G.F. UNGER SEINE GRÖSSTEN WESTERN-ERFOLGE Band 1294
Captain Ironhart Eigentlich mochte ich ihn überhaupt nicht und nan...
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G.F. UNGER SEINE GRÖSSTEN WESTERN-ERFOLGE Band 1294
Captain Ironhart Eigentlich mochte ich ihn überhaupt nicht und nannte ihn manchmal in meinen Gedanken ein vom Ehrgeiz zerfressenes Arschloch. Dennoch war unser Schicksal irgendwie miteinander verknüpft, als wären er und ich von Anfang an füreinander bestimmt gewesen. Während des Bürgerkrieges hatte er den Rang eines Colonels bekleidet und ein Regiment der USKavallerie geführt. Doch bevor er General werden konnte, war der Krieg beendet gewesen. Also wurde er im Jahre 1868 wieder Captain. Und das empfand er als eine Schmach. Sein wilder Ehrgeiz ließ ihm keine Ruhe. Er wollte so schnell wie möglich wieder Colonel werden. Deshalb ließ er sich ins Indianerland versetzen, weil er glaubte, dass er hier die besten Aufstiegsmöglichkeiten hätte. Und die armen Hunde, die seinem Befehl unterstanden, die hatten mächtig darunter zu leiden. Ich war sein Scout. Vielleicht hätte ich ihn umbringen sollen. Das hätte vielen armen Teufeln das Leben gerettet. Warum konnte ich es nicht? Das frage ich, Jessup Kehoe, mich auch jetzt wieder, da ich die Geschichte für meine Nachkommen niederschreibe…
Der vorliegende Roman erschien schon einmal im WesternBestseller als Band 1429.
Ich hatte von Anfang an kein gutes Gefühl bei der ganzen Sache, indes wir die vierzig Meilen durch das Land nach Buffalo Walls ritten. Denn ich wusste, Bad Wolf hatte noch eine Rechnung mit uns offen, eine böse Rechnung. Bad Wolf war zu dieser Zeit ein Kiowa-Häuptling, der den Wagenweg von Kansas City nach Denver immer wieder blockierte und auch den Büffeljägern das Büffelmorden schwer machte. Und so hatte die Armee sein Dorf angegriffen, während, er mit seinen Kriegern wieder einmal irgendwo am Wagenweg lauerte, also abwesend war. Die glorreiche Armee hatte das Dorf klein gemacht, eine Menge Alte, Frauen und Kinder massakriert und den Rest in ein Reservat gebracht, darunter auch Bad Wolfs Frau und Kinder. Es war eine »Strafexpedition«, wie es die Armee nannte. Für mich war es eine fürchterliche Barbarei. Auch Vergewaltigungen hatten stattgefunden. Und der kommandierende Offizier war Captain Charley Ironhart gewesen. Jetzt war ich mit sieben seiner Soldaten unterwegs nach Buffalo Walls, um von dort seine Frau zu übernehmen und zu ihm zu bringen. Ja, mit nur sieben Mann und einem Armeebagagewagen. Und ich wusste, irgendwo konnte Bad Wolf lauern. Aber so war das mit der Armee. Sie überschätzte sich ständig, und so mancher Offizier war der festen Überzeugung, dass ein Dutzend Kavalleristen mit einer
zehnfachen Indianerübermacht fertig werden könnten. Ich war der Scout von Camp Standing Walls. Buffalo Walls und Standing Walls waren befestigte Armeecamps am Wagenweg. Die Wälle bestanden aus herausgestochenen Grasstücken, die man wie Adobeziegel übereinander schichtete, sodass sie zu einer Erd- und Grasmauer wurden. Ich ritt an diesem Tag dem Wagen und den sieben Soldaten immer ein Stück voraus und versuchte eine Falle oder einen Hinterhalt rechtzeitig zu erkennen. Doch selbst wenn ich das gekonnt hätte, würde das wenig genutzt haben. Einer starken Kiowa-Horde wären wir nicht entkommen. Immer wieder fragte ich mich, warum der Captain nur mich und sieben Mann geschickt hatte. Liebte er seine Frau nicht? Wollte er, dass Bad Wolf sie sich holte? Oder traute er mir, seinem Scout, so viel zu? Ich wusste es nicht. Nur eines wusste ich: Captain Charley Ironhart hatte einen Anspruch auf meine Treue. Ich stand in seiner Schuld, und ich sehnte den Tag herbei, da ich diese Schuld beglichen hatte und ihm sagen konnte, dass er ein verdammtes Arschloch sei, dem ich nichts mehr schuldig war. Aber das war eine längere Geschichte. Vielleicht erzähle ich sie noch mal, obwohl mir das nicht leicht fallen würde gegenüber meinen Nachkommen. Der Tag verging auf der Kansasprärie. Es war eine wellige Ebene, bedeckt mit braunem Büffelgras. Es gab
einige Hügelzüge. Der Wagenweg war menschenleer. Da und dort grasten kleine Büffelherden. Sie waren Nachzügler der großen Herde, die nördlich des Cimarron nach Westen wanderte. Und diese große Herde bestand aus Hunderttausenden von Büffeln. Manchmal ritt ich auf eine der Hügelketten hinauf, um einen weiten Rundblick zu bekommen. Doch ich sah keine einzige Menschenseele, nur da und dort Büffel und ein paar Büffelwölfe, die herumschlichen und auf frischgeborene Kälber warteten. Immer dann, wenn ich zum Wagen und den sechs Reitern zurückkam, fragte mich Sergeant Bac McGlory stets: »Nun, was ist?« »Nichts ist«, erwiderte ich dann nur. Der rothaarige, bullige und sommersprossige Sergeant grinste dann breit und nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche, in der sich, wie ich wusste, kein Wasser, sondern Brandy befand. Dann sagte er stets: »Aaah, ich bin neugierig auf die Tante. Ist sie schön oder hässlich, gut oder eine Zicke? Was für eine Frau hat der sich wohl geangelt? Hat sie Geld oder nur Einfluss? Der will doch so schnell wie möglich wieder Colonel sein. Und noch eines wüsste ich gerne, oho! Ob er sie in seiner Hütte gleich flachlegen wird, weil er doch nun schon so lange ohne Frau ist, hahaha!« Nun, Sergeant Bac McGlory war gewiss kein schöngeistiger Gentleman, sondern ein ausgekochter Soldat.
Doch verlassen konnte man sich auf ihn. Der Tag verging also. Wir erreichten kurz vor Abend das befestigte Camp Buffalo Walls. Und als wir absaßen, kam ein junger Lieutenant zu uns, dem Sergeant McGlory ziemlich lässig Meldung machte. Und das gefiel dem Jungen ganz und gar nicht. Denn er schnarrte giftig und mit der ganzen Arroganz eines West-Point-Zöglings: »Nehmen Sie Haltung an, Sergeant! Und dann wiederholen Sie Ihre Meldung mit lauter Stimme präzise und klar. Oder sind Sie etwa betrunken?« Die Frage zuletzt klang drohend und misstrauisch. Sergeant McGlory stand nun strammer als zuvor, grüßte noch einmal zackig und brüllte dann heiser: »Sir, Sergeant McGlory meldet sich mit dem Begleittrupp für Mrs Ironhart zur Stelle! Unterwegs keine besonderen Vorfälle! Nur Reiter Calloway hat Durchfall und verstänkert seine Umgebung auf zwanzig Yards in der Runde. Ich werde ihn der Lady zuliebe ganz am Schluss reiten lassen, Sir.« Die Stimme von Sergeant McGlory klang am Schluss sehr ernst und entschlossen, wichtig und zugleich besorgt. Die Augen des jungen Lieutenant wurden schmal. Sein Mund verzog sich böse. Aber dann starrte er noch einige Atemzüge lang in die harten Augen des alten Sergeants und konnte darin erkennen, wie sehr er verarscht wurde. Zugleich begriff er aber auch, dass er nichts dagegen tun konnte.
Er machte also kehrt und ging davon. Sein Säbel schleifte mit der Spitze durch den Staub, denn der so arrogante Junge war nicht besonders groß und hatte auch noch krumme Beine. Sergeant McGlory und ich, wir tauschten einen Blick aus. Dann knurrte McGlory: »Dieser Junge wird hier nicht alt. Mir tun nur die armen Hunde Leid, die unter seinem Befehl reiten und sterben müssen. Oh, Vater im Himmel, warum begreifen die Jungs aus West Point nicht, dass hier alles anders ist?« Ein anderer Sergeant näherte sich uns. Er grinste breit und sagte: »Das hast du ganz hübsch gemacht, McGlory. Aber dieser Junge ist noch harmlos. Wartet nur, bis ihr es mit Mrs Ironhart zu tun bekommt. Da kommt ihr euch vor wie Regenwürmer, auf die eine Henne herumhackt. Wir sind mächtig froh, dass wir sie endlich an euch loswerden. Habt ihr Bad Wolf gesehen?« »Nein«, erwiderte ich. »Aber ich denke, das wird sich noch ändern auf dem Rückweg nach Standing Walls.« Der Sergeant bekam einen bitteren und teilnahmsvollen Ausdruck in die Augen und stieß dann ein Wort aus, welches eines der gebräuchlichsten im Sprachschatz der Soldaten aller Armeen auf dieser Erde war und ist. Dann ging er wieder. Seine Soldaten waren beim Abendessen, und auch wir würden bald welches in der
Kantine bekommen. Ich hatte eben erst mein Pferd versorgt, als ein Soldat zu mir trat und fragte: »Sind Sie der Scout Jessup Kehoe?« »Bin ich, mein Junge«, erwiderte ich. »Dann bittet Sie der Kommandant zum Abendessen«, erwiderte er. »Jetzt gleich, Mr Kehoe. Sie sollen mir folgen. Das Essen wird sonst kalt. Und auch die Lady soll nicht warten müssen.« Ich staunte, denn bei der Lady konnte es ich ja wohl nur um Mrs Ironhart handeln. Ich wusch mich noch schnell am Wassertrog beim Brunnen. Dann folgte ich dem jungen Soldaten in den Speiseraum der Offiziere. Drei Lieutenants und Captain Webster saßen da mit einer schönen Frau am Tisch. Der Captain und ich, wir kannten uns recht gut. Er war ein eisgrau gewordener Indianerkämpfer. Er würde sicherlich nie Major werden, und er wusste es genau. Deshalb sah er die Dinge nicht mehr so eng und strotzte nicht vor soldatischem Ehrgeiz. »Nehmen Sie Platz, Mr Kehoe«, sagte er. »Ich dachte mir, dass Sie Mrs Ironhart jetzt schon kennen lernen sollten, da Sie Mrs Ironhart ja möglichst unbeschädigt nach Standing Walls zu bringen haben. Das ist er, Rosalin, dies ist Ihr Ritter.« Er sprach zuletzt zu Mrs Ironhart und nannte sie einfach Rosalin. Aber das war unter den Angehörigen der Offizierskaste so üblich.
Ich sah sie und dachte: Diese eiskalte Katze heißt also Rosalin. Oha, für sie reißt sich Charley Ironhart also den Arsch auf, damit er bald wieder seinen alten Kriegsrang hat und sie in irgendeiner Garnison die Kommandeuse sein kann. Oho, die wird ihn sogar zum General puschen wollen. Ich blickte in zwei eisgrüne Augen. Sie hatte rote Haare und einen etwas zu vollen und zu breiten Mund. Aber sie war eine Schönheit mit hohen Wangenknochen. Es schien alles richtig zu sein an ihr. Ich wäre jede Wette eingegangen, dass sie auch wunderschöne Beine hatte. Ja, sie war eine edel wirkende Katze. Eine Weile starrte sie mich an. Dann aber sagte sie: »Mr Kehoe, Sie riechen nach Pferdeschweiß und auch Ihrem eigenen. Das verdirbt mir den Appetit, Mr Kehoe. Ich habe Sie nun gesehen und weiß, dass Sie eine Art Lederstrumpf sind, dem ich mein Leben anvertrauen muss. Vielleicht sollten Sie sich ganz ans Ende des Tisches setzen.« Ich hatte schon Platz genommen. Doch nun erhob ich mich wortlos und ging wieder hinaus. Hinter mir war Schweigen. Nein, ich war nicht zornig, nicht wütend. Sie tat mir Leid. Ja, ich hatte Mitleid mit ihr wie mit einer Kranken. Denn ich wusste, sie würde in diesem Land noch eine Menge lernen müssen. Und wenn Bad Wolf sie lebend erwischen sollte, dann würde er sich mit ihr vergnügen, so wie es einige
Soldaten mit seiner Squaw gemacht hatten. Diese dämliche Katze kam aus einer anderen Welt! Hier war alles anders. Doch sie hatte das noch nicht begriffen. Ich ging in den Speiseraum der Sergeants, um dort das Abendessen einzunehmen. Sie alle grinsten mich an. Einer fragte: »Nun, wie gefällt sie dir, Kehoe?« »Die würde auch Bad Wolf gefallen«, erwiderte ich. * Am anderen Morgen brachen wir auf. Obwohl wir einen Wagen für sie und ihr Gepäck mitgebracht hatten, trug sie Reitzeug und saß ohne Hilfe auf. Ihr geteilter Reitrock ließ einen Moment eines von ihren schlanken Beinen sehen. Einer der Soldaten stieß aus einiger Entfernung einen Pfiff aus. Aber sonst war es still. Ich ritt voraus. Und mein ungutes Gefühl vom Vortrag war nun noch stärker. Verdammt, dachte ich, warum habe ich mich auf diese Sache eingelassen? Und warum fühle ich mich immer noch in Ironharts Schuld? Aber – wie schon gesagt – das ist eine lange Geschichte. Er hatte mir damals die Chance zum Überleben gegeben, als die Hannagan-Brüder mich einkeilten und ich schon angeschossen war. Er hatte mich sozusagen in den Schutz der Armee genommen. Und sein Feldarzt hatte meine Wunde versorgt. Natürlich tat er das alles nur aus Eigennutz. Denn er
brauchte einen erstklassigen Scout. Jemand musste ihm gesagt haben, dass ich solch ein Scout sei. Und so hatte er eingegriffen. Die Hannagan-Brüder aber hätten sich von dem Moment an mit der Armee anlegen müssen. Ich unterschrieb damals einen Vertrag mit der Armee für drei Jahre. Doch die Hannagan-Brüder sagten mir, dass sie mich schon noch erwischen würden. Ich hatte nämlich am Red River, wo es bei der Fähre eine Station gab, ihren Bruder erschossen, als dieser bei einem Kartentrick erwischt wurde und nach der Waffe griff. Ich schoss ihm damals in den Magen, er aber verwundete mich nur. Dann jagten mich seine drei anderen Brüder. Und als sie mich in Wallaville eingekeilt hatten, da kam Captain Charley Ironhart mit seiner Abteilung durch den kleinen Ort am Chisholm Trail. Es war wohl jener versoffene Sergeant Bac McGlory gewesen, der ihm gesagt hatte, wer ich war. Nun, dies alles ging mir wieder durch den Kopf, als ich mich fragte, warum ich mich auf die Sache eingelassen hatte und abermals erkennen musste, dass ich irgendwie Ironharts Gefangener war. Er besaß mich wie ein Teufel eine arme Seele. Nun, ich ritt also an diesem Morgen ein Stück voraus und witterte nach allen Seiten. Ich wusste, dass ich mich mehr auf meinen fast untrüglichen Instinkt verlassen musste als auf meine Augen. Doch ich sah nichts, einfach gar nichts. Die hügelige
Prärie war mit dem braunen Büffelgras so etwas wie ein braungelbes, erstarrtes Meer mit einer gewaltigen Dünung. Es gab also tiefe Senken und lange Kämme. Von diesen Kämmen konnte man viele Meilen weit in die Runde blicken, doch nicht in die tiefen Senken hinein. Dort konnte sich eine Menge Unheil verborgen halten. Als ich wieder einmal auf einer der hohen Bodenwellen verhielt, kam Mrs Rosalin Ironhart herauf geritten und verhielt neben mir. Ich blickte grimmig zur Seite und in ihre eisgrünen Katzenaugen. Dann sagte ich: »Lady, reiten Sie sofort zu den Soldaten zurück und bleiben Sie dort. Es ist schon schlimm genug, dass Sie nicht im Wagen bleiben, sondern reiten. Sie sind meilenweit als Frau zu erkennen. Und weil Sie von Soldaten eskortiert werden, weiß jeder Indianer, dass Sie die Frau eines wichtigen Offiziers sein müssen. Sie könnten dümmer gar nicht handeln.« Nachdem ich dies gesagt hatte, war mir klar, dass ich nun endgültig – um es mit der groben Sprache der Soldaten zu sagen – bei ihr verschissen hatte. Sie stieß einen fauchenden Laut aus. Dann sagte sie klirrend mit der ganzen Arroganz ihrer Kaste: »Mister Lederstrumpf, Sie möchten mir wohl Furcht einjagen, ja? Aber Sie sollten endlich begreifen, dass ich eine sehr eigenwillige Lady bin, die sich nicht einengen lässt, sondern stets das tut, was sie
will. Ich frage mich, warum mein Gatte, der Colonel, einen Mann wie Sie und nur einen Sergeant geschickt hat, um mich abzuholen. Hat er nicht genug Offiziere in Standing Walls?« »Drei«, erwiderte ich. »Ja, Lady, er hätte mich nicht mit Ihrem Begleitschutz beauftragen sollen. Und Colonel ist Ihr Mann auch nicht mehr. Das war nur sein Rang auf Kriegszeit. Sogar der legendäre General Custer ist kein General mehr.« »Für mich ist mein Gatte immer noch der Colonel«, fauchte sie und ritt wieder an. Sie jagte den Hang hinunter in die Senke. Und ich konnte sie nicht allein reiten lassen. Sie war eine dämliche, arrogante und uneinsichtige Zicke. Und ich hatte sie sozusagen am Hals. Also jagte ich hinter ihr her. Sie aber wollte mir zeigen, dass sie besser reiten konnte als ich und ich ihr überhaupt nichts vorzuschreiben hatte. Denn sie war ja die Frau eines Colonels auf Kriegszeit. Ich musste also hinter ihr her. Was blieb mir anderes übrig? Und so brüllte ich: »Himmel, Arsch und Zwirn!«, und trieb meinen grauen Wallach zum Galopp an. Nach gut einer halben Meile hatte ich sie eingeholt und griff ihr in die Zügel, brachte so ihr Pferd zum Halten. Da schlug sie mir ihre Reitpeitsche auf den Oberarm und fauchte: »Was bilden Sie sich ein, Sie…« Was sie noch rufen wollte, blieb ihr im Halse
stecken. Denn sie sah etwas, was ich noch nicht sah. Und so wandte ich meinen Blick in die gleiche Richtung wie sie. Und dann sah auch ich es. Ja, da war Bad Wolf. Und hinter uns krachten Schüsse. Dort waren Sergeant Bac McGlory und seine sechs Mann dabei, um ihr Leben zu kämpfen. Es konnte gar nicht anders sein. Sie waren noch von der Bodenwelle verborgen, befanden sich also in einer Senke. Aber sie kämpften jetzt um ihr Leben und hatten gewiss keine Chance. Vor uns aber war Bad Wolf mit etwa drei Dutzend Kriegern. Sie waren bereits zu einem Halbkreis ausgeschwärmt und kamen so über die lange Bodenwelle. Hinter uns würden noch mehr Kiowas sein. Wahrscheinlich war die ganze Horde mehr als hundert Krieger stark. Sie hatten sich gut verborgen gehalten. Mein ungutes Gefühl hatte mich also nicht getäuscht. Was sollte ich tun? Eine Flucht war unmöglich. Wir waren eingeschlossen. Der Ring würde sich nun sehr schnell verengen. Sie hatten uns. Und so verhielt ich mit Mrs Rosalin Ironhart, reichte ihr sogar die Zügel zurück, die ich ihr entrissen hatte. »Oh, du dämliche Henne«, knirschte ich. »Jetzt haben wir den Salat. Wie gefällt dir das?« Ja, ich sprach nun anders zu ihr, nicht mehr wie zu einer Lady mit Respekt und Verehrung. Ich war
wütend auf sie. Sie fauchte: »Die werden es nicht wagen, mir etwas anzutun. Diese Wilden würden von der Armee hart bestraft werden. Machen Sie es ihnen klar. Sie sprechen doch wohl ihre Sprache. Sagen Sie ihnen, dass ich die Frau eines Kommandeurs bin!« Sie war in ihrer Arroganz nicht zu retten und wollte immer noch nichts begreifen. Ich hätte ihr nun mit wenigen Worten sagen können, was ihr Mann mit seinen Soldaten für ein Gemetzel in Bad Wolfs Dorf angerichtet hatte unter den Alten, Frauen und Kindern. Doch dazu war keine Zeit mehr. Und so sagte ich nur: »Oha, schöne Rosalin, ich werde gleich tot sein. Aber dich werden sie am Leben lassen. Bad Wolf wird dich in sein Tipi schleppen und mit dir machen, was die Soldaten mit seiner Frau machten. Er wird dich flachlegen und dir ein Kind machen, welches man einen Bastard nennen wird unter deinesgleichen. Ich kann dich erschießen, bevor sie mich töten. Aber wenn du leben willst, dann musst du bereit sein, dies alles auf dich zu nehmen. Du hast nur diese beiden Möglichkeiten. Also schnell, entscheide dich. Wie stark ist deine Furcht vor dem Leben in Bad Wolfs Tipi – oder wie mächtig ist deine Lebenskraft, alles zu ertragen, um am Leben zu bleiben? Entscheide dich, schöne Rosalin! Bald…« »Halt doch endlich dein Maul!«, fauchte sie und war plötzlich keine Lady mehr. »Ich bin stark genug, um auch in der Hölle zu überleben, Lederstrumpf.«
Damit war alles gesagt. Ich hielt den Colt in der Faust und wartete auf Bad Wolf. * Bad Wolf und ich, wir kannten uns. Mein Vater war Händler gewesen, damals, als noch Frieden zwischen Weißen und Roten herrschte. Als Knaben hatten wir oft unsere Kräfte gemessen beim Reiten, Jagen und Fischen. Und auch später waren wir uns da und dort begegnet. Dann aber war der Frieden zu Ende gewesen. In Colorado wurde Gold gefunden. Und die Wagenzüge durchquerten das Kiowa-Land. Die Büffeljäger töteten die Büffel und machten das Land frei für Siedler und Rinderzüchter. Die Kiowas machten Krieg. Ich sah Bad Wolf entgegen. Er kam langsam herangeritten. Seine Krieger aber schlossen indes den Kreis um uns. Und die Schüsse hinter der Bodenwelle verklangen. Dort bei dem Wagen und den sieben Soldaten wurde nicht mehr gekämpft. Ich wusste, sie alle waren nun mausetot. Jetzt war ich an der Reihe. Bad Wolf kam immer näher. Bald war er uns so nahe, dass ich mit meinem Colt einen sicheren Treffer würde erzielen können. Ja, ich hätte ihn nun töten können. Doch viele Gewehre zielten auf mich. Ich hätte gewiss im selben Sekundenbruchteil zwei Dutzend
Kugeln bekommen, auch einige Pfeile. Also ließ ich es. Und ich begriff auch endlich, dass Bad Wolf etwas von mir wollte. Aber was wollte er? In mir begann tief in meinem Kern ein Hoffnungsfunken zu einem winzigen Flämmchen zu werden. Was wollte Bad Wolf? Warum kam er mir so nahe? Rosalin fauchte wieder neben mir: »Sagen Sie ihm, wer ich bin und dass mein Mann ihn hängen wird, wenn er mir etwas antut.« Ich gab ihr keine Antwort und sah Bad Wolf fest an. Er grinste breit und fragte in seiner Sprache, die ich schon als Kind lernte: »Hey, Mondreiter, ist sie die Squaw von Eisenhirsch?« Mondreiter, das war mein indianischer Name, den ich schon als Knabe bekam, als wir alle noch miteinander in den Kiowa-Dörfern spielten, indes meine Eltern dort Handel trieben. Ich nickte nur. Aber dann fragte ich: »Und du willst sie?« Nun nickte er und grinste wieder breit. »Sie ist sehr schön«, sprach er langsam. »Ich vermisse nun schon sehr lange meine Squaw. Und auch mein Tipi wurde zerstört. Meine Kinder mussten zusehen, wie die Soldaten ihrer Mutter Schlimmes antaten. Ich will meine Squaw und meine Kinder wiederhaben, auch alle anderen Squaws und die Kinder, die man ins Reservat brachte. Ich lasse dich am Leben, Mondreiter,
damit du mir bald all unsere Squaws und meine Kinder zurückbringst. So lange behalte ich die da hier. Sie wird mit mir unter einer Decke liegen. Sag das Eisenhirsch! Wenn er das weiß, wird er sich beeilen. Doch vielleicht wird es seiner Squaw in meinen Armen gefallen, weil ich der stärkere Bulle bin.« Er verstummte wieder mit breitem Grinsen. Seine Stimme höhnte. Rosalin aber fauchte neben mir: »Was hat dieser Wilde gesagt?« »Dass du mit ihm unter einer Decke liegen wirst«, erwiderte ich. »Und dass er dich eintauschen will gegen seine Frau, seine Kinder und alle anderen Kiowas, die man ins Reservat verschleppte. Jetzt wird es sich herausstellen, was du deinem Colonel wert bist. Denn wenn er die Kiowas aus dem Reservat entlässt, wird er es mit dem Indianeragenten der Regierung zu tun bekommen. Und dann wird ihn die Armee vor ein Kriegsgericht stellen. Es sieht nicht gut aus für dich, Rosalin. Noch könnte ich dir eine Kugel geben, um dir das alles zu ersparen.« »Fahren Sie zur Hölle«, fauchte sie. Dann ritt sie zu Bad Wolf hinüber, verhielt dort neben ihm sein Pferd. Ich hörte sie klirrend rufen: »Nun gut, du verdammter Hurensohn von einem Bastard, du hast mich jetzt also. Aber ich werde das aushalten. Ich überlebe das alles. Denn ich will dich hängen sehen. Mein Mann, der Colonel, wird dich hängen. Das schwöre ich dir!«
Ich verspürte nun so etwas wie Respekt vor ihr. Gewiss war sie eine arrogante Katze. Aber sie besaß eine gewaltige Lebenskraft. Sie zerbrach nicht, sondern stellte sich dem Unausweichlichen. Was für eine Frau! Ich blieb bewegungslos im Sattel sitzen und wartete, bis Bad Wolf mit ihr und seinen Kriegern verschwunden war. Dann wandte ich mein Pferd und ritt über die Bodenwelle zurück, um nach den Soldaten zu sehen. Ja, da lagen sie rings um den Wagen. Ihre Pferde mitsamt dem Gepäck und der Ausrüstung hatten die Kiowas mitgenommen, das Gespann des Wagens aber nicht ausgeschirrt. Ich begriff, dass ich dem Captain die toten Soldaten zurückbringen sollte. Und die Truppe in Standing Walls sollte das große Flattern bekommen bei ihrem Anblick. Ja, dieser Bad Wolf verstand sich auf psychologische Kriegsführung. Langsam saß ich ab und ging nacheinander zu den leblosen Körpern. Sie alle waren nicht skalpiert worden. Bad Wolf musste das seinen Kriegern verboten haben, aus welchen Gründen auch immer. Er hatte einige Jahre die Missionsschule besucht und wollte wohl nicht als primitiver und blutdürstiger Wilder angesehen werden und die Armee auf diese Weise beschämen. Doch ich wusste längst, dass die Armee niemals irgendwelche Scham empfand, wenn es um
das Massakrieren von Indianern ging. Nun, ich ging also von Mann zu Mann, kniete bei jedem nieder und überzeugte mich, ob noch Leben in ihm war oder nicht. Sergeant Bac McGlory lebte noch. Gewiss, seine Wunden waren böse. Bad Wolfs Krieger hatten ihm nicht nur die Schulter zerschossen und einen Streifschuss am Kopf beigebracht – nein, es steckte auch noch ein Pfeil in seinem Bauch. Heiliger Rauch, dachte ich, der lebt ja trotzdem noch. Was mache ich mit ihm? Wenn ich ihm jetzt den Pfeil herausziehe, dann reiße ich wahrscheinlich etwas kaputt. Ich kann es nicht wagen. Nun, ich versorgte seine anderen Wunden, so gut ich das konnte, und das war nicht viel. Dann lud ich alle in den Wagen. Es war ja nur ein kleiner Bagagewagen. Ich musste die Toten fast übereinander legen. Den Sergeant legte ich oben drauf. Meinen grauen Wallach band ich hinten an den Wagen. Dann fuhr ich los. Ich würde erst spät in der Nacht in Standing Walls ankommen. Nach etwa zwei Meilen hörte ich hinter mir im Wagen den Sergeant stöhnen und dann mühsam mit heiserer Stimme fragen: »He, Kehoe, bist du das da vorne auf dem Fahrersitz?« Ich wandte den Kopf und sah, dass er tatsächlich aufgewacht war. »Ich bin es, Sersch«, erwiderte ich. »Bleib nur schön
ruhig liegen. Dann schaffst du es vielleicht bis zum Doc in Standing Walls. Und lass nur den Pfeil in deinem Bauch stecken.« Er schwieg eine Weile. Dann fragte er: »Und warum lebst du noch, Kehoe?« »Weil ich dem Captain von Bad Wolf etwas ausrichten soll«, erwiderte ich. »Und was ist mit der stolzen Tante?« So fragte er wieder weiter. »Die wird jetzt für eine Weile Bad Wolfs Squaw sein.« Er fluchte mühsam. Dann verlor er erneut das Bewusstsein. Erst nach wenigen Meilen wurde er wieder wach und fragte heiser: »He, Kehoe, hast du keinen Schluck Feuerwasser für mich?« Ich überlegte. Denn in einer meiner Satteltaschen hatte ich eine kleine Flasche. Doch dann sagte ich: »Mit deinem Bauchschuss wäre das wohl falsch. Ich werde dir also nichts geben.« »Dann fahr zur Hölle«, knirschte er böse und wurde wenig später wieder bewusstlos. * Es war spät in der Nacht, als ich Standing Walls erreichte. Die ganze Zeit war mir bewusst, dass mich einige Kiowas begleiteten. Ich sah sie nicht, aber ich wusste, sie waren da.
Bad Wolf wollte sicher sein, dass ich dem Captain Meldung machte über den Verbleib seiner Frau. Mir graute vor diesem Moment, denn ich wusste, er würde mir das anlasten, mir die Schuld geben. Ich fuhr den Bagagewagen mit den sechs Toten und dem noch lebenden Sergeant im Schritt auf die Erdund Graswälle zu. Dann rief einer der Posten: »Posten eins an den Sergeant der Wache! Ein Wagen nähert sich!« Dann rief die Stimme des Sergeants in die heller werdende Nacht: »Halt! Wer kommt da?« »Kehoe kommt, Drei-Winkel-Soldat, Kehoe kommt zurück!« Ich rief es mit grimmiger Bitterkeit. Und dann ließen sie mich durchfahren. Der Sergeant lief neben dem Wagen her und fragte zu mir empor: »Was ist das? Wen bringst du da, Kehoe?« »Sechs Tote und McGlory, der noch etwas lebt. Schafft ihn zum Doc. Der kann ihm vielleicht noch das Leben retten. Na los, Sersch, ich übergebe dir jetzt alles und melde mich beim Captain.« Er rief die Soldaten der Wache aus der Hütte und wandte sich wieder mir zu, denn ich war vom Fahrersitz niedergesprungen. »Und die Lady?« So fragte er ahnungsvoll. »Die hat Bad Wolf«, knurrte ich und setzte mich in Richtung Kommandantur in Bewegung. Dort stand der Captain schon auf der Veranda. Er
hatte ja auf unsere Rückkehr gewartet und dann den Ruf der Wache gehört. Nun wartete er auf mich. Als ich am Fuß der Veranda verhielt, fragte er klirrend: »Was ist geschehen, Kehoe? Wo ist meine Frau? Wen bringen Sie da im Wagen zurück?« »Sechs Tote und den schwer verwundeten Sergeant McGlory, Captain. Ihre Frau hat Bad Wolf.« Er verharrte bewegungslos einige Atemzüge lang. Dann fragte er böse: »Und warum leben Sie noch, Kehoe?« »Das war Bad Wolfs Idee«, erwiderte ich. »Er ließ mich am Leben, damit ich Ihnen berichte, wie Sie Ihre Frau zurückbekommen können.« Der Klang meiner Stimme war immer bitterer geworden. Vielleicht spürte er auch darin so etwas wie zornige Verachtung. Und vielleicht begann er zu begreifen, dass er mir nicht genug Soldaten mitgegeben hatte. Doch er war ein Mann, der sich eigene Fehler niemals eingestehen konnte. Und so sprach er klirrend: »Kommen Sie herein, Kehoe, und berichten Sie mir ausführlicher.« Der Captain wandte sich ab und verschwand in der Kommandantur. Ich folgte ihm. Wir durchquerten die Schreibstube und betraten den Raum mit der Flagge an der Wand und dem Schreibtisch, auf dem das Bild seiner Frau in einem silbernen Rahmen stand. Er trat hinter seinen Schreibtisch wie hinter ein Bollwerk, setzte sich in den Armstuhl und schnarrte: »Berichten Sie, Kehoe!«
Ich dachte nicht daran, vor ihm zu verharren wie ein Rekrut. Ich ging zu einem der drei anderen Armstühle und setzte mich. Er starrte mich böse an und hörte mir dann wortlos zu. Ich wusste, wie sehr jetzt in ihm die Gefühle tobten und wie schwer es ihm fiel, sich unter Kontrolle zu halten. Nach einer Weile hob er den Kopf und starrte mich mit seinen stahlblauen Augen an. »Und was wird Bad Wolf mit Mrs Ironhart machen?« So fragte er beherrscht und kühl. Aber ich sah ihm an, wie sehr er innerlich brannte. Für einen Moment tat er mir Leid. Denn er war angefüllt mit Schmerz. Und so wurde mir klar, dass er seine Frau wahrscheinlich wirklich liebte. Ich zögerte einige Sekunden. Dann erwiderte ich: »Er wird Ihnen alles zurückzahlen, Captain. Als Ihre Truppe damals sein Dorf überfiel, sind schlimme Dinge geschehen. Sie wollten nichts anderes als ein Massaker, eine erbarmungslose Vernichtung. Und das Schlimme war, dass dies dann auch noch als glorreicher Sieg über die Kiowas zum Hauptquartier gemeldet wurde.« Ich machte eine kleine Pause. Dann aber sprach ich hart: »Er wird Ihrer Frau ein Kind zu machen versuchen. Das wäre ein besonderer Sieg über Sie für ihn. Es wird ein besonderes Erlebnis für Ihre Frau sein, dass sie nicht mehr tun kann, was ihr so in den Kopf kommt. Sie wird gehorchen müssen wie eine Sklavin.
Sonst bekommt sie Prügel. Ja, er wird sie schlagen. Wenn Sie das Leiden Ihrer Frau abkürzen wollen, dann müssen Sie seine Forderungen erfüllen. Ich bin bereit, alle Kiowas – es sind ja nur Alte, Frauen und Kinder – aus dem Reservat zu ihm zu bringen und mir dafür Ihre Frau aushändigen zu lassen. Was ist Ihnen Ihre Frau wert? Ich hatte ihr angeboten, sie zu erschießen. Aber sie sagte mir, dass sie auch in der Hölle überleben würde. Sie besitzt also trotz ihrer dummen Eigenwilligkeit eine Menge Mut. Aber was wird sie Ihnen noch wert sein, nachdem er sie gehabt hat? Und was für ein Leben wird sie innerhalb Ihrer Offizierskaste führen? Bad Wolf bestraft Sie hart, Captain. Können Sie sich vorstellen, dass Ihre Frau, sollten Sie noch einmal Colonel werden und ein Regiment führen, als die Erste des Regiments anerkannt und geachtet werden würde, der die Frauen Ihrer Offiziere zu huldigen haben, weil ihre Männer unter Ihrem Befehl stehen, Captain? Wenn es uns gelingt, Ihre Frau zu befreien, können Sie nur noch Ihren Abschied nehmen, Captain. Und deshalb wird es keine Rolle mehr spielen, ob Sie die Kiowas aus dem Reservat holen und ob Sie sich vor einem Armeegericht dafür verantworten müssen oder nicht. Also, Captain, wie entscheiden Sie sich?« Er nickte langsam. Dann aber fragte er: »Und wenn ich mit meiner Truppe ausrücke, könnten Sie mich zu Bad Wolf führen, Kehoe?« »Er wird auf uns warten, Captain, weil er auch damit
rechnen muss. Dann wäre Ihre Frau so etwas wie ein Köder in einer Falle. Ja, er würde sich stellen und wäre Ihrer Truppe überlegen. Sie haben hier knapp hundert Mann und ein halbes Dutzend Scouts. Sie wären ihm nicht gewachsen. Es gäbe aber auch noch eine andere Möglichkeit.« »Welche?« Er stieß dieses Wort scharf und gierig hervor. »Er hat Ihnen die Frau gestohlen«, erklärte ich ihm. »Es gibt einen Ehrenkodex unter den roten Kriegern. Sie könnten ihn als Krieger zum Zweikampf um Ihre Frau herausfordern. Doch dazu müssten Sie sich ganz allein in sein Camp wagen. Seine Ehre als Krieger würde ihn dazu zwingen, mit Ihnen zu kämpfen.« Er starrte mich an, als könnte er etwas nicht begreifen. »Kriegerehre?« So fragte er. »Ja, haben diese Wilden denn so etwas wie Ehre?« »Haben sie«, erwiderte ich. »Übrigens, Captain, er besuchte eine Missionsschule und ist gebildeter als viele Weiße in diesem Land. Sie sollten ihn endlich als zumindest gleichwertigen Gegner betrachten. Er ist ein Häuptling, kein wilder Affe. Das müssen Sie langsam begreifen.« Er wollte wütend werden, so richtig explodieren, sich Luft machen. Doch dann winkte er resigniert ab. »Morgen werde ich meine Entscheidung treffen«, murmelte er. »Kehoe, Sie können gehen. Ich bin von Ihnen enttäuscht.«
Ich wollte etwas erwidern, ihm auch sagen, was für eine arrogante Zicke seine Frau sei. Aber ich ließ es bleiben. Ich ging zur Krankenhütte hinüber, um nach McGlory zu sehen. Der Doc hatte ihm den Pfeil herausoperiert und zeigte mir die blutige Spitze. »Vielleicht hat er Glück«, sagte er. »Vielleicht ist innerlich nichts so schlimm verletzt, dass er verblutet. Die beiden anderen Wunden sind harmloser.« Ich nickte. Dann ging ich in mein Quartier. Denn es war Zeit, auf Vorrat zu schlafen. * Als der Hornist am nächsten Morgen zum Wecken blies und die ganze Zeremonie der Flaggenhissung und des Morgenappells abzulaufen begann, erhob ich mich. Wenig später kam eine Ordonanz aus der Kommandantur angelaufen und sagte wichtig: »Mr Kehoe, Sie sollen sofort zum Captain kommen.« In der Kommandantur waren sie alle schweigend versammelt. Ja, es herrschte sozusagen dicke Luft. Die drei Lieutenants standen an den Wänden. Der Captain saß hinter seinem Schreibtisch. Und er sagte: »Kehoe, wir brechen in einer Stunde auf. Ich nehme fünfzig Reiter und zwei Bagagewagen mit.« Damit war eigentlich alles gesagt. Doch da meldete sich Lieutenant John Jones mit den Worten: »Sir, ich
lege Protest ein und will das im Garnisons-Tagebuch ausdrücklich vermerkt haben. Ich werde Ihre Befehle nur unter Protest befolgen, Sir.« »Gut, mein Junge, gut.« Der Captain nickte. Dann erhob er sich. »Also los«, klirrte seine Stimme. »Jeder von Ihnen hat seine Befehle erhalten.« Dann sah er mich an. »Kehoe«, sagte er heiser, »wenn wir mit den Kiowas aus dem Reservat unterwegs sind, werden Sie Bad Wolf hoffentlich schnell finden. Ich lasse dann nur die sechs anderen Scouts bei Ihnen.« Ich nickte nur und ging hinaus, um mich fertig für den Ritt zu machen. Er wollte es also tatsächlich tun. * Wir waren eine Stunde später unterwegs. Lieutenant John Jones blieb als stellvertretender Kommandant zurück. Mit uns ritten Lieutenant Ben Lennon, Lieutenant Joseph Calderon und fünfzig Mann. Dazu kamen die sechs Scouts, deren Chef-Scout ich war, und zwei Bagagewagen. Für die beiden jungen Lieutenants Lennon und Calderon war der Captain der große Kriegsheld. Und sie redeten ihn auch stets als Colonel an, also mit seinem Rang auf Kriegszeit. Sie würden jeden seiner
Befehle befolgen. Bis zum Reservat waren es knapp fünfzig Meilen. Es war eine trostlose Gegend, dicht an der Oklahomagrenze, eigentlich schon fast am Panhandle von Texas. Der Captain ritt einsam an der Spitze. Wir Scouts schwärmten wie immer aus und sicherten die Truppe nach allen Seiten. Ich sah dann gegen Mittag von einem sanften Hügel aus endlich ein paar Kiowas, die uns folgten. Bad Wolf würde also ständig über alles, was der Captain tat, unterrichtet werden. Der Captain ritt den ganzen Tag einsam an der Spitze, hatte nur den Hornisten hinter sich in nächster Nähe. Dann folgten die beiden Reiter mit der Fahne der Union und dem Schwadronswimpel. Denn Fahnen und Wimpel, die gehörten nun mal zur Armee. Wir erreichten das Reservat gegen Mitternacht nach einem Fünfzig-Meilen-Ritt. Der Indianeragent kam in einem Morgenrock auf die Veranda seines Hauses und fragte ziemlich böse wegen der Störung: »He, was wollen Sie hier, Captain Ironhart?« Ironharts Stimme klang noch böser, als er vom Sattel aus zu ihm hinüberrief: »Das werden Sie nach Tagesanbruch von mir erfahren, Mr Lobster.« Die Kommandos erklangen nun zum Absitzen. Auch ich saß ab und versorgte bei den Corrals und Wassertrögen mein Pferd.
Mit dem Pferd, welches ich an den langen Zügeln hinter mir herzog, ging ich die Viertelmeile zu den Tipis hinüber, in denen die Kiowas lebten. Es waren nicht viele Tipis, noch keine zwanzig. Nach der Faustregel lebten in solch einem Tipi fünf Menschen. Aber weil es hier auch viele Kinder gab, mochten es mehr sein. Aber zusammen – also alte Krieger, Squaws und Kinder – mochten es etwa hundert sein. Aber noch mehr waren damals beim Massaker in Bad Wolfs Dorf getötet worden. Diese hier sollten Geiseln sein. Man glaubte, dass sich nun auch Bad Wolf ergeben und sich gewissermaßen selbst ausliefern würde. Doch er tat es nicht, sondern hatte sich Ironharts Frau geholt. Von wem mochte er wohl erfahren haben, dass sie von Kansas City her zu ihrem Mann, dem Kommandeur von Standing Walls, unterwegs war? Aber über diese Frage musste ich nicht lange nachdenken. Mrs Ironhart war von der Armee gewissermaßen von Fort zu Fort und Stützpunkt zu Stützpunkt weitergereicht worden. Und überall in diesen Forts gab es Indianerscouts und Halbblutmänner, die ihren Vettern Gefallen erweisen wollten. In diesem Land blieb nichts verborgen. Nun, ich erreichte also mit meinem Pferd die Zelte der gefangenen Kiowas. Ein größerer Junge trat mir entgegen. Er hielt einen Speer in der Hand. Aber die Lanzenspitze war nur das
zugespitzte Ende eines Stockes. Dennoch trug ihn der Junge wie eine Waffe und als wäre er ein stolzer Krieger. »Ich bin Mondreiter«, sagte ich zu ihm. »Du kennst mich. Geh zu Wica Kanaska und sage ihr, dass ich mit ihr sprechen muss. Geh, Junge, geh!« Er zögerte, doch dann ging er und verschwand in einem der Zelte. Wenig später kam sie. Wir kannten uns. Im Licht der Gestirne betrachteten wir uns eine Weile, und ich war einmal mehr verzaubert von ihrer Schönheit. Ja, sie war wunderschön. Ihr Englisch war fast ohne Akzent und völlig fehlerfrei. Denn auch sie ging einst in die Missionsschule. »Was willst du, Mondreiter?«, fragte sie hart. Ich konnte ihre Härte und Verachtung verstehen. Einige betrunkene Soldaten hatten ihr damals Böses angetan. Sie hatte es ertragen und ihnen ins Gesicht gespuckt. Dafür war sie geschlagen worden. Dennoch besaß sie noch ihren ganzen Stolz. Ich achtete sie wegen ihrer Lebenskraft. Aber ich musste ihre barsche Frage beantworten. Und so sagte ich: »Bad Wolf hat die Frau von Captain Eisenhirsch in seiner Gewalt. Er wird sie eintauschen gegen euch alle hier, die ihr Kiowas seid. Ich werde euch zu ihm bringen und dafür die Frau des Captains bekommen. Ich bin hier, um dir das zu sagen. Macht euch also fertig für einen langen Marsch.«
Als ich es gesagt hatte, verharrte sie einige tiefe Atemzüge lang unbeweglich. Dann sprach sie fast feierlich: »Bad Wolf zahlt alles Böse zehnfach zurück. Ja, wir werden bei Sonnenaufgang bereit sein für den langen Marsch.« Nach diesen Worten sah sie mich im Licht der Gestirne noch einmal fest an und wollte sich abwenden. Doch dann hielt sie im Ansatz der Bewegung inne und fragte mit einem Klang von Verachtung in ihrer Stimme: »Mondreiter, du wurdest in diesem Lande geboren wie wir Kiowas. Du bist der Sohn dieses Landes. Warum dienst du Eisenhirsch wie ein Hund? Eigentlich müsstest du ihn töten, anstatt ihn und seine Soldaten zu führen. Du weißt doch, dass er Böses tut. Wie kannst du ihm dienen?« »Das ist eine lange Geschichte«, murmelte ich. »Wica Kanaska, das ist eine sehr lange Geschichte. Aber immerhin kann ich euch nun zu Bad Wolf bringen.« Sie nickte nur und wandte sich ab. Ich aber ging mit meinem Pferd ein Stück zurück und suchte mir einen Platz zum Niederlegen und Schlafen. In wenigen Stunden wurde es Tag. Dann würden wir unterwegs sein. Ich wusste, dass mich die Kiowa-Späher, die uns begleitet hatten, zu Bad Wolf führen würden. Und dann? Ja, das war die große Frage. Was würde dann sein? Captain Ironhart brannte innerlich vor Hass.
Was würde er in Gang bringen? * Als der Hornist den grauen Morgen mit dem Signal zum Wecken erfüllte und die vielen Stimmen der Vögel verstummten, da gesellte ich mich zu den drei Offizieren vor dem Haus des Indianeragenten. Er trat heraus auf die Veranda und gab sich einen wichtigen Ausdruck. Aber ich wusste längst, er war ein betrügerischer Hundesohn, der von der Regierung für die Unterhaltung des Reservats ein Budget erhielt, also einen gewissen Geldbetrag. Doch das meiste Geld behielt er für sich, anstatt es für den Unterhalt der ihm anvertrauten Menschen zu verwenden. Nun fragte er scharf: »Also, Captain, warum kamen Sie her mit Ihrer Truppe? Warum wurden da drüben die Tipis abgebaut? Was hat das zu bedeuten?« »Ich nehme alle Kiowas mit, Lobster«, erwiderte der Captain. »Das können Sie nicht ohne eine Anordnung des Indianerbüros. Zeigen Sie mir diese Anordnung. Ich muss sie schriftlich haben. Sonst verbiete ich Ihnen, auch nur einen einzigen Kiowa – ganz gleich ob Alte, Squaws oder Kinder! – mitzunehmen. Ich bin der Regierungsmann für dieses Reservat. Also, Captain?« »Ich nehme sie alle mit«, erwiderte Ironhart. »Und wenn Sie was dagegen haben, dann melden Sie das meinetwegen dem Indianerbüro. Basta!«
Er wandte sich ab. Wenig später – die Soldaten hatten im Morgengrauen schon gefrühstückt – setzten wir uns in Bewegung. Nun ritt ich voraus. Und an die hundert alte Krieger, Squaws jeden Alters und auch Kinder jeden Alters folgten mir zu Fuß. Ihre Tipis hatten sie auf Schleppschlitten geladen, ebenso ihre wenige Habe. Die Schleppschlitten wurden von Pferden gezogen, die der Captain gegen Quittung requiriert hatte. Der Agent hielt seine Leute zurück. Meine sechs Scouts begleiteten den Zug rechts und links. Die Truppe folgte in einigem Abstand. An der Spitze der Kiowas schritt Wica Kanaska stolz und schön. Übrigens: Wica Kanaska, das waren rote Beeren, die im Herbst an den Prärie-Creeks ihre Farben leuchten ließen. Man konnte Bad Wolfs Frau auch Rote Beere nennen in der Sprache von uns Weißen. Ja, sie schritt stolz voraus. Ihre Kinder folgten ihr mit dem Pferd, welches den Schleppschlitten mit ihrer Habe zog. Und nach ihnen kamen alle anderen. Unser Zug war also in Bewegung. Wie viele Meilen würden wir zurücklegen müssen? Wohin würden uns Bad Wolfs Späher dirigieren? Vorerst zogen wir nach Nordwesten. Erst nach einigen Meilen sah ich das erste Zeichen. Und da wusste ich es auch schon. Es ging zum
Arkansas River hinüber. Dann würden wir diesem gewiss in Richtung Colorado folgen. Bad Wolf wollte weg von der Prärie in die Vorberge von Colorado. Und das waren noch viele, viele Meilen. Wahrscheinlich würden wir zwei Wochen unterwegs sein, bis wir ihn und die schöne Mrs Rosalin Ironhart zu sehen bekamen. Ja, erst in einem unübersichtlichen Gebiet, wo er viele Fallen aufstellen und Hinterhalte legen konnte, würde er sich dem Captain stellen. Letzterer aber würde vor Ungeduld verbrennen und deshalb vielleicht einige Fehler machen. Ich dachte wieder an seine Soldaten. Die Jungs taten mir Leid. Und eines war klar: Was Captain Ironhart auch in Gang gebracht hatte und noch in Gang bringen würde, er tat es auf eigene Faust und ohne Auftrag oder Erlaubnis. Er würde vor ein Armeegericht kommen… Es wurde ein langer, elender Marsch. Die Verpflegung war dürftig, und es gab nur wenige Creeks und Wasserstellen. In diesen Tagen fand ich immer wieder Zeichen, die unsere Richtung bestimmten. Manchmal war es meinen Scouts so richtig mulmig. Einer, der ein Halbblutmann war und den sie Cimarron nannten, sagte einmal zu mir: »Und du meinst, Kehoe, dass wir unsere Skalpe behalten werden, wenn wir Wica Kanaska und die anderen Kiowas bei ihm abliefern?« »Wenn ich das wüsste…«, sagte ich bitter und setzte dann hinzu: »Aber ihr könnt ja rechtzeitig abhauen. Ich
kann die schöne Mrs Rosalin Ironhart auch allein in Empfang nehmen.« Ich ritt dann eine Meile voraus, sah mich um. Nur einmal erblickte ich drei Kiowa-Reiter, die aus einer tiefen Senke kamen und hinter einem Hügelkamm verschwanden. Ja, sie zeigten uns immer noch den Weg. Wenig später fand ich eine frisch erlegte Antilope. Sie war mit einem sauberen Pfeilschuss getötet worden. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte. Die KiowaSpäher hatten herausgefunden, dass ihre Alten, Squaws und Kinder nicht viel zu beißen hatten, weil der Proviant schon nach den wenigen Tagen unterwegs knapp geworden war. Da hatten sie die Antilope mit einem Pfeil getötet. Dies wieder sollte für Wica Kanaska das Zeichen sein, dass ihre Leute für Fleisch gesorgt und dieses zurückgelassen hatten. Ich wartete bei der töten Antilope. Dann kamen sie herangezogen. Wica Kanaska betrachtete die Wunde, sah zu mir hoch und nickte. »Sie werden euch bald töten wie diese Antilope«, sprach sie. Dann aber gab sie Befehl, das Tier mitzunehmen. * Am nächsten Morgen waren wir wieder unterwegs. Wie immer ritt ich voraus und folgte den Zeichen der
Kiowa-Späher, die mir immer wieder die Richtung angaben und uns zu guten Rastplätzen mit Wasserstellen führten. Ich hielt auch ständig Ausschau nach Captain Ironharts Truppe. Doch er folgte im weiten Abstand, hielt sich um Meilen zurück. Nur dann und wann konnte ich in der Ferne die Staubwolke seiner Abteilung über der welligen Prärie erkennen. Und da wusste ich, dort ritt er mit seinen Soldaten. Sie mussten langsam reiten, immer wieder Rast machen. Sonst würden sie uns einholen. Und Bad Wolf war weit vor uns. An diesem Tag stießen wir auf den Wagenweg, den die Wagenzüge zwischen Kansas City und Denver benutzten. Dort rings um Denver suchten mehr als zehntausend Goldsucher nach dem großen Fund. Sie mussten mit allen Dingen versorgt werden. Und so waren eigentlich immer wieder Wagenzüge unterwegs. Es war am Nachmittag, als wir in der Ferne das Krachen von Gewehren hörten. Ich wusste sofort, dass sich Bad Wolf nun solch einen Wagenzug geschnappt hatte. Wir konnten nichts tun. Und der Captain mit seiner Truppe war um Meilen zurück. Das Krachen der Schüsse hielt eine Weile an. Dann war es still. Wir legten an diesem Nachmittag bis zum Abend noch etwa vier Meilen zurück. Dann erreichten wir die
Toten und die Reste des Wagenzuges. Bad Wolf hatte mit seiner starken Kriegshorde ganze Arbeit verrichtet, gnadenlos zugeschlagen, so wie es ihm ja Captain Ironhart damals beim Überfall und dem Massaker auf sein Dorf vorgemacht hatte. Bad Wolf zahlte den Weißen alles zurück. Unsere Kiowa-Schar, die sich gegen Ende des Tages nur noch mühsam dahinschleppte, stieß nun wilde Schreie aus. Ja, es war ein Triumphieren. Bad Wolf hatte zugeschlagen, ihnen gezeigt, dass er ein großer Häuptling, Rächer und Vollstrecker war. Zwischen den rauchenden Trümmern der Wagen lagen die Toten und lag auch allerlei Zeug, welches nicht mehr zu gebrauchen war. Es war noch nicht Nacht, und so zogen wir weiter. Ich wusste, der Captain würde die Toten beerdigen lassen. Als ich einmal neben Wica Kanaska ritt, die wie immer an der Spitze der Kiowa-Schar wanderte, da sah sie zu mir hoch und sprach heiser: »Er wird euch alle töten, auch dich, Mondreiter, auch dich.« Ich nickte ihr zu. »Sicher«, sprach ich, »er wird es versuchen. An seiner Stelle würde ich nicht anders handeln.« »Und dennoch dienst du ihm wie ein Hund«, sprach sie hart. »Welches Geheimnis ist zwischen euch? Was bindet dich an ihn?« Ich wusste sofort, dass sie von Captain Ironhart sprach, nicht mehr von Bad Wolf. Sie konnte immer
noch nicht begreifen, dass ich Partei ergriffen hatte und nicht wenigstens neutral geblieben war. Und so beschloss ich, ihr wenigstens eine kurze Erklärung zu geben. Deshalb sprach ich: »Er rettete mir das Leben. Ich stehe in seiner Schuld. Wir haben einen Vertrag. Ich kann nicht anders, Wica Kanaska.« »Aber du beschmutzt deine Ehre als Krieger«, erwiderte sie. Ich sagte nichts mehr, sondern ritt ein Stück voraus. Eine ganze Woche verging. Und jeden Tag kroch unser Zug langsamer vorwärts. Besonders die Alten konnten nicht mehr. Einige wurden nun schon mit der anderen Habe auf Schleppschlitten transportiert. Und zwei der alten Krieger starben unterwegs. Einer fiel einfach um, der andere stand an einem Morgen nicht mehr auf. Bad Wolf und dessen Horde ließen immer wieder Proviant zurück, den sie beim Überfall auf den Wagenzug erbeutet hatten. Die Kiowas hatten also reichlich Mehl, Zucker, Trockenobst, Speck und Hülsenfrüchte. Sie mussten nicht mehr hungern. Ich ließ ihnen diese Beute natürlich. Aber ich wusste, Captain Ironhart hätte es nicht geduldet. Wir erreichten nach Ablauf der Woche am achten Tag die zerklüfteten Vorberge und sahen vor uns eine felsige Hügelkette, in der sich das breite Maul einer Schlucht öffnete. Es war ein sehr unübersichtliches Gebiet.
Mir war klar, dass wir bald auf Bad Wolf stoßen würden. Hier würde er mit Ironhart und dessen Truppe Katz und Maus spielen. Und er würde dabei gewiss nicht die Maus sein. Es war Nachmittag, ein schöner Tag, der nicht so heiß war. Wir hatten während der Mittagszeit an einem Creek gerastet. Die Kinder hatten gebadet und sogar einige Forellen gefangen. Jetzt aber hielten wir dicht vor dem gierig anmutenden Schluchtmaul an. Ich wusste, wir waren am Ziel. Wenn überhaupt, dann würde hier der Austausch vonstatten gehen. Hinter mir führte Wica Kanaska die Kiowa-Schar heran und brachte sie zum Halten. Die sechs Scouts waren um die Schar verteilt und verhielten ebenfalls. Wica Kanaska sprach neben mir: »Jetzt ist die Stunde gekommen. Jetzt wird uns Bad Wolf austauschen. Ja, es wird hier sein. Mondreiter, ich will dir jetzt danken, obwohl du unser Feind wurdest. Aber du hast uns unterwegs mit Respekt behandelt und uns alle möglichen Erleichterungen gestattet und Hilfen gegeben. Ich werde das Bad Wolf sagen.« Ich nickte nur. Denn was hätte ich ihr erwidern sollen? Wir mussten dann nicht lange warten. Denn bald schon kam Bad Wolf mit seiner Kriegshorde zum Vorschein. Er tauchte zuerst auf, dann erschienen seine Krieger im breiten Schluchtmaul. Es waren mehr als hundert. Er war dem Captain und
dessen fünfzig Mann also zahlenmäßig überlegen. Und wahrscheinlich waren sie auch alle gut bewaffnet. Ich sah dann endlich Rosalin Ironhart. Sie trug nun die Tracht einer Kiowa, also helles Lederzeug mit Fransen. Zwei Krieger brachten sie nach vorn, bis sie neben Bad Wolf verhielt. Sie saß auf einem gescheckten Mustang. Und wäre ihr Haar nicht so rot gewesen, dann hätte ich sie nicht sofort erkannt. Ihr Gesicht war nun gebräunt. Sie trug keinen Hut mehr, sondern ein Stirnband. Aber sie saß geschmeidig im Sattel und starrte zu mir herüber. Die Entfernung aber war noch zu weit, um in ihrem Gesicht einen Ausdruck oder irgendwelche Empfindungen erkennen zu können. Ich sah nur an ihrer ganzen Haltung, dass sie sich ganz und gar unter Kontrolle hatte. Nein, sie war keine zerbrochene Frau. Was mit ihr auch geschehen und was Bad Wolf ihr auch angetan haben mochte, es hatte sie nicht zerbrechen können. Ihre Lebenskraft war stärker als alle Not. Ja, das sah ich ihr an. Bad Wolf ritt nun mit Rosalin Ironhart vorwärts – nur er allein mit ihr. Alle Krieger blieben zurück. Und so nickte ich Wica Kanaska zu. »Gehen wir«, sagte ich dabei. Sie setzte sich sofort mit ihren drei Kindern in Bewegung. Und alle Kiowas folgten ihr. Drüben ritt
Rosalin Ironhart an. Sie schenkte Bad Wolf noch einen letzten Blick von der Seite her. Er blieb zurück, wollte nicht mit mir reden. Dann kam sie zu mir geritten. Und die Kiowas zogen an uns vorbei zu ihrem Häuptling und den Kriegern hinüber. Rosalin Ironhart aber verhielt nun neben mir. Unsere Pferde konnten sich ihre Schwänze gegenseitig um die Nüstern schlagen. Wir hielten Steigbügel neben Steigbügel und starrten uns an. In ihren Augen erkannte ich ein seltsames Funkeln, welches ich nicht zu deuten wusste. Alles, was in ihr war, hielt sie tief in sich verborgen. Dann sprach sie hart und spröde: »Wo ist der Colonel?« Ja, er war für sie immer noch der Colonel. Ich erwiderte: »Sie können hier auf ihn warten oder ihm entgegenreiten.« Sie wandte sich im Sattel und blickte zurück. »Dann reiten wir«, sprach sie und ritt an. Wir Scouts folgten ihr. Und hinter uns verschwanden die Kiowas im Schluchtmaul. * Es war schon Nacht, als wir drei Meilen weiter die Feuer der Truppe sahen. Der Captain trat aus dem Kommandeurszelt, als ich
seine Frau ins Camp brachte. Sie schwang sich wie eine Indianerin vom Mustang und verschwand mit dem Captain sofort in dessen Zelt. Als ich absaß, traten die beiden jungen Lieutenants zu mir. Lieutenant Ben Lennon fragte: »Nun, wie war es?« Und Joseph Calderons Stimme klang heiser und irgendwie begierig, als er wissen wollte: »Wie viele Krieger hat er bei sich?« »Mehr als hundert«, erwiderte ich. »Vielleicht sogar noch mehr. Und wenn der Captain ein hirnloser Narr ist, dann folgt er ihm mit euch in die Falle.« Sie starrten mich böse an. Dann aber hörten wir aus dem Zelt die klirrende Stimme der schönen Rosalin: »Ich will seinen verdammten Skalp! Charley, ich will seinen Skalp, ja, seinen blutigen Skalp! Hol mir seinen Skalp, koste es, was es wolle!« Ihre Stimme überschlug sich fast. Dann hatte sie sich offenbar wieder unter Kontrolle wie zuvor ja auch die ganze Zeit. Sie unterhielten sich drinnen wieder leiser. Ich ging zum Feuer, ließ mein Pferd einfach stehen. Der Koch gab mir einen Blechteller voller Bohnen mit Speck und einen Becher Kaffee. Nun kamen die Sergeants der Truppe zu mir. Paul Polomsky, ein gebürtiger Pole, fragte für alle: »Wird Bad Wolf uns schlachten können, Kehoe? Oder könntest du das verhindern mit deinen Scouts?«
Ich nickte. »Jungs, sie will Bad Wolfs Skalp. Aber wenn ihr erst mal mausetot seid, dann braucht ihr euch keine Sorgen mehr zu machen.« Da begannen sie zu grinsen. Denn sie waren hartgebrannte Sergeants. Von solchen Reden ließen sie sich nicht erschrecken. Zu oft hatten sie dem Tod schon ins Auge gesehen. »Na gut«, grinste einer böse, »dann wissen wir ja Bescheid.« Sie schwiegen eine Weile und starrten ins Feuer, so als könnten sie in den Flammen die Bilder all ihrer Wünsche sehen. Dann murmelte Sergeant Jake Hibbs mehr im Selbstgespräch als zu uns: »He, darf der Captain überhaupt ohne Auftrag der Armee auf solch einen Feldzug der Rache gehen? Müsste er nicht erst beim Hauptquartier um Erlaubnis bitten? Wird dies nicht ausarten in persönliche Rache an Bad Wolf? Darf er dafür die Abteilung opfern?« Sie dachten über Jake Hibbs’ Worte nach. Doch dann murmelte Sergeant Tom O’Connor: »Wir stehen unter seinem Befehl. Und was er auch in Gang bringen wird, wir müssen gehorchen. Wir Sergeants sind nichts anderes als seine Befehlsausführer. Und wer von den Soldaten nicht funktioniert, den treten wir in den Arsch. Es ist ein Scheißjob!« »Das ist Disziplin.« Sergeant Paul Polomsky grinst. »So funktioniert nun mal die Armee. Und du hast einen Vertrag mit ihr. Was beklagst du dich, Tom?«
Ich hörte das alles und begriff, dass die Stimmung in der kleinen Truppe denkbar schlecht war. Denn sie begannen zu begreifen, dass der Captain sie für seinen persönlichen Rachefeldzug benutzen würde. Ich schwieg und vertilgte mein Abendbrot. Auch mich würde der Captain benutzen für seine Rache. Und er konnte gar nicht anders. Die schöne Rosalin trieb ihn dazu. Sie würde seinen Stolz immer wieder anstacheln. Und eines Tages auf Bad Wolfs Fährte würden wir in die große Falle reiten. Wahrscheinlich würde ich das nicht verhindern können, weil er nicht auf mich hören würde, wenn ihm Bad Wolf nahe genug war. Dann würde es ihm ergehen wie einem Hund, der es wagte, einen Wolf anzugreifen in blinder Wut. * Als der Hornist zum Wecken blies, da ließ er mich holen. Er erwartete mich vor seinem Zelt, diesem Statussymbol, welches er als Kommandeur besaß. »Captain?« Ich sah ihm fest in die eisblauen Augen. Und ich fragte mich in diesem Moment, wie er mit seiner Frau wohl die Nacht verbracht hatte. Doch ich vermochte nicht weiter darüber nachzudenken, denn ich hörte ihn mit klirrender
Stimme sagen: »Ich will ihn, Mr Kehoe! Ich will ihn hängen. Also führen Sie mich zu ihm. Spüren Sie ihn auf. Das sind Sie mir schuldig. Wenn ich Sie jemals aus der Schuld entlassen soll, dann nur, wenn Sie mich dicht genug an ihn herangeführt haben und ich ihn angreifen kann. Also los, machen Sie sich auf den Weg, Kehoe.« Er tat mir einen Moment lang Leid. Denn er war Sklave seines Hasses. Er konnte nicht anders. Und die schöne Rosalin hatte ihm mächtig zugesetzt. Dass Bad Wolf sie viele Nächte lang besessen hatte, begann diesen Captain innerlich zu zerstören. Er glaubte nun, er müsste Bad Wolf hängen, um sich für den Rest seines Lebens wieder besser fühlen zu können. Ich nickte nur wortlos und wandte mich ab. Mit den anderen Scouts nahm ich noch stehend das Frühstück ein. Dann saßen wir auf und ritten den Weg zurück bis zu jenem Schluchtmaul, wo die Übergabe stattgefunden hatte. Die Fährte der Kiowas führte hinein. Wir hielten an. Ich wandte mich an meine sechs Scouts. Einige waren Halbblutmänner. Fast alle hatten früher mit Indianern zusammengelebt, auch Indianerinnen als Frauen gehabt. Sie waren Jäger gewesen. Dann hatten sie geglaubt, dass sie als Scouts bei der Armee ihren Lebensunterhalt sehr viel leichter verdienen könnten.
Jetzt erkannten sie wohl ihren Irrtum. Cimarron sagte nach einer Weile: »Den brauchen wir nicht zu suchen. Ich wette, dass er eine deutliche Fährte hinterlässt und irgendwo auf den Captain wartet. He, werden wir wirklich für den Captain kämpfen – ich meine, für seine Rache?« Wir schwiegen nach seiner Frage noch eine Weile. Aber unsere Pferde bewegten sich unter uns ein wenig nervös, ein Zeichen dafür, dass sie die Unruhe ihrer Reiter instinktiv spürten. Doch dann sprach Buffalo Jack fast feierlich: »Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, denke ich. Oder hat schon mal einer von euch gekniffen?« Ja, sie waren alle von jener besonderen Sorte, die schon allein aus Selbstachtung nicht kneift. Ich ritt an, und sie folgten mir in die Schlucht hinein. Die Schlucht wurde immer breiter und wandelte sich zu einem wunderschönen Canyon, von dem nach einigen Meilen kleinere Schluchten abgingen wie Gassen von einer Hauptstraße. Es gab im Canyon einen Creek, aber auch einige kleine Seen oder Tümpel. Aber dann teilte sich die Fährte der Kiowas. Die Frauen, Kinder und Alten hatten den Canyon nach Süden zu verlassen. Die Fährte von Bad Wolf und dessen Kriegshorde aber blieb im Canyon und führte weiter nach Westen. Und somit war alles klar: Er wollte die wenigen Überlebenden seines Dorfes nicht in seiner Nähe
haben, wenn er sich uns stellte. Aber dies alles hatte ich erwartet. Doch wo und wann würde er sich stellen? Wie lange würde er uns hinter sich herlocken, bevor es ans Sterben ging? Der Captain hätte uns Scouts gar nicht vorausschicken müssen, um Bad Wolf zu suchen. Denn seine Fährte war schnurgerade und deutlich. Und so ritten wir weiter im Canyon durch die Vorberge. Ich konnte mir jedoch nicht vorstellen, dass Bad Wolf sich in den Bergen stellen würde. Er war ein Prärieindianer. Die nördlichen Kiowas waren ein Reitervolk so wie die Cheyennes, Arapahoes und Sioux weiter im Norden. Solche Völker kämpften zu Pferd wie stolze Ritter. Sie waren anders als die Apachen im Süden. Der Tag verging. Wir folgten immer nur der deutlichen Fährte von mehr als hundert Pferden, auf denen Kiowa-Krieger saßen. Und hinter uns folgte der Captain in einigem Abstand. Manchmal sandte ich einen von meinen Scouts zurück zu ihm. Dann kam immer wieder sein Befehl nach vorn, Bad Wolf endlich zu finden. Der Tag verging. Es folgte eine ruhige Nacht. Und am nächsten Tag erreichten wir gegen Mittag die Stelle, wo die Fährte den Canyon verließ und nach Süden abbog. Auch seine Frauen, Kinder und Alten waren nach
Süden gezogen. Wollte er sich mit ihnen wieder vereinigen? Das Land nach Süden wurde flacher. Wir verließen die Vorberge und gerieten wieder auf die wellige Prärie, legten Meile um Meile zurück und näherten uns dem Arkansas River. Wir erreichten ihn am Abend nach einem Fünfzig-Meilen-Ritt. Die Fährte führte durch die Furt hinüber, aber wir blieben diesseits, schlugen das Camp auf. Ich sandte einen der Scouts zum Captain zurück. Auf der gegenüberliegenden Seite war viel Buschwerk, standen alte Cottonwoods. Es gab auch rotgelbe Felsen in bizarren Formen, zernagt von den Witterungseinflüssen. Ich wusste, dort drüben wartete Bad Wolf. Es war dann gegen Mitternacht, als die müde und erschöpfte Truppe unser Camp bei der Furt erreichte. Captain Ironhart ließ mich in sein Zelt kommen. Und da sah ich auch endlich seine Rosalin wieder. Zuerst erkannte ich sie nicht, sondern hielt sie im schwachen Laternenschein für einen schlanken Soldaten, dem die Uniform etwas zu reichlich war. Dann aber, als sie mich ansah, sah ich, dass sie es war. Ja, sie trug Armeeuniform. Gewiss hatte man in einem der Bagagewagen einige Uniformen mitgenommen für den Fall, dass sich Soldaten ihre Uniformen zerrissen. Das kam ja immer wieder mal vor, wenn Reiter mit ihren Pferden stürzten oder im Kampf verwundet wurden.
Nun, sie trug also eine Uniform. Ihre eisgrünen Katzenaugen funkelten im Laternenschein. Aber sie sagte nichts, sah mich nur an, als wäre ich ihr etwas schuldig. Ja, es war ein fordernder Ausdruck in ihren Augen. Der Captain aber drückte es in Worten aus. Denn er schnarrte: »Finden Sie ihn endlich, Kehoe. Verdammt, finden Sie ihn endlich!« »Er ist dort drüben«, erwiderte ich. »Er wartet am Südufer auf Sie, Captain.« Er zuckte zusammen. Dann fragte er: »Und warum dort drüben?« »Weil es sonst auf viele Meilen keine Furt gibt. Überall ist sonst Treibsand. Wir können ihn nicht umreiten. Sie müssen auf seiner Fährte hinüber. Anders kommen Sie nicht an ihn heran. Oder Sie müssen einen gewaltigen Umweg machen und erst dann wieder seiner Fährte folgen. Aber wahrscheinlich würde er Sie auch an jeder anderen Furt erwarten. Verstehen Sie, Captain? Es würde bei jeder anderen Furt nicht anders sein wie hier. Er hat Sie in der Klemme.« Als ich verstummte, da schüttelte er ungläubig den Kopf. »Yes, Sir«, sprach ich trocken, »so einfach ist das jetzt.« Er starrte mich an und begriff, dass Bad Wolf ihn wirklich in der Klemme hatte. Wo auch immer der Captain mit seiner Truppe über den Arkansas gehen
wollte, Bad Wolf würde vor ihm dort sein und warten. Es gab ja nur sehr wenige Übergangsmöglichkeiten. Die waren jeweils viele Meilen voneinander entfernt. Sonst gab es überall nur Treibsand. Seine Truppe würde darin versinken, bevor die Pferde schwimmen könnten. Der Captain begriff es mehr und mehr. Er wandte den Kopf und blickte auf seine Frau. Die verhielt bewegungslos im Hintergrund des Zeltes. Sie sprach kein Wort, sah ihn mit ihren eisgrünen Katzenaugen nur funkelnd an. Und da sagte er heiser: »Ich bringe ihn dir, Rosalin. Ich schwöre dir, dass ich ihn dir bringe und du zusehen kannst, wie man ihn am Hals aufhängt.« Er wandte sich wieder mir zu und sprach klirrend: »Wenn die Morgennebel gegen Ende der Nacht über dem Fluss liegen, reiten wir hinüber und erledigen ihn mitsamt seiner Horde. Und ich werde den Befehl geben, ihn lebend zu fangen. Ja, ich will ihn hängen. Kehoe, wenn Sie das schaffen, ihn lebend zu bekommen, dann entlasse ich Sie aus der Schuld. Denn wenn einer es schafft, ihn lebend zu bekommen, dann Sie. Also ist alles klar, Kehoe.« Er hätte nach diesen entschlossenen und selbstherrlich klingenden Worten auch noch »Basta!« sagen können. Aber was er wollte, war sowieso klar. Er würde seine Truppe in den Morgennebeln durch die Furt führen, koste es, was es wolle, ganz und gar
ohne Rücksicht auf Verluste. Ich musste würgend schlucken. Dann aber versuchte ich es nochmals mit den Worten. »Captain, er hat doppelt so viele Krieger wie Sie Soldaten. Und sie alle sind gut bewaffnet. Sie haben auch keinen Auftrag vom Armeehauptquartier. Aber Sie können ihn vielleicht bekommen, wenn Sie seine Frauen, Kinder und Alten wieder einfangen und ins Reservat zurückbringen. Dann würde Ihnen vielleicht auch die Armee vergeben.« Er staunte mich an. Dann aber sprach Rosalin Ironhart aus dem Hintergrund: »Charley, du musst ihn hängen. Es gibt keinen anderen Weg für mich, um mich wieder sauber zu fühlen. Du musst diesen verdammten Hurensohn hängen.« Ihre Stimme fauchte zuletzt. Und es ging gewiss jetzt eine suggestive Kraft von ihr aus. »Das werde ich, Rosalin«, sprach er fast flüsternd. Er sah mich wieder an. Dann sagte er: »Die Scouts stehen unter Kriegsrecht wie wir Soldaten. Also wird jeder, der meine Befehle nicht befolgt, erschossen. Ist das klar, Kehoe?« Ich nickte nur und ging hinaus. Als ich zu meinen Scouts kam, fanden sich auch die Sergeants ein. Was sollte ich ihnen sagen? Ich überlegte nicht lange, dann sprach ich ruhig: »Bad Wolf wartet drüben auf uns. Und der Captain will
ihn lebendig, um ihn hängen zu können. Das wird morgen eine rauchige Sache.« Damit hatte ich alles gesagt. * An diesem grauen Nebelmorgen blies der Hornist nicht zum Wecken. Die Stimmen der beiden Lieutenants und der drei Sergeants klangen leise. Wir kamen hoch. Es wurde kein Frühstück gemacht. Wir sattelten die Pferde und saßen auf. Die Nebel stiegen immer dichter aus dem Arkansas. Und es gab keine Stimmen der Vögel. Denn es war jetzt die Stunde, da die Nachttiere sich zur Ruhe gelegt hatten und die Tiere des Tages noch nicht erwacht waren. Als wir zur Furt hinunterritten, führte ich mit dem Captain die Truppe an. Das war jetzt meine Pflicht als Chef-Scout. Und ich wusste, die Kiowas hatten uns längst gehört und warteten auf uns. Die beiden Bagagewagen blieben zurück. Dort würde wohl auch Rosalin Ironhart warten. Ob sie wirklich hoffte, dass ihr Mann Bad Wolf lebend zu ihr bringen konnte? Hielt sie immer noch so große Stücke auf ihn? Bewunderte sie vielleicht sogar seinen Mut? Aber dieser Mut war jetzt nichts anderes als arrogante Dummheit, verursacht auch durch seinen Hass, der ihn blind machte. Und er glaubte wahrscheinlich tatsächlich, mit
fünfzig Mann eine doppelt so starke Kiowa-Horde besiegen zu können. Er war an diesem grauen Nebelmorgen auch bereit, eine Menge von seinen Soldaten zu opfern. Die armen Hunde standen unter seinem Befehl. Es lag bei ihm, sie in den Tod zu führen. Aber das ist wohl so bei allen Armeen auf der Welt. Das Wasser strömte ruhig unter den Bäuchen unserer Pferde dahin, und der Nebel war hier besonders dicht. Wie Watte lag er im Flussbett. Ich wusste, Ironharts Männer waren fast alle eisenharte, zähe und kampferfahrene Burschen. Viele von ihnen waren schon lange bei der Armee und hatten den ganzen Krieg zwischen Nord und Süd mitgemacht. Ich wusste, sie würden den Kiowas einen schrecklichen Kampf liefern. Doch viele würden sterben. Ich vermochte es nicht zu verhindern, es sei denn, ich würde den Captain und die beiden Lieutenants erschießen. Denn wer sonst an meiner Stelle hätte dies tun können? Und so ritt ich also neben ihm durch den Arkansas. Der Fluss war hier bei der Furt ziemlich breit und deshalb so flach. Wir konnten im Nebel kaum etwas sehen, aber ich vermutete, dass der Arkansas hier breiter als eine Viertelmeile war, also etwa vierhundert Yards. Diese vierhundert Yards schienen mir vierhundert Meilen zu sein. Und ich wusste, mit jedem Yard näherten wir uns dem Tod.
Wir kamen endlich in das ganz flache Wasser, ritten aus dem Flussbett hinauf und gelangten aus dem Nebel. Im Osten blitzten die ersten Sonnenstrahlen und machten den Morgen plötzlich freundlich und hell. Irgendwann würde die Sonne auch die Nebel im Flussbett auffressen. Hier oben im Bereich des Flussufers wuchsen hohe Büsche, Bäume, gab es scheinbar undurchdringliche Dickichte. Ironharts Männer ritten mit den Revolvern in der Faust und hielten lose Viererreihen ein. So bildeten sie ein Rechteck. Die Feuerkraft ihrer Hartford Dragoons von Kaliber vierundvierzig betrug dreihundert Kugeln, also fünfzig mal sechs Kugeln. Würden es die Kiowas wagen? Als ich mich das fragte, wandte sich Captain Ironhart mit einem verächtlichen Grinsen an mich und fragte höhnend: »Nun, Mr Kehoe, wo sind sie, die Hurensöhne, he, wo sind sie?« Er hatte kaum ausgesprochen, da tauchten sie rings um uns auf wie die Teufel aus der Hölle. Sie waren plötzlich da. Und weil sie ja Prärieindianer waren, ein Reitervolk also, kamen sie zu Pferd. Hinter dem dichten Dickicht, in den Senken, Furchen und in der Deckung der rotgelben Felsen hatten sie gewartet, um uns auch den Rückweg abschneiden zu können. Ihr Kriegsgeschrei gellte wild und verhieß den Tod.
Dieses gellende, kreischende und heulende »Yiiiyaaayiii« jagte einem Schauer über den Rücken. Dann begann der Kampf. Sie griffen uns von allen Seiten an, versuchten unsere Formation zu sprengen, in einzelne Gruppen aufzulösen. Doch sie schafften es nicht, denn wo es unter uns Lücken gab, weil die Toten und Verwundeten da und dort von den Pferden fielen, wurden sie rasch wieder geschlossen. Und wir feuerten nach allen Seiten. Ja, wir fügten ihnen gewiss mehr Verluste zu als sie uns. Auch ich schoss mit meinem Colt und konnte stets erkennen, dass ich traf. Ich hatte keinen einzigen Fehlschuss. Dabei wusste ich, dass wir gewiss keine Zeit zum Nachladen haben würden. Ich hielt mit schnellen Blicken Ausschau nach Bad Wolf. Doch ich sah ihn nirgendwo im Kampfgetümmel. Der Captain neben mir kämpfte gut. Doch er sah nun ein, dass er nicht gewinnen konnte. Plötzlich brach sein Pferd getroffen unter ihm zusammen. Er schwang sich hinter mich auf meinen starken grauen Wallach. Und dann brüllte er dem Hornisten zu: »Rückzug! Das Signal zum Rückzug!« Das Hornsignal ertönte scharf durch den Lärm. Und dann zogen wir uns zum Fluss zurück, tauchten wieder ein in den immer noch vorhandenen Nebel. Die Kiowas folgten uns nicht. Wahrscheinlich waren sie selbst froh, dass es vorerst einmal eine Pause gab.
Wir ritten also durch den Fluss zurück auf die andere Seite zu unseren Wagen, wo ja bei den Fahrern auch die schöne Rosalin wartete. Als wir endlich aus dem Fluss ritten und aus dem Nebel kamen, da sahen wir die Wagen brennen. Die vier Soldaten – zu jedem gehörten zwei Mann – lagen tot am Boden. Und Rosalin Ironhart war weg. Auch ihr Pferd fehlte. Der Captain stieß einen wilden Schrei aus und schwang sich hinter mir vom Pferd. Wild brüllte er den Namen seiner Frau. Aber sie war weg. Und die Wagen brannten lichterloh. Nun wusste ich, warum ich Bad Wolf nicht drüben im Kampfgetümmel hatte entdecken können. Er hatte sich die schöne Frau des Captains noch einmal geholt. Die Strafe für den Captain war immer noch nicht beendet. Indes wir hinüber in den Kampf geritten waren, hatte er den umgekehrten Weg genommen. Ich blieb noch im Sattel und blickte auf den Captain. Dann wandte ich mich um und sah zurück. Ja, da kamen die Soldaten. Viele waren verwundet. Einige Pferde waren ohne Reiter. Doch sie blieben bei den anderen. Kavalleriepferde blieben immer zusammen. Ich begann zu begreifen, dass wir sehr hohe Verluste hatten. Die Truppe war zerschlagen und nicht mehr stark genug gegen die Kiowa-Horde, selbst wenn diese
gleich hohe Verluste hatte. Ich sah auf den Captain und erkannte, dass auch er verwundet war. Und so fragte ich heiser: »Soll ich sie holen, Captain? Soll ich hinterher? Mein Wallach schlägt alle Mustangs!« Er starrte zu mir hoch. Sein Gesicht war verzerrt. Aus seinem Ärmel lief Blut. »Bringen Sie mir meine Frau zurück! Und töten Sie endlich Bad Wolf!« So rief er mit sich überschlagender Stimme. Da ritt ich los. Denn die Fährte war klar zu erkennen. Es waren drei Reiter. Die vierte Spur war die von Rosalin Ironharts Tier. Sie ritten am Fluss entlang. Aber wenn sich Bad Wolf mit seiner Horde wieder vereinigen wollte, musste er auf die andere Seite. Das konnte er nur dann so schnell, wenn er eine mir unbekannte Übergangsmöglichkeit kannte, eine Furt oder eine tiefe Stelle, wo die Pferde sofort schwimmen konnten, also nicht mit den Hufen in den Treibsand gerieten. Ich trieb meinen grauen Wallach an, ließ ihn ausgreifen. Der Vorsprung konnte nicht sehr groß sein. Und mit Rosalin Ironhart vermochten sie gewiss auch nicht so schnell zu reiten wie ich. Indes ich ritt, lud ich meinen Revolver auf. Denn ich würde die sechs Kugeln sicherlich dringend benötigen. Sie würden gewissermaßen meine Freunde sein.
Und wenn ich Bad Wolf erwischen konnte, dann war ich nicht mehr in Ironharts Schuld. Dann konnte ich wieder meiner Wege reiten. * Es wurde ein harter Ritt am Arkansas entlang, immer wieder durch Buschinseln und Gestrüpp. Nach mehr als sechs Meilen endlich sah ich sie. Ja, da ritten sie vor mir zum Fluss hinunter. Als sie mich kommen sahen, hielten sie an und sahen mir entgegen. Dann stellten sie fest, dass ich allein kam. Sie begriffen, dass dies so sein musste, weil mein Wallach jedes andere Tier schlagen konnte bei einem langen Ritt. Ich erkannte Bad Wolf. Er zog das Pferd von Rosalin an den langen Zügeln mit. Die beiden anderen Reiter waren gewiss besonders erfahrene Krieger. Er schickte sie mir jetzt entgegen. Und das konnten sie haben. Ja, das passte mir gut! Ich trieb meinen Grauen schneller an. Denn seine Schnelligkeit war nun meine einzige Chance, ihren Kugeln zu entkommen bei meinem Angriff. Sie sollten mich aufhalten, damit Bad Wolf mit der Gefangenen ungehindert über den Fluss kam. Ich beugte mich tief nieder und hielt den Revolver in der Faust. Sie ritten mir entgegen und feuerten mit ihren Gewehren. Ihre Kugeln zupften an mir. Doch sie trafen nicht. Auch meinen Wallach traf kein Geschoss.
Vielleicht war es Schicksal, und ein Mächtiger war auf meiner Seite, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass ein Gott im Himmel damit einverstanden war, wenn wir Menschen uns gegenseitig umbrachten. Wir kamen uns immer näher. Bald würde ich für meinen Revolver nahe genug sein. Sie hielten endlich an, um genauer zielen und besser treffen zu können. Ich jagte weiter auf sie zu. Dann bekam mein braver Wallach eine Kugel in den Kopf. Sie war für mich bestimmt, doch weil er in diesem Sekundenbruchteil den Kopf hochnahm, fing er die Kugel auf. Er überschlug sich nach vorn. Ich kam gut aus dem Sattel, rollte über den Boden und behielt den Revolver in der Faust. Als ich mich aufrichtete, da kamen sie herangeritten. Sie glaubten, dass sie mich nun im Sack hatten, wie man so sagt. Aber ich begann nun am Boden kniend zu schießen. Und ich traf sie. Sie fielen von ihren Pferden. Ich rannte los. Denn ich musste zum Fluss hinunter. Dort trieb Bad Wolf die Pferde ins Wasser. Die Tiere mussten sofort schwimmen, denn der Fluss war hier sehr viel schmaler und damit tiefer als weiter oberhalb bei der Furt. Ich brüllte hinunter: »Kannst du schwimmen, Rosalin?« Vielleicht hörte und verstand sie meine Worte. Jedenfalls warf sie sich vom Pferd in den Fluss und
wurde sofort von der Strömung abgetrieben, schon etwa zwanzig Yards vom Ufer entfernt. Bad Wolf wollte ihr auf dem Pferd folgen, sie wieder einfangen, doch dann sah er über die Schulter zurück und erkannte, dass ich im nächsten Moment nahe genug sein würde, um ihn in die Reichweite meines Revolvers zu bekommen. Er hatte gesehen, wie ich mit seinen Kriegern zurechtgekommen war. Und so ergriff er die Flucht. Er trieb sein schwimmendes Pferd schräg gegen die Strömung, sodass diese ihn noch schneller hinübertrieb als das Pferd zu schwimmen vermochte. Ja, er entkam mir, zumal ich mich ja auch um Rosalin kümmern musste. Denn sie wurde ziemlich weit abgetrieben. Ich lief am Ufer entlang und voraus, bis ich sie endlich herausziehen konnte. Sie war erschöpft und halb ertrunken. Ihre nasse Kleidung war schwer geworden. Und eine gute Schwimmerin war sie auch nicht. Ich zog sie also heraus und hielt sie dann in meinen Armen. Nun, sie war keine arrogante Zicke mehr, sondern eine Frau, welche um ihr Leben gekämpft hatte und Hilfe brauchte. »Kann ich Sie loslassen? Können Sie allein stehen? Fallen Sie auch nicht um?« So fragte ich. Sie gab mir zuerst keine Antwort. Aber sie legte ihre Stirn gegen meine Schulter. Und dann spürte ich, dass
sie weinte. Ihre Härte war zerbrochen. Sie war jetzt nur noch ein armes Ding. Und so hielt ich sie eine Weile und gab ihr ein Gefühl der Geborgenheit. Sie brauchte das jetzt. »Es ist vorbei«, sagte ich. »Es ist ja alles vorbei. Und der Captain lebt auch noch.« Ich ließ sie nun los. Nass bis auf die Haut stand sie nun vor mir in der Uniform eines Kavalleristen und sah zu mir hoch. Dann sprach sie hart: »Warum haben Sie Bad Wolf nicht getötet? Verdammt, warum konnten Sie ihn nicht abschießen?« »Er war für einen Revolver schon zu weit weg«, erwiderte ich. »Auch musste ich mich um Sie kümmern. Es sah so aus, als würden Sie ertrinken. Oder haben Sie vielleicht kein Arkansaswasser geschluckt, Rosalin?« »Für Sie bin ich immer noch Mrs Ironhart«, fauchte sie da. Und nun war wieder der arrogante und biestige Ausdruck ihrer Kaste in ihren Augen. Zorn stieg in mir hoch. Und so sagte ich: »Rosalin, ich muss Ihnen jetzt mal was klar machen. Wir sind hier verdammt allein und haben keine Pferde mehr. Wir werden laufen müssen, viele, viele Meilen. Der Captain kann sich nicht um uns kümmern. Der hat mit seiner Abteilung jetzt eine Menge Probleme. Es gab viele Tote und Verwundete. Und die Kiowas sind immer noch stärker als er. Er wird die Flucht ergreifen müssen, um möglichst viele seiner Soldaten zu retten.
Ich werde Sie allein nach Standing Walls bringen müssen. Wir werden viele Tage und Nächte Gefährten sein. Deshalb sollten wir uns auch wie Gefährten verhalten. Haben Sie das kapiert, Rosalin?« Sie starrte mich böse an. Doch dann konnte sie wohl in meinen Augen etwas erkennen und hielt die Luft an. »Dann gehen wir endlich«, sprach sie spröde. Wir setzten uns in Bewegung. Die eiden Indianermustangs waren weggelaufen. Die würde ich zu Fuß nicht einfangen können. Mein Wallach war tot. Ich begriff es mit Bitterkeit. Das Tier war lange Zeit mein Gefährte gewesen und mir ans Herz gewachsen. Den Sattel musste ich zurücklassen. Nur mein weniges Gepäck würden wir mitnehmen. Ich nahm dem toten Tier alles ab und teilte ihr zu, was von ihr getragen werden musste. Ich selbst schwang mir die beiden Satteltaschen über die Schultern und nahm das Gewehr in die Hand. Sie nahm das ihr zugeteilte Gepäck auf und starrte zu den beiden toten Kriegern hinüber. »Ich würde auch noch ein Gewehr tragen«, sprach sie heiser. »Die haben doch Gewehre bei sich.« »Sicher«, nickte ich. »Wenn Sie eins tragen wollen, dann nehmen wir noch eins mit.« Wenig später waren wir unterwegs. Die nasse Uniform klebte immer noch an ihrem Körper und ließ ihre sehr weiblichen Formen deutlich erkennen. Ja, sie war wunderschön.
Und jetzt waren wir Gefährten geworden. Erst nach etwa vier Stunden erreichten wir den Ort, wo die Wagen brannten und die angeschlagene Abteilung des Captains sich gesammelt hatte. Sie waren auf dem Rückmarsch. Ich sah an den Fährten, dass sie ein Dutzend Schleppschlitten gefertigt hatten, mit denen sie ihre Verwundeten transportierten. Die Toten aber hatten sie auf dem anderen Ufer zurücklassen müssen. Wir betrachteten alles aus guter Deckung heraus, ließen uns lange Zeit nicht sehen. Aber es war alles verlassen. Weder auf unserer noch auf der anderen Seite waren Menschen. Doch drüben kreisten über den toten Soldaten und Pferden die Geier. Ihre Toten hatten die Kiowas gewiss mitgenommen. »Komm, Rosalin«, stieß ich endlich hervor. »Das wird ein weiter Weg auf der Fährte der Soldaten. Der Captain muss die Verwundeten heimbringen. Der kann nicht auf uns warten. Komm!« Sie protestierte nicht gegen meine vertrauliche Anrede. Offenbar begann sie endlich zu begreifen, in welcher Situation wir uns befanden. Ich betrachtete sie prüfend von der Seite und erkannte, wie erschöpft sie war. Denn wir waren durch raues Gelände gewandert. Sie hatte Gepäck geschleppt, auch das Gewehr mit einem gefüllten Patronengurt. Mir wurde klar, dass sie gewiss eine gute Reiterin war, doch des Wanderns oder Marschierens
ungewohnt. Wahrscheinlich hatte sie jetzt schon Blasen an den Füßen. Sie trug ja zu der Uniform auch Kavalleriestiefel, die ihr wahrscheinlich zu groß waren. Bis nach Standing Walls war es noch ein langer, langer Weg. Und die Abteilung des Captains würden wir gewiss nicht einholen. Ich wusste, er hatte sie mir nun ganz und gar anvertraut. Er musste sich um seine Männer kümmern, vor allen Dingen die Verwundeten so schnell wie möglich zum Feldarzt bringen. Die beiden als Sanitäter ausgebildeten Soldaten waren ja beim Überfall auf die Bagagewagen getötet worden. Die gesamte Ladung war mit den Wagen verbrannt. Der Captain hatte eine Menge Pflichten. Und so vertraute er darauf, dass ich seine Frau bestimmt befreien und nachbringen würde. Was anderes blieb ihm übrig? Ich fragte sie nun: »Rosalin, können Sie noch laufen?« Sie starrte mich seltsam an. Vielleicht hatte sie im Klang meiner Stimme heraushören können, wie sehr ich sie bedauerte und Mitleid mit ihr hatte. Und da kam auch schon wieder jener arrogante Stolz in ihr hoch. »Verdammt, Mister Lederstrumpf«, fauchte sie, »ich kann noch tausend Meilen marschieren. Wann endlich setzen wir uns in Bewegung?« Ich grinste nur nachsichtig. Und ich wusste, dass sie
sich mühen würde, bis sie nicht mehr konnte. Dann hatte ich sie noch mehr als Last am Hals. Verdammt, warum war sie nur so verdreht, arrogant und auf dumme Art störrisch? Ja, ich war wieder sehr wütend auf sie. Und so erhob ich mich, nahm mein Gepäck auf und setzte mich in Bewegung. Als ich mich nach einigen Schritten umsah, da folgte sie mir. * Als es Abend wurde, erreichten wir einen Creek. Und hier brach sie zusammen. Sie legte sich einfach hin und murmelte heiser: »Ich kann nicht mehr. Meine Füße müssen blutige Klumpen sein. Es geht nicht mehr. Die verdammten Stiefel gehören im Feuer verbrannt.« Zuletzt klang in ihrer heiseren Stimme hilfloser Zorn. Und nun begriff sie wohl endlich, dass nicht immer alles nach ihren Wünschen und nach ihrem Kopf ging. Sie war weit weg von der Zivilisation. Hier konnte sie keine Befehle erteilen, auf die Erfüllung ihrer Wünsche pochen, hochmütig auf ihrer Meinung nach mindere Menschen herabsehen. Sie war nicht mehr die Frau eines Kommandeurs, sondern ein armes Ding. Und je früher sie das begriff, umso besser würde es für sie sein. Ich zog ihr zuerst die Stiefel aus.
Und da sah ich es. Ja, sie hatte ihre Füße blutig gelaufen. Am nächsten Tag würde sie nicht gehen können. Und auch ihr ganzer Körper war verkrampft und verhärtet. Sie war es einfach nicht gewöhnt, einen langen Tag durch raues Gelände zu marschieren. Ich überlegte, was ich mit ihr machen sollte. Sie war inzwischen am Boden eingeschlafen, restlos zerbrochen. Doch als ich sie zu entkleiden begann, da wurde sie wieder wach und begriff, was ich mit ihr tat. »Oh, du verdammter Hurensohn«, stieß sie hervor. »Bist du auch nicht anders als Bad Wolf? Seid ihr in diesem Land alle nichts anderes als animalische Wilde?« »Du bist eine dämliche Zicke«, erwiderte ich bitter. »Ich entkleide dich nur, weil ich deinen Körper massieren muss. Sonst bist du morgen so steif wie eine Tote, kannst dich nicht bewegen und bist noch hilfloser als jetzt. Ich will dich nicht als Tote zu deinem Captain bringen. Du sollst diesem Narren erhalten bleiben. Denn ihr beide passt ja so einmalig gut zusammen.« Nach diesen ärgerlichen Worten machte ich weiter. Nun ertrug sie alles schweigend. Ich wusste, dass ich ihr Schmerzen zufügte. Aber sie biss die Zähne zusammen. Zuletzt behandelte ich ihre Füße. Ich konnte nichts anderes tun, als sie in lehmige Erde aus dem Creek zu
packen. Lehm ist ja auch gute Heilerde. Das wusste ich von den Indianern. Aber morgen würde sie keine Stiefel mehr anziehen können. Als ich mit ihr fertig war, schlief sie fest. Ich legte eine unserer beiden Decken über sie und nahm dann etwas von meinem Proviant zu mir. Rosalin war nicht mehr fähig gewesen, auch nur einen einzigen Bissen zu zerkauen. Immer wieder erwachte ich aus meinem leichten Schlaf und lauschte in die Runde. Doch die Stimmen der Nacht verrieten mir keine Gefahren. Und so nickte ich immer wieder ein. Die Nacht verging. Am Morgen holte ich mit meinem Hut Wasser aus dem Creek und begann sie zu waschen, dann abermals zu massieren. Sie wurde wach und begriff wieder, dass sie völlig nackt auf der Decke lag. Ich aber kniete neben ihr und massierte ihre Beine. Sie sprach kein Wort, sah mich nur fortwährend fest an. Ich wusste diesen Blick nicht zu deuten, denn ich erkannte keinen Zorn in ihren Augen, nur einen Ausdruck, der vielleicht Verwunderung sein konnte. Ich drehte sie dann auf den Bauch und massierte weiter. Als ich fertig war, sagte ich: »Jetzt können Sie sich ankleiden, Rosalin. Dann müssen wir noch etwas mit Ihren Füßen machen. Ich denke, ich werde mein Lederhemd opfern müssen für ein Paar behelfsmäßige
Mokassins, die wir gut auspolstern müssen. Und wenn Sie nicht mehr laufen können, muss ich Sie auf einem Schleppschlitten transportieren. Die Stiefel jedenfalls können Sie nicht mehr anziehen.« Sie schwieg zu meinen Worten, doch sie gehorchte mühsam. Ich half ihr nicht; denn sie musste sich ja bewegen, damit sie ihre Steifheit allmählich verlor. Erst nach einer Weile fragte sie, indes ich aus meinem Lederhemd so etwas wie Mokassins machte: »Was haben Sie mit meinen Füßen gemacht?« »Das ist Lehm«, erwiderte ich. »Vielleicht hat die lehmige Heilerde etwas geholfen. Wir hatten nichts anderes.« Sie schwieg dann eine Weile und erhob sich, hinkte umher. Dann hielt sie einmal inne und sprach etwas widerwillig: »Vielleicht sind Sie doch so etwas wie ein Gentleman, Kehoe.« »Jessup, nennen Sie mich einfach Jessup oder Jess«, erwiderte ich nur und arbeitete weiter. Sie hinkte zum Creek, kniete dort mühsam nieder und erfrischte sich mit einigen Schlucken Wasser. Als sie sich mir zuwandte, fragte sie: »Haben wir denn nichts zu essen?« »Doch, haben wir.« Ich grinste, denn ich war mächtig erleichtert, dass sie nun Hunger verspürte. Das war ein gutes Zeichen. »Ich habe noch etwas von diesem köstlichen Armeeproviant«, sprach ich weiter. Sie hatte sich erhoben, stand noch am Creek und sah
zu mir her. Dann fragte sie ziemlich borstig: »Sie haben wohl was gegen die Armee, Mister Lederstrumpf? Sagen Sie mir warum.« Ich nahm etwas Proviant aus meiner Satteltasche und trat damit vor sie hin, reichte ihr das Dörrfleisch und die harten Biskuits. »Zum Nachtisch gibt es noch eine Hand voll Dörrobst.« Ich grinste. »Ich habe Ihnen eine Frage gestellt«, erinnerte sie mich. »Was haben Sie gegen die Armee? Das will ich nun wissen.« »Sie ist ein seelenloses Instrument«, erwiderte ich. »Sie funktioniert auf Befehl wie eine Maschine. Und wenn der Befehlsgeber nichts taugt, wenn er böse ist, wie auch immer, dann ist die Armee sein Werkzeug. Sie muss gehorchen. Es ist nun mal so, dass der Mensch nicht edel und gut ist, von Ausnahmen abgesehen, die es ja immer gibt. Nein, ich mag die Armee nicht, wenn sie Indianerdörfer klein macht, Massaker veranstaltet und schlimme Dinge tut.« »Aber Sie dienen der Armee als Scout«, sprach sie. Da schüttelte ich den Kopf. »Nein, Rosalin. Ich bin Ihrem Mann etwas schuldig. Deshalb wurde ich sein Scout. Wenn ich diese Schuld bezahlt habe, werde ich die Armee fluchtartig verlassen.« Sie erwiderte nichts mehr, sondern begann zu essen. Dabei ging sie vorsichtig umher. Sie hatte Schmerzen bei jeder Bewegung. Ihre Füße sahen nicht mehr so schlimm aus wie am Tag zuvor. Die Lehmerde hatte gewirkt. Aber ich wusste, sie würde auch mit den
behelfsmäßigen Mokassins an den Füßen nicht lange laufen können. Nun, sie bewegte sich also und versuchte so ihre Verkrampfungen zu lockern. Ich beobachtete sie und begriff, dass sie eine Kämpferin war, nicht nur eine arrogante Zicke. Es steckte mehr in ihr. Sie hatte es wohl nur noch nicht zum Einsatz bringen müssen. Ich ließ ihr noch etwas Zeit. Doch als sie mit dem Essen fertig war, da band ich ihr die Ersatzmokassins um die Füße. Ich hatte sie mit Moos gepolstert, aber ich machte mir keine großen Hoffnungen. Im besten Fall hielt sie einige Meilen durch. * Gegen Mittag konnte sie nicht mehr. Wir hatten ein Wäldchen erreicht. Es waren alte Cottonwoods, zwischen denen dornige Büsche standen. Hier fiel sie in den Schatten und stöhnte zu mir empor: »Jetzt geht es nicht mehr! Ich kann nicht mehr, wirklich nicht. Meine Füße müssen wieder blutige Klumpen sein. Wie weit ist es wohl noch bis nach Standing Walls? Und meinen Sie nicht, Kehoe, dass mein Mann, der Colonel, einige Soldaten oder Scouts aussenden wird, die nach uns suchen?« »Wahrscheinlich«, sagte ich. Ich hockte mich neben sie und betrachtete sie aufmerksam. Ich fragte mich, wie schwer sie wohl sein mochte. Ich schätzte ihr Gewicht auf knapp hundertzwanzig Pfund, denn sie
war für eine Frau mittelgroß. Es war auch alles richtig an ihr, was ihre Formen betraf. Natürlich könnte ich sie jeden Tag zumindest ein Dutzend Meilen tragen, vielleicht sogar zwanzig. Doch dann müsste ich unser ganzes Gepäck zurücklassen, unsere beiden Gewehre, die gefüllten Satteltaschen, die Patronengurte und die Decken. Und das durfte ich nicht riskieren. Ich sah Rosalin Ironhart fest an und hockte dabei immer noch dicht bei ihr auf den Absätzen. Und dann sprach ich langsam: »Ich muss irgendwohin, wo ich zwei lange Stangen von einem Baum schneiden kann. Hier in diesem Wäldchen gibt es solche Äste nicht. Vielleicht muss ich viele Meilen weit laufen und suchen. Ich brauche solche Stangen für einen Schleppschlitten, auf dem ich Sie und unser Gepäck transportieren kann. Es könnte also sein, dass Sie hier einige Stunden auf meine Rückkehr warten müssen, vielleicht sogar die ganze Nacht. Aber ich komme wieder. Darauf können Sie sich verlassen.« Nach diesen Worten erhob ich mich. Sie sprach zu mir empor: »Und wenn Sie nicht wieder zurückkommen, Kehoe, wenn Sie mich hier einfach im Stich lassen, dann sollen Sie in der Hölle schmoren.« Ich nickte nur stumm. Dann ging ich. Ja, ich verstand sie gut. Sie kannte mich ja eigentlich gar nicht und musste mir misstrauen. Wahrscheinlich hätte es mehr als nur einen Burschen an meiner Stelle
gegeben, der sie im Stich gelassen hätte. Sie war ja eine Last geworden. Und überdies war ich noch vor wenigen Tagen ein stinkender Scout für sie gewesen, der am anderen Tischende Platz nehmen sollte. Was also konnte sie schon von mir erwarten? Ich verließ sie also, um irgendwo Bäume zu finden, aus deren Stämmen ich lange Stangen schneiden konnte. In der Ferne erkannte ich einige bewaldete Hügel. Diese waren mein Ziel. Manchmal trabte ich wie ein Apache im Wolfstrott. Dann wieder lief ich langsam. Ich legte an diesem Mittag bis zum Nachmittag etwa fünf Meilen zurück. Dann endlich erreichte ich einen bewaldeten Hügel, an dessen Fuß sogar eine Quelle war, die einen kleinen Tümpel füllte. Ich sah hier die Hufspuren von unbeschlagenen Pferden und begriff, dass hier eine Wildpferdtränke war. Doch die Hufspuren waren zumindest zwei Tage alt. Wildpferde waren ja ständig unterwegs. Es konnte sein, dass der Hengst mit seinem Rudel erst wieder in ein oder zwei Wochen hier vorbeikam. Nein, ich konnte nicht warten. Und so machte ich mich daran, zwei lange Stangen zu schneiden, nachdem ich mich erfrischt hatte. Der Tag war immer noch heiß. Immer wieder blickte ich in die Runde. Doch nirgendwo war ein Mensch zu sehen, weder zu Pferde noch zu Fuß. In meilenweiter Runde war ich allein.
Am späten Nachmittag machte ich mich auf den Rückweg und wusste, dass ich erst nach Nachtanbruch wieder bei Rosalin sein konnte. Ob sie mich jetzt schon verfluchte? * Es war schon spät in der Nacht – und auch ich war so ziemlich am Ende meiner Zähigkeit –, als ich ihren Gesang hörte. Zuerst wollte ich es gar nicht glauben, hatte angehalten und lauschte staunend. Ja, sie sang. Es waren keine frommen Lieder, nein, es war offenbar ein Kinderlied, so wie sie es mal in der Schule gelernt oder ihre Mutter mit ihr gesungen hatte. Ich begriff nun endlich, dass diese Frau offenbar tief in sich auch eine weiche und frauliche Seite hatte und ihre Art, sich wie eine arrogante Zicke zu geben, ganz anders zu bewerten war. Jetzt sang sie wie ein Kind im dunklen Wald oder einem Keller ohne Licht. Sie sang gewiss, um sich Mut zu machen, sich nicht so allein zu fühlen. Natürlich war es nicht klug, in diesem Land laut zu sein. In der Stille war jeder Laut meilenweit zu hören. Es konnten Indianer oder Geächtete in der Nähe sein, die nun dem Gesang nachgingen. Aber dieser Gesang sagte mir auch, dass sie eine Frau mit Ängsten und Empfindungen war, mit Wünschen an das Leben, an ein Davonkommen. Sie
war ja noch jung. Und alles war für sie anders geworden. Viele Werte hatten sich für sie verändert. Ich ging weiter, näherte mich ihr und ihrem Gesang. Sie konnte mich – weil sie sang – nicht kommen hören. Die Nacht war nicht besonders hell. Nur manchmal kamen Sterne in einem Wolkenloch zum Vorschein. Der Mond war fast immer verborgen. Ich stand dann neben ihr und ließ die Enden der beiden Stangen zu Boden fallen, als sie mich endlich bemerkte und verstummte. »Hallo«, sprach ich heiser, »Sie haben aber eine schöne Stimme.« »Verdammt, Kehoe«, erwiderte sie. »Ich hatte schon aufgegeben, auf Ihre Rückkehr zu hoffen. Es vergingen zu viele Stunden. Ich glaube, dass Wölfe oder Coyoten in der Nähe waren. Irgendein Tier hat an mir herumgeschnüffelt, als ich schlief. Da habe ich gebrüllt und schließlich gesungen. Dies ist ein verdammtes Land.« Sie verstummte überzeugt. »Nun, ich bin ja wieder da«, sprach ich. »Doch jetzt muss ich meinen hungrigen Magen füllen. Auch ich bin am Ende meiner Kraft. Sie brauchen aber keine Sorge zu haben, dass ich schnarche.« »Das wäre mir egal«, erwiderte sie sehr sanft, und ich spürte, dass sie sehr froh war, mich wieder bei sich zu wissen.
Sie hatte sich verändert. Ob dies ihrem Mann Captain Charley Ironhart gefallen würde? * Am nächsten Morgen machte ich mich mit ihr auf den Weg. Ich hatte einen Schleppschlitten gefertigt, unsere Decken zwischen den Stangen befestigt und die oberen Enden der Stangen durch ein Querstück verbunden. Ich trug es wie ein Joch, so als wäre ich ein Ochse. Die Stangen lagen rechts und links auf meinen Schultern. Und mit Rosalin lag unser ganzes Gepäck auf dem Schleppschlitten. Rosalins Füße waren blutverkrustet, voller Wasserblasen und angeschwollen. Sie konnte wirklich nicht laufen. Auch einige Dornen hatte sie sich eingetreten. Ich zog und schleppte also den Schlitten. Meinen Revolvergurt mit der Waffe hatte ich mir um den Hals gehängt. Meile um Meile legten wir zurück. Immer wieder musste ich anhalten und verschnaufen. Gegen Mittag erreichten wir einen Creek. Als wir uns erfrischten, entdeckte ich in einem Wasserloch einige Forellen. Wenig später hatte ich sie gefangen und briet sie an Stecken über der Glut eines Feuers. Rosalin saß auf einem Stein, hatte die geschwollenen Füße im Wasser des Creeks und ließ sich die erste Forelle schmecken.
Ich fragte sie: »Haben Sie schon mal wie eine Wilde mit den Fingern gegessen so wie jetzt?« Sie wandte den Kopf und sah mich seltsam nachsichtig an. »Jessup Kehoe«, sprach sie dann, »ich stelle immer mehr fest, dass ich mich verändere. Wenn wir jemals in Standing Walls ankommen, dann werde ich eine andere Frau sein. Ich beginne einige Dinge mehr und mehr anders zu sehen.« Ich nickte ihr zu. »Brav, brav«, murmelte ich. »Aber wird das dem Captain gefallen? He, Rosalin, wie kam es dazu, dass Sie seine Frau wurden?« »Mein Vater war General«, erwiderte sie. »Und Ironhart war ein Offizier, dem man eine glänzende Laufbahn voraussagte. Ja, er gefiel mir. Er war verwegen und sehr schneidig anzusehen. All meine Freundinnen beneideten mich um Charley Ironhart. Auch mein Vater, bei dem er Adjutant war, hielt große Stücke auf ihn. Und dann brach der Krieg aus. Er wurde Colonel und Regimentskommandeur. Das alles gefiel mir mächtig. Ich war auch während des Krieges oft bei ihm, machte seine Feldzüge manchmal wochenlang mit. Ich war ja gewissermaßen die Kommandeuse des Regiments. Ja, ich war stolz auf ihn und unser Leben. Was wollen Sie sonst noch wissen, Jessup?« Sie sah mich bei ihrer Frage seltsam an, und es war ein seltsames Einverständnis zwischen uns. Ja, es hatte sich zwischen uns eine Menge verändert. Ich fragte: »Lieben Sie ihn?«
Ich konnte erkennen, dass sie nachdachte und tief in sich hineinlauschte. Dann murmelte sie ein wenig hilflos: »Ich weiß gar nichts mehr. Es hat sich alles verändert. In der vergangenen Nacht fühlte ich mich allein wie auf einem anderen Stern, völlig verlassen. Ich musste singen, um meine Stimme zu hören und mich nicht so allein zu fühlen. Ich hätte mir gewünscht, dass mein Mann nach mir gesucht hätte. Doch das konnte und durfte er nicht. Ich war verlassen und glaubte auch nicht, dass Sie zurückkommen würden. Aber dann kamen Sie doch. Sie sind zurzeit für mich das einzig Verlässliche auf dieser Erde. Und dabei hielt ich Sie für einen halbwilden, primitiven Lederstrumpf. Sie rochen mir damals zu sehr nach Pferd und auch Ihrem eigenen Schweiß. Und jetzt…« Sie verstummte ein wenig hilflos – oder besser gesagt: ratlos. Dann aber verlangte sie: »Jessup, erzählen Sie mir mehr über sich. Ich möchte Sie besser kennen. Denn eines weiß ich: Wir werden für immer Freunde sein.« Ich staunte, denn es hatte sich tatsächlich zwischen uns eine Menge verändert. Und plötzlich verspürte ich den Wunsch, ihr mehr über mich zu erzählen. Ja, ich wollte, dass sie mich besser kennen lernte. Und so sagte ich nach einigen Atemzügen und nachdem ich die erste Forelle verspeist und mir die Finger abgeleckt hatte:
»Meine Eltern waren Händler in diesem Land. Damals herrschte noch Frieden zwischen Roten und Weißen. Meine Eltern schickten mich später in den Osten auf eine Schule. Ich studierte sogar, wurde Landvermesser und Kartograph. Als solcher kehrte ich wieder in dieses Land zurück. Meine Eltern hatte sich indes in Kansas City zur Ruhe gesetzt. Sie starben kurz hintereinander eines natürlichen Todes vor dem Kriegsausbruch. Ich selbst wurde Trapper und hielt mich dem Kriegsgeschehen fern. Denn ich verurteilte diesen Bruderkrieg. Ich wollte nicht meinesgleichen töten. Ich lebte die ganzen Kriegsjahre auf den Prärien, war frei und hatte unter den Indianern viele Freunde. Dann aber bekam ich Streit mit den HannaganBrüdern. Sie hatten mich schon angeschossen und waren dabei, mir den Rest zu geben, als ich blutend im Staub lag. Ihr Mann, Rosalin, hatte von mir gehört und nach mir gesucht. Er wollte mich als Scout. Und so griff er ein und rettete mir das Leben. Das ist alles, was ich Ihnen von mir erzählen kann, Rosalin. Vielleicht halten Sie mich für einen Feigling, weil ich nicht am Krieg teilgenommen habe.« »Nein«, widersprach sie. »Sie sind gewiss kein Feigling, Jessup.« Wir schwiegen dann beide. Ich briet noch einige Forellen. Wir warteten die größte Mittagshitze ab. Dann spannte ich mich wieder vor den Schleppschlitten. Und ich wusste, dass ich dies noch viele Tage würde
tun müssen, wenn wir nicht ein Pferd oder einen Esel fanden oder jemanden trafen, von dem wir Hilfe bekamen. * Es war dann am dritten Tag, als wir an den Rand einer Senke kamen, in der sich ein kleiner Teich befand. Es gab dort sattes Grün, viele Sträucher und Büsche, auch Bäume jeder Sorte. Dort unten war eine Oase in der Hügelprärie. Aber das war noch nicht alles. Dort unten waren Mustangs. Ja, eine Wildpferdherde ließ es sich dort unten gut ergehen. Ich sah, wie der prächtige Hengst hinter seinen Stuten her war, um für Nachkommenschaft zu sorgen – und wie er alle Junghengste immer wieder gnadenlos vertrieb. Denn er war noch der absolute Herrscher. Noch wagte ihm kein jüngerer Hengst die Herrschaft streitig zu machen. Ich holte mir das Lasso – denn dies hatte ich ebenfalls mitgenommen – vom Schleppschlitten und sagte zu Rosalin: »Bleiben Sie in guter Deckung. Vielleicht bekommen wir nun endlich ein Pferd.« »Aber das wäre dann noch ein wilder Mustang«, flüsterte sie. »Bis ich ihn eingebrochen habe.« Ich grinste. »Vergessen Sie nicht, Rosalin, ich bin ein Lederstrumpf, der mit den Indianern lebte und von diesen eine Menge lernen musste.«
Und dann machte ich mich auf den Weg, um einen der Mustangs zu fangen. Die Chancen standen nicht schlecht für mich. Denn der Hengst dort unten war damit beschäftigt, eine seiner Stuten zu jagen, um sie dann besteigen zu können. Sie zierte sich noch und wich ihm aus, machte ihn so noch wilder auf sie. Ja, er war beschäftigt. Und seine Herde graste oder stand im Wasser. Einige Tiere wälzten sich darin. Es war ein lautes Prusten, Schnauben und Wiehern dort unten in der tiefen Senke. Es herrschte Windstille. Sie konnten von mir keine Witterung bekommen. Ich rutschte langsam und vorsichtig auf meinem Hosenboden den Hang abwärts. Er war mit Buschzeug und hohen Gräsern bewachsen. Ich hatte also gute Deckung. Ohne Eile kam ich gut hinunter und hielt unterwegs immer wieder an, beobachtete die Mustangs und wartete stets, wenn eines der Tiere den Kopf hob und witterte. Ich hatte mein Augenmerk auf eine Stute gerichtet, welche in meiner Nähe graste. Sie war für einen Mustang ein ziemlich starkes Tier. Hier unten standen größere Büsche, und so kroch ich wie eine Schlange näher heran. Ich wusste, Rosalin beobachtete mich von oben. Es machte mir Freude, ihr zu zeigen, wie man sich in diesem Land behaupten musste, wollte man nicht untergehen.
Denn wenn ich die Stute da fangen und einbrechen konnte, wurde der Weg nach Standing Walls für sie tausend Mal leichter. Ich kam dann nahe genug heran. Nur noch ein Busch trennte uns. Ich ordnete mein Wurfseil und wusste, ich hatte nur diesen einen Wurf. Wenn ich ihn verpatzte, war die Wildpferdherde weg. Und oben würde Rosalin sehr enttäuscht sein von meinen Fähigkeiten. Ich erhob mich langsam. Und in diesem Moment bemerkte mich die Mustangstute. Sie warf den Kopf hoch und ließ ein warnendes Wiehern hören. Doch weil sie ihren Kopf so hoch reckte, war es leicht für mich, ihr die Schlinge überzuwerfen. Und dann hatte ich sie. Aber damit war der Kampf für mich längst noch nicht gewonnen, sondern begann er erst richtig. Denn die Stute kämpfte wie eine Löwin. Und weil sie etwa fünfmal so viel wog wie ich, zog sie mich durch die Büsche und dann durch den Tümpel. Doch ich ließ die Leine nicht los. Es wurde ein langer Kampf. Aber irgendwann kam ich auf die Beine und konnte endlich eine Schlinge an der Leine entlanglaufen lassen, in welche die Stute mit ihrem linken Vorderbein trat. Nun hatte ich sie richtig. Für sie gab es keine Chance mehr. Sie fiel auf die Nase, wie man so sagt. Aber sie kämpfte immer noch, wollte wieder hoch. Ich band das andere Lassoende erst an einen Baum. Dann befreite ich sie von der Schlinge an ihrem Vorderbein. Sie kam auf die Hufe, wieherte schrill und
zeigte mir das Weiße ihrer Augen. Als ich mich ihr näherte, drehte sie mir ständig die Hinterhand zu und keilte aus. Ja, sie hätte mir zu gerne den Kopf von den Schultern gestoßen. »Oha, meine Süße, du wirst mit mir bald Frieden schließen müssen!«, rief ich ihr mit ruhiger Stimme zu. Und endlich hatte ich Zeit, mich nach den anderen Pferden umzusehen. Sie waren weg. Der Hengst war mit ihnen auf der Flucht. Ich hörte den Hufschlag ihrer unbeschlagenen Hufe nur noch ganz schwach außerhalb der Senke. Der Hengst hatte sein Liebesspiel mit der von ihm bedrängten Stute gewiss sehr schnell vergessen und seine Herde aus der vermeintlichen Gefahrenzone geführt. Ich hörte Rosalin vom Rand der Senke begeistert schreien. »Gut gemacht, Lederstrumpf!«, rief sie zu mir herunter. Und trotz ihrer Not hatte sie ein Lachen in der Stimme. Wir hatten einen Sieg errungen. Vielleicht hatte sie nicht nur gehofft, sondern sogar gebetet, dass es mir gelingen würde. Ich winkte ihr zu. Dann stieg ich zu ihr hinauf, um sie mit dem Schleppschlitten herunter zu holen. Sie strahlte mich an. »O ja, das war was«, lachte sie. »Aber wie geht es nun weiter?«
* Sie konnte mir nicht helfen, nur zusehen. Ich fertigte ein so genanntes Hackamore, ein Ersatzzaumzeug also, wie es die Indianer oder auch die Pferdediebe benutzten. Die Stute stand auf den Hufen, war aber mit der Schlinge und der Lassoleine noch am Baum festgemacht. Als ich zu ihr trat, schnaubte sie mich böse an, aber irgendwie bekam ich das Hackamore über ihren Kopf. Dabei redete ich ständig mit ihr, klopfte auch ihren Hals und ihre Brust. Ich spuckte in meine Hände und rieb ihr meinen Speichel auf die Nüstern. Und ich übereilte nichts. Lange beschäftigte ich mich mit ihr. Rosalin, die mich ständig beobachtete, fragte plötzlich: »Und dieses Biest wollen Sie einbrechen, Jessup? Die ist ja schlimm. Die versucht Sie ja zu beißen.« »Sie ist eben ein Weibsbild.« Ich grinste. »Und wir haben keine Zeit, sie mit Liebe zu zähmen. Ich muss sie einbrechen. Das müssen manchmal auch Männer mit störrischen Frauen, wenn ihnen keine Vernunft beizubringen ist.« »Pah«, machte Rosalin Ironhart nur. Ich ging nun zu ihr und setzte mich. »Erst werden wir ein paar Bissen essen«, murmelte ich. »Und Sie sollten Ihre Füße wieder ins Wasser stellen, damit die Schwellungen zurückgehen. Die Stute muss sich erst wieder etwas beruhigen. In etwa einer Stunde werde
ich sie zu reiten versuchen. Ich habe nur diese eine Chance. Denn wenn sie mich abwirft, ist sie weg.« »Ohne Sattel, ohne Steigbügel, ohne Kandare…« So staunte sie. »Wie wollen Sie dieses Biest einbrechen?« »Wie ein Indianer«, erwiderte ich. »Ich muss mich festklemmen, mit einer Hand in die Mähne fassen und mit der anderen das Hackamore halten. Und dann muss ich oben bleiben. Das ist alles.« Sie schüttelte nur den Kopf. Und wie ich sie so betrachtete, da gefiel sie mir immer besser. Nun war sie keine arrogante Zicke mehr, sondern eine natürliche, wenn auch arg mitgenommene Frau. Aber es war ein Einverständnis zwischen uns. Wir waren Gefährten, Partner. Wir begannen etwas vom Proviant zu verzehren. Manchmal sahen wir uns an. Und dann fragte sie plötzlich: »Jessup, was für Frauen gab es in Ihrem Leben?« Ich staunte, denn ihre Frage überraschte mich. Dann grinste ich und erwiderte: »O ja, es gab schon einige. Und die erste Frau, mit der ich ins Bett ging, war damals im Osten die Frau meines Professors. Sie brachte mir alles bei. Schockiert Sie das, Rosalin?« Sie schüttelte kauend den Kopf. Aber dabei sah sie mich fest an. »Eigentlich sind Sie äußerlich genau das Gegenteil von meinem Mann«, murmelte sie dann. »Er ist blond, ein Typ wie der ewige Sieger. Sie sind ein indianerhafter Typ, kein schöner Mann eigentlich.
Aber Sie wirken sehr männlich. Sie strömen etwas aus, was gewiss fast jede Frau beeindruckt. Ich wette, Sie hatten niemals Schwierigkeiten, eine Frau zu erobern.« »Doch«, grinste ich. »Denn Sie, Rosalin, mochten mich nicht. Von Anfang an mochten Sie mich nicht.« »Vielleicht war das ein Notwehrverhalten«, murmelte sie. Und als sie es gesagt hatte, da konnte ich erkennen, wie sie über ihre Worte erschrak. Ich erhob mich, denn es war Zeit, die Stute einzubrechen. Dabei dachte ich verwundert: Verdammt, was ist da plötzlich zwischen ihr und mir? Dann trat ich zu der Stute. Sie zitterte und vibrierte am ganzen Körper, so als spürte sie instinktiv, dass sich jetzt etwas zwischen uns ereignen würde, was ihr ganzes Leben verändern musste. Oder konnte ein Pferd so etwas gar nicht spüren? Ich wusste es nicht. Es ging nun um alles oder nichts. Und so nahm ich die Enden des Hackamore in meine Rechte, schwang mich mit einem so genannten Comanchen-Sprung auf den Rücken der Stute und klemmte meine langen, leicht gekrümmten Beine um ihren Leib. Mit der Linken löste ich die Schlinge von ihrem Hals und streifte sie über ihren Kopf ab. Nun war sie frei und hatte nur mich mit meinen einhundertundachtzig Pfund auf dem Rücken. Ihre Ohren waren angelegt. Gewiss zeigte sie nun wieder das Weiße in ihren Augen. Als sie den Kopf wandte,
um schräg nach oben zu mir hinaufzusehen, da zeigte sie mir die Zähne. Dann aber rannte sie los. Ja, sie wollte sich durch Flucht von mir befreien. Doch ich saß ja auf ihrem Rücken. Sie jagte mit mir aus der Senke hinaus. Oben begann sie dann zu bocken. Der Kampf begann. Und ich verlor jedes Gefühl für Zeit und Umwelt. Ich musste oben bleiben, mich festklammern, alles aushalten und ertragen. Es ging um alles oder nichts. Und irgendwann war es vorbei. Ich erwachte wie aus einem wilden Traum und wurde mir bewusst, dass ich immer noch auf der Stute saß und diese nicht mehr bockte und mich abzuwerfen versuchte. Sie hatte aufgegeben. Ich hatte sie eingebrochen. Es war mir nichts anderes übrig geblieben. Ich hörte sie fast wie einen Menschen seufzen. Und so beugte ich mich vor und tätschelte ihren Hals, sprach beruhigende Worte mit sanfter Stimme. Ich brachte sie nach einer Weile dazu, sich in Bewegung zu setzen. Und nun erst merkte ich, dass ich aus dem Mund blutete und wie sehr alles innen in meinem Körper schmerzte. Ich hatte böse Stöße und Stauchungen ausgehalten. Fast wäre ich besiegt worden. Meine Beine taten weh. Sie waren verkrampft. Ich ritt auf der Stute langsam in die Senke hinunter. Rosalin hockte am Boden und hob beide Arme. »O Vater im Himmel«, sagte sie feierlich. »Ich hätte
niemals geglaubt, dass Sie es schaffen würden, Jessup.« Ich konnte nichts erwidern. Ich saß ab und legte der Stute wieder die Lassoschlinge um den Hals. Das andere Ende des Lassos war ja noch am Baum befestigt. Dann taumelte ich zum Tümpel und ließ mich mit dem Oberkörper hineinfallen. * Am nächsten Morgen waren wir unterwegs. Rosalin saß auf der Stute, die ich am Hackamore-Halfter führte. Ich musste sie immer noch unter Kontrolle halten. Sonst hätte sie Rosalin abgeworfen. Auch unser Gepäck hatte ich der Stute hinter Rosalin aufgeschnallt. Meine zwei Satteltaschen lagen über dem Vorderrist. Das Laufen tat mir gut, denn meine Verkrampfungen lösten sich allmählich. Wir kamen an diesem Tag gut voran, schafften gewiss mehr als fünfundzwanzig Meilen. Ich wusste, dass wir uns dem Wagenweg näherten. Vielleicht würden wir ihn am nächsten Tag erreichen. Dann würde es leichter für mich werden. Und irgendwo am Wagenwege weiter im Osten, da lag Standing Walls. Vielleicht erreichten wir es in zwei oder drei Tagen. Ich dachte an diesem Tag auch immer wieder an Bad Wolf. Gewiss hatte auch er große Verluste erlitten. Er war mir entkommen. Gewiss hatte er sich schon vor Tagen wieder mit seiner Kriegshorde vereinigt. Mit
Sicherheit war er begierig nach einem Sieg. Er musste Erfolge vorweisen. Sonst stießen keine weiteren Krieger aus anderen Dörfern mehr zu ihm. Ich fragte mich also, was er inzwischen wohl in Gang gebracht haben würde. Es konnte durchaus sein, dass er Standing Walls angriff oder belagerte. Als es Nacht wurde, bezogen wir ein feuerloses Camp. Es war mir zu gefährlich, an einem Feuer zu campieren. Wir sprachen nicht viel. Unser Proviant war fast aufgegessen. Ich gab Rosalin dann unsere beiden Decken. Denn die klare Nacht würde in ihrer zweiten Hälfte sehr kalt werden. Da ich mein Lederhemd zu Mokassins zerschnitten hatte, trug ich nur mein Unterhemd und begann zu frieren. Rosalin schlief fest unter den Decken. Ich war recht neidisch auf sie. Es war dann etwa eine Stunde nach Mitternacht, als sie erwachte und meinen Namen aussprach. »Ich bin hier«, erwiderte ich. »Schlafen Sie weiter, Rosalin.« »Verdammt, es ist kalt«, sprach sie da. »Das spüre ich sogar unter den Decken. Es ist erbärmlich kalt. Und Sie haben ja nur ein Unterhemd am Oberkörper.« »Ich mache mir warme Gedanken«, versuchte ich zu scherzen. Da verlangte sie recht energisch: »Kommen Sie zu mir unter unsere Decken. Ich werde Sie wärmen, Jessup. Kommen Sie.« »Das werde ich nicht«, widersprach ich. Und dann
fragte ich ziemlich böse: »Ja glauben Sie, schöne Rosalin, dass ich aus Stein bin? Unter einer Decke mit Ihnen, das gäbe was. Ich bin ja nicht Ihr Bruder, verdammt.« Da lachte sie leise. Und es war ein kehliges Lachen. »Komm zu mir, Jessup«, hörte ich sie kehlig sagen. »Verdammt, ich will in deinen Armen liegen. Wer weiß, wie lange wir noch leben. Und der Colonel, der mein Mann ist, hat mich aufgegeben und vergessen. Warum sucht er mit seinen Soldaten nicht nach mir? Jessup, ich will in deinen Armen liegen. Ich will dir meine Wärme geben und mich beschützt fühlen in dieser verdammten Welt.« Ich konnte sie plötzlich verstehen. Denn war ich nicht die ganze Zeit das einzige Verlässliche für sie gewesen? Aber durfte ich diese Situation denn ausnutzen? Doch ich war kein Heiliger, vielleicht nicht mal ein Gentleman. Und zwischen uns war in den vergangenen Tagen und Nächten etwas entstanden. Und so legte ich mich zu ihr unter die Decken und nahm sie in meine Arme. Ja, sie betrog in dieser Nacht ihren Mann, den Captain, der einst Colonel war und den sie bisher so sehr bewundert hatte. Aber alles war anders geworden – einfach alles. Vor allen Dingen sie hatte sich total verändert. *
Als wir uns am nächsten Morgen in die Augen sahen, da sagte sie: »Es war wunderschön in deinen Armen, Jessup. Doch du bist zu nichts verpflichtet. Wir können alles vergessen. Aber ich könnte es auch Charley sagen. Es würde mir nichts ausmachen. Es ist alles so gekommen, wie es kommen musste. Ich bedaure nichts, gar nichts.« Ich nickte nur und erwiderte: »Du warst eine arrogante Zicke. Jetzt bist du eine andere Frau. Wir werden sehen, was das Schicksal mit uns macht. Denn alles auf dieser Erde ist Schicksal. Wir werden sehen.« Wir sprachen an diesem Morgen nicht mehr viel. Bald waren wir wieder unterwegs. Ihre Füße waren sehr viel besser geworden, doch laufen konnte sie immer noch nicht. Es war dann gegen Mittag, als wir die Schüsse hörten. Wir arbeiteten uns einen Hang hinauf und konnten oben vom Kamm der Hügelkette auf den Wagenweg sehen. Und da sahen wir Bad Wolf und dessen Kiowas bei der »Arbeit«. Es war Kriegsarbeit, denn sie waren dabei, einen Wagenzug klein zu machen. Die Schüsse waren verklungen. Es wurde schon nicht mehr gekämpft dort unten. Die Kiowas hatten alle Weißen getötet und waren am Plündern. Bald würden die zwei Dutzend Wagen brennen. Sie hatten nicht mal zu einer Wagenburg
auffahren können, so schnell musste der Angriff erfolgt sein. Ich schätzte, dass dort unten mehr als hundert Kiowas waren. Sie fanden in den Frachtwagen alles, was sie sich wünschen konnten, um einen langen Krieg führen zu können. Ich hörte sie immer wieder jubeln, begeisterte Rufe oder gar wilde Schreie ausstoßen. Ich sah auch Bad Wolf. Auch Rosalin sah ihn natürlich. Ich warf ihr einen schnellen Blick zu und erkannte, dass sie am ganzen Körper zitterte. Wir konnten nichts anderes tun, als uns auf dem Hügelkamm in Deckung zu halten. Wenn wir Glück hatten, entdeckte uns keiner der umherstreifenden Krieger, welche die Horde nach allen Seiten zu sichern hatten. Es dauerte lange, bis sie abzogen und die brennenden Wagen zurückließen. Wir warteten weiter, rührten uns auch dann noch nicht, als die starke Horde längst außer Sicht war. Und das war gut so. Denn sehr viel später kamen noch drei Kiowas angeritten. Sie waren die Nachhut der Horde. Sie trabten auf ihren hageren Mustangs vorbei und bemerkten uns nicht. Ich warf wieder einen Blick auf Rosalin. Ihre Gesichtshaut war von der Sonne so stark verbrannt, dass sie sich pellte. Doch unter dieser Pelle und den Sommersprossen wirkte sie blutleer.
»Das ist schrecklich«, flüsterte sie. »Was ist das für ein erbarmungsloses Land? Warum…« »Ironhart hat damit angefangen«, unterbrach ich sie. »Als er Bad Wolfs Dorf überfiel und dort ein Massaker veranstalten ließ, machte er Bad Wolf zu einem bösen Teufel. Es wird noch viele Tote geben. Wir können jetzt weiter.« Wir gingen ein Stück abwärts bis zu der Stute, die ich an einen Busch festgemacht hatte. Ich hob Rosalin hinauf. Und so setzten wir unseren Weg fort. Wir konnten nun sicher sein, dass zwischen uns und Standing Walls keine Kiowas mehr waren. Also konnte ich es wohl wagen, auf dem Wagenweg zu bleiben. Ich begann wieder zu traben, zog den Mustang mit Rosalin hinter mir her. Er war allein von ihr immer noch nicht zu reiten und würde sie abwerfen. Sie saß ja nicht in einem Sattel und konnte die Füße nicht in Steigbügel stellen. Doch dann gab es einen kleinen Glücksfall für uns. Ein lediges Sattelpferd kam von rechts auf den Wagenweg getrabt und wieherte uns entgegen, verhielt dann schnaubend und scharrte mit einem Vorderhuf. Ich begriff, dass dieses Pferd einem Reiter des Wagenzuges gehört hatte. Er musste vor den Kiowas geflüchtet sein. Aber sie hatten ihn aus dem Sattel geschossen. Das Pferd war jedoch in Panik weitergelaufen. Jetzt wollte es zurück zum Wagenzug. Es war ein anhängliches Tier, welches nicht allein sein wollte. Es sehnte sich nach Artgenossen und auch nach
Menschen. Ich hielt an und rief mit ruhiger Stimme: »Komm, komm, mein Guter, komm nur her zu mir! Hier bist du richtig. Na, komm schon!« Der braune Wallach kam schnaubend näher, so als freute er sich, nun nicht mehr allein zu sein. Als er bei mir war, klopfte ich ihm die Brust und den Hals. Und dabei sah ich das getrocknete Blut an seinem Sattel und auf dem Fell seiner Schulter. Die Kiowas hatten das durchgehende Tier wahrscheinlich nicht verfolgt und einzufangen versucht, weil sie bei der Plünderung des Wagenzuges dabei sein wollten. Ich saß auf. Die Steigbügel waren richtig für mich. Der Besitzer dieses Pferdes war also ein Mann meiner Größe und Beinlänge gewesen. Ich blieb jedoch nicht lange im Sattel. Als ich sicher war, dass der Wallach leicht zu reiten war und Rosalin keine Schwierigkeiten mit ihm bekommen würde, wechselten wir die Tiere. Am nächsten Tag würden wir Standing Walls erreichen. * In dieser Nacht ging es uns besser. Ich hatte ja die Sattelrolle des Vorbesitzers des Wallachs. Außer einer Segeltuchplane, einer Decke und einer dicken Jacke war sogar sauberes Unterzeug in dieser Sattelrolle.
Ich versuchte nicht, nun abermals unter Rosalins Decke zu gelangen. Nein, das war nicht selbstverständlich für mich nach der vergangenen Nacht. Sie lud mich auch nicht ein. Nein, sie wollte es nicht. Und das konnte ich verstehen, denn bald würde sie wieder bei ihrem Mann sein. Und so musste sie wohl zu vergessen versuchen, was zwischen uns geschehen war. Wir sprachen nicht viel. Aber eigentlich gab es ja auch nichts zu sagen. Sie hatte sich einsam, hilflos und von Bad Wolf beschmutzt gefühlt. Und so hatte sie Schutz, Halt und Wärme haben wollen. Sie hatte sich daran geklammert wie eine Ertrinkende an ein treibendes Stück Holz. Ich war für sie so etwas gewesen wie ein Fels in der Brandung – oder wie ein Feuer in kalter Nacht. Am folgenden Tag würde sie wieder ihrem Mann begegnen. Sie musste ihm in die Augen sehen. Und er würde wissen, dass sie Bad Wolf gehört hatte für einige Nächte. Wie groß war seine Liebe? War sein Stolz verletzt? Und… Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken. Endlich schlief ich ein. * Am nächsten Morgen schwiegen wir immer noch. Wir
kauten unser Frühstück, saßen dann auf und ritten weiter. Gegen Mittag trafen wir auf eine Patrouille aus Standing Walls. Sie wurde von Sergeant Bac McGlory angeführt. Bei seinem Anblick staunte ich. Denn offensichtlich war er wieder so gesund, dass er Patrouille reiten konnte, also voll diensttauglich war. Er grinste mich an, als wir voreinander hielten. »Da staunst du, was?«, fragte er. Dann grüßte er Rosalin Ironhart respektvoll und militärisch und fragte: »Ma’am, ich hoffe, es geht Ihnen einigermaßen gut.« »Es geht mir mies, Sergeant«, erwiderte sie. »Aber ich danke für die teilnahmsvolle Nachfrage. Ich bin wieder bei der glorreichen Armee. Wie geht es dem Captain?« »Schon wieder besser, Ma’am«, erwiderte der Sergeant. »Er hatte ja ziemlich was abbekommen am Arkansas. Leider konnte ich nicht dabei sein.« Er sah nun wieder mich an und sagte hart: »Ich soll mit den Jungs Fühlung zu Bad Wolf halten, sobald ich ihn aufgespürt habe. Der Captain wartet auf Verstärkung aus Kansas City. Dann geht die große Jagd los. Er wird sich nicht nur mächtig freuen, dass Mrs Ironhart wieder bei ihm ist. Er wird sich über die Rückkehr seines Chef-Scouts ebenso freuen. Hast du Bad Wolf gesehen?« Ich nickte und berichtete ihm, was wir gestern als Zuschauer erlebten.
Er nickte nur und wollte wieder anreiten. Doch dann sagte er noch: »Wenn ich wieder zurück bin in Standing Walls, dann besaufen wir uns, Lederstrumpf.« Er stieß mit der Faust in die Luft und rief: »Anreiten! Vorwärts hooo!« Er ritt an. Und die zwölf Mann seiner Patrouille folgten ihm. Sie alle warfen Blicke auf Rosalin Ironhart. Es waren neugierige und abschätzende Blicke, vielleicht sogar auch schadenfrohe. Denn sie wussten ja, was Bad Wolf mit der Frau ihres Kommandeurs gemacht hatte. Vielleicht hatte der eine oder andere damals beim Überfall auf Bad Wolfs Dorf an den Vergewaltigungen teilgenommen. Fast alle waren rohe und primitive Burschen, vergleichbar mit Söldnern, Landsknechten. Sie waren abgestumpft, und die Armee war der letzte Halt für sie. Sie warfen also ihrer Kommandeuse neugierige und abschätzende Blicke zu, indes sie im Gegenverkehr an ihr vorbeiritten. Ich sah, dass Rosalin ihre Blicke hart erwiderte. Und das gefiel mir. Denn sie war nicht zerbrochen worden von Bad Wolf. Und vielleicht hatte jene Nacht in meinen Armen sie davor bewahrt, sich zerbrochen und wertlos zu fühlen. Wir ritten weiter. Nach einer Weile, als wir nebeneinander ritten, da sprach sie zu mir herüber: »Wenn es sich bei der Armee herumgesprochen hat,
dann werde ich eine Menge geheucheltes Mitleid geschenkt bekommen. Und einigen Menschen muss ich wohl ins Gesicht spucken. Ich war ziemlich arrogant als die Tochter eines Generals und umworbene Schönheit, der man jeden Wunsch erfüllte. Viele werden mir das Geschehene gönnen. Aber sie alle können mich mal. Denn ich wurde nicht zerbrochen. Ich bin immer noch stolz, weil ich alles ertragen und überstanden habe. Und ich wurde ein anderer Mensch.« Sie verstummte spröde. Und ich wusste, wenn Captain Charley Ironhart jetzt nur eine Kleinigkeit falsch mit ihr machte, dann verlor er sie. Wie schlau oder wie dumm würde er sich wohl verhalten? Ich schwieg. Da sah sie mich wieder fest an und sprach: »Und ich werde ihm sagen, dass wir Freunde und Partner wurden unterwegs!« Sie rief es fast, und es war Trotz in ihrer Stimme. * Wir mussten dann noch eine weitere Nacht auf der hügeligen Büffelprärie von Kansas verbringen, und abermals schliefen wir getrennt. Was einmal geschehen war, wiederholte sich auch in der zweiten Nacht danach nicht. Am Morgen brachen wir schweigend auf. Bis nach
Standing Walls war es nicht mehr weit. Wären wir am Tag zuvor weitergeritten, hätten wir es gewiss bis kurz nach Mitternacht geschafft. So wurde es früher Mittag. Dann erblickten wir die Erdwälle aus herausgestochenen Grasplacken in der Ferne. Und über allem wehte die Flagge der Union im leichten Wind. Auch das Windrad der Brunnenpumpe drehte sich stetig und sorgte für einen ständigen Wasservorrat in den Trögen. Wir ritten jetzt langsamer. Als wir das Haupttor erreichten, hörten wir den Ruf des Postens auf dem Wall: »Posten an Sergeant der Wache! Es kommen zwei Reiter! Es sind der Scout Kehoe und eine Frau!« Wenig später ritten wir hinein in das Geviert der Wälle. Der Captain stand vor der Kommandantur auf der Veranda, stützte sich mit beiden Händen auf das Geländer. Er starrte uns entgegen. Und nun erkannte er auch seine Frau in ihrer zu großen Uniform und trotz ihres mitgenommen, zerzausten Zustands und ihres rotbraunen Gesichts. Auch trug sie nun mein Halstuch als Kopftuch, sodass man ihre rotblonden Haare nicht erkennen konnte. Obwohl man ihm ansah, dass er seine Frau erkannte, bewegte er sich nicht. Er wartete nur wie erstarrt. Und von überall wurde er beobachtet. Es war nämlich Mittagspause. Alles ruhte in der
heißen Sonne, war still. Der Dienst würde erst in etwa einer halben Stunde wieder beginnen. Ich ritt mit Rosalin bis vor die Veranda. Und dann sprach ich ganz ruhig: »Ironhart, ich bringe Ihnen Ihre Frau zurück.« Nach diesen Worten zog ich mein Pferd herum und ritt zu den Sergeantquartieren hinüber, wo ich eine Kammer bewohnte, in der sich nicht viel mehr als eine Pritsche befand. Ich saß ab. Einer der Pferdepfleger kam, um mir das Pferd abzunehmen. Drüben waren die Ironharts in der Kommandantur verschwunden, wo der Captain auch wohnte. Sergeant Jake Hibbs kam heran und fragte: »Wie war es?« »Ach«, knurrte ich, »ihr könnt mich alle mal am Arsch lecken.« Dann ging ich in meine Kammer und legte mich erst einmal lang. Denn ich wusste, der Captain würde mich bald holen lassen. * Und so war es auch. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, da ließ er mich von einer Ordonanz holen. Er wartete hinter seinem Schreibtisch und trommelte mit den Fingern einen Marsch auf die Schreibtischplatte. Von Rosalin war nichts zu sehen. Sie befand sich gewiss im angrenzenden Zimmer, zu dem – wie ich
wusste – noch eine kleine Schlafkammer gehörte. Ich konnte mir vorstellen, dass Rosalin das heftige Bedürfnis hatte, sich zu reinigen und die Uniform der Armee loszuwerden. »Was haben Sie mir zu melden, Kehoe?«, fragte Ironhart klirrend. »Eigentlich nichts mehr«, erwiderte ich und fügte hinzu: »Captain, ich brachte Ihnen nun zum zweiten Mal die Frau zurück. Und deshalb denke ich, dass ich nicht mehr bei Ihnen in der Schuld bin. Ich werde also meine Siebensachen packen und meiner Wege reiten. Oder haben Sie Einwände dagegen?« Nun grinste er hartlippig und zeigte mir blinkend seine scharfen Zahnreihen. »Ja, Kehoe, ich habe sogar eine ganze Menge dagegen. Denn Sie sind noch nicht fertig mit Ihrem Job bei der Armee. Oder haben Sie Bad Wolf töten können? Meine Frau sagte mir vorhin, dass Ihnen dies nicht gelungen wäre. Also bleibt alles wie bisher. Ich entlasse Sie erst, wenn Bad Wolf am Galgen hängt. Basta!« Er verstummte hart. Ich starrte ihn grimmig an, und gerne hätte ich ihn einen Hurensohn genannt. Doch er war hier in Standing Walls so etwas wie ein absoluter Herrscher. Er konnte mich in Eisen schließen lassen. Wir alle hier standen unter Kriegsrecht. Und er war der Befehlsgeber. Er war der Kommandeur und konnte sogar ein Kriegsgericht abhalten lassen.
Nun, ich starrte ihn also nur grimmig an und sagte kein Wort. Aber in meinen Augen erkannte er auch so, was ich ihm mit Worten nicht sagte. Er grinste wieder scharf. Dann aber sprach er: »Ich habe inzwischen Verstärkungen erhalten und verfüge jetzt über einhundertfünfzig Reiter, dreißig Mann Infanterie und zwei Dutzend weitere Soldaten in den Werkstätten, der Schreibstube, im Lazarett und in der Küche. Auch die so genannten Funktionäre sind Soldaten. Mit den Scouts verfüge ich also über rund zweihundert Mann. Damit kann ich Bad Wolf erledigen. Und Sie werden mich dicht genug an ihn heranführen. Ich erwarte morgen noch weitere Verstärkung aus Kansas City. Wahrscheinlich kommt mit der nächsten Post auch meine Beförderung zum Major. Kehoe, erst wenn ich Bad Wolf am Hals aufgehängt habe, sind Sie wieder ein freier Mann. Wenn morgen die weitere Verstärkung eingetroffen ist, ziehen wir los.« Nach diesen Worten erhob er sich und kam nun hinter seinem Schreibtisch hervor. Ganz dicht trat er an mich heran und starrte mir in die Augen. Wir waren von gleicher Größe. Ich konnte seinen Atem spüren. Und dann fragte er hart: »Haben Sie sich unterwegs gegen Mrs Ironhart auch mit allem Respekt verhalten?« »Das sollten Sie Ihre Frau fragen«, erwiderte ich, wandte mich ab und ging. Er hielt mich nicht auf. Doch ich wusste – nein, ich spürte es irgendwie mit meinem Instinkt, dass er
wahrscheinlich eine Ahnung hatte, weil auch sein Instinkt sehr ausgeprägt war. Irgendwie beunruhigte es ihn, dass ich mit seiner Frau einige Tage und Nächte allein unterwegs gewesen war, nachdem Bad Wolf sie besessen hatte. Ja, er hatte Instinkt. Und vielleicht spürte er auch, wie sehr sich Rosalin verändert hatte. Ich ging wieder in meine Kammer. Und mir war nicht wohl, ganz und gar nicht. Dieser Narr wollte immer noch auf Bad Wolf los. Und ich war sein Chef-Scout. Auch auf mich würde es ankommen, ob wir siegen oder verlieren würden. Ich wusste, Bad Wolf wartete auf Captain Ironhart und dessen Soldaten. * Als es Abend wurde, ging ich in die Sergeantkantine. Es war Dienstschluss. Einige Sergeants und Scouts saßen hier und betranken sich mit Brandy der erbarmungslosesten Sorte. Sergeant Tom O’Connor schob mir sein noch halb volles Glas zu und sagte böse: »Probier das Zeug mal, Kehoe. Wir sind dabei, Wetten abzuschließen. Ich bin der Meinung, dass ein toter Hund im Fass liegt. Polomsky aber behauptet, dass der Beigeschmack nicht von einem toten Hund, sondern nur von einem toten Skunk erzeugt wurde. Was also meinst du, Kehoe?« Sie alle starrten mich erwartungsvoll an. Und weil
ich sie eigentlich alle mochte, nahm ich einen Schluck aus O’Connors Glas. Dann schnalzte ich mit der Zunge und sagte ganz überzeugt: »Pumaspucke. Da ist eine Menge Pumaspucke drinnen.« Dann nahm ich noch einen Schluck und rollte mit den Augen. »Und da ist noch etwas«, behauptete ich. »Es könnte Kautabakspucke sein, gesammelt in diesem Spucknapf da.« Ich deutete auf den großen Messingspucknapf an dem Schanktisch und dann auf den Kantinen-Corporal, der hier als Barmann hantierte. »He, Smally, stimmt das? Kippst du etwa die Sergeantspucke ins Brandyfass?« »Nein, Mr Kehoe, die verwende ich stets als Rattengift«, erwiderte der Corporal mit feierlich klingender Stimme. Einige Sekunden lang blieb es still. Dann aber brüllten sie los vor wilder Freude. Sie waren ja alle so etwas wie Landsknechte, Söldner, die vielleicht morgen schon zum Sterben antreten mussten. Das wussten sie. Und so waren ihnen derbe Scherze gerade recht. Doch dann verstummten sie alle jäh. Ich wandte den Kopf und sah Captain Ironhart. Ja, er war in die Sergeantkantine getreten und verhielt nun, blickte sich um im rauchgeschwängerten Raum. Die Sergeants erhoben sich mehr oder weniger mühsam. Denn sie waren ja angetrunken. Sergeant Mallony rülpste laut und fiel dann über den Tisch.
Gläser barsten klirrend. Dann wurde es wieder still. Und in diese Stille sprach der Captain mit spröder Stimme: »Schluss mit der Sauferei. Ihr seid Sergeants der US-Kavallerie. Und morgen beginnt der Feldzug gegen Bad Wolf und die Kiowas. Ich will morgen ausgeschlafene und nüchterne Sergeants in den Sätteln haben, Vorbilder einer präzise funktionierenden Truppe. Ab sofort ist jede Sorte von Feuerwasser verboten.« Nach diesen Worten verharrte er noch einige Sekunden. Niemand sagte etwas. Und da ging er. Eine Weile blieb es still. Dann griff Sergeant Hibbs wieder nach seinem noch halb vollen Glas und hob es prostend in die Runde. »Auf die US-Kavallerie«, sagte er. »Und auf Bad Wolf, der einige von uns umbringen lassen wird von seinen roten Jungs. Trinken wir auf alle, die bald sterben werden.« * Die letzte Verstärkung aus Kansas City kam kurz nach Nachtanbruch. Sie brachte einige schwer beladene Bagagewagen und sogar eine Kanone mit. Und offenbar brachte sie auch die Urkunde von Captain Ironharts Beförderung zum Major. Er war nun wieder Stabsoffizier. Dies konnten wir alle beim Morgenappell sehen,
denn da trug er den Majorsstern als Rangabzeichen an seiner Uniform. Seine Stimme schnarrte über den Paradeplatz. Aber eigentlich sagte er nur, was wir alle ja schon wussten. »Es geht los, Soldaten! Nun werden wir Bad Wolf jagen. In einer Stunde sind wir unterwegs! Wegtreten!« Er verschwand wieder in der Kommandantur. Nun klangen die Befehle der Offiziere und die der Sergeants. Und es war sicher, dass die Truppe in einer Stunde feldmarschmäßig zum Abrücken bereit sein würde. Von Rosalin Ironhart war nichts zu sehen. Sie hielt sich verborgen. Ich hätte sie gern noch einmal gesehen und zu erkennen versucht, wie es ihr ging. Ich ging in mein Quartier und packte meine Siebensachen zusammen, und ich wusste, es würde ein langer Ritt werden. Besonders meinen guten Wallach würde ich vermissen. Und so ging ich wenig später zu den Corrals, um mir ein besonders zähes Pferd auszusuchen. Der Sergeant dort empfing mich mit den Worten: »Kehoe, ich habe ein Biest für dich, welches niemand reiten kann. Aber wenn du das schaffst, dann hast du einen erstklassigen Ersatz für deinen Wallach. Da, der schwarze Teufel ist es!« Er deutete auf einen schwarzen Hengst, welcher zu uns herüberwitterte, so als wüsste er genau, dass wir über ihn redeten.
»Na gut«, knurrte ich, »der wäre wirklich etwas für mich. Also werde ich es mit ihm versuchen.« Der Sergeant grinste. »Wir werden Wetten abschließen«, sagte er. »Ich werde zehn Dollar auf dich setzen, Kehoe.« Nun, lieber Leser meiner Geschichte, jener Sergeant, der für die Ställe, Corrals und alle Tiere verantwortlich war – wir hatten ja auch Maultiere –, gewann wenig später mit seinen zehn Dollar neunzig andere. Denn die Wetten standen für den Hengst und gegen mich. Und eine weitere halbe Stunde später ritt ich auf dem schwarzen Hengst mit meinen Scouts der Truppe voraus. Vom nächsten Hügel aus sah ich nach Standing Walls zurück. Ja, da kamen sie als lange Schlange herausgeritten in Doppelreihen, dazwischen Bagagewagen und zwei Mannschaftswagen, in denen die dreißig Infanteristen saßen. Ironhart ließ nur eine ganz schwache Besatzung zurück bei seiner Frau. Es waren kaum mehr als zwei Dutzend Soldaten. Ich machte mir Sorgen. Denn ich wusste, dieser Armeestützpunkt war nun leicht zu erobern. Doch das wusste Ironhart natürlich auch. Dennoch wagte er es. Er glich einem Spieler, der um alles oder nichts spielte. Ich aber, sein Chef-Scout, war die Karte, auf die er alles setzte. Denn eines war mir klar: Wenn es Bad Wolf gelingen
sollte, an uns vorbeizukommen und wir deshalb nicht mehr zwischen ihm und Standing Walls waren, dann… Aber daran wollte ich nicht denken. Ich sah die stolze Truppe also aus dem Stützpunkt traben. Die Fahne der Union und die Wimpel der Schwadron und der Reiterzüge flatterten im Präriewind. Sogar die Kanone wurde mitgeführt. Ironhart ritt seiner Truppe voran. Und seine Frau blieb in Standing Walls zurück. Ich hatte sie nicht mehr gesehen. Aber ich erinnerte mich an jene Nacht, da wir uns in den Armen gelegen und uns geliebt hatten. Würde ich sie Wiedersehen? Und was würde sein, wenn Ironhart getötet würde? Ich hätte auch gern gewusst, was für ein Gespräch zwischen den Ironharts stattgefunden hatte. Wie stand er zu seiner Frau? War sie nun, da sie von Bad Wolf gewissermaßen entehrt wurde, für den stolzen Ironhart noch akzeptabel? Konnte er sich mit ihr überhaupt noch eine glänzende Laufbahn in der Armee vorstellen? Denn wohin sie auch kommen würden, in der Armee würde jeder wissen, dass sie viele Nächte einem Indianer gehört hatte. Rosalin konnte einem Leid tun. Denn die Offiziersfrauen waren ohne Mitleid und kannten keine Gnade. Viele von ihnen hätten sich umgebracht, also den Freitod gewählt an Rosalins Stelle. So gnadenlos waren nun mal die ungeschriebenen Regeln dieser Kaste.
Ja, was würde sein? Ich ritt weiter. Dann ließ ich meine Scouts ausschwärmen. Nach einigen Meilen kamen uns zwei Soldaten entgegen. Ich wusste sofort, dass sie zu der Patrouille von Sergeant Bac McGlory gehörten. Als sie vor mir verhielten, da sagte einer: »Wir bringen die erste Nachricht von McGlory zum Captain. McGlory hat Anschluss an Bad Wolfs Horde. Sie zieht jetzt nach einigen Überfällen auf Wagenzüge südwärts. Es sieht so aus, als würde er ins texanische Panhandle wollen.« »Dann meldet es Ironhart«, erwiderte ich. »Der kommt keine drei Meilen hinter uns. Und er ist jetzt Major. Das müsste euch doch stolz machen als seine Reiter.« »Und wie!«, knirschte einer der beiden Kavalleristen. Und der andere sagte heiser: »Wir werden für ihn beten. Hoffentlich schickt er uns nach Standing Walls und nimmt uns nicht mit.« Sie ritten weiter. * Er nahm sie mit. Denn als ich am späten Mittag auf die Truppe wartete, um mich bei Ironhart zu melden – er wollte das so –, da sah ich die beiden Soldaten in der Kolonne reiten. Ich lenkte meinen schwarzen Hengst – er machte mir
kaum noch Schwierigkeiten – neben Ironharts Tier. Ironhart fragte barsch: »Nun, was ist?« »Nichts ist«, erwiderte ich ebenso barsch. »Bad Wolf zieht mit seiner Horde wahrscheinlich nach Süden. Das meldeten Ihnen ja auch die beiden Soldaten von McGlorys Patrouille. Bad Wolf wird sich die kleine Patrouille bald schnappen. Es ist verrückt, ihm die paar Soldaten nachzuschicken, damit sie mit ihm Fühlung halten. Sie haben keine Chance. Wir werden morgen oder übermorgen ihre Leichen finden.« Ich verstummte hart und konnte den Klang von Verachtung in meiner Stimme nicht unterdrücken. Er stieß einen fauchenden Laut aus und fragte dann böse: »Kehoe, wollen Sie mir Unterricht über Kriegsführung gegen diese roten Bastarde erteilen?« »Ich bin Ihr Chef-Scout«, erwiderte ich. »Zu was haben Sie mich sonst verpflichtet? Es ist mein Job, Ihnen meine Meinung zu sagen. Welchen Nutzen Sie daraus ziehen, hängt allein von Ihnen ab.« Nach diesen Worten ließ ich meinen Hengst wieder schneller laufen und ritt der Truppe einige Meilen weit voraus, bis ich Anschluss an meine Scouts gefunden hatte, die ich dann und wann in der Ferne sah, wenn sie über Hügelkämme oder Bodenwellen ritten oder aus tiefen Senken auftauchten. Ja, sie waren immer noch ausgeschwärmt und sicherten die Truppe weit voraus nach beiden Seiten und nach vorn. Der Tag verging. Und ich wusste, es würden noch weitere Tage
vergehen. Bad Wolf lockte uns wahrscheinlich tief in den trockenen Pfannenstiel von Texas. In einigen Tagen würde uns dann das Wasser knapp werden. Ich wusste, dass ich die Truppe ins Verderben führte, sobald wir die Fährte fanden und ihr folgten. Denn Ironhart würde nicht auf mich hören. Er wollte Bad Wolf hängen, koste es, was es wolle. Und niemand von uns konnte ihn seines Kommandos entheben. Wir alle standen unter seinem Befehl. Wir folgen der Fährte der beiden Soldaten, die von McGlorys Patrouille kamen. Und ich war sicher, dass wir morgen oder übermorgen auf die tote Patrouille stoßen würden. Immer wieder zerbrach ich mir den Kopf darüber, ob es nicht noch andere Möglichkeiten gab, Bad Wolf zu besiegen. Und da fielen mir immer seine Alten, Frauen und Kinder ein, jene armselige Schar, die ich ihm aus dem Reservat zum Austausch gegen Rosalin Ironhart zugeführt hatte. Wohin hatte Bad Wolf die Überlebenden seines Dorfes geschickt? Vielleicht konnten wir ihn noch zum Frieden zwingen, wenn wir sie wieder in unsere Gewalt brachten. Natürlich, es wäre eine gemeine Erpressung gewesen, aber sie hätte das große Sterben und Blutvergießen verhindert. Doch wo waren die kaum mehr als hundert Alten,
Frauen und Kinder? Wohin waren sie gezogen? Wahrscheinlich verbargen sie sich in den Bergen von Colorado, waren inzwischen wahrscheinlich fast unerreichbar. Es gab also keine Chance mehr, das große Sterben zu verhindern. Die Truppe blieb bis zum Anbruch der Nacht unterwegs. Dann hielt Ironhart endlich an und ließ das Camp aufschlagen. Bald brannten die Feuer in der Nacht. Als ich mich im Camp einfand, spürte ich die gedrückte Stimmung. Die Soldaten hockten schweigend an den Feuern. Sie hatten gruppenweise abgekocht, also ihren Speck gebraten und die harten Biskuits im Kaffee aufgeweicht, und jeder hatte eine Hand voll Trockenobst gegessen. Nun rauchten sie und versuchten sich zu entspannen nach einem langen Tagesritt. Sie waren an diesem Tag auch einige Meilen zu Fuß marschiert, um die Pferde zu entlasten. Viele starrten blicklos in die Flammen. Nicht einmal die üblichen Witze wurden gemacht. Ich meldete mich bei Ironhart und sagte knapp: »Meine Scouts fanden im Verlauf des Tages einige Fährten, die darauf schließen lassen, dass KiowaSpäher uns begleiten. Bad Wolf wird also über alles, was Sie tun, genau unterrichtet. Sie können ihn nicht überraschen. Irgendwo, und wenn es Ihrer Truppe nicht mehr so gut geht wie jetzt, wird er sich stellen. Ironhart, wollen Sie nicht endlich einen Rat von mir annehmen?«
»Reden Sie mich mit meinem Rang an, Kehoe«, knirschte er. »Sie müssen doch inzwischen mitbekommen haben, dass ich jetzt Major bin. Aber was würden Sie mir denn raten, Mr Kehoe?« Seine Stimme wurde immer schneidender. »Kehren Sie nach Standing Walls zurück«, erwiderte ich. »Bad Wolf ist nur mit einer vierfachen Übermacht zu schlagen. Er muss von mehreren Truppenteilen eingekreist werden, bis er in der Falle steckt. Dann würde er sich ergeben müssen. Kehren Sie um, Major Ironhart.« »Den Teufel werde ich tun«, knirschte er. »Ich will ihn hängen. Und das werde ich auch schaffen. Führen Sie mich nur dicht genug an ihn heran, Kehoe. Das ist Ihr verdammter Job.« Ich sagte nichts mehr. Denn jedes weitere Wort wäre reine Zeitverschwendung gewesen. Er dachte gewiss Tag und Nacht daran, dass seine Frau einige Nächte lang Bad Wolf gehört hatte. Er fühlte sich in seiner Ehre beschmutzt. Was würde er fühlen, wenn er wüsste, dass Rosalin auch mir gehört hatte? Er würde nicht verstehen und begreifen, warum das damals geschehen war. Ich aber hatte es begriffen. Rosalin wollte damals das Gefühl loswerden, beschmutzt und somit wertlos geworden zu sein. Sie und ich, wir waren unterwegs Partner und Kameraden geworden. Ich hatte sie gewissermaßen befreit, sie ihren Wert wieder erkennen lassen.
Aber dies würde Ironhart niemals begreifen können. Ich verließ Ironhart, um mir mein Abendbrot zu braten und dann einen Schlafplatz zu suchen. Meine Scouts waren um das Camp verteilt. Sie lagen weit draußen in der Runde. Ich vermochte lange nicht einzuschlafen und dachte darüber nach, was ich an Bad Wolfs Stelle tun würde, um diese Truppe zu besiegen. Und als ich es zu wissen glaubte, sicher war, es herausgefunden zu haben, da wurde mir verdammt heiß unter meiner Decke. * Im Morgengrauen war die Truppe wieder unterwegs. Ich ritt ihr voraus, sicherte mit meinen sechs Scouts nach allen Seiten. Dann und wann fanden wir die Fährten von unbeschlagenen Mustangs indianischer Reiter. Ja, wir wurden von einigen Spähern begleitet. Einmal sah ich einen dieser Kiowas in der Ferne über einer Bodenwelle verschwinden. Es war nur eine schnelle Bewegung in der flimmernden Mittagshitze. Als es dann fast schon Abend war, kam einer der Scouts zu mir geritten. Es war Cimarron. Sein Gesichtsausdruck war düster. Ich wusste sofort, dass er keine gute Nachricht brachte. Er zog erst neben mir sein Pferd herum, sodass wir Steigbügel an Steigbügel ritten.
Dann sagte er kehlig: »Sergeant Bac McGlory – er hatte noch zwölf Dollar Pokerschulden bei mir. Die kann ich jetzt abschreiben.« Mehr sagte er nicht, aber ich wusste Bescheid. Sie hatten also McGlory und dessen Patrouille erledigt. Sie lagen vor uns in den Hügeln. Und weil wir ja auf ihrer Fährte ritten, würden wir die Toten bald zu sehen bekommen. Und der Truppe würde dieser Anblick gewaltig zusetzen. Ja, auch dies gehörte zu Bad Wolfs psychologischer Kriegsführung. Er verstand sein Handwerk als Kriegsherr. Ich ließ mich zurückfallen und wartete auf Ironhart. Dieser kam wenig später stolz an der Spitze seines Kommandos herangeritten. Ich sah ihm entgegen, und als er bei mir war, da schnarrte seine Stimme: »Was ist, Kehoe, warum warten Sie hier auf mich? Sollten Sie nicht weit vor mir bei Ihren Scouts sein?« Ich deutete auf die nun etwa drei Tage alte Fährte von McGlorys Patrouille und erwiderte: »Diese Fährte führt zu Sergeant McGlorys Patrouille. Sie sind alle tot. Wollen Sie mit Ihrer Truppe hin – oder genügt ein Beerdigungskommando? Im ersteren Fall führe ich die Truppe nicht länger auf dieser Fährte nach Süden. Wie wollen Sie es haben, Colonel?« Ich nannte ihn nun spöttisch Colonel, also mit seinem Rang auf Kriegszeit. Er fauchte scharf und erwiderte dann: »Die Soldaten sollen es sehen. Sie sollen den Wunsch bekommen,
McGlory und ihre Kameraden zu rächen. Ich will, dass sie die Kiowas und Bad Wolf ebenso hassen wie ich. Wir reiten hin und schlagen dort das Biwakcamp auf.« Es gab nichts mehr zu sagen. Er gab die Befehle. Wir hatten zu gehorchen. Noch vor Anbruch der Nacht erreichten wir den Ort, an dem McGlory und dessen Männer massakriert worden waren. Ihre Körper waren nackt und voller Wunden. Man hatte die Soldaten fast zerhackt. Und es konnte nur Bad Wolfs Horde gewesen sein, in deren Falle McGlory ritt. Was für ein Hass kam hier zum Ausbruch! Die Truppe verhielt schweigend. Nur die Pferde schnaubten in die Stille. Dann klang Ironharts Stimme scharf und präzise: »Soldaten, seht genau hin! Und dann begreift, dass wir diese roten Mörder vernichten müssen, weil es zu unserer Ehre gehört! Wir werden unsere Kameraden hier mit allen Ehren bestatten. Und morgen geht es weiter! Bad Wolf wird hängen!« Seine Stimme überschlug sich zuletzt fast. Und ich hatte noch niemals ein dümmeres Geschwätz über Soldatenehre gehört. Aber wahrscheinlich hörte man es überall auf unserer Welt bei den Armeen, wenn es ums Töten und Sterben ging. Die Anführer mussten ja ihr Tun irgendwie begründen. Nun, wir begruben die Toten. Im Biwak blieb es danach fast totenstill. Ich ging dann zu Ironhart in dessen Zelt. Ja, er saß in
seinem Kommandeurszelt und schrieb im Kriegstagebuch. Gewiss würde er die richtigen Worte finden, um sein Tun dem Armeehauptquartier als umsichtiges Handeln darzustellen. Er starrte im Laternenschein von seinem Klappstuhl aus zu mir hoch. »Was wollen Sie, Kehoe?«, knurrte er. »Ich habe darüber nachgedacht, was ich an Bad Wolfs Stelle tun würde«, erwiderte ich ruhig. »Wollen Sie es hören?« Er starrte zu mir hoch und nickte schließlich. Da sprach ich langsam Wort für Wort: »Ich würde Ihnen die Pferde stehlen und dann Standing Walls klein machen. Sie könnten es nicht verhindern. Denn zu Fuß kämen Sie mit Ihren Soldaten um Tage zu spät. Ironhart, wenn Bad Wolf Sie weit genug nach Süden in das trockene Land gelockt hat, wird er Ihrer Truppe die Pferde stehlen. Und dann sind Sie besiegt. Kehren Sie also nach Standing Walls zurück, solange Sie noch reiten können.« Da sprang er wütend auf. »Mir wird kein roter Pferdedieb die Pferde stehlen, mir nicht!« So knirschte er fast tonlos. Da ging ich. Denn ich hatte ihn gewarnt. Das war meine Pflicht als sein Chef-Scout. Und vielleicht hatte ich mich auch in meinen Überlegungen und Vermutungen getäuscht. Denn auch ich hatte gewiss nicht die Weisheit mit Löffeln gegessen.
Nun, wir würden sehen. Ich legte mich zur Ruhe. Dann und wann hörten wir die Rufe der Posten. Wir würden unsere Pferde nun dreifach bewachen müssen. Ich musste an Rosalin denken. Wenn es wirklich so kommen sollte, dass Bad Wolf über Standing Walls herfiel, dann bekam er Rosalin zum dritten Mal in seine Gewalt. Ich schlief endlich ein. Aber ich träumte wenig später von Rosalin und Bad Wolf. Doch als ich erwachte, da hatte ich den Traum vergessen. Das ist oft so bei Träumen. Man weiß nur, dass man Schlimmes oder Böses geträumt hat. * Am nächsten Morgen waren wir alle wieder unterwegs. Nun ritten wir auf Bad Wolfs Fährte. Sie war klar und deutlich. Er hatte gewiss an die zweihundert Krieger bei sich. Und so war er uns zahlenmäßig durchaus ebenbürtig. Aber die Kiowas waren ein Reitervolk und wahrscheinlich die beste Kavallerie der Welt. Ich sah also mehr als schwarz für uns, wenn Ironhart sie zu Pferd angriff. Wir folgten der breiten Fährte weiter nach Süden. Das Land wurde immer trockener und staubiger. Kakteen aller Sorten mehrten sich. Ja, wir näherten uns dem Panhandle, dem Pfannenstiel von Texas.
Vielleicht würden wir an diesem Tag noch fünfzig Meilen reiten bis zum Anbruch der Nacht. Und dann? Ja, was würde dann sein? Abermals ritt ich der Abteilung mit meinen Scouts meilenweit voraus und ließ sie ausschwärmen. Wir ritten fast zu jedem Hügel hinauf, überquerten wachsam jede Bodenwelle und blickten in die Senken. Überall konnten die Kiowas verborgen sein. Aber die klare Fährte führte weiter nach Süden. Sie war im Staub deutlich zu erkennen. Ich achtete besonders darauf, ob die Hufabdrücke gleich tief blieben. Ich musste mit jedem Trick rechnen. Doch es veränderte sich nichts. Die Sonne brannte an diesem Tag heißer als sonst. Als es Abend wurde, erreichte ich mit meinen Scouts eine Wasserstelle. Doch sie war ungenießbar gemacht worden. Im trüben Wasser schwamm das so genannte Locokraut. Es ist eine Pflanze, die – wenn sie von Pferden gefressen wird – diese verrückt macht. Ich schickte deshalb einen der Scouts zurück, um Ironhart zu warnen. Er durfte die Pferde nicht in die Nähe dieser Wasserstelle bringen. Die Tiere würden das Wasser wittern und zu ihm wollen. Dann hatten die Kavalleristen eine Menge damit zu tun, ihre Tiere unter Kontrolle zu halten. Später ritt ich selbst zu Ironhart zurück. Er hatte angehalten mit seiner Abteilung und das Lager aufschlagen lassen. Wie immer errichtete man das Zelt
für ihn und stellte den Klapptisch und den Klappstuhl hinein. Als ich beim Zelt absaß, trat er heraus und sah mich fordernd an, so als erwartete er von mir eine gute Nachricht. Ich sagte zu ihm: »Wir werden in dieser Nacht um unsere Pferde kämpfen müssen. Davon bin ich überzeugt. Sie sollten den Befehl geben, dass jeder Reiter die Zügelenden seines Pferdes um sein Handgelenk bindet. Sie können die Tiere nicht wie immer an ausgespannten Leinen nebeneinander anbinden wie in einem Stall. Heute wird es ernst, Ironhart.« »Sie sollen nur kommen.« Er grinste blinkend. »Ich warte auf sie. O ja, es ist mir recht, wenn sie schon diese Nacht kommen. Dann müssen wir nicht noch weiter nach Süden reiten. Wir werden auf sie warten.« Er verstummte hart und siegesgewiss, ganz und gar von sich und seiner Truppe überzeugt. Inzwischen waren seine drei Offiziere herangetreten. Offensichtlich hofften sie, nun endlich Befehle zu bekommen. Es waren die beiden jungen Lieutenants Ben Lennon und Joseph Calderon. Der dritte Lieutenant war schon eisgrau. Er hatte die Verstärkungen nach Standing Walls gebracht. Wahrscheinlich war er aus dem Mannschaftsstand aufgestiegen, also mal Sergeant gewesen, der sich während des Krieges bewährte und Offizier wurde. Nun aber war er vielleicht der älteste Lieutenant im Indianerland. Sein zerfurchtes Gesicht war fast so
dunkel wie das eines Indianers. Und es ließ eiserne Härte erkennen. Ironhart betrachtete seine drei Offiziere forschend. Dann sprach er heiser: »Gentlemen, unser Chef-Scout ist der Meinung, dass Bad Wolf sich in dieser Nacht unsere Pferde holen möchte. Wir werden also auf ihn warten. Sorgen Sie also dafür, dass wir nicht schlafend überrascht werden. Ich werde ständig meine Inspektionsrunden gehen. Das ist alles, Gentlemen.« Nach diesen Worten verschwand er wieder in seinem Zelt. Die drei Offiziere aber sahen mich an. Es war zu dunkel, um in ihren Augen die Fragen erkennen zu können, die sie mir gewiss gerne stellen wollten. Ich grinste sie an und wusste, dass meine Zahnreihen blinkten im Flammenschein der Feuer, welche in der zunehmenden Dunkelheit das Camp erhellten. »Gentlemen«, sprach ich nach einigen Atemzügen, »es könnte sein, dass ich mich irre und der Überfall nicht diese Nacht, sondern erst in den nächsten Nächten stattfindet. Ja, es könnte sein, dass Bad Wolf uns schmoren lässt, bis nach einigen Nächten kein Soldat mehr die Augen offen halten kann. Es ist alles möglich.« Nach diesen Worten nahm ich mein Pferd an die langen Zügel und ging davon. Um ein Feuer hockten meine sechs Scouts. Sie waren
nun nicht mehr draußen, denn sie wollten am Leben bleiben, solange es ging. Und dort draußen in der Nacht hätte keiner von ihnen eine Chance gehabt. Als ich ans Feuer trat, starrten sie zu mir hoch. Cimarron sagte, was sie alle dachten. Es war nur ein einziges Wort: »Bullshit!« Und die anderen nickten stumm. Ich sagte nichts. Denn ihnen brauchte ich nichts zu sagen. Sie waren zu erfahren. Ich lockerte meinem Hengst nur den Bauchgurt und band die Zügelenden an das Hinterrad eines der Bagagewagen, der in der Nähe stand. Dann trat ich mit meinem Proviantbeutel wieder an das Feuer, hockte mich nieder und briet bald meinen Speck, füllte mir meinen Becher mit Kaffee, in dem ich die harten Biskuits einweichte. Sie beobachteten mich, denn sie hatten ihr Abendessen schon verschlungen. Ich sah, dass auch sie ihre Pferde in der Nähe angebunden hatten, eines sogar an einem Rad der Haubitze, mit der Ironhart Schrapnells zu verfeuern gedachte. Einer der Sergeants trat auf seiner Runde zu uns. Er sagte: »Es sollen keine Pferde mitten im Camp angebunden werden. Wir müssen unterwegs genug Pferdescheiße und auch Pisse riechen. Ich habe im Camp für Ordnung zu sorgen. Also schafft eure Gäule zu den anderen Pferden. Diese werden jetzt dreifach stark wie sonst bewacht.« Wir schwiegen eine Weile, und er verhielt wartend.
Schließlich sagte Buffalo Jack mit einem Klang von Nachsicht und Mitleid in der Stimme: »Ho, du kannst uns mal dreifach. Hau ab!« Der Sergeant wollte sich aufblasen. Man konnte im Feuerschein sehen, dass er tatsächlich einen dicken Hals bekam. Aber dann hielt er die Luft an und ging. Irgendwie hatte er plötzlich den ganzen Ernst der Lage gespürt und begriffen, warum wir Scouts unsere Pferde im Camp behalten wollten. Als er weg war, schwiegen wir alle. * Ich schlief bis zu jener Stunde zwischen Mitternacht und Morgen. Die Nacht war rabenschwarz, und deshalb war ich sicher, dass Bad Wolf es versuchen würde. Denn solche schwarzen Nächte gab es nicht oft. Nun war es ja bei diesen Prärieindianern so, dass sie in schwarzen Nächten niemals angriffen. Denn sie glaubten, dass dann die Seelen der Toten nicht den Weg ins ewige Schattenreich finden könnten und für immer umherirren müssten. Deshalb griffen sie stets in jener grauen Stunde an, in der die Welt keine Farben hat, die Tiere der Nacht sich zur Ruhe legen und die Tiere des Tages noch nicht wach sind. Denn dann würde es bald Tag werden und die Seelen der Toten konnten – wenn auch mühsam – den Weg nach Wanagi Yata finden, ins Himmelreich,
wie wir Weißen es nannten, dem Sammelplatz aller Seelen. Ich erhob mich und strich durch das Camp. Ich traf auf alle Lieutenants und Sergeants. Ja, sie waren auf ihren Posten und hielten die Soldaten wach. Es war ein nervenzermürbendes Warten. Besonders um die angebundenen Pferde – sie standen in vier Blocks zu je fünfzig Tieren an ausgespannten Leinen – hatte man viele Soldaten postiert. Sie lagen am Boden auf ihren Bäuchen, weil sie so schräg gegen den Himmel blickend vielleicht die sich nähernden Angreifer besser würden erkennen können. Und sie hatten ihre Revolver schussbereit in den Händen. Ja, die ganze Truppe wartete, lauerte, war bereit. Ich traf unterwegs auf meiner Runde auch auf Ironhart. Es hielt ihn nicht mehr in seinem Kommandeurszelt. Er knurrte mich an: »Wenn sie diese Nacht nicht kommen, dann habe ich morgen eine unausgeschlafene Truppe. Dann fallen mir die Soldaten während des Tagesrittes von den Pferden.« »Ja, damit müssen Sie rechnen, Ironhart«, erwiderte ich. »Bad Wolf versteht sein Handwerk. Der kann Sie zermürben. Aber wahrscheinlich wird er jetzt gleich kommen, weil er morgen keine so schwarze Nacht mehr auf seiner Seite haben wird. Und wenn er jetzt gleich kommen sollte, dann sind seine Krieger gewiss schon sehr nahe. Vielleicht können Ihre Soldaten jetzt schon auf die Kiowas spucken und wissen es nur nicht.
Sobald im Osten der Himmel etwas hell wird, werden sie aufspringen und angreifen. Aber das wollten Sie ja so, Ironhart. Es wird die Hölle aufbrechen und das große Sterben beginnen. Ironhart, Sie sind ein Narr.« Nach diesen Worten ging ich weiter. Er rief mir nichts nach. Vielleicht hatte es ihm wirklich die Sprache verschlagen, weil er jetzt endlich etwas begriffen hatte. Ich beendete meine Runde und war nun sicher, dass sie alle bis auf den letzten Mann auf den Angriff warteten. Als ich nach Osten blickte, da erkannte ich den ersten hellen Streifen am Himmel. Bald würde die noch verborgene Sonne ihre Lichtblitze zucken lassen und ihr Aufsteigen ankündigen. Und da brach die Hölle endlich los – ja, endlich! Denn das zermürbende Warten fand nun ein Ende. Die Männer mussten nicht mehr angespannt lauern, lauschen, wittern. Nun löste sich die Anspannung. Nun konnten sie brüllen, fluchen, schießen. Aber noch lauter gellte das Kriegsgeschrei der Kiowas. Es drang einem sozusagen bis ins Mark. Es versuchte Schrecken zu erzeugen, zu lähmen. Sie kamen nur von einer Seite. Nein, sie hatten das Camp nicht umzingelt, also eingeschlossen, ihre Angriffsmacht also nicht ums ganze Camp verteilt und so verdünnt und geschwächt. Sie kamen mit geballter Wucht und schossen. Natürlich schlug ihnen Feuer entgegen und fielen
die ersten Reihen von ihnen. Aber unsere verdünnte Verteidigungslinie war ihnen nicht gewachsen. Hier auf dieser Seite waren insgesamt vielleicht vier Dutzend Soldaten. Aber die Kiowas kamen mit fast zweihundert Kriegern. Und so brachen sie ins Camp ein und verteilten sich dort nach allen Seiten. Sie griffen den Verteidigungsring nun von innen an, nicht von außen. Bad Wolf war ein Feldherr. Wir kämpften verzweifelt. Es gab bald nur noch Kämpfe Mann gegen Mann. Auch ich schoss meinen Revolver leer und kämpfte dann mit dem Messer weiter. Und dann war es plötzlich vorbei. Ich erwachte wie aus einem Rausch, einem bösen Traum. Und dann hörte ich die donnernden Hufe unserer Pferde. Ja, sie hatten es geschafft. Ich begriff es sofort. Bad Wolf hatte gewiss ein halbes Hundert Krieger geopfert, um die Pferde der Truppe zu bekommen. Nun hatte er sie. Der Morgen war inzwischen angebrochen. Man konnte einigermaßen sehen. Und so sah man überall die Toten, weiße und rote Männer, welche sterben mussten. Einige Soldaten liefen fluchend umher und schlugen verwundeten Kiowas, die nicht mehr kämpfen konnten, mit ihren Gewehren den Schädel ein. Das taten sie wie von Sinnen, so als wären sie total
verrückt, einfach nicht mehr normal und zurechnungsfähig. Für sie waren die Kiowas etwas Böses aus der Hölle, das man vernichten musste. Ihr Tun war nichts anderes als die Reflexe ihrer Furcht. Ich blutete aus zwei leichten Wunden und wanderte umher, lud dabei meinen Revolver auf. Ja, das große Sterben hatte stattgefunden. Die Truppe hatte fast alle Pferde verloren. Nur wir Scouts hatten unsere Pferde ja mitten im Camp festgebunden. Deshalb konnten wir uns wieder beritten machen. Ich traf auf Ironhart, der mir zubrüllte: »Kehoe, holen Sie mir unsere Pferde zurück! Verdammt, reiten Sie endlich mit den Scouts hinterher! Retten Sie, was Sie retten können! Ich brauche die Pferde für meine Truppe!« Ich erwiderte nichts. Doch ich saß wenig später im Sattel. Als ich anritt, da folgten mir Cimarron, Buffalo Jack und Pierce Skyman. Aber wir kamen nicht weit. Schon nach einer Meile galoppierten uns drei Dutzend Kiowas entgegen. Wir rissen unsere Pferde herum und jagten zum Camp zurück. Unterwegs konnten wir noch einige Pferde mitnehmen, welche die Stampede nicht mitgemacht hatten, sondern seitlich ausgebrochen waren. Als wir das Camp erreichten, drehten unsere Verfolger ab. Sie zeigten uns die nackten Hintern. Ironhart stand inmitten des Camps und sah sich alles schweigend an. Die beiden jungen Lieutenants waren
tot. Der eisgraue First Lieutenant Jock Bennet hatte das Kommando. Er erteilte die Befehle, traf Anordnungen, brachte allmählich Ordnung in das Durcheinander. Der Feldarzt und dessen zwei Sanitäts-Corporals kümmerten sich um die Verwundeten. Man brachte die toten Kiowas aus dem Camp, schaffte sie weit hinaus. Und am Himmel kreisten die ersten Geier. Ich hielt vor Ironhart an, fragte trocken mit aller Bitterkeit: »Haben Sie es nun endlich kapiert? Bad Wolf ist kein Wilder, der Pferdeäpfel frisst. Der ist Ihnen gewachsen. Den kann die Armee nur mit zweitausend Mann einkreisen und zum Frieden zwingen. Wollen Sie ihn immer noch hängen?« Er wollte etwas erwidern, doch seine Unterlippe zitterte nur. Er wirkte nicht mehr wie ein heldenhafter, unbesiegbarer Kriegsherr. Erst nach einigen Versuchen stieß er hervor: »Ja, ich will ihn immer noch hängen, und jetzt noch mehr als zuvor, koste es, was es wolle.« * Es war noch nicht Mittag, als wir wieder unterwegs waren. Denn wir mussten nach Standing Walls zurück und würden gewiss zu spät kommen. Aber versuchen mussten wir es. Und so zogen wir auf unserer Fährte nach Norden. Die Truppe hatte große Verluste erlitten. Mehr als fünfzig Mann mussten wir beerdigen. Und mehr als
zwei Dutzend Verwundete transportierten wir in den Bagagewagen, deren Maultiergespanne wir noch besaßen, weil diese nicht bei den Pferden angebunden waren. Und überdies besaßen wir noch zwei Dutzend Pferde, nämlich die der Scouts und einige andere, die wir hatten zurückbringen können. Ironhart ritt also an der Spitze unseres langen Zuges. Die Kavalleristen marschierten nun wie die Infanteristen. Ich hörte einen der Infanteristen einmal tröstend sagen: »Jungs, in einigen Tagen habt ihr euch daran gewöhnt. Dann sind dreißig und noch mehr Meilen zu Fuß gar nichts mehr für euch.« Er bekam Flüche als Antwort. Wir waren nur noch vier Scouts. Doch wir besaßen wenigstens noch unsere Pferde, konnten die geschlagene, marschierende Truppe im weiten Abstand umgeben und nach allen Seiten sichern. Sogar die Haubitze schleppte Ironhart mit. Sie war an einen der Bagagewagen angehängt. Natürlich war sie geladen mit Schrapnells. Aber es ergab sich keine Gelegenheit, sie zum Einsatz zu bringen. So zogen wir also dahin. Und als wir bei Nachtanbruch anhielten, da waren zwei der Verwundeten gestorben. Wir mussten sie beerdigen. Ironhart sprach wieder hehre Worte, redete von Ehre, Pflicht und Stolz, Treue und Aufopferung für das Vaterland und die Zivilisation. Ich hörte gar nicht mehr hin. Und die meisten
Soldaten taten es gewiss auch nicht. Später dann, als ich mit den drei anderen Scouts am Feuer hockte, kam der eisgraue First Lieutenant Jock Bennet zu uns. Auch er hockte sich nieder. Jemand reichte ihm einen Becher Kaffee. Er trank vorsichtig vom heißen Becherrand und sagte dann: »Euer Kaffee schmeckt besser als der von der Armee. Sagt mir mal, was dieser Bad Wolf tun wird. Wie schätzt ihr die Lage ein?« Wir grinsten ihn grimmig an. Nein, in uns war keine Fröhlichkeit. Aber wir mochten diesen alten Indianerkämpfer irgendwie. Er hatte nicht nur gut gekämpft, sondern auch stets seinen Männern die richtigen Befehle gegeben, seinen Haufen zusammengehalten. Wahrscheinlich war er ganz und gar nicht mit den Befehlen seines Vorgesetzten einverstanden. Doch er musste sie ausführen. Er sah mich nun fragend an, denn ich war ja der Chef-Scout. Und so erwiderte ich: »Bad Wolf macht uns klein. Oder er lässt uns von seinen Unterhäuptlingen klein machen. Denn ich denke, er ist mit seiner Hauptmacht nach Standing Walls unterwegs. Wir können ihm ohne Pferde nicht schnell genug folgen. Er wird Standing Walls dem Erdboden gleichmachen und sich Ironharts Frau zum dritten Mal holen. Dies wird ein langer, trauriger, armseliger Marsch zu einem völlig zerstörten Armeeposten, der sich Standing Walls nennt. Und
morgen werden die ersten Marschierer zusammenbrechen. Wir haben nicht genügend Wasser. Und alle kümmerlichen Wasserstellen werden zerstört sein. Wir haben gewiss noch mehr als ein halbes Hundert Kiowas um uns herum. Sie reiten. Von uns reiten nicht mal ein Dutzend. Was wollen Sie sonst noch wissen, Lieutenant?« Er schüttelte den Kopf und goss dann den Kaffeegrund ins Feuer. Cimarron fragte plötzlich: »Wann bekommen Sie Ihren Abschied von der Armee, Lieutenant? Sie müssen doch bald die Altersgrenze erreicht haben?« »In einem Monat«, erwiderte Jock Bennet. »Und dann bekomme ich als Offizierspension noch keine zwanzig Dollar im Monat. Die reicht gerade, um sich ständig zu besaufen. Vielleicht werde ich bald Postkutschen überfallen.« Er lachte leise und erhob sich. Langsam ging er davon. * Am nächsten Tag zogen wir weiter. Es gab unter den Kavalleristen gegen Mittag die ersten Fußkranken. Doch es half ihnen nichts. Sie mussten weiter. Keiner durfte zurückbleiben. In den Wagen lagen unsere Verwundeten. Man konnte sie nicht ausladen. Immer wieder – wenn ich auf eine Bodenwelle oder einen der Sandsteinhügel ritt, da erblickte ich die
Kiowas in der Ferne. Ja, es war eine starke Horde, die uns begleitete. Sie würde uns nicht angreifen, denn dazu war sie nicht stark genug. Doch sie würde jeden Zurückbleibenden töten. Und so durften wir niemanden zurücklassen. Es wurde wieder ein heißer Tag. Unser Wasser wurde knapp. Fast alle Feldflaschen waren leer. Und in den Wasserfässern an den Bagagewagen schwappte nur noch wenig Brühe. Es stand uns noch ein weiter, weiter Weg bevor. Wenigstens zogen wir nun nach Norden, mussten nicht weiter nach Süden. Und das Land vor uns konnte nur besser werden, grüner, schattiger dann und wann, nicht so staubig und gnadenlos. Wie ein langer Wurm kroch Ironharts Truppe dahin, langsam, mühsam. Und auch an diesem Tag starben zwei Verwundete in einem der Wagen. Als ich wieder einmal nach vorn ritt und meinen schwarzen Hengst neben Ironharts Tier lenkte, da wandte Ironhart nicht den Kopf, sondern starrte weiter geradeaus. Aber er fragte: »Kehoe, was wird er tun?« Er meinte Bad Wolf, aber er sprach seinen Namen nicht aus. Ich erwiderte: »Er wird einige Tage vor uns Standing Walls erreichen und dort alles platt machen. Und er wird sich Ihre Frau zum dritten Mal holen. Ironhart, Sie haben ihm und seinem Dorf mit Ihrer Truppe damals Schlimmes angetan. Nun bestraft er sie. So einfach ist
das. Und Sie haben nicht auf mich gehört, waren verrückt danach, ihn zu hängen. Er hat Sie geschlagen. Für die Armee sind Sie bald der große Versager. Ihre Karriere ist beendet, und Sie haben das Leben vieler Menschen auf dem Gewissen.« Ja, ich schonte ihn nicht. Ich verachtete ihn ganz und gar. Denn seine sture Arroganz hatte vielen Männern den Tod gebracht. Er hielt sich für einen großen Feldherren, einen unbesiegbaren Reiterführer. Doch er wurde von einem Indianerhäuptling besiegt und zerbrochen. Nein, er tat mir nicht Leid. Er schwieg eine Weile nach meinen Worten. Er hatte einfach nichts zu entgegnen. Ich wusste, es hatte in der Weltgeschichte immer wieder Verlierer wie ihn gegeben, die sich das Leben nahmen. Es waren Feldherren oder deren Unterführer. Würde auch er so handeln? Ich traute ihm das zu. Sein Stolz wurde so sehr verletzt, dass er vielleicht mit dieser Schmach nicht weiterleben konnte. Aber da waren ja noch Standing Walls und seine Frau Rosalin. Konnte er sich dieser Verantwortung so einfach entziehen, indem er sich eine Kugel durch das Hirn jagte? Sein Kopf fuhr plötzlich herum. Mit seinen eisblauen Augen, in denen Irrlichter flackerten, starrte er zu mir herüber. Und dann fragte er: »Was sagten Sie
mir damals, Mr Kehoe? Wie war das mit den Sitten und Gebräuchen, wenn ein Krieger dem anderen die Squaw raubt? Erklären Sie es mir genauer.« Ich zuckte mit den Schultern. Aber ich begann zu begreifen, was er mit seiner Frage bezweckte. Und so erklärte ich es ihm mit geduldiger Nachsicht. »Major«, begann ich, »fast alle Völker auf unserer Erde hatten und haben einen Ehrenkodex, so auch die Indianer. Wenn ein Krieger dem anderen die Squaw raubt, dann hat der Beraubte das Recht auf Genugtuung, also auf einen Zweikampf. Und niemand darf sich einmischen. Es ist nur eine Sache zwischen den beiden Kriegern.« Ironhart starrte über den Kopf seines Pferdes hinweg wieder in die Ferne. Dann aber ruckte sein Kopf wieder herum. »Und er müsste auch mir die Gelegenheit zu einem Duell geben?« So fragte er scharf. Ich grinste ihn an. Dann sprach ich langsam Wort für Wort: »So wie ich es sehe, will er selbst dieses Duell. Warum sonst würde er Ihre Frau zum dritten Male entführen wollen? Er will mit Ihnen Mann gegen Mann kämpfen, Krieger gegen Krieger – oder in diesem Fall Häuptling gegen Häuptling. Er will, dass Sie sich ihm ohne Ihre Soldaten stellen, damit er Sie vor den Augen seiner Krieger umbringen kann. Sie haben ihm und seinem Dorf Schlimmes angetan. Und in seinen Augen verkriechen Sie sich hinter Ihren Soldaten. Er will Sie
allein vor sich haben. Ja, er würde mit Ihnen um Ihre Frau kämpfen. Und wenn Sie ihn schlagen können, bekommen Sie freien Abzug. Das verlangt seine Kriegerehre. Und seine Krieger werden das respektieren. Ironhart, Sie sollten endlich begreifen, dass die meisten Indianervölker nur in unseren Augen Wilde sind. Doch sie alle haben eine Jahrhunderte alte Kultur und leben nach ihren Regeln und Gesetzen. Kriegerehre gibt es nicht nur unter Soldaten und gab es nicht nur unter den alten Rittern. Denken Sie zum Beispiel auch an die japanischen Samurais, die nach dem Buschido lebten, den Regeln des Ritterwegs. Auch die Kiowas leben nach solchen Regeln. Er wird sich Ihnen stellen. Sie müssen nur zu ihm reiten und ihn herausfordern, Krieger gegen Krieger – oder, wie schon gesagt, in diesem Falle Häuptling gegen Häuptling im Kampf um die Ehre.« Ich verstummte ruhig. Und ich hatte alles gesagt. Er starrte wieder über die Ohren seines Pferdes hinweg nach Norden, und ich wusste, dass sich seine Gedanken und Gefühle jetzt jagten. Ein Feigling war er ja nicht. Und als Verlierer und Gedemütigter konnte er gewiss nicht weiter auf dieser Erde leben. Als er lange genug nachgedacht hatte, wandte er sich wieder zu mir und fragte: »Mr Kehoe, würden Sie mich auf dem schnellsten Weg zu Bad Wolf bringen?« Ich hatte auf diese Frage gewartet. Dennoch
überraschte mich seine Entschlossenheit, die ich in seinen Augen erkennen konnte. Ja, er war ein Mann, der nun den Tod suchte und zuvor seinen Stolz und seine Ehre zurückbekommen wollte. Ich verstand ihn gut. Und obwohl ich wusste, dass es mich meinen Skalp kosten konnte, erwiderte ich: »Ja, ich werde Sie zu Bad Wolf bringen. Aber dann sind wir endgültig quitt, Ironhart. Dann bin ich Ihnen nichts mehr schuldig.« »Gut«, nickte er heftig, »gut, Kehoe.« Er wandte sich im Sattel um. Denn ein Stück hinter uns ritt Lieutenant Jock Bennet. Er ritt immer ständig zum Ende unserer langen Kolonne und kam dann wieder nach vorn, hatte so alles unter Kontrolle. Er war ja außer dem Major der einzige Offizier dieser Truppe. Als Ironhart ihm zuwinkte, kam er nach vorn geritten. »Sir?« So fragte er knapp. »Reiten wir ein Stück zur Seite, Lieutenant«, erwiderte Ironhart. »Ich will Ihnen meine Befehle ins Kriegstagebuch schreiben. Sie sind jetzt der Kommandeur dieser Truppe. Wenn Sie die Männer heil durchbringen, wird man Sie gewiss noch vor Ihrer Pensionierung zum Captain befördern.« Wir ritten also zur Seite. Er holte das Kriegstagebuch aus der Satteltasche und begann – nachdem er abgesessen war – darin zu schreiben. Als er das Buch zusammengeklappt dem Lieutenant
übergab, sagte er: »Ich reite mit Mr Kehoe voraus nach Standing Walls. Wenn Sie mit der Truppe dort ankommen und es Standing Walls nicht mehr gibt, dann bauen Sie es wieder auf.« »Und wo werden Sie sein, Sir?« Jock Bennet fragte es ernst. »Bei Bad Wolf«, erwiderte Ironhart. »Wo sonst?« Er saß nach diesen Worten wieder auf und nickte mir zu. »Also los, Kehoe!« Und dann ritten wir an, ließen alles hinter uns zurück. * Es wurde ein langer Ritt. Nun waren wir Gefährten geworden. Es war zwar nicht so, dass ich Ironhart plötzlich mochte. Nein, für mich war er zu sehr ein arroganter Narr gewesen, der eine Menge Männer geopfert hatte, unnötig sterben oder zumindest ihr Blut vergießen ließ. Aber jetzt handelte er wie ein Mann. Denn seine Soldaten waren unter dem Kommando von First Lieutenant Bennet in den besten Händen. Es war also nicht so, dass er seine Truppe aus eigennützigen Gründen im Stich ließ. Er hatte die Chance erkannt, Bad Wolf persönlich erledigen zu können. Und da seine Karriere bei der Armee wegen seines eigenmächtigen Verhaltens und Handelns ohne Auftrag oder Befehl ohnehin beendet war, wollte er auf
eigene Faust die Sache zum Abschluss bringen. Wir ritten den ersten Tag schnell, machten nur kurze Pausen und entkamen so den Kiowas, die die Kolonne ja in respektvoller Entfernung begleiteten. Auch in der Nacht rasteten wir nur so lange, bis unsere Pferde weiter konnten. Wir rieben die Tiere ab und massierten sie durch. Vom Proviant aßen wir nur wenig. Dann ritten wir wieder einen langen Tag und die halbe Nacht. Ja, es war ein weiter Weg nach Standing Walls. Bad Wolf hatte uns weit nach Süden gelockt, um uns dort bis auf wenige Tiere die Pferde zu stehlen. Am dritten Tag erreichten wir Standing Walls. Schon aus der Ferne sahen wir, dass nur noch die Erdwälle aus Grasplacken standen, sonst aber alles abgebrannt und zerstört war. Und am Flaggenmast mitten auf dem Parade- und Exerzierplatz, da hing Lieutenant John Jones, der als Kommandant zurückgelassen wurde mit zwei Dutzend Soldaten. Sie hatten keine Chance gehabt. Wenig später holten wir ihn herunter. Die Geier hatten ihn schon übel zugerichtet. Ich hätte Ironhart mal wieder meine Verachtung mit Worten sagen können, aber ich ließ es. Denn er wusste längst, wie sehr er versagt hatte, weil er glaubte, er würde sich mit seiner Truppe stets zwischen Bad Wolf und dem Armeestützpunkt befinden. Doch Bad Wolf stahl der Truppe die Pferde. So einfach war das.
Wir trugen dann die anderen Toten zusammen. Sie waren schon zwei Tage tot. Geier oder andere Aasfresser hatten ihre Aufgabe, die ihnen von der Schöpfung zugedacht war, schon begonnen. Es war ein schrecklicher Anblick. Und wir konnten für die Toten nicht viel tun, sie nur mit ein paar Grassoden zudecken. Der Brunnen war versaut und das Windrad zerstört worden. Aber wir konnten wenig später unsere Tiere am Creek tränken und auch unsere Wasserflaschen füllen. Bad Wolfs Fährte war klar und deutlich zu erkennen. Sie führte nach Nordwesten. Wahrscheinlich wusste er genau, wo die Überlebenden seines Dorfes – darunter seine Frau und seine Kinder – in Colorado zu finden waren. Doch auch dorthin war es ein langer Ritt. Wahrscheinlich würden Ironhart und ich eine Woche brauchen. Und dann? Ja, wie würde es ausgehen, auch für mich? * Es waren lange Tage und Nächte unterwegs. Ironhart und ich, wir mochten uns immer noch nicht, denn wir waren zu verschieden. Deshalb redeten wir kaum in diesen Tagen und Nächten miteinander. Und eigentlich hätte er der deutlichen Fährte auch
ganz allein folgen können, würde meine Hilfe und Führung gar nicht benötigt haben. Doch ich würde gewiss wichtig werden für ihn, wenn wir auf Bad Wolf und dessen Kiowas stießen und es ums Verhandeln ging, es ihnen also klar zu machen galt, warum wir auf Bad Wolfs Fährte geritten kamen. Es war dann in der fünften Nacht, als wir in einem feuerlosen Camp unter den Decken lagen, da fragte er mich: »Kehoe, wie war das mit meiner Frau unterwegs? Sie hat Bad Wolf gehört für einige Nächte. Wie war es mit Ihnen? Sagen Sie es mir, verdammt! Rosalin war zu verändert, als Sie sie zu mir brachten. Was war?« Ich hätte ihm die Wahrheit sagen können. Vielleicht hätte mir das sogar eine grimmige Freude bereitet. Doch ich tat es nicht. Ich wollte seinen verletzten Stolz nicht noch mehr kränken, ihn nicht noch mehr demütigen. Und so sprach ich ruhig: »Ironhart, Ihre Frau blieb eine stolze Lady. Sie zerbrach nicht bei Bad Wolf. Sie badete und wusch sich unterwegs nur sehr lange im Wasserloch eines Creeks.« Er schwieg nach meinen Worten, stellte keine Fragen mehr. Wir schliefen bis zum Morgengrauen. Und als wir uns aus den Decken erhoben, da sahen wir, dass wir von Kiowas eingeschlossen waren. Etwa zwei Dutzend Krieger umgaben unser Camp. Doch damit hatte ich ja früher oder später gerechnet, auch damit, dass sie uns nicht sofort umbringen
würden, sondern erst einmal erfahren wollten, warum wir allein auf ihrer Fährte geritten kamen wie zwei blinde Narren. Ich rief ihnen im grauen Morgen also zu: »Hört mir zu, Kiowa-Krieger!« Ich rief es in ihrer Sprache. Und einer erwiderte: »Wir hören dir zu, Mondreiter. Warum kommst du allein mit Eisenhirsch auf Bad Wolfs Fährte geritten?« »Es ist nicht nur Bad Wolfs Fährte«, rief ich zurück. »Es ist auch die Fährte von Eisenhirschs Squaw, welche Bad Wolf raubte. Eisenhirsch ist ein Häuptling der Langmesser und ein Krieger. Er will zu Bad Wolf, um ihn zum Kampf um die geraubte Squaw aufzufordern. Es geht um Kriegerehre. Jetzt wisst ihr alles. Ich bin bei Eisenhirsch, weil er eure Sprache nicht versteht und auch nicht sprechen kann. Ich bin neutral. Also bringt uns zu Bad Wolf.« Ich hatte nun alles gesagt. Sie bildeten eine Gruppe, nur einen halben Steinwurf weit von uns entfernt. Doch sie diskutierten nicht lange. Denn die ganze Sache war ja sonnenklar. Es ging um Krieger- und Häuptlingsehre. Und ein stolzer Häuptling wie Bad Wolf musste einfach dem Mann Genugtuung geben, dessen Squaw er raubte. Sie diskutierten also nicht lange. Dann kam einer von ihnen zu uns. Ich kannte ihn, denn er war ein schon älterer, erfahrener Krieger, einer von denen, welche stets kleinere Jagd- oder Kriegstrupps führten. Er hieß Rain Cloud Man, also Regenwolkenmann.
Er betrachtete Ironhart fast neugierig und zugleich mit einigem Respekt. Dann wandte er sich an mich und sagte: »Bad Wolf wird ihn vor den Augen der Squaw töten.« »Wahrscheinlich.« Ich nickte. »Doch seine Ehre und sein Stolz zwingen ihn zu diesem Handeln. Du bist Regenwolkenmann, nicht wahr?« »So nennen mich die Weißen«, erwiderte er. »Aber richtig heiße ich in eurer Sprache Der-auf-derRegenwolke-reitet. Wir bringen euch zu Bad Wolf. Hast du keine Sorge um deinen Skalp, Mondreiter?« »Nein«, erwiderte ich. »Denn ich komme als neutraler Zeuge.« »Dann macht euch fertig. Wir reiten gleich.« Regenwolkenmann wandte sich ab. Und zehn Minuten später waren wir unterwegs. * Am nächsten Tag ritten wir in die Vorberge von Colorado hinein nach endlosen Meilen. Unsere Pferde stolperten und waren am Ende. Und auch wir selbst waren steif und sattelmüde. Selbst die Kiowas, welche uns begleiteten und nicht eine Minute aus den Augen ließen, hockten müde auf ihren erschöpften Mustangs. So kamen wir am Ende des Tages in ein schönes Tal und sahen die Zelte der Kiowas. Und noch etwas sahen wir, nämlich die geraubten Pferde von Ironharts Truppe. Die Kiowas hatten die Kavalleriepferde
tatsächlich bis hierhergebracht. Sie gehörten nun zum Besitz des Dorfes. Damit ließ sich Handel treiben mit anderen Dörfern oder den Stämmen der Arapahoes und südlichen Cheyennes. Einige Reiter kamen uns entgegen. Einer dieser Reiter war Bad Wolf. Wir hielten an. Ironhart und ich, wir waren nun eng umgeben von Regenwolkenmann und dessen Schar. Ich ritt etwas vor, bis ich Bad Wolf nahe genug war, um in seinen etwas schrägen Wolfsaugen lesen zu können. Bad Wolf war ein prächtig aussehender Kiowa. Er starrte mich hart an. In seinen etwas schrägen Augen funkelte Feindschaft. »Mondreiter«, sprach er, »was willst du hier mit Eisenhirsch?« Ich grinste ihn an, und in meinem Grinsen war keine Freundlichkeit. Doch dann sagte ich in seiner Sprache: »Er ist ein Krieger, ein Häuptling der Langmesser. Und du hast ihm die Frau geraubt. Er will sie wiederhaben und mit dir um sie kämpfen. Er fordert Genugtuung, die ihm nach der Kriegerehre der Kiowas zusteht. Ich bin nur hier, weil er eure Sprache nicht versteht.« Er starrte mich mit glitzernden Augen an. »Warum dienst du ihm, Mondreiter? Was bedeutet er dir?« Es war eine glasklare Frage. Und so zuckte ich mit den Schultern und erwiderte: »Ich stehe bei ihm in der Schuld. Einst rettete er mir
das Leben. Doch jetzt habe ich diese Schuld bezahlt. Von nun an bin ich frei. Werde ich meiner Wege reiten können, sobald einer von euch tot sein wird?« Er starrte mich eine Weile an. Dann nickte er. »Sag ihm, dass wir morgen kämpfen werden, morgen nach Sonnenaufgang. Er kann die Waffen wählen. Ich werde ihn töten und seine Squaw behalten.« »Und wenn er dich zu töten vermag, Bad Wolf – was dann?« »Dann habt ihr freien Abzug und könnt die Squaw mitnehmen. Ich werde es vor dem Kampf in diesem Sinne befehlen. Es würde dann mein letzter Wille sein, den meine Kiowas respektieren werden. Wir treffen uns bei Sonnenaufgang hier!« Er nahm dem Krieger neben sich die Lanze aus dessen Händen und stieß sie in den Boden. Dann zog er sein Pferd herum und ritt zurück ins Dorf. Ironhart und ich, wir waren allein. Langsam saßen wir ab. Ich sagte zu Ironhart: »Morgen bei Sonnenaufgang wird er sich Ihnen hier stellen. Wahrscheinlich wird er Ihre Frau zusehen lassen. Das gehört zum Ritual solcher Kämpfe. Ironhart, Ihre Chancen sind nicht besonders groß. Ich werde Sie deshalb durchmassieren, damit Sie Ihre Sattelsteifheit verlieren. Doch dies wird der letzte Dienst sein, den ich Ihnen erweise. Ich bin jetzt frei von jeder Schuld Ihnen gegenüber.« Er nickte langsam. Unter dem blonden Bart zuckte
sein Gesicht. Und seine Stimme klang heiser. Er sagte: »Und warum wollen Sie das noch für mich tun, Kehoe?« »Ich tue es für Ihre Frau. Ironhart, ich bin nicht Ihr Freund. Ich verachte Sie, denn Sie waren die ganze Zeit ein arrogantes Arschloch. Deshalb starben zu viele Ihrer Soldaten. Die armen Hunde waren Ihnen ausgeliefert. Sie verhielten sich wie ein arroganter Despot, dem Menschenleben nichts bedeuten. Sie brannten vor Ehrgeiz und verletztem Stolz. Aaah, ich mag Sie einfach nicht. Ich helfe Ihnen nur wegen Ihrer Frau.« Er sagte nichts mehr. Doch als ich ihn später auf der Decke massierte und durchknetete wie einen Gladiator vor dem Kampf in der Arena, da stöhnte er manchmal. Denn ich schonte ihn nicht. Ich massierte ihn mit meinem ganzen Frust, den ich auf diese Art ein wenige loswerden konnte. Doch was würde am nächsten Tag sein? * Als am nächsten Morgen im Osten – weit über der Büffelprärie, die bis Kansas City zum mächtigen Missouri reichte – die Sonne hochkam, da war Ironhart bereit. Und die Kiowas kamen. Es war das ganze Dorf – also Krieger, Squaws, Alte, Kinder und Hunde. Sie folgten Bad Wolf in breiter Front.
Und Bad Wolf kam in vollem Kriegsschmuck, begleitet von einem halben Dutzend seiner wichtigsten Krieger, darunter auch Regenwolkenmann. Ich saß mit Ironhart neben mir im Sattel. Bad Wolf rief mir zu: »Er sollte die Waffen wählen. Wie will er kämpfen?« »Keine Schusswaffen«, rief ich zurück. »Er will mit seinem Säbel gegen dich kämpfen. Du kannst jede Waffe wählen, wenn es nur keine Schusswaffe ist – auch keinen Kriegsbogen, sonst alles, ob Lanze, Kriegskeule oder die Axt, natürlich auch ein Messer.« »Gut«, erwiderte Bad Wolf. »Ich wähle zuerst die Lanze.« Er nahm dann seine prächtige Federhaube ab und ließ sich von Regenwolkenmann die Lanze geben. Ironhart zog seinen Säbel aus der Scheide. Es gab ein scharfes, schneidendes Geräusch. Er schwang die Kavalleriewaffe zur Probe durch die Luft, erzeugte so ein leises Pfeifen. Dann aber hielt er inne. Denn er sah seine Frau Rosalin. Sie ritt auf einem weißen Pferd aus der Menge heraus, verhielt dann vor der breiten Front der Kiowas. Ironhart starrte hinüber zu ihr. Dann rief er klirrend: »Rosalin, ich werde ihn töten! Er wird jetzt und hier mit seinem Leben bezahlen!« Und dann ritt er an. Bad Wolf ritt ihm entgegen, die Lanze zum Stoß angesetzt wie ein Ritter.
Und dann geschah es binnen eines Sekundenbruchteils. Bad Wolf stieß Ironhart die Lanze in den Leib. Und im selben Sekundenbruchteil spaltete Ironhart ihm mit einem Säbelhieb den Kopf bis zur Nasenwurzel. Ja, sie trafen sich beide im selben Sekundenbruchteil. Bad Wolf jedoch fiel wie vom Blitz getroffen von seinem Pferd. Ironhart aber schwankte nur im Sattel, blieb auf dem Pferd und riss sich mit der Linken die Lanze aus dem Körper. »Komm zu mir, Rosalin!«, rief er mit klirrender Stimme. Und sie kam herangeritten, erreichte uns. Ironhart saß immer noch im Sattel, obwohl er stark blutete. Es war eine unwahrscheinlich starke Energie in ihm vorhanden. Er und ich, wir zogen unsere Pferde herum und flankierten Rosalin. So ritten wir mit ihr davon. Hinter uns blieb es still. Die Kiowas verharrten wie gebannt. Wir sahen uns nicht um, wollten nur weg von diesem Ort, ließen unsere Pferde traben. Und Ironhart blieb immer noch im Sattel. Ich riss mein Halstuch ab und reichte es ihm. »Stopfen Sie es in die Wunde!«, rief ich ihm zu. Er tat es. Und so gelangten wir aus dem Tal und sahen von der Wasserscheide des Passes hinunter auf die weite
Prärie, die sich nach Osten zu senkte. * Ironhart hielt bis gegen Mittag durch. Dann fiel er wortlos aus dem Sattel. Ich hatte mich immer wieder umgesehen. Doch es folgten uns keine Kiowas. Bad Wolfs letzter Wille war wohl doch für seine Krieger mehr als nur ein Befehl. Sie hatten ja gesehen, dass der Kampf nach den Regeln der Kriegerehre stattgefunden hatte. Und so achteten sie den Sieger. Aber war Ironhart überhaupt ein Sieger? Ich fragte es mich, indes ich absaß und bei ihm niederkniete. Auch Rosalin war vom Pferd gesprungen. Sie kniete auf der anderen Seite. Er war bewusstlos, und man konnte es fast ein Wunder nennen, dass er bis jetzt im Sattel geblieben war. Ich sah auf Rosalin. Sie erwiderte meinen Blick. »Mehr konnte er nicht tun«, murmelte sie. »Nicht wahr, Jessup, mehr konnte er nicht tun. Wie einsam und hilflos muss er sich wohl gefühlt haben, als Bad Wolf mich ihm zum dritten Male wegnahm. Alle seine Soldaten konnten ihm nicht helfen.« »Eine Menge mussten sterben«, sprach ich bitter. »Rosalin, er war zuletzt nur noch ein Verlierer. Seine Karriere war beendet. Die Armee hätte ihn ausgestoßen. Ich denke, er wollte heute sterben.«
Sie starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Dann aber hörten wir Ironhart mühsam flüstern: »Ja, ich will sterben. Aber zuvor wollte ich diesen verdammen roten Bastard noch zur Hölle schicken. Ich wollte mit ihm um dich kämpfen. Das ist mir gelungen. Rosalin, ich wünsche dir Glück auf deinen Wegen ohne mich.« Nach diesen zuletzt kaum noch verständlichen Worten war er tot. Ich drückte ihm die Augen zu. Und ich mochte ihn immer noch nicht. Aber ich musste ihn jetzt doch respektieren. Er hatte eine Menge Unheil zu verantworten. Dieses Unheil begann, als er mit seiner Truppe Bad Wolfs Dorf überfiel, ein Massaker veranstaltete und seine Soldaten Schlimmes tun ließ. Dann meldete er dies dem Hauptquartier auch noch als einen stolzen Sieg und großen Erfolg für die Sicherung des Wagenwegs nach Denver. Ja, damit begann das Unheil. Und jetzt war er tot. Ich erhob mich und blickte auf unserer Fährte zurück. Es war immer noch kein Kiowa zu sehen. Wahrscheinlich ließen sie uns wahrhaftig davonkommen. Ich sagte zu Rosalin: »Wir nehmen ihn noch ein Stück mit und bestatten ihn vor Nachtanbruch an einer besonders geeigneten Stelle. Einverstanden?«
Sie nickte nur stumm. * Wir fanden kurz vor Nachtanbruch einen Platz unter einigen Bäumen. Mit dem Messer lockerten wir den Boden und schaufelten mit unseren Händen sein Grab aus. Der Mond und die Sterne machten die Nacht hell. Als wir ihn in eine Decke eingewickelt in die Grube legten und die Erde über ihn häuften, da sagte Rosalin: »Eigentlich habe ich Mitleid mit ihm, ja, Mitleid. Er wollte seinen verlorenen Rang zurück und mir beweisen, dass er ein Großer werden konnte. Sein Ehrgeiz machte ihn zum Verlierer.« Ich nickte nur stumm. Was sollte ich auch noch sagen? Er war tot. Und damit hatte er seine Schulden bezahlt. Und er hatte Bad Wolf zuletzt ganz allein getötet, ohne jede Hilfe. Wir gingen zu unserem Lagerplatz hinüber. Ich wollte mich etwas abseits von Rosalin niederlegen. Doch sie sagte: »Jessup, ich möchte in deinen Armen liegen. Halte mich fest in dieser Nacht, denn du bist das einzig Sichere für mich auf dieser Erde. Du sollst mich nicht lieben so wie damals, nur festhalten.« Und so geschah es auch. Ich hielt sie in meinen Armen. Ihr Kopf lag auf meiner rechten Schulter. Und
sie weinte lautlos. Ich brauchte ihr nichts zu sagen, sie nicht mit Worten zu trösten. Nur einmal sagte ich: »Es ist alles vorbei, Rosalin. In einigen Tagen sind wir in Standing Walls. Und von dort aus kannst du in die Zivilisation zurück. Irgendwann wird alles vergessen sein für dich wie ein böser Traum. Du bist noch jung und wunderschön. Du hast noch ein ganzes Leben vor dir.« »Und du?«, fragte sie. »Ich bin ein Sohn dieses Landes«, erwiderte ich. »Und wahrscheinlich werde ich bald meinen Beruf als Landmesser und Kartograph wieder ausüben. Es soll eine Eisenbahn gebaut werden, welche Atlantik und Pazifik miteinander verbinden soll quer über unseren Kontinent. Ich werde als Landkenner einen guten Job bekommen und nicht länger ein Prärieläufer sein.« Sie sagte nichts mehr. * Es war dann eine Woche später, als ich sie nach Standing Walls brachte. Dort hatte man schon wieder eine Menge aufgebaut. Und der alte First Lieutenant war nun Captain geworden. Einige Tage später fuhr Rosalin mit einer Kutsche nach Osten. Ich sah ihr nach.
Und in mir war ein großes Bedauern. Ja, sie hatte sich total verändert, war eine andere Frau geworden. Vielleicht hätte aus uns etwas werden können. * Es verging ein ganzes Jahr. Ich arbeitete für die Union Pacific und hatte mein Office in Cheyenne. Als ich über einer Karte saß, die ich für die Eisenbahn zeichnete, da kam jemand in mein Office. Ich hob nicht den Kopf und fragte: »Sind Sie das, Gordon?« Denn ich dachte, dass es einer meiner Gehilfen wäre. Doch als Antwort hörte ich die Stimme von Rosalin fragen: »Jessup Kehoe, willst du mich heiraten?« Ich sah auf. Und da stand sie. »Ja, ich will«, erwiderte ich. ENDE