männer beisammen und brüteten Pläne aus. Man mußte in Betracht ziehen, daß Columbus vermutlich von Spitzeln überwacht wurde, daher war es notwendig, seinen Aufbruch so harmlos wie möglich aussehen zu lassen. Endlich fanden sie einen Weg —• auch er war voller Mühsal und Gefahren —, der aus dem Gefängnis Portugal hinausführen konnte, ohne daß all die Karten, die jahrelange Mühe der Schriften, die Briefe Toscanellis, die kostbare Seekarte und die Notizen zurückbleiben mußten. Nur den verräterischen Brief des französischen Admirals übergab Columbus den Flammen. Mit einem schmalen Reisebündel, den kleinen Diego an der Hand, ging Christoph Columbus zum Tejo hinab, fand einen Küstenfahrer, der ihn aufs Südufer übersetzte und wanderte über die Berge gen Setubal. Diese Stadt lag zwei Tagreisen südlich von Lissabon an einer Meeresbucht. Unterwegs beeilte sich der Genuese, möglichst vielen Leuten zu erzählen, daß er dort unten Arbeit suchen wolle. Von Setubal aus brachte ein Fischerboot, das unterm bunten lateinischen Segel an der Küste kreuzte, die beiden Wanderer weiter südwärts in die kleine Fischerstadt Alcacer do Sal, wo sich der Saldofluß ins Meer ergießt. Bisher waren die Flüchtlinge ungehindert durch die Stadttore und Zollschranken gekommen, anscheinend hatte man zu Lissabon ihre Flucht entweder nicht entdeckt oder man verfolgte sie auf falscher Fährte. Eilig, ehe die Polizeiagenten Wind bekamen, verließen die Freunde die romantische alte Stadt mit ihrer ragenden Felsenburg und trollten sich dem Saldoufer entlang ins Innere des Landes. Hier würde man sicherlich den Seemann Columbus am wenigsten suchen. Tage und Wochen vergingen in mühsamer Wanderung. Obschon es der Jahreszeit nach Herbst war, brannte die Sonne glühend auf die kahlen, steinigen Bergstraßen, die sich dem gewundenen Laufe des Saldo entlangzogen. Nach langer Zeit tauchte das Städtchen Alvito vor ihnen auf, das an die Berghänge hingebaut mit schneeweißen Mauern in 23
der Sonne glühte. Pochenden Herzens wies Columbus seine Papiere am Stadttor vor, aber man ließ ihn unbeanstandet passieren. Sie ruhten sich ein paar Tage aus. Der kleine Diego hatte wunde Füße.
Dann strebten sie weiter voran. Die Berge der Sierra de Mendro streckten ihre Ausläufer gegen Alvito. Dorthinauf wanden sich holperige Saumpfade; denn hinter dem Städtchen lagen nur mehr die Dörfer der Schafhirten und Buschjäger, und man sagte auch, daß die Räuber in den Schluchten und Höhlen hausten. Langsam stiegen Columbus und sein Sohn bergwärts, bis sie Stille umfing. Schwirrende Vögel und manchmal eine erschreckende Ziege waren hier ihre einzigen Gefährten. Nach zwei Wochen anstrengender Wanderung senkten sich die niedriger gewordenen Hügel zum breiten Flußtal der Guadiana. Grün grüßten die Obstgärten und die Palmenhaine, und dazwischen leuchteten weiße Häuschen. Rebenberge zogen, von erntenden Winzern belebt, an den flachen Ufern der Guadiana hin. Columbus, der den müden Diego auf den Schultern trug, wies in dieses Tal hinab und sagte: „Freu dich, meirr Söhnchen, dies Wasser strömt schon nach Süden! Die Grenze ist nahe!"
* Sie fanden einen Schiffer, der sie um Gotteslohn auf seinem Frachtkahn zur Mündung der Guadiana mitnahm, wo die kleine Hafenstadt Marina auf dem rechten Ufer portugiesisch, die auf einem Felsrücken erbaute finstere Festung Ayamonte am linken Ufer aber bereits spanisch war. Columbus und Diego übernachteten zum letzten Male auf portugiesischem Boden. Der Wirt der Schenke zum „Goldenen Anker" nannte ihnen für einen Eskudi gern den Namen eines jungen Schmugglers, der sie noch im Morgengrauen in seinem Kahne sicher auf jenes Ufer übersetzte, an dem die Gesetze Tsabellas von Kastilien und ihres erlauchten Gemahls Ferdinand von Aragon galten. Am rettenden Ufer angelangt, beugte Columbus dankbar das Knie, und während er betete, preßte er das Bündel mit seinen Schriften und Karten an seine Brust.
Auf spanischem Boden wanderte Columbus von Huelva den Rio Tin-to hinab, wo er die Hafenstadt Palos wußte und sich eine Schiffsgelegenheit nach Frankreich erhoffte. Aber er erreichte Palos 24
nicht mehr. Die Dämmerung eines Oktobertages überraschte ihn auf einem jener dürren, sonnenübergossenen Hügel, die sich neben dein fruchtbaren Tintotale zum Meer hinabzogen. Es mochte etwa eine Stunde vor Palos sein. Diego war todmüde und schlief rittlings auf den Schultern des Vaters. Da bemerkte Christoph Columbus auf einer besonders steilen Anhöhe ein Kloster, und weil er allezeit ein frommer Christ und ein Freund der Mönche gewesen war, fragte er gleich einen begegnenden Bauern nach dem Namen des heiligen Ortes. „Es ist La Rabida, Sennor", erwiderte der Landmann und zog grüßend die Mütze, „es sind Franziskaner, sucht Ihr Nachtquartier, so findet Ihr nirgends ein besseres." Columbus beschloß, die Nacht in La Rabida zu verbringen. Aber es war das Schicksal selber, das ihn unsichtbar zu den gelehrten Mönchen in dieses Bergkloster über dem Tintotale geführt hatte.
6. K a p i t e l GROSSE PLÄNE N E H M E N GESTALT AN Bald darauf saßen die müden Wanderer in einem kühlen Räume des Klosters La Rabida. Die gewölbten Arkaden öffneten den Blick auf ein friedliches, weithin bebautes Land, hinter dem dunstig das Meer sich dehnte. Langsam versank die Sonne im Westen und verhüllte sich in den Schleiern, die ferne Kontinente verbergen mochten. Diego war nach der Klostersuppe eingeschlafen und lag nun schwer atmend mit roten Wangen auf der Bank. Aber Columbus starrte regungslos nach dem Westen, wo sich die weite Fläche des Meeres wie dunkler Stahl verfärbte und sich langsam die Tore eines Geheimnisses zu schließen schienen. Da setzte sich ein Mönch neben ihn. Er nannte seinen Namen: Antonio de Marcirena, er war Bibliothekar des Klosters und ein gelehrter Mann. Zuerst richtete er ein paar belanglose Fragen an den Fremden, als er aber aus dessen Antworten merkte, daß er es mit keinem Ungebildeten zu tun hatte, nahm das Gespräch einen ernsthafteren Charakter an. Ehe man sich umsah, waren die beiden in einen hitzigen Disput verwickelt. War es nun die befreiende Freude über die gelungene Flucht oder die Gelöstheit dieser Stunde angesichts des abendlichen Meeres und der im Westen versunkenen Sonne — Columbus, der sonst so mißtrauisch und verschlossen war, schüttete diesem fremden Mönche sein 26
Herz aus. Auf einmal begann er von seinen Plänen, seinem Schicksal und seinem Traum zu erzählen. Und wie er so sprach, zauberten seine Worte die Küsten eines fernen Wunderlandes aus den Nebeln des Westens herauf, schon sah er im Geiste die Schiffe in Indien und Kathai, den Küsten seiner Sehnsucht, landen und sich selber das Kreuz Christi auf den Strand pflanzen. Pater Antonio de Marchena war begeistert. Nein, dieser seltsame Wanderer durfte nicht, wie es seine Absicht war, anderntags mit dem Morgengrauen von hinnen ziehen. Mochte er sich ausrasten und auch dem Söhnchen ein paar Ruhetage gönnen. Die beiden Männer brachten den Knaben sorgsam zu Bett, sie selber aber saßen die halbe Nacht mit heißen Köpfen in der Bibliothek des Klosters und sprachen vom Kontinent jenseits des Ozeans.
* W a r es Zufall? Wir Menschen in unserer Kurzsichtigkeit nennen es wenigstens so, wenn wir die tieferen Zusammenhänge der waltenden Gottheit nicht zu durchschauen vermögen. Christoph Columbus wanderte am folgenden Morgen nicht weiter, wie es sein Wille gewesen war; er nahm nicht das Schiff nach Frankreich, das im nahen Hafen von Palos lag — er blieb lange Wochen und Monate in La Rabida und gewann sich echte Freunde. Der Zufall hatte es gefügt, daß Antonio de Marchena sich an jenem Abend auf die Bank zu dem Fremdling setzte, der Zufall hatte es gewollt, daß Antonio ein gelehrter Geograph war und all die Bestrebungen kannte, die nach einem neuen Bild der Erde tasteten, und der letzte und größte der Zufälle brachte endlich den Mann an diese Stelle, der die Pläne des Columbus in andere Bahnen lenken sollte. Es war der Prior des Klosters, Pater Juan Perez. Antonio holte seinen Oberen herbei, um ihn mit dem gelehrten Seemann bekannt zu machen. Und Juan Perez fand Gefallen an Columbus, ja er erhitzte sich förmlich für dessen Absichten. Man behielt die beiden Abenteurer als geehrte Gäste in La Rabida. Man fesselte sie durch die bestimmte Aussicht auf Vermittlung zum spanischen Hofe; denn abermals wollte es der Zufall, daß Juan Perez der alte, noch immer in großen Ehren stehende Seelsorger der Königin Isabella war. Juan Perez schrieb die Empfehlungsschreiben, die den Herzog von Medina-Celi und endlich den sogenannten dritten König von Spanien, den Erzbischof von Toledo und Großadmiral von Spanien Pedro Gonzalez de Mendoza, für die Sache des Columbus gewannen. Jetzt war nicht mehr die Rede 27
davon, daß man nach Frankreich gehen und sich den unsicheren Versprechungen einer fremden Macht anvertrauen wolle. Durch diesen Abend im Kloster La Rabida verlor die Krone von Frankreich den beinahe sicheren Zugriff auf einen neuen Weltteil, es verlor ihn an Spanien. Dieses Land hatte sich durch die Vereinigung der beiden Königreiche Aragon und Kastilien zur Großmacht erhoben und war eben in das letzte Stadium des Krieges gegen die Mauren eingetreten. Die Heere Kastiliens und Aragons hatten die Moscheen von Cordoba und Sevilla dem Kreuze erobert und lagen nun als würgender Ring um die letzte Felsenburg der hinsinkenden Maurenmacht, um die Märchenstadt Granada. Wenn dieses letzte Bollwerk gefallen und Spanien für Europa zurückgewonnen war, dann konnten Königin Isabella und König Ferdinand die Hände frei haben, um nach neuen Ländern jenseits des Meeres zu greifen. Das Wort des Juan Perez öffnete dem Flüchtling aus Lissabon die Türen zur Audienz. Columbus sprach mit feuriger Zunge von der Herrlichkeit und Größe eines künftigen Spanien, das die Erdkugel umspannen werde. Er zauberte die Schätze Indiens und die Gewürzwälder der Ozeanischen Inseln, die Seidengewänder Kathais, die Perlen Zipangus, das Elfenbein und Gold des Großchans vor die träumerischen Augen Isabellas. Aber er sprach, auch mit der frommen Neigung des Christen von dem Gewinn an Seelen, den Spaniens Verdienst der Heiligen Kirche zuführen werde. Weit überm Meer warteten Millionen auf das Wort des Erlösers. Und er gewann im Sturm das Herz jener kühlen, geheimnisvollen Frau, die mit einem Lächeln eineinhalb Millionen Juden und Mauren aus ihren Ländern hatte verjagen lassen, die Folter und Scheiterhaufen zu den Staatsinstrumenten ihrer Polizei gemacht und nichts großartig fand auf Erden, es sei denn das Gefühl des Herrschens. Columbus wurde zum Handkuß zugelassen -— man gewährte ihm eine kleine Rente, bis der Sieg von Granada endlich errungen sein würde, und dann stellte man ihm die Unterzeichnung seines wahnwitzigen Vertrages in Aussicht: zehn Prozent der neuentdeckten Länder, ewige Regentschaft seiner Nachkommen und den Titel eines Großadmirals. Spanien also war bereit, mit Columbus den Griff in die scheinbare Endlosigkeit der Meere zu wagen.
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7. K a p i t e l DIE WÜRFEL ROLLEN Den Rest schrieb die Weltgeschichte. Nachdem er noch Jahre des Wartens vor fremden Türen zugebracht hatte, nachdem er noch mehrmals mit dem verzagten Gedanken einer neuerlichen Flucht ins Ausland gespielt hatte, stieg endlich der erlösende Tag für Columbus herauf. Im Januar des Jahres 1492 ließ ihn die Königin zum Belagerungsheer nach Granada rufen. Der Fall der Stadt stand unmittelbar bevor. Wie erwartet erschien der letzte Kalif an der Spitze seiner maurischen Edlen barhaupt vor den Thronen der Spanier und bot die Übergabe an. „Das Glück hat Euch Majestäten ein großes blühendes Reich anvertraut", sagte der letzte Maurenherrscher, „macht einen mäßigen Gebraudi von so viel Glück!" Ohne Entgegnung nahm Isabella von Kastilien die Schlüssel der Festung Granada entgegen. Dann forderte sie die jubelnden Ritter von Leon, Aragon und Kastilien auf, mit ihr gemeinsam in die Alhambra einzuziehen. In ihrem Gefolge ritt auch Christoph Columbus. Bald darauf wurde der Vertrag von Tordesillas unterzeidmet, der Columbus die geforderten Rechte zugestand und feierlich verbriefte. Es fanden sich zwei Kapitäne mit Namen Pinzon, die sich an der Expedition beteiligen wollten und ihre Schiffe Nina und Pinta zu Palos ausrüsteten. Christoph Columbus aber kommandierte als Admiral auf der Santa Maria, dem Flaggschiff, welches der Krone Spaniens gehörte. So warfen sie endlich am Freitag, dem 3. August 1492, eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang, die Taue los und segelten bei günstigem Winde westwärts. Das große Abenteuer hatte seinen Anfang genommen. Nachdem sie der Küste Afrikas entlanggefahren waren, steuerte die kleine Flotte die Insel Teneriffa an und lag schließlich an der Küste von Gomera, dem letzten Vorposten, den die Kanarischen Inseln nach Westen ins Weltmeer vorschicken. Am 6. September richtete die Santa Maria, gefolgt von Nina und Pinta, den Kiel nach dem unbekannten Westen. Die zurückbleibenden Spanier verloren die Schiffe bald aus den Augen, die Segel wurden winzig und sanken langsam über die Kimmung hinab, bis endlich Mastspitzen und Flaggen hinter dem wogenden Schwall des Ozeans verschwanden. Columbus war unterwegs in das kühnste Abenteuer der Geschidite.
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Die Santa Maria kehrte niemals zurück. Nachdem die Schiffe nach abenteuerlicher Fahrt am 12. Oktober 1492 tatsächlich das erste Land im Westen des Ozeans erreicht hatten, fanden sie unendliche Inselreiche. Ferne Küsten taten sich auf, Sagen von Gold und Reichtum brodelten wie Gewölk um die Flotte der Spanier. Dann scheiterte das Flaggschiff, der Flottenverband zerfiel. Jene Gier nach schnellem Reichtum, der die kommende Geschichte des neuen Kontinents bestimmen sollte, riß die Freundschaftsbande zwischen Columbus und den Pinzons auseinander. Die größere Pinta versagte dem Admiral den Gehorsam und verließ ihn, um auf eigene Faust zu räubern, zu entdecken, zu raffen. Als Martin Pinzon im Frühjahr 1493 nach stürmischer Rückfahrt an der portugiesischen Küste Anker warf, mußte er hören, daß der Großadmiral der westlichen Meere, Don Christobal Colombo, bereits mit der Nina im Hafen zu Palos lag und die Kunde von der erdbewegenden Entdeckung als erster zurückgebracht hatte. Christoph Columbus hatte das Land Kathai, Zipangu und die Inseln des Wunderlandes Indien entdeckt, so glaubte er. Er sowohl wie die Gelehrten seiner Zeit waren der festen Meinung, die westliche Rundung der Erdkugel ausgemessen und Indien auf dem Westwege erreicht zu haben. Daher nannte man die Inselwelt um San Salvador, Haiti und Cuba Westindien und ihre Bewohner Indianer. D a ß hinter den Küsten, die man erreicht hatte, sich ein mächtiger Erdteil erstreckte und dahinter noch ein Ozean von gewaltiger Größe sich öffnete, das wußte man nicht.
* Anscheinend war das Geheimnis des westlichen Ozeans gelüftet. Die Flotten aller Westvölker richteten die Kiele nach dem neuen „Indien". Die Entdeckungen überstürzten sich. 1497 stieß ein Italiener in englischen Diensten, Giovanni Caboto, auf die Küsten Nordamerikas, im selben Jahre fand Vasco da Gama für die Portugiesen den Seeweg um das Kap der Guten Hoffnung nach Osten und Indien, und 1500 landete Cabral am Festland Südamerikas, in Brasilien. Auf einem der vielen Verbände, die nach Gold und Beute ausfuhren, schiffte sich im gleichen Jahre ein Mann namens Amerigo Vespucci aus Florenz ein und schrieb in vielen gelehrten Briefen davon, was er im Westen erlebt und gesehen hatte. Er war es, der zuerst die Vermutung aussprach, daß man einen neuen Erdteil entdeckt habe. Und weil auch die Deutschen von der Umwälzung der geographischen Begriffe erfaßt und fortgerissen wurden, nach ihrer 30
Art aber die Sache zunächst nur wissenschaftlich zur Kenntnis nahmen, begann man in Deutschland mit der Berichterstattung über diese Westfahrten des Amerigo Vespucci. Der deutsche Buchdrucker Waldseemüller erwarb Amerigos Bücher zum Druck, und alle, die von den neuen Ländern lasen, nannten sie seitdem nur noch den Erdteil des Amerigo, Amerika. Die neue Zeit war angebrochen. Eine „neue Welt" war neben die „alte Welt" getreten und begann mit jünglinghafter Kraft einherzuschreiten.
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