Nr. 491
Botschafter des Friedens Unterwegs in besonderer Mission von Peter Terrid
In das Geschehen in der Schwarzen G...
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Nr. 491
Botschafter des Friedens Unterwegs in besonderer Mission von Peter Terrid
In das Geschehen in der Schwarzen Galaxis ist Bewegung gekommen. Schwer wiegende Dinge haben sich bereits vollzogen – weitere Ereignisse von großer Be deutung bahnen sich an. Es begann damit, daß Duuhl Larx, der verrückte Neffe, mit zwei gefangenen Magi ern an Bord des Organschiffs HERGIEN durch die Schwarze Galaxis raste und Un heil unter seinen Kollegen stiftete. Es hatte damit zu tun, daß die große Plejade zum Zentrum der Schwarzen Galaxis gebracht wurde und nicht zuletzt auch damit, daß Atlan, der Arkonide, und Razamon, der Berserker, in ihrem Wirken gegen das Böse nicht aufsteckten. Inzwischen hat die große Plejade den Lebensring um Ritiquian aufgelöst. Der Dunkle Oheim mußte seine bisher schlimmste Niederlage einstecken, und die Neffen, die Statthalter des Dunklen Oheims, sind ausgestorben. Ob damit das Schicksal der dunklen Mächte in der Schwarzen Galaxis endgültig besiegelt ist, bleibt abzuwarten. Der Dunkle Oheim hat jedenfalls einschneidende Maßnahmen ge troffen, indem er die Dimensionsfahrstühle zusammenführte und mit ihnen startete. Nachdem dieses Unternehmen nicht verhindert werden konnte, versuchen die Ver antwortlichen von Pthor etwas anderes: Sie schicken Emissäre zu benachbarten Di mensionsfahrstühlen aus, die deren Bewohner zum Ungehorsam gegen den Dunklen Oheim aufrufen. Solche Emissäre fungieren auch als BOTSCHAFTER DES FRIE DENS …
Botschafter des Friedens
3
Die Hautpersonen des Romans:
Valschein - Ein Magier in Nöten.
Orthfein - Ein Roboter als Botschafter.
Elian - Ein Dalazaare, der auf Rache sinnt.
Lykaar und Braheva - Ein Ehepaar auf der Flucht.
Farwagi - Ein Krieger von Luuhr.
1. Er lehnte sich gegen die nächste Wand und dachte nach. Er mußte einen Weg fin den, das Problem zu lösen, mit dem er sich herumschlug. Das Problem selbst ließ sich auf einen überaus einfachen Nenner bringen: SETZE DAS PARRAXYNT ZUSAM MEN! Das überaus Schwierige an der Sache war, daß er etwas zusammenzusetzen hatte, von dem er nicht wußte, wie es überhaupt aussah. Er hockte vor einem Haufen Bruch stücke, die er zu einem unbekannten Gebilde zusammensetzen sollte. Der Bildermagier stieß einen Seufzer aus. Das Leben war für einen Magier nicht leicht in der letzten Zeit, und für einen Bil dermagier ganz besonders nicht. Man stieß auf viel Unverständnis, die Banausenhaftig keit des Publikums wurde immer ärger, und zu allem Überfluß saß man nun an einer schier unlösbaren Aufgabe, die obendrein nicht einmal künstlerischen Wert hatte. Es war zum aus der Haut fahren. Valschein seufzte wieder. Es war die Lebensäußerung des Bilderma giers, die ein Beobachter am häufigsten regi striert hätte – ein langer, wehmütigverzwei felter Seufzer. »Es ist einfach zuviel für mich«, sagte Valschein. »Ich kann es nicht, damit hat es sich.« Er war ohnehin kein Hüne von Gestalt, eher klein und schmächtig, mit krausem Schwarzhaar und heller Haut. Unter dem Haar saß ein Paar mattbrauner Augen, die jetzt entweder zusammengekniffen waren oder sehr wehmütig dreinschauten. Das schmale Gesicht war von den Entbehrungen
und Anstrengungen der letzten Zeit geprägt, aber auch von der Resignation, mit der Valschein zu kämpfen hatte. Valschein griff nach einem seiner weißen langschäftigen Stiefel. Wenn er sie anzog – innerhalb des Parraxynt-Raumes ging er bar fuß – konnte er ins Freie gehen und sich an sehen, was die Pthorer von den herrlichen Parks der FESTUNG übriggelassen hatten. Viel würde es nicht sein, und auf andere Ge danken würden sie Valschein selbst dann nicht bringen, wenn sie blumenduftend und sonnenbeschienen gewesen wären. Draußen aber war es jetzt Nacht, und das war nicht einmal dann eine gute Zeit zum Spazieren gehen, wenn man sich mit so gewichtigen Problemen herumzuschlagen hatte wie Valschein. Er hatte es sich auf dem gelben Teppich bequem gemacht, die Beine untergeschla gen. Ganz so gelb wie früher war der Tep pich nicht mehr, seit es nämlich vorgekom men war, damals, als Copasallior geherrscht hatte, daß die Piraten vom Regenfluß eine als Parraxynt-Bruchstück getarnte Bombe abgeliefert hatten. Statt Copasallior in die Luft zu jagen, war sie mitten in Valscheins Arbeit hinein explodiert. Seither lagen die Teile noch wilder zer streut herum, und der Teppich hatte ein we nig gelitten. »Ich gehe zu Atlan und sage ihm, daß ich es nicht schaffen kann«, überlegte Valschein. Er stand auf, blieb dann aber stehen. Es war demütigend für ihn, eine solche Unfä higkeit eingestehen zu müssen – und Valschein war keiner, der Demütigungen hinter herlief. Gab es nicht vielleicht doch noch eine Chance?
4 Er nahm ein paar der Stücke zur Hand. Aus dunkelgrauem Metall schien das Stück zu bestehen, das er jetzt in der Hand hielt und darin wog. Es waren schwarze Zeichen, die in das Metall eingeritzt schienen – aber es gab niemanden, der die Zeichen hätte deuten können. Valschein legte das Stück wieder zur Sei te. Er wußte: trug man ein Parraxynt-Teil stück längere Zeit auf nackter Haut, so dun kelte diese Stelle ab, oft bildeten sich eitern de Geschwüre, die nur sehr langsam heilten und tiefe Narben hinterließen. Valschein fühlte sich, da er Magier war, vor dieser Ge fahr leidlich gefeit, aber er wollte kein un nützes Risiko eingehen. Es war ohnehin nur eine Gedankenübung. Valschein stand auf und ging ein paar Schritte weiter. Mit den Augen tastete er, wie er es oft getan hatte, die einzelnen Teile ab. Paßte dieses Teil dort zu jenem? Waren die Bruchkanten paßgenau? Und dann, wenn sie paßten, wo gehörte das nächste Stück hin? War es jenes? Wieder einmal – wie so oft – glaubte Valschein das Ende des langen Fadens in der Hand zu halten. Er behielt die drei Stücke im Gedächtnis, fügte sie im Geist zusammen, ergänzte sie. Er wußte genau, wie der nächste Schritt aus zusehen hatte, wie ungefähr das nächste Bruchstück beschaffen sein mußte … Und dann, wie so oft, verlor er wieder den Faden. Immer dann, wenn er das Gefühl hat te, langsam durchblicken zu können, stellte sich eine Empfindung der Ohnmacht ein, wie sie stärker Valschein noch nie in seinem Leben empfunden hatte. Er wußte, daß er sich eine schier unlösba re Aufgabe gestellt hatte. Es hieß, und Valschein hatte keinen Grund, an der Wahrhaf tigkeit dieser Prophezeiung zu zweifeln, daß irgendwann einmal einer kommen würde, der es nicht nur schaffen würde, alle existen ten Teile des Parraxynts zusammenzutragen, was an sich schon einem kleinen Wunder gleichkam, sondern es auch fertigbringen
Peter Terrid würde, diese Parraxynt-Teile zu einem Ge bilde, dem Artefakt Parraxynt, zusammenzu setzen. Damit, so sagte die Legende, sei das Geheimnis von Pthor gelöst. Valschein war nicht so vermessen zu glauben, daß ausgerechnet er dieser Jemand sein würde; er wußte, was er konnte, er überschätzte sich in aller Regel nicht. Bei dieser Aufgabe hatte er eine sehr zwiespältige Empfindung: Er ahnte, daß er das Problem grundsätzlich würde lösen kön nen. Er spürte aber auch, daß es etwas gab, das ihn daran hinderte, diese Lösung zu fin den. Es war, als sei das Parraxynt gleichsam verhext. »Nun, versuchen wir es lieber mit dem Schlüssel«, murmelte Valschein. Es sollte doch für einen leidlich intelli genten Bildermagier möglich sein, ein Ge bilde zusammenzubauen, dessen Aussehen er kannte und von dem er die sieben Teil stücke schon besaß. Ein Zusammensetzspiel aus sieben Teilen – eine lächerliche Aufga be. Was Valschein jedoch verdroß: Er arbei tete auch schon seit geraumer Zeit daran, dieses Teilproblem zu lösen, und er war der Lösung nicht einen einzigen Schritt näherge kommen, so blamabel das auch sein mochte. Es stimmte – er hatte noch nicht einmal zwei von diesen verflixten Schlüsselteilen pas send bekommen, von sieben ganz zu schweigen. Auch hier stellte sich wieder das gleiche Phänomen ein – er fand eine Verbindung, sah vor seinem geistigen Auge die Kanten, die aufeinander gehörten. Es war ein ganz klares, einfaches, logisches Bild – wenn er aber hinüberging, um die Teile tatsächlich zusammenzusetzen, dann paßten sie nicht, dann war das Bild, das er gewonnen hatte, verschwunden, ja, dann war er sich nicht einmal sicher, ob er tatsächlich die Teile zur Hand genommen hatte, mit denen er ge danklich die Lösung begonnen hatte. Wäre Valschein ein wenig selbstbewußter gewesen, hätte er jetzt geweint. So aber be gnügte er sich damit, die Enttäuschung in
Botschafter des Friedens den Eingeweiden zu spüren, wie sie seinen Magen auffraßen und durchlöcherten. Er war unfähig, die Lösung zu finden; er fand sie nicht, weil er unfähig war – das war kein logischer Widerspruch oder gar eine Dop peldeutigkeit, das war die Realität. Er ver sagte, weil er an sich zweifelte, und da er sich außerstande sah, seine Zweifel zu besie gen, mußte er zwangsläufig versagen. Valschein holte aus und versetzte den nächstliegenden Teilen einen Fußtritt. Es tat weh, wenn der nackte Zeh mit dem schwe ren Bruchstück des Parraxynts zusammen stieß, aber wenigstens hatte er dann den Er folg zu verbuchen, daß nach ein paar Augen blicken der Schmerz nachließ. Bei allem Heiligen, er hätte es doch schaf fen können. Hatte er nicht Muße genug ge habt in der letzten Zeit? Hatte er nicht min destens sechs Wochen lang geschlafen? War das denn nicht Zeit genug gewesen, sein Hirn von allem geistigen Schutt freizuräu men, sein Unterbewußtsein frei und ge schmeidig zu machen für die einzige große Aufgabe? Nichts da, er hockte so verzwei felt in seiner Folterkammer herum wie schon seit Monaten – nun allerdings um die Pleite bereichert, daß er nicht einmal mehr in der Lage war, sieben lächerliche Teile zusam menzusetzen. Wenn das schon nicht funktio nierte, wie wollte er dann die zahllosen Teile des Artefakts zusammenbekommen? Valschein rammte den Kopf gegen die Wand, bis es schmerzte. Er war völlig verzweifelt. Wäre er faul gewesen, nachlässig, träge, hätte er als Ausrede hoffnungslose Unbe gabtheit für das Problem gebrauchen kön nen, wäre eine Krankheit im Wege gewesen – das hätte Valschein verstanden, mit dieser Niederlage hätte er sich abfinden können. So aber stand er da, gut ausgeruht, lei stungsfähig, intelligent und gesund, mit den besten nur denkbaren Voraussetzungen. Wenn es jemals einen Pthorer gegeben hatte, der eine echte Chance hatte, diese Nuß zu knacken, dann war er es, Valschein, der Bil dermagier.
5 Und es hatte niemals in der Geschichte Pthors einen Mann gegeben, der von der Lö sung des Rätsels so weit entfernt gewesen wäre wie Valschein. Das erst machte die Niederlage zur Katastrophe, zur körperli chen und moralischen Zerstörung des Bil dermagiers. »Es wird am besten sein, ich bringe mich um«, sagte Valschein. »Oder zertrümmere diese Dinger zu feinkörnigem Metallstaub.« Es klopfte. Wenn es etwas gab, was Valschein bei der Arbeit haßte, dann war es eine Störung. Er haßte vor allem solche Störungen, die ihn in seinem Minderwertigkeitsgefühl noch be stärkten. Er wußte, wer draußen stand. Atlan. Und er wußte auch ganz genau, was Atlan sagen würde. Er würde hereintreten, der hochgewachsene Mann mit den roten Augen und den weißen Haaren, er würde freundlich lächeln und wohlwollend dreinblicken, und er würde sagen: »Nun, mein Freund, wie sieht es aus. Kommst du vorwärts?« »Tritt ein«, rief Valschein. Er wandte den Kopf ein wenig. Es war ein hochgewachsener Mann mit roten Augen und weißen Haaren, und natürlich sagte er beim Hereinkommen: »Nun, Freund Valschein, wie sieht es aus? Kommst du vorwärts?« Valschein erstarrte für einen Augenblick. War er schon so völlig verrückt gewor den, daß er jetzt Szenen doppelt erlebte, daß er aufs Wort genau voraussagen konnte, was ein anderer sagen würde? Dachte er etwa voraus? Konnte er in die Zukunft sehen? »Warte!« rief Valschein. »Warte einen Augenblick.« Natürlich, das war die Lösung. Er mußte sich darauf konzentrieren, jeweils das über nächste Stück gedanklich zu erfassen. Das war es, so mußte die Sache funktionieren. »Ich habe es gleich«, rief Valschein im si cheren Hochgefühl des Sieges. »Nur ein paar Augenblicke, dann habe ich es.« Er setzte das erste Stück des Schlüssels an
6 das zweite, und es paßte, stimmte haarge nau, und dann das zweite und das nächste, das vierte, das fünfte Teilstück, jetzt fehlte nur noch eines, dann das letzte, und dann war die Sache … Es klapperte vernehmlich, als der Metall haufen, den Valschein zusammengesteckt hatte, in seine unzusammenhängenden Ein zelteile zerfiel und auf dem Boden landete. Valschein fühlte, wie der Schmerz in sei nen Eingeweiden wühlte. Dieser Ab schwung war noch grausamer als die ande ren; er war am Boden zerstört, mit sich und der Welt völlig zerfallen. Atlan trat an ihn heran, legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Nein, sage nichts«, stieß Valschein her vor. »Ich weiß, daß ich es schaffen werde. Es ist meine Arbeit, und ich werde sie tun, und wenn Jahre darüber vergehen. Ich bin nicht am Ende, ich bin im Vollbesitz meiner Kräfte, ich kann alles, was ich will. Auch dieses Rätsel werde ich lösen, das bin ich mir selbst schuldig, denn schließlich bin ich Valschein, der Bildermagier …« »Erschöpft bist du«, sagte Atlan ruhig. Sein Gesicht zeigte aufrichtige Besorgnis. »Diese Aufgabe geht weit über deine Kräfte. Du hast dich übernommen.« »Das habe ich nicht«, begehrte Valschein auf. Er sah Atlan in die Augen, und das war ein Fehler. Diesem Blick konnte er nicht lange widerstehen. Valschein fühlte, wie ihn alle Kraft ver ließ. Er hatte ein Gefühl, als falle er unsäg lich langsam in einen abgrundtiefen schwar zen Schacht. Seltsamerweise fühlte er Er leichterung. »Nicht wahr, du bist augenblicklich über fordert?« Valschein sah Atlan an. Er nickte, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Jetzt, da das Geständnis heraus war, konn te er sich fallenlassen, sich seiner Verzweif lung ganz ergeben, die Tränen des Zorns und der Enttäuschung weinen. »Ich habe es immer wieder versucht«,
Peter Terrid stieß Valschein hervor. »Aber es geht nicht. Das Ding ist wie verhext. Kaum hat man einen Anfang gefunden, ist er schon wieder verschwunden. Ich habe nicht einmal zwei Teile zusammengebracht.« Atlans Gesicht behielt den Ausdruck nachsichtigen Wohlwollens. »Hast du einen Vorschlag, was man tun könnte?« Valschein zuckte in hilfloser Gebärde die Schultern. »Ich habe versucht, was immer in meinen Kräften stand«, sagte er jammernd. »Immer und immer wieder, aber es hat nicht ausge reicht. Ich habe versagt.« »Das sagt niemand«, behauptete Atlan. »Du arbeitest zu lange an dieser Sache, zu viel an jedem Tag, und vergiß nicht – du hast sechs Wochen hinter dir, in denen du in todesähnlichem Schlaf gelegen hast. Da ver wundert es nicht, wenn dein Gemüt die Be lastung dieser ungeheuren Aufgabe nicht mehr erträgt!« »Wirklich?« fragte Valschein. Atlan lächelte ihm beruhigend zu. »Was du brauchst, ist Ruhe«, sagte der Herr von Atlantis. »Entspannung, Schlaf – nicht Ohnmacht.« »Das sagt sich so leicht«, murmelte Valschein. Traurig betrachtete er die Halle mit den vergilbten Teppichen an den Wänden, den zahlreichen Bruchstücken des Parraxynts, den sieben Teilen des Schlüssels. Irgendwie kam ihm das alles als Spiegelbild seiner selbst vor – vergilbt, bruchstückhaft, ohne Aussicht, jemals vollkommen zu werden. »Sei mein Gast«, sagte Atlan sanft. »Bleibe hier in der FESTUNG, ruhe dich aus. Besinne dich auf deine Fähigkeiten und sammle schöpferische Kräfte. Du kannst später, wenn du dich wirklich ausgeruht und wohl fühlst, an deine Arbeit zurückkehren.« Valschein stand auf und ging zusammen mit Atlan langsam zur Tür. Über die Schul ter hinweg warf er einen Blick auf das Parra xynt-Sammelsurium. »Haben wir denn überhaupt noch Zeit?«
Botschafter des Friedens fragte er. In Atlans Gesicht zuckte kein Muskel, als er sagte: »Alle Zeit der Welt.«
2. Elian lehnte sich gegen die Wand seiner Behausung und sah sich zufrieden um. Da war alles, was er brauchte, um endlich seine Geliebte zu seinem Weibe machen zu können. Der Dalazaare hatte geraume Zeit gebraucht, bis er alles zusammengetragen hatte. Da waren zunächst einmal zwei wunder voll ausbalancierte Messer, unterarmlang. Elian wußte zwar nicht, was sein reichlich klappriger Schwiegervater mit diesen Waf fen wollte, aber der alte Grajyn hatte darauf bestanden, und in diesem speziellen Fall hat te Elian nicht zu widersprechen gewagt. Er liebte Grajyns jüngste Tochter Ahvee und wollte sie heiraten. So betrachtet, genoß der alte Grajyn eine Art Monopolstellung, und da war es nicht klug, ihn zu verärgern. Des weiteren lagen da, säuberlich zusam mengefaltet, zwei Ballen feinen Tuches, ein gelber Stoff mit großblättrigen roten Blumen darauf, bestimmt für Grajyns Weib. Es wür de ihr sicherlich gut stehen, ja, Elian war so gar der Meinung, daß Grajyns Weib jede nur denkbare Bekleidung gut stand, wenn sie nur genügend von ihrem Leib bedeckte. Für Ahvees Bruder war die große Flasche bestimmt. Sie enthielt Schnaps, von der al lerbesten Sorte – Elian hatte lange mit dem Orxeyaner gefeilscht, dem er die Flasche ab gekauft hatte. Für Ahvee hatte er eine Kette aus gefloch tener Schlangenhaut angefertigt. Die Schlan gen hatte er selbst gefangen, und ihre Zähne baumelten jetzt an der Haut und klapperten leise. Sie würde Ahvee sicherlich gut stehen. Elian war mit sich zufrieden. Endlich hat te er alles beisammen. Er konnte jetzt vor Grajyn hintreten und die Hand seiner Toch ter fordern – noch weiter in die Höhe treiben konnte Grajyn den Kaufpreis nicht, das wäre
7 glatter Wucher gewesen und hätte im Dorf viel böses Blut gemacht. Dieser Sippenver band der Dalazaaren galt ohnehin als etwas verschroben und seltsam, und Grajyn war ei ner der merkwürdigsten dieses Sippenver bands. Der eigentliche Kaufpreis stand draußen und knabberte am Gras – sieben wundervol le kraftvolle junge Yassels, die Elian einem nicht sehr geschäftstüchtigen Orxeyaner ab genommen hatte. Elian nickte zufrieden. Der Augenblick war gekommen. Jetzt wollte er um Ahvee freien. Er verließ die Hütte und trat ins Freie. Am Wetter hatte sich nichts geändert. Es war Tag, und der Himmel sah aus, als sollte es bald einen kalten Regenguß geben. Indes sen war das nicht auf Wolkenbildung oder ähnliches zurückzuführen, sondern auf ande re Vorgänge in den Höhen des hellen Him mels, die der Dalazaare nicht begriff und auch nicht begreifen wollte. Mit solchen Dingen hatte er nichts im Sinn. Er wollte Ahvee, das genügte ihm, mehr erwartete er nicht vom Leben. Der Platz zwischen den Hütten war kaum bevölkert. Der größte Teil der Dalazaaren dieser Gegend war im Urwald damit be schäftigt, Nahrungsmittel zu sammeln. Das Leben war schwierig geworden in den letz ten Monden, vor allem hatte die große Panik unter den Pthorern die Dalazaaren arg in Mitleidenschaft gezogen. Es hatte Zeiten ge geben, da hatte der Blutdschungel mehr Flüchtlinge aufzuweisen gehabt, als norma lerweise Menschen darin lebten. Auch Elians Sippenverband war von Flüchtlingen arg gebeutelt worden. Die Leute konnten sich im Dschungel nicht ernähren und hatten den Dalazaaren fast die Haare vom Kopf ge fressen. Nun, auch das war vorbei, und nach Elians Gefühl ging es herrlichen Zeiten ent gegen. Einer seiner Freunde sah, daß Elian sei nen besten Jagdanzug übergestreift hatte, und grinste. »Du gehst auf Beute?« fragte er spöttisch
8 und machte eine sehr eindeutige zweideutige Geste. Elian drohte ihm mit der Faust. »Viel Glück«, rief der Freund. Langsam ging Elian zu Grajyns Hütte hin über. Es war ein wahres Glück, daß Grajyns Weib so arbeitseifrig war – die Aussicht, den mürrischen Alten eines Tages aus Sip penverpflichtung heraus unterbringen und beköstigen zu müssen, bereitete Elian Alp drücken. Er hoffte insgeheim, daß ihm die ses Schicksal erspart bleiben würde. Wie üblich saß Grajyn auf einem schön geschnitzten Schemel vor seiner Hütte. Den Schemel hatte ihm der Mann seiner ältesten Tochter geschenkt, ein Keenie, der sich nach der Hochzeit mit seiner Frau sofort davonge macht hatte. »Ich freue mich, dich zu sehen, Elian«, sagte Grajyn. »Was führt dich an diesem schönen Tag zu mir?« Natürlich wußte der Alte genau, was Eli an wollte. Die Liebschaft zwischen den bei den war wahrscheinlich im gesamten Blutd schungel bekannt, nicht zuletzt deswegen, weil Elian ein halbes Dutzend Nebenbuhler aus dem Feld geschlagen halte, und das mit unter buchstäblich. »Ein wunderschöner Tag, fürwahr«, er klärte Elian. Er haßte Unterhaltungen dieser Art, aber der alte Grajyn hatte nicht mehr viel zu tun in seinem Leben und genoß es daher über die Maßen, wenn er wieder ein mal im Mittelpunkt des Interesses stand. Eli an ahnte, daß er sich einige Stunden lang würde Erinnerungen anhören müssen, bis endlich das zur Sprache kam, was Elian auf dem Herzen lag. Normalerweise hätte Elian dem Alten schlichtweg den Gesprächsfaden abgeschnitten, aber in dieser besonderen La ge mußte er sich der Erpressung des Alten fügen. Elian hockte sich neben Grajyn auf den Boden. Zwischen zwei Hütten standen drei Weiber, die in einem Mörser Früchte und Nüsse zerstampften und dabei offenkundig die Ohren spitzten. Elian schielte nach Ahvee, aber sie war nicht zu sehen. Wahrscheinlich steckte auch
Peter Terrid sie irgendwo im Blutdschungel. »Ja, ja«, begann Grajyn. »Das ist schon so.« Elian fragte sich, wie lange er solche Weisheiten wohl würde ertragen müssen, als Grajyn sich unvermittelt zu ihm herumdreh te und ihm voll ins Gesicht sah. »Du kommst wegen meiner Tochter?« Elian schluckte. Es war mehr als unge wöhnlich, ja fast schon ein brutaler Verstoß gegen die guten Sitten, eine solche Frage so unvermittelt zu stellen. Es gehörte sich, daß ein wenig drumherum geplaudert wurde; man hätte sonst vermuten können, der Bräu tigam könne seine Begierde nicht im Zaum halten. »In der Tat«, antwortete Elian verdutzt. »Ich möchte dich um deine Tochter bitten.« Jetzt mußte Grajyn traditionsgemäß los poltern, ihn einen lüsternen Frechling schimpfen und dergleichen mehr. Er mußte klarstellen, daß er sich nur unter besonderen Bedingungen dazu bereiterklären würde, sein geliebtes Kind einem hergelaufenen Strolch zum Weibe zu geben. Die besonde ren Bedingungen waren in der Regel mit dem Brautpreis hinwegbefördert – er hing von der Schönheit der Tochter und der Hab gier des Schwiegervaters ab. Indessen verzichtete Grajyn auf diesen Teil des Rituals. »Gut, gut«, murmelte er. »Aber das wird nicht billig sein.« »Ein schönes Weib ist nie billig«, sagte Elian. »In der Tat«, meinte Grajyn und schielte über die Schulter hinweg in das Innere sei ner Hütte. »Ein schönes Weib kann einen ganz schön teuer zu stehen kommen. Was bietest du mir für den Liebreiz meines Kin des?« Elian hatte ein Gefühl, als werde ihm der Magen herumgedreht. Grajyn hielt sich nicht an eine einzige der Spielregeln, die von der Tradition vorgeschrieben wurden. Er stellte sich an, als gelte es, ein Stück Fleisch meist bietend zu verkaufen, und so geschäftlich hatte sich Elian seine Brautwerbung wahr
Botschafter des Friedens haftig nicht vorgestellt. Immerhin liebte er Ahvee, und als Junggeselle hatte er noch ge wisse romantische Vorstellungen. »Nun«, sagte Elian gedehnt. Wenn der Alte es so wollte – feilschen konnte Elian auch. »Ich könnte drei Yassels aufbieten, äu ßerstenfalls. Und es würden keine jungen kräftigen Tiere sein.« Grajyn rümpfte die Nase. »Mein Freund«, sagte er. »Du scheinst ein wenig an der Wirklichkeit vorbei zu denken. Für drei Yassels könntest du meine Tochter bestenfalls ein paar Tage ausprobieren, wenn Brauch und Herkommen so etwas Un anständiges überhaupt zuließen.« Einen Augenblick lang fand Elian die Idee gar nicht einmal so übel, dann riß er sich zusammen. »Was hattest du dir vorgestellt?« fragte er mit größtmöglicher Freundlichkeit. »Es sind viele Mäuler, die ich zu stopfen habe«, jammerte Grajyn, der nie in seinem Leben an etwas anderes gedacht hatte als an seine eigene Wohlfahrt. »Und meine Töch ter sind kräftig, sie können gut arbeiten, schaffen viel heran. Unter fünfzehn jungen kräftigen Yassels …« Elian sprang auf. »Ausgeschlossen«, protestierte er. »Es hat in der Geschichte unseres Volkes noch nie ein Weib gegeben, das um einen solchen Brautpreis vergeben worden wäre.« »Dann preise dich glücklich, daß du der erste sein wirst, der ein so kostbares Weib sein eigen nennen darf.« Mit dieser Antwort war Elian überhaupt nicht einverstanden. Zum einen paßte ihm der Preis nicht, zum anderen war ihm bei al ler Liebe eines klar geworden – als sein Ei gentum würde sich Ahvee niemals behan deln lassen. Sie hatte da recht eigentümliche Vorstellungen vom Zusammenleben, die vom Herkömmlichen ähnlich abwichen wie das ungewöhnlich habgierige Betragen ihres ehrwürdigen Erzeugers und bisherigen Er nährers. »Ein viertes Yassel könnte ich vielleicht noch herbeischaffen«, sagte Elian bedrückt.
9 »Und natürlich nur ein Schlachtyassel.« Die beiden feilschten nicht sehr lange. Grajyn wußte natürlich ganz genau, was Eli an zu bieten hatte, und Elian seinerseits wußte, daß Grajyn sich niemals herunterhan deln lassen würde. Sie brauchten zwei Stunden, dann hatten sie sich auf sieben Yassels geeinigt. »Darauf meine Hand«, sagte Elian und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dieser Handel war anstrengend gewesen; Elian hatte sich das Heiraten ein wenig er quicklicher vorgestellt, und er war fast schon froh, das Wichtigste bereits hinter sich gebracht zu haben. Grajyn schlug ein. Damit war der Vertrag praktisch beschlossen und besiegelt. Grajyn brachte einen Krug mit Baum schnaps herbei, angeblich sieben Jahre alt. Mit dem höllisch scharfen Getränk stießen die beiden aufeinander an. Unterdessen hatte sich in der Nähe von Grajyns Hütte der halbe Sippenverband ver sammelt. Grajyns Weib trat hinzu und ver goß dicke Tränen, als sie hörte, daß ihre Tochter das Haus verlassen würde. Sie droh te schluchzend damit, ihr Kind niemals al lein zu lassen, was Elian dazu veranlaßte, schnell das Weite zu suchen und die vorbe reiteten Geschenke zu übergeben. Die künftigen Schwiegereltern zeigten sich sehr angetan von Elians Morgengabe, und als Grajyn sein Weib damit beauftragte, die große Kalebasse mit Baumschnaps her anzuschaffen, griff die Freude auf den ge samten Sippenverband über. »Und jetzt will ich mir die Yassels anse hen«, verkündete Grajyn. »Damit wäre dann alles erledigt.« Er stand langsam auf. Der Schnaps tat be reits ein wenig seine Wirkung. Und auch Elian war merklich angeschlagen. Gefolgt von allen männlichen Sippenmitgliedern stapften die beiden zukünftigen Verwandten zu dem Gehege hinüber, in dem Elian seinen kostbarsten Besitz untergebracht hatte. Wenn Grajyn starb, würde seine Habe ohne hin zum Teil auf Elian zurückfallen; so be
10 trachtet, war der Verlust nicht allzu herb. »Und wo sind sie nun, deine Yassels?« fragte Grajyn und rieb sich die Augen. »Warum führst du uns an dieses leere Gehe ge?« Elian stand wie vom Donner gerührt. »Da sind sie ja«, rief einer und wies mit dem Finger auf die Tiere. »Heiliges Grün!« ächzte Elian, als er dem Hinweis folgte. Tatsächlich standen dort seine Yassels und grasten friedlich. Aber es waren nicht mehr die stolzen kräftigen Tiere, die er vor einiger Zeit ge kauft hatte. Zum einen hatten die Tiere jetzt Haare, die lang bis auf den Boden herabfielen, und zum anderen waren sie auf die Größe eines ordinären Hundes zusammengeschrumpft. »Betrug!« schrie Grajyn. »Schändliche Tücke!« Elian griff nach dem Holz des Gatters, um nicht zu Boden zu sinken. Er begriff nicht, was er sah. Er hielt es für ausgeschlossen, daß man ihm einen Streich gespielt und die Yassels gegen diese seltsamen Wolltiere einge tauscht hatte – der triftigste Grund dafür war, daß er noch niemals etwas von Tieren gesehen und gehört hatte, die so groß wie Hunde waren, dichten Haarwuchs aufwiesen und geschrumpften Yassels zum Verwech seln ähnlich sahen. Daß es obendrein genau sieben Tiere waren, die da im Gras standen und eifrig weideten, gab den letzten Beweis. »Dieser Schurke!« knirschte Elian. »Wenn ich den Kerl zu fassen bekomme …« Grajyn wandte sich zu Elian um. Er war bereits ziemlich betrunken, und er mußte sich ein wenig anstrengen, um eine Miene würdevoller Empörtheit aufsetzen zu kön nen. »Unter diesen Umständen wird wohl nichts aus dem Handel«, sagte Grajyn mit großer Geste. »Melde dich bei mir, wenn du in der Lage bist, den Brautpreis auch tat sächlich zu zahlen!« Er stapfte davon, gefolgt von der Menge,
Peter Terrid die es nicht an hämischen Bemerkungen feh len ließ. Elian lehnte sich gegen das Gatter und starrte hilflos auf seine geschrumpften Yassels, die keinen müden Quork mehr wert waren. Von einem Herzschlag auf den anderen war er völlig zerstört worden. Gerade noch in höchster Hoffnung schwelgend, jetzt ohne die geringste Aussicht. Jahre hatte Elian ge braucht, es bis dahin zu bringen, und jetzt war der Lohn all dieser Mühen vertan. Schon vor zwei Jahren wäre er in der Lage gewesen, die vier Yassels zu besorgen, die er für die Tochter seines Nachbarn hätte zahlen müssen – ein ansehnliches Weib, ge wiß, aber keine Ahvee. Zwei Stunden lang stand Elian fast ohne Bewegung am Gatter und sah den ehemali gen Yassels zu. Er wußte nicht mehr aus noch ein, und als sich von hinten eine Hand auf seine Schulter legte und er den Duft von Ahvees Haar roch, rührte er sich kaum. »Ich habe es schon gehört«, sagte Ahvee leise. »Was ist denn wirklich geschehen?« Elian zögerte einen Augenblick, dann leg te er seinen Arm um Ahvee – er wußte, es würde das letzte Mal sein, wenn nicht ein paar Wunder geschahen. »Dieser Händler aus Orxeya, er hat mich betrogen«, stieß Elian hervor. »Er hat diese Viecher verzaubert, daß sie aussahen wie ganz normale Yassels, und dann hat er mir die Tiere verkauft. Irgendwann in den letz ten Stunden muß der Zauber dann gewichen sein, und jetzt sehen sie wieder aus wie vor her.« Ahvee sah Elian traurig an. »Und was willst du tun?« fragte sie. Elian zuckte mit den Schultern. »Soll ich mich noch einmal jahrelang ab rackern, um den Brautpreis zusammenzube kommen?« fragte er bitter. »Ich würde solange auf dich warten«, be teuerte Ahvee und sah Elian in die Augen. »Aber dein Vater wird nicht solange aus halten«, sagte Elian bitter. »Er wird vorher einen anderen Mann für dich aussuchen.« »Ich nehme keinen anderen«, sagte Ahvee
Botschafter des Friedens energisch. »Das hast du nicht zu bestimmen, leider«, entgegnete Elian. »Dein Vater wird das ent scheiden.« »Dann werde ich meinen Mann umbrin gen«, behauptete Ahvee. Elian sah sie an. Er schüttelte den Kopf. »Ich kenne dich«, sagte er halblaut. »Du würdest es nicht tun – was kann dein Mann schließlich dafür, daß du ihn nicht liebst, sondern mich. Es wäre nicht recht, ihn zu tö ten – wie überhaupt?« Ahvee lächelte. »Es gibt da gewisse Kräuter«, sagte sie versonnen. Elian hatte das unbestimmte Ge fühl, als sollte er besser nicht weiter fragen – er würde möglicherweise Antworten zu hö ren bekommen, die ihm überhaupt nicht ge fielen. »Ich kann natürlich auch versuchen, die sen Schurken von einem Händler zu fin den«, sagte Elian. »Wenn ich es schaffe, kann ich ihm seine Beute wieder abnehmen und einen neuen Versuch unternehmen.« »Tu das«, stimmte Ahvee zu. »Dieser Weg scheint mir der einfachste zu sein.« Elian nickte betrübt. »Ich hatte gedacht …«, sagte er leise. »Man muß warten können«, belehrte Ah vee errötend. »Sieh zu, daß du den Händler findest – ich werde hier auf dich warten. Und wenn du zurückkommst, werden wir heiraten.« »Falls ich zurückkomme«, murmelte Eli an. »Der Weg ist weit, die Strecke gefähr lich.« »Hast du Angst?« fragte Ahvee entgei stert. »Nein, selbstverständlich nicht«, erwider te Elian. »Aber ich bin auch nicht närrisch genug, die Gefahren zu übersehen, die auf mich lauern. Da sind die Tiere des Blutd schungels, da sind die Horden der Nacht, da sind die Leute von Pthor, die uns Dalazaaren nicht mögen … es gibt vielerlei zu beden ken.« Ahvee sah ihn an.
11 »Willst du es wagen?« Er lächelte, nahm sie in den Arm und küßte sie. »Natürlich«, sagte er. »Ich beeile mich, warte hier auf mich.« Er hastete zurück in seine Hütte. Ein paar spöttische Kommentare mußte er sich unter wegs gefallen lassen, aber sein Blick brachte die Spötter rasch zum Verstummen – er ver hieß jedem, der sich zuviel herausnahm, einen blutigen Kampf. Elian raffte an Waffen zusammen, was er besaß – einen großen Schild, ein Schwert aus feuergehärtetem Schwarzholz, dazu Bo gen und einen pfeilprangenden Köcher, Ah vee hatte ihn insgeheim gearbeitet. Mundvorrat brauchte der Dalazaare nicht. Für den, der sich im Blutdschungel auskann te, gab es Nahrung in Fülle, man mußte sie nur zu finden oder zu erbeuten wissen. Ahvee wartete am Gatter auf Elian. Sie lä chelte zufrieden, als sie ihren Geliebten stolz auf sich zuschreiten sah. »Du wirst ihn finden, diesen Schurken«, sagte sie leise, nachdem sie ihn zum Ab schied geküßt hatte. »Kennst du seinen Na men?« Elian ballte die Fäuste. »Ich werde ihn niemals vergessen, den Namen dieses schurkischen Orxeyaners – er hieß Lykaar.«
3. »Heiliges Himmelsgewölbe«, sagte Bra heva fassungslos. »Bist du sicher, daß du dich nicht irrst?« Lykaar saß in sich zusammengesunken am Tisch. Den Speisen, die Braheva mit Liebe und Kunstfertigkeit zubereitet hatte, gönnte er keinen Blick. »Ich habe schon gestern einen Hinweis bekommen, daß etwas nicht stimmt mit den Tieren«, sagte er niedergeschlagen. »Heute habe ich gesehen, was dieses Wundermittel anrichtet – es ist eine Katastrophe.« »Nicht die erste«, sagte Braheva. Damit hatte sie zweifelsfrei recht – die
12 Geschichte ihrer Ehe war eine einzige Ab folge von kleinen Pannen, größeren Un glücksfällen und katastrophalen Entwicklun gen. Vor einigen Wochen, als die Panik nach Pthor gegriffen hatte, waren sie geflüchtet – in einem Wagen voll apfelduftender Seife, die Lykaar sich von seinem genial versponnenen Freund hatte andrehen lassen. Auf der Flucht vor den Horden der Nacht waren die beiden mit ihrem Yasselgespann und der vermaledeiten Seife von einer Kata strophe in die nächste getaumelt, und jedesmal hatte vor allem die seltsame Seife aller hand abbekommen. Ohne daß die beiden etwas daran getan hätten, hatte sie sich in ein Wundermittel verwandelt, mit dem man altersschwache Yassels wieder auf die Beine bringen konn te. Lykaar hatte es ungeachtet seines er schreckenden Mangels an händlerischem Geschick dennoch geschafft, ein gutes Ge schäft zu machen. Er hatte einen Zugor er standen, und ein paar Tage später hatte er ein großes Haus gekauft und einen schwung haften Handel mit aufgemöbelten Yassels begonnen. Lykaar galt als einer der wohlha bendsten Bürger von Orxeya, und das war gleichbedeutend mit Pthor, denn außer den Orxeyanern verstand dort niemand recht zu handeln. All das drohte jetzt in sich zusammenzu brechen. »Unsere Kinder werden verhungern müs sen«, sagte Braheva betroffen. »Und sie werden ohne Vater aufwachsen, wenn deine Kundschaft dich erschlägt.« Lykaar machte eine wegwerfende Hand bewegung. »Es kommt noch schlimmer«, sagte er. »Das mit den Yassels ist nur der Anfang.« Braheva stemmte die Hände in die Hüf ten. Einmal mehr stellte Lykaar fest, daß er eine ausgesucht schöne Frau geheiratet hatte – leider kam ihr Leibreiz erst so recht zur Geltung, wenn sie sich ärgerte. »Los, heraus mit der Sprache! Was hast
Peter Terrid du sonst noch angestellt, um mich und unse re Kinder zu einem Leben in Armut und Schande zu verurteilen, du …« Lykaar machte ein betretenes Gesicht. »Weißt du, Liebling«, begann er vorsich tig. »Nichts da, Liebling«, herrschte Braheva ihn an. »Heraus mit der Wahrheit!« »Also gut«, sagte Lykaar. »Ich habe mir gedacht, daß ein Mittel, das bei Yassels wundervoll funktioniert, vielleicht auch bei Menschen wirkt.« Braheva zuckte zusammen, als habe sie einen furchtbaren Fausthieb erhalten. »Du hast was getan?« fragte sie und riß die Augen weit auf. »Ich habe mir gedacht, daß es Leute gibt, Männer beispielsweise, die durchaus …« »Oh, nein …!« stöhnte Braheva auf. »Ich meine, es ist doch gar nicht so schlimm für einen Mann, besonders für einen alten …« »Hör auf«, stöhnte Braheva. »… manch einer ist gerne ein paar Tage grün oder blau, wenn er damit nur seine alte Spannkraft und Elastizität zurückbekommt«, fuhr Lykaar fort. Da er einmal den Ent schluß gefaßt hatte, die Wahrheit zu sagen, hielt er mit nichts hinterm Berge. »Ich habe es beim alten Yuran ausprobiert, und es hat funktioniert. Und dann habe ich, du ver stehst, man hat mir jede Menge Quorks ge boten …« Er verstummte. Brahevas Gesicht hatte eine grünliche Färbung bekommen. Sie schüttelte den Kopf, als glaube sie nicht, was Lykaar ihr gerade gesagt hatte. »Du hast diesen Sud an alte Männer ver kauft? Als Stärkungsmittel?« »Ja, Liebling«, gestand Lykaar kleinlaut. Braheva schwankte. »Hast du … etwa …« Jetzt war die Reihe an Lykaar, empört dreinzusehen. »Selbstverständlich nicht«, sagte er wü tend. Braheva setzte sich langsam. Sie wirkte
Botschafter des Friedens sehr müde. »Und wie sehen die Veränderungen an den Yassels aus?« »Sie werden ganz klein und bekommen ein dichtes, langes Fell«, sagte Lykaar schnell. »Vielleicht kann man das Haar scheren und verarbeiten, das wäre eine Mög lichkeit. Vielleicht kann man damit ein be sonderes Geschäft machen. Nein? Du meinst nicht?« »Wie lange hat es gedauert, bis die ersten Yassels sich so verändert haben?« »Ein paar Wochen«, gestand Lykaar kleinlaut. »Und seit wann hast du damit begonnen, dein Mittel auch an deine Freunde zu ver kaufen …?« »Auch vor ein paar Wochen«, gab Lykaar zu. Braheva nickte. »Dann bleiben uns also nur ein paar Stun den, bis der alte Yuran hier vor der Tür steht – kleiner als ein Säugling, dafür aber mit meterlangen Haaren.« Lykaar nickte. Mit diesem Alptraum schlug er sich seit einigen Tagen herum. Er wußte, daß es noch viel schlimmer kommen konnte. Einige seiner Kunden hat ten es seinem Wundermittel zu verdanken, daß Nachwuchs unterwegs war – und wie der aussehen würde, wagte sich Lykaar nicht auszumalen. »Wir müssen verschwinden«, sagte Bra heva. »Wir werden alles zurücklassen müs sen, nur das Nötigste nehmen wir mit.« »Auf den Zugor kann man allerhand auf packen«, warf Lykaar ein. Braheva machte eine wegwerfende Hand bewegung. »Wie viele Orxeyaner mit einem eigenen Zugor gibt es wohl auf Pthor?« fragte sie. »Kaum einen«, antwortete Lykaar. »Und wie lange, glaubst du, werden deine Kunden versuchen, dich zu finden und dir den Hals durchzuschneiden?« »Bis ans Ende ihrer Tage«, sagte Lykaar einsichtsvoll. »Dann müssen wir nicht nur fliehen«,
13 stellte Braheva fest. »Dann müssen wir auch dafür sorgen, daß uns keiner erkennt. Wir werden andere Namen annehmen müssen, wir werden in Armut und Elend leben – also kein Zugor, und von unseren Habseligkeiten werden auch nur die wichtigsten Dinge mit genommen. Haben wir noch ein Gespann Yassels – richtige Yassels?« Lykaar nickte. »Wir haben auch noch einen Wagen«, sagte er niedergeschlagen. »Ich glaube, ich helfe dir lieber beim Packen.« »Das wird das beste sein«, sagte Braheva. Sie strich sich über den Leib. »Unser Kind wird auf der Flucht geboren werden. Ich möchte wirklich wissen, warum ich dich überhaupt geheiratet habe.« »Aus Liebe vielleicht?« fragte Lykaar. Er bekam keine Antwort.
* Sie brauchten drei Stunden, um in aller Heimlichkeit ein paar Habseligkeiten auf den Wagen zu laden und im Dunkel der Nacht Orxeya zu verlassen. Sie hatten Glück – keiner der Freunde sah sie und fragte nach dem Grund des plötzli chen Aufbruchs. Es wäre Lykaar schwerge fallen, das seinen Freunden zu erklären. Er wagte erst wieder aufzuatmen, als sie Orxeya hinter sich gelassen hatten. Die erste Gefahr war nun vorüber. »Wohin wollen wir uns wenden?« fragte er Braheva, die die Zügel des Yassel-Ge spanns in festen Händen hielt. Sie hielt auch sonst die Zügel in den Händen, und das war durchaus in Lykaars Sinn. Sein Weib war nüchterner und wirklichkeitsnäher als er selbst. »Wo sind wir schon überall gewesen?« fragte Braheva. Lykaar dachte nach. Auf der Flucht vor den Horden der Nacht hatte er zusammen mit Braheva und dem Yassel-Gespann den gesamten Südteil von Pthor durchreist. Dort durfte er sich nicht mehr sehen lassen, dort liefen schon seit Tagen die langhaarigen
14 Kleinyassels herum – und natürlich deren Besitzer, die vermutlich nicht zögern wür den, auch Lykaar entsprechend zu verklei nern. »Versuchen wir es im Norden«, sagte Ly kaar. »Wir fahren zwischen dem Dämmer see und dem Blutdschungel hindurch. Die Leute aus dem Blutdschungel sind im Au genblick nicht gut auf uns zu sprechen, da her erscheint es mir sinnvoll, den Dschungel zu umgehen.« »Das klingt richtig«, sagte Braheva. »Und dann?« »Ziehen wir an der Küste der Stille ent lang«, schlug Lykaar vor. »Nach Moondrag? Aber diese Stadt exi stiert nicht mehr!« Lykaar grinste schlau. »Ich habe erfahren, daß es im Norden eine Landbrücke geben soll, zu einem anderen Dimensionsfahrstuhl. Dort sollten wir unser Glück versuchen.« »Auf einer anderen Insel? Bist du überge schnappt?« Lykaar zuckte schuldbewußt zusammen. »Hier auf Pthor werden alle nach uns su chen«, sagte er kleinlaut. »Auf einer anderen Insel kennt uns niemand.« »Und wir kennen dort auch niemanden«, stellte Braheva fest. »Und was ist, wenn die beiden Inseln nie wieder zusammenkom men? Dann sind wir für alle Zeiten von Pthor abgeschnitten.« »Und damit auch von seinen rachsüchti gen Bewohnern«, gab Lykaar zu bedenken. Braheva machte ein finsteres Gesicht. »Eigentlich solltest du diesen Brei selber auslöffeln«, sagte sie. »Ich sollte dich dem Zorn deiner Verfolger überlassen und zuse hen, daß ich und das Kind durchkommen.« Lykaar sah sie betroffen an. Brahevas Worte bereiteten ihm innerlichen Schmerz, mehr, als er mit Worten auszudrücken ver mochte. Auf die Idee, daß sie ihn verlassen könnte, war er nie gekommen. »Zittere nicht«, sagte Braheva und lächel te. »Ich lasse dich schon nicht im Stich.« »Wie beruhigend«, murmelte Lykaar, we
Peter Terrid nig überzeugt. »Bist du sicher, daß es tatsächlich eine weitere Insel jenseits der Eisküste gibt?« »Sehr«, behauptete Lykaar. »Oder hast du eine bessere Idee?« Braheva schüttelte den Kopf. »Ich hoffe nur, daß du weißt, was du sagst«, meinte sie halblaut. Sie trieb die Yassels an. Zur Linken erstreckte sich Dutzende von Wegstunden breit und tief das undurchdring liche Grün des Blutdschungels; seine Be wohner waren, wie die beiden Orxeyaner sehr wohl wußten, mit den Orxeyanern ver feindet – wenn sie nicht gerade Handel mit einander trieben. Da der Handel meist nicht sehr lange dauerte und gewisse orxeyanische Verhandlungsbräuche einer Kriegserklärung durchaus nicht unähnlich sahen, lagen die beiden Völkerschaften meistens miteinander im Streit. Die Völker des Blutdschungels – Yaghts, Grendts, Dalazaaren und wie sie alle hießen – waren nicht berühmt für gute Sitten und vornehmes Betragen; wenn die beiden Or xeyaner ihnen in die Hände fallen sollten, war ihnen Übles beschieden. Das galt ganz besonders, nachdem Tausende von kopflo sen Pthorern die Völker des Blutdschungels in helle Aufregung versetzt hatten. Lykaar und Braheva taten daher gut daran, ein wachsames Auge auf den Blutdschungel zu haben und einen sicheren Abstand einzuhal ten. »Was wollen wir machen?« fragte Brahe va. »Bei Nacht reisen und tagsüber schla fen? Oder umgekehrt?« Lykaar überlegte nicht lange. Zuerst galt es, eine möglichst große Strecke zwischen sich und Orxeya zu brin gen, wo sich die ehemaligen Kunden Ly kaars jetzt vermutlich zu einem kleinen Volksauflauf zusammenrotteten. »Wir fahren die Nacht hindurch und den ganzen nächsten Tag«, bestimmte er. »Dann können wir uns erholen.« Er wußte, daß seine ehemaligen Kunden ihn erschlagen würden – weniger sie als die
Botschafter des Friedens aufgebrachten Angehörigen, die ihre norma le Körpergröße beibehalten hatten. Lykaar war im Erfinden von faulen Ausreden nicht schlecht, außer Braheva gegenüber, die ihm stets auf die Schliche gekommen war, bis er es aufgegeben hatte, sie belügen zu wollen. Aus einer solchen Schlinge aber den bedroh ten Hals herauszureden, das traute sich nicht einmal der sehr zungenfertige Lykaar zu. In folgedessen sah er sich immer wieder um, aber er konnte keinen Verfolger entdecken. »Was hast du eigentlich in den Fässern verstaut?« wollte Braheva wissen. »Doch nicht etwa …?« »Doch«, gab Lykaar kleinlaut zu. »Ich ha be mir gedacht …« »Oh weh, das kenne ich«, seufzte Brahe va. »… vielleicht kann man mit den Leuten von der nächsten Insel mit dem Zeug gute Geschäfte machen und dort Waren einkau fen, die es bei uns nicht gibt. Und wenn wir dann mit so seltenen Waren zurückkehren, nach ein paar Jahren, wenn Gras über die Sache gewachsen ist …« Er hielt inne, denn vor seinem geistigen Auge war ein handspannengroßer Mann zu sehen mit langem weißem Haar, der lang sam von Gras überwuchert wurde. »Vielleicht legt sich das wieder«, sagte Lykaar. »Die Yassels sind ja auch zuerst grün angelaufen und später wieder normal geworden. Vielleicht brauchen wir nur ein paar Monate zu warten und können dann zu rückkehren, beladen mit neuen Reichtümern. Ich denke dabei vor allem …« »… an deinen Bauch und deine üblen Freunde, mit denen zusammen du viel zuviel Zeit in den Tavernen und Spelunken ver bringst«, sagte Braheva trocken. »… an unsere Kinder«, behauptete Ly kaar. »Noch ist nicht alles verloren.« »Pah«, machte Braheva nur. »Leg dich hin und schlafe. Ich wecke dich, wenn ich abgelöst werden will.«
*
15 Lykaar pfiff leise vor sich hin. Es machte ihm in gewisser Weise Spaß zu reisen, obwohl er eigentlich ein sehr häusli cher Mensch war. Er warf einen Blick über die Schulter. Braheva hatte sich im Innern des Wagens ausgestreckt. Sie lag unter einer dunkelbraunen Decke, bis an das Kinn zuge deckt, und lächelte im Schlaf. Lykaar lächel te zurück. Die Yassels trabten ein wenig müde über die Ebene. In ein paar Stunden würde es Zeit für eine Rast sein, dann konnten sich auch die Tiere erholen. Lykaar hätte ihnen gerne ein wenig von seinem Wundermittel verab reicht, aber er befürchtete, daß er in ein paar Wochen normalgroße Yassels dringend be nötigen würde, daher unterließ er es, den Kräften der Tiere mit seiner Paste künstlich aufzuhelfen. In beträchtlicher Entfernung erkannte Ly kaar einen Körper, der sich bewegte. Lykaar überlegte kurz, dann hielt er auf den Wande rer zu – der Mann kam aus Nordwesten. Vielleicht wußte er etwas über die andere Insel, wie die Dimensionsfahrstühle pau schal von ihren Bewohnern genannt wurden. Es schien ein Bewohner des Blutdschun gels zu sein, der sich da langsam dem Wa gen näherte, eine hochgewachsene, dunkel häutige Gestalt. Insgeheim hatte der eher stämmig ausgefallene Lykaar die schlanken Blutdschungelleute um ihre athletischen Körper beneidet, ansonsten hatte er ein we nig Angst vor ihnen. Raufereien oder gar Schlimmeres waren nicht Lykaars Sache – sein Weib war weit kriegerischer veranlagt als er. Lykaar überlegte kurz, ob er Braheva wecken sollte, aber er hatte vor einem ein zelnen Blutdschungelbewohner nicht soviel Angst, daß diese Maßnahme ihm nötig schi en. Es war ein Dalazaare, der sich da näherte, und erst als Lykaar den auf ihn gerichteten Pfeil sah, begriff er, daß er diesem Dalazaa ren schon einmal begegnet war – vor etli chen Wochen, und er hatte ihm Yassels ver kauft.
16 »Steig herab, Schurke!« sagte der Dala zaare. Lykaar band die Zügel fest, dann kletterte er langsam vom Kutschbock. Er bemühte sich zu grinsen. »Sieh an«, sagte er. »Du heißt Elian, nicht wahr?« »Ich bin Elian«, bestätigte der Dalazaare. »Es ist gut, daß du weißt, wer dir die Gurgel durchschneiden wird.« Lykaar rollte mit den Augen. »Nicht doch«, sagte er. »Warum zu sol chen Maßnahmen greifen.« »Ich werde dich töten, Orxeyaner«, stieß der Dalazaare hervor. Lykaar war kein guter Menschenkenner, aber er spürte, daß der Dalazaare seine Worte bitter ernst meinte. »Wozu der Aufwand?« versuchte Lykaar abzuwiegeln. Er erinnerte sich, daß er dem hochgewachsenen Schwarzen sieben Yas sels verkauft hatte – alle waren erst durch Lykaars Wunderkur in einen verkaufsfähi gen Zustand versetzt worden. Jetzt standen sie verkleinert und langmähnig irgendwo im Blutdschungel. »Du erinnerst dich an die Yassels, schur kischer Händler? Wisse – sie waren der Brautpreis für Ahvee. Sie ist die schönste unter den Weibern der Dalazaaren.« »Oha«, machte Lykaar, während sich sein Herzschlag beinahe überschlug. Er versuch te sich vorzustellen, wie er empfunden hätte, wäre ihm wegen einer solchen Panne Brahe va versagt geblieben – seine Wut hätte aus gereicht, Orxeya dem Erdboden gleichzuma chen. Lykaar schluckte. Es gab nicht mehr viel zu sagen. Der Blick des Dalazaaren war eindeutig, und ge gen einen Pfeil – womöglich gar vergiftet – hatte Lykaar keine Chance. Er machte eine Bewegung auf den Wagen zu. »Mein Weib schläft dort«, sagte er leise. »Willst du auch sie töten?« Die Augen des Dalazaaren wurden klein. »Ich vergreife mich nicht an Weibern«, sagte er hart. Er spannte den Bogen.
Peter Terrid Lykaar zuckte mit den Schultern. Eine seltsame Stimmung hatte ihn ergriffen – er war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig, verspürte auch keine Furcht mehr. Irgendwie war ihm klargeworden, daß er jetzt sterben mußte, daß er keine Chance mehr hatte – und im gleichen Augenblick war auch die Todesfurcht verschwunden. Er empfand nur tiefes Bedauern, daß er Braheva nicht wie dersehen würde … »Was soll der Unfug«, sagte eine hart klingende Stimme plötzlich. »Seid ihr bei den übergeschnappt?«
4. Der Dalazaare hielt den Bogen gespannt. Jederzeit konnte er den Pfeil verschießen. Der kleine dicke Händler vor ihm schwitzte offenkundig Blut und Wasser. Hinter dem Wagen war eine seltsame Ge stalt aufgetaucht. Es war ein großer, fast mannshoher Körper, einem riesigen Ei nicht unähnlich. Dieses Ei war von hellblauer Far be und schimmerte metallisch. Es war von zwei Kränzen umgeben – einem Ring von Beinen am unteren dickeren Ende und einem Ring von kleinen Armen in der oberen Regi on. Beide Ringe waren ziemlich verrutscht – die Maschine hatte daher einen extrem wackelnden Gang, der Oberkörper taumelte von einer Seite zur anderen, wenn sich die Beine in einer rotierenden Bewegung fortbe wegten. »Ihr solltet euch schämen, euch mit Waf fen zu bedrohen.« »Ich bedrohe niemanden«, sagte der klei ne dicke Händler. »Er bedroht vielmehr mich. Er will mich töten.« Der Roboter machte eine Reihe von Ge räuschen, die Elian nicht zu deuten ver mochte. »Wißt ihr denn nicht, daß sich so etwas nicht schickt?« ermahnte die Maschine ihre Gesprächspartner. »Ich bin der würdige Ar beiter Orthfein des Herrn Leondagan, des Quorkmeisters von Wolterhaven. Ich sage euch, daß die Zeiten der Feindschaft und des
Botschafter des Friedens Unfriedens vergangen und vergessen sein sollen.« »Ach was«, sagte Elian. »Er wird ster ben.« Hinter dem Händler regte es sich. Elian sah einen Schopf heller Haare auftauchen, danach das Gesicht einer Frau. Sie war ein wenig zierlich gewachsen für Elians Ge schmack, aber recht attraktiv – wie sie dar auf gekommen war, ausgerechnet den klei nen Händler zu heiraten, blieb ihr Geheim nis. »Wenn du meinen Mann tötest, Dalazaa re«, sagte die Frau mit einer Stimme, die zu gleich freundlich und unmißverständlich drohend war, »dann werde ich dir dieses Messer zwischen die Rippen jagen. Ich kann damit umgehen, glaube mir.« Die Art, in der die Frau das lange Messer hielt, verriet, daß sie die Wahrheit sprach. Unter diesen Umständen hielt Elian es für angebracht, wenigstens vorläufig nicht auf der Ausführung seines Racheplanes zu be stehen. »Seid friedfertig«, ermahnte der würdige Arbeiter Orthfein die Streithähne. »Ich bin es«, behauptete der dicke Händ ler. Seine Frau ließ den Dalazaaren keinen Augenblick aus den Augen. »Leg die Waffe weg!« forderte Orthfein den Dalazaaren auf. »Ich denke nicht daran«, beharrte Elian. Es war fast erheiternd anzusehen, wie Or thfein auf ihn zu schlingerte, aber das La chen verging Elian jählings, als Orthfein ein halbes Dutzend dürrer Metallärmchen nach ihm ausstreckte und ihn einfach festhielt. »He, was soll das?« rief Elian wütend. Seine Feinde nutzten die Gunst des Au genblicks. Der Händler sprang mit einem Satz zurück auf seinen Wagen und trieb rücksichtslos die Yassels an. Der Wagen ruckte an, die Frau kippte hintenüber und verschwand mit einem wütenden Schrei im Innern des Fahrzeugs. »Laß mich los«, brüllte Elian wutent brannt. »Ich werde diesen Halunken umbrin gen!«
17 Orthfein sah nicht gerade kampftüchtig aus, aber seine metallenen Arme waren kräf tig genug, Elian festzuhalten. Nach kurzer Zeit war der Wagen so weit entfernt, daß kein Pfeil ihn mehr erreichen konnte. Das sah auch Orthfein ein; er ließ den Dalazaaren los. »Ich sollte dich in Stücke hauen«, ereifer te sich Elian. »Dieser Mann ist mein größter Feind. Er hat mit seinen infamen Tricks ver hindert, daß ich die Frau heiraten kann, die ich liebe. Jetzt muß ich erst mich umbrin gen, dann wird sich meine Ahvee umbrin gen, und wahrscheinlich werden noch mehr Leute sterben müssen – nur weil du einge schritten bist, vermaledeiter Blechkerl!« Orthfein hatte sich Elians Tirade schwei gend angehört. Jetzt bewegte er zwei seiner dünnen Arme in flehentlicher Gebärde. »Das habe ich nicht gewußt«, sagte er kla gend. »Dann laß deine Finger aus dem Spiel«, schimpfte Elian weiter. »Wo kommst du überhaupt her? Aus Wolterhaven wahr scheinlich. Und was willst du hier, Dutzende von Wegstunden von Wolterhaven ent fernt?« »Wir suchen die anderen Welteninseln auf«, sagte Orthfein. »Wir wollen ihre Be wohner warnen, sie zum Widerstand animie ren gegen das Böse.« »Wacker gesprochen«, sagte Elian. »Und als erstes verhilfst du einem verruchten Händler zur Flucht … Ist das deine Vorstel lung vom Kampf gegen das Böse?« Elian sagte sich, daß ihm der Roboter vielleicht nützlich sein konnte – immerhin kannten diese Maschinen keine Ermüdung, sie konnten Lasten schleppen und des Nachts wachen. »Ich bitte um Vergebung«, sagte Orthfein kläglich. »Damit ist es nicht getan«, beharrte Elian. »Was, glaubst du, wird dieser elende Schur ke in den nächsten Tagen und Stunden an stellen? Und du trägst die Schuld daran!« Wäre das möglich gewesen, Orthfein wä re vermutlich zusammengeschrumpft vor
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Peter Terrid
Scham und Schande, so begnügte er sich da mit, schuldbewußt zu schweigen. »Wohin führt dich dein Weg?« fragte Eli an. »Nach Norden«, erklärte Orthfein, ver mutlich froh, daß ein anderes Thema ange schnitten wurde. Elian versuchte, sich ein Bild von der Landschaft zu machen. Die Bewohner des Blutdschungels waren in aller Regel nicht sehr an dem interessiert, was außerhalb ihres Bereichs vor sich ging, daher waren auch ih re Vorstellungen von Pthor recht beschränkt. Elian war daher eine Ausnahme, denn er wußte zumindest in groben Zügen Bescheid. Im Norden lag Moondrag, dahin wollte der Händler mit seiner Frau sicherlich nicht. Die Eisküste würde sie so wenig locken wie die Küste der Stille. »Und was willst du dort im Norden?« »Ein anderes Weltenfragment aufsuchen«, erklärte Orthfein. Elian grinste. Daher also wehte der Wind. Der pfiffige Händler schien erkannt zu ha ben, daß er seines Lebens auf Pthor nicht mehr sicher war, und suchte sich nun ein an deres Betätigungsfeld. Es lag nahe, sich für ein anderes Weltenfragment zu interessieren – noch dazu eines, das weit im Norden lag, wohin die Blutdschungelbewohner und ge prellten Orxeyaner so leicht nicht kommen würden. »Dann reisen wir zusammen«, sagte Eli an. »Ich werde dir helfen, du wirst mir hel fen. Abgemacht?« »Ich helfe dir«, versprach Orthfein. »Aber ich kann dir nicht zusagen, daß ich dir im Kampf mit dem Händler zur Seite stehen werde.« Elian machte eine wegwerfende Handbe wegung. »Ach, der«, sagte er geringschätzig.
* »Kannst du sie sehen, Braheva?« »Nichts am Horizont zu finden«, sagte die Frau.
»Dann haben wir sie abgehängt«, stieß Lykaar hervor. »Heiliger Himmel, das war knapp!« »Jetzt könntest du mir eigentlich sagen, wer dieser Schwarze war, der uns ans Leben wollte.« »Nicht uns – nur mir allein«, verbesserte Lykaar. »Ich habe ihm vor ein paar Wochen einige Yassels verkauft, und jetzt bekommt er den Brautpreis für sein Mädchen nicht zu sammen, weil die Tiere geschrumpft sind. Deswegen wollte er mich töten.« Braheva nickte verständnisvoll. »Verdient hättest du's«, sagte sie trocken. »Danke«, sagte Lykaar. »So habe ich mir wahre Liebe vorgestellt.« »Ob er uns folgen wird?« wollte Braheva wissen. »Vielleicht gar über die Landbrücke hinweg bis in das Gebiet der anderen Insel?« Lykaar schüttelte den Kopf. Er ließ die Yassel in eine langsamere Gangart fallen. »Diese Dalazaaren sind keine sehr reise lustigen Leute«, behauptete er. »Daß er uns auf ganz Pthor sucht, ist schon sehr unwahr scheinlich, daß er uns sogar folgen sollte, wenn wir Pthor verlassen, nahezu ausge schlossen.« »Ich weiß nicht recht«, sagte Braheva nachdenklich. »Glaubst du, daß es Zufall war, daß wir ihm begegnet sind?« »Er hat nach mir gesucht«, gab Lykaar zu. »Nur der Ort des Zusammentreffens war Zu fall, alles andere nicht.« »Dann wird er uns auch jetzt noch fol gen«, behauptete Braheva. »Ach was«, wehrte Lykaar ab. »Du siehst zu düster in die Zukunft.« Braheva antwortete nicht. Die Yassels trabten recht langsam. Auf der Flucht vor den wütenden Orxeyanern hatte Lykaar die Tiere schon heftig angetrie ben, er war mit ihnen einen Tag und eine Nacht lang ohne Pause gereist. Dann hatte er vor dem erbosten Dalazaaren reißaus neh men müssen – es war höchste Zeit, den Tie ren eine Rast zu gönnen. »Wie sieht es aus, Liebste?« fragte Ly kaar über die Schulter hinweg. »Sollen wir
Botschafter des Friedens rasten?« »Hast du schon wieder Hunger?« fragte Braheva gereizt zurück. »Ich denke nicht an mich, ich denke an die Tiere«, gab Lykaar zurück. »Faule Ausrede«, sagte Braheva. »Aber raste nur – wir alle können eine Pause brau chen.« Lykaar seufzte zufrieden. Er sah sich nach einem geeigneten Platz um. Zur Rechten war irgendwo der Dämmersee zu suchen, zur Linken schimmerte in der Ferne die Fe ste Grool – Lykaar wußte aber, daß es dort kein Leben mehr gab. Die Feste war von in nen her ausgebrannt, nur die Hülle stand noch. Er erreichte mit seinem Gespann eine Mulde mit einem kleinen Tümpel darin. Dort konnten die Yassels saufen, in der Um gebung gab es genügend Gras für die Tiere. Lykaar ließ den Wagen in der Mulde an halten, dann spannte er die Tiere aus. Wäh renddessen beschäftigte sich Braheva damit, das Abendessen zuzubereiten. Über Pthor senkte sich die Dämmerung. Es war ein beängstigendes Licht, das Pthor tagsüber erhellte, eine trübe Dämmerung, die an einen regnerischen Abend erinnerte. In der Nacht wurde es niemals ganz finster – an einigen Stellen des Wölbmantels war ein schwaches Glimmen zu sehen. Eine dieser Lichtquellen lag im Norden, für Lykaar und Braheva sichtbar. Lykaar deutete darauf. »Das Glimmen«, sagte er leise, »entsteht dort, wo die Wölbmäntel zweier Dimensi onsfahrstühle sich berühren. So heißt es je denfalls, und ich nehme das Glimmen im Norden als Beweis dafür, daß es dort tat sächlich weiteres Land gibt.« Braheva schmiegte sich an Lykaar. »Ob die Bewohner fremder Inseln uns freundlich gesinnt sind?« fragte sie halblaut. Lykaar lachte. »Warum sollten sie nicht?« meinte er zu versichtlich. »Kleinere Feindschaften kann es überall geben, aber wir kennen diese Leu te ja gar nicht, warum sollten sie dann ver feindet mit uns sein.«
19 »Wie klug du bist«, sagte Braheva und küßte ihn; Lykaar war damit zufrieden, auch wenn er nicht wußte, ob sie ihn ein wenig verspottete oder nicht. Sie aßen ein kärgliches Abendbrot, dann legten sie sich schlafen. Die Yassels waren angehobbelt und konnten nicht weglaufen, und vor Dieben hatte Lykaar einstweilen keine Angst. Der nächste Tag brachte die Fortsetzung der Wanderfahrt nach Norden. Die Yassels hatten sich gut erholt, griffen mächtig aus und zerrten den Wagen in ra scher Fahrt voran. Die beiden Orxeyaner konnten zufrieden sein, sie würden es nicht mehr weit haben bis zur Landbrücke. Tatsächlich benötigten sie drei Tage, bis sie östlich von Moondrag den fremden Di mensionsfahrstuhl erreichten. »Mir ist ganz und gar nicht wohl bei der Sache«, sagte Braheva, als Lykaar die Yas sels vorantrieb. »Vielleicht verlieren wir das Gedächtnis, oder all unsere Habe löst sich auf …« »Unsinn«, sagte Lykaar, der die Ge schichten um den Wölbmantel sehr wohl kannte. »Du wirst sehen, es ist alles ganz normal, es besteht keinerlei Grund zur Angst.« Er selbst spürte sein Herz heftig und schnell klopfen, als das Gespann die Grenze durchquerte, und er atmete laut und erleich tert auf, als er den Wölbmantel durchschritt und sich nicht das geringste zutrug. »Siehst du«, sagte er zufrieden. »Wie ich es gesagt habe – es besteht keinerlei Ge fahr.« Braheva betrachtete das Land, das sich vor ihren Augen erstreckte. Die beiden stan den mit ihrem Gespann auf einem Hügel, der ihnen den Blick in die Weite öffnete. Gras war zu sehen, ein weitgestrecktes Weideland. In der Ferne weideten Tiere, Menschen waren nicht zu erkennen. Das ganze Land machte einen ruhigen und fried lichen Eindruck. Lykaar suchte mit den Augen den Hori zont ab. Nach langem Suchen entdeckte er
20 in der Ferne ein metallisches Glänzen – Zei chen für eine Ansiedlung? »Dorthin sollten wir uns wenden«, sagte er. »Vielleicht gibt es dort eine Siedlung.« Die Yassels setzten sich wieder in Bewe gung. Auf dem Boden unterhalb der Hügel kette kamen die Tiere naturgemäß gut voran. »Weißt du irgend etwas über dieses Land?« fragte Braheva. Sie setzte sich neben Lykaar auf den Kutschbock. Lykaar schüttelte den Kopf. »Nicht einmal den Namen«, gab er zu. »Ich weiß nur, daß es andere Weltenfrag mente gibt und das dieses eines davon ist. Es heißt – jemand hat es mir erzählt – der Dunkle Oheim riefe alle Weltenfragmente zusammen, aber ich kann mir nichts darun ter vorstellen. Es genügt mir zu wissen, daß es dieses Land gibt.« »Hm«, machte Braheva. Im Gegensatz zu ihrem Mann hatte sie sich einen gesunden Sinn für die Wirklich keit bewahrt, und was sie zu sehen bekam, gefiel ihr nicht ganz so rückhaltslos wie Ly kaar. Sie witterte Unheil – das Zusammenle ben mit Lykaar hatte sie gelehrt, stets auf der Hut zu sein. Früher hatte ihr das nicht sehr viel ausge macht. Sie hatte sich damit abgefunden, einen ausgesprochenen Versager geheiratet zu haben, soweit es Lykaars Geschick als Händler betraf. Was Rücksichtnahme, Zärt lichkeit, Einfallsreichtum und Unberechen barkeit anging, hätte sie keine bessere Wahl treffen können – sehr angenehm war das Le ben mit diesem seltsamen Mann nicht, dafür sehr unterhaltsam. Jetzt aber mußte Braheva nicht nur an ihr Wohl und das ihres Mannes denken – sie mußte auch dafür sorgen, daß sie in äußerer und innerer Sicherheit ihr Kind zur Welt bringen konnte. Zwar hatte sie dafür noch ein paar Monate Zeit, aber sie war sich nicht ganz sicher, ob sich das nächste Mißge schick nicht zeitlich in die Länge ziehen würde. Im Augenblick sah es ganz danach aus. »Hier werden einmal unsere Kinder le
Peter Terrid ben«, murmelte sie. Lykaar zog die Brauen in die Höhe. »Nur keine frühzeitigen Ängste«, sagte er. »Warte ab, bald sind wir wieder wohlgelitte ne Leute in Orxeya.« Rumpelnd bewegte sich der Wagen über das flache Land. Das Gras war hoch und saf tig, dieses Weltenfragment schien eine sehr fruchtbare Angelegenheit zu sein. Ob es hier auch so etwas gab wie Technos, oder die Horden der Nacht oder die Dalazaaren? »Seltsam, daß sich niemand zeigt«, sagte Braheva halblaut. »Vielleicht haben sie Angst vor uns«, meinte Lykaar. Er pfiff ein Lied, während er den Wagen über die Ebene lenkte auf das Glitzern am Horizont zu. Braheva entging nicht, daß das Lied einen reichlich schlüpfrigen Text hatte; vermutlich hatte Lykaar es in der Kneipe bei seinen sauberen Freunden gelernt. Ab und zu wandte sich Braheva um. Sie war hochgewachsen wie die Mehrzahl der Frauen Orxeyas, aber sie war ein wenig schmächtig für orxeyanische Verhältnisse ausgefallen, zudem hatte sie hellschimmern des Haar, das in dem Meer kupferroter Locken sofort auffallen mußte. Von den Verfolgern war nichts zu sehen. Vielleicht hatten sie die Jagd aufgegeben. »Ein Glück, daß die Brühe eine verklei nernde Wirkung hat«, sagte Lykaar plötz lich. »Dadurch wird unseren ehemaligen Freunden das Nachlaufen arg erschwert.« »Du solltest über solche Dinge nicht spot ten«, sagte Braheva, obwohl sie wußte, daß diese Ermahnung keinerlei Erfolg haben würde. Lykaar war bekannt dafür, daß seine giftige Zunge vor niemandem und nichts haltmachte. Lykaar sah sein Weib an. »Vielleicht sollte ich dich dem Dalazaa ren abtreten, als Ersatz für seine Braut«, meinte er spöttisch. »Damit wäre uns beiden geholfen.« »Keine schlechte Idee«, meinte Braheva schnell. Mit einem Satz war sie vom Wagen. »Gute Reise.«
Botschafter des Friedens Bevor Lykaar begriffen hatte, was Brahe va getan hatte, war das Gespann bereits ein paar Schritte weitergetrabt. Trotz der Entfer nung konnte Braheva sehen, wie sich Lykaar schlagartig entfärbte. Er wurde kreidebleich vor Schreck. Braheva lächelte ein wenig. Es tat gut zu wissen, daß Lykaar ebenso an ihr hing wie sie an ihm. Dann aber begriff sie, daß Lykaar nicht ihretwegen erbleicht war. Die Bewohner des fremden Weltenfrag ments hatten sich vorgestellt.
5. Sie waren mehr als zweieinhalb Meter groß und sehr breitschultrig. Die Oberkörper waren nackt und zeigten die furchteinflößen de Muskulatur. Die Hautfarbe der Fremden war von einem lehmigen Gelbbraun, die Au gen unter dem rötlichen Haar strahlten in in tensivem Dunkelblau. Äußerlich sahen sie den Bewohnern von Pthor überaus ähnlich. Die Lippen waren ein wenig schmal, vielleicht auch nur zusam mengepreßt. Bekleidet waren die Fremden mit Hosen aus dünnem geschmeidigem Le der, das pechschwarz gefärbt war. In den Händen hielten sie langschäftige Speere, an den Gürteln baumelten Schwerter und Dolche, über den Rücken geworfen tru gen sie lange schmale Schilde. Es waren zehn Mann, die Gesichter waren bemalt, grüne Streifen zogen sich längs über die Stirnen, die Hände waren feuerrot einge färbt. Ihre Gesichter verrieten kriegerische Entschlossenheit. »Oh weh«, sagte Lykaar. Begegnungen dieser Art waren seine Sa che nicht. Diese Männer sahen sehr groß und furchteinflößend aus – irgendwie kam sich Lykaar vor, als sei er selbst unversehens mit seinem Wundermittel in Berührung ge kommen und ein wenig geschrumpft. Lykaar war ohnedies kein sonderlich großer Mann, jetzt aber kam er sich wie ein Zwerg vor. »Was wollt ihr im Lande Luuhr?« fragte
21 der Anführer der Fremden. Er war durch breite kupferne Armreifen kenntlich, die sei ne Oberarmmuskeln umspannten. Bei Ly kaar hätten sie am Oberschenkel vermutlich gerade Halt gefunden. »Handeln«, sagte Lykaar schnell. »Waren geben, Waren in Empfang nehmen, mehr nicht.« »Ihr seid allein?« »Ganz allein«, bestätigte Lykaar arglos. Die Fremden sprachen ein kehliges, aber sehr gut verständliches Idiom, dem von Pthor überaus ähnlich. »Kein Angriff?« Lykaar lachte breit und zeigte die offenen Handflächen. »Ein Weib und ein Mann, dazu ein paar Tiere? Das kann kein Angriff sein«, behaup tete er. »Ihr kommt mit!« bestimmte der Fremde. Er stieß einen hellen, weithin schallenden Pfiff aus – allein für den Trick, so laut und gellend pfeifen zu können, hätte Lykaar ei niges gegeben. Die Reittiere der Fremden tauchten auf, und ihr Anblick versetzte Lykaar den näch sten Schock. Er spürte, daß Braheva, die sich neben ihn geschoben hatte, am ganzen Leib zu zittern begonnen hatte. Es konnten keine Insekten sein, so groß wurden Ameisen niemals. Aber es waren sechsbeinige Lebewesen mit völlig aus druckslosen Augen, in der Leibesmitte ein gekerbt, an den Köpfen gewaltige Kiefer zangen. Die Leiber schimmerten in hellem Braun, die Beine waren mit wehenden dün nen Haaren spärlich bewachsen. Sie waren mehr als anderthalb Meter hoch, und auf ih ren Rücken waren Sättel festgeschnallt. Die Fremden schwangen sich in die Sättel und nahmen lange Graswedel in die Hand. Da mit reizten sie die Fühler der Reittiere, die gehorsam die entsprechende Richtung ein schlugen. Ein scharf säuerlicher Geruch wehte von den Tieren zu Lykaar hinüber. Die Yassels scheuten ein wenig, und Ly kaar mußte sich sehr anstrengen. Er schaffte es aber, die Yassels am Durchgehen zu hin
22 dern, als sich der Trupp in Bewegung setzte. Die Reiter umgaben das Gespann des Ptho rers in mittlerem Abstand, und die Ge schwindigkeit ihrer Tiere war so groß, daß an ein Entkommen nicht zu denken war. »Ich habe Angst«, sagte Braheva leise. »Ich nicht weniger«, gestand Lykaar ebenso leise. »Ich sehe uns schon unter den Kiefern dieser Bestien enden. Hoffentlich haben wir etwas dabei, was diesen Leuten gefällt – wenn nicht, ist es aus mit uns.« »Wir werden schon etwas finden«, meinte Braheva. »Im schlimmsten Fall mußt du ih nen von deinem Wundermittel geben.« Lykaar grinste schwach. »Es dauert ein paar Wochen, bis sie klein geworden sind«, meinte er skeptisch. »Ob sie uns soviel Zeit lassen?« »Könnt ihr nicht schneller?« fragte der Anführer. »Leider nicht«, sagte Lykaar, »es sei denn …« Der Vorschlag wurde aufgegriffen. Der kleine Trupp hielt an, die Yassels wurden ausgespannt, statt dessen wurden die Tiere der Bewohner von Luuhr ins Geschirr ge spannt. Die Leute von Luuhr – jedenfalls der Stamm, den Lykaar und Braheva kennenge lernt hatten – nannten sich Skaharan, die Tiere wurden einfach Agrenos genannt. Die Ansiedlung, der die Reise galt, hieß Colizya und war die größte Stadt des Landes. Mit den Agrenos im Geschirr ging die Reise viel flotter vonstatten. Zwar bangte Lykaar ein ums andere Mal um seinen Wa gen, wenn es über eine Bodenwelle ging und der Wagen einen weiten Satz machte und mit lautem Krachen auf dem Boden aufsetz te, aber ansonsten bereitete ihm die rasende Geschwindigkeit größtes Vergnügen. Ohne Last schafften auch die Yassels das Tempo. Colizya kam langsam näher. Schon von weitem waren hohe Gebäude zu erkennen, spitze Dächer, deren Metalldeckung weithin leuchtete. Colizya hieß auch die Vielstrah lende, in ihr residierte der Lahlogor, das Oberhaupt der Skaharan. Wenn Lykaar den
Peter Terrid recht wortkargen Anführer Farwagi richtig verstanden hatte, dann sollten er und Brahe va diesem Lahlogor unverzüglich vorgeführt werden. Die Verhältnisse auf Luuhr unterschieden sich in nichts von denen auf Pthor. Auch hier waren die Tage trüb und düster, die Nächte finster und nur vom Glimmen der Wölbmantelberührungen erhellt – ungefähr so hell wie in einer sternklaren normalen Nacht. Es reichte, um Mensch und Tier die Wege gerade noch erkennen zu lassen. Nachts brannten große Feuer auf den Tür men der Vielstrahlenden. Sie wiesen den Reisenden den Weg zur Stadt. Es war tief in der Nacht, als Lykaar und Braheva dort an kamen, völlig erschöpft von der Reise. Die Agrenos zeigten nicht die geringsten Ermü dungserscheinungen, auch die Yassels hat ten die Reise einigermaßen verkraftet. Braheva schlief an Lykaars Schulter, als der Wagen das Stadttor erreichte. Die Mauern waren hoch und sehr dick, und das galt für die Verhältnisse der Skaha ran – für Lykaar handelte es sich mithin um künstliche Gebirge. Allein das bronzebe schlagene Stadttor war höher als der höchste Wehrturm Orxeyas, dahinter gab es einen vierzig Meter tiefen Hohlraum, dann erst tauchte das zweite, nicht minder gewaltige Tor auf. Eine Zehntschaft schwer bewaffne ter Krieger schirmte das Tor, und hinter dem zweiten Tor tat eine Hundertschaft Skaharan Wachdienst. Colizya schien eine recht wehrhafte Stadt zu sein, strotzend vor Waffen und Männern. Es gab Pflaster in Colizya, breite Straßen, geflankt von hohen Häusern. Die Besonder heit dieser Häuser war, daß man sie nur über eine Freitreppe im ersten Stock betreten konnte. Diese Freitreppe konnte an raffinier ten Flaschenzugkonstruktionen bei Nacht hochgezogen werden. Wer immer sich un terfing, diese Stadt belagern oder gar er obern zu wollen – er mußte in männerzeh renden Schlachten Haus um Haus, Straßen zug um Straßenzug erobern. Die Sache hatte aber auch einen Aspekt,
Botschafter des Friedens der Lykaar ganz und gar nicht gefallen woll te – es würde wahrscheinlich ebenso schwie rig, wenn nicht unmöglich sein, die Stadt zu verlassen, wie sie zu betreten. Er und Brahe va saßen in einer Mausefalle, aus der ein Entweichen ausgeschlossen schien. »Was ist der Lahlogor für ein Mann?« fragte Lykaar, als er vom Wagen stieg. Die Wachen kümmerten sich um die Agrenos und die Yassels, hoffentlich ließen sie die Ladung in Frieden, dachte Lykaar. »Du wirst es sehen«, sagte Farwagi knapp. Braheva sah sich scheu um. Es gefiel ihr wohl nicht in dieser Stadt der Riesen. Farwagi schritt voran. Seine Stiefel waren aus weichem Leder gefertigt und machten kein Geräusch; Lykaar nahm sich vor, den Skahar nach seinem Schuster zu fragen, vielleicht ließ sich dort ein Handel einleiten. Die Skaharan bemühten sich langsam zu gehen, dennoch mußten sich die beiden Or xeyaner sputen, um nicht den Kontakt zu verlieren. Eine Dreiergruppe von Skaharan begleitete sie – ob als Ehren- oder als Gefan genenwache, das ließ sich so ohne weiteres nicht ermitteln. Ab und zu tauchten in den offenen Fen stern Gesichter auf, neugierige Grimassen, begleitet von gelegentlichem Gelächter – Lykaar begriff, daß man sie für lächerliche Kuriositäten hielt, und das nagte natürlich an seinem Selbstwertgefühl. Mit einer Frau ver heiratet zu sein, die einen halben Kopf grö ßer war, fiel schon schwer – jetzt aber kam er sich vor wie eine Mißgeburt, und die Ska haran behandelten ihn auch danach. Kinder – die meisten so groß wie Lykaar – zeigten mit den Fingern nach den beiden und lach ten laut. Die Soldaten kümmerten sich nicht um die Menge. Einen Vorteil hatte der Wuchs der Skaharan – wenigstens hatten sie keine Angst vor ihm oder Braheva, es gab also auch keinen Grund, sie als Feinde zu be trachten. Die Menge amüsierte sich über die Mitbringsel der Soldaten, sie zeigte aber kei nen Haß.
23 Selbst für die Verhältnisse von Luuhr wa ren die Gebäude der Hauptstadt prunkvoll und erschreckend hoch. Es war ein Anblick von barbarischer Pracht – Lykaar hatte selbst in den Schatzkammern der reichsten Orxeyaner niemals solchen Luxus gesehen wie er hier offenbar üblich war. Vielleicht verwirrten ihn auch die Proportionen, er wußte es nicht zu sagen. Jedenfalls begriff er, daß es sich bei Colizya um eine Groß stadt handelte – sie mußte mindestens ein hundert Tausendschaften von Leuten Platz bieten, eine unvorstellbare Zahl, wenn man die wenigen Seelen bedachte, die innerhalb des Tongmäer in Orxeya lebten. Und noch eins fiel Lykaar auf – es gab sehr viele Waffenträger in Colizya. Die gan ze Stadt wirkte wie eine Mischung aus Pa last und Festung, als habe man sich nicht recht entscheiden können. Dieser Zwiespalt wurde um so größer, je näher man dem Palast des Lahlogor kam. Noch höher und dicker wurden die Mauern, noch grimmiger die Gesichter der Wachen. Vor einer Pforte blieb der kleine Trupp stehen. Erst nach geraumer Zeit wurde ge öffnet, eine neue Wache nahm das Paar von Pthor in Empfang – Krieger, von denen kaum mehr etwas zu sehen war als die inten siv blauen Augen, der Rest war von einem blauschwarz schimmernden Schuppenrock bedeckt. Zwei der Schwarzgepanzerten hielten kni sternde Fackeln, als ein Trupp Lykaar, Bra heva und Farwagi durch die Gänge des Pa lasts führte. Die Schritte der Palastwachen klirrten auf dem Marmor des Bodens. »Hoffentlich geht das gut«, murmelte Ly kaar. Braheva gab keine Antwort. Sie war da mit beschäftigt, ihre Augen wandern zu las sen. Jedes Detail saugte sie gleichsam in sich auf. »Wenn es uns gelänge, eine Handelsver bindung herzustellen, dann hätten wir sogar trotz deines Verhandlungsgeschicks ausge sorgt«, zischte Braheva zwischendurch. »Sieh dir nur an, was man hier alles herstel
24 len kann.« Lykaar nickte. Gerne hätte er dem Inhaber des Palasts eine der großen Bronzeschalen abgehandelt, in denen ein Feuer brannte und so gleichzeitig für Wärme und Licht sorgte. Die Wachen blieben vor einer Tür stehen. Die beiden Pthorer kamen kaum dazu, die wundervolle Intarsienarbeit der Türflügel zu bewundern, als die Tür auch schon geöffnet wurde. Eine große Halle dehnte sich dahinter, ein hochgewölbter Raum, dessen Decke irgend wo im Dunkel verschwamm. Der Saal war erfüllt von rötlichem Licht, das von zahlrei chen Ampeln gespendet wurde. Ein betäu bender Duft lag in der Luft. »Vorwärts!« sagte Farwagi. Die drei durchquerten langsamen Schrit tes den Saal. Im Hintergrund waren kostbare Felle aufgehäuft, mitten auf diesem Fellge birge saß ein Mann. Lykaar nahm sofort an, daß es sich um den Herrscher des Weltenfragments handel te. Der Lahlogor war unerhört fett, dazu völ lig kahlköpfig. Er lag auf einem reinweißen flauschigen Fell. Nur der Unterkörper war bekleidet mit einer schillernden Hose und perlenbestickten Stiefeln. Der Oberkörper war frei. Lykaar sah auf der Brust einige große, schlecht verheilte Narben. Der Lahlo gor war also kein Feigling. Der Lahlogor schnippte mit den Fingern. Farwagi eilte auf ihn zu. Lykaar fiel auf, daß er nur kurz den Kopf beugte, das war die ganze Begrüßung. »Was bringst du?« Der Lahlogor hatte eine unglaublich tiefe, klangvolle Stimme, die in diesem Augen blick völlig ausdruckslos war, aber verriet, daß sie auch anders klingen konnte. »Zwei Fremde«, sagte Farwagi. »Sie kommen von Pthor, von unserem südlichen Nachbarn.« Mit einer Handbewegung scheuchte der Lahlogor den Soldaten zur Seite, dann wink te er die Pthorer heran. Seine Augen muster ten Lykaar und Braheva ebenso schnell wie
Peter Terrid gründlich. Er verzog das Gesicht zu einem Lächeln. »Was wollt ihr in unserem Land?« »Handel treiben«, sagte Lykaar sofort. Der Lahlogor warf einen fragenden Blick auf Farwagi. »Sie haben einen kleinen Karren bei sich mit allerhand Waren darauf«, bestätigte der Krieger. »Es ist wenig darunter, was wir ge brauchen könnten, kaum eine Waffe. Aber vielleicht einiger Tand, der unsere Weiber erfreuen kann.« Der Lahlogor fixierte Braheva. »Ist dir das Weib feil?« fragte er Lykaar, ohne ihn anzusehen. Braheva wurde ein we nig bleich. »Oder willst du tauschen?« »So etwas ist bei uns nicht üblich«, sagte Lykaar behutsam, denn er wußte nicht, wo vor er sich jetzt mehr in acht zu nehmen hat te: Vor dem Lahlogor, wenn er ihm über haupt eine verneinende Antwort gab, oder vor Braheva, die sich beklagen würde, wenn er nicht energisch genug auftrat. »Man muß sich anpassen können«, sagte der Lahlogor. »Ich hatte nie ein so winziges Weib.« »Es ist die einzige Frau, die es mit mir ausgehalten hat«, sagte Lykaar aufrichtig. »Daher gebe ich sie nach Möglichkeit nicht her.« Der Lahlogor ließ seinen Blick rasch zwi schen beiden hin und her pendeln, dann lachte er laut und dröhnend. Lykaar holte tief Luft. Hoffentlich war dieses Kapitel bald vorüber. »Wie viele Krieger habt ihr?« fragte der Lahlogor. Er nahm eine Schale zur Hand und reichte sie Lykaar hinüber. »Da, nehmt!« Lykaar griff nach der Schale, einer wun dervollen Arbeit aus feinstem Silber, mit Früchten gefüllt. Fast wäre er zusammenge brochen, als der Lahlogor seine Hand zu rückzog und Lykaar die Schale allein tragen mußte. »Wieviel Krieger? Ich weiß es nicht«, sagte Lykaar, nachdem er die Fruchtschale unter einigem Mühen abgesetzt hatte.
Botschafter des Friedens »Aber ihr habt Krieger?« »Sicher«, sagte Lykaar. »Wir haben Kämpfer, die anderen Völker auf Pthor auch, aber ich weiß nicht, wieviele es je weils sind.« »Ihr habt keine einheitliche Herrschaft?« Aha, dachte Lykaar. Wenn er dem Lahlo gor jetzt verriet, wie es auf Pthor drunter und drüber gegangen war und vielleicht bald wieder ging, war das eine Herausforderung für die Soldaten des Herrschers von Luuhr. Und Lykaar wollte nicht die Schuld auf sich nehmen, Pthor diese Soldaten an den Hals geredet zu haben. »Erspar dir die Antwort«, sagte der Lahlogor, als Lykaar ein wenig zu lange zö gerte. »Ihr könnt uns also nicht helfen.« »Euch helfen?« Der Lahlogor stand auf. Er war ungeheuer dick, aber seine Bewegungen verrieten noch viel Kraft und Beweglichkeit. Ein paar Wo chen hartes Lagerleben, und er würde wie der recht stattlich aussehen; Lykaar sah zur Seite. Braheva hatte von je her eine Schwäche für große Männer gehabt. Lykaar wußte, daß er diese Anforderung niemals würde erfüllen können – und Luuhr wimmelte geradezu von großen Männern. Indessen schienen die Ska haran Braheva doch entschieden zu groß zu sein – solange die beiden also keine Skaha ran-Zwerge trafen, konnte Lykaar sich si cher fühlen. »Wir rüsten zum Krieg«, sagte der Lahlo gor. »Und wir wären über jeden brauchbaren Verbündeten froh.« Lykaar stieß ein Lachen aus. Die Vorstellung, daß die Pthorer den Ska haran zu Hilfe kommen könnten, war ziem lich absurd. »Gegen wen wollen die Skaharan zu Fel de ziehen?« fragte Lykaar. »Gegen Pthor und seine Bewohner?« Der Lahlogor sah auf ihn herab. Er schüt telte den Kopf. »Wir sind nicht auf Eroberungen aus«, sagte er und kniff wütend die Augen zusam
25 men. »Nicht wir sind es, die diesen Streit be gonnen haben – wir haben vielmehr Feinde, die uns unterwerfen wollen. Sie werden wir bekriegen und bekämpfen.« »Aber diese Feinde sitzen nicht auf Pthor?« vergewisserte sich Lykaar. Er dach te an die Rotkapuzen, die ihm einen mörde rischen Schreck eingejagt hatten, als er ihrer zum ersten Mal ansichtig geworden war. »Du kannst beruhigt sein, kleiner Mann von Pthor. Wir rüsten gegen das Shemma, nicht gegen euch.« »Und was ist …?« Lykaar wollte sich gerade nach diesem geheimnisvollen Shemma erkundigen, als eine Wache rasch den Saal betrat und zum Lahlogor hinüberhastete. Er flüsterte dem Herrscher von Luuhr etwas ins Ohr. Blitzschnell drehte sich der Lahlogor um. Seine Augen funkelten. »Ihr kommt, um zu handeln?« rief er grimmig. »Und wer sind dann die beiden neuen Fremden, die von meinen Spähern ge sichtet worden sind?« Lykaar erstarrte. Er wußte auch sofort, wen der Lahlogor meinte. »Packt sie und werft sie ins Verlies«, be stimmte der Lahlogor. »Ich werde später entscheiden, was zu tun ist. Nötigenfalls werden ein paar Köpfe rollen. Hast du ge hört, Mann von Pthor? Es könnte auch dei ner darunter sein, wenn du mich belogen hast.«
6. »Wir müssen eine Gelegenheit finden, diesen Leuten zu entwischen«, bemerkte Eli an. »Ich wüßte nicht, warum«, gab Orthfein kund. »Sie sind reizend, sie helfen uns beim Transport, und sie führen uns auf direktem Weg zu ihrem Fürsten. Ich werde ihm die Kunde bringen, daß das Gebot der Vollkom menheit nicht mehr gilt, daß wir zum Wider stand rüsten müssen gegen das Böse.« »Pah«, machte Elian. Dem Dalazaaren gefielen die Skaharan
26 überhaupt nicht – das lag nicht zuletzt daran, daß sie groß waren. Unter den Pthorern gal ten die Stämme des Blutdschungels als be sonders hochgewachsen, aber nicht einmal das half gegen das Gefühl der Minderwertig keit, das Elian von dem Augenblick an be fallen hatte, als er zum ersten Mal einen von den gelbhäutigen Skaharan gesehen hatte. »Ich habe jedenfalls keine Lust, länger der Gefangene dieser Skaharan zu sein«, verkündete Elian. »Ich will wissen, wo der Schurke geblieben ist, der mir falsche Yas sels verkauft hat, und sobald ich ihn gefun den und ihm das Gesicht auf den Rücken ge dreht haben werde, werde ich wieder zu meinen Leuten zurückkehren.« »Jeder hat seinen eigenen Willen«, sagte Orthfein diplomatisch. »Tu, was du willst.« »Etwas anderes kommt für mich auch gar nicht in Frage«, sagte der Dalazaare. Er sah sich nach einer Möglichkeit zur Flucht um. Es war dunkel, schon seit Stun den, aber die Skaharan dachten nicht daran, ihren stürmischen Ritt zu unterbrechen. Und die Lichter am Horizont bewiesen Elian, daß die Stadt bald erreicht sein würde. »Habt ihr vor uns schon andere Bewohner Pthors gesehen?« fragte Elian den Skahar neben ihm. Der gab keine Antwort. Sie waren unge wöhnlich schweigsam, und das trug nur da zu bei, Elians Verdruß zu steigern. Er hatte sich selbstverständlich gewehrt, als die Skaharan vor ihm aufgetaucht waren, und daher war er gefesselt. Orthfein hatte man in ein Netz gepackt, das jetzt zwischen zwei Tieren schaukelte. Dem Roboter schien das nichts auszumachen, Elian fand es ent würdigend. Er betastete wieder die Stricke, mit denen man ihn gefesselt hatte. Vielleicht schaffte er es, den Knoten aufzubekommen. Dann konnte er sich unbemerkt von seinem Reit tier gleiten lassen und in der Dunkelheit spurlos verschwinden. Den Gedanken, eines der Agrenos zu stehlen, hatte Elian verworfen. Zum einen wußte er nicht, wie Tierdiebstahl bei den
Peter Terrid Skaharan geahndet wurde – möglicherweise hätten sie ihn dafür aufgeknüpft. Und außer dem war er sicher, daß er mit dem Tier nicht zurechtkommen würde. Zu Fuß war ein Dalazaare ein ausdauern der, gewandter Läufer, und mit etwas Glück würden ein paar Minuten vergehen, bis man sein Verschwinden feststellte, dann hatte er hinreichend Vorsprung. Er bewegte prüfend die Handgelenke. Tatsächlich, die Stricke saßen nicht mehr ganz so fest wie zu Beginn. Er konnte es schaffen. Es war eine mühselige, schweißtreibende Arbeit, die er sich ausgesucht hatte. Oben drein mußte er aufpassen, daß er nicht ein fach von seinem Tier fiel und sich dabei das Genick brach. Dann endlich war die linke Hand beinahe frei. Es bedurfte jetzt nur noch eines kurzen Rucks, dann war er seiner Fesseln ledig. Die Beine hatte man ihm nicht gebunden. Elian sah sich kurz um. Es war ziemlich finster. Die Kontaktstel len der Wölbmäntel gaben gerade genug Licht, um größere Hindernisse und Vertie fungen erkennen zu können. Es waren genau die Lichtverhältnisse, die sich Elian wünsch te, um seinen Fluchtplan durchführen zu können. Es war eine Gruppe von sieben Skaharan, die die beiden Pthorer begleitete. Die Krie ger von Luuhr kümmerten sich nicht sonder lich um ihre Gefangenen. Wahrscheinlich vertrauten sie darauf, daß sich jemand in der Dunkelheit in einem ihm völlig fremden Land nicht davonmachen würde. Elian zählte kurz nach – alle sieben ritten in diesem Augenblick vor ihm. Mit einer geschmeidigen Bewegung war er aus dem Sattel. Er prallte hart auf den grasbewachsenen Boden, rollte ab und kam wieder auf die Beine. Sein Reittier, das an einer langen Schnur geführt wurde, trottete folgsam hin ter den anderen her. Elian wartete nicht, bis der Schmerz in der Schulter abgeklungen war. Er nahm die
Botschafter des Friedens Beine in die Hand. Schon nach kurzer Zeit war von den Ska haran nichts mehr zu sehen. Das Dunkel hat te sie verschluckt. Elian rannte mit weiten raumgreifenden Sätzen, nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam. Die Dalazaaren waren hervorra gende Läufer, wenn es nottat. Elian rannte eine Stunde lang. Dann war er ziemlich außer Atem. Er suchte sich eine Mulde in der Ebene und legte sich zu kurzer Rast hin. Sein Atem ging schnell und pfeifend. Er horchte, aber in der Ebene rührte sich nichts. Vielleicht hatten sie seine Flucht noch immer nicht bemerkt – vielleicht ver hielt es sich aber auch so, daß man ihn be reits abgeschrieben hatte. Völlig gefahrlos war die Ebene nicht – unwillkürlich dachte Elian an die Horden der Nacht, die Pthor un sicher gemacht hatten. Gab es ähnliche Monstren auch hier? Elian blieb einige Stunden reglos liegen, dann setzte er seinen Lauf fort. Er schlug einen weiten Bogen um die Stadt herum, auf der Suche nach Wagenspuren. Er hatte auf dem Hinweg gesehen, daß die Skaharan keine Wagen kannten – sie ver wandten statt dessen breitkufige Schlitten, deren Spuren sich im Gras ganz anders ab zeichneten als die Räder von Lykaars Kar ren. Elians Plan sah vor, Lykaar auf der an deren Seite der Stadt abzufangen – gelang ihm das nicht, wollte er sich einschleichen und den Schurken in der Stadt selbst stellen. Elian hatte solches Zutrauen zu seinen Fä higkeiten, daß er dieses Kunststück für durchaus machbar erachtete. Es dämmerte, ein grauer Tag zog herauf, düster und trübe wie alle Tage über den Weltenfragmenten. Im fahlen Schein suchte Elian nach Spuren, aber er fand keine. In weitem Bogen näherte er sich langsam der Stadt. Oft warf er sich zu Boden, um nicht gesehen zu werden. Karawanen zogen aus der Stadt nach Norden, aus allen Him melsrichtungen kehrten beladene Tiere in die Stadt zurück. Wären die vielen Bewaff
27 neten nicht gewesen, hätte man sich kein friedlicheres Bild denken können. Im Lauf eines Tages umrundete Elian die Stadt einmal, und er stellte ergrimmt fest, daß sich sein Feind noch innerhalb der Mau ern aufhielt. So gab es für Elian keine andere Wahl – er mußte sich nachts hineinschleichen. Entschlossen machte er sich daran, diese Aufgabe auszuführen.
* »Ich weiß nicht, wo mein Begleiter ge blieben ist«, erklärte der würdige Arbeiter Orthfein. »Also doch Spione von Pthor«, stellte der Lahlogor fest. Er trug in der rechten Hand eine Keule, stachelgespickt, mit der man vermutlich auch der Existenz eines würdi gen Arbeiters ein Ende setzen konnte. »Wir kommen in Frieden – ich zumin dest«, sagte der würdige Arbeiter Orthfein. »Das soll ich glauben?« »Ich trage keine Waffe bei mir, und wir sind wenige an der Zahl«, gab Orthfein zu bedenken. »Denn unsere Aufgabe ist friedli cher Natur – wir verkünden, daß man die Vorschrift der Vollkommenheit nicht länger beachten soll.« Der Lahlogor kniff wieder die Augen zu sammen. »Was soll das für eine Vorschrift sein?« fragte er. »Das Gebot, alles so zu belassen, wie es vor Urzeiten eingerichtet worden ist«, ant wortete Orthfein. »Des weiteren die Vor schrift, niemanden eindringen zu lassen, fremde Wesen und Maschinen aller Art zu rückzudrängen.« »Pah«, machte der Lahlogor. »Was inter essiert mich deine Vorschrift der Vollkom menheit? Wir werden bedroht, wir müssen uns wehren. Das hat nichts mit irgendeiner Vorschrift zu tun – denn wisse: niemand macht dem Lahlogor von Luuhr Vorschrif ten –, sondern damit, daß wir uns nicht un terdrücken lassen wollen.«
28 »Wer versucht, euch zu bedrängen?« »Das Shemma«, antwortete der Lahlogor. »Es schadet nichts, wenn du nicht weißt, worum es geht. Könnt ihr Pthorer kämp fen?« »Wenn wir zum Widerstand gegen den Dunklen Oheim aufrufen, dann werden wir wohl zu kämpfen wissen«, erklärte Orthfein würdevoll. Der Lahlogor lächelte geringschätzig. »Das wirst du zu beweisen haben«, sagte er und klatschte in die Hände. Wenig später erschienen die gepanzerten Wachen und griffen nach Orthfeins Netz, aus dem man ihn auch während der Audienz nicht befreit hatte. »Was soll das heißen?« ereiferte sich der Robot. »Ich bin ein Gesandter des Herrn Leondagan von Wolterhaven, niemand ver greift sich an mir, der seinen Kopf behalten will. Laßt mich los, ihr undankbares Gesin del!« Der Lahlogor wölbte die Brauen. »Für einen Gesandten führst du eine sehr kräftige Sprache«, sagte er amüsiert. »Ich werde dich mit deinesgleichen zusammen bringen, und morgen wird man sehen, wie die Pthorer zu kämpfen verstehen.« Orthfeins Geschrei half nichts. Man schleppte ihn davon. Es ging steile, enge Treppen hinunter, durch lange, dunkle Flure, dann ein paar hölzerne Stiegen hinab in muffiges Dunkel. Schlüssel klirrten, eine Tür wurde ge räuschvoll geöffnet, dann wurde Orthfein nach vorn gestoßen. Das Robotei verlor den Halt und kollerte über den Boden. Bevor sich Orthfein mühsam wieder aufrichten konnte, war die Tür bereits wieder verrie gelt. »Hat man jemals von einer so schändli chen Behandlung gehört?« fragte Orthfein in die undurchdringliche Finsternis hinein. »Man hat«, antwortete eine traurige Män nerstimme. »Wer spricht da?« »Ich bin der würdige Arbeiter …« »Orthfein«, sagte eine klare Frauenstim me. »Also hat man auch ihn nicht ver
Peter Terrid schont.« »Und wo ist dieser Mordbube Elian?« fragte die Männerstimme. »Flüchtig«, sagte Orthfein leise. »Er sucht nach euch.« »Das kann mich jetzt auch nicht mehr er schüttern«, sagte der Mann betrübt. »Mir ist es egal, wer mich erschlägt.« »Sei nicht so niedergeschlagen«, sagte Braheva. »Noch haben wir Chancen. Nie mand weiß, was der Lahlogor von uns will.« »Das kann ich euch sagen«, erklärte Orth fein. »Er will, daß wir gegeneinander kämp fen.« »Ich bin sicher, er wird allerlei zu lachen haben«, murmelte Lykaar pessimistisch.
* Es gab kein Licht in diesen dunklen feuchten Zellen, man konnte daher nicht feststellen, wie spät es war. Es erschien Ly kaar, als seien bereits Tage vergangen, als er draußen Schlüsselklirren hörte – und einen Herzschlag später, als er begriff, daß es jetzt hinausging zum mörderischen Kampf, schie nen die Augenblicke gleichsam vorbeizura sen. Ein Trupp von acht Gepanzerten war er schienen, um die drei Pthorer abzuführen. »Bekommen wir nichts zu essen?« fragte Lykaar. »Wenn ich schon sterben muß, dann wenigstens mit vollem Magen.« »Ein wenig abnehmen würde dir nicht schaden«, bemerkte Braheva spitz, begleitet von einem Seitenblick auf Lykaars Leibes wölbung. »Mag sein«, gab Lykaar zu, der sich schon als Leiche fühlte. »Aber muß es gleich so viel sein?« Er und Braheva zitterten ein wenig, wäh rend sich Orthfein, seiner robotischen Natur entsprechend, vollkommen ruhig zeigte. Braheva suchte im Dunklen Lykaars Hand, fand sie und hielt sie fest. Lykaar lächelte schwach. Sie wußten nicht, wohin man sie führte. Der Bau, in dem der Lahlogor residierte,
Botschafter des Friedens war riesig und weitläufig, zudem ließ die spärliche Beleuchtung durch Fackeln und Bronzepfannen nur Teile der jeweiligen Räumlichkeiten erkennen. Es ging einige Treppen hinauf, dann lange holzverkleidete Flure hinab, schließlich einen mit holperigem Pflaster versehenen Weg. Ein paar Augenblicke lang spürte Ly kaar den kühlen Luftzug an der Wange, dann stieg wieder der beißende Qualm der Fackeln in seine Nase. »Dort hinein«, sagte der Anführer der Wachen. Die drei Pthorer wurden nach vorn gestoßen. Ein Rund öffnete sich hinter der Sperre, ein kreisförmiger Platz, der mit Sand be streut worden war. Rötlich schimmerte der Sand im Licht der Fackeln, und die blaken den Bronzelampen rissen eine Göttergestalt auf der gegenüberliegenden Seite aus dem Dunkel – eine grausame Fratze, erstarrt in einem Anfall heller Wut. »Heiliger Himmel!« stöhnte Braheva auf. Rechts neben dem zehnmal mannshohen Götterbild war eine Loge zu erkennen. Dort saß der Lahlogor, allein. Hinter ihm standen zwei seiner Wachen, sonst war die Arena verlassen. »Fangt an«, rief der Fürst. »Gebt ihnen Waffen.« Eine Gruppe zerlumpter Sklaven – jeder von ihnen aus Lykaars Blickwinkel ein Hü ne von Gestalt – tauchte auf und schleppte Waffen herbei. »Was soll das?« fragte Orthfein mit höch ster Empörung. »Verfährt man so mit einem Gesandten Pthors?« »Rüstet euch, Fremde«, sagte der Lahlo gor. »Ihr werdet kämpfen, und wer den Kampf überlebt, der wird geopfert werden.« Er wies mit weitausholender Gebärde auf die Göttergestalt. Orthfein, der unter diesen Umständen am besten sehen konnte, erkann te am Körper des Götterbildes Nieten. Eines der Augen fehlte und zeigte dahinter Struk turen, die verdächtig an Kabelstränge erin nerten. Ohne genau hinzusehen, griff Orthfein
29 nach zwei, drei der Waffen, die ihm hinge reicht wurden. Er rollte auf das Götterbild zu. Tatsächlich! Es handelte sich um einen riesigen Roboter, eine Primitivkonstruktion, aber offenbar noch einigermaßen intakt. »Ihr könnt euch bewähren«, rief der Lahlogor. »Ich will wissen, ob Yamthla euch mag oder nicht – denn sein Wille ist Gesetz über Luuhr.« Orthfein wußte, was das bedeutete. Es war Yamthla, der Riesenrobot, der auf Lu uhr über die Einhaltung des Gebotes der Vollkommenheit wachte. Der Schreckens götze sorgte dafür, daß es zu keinen Neue rungen kam, daß die überlieferten hierarchi schen Strukturen beibehalten wurden. Wer immer versuchte, am Überkommenen etwas zu ändern, Traditionen zu brechen, Neues zu wagen – er bekam es mit Yamthla zu tun. Vermutlich steckte irgendwo in dem metal lenen Koloß eine Positronik, ein Rechner, der wahrscheinlich in Verbindung stand mit dem Steuermann von Luuhr. Orthfein watschelte zurück zu seinen Lei densgefährten. »Wir müssen den Robot vernichten«, sag te er hastig. »Was für einen Robot?« fragte Lykaar. Er beäugte noch immer mißtrauisch das Waf fensortiment. Bisher hatte er sich nicht dazu aufraffen können, nach einer der Waffen zu greifen. »Die Götzengestalt ist ein verkappter Ro boter«, erklärte Orthfein. »Wenn es uns ge lingt, ihn zu zerstören, ist unsere Mission er füllt.« »Aha«, sagte Lykaar, der von einer Missi on nichts wußte, von seiner ganz zu schwei gen. »Und was wird er Lahlogor mit uns machen, wenn wir ihm den Robot zerstö ren?« »Er wird uns natürlich nichtexistent ma chen«, sagte Orthfein. »Was sonst?« »Ach, mehr nicht?« konnte Lykaar noch fragen, bevor er beinahe umkippte. »Habt ihr gewählt?« fragte der Lahlogor. »Nun denn, fangt an!«
30 Lykaar hatte nach dem erstbesten Stück gegriffen, das ihm in die Finger gefallen war – es handelte sich um ein langes scharfes Schwert. Braheva hingegen hielt ein kurzes Messer in der Hand. Die Wachen schubsten die drei in die Mit te der Arena, dann verschwanden sie hastig. »Und jetzt?« fragte Lykaar. Aus der Höhe erklang die Stimme des Lahlogors. »Ihr könnt euch wechselseitig töten, das erspart euch unnötiges Leiden.« »Für den Rat habt Dank«, rief Lykaar zu rück. »Was hältst du davon, dieses Spiel mitzuspielen?« Schweigen war die Antwort. Es war nicht ganz klar zu sehen, wer bei wem Schutz und Wärme suchte, jedenfalls standen Lykaar und Braheva dicht nebenein ander und rührten sich nicht. »Ich werde mir diesen Robot einmal nä her ansehen«, verkündete Orthfein. »Bleib lieber hier«, rief Lykaar, aber der Bürger von Wolterhaven und würdige Ge sandte des Quorkmeisters Leondagan hörte nicht auf ihn. »Vorsicht!« rief Braheva. Sie deutete auf die Mitte der Arena. Dort bewegte sich etwas. Im düsteren roten Licht der Feuer und Fackeln schob sich ein Etwas aus dem Sand des Bodens. »Eine Blume!« sagte Braheva. Lykaar hatte sofort den Verdacht, daß es mit der Pflanze seine eigene Bewandtnis ha ben müßte. Er traute dem Lahlogor und sei nem Pflanzgarten nicht über den Weg. Bevor ihn jemand daran hindern konnte, war er hinübergerannt zu der Blume. Ein kurzer Hieb, die Blüte flog fort. Von irgend woher ertönte ein gellender Schrei. Im gleichen Augenblick schossen rings um Lykaar weitere Pflanzen in die Höhe. Binnen eines Herzschlags hatten sie Hüfthö he erreicht, ihre scharfkantigen Blätter pen delten leicht hin und her. Lykaar brauchte nur einen Blick auf die Pflanzen zu werfen, um zu wissen, was ihm bevorstand. Wenn er stehenblieb, würden sie ihn früher oder spä
Peter Terrid ter erdrosseln. Versuchte er aber, über den lebenden Ring hinwegzusetzen, würden die scharfen Blattkanten ihm das Fleisch von den Knochen schälen. Lykaar hieb mit dem Schwert auf die vor derste der Reihen ein. Es fruchtete nichts, die Waffe federte zurück. »Habe ich es nicht gesagt«, ließ sich Orth feins vergnügte Stimme vernehmen. »Eine Maschine.« Braheva griff nach ihrem Messer und be wegte sich. »Zurück!« rief Lykaar, obwohl er das ge naue Gegenteil dachte. »Bleib, wo du bist!« Wie üblich gehorchte Braheva nicht.
7. Elian blieb stehen. Vor sich spürte er die harten Quader der Stadtmauer. Niemand hat te ihn gesehen, als er sich herangeschlichen hatte. Jetzt galt es, diese Mauer hinaufzu klettern. Elian betastete die Steine. Es waren Felsbrocken, sorgsam behauen und zu einer hohen Mauer zusammengefügt. Die Fugen und Ritzen waren mit Mörtel ge schlossen worden, es gab dennoch genügend Halt für so kleine Hände und Füße, wie Eli an sie besaß. Ein Skahar wäre schwerlich hinaufgekommen, einem Dalazaaren sollte es möglich sein. Es war günstig für Elian, daß es so düster war. Er konnte die Wand kaum sehen, und nachdem er ein paar Schritte in die Höhe ge klettert war, hatte er völlig den Kontakt zum Boden verloren. Er hoffte, daß ihm nicht schwindlig wurde. Bis zu diesem Tag hatten sich Elians Kletterkünste darauf beschränkt, im Blutd schungel die höchsten Stämme zu bezwin gen. Diese nächtliche Kletterei war etwas ganz anderes – sie war entschieden gefährli cher und langwieriger. Elian schob sich an der Wand in die Hö he. Meter um Meter stieg er hinauf, die Fin gerspitzen in schmale Spalten verkrallt, die Zehen auf einem knapp daumenbreiten Vor
Botschafter des Friedens sprung abstützend. Aber er schaffte es, er gewann an Höhe. Ab und zu mußte er einen kleinen Umweg einschlagen, ansonsten stieg er unaufhaltsam hinauf, den Zinnen entge gen. Die Bewohner der Stadt waren kriegsge wohnt, das war nicht zuletzt an dem Um stand zu erkennen, daß sie auch in dieser Nacht sorgsam wachten. Elian, der im stillen gehofft hatte, die Wachen schlafend vorzu finden, sah sich bitter überrascht. Er konnte die Soldaten mit klirrendem Schritt auf dem Wehrgang passieren hören, er hörte die scharfen Kommandorufe der Offiziere. Elian hielt einen Augenblick inne. Er mußte sehr sorgfältig sein Vorgehen planen. Der geringste Fehler konnte ihn das Leben kosten. Er klebte knapp unterhalb der Brüstung an der Mauer, nach seinem Empfinden in Him melshöhen. In seinen Unterarmen zuckte ein Muskel, sein Atem ging schwer, und Elian spürte, daß er in absehbarer Zeit eine andere Tätigkeit für seine Füße finden mußte als die, das Körpergewicht nur mit den Zehen zu halten. Kraft hin, Ausdauer her – wer sol che Anstrengungen nicht gewohnt war, zeig te früher oder später Zeichen der Schwäche. Es konnte nicht mehr lange dauern, dann war der Aufstieg für Elian so oder so been det – entweder landete er auf den Zinnen, oder sein Leib zerschellte am Fuß der Mau er. Es war still in der Höhe. Elian schob sich weiter in die Höhe. Schritt für Schritt kämpfte er sich vorwärts. Da waren sie wieder. Zwei Männer, deren Waffen beim Gehen leise klirrten. Sie sprachen miteinander, aber sehr leise. Elian konnte kein Wort verstehen. Er kletterte weiter, obwohl er die beiden auf sich zukommen hören konnte. Er hatte sich ausgerechnet, daß sie an ihm vorbei sein mußten, bevor er die Zinnen erreicht haben konnte. Danach blieben ihm ein paar kurze Augenblicke, sich auf den Wehrgang zu schwingen und im Dunkel unterzutau chen, bevor die nächste Streife diesen Be
31 reich der Stadtbefestigung abschritt. Dann waren die beiden vorbei, und zum ersten Mal spürte Elian, wie seine tastende Hand keine Mauer mehr fand – er hatte die Spitze erreicht. Er brauchte kaum die Zeit eines Herz schlags, dann stand er auf dem Wehrgang. Der Gang war mit Platten bedeckt, darun ter gab es eine Konstruktion aus Steinen, Lehm und hölzernen Balken. So leicht wür de niemand diese Feste stürmen können – die Bewohner von Pthor sicherlich nicht. Zur Rechten war der Marschtritt der näch sten Streife der Skaharan zu hören. Elian huschte davon. Bevor er einen Fluchtweg gefunden hatte, wollte er sich möglichst geräuschlos einer Streife an die Fersen heften. Die Doppelpo sten marschierten in weitem Abstand hinter einander einmal rund um die Stadt – wer sich genau in der Mitte zwischen zwei sol cher Streifen hielt, konnte eigentlich nicht entdeckt werden. Elian warf einen Blick zur Stadt hin. Die Mauer war an dieser Stelle höher als die Gebäude in ihrer Nähe. Zudem gab es zwischen Mauer und den vordersten Häu sern einen breiten Graben. Elian schluckte, damit hatte er nicht gerechnet. Er würde … Der Schall kam von hinten und von vorn zugleich. Elian saß in der Falle. Es gab eine Gegenstreife, und sie kam ihm genau entgegen. Elian blieben nur ein paar Augenblicke, sich einen Plan auszuden ken und in die Tat umzusetzen. Auf weichen Sohlen rannte er los. Es war heller Wahnsinn, was er wagte, aber er sah keine andere Wahl. Mit einem gewaltigen Satz verließ er die Mauer. Er fiel tief, aber er war weit genug ge sprungen. Im fahlen Schein der Nacht sah Elian die Ziegel des Häuserdaches gleich sam auf sich zurasen. Er versuchte den Auf prall abzufedern. Mit hartem Krachen landete er auf dem Dach. Er fiel zur Seite, überschlug sich und glitt an dem feuchten Dach entlang der Tiefe
32 entgegen. Auf dem Bauch, den Kopf voran, rutschte Elian auf den glatten Ziegeln hinab, wild mit den Armen rudernd. Seine Hände bekamen etwas zu fassen, mit aller Willenskraft und letzter Entfaltung der Körperkräfte krallte sich Elian fest. Et was knackte in seiner Faust, aber er hielt den Griff. Es war einer jener Haken, wie sie von den Dachdeckern benutzt worden waren, ein Griff aus gehämmerter Bronze. Konnte er Elians Gewicht lange genug tragen? »Da ist jemand!« hörte Elian eine rauhe Stimme rufen. Die Posten auf der Mauer hatten ihn ent deckt – sie hatten den Schlag des Aufpralls gehört und suchten jetzt nach der Ursache des Geräusches. Elian beruhigte seinen Atem. Er hing an der linken Hand, und mit der Kraft des lin ken Armes zog er sich in die Höhe. Seine Füße fanden Widerstand, er konnte sich ab stoßen. Er brauchte nur einige wenige Augen blicke, dann stand er im Sichtschatten des Kamins. Hatte man ihn gesehen? Den Quellnymphen gedankt, man hatte ihn nicht erspäht. Die Skaharan hatten ver mutlich nach einem ihresgleichen gesucht – daß ein Zwerg von Elians Statur auf den Dä chern Colizyas herumkrabbelte, konnten sie sich vermutlich nicht vorstellen. »Könnt ihr etwas sehen?« »Nichts, alles dunkel. Aber da war et was.« »Vermutlich ein Mervluhan auf der Balz«, sagte einer, und lautes Gelächter ant wortete ihm. Elian blieb in seiner Deckung, bis die Wa chen abgezogen waren. Er dankte allen Göt tern und Geistern des Dschungels, daß er dieses halsbrecherische Abenteuer glimpf lich überstanden hatte. Sobald alles ruhig war – auch im Haus rührte sich trotz des Aufpralls nichts – huschte Elian davon. Das Licht von den Wölbmänteln reichte aus, die Dächer leid
Peter Terrid lich erkennen zu lassen. Elian war voller Zu versicht, daß er es schaffen würde, sein Ziel zu erreichen. Fraglich war nur, wohin er sich wenden sollte. Er versuchte sich vorzustellen, was aus seinen Feinden geworden sein konnte. Er kam zu der Ansicht, daß man sie höchst wahrscheinlich vor den Fürsten des Landes geführt hatte. Nicht, daß er Lykaar und Bra heva für besondere Leute hielt, die würdig waren, irgendwelchen hohen Herren vorge stellt zu werden, aber in diesem Land fielen sie wegen ihrer Winzigkeit sehr auf. Das war vermutlich Grund genug, diese seltsa men Lebewesen dem Fürsten vorzuführen. So reimte sich Elian den Sachverhalt zu sammen, und entsprechend zog er seine Schlußfolgerungen. Das Gebäude ausfindig zu machen, in dem der Fürst des Landes residierte, war ei ne einfache Sache – man mußte nur nach ei nem auffälligen und gut bewachten Gebäude Ausschau halten, das war alles. Elian machte sich auf den Weg. Leicht war es nicht, was er sich vorge nommen hatte. Die Skaharan hatten keinen sehr einheitlichen Baustil, und nicht alle Häuser, die es in Colizya gab, waren sonder lich stabil. Es gab einige sorgfältig zurecht gebastelte Ruinen darunter, deren trauriger Zustand vor allem am Dach offenkundig wurde, wo Elian seinen gefahrvollen Weg suchte. Zudem gab es im Lande Luuhr einige Nachtvögel, die auf alles Jagd machten, was sich bewegte, und diese Vögel schreckten auch nicht davor zurück, Elian anzugreifen. Einmal wäre er ums Haar vom Dach ge fallen, als ihn ein schwerer Flügel traf und von den Beinen warf, aber er schaffte es, sich festzuhalten und wieder aufzurichten. Von diesem Augenblick an behielt Elian das Schwert in der Hand, und das machte das Vorwärtskommen keineswegs leichter. Eine Schar schwarzer Flatterer um schwirrte Elian, Fiedertiere mit nadelspitzen Zähnen, gierig nach Fleisch. Die Tiere ka
Botschafter des Friedens men lautlos und waren kaum zu erkennen. Ihr Biß schmerzte nicht sehr, ließ Elian aber zusammenzucken und schwanken. »Für all das wird mir dieser Dickwanst bezahlen«, knurrte Elian bei einer kurzen Rast. Er nahm sich vor, den orxeyanischen Händler Blut und Wasser schwitzen zu las sen, bevor er ihn erschlug. Um das Weib war es schade, sie war recht stattlich ge wachsen, aber wenn sie sich Elians Rache durst in den Weg stellte, würde er auch die ses Hindernis aus dem Weg räumen müssen. Elian hastete weiter. Von First zu First sprang er, jedesmal das Leben wagend, weil er niemals richtig sehen konnte, wo er landete. Einmal brach er ein, als die Dachschindeln unter ihm förmlich zerstäubten. Das elende Zeug wirbelte als Staub davon, während Elian sich nur mit Mühe an der gleichfalls morschen Konstruk tion des Dachstuhls festklammerte, um nicht in das Innere des Hauses zu stürzen. Elian brauchte viel Zeit für seinen weite ren Weg, aber er schaffte es. Mit der gleichen Technik, die er beim Er klimmen der Stadtmauer angewandt hatte, überwand er auch die Wachen des eigentli chen Palasts. Danach machte er sich auf die Suche nach Braheva und Lykaar. Er sagte sich, daß die beiden entweder Gäste oder Gefangene des Herrschers von Luuhr sein mußten – also entweder im Pa last untergebracht waren oder aber im Ver lies schmorten. Angebrachter wäre Elian die zweite Unterbringung erschienen, aber er rechnete eher damit, daß der pfiffige Händ ler auch den Herrscher von Luuhr einseifte. Infolgedessen suchte Elian nach den Wohnräumen des Palasts. Sie waren, soweit er das erkennen konnte, verlassen. Elian fand allerdings keinen Hinweis, wo die Be wohner stecken konnten. Er setzte seine Suche fort. Der Palast des Herrschers von Luuhr war recht weitläufig; Elian brauchte geraume Zeit, bis er endlich wußte, wohin er sich zu wenden hatte.
33 Der Dalazaare blieb bäuchlings auf dem Dach liegen und spähte hinab. Was er sah, gefiel ihm. Da war das Rund einer Arena, da war eine Loge, in der der Herrscher des Dimensions fahrstuhls saß, da war eine scheußliche Göt zenstatue, und da waren vor allem die Leute, die Elian suchte. Der dickliche Händler stand mitten in der Arena, in der Hand ein stumpfes Schwert, umgeben von scharfkantigen Blättern, die mit beachtlicher Geschwindigkeit in die Hö he wuchsen. Am Rand dieses Blattkranzes war das Weib des Orxeyaners damit be schäftigt, die Blätter einzeln abzuschneiden, und sie war dabei recht erfolgreich. Im Hintergrund erkannte Elian den Ro botgesandten Orthfein, den würdigen Arbei ter. »Na also«, sagte Elian. Dann allerdings wurde ihm klar, daß sich der Herrscher von Luuhr ein Vergnügen gönnte, das Elian für sich selbst reservieren wollte – nämlich den schurkischen Händler elendiglich sterben zu sehen. Elian überlegte nicht lange. Es gab in die ser Situation nur eines zu tun, so absurd das auf den ersten Blick auch aussah – er mußte dem Orxeyaner das Leben retten. Auf den Dachpfannen rutschte Elian ent lang, bis er einen Punkt oberhalb der Herr scherloge erreicht hatte. Dann machte sich der Dalazaare daran, an dem hölzernen Pfeiler herabzukriechen. Der Umstand kam ihm zu Hilfe, daß sich das Weib des Orxeyaners mit todesverach tender Tapferkeit schlug, und auch der Händler selber hatte sich endlich aufgerafft. Es sah so aus, als werde er bald den tödli chen Pflanzenring hinter sich gelassen ha ben. Hinter Lykaar wuchs allerdings eine weitere Pflanze in die Höhe, ein Knollenge wächs, dessen faustgroße Knollen mit nadel spitzen Zähnen gespickt waren. Elian erreichte den Boden. Der Herrscher von Luuhr hatte den schweren Körper auf die linke Hand gestützt und sah vergnügt auf das Schauspiel in der
34 Manege hinab. Der kahle Schädel glänzte ölig im Licht der Kohlebecken. Elian griff zu seinem Messer. Er wußte, auf was er sich einließ – gegen diesen Hünen hatte er nicht die geringste Chance, wenn es zum Kampf kam. Der Herrscher rührte sich nicht, als Elian leise, aber klar verständlich hinter ihm sagte: »Mein Messer ist scharf, Herrscher, und das Gift an seiner Spitze frisch gekocht. Laß meine Freunde frei, oder genieße das Gift!« Elian spürte hinter sich einen breiten Bal ken. Sein Rücken war gedeckt, die Wachen des Herrschers konnten ihm vorläufig nichts anhaben. »Wer bist du?« Er drehte sich nicht einmal um, stellte Eli an fest. »Einer, der seine Landsleute vor diesem Tod retten will«, sagte Elian kalt. Natürlich war sein Dolch nicht vergiftet. Er hätte da mit zielsicher werfen können, aber die Klin ge war auf pthorische Verhältnisse berech net – den massigen Herrscher von Luuhr hätte sie höchstens verwundet, niemals aber zu töten vermocht. »Warum tust du das?« »Siehst du den Händler? Er ist mein Feind, ich werde ihn töten – ich, nicht du, und ich werde den Zeitpunkt wählen, der mir genehm ist.« »Ich kann dir nicht helfen, Mann von Pthor«, sagte der Herrscher. Er wandte ein wenig den Kopf. »Nicht ich gebiete über das Leben dieser drei – es ist Yamthla, der in der Arena herrscht.« »Wer ist Yamthla?« fragte Elian hastig, der sich jäh wieder um sein blutiges Vergnü gen gebracht sah. Mit leichter Handbewegung deutete der Herrscher auf den Götzen. »Frag ihn, nicht mich«, sagte er. Die brei ten Lippen verzogen sich zu einem gering schätzigen Lächeln. »Wenn du es ver magst.« Elian knirschte mit den Zähnen. Mußte er jetzt allen Ernstes hinabspringen in die Arena, um den Verhaßten aus Todes
Peter Terrid gefahr zu helfen? Sobald er dort unten an kam, würde es auch ihm an den Kragen ge hen. Elian war nicht der Mann, der solche Her ausforderung scheute. Er machte ein paar Schritte zur Seite. Dort stand ein Kohlen becken, darin gehäuft die weißüberstäubten Stücke glimmender Kohle. Darunter lagen Fackeln am Boden. Elian griff sich einige Fackeln, hielt eine gegen die Glut und war tete ein paar Augenblicke, bis die Fackel sich entzündet hatte. »Ich habe freie Hand?« Der Herrscher lächelte. »Mach, was du willst«, sagte er. Elian schwang sich über die Brüstung. Er fiel tief, mindestens fünf Meter, aber er kam auf den Füßen auf und konnte sich abrollen, ohne sich dabei sehr weh zu tun. Die Fackel ließ er gezwungenermaßen fallen, er hatte das Glück, daß die brennende Fackel nicht erlosch, als sie den Boden berührte. »Hier, nimm!« rief Elian dem Weib des Orxeyaners zu. Der Händler war übel dran. Die Pflanzen hatten ihn in die Enge gedrängt, und nur un ter Aufbietung aller Leibeskräfte schaffte es der Händler, den gierig schnappenden Kie fern des Beißbaums zu entgehen. Während Elian mit dem Fürsten geredet hatte, war die bissige Pflanze neben dem Händler zu soli der Größe herangewachsen und schnappte nun von allen Seiten nach dem Körper des Orxeyaners. Er blutete aus einer leichten Verwundung an der Schulter. Braheva nahm eine der Fackeln und ent zündete sie. Elian sah zu, wie sie mit dem Feuer auf den mordgierigen Baum zumar schierte. Er selbst ergriff eine andere Fackel, ent fachte sie und schleuderte sie dann in den offenen Rachen des Dämonenbilds. »Bist du wahnsinnig!« schrie Orthfein. Elian machte eine abwehrende Handbe wegung. Er ließ eine zweite Fackel im Inne ren des Kolosses verschwinden. Etwas kni sterte, und dann stieg aus den Augenhöhlen des Götzen Rauch auf.
Botschafter des Friedens Gleichzeitig schrumpfte hinter Elian der gefräßige Baum in sich zusammen. Die bei den Orxeyaner setzten ihm nun mit verein ten Kräften zu, und diesem doppelten Bran dangriff war der Baum nicht gewachsen. Zi schend schrumpfte er zusammen. Dann gab es ein dumpfes Krachen. Aus dem Mund des Dämons schoß eine Feuer lanze, Splitter flogen durch die Luft. Der ganze Leib des Götzen begann zu beben, zit terte. »Weg von hier!« schrie Elian. Mit einem gewaltigen Satz brachte er sich in Sicher heit. Auch Orthfein sah zu, daß er von dem lebhaft schwankenden Koloß nicht erschla gen werden konnte. Dann ertönte ein häßliches Knirschen. Funken stoben auf, und der Götze neigte sich vor dem Pthorer und fiel aufs Gesicht. Der Kopf zerbrach in mehrere Einzelteile, aus dem ehemaligen Rumpf stiegen fette Qualmwolken in den dunklen Nachthimmel. »Yamthla ist nicht mehr«, stellte der Herrscher von Luuhr fest. Er klatschte in die Hände, die Wachen er schienen.
8. Lykaar sah zu, daß er nicht unmittelbar neben den Dalazaaren zu stehen kam, ob wohl Elian ihn keines Blickes würdigte. Diesmal war der große Saal des Palasts gefüllt. Der Lahlogor wurde von einem Kranz seiner Gefährtinnen umgeben – Frau engestalten, die Lykaar Angstschauer über den Rücken sandten. Außerdem waren fast alle Tausendschaftsführer der Skaharan an wesend. »Daß Pthor uns nicht schaden will, glau ben wir«, sagte der Lahlogor. Er nahm einen großen Schluck aus dem Becher, den man ihm kredenzte. Das schwere Aroma des Fruchtsafts wehte bis zu Lykaar hinüber. »Ebenso klar ist, daß Shemma uns nach wie vor bedroht. Wir werden also weiter rüsten; wenn Shemmas Krieger kommen, werden wir sie schlagen.«
35 »Friede soll sein auf den Weltenfragmen ten«, verkündete Orthfein. »Krieg schadet allen.« »Weise«, bemerkte der Lahlogor knapp. »Sage das Shemma!« »Das werde ich tun«, behauptete der Wol terhavener. Lykaar sah, wie der Lahlogor die Augen zusammenkniff. »Du willst zu Shemma?« »Ich werde die Botschaft verbreiten, wo immer man willens ist, mir zuzuhören.« Der Lahlogor lächelte. »Und du glaubst, den Feldzug verhindern zu können, den Shemma gegen uns plant?« Orthfein machte mit einem seiner Glieder eine fahrige Geste. »Ich werde es versuchen«, verkündete er. »Der Bann des Dunklen Oheims muß end lich abgeschüttelt werden, wie das nun auch auf Luuhr geschehen ist. Yamthla ist zer stört, die Skaharan sind fortan freie Wesen. Warum sollte das mit Shemma nicht eben falls möglich sein?« »Ich hoffe, du glaubst, was du sagst«, be merkte der Lahlogor. »Selbstverständlich«, versetzte Orthfein. »Ich kenne meinen Auftrag und werde ihn ausführen.« »Und du?« Lykaar verzog das Gesicht zu einem kläg lichen Grinsen. »Wenn dieser dort mir nicht die Gurgel durchschneidet«, behauptete er, »werde ich Handel treiben, verkaufen und kaufen. Nach mehr steht mir nicht der Sinn.« Der Lahlogor faßte Elian ins Auge. Ly kaar leckte sich die Lippen. Was würde der Fürst entscheiden? Ließ er den Dalazaaren auf Lykaar los? »Du willst ihn töten?« Elian lächelte. »Ich will nicht«, sagte er eisig. »Ich wer de, das ist der Unterschied.« »Was kann ich dafür, wenn die Yassels schrumpfen?« rief Lykaar. »Ich biete dir Schadenersatz an, wenn du darauf bestehst, aber nur um des Friedens willen.« »Ich lehne ab«, sagte der Dalazaare ruhig.
36 Lykaar schüttelte unwillig den Kopf. »Woran hängt dein Herz am meisten, Händler?« fragte der Lahlogor. Lykaar zögerte keinen Augenblick mit seiner Antwort. Er deutete mit dem Kopf auf Braheva. »So wird sie als Pfand zurückbehalten«, entschied der Lahlogor. »Pfand?« ereiferte sich Lykaar. »Wofür? Und was heißt zurückbehalten? Wer bleibt zurück und wer geht wohin?« »Farwagi«, befahl der Lahlogor gelassen. »Nimm eine Zehntschaft erlesener Krieger. Du wirst zusammen mit diesen beiden Ptho rern und dem Gesandten des Robotbürgers zu Shemma reisen. An der Grenze wirst du diese drei entlassen und dort auf ihre Rück kehr warten.« »Und wir?« fragte Lykaar augenrollend. »Was sollen wir im Lande Shemma?« »Das Land heißt Klerh«, entgegnete der Lahlogor. »Ihr werdet es erkunden, damit wir gerüstet sind auf den Angriff Shem mas.« »Warum macht ihr das nicht selbst«, rief Lykaar empört. Der Lahlogor lächelte. »Meine Leute wissen zuviel. Sie könnten unter der Folter Dinge verraten, die Shemma helfen würden, uns zu schlagen. Ihr aber wißt nichts, könnt infolgedessen nichts ver raten.« Lykaar holte tief Luft. Vor seinem geisti gen Auge sah er bereits Marterwerkzeuge auftauchen, die an ihm erprobt werden soll ten. »Ich weigere mich«, sagte er. »Ich werde …« »Ich brauche ihm nur freie Hand zu las sen«, sagte der Lahlogor. Er wies auf den Dalazaaren, der sofort sein Messer in der Hand hielt. »Was soll mich daran hindern, einfach zu verschwinden?« fragte Lykaar. »Dein Weib«, antwortete der Lahlogor. »Ich werde sie als Unterpfand hierbehalten.« Kläglich sah Lykaar sein Weib an. Brahe vas Gesicht war ausdruckslos.
Peter Terrid »Wer sichert mir zu, daß dieser Dalazaare unterwegs meinen Mann nicht hinterrücks erdolcht?« »Sein Weib«, sagte der Lahlogor. »Um es gewinnen zu können, bedarf er meiner Schätze – ich werde ihn für den Verlust sei ner Yassels entschädigen, aber nur, wenn er zurückkehrt mit deinem Mann. Orthfein wird mir Zeugnis ablegen, daß es zu keiner Gewalttat gekommen ist.« »Das gefällt mir nicht«, sagte Lykaar. »Das paßt mir überhaupt nicht. Was soll werden, wenn wir zurückkehren? Dann wird er mir immer noch an die Gurgel wollen.« »Er wird dich in Frieden ziehen lassen, wenn er den Preis für seine Braut meinen Truhen entnommen haben wird«, versprach der Lahlogor. »Du stimmst zu, Elian?« »Ich werde ihn ungeschoren lassen«, ge lobte Elian. Lykaar glaubte ihm kein Wort, aber er sah ein, daß er keine andere Wahl hatte. »Wieviel Zeit haben wir?« fragte er. »Wenige Tage nur«, sagte der Lahlogor. »Ihr werdet euch sputen müssen, wenn ihr zurück sein wollt, bevor der Kampf ent brennt zwischen Luuhr und Klerh.« Farwagi machte sich sofort an die Arbeit. Er grüßte und verließ die Halle. Elian über prüfte mit deutlichem Seitenblick auf Ly kaar die Schärfe seines Dolches. Lykaar warf einen betrübten Blick auf Braheva. Er war sicher, daß er sie nie wie dersehen würde. Er war sicher, daß der Dalazaare ihm bei der ersten besten Gele genheit das Eisen zwischen die Rippen ram men würde – wahrscheinlich kurz nach Er reichen des Landes Klerh. Und Lykaar wuß te auch, daß er im offenen Kampf gegen den hochgewachsenen Dalazaaren keine Chance hatte. »Es sieht aus, als müßten wir uns tren nen«, sagte Lykaar traurig. Braheva lächelte. »Es wird nicht für lange sein«, behauptete sie leise. »Ich werde hier auf dich warten.« Lykaar küßte sie zum Abschied, dann folgte er dem Dalazaaren aus dem Saal. Ne beneinander stiegen sie die Stufen hinab
Botschafter des Friedens zum Hof, wo sich die Gesandtschaft mit ih rem Troß formieren sollte. Der Dalazaare sagte kein Wort, auch Lykaar schwieg. Die Agrenos waren gepackt und reitfertig. Lykaar warf einen letzten Blick auf die Mauern des Palasts. Im Winkel des Hofes standen seine Yassels, daneben der Wagen mit seinen und Brahevas Habseligkeiten. Vielleicht schaffte es Braheva, das Zeug zu einem günstigen Preis loszuschlagen, neue Ware einzukaufen und damit nach Pthor zu rückzukehren. Sie würde in diesem Gewerbe sicherlich wesentlich geschickter sein als er selbst, überlegte Lykaar, der von einem Ge fühl der Ersetzbarkeit sehr gepeinigt wurde. »Aufgesessen!« schrie Farwagi. Die Zehntschaft bestieg die Agrenos. Ly kaar krabbelte mühsam ebenfalls in den Sat tel, den man für seine Größe eigens herge richtet hatte. Der Sattel war in aller Eile ge fertigt worden und würde Lykaar, da war er sich sehr sicher, noch viel Unbehagen berei ten. »Los!« Die Agrenos setzten sich in Marsch. Auf flinken Beinen trabten sie hinaus in die Stra ßen der Stadt, durch das nördliche Tor und dann hinaus in die Ebene. Lykaar hatte alle Mühe, nicht aus dem Sattel zu fallen. Schon nach kurzer Zeit tat ihm alles weh. Er fühlte sich verlassen und vergessen, völlig allein in einer Gruppe von Leuten, die ihm bestimmt nicht wohl woll ten. Dazu kam, daß er sich inmitten dieser Riesen besonders verloren vorkommen muß te; selbst der Dalazaare, der sich verblüffend gut im Sattel hielt, war entschieden größer als er. »Elender Handel«, knurrte Lykaar zwi schendurch. Die Agrenos preschten mit hoher Ge schwindigkeit über die Ebene hinweg. Ab und zu kamen die Reiter an Herden vorbei, ansonsten war nicht viel zu sehen. Einmal erkannte Lykaar weit im Hintergrund eine Zeltstadt, aber der Trupp kam nicht nahe ge nug heran, um Einzelheiten erkennen zu las
37 sen. »Wie groß ist Luuhr eigentlich?« wollte Lykaar wissen, nachdem er sein Reittier ne ben Farwagis Agreno gedrängt hatte. »Man muß zwei Tage und Nächte reiten, um ans Ziel zu kommen«, gab der Skahar bekannt. Bei der Aussicht, diese ganze Zeit spanne im Sattel verbringen zu müssen, wurde Lykaar fast übel. Am liebsten wäre er umgekehrt. Das aber ließ der scharfäugige Dalazaare nicht zu. Immer wieder glitt sein Blick über die ungestüm reitende Truppe hinweg, seine Augen suchten die des Or xeyaners und sagten ihm, daß er dem Arm des Dalazaaren nicht entgehen würde, was auch immer sich zutragen würde. Als der Abend heraufdämmerte, war Ly kaar am Ende seiner Kräfte. Er wäre fast aus dem Sattel gekippt, als Farwagi den Befehl zur Rast gab. »Lange werde ich das nicht aushalten können«, jammerte Lykaar, als er wieder fe sten Boden unter den Füßen hatte. Die Agre nos schwankten im vollen Galopp ein wenig von einer Seite auf die andere. Infolgedessen hatte Lykaar nun das Gefühl, der Boden un ter ihm würde sich bewegen. Elian spielte bezeichnend mit dem Dolch. »Soll ich deine Leiden verkürzen, Mann von Orxeya?« fragte er mit scheinheiliger Freundlichkeit. Lykaar sah ihn aus zusam mengekniffenen Augen an. »Nicht nötig«, knurrte Lykaar. »Im übri gen sieh zu, daß dein Leben lange genug währt. Diese Sache ist nicht ungefährlich.« Der Dalazaare zuckte nur mit den Schul tern. Es waren die Skaharan, die das kleine Zeltlager aufbauten, ein Feuer entfachten und darauf eine Abendmahlzeit zubereiteten. Die Skaharan waren gute Jäger, es gab der Beute genug für ihre Pfeile und Speere, und ihr Appetit entsprach ihren Körpermaßen. Zum ersten Mal in seinem Leben wurde selbst Lykaar nicht fertig mit der Portion saftigen Bratens, die man ihm vorgesetzt hatte – was das anging, hätte er es noch eini ge Zeit mit den Skaharan ausgehalten.
38 Die Krieger des Lahlogors hatten darauf bestanden, die beiden Pthorer in einem Zelt unterzubringen. Orthfein blieb für sich, er hatte darauf Wert gelegt, schließlich war er ein Gesandter. So kam es, daß Lykaar sich auf seinem Lager ausstreckte und dabei das seltsame Gefühl auskostete, daß ein Mann, der ihm die Gurgel durchschneiden wollte und daran nur durch etwas so Fragwürdiges wie ein Versprechen gehindert wurde, sich eine Handbreit neben ihm ausstreckte. »Gute Nacht«, wünschte Lykaar gewohn heitsmäßig. Er schlief ein, und er schlief schlecht. In seinen Träumen ging es wild zu. Krie ger galoppierten über die Ebene. Braheva al len voran, und dieser Haufen machte dann auch noch Jagd auf ihn und hetzte ihn, und noch immer war Braheva allen voran, und das erfüllte Lykaar mit großer Wut. Seine Beine waren unerhört langsam und zähflüs sig, und er kam überhaupt nicht von der Stelle, und dann waren die wilden Reiter heran, und Braheva setzte mit einem weitem Sprung auf ihn an, packte ihn an der Gurgel … »Aahh!« Lykaar schrie gellend auf. So handfest hatte er noch keinen Traum erlebt, und tat sächlich saß ihm eine eisige Hand an der Kehle. Lykaar schlug in Todesangst um sich und traf auch etwas Weiches, das leise auf stöhnte und dann laut schrie. »Laß mich los, du Halunke!« Das war, unverkennbar selbst in dieser Si tuation, Brahevas Stimme. Lykaar glaubte an Spuk, aber er griff beherzt zu. »Licht her!« schrie eine Stimme, die Ly kaar unschwer als die des Dalazaaren er kannte. »Trottel«, sagte die Frauenstimme, und jetzt wußte Lykaar, daß er tatsächlich Brahe va festhielt. »Laß mich endlich los!« Lykaar ließ die Frau los, und fast gleich zeitig tauchte die Wache mit Fackeln auf. Im Flackerlicht erkannte Lykaar sein Weib, die blonden Haare zerrauft, das Gesicht be
Peter Terrid schmutzt, aber breit lächelnd. »Da bin ich«, sagte sie fröhlich. »Habe ich das nicht gut gemacht?« Der Dalazaare bedachte Braheva mit ei nem wütenden Blick, er sagte aber nichts. »Wo kommst du her?« wollte Lykaar wis sen. »Und wie überhaupt?« Farwagi tauchte auf und betrachtete fas sungslos das Weib des Orxeyaners. »Ich habe mich davongemacht«, erzählte Braheva und strich sich eine schweißver klebte Haarstähne aus dem Gesicht. »Man hat nicht auf mich aufgepaßt, daher war es sehr einfach. Vor der Stadt habe ich mir ein Agreno besorgt …« »… gestohlen«, korrigierte Farwagi grim mig. »Geliehen«, stellte Braheva lächelnd klar. »Ich bin hinter euch hergejagt, und jetzt ha be ich euch erreicht. Ich hatte keine Lust, im Palast herumzusitzen und Maulaffen feilzu halten.« Lykaar schüttelte den Kopf. Er war aller hand Tatendrang von Braheva gewohnt, aber das sprengte alle Maßstäbe. »Und unsere Wagen? Die Ladung und die Yassels?« »Stehen im Hof des Palasts und warten darauf, daß wir zurückkommen. Sieh mich nicht so finster an, Elian!« Zum ersten Mal sah Lykaar den Dalazaa ren lächelnd. Elian warf einen schnellen Blick auf Ly kaar, dann schüttelte er den Kopf, als wolle er damit zum Ausdruck bringen, wie wenig er verstand, daß so ein Mann so eine Frau hatte – was zweifelsfrei als Beleidigung für Lykaar und als hohes Lob für Braheva ge dacht war. Lykaar kannte diesbezügliche Blicke und machte sich nichts mehr daraus. »Du willst uns begleiten?« fragte Farwa gi. »Ich reise mit«, sagte Braheva. »Ich lasse meinen Mann nicht im Stich.« Farwagi zuckte mit den Schultern. »Wie du meinst«, sagte er. »Es ist dein Problem. Jammere aber nicht um Hilfe, wenn es zu beschwerlich für dich wird.«
Botschafter des Friedens »Ich jammere nie«, stellte Braheva fest. »Kann ich irgendwo baden?« »Es gibt hier einen kleinen See«, erinnerte sich Lykaar. »Ich werde dich begleiten.« Der Dalazaare machte Anstalten, den bei den zu folgen, aber Brahevas entrüsteter Blick hielt ihn zurück. »Wenn ihr versucht, euch davonzuma chen, werde ich euch finden«, drohte Elian. »Überall!« »Das wissen wir«, sagte Lykaar. Die beiden entfernten sich. Lykaar hatte zwei Fackeln in der Hand, mit denen er den Weg ausleuchtete. »Das war sehr leichtsinnig von dir«, sagte er unterwegs. »Diese Reise ist alles andere als ungefährlich.« »Im Palast des Lahlogors war es mir zu langweilig«, meinte Braheva. »Außerdem hatte ich Sehnsucht nach dir.« Lykaar lächelte still. Es tat ihm gut, der gleichen zu hören. Am Ufer des Sees blieb er stehen, wäh rend Braheva badete. Einmal mehr stellte Lykaar fest, daß er eine sehr attraktive Frau genommen hatte – oder bekommen hatte, das war Ansichtssache. »Die Skaharan haben Späher nach Pthor gesandt«, wußte Braheva zu berichten. Sie räkelte sich in dem Wasser. »Die Krieger haben alles bestätigt, was wir berichtet ha ben. Der Lahlogor ist darüber ein wenig ent täuscht, er hatte sich Hilfe von Pthor ver sprochen.« »Mir soll es recht sein«, sagte Lykaar. »Würde es dir gefallen, wenn ich für die Skaharan und ihre Sache kämpfen müßte?« Braheva warf Lykaar einen Seitenblick zu. »Vermutlich nicht«, sagte sie. »Ich kann mir kaum jemanden …« »Ich weiß«, wehrte Lykaar ab. »Ich tauge nicht zum Herumprügeln, ich bin halt aus der Art geschlagen.« Braheva lachte und stieg aus dem Wasser. Rasch zog sie sich wieder an. »Wenn unsere lieben Verwandten und Freunde uns so sehen könnten …«, sagte sie
39 halblaut. Lykaar grinste. Er dachte an Peran, an Achar und die anderen Gesellen aus Lykaars Stammkneipe. Was mochten sie jetzt ma chen? Um diese Tageszeit saßen sie vermut lich beisammen und leerten schaumgekrönte Humpen in großer Zahl. Mochten sie – Ly kaar war in diesem Augenblick voller Zu versicht, daß in ein paar Monaten sich die Aufregungen um Pthor wieder gelegt haben würden. Dann wollte er in der Kneipe sitzen, frisches Bier trinken und von seinen Aben teuern erzählen, selbst auf die Gefahr hin, daß niemand ihm Glauben schenkte. Die Odyssee von Lykaar und Braheva klang mehr als unglaubwürdig, zumal die beiden jahrelang nicht aus Orxeya herausgekom men waren. »Und erst unsere Kinder …«, setzte Ly kaar den Gedankengang fort. »Wir werden viel zu erzählen haben, wenn wir erst wieder in Orxeya sind.« Am Horizont übergoß die Kontaktstelle zweier Wölbmäntel das Land mit ihrem ge spenstischen Licht, und beinahe sofort ver flüchtigte sich die gehobene Stimmung der beiden Orxeyaner. Braheva schmiegte sich an Lykaar. »Es sieht wie eine düstere Bedrohung aus«, sagte sie leise. Lykaar schwieg, denn er wußte es nicht besser. Er war gespannt, was die nächsten Tage bringen würden.
9. »Heiliger Handel«, entfuhr es Lykaar. »Da müssen wir durch?« fragte Braheva entgeistert. Farwagi nickte. »Es gibt keinen anderen Weg«, behaupte te er. »Wir müssen dieses Gelände durch queren.« »Das kann gar nicht gutgehen«, murmelte Lykaar. »Da kommt niemand durch, keiner von uns.« So weit das Auge reichte, dehnte sich eine grünlich schillernde Fläche aus, ein Sumpf
40 von so gigantischen Ausmaßen, wie Lykaar noch nie gesehen hatte. »Es gibt einen Weg durch den Sumpf«, erklärte Farwagi. »Wir müssen ihn finden und uns nach den Markierungen richten, dann kann uns nichts geschehen.« »Und wenn wir uns verirren?« fragte Bra heva beklommen. »Sehr weit kann man sich nicht verirren«, entgegnete der Skahar gelassen. »Jeder Schritt vom richtigen Weg führt sofort in den Tod. Der Sumpf ist unergründlich, und er hat noch keines seiner Opfer zurückgege ben.« »Prachtvolle Aussichten«, ereiferte sich Lykaar. »Und wieviel Mann von hundert überleben eine Durchquerung?« Farwagi zuckte mit den Schultern. »Alle oder keiner«, sagte er. »Ich habe seit geraumer Zeit nichts mehr von einem Unglücksfall gehört.« »Sehr beruhigend«, meinte Braheva. »Kann man das Gelände umgehen?« »Man kann«, bestätigte Farwagi. »Gäbe es diese Sümpfe nicht, hätten uns die An greifer wahrscheinlich schon überrollt. So aber müssen sie durch die Engpässe, und dort können wir sie einstweilen erfolgreich aufhalten.« »Und warum benutzen wir diese Pässe nicht?« Auch darauf wußte Farwagi eine klare Antwort. »Es würde zu lange dauern«, sagte er. »Folgt mir!« Er ritt voran, zwei seiner Untergebenen folgten ihm bereitwillig. Lykaar und Brahe va blieb nichts, anderes übrig, als sich anzu schließen. Der Dalazaare folgte mit einem Gesicht, das ein wenig Verärgerung verriet – es behagte dem Bewohner des pthorischen Blutdschungels wohl nicht, daß sein Opfer ihm möglicherweise im Sumpf versank. »Wir werden alle miteinander in diesem Morast versinken«, murmelte Lykaar. »Ein elender Tod.« Er gab acht, daß sein Agreno sich genau an seinen Vorgänger hielt. Jede Bewegung
Peter Terrid des Reiters vor ihm machte Lykaar so genau wie möglich nach; er wußte, daß davon möglicherweise sein Leben abhing. Es war früher Morgen, vor zwei Stunden erst, kurz nach Anbruch der Hellperiode, waren die Reiter aufgebrochen. Die Vorstel lung, den Rest des Tages in diesem furchtba ren Sumpf verbringen zu müssen, konnte selbst härteren Burschen, als Lykaar einer war, Angstschauer über den Rücken jagen. Es ging einen sanften Abhang hinab, dann tauchten die Füße der Agrenos in die schmutzige Brühe ein. Es plätscherte leise. »Das darf nicht wahr sein«, ächzte Ly kaar. Seine Augen weiteten sich. Farwagi war mit seinem Agreno bis an die Knie eingesunken, von dem Reittier sa hen nur noch Kopf und Fühler heraus, der Rest war in der grünen Flüssigkeit ver schwunden. Dennoch schritt das Agreno weiter, im mer tiefer in den Sumpf hinein. Es gluckste und plätscherte, und das Geräusch klang in Lykaars Ohren wie ein boshaftes Kichern des mörderischen Sumpfes. Er spürte, wie schnell sein Herz schlug. Unwillkürlich sah er sich nach Braheva um. Sie war im Ge sicht beinahe so grün angelaufen wie der Sumpf, und das versetzte Lykaar fast noch mehr in Angst und Schrecken. Wenn schon Braheva so aussah, wie mochte er selbst in diesem Augenblick aussehen! Lykaar hätte am liebsten die Augen ge schlossen, als sein Agreno in den Sumpf marschierte. Er spürte, wie der Boden unter dem Tier wegsackte, dann hörte er das Gluckern, mit dem der Leib des Agrenos einsank. Eine kalte Flüssigkeit griff nach seinen Füßen; mit aller Kraft widerstand Ly kaar der Versuchung, die Beine einfach an zuziehen. Damit hätte er sein Agreno höch stens ins Schwanken gebracht, und das war das Letzte, was Lykaar gewollt hätte. Die Kälte hörte an den Waden auf. Lykaar war kleiner und leichter als die massigen Skaharan, infolgedessen sank er nicht ganz so tief mit seinem Tier ein. Das war beruhi gend zu wissen.
Botschafter des Friedens Er sah sich nach Braheva um. Sie ver suchte, ein tapferes Lächeln zu zeigen, und es gelang ihr. Verkrampft grinste Lykaar zu rück. Mit versteinert wirkendem Gesicht trieb der Dalazaare sein Reittier in den Sumpf, hinter ihm folgte der Rest der Skaha ran. »Du siehst, man kann hier vorwärtskom men«, sagte der Skahar unmittelbar vor Ly kaar. »Es fragt sich nur, wie weit«, gab Lykaar brummig zurück. Die Karawane schlängelte sich gemäch lich durch den Sumpf. Die Tiere schienen diese Art der Fortbewegung zu kennen, sie zeigten sich unerschütterlich und verließen sich zur Gänze auf ihre Erfahrung und ihr Wissen. Die Skaharan waren so verständig, sie gewähren zu lassen. Vor allem Farwagis Tier ließ sich stets viel Zeit. Es suchte den Boden nach einer tragfähigen Stelle ab, und erst wenn es sicher war, bewegte sich das Agreno einen Schritt weiter. Lange hölzerne Stangen ragten aus dem Morast, an den Spitzen mit bunten Lappen gekennzeichnet. Es gehörte viel Erinne rungsvermögen und Phantasie dazu, die Far ben dieser Lappen zu erkennen. Sie waren von der Sonne gebleicht, vom Regen ausge waschen, aber Farwagi zeigte sich davon völlig unbeeindruckt. Er sorgte dafür, daß der Kopf seines Agrenos stets in die richtige Richtung zeigte, den Rest überließ er seinem Tier. So verstrich eine Stunde nach der ande ren. Die Zeit schien sich in grauenvolle Länge zu dehnen. Lykaar hatte bald jedes Empfin den dafür verloren, er hing schlaff im Sattel und wartete auf das Unvermeidliche, das aber nicht kommen wollte. Was immer er ansah, war grün. Es gab diese Farbe in jeder nur denkbaren Schattierung. Es gab das helle Grün der Pflanzen, winzige Blätter, die auf dem Was ser trieben. Es gab das braune Grün des Wassers, das sich im Schwarzgrün des Bo dens verlor. Dazwischen gab es andere
41 Schattierungen, gelblich, bläulich, rötlich. Der Sumpf war ein Hort des Lebens, in die sem Feuchtgebiet schien das Leben gleich sam zu explodieren. Überall wuchsen Blu men, wucherten Pflanzen. Grüngeschuppte Amphibien bewegten sich mit leisem Plät schern fort, zwischen den fahlgrünen Wur zeln eines Pfahlbaums wand sich eine Schlange davon. In hartem Kontrast zu dieser Welt in Grün standen die Wesen, die sich reitend darin be wegten. Sie mußten weithin zu sehen sein, und jedesmal, wenn Lykaars Blick auf den schwarzen Schuppenpanzer des Reiters vor ihm fiel, überkam ihn das beklemmende Ge fühl, daß er und die anderen in diesem Land strich Eindringlinge waren, gegen die sich das Leben früher oder später zur Wehr set zen würde. Nichts erschien Lykaar so feind selig wie das leise Glucksen des Schlamms, das verhaltene Plätschern, wenn irgendwo kleinere Tiere Reißaus nahmen vor den gi gantischen Eindringlingen. Ab und zu sah sich Lykaar nach Braheva um. Die Frau war ruhiger geworden, sie konzentrierte sich auf den Ritt. Sie hob ab und an die Augen, dann begegneten sich ihre Blicke, und sie tauschten ein rasches Lä cheln. Ein kühler Wind strich über den Sumpf, kräuselte ab und zu die Oberfläche, durch drang langsam die Kleidung und setzte sich als feuchtkalter Hauch auf der Haut fest. Die Kleidung wurde klamm, die Füße wurden vom Wasser aufgeweicht und waren nach ei nigen Stunden gefühllos. Dazu kam – fast schon lächerlich in dieser Landschaft, aber handfest und nicht zu leug nen – ein immer stärker werdender Durst. Die Brühe, in der er sich bewegte, zu trin ken, scheute Lykaar, anderes Wasser aber gab es nicht. Er glaubte schon, das Ziel erreicht zu ha ben, als Farwagi die Karawane anhalten ließ, aber er wurde bitter enttäuscht. »Leute«, sagte der Skahar ernst. Er hatte sich im Sattel umgedreht. »Jetzt wird es ernst.«
42 Lykaar schluckte. Er glaubte sich verhört zu haben. Was war denn das gewesen, was sie schon hinter sich gebracht hatten? Ein Witz vielleicht? »Von jetzt an darf es keinen Stillstand mehr geben«, verkündete Farwagi. »Kein Agreno darf auch nur für ein paar Augen blicke stehenbleiben, es wäre der sichere Tod für den Reiter. Der Boden trägt nur, wenn er alsbald entlastet wird. Also merkt es euch – kein Stillstand! Es ist besser, die Tie re anzutreiben als sie ausruhen zu lassen. Immer in Bewegung bleiben, nie verharren! Hat das jeder begriffen?« Die Skaharan nickten. Lykaar hob die Hand. »Und wie lange wird das dauern?« wollte er wissen. Farwagi wiegte den Kopf. »Wahrscheinlich bis morgen früh«, sagte er leichthin. Er drehte sich um, trieb sein Agreno an. Lykaar spürte, wie Angstkälte in ihm auf stieg und ihn von innen her zu lähmen be gann. Die ganze Nacht hindurch reiten, ohne auch nur für ein paar Augenblicke die ge schundenen Glieder ausruhen zu dürfen? Keine Rast, nichts zu essen, keinen Tropfen zu trinken, im Finsteren reiten – und das in einem Gebiet, in dem der kleinste Fehltritt die sofortige Vollstreckung eines Todesur teils bedeutete? Lykaar wußte, daß er das nicht überstehen würde. Er kam nicht dazu, irgend etwas zu unter nehmen. Die Reiter vor ihm setzten sich in Bewegung, und gewohnheitsmäßig folgte sein Agreno nach. Bevor Lykaar auch nur den Mund hatte öffnen können, war der trü gerische Pfad hinein in das Grauen bereits erreicht. Es konnte kein Zurück mehr geben. Lykaar bebte am ganzen Körper. Er war gefangen, jetzt hatte er überhaupt keine Wahl mehr. Er wäre lieber unter dem Dolch des Dalazaaren gestorben als in diesem grü nen Morast elendiglich zu versinken. Zu ei ner Umkehr aber hatte er keine Zeit mehr.
Peter Terrid Lykaar gehörte zu einer weitverbreiteten Sorte Menschen, die im Zweifelsfall vor ih ren Ängsten wegzulaufen versuchten. Jetzt aber mußte der Orxeyaner eine völlig neue Erfahrung machen – es ging dem Rachen der Angst geradewegs entgegen. Keine Aus flucht war mehr möglich, keine Betäubung in Sicht. Er würde aushalten oder sterben müssen, etwas anderes gab es nicht. Leise bewegten sich die Agrenos. Die Skaharan an der Spitze stimmten einen ver haltenen Gesang an. Lykaar hatte mit krie gerischen Weisen gerechnet, wurde aber überrascht: Eine wehmütige, sanfte Melodie klang über den Sumpf. Plötzlich war die Angst verschwunden, weggeweht, als habe es sie nie gegeben. Mit unglaublicher Klarheit sah Lykaar plötzlich den Weg, den er zu gehen hatte. Auch in seinem Innern gab es jetzt keine Ausweichmöglichkeit mehr, keinerlei Still stand. Jeder Gedanke, der ihn überfiel, muß te durchdacht und bis in alle Winkel ausge kostet werden. Stunden vergingen. Lykaar nahm die Zeit nicht mehr wahr. In Gedanken durchwanderte er sein Leben noch einmal, und in diesen langen Stunden wich er vom Pfad der Wahrheit nicht ab, so schmerzlich das in vielen Fällen auch war. Er sah, welche Fehler er gemacht hatte, wo er Wut, Erbitterung und Haß gezeigt hatte – und wo er seiner Wut, seiner Erbitterung und seinem Haß keinen Lauf gelassen hatte. Es war ein innerlicher Marsch durch einen nicht minder gefährlichen, nicht weniger tückischen Sumpf. Auch bei diesem Weg der Selbsterforschung spülte ihm der Morast bis an die Knie, manchmal gar höher. Aber seltsamerweise verlor der Orxeyaner dabei niemals den schwankenden unsichtba ren Boden unter den Füßen. Er kam vor wärts, langsam zwar, überaus qualvoll, aber er gewann an Boden. Die Nacht senkte sich über den Sumpf. Der Ritt ging weiter; es kam Lykaar wie ein Wunder vor, aber Farwagi behielt die Rich tung bei. In gleichmäßigem Rhythmus be
Botschafter des Friedens wegten sich die Agrenos vorwärts, noch nicht ein einziges Mal war eines gestrau chelt. Lykaar richtete sich im Sattel auf, wandte den Kopf und sah zu Braheva hinüber. Er lä chelte. Ihr Gesicht wirkte angespannt, müde und abgekämpft, aber sie erwiderte das Lä cheln. Nach der Qual des Nachmittags war es seltsam, wie rasch die kalten Nachtstunden verstrichen. Lykaar verbrachte die Zeit da mit zu grübeln, und er war fast überrascht, als ein grauer Morgen über dem Land auf zog. Nebel webten über dem Moor, der Wind war verschwunden. Es war gespen stisch still geworden. »Weiter!« rief Farwagi. »Bald haben wir es geschafft.« Die Gruppe war noch beieinander, nie mand fehlte. Lykaar sah hinter sich Braheva erschöpft im Sattel schwanken, dahinter, noch voller Kraft und hoch aufgerichtet, der Dalazaare. Aber auch sein Gesicht zeigte Spuren der Strapazen der letzten Stunden. Lykaar fühlte sich seltsam leicht und be freit, aber er war einsichtig genug, sich ein zugestehen, daß dieser Überschwang nicht lange vorhalten würde. Früher oder später würde sich die Erschöpfung bemerkbar ma chen, bei ihm, der körperliche Anstrengun gen nach Kräften scheute, wahrscheinlich noch stärker als bei Braheva oder Elian. »In zwei Stunden können wir rasten«, rief Farwagi. »Haltet aus, Freunde!« Der Ritt ging weiter. Auch die Reittiere zeigten erste Anzeichen der Ermüdung; sie benötigten ab und zu Zügelhilfe, um nicht vom Weg abzukommen. Lykaar paßte auf; er hatte keine Lust, ausgerechnet auf den letzten Metern dieses Rittes vom Morast verschlungen zu werden. »Seht ihr die Bäume dort vorn!« rief Far wagi. »Dort werden wir rasten.« Es schien sich um eine trockene Insel in mitten des Feuchtgebiets zu handeln. Die Baumwipfel waren von weitem zu erkennen. Über sich bemerkte Lykaar Vögel, die neu gierig über der Gruppe kreisten.
43 Es dauerte noch länger als eine Stunde, bis die Agrenos sich langsam aus dem Sumpf herausschoben. Das Wasser sickerte aus den völlig aufgeweichten Stiefeln, lief an den Flanken der Tiere entlang. Als die Agrenos endlich wieder festen Boden betre ten hatten, konnte Lykaar sehen, wie auch Farwagi erleichtert aufatmete. Der Skahar drehte sich zu den Pthorern um. Er lächelte zufrieden. »Gut gemacht«, lobte er. »Ihr habt euch wacker gehalten – ich hatte schon befürch tet, euch alle drei unterwegs zu verlieren.« »Hahaha!« machte Lykaar und grinste. Einen Augenblick hielt er sich noch im Sat tel, dann rutschte er herab und landete auf dem Boden.
* »Du mußt ohnmächtig gewesen sein, noch bevor du den Boden berührt hast«, sagte Braheva. Lykaar zuckte mit den Schultern. Er konnte dazu nichts sagen, er wußte nur, daß er vor ein paar Augenblicken erst wieder zu sich gekommen war, aufgetaucht aus wirren Träumen. Vorsichtig richtete sich Lykaar auf. Der Trupp rastete auf einer Insel, einer Fläche, die groß genug war, um den Agre nos sogar ein wenig Auslauf zu gönnen. Mitten auf der Insel war eine Feuerstelle zu sehen – offenbar rasteten hier alle, die den Sumpf durchquerten. Über der Glut drehte sich das Bratfleisch, das auf den Lastagrenos mitgeschleppt worden war. »Ich habe Durst«, sagte Lykaar. »Und da zu einen furchtbaren Hunger.« Braheva präsentierte ihm, was sie be schafft hatte – ein großer Holzkrug voll kal ten, erfrischenden Wassers, dazu auf einem Teller ein Stück Braten. »Iß«, sagte sie. »Ich habe schon etwas ge habt, noch während du geschlafen hast.« Lykaar ließ es sich schmecken. Farwagi kam langsam näher, in der Linken ebenfalls einen Krug, in der Rechten das Bein eines
44 gebratenen Vogels. Er schmatzte genieße risch. »Nun? Wieder beisammen?« fragte der Skahar. Er brachte es fertig, seiner rauhen Kriegerstimme einen freundlichen Unterton zu geben. Lykaar nickte. Er trank gierig von dem Wasser. »Wie lange erstreckt sich dieser furchtba re Sumpf noch?« fragte er. Farwagi deutete mit dem abgenagten Knochen auf den Horizont. »Noch ein paar Stunden«, sagte er, »dann haben wir den Sumpf durchquert. Danach geht es hinüber ins Land Klerh – vorausge setzt, man verlegt uns nicht den Weg.« »Wie groß sind die Chancen?« »Nicht schlecht«, sagte Farwagi. »Jedenfalls für euch. Uns wird man töten, wenn sie uns zu fassen bekommen, aber euch wird man als Abgesandte von Pthor vermutlich willkommen heißen. Shemma wird euch ein Bündnis anbieten.« Lykaar sah hinüber zu Orthfein. Der Ro bot war freundlicherweise von den Skaharan gereinigt worden und sah wieder recht schmuck aus. Trotzdem war die Vorstellung befremdlich, daß ausgerechnet er als Abge sandter und Bevollmächtigter für Pthor auf treten sollte. Niemand wußte genau, wer auf Pthor ei gentlich das Sagen hatte – Atlan, die Odins söhne, die Magier, die Rotroben, der Dunkle Oheim … Pthor hatte in der letzten Zeit ein Durcheinander erlebt, das keine klaren Machtverhältnisse hatte entstehen lassen. »Daraus wird nichts werden«, sagte Ly kaar. »Wenn ich Orthfein richtig verstanden habe, will er nicht zusammen mit Shemma gegen Luuhr kämpfen, sondern Shemma vielmehr klarmachen, daß die Zeiten vorbei sind, in denen sich alle bekämpft haben.« »Hoffen wir, daß es gelingt«, sagte Far wagi. »Ich bin des ewigen Kampfes müde. Luuhr hat seit einigen Jahrhunderten keinen Tag mehr gekannt, an dem nicht irgendwo irgendwer gekämpft hat. Unsere Frauen kön nen nur Wunden pflegen; was Frieden ist
Peter Terrid und ein Leben ohne Sorge um den Mann, wissen sie gar nicht.« »Worauf müssen wir gefaßt sein, wenn wir ins Land Klerh hinüberwechseln?« woll te Lykaar wissen. Farwagi zeigte sein breitestes Lächeln. »Den Tod«, sagte er.
10. Der Rest des Weges war vergleichsweise harmlos. Es ging durch den Rest des Sump fes, nur eine kurze Strecke ohne besondere Gefahren. Lykaar nahm es kaum wahr. Er war frisch und ausgeruht, und seine Stimmung war hervorragend. Was konnte jetzt noch geschehen? Jene Nacht im Sumpf hatte ihn in gewisser Weise verwandelt; die Zuversicht, die er jetzt zur Schau trug, war nicht aufgesetzt, keine leere Maske, sie ent sprach vielmehr seinem Selbstgefühl und war aufrichtig. Die Agrenos hatten sich während der Rast ebenfalls erholt. Sie schlugen ein flottes Tempo an. Nach einiger Zeit waren rechter Hand Rauchsäulen zu sehen. Lykaar sah die schwarzen Wolken, trieb sein Reittier an das Farwagis heran und erkundigte sich: »Was ist das dort drüben?« Farwagi machte ein grimmiges Gesicht. »Ein Steppenbrand«, erklärte er finster. »Die Shemma-Leute zünden das trockene Gras an, um unsere Leute aus ihren Stellun gen zu vertreiben. Es ist ein ungeheures Ver brechen und schändlich dazu. Wie soll man sich gegen so etwas zur Wehr setzen?« Lykaar konnte den Skahar verstehen. Die Skaharan waren Krieger mit einem ganz speziellen Ehrenkodex. Ihr Lebenselixier war der Kampf Mann gegen Mann, für ihn waren sie geschult, ihn suchten sie bei jeder Auseinandersetzung. Ein Angriffsversuch, der ihnen keine Gelegenheit gab, durch Tap ferkeit, Waffenkunst und Kühnheit zu glän zen, erschien ihnen niederträchtig und ehr los. Zu ihrem Leidwesen schien es den An greifern Shemmas völlig gleichgültig zu
Botschafter des Friedens sein, ob die Skaharan elend umkamen oder einen rühmlichen Heldentod starben; die Shemma-Krieger schienen ausschließlich am Erfolg orientiert zu sein. Lykaar lächelte. Seltsamerweise konnte er sich neuerdings in die Denkweise der Skaha ran hineinfühlen, ohne sofort Gefühle der Minderwertigkeit zu bekommen, weil seine Geisteshaltung eine andere war. Außerdem – er vergewisserte sich, indem er noch einmal Farwagi ansah – erschien er sich selbst in zwischen als normal gewachsen; es waren die Skaharan, die viel zu groß ausgefallen waren. In der Realität blieb natürlich alles beim alten, aber Lykaars Gefühle waren we sentlich verändert. Lykaar steckte einen Finger in den Mund und hielt ihn in die Höhe. Die kalte Seite des benetzten Fingers zeigte genau auf die Rauchsäulen, und im Näherkommen wurde sichtbar, was der Fingertest bereits angedeu tet hatte – der Wind trieb den Brand genau auf die Gruppe zu. Unwillkürlich drängten sie sich enger zu sammen. Die Agrenos beschleunigten ihren Schritt. »Ich fürchte, wir werden uns ein wenig beeilen müssen«, sagte Farwagi. »Es kann knapp werden.« Die Agrenos galoppierten schnell und gleichmäßig. Es gab keinen Grund, sie anzu treiben oder zu hetzen, sie gaben von sich aus ihr Äußerstes. Die Tiere fürchteten die leckende Lohe selbst über alle Maßen; ein Steppenbrand war eine Bedrohung für einen ganzen Lebensraum – selbst erbitterte Freß feinde vergaßen da alle Rivalität und sahen zu, daß sie den Flammen entkommen konn ten. Lykaar spähte immer wieder zu den Rauchsäulen hinüber. Jetzt waren auch die Flammen erkennbar. Eine lodernde Wand, gelblich am Boden, darüber schwarz vom Rauch, so schob sich der Brand auf die Reiter zu, eine lautlose, fürchterliche Bedrohung. Hoch hinauf loder te der Qualm, eine Wand, die bis hinauf an die Wölbung des Wölbmantels zu reichen
45 schien. Lykaar sah nach vorne. Wo war der Über gang zum nächsten Dimensionsfahrstuhl? Einstweilen war davon nichts zu erken nen. Es würde ein Wettrennen um Leben und Tod werden – der Übergang nach Klerh lag irgendwo voraus, und von rechts wälzte sich der Steppenbrand heran. Mit Sicherheit hatten die Shemma-Leute dafür Sorge getra gen, daß sie selbst nicht in der Flammenhöl le umkamen, und diese sichere Zone galt es zu erreichen. Lykaar trieb sein Agreno zu Braheva hin über. Sie sah angestrengt nach vorne. »Angst?« fragte Lykaar. »Ein wenig«, gab Braheva zu. Lykaar lä chelte. »Ich auch«, sagte er. »Aber wir werden es schaffen!« Der Dalazaare sah herüber und grinste. Lykaar grinste zurück. »Ich rette mein Leben nicht, damit du es beenden kannst«, rief er zu Elian hinüber. »Freue dich nicht zu früh, Mann aus dem Blutdschungel!« Elian grinste noch breiter. »Freue dich nicht zu spät, Mann aus Or xeya«, gab er zurück; er schlug mit der frei en Hand gegen die Scheide des Dolches, der für Lykaars Gurgel bestimmt war. Immer näher kam der Brand. Schon konn te man das ferne Donnern und Prasseln hö ren. Wehe dem unglücklichen Leben, das nicht schneller war als der Feuerfraß – frü her oder später mußte jeder Erschöpfte ein geholt oder überrollt werden. Es verging eine geraume Weile, bis in der Ferne Felsen sichtbar wurden. Farwagi deu tete auf die Steine. »Dorthin!« rief er. »Dort ist der Über gang.« Es fehlen nur noch einige Dutzend Be wohner des Landes Klerh, die uns den Weg versperren, dachte Lykaar. Der Plan des Lahlogors war schon jetzt gescheitert. Ein Zurück konnte es für die Skaharan nicht geben, der Fluchtweg wurde von der Feuerwalze abgeriegelt. Ob die
46 Shemma-Leute sie durchlassen würden? Schwerlich. Die Agrenos griffen weiter aus. Meter um Meter kamen die Felsen näher. Nach einer weiteren Viertelstunde wußte Lykaar, daß das Rennen gegen das Feuer gewonnen war. Vor den Felsen dehnte sich ein breiter Streifen verbrannten Landes. Dort konnte keine Flamme mehr Nahrung finden, späte stens dort mußte das Feuer erlöschen. Er atmete erleichtert auf, als dieser schwarze Streifen erreicht war, ein paar Au genblicke danach mußte er allerdings be greifen, daß auch diese Angelegenheit ihre Schattenseite hatte – der Boden war von ei ner daumendicken Ascheschicht bedeckt. Die wirbelnden Beine der Agrenos ließen diese Asche aufstäuben. Nach kurzer Zeit waren Reiter und Tiere schwarz gefärbt, und Lykaar mußte sich ein Tuch vor das Gesicht ziehen, um die fein staubige Asche nicht einzuatmen und daran zu ersticken. Die Agrenos wurden langsamer. Offenbar hatten auch sie Schwierigkeiten mit der fei nen Asche. Der Brand wälzte sich mit ungeheurem Getöse heran. Der Wind trug den Gluthauch herüber, der sich ebenfalls auf den Atem legte, Lykaar und alle anderen schnappten nach Luft. Jeder Atemzug wurde zur Qual. Je näher das Steppenfeuer den Reitern kam, um so bedrohlicher wurde die Lage. Zum einen strahlte das Feuer eine unge heure Hitze aus, zum anderen machte sich in der Nähe der gewaltige Bedarf des Feuers an Luftzufuhr bemerkbar – es gab einen Sog, der in immer stärkerem Maß an den Reitern zerrte und zauste. Mit wilden Armbewegungen trieb Farwa gi seine Begleiter voran. Es war nur mehr ei ne Sache weniger Minuten, bis die rettenden Felsen erreicht waren. Und dort warteten wahrscheinlich schon die Shemma-Krieger auf die Reiter. Lykaar schnappte verzweifelt nach Luft. Asche war ihm in die Kehle geraten, er hu stete und spürte, wie seine Lungen sich
Peter Terrid förmlich verkrampften. Sein Agreno stolper te nur noch. Die Felsen. Sie schienen zum Greifen na he. Noch ein paar Schritte, noch ein Satz. Die Füße der Agrenos berührten steinernen Bo den, aus den Spalten des Felsenhaufens wehte ein gleichmäßig kühler Wind. Er wehte die Asche fort und drückte kühle kla re Luft in die gepeinigten Lungen. Lykaar stieß einen langen Seufzer der Er leichterung aus. Er war heilfroh, diese Stra paze hinter sich zu wissen. »Seltsam«, sagte Farwagi. »Niemand zu sehen.« Lykaar spähte umher. Farwagi hatte recht. Von Fremden war nichts zu sehen. »Wie sehen sie aus, die Shemma-Leute?« fragte Lykaar, während er sich mit einem Tuch die Asche von seiner Gesichtshaut zu wischen versuchte. Der Versuch mißlang kläglich, es wurde nur schlimmer. »Das wechselt«, sagte Farwagi. »Es gibt verschiedene Völker auf Klerh, die Shemma gehorchen müssen. Aber alle kämpfen gegen uns.« »Verheißungsvoll«, kommentierte Lykaar trocken. Er half Braheva, sich einigermaßen zu rei nigen. Die Pause dauerte länger als eine Stunde, aber es zeigte sich niemand. Es sah fast so aus, als hätten die Bewohner von Klerh keinerlei Interesse mehr an Bewoh nern von Luuhr. Hatten sie ihre Angriffsab sichten etwa aufgegeben? Farwagi erkletterte einen hohen Felsen. Lykaar, obwohl nicht schwindelfrei, folgte ihm. »Dort ist unser Land«, sagte Farwagi und wies auf die brennende Steppe. Der Brand fraß sich an dem Felshaufen vorbei langsam vorwärts, dahinter war der Boden so schwarzgebrannt wie auf jenem Streifen, den die Flüchtigen gerade durchquert hatten. »Und das ist das Land Klerh!« Lykaar spähte hinüber. Er sah nur Felsen, schroffes Gestein, ge waltige zerklüftete Quader, aufgetürmt wie
Botschafter des Friedens von Riesenhand. Der Streifen Landes, der zu sehen war, wirkte wie nach einer grauenvol len Naturkatastrophe. »Dort kann man leben?« »Jenseits der Dämmerberge«, murmelte Farwagi, »liegt das Shemma. Es ist unser Feind, aber wir wissen nicht, warum. Wir hatten gehofft, der Geißel des Kriegs entrin nen zu können, endlich Frieden zu finden für uns und unsere Familien. Wir hatten gehofft, daß jetzt, wo sich die Inseln wiedergefunden haben, der Friede einziehen würde. Was ge schehen ist, du weißt es selbst.« Unwillkürlich sah Lykaar vom Felsen herab nach Braheva. Sie erwartete ein Kind, sein Kind! Dann sah er wieder hinüber ins Land Klerh. Die Vorstellung, daß seine Tochter dort geboren werden würde, er schütterte Lykaar. »Was werdet ihr tun?« Farwagi schrak wie aus tiefen Träumen auf. Das Gesicht des Mannes zeigte einen Anflug von Resignation. »Wir werden hier auf euch warten«, sagte er. »Vorausgesetzt, wir können uns hier hal ten. Ist das unmöglich, dann warten wir auf euch auf der Sumpfinsel. Orthfein hat be hauptet, er könne sich an den genauen Weg erinnern.« »Dann wird es wohl stimmen«, sagte Ly kaar. »Außerdem ist ja noch Elian bei uns – die Dalazaaren sind geübte Dschungeljäger, wegkundig wie kein zweites Volk auf Pthor. Wir werden euch schon finden.« Farwagi sah Lykaar an. Lykaar konnte sich die Gedankengänge des Kriegers recht genau zusammenreimen. Der Riese bedauerte ihn. Die Skaharan hat ten sich mit den Shemma-Kriegern schon mehr Schwierigkeiten als sie wünschten, wieviel Ärgernisse würden da die Zwerge von Pthor zu erdulden haben? »Wir werden durchkommen«, versprach Lykaar, und er meinte, was er sagte. Sie stiegen den Felsen hinab. »Es kann weitergehen«, sagte Lykaar. »Orthfein, bist du bereit?« »Selbstverständlich«, erwiderte der wür
47 dige Arbeiter aus Wolterhaven. »Ich bin im mer bereit.« »Elian?« »Seit wann führst du das Kommando?« »Ich kommandiere nicht, ich frage nur«, entgegnete Lykaar fest. »Bist du bereit?« »Bereit.« Braheva begnügte sich mit einem Nicken. Die Agrenos setzten sich in Marsch. Es ging in nördlicher Richtung, dem seltsamen Lebewesen entgegen, das Shemma genannt wurde. Lykaar sah sich noch einmal um. Die riesenhaften Skaharan in ihren Schup penpanzern wirkten irgendwie verloren und einsam, als sich die Pthorer von ihnen ent fernten. Lykaar winkte mit der Hand, aber niemand antwortete ihm. »Sie könnten unsere Freunde werden«, sagte Lykaar. »Und gute Freunde kann man nicht genug haben.« Braheva lächelte spöttisch. »Besonders, wenn man sie mit gewissen Säften und Tränken versorgt«, bemerkte sie anzüglich. »Sie haben mich darum gebeten«, gab Ly kaar zurück. »Es ist ihre Sache, wenn sie von dem Zeug trinken.« »Aha«, meinte Braheva. »Deswegen sind sie wohl hinter dir her, um dir den Schädel einzuschlagen und unseren Sohn zur Waise zu machen, bevor er noch geboren ist.« »Wieso Sohn? Ich denke, wir hatten uns auf eine Tochter geeinigt. Und wieso sind sie hinter mir her – sie sind hinter uns allen her …« »Ach was, ich hätte zu Hause bleiben sol len, in unserem friedlichen, gemütlichen Heim. Statt dessen werde ich von dir herum geschleppt durch Wüsteneien und Einöden …« »Wer ist denn wem nachgelaufen, eh? Wer hat sich denn davongemacht mitten in der Nacht …« Elian, der ein Stück hinter den beiden ritt, griff sich an den Kopf. »Ich bringe ihn um«, sagte er leise. »Eines Tages bringe ich ihn um!«
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Peter Terrid
»Du und deine Geschäfte, wenn ich das schon höre! Was hast du denn erreicht, he? Sogar aus dem Blutdschungel kommen sie, um sich bei dir zu beschweren …« Elian sah hinauf zum grauen Himmel. Ein boshaftes Lächeln flog über sein Gesicht. Jetzt endlich hatte er den perfekten Rache plan, ein Vorhaben von solcher Heimtücke und Grausamkeit, daß ihn fast vor sich sel ber schauderte. Er würde die beiden nicht umbringen, er würde sie am Leben lassen, gegenseitig so zusagen. Sie hatten einander verdient, fand Elian. Recht geschah ihnen, wenn sie den Rest des Lebens würden miteinander verbringen müs sen.
* Irgendwann werden sie kommen. Sie müssen einfach. Ich will es so. Nichts entgeht mir, nichts ist mir entgan gen, nichts wird mir entgehen. Meine Augen sind überall, meine Ohren hören jedes Wort. Mein Gedanke ist Befehl, und niemand lebt, der sich einem meiner Befehle zu widerset zen gewagt hätte. Es ist einsam hier, aber das ist das Los, das ich erleiden muß – es ist der Preis der Einzigartigkeit. An dem Platz der Schöpfung, an dem ich angelangt bin, kann immer nur ein Wesen leben – ich, sonst niemand. Also bin ich al lein. Ich habe Freunde, Gefährten, Tröster mei ner Einsamkeit, aber dennoch bleiben Dinge denkbar, die nur ich denken kann, ich ganz allein. Niemand ist mir gleich; was sonst noch lebt, kann nur Untertan sein – und zwar mir. Ich warte. Ich warte seit vielen Jahrtausenden. Viel ist geschehen, wenig hat sich zugetragen. Welt auf Welt habe ich besucht, bekriegt, besiegt, befriedet. Der Dunkle Oheim kann mit meiner Arbeit zufrieden sein. Er weiß,
was ich weiß – niemand ist mir gleich. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, weiter reichende Pläne zu schmieden und durchzu führen. Es geht nicht länger darum, irgendwelche Barbarenwelten mit Krieg zu überziehen, sie dienstbar zu machen den Mächten der Schwarzen Galaxis. Nun geht es um mehr, um viel mehr. Es geht um mich. Herrschen will ich. Dienstbar sein soll mir Klerh, dienstbar Luuhr und die anderen Inseln. Unterwerfen sollen sie sich meinem Willen, gefügig sein meinem Gebot. Niemand soll sein, der nicht Furcht empfindet vor mir. Denn Furcht vor mir ist es, was sie einigt, Furcht vor mir und meiner Macht ist es, was meine Macht trägt und begründet. Und sind sie erst unterworfen, werden sie erst geknechtet sein von meinen Sklaven, dann werden sie lernen, mich zu lieben. Noch hassen sie mich, die mich kennen; noch fürchten sich, die meiner Herrschaft anheimfallen werden. Wer nichts von mir weiß, wird bald dazugehören, mich fürchten oder hassen. Mögen sie nur – solange sie folgsam sind, ist mir gleich, welche Empfin dungen sie beherrschen. Geschmeiß, Gesindel, Auswurf. Nur einer ist bestimmt, Herrscher zu sein über Klerh, und Klerh ist die Krone unter den Inseln. Keine ist wie sie, denn keine hat einen Herrn wie mich. Meine Boten wissen zu melden, daß Lu uhr sich gegen mich erhoben hat. Meine Ge sandten wurden verjagt, meine Krieger an gegriffen und geschlagen. Dennoch wird Lu uhr mir nicht widerstehen können. Ich muß nachdenken. Am Grundsätzlichen gibt es natürlich nichts zu rütteln und zu deuteln. Ich werde Luuhr erobern, und das gleiche Schicksal wird den anderen Dimensionsfahrstühlen widerfahren. Einer nach dem anderen wird mir Untertan werden, bis sie alle auf mich hören und die Bewohner den Rücken krüm men um meinetwillen.
Botschafter des Friedens
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Denn ich bin groß unter den Großen, ich bin einzig. Sollen sie nur kommen, einer nach dem anderen. Keiner wird mir widerstehen kön nen, nicht ein einziger. Warum nur sträuben sie sich? Was ist schlimm daran, mir zu dienen und zu gehorchen? Bin ich grausam, bin ich heimtückisch? Verlange ich zuviel? Ich fordere, was mir zusteht – vollständi ge Unterwerfung unter meinen Willen, mehr nicht. Würden sie gehorchen, diese Kreaturen, dann wären sie glücklicher. Ihre Wohlfahrt wäre gesichert, Not und Leid verbannt. Sie bräuchten nur zu tun, was ich ihnen auftra
ge. Aber sie unterwerfen sich nicht freiwillig. Nicht die Demut ist es, die ihren Rücken krumm macht; es ist die Furcht. Sie kennen den Schwung meiner Geisel, darum neigen sie die Häupter. Erst muß ich Luuhr unterwerfen, dann die anderen Dimensionsfahrstühle. Und habe ich erst die Körper, dann werde ich mir auch die Seelen holen. Sie werden mich lieben, ob sie wollen oder nicht. Denn ich bin ein zig. Ich bin das Shemma.
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 492 von König von Atlantis mit: Gefangene des Shemma von Peter Terrid