Geisterfänger Band 17
Club der Dämonen von John Blood Sie sind Diener des Satans.
Blutrote Rauchschwaden wallten wi...
11 downloads
494 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Geisterfänger Band 17
Club der Dämonen von John Blood Sie sind Diener des Satans.
Blutrote Rauchschwaden wallten wie dichter Nebel durch eine riesige Höhle. Die glasierten Wände spuckten diffuse Nebelschleier aus, die über den leicht glühenden Boden krochen, sich bald zu wirbelnden Schemen vereinten und durch den großen Raum zu wogen begannen. Ein unheimliches Wispern und Raunen lag in der Luft. Es roch pe netrant nach Schwefel, Moder und Verwesung. Brennende Fackeln rußten an den Wänden und warfen bizarre Schatten, die zuckend durch den Raum geisterten. Die immer greller schimmernden Nebelschleier und die blutroten Rauchschwaden verdichteten sich, begannen sich zu einem wattigen Gebräu zu vereinen. Eine Panflöte spielte eine groteske Tonfolge und steigerte sich in schwindelnde Höhen. Das Echo wurde dumpf von den Höhlenwänden zurückgeworfen. Dann schallte ein Kreischen durch den gigantischen Saal. Es erin nerte an eine alte, seit Jahrhunderten nicht mehr geöffnete, eiserne Tür, an deren Angeln der Rost fraß. Jetzt ertönten harte Trommelwirbel, die sich zu einem tosenden Orkan aufschwangen. Rhythmisch steigerten sie sich zu einem häm mernden Stakkato, das den Höhlenboden erbeben ließ. Ein eisiger Luftzug strich durch den Saal, brachte die Flammen der Fackeln zum Aufflackern. Die disharmonische Musik verstummte plötzlich von einer Sekunde zur anderen. Eine übernatürliche Stille breitete sich aus. Aus den sich vereinten Rauchschwaden und Nebelschleiern form ten sich grauenhafte Dämonengestalten - Geschöpfe der Finsternis, Bestien der Nacht. Stierköpfige Wesen, bucklige Gnoms, seltsame Frauen mit stram men Brüsten und Wolfsköpfen auf den Schultern, Männer mit gespal tenen Zungen, die an Schlangen erinnerten. Über ein Dutzend dieser Ausgeburten der Hölle gaben sich ein Stelldichein. Sie schwebten durch die riesige Höhle und veränderten fortwährend ihre schrecklichen Formen. Jetzt bildeten sie einen Kreis und begannen in einem wirbelnden Reigen zu tanzen. 4
Der Geruch nach Schwefel und Verwesung verstärkte sich immer mehr. In diesem Moment setzte die schrille Musik erneut ein, wurde von dem monotonen Gesang der Dämonen begleitet, die immer noch voller Ekstase tanzten. Plötzlich wichen sie bis zur Höhlenwand zurück, wurden erschreckt durch eine lähmende Stille. Sekunden verstrichen, verloren sich wie Tropfen im unendlichen Meer der Zeit. Wieder war das grelle Kreischen zu vernehmen, als würde eine seit Jahrhunderten verschlossene Tür geöffnet. Schwere Schritte stampften näher. Der schimmernde Boden be gann sich zu wellen, so als würde ein unsichtbarer Riese daher schrei ten. Die dämonischen Wesen hatten sich an den Händen, Klauen oder was für Greifarme sie auch immer besaßen, gefasst. Sie begannen einen klagenden, durch Mark und Bein gehenden Gesang auszustoßen, der sich in die Lüfte schwang. Die rotierenden rot glühenden Augenpaare starrten auf eine Stelle des Bodens, der jetzt eine große Vertiefung auswies. Die Dämonen verneigten sich. Es mischten sich dumpfe Trommelschläge mit den schrillen Stim men, ehe mit einem misstönigen Laut, Musik und Gesang endeten. Aus der Bodenvertiefung wuchs eine schwarze Rauchsäule, die sich verbreitete. Drohend wogten die Rauchmassen, bis sie ungefähr die Höhe von drei Metern erreicht hatten. In dem Rauch begann sich eine schwankende Gestalt abzuzeich nen, deren Konturen immer deutlichere Formen annahmen. Die massige Gestalt eines Mannes schälte sich hervor. Er war ungefähr drei Meter groß und breitschultrig. Ein wuchtiger, haarloser Schädel saß auf einem dünnen Hals. Grüne, fluoreszierende Schuppen bedeckten seinen Körper. Der klaffende Spalt seines riesigen Mundes erinnerte an das Maul eines Fisches. Mitten auf der breiten Stirn saß ein rot glühendes Auge. 5
Percy Collins war fünfunddreißig Jahre alt und Inspektor bei Scotland Yard, strich sich über seine dunkelblonden, leicht gewellten Haare und rekelte seinen sportlichen, durchtrainierten Körper im Sessel. Seine rauchgrauen Augen waren auf seinen Assistenten Jeff Win ter gerichtet, der gerade zur Tür hereingekommen war und sich müde auf einen Stuhl fallen ließ. Jeff streckte die Beine weit von sich. Sein ovales Gesicht war vor Müdigkeit gezeichnet. Dunkle Ränder lagen unter seinen Augen. Er zog eine zerdrückte Zigarettenpackung aus der Tasche seiner Lederjacke und zündete sich einen Glimmstängel an. »Mach es nur nicht so spannend«, knurrte Collins. »Hast du etwas herausbekommen?« Jeff Winter blies beim Rauchen kunstvolle bläuliche Ringe in die Luft, schüttelte dann den Kopf. »Nicht viel, Percy. Alles ist so furchtbar undurchsichtig. Ich stoße überall auf Widerstand.« Percy Collins' Faust hieb auf die blank polierte Platte seines Schreibtisches. Ein leeres Glas sprang klirrend in die Höhe und wäre um ein Haar zu Boden gefallen. Doch mit einer blitzschnellen Reaktion konnte der Inspektor das Glas gerade noch erwischen. »Verstehe ich nicht, Jeff. Verdammt noch mal, ich kapiere es ein fach nicht. Da sind über dreißig Menschen spurlos verschwunden und ihre Angehörigen behaupten einfach, dass sie keine Ahnung hätten, was geschehen sei. Der Chef macht mir die Hölle heiß.« Der Inspektor wuchtete sich aus dem Sessel hoch. Er war unge fähr einsachtzig groß, breit in den Schultern und schmal in den Hüften. Ein leichtes Lächeln legte sich auf seine markanten Gesichtszüge. »Auch einen Drink?«, fragte er seinen Assistenten, der jedoch ab winkte. »Ich brauche einige Stunden Schlaf, Percy, bin jetzt seit mehr als vierundzwanzig Stunden pausenlos unterwegs gewesen. Mein Gott, über dreißig Leute sind verschwunden! Spurlos verschwunden. Nie mand weiß etwas Näheres. Leichen sind auch keine aufgetaucht, noch hatten sich Kidnapper gemeldet.« 8
Jeff Winter zuckte mit den Achseln und fuhr sich durch sein na ckenlanges rötliches Haar. Das Telefon auf Percys Schreibtisch begann zu klingeln. Der In spektor warf dem Apparat einen unwilligen Blick zu, nahm dann, doch den Hörer von der Gabel. »Sicher, Mr. Hubbard«, sagte er. »Nichts... Nein, wir schlafen nicht... Wir sind pausenlos im Einsatz... Gut... Okay, ich komme zu Ihnen. In Ordnung.« Wütend warf der Inspektor den Hörer auf die Gabel zurück. Sein Gesicht hatte sich gerötet. Eine tiefe Falte kerbte seine Stirn. Dann nickte er Jeff zu. »Der Chef will uns sofort sprechen. Los, komm mit. Er scheint au ßer sich zu sein. Verdammt noch mal, er tut gerade so, als wären wir an dem ganzen Schlamassel schuld.« Einige Augenblicke später erreichten sie Glenn Hubbards Büro. Sie klopften an und traten ein. * Hubbard thronte hinter seinem breiten Schreibtisch und rückte seine dunkle Hornbrille zurecht. Dann fuhr er sich über seinen mächtigen Schnurrbart. Sein rundliches Gesicht war gerötet. »Da sind Sie ja endlich«, knurrte er. »Nehmen Sie Platz, meine Herren. Dann möchte ich einen ausführlichen Bericht von Ihnen hören. Ausführlich, habe ich gesagt.« Er faltete beide Hände über seinen ansehnlichen Bauch, schloss die Augen und lehnte sich zurück. Percy Collins begann zu berichten: »Dreißig Bürger von London und Umgebung sind in den letzten drei Wochen spurlos verschwunden. Zuerst glaubten wir an Entführungen, doch das kann es nicht sein, denn sonst hätten sich die Kidnapper schon gemeldet. Auch irgend welche Extremisten scheiden aus. Bei den Entführten handelt es sich um Leute, die in geordneten Verhältnissen lebten.« 9
Glenn Hubbard öffnete ein Auge und blinzelte damit den Inspektor wie ein Uhu an. »Weiter, Inspektor, das ist mir alles bekannt.« Collins schluckte und nahm eine Zigarette, die ihn Jeff Winter her überreichte. »Wir haben die Familien der Verschwundenen aufgesucht. Es gibt einfach keinerlei Hinweise und Spuren. Die verschwundenen Männer und Frauen schrieben weder Abschiedsbriefe, noch haben sie ihren Verwandten oder Freunden mitgeteilt, wohin sie gegangen seien.« Wieder blinzelte Hubbard wie eine Eule über den Brillenrand hin weg. »Aber dreißig Personen können sich doch nicht einfach in Luft auf lösen«, knurrte Glenn Hubbard böse. »Es muss doch Zusammenhänge geben. Vielleicht gehören sie alle irgendeinem Club an, haben gemein same Interessen, aus denen man gewisse Rückschlüsse ziehen könn te.« Percy Collins schüttelte den Kopf. »Nichts, Chef, einfach nichts. Der Jüngste der Verschwundenen ist achtzehn Jahre alt, der Älteste fünfundsiebzig. So und nun bringen Sie das einmal auf einen Nenner.« Collins Stimme klang gereizt. Hubbard griff zu seinem ansehnlichen Pfeifenständer, wählte kurz und begann eine Pfeife zu stopfen. »Die Tochter von Sir Wellington ist verschwunden, meine Herren, mit ihr weitere neun Personen. Die Vermisstenmeldungen erreichten mich heute Vormittag. Jetzt sind insgesamt vierzig Personen ver schwunden. Wie Sie wissen, ist Sir Wellington mit dem Innenminister befreundet. Unser oberster Chef hat mich heute schon gehörig in die Mangel genommen. Er setzte mir eine Frist von achtundvierzig Stun den, um hinter diese mysteriösen Vorfälle zu kommen.« Glenn Hubbard schwieg und zog nervös an seiner qualmenden und übel riechenden Pfeife. Sekundenlang herrschte peinliches Schweigen. Nur der leicht schnaufende Atem der Männer war zu vernehmen. 10
Dann begann Inspektor Collins trocken zu fluchen. Er drückte sei ne halbgerauchte Zigarette im Aschenbecher aus und erhob sich schwerfällig. »Geben Sie mir die Liste der verschwundenen Personen. Vielleicht können wir diesmal etwas entdecken, was von Wichtigkeit sein könn te.« Hubbard reichte die Liste dem Inspektor, der sie kurz überflog und dann an Jeff Winter weitergab. »Dorothy Wellington«, überlegte er dann laut. »Ich glaube, schon von dem Girl gehört zu haben. Versuchte sie sich nicht beim Film oder beim Theater?« Glenn Hubbard nickte und sog an seiner stinkenden Pfeife. Percy rang förmlich nach Luft, als ihn die Rauchwolke traf. »Klappte aber nicht. Sie ist zwar bildschön, doch das genügt nicht immer beim Film. Sie bekam zwar einige kleinere Rollen, doch den Durchbruch schaffte sie nie.« »Vielleicht versucht sie sich jetzt dadurch Publicity zu verschaf fen?« Collins' Vorgesetzter kaute ärgerlich auf seiner Pfeife herum und legte sie dann auf die Pfeifenständer zurück. »Könnte sein, Collins. Klemmt euch hinter diese Angelegenheit und versucht alles, um diesen Fall zu lösen. Wenn es erst die Presse spitz bekommt, dass wir diesen Fällen hilflos gegenüberstehen, dann werden sie uns fertigmachen.« Collins und Winter gingen zur Tür. »Hals- und Beinbruch, Jungs«, rief Hubbard hinter ihnen her. »Und meldet euch bald wieder.« Jeff Winter konnte die Augen kaum noch offen halten. Er gähnte und riss den Mund dabei so weit auf, als wollte er ein ganzes Dutzend Fliegen verschlucken. »Geh schlafen, Jeff«, murmelte Percy Collins. »Ich mach mich al lein auf die Socken. Aber halte dich bereit. Verdammt noch mal, nächste Woche wollte ich in Urlaub gehen. Wird wohl jetzt nichts dar aus.« 11
*
Als sich die Tür öffnete, ließ Charles Tatcher ein Blatt Papier in seiner Schreibtischschublade verschwinden. Verlegen lächelte er seiner Toch ter zu, die näher trat und ihren Vater fragend ansah. »Du könntest auch anklopfen, Mary«, sagte er dann vorwurfsvoll und hielt dem jungen Mädchen seine Wange hin. Mary Tatcher war siebzehn Jahre alt, trug knapp sitzende Jeans und eine rote Bluse, die sich stramm um ihre kleinen Brüste schmieg te. Ihr dunkles Haar fiel bis auf die Schultern und umschmeichelte ihr junges, frisches Gesicht. Sie gab ihrem Vater einen schmatzenden Kuss, trat zurück und zog eine Augenbraue hoch. »Du hast wohl Geheimnisse, was?«, lächelte sie. »Du wirst doch nicht heimlich Pornohefte lesen?« Das Gesicht ihres Vaters rötete sich ärgerlich. »Unsinn«, knurrte er gereizt. »Es gehört sich, anzuklopfen, wenn man ein Zimmer betritt. Was hast du auf dem Herzen?«, wechselte er abrupt das Thema. »Ich wollte dir nur Tschüß sagen«, antwortete Mary. »Ich gehe mit Jill ins Kino. Bis gegen zweiundzwanzig Uhr bin ich wieder zurück. Willst du auch ausgehen?«, fragte sie und musterte ihren Vater ge nauer. »Du hast wohl eine neue Freundin?« Sie lächelte. »Wird ja auch langsam Zeit, dass du wieder unter Menschen gehst. Seit Mutters Tod vor fünf Jahren bist du kaum noch aus dem Haus gekommen.« Charles Tatcher nickte. »Ich habe noch etwas Geschäftliches zu erledigen. Ein größerer Abschluss und den bespricht man am besten bei einem guten Essen und einem Whisky.« »Dann bis später, Dad«, rief das junge Mädchen und lief mit we henden Haaren zur Tür. »Lass es dir nicht langweilig werden.« An der Tür hielt sie nochmals inne. »Vielleicht könntest du mich bis zu Jill mit dem Auto mitnehmen. Es regnet und ich bin doch erst gestern beim Friseur gewesen.« 12
Fast hatte er den Eindruck, als würde der Vogel auf die silberne Sichel des Mondes zufliegen. Charles Tatcher fröstelte. Er fühlte eine eisige Hand seinen Rücken entlang streichen. Seine Zähne schlugen wie bei starkem Fieber oder Frost klappernd aufeinan der. Heftig schüttelte er den Kopf und zog sich Schritt für Schritt zu seinem Wagen zurück, während er unverwandt auf das düstere Haus starrte. Das Licht war noch immer da, es fiel schräge aus dem Fenster in den Vorhof. Nachdem er eine Zeitlang stehen geblieben war, ging er zögernd auf das verfallene Haus zu, dabei ließ er es keine Sekunde lang aus den Augen. Ein Lächeln lag plötzlich auf seinem Gesicht. Alle Angst und Furcht schien von Charles Tatcher abgefallen zu sein. Bald hatte er den Eingang erreicht. Noch wusste er nicht, dass ihn dort das Grauen erwartete. * »Nun beruhigen Sie sich, Sir«, sagte Percy Collins besänftigend. Doch diese Worte schienen Sir Wellington noch gereizter zu ma chen. Seine dunklen Augen funkelten den Inspektor böse an. »Sie haben gut reden, junger Mann«, knurrte er. »Es ist ja auch nicht Ihre Tochter, die verschwunden ist.« Percy Collins holte tief Luft und wollte sich eine Zigarette anzün den. Doch als er den verweisenden Blick von Sir Wellington sah, steck te er sie wieder in die Packung zurück. »Lassen Sie mich zusammenfassen, Sir«, fuhr der Inspektor fort. »Ihre Tochter war bis gegen zwanzig Uhr zu Hause und wollte dann noch fernsehen. Sie selbst haben sich schlafen gelegt. Am nächsten Tag war Ihre Tochter verschwunden.« Sir Wellington nickte. 15
Charles Tatcher starrte zu der steilen Treppe hinüber, die keinen vertrauenerweckenden Eindruck machte. Er blieb davor stehen und spähte nach oben. Ob ich hier überhaupt richtig bin?, überlegte er und suchte in sei ner Tasche nach dem Schreiben. Er stieß einen herzhaften Fluch aus, als ihm einfiel, dass er die Einladung bei Marys Eintreten in das Zim mer schnell in die Schreibtischschublade geschoben hatte. Doch er musste am richtigen Ort sein. Sehr genau hatte er sieh al les eingeprägt, was in der Einladung gestanden hatte. Er vernahm Geräusche aus dem oberen Stockwerk, so als würde jemand ungeduldig auf und ab gehen. Charles Tatcher war kein Feigling, hatte schon immer seinen Mann gestanden. Außerdem wusste er, dass diese Einladung nichts für Angsthasen war. Er stieg langsam die knarrenden Treppenstufen empor. Eine Spin ne hing am seidenen Faden von der Decke. Charles Tatcher duckte sich angeekelt. Wieder knarrten die Treppenstufen verräterisch. Von oben drang kein Geräusch mehr herunter, es war verstummt. Es schien, als befände sich Tatcher allein in dem alten und zerfal lenen Haus. Jetzt hatte er die letzte Treppenstufe erreicht. Zögernd blieb Charles Tatcher stehen. Wieder begann sein Herz hart gegen die Rip pen zu schlagen. Er erblickte eine verschlossene Tür, durch deren Ritzen Lichtschein fiel. Charles Tatcher trat zögernd näher. Er drückte gegen die Tür, die knarrend zurückwich. Der Schein ei ner flackernden Fackel tauchte sein bleiches Gesicht in grelles Licht. Charles schloss geblendet die Augen. Mit maskenstarrem Gesicht trat er in den erleuchteten Raum und schaute sich dann nach allen Seiten suchend um. * 18
Das Zimmer war leer. Durch die zerbrochenen Fensterscheiben pfiff der Wind herein und jaulte eine schaurige Melodie. Der Mann starrte nachdenklich vor sich hin. Plötzlich vernahm er ein Rascheln hinter sich. Blitzschnell drehte er sich um. Vor ihm stand ein kleiner Mann, der hinter der geöffneten Tür hervorgetreten sein musste. Der Fremde war höchstens einssechzig groß, hatte einen kahlen Schädel und große blitzende Augen, die Charles aus irgendeinem Grunde an einen feuerspeienden Vulkan erinnerten. Der kleine Mann trug einen schwarzen wallenden Mantel, der bis auf den staubigen Boden reichte. »Willkommen«, klang seine heisere Stimme auf. »Willkommen hier bei uns! Lassen Sie sich von der gespenstischen Umgebung nicht beeindrucken, die gehört nun einmal dazu. Bestimmt haben Sie auch nichts anderes erwartet.« Der Kleine kicherte und rieb seine skelettförmigen Finger ineinan der. Charles Tatcher nickte befangen, war nicht fähig, einen Ton her vor zu bekommen, seine Kehle war wie zugeschnürt. Er schluckte mehrmals. »Willkommen im Club der Dämonen, Mister. Noch können Sie um kehren und alles vergessen. Sie sind aus freien Stücken unserer Einla dung gefolgt, da Sie sich für Schwarze Magie und ähnliche unheimliche Dinge interessieren. Wir haben etwas ganz Besonderes auf diesem Gebiet zu bieten. Dafür verlangen wir aber auch einen horrenden Bei trag, aber das wissen Sie ja bereits.« Der Mann im wallenden Mantel lächelte tückisch. Er zeigte eine Reihe spitzer Zähne dabei. Seine glühenden Augen begannen boshaft zu funkeln. Langsam verließ Charles Tatcher die panische Furcht, die ihn in den letzten Minuten gnadenlos in den Krallen gehalten hatte. Er versuchte zu lächeln, doch es wurde nur eine verzerrte Grimas se daraus. 19
»Ich weiß auch nicht, was das zu bedeuten hat«, murmelte sie. »C.d.D. Nie gehört, Inspektor.« »Darf ich das Buch behalten?«, erkundigte sich Percy und nagte an seiner Unterlippe. »Sicher, Inspektor. Von mir aus. Vielleicht hilft es Ihnen weiter. Ich hoffe es wenigstens.« »Kam Ihnen Ihr Vater vor drei Tagen irgendwie verändert vor? War er anders als sonst? Nervös, gereizt?« Mary überlegte. Sie wollte schon eine ablehnende Antwort geben, als sie zusammenzuckte. »Eine Kleinigkeit ist mir aufgefallen«, gestand sie nach kurzem Zö gern. »Ja, er war irgendwie anders, irgendwie nervös. Ich erinnere mich, dass ich ohne anzuklopfen ins Zimmer stürzte. Ich muss ihn ge stört haben, denn er ließ etwas blitzschnell in seiner Schreibtisch schublade verschwinden.« Percy Collins hob interessiert den Blick. »Was ist es gewesen?« Mary Tatcher zuckte mit den Achseln. »Ein Blatt Papier oder so etwas Ähnliches. Ich habe mich nicht darum gekümmert, Inspektor.« »Sie sagten, er habe es in der Schublade verschwinden lassen? Darf ich nachschauen?« Mary runzelte die Stirn. »Ist das wirklich nötig?« Sie war verstimmt. »Sie sollen Dad finden und nicht in seiner Schreibtischschublade herumkramen. Er würde es bestimmt nicht wollen. Percy Collins blieb gelassen. »Sie wollen doch, dass ich Ihren Vater finde? Na, also, Miss Tat cher. Und jetzt lassen Sie mich mal nachsehen.« Der Inspektor öffnete die Schublade. Ganz oben lag ein beschrie benes Stück Papier. »Das ist es«, sagte Mary und trat neugierig näher. Percy Collins begann zu lesen:
Sehr geehrter Mr. Tatcher! 23
Der bodenlose Sturz ging plötzlich in ein sanftes Schweben über. In der tintigen Dunkelheit begannen einige helle Lichter zu glimmen, die wie Glühwürmchen hin und her gaukelten. Charles Tatcher spürte Boden unter seinen Füßen. Er taumelte ei nige Schritte, ehe er sich unter Kontrolle bekam. Er befand sich in einem großen Raum. Die Helligkeit schien den Wänden zu entströmen. Der Raum war leer. Tatcher konnte nicht ein mal Türen entdecken. Charles sah sich verblüfft nach allen Seiten um. Sein fliegender Atem beruhigte sich. Seine anfängliche Furcht schlug in Neugierde um. Plötzlich erschallte eine dumpfe Stimme, die ihm kalte Schauer über den Rücken trieb. »Willkommen im Club der Dämonen. Wir haben dich in den letzten Minuten getestet und für würdig befunden, in unseren Reihen aufge nommen zu werden. Fühle dich bei uns wie zu Hause. Durchquere das Zimmer! Eine Geheimtür wird sich öffnen. Alles Weitere wirst du se hen.« Die Stimme verstummte. Charles Tatcher lächelte. Langsam begann ihm die Angelegenheit zu gefallen. Außerdem durfte er für seine tausend Pfund auch einiges erwarten. Schon seit geraumer Zeit hatte er sich mit Schwarzer Magie und Zauberei beschäftigt, bis er durch Zufall an die Adresse dieses Clubs gekommen war. Hier würden sich seine kühnsten Träume und Erwartungen erfül len. Er versprach sich eine anregende Abwechslung und hoffte so dem täglichen Trott für einige Zeit zu entgehen. Natürlich war alles ein wenig übertrieben, fand er. Und beinahe wäre es dem Unbekannten gelungen, ihm Furcht und Schrecken einzu jagen. Doch dies schien alles zu diesem Spiel zu gehören. So dachte Charles Tatcher. Er hatte keine Ahnung, wie sehr er sich irrte. Aus dem Spiel würde bald tödlicher Ernst werden. Er durchquerte das Zimmer. Als er nur noch wenige Schritte von der Wand entfernt war, öffnete sich plötzlich eine Tür, die in einen düsteren Gang führte. 26
Dumpf hallten Tatchers Schritte auf den großen Steinfliesen. Die felsigen Wände strahlten Kälte aus. Kleine Wasserbäche si ckerten zu Boden. Wieder legte sich ein beklemmendes Gefühl auf seine Brust. Doch er gab es sich selbst nicht zu, lief einfach tapfer weiter. Einmal glaubte er ein höhnisches Gelächter zu vernehmen, doch Tatcher war sich nicht ganz sicher. Vielleicht hatten ihm auch seine überreizten Nerven einen Streich gespielt. Der Gang endete vor einem großen steinernen Portal. Zwei große Statuen standen davor. Sie erinnerten ihn an griechische Standbilder, doch statt der Köpfe trugen sie verzerrte Dämonenfratzen, die finster auf ihn nieder starr ten. Knarrend wich die Tür zurück. Ein eisiger Luftzug traf Charles Tatcher, ließ ihn fröstelnd zusam menzucken. Verwesungsgeruch schlug ihm entgegen. Er schnappte nach Luft. Doch dann trat er entschlossen durch das Portal. Der Raum war genauso riesengroß wie der vorherige. Den Mittel punkt bildete ein Springbrunnen, der meterhohe Fontänen aufwarf. Er wurde von einigen unsichtbaren Strahlern angeleuchtet, die in schnel lem Rhythmus die Farben wechselten. Charles verhielt den Schritt. Rings um den Brunnen herum standen ungefähr dreißig Statuen, Frauen und Männer, Jünglinge und junge Mädchen. Tatcher trat staunend näher. Er verstand zwar nicht viel von der bildhaften Kunst, doch so viel erkannte er, dass diese Statuen von einem großen Künstler geschaffen worden waren. Sie wirkten wie echt. Jedes noch so geringe Detail an den Körpern und den Gesichtern war hervorragend herausgemeißelt. Es schien fast so, als würden die Standbilder leben. Der große Raum wurde plötzlich von einem unwirklichen Gesang erfüllt, der an Sphärenklänge erinnerte. Die sanfte Musik umschmei 27
chelte Tatcher, entspannte seine Gesichtszüge und machte sie wei cher. Er trat bis an den Brunnenrand heran, ließ sich von der Farbskala der sprudelnden Fontänen verzaubern. Plötzlich vernahm er Schritte hinter sich. Charles Tatcher drehte sich um, zwei bildschöne Frauen kamen auf ihn zu. Ihre formvollendeten Körper wurden nur durch zarte Schleier ver hüllt, die mehr zeigten, als sie verbargen. Ihre langen Haare reichten fast bis auf den Boden. Auf ihren klassisch geformten Gesichtern lag ein freundliches Lächeln. Charles kratzte sich staunend am Haaransatz. Ihm gefiel der An blick. Lächelnd schaute er den Schönen entgegen. »He, das ist wohl das Empfangskomitee«, murmelte er und fuhr sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen. »Ob das wohl mir gelten soll?« Die wie griechische Göttinnen aussehenden Frauen blieben dicht vor Tatcher stehen und verneigten sich anmutig. Seine Blicke saugten sich an den Hügeln ihrer Brüste fest, während er etwas Ähnliches wie eine Verbeugung andeutete. »Willkommen«, klang die klare Stimme einer der beiden Frauen auf. »Willkommen bei uns. Wir werden dich in den nächsten Stunden betreuen und deine Dienerinnen sein. Du hast jeden Wunsch frei. In wenigen Stunden beginnt die Dämonenparty, zu der wir noch andere Gäste erwarten. Wir hoffen, dass dir unsere Gesellschaft zusagen wird.« Wieder verneigten sich die beiden schönen Frauen. Charles Tat cher konnte keinen Blick von ihnen nehmen. Wie gebannt starrte er sie an. Sein Ausflug in den Club der Dämonen begann ihm immer mehr Spaß zu machen. * 28
Leichter Nebel lag auf den Wiesen und hing wie wattiges Gebräu auf Büschen und Bäumen. Der Himmel war bewölkt. Es sah nach Re gen aus. Inspektor Collins und sein Assistent kletterten einen kleinen Hügel empor und verbargen sich zwischen dem dichten Buschwerk. Fünfhundert Yards entfernt konnten sie ein halbzerfallenes Haus erblicken, das düster aus den wogenden Nebelmassen hervorragte. »Das Haus muss der Treffpunkt sein«, knarrte Collins Stimme. »Ich bin ganz sicher.« Percy hielt ein starkes Fernglas vor die Augen. Das verfallene Ge bäude lag greifbar nahe vor ihm. Doch so sehr er sich auch anstreng te, es gelang ihm nicht, irgendein Lebenszeichen dort drüben zu ent decken. »Nichts«, bemerkte er enttäuscht und reichte das Fernglas an Winter weiter. Doch er konnte auch nichts entdecken. Verlassen lag die Ruine vor seinen Blicken. »Was machen wir jetzt?«, fragte Jeff und sah seinen Vorgesetzten fragend an. »Wenn wir rüber gehen, könnten wir Verdacht erregen. Dann würde man den Treffpunkt bestimmt verlegen und wir müssten wieder von vorn anfangen.« Percy Collins grinste. In seinen rauchgrauen Augen lag ein spötti sches Funkeln. »Der gute Percy hat da eine Idee. Komm nur mit, mein Junge. Ich habe schon alles vorbereitet.« Sie gingen zum Bentley zurück. Collins öffnete den Kofferraum deckel und deutete auf einen Haufen alter Kleidungsstücke, die darin verstreut lagen. Auch Jeff begann zu grinsen. »Wir verkleiden uns als Landstreicher, nicht wahr?« »Sicher, so werden wir nicht auffallen. Zwei Tramps, die sich ei nen Unterschlupf in einem halbzerfallenen Gebäude suchen, können kaum Verdacht erregen.« 31
Die beiden Detektive streiften sich die zerlumpten und zerrissenen Kleidungsstücke über. Sie zerwühlten ihre Haare, stülpten alte ver gammelte Hüte darauf und schmierten sich Erde in die Gesichter. »Prächtig siehst du aus, Percy«, lachte Jeff Winter. »Hoffentlich laufen wir keiner Polizeistreife in die Hände, denn sonst sind wir dran, alter Junge.« Collins lächelte verschmitzt und holte eine Zweiliterflasche Rotwein heraus. Er nahm einen Schluck und spuckte das Zeug wieder ange ekelt aus. »Schmeckt scheußlich«, knurrte er. »Gar nicht mit einem erstklas sigen Scotch zu vergleichen.« Er schüttelte die Hälfte des Rotweines in das Gras, packte die Fla sche am Hals und torkelte los. Dabei begann er lautstark ein Lied zu singen. »So müsste dich Hubbard sehen«, rief ihm Jeff noch hinterher, setzte sich dann ebenfalls taumelnd in Bewegung und hakte sich schließlich bei Percy unter. Schwankend umquerten sie den kleinen Hügel und hielten auf das halbzerfallene Haus zu. Jetzt sangen sie alle beide. Der Lärm war nicht zu überhören. Einige Vögel schreckten aus den Büschen hoch und ergriffen piep send das Weite. Die beiden Detektive spielten ihre Rolle gut. Man hätte sie wirklich für zwei Penner halten können, die betrunken durch diese Einöde stol perten. Auf diese Weise näherten sie sich der Ruine. Der Himmel harte sich stark bewölkt. Regentropfen klatschten den beiden Männern von Scotland Yard in die Gesichter. Collins begann lästerlich zu fluchen, warf einen protestierenden Blick nach oben und deutete dann zu dem verfallenen Haus hinüber. Jeff Winter krähte seine Zustimmung und die beiden Pennbrüder torkelten auf das zerfallene Gebäude zu. Groß und wuchtig wuchs das düstere Gemäuer vor ihnen auf. * 32
Charles Tatchers Laune hatte sich in den letzten Stunden schlagartig gebessert. Er beglückwünschte sich immer wieder zu seinem Ent schluss, dem Club der Dämonen beigetreten zu sein. Die beiden schönen Frauen hatten ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Jetzt ruhte der glückliche Mann auf einer großen Liege und starrte auf die tanzenden Fontänen, die immer wieder die Farben wechselten und ein prächtiges Schauspiel boten. Tatcher trug einen wallenden Umhang aus weißer Seide, der bis auf den Boden reichte. Auch er sah einem Griechen aus der Antike ähnlich. Und so ungefähr fühlte sich Charles Tatcher auch. Er nahm noch einen Schluck von dem blutroten Wein, der wie flüssiges Feuer durch seinen Körper rann und den er bereits in jeder Faser seiner Glieder spürte. Charles Tatcher fühlte sich beschwingt, so wie er sich schon seit Jahren nicht mehr gefühlt hatte. Er blinzelte zu den Statuen hinüber, die auf meterhohen Podesten standen und dem großen Raum einen fast majestätischen Anstrich gaben. Aus unerfindlichen Gründen zuckte er zusammen, als die beiden schönen Frauen plötzlich wie aus dem Nichts auftauchten und freund lich lächelnd auf ihn zuschritten. Tatcher erhob sich. Das wallende Gewand umschmiegte seinen Körper. Charles blickte den beiden Schönen erwartungsvoll entgegen. Zwei Meter vor ihm blieben sie stehen und verneigten sich. Die sanfte Musik, die Charles in den letzten Sekunden umschmeichelt hat te, verstummte plötzlich. »Was ist los?« Charles Tatcher blickte die beiden schönen Frauen fragend an. »Folge uns«, bat eine lächelnd. »Wir bringen dich jetzt zu unse rem Herrn und Meister. Du sollst in unseren Bund aufgenommen wer den und Mitglied im Club der Dämonen werden.« Tatcher nickte zustimmend. 33
Es ist doch alles nur ein Trick oder billiges Machwerk, versuchte Tatcher sich zu beruhigen. Was habe ich denn anderes erwartet, ja, sogar erhofft? Er fand für einen kurzen Augenblick sein Gleichgewicht wieder und war gespannt, wie es weitergehen würde. Tausend Pfund Sterling ha be ich bezahlt, dachte er. Dafür müssen die Leute auch schon etwas
bieten.
Plötzlich strich ein eisiger Luftzug durch den Raum, Die Kerzen und Fackeln flackerten auf. Ein Raunen und Wispern schwängerte die Luft. Stampfende Schritte näherten sich unaufhaltsam, die Erde erbeb te. Wie auf ein geheimes Kommando hin hoben alle die Köpfe. Sie sahen einen Mann eintreten von ungefähr zwei Meter Größe, um des sen mächtige Schultern ein blutroter Umhang gelegt war. In dem überdimensionalen Kopf funkelten zwei kleine Augen, mit denen er die versammelte Menge überflog, dann richtete er sie auf den Altartisch, dessen sanftes Glühen sich zu einem feurigen Brennen verstärkt hatte. Der Mann im blutroten Umhang trat zum Opfertisch und verbeug te sich. Seine wulstigen Lippen verzogen sich zu einem kalten Lächeln. Das Glühen erlosch. Schwarz und kalt glich der Tisch jetzt einem toten Basaltklotz. Der Dämonenpriester, oder wie immer er sich nennen mochte, richtete sich jetzt zur vollen Größe auf. Weit breitete er beide Arme auseinander. Monotone, nicht verständliche Worte drangen aus seinem Mund. Er blätterte eine Seite weiter in dem alten Buch. Wieder klang seine Stimme auf, die jetzt einen beschwörenden Unterton angenommen hatte. Nach einigen Minuten wandte er sich den zehn Menschen zu, die sich wie unter einem inneren Zwang erhoben hatten. Wieder saß Charles Tatcher die höllische Angst im Nacken. Er zit terte am ganzen Körper. 36
*
Percy Collins und Jeff Winter hatten das halbzerfallene Haus erreicht. Sie stolperten über Balken und Steine, scheuchten einige Ratten auf und befanden sich dann kurz vor der zerborstenen Tür, die schief in den Angeln hing. »Komm, Brüderchen«, lallte der Inspektor und setzte die Rotwein flasche an den Mund. Er nahm einen kräftigen Schluck, hatte alle Mü he, sein Gesicht unter Kontrolle zu halten und reichte sie dann Jeff. Der griff aber so ungeschickt hin, dass die Flasche aus seinen Fin gern glitt und am Boden zerschellte. Jeff begann zu jammern, während er von Collins' einige üble Be merkungen einstecken musste. Doch insgeheim war jeder froh, dass er von dem Zeugs nichts mehr trinken musste. Die beiden Männer taumelten durch die Tür und überflogen den leeren Raum, der nur so vor Unrat starrte. »Hier - hier - ist - es - zu - unge... ungemütlich«, lallte Percy. »Ge... gehen wir - nach - oben. Viel... leicht finden - wir - ein Plätz chen, wo - wir uns - aus... ausruhen - können.« Sie schwankten auf die wenig vertrauen erweckende Treppe zu. Staub wirbelte auf. Collins glaubte Fußspuren zu erkennen, die nach oben führten. Sich gegenseitig helfend, gelang es ihnen nach einiger Zeit, die Treppe zu erklimmen. Sie spielten ihre Rolle so gut, dass ein außen stehender Beobachter bestimmt darauf hereingefallen wäre. Doch sie stellten bald fest, dass das Haus leer war, obwohl sie jeden Winkel durchsucht hatten. Jeff Winter wäre beinahe von einem herabstürzenden Balken erschlagen worden. Nach einer guten Stunde verließen sie die Ruine und torkelten zum Auto zurück. Erst als sie außer Sichtweite des Hauses waren, lie ßen sie ihre Tarnung fallen. »Schöner Mist«, knurrte Jeff Winter. »Ein Reinfall. In dem Haus ist niemand. Vielleicht sollte uns der Brief nur täuschen.« Inspektor Collins schüttelte den Kopf, während er die zerlumpten Kleidungsstücke abstreifte. 37
»Irgend jemand ist im Haus gewesen«, sagte er nachdenklich. »Ich konnte Fußspuren feststellen. Doch sonst ist alles Fehlanzeige gewesen.« Sein Assistent grinste. »Willst du deinen prachtvollen Hut nicht auch abnehmen?«, fragte er. »Außerdem riechst du zehn Meilen gegen den Wind nach billigem Rotwein. Hättest ja auch ein besseres Tröpfchen kaufen können. Dann hätte die Sache noch mehr Spaß gemacht.« Mit einer mechanischen Handbewegung nahm Percy Collins den alten Schlapphut vom Kopf und warf ihn in den Kofferraum zu den übrigen Sachen. »Ich fahre in die Stadt, Jeff«, entschied er dann. »Du bleibst hier auf dem Posten. Könnte ja sein, dass irgendeiner auftaucht, der sich für das verfallene Haus interessiert. In spätestens zwei Stunden bin ich wieder zurück.« »Okay«, antwortete Winter. »Ich verziehe mich dort zwischen die Sträucher. Bleib nur nicht so lange weg, alter Junge! Du weißt doch, dass ich immer jemanden brauche, der mir das Patschhändchen hält.« Collins stieg grinsend in seinen Wagen, wendete und fuhr schnell davon. * »Willkommen, Freunde, hier im Club der Dämonen«, sprach der Dä monenbeschwörer im blutroten Mantel und senkte seine Arme. Seine Blicke bohrten sich in die Augen der Versammelten, die den Mann er wartungsvoll anstarrten. »Ihr seid alle für würdig befunden, in unsere Gemeinschaft eintre ten zu dürfen. Aus diesem Grunde haben wir uns hier getroffen. Die Verträge sind vorbereitet. Ihr werdet sie jetzt der Reihe nach mit eu rem eigenen Blut unterschreiben.« Die donnernde Stimme verhallte. Charles Tatcher wollte sich dazu äußern, doch kein Ton kam aus seiner Kehle. Seine Zunge schien wie gelähmt. Es gelang ihm nicht einmal, den Blick von dem Mann im wallenden Umhang zu nehmen. 38
»Raymond Dragon!« Ein Mann drängte sich aus der Reihe der Wartenden und trat mit roboterhaften Bewegungen vor zum Opfertisch. Von seitwärts schob sich eine Frau heran. Ihr langes rotes Haar reichte ihr fast bis zu den Hüften. Sie war in ein durchsichtiges Ge wand gekleidet. In der Hand hielt sie einen Dolch, der im Licht der vielen Kerzen funkelte und glitzerte. Raymond Dragon streckte seinen linken Arm vor. Die Frau packte ihn und ritzte die Haut mit dem Dolch. Einige Blutstropfen sickerten hervor. Der Mann im blutroten Mantel tauchte eine Feder hinein und gab sie Dragon in die andere Hand. Er deutete auf ein Blatt Papier, das auf dem Altar lag. »Unterschreibe!« Raymond Dragon zögerte keine Sekunde. Er setzte einen Namen auf das Papier. »Dorothy Wellington!« Eine junge Frau kam zögernd nach vorn. Tatcher glaubte, sie schon einmal gesehen zu haben, doch wo, wollte ihm beim besten Willen nicht einfallen. Die gleiche Prozedur wiederholte sich. Auch Dorothy Wellington unterschrieb mit ihrem eigenen Blut. Nach und nach wurden alle Anwesenden aufgerufen. Tatcher war der letzte von ihnen. Wie in Trance ging er zum Altar vor. Die kleine Schnittwunde, die ihm der Dolch verursacht hatte, spürte er kaum. Er starrte auf das Blatt Papier und versuchte die Buchstaben zu entziffern. Es gelang ihm nicht. Immer wieder verschwanden sie vor seinen Augen, verwandelten sie sich in winzige Skelette, die ihn grinsend ansahen. Charles Tatcher unterschrieb. Ihm war, als würde seine Hand von einem fremden starken Willen gelenkt. 39
Er ließ die Feder sinken. Wieder verschwamm für den Bruchteil ei ner Sekunde alles vor seinen Augen. Er taumelte einige Schritte zurück. Neben sich spürte er den heißen Atem des gewaltigen Mannes mit dem blutroten Mantel. Ein übler Geruch stieg Tatcher in die Nase. Sein Magen krampfte sich zusammen. Er würgte und glaubte zu ersticken. Verwirrt blickte er hoch und starrte genau in die funkelnden Au gen des Dämonenbeschwörers. Er glaubte, direkt in die Hölle zu sehen, keine Sekunde länger ver mochte er diesem Blick standzuhalten. Tatcher taumelte zurück mit geschlossenen Augen und stellte sich in eine Reihe mit seinen wartenden Gefährten und Gefährtinnen. Eine erdrückende Stille lag über den versammelten Menschen. Sie spürten das Unheimliche dieser Situation. »Ich bin Gigantus, euer Herr und Meister«, verkündete der Mann im blutroten Mantel. »Ihr habt euch verpflichtet, mir zu dienen. Eure Seelen gehören mir. Vergesst es nicht, denkt immer daran!« Er breitete wieder beide Arme aus, verweilte so einige Augenblicke und trat dann vom Altar zurück. Dann ging er mit gleitenden Schritten davon und war gleich darauf spurlos verschwunden. Nur langsam legte sich die Beklemmung, die über allen lag. Sie sa hen sich an, verwirrt und auch beschämt. Dorothy Wellington, die neben Charles Tatcher stand, versuchte zu lächeln, doch es wurde nur eine verzerrte Grimasse daraus. Tatcher erging es nicht viel anders. Er räusperte sich und nickte der hübschen Frau zu. »Die bieten wirklich etwas für unser Geld«, stellte er fest. Seine Stimme kam ihm fremd vor. »Toll, hätte ich überhaupt nicht erwar tet.« Ein anderer Mann gesellte sich zu ihnen. Tatcher versuchte sich an seinen Namen zu erinnern, doch es ge lang ihm nicht. »Sagenhaft«, lächelte der Mann. »Nun sind wir also Mitglieder im Club der Dämonen. Wir haben es geschafft. Wir gehören zu den weni 40
gen Auserkorenen, denen es gelungen ist, in diesem exklusiven Club Mitglied zu werden.« Er strahlte über sein rundliches Gesicht und blickte Charles Tat cher und Dorothy Wellington beifallheischend an. Charles nickte. »Ausgezeichnet. Fürs erste war es wirklich große Klasse. Doch was wird nun aus uns? Bringt man uns wieder zurück? Wann soll die nächste Zusammenkunft sein?« Einige andere Männer und Frauen, die eine kleine Gruppe gebildet hatten, zuckten ratlos mit den Achseln. »Keine Ahnung«, antwortete einer. Er schien besorgt zu sein. »Ich hoffe nur, dass man uns schnell zurückbringt, denn ich habe morgen einen wichtigen Termin, den ich nicht verschieben kann.« Auch andere hatten ähnliche Probleme. Sie sahen sich fragend an. Von ihrer Ungewissheit sollten sie bald erlöst werden. Zehn Frauen in durchscheinenden Schleiergewändern traten aus einer Tür und kamen auf die Versammelten zu. Sie verneigten sich anmutig vor ihnen. Eine der Schönen trat vor. »Sie verbringen den Rest der Nacht bei uns und werden morgen nach London zurückgebracht. Bitte folgen Sie uns. Wir begleiten Sie in Ihre Zimmer. Sollten Sie noch irgendwelche Wünsche haben, dann wenden Sie sich bitte an Ihre jeweilige Begleiterin.« Charles Tatcher wollte protestieren, doch wieder war eine Sperre in ihm. Er bekam einfach keinen Ton heraus, obwohl er sich verzwei felt bemühte. Widerstandslos folgte er einer der Frauen. Seine Glieder wurden schwer von einer lähmenden Müdigkeit. Er strich sich über die Augen, starrte dabei auf die kleine Verletzung an seinem Handgelenk, wo ihn der Dolch geritzt hatte. Einige Blutstropfen hatten sich verkrustet. Er fühlte einen leichten Schmerz durch seinen Körper ziehen. 41
»Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nachtruhe«, säuselte seine schöne Begleiterin, zärtlich dabei lächelnd und verneigte sich. »Haben Sie noch irgendwelche Wünsche?« Charles Tatcher schüttelte den Kopf und trat in das erleuchtete Zimmer. Kerzen zuckten an den Wänden. Er sah ein breites Bett und einige andere Einrichtungsgegenstände. Überwältigt von Schläfrigkeit gähnte er. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss. Tatcher war allein. Beunruhigt stolperte er zur Tür zurück und versuchte sie zu öff nen. Es gelang ihm nicht. Eine Unmutsfalte kerbte seine Stirn. Er begann gegen die Tür zu hämmern, doch niemand erschien, obwohl das Dröhnen seiner Schläge bestimmt nicht zu überhören war. Ihm steckte es wie Blei in den Gliedern. Er strauchelte zum Bett, ließ sich darauf fallen und schloss erschöpft die Augen. Als er sie nach wenigen Augenblicken wieder öffnete, umgab ihn Dunkelheit. Die Kerzen an den Wänden waren verlöscht. Ein süßlicher Duft lag in der Luft. Plötzlich sah er den dämonischen Blick des Gigantus auf sich ru hen. Ein höhnisches Lächeln lag auf seinen wulstigen Lippen. Tatcher schreckte hoch, fiel jedoch gleich darauf wieder in die weichen Kissen zurück. Er fühlte eine Erschlaffung seiner Muskeln, eine Blutleere in sei nem Kopf. Er nahm es mit Entsetzen wahr, weil es für ihn kein norma ler Vorgang war. Und dann übermannte ihn der Schlaf. Er wusste nicht, dass er den Keim des Grauens bereits in sich trug. * »Was haben Sie erreicht, Tom?«, wollte Inspektor Percy Collins wissen und blickte den jungen Detektiv freundlich an. 42
»Nicht viel, Sir«, antwortete Mason. »Doch immerhin etwas. Bei sieben der Vermissten entdeckte ich Bücher über Magie, Zauberei oder Ähnlichem.« Percy stieß einen leisen Pfiff aus. »Was noch, Tom?«, fragte er ungeduldig. »Einige der anderen Verschwundenen hatten sich früher, aber auch schon vor Jahren, mit diesen Dingen beschäftigt.« »Also doch«, knurrte der Inspektor. »Ich hatte Recht. Tatcher war keine Eintagsfliege. Dieser Club der Dämonen scheint dahinter zu ste cken.« Er nickte dem jungen Mann zu. »Okay, Tom. Sie haben ihre Sache gut gemacht. Geben Sie schnellstens ihren schriftlichen Bericht ab, für Mr. Hubbard auch eine Kopie.« Der Detektiv verschwand. Percy Collins verließ den Yard, setzte sich hinter das Steuer des silbergrauen Bentleys und fuhr los. Nach gut eineinhalb Stunden hatte er die Stelle erreicht, an der er Jeff Winter zurückgelassen hatte. Der Inspektor kletterte aus dem Wagen und schaute sich nach al len Seiten um. Von Jeff Winter war nichts zu sehen. »Komm schon raus, alter Junge«, rief Percy. »Du scheinst wirklich ein Meister im Tarnen und Täuschen zu sein. Mit mir brauchst du aber nicht Versteck zu spielen.« Collins zündete sich eine Zigarette an und starrte zu dem Gebüsch hinüber, in dessen Schutz er seinen Assistenten wähnte. Jeff kam nicht zum Vorschein. Ungeduldig lief Collins auf die ande re Seite und trat in das Dickicht. Jeff Winter blieb verschwunden. Der Inspektor suchte die ganze Umgebung ab, doch Winter war nirgends zu finden. Percy spähte zu dem verkommenen Haus hinüber. Dort regte sich nichts. Collins begann zu fluchen. Nachdenklich geworden, ging er zum Wagen zurück. 43
Über Sprechfunk rief er die Zentrale vom Yard an, doch diese wussten auch nicht, wo sich Winter aufhielt. Collins ließ sich mit sei nem Chef verbinden und berichtete ihm mit kurzen Worten die Sachla ge. »Soll ich Ihnen Hilfe schicken, Collins?«, fragte Glenn Hubbard. »Brauchen Sie Leute, um nach Winter zu suchen?« »Das würde zuviel Aufsehen erregen«, gab Percy zu bedenken. »Ich sehe mich allein um. Sollte sich etwas tun, dann melde ich mich wieder.« Er beendete das Gespräch. Die Sonne brach durch die finsteren Wolken und tauchte die häss liche Umgebung in ein freundliches Licht. Erneut begann Percy Collins zu suchen, doch wiederum ohne jeg lichen Erfolg. Wo mochte Jeff Winter sein?, fragte er sich immer wieder besorgt. * Jeff Winter kauerte mitten im Gebüsch auf einem Stein und starrte angestrengt zu dem Haus, das eine bessere Ruine war, hinüber. Nichts regte sich. Eintönig verrann die Zeit. Winter gähnte einige Male ausgiebig und verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. Seine Aufgabe begann ihm langweilig zu werden. Doch plötzlich zuckte der junge Mann zusammen. Er glaubte drü ben bei dem alten Haus eine Bewegung wahrgenommen zu haben. Er strich sich über die Augen. Vielleicht war nur er nur einer Sin nestäuschung erlegen. Minuten verstrichen, ehe er erneut einen dunklen Schatten sah, der sich hinter einem der zerbrochenen Fenster bewegt hatte. Er presste das Fernglas vor die Augen. Es gab keine Zweifel. Dort, in dem halbzerfallenen Haus, stand eine dunkle Gestalt am Fenster und spähte vorsichtig ins Freie. 44
Jagdfieber stieg in dem Yard-Detektiv auf. Er verbarg das Fernrohr zwischen zwei Steinen und begann, jede sich nur bietende Deckung ausnutzend, in Richtung der Ruine zu schleichen. Winter kam schnell vorwärts, denn das Gelände bot wirklich gute Möglichkeiten, sich dem Haus ungesehen zu nähern. Die dunkle Gestalt am Fenster hatte sich zurückgezogen. Sie war aus Winters Sicht verschwunden. Jeff Winter schlich weiter, näherte sich der Rückseite des Gebäu des. Er hoffte dort unbemerkt in die Ruine eindringen zu können. Er stieß auf eine Mauerlücke, durch die er in das Haus glitt. Dunkelheit umhüllte den jungen Detektiv. Er zog seine Pistole aus dem Schulterhalfter und schlich vorsichtig weiter. An einem scharfkantigen Stein stieß er sich sein Schienbein an. Schmerz durchzuckte ihn. Er unterdrückte einen Fluch und schlich weiter. Helligkeit flutete durch ein Fenster herein und blendete Winter, als er um eine Biegung trat. Dann erstarrte Winter. Seine Pistole ruckte hoch, richtete sich auf eine Gestalt, die mit ei nem wallenden schwarzen Mantel bekleidet war, der bis auf den Boden reichte. Aus funkelnden Augen starrte ihn der Unbekannte an. Er war klein, mochte höchstens einssechzig groß sein und hatte eine Glatze, die an eine polierte Billardkugel erinnerte. »Nehmen Sie die Hände hoch!«, klang Jeff Winters leicht heisere Stimme auf. Seine Pistole zielte auf den schwarz gekleideten Mann. Der Fremde bewegte sich nicht. Unentwegt schaute er auf Jeff Winter, schien die auf ihn gerichtete Pistole einfach zu ignorieren. »Hände hoch«, zischte der Scotland Yard-Detektiv und trat einen Schritt vor. Seine Hand zitterte leicht. Ein eiskalter Luftzug hinter ihm ließ ihn erschrocken zusammenzucken. Noch wollte er in Deckung gehen - doch es war bereits zu spät. 45
Er vernahm ein pfeifendes Geräusch, dann knallte ein harter Ge genstand gegen seinen Schädel. Sterne begannen vor seinen Augen aufzublitzen, ehe ihn eine schwarze Wolke umhüllte und auf die Knie zwang. Jeff Winter sank bewusstlos zur Erde. * Percy Collins stieß einen derben Fluch aus und kehrte zu dem silber grauen Bentley zurück. Seine Suche nach seinem Assistenten war ergebnislos verlaufen. Er hatte nur sein Fernglas gefunden. Von Jeff Winter fehlte jede Spur. Percy begann sich Sorgen zu machen. Mehrmals war er um das verkommene Haus herumgeschlichen, aber dort hatte sich nichts ge regt. Er rief erneut per Funk die Zentrale des Yards an und ließ sich mit Glenn Hubbard verbinden. »Gut, dass Sie anrufen, Collins«, knarrte die Stimme seines Vorge setzten. »Kommen Sie sofort zurück! Einige der Vermissten sind aufge taucht.« »Was?«, keuchte Collins und musste schlucken. Überraschter hät te er nicht sein können. »Sie haben schon richtig gehört. Zehn der verschwundenen Per sonen sind wiederaufgetaucht. Die Angehörigen haben sich bei uns gemeldet und die Vermisstenmeldungen zurückgezogen.« »Und wo waren die Leute?« »Keine Ahnung«, knurrte Hubbard. »Sie müssen mit ihnen spre chen. Angeblich kann sich keiner mehr daran erinnern, wo er gewesen ist. Eine mysteriöse Sache. Doch ich möchte Licht in das Dunkel brin gen. Sie werden sich die Leute vorknöpfen und sie aushorchen. Wir müssen wissen, was vorgefallen ist. Doch die Hauptsache ist, dass wenigstens ein Teil der Verschwundenen wieder da ist. Bestimmt wer den die anderen auch in den nächsten Stunden oder Tagen sich wie der einstellen.« 46
Percy Collins kratzte sich am Kopf. Irgendwie wollte ihm die ganze Sache nicht schmecken. »Jeff bleibt verschwunden«, klagte er. »Möchte nur wissen, was mit ihm passiert ist. Normalerweise entfernt er sich nicht so ohne wei teres von seinem Posten.« Glenn Hubbard schien nachzudenken, denn es blieb still in der Lei tung. »Okay, Collins. Ich schicke Ihnen Tom Mason. Er kann in einer halben Stunde bei Ihnen sein. Er wird auf Winter warten. Sie kümmern sich um die Zurückgekehrten. Einverstanden?« »Okay«, nickte der Inspektor. »Tom soll sich beeilen. Ich brenne darauf, mit diesen wieder aufgetauchten Leuten zu sprechen.« Dann unterbrach er die Verbindung. Eine knappe halbe Stunde später erschien Tom Mason. Sein jun genhaftes Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Percy klärte ihn auf und befahl ihm, auf keinen Fall sich dem Haus zu nähern. Bis Einbruch der Dunkelheit wollte er wieder zurück sein. Der Yard-Inspektor schwang sich hinter das Steuerrad und fuhr davon. Eine Stunde später betrat er Glenn Hubbards Office. Sein Chef erwartete ihn bereits. Er hatte seine ewig qualmende Pfeife zwischen den Lippen stecken und starrte Percy Collins zufrieden entgegen. »Ich habe bereits drei der ehemals Vermissten herkommen lassen. Sie sträubten sich und unsere Leute mussten sich einige Unfreundlich keiten anhören. Einer hat sogar wegen Freiheitsberaubung mit seinem Anwalt gedroht. Also gehen Sie sanft mit den Leuten um! Wir können keinen Ärger gebrauchen.« Collins nickte. »Charles Tatcher befindet sich im Nebenraum. Vielleicht nehmen Sie sich den Mann zuerst vor.« Glenn Hubbard rückte seine dunkle Hornbrille zurecht und zupfte an seinem Schnurrbart. »Dann bis später, Collins.« Percy öffnete die Tür zum Neben zimmer und nickte einem Mann im besten Mannesalter zu, der ihm mürrisch entgegenblickte. 47
»Inspektor Collins«, stellte sich der Yard-Detektiv vor. »Dürfte ich einige Fragen an Sie stellen, Mr. Tatcher?« »Das ist Freiheitsberaubung«, fuhr der Mann ihn böse an. »Ich bin ein freier Mann in einem freien Land. Ich kann hingehen, wohin ich will. Außerdem kann ich nichts dafür, dass meine Tochter einen derar tigen Wirbel verursacht hat.« »Beruhigen Sie sich, Mr. Tatcher«, lächelte Collins und bot seinem Gegenüber eine Zigarette an. Tatcher lehnte ab. Sein hageres Gesicht zuckte nervös. »Ihre Tochter machte sich große Sorgen um Sie«, begann der In spektor. »Niemand kann es ihr verübeln. Sie waren außerdem nicht die einzige Person, die verschwunden war. Insgesamt waren es ungefähr vierzig Menschen. Soviel ich weiß, sind noch immer über dreißig spur los verschwunden. Wollen Sie mir nicht erzählen, wo Sie gewesen sind?« »Das geht Sie überhaupt nichts an«, knurrte Charles Tatcher un höflich. »Ich bin wieder da und mir ist nichts geschehen, das dürfte doch wohl genügen.« Percy Collins ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er nahm einen Zug aus der Zigarette und nickte. »Sicher genügt es, Mr. Tatcher. Ich freue mich aufrichtig, dass Sie keinem Verbrechen zum Opfer gefallen sind. Doch ich muss einen Be richt machen, reine Routine, Sie verstehen. Wo Sie gewesen sind, bleibt natürlich unter uns. Ich nehme an, dass es Ihre Tochter Mary nicht erfahren soll.« Charles Tatchers Gesicht hellte sich ein wenig auf. »Also gut«, murmelte er und fuhr sich mit der Zunge über die tro ckenen Lippen. »Jetzt dürfen Sie mir doch eine Zigarette geben.« Collins grinste, bot dem hageren Mann eine Zigarette an und gab ihm Feuer. »Ich bin bei einer Frau gewesen, Inspektor. Mary hat keine Ah nung. Ich wollte die Sache noch geheim halten. Meine Frau starb vor fünf Jahren. Mary hing sehr an ihrer Mutter. Ich wollte meine Tochter nicht kränken.« Percy Collins nickte verstehend. 48
»Na also, dann ist ja alles klar. Doch ich möchte Sie bitten, wenn Sie wieder einen ähnlichen Ausflug machen, Ihrer Tochter vorher rei nen Wein einzuschenken. Das war's auch schon gewesen, Mr. Tatcher. Kommen Sie, ich begleite Sie runter zu einem unserer Fahrzeuge und lasse Sie nach Hause bringen.« »Nicht nötig«, winkte Tatcher ab und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. »Ich rufe ein Taxi.« »Ich nehme Sie mit, fahre in die gleiche Richtung«, entschied der Inspektor. »Würden Sie bitte hier noch einige Minuten warten. Ich bin gleich wieder zurück.« Ohne auf die Proteste von Tatcher zu achten, verließ Collins das Zimmer. Glenn Hubbard blickte ihm neugierig entgegen. »Frauengeschichte«, bemerkte Percy lakonisch. »Bei den anderen wieder aufgetauchten Personen wird es wohl so ähnlich liegen, Chef. Ich vertrödele hier nur meine Zeit. Ich muss wieder raus zu diesem Haus, hoffe nur, dass Jeff sich inzwischen eingestellt hat. Lassen Sie die anderen Leute von einigen unserer Detektive ausfragen. Ich mache mich wieder auf die Socken, Chef.« Glenn Hubbard nickte. »Okay, Collins. Dann scheint es mit Ihrem Urlaub nächste Woche doch noch zu klappen.« Collins lächelte erfreut. »Habe ich auch verdammt nötig. War auch ein bisschen viel in den letzten Tagen.« Er verließ das Zimmer und trat zu Charles Tatcher, der auf ihn gewartet hatte. »Können wir gehen?«, fragte er und erhob sich. »Zu Hause wartet meine Tochter und eine gehörige Strafpredigt auf mich. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich überhaupt keine Lust, heimzugehen.« »Wird halb so schlimm werden, Mr. Tatcher. Mary machte sich wirklich große Sorgen. Doch ich habe noch eine Frage: Sagt Ihnen der Name Club der Dämonen etwas?« Percy glaubte, es in den Augen von Charles Tatcher kurz aufblit zen zu sehen. Doch dann zuckte er gleichmütig mit den Achseln. 49
»Habe ich schon gehört. Ich werde seit Monaten mit verrückten Prospekten regelrecht bombardiert, habe auch schon mehrere Einla dungen und Anforderungen für ein Treffen bekommen. Doch diese Dinge interessieren mich nicht so sehr. Die Leute wollen tausend Pfund Sterling Jahresbeitrag. Bestimmt nur Geldmacherei und steckt nichts dahinter. Und dafür ist mir mein schwerverdientes Geld einfach zu schade.« Charles Tatcher blickte Percy Collins lächelnd an. »Wie kommen Sie überhaupt auf diesen Club?«, fragte er neugie rig. Percy winkte ab. »Ist nur eine Frage gewesen. Können wir jetzt gehen, Mr. Tat cher?« »Selbstverständlich«, erwiderte er und schritt zur Tür. Beide Männer traten auf den Gang hinaus. In diesem Augenblick geschah es... Percy rutschte aus. Anscheinend hatte eine allzu tüchtige Reinma chefrau zuviel von dem Bohnerwachs aufgetragen. Im letzten Moment konnte er sich gerade noch an Charles Tatcher festhalten, erwischte dessen Arm, stürzte trotzdem zu Boden. Collins schlug hart auf und starrte dann auf den Arm, an den er sich geklam mert hatte - und den er jetzt in der Hand hielt, so als ob er ihn Charles Tatcher aus der Schulter gerissen hätte. Das Blut gefror ihm in den Adern. Collins blinzelte, schüttelte voll kommen verwirrt den Kopf und ließ mit einem Aufschrei das Gliedmaß fallen. Blitzschnell kam er auf die Beine. In dieser Sekunde machte Tatcher kehrt und rannte los. Collins sah gerade noch, wie er hinter einer Gangbiegung ver schwand. Er spurtete hinter ihm her, doch noch ehe er die Biegung er reicht hatte, vernahm er einen jämmerlichen Schrei, dann einen dump fen Fall und ein Bersten, als würde etwas zerbrechen. Percy raste um die Ecke und sah einen Polizisten, der mit kreide bleichem Gesicht an der Wand lehnte. Mit irren Augen starrte er auf etwas, das am Boden lag. Collins folgte seinem Blick. 50
Kalte Schauer jagten über seinen Rücken. Er presste die Hand vor den Mund, konnte kaum ein Ächzen unterdrücken. Was dort am Boden lag, konnte nicht möglich sein, durfte es nicht geben! Charles Tatcher lag in viele Einzelheiten zerbrochen am Boden, so als wäre eine Puppe mit Wucht auf die Erde geworfen worden. Collins überwand seinen Widerwillen und beugte sich hinab. Charles Tatcher war kein menschliches Wesen, er war eine kunst volle Puppe, eine ausgezeichnete Imitation aus Wachs oder einem ähnlichen Material. Der Polizist, der von Tatchers Double umgerannt worden war, hat te einen Schock erlitten. Er murmelte unverständliche Worte und schüttelte immer wieder den Kopf. Percy Collins' Gedanken überschlugen sich. Doch gab es nur eine einzige Lösung: Charles Tatcher war noch immer verschwunden. Auch die anderen zurückgekehrten Personen mussten derartige vermenschlichte Wachsdoubles sein, so wie Tatcher da am Boden. Sie waren somit noch keinen Schritt weitergekommen. Die Situa tion war nur noch komplizierter geworden. Glenn Hubbard tauchte in diesem Moment auf. Er wurde ganz grau im Gesicht, als er den Doppelgänger von Charles Tatcher sah. Sein ungläubiger Blick traf Collins. »Ich muss weg, Chef«, knurrte der Inspektor. »Ich bin draußen bei dem Haus. Dort muss der Schlüssel für die Lösung dieser unheimli chen Ereignisse liegen. Lassen Sie die anderen zurückgekehrten Ver missten untersuchen. Sie sind bestimmt auch solche Wachsfiguren wie Tatcher. Die Leute sollten uns nur täuschen und beruhigen. Etwas Grauenhaftes muss geschehen sein. Ich melde mich bald wieder, Chef.« Percy Collins verließ den Yard und raste bald durch die hereinbre chende Nacht. Sein Ziel war das verlassene Haus. * 51
Eine flüsternde Stimme drang in Charles Tatchers Gedanken. Von ihr ging eine suggestive Wirkung aus. Tatcher schreckte plötzlich hoch. Er musste einige Augenblicke überlegen, wo er sich überhaupt be fand, doch dann fiel ihm wieder ein, dass er sich im Club der Dämonen aufhielt. Flackernde Kerzen brannten an den Wänden. Geisterhafte Stim men riefen seinen Namen und forderten ihn auf, das Zimmer zu ver lassen. Tatcher kletterte aus dem breiten Bett, ordnete seinen wallenden Umhang und verließ den Raum. Draußen auf dem Gang brannten Fackeln. Mit Verwunderung nahm er wahr, dass seine Clubmitglieder ebenfalls den Gang ent langliefen. Tatcher beschleunigte seine Schritte und holte die Frauen und Männer ein. Sie achteten nicht auf ihn, schienen sich in einer Art Trance zu be finden. Er versuchte Dorothy Wellington anzusprechen, doch die junge hübsche Frau reagierte überhaupt nicht. Sie starrte geradeaus und folgte den anderen, die wie Schlafwand ler Schritt vor Schritt setzten. Obwohl er sich nicht vorstellen konnte, was ihr Ziel war, lief er einfach mit. Sie erreichten jetzt eine weitere Tür und betraten den großen Raum, in dem die kunstvollen Statuen standen. Der Spring brunnen in der Mitte des Zimmers warf noch immer seine farbenpräch tigen Fontänen. Sanfte Musik vernebelte die Sinne dieser zehn Menschen. Rötlicher Rauch wallte aus den Wänden und zog wie ein tausendköpfiges Unge heuer über den Boden hin. Charles Tatcher spürte plötzlich, wie am Tag zuvor, diese bleierne Müdigkeit, die sich auf seine Glieder legte. Jede Bewegung fiel ihm schwer. Er hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Er starrte auf seine Gefährten, die jetzt schweigend verharrten. Ein Raunen und Wispern erfüllte den Raum. Huschende Schatten geisterten durch das Zimmer. 52
Der am Boden sich ausbreitende Rauch wirbelte an den Körpern der einzelnen Menschen hoch, schien Besitz von ihnen zu ergreifen. Ein starkes Schwindelgefühl hielt Tatcher erbarmungslos in den Klauen. Eine große Leere war in seinem Kopf. Sein Körper begann zu zu cken, als gehorchten ihm seine Muskeln nicht mehr. Wie verzauberte Feen glitten die von Schleiern umhüllten Frauen durch die wogenden Rauchwolken. Auf Charles Tatcher zu tänzelte eine der wunderschönen Frauen. Sie berührte sanft seinen Arm und führte den willenlosen Mann durch den Saal. Aufreizende Rhythmen peitschten jetzt durch den Raum, schwol len zu einem Orkan an und ließen die Wände vibrieren. Charles konnte kaum noch einen Schritt vor den anderen setzen, so schwer fiel ihm jede Bewegung. Die Augenlider fielen ihm immer wieder zu. Er taumelte jetzt mehr, als dass er lief. Die schöne Frau hatte ihn untergehakt und führte ihn zu einem Podest. Später würde er sich nicht mehr erinnern können, wie er da hi naufgekommen war. Er schaute um sich und sah, dass auch seine Ge fährten auf ähnlichen Podesten standen. Sie wirkten alle starr und leblos, nur in ihren Augen spiegelte sich Leben. Ein ungeheurer Verdacht keimte in Charles Tatcher auf. Er wollte protestieren und den Sockel verlassen, doch er konnte seine Beine nicht heben. Wie fest geschweißt ruhten sie auf dem Podest. Jetzt wusste er auch, warum die Statuen auf den anderen Podes ten so naturgetreu aussahen. Es waren Menschen. Menschen, die zu steinernen Standbildern geworden waren. So, wie es ihm und seinen Gefährten nun auch ergehen würde. Die schönen Begleiterinnen waren verschwunden, die Musik nahm sanfte Töne an, ging in eine monotone Melodie über, die einschläfernd wirkte. Der tödliche Rauch hatte sich verflüchtet. 53
Charles Tatcher öffnete den Mund, um zu schreien, doch kein Laut verließ seine Kehle. Seine Beine waren bereits gefühllos geworden. Eine eisige Kälte durchströmte seinen Körper. Panische Angst befiel ihn, drohte, ihn an den Rand des Wahnsinns zu bringen. Er war verloren. Das war ihm zur grausamen Gewissheit gewor den. Er würde zu einer Statue versteinern und nichts würde diesen schrecklichen Vorgang aufhalten können. Die Gefühllosigkeit hatte jetzt bereits seine Oberschenkel erreicht und breitete sich langsam, doch unaufhaltsam, über den ganzen Kör per aus. In diesem Moment betrat der Dämonenmeister Gigantus den gro ßen Saal. In seinen Augen funkelte es zufrieden, als er die erstarrten Menschen musterte. Er breitete beide Arme aus und verneigte sich. Seine beschwören de Stimme klang zu den Männern und Frauen hinüber. Doch was er sagte, verstanden sie nicht. Ein kreischendes Lachen hallte durch den großen Raum, brach sich widerhallend an den Wänden, dröhnte gespenstisch in den Ohren der Menschen, die einem grauenhaften Ende entgegengingen. Die eisige Kälte hatte Tatchers Hüfte erreicht. Er verspürte keiner lei Schmerzen, fühlte nur, dass sein Herz immer langsamer zu schla gen begann. Sein Atem verließ kaum merklich den geöffneten Mund. Die Versteinerung schritt weiter, hatte jetzt den Oberkörper des Mannes erreicht. Tatcher ergab sich in sein schreckliches Schicksal. Er verfluchte den Tag, an dem er auf den Gedanken gekommen war, sich mit den Mächten der Finsternis einzulassen. Er war verloren und verdammt. Verdammt für alle Zeiten. Nichts würde ihn retten können. Nichts? * 54
rn
Der Tag neigte sich dem Ende zu. Die Schatten der Dämmerung kro chen heran. Percy Collins fuhr durch den abflauenden Verkehr. Sein Ziel war das einsame Haus. Er versuchte, sich auf die Straße zu konzentrieren, doch die unheimlichen Ereignisse mit dem Wachsdouble im Yard woll ten ihm nicht aus dem Kopf gehen. Blaulicht zuckte durch die abendliche Dämmerung, Percy bremste seinen Wagen. Ein Unfall, dachte er. Zwei Fahrzeuge hatten sich ineinander verkeilt. Ein Krankenwagen war schon da. Es wimmelte von neugierigen Zuschauern. Drei Polizis ten hatten alle Hände voll zu tun, um den Stau wieder in Bewegung zu bringen. Langsam fuhr der Inspektor an der Unfallstelle vorbei. Neben ihm tauchte plötzlich eine Gestalt auf, die an das Seitenfenster klopfte. Es war ein Mann, der einen Hut tief in die Stirn gezogen hatte. Wieder ha.33.1713 315.1356 T510.T/TjET3er756 Tm(nwage)Tj12gezogen
Wie ein ungläubiges Kind fuhr er sich über die Augen, doch der Wagen blieb verschwunden. Collins wirbelte herum, starrte zum Haus hinüber. Deutlich nahm er zwei dunkle Schatten wahr, die sich im Fenster abzeichneten. Er schlich sich näher an das Haus heran. Wieder fühlte er warnen de Impulse. Er spürte die Aura des Grauens, die über dem zerfallenen Gebäu de lag. Plötzlich verlosch das Licht im oberen Stockwerk. Collins hielt den Atem an. Das Haus war ganz in Dunkelheit gehüllt. Endlos langsam schlichen die folgenden Minuten dahin. Im Ge bäude rührte sich nichts. Tot und verlassen lag es da, als ob keine Menschenseele es betreten hätte. Vergebens wartete Percy auf ein erneutes Lebenszeichen, darauf, dass der Mann das Gebäude wieder verlassen würde. Doch nichts ge schah. Der Inspektor überlegte kurz, zog sich wieder zurück, nahm einen Beobachtungsplatz zwischen den Büschen ein und musterte den Ring an seinem Finger, der jetzt keinerlei Impulse mehr ausschickte. Collins war sich über den Ring noch immer nicht ganz im Klaren, ahnte jedoch, dass er ein wertvolles Instrument im Kampf gegen die Mächte der Finsternis sein würde. In diesem Moment vernahm Collins aus der Ferne das Aufheulen eines Automotors. Gleich darauf erblickte er wieder Scheinwerfer eines sich langsam nähernden Fahrzeugs. Zwanzig Yards entfernt hielt ein alter VW. Die Scheinwerfer ver löschten. Nach einigen Augenblicken stieg ein Mann aus dem Auto und sah sich suchend um. Collins hatte sich bereits einen Plan zurechtgelegt, den er unter al len Umständen auch auszuführen gedachte. Blitzschnell trat er auf den Volkswagen zu. Der Mann erkannte ihn, als er vor ihm stand und zuckte erschrocken zusammen. »Keine Aufregung, Sir«, sagte Collins freundlich und hielt dem Fremden seinen Ausweis unter die Nase. »Scotland Yard, Inspektor 67
Collins. Hören Sie gut zu, Mister. Sie werden jetzt ganz schnell ver schwinden und zwar zu Fuß!« »Aber - ich«, wollte der noch junge Mann protestieren. Sein Ge sicht nahm einen verbissenen Ausdruck an. »Es geht um Ihr Leben. Ich werde an Ihrer Stelle den Antrittsbe such im Club der Dämonen machen. Über vierzig Personen sind in den letzten Wochen verschwunden und nicht wieder aufgetaucht. Alle Spu ren führen zu diesem Haus.« Der junge Mann starrte den Inspektor verblüfft an. Dann senkte er ergeben den Kopf. Collins' befehlende Stimme duldete keinen Wider spruch. »Sie gehen zur Straße zurück, versuchen ein Auto anzuhalten und lassen sich zu Scotland Yard fahren. Glenn Hubbard, das ist mein Chef, wird Ihnen alles genau erklären. Ich habe nicht viel Zeit zu verlieren. Sagen Sie mir Ihren Namen, Mister!« »James Murduck«, stammelte der junge Mann, dessen Gesicht sich wie ein bleicher Fleck in der Dunkelheit ausmachte. »Der Club ist doch eine harmlose Sache, für Menschen, die ein wenig Abwechslung wollen, Sir«, muckte er auf. »Sie greifen in meine persönliche Freiheit ein und ich werde mich beschweren.« »Tun Sie das ruhig, junger Mann«, knurrte der Inspektor. »Könnte natürlich auch sein, dass Sie sich irgendwann bei mir bedanken wer den. Haben Sie irgendein Schreiben oder eine Legitimation mit, um sich im Club auszuweisen?« James Murduck schüttelte den Kopf. »Ich hatte einen Einladungsbrief, doch den habe ich sofort ver nichtet. Sie brauchen aber tausend Pfund Sterling, die Beitrittsge bühr«, fügte er erklärend hinzu. Percy biss sich auf die Unterlippe. Natürlich hatte er nicht so viel Geld bei sich. »Los, geben Sie es schon her! Ich habe keine Zeit, um Ihnen eine Quittung auszustellen, doch Sie bekommen das Geld wieder zurück. Hubbard wird es Ihnen geben.« Der junge Mann wich einen Schritt zurück. 68
Die beiden schönen Frauen hatte er fortgeschickt. Er wollte allein sein. Sein unsichtbarer Ring hatte sich nicht mehr gemeldet, doch Col lins blieb auch so auf der Hut, achtete auf alles und fragte sich, wann er endlich einem der Verschwundenen begegnen würde. Das sollte schneller geschehen, als er sich hatte denken können und auf eine viel brutalere Art und Weise, als das seine Vorstellungen dafür ausgereicht hätten. Als er der nächsten Statue ins Gesicht blickte, zuckte Inspektor Collins wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Die Erkenntnis traf ihn so plötzlich, dass Percy, der sonst einiges einstecken konnte, an seinem Verstand zu zweifeln begann. Er starrte in die versteinerten Gesichtszüge seines Assistenten Jeff Winter. Percys Hand tastete vor und berührte die Statue, die sich kalt und leblos anfühlte. Percy Collins atmete auf. Man hatte also eine Statue nach Jeff angefertigt. Bestimmt waren auch die anderen Standbilder genaue Nachbildungen der seit Wochen Verschwundenen. Doch wo befanden sich die Vermissten? Wo hatte man sie gefan gen? Der Inspektor konnte natürlich nicht ahnen, dass diese Menschen - alle in versteinerter Form - vor ihm standen. Percy Collins ging weiter. Bei einer anderen Statue kamen ihm die Gesichtszüge ebenfalls bekannt vor. Dann fiel es ihm wieder ein: Es konnte sich nur um Charles Tatchers Abbild handeln. Und eine dritte Statue fand er. Es war Tom Mason, der junge Detektiv von Scotland Yard. Collins' Gedanken überschlugen sich. Bestimmt würde man auch von ihm ein solches Standbild anfertigen. Der Inspektor sah jedoch keinen Sinn darin. Die sanfte Musik verstummte in diesem Moment. Zwei Frauen tra ten auf ihn zu. 75
Glenn Hubbard leerte sein Glas und fühlte sich davon ein wenig erleichtert. Noch länger hier im Büro herumsitzen, hätte ihn wahnsin nig gemacht. Er streifte sich seinen Mantel über, überprüfte die Pistole in dem Schulterhalfter und setzte seinen Hut auf. Einige Minuten später saß er im Fond seines Dienstwagens. Drei weitere Detektive vom Yard hatten im Fahrzeug Platz genommen. Über hundert Polizisten würden die Umgebung des alten verfalle nen Hauses hermetisch abriegeln. Plan A war angelaufen. Ob er Collins und den anderen Vermissten von Nutzen sein würde, wusste Glenn Hubbard nicht. Er hoffte es nur. * Seine Stunde war gekommen. In wenigen Zeitspannen würde er den Mächten der Finsternis fünfzig Seelen übergeben können. Gigantus war mit sich und seiner Arbeit zufrieden. Bald würde der Fluch des Magiers von ihm genommen werden. Jahrhunderte lang hat te er darunter Höllenqualen gelitten. Auf dem schwarzen Altar lagen fünfzig Beitrittserklärungen zum Club der Dämonen, die von den Antragstellern mit dem eigenen Blut unterschrieben worden waren. Durch ihre Unterschrift hatten sich die Menschen den Mächten des Bösen verschrieben. Der Pakt war besiegelt. Nichts würde ihn lösen können, nur Gigantus' Vernichtung wäre der einzige Ausweg. Wirbelnde Schatten huschten durch den Raum. Ein Klagen und Jammern war zu vernehmen. Der fischähnliche Mund von Gigantus verzog sich zu einem zufrie denen Lächeln. »Klagt und jammert nur, ihr verlorenen Seelen«, fauchte er. »Es wird euch nichts nützen. In wenigen Minuten, nach eurer Zeitrech 80
nung, werden die Mächte der Finsternis euch für alle Zeiten bekom men. Ihr habt verspielt.« Das Jammern und Klagen wurde lauter, so als wären Gigantus' Worte verstanden worden. Zehn Frauen betraten nun den großen Saal. Bunte Schleier um spielten die schönen Körper. Sie sahen wie Göttinnen aus, die vom Olymp herabgestiegen waren. Doch dann veränderte sich schnell ihr Aussehen. Sie wurden zu Skeletten, die bunten Schleier verbrannten zu Asche und wurden von einem eisigen Wind davongetragen. Die Gerippe fassten sich jetzt an den Händen und begannen den Altar und Gigantus zu umtanzen. Bleich schimmerten die Knochen. Ein penetranter Geruch nach Verwesung breitete sich aus. Gigantus, der Dämonenriese, murmelte monotone Worte, versuch te die Mächte der Finsternis zu beschwören. Sein Blick konzentrierte sich auf die fünfzig mit Blut unterzeichne ten Verträge. Rot leuchteten ihm die Namenszüge entgegen. Der Altar begann leicht zu glühen. Noch immer wirbelten die Skelette um den Altar herum. Ihr disso nanter Gesang erfüllte den großen Saal mit einem donnernden Brau sen. Immer schneller drehten sie sich im Tanz. Gigantus aber steigerte seine Stimme. Die Abgesandten aus dem Reich der Finsternis mussten bald er scheinen. Sie würden mit Freude sein Opfer annehmen. * Percy Collins war verzweifelt. Hilflos hatte er erdulden müssen, dass sein Körper sich in eine versteinerte Statue verwandelt hatte. Vergebens hatte er alle Hoffnun gen auf seinen unsichtbaren Ring gesetzt, doch der schien versagt zu haben. Collins hatte seit vielen Minuten keinerlei Impulse mehr registriert. 81
*
Ihre dumpfen Schritte hasteten über den staubigen Boden. Percy Col lins bildete den Abschluss, sah sich immer wieder um, ob er und seine flüchtenden Gefährten verfolgt würden. Doch er konnte niemanden entdecken, glaubte aber immer noch nicht daran, dass sie dem Dämonenriesen Gigantus entkommen wa ren. Er ahnte, dass diese Bestie irgendwann auftauchen würde und dass erst dann der entscheidende Kampf stattfinden würde. Vor ihm drängten sich die fünfzig befreiten Frauen und Männer! Ihr Atem rasselte vor Anstrengung, sie waren am Ende ihrer Kräfte, doch die Angst und das Grauen trieb sie vorwärts. Wieder endete der Gang vor einer verschlossenen Tür. Collins ver suchte auch diesmal, mit dem Äonen-Ring das Schloss zu öffnen, doch wieder versagte seine geheimnisvolle Waffe. Der Inspektor und einige Männer warfen sich mit ihrem Körper gewicht gegen die Tür - vergeblich, sie bebte nicht einmal. »Zwecklos«, murmelte einer der Männer. »Aus, unser Traum von der Flucht. Bald werden sie uns wieder haben. Wir haben verloren.« Percy warf dem Mann einen unfreundlichen Blick zu. Seine Gedan ken überschlugen sich. Plötzlich fiel sein Blick auf eine brennende Fa ckel an der Wand. »Zurück«, gellte Collins' Stimme, »Los, Leute, tretet einige Meter zurück.« Der Inspektor von Scotland Yard griff die Fackel und legte sie dicht vor dem Portal auf den Boden. Einige andere Männer erkannten seinen Plan und brachten weitere brennende Fackeln heran. Bald züngelten die ersten Flammen an dem Türholz empor. Schnell fraß sich das Feuer weiter. Weißer Rauch trieb den Flüchtenden Tränen in die Augen, ließ sie keuchend nach Luft schnappen. Die Flammen hatten jetzt die ganze Tür erfasst. Ein immer stärker werdendes Brausen erfüllte den schmalen Gang. Die Hitze wurde un 92
erträglich, griff mit feurigen Klauen nach den Menschen, denen nichts anderes übrig blieb, als sich im Gang zurückzuziehen. Die Luft war rauchgeschwängert. Die Gesichter der Gemarterten röteten sich. Bald waren alle in Schweiß gebadet. Mit angstgeweiteten Augen starrten sie auf die tobende Feuers brunst, die sich durch das dicke Holz des Portals fraß. Die Rauchschwaden hüllten sie alle ein. Sie husteten, ihre Augen tränten, sie konnten kaum atmen. Neben Inspektor Collins brach eine junge Frau zusammen. Jeff Winter und Charles Tatcher bemühten sich um die Bewusstlo se und schleppten sie mehrere Meter weiter den Gang entlang, wo der Rauch noch gedrungen war. Percy Collins' Hände hatten sich zu Fäusten geballt. Mit ohnmäch tigem Zorn starrte er in die Flammen, deren Zischen, Fauchen und Prasseln jetzt etwas nachzulassen begann. Dann brach endlich die Tür in sich zusammen. Glühende Holzstü cke wirbelten umher. Ein Mann wurde davon getroffen und sein weites Gewand stand sofort in Flammen. Schnell riss er sich das Kleidungsstück vom Leib. Percy Collins wagte sich in die Nähe der Tür. Der Durchgang würde in wenigen Augenblicken frei sein. Auch die anderen Menschen drängten mit tränenden Augen näher. Viele Gesich ter waren geschwärzt, die ehemals weißen Umhänge wiesen Brand löcher auf. »Noch ein paar Sekunden, Leute«, trat mit heiserer Stimme der Inspektor vor. »Wir haben es gleich geschafft.« In diesem Augenblick erklang ein schauriges Brüllen hinter ihnen auf. Percy Collins wirbelte herum. Er erkannte Gigantus, den Dämonenriesen, der am anderen Ende des Ganges aufgetaucht war. Wieder schallte sein furchtbares Tosen herüber, ließ den Männern und Frauen das Blut in den Adern gerinnen. »Los, weiter«, gellte Inspektor Collins' Stimme. »Los, jetzt geht es um Sekunden!« 93
Er erhob sich und reichte seinem besten Mann die Hand. »Dann alles Gute, Collins. Schreiben Sie mir eine Ansichtskarte.« Percy Collins versprach es, verabschiedete sich und verließ den Yard. Jeff Winter lief ihm in die Quere. »Na, alter Freund«, grinste er. »Wann geht es los? Ich hoffe nur, dass du in der Türkei nicht irgendwelchen Dämonen, Geistern oder Gespenstern in die Hände fällst. Wäre aber auch nicht schlimm. Ich würde dich dort schon herauspauken, vorausgesetzt, Hubbard würde die Dienstreise genehmigen.« Die beiden Detektive lachten fröhlich. »Jetzt habe ich noch eine traurige Pflicht zu erfüllen«, sagte Percy Collins und wurde ernst dabei. »Ich muss zur Beerdigung von Profes sor Calwin Sherwood.« Jeff nickte verstehend. »Ich habe den Professor zwar nur einmal gesehen, doch sein Tod tut mir aufrichtig leid.« Eine dreiviertel Stunde später erreichte Percy Collins den kleinen Friedhof. Butler James, Mrs. Plummer und der Geistliche waren die einzigen Trauergäste. Percy nahm Abschied von Professor Calwin Sherwood. Er fühlte den unsichtbaren Äonen-Ring an seinem Finger und wusste, dass er damit das Erbe des Professors angetreten hatte. Ohne die Hilfe des Ringes hätte er das Abenteuer mit Gigantus nicht lebend überstanden, er und auch die fünfzig Gefangenen nicht. Als sich der Sarg in die dunkle Gruft nieder senkte, begann sich der Äonen-Ring zu erwärmen. Plötzlich glaubte Percy Collins eine Stimme in seinen Gedanken zu vernehmen. Es war die Stimme von Calwin Sherwood. »Du hast ein schweres Erbe angetreten, Percy. Es wird dein Leben verändern, denn du wirst in Zukunft im fortwährenden Kampf mit den Mächten der Finsternis stehen. Der Äonen-Ring wird dir helfen und dich nach Kräften unterstützen. Versuche nie, sein Geheimnis zu er 105
gründen, denn es würde dir nicht gelingen. Vertraue auf die guten Kräfte dieses kostbaren Kleinods!« Die Stimme aus der anderen Welt verwehte. Percy Collins senkte den Kopf. Er wusste, dass neue Aufgaben auf ihn warten würden. Ende
106