Karl-Heinz Brodbeck
Buddhismus interkulturell gelesen
Interkulturelle Bibliothek
INTERKULTURELLE BIBLIOTHEK Herausge...
72 downloads
710 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Karl-Heinz Brodbeck
Buddhismus interkulturell gelesen
Interkulturelle Bibliothek
INTERKULTURELLE BIBLIOTHEK Herausgegeben von Hamid Reza Yousefi, Klaus Fischer, Ram Adhar Mall, Jan D. Reinhardt und Ina Braun
Band 2
Wissenschaftlicher Beirat Prof. Dr. Constantin von Barloewen Prof. Dr. Horst Dräger PD. Dr. Mir A. Ferdowsi Prof. Dr. Hans-Jürgen Findeis Prof. Dr. Richard Friedli Prof. Dr. Raul Fornet-Betancourt Prof. Dr. Wolfgang Gantke Prof. Dipl.-Ing. Peter Gerdsen Prof. Dr. Dr. h.c. Heinz Kimmerle Prof. Dr. Wolfgang Klooß Prof. Dr. Peter Kühn Dr. habil. Jürgen Maes Prof. Dr. Karl-Wilhelm Merks Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Senghaas Prof. Dr. Alois Wierlacher
Buddhismus interkulturell gelesen
von Karl-Heinz Brodbeck
Traugott Bautz Nordhausen 2005
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in Der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Umschlagsentwurf von Susanne Nakaten und Ina Braun Verlag Traugott Bautz GmbH 99734 Nordhausen 2005 Alle Rechte vorbehalten Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany ISBN 978-3-88309-161-7 www.bautz.de www.bautz.de/interkulturell.shtml
Inhaltsübersicht Vorwort
7
1. Einleitung
9
2. Erkennen
20
2. 2. 2. 2. 2. 2.
1. Theorien über das Erkennen 20 2. Buddhismus als kritische Philosophie 25 3. Das Subjekt der Erkenntnis 29 4. Der Ort von Subjekt und Objekt 34 5. Die Quellen der Erkenntnis 39 6. Begriff und Wahrnehmung 44 2. 6. 1. Entwicklung buddhistischer Erkenntnislehre....44 2. 6. 2. Die Nur-Geist-Schule (Cittämatrin) 50 2 . 6 . 3 . Allgemeinbegriffe und Apoha-Theorie 55 2. 6. 4. Europäische Parallelen 65
3. Handeln 3.1. Die Rolle des Bewußtseins im Handeln
72 72
3. 2. Zur Entwicklung der Theorie des Handelns 3.3. Der Ort des Handelns (die fünf Skandhas)
78 83
3. 4. Zeichen, Handeln und Karma
92
4. Wissen 4. 1. Abhängige Entstehung und Leerheit 4. 2. Die Diskussion um den Begriff der Leerheit 4. 3. Die Leere und der Demiurg Der Autor und das Buch
101 101 110 124 133
Vorwort »Buddhismus« ist ein Sammelbegriff für eine nahezu unüberschaubare Vielfalt von Praktiken, philosophischen Systemen, Kulturen und Lebensweisen. Sie leiten sich aber alle ab vom historischen Buddha, dessen achtzigjährige Lebensspanne meist auf die Zeit 563-483 v.u.Z. datiert wird. Was als seine ursprüngliche Lehre gelten darf, ist keineswegs unumstritten. Während die Tradition der südlichen Länder des Buddhismus beansprucht, das ursprüngliche Wort Buddhas zu bewahren, kennen nordindische, tibetische und ostasiatische Schulen weitere und andere Lehrverkündigen Buddhas. Man teilt alle diese Schulen ein in das ursprüngliche Fahrzeug (Hinayana), das »große Fahrzeug« (Mahayana) und das tantrische Fahrzeug (Tantrayana). Letzteres wird vor allem in Tibet, aber auch in einigen Schulen Japans tradiert. Im Rahmen dieser Schulen - man spricht vom dreimaligen Drehen des Rades der Lehre - entfaltete sich neben vielfältigen Meditationspraktiken eine schier unüberschaubare Fülle an Kommentarliteratur, Berichten vom Leben buddhistischer Lehrer, Meditationsanleitungen usw. In jüngerer Zeit kommt eine rasch anwachsende Literatur der wissenschaftlichen Aufarbeitung buddhistischer Traditionen hinzu, in der bereits mehrfach interkulturelle Beziehungen herausgearbeitet wurden. Auf den nachfolgenden Seiten knüpfe ich daran an, muß mich aber doch angesichts dieser Vielfalt und dieses Reichtums sehr stark thematisch beschränken. Ich werde einige ausgewählte Teile der buddhistischen Philosophie herausgreifen und mich hierbei auf drei Gebiete beschränken. Aus einer europäischen Perspektive könnte man die nachfolgenden drei Hauptkapitel mit »Erkenntnistheorie«, »Ethik« und »Metaphysik« überschreiben. Von der damit verbundenen Erfahrungsweise aus betrachtet, lassen sie sich auch den drei berühmten Fragen von Immanuel Kant zuordnen: »Was
Vorwort
kann ich wissen?« - »Was soll ich tun?« - »Was darf ich hoffen?«. Die gewählten Überschriften (Erkennen, Handeln, Wissen) entsprechen inhaltlich zugleich einer bekannten Einteilung des buddhistischen Pfades (prajna, die unterscheidende Weisheit; sila, das ethische Handeln und dhyana, die Meditation). Man kann über den Buddhismus nur wirklich urteilen, wenn man bereit ist, sich auch auf sein Herzstück - die Praxis des Geistestrainings - einzulassen. Damit ist kein Glaubensakt verknüpft. Die Übung der Achtsamkeit auf die Funktion und die Struktur der eigenen Gedanken und Gefühle, die Übung von Mitgefühl und ethischem Verhalten ist von jeder kulturellen Tradition aus zugänglich. Diese Übungen aus Büchern zu erlernen, ist nur ein Notbehelf; ich gehe auf den nachfolgenden Seiten darauf nur am Rande ein und beschränke mich auf die buddhistische Philosophie. Dennoch hätte ich ohne diesen Hintergrund die nachfolgenden Seiten nicht schreiben können. Der vorliegende Text schließt an frühere Untersuchungen an, bei denen ich den Buddhismus mit der europäischen Philosophie, Religion und Wissenschaft in einen Dialog zu bringen versucht habe.1 Ich danke Elisabeth Müller-Brodbeck, Tulku Thubwang, Connie Krause, Franz-Johannes Litsch, Silja Graupe und vielen anderen Freunden, von denen ich im Gespräch, bei Seminaren und Vorträgen vielfältige Hinweise, Kritik, Anregung und Ermutigung erhielt. Karl-Heinz Brodbeck Gröbenzell im Februar 2005
1
8
Vgl. Karl-Heinz Brodbeck: Der Spiel-Raum der Leerheit. Buddhismus im Gespräch, Düsseldorf-Solothurn 1995; ders.: Der Zirkel des Wissens. Vom gesellschaftlichen Prozeß der Täuschung, Aachen 2002; ders.: Buddhistische Wirtschaftsethik. Eine vergleichende Einführung, Aachen 2002.
1. Einleitung Der Zugang zu einer philosophischen, spirituellen oder kulturellen Tradition erfolgt immer von einem Ort aus, der bereits durch Philosophien, Religionen und Kulturen geprägt ist. Die Vorstellung, man könne eine überlieferte Denk- und Erlebnisform aus sich selbst heraus rekonstruieren, verkennt diese einfache Tatsache. Wenn wir heute Texte von Platon oder Hegel, der uns zeitlich und sprachlich bereits viel näher liegt, lesen, so findet eine Übersetzung statt, selbst dann, wenn wir uns auf die eine oder andere Weise zu den kulturellen Nachfahren der genannten Autoren rechnen dürfen. Die Situation der Auslegung wird noch sehr viel komplexer, wenn es sich um Denktraditionen handelt, die sich in ganz anderen kulturellen Kontexten entwickelt haben. Es gilt hierbei jedoch, zwei Extreme zu vermeiden. Wenn man die Differenz zwischen Kulturen als zentrales Merkmal behauptet, scheint eine Vermittlung nahezu unmöglich. Betont man dagegen die Identität - gleiche natürliche Bedingungen, allgemeine »Gesetze« der Soziologie, dieselbe biologische Abstammung oder einen Schöpfergott für alle Menschen -, gehen wichtige Unterschiede in einem überlagerten Erklärungsmodell verloren. Eine interkulturelle Lektüre setzt eine Verwandtschaft jenseits der Identität und eine Kunst der Unterscheidung jenseits absoluter Differenzen voraus.1 »Die Auslegung wäre unmöglich, wenn die Lebensäußerungen gänzlich fremd wären. Sie wäre unnötig, wenn in ihnen nichts fremd wäre. Zwischen diesen beiden äußersten Gegensätzen liegt sie also. Sie wird überall erfordert, wo
1
Vgl. Yousefi, Hamid Reza und Ram Adhar Mall: Grundpositionen der interkulturellen Philosophie (Interkulturelle Bibliothek Bd. 1), Nordhausen 2005.
Einleitung
etwas fremd ist, das die Kunst des Verstehens zu eigen machen soll.«2 Was sich als »Buddhismus« an Reichtum von Personen, Praktiken, Traditionen und philosophischen Systemen dem Beobachter darbietet, ist bereits in sich ein interkulturelles Phänomen. Der Buddhismus hat sich räumlich in vielen Kulturen ausgebreitet - in den letzten hundert Jahren ist eine wachsende Popularität in Europa und den USA zu beobachten -, er hat sich aber auch in 2.500 Jahren historisch in vielen Formen entwickelt. Anders als bei den monotheistischen Weltreligionen, gibt es im Buddhismus keinen Kanon mit Texten, der von allen Schulen als autoritativ anerkannt wird. Im Buddhismus ist selbst die Natur des Stifters - Gautamo Buddha - mehrdeutig. Die nachfolgende Untersuchung reiht sich ein in eine Reihe von Versuchen, den Buddhismus aus einer westlichen Perspektive zu verstehen. Diese Rezeption des Buddhismus im Westen hat eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Obgleich die Aussagen vieler Philosophen über den Buddhismus im 19. und noch im 20. Jahrhundert auf einer weitgehenden Unkenntnis der Originalliteratur beruhten, haben ihre (Vor-)Urteile doch immer noch eine erstaunliche Nachwirkung. Das wichtigste dieser Vorurteile ist die Behauptung, der Buddhismus sei eine frühe, indische Variante des »Nihilismus«. Anfangend mit Herder konnte man im Buddhismus nur eine »abergläubische Gedankenlosigkeit«3 entdecken. In der europäischen Tradition gelten »Unachtsamkeit, Gedanken-
2
3
10
Wilhelm Dilthey: Der Aufbau der Geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Gesammelte Schriften Bd. VII, StuttgartGöttingen 1958, S. 225. Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Bd. 2, Berlin-Weimar 1965, S. 24.
Buddhismus interkulturell gelesen
losigkeit und Zerstreutheit«4 oftmals als identische Begriffsgruppe. Die Gleichsetzung von meditativer Erfahrung mit »Gedankenlosigkeit« führte deshalb konsequent zu der Vorstellung, die Buddhisten würden das »Nichts« predigen. Hegel sah auf der Grundlage der spärlichen Berichte, die er über den Buddhismus hatte, in der Yoga-Praxis deshalb nur eine »negative Erhebung«; sie beruhe auf dem »Grunddogma, daß das Nichts das Prinzip aller Dinge sei«5. Der Philosophiehistoriker Windischmann nennt die buddhistische Praxis gar ein »Vernichtungswerk«6. Die förmliche Angst, die man auch heute noch in zahlreichen neueren Stellungnahmen zum Buddhismus aus christlichen Kreisen spürt, drückt Windischmann so aus: »Dieses entsetzliche Verschlingen eines Abgrundes [...] ist das Ende der stolzen Anschauung der reinen Vernunft, der Anstrengung des Menschen, die Geheimnisse Gottes, seiner Selbst und der Welt zu durchdringen«.7 Windischmann hat immerhin als einer der Ersten den Begriff »Buddhismus« (bei ihm: »Buddhaismus«) als Zusammenfassung für die verschiedenen Phänomene dieser Tradition eingeführt. Schelling, der auch den Ausdruck »Buddhismus« verwendet, deutet das »Nichts« bereits philosophisch tiefer. Er sieht in Buddha einen Gott, der sich dem Absoluten weiter annähert als der Gott der monotheistischen Religionen, ein Gott, der »nicht nur keinen seinesgleichen, sondern der Nichts außer sich hat.«8 Schelling hat auch 4 5
6
7 8
Johann G. Fichte: Werke Bd. 7, S. 445. Georg W. F. Hegel: Philosophie der Geschichte, Werke Bd. 12, S. 21 Of. Carl J. H. Windischmann: Die Philosophie im Fortgang der Weltgeschichte (1832); in: Ludger Lütkehaus (Hg.): Nirwana in Deutschland, München 2004,120. Carl J. H. Windischmann aaO., S. 125. Friedrich Wilhelm J. von Schelling: Philosophie der Mythologie (1856), Bd. II, Darmstadt 1957, S. 499.
11
Einleitung
bereits die innere Differenzierung des Buddhismus und seine Dynamik sehr viel deutlicher erkannt: »Überhaupt ist der Buddhismus selbst nicht als ein abgeschlossenes und stillstehendes System zu betrachten. Überall hat auch er sich nach dem Charakter der Länder und Verfassungen bequemt, mit welchen er in Verbindung kam.«9 Auch Nietzsche hat Buddhismus und Nihilismus gleichgesetzt.10 Andererseits bewunderte er den Buddhismus und rief aus: »wie ferne ist Europa noch von dieser Stufe der Kultur!«11 Daß der Buddhismus zunächst als Nihilismus gedeutet wurde, hat neben der Fehlinterpretation meditativer Geisteszustände noch einen anderen Grund. Die zentrale These des Buddhismus in allen seinen Schulen ist die Aussage, daß alle Phänomene (dharmas) leer sind.12 Wenn man, in seinem Denken, herkommend aus der europäischen Tradition, buddhistische Denkformen interpretiert, so geschieht dies immer innerhalb einer kulturell geprägten Begriffsmatrix.13 Die europäische Philosophie ist eine Philosophie des Seins, das in der sinnlichen Erfahrung zugänglich ist und durch logische, sprachliche Operationen modelliert wird. Aus dieser Perspektive erscheint die auf einer vielfältigen Meditationserfahrung beruhende Einsicht in die Leerheit der Dinge als eine reine Negation des Seins. Durch die Gleichsetzung von Bewußtsein, Ich und Denken erscheint im Raster europäischer Kategoriensysteme auch ein von Begriffen 9 10 11 12
13
12
Friedrich Wilhelm J. von Schelling: Philosophie aaO., S. 510.
Vgl. Friedrich Nietzsche: Werke Bd. 2, München 1954, S. 267. Friedrich Nietzsche aaO., S. 1074. Vgl. Theodore Stcherbatsky: The Central Conception of Buddhism and the Meaning of the Word >Dharma<, London 1923. »Aristotle's categorical scheme is the clearest example of a vocabulary that has become so integrated within our worldview that we no longer see it as a system of reference but as the very structure of the world.« Georges B. J. Dreyfus: Recognizing Reality, New York 1997, S. 53.
Buddhismus interkulturell gelesen
leeres Bewußtsein als »abergläubische Gedankenlosigkeit«. Verkannt wird bei dieser Auslegung, daß auch Europa immer wieder die Einsicht hervorbrachte, daß »Denken« und »Bewußtsein« nicht dasselbe sind. Die christliche und die islamische Mystik kennen die Erfahrung des »so ganz Leeren, welches auch das Heilige genannt wird«14. Es gibt gleichwohl erhebliche Differenzen zwischen Buddhismus und europäischer Tradition (die US-Philosophie ist in diesem Sinn vollständig »europäisch«). Und es muß stets beachtet werden, daß auch philosophische Fragen, die sehr ähnlich wirken, durch einen anderen Kontext eine andere Bedeutung haben. Wichtig ist es aber, mit dem Vorurteil aufzuräumen, jede Philosophie sei in ihrem Wesen »griechisch«, damit europäisch, eine These, die auf den ersten Philosophiehistoriker, Diogenes Laertius, zurückgeht: »So hat denn die Philosophie ihren Ursprung bei den Griechen, und auch ihr Name schon weist jede Gemeinschaft mit den Barbaren entschieden von sich ab.«15 Diese, von Hegel bis Heidegger wiederholte Behauptung läßt sich nicht einfach durch eine Gegenthese widerlegen, sondern nur dadurch, daß man an den sachlichen Problemen aufzeigt, wie in Asien philosophische Fragen diskutiert wurden, die auch in Europa - oft mit mehrhundertjähriger Verspätung im Vergleich zu indischen Debatten - zentraler Gegenstand von Auseinandersetzungen wurden. Ich möchte vor allem im zweiten Kapitel an einigen zentralen Fragen der Erkenntnistheorie zeigen, wie eng verwandt teilweise die Fragestellungen sind, die in der europäischen und in der indischen Tradition diskutiert wurden. Die buddhistischen Erkenntnistheoretiker haben hier allerdings 14
15
Georg W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes, Werke Bd. 3, S. 118. Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen, 1.4-5; Hamburg 1967, S. 5.
13
Einleitung
Lösungen für auch in der europäischen Tradition diskutierte Probleme vorgeschlagen, die aus einer westlichen Perspektive neuartig sind. Dies darf aber nicht umgekehrt zu der vergeblichen Hoffnung veranlassen, eine Zuwendung zum Buddhismus würde nun endlich jene Antworten liefern, die man in den westlichen Traditionen vergeblich gesucht hat. Dreyfus nennt dies eine »falsche und gefährliche Erwartung«16. Diese Hoffnung, eine andere Kultur werde die Antworten auf die Fragen der eigenen Kultur liefern, beruht auf einem Mißverständnis philosophischer Probleme. Derartige Probleme sind nie endgültig, weder empirisch noch logisch, lösbar. Der Buddhismus bietet allerdings eine besondere Antwort an, die in der Kritik der Frage besteht. Man kann philosophische Fragen philosophisch zu lösen versuchen, doch man wird dann immer in einer Welt der Begriffe verbleiben. Denn jede »Idee bedeutet schon eine Parteinahme, sie impliziert schon eine bestimmte Entscheidung innerhalb des Wirklichen, durch die wir seine Gesamtheit aus den Augen verlieren.«17 Was Jullien hier vor dem Hintergrund der ganz anderen Auffassung von Begriffen in den chinesischen Überlieferungen sagt, gilt uneingeschränkt für die buddhistische Tradition: Eine begriffliche Lösung der Probleme, die aus der Natur des Begreifens selbst hervorgehen, ist unmöglich. Kulturelle Differenzen und unterschiedliche philosophische Traditionen sind aber dennoch Differenzierungen in einer Wirklichkeit, die je verschieden ergriffen wird. Es ist auch innerhalb des Buddhismus durchaus eine vielfach diskutierte Frage, inwieweit diese Wirklichkeit rational, durch logisch-epistemologische Analyse, erkannt werden kann oder inwieweit sich diese Einsicht der Ratio ver16
17
14
George B. J. Dreyfus: Reality aaO., S. 447. Soweit nicht anders angegeben, sind alle Übersetzungen meine eigenen. Frantpois Jullien: Der Umweg über China, Berlin 2002, S. 68.
Buddhismus interkulturell gelesen
schließt. Die Erfahrung Buddhas ist kein philosophisches System. Dennoch hat der Erleuchtete (d.h. Buddha) gelehrt, und sobald er zu lehren begann, bewegte er sich denkend in den tradierten Kategorien. Die Systematisierung und Auslegung des Gebrauchs von Kategorien für diese Erfahrung stellt die Geschichte der buddhistischen Philosophie dar. Wie in Europa, bildeten sich immer wieder scholastische Systeme von hoher, teils spitzfindiger Gelehrsamkeit, ebenso differenziert wie gegensätzlich. Es lassen sich hierbei nicht nur Antworten auf außerbuddhistische Lehrsysteme beobachten (wie die Antworten der Erkenntnistheoretiker auf die Logik des NyayaSystems); auch innerhalb des Buddhismus bildeten sich höchst gegensätzliche Denksysteme heraus, die einander in vielen Traktaten kritisierten.18 Ich möchte das einleitend kurz skizzieren. Buddhas Aus-gangspunkt, den er mit einigen Systemen des Hinduismus teilt, ist die Erfahrung des Leidens am Dasein. Alle Lebewesen leiden, früher oder später, und sie alle erleiden Alter, Krankheit und Tod. Für diese Erfahrung wurden zahlreiche Erklärungen gegeben. Auch Europa kennt im Christentum diese Diagnose. Das Leiden wird dort als Sündenfall der Menschen, als eine Hybris beschrieben, die aus dem Streben nach Erkenntnis (»Essen der Früchte vom Baum der Erkenntnis«) erwachsen sei. In Indien wurde und wird das Leiden dagegen durch eine Theorie des Handelns (Karma-Lehre) erklärt. 19 Handlungen reifen in einem späteren Leben in der Form einer künftigen Verkörperung und künftiger Situationen. Im Wandel der Wiedergeburten bleibt aber eine Seelensubstanz (atman) erhalten. Die Wiedervergeltung der
18
19
Vgl. Edward Conze: Buddhistisches Denken, Frankfurt a.M. 1988, S. 165ff.; David J. Kalupahana: A History of Buddhist Philosophy, Hawaii 1992. Vgl. zur Entwicklung der Karma-Theorie: Govind C. Pande: Studies in the Origins of Buddhism, Delhi 1999, S. 286f.
15
Einleitung
Taten wird in Hindusystemen auch mit einem göttlichen Urteil gleichgesetzt: Die gerechte Strafe ist jene, die eine Handlung an dem mißt, was sie selbst bewirkt hat. Buddha hat diese Auffassung aus seiner Erleuchtungserfahrung kritisiert. Erstens lehnte er eine substanzielle Entität (Seele) ab, die in den Wiedergeburten erhalten bleibt. Er übernimmt aber den Gedanken einer Tatvergeltung, die an die Stelle des subjektiv-göttlichen Aktes einer Bestrafung oder Belohnung tritt. Und an die Stelle einer Seelen-Substanz tritt eine dynamische Verkettung von Funktionen. Der Grund, weshalb die Wesen in diesen Kreislauf von Geburt und Tod (samsara) verwickelt sind, ist die fehlende Erkenntnis (avidya) von dessen eigentlicher Natur. Alle Dinge sind vergänglich; die Wirklichkeit ist ein dynamischer Prozeß gegenseitig abhängiger Funktionen. Wenn man dies nicht erkennt und gegen den Wandel die Illusion bleibender Entitäten (Ego und Substanz) denkend und handelnd verteidigt, dann erleidet man den Wandel. Läßt man diese falsche Auffassung los, so findet man genau darin Befreiung. Der Befreite (= Buddha) hat alle Begriffe hinter sich gelassen (nirvana = Freiheit von Wahn) und ist, wie es im Majjhima-Nikaya heißt, »in der Erscheinungswelt unauffindbar.«20 Aus dieser - hier nur sehr grob skizzierten - Struktur der ursprünglichen Einsicht Buddhas ergaben sich in der Nachfolge zahlreiche Fragen: »Wenn alle Phänomene vergänglich und wandelbar sind, wie ist dann ihre Natur zu beschreiben?« Hierauf versuchte die »Augenblickstheorie« eine Antwort zu geben (die Schule der Sautrantikas): Zwar sind die Phänomene »real«, aber sie existieren als Augenblick.21 »Dauer« ist eine Illusion, die durch konstruierte Begriffe erzeugt wird. Eine andere Antwort auf diese Frage versuch20
21
16
Majjhima-Nikaya 22; übers, v. Kurt Schmid, Berlin 1978, S. 77. Vgl. Satkari Mookerjee: The Buddhist Philosophy of Universal Flux, Calcutta 1935.
Buddhismus interkulturell gelesen
te die »Nur-Geist-Schule« (Cittamatrin) zu geben, die sagt, daß es außerhalb der konstruierten Realität des Geistes keine äußere Wirklichkeit gibt - auch keine nur augenblickshaft existierende. Eine weitere Frage war: »Wie kann man das Fehlen einer Substanz und einer Seele in Einklang mit dem Gedanken von Ursache und Wirkung bringen?« Die Schule der Sautrantikas war bemüht, die psychischen Phänomene auf objektive Prozesse zu reduzieren, deren Realität sie nicht bestritten. Auch die Schule der Älteren (Theravada) und die Autoren der »Abhidharma«-Texte, eines Kompendiums buddhistischer Philosophie, neigten zu dieser Auffassung.22 Nagarjuna, der Begründer der MadhyamikaSchule des Buddhismus, entwickelte dagegen eine andere Theorie, die die Leerheit aller Phänomene aus ihrer abhängigen Entstehung erklärt (vgl. Kapitel 4). Eine wichtige Frage in der Nachfolge Buddhas war auch: »Was ist die genaue Eigenschaft der Erleuchtungserfahrung? In welchem ›Zustand‹ befindet sich ein Erleuchteter?« In der Beantwortung dieser Frage lassen sich zwei immer wiederkehrende Linien erkennen. Eine Richtung, die dem rationalen Denken vertraut, und eine andere, die auf direkte Erfahrung Wert legt. Candrakirti, ein Kommentator der Texte Nagarjunas, vertraute hierbei besonders auf die Logik, auf die Fähigkeit, durch Kritik aller nur denkbaren Auffassungen ihre verblendende Macht im Denken zu mindern. In Tibet wird diese Tradition »Prasangika-Madhyamika« genannt. Sie bildet die Grundlage wohl aller tibetischen Schulen, wird aber teilweise sehr unterschiedlich interpretiert. Vor allem die Gelugpa-Linie pflegt die Tradition dieser Schule. Die zweite Antwort wurde von den Anhängern des »buddhistischen Idealismus« (Cittamatrin) gegeben, die 22
Vgl. Nyanaponika: Abhidhamma Studies, Kandy 1998; Herbert V. Guenther: Philosophy and Psychology in the Abhidharma, Berkeley-London 1976.
17
Einleitung
trotz eines differenzierten philosophischen Systems 23 - sehr viel stärker die Erfahrung und die Meditationspraxis betonten, um auf diesem Wege Buddhas Erleuchtung im eigenen Geist zu erlangen. Viele Texte (sutras), die etwa ab unserer Zeitrechnung entstanden sind (Mahayana), betonen diesen Weg. Im Zentrum stehen dabei die Kultivierung von Mitgefühl und die Meditationsübung, um praktisch die Schranken des Ich-zentrierten Denkens und Wahrnehmens zu überwinden. Aufgrund der Betonung der eigenen Erfahrung und der Praxis der Meditation werden die Anhänger dieser Nur-Geist-Schule (Cittamatrin) auch »Yogacharas« (Anhänger der Yoga-Praxis) genannt. Der chinesische Chan- und der japanische Zen-Buddhismus kommen aus dieser Tradition, in der die Logik eher als Hindernis gilt, die eigene Buddha-Natur zu erkennen. Auch die älteste tibetische Tradition (Nyingmapa) hat eine besondere Lehre entwickelt (Dzogchen), die auf der direkten Erfahrung beruht.24 Ähnliche Schulen gibt es im Tantrismus, die ein sehr enges Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler voraussetzen und über eine Transformation aller Erfahrungen das Gewahrsein eines Buddhas erreichen wollen.25 Ich breche meine kurze Skizze hier ab. Eine Reihe der aufgeworfenen Fragen werde ich auf den nachfolgenden Seiten wieder aufgreifen. Wenn man die grobe Einteilung von Rationalismus und Metaphysik bemüht, kann man unschwer Parallelen in der europäischen Philosophie entdecken. Der äußere Denkstil vieler buddhistischer Erkenntnistheoretiker erinnert an den englischen Empirismus oder die
23
24
25
18
Vgl. Stefan Anacker: Seven Works of Vasubandhu, Delhi et al. 1986. Vgl. John M. Reynolds: The Golden Letters, Ithaca 1996; Dalai Lama: Dzogchen, Ithaca 2000. Vgl. Herbert V. Guenther: Tantra als Lebensanschauung, Bern-München 1974.
Buddhismus interkulturell gelesen
analytische Philosophie. Andere Autoren betonen wiederum eine große Nähe zwischen dem Deutschen Idealismus oder der Philosophie Heideggers und den ostasiatischen, japanischen Schulen des Buddhismus. Viele weitere Vergleiche lassen sich in der Literatur finden. Doch es zeigt sich rasch, daß derartige Analogien oft zu kurz greifen. Die Praxis der »Geistesschulung« im Buddhismus - Hintergrund fast aller buddhistischen Philosophen - ist in der abendländischen Tradition weitgehend unbekannt. Somit hat auch die buddhistische Logik eine andere Bedeutung. Umgekehrt gibt es in der mystischen Tradition, in der Gnosis oder in einigen kontemplativen Orden des Christentums, Judentums und des Islams Ansätze, die eben dieser Praxis durchaus nahe kommen - dort allerdings fast immer getrennt von einer kritisch-philosophischen Reflexion. Es ist also nicht schwer zu erkennen, daß sich die europäische und die buddhistische Tradition vielfältig gegenseitig befruchten können. Die im Buddhismus gepflegte geistige Disziplin scheint mir ein wirksames Gegenmittel gegen viele postmoderne Schaumgebilde zu sein, die sich als Erbe europäischen Denkens verstehen. Umgekehrt kann die analytische Philosophie durch eine Spiegelung in der buddhistischen Tradition viele implizite Voraussetzungen der eigenen Denkrichtung erkennen (vgl. Kapitel 2). Schließlich - und das war eines meiner Hauptanliegen in bislang publizierten Texten26 - kann die buddhistische Ethik ein rationales Korrektiv bei aktuellen ethischen Fragestellungen sein (vgl. Kapitel 3.1 und 3.4).
26
Vgl. Karl-Heinz Brodbeck: Wirtschaftsethik aaO.; Karl-Heinz Brodbeck: Ethik und Moral. Eine kritische Einführung, Würzburg 2003, Kapitel 4.1.3.
19
Erkennen
2. Erkennen 2.1. Theorien über das Erkennen Theorien der Erkenntnis entstehen immer dann, wenn das menschliche Erkennen fragwürdig geworden ist. Als die Sophisten im frühen griechischen Diskurs die Beliebigkeit der Meinungen, die alle nebeneinander gelten, durch rhetorische Kunststücke zu beweisen versuchten, entwickelte Platon eine Erkenntnistheorie, die es erlauben sollte, die Wahrheit in oder neben den Meinungen (doxa) zu erkennen. Ebenso kann man die scholastische Erkenntnislehre als Antwort auf die Frage sehen, wie tradierte, nur durch Glauben zugängliche Erkenntnisquellen mit dem Wissen aus anderen Quellen zu vereinbaren sind. Von Thomas von Aquin bis zu Wilhelm von Occam reichen hier die Denkmodelle. Schließlich läßt sich die Erkenntnistheorie von Rene Descartes, den englischen Empiristen und von Immanuel Kant als Lösungsversuch betrachten, die Vernunfterkenntnis und die Empirie der Wissenschaften in Einklang zu bringen. Jede Erkenntnistheorie, jedes Erkennen der Erkenntnis sieht sich rasch in einem Zirkel gefangen, auf den Hegel hingewiesen hat: »allein es schleicht sich auch bald das Missverständnis ein, vor dem Erkennen schon erkennen oder nicht eher ins Wasser gehen zu wollen, bevor man schwimmen gelernt hat.«1 In einem Kreis gibt es keinen Anfang, wohl aber gibt es ein »Ende«: Man kann aus dem Zirkel aussteigen. Eben das ist der Kern der buddhistischen Philosophie. Sie will Auswege aus der Gefangenschaft in einer Welt der Begriffe aufzeigen. Und obgleich es hierzu durchaus viele Anklänge in der europäischen Tradition gibt, 1
20
Georg W. F. Hegel: Enzyklopädie, Werke Bd. 8, S. 114. Vgl. zur Zirkularität der Erkenntnis Karl-Heinz Brodbeck: Zirkel aaO., Kapitel 3.4.
Theorien über das Erkennen
präsentiert sich die buddhistische Erkenntnistheorie doch durch einige einzigartige Einsichten. Ich möchte einige dieser Einsichten in ihrer Differenz zur abendländischen Philosophie herausarbeiten. In einer groben Vereinfachung kann man sagen, daß die Erkenntnistheorie folgende Frage stellt: »Wie gelingt es einem Subjekt, gültige Aussagen über Objekte zu machen?« Die Erkenntnistheorie versucht, die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt zu erklären. Ins Zentrum der europäischen Diskussion ist hierbei die Sinnlichkeit gerückt. Die Sinneserfahrung gilt als Verbindungsglied zwischen der subjektiven und objektiven Welt, zwischen der Welt des Bewußtseins und der Welt der Dinge. Durch die sinnliche Er-fahrung (die Empirie) soll die Dualität zwischen Subjekt und Objekt aufgehoben werden, und diese Aufhebung nennt man »Erkenntnis«. Ein erkannter Gegenstand nimmt als »Erkenntnis« eine subjektive Form an: als Erinnerungsbild, als Aussage usw. Die Erkenntnisform unterscheidet sich also vom Objekt, dessen Erkenntnis sie sein möchte. Eine Erkenntnis bezieht sich auf ein Objekt, sie ist aber nicht das Objekt. Wir erinnern uns an Bäume und Häuser, doch wir haben keine realen Bäume und Häuser im Kopf. Diese seltsame Struktur gilt als das eigentliche Rätsel des Erkennens. Neben die unmittelbare Sinneserfahrung, gleichwohl untrennbar mit ihr verknüpft, treten die Formen der Dinge, die wir auch mit Wörtern bezeichnen. Diese Formen werden zu Begriffen. Und eben diese Beziehung zwischen allgemeinen Begriffen und vereinzelter Sinneserfahrung stellt das große Rätsel der Erkenntnistheorie dar. Die abendländische Philosophie hat dieses Rätsel auf verschiedene Weise zu lösen versucht. Eine besondere Rolle spielt hierbei die Metapher vom Licht. Durch das Licht kann ein Baum einen Schatten werfen. Der Schatten hat ähnliche Konturen wie der Baum. Platon hat im siebten Buch seiner
21
Erkennen
Politeia (dem Buch vom Staat) diesen Gedanken in seinem berühmten »Höhlengleichnis« entwickelt. Platon beschreibt hier Menschen in einer Höhle, »von Kindheit an gefesselt an Hals und Schenkeln«, die vom Höhleneingang weg »nur nach vorne sehen«2. Vom Eingang der Höhle fällt Licht ein, und die Gefesselten sehen nur die Schatten vorbeiziehender Gestalten. Diese »Schatten« setzt nun Platon in Beziehung zu dem, was wir in der Sinnlichkeit wahrnehmen und uns darüber »Meinungen« (doxa) bilden. Das Licht strahlt von einem anderen Ort her, an dem sich die Modelle der Dinge, ihre Urbilder, die Ideen befinden. Die christliche Theologie hat diesen Ort später als »Geist Gottes« identifiziert, der durch die Schöpfung den Dingen ihre Form gemäß seinen »Ideen« verleiht. Da die Dinge also - wenigstens schattenhaft - durch eine von ihnen verschiedene Form geprägt sind, kann man auch sagen, daß die Dinge aus Form und Materie bestehen. Das war die Lösung von Aristoteles. Wir sind in der Erkenntnis fähig, die Formen der Dinge »abzuziehen«, zu abstrahieren. Andere meinten, die Dinge senden unaufhörlich Bilder aus, die wir in der Erkenntnis empfangen. Die Erfahrung der darin möglichen Täuschungen hat jedoch auch andere Erklärungen erzeugt: Kant verlegt die Formen der Dinge ganz ins Subjekt und sagt, beim Erkennen formen wir aktiv die Sinneseindrücke zu dem, was wir wahrnehmen. Die Formen sind also vorgängig im Subjekt vorhanden und werden einer formlosen Sinnes- oder Erfahrungsmaterie übergestülpt. Die nachfolgende Philosophie hat diesen Gedanken Kants vielfach umgedeutet und weiterentwickelt. Im 20. Jahrhundert hat man die Formen der Dinge durch Aussagen über sie ersetzt (linguistic turn). Dennoch bleibt die grundlegende, von Piaton eingeführte Blickrichtung gewahrt: Er-
2
22
Politeia 514a; Piaton: Werke Bd. 3, Hamburg 1958, S. 224.
Theorien über das Erkennen
kennen ist ein von den Handlungen in der wirklichen Welt getrennter Prozeß. Unsere Erklärungen und Beschreibungen der wirklichen Welt sind in einem getrennten Reich zu Hause (Ego, Sprache usw.), das Modelle für die Welt liefert. Diese Modelle sind mehr oder weniger gute Erklärungen für eine objektive Realität. Zwar werden in philosophischen Texten immer wieder auch Theorien diskutiert, wonach die Welt nur eine Projektion des Egos, ohne eigene Realität darstellt (»Solipsismus«). Doch man kann leicht bemerken, daß es sich hier eher nur um Sprachspiele handelt, die im Alltag oder in der Praxis der Wissenschaften keine Rolle spielen. Die Erkenntnistheorie hat sich deshalb auch mehr und mehr als reine Wissenschaflstheorie gemausert. Ihre Aufgabe besteht heute darin, zu erklären, wie gültige wissenschaftliche Erkenntnisse zustande kommen. Der Horizont der Wissenschaft kann als Hauptlinie erkenntnistheoretischer Fragestellungen in der abendländischen Philosophie von Descartes, den englischen Empiristen bis zu Kant und der modernen sprachanalytischen Philosophie beobachtet werden. Die buddhistische Lehre von der Erkenntnis unterscheidet sich von dieser Blickrichtung grundlegend. Die Aufgabe der buddhistischen Philosophie besteht nicht darin, Kriterien für gültige Modelle der Welt zu liefern. Die Erfahrung Buddhas (seine »Erleuchtung«), die von seinen Nachfolgern beschrieben und praktisch nachvollziehbar tradiert wurde, geht von völlig anderen Voraussetzungen aus. Zwar ist auch hier das Ziel, eine von Irrtum freie Erkenntnis der Welt zu erlangen - diesen Anspruch teilt der Buddhismus mit der wissenschaftlichen Philosophie. Er teilt aber nicht den impliziten Denkhorizont dieser Philosophie. Die abendländische Erkenntnistheorie dient dazu, die Welt durch ihre Erkenntnis besser beherrschen zu können, und - wie die rasante technische Entwicklung zeigt - sie ist darin auch in einer Hinsicht sehr erfolgreich. Obgleich die Wissenschaftstheorie
23
Erkennen
vorgibt, wertfrei nach der Gültigkeit von Aussagen über die Welt zu streben, wird stillschweigend vorausgesetzt, daß es für die Menschen hilfreich, nützlich, ja sogar ihrem Glück förderlich ist, wenn sie über möglichst viele Modelle zur Weltbeherrschung verfügen. Kant drückt dies so aus: »Alles läuft zuletzt auf das Praktische hinaus; und in dieser Tendenz alles Theoretischen und aller Spekulation in Ansehung ihres Gebrauchs besteht der praktische Wert unseres Erkenntnisses.«3 Wenn Karl Marx in seiner elften These über Feuerbach sagt: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern«4, so spricht er aus, was in der Philosophie der Moderne als allgemeine Tendenz die Erkenntnisbemühungen bestimmt hat. Diese Tendenz erscheint am kürzesten im Verum-Factum-Prinzip von Giambatista Vico, das besagt, daß nur wahr ist, was wir machen können.5 Nun geht auch die buddhistische Philosophie davon aus, daß Menschen sich unaufhörlich bemühen, durch ihre Handlungen die Welt zu verändern, um Glück darin zu finden. Der nüchterne Blick auf die Realität zeigt aber - und daran hat sich in den 2.500 Jahren seit der ersten Verkündigung dieser Einsicht als Lehre nichts geändert - die Erfolglosigkeit dieser Bemühungen. Menschen finden in der Welt nur vereinzelt und zeitweilig Glück. Die überwiegende Mehrzahl lebt in einer Welt voller Leiden, und auch die Kinder des Glücks sehen dem todsicheren Ende ihrer besseren Erfahrungen entgegen. Buddha teilt also nicht die Diagnose der Moderne, damit die implizite Voraussetzung der
Immanuel Kant: Logik, Werke Bd. VI, S. 518. Karl Marx: Marx-Engels-Werke Bd. 3, S. 7. 5 »Wissenschaftliches Wissen zu haben heißt nämlich, im Besitz der Weise oder der Form zu sein, durch die ein Ding zur Entstehung kommt.« Giambattista Vico: Liber metaphysicus, München 1979, S. 51.
3 4
24
Buddhismus als kritische Philosophie
abendländischen Erkenntnistheorie, daß Erkenntnisse der Weltbeherrschung dienen sollten und daß nur in einer besseren Weltbeherrschung die Menschen ihr Glück finden. Allgemein ausgedrückt lautet die grundlegende Diagnose des Buddhismus: Die Welt ist ein Ort der Abhängigkeit; die Wesen erleiden diese Welt. Der Grund für diese Abhängigkeit (die »Sachzwänge der Realität«) ist aber nicht eine göttliche Strafe für die Sünden unserer Vorfahren, der Grund ist eine illusionäre Wahrnehmung dieser Welt. Mehr noch. Die Welt ist nur eine illusionäre, in verdunkeltem Wissen gründende Wahrnehmung. Deshalb kann man zwar - und das ist ein zentrales Anliegen aller Buddhisten - das Leiden in der Welt mindern durch eine verbesserte Erkenntnis, aber man kann nicht die Welt insgesamt in ein Paradies verwandeln, von dem mehr oder weniger wissenschaftliche Utopien träumen.
2.2. Buddhismus als kritische Philosophie Es ist deshalb wichtig, den besonderen Charakter der buddhistischen Philosophie deutlich herauszustellen: »Kritik ist die Essenz der Lehre Buddhas«6. Buddha lehrt »mit Unterschied und ist hierin nicht einseitig in seiner Lehre«. Man bezeichnet deshalb die buddhistische Lehre als »die differenzierende, analytische oder kritische Lehre« (vibhajjavada).7 Insofern ist die buddhistische Philosophie eine kritische Philosophie. Allerdings gilt es, den Sinn von »Kritik« hier nicht vorschnell mit den philosophischen Bemühungen seit Kant gleichzusetzen. Es geht zunächst sicher nicht um das,
6
7
T. R. V. Murti: The Central Philosophy of Buddhism, London 1980, S. 8. »Buddhism is critisism«, Noriaki Hakamaya: Critical Philosophy versus Topical Philosophy; in: Jamie Hubbard, Paul L. Swanson (Hg.): Pruning the Bodhi Tree, Honolulu 1997, S. 56. Anguttara-Nikaya X.94, hrsg. v. Nyanaponika, Band 5, Freiburg im Breisgau 1984, S. 91 und Kommentar S. 133, Note 119.
25
Erkennen
was man in der Alltagssprache oft als »Kritik« bezeichnet, also jemand zu kritisieren, ein Werturteil über eine Person oder Sache auszusprechen. Diese Art von »Kritik« wird von Buddha ausdrücklich abgelehnt.8 Auch die spätere Erkenntnislehre der Buddhisten hat diese Tradition ungebrochen gewahrt. Im indischen System der Nyaya, einem logischen System mit deutlich realistischer Tendenz, wird z.B. gesagt, daß es bei einem (in Indien sehr häufigen und sehr verbreiteten) Streitgespräch vor allem darauf ankomme, den Gegner im Gespräch zu besiegen. Diese Schule weist darin eine gewisse Nähe zu einigen Rhetorikern unter den griechischen Sophisten auf. Dharmakirti hat sich mit dieser Position ausführlich auseinandergesetzt und sie nachdrücklich kritisiert. »Kritik« in einem Streitgespräch sollte immer einen Charakter haben wie ein Gespräch zwischen Lehrer und Schüler oder der Schüler untereinander. So lehnt Dharmakirti die Nyaya These der Debattenführung ab, daß Betrügen ein Teil des Diskurses sein kann, nur weil man das Ziel des Sieges habe. Diese Art der »Kritik«, worin der Zweck die Mittel heiligt, wird ausdrücklich verworfen. 9 Nicht jede Verwendung von Sprache ist schon eine argumentative Debatte, ein wirklicher Diskurs. In einem Diskurs, der auf Erkenntnis gerichtet ist, bleibt das Erkenntnisziel zugleich die Norm des Sprechens. Jede Art von Debatte mit Mitteln, die nicht aus Argumenten gewonnen werden, ist kein Diskurs und kann auch nicht der Verteidigung von bestimmten Denkformen oder Überzeugungen dienen.
8
9
26
Vgl. Samyutta-Nikaya IV, 56.9-10. Vgl. W. Geiger, Nyanaponika, H. Hecker (Hg.): Die Reden des Buddha, Herrnschrot 1997. Pradeep F. Gokhale (Hg.): Vadanyaya of Dharmakirti, Delhi 1993, S. XV. Vgl. auch Asangas »Regeln der Debatte«, Alex Wayman: A Millenium of Buddhist Logic, Delhi 1999, S. 3-41, vor allem S. 32f.
Buddhismus als kritische Philosophie
Dharmakirti sagt deshalb, daß jede »negative Debatte (mit unlauteren Mitteln) dadurch widerlegt ist, denn es gibt keinen Diskurs bei Abwesenheit einer (argumentativ vorgetragenen) Hypothese.«10 Auch wer in einer Debatte schweigt oder den Diskurs verläßt, hört auf zu argumentieren, widerspricht damit der zunächst durch seine Teilnahme an der Debatte bekundeten Absicht, Argumente vorzutragen.11 Man erkennt hier unschwer Überlegungen von Schleiermacher, Apel, Habermas und der Diskursethik wieder.12 Welche Bedeutung hat nun aber der Begriff »Kritik« im Buddhismus genau? Es geht, wie der Blick auf die von Dharmakirti analysierte Struktur der Debatte zeigt, um die Kritik falscher Urteile - gleichgültig, wer sie vorträgt. Dies nicht zu dem Zweck, »Recht zu behalten«. Vielmehr beruht diese Kritik auf der Einsicht, daß falsche Urteile den Menschen, die sie aussprechen oder ihnen folgen, Schaden zufügen, also - buddhistisch ausgedrückt - deren Leiden vermehren oder überhaupt hervorbringen. Das Ziel buddhistischer Kritik ist ein soteriologisches; es geht darum, falsche Gedanken in ihrer verblendenden Macht über das Bewußtsein der Menschen zu mindern und schließlich ganz aufzuheben. Das »Mittel« zur Erreichung dieses Ziels ist das vorbildliche Handeln, der ruhige, klare Diskurs und vor allem die Selbsterkenntnis. Der Gegenstand der Kritik im Buddhismus ist dabei zwar eine verkehrte oder verdunkelte Erkenntnis, die sich über-
10 11
12
Pradeep P. Gokhale: Vadanyaya § 83 aaO., S. 135. Dharmakirti nennt diesen Fehler »notstating a constituient of proof after stating the hypothesis in debate.« Pradeep P. Gokhale: Vadanyaya § 84 aaO., S. 136. Vgl. Karl-Otto Apel: Diskurs und Verantwortung, Frankfurt a.M. 1988; Jürgen Habermas: Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt a.M. 1991; Karl-Heinz Brodbeck: Ethik aaO., Kapitel 2.3 und 4.2.6.
27
Erkennen
wiegend in falschen Gedanken äußert, und ihre Ersetzung durch ein wahres Urteil.13 Doch anders als in der abendländischen Logik beschränkt sich diese Kritik nicht auf den intentionalen Inhalt von Aussagen. Die Bedeutung von Aussagen kann in der Logik seit Aristoteles wahr oder falsch sein. Aussagen sind, in diesem Verständnis, logisch oder empirisch falsch: »Ein Quadrat ist rund« ist ein logisch-analytisch falscher Satz; »Hasen haben Hörner« wäre ein empirisch falscher Satz. In dieser Orientierung an logischen oder empirischen Inhalten von Aussagen bleibt nicht nur ausgeklammert, was »Bedeutung« überhaupt »bedeutet«14, das Denken wird in seiner erlebten Funktion gar nicht untersucht. Genauer gesagt: Die Logik und Erkenntnistheorie überträgt diese Aufgabe der Psychologie des Denkens. Doch gerade diese Arbeitsteilung zwischen Logik (die sich um die intentionalen Inhalte kümmert) und Psychologie (worin die Performation der Gedanken untersucht wird) läßt zentrale Fragen der Erkenntnis im Dunkeln. Zwar hat die Sprechakttheorie, in der das Denken in »Sprechhandlungen« eingebettet wird, dem performativen Aspekt einige Aufmerksamkeit geschenkt und insofern diesen Mangel etwas ausgeglichen. Die unmittelbare Erfahrung mit dem Denken selbst wird darin aber nicht in den Blick genommen. Das ist der Grund für die besondere Wichtigkeit der Meditationspraxis im Buddhismus. Die Achtsamkeit auf das eigene Denken, auf dessen situative Einbettung, auf die »Macht« der bedrängenden Gedanken usw. ist eine wesentliche Voraussetzung aller »Philosophie«. Die Meditationspraxis kontempliert den Denkprozeß in allen seinen Aspekten, und die »:To be critical‹ is similar in meaning :to judge‹«, Kenneth K. Tanaka: The Dawn of Chinese Pure Land Buddhist Doctrine, New York 1990, S. 151. 14 Vgl. Hilary Putnam: Die Bedeutung von »Bedeutung«, Frankfurt a.M. 1979. 13
28
Das Subjekt der Erkenntnis
darin gewonnene Erfahrung dieser »Wissenschaft des Geistes«15 ist die Grundlage der buddhistischen Erkenntnislehre. Zu dieser Denkerfahrung gehört auch die Fähigkeit, logisch korrekt zu denken; dies jedoch vor dem Hintergrund eines Erfahrungswissens, das beim »Denken im Leerlauf« in einer langen Meditationspraxis gewonnen wurde.
2.3. Das Subjekt der Erkenntnis Die abendländische Tradition der Erkenntnistheorie geht -auch in ihrer skeptischen Form - wie selbstverständlich davon aus, daß die Gedanken völlig fügsam und glatt, daß sie vollkommen der Macht des Subjekts unterworfen sind. »Der Geist«, sagt David Hume, »hat die Macht über alle seine Ideen und kann sie trennen, vereinigen, mixen und variieren, wie es ihm gefällt.«16 Hierzu wird ein geübter buddhistischer Praktizierender einfach sagen: »Schon ausprobiert?« Der Geist ist, wie Buddha sagt, ein »ungebändigter Affe, der von einem Ast zum nächsten greift«17. Die Beherrschung des Denkprozesses ist weit davon entfernt, eine natürliche Gabe der Menschen zu sein. Ganz im Gegenteil. Das Denken, seine Performation, wird nicht beherrscht, wenn man logische Regeln erlernt oder sich an erkenntnistheoretische Prinzipien hält. Es bedarf hierzu einer langen Übung, großer Disziplin und der Fähigkeit zur Selbstkritik. Denn anders als die Formulierung von Hume vermuten läßt, ist »der Geist« (oder das denkende Ego) nicht eine Entität, die neben dem Denken vorgefunden werden kann. Hume selbst hat das an anderer Stelle sehr klar gesagt: Das Ich, das Subjekt dieses Denkens, das angeblich Macht über
15
16 17
Dalai Lama, J.-C. Carriere: Die Kraft des Buddhismus und der Zustand der Welt, Freiburg 1998, S. 125. David Hume: A Treatise of Human Nature, Book I, Glasgow 1962, S. 324. Samyutta-Nikaya 11.96
29
Erkennen
die Gedanken besitzt, kann neben seinen Erfahrungen gar nicht gefunden werden.18 Wenn man also »Kritik« einfach als Urteilsfähigkeit begreift - sie ist das immer auch -, so verkennt man die Natur des Denkens, die nicht durch eine objektivierende Psychologie erkannt wird, sondern nur durch die Erfahrung mit dem Denkprozeß selbst. Kant hat seiner Metaphysik, seiner Erkenntnislehre den Titel einer »Kritik« zuerkannt. Sein Begriff der Kritik besagt, »daß das Denken selbst sich untersuchen soll, inwiefern es zu erkennen fähig sei.«19 Diese Forderung entspricht durchaus dem, was auch in der buddhistischen Geistesschulung geübt wird. Allerdings wird der Begriff der Erkenntnis hier sehr viel umfassender verstanden. Kants »Fähigkeit zu erkennen« wird im Buddhismus wörtlich genommen: Man kann die Erkenntnisprozesse erst dann in ihrer inneren Kraft und Dynamik, in ihrer Reichweite und Verläßlichkeit durchschauen, wenn man das Denken als Fähigkeit performativ beherrscht. Die Illusion, ohne lange Übung »Macht über seine Gedanken« zu haben, verleitet leicht zu einem weiteren Mißverständnis. Dieses Mißverständnis ist untrennbar von der abendländischen Denktradition. Ja, man kann sogar sagen, daß die abendländische Denktradition die Entfaltung dessen ist, was aus buddhistischer Perspektive als zentrales Mißverständnis erscheint. Es gründet in der Lehre von Aristoteles, daß jedes Ding doppelt zu betrachten sei, nämlich als eine Substanz und die ihr nur äußerlich zukommenden Attribute. Ein Tisch ist ein Tisch als Substanz; daß er rund, braun oder lackiert ist, dies kommt ihm als Attribut nur äußerlich, zufällig zu.
18
»I never can catch myself at any time without a perception«.
19
30
David Hume: A Treatise aaO., S. 301. Georg W.F. Hegel: Enzyklopädie aaO., S. 114.
Das Subjekt der Erkenntnis
Dasselbe gilt für die Menschen. Sie haben eine Substanz, die in der Tradition »Ego« genannt wird, und zu dieser Substanz kommen andere Aspekte hinzu. Einige davon sind für den Menschen wesentlich, wie das Denken, weshalb der Mensch auch als »denkendes Lebewesen« (animal rationale) bezeichnet wird, andere sind ihm äußerlich (wie Hautfarbe, Größe usw.). Das Denken wird also von dem Subjekt, das denkt, unterschieden. Descartes drückt das am klarsten aus, wenn er sagt, »daß ich, der ich Bewußtsein habe, mich von meinem Bewußtsein unterscheide«, daß also »alle die Bewußtseinsarten mir einwohnen«. 20 Es gibt ein Ego, und dieses Ego vollzieht das Denken. Deshalb hat es auch scheinbar Macht über das Denken, ist es doch von diesem Denken getrennt, obgleich alle Gedanken sich in ihm befinden. Für Descartes wird am Denken die eigene Existenz deutlich. Sein Satz cogito ergo sum spricht also nicht eine schlichte Identität aus (das Denken ist das Ego), sondern gibt nur eine Erkenntnisquelle an.21 Das Denken gilt als Tun eines Subjekts, so daß »wir uns keine Tätigkeit denken können ohne ihr zugehöriges Subjekt, wie das Denken nicht ohne eine denkende Sache, da das, was denkt, nicht nichts ist.«22 Diese cartesische Auffassung vom Denken hatte durchaus Vorläufer, sowohl in Europa wie in Indien. Die Ausdrucksweise war eine andere - die Griechen und die mittelalterliche Psychologie sprachen von denkender Seele -, kaum aber die Sache. Die indische Philosophie kennt ein Äquivalent für diesen Gedanken. In der hinduistischen Spekulation trat immer mehr der Begriff des Atman, des »Selbst«, in den Vordergrund. Die Kategorie des Atman entwickelte sich aus einer lebendigen Erfahrung: dem Atmen. In der indischen 20 21
22
Rene Descartes: Meditationen, Leipzig 1915, S. 160f. Man kann auch sagen: Denken ist für Descartes Erkenntnisgrund des Egos, das Ego aber Seinsgrund des Denkens. Rene Descartes: Meditationen aaO., S. 198.
31
Erkennen
Tradition wird ein kontinuierlicher Denkzusammenhang deutlich, der beim Vergleich zwischen europäischem und chinesischem Denken als beinahe unüberbrückbarer Gegensatz erscheint. Frangois Jullien hat die besondere Rolle betont,- »die man in China der Atmung beimißt.«23 Und Jullien fährt fort: »Sehen Sie nur wie viele Philosophien einander in Europa abgelöst haben, sich kritisiert, gegenteilige Gedanken vertreten haben, kurz, wie sie alle einen Neuanfang suchten und dennoch alle mit einer Philosophie der Wahrnehmung angefangen haben: ohne je zu denken - daran zu denken -, was eine Philosophie der Atmung als anderer möglicher Anfang für die Philosophie wäre.«24 Julliens Bemerkung ist für unseren Zusammenhang sehr wichtig. Ich kann ihm allerdings nicht zustimmen, daß, wie er sagt, die indische Tradition mit der europäischen innerlich verwandt sei, allein aufgrund der Sprache. Vielmehr läßt sich gerade in Indien eine Entwicklung beobachten, die mit einer Philosophie der Atmung beginnt und bei Kategorien anlangt, die der abendländischen Tradition nahe verwandt sind. Die ursprüngliche Bedeutung von Atman war am Vorbild des Atmens abgeschaut: Ein lebendiger, dynamischer Prozeß, den man weder im Raum noch zu einem Zeitpunkt verorten kann. Diese »einfache, aber so tiefe Erfahrung des lebenspendenden Rhythmus des Atems [...] wurde bald ein Opfer philosophischer Spekulationen und degenerierte zu einem abstrakten Begriff, in dem der dynamische Charakter des ursprünglichen Erlebens in den statischen Zustand eines absoluten Ich verkehrt wurde.«25 Da Buddha in einem spekulativen Umfeld, das aus dem Begriff des Atman einen zeitlos-ewigen, göttlichen Zustand als 23 24 25
32
Frangois Jullien: Der Umweg aaO., S. 112. Frangois Jullien: Der Umweg aaO. Anagarika Govinda: Die psychologische Haltung der frühbuddhistischen Philosophie, Zürich-Stuttgart 1962, 24f.
Das Subjekt der Erkenntnis
Grund der Welt gemacht hat, eine Lehre verkündet, die auf den ersten Blick das schlichte Gegenteil behauptet, ist es wichtig, diese Entwicklung im Auge zu behalten. Wenn Buddha seine Erfahrung der Welt in der berühmten Formel zusammenfaßt: Alle Phänomene der Welt (dharmas) sind vergänglich, leidhaft und deshalb ohne Selbst (anatman), so klingt dies nach einer direkten Verneinung der Lehre vom ewigen, zeitlosen Atman. Und tatsächlich sagt Buddha: Der Glaube an einen ewigen Atman, daran, daß man nach dem Tode »beständig, immerwährend, ewig fortleben werde« ist eine »ganz und gar närrische Lehre«.26 Formal ist Nicht-Atman (anatman) nur die Negation der Lehre vom Atman. Es sieht so aus, als hätte Buddha damit auch schlichtweg das Subjekt jeglicher Erkenntnis geleugnet oder verneint. Und tatsächlich sagt Buddha ausdrücklich das Gegenteil dessen, was Descartes - wie bereits zitiert - so ausdrückt, daß »wir uns keine Tätigkeit denken können ohne ihr zugehöriges Subjekt«27. In der Visuddi-Magga, einem Kompendium buddhistischer Philosophie, heißt es dagegen: »Bloß Taten gibt es, doch kein Täter findet sich.«28 Im Buddhismus sieht man im psychologischen und im Erkenntnissubjekt keine feste, »kernhafte« Wesenheit oder Entität. Tatsächlich negiert der Buddhismus die Existenz eines dauerhaften Egos als Substanz subjektiver Phänomene. Wenn man sich aber an die Herkunft des Atman-Begriffs erinnert, so wird unmittelbar eine ganz andere Blickrichtung als in der westlichen Philosophie erkennbar. Der Atem ist die Bewegung des Lebens. Eine solche Bewegung als starre, gar ewige Entität zu interpretieren, das ist für Buddha tatsächlich eine »närrische Lehre«, eine contradictio in adjecto. 26
Majjhima-Nikaya 22 aaO., S. 78.
27
Rene Descartes: Meditationen aaO., S. 198. Visuddhi-Magga XVI, übers, v. Nyanatiloka, Konstanz 1952, S. 597.
28
33
Erkennen
Ein Ich-Kern läßt sich weder logisch mit einer sich wandelnden Verkörperung vereinbaren, noch kann solch ein Ich-Kern empirisch gefunden werden. Daß dieser Prozeß »die Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle andere muß begleiten können, und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist«29, läßt sich bei einer sorgfältigen und lange geübten Selbstbeobachtung nicht als Erfahrung bestätigen. Im Gegenteil: Eine Identität der Substanz im Wandel des Denkens und Fühlens ist eine Konstruktion, die auch logisch nicht zu verteidigen ist, keine Erfahrung.
2.4. Der Ort von Subjekt und Objekt Die Verneinung der These von einem transzendentalen, unwandelbaren Ich-Kern bedeutet aber nicht, daß man deswegen einen Nihilismus vertreten müßte. Die Dynamik des subjektiven Erlebens ist zugleich ein Prozeß des Erkennens. Das Subjekt der Erkenntnis verändert sich - übrigens auch physisch durch einen alternden Körper - mit seinen Erkenntnisobjekten. Der Buddhismus lehnt die Vorstellung ab, daß ein gegebenes, unveränderliches Subjekt der Erkenntnis einer Welt des Wandels gegenübersteht, um aus dieser Welt des Wandels, der sich ändernden Meinungen usw. jeweils das »Bleibende« als das Surrogat der Wirklichkeit herauszupräparieren. Genau dieser Gedanke ist das Erbe der platonischen Philosophie: In der Welt der Schatten, der Meinungen, der Sinnlichkeit »leuchten« die ewigen Ideen, die von einer gleichfalls ewigen, unsterblichen Seele im Akt der Erkenntnis »heimgeholt« werden. Solch eine Vorstellung ist das Resultat der Trennung des Erkenntnisaktes von der wirksamen Verbindung zwischen Subjekt und Objekt, und diese wirksame Verbindung ist nicht eine nur abstrakt thematisierte »Sinnlichkeit«, sondern - wie der Atem - der gesamte Le29
34
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, Werke Bd. 3, S.136.
Der Ort von Subjekt und Objekt
bensprozeß der Menschen. Man kann diesen Prozeß, seine Dynamik, nicht dadurch beschreiben, daß man ihn in zwei Reiche aufspaltet, deren zeitlose Beziehung dann als »Grundfrage der Erkenntnistheorie« diskutiert wird. Es gibt nicht ein getrenntes Subjekt, das sich - eher gelegentlich - auf eine »Außenwelt« bezieht, um sie, wie Platon nahelegt, »an Hals und Schenkeln gefesselt«, rein passiv-kontemplierend zu erkennen. Vielmehr ist das Handeln und das Erkennen ein situativer Prozeß, in dem sich Subjekt und Objekt der Erkenntnis gegenseitig abhängig verändern. Dieser Prozeß vollzieht sich in einem »offenen Raum«, der allerdings auf spezifische Weise mental getrübt und deshalb nicht erkannt ist. In den frühen buddhistischen Suttas findet sich hier ein wichtiger Begriff, der nur schwer übersetzbar ist. In Pali, der Sprache Buddhas, heißt dieser Begriff Papanca. Er bedeutet, grob übersetzt, etwa »Entfaltung«, »Mannigfaltigkeit«, »Vielheit (Welt)«.30 Subjekt und Objekt sind Prozeßelemente, Modalitäten einer Dynamik, die von Papanca eröffnet, zugleich aber auf spezifische Weise eingeschränkt und eingetrübt wird. Subjekt und Objekt sind duale Dimensionen einer Offenheit, die als diese Offenheit in der abendländischen Erkenntnistheorie nie zum Thema wurde. Deshalb kann man, aus dieser Tradition kommend, kaum verstehen, inwiefern diese Dualität von Subjekt und Objekt bereits eine »Trübung« dessen darstellt, was sich einem reinen Erkennen darbietet. Der japanische, vom Buddhismus geprägte Philosoph Kitaro Nishida (1870-1945) bezeichnet jene Offenheit, in der sich Subjekt und Objekt dual entfalten, als »Ort« (Jap. basho). Nishida schreibt: »Um jedoch das Bewußtsein und den Gegenstand in eine Beziehung zu bringen, muß es etwas geben, das beide in sich umfaßt. Es muß so etwas geben wie 30
Nyanatiloka: Buddhistisches Wörterbuch, Konstanz 1976, S. 158; vgl. dazu Nänananda: Concept and Reality, Kandy 1976.
35
Erkennen
einen Ort, in dem sich beide aufeinander beziehen.«31 Dieser Basho ist in seiner ungetrübten Modalität mit einem Bewußtsein verbunden, das der buddhistischen Erleuchtungserfahrung entspricht. Seine alltägliche, seine kontaminierte Form oder Topologie ist eine verborgene Grundlage, auf der die Subjekt-Objekt-Trennung der Erkenntnistheorie thematisiert wird. Was ist konkret unter »Eintrübung« zu verstehen, und wie nähert man sich jenem »Ort«, jenem Papanca, von dem bereits die frühe buddhistische Philosophie spricht und die in der Philosophie des Mahayana-Buddhismus unter dem Begriff der »Leerheit« eine zentrale Rolle spielt? Vorläufig konzentriere ich mich auf die mit dieser Frage verbundene erkenntnistheoretische Problematik.32 Es ist hilfreich, wiederum einen interkulturellen Vergleich zu bemühen. Die erkenntnistheoretische Beziehung zwischen Subjekt und Objekt wurde in der Moderne als Frage nach der Sinnlichkeit, der Sinneswahrnehmung thematisiert. Die englischen Empiristen gingen von dem Gedanken aus, daß in der Wahrnehmung unverfälschte, begriffsfreie »Sinnesdaten« gegeben sind. Es soll nur im Verstand sein, was zuvor in den Sinnen war. Leibniz stimmte dieser Auffassung zu, fügte aber hinzu: »außer dem Verstand selbst«, der naturgemäß nicht aus der Sinnlichkeit abgeleitet werden konnte. Die empiristische Auffassung scheitert an der Möglichkeit von Täuschungen, denn wenn wir in den Sinnen nur objektive Sinnesdaten aufnehmen, so findet die Sinnestäuschung keine Erklärung. Kant kehrte den Gedanken um und lehrte, daß alle Formen unserer Erkenntnis schon »in uns sind«. In der Sinneswahrnehmung wird dem »Chaos der Impressionen« durch den Verstand erst eine Form gegeben. Die 31
32
36
Kitaro Nishida: Logik des Ortes, übers, v. R. Elberfeld, Darmstadt 1999, S. 74f. Vgl. weiter hierzu das Kapitel 4.
Der Ort von Subjekt und Objekt
Wahrheit unserer Vorstellungen überprüfen wir an der Sinneswahrnehmung. In der Nachfolge Kants wurde dann gesagt, daß die Modelle des Verstandes zur Beschreibung der Sinnlichkeit nicht im Verstand oder »angeboren« sind, sondern daß man viele solcher Modelle denken kann. Ferner hat sich ergeben, daß die »Sinnesdaten« immer schon vorgeformt vorliegen; eine strikte Trennung von Sinnesdaten und den Kategorien des Verstandes oder vorausgesetzten Modellen zur Erklärung läßt sich gar nicht vollziehen. Die Kantsche Dualität aus Erkenntnis a priori (im Verstand liegend) und a posteriori (aus den Sinnen kommend) ist keine ontologische Trennung. Der amerikanische Philosoph Willard van Orman Quine hat die Voraussetzungen des Empirismus kritisiert, man könne »Logik« und »Empirie« in zwei getrennte Reiche teilen. Gleichwohl hielt auch Quine daran fest, daß es so etwas wie eine empirische Basis als verläßliche Grundlage der Erkenntnis geben müsse, an der sich »das begriffliche Schema der Wissenschaft nach wie vor als Werkzeug, schließlich und endlich zur Vorhersage künftiger Erfahrung aufgrund vergangener Erfahrung«33 bewähren müsse. Vorhersagbarkeit als Ziel und empirische Basis als Grund bleiben also die Voraussetzung auch dieser Erkenntnistheorie. Donald Davidson hat schließlich auch diese Grundlage aufgehoben, wenn er sagt, daß man kein Kriterium dafür angeben könne, wozu eigentlich ein Modell, ein »Begriffsschema« relativ sein soll, um es zu überprüfen. Schon Quine ging davon aus, daß man Modelle nicht isoliert überprüfen kann, sondern daß sie »nur als kulturelle Setzungen in unser Denken« 34 kommen. Davidson radikalisiert diesen Gedanken durch die Feststellung, daß sich eine Trennlinie zwischen bloßen Meinungsunterschieden und 33
34
Willard van Orman Quine: Von einem logischen Standpunkt, Frankfurt a.M.-Berlin-Wien 1979, S. 48. Willard van Orman Quine aaO., S. 49.
37
Erkennen
der objektiven Gültigkeit von Begriffen nicht ziehen läßt: »Eine klare Grenze zwischen diesen Fällen ist eigentlich nicht zu erkennen.«35 Das bedeutet: Die moderne Erkenntnistheorie hat dazu geführt, die Erfahrungsgrundlage selbst in Zweifel ziehen zu müssen, sofem man nur konsequent die Struktur der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt reflektiert. Doch eben dies ist die Voraussetzung der buddhistischen Erkenntnislehre. Damit wird die radikale Dimension der buddhistischen Erkenntniskritik deutlich. Das, was in der abendländischen Tradition als Axiom jeder Erkenntnis gilt (»ein Subjekt erkennt ein in der Sinnlichkeit gegebenes Objekt«), erscheint im Buddhismus bereits als Privation des ursprünglichen Ortes, woraus die Dualität hervorgeht. Dieser Ort (papanca) hat die drei Dimensionen der Täuschung, die man traditionell durch die Begriffe »Gier«, »Haß« und »Verblendung« umschreibt. Weil sich die Erkenntnis bereits in einer Topologie der Verblendung vollzieht, gründen die Objekte des Erkennens wie auch das Subjekt der Erkenntnis in einer Täuschung. Wir nehmen nicht neutral und wertfrei, ungetrübt »klar und distinkt« (wie es bei Descartes heißt) wahr. Wir nehmen wahr in einer »Welt«, und das heißt genauer: Wir nehmen in einer Welt wahr, deren Dimensionen, deren begriffliche Matrix, in der wir denken, bereits die Täuschung enthält, die es zu durchschauen gilt. Das jedenfalls ist das buddhistische Erkenntnisziel. An die Stelle einer psychologischen, ontologischen oder erkenntnistheoretischen Beziehung zwischen Subjekt und Objekt tritt also im Buddhismus die Analyse jener Bedingungen, die diese Dualität erzeugen und der täuschenden Prozesse, die sich hierbei vollziehen. Der Ort dieser Dualität wird durch das Denken und Handeln getrübt. Es bilden sich 35
38
Donald Davidson: Wahrheit und Interpretation, Frankfurt a.M. 1986, S. 281.
Die Quellen der Erkenntnis
Gewohnheiten, die sowohl die Begriffe wie das Begriffene, das Denken wie die sinnliche Erfahrungsgrundlage durchziehen. Diese Gewohnheiten gelten als Trübungen (asavas) des einfachen Gewahrseins, und die Reinigung dieser Asavas ist die eigentliche Aufgabe der buddhistischen Praxis der Geistesschulung. Diese Gewohnheitsmuster sind aber die Grundlage aller Begriffsbildung.36
2.5. Die Quellen der Erkenntnis Jede Erkenntnistheorie muß die Frage beantworten, aus welchen Quellen gültige Erkenntnisse hervorgehen. Man kann hierbei zwei Quellen unterscheiden: die Wahrnehmung und logische oder rationale Schlußfolgerungen. Diese auch in der europäischen Philosophie bereits sehr früh erkennbare Zweiteilung muß jedoch differenziert werden, weil der Begriff der »Wahrnehmung« unbestimmt bleibt. Der englische Empirismus unterstellt hierbei eine gemeinsame Erfahrungsbasis, den common sense, ohne sich um die Problematik intersubjektiver Erfahrungen weiter zu kümmern. Zwar verfolgt der Empirismus das Programm, alle Modelle und Beschreibungen der Welt auf die Sinnlichkeit zurückzuführen, das Problem der Intersubjektivität dieser Erfahrung - für Platon noch eine zentrale Frage - bleibt aber weitgehend ausgeklammert. Auch moderne Empiristen wie Rudolf Carnap wollen »alle Begriffe auf das unmittelbar Gegebene zurückzuführen.«37 Carnap verfolgt hierbei die Strategie des »methodischen
36
37
The concept is what it is due to some kind of crystallization or fabrication, and this is brought about by the fermenting-agent - the asavas (influxes, cankers) as they are called.« Nanananda: Concept aaO., S. 78. Rudolf Carnap: Der logische Aufbau der Welt, Frankfurt a.M-Berlin-Wien 41974, XI. 39
Erkennen
Solipsismus«38. Darunter versteht er, daß man alle Erkenntnisse auf Einzelpsychisches (= die Erfahrung eines Egos) zurückführt, auch Fremdpsychisches. Daß dies in einen Zirkel mündet, ist leicht einzusehen. Wenn man zwischen Ich und Anderen (Ego und Alter) eine reale Differenz behauptet, so sind auch die Wahrnehmungswelten verschiedener Menschen verschieden. Wenn man also, in der Tradition von Descartes, die Erkenntnistheorie beim Ego verankert, bleibt der jeweils Andere das ewige Rätsel.39 Die stillschweigende Voraussetzung einer Erfahrungsgrundlage läßt sich so nicht verteidigen. Menschen machen verschiedene Erfahrungen. Heidegger hat in der Nachfolge Husserls die Voraussetzung eines in sich abgeschlossenen Egos als Grundlage der Erfahrung kritisiert und gezeigt, daß das Erkenntnisphänomen nicht durch ein Nebeneinander von Innen- und Außenwelt adäquat erfaßt wird40; gleichwohl setzt auch Heidegger seine Analyse bei einer »Durchschnittserfahrung« an. Er spricht nicht von common sense, sondern von einer »durchschnittlichen Alltäglichkeit«41. Diese Alltäglichkeit gilt als Ausgangspunkt seiner philosophischen Analyse (die beim frühen Heidegger »Fundamentalontologie« heißt). Man könnte sagen, daß damit Heidegger eine stillschweigende Voraussetzung der Moderne auf einen klaren Begriff bringt: Als »gültige Erkenntnis« gilt nur, was vom Durchschnitt der Menschen auch als gültig anerkannt wird. Nur das, was jedermann auch erfahren kann und was (wenigstens
38
39 40
41
40
Rudolf Carnap: Aufbau aaO., S. 86. Vgl. hierzu Karl-Heinz Brodbeck: Zirkel aaO., Kapitel 2 und 4. Dies wird unter dem Stichwort »Transzendenz« der Erkenntnis (Übergreifen des Egos in die Welt) diskutiert; Heidegger sagt: »Transzendenz ist nicht Struktur der Subjektivität sondern ihre Beseitigung!« Martin Heidegger: Zollikoner Seminare, Frankfurt a.M. 1987, S. 240. Martin Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen 121972, S. 16.
Die Quellen der Erkenntnis
prinzipiell) jedem argumentativ vermittelbar ist, das gilt als verläßliche Quelle der Erkenntnis. Diese Auffassung versteht sich als Abgrenzung gegen jeden Glauben an ein Offenbarungswissen, das nur auserwählten Menschen zugänglich ist (Propheten, Heiligen, Mystikern usw.). Es war in der Frühzeit des Christentums eine zentrale Frage, inwieweit nur die, von Irenäus kanonisierten, vier Evangelien als »göttlich inspiriert« gelten sollten. Die Gnostiker und wohl auch noch die Gläubigen der frühen Kirche glaubten an »Privatoffenbarungen«. Durch die Festschreibung und Dogmatisierung jener Texte, die als »inspiriert« gelten konnten und die Christen auf einen Buchstabenglauben festlegten, wurde diese Erfahrungsquelle als ungültig beseitigt - nicht, ohne immer wieder, wie z.B. in der Mystik, bei den Evangelikalen, selbst innerhalb der europäischen Philosophie, als Problem aufzutauchen. Man vergleiche die Kritik Schopenhauers an Fichte und Schelling, die eine besondere Form der Erkenntnis, die »intellektuelle Anschauung« (vergleichbar der phänomenologischen »Wesensschau« bei Husserl) gegenüber der rationalen Erkenntnis als besondere Erkenntnisquelle für sich beanspruchten: »das laute Berufen auf intellektuelle Anschauung und die dreiste Erzählung ihres Inhalts, mit dem Anspruch auf objektive Gültigkeit derselben, wie bei Fichte und Schelling, ist unverschämt und verwerflich.«42 Die Verschiedenheit der Menschen, Kulturen und der jeweiligen Erfahrungen macht es einerseits a priori sehr unwahrscheinlich, daß die Wahrnehmungen der Menschen eine gemeinsame Basis bilden. Es ist andererseits aber auch wahrscheinlich, daß einige Menschen Dinge erkannt haben, die für die Vielen dunkel bleiben. Zwar kann sich jeder ein Lehrbuch der Quantenmechanik kaufen; sein Inhalt wird 42
Arthur Schopenhauer: Theorie des gesamten Vorstellens, Denkens und Erkennens, München 1986, S. 17.
41
Erkennen
gleichwohl den meisten Menschen für immer rätselhaft bleiben. Sowohl die Wahrnehmung als auch die rationale Schlußfolgerung unterscheidet sich bei den Menschen. Es ist damit nicht von vorneherein auszuschließen, daß einige besondere Menschen auch besonders tiefe, weitreichende Erkenntnisse gewonnen haben, die dem common sense, der »durchschnittlichen Alltäglichkeit«, verschlossen sind. Diese außergewöhnlichen Erkenntnisse wurden in vielen religiösen Systemen, in der Moderne auch in den Wissenschaften, durch »kanonische« Texte tradiert: Heilige oder besonders autoritative Bücher. Die Hermeneutik dieser Texte wird dann als Zugang zu dieser Erfahrungsquelle verstanden. Auch Buddha hat, durchaus in der indischen Tradition, drei Erkenntnisquellen unterschieden: 1. die tradierten Texte, 2. rationale Schlußfolgerungen und 3. Erfahrungen - unterschieden in gewöhnliche und »außergewöhnliche«.43
Er selbst sagt, daß seine Erkenntnisquelle von der dritten Art ist. Diese Unterscheidung verleitet nun Buddha aber gerade nicht zu der Schlußfolgerung, daß seine Erkenntnisse geglaubt werden sollen. Vielmehr - und darin ist der Buddhismus unter den Religionen eine Ausnahme - besteht seine ganze Lehre darin, seinen Schülern zu vergleichbaren Erfahrungen zu verhelfen, um so die Wahrheit des von ihm Gelehrten zu überprüfen. Maßstab kann hierbei allerdings nicht der common sense, die »durchschnittliche Alltäglichkeit« sein, denn gerade diese Erfahrungsweise gilt im Buddhismus als Täuschung, die es zu überwinden gilt. 43
42
Buddha bezeichnet diese drei Quellen als »tradiertes Zeugnis«, »eigenes Nachdenken« und »Erkenntnis zuvor nicht erkannter Dinge« (außergewöhnliche Erfahrungen); Majjhima-Nikäya 100; vgl. Vgl. Kulatissa N. Jayatilleke: Early Buddhist Theory of Knowledge, London 1963, S. 170ff.
Die Quellen der Erkenntnis
Buddha lehnt nicht die Tradition oder die logische Reflexion rundweg ab. Ihr kommt allerdings nur Bedeutung zu, wenn sie dem Ziel einer endgültigen Erkenntnis dient. Die anderen Erkenntnisquellen haben die Aufgabe, die Illusionen und Täuschungen des common sense zu durchschauen, die jeweils eigene Erfahrungsweise zu verwandeln. Das, was als endgültige Erkenntnis (pramana) im Buddhismus gelehrt wird (die eigentümliche Erkenntnis Buddhas), ist das Ergebnis einer schrittweisen Verwandlung der Erfahrungsgrundlage, die uns gewöhnlich, d.h. gelenkt durch falsche Gewohnheiten des Erkennens, an einer wirklichen Erkenntnis hindern. Nur diesem Ziel dienen alle anderen Erkenntnismittel, wie Logik und das Auslegung von Texten (gleichgültig, ob sie Buddha selbst oder anderen zugeschrieben werden). Falsche Erkenntnisse führen zu Abhängigkeit und einem Erleiden der jeweiligen Umstände (= »die Wahrheit vom Leiden« im Buddhismus). In einem in der Literatur religiöser Systeme einzigartigen Satz faßt Buddha diese erkenntnistheoretische Position zusammen. Er sagt zu den Bewohnern einer indischen Provinz: »Geht, Kalamer, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters! Wenn ihr aber, Kalamer, selber erkennt: Diese Dinge sind unheilsam, sind verwerflich, werden von Verständigen getadelt, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Unheil und Leiden , dann o Kalamer, möget ihr sie aufgeben.«44 Die buddhistischen Erkenntnistheoretiker waren in der Nachfolge bemüht, nach der Ausklammerung des dogmati44
Anguttara-Nikaya 111.66 aaO. Bd. 1, S. 170.
43
Erkennen
sehen Glaubens, die beiden verbleibenden Erkenntnisquellen - Wahrnehmung und Schlußfolgerung - zu klären. Wenn man diesen Hintergrund außer Acht läßt, kann es sehr leicht geschehen, ihre Positionen mißzuverstehen.
2. 6. Begriff und Wahrnehmung 2.6.1. Entwicklung der buddhistischen Erkenntnislehre Die buddhistische Erkenntnislehre hat wichtige Motive, die im frühen Buddhismus formuliert wurden, systematisiert und weiterentwickelt. Die Schule der buddhistischen Erkenntnistheoretiker entwickelte sich zwischen dem fünften und siebten Jahrhundert in Indien. Auf der Grundlage des Abhidharma einem frühen Kompendium der buddhistischen Psychologie und Erkenntnislehre - und den neu hinzugekommenen Sutren des »Großen Fahrzeugs« (Mahayana) entwickelten sich zwei Schulsysteme innerhalb des Buddhismus: Madhyamika, die Lehre vom mittleren Weg, und Cittamatra oder die Nur-Geist-Schule. Nagarjuna (ca. 2. Jh.) begründete die Madhyamika-Philosophie, die ihrerseits Grundlage für eine Vielzahl weiterer Entwicklungen bildete. Die sich an ihn anschließende Madhyamika-Schule gilt in vielen Traditionen (Indien, Tibet, China) als die am weitesten entwickelte Form des Wissens im Buddhismus - ich werde im 4. Kapitel genauer darauf eingehen. Das Ziel des Madhyamika ist dasselbe, das Buddha so formulierte: »Theorien (oder Meinungen, Anschauungen) zu haben, geziemt sich nicht für einen Vollendeten.«45 Dieses Ziel darf bei allen Fragen, die von buddhistischen Erkenntnistheoretikern untersucht werden, nicht übersehen werden. Nagarjuna entwickelte eine Methode, 45
44
Majjhima-Nikaya 72 aaO., S. 204; vgl. Nagäarjuna: Madhyamika-Karika 27; Bernhard Weber-Brosamer, Dieter M. Back: Die Philosophie der Leere, Wiesbaden 1997, S. 104-107.
Begriff und Wahrnehmung
mit der auf argumentativem Wege - über eine Reihe von Negationen - falsche Anschauungen kritisiert werden können. Später formulierte - auf etwas anderen Voraussetzun-gen Vasubandhu (ca. 5. Jh.) in seinem Vada-vidhi eine »Methode für die Argumentation«. Er greift darin die in der Logik verwendeten Schlußfiguren auf und führt sie auf ihre Erfahrungsgrundlage zurück - er bestreitet also für die Logik einen transzendenten Ort, ohne in einen »Psychologismus« zu verfallen.46 Vasubhandu wiederum war nach einigen Quellen der Lehrer von Dignaga (5. Jh.), der als eigentlicher Begründer der »buddhistischen Logik« gilt.47 Zusammen mit Dharmapala (5. Jh.) und Dharmakirti (7. Jh.) bilden diese drei den Kern einer Gruppe von Philosophen, die man als »epistemologische Schule« bezeichnet. Wichtige Elemente dieser Erkenntnistheorie wurden allerdings von Cadrakirti (7. Jh.) - einem Madhyamika-Philosophen und Kommentator von Nagarjuna - kritisiert. Erwähnt werden sollte als Quelle ferner die nicht-buddhistische Schule der Nyaya-Logik 48 , mit denen sich Dharmakirti, Cadrakirti und andere buddhistische Philosophen mehrfach auseinandersetzten. Diese buddhistische Schule der Erkenntnistheorie diskutierte rund 1.000 Jahre vor dem englischen Empirismus und den sich anschließenden Schulen in Europa Probleme, die an zentrale Fragestellungen der analytischen Philosophie erinnern.
46
47
48
Vgl. die Einleitung und Übersetzung bei Stefan Anacker: Seven Works aaO., S. 29-48. Auch zur Datierung der Lebenszeit Vasubandhus siehe Anacker aaO. Vgl. Theodore Stcherbatsky: Buddhist Logik, zwei Bände, New Delhi 1984; Alex Wayman: Millenium aaO. Vgl. K. P. Bahadur: The Wisdom of Nyaaya, New Delhi 1988.
45
Erkennen
Welches waren die Hauptgedanken der buddhistischen Erkenntnistheoretiker? Die Nyaya-Schule49 - oftmals kritischer Orientierungspunkt der buddhistischen Logiker - vertrat vier gültige Erkenntnisquellen: Wahrnehmung, Schlußfolgerung, Vergleich und das Zeugnis der Tradition. Klammert man den Vergleich aus, den Dharmakirti logisch korrekt der Schlußfolgerung zuordnet, dann entspricht dies den drei auch von Buddha erwähnten Erkenntnisquellen, wobei Buddha der außergewöhnlichen (Erleuchtungs-)Erfahrung den Vorzug gab. Die erkenntnistheoretische Schule akzeptiert zwei gültige Erkenntnismittel: Wahrnehmung und Schlußfolgerung50. Hierbei ist die Wahrnehmung als offener Begriffe zu verstehen: Diese Einteilung schließt die von Buddha betonte tiefere Erkenntnis - die Erleuchtungserfahrung - nicht aus. Sie kann jedoch nicht am Anfang stehen und ist auch gegenüber anderen Schulen kein überzeugendes Argument. Gleichwohl bleibt das Ziel, nämlich die Stufe der Erkenntnis eines Buddhas zu erreichen, auch bei den buddhistischen Erkenntnistheoretikern stets vor Augen. Diese Zielsetzung macht den Unterschied aus zur europäischen Tradition, die - auf den ersten Blick - ebenfalls meist diese beiden Erkenntnisquellen als gültig ansetzt: Sinnliche Wahrnehmung (Empirie im weiteren Sinn) und logische Reflexion.51 Bei Kant entspricht dies teilweise der Zweitei49
Nyaya ist die Wissenschaft des logischen Beweises, auch des Debattierens (Vadavidya). Als ihr Begründer gilt der legendäre Autor Gotama, der zwischen dem 6. und 3. Jahrhundert v.u.Z. gelebt haben soll. Nyaya bedeutet wörtlich »einer Sache auf den Grund gehen«.
50
»Right Cognition is twofold: Direct perception and inference.« Dharmakirti, Nyayabindu I; in: Alex Wayman: Millenium aaO., S. 44.
51
Berkeley sagt: »Alle unsere Vorstellungen sind entweder sinnliche Empfindungen oder Gedanken«, Philosophisches Tagebuch, Hamburg 1979, § 378.
46
Begriff und Wahrnehmung
lung von synthetischen und analytischen Urteilen. In der Philosophie der Moderne werden andere Denkformen (vor allem heilige Bücher, Autoritäten der Tradition usw.) nur als »subjektiver Glaube« betrachtet und als Erkenntnisquelle ausgeschlossen. Die buddhistischen Erkenntnistheoretiker akzeptieren zwar die tradierten Schriften, sie vermeiden es aber, daraus gegenüber anderen Schulen - dogmatische Positionen abzuleiten.52 Auch in der Nyaya-Schule wird die absolute Autorität der Veden nicht ausdrücklich betont53, allerdings wird das »mündliche Zeugnis einer zuverlässigen Person«54 als Voraussetzung für gültige Schlußfolgerungen akzeptiert. Die Kritik der Buddhisten an dieser Auffassung betont dagegen, daß solche Zeugnisse wahr oder falsch sein können und deshalb im philosophischen Diskurs keine Geltung haben können. Die eigentliche Diskussion - auch innerhalb der buddhistischen Erkenntnisschulen - drehte sich um das Verhältnis zwischen Wahrnehmung und begrifflicher Erkenntnis. Die zentralen Fragen hierbei lauteten: (1) »Gibt es eine reine Wahrnehmung, frei von Begriffen?«, (2) »Was ist der Inhalt der Wahrnehmung?«, (3) »In welcher Beziehung stehen allgemeine Begriffe und wahrgenommene, vereinzelte Dinge?« Einigkeit herrschte unter allen buddhistischen Erkenntnistheoretikern darüber, daß es keine reale Entsprechung für allgemeine Begriffe geben kann - weder im Einzelbewußtsein, noch in den »Dingen«.
52
Vgl. zur Diskussion dieser Frage Tom J. F. Tillemans: Materials for the Study of Aryadeva, Dharmapala and Candrakirti, Wien 1990, S. 23-35; Tom J. F. Tillemans: Scripture, Logic, Language, Boston 1999. 53 Kulatissa N. Jayatilleke: Theory aaO., S. 173. 54 Nyaya-Sutra 1.1.7, K. P. Bahadur: Wisdom aaO., S. 45.
47
Erkennen
Die Nyaya-Schule vertrat dagegen die Auffassung, daß Begriffe in den Dingen eine reale Entsprechung haben. Die Erkenntnis kann gültige Allgemeinbegriffe aus den Dingen selbst entnehmen. Man kann hier leicht eine Denkfigur erkennen, die, unter Rückgriff auf Aristoteles, Thomas von Aquin formuliert hat. In den Dingen sind allgemeine Formen real mitgegeben, wenn auch nicht getrennt von den Dingen. Erst die Erkenntnis zieht durch Abstraktion die allgemeine Form vom Einzelding ab. Im menschlichen Verstand sind dann aber die Formen als real-allgemeine Begriffe vorhanden (= Begriffsrealismus). Nur so glaubte man erklären zu können, wie durch die Sprache eine Verständigung möglich ist. Ich möchte das kurz erläutern. Beim alltäglichen Sprechen tauchen immer wieder einfache Urteilsformen auf, etwa: »Wenn es regnet, wird man nass.« Solch ein Urteil bezieht sich nicht auf einen einzelnen Regenschauer, es gilt vielmehr immer, für jeden Regen. Wir verwenden also zur Bildung von gültigen Urteilen stets stillschweigend oder ausdrücklich allgemeine Begriffe, von denen wir voraussetzen, daß sie für viele Einzelheiten gleich gültig sind. In der alltäglichen Kommunikation könnten wir, ohne die Geltung solch allgemeiner Begriffe vorauszusetzen, offenbar unsere Handlungen gar nicht koordinieren. Die Welt zerfiele in lauter unzusammenhängende Einzelheiten. Gegen diese Diagnose spricht aber, daß die Vorstellungen, die wir von den Dingen haben, auch jeweils vereinzelte sind. Ich möchte diesen Zusammenhang an der griechischen Abbildtheorie erläutern. Nach Demokrit und Epikur lösen sich von den Dingen »Bilderchen« (eidôla) ab, die durch die Sinnesorgane zu uns gelangen und so die Wahrnehmung ermöglichen. Diese These wird durchaus auch heute noch vertreten, nur spricht man nicht mehr von »Bilderchen«, sondern unspezifisch von »Informationen«. Nimmt man den Gedanken von Demokrit und Epikur wörtlich, so zeigt er sofort seine Unhaltbarkeit: eine Fotografie wäre ein Bild
48
Begriff und Wahrnehmung
eines Dings. Doch von jedem Ding sind unendlich viele solcher Fotos möglich. Woher sollten wir wissen, daß jedes Subjekt eine identische Kopie, ein identisches Foto als Schnappschuß der Sinnesorgane bildet? Wenn aber die Bil-der verschieden sind, ist nicht zu erwarten, daß die subjektiven Vorstellungen als Grundlage für Zeichen, für die menschliche Sprache identisch sind. Es sind vielmehr jeweils Einzelvorstellungen. Die sprachlichen Zeichen sind - das ist die Auffassung der Nominalisten - bloße »Namen«. Ihnen korrespondiert kein allgemeiner Begriff in der Vor-stellung einzelner Menschen. Die Theorie der Eidôla kann nicht erklären, wie allgemeine Begriffe als Grundlage sprachlicher Zeichen dienen können. Auch die verfeinerte aristotelische Version dieser Theorie, wonach wir durch Abstraktion die Formen von den Dingen abziehen und im Verstand bewahren, kann nicht erklären, wie und inwiefern diese Abstraktion bei verschiedenen Menschen gleichartig erfolgt, um zu allgemeinen, intersubjektiven Vorstellungen zu kommen. Doch ohne solch eine allgemeine Grundlage bleibt es unverständlich, wie Kommunikation überhaupt möglich ist. Wenn wir nicht über allgemeine Begriffe verfügen, worauf beziehen sich dann die Wörter als bloße »Namen«? Wie können wir je sagen, daß zwei Menschen, die dasselbe Wort verwenden, damit auch eine gleiche Vorstellung verbinden? Der Realismus kann nicht erklären, wie im Prozeß der Wahrnehmung allgemeine Begriffe von Einzeldingen »abgezogen« werden, wenn solch ein Akt der Abstraktion durchaus ein Einzelvorgang eines Subjekts bleibt. Der Nominalismus leugnet zwar die Existenz solch allgemeiner Formen (in den Dingen und im menschlichen Verstand), er kann aber seinerseits nicht erklären, wie »bloße Namen« es fertig bringen, in verschiedenen Einzelsubjekten dieselbe Bezeichnungsleistung zu voll-
49
Erkennen
bringen, die eine gelingende Kooperation zwischen Menschen und ein allgemeines Urteil voraussetzen.55 Die buddhistischen Erkenntnistheoretiker haben diese Fragen zwischen dem vierten und sechsten Jahrhundert besonders intensiv diskutiert und eine Reihe von Lösungen entwickelt, die auch für die europäische Diskussion eine besondere Bedeutung haben können. Man kann die Struktur des Erkenntnisaktes in seiner impliziten Täuschung so beschreiben: Ein Subjekt erfaßt durch einen allgemeinen Begriff eine in der Sinnlichkeit gegebene Einzelheit (Objekt). Der Erkenntnisakt ist also unter einem ersten Aspekt eine Zuordnung von Subjekt und Objekt, unter einem zweiten Aspekt betrachtet liegt darin die Beziehung zwischen allgemeinem Begriff und individuellem Ding. Vasubandhu und sein Bruder Asanga haben den ersten Aspekt betont und darin die erkenntnistheoretische Position der Cittamatrin-Schule (»Nur-Geist-Schule«) begründet. Die im engeren Sinn - »erkenntnistheoretische Schule« (Dignaga, Dharmapala und Dharmakirti) konzentrierte sich vor allem auf den zweiten Aspekt und entwickelte eine besondere Theorie des Begriffs (Apoha-Theorie). 2. 6. 2. Die Nur-Geist-Schule (Cittamatrin) Das Argument der Cittamatrins ist relativ einfach zu verstehen. Man kann im logischen Sinn von einem Objekt nur sprechen, wenn es ein Subjekt gibt. Denn der Begriff »Ob-
55
50
Berkeley sagt: »Es scheint jedoch, daß ein Wort allgemein wird, indem es als Zeichen gebraucht wird nicht für eine abstrakte allgemeine Idee, sondern für mehrere Einzelideen, deren jede es gleichermaßen im Geist anregt.« George Berkeley: Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, Hamburg 1979, S. 11. Das Rätsel verbirgt sich hier im Wort »gleichermaßen«, denn es gibt Einzelideen in vielen Subjekten. Was macht deren »Gleichheit« aus, bei »gleicher« Anregung?
Begriff und Wahrnehmung
jekt« hat eben die Bedeutung, Objekt eines Subjekts zu sein. Ein Objekt der Erkenntnis wird in der Erkenntnis durch einen Gedanken, einen Begriff ergriffen. Das Ergreifende und das Ergriffene kann man aber nicht trennen, so wenig man »Vater und Kind« begrifflich trennen kann. In seinen »Zwanzig Versen« (Vimsatika-Karika) bezieht sich Vasubandhu auf eine Aussage aus dem Avatamsaka-Sutra: »Die drei Bereiche der Existenz sind Nur-Geist (citta)«56 und kommentiert dies: »Alles ist nur Wahrnehmung, die Erscheinung nicht (real) existierender Objekte.«57 Diese Aussage widerspricht dem common sense vollständig. Wie kann man sie verstehen? Das Beispiel einer Fotografie kann den Gedanken verdeutlichen. Wenn wir ein Foto machen, dann sehen wir, daß das Foto dem sichtbaren Ding gleicht. Wir sehen auch, daß von jedem Ding unendlich viele Perspektiven möglich sind. Aber auch das Auge kann, wie ein Foto, unendlich viele Seiten eines Dings sehen. 58 Welche Ansicht aber »ist« das Ding? Sagen wir dagegen, das Ding sei das, was wir tasten, riechen oder wissenschaftlich in Labors untersuchen, so gelangen wir immer wieder und erneut zu unendlich vermehrbaren Aspekten, nicht aber zu einem »Wesen« des Dings. Daß all diese Aspekte von einer Substanz getragen werden, die als diese Substanz unerkannt bleibt - das ist nur ein weiterer Gedanke. Es gibt also, so sagen die Cittamatrins, hinter den Erscheinungen kein »Wesen«. Wenn wir uns an ein Ding erinnern, dann können wir es in der Vorstellung verändern, wie man Fotos am Computer manipulieren kann. Dinge kehren in
56
57 58
Vgl. Cheng Chien Bhiksu (Hg.): Alles ist reiner Geist (Avatamsaka-Sutra), Bern-München-Wien 1997. Stefan Anacker: Seven Works aaO., S. 161. Auch Sartre sagt, »daß ein Objekt die Reihe seiner Erscheinungen als unendlich setzt.« Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts, Reinbek bei Hamburg 1993, S. 12.
51
Erkennen
Träumen wieder - und stets sind es die wahrgenommenen Formen, Bilder, Tasteindrücke usw., die in beliebiger Kombination auch eine fantasierte, eine Traumwelt vorgaukeln können. Die Grenzen zum Traum, zu einer Sinnestäuschung kann man ebenso wenig scharf ziehen, wie man einem Digitalfoto ansieht, ob es ein »Original« ist oder am Computer verändert wurde. Deshalb vergleicht Vasubhandu alle Phänomene mit einem Traum: »In einem Traum, sogar ohne ein externes Sinnesobjekt, sehen wir gleichwohl Dinge, die wir für real halten.«59 Die Aussage, daß Dinge aus Atomen bestehen - eine von den Griechen ebenso wie in Indien diskutierte Lösung des Problems der Realität der Dinge -, läßt sich nicht verteidigen, denn ein »Sinnesobjekt ist weder ein einzelnes Ding noch viele Dinge vom Standpunkt der Atomtheorie aus«60. Wie ist das gemeint? In der Sinnlichkeit sind keine Atome gegeben, denn niemand kann eine gegebene Gestalt von seinen Teilen trennen und nur seine Teile wahrnehmen. »Eine Aggregation von Atomen wird nie ein Sinnesobjekt«61 - aus der Summe der Teile wird keine ganze Gestalt. Der Begriff des »Atoms« (paramanu) ist hier als logische Kategorie zu verstehen, nicht als physikalisches Objekt: Atome sind einfach die kleinsten denkbaren Teile eines gegebenen Objekts. Da man zudem Atome immer in Vielheit denkt, müßte man sie in ihren Beziehungen zueinander definieren. Wenn ein Atom aber Relationen zu anderen Atomen entfaltet, dann enthält es logisch mehr als einen Aspekt, ist also gar kein Atom.62
59 60 61 62
52
Stefan Anacker: Seven Works aaO., S. 162. Stefan Anacker: Seven Works aaO., S. 167. Stefan Anacker: Seven Works aaO. Vgl. hierzu auch die Einwände Nägärjunas, diskutiert in: KarlHeinz Brodbeck: Spiel-Raum aaO., Kapitel XVI.
Begriff und Wahrnehmung
Es ist also gar nicht denkbar, daß die wahrgenommenen Formen neben ihrer Wahrnehmung real existieren - eben weil es nur wahrgenommene Formen gibt -, und die These, daß (wirkliche) Atome als Träger der Objekte der Sinneswahrnehmung fungieren, läßt sich logisch nicht verteidigen. Subjekt und Objekt kann man nicht in separate Entitäten trennen, deren Beziehung nachträglich diskutiert wird. Vielmehr sind Subjekt und Objekt immer schon aufeinander bezogen. Insofern ist alles, was erscheint, eine Erscheinung des »Geistes«. Auch physikalische Atome, Elementarteilchen existieren nicht unabhängig von ihrem Wahrgenommenwerden. Diese These der Cittamatrins hat die Quantenphysik in ihrer Kopenhagener Deutung nachdrücklich bestätigt. Die Philosophie der Cittamatrins weist augenfällige Gemeinsamkeiten auf mit der Philosophie George Berkeleys. Sein Kernsatz esse est percipe, Sein ist Wahrgenommenwerden, läßt sich fast gleichlautend bei Asanga oder Vasubhandu finden. Berkeley sagt, »daß ein Mensch niemals dazu gebracht werden kann, sich einzubilden, etwas existiere, wovon er keine Vorstellung hat. Wer immer behauptet, er tue es, täuscht sich selbst mit Wörtern.«63 Dieser Gedanke, daß die Wörter, die Begriffe eine Täuschung erzeugen, ist die Kernaussage aller Schulen des Buddhismus. Berkeley hat allerdings aus der Tradition der Moderne ein Problem geerbt, das er nur durch einen Kunstgriff lösen konnte: Für Descartes und die englischen Empiristen ist die Vorstellung (idea bei John Locke) untrennbar an das denkende Ich gebunden. Der erkennende Geist ist auch für Berkeley zunächst immer individuell: »Eigentlich existiert nichts außer Personen«64. Und dieser personale Geist wird von Berkeley 63
64
George Berkeley: Tagebuch aaO., § 639; vgl. »das Sein eines Existierenden ist genau das, als was es erscheint.« Jean-Paul Sartre: Das Sein aaO., S. 10. George Berkeley: Philosophisches Tagebuch aaO., § 24.
53
Erkennen
substanziell gedacht, wenn er sagt, daß »es keine andere Substanz gibt als den Geist oder das, was perzipiert.«65 Mit dieser Voraussetzung gelangt man sehr rasch zum Solipsismus. Berkeley hat ihn durch einen »Trick« vermieden. Für jeden Solipsismus (die Lehre, daß es nur ein erkennendes Ich und seine Welt gibt) ist das Rätsel fremder Subjektivität unlösbar, wie er auch die Dauerhaftigkeit der Phänomene nicht zu erklären vermag: Wenn »ich« meine Welt hervorbringe, so bleibt es rätselhaft, weshalb nicht alle Dinge meinem Willen unterworfen sind. Berkeley hat dieses Problem klar gesehen und geantwortet: Wir erfahren in der Dauer der Phänomene, die unabweisbar »Perzeptionen« sind, offenbar einen anderen, stärkeren Willen, der die Dauer dieser Phänomene hervorbringt: Gott, der nach biblischer Lehre »Geist« ist. Nun steht auch die Erkenntnislehre der Cittamatrins vor der Frage der Dauerhaftigkeit der Dinge. Doch hier sieht die Lösung, obgleich sie einige Kommentatoren - westliche und tibetische - dazu veranlaßte, hier doch einen »Gott« am Werke zu sehen, ganz anders aus. Auch Vasubhandu kennt einen »Konstrukteur« der Welt des Scheins. Doch dieser Konstrukteur hat keine personale Natur. Er ist kein »Ego«, kein »Ich bin der Ich bin«. Die Cittamatrins stehen ganz in der Tradition der Anatman-Lehre, die Buddha als seine zentrale Einsicht verkündet hat. Die Welt ist leer an einem Ego. Deshalb entfällt das Problem des »Fremdpsychischen«, weil das Ego nur die Täuschung einer Selbstheit ist, die sich aus anderen (mentalen) Phänomen aufbaut. Wenn es kein Ego gibt, gibt es auch kein Kollektivbewußtsein, das nur dann einen Sinn hat, wenn man ein Kollektiv vom Ego unterscheiden könnte. Das grundlegende Bewußtsein (alaya-vijnana), von dem die Vertreter der Nur-GeistSchule sprechen, ist deshalb weder das Bewußtsein eines 65
George Berkeley: Abhandlung aaO., S.
28. 54
Begriff und Wahrnehmung
Gottes noch ein »kollektives Unbewußtes« nach dem Muster von C. G. Jung. Der Geist kann niemals die Form eines Objekts annehmen66; ein kollektives Unbewußtes würde voraussetzen, daß das Unbewußte für das Bewußtsein den Rang eines Objekts besitzt und damit aufhörte, eine Modalität des Bewußtseins zu sein. Wenn man ein Ich als Träger oder Substanz des Geistes voraussetzt, ist auch das Bewußtsein des je anderen notwendig ein Objekt, und es gibt dann keinen Weg zum anderen Bewußtsein.67 Allerdings gibt es eine Aktivität des Geistes, die nicht als das Tun eines Egos zu verstehen ist. Es gibt die Tat, aber keinen Täter, es gibt eine Creation, aber keinen Creator. Wenn Vasubhandu also den Begriff eines »universellen Schöpfers (Konstrukteurs)« (abhuta-parikalpa) verwendet, so denkt er nicht an einen personalen Schöpfungsakt. Es ist darunter »auf keinen Fall ein persönlicher Schöpfer zu verstehen« 68. Der ontologische Status dieses »Creators« ist allerdings auch in den buddhistischen Schulen umstritten; ich werde diese Frage im Kapitel 4 nochmals aufgreifen. 2. 6. 3. Allgemeinbegriffe und Apoha-Theorie Die erkenntnistheoretische Schule des Buddhismus knüpft an die Theorie der Cittamatrins an.69 Die zentrale Frage nach der gültigen Erkenntnis (pramana) teilt diese Schule mit 66
67
68
69
»Being oneself is incompatible with being an object«, Mipham: Speech of Delight, übers, v. T. H. Doctor, New York 2004, S. 273. Der Einsichtige wird den »Geist anderer nicht wie ein Objekt betrachten«, Stefan Anacker: Seven Works aaO., S. 174. Theodore Stcherbatsky: Madhyatnat-Vibhanga, Calcutta 1971, S. 39. Dignaga und Dharmakirti werden in der tibetischen Tradition dem Hinayana zugerechnet, vgl. Lhündub Söpa, Jeffrey Hopkins: Der Tibetische Buddhismus, Köln 1977, S. 139. Vgl. zu einem differenzierteren Urteil: Vgl. Georges B. J. Dreyfus: Reality aaO.
55
Erkennen
der tradierten indischen Logik (Nyaya). Die Hauptwerke von Dignaga und Dharmakirti tragen den Begriff Pramana im Titel: Dignagas »Kompendium der gültigen Erkenntnis« und Dharmakirtis »Sieben Abhandlungen über gültige Erkenntnis«. Der Begriff Pramana bedeutet eigentlich »Mittel gültiger Erkenntnis«. Im Wort Pramana steckt die Wortwurzel ma = »messen« (vgl. das deutsche »Maß«). Der Begriff kann deshalb umschrieben werden als »das, was an einem Objekt (das richtige) Maß nimmt«70. Buddhistische Lehren zielen - als »kritische Philosophie« -je auf eine besondere Form der Verblendung. Vasubhandu und die Erkenntnistheoretiker setzten sich mit nichtbuddhistischen Lehrsystemen auseinander, die von der Realität sowohl individueller Dinge wie allgemeiner Begriffe ausgingen. Während Vasubhandu diese durch die korrespondierende SubjektObjekt-Struktur kritisierte, zielten die Erkenntnistheoretiker auf eine gültige Erkenntnis, die in der Dualität von Wahrnehmung und Begriff gefunden werden kann; sie betonen also einen anderen Aspekt. Auf eine definitive »Ontologie« läßt sich ihre Auffassung nicht festlegen. 71 Dignaga und Dharmakirti bleiben in der buddhistischen Tradition, die jede theoretische Bemühung als Kritik der Täuschung versteht; insofern wird auch Pramana als kritischer Begriff verstanden. Sie teilen also die Auffassung der Cittamatrins vom Illusionscharakter des Denkens: »Das grundlegende Prinzip der Buddhisten besteht darin, daß auch der logischste Verstand nicht in das Wesen der Dinge eindringen und sie bestimmen kann, er kann nur ihre Beziehungen bestimmen.«72
70 71 72
56
Vgl. K. P. Balladur: Wisdom aaO., S. 41f. Vgl. Georges B. J. Dreyfus: Reality aaO., S. 49. Theodore Stcherbatsky: Erkenntnistheorie und Logik nach der Lehre der späteren Buddhisten, München-Neubiberg 1924, S. 109.
Begriff und Wahrnehmung
Die Problematik, die von der erkenntnistheoretischen Schule in den Blick genommen wird, vertieft die Fragestellung bei Vasubandhu: Das erkennende Subjekt verfügt über Allgemeinbegriffe, das erkannte Objekt wird als individuelles Phänomen begriffen. Im Subjekt-Objekt-Verhältnis verbirgt sich also noch eine andere, ungelöste Struktur: Die des Verhältnisses zwischen Einzelnem und Allgemeinem, zwischen Individuum und Begriff. Die Nyaya-Schule hat diese Schwierigkeit erkannt und sagt wie Vasubhandu: »Realität ist nicht auf die seiner Teile reduzierbar.«73 Sie zog daraus den Schluß, daß Ganzheiten (Gestalten) neben den Teilen, mit ihnen, real existieren müssen. Es gibt also reale Ziegel, Fenster, Türen usw., und daneben noch die reale Ganzheit des Hauses, seine Gestalt. Für die Nyaya-Theorie spricht eine Überlegung, die in Europa durch Aristoteles eingeführt wurde. Wenn man die Entstehung eines Hauses untersucht, so findet man verschiedene Klassen von Ursachen. Bei Aristoteles sind es vier74: Zweck, Form, Wirkursache und Material. Ein Baumeister baut ein Haus zuerst in Gedanken (Formursache), für einen bestimmten Zweck, bevor er es durch Handwerker (Wirkursache) und Baumaterialien verwirklichen läßt. Offensichtlich läßt sich die »Formursache« (das Modell, der Bauplan) getrennt vom fertigen Haus darstellen. Die Wahrnehmung funktioniert für Aristoteles und seine mittelalterlichen Nachfolger umgekehrt: Man entnimmt gleichsam aus den wirklichen Dingen deren Bauplan, ihre Form. Wie immer man aber auch das Verhältnis von Form und Produkt beschreibt, beide Größen können nicht bruchlos aufeinander bezogen werden. Ein Bauplan ist kein fertiges Haus. Die aristotelische Denkform legt allerdings eine Ge73 74
Vgl. Georges B. J. Dreyfus: Reality aaO., S. 56. Aristoteles: Physik, II.3 194b; Zweite Analytik, 11.11, 94a; Metaphysik A 3, 983a.
57
Erkennen
meinsamkeit mit der Kritik der buddhistischen Erkenntnistheoretiker am Nyaya-System nahe, nämlich den Blick auf die Herkunft des Gedanken aus dem handwerklichen Handeln: Man darf die Beziehung zwischen allgemeiner Form und individuellem Ding nicht nach dem platonischen Modell passiver Wahrnehmung beschreiben. Im Erkenntnisakt verbirgt sich ein kreativer Vorgang. Das ist der zentrale Gesichtspunkt, dem auch Dharmakirti folgt. Er beschreibt jede Erkenntnis, jede Wahrnehmung als kreativen Akt. Die Form, der allgemeine Begriff zur Beschreibung der Dinge ist für ihn »durch den menschlichen Geist konstruiert bei seiner Auseinandersetzung mit der Welt.«75 Die Struktur der Welt ist - wie bei Vasubhandu - eine Schöpfung des Geistes (kalpana) auf der Basis sprachlicher Begriffe. Sie ist also nicht nur im vereinzelten Bewußtsein vorhanden, sondern »intersubjektiv gültig« und wird »in Beziehung zum Sprachgebrauch« konstruiert.76 Wenn bei der Wahrnehmung ein kreativer, konstruierender Aspekt hervorgehoben wird, so bleibt gleichwohl die Frage, worauf sich dieser Konstruktionsakt bezieht? Wie verhält sich die konstruktive Tätigkeit zur Sinnlichkeit. Anders gefragt: Gibt es eine reine Basis der Erfahrung ohne konstruktive Hinzufügung durch den menschlichen Geist? Diese Frage wird von Dignaga und Dharmakirti bejaht. Es ist allerdings wichtig, ihre Antwort genau zu untersuchen. Im Buddhismus gelten alle Phänomene als bewirkt oder bedingt. Kein Phänomen existiert aus sich selbst. Wenn alle Phänomene verursacht sind, wenn ferner eine Ursache nicht dauerhaft sein kann - eine unbewegte Ursache ist ein Widerspruch in sich, weil nur eine Bewegung etwas bewirken
75
76
58
Georges B. J. Dreyfus: Reality aaO., S. 447. Georges B. J. Dreyfus: Reality aaO., S. 145 und 133.
Begriff und Wahrnehmung
kann77 -, dann gibt es kein Bleiben der Phänomene. Das ist die universelle Bedeutung der Lehre vom Nicht-Ich, von der Nichtsubstanzialität der Dinge. Die »Substanz« wird gedacht wie ein beharrendes Ich der Dinge. Wenn man also von wahrgenommenen Dingen spricht, so handelt es sich stets um bedingte, verursachte Phänomene. Die Wirklichkeit befindet sich deshalb in einem unaufhörlichen Fluß.78 Dies ist die erkenntnistheoretische Übersetzung der ursprünglichen Erfahrung Buddhas, die besagt, daß alle Phänomene vergänglich, leidhaft und ohne Selbstnatur sind. Deshalb erscheint auch die Wahrnehmung als unaufhörlicher Wandel der Erscheinungen. Die Dinge haben keine Dauer - das kann man auch so verstehen: Wir beobachten nur Phänomene, also z.B. dieses Haus gegenüber auf der anderen Straßenseite, das wir in einer stets sich wandelnden Beleuchtung, aus verschiedenen Perspektiven usw. sehen. Weil die Objekte ihre Eigenschaften nur relativ zu einem sich gleichfalls wandelnden Subjekt zeigen, gibt es nur einen unaufhörlichen Fluß der Phänomene. Die Dauer ist nicht wahrnehmbar.79 Das, worauf wir uns in unseren Urteilen beziehen, ist ein endlos sich wandelnder Strom von Erfahrungen. Diese dynamische Struktur wird auch »Augenblickscharakter« (ksanikatva) genannt. Das, worauf sich die Wahrnehmung bezieht, hat seinem Wesen nach einen zeitlichen Charakter. Man darf das nicht so verstehen, als würden Dinge (mit endlicher Dauer) substanziell in der Zeit existieren. Eine
77
78
79
Eine unveränderliche Entität könnte keine Wirkung hervorrufen, weil »Wirken« ein Zeitphänomen ist; vgl. John D. Dünne: Foundations of Dharmakirti's Philosophy, Boston 2004, S. 93f. Santiraksita sagt: »Das Wesen der Wirklichkeit ist Bewegung«, zitiert bei Theodore Stcherbatsky: Buddhist Logik, Bd. I aaO., S. 82. Vgl. Theodore Stcherbatsky: Buddhist Logik aaO., S. 84ff.
59
Erkennen
noch so kurze Dauer wird als »Dauer in der Zeit« ausgelegt, nicht als Zeit selbst, als »Augenblick«, wie dies von den buddhistischen Erkenntnistheoretikern gedacht wird. Die Dinge sind ontologisch nur ihre Zeit (ksanika). Die Dinge sind vergänglich. Das Wort »Sein« bedeutet nicht »Sein-in-der-Zeit«, sondern dasselbe wie Zeit. Der »Augenblickscharakter der Dinge«80 ist die Verneinung einer Theorie des Seins, die »Sein« und »Dauer« gleichsetzt - wie dies in den tradierten Systemen der griechischen und indischen Philosophie geschieht. Wenn man die Erfahrung durch die Sinne von den Begriffen unterscheidet, mit denen diese Erfahrung begriffen, erfaßt wird, dann kann man in einem formal-logischen Sinn sagen: Die Sinnlichkeit ist eine Substanz relativ zum Begriff.. Damit ist aber nicht ontisch eine dauerhafte Substanz in der Zeit gemeint, sondern ontologisch ein temporaler Unterschied: Die Sinnlichkeit ist Zeitlichkeit, reine Vergänglichkeit in Differenz zum Begriff, der die Illusion der Dauer enthält81. Wird aber diese temporale Differenz (es ist ein Unterschied der Zeitlichkeit) fehlgedeutet als Verhältnis zwischen Vernunft und Sinnesmaterie (wie im Empirismus), so entsteht der falsche Eindruck, als wären Dignaga und Dharmakirti nur indische Vorläufer des logischen Empirismus. Nun kann aber nicht geleugnet werden, daß die Menschen alltäglich von dauerhaften Dingen ausgehen. Wie kann man »Dauer« erklären vor dem Hintergrund des grundlegend zeitlichen Charakters aller Phänomene? Dignaga und Dharmakirti erklären dies durch die Apoha-Theorie. »Dauer« ist eine Fiktion, wie alle konstruierten Begriffe. Im Unterschied zum Nominalismus behauptet die buddhistische 80 81
60
Vgl. Theodore Stcherbatsky: Buddhist Logik aaO., S. 87. »A substance is not a substratum but an effective phenomenon, which must be unterstood less as a thing than as an event.« Georges B. J. Dreyfus: Reality aaO., S. 58.
Begriff und Wahrnehmung
Erkenntnistheorie nicht, daß es keine allgemeinen Begriffe neben den sprachlichen Zeichen gibt. Allerdings sind diese Begriffe weder rein subjektiv noch sind sie ein adäquater Ausdruck der Zeitlichkeit aller Phänomene. Wie können aber - seien es auch fiktive - dauerhafte Begriffe auf eine sich unaufhörlich wandelnde Wahrnehmung bezogen werden? Diese Frage tritt an die Stelle jenes Problems der Erkenntnistheorie, die eine Beziehung zwischen Allgemeinbegriffen und Individuen herstellen möchte. Wie kann sich Dauerhaftes auf Vergängliches beziehen? Die einfache Antwort lautet: Gar nicht. Solch eine Beziehung ist unmöglich. Oder: Solch eine Beziehung ist Fiktion. Wie gelingt es aber dann, in der Wahrnehmung dennoch verschiedene, scheinbar dauerhafte Phänomene zu unterscheiden? Darauf gibt die Apoha-Theorie eine Antwort: Begriffe beziehen sich nicht auf eine »reine Sinnlichkeit«, auf »Sinnesdaten«, sie beziehen sich immer nur negativ auf je andere Begriffe. Das Wesen eines Dings - ausgedrückt im Allgemeinbegriff ist definiert durch das, was es nicht ist: »Ein Begriff kann seine eigene Bedeutung nur ausdrücken, indem er die gegenteilige Bedeutung zurückweist.«82 Ein Begriff erhält seine Bedeutung nicht durch den direkten Bezug auf die Wahrnehmung, auf »Sinnesdaten«. Das wäre logisch unmöglich, weil darin eine Beziehung zwischen einer allgemeinen und individuellen Existenz behauptet würde. Ist das Einzelne das Nicht-Allgemeine, so wäre jede Relation zwischen vereinzelter Sinneswahrnehmung und allgemeinem Begriff ein logischer Widerspruch. Die Wahrheit eines Begriffs ist damit nie die positive Erfüllung an der Empirie, sondern die negative Beziehung auf andere Begriffe. Die kon-
82
Dignaga: Pramanasamuccayas V.1; zit. nach: Theodore Stcherbatsky: Buddhist Logic aaO., S. 459.
61
Erkennen
ventionelle Realität ist die gegenseitige, negative Abhängigkeit einer Matrix der Begriffe.83 Nun wurden von Philosophen der Nyaya-Schule gegen diese These zwei Einwände vorgebracht. Erster Einwand: Die Tatsache des Gedächtnisses belegt unmittelbar, daß wir über reale Allgemeinbilder verfügen. 84 Darauf erwiderten die Buddhisten, daß Gedächtniseindrücke keine ewigen Universalien, sondern veränderlich sind, eine unendlich vielfältige Geschichte haben und somit ein Anfang zu ihrer Definition nicht zu entdecken ist. Wörter bezeichnen also nicht im Gedächtnis vorhandene allgemeine Ideen (Universalien), sie erzeugen ein begriffliches Bild, von dem wir nur sagen können, daß es sich von anderen unterscheidet. Zweiter Einwand: Wenn Begriffe weder in sich noch in Beziehung zu einem realen Allgemeinen wahr sind, wenn sie ihre Bedeutung nur negativ durch ihre Beziehung auf andere Begriffe erhalten, so »hebt sich diese Lehre selbst auf« 85 Wenn ein Begriff nur das bedeutet, was andere Begriffe nicht bedeuten, dann gilt das auch für die anderen Begriffe, womit diese Erklärung zirkulär scheint und sich so selbst aufhebt. Dieser Einwand verkennt die dynamische Struktur der Begriffsbildung. Die logische Struktur bei gegebenen, also statischen Begriffsinhalten läßt sich nur zirkulär denken. Doch die Begriffe bilden sich in der Wahrnehmung an einer sich beständig wandelnden Sinnlichkeit. Die Apoha-Theorie ist
83
84
85
62
Vgl.: »Die Negation der Negation aber ist das Positive.« Georg W. F. Hegel: Wissenschaft der Logik, Werke Bd. 6, S. 64. Satkari Mookerjee: Philosophy aaO., S. 127. Vgl. Platons These: »Wenn es ein Gedächtnis gibt, so muß es tatsächlich auch Ideen geben«; Diogenes Laertius aaO., III.1, S. 155. »An objector might say that a thing does not exist by itself because its existence is in relation to another. [...] This is not so because the doctrine nullifies itself.« Nyaya-Sutra VI.1. 39-40; K. P. Bahadur: Wisdom aaO., S. 199
Begriff und Wahrnehmung
eine dynamische Theorie der Begriffsbildung, nicht eine der logischen Struktur gegebener Begriffe.86 Begriffe sind zwar fiktive Universalien; sie entwickeln sich aber im Prozeß des menschlichen Denkens und Handelns. Im Buddhismus unterscheidet man konventionelle Begriffe, die eine intersubjektive Geltung haben, von rein fiktiven Begriffen (klassisches Beispiel: »Die Hörner eines Hasen«), Die Allgemeinbegriffe funktionieren im menschlichen Handeln, sie wurden durch immer wieder erneute Abgrenzung gegeneinander (apoha) als Begriffsnetz entwickelt. 87 Dieses Begriffsnetz funktioniert in der Koordination menschlicher Handlungen. Doch man kann keinem dieser Begriffe ein dauerhaftes sinnliches Objekt eindeutig zuordnen, sowenig man den Wellen des Ozeans Namen geben kann. Begriffe sind eine »öffentliche Schöpfung, eine Realität zweiter Ordnung, unterschieden von der Wahrnehmung ebenso wie von reinen Täuschungen. Diese intermediäre Realität der Begriffe ist sozial, geschaffen in Beziehung zur Sprache.«88 Die sprachlichen Zeichen beziehen sich also tatsächlich auf Allgemeinbegriffe; doch diese Begriffe befinden sich in einer beständigen Bewegung und Abgrenzung gegeneinander, jeweils abhängig von der sozialen Handlungsstruktur und ihrer sprachlichen Vermittlung. Diese Allgemeinbegriffe sind weder intersubjektiv dieselben noch sind es dauerhafte, bleibende Universalien. Zwar beziehen sich die sozial erzeugten Begriffe in ihrer Bedeutung auch auf individuelle
86
87
88
Kamalasila sagt: »All the constructions (samskara) are momentary. Whence the continuous activity (kriya) of transient things? Their existence is precisely the continuous activity as well as the doing it.« Alex Wayman: Millennium aaO., S. 80f. Vgl. hierzu Geshe Lhündub Söpa, Jeffrey Hopkins: Buddhismus aaO., S. 142ff. Vgl. auch Anne Klein: Knowledge and Liberation, Ithaca-New York 1986, S. 144-149. Georges B. J. Dreyfus: Reality aaO., S. 146.
63
Erkennen
Wahrnehmungs- und Erinnerungsbilder (die sich naturgemäß unterscheiden). Doch diese Erinnerungsbilder - wie die »Fotos« in der Abbildtheorie - sind nicht die gültige Grundlage der Begriffe. Im sozialen Handlungs- und Kommunikationsprozeß werden diese individuellen Begriffsbilder kreativ aufeinander bezogen und gegen andere Begriffe abgegrenzt, d.h. aneinander korrigiert. Auf diese Weise entsteht ein gewohntes, konventionelles Begriffsnetz, das sich verändert und für sprachliche Zeichen eine dynamische Bezugsgröße darstellt. Nicht eine passive Wahrnehmung bezieht also ein sprachliches Zeichen auf eine im individuellen Bewußtsein vorhandene allgemeine Vorstellung - wie in der mittelalterlichen Zeichentheorie89 -, sondern die allgemeinen Begriffe ergeben sich aus einem kreativen, intersubjektiven Prozeß als ein soziales Gewohnheitssystem des Denkens und der Wahrnehmung. Die Apoha-Theorie ist also eine mittlere Lehre; sie verfällt weder in das Extrem des Begriffsrealismus noch in das des Nominalismus. Die Schule der buddhistischen Erkenntnistheorie unterscheidet sich deshalb darin nicht von der Lehre der Madhyamikas, wie immer wieder behauptet wird. Denn auch nach Nagarjuna »haben Wörter keine Bedeutung in sich selbst und die Bedeutung wird nicht in dem Objekt gefunden, für das es steht, sondern sie hängt von Bedingungen und Situationen ab. Ändern sich die Bedingungen, so ändert sich die Bedeutung.«90 Die Apoha-Theorie hat diesen Gedanken nur präzisiert und logisch verfeinert. Ein Streitpunkt bleibt allerdings bestehen, und dies ist die Möglichkeit einer reinen Wahrnehmung ohne das Dazwi89
90
64
Das heißt: »Bewußtseinsinhalte als für alle Menschen gleiche [...] universelle Allgemeinbegriffe«. Jürgen Trabant: Elemente der Semiotik, Tübingen-Basel 1996, S. 26. Hsueh-li Cheng: Empty Logic. Madhyamika Buddhism from Chinese Sources, Delhi 1991, S. 113.
Begriff und Wahrnehmung
schentreten von Begriffen. Die Schule der Cittamatrins und Dignaga und seine Schule behaupten die Möglichkeit einer reinen Wahrnehmung, Candrakirti, der Kommentator Nagarjunas, vertritt dagegen die Auffassung, daß jede Wahrnehmung immer schon in begrifflicher Form erfolgt. Nach seiner Auffassung ist eine reine, begriffsfreie Wahrnehmung unmöglich.91 Dieser scheinbare Widerspruch läßt sich allerdings auflösen. Reine Wahrnehmung der Phänomene bedeutet, sie als »Zeit«, als Vergänglichkeit wahrzunehmen, und das ist der Erkenntnisblick eines Buddha. Gewöhnlich nehmen die Menschen die Phänomene immer durch den Filter der Begriffe wahr. Es bedarf einer langen Übung und Schulung, die Gewohnheiten der begrifflich-kontaminierten Wahrnehmung aufzulösen. Die Differenz zwischen begrifflich vermittelter und reiner Wahrnehmung ist die Differenz zwischen Verblendung und Erleuchtung. Sofern man allerdings Dignaga oder Dharmakirti die Auffassung zuschreibt, die gewöhnliche Wahrnehmung sei als Quelle der Erkenntnis für alle Wesen frei von Begriffen, ist Candrakirtis Kritik notwendig und hilfreich.92 2. 6. 4. Europäische Parallelen Ich möchte diese Diskussion hier nicht weiter vertiefen93 und kurz auf einige parallele Denkfiguren in der westlichen 91
92
93
Tom J.F. Tillemans: Materials aaO., S. 67. Auch James sagt: »Eine reine Empfindung ist [...] ein im ausgebildeten Seelenleben niemals wirklich vorkommendes Produkt der Abstraktion.« William James: Psychologie, Leipzig 1909, S. 313. Dieser Punkt ist bei buddhistischen Kommentatoren umstritten; vgl. Satkari Mookerjee: Philosophy aaO., S. 275f. Mookerjee behauptet auch drei verschiedene Bedeutungen der Apoha-Theorie, aaO., S. 132; Georges B. J. Dreyfus: Reality aaO., S. 205ff. kritisiert diese These überzeugend. Vgl. dazu ausführlich Anne Klein: Knowledge aaO., Georges B. J. Dreyfus: Reality aaO. und John D. Dünne: Foundations aaO.
65
Erkennen
Philosophie hinweisen. Die »Augenblickstheorie« wird sicher mißverstanden, wenn man darunter versteht, daß in der Wahrnehmung - ähnlich der äußerst kurzen Lebensdauer von bestimmten Elementarteilchen - reale Dinge von extrem kurzer Dauer gegeben seien. Der Witz ist vielmehr, daß jede Dauer illusionär ist, daß also die »Sinnesdaten« in keiner Weise Daten, dauerhafte Entitäten sind. Die Augenblickstheorie vertieft nur die Einsicht Buddhas, der den Glauben an ein bleibendes Selbst (atman) der Menschen und Dinge als »närrische Lehre« bezeichnet hatte. Dieser Gedanke kritisiert eine Ontotogie des Seins, worin das Sein als »andauernd vorhandener Gegenstand« ausgelegt wird. Der japanische Zen-Meister Dogen (1200-1253) hat im Shobogenzo im Kapitel »Uji« diese Auffassung erneuert, wenn er sagt: »jede einzelne Sache dieser gesamten Welt ist jeweils als Zeit (jiji) einzusehen.« 94 Man hat diesen Gedanken in Japan immer wieder in enge Beziehung zu Heideggers Philosophie gebracht. Heidegger kritisiert die abendländische Zeitauffassung, wonach die Dinge in der Zeit vorhanden sein sollen und an Uhren ihr Maß finden. Für Heidegger liegt darin ein Sinn, eine Bedeutung von »Zeit«, die auch in der indischen Tradition vorausgesetzt wird: Sein eines Dings heißt »dauernde Anwesenheit«. Doch, sagt Heidegger, man kann von Dauer nur sprechen, wenn man unausgesprochen »Zeitlichkeit« schon voraussetzt. »Zeit ist nichts, was draußen irgendwo vorkommt als Rahmen für Weltbegebnisse; Zeit ist ebenso wenig etwas, was drinnen im Bewußtsein irgendwo abschnurrt«95. Die Zeit ist nicht zu trennen von
94
95
Übersetztvon Rolf Elberfeld: Phänomenologie der Zeit im Buddhismus, Stuttgart-Bad Cannstatt 2004, S. 386. Martin Heidegger: Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, Gesamtausgabe Bd. 20, Frankfurt a.M. 1979, S. 442.
66
Begriff und Wahrnehmung
dem, was den Dingen Sein und Bedeutung »verleiht«. Insofern »offenbart sich die Zeit als Horizont des Seins«96. Heidegger bleibt ein Kind der Moderne, wenn auch er versucht, einen Grund freizulegen, von dem aus man das menschliche Wissen auslegen und geschichtlich rekonstruieren kann. Von Kant und seinen Nachfolgern übernimmt die Phänomenologie den Gedanken, daß man »zu den Sachen selbst« nur gelangen kann, wenn das Netz der tradierten Begriffe, der Metaphysik zuerst beseitigt wird. Dieser Gedanke ist der buddhistischen Vorstellung einer Kritik der Täuschungen verwandt. Heidegger versucht, durch Hermeneutik der tradierten Philosophie »die ursprünglichen Erfahrungen, in denen die ersten und fortan leitenden Bestimmungen des Seins gewonnen wurden«97, freizulegen. Diese »Hermeneutik ist Destruktion!«98 Wollte Kant durch seine Kritik der Begriffe des Verstandes die Möglichkeiten wissenschaftlicher Erfahrung begründen, so blickt Heidegger weiter. Seine »Destruktion« zielt darauf ab, die in der philosophischen Tradition verborgene Erfahrung des Seins als »Möglichkeit« aufzudecken. Für ihn steht am Ende etwas, was man als »reine Seinserfahrung« bezeichnen könnte, und - durchaus vergleichbar der buddhistischen Fragestellung - er sieht diese Seinserfahrung in der Zeitlichkeit verborgen. Dem Empirismus sind solche Fragen fremd. Er geht von anderen Voraussetzungen aus. Von Locke bis Carnap zieht sich die Hoffnung, eine unbezweifelbare sinnliche Basis als Grundlage für den Aufbau, die Konstruktion einer reinen Wissenschaft zu finden. Dabei ist unterstellt, daß solch eine reine Grundlage, eine reine Wahrnehmung durch eine Kritik der verwendeten Begriffe erreicht werden kann. Anders 96 97 98
Martin Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen 121972, S. 437. Martin Heidegger: Sein und Zeit aaO., S. 22. Martin Heidegger: Ontologie, Gesamtausgabe Bd. 63, Frankfurt
a.M. 1988, S. 105.
67
Erkennen
als Kant glauben die Empiristen an reine »Sinnesdaten«. Der Begriff »Sinnesdaten« wurde von George E. Moore geprägt und von Bertrand Russell übernommen. Die frühen englischen Empiristen sprachen von ideas (Locke, Berkeley). Russell ordnete den Sinnesdaten, die er als »atomistisch« zu beschreibende Ereignisse betrachtete, entsprechende elementare Sätze zu. Ich kann diese Diskussion hier nicht vertiefen. Sinnesdaten sollen jedenfalls eine begriffs- oder sprachfreie Grundlage der Erkenntnis bilden. Es ist immer wieder eine Analogie dieser Auffassung zur Theorie der buddhistischen Epistemologen hergestellt worden, die - wie Dharmakirti - zwei Erkenntnisquellen nebeneinander voraussetzen. Das darin liegende Mißverständnis habe ich eben aufzuzeigen versucht. Allerdings kann man in einer anderen Hinsicht durchaus eine Parallele zwischen der buddhistischen Epistemologie und der analytischen Philosophie entdecken: Beide lassen sich als Sprachanalyse und Sprachkritik interpretieren. Dieses Motiv ist schon bei Berkeley bemerkbar, der seine Philosophie als Unternehmen begreift, »eine völlige Befreiung von der Täuschung durch Worte« 99 zu erreichen. Diese Absicht findet sich vielfach auch im Buddhismus. So sagt z.B. Chi-tsang (549-623): »Es ist nicht so, daß die Sprache dazu da wäre, die Philosophie zu begründen, sondern es ist umgekehrt so, daß die Philosophie präsentiert wird, um die (Täuschung der) Sprache zu eliminieren,« 100 Von Berkeley ausgehend zieht sich ein sich verdichtender Strom der Sprachkritik, der schließlich Wittgenstein sagen läßt: »Die Ergebnisse der Philosophie sind die Entdeckung irgend-
99
100
68
George Berkeley: Abhandlung aaO., S. 22. Zitiert nach: Hsueh-li Cheng, Empty Logic aaO., S. 119.
Begriff und Wahrnehmung
eines schlichten Unsinns und Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat.«101 Wittgenstein versucht, die Bedeutung von Wörtern (Begriffe spielen bei ihm keine zentrale Rolle mehr) durch Sprachspiele zu erklären. Das erinnert insofern an die Apoha-Theorie, als auch dort die Bedeutung als ein dynamischer, situativer Prozeß wechselseitiger Ausschließung verstanden wird. In deutlicher Differenz zu Wittgenstein sieht aber die buddhistische Erkenntnistheorie seit Nagarjuna auch in der alltäglichen Sprachverwendung kein gültiges Kriterium zur Behauptung einer definitiven Wortbedeutung.102 Der Apoha-Gedanke, daß sich die Bedeutung in der Negation verbirgt, findet sich gleichfalls in der europäischen Tradition. Spinozas Satz Omnis determinatio est negatio103 begründet eine Reihe von Versuchen, »Bedeutung« und »Negation« in Eins zu denken. Hegels Dialektik ist die systematische Entfaltung des spinozistischen Gedankens. Die Dialektik, sagt Hegel, »ist im Grunde nichts weiter (...) als der geregelte, methodisch ausgebildete Widerspruchsgeist, der jedem Menschen einwohnt«104. Auch Lotze hat einen Gedanken formuliert, der auf den ersten Blick wie eine europäische Variante des Apoha-Prinzips anmutet. Er sagt, daß »jede bejahende Setzung des Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen § 118, Schriften Bd. 1, Frankfurt a.M. 1980, S. 344. 102 T hus, unlike Wittgenstein, Nagarjuna questioned the rationality and validity of the everyday use of language and contended that predication in our language cannot be established. Since there cannot be any function of predication, it makes no sense to find use or function of words or sentenc, or to claim that the meaning of a word or sentences is its use in language.« Hsuehli Cheng: Empty Logic aaO., S. 118. 103 Vgl. Baruch Spinoza: Briefwechsel, Hamburg 1977, S. 210. 104 Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe, Dritter Band, Leipzig (Reclam) o. J., 157. 101
69
Erkennen
Inhalts mit der verneinenden Ausschließung jedes anderen steht. [...] Denn was mit jener Einheit des gesetzten Inhalts eigentlich gemeint war, interpretieren wir einleuchtend nur dadurch, daß wir seine Verschiedenheit von anderen hervorheben und nicht nur sagen, er sei was er sei, sondern auch: er sei nicht, was andere sind.«105 Noch enger sieht Stcherbatsky die Verbindung mit Sigwart; er spricht sogar von einer »vollen Übereinstimmung zwischen Sigwart und Dharmakirti«106. Sigwart sieht in dem Satz »A ist nicht B« allerdings einen sekundären, abgeleiten Ausdruck gegenüber der Unterscheidung zwischen A und B. Die Negation bringt die Differenz »durch einen ausdrücklichen Akt gegenüber einer drohenden Verwischung der festen Grenzen zum Bewußtsein.«107 Die von Stcherbatsky gefundene Analogie dürfte also auf einer Illusion beruhen, die einer rein logischen Interpretation der Apoha-Theorie entspringt. Wenn Stcherbatsky Apoha definiert durch den Satz: »Die Bedeutung eines Wortes wird bestimmt als Summe der von ihm bezeichneten Verneinungen«108, so bleibt der Begriff der »Verneinung« zweideutig, und diese Definition bleibt logisch zirkulär (vgl. Abschnitt 2.6.3). Versteht man darunter eine bloß logische Negation, so ist der kreative Prozeß der Begriffsbildung, den Dharmakirti im Auge hat, verfehlt. Solch eine rein logische Negation fest umgrenzter Begriffe ist in der Tat den logischen Systemen von Lotze, Sigwart, Erdmann, Wundt und anderen formal vergleichbar, trifft aller105
Hermann Lotze: Logik, Leipzig 1874, S. 26. Vgl. den Satz von Ratnakirti: »Though the negative element is not distincly articulated in words it is there as a feit content none the less.« Satkari Mookerjee: Philosophy aaO., S. 133.
106
Theodore Stcherbatsky: Buddhist Logik aaO., S. 395.
107
Christoph Sigwart: Logik, Bd. I, Tübingen 1911, S. 170.
108
Theodore Stcherbatsky: Erkenntnistheorie und Logik nach der Lehre der späteren Buddhisten, München-Neubiberg 1924, S. 122.
70
Begriff und Wahrnehmung
dings wohl kaum den Kern der buddhistischen Erkenntnislehre. Die buddhistische Erkenntnislehre ist kein Versuch der positiven Konstruktion einer Wissenschaft, sondern eine Kritik der Täuschungen. Gültige Erkenntnis (pramana) hat nur diese Aufgabe. Die »Seinsfrage« wird hier nicht als »Frage der Forschung«109 aufgeworfen, sondern als Hilfe auf dem Weg aus den Fesseln der Täuschung, die Leiden verursachen und die Lebewesen in einen Kreislauf von Abhängigkeiten und Sachzwängen führen. Erkenntnistheoretische Analysen sind im Buddhismus nie ein Selbstzweck, noch sind sie eine Magd der Wissenschaft oder Theologie. Bei aller formalen Analogie, die man in den erkenntnistheoretischen Fragestellung des Buddhismus zur europäischen Tradition entdecken mag - diese Lehre ist nicht eine neue Theorie, sondern führt heraus aus dem, was Buddha als »Theorien-Gestrüpp, TheorienGaukelei, Theorien-Sport, Theorien-Fessel« bezeichnet hat: »An Theorien gefesselt kann ein gewöhnlicher Mensch nicht frei werden von Geburt, Alter und Sterben, von Sorgen, Jammer, Schmerzen, von Kummer und Verzweiflung«. 110 Die Cittamatrins (= Yogacharas) haben die Erfahrung stets über die Logik gestellt - sowohl der chinesisch-japanische Zen-Buddhismus wie auch die Dzogchen-Lehre des tibetischen Buddhismus sind dieser Tradition gefolgt. Allerdings ist auch die erkenntnistheoretische Schule - in Tibet gleichfalls hoch geschätzt - nicht von diesem Prinzip abgewichen. Dharmakirti sagt: »Wenn jemand die Wirklichkeit erkennen will, sollte er nicht dem Syllogismus des schlußfolgernden Denkens ver-
109
11 0
Martin Heidegger: Prolegomena aaO., S. 193. Majjhima-Nikaya 2 aaO., 17.
71
Handeln
trauen«111. Bhavaviveka bringt in seinem Kommentar dazu diesen Gedanken in die Verse: Die Sonne ist nicht zugänglich für blinde Menschen. Der Himmel ist nicht erreichbar für böse Menschen. Die Wirklichkeit, die es zu erkennen gilt, ist nicht zugänglich für Logiker.112
3. Handeln 3.1. Die Rolle des Bewußtseins im Handeln Mit der Geburt, mit dem ersten Atemzug beginnen Menschen zu handeln. Der Atem ist die Urhandlung - mit ihm beginnt das menschliche Leben, und mit dem letzten Ausatmen endet es. »Achtsames Ein- und Ausatmen« ist im Buddhismus der Anfang jeder Meditationsübung, und Buddha sagt, achtsames Atmen ist die Voraussetzung, um »die Befreiung durch Wissen zu voller Entfaltung«113 zu bringen. Am Atmen läßt sich die Beziehung zwischen unbewußten, körperlichen Vorgängen und bewußten, willentlichen Handlungen besonders deutlich erkennen. Im Übergang von »es atmet« zu »ich atme« tritt sie deutlich hervor und verweist damit auf ein Strukturmerkmal des menschlichen Handelns: Die Grenze zwischen unbewußt-körperlichen und bewußten Bewegungen ist illusionär; sie kann durch Achtsamkeit verschoben werden. Deshalb nimmt die Achtsamkeit eine Schlüsselrolle bei allen buddhistischen Übungen ein - der Achtsamkeit auf den Atem kommt hierbei besondere Bedeutung zu.114 Die Übung Zitiert im Kommentar von Bhavavivekas Madhyamakaratnapradipa, John W. Pettit: Mipham's Beacon of Certainty, Boston 1999, S. 59. 11 2 Zitiert bei John W. Pettit: Beacon aaO. 11 3 Majjhima-Nikaya 38 aaO., S. 278. 11 1
11 4
72
Vgl. Nyanaponika: Geistestraining durch Achtsamkeit. Die buddhistische Satipatthana-Methode, Konstanz 1979.
Die Rolle des Bewußtseins im Handeln
des Atmens kann zeigen, weshalb im Buddhismus die Differenz zwischen körperlichen Vorgängen und bewußten Akten ganz anders bestimmt wird. An der Meditation über das Atmen bemerkt man sehr einfach, daß Dualitäten in der Handlungstheorie den Phänomenen nicht gerecht werden. Handeln heißt nicht, daß - wie bei Descartes - eine getrennte Entität (ego cogito) den Körper wie etwas Fremdes steuert. Die cartesische Dualität bleibt auch dann noch gewahrt, wenn man das denkende Ego durch eine andere Entität (z.B. die Sprache) ersetzt. Habermas sagt ganz in dieser Tradition: »Eine Körperbewegung ist Element einer Handlung, aber keine Handlung.«115 Das Motiv, Körperbewegung und Bewußtsein ontologisch zu trennen, beruht durchaus auf einem erkennbaren Phänomen: Das Bewußtsein kann Handlungen aktiv steuern. Wir machen Pläne, kommunizieren über unsere Absichten und können - vor Alternativen gestellt - Nein! sagen. Deshalb wird das Handeln auch als bewußtes Tun definiert. Da man aber alle Dualitäten in ihrer Reihenfolge umkehren kann, wurde die aktive Rolle des Bewußtseins auch immer wieder bestritten. Karl Marx sagt in einem berühmten Satz: »Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.«116 Das, was die Menschen bewußt denken, sind nur ihre unbewußt vollzogenen Lebensverhältnisse, die als Bewußtsein »wie in einer Camera obscura auf den Kopf gestellt erscheinen« 117. Eine vergleichbare These - mit einem anderen Bezugspunkt - vertritt die Psy-
Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, Band 1, Frankfurt/M. 1981, S. 146. 11 6 Karl Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie, Marx- Engels-Werke Bd. 13, S. 9. 11 7 Karl Marx, Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie, MarxEngels-Werke Bd. 3, S. 26. 11 5
73
Handeln
choanalyse. Bei Freud erscheint das bewußte Ich als Spielball zwischen ererbten Triebtendenzen (Es) und den Forderungen der Gesellschaft (Über-Ich). Freud sieht die Quelle der Triebe in einer Geschichte der Ich-Existenzen - ein Gedanke, der aus einer indischen Perspektive als »Reinkarnationstheorie« gelesen werden könnte: »Somit beherbergt das erbliche Es in sich Reste ungezählt vieler Ich-Existenzen, und wenn das Ich sein Über-Ich aus dem Es schöpft, bringt es vielleicht nur ältere Ichgestaltungen wieder zum Vorschein, schafft ihnen eine Auferstehung.«118 Die Genetiker und Hirnforscher der Gegenwart bewegen sich logisch im selben Denkmodell. Dort sind es entweder die Gene, die mit angeborenen Verhaltensdispositionen das Handeln determinieren sollen, oder es ist ein aus sich selbst heraus aktives Gehirn: »Die Autonomie menschlichen Handelns ist nicht im subjektiv empfundenen Willensakt begründet, sondern in der Fähigkeit des Gehirns, aus innerem Antrieb Handlungen durchzuführen.«119 Die Hirnforscher berufen sich dabei auf Experimente von Benjamin Libet, der zeigt, daß der willentliche Entschluß, eine Bewegung mit der Hand auszuführen, im Gehirn bereits eine halbe Sekunde zuvor als Bereitschaftspotential aufgebaut wird - woraus folgen soll, daß das Gehirn »handelt«. Libet, Roth und andere vergessen dabei allerdings einfach den Experimentator, der bewußte Anweisungen gibt.120 Man darf das Bewußtsein eben nicht mit einem solipsistischen Ego gleichsetzen (vgl. Kapitel 2).
Sigmund Freud: Das Ich und das Es; in: Gesammelte Werke Bd. XIII, Frankfurt a.M. 1972, S. 267. 119 Gerhard Roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit, Frankfurt a.M. 51996, S. 310; Roths Hervorhebung. 120 Libet gibt seiner Versuchsperson bewußte Instruktionen, betrachtet sie aber zugleich als bloßes Objekt, obgleich er performativ voraussetzt, daß sie seine Instruktionen versteht; vgl. Karl-Heinz Brodbeck: Hirngespinste. Zur unüberbrückbaren Diffe118
74
Die Rolle des Bewußtseins im Handeln
Derartige Reduktionismen leiden an einem doppelten Mangel: Einmal bewegen sich die Aussagen in der bis in die Sprache hinein festgeschriebenen Ontologie von Platon und Aristoteles. Zum anderen vergessen die Autoren, die eine derartige Reduktion des Bewußtseins auf ein »Sein« vornehmen, sich selbst. Wenn Marx und Engels behaupten, daß Bewußtseinsformen durch das gesellschaftliche Sein bestimmt sind, wenn Psychoanalytiker im Handeln das Werk unbewußter Triebtendenzen, Genetiker die Wirkung angeborener Verhaltensdispositionen, wenn Hirnforscher das System »Gehirn« am Werk sehen und dem Bewußtsein damit einen bestenfalls sekundären, nachgelagerten und bedingten Rang einräumen, dann vollziehen sie allesamt einen Denkfehler. Dieser Denkfehler beruht in folgendem: Um diese Aussagen machen zu können, muß sich derjenige, der solch eine Aussage macht, als Objekt der Aussage ausklammem. Wenn alles Denken nur Ideologie ist, wenn das Bewußtsein nur durch physische Prozesse - die Gene oder das Gehirn - bedingt ist, dann sind diese „Erklärungen" selbst genau das, was sie aussagen: Sie sind Ideologie, das Werk von unbewußten Triebtendenzen, genetisch bedingt oder von einem Gehirn autonom produziert. Damit sprechen sich diese Aussagen selbst jene Geltung ab, die sie zugleich einfordern. Zudem stehen diese Theorien in ihren Erklärungen zueinander in Widerspruch - wodurch soll das Bewußtsein nun wirklich determiniert sein: durch die Gesellschaft, die Gene, das Unbewußte oder das Gehirn? Marxs' Theorie würde ebenso durch das gesellschaftliche Sein als Ideologie bestimmt, wie Freuds Theorie nur Triebkompensation, Cricks Genetik Ergebnis einer genetischen Programmierung oder Roths Aussagen eine durch das Gehirn produzierte Illusionen wären. Ihr jeweiliger Anspruch, renz zwischen Neurowissenschaft und Ethik, Ethik-Jahrbuch 2004, Frankfurt a.M. 2004,17-31.
75
Handeln
wahre, in der Kommunikation für andere gültige (also konventionell richtige) Aussagen zu machen, widerlegt sich performativ. In ihrem Tun - ihren Aus sagen - widerlegen sie den intentional behaupteten Inhalt. Man kann nicht »die Gesellschaft«, »das Genom« oder »das Gehirn« als von ihrem Erkanntsein getrennte Entitäten beschreiben, ohne in einen Zirkel zu geraten, der in der buddhistischen Erkennt-nistheorie aufgedeckt wird (vgl. Kapitel 2). Derartige logische Widersprüche entstehen, weil immer noch im cartesischen Modell gedacht wird: Das erkennende Ego betrachtet sich selbst als jener Sphäre entzogen, über die es Aussagen macht oder in der es handelt. Sobald man sagt, daß das bewußte Ego durch etwas anderes (Gesellschaft, Triebe, Gene oder das Gehirn) kausal determiniert ist, fällt man auf die Illusion des eigenen Wissenschaftsegos herein, das sich selbst - während es seine Aussagen macht - immer von der Welt trennt, über die es Aussagen macht. Man kann also aus einer Perspektive des Egos nicht das Ego kritisieren, ohne jede Kritik des Bewußtseins in sich logisch aufzuheben. Das zeigt sich auch praktisch daran, daß die genannten Thesen wiewohl öffentlich heftig diskutiert - doch nie das alltägliche Handeln verändern konnten. Allerdings haben auf der Grundlage solcher »Theorien« Politiker großes Unheil und Leid verursacht. Der soziale Reduktionismus mündete in Stalins Terror, der biologische Reduktionismus im Rassenwahn der Nazis. Hier wird deutlich, wie wichtig ein gründliches Verständnis der Struktur des menschlichen Handelns ist. Niemand kann leugnen, daß unbewußte Einflüsse auch das Handeln bestimmen, wie umgekehrt die Kritiker des Bewußtseins performativ anerkennen, daß sie ihre bewußt vorgetragenen Argumente für richtig halten und somit dem Bewußtsein eine führende Rolle gleichwohl zubilligen. Die Beziehung zwischen Bewußtsein und Körper kann somit nicht so bestimmt werden, als würden sich hier zwei völlig getrennte Seins-
76
Die Rolle des Bewußtseins im Handeln
weisen, Substanzen oder Entitäten aufeinander beziehen. In der tradierten europäischen Ontologie muß man allerdings - schon die Sprache fordert diesen Preis ein - in der einen oder anderen Substanzmetaphysik denken. Wer, wie Roth, sagt, daß das Gehirn aus eigenem Antrieb Handlungen ausführt, der bemerkt gar nicht, daß er ontologisch weiterhin eine Substanz handeln läßt. Viele Sätze der Gehirnforscher könnte man unmittelbar übersetzen, indem man »Gehirn« wieder durch »Ego« ersetzt. Sie sind - wie viele Wissenschaftler, die mit dem philosophischen Denken nicht in langer Übung sich vertraut gemacht haben - Opfer einer unverstandenen Metaphysik der Sprache. Die Frage nach dem menschlichen Handeln verweist damit auf die innere Beziehung zwischen bewußten Prozessen, der Funktion von Zeichen und ihrer Einbettung in Bewegungen, die wir dem Körper zuschreiben. Ein Blick auf den Atem kann das nochmals verdeutlichen. Das Bewußtsein kann man nicht als äußere Lenkung des Atems verstehen. Wenn man bewußt atmet, verschmilzt das Bewußtsein mit dem Atem, wird eins mit ihm. Der Übergang von »unbewußt« zu »bewußt« ist also nicht als Verhältnis zweier getrennter Entitäten beschreibbar. Ob ein körperlicher Vorgang als bewußt erscheint, hängt ab von Umständen, und das Bewußtsein selbst kann - darin liegt seine Sonderrolle - einer Handlung auf verschiedene Weise »Sinn« verleihen. Jede Handlung ist also auch ein Zeichenprozeß, worin körperliche Prozesse, aufeinander bezogen, die Funktion von Zeichen, von Bedeutungen übernehmen. Ob mein Atem die Bedeutung »ich atme« besitzt, hängt von meiner Achtsamkeit auf den Atem ab. Ähnlich fließend sind die Grenzen bei allen TrancePhänomenen: Ob ich einen Arm hebe oder die Suggestion eines Hypnotiseurs dafür verantwortlich ist, das hängt ab von der Situation meines Bewußtseins. Fast alle »neuen Fakten«, die von der Hirnforschung präsentiert wurden,
77
Handeln
sind aus der Hypnose und der Meditationserfahrung schon sehr lange bekannt.
3.2. Zur Entwicklung der Theorie des Handelns Die eben diskutierten Fragen nach einer inneren Dualität im Handeln haben eine weit zurückreichende Wurzel. Diese Dualität kann unterschiedlich erscheinen: In der Frage, ob ich handle oder es (mein Körper, Gehirn usw.), ob eine Handlung aus sich Sinn besitzt oder den Sinn nur durch äußere Zuschreibung erhält, ob im Handeln ein Bewußtsein den Körper steuert oder von ihm gesteuert wird usw. Tatsächlich verbirgt sich dahinter aber eine Struktur, und die buddhistische Analyse dieser Struktur kann hier im Dialog mit den westlichen Antworten einige neue Aspekte aufzeigen. Die genannte Dualität findet sich auch in einer Unterscheidung, die Aristoteles bezüglich des menschlichen Handelns vorgenommen hat. Ein erster Handlungstypus, wie z.B. ein bewußter Atemzug, hat seinen Sinn in sich selbst; niemand fragt nach einem äußeren Zweck des Atmens, wenn er Luft holt. Ein zweiter Typus findet seinen Sinn in einer von der geistigen oder körperlichen Bewegung verschiedenen Sache: Diese Handlungen sind Mittel zum Zweck. Aristoteles unterscheidet demgemäß zwei Arten menschlichen Handelns: »Die poiesis (= das Hervorbringen) hat ein Ziel außerhalb seiner selbst, die praxis nicht. Denn die gute praxis ist selbst ein Ziel.«121 Das Wort »Praxis« hat heute eine allgemeinere Bedeutung erhalten; es wird oft gleichbedeutend mit »Handlung« verwendet. Bei Aristoteles umfaßt die praktische Philosophie die Ethik und die Lehre vom Staat. Mit der poiesis, dem Hervorbringen - vor allem der Handwerker -, beschäftigen sich die griechischen Philosophen eher selten explizit. Gleichwohl ist diese Tätigkeit häufig ein implizites
121
78
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1140 b1 6f.
Zur Entwicklung der Theorie des Handelns
Modell, selbst in der Erklärung von Platons Ideenlehre oder in der Metaphysik des Aristoteles.122 Die von Aristoteles behauptete Dualität von (eigentlichem) Handeln und Herstellen kehrt auf vielfache Weise wieder.123 Wenn man die Formulierung von Martin Buber verwendet, dann kann man sagen; Handeln ist eine Beziehung zwischen Ich und Du, Herstellen eine Beziehung zwischen Ich und Es.124 Diese Dualität vollzieht also unter einem Gesichtspunkt eine Trennung zwischen Personalem und Impersonalem, unter einem anderen Gesichtspunkt trennt sich hier das Private und das Öffentliche. Der Einzelne tritt als Ich vereinzelt in seinem Herstellen einem Ding, einem Objekt oder Es gegenüber, als kommunikatives und politisches Wesen bezieht er sich auf andere, auf ein Du. Das Herstellen, die Produktion wird meist als ökonomische Privatsache ausgelegt; auch der Austausch erscheint als Beziehung zwischen Privaten, die sich wechselseitig als ein bloßes Mittel ihrer Zwecke verdinglichen: Das Du wird zum Es. Diese Austauschverhältnisse sind gleichwohl eingebettet in eine Kommunikationssphäre, in der sich die Menschen aufeinander als handelnde Wesen, als Ich und Du beziehen. Die Ethik als Lehre vom Handeln betrachtet den Einzelnen aus dieser sozialen Perspektive: Jeder muß sein privates Handeln vor anderen rechtfertigen. Diese Trennung von Handeln und Herstellen erscheint in der Moderne also ebenso in der Trennung von Wirtschaft und Politik wie in der Trennung zwischen Privatheit, Eigen-
Vgl. Kapitel 8.7 »Handeln als metaphysischer Horizont« in: Karl-Heinz Brodbeck: Zirkel aaO. 123 Vgl. Hannah Arendt: Vita Activa, Stuttgart 1960, 4. und 5. Kapitel; Jürgen Habermas: Technik und Wissenschaft als Ideologie , Frankfurt a. M. 1969, S. 33. 124 Vgl. Martin Buber: Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1973, S. 7ff. 122
79
Handeln
tum oder Individualität einerseits und Öffentlichkeit andererseits. Im Griechenland des vierten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung wurde diese Dualität erstmals in die Sphäre der Reflexion erhoben und mündete schließlich in der Vorstellung der Moderne, wie wir sie in exemplarischer Form bei Descartes finden: »Handeln« ist die Willenstätigkeit eines Egos, das sich auf Dinge oder andere Menschen bezieht. Die Technik als Ich-Es-Beziehung wird zur Bemächtigung der Natur, die Beziehung zu anderen Menschen, die Ich-Du-Beziehung, gestaltet sich als Moral und Recht. Die europäische Handlungstheorie hat sich aus dieser Herkunft widersprüchlich entfaltet. Mehr und mehr drängte sich eine verdinglichte Betrachtung des Handelns in den Vordergrund; man beschreibt die Tätigkeit der Menschen als bloßes Verhalten.125 Die Ökonomen sehen in der menschlichen Arbeit nur noch einen energetischen Prozeß, die »produktive Verausgabung von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand usw.«126. Menschen werden auf ein rein sachliches Verhältnis reduziert - ein Prozeß, der sich durch alle Wissenschaften vom Menschen zieht: Biologie und Genetik, Medizin, Hirnforschung, Psychologie usw. Menschen verhalten sich als Systeme, sie handeln nicht - so lautet die Diagnose der Moderne. Die Ethik hat hier keinen wirklichen Ort mehr. Sie bleibt entweder Privatsache des Individuums und »findet einen letzten Zufluchtsort in den Schrullen und Marotten des Privatlebens«127 oder sie wird zum bloßen Streitgegenstand in öffentlichen Debatten. Diese Entwicklung gründet in einer unklaren Denkform, die sich ursprünglich bei Aristoteles diagnostizieren läßt. Vgl. Karl-Heinz Brodbeck: Die fragwürdigen Grundlagen der Ökonomie. Eine philosophische Kritik der modernen Wirtschaftswissenschaften, Darmstadt 22000, Teil 5. 126 Karl Marx: Das Kapital Bd. I, Marx-Engels-Werke Bd. 23, S. 58. 127 Karl Marx: Marx-Engels-Werke Bd. 15, S. 464. 125
80
Zur Entwicklung der Theorie des Handelns
Aristoteles unterscheidet - ich habe darauf schon hingewiesen beim Hervorbringen vier Ursachen: Zweck, Form, Wirkursache und Material. Der Zweck, das Wozu der Tätigkeit, kommt von außen; Form, Wirkursache und Material sind Elemente der Tätigkeit des Hervorbringens selbst. Der Zweck einer Produktion verweist aber in die Öffentlichkeit und hat insofern einen moralischen Charakter, mag auch die Produktion selbst davon getrennt sein. Die aristotelische Klassifikation wird deshalb oft fehlgedeutet. Man darf Zweck und Form(ursache) nicht verwechseln: Der Bauplan eines Hauses (Formursache) ist von dem praktischen Nutzen, den das fertige Haus stiftet, verschieden.128 Die Form einer Sache - in der Erkenntnis als Begriff zugänglich - ist nicht einfach nur »privater« Zweck. Begriffe haben eine konventionelle Wirklichkeit, die eng mit der Sprache verknüpft ist. Wenn man das Hervorbringen also als Verwirklichung einer Form (Realisierung eines Modells) betrachtet, dann reicht die Poiesis, die Produktion in die Sphäre der Kommunikation, der Öffentlichkeit hinein. Man kann sie nicht trennen von der Praxis. Bei Platon, der die Erkenntnis der Begriffe, der Ideen im Dialog suchte, ist davon durchaus noch ein Wissen vorhanden, das bei Aristoteles verloren gegangen ist.129 Trennt man die Begriffe von der konventionellen Realität, vom sozialen Handeln, so setzt ein Reduktionsprozeß ein, der mehr und mehr diesen menschlich-kommunikativen Aspekt des Handelns eliminiert, das Handeln in
Aristoteles hat dieser Verwechslung selbst Vorschub geleistet wenn er sagt, daß »Form (ousia, Wesen) und Zweck dasselbe sind« Physik II.7,198a. 129 Vgl. zu dieser Frage Karl-Heinz Brodbeck: Wirklichkeit und Schein. Zum Dialog zwischen westlicher und buddhistischer Tradition; in: Hamid R. Yousefi, Klaus Fischer (Hg.): Interkulturelle Orientierung, Teil II, Nordhausen 2004, S. 136; Karl-Heinz Brodbeck: Zirkel aaO., Kapitel 2.7. 128
81
Handeln
das bloße Verhalten von Dingen verwandelt und die Ethik durch einen Physikalismus ersetzt. Der europäische Nominalismus, der sich grundlegend von der buddhistischen Begriffstheorie unterscheidet, reproduziert diese Struktur: Wahrnehmungen als Grundlage und Voraussetzung jedes Handelns haben im Nominalismus eine private, individuelle Struktur. Nur die sprachlichen Zeichen verknüpften die Menschen, haben aber keinen strukturellen Bezug mehr zu den rein individuellen Wahrnehmungen. Konstruiert man also nominalistische Theorien der Zeichenverwendung, so klafft eine unüberbrückbare Lücke zwischen Theorie und Praxis, zwischen Zeichen und Vorstellung, zwischen Individuell-Privatem und Allgemein-Öffentlichem. Mit dieser Lücke schlägt sich die Wissenschaftsphilosophie unter den Stichwörtern »Induktionsproblem«, »Dogmen des Empirismus«, »Verifikation oder Falsifikation«, »Trennung von Faktum und Wert« usw. herum, ohne eine Lösung zu finden.130 Wie die Moral als Privatsache gilt, so gilt auch der Inhalt der Wahrnehmung, der Gegenstand des Handelns als vereinzelte, individuelle Gegebenheit. Die Trennung von Privatem und Öffentlichem, von Theorie und Praxis, von Begriff und Wahrnehmung ist damit gleichursprünglich als eine Trennung von Moral und Wissenschaft, von Glaube und Vernunft, von Wert und Faktum zu erkennen. Mit jeder neuen Tatsache, die Wissenschaftler über die Struktur des menschlichen Körpers, seiner Psyche oder des Gehirns entdecken, klafft diese Dualität immer wieder neu auf: »Sind wir ein Spielball unserer Triebe, des Unbewußten, der Gene, oder ist das Bewußtsein ohnehin nur eine vom Gehirn produzierte Täuschung?« Die Trennung der Form, 130
82
Vgl Wolfgang Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Band IV, BerlinHeidelberg-New York 1973, S. 1-104.
Der Ort des Handelns (die fünf Skandhas)
des Begriffs von der Handlung schafft diese Dualität, die zwar immer wieder neu zu überbrücken versucht wird, in ihrem Ursprung aber unerkannt bleibt. Auf eben diese Dualität zielen aber nahezu alle Überlegungen, die in der buddhistischen Tradition zum menschlichen Handeln entwickelt wurden. Und auch hier bewährt sich der Buddhismus als kritische Philosophie. Die Kernaussage lautet: Das Nicht-Wissen über diese Dualität stürzt das Handeln in einen unaufhörlichen Strom von selbst geschaffenen Abhängigkeiten, die wir erleiden.
3.3. Der Ort des Handelns (die fünf Skandhas) Die buddhistische Lehre vom Handeln gründet, wie alle anderen Lehren des Buddhismus, auf der Grundeinsicht vom Anatman, vom Nicht-Ich: »Bloß Taten gibt es, doch kein Täter findet sich.«131 Man hat in dieser buddhistischen These den Vorläufer der empirischen Psychologie gesehen. Friedrich Albert Lange prägte den Begriff einer »Psychologie ohne Seele«132. Wilhelm Wundt hat diesen Begriff übernommen.133 Helmut von Glasenapp knüpft daran an, wenn er sagt, daß Buddha diese Erkenntnisse vorweggenommen habe: Buddha treibe »damit eine Psychologie ohne Seele , die den Gesichtspunkt unverbrüchlicher Gesetzmäßigkeit, den der Europäer nur auf die Erscheinungen der natürlichen Welt anwendete, auch in der moralischen Welt zur Geltung brachte.«134
131
132
Visuddhi-Magga aaO., S. 597. Friedrich A. Lange: Geschichte des Materialismus und Kritik seiner Bedeutung in der Gegenwart, Frankfurt a. M. 1974, S. 823.
133
Wilhelm Wundt: Die Aufgaben der experimentellen Psychologie; in: Wilhelm Wundt: Essays, Leipzig 1885, S. 187f.
134
Helmuth von Glasenapp: Die Religionen Indiens, Stuttgart 1943, S. 238; vgl. auch die Zustimmung zu dieser These bei Georg Krauskopf: Die Heilslehre des Buddha, Konstanz 1954, S. 198.
83
Handeln
Das ist wohl ein Mißverständnis, sowohl des Buddhismus wie der wissenschaftlichen Psychologie. Die wissenschaftliche Psychologie - man versteht darunter die Psychophysik, also ein Modell, das seelische Funktionen durch physische Vorgänge erklären möchte - lehnt die Introspektion ab. Sie ist nicht nur eine Psychologie des Anderen, der Andere wird auf ein Es, ein Ding, ein physisches Verhalten reduziert. Die buddhistische Psychologie basiert dagegen auf Introspektion135, auf Erfahrung, sogar auf außergexuöhnlichen, durch lange Übung reproduzierbaren Erfahrungen. Darin liegt ein ganz anderes Verständnis. Die Aussage: »Bloß Taten gibt es, doch kein Täter findet sich« ist nicht eine Aussage über das äußere Verhalten des menschlichen Körpers, sondern eine Erfahrung, die ein Praktizierender des Buddhismus im eigenen Bewußtsein macht. Die »buddhistische Psychologie« 136, als Grundlage und Voraussetzung der Handlungslehre, ist introspektiv. Die umfangreichen Bewußtseinsmodelle im Abhidharma verstehen sich als Gebrauchsanleitungen, nicht als äußere Erklärungsmodelle eines Verhaltens. Geht es der wissenschaftlichen Psychologie um die Erklärung des Durchschnittsverhaltens eines Menschen, so zielt die buddhistische Psychologie auf eine Selbstveränderung des Denkens und Handelns - spannt also einen Bogen von der Psychologie zur Ethik. Menschen sind - so definiert die europäische Überlieferung - sprechende oder vernünftige Lebewesen (zoon logon; animal rationale). Die Fähigkeit, Zeichen zu verwenden, zeichnet die Menschen aus, macht sie selbst zum Zeichen:
135
Es gibt auch im Westen eine introspektive Psychologie; vgl. Paul Ziehe (Hg.): Introspektion, Wien-New York 1999.
136
Vgl. Herbert V. Guenther, Leslie S. Kawamura: Mind in Buddhist Psychology, Emeryville 1975; Herbert V. Guenther: Philosophy aaO.; David J. Kalupahana: The Principles of Buddhist Psychology, New York 1987.
84
Der Ort des Handelns (die fünf Skandhas)
»Ein Zeichen sind wir, deutungslos«, sagt Hölderlin in seinem Gedicht Mnemosyne. Ein Zeichen zeigt auf etwas, auf eine Form, und in dieser Relation entsteht Bedeutung, entsteht Bewußtsein. Dieser Gedanke findet sich in modifizierter Gestalt gleichfalls in der frühesten buddhistischen Überlieferung. Das Bewußtsein ist keine Substanz, kein Ich, sondern entsteht aus einem Prozeß, in dem sich Zeichen und Bezeichnetes, Begriff und Form (nama-rupa) aufeinander beziehen. Dieser Zeichenprozeß, die »Bahn der Benennung« 137,
bedingt das Bewußtsein (vijnana), und das Bewußtsein bedingt wiederum den Zeichenprozeß aus Begriff und Form. Begriff und Form, Zeichen und Bezeichnetes sind die Urdualität gegenseitiger Abhängigkeit, wie »zwei Rohrbündel, an einander gelehnt«138. Und diese Zeichendynamik ist zugleich die Struktur des situativen Handelns. Die aus der Selbstbeobachtung, der Kontemplation der eigenen Gedanken und Handlungen hervorgehende Erfahrung im Buddhismus führt zu einer ganz anderen Beschreibung als jene, die aus der europäischen Handlungstheorie bekannt ist. Nicht ein vorausgesetztes Subjekt (Ego) besitzt ein Bewußtsein, das in zwei transzendenten Akten (durch das Erkennen und Handeln) auf eine von ihm getrennte Außenwelt übergreift. Vielmehr sind das Bewußtsein, der Wille und das Handeln die dynamische Struktur eines Prozesses, in dem sich die nach allen Seiten offene Welt in der begrifflichen Illusion des Egos verpuppt. Die Struktur dieser Illusion wird im Buddhismus auf verschiedene Weise beschrieben, jeweils abhängig von dem Aspekt, auf den sich ein Praktizierender konzentriert, der all dies erkennen und in seinem Handeln verwandeln möchte. Digha-Nikaya 11.15; Karl Eugen Neumann: Die Reden Gotamo Buddhos, 2. Band, München 1927, S. 92; vgl. Nanananda: Concept aaO., S. 75. 138 Samyutta-Nikaya 11.114. 137
85
Handeln
Ein Grundmodell der handelnden »Psyche« sind die fünf Skandhas (= fünf Gruppen). Die Dualität des verblendeten Zeichenprozesses aus Begriff und Form (nama-rupa) ist eine Kurzformel für die in den fünf Skandhas beschriebenen Aspekte des situativen Daseins, das wir gewöhnlich mit »Mensch« oder »Lebewesen« bezeichnen. Der duale Zeichenprozeß aus Begriff und Form erscheint situativ vermittelt. Der Begriff - Nama - wird hier differenziert in vier Teilmomente: Gefühl, Wahrnehmung, Gewohnheitsmuster und Bewußtsein.139 Die fünf Skandhas können als Modell jeder Situation, in der Menschen handeln, begriffen werden. Es stehen sich nicht Formen und Begriffe aus zwei Welten gegenüber, sondern sie bilden Momente eines Prozesses. In jeder Situation finden wir Formen vor, die uns durch die fünf Sinne gegeben erscheinen (rupa, das erste Skandha). Diese sinnliche Vielfalt ist dennoch eins, denn sie wird durchzogen oder begleitet von Stimmungen oder Gefühlen (vedana, zweites Skandha). Im Gefühl versammelt sich die sinnliche Vielfalt; zugleich hängen Gefühle mit den Formen unmittelbar zusammen, und dieser Zusammenhang bildet sich durch unsere Erfahrung. In dieser Beziehung zwischen sinnlicher Vielfalt und der durchtönenden Einheit der Stimmung vollziehen sich die wahrgenommenen Unterschiede, innerhalb der jeweiligen Sinne und zwischen ihnen. Die Wahrnehmung (samjna, drittes Skandha) ist also keine unabhängige Struktur, sondern ihrerseits vermittelt. Die vielfältigen körperlichen und gedanklichen Reaktionen auf die wahrgenommenen und gefühlten Formen, die sich in einem Lebensstrom der Erfahrung ansammeln, bilden eine Fülle von Gewohnheitsmustern (samskara, viertes Skandha), 139
86
Andere Einteilung sind in der buddhistischen Tradition gebräuchlich, so eine Dreiteilung der fünf Skandhas in Körper-Stimme-Denken; vgl. hierzu genauer Karl-Heinz Brodbeck: Spiel-Raum aaO., S. 32-41.
Der Ort des Handelns (die fünf Skandhas)
die meist unbewußt bleiben. Der bewußte Inhalt dessen, was wir an Formen fühlen, wahrnehmen oder worauf wir reagieren, hängt von den vier anderen Skandhas ab. Das Bewußtsein (vijnana, fünftes Skandha) ist in seiner rastlosen Dynamik also keine getrennte Entität, keine Substanz, sondern ein bedingter Prozeß. Die Dynamik der fünf Skandhas wird im Buddhismus als Täuschung interpretiert, sofern sich die Menschen mit einem oder mehreren Skandhas identifizieren und dies als ihr Selbst betrachten. Der »unerfahrene Weltmensch«, d.h. der in seinen Denk- und Handlungsgewohnheiten gefesselte Mensch, betrachtet z.B. das Bewußtsein als das Selbst, als unabhängige Wesenheit. Er erfährt dann aber »Wandel und Veränderung dieses Bewußtseins«, und daraus entstehen ihm »Kummer, Jammer, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung«140. Die fünf Skandhas beschreiben eine dynamische Struktur des situativen Daseins, das kein abtrennbares Zentrum, keinen Kern besitzt. Sie sind auch nicht etwas, das einer Welt wie ein Subjekt einem Objekt gegenüberstünde. Vielmehr ist die Offenheit der Welt durch die fünf Skandhas als Verblendung strukturiert. Deshalb sagt Buddha: »in eben diesem klafterhohen, mit Wahrnehmung und Bewußtsein versehenen Körper, da ist die Welt enthalten, der Welt Entstehung, der Welt Ende und der zu der Welt Ende führende Pfad.«141 Es ist also nach buddhistischer Auffassung nicht so, daß ein Subjekt in oder durch einen Körper auf eine körperliche Außenwelt handelnd wirkt. Vielmehr wird die Gesamtheit der Weltphänomene, auf die sich das Handeln bezieht, zugleich mit der Handlungsstruktur (den fünf
140
14 1
Vgl. Samyutta-Nikaya XXII, 43. Anguttara-Nikaya IV.45 aaO. Bd. 2, S. 53.
87
Handeln
Skandhas) hervorgebracht. »Kurz gesagt, die Skandhas sind definiert durch alle Phänomene «, sagt Nagarjuna.142 Es gibt also keinen Aspekt des Handelns, der nicht mit der Welt verknüpft wäre, der nicht in gegenseitiger Abhängigkeit zu allen anderen Phänomenen stünde. Gleichwohl spielt das Bewußtsein eine Sonderrolle. Das Bewußtsein, sagt Dilgo Khyentse, ist »der König der fünf Skandhas«143. Auch Könige sind abhängig von ihren Untertanen, die sie gleichwohl regieren. Karl Marx erläutert das in einem hübschen Satz: »Dieser Mensch ist z.B. nur König, weil sich andre Menschen als Untertanen zu ihm verhalten. Sie glauben umgekehrt Untertanen zu sein, weil er König ist.«144 Diese seltsam-reflexive Struktur zwischen König und Untertanen kann das Problem des Bewußtseins als Metapher verdeutlichen. Die Macht des Königs beruht nicht auf seiner physischen Kraft oder einer kausalen Beziehung; es handelt sich um eine kognitive Relation der Anerkennung. Dennoch ist diese Macht insofern real, als sich die Untertanen zu ihrem König untertänig verhalten. Das Verhältnis zwischen Bewußtsein und Körper im Prozeß des Handelns ist nicht das Nebeneinander zweier ontisch getrennter Substanzen, wie dies in der europäischen Tradition von Platon bis Descartes behauptet wurde (res cogitans versus res extensa). Es handelt sich auch nicht um parallele Phänomene, zwei Aspekte eines gemeinsamen Dritten, und noch weniger kann man eines auf das andere reduzieren. Bewußtsein und körperliche Form sind durch einen Prozeß vermittelt, der sich durch die Dynamik von Gefühl, Nagarjuna: Bodhicittavivarana 66; in: Chr. Lindtner (Hg.): Nagarjuniana, Copenhagen 1982, S. 205. 143 Dilgo Khyentse: Das Herzjuwel der Erleuchteten, Berlin 1994, S. 167. 144 Karl Marx: Das Kapital Bd. I, Marx-Engels-Werke Bd. 23, S. 73, Note. 142
88
Der Ort des Handelns (die fünf Skandhas)
Wahrnehmung und (teils unbewußten) Gewohnheiten vollzieht. Sie hängen voneinander ab, auch wenn gewöhnlich das Bewußtsein durch Gefühle, wahrgenommene Formen und unbewußte Einflüsse dominiert wird. Diese durch die fünf Skandhas vermittelte dynamische und situative Struktur ist der Grund, weshalb Buddha über das Bewußtsein scheinbar widersprüchliche Aussagen macht. Zu einem Schüler, der die Autonomie des Bewußtseins als These vertritt, sagt Buddha: »Habe ich nicht mehrfach erklärt, daß das Bewußtsein bedingt entsteht, daß kein Bewußtsein ohne Ursache entstehen kann?«145 Das Bewußtsein geht aus dem Prozeß der fünf Skandhas hervor und existiert nicht getrennt davon. Die fünf Skandhas - zusammengefaßt unter der Sammelbezeichnung Nama-Rupa - bringen das Bewußtsein hervor: »Wieder hervor kehrt es, dieses Bewußtsein, aus Nama-Rupa.«146 Doch zugleich sagt Buddha im berühmten ersten Vers des Dhammapada: »Vom Geist geführt die Dinge sind, vom Geist beherrscht, vom Geist gezeugt.«147 Und an anderer Stelle: »Vom Bewußtsein wird die Welt gelenkt, vom Bewußtsein wird sie hin und her gezerrt, der Macht des Bewußtseins ist die Welt unterworfen.«148 »Welt« bedeutet hier die fünf Skandhas, also alle wahrgenommenen, gedachten und im Handeln beeinflußten Phänomene. Wie sind diese scheinbar widersprüchlichen Thesen zu verstehen? Wenn wir Buddhas Aussagen in die eingangs skizzierten Denkformen der Moderne übersetzen, so lautet die Alternative: Ist das Handeln ein mit Bewußtsein, Willen
Majjhima-Nikaya 38 aaO., S. 128; vgl. Samyutta-Nikaya XII.53. Digha-Nikäya 11.14; vgl.: »durch die Entstehung von Begriff und Form (nama-rupa) kommt es zur Entstehung des Bewußtseins«, Samyutta-Nikaya XXII, 56. 147 Dhammapada, hrsg. v. Nyanatiloka, Uttenbühl 1992, S. 17. 148 Anguttara-Nikaya IV.186 aaO., Bd. 2, S. 151. 145 146
89
Handeln
und Freiheit vollzogenener Akt? Oder ist das Handeln eine Illusion, ist es gesteuert von genetischen Strukturen, einem psychologischen Unbewußten oder ein illusionäres Produkt des Gehirns? Die buddhistische Antwort darauf liegt in einer Kritik der durch diese Fragen stillschweigend vorausgesetzten, täuschenden Dualität von Nama-Rupa. Buddha entwickelt das Modell der fünf Skandhas zur Beschreibung der Dynamik des Prozesses dieser Täuschung. Die fünf Skandhas werden nicht von einem Ego (atman) »bewohnt« - dies war in der indischen Tradition die These in den Upanishaden und eine verbreitete Lehre der Brahmanen. Buddha hat die Vorstellung - darauf habe ich im zweiten Kapitel hingewiesen -, daß in den fünf Skandhas eine unsterbliche Seele, ein dauerhaftes Ego wohne, als eine »völlig närrische« Lehre bezeichnet. Diese Lehre ist verrückt, weil sie einen Widerspruch enthält. Das Bewußtsein, auch das Selbstbewußtsein eines Egos, ist abhängig von vergänglichen Faktoren und kann deshalb nicht selbst die Natur der Dauer, der Ewigkeit besitzen. Andererseits aber ist das Bewußtsein nicht einfach kausal durch physische Faktoren verursacht. Das Bewußtsein ist ein funktionales Element der fünf Skandhas, ebenso bedingt, wie seinerseits die anderen Elemente bedingend. Das wird im Buddhismus durch die Formel von der »abhängigen Entstehung« (pratityasamutpada) ausgedrückt. Es handelt sich um eine Wechselbeziehung, eine Funktion, nicht um Kausalität oder eine ontologische Trennung von Schichten. Wenn also das Bewußtsein, das Denken nicht eine getrennte Entität, sondern ein funktionales Prozeßelement der »Welt« ist, dann ist es sowohl abhängig, wie andere Elemente von ihm abhängen. Ein König kann von seinen Untertanen mißachtet werden oder völlig in ihrer Gewalt stehen, wie bei einer bürgerlichen Revolution sichtbar wird; er kann aber auch Macht über seine Untertanen haben. Diese Metapher
90
Der Ort des Handelns (die fünf Skandhas)
vom Bewußtsein als König der fünf Skandhas verweist damit auf eine veränderbare Beziehung. Es läßt sich nicht - wie ein physikalisches Gesetz festschreiben, ob das Bewußtsein Sklave oder Herr einer Situation, körperlicher Vorgänge, der Emotionen usw. ist. »Kein anderes Ding kenne ich«, sagt Buddha, »das, unentfaltet, so ungefügig ist wie der Geist. Kein anderes Ding kenne ich, das, bezähmt, behütet, bewacht und gezügelt, zu so großem Segen führt wie der Geist.«149 Die Entfaltung des Bewußtseins ist seine Übung. Das Bewußtsein hat die merkwürdige Fähigkeit, sich selbst zu zügeln, zu beeinflussen. Es wird »König der Skandhas«, wenn es geübt wird. Unter Übung ist hierbei all das zu verstehen, was im Buddhismus als »Geistestraining« tradiert wird: Von der rationalen Analyse der Erkenntnisprozesse über die alltägliche Übung der Achtsamkeit, die Entfaltung eines ethischen Verhaltens bis zur Yoga-Praxis, also den verschiedenen Praktiken der Meditation, dienen diese Methoden der Loslösimg des Bewußtseins von Abhängigkeiten. Das Bewußtsein steht gewöhnlich unter dem Einfluß von vielen Faktoren. Diese Fülle an Gewohnheitsmustern, die weitgehend unbewußt bleiben, die Fesselung an emotionale Reaktionen, das Festhalten von Denkmodellen, den Glauben an Dogmen, eine ungezügelte Aufmerksamkeit, die sich unaufhörlich von äußeren Reizen ablenken läßt - all dies nennt man im Buddhismus zusammenfassend die »Verunreinigungen« (asavas). Ein gewöhnliches Bewußtsein ist ein abhängiges Bewußtsein, ein getrübtes Bewußtsein. Doch dieses Bewußtsein kann sich von seinen Eintrübungen, seinen Abhängigkeiten schrittweise und in einem - allerdings langwierigen Übungsprozeß befreien. Die Ermöglichung dieser Verunreinigungen ist der Prozeß der fünf Skandhas. Man klammert sich scheinbar an eines 149
Anguttara-Nikaya 1.3 aaO. Bd. 1, S. 19f.
91
Handeln
der fünf Elemente - und diese Identifikation ist der Kern des Ego-Prozesses. Dadurch wird die Dualität aus Begriff und Form (nama-rupa) unaufhörlich reproduziert. Das, was wir als gewöhnlichen, normalen Menschen betrachten, das ist ein Mensch, der aus dieser Dualität in seinem Denken und seinen Emotionen ein Spielball der Verunreinigungen bleibt. Dieser »normale« Mensch, gesteuert von Gewohnheiten, ist der Gegenstand der europäischen Handlungstheorie und Psychologie.
3. 4. Zeichen, Handeln und Karma Versucht man aus dieser gewöhnlichen Perspektive die buddhistischen Aussagen über das Bewußtsein zu verstehen, so verfällt man entweder in einen materialistischen Reduktionismus oder in einen Idealismus. Die Pointe bleibt dabei unverstanden: Zwar ist das, was wir die »Welt« nennen, nur in einer Innenperspektive zugänglich. Wir können keinen transmundanen Standpunkt einnehmen, sondern sind immer schon mittendrin in der Welt, die wir erkennend und handelnd verändern. Doch diese Erkenntnis ist nicht ein Idealismus, weil es eben kein transzendentales (der Welt entrücktes) Ego gibt, das über den Körper (oder das Gehirn) in die Welt hineingreift, um sie zu verändern. Es ist durch die Verneinung eines bleibenden Egos aber auch kein Materialismus behauptet, weil jede äußere Form immer eine wahrgenommene Form ist, ihre Bedeutung also nur im situativen Prozeß der fünf Skandhas gewinnt. Alle Bedeutung - und auch jede wissenschaftliche Theorie ist nur ein System der Bedeutungen - geht aus diesem Prozeß hervor, der in seiner Dualität von NamaRupa ein Zeichenprozeß ist, in dem sich Zeichen (nama) und Bezeichnetes (rupa) trennen und aufeinander beziehen. Ich möchte diese Struktur an einigen Überlegungen der westlichen Philosophie und Wissenschaft spiegeln, um vielleicht ein etwas anderes Licht auf einige strittige Fragen der
92
Zeichen, Handeln und Karma
Handlungstheorie zu werfen. Wenn man das, was man in europäischer Tradition als »Wesen des Menschen« bezeichnet, durch eine Zeichenrelation (nama-rupa) bestimmt, so verweist dies darauf, daß es nach buddhistischer Auffassung keine Dinge gibt, die außerhalb einer Bedeutungsrelation existieren. Genau das wäre der präzise Wortsinn einer vom Bewußtsein getrennten Außenwelt. Es wäre eine Welt ohne Bedeutung; Bedeutung käme den Dingen erst durch ihre Erkenntnis zu. Doch das, wie sich zeigte (vgl. Kapitel 2.6.2), ist undenkbar. Deshalb bewegt sich auch das menschliche Handeln nicht in einer ihm völlig fremden Welt. Vielmehr ist das Welthafte der Welt stets schon das, was in einem Bedeutungsraum (papanca) offenbar ist. Es gibt kein Phänomen, das nicht seinerseits einen Bezug zu einem Zeichen hätte oder selbst Zeichen werden könnte. Insofern ist das Wesen des Menschen selbst aus der Dualität des Zeichenprozesses zu entfalten, »weil der Mensch ein Zeichen ist«150, »man is a sign«151, oder: Nama-Rupa. Die gebräuchliche Übersetzung von Nama-Rupa mit »Geistigkeit und Körperlichkeit«152 ist problematisch, weil sie im Westen sofort die Assoziation der cartesischen Dualität von Geist und Körper hervorruft. Der Mensch ist als Handelnder ein Zeichenprozeß, doch dieser Zeichenprozeß ist ein Prozeß der Verblendung und deshalb keine verläßliche Grundlage, weder für das Handeln noch für die Wissenschaften. Alles, was wir uns im Denken und Handeln als unser Selbst, als Martin Heidegger: Was heißt Denken?, Tübingen 1971, S. 51. Charles S. Peirce CP 5.314; »Das bedeutet, der Mensch und das äußere Zeichen sind im selben Sinn identisch, in dem die Worte homo und Mensch identisch sind.« Charles S. Peirce: Schriften zum Pragmatismus und Pragmatizismus, Frankfurt a.M. 1991, S. 79. 152 Vgl. Nyanatiloka: Wörterbuch aaO., S. 132; vgl. dagegen Nanananda: Concept aaO., S. 75ff.
150
151
93
Handeln
mein zuschreiben, all dies hat den Charakter der Vergänglichkeit, jenen Augenblickscharakter, von dem die buddhistischen Erkenntnistheoretiker sprechen. Es gibt in diesem Prozeß keinen fixen Haltepunkt. Und die Konstruktion des Wissens als Voraussetzung des Handelns auf der Grundlage eines Bewußtseins, das sich seiner selbst denkend vergewißert, ist eine konventionelle Illusion, die über den Zeichen- und Kommunikationsprozeß aller Menschen als Handlungsvoraussetzung erzeugt wird. Wenn das Ich »zum Maßstabe aller andern Gewißheit und Überzeugung gemacht wird«153, so erweist sich diese Gewißheit selbst als täuschende Grundlage. Aus eben diesem Dilemma bestimmen sich viele unbeantwortete Probleme der Philosophie und Wissenschaft in der Moderne. Im Buddhismus wird der duale Zeichenprozeß (nama-rupa) durch die fünf Gruppen, die fünf Skandhas, erklärt. Charles S. Peirce, der Vater der modernen Zeichentheorie, geht von einer dreistelligen Relation aus. Ein Zeichen bezieht sich nicht nur auf ein Objekt, eine Form, diese Beziehung wird durch ein Drittes vermittelt, das Peirce zuerst »Geist«, später »Interpretant« nannte: »Es genügt nicht, daß es (sc. das Zeichen) sich in einer Relation zu einem Objekt befindet, sondern es muß sich um eine solche Relation zum Objekt handeln, bei der der Geist in eine bestimmte Relation zum Objekt gebracht wird«154. Dieser Geist wird von Peirce allerdings nicht, und darin berührt er die buddhistische Auffassung von der konventionellen Natur der Denkprozesse, in einem isolierten Ego verortet. Deshalb bedeutet der Bezug auf den Interpretanten bei Peirce, daß der Mensch »sich
153
Johann F. Herbart: Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, Hamburg 1993, S. 199. 15 4 Charles S. Peirce: Semiotische Schriften, Band 1, hrsg. v. C. J. W. Kloesel und H. Pape, Frankfurt a.M. 2000, S. 188.
94
Zeichen, Handeln und Karma
seines Denkens im Geist eines anderen bewußt ist«155. Peirce spricht hier nicht von einer Art Gedankenlesen, sondern davon, daß die Struktur des Prozesses der Bedeutung, der Zeichen nicht auf ein Einzelbewußtsein reduziert werden kann. Es wird allerdings faktisch darauf reduziert, wenn der Mensch unter dem Einfluß einer Triebnatur steht, so daß nur »eine ungebührliche Überbewertung der animalischen Natur die Wahrnehmung dieser Wahrheit verhindern kann.«156 Auch für Peirce ist also die ichzentrierte Perspektive beim Denken und Handeln eine Trübung, eine fehlende Erkenntnis jener Struktur, die das Bewußtsein in seinem konventionellen Zeichenprozeß tatsächlich besitzt. Peirce sagt, daß jeder »Gedanke ein Zeichen ist«157. Hier wird Bewußtsein, intersubjektives Denken und Subjekt, Interpretant gleichgesetzt - eine Gleichsetzung, die sich durchaus auch im Buddhismus findet.158 Karl-Otto Apel, der den Subjektbegriff durch den Begriff der Kommunikation ersetzt, knüpft unmittelbar an diese Theorie von Peirce an und versucht, dadurch das »Subjektparadigma« der Moderne zu überwinden.159 Handeln, so können wir diese Diskussion zusammenfassen, ist kein physischer Vorgang, kein körperliches Verhalten, sondern etwas, das in seiner Bedeutung in der Kommunikation als Überzeugung festgelegt wird. Überzeugungen oder Meinungen beruhen auf einem kommunikativ vermittelten Charles S. Peirce: Semiotische Schriften Band 1 aaO., S. 139. Charles S. Peirce aaO. 157 Charles S. Peirce: Schriften zum Pragmatismus aaO., S. 79. 155 156
158
Vgl. Visuddhi-Magga aaO., S. 515; dort heißt es, daß vijnana, citta und mano »der Bedeutung nach ein und dasselbe« sind; siehe auch Vasubandhu: A Disccusion of the Five Aggregates; in: Stefan Anacker aaO., S. 71. Kritisch dazu David J. Kalupahana: History aaO., S. 186.
159
Vgl. Karl-Otto Apel: Der Denkweg von Charles S. Peirce, Frankfurt a.M. 1975, S. 347ff.
95
Handeln
Zeichenprozeß, der eine »Realität zweiter Ordnung« 160 bildet. Wie die Welt erscheint, die Bedeutungen der Dinge, die Überzeugungen über ihre Struktur, sind also eine kommunikative Wirklichkeit, die sich als Gewohnheit verfestigt. Peirce sagt: »Die Essenz der Überzeugung besteht im Festsetzen einer Gewohnheit; und verschiedene Überzeugungen unterscheiden sich durch die verschiedenen Handlungsweisen, die sie veranlassen.«161 Dies trifft recht genau den buddhistischen Grundgedanken, der die Gewohnheiten, Voraussetzung und Grundlage der Begriffsbildung, als Resultat des Handelns (karma) begreift. Der Begriff des Karmas hängt im Buddhismus - anders als im Hinduismus - aufs engste mit dem Begriff der Gewohnheit zusammen. Die primäre Bedeutung von Karma ist nicht an den Gedanken einer Reinkarnation geknüpft, auch wenn sie später damit verbunden wurde: »Wer die Zitate über das Kamma betrachtet, findet, daß von einer Wiedergeburt nicht die Rede ist. Diese Idee muß sich wohl aus anderen Voraussetzungen herauskristallisiert und an das Kamma geheftet haben.«162 Das Karma verweist auf einen in der europäischen Handlungstheorie meist gänzlich vernachlässigten Aspekt des Handelns. Jedes Handeln ist ein Prozeß der Bedeutung, ein Zeichenprozeß, eine Dynamik von Nama-Rupa. Das Handeln eröffnet nicht nur eine »Bahn der Benennung«163, in dieser Bahn prägen sich Spuren ein, die als Gewohnheiten die Wahrnehmung und die Denkprozesse in späteren Situa-
160
Georges B. J. Dreyfus: Reality aaO., S. 146.
161
Charles S. Peirce: Die Festigung der Überzeugung, Frankfurt/M.Berlin-Wien 1985, S. 65.
162
Herbert Günther: Der Buddha und seine Lehre nach der Überlieferung der Theravadins, Zürich 1956, S. 309; kamma ist das Äquivalent in Pali zu karma.
163
Digha-Nikaya 11.15.
96
Zeichen, Handeln und Karma
tionen bestimmen. Das, was sich jeweils als Welt, in der gehandelt wird, eröffnet und als bestimmte, ausgelegte Welt offenbart, das ist das Ergebnis vergangenen Handelns. Insofern kann man von einer unaufhörlichen Reinkarnation des Egos sprechen, weil sich das Ego als illusionäres Zentrum in der Handlungsdynamik jeweils neu an einen Aspekt der fünf Skandhas heftet und sich von dort her als das auslegt, was es zu sein vermeint. Es hat also tatsächlich nur eine nominale Existenzweise, wenn damit die Intention auf ein dauerhaftes Ego verbunden wird. »Wir verneinen nicht«, sagt Vasubhandu, »daß der Atman durch ein Zeichen existiert, ein Atman , der nur der Name für die Skandhas ist. Allerdings ist uns der Gedanke fremd, daß die Skandhas in eine andere Welt transferiert werden können.«164 Insofern ist der Mensch nicht nur »ein Zeichen«, er ist auch die Illusion eines ewigen Zentrums im Handlungsprozeß. Wer erkennt, der handelt. Erkennen und Handeln kann man nicht trennen, beides sind Aspekte eines Prozesses, dessen Dualität die Topologie bildet, aus der die Menschen die begriffliche Matrix der Welt wahrnehmen und in dieser Begriffsmatrix handeln. Wer deshalb erkennt und daraus handelt, der verändert immer zugleich das, was er erkennt.165 Doch damit nicht genug. Jede Handlung verändert auch zugleich den Handelnden. Jede Handlung, im Gedächtnis eingeprägt, verändert die Dynamik der fünf Skandhas und damit auch jene Voraussetzung, aus der sich die handelnden Subjekte jeweils neu und illusionär als Ego verneinen. Wer handelt, wird auch immer zu dem, was er tut, weil das,
Vasubandu: Abhidharma-Kosa; hrsg. v. L. M. Prüden, Vol. II, Berkeley 1989, S. 399. 16 5 »Es gibt anscheinend einige mumifizierte Pedanten, die die Wahrheit immer noch nicht begriffen haben, daß der Akt, in dem ich ein reales Objekt erkenne, es verändert.« Charles S. Peirce, Schriften zum Pragmatismus aaO., S. 494. 164
97
Handeln
worauf er sich erkennend und handelnd bezieht, nicht eine von ihm getrennte »Außenwelt« ist, sondern eine dynamische Struktur. In dieser Struktur verändert sich die Subjektivität mit dem, worauf sich das Handeln richtet. Das ist der umfassende Sinn der Karma-Theorie. Im Handeln gestaltet also nicht ein getrenntes, nur im Körper hausendes Ego eine von ihm unterschiedene Welt der Dinge um, im Handeln gestaltet sich der Handelnde selbst zu dem, was er ist. Die Welt des Handelns, des Wirkens als Objekt, und das Subjekt des Handelns sind also ein Prozeß, der durch die fünf Skandhas formal beschrieben werden kann. Alles Wirken ist situative Veränderung von Mensch und Welt. Dies ist die Wirklichkeit im präzisen Wortsinn.166 Die täuschende Struktur dieser Wirklichkeit erkennt man an ihrem Wandel: Die Theorien über die Welt verändern sich ebenso wie die Welt selbst. Die Zeitlichkeit der Welt zeigt sich unter anderem an diesem Theoriewandel (in der Philosophie, der Physik und Technologie). »Welt« hat keinen Sinn ohne ihre Auslegung und diese Auslegung wandelt sich, ist das Zeichen der Zeitstruktur der »Wirklichkeit«. Weder die Welt noch das erkennend-handelnde Ego bleiben also identisch. Aristoteles lebte nicht als eine andere Person in derselben (physischen) Welt, in der Einstein lebte. Die Natur - was immer bedeutet: eine ausgelegte, bezeichnete, technisch vermittelte Natur - war in der Situation von Aristoteles eine andere als die Natur in Einsteins Welt. Die Vorstellung einer mit sich selbst identischen Natur, die der Zeit enthoben ist, ist ebenso eine Täuschung wie der Gedanke, es gäbe ein mit sich identisches Ego, das im Wandel der Zeiten dasselbe bleibt. Weder die Natur noch das Subjekt des Handelns besitzen einen Atman, ein dauerhaftes Selbst, eine dauerhafte Substanz.
166
98
Vgl. Karl-Heinz Brodbeck: Wirklichkeit aaO.
Zeichen, Handeln und Karma
Die Wirklichkeit ist das, was uns im Handeln als Zeichenprozeß zugänglich ist, und eine Weise dieser Zugänglichkeit - die Technik - ist ein Ergebnis unserer Weltwahrnehmung, unseres Denkens. Man kann die zeitliche Struktur von Nama-Rupa nicht so verstehen, daß man entweder Nama absolut setzt als absoluten Geist, transzendentales Ego oder Gott, noch dadurch, daß man Rupa absolut setzt als mit sich selbst identische Natur. Der Versuch eines Reduktionismus von Nama auf Rupa oder umgekehrt muß gleichermaßen scheitern, weil auseinandergerissen wird, was nur Sinn ergibt als ein Prozeß. Der König ist ohne Untertanen kein König. Man kann aber auch keinen König induktiv aus seinen Untertanen ableiten - der Begriff Untertan setzt den Begriff König schon voraus. Umgekehrt kann man nicht die Untertanen aus dem König deduzieren, als dessen Schöpfung. Schöpfer und Schöpfung sind ebenso duale Begriffe wie Nama-Rupa oder Vater und Kind. Wird diese logische Struktur in der Theorie des Handelns - die nur eine andere Formulierung der Apoha-Theorie darstellt nicht gesehen, so verfällt jeder Versuch einer Handlungserklärung früher oder später einem der beiden Extreme von Nama-Rupa. Die Erkenntnis der inneren Struktur des Handelns führt zu einer Haltung, in der das eigene Ego als Illusion erkannt und durch die Einsicht in die Abhängigkeit aller Lebewesen ersetzt wird. Das Ergebnis ist universelles Mitgefühl und Toleranz gegenüber allen anderen Denkformen. Das ist denn auch der Kern der buddhistischen Ethik - die objektive Grundlage für das Mitgefühl, ein Herzstück ethischer Praxis im Buddhismus.167 Wer weiß, wie er in seinem Handeln sich 167
Vgl. Mall, Ram Adhar: Buddhistische Lehre und die inhaltliche Toleranz. Eine interkulturelle Einführung (Bausteine zur MenschingForschung Bd. 9), bearbeitet und hrsg. v. Hamid Reza Yousefi und Ina Braun, Nordhausen 2005.
99
Handeln
einerseits selbst verändern kann, andererseits stets die Situationen anderer Lebewesen beeinflußt, bei dem schwinden mit der Illusion, Mittelpunkt der Welt zu sein, auch die Versuche, nach der Welt begierig zu greifen oder sich vor seinen Abhängigkeiten aggressiv zu schützen. Die buddhistische Ethik rückt deshalb die Überwindung der drei Gifte Unwissenheit, Gier und Haß - in den Mittelpunkt ihrer durch Erkenntnis geleiteten Praxis.168 Deshalb hat der Begriff der »Freiheit« im Buddhismus einen ganz anderen Sinn. Wenn Nyanaponika in seinem Geleitwort zur Übersetzung des Sutta-Nipata sagt: Dieses Buch »handelt vom Menschen und seiner Freiheit«169, so ist damit nicht die Freiheit eines autonomen Egos gemeint, das eine Welt um sich herum versammelt und zu beherrschen trachtet. Die Freiheit, seinen Zwecken zu folgen, ist Herrschaft der Zwecke, nicht die Freiheit, sie auch lassen zu können. Das Ego ist Sklave seiner Wünsche und Zwecke. Die buddhistische Freiheit - die Befreiung als Ziel des buddhistischen Weges - ist insofern radikal, als sie sich gerade gegen die Illusion eines »freien Egos« wendet. Die Freiheit des Ichs ist tatsächlich eine Illusion. Das Ich ist vielmehr ein Spielball unbewußter Gewohnheitsmuster (samskara), und das gewöhnliche Denken der Menschen ist weit davon entfernt, ein Souverän zu sein. Insofern haben die Wissenschaftler (Genetiker, Psychologen, Hirnforscher) durchaus recht. Allerdings ist das Bewußtsein auch eine befreiende Macht. In der tibetischen Dzogchen-Tradition verwendet man dafür das hübsche Bild: »Eine Schlange, die sich ihrer eigenen Verknotung entwindet.« Einer, der durch lange Übungspraxis seinen Geist zu zähmen gelernt hat, der hat sich von den Einflüssen und den Dogmen der Welt frei gemacht, vor allem von seinen eigenen Gewohnheiten. Freiheit vom Leiden 16 8 16 9
Vgl. Karl-Heinz Brodbeck: Wirtschaftsethik aaO., Kapitel 3. Sutta-Nipata, hrsg. v. Nyanaponika, Konstanz 1977, S. 7.
100
Abhängige Entstehung und Leerheit
meint: Freiheit vom Erleiden-müssen (samsara). Die Kultivierung eines unabhängigen Geistes, das heißt eines wahnfreien Geistes (nirvana), ist das Gegenteil der Illusion eines »unabhängigen Egos«. Der Ego-Prozeß ist ein Prozeß der abhängigen Entstehung und deshalb auch der Weg zur Befreiung. Die Buddhisten haben unterschiedliche Auffassungen darüber entwickelt, inwieweit diese Befreiung einen tatsächlichen Rückzug aus der Welt erforderlich macht. Man kann auch inmitten des Lärms die Stille hören. Freiheit im buddhistischen Sinn heißt aber auch nicht, in sich eine Art »Masterplan« zu entdecken - sei es eine genetische Disposition oder den »Willen Gottes« -, die als Programm des moralischen Handelns zu gelten hätten. Aktives Mitgefühl bedeutet im Buddhismus vielmehr, anderen dabei zu helfen, vom Erleiden-müssen von allerlei Sachzwängen freizukommen und die Offenheit als eigene Natur zu entdecken, in der Ich und Du illusionäre Grenzen ziehen.
4. Wissen 4.1. Abhängige Entstehung und Leerheit »Offene Weite - nichts von heilig«, antwortete Bodhidharma auf die Frage eines Königs nach dem, was man als Verdienst für gute Taten oder heilige Werke erwirbt. Das Wissen als Ziel allen Erkennens und Handelns ist im Buddhismus nicht etwas, das ein Subjekt besitzen könnte. Wer weiß, ist zu dem geworden, was er weiß, und nur darin erfüllt sich das Wissen und der buddhistische Weg. Und auf dem Weg zu diesem Wissen hat der Wissende alles verloren, was ihn an die Täuschung dieser Welt klammern ließ. Deshalb lautet der formale Begriff für dieses Wissen »Leerheit« (sunyata). Um von der Leerheit wissen zu können, müssen alle Täuschungen über die Welt, über das Selbst, ja sogar über die Leer-
101
Wissen
heit, losgelassen werden. Das, was hier gewußt wird - die Leerheit -, ist auch leer an einer Leerheit.170 Die Bedeutung des Begriffs »leer« im frühen Buddhismus bildet die Grundlage für alle weiteren Auslegungen. Sein Schüler Ananda fragte Buddha, welchen Sinn die Aussage »Leer ist die Welt« habe, worauf Buddha antwortete: »Weil sie leer ist an einem Selbst (atta) und an etwas, was man einem Selbst zurechnen könnte« 171. Diese Aussage ist genau zu lesen. Es hat sich gezeigt (vgl. Kapitel 3.3), daß »Welt« im Buddhismus nicht als Gegenstand oder Objekt zu verstehen ist. Die Welt entfaltet sich im Prozeß der fünf Skandhas, und in den Skandhas findet sich kein Ich, das sie bewohnt oder mit einem der fünf Skandhas identisch wäre - wie in zahlreichen Spekulationen hinduistischer Traditionen gesagt wird. Die Leerheit der Welt besagt, daß ihr eine von den Phänomenen verschiedene Substanz mangelt. Die fünf Skandhas entfalten einen Prozeß der Täuschung, der Spaltung von Subjekt und Objekt, von Begriff und Form. Diese dynamische Struktur ist ein kognitiver Prozeß, worin illusionär Entitäten ergriffen werden. Dieses Ergreifen vollzieht sich als Denkprozeß, durch die Funktion der Begriffe, wie sie in der Dualität von Nama-Rupa ausgesprochen wird. Die Leerheit zielt also darauf ab, nicht einer Illusion zu verfallen, die in jedem Begreifen mitgegeben ist. Die fünf Skandhas »sind vergänglich; was vergänglich ist, das ist leidvoll; was leidvoll ist, ist Nicht-Selbst (anatta)« m . Die Zeitlichkeit der Welt, ihre Vergänglichkeit, und der Begriff des Nicht-Selbst umgrenzen hier dieselbe Bedeutung. Buddha wendet sich gegen die Vorstellung eines dauerhaften
170
Vgl. C. W. Huntington, Namgyal Wangchen: The Emptiness of Emptiness, Honolulu 1989.
17 1
Samyutta-Nikaya XXXV.85; attä = Pali für ätman.
17 2
Samyutta-Nikäya XII.46.
102
Abhängige Entstehung und Leerheit
Seins - insofern also ist die »Leerheit der Welt« eine metaphysische Aussage, besser: eine Kritik der Metaphysik. Buddha sagt, daß die kognitiven Bedingungsverhältnisse, von denen im Kapitel 3.3 die Rede war, nur verdinglichte Extreme darstellen, die man logisch als Existenz oder Nichtexistenz umschreibt. Solch ein Extrem festhalten zu wollen, darin besteht die Täuschung: »Zu sagen, daß alles ist, ist die eine Übertreibung; zu sagen, daß alles nicht ist, ist die andere Übertreibung. Diese beiden Übertreibungen vermeidet der Vollendete und verkündet die mittlere Lehre«173. Die mittlere Lehre Buddhas ist die Lehre von der abhängigen Entstehung aller Phänomene, damit auch der Begriffe, die nicht ein Objekt ergreifen, sondern sich nur wechselseitig negativ bestimmen (apoha) und so für sich leer und ohne Inhalt bleiben. Die dafür verwendete Formel ist im Buddhismus die »abhängige Entstehung« (pratityasamutpada). Die abhängige Entstehung ist das Herzstück für das Verständnis der Leerheit. Buddha hat davor gewarnt, diesen Kern seiner Lehre in einfache Formeln zu verpacken, um sie so »verständlich« zu machen.174 Man sollte sich auch hüten, allzuschnell die Schulformulierungen für diese Lehre als dogmatische Festschreibung anzuerkennen. In der Literatur des Abhidharma werden zwölf Glieder des abhängigen Entstehens unterschieden. 175 Diese zwölf Glieder geben die Antwort auf die Frage: »Wie kommt es zu all dem Leiden?« In einer einfachen Antwort kann man hier ein Bedingungsverhältnis sehen. Man stellt die Frage: Welche Aspekte des
173
174 175
Samyutta-Nikaya, XXII.90. Vgl. Digha-Nikaya 11.15.
1. Nichtwissen (avidya); 2. Gewohnheitsmuster (samskara); 3. Bewußtsein (vijnana); 4. Begriff und Form (nama-rupa); 5. SechsSinnesgebiete (shadayatana); 6. Kontakt (sparsha); 7. Gefühl (verdana); 8. Gier (trshna); 9. Ergreifen (upadana); 10. Werden (bhava); 11. Geburt (jati); 12. Tod (jara). 103
Wissen
situativen Daseins der Lebewesen bedingen Alter, Krankheit und Tod? Antwort: Man muß als Lebewesen geboren sein. Dem geht die Zeugung voraus, die ihrerseits auf einer erfüllten Begierde beruht usw. Diese Folge von situativen Voraussetzungen ist weder als logische noch als kausale Theorie zu interpretieren. Es handelt sich bei den zwölf Gliedern des abhängigen Entstehens um einen Wandel der Situationen des Erlebens176, die auseinander hervorgehen, um zwölf »Zustände, von denen jeder für sich aus den fünf Skandhas besteht«177. Buddha verwendet fallweise auch andere Einteilungen als die zwölf Elemente und spricht von zirkulären Bedingungsverhältnissen, die erklären, wie aus der Beziehung zwischen Begriff und Form Bewußtsein entsteht und das Bewußtsein seinerseits diese Dualität hervorbringt.178 Daraus ergibt sich: Die Lehre von der abhängigen Entstehung (pratityasamutpada) dient als Anleitung zur Meditation über die erfahrbare Bedingtheit sowohl unserer Auslegung der Welt - die sich der common sense aus objektiv existierenden Dingen zusammengesetzt denkt - und unserer Selbstinterpretation als dauerhaftes Ich oder dauerhafte Seele. Die abhängige Entstehung ist uno actu eine begrifflich-kognitive und eine »reale«. Wie ist das zu verstehen? Die Zeitlichkeit aller Phänomene, ihre Vergänglichkeit, erlaubt es nicht, sie in der Sprache von Substanzen, Wesenheiten und Attributen zu beschreiben. Deshalb besagen Zeitlichkeit, abhängiges Entstehen und Leerheit dasselbe. Buddha zielt also auf eine täuschende Auslegung der Phänomene - gleichgültig, ob sie als eigen oder fremd interpre176
Vgl. S. D. Goodman: Situational Patterning, Crystal Mirror Vol. III, Emeryville 1974, S. 93-101.
177
Vasubandu: Abhidharma-Kosa aaO., Vol. II, S. 419.
178
Vgl. die Diskussion von Belegen aus Samyutta-Nikaya 11.114 und Digha-Nikaya 11.32 bei Nanananda: Concept aaO., S. 73ff.
104
Abhängige Entstehung und Leerheit
tiert werden. Wenn man einem Phänomen Dauer zuschreibt und dies als »Sinn von Sein« betrachtet, dann wird eine logische Dualität aus Sein und Nichts geschaffen; ein Phänomen ist demnach, oder es ist nicht. Doch eben diesen Sinn von Sein, der durch eine Ontologie der Dauer zugleich die klassischaristotelische Logik begründet, lehnt Buddha als Täuschung ab. Deshalb ist die mittlere Lehre weder eine Seinslehre, noch ein Nihilismus: » Alles ist , das ist das eine Extrem. Alles ist nicht , das ist das andere Extrem. Diese beiden Extreme vermeidend, verkündet der Tathagata (sc. Buddha, der den Weg vollendet hat) seine mittlere Lehre«179 - und es folgt die Aufzählung der zwölf Glieder der abhängigen Entstehung. Damit wird nicht gesagt, daß Buddha eine Metaphysik verkündet, in der es zwar kein Sein und kein Nichts, dafür aber zwölf andere ontologische Kategorien gibt. Vielmehr führt er die Dualitäten der Logik oder der Ontologie zurück auf die Erfahrungssituation des Zeichenprozesses der fünf Skandhas. Alle Bedeutung (von Begriffen und Dingen) entsteht in diesem Prozeß, und sie entsteht als Täuschung über ein Sein der Phänomene, die im Buddhismus Nicht-Wissen (avidya) heißt. Nagarjuna hat diese Lehre Buddhas in einem anderen historischen Umfeld erneuert und vertieft, nicht aber eine neue Lehre verkündet. Er systematisiert jene Argumente, aus denen die Leerheit aller Phänomene - Lebewesen und Dinge erkannt werden kann. Seine Lehre wird wie die Buddhas mittlere Lehre (Madhyamika) genannt, weil sie Extreme vermeidet, ohne die Mitte als Position zu behaupten. Nagarjunas Philosophie ist offenkundig auch ein Resultat der Erfahrung, daß die Buddhisten selbst dazu neigten, die Aussagen ihres Lehrers nun ihrerseits als Aussagen über neue Wesen-
179
Samyutte-Nikaya II.18.
105
Wissen
heiten (Entitäten) zu begreifen. Das ist es, was Nagarjuna die Gefahr einer falsch verstandenen Leerheit nannte.180 Nagarjuna greift Buddhas Kritik an der Ontologie von Sein und Nichts auf, unter Rückgriff auf die Formel von der abhängigen Entstehung (pratityasamutpada). Wenn man einsieht, daß sich kein Phänomen - keine Substanz und kein Attribut - isolieren läßt, wenn man alles, was immer man begrifflich erfaßt, nur abhängig von anderen Entitäten denken kann, dann läßt sich keine »Wirklichkeit« denken, die ein Sein aus sich selbst besäße: »Denn was immer in Abhängigkeit von anderem entsteht, das ist tatsächlich nicht dasselbe wie dieses andere, es ist aber auch nicht davon verschieden. Deshalb hört es weder auf zu sein noch dauert es an.«181 Die begriffene Wirklichkeit kann nicht in für sich seiende Entitäten getrennt werden. Doch man kann auch nicht sagen, daß deswegen eine »Ganzheit« existiert, ein Wesen wie der Atman oder das Brahman der Hindus. Auch die Differenz zwischen Atman und Anatman ist nur gegenseitig abhängig, erhält ihren Sinn vom jeweils anderen: »Es gibt weder den Atman noch den Nicht-Atman.«182 Immer, wenn man eine Existenzaussage macht, verfällt man - allein durch die Sprache - in die Illusion einer dauerhaften Entität. Doch die »Wirklichkeit« läßt sich nicht in Entitäten atomisieren, noch läßt sie sich als Ganzheit erfassen. Jeder Begriff gleitet ab - und dieses Abgleiten zeigt sich in der Dialektik der Begriffe, also ihrer Abhängigkeit und Widersprüchlichkeit. Das, was die Formel von der abhängigen Entstehung ausdrückt, ist ein in der Ontologie von Sein und Nichts nicht beschreibbarer Schein. Nagarjuna verwendet zur Illustration der abhängigen Entstehung eine Denkfigur, die sich auch bei Heraklit findet: Das Verhältnis von Vater 180
Nagarjuna: Madhyamikakarika 24.11, aaO., S. 91.
181
Nagarjuna: Madhyamikakarika 18.10, aaO., S 69.
182
Nagarjuna: Madhyamikakarika 18.6, aaO., S. 69.
106
Abhängige Entstehung und Leerheit
und Sohn: »Der Vater ist nicht der Sohn und der Sohn ist nicht der Vater. Beide sind dennoch nicht nicht-existent«. Nagarjuna setzt dies direkt in Analogie zur Formel von der abhängigen Entstehung wenn ersagt: »Ebenso steht es um die zwölf Glieder des abhängigen Entstehens.«183 Aus dieser Perspektive ist auch die berühmte vierfältige Verneinung zu verstehen, der catuskoti. Sie findet sich bereits in den Sutren, und Nagarjuna hat diese logische Figur systematisiert und zugleich darin jede Ontologie zurückgewiesen: »Nirgends und niemals findet man Dinge, entstanden aus sich, aus anderem, aus sich und anderem zusammen, ohne Grund (weder aus sich noch aus anderem).«184 Buddha hatte immer wieder unterschiedliche Theorien über die Welt, das Selbst, Brahman usw. zurückgewiesen, eben weil jede Theorie eine Meinung, also eine durch Begriffe konstituierte Denkform darstellt, die an den Phänomenen abgleitet und dort keinen Halt findet. Eines von vielen Beispielen dafür: »Hätte ich, Ananda, auf die Frage des Pilgers Vacchagotto, ob es ein Selbst gibt, geantwortet: Es gibt ein Selbst , so wäre ich den Asketen und Brahmanen gefolgt, die Ewigkeit behaupten. Hätte ich aber, Ananda, auf die Frage des Pilgers Vacchagotto, ob es kein Selbst gibt, geantwortet: Es gibt kein Selbst , dann wäre ich den Asketen und Brahmanen gefolgt, die Vernichtung behaupten.«185 Dies ist die Motivation der Dialektik, die Nagarjuna und seine Schüler, die Schule der Madhyamikas, systematisch entfaltet haben. Es geht nicht um eine konkurrierende Lehre
183
Nagarjuna's Seventy Stanzas , New York 1987, S. 81f. Es gibt vermutlich eine gegenseitige Beeinflussung von Buddhismus und griechischer Skepsis; vgl. die Studie zum catuscoti in der pyrrhonischen Skepsis von Thomas McEvilley: Pyrrhonism and Madhyamika, Philosophy East and West, XXXII.l (1982), S. 3-35.
184
Nagarjuna: Madhyamikakarika 1.1, aaO., S. 2. Samyutta-Nikaya IV.44, übers, v. Nyanaponika.
185
107
Wissen
neben anderen Lehren, sondern um das Loslassen der mit jeder Lehre ergriffenen Illusion - ein Ergreifen, das sich durch das begriffliche Denken und seine Verknüpfung mit der Wahrnehmung selbst vollzieht. Um es in einer Metapher zu sagen: Man kann nicht durch neue Wellen den Wellengang des Ozeans beenden und die stille Natur des Wassers erfassen. Gleichwohl sind die Wellen nur Bewegungen eben dieses Ozeans. Deshalb sagt Nagarjuna in einem schönen Bild über den Geist, der durch Begriffe gefesselt wird: »Wisse, daß der Geist ist wie Schreiben auf Wasser«186. Es handelt sich hier um eine Metapher; man darf sich nicht wieder zum Sklaven der Sprache machen und die Leerheit mit einer Substanz (»Ozean«) vergleichen. Vielmehr zielt Nagarjuna darauf ab, daß das »Schreiben auf Wasser« eine leere Bewegung bleibt, die den Schein von Bedeutung erzeugt. »Leerheit« (sunyata) ist damit ein negativer Begriff, der zugleich kognitive, semiotische Beziehungen und metaphysische Seinsaussagen als Täuschung kritisiert. Die Ontologie verbirgt sich, für das gewöhnliche Bewußtsein unerkennbar, in der sprachlichen Funktion der Kopula »ist« und ihrer logischen Negation »nicht«. Die indogermanischen Sprachen haben dies gemeinsam, Eigenschaften und Funktionen immer nur von Substanzen auszusagen. Auch wenn man sagen will, daß die Substanz eine Täuschung ist, gerät man in die sprachliche Falle des Ist-Sagens: »Substanz ist eine Täuschung«.187 Selbst die Negation wird durch eine Existenzaussage formuliert: »Etwas ist nicht.« Es ist nicht nur die Sprache und ihre Verwendung, die diese Täuschung erzeugt -
186
Nagarjuna: Instructions from a Spiritual Friend, Emeryville 1975, S. 20.
187
Vgl. zur Struktur dieser Täuschung in der europäischen Philosophie und Wissenschaft Karl-Heinz Brodbeck: Zirkel aaO.
108
Abhängige Entstehung und Leerheit
eine These, die Wittgenstein vertreten hat.188 Die Wörter funktionieren nur in der Matrix eines konventionellen Begriffsnetzes, das im Handeln und der Kommunikation geschaffen und reproduziert wird. Das ist (vgl. Kapitel 2.6.3) mehr als nur eine bloße Wortverwendung. Durch diesen Prozeß wird eine konventionelle Wirklichkeit durch gemeinsame Praxis (Karma) als begriffliche Matrix erzeugt. Diese Matrix ist die Struktur der Täuschung. Alle hier er- und begriffenen Entitäten entbehren einer dauerhaften Natur, sie besitzen, wie der buddhistische Terminus dafür lautet, keine »Selbstnatur« (svabhava). Der Begriff »Täuschung« (Schein) darf hier nicht als Nichtigkeit verstanden werden, wie dies oftmals, aus der platonischen Tradition herkommend, verstanden wird. Die Dauer ist das Scheinen des Nichtzeitlichen (sunyata) im Vergänglichen. Die Vergänglichkeit aller Phänomene ist wohl eine Verneinung der Dauer einer Entität (einer Substanz, eines Atman), nicht aber ein Nihilismus. Der Vorwurf des Nihilismus wurde auch schon gegen Buddha selbst erhoben. Ein Wanderasket sagte zu Vajjiyamahita: »Der Asket Gotama, den du so lobst, ist ein Leugner und Verneiner.« Doch Vajjiyamahita, ein Schüler Buddhas, entgegnet darauf, daß Buddha in der Kritik von falschen Ansichten die Differenz zwischen heilsam und unheilsam lehrt, und insofern »verkündet er eine positive Lehre und ist kein Leugner und Verneiner.«189 Ein von der täuschenden Matrix konventioneller Begriffe befreiter Geist ist durch keinen Begriff mehr erfaßbar und insofern unerkennbar. Deshalb sagt Buddha in Bekräftigung
»Statements about emptiness are statements about how words are used. For the same reason, emptiness does not imply nihilism«, Chris Gudmunsen: Wittgenstein and Buddhism, Bristol 1977, S. 113. Zur Kritik dieser These vgl. Hsueh-li Cheng: Empty Logic aaO., S. 118f. 189 Anguttara-Nikaya X.94 aaO. Band 5, S. 91. 188
109
Wissen
dieses Gedankens: »Denn in der Erscheinungswelt, sage ich, ist ein Vollendeter unauffindbar. Weil ich dies sage und erkläre, beschuldigen mich manche Samanas und Brahmanen fälschlich, lügenhaft und unwahr, ich sei ein Nihilist, ich lehrte die Zerstörung, die Vernichtung, die Nichtexistenz des wahren Wesens.«190 Die begriffliche Negation, die Nagarjuna systematisiert hat, kann deshalb auch positiv ausgedrückt werden, indem man dieses »wahre Wesen« durch negative Termini einführt. Deshalb sagt Buddha: »Es gibt ein Nichtgeborenes, Nichtgewordenes, Nichtgeschaffenes, Nichtaufgebautes.«191 Alle Aussagen über die Leerheit bewegen sich, da es Aussagen in der Begriffs-Matrix und in der sprachlichen Täuschung sind, zwischen diesen beiden Extremen des »es gibt« und »es gibt nicht«. Es ist gerade diese Dualität, die festzuhalten als jene Täuschung gilt, die in den Sutren und später von Nagarjuna und seiner Schule kritisiert wird. Unter einem praktischen, soteriologischen Aspekt kann man sagen, daß die Dialektik Nagarjunas jenen hilft, die sich an den Begriff einer letzten Wirklichkeit klammern. Doch neigt diese Dialektik bei einem bloß logischen Verständnis manchmal einem Nihilismus zu. Dagegen wurde von der Schule der Cittamatrins der Aspekt betont, daß sich all diese Aussagen in einem Kontinuum des eigenen Geistes bewegen. Man fällt, wenn man den Gedanken an eine dauerhafte Substanz (Gott, Seele, Natur usw.) losläßt, nicht in ein Nichts, sondern entdeckt nur die leere Natur des eigenen Bewußtseins.
4. 2. Die Diskussion um den Begriff der Leerheit Aus den beiden Extremen des »es gibt« und »es gibt nicht« entwickelten sich innerhalb des Buddhismus und durch 190
191
Majjhima-Nikäya 22 aaO., S. 77. Udana VIII.6; in: Kurt Schmidt: Sprüche und Lieder, Konstanz 1954, S. 70.
110
Die Diskussion um den Begriff der Leerheit
seine wissenschaftlichen Interpreten immer wieder Auffassungen, die das eine oder andere Extrem - anstatt es als Moment einer Kritik der Täuschung zu begreifen - als metaphysische Aussage über die Wirklichkeit festgehalten haben. Mißversteht man die Aussagen Nagarjunas als logische Aussagen über Entitäten mit definierter Bedeutung, dann läßt sich leicht ein Widerspruch konstruieren, der schon von der Nyaya-Schule vorgebracht wurde (vgl. Kapitel 2.6.3): Wenn jedes Phänomen nur »ist«, durch was es bedingt wird (pratityasamutpada), dann gilt dies auch für die bedingenden Phänomene. Interpretiert man die abhängige Entstehung sogar kausal, so scheint der Widerspruch noch offensichtlicher: Wenn alles bewirkt wurde, so gilt das auch für die bewirkenden Ursachen, die deshalb gar nicht gedacht werden können. Doch eben dies hat Nagarjuna klar gesehen und darauf verwiesen, daß es sich hier eben nicht um eine logische Bedingung, auch nicht um eine Kausalität (causa efficiens) handelt, sondern um eine zirkuläre Beziehung, wie die zwischen Vater und Kind, Zeichen und Bezeichnetem usw.192 Sagt man: A ist bedingt durch B, so verfällt man der Begriffslogik des Seins, die gerade durch die vierfache Verneinung, den catuskoti, negiert wird. Die abhängige Entstehung der Phänomene ist also nicht so zu interpretieren, als ob damit eine Seinsaussage verknüpft wäre: »Es ist das Wesen von A, durch B bedingt zu sein«. Vielmehr verweist Pratityasajnutpada auf die Täuschung solcher Aussagen und stellt positiv nur fest, daß sie nicht als Seinsaussagen gelesen werden können. Die Dinge funktionieren in gegenseitiger Abhängigkeit, doch weder die Funktion noch die Dinge haben ein Sein für sich. Das Verständnisproblem liegt darin, nicht zu sehen, daß hier eine Frage nach dem »Sinn von Sein« gestellt und dieser Sinn negiert wird. Der Sinn, nicht das Sein wird negiert. Insofern liefert der 192
Nagarjuna: Madhyamikakarika 11.7-8, aaO., S. 43.
111
Wissen
Buddhismus eine negative Antwort auf die »Frage nach dem Sinn von Sein«, die Heidegger unter Rückgriff auf Platon neu gestellt hat.193 Gleichwohl ist es hilfreich, die Mädhyamika-Philosophie an Heideggers Frage zu spiegeln. Denn vielfach setzen Autoren einen Sinn von Sein voraus, der nicht explizit wird z.B. in der Aussage, daß die Dinge »nicht real« seien. Nägärjuna bestimmt den Sinn von Sein negativ zur indischen Tradition, die darunter ein Selbst-Sein, einen dauerhaften, ewigen Ätman versteht. Deshalb ist für ihn Leerheit = »Leer-heit an Selbstnatur«. Wenn der Begriff »real« jedoch in der Bedeutung von »objektiv«, »außerhalb des Bewußtseins existierend« ausgelegt wird, dann ergibt sich ein ganz anderer Sinn von Sein, der negiert werden soll, um von der Fessel durch begriffliches Denken frei zu werden. Dies war die Zielrichtung der Cittamätrins in ihrer Kritik und ihrem Begriff der Leerheit: Die vermeintlich unabhängig von einem Bewußtsein real existierenden Dinge erweisen sich stets als Objekte eines Subjekts und sind insofern vom Geist abhängig. Die erkenntnistheoretische Schule wiederum hat im Sinn von Sein den Gedanken der Dauer (was existiert, ist dauerhaft vorhanden) negiert und als Gegenposition den Augenblickscharakter, die Zeitlichkeit aller Phänomene betont. Ferner wurde jede positive Bedeutung als Negation (apoha) bestimmt und darin die abhängige Entstehung als Struktur der Begriffe herausgearbeitet. Jede »Leerheit« hat hier also einen anderen (negativen) Sinn des Loslassens. Wird solch ein Sinn aber positiv festgehalten, so verfällt man in eines der Extreme »des Anhaften an der Leerheit als Entität oder als Nicht-Entität.«194
MartinHeidegger: Sein und Zeit aaO., S. 1. Heidegger bezieht sich auf Platon: Sophistes 244a. 194 Mipham : Speech aaO., S. 103. 193
112
Die Diskussion um den Begriff der Leerheit
Eine rein nihilistische Interpretation der Madhyamika-Philosophie hat immer wieder Anhänger gefunden195; in jüngerer Zeit wurde sie pointiert durch Thomas E. Wood vertreten. Wood interpretiert Nagarjuna und seine Schule durchaus in Übereinstimmung mit der Tradition so, daß sich weder die idealistische noch die materialistische Variante für die Existenz einer Außenwelt verteidigen läßt. Alle Aussagen über die Welt seien vom logischen Typus her so zu verstehen wie der Satz: »Der Sohn einer unfruchtbaren Frau hat braune Haare«. Solche Sätze sind »sinnlos« wie der Streit um die Haarfarbe dieses »Sohns«. Und alles - wie der Sohn einer unfruchtbaren Frau -, was »logisch oder semantisch widersprüchlich oder logisch nicht determinierbar ist, kann nicht existieren«196. Wood sagt, daß die nihilistische Sichtweise zwar »radikal«, aber keineswegs philosophisch unschlüssig sei. Diese Sichtweise beinhaltet, so Wood, keine »logischen Inkonsistenzen«, denn wenn man die Phänomene stets mit dem Satz: »Es scheint so zu sein« beschreibt, so kann man aus solchen Urteilen nicht schließen, »daß irgendetwas existiert, das entweder die Erscheinung oder das Ding ist, das die Erscheinung vollbringt.« Deshalb ist alles »nur schiere, unqualifizierte, absolute Nichtsheit.«197 Woods nihilistische Interpretation ist insofern verdienstvoll, als sie wirklich konsequent den Standpunkt der analytischen Philosophie auf die Madhyamika-Philosophie anwendet und alle gegenteiligen Aussagen auf logische Widersprüchlichkeit überprüft. Doch gerade dabei entgeht ihm der wichtigste Punkt: Warum sollte man einen Standpunkt des Nihilismus überhaupt vertreten? Der nihilistische Logiker richtet sich an jemand und unterstellt performativ die 195
Vgl. auch die Hinweise in Kapitel 1.
196
Thomas E. Wood: Nagarjunian Disputations. A Philosophical Journey Through an Indian Looking-Glass, Delhi 1995, S. 277.
197
Thomas E. Wood: Disputations aaO., S. 278 und 280.
113
Wissen
Gültigkeit einer Kommunikationsbeziehung. Nun kann ein Nihilist zwar sagen, daß auch seine eigene Aussage nichtig und keine Existenzialaussage ist. Tatsächlich hat Buddha gesagt, daß seine Lehre einem Boot zu vergleichen ist; nachdem man das andere Ufer des zu überquerenden Flusses erreicht hat, läßt man das Boot zurück - d.h. alle Ansichten fallen. Insofern ist auch »im höchsten Sinne« die Lehre Buddhas »als leer zu betrachten«.198 Doch eine Aussage in ihrer Intention, in ihrer Bedeutung loszulassen, ist keine logische Negation - wiewohl sich das Loslassen in der Sphäre der Aussagen als logische Verneinung zeigen muß. Das Ungedachte bei allen Versuchen, einen Nihilismus positiv zu beschreiben, ist der unklare Sinn von Sein. Wood kritisiert Jayatilleke, der alle Urteilsformen in »beantwortbar oder nicht beantwortbar« einteilt199, und sagt ganz richtig, daß solche Einteilungen abhängig sind von dem »Rahmen, in dem die Fragen gestellt werden«. Wood: »Wir müssen hier fragen: beantwortbar oder nicht beantwortbar in welchem Sinn? «200 Exakt das ist die richtige Frage, die auch bei jeder nihilistischen Interpretation zu stellen ist: In welchem Sinn »existiert« etwas nicht? Nur wenn der Sinn von Sein geklärt ist, kann eine Logik formuliert werden. Der in der formalen Logik verwendete Existenzoperator läßt sich nicht als definitive Bedeutung voraussetzen. Hier spricht Heidegger zu Recht von »Seinsvergessenheit«. Häufiger als die nihilistische Interpretation findet sich allerdings eine Interpretation der Leerheit als Absolutes. Nach dieser Auffassung ist die Leerheit der Begriff einer transrationalen Wirklichkeit. Um diese Auffassung verstehen zu können, ist ein Blick in ihre Entstehung hilfreich. Im Buddhismus wird die relative Welt der abhängigen Entstehung als 198
Visuddhi-Magga XVI aaO., S. 597.
199
Kulatissa N. Jayatilleke: Knowledge aaO., S. 472.
200
Thomas E. Wood: Disputations aaO., S. 330.
114
Die Diskussion um den Begriff der Leerheit
Samsara bezeichnet. Die Dhamma-Theorie des frühen Buddhismus, die sich im Abhidhamma des Pali-Kanons findet, analysiert Samsara durch die Unterscheidung einer Vielzahl von Phänomenen (dhammas) und der ihnen zugehörigen Bewußtseinsmomente. Durch die Erkenntnis der Struktur der Dhammas erreichen Übende einen nicht bedingten Zustand, der in der Sprache der Phänomene nicht beschreibbar ist: Nibanna (= Nirvana). Nibanna wird zwar als Dhamma bezeichnet, gehört aber nicht zur Welt, nicht zu Samsara; Nibanna ist außerweltlich (lokuttara). Daraus ergibt sich eine Dualität und damit ein grundlegendes Problem.201 Der Mahayana-Buddhismus löst dieses Problem durch die schrittweise Aufhebung der Dualität von Samsara und Nirvana und die Identifikation von Nirvana mit der Leerheit: »Nirvana ist Leerheit, und das ist der Zustand der (endgültigen) Wirklichkeit«202. Die Leerheit wird durch einen negativen Prozeß, das Loslassen aller Entitäten, erreicht. Nirvana ist nach der Auffassung der Madhyamikas auf keine Weise eine Entität - weder eine phänomenale noch eine nichtphänomenale. Es kann folglich auch keine Differenz zu anderen Entitäten, zu anderen Phänomenen (dhammas) geben. Nagarjuna sagt deshalb: »Es gibt nichts, was den Samsara vom Nirvana, und das Nirvana vom Samsara unterscheidet.«203 Der genaue Sinn dieser Aussage allerdings ist wiederum umstritten. Die Anhänger einer monistischen Auffassung sehen in diesem Ergebnis die Feststellung eines Gemeinsa-
20 1
Dhamma, sagt Nyanaponika, »may well be rendered by
›phenomena «; auch Nibanna »is definitely termed a dhamma«,
zugleich ist es eine »nonphenomenal entity«, Nyanaponika: Abhidhamma aaO., S. 20. Der Widerspruch beruht auf der ungedachten »Entität«. Wenn gilt: »classifications of Nibanna are all negative«, aaO., dann heißt das auch: Nibanna ist keine Entität. 202
Lankavatara Sutra, hrsg. v. D. T. Suzuki, Boulder 1978, S. 86. 203 Nagarjuna: Madhyamikakarika 25.19 aaO., S. 100.
115
Wissen
men von Samsara und Nirvana. Stcherbatsky sagt zur Interpretation der Identität von Samsara und Nirvana: »In voller Übereinstimmung mit der Idee eines monistischen Universums, wird nun erklärt, daß es keinen Schatten einer Differenz zwischen dem Absoluten und der phänomenalen Welt, zwischen Samsara und Nirvana gibt.«204 Diesen monistischen Gedanken, der sich stark der Vedanta-Philosophie annähert, hat T. R. V. Murti in einem viel diskutierten Buch verteidigt: »Sunyata ist Absolutismus, nicht Nihilismus oder Positivismus.«205 Ähnliches sagt auch Karl Jaspers in seiner Studie über Nagarjuna: »Die Selbstvernichtung allen Denkens soll freimachen für etwas anderes«, und dieses andere Etwas ist ein »Unaussprechliches«, das Jaspers auch das »Umgreifende«206 nennt. Die logischen Negationen sollen nach dieser Auffassung zu einer jenseits der Logik liegenden absoluten Entität führen: »Das Absolute kann nicht mit dem Sein oder dem Bewußtsein identifiziert werden«, und die Anschauungen über die Phänomene sind falsch, »weil des Reale falsifiziert wird«. Die Negationen Nagarjunas sind nach monistischer Auffassung »das einzige Mittel, das Absolute zu öffnen«207.
Dieser Streit unter Buddhologen über die Natur der Leerheit - die gerade darin besteht, keine »Natur«, keine Entität zu sein - findet in der Geschichte des Buddhismus eine 204
Theodore Stcherbatsky: The Conception of Buddhist Nirvana, Delhi 1977, S. 56; vgl. zur Kritik Thomas E. Wood: Disputations aaO., S. 184-188.
205
T. R. V. Murti: The Central Philosophy of Buddhism, London 1980, S. 329.
20 6
Karl Jaspers: Aus dem Ursprung denkende Metaphysiker, Stuttgart-Hamburg 1957, S. 342f. Vgl. dagegen: »Therefore, when we seek the object designated as ›an empty nature , this empty nature is also not found.« Dalai Lama: The Buddhism of Tibet, London 1975, S. 75.
207
T. R. V. Murti: Central Philosophy aaO., S. 235 und 234.
116
Die Diskussion um den Begriff der Leerheit
Reihe bemerkenswerter Parallelen, auf die ich kurz eingehen möchte. Die Madhyamika-Philosophie, die etwa im zweiten Jahrhundert u.Z. entstand, fand, später durch die Schule der Yogacharas eine andere Auslegung der Leerheit. In einem der frühesten Texte der Yogacharas, dem Bodhisattvabhumih, wird die falsche Auffassung der Leerheit diskutiert. Die Leerheit wird falsch aufgefaßt, wenn »das nicht vorhanden ist, wovon etwas leer ist«, denn: »Wenn alles fehlt, was soll dann leer sein, wo und wovon?«208 Der Gedanke ist leicht nachvollziehbar: Wenn die Negationen, die Kritik falscher Auffassungen zu einem Wissen von der Leerheit aller Phänomene führen, dann kann dieses Wissen nicht in sich selbst leer sein an diesem Wissen, ohne einen Widerspruch zu behaupten. Es gibt also - sagt Vasubandhu - eine Wesenheit, den »Konstrukteur der phänomenalen Realität«, relativ zu dem zwar alle Phänomene Schein sind, der aber doch »selbst existiert in sich selbst«209. Diese Position wurde von Candrakirti, dem Kommentator Nagarjunas, kritisiert, und diese Kritik ist im tibetischen Buddhismus unter der Schulbezeichnung »PrasangikaMadhyamika« eine weitgehend akzeptierte Voraussetzung in der Auslegung der Leerheit geworden. Kurz gesagt, kritisiert Candrakirti an Vasubhandu vor allem den ungeschickten Gebrauch der Sprache. Er hält nicht eine Position entgegen, die verneinen würde, daß ein Absolutes »existiert« - was nur die nihilistische Position wäre. »Anstatt dem Festhalten an einem Ich und anderen Objekten der Alltagserfahrung, klammert man sich [...] an Begriffe wie nichtduale Wahrnehmung «210 oder andere absolut gesetzte Kategorien. Deshalb lehren die Madhyamikas die Leerheit der Leerheit 208
Nach: Erich Frauwallner: Die Philosophie des Buddhismus, Berlin "1994, S. 279.
209
Theodore Stcherbatsky: Madhyatnat-Vibhanga aaO., S. 41.
210
C. W. Huntington, Namgyal Wangchen: Emptiness aaO., S. 64.
117
Wissen
(sunyatasunyata). Doch viele tibetische Interpreten halten dennoch daran fest, daß die Position der Yogacharas dann eine Hilfe darstellt, wenn man fürchtet, in eine nihilistische Position zu verfallen. Dadurch wird gesagt, daß die Philosophie nicht ihre Erfüllung darin findet, Positionen zu vertreten, sondern darin, eine Hilfe für die Erfahrung anzubieten. Der genannte Gegensatz ist immer wieder aufgebrochen. In Tibet gab es eine umfangreiche Diskussion um die beiden Begriffe extrinsische Leerheit (zhang stong) und intrinsische Leerheit (rang stong). Die Vertreter der extrinsischen Leerheit sagen, daß alle begrifflichen, konventionellen Phänomene leer an einer intrinsischen Realität, einer Selbstnatur (svabhava) sind; die letzte Realität aber, die Leerheit, ist nicht leer an ihrer eigenen Wesenheit - die man auch »Buddhanatur« (tathagatagarbha) nennt. Die von den Prasangika-Madhyamikas vertretene intrinsische Leerheit besagt dagegen, daß alle Phänomene Schöpfungen eines verblendeten Geistes sind. Auch die Leerheit ist leer an jeder begrifflichen Zuschreibung. Die Anhänger der extrinsischen Leerheit stimmen also bezüglich des Urteils über die leere Natur der Phänomene mit den Prasangika-Madhyamikas überein, sie sagen aber, daß eine leere Leerheit auch eine »tote« Leerheit wäre, nicht ein erleuchteter Geisteszustand.211 Die tibetische Diskussion vertieft und erweitert die Fragestellungen der Diskussion in Indien zwischen Madhyamikas und Yogacharas. Um eine sehr komplexe Debatte einfach zusammenzufassen: Man bemerkt in Tibet den Einfluß anderer Traditionen, vor allem des Tantrismus. Im Tantrismus wird die Leerheit mit einer Offenheit, einem »Raum« identifiziert: »Der ungeschaffene Raum bezieht sich auf den As-
211
Vgl. John W. Pettit: Beacon aaO., S. lllff.; Gyurme Dorje: Translator's Introduction; in: Dudjom Rinpoche: The Nyingma School of Tibetan Buddhism, Boston 1991, S. 27f.
118
Die Diskussion um den Begriff der Leerheit
pekt der Leerheit«, heißt es z.B. im Uttara Tantra.212 Und in einem Nagarjuna zugeschriebenen Text steht, »daß die Leerheit wie der Raum ist.«213 Dieser offene Raum besitzt eine kognitive Qualität; in ihm erscheint alles, ohne daß er selbst erscheinen würde. Diesem Raum entspricht in der ältesten tibetischen Überlieferung der Nyingmapas (in der Dzogchen-Lehre) ein ursprüngliches Gewahrsein (rigpa). Auch im frühen Buddhismus gibt es diese Erfahrung eines von Denkprozessen völlig ungetrübten Bewußtseins, das immer »da« ist, aber nur nach langer Übung in seiner lichten, lauteren Natur erkannt wird: »Lauter ist dieses Bewußtsein; doch es wird verunreinigt von hinzukommenden Befleckungen (asavas). Lauter ist dieses Bewußtsein; und ist es frei von hinzukommenden Befleckungen.«214 Dieses lautere Bewußtsein, das der Achtsamkeit (sati) entspricht, wird mit dem Raum unmittelbar in Beziehung gebracht: »Die Leerheit des Geistes [...] ist der Raum als die wahre Natur aller Dinge, und sie besitzt eine lebendige Klarheit.«215 Der Raum dient als Analogie, um das »lautere Bewußtsein«, das ein ichloses Bewußtsein ist, von seinen Denkinhalten zu unterscheiden. So heißt es im Diamant-Sutra: »Der Geist sollte unabhängig von allen aufsteigenden Gedanken gehalten werden.«216 Schließlich sagt auch Santideva im Bodhicaryavatara, daß »die absolute Wirklichkeit (paramatha) jenseits des begrifflichen Denkens«217 liegt. Diese absolute Wirklichkeit wird in der Dzogchen-Tradition, oft unter Berufung auf das 212
Chenchen Thrangu: The Uttara Tantra: A Treatise on Buddha Nature, Delhi 1994, S. 79.
213
Nagarjuna: Bodhicittavivarana 66 aaO., S. 205.
214
Anguttara-Nikaya 1.10 aaO. Bd. 1, S. 22; leicht verändert.
215
Chenchen Thrangu: The Uttara Tantra aaO., S. 31.
216
The Diamond Sutra XIV, Boulder 1920, S. 45.
217
Vgl. Ernst Steinkellner (Hg.): Santideva. Eintritt in das Leben zur Erleuchtung, Düsseldorf-Köln 1981, S. 114; Übersetzung verändert.
119
Wissen
Santideva-Zitat, mit dem ursprünglichen Gewahrsein (rigpa), der Natur des Geistes (sem nyid) gleichgesetzt. Das Denken wird den Wolken verglichen, die sich in der offenen Weite des Himmels (dem ursprünglichen Gewahrsein) zeigen. In Tibet versuchte im 19. Jahrhundert vor allem Mipham (1846-1912), die extrinsischen und intrinsischen Aspekte der Leerheit unter diesem Gesichtspunkt des ursprünglichen Gewahrseins zu vereinigen.218 Die Anhänger der extrinsischen Leerheit betonen eine Differenz zwischen der Leerheit der gewöhnlichen Phänomene und der letzten Wirklichkeit, während die Sichtweise der Prasangika-Madhyamikas diese beiden Wahrheiten als identisch betrachtet. Mipham sagt, daß die erste Betrachtungsweise einem schrittweisen Weg entspricht, im Vertrauen auf eine absolute Wirklichkeit nach und nach die Verblendung durch Begriffe zu reinigen, während die Vertreter der intrinsischen Leerheit sofort das auf diesem Wege erreichte Ziel anvisieren. Die Differenz ist nur eine der Begriffe. Sie erscheint »für das begriffliche Denken«; es ist keine Differenz in der »nicht-dualen, endgültigen Bedeutung«219. Diese Synthese wird gelegentlich auch »großes Madhyamika« genannt. Das Bewußtsein wird durch die Dialektik des Madhyamika - unter Verwendung der ihm eigenen Kraft der Unterscheidung - dazu geführt, alle konventionellen Aussagen als täuschend loszulassen, um schließlich bei einem ursprünglichen, ungetrübten Bewußtsein anzulangen, das sich von Begriffen völlig frei gemacht hat. In der Dzogchen-Schule wird dieses ursprüngliche Bewußtsein sofort erreicht durch geeignete Methoden. Insofern kommen auch unter diesem Gesichtspunkt prak-
218 219
Vgl. Mipham: Speech aaO., S. 85. Mipham: Speech aaO., S. 75.
120
Die Diskussion um den Begriff der Leerheit
tisch (soteriologisch) beide Begriffe der Leerheit zum selben Ergebnis.220 Unter einem ganz anderen Vorzeichen ist eine vergleichbare Diskussion um die Leerheit in jüngster Zeit in Japan aufgebrochen. Diese Diskussion ist deshalb von besonderem Interesse, weil hier eine Rückkehr zur ursprünglichen, kritischen Intention des Buddhismus versucht wird, indem sich die Protagonisten eines neuen, »kritischen« Buddhismus nachdrücklich an westlichen Traditionen orientieren. Der chinesisch-japanische Zen-Buddhismus läßt sich aus der Tradition der Yogacharas ableiten. Die im Zen besonders geschätzten Texte wie das Lankavatara Sutra oder das Diamant-Sutra gehören zu dieser Schule. Im chinesischen Buddhismus hat sich - die indischen Wurzeln sind hier weitgehend unklar - die Vorstellung einer ursprünglichen Erleuchtung herausgebildet. Dieser Gedanke besagt, daß alle Wesen über eine intrinsische Buddha-Natur verfügen (tathagatagarbha). Durch diese Buddhanatur sind alle Wesen bereits ursprünglich erleuchtet - allerdings wird diese Erleuchtung verdeckt durch vielerlei Täuschungen. Der durch Begriffe bewegte Geist ist verblendet; ist er zur Ruhe gekommen, zeigt sich diese ursprüngliche Buddha-Natur. Bodhidharma, der Vater des Zen, sagt: »Zu wissen, daß der Geist leer ist, ist dasselbe wie Buddha zu sehen.« 221 Ein wichtiger Text für den ZenBuddhismus ist die »Abhandlung über die Buddhanatur« (Fo Ying Lun), die als philosophische Quelle vielen Überlegungen im Zen-Buddhismus zugrunde liegt. 222 Es ist leicht erkennbar, daß die positive Vorstellung einer einwohnenden Buddha-Natur, die »Leerheit« genannt wird, durch
220
Vgl. Dudjom Rinpoche: The Nyingma School aaO., S. 208.
221
Bodhidharmas Lehre des Zen, München 1990, S. 50. Vgl. für die Dzogchen-Tradition denselben Gedanken bei Dilgo Khyentse: Herzjuwel aaO., S. 171.
222
Vgl. Sallie B. King: Buddha Nature, New York 1991.
121
Wissen
aus dem Gedanken einer extrinsischen Leere nahe kommt (die Phänomene sind leer, aber die Leerheit hat ihre eigene Natur), die im tibetischen Buddhismus diskutiert wurde. Zwei aus der Zen-Tradition kommende japanische Philosophen haben diese Lehre von der ursprünglichen Erleuchtung nachhaltig kritisiert: Noriaki Hakamaya und Shiro Matsumoto. Bemerkenswert ist, wie sie ihr Argument vortragen. Hakamaya stellt die kritische einer tropischen Philosophie gegenüber und sieht als Quelle beider Denkrichtungen einerseits Rene Descartes, andererseits Giambattista Vico.223 Vico hatte Descartes vorgehalten, daß jeder Kritik eine zu kritisierende Vielfalt vorausgehen müsse, die zuerst kreativ hervorzubringen sei. Die Betonung dieses kreativen Aspekts, sagen Japans kritische Buddhisten, führe aber dazu, einer Ganzheit Vorrang einzuräumen, aus der diese Kreativität hervorgeht. Das wiederum bedeutet, die Quelle solcher Kreativität zu transzendieren, was - auch politisch - zu einer ausgesprochen reaktionären Haltung führe. Hakamaya sagt, daß die Kyoto-Schule224 (Nishida, Nishitani u.a.) eine Philosophie entwickelt habe, die »völlig ohne Beziehung zum Buddhismus ist«. Die tropische Philosophie der ursprünglichen Erleuchtung »spricht die Sprache der Autorität«225. Matsumoto verweist darauf, daß die ausgesprochen antiautoritäre Philosophie des ursprünglichen Buddhismus (Buddha kritisierte das Kastensystem, dogmatische Verehrung von Traditionen usw.) im Madhyamika treu bewahrt wurde, während die tropische Variante des Buddhismus, die Matsumoto dhatu-vada nennt und deren Herzstück die Lehre von der Buddha-Natur (tathagata-garbha) darstelle, der Noriaki Hakamaya: Critical Philosophy aaO., S. 56-80. Vgl. Ryosuke Ohashi (Hg.): Die Philosophie der Kyoto-Schule, Freiburg-München 1990. 225 Noriaki Hakamaya: Critical Philosophy aaO., S. 78 und 80.
223
224
122
Die Diskussion um den Begriff der Leerheit
Philosophie der Yogacharas zuzuschreiben sei.226 Die Reflexion an der westlichen Tradition setzt hier also Descartes den Madhyamikas gleich, während die tropische Philosophie Vicos den Yogacharas zugerechnet wird. Die »Doktrin der Tathagata-garbha ist nicht buddhistisch«, sagt Matsumoto.227 Als Grund nennt Matsumoto, daß diese Lehre eine Identitätstheorie unterstellt, die auf Nichtunterscheidung beruht ein Prinzip, das die Madhyamikas gerade durch unterscheidende Weisheit kritisiert hätten. Die Vertreter des kritischen Buddhismus betrachten die Lehre von der Buddha-Natur als eine hinduistische Verirrung der ursprünglichen Lehre Buddhas. Es sei gerade der Kern der Lehre von der abhängigen Entstehung, daß sie jede Identitätstheorie zurückweise. Dieser »kritische Buddhismus« wurde seinerseits mehrfach kritisiert, und die Verteidigung der Lehre von der BuddhaNatur erinnert an die Argumente, die im indischen und im tibetischen Buddhismus vorgebracht wurden und die ich oben darzustellen versuchte.228 Interessant unter einem interkulturellen Aspekt ist die Tatsache, daß die japanischen Autoren ihre Kritik unmittelbar an einer europäischen Debatte zwischen Descartes und Vico spiegeln, die in Europa selbst weitgehend vergessen wurde.229 So zeigt sich, daß alte
226
227
22 8
229
Shiro Matsumoto: Comments on Critical Buddhism; in: Jamie Hubbard, Paul L. Swanson aaO., S. 161. Shiro Matsumoto: The Doctrine of Tathagata-garbha Is Not Buddhist; in: Jamie Hubbard, Paul L. Swanson aaO., S. 165ff. Vgl. die Texte von Sallie B. King, Jamie Hubbard und den kenntnisreichen Vergleich zwischen japanischem und tibetischen Buddhismus von Zuhio Yamaguchi im mehrfach zitierten Sammelband von Hubbard und Swanson aaO. Hakamaya beruft sich auf den Text: Ernesto Grassi: Critical Philosophy of Tropical Philosophy? in: Giambattista Vico: An international Symposium, hrsg. v. G. Tagliacozzo und H.V. White,
123
Wissen
Differenzen innerhalb des Buddhismus, in der Moderne an europäischen Analogien gemessen, neu auftreten und darin ihre produktive Bedeutung für die westliche Philosophie erweisen.
4. 3. Die Leere und der Demiurg Alle europäische Metaphysik, auch in ihrer Form als kritische Philosophie, bleibt verborgene Theologie. Allerdings ist inzwischen dieser »onto-theologische Charakter der Metaphysik [...] für das Denken fragwürdig geworden«230. Feuerbach, Nietzsche und Freud haben die Götter als menschliche Projektionen entzaubert und darin die europäische Aufklärung als Theologiekritik vollendet. Der Buddhismus als nichttheistische Religion scheint deshalb gerade für die Philosophie der Moderne als Gesprächspartner interessant geworden zu sein. Doch solch eine immer noch äußerliche Analogie verfehlt den Kern beider Traditionen. Tatsächlich lassen sich in zentralen Fragen der Metaphysik - und das sind stets theologische Fragen - Strukturen entdecken, die durchaus in der buddhistischen Tradition, mit anderem Vokabular und Kontext, diskutiert wurden. Stellt man die Frage: »Woher kommt die Welt, das Sein, die Wirklichkeit?« und antwortet darauf aus der Überlieferung der jüdisch-christlich-islamischen Tradition mit: »sie wurde durch einen Gott geschaffen«, so bleibt das Wesen der creatio dunkel. Die logische Struktur einer creatio ex nihilo hat die Theologen vieler Jahrhunderte und Traditionen beschäftigt. Streift man aus den überlieferten Schriften die metaphorischen Formen ab, so verbleibt die Frage: »Wie kann man die Differenz zwischen Gott und Schöpfung den-
23 0
Baltimore 1969; vgl. zu Vicos Kreativitätsbegriff Karl-Heinz Brodbeck: Zirkel aaO., Kapitel 3.8. Martin Heidegger: Identität und Differenz, Pfullingen 1957, S. 45.
124
Die Leere und der Demiurg
ken - ohne einen Pantheismus behaupten zu müssen?« Man kann leicht erkennen, daß hier eine gewisse logische Ähnlichkeit zu den oben diskutierten Fragen vorliegt: Wenn man die Leerheit als eine in sich seiende Wesenheit begreift (wie dies einige Cittamatrins, die monistischen Interpreten oder die Anhänger einer extrinsischen Leerheit behaupten), dann stellt sich die Frage nach der Differenz zwischen dem Absoluten und dem Relativen, zwischen Nirvana und Samsara. Wenn die Anhänger der extrinsischen Leerheit sagen, daß dem Relativen, den Phänomenen als konventioneller Matrix des Scheins, ein Sein mangle, die Leere selbst aber »sei«, dann ist diese Frage logisch durchaus der Frage nach der Differenz zwischen Gott und Schöpfung analog. Das Problem ist folgendes: Wenn Gott die Welt aus Nichts erschaffen hat und wenn »das Nichts« nicht formal als Substanz im Sinn einer causa materialis verstanden werden darf, dann ist die Schöpfung nichts außer Gott - ihr kann ontologisch nichts Nichtgöttliches eignen. Begreift man dagegen das Nichts als eine Art andere Substanz, die sich vom reinen Sein (das Gott ist) unterscheidet, dann bedeutet der Akt der Schöpfung ein Beziehungsverhältnis zwischen zwei Wesenheiten, ein Gedanke, der immer wieder in gnostischen Systemen gedacht wurde: Der Schöpfer, der Demiurg ist der Produzent des nichtgöttlichen Scheins der Welt, während der göttliche Geist (»Vater«) davon getrennt bleibt. Es gibt in der Gnosis hierzu ein bemerkenswertes Denkmodell. Ursprünglich erfüllte Gott alles. Um einer von ihm verschiedenen Schöpfung Raum zu geben, musste der eigentlichen creatio eine Phase der »Zusammenziehung des göttlichen Willens«231 vorausgehen. In dieser Phase zog Gott seinen Willen zurück und räumte so den Wesen einen freien Willen ein. Damit ist ein Rückzug der Gegenwart Gottes verbunden, der gleichwohl einen »leeren Ort (topos)« zu231
Benjamin Walker: Gnosis, München 1992, S. 47.
125
Wissen
rückließ. Die Entleerung Gottes (kenosis) hinterließ eine Leere (kenoma), und in dieser Leere entfaltete sich »die illusorische Erscheinungswelt von Raum und Zeit, in der wir leben. Es ist dabei festzuhalten, daß Gott, indem er sich in dieser Weise verbarg, den Ort schuf, an dem sich die Welt ereignete, ohne jedoch dieser Ort zu sein.«232 In dieser Leere nun entfaltete sich, wie es im PhilippusEvangelium heißt, eine Welt der Namen, und die »Namen, die man den weltlichen Dingen gibt, verursachen einen großen Irrtum.«233 Die Begriffe sind geeignet, in der von Gott hinterlassenen Leere in die Irre zu führen, denn die »Namen, die gehört werden, sind in der Welt, um zu täuschen.«234 Die Leere spielt in der Gnosis vor diesem Hintergrund eine große Rolle, ist sie doch sozusagen das Zeichen des verborgenen Gottes, der sich zurückgezogen hat. Wir finden unser wahres Ich, wenn wir in uns diese leere Gegenwart Gottes entdecken. Im Thomas-Evangelium sagt Jesus: »Ich fand sie alle trunken [...] und meine Seele empfand Schmerz über die Söhne der Menschen, weil sie blind in ihrem Herzen sind und nicht sehen, daß sie leer in die Welt gekommen sind und auch wieder leer aus der Welt zu kommen suchen.« 235 Und im Log. 97 dieses Evangeliums verwendet Jesus ein Gleichnis, in dem eine Frau einen Krug voll Mehl trug. Auf dem Weg brach der Henkel, das Mehl floß auf den Weg, und sie entdeckte kein Unheil. Zu Hause angekommen, »fand sie ihn leer«236. Wenn die Dinge ihren »Haltegriff«, ihren BeGriff verlieren, dann bemerkt man,
Benjamin Walker: Gnosis aaO. Das Philippus-Evangelium; in: Die Gnosis, zweiter Band, hrsg. v. M. Krause, K. Rudolph, Zürich-Stuttgart 1971, S. 96. 234 Das Philippusevangelium aaO., S. 97. 235 Log. 24, A. Guillaumont, H.-Ch. Puech et al.: Evangelium nach Thomas, Leiden 1959, S. 21. 236 A. Guillaumont, H.-Ch. Puech aaO., S. 50f. 232
233
126
Die Leere und der Demiurg
daß das Festhalten eine Täuschung war - es ist kein Verlust, die Leere zu finden, sondern man kehrt heim ins »Reich des Vaters«. Die Leere zu erkennen, in der sich die Welt (der Täuschung) ausbreitet, ist zugleich die Erkenntnis des »Vaters«. Der Irrtum hat keine Natur für sich, deshalb »ist der Irrtum leer, da nichts in ihm ist.«237 Der Produzent der Täuschung, der Demiurg, der alttestamentliche »Schöpfergott«, ist für die Gnostiker selbst eine Täuschung. Es ist nicht schwer, hier buddhistische Anklänge herauszuhören - oder umgekehrt, in der Lehre von der Buddha-Natur das »Reich des Vaters« zu entdecken. Das theologische Problem, wie eine creatio ex nihilo zu denken sei, führte das Denken im Umkreis des frühen Christentums zum Begriff der Leere, die der Täuschung Raum gibt - verursacht durch die Sprache, durch Namen -, nicht aber mit diesem Raum wesenseins ist. Die spätere christliche Theologie hat die Abgründe dieses Problems kaum wieder in dieser Tiefe gesehen, wenn sie problemlos Gott »Allgegenwart« zuschreibt. Dann müßte Gott der Natur des Raumes gleich sein, und es gilt, was Kant sagt: »Wenn ich den Raum als ein Wesen an sich annehme, so ist der Spinozismus unwiderleglich, d. h. die Teile der Welt sind Teile der Gottheit. Der Raum ist die Gottheit; er ist einig, allgegenwärtig; es kann nichts außer ihm gedacht werden; es ist alles in ihm.«238 Die christliche Theologie hat die Höhe der Fragestellung in der Gnosis kaum wieder aufgegriffen und die Konsequenzen des ungeklärten Worin der Schöpfung, das ungeklärte Verhältnis Gottes zum Nichts im Akt der Schöpfung, als einen ihrer ursprünglichen Überlieferung feindlichen Pantheismus gebrandmarkt. Im Judentum, genauer in der Kabbala, hat Luria diesen Gedankenkreis jedoch - vielleicht 237
Vgl. Evangelium der Wahrheit; in: Die Gnosis aaO., S. 73.
238
Immanuel Kant: Vorlesungen über die Metaphysik, Erfurt 1821, S. 62.
127
Wissen
durch gnostischen Einfluß - rund 1000 Jahre später wieder aufgegriffen und im Begriff des Zimzum Ähnliches wie in der Gnosis entwickelt. Zimzum bedeutet, daß »die Existenz des Weltalls durch einen Prozeß des Einschrumpfens in Gott möglich gemacht wurde.« 239 Scholem kommentiert diesen Gedanken so: »Dieses Paradoxon des Zimzum ist, wie Jakob Emden sagte, der einzige ernsthafte Versuch, der je gemacht wurde, den Gedanken einer Schöpfung aus Nichts wirklich zu denken.«240 Scholem fügt hinzu, daß der Rückzug Gottes zugleich die Grenze zur Schöpfung markiert, also als »richtende Gewalt Gottes« zu verstehen ist. Dieser Gedanke ist jedoch eine Rücknahme der in der Gnosis viel tiefer formulierten Einsicht: Wenn nämlich zwischen Welt und Gott »Grenzen gezogen werden und alles auf richtige Weise determiniert wird«241, dann berühren sich Gott und Schöpfung und der Gedanke einer einräumenden Leere geht wieder verloren. Gott bleibt dann der Demiurg, säkularisiert als Naturgesetz oder Moral. Heidegger hat in einer vergleichbaren Denkfigur vom Sein gesprochen, das sich entzieht und dadurch Seiendes gewährt. Im Ent-Zug des Seins erblickte er den Grund-Zug des Seienden. Auch hier ist der »Zug« (im Sinn von »Ziehen«) als eine Wirklichkeit gedacht, die an das Seiende heranreicht und ihm so das Sein ermöglicht. Die »Lichtung« eröffnet bei Heidegger zwar das Seiende, gibt ihm Raum, bestimmt es aber zugleich durch diesen Grundzug: »Die Lichtung ist selbst ein Grundzug des Seins«242. Der Grundzug des Seins gibt Struktur, wie sie in der Wissenschaft erforscht wird: »Der Grundzug muß in jenem bestehen, was die GrundbeGershom Scholem: Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Franturt a.M. 1980, S. 286. 240 Gershom Scholem: Die jüdische Mystik aaO., S. 287. 241 Gershom Scholem: Die jüdische Mystik aaO., S. 288f. 242 Martin Heidegger: Nietzsche II, Pfullingen 1961, S. 490. 239
128
Die Leere und der Demiurg
wegung der Wissenschaft als solcher gleichursprünglich maßgebend durchherrscht«243. Heideggers Denkfigur ist daher eher kabbalistisch als gnostisch244, was auch daran erkennbar ist, daß Heidegger das Nichts, nicht die Leere, als Wesenszug des Seins begreift: »Die Allheit des Seienden muß zuvor gegeben sein, um als solche schlechthin der Verneinung verfallen zu können, in der sich dann das Nichts selbst zu bekunden hätte.«245 Ein Bezug zu Gott in der Welt - sofern man nicht die naive Vorstellung verteidigt, daß Gott von Ferne durch Bücher in die Welt hinein spricht (Bibel, Koran) - ist dann, wenn er sich aus ihr zurückgezogen hat, nur in der Gegenwart der Leere, im offenen Raum, möglich geblieben. Man muß sich von der Täuschung der Begriffe lösen, um die Natur dieser Leere zu erkennen. In diesem Punkt stimmen Gnosis und Buddhismus auf überraschende Weise überein. Tatsächlich lassen einige Denkfiguren aus den Schriften der Yogacharas und aus Texten der Dzogchen-Schule des tibetischen Buddhismus noch andere auffallende Anklänge an gnostisches Gedankengut erkennen. Die Denkfigur des »universellen Konstrukteurs« 246 hat westliche Interpreten ebenso an eine Schöpfungsgottheit erinnert wie der Gedanke an eine »universelle Kreativität« als Aktivität der Leerheit, von dem in einem wichtigen Dzogchen-Text (Kun byed rgyal po) die Rede ist. In diesem Tantra spricht diese universelle Kreativität sogar in Ichform. Und wie in einem gnostischen Evangelium sagt diese universelle Kreativität: »Wenn
243
Martin Heidegger: Die Frage nach dem Ding, Tübingen 1975, S. 52.
244
Brumlik bezeichnet Heidegger als Gnostiker, Micha Brumlik: Die Gnostiker, Frankfurt a.M. 1995, S. 250ff.
245
Martin Heidegger: Was ist Metaphysik? ; in: Wegmarken, Frankfurt a.M. 21978, S. 109.
246
Theodore Stcherbatsky: Madhyätnat-Vibhanga aaO., S. 39.
129
Wissen
ein Bodhisattva meinen Namen erkennt, dann wird er alle Dinge ohne Ausnahme verstehen. [...] Ich habe alle Dinge ohne Ausnahme geschaffen.«247 Zwar sagen die Kommentatoren zu diesem Text zu Recht, daß dies eine metaphorische Redeweise ist, in der gleichsam die innerste Natur zu einem selbst spricht - die dem ursprünglichen Gewahrsein gleiche Natur. Doch es steht nichts im Wege, Texte theistischer Traditionen auf dieselbe Weise auszulegen. Auf die Nähe einiger der gnostischen Evangelien zum Buddhismus wurde mehrfach hingewiesen. Edward Conze vermutet, daß »Buddhisten in Verbindung mit den Thomaschristen (den Christen, die solche Schriften wie das Thomasevangelium kannten und in Gebrauch hatten) in Südindien standen.«248 Diese gegenseitige Abhängigkeit des Buddhismus von und mit anderen Traditionen steht nicht isoliert da. Es sei eine suggestive Tatsache, sagt McEvilley über einen anderen, den griechischen Einfluß auf den Buddhismus, »daß jene Regionen - Gandhara, Kashmir und Amaravti -, in denen der Mahayana-Buddhismus entstanden ist, auch die Orte waren, in denen die griechische Kultur am tiefsten eingedrungen war.«249 Da der Buddhismus als Philosophie eine kritische Lehre bleibt, gibt es keine Position gegen andere Systeme zu »verteidigen«. Die Leerheit bedeutet deshalb auch Offenheit für andere Kulturen. Niemand fürchtet sich im Buddhismus davor, von anderen Philosophien oder Gedanken beeinflußt zu werden - wissen doch die Buddhisten, daß die erschei-
247
E. K. Neumaier-Dargyay: The sovereign All-Creating Mind. The Motherly Buddha, New York 1992, S. 57 und 58.
248
Edward Conze: Buddhism and Gnosis; zit. nach: Elaine Pageis: Versuchung durch Erkenntnis, Frankfurt a.M. 1981, S. 17. Ähnliche Einflüsse lassen sich auch auf die Dzogchen-Lehren vermuten, vgl. John M. Reynolds: Golden Letters aaO., S. 199ff.
249
Thomas McEvilley: Pyrrhonism aaO., S. 31.
130
Die Leere und der Demiurg
nende Welt eine Matrix gegenseitiger Abhängigkeit darstellt. Es ist sicher wichtig, den Kernbestand von Traditionen zu bewahren. Doch für die Menschen, die in diesen Traditionen handeln, gibt es keine Grenzziehungen. Philosophische Systeme neigen dazu, eine Systemgrenze zu ziehen, also den EgoProzeß philosophisch zu reproduzieren. Eine interkulturelle Orientierung ist eine Hilfe, die Offenheit, in der sich solches Abgrenzen vollzieht, sich immer wieder zu Bewußtsein zu bringen.
131
Der Autor und das Buch Karl-Heinz Brodbeck, geboren 1948, ist Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Fachhochschule Würzburg und der Hochschule für Politik, München. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt im Bereich der Wirtschaftsphilosophie und der Ethik. Er praktiziert seit über 25 Jahren verschiedene Formen buddhistischer Meditation und beschäftigte sich in einer Reihe von Arbeiten mit dem Dialog zwischen europäischer und buddhistischer Philosophie. Hierbei steht Brodbeck in stetigem Austausch mit Vertretern verschiedener buddhistischer Schulen. Ein wichtiges Anliegen in Brodbecks Arbeit ist der Versuch, die analytischen Prinzipien der buddhistischen Erkenntnistheorie und Ethik auf aktuelle Probleme anzuwenden. Ein Schwerpunkt ist hierbei die Arbeit an einer buddhistischen Wirtschaftsethik, die Antworten auf die Probleme einer globalen Ökonomie zu geben versucht.
Das vorliegende Buch möchte die im Buddhismus entwickelten erkenntnistheoretischen und logischen Methoden darstellen und sie an Problemen der europäischen Philosophie und Wissenschaft erproben. Leitend ist dabei die Überzeugung, daß der Buddhismus zwar keine »Lösungen« anbieten kann, wie man mathematische Probleme zu lösen vermag. Buddhismus ist, als philosophische Form, kritische Philosophie. Er beschäftigt sich insbesondere mit jenen Denkprozessen, in denen zwar auch die europäische Philosophie und Wissenschaft denkt, die aber als diese Denkprozesse kaum hinterfragt werden. Auch die buddhistische Ethik versteht sich als ein Weg, von den Täuschungen und Gewohnheiten, den emotionalen Reaktionen und unbewußten Denkmustern freizukommen. Die »Freiheit« hat hier also den Sinn einer Befreiung von täuschenden Gedanken, die in ihrer Folge viele - nach der Analyse der Buddhisten - unheilsame, leidhafte Konsequenzen nach sich ziehen. Erkennen, Handeln und schließlich das Wissen über die Funk-
Der Autor und das Buch
tionsweise dieser Täuschungen erweisen sich als eine, in sich differenzierte kreative Dynamik. Diese Struktur aufzudecken und an verwandten Denkformen europäischer (oder amerikanischer) Philosophen zu spiegeln, ist die Aufgabe dieses Buches. Es versucht, Denkmodelle aus verschiedenen Kulturen (Europas und der Länder des Buddhismus) jeweils so weit in ihrer logischen Struktur freizulegen, daß ein interkultureller Vergleich möglich wird. Das Geschenk des Buddhismus an die Welt ist nicht einfach zu erkennen. Es verweist zum einen auf das, was Robert E. Carter The Nothingness beyond God nannte, auf eine Leere oder offene Weite, die alle kulturellen Differenzen in sich enthält, ohne sich als eigene Wesenheit aufzudrängen. Zum anderen besteht das Geschenk des Buddhismus darin, daß er demjenigen, der sich auf diese Tradition einläßt, nicht etwas gibt, sondern jedes Etwas nimmt: Er nimmt viele Täuschungen, schenkt einem dafür aber eine Offenheit, die man schon besaß, auch wenn sie unter einem Sturm von Gedanken und Gefühlen nicht beachtet wurde. Als Anwalt der Achtsamkeit auf diese offene Weite versteht sich der Buddhismus deshalb auch als unermüdlicher Befürworter von Toleranz, Gewaltfreiheit und Mitgefühl mit allen Lebewesen, die sich diesen Planeten teilen.
134