Camelot in Piratenhand
von Götz Altenburg scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Im Westen brodelte Unruh...
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Camelot in Piratenhand
von Götz Altenburg scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Im Westen brodelte Unruhe. Wehte der Wind von See, roch es nach Brand. Am Tage hingen leichte Rauchschleier zwischen Himmel und Erde. Nachts ging der Mond auf wie gelber Hauch. In Camelot, Schloß und Land, bereiteten sie das Jubiläum vor. Sie hatten für nichts anderes Interesse als für König Artus' Ehrentag. Bis zu jenem Abend. Da erreichte ein Läufer mit dem letzten Licht die Waldringe vor dem Schloß. Der große, kräftige Mann war
bis auf ein Fell um die Lenden nackt. Er wankte und kam mehr taumelnd als laufend voran. Der Stumpf eines Pfeiles ragte aus seinem Rücken.
Ein gelbhäutiger Kerl mit rundem Gesicht saß auf dem Pferd, welches den Läufer verfolgte. Unerbittlich holte das Pferd auf. Sobald der Läufer den schnaubenden Atem des Tieres spürte, blieb er stehen. Er stemmte sich gegen den schrankbreiten Stamm einer Eiche. Der schlitzäugige Reiter hob den Krummsäbel zum entscheidenden Schlag. Die Klinge verfing sich im zähen Eichengeäst. Sie blieb hängen. Ehe der Reiter mit dem Gezweig fertig wurde, hatte der Läufer seine Chance erkannt. Ein Sprung. Der Krummsäbel blitzte in des Läufers Faust. Gedankenschnell traf die Klinge. Der Reiter kam nicht einmal zu einem Schrei. Bis zum Gürtel geteilt, rutschte er vom Pferd. Der Läufer bändigte das tänzelnde Tier. Er war ausgepumpt. Doch er gelangte in den Sattel. Der Nachhall des Hufschlags blieb im Wald und bei dem erschlagenen Reiter. Bis ein Wolfsrudel vorbeischaute und die willkommene Beute witterte. Das Wolfsgeheul trieb das Pferd mehr zur Eile an, als es Peitsche und Sporen vermocht hätten. Der Galopp wurde immer gestreckter. So kam der Brief des Einsiedlers Klaus nach Camelot und zu Ritter Roland. Der Einsiedler schrieb: »Vom Meer her fallen fremde Eroberer ins Land. Sie werden täglich zahlreicher. Wenn Du noch ein Herz hast für meine Heimat, so komm und hilf den armen Menschen, deren Not ich täglich sehen muß. Möge der Himmel Dich schützen!« Volker vom Hohentwiel hatte das Schreiben des Einsiedlers über Rolands Schulter mitgelesen. »Du wirst sofort für uns beide Urlaub erbitten. Ich lasse Louis und Pierre unverzüglich packen.« »Zunächst kümmere ich mich um den Mann, der den Brief brachte. Außerdem weiß ich nicht, ob es klug ist, gemeinsam zu reiten.« Den Einwand nahm Volker nicht an. »Sind wir nicht immer froh gewesen, unsere Abenteuer zusammen zu bestehen?« »Was früher gut war, braucht nicht auch in der Zukunft noch gut zu sein«, brummte Roland. Er war schon dorthin unterwegs, wo der
Bote jetzt sein mußte. Das Pferd, dieses so fremdländisch aufgezäumte, starke Tier, wäre unter ihm zusammengebrochen, hieß es. Er sei schwer verletzt, und der Feldscher zweifele an seinem Aufkommen. Schloß Camelot hatte ein eigenes Spital. Königin Ginevra kümmerte sich persönlich darum. Ihrem Einfluß war es zu verdanken, daß Feldscher Lombardi als Leiter des Spitals verpflichtet wurde. Lombardi begegnete den Freunden auf dem Flur. Er legte den Zeigefinger auf die Lippen. »Pst!« »Wo liegt der Mann aus Caind, Feldscher?« Auch Volker vom Hohentwiel erkundigte sich nach dem Verwundeten. »Lebt er überhaupt noch?« Gerade ging ein Krankenpfleger vorbei. Feldscher Lombardi griff in den Wust von Mull und Verbandszeug. Er hielt eine eigentümlich geformte Pfeilspitze hoch. »Das hatte der Verwundete im Rücken stecken. Wahrscheinlich wird er aber überleben. Kennst du ihn?« Ritter Roland schüttelte den Kopf. »Wie kann ich alle Menschen in Caind kennen? Aber mir liegt natürlich daran, daß er gesund wird. Ist er so weit bei Verstand, daß ich ihm Fragen stellen kann?« Davon riet der Feldscher ab. »Gedulde dich wenigstens bis morgen früh.« Er gestattete den Freunden einen flüchtigen Blick auf den Verwundeten. »Kennst du ihn?« wollte auch Volker von Roland wissen. Von dem Verwundeten war nur das hagere Gesicht mit der Hakennase und dem breiten Mund zu erkennen. Wenn der struppige Bartwuchs und das verfilzte Haupthaar nicht trogen, hatte der Mann viele Tage nicht an Wasser und Körperpflege denken können. »Er erinnert mich irgendwie an Richard, den Leart of Caind. Aber wie könnte es zugehen, daß ein Caind Botendienst für meinen alten Lehrer Klaus verrichtet?«
Feldscher Lombard! besaß ein besseres Gehör als Roland und Volker. »Ich glaube, Ihre Majestät, die Königin, kommt mit Gefolge. Sicher wird sie aus erster Hand erfahren wollen, ob die Operation gelang.« Roland und Volker tauschten einen schnellen Blick. Feldscher Giovanni Lombardi galt als Experte auf dem Gebiet der Heilkunde. Manche hielten ihn sogar für einen Wundermann. Doch auch er kam an den ein wenig harten Betäubungsmethoden der Zeit nicht vorbei. Ihm stand kein anderes Mittel als der Alkohol zur Verfügung, mit welchem die Empfindungsfähigkeit des Patienten gedämpft wurde. In ganz extremen Fällen löschte ein kräftiger Schlag mit stumpfer Keule das Bewußtsein des jeweiligen Patienten für geraume Zeit völlig aus. So, wie das Krankenzimmer nach Met, Branntwein und Gewürztrunk roch, mußte man den Verwundeten aus der Landschaft Caind recht kräftig unter Alkohol gesetzt haben. Jetzt vernahmen auch Roland und Volker die Menschen, die über den breiten Flur kamen. Feldscher Lombardi hatte sich nicht verhört. Es war Königin Ginevra mit dem üblichen Gefolge. König Artus' Gemahlin erregte Aufsehen, wo immer sie in Erscheinung trat. Ihre schlanke Gestalt erinnerte an eine Lanze. Das Gesicht hatte die Konturen der Jugend behalten. Es besaß eine Haut von perlenähnlichem Schmelz. Das rotblonde Haar darüber ließ an eine Krone von feinstem Gold denken. Giovanni Lombardi neigte sich zu Roland und dessen Freund Volker: »Sie hat dem unglücklichen Boten huldvolle Teilnahme bezeigt. Wir sind ihr persönlich für die Pflege verantwortlich. Es wird sie freuen, zu hören, daß er bald gesund ist.« Volker vom Hohentwiel verneigte sich formvollendet. Ritter Roland beneidete den Freund immer wieder um seine eleganten Bewegungen und sein glattes Benehmen. »Nehmt unseren Gruß«, sagte die Königin. Ihre Stimme hatte einen vollen, sympathischen Klang. »Es ehrt euch beide, daß ihr den
Kranken besucht. Seinem Zustand nach zu urteilen, weht im Augenblick ein gar böser Wind durch unsere Seeprovinzen.« Ein Blick wie ein Blitz aus den enzianblauen Augen der hohen Frau zuckte über Roland. »Wann reitet Ihr, Ritter?« Roland verbeugte sich. »Ihr seht mich auf dem Wege. Euren Gemahl um Urlaub zu bitten, Majestät.« Die Königin lächelte fein: »Der ist schon so gut wie genehmigt, Roland.« Eine der Hofdamen Königin Ginevras hatte sich wie zufällig neben Volker gestellt. Sie flüsterte: »Wenn der, den ich meine, bei Rolands Unternehmen dabei ist, erwarte ich seinen Besuch ... zwischen Mitternacht und Morgen!« Die Hofdame, welche sich so äußerte, war von faszinierender Schönheit. Sie brachte es fertig, im Vorbeigehen Volker in die Seite zu kneifen. Kein Mensch gewahrte diese vertrauliche Berührung. Der Mann auf dem Wundlager stammelte zusammenhanglose Worte. Dazwischen tropften unverständliche Laute von seinen Lippen. Dann setzte ihm die Erinnerung zu. Er schrie deutlich: »Hilfe! Alle tot! Hilfe!« Feldscher Lombardi sorgte dafür, daß der fiebernde Mann still wurde. Roland und sein Freund Volker machten einen tiefen Kratzfuß vor der Königin. »Mit Verlaub, Majestät!« Dann suchten sie König Artus auf. Es sah aus, als habe der König sie erwartet. Er hörte sie an. Mochte es auch scheinen, als sei er zerstreut, jedes Wort prägte sich ihm ein. »Es ehrt dich, daß du deinem alten Lehrer helfen willst, Roland. So, wie die Dinge liegen, brauchen wir jemanden, der das Land bereist. Fahre also aus und melde nach Camelot, was immer du siehst. Versieh dich ausreichend mit Vorrat. Nehmt genug Pferde mit.« König Artus sprach kaum ein Wort zuviel. Er hielt Roland zurück,
als Volker schon gegangen war. »Läßt du mir deinen Waffenmeister da, den Falkner Waidenhold, Roland?« Roland hätte seinem König niemals eine Bitte abgeschlagen. »Aber ja, Herr! Möge Waidenhold dir gute Dienste leisten!« Trog der Anschein oder umspielte tatsächlich ein zufriedenes Lächeln die vollen Lippen des Königs? Waidenhold wollte Roland bei den Vorbereitungen zum Ausritt helfen. So erfuhr er gleich und aus erster Quelle, daß der Waffenmeister diesmal in Camelot bleiben mußte. »Dein König ist klug, Roland. Weiß der Himmel, wie er dahinter gekommen ist, daß ausgerechnet ich Erfahrung habe mit den räuberischen Barbaresken.« Nachdenklich betrachtete Waidenhold den Ritter. »Ich glaube, an deiner Seite könnte ich mehr leisten. Aber wer weiß, was die Majestät vorhat.« »Er ist der König, und wir haben zu gehorchen!« Während Roland alle Vorbereitungen traf, empfing Volker vom Hohentwiel einen Pagen. Der Page hatte ein besonders fein geschnittenes, schönes Gesicht. Volker erleichterte dem Jungen seine Mission. »Du sollst mich zu ihr bringen, nicht wahr?« »Ich soll weniger dies, als dich schlicht daran erinnern, daß es sie gibt und daß sie wartet.« »Gehen wir also!« Der Page trug eine kunstvoll geschmiedete Messinglaterne. Er leuchtete die Flure und Treppen aus. »Gute Nacht«, sagte er und stieß eine Tür auf, die sich lautlos in den Angeln drehte. Finsternis empfing Volker vom Hohentwiel. Doch die Dunkelheit roch gut und hatte nichts vom Ruch etwaiger Gefahr. Das butzenscheibige Fenster stand auf. Aus dem Schloßhof drang zirpiges Grillenkonzert in die Kemenate. Vom Alkoven her wurde ein weißer, schlanker Frauenarm sichtbar. Volker ging darauf zu. Die Arme umfingen ihn. »Sehnsucht meines Lebens«, flüsterte eine sanfte Stimme in des Sängers Ohr. »Komm und fühle selbst, daß ich nichts verlernt habe,
was dich glücklich macht.« Volker vom Hohentwiel blieb über den Anbruch des nächsten Morgens hinaus in der Kemenate. Als er schied, begleiteten ihn die besten Glück- und Segenswünsche der schönsten Hofdame aus dem Gefolge Königin Ginevras. Den Namen der Dame verriet Volker nicht einmal seinem Freunde Roland. Er hatte keinen Lidschlag lang geschlafen, als er sich in den Sattel schwang. Doch seine Laune war gut und so hell wie die Sonne. Das stand eigentlich in krassem Gegensatz zum Anlaß ihres Streifzuges durch das Land. Roland hatte den Boten des Einsiedlers Klaus nochmals besucht. »Es wird lange dauern, bis er damit fertig ist, doch er wird gesund. Er hat viel Scheußliches mitmachen müssen.« Die Qualen des Boten stellten auch das Thema der Unterhaltung zwischen den Knappen Louis und Pierre dar. »Sie haben seine Fußsohlen mit Salz bestrichen und dann Ziegen zu ihm gelassen. Natürlich war er dabei so festgebunden, daß er weder Arm noch Bein bewegen konnte.« Knappe Pierre staunte: »Und er hat unter der Tortur nicht alles gesagt, was die Eindringlinge wissen wollten?« »Er hat sogar dann geschwiegen, als sie seine Füße über weißglühende Holzkohle hielten.« »Er ist tatsächlich der Sohn des Learts of Caind«, sagte Roland zu seinem Freunde Volker. »Wenn ich ihn richtig verstanden habe, hat seine Schwester Mirinda sich retten können. Sie muß in den Küstenfelsen des Cliff of Caind stecken. Er gab mir eine Botschaft für sie mit.« Sie machten sich auf den Weg. Immer eine Stunde im Sattel und anschließend eine halbe Stunde Fußmarsch mit den Pferden am Zügel. Die Sonne bestrahlte ihre Rücken und machte ihre Schatten lang. Schwalben sirrten über sie hin. Als der Wald sie aufnahm, ritt Knappe Louis zum ersten Gebüsch. Er kappte Zweige und band eine Art übergroßen Besens. Er befestigte das primitive Gerät am Geschirr des letzten Saumtiers.
»Was soll das?« wollte Knappe Pierre wissen. »Das kannst du dir doch denken«, entgegnete Louis schroff. »Die Unseren wissen sowieso, wohin wir reiten. Doch für die, welche nicht in unser Land gehören, die aber dennoch wahrscheinlich da sind, verwische ich jede Spur.« Der sandige Weg wurde eng. Es gab kein Echo. Der Wald wirkte so leer, als seien sogar Ammer und Häher und Specht ausgewandert. * Das blieb nicht lange so. Sie zogen heran wie Staub. Flüchtlinge. Eine Wolke aus Ächzen, unterdrücktem Stöhnen und verbissenem Weh lagerte über ihnen. Manche begannen, urplötzlich zu laufen. Doch das dauerte nie lange. Wie Schatten tauchten Jäger auf. Sie ritten bemerkenswert schnelle Pferde. Kaum erreichten sie einen der Läufer, hoben sie ihre scharfen Lanzen und stachen zu. Meist starb der Flüchtling lautlos. Kam er jedoch zu einem Schrei, so wurde ein Fluch auf die Eroberer daraus. »Der Himmel wird euch strafen!« Die braunen Männer auf den windflinken Pferden wußten das besser. »Der Himmel hat uns den Sieg geschenkt. Bald gehört auch die Krone uns.« Roland wollte unverzüglich angreifen, als er diesen prahlerischen Satz zum ersten Mal hörte. Volker vom Hohentwiel aber legte die Hand auf den Arm des Freundes und hielt ihn eisern fest. »Nicht jetzt, Roland!« Der Kern der ostwärts strebenden Flüchtlingstrauben bestand aus hochbeladenen Karren. Die Wagen wurden von Männern und Frauen gezogen. Sie legten sich so fest in die Sielen, daß ihre verschwitzten Stirnen beinahe den Boden berührten. Wer keinen Wagen schob, hatte einen ganzen Gepäckturm auf der Schulter. Keiner der Flüchtlinge stand noch im waffenfähigen Alter. Wehrstarke Männer hatten die Eindringlinge genau so wie die Frauen versklavt. Die bisherige Ausbeute für ihre Menschenmärkte erschien ihnen zu
gering. Daher brachen sie wieder und wieder in die Flüchtlingsgruppen und stöberten die vor Angst zitternden Geschöpfe immer neu durch. Gegen Abend entdeckten die Fremden in einem besonders starken Flüchtlingstrupp noch einige ansehnliche Frauen und halbwüchsige Jünglinge. Wie üblich begannen sie, an den Frauen das, was sie Recht des Siegers nannten, auf der Stelle zu vollziehen. Roland war nicht mehr zu halten. Sein Schrei hallte wie Löwengebrüll über das Land. Die Barbaresken mochten zwar ahnen, daß da ein Gegner nahte, dem nicht bei ihrem bloßen Anblick das Herz in die Hosen purzelte. Allein sie glaubten an ihr gutes Glück. Sie nahmen an, auch mit dem baumlangen Schlagetot von blondem Mann allein schon durch ihre Überzahl leichtes Spiel zu haben. Roland wütete unter ihnen, wie ein Bärenhund wüten mag, wenn er unter wandernde Lemminge gerät. Der Anführer des Eroberertrupps konnte kaum bis zehn gezählt haben, da atmete schon keiner seiner Männer mehr. Er stand allein vor Roland. In seiner kehligen Sprache sagte er etwas, was bestimmt ein böses Versprechen war. Doch er wich und wankte nicht, sondern griff an. Auf diese Art der Kampfführung waren die Barbaresken ja gedrillt. Bei Roland wirkte das Rezept nicht. Er wehrte den Stoß der Barbareskenlanze glatt ab. Das Dolchmesser, das der Barbareske warf, fing Roland geschickt auf. Nicht nur das. Er warf den Dolch zurück. War es Geschick oder pures Glück? Roland traf den Spähtruppführer der Barbaresken mit dessen eigenem Messer dort, wo Kettenhemd und Helm am Hals eine winzige Blöße lassen. Maßloses Staunen machte die dunklen Augen des Barbaresken groß. Dann waren die Flüchtlinge mit ihrem ganzen, geballten Haß über ihm. Roland warf sich wuchtig vor den gestürzten Mann. »Ich verstehe eure Wut. Doch so lange ich auf meinen Beinen stehe, geschieht ihm von euch kein Leid.« Die Flüchtlinge sahen so aus, als wollten sie über Roland herfallen. Da aber standen Volker vom Hohentwiel sowie die Knappen neben
und hinter Roland. Murrend zog sich die Menge zurück. Der Barbareske lag auf dem Rücken. Der Dolch hatte ganze Arbeit geleistet. Er spürte wohl, daß ihm nicht mehr zu helfen war. Es fiel schwer zu glauben, doch in seinen weit aufgerissenen Augen flackerte so etwas wie Dankbarkeit. Als Dankbarkeit konnte man auch die Geste werten, mit welcher er sein Schwert anbot. Galt das Roland? Galt das Volker, dem Sänger? Ehe jemand dazu kam, das schmale Schwert entgegenzunehmen, sackte der Seeräuber zusammen. Die gebrochenen Augen wurden stumpf. Roland gab seinen Knappen einen Wink. »Waffen, Panzer und Pferd sind für euch«, bestimmte er. Es war seinen scharfen Augen also nicht entgangen, daß der Mann besonders gut ausgerüstet war. »Begrabt ihn!« Die Flüchtlingsmenge hatte sich murrend zurückgezogen. Sie betrachteten Roland, Volker und die Knappen feindselig. Wahrscheinlich argwöhnten sie, der Ritter aus Camelot habe den Barbaresken nur deshalb vor ihrer Wut geschützt, um seine Waffen sowie sein Pferd für sich beanspruchen zu können. Roland blitzte die volle Verachtung für den Mob aus den blauen Augen. Volker vom Hohentwiel reagierte da glücklicher. »Zieht weiter, Leute«, sagte er im Ton eines guten Ratgebers. »Je weiter ihr nach Osten kommt, desto sicherer seid ihr vor der Wut der Eroberer.« Sie zogen weiter. Karrenräder quietschten. Viele, viele Menschenfüße wirbelten Staub auf. Die Traube aus Dunst, Geschrei und Gestank bildete sich neu. Roland und seine Begleiter suchten ein Unterkommen für die Nacht. Je näher sie zur Küste kamen, desto deutlicher wurde ihnen, in- welchem Maß die erobernden Barbaresken das Land ausgeplündert hatten. In einem Dorf trafen sie eine starke Abteilung der Eindringlinge. Der ziemlich große Ort brannte lichterloh. Das Feuer hinderte die Eroberer nicht, alles aus den Häusern zu schleppen, was noch nicht Raub der Flammen geworden war.
Menschen schrien. Besonders Frauen und Mädchen. Eine große Gruppe stand auf dem ehemaligen Markplatz. Die Barbaresken galoppierten um sie herum. Sie weideten sich an der kreischenden Angst ihrer Opfer. Die Situation sehen, die Lage erkennen und den Gegner angreifen, war für Roland eins. Mit scharfer Lanze sprengte er auf dem auskeilenden Samum in den Feind. Die Barbaresken glaubten, es wäre eine Kleinigkeit, mit einem einzelnen Gegner fertig zu werden. Welch grausamer Irrtum! Dabei stand Roland unbestreitbar das Glück des Kühnen und Mutigen zur Seite. Denn auch die Barbaresken schlugen zu und trafen ihn. Doch wo immer ihre Hiebe und Stiche landeten, Roland war allüberall wohl geschützt. Die Dörfler, bis jetzt außerstande, sich der Plünderer zu erwehren, umringten Roland und die Feinde, als werde ihnen da ein Turnier geboten, wie es nicht alle Tage zu sehen ist. Lange begnügten sie sich nicht mit der Zuschauerrolle. Dann kam der erste auf die Idee, mit Steinen in den Kampf einzugreifen. Just in diesem Augenblick traf Verstärkung für die Eindringlinge ein. Roland sah sich im Nu von ganzen Rotten neuer Feinde umringt. Trotzdem dachte er nicht an Flucht. Allein schon das Blitzen seiner blauen Augen machte die Eroberer vorsichtig. Da bedurfte es kaum des Walles von gefallenen Barbaresken, der sich rings um Roland auftürmte. Mit heiserem Geschrei spornten und peitschten sie ihre Pferde und fielen von allen Seiten zugleich über Roland her. Der erwartete gelassen den Ansturm. Da zeigte sich voll und ganz, was Männer wie Volker vom Hohentwiel und auch die Knappen taugten. Sie gaben Roland Rückendeckung. Die Einwohner des brennenden Dorfes verfolgten bewundernd den Kampf. »Wer ist dieser Ritter?« »Zehn Männer seiner Art und alle Räuber werden dorthin zurückgetrieben, von wo sie gekommen sind.« »Das könnte Roland sein, der stärkste Held aus Camelot.« Camelot. König Artus und seine Macht. Das richtete die Dörfler trotz aller Not auf.
Camelot. Der Name wurde zum Fanal. »Roland!« Das schrien sie laut. Sie hatten keine Ahnung, wie sehr ihre Rufe Roland anfeuerten. Pierre und Louis, die beiden Knappen, folgten dem Beispiel, welches ihr Herr ihnen gab. Louis entsann sich seiner Tage als Räuber. Welch wertvoller Helfer war ihm damals der Hornbogen gewesen. Knappe Louis hatte nichts von seinen früheren Fertigkeiten verlernt. Pfeil um Pfeil schwirrte von der Sehne. Louis traf mit schalfwandlerischer Sicherheit. So schnell wie die Verstärkung der Barbaresken aufgetaucht war, so schnell lichtete sich ihre Zahl. Wer von Louis Pfeilen verschont blieb, fiel Rolands Lanze oder Volkers Schwert zum Opfer. Mit der Verstärkung war ein riesenhaft gewachsener Mann gekommen. Ihm gelang es, Louis' Schüssen auszuweichen. Er blieb außer Reichweite von Volkers Schwert. Sein Gegner hieß Roland. Der riesige Barbareske wartete jene Sekunde ab, da Rolands Lanze einen der letzten Gegner fällte und für eines Lidschlages Dauer fest steckte. Mit Titanenstärke schlug der Eroberer zu. Er brachte es fertig, Roland von seiner Lanze zu trennen. »Hejo« brüllte er so laut wie ein Nebelhorn. Siegessicher sprengte er an, um Roland den Garaus zu machen. Doch sein Pferd scheute, es stieg hoch und tanzte auf der Hinterhand. Der Reiter mußte aus dem Sattel. Er versetzte dem wiehernden, sich aufbäumenden Pferd einen heftigen Tritt und drang auf Roland ein. Der Barbareske war mindestens so groß und so breit wie der Ritter aus Camelot. Er trug seinen runden Reiterschild aus golddekoriertem Metall so, daß er als Schlagwaffe dienen konnte. Offenbar war er mit beiden Händen gleich geschickt. Das Schwert, eine selten zu sehende Mischung aus Säbel und geradem Hiebschwert, hielt er in der linken Faust. Schon allein dadurch wies er sich als gefährlicher Fechter aus. Gegen einen Linkshänder helfen nur ganz bestimmte Paraden. Volker vom Hohentwiel verfolgte die Entwicklung mit wachen Augen. »Laß den Mann mir«, bat er. Roland hingegen reizte es, den
Barbaresken allein zu bestehen. Er lächelte Volker zu. »Danke für die gute Meinung, aber es wird für mich hohe Zeit, daran zu denken, daß ich auch ein Schwert habe.« Roland wartete den Ansprung des Barbaresken nicht ab. Er drang seinerseits auf den Gegner ein. Hageldicht prasselten die Schläge. Stahl prallte gegen Stahl. Es gelang dem Seeräuber, Roland in die Defensive zu drängen. Der Barbareske beherrschte eine ziemliche Menge Tricks. Roland mußte sein ganzes Können und alle Kraft aufbieten, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Dann aber rutschte die Klinge des Barbaresken so unter die Parierstange des Ritters aus Camelot, daß Roland nur zuzudrücken brauchte, um in Vorteil zu kommen. Die Waffe des Seeräubers mochte aus gutem Stahl sein. Doch der Belastung aus Rolands Kraft und Gewicht hielt sie nicht stand. Es gab einen Laut, als spränge eine Instrumentensaite. Die Barbareskenwaffe hatte mehr als die Hälfte ihrer ursprünglichen Länge verloren. Mit einem Schrei warf der Riese die jetzt wertlose Waffe fort. Roland begriff, was der Mann meinte. Auf seinen herrischen Wink sprang Knappe Pierre hinzu. »Gib gut auf mein Schwert acht!« Danach gingen sie aufeinander los. Der Barbaresken-Riese und Roland vom Schloß Camelot. Jetzt würde der Streit schnell entschieden sein. Die Zuschauer ächzten verhalten. In den Barbaresken-Staaten wurde der Ringkampf Mann gegen Mann als ganz besondere Kunst gepflegt. War es nicht verblendete Tollkühnheit, wenn Roland eine solche Auseinandersetzung annahm? Jetzt waren sie in Reichweite. Der Barbareske legte zuerst Hand an sein Gegenüber. Doch ehe die stahlharten Finger richtig zupacken konnten, tauchte Roland darunter weg und aus dem Griff. Jetzt war die Reihe an dem Ritter aus Camelot. Er hielt den Barbaresken ungefähr in Leibesmitte, zwischen Brustkorb und Hüfte, umfaßt. Der riesenhafte Seeräuber stemmte sich dagegen. Er trug ein besonders fein geschmiedetes Kettenhemd unter seinem kaftanösen Gewand.
Das Stahlgewebe paßte sich jeder Körperbewegung an und war dennoch gegen so gut wie alle Klingen fest. Roland verstärkte seinen Griff. Der Barbareske versuchte, gleichfalls die muskulösen Arme und Hände hinter Rolands Rücken zu verschränken. Doch der Kampf hatte ihm bereits zuviel abverlangt. Er erreichte das Ziel nicht. Es gab einen Laut, als bräche ein dicker Zweig von besonders hartem Holz. Roland fühlte den Körper seines Feindes schlaff werden. War das ein Trick? Er rechnete durchaus damit, einen neuen Ansprung seines Gegners abwehren zu müssen, sobald er den Griff lockerte. Doch da gab es keinen Grund mehr, Tücke oder List zu befürchten. Der Gegner lag tot zu Rolands Füßen. In den Reihen der Dörfler wurde Jubel laut. Eine junge Frau sprach aus, was wohl alle dachten!: »Du hast Ali Batuta besiegt, einen der stärksten Männer des Barbaresken-Heeres. Respekt vor deinem Mut!« * Die Frau nahm unter den Flüchtlingen eine Sonderstellung ein. Einmal dirigierte sie die Menschen, die von irgendwoher in dieses Dorf gekommen waren und jetzt weiter mußten. Andererseits nah men die Männer und Frauen auf der Flucht die Weisungen der Frau nur widerstrebend an. Die Frau machte kein Hehl daraus, daß Roland ihr gefiel und, daß sie ihn kannte. »Du bist doch Roland, der Sohn des Köhlers von Caind, der ein Ritter wurde, nicht wahr?« »So ist es. Wie kommst du von Caind hierher?« »Irgend jemand muß den fliehenden Menschen sagen, was zu tun ist. Ich bringe immer wieder neue Flüchtlinge aus den Küstenstädten um die Cliffs of Caind. Wenn die hier morgen früh weiter marschieren, wandere ich zurück.« »Vielleicht begleiten wir dich«, sagte Roland. Er zeigte, daß auch
er erkannt hatte, wen er vor sich hatte. »Wenn du Mirinda bist, die Tochter des Learts of Caind, habe ich Nachricht von deinem Bruder.« Sie schüttelte den Kopf, daß die brandroten Haare flogen. »Nicht jetzt und nicht hier. Ich gebe dir Gelegenheit, deine Botschaft los zu werden. Hier draußen sind zu viele Ohren, die alles mithören. Der Barbaresken-Admiral wird den Tod Ali Batutas nicht schlucken ohne etwas zu unternehmen. Ali war der Bruder Chalid Batutas, der wiederum der Leibwächter Zairahs ist. Zairah ist die Hauptfrau des Admirals.« »Bist du Mirinda?« blieb Roland bei seiner Frage. »Ja. Du stehst vor der Tochter des Learts of Caind, welcher der Grundherr - deines Vaters gewesen ist. Weißt du, daß du mir bereits früher gefallen hast, Roland?« Die Frau hatte graugrüne, große Augen unter dichten, auffallend langen Wimpern. Auch die Bogen ihrer Brauen dienten den Augen als wirkungsvolle Dekoration. Jetzt flammte ein wahres Feuerwerk von Blicken über Roland hin. Der aber blieb in seinem Herzen kühl. Er fragte sich, warum die Menschen auf der Flucht schlecht über die Frau redeten, die ihnen doch half. War es der Haß der Besitzlosen gegen die Tochter aus reichem Hause? Kebse! - Das Wort fiel immer dann, wenn die Rothaarige dem Volk den Rücken zuwandte. Seeräuber - Kebse! Das war schon deutlicher. Sollte sie auf diese Weise für die sichere Passage ständig neuer Flüchtlingsströme bezahlen? Das Feuer hatte gründliche Arbeit geleistet. Kaum ein Haus des Dorfes blieb stehen. Es war schwierig, ein Unterkommen für die Nacht zu finden. Roland rechnete durchaus damit, daß weitere Barbareskentruppen erschienen. Doch es blieb still. Auch die Flüchtlinge dachten an Nachtlager. Mirinda, die Leartstochter, war fortgegangen. »Wir unterhalten uns später. Ich finde dich schon.« Während sie das sagte, hatte sie einmal mehr versucht, Rolands Blick einzufangen. Als das mißlang, stellte
sie sich in Positur. Sie machte das so, daß es ganz natürlich wirkte. Trotzdem blieb Roland kaum eine Einzelheit ihres Wuchses verborgen. Ob man Mirinda mochte oder sie unsympathisch fand, sie war und blieb schön. Die Vier aus Camelot hielten sich beisammen, während sie ein Quartier suchten. Häuser und Hütten, die vom Feuer verschont worden waren, hatten die Barbaresken in kaum zu beschreibender Weise verferkelt. Roland und seine Begleiter sahen aufgeschlitzte Federbetten, welche die Produkte menschlicher Notdurft hatten aufnehmen müssen. Ähnlich verdorbenes Bettzeug schwamm in Kellern, darinnen der Wein fußhoch stand. Die Plünderer hatten die Vorratsfässer zerschlagen und Wein, Bier, Mehl und Zucker, öl und Pökelfleisch miteinander vermischt. In all dem chaotischen Durcheinander hörten sie plötzlich eine kläglich dünne Stimme. Da weinte ein Kind! Aber wo sollte hier ein hilfloses Kind, ein Säugling gar, herkommen? »Sieh nach«, wies Roland den Knappen Louis an. Der hantierte im Hintergrund des so grausam geschändeten Kellers. »Das ist nicht so einfach«, hörten die Gefährten ihn brummen. Es dauerte eine Weile. Aber, als er dann kam, trug er einen heftig schreienden Säugling. »Die tote Mutter hielt ihn umklammert«, erklärte Louis. »Die Barbaresken müssen ihr besonders böse mitgespielt haben. Sie hatte keinen Faden Stoff mehr am Leib. Offenbar wollten die fremden Hunde, daß der Säugling mit der Mutter stürbe. Ich werde die Frau später beerdigen.« So rauh Louis im allgemeinen auch war, in Notzeiten wie in dieser Krise kehrte er die menschliche Seite seines Wesens hervor. Knappe Pierre zeigte sich von Louis' Fund wenig begeistert. »Das hat uns gerade noch gefehlt. Wir werden kaum mit den nötigen Verrichtungen für uns selber fertig, und da schleppst du uns einen Säugling an ... das zerbrechlichste Wesen der Welt.« Knappe Pierre sah sich heftigen Angriffen gleich von drei Seiten ausgesetzt.
»Bis morgen früh wirst du ihn versorgen und nehmen, Pierre«, sagte Roland. »Bestimmt ist eine Flüchtlingsfrau mitleidig genug, sich des Kindleins anzunehmen.« Das sagte Volker vom Hohentwiel. Knappe Louis meinte abschließend. »Wir haben es gefunden und werden dafür sorgen. Ich würde keinem raten, mich daran zu hindern.« Pierre setzte eine beleidigte Miene auf und äußerte sich nicht mehr. Doch als sie wenig später eine wie durch ein Wunder intakte Gartenlaube entdeckten, schleppte ausgerechnet Pierre bald danach einen Zuber Milch an. »Die Plünderer aus der Barbarei mögen sich zwar aufs Menschenschinden und aufs Stehlen verstehen, aber die schärfsten Augen haben sie nicht. Ich habe eine vom Feuer verschonte Strohwand in einem Stall entdeckt. Und hinter der Strohwand verputzte eine Kuh munter die Rüben, welche vermutlich ihr Besitzer dem Tier vorlegte, als er es verbaute. Dem prallen Euter nach muß es sich um die beste Milchkuh eines Bauern gehandelt haben.« Da Knappe Pierre sich so lautstark gegen den Säugling gewehrt hatte, wurde ihm jetzt von Roland die Aufgabe zudiktiert, das Kleinkind zu versorgen. Er hatte insofern Glück, als Louis ganz versessen darauf war, das Kind zu füttern. Der Kleine war noch so jung, daß er nicht sehr viel mehr konnte, als hell und dunkel zu unterscheiden. Louis nahm das Kind auch mit auf sein Nachtlager. Roland schlief vor der Laube und gut getarnt in der Deckung eines Holzstapels. Mirinda, die Tochter des Learts von Caind, hatte er vergessen. Wie sollte die rothaarige Frau ihn auch finden? Doch sie mußte einen besonderen Sinn für Spuren besitzen. Denn kaum trat ein rauchsilbriger Mond seine Wanderung über den Himmel an, da vernahm Roland, daß sein Name gehaucht wurde. »Köhlersbub!« Er antwortete sofort. Es drängte ihn, die Botschaft des Mannes, der schwer verwundet in Camelot lag, loszuwerden. Die Frau mußte im Nachtdunkel wie eine Katze sehen können. Es
bedurfte keiner Erklärung oder Einweisung. Sie schob sich neben Roland und begehrte, von seiner Decke gewärmt zu werden. Dagegen aber wehrte sich der Mann ebenso entschieden wie kraftvoll. »Wir könnten eine Menge Spaß miteinander haben«, raunte sie ihm zu. »Glaub mir, niemals schmeckt die Liebe so süß wie in diesen Stunden höchster Gefahr ... Dein Pech, wenn du nicht willst.« Sie traf Rolands Stimmungslage ziemlich genau. »Was hat mein Bruder dir aufgetragen?« »Du sollst den Barbaresken ausweichen und dich in den Cliffs verstecken. Wenn du Geld brauchst für irgendwas, sollt du an den alten Brunnen denken unter der dicken Linde in eurem Hof. An der bewußten Stelle - fünfzehn Steinlagen unter der Brunnenkrone findest du den Schlußstein. Er geht etwas schwerer, als gewohnt. Dein Bruder hat ihm bewußt die Leichtgängigkeit genommen. Hinter dem Schlußstein liegt alles, was ein Mensch nötig haben kann. Es reicht für ein ganzes Leben.« Die rothaarige Frau hatte aufmerksam zugehört. Sie lächelte. »Siehst du, jetzt kennst du das Geheimnis des Learthofes, und mit der Tochter der Learts magst du nichts zu schaffen haben. Wie dumm du doch bist. Stark ... und dumm!« Sie tat wahrscheinlich nichts ohne Grund und ohne Absicht. Jetzt hatte sie begonnen, Roland zu streicheln. Sobald der merkte, daß er Mirindas Hand als angenehm empfand, schob er sie wieder fort. »Nicht hier und nicht heute«, sagte er entschieden. Sie war auch damit zufrieden und fragte: »Wann denn? Wenn es nicht hier und nicht heute geschehen soll, Köhlersbub?« Später fragte sich Roland, was nur in ihn gefahren war, die ihm so offen angetragene Liebe Mirindas zurückzuweisen. Jedenfalls blieb er abweisend und schroff. »Nie!« Das genügte der Rothaarigen nicht. »Ist es, weil ich die Tochter des Learts bin?« wollte sie wissen. »Nein.«
Sie fragte hartnäckig weiter. »Ist es wegen ... dem, was die dummen Flüchtlinge mir vorwerfen? Du hast doch gehört, was sie sagten.« »Ja. Und deshalb ist es.« Mirinda erhob sich sofort. In dem Augenblick quakte das satte Kind an Louis Seite. Unverzüglich ging Mirinda dem Laut nach. Sie fand den Säugling. Ohne Umstände und so, als sei dies die natürlichste Sache der Welt, nahm sie sich des Kindes an. »Fahrende Ritter haben nicht die rechten Hände für so ein winziges Wesen.« Louis wollte widersprechen, als Mirinda das Menschlein gegen ihre Brust drückte und mit dem Oberkörper wiegende Bewegungen machte. Roland nutzte die Lage geschickt. »Laß ihr das Kind«, wies er den Knappen an. Louis fügte sich. Eine Weile stand Mirinda wie ein Schatten unweit der Laube. Es war ihr offenbar gleichgültig, daß die Worte, welche sie zu Roland sagte, Zeugen hatten. »Ich bekomme dich, Köhlersbub. Es mag lange währen, aber du gehörst mir. Darauf halte ich jede Wette.« Ehe Roland etwas erwidern konnte, war die Tochter des Learts of Caind verschwunden. Der Säugling mußte sich wohl bei ihr fühlen. Er schrie kein einziges Mal. »Weibervolk«, sagte Knappe Louis verächtlich. Aus Schlaf wurde in dieser Nacht nicht viel. Denn Mirinda mochte gut eine Stunde fort sein, da hörte Roland im Halbschlaf schleichende Schritte. Flugs war er hellwach. Nicht nur das, er hielt auch sein blankes Schwert in der Faust. Eine gute Reaktion. Denn als er dorthin schlich, wo Samum schnaubte, und wo die Saumpferde grasten, ertappte er drei Barbaresken dabei, das Gepäck und die Pferde zu stehlen. Wie das Gewitter war Roland über den dreien. Sie versuchten zwar, sich zu wehren. Allein gegen Roland waren sie zu langsam, zu
schwach und auch zu ungeübt. Als die Gefährten mit dem letzten Schwertstreich wach wurden und erschienen, säuberte Roland bereits seine Waffe. »Und das erledigst du so ganz ohne jeden Alarm?« In Volker vom Hohentwiels Stimme war der Vorwurf nicht zu überhören. »Hätte ich sie etwa das tun lassen sollen, was sie begonnen hatten? Sieh sie dir an. Sie gehören zum Abschaum der Eroberer.« An Schlaf war anschließend nicht mehr zu denken. Der Tag begann. Knappe Pierre suchte Feuerholz und begann, das Essen herzurichten. Als sie frühstückten, hörten sie im Dorf die Flüchtlinge wach werden und sich für die Weiterfahrt rüsten. Von Mirinda, der Tochter des Learts of Caind hörten und sahen sie nichts mehr. Roland aber dachte an sie. War der Besuch der barbareskischen Diebe ihr zu verdanken gewesen? Er gab sich heute auch den Gefährten gegenüber denkbar einsilbig. Das Mädchen ging ihm nicht aus dem Kopf. Er dachte noch an sie, als sie den ersten Küstenhafen erreichten. Aus diesem, aus jenem und aus manchem sonst war bündig zu schließen, daß die Barbaresken etwas Besonders vorbereiteten. Wahrscheinlich lag es an diesem besonderen Ereignis, daß sie ungehindert bis zum Hafenkai gelangten. Da aber sahen sie auch, woraus die Besonderheit bestand. * Hörner gellten. Kesselpauken dröhnten. Schellenbäume rasselten überlaut. Jedweden Lärm aber deckte der wilde Schrei der Tuba zu. So weit dieser Urlaut auch drang, duckten sich die Häuser. Mahmud ben Osmadi ging an Land. Er war der Admiral der Barbaresken, oberster Befehlshaber sämtlicher Truppenteile und der Bassa der Verwaltung. Daß er an Land ging, war, genau genommen, der falsche Ausdruck. Er wurde nämlich von seinem Schiff zum Kai getragen.
Die Küstenbevölkerung säumte in respektvollem Abstand die Straßen um die Mole. Einerseits scheuten die Barbaresken etwaige Anschläge, andererseits aber kam ihnen die Neugier der Menschen gelegen. Sie wollten hier bleiben, weit mehr noch erobern, als sie schon besaßen. Sechs stämmige Sklaven trugen die offene Sänfte. Sie waren bis auf einen Lendenschurz nackt. Und sie hatten glatt rasierte Köpfe und Gesichter. Mahmud ben Osmadi winkte nach rechts und links. Er lächelte. Der Admiral sah gut und ausgeruht aus. Sein bärtiges Gesicht wirkte energisch. Die dunkelblitzenden Augen zeugten von Mut. Außerdem verrieten die breiten Schultern, daß der Oberbefehlshaber kein Schwächling war. Unaufhörlich lärmten die Instrumente. Becken klirrten. Besonders ausgesuchte Matrosen drangen auf die Bevölkerung ein. »Laßt den Admiral hoch leben!« »Wünscht unserem Bassa, der jetzt auch euer Herr ist, das Beste!« »Schreit und dann fallt auf die Knie, ihr Hunde!« Lange Lederpeitschen knallten. Wo immer die Schnurrenden trafen, schrien Menschen auf. Manche brachen wimmernd zusammen. Niemand hätte später zu sagen vermocht, wer den Anfang machte. Aber die Weisungen der Matrosen wurden befolgt. »Es lebe der Admiral!« »Ein Hoch dem Sieger!« »Ruhm und Ehre dem Bassa!« Mahmud ben Osmadi sah allem, was geschah, zufrieden zu. Er war daran gewöhnt, als Sieger gefeiert zu werden. Im Geiste rechnete er aus, was all diese Menschen an Gold einbrachten, wenn sie auf den Sklavenmärkten von Algier, Oran, Fez oder Marrakesch verkauft wurden. Ich werde Suleika das Schlößchen in den Atlasbergen schenken, das sie sich so sehr wünscht, dachte der Admiral. Suleika war Mahmud ben Osmadis Favoritin, eine zauberhaft schöne Frau. Die vorletzte Kaperfahrt hatte sie ihm als Beute geschenkt. Sie stammte aus Rhodos. Suleika beherrschte die
Geheimnisse der Liebe so, wie sie nur eine Inselgriechin beherrschen kann. Jetzt kamen ihr diese Spezialkenntnisse zunutze. Der mächtige Admiral geriet mit jedem Tag mehr unter ihrem Einfluß. Plötzlich runzelte Mahmud ben Osmadi die dunklen Brauen. Er glaubte zu träumen. Stand da doch ein Mann mitten in der gaffenden Menge. Er dachte nicht daran, sich zu ducken. Er war groß, breit und blond. Eine Erscheinung, die man nicht übersah. Das mochte auch der Matrose denken, der in diesem Abschnitt seine Peitsche schwang und auf die Menschen einschrie. »Auf die Knie, du Hund!« Der blonde Riese wurde von der Peitsche getroffen. Allein, er zuckte weder zusammen, noch gab er einen Schmerzenslaut von sich. Mahmud ben Osmadi, der Admiral, hatte so etwas, wie es jetzt vor seinen eigenen Augen geschah, weder gesehen noch davon gehört. Packte da doch dieser Blonde einfach die lederne Peitschenschnur. Er packte sie und hielt sie fest. Der Matrose am anderen Ende zerrte und zog aus Leibeskräften, um wieder in den Alleinbesitz der Peitsche zu kommen. Der Blonde aber lachte nur. Damit nicht genug, ging er seinerseits zum Angriff über. Er zog den Matrosen zu sich. Dem bedauernswerten Barbaresken blieb nichts anders übrig, als dem übermächtigen Zwang zu folgen. Die Peitsche wollte der Matrose unter gar keinen Umständen loslassen. Daran tat er gut. Denn die Ahnung, daß irgendwie das Auge und die Wachsamkeit des Admirals über ihm waren, trog nicht. So lange die Musikinstrumente diesen Höllenlärm veranstalteten, hatte der Bassa das Land noch nicht betreten. Das Tauziehen zwischen dem unglücklichen Matrosen und dem blonden Riesen ging weiter. Für Mahmud ben Osmadi war der Streit jetzt schon entschieden. Er knirschte mit den Zähnen und sprang auf. Die heftige Bewegung bekam der Sänfte, dem Palankin, wenig. Sah der Admiral sich jetzt nicht vor oder stand ihm sein Glück nicht besonders bei, so purzelte er aus der Sänfte. Die Kais waren mit groben Quadersteinen gepflastert. Es gab bestimmt Angenehmeres, als auf diese Quader zu stürzen.
Mahmud ben Osmadi, der Admiral, glich einem Matrosen, der Flaggensignale gibt. Er gestikulierte heftig mit Armen und Beinen. Dazu brüllte er: »Alle Einpeitscher dorthin, wo es Schwierigkeiten gibt. Bringt den Aufsässigen her!« Nun, das war leichter gesagt, als getan. Mahmud ben Osamdi kniff sich heftig. Was er sah, blieb leider. Ja, es wurde noch schlimmer. Denn da gelang es doch diesem Blonden tatsächlich, den peitschenschwingenden Matrosen von den Beinen zu reißen. Da blieb das eingeschüchterte Volk nicht länger still. Ja, es zeigte keine Spur von Geduld mehr. Auch Demut suchte man vergebens. Hatte es nicht geheißen, die Angriffswut der Barbaresken habe den Widerstandswillen der Küstenbewohner gebrochen? Welch ein Trugschluß! Der unglückliche Matrose wurde durch die Menge geschleift. Der blonde Riese sah dabei aus, als rolle er einfach eine Angelschnur auf. Für den Matrosen gab es aus der anonymen Masse erst Knüffe, dann Hiebe, dann Tritte. Für den Admiral Mahmud ben Osmadi stand die Welt Kopf. Es durfte einfach nicht wahr sein, daß ein Barbareske, ein Matrose der ruhmreichen Flotte gar, unterlag. »Wollt ihr ihm nicht endlich helfen?« schrie Mahmud ben Osmadi. Die Stimme des Admirals überschlug sich schier. Damit nicht genug, kletterte er aus der Sänfte. »Jetzt lernt ihr mich kennen!« Das versprach er und war drauf und dran, sich höchstpersönlich ins Getümmel zu stürzen. Wer weiß, was geschehen wäre, hätte nicht Zairah, die rechtmäßige Hauptfrau aus Mahmud ben Osmadis Harem, ihren Leibwächter Chalib Batuta zu ihrem Mann und Gebieter geschickt. Chalib, ein wahrer Büffel von einem Mann, arbeitete sich rücksichtslos durch die Masse Mensch. Seine Arme und Beine glichen Schiffsmasten. Sein Schädel war bis auf einen dunklen Haarstrang, der einem Roßschweiß ähnlich an seinem Hinterkopf baumelte, kahl. Er trug ein Kettenhemd auf der bloßen Haut. Der Schnurrbart verlieh seinem Gesicht einen ganz besonders
martialischen Ausdruck. Der über zwei Meter große Mann schob wie ein Rammbock alles beiseite, was seinen Weg behinderte. »Der Leibwächter der Admiralin«, murmelte die Menge und wich dem Riesen aus. Doch nicht nur die Menschenmenge verfolgte Chalib Batutas Tun. Auch Roland hatte ihn gesehen. Es zeigte sich jetzt, daß er mit dem Peitschenmatrosen bisher nur gespielt hatte. Im Vorbeistampfen raunte Chalib Batuta zum Admiral hin: »Ich werde dich würdig vertreten, erhabener Herr.« Mahmud ben Osmadi wandte sich wieder seinem Palankin zu. Doch er saß nunmehr kerzengerade auf den weichen Pfühlen. Bei Chalib Batuta wußte er seine Interessen wirklich bestens aufgehoben. »Mach den Giaur, diesen Ungläubigen, unschädlich und du gewinnst soviel Dukaten, wie du in zwei Händen zu tragen vermagst, Chalib!« Das knurrte der Admiral in die Richtung Chalib Batutas. Mahmud ben Osmadi wußte genau, daß Habgier zu Chalibs herausragenden Charaktereigenschaften gehörte. Für Gold und Geld tat er alles. Der blonde Riese wich dem Zusammentreffen mit dem Leibwächter der Admiralin nicht aus. Die Menge hatte Chalib Batutas Namen häufig genug genannt, um Roland eindeutig klarzumachen, wer da auf ihn eindrang. Er würde dafür sorgen, daß Chalib bald dorthin gelangte, wo sein Bruder Ali Batuta bereits war. Der Admiral hatte lautstark nach seiner Stabswache gerufen. Diese Wache war beritten. Sobald sie heransprengte, setzte Roland das Horn Olifant an die Lippen. Ein durchdringender Ton wellte bis hin zu den Schiffen. Im gleichen Moment frischte der Wind auf. Er blies über die Reede. Die Schiffe der Barbaresken lagen dort fast auf Tuchfühlung. Es sah schön aus, wie sich die Segel blähten. Für Schönheiten dieser Art hatte die Stabswache des Admirals keinen Sinn. Außerdem wurde ihre Aufmerksamkeit von gänzlich anderen Dingen voll in Anspruch genommen. Ihre stattlichen Pferde stoppten nämlich, als seien sie alle zur gleichen Zeit gegen ein
unüberwindliches Hindernis geprallt. Sie gingen hoch, wieherten und setzten ihre Kraft geschlossen dafür ein, den Reitern das Leben schwer zu machen. Das gelang ihnen auch. So schnell wie man eine Hand umdreht, war aus der disziplinierten Stabswache ein wirres Durcheinander geworden. Gestürzte Menschen bildeten mit strauchelnden oder gestrauchelten Pferden ein wildes Gemenge. Über dem chaotischen Knäuel hing eine wahre Wolke von hellem Wiehern und Geschreie. Mahmud ben Osmadi bedeckte seine Augen. »Daß ich diese Schande meiner Getreuesten erleben muß«, schrie er. Die Klage aber besserte die Situation in keiner Weise. In seinem Herzen dachte der General: Jetzt fehlt nur noch, daß Chalib Batuta gegen den Blonden verliert. Allein, wie sollte er verhindern, daß Batuta und der blonde Riese handgemein wurden? Die Menge ließ es nicht zu, daß die beiden kämpften. Immer wieder verlegten neue Männer und Frauen Batutas Weg. Doch auch der blonde Roland kam nicht so voran, wie er wünschte. Doch während Chalib Batuta blanker, stummer Haß entgegenschlug, hörte Roland Ratschläge und Hinweise, welche in den Wind zu schlagen, glatte Dummheit gewesen wäre. »Wer immer du bist, fremder Held, spare dein Leben und deine Kraft für die Schlachten, mit welchen unser König Artus die Eroberer aus dem Land treiben wird.« »Überlaß dich unserer Führung. Wir bringen dich in Sicherheit.« Das sagten Männer, welche ihrer Haut durch Ruß ein altes Aussehen gegeben hatten. Sie verstellten auch ihre Haltung und sie waren ganz gewiß nicht halb so greisensteif, wie ihre krumm gezogenen Rücken es dartun wollten. Nicht weit von Roland stand Volker vom Hohentwiel. Knappe Pierre eilte herbei und meldete: »Sie haben uns ein Boot zur Verfügung gestellt. Nehmt die Chance wahr, Herr. Der Meinung ist auch Louis.« Mahmud ben Osmadi sah ziemlich richtig voraus, was geschah. Der Blonde tat das, was er seiner Natur nach gar nicht wollte, und
floh. Chalib Batuta hingegen kam einfach nicht zu dem riesigen Blonden durch. Mochte das Schicksal wissen, wozu das gut war. Der Admiral fühlte jedenfalls Erleichterung. Die entscheidende Auseinandersetzung zwischen dem Titanen aus dem Norden und dem Riesen aus dem Barbareskenland würde irgendwann anderswo stattfinden. Dann nämlich, wenn die Zeichen für die Barbaresken auf Sieg standen. Als die Stabswache sich wieder so weit gesammelt hatte, daß an ein Vorrücken in geordneten Reihen zu denken war, gab es von dem blonden Riesen und den Männern seiner Begleitung höchstens noch eine schwache Spur. Diejenigen, welche Roland geleiten und führen sollten, mußten das nämliche Ziel haben, welches auch Knappe Pierre ansteuerte. Pierre zeigte keinerlei Zeichen von Furcht oder gar Angst. Das war immer so bei ihm. Erst fand er Einwände und ließ kein Argument ungenutzt, doch wenn dann die Schwierigkeiten begannen, meisterte er sie glänzend. Roland bewegte die mächtigen Schultern, als fühle er sich nicht wohl in seiner Haut. Volker vom Hohentwiel sah das. Er redete dem Freund gut zu. »Dein Rückzug ist ja nur strategischer Natur, Roland. Außerdem läuft dir dieser Gegner nicht fort. Dem, was die Leute rieten, ist der Wahrheitsgehalt nicht abzusprechen. Du... ja, wir alle werden gebraucht.« Die Menge tarnte die Ritter aus Camelot ebenso geschickt wie wirkungsvoll. Nicht einmal Mahmud ben Osmadi, der doch von seinem Platz einen glänzenden Überblick hatte, bemerkte, wohin er entschwand, dieser Mann, der seiner Macht getrotz hatte. Der Admiral winkte den Leiter seines Verwaltungsstabes zu sich. »Laß die Zeremonie der Landunterwerfung absagen, Hassan Hinendi. Sie wird an einem günstigeren Tage nachgeholt.« Der Verwaltungsleiter verneigte sich tief. »Dein Wunsch ist uns allen Befehl, erhabener Herr!« Die Peitschen-Matrosen zerstreuten die Menge. »Geht heim.«
»Seine Erhabenheit, der Admiral, ordnet für Stadt und Land eine Sperre jeglichen Ausgangs an. Niemand darf vor dem nächsten Morgen seine Wohnung verlassen. Wer diesem Befehl zuwider handelt, erhält die Bastonnade.« Die Drohung wirkte. Die Menschen verzogen sich. Mit der Verhängung der Bastonnade, jener auf die nackten Fußsohlen vollzogenen Prügelstrafe, waren die Barbaresken denkbar großzügig umgegangen. Kaum ein Dorf, in dem es keine Männer und Frauen gab, die mühsam an den Hauswänden entlang humpelten, weil die Bastonnade sie den aufrechten, flotten Gang gekostet hatte. Der Admiral wurde an Bord seines Flaggschiffes zurückgetragen. Dort warteten die weißen, weichen Arme Suleikas auf Mahmud ben Osmadi. * Nervige Fäuste steuerten das Boot, welches die Gefährten aus Camelot vom Hafen wegführte. Sie saßen ganz offen in dem Fahrzeug. Wer immer von den Barbareskenwachen sie sah, mußte der Meinung sein, hier handele es sich um ein Unternehmen, das den Eroberern Nutzen brachte, also von irgendeiner Obrigkeit genehmigt war. Es ging durch ein verwirrend vielschachteliges Labyrinth von Felsen, Schroffen, Klippen und Kanälen. Eine Weile sah Roland noch die Barbareskenflotte. Dann glaubte er, einen Küstenstreifen erreicht zu haben, der von den Fremden noch nicht heimgesucht worden war. Ein grausamer Irrtum. »Zwischen hier und den Nordhäfen sowie den Anlaufplätzen im Süden gibt es keinen Ort ohne Barbaresken-Besatzung. Es herrscht überall die gleiche Not.« Die Bootsführer unterhielten offenbar weitreichende Verbindungen. Einer zeigte dorthin, wo sich eine weißgraue Wolke geballt und mächtig in den blaugrundigen Himmel schob. »Dort drüben ist das Hauptquartier des Admirals, den wir alle
vorhin an Land gehen sahen.« »Was sollte das Theater?« wollte Knappe Louis wissen. Auch darüber wußten die Bootsführer Bescheid. »Unter den Barbaresken herrscht der Brauch, sogar die Elemente Erde und Wasser ähnlich wie unterworfene Menschen zu behandeln. Das heißt nichts anderes, als daß der mächtige Admiral sich jetzt wieder seinen eigentlichen Aufgaben zuwenden kann.« »Und was sind diese eigentlichen Aufgaben?« blieb Louis bei seiner Frage. »Eroberungen machen.« »Und was wohl sind die nächsten Ziele?« Die Bootsführer nannten nur einen Namen: »Camelot.« »Wer Camelot hat, beherrscht das Land.« Ritter Volker vom Hohentwiel räusperte sich. »Ob sie sich da nicht entschieden übernehmen, die Herren Eroberer aus der Barbarei?« »König Artus wird über die Fremden kommen wie der Adler, der einen Taubenschwarm sprengt.« Die Bootsführer hörten diese Zuversicht gern, gab sie ihnen doch endlich einmal wieder Hoffnung. Doch sie wiegten die Köpfe, als falle es ihnen schwer, an eine grundlegende Schicksalswende zu glauben. »Ihr solltet wissen, daß sie an genau einem haben Dutzend Küstenpunkten gelandet sind. Ob der König genug verläßliche Gefolgschaft hat, um dieser Streitmacht wirkungsvoll zu begegnen?« »Ja«, sagte Roland schroff. Seine Stimme klang sehr überzeugend. Volker sah, wie der Freund die Faust um den Schwertgriff legte. Solange er in der Menge stand, hatten Louis und Pierre Schwert und Schild ihres Herrn bewacht. Jetzt hatte Roland den treuen, stählernen Begleiter wieder. »Die Not mag wachsen und gar noch größer werden, doch wir aus Camelot werden am Ende siegen.« Die Küstenlandschaft änderte sich Jetzt mischte sich Wald zwischen die schroffen Steilfelsen. Buchen, Eichen und Kiefern, wie
sie auch um Camelot wuchsen. Von irgendwo aus dem Wald drang das Wiehern eines Pferdes. »Samum?« sagte Roland. Knappen und Bootsführer nickten einträchtig. »Er wartet auf dich, Herr«, sagte Knappe Louis. »Dort, wo er weidet, sind wir alle in Sicherheit.« Einer der Bootsführer meldete sich zu Wort. »Den Schlupfwinkel, den ihr gleich kennenlernt, ihr Herren, könnt ihr bequem zur Ausgangsbasis für eure Unternehmungen machen und so unseren Landsleuten in der Not helfen.« Knappe Pierre zeigte, daß er auch nicht gerade auf den Ohren saß, wenn es darum ging, Neuigkeiten und Informationen zu sammeln. »Ich hörte, daß ein Bote zum Admiral der Barbaresken kam, der Ali Batutas Tod zu melden hatte.« Roland zog die einzig richtige Folgerung. »Das wird für diesen Chalib Batuta ein Grund mehr sein, mich zu suchen und sich mir zu stellen.« Wieder legte Volker vom Hohentwiel dem Freunde die Hand auf den Arm. »Du hast wichtigere Aufgaben, als dich in Kleinigkeiten aufzureiben und zu verzetteln.« Das Boot lief knirschend auf Sand. Die Cameloten hatten Mühe, im Gleichgewicht zu bleiben. Der Wind wehte von See. Gegen die Uferfelsen und gegen den Wald. Samum mußte seinen Herrn wittern. Er wieherte. Das trompetenähnliche Signal des Hengstes erfuhr seitens der übrigen Pferde sowie der Packtiere Verstärkung. Sobald sie nur wenige Meter vom Landeplatz entfernt waren, bot ihnen der Wald gegen jede Beobachtung von See her vollkommene Deckung. Der Aufstieg dauerte lang. Ein enger Pfad, welcher streckenweise zur Treppe wurde, wand sich in die Höhe. Der schmale Weg endete auf einer Lichtung. Mächtige Eichen und Buchen umsäumten eine Wiesenfläche, deren saftiges Gras regelrecht zu riechen war. Mitten auf der Weide grasten Samum und die übrigen Pferde. Kaum witterte der Hengst seinen Herrn, spielte er
mit den kleinen Ohren und bewegte sich in schlankem Trab zu Roland. Zufrieden schnaubend rieb er sein weiches Maul an Rolands Schulter. Roland streichelte den Hengst. »Nicht lange mehr und wir brechen wieder dahin auf, wo es Arbeit für uns gibt, Samum!« Auch Volker vom Hohentwiel und die beiden Knappen wurden von ihren Reittieren begrüßt. Unmittelbar hinter der Weide lag ein altersgraues Gebäude. Sah man es von weitem, wirkte es wie ein ganz gewöhnliches Wohnhaus. Aus der Nähe betrachtet aber, zeigte es seine wahre Natur. Es war nur von einer Seite, von der Weidefläche nämlich erreichbar. Und auch von hier wurde der Zugang nur über eine Brücke möglich, welche nach Belieben herunter und herauf gelassen werden konnte. Das Gebäude wies alles in allem die gleichen Eigentümlichkeiten auf wie eine uneinnehmbare Festung. Bis jetzt hatten die Bootsführer die Männer aus Camelot begleitet. Nun nahmen sie ohne viel Worte Abschied. »Im Haus gibt es genügend Vorräte, um auch eine längere Belagerung auszuhalten. Zudem ... bis zu jenem Einsiedler, der da Klaus heißt, braucht ihr nicht mehr, als einen Ritt von gut zwei Stunden. Viel Glück.« Roland sah so aus, als wolle er den Bootsführern Geld geben. Das wehrten diese jedoch ab. »Wir tun nichts gegen irgendwelchen Lohn. Nichts. Der Einsiedler soll weiterhin seine Segenshand über unsere Heimat halten.« Damit waren die Bootsführer fort. In der Art echter Seeleute, die sich stets gern wieder vom Land auf die Planken begeben, die ihre Welt sind, sprangen sie leichtfüßig die Stufen zum Strand hinunter. Sie kamen zur rechten Zeit. Denn just da, als sie ihr Boot erreichten, bog ein Fahrzeug mit sechs Doppelruderern um die Ecke der letzten Kanalwindung. Es hielt genau auf den Landeplatz zu. Im Bug flatterte die Barbareskenflagge. Die Bootsführer waren der Zahl nach unterlegen. Das hinderte sie indes nicht daran, sofort anzugreifen. Sie schossen auf Anhieb drei Barbaresken kampfunfähig. Dann nutzten sie den Wind. Der fiel ausgerechnet jetzt in die stille Bucht. Er kam
so günstig, als wäre er gerufen worden. Die Bootsführer beherrschten ihr Fahrzeug meisterhaft. Sie entkamen den Barbaresken. Roland, der den Bootsführern hatte nachschauen wollen, sah genau, was geschah. Er konnte sich ausrechnen, was jetzt kam. Er rannte zu Volker und den Knappen. »Kommt. Die werden neugierig geworden sein. Sie wollen bestimmt herausfinden, wo der Weg endet, der da unten im feinen Sand der Anlegebucht beginnt.« Rolands Kalkulation stimmte. Denn, als er mit Volker den schmalen Weg knapp zur Hälfte hinter sich hatte, stand Roland plötzlich vor dem ersten Barbaresken. Der Mann hielt seinen Krummsäbel schlagbereit. Ob er erkannte, wen er in Roland vor sich hatte? Er kam nicht einmal zu einem warnenden Schrei. Roland benutzte sein Schwert wie eine Lanze. Nachdem er voll getroffen hatte, gab er dem Barbaresken einen Stoß. Der Mann kippte seitlich weg. Er verlor im Sturz seinen Turban. Die Kopfbedeckung fiel so unglücklich, daß sie den nachfolgenden Barbaresken insoweit behinderte, als sie dem Mann den eigenen Turban bis weit über die Augen trieb. Volker vom Hohentwiel hatte sich katzengwandt an Roland vorbeigeschlängelt. Ehe der Barbareske dazu kam, sich wieder freie Sicht zu verschaffen, hatte Ritter Volker den Mann schon mit dem eigenen Turbanstoff gebunden und geknebelt. Wie einen Warenballen ließen die Ritter aus Camelot den Mann liegen. »Wir schicken die Gefangenen heim«, raunte Volker seinem Freunde zu. Roland nickte zu dieser Lösung. Auf diese Weise bekamen der letzte Ruderer sowie der Bootskommandant des Barbareskenfahrzeugs zwar denkbar derbe Kopfnüsse, behielten aber das Leben. Ehe sie sich in das graue Steingebäude zurückzogen, welches für die nächste Zeit ihr Zuhause sein würde, stiegen Roland und Volker noch zum Strand. Sie zogen das dümpelnde Barbareskenboot an Land.
Oben im Haus erhielten Louis und Pierre die Weisung, das Fahrzeug so zu verbauen, daß es nicht mehr gefunden wurde. Es wäre wohl am einfachsten gewesen, das Boot zu verbrennen, doch jedes Feuerzeichen lockte neugierige Barbaresken an. »Sobald ihr damit fertig seid«, wies Roland die Knappen weiter an, »nimmt Louis die drei Gefangenen und bringt sie nach Camelot.« Dort sollten die Barbaresken nach allen Regeln der Kunst befragt werden. Louis wäre viel lieber bei seinem Herrn geblieben. Andererseits aber sah er ein, daß die Befragung von Gefangenen wichtige Informationen für weitere Unternehmungen König Artus' liefern konnte. »Ich werde eine kleine Strecke mit Louis reiten«, erklärte Roland weiter. »Ich bin ja eigentlich aufgebrochen, um meinen alten Lehrer, den Einsiedler Klaus, zu besuchen. Das könnte ich heute abend erledigen. Wir brechen eine Stunde bevor die Sonne untergeht auf. »Und ich?« wagte Knappe Pierre, zu fragen. »Du leistest Ritter Volker Gesellschaft und paßt mit ihm auf, daß keines Feindes Fuß unser kleines Kastell betritt.« Die Wichtigkeit einer solchen Aufgabe war nicht von der Hand zu weisen. Volker vom Hohentwiel wiegte ahnungsvoll den Kopf. »Wenn ich das richtig sehe, täten wir gut daran, so etwas wie einen Botendienst nach Camelot aufzuziehen. Denn, da es uns nur unnütz belasten würde, all unsere Gegner in ein besseres Jenseits zu befördern, werden wir nicht umhin können, Gefangene zu machen.« Das Bauwerk, welches Roland als »kleines Kastell« bezeichnet hatte, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als ausgesprochen gemütliches Haus. Es gab hinreichend Kamine, und auch für Trinkwasser war gesorgt. Der Brunnen hätte laufend große Pferdeherden tränken können. Das Gebäude lag so, daß es praktisch wie ein Raubvogelhorst die Spitze einer schroffen Klippe einnahm. Es war nur über den Weg zu erreichen, der vom Landeplatz hierher führte. Von See aus war es so gut wie unsichtbar. Andererseits bot das Haus seinen Bewohnern die denkbar beste Aussicht.
Als Pierre und Louis am späten Nachmittag vom Anliegeplatz kamen, hatten sie nasse Kleider, die nach Salzwasser rochen. Das Barbareskenfahrzeug war in der Anlegebucht versenkt und unter den Sand gebuddelt worden. »Das findet kein Mensch wieder«, behauptete Knappe Louis grinsend. Louis macht sich daran, ein gutes Essen zu kochen. »Ich werde es so einrichten, daß für einige Tage was übrigbleibt. Nehmt es als Zeichen der guten Meinung, die ich von euch habe. Und denkt an mich, wenn es euch schmeckt!« Man merkte Louis' Fertigkeiten am Kochherd an, daß er einmal Gastwirt gewesen war. Wenn er wollte und die nötigen Zutaten hatte, stellte er mit seiner Kunst manchen Kollegen glatt in den Schatten. Nach dem Duft zu schließen, der bald das ganze Haus würzte, mußte Louis heute einen besonders guten Tag erwischt haben. Sie genossen die Mahlzeit. Danach setzten sie die gefesselten Gefangenen auf die Saumtiere. »Viel Erfolg«, wünschten Volker vom 2l Hohentwiel und Knappe Pierre. Sie winkten den beiden nach. Da stieß Pierre einen Laut aus, als drohe ihm die Luft knapp zu werden. Von Roland und Louis war nichts mehr zu sehen. Ein Barbareskenboot mit grellbunten Segeln bog zum Landeplatz ein. Hundegebell drang zu ihnen hoch. Knappe Pierre lächelte. »Da hat der raffinierte Louis mal wieder das Richtige getan«, murmelte er. »Wieso?« wollte Ritter Volker wissen. »Nun, wir brauchen nicht zu befürchten, aufgestöbert zu werden. Louis hat nämlich überall reichlich Pfeffer gestreut. Das hält der wildeste Bluthund nicht aus.« Was Pierre sagte, bestätigte sich. Das so schreiend bunt aufgetakelte Schiff legte an. Hunde bellten. Unversehens wurde das Gebell schmerzvoll dunkel. Schließlich sank es zum ängstlichen Geheul ab. Nicht lange und das Boot strebte wieder dem Meer zu. »Für die Nacht haben wir Ruhe«, sagte Ritter Volker. »Allerdings werden wir nicht umhin können, aufzupassen. Ich übernehme die
erste Wache.« * Die Straßen und Wege schienen friedlich still. Mochte dieser Eindruck auch trügen, sie begegneten weder einem Barbareskentrupp in geschlossener Formation noch streunenden Nachzüglern. Die Hauptkräfte der Heermasse Mahmud ben Osmadis operierten ungefähr halbwegs zwischen Camelot und der Küste. Sie hielten sich streng an die alte Reiterregel: eine Stunde Ritt, eine Stunde Führen am Zügel. Unaufhörlich musterte Louis mit wachen Augen den Horizont sowie das Land davor. Was er erwartete und wahrscheinlich genauso fürchtete, ereignete sich nicht. Größere Dörfer gab es hier nicht. Doch auch in den Weilern und Gehöften, fanden sie kein Leben mehr. Die plündernden Soldaten hatten Vieh und Geflügel gestohlen. Die Hofhunde hingen meist erschlagen an ihren Ketten. »Sklaven aus unserem Land werden auf den Märkten der Barbaresken sehr billig werden«, ahnte Roland. »Dafür werden wir mit aneinander geketteten Seeräubern dienen können, wenn die letzte Schlacht geschlagen ist, Herr!« Louis sagte genau das, was er ehrlich meinte. Je näher sie den Waldklippen kamen, wo Rolands alter Lehrer, der Einsiedler Klaus, lebte, desto besorgter wurde Rolands Miene. Louis wollte ihn trösten. »Kopf hoch, Herr«, sagte er. »Ich fürchte zwar auch, wir können weit weniger tun, als wir tun möchten. Andererseits aber geht es im Leben meist auch nur halb so schlimm zu, wie Menschenherzen fürchten.« Ähnlich wie Louis musterte Ritter Roland immer wieder das Land voraus bis zum Horizont. Die Barbaresken, welche Louis nach Camelot schaffen sollte, waren längst wach. Sie dauerten Roland. Auch so ein Heide hat Hunger und Durst wie jeder andere Mensch. Als sie durch eine
Waldstrecke kamen, zeigte Roland auf eine Lichtung. »Wir rasten hier. Treib sauberes Wasser auf und teile ihnen von unserem Mundvorrat zu.« Die dunklen Augen der Barbaresken funkelten begehrlich. Ganz klar, sie dachten an Flucht. Flackernde Furcht wohnte in ihnen. Sie bestanden von Kopf bis Fuß aus Haß gegen ihre Überwinder. Dennoch aber weigerten sie sich nicht und wehrten nicht ab, als Louis ihnen Brot und Wasser bot. Sogar Schweinespeck, ein Nahrungsmittel, das ihnen sonst denkbar verhaßt ist, aßen sie gierig. Louis hatte kein Feuer entzündet. Sie saßen am Waldrand. Die Pferde folgten dem Beispiel ihrer mahlzeitenden Besitzer und grasten. Dazu schnaubten sie. Man hätte glauben können, auf einer Koppel mit rings umher Ställen zu sein. Trotz dieser Feierabendstimmung blieb Ritter Rolands Mißtrauen wach. All seine Erfahrung lehrte ihn, gerade dann besonders aufmerksam zu sein, wenn mit ihm und um ihn nichts Bedrohliches geschah. Unversehens waren sie da. Es geschah so schnell, wie man eine Hand umdreht. Es war, als seien sie aus dem Boden gewachsen. Drei Dutzend Barbaresken bildeten einen lückenlosen Kreis um die zwei aus Camelot. Ihren Gesten und Mienen nach zu urteilen, konnte es nur Sekunden dauern, bis sie angriffen. Die Gefangenen begriffen diese Wendung zuerst. Da sie bis vor wenigen Sekunden gegessen und getrunken hatten, waren sie ungefesselt. Sie sprangen behend wie fliehende Hasen auf die Beine. Gemeinsam mit ihren Kameraden, welche die Cameloten einschlossen, fühlten sie sich ihren Bewachern nunmehr überlegen. Das zeigten sie ganz offen. Einer war in etwa der Landessprache mächtig. Er zeigte auf Roland. »Du Gefangener«, sagte er kehlig. Roland, der Held aus Camelot, dachte nicht daran, sich zu ergeben. Gegner in Überzahl hatten ihm noch nie imponiert. Die Barbaresken, welche sich angeschlichen hatten, griffen dreist nach den Zügeln der weidenden Pferde. Die Tiere sammelten sich instinktiv um Rolands Hengst Samum. Samum keilte heftig aus,
sobald eine braune Barbareskenfaust sein Zaumzeug berührte. Das Kopfrucken des starken Hengstes riß den diebischen Barbaresken glatt von den Beinen. Einen weiteren Räuber trafen die auskeilenden Hufe Samums voll gegen die Brust. Das gab einen Laut, als werde ein leeres Faß mit einem Daubenschlegel bearbeitet. Roland war behend auf die Füße gesprungen. Zugleich zog er sein Schwert. Das rasselte, als würde eine Schütte Erbsen auf ein scharf gespanntes Trommelfell geworfen. Der Stahl blitzte. Die Barbaresken verkannten die Lage gründlich. Sie glaubten, leichtes Spiel zu haben, doch sie hatten Unglück auf der ganzen Linie. Die Gegner, an die sie hier geraten waren, wogen einen starken Trupp normaler Soldaten auf. Louis gesellte sich seinem Herrn zu. Gemeinhin bevorzugte der Knappe Pfeil und Bogen als Waffe. Heute jedoch griff er zum Schwert. Im Gegensatz zu Ritter Roland verzichtete er auf den deckenden Schild. Statt dessen führte er in der Linken ein langes, breites Dolchmesser. Ein so gehandhabter Dolch heißt unter Kundigen »Klingenbrecher«. Er kann weit wirkungsvoller schützen, als ein Schild. Normalerweise hätte jemand, der einer solchen Übermacht gegenübersteht, sich auf Abwehr und Verteidigung beschränkt. Nicht so Roland. Nach dem ersten Klingenkreuzen und Schwertklirren, drang er von sich aus auf die Barbaresken ein. Er legte ein regelrech tes Flechtwerk von , Schwerthieben um sich. Knappe Louis schützte den Rücken sowie die Seiten seines Herrn. Stahl prallte auf Stahl. Immer wieder. Für die Barbaresken entsprach die Situation d«r gewohnten Lage. Sie griffen an. Kein Zweifel: sie würden Sieger bleiben. Doch es kam so ganz anders. Als erste fielen die für Camelot bestimmten Gefangenen Rolands starker Faust zum Opfer. In den schweren Panzerhandschuhen glichen Rolands Hände Rammböcken, die so lange gegen die Mauern prallten, bis eine Bresche entstand. Die kaum frei gewordenen Gefangenen brachen bewußtlos zusammen. Die Pferde drängten schnaubend heran. Sie nahmen die Gefangenen in die Mitte. Die Tiere folgten in jeder Weise dem
Beispiel, welches Samum ihnen gab. Die Seeräuber waren längst klug genug gewesen, zu den Pferden auf wirkungsvollen Abstand zu gehen. Diese Verblüffungssekunde nutzten Roland und Louis zu ihrem Vorteil. Sie drangen mit vermehrtem Eifer auf die Barbaresken ein. Ihre Schwerthiebe fielen hageldicht. Das galt für den Knappen genauso wie für Ritter Roland. Louis setzte seinen Parierdolch nicht nur als Klingenbrecher ein. Er stieß hierhin, stach dorthin und wurde mit der Linken ein ebenso guter Fechter wie mit rechts. Die Barbaresken feuerten sich mit wilden Zurufen an. Das Rezept wirkte nur eine kleine Weile. Dann gerieten sie zusehends auf die Verliererstraße. Stoß wechselte mit Schlag. Jeder Finte Rolands folgte ein Treffer. Nicht lange und von den Barbaresken waren nur noch zehn übrig. Die hoben plötzlich zögernd die Arme, ohne daß ihnen vorher jemand ein Kommando gegeben hätte. Sie gaben auf. Roland befahl Louis: »Binde sie! Sieh aber zu, daß es keinem gelingt, sich zur Unzeit zu befreien.« Louis lachte. »Keine Sorge, Herr! Ich habe von früher her den einen oder anderen nützlichen Kniff auf Lager. Dazu gehört auch, daß kein Mann, den ich gebunden habe, sich gegen meinen Willen freimacht.« Jetzt hatten sie über ein Dutzend Gefangene, die nach Camelot mußten. »Wirst du auch mit so vielen Männern fertig, Louis?« wollte Ritter Roland wissen. Der Knappe lachte. »Wenn mir so eine Geschichte über den Kopf wüchse, täte ich gut daran, den Beruf zu wechseln, Herr. Keine Angst! Ich bringe all heil ins Schloß und zum König. Gleichgültig, wieviel wir noch einsammeln werden, bis wir bei deinem verehrten Lehrer sind.« Es stellte sich heraus, daß die Barbaresken, welche sie hatten überfallen wollen, zu Pferde gekommen waren. So herrschte an Reittieren auch für die neuen Gefangenen kein Mangel. Und sie führten noch eine stattliche Menge Reservepferde mit sich fort. »Mir scheint, unser Unternehmen steht unter einem glücklichen
Stern. Bis zur Wegebiegung nach Camelot ist es nicht mehr weit.« Knappe Louis nickte zu den Worten seines Herrn. Er ahnte, daß Roland ihn gleich verabschieden würde, legte aber Wert darauf, das Zusammensein mit dem Ritter möglichst lange auszudehnen. »Wenn ich noch eine Weile bei dir bleibe, Herr, kann ich hinterher die Hauptstraße zur Küste benutzen.« Roland warnte. »Sei nur ja vorsichtig. Ehe du dich versiehst, bist du einem Trupp streifender Barbaresken in die Fänge geritten.« Louis grinste breit. »Da sei der Herr vor. Im übrigen werde ich es an der gebotenen Wachsamkeit gewiß nicht fehlen lassen. Weiß ich doch zu genau, daß des Wanderers Fuß nie schneller stolpert, als wenn er vor der Schwelle des heimatlichen Hauses steht.« Knappe Louis täuschte Roland nicht. Der wußte genau, daß Louis ihn nur aus Fürsorglichkeit nicht allein lassen wollte. Und sein Herz freute sich der Wärme, die in diesem Wesenszug steckte. Sie näherten sich den sogenannten Waldklippen, der Gegend, darinnen Klaus, der Einsiedler, hauste. Roland gab seinem Hengst Schenkeldruck. Samum trabte doppelt munter los. »Von hier aus gehe ich besser allein«, brummte Roland. »Gehab dich wohl, Louis. Gruß und Empfehlung an den König sowie an alle anderen in Camelot.« Roland hatte sich gewandt aus dem Sattel geschwungen. Der Weg in die Waldklippen wurde steil. Samum brauchte nicht geführt zu werden. Er lief sowieso ähnlich einem Hund hinter seinem Herrn her und achtete sorgsam darauf, daß er stets Tuchfühlung behielt. Knappe Louis hatte seinem Herrn Roland keinen Abschiedsgruß entboten. Mochte der Himmel wissen, was Louis trieb, als er spontan beschloß, dem Ritter zu folgen. Suchend spähte er umher. Er gewahrte eine Bucht in den Waldklippen. Die Deckung sehen und die Tiere dorthin treiben, war für Louis ein Ding. Es nahm ziemlich viel Zeit in Anspruch, die Gefangenen zu versorgen, das heißt, jeden einzelnen, fach- und sachgemäß zu
binden und zu knebeln. Hierbei war besonders darauf zu achten, daß die Gefangenen sich nicht auf irgendeine Weise einander nähern und dann gegenseitig zur Freiheit verhelfen konnten. Sobald das geschafft war, machte Louis sich auf den Weg, seinem Herrn zu folgen. Er schärfte Samum ein, auf die Pferde und auf die Gefangenen zu achten. »Vielleicht bilde ich mir alle Sorge nur ein, Samum! Vielleicht ist wirklich alles ganz harmlos, und ich bin bald wieder da. Aber selbst auf die Gefahr hin, daß mein Herr Roland ernsthaft böse auf mich wird, ich kann nicht anders, als jetzt an seiner Seite zu sein.« Guter Louis. Die Ahnungen trogen nicht. Das würde Ritter Roland in eben diesem Augenblick bestätigt haben. Roland war nämlich so nah, daß er die nähere Heimat seines alten Lehrers sah. Er machte auch Pferde aus. Prächtig aufgezäumte Barbareskenpferde. Tiere, wie sie in dieser Art nur die Leibwache Mahmud ben Osmadis, des Admirals und Oberbefehlshabers, zur Verfügung hatte. Roland legte warnend die Hand auf Samums Nüstern. Roland pflockte den Hengst seitlich des schmalen Weges in einem Gebüsch an. Dann ging er allein weiter. Er durchkletterte die Waldklippen so, daß er die Felsklippe des Einsiedlers von der Seeseite her sah. Da gewahrte er auch, was jetzt mit dem verehrten, alten Lehrer geschah. Sechs stämmige Seeräuber hielten den alten Mann gepackt. Ein besonders prächtig gekleideter Barbareske zeigte auf ein seitlich der Szene brennendes Feuer. Dazu sagte er: »Willst du endlich deinen Starrsinn ablegen, Christenhund und unserem Bassa, dem großen, ruhmreichen Mahmud ben Osmadi redlich dienen? Oder müssen meine treuen Diener dir nach der Bastonnade noch das Feuer zu kosten geben, auf daß dein Hochmut endlich gebrochen werde? Sage uns ein unterwürfiges Wort nur, sage, daß du uns freiwillig und in Reue zum großen Bassa Mahmud ben Osmadi folgst, dann sollst verschont bleiben von weiterer Qual.« Roland erkannte entsetzt, daß die Füße seines alten Lehrers von der Bastonnade zerrissen waren. Es würde lange dauern, bis der Einsiedler wieder normal laufen konnte.
Roland hielt es nicht mehr in seinem Versteck. Er preschte lautlos vor bis zum Blockhaus und griff die Barbaresken an. * Was sie schrien, die braunhäutigen Eroberer, verstand Roland nur aus ihren lebhaften Gesten. Er war der Barbareskensprache nicht mächtig. Er würde auch nie den Ehrgeiz spüren, diese Sprache zu lernen. Doch er fühlte, daß er nicht mehr allein war. Ein Blick zur Seite belehrte ihn, daß Knappe Louis an seiner Seite stürmte. Im Lauf legte der Knappe Pfeil um Pfeil auf die Sehne. Spannte und schoß. Er traf mit nachtwandlerischer Sicherheit. Jeder Schuß kostete die Barbaresken einen Mann. Die Reiter an der Blockhütte gehörten zur Leibwache des Admirals. Das wurde auch dadurch deutlich, daß Roland keinen dieser Männer gewissermaßen mit einem Arm einfach zur Seite schob. Die Barbaresken ihrerseits nahmen den Strauß mit dem neuen Gegner bereitwillig und mit Wutgebrüll an. Roland stand ihnen hinsichtlich feurigem Temperament kaum nach. Die meisten Gegner, welche ausgeschaltet wurden, konnte Knappe Louis auf sein Konto buchen. Längst hatten die Männer, welche den mißhandelten Lehrer mit den Fußsohlen voran ins hell lodernde Feuer halten sollten, den alten Einsiedler losgelassen. Klaus erkannte die Situation richtig. Mochte er auch von Qual und Schmerzen durchwühlt sein, daß er kaum zu sprechen vermochte. Er erkannte seinen Schüler. »Roland!« Der Klang der vertrauten Stimme und die ganze Situation lenkten Roland für wenige Sekunden ab. Das genügte dem Anführer des Barbareskentrupps, um Rolands Schwertdeckung zu durchbrechen und ihn in blitzschneller Folge an vier, fünf, sechs Stellen zu treffen. Ohne die so vorzügliche Brünne wäre Roland verloren gewesen. Die Erkenntnis brachte Roland voll und sehr schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Er konzentrierte sich auf das, was jetzt getan
werden mußte. Er bildete sich ein, sein Freund Volker vom Hohentwiel stünde hinter ihm. Volker war ein Meister der Fechtkunst von ganz besonders hohen Gnaden. - Wenn du einem erfahrenen Mann gegenüberstehst, Roland, so begegne ihm in einer Weise, welche er den Fechtregeln nach nicht vermuten darf. Das klang in Rolands Ohr. Und er handelte entsprechend. Der Barbareskenführer war ein erfahrener Mann. Doch daß jetzt Roland mit einem Rundschlag weitermachte, das ging wahrhaftig gegen jede Regel. Das Mittel half. Roland hatte Gelegenheit, seine Schwertklinge in den Säbelkorb des Gegners zu klemmen und ihm so den Handschar, den türkischen Säbel mit der unten breiteren, scharfen Klinge, aus der Faust zu winden. Roland setzte sofort nach. Der Barbareske starrte noch dem davonschwirrenden Säbel nach, als er bereits auf der Erde lag und nicht hätte sagen können, wie er zu Fall gekommen war. Roland setzte dem besiegten Feind den im Kettenpanzer steckenden Fuß auf die Brust. Der Barbareske funkelte ihn aus zornigen Augen an. »Sage, daß du um Gnade bittest«, verlangte Roland. Er fühlte, wie jemand ihn berührte und seinen Arm festhielt. Es bedurfte keiner Frage, um ihm zu sagen, wer das war. Eine wohl bekannte Stimme raunte ihm zu: »Du würdest es bereuen, ehe die Sonne die nächste Reise beginnt, Sohn.« Da hatte doch Einsiedler Klaus, dieser unbeschreiblich zähe Mann, die kaum zu beschreibenden Schmerzen der Bastonnade einfach abgeschüttelt, war zu seinem Schüler gehumpelt und hielt jetzt seinen Arm fest. Knappe Louis sprang gewandt hinzu. Der Einsiedler aber wehrte jeden Bestand ab. »Was mir fehlt, kann durch Pflege und Waldkräuter schnell behoben werden.« Der Einsiedler zeigte auf die Barbaresken. »Bei denen hier geht das nicht mehr. Mögen sie alle unsere Feinde sein
und uns nichts Gutes gebracht haben, Menschen sind auch sie. Roland, gönne deinem Schwert eine Pause. Es hat sie verdient.« Das Feuer, mit dessen Hilfe die Barbaresken den Willen des Einsiedlers hatten brechen wollen, brannte nieder. Jetzt erst sahen Roland und sein Knappe, daß mit der Einsiedlerhütte kein Staat mehr zu machen war. Das Dach fehlte. Der alte Klaus erklärte diesen Mangel. »Eines Tages kamen Plünderer. Sie suchten den Schatz des Leart of Caind.« Leart of Caind. Bei dem Namen fiel Roland Mirinda ein. »Weißt du, was aus der Tochter des Learts geworden ist?« Der Einsiedler wich Rolands Blick genauso aus, wie er die Frage unbeantwortet ließ. »Willst du diesen Mann da nicht endlich aufstehen lassen, Roland?« Da nahm Roland den gewappneten Fuß von dem besiegten Barbareskenfeind. Sekunden später legte er den Arm um die Schultern des Einsiedlers. Roland hatte in Klaus immer so eine Art Vater-Ersatz gesehen. Knappe Louis band den Anführer der Barbaresken. Der Mann war als einziger übriggeblieben. »Wenn wir so weitermachen, müssen wir eine ansehnliche Pferdeherde heim nach Camelot treiben, Herr.« Das sagte Louis. Roland ließ den Einsiedler nicht los. Der Alte war von beklagenswerter Dürre, was die Körperlichkeit betraf. »Hör zu, Louis. Ich werde meinen Lehrer jetzt ins Haus tragen, um ihn zu untersuchen. Du bereitest inzwischen ein Pferd oder auch deren zwei so vor, daß sie mir beim Abtransport dienlich sein können.« Knappe Louis hatte eine Gegenfrage. »Wäre es nicht gut, wir ritten alle gemeinsam nach Camelot?« Ritter Roland schüttelte heftig den Kopf. »Dazu habe ich noch viel zu wenig von des Königs Auftrag erfüllt, Louis. Ich muß weiter unterwegs sein und die Augen offenhalten.
Berichte der Majestät, was sich hier draußen tut. Sage, es sei Vorsicht geboten wie schon lange nicht mehr. Sage, die Feinde rückten von mehreren Seiten in unseren Machtbereich. Die Majestät möge jeden Schritt und jeden Zug lange bedenken. Es ist kein leichter Strauß, den uns dieser Gegner anträgt.« »Ich will gewiß kein Wort vergessen, Herr. Doch es wäre mir lieber, du selber würdest dem König Meldung machen. Gerade jetzt, so kurz vor dem Jubiläumsfest macht es kaum Freude, Bote einer schlechten Zeitung zu sein.« Roland entschied sich kurz. »Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe, Louis. Ich bringe meinen väterlichen Freund und Lehrer dorthin, wo Ritter Volker und Knappe Pierre warten.« »Soll ich dann aus Camelot vielleicht Verstärkung holen, Herr?« Roland schüttelte den Kopf. »Nicht nötig, Louis. Wir vier sind, wie ich glaube, Schwertarme genug.« Anscheinend hatte Louis geargwöhnt. Roland könne ihm befehlen, am Königshof zu bleiben. Das würde ihm bei dieser Sachlage überhaupt nicht gefallen haben. Plötzlich hatte er es mit dem Aufbruch eilig. Je eher er Camelot erreichte, desto eher war er zurück. »Ich mach so schnell ich kann, Herr!« Er beförderte den Überlebenden aus Mahmud ben Osmadis Leibwache im Handumdrehen zu den Gefangenen. Wer Louis betrachtete, mußte immer wieder staunen, welch eine Kraft in dem doch eigentlich recht kurz gewachsenen Körper steckte. Er lud sich den Barbaresken auf, als sei der zappelnde Mann ein Sack Getreide. Dann koppelte er die Pferde so aneinander, daß ihm kein Stück verlorenging, sofern der Heimritt normal verlief. Wenn jedoch unvorhergesehene Ereignisse eintraten, so würde er dem König und später seinem Herrn Roland den Verlust der Beutepferde erklären müssen. Denn, da die Tiere aneinander gebunden waren, mußten sie zwangsläufig folgen, wenn eines von ihnen aus der vorgeschriebenen Bahn dirigiert wurde. Knappe Louis bastelte aus zwei Barbareskensätteln so etwas wie
eine Sänfte. Das Tragegestell hing zwischen zwei Pferden. Bei dem Rückritt zum alten Kastell würde Roland also außer auf seinen Samum auch noch auf zwei andere Pferde zu achten haben. »Das hast du schön gemacht«, lobte Roland seinen Knappen. Er hatte seinen alten Lehrer versorgt. »Es sieht böse aus. Man sollte nicht glauben, was so ein Dutzend Stockschläge aus gesunden Fußsohlen machen können.« Des Klausners Füße waren bis zu den Waden fest verbunden. Wenn der starke Geruch nicht trog, so mußte die Salbe unter den Verbänden wirklich eine starke Heilwirkung haben. Der Einsiedler erholte sich von Minute zu Minute mehr. Selbst die sonst so harten Augen des Knappen Louis bekamen einen Schimmer von Mitleid, wenn ihr Blick auf den mißhandelten Mann fiel. »Für alles werden sie zu bezahlen haben, die Eroberer aus der Barbarei.« Einsiedler Klaus fühlte sich kräftig genug, an der Unterhaltung teilzunehmen. »Ich habe dir nicht geschrieben, damit du dich um mich kümmern sollst, Sohn. Es geht mir um das arme Volk und seine Not.« »Dem kann ich allein sowieso leider nur wenig helfen, Vater.« Einsiedler Klaus widersprach heftig. »Sage das nicht. Seit deinem Aufbruch aus Camelot hast du dem Feind beträchlichen Schaden zugefügt. Vor allem hast du mit dem Irrglauben aufgeräumt, den Barbaresken gelinge alles, und wir seien glatt verloren. Die Menschen sehen, daß auch die Fremden verwundbar sind, und sie schöpfen neuen Mut.« Ritter Roland fand wahrscheinlich, sein alter Lehrer lobe ihn zu stark. Er wollte den Einsiedler ablenken. »Was wollten sie eigentlich heute bei dir, Vater?« Der alte Klaus streichelte seinen Bart. »Nun, sie wollten einmal mehr herausfinden, ob der Leart of Caind nicht doch seinen Schatz bei mir versteckt hat, wie manche behaupten. Übrigens, ist Richard unversehrt nach Camelot gekommen?« »Er wurde verwundet, Vater. Aber er hat gute Pflege und wird
wieder gesund werden.« Hatte der Einsiedler etwa Furcht, Roland könne wieder nach der Tochter des Learts fragen? Jedenfalls erzählte er so hastig weiter, was die Barbaresken heute gewollt hatten, daß man sehr wohl den Eindruck gewinnen konnte, hier solle etwas vertuscht werden. »Ja, und dann verlangten sie natürlich auf ihre brutale Weise, ich sollte den Eid auf den Admiral ablegen. Zu diesem Eid seien alle Geistlichen im Lande verpflichtet. Ich konnte ihnen nicht klar machen, daß ich nicht zum geistlichen Stande gehöre, obwohl ich als Eremit lebe.« »Deshalb die Bastonnade?« erkundigte sich Roland. »Ja, Sohn. Daher waren sie auch drauf und dran, meine Füße über dem Feuer zu rösten ... bis der Himmel - Gottlob - ein Einsehen hatte und dich daher schickte.« »Ist noch irgend etwas von Wert in der Hütte?« Der Einsiedler schüttelte den Kopf. »Du kennst die karge Einrichtung. Ich glaube nicht, daß sie Plünderer anlockt. Von mir aus können wir also aufbrechen.« Ritter Roland verhalf dem Einsiedler zu bequemem Sitz in dem Tragegestell. Zusammen verfolgten sie den Aufbrach des Knappen. Louis prüfte erst sorgsam den Wind. Dann setzte er sich an die Spitze der Herde. Die Pferde mit den Gefangenen trabten mitten in dem Knäuel. Die leichten Barbareskenpferde trugen ganz dünne, Eisen. Sie machten kaum Lärm. Bald war Louis in den Waldringen unter den Klippen verschwunden. »Hoffentlich erreicht er das Schloß heil«, hörte Roland den Einsiedler murmeln. In dieser Hinsicht hatte Roland kaum Befürchtungen. »Wenn einer es schafft, dann Louis. Der ist mit allen Wassern gewaschen. - Nun wird es Zeit, daß auch wir heim kommen.« Roland vergewisserte sich, daß nichts vergessen worden war. Dann schwang er sich auf Samum. Der Hengst schnaubte, als freue er sich, Roland wieder zu spüren. Der Einsiedler seufzte und sagte: »Von dort, wo dein Knappe
hingeritten ist, leuchtet Feuerschein.« Roland beruhigte den alten Mann. »Schau nicht hin! Louis weiß sich in jeder Lage zu helfen. Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen.« Roland trieb Samum leicht an. Der Hengst legte Tempo zu. Die beiden Pferde, die den Einsiedler trugen, hielten nur mühsam Schritt. * Das Kastell wirkte in der Dunkelheit wie ein gewaltiges Tier, welches sich auf einer so gut wie unendlichen Wiese zur Nachtruhe hingelegt hat. Bis jetzt waren sie keiner Menschenseele begegnet. Nun aber regte sich etwas in den Büschen. »Ha«, rief eine wohlbekannte Stimme. »Da hätte ich doch um ein Haar meinen guten Herrn Roland für einen Barbaresken gehalten.« »Macht nichts, Pierre. Du hast mir somit einmal mehr bewiesen, wie wachsam du sein kannst. Klaus, wir stehen vor Pierre, meinem zweiten Knappen. War irgendwas Besonders los, Pierre?« »Gottlob nein, Herr. Da es hier nur einen Zugang gibt, habe ich es durchgesetzt, daß Ritter Volker sich hingelegt hat. Es ist alles ruhig geblieben.« Der Knappe wollte helfen. Die Pferde hatten ihre liebe Not, das Tragegestell mit dem Einsiedler über den engen Weg hochzubalancieren. »Soll ich helfen?« »Nicht nötig. Gib nur weiter gut acht.« Sie ließen den Knappen allein. Wenig später waren sie in dem alten Steinhaus. Klaus schien den Bau zu kennen. »Der alte Zollturm«, murmelte er. Volker vom Hohentwiel hatte einen so leichten Schlaf, daß er den Freund samt Begleitung an der Zugbrücke erwartete. Der Eremit und der Ritter vom Hohentwiel kannten sich. Die Begrüßung fiel herzlich aus.
»Die Männer, welche uns hierher gebracht haben, dachten so ziemlich an alles. Stünde dir nicht der Sinn nach einem guten Schluck Wein, Roland?« Roland warf seinem alten Lehrer einen Blick zu, als liege ihm an dessen Zustimmung zu solcherlei Beginnen. Einsiedler Klaus lächelte. »Nach dem, was der heutige Tag mir an Erlebnissen bescherte, könnte ich einen Schluck Wein sehr gut vertragen. Und du wirst nach einem oder zwei Humpen prächtig schlafen können, Roland.« »Meinst du? Nun, ich hoffe, es wird meiner Brauchbarkeit kaum Abbruch tun, wenn ich mir jetzt ein kleines Quantum Wein genehmige. Ist er denn gut?« Volker lachte. »Ich habe auf dich gewartet und noch nicht probiert. Moment, ich hole einen Krug.« Volker hatte Rolands Abwesenheit benutzt, sich über die im Kastell vorhandenen Vorräte zu orientieren. Unten auf dem nachtverschatteten Weg hatte in diesem Augenblick Knappe Pierre ein gar eigenes Erlebnis, dessen erste Sekunde ihm mächtig zusetzte. Er hielt viel auf sein gutes Gehör. Kaum waren Roland und Klaus in Richtung Haus verschwunden, plagte ihn das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Er ging gegen diese Empfindung an, indem er angespannt in die Dunkelheit spähte und zugleich horchte. Da wurde ihm, als lache jemand im dichten Gesträuch. Hell und glucksend. Der Laut blieb aber trotzdem leise. Mitten im angestrengten Horchen spürte Pierre etwas Weiches über seinen Kopf gleiten und sich um Hals und Nackenharnisch legen. Wie wild griff er nach dem unbekannten Etwas. Da wurde Knappe Pierre angesprochen. »Wäre ich ein Barbareske, brauchtest du dir jetzt nicht mehr die Mühe des Atmens zu machen, Knappe Pierre. Du heißt doch Pierre, nicht wahr?« Das unterdrückte, silberhelle Lachen verstärkte sich. »Du siehst
einem Schwein, das ins Wasser harnt, verzweifelt ähnlich, Knappe Pierre. Du hast wahrscheinlich strenge Weisung, niemanden durchzulassen. Bei mir und mit mir aber wirst du eine Ausnahme machen. Sonst bringe ich deinem Herrn bei, wie leicht du zu übertölpeln bist, kleiner Pierre.« Pierre war es erstens gelungen, sich des weichen Gegenstandes zu bemächtigen, der um seinen Hals geworfen worden, und zweitens hatte er erkannt, wem die Stimme gehörte, die da sprach. »Die Tochter des Learts.« »Richtig. Mirinda, die ihr durch den Findling kurzerhand zur Mutter gemacht habt. Magst du dein Findelkind sehen?« Es schien so, als wolle Knappe Pierre sich gegen dieses Ansinnen wehren. »Bei der Dunkelheit?« Die Leartstochter lachte. »Nacht oder Tag, das macht keinen Unterschied. Nachts mußt du deine Augen nur etwas länger an ihre Pflicht gewöhnen. Aber es geht gut, wenn du es erst kannst. Komm her!« Die letzten Worte klangen so zwingend, daß Pierre sich tatsächlich in Richtung Stimme bewegte. Und jetzt sah er die Frau. Sie drehte sich um. Da wurde Pierre klar, daß sie eine Kiepe aus Binsen auf dem Rücken trug. In der Kiepe schlief ein Kind. Sichtlich vertraut mit der Nähe und Wärme des Menschen, der ihn trug. Satt und zufrieden. »Siehst du? Das Ding ist so konstruiert, daß man es als Tragekiepe und zugleich auch als Wiege benutzen kann. Praktisch, nicht wahr?« »Und wer hat das gemacht?« »Ich natürlich. Ich habe das Gestell ausgedacht und auch selber geflochten.« Wenn das stimmte, verfügte die Tochter des Learts of Caind zumindest über geschickte Hände. »Hör zu, Pierre, dein Herr ist doch zurückgekommen. Wen hat er denn ins alte Zollhaus mitgebracht?« Pierre sah keinen Anlaß, aus der Anwesenheit des alten Einsiedlers
im Kastell ein Geheimnis zu machen. »Der Besuch heißt Einsiedler Klaus. Die Barbaresken haben ihm böse mitgespielt. Mein Herr kam in letzter Minute.« »Der Eremit aus den Waldklippen«, hörte Knappe Pierre die Frau murmeln. »Hm. Dann hat er für unsereins keine Zeit. Andererseits, wenn ich es recht bedenke, kann das sehr von Nutzen sein.« Ehe Knappe Pierre begriff, was geschah, hatte sich die Frau bereits abgesetzt. »Auf Wiedersehen.« Das klang aus den Büschen. Die Frau mußte Katzenaugen haben. Die Dunkelnacht schien ihr nichts auszumachen. Knappe Pierre überlegte und kam zu dem Entschluß, seinem Herrn die Heimsuchung zu melden. Er legte die Hände muschelähnlich an den Mund. Als er in die Hände blies, entstand ein Laut, der an den Balzruf der großen Ohreule erinnerte. Kurz darauf erschien Ritter Volker. Pierre berichtete, was geschehen war. »Die hat sich meinen Freund Roland in den Kopf gesetzt«, überlegte Volker laut. »Die Lage will mir nicht gefallen. Lauf hoch und sage Roland Bescheid, Pierre.« Der Knappe entschwand. Im Haus, welches von kleinen Öllämpchen und Kerzen gemütlich erhellt wurde, bekam Klaus dunkle Augen, sobald der Name der Leartstochter Mirinda fiel. »Welcher Art ist deine Verbindung zu diesem ... Wesen?« »Der Leartssohn ihn trug mir in Camelot eine Botschaft für seine Schwester auf. Ich tat, was meine Pflicht war, richtete die Bestellung aus, als sie mir zufällig begegnete. Mehr war nicht, und mehr wird niemals sein.« »Möge es der Himmel verhüten, daß du dich verbrennst, Sohn. Sie ist eine gar heiße Flamme. Hoffentlich findet sie Frieden. Daß sie genug Herz aufbringt, sich um ein Waisenkind zu kümmern, hätte ich ihr übrigens zu allerletzt zugetraut. Wer weiß schon, was wirklich in einem Menschen vor sich geht?« Knappe Pierre war wieder hinausgegangen, um Ritter Volker
abzulösen. Roland verpflegte seinen alten Lehrer erst einmal so richtig. Wie er Einsiedler Klaus einschätzte, hatte er seit dem Überfall der Barbaresken alle Lebensmittel, die ihm dargebracht wurden, an die hungernde Bevölkerung verteilt. »Louis, den wir vorhin unter den Waldklippen nach Camelot verabschiedeten, hat reichlich gekocht. Der heutige Knappe versteht sein Fach. Kommt da jemand den Pfad hoch?« Rolands feine Ohren hatten sich nicht getäuscht. »Hallo«, hörten sie die Stimme des Knappen. Der Knappe brachte offenbar jemanden an. »Seid ihr noch auf?« »Komm rein«, sagte Roland gelassen. Pierre schob Mirinda, die Tochter des Learts of Caind über die Türschwelle und ins Licht. »Sie hat was auszurichten. Und es duldet keinen Aufschub. Sagt sie ...« Mirinda stand ohne jede Verlegenheit vor den Männern. Wenn ihre Blicke nicht trogen, so zählte nur der Einsiedler Klaus für sie. Sie breitete die Hände aus, als wolle sie sich entschuldigen. »Ohne echten Grund wäre ich bestimmt nicht erschienen ... Aber ohne meine Warnung ...« Das Kind auf ihrem Rücken begann zu schreien. Pierre hatte nicht übertrieben. Ehe einer der Männer auch nur zu einer Frage kam, redete die junge Frau hastig weiter. »Eure Spuren mögen noch so sorgsam verwischt worden sein, ihr habt den Barbaresken zu viel angetan, als daß sie nicht Jagd auf euch machen müßten. Sie hatte das Kind aus der Kiepe genommen. Sie herzte es und sprach ihm zu. Sie mußte sich inzwischen voll dran gewöhnt haben, das Kleine in regelmäßi gen Abständen zu beruhigen. Als das Quengeln und Quarren nicht aufhörte, setzte sie auch die Kiepe ab. Jetzt sah man, daß das Tragegestell genau so gut als Wiege gebraucht werden konnte. »Ob ihr das einseht oder nicht, ihr müßt hier weg. Ich bin gekommen, euch den Weg zu zeigen.« Roland runzelte die Brauen. Er schnaubte, als habe er seinem
Hengst Samum einen Teil von dessen Pferdemanieren abgeguckt. Roland lag die Flucht weit weniger als der offene Kampf. Er hielt das Kastell für eine außerordentlich günstige Stellung. »Hier halten wir uns beliebig lang«, behauptete er. Mirinda sah ihn traurig an. »Es kommen ihrer so viele, daß kein Mensch sich gegen sie wehren kann. Auch du nicht. Kommt mit. In dem Gasthof, den ich kenne und wohin ich euch bringen will, seid ihr sicher.« Mirindas Miene gewann so etwas wie einen flehenden Ausdruck. »Ich will nicht, daß sie dich quälen und hängen, Köhlersbub.« Diese Anrede war zu vertraulich. Vor allem klang sie so, als habe es irgendwann in der Vergangenheit eine ernsthafte Verbindung zwischen Roland und der Leartstochter gegeben. »Und ich will nicht, daß du so mit ihm umgehst, Kind des Learts of Caind.« Das sagte Klaus hart. »Wann kommen sie her? Wann greifen sie an? Wieso weißt du über ihr Unternehmen Bescheid?« So fragte Roland. »Sie rücken schon an und werden da sein, ehe der Morgen erwacht. Mit dem Aufgang der Sonne wollen sie angreifen. Ich verfolgte ein Gespräch zwischen zwei Soldaten. Die gehören zur Leibwache ihres Admirals. Sie ritten voraus und sollen die nachfolgenden Truppen einweisen.« Mirinda war also der Barbareskensprache mächtig. Das wunderte Roland. Einsiedler Klaus klärte seinen ehemaligen Schüler über Zusammenhänge auf, welche Roland nicht wissen konnte. »Genaugenommen hat uns der Leart of Caind die Seeräuberplage auf den Hals geladen. Er trieb mit den Barbaresken so lange Handel, bis die ihren Hunger auf unser Land und unsere Waren nicht länger zurückhalten konnten. Mirinda hat ihrem Vater bei seinen Geschäften geholfen. Es heißt auch, sie sei drauf und dran gewesen, sich mit einem Barbaresken zu verloben.« Die Frau widersprach heftig. Sie war rot geworden bis unter das Haar. Mit heftiger Gebärde zeigte sie auf den Einsiedler. »So ein untadeliger Mann wie Klaus hat eine gar eigene Art, die Wahrheit zu
sagen. Es stimmt, was er vorbringt. Zugleich aber entspricht es trotzdem nicht den Tatsachen. Was mein Vater auch immer getan haben mag, er hat es mit unserer Heimat gut gemeint. Leider ist es ihm zum Übel ausgeschlagen. Und er hat seinen Preis bezahlt. Kann jemand mehr als ein Leben hingeben, Klausner?« Mirinda hatte dem greinenden Kind einen kurzen Stoffpfropfen in den Mund geschoben. Wahrscheinlich war dieser Stoff mit einer beruhigenden Flüssigkeit getränkt. »Ich fühle, sie sagt die Wahrheit, und es zieht tatsächlich eine Gefahr auf uns zu. Befolgen wir ihre Warnung. Verlassen wir dieses Haus. Es hat sowieso weit mehr Menschenleid und Menschenunrecht gesehen, als Häusern gemeinhin zugemutet wird.« Wahrscheinlich hätten Roland und Volker sich ohne die Äußerung des Einsiedlers nicht so schnell entschlossen, das Kastell zu verlassen. »Der alte Zollturm hier hat nur einen Zugang. Das heißt, er ist zwar leicht zu verteidigen. Doch ist es schwierig, ihn gegen einen ebenso überlegenen wie hartnäckigen Gegner über wirklich lange Zeit zu halten. So viel Lebensmittel, wie etwaige Verteidiger brauchen, können hier gar nicht eingelagert werden.« Roland wechselte einen Blick mit seinem Freund Volker. Dann nickte er. Mirindas Augen bettelten um ein wenig Beachtung und Verständnis. Roland aber bemühte sich, das Mädchen zu übersehen. »Dürfen wir dir denn die Last eines nochmaligen Umzuges zumuten?« wollte Ritter Roland von dem Einsiedler wissen. »Warum nicht, Sohn? Auch ich hänge am Leben, wie du siehst. Ich finde, wir sollten es den Barbaresken nicht zu leicht machen.« Was Klaus nicht sagte, war die Tatsache, daß es ihm bei dem Ratschlag, Mirindas Warnung zu beachten, hauptsächlich um seinen ehemaligen Schüler Roland ging. »Können wir in einer halben Stunde fertig sein, Pierre?« »Ja, Herr!« »Gut! Wir reiten in dreißig Minuten. Gib acht, daß nichts vergessen wird, was etwaigen Verfolgern Aufschluß über unseren
Verbleib geben kann« »Mach ich«, sagte Mirinda. Das hörte sich an, als habe Einsiedler Klaus der Learts-Tochter einen persönlichen Dienst erwiesen. * Eindsiedler Klaus bildete sich ein, die Waldklippen samt umliegendem Gebiet seit den Tagen seiner Jugend ganz genau zu kennen. In dieser Nacht lernte er um. Denn Mirinda führte die aus Mensch und Tier bestehende Gruppe über verschlungene Waldpfade, welche Einsiedler Klaus absolut fremd waren. Nur, daß sie sich immer weiter von der Küste entfernten, war. ihm klar, wenn er hoch zum Himmel schaute. Obschon die Sterne sich dort droben hinter leichtem Gewölk versteckten, wurden die Hauptorientierungspunkte wie Abendstern und großer Wagen hin und wieder sichtbar. Unmittelbar nach den Waldklippen kam eine ziemlich lange Strecke baumlosen Geländes. Der Boden bestand überwiegend aus Sand. Ungefähr so, als hätte es hier vor gar nicht langer Zeit Dünen gegeben. Nach der Sand-Zone kam wieder Wald. Ritter Roland hatte den Eindruck, sie bewegten sich Richtung Süden. Er konnte sich aber auch nicht vorstellen, welches Ziel Mirinda hatte. Die Learts-Tochter schien das Gebiet hier für sicher zu halten. »Wir brauchen nicht besonders vorsichtig zu sein. Hier verirrt sich selten ein Barbareske her. Ihr braucht also nicht zu flüstern und könnt euch ganz ungezwungen benehmen. Wir sind übrigens gleich da.« Das sagte Mirinda. Die Angabe stimmte exakt. Denn knappe fünf Minuten später glitzerte Licht durch das Waldesdunkel. Rötliche, matte Punkte. Vereint mit dieser Warhnehmung rochen sie auch den Rauch von Holzfeuern. Roland versuchte, sich zu erinnern, ob er das Gebiet nicht von gemeinsamen Wanderungen mit seinem Vater kannte. Dem war doch früher kaum ein Weg zu weit gewesen, um in den Besitz von Stämmen zu kommen, die sich zur Köhlerei eigneten. »Moment«, sagte Mirinda. Sie rannte wie ein Irrwisch davon. Der
Säugling auf ihrem Rücken schien sie bei ihren Bewegungen nicht zu behindern. Der Einsiedler hob die Hand. »Ich glaube, wir schreiten jetzt eine Weile etwas weniger geschwind daher.« »Ein Hinterhalt? Oder was fürchtest du sonst?« Volker vom Hohentwiel mischte sich in das Gespräch. »Vorsicht hat selten geschadet!« Volkers Hand lag am Schwertgriff. Es dauerte nicht lange, bis Mirinda zurückkam. Zwei Männer begleiteten sie. Offenbar Vater und Sohn. Der Jüngere hatte schnelle Bewegungen, die von Kraft zeugten. Mirinda zeigte auf Roland. Das sah jeder trotz der Dunkelheit. »Das ist er ... der Held, der uns vom Joch der Fremden befreien kann ... wenn wir ihm mit voller Kraft beistehen.« »Daran wollen wir es gewiß nicht fehlen lassen.« Die Stimme des Jungen verriet viel Feuer und Begeisterung. »Willkommen, ihr Herren«, sagte der Ältere. »Wir verharren in Bewunderung und Respekt vor euch, wenn auch nur die Hälfte von dem wahr sein sollte, was Mirinda allem Volke über euch erzählt hat.« Roland wollte abwinken. Das ließ Mirinda jedoch nicht zu. Ihre Stimme klang hell wie eine Fanfare. »Sie sind erst kurz im besetzten Gebiet, und dennoch haben sie den Barbaresken soviel Schaden zugefügt wie eine kleine Armee.« »Der mit Gottes Hilfe recht bald den Barbaresken zeigen möge, daß sie ins Meer gehören und nicht in unser Land. Kommt, tapfere Herren, nehmt mit unserer Gastfreundschaft vorlieb. Wir können nicht mehr ganz soviel bieten wie in normaler Zeit, aber das eine und das andere ist schon noch vorhanden. Wir teilen es gern mit euch.« »Du kannst dem Wirt Wingrim ruhig trauen. Er ist verläßlich. Das sage ich nicht von jedem!« Roland gab sich den Anschein, nichts gehört zu haben. Doch das Mädchen wich nicht von des Ritters Seite. Der jüngere Mann hatte sich zu dem Knappen Pierre gesellt. Er stellte sich vor. Das ließ erkennen, daß er Pierre für seinesgleichen
ansah. »Ich bin Rendelin und der Sohn Wingrims des Wirts. Deine Herren und du, ihr kriegt die besten Betten unter unserem Dach.« »Ich habe nur einen Herrn, und der heißt Roland«, korrigierte Pierre den Gastwirtssohn. »Sag an, habt ihr auch guten Wein im Keller?« »Das will ich meinen. Wie ich meinen Vater kenne, holt er zur Feier des Tages sogar eines der vergrabenen Fäßlein aus der Erde. Du verstehst? Was heutzutage in unserem Keller lagert, das ist nicht die erste Wahl. Warum sollte man die Barbaresken durch gute Gewächse anlocken? Die Kerle dürfen zwar weder Wein noch Met noch sonst was Herzstärkendes schlucken, wie es heißt, aber ich habe schon an der See stockbesoffene Barbaresken gesehen. Die Burschen saufen wie die Rastelbinder, sag ich dir. Laß mich nur machen, Kamerad. Der Vater kriegt von mir schon einen Hinweis. Dein Herr Roland ist doch auch kein Kostverächter, was den Wein angeht, oder?« »Das kann man wohl sagen, Freundschaft.« Knappe Pierre hatte das Gefühl, in Rendelin, dem Gastwirtssohn, eine verwandte Seele getroffen zu haben. Er hätte ehrlich gewünscht, Louis sei schon von seinem Ritt nach Camelot zurück, damit auch er sich freuen konnte. Sie hatten den Wald verlassen. Hier wuchsen Bäume und Büsche bis dicht vor die ersten Dorfhäuser und Hütten. Wirt Wingrim entriegelte ein klobiges Hoftor. Die Angeln waren auffallend gut geschmiert. Sie gaben jedenfalls keinen Laut von sich, als das Tor geöffnet wurde. Die Pferde trabten in einen stattlichen Hofraum, der von Wohnhaus, Gasthof, Stallungen und Vorratsbauten umgeben wurde. Mit einem Male war Mirinda, die Learts-Tochter, verschwunden. Roland hatte kein einziges Mal direkt das Wort an sie gerichtet. Niemand achtete auf sie. Abgesehen von Rendelin, dem Jungwirt. Der flüsterte dem Knappen Louis zu: »Sie ist schonwieder fort!« »Wer sie?« »Na, die Mirinda. Bestimmt schaut sie wieder nach dem süßen
Schreihals von Kind. Ob das wirklich ein Findelkind ist, wie sie behauptet? Oder ist sie die Mutter? Wenn man sie so beobachtet und weiß nicht genau Bescheid, könnte man glauben, es war von ihr.« Pierre lachte. »Gefällt sie dir, die Mirinda? Wenn das so ist, kann ich dich beruhigen. Das Kind, das sie pflegt, ist wirklich ein Findelkind. Ich weiß das genau. Ich hab nämlich das Kleine aus dem Arm seiner erschlagenen Mutter geborgen und mußte dabei ziemlich viel Kraft aufbringen. Da staunst du, was?« »In Zeiten wie in diesem Krieg ist wohl nichts unmöglich«, murmelte der Gastwirtssohn. »Ich glaub', wir werden bei den Rössern gebraucht.« Rendelin begann, ohne besondere Aufforderung, die Pferde abzuschirren und zu versorgen. Die Tiere, vorab Samum, genossen das frische, kühle Brunnenwasser und den goldgelben Hafer. Nach dem Striegeln wurde den Pferden dann noch duftendes Heu in die Krippe gelegt. Im Wirtshaus war Wingrim ziemlich unglücklich, weil seine Gäste die angebotenen Speisen glattweg ausschlugen. Nur dem Met und später dem Wein sprachen sie zu. Sogar Einsiedler Klaus stieß einmal mehr mit den Anwesenden an. Von Mirinda, der LeartsTochter, war nichts mehr zu hören und zu sehen. Niemand erkundigte sich nach dem Mädchen. Roland überließ es seinem Freunde Volker Wirt Wingrim und seiner Frau von ihren bisher erlebten Abenteuern im besetzten Gebiet zu erzählen. Darüber ein Lied vorzutragen, wie es sonst seiner Art und Neigung entsprach, lehnte Volker vom Hohentwiel ab. »Der Gesang kommt nach der letzten Schlacht, meine Freunde. Hoffentlich darf ich mein Lied bald vortragen.« Wirt Wingrim verkündete die Meinung und die Angst der kleinen Leute, des einfachen Volkes, wenn er fragte: »Was unternimmt König Artus gegen die Eroberer? Sind die Fremden nicht viel zu mächtig für ihn? Kann er sich auf eine entscheidende Schlacht einlassen?«
Wingrims Blicke hingen an Rolands Lippen. »Er kann«, sagte Roland überzeugt. »Er kann und wird.« »Und wann? Nicht, daß ich eine besonders ängstliche Natur wäre, Herr, aber langsam würde es Zeit, daß unserereiner ein Stücklein Hoffnung fände, das ihn zuversichtlich macht.« »Den Zeitpunkt müssen wir dem König überlassen. Er allein weiß, welche Hilfsmittel er einsetzen kann.« »Steht dem König denn noch mehr Macht zu Gebote, als wir im Land wissen?« Roland nickte. »Viel mehr!« Es kam so, wie Rendelin Pierre gegenüber gesagt hatte. Nach einer Weile empfahl sich Gastwirt Wingrim und kam nach wenigen Minuten mit zwei Krügen wieder, an welchen noch Erde hing. »Das ist für euch, als unseren lieben Besuch, ihr Herren! Rendelin, trag Humpen auf.« Der Gastwirtssohn richtete es geflissentlich so ein, daß er neben Pierre saß. Der Wein schmeckte. Wahrscheinlich hatte Gastwirt Wingrim seinen besten Vorrat in Angriff genommen. »Was ich sagen wollte«, begann Rendelin. Er drehte seinen Humpen und betrachtete die Muster des Zinngusses. »Hat dein Herr Roland feste Absichten?« Pierre wußte sofort, was und wen Rendelin meinte. »Bei der Leartstochter? Aber doch nicht mein Herr, der Ritter Roland! Gefällt sie dir denn ... diese Mirinda?« Rendelins Augen wurden schwärmerisch. »Sie ist das schönste weibliche Wesen, das ich kenne. Sie himmelt den Ritter Roland an. Für mich hat sie noch nie einen Blick gehabt.« Pierre bewegte die rundlichen Schultern, als jucke ihn etwas. »Mach dir nichts draus, Rendelin. Es fällt unsereinem meistens schwer, die Frauenzimmer zu verstehen. Da helfen nur Geduld und Ausdauer.« Rendelin hielt Pierre den Humpen entgegen. »Auf dein Wohl, Pierre. Und schönen Dank für die Auskunft. Das gibt mir neuen Lebensmut.«
Gastwirt Wingrim tat so, als sei es abgemachte Sache, daß die Männer aus Camelot im Dorf und in seiner Wirtschaft blieben. Er schwärmte ihnen vor, wie gut die Jagd hier sei. »Die Jagd auf Reh und Rotwild haben auch die Eroberer nicht verderben können. Und erst die Bärenhatz! Da werdet ihr staunen, ihr Herren!« Roland lachte. »Nur werden wir längst nicht mehr da sein, wenn im Winter die Jagd auf Meister Petz beginnt. Bis dahin müssen wir auch die Barbaresken überwunden haben, wenn es was taugen soll. Trotzdem Dank für deine gute Meinung, Gastwirt.« Sie gingen nach dem vierten Humpen Wein schlafen. Jeder hatte ein eigenes Zimmer. Roland riß die Fenster auf, nachdem er allein war. Er entledigte sich restlos aller Kleidung, bevor er unter die leichten, warmen Decken kroch. Der Gastwirt hatte sehr wohl eine Ahnung von wirklich guten Dingen. Die Decken hier bestanden aus fein gezupfter, doppelt gereinigter Schafwolle. Die war besser als die schönsten Daunen, was die Wärme betraf. Roland war kurz vor dem Einschlafen. Da hatte er die Ahnung, jemand käme in seine Kammer. Er richtete sich auf. Der bunte Vorhang vor dem Fenster bewegte sich ganz leicht. Roland gewahrte die Umrisse einer unverkennbar weiblichen Gestalt. Ehe er seinem Ärger über die Störung Luft machen konnte, war der helle Schatten bereits bei ihm. Eine Hand, schmal und hart, legte sich über seinen Mund. Die zweite Hand mit dem dazu gehörigen Arm legte sich um Rolands Schulter. Er spürte die Spitzen fester, kleiner Brüste. Die Haut des Wesens, das da so unerwartet aufgetaucht war, roch wie ein ganzer Sommergarten. Eine fiebrig heiße Stimme hauchte in Rolands Ohr: »Ich habe dir doch gesagt, daß du mir gehören wirst, Köhlersbub! Warum wehrst du dich gegen mich? Viele Männer gäben viel darum, wenn ich so zu ihnen käme, wie ich jetzt bei dir bin.« Roland machte sich frei. Es kostete ihn nicht einmal besondere Überwindung. Er hielt das Wesen fest, das nicht in seine Kammer und erst recht nicht in sein Bett gehörte.
»Das ist möglich, Mirinda. Aber was mich angeht, so will ich nichts mit dir zu tun haben.« Er sah die ganze Schönheit des Mädchens. Die langen Schenkel. Den flachen Leib. Den geheimnisvoll schattigen Schoß. Die großen Augen. Doch er wurde nicht schwach. Die Frau glaubte, sie könne seinen Protest und seine Abwehr einfach zur Seite schieben. Sie suchte noch engere Tuchfühlung mit ihm. Da sprang Roland aus dem Bett. Er packte das Mädchen und trug es zur Tür. »Wenn dir meine Weigerung nicht genug ist und du keine Ruhe gibst, werde ich grob«, versprach er. Ihr dämmerte, daß sie ihr Ziel nicht erreichen würde. »Magst du etwa keine Frauen? Hat dich das Ritterleben so verdorben, daß ...« Der jungen Frau erstarb das Wort im Halse. Roland hatte sie hart gepackt. Seine Grobheit ließ sie ernüchtern. Er sagte leise, aber unverkennbar scharf: »Ich habe nichts gegen Frauen. Im Gegenteil. Aber ich mag dich nicht. Dich ganz speziell, Learts-Tochter.« Sie gab noch immer nicht auf und streckte ihm sehnsüchtig Hände und Arme entgegen. »Ich schenk dir alles Glück, das ein Mann sich von dieser Welt erwünschen kann ... wenn du mich lieb hast! Ich teile sogar den Schatz meines Vaters mit dir! Das große Versteck, welches nicht einmal mein Bruder kennt, ist für mich kein Geheimnis.« Roland riß die Kammertür auf. Er schob die Frau aus dem Raum. »Geh! Ich will nichts mit dir zu schaffen haben.« Da begriff Mirinda, daß sie verloren hatte. Ein Schluchzen brach aus ihr. Bitterliches Weinen folgte. »Das wirst du bereuen, Köhlerbub! Du wirst dich nach mir in Sehnsucht verzehren, aber ich versage dir alle Erfüllung! Ich hasse dich, so wahr ich die Tochter des Learts of Caind bin! Sei verflucht!« * Trotz aller Heftigkeit blieb die Auseinandersetzung ohne Zeugen.
Roland hielt das Erlebnis für unwichtig. Er erzählte nicht einmal seinem Freund Volker davon. Am nächsten Tage streiften sie nach dem Frühstück durch den Wald. Rendelin begleitete sie. Er machte sie auf alles aufmerksam, was er für sehenswert hielt. Der Wirtssohn kannte den täglichen Rhythmus seines Elternhauses genau. So kehrten sie pünktlich zur Mittagszeit in den Gasthof zurück. Wirt Wingrim ließ das Beste aus Küche und Keller auftragen. Mirinda, die Learts-Tochter, bekamen sie nicht zu Gesicht. Sie war Roland auch nicht wichtig genug, nach ihr zu fragen. Die Tischgespräche hatten den Einfall der Barbaresken zum Thema. »Sie suchten schon früher unsere Küste heim. Doch sie sind noch nie in derartigen Massen aufgetreten. Vor allem hatten sie keine solche Heeresmacht dabei, wie sie jetzt gegen Camelot und die Grenzen unseres Königs marschiert.« Klaus, der Einsiedler, fühlte sich schon wieder kräftig genug, mit am Tisch zu sitzen. »Vielleicht gehört der Einfall der Eroberer zu den Strafen, welche der Himmel über uns verhängt hat«, sagte er leise. Niemand antwortete. Verständlich. Wer sieht sich schon gern im Mittelpunkt überirdischer Vergeltungsmaßnahmen? Der Tag ging hin. Nachmittags stellte der Wirt Wingrim einen Würfelbecher auf den Tisch. Bald rollten die Würfel. Roland und Volker hatten rote Köpfe. Sah es anfänglich so aus, als sei Wingrim, der Wirt, der Gewinner, so wandte sich doch das Blatt. Das Geld wanderte erst zu Volker vom Hohentwiel und danach zu Ritter Roland. Das Spiel nahm sie so stark gefangen, daß die rundliche Wirtsfrau die Männer fast tätlich von den Würfeln trennen mußte. »Schluß mit dem Sturm auf die Fortuna«, sagte sie laut und energisch. »Jetzt kommt das Abendbrot auf den Tisch. Ich wünsch guten Hunger.« Von Mirinda und dem Kind, welches sie betreute, war nichts zu sehen und zu hören.
Der Abend schenkte ihnen einen besonders schönen Sonnenuntergang. Genau in dieser Stunde setzte Westwind ein. Er brachte den Geruch der freien See mit. Würfelspiel und Humpenkreisen machten die Männer müde. Sie begaben sich früh zur Ruhe. Gastwirt Wingrim hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wieso Dorf und Wirtshaus bisher von Barbareskenheimsuchungen verschont geblieben waren. Er nahm die Gegebenheiten hin, wie sie waren und widmete alle Dankbarkeit, die er zu empfinden vermochte, dem gnädigen Geschick. »Gute Nacht, die Herren«, wünschte er. Die Nacht kam. Der Mond zog auf. Dorf und Gasthaus lagen in tiefer Ruhe. Gelegentlich heulte ein Hund. Auch Wingrims Wirtshof besaß einen Hund. Doch der meldete sich nicht. Es mochte gegen Morgen sein, als ein schier endloses Band von Schatten auf wendigen Pferden ins Dorf sprengte. Die Hufe der Tiere mußten mit Stoff oder mit sonst etwas Dämpfendem umwickelt sein. Jedenfalls war kein Laut dieser nächtlichen Invasion zu hören. Sogar die Hunde im Dorf merkten nichts. Dem Hofhund, der in Wingrims Gasthaus dösend vor der Hütte lag, bekam seine Schläfrigkeit schlecht. Denn kaum daß aus den Schatten auf den schnellen Pferden bis an die Zähne bewaffnete Barbaresken geworden waren, schnitt eine braune Faust mit scharfem Dolch dem armen Hundetier die Kehle durch. Der Gastwirt Wingrim starb beinahe zur nämlichen Zeit. Alles, was sonst noch zum Gasthof gehörte, wanderte sehr gegen seinen Willen ins Jenseits. Als ein Gebrüll ertönte, als sei ein hungriger Löwe ausgebrochen, war es auch für Ritter Roland und seine Camelotenfreunde viel zu spät. Roland entdeckte den Besuch erst, als seine Hände und Füße schon in Stahlfesseln lagen. Dagegen kam selbst Rolands Riesenstärke nicht an. Sobald er seine Hilfslosigkeit erkannte, richtete er sich auf und schrie derart laut, daß die Barbaresken in Panik zurückwichen.
Es war den Barbaresken nicht allein gelungen, Roland zu überwältigen. Sie hatten auf ähnliche Weise auch Volker vom Hohentwiel sowie den Knappen Pierre kaltgestellt. Es roch nach Tod im vordem so friedlichen Gasthof. Rendelin war als einziger von Wingrims Familie noch am Leben. Roland war entschlossen, selbst jetzt, wo doch alles gegen ihn stand, nicht nachzugeben. Zwei stämmige Barbaresken wollten ihn aus dem Zimmer schieben. Roland rannte dem einen mit gesenktem Kopf einfach gegen den Leib. Dem anderen sprang er mit beiden Füßen auf den Körper. Die Barbaresken hatten genug. Doch sie gaben deswegen nicht auf. Sie warfen Roland ein Seil über den Kopf. Da seine Hände gefesselt waren, vermochte er das Tau nicht abzustreifen. Jetzt hatte der Ritter aus Camelot die Wahl, entweder nachzugeben und friedlich dorthin zu gehen, wohin die Barbaresken wollten oder aber zu ersticken, als hinge er am Galgen. Nicht lange und sie hatten ihn aus dem Haus. Im Hof traktierten sie ihn erst einmal mit langen Peitschen. Diese Instrumente wurden in der Barbarei hauptsächlich zum Antreiben von Kamelen benutzt. Roland merkte sehr wohl, daß diese Strafe über ihn verhängt worden war, um ihn zu demütigen und seinen Willen zu brechen. Darum tat er dem Feind nicht den Gefallen zu schreien. Stumm ertrug er selbst den größten Schmerz. Ähnlich wie Roland wurde auch Volker vom Hohentwiel und Knappe Pierre mißhandelt. Als die Eroberer des Prügelns müde wurden, trat unversehens ein Mann auf den Hof, den Ritter Roland in dieser Umgebung zuletzt zu sehen erwartet hatte. Ein Mann, groß und klobig wie ein Elefant. Chalid Batuta, dessen gleichfalls riesenhafter Bruder Ali als einer der ersten Barbaresken Rolands Schwert zum Opfer gefallen war. Es erwies sich, daß Chalid der Landessprache in etwa mächtig war. Jedenfalls sprach er mit kehliger Stimme die Cameloten an. Damit verriet er zugleich, welches Schicksal auf die Männer König Artus' wartete.
»Wir werden kämpfen... Du und dann du ... Den da kann mein Pferdeknecht haben. Eßt gut. Trinkt gut. Gegen mich braucht ihr Kraft.« Er zeigte zuerst auf Roland, danach auf Volker vom Hohentwiel, und zuletzt deutete sein ungeschlachter Finger auf den Knappen Pierre. Roland witterte eine Gelegenheit, den Unbilden der unglücklichen Situation vorzeitig und schnell zu entkommen. »Tragen wir es jetzt und hier aus, großer Held?« fragte er. Ein verächtliches Lächeln umspielte Chalid Batutas volle Lippen. Er befahl den Barbaresken mit den Peitschen barsch: »Gebt ihm was auf sein Fell. Er soll lernen, daß er unsereinen nur anzusprechen hat, wenn er dazu aufgefordert ist.« So bekam Roland erneut Schläge. Es war ein wahrer Segen, als sie endlich aufbrachen und das Dorf wie den Gasthof verließen. Alle Menschen, die in dem Weiler gewohnt hatten, lebten nicht mehr. Einsiedler Klaus hatten die Barbaresken genauso verschont wie die Ritter aus Camelot und den Wirtssohn Rendelin. Der sollte als Sklave verkauft werden und so dem Barbaresken, der ihn verschont hatte, gutes Geld bringen. Der Zufall fügte es einmal mehr, daß Rendelin neben den Knappen Pierre stolperte, als sie wie Vieh fortgetrieben wurden. »Wo ist eigentlich die Learts-Tochter?« flüsterte Pierre. Er machte sich seine eigenen Gedanken über Mirinda. Irgendwer mußte den Eroberern ja schließlich den Hinweis gegeben haben, wo Ritter Roland und seine Freunde zu finden waren. Die Barbaresken gingen mit ihren Gefangenen alles andere als zimperlich um. Chalid Batuta sahen sie erst wieder, als ihnen der Riese weit außerhalb des überfallenen Dorfes entgegenritt. Er saß auf einem Pferd, das gut doppelt so groß war wie normale Pferde. Ungefähr auf der Höhe des Klippenhauses, welches Roland »Kastell« und der alte Einsiedler »Zollturm« genannt hatte, warteten Wagen. Die Gefangenen mußten die Karren besteigen. Das war
besonders für den Einsiedler gut. Denn Rolands Lehrer machten die mißhandelten Füße sehr zu schaffen. Roland merkte genau, daß Chalid Batuta immer wieder Volker vom Hohentwiel und ihn selber verstohlen musterte. Ganz offenkundig hatte der riesenhafte Barbareske in ihnen seine eigentlichen Gegner erkannt. Der Feind war vorsichtig. Kaum hatten die Gefangenen auf dem Wagen Platz gefunden, warfen sie große, feinmaschige Netzte aus Metall darüber und befestigten sie am Karrenholz. Auf diese Weise wurde jedes Entkommen vereitelt. Andererseits hatte das Netz aber den Vorteil, daß sie nicht mehr von den Peitschen getroffen werden konnten. Das Peitschenknallen hatte jetzt nur noch symbolischen Wert. Die Reise in dem rumpelnden Karren dauerte bis in den frühen Morgen. Dann hielten sie in einem kleinen Fischerhafen. Roland mochte wie Volker vom Hohentwiel noch so fieberhaft nach einer Gelegenheit zur Flucht Ausschau halten, die Barbaresken gingen viel zu umsichtig zu Werk. Sie verlegten ihren Gefangenen denkbar gründlich die Pässe. Es blieb den Freunden nichts anderes übrig, als zu tun, was von ihnen verlangt wurde. , Und so fanden sie sich schließlich in einem Gefängnisgewölbe wieder. Hier herrschten Kälte und klamme Feuchtigkeit. Die Strohschütte mochte schon wer weiß wieviel Gefangenen als Lager gedient haben. Es roch unappetitlich. Vielleicht hatten es sich die Barbaresken als besondere Qual ausgedacht, ihre Gefangenen auf ein beschämend niedriges, hygienisches Niveau herabzudrücken. Weder Roland noch Volker hätten mit Sicherheit zu sagen gewußt, wo genau sie sich jetzt befanden. Auch Rendelin, der Wirtssohn, konnte nicht mit verläßlichen Ortsangaben dienen. Dabei war das Fischerdorf, in dessen Gefängnis die Cameloten einsaßen, bedeutend genug. Immerhin residierte hier Zairah. Sie war die Hauptfrau des Admirals Mahmud ben Osmadi. Roland war erstaunt, als mit einfallender Dunkelheit Lärm im
Gefängnis entstand. Bis jetzt hatte sich niemand um die Gefangenen gekümmert. »Sie bringen zu essen und zu trinken«, behauptete Rendelin. Der Wirtssohn wurde genau so bitter enttäuscht, wie die Mitgefangenen. Zwar liefen eilige Menschen geschäftig hin und her. Aufgeregte Stimmen unterhielten sich in der fremden Sprache der Barbaresken. Schlüssel klirrten. Riegel wurden bewegt. Dann regte sich auch etwas an ihrer Zellentür. An dem rötlich blakenden Licht der Pechfackel merkten die Gefangenen so richtig, wie dunkel es draußen schon war. Hinter dem Vorhang aus Licht sprach Chalid Batuta: »Roland soll vortreten.« Ritter Roland glaubte nichts anderes, als daß es für ihn jetzt ums Letzte gehe. Doch er wich seinem Schicksal nicht aus. Es war hart, einem starken Gegner ohne Helm, Schild und Schwert gegenüberzu treten. Doch ihm blieb keine Wahl. Ohne ein Wort ging Roland auf den Lichtschein zu. Blieb einfach stehen. So sehr er sich auch bemühte, es wollte ihm nicht gelingen, den Vorhang aus Licht zu durchdringen. Zwei knorrige BarbareskenMatrosen näherten sich Roland mit Handschellen. Roland sagte schnell: »Der Eisen bedarf es nicht. Ich gehe freiwillig mit.« Das Lachen, welches Rolands Rede quittierte, stammte ohne Zweifel von Chalid: »Dein Mut ehrt dich, Ungläubiger. Ich liebe mutige Männer. Und meine Herrin Zairah liebt sie auch.« * Eine Serie Treppenstufen aus Stein folgte der anderen. Sobald Ritter Roland Gefahr lief, zu stolpern, wurde er fürsorglich gestützt und leicht dirigiert. »Hierhin ... Vorsicht, bitte!« Die Worte stammten ohne Zweifel aus Barbareskenmund. Doch sie wurden von einer Stimme gesprochen, die sympathisch klang. Der Gang aus den Kerkergelassen, dessen Decke nach dem Rundbogenprinzip gemauert war, endete in einem hallengroßen
Raum. Die Wände hier bestanden aus geglättetem Naturstein. In regelmäßigem Abstand waren Ringe eingefügt. Jeder Ring hielt eine Pechfackel. Jetzt sah Roland den riesenhaften Chalid. Der Mann hatte wahrhaftig Arme wie Schiffsmaste. Chalid lächelte. Der dünne, lang herabhängende Schnauzbart gab seinem Gesicht einen besonders grausamen Ausdruck. Die steinschwarzen, kalten Augen des Barbaresken verstärkten die Wirkung noch. Auf einen herrischen Wink Chalids, hatten sich die Matrosen mit den Handschellen verzogen. »Ich weiß, du hast meinen Bruder erschlagen, Giaur! Ich werde ihn rächen. Doch es soll in ehrlichem Kampf geschehen sein. Deshalb lebst du noch. Du lebst so lange, wie es meiner hohen Herrin Zairah beliebt, Gefallen an dir zu finden. Wendet sie ihr Interesse von dir ab, so ist Chalids Stunde da und du stirbst! Und jetzt tu, was die Dienerinnen dich zu tun heißen.« Jeder, der ihn kannte, würde bestätigt haben, daß Chalid noch nie eine so lange Rede gehalten hatte. Wie er ankündigte, kamen Dienerinnen, sieben an der Zahl, und baten Roland durch lebhafte Gesten und viel freundliches Lächeln, ihnen zu folgen. Eine wahre Wunderwelt tat sich für den Ritter aus Camelot auf. Den Barbaresken ging der Ruf voraus, sie verstünden sich wie niemand sonst auf die Kunst, Häuser zu bauen und wohnlich einzurichten. Dieses, in sich vielfach geschachtelte Haus, konnten die Eroberer unmöglich seit ihrer Landnahme errichtet haben. Es mußte beschlagnahmt worden sein. Danach wohl hatte ein Barbareske, der sich auf dergleichen Dinge verstand, das Haus umgebaut. Die Dienerinnen trugen eine Art Uniform. Weiche BallerinenSchuhe aus weichem Leder. Darüber Pluderhosen aus hellfarbigem Chiffon, die an den Fußgelenken zusammengebunden waren. Darüber wiederum boleroähnliche Jäckchen aus goldbesticktem Brokat. Zwischen dem unteren Jäckchenrand und dem Gürtel, der die Pluderhosen hielt, war ein handbreiter Streifen bloßer Haut zu sehen. Im Bauchnabel trugen die jungen Frauen einen blitzenden Stein. Die Dienerinnen waren irritiert, da Roland so gar keine Notiz von
ihrer Schönheit nahm. Der Ritter aus Camelot konzentrierte sich voll darauf, was der riesige Chalid Batuta tat. Noch stapfte der gigantische Barbareske hinter den Dienerinnen und hinter Roland her. Flure, Treppen. Türen, die in unbekannte Gemächer führten. Dann sah sich Roland unversehens in einem saalähnlichen Raum und vor den Stufen eines goldblitzenden Thrones. Auf dem Thron saß eine schlanke, schwarzhaarige Frau. Die großen, mandelförmigen Augen funkelten. Es ging jedoch nichts Bedrohliches von ihr aus. Im Gegenteil, jede Miene ihres schönen, glatten Gesichtes strahlte Freundlichkeit und Wohlwollen aus. Mit raschen Schritten war Chalid Batuta hinter Roland. Er stieß ihn an. »Auf die Knie, Christenhund!« Chalid Batuta war das reinste Kraftbündel. Roland aber schwankte nicht einmal. Der heimtückische Stoß trug Batuta seitens der schönen Frau auf dem Thron einen strafenden Blick ein. Sie sagte etwas in ihrer fremden Sprache. Die Rede enthielt kaum ein Kompliment für Chalid Batuta. Der Riese errötete und verzog das Gesicht. Er verteidigte sich mit keinem Wort. Die junge Frau auf dem Thron besaß eine sympathische Stimme. Daneben war sie offenbar gewohnt, zu befehlen. Chalid Batuta verneigte sich tief. Die Geste galt der Frau, Sie hatte den riesigen Barbaresken fortgeschickt. Batuta würdigte Ritter Roland keines Blickes mehr. Die nächste Weisung der jungen Frau galt den Dienerinnen. »Ariana.« War das ein Name oder eine Barbareskenbezeichnung für irgend etwas sonst? Roland kam nicht damit zu Rande. Eine der Dienerinnen kehrte mit einem lichtblonden, schlanken Mädchen zurück. Es hatte die eigentümlich steifen Bewegungen derer, welche durch ein Gebrechen behindert werden. Das Mädchen hob den Kopf zu der Frau auf dem Thron. Es hatte ein auffallend feines Profil. Nachdem die Frau auf dem Thron ausgesprochen hatte, wandte sich das Mädchen an Roland.
»Ich heiße Ariana und bin die Dolmetscherin Ihrer erhabenen Hoheit der Exzelennza Zahira ben Osmadi, der Gattin des Admirals und Oberbefehlshabers.« Das lichtblonde Mädchen sprach ohne Akzent und ganz so, wie Ritter Roland es von den gebildeten Schichten seiner Heimat gewohnt war. Jetzt sah Roland das Gesicht des Mädchens nicht mehr nur von der Seite, sondern von vorn. Er erschrak. Das so schöne Antlitz wirkte erloschen. Maskenhaft starr. Die Augen, groß und himmelblau von Natur aus, mußten »tot« sein. Das Mädchen übersetzte die Worte der Admiralsgattin exakt. »Meine Herrin heißt dich in ihrem Palast willkommen. Sie wünscht dir, daß du hier nur gute Tage und schöne Stunden finden mögest. Du bist doch Roland, der gewaltige Held aus der Umgebung des Cameloten-Königs Artus, nicht wahr?« Roland nickte. Doch er erhob gegen die Bezeichnung »gewaltiger Held« Einspruch. »Sage deiner Herrin, ich sei ein Mensch wie jeder andere. Daß ich größer und vielleicht kräftiger bin, als einige Männer unserer Zeit, ist nicht mein Verdienst.« Auch hier übersetzte Ariana flink und offenbar präzise. Die dunkelhaarige Frau auf dem Thron lächelte Roland an. Dabei zeigte sie ihre strahlend weißen Zähne hinter den purpurroten Lippen. Sie war alles andere als dumm, diese Exzellenza Zairah. Sie wußte auch Rolands Mienenspiel richtig zu deuten. »Du bist über meine Augen erschrocken, Ritter Roland?« »Ja.« »Meine Herrin Zairah wünscht zu wissen, ob du glaubst, die Barbaresken hätten mich geblendet.« Roland zögerte mit der Antwort kaum eine Sekunde. »Wer sonst wäre wohl roh genug, sich an wehrlosen Frauen zu vergreifen, Ariana?« Roland hatte die Ahnung, er könne sich mit dieser Frage um Kopf und Kragen geredet haben. »Das ist nicht an dem, Ritter Roland. Zwar wissen meine Herrin
wie auch ich, daß unter der Barbareskenfahne rauhe Männer dienen, allein solcher Rohheit wäre kein Barbareske fähig ... meint meine Herrin Zairah.« Roland schwieg. Aus Höflichkeit. Die schöne, junge Frau auf dem schimmernden Thron meinte es gut. Sie verdiente keine brüske Kränkung. Seine Miene aber verbarg nur schlecht, was Ritter Roland dachte. Zairah ging sofort darauf ein. Man merkte ihr deutlich an, wieviel ihr an Rolands guter Meinung über sie und ihre ganze Rasse lag. Von ihren Lippen klang die rauhe Barbareskensprache wie Vogelzwitschern. Ariana, die Dolmetscherin, wurde rot. Sie sagte leise, warum ihr dies geschah. »Meine Herrin Zairah befahl mir, dir meine Geschichte zu erzählen, Ritter aus Camelot.« Aus Arianas Stimme klang jetzt ohne Zweifel ein Hauch von Feindschaft. »Das war so. Vor acht Jahren konnte mein Vater seine Schulden an seinen Grundherrn nicht bezahlen. Der Grund- und Lehensherr hieß Artus und ist heute noch König auf dem Schloß Camelot. Der Zehnteneintreiber erschien immer häufiger bei uns. Er setzte meinem Vater mit immer höheren Forderungen zu. Als es zum letzten kam, setzte sich mein Vater zur Wehr. Er wurde von den Reisigen des Steuereintreibers erschlagen. Genau so erging es meiner Mutter und meinen neun Geschwistern. Da ich selber das grausame Wüten der Reisigen nicht ohne Widerspruch hinnahm, legten sie mich in Eisen. Der Steuereintreiber wollte mich zu seiner Nebenfrau machen. Ich schrie ihm ins Gesicht, er könne mich zwar brechen, aber nie und nimmer meinen Sinn wandeln. Da befahl er mit bösem Lächeln, seine Knechte sollten mich blenden. Sie zogen ein weißglühendes Eisen dicht vor meinen Augen her. Der Steuereintreiber sagte hämisch: »Da du dir zu gut bist, mir als Nebenfrau zu dienen, sollen meine Knechte ihre Lust an dir kühlen.« Da half kein Schreien. Es geschah, wie er wollte. Später verkauften sie mich in die Sklaverei. Als meine Herrin Zairah mich zum ersten Mal traf, stand ich nackt auf dem Markte von Fez.«
Je weiter Arianas Geschichte gedieh, desto mehr zeichneten Zorn und Empörung Rolands Gesicht. »Wie hieß der Steuereintreiber?« wollte er wissen. »Dragoman, ich werde seinen Namen nie vergessen.« Ritter Roland machte so etwas wie die Andeutung einer Verbeugung zu dem blinden Mädchen hin. »Das geschah vor meiner Zeit in Camelot. Ich kann mir nicht vorstellen, daß seine Majestät einen derart ungetreuen Beamten in seinen Diensten beschäftigt. Ich erinnere mich, daß da einmal eine Geschichte mit einem ungetreuen Steuereintreiber gewesen ist. Der Mann wurde überführt und bestraft. Er ist aber schon eine Weile tot. Ein ausgesprochen harter Zug zeichnete das glatte Gesicht der Blinden. »Wenn ich wüßte, daß der ungerechte Dragoman bestraft worden ist, würde ich fürwahr anders und besser von deinem König Artus denken. Du kennst nun meine Geschichte, Roland. Ich hoffe, du verstehst, warum ich an meiner Herrin Zairah hänge, die eine Barbareskin ist. Sie war stets gut zu mir. Sie gab mir Obdach, Kleidung und Nahrung und hielt mich beinahe so wie ihr eigen Kind.« »Deine Dankbarkeit ehrt dich«, gestand Roland dem blinden Mädchen zu. »Deshalb aber solltest du nicht vergessen, wes Stammes Kind du bist, Ariana.« Die Blinde richtete sich so hoch auf, wie sie nur konnte. »Mit den Menschen dieses Landes habe ich nichts mehr gemein. Ich bin Barbareskin geworden.« »Kein Mensch entkommt den Banden seines Blutes«, murmelte Roland. Ariana übersetzte auch diese Worte des Ritters. Zairahs Blick ruhte weiter auf dem Ritter. Die schöne Frau war sehr nachdenklich geworden. Ariana wechselte das Thema. »Meine Herrin Zairah bittet dich, bei deiner Ritterehre zu versprechen, vorerst am Hofe zu bleiben.« Roland glaubte, sich verhört zu haben. »Ich soll bestimmt Urfehde schwören!« Er hätte nie geahnt, daß
die Barbaresken diesen ritterlichen Brauch kannten und richtig anzuwenden wußten. »Ja.« Dolmetscherin Ariana sprach ganz so, als handele es sich dabei um die einfachste Sache der Welt. »Ich kann nur befristet Urfehde schwören. Sie endet in dem Augenblick, da ich wieder zu meinem König zurückkehre und mich neu seinem Befehl unterstelle.« Ariana mußte der Admiralsfrau den Begriff Uhrfehde ziemlich genau auseinandergesetzt haben. Jedenfalls machte sie eine Miene, als sei sie hoch zufrieden, daß Ritter Roland sich mit diesem Versprechen der Uhrfehde verpflichtet hatte, keine Feindseligkeit und keinen Kampf gegen die Barbaresken mehr zu unternehmen. Einen Vorteil aber holte Roland noch für sich heraus. »Frage deine Herrin, ob mein Schwur nicht auch für meine Begleiter gilt? Ich meine, für die Männer, welche mit mir gefangen genommen worden sind?« Es zeigte sich, daß die schöne Zairah genau wußte, wen ihr Leibwächter Chalid Batuta gefangengenommen hatte. »Der Ritter Volker vom Hohentwiel kann auch Urfehde schwören. Hat er uns Frieden gelobt, so steht der Freilassung auch der übrigen Begleiter nichts mehr im Wege.« Roland wußte nicht, wie ihm geschah, als sich die Szene wiederum änderte. Die Admiralsfrau brauchte nur leicht in die Hände zu klatschen. Schon erschienen wieder die Dienerinnen, die Ritter Roland hierher geleitet hatten. Ariana übersetzte, was jetzt geschehen sollte. »Du hast Gelegenheit, ein erfrischendes Bad zu nehmen und die Kleidung zu wechseln, Roland.« »Es mag genügen, wenn man mir das Bad bereitet. Sonst wünsche ich keine weitere Bedienung.« »Es geschieht ganz nach deinem Wunsch«, sagte Ariana nach entsprechender Weisung ihrer Herrin. Eine Geste stellte es Roland anheim, jetzt zu gehen. Der Ritter aus Camelot machte noch eine Verbeugung. Dann folgte
er einer der Dienerinnen, welche ihn in den Saal geführt hatten. Was wollte diese Frau auf dem Thron von ihm? Daß sie sich um ihn und um seine Gefährten nur aus Menschlichkeit kümmerte, paßte schlecht zur Art der Barbaresken. Und eine echte Barbareskin war und blieb sie auch als Frau des Admirals. Die Dienerin hielt knicksend eine Tür auf. Dahinter lag das Bad. Ein verschwenderisch ausgestatteter Raum mit in den Boden eingelassener Wanne. »Danke«, sagte Roland freundlich. Die Dienerin hatte die Tür schon wieder geschlossen. Der Ritter aus Camelot war allein. * Auf einem Eisenschemel sah Roland Unterwäsche, Pluderhosen, Strümpfe, und sogar einen Turban. Es war alles da, was zur Garderobe eines Barbaresken von Stand gehörte. Roland jedoch zog es vor, nach dem Bad wieder in seine gewohnte Kleidung und in das Kettenhemd zu steigen. Alles, was recht war, so ein Bad erfrischte. Der Wanne gegenüber schmückte ein mannshoher Spiegel die Wand. Roland untersuchte den Fall genau. Sollte man es für möglich halten? Der Spiegel sah aus wie poliertes Silber, mußte aber eng mit Glas verwandt sein. Wieder und wieder prüfte Roland das Material. Als es klopfte, zuckte er zusammen, als fühle er sich bei etwas Verbotenem ertappt. »Ja?« Die blinde Ariana spähte in den Baderaum. »Seid ihr soweit, Herr Ritter? Eure Gefährten sind bereits aus den Kerkern erlöst und warten auf Euch. Gehen wir?« Ihr feines Gehör hatte die Blinde darüber informiert, daß Roland fertig angezogen war. Die blinde Ariana mußte sich in dem Bauwerk, welches jetzt der Admiralin als Palast diente, genau auskennen. Denn zielstrebig und ohne auch nur ein Mal im Ansatz zu zögern, führte das blinde Mädchen Roland zurück in den Saal. Tatsächlich. Da warteten Ritter
Volker, Knappe Pierre sowie der Gastwirtssohn Rendelin. Dolmetscherin Ariana wartete nur so lange, bis Roland den Freund begrüßt hatte, um zu sagen: »Meine Herrin Zairah bietet deinen Gefährten den gleichen Dienst an, welchen auch du genossen hast. Folgt bitte der Dienerin, Ritter Volker. Das blinde Mädchen hatte sich die Namen gut eingeprägt. Sie mußte der Admiralin wertvolle Dienste leisten. »Genau wie du habe auch ich Urfehde geschworen«, erklärte Volker vom Hohentwiel die Situation. »Pierre und Rendelin brauchten nicht zu schwören. Einsiedler Klaus wird in seinem Bett gut gepflegt.« Die aus Camelot konnten sich völlig frei bewegen. Besonders Knappe Pierre und Wirtssohn Rendelin machten davon Gebrauch. Sie gliederten sich unauffällig in die Reihen der Dienerschaft. Die Küche zog Pierre magisch an. Nicht allein der unbegrenzten Lebensmittel wegen sondern mehr noch durch das weibliche Personal. Rendelin folgte dabei Pierres Beispiel. Und er hatte mit dieser Verfahrensweise Glück. Genau wie Knappe Pierre fand er gar bald eine Küchenhilfe, welche ihn bemutterte. Auf die Art erfuhren Rendelin und Knappe Pierre lang vor den Rittern Roland und Volker, daß Admiral Mahmud ben Osmadi zu Besuch kam. »Vielleicht nützt uns bei dem wenig, daß unsere Herren Urfehde geschworen haben. Unter Umständen sind wir genauso schnell wieder hinter Kerkergittern und angekettet, wie wir in den Thronsaal kamen.« So berichtete Knappe Pierre seinem Herrn Roland. Und er fügte noch hinzu: »Wenn ich du wäre, Herr, ich würde das Schicksal gar nicht erst herausfordern.« »Was meinst du damit?« wollte Roland wissen. »Nun, du tätest klüger daran, diesem Admiral nicht über den Weg zu laufen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß! Der Satz gilt auch unter Barbaresken.« Roland bekam einen roten Kopf. Er runzelte die Brauen. »Es wäre unritterlich gehandelt, würde ich mich verstecken.«
»Und deine Waffen, Herr?« gab Knappe Pierre zu bedenken. »Schwert, Lanze und Schild sind genauso beschlagnahmt wie Samum. Ohne Waffen gleichst sogar du einem Käfer, der auf dem Rücken liegt, Herr.« »Finde heraus, wo meine und Herrn Volkers Sachen stecken, Pierre.« Nun, das war viel leichter gesagt, als getan. Denn Chalid Batuta hatte die Waffen und die Pferde der camelotischen Ritter als seine Privatbeute vereinnahmt. Knappe Pierre versprach, sein Bestes zu tun. Doch seine Miene zeugte davon, daß er sich über die Schwierigkeit dieser Aufgabe völlig klar war. Einmal mehr blieb Roland sein Glück treu. Denn es stellte sich heraus, daß auch andere sich über diesen Punkt Gedanken gemacht hatten. Der Tag ging nicht zur Neige, ehe die Admiralin Roland zu sich bat. Wie für den Ritter aus Camelot gewohnt, war Ariana, die blinde Dolmetscherin, anwesend. Zairah hatte sich besonders viel Mühe gegeben, gut auszusehen. Sie trug ein eng anliegendes, hochgeschlossenes Kleid aus metallisch glitzernder, dunkelblauer Seide. Dazu bedeckte ein Chiffon-Turban in korrespondierender Farbe ihr nachtschwarzes Haar. »Ich hoffe, dein Aussehen trügt nicht, und du fühlst dich wohl in meiner Obhut.« Tage waren vergangen. Roland und seine Begleiter hatten sich an dem Hofe und im Hauswesen der Admiralin gut eingewöhnt. Es verging kaum ein Tag, ohne daß Zairah Roland rufen ließ. Sie unterhielt sich sehr gern mit dem Ritter aus Camelot. Sie hatte ihn geschickt ausgefragt und kannte inzwischen sein Leben. Am meisten zählte dabei für sie der Umstand, daß Roland unverheiratet war. Gewiß, er, hatte in seinem Leben hinreichend Damenbekanntschaften gehabt. Manche dieser Bekanntschaften hatte auch Narben hinterlassen. Doch Zairah glaubte, so ziemlich jeder Nebenbuhlerin um des Ritters Neigung gewachsen zu sein. In etwa ging die
Rechnung der Admiralin auf. Roland gewöhnte sich an sie und wurde zutraulich. Wie zum Beispiel jetzt und heute. »Wir werden Besuch bekommen«, eröffnete die Admiralsfrau dem Ritter. »Mahmud ben Osmadi reist allein. Das heißt, Suleika bleibt in seinem Stammquartier. Er wird nur von seinen Stabwachen begleitet.« Ziemlich zu Beginn ihrer Bekanntschaft hatte Zairah Ritter Roland eröffnet, wie sehr sie sich durch die Neigung ihres Mannes zu der Schönen in ihrem Frauenstolz gekränkt fühlte. »Wenn es ... sagen wir Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Admiral und mir gäbe, auf welcher Seite würdest du stehen, Ritter Roland?« »Ich habe doch Urfehde geschworen«, wandte Roland ein. Das ließ Zairah nicht gelten. »Der Eid umfaßt nur Kampftätlichkeiten gegen meine Leute und mich. Vom Admiral und seinem Heer war nicht die Rede.« Roland schwieg. Doch man sah seiner Miene an, daß er Aufklärung erwartete. »Gehen wir davon aus, daß Admiral Osmadi den einen oder anderen Punkt in meiner Lebensführung entdeckt, der ihm nicht gefällt. Nehmen wir an, er wollte mich zum Beispiel zur Rechenschaft ziehen, weil ich dich und deine Freunde aus Kerker und Ketten entließ. Wie würdest du dich dann einstellen?« »Ich würde dir helfen, Herrin!« Zairahs Gesicht wurde so von Freude erhellt, als sei für sie ganz persönlich durch diese Worte Rolands die Sonne aufgegangen. »Das habe ich mir gewünscht«, sagte die Admiralin offen. Bisher hatten sie noch nie über die Operationen der Barbaresken und ihre Ziele gesprochen. Was Roland über den Fortgang der Landeroberung wußte, entnahm er Gerüchten, die ihm Pierre zutrug. Es mußte so sein, daß die Barbaresken das Heer König Artus zum Kampf stellen wollten, dies aber noch nirgendwo gelungen war. Jetzt wagte Roland eine offene Frage.
»Ist der Admiral überhaupt entbehrlich? Steht es so gut um seine Sache, daß seine Truppe ihn beurlauben kann?« »Er kann jederzeit tun und lassen, was er für richtig hält. Jetzt wird es ihm wichtig sein, die Auseinandersetzung mit mir zum Ende zu bringen. Wenn ich auch behaupten darf, von durchaus ergebenen Männern und Frauen umgeben zu sein, so schließt dies doch nicht aus, daß der Admiral unter meinem Personal seine Zuträger hat. Übrigens, und das wird dich besonders interessieren, ist es weder uns noch König Artus von Camelot gelungen, eine Entscheidung zu erzwingen.« Zairah klatschte in die Hände. Die Admiralsfrau gab der Dienerin, die auf das Zeichen hin kam, einige Befehle. Nicht lange und ausgerechnet Chalid Batuta erschien. Zwei seiner Knechte brachten Rolands Waffen sowie Schild, Helm und Lanze Volkers herbei. Wenn Blicke töten könnten, wäre Roland auf der Stelle gestorben. Aber mochte Chalid Batuta sein Handeln auch noch so sehr gegen die Natur gehen. Zairah hatte befohlen. Chalid gehorchte. Roland und seine Begleiter erhielten ihre Waffen zurück. Nichts fehlte. Das galt auch für Pierres und Rendelins Eigentum. Zairah lächelte. »Jetzt kann mein Herr Gemahl erscheinen. Gemeinsam mit euch, meine Herren Ritter und gemeinsam mit Chalid Batuta, sind wir stärker als die Stabswache des Admirals.« Obschon Admiralsfrau Zairah keinen Zweifel daran ließ, daß sie nicht nur an ein Bündnis zwischen den Rittern aus Camelot und Chalid Batuta glaubte, sondern ein enges Zusammengehen befehlen würde, zeigte sich der riesige Chalid keineswegs begeistert. Auch Roland ahnte, daß es zwischen Zairahs Leibwächter und ihm eine Rechnung gab, die beglichen werden wollte. »Solange ihr unseren Zielen treu seid, ist Chalid der verläßlichste Freund, den ihr euch vorstellen könnt.« Zairah ließ sich durch Ariana bestätigen, daß nichts von den Waffen und Ausrüstungsstücken der Cameloten fehlte. Dann gab sie zu erkennen, daß sie mit Roland allein sein wollte. Besonders Chalid
Batuta erinnerte an einen grimmig knurrenden Hund, als er ging. Sie waren zu dritt. Roland, Zairah und Ariana. Die Admiralsfrau lächelte Roland an. »Sobald wir hinter uns haben, was jetzt getan werden muß, werde ich dich belohnen, wie noch kein Mann von mir belohnt worden ist.« Dolmetscherin Ariana setzte aus freien Stücken hinzu: »Du bist ehrlich zu beneiden, Ritter Roland.« »Und wenn es nun zu gar keiner Auseinandersetzung kommt?« gab Roland zu bedenken. Zairah schien das durch Information und Kenntnis der Dinge im Stabe des Admirals besser zu wissen. »Mahmud ben Osmadi hat mich nicht mehr besucht, seit diese Odaliske sein Leben bestimmt. Was also kann er anders wollen, als mich für meine Eigenmächtigkeiten zur Rechenschaft zu ziehen?« Roland fand, die Auseinandersetzung gehe Mahmud ben Osmadi und seine Frau an und niemanden sonst. Zairahs Blicke hüllten den Mann feurig, flammend und zärtlich ein. »Wir werden siegen«, sagte die schöne Frau leise. Ihre Stimme war erfüllt von Verheißung. »Wenn Mahmud ben Osmadi fällt, unterstellt sich sein Heer genauso deinen Befehlen, wie die Flotte auf deine Weisungen wartet. Danach liegt uns das Reich des Königs Artus zu Füßen. Hättest du je geglaubt, das Schicksal habe .dich ausersehen, Nachfolger deines Königs zu werden? Ich werde dich führen. Auch Mahmud ben Osmadi ging es gut und was er unternahm, gelang, solange er mich an seiner Seite hatte. Die Odaliske ist keine Frau, die einen Mann weiter und zum Aufstieg treibt.« Sekunden lang herrschte knisternde Spannung zwischen Roland und der schönen Frau. Roland bedachte sehr wohl, was geschähe, nähme er Zairah jetzt fest in seine Arme. Doch da war sein Eid, der ihn an König Artus band. Da war die Kenntnis um Zairahs Ziele. Da war sein Haß gegen die Barbaresken. Er hatte zuviel von ihren wüsten Ausschreitungen, zuviel ihrer sinnlosen, zerstörenden Plünderei gesehen. Er gehörte zu seinem Volk, zu dem Land, in
welches er geboren war. Dieses Land, die Heimat, benötigte seinen Schutz und seinen Beistand. Niemand sonst hatte Anspruch auf ihn. Der Zauber, der Roland und die Admiralsfrau vereinen wollte, schwand dahin. Verging schließlich ganz. Roland verneigte sich knapp und gemessen. »Laßt mich rufen ... wenn es soweit ist und falls Ihr glaubt, ich könne Euch nützen.« Zairah entließ ihn mit einem Lächeln. Volker vom Hohentwiel hatte die eigenen Waffen und die Pierres und Rendelins mitgenommen. Was nun noch dort lag gehörte zu Rolands Ausrüstung. Zairah sprach Roland nochmals an. »Wie mir Chalid verriet, reitest du einen besonders schönen Schimmelhengst. Er steht dir natürlich wieder voll zur Verfügung. Später kann er auf einem meiner Gestüte Dienst tun. Ich rufe dich rechtzeitig.« Roland ging. Vor der Tür raunte die blinde Ariana: »Es wäre nicht gut, immer so zu zögern wie heute, Roland. Meine Herrin ist eine Frau, die ehrlich verdient, in jeder Beziehung glücklich zu werden.« »Was hast du?« wollte Volker vom Hohentwiel wissen.
Roland prellte die Tür mit einem Fußstoß ins Schloß.
»Da kommen Stürme auf uns zu, welche gar leicht unseren
Untergang bedeuten können.« Er setzte Volker ins Bild. Der Sänger hörte aufmerksam zu. Seine Miene wurde immer ernster. Doch er behielt die Zuversicht, welche seit jeher ein Hauptbestandteil seines Wesens gewesen war. »Wir haben schon aus schlimmeren Lagen einen ehrenvollen Ausweg gefunden. Warten wir ab, was kommt und wie es sich darbietet. Vielleicht ergibt sich daraus eine Möglichkeit, unserem Land und unserem König einen großen Dienst zu erweisen. Jedenfalls sitzen wir nicht mehr hilflos und ohne Hoffnung in einem dumpfen Kerker! Das ist mehr, als wir nach Lage der Dinge erhoffen durften. Kopf hoch, Freund!«
*
Roland machte dem Knappen Pierre sowie dem Wirtssohn Rendelin nur vage Andeutungen. Längst hatte der Ritter aus Camelot die Ställe besucht. Samum witterte seinen Herrn sofort und wieherte ihm froh entgegen. Roland tätschelte den blanken Hals des Hengstes und streichelte die weichen Nüstern. Dazu raunte er Worte der Freundschaft und Zuneigung in Samums Ohr. Das liebte der Hengst über alle Maßen. Kaum war Roland aus den Ställen zurück, erschien Ariana. »Ihr sollt euch bereit halten, du und deine Freunde, Roland. Der Admiral und sein Begleitstab werden in weniger als einer Stunde eintreffen.« Das blinde Mädchen gab seiner Stimme so etwas wie beschwörenden Klang. »Roland, enttäusche meine Herrin Zairah nicht. Sie hat in ihrem Leben weniger Freude und Glück erlebt, als du ahnst. Sie glaubt ganz fest an dich.« Rolands Faust umspannte leicht Arianas Arm. »Ich will und werde deiner Herrin helfen, Ariana. Darauf gebe ich mein Wort als Ritter.« In dem weiträumigen Hause herrschte so emsige Geschäftigkeit wie in einem Bienenstock. Im Hofe sammelten sich gewappnete Barbaresken. Das waren Chalid Batutas Männer, die auf ihren Einsatz warteten. Batuta hatte seine Leute streng entsprechend ihren Funktionen geteilt. Es gab Bogenschützen, Schwertkämpfer und Männer, deren Spezialität die Lanze war. Alle saßen zu Pferde. Kaum hatte Chalid Batuta Roland und Volker vom Hohentwiel gesehen, da stapfte er zu den Freunden. Ohne Umschweife kam er zur Sache. »Ich habe meiner Herrin Zairah dargelegt, wie wir vorgehen sollten. Hört mir zu: Wir werden den kleinsten Teil dieser Männer hier lassen. Eure beiden Knechte können sich von mir aus dazu gesellen. Wir aber, das heißt, die Masse unserer Leute, reiten jetzt los. Wir beziehen Stellung weit vor dem Ort und vor dem Haus. Es ist vor allem darauf zu achten, daß seine Exzellenz, der Admiral, uns
nicht entdeckt. Geht er gegen unsere Herrin Zairah vor und will er mit Gewalt ins Haus, so greifen wir von hinten an. Wir werden ihn gnadenlos packen... Jeder, der sich im Kampf besonders auszeichnet, hat sich einen Beutel Gold verdient. So einen Beutel.« Chalid zeigte einen schweren Lederbeutel vor und warf das Ding hoch. Geschickt fing er es wieder auf. Es klirrte darin. »Unsere Knechte bleiben bei uns«, sagte Roland. »Es soll sonst in allem so geschehen, wie du willst, Chalid Batuta.« Jemand, der Roland so genau kannte wie Volker, sah den argwöhnischen Zweifel in den Augen des Freundes. Ob das ganze Unternehmen nicht ein raffiniert angelegtes Manöver der Barbaresken war? Wollten sie vielleicht nur wissen, wie weit sie mit Roland und seinen Freunden gehen durften? Die Tatsache, daß Roland sich ihm, Chalid Batuta, ohne weiteres unterstellte, stimmte den Barbareskenriesen allem Anschein nach versöhnlich. Dies brachte er jedoch nicht Roland gegenüber zum Ausdruck, sondern schlug Volker von Hohentwiel auf die Schulter. »Ritter gut«, behauptete er dazu. Volker tat dem Barbaresken nicht den Gefallen, unter dem Schlag der mächtigen Pranke in die Knie zu gehen. »Ritter stehen. Bis umfallen.« Für Chalids Begriffe mochte das ein Kompliment sein. Es geschah alles so, wie der Barbareske es anordnete. Sie brachen auf. Zairah und Ariana winkten dem Zuge der Gewappneten nach. Die Admiralsgattin stand im Kreise ihrer Dienerinnen. Chalid führte die Männer aus dem Ort. Dort lagerten sie in einem Wäldchen seitlich der Straße, welche nach Norden verlief. Chalid sandte Späher aus. Nicht lange und die Männer sprengten auf ihren wendigen, kleinen Pferden zurück. »Sie kommen!« »Osmadi ist gleich da.« Von Norden bewegte sich eine Staubwolke heran. Der Admiral mußte mit , mächtig viel Begleitschutz unterwegs sein. Aus der Staubwolke wurden lange Reihen vieler Reiter. Pferde schnaubten.
Waffen blitzten. Die Wachen des Admirals trugen runde, topf ähnliche Eisenhelme unter den Turbanen. Die Spitzen der Helme hatten sie mit bunten Straußenfedern geschmückt. Gelb. Rot. Blau. Der Trupp um Mahmud ben Osmadi war seiner Sache derart sicher, daß er das Wäldchen nicht einmal untersuchte. Sie waren offenbar des Glaubens, Zairah und ihre Anhänger zu überraschen. In schlankem Trab rückten sie dem Ort entgegen, in dessen Mitte das Haus der Admiralin lag. Chalid Batuta hob den muskulösen Arm kaum, daß der letzter Reiter passiert hatte. Die Truppe Zairahs saß auf. Die Pferde waren glänzend abgerichtet. Sie bemühten sich, möglichst wenig Lärm zu machen. Wieder ritten Späher voraus. Es dauerte nicht lange, bis sie zurück galoppierten und ihre Pferde vor Chalid parierten, um Meldung zu machen. »Es wird ernst!« »Er hat verlangt, ihm sollten unverzüglich Tür und Tor geöffnet werden.« Wirtssohn Rendelin verstand genug von der Barbareskensprache, um seine Gefährten über das, was geschah, informiert zu halten. »Sie hat abgelehnt?« Das wollte Chalid Batuta wissen. »Natürlich. Sie tut immer, was sie vorher gesagt hat.« Da gab Chalid Batuta die Losung aus: »Tod Mahmud ben Osmadi! Tod all seinen Anhängern.« Sofort fielen die meisten der Reiter ein: »Unsere schöne Herrin Zairah soll leben!« »Hinein in den Ort.« Wie es ihrem Plan entsprach, griffen sie die Leibwache des Admirals an. Sie rollten die Stabstruppe gewissermaßen von hinten her auf. Wie das Wetter kamen sie über Mahmud ben Osmadi und seine Getreuen. »Haltet euch hinter mir!« befahl Chalid Batuta den Cameloten. Die gehorchten.
Jetzt prallten sie auf den Feind. Roland erkannte schnell, daß es in den engen Dorfgassen vorteilhafter war, zu Fuß zu kämpfen. Pferde rutschten auf dem buckligen Kopfsteinpflaster zu leicht aus. Die Stabswache erkannte den neuen Feind schnell. »Chalid!« Der Name hallte durch den Ort. Sie wollten ihrerseits das Beste aus der Lage machen. Daher öffnete die Stabswache eine Gasse, um den stürmenden Chalid und seine Männer durchzulassen. Sofort hinter ihnen wollten sie dann die Gasse wieder schließen, um Zairahs Anhänger in der Zange zu haben. Roland und Volker durchschauten diese Taktik der Stabswache. Lange, ehe Chalid Batuta den Hinterhalt witterte. Sie griffen die Männer an, welche so schnellfüßig zur Umzingelung ansetzen wollten. Ausgerechnet Roland und Volker gerieten glänzende Fechter vor das Schwert. Roland wollte seinen häufig geübten Trick anwenden, dem Gegner die Waffe aus der Faust zu prellen. Doch das Verfahren klappte nicht. Sobald er die Schwertspitze Rolands in der Nähe seines Korbgriffes wußte, machte der Barbareske einen gewandten Sprung rückwärts und war aus der Reichweite des Camelotenritters. Jetzt griff der Barbareske seinerseits an. Hageldicht fielen die Hiebe. Die typische Waffe der Turkvölker konnte in der Hand eines geübten Fechters unter Menschen wüten wie die Sense unter Grashalmen. An Übung fehlte es Rolands Gegner nicht. Roland spürte, wie er rechts und links getroffen wurde. Nur sein Kettenhemd bewahrte ihn vor Wunden. Ringsum tobte heftiger Kampf. Genauso wie Volker und Roland standen auch Knappe Pierre und Wirtssohn Rendelin in hitzigem Gefecht. Instinktiv handelte Rendelin dabei richtig. Er bewegte sich Schulter an Schulter mit Pierre. Er folgte dem Knappen in allen Bewegungen. Da Pierre gelernt hatte, stets in Rolands Windschatten zu bleiben, hatten beide weitgehenden Schutz. Den brauchten sie auch. Denn weder der Knappe noch der Wirtssohn verfügten über die Kettenhemden, welche die Ritter unter ihren Lentnern, der
knielangen, bunten Oberbekleidung aus Stoff, trugen. Knappe Pierre war Rendelin gegenüber noch insofern im Vorteil, als er wenigstens einen Schild als Deckung besaß. Rendelin glich dies tapfer durch Schnelligkeit aus. Doch mehrfach stand ihm das Glück zur Seite. Denn die Stabswache wie die Begleitung des Admirals duldete nur ausgesucht tüchtige Männer in ihren Reihen. Ähnlich wie die Ritter aus Camelot kämpften auch die Barbaresken mit letztem Einsatz. Sie warfen alles in die Wagschale, was ihnen zur Verfügung stand. Genügend in Wut, bedeutete ihnen ihr Leben nichts mehr. Sie fielen wie die Fliegen. Knappe Pierre und Rendelin wirkten aus ihrer Deckung heraus. Sie fügten den Barbaresken schweren Schaden zu. Roland wurde vor seinem Freund Volker mit seinem Gegner fertig. Der Fechter mit dem Handschar, unternahm einen besonders heftigen Ausfall, um endgültig die Oberhand zu gewinnen. Roland machte drei, vier flinke Schritte zur Seite. Das sah fast so aus, als beginne er zu tanzen. Dann stieß Roland zu. Er traf seinen Gegner in der Nahtstelle zwischen Halsschutz und Brustpanzer. Wieder sprang der Ritter aus Camelot zur Seite. So stark er konnte, schlug er mit dem Schwert gegen den Handschar. Funken sprühten, als Stahl auf Stahl prallte. Doch damit nicht genug. Der Handschar brach eine knappe Handbreite unter dem Griffkorb ab. Die Waffe war wertlos geworden. Roland rechnete jetzt damit, daß der Barbareske sich ergeben würde. Aber weit gefehlt. Der schwer verwundete Mann brachte noch genügend Energie auf, einen kurzen Dolch zu ziehen. Waffen von der Art, wie sie häufig als Wurfmesser Verwendung finden. Es gelang Roland, dem zähen Gegner auch den Dolch aus der Faust zu schlagen. War es reiner Zorn, war es pure Verzweiflung, was den Barbaresken handeln ließ? Der braunhäutige Mann riß sich hastig den Brustpanzer ab. Dann rannte er bewußt und völlig ungeschützt in Rolands Schwert. Der Ritter aus Camelot spürte Bedauern mit dem tapfern Feind.
Doch leider konnte er nichts mehr für ihn tun. Als Roland sich mit blitzschnellem Einsatz einen Freiraum schuf, war der Barbareske schon nicht mehr zu retten. Der camelotische Ritter zog den Mantel über das Gesicht des jetzt totsteifen Gegners. Danach wandte er sich Volker zu, der nach wie vor ebenso behende, wie gekonnt und wütend focht. »Wir sind gleich durch«, rief Volker und blieb mit ungebrochener Aufmerksamkeit bei seinem Gegner. Um ein Haar wäre ihm der Ausruf zum Verhängnis geworden. Sobald der Mann nämlich das erste Wort hörte, änderte er seine Taktik. Er war einer der seltenen Fechter, welche ihre Waffe, Säbel oder Schwert, mit der rechten wie mit der linken Hand zu führen vermögen. Jetzt wechselte er seinen Krummsäbel von rechts nach links. Das dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Genug, um auch Ritter Volker die Illusion vorzugaukeln, er habe diesen Strauß gewonnen. Er nutzte das, was er für seine Chance hielt. Der Barbareske wich der Kombination von Schlag und Stich aus, indem er zur Seite trat. Schon griff er neu an. Die Gegner waren einander gleichwertig. Das Umfassungsmanöver der Stabswache war vereitelt. In diesem Teil der engen Gasse kämpften nur Ritter Volker und sein Gegner noch. Die restlichen Barbaresken hatten sich dorthin zurückgezogen, wo der Sitz der Admiralsfrau lag. Roland hielt nach einem neuen Gegner Ausschau. Zugleich überlegte er, ob er sich nicht über Volkers Wunsch hinwegsetzen und dem Freund trotz dessen Weigerung helfen sollte. Nach wie vor blieben Knappe Pierre und Rendelin bei den Rittern. Von dort, wo die schöne Zairah Hof hielt, drang wüstes Geschrei. Von den Dorfbewohnern war nichts zu sehen. Die Menschen hatten sich längst in die Sicherheit ihrer Kellergewölbe zurückgezogen und warteten da mehr oder minder zitternd den Lauf der Dinge ab. Holz barst krachend. Glas splitterte. Menschen schrien. Da schwebten Frauen in höchster Gefahr und riefen klagend und lautstark um Hilfe. Ob es dem Admiral Mahmud ben Osmadi gelungen war, in das
Haus seiner Hauptfrau einzubrechen? Roland erinnerte sich daran, daß er der schönen Zairah Beistand und Hilfe versprochen hatte. Sollte er warten, bis Volker seines Gegners Herr geworden war? Durfte er überhaupt so lange warten? Volker und sein barbareskisches Gegenüber standen einander kaum an Fertigkeit nach. Bisher hatte noch jeder auf jede Finte und jeden Trick eine entsprechende Parade gewußt. Bis jetzt war der Barbareske fair. Nun aber sann er darauf, den Streit um jeden Preis zu beenden. Roland sah, wie Volkers Gegner heimlich nach dem breiten Seidengürtel tastete. Die jetzt freie, rechte Hand zog dort irgend etwas metallisch Blitzendes hervor. Ritter Roland brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu sehen, war das war. Ein sogenanntes Flügelmesser. Waffen dieser Art dienten meist als Wurfgeschoß. Die drei haarscharfen Winkelklingen drehten sich dabei rasend schnell, so daß sehr leicht der Eindruck entstand, ein Vogel flattere hin und her. In der Hand eines geübten Mannes konnte eine derartige Waffe tödlich sein. Das Geschrei aus Richtung Admiralshaus nahm zu. Entweder beteiligten sich die Dienerinnen der Admiralsfrau aktiv am Kampf, oder sie wurden von Gegnern gejagt. Volkers Barbareskengegner holte zum Wurf aus. Roland konnte nicht feststellen, ob der Freund die Gefahr erkannt hatte oder ahnungslos war. Eine Sekunde, bevor das Flügelmesser die Hand des Werfers verließ, handelte Roland. Von der Seite her stieß er dem Mitglied der Stabswache das Wurfmesser aus der Faust. Als sei dies noch nicht genug, traf er unmittelbar danach den Krummsäbel des Barbaresken. Die Waffe zersplitterte. Zugleich traf Volker den Hals seines Feindes. Der Schlag war so mächtig, daß kein Panzer dagegen schützte. Während der Barbareske zu Boden sank, wandte sich Volker an den Freund: »Danke, Roland! Das Wurfmesser war mir entgangen.« *
In höchster Gangart begaben sie sich dorthin, von wo der Lärm kam. Auf Straßen und Gassen bewegte sich außer ihnen niemand mehr. Geschrei und Lärm schallten aus Zairahs Haus. Von Chalid Batuta war nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich hatte er sich denjenigen an die Fersen geheftet, denen es gelungen war, in das Haus einzudringen. Es sah danach aus, daß Mahmud ben Osmadi gegen seine Frau gewonnen hatte. Roland ging es um seinen alten Lehrer, den Einsiedler Klaus. Der war nach der Freilassung aus dem Kerker auf Zairahs Geheiß in ein schönes und bequemes Krankenzimmer verlegt worden. Dort pflegte ihn die Admiralsfrau unter Anleitung eines guten Arztes persönlich. Sie hatte wohl herausgefunden, wieviel Roland an dem Einsiedler lag. Für den Ritter aus Camelot tat sie alles. »Leben in dem Dorf überhaupt noch Landsleute von uns?« wollte Roland wissen. Rendelin, welcher die Landschaft hier an der Küste genauer kannte als die anderen, zuckte die Schultern. »Meistens haben sie nur die Kranken und Alten in ihren Häusern gelassen. Alle übrigen sind in die Sklaverei gewandert.« Rendelin lachte zornig. »Daß ausgerechnet wir Gnade vor Barbareskenaugen finden würden, hätte ich nie und nimmer geglaubt. Ob es wohl unserem König Artus gelingt, den Gegner zu schlagen und zu vertreiben?« Davon waren Roland und sein Freund Volker fest überzeugt. Rendelin hatte noch etwas auf dem Herzen. Etwas, was er unbedingt loswerden mußte. »Dabei haben uns die barbareskischen Eroberer weismachen wollen, sie seien gekommen, um uns von dem Joch König Artus' zu befreien.« »Ist das denn die Möglichkeit?« staunte Volker vom Hohentwiel. Roland war und blieb mit den Gedanken bei seinem alten Lehrer. »Wenn sie ihm auch nur ein Haar gekrümmt haben, werden viele von ihnen sterben«, hörten die Freunde ihn murmeln. Das klang wie ein
Schwur. Jetzt waren sie am Hause. Lärm und Geschrei hielten unvermindert an. Nur hatte es fast den Anschein, die klagenden Menschenstimmen seien leiser oder schwächer geworden. Als erster taumelte ihnen Chalid Batuta entgegen. Dem riesigen Barbaresken hingen zwei Dutzend oder mehr Männer der Stabswache am Hals und auf dem Buckel. Roland kümmerte sich nicht um den Mann. Das überließ er dem Knappen Pierre und Ritter Volker. Wirtssohn Rendelin blieb an Rolands Seite. Mochte der Himmel wissen, warum. Halb im Rückwärtsspähen gewahrte Roland, daß Volker und Pierre Chalid Batuta halfen. Dies war richtig und durchaus zu verantworten. Denn Batuta war, solange sie für die Interessen der schönen Zairah eintraten, ihr Verbündeter. Ehe sie um die nächste Gangecke bogen, sahen sie, daß Volker und der Knappe dem Barbareskenriesen wirkungsvoll hatten helfen können. Doch Chalid Batuta schwankte. Er blutete aus vielen Wunden. Jetzt traten ihnen zwei, drei, vier Barbaresken entgegen. Ihre Waffen waren rot. Sie mußten unter den Anhängerinnen Zairahs regelrecht gewütet haben. Roland befürchtete das Schlimmste. Rendelin hatte sich mit einem sogenannten Morgenstern bewaffnet. Wer weiß, woher diese typische Bauernwaffe stammte? Der Wirtssohn wußte sich ihrer wirkungsvoll zu bedienen. Wie zum Beispiel jetzt. Den ersten Ansturm wehrte er ganz allein ab. Ein Rundschlag mit dem an einer Kette baumelnden Morgenstern genügte, und die Barbaresken zappelten auf dem Boden. Sie glichen Fischen, die gegen ihren Willen aus dem Wasser gezogen worden sind. Aus der nächsten Tür stürmten schon die nächsten Angreifer. Mit wieviel Helfern und Begleitern war der Admiral hierhergekommen? Rolands Schwert arbeitete ebenso unwiderstehlich wie wirkungskräftig. Jeder Stoß und Schlag brachte einen Feind zur Strecke.
Der Flur wurde von Gefallenen eingeengt. Mahmud ben Osmadis Stabswache mußte unerschöpflich sein, was den Personalstand betraf. Zeitweilig hatte Ritter Roland den Eindruck, für jeden gefalle nen Barbareskenkrieger erstünden ihm zwei neue Gegner. Unaufhaltsam drang Roland mit Rendelin und Volker vor. Aus einem Raum hörten sie eine besonders schroffe Stimme sprechen. In Rede oder Befehl kam immer wieder das Wort Einsiedler vor. Im Bruchteil einer Sekunde stellte Roland die Gedankenverbindung her, welche sich für ihn mit dem Begriff Einsiedler verband. Klaus, sein alter Lehrer. Rauh riß Roland die Tür auf. »Roland!« Vier kräftige Barbaresken waren dabei, den Eremiten, der bisher auf einem Bett gelegen hatte, in eine Sänfte zu setzen. Der Einsiedler wehrte sich gegen die Überführung. Die Männer wollten dem Einsiedler klar machen, daß der Admiral ihn in Ehren bei sich aufnehmen und halten werde. Den alten Mann gelüstete es aber nicht nach Barbareskengesellschaft. Kurze Sekunden nur blieben die eingedrungenen Stabswachen im unklaren darüber, auf welcher Seite Roland stand. Dann setzten sie den Einsiedler Klaus auf sein Bett. Sie zogen rasselnd ihre Säbel. Danach drangen sie mit aller Heftigkeit auf Roland ein. »Heiho«, rief der Ritter von Camelot und nahm seinerseits bereitwillig den Kampf an. Roland stritt ohne Tartsche, also ohne Schild. Er hatte nur sein Kettenhemd und sein gutes Schwert. »Allah«, brüllten die Barbaresken. Hageldicht prasselten die Schläge ihrer Waffen auf Rolands Kettenhemd. Der Lentner, der Leibrock, wurde einmal mehr von Säbelklingen durchgeharkt und zerfetzt. »Mach Platz«, forderte Roland hitzig von Rendelin. Der Wirtssohn ging gehorsam auf den Flur zurück. Der Ritter aus Camelot hatte jetzt genug Raum, um mit den Barbaresken Ernst zu machen. Vier gegen einen. Normalerweise ist das ein zu ungünstiges Verhältnis.
»Ergebt euch«, schrie Roland. »Bittet um Pardon.« Die Barbaresken verstanden ihn genau. Doch sie fühlten sich überlegen und fanden wahrscheinlich, es wäre an dem Ritter, aufzugeben und um Frieden zu bitten. Wie sie doch irrten. Denn Roland drang jetzt in einer Weise auf die Vier ein, daß sie so lange zurückwichen, bis die Wand der Kammer ihnen Einhalt gebot. Der erste wurde schwer getroffen. Da gaben die anderen drei auf. Sie streckten die Waffen und hoben in der uralten Geste des Unterlegenen beide Hände hoch. »Pierre«, brüllte Roland. Prompt arbeitete sich der Knappe zu seinem Herrn durch. »Was steht zu Diensten?« »Schaff alle fort, die um Quartier bitten, und sichere sie bis zum Abtransport.« »Sofort, Herr!« Inzwischen hatte Roland den zweiten, dritten und vierten Gegner überwunden. Der Ritter aus Camelot wuchs schier über sich selbst hinaus. Nachdem er den Barbaresken die Waffen aus der Hand geschlagen, packte er sie. Er hielt sie fest, bis Pierre erschien. Rechts hielt Roland zwei Barbaresken und links einen. Alle drei zappelten, so heftig sie konnten. Sie glichen fauchenden Wildkatzen, die ein Jäger sehr gegen ihren Willen aus dem Nest gehoben hat. Roland hatte weitere Weisungen für Pierre. »Gib auf den Einsiedler acht, den alten Klaus. Stell dich am besten vor seine Kammer.« Just in diesem Augenblick wurde in anderen Räumen am Flur das flehentliche Hilfegeschrei von Frauen wieder laut. »Komm«, sagte Ritter Roland barsch. »Der Streit treibt der Entscheidung entgegen.« Das galt Rendelin, dem Wirtssohn. Er folgte mit dem Ritter dem quälend lauten Geschrei. Die Türen, hinter welchen der Lärm tobte, waren fest geschlossen. Rendelin trat mit aller Kraft gegen die erste Tür. Das starke Eichenholz gab nicht nach. Auch das Schloß und die Türangeln hielten. Roland drückte den Gastwirtssohn zur Seite. Er ging die Tür an. Unter seinen eisengepanzerten Füßen gab das Eichenholz knirschend nach. Die Tür fiel in die Kammer. Dabei riß
sie einen Barbaresken um und beförderte ihn zu Boden. Welch ein Anblick bot sich ihnen! Der bärtige Mann mit dem Schuppenpanzer unter dem weiten, weißgrünen Mantel mußte Mahmud ben Osmadi sein. Der Admiral hatte ein böses Lächeln im bärtigen Gesicht. Der Barbareskenführer schien das Erscheinen des Ritters aus Camelot gar nicht richtig wahrzunehmen. Jedenfalls kümmerte er sich nicht darum. Er machte ungerührt weiter. Zwei Männer der Stabswache hielten die schöne Zairah hart im Griff. Der Admiral schrie: »Auf die Knie mit dir, betrügerisches Weib! Bekenne, daß du gegen mich intrigiert hast. Bereue die Unterstützung meiner Feinde.« Die Admiralsfrau konnte physisch gegen die Männer, welche sie hielten, nicht an. Ihr Wille und ihr Trotz aber waren ungebrochen. Mit wutfunkelnden Augen betrachtete sie den Admiral. Von eheli cher Ergebenheit oder gar von Liebe konnte wohl zwischen den beiden keine Rede mehr sein. Sie schrie: »Verschone mich mit dem ganzen Register verabscheuungswürdiger Heuchelei, das man dir beigebracht hat, Mahmud ben Osmadi. Stelle die Dinge zwischen uns nicht auf den Kopf. Nicht ich habe dich hintergangen. Du hast mich betrogen. Gemeinsam mit deiner Odaliske hast du mich laufend gedemütigt. Und sollte es mich das Leben kosten, diese Treulosigkeit zahle ich dir heim.« Zairah hatte Roland längst gesehen. Jetzt glaubte sie sich ihrem Mann und dessen Begleitern wieder überlegen. Mit ausgestrecktem Arm zeigte sie auf den Admiral. »Ergreife ihn, Roland, mein Ritter! Bändige ihn und schenke ihn mir, sobald er in Ketten liegt.« Jetzt sah auch Mahmud ben Osmadi den Ritter aus Camelot. Der Name Roland war ihm bekannt genug. Flammende Zornesröte überflackerte sein Gesicht. Auf der hohen Stirn des Admirals schwollen die Adern. Von kluger Gelassenheit konnte in Mahmud ben Osmadis Gefühlslage keine Rede mehr sein. Mit sich überschlagender Stimme brüllte er: »Bringt das lügnerische Weib
zum Schweigen, Jussuf und Artan. meine Getreuen. Um den Ritter aus Camelot, der sich erdreistet hat, seine Augen zu dem Weibe zu erheben, welches Mahmud ben Osmadi gehört, werde ich mich selber mit allem Nachruck kümmern.« Während der Weisung an seine Leute, machte der Admiral mit der Handkante eine Bewegung zu seinem Hals. Die Weisung wurde prompt verstanden und befolgt. Dolche und Schwerter blitzten. Außer der Admiralin Zairah schwebten noch zwei andere Frauenspersonen in höchster Gefahr. Das war einmal die blonde Dolmetscherin Ariana und zweitens die Tochter des Learts of Caind. Das rohe Volk hatte Mirinda die Kleider vom Leib gerissen. Die Learts-Tochter lag nackt auf der Erde. Vier Barbaresken hielten sie fest. Ein fünfter Mann aus des Admirals Stabswache versuchte, ihr Gewalt anzutun. Ariana schrie. Sie spürte die Gefahr, darin ihre Herrin Zairah schwebte. Ihre schmalen Hände, tasteten nach Gegenständen, die als Waffen brauchbar sein konnten. Was die Admiralsfrau Zairah anging, so kam jede Hilfe zu spät. Die Barbaresken Jussuf und Artan hatten vollbracht, was Mahmud ben Osmadi verlangte. Die schöne Zairah war zum Schweigen gebracht worden. Dolch und Schwert hatten die Frau mehrfach getroffen. Sie lag wie ein lebloser, bunter Schmetterling auf dem Steinboden. Die Keramikplatten wurden rot. Rasselnd fuhren Mahmud ben Osmadis Krummsäbel und der Handschar aus der Scheide. Zwei Hiebwaffen können in der Faust eines geschickten Fechters sehr gefährlich sein. Mit der Schnelligkeit eines gereizten Bären wandte sich Roland dem Oberbefehlshaber der feindlichen Heere zu. Er wehrte die ersten Angriffe des Admirals mühelos ab. Roland würdigte Mahmud ben Osmaid keines Wortes. Doch für Rendelin hatte er Weisungen. »Hilf der Tochter des Learts of Caind.« Es hatte dieses Befehles nicht bedurft. Mehr als der Wirtssohn für Mirinda wagte, konnte kaum ein Mann in dieser Lage für die Tochter des Learts von Caind tun.
Mirinda schrie nicht mehr. Stahl klirrte gegen Stahl. Dieses Geräusch beherrschte alles sonst. * Zuerst traf Rendelins Morgenstern den Barbaresken mitten im Rücken, der seine Lust an Mirinda kühlen wollte. Es knirschte, als zerbreche Holz. Der Mann schrie gellend. Er wurde nie wieder einem Gegner gefährlich. Die Art und Weise, in der er von Mirindas Körper fiel, verriet seine Lähmung. Das rothaarige Mädchen befand sich plötzlich nicht länger in Schwierigkeiten und Not. Rendelin schwang seinen Morgenstern. Wo die stachelige Kugel traf, wuchs kein Gras mehr. Es dauerte nur Sekunden, bis nur noch der gegen Roland fechtende Mahmud ben Osmadi in diesem Räume auf den eigenen Beinen stand. Rendelin zog sein Wams aus und warf es Mirinda zu. »Zieh das über!« Mirinda gehorchte. Ihre Glieder bebten. Die blinde Ariana kniete neben ihrer toten Herrin. Jussuf und Artan wollten dem Admiral helfen. Die Aktion mißglückte. Abgesehen davon, daß Roland nur zwei schnelle Schwerthiebe brauchte, um beide abzutun, schlug auch Rendelins Morgenstern wirbelnd zu. Und traf. Jetzt war Mahmud ben Osamdi allein. Obwohl es ihm an Tapferkeit nicht gebrach, war er zu sehr an Begleitung in jeder Lebenslage gewöhnt, um gerade jetzt darauf zu verzichten. Lauthals brüllte er: »Stabswache zum Kommandeur!« Er konnte rufen, soviel er wollte, von den Männern seiner Begleitung lebte niemand mehr. Wer immer von Ritter Rolands Schwert verschont geblieben war, den hatten Volker vom Hohentwiel und Knappe Pierre aus dem Leben getrieben. Ganze Wälle von Barbaresken lagen auf Fluren und Treppen des Hauses. Roland blieb voll auf den Kampf mit dem Admiral konzentriert. Dennoch dachte er mit Unruhe an den riesigen Chalid Batuta. Auf wessen Seite würde Zairahs Leibwächter sich stellen, nun, wo seine Herrin tot war? Sollte Chalid Batuta etwa sein Heil in der Flucht
gesucht haben? Ausgerechnet er? Die jähe Stille im Haus ließ kaum hoffen, daß noch jemand lebte. Während Roland mechanisch jedem Angriff des Admirals eine wirksame Parade entgegensetzte, erinnerte er sich, daß Chalid Batuta in sehr schlechter Verfassung gewesen war, als Roland ihn zuletzt sah. Roch es nicht seltsam im Haus? Keine Frage, da mußte jemand Feuer gelegt haben. Rendelin hatte die Learts-Tochter Mirinda fortgebracht. Es kostete ihn Gewalt, Mirinda von Rolands Anblick zu lösen. An und für sich sah das Mädchen nicht ein, warum sie Rolands Kampf mit dem Admiral nicht bis zum Ende sehen sollte. Der Brandgeruch wurde immer stärker. Jetzt eilte Knappe Pierre herbei. »Im Oberstock brennt es. Was soll mit dem Einsiedler geschehen?« Das schrie Pierre von der Tür her. Ritter Roland unterbrach den Fechtgang keine Sekunde. Trotzdem gab er Weisungen, so, wie sein Knappe das von ihm erwartete. »Bring alles aus dem Haus und in Sicherheit, Pierre. Vorab meinen Lehrer Klaus. Nichts Lebendes darf dem Feuer zum Opfer fallen.« Jäh ließ Mahmud ben Osamdis Aufmerksamkeit nach. Roland nützte jede Blöße aus, welche sich der Admiral gab. Mit schnellen Schlägen trieb der Ritter aus Camelot den Barbareskenführer zurück. Zwangsläufig geriet Mahmud ben Osmadi in die gleiche hoffnungslose Lage, darin vor ihm seine Männer umgekommen waren. Das Gesicht des Admirals bewies, wie stark Mahmud ben Osmadi sich konzentrierte. Bis jetzt hatte es ihm keinen Vorteil gebracht, daß er beidhändig focht. Roland war und blieb mit dem Schwert der überlegene Mann. Jetzt umfächelte die scharfe Klinge Mahmud ben Osmadis Kopf. Der Admiral trug dreifache Reinerfedern am Helm. Der Barbareskenführer zuckte zurück, als ein blitzschneller Schwertstoß seinen Halsriemen sprengte. Turban und Helm fielen gleichzeitig zur Erde. Sie knickten die bunten Federn. Mahmud ben Osmadi hatte die Schrecksekunde nach diesem Treffer noch nicht überwunden, als es schon wieder bei ihm
einschlug. Diesmal flog dem Admiral der Krummsäbel aus der Faust, welchen Osamdi mit links führte. Knappe Pierre war zurückgekommen, um seinem Herrn zu melden, daß der alte Einsiedler gut untergebracht sei. Mahmud ben Osmadis Krummsäbel prallte unmittelbar vor dem Knappen auf den Steinboden. Es klirrte. Den kostbaren Säbel nahm Pierre an sich. »Solche Beute lasse ich mir gern gefallen«, brummte er. Bei diesen Worten sollte es nicht bleiben. Pierre brannte darauf, seinem Herrn zu helfen. Bevor es jedoch hierzu kam, zappelte Mahmud ben Osmadi, der stolze Admiral der Barbaresken, in Rolands eisenhartem Griff. Roland hatte ihn unterlaufen, ihm den Handschar entwunden und preßte ihn jetzt derart, daß Luft und Atmen für den Mann Mangelware wurden. Mahmud ben Osmadi mochte hart sein, doch gegen Ritter Roland kam er nicht an. Roland hatte mit allem anderen eher gerechnet, als mit dem, was dann wirklich kam. »Ich bin besiegt«, gab Mahmud ben Osmadi die neue Situation zu. Er sprach stockend und mit der Anstrengung eines Mannes, der zu ersticken fürchtet. Roland band ihn mit des Admirals eigenem Gürtel. »So«, sagte er hart. »Und jetzt wollen wir sehen, für was dein Überfall alles gut gewesen ist, Führer der Barbareskenvölker, welche unser friedliches Land verheeren. Warum hast du ihr das Leben nehmen lassen?« Die Frage galt der toten Zairah. Der Admiral warf der Frau einen haßvollen Blick zu. Sein Zorn war durch Zairahs Tod nicht gemildert. Er preßte ein Wort durch die Zähne, welches in der Barbareskensprache »Hündin«, bedeutete, und fluchte, wie nur ein Orientale fluchen kann. Die blinde Ariana hockte in stummem Weinen neben ihrer Herrin. Die Dolmetscherin fühlte die Nähe des Admirals. Sie wandte Mahmud ben Osmadi ihr Gesicht zu. Das Gemmenantlitz des blonden Mädchens war tränennaß. Doch aus den erloschen Augen, welche den Admiral bestimmt nicht sehen konnten, funkelte Haß. Ihre Lippen bebten. Allein, sie blieb stumm. Roland dirigierte den überwundenen Admiral aus dem Raum. Er
stieß fast mit Volker zusammen: Das Gesicht des dunkelhaarigen Sängers war von den Anstrengungen des Kampfes gezeichnet. Dennoch strahlten seine Augen. Es war schön, Sieger zu sein. »Wie ich sehe, sind wir nicht mehr an unseren Uhrfehde-Eid gebunden. Reiten wir also zurück nach Camelot und zum Hofe.« Das sagte der Sänger. »Genau das hatte ich vor«, nickte Roland. Die Menschen aus der Umgebung der Admiralin Zairah hatten einen hohen Blutzoll im Einsatz für ihre Herrin entrichtet. Außer der blinden Ariana lebte niemand mehr. Der Brandgeruch, welcher von den oberen Stockwerken des Hauses ins Erdgeschoß zog, wurde immer intensiver. Nachdem er den Admiral in sicherem Gewahrsam und hinter Gittern wußte, streifte Roland durch das Haus. Die Barbaresken hatten sich im Bruderkampf förmlich zerfleischt. Der riesige Chalid Batuta mochte hierfür als Beispiel dienen. Roland entdeckte ihn unter einem wahren Berg erschlagener Landsleute. Batuta atmete noch. Sein Zustand aber war hoffnungslos. Das wußte er auch sehr genau. Denn als Roland ihn unter den Leibern seiner Gegner hervorzog, sagte er: »Zairah ist tot! Du warst tapfer, Christenritter! Laß mich allein.« Batutas Riesenkörper war von schweren Wunden übersät. Chalid Batuta zog sich auf die Laute seiner barbareskischen Muttersprache zurück. Roland hätte hiervon nichts verstanden. Doch er wurde unvermittelt angesprochen. Die blinde Ariana war ihm gefolgt. Sie übersetzte, was Chalid Batuta sagte: »Ich bin ein verwundeter und besiegter Mann. Laßt mich hier. Dieses Haus wird bald der schönste Scheiterhaufen sein, den sich ein Krieger wünschen kann. Viel Glück, Christenritter! Dein Schicksal wird dich noch weit tragen. Weit und sehr hoch.« Hatte Ariana nicht vorhin erst wie ein Schatten ihrer selbst neben der toten Zairah gehockt? Woher nahm das blinde Mädchen den Lebensmut, der es jetzt unverkennbar beseelte? »Darf ich mitziehen, wenn ihr in eure Heimat Camelot geht?« Was hätte Roland wohl dagegen haben können? »Halte dich an meinen
Knappen Pierre. Er versorgt meinen alten Lehrer Klaus. Neben dem Einsiedler wird er bestimmt auch für dich immer einen Platz haben, Ariana!« Seltsam. Um ihre tote Herrin, welche Ariana doch dankbar geliebt hatte, kümmerte sich das blinde Mädchen jetzt nicht mehr. Ehe sie den Knappen Pierre aufsuchte, sagte die Blinde noch zu Roland: »So viel ich weiß, gehört die Totenverbrennung in der Barbarei zu den Bestattungsarten, die dort als besondere Ehre vergeben werden.« Die Blinde richtete sich kerzengerade auf. »Außerdem, es gibt nichts, was meine Herrin Zairah wieder ins Leben zurückbrächte. Weißt du eigentlich, wie sehr sie dich geliebt hat, Ritter Roland?« Die blinde Ariana behauptete, Chalid Batuta habe die Brandfackel geworfen. Aus der Fackel war längst ein Feuer geworden, welches das Haus der Admiralsfrau bis auf die Grundmauern einäschern würde. Wie Roland den Verlust der Admiralin persönlich einstufte, erfuhr Ariana genausowenig wie zum Beispiel Volker. Der Sänger betrachtete seinen Freund wiederholt von der Seite. Dabei sah er aus, als wolle er Fragen stellen. Doch er blieb letztlich stumm. Mit Pierre und Roland räumte er das Haus. Sie brachten die Reittiere, auch die der besiegten Barbaresken und der Admiralsfrau, auf benachbarte Weiden. Knappe Pierre hatte umsichtig gehandelt. In einem Haus, welches in angemessener Entfernung zur Haushaltung der Admiralsfrau lag, wartete der Einsiedler Klaus mit allen anderen, welche an den Hof von Camelot sollten, auf den Abmarsch. Das Feuer brach mit donnerndem Knall durch den Dachstahl gen Himmel. Der hier im Küstenbereich ständig wache Wind nutzte die Gelegenheit. Er fuhr in die Flammen, ließ sie so recht fauchen und fachte den Brand an. Wenn Chalid Batuta sich in seinen letzten Stunden nach einem Scheiterhaufen gesehnt haben sollte, so war sein Wunsch erfüllt worden. Das Haus brannte lichterloh. Lange betrachtete Roland das Feuer. Dabei ging ihm alles mögliche durch den Kopf. Schließlich wandte er sich ab. Seine
Entschlüsse waren gefaßt. Als er seine Begleitung traf, hockte Mirinda in der Ecke des Raumes, darinnen auch das Bett des Einsiedlers Klaus stand. Der Eremit und die Learts-Tochter schien sich ausgesprochen zu haben. Ihren Mienen nach zu urteilen, hatte es so etwas wie eine Versöhnung zwischen ihnen gegeben. Der Einsiedler sah ausgesprochen wohlwollend zu, als Mirinda ihr Findelkind nährte. Klaus winkte Roland zu sich. Der Ritter beugte sich mitfühlend über den Mann, dem seine Fußwunden wohl noch lange zu schaffen machen Würden. »Habt Ihr Wünsche, Vater?« »Ja. Ich möchte in deiner Nähe bleiben, bis die Barbaresken geschlagen sind. Hinterher ziehe ich mich gern wieder in meine Klause zurück.« Roland versprach dem alten Lehrer ein völlig neues Eremitenhaus, welches in jeder Beziehung den Wünschen des Einsiedlers entsprechen sollte. »Das gehört mit zu der Zeche, welche die Barbaresken zu bezahlen haben, Vater.« Daß es Roland gelungen war, den Admiral und Oberbefehlshaber der feindlichen Heere gefangen zu nehmen, erfuhr Einsiedler Klaus so ganz nebenbei. Sogar der Eremit sah ein, daß bei dieser Lage der Dinge die Barbareskenexpedition nichts mehr gewinnen konnte. Es sei denn, es gelänge ihr, König Artus samt seiner Streitmacht mit einem Sonntagsschlag zu erledigen. Roland spürte sehr genau, daß Mirindas Augen ihm unentwegt folgten. Unmittelbar neben der Learts-Tochter, welche im Augenblick das Findelkind fütterte, stand Rendelin. Das Gesicht des jungen Mannes wirkte so hingebungsvoll, so von echter Neigung gezeichnet, daß es keinen Zweifel gab: Rendelin hatte Sinn, Zweck und Ziel seines Lebens gefunden. Roland ging zu Mirinda. Dann winkte er Rendelin zu sich. Er nahm die Hand des Wirtssohnes und hielt sie Mirinda hin. »Er hat dich aus der Barbareskennot gerettet.« Mirinda entgegnete mit funkelnden Augen: »Das weiß ich. Doch er
tat es auf dein Geheiß. Deshalb ...« Roland fiel dem Mädchen ins Wort: »Es war seine Waffe, welche die Barbaresken von dir riß. Er verdient deinen Dank und deinen Lohn.« Sie sah ihn an. »Ist dies dein Wille?« »Ja«, nickte Roland. »Das ist mein Wille. Und du sollst froh sein, daß du ihn bekommst... Vorausgesetzt, die Dinge, welche noch zu besprechen sind, fallen nicht zu deinen Ungunsten aus.« Verlegene Röte überflammte Mirindas Gesicht. Seltenes Schauspiel, war sie doch gemeinhin die Selbstsicherheit in Person. »Ich habe nichts zu verbergen und auch nichts zu fürchten ... Ritter Roland.« Die Stimme des Mädchens klang hart und weit erregter, als sie dem Anlaß nach hätte sein dürfen. Sie warf den Kopf in den Nacken. Straffte sich und sagte: »Er wird meinen Lohn bekommen, der Rendelin ... Und er wird keinen Grund zur Klage haben.« Das Haus Zairahs stand in hellen flammen. Der Brand entfachte den reinsten Feuersturm. Über das Holzgebälk der Nachbarhäuser geisterten bereits die ersten Feuerzungen. Der Abend fiel. Der Wind vom Meer wehte stärker. Es wurde kühl. Nach Rücksprache mit Volker vom Hohentwiel befahl Roland: »Wir reiten in zwei Stunden. Mit den Gefangenen. Mit den Pferden und mit allem sonst, was für uns Wert hat.« * Sie waren zu viert. Es gab weit mehr für sie zu tun, als acht Männerhände bewältigen können. Einsiedler Klaus saß in einer Sänfte, welche groß genug war, auch noch Ariana sowie Mirinda und das Kind zu transportieren. Die Sänfte wurde mitten in der stattlichen Herde der Beutepferde getragen. Die Gefangenen waren in der Nähe der Sänfte auf Pferde gebunden worden und zogen mit der Herde. Ausgenommen Mahmud ben Osmadi. Den Admiral und Oberbefehlshaber der Barbaresken behielt Roland in seiner Nähe.
Rendelin bewachte die Sänfte und sorgte für die Sicherheit der Menschen darin. Das Kommando war dem ehemaligen Wirtssohn recht. So durfte er in Mirindas Nähe bleiben. Rendelin war auch dafür verantwortlich, daß die Gefangenen nicht flohen. Am Schluß der Herde ritt Pierre. Volker kontrollierte den Gesamtzug. Roland bildete den Kopf der Wandergruppe. Sie hatten beschlossen, mit nur wenigen Rastpausen bis Camelot durchzumarschieren. Von den Unternehmungen und Plänen ihres Königs hatten Roland und seine Begleiter keine Ahnung. Sie wünschten nur mit heißem Herzen, daß es König Artus gelingen möge, die Barbaresken trotz deren wahrscheinlicher Übermacht zu stellen und zu schlagen. Sie hatten das Küstendorf mit den brennenden Häusern hinter sich gelassen. Entgegen ihren Erwartungen hatten in dem Ort doch noch Menschen gelebt. Sobald sie einerseits ihre Wohnungen in ernsthafter Gefahr glaubten und andererseits die Luft weitgehend barbareskenfrei fanden, waren sie aus ihren Verstecken gekrochen. Roland hatte allen, welche mitziehen wollten, Geleit bis Camelot in Aussicht gestellt. Doch sie hatten von Krieg und jeglicher Gewalttat die Nase voll. Sie lehnten ab. In gewisser Weise war das zu verstehen. Die breiten Waldringe zwischen Camelot und der Küste hatten die wandernde Herde aufgenommen. Das Trappeln der Hufe auf den Waldwegen erinnerte an aufziehende Gewitter. Es dauerte ziemlich lange, bis sie den Feuerschein des brennenden Küstendorfes nicht mehr am Himmel sahen. Dafür tauchten jetzt im Nordosten andere Feuerzeichen auf. Die Feuer, deren Farbe sich da im Firmament spiegelte, mußten sehr weit weg brennen. Alle zwei Stunden legten sie Rast ein. Auch bei diesen Gelegenheiten ließ Roland seinen Gefangenen nie aus den Augen. Mahmud ben Osmadi tat so, als habe er sich mit seinem Schicksal abgefunden. Dieser Eindruck trog bestimmt und war schlau berechnet. Wenn Roland sich mit seinem Freunde Volker beriet, hörte der Admiral stets zu. Roland wurde das Gefühl nicht los, der
Mann verstehe die Landessprache viel besser, als er zugab. Der Ritter aus Camelot dämpfte immer die Stimme, wenn ihm solche Bedenken kamen. »Um ganz sicher zu gehen, sollte ich ihm eine Kappe aufsetzen, ihn also blenden. Wie man es mit den Beizfalken macht, ehe ihnen die Jagd freigegeben wird.« Volker half ihm bei der Beschaffung eines kappenähnlichen Stückes Stoff. Mahmud ben Osmadi erkannte in letzter Sekunde, was da auf ihn zukam. Er wollte sich der Blendung entziehen. Doch da legte Roland selber Hand an ihn. Da fruchtete kein Zappeln, Treten und Beißen mehr. Volker streifte dem Barbareskenführer die Kappe über. »So«, sagte er. »Jetzt kann er sich wenigstens nichts mehr von dem merken, was er unterwegs sieht.« Beim Weiterreiten legte Roland die Marschstrecke rein nach dem Gefühl fest. Wenn es ihnen gelang, dieses Tempo beizubehalten, würden sie morgen gegen Abend Schloß Camelot erreichen. Viel, viel später erst wurde ihnen klar, welches Glück sie bei ihrem Zug gehabt hatten. Welch wahrhaft unwahrscheinliches Glück. Denn der Sonnenaufgang fand sie auf dem lang gezogenen Rücken eines Waldhügels. Die Sonne zeigte ihnen mit ihren ersten Strahlen in der weiten Ebene zwei Feldlager. Das eine hatte vor seinem purpurnen Königszelt die goldene Löwenstandarte König Artus. Das zweite Zeltlager wurde von zahllosen kleinen Bannern überragt. Die Wimpel und Fahnen flatterten munter im- Morgenwind. Sie zeigten alle den Halbmond der Barbaresken im grünen Feld. Grün galt als die Farbe des Propheten, welchem die Barbaresken wie alle Muselmanen anhingen. Roland betrachtete fasziniert das Bild. Er lagerte mit seiner Herde ungefähr mitten zwischen den feindlichen Heeren. Wenn er losritt, mußte er genau im Niemandsland ankommen. Jetzt drang Hörnerklang zu Roland und seinen Gefährten hoch. Das waren die grellen Instrumente der Barbaresken. Die Kader der Reiterei, des Fußvolks und der Hilfstruppen sammelten sich.
Ein schwerer, durchdringender Ton aus König Artus' Heerlager wellte über das Land. So klang nur eine Lure. »Waidenhold«, murmelte Roland. Er strengte seine Augen an. Tatsächlich erkannte er den Waffenmeister gleich neben König Artus' Purpurzelt. Er blies die Lure, daß der schwere Ton weit über Land und Wälder hallte. Roland und Volker sahen sich an. Sie hatten den gleichen Gedanken. »Du wirst kaum nach Camelot reiten wollen, nicht wahr?« fragte Roland nachdenklich. Volker lächelte. »Würdest du an meiner Stelle und unter diesen Umständen reiten wollen?« »Ja, Volker. Aber gegen den Feind.« Es dauerte ziemlich lange, bis Roland weiter sprach. Drunten in der Ebene rückten die Formationen der Barbaresken aus ihrem Lager. Silberblitzende Reihen zogen ihnen entgegen. Wie verschwindend klein war doch König Artus' Heer. Roland griff sich an den Hals, als drohe sein Panzer dort zu eng zu werden. »Wir werden Pierre und Rendelin mit den Gefangenen, mit Klaus und der Herde losschicken.« Volker sprang katzengewandt auf die Füße. »Ich hole sie gleich her!« Auch Knappe Pierre und Rendelin hatten den Aufzug der Heere da unten gesehen. Rendelin trat vor Roland. »Mirinda gibt zu bedenken, daß dies da unten bei weitem nicht alle Streitkräfte des Feindes sind. Wahrscheinlich handelt es sich nur um eine Heeressäule.« »Danke, Rendelin. Ich werde mich entsprechend einrichten. Gleichgültig, was kommt, Pierre und du, ihr zieht mit den Gefangenen und den Pferden nach Camelot. Laßt euch von dem Admiral nicht übertölpeln. Denkt immer daran, daß er unser wichtigstes Faustpfand ist, wenn wir den Frieden aushandeln.« Weder Rendelin noch der Knappe Pierre zeigten Begeisterung. Sie sahen nicht ein, daß sie sich jetzt, wo es doch richtig interessant
wurde, von den Rittern trennen sollten. Mirindas Warnung vor weiteren Barbareskenheeren, kam nicht von ungefähr. Sowohl im Osten als auch im Norden blitzte es in grauem Morgendunst von Waffen. Es mochte noch dauern, bis die Streitkräfte heran waren, doch sie zogen auf. Um König Artus und seine Mitstreiter konnte einem bei dieser Sachlage nur angst und bange werden. »Worauf wartet ihr noch?« sagte Ritter Roland barsch zu seinem Knappen und zu Rendelin. »Sorgt dafür, daß der Admiral wohl verwahrt wird. Und bringt als Verstärkung jeden Mann aus Camelot mit, der ein Pferd zu reiten und ein Schwert zu führen vermag. Adieu!« Ritter Roland hatte es so eilig, daß er nicht einmal von seinem alten Lehrer Abschied nahm. Rendelin und Pierre waren mit Weisungen und Ratschlägen genauso versorgt wie mit Befehlen. Sie zogen praktisch die gleiche Strecke, über welche sie von Camelot an die Küste geritten waren. »So«, sagte Roland und kontrollierte Rüstung und Waffen seines Freundes Volker. »Gleich wollen wir zu Tal reiten und dann wie der Sturmwind über die Barbaresken kommen. Findest du eigentlich, wir seien zu etwas nütze gewesen auf unserer Fahrt?« Volker vom Hohentwiel lächelte. »Du bist dir doch hoffentlich darüber klar, daß dir mit der Gefangennahme des Admirals ein Haupttreffer gelungen ist. Wir wollen nicht undankbar sein und hoffen, daß wir den heutigen Tag auch noch heil überstehen. Dann aber ist ein Abenteuer bestanden, wie es nur ganz wenigen Männern beschieden ist. Laß sehen! Soweit ich feststellen kann, ist deine Rüstung vollkommen in Ordnung. Reiten wir?« Samum schnaubte ähnlich zufrieden wie Volkers Streitroß, als die Freunde gemächlich nebeneinander zu Tal ritten. Die Spitzen ihrer Lanzen funkelten in der Sonne. Die erstrahlte von einem sattblauen, jetzt wolkenlosen Himmel. Vom Aufmarschplatz der feindlichen Heere wummerte es, als melde sich aufziehendes Gewittergewölk an.
Das waren die Kesselpauken, mit denen dem barbareskischen Fußvolk der Marschrythmus angegeben wurde. Dazwischen gellten unregelmäßig Lurenklänge. Wie das wütende Gebrüll zorniger Auerochsen. »Wie sollen wir es halten, Freund?« fragte Roland den Freund. »Was heißt das?« »Nun, brechen wir in unserer jetzigen Richtung in den Feind, oder schlagen wir artig einen Bogen und reihen uns neben König Artus ein, wenn er die erste Attacke reitet?« »Ich wäre für den Einbruch von hinten. Was glaubst du, wie das die Barbaresken durcheinanderbringt?« Die Tatsache, daß die Heere der Eindringlinge den Kampf annahmen, ohne auf ihren Anführer Mahmud ben Osmadi zu warten, konnte zweierlei bedeuten. Einmal, daß die Barbaresken entsprechend gereizt und herausgefordert worden waren, oder aber, daß die Unterführer des Admirals so hervorragend waren, daß er ihnen die Entscheidung über nötige strategische Operationen völlig allein überließ. Im letzteren Falle war höchste Vorsicht geboten. Denn Führungskräfte mit derartigen Vollmachten haben ihre Qualitäten und sind für jede Überraschung gut. Roland schloß sich der Meinung des Freundes an. Sie gelangten ohne Aufenthalt und Verzug bis in Rufweite der berittenen Kolonnen. Und just in dem Augenblick, da für die Barbaresken das Angriffssignal kam, preschten auch Roland und Volker an. Die Freunde waren glänzend aufeinander eingespielt. Sie deckten sich gegenseitig. Roland gab die Angriffspitze ab. Volker sicherte den Rücken des Freundes. Die Ritter warfen die ersten Barbareskenreiter aus dem Sattel. Wilde Schreie und Flüche quittierten dieses Tun. Bald hatten sie die ersten Banner erobert. Weiter. Jemand, der den Weg der camelotischen Ritter aus der Luft und etwas entfernt hätte verfolgen können, würde die Bahn der Freunde auf den ersten Blick erkannt haben. Doch sie griffen nur die Reiterei an. Bei den Kadern des Fußvolkes würde diese Verfahrensweise wenig genützt haben.
Wer weiß, wie weit sie noch von den eigenen Linien entfernt waren, als sie den ersten ernsthaften Widerstand fanden. Da hatte ein aufmerksamer Barbareske die Abendländer erkannt. »Giaurs!« klang es warnend. In Sekundenschnelle waren die Cameloten umringt. Doch so, wie die Barbaresken sich die Bereinigung des Falles vorgestellt hatten, lief sie nicht ab. Fechter auch der besten Qualität standen gegen sie auf verlorenem Posten wie ganz normale Söldner. Sie waren baß erstaunt, als sie sich plötzlich einem bärtigen Riesen mit einem Hörnerhelm gegenübersahen, der die Windungen einer Lure über der breiten Brust trug. »Waidenhold«, schrie Roland, so laut er konnte. Die Streiter von König Artus rückten in Keilformation an. Waidenhold bildete die Spitze. Er kämpfte wie ein Berserker. Der Keil wurde jetzt immer breiter. »Roland!« Zwei Stimmen brüllten den Namen. Roland und sein Freund Volker reihten sich in die Kette ihrer Kameraden ein. Immer aber, wenn der Stoßkeil sich festzusetzen drohte, wenn der Angriff stockte, scherten die Freunde aus und verhalfen dem Sturm wieder zu Schwung. Die Reiterei der Barbaresken, sonst ihre Hauptwaffe, war in alle Winde zerstoben. Nun begann König Artus' Heer, die Fußvolk-Kader der fremden Eroberer aufzubrechen. Dabei spielten Roland und sein Freund Volker einmal mehr die überragende und erfolgreichste Rolle. Beide nämlich übersprangen die Mauer der langen Speere und sprengten die Vierecke von innen auseinander. Unter denkbar geringen Verlusten errangen die Ritter von Camelot den Sieg. Doch kaum war das erste Treffen vorbei, meldete heller Hörnerklang neue Feinde. Die Cameloten hatten den Vorteil, dem Gegner praktisch in die Marschordnung zu prasseln. In der heillosen Verwirrung machten Artus' Ritter alles nieder, was sich nicht ergab. So erging es auch noch zwei weiteren Marschblöcken, die herangerückt kamen.
Der Triumph der Heeresgruppe von Camelot war vollkommen. Ehe die Sonne dieses heißen Tages sank, zogen unübersehbare Reihen gefangener Barbaresken entwaffnet in Lager, welche in aller Eile für sie hergerichtet worden waren. König Artus ließ Roland rufen. Die Ritter der Tafelrunde umstanden den König im Halbkreis. Wie Roland beugte auch Volker vom Hohentwiel das Knie vor dem König. * Die Barbareskengefahr war gebannt. Was hier und dort sich von den Seeräubern versteckt hatte, wurde teils durch bewaffnete Streifen aufgebracht, teils durch die befreite Bevölkerung ausgeliefert. Wer wollte es der gepeinigten Einwohnerschaft von Städten und Dörfern verdenken, daß sie hin und wieder mit einem besonders grausamen Eroberer kurzen Prozeß machten und ihn auf ihre eigene, drastische Art zur Rechenschaft zogen? Das Sündenregister der Barbaresken war lang. Vergeblich rieten Männer von der Art des Klausners zur Mäßigung. Mancher, wie zum Beispiel Knappe Louis, fanden, so einer wie Einsiedler Klaus habe gut reden und Nachsicht predigen. Sein Verlust sei ja mehr als aufgewogen durch die Sonderrechte und Privilegien, welche ihm von König Artus zugestanden und verbrieft worden seien. Roland durfte dergleichen Reden nicht hören, ohne den vorlauten Sprecher gleich zur Rechenschaft zu ziehen. Der Einsiedler als Rolands alter Lehrer genoß bei dem Ritter absolute Sonderrechte. Klaus, der Eremit, besaß Einfluß. Das zeigte sich erst in kleinen Dingen. In so kleinen Angelegenheiten, wie sie zum Beispiel Mirinda, die Tochter des Learts of Caind vertrat. Zwischen Mirinda und ihrem so gut wie wieder voll genesenen Bruder Richard, hatte es ein ergreifendes Wiedersehen gegeben. Mirinda und ihr Bruder lebten noch auf Camelot. Doch es hieß, sie würden alle drei wegziehen, sobald Rendelin sein Gasthaus in dem abgelegenen Waldviertel so weit aufgebaut hatte, daß man Menschen
zumuten konnte, darin zu wohnen. Mirinda hatte offenbar ihre Neigung zu Roland völlig verloren. Alles, dessen sie an fraulichen Gefühlen fähig war, galt jetzt Rendelin und konzentrierte sich auf ihn. Wie weit sie schuldig geworden war, ob sie etwa Roland und seine Gefährten Zairahs Männern ausgeliefert hatte, wurde nie restlos geklärt. Sie mußte auch Verdienste um die Sache Camelots haben. Sonst hätte der König Mirinda of Caind nicht ohne Verhandlung oder Verhör von jeglicher Schuld freigesprochen. Nicht nur das, es wurde auch unter das manchem anrüchig erscheinende Vorleben der Learts-Tochter ein Strich gezogen. König Artus liebte keine halben Lösungen. Der Barbaresken-Admiral hatte seine Niederlage noch nicht vollends begriffen. Zwar wußte er, daß er unterlegen war. Doch wie das zustandekam, blieb ihm ein Rätsel. In seiner barbareskischen Heimat drohte ihm nach der Rückkehr ein strenger Prozeß. Doch er würde heimkehren und sich verantworten. Mahmud ben Osmadi war kein Feigling. Er hatte Enttäuschungen in Hülle und Fülle hinnehmen müssen. Am meisten hatte ihn der Verrat der Odaliske Suleika getroffen und geschmerzt. Die schöne Odaliske gehörte zu den wenigen aus Barbareskentroß und Barbareskenheer, denen es gelang, mit Teilen der Flotte zu entkommen. Suleika sollte gleich nach der Niederlage des Admirals die Geliebte eines unbedeutenden Subalternoffizier geworden sein und mit diesem Mann die Flucht per Schiff angetreten haben. Nicht ohne Mahmud ben Osmadis gesammelte Kriegsschätze mitzunehmen. »Ein kluger Mann versucht, seinen Gegner zu seinem Freund umzuformen«, riet Einsiedler Klaus dem König. Roland fand diese Rede seines alten Lehrers gar nicht gut. Als er sah, daß der König seine Stirn runzelte, fürchtete er einige Sekunden um den Lehrer. Doch Artus dachte nur nach. Und der König kam zu dem Ergebnis, daß der Eremit recht habe. Von Stund an gab er sich mit seinem prominenten Gefangenen
ausgesprochene Mühe. Als erstes wurde Mahmud ben Osamdi menschenwürdig untergebracht. »Es bringt keinen Gewinn, die Würde eines Mannes zu zerstören.« Auch dieser Satz stammte von Einsiedler Klaus. »Wie können uns diese Barbaresken eigentlich nützen?« wollte König Artus eines Tages wissen. Der Eremit wußte darüber ziemlich genau Bescheid. »Bringe ihnen bei, daß es vorteilhafter für beide Seiten ist, miteinander Handel zu treiben. Sie sollen ihre Expeditionen aufgeben, die nur reiner Sklavenjagd dienen und stattdessen ihre Handelsschiffe zu uns schicken.« Hatte nicht auch Mirindas und Richards Vater, der Leart of Caind, Handel mit den Barbareskenstaaten getrieben und es dabei zu beachtlichem Wohlstand gebracht? König Artus brachte ebenso vorsichtig wie geschickt bei nächster Gelegenheit das Gespräch auf diesen Punkt. Mahmud ben Osmadi musterte den König aus großen Augen. »Ihr überrascht mich, Majestät! Aber Ihr habt recht. Gestattet, daß ich einige Briefe in meine Heimat schreibe.« * Am Abend trug Volker vom Hohentwiel die Ballade seiner und Ritter Rolands Erlebnisse während des Barbareskeneinfalls vor. Begeistert klatschte die lauschende Menge Beifall, Sänger Volker mußte das Lied wiederholen. Für Stunden dachten die Menschen nicht an den grausamen Krieg.
ENDE
Die Menschenmenge drängte näher. Jeder wollte einen Blick auf Volker erhaschen. Der Minnesänger schlug einen Akkord auf der Laute und blickte mit gewinnendem Lächeln in die Runde. Manch Frauenbusen wogte vor Erregung ob dieses Lächelns, das jeder ganz allein zu sein schien. Das Stimmengewirr verstummte, erwartungsvolle Stille setzte ein. »Nun denn, so will ich den schönen Damen zur Ehre meine neue Ballade vortragen.« Und er sang zum Spiel der Laute. Gebannt lauschte die Menge. Es war eine atemberaubende Mär von Ritter Rolands neuer Ruhmestat, von den tapferen Knappen Pierre und Louis, von einem geraubten Schatz, von einer reizenden Tänzerin und einer reißenden Bärenbestie, vom Schrecken auf Burg Hohenstolz und von Ritter Rolands tollkühnem Kampf in der Bärenfalle ...
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