TERRA ASTRA 477
Bumerang Erde von Harvey Patton
Die Hauptpersonen des Romans: Tom Grimsby und Fram Elsner - Eigentüme...
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TERRA ASTRA 477
Bumerang Erde von Harvey Patton
Die Hauptpersonen des Romans: Tom Grimsby und Fram Elsner - Eigentümer der G. & E.-Company. Lem Gander - Ein Chefprogrammierer verschwindet spurlos. Mark Lawson - Leiter des S. D.-Kommandos. Carl Meadows - Lawsons Assistent. Mr. Kline alias Walt Carey - Die graue Eminenz“ der WORLDCONTROL.
1. „So, da bin ich wieder“, verkündete Fram Elsner in seiner gewohnt unbekümmerten Art und warf die Reisetasche in einen Sessel. „Alles ging überraschend glatt, die Verträge sind unter Dach und Fach. Du hast aber Schwierigkeiten, wie es scheint?“ Tom Grimsby nickte langsam, ohne von den Rechnerfolien aufzusehen, über denen er brütete. „Das kann man wohl sagen!“ entgegnete er mißmutig. „Irgendwo ist in den Unterlagen hier ein Fehler drin, aber ich kann ihn beim besten Willen nicht finden. Zuweilen meine ich fast, daß jemand den Kybermaten absichtlich mit falschen Daten beschickt hat, die sich in winzigen Details von den richtigen unterscheiden. Das genügt aber vollauf, um die größte Verwirrung zu stiften.“ „Laß mich mal sehen“, sagte Fram und ließ sich auf der Ecke des großen Schreibtisches nieder. Grimsby reichte ihm die Blätter, der andere nahm sie und ging den Inhalt aufmerksam durch. Schon nach kurzer Zeit verfinsterte sich sein Gesicht, und eine steile Falte erschien auf seiner Stirn. -1-
„Verdammt!“ murmelte er unbehaglich, während seine Augen weiter über die Seiten flogen. „Die Basisrechnung stimmt, aber die habe ich ja selbst erstellt; hier jedoch ... und da wieder ... Himmel, diese Werte passen wirklich einfach nicht zusammen! Das Verhältnis vom Eingang der Energie zum Wiederaustritt, bezogen auf die Kapazität und unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Leistung ...“ Seine Stimme verstummte, nur die Lippen bewegten sich weiter, er war ganz Konzentration. Sein fast eidetisches Gedächtnis ließ ihn auch die schwierige Kybermat-Berechnungen nachvollziehen, und der Freund störte ihn nicht dabei. Er lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarette an. Um seinen Mund zuckte es nervös, weil er seine Befürchtungen bestätigt sah. Tom Grimsby war groß und hager, sein schmales Gesicht wies zahlreiche kleine Fältchen auf. Das und die grauen Strähnen in dem gelichteten braunen Haar ließen ihn älter erscheinen, als er mit seinen fünfundvierzig Jahren tatsächlich war. Im Vergleich zu ihm wirkte Elsner wie ein Jüngling, obwohl er nur sieben Jahre jünger als sein Partner war. Beide Männer ergänzten sich jedoch auf allen technischen Gebieten vorzüglich; Fram war dabei der Praktiker, während Toms Stärke mehr auf theoretischem Gebiet lag. Eine Viertelstunde verging, dann hatte Elsner das Studium der Folien beendet. Er warf sie so hart auf den Tisch zurück, daß Grimsby unwillkürlich zusammenfuhr. „Hast du gesagt, da wäre ein Fehler drin?“ fragte er und griff nun ebenfalls nach einer Zigarette. „Mann, das war die Untertreibung des Jahrhunderts! Unser Glück, daß ich ein paar Tage früher als vorgesehen zurückgekommen bin, sonst hätte es hier bald einen großen Knall gegeben.“ „Sabotage?“ flüsterte Tom ungläubig und verstört. Fram lachte grimmig auf und nickte. „Natürlich, etwas anderes kann es gar nicht sein. Da muß es jemand geben, der förmlich darauf gelauert hat, daß ich für eine Weile abwesend war, damit er dir diese Berechnungen unterschieben konnte! Er hat wohl geglaubt, daß du sie ohne Bedenken akzeptieren würdest, sie stammen schließlich vom Kybermaten, und die Zeit drängt. Die WORLD CONTROL will Erfolge sehen, wenn möglich, schon gestern - du hättest grünes Licht für den Probelauf gegeben, nicht wahr?“ Tom Grimsby zuckte mit den Schultern.
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„Spätestens morgen“, räumte er ein. „Natürlich hätte ich zuvor noch eine Kontrollberechnung durchführen lassen, weil mir diese nicht ganz geheuer vorkam ...“ „Sie hätte dir nur herzlich wenig genützt“, unterbrach ihn Elsner hart. „Der Kybermat hätte die Angaben dieser Falsifikate ein zweites Mal ausgespuckt, weiter nichts! Er kann nur mit den Daten arbeiten, die ihm eingegeben werden, und wenn diese von jemand verfälscht wurden, fällt er gla tt darauf herein.“ Er beugte sich vor und sah dem Freund ernst ins Gesicht. „Wer aber mag das auf dem Gewissen haben, Tom? In welcher Schicht wurden die Berechnungen durchgeführt?“ „Gestern nachmittag und heute morgen, Fram. Das Kybermatikerteam bestand aus Mona Cryns und Lem Gander, und auf beide war bisher immer voll Verlaß. Für sie könnte ich die Hand ins Feuer legen.“ Fram Elsner grinste humorlos. „Dabei würdest du wohl Verbrennungen dritten Grades davontragen, Alter! Unglaublich, laß noch mal sehen - ja, hier ist die Kennung Ganders angegeben. Also muß er derjenige sein, den sich jemand gekauft hat, um die Produktion der neuen Triebwerke zu sabotieren.“ Grimsby gab sich geschlagen. Wahrscheinlich hast du recht, du verstehst mehr von der Materie als ich. Was willst du jetzt tun?“ „Ist Gander noch im Haus? Okay, dann werde ich ihn mir umgehend vorknöpfen.“ Er zog eine Schublade auf, holte einen Nadler hervor und prüfte die Ladung des Magazins. Grimsbys Augen weiteten sich, er begann krampfhaft zu schlucken, als er die Waffe sah. „Ist das dein Ernst?“ brachte er hervor. „Mein voller Ernst, Tom!“ erklärte Fram bitter. „Hier ist eine ganz große Schweinerei im Gange - hast du das noch immer nicht begriffen? Wenn jemand versucht, ein Projekt zu sabotieren, das im Auftrag der WORLD CONTROL läuft, muß er zu den Anarchisten gehören, die neuerdings wieder aktiv geworden sind. Die zeichnen sich vor allem dadurch aus, daß sie bedenkenlos morden, sobald ihnen jemand ans Leder will, und dagegen muß ich gewappnet nein!“ *
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Fram Eisners Gesicht blieb unbewegt, als er dann den Korridor entlangschritt, der zu den Antigravlifts führte. Er erwiderte die Grüße einiger Angestellter, die ihm begegneten, und tat so, als wäre alles in bester Ordnung. In seinem Innern aber brodelte es heftig, seine Stimmung war auf dem Nullpunkt angelangt. Kalter Zorn erfüllte ihn bei dem Gedanken, daß jemand darauf aus war, nicht nur das Projekt, sondern die ganze Firma zu zerstören. Die „G & E.-Company“ gehörte ihm und Tom zu gleichen Teilen. Die beiden Freunde hatten sie vor zehn Jahren gegründet und zuerst nur simple Gleitermotoren hergestellt, aber bald war es mit der Firma steil bergauf gegangen. Vorbildliches Teamwork und Management hatten zu großen technischen Verbesserungen geführt, schon nach vier Jahren hatten sich die Produktionsziffern verzehnfacht. Dann hatte die G. & E. auch Raumschiffstriebwerke in ihr Programm aufgenommen, mit ähnlich großem Erfolg. Jetzt stand sie auf diesem Gebiet bereits unbestritten an der Spitze. Grimsby und Elsner hatten persönlich einen großen Anteil daran, daß die Hypertriebwerke der irdischen Raumschiffe immer besser und leistungsfähiger wurden. Der eine hatte die Ideen, und der andere sorgte dafür, daß sie optimal verwirklicht wurden. Inzwischen war ihr in Mittelengland gelegenes Werk zu einem gigantischen Komplex angewachsen. Es belieferte vorzugsweise die Schiffe der Raumpolizei, die der WORLD CONTROL unterstand, dem Nachfolgeorgan der früheren UNO. In ihrem Auftrag erfolgte nun auch die Entwicklung neuer, erheblich stärkerer Triebwerke, die kurz vor dem Abschluß stand. Wem mochte wohl daran gelegen sein, dieses wichtige Projekt zum Scheitern zu bringen? Eine Konkurrenzfirma konnte es kaum sein, die Zeiten derartiger Praktiken waren längst vorbei. Es blieben also nur die Anarchisten, sie waren prinzipiell gegen alles und schreckten vor nichts zurück. Doch woher mögen sie davon gewußt haben? dachte Fram. Vorhaben von solcher Wichtigkeit wurden nicht an die große Glocke gehängt, die Öffentlichkeit erfuhr erst dann davon, wenn der Erfolg sicher war. Die Vorarbeiten gingen ganz im stillen vor sich. Eine Schar von fähigen Technikern hatte fast ein Jahr lang daran gearbeitet, die rein mechanischen Voraussetzungen zu schaffen. Die hyperphysikalischen Aufgaben konnten jedoch von Menschen allein nicht mehr bewältigt werden, sie hätten Jahrzehnte dazu gebraucht. Grimsby - er war mehrfacher Doktor auf diesen Fachgebieten - hatte nur die Grundidee gehabt. Alle weiteren Berechnungen mußten von einem „Schnelldenker“ durchge-4-
führt werden, der dazu nur ein Minimum an Zeit brauchte, einem Kybermaten. Die G. & E. besaß das neueste Modell eines solchen Präzisionsrechners und dazu das nötige erstklassige Fachpersonal. Nun lag der Prototyp des neuen Triebwerks bereits auf dem Prüfstand, die Erprobung sollte stattfinden, sobald die Enddaten aus dem Kyberraum vorlagen. Sie bezogen sich vor allem auf die Energiemengen, die dabei eingesetzt werden sollten, gerade hier ging es um höchste Präzision. Und genau da sollte die Sabotage einsetzen! dachte Fram Elsner grimmig. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, hätten unsere Leute ahnungslos die verfälschten Daten verwendet. Nicht nur allein der Prüfstand wäre in die Luft geflogen, sondern mit ihm das gesamte Werk! Elsner schwebte im Antigravlift dem Erdgeschoß entgegen, in dem sich die Erholungsräume für das Personal befanden. Dort sollte sich Lem Gander aufhalten, jener Mann, dem zweifellos die Fehlprogrammierung des Kybermaten anzulasten war. Was mag ihn wohl dazu bewegen haben, sich auf die Seite dieser Chaoten zu schlagen? überlegte Fram. Er ist im Grunde doch ein gutmütiger Mann, wir arbeiten jetzt bereits seit Jahren zusammen, und da lernt man einen Menschen kennen. Er hat eine nette Frau und zwei halbwüchsige Kinder, auf die er stolz ist, und alle Kollegen schätzen ihn. Man muß wohl eine Menge Geld geboten haben, um ihn herumzukriegen ... Und trotzdem begreife ich es nicht! Elsner unterbrach sein Nachdenken, als sein Fall vom Prallfeld sanft abgebremst wurde. Die Schachttür öffnete sich, und er betrat das Rollband, das zu den Erholungsräumen führte. Der Korridor lag verlassen da, denn es ging schon auf 15 Uhr zu. Das Gros der hier im Verwaltungsgebäude des G. & E. beschäftigten Angestellten bereitete sich bereits auf das Ende ihres sechsstündigen Arbeitstags vor. Das Band endete vor einer Tür, die in einen Nebenflügel des Bauwerks führte. Sie glitt automatisch auf, Fram trat hindurch und blickte durch die Glaswände, die die einzelnen Räume voneinander trennten. Gleich links lag die Bowlingbahn, dort hielten sich vier Männer auf; sie waren jedoch vollauf beschäftigt, wandten ihm den Rücken zu und bemerkten ihn nicht. Im Schwimmbecken zur Rechten kraulte eine Frau langsam dahin, Fram erkannte sie an ihrem kurzen, blonden Haar als Mona Cryns. Das angrenzende Solarium war leer, ebenso das auf der Gegenseite gelegene Fitneßcenter. -5-
Fram Elsner hatte auch nicht erwartet, Lem Gander in einem dieser Räume zu finden. Er schritt weiter, auf die Automatkantine zu, die den größten Teil dieses Komplexes einnahm. Nur ein Mann stand vor den Spielautomaten, die rechts an der Seitenwand hingen, und Fram nickte mit grimmiger Befriedigung. So wie fast jeder Mensch hatte auch der Kybermatiker eine kleine Schwäche - eben diese Art von Automaten. Er glaubte, infolge seines Fachwissens auf dem Gebiet der Elektronik mehr Gewinnchancen zu haben als andere. Ein Irrglaube, der ihn so manches Pfund kostete und ihm den gelinden Spott der anderen Angestellten eintrug, aber Gander ließ sich nicht davon abbringen. Eigentlich verwunderlich, daß er auch jetzt noch dieser Marotte anhängt! dachte Elsner. Wenn ich er wäre, hätte ich gleich nach dem Ende meiner Schicht das Weite gesucht und aus der Distanz abgewartet, was geschehen würde. Ob er wirklich so sicher sein mag, daß niemand seine Manipulationen bemerkt? Er schob die Rechte in die Jackentasche und faßte den Griff der kleinen Waffe. Dann stieß er die Tür zur Kantine auf und ging mit angespannten Sinnen langsam auf den Saboteur zu. Lem Gander mußte bemerkt haben, daß jemand eingetreten war. Er löste aber trotzdem seinen Blick nicht von den bunten, rotierenden Scheiben des Spielgeräts, vor dem er stand. Sie liefen in rascher Folge aus, und dann sah Fram verblüfft, daß in allen vier Feldern das gleiche Symbol erschien. Ein Glockenspiel ertönte, dann begann es in dem Apparat zu rattern, und die Auffangschale füllte sich bis zum Rand mit Zehnschillingstücken. Gander holte sie heraus und warf sie auf den Tisch hinter sich; dort lag, wie Elsner erst jetzt bemerkte, bereits ein ansehnlicher Haufen Münzen. Der Kybermatiker wandte sich scheinbar unbeeindruckt zur Seite, dem nächsten Automaten zu. Dabei geriet Fram Elsner in sein Blickfeld. Gander drehte sich zu ihm um und lächelte triumphierend. „Ach, Sie sind es, Chef. Sie kommen gerade zurecht - endlich ist mir der Durchbruch gelungen! Vier dieser Kästen sind schon leer, die beiden letzten kommen auch gleich noch dran. Da liegen jetzt schon über vierhundert Pfund - wie habe ich das gemacht?“ „Ganz ausgezeichnet, Lem“, sagte Elsner kühl. „Mir wäre es allerdings weitaus lieber, wenn Sie auf Ihrem eigentlichen Fachgebiet ebenso tüchtig wären. Da hapert es aber wohl doch etwas, sonst hätte ich die Fälschung
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der Daten für die Triebwerke nicht so schnell bemerkt! Ihr Spiel ist aus, in jeder Hinsic ht ...“ Er holte den Nadler hervor und richtete ihn auf den Saboteur. Die Reaktion darauf entsprach jedoch in keiner Weise seinen Erwartungen, denn das Lächeln auf Lem Ganders Zügen blieb. „So ist das also!“ erwiderte er langsam. „Damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet, anscheinend habe ich Grimsby wohl doch unterschätzt. Und mit Ihrem Auftauchen hatte ich ebenfalls nicht so bald gerechnet Pech, nicht wahr?“ Fram Elsner trat unwillkürlich einen Schritt zurück, und damit rettete er sein Leben. Gander machte aus dem Stand einen gewaltigen Satz, mit dem er die drei Meter bis zu seinem Chef mühelos überbrückte. Seine Hände waren weit vorgestreckt und richteten sich gegen Frams Hals, doch nun verfehlten sie ihn. Sein Körper kam für Sekundenbruchteile aus dem Gleichgewicht, fing sich jedoch sofort wieder, und schon setzte er zu einem neuen Angriff an. Elsner reagierte aber trotz seiner Überraschung abermals rasch genug. Er sprang gleichfalls zurück und riß dabei den Abzug seiner Waffe durch. Innerhalb einer Sekunde rasten zwanzig winzige Nadeln aus ihrem Lauf, mit genügend Betäubungsgift versehen, um selbst einen Stier fällen zu können. Fast alle schlugen durch die Kleidung in Lem Ganders Körper. Fram nahm den Daumen vom Auslöser und war davon überzeugt, daß sein Gegner im nächsten Augenblick zusammenbrechen würde. Vorsichtshalber machte er noch einen Schritt zurück, stolperte dabei über einen Stuhl und kam zu Fall. Ein eisiger Schreck durchfuhr ihn, als er anschließend begriff, daß dieser Zufall ihn ein zweites Mal vor dem Tod bewahrt hatte. Gander hatte ihn, ohne auf die Giftnadeln zu reagieren, erneut angesprungen. Sein Körper hechtete durch die Luft, verfehlte ihn jedoch erneut und schoß über ihn hinweg. Mit dem Kopf voraus prallte er gegen das Metallgehäuse eines Kaffeeautomaten. Ein berstendes Geräusch ertönte, Elsner zweifelte keinen Augenblick daran, daß sein Kontrahent dabei einen Schädelbruch davongetragen hatte. Er stemmte sich hoch, aber nur, um zu sehen, daß Gander genauso schnell wieder auf die Beine kam. In diesem Moment begriff er alles: Hier hatte er keinen Menschen vor sich - er kämpfte gegen einen Roboter, der nur die Gestalt und das Aussehen des Kybermatikers besaß!
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Verzweifelt betätigte er wieder seine Waffe, und das Glück war zum drittenmal auf seiner Seite. Eine der mit hoher Geschwindigkeit aus dem Lauf rasenden Nadeln schien eine wichtige Leitung in dem Roboterkörper unterbrochen zu haben, die Bewegungen dieses äußerst gefährlichen Gegners gerieten ins Stocken. Gleichzeitig ergoß sich von hinten her ein Strahl heißen Kaffees aus dem Automaten über ihn und drang durch die Öffnungen ein, die die Nadelgeschosse zuvor geschaffen hatten. Diese Flüssigkeit war ein guter Stromleiter. Ein heftiger Kurzschluß war die Folge. Eine Serie von grellen Blitzen umwaberte plötzlich die Gestalt des Roboters, er verlor das Gleichgewicht und prallte hart zu Boden. Die Nachbildung Lem Ganders lag jetzt regungslos da, mit einem eingefrorenen Lächeln auf dem künstlichen Gesicht. Elsner atmete keuchend aus, lehnte sich erschöpft gegen einen Tisch und versuchte zu begreifen, was da eben alles geschehen war. Dieser Kampf war natürlich nicht ohne Geräusche abgegangen. Die vier Bowlingspieler hatten gerade eine Pause gemacht und den Krach gehört; nun kamen sie, um nachzusehen. Ihnen folgte Mona Cryns, die gerade aus dem Schwimmbecken gestiegen war. Fassungslos starrten die fünf Menschen auf die reglose Gestalt am Boden und auf ihren Chef, der noch immer die Nadelwaffe in seiner herabhängenden Rechten hielt. Die junge Frau überwand ihren Schreck zuerst. Sie eilte auf Fram Elsner zu. „Sie gewissenloser Rohling!“ schrie sie den vermeintlichen Mörder an. „Was haben Sie mit Lem gemacht, Sie elender Kerl?“ Fram atmete noch einmal tief durch, dann sagte er tonlos: „Bitte, sehen Sie sich Ihren Kollegen nur einmal ganz genau an! Er wird Ihnen wohl nicht mehr ganz so gut gefallen wie früher, fürchte ich ...“ 2. Gegen 16 Uhr wimmelte es im Verwaltungsgebäude der G. & E. nur so von Beamten des Sicherheitsdienstes der WORLD CONTROL. Elsner hatte seinen Kompagnon mit knappen Worten von den Ereignissen in der Kantine unterrichtet und dann sofort das SD-Büro in London informiert. Während Tom Grimsby noch immer verständnislos den Kopf schüttelte, trafen bereits die ersten Gleiter mit den Spezialisten für Abwehr und Sabotage ein. -8-
Natürlich war dieses Vorkommnis so diskret wie nur möglich - man befand sich schließlich im europäischen Bundesstaat England - behandelt worden. Die vielen ahnungslosen Angestellten hatten das Verwaltungsgebäude wie immer verlassen können, und da es Freitag war, hatte auch niemand mehr Verlangen nach einem Kantinenbesuch gespürt. Eine Gruppe von Spezialisten war dabei, den Körper des Roboters genauestens zu untersuchen. Die Männer standen vor einem Novum, denn bisher hatte es auf der Erde und den von ihr aus besiedelten Welten noch keine auch nur annähernd so perfekten Maschinen gegeben. Grimsby und Elsner saßen in einem kleinen Konferenzraum Mark Lawson gegenüber, dem Leiter des SD-Kommandos. Er war ein großer, massiger Mann mit harten Gesichtszügen, kurzem, braunem Haar und wachsamen dunklen Augen. Neben ihm saß sein Assistent Carl Meadows, ein unscheinbar wirkender Mann, der nur dann sprach, wenn er direkt angeredet wurde. Außer ihnen befanden sich noch Mona Cryns und Mac Saxon in dem Raum, ein Angestellter aus der Registratur. Er war unter den Bowlingspielern gewesen und fungierte nun als ihr Sprecher. „Fassen wir alles noch einmal kurz zusammen“, sagte Lawson, der den Titel Chief-Examiner trug. „Der vorgebliche Lem Gander hat also zweifellos wichtige Berechnungen verfälscht, indem er den Kybermaten der Firma mit teilweise unrichtigen Daten beschickte. Sie haben davon nichts bemerkt, Miß Cryns?“ Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Nein, Sir“, erwiderte sie leise. „Lem war der Chefprogrammierer und tat die Hauptarbeit selbst; ich hatte nur darauf zu achten, daß die Energiezufuhr für den Rechner konstant blieb und die Programmspulen rechtzeitig erneuert wurden. - Ich war sozusagen nur seine linke Hand, mehr nicht.“ Lawson nickte mit unbewegtem Gesicht. „Auch die kleinen Räder sind wichtig, wenn eine Maschine gut funktionieren soll. Eine andere Frage: Ist Ihnen an Gander in den letzten Tagen etwas aufgefallen? Verhielt er sich anders als sonst, wich sein Betragen irgendwie von der üblichen Norm ab? Überlegen Sie gut, jede Kleinigkeit kann hier ausschlaggebend sein!“ Mona Cryns dachte angestrengt nach. Ihr Blick glitt umher und begegnete dem Fram Eisners, und dieser nickte ihr aufmunternd zu. Sie dankte ihm mit einem zaghaften Lächeln, und ihre Antwort kam nun schon bedeutend flüssiger.
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„Er war eigentlich so wie immer, Sir, wortkarg und ganz auf seine Arbeit konzentriert. Auch in der Pause um elf Uhr sprach er nur wenig, trank seinen Kaffee und rauchte - nein, heute morgen tat er es nicht! Ich bot ihm eine Zigarette an, aber er lehnte ab und meinte, er hätte beschlossen, sich dieses Laster abzugewöhnen.“ Mark Lawson hob die Brauen und sah seinen Assistenten fragend an. Meadows räusperte sich verlegen und sagte dann: „Das erscheint in der Tat etwas seltsam, Chief. Ein langjähriger Raucher ich gehöre selbst dazu - trennt sich nicht von einem Tag zum anderen von diesem ... hmmm, Laster. Ich neige zu der Ansicht, daß der als Gander verkleidete Roboter aus irgendwelchen Gründen nicht imstande war, zu rauchen wie sein Vorbild. Deshalb wohl diese plötzliche und im Nachhinein auffällige Entscheidung.“ Mac Saxon grinste und warf ein: „Ganz so auffällig, wie Sie meinen, ist sie nun auch wieder nicht. Schon Mark Twain, ein Schriftsteller, der vor zweihundert Jahren lebte, hat gesagt, daß es leicht wäre, sich das Rauchen abzugewöhnen, Mr. Meadows.“ „Sie vergessen leider dabei den entscheidenden Nachsatz ,Ich habe es ein dutzendmal mit bestem Erfolg getan’ „ bemerkte Mark Lawson mit deutlichem Sarkasmus. „So einfach, wie Sie es hinstellen wollen, scheint dieses Beginnen also doch nicht zu sein. Natürlich ist das längst noch kein Beweis, aber immerhin doch ein Indiz, für das einiges spricht.“ Fram Elsner hob die Hand und sagte: „Ein Indiz dafür, daß Gander gestern vermutlich noch ‘echt’ war; heute dagegen erschien sein robotischer Doppelgänger an seiner Stelle zum Dienst. Eine derart perfekte Nachahmung, daß niemand einen Unterschied bemerkt hat, seine Hersteller müssen Lem Gander lange und gründlich studiert haben. Sie haben ihm sogar dessen Schwäche für Spielautomaten mit einprogrammiert, das aber wohl etwas zu gründlich. Dem wirklichen Lem wäre es nie gelungen, eines der Geräte nach dem anderen restlos zu leeren.“ Der Chief-Examiner nickte. „So gesehen, war der Roboter sogar etwas zu perfekt geraten. In seinem Bestreben, Gander bis ins letzte Detail zu imitieren, ist er über das Ziel hinausgeschossen, ohne daß er selbst es bemerkt hat. Für sein überlegenes kybermatisches Gehirn muß es nur eine Kleinigkeit gewesen sein, die primitiven Automaten zu überlisten, deshalb fand er nichts dabei.“ „Richtig“, bestätigte Tom Grimsby. „Er scheint aber auch uns Menschen unterschätzt zu haben, als er uns die gefälschten Daten präsentierte. Selbst - 10 -
ich habe die kleinen Modifikationen bemerkt, obwohl ich nicht viel von Kybermatik verstehe. Trotzdem hätte er wohl doch sein Ziel erreicht, wäre Fram nicht vorzeitig von seiner Reise zurückgekehrt.“ Nun sprach Carl Meadows erstmals, ohne dazu animiert zu werden, was ihm einen überraschten Blick seines Vorgesetzten eintrug. „Das alles sind rein vordergründige Überlegungen, sie gehen meiner Meinung nach weit am Kern der Sache vorbei. Ich habe selbst vier Jahre lang Kybermatik studiert und weiß deshalb, daß keines der auf der Erde oder den anderen Planeten existierenden Werke dazu in der Lage ist, Roboter dieser Art herzustellen. Diese Maschine muß das Erzeugnis einer fremden, nichtmenschlichen Technik sein!“ * Lähmendes Schweigen hing im Raum. Weit aufgerissene Augen starrten den Assistenten an, denn diese Behauptung erschien kühn und ungeheuerlich. Die Menschheit kannte den Hyperraumflug bereits seit mehr als 150 Jahren. Ihre Schiffe besaßen einen Aktionsradius von rund 200 Lichtjahren, und im Laufe der Zeit hatte man alle Sonnensysteme in diesem Bereich gründlich erkundet. Achtzig außersolare Welten waren nun bereits besiedelt, und dabei hatte es, abgesehen von natürlichen Hindernissen, nie Schwierigkeiten gegeben. Man war dabei zwar auf sechs fremde Rassen gestoßen, eine davon lebte nur sechzehn Lichtjahre von der Erde entfernt. Keine von ihnen kam jedoch in bezug auf ihre technische Entwicklung auch nur annähernd an die der Menschen heran. Vier dieser exotischen Völker befanden sich noch im Primitivstadium. Die beiden anderen kannten zwar bereits eine Raumfahrt, aber nur in sehr bescheidenem Rahmen. Ihre kleinen Schiffe waren noch nicht imstande, das eigene System zu verlassen, ihre Technik hinkte weit zurück. Die WORLD CONTROL hatte beschlossen, diese Fremden sich selbst zu überlassen und sich auf die Unterhaltung sporadischer Kontakte beschränkt. Es war nicht ratsam, ihre Evolution künstlich zu beschleunigen, sie mußten den ihnen gemäßen Weg selbst finden. Falls Meadows nun wirklich recht hatte, erhob sich die bange Frage: Wo kamen jene Wesen her, die imstande waren, Roboter zu bauen, die wiederum allem weit überlegen waren, was die Menschen in dieser Hinsicht besaßen ... ? - 11 -
Fram Elsner faßte sich als erster wieder. Er räusperte sich und sagte grimmig: „So bedauerlich das für uns auch ist - ich muß Ihnen beipflichten, Carl! Schließlich war ich es, der den Kampf mit der Gander-Imitation zu bestehen hatte, und ich hätte ihn nie gewonnen, wäre nicht das Glück auf meiner Seite gewesen. Unsere Roboter bewegen sich noch immer, als hätten sie Blei an den Füßen. Dieser aber sprang mich über drei Meter hinweg mit einer Leichtigkeit an, als ob es für ihn überhaupt keine Schwerkraft gäbe. Unsere Roboter sind stupide Gesellen und handeln nur im Rahmen dessen, was im Programm ihrer Mikroprozessoren vorgesehen ist. Dieser aber agierte so überzeugend wie ein echter Mensch, sprach und verhielt sich wie Lem Gander und bediente den Kybermaten mit verblüffender Sachkenntnis. Und vor allem: Er griff mich bedenkenlos an, als ich ihm entgegentrat, mit der offenkundigen Absicht, mich zu töten!“ Mark Lawson nickte zögernd. „Das sind ausgesprochen stichhaltige Argumente“, räumte er ein. „Keiner unserer Robots würde das tun, selbst wenn er es könnte, dafür sorgen schon die bewährten Asimovschen Grundgesetze. Wir werden uns also damit abfinden müssen, daß jemand existiert, der uns in bestimmter Hinsicht überlegen ist. Das ist eine bittere Erkenntnis, nachdem wir bis jetzt glaubten, die am weitesten fortgeschrittenen Intelligenzen weit und breit zu sein.“ „Wenn selbst Sie es sagen, wird es wohl stimmen“, bemerkte Mac Saxon rauh. „Doch warum das alles, Sir? Wir haben den Unbekannten ja nichts getan, wir ahnten nicht einmal, daß es sie gibt!“ Der Chief-Examiner zuckte mit den Schultern. „Das ist die Preisfrage, auf die es vorläufig noch keine Antwort gibt. Weiter darüber zu diskutieren, halte ich für sinnlos, aber vielleicht können uns die Untersuchungen der Spezialisten neue Aufschlüsse geben. Würden Sie uns bitte den Weg dorthin zeigen, wo der Roboter zu finden ist, Mr. Elsner?“ „Selbstverständlich, Mr. Lawson“, sagte Fram und erhob sich. Die SD-Männer in der Kantine waren inzwischen wirklich fleißig gewesen. Sie hatten die Nachbildung des Kybermatikers in Einzelteile zerlegt, diese auf mehreren Tischen deponiert und waren damit beschäftigt, sie eingehend zu studieren. „Wie weit sind Sie schon gekommen, Kennedy?“ erkundigte sich Lawson beim Leiter der Spezialisten. Dieser trat zurück und gab den Blick auf den - 12 -
Kopf des Roboters frei, der von einem guten Dutzend von Meßgeräten umgeben war. „Leider nicht soweit, wie wir gern möchten, Sir“, erklärte er mißmutig. „Wir haben es hier mit einer vollkommen neuen, bisher unbekannten Konstruktion zu tun, die uns jede Menge Rätsel aufgibt. Nirgends gibt es auch nur den kleinsten Anhaltspunkt über die Herkunft der Maschine. Wir sind sicher, nie zuvor etwas Ähnliches gesehen zu haben.“ Lawson nickte bedächtig. „Würden Sie so weit gehen, zu sagen, daß der Roboter überhaupt nicht von Menschen gebaut wurde?“ fragte er. Der Spezialist sah ihn verblüfft an. „Ist das wirklich Ihr Ernst, Sir? Ich muß zugeben, daß ich auch schon ähnliche Gedanken hatte, aber ich habe sie wieder verworfen. Außer uns gibt es doch keine Rasse, die uns in technischer Hinsicht gleichwertig ist.“ „Gab es!“ berichtigte der Chief-Examinier trocken. „Alles weist darauf hin, daß die Gander-Imitation das Produkt von Wesen ist, die uns überlegen sind. Von dieser Voraussetzung müssen wir in Zukunft bei allem ausgehen, was wir tun.“ Fram Elsner schaltete sic h ein. „Sie waren eben dabei, den Kopf des Robots zu untersuchen, Mr. Kennedy. Sitzt darin das Kybermat-Gehirn?“ erkundigte er sich sachlich. „Allem Anschein nach nicht“, erklärte der Beamte. „Bisher haben wir lediglich das Vorhandensein von künstlichen Sinnesorganen und Sprechwerkzeugen festgestellt. In der Schädelhöhle sitzt nur so etwas wie eine Relaisstation, möchte ich sagen, aber sie scheint stark beschädigt zu sein.“ Fram nickte. „Etwas Ähnliches habe ich erwartet. Ich, als der Konstrukteur, hätte das Gehirn auch nicht an einer so exponierten Stelle untergebracht. Es wird sich in der Brust befinden, denke ich.“ „Worauf warten wir dann noch?“ fragte Lawson und ging weiter zu dem Tisch, auf dem der Körpertorso lag. * Der Gander-Roboter hatte eine der Kombinationen getragen, wie sie bei den Technikern der G. & E. als Dienstkleidung üblich war. Seine Haut bestand aus einer überaus elastischen Plastikmasse, Muskeln und Sehnen aus einem ähnlichen Material, dessen Konsistenz je nach Funktion variie rte. Die Spezialisten fanden darunter jedoch keine Rippen, sondern eine kompakte Brustplatte, etwa einen halben Zentimeter stark. - 13 -
„Duraluminium, würde ich sagen“, meinte einer der Spezialisten. „Kein Problem, mit dem Laserschneider sind wir ...“ „Unterstehen Sie sich!“ rief der Chief. „Mann, darunter steckt ein MiniKybermat, wir können also gar nicht vorsichtig genug sein. Nehmen Sie eine ganz gewöhnliche Metallsäge, Zeit spielt keine Rolle. Hoffentlich haben Ihre Nadelgeschosse nicht schon einiges Unheil angerichtet, Mr. Elsner.“ Fram sah auf die neun winzigen Löcher im Oberteil der Platte und zuckte mit den Schultern. „Bei einem Kampf auf Leben oder Tod zielt man immer dorthin, wo sich lebenswichtige Teile befinden“, entgegnete er lakonisch. „Was hätten Sie an meiner Stelle getan?“ Zwei Männer arbeiteten konzentriert und vorsichtig eine halbe Stunde lang. Dann lösten sie den größten Teil der Platte heraus, und unter ihr kam ein Gewirr von haarfeinen Leitungen zum Vorschein, zwischen denen sich modulartige, würfelförmige Knotenpunkte befanden. Das Zentrum bildete eine etwa kopfgroße Kugel, die von einer roten Plastikmasse umgeben war. In sie mündete das Gros der Leitungen, zu sechs Strängen von je einem Zentimeter Dicke zusammengefaßt. Mark Lawson hatte sich eine dic ke Zigarre angesteckt und blies nun einen formvollendeten Rauchring in die Luft. „Soweit wären wir - aber wie geht es nun weiter? Was meinen Sie dazu, Kennedy?“ Der Teamleiter zuckte mit den Schultern. Er sah den KybermatikSpezialisten an, doch dieser folgte seinem Beispiel. Fram Elsner kniff die Brauen zusammen und überlegte intensiv. Dann griff er entschlossen nach einem der Meßgeräte und führte es behutsam zwischen den Drähten hindurch. „Alles tot, kein Funke von Energie mehr!“ resümierte er. „Meiner Ansicht nach können wir also kaum Schäden anrichten, wenn wir die Drähte kappen und das Gehirn herauslösen; ein Teil davon scheint ohnehin ausgeglüht zu sein. Ich nehme aber an, daß es spezielle Sicherungen gibt, die rechtzeitig eingesprungen sind, so daß der Kybermat vor Kurzschlüssen bewahrt blieb. Wenn wir etwas Glück haben, müßte es uns gelingen, ihn wieder zu aktivieren und die Daten abzufragen, die in ihm verankert sind.“ „Wenn wir viel Glück haben!“ meinte der Kybermatiker skeptisch. „Schließlich weiß niemand von uns, welche Bedeutung die einzelnen Leitungen haben, und es gibt einige hundert davon. Mit welchen Spannungen und Stromstärken hier gearbeitet wurde, ist genauso fraglich ...“ - 14 -
„Sie enttäuschen mich, Kennedy!“ murrte Lawson. „Selbst ich als Laie weiß, daß sich aus der Beschaffenheit eines Stromleiters der Widerstand ableiten läßt, der die nötigen Aufschlüsse gibt. Wenn Sie dann noch die Energiestation untersuchen, die unten in der Bauchhöhle untergebracht ist, erfahren Sie noch so einiges, das Ihnen bestimmt weiter hilft. Muß man denn hier alles selbst tun?“ „Schon gut, Sir“, fiel Kennedy hastig ein. „Wir werden sofort mit diesen Arbeiten beginnen, allerdings müssen Sie uns schon einige Zeit dafür la ssen. Ich werde Sie umgehend informieren, wenn wir Fortschritte erzielt haben.“ Der Chief-Examiner nickte ungnädig und wandte sich dann seinen Begleitern zu. Bei ihm waren nur Meadows, Grimsby und Elsner, Mac Saxon und Mona Cryns waren oben zurückgeblieben. „Kommen Sie, es gibt auch sonst noch einiges zu tun. Bis jetzt haben wir uns ganz auf diesen verdammten Roboter konzentriert und darüber jenen Menschen vergessen, dessen Doppelgänger er war! Wir müssen unbedingt herauszufinden versuchen, was aus dem echten Lem Gander geworden ist.“ „Verdammt, ja!“ murmelte Tom Grimsby schockiert. „Seine Frau wird sich schon wundern, wo ihr Mann bleibt, sein Dienst ist ja längst beendet. Was sollen wir ihr nur sagen - ob er überhaupt noch lebt?“ Lawson gab keine Antwort, doch die Art, wie er auf seiner Zigarre herumkaute, verriet deutlich, daß er schlimme Befürchtungen hegte. Sie betraten das Rollband zum Hauptgebäude und glitten schweigend und bedrückt durch den Korridor. Als sie dann den Antigravlift erreicht hatten, meldete sich Fram Elsner zu Wort. „Es wäre ungeschic kt und unsinnig, bei Mrs. Gander gleich mit der Tür ins Haus fallen zu wollen. Ist es Ihnen recht, wenn ich sie erst einmal anrufe, ehe Sie etwas unternehmen, Mr. Lawson? Keine Angst, ich werde mich schon nicht verraten; vielleicht kann ich aber einiges erfahren, das uns weiterhilft.“ „Keine Einwände“, erklärte der Chief-Examiner, „ich finde die Idee sogar gut. Wir vom SD treten immer erst dann offiziell auf den Plan, wenn es nicht mehr anders geht.“ Während die anderen sich ins Chefbüro begaben, blieb Elsner im Vorzimmer zurück und tastete eines der dortigen Visiphone ein. Sekunden später erschien auf dem Bildschirm das Gesicht einer Frau, und Fram nic kte ihr freundlich zu.
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„Hallo, Doreen, wie geht es Ihnen? Ich hätte ein paar Fragen an Lem, wegen der Berechnungen, die er heute vornehmen sollte. Kann ich ihn mal kurz sprechen?“ Auf dem Gesicht Mrs. Ganders erschien daraufhin der Ausdruck offener Verwunderung. „Ich verstehe nicht ganz, Mr. Elsner“, gab sie zurück. „Lem ist doch schon gestern abend nach Tokio geflogen, die Anweisung kam aus Ihrem Büro. Er soll am Kybermat Ihrer dortigen Niederlassung Reparaturen ausführen, soviel ich weiß.“ Fram Elsner schaltete schnell. „Tut mir leid, davon weiß ich noch nichts, Doreen. Ich bin eben erst aus Australien zurückgekommen, und hier ist niemand mehr, der mich darüber hätte aufklären können. Meine Rückkehr war erst für Montag vorgesehen, deshalb hat Mr. Grimsby auch keine Information für mich hinterlassen. Okay, jetzt weiß ich Bescheid; entschuldigen Sie die Störung, ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.“ „Danke, gleichfalls, Mr. Elsner“, sagte die Frau lächelnd. Fram kappte die Verbindung und sah eine Weile nachdenklich vor sich hin. Dann ging er ins Büro und unterrichtete die anderen über das, was er eben erfahren hatte. Tom Grimsby atmete auf. „Das mit Tokio war zweifellos eine Mystifikation, ich weiß nichts davon, daß dort etwas nicht stimmt. Offenbar wollten jene, die den Roboter bei uns eingeschmuggelt haben, Gander aus dem Weg haben und beorderten ihn deshalb dorthin.“ „Immer vorausgesetzt, daß er auch wirklich in Japan ist“, sagte Lawson skeptisch. „Können Sie auch das noch in Erfahrung bringen, Mr. Elsner?“ Fram nickte schweigend und nahm das Visiphon auf seinem Schreibtisch in Betrieb. Zwei Minuten später stand definitiv fest, daß Lem Gander sich nicht in Tokio befand. Der Kybermat der G. & E.-Vertretung war nie gestört gewesen, also hatte es gar keine Veranlassung gegeben, einen Spezialisten anzufordern. Der Chief-Examiner fluchte leise. „Das sieht aber gar nicht gut aus!“ meinte er finster. „Nicht genug damit, daß wir diesen fremden Roboter auf dem Hals haben, jetzt ist auch noch ein Mann spurlos verschwunden. Was sagen Sie dazu, Meadows?“ Der Assistent zuckte mit den Schultern. „Wir sollten so weitermachen wie bisher, Sir, eine Alternative dürfte es kaum geben. Bis Montag früh ruht hier der Betrieb fast ganz, unsere Leute - 16 -
können also ungestört weiterarbeiten. In bezug auf den Vermißten schlage ich vor, zunächst nur eine stille Fahndung durch die örtliche Polizei einzuleiten. Ich nehme an, daß Gander mit seinem eigenen Wagen zum Flughafen in Sheffield gefahren ist und irgendwo auf der Strecke dorthin gekidnappt wurde. Mit Hilfe der Verkehrskybermaten müßte sich der Verbleib des Fahrzeugs feststellen lassen. Ist es erst einmal gefunden, können unsere Männer die weiteren Spuren verfolgen.“ Mark Lawson nickte. „In Ordnung, leiten Sie alle erforderlichen Schritte ein. Ich selbst muß schleunigst nach London zurück und unsere Zentrale eingehend informieren. Das wird eine Menge Wirbel geben. Schließlich ist es das erste Mal, daß eine unbekannte Rasse in Erscheinung tritt, die uns überlegen zu sein scheint. Man wird die Regierung informieren, diese wiederum die WORLD CONTROL und die Raumpolizei - ade, schönes Wochenende! Und ich hatte gehofft, morgen in Ruhe meine Golfpartie absolvieren zu können ...“ Er stieß einen langen Seufzer aus und verließ dann das Büro. Als er verschwunden war, fragte Mac Saxon: „Kann ich jetzt nicht auch nach Hause, Mr. Meadows? Ich bin nur rein zufällig mit in diese Sache hineingeraten und kann Ihnen doch kaum mehr nützen. Außerdem bin ich für 20 Uhr mit meinem Mädchen verabredet ...“ Der Beamte winkte ab. „Okay, gehen Sie nur. Für Sie gilt aber auch das, was ich bereits Ihren Kollegen von der Bowlingbahn eingeschärft habe: Kein Wort über das Geschehen in der Kantine zu Außenstehenden, auch nicht zu Ihrer Freundin! Die Lage ist weit ernster, als Sie wohl denken, der unbekannte Gegner scheint sich nicht viel aus Menschenleben zu machen. Auch das Ihre könnte in Gefahr sein, wenn Sie zuviel reden, denken Sie daran!“ Saxon verzog das Gesicht. „Das ist mir inzwischen schon längst klargeworden, Sir. Ich sage kein Wort, das dürfen Sie mir glauben.“ Er entfernte sich eilig, und Elsner sah die junge Frau an. „Wie ist es mit Ihnen, Miß Cryns? Ich will Sie keineswegs aufhalten - oder brauchen Sie sie noch, Mr. Meadows?“ Der SD-Mann überlegte kurz. „Ich habe da noch etwas auf dem Herzen, Mr. Elsner. Unsere Leute haben hier wohl noch einige Zeit zu tun, und es kann sein, daß ich dringende Gespräche mit London und der Polizei führen muß. Kann ich dafür Ihre Nachrichtenzentrale in Anspruch nehmen?“
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Fram nickte, und Mona sagte eifrig: „Ich kenne mich dort gut aus und will Ihnen gern behilflich sein, Sir. Zu Hause hätte ich ohnehin keine ruhige Minute, hier geht es ja auch um das Schicksal meines Kollegen. Wenn ich daran denke, daß Lem vielleicht ...“ Sie stockte, und Elsner legte beruhigend die Hand auf ihren Arm. „Noch gibt es keinen Grund, das Schlimmste anzunehmen, Miß Cryns. Die Fremden haben alles getan, um möglichst unauffällig vorzugehen, ein Toter hätte kaum in dieses Konzept gepaßt. Auch der Roboter griff mich erst an, als er sich entdeckt sah.“ Sie begaben sich in den Nachrichtenraum, und Meadows rief zuerst den Teamleiter in der Kantine an. „Wir kommen relativ gut voran, Carl“, erklärte Kennedy. „Leider können aber immer nur zwei Mann gleichzeitig an dem Torso arbeiten, und das ist ein großes Handikap. Es wird wohl noch zwei Stunden dauern, bis wir das Gehirn herausgelöst haben. Was soll dann damit geschehen?“ Der Assistent zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich selbst noch nicht, Ron, darüber muß Mr. Lawson entscheiden. Er wird sich wohl bald wieder melden, denke ich.“ 3. Eine endlos lang erscheinende Zeit über tat sich jedoch nichts. Nur die acht Fernschreiber entwickelten periodisch ein unheimlich anmutendes Eigenleben, und dann zuckten die vier Menschen nervös zusammen. Die Nachric hten, die von den Laserstrahlen auf Folien gezeichnet wurden, waren aber nur kommerzieller Natur und hingen nicht mit ihrem Fall zusammen. Die Bildschirme blieben dunkel, obwohl jetzt zweifellos in London an hohen Stellen eifrig Beratungen stattfanden, bei denen es um Entscheidungen von größter Tragweite ging. Eine Unterhaltung kam nicht in Gang. Elsner rauchte ungeduldig eine Zigarette nach der anderen, Meadows zog ein leidendes Gesicht, sagte jedoch nichts. Er war Nichtraucher. Schließlich holte Mona Cryns aus einem Automaten Sandwiches und Kaffee für alle. Sie aßen und tranken zwar ohne rechten Appetit, wurden dadurch aber wenigstens von ihrem Grübeln abgelenkt.
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Dann, nach etwa einer Stunde, kam ein Anruf, der alle wie elektrisiert zusammenfahren ließ. Auf dem Bildschirm war das Gesicht eines Polizeimajors zu sehen, aus dem unverkennbare Befriedigung strahlte. „Wir haben den vermißten Wagen ausfindig gemacht!“ erklärte er. „Er stand verlassen in einem Wäldchen zwölf Kilometer vor Sheffield, auf einer alten, seit langem gesperrten Straße. Daraufhin durchkämmten meine Leute die gesamte Umgebung und fanden einen Mann in den Ruinen eines verlassenen Bauernhofs. Er hatte zwar keine Papiere bei sich, doch sein Aussehen stimmt mit dem des gesuchten Lemuel Gander überein.“ „Weiter!“ drängte Carl Meadows erregt. „Was ist mit Gander - ist er noch am Leben?“ Der Offizier nickte. „Das schon, er hat auch keine erkennbaren Verle tzungen erlitten. Allerdings befindet er sich in einem Zustand tiefer Betäubung oder Bewußtlosigkeit; unser Notarzt hat alles versucht, um ihn wieder aufzuwecken, aber vergebens. Wir werden ihn ins nächste Hospital ...“ „Nein!“ unterbrach ihn Meadows brüsk. „Dies ist ein Fall für den Sicherheitsdienst, alles Weitere werden unsere Leute übernehmen. Sorgen Sie dafür, daß Gander schleunigst ins Werkhospital der G. & E.-Company gebracht wird, klar?! Ihre weiteren Ermittlungen haben sich auf die Sicherung aller Spuren! zu beschränken, die Berichte fallen unter ,geheim’ und gehen direkt an mich.“ „Wie Sie wünschen, Sir“, sagte der Major frostig und unterbrach die Verbindung. Fram Elsner grinste verhalten und meinte: „Damit haben Sie sich aber bestimmt keinen Freund geschaffen, Carl. Ich an Ihrer Stelle hätte auch einmal ‘bitte’ gesagt - mit einem Löffel Honig fängt man mehr Fliegen als mit einer ganzen Flasche Essig.“ Der SD-Mann seufzte. „Sie verkennen unsere Lage, Fram. Wenn wir nur etwas zu lasch auftreten, nimmt man bei der Polizei die Sache nicht ernst genug. Jetzt wird der Major zwar fluchen, aber er wird seine Männer auch anweisen, unbedingt den Mund zu halten, und das allein ist wichtig.“ „Nicht weniger wichtig ist, daß Lem Gander offenbar nichts Ernstliches zugestoßen ist“, warf Tom Grimsby ein. „Es war allerdings etwas voreilig, daß Sie seine Überführung in unser Hospital angeordnet haben. Es ist ein reines Unfallkrankenhaus für unser Werk und zur Zeit nicht besetzt, weil ...“ Carl Meadows winkte ab. „Das ist genau das, was wir brauchen, Tom! Kein Personal, also auch keine weiteren Mitwisser, und unter den hier anwesenden Spezialisten ist auch ein guter Arzt, der sich auf vielen Gebieten - 19 -
auskennt. Doch jetzt genug davon - Mona, stellen Sie bitte eine Verbindung mit dieser Nummer in London her.“ Er reichte der jungen Frau einen Zettel, und sie schaltete mit flinken Fingern. Auf dem Bildschirm erschien nur ein verschlungenes Symbol, und der Beamte sagte einige Kennzahlen auf. Das genügte jedoch, denn schon wenige Sekunden später tauchte das Abbild des Chief-Examiners auf dem Schirm auf. Meadows unterrichtete ihn mit kurzen Worten, und Lawson nickte zufrieden. „Na also, die Dinge kommen langsam ins Rollen! Sie haben alles vorbildlich erledigt, mehr brauchen Sie im Augenblick nicht zu tun. Sorgen Sie nur dafür, daß Gander gut betreut wird, in einer Stunde bin ich wieder bei Ihnen. Jetzt muß ich noch ein paar aufgeregte ...“ Der Rest verlor sich in einem Murmeln, dann wurde die Bildfläche übergangslos wieder grau. Carl Meadows erhob sich, überlegte kurz und sagte dann: „Darf ich einen von Ihnen bitten, mir den Weg zum Hospital zu zeigen? Der Krankenwagen mit Gander wird bald eintreffen, und dann möchte ich auch zur Stelle sein.“
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* Fram Elsner übernahm es, ihn zu begleiten, Grimsby blieb bei Mona zurück. Die beiden Männer benutzten einen Wagen, denn das Hospital lag am anderen Ende des Werkskomplexes, fast einen Kilometer entfernt. Als Fram auf den Parkplatz einbog, tauchte auf der Zufahrtsstraße bereits der Krankenwagen mit Blinklicht auf. Es war inzwischen fast dunkel geworden. „Wie weit sind Kennedys Leute mit dem Robotergehirn?“ erkundigte sich Meadows bei den zwei Männern die schon vor dem Eingang warteten. „Immer noch eine Stunde - na ja, halb so schlimm, ich hänge vorerst sowieso hier fest. Was halten Sie von dem seltsamen Zustand, in dem sich Lem Gander befindet, Doc Hammond?“ Der noch junge Arzt schmunzelte leicht. „Ferndiagnosen sind leider nicht meine Stärke, Sir. Gedulden Sie sich noch eine Weile.“ Der Krankenwagen fuhr vor, zwei Polizisten luden die Trage mit der regungslosen Gestalt des Kybermatikers aus. Hammond unterhielt sich leise mit dem begleitenden Notarzt, dann fuhr der Wagen wieder ab. Elsner hatte indessen den Eingang geöffnet, schaltete das Licht an und ging voraus, auf die Ambulanzräume zu. „Vorbildlich eingerichtet“, lobte der Arzt, der zusammen mit seinem Helfer den Bewußtlosen trug. „Dort hinüber, John, wir legen ihn gleich auf den Untersuchungstisch.“ Eine Minute später war Lem Gander entkleidet; zahlreiche Sensorkontakte wurden an seinem Körper befestigt. Er schien äußerst tief zu schlafen, seine Atemzüge kamen langsam, aber die Gesichtsfarbe war normal. Hammond zog ein Augenlid zurück und krauste die Stirn. „Rein körperlich gesehen, fehlt diesem Mann überhaupt nichts. Das motorische Nervensystem funktioniert einwandfrei, auch sein Blutdruck ist normal. Herz- und Lungentätigkeit sind reduziert, aber nicht in einem Ausmaß, das Anlaß zur Besorgnis gibt. Man findet das bei vielen Menschen, wenn sie tief und fest schlafen. Gander schläft jedoch nicht, sondern ist bewußtlos, und das ohne jeden ersichtlichen Grund. Der Kybermat bestätigt den Befund des Kollegen von der Polizei.“ „Man sagte mir vorhin am Visiphon, daß er schon versucht hätte, ihn aufzuwecken“, warf Carl Meadows ein. Der Mediziner nickte.
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„Der Notarzt hat ihm bereits ein Kombipräparat injiziert, auf das er eigentlich hätte ansprechen müssen. Die Reaktion blieb aber aus und sein Zustand unverändert, und das ist mehr als seltsam. Seit wann wurde der Patient vermißt?“ „Er wurde gestern nachmittag angerufen, angeblich im Auftrag meines Partners“, erklärte Elsner. „Man übermittelte ihm die fingierte Weisung, nach Tokio zu fliegen - offenbar nur zu dem Zweck, ihn auf die Straße zum Flughafen zu locken, wo man ihn irgendwie abgefangen hat. Er muß vor etwa 24 Stunden losgefahren sein, der Clipper nach Japan startet gegen 21 Uhr.“ Meadows sah auf sein Chrono und überlegte. „Dann müßte er spätestens um 19.30 Uhr in der Nähe jener Stelle gewesen sein, an der er heute aufgefunden wurde“, folgerte er dann. „Da war es bereits dunkel, und diese Strecke wird nur wenig befahren. Wie man ihn dazu gebracht hat, sich in das verfallene Gehöft zu begeben, wird jetzt kaum noch festzustellen sein. Hat Ihr Kollege etwas gesagt, das uns weiterhelfen könnte?“ Hammond zuckte mit den Schultern. „Gar nichts, Sir; er hat sich nur um den Patienten gekümmert und kaum auf andere Dinge geachtet. Gander lag in einem Raum im Erdgeschoß auf einer noch leidlich erhaltenen Couch unter einer alten Decke, ganz so, als hätte er sich freiwillig zum Schlaf hingelegt. Das war jedoch bestimmt nicht der Fall, zu dieser Zeit muß er schon bewußtlos gewesen sein.“ Der SD-Mann nickte grimmig. „Das haben unsere außerirdischen ‘Freunde’ sehr geschickt gemacht!“ sagte er. „Ihr Plan, die Fertigstellung der neuen Hypertriebwerke zu sabotieren, stand bestimmt schon länger fest, und der Roboter wurde auch nic ht von heute auf morgen konstruiert. Ihnen fehlte nur noch der Mann in der richtigen Position - eben Lem Gander! Von ihm erfuhren sie alles, was sie noch nicht wußten, und dann versahen sie den Robot mit den Gesichtszügen des Kybermatikers. Er wurde bei der G. & E. eingeschleust, wo man vollkommen ahnungslos war, und dann lief alles ganz von selbst!“ Fram Elsner sagte entschieden: „Freiwillig hat Lem diesen Fremden bestimmt nichts verraten. Man muß ihn schon irgendwie gezwungen haben, wenn auch offenbar nic ht mit körperlicher Gewalt. Vielleicht aber durch eine Droge oder unter Hypnose was halten Sie von dieser Hypothese, Doc?“
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„Sie erscheint mir im Grunde gar nicht so abwegig“, entgegnete Hammmond. „Die Symptome, die bei Gander zu beobachten sind, stimmen ni vieler Hinsicht mit denen von Personen überein, die in einem hypnotisch bewirkten Schlaf liegen. Genaueres kann ich aber erst feststellen, wenn ich den Medo-Kybermaten für eine spezielle Diagnose programmiert habe.“ „Fangen Sie sofort damit an“, bestimmte Meadows knapp. Der Arzt winkte seinem Begleiter, der Ridder hieß und ein Mann mittleren Alters war. Sie lösten die Kontakte von Ganders Körper und beschäftigten sich dann mit der Programmtastatur des Geräts. Die Kybermaten waren die Nachfolger der früheren Elektrogehirne, basierten aber auf einem neuen, wesentlich effektiveren Prinzip. Einer dieser Rechner von der Größe eines Fernsehapparats des 20. Jahrhunderts leistete jetzt mehr als eine der riesigen Anlagen aus derselben Zeit. Der MedoKybermat war, selbst mit allen Spezial-Zusatzanlagen, nicht größer als ein simpler Mikrowellenherd. Es gab bereits Geräte, die - im Rahmen ihres speziellen Programms vollkommen selbständig „denken“ und handeln konnten, erheblich schneller als jeder Mensch. Ihre Verwendung beschränkte sich jedoch auf den Einsatz als Steuerautomaten in Raumschiffen, wo es auf höchste Schnelligkeit und Präzision ankam. In der Industrie blieb es beim Gebrauch relativ einfacher Kybermaten, jedes Mehr hätte zu einer Massenarbeitslosigkeit geführt. Aus demselben Grunde war auch die Konstruktion jeder Art von Robotern bisher unterblieben, obwohl sie rein technisch möglich war. Nur die Fremden haben sich nicht daran gehalten! dachte Fram Elsner verbittert. „Wir sind soweit“, unterbrach die Stimme des Arztes seine Gedanken. Er hatte inzwischen einen Kranz von Sensorkontakten an Lem Ganders Kopf befestigt, nahm noch eine letzte Kontrolle vor und schaltete dann das Gerät wieder ein. Carl Meadows trat näher heran, und Elsner folgte ihm. Voller Spannung sahen die Männer auf den sich erhellenden Monitor, auf dem nun eine Anzahl verschiedenfarbiger, sich langsam darüber hinschlängelnder Linien erschien. Über seinen unteren Rand liefen Zahlengruppen dahin, und Hammond las sie mühelos ab. „Die Alpha- und Beta-Kurven sind in Ordnung“, murmelte er. „Sie entsprechen denen eines Menschen in tiefem Schlaf ... hmm, es gibt aber keine Anzeichen dafür, daß Gander träumt. Gamma, Delta und Epsilon - auch weiter ist alles okay. Jota, Kappa, Lambda ... halt, hier stimmt etwas nicht! Ridder, schalten Sie noch einmal zurück zum Anfang; ja, so ist es gut. Ver- 23 -
dammt, die Lambda -Rhythmen sind praktisch gar nicht vorhanden! Da also liegt der Hund begraben.“ „Was bedeutet das?“ fragte Meadows, der ebensowenig von all dem verstanden hatte wie Fram Elsner. Hammond lächelte humorlos und fuhr mit der Rechten nervös durch sein kurzes Haar. „Grob vereinfacht gesagt: Die Lambda-Werte gelten für die Großhirnrinde, die Zentrum und Initiator für alle bewußten geistigen Leistungen des Menschen ist. Ausgerechnet hier gibt es aber sehr deutliche Ausfallerscheinungen - dieses Zentrum ist gelähmt, verstehen Sie? Wenn nichts dagegen getan wird, verbleibt der Patient für alle Zeit in dem gegenwärtigen Zustand, ohne jemals wieder das Bewußtsein zu erlangen!“ Carl Meadows kniff die Brauen zusammen. „Genau das müssen unsere Gegner beabsichtigt haben“, folgerte er nüchtern. „Gander muß sie gesehen haben, als er gekidnappt wurde, also wurde er gewissermaßen geistig kaltgestellt, damit er nichts darüber verraten konnte. Er ist aber unser einziger Zeuge - kann man etwas tun, um die Lähmung wieder aufzuheben, Doc?“ Der Arzt wiegte überlegend den Kopf. „Ich will es jedenfalls versuchen, Sir. Dieser Kybermat ist ein sehr hochentwickeltes Gerät, mit ihm läßt sich einiges anfangen. Wenn ich vorsichtig dosierte stimulierende Impulse in die jetzt stillgelegten Regionen leite ...“ Er unterbrach sich, denn die Eingangstür wurde geräuschvoll geöffnet. Chief-Examiner Lawson stampfte in den Raum, von einem großen, schlanken Mann mit harten Gesichtszügen begleitet. Sein Blick glitt über die Szene, dann erkundigte er sich barsch: „Was ist hier los, Leute?“ Sein Assistent zog den Kopf ein, das Auftauchen seines Vorgesetzten schien bei ihm automatisch Minderwertigkeitskomplexe zu wecken. Hammond übernahm es, Lawson zu unterrichten, und der nickte ihm nach kurzem Nachdenken zu. „Fangen Sie sofort an, Doc! In London ist der Teufel los, und die Bosse der WORLD CONTROL vollführen vor Schreck fast Kopfstände. Die G. & E.-Company ist zur Zeit so etwas wie der Nabel der Welt, nirgends sonst hat es irgendwelche Anzeichen für die Anwesenheit fremder Kräfte auf der Erde gegeben. Was das bedeutet, brauche ich wohl nicht besonders zu betonen.“ „Okay, Sir“, sagte der Arzt und wandte sich wieder dem MedoKybermaten zu.
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Zwanzig Minuten später kam wieder Leben in die Gestalt Lem Ganders. Sein Atem und Puls beschleunigte sich, seine Glieder begannen, wenn auch noch unkontrolliert, zu zucken. Hammond drosselte sofort die Intensität der Weckimpulse, und für eine Weile lag Gander wieder still da. Da öffnete er die Augen, fuhr plötzlich hoch und sah sich furchtsam um. „Keine Sorge, Lem“, sagte Fram Elsner und lächelte ihm ermunternd zu. „Sie sind hier in bester Obhut, Ihnen kann nichts geschehen. Erholen Sie sich eine Weile, dann können Sie uns erzählen, was Ihnen auf dem Weg zum Flughafen begegnet ist.“ 4. Der Kybermatiker öffnete den Mund, brachte aber nur ein heiseres Krächzen hervor. Doc Hammond verstand trotzdem, ging zu einem Wandschrank und holte eine Flasche mit Vitamintrunk hervor. Während Gander gierig trank, erklärte er: „Der Patient hat seit rund 24 Stunden keine Flüssigkeit mehr zu sich genommen; seine Stimmbänder müssen vollkommen ausgetrocknet sein. Sie werden sich also noch eine Weile gedulden müssen, bis Sie etwas von ihm erfahren können.“ Lem Gander leerte noch eine zweite Flasche, legte sich dann auf Weisung des Arztes zurück und entspannte sich. Mark Lawson zündete sich eine Zigarre an und biß ungeduldig darauf herum. Er schnaufte befreit auf, als sich Gander zehn Minuten später aufrichtete und mit heiserer Stimme zu berichten begann. „Es kam mir schon etwas sonderbar vor, daß ich ausgerechnet an dem Tage nach Tokio fliegen sollte, für den die Endberechnungen des Trie bwerkprojekts vorgesehen waren. Die junge Frau am Visiphon - ich kannte sie nicht, hielt sie aber nach Lage der Dinge für eine Angestellte aus dem Nachrichtenzentrum - erklärte jedoch ausdrücklich, dies wäre eine Order von Mr. Grimsby. Die Berechnungen hätten Zeit bis Montag, bis nach der Rückkehr Mr. Eisners, der sie ohnehin erst sehen müßte, ehe der Prototyp erprobt würde. Ich schöpfte keinen Verdacht, packte meinen Koffer und fuhr los. Die Straße war so gut wie leer, ich ging auf Tempo 100 und nahm die Automatsteuerung in Betrieb. Ich hatte gerade eine Spule mit klassischer Musik bekommen, schob sie ins Abspielgerät und konzentrierte mich ganz darauf. So bemerkte ich gar nicht, daß der Wagen plötzlich langsamer wur- 25 -
de. Ich wunderte mich erst, als er dann plötzlich von der Hauptstraße abbog. Der Automat gab jedoch das Leuchtzeichen für ‘Umleitung’, und das beruhigte mich wieder. Es war schon fast dunkel, ich hatte die Scheinwerfer längst an. Als der Wagen dann in das Wäldchen einfuhr, kam mir die Sache doch nicht mehr ganz geheuer vor, aber im selben Moment wurde der Car auch schon rapide abgebremst. Der Motor starb ab, alle Lichter gingen aus, ich stand allein im dunklen Wald und bekam es nun mit der Angst zu tun. Ich griff zum Visiphon und wollte den Notruf einschalten, aber da erschienen beiderseits des Wagens schemenhaft einige Gestalten und rissen die Tür auf. Natürlich glaubte ich an einen Raubüberfall, begann zu schreien und wehrte mich, aber ich hatte keine Chance. Man packte mich, zerrte mich ins Freie, und dann wurde irgendein harter, kalter Gegenstand an meine rechte Schläfe gepreßt. Im selben Augenblick gingen für mich alle Lichter aus - ich habe nicht die geringste Ahnung, was dann weiter mit mir geschehen ist! Ich weiß nichts von einem alten Haus und kann auch nicht sagen, wer mich da eigentlich überfallen hat. Hätten Sie mir nicht erzählt, daß inzwischen ein ganzer Tag vergangen ist, und wäre mir eben nicht so schlecht gewesen ...“ „Danke, das genügt“, sagte der Chief-Examiner. „Resümieren wir alles einmal kurz: Unsere unbekannten Gegner halten sich offenbar schon seit einiger Zeit auf der Erde auf; das beweist die Tatsache, daß sie aufs genaueste über das geheime Triebwerkprojekt informiert waren, ebenso über alle dafür wichtigen Personen. Wie sehr sie uns technisch überlegen sind, hat uns der nach dem Überfall eingeschleuste Roboter bewiesen. Seine Programmierung erfolgte zweifellos nach Daten, die man direkt aus Mr. Ganders Hirn gestohlen hat, nach einem Verfahren, das wir ebenfalls noch nicht kennen. Für diese Wesen muß es eine Kleinigkeit gewesen sein, die Steuerautomatik seines Wagens so zu beeinflussen, daß sie vom Richtstrahl abwich und ihn dorthin lenkte, wo sie ihn haben wollten. Daß sie außerdem noch über Waffen verfügen, die das Bewußtsein eines Menschen total ausschalten, wundert mich schon gar nicht mehr. Was sagen Sie zu alldem, Mr. Kline?“ Der Mann mit dem harten Gesicht, der bisher nur zugehört hatte, zuckte mit den Schultern. „Kein zusätzlicher Kommentar, Ihre Analyse hat bereits alle Fakten von Bedeutung umfaßt. Meiner Ansicht nach werden die Fremden nach dem Scheitern ihrer ersten Aktion neue und diesmal wirklich massive Versuche einleiten, die Fertigstellung des neuen Hypertriebwerks zu verhindern. Wir - 26 -
werden also nicht daran vorbeikommen, alle an dem Projekt beteiligten Abteilungen der G. & E. unter Bewachung durch meine Sonderabteilung zu stellen. Ich werde alle dazu nötigen Schritte sofort einleiten, die Vollmachten der WORLD CONTROL habe ich bereits in der Tasche. Machen Sie inzwischen hier weiter, vor allem mit der Untersuchung des Robotergehirns; ich fliege jetzt sofort nach London zurück.“ Er hob kurz die Hand und ging dann eilig dem Ausgang zu. Lawson sah ihm mit düsterem Gesicht nach, und Fram Elsner erkundigte sich leise bei dem Arzt: „Wer oder was ist dieser Mann eigentlich, Doc?“ Hammond lächelte und raunte ebenso leise: „Sie kennen ihn wirklich nicht? Seien Sie froh - wer es mit ihm zu tun bekommt, behält ihn nur selten in guter Erinnerung! Dies ist Walt Carey, der berüchtigte Mann im Hintergrund, die Graue Eminenz der WORLD CONTROL. Wenn er nur hustet, legen die Chefs sämtlicher Geheimdienste die Ohren an, und seine Sonderabteilung ...“ „Was gibt es da zu flüstern?“ unterbrach ihn Mark Lawson mürrisch. „Kümmern Sie sich lieber um Ihren Schützling, Doc; sehen Sie eine Möglichkeit, sein Gedächtnis irgendwie aufzufrischen?“ „Keine, Sir“, erklärte der Arzt lakonisch. „Sein Bewußtsein wurde total ausgeschaltet, so daß es keinerlei äußere Eindrücke mehr wahrnehmen konnte, auch nicht unbewußt. Immerhin glaube ich aber sagen zu können, daß er keine merklichen Folgeerscheinungen zu befürchten hat. Oder spüren Sie etwas Derartiges, Mr. Gander?“ Der Kybermatiker grinste matt. „Was mein Oberstübchen angeht, scheint alles noch zu stimmen, Doc. Nur weiter unten nicht - mein Durst ist zwar behoben, dafür habe ich jetzt aber einen mörderischen Hunger.“ Hammond nickte. „Verständlich, Sie haben schließlich seit über 24 Stunden nichts mehr in den Magen bekommen. Was halten Sie davon, Mr. Gander gleich nach Hause zu entlassen, Sir? Vom medizinischen Standpunkt aus gibt es keine Bedenken dagegen.“ „Dafür aber von meiner Seite“, sagte der Chief-Examiner schroff, „Mrs. Gander glaubt schließlich, ihr Mann wäre in Tokio, sie würde sich sehr wundern, wenn er nun so plötzlich wieder bei ihr erschiene. Sie würde Fragen stellen, und wenn er dann nur ein falsches Wort sagt. .. Nein, er bleibt fürs erste unter unserer Obhut, der Kreis der Mitwisser ist für meinen Geschmack ohnehin schon zu groß. Ich hoffe, Sie werden Verständnis dafür haben, Mr. Gander?“ - 27 -
Lem Gander hob die Schultern. „Ihre Argumente klingen überzeugend, Sir, also will ich dieses Opfer bringen. Im Grunde genommen ist es gar keines, denn ich verüble es den Unbekannten, daß Sie ausgerechnet mich sozusagen als Schablone für einen Doppelgänger benützt habe. Das Gehirn des Roboters wird zu Zeit gerade von Ihren Spezialisten untersucht - könnte ich nicht dabei mithelfen? Natürlich erst, wenn ich etwas gegessen habe, dann aber um so lieber.“ Lawson nickte nach kurzem Zögern, und Fram Elsner sagte: „Drüben im Hauptgebäude gibt es genug für Ihren knurrenden Magen, Lem.“ Hammond winkte seinem Gehilfen, und dieser holte Ganders Kleidung von der Trage. Zwei Minuten später hatte sich der Kybermatiker angezogen und ging, von dem Arzt vorsorglich gestützt, zusammen mit den anderen auf den Ausgang zu. Dort blieb Elsner etwas zurück und verschloß das Portal wieder, während die Gruppe sich bereits auf seinen Wagen zubewegte. Er wandte sich gerade um, um ihr zu folgen, als Carl Meadows abrupt stehenblieb und zum Nordhimmel wies. „Was ist denn das?“ rief er verstört aus. * Dort, am dunklen Horizont über den Wohngebäuden der Mitarbeiter der G. & E., war plötzlich ein greller Lichtschein aufgeflammt. Er wirkte wie der Widerschein einer starken Explosion, und die Männer zogen unwillkürlich die Köpfe ein. Die bläuliche Helligkeit verlor zwar schon nach wenigen Sekunden ihre Intensität, doch nun trat ein neues Phänomen an ihre Stelle: Eine feurige Kugel schoß hinter den Silhouetten der Häuser empor und stieg senkrecht in den Himmel auf. „Ein Raumschiff!“ rief Mark Lawson, und die Menschen zuckten erneut zusammen. Was diese Erscheinung zu bedeuten hatte, war ihnen augenblicklich klar: Dies konnte kein irdisches Schiff sein! „Ein Fahrzeug der Fremden!“ schrie Lem Gander erbittert und hob die Faust. Eine nutzlose Geste, denn die Feuerkugel schoß mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit immer höher. Schon nach einigen Sekunden war sie nur noch ein glimmender Punkt am Himmel, der sich wenig später ganz in der Schwärze des Alls verlor.
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Die Männer starrten ihm nach, während die Schallwelle ankam und wie das Baßgeräusch einer riesigen Orgel über sie hinwegbrauste. Dann war nichts mehr zu sehen und alles wieder still, der Chief-Examiner atmete geräuschvoll aus und sagte resigniert: „Unsere unbekannten Gegner haben es vorgezogen, das Weite zu suchen, ehe es ihnen an den Kragen ging! Wahrscheinlich haben sie inzwischen festgestellt, daß ihr Robotsaboteur versagt hat und von uns entlarvt wurde. Nun, das ist immerhin ein Erfolg, den wir aber keinesfalls überschätzen sollten. Es ist durchaus möglich, daß sie noch weitere Kuckuckseier zurückgelassen haben, wir müssen also auch weiterhin höllisch auf der Hut sein.“ Die sechs Personen zwängten sich in den Wagen und fuhren zum Verwaltungsgebäude zurück. Hammond und sein Gehilfe übernahmen es, Lem Gander zu einer kräftigen Mahlzeit zu verhelfen; Lawson, Meadows und Elsner begaben sich schnellstens wieder in die Nachrichtenzentrale der G. & E. Dort war nun bereits der Teufel los, Mona Cryns und Tom Grimsby hatten alle Hände voll zu tun. Mark Lawson nahm als erstes Verbindung mit seiner Dienststelle in London auf. Auf dem Schirm erschien das Abbild einer jungen Frau, er gab ihr einen kurzen Bericht durch und wandte sich dann wieder Mona zu. „Jetzt die Polizei, schnell!“ forderte er. Wenige Sekunden später sprach er bereits wieder mit dem Major. „Wir haben drei Tote zu beklagen, Sir!“ erklärte der verbittert. „Sie starben, als dieses Ungetüm von Schiff rücksichtslos ...“ „Schreiben Sie alle Einzelheiten in den Bericht, auf den ich noch immer vergebens warte“, warf Lawson energisch ein. „Für jetzt bitte ich um eine Kurzfassung, möglichst in chronologischer Reihenfolge; fangen Sie bei der Hausdurchsuchung an.“ „Okay, Sir. Wir führten unsere Untersuchungen durch, wurden aber durch die Dunkelheit sehr behindert. Nach etwa neunzig Minuten stand jedoch fest, daß weder das Haus noch die angrenzenden Wirtschaftsgebäude in letzter Zeit benutzt wurden, ich habe den letzten Teil der Aktion selbst geleitet und wollte gerade den Befehl zum Abrücken geben, da tauchten zwei SD-Beamten auf. Sie gaben an, von einem gewissen Mr. Kline geschickt worden zu sein, und führten mit Hilfe von Spezialdetektoren einige Messungen durch, die jedoch zunächst nichts ergaben. Dann suchten sie auch die weitere Umgebung ab, und plötzlich schlugen ihre Instrumente aus. Etwa zweihundert Meter vom Haus entfernt gab es noch - 29 -
eine Scheune, wir hatten sie übersehen, weil sie hinter hohen Bäumen stand. Die Spezialisten gaben mir die Anweisung, dieses Gebäude mit allen zur Verfügung stehenden Beamten einzukesseln und alle Personen festzunehmen, die sich eventuell darin aufhielten. Ich ließ also Infrarotbrillen ausgeben und ging dann zusammen mit meinen Männern vor. Wir waren insgesamt fünfzehn und hatten automatische Waffen, aber wir kamen nicht mehr dazu, sie einzusetzen. Kaum hatten die ersten Leute das Scheunentor erreicht und schickten sich an, es zu öffnen, da barst das ganze Gebäude plötzlich auseinander. Im nächsten Augenblick schlugen grelle Flammen hoch, das Donnern starker Triebwerke klang auf, und eine gewaltige Druckwelle warf uns zu Boden. Es gab ein unbeschreibliches Durcheinander, alle waren geblendet, weil der Lichtschein durch die Brillen eine vielfache Intensität erhielt. Als wir wieder sehen konnten, war das fremde Raumfahrzeug nur noch ein Leuchtpunkt am Himmel, und drei meiner Männer lagen erschlagen unter den Trümmern der Scheune ... Es war furchtbar, Sir!“ Mark Lawson nickte mitfühlend. „Tut mir aufrichtig leid, Major; keiner von uns konnte ahnen, was sich in diesem alten Gehöft wirklich abspielte. Rücken Sie mit Ihren Leuten wieder ab, weitere Nachforschungen erübrigen sich jetzt. Die Außerirdischen haben das Weite gesucht, und wir haben das Nachsehen. Wir können nur noch versuchen, eine Panik unter der Bevölkerung zu verhindern, mehr nicht.“ „Wie, Sir?“ fragte der Offizier, aber er bekam keine Antwort mehr. Lawson hatte die Verbindung unterbrochen und starrte eine Weile schweigend vor sich hin. Dann fuhr er herum und sah seinen Assistenten an. „Passen Sie auf, Meadows: Sie bleiben hier und wimmeln alle Anrufe ab, die von untergeordneter Bedeutung sind - wie Sie das machen, überlasse ich Ihrem Geschick. Die Fremden sind uns zwar durch die Lappen gegangen, aber das Gehirn ihres Roboters befindet sich in unserer Hand. Vie lleicht können wir ihm wenigstens einige Daten entlocken, die uns Aufschluß über unsere Gegner geben! Das muß natürlich möglichst schnell gehen, und die G. & E. verfügt über die modernsten Kybermaten. Mr. Grimsby und Mr. Elsner: Sie kennen die Notfallsklausel, die den Organen der WORLD CONTROL jederzeit die Benutzung Ihrer Anlagen erlaubt?“ „Natürlich, Mr. Lawson“, sagte Fram Elsner. „Unsere volle Mitarbeit wäre Ihnen aber auch ohne sie sicher, schließlich richtete sich die Aktion der
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Unbekannten vor allem gegen unser Werk. Allerdings lege ich großen Wert darauf, daß Lem Gander ...“ „Bin schon da, Boß“, meldete sich der Kybermatiker aus dem Hintergrund. „Satt gegessen, gut erholt und zu fast jeder Schandtat bereit.“ 5. Die Spezialisten des SD hatten ihre Geduldsarbeiten schon vor einiger Zeit beendet. Nun ruhte der Mini-Kybermat in einer Art von Plastikkorb, die Stränge mit den würfelförmigen Knotenelementen hingen frei herab. Alle weiterführenden Drähte waren bis auf drei Zentimeter Länge gekappt worden, die meisten hatte man mit bunten Farbtupfen markiert. Lem Gander schenkte dem Gehirn jedoch vorerst keine Beachtung. Er ging weiter zu den Tischen, auf denen die Roboterteile lagen. Besonders interessierte ihn natürlich der Kopf seines Doppelgängers, dessen Züge auch jetzt noch wie die eines echten Menschen wirkten. Er betrachtete ihn ausgiebig, sah in die nun starr blickenden Augen und schüttelte sich dann. „Im Spiegel gefalle ich mir weit besser“, murmelte er. „Okay, wenden wir uns nun den wirklich wichtigen Dingen zu. Wer kann mir erklären, was es mit seinem Kybermaten auf sich hat?“ Rawlins und Kennedy übernahmen das. Sie hatten relativ viel herausgefunden. Alle Leitungen, die in einen bestimmten Knotenpunkt mündeten, dienten jeweils nur als Zubringer oder Ableiter, nur ihre Kapazität differie rte oft. Da sie jedoch alle aus bekannten Metallen bestanden, ließ sich diese annähernd bestimmen, und das erlaubte wiederum Rückschlüsse auf ihre funktionellen Auf gaben. „Achten Sie auf die Farbmarkierungen“, sagte Rawlins. „Jede entspricht einem bestimmten Wert, Sie finden die Erläuterungen hier auf dieser Folie. Die meisten Kabel dürften für uns ohne Bedeutung sein, sie dienten der Steuerung der Gliedmaßen und der Übermittlung der künstlichen Sinneseindrücke. Dieser Strang hier unten stand mit der Energiestation in Verbindung, die mit sehr niedrigen Spannungen, aber mit verblüffend hohen Stromstärken gearbeitet hat. Sie befindet sich in der Bauchhöhle, ist aber infolge der Kurzschlüsse verschmort, so daß sich nichts mehr damit anfangen läßt.“ Lem Gander studierte die Folie, dann huschte ein anerkennendes Lächeln über sein Gesicht, und er nickte dem Kollegen zu. - 31 -
„Unwichtig, das kriegen wir schon alles wieder hin. Schaffen wir das Gehirn also gleich ins Kyberzentrum. Ich freue mich schon darauf, diese Nuß zu knacken. Kann Rawlins dabei helfen, Mr. Lawson?“ Der Chief-Examiner zuckte mit den Schultern. „Nachtdienst wird er so oder so machen müssen, wenn nicht hier, dann in unserer Zentrale. Wie hätten Sie es lieber, Walt?“ „Ich bleibe hier, Sir“, erklärte der Spezialist. „Notfalls opfere ich das ganze Wochenende, wenn es uns nur gelingt, den Unbekannten auf die Spur zu kommen. Mir graut bei dem Gedanken, daß sie eines Tages unsere schöne Erde beherrschen könnten und vielleicht ein solcher Roboter meine Stelle einnimmt!“ Mehr gab es nicht zu sagen, die Versammlung in der Kantine löste sich auf. Lawson beauftragte das Gros seiner Leute, die Teile des Roboters zur SD-Zentrale in London zu fliegen. Er selbst begab sich mit zweien der Männer ins Nachrichtenzentrum der G. & E. Lem Gander und Rawlins transportierten den Mini-Kybermaten ins Kyberzentrum, Fram Elsner und Mona Cryns begleiteten sie. Für sie alle wurde es eine lange Nacht. Die meiste Zeit beanspruchten die Meßarbeiten an den unzähligen Leitungsfragmenten. Nur nach und nach gab es Fortschritte, der eigentliche Durchbruch gelang erst nach etwa fünf Stunden. Dann aber lief alles fast von selbst, und Gander lächelte triumphierend. „Die Fremden mögen uns vielleicht in bezug auf Wissen um einiges voraus sein, aber die logischen Grundprinzipien sind überall im Weltall gleich. Was halten Sie davon, jetzt eine Pause einzulegen, Mr. Elsner? Ein starker Kaffee wäre angebracht, Monas Augen sind schon ganz klein. Anschließend können wir dann das Robotergehirn mit dem Kybermaten integrieren und alles Wissen abrufen, das darin gespeichert ist.“ Fram nickte, denn er war selbst erschöpft. Ein Automat im Vorraum lieferte Sandwiches und heißen Kaffee. Die vier Menschen aßen und tranken schweigend, die Entspannung nach den Stunden voller Konzentration tat ihnen gut. Noch eine Zigarette, dann warf Elsner das Geschirr in den Recyclingschacht und erhob sich. „Ich rufe jetzt den Chief-Examiner an, Freunde. Er brennt bestimmt darauf, endlich etwas Positives zu hören.“ Lawson traf zusammen mit Meadows schon wenige Minuten später in der Kyberzentrale ein. Der Assistent wirkte noch relativ frisch, doch im Ge-
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sicht seines Vorgesetzten hatte diese Nacht unübersehbare Spuren hinterlassen. Seine Augen waren von tiefen Ringen umgeben. „Gibt es Neuigkeiten von draußen, Sir?“ erkundigte sich Fram. Mark Lawson zog eine Grimasse. „Ein Mann wie ich ist ja an Kummer gewöhnt, aber der von heute nacht sprengt buchstäblich alle Grenzen! Meine Dienststelle, die Regierung, Carey, die WORLD CONTROL und das Oberkommando unserer Raumflotte - sie alle hingen pausenlos am Visiphon. Noch nie war ich einem Herzinfarkt so nahe, das dürfen Sie mir glauben. Der Start des fremden Raumschiffs wurde von Zehntausenden beobachtet und versetzte sie in Furcht und Schrecken.“ „Hat man feststellen können, wohin es sich entfernt hat?“ fragte Rawlins gespannt. Sein Chef nickte langsam. „Es war viel zu schnell für eine Verfolgung durch die Raumkreuzer der Flotte, aber die Ortungssatelliten hielten seine Bahn automatisch fest. Bald nach Verlassen der Erdatmosphäre beschrieb es eine weite Kurve und nahm Kurs auf das Sternbild Orion. Infolge seiner enormen Beschle unigung erreichte es noch innerhalb der Mondbahn die ungefähre Lichtgeschwindigkeit, dann verschwand es von einem Augenblick zum anderen von den Bildschirmen.“ „Es ging in den Überlichtflug, und damit war alles aus“, folgerte Fram Elsner enttäuscht. Lawson schüttelte den Kopf, dann grinste er. „Das dachten unsere Leute zuerst auch, Mr. Elsner. Die Kybermaten der Ortungsstationen kamen jedoch nach Auswertung aller Daten zu einer wesentlich anderen Schlußfolgerung. Die Unbekannten benutzten keine Hypertriebwerke, wie wir sie kennen! Die unverhältnismäßig hohe Energieentwicklung ihres Antriebs während ihres Überwechselns in die fünfte Dimension läßt vielmehr darauf schließen, daß dieses Schiff eine große Distanz fast in Nullzeit überwand, sozusagen in einem rie sigen Sprung.“ „Ein Transitions-Triebwerk also!“ sagte Fram erregt. „Das Prinzip ist uns theoretisch längst bekannt, die G. & E. hat sich vorübergehend auch damit befaßt.“ „Ich habe es: Die Fremden müssen Antimaterie-Konverter besitzen!“ platzte Lem Gander heraus. „Ich rate Ihnen, die Experten in London anzurufen und auf diese Möglichkeit hinzuweisen, Sir. Die Reaktion normaler Teilchen mit Antimaterie -Partikeln wurde in kleinem Ausmaß schon gegen Ende des 20. Jahrhunderts erprobt, - und man hatte Erfolg damit. Versuche in größerem Umfang verboten sich aber, weil es damals noch keine Mög- 33 -
lichkeit gab, die dabei frei werdenden gewaltigen Energiemengen unter Kontrolle zu bringen; deshalb wurde das Projekt fallengelassen und ist jetzt fast vergessen.“ „Vermutlich hat Lem recht“, meinte Fram Elsner. „Dort vorn ist ein Visiphon-Anschluß, lassen Sie sich am besten mit WORLD CONTROL verbinden, sie dürfte die kompetente Stelle sein. Die Erklärungen kann ich übernehmen, wenn es Rückfragen gibt.“ Der Chief-Examiner stimmte zu, und eine Viertelstunde später war die Aufregung bei den Verantwortlichen noch um einiges gestiegen. Als Fram die Verbindung wieder unterbrach, lächelte er freudlos. „So, das hätten wir - ob es uns praktisch etwas nützt, muß sich erst noch herausstellen. Doch nun zurück zu unserem Sorgenkind, jetzt steht die entscheidende Phase bevor!“
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* Zwei weitere Stunden vergingen, draußen brach bereits der Morgen an. Die Menschen in der Kyberzentrale waren jedoch viel zu sehr beschäftigt, um etwas davon zu bemerken. In mühevoller Kleinarbeit verbanden sie eine Anzahl der Leitungsfragmente rings um das Gehirn des Roboters mit den entsprechenden Anschlüssen des Hauptkybermaten. Gander und Rawlins nahmen einige Tests vor, dann nickte Lem zufrieden. „Wir sind soweit, Sir. Der Roboter-Kybermat ist ‘integriert’, er dürfte ‘erwachen’, sobald er volle Energiezufuhr erhält. Man kann ihm mit Hilfe seines großen Bruders alle möglichen Fragen stellen - ob er sie wahrheitsgemäß beantworten wird, steht allerdings auf einem anderen Blatt.“ „Ich hoffe es für Sie; fangen Sie endlich damit an“, knurrte Lawson. „Okay, Sir“, entgegnete der Kybermatiker und winkte seinem Kollegen vom SD. Sie nahmen die Operatorsitze ein, und dann erwachten alle Anzeigen des großen Gehirns zu vollem Leben. Lem nahm einige Schaltungen vor und beobachtete die Monitoren mit gespannter Aufmerksamkeit. Alles schien zu seiner Zufriedenheit zu laufen, er berührte einen weiteren Sensor, und dann zuckten steile Amplituden über die kleinen Schirme. Ein neuer Handgriff, dann flachten sie rasch ab und wurden zu gleichmäßigen grünlichen Feldlinien. Das Robotergehirn wurde nun mit der erforderlichen Energie beschickt, die Feldlinien bewiesen, daß es wieder zu arbeiten begonnen hatte. Gander ließ nun die Programmspule anlaufen, die Mona Cryns zuvor nach genauen Anweisungen vorbereitet hatte. Erneut leuchtete es auf den Monitoren fast hektisch auf, aber schon Sekunden später trat wieder Ruhe ein. Lem Gander grinste triumphierend, und Fram Elsner, der alles genau beobachtet hatte, atmete erlöst auf. Der eigentlich kritische Punkt war überwunden! Der Mini-Kybermat hatte versucht, die ihm über seine Informationskanäle zugeleiteten fremden Impulse abzublocken, doch das war ihm nicht gelungen. Die Kapazität des irdischen Rechengehirns überstieg die des „kleinen Bruders“ weit und hatte eine Zwangsintegration herbeigeführt. Das Gehirn des Roboters war praktisch zu einem Nebensektor geworden, aus dem nun alle Daten abgerufen werden konnten, die seine eigene Existenz nicht in Frage stellten. Wo diese Toleranzschwelle lag, konnte natürlich niemand wissen. Entsprechend vorsichtig war man bei der Formulierung der ersten Fragen vor- 35 -
gegangen; Rawlins und Gander hatten dabei gute Arbeit geleistet, das bewiesen die Antworten hierauf. Sie wurden von dem Kybermaten einem Adapter zugeleitet und drangen nun als zwar monotone, aber gut verständliche Worte aus einem Lautsprecher. Die erste Frage lautete: Weshalb hast du versucht, Daten über das neue Hypertriebwerk der Menschen zu verfälschen? Weil meine Herren mir den Auftrag dazu gaben! sagte die VocoderStimme. Frage zwei: Wußten deine Herren, daß infolge dieser Sabotage eine große Anzahl von Menschen umkommen konnte? Ja! Weshalb gaben sie dir dann diesen Auftrag? Bedeutet ihnen die Existenz fremder Wesen so wenig? Grundsätzlich achten sie Leben jeder Art. Doch nur soweit, wie dies nicht mit ihrem Selbsterhaltungstrieb kollidiert, und das war hier der, Fall. Deine Herren betrachten uns also als eine Gefahr für ihre Existenz, sobald wir Schiffe mit leistungsfähigeren Triebwerken besitzen? Ja! Rawlins hob die Hand und sagte halblaut: „Das bedeutet, daß die Fremden eine Entdeckung durch uns fürchten, sobald wir weiter ins All vorstoßen. Ihre Heimatwelt kann nicht allzu weit außerhalb der jetzigen menschlichen Einflußsphäre liegen, und sie haben unsere Rasse zweifellos schon vor einiger Zeit entdeckt, sich aber bisher darauf beschränkt, uns zu beobachten. Fragen Sie jetzt, weshalb sie sich durch uns bedroht fühlen, und versuchen Sie dann, etwas über sie selbst zu erfahren.“ Gander nickte und betätigte wieder die Programmsensoren. Ihr Menschen seid Emporkömmlinge, unerfahren und aggressiv! antwortete das Robotergehirn. Solange sich euer Wirken nur auf einen kleinen Bezirk dieses Spiralarms beschränkte, haben meine Herren dies toleriert. Ein Mehr darf euch jedoch nicht gestattet werden, es würde die bestehende Ordnung empfindlich beeinträchtigen. „Störet meine Kreise nicht!“ sagte Fram Elsner sarkastisch. „Die Fremden scheinen uns wie Kinder anzusehen, denen man zwar einen gewissen Spielraum zugesteht, die man aber sofort abwimmelt, wenn sie versuchen, in die Domänen der Erwachsenen einzudringen. Verdammt, womit haben wir das verdient? Wir haben noch nie versucht, die anderen, uns unterlegenen Rassen zu beherrschen, im Gegenteil. Ist das ein Zeichen für Unreife und Aggressivität?“ - 36 -
Der Chief-Examiner zuckte mit den Schultern und meinte philosophisch: „Nein, natürlich nicht. Doch dies sind eben unterentwickelte Rassen, und darin liegt der Haken. Es ist relativ leicht, jemand zu tolerieren, von dem man genau weiß, daß er in absehbarer Zeit nicht zum Rivalen werden kann. Was wäre wohl aber geschehen, wenn eines dieser Fremdvölker auf annähernd gleicher Stufe gestanden hätte wie wir? Viele Menschen hätten einen solchen Kontakt begrüßt und jene Wesen als unsere Brüder im All angesehen. Sie und ich und viele andere - aber auch die Politiker oder die Militärs? Die einen hätten sofort eine Beschränkung der Expansionsfreiheit befürchtet, die anderen das Gespenst bewaffneter Auseinandersetzungen gesehen. Sicher, die WORLD CONTROL hätte versucht, alle Probleme auf diplomatischem Wege zu regeln, aber ein gewisses Mißtrauen wäre trotzdem immer geblieben. Heimliche Aufrüstung, um gegen alle Eventualitäten gewappnet zu sein; aus der Raumpolizei wäre nach und nach eine Raumflotte geworden, Spionage, um stets über die Stärke des potentiellen Gegners unterrichtet zu sein; und später dann Sabotage, um ihn zu schwächen, sobald er auf diesem oder jenem Gebiet zu stark zu werden droht. Genau das also, was die Fremden auch betrieben haben, die Parallelen sind unübersehbar!“ Fram nickte, denn er konnte sich der Logik dieser Ausführungen nicht verschließen. „Einen Unterschied gibt es aber doch“, warf nun Mona Cryns ein. „Die Unbekannten haben sich gar nicht erst bemüht, friedliche Kontakte zur Menschheit aufzunehmen, sondern sofort massiv zuzuschlagen versucht! Weshalb wohl dieses rigorose Vorgehen, Sir?“ „Keine Ahnung“, entgegnete Lawson, „aber vielleicht finden wir es jetzt heraus. Machen Sie weiter, Gander, worauf es ankommt, wissen Sie ja.“ Der Roboter-Kybermat konnte diese Unterhaltungen nicht mithören, seine Verbindung zur Außenwelt blieb auf den Kontakt mit dem Großrechner beschränkt. Lem Gander beriet sich kurz mit Rawlins und stellte dann die nächste Frage: Deine Herren betrachten uns als unerwünschte Emporkömmlinge; bedeutet das, daß sie im Vergleich zu uns eine alte Rasse sind? Ja! Wie sehen sie aus! Gleichen sie uns Menschen irgendwie? Nein!
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Mark Lawson seufzte, denn das alles ging ihm viel zu langsam, und er war übermüdet. Verdrossen steckte er sich eine Zigarre an, während der Kybermatiker die nächste Frage formulierte. Sind sie uns vollkommen fremd? Oder kennst du ein Synonym für ihre Gestalt, auf Lebewesen der Erde bezogen? Ihr würdet sie vermutlich als Vögel bezeichnen, obwohl sie kein Federkleid tragen. Auch besitzen sie keine Flügel, sondern Arme mit Händen und Fingern, ähnlich wie ihr, und ihre Größe entspricht in etwa der eueren. Pflanzen sie sich durch Eiablage fort? Nein, die weiblichen Exemplare bringen lebende Junge zur Welt. Wie nennen sie sich selbst? Kymerer, abgeleitet von ihrer Ursprungswelt Kym. Bewohnen sie noch weitere Planeten? Ja. Ihr Imperium umfaßt insgesamt 463 Sonnensysteme und besitzt eine radiale Ausdehnung von annähernd 750 Lichtjahren nach eurer Rechnung. „Verdammt!“ rief Lawson. „Im Vergleich dazu sind wir mit unseren achtzig kaum erschlossenen und dünn besiedelten Planeten wirklich nur Zwerge. Ihr Herrschaftsbereich ist relativ gesehen zwar kleiner als der unsere, aber was will das schon besagen.“ „Im wesentlichen doch nur, daß sich ihr überlegenes technisches Potential auf einen viel engeren Raum konzentriert!“ erklärte Fram Elsner. „So besehen können wir noch froh sein, daß die Kymerer sich darauf beschränkt haben, nur ein einzelnes Schiff zur Erde zu schicken. Ein paar Dutzend davon ...“ „Keine voreiligen Schlußfolgerungen“, unterbrach ihn der ChiefExaminer. „Eben der Umstand, daß sie das nicht getan haben, gibt mir zu denken. Hören wir doch erst einmal, was das Robotergehirn uns noch weiter zu sagen hat.“ Gander stellte neue Fragen, und das Robotergehirn beantwortete sie mit erstaunlicher Bereitwilligkeit. Die Menschen erfuhren, daß die Kymerer über schätzungsweise zehntausend Raumschiffe verfügten, zum größten Teil Passagier- und Frachtraumer, die unbewaffnet waren. Daneben besaßen sie jedoch auch mindestens tausend Fahrzeuge, die einer Art von Ordnungstruppe gehörten, die für die Sicherheit in ihrem Imperium verantwortlich war. Sie kam jedoch nur selten zum Einsatz, denn überall herrschte seit Jahrhunderten Frieden, auch an den Grenzen zu den Einflußgebieten anderer Rassen, die sich näher zum Zentrum der Milchstraße befanden.
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Das waren Neuigkeiten, über denen Mark Lawson seine Müdigkeit restlos vergaß. Sie trugen aber nicht eben dazu bei, seine Laune zu verbessern, und den anderen erging es ebenso. Sie begriffen erst jetzt in vollem Ausmaß, daß die Menschheit, verglichen mit den Kymerern, wirklich nur ein krasser Außenseiter war. „Eines verstehe ich trotzdem nicht“, sagte Lawson nachdenklich. „Wenn diese Vogelwesen uns in allen Belangen so weit überlegen sind, weshalb fürchten sie sich dann trotzdem vor uns? Anders kann man es doch wohl kaum auslegen, wenn sie mit allen Mitteln zu verhindern suchen, daß irdische Schiffe in ihren Machtbereich gelangen.“ Fram Elsner zuckte mit den Schultern. „Weshalb fürchten sich Frauen wohl vor Mäusen oder Spinnen?“ fragte er zurück. „Sie wissen genau, daß diese Tiere ihnen nichts tun, erschrecken aber doch zu Tode, sobald sie sie zu Gesicht bekommen. Könnte es hier nicht so ähnlich sein?“ „Ich habe vor keinem dieser Tiere Angst“, protestierte die junge Frau. Sie hatte zusammen mit Rawlins dafür gesorgt, daß sämtliche Fragen und Antworten durch externe Geräte gespeichert wurden, so daß sie nach Belieben wieder abgespielt werden konnten. „Sie sind für mich nur lästiges Ungeziefer, mehr nicht.“ Mark Lawson grinste säuerlich. „Es hat ganz den Anschein, als würden uns die Kymerer in die gleiche Kategorie einstufen!“ sagte er. „Okay, wir können jetzt aufhören, denke ich. Was wir hier erfahren haben, reicht ohnehin aus, um den großen Bossen in aller Welt erhebliches Magendrücken zu bereiten. Fragen Sie das Gehirn jetzt nach den Raumkoordinaten von Kym, Gander, als Krönung des Ganzen sozusagen.“ Nun trat jedoch das ein, mit dem niemand mehr rechnete. Der Kybermatiker formulierte die entsprechende Frage, doch er bekam keine Antwort mehr. Nur noch knarrende, unmodulierte Töne drangen aus dem Lautsprecher, über die Monitoren zuckte plötzlich ein wahres Feuerwerk. Im nächsten Augenblick sprangen grelle Blitze aus allen Anschlußstellen, die Kabel begannen zu glühen, und aus dem Robotergehirn stiegen dunkle Qualmwolken auf! „Abschalten- schnell!“ schrie Elsner und lief auf den Kybermaten zu. Lem Gander hatte inzwischen schon gehandelt, aber es war zu spät. Die Geräusche und Lichterscheinungen erstarben zwar nach dem Aufhören der
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Energiezufuhr; doch die Kunststoffhülle um den Kugelkörper war bereits schwarz und verschmort, und das sagte den Menschen genug. „Aus!“ bemerkte Gander nüchtern. „Das Ding da ist hinüber, von ihm erfahren wir nichts mehr. Es hat uns nur Auskünfte gegeben, die seinen Herren nicht schaden konnten, mit der direkten Frage nach ihrer Zentralwelt war jedoch die Toleranzschwelle erreicht. Eine Sicherheitsschaltung sprach an und verhinderte die Abgabe dieser wichtigen Information. Eigentlich hat es mich gewundert, daß das nicht schon früher geschehen ist.“ „Mich nicht“, erklärte der Chief-Examiner. „Ich habe nämlich versucht, mich in die Gedankengänge jener zu versetzen, die das Sabotagekommando zur Erde geschickt haben. Sie wissen allem Anscheint nach eine Menge über uns und rechneten deshalb damit, daß das irdische ‘Ungeziefer’ auch imstande wäre, die Datenmanipulationen zu durchschauen und den Roboter zu entlarven! Für diesen Fall versahen sie ihn mit gezielten Informationen, deren Zweck es sein sollte, uns wirksam abzuschrecken.“ „Ich verstehe“, sagte Fram Elsner. „Wäre es dem Roboterduplikat gelungen, seine Arbeit unbemerkt zu vollenden, hätte uns das um Jahrzehnte zurückgeworfen. Die G & E.-Werke wären in die Luft geflogen, die Raumpolizei und WORLD CONTROL hätten daraus schließen müssen, daß die beabsichtigte Verbesserung der Hypertriebwerke nicht zu realisieren sei. Falls aber das Gegenteil eintrat, wie es zum Glück für uns geschehen ist, sollte der Roboter-Kybermat uns davon unterrichten, wie groß und mächtig das Imperium der Kymerer ist. Davon versprachen sich die Vogelwesen die gleiche Wirkung: die Mäuse in ihre Löcher zurückzutreiben.“ Lawson nickte mit grimmigem Gesicht. „Genau das ist auch meine Meinung, Mr. Elsner. Ich werde sie den maßgebenden Leuten vortragen. Bitte, händigen Sie mir alle Aufzeichnungen des Roboterverhörs aus. Ich kehre so schnell wie möglich nach London zurück, um sie dort vorzulegen.“ Elsner nickte Rawlins zu, und dieser nahm die Speicherkristalle aus den betreffenden Geräten. Gander löste das ausgebrannte Robotgehirn von den Verbindungen und übergab es auf einen Wink seines Chefs hin ebenfalls dem Kollegen vom. Sicherheitsdienst. Nun erinnerte nichts mehr an das, was den letzten Stunden im Kyberzentrum vorgegangen war. Die Menschen verließen den Raum und begaben sich hinauf in die Nachrichtenzentrale. Dort atmete Carl Meadows auf und schickte sich an, seinen Chef über die zahlreichen Anrufe der letzten Stunden zu unterrichten. Mark Lawson - 40 -
winkte jedoch ab und wies einen der anderen Männer an, eine Verbindung zu Walt Carey herzustellen. Er unterrichtete ihn mit wenigen Stichworten und wandte sich dann wieder den anderen zu. „Das war es vorläufig. Ein Helikopter ist schon unterwegs, um uns abzuholen, die G. & E. wird von unserer Anwesenheit erlöst. Mr. Elsner, sorgen Sie bitte dafür, daß hier alles wieder in den üblichen Zustand versetzt wird und daß niemand erfährt, was sich hier seit gestern ereignet hat!“ Fram Elsner übernahm es, die SD-Beamten hinauf zum Dachlandeplatz zu bringen. Der Helikopter traf gleich darauf ein, und als er mit den Männern abgeflogen war, blieb Fram noch eine Weile stehen, den Rücken gegen einen Antennenmast gelehnt. Die Sonne strahlte hell, er sog tief die kühle Morgenluft ein und spürte, wie die Spannung allmählich von ihm abfiel. Wir sind noch einmal davongekommen! dachte er. Der Roboter hat sein Ziel nicht erreicht, das Schiff der Fremden ist geflohen - aber von jetzt an wird nichts mehr so sein, wie es bisher gewesen ist. Wir wissen nun, daß es die Kymerer und ihr großes Imperium gibt und daß uns diese Wesen nicht eben wohl gesinnt sind. Mit Sicherheit wird es früher oder später zu einer neuen Konfrontation kommen - und was dann? Er zuckte mit den Schultern und kehrte in die stillgewordene Nachric htenzentrale zurück. Dort trug Mona Cryns eben Kaffee auf, er bekam auch einen Becher, und die vier Personen schlürften schweigend das heiße Getränk. Dann rieb sich Grimsby die rotgeränderten Augen und sah seinen Partner an. „Was soll jetzt geschehen, Fram?“ erkundigte er sich leise. Elsner lächelte müde, ließ seine Zigaretten herumgehen und sagte dann lakonisch: „Das soll nicht mehr unsere Sorge sein, Tom. Die WORLD CONTROL und eine Menge anderer Großköpfe werden sich der Probleme annehmen, eine Geheimkonferenz dürfte jetzt die andere jagen. Was dabei herauskommt - allzuviel wird es nicht sein, vermute ich -, werden wir wohl nie erfahren. Wir haben so zu tun, als wäre hier nichts geschehen, und das Wochenende wird uns helfen, einigen Abstand zu den verwirrenden Dingen zu gewinnen. Am Montag läuft dann alles weiter wie immer: Wir sitzen in unseren Büros, Lem und Mona gehen daran, die Berechnungen für die neuen Triebwerke durchzuführen - mehr wird nicht geschehen.“ „Immerhin werden Sie diesmal richtige Daten bekommen“, meinte Lem Gander. „Im übrigen hat es mich direkt fasziniert, das Gehirn meines Doppelgängers auszufragen. Die Kymerer mögen uns wohl in technischer Hin- 41 -
sicht um einiges voraus sein, aber doch nicht so sehr, daß wir ihnen hoffnungslos unterlegen sind, das hat sich dabei gezeigt. Wirklich jammerschade, daß der Mini-Kybermat zum Schluß ausgebrannt ist. Wir hätten ihn gründlich untersuchen und später nachbauen können, und dann ...“ „Vergessen Sie’s, Lem“, unterbrach ihn Fram Elsner. „Der gute Lawson war eben um eine Spur zu neugierig, aber das ist schließlich sein Beruf, und es hätte ja auch klappen können. Und damit jetzt endgültig Schluß, fahren wir nach Hause. Sie können Ihren Wagen nehmen, die Polizei hat ihn hergebracht; Ihre Frau wird sich nur freuen, daß Sie so schnell ,aus Tokio’ zurückgekommen sind. Wir sehen uns dann Montag früh wieder, okay?“ Sie erhoben sich, beseitigten alle Spuren ihres Aufenthalts und verließen dann das Gebäude. 6. Wochen vergingen, ohne daß sich scheinbar etwas tat. Alle an den Vorgängen beteiligten Personen hatten geschwiegen, und auch die durch den Gewaltstart des fremden Raumschiffs aufgeschreckte Bevölkerung hatte sich längst wieder beruhigt. Eine kurze, überzeugend klingende Verlautbarung der Behörden hatte besagt, daß die Raumpolizei hier lediglich eine neue Abwehrwaffe getestet hätte. Man räumte zwar ein, daß es zu unvorhergesehenen Nebeneffekten gekommen sei, erklärte jedoch gleichzeitig, der Versuch wäre trotzdem sehr erfolgreich verlaufen. Drei Polizisten wurden feierlich zu Grabe getragen- angeblich Opfer eines seit längerem gesuchten Gewaltverbrechers. Der wurde wiederum wenige Tage später gestellt und dabei erschossen, und alle Medien berichteten ausführlich darüber. Selbst erfahrene Reporter ahnten nicht, wie sehr sie dabei getäuscht wurden, aber der Zweck dieses Manövers wurde voll erreicht. In der G. & E.-Company wurde, wenn auch mit kurzer Verzögerung, letzte Hand an den Prototyp des neuen Triebwerks gelegt. Gander hatte die gefälschten Berechnungen genau überprüft und dann seinen Chefs bestätigt, daß bei Verwendung dieser Daten eine Katastrophe unvermeidbar gewesen wäre. Er hatte neue Berechnungen erstellt und sie besonders sorgfältig mehrfach überprüft, bis er sicher war, daß alles bis zur letzten Dezimalstelle stimmte.
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Der erste Probelauf fand statt, weitere folgten. Alles verlief ohne Komplikationen, Elsner und Grimsby atmeten auf. Sie meldeten den Erfolg der zuständigen Stelle, und einige Tage später tauchte überraschend Walt Carey bei ihnen auf. „Sie haben vermutlich gemerkt, daß ein Sonderkommando meiner Leute die Entwicklungsabteilung Ihres Werkes ständig abschirmt“, eröffnete er das Gespräch mit ihnen. Beide sahen ihn verwundert an, und Fram schüttelte den Kopf. „Im Gegenteil, Mr. Kline. Wir haben uns sogar gewundert, daß in dieser Hinsicht nichts geschah, obwohl Sie doch vor Ihrem Abflug nach London ...“ „Lassen wir das Versteckspiel, Sie wissen ja doch längst, wer ich bin“, unterbrach ihn der „starke Mann“ der WORLD CONTROL. „Nun, nach dem überstürzten Start des fremden Raumschiffs haben wir nicht mehr ernstlich damit gerechnet, daß es hier noch weitere Sabotageakte geben würde. Absolut sicher konnten wir jedoch nicht sein, und das Projekt ist zu bedeutungsvoll für uns. Deshalb haben wir alle Personen, die irgendwie damit zu tun haben, mit Hilfe von Spezialdetektoren getestet. Wir sind jetzt vollkommen sicher, daß sich kein verkappter Roboter unter den Leuten befindet.“ „Sie sind doch wohl mit einem bestimmten Auftrag zu uns gekommen, nehme ich an“, erklärte jetzt Fram Elsner. „Vollkommen richtig“, entgegnete Walt Carey ernst. „Sie selbst haben uns gemeldet, daß die Probeläufe des neuen Triebwerks absolut positive Ergebnisse gezeigt haben. Würden Sie sagen, daß es bereits als serienreif zu bezeichnen ist?“ Tom Grimsby wiegte zögernd den Kopf. „Das wäre wohl noch reichlich verfrüht, Mr. Carey. Im allgemeinen schließen sich an die ersten Versuche noch viele weitere an, die Mindestdauer beträgt etwa 500 Stunden. Erst dann läßt sich der Grad einer eventuell eintretenden Materialermüdung oder anderer negativer Effekte definitiv feststellen. Vielleicht sind noch viele Verbesserungen nötig, ehe wir es riskieren können, das Triebwerk wirklich in ein Raumschiff einzubauen.“ „Das weiß ich alles, Mr. Grimsby“, erklärte Carey. „Andererseits steht aber auch fest, daß Ihre Firma stets ganze Arbeit geleistet hat, so daß es nie irgendwelche Versager der geschilderten Art gab. Außerdem stellt dieses Triebwerk ja auch keine Neukonstruktion dar, sondern nur eine Verbesserung längst erprobter Modelle. Überlegen Sie also noch einmal ganz ernst- 43 -
haft: Halten Sie es wirklich für ganz unmöglich, wenigstens ein Schiff damit auszurüsten?“ „Nicht unbedingt“, gab Fram Elsner zu. „Eine Gegenfrage müssen Sie mir allerdings gestatten, Mr. Carey. Weshalb ist die WORLD CONTROL so sehr an einem Durchpeitschen des Projekts interessiert? Hängt das mittelbar oder unmittelbar mit den Kymerern zusammen?“ Walt Carey sah eine Weile starr vor sich hin. Dann hob er den Kopf. „Natürlich, womit sonst. Ich habe in den letzten Wochen an einer Unzahl von Beratungen teilgenommen. Das so überraschend aufgetauchte Problem wurde von allen Seiten beleuchtet, und das Endergebnis war buchstäblich niederschmetternd: Selbst wenn wir jetzt sofort mit einer umfassenden Aufrüstung beginnen würden, dürfte es etwa zehn Jahre dauern, bis wir imstande wären, die Erde und die wichtigsten Siedlungsweiten mit einiger Aussicht auf Erfolg zu verteidigen!“ „So lange?“ fragte Grimsby bestürzt. Carey nickte düster. „Das aber auch nur dann, wenn wir den Lebensstandard auf allen Welten drastisch beschneiden und sämtliche verfügbaren Mittel nur auf dieses eine Ziel konzentrieren würden. Wir benötigen viermal soviel Schiffe, wie sie die Raumpolizei jetzt besitzt, und alle müßten mit den neuen Triebwerken ausgerüstet werden. Dazu kämen dann noch die riesigen Aufwendungen für eine wirksame Bewaffnung, sowie für die Ausbildung und Unterhaltung des nötigen Personals. Weiterhin die Errichtung neuer Raumhäfen, die Stationierung einer Kette von Überwachungssatelliten - ich könnte noch Dutzende anderer Details aufzählen. Und auch dann bliebe immer noch das Handikap, daß die Kymerer Transitionstriebwerke besitzen, so daß ihre Schiffe praktisch ohne Zeitverlust jeden beliebigen Punkt in unserem Herrschaftsbereich erreichen können!“ „Wogegen unsere Raumer Tage oder Wochen brauchten, um an die entsprechenden Stellen zu gelangen und ihnen entgegenzutreten“, vollendete Fram. „Die Vogelwesen könnten jeden unserer Planeten im Blitzangriff überrennen und wenige Tage später bereits wieder an einem völlig entgegengesetzten Punkt auftauchen. Doch selbst dann, wenn sie nicht kämen, sähe es immer noch schlimm genug für uns aus. Alles Geld ginge für die Rüstung drauf, die Bevölkerung müßte große Opfer in finanzieller und auch sonst fast in jeder Hinsicht bringen. Am schlimmsten betroffen wären natürlich die Schwächsten, also die noch nicht autarken Siedlungsplaneten. Welcher private Eigner würde noch ein Schiff dorthin schicken wollen, wenn er jederzeit damit rechnen muß, es zu verlieren?“ - 44 -
„Der interstellare Handel würde fast ganz zum Erliegen kommen“, bestätigte der Mann von der WORLD CONTROL. „Wir müßten die Leute dort in eigener Regie versorgen, und das würde wieder Auswirkungen auf die militärischen Objekte zeitigen.“ „Und das alles nur wegen eines einzigen fremden Schiffes, das den verdammten Roboter hier abgesetzt hat!“ murrte Tom Grimsby. „Müssen wir eigentlich gleich so rabenschwarz sehen, Mr. Carey? Könnte es nicht vie lmehr sein, daß das Mißlingen dieser Aktion die Kymerer abschreckt und zu der Meinung bringt, daß das ‘Ungeziefer’ Mensch doch klüger und stärker ist, als sie bis jetzt angenommen haben?“ „Nein!“ sagte Walt Carey hart. „Wir haben natürlich durch unsere Kybermaten eine Unmenge von Analysen, Extrapolationen und Prognosen erarbeiten lassen. Kein denkbarer Aspekt blieb unberücksichtigt. Die Aussage mit dem größten Wahrscheinlichkeitswert war stets dieselbe: Die Kymerer werden kommen, früher oder später!“ * Er lehnte sich zurück und nahm einen großen Schluck aus seinem Whiskyglas. Für eine Weile herrschte bedrücktes Schweigen, ein düsterer Schatten schien plötzlich im Raum zu liegen, obwohl die Frühlingssonne hell durch die Fenster schien. Dann hob Elsner den Kopf und bemerkte: „Das sind ja verdammt unerfreuliche Aussichten; wir werden also mit einem Damoklesschwert über unseren Köpfen leben müssen, das jederzeit unverhofft niederfallen kann. Und doch scheint es da noch irgend etwas zu geben, daß Sie uns verschwiegen haben, Mr. Carey. Weshalb sonst würde die WORLD CONTROL so großen Wert darauf legen, daß das neue Hypertriebwerk schnellstens zum Einsatz kommt?“ Sein Gegenüber nickte anerkennend. „Sie haben es schnell erfaßt, Mr. Elsner. Nun, unsere Leute haben sich natürlich auch sehr eingehend mit den Überresten des Roboter-Kybermaten beschäftigt. Sie äußerten sich anerkennend über Gander und Rawlins, die vorbildliche Arbeit geleistet haben; mehr hätten sie selbst auch nicht erreichen können. Dafür haben sie bei der gründlichen Untersuchung des Gehirns auch einen wertvollen Erfolg erzielt.“ „Sie haben die Koordinaten von Kym herausgefunden?“ fragte Tom Grimsby gespannt.
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„Das nun leider nicht, es war wohl auch kaum zu erwarten. Alle Hauptsektoren waren restlos verschmort, nur einige periphere Elemente sind noch halbwegs erhalten geblieben. Mit den meisten davon ließ sich jedoch nichts anfangen. In relativ gutem Zustand war aber ein Sektor mit etwa hundert Mini-Mikrochips, die einen kompletten Funktionskomplex darstellten. Ich will Sie hier nicht mit Einzelheiten langweilen, zumal ich selbst nur wenig von dieser Materie verstehe. Jedenfalls fanden die Kybermatiker heraus, daß dies eine Art von Sprachtransformator ist, mit dessen Hilfe der Roboter die aus seinem Hirnzentrum kommenden Impulse in für uns verständliche Worte umwandelte. Sie schlössen diesen Komplex an einen Spezialkybermaten an, und mit dessen Hilfe gelang es ihnen, seine Funktionen sozusagen umzukehren. Das Resultat ist, daß wir jetzt ein Gerät besitzen, das uns befähigt, das Idiom der Kymerer verstehen zu können, ebenso wie sie das unsere!“ „Wirklich eine große Hilfe“, meinte Fram sarkastisch. Er hatte weit mehr erwartet und konnte seine Enttäuschung nur kaum verbergen. „Dann können wir die Vogelwesen gleich in ihrer Sprache begrüßen und ihnen unsere Kapitulation mitteilen, wenn über kurz oder lang ihre Schiffe hier auftauchen. Sie werden nicht schlecht über die Fortschritte staunen, die wir inzwischen gemacht haben.“ „Diesmal spotten Sie zu Unrecht“, sagte Carey. „Es gibt da nämlich noch etwas, das Sie nicht wissen, das aber kaum weniger wichtig ist. Die Astronomen und Kybermatiker haben, unter Zugrundelegung der durch die Ortungssatelliten ermittelten Daten über das fliehende Schiff, dessen wahrscheinliches Ziel mit an Sicherheit grenzender Genauigkeit ermitteln können. Es liegt im offenen Sternhaufen M 44, auch als Praesepe bekannt, im Sternbild Krebs, etwa 550 Lichtjahre von der Erde entfernt. Dort gibt es etwa 480 Einzelsterne, so daß anzunehmen ist, daß sich in diesem Sektor der größte Teil des Kymerer-Imperiums konzentriert.“ „Jetzt verstehe ich“, sagte Grimsby aufatmend. „Die WORLD CONTROL beabsichtigt also, eine Formation von Schiffen der Raumpolizei dorthin zu entsenden, sobald sie mit dem neuen Antrieb ausgerüstet sind. Diese erscheinen dann unvermutet über Kym, kreisen den Planeten ein und stellen mittels des Sprachtransformators kurz und bündig das Ultimatum: Entweder verzichtet ihr darauf, uns Menschen weiter zu behelligen, oder wir vernichten eure Hauptwelt! Das ist gut, Mr. Carey - wir werden alles tun, um die Triebwerke so bald wir möglich liefern zu können.“
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„Irrtum, Mr. Grimsby“, gab Walt Carey lächelnd zurück. „Ich habe nichts dergleichen auch nur angedeutet, ich sprach immer nur von einem Schiff. Dieses soll zwar in den M 44 fliegen, aber keineswegs, um dort irgendwie auf die große Kriegstrommel zu schlagen. Ganz im Gegenteil: Es soll die Kymerer lediglich davon unterrichten, daß die Menschheit darauf verzic htet, ihren jetzigen Einflußbereich weiter auszudehnen und den Fremden irgendwie zu schaden.“ „Das darf doch nicht wahr sein!“ empörte sich Fram Elsner. „Es liefe ja praktisch auf eine Kapitulation hinaus, für die es vorläufig nicht die geringste Notwendigkeit gibt. Da ziehe ich die Methode vor, die Tom gerade angesprochen hat, bei weitem vor!“ „Sie meinen also, man sollte es den Vogelwesen so richtig zeigen?“ fragte Carey fast sanft. Beide Männer nickten synchron, und Grimsby erklärte kategorisch: „Das sollen wir nicht nur, das müssen wir sogar tun! Was Ihre Kybermaten auch immer sagen mögen, ich bleibe bei dieser Meinung. Wenn Kym erst einmal in Trümmern liegt, werden die Fremden schon einsehen, daß sie mit uns nicht so umspringen können, wie es ihnen in ihrer Arroganz gefällt.“ „Mann, machen Sie sich doch nicht selbst etwas vor!“ fuhr ihm der Beauftragte der WORLD CONTROL scharf in die Parade. „Wir haben doch vorhin erst einmütig festgestellt, wie schlecht unsere Position in Wirklic hkeit ist. Was bedeutet schon ein zerbombter Planet, wenn es noch 462 andere gibt, auf denen noch unzählige Milliarden von Kymerern leben? Sie haben uns schon seit langem beobachtet, wissen also sehr genau, wo unsere Schwächen liegen, und würden schnell und erbarmungslos zurückschlagen! Es genügt vollauf, wenn sie die Erde ihrerseits in Schutt und Asche legen, sie ist immer noch das Lebenszentrum der Menschheit. Die übrigen achtzig Welten wären dann so gut wie hilflos, würden einfach überrannt und müßten zudem noch mit Repressalien rechnen. Unter solchen Umständen Heroismus um jeden Preis zeigen zu wollen, wäre nichts als Dummheit.“ In den Gesichtern der Männer arbeitete es, dann nickte Elsner langsam. „Denken alle Verantwortlichen der WORLD CONTROL so?“ erkundigte er sich. „Durchaus nicht von Anfang an“, gab Carey freimütig zu. „Fast die Hälfte der Männer und Frauen dieses Gremiums neigte zunächst dazu, die Warnungen der Kybermaten zu ignorieren und ähnlich zu verfahren, wie es Mr. Grimsby vorgeschlagen hat. Doch bei Dingen von solcher Bedeutung müs- 47 -
sen auch die Siedlungswelten gehört werden, also holte man ihre Oberhäupter schnellstens auf die Erde. Die dreitägige Geheimkonferenz fand in Brüssel statt, ich habe ihr von Anfang bis Ende beigewohnt. Die Vertreter der ‘harten Linie’ waren bald hoffnungslos in der Minderzahl, die Diskussion drehte sich nur noch darum, wie wir es anfangen sollten, uns ohne einen sinnlosen Krieg aus der Affäre zu ziehen. Die Entscheidung kennen Sie, sie wurde gegen nur drei Enthaltungen gefällt; auch mit meiner Stimme, das möchte ich betonen.“ „Totale Kapitulation also!“ murmelte Tom Grimsby. „Das ist gleichbedeutend mit einer besseren Sklaverei, denn die Kymerer werden natürlich versuchen, die Lage nach Kräften auszunutzen und uns ‘Ungeziefer’ unter einem interstellaren Moskitonetz zu halten. Haben Sie schon einmal überlegt, wie Sie das der Bevölkerung in aller Welt beibringen wollen?“ Walt Carey lächelte humorlos. „Vorerst überhaupt nicht, das Leben geht weiter wie bisher. Was wir den Leuten später sagen können oder dürfen, hängt ganz davon ab, welche Nachrichten das Schiff mitbringt, das wir in den M 44 entsenden wollen. Vielleicht läuft alles im Endeffekt wirklich auf eine Art von Sklaverei hinaus, vielleicht kommen wir auch besser davon, als wir jetzt befürchten.“ „Okay, lassen wir dieses Thema jetzt, es ist ohnehin noch nicht akut. Sie legen also Wert darauf, möglichst bald zumindest ein verwendungsfähiges Triebwerk von uns zu bekommen. Sie sollen es haben, aber bis zur Lieferung dürfte noch ein Monat vergehen.“ „Danke, Mr. Elsner“, sagte Carey und erhob sich. „Ich werde die Spitze der WORLD CONTROL entsprechend unterrichten, und Sie hören zu gegebener Zeit wieder von mir.“ 7. „Hallo, Darling“, sagte Fram und zog Mona Cryns leicht an sich. „Tut mir leid, daß es so spät geworden ist, aber früher konnte ich mich beim besten Willen nicht losreißen. Dafür habe ich jetzt auch einen Bärenhunger.“ Die junge Frau bot ihm ihre Lippen und musterte dann besorgt sein schmal gewordenes Gesicht. „Du siehst müde aus“, stellte sie fest, und der Mann lächelte schwach. „Ich habe es eben nicht so leicht wie gewisse junge Damen, die nur dreißig Stunden pro Woche Routinearbeiten verrichten müssen. Unsere Herren - 48 -
Konstrukteure haben es gut gemeint, als sie sich noch ein paar sogenannte ‘kleine’ Verbesserungen am neuen Antrieb einfallen ließen. Sie ahnen schließlich nicht, wie sehr es mit diesem Projekt eilt, denn Tom und ich haben uns natürlich gehütet, auch nur ein Wort zuviel zu sagen.“ Sie nahmen in einer Nische des Restaurants Platz, studierten die Speisekarte und gaben ihre Bestellung auf. Dann fuhr Elsner fort: „Sosehr die Zeit auch drängt, wir konnten uns ihren Argumenten doch nicht verschließen. Die letzten Probeläufe haben gezeigt, daß der Prototyp doch nicht ganz so perfekt war, wie es zuerst schien, und unsere Leute haben eben den Ehrgeiz, alles besonders gut machen zu wollen. So tüftelten sie hin und her, mit dem Ergebnis, daß die ganze Endstufe des Triebwerks neu durchkonstruiert wurde.“ „Und was hat die WORLD CONTROL dazu gesagt?“ erkundigte sich Mona. Fram drückte seine Zigarette aus und zuckte mit den Schultern. „Ich habe Carey deswegen angerufen, und er war natürlich nicht sonderlich begeistert. Er sah jedoch ein, daß wir es uns einfach nicht leisten können, die Teilnehmer an einer so wichtigen Mission mit einem Schiff loszuschicken, das nicht absolut betriebssicher ist.“ Das Essen wurde gebracht, und die beiden Menschen widmeten sich ihm mit gutem Appetit. Anschließend ließ Fram noch eine Flasche Wein bringen, das Paar rückte enger zusammen und genoß dieses Beisammensein. Das Licht war gedämpft, aus einem Lautsprecher kam leise Musik, und beides erzeugte eine Atmosphäre, die alle Probleme fern erscheinen lie ß. Als die beiden Menschen schließlich aufbrachen, schmiegte sich Mona sekundenlang an Fram. „Fahren wir jetzt noch zu mir nach Hause?“ fragte sie leise. „Tee, Kaffee, Whisky - es ist alles da, was du brauchst. Oder bist du schon zu müde?“ Der Mann schmunzelte amüsiert. „Morgen ist Sonntag, Darling, also ein heiliger Tag. Vor allem für die Techniker-Union, die sorgsam darüber wacht, daß im Werk niemand auch nur einen Finger rührt. Ich kann also ausschlafen, und dein Whisky wird immer so besonders liebevoll serviert ...“ Der Wochenanfang brachte wieder den gewohnten vollen Einsatz für ihn. Das neue Triebwerk lag bereits auf dem Prüfstand. Am Mittwoch fand der erste Probelauf statt. Er verlief zur vollen Zufriedenheit aller Beteiligten, die Neuerungen schlugen gut ein. Alle Daten wurden dem Kyberzentrum zur Auswertung übermittelt, wo Lem Gander - 49 -
und Mona Cryns sich ihnen in Kenntnis der Lage sehr intensiv widmeten. Sie fanden keinen Grund zu Beanstandungen und gaben grünes Licht für weitere Tests, die innerhalb der nächsten 48 Stunden vorgenommen wurden. Am. frühen Freitagnachmittag nickte der Chefkonstrukteur Fram Elsner zufrieden zu. „Diesmal stimmt wirklich alles, von den Quarzen bis zur letzten Schraube! Wir können das Aggregat ohne Bedenken als einwandfrei bezeichnen, die Raumflotte kann es schon morgen haben, wenn sie will.“ Elsner sprach seinen Männern seine volle Anerkennung aus und entließ sie in ihr verdientes Wochenende. Er selbst begab sich in sein lange verwaistes Büro und rief von dort aus die Geheimnummer an, unter der Walt Carey zu erreichen war. „Ganz ausgezeichnet, Mr. Elsner“, sagte Carey, und der Anflug eines zufriedenen Lächelns erschien auf seinem strengen Gesicht. „Wir haben inzwischen auf dem Raumhafen von Woomera das Schiff bereitgestellt, in das der Antrieb eingebaut werden soll. Können wir morgen früh einen Transporter schicken, der es abholt?“ Fram seufzte. „Das dürfte wenig Sinn haben, denn dann ist kein Mensch hier. Die Leute kommen erst Montag früh wieder zum Dienst.“ Der andere machte eine abwehrende Handbewegung. „Deswegen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ein halbes Dutzend Männer kommt mit dem Transporter, Fachleute der Raumpolizei. Außerdem können wir auch noch über das Personal der Wachtruppe verfügen, die nach wie vor rings um das Werk gruppiert ist und nicht mehr gebraucht wird, sobald wir das Triebwerk übernommen haben. Es genügt also vollauf, wenn jemand zur Stelle ist, der die Werkshalle öffnet und den Leuten zeigt, welches Aggregat wegzubringen ist.“ Elsner nickte. „Dann sieht die Sache natürlich anders aus. Gut, ich werde selbst da sein. Ist Ihnen neun Uhr recht?“ Walt Carey stimmte zu und unterbrach dann die Verbindung. Fram starrte nachdenklich noch eine Weile auf die dunkle Bildfläche, erhob sich dann und atmete auf. Er war seit fünf Wochen kaum noch zur Ruhe gekommen, und die stete Anspannung hatte an seinen Nerven gezehrt. Das alles nahm nun ein Ende, die Last der Verantwortung wich von seinen Schultern, sobald die WORLD CONTROL den neuen Antrieb übernahm. „Nächste Woche genehmige ich mir einen Urlaub von mindestens vie rzehn Tagen - und zusammen mit Mona!“ murmelte er. - 50 -
* Der Transporter senkte sich geräuschlos auf die freie Fläche vor der Werkshalle herab. Leicht wie eine Feder setzte er auf, eine Tür öffnete sic h, und Walt Carey sprang mit elegantem Satz heraus. Elsner grinste, trat ihm entgegen und schüttelte ihm die Hand. „Ohne Sie geht wohl gar nichts mehr?“ erkundigte er sich, und der „starke Mann“ der WORLD CONTROL lächelte verhalten zurück. „Sie sagen es, Mr. Elsner. Die Administration ist zwar gewandt in großen Worten, wenn es aber um Taten geht, schiebt man soviel wie möglich auf mich ab. Okay, kommen wir zur Sache; die Männer des Wachkommandos haben Auftrag, sich am Nordtor einzufinden, um den Transport abzuschirmen. Würden Sie es bitte öffnen?“ Fram nickte, holte ein kleines Schlüsselgerät hervor und drückte einige Tasten. Das Tor rollte auf, und gleich darauf erschienen etwa dreißig Männer auf dem Werkshof. Fram ließ das Tor wieder zugleiten und wandte sich dann um. Inzwischen waren dem Helikopter sechs weitere Männer entstiegen, alle in einfache Overalls gekleidet. Einer von ihnen kam nun näher, und Carey machte eine knappe Handbewegung. „Darf ich vorstellen: Mr. Elsner ... Major-Ingenieur Berneck. Oh, die Herren kennen sich schon? Das wußte ich nicht.“ Berneck grinste, trat auf Fram zu und schüttelte ihm die Hand. Er war ein großer, breitschultriger Mann mit Wikingergesicht, blondem Haar und einem spatenförmigen Kinnbart. Beide Männer hatten zusammen in Deutschland studiert, doch dann hatten sich ihre Wege getrennt, und auch die Postverbindung war langsam eingeschlafen. Sie wechselten einige Sätze, wurden jedoch bald durch ein ungeduldiges Hüsteln von Walt Carey unterbrochen. „Okay, gehen wir’s an“, sagte Fred Berneck, „später reicht es vielleicht noch für einen kleinen Plausch. Dann öffne jetzt mal die Halle und zeige uns dein neues Wunderwerk, ich bin schon gespannt darauf.“ Elsner nickte, schaltete durch einen Funkimpuls die Sperren aus und ließ dann das große Hallentor aufgleiten, Berneck winkte seinen Begleitern und ging dann mit ihnen auf den Aggregatblock zu, der transportfertig auf einem massiven Gestell Jag. Fram blieb noch zurück und wartete auf den
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Mann von der WORLD CONTROL, der dem Anführer seiner Leute letzte Anweisungen gab. Sein Blick schweifte über das verlassene Werksgelände und ging an dem Transporthelikopter vorbei bis zur nächsten Halle. Er wollte sich bereits wieder umwenden, da erregte ein metallisches Glitzern am höchsten Punkt ihres Daches seine Aufmerksamkeit. Es ging von einem etwa fußballgroßen Gegenstand aus, der die Sonnenstrahlen reflektierte, und Fram kniff verwundert die Brauen zusammen. Er war vollkommen sicher, daß dieses runde Ding nicht dort hingehörte. Er begriff jedoch erst, als sich der Ball plötzlich vom Dach löste und mit steigender Geschwindigkeit über den Platz gefegt kam. Sein Ziel war eindeutig die Halle mit dem neuen Triebwerk darin, und nun reagierte Elsner schnell und entschlossen. „Aufpassen! Gefahr!“ schrie er den Männern des Sonderkommandos zu. Sie spritzten sofort auseinander, rissen ihre Waffen hervor und eröffneten das Feuer auf den fremden Gegenstand, von dem nun ein bösartig klingendes Surren ausging. Ihre Überraschung war aber zu groß und das Ziel zu klein, die Strahlbahnen ihrer Laser gingen ins Leere, und der blitzende Ball fegte unversehrt näher heran. „Was ist das?“ keuchte Walt Carey und warf sich zu Boden. Fram Elsner wußte es, aber ihm blieb keine Zeit für eine Antwort. Dies war eines der „Kuckuckseier“ der Kymerer, deren Vorhandensein Mark Lawson befürchtet hatte! Nur noch wenige Sekunden, dann mußte es in die offene Halle hineinschießen, in der das Triebwerk wie auf dem Präsentie rteller lag ... Kalter Zorn erfüllte ihn, und plötzlich hatte er die richtige Idee: Er fuhr herum und drückte eine Taste an dem Schlüsselgerät, das er noch in der Hand hielt. Auch die Spezialisten der Raumflotte in der Halle hatten bemerkt, daß draußen etwas Ungewöhnliches vor sich ging. Sie hasteten auf das Halle ntor zu, um wieder ins Freie zu gelangen, doch sie kamen nicht weit. Die Automatik reagierte schnell und präzise, das Tor schloß sich wieder und versperrte ihnen den Weg. Doch nicht nur ihnen, sondern auch der Apparatur der Fremden! Der blitzende Ball prallte mit voller Wucht gegen das schon zu fast zwei Dritteln geschlossene stählerne Tor und verging in einer schmetternden Explosion! Splitter von Metall jaulten durch die Luft und trafen einige von Careys Männern. - 52 -
Fram Elsner hatte sich neben Carey zu Boden geworfen. Ein Stück Metall schrammte sirrend über seinen Rücken hinweg, riß den Stoff seiner Jacke auf und rasierte ein Büschel Haare von seinem Hinterkopf. Fram zuckte zusammen und preßte sich für einen Augenblick tiefer gegen den Beton, doch seine Besorgnis gewann bald wieder die Oberhand. Er ignorierte den brennenden Schmerz in der Kopfhaut, stemmte sich halb hoch und suchte mit seinen Blicken die Umgebung ab. War diese Vernichtungsapparatur die einzige gewesen? Oder gab es noch mehrere davon, die nun nachfolgen würden, um das im ersten Anlauf mißlungene Vorhaben zu vollenden ... ? Doch nichts dergleichen war zu entdecken, und so richtete er sich vollends auf. Neben ihm kam auch Carey hoch, schüttelte wie benommen den Kopf und stieß dann heiser hervor: „Sie bluten ja wie verrückt - tut es sehr weh!“ „Nur wenn ich lache“, sagte Elsner bitter, „und dazu besteht im Augenblick wirklich kein Anlaß. Kümmern Sie sich nicht weiter um mich, diesen Kratzer verkrafte ich schon; einige Ihrer Leute hat es schlimmer erwischt, wie es scheint.“ * Zwanzig Minuten später hatte sich die ärgste Aufregung gelegt. Ein weiterer Angriff war nicht erfolgt, und auch sonst war alles ruhig geblieben. Außer Fram waren noch fünf weitere Männer von Splittern verletzt worden, aber keiner wirklic h schwer. Einige der Spezialisten waren als Sanitäter ausgebildet und führten Medoboxen mit sich, so daß sie Erste Hilfe leisten konnten. Auch Elsner wurde von ihnen behandelt. Bald bedeckte eine dicke Schicht Wundspray seinen Hinterkopf. Nachdem Fram verarztet war, begab er sich hinüber zu Carey, Berneck und dessen Begleitern, die inzwischen ins Freie gekommen waren. Das Hallentor hatte sich nicht mehr ganz geschlossen, offenbar war die Automatik in Mitleidenschaft gezogen worden. „Meinen Glückwunsch, Fram; sagte Fred Berneck. „Erstens wegen deiner schnellen Reaktion, vor allem aber, weil dein edles Haupt keine ernstlichen Schäden davongetragen hat. Tote Materie läßt sich immer ersetzen, ein schöpferischer Verstand wie der deine dagegen nur schwer.“
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Walt Carey nickte und erkundigte sich: „Was, denken Sie, wäre wohl geschehen, wenn dieses ... Ding tatsächlich bis in die Halle gekommen wäre? Ob es wohl imstande gewesen wäre, das Triebwerk zu zerstören?“ Berneck nickte nachdrücklich. „Das können wir als absolut sicher annehmen, Sir.“ Fram Elsner fluchte leise vor sich hin, dann sagte er: „Da haben wir uns in Sicherheit gewiegt, nachdem der RobotDoppelgänger zerstört und das Schiff mit dem Sabotagekommando geflohen war. Wir dachten, jetzt könnte nichts mehr passieren, zumal der ganze Werkskomplex die ganze Zeit über streng bewacht wurde ... In Wirklic hkeit aber hat dieser zweite Roboter die ganze Zeit über in irgendeinem Versteck gelauert, bis seine Zeit gekommen war! Zweifellos besaß er ein ebenso leistungsfähiges Kybermat-Gehirn wie der erste Roboter, und damit fand er den am besten geeigneten Zeitpunkt zum Zuschlagen heraus.“ Er fuhr herum und wandte sich an den Mann der WORLD CONTROL. „Sagten Sie nicht, daß Ihre Leute über Spezialdetektoren verfügen, Mr. Carey? Weshalb wurde dann diese Kugel nicht beizeiten entdeckt?“ Walt Carey zuckte unbehaglich mit den Schultern und wußte keine Antwort. Dafür schaltete sich nun wieder Fred Berneck ein. „Laß es jetzt gut sein, Fram. Wir Menschen hatten eben bisher noch nie mit überlegenen Intelligenzen zu tun, und das entschuldigt so manches. Dank deines schnellen Handelns haben die Kymerer aber nun eine neue Schlappe erlitten, und das allein zählt jetzt.“ Eisners Gesicht glättete sich wieder, er lachte kurz auf und wies hinüber zu dem demolierten Hallentor. „Okay, alter Freund. Dann seht jetzt zu, daß ihr damit zurechtkommt, damit euer Zeitplan nicht überschritten wird. Der Automat hat seinen Geist aufgegeben, nun müssen starke Männer her.“ Carey beeilte sich, die Hälfte seiner Leute herbeizurufen. Es dauerte jedoch noch fast eine Viertelstunde, bis es dem vereinten Einsatz ihrer Kräfte gelungen war, das Tor zur Seite zu schieben. Als modernes Unternehmen besaß die G. & E.-Company natürlich auch Antigrav-Hebekräne. Zwei davon standen in der Halle bereit, die Techniker der Raumflotte nahmen sie in Betrieb und dirigierten das tonnenschwere Aggregat vorsichtig ins Freie. Der Pilot öffnete die Ladeklappe des Transporters, dann schwebte es langsam ins Innere des Fahrzeugs. Dort wurde es mit Greifern und Magnettrossen verankert, und dann klopfte Fred Berneck Elsner auf die Schulter. - 54 -
„So, die Sorge um das Ding bist du endgültig los. Jetzt brauche ich noch die Konstruktionspläne und Begleitpapiere - sie liegen da drüben, wo du sie vor dem großen Knall hast fallen lassen. Wir fliegen gleich ab, drüben in Australien warten schon ein paar hundert Leute darauf, das Ding in das Schiff zu montieren.“ Fram sammelte die Papiere auf und meinte: „Das war ein ebenso kurzes wie ereignisreiches Zusammentreffen, Fred. Werden wir uns wohl in absehbarer Zeit noch einmal wiedersehen?“ Der Major-Ingenieur zuckte mit den Schultern. „Ich rechne eher mit dem Gegenteil. Die Montage des Antriebs dürfte etwa eine Woche dauern, die Integration in die Schiffssysteme und die Neuprogrammierung der Bordkybermaten erfordern wohl mindestens dieselbe Zeit. Dann folgen die ersten Probeflüge - toi, toi, toi! Vorausgesetzt, das alles glatt abgeht, komme ich bestenfalls in einem Monat wieder zum Luftholen.“ Elsner lächelte melancholisch. „Weshalb soll es dir auch besser ergehen wie mir? Ich war jetzt auch fünf Wochen lang voll eingespannt, und dafür werde ich erst einmal eine Weile Urlaub machen. Darf ich hoffen, daß nicht gerade du es bist, der mich dabei stört?“ „Das hängt ganz davon ab, wie gut oder schlecht man hier bei euch gearbeitet hat“, konterte der Freund und drückte ihm noch einmal die Hand. Dann bestieg er mit seinem Trupp den Helikopter, der langsam aufstieg und mit seiner kostbaren Fracht nach Süden hin verschwand. Auch Carey hatte es nun eilig, rief seine Männer zusammen und verabschiedete sich dann kurz und formlos. Eine Minute später stand Fram ganz allein da und betrachtete mit gerunzelter Stirn das ramponierte Hallentor. Von den Überresten des explodierten Flugrobots war nichts mehr zu sehen; die Spezialisten hatten sie sorgfältig aufgesammelt, um sie später eingehend untersuchen zu können. Fram begab sich ins Hauptgebäude, um Tom Grimsby zu unterrichten, mußte jedoch erfahren, daß dieser bereits mit seiner Familie ins Weekend gefahren war. Er überlegte kurz und sprach dann einen Bericht über die Ereignisse dieses Morgens auf Band. „Sieh also zu, daß du alles entsprechend zurechtbiegst“, schloß er. „Wenn du das hier hörst, bin ich nämlich längst über alle Berge, Partner - ich fliege noch heute mit Mona auf die Bahamas, um dort meine Wunde und süßes Nichtstun zu pflegen! Beach-Hotel in Nassau, wie schon gehabt; falls du - 55 -
mich aber ohne Not in den nächsten zwei Wochen störst, sind wir die längste Zeit Freunde gewesen ...“ 8. Das Hotel war erste Klasse, das Wetter angenehm, das Meer so blau wie der Himmel und fast so warm wie der weiße Sand am Strand. Mona Cryns war eine zauberhafte Geliebte, und die Wunde an Frams Hinterkopf heilte schnell. Er hatte also allen Grund, sich wohl zu fühlen, und er tat es auch. Das G. & E.-Werk, das neue Hypertriebwerk und alles, was damit zusammenhing, waren nun kaum mehr als eine ferne Erinnerung, die täglich mehr verblaßte. Ausflüge ins Innere der Insel New Providence, abendliche Freiluftpartys unter Palmen im Licht eines Mondes, der zum Greifen nahe schien. Langsames Dahintreiben auf sanften Wogen, dann wieder die Wohltat der Sonne, die ihren Körpern nahtlose Bräune verlieh, dazu die angenehme Gesellschaft unbekümmert fröhlicher Menschen. Die beiden Urlauber genossen dies alles in vollen Zügen. „Schöner kann es auch auf der Ferienwelt Eden nicht sein“, sagte Elsner träge und strich leicht über Monas Rücken. „Ich hatte mir vorgenommen, in diesem Jahr dorthin zu fliegen, aber die Reise hin und zurück dauert jeweils eine Woche. Verlorene Zeit, denn an Bord eines Passagierschiffs gibt es nichts als enge Kabinen und tödliche Langeweile. Der Flug hierher dauert dagegen nur ein paar Stunden, und wir haben trotzdem alles, was wir uns wünschen können.“ Die junge Frau stimmte ihm dankbar zu, denn sie selbst war noch nie über die Britischen Inseln hinausgekommen. Befremdet stellte sie jedoch schon nach kaum zwei Wochen fest, daß Frams gute Laune allmählich zu schwinden begann. Plötzlich schmeckte ihm auch das beste Essen nicht mehr, er empfand die Sonne als zu heiß und das laute Gebaren anderer Gäste als störend. Er versuchte zwar, dies alles zu überspielen, doch Mona empfand mit sicherem weiblichen Gespür, was in seinem Innern vorging. „Dir gefällt es hier nicht mehr“, stellte sie lakonisch fest. Fram ließ eine Handvoll Sand durch seine Finger rinnen, und dann nickte er widerstrebend.
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„Du hast recht, Liebling“, gab er zu. „Dieses ständige Nichtstun liegt mir auf die Dauer einfach nicht. Für eine gewisse Zeit ist es angenehm, einmal ganz abzuschalten, und rein körperlich könnte ich Nassau noch lange ertragen. Doch der Geist macht da nicht mit, gewisse Gedanken kommen einfach, ohne daß ich es will. Ich denke an England, nur so ganz nebenbei und dann sehe ich auf einmal Tom Grimsby vor mir! Er sitzt in seinem Büro und versucht, alles nach besten Kräften zu arrangieren, aber dies oder jenes will ihm nicht so recht gelingen. Er ist wohl ein guter Theoretiker ...“ Mona legte die Hand auf seinen Mund und lächelte. „Du brauchst nichts mehr zu sagen, ich habe längst begriffen, Liebster. Wann fliegen wir zurück ?“ Fram strich langsam über ihr Haar. Er fühlte sich verlegen und erleichtert zugleich. „Nun, ein paar Tage werde ich es schon noch aushalten; ich bin schließlich nicht so egoistisch, nur an mich zu denken. Bleiben wir noch bis kommenden Montag, dann haben wir drei Wochen voll.“ „Ich werde es dir zu danken wissen“, versprach die junge Frau. England empfing sie in bester Tradition mit einem Nieselregen und einer Temperatur von kaum zwanzig Grad. Beide fröstelten, und selbst Fram sehnte sich nun wieder nach der warmen Karibik zurück. Er brachte Mona nach Hause, fuhr dann zu seinem Haus und stellte dort die Heizung an. Infolge der Zeitverschiebung ging es hier bereits auf den Abend zu, und so rief er Tom Grimsby in dessen Wohnung an, um sich zurückzumelden. Der Partner zog die Brauen hoch, als sein Bild auf dem Visiphonschirm erschien. „Hast du doch schon zurückgefunden, du Ausreißer? Mann, bist du unverschämt braun - kannst du mir nicht etwas davon abgeben? Der Mai meint es diesmal gar nicht gut mit uns, und die seit Jahren versprochene Wetterkontrolle funktioniert immer noch nicht. Doch nun zur Sache: Bist du gut genug erholt, um gleich einen harten Brocken verdauen zu können?“ „Ärger im Werk?“ fragte Elsner knapp, aber der Freund schüttelte den Kopf. „Außer dem, den du mir hinterlassen hast, hat es zum Glück hier nichts in dieser Art mehr gegeben. Ich war ganz schön geschockt, als ich das Band abgehört hatte. Nein, in der Firma läuft alles normal, das Hallentor ist längst repariert, und den Prototyp habe ich vorsichtshalber in einen Lagerkeller schaffen lassen. Dafür hat sich aber Freund Carey heute mittag gemeldet und verlangt dich dringend zu sprechen.“ - 57 -
„Ausgerechnet der!“ meinte Fram gedehnt. „Was wollte er denn?“ „Das mochte mir der große Herr nicht sagen. Als er hörte, daß du auf den Bahamas bist, hat er sich nur deine Adresse geben lassen und dann gleich wieder aufgelegt. Vermutlich hat er inzwischen versucht, dich dort zu erreichen.“ „Was natürlich nicht klappen konnte, denn da schwebte der Clipper bereits über den Atlantik. Nun, jetzt weiß er wohl längst Bescheid, also ist damit zu rechnen, daß er mich hier anruft. Falls er mir etwas Weltbewegendes mitzuteilen hat, hörst du später von mir.“ Tom nickte, und die Bildfläche wurde wieder grau. Elsner ging nachdenklich hinüber zur Hausbar und goß sich einen Whisky ein. Er nahm einen großen Schluck, ging zum Fenster und starrte in den regnerischen Abend hinaus. Ein wirklich guter Anfang! Dachte er mürrisch. Zum einen dieses miese Wetter und dann auch noch Walt Carey ... Okay, finde dich mit beidem ab, alter Junge, mit all diesen Dingen mußt du eben jetzt wieder leben. Ob Fred Berneck jetzt wohl schon ... ! Weiter kam er nicht, denn der Summer des Visiphons schrillte. Fram tastete das Gerät ein und sah dann, wie erwartet, das Gesicht Careys auf dem Schirm erscheinen. Es wirkte jedoch weniger streng als sonst. „Gut, daß Sie wieder im Lande sind, Mr. Elsner“, sagte er ruhig. „Wenn ich Ihr Gesicht sehe, erübrigt sich die Frage, wie es Ihnen im Urlaub ergangen ist. Nun, auch bei uns ist alles glatt verlaufen, das neue Triebwerk hat die Erwartungen voll erfüllt. Gestern ist das Schiff vom zweiten Testflug zurückgekehrt, Techniker und Besatzung waren sehr zufrieden. Mr. Berneck hat uns mitgeteilt, daß weitere Erprobungen nicht mehr nötig sind und der Start zum Sternhaufen M 44 jederzeit erfolgen kann.“ „Ist das alles?“ fragte Fram enttäuscht. Walt Careys Lächeln verstärkte sich um eine Nuance, dann gab er zurück: „Was haben Sie erwartet? Die WORLD CONTROL ist eine nüchterne Behörde, die keine Blumensträuße zu überreichen pflegt. Statt dessen macht sie Ihnen aber ein außergewöhnliches Angebot: Sie sollen mit zu den Kymerern fliegen, Mr. Elsner!“ Fram fuhr zusammen, seine Augen weiteten sich in fassungslosem Erstaunen. „Wieso gerade ich?“ fragte er schließlich heiser. „An so etwas habe ich auch im Traum nie gedacht; wer ist denn nur auf diese Kateridee gekommen?“ - 58 -
Der andere grinste mit unverhülltem Spott. „Auf die Gefahr hin, daß Sie mir nicht glauben: Die Kateridee stammt von mir! Erläuterungen können Sie später haben, vorab nur die eine Frage: Sind Sie dabei?“ Elsner schluckte einige Male, in seinem Kopf schien plötzlich ein Vakuum zu herrschen. Er starrte auf den Bildschirm, ohne wirklich etwas zu sehen, und erst nach einer Weile brachte ihn ein mahnendes Räuspern Careys in die Gegenwart zurück. „Ja!“ hörte er sich dann zu seiner eigenen Verwunderung sagen, ohne daß dieser Antwort ein klarer Denkprozeß vorausgegangen war. Sie kam rein impulsiv, wie unter einem übermächtigen geistigen Zwang. „Ja - ich fliege mit!“ wiederholte er noch einmal. * Er wußte auch später nicht zu sagen, was ihn eigentlich dazu getrieben hatte, auf ein Verlangen einzugehen, das alle gewohnten Dimensionen sprengte. War es die starke Verbundenheit mit dem von ihm verwirklichten Projekt? War diese spontane Entscheidung eine Trotzreaktion auf die Versuche der Vogelwesen, es zu sabotieren? Oder entsprang sie nur einem unterschwelligen Verlangen, einmal ein ganz großes Abenteuer zu erleben? Nur ein erfahrener Psychologe mit viel Geduld hätte das Rätsel vielleicht lösen können. Walt Carey fragte jedoch nicht lange nach einer Begründung, die Zusage genügte ihm vollauf. Er als Pragmatiker suchte nur den Erfolg, und seine Überrumpelungstaktik hatte ihn erzielt. Betont nüchtern sagte er nun: „Danke, Fram ... Ich darf Sie doch so nennen? Die Sache ist die: Nachdem es so gut wie feststeht, daß die Fahrt nach Kym gewagt werden kann, haben wir uns natürlich Gedanken darüber gemacht, wie seine Besatzung zusammengesetzt werden soll. Uns allen ist wohl klar, daß diese Mission praktisch einen Akt der bedingungslosen Unterwerfung darstellt. Zugleich hoffen aber die Befehlshaber der Raumpolizei und einige Mitglieder der WORLD CONTROL, das Vorhaben zum Vorteil für die Menschheit umfunktionieren zu können. Etwa nach dem Motto: ‚Sind wir einmal auf Kym, tun wir ganz klein und bescheiden, halten aber Augen und Ohren weit offen. Das eine wird die Kymerer in Sicherheit wiegen, das andere bringt uns vielleicht Informationen, die uns später helfen, die Fremden hereinzulegen! Wenn wir ihre Schwächen kennen und sie geschickt auszu- 59 -
nutzen verstehen, sind wir vielleicht eines Tages die jenigen, die sie unter unsere Herrschaft bringen können.’ Deshalb haben sie auch nicht gezögert, sich freiwillig für diesen Flug zu melden.“ „Und was sollte daran verkehrt sein?“ fragte Elsner nach kurzem Überlegen. „Keinem von uns ist wohl bei dem Gedanken, all unsere Pläne für die Zukunft aufzugeben und uns wie Schnecken im eigenen Haus zu verkriechen. Im Augenblick mag es wohl opportun erscheinen, ein Dauerzustand muß es deswegen noch längst nicht sein!“ Careys Gesicht zeigte ein wölfisches Grinsen. „Wer sagt denn, daß ich nicht auch dieser Meinung bin? Andererseits halte ich die Vogelwesen für klug genug, Pläne dieser Art mühelos zu durchschauen, sie sind schließlich ein altes und in jeder Hinsicht erfahrenes Volk. Ich habe nicht vergessen, daß sie dem Gehirn Ihres Kybermatikers mühelos alles Wissen entnommen und auf einen ihrer Roboter übertragen haben. Wer so etwas kann, dem traue ich es ohne weiteres zu, daß er sich Zugang zum Gedankengut der Emissäre verschafft, ohne daß diese etwas davon bemerken! Ich habe unseren besten Kybermaten deswegen konsultiert, und er hat meine Bedenken voll bestätigt. Er plädiert dafür, die Delegation möglichst klein zu halten und so zusammenzusetzen, daß sie zwar in etwa den Erfordernissen entspricht, gleichzeitig aber auch relativ unverdächtig wirkt. Sein Votum gab den Ausschlag dafür, daß unsere eifrigen Spitzenleute schlie ßlich darauf verzichteten, mit nach Kym zu fliegen.“ Fram grinste zurück. „Wobei zu vermuten ist, daß Sie die Fragen an den Rechner so formuliert haben, daß sie genau das Ergebnis bringen mußten, daß Sie sich wünschten! Mir bleibt allerdings nach wie vor rätselhaft, weshalb ausgerechnet ich mit dabei sein soll, Walt. Können Sie es mir sagen, oder läuft das unter top secret?“ „Durchaus nicht, Fram. Sie dürfen alles wissen. Als technische Besatzung kommt das Team zum Einsatz, das die Testflüge durchgeführt hat und den neuen Antrieb genau kennt. Als Leiter der Delegation wird Jennifer Burns fungieren, die große alte Lady der WORLD CONTROL, allgemein für ihre humanistische und pazifistische Einstellung bekannt. Die zweite ‘Spitze’ wird Morton Yang sein, Oberbürokrat der Weltbehörde, Professor für Logistik und Statistik; sein Hobby sind außerirdische Rassen, er brennt geradezu darauf, die Vogelwesen kennenzulernen. Ergänzend dazu hat der Kybermat jene nominiert, die als Privatpersonen am engsten in Kontakt mit der Robotimitation gekommen sind: Sie, Lem Gander und Mona Cryns.“ - 60 -
Elsner riß die Augen auf und sagte dann spontan: „Ausgeschlossen, Walt! In bezug auf Gander habe ich keine Einwände, er selbst wird vermutlich sogar begeistert sein, daß er mitfliegen darf. Mona dagegen lassen Sie bitte aus dem Spiel; ich möchte auf gar keinen Fall, daß sie irgendwie in Gefahr gerät.“ Carey zog die Brauen hoch. „Wie kommen Sie nur auf die Idee, das Unternehmen könnte irgendwie gefährlich für die Teilnehmer sein? Die Kymerer haben nicht den geringsten Grund, irgendwelche Repressalien gegen Leute zu üben, die ohnehin klein beigeben wollen. Wäre ich nicht davon überzeugt, würde ci h mich schwer hüten, diese Reise freiwillig mitzumachen.“ „Sie auch?“ wunderte sich Fram, doch dann begann er zu lächeln. „Ah, jetzt verstehe ich! Mrs. Burns und Yang sollen also nichts weiter als Aushängeschilder sein, während in Wirklichkeit Sie es sind, der unauffällig die Fäden zieht. Nicht-schlecht ausgedacht, Sie sind in der Öffentlichkeit so wenig bekannt, daß auch die Kymerer kaum etwas über Sie wissen dürften. Bedenklich könnte es allerdings werden, falls sie wirklich imstande sind, den Inhalt Ihrer Gedanken zu erforschen. Haben Sie das berücksichtigt?“ Walt Carey winkte kurz ab und erklärte: „Natürlich habe ich das, ich pflege nur selten etwas zu übersehen. Es gibt da eine gewisse Kleinigkeit - nein, es ist besser, wenn Sie nichts davon wissen. Versuchen Sie nur, Gander und dem Mädchen den Flug nach Kym schmackhaft zu machen. Sie drei sollen als das Team gelten, das den Sprachentransformator des Roboters für uns nutzbar gemacht hat, entsprechend frisierte Unterlagen hat unser Kybermat bereits angefertigt. Sie können sich während der Reise nach Kym damit vertraut machen ... Ach ja, etwas hätte ich beinahe vergessen: Es ist unseren Astronomen und sonstigen Spezialisten gelungen, von einem eigens entsandten Forschungsschiff aus die Koordinaten dieser Welt präzise zu ermitteln! Wir brauchen also im M 44 nicht mehr lange zu suchen, sondern können das System direkt ansteuern. Das wird die Vogelwesen sehr beeindrucken, denke ich.“ Er hob noch einmal grüßend die Hand und unterbrach dann abrupt die Verbindung. Fram Elsner runzelte ärgerlich die Stirn, denn er fühlte sich überfahren, aber sein Groll schwand bald wieder. Wenn ein Mann wie Carey ein Unternehmen plante, von den besten Kybermaten der Erde unterstützt, war der Risikofaktor zweifellos sehr gering. Und wenn selbst eine alte Dame wie Jenny Burns mitflog ... Plötzlich freute er sich geradezu darauf, ein Abenteuer erleben zu können, wie es noch nie zuvor einem - 61 -
Menschen vergönnt war. Er war bereits auf sieben fremden Planeten gewesen, doch die dortigen Sie dlungen hatten nichts mehr weiter als einen Abklatsch der irdischen Verhältnisse in primitiverem Rahmen dargestellt. Wie faszinierend mußte dagegen eine Welt sein, deren Bewohner bereits hochzivilisiert waren, als die frühen Vorfahren der jetzigen Menschheit eben erst das Feuer entdeckt hatten! Kurz entschlossen griff er nach den Tasten des Visiphons und rief zuerst Lem Gander an. * Fred Berneck begrüßte die Ankömmlinge, bedachte Mona Cryns mit einem anerkennenden Blick und sagte: „Es geht schon seltsam zu auf dieser Welt, Fram. Lange Jahre haben wir uns gar nicht gesehen, und jetzt sollen wir sogar zusammen zu den Kymerern fliegen. Was mag den Kybermaten wohl bewegen haben, ausgerechnet euch drei für diese Reise auszuwählen?“ Sein Freund feixte. „Der lange Arm Walt Careys natürlich - der Gute hat seine Finger eben überall drin. Puh, ist das heiß hier! Habt ihr nicht dem Kalender nach jetzt gerade Winter?“ „Angeblich ja, aber am Tag merkt man nichts davon; das Wüstenklima hat seine eigenen Gesetze. Hier bei Woomera hat man einst im 20. Jahrhundert die primitiven Raketen und Atombomben erprobt, wußtest du das? Kommt, wir gehen am besten in die Hafenkantine, dort gibt es immer einen kühlen Schluck. Die SWORDFISH ist zwar startbereit, aber die Größen der WORLD CONTROL treffen erst in zwei Stunden hier ein.“ Sie vertrieben sich die Zeit mit der Erörterung der aktuellen Probleme, bis eine Lautsprecherdurchsage die bevorstehende Landung der Sondermaschine aus London ankündigte. Draußen empfing sie neben der Hitze Colonel Jaime Vilas, ein kleiner, drahtiger Argentinier, der als Schiffskommandant fungierte. Zwei Minuten später schwebte der avisierte Clipper ein und rollte vor den Tower des Flughafens, der dem Raumhafen angegliedert war. Der Empfang der Ankömmlinge vollzog sich ohne große Formalitäten. Jennifer Burns war eine füllige Schwarze von etwa 60 Jahren, die Vertreterin der Afrikaregion in der Weltbehörde. Sie trug ein leuchtend-buntes, weites Kleid und stach damit auffällig von Morton Yang ab, der in einem konservativen dunklen Anzug steckte. Er kam aus Malaysia und war von gelber Hautfarbe. Sein Gesicht wirkte vertrocknet, obwohl er kaum älter als fünfzig war. - 62 -
„Dieser Flug wird eine wirklich farbige Angelegenheit“, witzelte Lem Gander leise, während Carey als letzter die Gangway herabkam. Es gab eine kurze Vorstellung, dann sagte Mrs. Burns mit kehliger Baßstimme: „Um es gleich vorweg zu sagen - ich hasse Förmlichkeiten jedweder Art. Brecht euch also keine Verzierungen ab, und nennt mich einfach immer nur Jenny, klar? Sie haben doch hoffentlich einen Vorrat guter Zigarren an Bord, Colonel Jaime? Ohne den fliegen wir nicht ab, und wenn der Start bis morgen verschoben werden muß!“ „Haben wir, Jenny“, versicherte Vilas lächelnd, und auch die anderen konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Nur Yang verzog das Gesicht, als hätte er plötzlich Zahnweh bekommen. O weh! dachte Fram Elsner. Die Burns und dieser Professor passen zusammen wie Feuer und Wasser; was mag sich Carey wohl gedacht haben, als er dieses originelle Pärchen für unsere Mission ausgewählt hat? Da er nie etwas ohne Absicht tut ... Sein Gedankengang wurde unterbrochen, denn ein Elektrobus fuhr vor, um die Gruppe zum Schiff zu bringen. Die SWORDFISH war ein Standardkreuzer der Raumpolizei, tropfenförmig und etwa 60 Meter lang. Ihr stahlblau schimmernder Körper ruhte waagerecht auf zwanzig Teleskop-Landebeinen, von einem offenen Schott führte eine Einstiegrampe zum heißen Betonboden des Hafens hinunter. Fram sah mit sachkundigem Blick, daß der Triebwerksring an ihrem Heck größer als bei dem normalen Modell war; darin saß der neue Hyperantrieb, das Produkt seiner Firma, und das weckte seinen Stolz. Das Gros der Besatzung, in einfache Kombinationen ohne Rangabzeichen gekleidet, hatte sich im Schleusenraum postiert. Daß auch zwei durchaus ansehnliche junge Frauen darunter waren, erregte im ausgehenden 22. Jahrhundert kein Aufsehen mehr. Diese beiden übernahmen es, die Passagiere in ihre Kabinen einzuweisen, die im mittleren Schiffsdrittel lagen, das Vorderteil beherbergte die Steuerzentrale, das Bordobservatorium sowie die Quartiere der Besatzung. Hinten, vor dem Triebwerkssektor, befanden sich Lagerräume und, durch besonders starke Schotte gesichert, die Tanks mit dem Ambiplasma für die Bordkonverter. „Ist meine Bar auch gut bestückt?“ erkundigte sich Jenny Burns resolut. Morton Yang verschwand fluchtartig in seiner Kabine, er hielt also wohl auch nichts von Alkohol. Dafür war unter seinem Gepäck ein übergroßer
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schwarzer Aktenkoffer, vermutlich prall mit inhaltsschweren Folien seiner Fachgebiete angefüllt. Fram und Mona erhielten wie selbstverständlich eine Doppelkabine angewiesen, überraschend groß und geräumig. „Unser bestes Stück“, erklärte Maria Piccoli, die Navigatorin. „Frühstück und kleinere Imbisse liefert Ihnen die Automatik dort in der Ecke, Getränke aller Art finden Sie im Barschrank. Als Aufenthaltsraum dient die Schiffsmesse, dort gibt es auch das Mittagessen. Wir leben hier an Bord nach australischer Standardzeit, stellen Sie Ihre Uhren also entsprechend ein. Sie haben auch jederzeit Zugang zum Steuerraum. Es wird jedoch ein Verhalten vorausgesetzt, daß den Betrieb nicht stört. Unser Start erfolgt in vierzig Minuten - angenehme Reise!“ 9. „Verdammt langweiliger Flug!“ murrte Jenny Burns und stieß eine dichte Wolke Zigarrenqualm aus. „Jetzt sind wir schon vier Tage unterwegs und noch immer nicht am Ziel. Geht es wirklich nicht schneller, Jaime?“ Der Colonel lächelte amüsiert. „Auch dann nicht, wenn Sie laufend Volldampf geben, Jenny. Wir sind zwar fast doppelt so schnell wie jedes andere Schiff, aber bis Kym sind es fast 600 Lichtjahre, dreimal soviel wie bis zur entferntesten Welt unseres Siedlungsbereichs. Morgen gegen 17 Uhr werden wir den Hyperraum verlassen und dann vor dem System der Vogelwesen stehen - hoffentlich.“ „Wieso hoffentlich?“ fragte die Frau empört. „Ich dachte schon, auf Sie und Ihr Team wäre Verlaß. Wie kommt es dann, daß nicht einmal Sie sicher sind, wo wir ankommen werden?“ Während Vilas ihr geduldig zu erklären versuchte, daß beim Flug in eine vollkommen unbekannte Region und zu einem nur rechnerisch ermittelten Ziel mit Schwierigkeiten mancher Art zu rechnen wäre, unterhielten sich an einem anderen Tisch der Messe Fram und Mona mit Fred Berneck. „Im Grunde dürfte es nebensächlich sein, wo wir herauskommen“, sagte dieser. „Die Kymerer sind überall im Sternhaufen präsent, und falls sie uns nicht von selbst entdecken, wird sie ein simpler Funkspruch schnell zu uns bringen. Ich habe den Sprachtransformator an das Hyperfunkgerät gekoppelt, er wird jedes Wort übersetzen, das Betty Delon aussendet oder empfängt.“ - 64 -
„Was aber, wenn die Vogelwesen gar nicht mit uns reden wollen?“ meinte Mona Cryns skeptisch. „Vielleicht erschreckt sie unser plötzliches Auftauchen so sehr, daß man uns sofort angreift und vernichtet.“ „Carey ist vom Gegenteil überzeugt“, sagte Fram Elsner beruhigend. „Nehmen wir jedoch einmal rein hypothetisch an, daß es wirklich zum äußersten kommt: Wie können wir uns dann wehren, Fred?“ „Gar nicht!“ erklärte der Major-Ingenieur. „Auf Order von oben wurden alle vier Lasergeschütze aus dem Schiff entfernt, damit will man unseren Friedenswillen unterstreichen. Außer einigen simplen Nadlerpistolen befinden sich keine Waffen mehr an Bord.“ Fram lächelte melancholisch. „Die WORLD CONTROL rechnet also mit einem Sieg der reinen Vernunft, vielleicht auch mit der Weisheit oder dem Großmut einer alten Rasse. Hoffen wir das Beste - morgen um diese Zeit dürften wir wissen, ob diese Rechnung aufgeht.“ Am nächsten Nachmittag standen sie in der Steuerzentrale und sahen erwartungsvoll zum großen Holoramaschirm auf. Nur die drei Maschinentechniker mußten auf ihren Überwachungsposten bleiben, und auch Morton Yang fehlte. Er hatte seine Kabine stets nur zum Mittagessen verlassen; vermutlich brütete er auch jetzt noch über Statistiken, wie Berneck spöttisch bemerkte. Jenny Burns hielt einen kalten Zigarrenstummel im Mundwinkel, neben ihr lehnte Walt Carey mit unbewegter Miene an einer Instrumentenkonsole. Noch war der Schirm schwarz, im Hyperraum gab es infolge der isolierenden Schutzfelder keinerlei Empfang. Im Operatorensitz des Bordkybermaten hockte Ken Lockwood, ein untersetzter, rothaariger Nordamerikaner. Er fuhr ein Programm und überspielte ab und zu Daten an die Navigatorin und zum Pilotenpult. Dort saß Moshe Mandelbaum, ein großer, schlanker Israeli mit wallendem, dunklem Haar. Noch hatte er nichts zu tun, denn die Steuerautomatik lenkte das Schiff. Die Zahlen der X-Zeit huschten über die Monitoren, bei „Null“ klang ein scharfer Summton auf, der alle zusammenfahren ließ. Im gleichen Moment verstummte das leise Singen des Hypertriebwerks, die SWORDFISH „glitt“ aus der höheren Dimension in das normale Kontinuum zurück. Der Holoramaschirm zeigte plötzlich eine wahre Lichterflut, Dutzende von nahen Sonnen aller Größen und Farben erschienen darauf. Die nervöse Spannung löste sich etwas, und Jenny Burns fragte: „Wie sieht es aus? Sind wir richtig angekommen?“ „Ruhe!“ rief Lockwood scharf. Er war bereits dabei, mit Hilfe des Kybermaten die Daten der Ortungsgeräte auszuwerten, die der Pultrechner der - 65 -
Navigatorin nicht bewältigen konnte. Die große Lady der Weltbehörde wollte empört protestieren, aber der Major-Ingenieur ergriff rasch ihren Arm. „Ken hat recht“, erklärte er leise, aber nachdrücklich. „Für uns kommt es jetzt darauf an, so viele Informationen wie möglich zu erhalten, solange man uns noch Zeit läßt. Falls die Kymerer negativ auf unser Erscheinen reagieren, können sie lebenswichtig für uns sein!“ Die Antennen der Bilderfassung wanderten langsam und brachten schließlich eine helle weiße Sonne auf den Schirm, die sich direkt unterhalb des Schiffsmittelpunkts zu befinden schien. Die Navigatorin las die Werte ab, die auf ihren Monitoren erschienen, und verkündete’ dann sachlich: „Das ist die Sonne von Kym! Die Spektrallinien stimmen genau mit denen überein, die uns das Forschungsschiff geliefert hat, sie ist nur knapp einen Lichttag entfernt. Ich versuche jetzt, die Zahl und die Bahnen ihrer Planeten zu bestimmen.“ Fred Berneck nickte zufrieden. „Wir sind demnach genau auf den errechneten Koordinaten herausgekommen, die Astronomen haben gute Arbeit geleistet. Andere Schiffe scheinen nicht in der Nähe zu sein, sonst hätte die Masseortung bereits angesprochen. Betty, was bringt der Funk herein?“ Die Funkerin hatte nach dem Eintauchen sofort die Suchautomatik ihrer Geräte aktiviert. „Auf Normalwelle ist es ruhig, wir sind zu weit von dem System entfernt“, erklärte sie. „Auf Hyperwelle habe ich dagegen bereits vierzehn verschiedene Sender registriert, die zehn stärksten im Bereich dieser Sonne. Sie arbeiten jedoch durchweg mit Richtstrahlern, so daß ich die Sendungen selbst nicht empfangen kann.“ Professor Yang erschien nun überraschend im Steuerraum, korrekt gekleidet wie immer und mit unbewegtem Gesicht. Carey übernahm es, ihn über den Stand der Dinge zu unterrichten, während Berneck sich zu Betty Delon begab. Die junge Frau hatte inzwischen einen Sektorenschirm aktiviert, der nur den Nahbereich der Zielsonne zeigte. Diese war so weit ausgeblendet, daß sie nur noch als matter Fleck erschien, und nun zeigten sich in ihrer Umgebung elf leuchtende Punkte verschiedener Größe. Die Navigatorin berührte einige Sensortasten, und dann liefen Zahlenkolonnen über den unteren Rand des Schirmes, die sie mit geübtem Blick ablas, „Nur die Planeten fünf und sechs befinden sich innerhalb der für Sauerstoffatmer geeigneten Ökosphäre“, sagte sie. „Einer der beiden muß also Kym sein; ich tippe auf den fünften, denn ...“
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In diesem Augenblick lief ein scharfer Ruck durch das langsam dahintreibende Schiff. Energie, Masse- und Distanzortung sprachen gleichzeitig an, eine Sirene begann zu wimmern. Der Pilot brachte sie zum Schweigen und aktivierte mit schnellem Griff die Schutzfelder. Auf dem Holoramaschirm zeigten sich drei grünliche Punkte, die rasch größer wurden, und Walt Carey murmelte: „Da sind sie schon, unsere Stiefbrüder im All! So sehr hätten sie sich wirklich nicht beeilen brauchen, aber mit ihren Transitionstriebwerken sind sie natürlich weit im Vorteil.“ Er wandte sich an den Piloten und sagte laut: „Ab sofort übernehme ich kraft der mir von der WORLD CONTROL gegebenen Vollmachten den Befehl über das Schiff! Sollten wir angegriffen werden, bringen Sie es sofort mit der Notautomatik in den Hyperraum, nach Möglichkeit mit Kurs ins Innere dieses Systems.“ „Das ist doch Unsinn“, protestierte Jennifer Burns. „Dort sind wir den Kymerern doch erst recht ausgeliefert, Walt! Wir sollten dann vielmehr versuchen ...“ „Carey hat recht!“ unterbrach sie Fred Berneck entschieden. „Auf den ersten Blick mag seine Anordnung widersinnig erscheinen, sie ist es aber nicht. Innerhalb eines bewohnten Systems verbieten sich Transitionen ganz von selbst, die starke Erschütterung des Raumgefüges zieht die Planeten in Mitleidenschaft. Die Schiffe der Kymerer können sich uns nur im Normalflug nähern, und dadurch gewinnen wir Zeit.“ „Vollkommen richtig“, warf Morton Yang überraschend ein. „Die Logik muß den Fremden ein Vorgehen verbieten, das eine Schädigung ihres Lebens und Lebensraumes bewirken kann. In Berücksichtigung entsprechender statistischer Werte ...“ „Geschenkt“, unterbrach ihn Walt Carey brüsk. „Betty, bereiten Sie sich auf eine Kontaktaufnahme zu den drei Schiffen vor; ich selbst werde mit ihrem Befehlshaber sprechen, auch dann, wenn man uns ein Ultimatum stellen will.“ Dann schwiegen alle und starrten in banger Erwartung auf den Holoramaschirm. Die drei kleinen Punkte waren inzwischen so groß geworden, daß man deutlich die Diskusform der Raumer erkennen konnte, und ihre Flugmanöver vollzogen sich in perfekter Synchronisation. Sie kreisten die SWORDFISH so ein, daß ihr der normale Weg in alle Richtungen verlegt wurde, und Moshe Mandelbaum legte seine Rechte auf die rote Taste für das Notflugprogramm.
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* So verging fast eine Minute, ohne daß etwas geschah. Nur die Navigatorin arbeitete weiter und holte eines der Diskusschiffe in starker Vergrößerung auf den Sektorenschirm. Sein waagrechter Durchmesser betrug etwa einhundert Meter, die größte horizontale Dicke knapp die Hälfte davon. Der Druckkörper schimmerte bläulich und wies weder Sichtluken noch ähnliche Öffnungen auf. An seiner Oberseite saß ein gutes Dutzend antennenartiger Gebilde, die alle auf die SWORDFISH wiesen. Daß zumindest ein Teil davon zu den Waffensystemen des Raumers gehörte, war allen klar, und einem konzentrischen Beschuß aller drei Einheiten konnten die Schirmfelder kaum gewachsen sein. „Soll ich, Sir?“ fragte der Pilot drängend. „Noch ist Zeit dazu - in wenigen Sekunden kann es schon zu spät sein!“ „Nein, wir warten noch!“ bestimmte Carey knapp. Gleich darauf flammten am Funkpult einige Lämpchen auf. Eilig schaltete die Funkerin die Suchautomatik ein, die innerhalb kurzer Zeit die Frequenz ermittelte, auf der das irdische Schiff angerufen wurde. Im nächsten Moment erhellte sich der Bildschirm des Geräts, und alle Menschen im Steuerraum starrten atemlos auf das Abbild des Kymerers, der darauf erschien. Der sichtbare Teil seines Oberkörpers wurde von einer uniformartigen, grasgrünen Bekleidung verdeckt. Er wirkte fast humanoid, nur die Schultern über den beiden Armen fielen extrem tief herab. Zwischen ihnen ragte ein leicht nach vorn gekrümmter, etwa zwanzig Zentimeter langer Hals auf, der dicht mit kurzem, hellbraunem Flaum bewachsen war. Auf ihm saß ein fast runder Kopf, der frappant an den einer irdischen Eule erinnerte: große, gelbliche Augen mit dunklen Pupillen, ein breiter gekrümmter Schnabel, zwei Ohren mit halbrunden Muscheln. Seine Vorderpartie war frei von Bewuchs und erweckte so den Eindruck eines annähernd menschlichen Gesichts, die Hautfarbe war blaßrot. Oben auf dem Schädel befand sich jedoch eine dichte Federkrone, bunt schillernd wie ein Pfauenschwanz. Der Schnabel des Wesens bewegte sich, aus der Feldmembrane des Funkgeräts kamen leise, gurrende Laute. Sie wurden aber sofort durch laute Worte in der irdischen Umgangssprache ersetzt, die der Sprachtransformator des Roboters fast synchron formte. „... kann nicht gestattet werden“, sagte der Kymerer. „Dieses System unterliegt nach wie vor strenger Quarantäne, und das gilt auch für alle Besu- 68 -
cher von Welten außerhalb unseres Imperiums. Wir müssen euch also le ider, aber auch in eurem eigenen Interesse, ersuchen, den Rückflug anzutreten. Warten dürfte zwecklos sein. Darf ich euch jetzt noch bitten, euch zu identifizieren?“ „Immerhin sind diese Pseudo-Eulen wenigstens höflich“, raunte Lem Gander. Walt Carey bedeutete ihm mit einem kurzen Wink zu schweigen und wandte sich dann an die Funkerin. „Sender einschalten, vorerst aber ohne Bildübertragung“, ordnete er an. „Hier scheint etwas Ungewöhnliches vorzugehen, und ich will versuchen, möglichst viele Informationen darüber zu erhalten - ohne unsere Identität preiszugeben, versteht sich.“ Betty Delon nickte, berührte einige Sensoren und reichte ihm dann das Mikrofon. Der „starke Mann“ der WORLD CONTROL bewies seine Flexibilität, denn er sagte scheinbar leichthin: „Hier spricht Kommandant Carey vom Raumschiff SWORDFISH, wir kommen vom Planeten Terra. Vielen Dank für deine Warnung, wir werden uns selbstverständlich danach richten. Würdest du bitte auch so freundlich sein, mir zu sagen, wer du bist und weshalb man die Quarantäne über Kym verhängt hat? Wir waren lange in einem Außenbezirk unterwegs und wissen nicht, was in der Zwischenzeit hier vorgegangen ist.“ „Ich bin Kommandant Fruck von der Gesundheitspolizei von Kym“, erwiderte der Vogelähnliche. „Unser Imperium wird seit etwa drei Dekaden von einer Seuche heimgesucht, die sich rasend schnell über fast alle unsere Welten verbreitet hat. Sie wurde offenbar von einem unterentwickelten Planeten eingeschleppt, der seit einiger Zeit unter Überwachung stand. Zum Glück hat es bisher noch kaum Todesfälle gegeben, aber mehr als achtzig Prozent der Bevölkerung sind erkrankt und leiden unter hohem Fieber, Ausschlag und einem Zustand fast völliger geistiger Passivität. Alle gesund gebliebenen Mediziner versuchen, ein Mittel gegen die Krankheit zu finden, bis jetzt jedoch ohne Erfolg. Die Erreger konnten zwar ermittelt werden, erweisen sich aber gegenüber allen bekannten Medikamenten als resistent. Die Folgen der Seuche sind verheerend, der Verkehr zwischen unseren Welten ist zusammengebrochen, die Versorgung mit wichtigen Gütern unterbleibt. Uns droht eine Katastrophe größten Ausmaßes, wenn nicht bald ...“ Er unterbrach sich, neigte den Kopf zur Seite und lauschte den Worten eines unsichtbaren Sprechers. Seine Pupillen verengten sich, die Federkrone begann sich zu sträuben, und er sagte in erheblich schärferem Tonfall: - 69 -
„Auch auf die Gefahr hin, daß ich deine Intimsphäre verletze - ich muß dich bitten, zwecks genauer Identifizierung auch die Aufnahmeoptik deines Funkgeräts einzuschalten! Eine Überprüfung hat ergeben, daß es einen Planeten Terra weder in unserem Imperium noch in den benachbarten Reichen gibt! Du ersparst dir eventuelle Ungelegenheiten, wenn du dich mir zeigst und mir präzise Auskunft über deine Herkunft gibst.“ Walt Carey schaltete auch diesmal sehr schnell. „Unser Bildsender funktioniert nicht? Oh, das ist wirklich sehr ärgerlich“, sagte er. „Vermutlich nur eine kleine Störung - ich will dafür sorgen, daß sie sofort behoben wird. Gedulde dich also bitte für kurze Zeit, ja?“ Er wartete die Antwort nicht mehr ab, auf seinen Wink hin unterbrach die Funkerin die Verbindung. Dann wandte er sich um, seine Züge zeigten ein verhaltenes Lächeln. „Die Lage ist klar“, stellte er fest. „Die Aktion der Kymerer gegen uns war nicht nur ein Mißerfolg, sondern hat einen regelrechten Bumerangeffekt gezeitigt: Die Besatzung des Raumers, der in dem alten Bauernhof versteckt war, hat die irdische Luft eingeatmet und sich dabei mit irgendwelchen Bakterien infiziert! Sie hat diese ahnungslos nach Kym eingeschleppt, und von dort aus verbreiteten sie sich mit den Besatzungen anderer Schiffe schnell auch auf die anderen Welten des Kymerer-Imperiums. Da aber bei uns alle wirklich gefährlichen Krankheiten längst ausgerottet sind, muß es sich um eine handeln, die zwar lästig, aber relativ harmlos ist. Zumindest für uns Menschen, nicht aber für die Kymerer, in deren Körpern es keine Abwehrstoffe dagegen gibt. Erkennen Sie die Chance, die sich uns hier bietet?“ Fram Elsner nickte. „Natürlich, Walt. Was für die Vogelwesen eine schlimme Seuche darstellt, ist in Wirklichkeit etwas, das sich leicht beheben läßt, wenn man die richtigen Gegenmittel kennt. Wir können den Kymerern also ein für beide Seite nutzbringendes Angebot machen: Ihr versprecht uns, die Erde und ihre Siedlungswelten in Zukunft unbehelligt zu lassen, und wir liefern euch dafür die Medikamente, die euer Volk wieder gesund werden lassen!“ „Verdammt ja! Das ist die Lösung, die all unsere Probleme mit einem Schlag beseitigt!“ rief Fred Berneck enthusiastisch aus. Die kalte Dusche kam von Moshe Mandelbaum, der nüchtern einwarf: „Theoretisch ja, aber die Praxis sieht doch etwas anders aus. Was wir hier anstellen, sind nur laienhafte Mutmaßungen. Nur ein Arzt könnte definitiv sagen, woran die Kymerer erkrankt sind, und wir haben keinen unter uns. - 70 -
Uns fehlen alle Voraussetzungen dafür, daß wir versuchen, uns hier als potentielle Retter aufzuspielen. Ich glaube vielmehr, daß es uns sehr schlecht ergehen wird, wenn die Eulenköpfe erfahren, daß wir ausgerechnet von der Erde kommen, der sie ihren Schlamassel verdanken! Noch haben wir Zeit - wenn ich die Notflugtaste drücke ...“ Jennifer Burns unterbrach ihn mit grollendem Lachen, auf ihrem breiten Gesicht zeichnete sich deutliche Belustigung ab. „Lassen Sie um Himmels willen Ihren nervösen Finger von dieser Taste, Mann!“ sagte sie. „Unsere Chancen sind längst nicht so schlecht, wie Sie glauben - ich war schließlich 25 Jahre lang Kinderärztin, bis mich dann irgendein Teufel ritt und dazu bewog, in die Politik einzusteigen. Die Krankheitssymptome, die uns dieser Fruck geschildert hat, decken sich weitgehend mit denen der Röteln, einer relativ harmlosen Kinderkrankheit!“ Sie fuhr herum und deutete mit dem Zigarrenstummel in der Hand auf Walt Carey. „Vergessen Sie jetzt einmal all Ihre Vollmachten, hören Sie statt dessen auf eine schrullige alte Frau: Rufen Sie diesen Fruck an, er als Offizier der Gesundheitspolizei ist bestimmt kompetent für alle einschlägigen Fälle. Sagen Sie ihm offen, woher wir kommen, und wie sehr wir es bedauern, daß sein Volk infolge unglücklicher Umstände mit der Seuche infiziert wurde. Erklären Sie ihm, daß wir eventuell ein Mittel dagegen wüßten vorausgesetzt, daß er unser Schiff unbehelligt läßt und nach Kym geleitet, damit ich dort die Untersuchungen einiger Kranker vornehmen kann! Er wird natürlich zuerst Rückfragen bei seinen Vorgesetzten halten, aber das kann uns nur recht sein.“ Careys Gesicht verlor alle Skepsis und hellte sich auf. „Ich habe verstanden, Jenny“, sagte er lächelnd. „Die Krankheit dürfte mit Sicherheit auch die Spitzen der Regierung Kyms erfaßt haben, denen ihr kostbares Leben natürlich über alles geht. Man wird sie Ihnen als erste zur Untersuchung präsentieren, und alles weitere läuft dann ganz von selbst ... Betty, schalten Sie den Sender wieder ein, mit Bildübertragung natürlich!“
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10. Der Raumhafen war für menschliche Begriffe einfach gigantisch. Auf seinem weiten Areal glitzerten die blanken Körper von mindestens tausend Diskusraumern im Licht der weißen Sonne, von kleinen Jachten bis hinauf zu wahren Giganten mit mehr als 500 Meter Durchmesser. Die Menschen starrten auf den Holoramaschirm und nahmen diesen überwältigenden Eindruck schweigend in sich auf. Sie begriffen erst jetzt, wie überlegen die Kymerer ihnen wirklich waren - und dies war nur ein Raumhafen von vielen innerhalb ihres Imperiums! „Fast unglaublich!“ sagte Fram Elsner schließlich. „Doch nirgends gibt es irgendeine Bewegung, der ganze Hafen wirkt wie tot. Die Quarantäne hält alle Schiffe am Boden fest, ein winziger Erreger ist stärker als diese große Armada.“ Seine Blicke glitten weiter zum nördlichen Horizont. Dort ragten hinter einer breiten Grünzone die Gebäude der Hauptstadt Kymenia auf, eingebetet in weitläufigen Parkanlagen. Über ihnen herrschte jedoch Verkehr, eine Anzahl eiförmiger Luftfahrzeuge bewegte sich in verschiedenen Höhen und Richtungen dahin. „Vermutlich auch nur Robotgleiter, die die Versorgung aufrecht erhalten“, kommentierte Fred Berneck. „Einen normalen Verkehr gibt es offenbar nicht mehr. Ein weiterer Beweis dafür, daß es wirklich sehr schlecht um die Kymerer steht.“ Ausgedehnte Gebäudekomplexe säumten das Landefeld: Lagerhallen, Hangars und Fahrzeugdepots, dazwischen in regelmäßigen Abständen hohe, runde Türme aus einem transparenten Material. Sie enthielten die Anlagen zur Raumüberwachung und Regelung des Flug- und Bodenverkehrs, auf ihren Dächern ragten parabolförmige Funkantennen auf. Von einem von ihnen blinkte nun in rhythmischen Intervallen ein rotes Leuchtfeuer, und Fruck erklärte über das Funkgerät: „Landet bitte vor diesem Turm und wartet dort. Die zuständigen Stellen sind unterrichtet, es wird bald jemand kommen, um euren Arzt und seine Begleiter abzuholen. Hoffentlich habt ihr Erfolg - ich wünsche es euch und meinem Volk!“ Walt Carey lächelte sparsam. „Okay, Moshe, landen Sie nach seinen Angaben, unser ‘kleiner Fisch’ hat da unten ausreichend Platz. Darf ich Sie - 72 -
bitten, sich schon fertigzumachen, Jenny? Drei Begleitpersonen sind gestattet, eine davon werde ich natürlich sein; die anderen können Sie sich selbst aussuchen.“ Jennifer Burns paffte an ihrer nächsten Zigarre und sah sich um. „Die Crew scheidet aus - aber Sie hätte ich gern dabei, Mona. Verstehen Sie etwas von Medizin?“ Die junge Frau nickte. „Ich war einmal technische Assistentin in einem biologischen Labor, ging aber dann in die Industrie, weil man dort mehr verdient. Einiges weiß ich schon noch ... Ich gehe aber nur mit, wenn auch Fram ...“ „Geschenkt“, grollte die große alte Lady. „Ihr Busenfreund kann uns sogar sehr nützlich sein, wir brauchen schließlich auch jemand, der mit dem Sprachtransformator umzugehen versteht. Machen Sie inzwischen schon mal die Bordapotheke auf, Fred. Ich suche mir alles heraus, was ich eventuell brauchen kann.“ Die SWORDFISH setzte vor dem Tower auf, der Pilot deaktivierte seine Aggregate. Dafür nahm Maria Piccoli einige Geräte in Betrieb, las die Werte ab und sagte dann zufrieden: „Kym gleicht in vielem der Erdnorm, besser könnte es kaum sein. Schwerkraft nur 0,92 Gravos, Sauerstoff 24 Prozent, keine schädlichen Bestandteile in der Luft. Nur ist es draußen reichlich warm, die Temperatur liegt jetzt bei 34 Grad.“ „Wir werden es überleben“, meinte Jenny Burns, prüfte noch einmal den Medikamentenbestand und stopfte dann noch eine große Packung mit Tabletten in ihre Medobox. „Von mir aus kann es losgehen - wo bleiben die Kymerer, Fred?“ „Da kommen sie gerade, Jenny!“ Berneck lächelte und wies auf die Bildschirme. Ein großer Luftgleiter der Kymerer bewegte sich geräuschlos aus einer Lücke zwischen den Gebäuden hervor und setzte dann vor der SWORDFISH auf. Die vier Personen verließen die Steuerzentrale, begaben sich zur Luftschleuse und gingen langsam über die ausgefahrene Gangway hinab. Zögernd betraten sie den Boden einer Welt, deren Bewohner den Menschen bis dahin alles andere als freundlich gesinnt waren. Sie hatten in rigoroser Weise versucht, ihnen ein weiteres Vordringen ins All zu verwehren, hatten sie nur als unerwünschte Emporkömmlinge betrachtet. Damit hatten sie sich im Endeffekt selbst geschadet, so daß sie nun auf die Hilfe eben dieser nach ihrer Ansicht unterentwickelten Wesen angewiesen waren. - 73 -
Die Kuppel des Gleiters schien aus verspiegeltem Glas zu sein, so daß man nicht hindurchsehen konnte. Nun klappte sie nach oben weg, eine Gestalt erhob sich vom Pilotensitz und kam ins Freie. Sie trug einen grellroten Kittel, der am Halsansatz mit einem spiralförmigen silbernen Emblem verziert war. Auf dem Eulenkopf saß statt der Federkrone ein gezackter roter Kamm. „Eine Kymerer-Frau!“ flüsterte Mona ihrem Gefährten zu. Fram nickte. Er trat rasch vor, denn er trug den Sprachentransformator, der manuell bedient werden mußte, wenn er nicht mit dem Funkgerät gekoppelt war. Er hielt ihn der Kymerin entgegen, sie neigte kurz den Kopf und sagte dann: „Mein Name ist Murta, ich gehöre zu dem Medizinerteam, das die erkrankten Mitglieder des Großrats von Kym betreut. Um ehrlich zu sein: Der jetzige Provisorische Rat hatte Bedenken, euch den Zutritt zu unserer Welt zu gestatten; ihr könnt euch denken, warum. Wir konnten ihn jedoch davon überzeugen, daß in unserer derzeitigen Lage nichts unangebrachter sein kann als falscher Stolz. Wir brauchen jede Hilfe, die wir nur bekommen können, denn die Seuche fordert jetzt bereits erschreckend viele Todesopfer. Werdet ihr sie besiegen können? Sie stammt schließlich von eurem Planeten.“ Jenny Burns neigte ebenfalls den Kopf und sagte würdevoll: „Wir sind uns keiner Schuld bewußt. Es waren schließlich eure Leute, die ungebeten zur Erde kamen, um uns zu schaden! Nun, wir mögen zwar in den Augen der meisten Kymerer nur bessere Barbaren sein; primitiv genug, um hilflosen Kranken unseren Beistand zu verweigern, sind wir aber jedenfalls nicht. Wir werden tun, was in unserer Macht steht, gern und freiwilligUnsere Mittel sind aber leider sehr beschränkt, gebt uns also nicht die Schuld, falls uns der Erfolg versagt bleibt.“ „Es ist gut, steigt bitte ein“, sagte Murta knapp und wies auf den Gleiter. Als sich das Fahrzeug in der Luft befand, wandte sie sich zu den Menschen um und erklärte: „Wir werden euch alle Geräte zur Verfügung stellen, die ihr benötigt, ebenso alles verfügbare Personal. Mögen viele unseres Volkes auch Vorurteile gegen euch hegen, wir Mediziner denken da anders, glaubt mir das. Und wir werden auch nicht zögern, unsere Meinung offen zu vertreten, ob ihr nun Erfolg habt oder nicht!“ „Hoffentlich nützt das auch etwas!“ murmelte Carey. Entgegen den Erwartungen der Besucher war die Metropole Kyms durchaus keine supermoderne Stadt. Die meisten Gebäude glichen protzigen Palästen, waren aber offenbar schon sehr alt. Keines besaß mehr als zehn - 74 -
Stockwerke, und alle waren in einem barocken Stil erbaut, der an das späte Mittelalter der Erde erinnerte. Eine alte Rasse, ein Volk von Traditionalisten, wie es scheint! dachte Fram Elsner. Kein Wunder, daß sie uns auf steten Fortschritt ausgerichtete Menschen nicht mögen und als „Störer der bestehenden Ordnung“ ansehen, wie ihr Roboter es ausgedrückt hat. Doch gerade ihr Bestreben, diese Ordnung zu erhalten, hat ihnen die Seuche beschert! Vielleicht sind sie es, die jetzt kapitulieren müssen, nicht wir ... * Jenny Burns erschien auf dem Korridor des kymerischen Hospitals, von Mona Cryns gefolgt. Beide trugen nun auch die roten Kittel der hiesigen Ärzteschaft, über ihren Köpfen lagen große transparente Schutzmasken. Die ehemalige Kinderärztin riß die ihre hastig vom Kopf und schnaufte. „Puh, unter diesen Dingern ist es viel zu warm. Dabei nutzen sie ohnehin nichts mehr, diese komischen Vögel sind längst infiziert. Jetzt brauche ich unbedingt eine Zigarre - her damit, Walt!“ Die beiden Männer hatten außerhalb der Schleuse warten müssen, die den Trakt, in dem die prominenten Kranken lagen, gegen die anderen Räumlichkeiten abschloß. Beide sprangen nun auf, Carey gab seiner Kollegin Zigarre und Feuer und erkundigte sich: „Wie sieht es aus, Jenny?“ „Ganz so, wie ich vermutet habe - die Röteln sind es ! Wir haben unter den E-Mikros noch eine Menge anderer irdischer Erreger entdeckt, aber ausgerechnet auf diese eine Art reagieren die Kymerer überstark, obwohl ihr Metabolismus fast dem unseren gleicht. Bei uns ist es ähnlich, wenn Erwachsene verspätet von der typischen Kinderkrankheit erwischt werden, nur wird ihr Organismus viel besser damit fertig. Die Vogelwesen sind jedoch nicht imstande, selbst Abwehrstoffe zu produzieren, und ihre Ärzte kennen auch die richtigen Medikamente nicht. In mehr als einer Woche ist ganz Kym nur noch ein großes Krankenhaus.“ „Können Sie ihnen helfen?“ fragte Fram Elsner gespannt. Jenny Burns zuckte mit den Schultern und stieß eine mächtige Qualmwolke aus. „Ich hoffe es jedenfalls. Wir haben den vier Mitgliedern des Großrats - er ist paritätisch aus männlichen und weiblichen Kymerern vorgeschrittenen Alters zusammengesetzt - vorsichtige Dosen der vorhandenen Medikamente verabreicht. Ob sie ihnen wirklich helfen, läßt sich erst in acht Stunden sagen, bis dahin haben wir Pause. Solange führt Murta die Aufsicht, sie ist - 75 -
hier so etwas wie die Chefärztin und eine medizinische Kapazität. Sie hat auch versprochen, daß wir in unseren Zimmern Speisen vorfinden, die für uns genießbar sind. Oh - was ist Ihnen, Mona, Sie sind ja ganz blaß! Hat Ihnen der ganze Rummel so zugesetzt?“ Mona Cryns lächelte gequält. „Das weniger, Jenny - Ihre Zigarre gibt mir den Rest ...“ Acht Stunden später stand fest, daß die Erreger der Seuche vor den bewährten irdischen Mitteln kapitulierten. Alle vier mit ihnen behandelten Kymerer waren bereits fieberfrei, ihr Allgemeinzustand hatte sich verblüffend gebessert. Die vier Menschen atmeten auf, die Mediziner schöpften neue Hoffnung. Jenny Burns beriet sich mit Walt Carey und gab den Vogelwesen die chemischen Formeln der Medikamente preis. Sie alle konnten ohne Schwierigkeiten, im ganzen Bereich des kymerischen Imperiums hergestellt werden, auch die bis dahin vollkommen unbekannten synthetischen Antibiotika. Die entsprechenden Anweisungen ergingen über Hyperfunk an die Behörden aller Planeten, überall wurden die automatischen Pharmafabriken schnellstens umprogrammiert. Achtzig Milliarden Kymerer entgingen dem sicheren Tod, obwohl ihr Zustand zum Teil schon sehr bedenklich war. Für fast dreißig Millionen von ihnen kam jedoch die Hilfe zu spät, das ging aus den Meldungen hervor, die innerhalb der beiden nächsten Wochen nach Kym übermittelt wurden. „Das hätte ich nicht gedacht“, sagte Walt Carey erschüttert. „Wir haben zwar, im Gegensatz zu den meisten anderen Infektionskrankheiten, gerade die Kinderkrankheiten nie ganz unter Kontrolle bekommen, aber heute stirbt bei uns niemand mehr daran. Was wäre wohl geschehen, wenn wir nicht nach Kym gekommen wären ...“ Er saß, zusammen mit Jennifer Burns, Fram Elsner und Mona Cryns, den längst wieder genesenen Mitgliedern des Großrats gegenüber. Die gesamte Besatzung der SWORDFISH war inzwischen in den Ratspalast übergesiedelt und wohnte in den Räumen, die der Aufnahme von Ehrengästen die nten. Daß die Menschen eigentlich gekommen waren, um sich praktisch den Kymerern zu unterwerfen, war jetzt so gut wie vergessen. Gorduck, der Vorsitzende des Rates, nickte gedankenvoll. „Dann wäre unser Imperium zweifellos untergegangen. Wir haben uns anfangs an die Völker der angrenzenden Reiche gewandt, um von ihnen Hilfe zu erlangen, aber vergebens. Diese Rassen riefen ihre Artgenossen eiligst aus unserem Reich zurück, und das nach vielen Jahrtausenden - 76 -
freundschaftlicher Beziehungen. Ob sie uns wirklich hätten helfen können, wissen wir nicht, aber sie haben nicht einmal den Versuch dazu gemacht. Ihr dagegen hattet allen Grund, uns zu grollen, doch ihr habt uns beschämt! Die Seuche ist inzwischen auf allen unseren Welten fast erloschen, nirgends mehr sind neue Erkrankungen aufgetreten.“ „Wie können wir uns euch gegenüber erkenntlich zeigen?“ fragte Kyrba, die für die äußeren Angelegenheiten des Imperiums zuständig war. Mit fast zweihundert Jahren war sie die Seniorin des Gremiums, aber der Kamm auf ihrem Kopf stand noch vollkommen gerade. „Wir sind euch in vielem weit voraus, wir können euch Wissen geben, das euch hilft, diese Kluft zu überbrücken. Sagt frei heraus, worauf ihr den größten Wert legt, wir werden es euch nicht versagen.“ Jenny Burns lächelte verhalten. „Eigentlich ist es nicht viel, Hohe Räte“, sagte sie würdevoll. „Wir sind vollauf zufrieden, wenn ihr uns garantiert, daß sich die Menschheit in Zukunft in Ruhe weiterentwickeln kann, ohne jede Interventionen von außer her. Als Mitglied der WORLD CONTROL bin ich befugt, euch bindend von unserer Seite die gleiche Zusage zu machen. Wenn sic h darüber hinaus noch ständige Kontakte zwischen dem Kymerischen Imperium und uns herstellen ließen, könnte das ebenfalls sehr nützlich sein.“ Gorduck stieß einen sehr menschlich klingenden Seufzer aus. „Wir haben euch verkannt“, gab er offen zu. „Unsere Kundschafter haben euch stets als unreife, aggressive Wesen geschildert, die man in ihre Schranken weisen müßte, und wir haben ihr Urteil kritiklos übernommen. Wir fürchteten das Neue, nachdem es bei uns seit Jahrtausenden keine Veränderungen mehr gegeben hat, und das hat uns zu voreiligem Handeln bewogen, das wir jetzt bedauern. Nur diesem Mangel an Flexibilität ist es zuzuschreiben, daß wir in eine Lage geraten sind, die uns fast den Untergang gebracht hätte. Unsere bisherigen Freunde ließen uns im Stich, ihr dagegen habt uns nicht nur gerettet, sondern erweist euch jetzt auch noch als bescheiden und großmütig. Das soll belohnt werden, wir akzeptieren eure Vorschläge voll und ganz. Was schlägst du dazu im einzelnen vor, Kyrba?“ Die Rätin für Äußeres ließ überlegend die Nickhäute vor ihre großen Eulenaugen gleiten. Wie alle anderen Ratsmitglieder trug sie einen kleinen automatischen Sprachtransformator um den Hals, so daß das umständlich zu handhabende Gerät des Gander-Roboters entbehrlich geworden war.
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„Fixierung der beiderseitigen Zusagen über die Respektierung der jeweiligen Hoheitsgebiete; weiterhin die Einrichtung fester diplomatischer Vertretungen auf Kym und Terra“, zählte sie auf. „Außerdem schrittweisen Austausch wichtiger Informationen auf allen interessierenden Gebieten. Als Gegenleistung für die Hilfe gegen die Seuche empfehle ich die Überlassung einiger technischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse an die Erde, die ihr helfen, bald zu einem gleichwertigen Partner zu werden. Oder hat jemand von euch Einwände zu erheben, Gurra und Mortur?“ Beide winkten mit ihren vierfingrigen Krallenhänden ab, und Kyrba nic kte. „Gut, damit wäre wohl alles klar. Ich schlage vor, daß wir ein Rahmenabkommen fixieren, das später durch Experten beider Völker vervollständigt werden kann.“ Walt Carey erhob sich rasch. „Ich hole Morton Yang“, erklärte er, „er ist unser Fachmann für solche Dinge. Geduldet euch bitte so lange, Hohe Räte.“ Mona Cryns verzog das Gesicht. „Ausgerechnet ihn!“ flüsterte sie Elsner zu. „Bis jetzt lief alles so gut - dieser trockene Bürokrat aber bringt es fertig, das Ganze wieder zu verderben.“ „Keine Sorge, Mädchen“, raunte Fram beruhigend. „Yang hat die beiden Wochen gut genutzt und eifrig Daten über die Kymerer und ihre Mentalität gesammelt. Mag er auch ein Sonderling sein, sein scharfer logischer Verstand wird ihm genau sagen, wie weit er gehen darf. Ich kenne diese Art von Menschen.“ Er behielt recht, denn der Malaysier erwies sich als ein überaus geschic kter Verhandlungspartner. Er verstand es, die Artikel des vorläufigen Abkommens so optimal zu formulieren, daß der Vorteil stets auf Seiten der Menschen lag. Nur Gorduck schien das als einziger des Rates zu bemerken; zuweilen zuckte es verdächtig um seinen Schnabel, aber er brachte keine Einwände vor. Eine Stunde später waren die Dokumente fertig und wurden unterzeichnet; ein bedeutsamer Schritt war getan, und die Menschen begaben sich in ihre Quartiere zurück. Morton Yang trug die schwarze Mappe mit den Vertragsduplikaten so behutsam, als enthielten sie einen kostbaren Schatz, und Jenny Burns lächelte belustigt. „Wer hätte das gedacht?“ sagte sie kopfschüttelnd. „Als wir hier ankamen, waren wir moralisch ganz klein, und jetzt sind wir auf einmal die Größten unter Kyms Sonne! Das muß gefeiert werden - kommt alle mit zu mir, ich habe einen guten Schluck für euch.“
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Epilog Die SWORDFISH blieb noch fünf Tage auf Kym. Kyrba organisierte Rundflüge für ihre Insassen und zeigte ihnen selbst die größten Sehenswürdigkeiten des Planeten. Wo die Menschen auftauchten, wurden sie als Retter des Imperiums gefeiert. Interviews mit ihnen gingen über die Videostationen aller 463 kymerischen Welten. Sie gaben sich bewußt bescheiden, aber gerade das machte Eindruck auf die Vogelwesen. Die offene Freundlichkeit des alten Volkes färbte sogar auf Yang ab, der einen guten Teil seiner Steifheit verlor. Am letzten Abend gab es eine offizielle Verabschiedung durch den Groß rat, in einem riesigen prachtvollen Saal unter Teilnahme aller bedeutenden Persönlichkeiten von Kym. Als die SWORDFISH am nächsten Morgen startete, gaben ihr Hunderte von Diskusraumern Ehrengeleit bis an die Grenzen des Systems. An Bord herrschte eine fast ausgelassene Stimmung, nur Fram Eisners Gesicht zeigte einen sehr nachdenklichen Ausdruck. „Was hast du, Lieber?“ fragte Mona verwundert. „Wir haben etwas erreicht, von dem wir bei unserem Abflug von der Erde nicht einmal träumen konnten! Die Kymerer sind jetzt unsere Freunde, uns steht eine glänzende Zukunft bevor - und du machst so ein Gesicht?“ „Ich denke über eben diese Zukunft nach“, sagte Fram langsam. „Diese Eulenmenschen haben sich überaus großmütig gezeigt - aus gutem Grund, das gebe ich zu. Schon in einigen Wochen werden wir diplomatische Beziehungen zu ihnen aufnehmen, und sobald genügend Schiffe mit dem neuen Triebwerk ausgerüstet sind, wird eine ganze Schar unserer Techniker und Wissenschaftler nach Kym fliegen. Schon der kleine Teil ihrer Errungenschaften, die uns die Kymerer vertraglich zugesichert haben, wird genügen, der Menschheit eine wahre technische Revolution zu bescheren. Und dabei wird es nicht bleiben, dessen bin ich sicher - aber sind wir wirklich schon reif dafür ... ? Unsere Geschichte beweist hundertfach das Gegenteil! Wir haben lange gebraucht, die Gegensätze unserer eigenen Rasse halbwegs zu ; überwinden und in gemeinsamen Anstrengungen andere Planeten zu besiedeln. Das hat unsere ganze Kraft erfordert, wir sind nie dazu gekommen, uns auszuruhen. Nun aber soll das abrupt anders werden, und was wird die Folge sein? Immer dann, wenn es den Menschen zu gut ging, wurden sie übermütig und wollten mehr schlucken, als sie verdauen konnten! Ich fürchte, daß eine - 79 -
Zeit kommen könnte, in der die Menschheit sich gewaltsam das zu holen versucht, was uns die Vogelwesen in berechtigter Sorge nicht mehr freiwillig geben wollen. Ihre Kundschafter hatten schon recht, indem sie uns anders beurteilten, als uns ihr Volk nach dem großen Schock der Seuche sah.“ Er fuhr zusammen, als plötzlich eine Hand auf seine Schulter fiel. Walt Carey war unbemerkt hinter ihn getreten und hatte den größten Teil seiner Ausführungen mitgehört. Nun huschte ein leises Lächeln über sein strenges Gesicht, als er sagte: „Keine Angst, Fram, soweit wird es nie kommen! Das alles habe ich auch schon bedacht, ich habe nicht umsonst Geschichte studiert. Die WORLD CONTROL wird wachsam sein - mein Wort darauf!“
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