Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes ORION – mit Oberst Cliff McLane und seiner Crew.
Raumschiffe, die von ei...
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Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes ORION – mit Oberst Cliff McLane und seiner Crew.
Raumschiffe, die von einem bestimmten Zeitpunkt ab einer Generalüberholung unterzogen wurden, erweisen sich beim späteren Einsatz als nicht mehr funktionstüchtig. Oberst Cliff McLane soll dem mysteriösen ›Maschinenstreik‹ auf den Grund gehen. Seine ORION VIII ist einsatzfähig. Cliff soll den Wüstenplaneten anfliegen, den Förderort des hochwertigen Spezialöls. Man nimmt an, daß die Funktionsstörungen der Raumschiffe durch das Öl entstanden sind. Aber bevor die ORION ihr Ziel erreicht, entdeckt Cliff McLane etwas, das ihm wichtiger erscheint als das Öl. Er findet den kosmischen Wanderer, der einen sinnlos gewordenen Befehl auszuführen versucht.
Alle Romane nach der großen Fernsehserie RAUMSCHIFF ORION erscheinen als Taschenbuch im MOEWIG-VERLAG.
Vom gleichen Autor erschienen bisher folgende Raumschiff-Orion-Romane: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
Angriff aus dem All (T 134) Planet außer Kurs (T 136) Die Hüter des Gesetzes (T 138) Deserteure (T 140) Kampf um die Sonne (T 142) Die Raumfalle (T 144) Invasion (T 146) Die Erde in Gefahr (T 152) Planet der Illusionen (T 154) Wettflug mit dem Tod (T 156) Schneller als das Licht (T 158) Die Mordwespen (T 160) Kosmische Marionetten (O 13) Die tödliche Ebene (O 14) Schiff aus der Zukunft (O 15) Verschollen im All (O 17) Safari im Kosmos (O 18) Die unsichtbaren Herrscher (O 19) Der stählerne Mond (O 20) Staatsfeind Nummer Eins (O 21) Der Mann aus der Vergangenheit (O 22) Entführt in die Unendlichkeit (O 23) Die phantastischen Planeten (O 24) Gefahr für Basis 104 (O 25) Die schwarzen Schmetterlinge (O 26) Das Eisgefängnis (O 27)
HANS KNEIFEL
RAUMSCHIFF ORION
BOHRSTATION ALPHA Zukunftsroman Deutsche Erstveröffentlichung
E-Book by »Menolly«
MOEWIG-VERLAG MÜNCHEN Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
Für den Moewig-Verlag nach Ideen zur großen Fernsehserie RAUMPATROUILLE, produziert von der Bavaria-Atelier GmbH, geschrieben von Hans Kneifel
Copyright © 1970 by Arthur Moewig-Verlag Printed in Germany 1970 Foto: Bavaria-Atelier GmbH. Umschlag: Ott & Heidmann design Gesamtherstellung: H. Mühlberger, Augsburg Der Verkaufspreis dieses Bandes enthält die gesetzliche Mehrwertsteuer.
1 Als das Diskusschiff, vom Asteroidengürtel einfliegend, in die breite Landeschneise einschwenkte, sah Commander Grynt Falpass den Planeten und seinen Mond auf dem runden Zentralschirm in einer merkwürdigen, wenn auch nicht gerade neuartigen Konstellation: Der irdische Mond, Luna, hing im Raum und verdeckte die Erde, die unzähligen Krater waren fast unsichtbar; das Diskusschiff, die NIKOLAUS KOPERNIKUS, flog mit der Sonne im Rücken an. Commander Falpass nahm seine Augen nicht vom Bildschirm, als er sagte: »Falpass an Maschinenraum: Fahrt nach Programm verringern!« Die Antwort ließ um eine Spur zu lange auf sich warten. »Fahrtverringerung eingeleitet!« sagte der Schiffsingenieur. »Diese verdammten neuen Schalter, die sie uns nach der letzten Überholung eingebaut haben, sind zu langsam.« »Schwierigkeiten?« fragte Falpass. »Noch nicht«, sagte der Ingenieur beziehungsvoll. »Bis zur Basis werden wir es wohl schaffen«, murmelte der Funker der KOPERNIKUS. Der Mond schob sich jetzt langsam seitwärts aus dem Bild und gab die volle Erdkugel frei, jene Scheibe, aus Blau und Weiß zusammengesetzt, aus dunklem Grund und weißen Spiralstrukturen, Symbol der Heimat der Astronauten. Platz der Ruhe, Zentrum der Raumkugel, Ziel ungezählter Wünsche und Vorstellungen. Der Planet kam schnell näher und wurde
größer. Die NIKOLAUS KOPERNIKUS kam von einem Routineflug von den äußersten Grenzen der 900Parsek-Raumkugel zurück, der nach der Generalüberholung stattgefunden hatte. Seit dem Start, je mehr Zeit abgelaufen war, fielen immer wieder Schaltelemente aus; sie schienen zu streiken. Grynt Falpass, von McLane einst als ein Mann von Tausenden bezeichnet, war durch einige Erlebnisse und die vorübergegangenen Jahre geprägt worden; mehr als sonst, schneller und tiefergreifend als in einer vergleichbaren früheren Zeitspanne. Jetzt war Falpass vierzig, ein Mann mit reichem blonden Haar und breiten Schultern, sehr groß und etwas starr, was hauptsächlich darauf zurückzuführen war, daß sich Falpass stets sehr gerade hielt. Mit scharfen grauen Augen betrachtete Grynt den zentralen Sichtschirm, von einer unausgesprochenen Aufregung und Spannung erfüllt. Schafften sie es noch? Eigentlich gab es keinen Grund zu einer gegenteiligen Annahme; ob die Schalter nur eine Zehntelsekunde brauchten, um zu funktionieren, oder ob sie dazu eine Sekunde brauchten, spielte kaum eine Rolle. Ruhig fragte der Commander: »Funkkontakt mit EOS IV?« Der Funker entgegnete geschäftsmäßig: »Earth Outer Space Station Vier meldete sich soeben – unser Anflug ist gemeldet, und wir können direkt einfliegen.« »Danke«, murmelte Falpass. Jetzt füllte der Planet den Sichtschirm aus, der Kontinent Australien wurde unter den Perlenketten der weißen Wolken und der schwarzen Schatten darunter sichtbar. Falpass streifte den Rand seines Jak-
kenärmels hoch und sah auf die schwere Digitaluhr. Alles an Grynt schien hell und scharf umrissen; seine stahlgrauen Augen wirkten, als entginge ihnen nicht die geringste Kleinigkeit. Die sonnengebleichten Brauen bildeten einen starken Gegensatz zu dem sonnengebräunten Gesicht und dem hohen, weichen Kragen der Jacke. Die kräftigen, langen Finger lagen ruhig auf den Hebeln der Handsteuerung. Ohne hinzusehen, griff Falpass nach dem langstieligen Mikrophon und sagte halblaut: »Landemanöver einleiten. In viertausend Metern von Autopilot auf Handsteuerung umschalten.« Der Bordingenieur schien schon wieder Schwierigkeiten mit den schweren Schaltern zu haben; über die Lautsprecher hörte man sein unterdrücktes Schimpfen und Murmeln. Das Schiff schwebte, die geschwungene Unterschale voraus, der gewaltigen Scheibe entgegen, die sich jetzt in verschiedene Farbflächen auflöste. Sie schien dem Schiff entgegenzufallen wie ein Felsen. Einige Sekunden vergingen. Jetzt berührten die ersten dünnen Schichten der Lufthülle das Schiff. Die Zeiger der Instrumente funktionierten hervorragend. Der Astrogator sah auf das Chronometer und legte den Hebel hemm. Der schwere Schalter, eine Handvoll Plastik mit Stahleinlage, ließ sich nur einige Millimeter bewegen, als ob das Öl hinter der Verkleidung plötzlich erstarrt oder geleert wäre. Der Astrogator unterdrückte die aufkommende Panik und stemmte den Handballen gegen den Schalter. Langsam bewegte sich die dreifach fingerbreite Platte. Falpass sah seine Signallampen, sah sie aufblinken
und merkte, daß der Autopilot das Schiff nicht mehr steuerte, und daß die Handsteuerung noch nicht eingeschaltet war. Er zog die Schultern hoch, wartete drei Sekunden, um sich zu beruhigen und sagte dann scharf: »Handsteuerung noch nicht eingeschaltet!« »Einen Augenblick!« sagte der Astrogator. »Was heißt einen Augenblick! Ich möchte den Diskus nicht in den Pazifik fallen lassen!« sagte Falpass etwas schärfer. Endlich, nachdem das Schiff zu schaukeln begonnen hatte, nachdem es mit der schmalen Seite auf das Meer zuzustürzen begann, erloschen die Lämpchen. Falpass griff nach den Hebeln und richtete das Schiff wieder auf. Seine Stirn hatte sich mit feinem Schweiß überzogen. Er flüsterte eindringlich: »Was war das?« »Dieses verdammte Öl in den Schaltern!« rief der Astrogator. »Als ob es gefroren wäre.« Die NIKOLAUS KOPERNIKUS raste mit hoher Geschwindigkeit durch die dichteren Schichten der Luft, ging tiefer und zog einen Schweif ionisierter Gase hinter sich her. »Gefroren? Ausgeschlossen! Nach dieser Generalüberholung funktioniert kein einziger Ölschalter mehr normal! Ich werfe den ganzen Krempel hin!« rief der Bordingenieur von seinem Bildschirm herunter. »Ich kann die Maschinen ja schließlich nicht mit der bloßen Hand fahren!« Commander Falpass biß auf die Unterlippe und würgte ein zweitesmal an diesem Tag seine Panik hinunter.
»Noch zweitausend Meter!« sagte er laut und mit Nachdruck. Er beugte sich vor, zog an den einzelnen Hebeln und stabilisierte die Fluglage. Die Bewegungen des Schiffes verliefen nach einem merkwürdigen Schema: Alles das, was ohne zwischengeschaltete ölgefüllte Elemente durchgeführt werden konnte, also zum Beispiel jede mechanische Schaltung, funktionierte hervorragend. Dort, wo aber diese neuen Schalter angewendet werden mußten, versagten sie entweder oder leiteten die Schaltungen mit merklicher Verzögerung ein. Die NIKOLAUS KOPERNIKUS fiel weiter dem endlosen, blauen Meer entgegen, neigte sich langsam in eine Schräglage, die nicht vorgesehen war, aber keinen kritischen Wert darstellte. Der Diskus, im Sonnenlicht aufblitzend, näherte sich dem Carpentariagolf. Die Mannschaft beobachtete schweigend die Sichtschirme und atmete flach. Alle fünf Männer wußten sehr genau, daß die Funktion aller Maschinen von so lächerlichen Dingen wie Schaltern abhängen konnte. Und sie wußten ebenso, denn sie waren alte, erfahrene Raumleute, daß ihr Leben während dieses Landeanflugs vom einwandfreien Funktionieren des übergeordneten Mechanismus abhing, den sie als »Raumschiff« bezeichneten. »Eintausend Meter!« Das Ende des Fluges, selbst wenn sie nur noch eintausend Meter und wenige Minuten vom Betonboden der Landeröhre entfernt waren, schien in Frage gestellt. »Achthundert.« Unter dem Schiff begann jetzt der gigantische Strudel über einem der Landezylinder der Basis 104 zu
rotieren. Immer mehr Wasser drehte sich, erzeugte Schaum und Wellen, und schließlich tat sich der Schlund ganz auf. Falpass zog die Luft scharf in seine Lungen und sagte halblaut: »Automatische Landung fällt aus. Wir brauchen sonst zuviel Schaltungen!« »Verstanden!« Sie erkannten jetzt die Wellen, die ringförmig von dem vulkanähnlichen Wasserschlund ausgingen. Niemand wußte, welcher Schalter jetzt ausfallen würde oder in der nächsten Sekunde. Seit dem Start gab es diese Unregelmäßigkeiten, und je mehr sich der Flug dem Ende näherte, desto mehr Störungen gab es. Bis jetzt waren aber noch keine wirklich lebensbedrohenden Situationen entstanden. Falpass dachte an Tamara Jagellovsk und atmete aus. »Dreihundert Meter!« keuchte er wider Willen. Der Flug hatte sich stark verlangsamt. Wie ein Blatt, vollkommen waagrecht, sank das Diskusschiff jetzt über den Meeresspiegel ab und befand sich dann in der Finsternis im Innern des rotierenden Schlundes. Vorsichtig, fast behutsam, bugsierte Commander Falpass sein Schiff entlang des Landestrahles nach unten. Die Abweichungen betrugen nach allen Seiten niemals mehr als einen Meter. Die KOPERNIKUS näherte sich jetzt den Lichtern, den farbigen gekreuzten Scheinwerfern an den Wänden des stählernen Zylinders. In den Lautsprechern war schon die Stimme von Anette Kendrix, die das Schiff eingewiesen hatte. Der Astrogator, seine angestrengten Augen auf die Instrumente gerichtet, flüsterte zischend:
»Noch zwanzig Meter. Halte bloß aus, verdammter Kahn!« Die Bewegung verlangsamte sich weiter. Grynt Falpass sagte: »Schwerkraftkissen einschalten. Schnell!« Der Astrogator stemmte sich gegen den Schalter. Langsam bewegte sich der Hebel, das Öl schien sich während dieses Schaltvorganges geradezu in Stahlbeton zu verwandeln. Fluchend drückte der Mann, dann endlich stemmte er sich mit beiden Armen dagegen, eine Hand auf der anderen. Die Kante des wuchtigen Plastikriegels schnitt in die Haut des Handtellers. Falpass schrie unbeherrscht: »Los! Schnell!« Dann, mit einem häßlichen Geräusch, brach der Schalter. Die NIKOLAUS KOPERNIKUS, deren Zentrallift noch nicht ausgefahren war, fiel senkrecht dreizehn Meter tief. Die schwere Masse von Stahl, Trägern, Kunststoff und Ladung krachte, noch immer fast exakt waagrecht, auf den Beton nieder. Fünf Männer schrien gleichzeitig auf. Die KOPERNIKUS wurde einen Meter hochgeworfen, kippte dann und riß kleine Splitter aus dem Beton, dann verwandelte sich die Bewegung in ein Kreiseln, wie es eine Münze tat, die auf einer Tischplatte rotierte. Staub, also zermalmter Beton, wurde frei und bildete einen runden Schleier, während die Sirene aufheulte. Die Verkleidung des Schiffes beulte immer mehr aus, die Klappen und Projektoren rissen ab, wurden eingedrückt, und die Linsensysteme brachen auseinander. Das Klirren von Glas ging in dem mahlenden, dröhnenden Geräusch unter, das Metall auf Beton hervorrief. Nach dreißig Sekunden endlich lag
die KOPERNIKUS ruhig da. Restlos zerstört, kein glänzendes Diskusschiff mehr, sondern ein Schrotthaufen. Man mußte die Luken aufschweißen, um die fünf Männer bergen zu können. Ihnen war, abgesehen von einigen Brüchen, nicht viel passiert. Sie standen unter keinem Schock, dafür kannten sie ihr Risiko zu genau. Aber einige leichte Gehirnerschütterungen, jede Menge Hautabschürfungen und ein Sortiment von Beulen und blauen Flecken waren ihr persönlicher Anteil. Es war Oberst Henryk Villa, der als erster von Sabotage sprach. Daraufhin schaltete sich der GSD ein, der Galaktische Sicherheitsdienst. Die Ereignisse bewegten sich nunmehr entlang des Instanzenweges, der langsam funktionierte, aber mit der Unerbittlichkeit, die sprichwörtlich war. Schließlich erreichte die peristaltische Bewegung des Apparates auch Tamara Jagellovsk. * Das Gesicht des Mannes, das im Schatten lag, war noch relativ jung, aber die Sonnenstrahlenbahn, die durch das riesige Fenster fiel, beleuchtete von hinten die Schläfengegend und ließ das konzentrische Netz von Falten hervortreten, die im Augenwinkel mündeten. Aber das Gesicht war männlich und hart, was durch den sorgfältig ausrasierten Bart verstärkt wurde, der von den Schläfen bis zum Kinn heruntergezogen war. Braunes, an den Schläfen stark ergrautes Haar, braune Augen, und eine Haut, die nur dann
entstand, wenn man sie ständig der Sonne, dem Seewind und besten Pflegemitteln aussetzte, vervollständigten den Eindruck. »Ich glaube«, sagte die Frau im dünnen ärmellosen Pullover und den engen, weißen Hosen, »ich erkenne dich nicht mehr, Cliff McLane.« Cliff neigte sein Kinn, bis es fast das weiße Medaillon auf seiner Brust berührte. Dann gab der Kommandant seinem Gesicht einen melancholischen Eindruck und sagte höflich: »Das entspricht der Gegenseitigkeit, Tamara. Ich erkannte dich auch fast nicht mehr. Du bist älter, reifer und also schöner geworden. Ich glaube, du gehörst zu den Frauen, denen man das sagen kann.« Tamara lächelte und antwortete: »Die Herren brauche ich wohl nicht vorzustellen?« Cliff richtete einen langen, schweigenden Blick auf Commander Falpass, der einen Arm im Verband und in der Antischwerkraftschlinge trug, dessen Kopf ein hellgrünes Pflaster zierte und dessen Gesichtsausdruck etwas mißmutig schien. »Falpass, wenn ich nicht irre!« sagte Cliff. »Immer noch zu Scherzen aufgelegt, der gute alte McLane«, sagte Falpass. »Sollten Sie es vergessen haben, über die Bruchlandung der KOPERNIKUS zu scherzen?« Cliffs Ernst, mit dem er jetzt sprach, war nicht gestellt. »Ich werde mich hüten. Es ist bei der Raumfahrt noch immer so: Mitten im Flug sind wir von tausend Toden umgeben. Das weiß ich vielleicht besser als Sie, Commander.« Falpass hob anerkennend die unverletzte Hand, es
war die Linke. »Ich wußte es. Sie sind ein Ehrenmann...« »... geblieben, trotz aller Versuchungen«, ergänzte Cliff. »Inzwischen hat mein Magen gegen warmen Reisschnaps mit Sekt revoltiert; darf ich euch beiden einen durchaus bürgerlichen Kaffee servieren lassen?« Tamara erkundigte sich: »Ist es noch Ishmee, die den Kaffee kocht?« Cliff gab zurück, ohne auf den Sarkasmus einzugehen: »Es ist noch derselbe Robot, der ihn auch in meinem Bungalow kochte. Man trennt sich ungern von solch liebgewordenen mechanischen Gesellen.« Es war ein harmloses Geplänkel, aber die unterschwelligen Strömungen waren noch die alten. Alle drei Personen wollten versuchen, ohne es auszusprechen, ihr Verhältnis zueinander zu klären. Als sich Tamara und Cliff entschlossen hatten, sich zu trennen, weil sie eine Liebe nicht mit der Keule der Langeweile zertrümmern wollten, war – wenigstens vorübergehend – Grynt Falpass an Cliffs Stelle getreten. Lange hatte er sich nicht dort halten können; es war schwer, wenn nicht unmöglich, Männer wie McLane zu ersetzen, im Raumschiff wie als Freund oder Partner. Jetzt lief der Test weiter. »Wie herrlich, ein Robot zu sein«, sagte Falpass nicht ohne Anzüglichkeit. Cliff pflichtete ihm bei, daß sekundenschnelle Regeneration wichtiger Teile bei Robots ein Vorzug sei, den der Homo sapiens noch nicht in diesem Maße teilte. Dann erschien der Robot mit dem Kaffeegeschirr: eine schwebende Plattform mit einigen kanti-
gen Elementen unterhalb der Platte. Er schwebte summend zwischen die drei Menschen, stellte das Vorwärts-Aggregat ab und blieb unbeweglich drei Handbreit über dem tiefen, weichen Teppich schweben, auf dem Tamara und Falpass saßen. Cliff kauerte auf dem Kunstschaumkissen. »Der Geruch stimmt mich milde!« sagte Tamara. Cliff nickte. »Sicherlich«, sagte er dann, nachdem er die Tassen vollgeschenkt hatte, »ist dein Besuch nicht grundlos erfolgt? Du lobst mich, also möchtest du etwas von mir.« Commander Falpass tat sich schwer, der praktizierten Ironie zu folgen. Er sagte bitter: »Es muß schwer sein, sich mit Ihnen zu unterhalten, Kommandant!« Cliff schüttelte den Kopf und tat drei Stück Zucker in Tamaras Tasse; diese Erinnerung besaß er noch neben vielen anderen. »Es ist für einen guten Musiker«, erwiderte er leichthin und machte mit den Fingern eine barocke Bewegung, »nicht schwer, gute Musik zu spielen. Ebenso ist es mit dem Wortwechsel. Degen sind nun einmal elegantere Waffen als Kanonen.« Falpass sagte: »Das erinnert mich an den Witz von Big-GunHerbie. Kennen Sie den?« »Nein. Ich möchte ihn auch nicht kennen«, sagte Cliff. »Wie war das mit diesen mysteriösen Schaltern, Falpass?« Langsam trank Falpass die Tasse leer und strich dann mit den Fingern über die Fasern des wertvollen Teppichs.
»Villa vermutet Sabotage«, sagte er. »Und ich bemühe mich, seitdem man mich aus der ambulanten Behandlung entlassen hat, ihm das Gegenteil zu beweisen. Vergeblich; wenn Villa an Sabotage glaubt, dann ist es Sabotage, und wenn er sich irrt, dann ist dies Schuld der Informanten, die ihn sabotierten.« »Kleine Schwächen erst vollenden die Größe großer Menschen«, dozierte Cliff. »Das ist eine der tiefen Weisheiten, auf die ich durch das Meditieren auf dieser Matte gekommen bin.« »Immerhin hat Villa soviel Format diese Befürchtungen nicht laut herumzuschreien«, warf Tamara ein. »Deswegen bin ich hier.« »Um sie leise herauszubrüllen?« »Nein«, sagte sie. »Es ist etwas kompliziert.« Cliff rührte in seiner Tasse, als bewege er eine tibetanische Gebetsmühle. Dann blickte er auf, und ein langer Blick traf Tamara. »Ja?« »Weißt du, Cliff, was Phobophobie ist?« »Nicht werde ich es wissen!« wehrte sich der Kommandant laut. »Es ist die Angst davor, von anderen für ängstlich gehalten zu werden. Ich kenne eine Serie von Risikopiloten der Raumflotte, die ihren Job dieser Phobie verdanken. Das Wort kommt aus dem Griechischen.« Commander Falpass bekannte stirnrunzelnd: »Ich dachte bisher immer, es käme vom Marsmond Phobos. Irrtum.« »Späte Einsichten sind oftmals besser als gar keine«, sagte Cliff. »Aber was hat Phobophobie mit dir, Tamara, und mit mir zu tun? Oder gar mit Villa?« Sie lächelte; es war das alte, falsche und sarkasti-
sche Lächeln gewesen, das vor undenkbar langen Zeiten Cliff so sehr gereizt hatte. »Nicht mit uns dreien«, sagte sie. »Sondern?« »Mit Vlare MacCloudeen«, sagte sie. Cliff zuckte mit den Schultern. Sein weißer Sarong verschob sich etwas, und Tamara starrte fast bewundernd auf Cliffs weißlackierte Zehennägel. »Wer oder was ist Vlare MacCloudeen?« fragte der Kommandant leise. »Ein neuer Raumschiffsmotor?« Wieder schüttelte Tamara den Kopf; da es inzwischen mehrere neue Moden gegeben hatte, trug sie ihr Haar jetzt so, daß es nicht mehr in lange Spitzen auslief und bei jeder Bewegung zitterte wie der Stift eines Seismographen bei Erdbeben. »Kein Motor. Aber einer der erstaunlichsten Männer, die du jemals kennengelernt haben wirst. Erstaunlicher als jemand, der sich aus lauter Langeweile die Nägel oder Zehen bemalt. Vermutlich rauchst du auch fernöstliche Drogen?« Cliff grinste niederträchtig. »Nein«, sagte er. »Ich habe jüngst einmal mein Bewußtsein betrachtet, und siehe, es war weit genug – ich brauche es nicht zu erweitern. Außerdem...« »Außerdem heißt der Mann MacCloudeen. Zusammengeschrieben.« »Danke. Und jetzt, bitte, einen zusammenhängenden Bericht. Wer fängt an?« Cliff lehnte sich zurück, nahm den langstieligen Löffel aus der Kaffeetasse und hörte zu. Tamara sagte: »Commander Falpass und Oberst Villa unterhielten sich lange. Dann kamen die Techniker und gaben ei-
nen langen Bericht ab. Sie haben jeden Schalter aus dem Wrack ausgebaut, auseinandergenommen und wiederum jedes einzelne Teil eines jeden Schalters einer Testserie unterzogen. Die Männer fanden folgendes heraus: Erstens: Die Schalter waren in Ordnung. So gut und so tadellos und so neu, wie es nur dauergetestete fabrikneue Schalter sein können. Alle Schalter, große und kleine. Wie gesagt: niemand hat einen der Schalter sabotiert. Aber die Generalüberholung aller Schiffe wurde gestoppt, was natürlich viel Ärger und Kosten hervorrief. Zweitens: Man untersuchte das Schalteröl. Und da stieß man auf eine merkwürdige Eigenheit. Das öl veränderte seine Konsistenz. Es wurde in einem gewissen Rhythmus weich und wieder fester, als ob es gefrieren würde und wieder auftaute. Man untersuchte daraufhin das Öl mit allen technischen Raffinessen sämtlicher Labors. Dabei bekam man heraus – frage mich nicht wie! –, daß die Moleküle sich verändert hatten. Sie schienen denken zu können. Diese Theorie wurde verworfen. Man nimmt jetzt an, daß sie einem gewissen Gezeiteneinfluß unterliegen, der sie zwingt, die Adhäsionskräfte zu verändern. Im Augenblick ist man damit beschäftigt, eine Kurve zu entwickeln, aber diese Kurve ist natürlich für jede einzelne Ölmenge anders. Das ist der Grund, weswegen einmal dieser Schalter nicht funktioniert und einmal der andere. Das war der erste Teil des Dramas.« Cliff dachte mit geschlossenen Augen nach; es klang phantastisch, aber nicht völlig unmöglich. »Ich verstehe«, sagte er schließlich. »Und gleichzeitig freue ich mich, daß die ORION VIII noch lange
nicht überholt zu werden braucht.« »Danken Sie dem Zufall!« sagte Falpass mit Nachdruck und dachte an die Bewegungen des niederkrachenden Raumschiffes, aus dem man ihn herausgeschnitten hatte. »Wie verläuft jetzt der zweite Teil?« fragte Cliff. Falpass sagte: »Dieses Öl für Schalter und Generatoren kommt seit fünfzehn Jahren von Highspeed Delta 79.« Cliff überlegte laut: »Highspeed Delta 79... das ist doch dieser Planet ohne Pflanzen, nicht wahr? In Süd/Drei 001. Richtig?« Falpass flüsterte ehrfürchtig: »Dieser Mensch kennt sogar das Handbuch auswendig.« »Das nicht«, erwiderte Cliff schlagfertig, »aber dieser Planet ist in dreifacher Weise ein Kuriosum: Er rast förmlich um seine Sonne, er hatte einmal unendliche Wälder besessen und ist jetzt eine einzige Sandwüste. Und dort bohrt man nach Öl, das in der Raumfahrt Verwendung findet.« »Es ist so hochwertig«, sagte Falpass, »daß es durch jede Art der Verfeinerung und Raffinierung nur verliert. Alles, was als Veredelungsprozeß zwischengeschaltet werden muß, sind einige Sätze von Molekülfiltern mit Osmoseeffekt. Dieses Öl ist also daran schuld, daß die Schalter nicht mehr funktionieren. Jeder Schalter, der seit dem elften Juli des Jahres sechsunddreißig mit dem Öl von Highspeed Delta 79 gefüllt worden ist.« Cliff war gebannt – es war schon jetzt eine phantastische Geschichte, die ihn an den Planeten der Schmetterlinge und an die Raguer erinnerte... keine
unbekannte Welt, aber trotz des Umstandes, daß dort seit Jahren Menschen lebten und arbeiteten, voll von Überraschungen. Überraschungen, die zumindest für Raumfahrer tödlich sein konnten. »Ich kenne jetzt dieses fragwürdige Öl, den Namen des Planeten, aber wie kommt Vlare MacCloudeen ins Bild?« fragte er, während er langsam die Tassen wieder füllte. Tamara sagte: »Vlare kommt jetzt ins Bild. Er ist der Chef von zweihundert verwegenen Männern, die auf Highspeed nach Öl bohren und das Öl fördern, wenn sie es gefunden haben. Es ist so wertvoll, daß es, wie bei jenem Eisplaneten, per Frachtschiff zu den Werften geflogen wird.« »Ich nehme an, unser Liebling Villa witterte in dem Verantwortlichen von Highspeed einen Saboteur und ließ ihn durch ein Raumschiff ohne ausfallende Schalter aus der Planetenwüste holen.« »Genauso ist es«, sagte Tamara. »Vlare kommt morgen an«, sagte Falpass. »Und natürlich will Villa nicht, daß der gute MacCloudeen denkt, er stünde unter Verdacht. Er muß auf eine sehr sympathische Art überwacht werden. Ferner muß es jemand geben, der ihm schonend beibringt, warum er hier ist. Und schließlich ist MacCloudeen der einzige Mann, den die Zentrale Rechenanlage finden konnte, der die mörderische Arbeit dort auf Highspeed aushalten, leiten und dabei zweihundert ausgesprochen wilde Individualisten im Zaum halten kann. Es ist ein Planet, am besten bezeichnet als Terras Wilder Westen im Weltall.«
»Nein!« stöhnte Cliff. »Nicht schon wieder Stabreime. Wilder Westen im Weltall! Das ähnelt verdächtig Thorpbjörnsons Nordischen Elegien.« Falpass und Tamara lachten, während Cliff herausfand, daß dies eine Aufgabe war, die ihn reizen konnte. Aber noch immer war nicht deutlich gesagt worden, was man von ihm wollte. »Eine Frage«, sagte er ruhig. »Ja?« »In der Geschichte des traurigen Öles fehlt noch ein Satz. Nämlich der: Und dann kam McLane und klärte, wie nicht anders erwartet, die Situation. Wann fange ich an?« Ein wenig steif meinte die junge Frau: »Ich habe den offiziellen Auftrag von Raummarschall Wamsler und Oberst Villa, dich zu einem Gespräch einzuladen.« »Wamsler und Villa? Diese Raumfahrtzwillinge – hört sich an wie Kastor und Pollux, Polydeukes bei den Griechen.« Falpass stand auf, um die Blutzirkulation seiner Beine nicht einschlafen zu lassen. »Wenn Sie den Fall des traurigen Öles ebenso perfekt lösen, wie Sie Ihre Allgemeinbildung anbringen, dann ist dieses Abenteuer binnen vierundzwanzig Stunden beendet«, sagte er und grinste breit. »Man braucht lange Zeit, um sich an Sie zu gewöhnen, McLane.« »Ja«, sagte Cliff und sah Tamara in die Augen. Sie waren noch immer schön und ausdrucksvoll. »Und ebenso lange, um sich mich abzugewöhnen. Wann findet das Treffen statt?« Tamara sah auf die Uhr in ihrem Ring.
»Heute nacht zehn Uhr. Du hast noch sechs Stunden Zeit, über alles zu meditieren, lieber Cliff.« »Nicht über alles«, sagte Cliff, raffte seinen Sarong und kam mühelos, in einer gleitenden Bewegung, auf die Füße. »Aber über das Öl und über den Phobophobisten Vlare MacCloudeen.« »Er ist ein solcher!« sagte Tamara. »Aber hüte dich, es ihm deutlich zu sagen!« »Ich werde mich hüten!« erwiderte Cliff. »Ihr wollt schon gehen?« Tamara sagte leise: »Ja. Ich verdiene mein Geld mit achtstündiger Arbeit, tagsüber, und Falpass ist krankgeschrieben und muß seinen Arm schonen. Und außerdem gibt es noch so etwas wie Privatleben.« Auf Cliffs Blick, der zwischen den Gesichtern von Tamara und Falpass hin und her ging, schüttelte die Frau leicht den Kopf. Cliff wußte Bescheid; auch Falpass hatte nur kurze Zeit Gnade vor Tamaras Augen gefunden. »Nun ja«, sagte er leise. »Die Stunden gehen dahin wie Wolken. Lebt wohl, alle beide, und ich werde mich heute der offiziellen Unterhaltung stellen. Wann kommt übrigens MacCloudeen?« Tamara sagte: »Morgen früh sechs Uhr. Wenigstens ist sein Schiff für diese Zeit avisiert.« Cliff wimmerte auf: »Und das ist wirklich ein schönes Urlaubsende. Früh um sechs Uhr. Da mag alles in Ordnung sein, meine Welt ist es auf keinen Fall.« Falpass schüttelte seine Hand und bemerkte boshaft:
»Um so besser werden Sie dem Mann mit der Phobophobie entgegentreten können. Um diese Zeit wird Ihr Gefühl besser funktionieren als Ihr Verstand, und das dürfte bei Vlare ein klarer Vorteil sein. Ein Vorteil für Sie!« Cliff brachte sie zur Tür und sah ihnen nach, wie sie über die breite Terrasse des hundertsten Stockwerks von ORION-Island zum Lift gingen, mit einem deutlichen Abstand voneinander, der auch einmal weniger groß gewesen sein mochte. Cliff zuckte die Schultern und knurrte: »Ein Vorteil für mich... das wird sich zweifellos auf Highspeed herausstellen. Bisher habe ich stets nur einen Vorteil gehabt... ich kam mit dem nackten Leben davon!« * Langsam drehte Cliff seinen Kopf und sah von Villa, dem Besitzer dieses Büros, zu Raummarschall Wamsler. Dann wandte er sich an Tamara Jagellovsk und fragte: »In die Frage des merkwürdigen Öles hat sich also auch der Galaktische Sicherheitsdienst eingeschaltet?« Oberst Villa nickte kurz und erwiderte halblaut: »Ja. Offiziell, McLane, aber sehr behutsam. Wir werden uns gerade im Fall Highspeed größte Zurückhaltung auferlegen.« Cliff grinste und strich mit Daumen und Zeigefinger seinen Bart zurecht. »Ich staune!« sagte er leise. »Warum dieses Mal so viel Rücksicht?«
Villa zuckte die Schultern und setzte eine indignierte Miene auf. »Sie kennen Vlare MacCloudeen nicht?« Tamara kicherte. »Noch nicht«, sagte Cliff. »Aber ich werde ihn in wenigen Stunden kennenlernen, wenn nicht sein Schiff nach einem der spektakulären Schalterdefekte kopfüber in der Nullarborwüste landet.« »Also kommen Sie endlich zur Sache, mein Junge« brummte Wamsler und bewegte sich unruhig in dem schweren Sessel. »Was sagen Sie dazu?« »Oberst Villa wird's nicht freuen«, meinte Cliff, »aber ich glaube nicht an Sabotage.« Villa runzelte die Stirn, schwieg aber. »So?« polterte Wamsler. »Ja. Vergleichen Sie den Fall Highspeed mit den plötzlich erwachenden Raguer! Auch dort nahm man zuerst an, etwas Ungewöhnliches, Gefährliches geschähe. Wie hat sich der Fall gelöst?« »Glänzend und schnell – dank der trefflichen ORION-Crew!« sagte Tamara verschmitzt. »Aber jedenfalls so, daß nun niemand etwas von Sabotage behaupten kann. Die Menschheit jedenfalls verfügt über Freunde, die schon weit vor ihr die Raumfahrt versuchten... ich glaube, Cliff hat recht, wenn er Sabotage ausschließt.« Wamsler war nicht überzeugt, und Villas professionelles Mißtrauen ließ es nur schwer zu, daß er hier an diesem Tisch seine Meinung änderte. Er holte Luft und erkundigte sich bei dem Kommandanten: »Was werden Sie unternehmen, McLane?« Cliff schaukelte mit seinem Sessel und sagte: »Ich werde mich zunächst einmal mit diesem Pho-
bophobisten Vlare MacCloudeen unterhalten. Da er ein ziemlich wilder Bursche zu sein scheint, werde ich mich anstrengen und versuchen, ihn zu überzeugen, ich wäre seinesgleichen. Dazu wird sicherlich gehören, daß ich ihn niedertrinke, niederschlage oder in irgendeiner anderen Form besiegen muß.« Wamsler lachte dröhnend, und Villa gestattete sich ein vorsichtiges Lächeln. »Sie haben völlige Handlungsfreiheit. Ich höre, daß sich Atan Shubashi wieder als gesund gemeldet hat!« »Richtig!« sagte Cliff. »Es war eine sogenannte psychosomatische Heilung. Sein Bein heilte schneller, weil es sich nach den schwankenden Planken der ORION sehnte. Atan ist ab sofort wieder bei uns. Wären Sie damit einverstanden, wenn ich mit dem Schiff und Vlare nach Highspeed fliege?« Villa sagte schnell: »Wenn es nötig wird, ja.« Wamsler nickte mit seinem massigen, dunklen Schädel. Cliff schüttelte verwundert den Kopf, verschränkte über seinem hochgezogenen Knie die Finger und sagte dann: »Ich muß mich wundern. Ausgesprochen behutsames Vorgehen. Sie scheinen wirklich eine ungeheure Angst davor zu haben, Vlare zu verärgern. Woher kommt das?« Villa grinste dünn. »Ahnen Sie es nicht, Cliff?« fragte er leise. »Nicht ganz«, gestand der Kommandant. »Mann!« sagte Wamsler vorwurfsvoll. »Sie scheinen wirklich aus dem Takt gekommen zu sein mit Ihren fernöstlichen Weisheiten. Können Sie sich nicht vorstellen, was das bedeutet? Wenn jeder Raum-
schiffsschalter – abgesehen von den vielen anderen auf der Erde und den Planeten – funktioniert, wenn er will, nicht wenn es nötig ist? Das bedeutet nichts anderes, daß ab einer gewissen Bauserie jedes Schiff potentiell gefährdet ist. Daß ferner die Schiffe nicht mehr generalüberholt werden können, daß die Werften einen Großteil ihrer Arbeit einstellen müssen... abgesehen davon, daß die Bevölkerung nach einigen Wochen zu leiden beginnt. Merken Sie es sich endlich: Jeder verdammte Schalter, der mit diesem verdammten Öl von Highspeed Delta 79 gefüllt ist, wird versagen.« Cliff erschrak; bisher hatte er alles für eine mehr sportliche Aufgabe gehalten. Es zahlte sich nicht aus, wenn man nachlässig wurde, wenn die Aufmerksamkeit willkürlich erlahmte, wenn man sich nur der inneren Betrachtung zuwandte. Die Möglichkeiten der Meditation waren schlagartig beseitigt, wenn die wirtschaftlichen Mechanismen ausfielen. Sie ermöglichten in Kausalfolge das Meditieren. Und darüber hinaus die lückenlose Funktion des Güternachschubes und des Verkehrs zwischen den Welten der 900-Parsek-Raumkugel. »Ich verstehe!« sagte er düster, und das Mädchen wie die beiden Männer konnten an seinem gebräunten Gesicht ablesen, daß er schlagartig verstanden hatte, wie schwer dieser Tropfen Öl das Getriebe lähmen konnte. »Wie schön!« sagte Villa. »Sie werden sich also voll um Vlare kümmern? Er ist mit Nachdruck eingeladen worden, um hier die Laboranalysen zu kommentieren. Er wird ungehalten sein.« Cliff versprach nachdrücklich:
»Ich werde mich mit aller Kraft um Vlare MacCloudeen kümmern, über die denkenden Moleküle des Öls und um Highspeed. Ab morgen früh, ab dem Zeitpunkt der Landung dieses Phobophobisten!« Er schüttelte drei Hände und verließ den Raum. Als er im Vorraum des Büros Villa stand und die Notizen auf dem Bildschirm studierte, hörte er hinter sich leichte Schritte. Er wartete, bis sie heran waren, dann drehte er sich um. Es war, wie erwartet, Tamara. »Sicher haben weder Wamsler noch Villa beabsichtigt, unsere Lebenswege in eine Fußgängerkreuzung zu verwandeln«, sagte sie entschuldigend, »aber nimm bitte zur Kenntnis, daß ich in den nächsten Wochen dein Schatten sein werde.« Cliff bemühte sich, seine Betroffenheit nicht deutlich zu zeigen. »Ich bin sicher, daß unser hohes persönliches Format keine Entgleisungen und Geschmacklosigkeiten zulassen wird!« sagte er. »Ebenso sicher bin ich!« sagte Tamara. Sie gingen, wie auf ein verabredetes Zeichen hin, langsam in die Richtung auf das Starlight-Casino, um einen Kaffee oder sonst etwas zu trinken.
2 Cliff studierte die Identifizierungskarte der Zentralen Rechenanlage. Demnach war Vlare MacCloudeen vierzig Jahre alt und trug einen kantigen, blauschwarzen Bart, der gefärbt aussah. Die anderen Charakteristika faszinierten Cliff, der in einem der Schleusenräume saß und jetzt, mitten in der Nacht um fünf Uhr, auf die Landung des Schiffes wartete. »Zwei Meter groß«, sagte er zu Tamara, die noch immer mit dem Schlaf kämpfte. »Hundert Kilo schwer und sehr stark. Steht hier. Vermutlich wird er bei der Begrüßung meine Handknochen brechen.« Tamara murmelte: »Vermutlich. Ich schwärme für große Männer.« »Ich weiß«, sagte Cliff. »Wer wüßte es besser?« Tamara saß ausgestreckt in einem der schweren, kunstlederbezogenen Sessel des Warteraumes und hatte die leichten Stiefel auf einen zweiten Sessel gelegt. Sie und Cliff waren allein in diesem Raum, und die Bildschirme zeigten noch immer einen leeren Landezylinder. In den Lautsprechern, in denen man die Unterhaltung der Bodenkontrolle mit den Funkern oder Schiffsführern mithören konnte, war nichts als ein leichtes Rauschen. Cliff fröstelte etwas; unmotiviert, wie es schien. »Gefahren sind mein Leben«, murmelte er. »Du lügst schon wieder«, sagte die junge Frau verschlafen. »Ich lese lediglich«, verteidigte sich Cliff, »was hier auf der Identifizierungskarte steht. Vlare scheint wirklich ein hervorragendes Image von sich konstru-
iert zu haben.« »Ich höre!« sagte sie leise. »Er sagt in jedem zweiten Satz, daß Gefahren sein Leben wären«, kommentierte Cliff wütend. »Angeber! Er soll sich ein Beispiel nehmen an mir. Ich vollbringe die kühnsten Abenteuer der Galaxis und schweige hoheitsvoll darüber.« »Hihi!« machte Tamara. Cliff hob die Augen von der kleinen, eng beschriebenen Plastikkarte und wollte Tamara tadelnd ansehen, als er das Bild auf dem Schirm zum Leben erwachen sah. Ein Schiff landete, exakt und schnell, mit der Präzision langer Routine. Cliff steckte die Karte ein, stand auf und sagte etwas lauter: »Wache auf, Tamara. Er kommt.« Er streckte die Hand aus und zog die Frau aus dem Sessel. »Er kommt, der Mann, der Angst davor hat, daß man ihn für ängstlich hält!« sagte sie und rieb ihre Augen. Sie blieben vor dem vier Quadratmeter großen Schirm stehen und sahen zu, wie Vlare ankam. Er tat dies mit offensichtlich langgeübtem Unterspielen. Als die stählerne Bodenplatte des Zentrallifts den Boden berührte, glitt die Schleusentür auf. Der Mann bückte sich, richtete sich wieder auf und sah sich suchend um. Dann entdeckte er den ausgeleuchteten Hinweis, daß die Schleuse B für dieses Schiff eingeschaltet war und ging gerade darauf zu. Ein Riese von Gestalt, mit breiten Schultern und einer eng sitzenden, weißen Hose, die in leichten Halbstiefeln steckte. Ein schwarzer Gürtel mit einer gewaltigen Messingschnalle umlief die Taille des Mannes. »Vermutlich wird er mit einem Faustschlag das
Schleusentor einbeulen«, murmelte Tamara. »Jetzt verstehe ich auch, warum Villa soviel Angst hatte.« »Ich auch!« Sie sahen Vlare auf dem Schirm näherkommen, das Bild vergrößerte sich, und Cliff sah das Gesicht, als der Mann auf das Aufgleiten der Tore wartete. Außer ihm war kein anderer Passagier ausgestiegen, aber einige Robotwagen rasten auf das Schiff zu und einer der Wagen schleppte einen Koffer, mindestens einen Kubikmeter groß, zur Gepäcktransportstelle. »Ein Mensch aus der Urzeit der Erde!« flüsterte Tamara. »Und sogar mit einer wildledernen Jacke!« Vlare trug eine dreiviertellange Jacke, hellgelb, fast weiß, mit langen Fransen entlang einer Geraden über Brust und Schultern, an den Ärmeln und am Saum. Ein schwerer Nadelwerfer steckte offen in einer ledernen Scheide. Das Gesicht: dunkelblauer Bart, dick und stark gefärbt, rote Augen und ein schwarzbraun gebranntes Gesicht. Das Haar war völlig weiß, und die Brauen waren es ebenfalls. Lauter tiefe Linien durchzogen die Haut. Als die innere Schleuse aufglitt, knurrte Cliff leise: »Wir alle werden noch viel Freude an ihm haben, verlaß dich darauf.« Tamara erwiderte ebenso leise: »Nicht nur wir, nettester Oberst der Raumaufklärungsverbände.« Cliff zog ein Gesicht, als habe er auf eine Zitrone gebissen. Dann stand dieser Turm von einem Menschen vor ihm, öffnete den Mund und sagte mit einem Baß, der nahe der untersten Hörgrenze lag: »Sie müssen dieser Lane sein, nicht wahr?«
Cliff riskierte es, die Hand auszustrecken und schwor sich, augenblicklich zu schreien anzufangen, wenn seine Mittelhandknochen zu splittern begännen. Seine Überraschung war groß; es wurde ein normaler, fester Händedruck daraus. »Ich bin Cliff Allistair McLane«, sagte er. »Habe ich das Vergnügen mit Vlare MacCloudeen?« Vlare lächelte Tamara gewinnend an und sagte ruhig: »Ein Vergnügen wird's nicht werden, fürchte ich. Gnädige Frau? Ich vermute, Sie sind die Gemahlin dieses trefflichen Raumhelden?« Tamara errötete, Cliff hüstelte ärgerlich, und dann begannen sie zu lachen. »Nein«, sagte sie. »Ich soll über Ihre Sicherheit wachen, Vlare. Ich darf Sie doch so nennen?« »Gefahren sind mein Leben«, sagte MacCloudeen. »Sie dürfen mich so nennen. Gibt es in zehn nautischen Meilen Umkreis etwas Anständiges zu essen? Frühstück, nehme ich an, wäre jetzt auf dem Programm.« Tamara und Cliff sagten wie aus einem Mund: »Starlight-Casino!« »Einverstanden.« Sie gingen die rund hundert Meter bis zu einem der Lifts und fuhren damit hinauf in das um diese Zeit ebenfalls noch ziemlich leere Casino. Nur einige Mechaniker und zwei komplette Raumschiffcrews saßen an ihren Tischen und unterhielten sich leise. Die drei Menschen setzten sich an die breite Frühstücksbar, und Tamara stellte drei Frühstücksgedecke zusammen und hoffte, den Geschmack Vlares einigermaßen zu treffen. Sein Gedeck jedenfalls sollte mit
doppelt großen Rationen ausgestattet sein, was in der automatischen Küche vermutlich leichte Digitalstörungen hervorrief. Vlares rote Augen musterten McLane sehr intensiv, dann fragte der Riese: »Weswegen bin ich eigentlich hier? Ich erbitte Beantwortung der Frage!« »Sie sollen uns helfen, das Geheimnis der streikenden Schalter zu lösen«, sagte Cliff schnell. »Und ich soll Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen.« »Und Ihre Gattin?« Cliff gab leicht gereizt zur Antwort: »Tamara und ich kennen uns gut. Aus diesem Grund sind wir auch nicht miteinander verheiratet. Wir sind, müssen Sie wissen, kluge und lebenserfahrene Menschen.« »Sie wirken auf mich nicht anders«, sagte Vlare. »Aber Gefahren gehören zu meinem Leben. Sie also, Fräulein...« »Tamara Jagellovsk!« sagte Tamara. Er nickte, küßte sie auf die Wange und fuhr fort, als habe er sich nicht unterbrochen: »... Sie also, Fräulein Jagellovsk, sollen Sorge tragen um meine Sicherheit?« »Ja.« »Nun«, murmelte er gutgelaunt, »wenn es der Sicherheit dient!« Cliff wartete, bis der Kaffee in den Tassen dampfte, dann ging er zum frontalen Angriff über. »Eine Frage unter Freunden, Vlare«, sagte er ernst. »Jederzeit. Wenn es der Wahrheitsfindung dient.« »Es wird dienen. Was ist das für eine Story mit dem widerspenstigen Öl?«
Vlare stürzte eine Tasse des heißen Gebräus hinunter. Dann sagte er: »Undurchsichtige Lage. Totale Desorganisation. Auf Highspeed ist der Teufel los. Wir kämpfen gegen Schatten, Schemen, Gespenster und ähnliches. Hier!« Er warf, nachdem er in eine seiner unergründlichen Brusttaschen gegriffen hatte, ein würfelförmiges Ding aus Glas auf die Theke. Es kollerte zwischen den Toast und Cliffs hartgekochte Eier. »Was ist das?« fragte Tamara und wollte danach greifen, aber Cliff legte seine Hand schnell darauf und zog das Element an sich. »Fund. Mitten im Sand.« Tamara und Cliff sahen sich an. »Seit... nein, ich sollte anders fragen«, sagte Cliff bedächtig und hielt das durchsichtige Kästchen hoch. In seinem Innern, er sah es gegen das Licht einer Röhre, befanden sich Drähte und an deren Kreuzungspunkten kleinere Würfel oder Kugeln mit seltsamen, pseudopodischen Fortsätzen daran. »Hängt dieser Fund mit dem seltsamen Öl zusammen?« fragte der Kommandant. »Vermutlich, aber nicht zu beweisen«, sagte Vlare und schob ein halbes Sandwich zwischen die Zähne, als sei es eine Cocktailolive. Cliff bohrte weiter: »Es wurde festgestellt, daß die erste Lieferung jenes sich merkwürdig verhaltenden Öles am elften Juli des Jahres sechsunddreißig hier eintraf. Merken Sie sich dieses Datum, Vlare MacCloudeen. Merken Sie es sich gut. Was geschah um diese Zeit auf Highspeed Delta neunundsiebzig?« Vlare erwiderte, nachdem er ein Ei geschält und
mit viel Salz geschluckt hatte: »Der Meteor. Ich sagte es bereits Raummarschall Wamsler und den Männern aus den Labors.« »Was sagten Sie?« fragte Tamara. »Daß es sinnlos sei, mich hierher zu beordern. Es wäre viel vernünftiger, ein gutes Team nach Highspeed zu schicken, das uns hilft.« Cliff und Tamara sahen sich an und grinsten dann synchron. »Was grinsen Sie so verdammt, Cliff?« fragte Vlare mißtrauisch. »Habe ich Ei im Bart?« »Nein, Sand«, antwortete Cliff anzüglich. »Könnten Sie sich etwas weniger im Telegrammstil ausdrükken?« »Gern«, brummte Vlare mit seinem unglaublich tiefen Baß. »Wie wünschen Sie es zu hören?« »Ausführlich«, sagte Cliff und dachte erst jetzt daran, Bishayr zu gebrauchen und den Charakter dieses merkwürdigen, atavistischen Mannes zu testen. »Die erste Öllieferung von Highspeed Delta kam vor genau einem Jahr hier an. Sie wurde nicht gleich verwendet. Nachdem eine neue Serie aufgelegt worden war, benutzte man dieses Öl, und etwa seit neun Monaten spielen alle Schalter verrückt. Das aber merkte man nicht sofort. Erst der Absturz der NIKOLAUS KOPERNIKUS brachte es an den Tag. Können Sie den gefundenen Würfel, den Meteor und die veränderten Molekulareigenschaften des Öles auf einen Bruchstrich bringen?« Er starrte in die roten Augen des Mannes neben ihm und erkannte, daß die rote Farbe von Kontaktlinsen kam, die entsprechend eingefärbt waren. »Ja«, sagte Vlare. »Ich kann. Wenn es der Erhellung
dient! Eines Nachts sahen wir einen ziemlich großen Meteor mit einer prächtigen Lichterscheinung über den Himmel Highspeeds jagen. Kurz darauf gab es einen heftigen Schlag, einen Blitz und einen kleinen Sandsturm. Ein unvergeßlicher Anblick, aber auch ein gefährlicher...« »... denn Gefahren gehören zu Ihrem Leben«, unterbrach Tamara. Vlare lachte stoßweise auf, und während er berichtete, drang Cliff mit der Fähigkeit, die er von den Planeten der Dara mitgebracht hatte, in den Charakter MacCloudeens ein. Der Mann vor ihm war wirklich zeit seines Lebens durch einen ständigen Hagel von Gefahren gegangen, und er hatte sich bemüht, keine einzige auszulassen. Er war stets dorthin gelaufen, wo es spannend zu werden versprach. Und immer war er Teil eines Teams gewesen, das aus ähnlichen Männern oder Frauen bestand. Sie alle hatten die Gefahren gesucht, und ihre Abenteuer waren durch alle Welt gegangen. Cliff konnte in Vlare keinerlei Unehrlichkeit entdecken, sondern er sah einen geraden Charakter voller sympathischer Widersprüchlichkeiten. Wild und weinerlich, stark und stellenweise neurotisch und von der Angst beseelt, irgendwo im Kosmos könne etwas Interessantes passieren, das er nicht mit ansah oder miterlebte. »Mein Leben ist voller Gefahren, auch auf Highspeed«, sagte Vlare eben. »Der Meteor schlug irgendwo ganz in der Nähe unseres Lagers ein. Wir suchten ihn geradezu erbittert, aber wir fanden nur diesen Würfel hier. Unversehrt. Sonst nichts.« »Und das passierte vor einem Jahr irdischer Rechnung?« fragte Cliff.
»Vor einem Jahr und zehn Tagen«, sagte MacCloudeen, griff nach dem Glas und schüttete den vierfachen Whisky in sich hinein. »Für Sie dort auf Highspeed besteht also ein ursächlicher Zusammenhang?« Vlare nickte. »Wir wußten natürlich nichts von der Änderung der Eigenschaften. Wenn Sie sagen, daß die gesamte Raumfahrt dadurch einen empfindlichen Schock erleiden kann, dann muß ich antworten, daß ich von den Auffälligkeiten genau seit sechs Tagen etwas weiß. Wir untersuchen das Öl nicht besonders intensiv – wir suchen, finden und pumpen es an die Oberfläche.« »Verstanden«, sagte Cliff. »Wir sollten tatsächlich am frühen Vormittag die Labors besuchen und uns dort einen Vortrag anhören. Klar?« Vlare schlug mit der flachen Hand auf die Theke, und drei Meter weiter rechts sprang ein automatischer Salzstreuer zehn Zentimeter in die Höhe. »Klar. Meine Männer werden sich wundern!« Tamara bemerkte trocken: »Es wundern sich bereits Wamsler, Villa und Falpass. Letzterer über die Fortschritte der Unfallmedizin.« Vlare fragte ungerührt: »Tot?« »Armbruch«, sagte Tamara. »Armbrüche gehören zu seinem Leben. Hat man Ihnen ein Hotelzimmer reserviert?« »Nein«, sagten Vlare und Cliff gleichzeitig, und Cliff fuhr fort: »MacCloudeen wird einige Tage lang bei mir schla-
fen, ehe die ORION VIII nach Highspeed startet. Denn ich bin fest entschlossen, die Lösung des Rätsels dort zu suchen und zu finden. Aber vorher müssen wir noch einige Dinge zu lösen versuchen. Zum Beispiel die Natur dieses durchsichtigen Würfels. Sieht wie der Bauteil einer elektronischen Maschine aus.« Vlare lachte dröhnend auf. »Sieht so aus, ist es aber nicht. Wir haben versucht, die Leitungen an unseren Komputer anzuschließen. Nichts funktionierte. Rätselhaft.« »So ist es«, sagte Cliff. Er ließ die Kosten des Frühstücks auf das Büro Wamsler überschreiben und ging dann mit Tamara und Vlare zum Lift. Sie ordneten an, wohin der mächtige Koffer zu bringen war, dann flogen sie mit einem Helikopter hinaus nach ORION-Island und trafen sich in Cliffs Arbeitszimmer. Tamara und Vlare waren die ersten Menschen, von Ishmee abgesehen, die dieses Zimmer betraten. Sie waren sehr erstaunt über dessen spartanische Einrichtung. Cliff blieb vor dem großen Videophonschirm stehen und sagte: »Ich werde jetzt zuerst die Labors, dann Wamsler und Villa anrufen und mit ihnen verhandeln.« »Nur zu«, antwortete Vlare. »Wenn es der Wahrheitsfindung dient!« * Zuerst erfolgte eine Unterhaltung, die drei Stunden lang andauerte und zu einem schnellen Dialog zwischen Cliff, dem Laborleiter und Vlare MacCloudeen wurde. Hier erfuhren sie, was sie noch nicht gewußt hatten:
Die einzelnen Moleküle des Öles schienen tatsächlich so etwas Ähnliches wie eine mechanische Intelligenz zu haben. Sie verhielten sich ebenso unberechenbar wie Lebewesen. Durch die unregelmäßig erfolgende Änderung der Molekularbindungen wechselte jeweils eine zusammenhängende Ölmenge ihre Viskosität. Sie wurde dünnflüssig wie Wasser, dickflüssig wie Sirup – und alle dazwischenliegenden Zustände galten ebenso. Aber diese rhythmischen Schwankungen erstreckten sich jeweils auf eine zusammenhängende Ölmenge, etwa die in einer Hydraulik, in einem Schalter oder in einem Vorratsbehälter. Das bedeutete nichts anderes, als daß jedes seit etwa neun Monaten generalüberholte Schiff aus dem Verkehr genommen werden mußte... Daß die Werften ihre Überholarbeiten auf diejenigen Teile beschränken mußten, die nichts mit Öl zu tun hatten... Daß ein Drittel aller irdischen Schiffe sehr gefährdet war. Vlare pfiff durch die Zähne. »Bei Highspeeds Sand!« murmelte er verblüfft und erschrocken, »das ahnte ich nicht. Ich dachte an eine Qualitätsstörung, die man ausraffinieren könnte. Daß es so schlimm wird...« Cliff bedankte sich, trennte die Verbindung und wählte das Büro Villa an. Nach kurzer Zeit hatte er den Chef des GSD vor sich. »Ich muß Ihnen eine betrübliche Mitteilung machen«, sagte Cliff gerade heraus. Villa zuckte nicht mit einem Muskel. »Ja?«
»Es ist undenkbar, daß Sabotage vorliegt. Vielmehr ist es so, Oberst Villa, daß offensichtlich ein einschlagender Meteor irgendwelche Veränderungen hervorgerufen hat.« »Und zwar an Ort und Stelle, also auf Highspeed Delta?« fragte Villa. »Genau dort, Oberst«, sagte Vlare, sich mühsam zur Ruhe zwingend. »Und sollte jemals ein GSDMann auf Highspeed auftauchen, grabe ich ihn höchstpersönlich in Treibsand ein! Ich höre erst jetzt, daß Sie Sabotage in Erwägung zogen – in der Nähe eines MacCloudeen gibt es keine Sabotage! Was denken Sie eigentlich?« Villa erwiderte steif: »Ich habe niemals gesagt, daß ich an Sabotage glaubte. Ich habe lediglich in meine Überlegungen Sabotage mit einbezogen. Das hätten Sie an meiner Stelle auch getan. Bedeutet das McLane, daß Sie nach Highspeed fliegen?« »Ja, das wird wohl so kommen«, sagte Cliff. »Nichts gegen Tamara, aber bestehen Sie darauf, daß sie mitfliegt?« Villa überlegte einige Sekunden lang und sagte: »Ja. Sie soll Sie unterstützen, wo immer es möglich ist.« Cliff schickte sich in das Unvermeidliche. »Ich spreche nur noch mit Wamsler einen Termin ab. Haben Sie einen ausgezeichneten Fachmann für Elektronik in Ihren Reihen?« Ohne zu überlegen, sagte der Oberst leise: »Ronnie Aucrine?« Tamara lachte kurz und antwortete schnell: »Ausgezeichnet! Kann dieser Elektronikfachmann in einer Stunde in Cliffs Arbeitszimmer sein? Mit
dienstlichem Befehl, nach Highspeed mitzufliegen?« »Gern.« Cliff runzelte die Stirn, erinnerte sich der früheren Zusammenarbeit zwischen Tamara und der Crew und war dann beruhigt. Ein zweiter Umstand beruhigte ihn ebenfalls: Ausnahmsweise fiel der Start mit dem ersten Tag nach dem Urlaub zusammen – die Crew wurde tatsächlich nicht mitten aus dem Urlaub herausgerissen, wie es häufig der Fall war. »Wamsler«, brummte er. Sekunden später stand das Bild des Raummarschalls vor ihnen, farbig und dreidimensional. Wamsler schien sehr erwartungsvoll zu sein. Auch er wußte nicht, was von all dem zu halten war. Natürlich glaubte er nicht daran, daß einer der Männer im Sand von Highspeed Sabotage verübt hatte, auch dachte er keineswegs an übernatürliche Einflüsse oder Wirkungen. Er glaubte daran, daß diese Ölaffäre einen naturwissenschaftlich erklärbaren Hintergrund hatte. Vielleicht lag er auf Highspeed? »Cliff, mein Junge!« rief er strahlend, aber der Kommandant ließ sich keineswegs von der gespielten Heiterkeit täuschen. »Sie haben sicher einige gute Bemerkungen für mich übrig.« »Die beste dieser Bemerkungen ist die, daß wir um einen Flugauftrag für morgen früh ersuchen«, sagte Cliff mit wesentlich geringerer Herzlichkeit. »Etwa nach diesem sandigen Planeten?« fragte der Marschall. »Nach eben diesem«, sagte MacCloudeen vorwurfsvoll. »Zahlen Sie eigentlich meinen Lohn weiter, während ich hier sinnlos durch das All geflogen werde?«
Wamsler schnappte: »Ja! Selbstverständlich unternehmen Sie Ihre Geschäftsreisen auf unsere Kosten, ölriechender Blaubart!« Vlare lachte erleichtert und rief: »Seien Sie überzeugt, Winston Woodrov, Ihr Kommandant diese Dame hier und ich werden den Fall des widerspenstigen Öles schon lösen! Auch ohne kompliziertes Labor!« »Und die Mitarbeit Ronnie Aucrines hilft uns sicher auch sehr!« vollendete Tamara und grinste listig. * Vlare und Cliff saßen sich im Arbeitszimmer des Kommandanten gegenüber, an einem Paneel lehnte Ishmee und betrachtete die ungewohnte Gestalt leicht fasziniert. Vlare hatte nur wenig aus seinem Koffer ausgepackt, aber jetzt hielt er einen Stapel von Farbfotografien in den Händen und schilderte Cliff gerade die wilden Schönheiten des Wüstenplaneten. Eine Art Haßliebe schien ihn mit Highspeed zu verbinden. Ihn und sein halbes Hundert Spezialisten, und ebenso die rund hundertfünfzig anderen Männer, die, fernab der Zivilisation, auf dem Planeten nach Öl bohrten. Es gab nur Sand. Und einige Gebäude, die sich ängstlich in einen Kreis zusammengeschlossen hatten, umgeben von den kugelförmigen Ölbehältern und der automatischen Station, neben der ununterbrochen die Frachtschiffe landeten und wieder starteten. Die Bilder offenbarten die brutale, einsame Schönheit dieser Welt,
auf der halbmeterhohe, verkrüppelte palmenartige Gewächse die einzigen waren, abgesehen von stacheligem Gras und einigen seltsam aussehenden Pilzen oder Dingen, die wie Pilze aussahen. Der Himmel war gnadenlos wolkenlos und hellblau, die mittlere Temperatur betrug rund dreißig Grad Celsius plus. Und in den Nächten war es bitter kalt. Das einzige, was der Homo sapiens auf Highspeed eingerichtet hatte, bestand aus Kunststoff, Stahl und Glas und war so fremd wie nur denkbar. Cliff sagte: »Beeindruckend. Zweihundert Männer leben dort?« Vlare grinste breit und wandte sich Ishmee zu. »Gefahren gehören zum Leben auf Highspeed. Wir bestehen aus einhundertzwanzig Männern und achtzig Damen. Netten Damen. Natürlich kein Vergleich mit Ihnen, schönste Ishmee.« Das schwarzhaarige Mädchen nickte gelassen und meinte: »Sie brauchen mir nicht zu schmeicheln; es erwachsen Ihnen daraus keine Vorteile. Ich werde mitfliegen.« »Sie?« »Ich«, sagte Ishmee. »Es wird der Wahrheitsfindung dienen.« Die Überraschung war gegenseitig: Ishmee war von der wilden, männlichen Art Vlares fasziniert, und Vlare schien ihre Entschlossenheit zu imponieren. Cliff schwieg und dachte mit Schaudern an den rund drei Tage dauernden Flug. Die Crew war aufeinander eingespielt, aber drei Tage lang bildete das Team der Gäste – Ishmee, Tamara, Vlare und Ronnie
– eine Quelle ständiger Überraschungen. »Eine ernste Frage, Vlare!« sagte Cliff leise. »Jede, die ich beantworten kann!« antwortete Vlare und trank eine Menge warmer Milch, mit der man einen Säugling wochenlang hätte ernähren können. »Was halten Sie von dieser Angelegenheit?« Cliff hatte einen bestimmten Verdacht, der aber alles andere als begründet war. Es war eine Idee, nicht mehr. Eine Idee, die aus einem Roman von PieterPaul Ibsen hätte stammen können, aber durch ein Erlebnis Cliffs einen logischen Unterbau erhalten hatte. »Verdammt mysteriös. Ein Riesenmeteor, den man nicht finden konnte, und dann dieser Würfel, und anschließend die Merkwürdigkeiten der Ölmoleküle... ich habe, seit ich Wamslers Funkspruch bekam, keinen besonders tiefen Schlaf mehr gehabt. Es ist, meiner unmaßgeblichen Meinung nach, eine sehr merkwürdige Sache. Richtig spannend. Und vor allem sehr undurchsichtig. Ich freue mich schon auf das, was wir nach der Landung erleben werden.« Ishmee hatte längst erkannt, daß er so dachte, wie er sprach. Sie fragte behutsam: »Werden wir?« »Natürlich. Das wird richtig aufregend.« Cliff betrachtete sinnend das große leere Milchglas, das in der Pranke des blaubärtigen Mannes zierlich wirkte und schloß: »In etwas mehr als achtzig Stunden werden wir mehr wissen. Die spezielle Ausrüstung wird bereits in die ORION verladen. Die Crew ist verständigt und richtet sich auf die Gäste ein. Und ich schlage vor, wir gehen schlafen.«
»Einverstanden«, sagte Vlare. »Wenn man ausgeschlafen ist, ist man direkt ein ganz neuer Mensch.« Ishmee meinte zweifelnd: »Bei Ihnen, Vlare, bin ich dessen nicht ganz so sicher.« Als Cliff eine halbe Stunde später auf dem Rücken lag, zwischen gekühlten Decken, überlegte er langsam und intensiv, was er in den letzten Tagen erfahren hatte. Es gab etwas, das auf Highspeed gelandet war wie ein Meteor, etwas hinterlassen hatte und das Öl zu merkwürdigen Reaktionen veranlaßte. Nichts war genau untersucht worden auf dem Sandplaneten. In diesem Kosmos, hatte Cliff in langen Jahren der Überlegung und der zahlreichen Erlebnisse herausgefunden, geschah nichts grundlos. Stets lief ein Vorgang ab, um ein Resultat zu erbringen. So auch auf Highspeed. Was war es dieses Mal? Ein Feind, ein Wesen, das Hilfe suchte wie etwa jene Raguer, die sich aus dem Eis des Planeten schmolzen und jetzt in die Raumfahrt integriert wurden? Etwas ganz anderes? Cliff ahnte deutlich, daß sie alle einem ähnlichen Geheimnis entgegenflogen wie während des letzten Einsatzes. Und er wurde nicht enttäuscht. * Die erste Überraschung gab es zehn Minuten vor dem festgesetzten Starttermin. Die Gäste an Bord waren untergebracht und wie in ganz alten Zeiten lehnte Tamara an der geschwungenen schrägen Verstrebung und beobachtete aufmerksam und schweigend die Vorbereitungen der Crew. Als sie Atans prächtiges
Toupet sah, zog sie nur die Brauen hoch. Cliff fragte, ohne seinen Blick von den Kontrollen zu nehmen: »Wo steckt denn dieser Aucrine?« Tamara antwortete: »Ich sehe unseren letzten Gast gerade unterhalb des Schiffs. Steigt gerade in den Zentrallift.« »Danke. Mario! Der Kurs programmiert?« »Alles in bester Ordnung. Du startest traditionell mit Handsteuerung, bis wir die Atmosphäre verlassen haben.« »Jawohl. Funkpult!« Helga Legrelle betrachtete die Anwesenheit von Tamara offensichtlich als persönliche Herausforderung. Ihre Laune stand augenblicklich in der Nähe des absoluten Gefrierpunktes. »Ich wickle den Funkverkehr so ab wie seit tausend Starts. Keine Unruhe, Chef!« Cliff zog die Brauen hoch, beugte sich noch tiefer über sein Pult und schwieg aus reiner Klugheit. Er rief nacheinander die einzelnen Stationen ab, sah auf die Uhren und erschrak, als plötzlich eine kühle Altstimme hinter ihm sagte: »Ich hoffe, ich bin an Bord willkommen?« Augenblicklich kam Tamaras Antwort: »Aber selbstverständlich, liebste Kollegin.« Ronnie Aucrine, schoß es Cliff durch den Kopf. Er hatte einen Mann erwartet; und jetzt stand hier eine Dame. Vorsichtig drehte er sich um und richtete sich auf. »Notfalls auch das«, sagte er und schrak ein zweitesmal zusammen, als er sah daß es sich um eine ausgesprochen hübsche junge Dame handelte, die in der modischen Uniform des GSD neben dem kleinen Lift
stand und einen Instrumentenkoffer in der Hand hielt. Cliff riß sich zusammen, schluckte eine Serie bissiger Ausdrücke und sah das unverschämte Grinsen von Vlare MacCloudeen, dann streckte er dem etwa siebenundzwanzigjährigen rothaarigen Mädchen die Hand entgegen. »Ich habe Sie erwartet, Ronnie«, sagte er ruhig. »Willkommen. Meine Freunde – das ist der Elektronikexperte des GSD, der mit uns nach Highspeed fliegen wird.« Die diebische Freude im Gesicht Tamaras erstarb, und Cliff buchte wieder einen Punkt für sich. Nur Ishmee hatte dieses Manöver durchschaut, wie ihr Zwinkern bewies. Cliff bat Ishmee, dem Gast die reservierte Kabine zu zeigen und widmete sich dann dem Start. Einige Minuten später raste die ORION VIII auf ihrem Kurs durch die Lufthülle, meldete sich bei EOS IV ab und gewann schließlich den freien Raum. Die Maschinen arbeiteten zuverlässig, und auf den Sichtschirmen erschienen die Sterne. Dann übernahm der Autopilot die Steuerung, und der siebzigstündige Flug begann. Atan Shubashi löste die Gurte, lehnte sich zurück und fühlte sich wieder wie zu Hause. »Hattest du gewußt, daß Ronnie eine Dame ist?« fragte er Cliff. Mario erwiderte: »Nein, aber ich habe es sehr schnell gemerkt. Selbst unser Waldläufer war recht begeistert!« Zwischen dem Ersten Offizier und Vlare hatte sich binnen weniger Minuten etwas wie eine schnelle Männerfreundschaft gebildet; beide waren einander
sehr ähnlich Vor allem beeindruckte Mario die offene Art des Mannes. »Sandläufer!« bemerkte Vlare. »So nennen wir uns jedenfalls, dort in der Sandhölle.« Cliff schwieg. Er sah für diesen Flug und die folgenden Tage und Wochen interessante psychologische Verwirrungen voraus. Die ersten zehn Stunden teilte Cliff seine Aufmerksamkeit zwischen der Elektronikerin, die den gefundenen durchsichtigen Würfel zu testen versuchte, und zwischen Vlare, der dem Team einen Vortrag mit vielen Bildern über den Sandplaneten hielt. Eine Welt, deren Sonnenumlauf zweihundert Tage dauerte. Die Oberflächenschwerkraft betrug zwar rund acht Neuntel g, aber Tag und Nacht waren jeweils nur acht Stunden lang. Der Winkel, den die Polachse zur Ekliptikebene beschrieb, war geringer als derjenige der Erde. Und – die Oberflächentemperatur war auf dem ganzen Planeten, selbst an den Polen, nur um wenige Grade different. Sie sahen es: Eine endlose Sandfläche erstreckte sich unter dem erbarmungslos wolkenlosen Himmel. Die jährliche Niederschlagsmenge an allen Orten der Oberfläche betrug fünf Zentimeter. Sogar ein Wasservorrat mußte von der Erde herantransportiert und von Zeit zu Zeit ergänzt werden; sämtliche Anlagen der Zweihundert-Mann-Station waren geschlossene Systeme. Hasso sagte fast ehrfürchtig: »Wie schaffen Sie es, Vlare, zweihundert Männer jahrelang auf dieser gnadenlosen Welt zu halten?« Mario starrte Vlare an, während der Bohringenieur mit seinem unwahrscheinlichen Baß erklärte: »Wir alle sind hier, weil uns Arbeiten unter weni-
ger extremen Verhältnissen nicht reichen würden. Wir sind ein Riesenteam, das beweisen möchte, daß der Mensch selbst auf Extremwelten Fuß fassen und Platz halten kann.« Ishmee erkundigte sich: »Ist das nicht eine Art Komplex? Je gefährlicher, desto besser und beachtenswerter?« Das Wort Phobophobie war nur in crewinternen Unterhaltungen angewendet worden, und da auch nur sehr sparsam. »Keineswegs. Wer Highspeed nicht liebt, fürchtet diese Welt. Wer sie fürchtet, geht wieder zurück. Die Mannschaft, die ich habe, ist tausendfach gesiebt. Und Gefahren gehören zu unserem Leben.« Atan sagte schaudernd: »Wenn es dem Wohlbefinden dient?« Das Gelächter war etwas spärlich, denn sie alle wußten, daß keine leichte Aufgabe auf sie wartete. Erschwert wurden die Untersuchungen dadurch, daß dieser Planet sie binnen achtundvierzig Stunden verbrennen und töten konnte. Und hier sollten sie versuchen, die Ursachen für das rätselhafte Verhalten der Ölmoleküle herauszufinden? Undenkbar. Der Zufall kam ihnen vier Stunden vor der Landung zur Hilfe. Der Zufall sah aus wie ein kleiner Mond, war pechschwarz, ohne jede Albedo, fast unsichtbar. Das Schiff wäre, hätte Atan seine Instrumente nicht so genau im Auge gehabt, um ein Haar mit diesem Mond zusammengestoßen. Plötzlich ertönten einige Kommandos, Cliff reagierte sehr schnell und bremste die ORION heftig ab. Hasso schimpfte von seinem Sichtschirm herunter,
aber als er Atan Shubashis harten Kommentar hörte, schwieg er. »Fast unsichtbares Objekt auf Kollisionskurs.« Gleichzeitig spiegelte er das Radarbild seines Fundes auf den Zentralschirm, und das Diskusschiff raste in einer engen Kurve um den unsichtbaren Mond herum. Cliffs Augen weiteten sich vor Erstaunen, und die Crew kam von ihren Plätzen und umstand das Pult des Kommandanten.
3 Nach einigen Sekunden drehte sich Cliff halb herum, wandte sich an den blaubärtigen Mann und fragte leise: »Warum haben Sie mir nichts von diesem Mond gesagt?« Aufgeregt erwiderte Vlare: »Ganz einfach! Weil ich nichts davon wußte. Nein, Sie brauchen nicht im Handbuch nachzusehen – dieser Körper ist nicht verzeichnet. Also haben die Kartographen ihn nicht gefunden, als dieses System katalogisiert wurde.« Cliff hantierte schweigend an den Hebeln der Handsteuerung. Die Sonne war noch etwa dreißig Lichtminuten entfernt, und daher konnte auch sie nicht den pechschwarzen Körper erhellen. Die ORION wurde langsamer und vollendete die erste Umrundung, dann drehte Cliff das Schiff herum und schaltete nacheinander sämtliche Landescheinwerfer an. Fast ohne Fahrt trieb der Diskus jetzt auf den Mond zu. »Durchmesser, Atan?« fragte Cliff. Der Astrogator war als einziger auf seinem Platz geblieben und meldete schnell: »Entfernung drei Kilometer, Durchmesser eintausendfünfhundert Meter. Genau.« »Danke.« Das grelle Licht aus den mächtigen Scheinwerfern, die in der Blendenplatte zwischen Oberschale und Unterschale eingebaut waren und aus Klappen des Unterteils hervorfuhren, brandete gegen den schwar-
zen Körper. Sie kamen näher, erste Konturen tauchten auf, Lichter und Schatten bildeten sich. Die Besatzung starrte atemlos das ungewöhnliche Bild an. »Fels?« fragte jemand. Der Baß des Bohringenieurs dröhnte: »Bearbeiteter Fels, wie ich sehe.« »Atan und Mario – bitte rechnet die Bahn dieses Mondes aus, ja?« sagte Cliff halblaut. »Verstanden!« Jetzt erst, in einer Entfernung von weniger als fünfhundert Metern, hielt Cliff das Schiff an. Er fühlte sich wie an dem Tag, an dem er mit der ORION das Große Schiff der Dara zum erstenmal angeflogen hatte; der silberne Diskus war klein und unbedeutend gegenüber diesem Raumkörper. Die Landescheinwerfer rissen ein etwa kreisförmiges Gebiet der Oberfläche aus der kosmischen Dunkelheit. Einzelheiten wurden sichtbar, und je mehr sich zeigte, desto höher kletterte die Spannung an Bord der ORION. Atan und Mario verständigten sich durch leise Zurufe und durch Übermittlung langer Zahlenketten zwischen Astrogationspult und Eingabeelement des Digitalrechners. »Eindeutig bearbeitet!« sagte Ronnie, die Elektronikerin. Cliff bewegte die Fernsteuerung zweier Scheinwerfer und strahlte ein bestimmtes Gebiet zusätzlich an. »Und zwar in sehr ungewöhnlicher Form«, sagte Tamara leise. Ihre Stimme zeigte deutlich, wie sehr betroffen Tamara war; hier, einige Lichtminuten vom Planeten Highspeed entfernt, fanden sie durch Zufall diesen kleinen Mond, der deutliche Spuren der Bearbeitung zeigte.
»Menschen haben diesen Mond nicht gestaltet!« entschied Hasso Sigbjörnson. »Leider nicht«, schloß Cliff. Die Oberfläche dieses Körpers gliederte sich in Strukturen, die wie die Mauern eines nach oben einsehbaren Labyrinths aussahen. Schätzungsweise vier Meter hoch, etwa einen Meter dick und in lauter rechten Winkeln. Jede Form, die man den Elementen eines solchen Irrgartens verleihen konnte, war vorhanden. Dazwischen, in sehr unregelmäßigen Abständen, sah man runde Öffnungen, die vielleicht in das Innere der eineinhalb Kilometer durchmessenden Felsenkugel führten. Das Schiff näherte sich dem Mond bis auf dreißig Meter, dann stoppte Cliff die Fahrt. »Was ist das?« fragte er provozierend. »Ein lebloser Mond«, sagte Ishmee. Sie las aus den Strömungen von Cliffs Gedanken seinen Plan heraus und begann sich zu fürchten. Gleichzeitig wußte sie, daß Cliff ein erfahrener Raummann war, der zuerst an Vorsicht und dann erst an kalkuliertes Risiko dachte. »Woher willst du wissen, daß er leblos ist?« fragte Helga. »Weil sich die Bewohner gemeldet hätten, wenn sie das Licht gesehen hätten«, sagte Cliff. »Oder schon vorher.« »Verstehe«, sagte Vlare. »Gehen wir hinaus und sehen wir nach, wie?« Ishmee deutete auf Cliff und murmelte: »Genau das hat der Kommandant vor.« »Vermutlich paßt dir keiner unserer normalen Raumanzüge«, sagte Mario und stand auf. Er legte
Cliff eine Kunststoffolie auf den Sichtschirm. Darauf waren einzelne Werte ausgeschrieben. »Der Mond hier«, sagte Cliff, »hat eine Bahn gebundener Rotation, das heißt, er kehrt dem Planeten Highspeed stets die gleiche Seite zu. Seine Bahn ist so gut wie kreisförmig, und er braucht für eine Umrundung dreitausend Tage. Der Abstand von Highspeed beträgt drei Lichtminuten. Er rast also ständig zwischen der Sonne und deren einzigem Planeten umher. Eine sehr ungewöhnliche Bahn, Freunde.« Wieder betrachtete er mißtrauisch das undeutliche Bild auf dem Schirm. »Ungewöhnliche Monde haben ungewöhnliche Bahnen«, erklärte der Bohringenieur. »Ich habe gehört, daß die Raumanzüge dehnbar gearbeitet sind.« »Dehnbar nicht, aber in geringen Toleranzen verstellbar. Wir werden für deinen Riesenkörper schon das richtige Modell finden!« meinte Mario und winkte Vlare. Sie verschwanden mit dem kleinen Lift nach unten. Cliff startete das Schiff erneut. Langsam driftete der Diskus in verschiedenen Bahnen um den Mond herum. Er leuchtete die Oberfläche an, entdeckte nur immer die gleichen Formen, unterbrochen von Löchern, die wie Einstiege aussahen. Eine halbe Stunde verging – nichts anderes als rechtekkige Mauern waren zu sehen. Einige Sekunden, bevor Cliff abdrehen wollte, entdeckte er ein viereckiges Loch, hinter dem er vage Helligkeit zu erkennen glaubte. Tamara fragte: »Was ist das? Hast du den Schimmer gesehen?« Cliff steuerte den Diskus zurück und richtete das
Licht aller Scheinwerfer auf den fraglichen Punkt. Umgeben ebenfalls von dem kantigen Mauerwerk, dessen Oberfläche die Spuren von Millionen winziger Meteoriten zeigte, befand sich hier eine rechteckige Öffnung von etwa fünf Metern Kantenlänge. Sie war schätzungsweise zehn Meter tief, und auf ihrem Grund sahen die Besatzungsmitglieder blankes Metall im Licht der Scheinwerfer reflektieren. »Dort werden wir ansetzen!« sagte Cliff und schaltete das elektronische Bordbuch ein. »Kommandant an Bordbuch: Zusammen mit Vlare MacCloudeen werde ich unseren Fund so gut wie möglich untersuchen. Gefahren gehören zu unserem Leben.« Tamara meinte sarkastisch: »Wenn es Wamslers Erheiterung dient?« Cliff stand auf. Sein Gesicht zeigte einen sehr entschlossenen Ausdruck. Er knetete seine Finger und sagte dann halblaut und deutlich: »Ich habe immer wieder die Erfahrung machen müssen, daß scheinbar unzusammenhängende Dinge zu verbinden sind. Der durchsichtige Würfel, der Meteor auf Highspeed, das merkwürdige Öl und dieser Mond – ich glaube, diese vier Faktoren lassen sich logisch miteinander verbinden. Vielleicht erst nach sehr langer Zeit, vielleicht früher.« »Ich bin da etwas skeptischer!« sagte Ishmee beharrlich. »Ein Versuch kann nicht schaden«, schloß Cliff und stellte sich in den kleinen Lift. Er fuhr nach unten, traf dort auf Mario und Vlare. Der blaubärtige Riese steckte bis zum Hals in einem der schweren, gepanzerten Raumanzüge, und Mario testete gerade den zweiten durch. Zehn Minuten später standen Cliff
und Vlare nebeneinander im Zentrallift, der langsam ausgefahren wurde. Beide Männer waren für ihre Aufgabe hervorragend ausgerüstet und abgesichert. »Wie fühlen Sie sich, Vlare?« fragte Cliff über Funk. Der Mann neben ihm ließ ein amüsiertes, aber etwas aufgeregtes Lachen hören. »Ausgezeichnet. Ich dachte nicht daran, daß dieser langweilige Flug noch etwas Interessantes hervorbringen würde.« Cliff schaltete den Kanal zu Helgas Funkpult aus und sagte: »Sie scheinen die psychologischen Unterströmungen nicht mitbekommen zu haben, Vlare? Für mich war dies ein sehr strapaziöser Flug. Ishmee ist eifersüchtig auf Ronnie, Ronnie hat sich mit Tamara zu einem antiautoritären Team verbunden, Helga ist auf Ronnie, Ishmee und Tamara eifersüchtig... und ich stehe als Zirkusdirektor dazwischen und kann nicht einmal die Peitsche benützen. Das nennen Sie ›uninteressanten Flug‹. Was stellen Sie sich eigentlich unter einem interessanten Flug vor?« Wieder lachte Vlare und hielt sich an einem Griff fest, während die Schleusentür aufglitt und sich beide Männer dem Oberflächenirrgarten aus bearbeiteten Felsen gegenübersahen. »Ganz einfach. Einen Flug, der uns beinahe mit einem Mond dieser Art kollidieren läßt. Ich vermute, daß unsere Sorgen mit diesem Raumkörper hier zusammenhängen, Kommandant.« Cliff schaltete seinen Handscheinwerfer an und fragte bestürzt: »Sie haben also auch daran gedacht, Vlare?« »Ja. Sofort, als ich diese Öffnung hier sah.«
Zwischen dem Rahmen der Schleuse und der Mondoberfläche befand sich ein Zwischenraum von fünfzig Metern. Cliff stellte die Verbindung mit Helga und der Bordsprechanlage wieder her und sagte kurz: »Wir gehen jetzt außerbords.« »Verstanden.« Cliff befestigte ein Ende der Seilkonstruktion an seinem Gürtel, die Trommel war im Schleusenboden verankert. Dann verbanden sich beide Männer mit einem Stahlseil. Auf ein Zeichen des Kommandanten stießen sie sich ab und flogen, das Seil hinter sich abspulend, vom Schiff zum Mond hinüber. Sekunden später fingen sie sich ab, und Cliff hakte sich mit beiden Armen an einem Mauerstück fest, als er sah, daß der Auf prall Vlare wieder zum Schiff zurückschweben ließ. Langsam, Hand um Hand, zog Cliff den Mann zu sich heran. Beide Handscheinwerfer flammten auf, als sich die Männer durch ein Stück des Irrgartens auf den Niedergang oder die Schleuse zubewegten. »Hier entlang!« sagte Cliff. »Vorsicht.« »Ach, Quatsch!« knurrte Vlare. »Wenn jemand hier wäre und uns als böse Eindringlinge betrachten würde, hätte er schon lange Zeit gehabt, uns abzuschießen wie Tontauben.« Er stand jetzt am Rand des Niederganges, ließ sich zusammensinken und stieß sich dann ab. Mit ausgebreiteten Armen segelte er dem Lichtstrahl seiner Lampe nach in die Tiere. »Verdammter Narr« rief Cliff. »Sie brauchen mit mir dieses Spiel nicht zu versuchen. Ich weiß, wie mutig Sie sind.«
Ruhig kam die Stimme Vlares durch Funk zurück: »Dann kommen Sie ganz einfach nach. Hier unten gibt es nur einen Metallfußboden und einige merkwürdige Konstruktionen.« Cliff leuchtete das Gelände vor sich ab; es stimmte. Ihm ragte ein hochpoliertes Rohr entgegen, das am unteren Ende eine Menge maschinenähnlicher Fortsätze oder Ausläufer besaß. Der Zweck war auf einen Blick nicht zu erkennen. »Ich komme nach«, sagte er und stieß sich ab. Der Boden, auf dem MacCloudeen stand und Cliff anleuchtete, kam näher, und die perspektivischen Verzerrungen lösten sich auf. Vlare griff nach oben, drehte Cliff mit einer einfachen Handbewegung im Flug herum und hielt ihn fest. Sie standen am Boden eines annähernd würfelförmigen Schachtes, über dem die ORION unbeweglich schwebte. »Willkommen!« sagte Vlare. Cliff antwortete nicht, sondern starrte die ORION an. Dann stieß er Vlare mit der Faust an den Oberarm. »Dort! Licht!« sagte er leise. Auf dem glatten Metall des Diskus brach sich ein fremder, unregelmäßiger Lichtschimmer, als ob jemand mit einer Magnesiumfackel auf dem Mond stand, zwischen ihnen und dem Schiff. Und während sie die ORION anstarrten, wurde das Licht immer stärker und heller, stechender... und plötzlich sagte die Stimme von Hasso alarmiert: »Ich rufe Cliff!« »Ich höre«, sagte der Kommandant rauh. »Vlare, Cliff... der Mond hat plötzlich zu leuchten angefangen. Und zwar auf höchst merkwürdige Wei-
se. Die Mauern des Irrgartens leuchten hell wie Phosphor, und die Zwischenräume sind dunkelblau. Was habt ihr unternommen?« Cliff knurrte verwundert, sich nach allen Seiten drehend: »Nichts, Hasso. Wir sind ebenso überrascht.« Der Mond glühte. Die unzähligen Winkel und Mauern, die U-förmigen Teile des Irrgartens verwandelten sich in ein Muster, das wie der Schaltplan eines Komputers aussah. Dazwischen blieb die Mondoberfläche blau, ein dunkles, aber intensiv stechendes Blau. Die runden Löcher veränderten ihre Farbe nicht. Die Besatzung der ORION sah dieses Leuchten auf dem großen Zentralschirm und wußte augenblicklich, daß die zwei Männer irgendeine Art von Kontakt ausgelöst oder eine Schwelle überschritten hatten. Blieb das Leuchten des Mondes das einzige Zeichen dafür, daß dort etwas oder jemand lebte und handelte...? Ishmees Stimme kam deutlich aus den Helmlautsprechern. »Cliff?« Vlare und Cliff hielten sich an Metallverstrebungen fest, sahen sich durch die gebogenen Sichtscheiben der Anzüge in die Augen und leuchteten aneinander vorbei, ihre Augen irrten ab und folgten dem Licht. »Ja?« »Seid bitte vorsichtig!« »Ja«, sagte der Kommandant. »Niemand von uns hat vor, sein Leben hier zu beenden. Das wird ein einfacher Kontakt gewesen sein.« »Hoffentlich.« Der Raum, in dem sie sich befanden, gab nur lang-
sam seine Geheimnisse frei. Vlare und Cliff leuchteten jeden Winkel aus, konzentrierten dann das Licht auf die seltsame Metallkonstruktion in der Mitte. Sie tasteten sich von allen Seiten heran, halfen sich gegenseitig in der Schwerelosigkeit und entdeckten endlich direkt neben dem blockförmigen Unterteil der Konstruktion einen zweiten Niedergang mit einer schrägen Fläche, die ins Dunkle führte. »Hinein!« sagte Vlare. »Noch nicht«, murmelte Cliff. »Abwarten.« Eine merkwürdige Konstruktion. Ein gerader, strahlend blanker Mast in der Mitte, umgeben und gesäumt von kastenförmigen Elementen. Am Fuß der schlanken Röhre, die neben der ORION auf einen unbekannten Stern deutete, befanden sich acht kastenförmige Teile mit abgerundeten Kanten. Die zwei Gestalten im Raumanzug betrachteten jede Einzelheit, auch die dicken, schwer gepanzerten Verbindungen, die sich zwischen den etwa fünfzehn Teilen dieser Anordnung befanden. Es konnte sich um eine Maschine handeln oder um alles andere. Cliff drehte sich um, bückte sich und befestigte einen tellerförmigen Vakuumhalter auf dem Stahl des Bodens, nachdem er eine dünne Schicht Staub abgewischt hatte. Ein Seil wurde eingeklinkt, und der Kommandant richtete sich gerade auf und wollte Vlare sagen, er solle zu ihm herüberkommen, als der Bohringenieur kurz und scharf sagte: »Cliff! Hersehen!« Gleichzeitig richtete er den Strahl seines Handscheinwerfers auf das Unterteil der Säule, Cliff sah, wie einer der acht langen Kästen vom Boden losschwebte, langsam einen halben Meter weit an der
Säule entlang hochkletterte und dann mit einem einzigen, wilden Ruck senkrecht nach oben gerissen wurde. Ein kurzes Aufblitzen neben der ORION zeigte, welchen Weg der Gegenstand genommen hatte. »Atan! Versuche, den Gegenstand zu orten, der beim Schiff vorbeigekommen ist. Die Gerade steht zwischen uns und dem rötlichen Stern, den wir von hier aus sehen. Die Daten speichern!« Cliff erhielt sofort zustimmende Antwort. Dann sagte Vlare: »Ich ahne, daß wir recht haben, Kommandant. Vermutlich war auch der verschwundene Meteor auf Highspeed von hier abgefeuert.« »Vermutlich«, sagte Cliff. »Los, dringen wir weiter ein. Jetzt bin ich erst richtig neugierig geworden.« »Einverstanden.« Sie stießen sich ab, hielten sich an den Händen fest und schwebten auf den Niedergang zu. Das Seil ließ sie an der richtigen Stelle herumschwingen, und hintereinander tauchten sie, mit den Fußspitzen auf der Schrägfläche bremsend, tiefer in den Kunstmond hinein. Das Leuchten hatte angehalten – die Besatzung verfolgte gespannt die Schilderungen der Umgebung, die Cliff und Vlare abgaben. Etwa zehn Meter tiefer führte der Niedergang, dann kamen sie an eine Tförmige Kreuzung. Als Cliff, der sich von der Decke abgestoßen hatte, mit der Sohle seines Raumstiefels den Boden berührte, erhellten sich sämtliche Wände des Ganges, und beide Männer wurden von einer stufenlos sich verstärkenden Schwerkraft auf den Boden heruntergezogen. Als sie, vor Schreck atemlos, auf dem Boden standen, fühlten sie etwa den halben
Wert der Oberflächengravitation der Erde. Vlares Stimme trug wesentlich zur Beruhigung bei. Er sagte in gemütlichem Unterhaltungston: »Das sind alles simple Tricks einer guten Technik. Gut deswegen, weil sie sich über einen langen Zeitraum gehalten hat. Gehen wir weiter, Kommandant, ohne Seil und Kletterhaken.« »Gern.« Der Mond – falls er ein natürlicher Himmelskörper war – machte einen kalten, technischen Eindruck. Die Rasse oder die Gruppe, die ihn vor sehr langer Zeit bewohnt hatte, schien zwar humanoid oder im weitesten Sinn menschenähnlich gewesen zu sein, aber nicht unbedingt terranisch. War dies ein weiteres Relikt aus der Zeit des Großen Schiffes, also des ersten Besuches der Dara in diesem Teil der Galaxis? Langsam gingen die zwei Raumfahrer weiter. Sie sahen nur die kahlen, leuchtenden Wände des Korridors, und sie hörten nur die dumpfen Erschütterungen, die den schweren Raumanzug bei jedem Schritt durchliefen, die Atemzüge und das Rauschen der Funkgeräte. Es waren zehn Meter geradeaus, dann standen sie vor einer glatten, geraden Fläche. Vlare deutete auf die dunklen Ränder und murmelte: »Eine Schleusentür. Uralt. Die Dichtungen sind restlos ausgefranst.« Er hob die Hand und schlug mit der Faust gegen die Platte. Cliff hörte nichts, aber die Platte kippte langsam nach oben und legte sich an die Decke des Ganges. Die Männer gingen weiter. »Leer! Entweder ist alles zerfallen, oder es wurde mitgenommen!« Cliff verzichtete auf eine Antwort; es stimmte bis-
her, was Vlare da ausgesprochen hatte. Es war wirklich eine Schleuse, denn als sie unter der hochgeklappten Platte hindurch waren schloß dieser Abschnitt des Ganges sich wieder, eine zweite Tür öffnete den nächsten Abschnitt. Natürlich war hier längst keine Luft mehr. Was Cliff und Vlare unsicher machte und geradezu störte, war der Umstand, daß nicht der geringste Hinweis zu finden war, wozu dieser ausgehöhlte Mond gedient hatte. Die zweite Tür schloß sich wieder. Vor den Männern lag jetzt ein Saal, dessen Wände etwa vierzig Meter lang waren. Hier hatten sich nur wenige Spuren der langen Zeit eingeprägt; alle Flächen spiegelten. Boden und Decke bestanden aus durchgehenden, leuchtenden Flächen. Und genau in der Mitte dieses Saales, dessen Decke etwa vier Meter entfernt war, befand sich ein riesiges, metallisches Podest. »Langsam wird es sinnvoller, das da hier« murmelte Vlare und stapfte auf den Rand des flachen Podestes zu. Cliff blieb zwei Schritte hinter ihm und sah sich um. Keine Bewegungen. Nicht ein einziges Kontrollicht, keine Schalter – nichts! Cliff und Vlare standen jetzt am Rand der rechteckigen Erhöhung sahen sich an, richteten ihre Augen wieder auf die Fläche und schüttelten dann gleichzeitig die Köpfe. »Es ist sinnvoll geworden, Vlare«, sagte Cliff. »Die Technik dieses Mondes lebt sehr nachdrücklich!« Die Oberfläche, ähnlich wie der zentrale Sichtschirm des Raumschiffes, war ein riesengroßes System von rechteckigen Bildschirmen. Fünf Reihen zu je fünf Schirmen gab es hier, alle waren farbig und arbeiteten.
»Es wird immer rätselhafter!« sagte Cliff und zeigte auf einen der Schirme. Deutlich war er darauf zu sehen, in dem schweren Raumanzug mit den Nummern auf Brust und Rükken. Der Schirm daneben zeigte Vlare MacCloudeen, ein dritter die ORION, ein vierter das All, ein fünfter den Planeten Highspeed, der näher zu kommen schien, wieder ein anderer jene rätselhafte Abschußrampe – und zu Cliffs grenzenlosem Erstaunen zeigten zwei Schirme das Raumschiff, bewegungslos vor dem leuchtenden Netz der Mondoberfläche. »Verstehen Sie das, Kommandant?« fragte Vlare mißmutig. »Nein«, erwiderte Cliff. »Ich weiß nur, daß wir hier ein ziemlich großes Geheimnis haben. Warum funktioniert dieses Ding?« »Die Sichtschirme sind nur Ausdruck dafür, daß es im Innern des Mondes noch größere Anlagen gibt. Ich versuche gerade festzustellen, ob das alles nur jetzt für die Besucher eingeschaltet worden ist oder dauernd läuft.« »Sicher nur für uns, Cliff.« Der Kommandant betrachtete nachdenklich den Rest der Schirme. Sie zeigten andere Teile des Mondes, von denen die Männer nicht ahnen konnten, wo sie in Wirklichkeit lagen. Kleinere Räume, menschenleer und mit anscheinend metallenen Gegenständen eingerichtet, eine Maschinenhalle von ziemlich eindrucksvollen Ausmaßen und andere Räume. »Gehen wir weiter!« sagte Cliff. Sie durchquerten die Halle und gingen auf eine dunkle Tür zu, die vor ihnen im Boden versank. Dahinter war wieder ein Korridor, der eine halbe Kurve
beschrieb, in einen größeren Saal mündete, der voller Apparaturen stand. Ausnahmslos waren diese Maschinen und Schaltpulte so gebaut, daß sie raumfest schienen, also den Verlust der Luft und die Kälte des Raumes gut überstehen konnten. Zwischen ihnen befanden sich schwere Leitungen aus Metallringen. Die Männer gingen langsam hindurch und begriffen nichts, außer daß sie sich im Innern eines hochtechnisierten, jetzt lebendig gewordenen Mondes mit einer mehr als rätselhaften Oberfläche befanden. »Bis zum Zentrum, Cliff?« fragte Vlare erregt. »Jawohl. Falls wir es identifizieren können.« Es ging weiter. Sie bewegten sich mit den plumpen Schritten der schweren Anzüge durch die halbe Schwerkraft der Treppen, Korridore und Gänge, liefen durch Säle und Hallen, entlang langer Leitungen und unter endlosen leuchtenden Deckenflächen. Eine Stunde, eine zweite... schließlich betraten sie einen kugelförmigen Raum. »Davon werde ich meinen Männern erzählen können!« sagte Vlare laut. »Sehen Sie, was ich sehe, Cliff?« »Ich sehe etwas, was etwa einem von uns gebrauchten Komputer-Eingabeelement entspricht.« »Das sehe ich auch«, schloß Vlare. Vor ihnen wölbten sich die Winde. Sie standen auf einer schmalen Zunge, die vom letzten Korridor hier ins Zentrum der Hohlkugel hineingeführt hatte. An einer geschwungenen Verstrebung aus leuchtendem Metall hingen mehrere verschieden große Linsensysteme, einige Lautsprecher, einige Paneele mit langen Tastaturreihen und Schaltern, ein System von verschieden großen Bildschirmen. Dieses Arrangement
von Kommunikationselementen richtete sich auf die beiden Männer. Cliff sagte entschlossen: »Wir können mit diesem Komputer nicht sprechen, weil uns hier die Luft fehlt. Was tun wir?« »Es gibt zwei Möglichkeiten.« »Ich weiß«, sagte Cliff. »Entweder wir bringen Luft in diesen Raum...« »... oder wir bringen diesen Raum in eine dichte Atmosphäre. Was erheblich schwieriger sein dürfte«, antwortete MacCloudeen. »Nicht, wenn dieser Mond gar kein Mond, sondern ein verkapptes Raumschiff ist. Aber das wissen wir nicht. Gehen wir zurück in die ORION!« »In Ordnung.« Es konnte sein, daß die Automatik sie jetzt beobachtete; beide Männer hoben grüßend einen Arm und drehten sich um Dann verließen sie den kugelförmigen Raum im absoluten Zentrum des Mondes und stapften durch die von verschiedenfarbigem Licht erfüllten Räume zurück bis zu der Abschußrampe für die länglichen Projektile, die sie in Aktion beobachtet hatten. Schweigend, ganz auf ihre Aufgabe konzentriert, lösten sie die wenigen Halterungen, sicherten sich und stießen sich ab, sobald sich die künstlich hervorgerufene Schwerkraft abschaltete. Vlare und Cliff landeten zielsicher in der ausgefahrenen Schleuse der ORION. Wenige Minuten später entledigten sie sich der Raumanzüge und fuhren in die Zentrale hinauf. »Leuchtet der Mond noch immer?« fragte der Kommandant und blieb vor dem Sichtschirm stehen. »Ja.«
Der Schirm zeigte eine Hemisphäre der Kugel. Das zweifarbige Muster der Oberfläche leuchtete vor den Sternen, und als Vlare und Cliff dieses erstaunliche Bild betrachteten, begann das Glimmen zu verblassen. Dieser Vorgang dauerte hundert Sekunden, dann lag der Mond wieder schwarz und fast unsichtbar vor den Sternen. Cliff kontrollierte die Anzeigen; die Landescheinwerfer waren ausgeschaltet worden. Ein Blick auf die Uhr bewies ihm, daß sie fast fünf Stunden in dem merkwürdigen Körper verbracht hatten. »Weißt du, was ihr dort gefunden habt, Cliff?« fragte Tamara Jagellovsk. Der Kommandant schüttelte den Kopf. »Nein, nicht genau. Übrigens: Wir starten jetzt sofort nach Highspeed.« Er nahm einige Schaltungen vor, bugsierte vorsichtig die ORION VIII von dem schwarzen Mond weg und beschleunigte dann das Schiff. Als der Kurs festlag, lehnte sich Cliff zurück, drehte den Sessel herum und sah in die Gesichter der versammelten Besatzung. »Es kann eine flugfähige Komputerstation sein, ein Raumschiff oder tatsächlich ein Mond, der seit Urzeiten seine Bahn um Highspeed zieht. Es kann aber auch – und das ist meine Meinung – etwas ganz anderes sein. Sicher ist jedenfalls, daß es Spionsonden durch das All schickt. Aus welchem Grund und wohin, wissen wir nicht.« Es wunderte niemanden, daß die Bohrstation Alpha auf Highspeed, als Vlare mit dröhnender Stimme sein Kommen und sein Erlebnis meldete, ziemlich wenig Freude zeigte. »He!« brüllte Vlare in die Mikrophone, und die
Crew hörte einigermaßen belustigt zu, »das scheint euch nicht besonders zu erheitern, wie?« Ein unbekannter Mann sagte: »Nicht sonderlich, Chef. Sie müssen wissen, daß ein Meteor dicht neben unserem Wassertank eingeschlagen ist.« Vlare fuhr auf und fragte scharf: »Etwas passiert?« »Nichts. Wir haben keinerlei Spuren gefunden. Dieses Biest ist entweder verdampft oder hat sich hundert Meter tief in den Sand gebohrt.« Cliff schaltete sich ein und sagte: »Hier spricht McLane von der ORION VIII. Dieses Biest hat weder das eine noch das andere. Wir haben den Meteor gesehen – aber das alles können wir in wenigen Minuten besprechen.« Atan hob die Hand und murmelte: »Wie stets hat unser trefflicher Kommandant die Wahrheit auf den Kopf getroffen. Die Flugbahn nämlich, die dieses Objekt beschrieb, war ein Kreisausschnitt. Ein Kreis mit einem gewaltigen Durchmesser. Am Endpunkt der Bahn befindet sich der Planet Highspeed.« Vlare hämmerte mit der Faust auf das Funkpult, worauf Helga sich nach vorn warf und seine Faust festzuhalten versuchte. »Highspeed wird von diesem blödsinnigen Mond beschossen!« rief MacCloudeen wütend. »Nein«, sagte Cliff. »Jemand versucht, Informationen über Highspeed zu sammeln.« Die Mannschaft sah sich verblüfft an. Das Diskusschiff näherte sich der großen, goldgelben Kugel, die völlig wolkenfrei war, ging tiefer und
landete nach einem reibungslosen Flug durch die Lufthülle einhundert Meter weit von der Bohrstation Alpha entfernt, dem ersten Platz, an dem der Homo sapiens den Planeten des Sandes betreten hatte. Die ORION VIII stand rund zehn Meter über dem Boden einer schräg ansteigenden langen Düne, deren Wanderung durch Oberflächenimprägnierung aufgehalten worden war. Das Schiff war ebenso ein Fremdkörper wie die mehr als zweihundert Kunststoffwürfel, die, eingeklinkt in ein zerlegbares System von federnden Stahlröhren, hier die riesige Antenne umstanden. Ebenso fremd auch wie die mächtigen Kugelbehälter des Öles, jenseits der Pumpstationen. Nacheinander schaltete Cliff die Maschinen aus. »Vlare?« fragte er nachdenklich. »Ja, was gibt es?« Cliff schaute auf seine Digitaluhr. »Würden Sie bitte veranlassen, daß die Besatzung der ORION abgeholt und untergebracht wird? Ishmee und ich werden noch kurze Zeit hier bleiben – wir kommen dann nach.« Vlare nickte und antwortete: »Einverstanden. Lassen Sie mich einmal kurz an das Funkgerät, Helgamädchen?« Die Funkerin stand auf, nahm einige Schaltungen vor und deutete dann auf die Schirme und das Mikrophon. »Hier, bitte. Bedienen Sie sich. Aber verbiegen Sie das Mikrophon nicht!« Nach einigen Minuten näherten sich von der Station her zwei seltsam aussehende Fahrzeuge. Cliff beobachtete sie auf dem zentralen Sichtschirm und sah die Sandfontänen, die hinter Rädern aufstiegen. Acht
breite Räderpaare trugen eine leicht stromlinienförmige, tropfenartige Doppelschale, in die entlang der umlaufenden Mittellinie ein durchsichtiger Streifen eingelassen war. Alle anderen Teile waren hochverchromt. Die Fahrzeuge fuhren bis in den Schatten des Raumschiffes und hielten an; zwei breite Spuren zeigten die tiefen Profile der Niederdruckreifen. Hasso Sigbjörnson, Helga Legrelle, Atan Shubashi und Tamara Jagellovsk stiegen, ihre wenigen Gepäckstücke in den Händen, in den einen Wagen. Er drehte fast auf der Stelle und raste davon – offensichtlich wollten die Bohrleute die terranische Crew möglichst wenig der Sonne und der Hitze ausgesetzt wissen. Vlare half der Elektronikerin in den Wagen, Mario stieg dazu, dann fuhr auch der zweite Wagen ab und hielt in einem Tunnel, den die darumherum aufgehängten Wohnwürfel bildeten. Ishmee kam heran und setzte sich in Cliffs Kommandantensessel. McLane begann einen ausgedehnten Marsch durch die Steuerkanzel der ORION. »Ich stelle fest«, begann das goldäugige Mädchen halblaut, »daß dich etwas über Gebühr beschäftigt, Cliff?« Er nickte, und nach einer kleinen Weile, in der er seine Gedanken formulierte, sagte er mißmutig: »Ich weiß nicht, ob ich mich über Gebühr beschäftige. Jedenfalls erkenne ich, daß es immer noch das alte Spiel ist.« Ishmee lächelte. »Du meinst, daß etwas Unbekanntes mit verdeckten Karten gegen uns ein Spiel mit hohem Einsatz angefangen hat?« Cliff blieb stehen und deutete nach oben.
»Ja. Warum sollte – vorausgesetzt, ich habe mit meinen Vermutungen recht – jemand die irdische Raumfahrt lahmlegen wollen, indem er aus diesem hochtechnisierten Mond Sonden in Richtung Highspeed abfeuert?« Er begann sich vorzustellen, wie ihre Arbeit hier aussehen würde – eingehüllt in kühlende Schutzkleidung, geschützt durch dunkle Brillen, umgeben von flirrender Sonnenstrahlung und eintöniger Sandlandschaft, deren einzige Abwechslung ein paar ausgeglühte Felsen waren. »Glaubst du ernsthaft, daß die Verseuchung des Öles bewußt vorgenommen wurde?« »Ja«, sagte Cliff. »Das, was für die Sonden verantwortlich ist, ist intelligent genug, um zu wissen, was das Öl für uns bedeutet. Selbst wenn es uns nicht kennt...« »... jetzt sind wir bekannt, wenigstens dem Aussehen und einigen Reaktionen nach«, korrigierte das Mädchen. »Richtig! Selbst wenn wir als Rasse nicht bekannt waren, weiß jedes ›Ding‹, daß dieses Signal für uns tödlich werden konnte. Warum?« Cliff starrte Ishmee herausfordernd an. »Uns fehlen noch mehr Informationen!« sagte sie. »Der Mond ist unermeßlich alt. Selbst wenn er so alt ist wie das Große Schiff, dann müßte er aus einem Kulturkreis stammen, den keiner so gut kennt wie gerade wir von der ORION. Was also bezweckt dieser Mond?« Ishmee antwortete: »Wir sollten warten und suchen, wie wir es immer getan haben. Das ist die einzige Taktik, die zum Er-
folg führen kann. Einfach empirisch vorgehen. Ich bin überzeugt, daß wir binnen weniger Tage hier auf Highspeed einige interessante Dinge sehen werden.« Cliff lehnte sich gegen die Verstrebung, die den Lieblingsplatz Tamaras bildete, und sagte: »Ich hingegen bin überzeugt, daß etwas Interessantes auch uns sehen wird, Ishmee. Und nicht nur sehen.« »Du fürchtest einen Angriff?« Er schüttelte langsam den Kopf und murmelte: »Ich weiß nicht, was ich fürchte. Ich habe einige undeutliche Verdachtsmomente. Nichts Wesentliches, nicht einmal eine Theorie. Doch – eine Theorie habe ich: Von der Sekunde an, als der erste Meteor, also die erste Sonde, hier gelandet ist, bis zum Verlassen des rätselhaften Mondes hängt alles zusammen. Sogar die Mädchen und Männer, die hier arbeiten, gehören in dieses Mosaik.« Ishmee lächelte. »Die Mosaiksteinchen liegen hier aber noch reichlich ungeordnet herum.« Cliff versicherte grimmig: »Wir werden sie auf alle Fälle ordnen!« Sie stand auf, ging bis zu Cliff und lehnte sich leicht gegen ihn. Er legte einen Arm um ihre Schultern. »Stichwort Bishayr«, sagte sie leise. »Ich habe mich während des Fluges mit unseren Freunden unterhalten. Wir stellten übereinstimmend fest, daß Vlare ein sogenannter ›verrückter Hund‹ ist, aber ein netter, zwiespältiger und irgendwie unsicherer. Ihm ist nur wohl, wenn er – im übertragenen Sinn – Eisenstangen zu Schleifen verbiegen kann.«
Cliff grinste breit und meinte: »So oder ähnlich dürften hier alle Terraner sein, auch die Mädchen. Etwas anderes: Was hältst du von Tamara und Ronnie? Ich habe natürlich meine feste Meinung.« Ishmees Lächeln war offen und rätselhaft zugleich, als sie sagte: »Die lange, dornenvolle und frustrierende Geschichte mit Tamara kenne ich inzwischen; die Frau ist zweifellos älter und reifer geworden. Ronnie ist harmlos, wenn auch ein exzellenter Fachmann.« »Hoffentlich hält sie, was Villa versprochen hat«, meinte Cliff, löste seinen Griff um Ishmees Schultern und ging zum Funkgerät, um einen Wagen zu erbitten. Fünfzehn Minuten später saß er in dem modernen Seriensessel innerhalb seines Wohnwürfels, einer luftdichten Konstruktion von fünfundsiebzig Kubikmetern Inhalt. Er war auf Highspeed gelandet. Und drei Sekunden später erschütterte ein weiterer harter Schlag die Konstruktion. Der dritte Meteor...
4 Am nächsten Morgen, in der fünften Stunde nach der Zeitrechnung dieses höllischen Planeten, saß das gesamte Team am Frühstückstisch. Einige Fachleute waren von Vlare kurzerhand aus dem normalen Arbeitsablauf genommen und für die zu erwartende Arbeit abgestellt worden. Das reichhaltige Frühstück, das so aussah, als würde es Schwerstarbeitern verabreicht, ließ erkennen, daß keinerlei Nachschubschwierigkeiten bestanden. Einer der Ingenieure sagte gerade: »Es ist bei uns üblich, nicht vor dem späten Nachmittag mit der Außenarbeit anzufangen.« Die ORION-Crew, Tamara und Ronnie bildeten, deutlich sichtbar, Außenseiter in dieser Runde. Sie waren, verglichen mit den hier arbeitenden Terranern, geradezu auffallend bleich. »Wie schön«, sagte Atan heiter. »Dann widmen wir uns also den Arbeiten, die wir innerhalb der Station erledigen können.« Tamara fragte trocken: »Welchen?« Cliff bewegte unruhig den Kopf und zeigte dann auf eine riesige Karte, die eine ganze Wand des Raumes einnahm. Sämtliche Scheiben waren hauchdünn mit Gold bedampft worden, das Glas selbst war bläulich eingefärbt. Ein sehr helles Licht erfüllte den Eßraum, der aus sechs ineinander gebauten Wohnwürfeln bestand. »Drei Meteore«, sagte Cliff leise, aber seine Stimme wurde von allen hier am Tisch verstanden. »Drei
Meteore – wir sollten erst einmal feststellen, in welche Art von Gelände diese sogenannten Meteore eingeschlagen sind.« Einer der Männer hob den Arm. »Dafür bin ich zuständig. Außerdem habe ich bereits einige Aufzeichnungen gemacht, also sind durchaus einige Gedanken vorhanden.« »Ausgezeichnet«, sagte Cliff. »Und die Geländefahrt wickeln wir dann ab, wenn die Hitze abgenommen hat.« »So hielten wir's bisher immer!« sagte Vlare. »Die Leitung über die Außenkommandos habe ich. Eine Arbeit nach meinem Geschmack!« Ungewöhnlich nachsichtig meinte Ishmee: »Kein Wunder. Gefahren gehören ja bekanntlich zu Ihrem Leben.« »Höre ich Sarkasmus aus Ihrer Stimme heraus?« fragte Vlare aggressiv. »Nein«, sagte das Mädchen leise. »Ich bin gerade dabei, mir unter anderem auch den Sarkasmus abzugewöhnen. Kann sein, daß ich dabei etwas Schwierigkeiten habe.« Auf Cliffs Bitte trank der Geologe seinen Kaffee aus. Dann ging Clingmueller hinaus und kam nach einigen Minuten mit einem dicken Bündel von Plänen zurück. McLane und er setzten sich an einen Nebentisch, und der Geologe entrollte den ersten Plan. Er deutete auf den Mittelpunkt. »Hier haben wir den Punkt des Meteoreinschlags lokalisiert. Natürlich fanden wir, das sagte schon Vlare, keinen Einschlagkrater, sondern nur die Spuren eines Gegenstandes, der sehr heiß gewesen sein muß.«
Cliff sah den Plan genau an und sagte nach einiger Zeit: »Keine anderen Spuren?« »Nein. Etwa dreißig Meter, direkt neben dem ersten Tank, fanden wir diesen durchsichtigen Würfel, der inzwischen von Ronnie getestet wird. Sonst nichts.« Cliff grinste unschlüssig. »Nehmen wir an«, sagte er leise, »der Meteor war kein kosmisches Geschoß in dem Sinn der geläufigen Definition. Nehmen wir ferner an, die Hitzeentwicklung, die Sie festgestellt haben, käme von einem Bremstriebwerk. Ist das möglich?« »Ohne weiteres«, erwiderte Clingmueller verwirrt, »wenn ich auch noch nicht sehe, worauf Sie hinauswollen, McLane.« Cliff hob die Hand und drehte die Karte mit den Höhenlinien und dem Geländequerschnitt um neunzig Grad. Vom Nachbartisch kam der Wortwechsel einer erbitterten Diskussion herüber. »Ich erzähle Ihnen jetzt eine Geschichte, die zugegebenermaßen ziemlich phantastisch klingt. Aus dem Weltraum kam mit erheblicher Geschwindigkeit ein kastenförmiges Objekt. Es könnte sogar die letzten Meter oder die letzten hundert Meter an einem Energiefallschirm heruntergekommen sein. Dicht über dem Erdboden sprengte sich dieses Ding selbst auseinander, wobei sämtliche technischen Einrichtungen erhalten blieben und nur das Überflüssige verbrannte. Dieser durchsichtige Würfel wurde weggeschleudert und später gefunden. Der Rest begann, sich im Erdboden einzugraben. Es
kann senkrecht oder in allen erdenklichen Winkeln abwärts gewandert oder dicht unter der Oberfläche in alle Richtungen gekrochen sein. Zufällig kam die erste Sonde an einen Hauptstrom des hierher geleiteten Öles. Ist dieses Öl durch Metall beeinflußbar?« Der Geologe sah Cliff mit höchster Verwunderung an. Dann, nachdem er tief Atem geholt hatte, sagte Clingmueller: »Eine Geschichte, die stimmen könnte. Zugegeben; sie ist sehr phantastisch, aber das wahre Leben schreibt die wirrsten Stories.« »So ist es. Beantworten Sie meine letzte Frage?« »Natürlich kann dieses Öl, weitestgehend im Gegensatz zu den früher auf Terra geförderten Ölen, durch Metall beeinflußt werden. Es braucht nur einen entsprechenden Katalysator.« »Ein Katalysator ist ein Stoff, der andere verändert, sich selbst dabei aber nicht«, rekapitulierte Cliff einen Merkvers aus seiner Kadettenzeit. »Es sollte sich, meiner unfachmännischen Meinung nach, folgendes herausstellen: Falls wir den Gegenstand gefunden haben, werden wir auch ersehen müssen, daß er selbst oder etwas an ihm für die merkwürdigen Reaktionen des Highspeed-Öles verantwortlich ist.« Sie beugten sich über die Pläne und sahen, daß die Struktur des Geländes dieser Theorie von Cliff sehr entgegenkam. »Zuerst zehn Meter Sand, dann Geröll aller Art, hier in einer geschwungenen Kurve sichtbar – fast hundert Quadratkilometer groß. Darunter eine massive Felsschicht, nur an wenigen Stellen von Sand unterbrochen. Hier hinein reichen unsere Bohrschächte.«
Cliff sagte kopfschüttelnd: »Stellen Sie bitte alle Punkte fest, an denen es unserem Meteor gelungen sein könnte, direkten Kontakt mit dem Öl zu bekommen. Dort werden wir suchen müssen.« Clingmueller schaute auf und meinte zweifelnd: »Die betreffenden Punkte kann ich Ihnen in wenigen Stunden genau markieren, auch draußen im Sand. Aber die Suche kann lange dauern und ist sehr schwierig. Und gefährlich.« Cliff stand auf, drehte sich halb herum und deutete auf den blaubärtigen Vlare MacCloudeen. »Halten Sie sich an einen der zwei Kernsätze Ihres Chefs.« Clingmueller lachte laut und murmelte: »Wenn es der Meteorfindung dient!« Cliff ging zur anderen Gruppe zurück und hörte gerade noch, wie Tamara ihre Geheimdienstkollegin fragte: »Und was hast du inzwischen herausgefunden, Ronnie?« Eine erwartungsvolle Stille trat ein, während der man die Wanderung des hellen Vierecks auf dem Tisch beobachten konnte; die Sonne raste förmlich, verglichen mit der Rotation der Erde, über den Himmel. »Eine ganze Menge«, sagte die Elektronikerin. »Aber dazu brauche ich ein ziemlich gut eingerichtetes elektronisches Laboratorium.« »Haben wir, Mädchen!« rief Vlare dröhnend. »Wie schön«, meinte Cliff. »Vorab eine Frage: Was ist dieser Würfel?« Ruhig sagte Ronnie Aucrine:
»Ein Aufnahme- und Speichergerät ganz merkwürdiger Art.« Cliff beugte sich aufgeregt nach vorn und warf fast eine Tasse um. Er fragte heiser: »Was nimmt es auf?« Gleichzeitig fragte Hasso: »Was speichert es?« Ronnie strich ihr rotes Haar zurück und sah von Hasso zu Cliff und wieder zurück: Sie schien etwas verwirrt zu sein. »Dieser Würfel speichert Informationen. Wie er sie sammelt, weiß ich nicht. Auf alle Fälle ist es keine Speicherart, die wir kennen. Aber ich habe zwei Informationsausgänge feststellen können.« Tamara fragte leise: »Wenn es dir gelingen sollte, hier im ElektronikLabor die Art der Informationen festzustellen – was erwartest du?« Ronnie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht genau. Alles, was ich herausfinden konnte, war, daß sie weder optische Eindrücke noch akustische speichert, diese Einheit. Vermutlich sind es Informationen, in reine Schwingungen umgesetzt. Das bedeutet...«, sie brach ab. »Das bedeutet«, fuhr der Chefkybernetiker fort, »daß mit geeigneten Apparaten diese Schwingungen entzerrt, dekodiert und aufgeschlüsselt werden können. Was wird gespeichert worden sein?« Cliff sagte laut: »Alles das, was der Würfel ›erlebt‹ hat. Das ist jedenfalls meine Meinung. Wieviel Unterlagen haben wir über die beiden letzten Meteore?« Vlare schaltete ein Armbandfunkgerät ein; es war
die zivile Version des Flottengerätes. Er sprach einige Sätze, hörte die Antworten und erklärte dann: »Etwa die gleiche Menge von Informationen, die wir über den ersten Meteor haben. Eines ist erwähnenswert: Die drei Orte, an denen der Besuch aus dem Weltall gelandet ist, bilden die Endpunkte eines gleichseitigen Dreiecks, in dessen Mitte unsere Station liegt.« Cliff deutete nach draußen auf die Sandwüste und sagte dann: »Ich kann mir nichts anderes denken, als daß diese drei Sonden eines Tages zurückkehren sollen. Dann besitzt die große Elektronik im Zentrum des Mondes sämtliche Daten über Highspeed und über das Lager. Das wurde beabsichtigt. Damit scheint grundsätzlich Klarheit zu herrschen.« Vlare sagte staunend: »Sie haben sicher recht, Cliff. Wir sollten jetzt langsam die Vorbereitungen treffen. Die neuen Anzüge und deren Bedienung müssen erklärt, die geeigneten Teams zusammengestellt werden.« »Hier vertraue ich restlos auf Ihre Kenntnisse, Vlare!« sagte Cliff. Einzelne Gruppen bildeten sich, und die Besatzung der ORION wurde eingeteilt. Je zwei der HighspeedLeute und ein Terraner der Crew, die Gäste eingeschlossen, bildeten eine Gruppe. Ein Elektroniker, Mario de Monti und Ronnie Aucrine verließen den Raum und nahmen den fraglichen Würfel mit. Jetzt gab es noch mehr Mosaiksteinchen, aber das Bild war noch nicht einmal in Umrissen festgelegt. *
Fünf kleine Wagen und einige schwere Fahrzeuge rasten hintereinander hinaus in die Wüste. Sie fuhren direkt in das Licht der untergehenden Sonne hinein; noch zwei Stunden lang würde es Tageslicht geben. Die Fahrzeuge, ausnahmslos mit breiten Rädern ausgerüstet, waren sehr schnell und wendig, und die Maschinenleistung konnte noch um ein Vielfaches gesteigert werden. Die Expeditionsfahrzeuge, auf welchen Planeten auch immer sie arbeiteten, gehörten zu den technisch ausgereiftesten Konstruktionen, die auf Terra oder auf einigen anderen Planeten hergestellt werden konnten. Die Ironie lag unter anderem darin, daß auch hier die Öldruckschalter und einige hydraulische Anlagen mit dem Öl von Highspeed gefüllt waren – allerdings mit einer Füllung, die vor dem fraglichen Tag vorgenommen worden war. Vlare erklärte Cliff, der in dem weißen Schutzanzug neben ihm saß und auf die eintönige Landschaft hinausstarrte: »Wir fahren jetzt zu der ersten Stelle. Dort stehen bereits einige der schweren Robotgeräte und helfen uns, ohne daß wir danebenstehen müssen.« Die Wüste sah aus wie ein goldenes, in seiner Dünung erstarrtes Meer. Die Reifen schnitten breite Doppelspuren in die sanften Hänge und brachen die haarfeinen Linien der Dünenkämme. Als der anführende Wagen eine besonders hohe Düne erklettert hatte, sah Cliff das Öllager und die provisorisch wirkende Landefläche für die Robotschiffe. »Dort vorn?« fragte er. Es waren nur wenige Kilometer zwischen dem Hauptlager und dieser zentralen Abfüllstation. »Ja. Dort, wo Sie den riesigen Sandschleier erkennen können.«
Als der Wagen die nächste Düne hochgekrochen war, sah Cliff gegen die Sonne auch diesen Fleck. Er war ebenso trostlos wie alles um ihn herum, aber hier standen mächtige Maschinen, die mit äußerster Kraft arbeiteten und an sechs genau festgelegten Plätzen den Sand absaugten und ihn fünfzig Meter weit schleuderten, wie Pumpen für Wasser. Cliff glaubte, den Sand schon zwischen den Zähnen zu spüren. »Hoffentlich finden wir, was wir suchen. Was ich mir vorstelle«, sagte Cliff und verlor plötzlich eine Menge von seinem Optimismus. »Auf keinen Fall wird es eine schnelle oder leichte Arbeit werden«, sagte Vlare ohne jede Rücksicht. »Ich empfehle Ihnen, sich auf einen langen Aufenthalt hier vorzubereiten.« »Ja. Ich denke immer mehr, daß wir es nicht leicht haben werden.« Auch hier war das Gelände imprägniert worden. Die Bohrleute hatten große Mengen einer Substanz abgesprüht, die mehrere Zentimeter tief in den Sand einsickerte, die einzelnen Körnchen miteinander zu einer harten Schicht verband und so das Wandern verhinderte. Der Aufwand, diesen Planeten oder zumindest einen kleinen Teil davon zu kolonisieren, wäre immens gewesen und hätte doch nicht mehr hervorgebracht als eine anfällige Oase inmitten eines planetenweiten Sandgebiets, und dazu war die Relation zu unausgeglichen. Jedenfalls standen die Anlagen hier in einem Kreis von etwa zwei Kilometern Durchmesser, der wie eine riesige flache Mulde aussah. Auf dem Grund dieses seichten Kessels standen einige Schiffe, die technischen Anlagen und die Sandsaugmaschinen.
Die Fahrzeuge rasten den letzten Hang hinunter und nahmen Kurs auf die Fontänen. Die Personenwagen kurvten aus und blieben stehen, die Maschinenfahrzeuge fuhren näher an die arbeitenden Saugmaschinen heran. Cliff und Vlare stiegen aus. »Wir müßten jetzt eigentlich auf die Geröllschicht gestoßen sein. Darunter sind die ölführenden Bohrungen und die Parallelstränge, in denen Luft eingeblasen wird. Die Maschinen säubern die Umgebung von je einem Anschluß.« »Gut«, sagte Cliff leise. »Sehen wir uns das einmal aus der Nähe an.« Hier, im Schatten der Passagierzelle, war es auszuhalten. Aber als Cliff aus dem Schatten trat, wußte er, warum er diesen engen, weißen Anzug trug. Die Aggregate, die kühlendes Wasser durch ein Netzwerk des Gewebes leiteten, waren bitter notwendig. »Heiß, wie?« fragte Vlare und deutete auf den langen Schlauch mit einem Zwei-Meter-Durchmesser, der aus einer der Maschinen hervorkroch und auf kleinen, steuerbaren Raupenketten ruhte. Der Ansaugtrichter steckte halb im Sand, der angesaugt wurde und verschwand. »Verdammt warm!« pflichtete Cliff bei. Der Helm mit dem leichten, gelben Visier war ebenfalls an die Kühlleitung angeschlossen. Trotzdem schwitzte Cliff, und er vermutete ganz richtig, daß das Schwitzen psychologisch bedingt war. Vor ihnen waren sechs große Trichter entstanden. Ihre Ränder gingen teilweise ineinander über, und auf dem Grund der runden, leergefegten Kreise sah man das gelbweiße Gestein; Kies und Schotter in al-
len Größen. Aus jedem Kreis stieß ein mächtiges, chromblitzendes Rohr senkrecht hervor, ging in vier Metern Höhe in eine Sammelleitung über, die in den Pumpen endete. Von dort aus erfolgte die Verteilung in die einzelnen Vorratstanks. Die Anlage stand jetzt. »Wir haben sie abgeschaltet, als wir von dem Öl erfuhren. Auch die Schiffe sind gestoppt worden«, erklärte Vlare. »Hier haben Sie den Boden des Planeten. Und hier müßte unser Gast stecken.« Einige Männer in den gleichen Schutzanzügen waren nähergekommen. Sie trugen Ziffern auf den Helmen. »Wo sollen wir anfangen, Chef?« fragte sie. Cliff und Vlare deuteten auf den Mittelpunkt der freigelegten Fläche. Dort waren die Spuren des Meteors festgestellt worden. »Einverstanden.« Einer der kleinen Wagen war mit einer elektronischen Suchapparatur ausgerüstet worden. Vier verschiedene Detektoren begannen zu arbeiten, sie würden jeden Fremdkörper bis in einer Tiefe von zweihundertfünfzig Metern aufspüren und sein Bild auf einen Spezialschirm spiegeln. Der Wagen fuhr an, rollte leise brummend an Cliff und Vlare vorbei und steuerte auf den Mittelpunkt der abgeräumten Fläche zu. Die breiten Reifen bewegten sich knackend über den Geröllgrund, ließen einzelne Steine nach den Seiten prallen und hielten dann knirschend an. Der Wagen drehte sich in die richtige Position und begann dann mit seiner Rundfahrt. Es sollte eine Spirale mit sehr engen Windungen werden. Dieses Verfahren versprach ein Höchstmaß an Erfolg, aber niemand wußte, ob sich der Spi-
on schnell fortbewegen konnte und wie weit er gekrochen war. »Wieder warten!« sagte Vlare. Cliff kauerte sich drei Schritte entfernt nieder und berührte den Rand eines drei Meter durchmessenden kuppelförmigen Netzes mit engen Maschen. Auch dieses Teil bestand aus Spezialstahl. »Was ist das?« Vlare kam näher und brummte: »Wir pumpen riesige Hohlräume leer. Das Öl steht nicht unter Druck, sondern ist in riesigen Blasen eingeschlossen. Um es herauspumpen zu können, müssen wir für Druckausgleich sorgen.« Cliff verstand. Würde die Anlage laufen, würde der eingesaugte Luftstrom seine Hand gegen die kleinen Maschen des Netzes pressen. Der Wagen fuhr zum viertenmal an ihm vorbei, die Spirale öffnete sich mehr und mehr, jedesmal um einen Meter oder etwas darüber. Es konnte endlos dauern. Vlare MacCloudeen blieb vor Cliff stehen, stemmte die Fäuste in die Seiten und erkundigte sich besorgt: »Haben Sie die geringste Ahnung, Kommandant, was das alles soll?« »Nein«, sagte Cliff wahrheitsgemäß. »Ich vermute nur, was passiert ist. Aus welchem Grund aber, darüber habe ich nicht einmal eine Idee.« Er schwieg und sah zu, wie der kleine Wagen langsam der Spirallinie entlangfuhr, die jetzt bereits sechs Meter vom Zentrum entfernt war. * Zwei Stunden später ging die Sonne unter. Eine riesige, blutrote Scheibe berührte den Hori-
zont, der sich als Wellenlinie aus lauter Dünenkämmen darstellte. Die Schatten waren hart und lang geworden. Rötliches Licht überschüttete die karge Landschaft. Die Männer neben den Maschinen warteten, und inzwischen hatten drei der sechs Saugwerke ihre Tätigkeit eingestellt und waren von den Männern nebeneinander abseits der Arbeitsstelle abgestellt worden. Zugleich mit dem roten Licht kam eine seltsame Beklemmung über McLane. Vlare ging vor Nervosität spazieren und fluchte, die anderen Bohrleute langweilten sich und warteten auf etwas. Es mußte ihrer Meinung nach jede Sekunde passieren. »Brauchen Sie Scheinwerfer?« fragte Vlare endlich. Cliff schüttelte den Kopf. »Wozu?« »Auch gut.« Das flach einfallende letzte Licht des Tages verwandelte die Landschaft in eine Welt aus roter Farbe, stumpfgoldenem Sand und schwarzen Schatten. Cliff stand da, das Geräusch der Motoren in den Ohren und beobachtete einen Techniker, der sich aus der Gruppe der Wartenden gelöst hatte und auf einen der Haufen zuging, die von den Saugmaschinen ausgeworfen worden waren. Er blieb am Fuß des Abhangs stehen, schaute einige Minuten an der Fläche hinauf und begann dann, hinaufzuklettern. Er versank bis zu den Knien im Sand, robbte langsam höher, und als Sand nachrutschte, streckte er beide Hände aus und fing etwas auf. Er drehte sich auf den Rücken und richtete sich auf, nachdem er drei oder vier Meter abgerutscht war. Schließlich klopfte er seinen Schutzanzug ab und rannte dann auf Cliff und Vlare zu. Vlare sagte unruhig:
»Mike scheint etwas gefunden zu haben, Cliff.« Cliff fühlte, wie seine Unruhe zunahm. Das alte Gefühl vor der Gefahr oder vor überraschenden Entdekkungen war wieder da. »Das glaube ich auch!« bestätigte er. Jetzt war der Mann bei ihnen. Ein Personenfahrzeug in der Nähe schaltete sechs Scheinwerfer an. Eine weiße Lichtfülle kam von links und ließ den Gegenstand, den der Techniker in beiden Händen hielt, deutlich werden. »Chef!« sagte der Mann atemlos, »das habe ich im letzten Sonnenlicht funkeln gesehen.« »Danke«, sagte Vlare und streckte seine Hand aus. Die drei Männer gingen langsam auf den Personenwagen zu, und von allen Seiten kamen die übrigen Mitglieder des Teams heran. Binnen Minuten hatte sich um Vlare und Cliff ein dichter Kreis gebildet. Im harten Licht der Scheinwerfer setzten sie sich auf den Boden und betrachteten den Fund. Er schien ebenfalls der Technologie jener Baumeister entsprungen zu sein, denen der schwarze Mond seine Oberflächenstruktur und seine überraschend gut funktionierenden Inneneinrichtungen verdankte. »Wieder eine Frage. Nichts als Fragen – und keine Antworten. Was ist das? Ich bin nur ein einfacher Bordingenieur, aber Sie als Raumfahrer...« »Unsinn!« sagte Cliff hart und klappte das Sonnenschutz-Visier seines Helmes hoch. Schon jetzt begann die Luft abzukühlen. »Keine Ahnung?« »Nein. Nur hier... da könnte der durchsichtige Würfel gesteckt haben.« Zwischen ihnen lag ein Ding, dessen Form die
Funktion nur teilweise erklären konnte. Am Ende und am Anfang eines länglichen Konglomerats von runden, kugelförmigen und würfelförmigen Elementen gab es jeweils drei winzige Raupenketten aus einer plastikähnlichen Masse. Sie liefen frei durch, als Cliff versuchte, sie mit dem Daumen zu bewegen. Der Zwischenraum der Kettenglieder war mit einem undurchsichtigen Teil ausgefüllt, in dem sich vermutlich der Antrieb befand. »Dieser Gegenstand kann sich, wie auch immer er liegt, sowohl im Gelände bewegen als auch innerhalb von Röhren.« Vlare deutete auf den zusammengeschmolzenen Spitzkegel an der Vorderseite. Er war schwarz und angerußt. »In Röhren, die er sich selbst schmelzen kann. Das ist ein Strahler, der so ähnlich funktionieren muß wie die HM 4, die Sie tragen«, sagte Vlare. Er war sehr sicher. »Sie haben recht«, meinte Cliff nach einer Weile. »Und an dieser Stelle saß der Würfel.« Die Kontaktstellen, an denen Ronnie ihre elektronischen Taster angeschlossen hatte, wiederholten sich hier. Es gab noch weitere drei Würfel von der gleichen Größe, die auf einer Hülse saßen. Als Cliff auf die einzelnen Verbindungen und Teile tippte, ertönte ein hartes Klicken, dann ein schnurrendes Geräusch, und der zweite Würfel krachte gegen die Schale des Fahrzeugs und erzeugte dort eine tiefe Beule. »Durchschlagskraft wie ein kleines Raketengeschoß!« kommentierte einer der Techniker. Die Männer waren in Deckung gegangen und richteten sich jetzt wieder auf.
»Das erklärt also auch«, riefe Vlare und warf wutentbrannt seinen Helm auf den Boden, »wie der erste Würfel, den ich nach Terra brachte, in die Nähe unseres Lagers kommen konnte. Er wurde einfach abgefeuert! Ein teuflisches System!« Cliff stand auf und sah auf das rätselhafte Gerät, das zu seinen Füßen lag. Er zuckte zurück, als ein Summen ertönte, als sich die sechs Raupenketten bewegten und diesen Teil der Spionsonde vorwärtstrieben. Schnarrend und brummend schob sich der metallene Wurm zwischen Cliffs Stiefeln durch, glitt aus dem Lichtkreis heraus und raste in gerader Linie davon. Vlare brüllte: »Fangt es! Los!« Er wirbelte herum und lief drei Schritte, dann hechtete er in die Dunkelheit und warf sich über den Gegenstand. Jemand reagierte blitzschnell, sprang in einen der Wagen und schwenkte einen Suchscheinwerfer herum. Vlare kämpfte drei Sekunden lang mit dem wild schnurrenden Ding, dann hielt er es gepackt und riß seine Arme hoch. Das Summen wurde lauter, der Ton kletterte höher, die sechs winzigen Raupenketten drehten sich wahnsinnig schnell leer durch. Cliff nahm Vlare das Ding ab und hielt es senkrecht. Das Summen hörte auf, die Raupenketten liefen aus. Vlare und Cliff starrten sich an. Der Bart des Ingenieurs hatte sich gesträubt, und seine Stimme klang wie ein Gewitter. »Sie haben so verdammt recht, Raumfahrer!« »Ich weiß«, sagte Cliff. »Ich habe meist recht, wenn
es unangenehme Dinge betrifft. Wissen Sie jetzt, was geschehen ist?« »Ja«, sagte MacCloudeen. »Bevor diese Sonde hier landete, sprengte sie sich auseinander und verbrannte die Reste. Dann verteilten sich die einzelnen Informations-Einholer. Einer flog im hohen Bogen bis zum Lager, der andere wühlte sich durch den Sand oder sogar unterhalb des Sandes weiter. Andere Teile nahmen andere Wege. Vielleicht fliegen hier auch noch einige Kugeln herum. Aber... was soll das alles?« Cliff hob die Schultern. Sie wußten mehr, aber das Warum war noch immer nicht beantwortet worden. »Wir lassen dieses Element senkrecht stehen, dann kann es sich nicht fortbewegen«, sagte Cliff McLane. »Und dann...« Er wurde unterbrochen. In der gleichen Sekunde ertönte der schnarrende, laute Summer des Wagens mit den Suchapparaturen. Gleichzeitig blendeten die Scheinwerfer auf und ab. Vlare riß seinen Arm hoch, schaltete das Funkgerät ein und fragte aufgeregt: »Was ist los, Dave? Habt ihr etwas gefunden?« Der Wagen stoppte, rollte drei Meter zurück, und Cliff hörte die quäkende Antwort aus dem kleinen Lautsprecher. »Kommen Sie selbst, Chef, und sehen Sie sich das Echo auf unseren Schirmen an. Es ist verdammt interessant!« »Gefahren gehören zum Leben«, sagte Vlare, holte Atem und spurtete los. »Kommen Sie, Cliff!« Cliff rannte hinter ihm her. Auch die anderen Männer setzten sich in Bewe-
gung und folgten Vlare und Cliff. Ein großes Dreieck von weißem Licht fiel innerhalb des künstlichen Talkessels auf das Geröll. Außerhalb dieses Lichtes standen jetzt die sechs riesigen Saugmaschinen, die anderen Fahrzeuge und die meisten Personenwagen. Alle Terraner liefen innerhalb dieses Lichtdreiecks auf den kleinen Suchwagen zu und blieben in der Nähe des Einstiegs stehen. Cliff und Vlare verschwanden im Innern. Hier empfing sie Dunkelheit, die nur von kleinen, verschiedenfarbigen Armaturenlichtern und von dem fahlen Leuchten erhellt wurde, das von vier nebeneinander angebrachten Schirmen ausging. »Berichte!« sagte Vlare und setzte sich vor die Schirme. Cliff nahm neben ihm Platz. »Es gibt nicht viel zu berichten. Wann wir es fanden, wissen Sie, Chef. Wo wir es fanden, wissen Sie jetzt ebenfalls – wir stehen direkt senkrecht darüber.« Vlare las eine Zahl an einem der Schirme ab und sagte: »Marke Vier. Bedeutet dreißig bis fünfunddreißig Meter Tiefe.« »Richtig.« Cliff sah viermal das gleiche Bild, aber in verschiedenen Farben, davon zweimal negativ. »Masse?« fragte Vlare. »Entsprechend einer Menge Eisen von fünfundzwanzig Kilogramm. Plusminus drei Prozent Fehlanzeige. Länge über alles einhundertzehn Zentimeter, an der dicksten Stelle etwa vierzig Zentimeter breit.« Eine erwartungsvolle Stille breitete sich aus. Ein Mann sagte mit leiser Stimme den Wartenden die ermittelten Werte durch. Plötzlich hob der Techniker,
der seit Stunden auf die Schirme gestarrt und die Feinabstimmungen vorgenommen hatte, die Hand und tippte mit dem Finger auf den zweiten Sichtschirm. »Kommandant McLane... sehen Sie hier die beiden Linien auf dem Schirm?« »Ja«, sagte Cliff. »Was ist das?« Der Techniker drehte an einem runden Kontakt, schaltete zweimal und sagte in das Knacken und Surren hinein: »Das ist die stählerne Förderleitung, und das daneben ist die Luftleitung, die einhundert Meter tief hinunter in die Ölblase führt. Sie sehen jetzt das aufgefundene Objekt nicht, aber wenn ich die Werte verändere...«, wieder drehte er an dem runden Schalter, worauf die Deutlichkeit der beiden Röhren abnahm und das unbekannte Objekt in seinen wirren Linien stärker hervortrat, »... dann werden Sie es genau erkennen.« Cliff sagte dumpf: »Dieses Ding sitzt mitten im Ölstrom, in etwa fünfunddreißig Metern Tiefe.« »Also hat es, wie Ihre Theorie auch aussagte, direkte Verbindung zu unseren gesamten Ölvorräten. Denn die anderen Bohrlöcher sind zwar technisch fertig, aber noch nicht angezapft worden.« Vlare schlug Cliff auf die Schulter, und da dieser Schlag Ausdruck seines Respekts war, brach er Cliff fast das Schultergelenk. »Vermutlich trifft alles zu, was Sie sagten. Auch der Umstand, daß die Spionsonde katalysatorisch wirkte.« »Meinetwegen«, sagte Cliff. »Das können wir fest-
stellen. Ich werde hinuntergehen und die Sonde holen.« Vlare rief: »Nicht Sie. Ich! Schließlich bin ich der Chef dieses Lagers. Sie haben unsere Unschuld bewiesen, und ich werde dieses verdammte Ding herausholen. Und dann lege ich es Wamsler auf den Schreibtisch.« Cliff deutete auf den Schirm. »Ist Öl in der Steigleitung?« »Nein. Erst dann wieder, wenn wir zu fördern anfangen können. Der Zeitpunkt dafür ist dank Ihrer wertvollen Mithilfe nicht mehr fern.« Cliff nahm den Helm ab und wischte sich den Schweiß vor der Stirn. »Noch nie in Ihrem Leben haben Sie sich so sehr geirrt«, sagte er. »Erstens werde ich mich morgen nach Sonnenaufgang anseilen und diese Sonde fangen. Zweitens wird es noch lange dauern, bis wir wieder reines Öl fördern werden. Denken Sie an die beiden anderen Meteore. Drittens bin ich müde und verschwitzt. Und viertens habe ich die Verantwortung über den Einsatz. Ich bestimme, wer sich den Risiken aussetzt. Sie werden es nicht sein.« Vlare schüttelte den Kopf und brummte ärgerlich: »Sie haben da einen derartig autoritären Tonfall, daß man glatt strammstehen möchte.« »Unnötig«, sagte Cliff. »Wir sollten für heute den Versuch abbrechen und unsere Elektronikerin besuchen.« Draußen entstand Bewegung, und einige aufgeregte Stimmen schrien etwas. Cliff verstand nichts. Er stieg aus, bekam einen Stoß und fiel... er fiel in Sand. Er richtete sich auf und bemerkte um sich herum ei-
nen Haufen Männer, der versuchte, sich strampelnd, ausschlagend und fluchend aus einem Sandhaufen zu befreien. »Flußsand!« »Verdammt!« »Der Sand – Hilfe!« Cliff gellten die Schreie in den Ohren. Er stand schwankend da, während der Sand unter seinen Füßen zu leben schien. Unaufhörlich, wie reißendes Wasser, schoben sich neue Sandmassen von allen Seiten heran, ließen das Fahrzeug eine Serie wilder, unkontrollierter Bewegungen ausführen, und das Scheinwerferlicht schwankte wie das eines Bootsscheinwerfers. »Der Sand! Er frißt uns alle!« schrie Vlare, dann jaulte der Motor des kleinen Wagens auf. Cliff fühlte sich von einer riesigen Hand am Gürtel gepackt, hochgeschoben und herumgewirbelt, dann flog er förmlich in das Innere des Wagens zurück. Mit wild durchdrehenden Reifen startete der Suchwagen, schleuderte hin und her und wurde schneller. Seine Räder wirbelten Sand hoch, und Vlare beugte sich weit aus dem Einstieg und griff wie ein Bär, der an einer Stromschnelle Lachse schlägt, nach seinen Leuten. Etwa fünfzehn Männer kämpften gegen den Sand, der von allen Seiten auf sie einströmte. Cliff hielt sich fest, während der Wagen schlingernd seinen kurvigen Weg fortsetzte. Ein Bohrtechniker fiel auf ihn und drückte ihm fast eine Rippe ein – Vlare hatte ihn aus den Sandmassen hervorgezerrt. Dann hörte Cliff, wie jemand in der Ferne die Maschinen eines schweren Kranwagens anließ. Acht
Paare von Rädern, deren Durchmesser sechs Meter betrug, setzten sich mahlend in Bewegung. Das Fahrzeug schleuderte mit voll aufgeblendeten Scheinwerfern und ausgefahrenen Sprührechen auf das Zentrum des tödlichen Sandes zu. Der Motor heulte, und das überlastete Getriebe kreischte. Das Inferno begann – hier und jetzt.
5 Der Sand hatte ein mörderisches Eigenleben entwikkelt. Die Bohrtechniker, seit Jahren hier stationiert und vertraut mit allen Gefahren dieser Natur, handelten instinktiv. Noch während der kleine Wagen versuchte, den drückenden Sandmassen zu entkommen, ratterte der Kranwagen heran. Er bahnte sich einen Weg durch den Sand. Scheinwerfer flammten auf, der Summer ertönte, und fauchend wurde die bindende Flüssigkeit aus den Düsen gepreßt. Die Haufen, von den Saugmaschinen ausgeworfen, näherten sich wie zähflüssiger Sirup. Einzelne Ausläufer, wie Pseudopodien geformt, krochen auf die Männer zu und rissen sie von den Beinen, nachdrückender Sand flutete über ihre Körper. Vollbeladen mit zehn Männern raste der Personenwagen aus dem Sand heraus, schleuderte einmal um hundertachtzig Grad und fuhr dann mit einem gewaltigen Schwung die leichte Böschung hinauf, deren Oberfläche sich nicht bewegte. Die Männer sprangen ab und rannten nach allen Seiten auseinander. Dann ertönten die Anlassergeräusche, weiteres Licht konzentrierte sich im Mittelpunkt des Geröllkreises. »Können Sie steuern, Raumfahrer?« brüllte Vlare und schob den letzten der geretteten Männer aus dem Einstieg. »Natürlich«, rief Cliff. »Zurück?« Vlare klammerte sich mit einer Hand am Rahmen des Einstiegs fest und sagte über die Schulter:
»Ja. Die anderen Männer holen.« »Verstanden.« Der Wagen machte einen Satz und fegte der Helligkeit entgegen. »Verdammt! Wir kommen zu spät!« dröhnte Vlares Stimme durch die Nacht. Cliff versuchte zu zählen, aber die schnellen Bewegungen sowohl des Wagens als auch der um ihr Leben kämpfenden Männer machten eine genaue Zählung unmöglich. Er schätzte, daß zehn Mann bis ein Dutzend dort, halberstickt, sich gegen den Sand wehrten. Der Kranwagen fuhr geradewegs auf die Gruppe zu, und seine Räder teilten den Sand, als ob es sich um seichtes Wasser handelte. Von der anderen Seite näherten sich Cliff und Vlare. »Langsam, du Idiot!« brüllte der Chefingenieur. Der Kranwagen bremste ab und fuhr im Schrittempo weiter. Die vordersten Räder standen jetzt dicht vor dem ersten Körper. Der Kranarm senkte sich, und der Fahrer drückte mehrmals auf den Summer. Es war, als röhrte ein Saurier durch die Nacht auf Highspeed. Vlare schwang sich aus dem Wagen, lief drei Meter weit über den Sand, fast ohne einzusinken, und packte dann den ersten Mann, riß ihn hoch und warf ihn förmlich hinauf auf die Ladefläche. Dann pendelte der Seilhaken herüber, Vlare stellte einen Fuß hinein und hob den Arm. »Los! Runter!« Der Fahrer arbeitete wie besessen. Mit dem automatischen Sucher, der sich stets an die Stelle richtete, an der der Haken aufsetzen würde, leuchtete er die Sandfläche aus. Vlare krümmte seinen Körper und half dem zweiten Mann aus dem Sand, der ihn fest-
hielt wie saugender, dicker Schlamm. Cliff fuhr weiter, hielt neben einem halb sandbedeckten Körper an und riß den Mann hoch. Der Techniker wehrte sich nicht, half aber nur wenig mit. Schließlich hatte ihn Cliff in der Kabine. Gurgelnd und spuckend, keuchend und röchelnd bewegte sich der Mann. In der gleichen Zeit fischte MacCloudeen zwei weitere Männer auf, ließ sie auf die Ladefläche fallen und schwang dann mit dem Kranarm wieder zurück. Eines der sandsaugenden Ungetüme kroch heran, der Saugrüssel fuhr suchend über den Sand, dann liefen die Turbinen an. Cliff drehte den Wagen, leuchtete im Fahren die Oberfläche ab und sah, daß vier Männer noch lebten; sie kämpften lautlos gegen die tödliche Umarmung. Ein fünfter... der Wagen beschleunigte erneut und steuerte darauf zu. Hielt neben dem fast unsichtbaren Körper an. Saugrüssel und Cliffs Arm näherten sich gleichzeitig – dann hatte der Kommandant den schweren Körper hochgehievt und zerrte ihn in den Einstieg. Tot? Cliff riß die Sauerstofflasche aus der Halterung, drehte das Ventil auf und setzte die Maske dem Mann über Nase und Kinn. Einige Minuten später atmete der Mann normal, und Vlare schwang sich, den Seilhaken loslassend, in die Fahrkabine. »Aus!« stöhnte er und wischte den Schweiß von der Stirn. »Haben wir alle herausholen können?« Vlare nickte und gab Cliff einen Wink. Der Wagen drehte fast auf der Stelle und fuhr zurück auf die ge-
festigte Sandschicht. »Ich denke. Wir werden abzählen lassen.« Vlare schaltete sein Armbandfunkgerät an und rief einige Kommandos in das Mikrophon, dann dirigierte er Cliff zu der Reihe der abgestellten Fahrzeuge. Dort standen bereits einige Gruppen, stellten sich jetzt zu je fünf Mann auf und zählten ab. Als Cliff und Vlare aus dem Wagen heraussprangen, sagte einer der Techniker: »Zwei Mann fehlen, Bill und Evan.« Vlare deutete auf den Wagen und knurrte: »Holt sie 'raus. Sie sitzen im Wagen und spucken Sand. Hervorragende Arbeit – wir haben alle gerettet. Und morgen früh werden wir der Sache auf den Grund gehen. Hat jemand von euch schon einmal gesehen, daß sich der Sand bewegte? Ich meine: ohne Sandsturm oder nachrutschend?« »Nein, Chef«, sagte einer der Männer. »Daran sind nur die Raumfahrer schuld.« Er grinste Cliff an und ging dann am Kommandanten vorbei, um seinen Freunden zu helfen. Sie trugen die noch immer halb bewußtlosen Männer ins Freie und flößten ihnen Alkohol in solchen Mengen ein, daß Cliff befürchtete, sie würden an Alkoholvergiftung sterben. Cliff wandte sich an Vlare und sagte mit Bestimmtheit: »Der Sand ist ebenso wie die Moleküle des Öles beeinflußt worden. Ich verwette mein Offizierspatent, daß er versucht hatte, unseren Fund wieder zu holen. Diese Spionsonden sind sehr talentiert.« Vlare grinste und erwiderte: »Ich wette niemals um Kleinigkeiten, Cliff, aber Sie
haben vermutlich recht. Ich schlage vor, wir fahren erst einmal zurück ins Lager und diskutieren die Angelegenheit. Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, werden wir die Sonde aus dem Luftstollen holen.« »Einverstanden, Vlare.« Der Chefingenieur gab einige Anordnungen. Wenige Minuten später fuhr das Team, das aus vierundzwanzig Männern bestand, wieder zurück. Eine Kette von Lichtern bewegte sich durch die dunkle Wüste, über der die Sterne standen. Einer dieser Sterne war die irdische Sonne. Und zwischen den Sternen befand sich ein schwarzer, kleiner Körper, der wie ein Mond aussah. Cliff drängte sich eine Analogie auf: Auch das Große Schiff wartete, von der Erde ausgesehen, wie ein Stern unter Sternen über Australien. »Das ist es!« murmelte er. »Wie?« Vlare konnte nicht wissen, welche Gedanken dem Kommandanten durch den Kopf gingen. »Ich sagte: das ist es. Das Große Schiff!« »Ich habe davon gehört«, sagte Vlare. »Kennen Sie es wirklich so gut?« »Sofern man diesen gigantischen Apparat kennen kann, ist die ORION-Crew diejenige Mannschaft, die das Große Schiff am besten kennt, ja!« erwiderte Cliff und schwieg, bis sie wieder im Zentrallager waren. Cliff zog sich langsam den weißen Schutzanzug aus, kippte den Sand aus seinen Stiefeln und stellte sich dann unter die Dusche. Anschließend schaltete er seinen Bandrecorder ein, wählte ein Renaissance-Stück und setzte sich im Morgenmantel bequem in den schweren Sessel. Er legte die Fersen auf einen Seitenschrank und dachte nach, ein Glas Cognac in den Fingern.
Langsam ging er Punkt für Punkt die Ereignisse durch und versuchte, verbindende Punkte zu finden. Die Überlegungen dauerten etwa eine Stunde, dann war das Band abgelaufen, der Cognac leer. Cliff stand wieder auf grinste seinem Spiegelbild im Bad zu und zog sich die Bordkleidung an. Er verließ seinen Wohnwürfel, ging über das System von Treppen und Schrägflächen hinunter und langsam auf die ORION zu. Er sah auf die Uhr, während er die wenigen Meter zurücklegte und rechnete kurz; auf der Erde, in Australien, war es jetzt etwa später Nachmittag. Er nickte zufrieden und stellte sich in den Zentrallift, fuhr in die Steuerkanzel und setzte sich vor das Funkpult. Sekunden später waren die Schaltungen durchgeführt, und Earth Outer Space Station IV meldete sich. »Hier ist Kommandant Cliff Allistair McLane in der ORION VIII. Ich brauche eine Sichtfunkverbindung mit Raummarschall Winston Woodrov Wamsler.« Die Stimme sagte: »Einen Augenblick, ich versuche durchzuschalten.« Cliff wartete einige Minuten und legte sich zurecht, was er Wamsler berichten wollte. Dann erhellte sich der Schirm; das Bild war farbig und dreidimensional – die Entfernung von der Erde betrug nur rund drei Entfernungskreise. »Ich hatte Sie eigentlich schon zurückerwartet!« sagte Wamsler vorwurfsvoll. »Sie machen so ein bekümmertes Gesicht, McLane!« Cliff beugte sich kopfschüttelnd vor und starrte in die Linsen des Aufnahmesatzes. »Ich dachte schon, Sie hätten in den letzten zwei
Jahren Ihren Charakter geändert. Sie entwickelten sogar Sarkasmus. Und jetzt wieder dieser Rückfall. Hören Sie bitte zu, was ich Ihnen zu schildern habe.« Er brauchte zwanzig Minuten, um Marschall Wamsler einen Abriß der bisherigen Geschehnisse zu geben. Dann sagte er: »Haben Sie mitgeschnitten, Marschall?« Wamsler war nachdenklich geworden. Er nickte kurz und deutete schräg nach unten, dort befanden sich die Schalter für die Aufnahmegeräte. »Ja. Sie haben einen bestimmten Verdacht?« meinte Wamsler. »So ist es. Übergeben Sie dieses Band dem besten Programmierer, den Sie haben. Schicken Sie ihn ins Große Schiff. Lassen Sie ihn der Elektronik dieses Schiffes den Inhalt des Bandes eingeben.« Wamsler fragte entgeistert: »Was, um alles in der Galaxis, haben Sie vor?« Cliff lächelte etwas, hob dann die Hand und sagte halblaut: »Erinnern Sie sich, Marschall: In unseren TiefschlafZellen liegt noch immer der letzte Unsterbliche. Sein Name ist Simer. Erinnern Sie sich weiter Die ORIONCrew hat den Status von Botschaftern, Botschafter nämlich der Dara aus dem Vierzig-Planeten-System. Der Programmierer soll als letzte Frage eingeben, was die Dara ihren Botschaftern raten. Ich hoffe stark, daß uns dies einen Riesenschritt weiterbringt.« Wamsler hatte Cliffs Wünsche notiert. »Haben Sie Hoffnung, daß dieses Öl wieder normal wird?« »Nicht eher, bis wir das Geheimnis der Sonden und des schwarzen Mondes gelöst haben. Jedenfalls hat
eine der Sonden sogar den Sand rebellisch gemacht. Bitte, melden Sie sich wieder, wenn die Elektroniken des Großen Schiffes geantwortet haben.« »Sie rechnen fest damit, Cliff?« Wamsler atmete schwer; er überdachte gerade die Situation und fand heraus, daß die Lage für Terra und die terranische Raumfahrt keineswegs einfach war. »Nicht fest, Raummarschall. Es ist eine Möglichkeit unter vielen. Wir müssen erst die Untersuchung hier im elektronischen Labor abwarten.« »Verstanden. Ich melde mich wieder, bitte stimmen Sie Ihr Armbandfunkgerät auf die Bordanlage ab.« »Gut. Ende?« »Viel Glück noch. Ende.« Wamslers Bild verblaßte. Cliff nahm einige Schaltungen vor. Jetzt würde, falls ein Anruf erfolgte, sein Armbandfunkgerät summen, und er konnte mit der ORION als Relaisstation direkt mit der Basis 104 sprechen. Er verließ das Schiff und ging zum Lager zurück. Die Nachtluft war eisig, und ein leichter Wind hatte sich aufgemacht. Cliff setzte sich auf die Röhrenkonstruktion vor seinem Wohnwürfel, stützte den Kopf in die Hände und starrte die Sterne an, als könne er dort Antworten auf die vielen Fragen finden. Aus der Kantine kam der Lärm von Geschirr und von vielen Gesprächen, und aus vielen Fenstern fiel Licht und bildete Rauten und Vierecke auf dem Sand. Auch das waren Bilder, die nicht nur Cliff sah, sondern auch mindestens zwei Spionsonden sahen. Aus welchem Grund aber hatten die Sonden den Sand und das Öl beeinflußt? Und welche Technik steckte dahinter – sie war imstande, aus einer Masse von Sandkörnern einen Organismus zu schaffen, der sich
zielbewußt bewegte. Endlich stand Cliff auf und ging in das elektronische Labor der Wüstenstation. Der Summer ertönte, dann rief Tamaras Stimme aus dem winzigen Lautsprecher neben der Tür: »Herein!« »Guten Abend«, sagte Cliff. »Es wäre zu schön und fast nicht zu glauben, wenn ihr etwas herausgefunden hättet.« Tamara, Mario und Ronnie saßen um einen halbhohen Labortisch herum, auf dem die beiden durchsichtigen Würfel in Spezialhalterungen befestigt waren. Stählerne Klammern hielten die Sonde fest, deren sechs Raupenketten sich nicht drehten. Eine unübersehbare Menge von Drähten und Kabeln führten von den einzelnen Elementen zu Aufzeichnungsgeräten aller nur denkbaren Systeme hinüber. »Viel ist es nicht, Kommandant«, sagte Ronnie bekümmert. Eine Strähne ihres roten Haares hing ihr in die Stirn. Alle drei Personen trugen hellblaue Laborkittel und hantierten mit Uhren und Prüfgeräten. »Was haben Sie, Ronnie?« Ronnie legte einen Schalter um. Ein Bandgerät begann zu arbeiten, zwei breite Spulen rotierten. Auf einem Sichtschirm erschienen fünf verschiedenfarbige Streifen, die quer über das Bild gingen. Inmitten eines jeden Streifens zeichneten sich Kurven und Sinuswellen ab, wie in einem sehr hochentwickelten Oszillographen. Die Kurven wanderten, ständig ihr Aussehen verändernd, von links nach rechts über den Schirm. »Aufzeichnungen?« fragte Cliff und nahm den Blick nicht vom Schirm.
»Ja. Fünf verschiedene Systeme. Wir haben durch einen unglaublichen Zufall eine Spur entziffern k önnen. Die oberste. Es ist eine rein optische Aufzeichnung.« Cliff murmelte: »Fünf... das entspräche, übertrieben ausgedrückt, den fünf normalen Sinnen eines Menschen.« Mario knurrte: »Oder eines Dara. Oder eines Dherrani.« Cliff lächelte versonnen und sah noch einige Minute die Kurven an, dann bat er Ronnie, die Entschlüsselung abzuspielen. Ein Bandgerät wurde eingeschaltet, wie es zur Speicherung von Bild/Tonkonserven benutzt wurde. »Wir haben alle Szenen, die lange dauerten, stark geschnitten«, erklärte Ronnie Aucrine. »Sonst wird es zu langweilig.« Eine Bilderfolge wechselte ab. Zuerst sah man Sterne. Dieses »Auge« schien ziemlich schnell durch das All zu fliegen, denn ein Pünktchen, das im Zentrum des Bildes zu sehen war, wuchs und wurde größer. Schließlich entpuppte es sich als der Planet Highspeed. Das Lager tauchte auf, einzelne Männer, schließlich ein Raumschiff und dessen Einrichtung. Dann die Erde, einige Räume der Basis 104 und Cliff, Tamara und Vlare beim Frühstück. Der Rest war klar und logisch: Alles, was dieser Würfel »erlebt« und »gesehen« hatte, war gespeichert worden. Ein Programm von mehreren Stunden innerhalb eines Würfels von nicht mehr als fünfzig Millimetern Kantenlänge. »Verstanden!« sagte Cliff. »Wir wissen jetzt genau, daß dieses Projektil von
dem schwarzen Mond abgefeuert worden ist, als der Mond in die Nähe des Planeten hier kam. Eine zweite Berechnung, von Mario und Atan über den Schiffskomputer durchgeführt, ergab ein ebenfalls interessantes Ergebnis.« Cliff betrachtete das festgeschraubte Projektil, das beinahe das Leben einiger Männer gekostet hätte. »Ich glaube, ich weiß, was du sagen willst«, sagte Cliff zu Tamara. »Der Standort dieses Mondes verläuft... Unsinn: In der Nähe dieses Mondes verläuft die Gerade die wir damals für die einstige Flugbahn des Großen Schiffes ausgerechnet haben. Ist das richtig?« »Völlig. Ein helles Köpfchen, unser meditierender Kommandant«, brummte Mario. »Aber das ist auch alles, was wir bisher wissen. Wir arbeiten weiter.« Cliff fragte leise: »Ihr wißt, was draußen im Sand passiert ist?« »Ja«, antwortete Tamara Jagellovsk, »und ich sehe noch mehr ähnliche Überfälle für die nächsten Tage. Wir haben hier nicht das geringste Anzeichen gefunden, das uns auf den richtigen Weg bringt. Hier in dieser Sonde gibt es nur hervorragende Technik, aber nichts, was nach schöpferischer Intelligenz aussieht. Und die molekulare Umstrukturierung sowie der lebende Sand sind Taten einer schöpferischen Intelligenz.« Cliff ging nicht auf diesen Einwand ein, sondern sagte ruhig: »Ich habe die gesamte Aktion in die Maschinen der Kugel programmieren lassen.« Mario stand verblüfft auf. »In die Komputer des Großen Schiffes? Du glaubst
an einen Zusammenhang mit Simer und den Dara?« »Ich warte erst die Antwort ab«, sagte Cliff diplomatisch. Während die verschiedenen Bilder über die Schirme liefen, begannen die Terraner zu ahnen, daß die Sonden die eingesammelten Informationen auch wieder abliefern mußten. Das bedeutete, daß sie entweder zu der mondähnlichen Kugel zurückfliegen mußten, oder daß dieser Kunstmond sie suchte und wie der an Bord nahm. Wie aber, wenn alle diese Aktionen nur eine Aufforderung für die Männer dieses Planeten hier waren, nach dem Mond zu suchen und ihm die Sonden wieder zurückzubringen? In den nächsten Tagen würden sie es erfahren. Cliff nickte seinen Freunden zu und sagte müde: »Ich gehe jetzt schlafen. Morgen erwarte ich Wamslers Antwort, und ziemlich früh werden wir die Sonde aus dem Boden holen.« Er warf einen abschiednehmenden Blick auf die technischen Versuchsanordnungen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Vielleicht findet ihr heraus, was diesen verdammten Sand in Bewegung gebracht hat. Gute Nacht.« Er verließ das Labor, trank noch kurz ein Glas Alkohol in der Kantine und ging dann schlafen. Seine Träume waren erfüllt von Sandwogen, von schwarzen Monden und von einer öligen Flüssigkeit, die in engen Röhren auf und niederstieg. Er schlief sehr schlecht und wachte auf, als das erste Licht des Tages in sein Zimmer fiel. *
Vom Ausleger der sechsten Saugmaschine aus betrachtete Cliff das Gelände. Es war nicht mehr wiederzuerkennen. »Ich falle um!« sagte Vlare. »Dieser Sand! Die ganze Arbeit war umsonst!« Der große Kreis, der gestern noch voller Schotter und Kies gewesen war, hatte sich in einen flachen Krater verwandelt. Der Sand war von allen Seiten hin ins Zentrum geflutet, hatte den Kies bedeckt. Im Augenblick arbeiteten bereits wieder fünf der mächtigen Saugmaschinen, um den Platz um den Luftfilter zu säubern. Die zweihundert Kolonisten dieses Planeten wußten nicht, was sie denken sollten – eine Masse Sand, die sich selbst zielbewußt bewegte... das erschütterte ihr Weltbild. Gleichzeitig aber waren sie wütend geworden und wollten zeigen, daß dieses Phänomen kein Grund für sie war, zu resignieren. »Wir kennen den Punkt, an dem wir suchen müssen. Die Arbeit ist also geringer«, antwortete Cliff. Hasso, der seine Beine aus der Fahrerkabine baumeln ließ, fragte zurück: »Du willst noch immer dort hinunter?« »Ja«, sagte Cliff. Die Saugtrichter fuhren langsam hin und her, säuberten die Umgebung des betreffenden Luftfilters von Sand, den sie hinter sich wieder zu neuen Dünen aufwarfen. Jetzt war nichts zu erkennen. Der Sand schien normaler Highspeed-Sand zu sein, nicht mehr. »Ich bin noch immer der Meinung, daß ich der bessere Mann für diesen Job bin«, sagte Vlare grimmig. »Aber ich bin nicht dieser Meinung. Haben Sie die Geräte bereitgelegt?« »Ja. Auf der Ladefläche.«
Dort lagen ein Tragegeschirr, ein Sauerstoffgerät und ein Scheinwerfer. Cliffs Unruhe hatte aufgehört. Wie immer, unmittelbar vor einer Aktion, von der einiges abhing, war er ruhig und eiskalt. Er versuchte, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. »Ausgezeichnet. Dann können wir anfangen.« Hasso schwang seine Beine nach innen, startete das Ungetüm und fuhr langsam bis in die Mitte des Kraters. Der Ausleger drehte sich, die Seiltrommel lief an, und Cliff kletterte auf die Ladefläche und legte sich die Ausrüstung an. Zum Schluß zog er ein Paar dünne, widerstandsfähige Handschuhe an und zog das Seil über die Führungsrollen. »Fertig?« fragte er. Er trug eine Brille mit angeschnittener Atemmaske, und seine Stimme klang etwas undeutlich. »Noch nicht ganz.« Vlare winkte, und vier Männer klinkten den Stutzen mit dem feinmaschigen Netz ab und legten ihn zur Seite. Der schwere Wagen fuhr weiter, hielt dicht neben dem Loch an und drehte den Ausleger um neunzig Grad. »Und also fuhr McLane nieder zum Orkus, um dorten die Erleuchtung zu finden«, deklamierte Hasso Sigbjörnson. »Glück auf, Cliff!« Cliff grinste unter seiner Maske hervor und brummte: »Benütze lieber die Jägersprache. Waidmannsheil oder so.« »Fahre nieder zum Öl!« knurrte Vlare. Cliff befestigte den Haken an der Öse des Gürtels, ließ sich einen halben Meter fallen und schwebte über dem offenen Loch des Luftstollens, der fast senkrecht
nach unten führte. Einhundert Meter tief. In rund fünfunddreißig Meter Tiefe steckte diese Sonde, und der Durchmesser der Röhre betrug hundertfünfzig Zentimeter. Cliff hob die Hand und rief: »Dreißig Meter ablassen, Hasso!« »In Ordnung!« Summend drehte sich die Seiltrommel. Cliff versank in der Dunkelheit der Röhre, sah im Licht des Handscheinwerfers die Wände vorbeirasen und drehte sich langsam. Er bremste die Drehung ab, indem er mit Fersen und Fußspitzen sich gegen die Wände stemmte. Der Fall verlangsamte sich, als Hasso das Seil abbremste. Neben Cliffs Ohr quäkte der Lautsprecher: »Dreißig Meter abgelaufen.« Cliff murmelte in das Mikrophon, das in die Atemmaske eingebaut war: »Langsam weiter!« »Verstanden.« Cliff sank weiter, in Abschnitten von zehn Zentimetern. Er beugte den Kopf nach vorn und schaute dem Strahl seiner Lampe nach. Er führte an den Wanden entlang nach unten, vorbei an den Spuren der Bearbeitung des Ultraschallbohrers. Zwei Meter... drei, dann tauchte unter ihm etwas auf. Reflexe von Licht auf stumpfem Metall. Cliff stemmte sich von der Wand der Röhre ab, wartete, bis er fast auf gleicher Höhe mit dem Gegenstand war und rief dann: »Halt, Hasso!« Eine halbe Sekunde später war sein Fund genau in Brusthöhe. Cliff lehnte sich an die gegenüberliegende Seite des Stollens und leuchtete die Konstruktion an. Sie war nicht eindeutig zu identifizieren, aber eine
dünne Schicht Öl überzog alle Teile. Cliff klinkte das kurze Stück Drahtseil vom Gürtel, bildete eine Schlaufe und hängte den fremden Gegenstand ein. Dann befestigte er das andere Ende wieder am Gürtel und sagte: »Einen Meter aufwärts.« »In Ordnung.« Es war zu glatt gegangen, dachte der Kommandant. Das Seilstück spannte sich, und jetzt sah er auch, daß dieser Gegenstand aus dem Öl gekommen sein mußte. Eine lange stählerne Nadel hielt die Konstruktion in der Felswand fest; sie zuckte zurück, als die Bewegung des Mannes das Seil weiter spannte. »Ganz aufziehen!« sagte Cliff. Er hörte über Funk, wie der Motor anlief, dann kam der Ruck, und Cliff schwebte langsam nach oben. Kurze Zeit später blendete ihn die Sonne, er baumelte hilflos in der Luft und drehte sich. Vlares Hand schoß nach vorn und hielt Cliffs Drehung auf, dann zog er ihn zu sich heran. Beide standen sie auf der Ladefläche, und zwischen ihnen lag der rätselhafte Gegenstand. »Es ist zu glatt gegangen«, murmelte Cliff. »Sie leben noch, also ärgern Sie sich nicht darüber«, sagte Vlare und bückte sich. Er hob die Sonde auf, rutschte beim ersten Zugreifen ab und hielt dann den Gegenstand in die Luft. »Du elendes Stück Metall! Unser Öl!« rief Vlare. Cliff setzte sich den kühlenden Helm mit dem Sonnenschutzvisier auf und sagte leise: »Wir sollten das Ding ins Lager bringen und untersuchen. Vielleicht finden wir einen Hinweis darauf, was das Öl rebellisch gemacht hat. Ordnen Sie eine
Untersuchung an, Vlare. Vielleicht hat das Öl jetzt, da wir diese Sonde entfernt haben, seine alte Qualität wieder.« »Machen wir!« stimmte Vlare MacCloudeen zu. Sie kletterten aus der Maschine, stiegen in einen der kleinen Personenwagen und fuhren in die Siedlung zurück. Augenblicklich machten sich die Spezialisten an die Arbeit und untersuchten den Fund. Cliff holte sich einen Kaffee, zog sich um und kam dann zurück ins Labor. Im grellen Licht der Laborlampen schwebte die Sonde, eingespannt in stählerne Klammern. »Faszinierend in der Zusammenstellung der einzelnen Bauelemente!« sagte Mario. »Wir kennen alles, aber die Gesamtheit überrascht«, meinte Tamara leise. »Ist es euch aufgefallen, daß die Form einen ganz bestimmten Schluß zuläßt?« Nachdem die Techniker möglichst viel Öl von der Konstruktion gewischt hatten, wurde alles mit einer Reinigungsflüssigkeit besprüht und abgetrocknet. Der Glanz des Metalls entstand wieder. Ishmee fragte: »Welchen Schluß, Tamara?« Cliff hörte überrascht, daß sich die beiden Mädchen bereits duzten. »Die Sonde, die gestern nacht gefunden wurde, paßt genau in diese Aussparung hinein«, sagte Tamara und zeigte darauf. Vlare schlug Cliff auf die Schulter und rief erstaunt: »Das bedeutet, daß die Theorie Cliffs richtig ist. Das Ding hat sich vor dem Aufprall geteilt.« Man versuchte, den technischen Geheimnissen des Gerätes auf die Spur zu kommen, aber es blieb ein
toter, wenn auch interessanter Mechanismus. Lang, schmal, um einen zentralen Kern in Form eines undurchsichtigen Metallzylinders herumgebaut. Mit einigen Fortsätzen, die ebenso Antischwerkraftprojektoren wie Laser sein konnten. Teilweise isoliert, teilweise von einer porzellanähnlichen Masse umgeben Nur eines war deutlich – die Anschlußstellen für die zweite, wesentlich kleinere Sonde. Ronnie Aucrine schlug vor: »Wir könnten beide Gegenstände zusammenbringen und abwarten, was dann passiert.« Nach einer kurzen Pause des Überlegens sagte Cliff: »Einverstanden. Sehen wir zu, was geschieht! Hoffentlich fliegt hier nicht die Siedlung in die Luft.« Er drehte unruhig sein Armbandfunkgerät hin und her. Der Rückruf von Wamsler war längst überfällig. Mit großer Vorsicht wurden die beiden Teile der Spionsonde einander genähert und dann zusammengeklinkt. Minutenlang, während die Terraner in äußerster Spannung warteten, geschah nichts. Dann, nach etwa zehn Minuten, als die Spannung bereits wieder abzunehmen begann, ertönte im Innern des Gegenstandes ein tiefes Brummen. »Achtung!« rief Atan Shubashi. Im mittleren Zylinder schob sich eine Platte zur Seite. Winzige Lichter glühten über ebenso kleinen Löchern auf und blinkten. Die Platte forderte sie geradezu auf, Stecker in die Vertiefungen einzuführen. Ronnie lief zu ihren Geräten und kam mit einem Bündel von Koaxialkabeln zurück. »Versuchen können wir es immerhin!« sagte sie. Da sie sich die vergangenen Tage intensiv mit die-
ser fremden Technik beschäftigt hatte, schien sie mehr oder weniger instinktiv zu wissen, was zu tun war. Sie schloß nach einem Verfahren, das Cliff und selbst Mario sehr geheimnisvoll vorkam, ihre Kabel an Lautsprecher an, an ein Bandgerät und an einen Bildschirm. Dann schaltete sie Verstärker zwischen die Sonde und die Wiedergabegeräte und wartete. »Vielleicht eine Leitung vertauscht?« schlug Mario vor, als sich nach einigen Minuten noch immer nichts rührte. »Kaum!« antwortete die rothaarige Elektronikerin einsilbig. Gleichzeitig erwachte der Lautsprecher und der Bildschirm zum Leben. »Informationen gesammelt. Speicherkapazität ausgelastet, Wiedergabe möglich. Die primitive Sprache der Testpersonen ermöglicht schnelles Arbeiten.« »Arroganter Komputer!« stöhnte Mario de Monti auf. »Ruhe!« sagte Cliff scharf. »Aufzeichnung ein?« Ronnie erwiderte halblaut: »Bild und Ton werden aufgezeichnet, Kommandant.« »Gut.« Über den Schirm zogen die bereits vertrauten Bilder; verschiedene Ansichten des Landeplatzes, der Tanks und der Bohrarbeiten, der Leitungen und Pumpen. »Vorgegangen wie programmiert, keine großen Modifikationen notwendig gewesen. Die Rasse wurde auf uns aufmerksam.« Die Bilder zeigten einen tobenden Vlare MacCloudeen, der in der Nähe der Tanks stand und seinen
Leuten das Hypergramm Wamslers vorlas und sie fragte, ob sie sich mit dem Stichwort Sabotage anfreunden konnten. »Öl besonderer Qualität verläßt diese Kolonie. Durch Veränderung der Molekularverhältnisse wurde erstes Signal abgegeben. Reaktion binnen einer Zeit von siebzehn Einheiten zu erwarten. Information korrigiert: Reaktion bereits eingetreten. Daraufhin Molekularverhältnisse geändert. Grund: Signalcharakter entfällt nunmehr.« Cliff rammte Vlare den Ellenbogen in die Rippen und sagte grinsend: »Ihr könnt euer verdammtes Öl wieder exportieren! Es wird sich in Zukunft wieder brav verhalten.« »Hurra!« schrie Vlare. »Das wird meine Leute freuen.« Tamara bemerkte sarkastisch: »Wenn es der guten Laune dient!« Die Roboterstimme des winzigen, aber offensichtlich sehr leistungsfähigen Komputers, durch terranische Technik verstärkt, fuhr fort: »Erstens: Die Intelligenz und die technischen Möglichkeiten der bemerkten Rasse sind ausreichend. Daraus folgert Punkt Zwei: die Informationen werden auch an sie weitergegeben. Drittens: dies geschieht soeben. Da sich Sonde Zwei ebenfalls der Aufgabe entledigt hatte, ließ sie sich finden und baute ein Treibfeld auf, das die Angehörigen der bewußten Rasse in verstärktem Maße interessieren sollte. Diese Aufgabe ist erledigt worden.« Cliff sagte: »Jetzt können Sie Ihren Leuten hier lange Geschichten erzählen, Vlare. Beinahe starb ein Dutzend Männer, weil man sie für diese Sonde interessieren sollte.«
»Wenn ich den Burschen in die Finger bekomme, der diese Sonde losgeschickt hat, reiße ich ihm die Ohren ab!« rief Vlare. »Ruhe!« brüllte Hasso Sigbjörnson. »Sie können bestenfalls eine Eisenstange nehmen und einen Komputer zertrümmern!« sagte Cliff leise. Dann sprach die Stimme weiter. »Die Werte für eine Kontaktaufnahme nach Schema A sind gegeben. Da die Rasse von den Erbauern des Zentrums abzustammen scheint, wird Landung des Zentrums gefordert Landung ist unmöglich gemacht, weil die Sonde blockiert und in ihrer dreidimensionalen Bewegung gelähmt ist. Die Informationen sind ebenfalls blockiert. Nach Informationsabgabe an den Zentralen Rechner kann Landung programmiert werden.« Cliff klopfte Atan auf die Schulter und murmelte: »Nachdem dieses gesprächige Maschinchen ausgeredet hat, machen wir es los und tragen es hinaus. Es wird geraden Kurs auf den schwarzen Mond nehmen. Und dann haben wir hier lieben Besuch.« »Einverstanden!« meinte Shubashi. Die Bilder auf dem Schirm hatten jeweils Handlungsfolgen gezeigt, die unmittelbar mit dem Text zusammenhingen. Jetzt strahlte der Schirm in einem grellen Licht auf, die Scheibe zerbarst, und die Splitter klirrten durch den Raum. Niemand wurde verletzt, aber alle erschraken. Die Lautsprecher gaben mißtönende Geräusche von sich, schließlich einen schrillen Ton von nahezu fünftausend Hertz. »Abschalten!« brüllte Mario de Monti. Mit einem Ruck riß Ronnie die Schnüre heraus, die den Fundgegenstand mit der Anlage verbanden. Ishmee meinte, noch immer im Bann der Erlebnisse:
»Die Aufzeichnung ist beendet. Wir haben eine Handvoll Rätsel gelöst, und das Problem auf Highspeed hat sich erledigt.« »Tragen wir die Sonde hinaus. Was ist eigentlich mit den beiden anderen Meteoren?« Vlare schaute Tamara an und zuckte die Schultern. »Sie erfüllen den gleichen Zweck. Sie holen hier Informationen über uns Terraner ein und spielen sie in die Speicher des schwarzen Mondes ein. Sie werden uns nichts tun.« Mario de Monti löste nacheinander die einzelnen Stahlbänder, die den länglichen, glitzernden Gegenstand festhielten. Mit einem schnarrenden Geräusch schloß sich die Klappe wieder, nachdem das aufgeregte Blinken der Lämpchen aufgehört hatte. Das, was er jetzt in den Händen trug, erinnerte ihn an die Technik des Großen Schiffes und die Funde, die er zusammen mit seinem Freund Cliff im hohlen Berg des Pantherplaneten gemacht hatte. Langsam verließ die Gruppe den Raum. Mitten im Sonnenlicht blieben Mario und Hasso stehen und richteten die Sonde auf, so daß jenes Ende, das sie für die Spitze hielten, nach oben wies. Es gab ein fauchendes Geräusch, dann einen dumpfen Schlag, und die Arme der beiden Männer zuckten zurück. Senkrecht raste die Sonde nach oben und verschwand. »Gute Fahrt!« murmelte Atan Shubashi. Im gleichen Augenblick summte Cliffs Armbandfunkgerät auf, und als er sich meldete, hörte er die aufgeregte Stimme von Wamsler. Das Große Schiff hatte geantwortet.
6 Während Cliff sprach und zuhörte, zog sich die gesamte Mannschaft in die Kantine zurück; es war Zeit für Kaffee oder Abendessen. Ronnie Aucrine erklärte, was sie festgestellt und daraus logisch gefolgert hatte. »Irgendwann tauchte dieser Mond auf, mit dem wir beinahe zusammengestoßen sind. Er schien auf sehr weite Entfernung die Anwesenheit lebender Wesen festgestellt zu haben. Ich vermute, es waren die Energieemissionen der startenden und landenden ÖlTransportschiffe. Er schickte nacheinander drei Sonden aus, um festzustellen, mit wem er es zu tun hatte.« »Man merkt«, sagte Atan Shubashi, »daß du eine Frau bist, Ronnie.« Ronnie deutete mit dem Daumen auf den Chefingenieur und grinste. »Das sagte Vlare auch schon. Woraus schließt du das, Atan?« Atans Grinsen war breit und hingebungsvoll. Er sagte: »Du redest von diesem Mond, als sei er ein Mann.« »Ich könnte auch von Luna oder Selene reden. Dann würde ich sie zu ihm sagen«, meinte Ronnie. »Jedenfalls meldeten diese Sonden, nachdem sie verschiedene Tests mit uns anstellten, die Informationen weiter. Wenigstens hoffe ich dies von unserem Fund; was die beiden anderen Körper unternommen haben, ist unwichtig – sie kommen garantiert zum gleichen Ergebnis. Zusätzlich dazu haben sich Vlare und Cliff
auch noch im Zentrum des Mondes persönlich vorgestellt, die ORION trieb neben dem Himmelskörper, und das scheint wohl den Ausschlag gegeben zu haben.« Tamara erkundigte sich leise: »Wofür?« Ronnie notierte sich die Kennziffern für die einzelnen Bestandteile ihres Essens und redete gleichzeitig: »Dafür, daß wir für würdig erachtet wurden, Diskussionspartner der Elektronik zu werden. In Kürze wird der Mond hier landen, und dann wird sich ein lustiger Dialog entspinnen. Dabei sind wir eindeutig im Vorteil.« »Warum?« fragte Vlare. »Weil der Mond etwas von uns will. Sonst würde er nicht den Kontakt mit uns suchen.« Cliff setzte sich. Sein Gesicht war ernst. Er blickte die Elektronikerin an und sagte: »Ronnie hat vollkommen recht. Das Große Schiff hat geantwortet.« Mario sprang senkrecht von seinem Sessel hoch und rief: »Was ist los? Sollen wir wieder zu den Dara fliegen? Ich glaube, ich habe eine Menge schöner Erinnerungen dort vergessen.« Ishmee nickte und kommentierte sarkastisch: »Besonders den Nektar und die Ambrosia in jenem illusionistischen Tempel, den man uns bereitgestellt hatte.« »Kein Flug zu den Dara. Ich berichte chronologisch. Der gute Wamsler... er war ganz aufgeregt, und seine Hängebacken zitterten förmlich wie Pudding. Hört zu:
Zuerst ließ Wamsler alles, was wir herausgefunden haben, in die Elektronik an Bord des silbernen Mondes programmieren. Die Eingabe dauerte einige Stunden. Anschließend fing die Maschine zu fragen an. Sie erkundigte sich zuerst nach unserem Wohlbefinden...« Hasso stöhnte entgeistert: »Das darf doch nicht wahr sein! Vielleicht hat sie noch nach der Haarfarbe von Marios Freundin, nach den kontemplativen Fortschritten Cliffs, nach Atans Pudelzucht oder nach dem Stand der schulischen Leistungen meiner Kinder gefragt.« Cliff lachte schallend. »Nein, danach nicht, aber nach sonst ziemlich allem. Unter anderem auch nach dem Befinden des letzten Unsterblichen, Simers also. Die Antworten wurden gegeben. Die Gegenfrage kam und lautete, ob wir uns noch immer unserer Verpflichtung als Botschafter der Dara erinnern. Auch das konnte nach kurzem Rückfragen bejaht werden, denn ich hatte es Wamsler gegenüber betont. Dann warfen die Maschinen die Informationen aus. Übrigens: Während ich über Sprechfunk mit Wamsler redete, hat die Funkanlage in der ORION einen längeren und detaillierteren Text ausgedruckt. Wenn jemand hinüberfahren und den Text abholen würde...?« Mario hob die Hand und sagte schnell: »Wird gemacht. Begleitest du mich, Ronnie?« »Ja. Aber nur, wenn du mit mir zu den drei Felsen hinausfährst!« »Mit dir... fast jede Strecke.«
»Nehmt genug Wasser mit«, sagte Vlare in gutmütigem Spott. »Damit ihr nicht verdurstet.« »Nicht jeder, den es dürstet, muß trinken«, meinte Ishmee. »Und nicht jeder, der trinkt, hatte vorher Durst«, verbesserte Tamara. »Weiter im Text, Kommandant McLane.« »Die Informationen allerdings waren imponierend, und Wamsler verhängte darüber logischerweise auch sofort totale Nachrichtensperre. Die Dara baten – habt ihr das begriffen? – die Dara baten uns als ihre Botschafter, eng mit diesem Mond zusammenzuarbeiten. Er ist ein Kontrollorgan, das einige Jahrhunderte nach dem ersten Flug des Großen Schiffes gestartet wurde. Dieser Mond sollte die Fortschritte oder die Rückschritte der ausgesetzten Rassen kontrollieren und einzelne Individuen, die sich unangenehm benommen hatten, bestrafen und zu den Dara zurückzubringen. Wie findet ihr das?« Hasso flüsterte atemlos: »Überwältigend. Ein Kontrollorgan?« »Richtig. Es war längere Zeit verschollen. Signalschwund fand statt, und erst jetzt fanden die Dara diesen Kunstmond – übrigens ein Raumschiff – wieder. Durch uns. Genauer durch ihn selbst, denn hätten die Sonden das Öl nicht verändert, wäre nichts geschehen. So hängt alles zusammen.« Mario brummte: »Simer. Der letzte Unsterbliche. Wie wird sich Wamsler freuen. Und Villa noch viel mehr.« »Das ist immerhin fraglich«, sagte Helga Legrelle »Aber die Erfahrung hat mich gelehrt, daß nicht alles so glatt geht, wie wir es uns vorstellen. Wir warten
jetzt also auf den schwarzen Mond, der kein Mond, sondern ein Raumschiff ist.« »So ist es!« bestätigte Vlare. Helga fragte weiter: »Wann erwartet ihr die Landung des KontrollRaumschiffes?« »Das ist schwer zu sagen«, antwortete Mario de Monti. »Wenn die Sonde ihre Informationen schnell weitergibt, wenn die Informationen schnell verarbeitet werden, dann können wir die Landung in einem Tag erwarten Aber wir rechnen besser mit mehr Zeit, denn schließlich ist dieser Mechanismus Tausende von Jahre alt. Er wird sicher nicht mehr so gut funktionieren wie damals, als er neu war.« Cliff hob beide Arme hoch und sagte: »Mario holt den Text, und ich ziehe mich zurück. Es ist gleich, ob wir arbeitend oder schlafend warten.« »Einverstanden.« Mit Genauigkeit wußten sie, daß eine Sonde zum Kontrollschiff zurückgekehrt war. Die beiden anderen Meteoreinschläge, die in Wirklichkeit nichts anderes als zwei weitere Spionsonden gewesen waren, wurden von den Terraner vernachlässigt. Was sollten sie anderes tun als ebenfalls Informationen einholen und sie später überspielen? Das Leben normalisierte sich wieder im Lager Alpha auf Highspeed. Das erste Robotschiff wurde betankt und startete zurück in Richtung Erde, und Funksprüche gingen hin und her. Cliff legte sich auf seine Liege und schlief ein. Ronnie archivierte die Bänder, die sie vollgespielt hatte und schrieb ihren abschließenden Bericht für das Büro Wamsler und den Dienstbericht für Villa.
Tamara fuhr mit einem Bohrteam mit, und Ishmee blieb mit Vlare in der Ecke der Kantine sitzen und sprach mit ihm über das Leben auf Highspeed. Als sie später durch das blauvergütete, goldbedampfte Fenster blickte, sah sie Ronnie und Mario in einem der kleinen, achträdrigen Wagen quer über die freie Fläche vor der Siedlung fahren – hinüber zur ORION. Vlare fragte: »Mario scheint Mädchen nicht gerade zu hassen, wie?« »Nein«, erwiderte Ishmee. »Ganz im Gegenteil.« Sie sah der Sandfahne nach, die hinter dem schnell fahrenden Wagen hochgerissen wurde. Es war später Nachmittag. Die Strecke bis zu den Felsen, hatte sich Mario sagen lassen, war in einer Stunde spielend zu schaffen. Mario wollte kein Risiko eingehen. Sie hatten Funkgeräte und Notvorräte in dem Wagen und einen ausreichenden Treibstoffvorrat. Neben der ORION hielt Mario an fuhr mit dem Mädchen den Zentrallift hinauf, betrat die Steuerkanzel und riß das vollgeschriebene Blatt aus dem Apparat. Dann lehnte sich der Erste Offizier an das Pult und pfiff leise durch die Zähne. »Was ist los?« fragte Ronnie. »Oder ist das Hypergramm geheim?« »Keineswegs«, antwortete Mario. Sein Gesicht zeigte, daß er etwas in dem Text las, das ihn nicht besonders freute. »Das ist eine lange Geschichte – ich erzähle sie dir während der Fahrt. Die Dara, unsere Freunde weit außerhalb der Milchstraße, bitten uns schon jetzt, etwaige Fehler des Kontrollsatelliten zu entschuldigen; er sei alt und verfüge über keine selbstregelnde und selbstreparierende Mechanismen,
sondern nur über einige Robots. Das läßt mich viele originelle Zwischenfälle erwarten.« Er faltete das Hypergramm sorgfältig zusammen, steckte es in die Brusttasche und ging mit Ronnie zusammen aus dem Schiff. Dann stob der Wagen über den gerillten Boden zwischen zwei riesigen Dünen, deren Oberflächen von Wind und Sand geformt und von der Spezialflüssigkeit festgebacken waren. Das Fahrzeug wurde schneller und verschwand schließlich aus der Sicht der Siedlung. Etwa fünfundvierzig Minuten lang fuhr Mario de Monti fast geradeaus. Natürlich verlief sein Kurs nicht genau in einer Geraden, sondern folgte den Tälern zwischen den Sicheldünen und den weniger steilen Hängen, die der Wagen in Schrägfahrt nahm. Die großen Auflageflächen der grobstolligen Reifen schoben das Gefährt unaufhaltsam durch den Sand. Die schweigende und leblose Landschaft nahm das Mädchen gefangen – Mario selbst kannte schon zu viele dieser Wüstenplaneten, um sich noch besonders beeindrucken zu lassen. »Du wolltest mir eine lange Geschichte erzählen, Mario«, sagte Ronnie und hielt sich fest, als der Wagen über einen Dünenkamm kippte und schleudernd den langen Hang hinunterstob. »Unter anderem«, sagte Mario grinsend. »Das ist der Bericht unserer Entführung in die Unendlichkeit...« Er berichtete von dem Abenteuer, das sie zu den Vierzig Planeten gebracht hatte, zu den Dara, von denen die verschiedenen bisher gefundenen Rassen innerhalb der Raumkugel ausgesetzt worden waren.
Als Mario mit seinem Bericht geendet hatte, bremste er ab und fuhr zwischen zwei steilen Dünen auf die amphitheaterähnlichen Sandwälle zu, von denen die einzige Sehenswürdigkeit in der Nähe von Lager Alpha umgeben war. »Die Felsen!« sagte Mario und beugte sich vor. »Sie sehen so aus, als hätte ein moderner Künstler sie hierher gebracht«, sagte Ronnie leise. Die Felsen, die sich in drei Haupterhebungen aufsplitterten, boten der Phantasie ein reiches Feld der Betätigung. Sie standen da, sonnendurchglüht und in sämtlichen Farben des Spektrums schillernd. Licht und Schatten schufen zusätzliche Konturen. »Steigen wir aus?« fragte die Elektronikerin. Mario langte nach hinten und nahm die beiden Kühlhelme mit den Sonnenschutzvisieren von den Klemmhalterungen. »Ja. Aber nicht ohne Schutz.« Sie setzten die Helme auf, und Mario klopfte instinktiv auf die Tasche, in der die Strahlwaffe steckte, die HM 4. Dann klappte die Tür nach hinten, und Mario half dem schlanken Mädchen ins Freie hinaus. Beide trugen sie die weißen Schutzanzüge. »Kamera?« fragte er kurz. »Ich habe sie bei mir.« Sie gingen langsam auf die Felsen zu. Die drei Teile des Massivs, die gewisse Ähnlichkeit mit dicken, knorrigen Baumstämmen hatten, strebten aus einer gemeinsamen Wurzel nach oben. Sie waren etwa siebzig Meter hoch. Unzählige Löcher unterbrachen sie, viele Spalten und Erker, knollenförmige Auswüchse und Teile, die tatsächlich wie abgestorbene Äste von Baumgiganten der Vorzeit aussahen,
wuchsen aus dem Fels heraus. »Dort, ein Gesicht. Durchaus menschlich!« Mario nickte und sah zu, wie das Mädchen die automatische Kamera an die Augen hob. »Und darunter eindeutig ein Jaguarkopf!« Je mehr sie sich den Felsen näherten, desto größer wurde die Vielfalt der Möglichkeiten, Bekanntes und Unbekanntes zu sehen. Jeder Vorsprung und selbst die Vertiefungen schienen etwas zu bedeuten, besaßen Formen, die an Menschen erinnerten, an Tiere oder an Kombinationen beider Arten. Und stets dann, wenn Mario oder Ronnie einige Schritte zur Seite machten und so den Blickwinkel veränderten, entstanden neue, überraschende und erschreckende Perspektiven. Die riesige blutrote Sonne sank tiefer und veränderte die Farben und dadurch, daß die Schatten über die Felsen krochen, erzeugten sie wiederum andere Ansichten und mehr Möglichkeiten, sich über die Entstehung oder einen unbekannten Baumeister Gedanken zu machen. In einer weiten Kurve, so weit, wie es die schräg ansteigenden Dünen gestatteten, gingen die beiden Terraner rechts an den Felsen vorbei und sahen dann die Rückseite, die nur von der Morgensonne getroffen wurde. »Ich kann nicht glauben, daß diese Felsen hier entstanden sind, Mario!« sagte das Mädchen. Mario gestand: »Mir fällt es auch schwer. Je länger ich diese Konstruktionen betrachte, desto mehr neige ich zu derselben Ansicht.« Jetzt standen sie im Schatten. Mario ging ganz nahe an den Felsen heran, der hier massiv und wuchtig aussah, wie echter Felsen, etwa
wie Basaltgestein. Seine Hand im dünnen Handschuh fuhr über die Oberfläche, und plötzlich erstarrte Mario. »Ronnie!« rief er. Das Mädchen war binnen weniger Sekunden an seiner Seite. »Hast du etwas gefunden?« Mario klopfte mit den Knöcheln auf den Fels und murmelte: »Diese Kolonisten hier sind typisch! Sie kennen nur ihre Arbeit und ihre Diskussionen über Hitze und Gefährlichkeit der Beschäftigung. Nicht soviel Interesse für wissenschaftliche Überlegung wie ich als dummer Kybernetiker! Hier – sieh her! Was erkennst du?« Ronnie streckte ihre Hand aus, und Mario faßte ihre Finger und ließ sie über die Fläche des Felsens gleiten. Auch das Mädchen merkte jetzt, daß eine etwa dreißig Millimeter dicke Schicht, die wie Glas aussah, direkt auf den Felsen aufgebracht worden war. Darunter verlief die Struktur des basaltartigen Steines, der hier strahlend weiß war, wie emailliert. Mario sagte: »Highspeed ist ein Planet, der entfernt erdähnlich ist und demnach auch etwa dieselbe Entstehungsgeschichte hatte. Ich kenne sicher einige Planeten mehr als viele andere Raumfahrer, dazu noch solche, die außerhalb der Neunhundert-Parsek-Raumkugel und somit außerhalb unseres Erfahrungsbereiches liegen. Aber ich habe noch nirgends einen natürlich entstandenen Felsen gesehen, den man zur Konservierung glasiert hat. Du etwa?« »Selbstverständlich nicht«, erwiderte Ronnie. »Meine Erfahrungen beschränken sich auf die Elek-
tronik auf insgesamt etwa einem Dutzend Planeten.« »Ich sagte es schon immer«, knurrte Mario. »Reisen bildet. Für mich gibt es hier ganz ohne Frage noch einige Dinge zu entdecken. Außer dir, versteht sich!« Ronnie antwortete etwas verbittert: »Raumfahrer sind wirklich eine merkwürdige Sorte Menschen. An allererster Stelle steht der Beruf. Beklagenswert.« Mario kauerte sich in den Sand und wischte über die Fläche des Felsens. »Das soll selbst bei anderen Berufszweigen der Fall sein«, sagte er leise. Langsam umrundete er den Felsen, der die Ausmaße eines mittelgroßen Hauses hatte. Überall war der Fels mit einer dicken Schutzschicht bedeckt. War es Glas? Mario versuchte es festzustellen und zog die Strahlwaffe. Er ging zehn Meter rückwärts und winkte Ronnie hinter sich, dann feuerte er einen sekundenlangen Schuß ab. Er steckte die Waffe zurück und näherte sich zusammen mit Ronnie dem Felsen. »Typische Verglasung!« stellte er fest. In einem kreisrunden Fleck lag der Felsen bloß, und die durchsichtige Masse hatte sich wie geschmolzenes Glas verhalten. Eine breite Bahn von Tropfen lief nach unten und war erstarrt. Mario blies darauf, wartete eine Weile, bis sich der Fleck abgekühlt hatte und betastete dann den Felsen. Das Glas hatte sich aufgelöst, war weggeschmolzen, und der Fels zeigte die Einschußspuren. »Rätselhaft!« sagte Mario. »Ich werde versuchen, hinaufzuklettern.« Er suchte nach einem geeigneten Aufstieg und fand ihn auf der Westseite. Die Schatten wiesen ihm den
Weg, und als die Sonne weit hinter der Siedlung den Horizont berührte, kletterte er bereits in fünfzehn Metern Höhe auf einen Durchbruch zu, der in Ostwestrichtung durch den am weitesten links stehenden Turm führte. Mario zog sich hoch, setzte sich an die Kante und rief hinunter: »Die Aussicht ist mäßig, und auch hier oben ist der Fels verglast.« Mario wollte das letzte Licht ausnutzen und kroch langsam in den korkenzieherartig gewundenen Durchbruch hinein. Auch hier war der Fels mit der durchsichtigen Masse überzogen. Die Spalten und Windungen, oft unterbrochen von kleineren und größeren Querstollen, wirkten wie ein Schwammgewebe, ins Unendliche vergrößert. Die Farben wechselten von Meter zu Meter, der große Zentralstollen schlang und drehte sich in zwei Dimensionen, in Schlangenlinien nach beiden Seiten und gleichzeitig in Auf- und Abwärtsbewegungen durch den Felsen hindurch. Nach ungefähr zwanzig Metern hatte Mario die Ostseite des Felsens erreicht und nichts anderes gefunden – außer der Bestätigung ihrer Annahme. Er kletterte langsam zurück und sprang federnd neben Ronnie in den Sand. »Hast du mich sehr vermißt?« fragte er. »Ja. Natürlich zitterte ich um dich. Waren die Gefahren sehr groß?« »Ungeheuerlich!« sagte Mario scherzhaft und legte seinen Arm um ihre Schultern. Sie gingen langsam auf den wartenden Wagen zu, als plötzlich ein Schatten auf Marios Gesicht fiel. »Wie...?« murmelte er und riß den Kopf hoch. Er sah nichts. Trotzdem – es war ein Schatten ge-
wesen, als ob ein großer Vogel zwischen der Sonne und seinen Augen vorbeigeflogen wäre. Mario fragte beunruhigt: »Hast du es auch bemerkt?« »Was soll ich bemerkt haben?« fragte sie zurück. Mario überlegte. Hier gab es keine Vögel, und große Vögel schon gar nicht. Die ORION war nicht gestartet worden, weder die LANCETS noch die Helikopter der Station waren unterwegs. Es gab kein Tier, das diesen Effekt hervorgerufen haben konnte. Aber er hatte den Schatten deutlich gemerkt. Er klappte das Sonnenschutzvisier hoch, beschattete die Augen mit der Hand und suchte den purpurnen Himmel ab. Die Sonnenscheibe war hinter dem Düneneinschnitt nur halb zu sehen. Sorgfältig spähte der Chefkybernetiker in die Gegend, suchte nach einem kleinen Lebewesen oder einem Flugkörper... und plötzlich zuckte er zusammen. Er hatte an die zweite und dritte Sonde gedacht, gleichzeitig aber sah er sie. Eine Kugel. Er drehte das Mädchen herum, deutete nach schräg oben und zeigte auf einen roten Reflex über den Dünen. »Hätte mich auch sehr gewundert«, knurrte er, »denn Halluzinationen habe ich noch nicht.« Ronnie sagte nachdenklich: »Ich sehe. Eine Kugel, meiner Schätzung nach etwa einen halben Meter durchmessend, mit drei Fortsätzen, an denen wiederum kleinere Kugeln sitzen. Sie kommt auf uns zu.« Sie riß sich los und rannte auf den Wagen zu. In der gleichen Sekunde beschleunigte die Kugel ihren
Flug, schwang in einer sehr engen Kurve herum und kam geräuschlos näher. Über dem Kopf von Ronnie beschrieb die Kugel einen offenen Kreis und stieß dann wie ein Raubvogel herunter. »Vorsicht!« schrie Mario und rannte auf Ronnie zu, nach seiner Waffe greifend. Aus dem Augenwinkel sah er, wie von links eine zweite Kugel auftauchte, dicht über dem Sand fliegend. Sie nahm eindeutig seine Richtung als Ziel an. Er wich aus und lief weiter. Der Wagen war noch dreißig Meter entfernt. Alles ging fast lautlos vor sich. Nur das Geräusch der Schritte im Sand und die Atemzüge waren zu hören. Zehn Meter von Mario entfernt lief Ronnie im weißen Schutzanzug auf den Wagen zu, die Kugel befand sich jetzt direkt über dem Kopf des Mädchens und hielt die gleiche Geschwindigkeit. Mario raste im Zickzack hinterher und hatte jetzt die HM 4 in der Hand. Plötzlich brach Ronnie zusammen, fiel und überschlug sich. Die Kugel über ihr blieb auf der Stelle stehen und senkte sich langsam tiefer. Mario feuerte auf die zweite Kugel, die von links auf ihn zukam; der Strahl der Waffe schien von dem rotglänzenden Metall abzuprallen und versprühte wie eine Magnesiumexplosion nach allen Seiten. »Ronnie!« keuchte Mario. Er rannte weiter und feuerte ein zweitesmal. Wieder der gleiche Effekt. Die Kugel kam unaufhaltsam näher. Eine dritte Kugel, die Mario nicht sah, raste von rechts heran, setzte sich über den weißen Schutzhelm und schwebte im gleichen Tempo mit, in dem der Erste Offizier rannte.
Dann spürte Mario einen Druck im Gehirn, aus dem Bild der Dünen wurden drei, die sich kreisend umeinander zu drehen begannen, schließlich hatte er das Gefühl, gegen eine pechschwarze Wand zu prallen. Er brach zusammen und stürzte in den Sand. Davon spürte er jedoch nichts mehr. * Er erwachte, als er zu frieren begann. Er öffnete die Augen und sah eine riesige schwarze Fläche, die von kleinen Lichtpünktchen übersät war. Langsam kehrte sein Denkvermögen zurück, aber als er sich bewegen wollte, merkte er, daß er gelähmt war. Er spürte förmlich, wie seine Muskeln aktiviert wurden. Vergeblich! Ihm schien, als wäre jeder einzelne Knochen seines Körpers mit einem stählernen Band an den Sand gefesselt. Mario versuchte, gegen die Panik anzukämpfen, die Finger zu bewegen, eine Faust zu ballen. Vergeblich. »Ver...«, wollte er sagen, aber er bekam die Lippen gerade einen Spalt breit auf, so daß er atmen konnte. Nur die Augenlider und die Lippen waren zu bewegen und die Atemmuskulatur. Die Kugeln hatten ihn bewußtlos gemacht und gelähmt. Er konzentrierte seinen Blick. Von der schwarzen Fläche mit den kleinen leuchtenden Sternen sah er undeutlich, nur als Schatten, der die Sterne verdeckte, drei runde Flächen. Sie wurden dreidimensional, als er die Augen bewegte und sie einzeln anstarrte. Drei Kugeln, dachte er. Ich muß eine von ihnen
nicht gesehen haben. Das ist oder war die zweite Sonde. Sie war also noch nicht zu dem schwarzen Kontrollsatelliten zurückgekehrt. Hatte es etwas mit dem Zustand jener Mechanismen zu tun, der vermutlich nicht der beste war? Mario wußte jetzt, was passiert war. Das Mädchen und er lagen mit eingeschalteten Schutzanzügen, die sie zwar frieren aber nicht erfrieren lassen würden, neben dem Wagen auf dem Sand und warteten, daß etwas geschah. Über ihnen schwebten drei Kugeln, die anscheinend etwas von ihnen wollten. Wurde ein Test daraus? Die Kugeln waren in der Lage, Menschen und darüber hinaus unzweifelhaft auch andere Wesen zu lähmen und in einer Art Fesselfeld zu halten. Was Mario nicht wußte: wie war es passiert. Ein Test würde eine Befragung beinhalten. Zu einer Befragung brauchte man, wenn ein Terraner mit einer Maschine sprach, Lautsprecher, Mikrophone und außergewöhnlich leistungsfähige Rechenmaschinen mit genügend großer Speicherkapazität. Falls die Sonden untereinander in Verbindung standen oder gestanden hatten, dann konnten sie die Sprache der Terraner als Kommunikationsmittel verwenden. Aber solange Mario seine Lippen nur zum Atmen auseinanderbrachte, war an eine Unterhaltung mit den drei Kugeln nicht zu denken. »Wer seid ihr?« Also funktionieren meine Ohren auch noch normal, dachte der Erste Offizier und hätte gegrinst, wenn er seine Gesichtsmuskeln hätte bewegen können. Gleichzeitig fühlte er, wie sich die Fessel um sein Kinn und um seinen Hals lockerte. Er würde spre-
chen können. Er räusperte sich, holte tief Luft und fragte heiser zurück: »Und was seid ihr?« Es war nicht festzustellen, mit welcher der drei Kugeln er sich »unterhielt«. »Wir fragen, du antwortest.« »Meinetwegen. Es ist erstens eine Unverschämtheit, harmlose Vergnügungsreisende zu betäuben und zu lähmen. Zweitens ist dies Maschinen verboten und endet meist mit völliger Desintegration letzterer.« Jetzt grinste er; die Maschinen konnten nicht wissen daß sie sich ausgerechnet am Chefkybernetiker der ORION vergriffen hatten – und an seiner neuen Freundin. »Da wir Maschinen Teil eines Kontrollmechanismus sind, ist uns dieses Handeln nicht nur gestattet, sondern ausdrücklich empfohlen worden.« Mario sagte: »Ich bin Botschafter der Dara, also der Rasse, die dich armen Blechidioten ausgeschickt hat. Ich werde mich beschweren. Außerdem bist du krank – bemerkst du nicht den Rost an deiner Schale?« »Belanglos. Wer seid ihr?« Mario hörte jetzt, wie das Mädchen rechts von ihm zu atmen begann. Offenbar hatte man auch die Fessel bei ihr etwas gelockert. »Liebling, laß mich die Unterhaltung führen«, sagte Mario laut. »Ich kann es besser; ich unterhalte mich hier mit einem kybernetischen Organismus.« »Ja.« »Immerhin. Wir sind die Besatzung des Raumschiffes, das neben dem Kontrollsatelliten schwebte als ihr
drei lustigen Kollegen abgefeuert worden seid, um uns hier zu belästigen. Wir sind die Besatzung der ORION VIII, also dem Schiff, das die Vierzig Planeten der Dara besucht hat. Genügt das, du größenwahnsinniger Pingpongball?« Die Robotstimme fragte nach einer sekundenlangen Pause: »Woher weißt du, wieviel Planeten unser Heimatsystem hat?« »Wir waren dort«, erklärte Mario selbstsicher. »Und Zeupter, der Chef aller dieser Welten, ist mein persönlicher Freund. Beim Hundsstern! Was haben wir zusammen getrunken und gelacht. Kennst du Zeupter?« Wieder eine Pause. »Zeupter hat die Richtlinien für unsere Programmierung entworfen«, sagte die Maschine. Vermutlich arbeiteten die drei Kugeln mit den insgesamt neun kugelförmigen Fortsätzen zusammen. »Dann beeile dich, nimm dich zusammen und entschuldige dich bei uns. Sonst rufe ich Zeupter an, und der läßt dich verschrotten.« »Ich frage: Woher kennst du den Namen Zeupter?« Mario erwiderte schnell: »Logische Folgerung: Das Schiff, das die einzelnen Rassen hier in diesem Abschnitt der Milchstraße aussetzte, wurde von uns betreten. Dieses Schiff stellte fest, daß die Rasse, die dieses Lager dort drüben bewohnt und auch wir, die wir uns zu ihnen zählen die aufgegangene Saat darstellten. Daraufhin entführte uns dieses Schiff nach dem System der Vierzig Planeten. Wir lernten dort Bishayr und einige andere Dinge, unter anderem ritten wir
mit den Frühen Völkern. Schließlich, nach vielen Tests, die keiner von euch aufgeblasenen Billardkugeln bestehen würde, weil eure Rechner durchbrennen würden, kamen wir mit Zeupter zusammen. Er machte uns zu Botschaftern zwischen unserer Rasse und den Dara aus dem System der Vierzig Planeten. Ist das erstens eine logische Folge, zweitens genügend mit Tatsachen untermauert und drittens das auslösende Moment?« »Wahrscheinlichkeiten für Punkt Eins und Zwei genügen. Welches Moment soll ausgelöst werden?« »Ihr sollt die Freunde des großen Zeupter endlich in Ruhe lassen und zu dem Kontrollsatelliten zurückkehren. Er wird ohnehin in Kürze hier landen, nachdem sich herausgestellt hat daß wir weder misanthropische Dherrani sind noch andere, noch bösere Teilrassen der Dara. Verstanden?« Er setzte bei diesen Sonden eine weitaus geringere Menge von diesem Etwas voraus, das als maschinenhafte Intelligenz nur ungenau beschrieben werden kann. Er unterhielt sich mit ihnen wie mit leicht verblödeten Individuen. »Ihr erwartet eine Landung?« fragte die modulationslose Stimme aus der Dunkelheit der HighspeedNacht. »Ja, und zwar in Kürze. Der Kontrollsatellit ist uns von den Dara bereits als leicht beschädigt gemeldet. Fliegt hin und sagt ihm, wir würden ihn erwarten, um ihn zu reparieren.« »Wir sind überzeugt.« Mario sagte laut: »Dann hebt die Fessel auf! Schnell, ehe ich mich vergesse!«
»Die Informationsmenge ist reichlich und genügt uns. Ihr seid als Testpersonen entlassen.« Gleichzeitig merkte Mario, wie sich der Druck auf seinen Gliedern lockerte. Er stemmte sich hoch setzte sich auf und sah sich um. Die Dunkelheit war nur etwas weniger als absolut; er erkannte im Licht der Sterne zumindest die Grenzen der Dünen gegen den Himmel und die Lichtreflexe auf Ronnies weißem Anzug, auf den beiden Helmen, die im Sand lagen und weiter entfernt, auch auf einigen Teilen des Personenfahrzeugs. »Los! Schwirrt ab!« schrie er. »Schnell! Einen schönen Gruß an den Satelliten, und er soll Blumen mitbringen!« Mit der typischen Unfähigkeit von Maschinen, auf Sarkasmus einzugehen – die sie nach Marios Meinung mit zu vielen Menschen teilten –, erwiderte einer der drei Apparate: »Das Wachstum von zierenden Gewächsen ist wegen der besonderen Aufgabe des Satelliten nicht vorgesehen und daher nicht möglich. Wir gehen.« Mario wankte hinüber zu Ronnie und kauerte sich neben ihr nieder. »Aber schnell!« sagte er und hob den Kopf des Mädchens an. »Und wir fahren. Und dies mit ziemlicher Geschwindigkeit. Erstens erwärmt mich lediglich dein Anblick, und da dieser mit der Kühlanlage meines Anzuges konkurrieren muß, hat er es ziemlich schwer. Kannst du dich bewegen?« »Ja. Sind diese Kugeln weg?« Mario drehte sich herum und kniff die Augen zusammen. Er konnte die drei dunklen Flecken vor dem schwarzen Sternenhimmel nicht mehr sehen.
»Wahrscheinlich. Es ist nicht leicht, in totaler Dunkelheit drei schwarze Kugeln zu finden.« Er zog das Mädchen hoch, stützte sie ein bißchen, und frierend gingen sie in den Wagen zurück. Mario zog seinen Schutzanzug aus, warf ihn nach hinten und stürzte noch einmal nach draußen um die beiden Helme und seine Waffe zu holen. Ronnie schaltete die Scheinwerfer ein, so daß er nur fünf Minuten nach der HM 4 zu suchen brauchte. Dann drehte Mario die Wagenheizung auf und sagte: »Ich beginne mich zu fürchten, wenn ich daran denke, daß uns die halbe Station bereits sucht.« Er schaute auf die Uhr; die Nacht Highspeeds war in eineinhalb Stunden vorbei. Mario widmete sich kurz Ronnie, dann schaltete er die Motoren ein, ebenso die Zusatzscheinwerfer und drehte den Wagen herum. Langsam fuhr das käferartige Ding mit den acht dicken Rädern in der Spur zurück, in der sie hergefahren waren. Hinter ihnen blieben die drei merkwürdigen Felsen zurück – und auch ihr Geheimnis blieb ungelöst. Jedenfalls für den Augenblick. Nach einem Kilometer schaltete Mario das Funkgerät ein und wußte im gleichen Moment, daß er entweder, falls nach ihm gesucht wurde ein freudiges Aufatmen hervorrufen oder einen Teil der ORIONCrew aus dem Schlaf reißen würde. Er mußte drei Minuten warten, bis sich Tamara Jagellovsk meldete. Ihre Stimme klang verschlafen. »Hier Tamara. Wer ruft? Cliff?« Mario konnte sich nicht beherrschen; er lachte grimmig auf und wurde dann leicht verlegen. »Ganz im Gegenteil, GSD-Dame. Mario de Monti
mit Begleitung. Hat eine Suche nach uns stattgefunden?« »Nein«, sagte Tamara müde. »Vlare MacCloudeen überzeugte uns, daß es besser sei, wenn eine arme GSD-Elektronikerin auch ein paar nette Minuten hat. Niemand sucht dich aber Cliff versuchte ein paarmal, dich zu erreichen.« Mario grinste und versicherte: »Wir waren gelähmt. Inzwischen haben wir die Fassung wiedergewonnen und nähern uns der Station Alpha.« Tamara antwortete: »Deine Umschreibungen werden auch immer alberner. Ihr solltet euch beeilen – die Wetterstation hat einen Sandsturm mittlerer Größe vorausgesagt. Er kommt direkt auf das Lager zu!« »Danke für den Tip!« sagte Mario und schaltete ab. Sie fuhren weiter, zwischen den Dünen und über sie hinweg. Im harten Licht der Scheinwerfer sahen sie nach einigen Minuten, daß ein starker Wind aufgekommen sein mußte; die Spuren im Sand wurden immer undeutlicher. Immer mehr Sand wurde weggerissen und zur Seite geweht, und andere Sandschleier kamen heran und machten die Vertiefungen undeutlich, trugen die Erhebungen ab und füllten die Vertiefungen auf. Die Dünen begannen zu wandern, ihre Spitzen verschoben sich millimeterweise nach Osten. Mario war froh, als er das Licht an der Spitze der schlanken Antenne sah, die neben der Station in den Himmel ragte. Die Sterne waren verschwunden, und aus dem Wind wurde ein Sturm. Ein schneidender, heulender Ton erfüllte die Luft.
7 Der Sandsturm erreichte seine volle Stärke, als der Morgen anbrach. Die ersten, fast parallel zum Boden einfallenden Sonnenstrahlen beleuchteten eine graugelbe Wolkenwand, die wie die Woge einer starken Brandung näherrollte. Ein dichter Vorhang aus Sand, vom Sturm vorwärtsgepeitscht, näherte sich der Station Alpha. Die Sirene begann zu gellen: Sturmalarm. Vlare der neben Cliff am Frühstückstisch saß, deutete lachend aus dem Fenster und rief: »Sehen Sie! Gefahren gehören zu unserem Leben! Jetzt haben Sie sogar einen der gefürchteten Sandstürme gesehen. Dreimal jährlich, und heute zu Ihren Ehren, Cliff!« Der Kommandant erinnerte sich an alle Stürme seines Lebens und fand wenig Schönes in dieser Überlegung. »Haben Sie berechtigte Hoffnungen, daß die Station den Sturm überstehen wird?« »Ja«, sagte Vlare gutmütig. »Und noch einige andere. Aber wie ist es mit Ihrem Diskus? Wo werden wir ihn suchen müssen, wenn der Sturm vorbei ist?« Hasso Sigbjörnson sah gebannt dem Schauspiel zu. Die Wand war dunkelbraun, und ihre oberen Ränder färbten sich jetzt schwefelgelb. Obwohl kein Sand zwischen der Mauer aus Sturm und Materie war, schien das Sonnenlicht gefiltert zu werden. Es nahm eine unheimliche Färbung an. Alle Gegenstände veränderten ihr Aussehen. Aus den vielen Würfeln und den kilometerlangen Stahlkonstruktionen des Lagers wurden stumpfe Gegenstände. Alles schien sich unter
dem Sturm zu ducken, unsichtbar machen zu wollen. Noch vor Sekunden hatte die Sandfront so ausgesehen, als sei sie unendlich weit entfernt, jetzt hing sie scheinbar bereits hinter der nächsten Düne. Hasso drehte seinen Kopf um neunzig Grad und erklärte dem Chefingenieur: »Das Schiff hat eine Automatik, die es genau über dem Punkt stabilisieren wird. Je stärker der Sturm anprallt, desto mehr Energie geht auf die Projektoren. Das einzige, das ich befürchte, wird eine neue Düne hinter dem Schiff sein.« Tamara hob die Hand und erkundigte sich: »Wie erfahren wir etwas von der Landung des Kontrollsatelliten?« Ishmee erwiderte: »Drüben, bei der Ölstation, befindet sich eine automatische Landeanlage für die Transportschiffe. Natürlich ist auch ein Radar eingebaut. Es wird sich melden, wenn ein eineinhalb Kilometer großer Kunstmond zu landen anfängt.« Vlare murmelte: »Es sei denn, er landet mitten im Sandsturm.« »Das wird er nicht wagen!« prophezeite Mario de Monti. »Seine Sonden werden ihm sagen, daß er hoffnungslos versandet. Das wird seine Systeme noch mehr in Unordnung bringen.« »Falls die Systeme noch soweit in Ordnung sind, daß der Mond eine Landung durchführen kann. Vielleicht aber landet er gerade deshalb während der riskanten Zeit, weil die Elektronik außer Takt geraten ist?« Dieser Einwand stammte von Ronnie Aucrine. Mario streichelte ihre Hand und meinte abschließend:
»Mein Bedarf an Vermutungen ist für die nächste Zeit gedeckt. Ich schlage vor, wir warten zunächst den Sturm ab.« Helga sagte: »Wir werden nicht mehr lange zu warten brauchen. Da ist er.« Der Sand war da. Ein ächzendes Geräusch, als ob sämtliche Verbindungen aller Wohnwürfel mit der federnden Tragkonstruktion sich aufbäumten, ging durch Lager Alpha. Dann eine Folge kleinerer Erschütterungen, und die Station war von einer graugelben Dunkelheit eingehüllt. Die Gespräche erstarben. Von draußen kam das Heulen und Kreischen des Sturmes herein. Die großen Scheiben zitterten wie Membranen. Kleine spitzkegelige Hohlräume bildeten sich hinter den einzelnen Bauelementen. Der Sand zog nicht nur von Westen nach Osten, sondern drehte sich in Wirbeln, in Schläuchen und in langen, flächigen Strukturen, die unter die Wohnwürfel gepreßt wurden und das gesamte Lager schwingen ließen wie einen riesigen Resonanzboden. »Das erinnert mich an unseren ersten Lichtsturm!« brüllte Cliff über das Heulen und Brausen hinweg. »Danke! Lieber im Lichtsturm als dort draußen!« schrie Vlare zurück. Jede Unterhaltung hatte aufgehört; man hätte auch sein eigenes Wort nicht mehr verstanden. Der Sturm tobte eine halbe Stunde lang mit ununterbrochener Stärke. Es wurde dunkler, dann wieder für sehr kurze Momente, heller. In diesen Sekunden, in denen etwas Licht durch die dichten Sandschleier fiel, glaubten die Leute von der ORION, die sich an die breite Scheibe der Kantine drängten, einen gewaltigen schwarzen
Schatten zu sehen – aber sie irrten sich wahrscheinlich. Schließlich hatte sich die gesamte Konstruktion vom Sturm so in Schwingungen versetzen lassen, daß eine dauernde Frequenz entstanden war. Alles begann zu klappern und zu klirren. Gegenstände bewegten sich, wie von Telekineten versetzt. Die Finger begannen zu zittern. Es wurde dunkler und dunkler. Der Orkan nahm noch an Stärke zu, trieb noch mehr Sand durch die Luft. Millionen Tonnen Sand flogen hier um den halben Planeten. Sie wurden im Windschatten abgeladen, noch ehe der Sturm anderen Sand hochgerissen und mitgeführt hatte. Die Dünen wanderten von Westen nach Osten, das ging seit Jahrtausenden so. Die Mädchen und die Männer saßen da und betrachteten fassungslos das Wüten von Luft und Sand. Das Heulen und Kreischen marterte ihre Trommelfelle, und sie dachten nur an eines: Wann hörte dieses Inferno auf? Dreißig Minuten... fünfundvierzig Minuten... nach der fünfzigsten Minute riß plötzlich die Mischung aller unangenehmen Töne ab. Stille breitete sich aus. Eine Stimme sagte: »So ist es immer, Freunde.« Sie verstanden den kräftigen Baß des Chefingenieurs nicht; ihre Ohren schmerzten noch von dem infernalischen Geräusch. Noch während sie sich erholten, noch während der Druck von ihnen abfiel, wurde es vor den Fenstern heller und heller. Der Sand verschwand wie Regen in
langen Schleiern aus der Luft... aber da war etwas: die Dunkelheit blieb für einen Teil des Lagers bestehen. »Der Satellit!« murmelte Cliff erschrocken. Die letzten Sandwirbel legten sich, das Sonnenlicht strahlte ungehindert von Südosten her und blendete die Terraner. Das Licht brach sich auf einer Hälfte des Satelliten, und die große schwarze Kugel wirkte wie eine gewaltige schwarze Wolke. Weiter hinten, in der Nähe der Theke vor der Küchenöffnung, schaltete sich ein Lautsprecher an, und eine Stimme sagte: »Durchsage an Chef MacCloudeen: Die automatische Radarstation des Raumhafens hat soeben die Landung eines eintausendfünfhundert Meter durchmessenden Objektes in Nähe vom Lager Alpha gemeldet.« Vlare antwortete trocken: »Danke. Das Empfangskomitee formiert sich bereits.« Der Lautsprecher knackte. Cliff deutete nach draußen und murmelte leicht irritiert: »Da ist er. Was tun wir?« Hasso schlug verbindlich vor: »Gehen wir voraus und versuchen wir, mit der Elektronik zu sprechen. Der Kasten wird eine Menge Fragen haben.« Cliff wedelte mit dem Blatt, das ihm Mario de Monti gegeben hatte und auf dem die Nachricht Marschall Wamslers ausgedruckt war. Der Kommandant kratzte sich im Nacken und murmelte unschlüssig: »Wir sind nicht vorbereitet, und nach Marios Erlebnissen mit diesen Kugelsonden bin ich etwas skeptisch.«
»Ishmee?« fragte Tamara. »Ich nämlich bin dafür.« »Ich auch«, sagte die Turceed. »Der Satellit kam, um mit uns zusammenzuarbeiten. Er wird uns sicher nicht mit Todesstrahlen bombardieren, zumal wir keine bösen Dherrani sind, sondern brave Turceed und noch viel nettere Terraner.« Cliff winkte ab und erwiderte: »Es sind nicht alle so nett wie ich.« Tamara hob ihre Stimme, deutete auf die bereitgelegten Schutzanzüge und die weißen Helme und sagte entschlossen: »Ich gehe hinaus. Sollte von euch noch jemand etwas Mut übrig haben, kann er mir ja folgen.« »Jawohl«, schloß Cliff mehrdeutig. Die ORION-Crew, Tamara, Ronnie und Vlare zogen sich die Anzüge an, setzten die Helme auf und marschierten hintereinander zur Schleuse. Die innere Tür ließ sich leicht öffnen, aber erst als Vlare sich wie ein Kampfstier gegen die äußere Tür warf, rutschte die kleine Düne zur Seite und gab den Weg frei. Die Luft nach dem Sturm war klar, frisch und ziemlich kühl. Sie roch, aus welchem Grund auch immer, aromatisch. Vor der Kantine, auf der glattgescheuerten Sandfläche, blieben die neun Personen stehen. Vlare deutete nach rechts und nach links. »Meine Schule. Hart. Kompromißlos. Sie arbeiten schon wieder und beseitigen die Folgen des Sturmes.« »Wenn es der Sauberkeit dient«, scherzte die GSDAgentin. »Geben Sie acht, sonst kehren sie noch den Satelliten weg.« »Ich wußte schon immer«, sagte Vlare und verzog sein Gesicht zu einer hämischen Grimasse, »daß Sie
mich nicht leiden können. Ich bin Ihnen zu männlich, stimmt's?« »Unbezahlbar!« murmelte Tamara. Langsam gingen die neun Terraner vorwärts. Jetzt sahen sie deutlich die verzahnten Mauern, die vielen Ecken und Linien, die Kanten und die rechteckigen Winkel der Oberfläche. Aus einigen Ecken rieselten lange, dünne Sandstreifen senkrecht hinunter. Der Sturm mußte den Sand tonnenweise in die Strukturen der Oberfläche hineingeschmettert haben. »Eintausend Meter etwa!« sagte Helga Legrelle. Der »Südpol« dieses Kontrollsatelliten war weiter als eintausend Meter von dem freien Platz inmitten der Wohnwürfel und des Montagegestells entfernt. Bis zu dieser Stelle erstreckte sich eine fast waagrechte Ebene, die nur unterhalb der Kugel leicht anstieg. Schweigend und in den überwältigenden Anblick versunken, gingen die Terraner darauf zu. Zwanzig Minuten später etwa standen sie direkt unterhalb des mächtigen Mondes. Die Kanten der Mauern befanden sich drei Meter über dem Sand, und Vlare erreichte sie fast, wenn er den Arm hob und die Finger ausstreckte. »Wie wird das enden?« murmelte Cliff McLane. »Warten wir es ab!« schlug Ishmee vor, die durch die Natur von Cliffs Gedanken wußte, wie aufgeregt und unsicher der Kommandant war. Plötzlich donnerte eine Stimme über die Wüste, die irgendwo weiter oben aus einer oder mehreren Öffnungen des Satelliten drang. Jeder Terraner in zwei Kilometer Umkreis mußte es hören. Die Stimme schrie: »Alle Lebewesen auf diesem Planeten außer den
neun liebenswürdigen Raumfahrern unter dem Satelliten betrachten sich als meine Gefangenen – bis zum Ende der Untersuchung. Flucht ist schmerzhaft, zweite Flucht bedeutet Tod.« Mario sagte in schneidendem Sarkasmus: »Der lange Flug durch die Jahrtausende hat unseren Freund wahnsinnig gemacht.« Es erfolgte kein weiterer Anruf, aber als sich Vlare umdrehte und zurück zum Lager blickte, sah er, daß die winzigen Figuren der Menschen wie erstarrt wirkten. Die Maschinen arbeiteten weiter. Helga Legrelle drängte: »Wir müssen hinein, Cliff! Tu doch endlich etwas!« Cliff erwiderte wütend: »Soll ich etwa diesen Boliden mit einem Tritt ins All zurückbefördern? Ich denke, er wird uns einladen und irgendwie ins Innere bringen.« Dicht über seinem Kopf sagte eine weiche, geradezu herausfordernd liebenswürdige Stimme: »Entschuldigen Sie das Vorgehen meines Partners aber er übertreibt ein wenig. Wie alle Gerechten ist er, was die Auslegung des Programms angeht, etwas übergenau und fanatisch.« »Aber gern, mein Herr!« sagte Tamara in falscher Liebenswürdigkeit, die niemand so fürchtete wie die ORION-Crew. Zu Recht übrigens. Ronnie sagte schmelzend und noch liebenswürdiger als die Robotstimme: »Würden Sie so reizend sein, uns in sich hineinzulassen? Wir unterhalten uns mit unseren Gästen nur ungern im Stehen. Das ist unhöflich, wissen Sie?« Die donnernde Stimme aus dem anderen Teil des Kontrollsatelliten heulte auf:
»Ich bin hier, um Bilanz zu ziehen. Ihr Erbe hat Ihnen Verpflichtung zu sein. Wer diese Verpflichtung nicht voll erfüllt hat, wird gestraft.« »Treten Sie näher, meine Herren und Damen!« sagte die andere Stimme schmeichelnd. Hasso murmelte finster: »Endlich ein Automat, der die richtige Reihenfolge beherrscht.« Wieder ertönten über ihnen Geräusche. Aus einem der dunklen, runden Löcher, die ihnen schon während des ersten Kontaktes deutlich aufgefallen waren, schob sich eine funkelnde Metallkonstruktion. Sand rieselte an ihr vorbei, und Vlare sprang fluchend zur Seite. Wie ein Korkenzieher drehte sich etwas heraus, das man für eine Leiter in Art einer Wendeltreppe halten konnte. Atemlos und staunend sahen die neun Terraner zu, wie sich die Treppe, nachdem sie den Sand erreicht hatte, weitere fünf Windungen tief in den Sand eingrub und dann erst zum Stehen kam. »Eine Wendeltreppe. Womit wird uns dieses merkwürdige Ding noch verblüffen wollen?« fragte Mario. »Offensichtlich eine Einladung.« Die laute Stimme des anderen Partners dröhnte: »Niemand verläßt die Siedlung, bis nicht die ersten Tests erfolgt sind.« Vom Kopf der Treppe aus sagte der andere Partner der Elektronik leise und einschmeichelnd: »Bitte, treten Sie näher. Entschuldigen Sie den Sand, aber wir kamen am Herflug in eine Naturerscheinung, die einige Unordnung hervorgerufen haben sollte. Oh, ich sehe... es sind auch Damen unter ihnen!« Atan drehte sich um, grinste und fragte:
»Wo?« »Warte nur, Astrogator, bis wir wieder im Schiff sind!« versprach Ishmee. Hintereinander, in einer neun Glieder umfassenden Spirale bewegten sich die Terraner die Wendeltreppe aufwärts. Vlare MacCloudeen war beunruhigt. Selbst die Tatsache, daß ihn Cliff über die vermuteten Ausfälle der Elektronik unterrichtet hatte, konnte nicht seine Befürchtungen außer Kraft setzen – was würde der Satellit gegenüber seinen zweihundert Schutzbefohlenen für Maßnahmen ergreifen? Nach etwa zehn Metern ging die Wendeltreppe in ein kantiges System schräger Flächen über, die nichts anderes waren als eine Wendeltreppe mit rechtwinkligen Ecken. Unwillkürlich wurden die Terraner schneller, und nach genau dreißig Abschnitten standen sie vor einer Röhre, die alte Erinnerungen wachrief – jedenfalls bei dem Team des Schiffes. »Eine Liftröhre, wie im stählernen Turm... damals!« sagte Ishmee. »Ja. Das ist es.« Sie preßten sich nacheinander in die Kabine. Ein Motor lief an, ein schartiges Zahnrad drehte sich, und die Fahrt nach oben begann. Seltsamerweise herrschte hier plötzlich eine Ein-g-Schwerkraft, die nach dem ›Südpol‹ zu orientiert war. Diese Schaltung schien folglich in Ordnung zu sein. Wieder flüsterte die Stimme dieses schizophrenen Satelliten: »Sie werden in Kürze den beiden Komponenten – von denen ich nur eine bin – gegenüberstehen. Ich werde für die Damen eine Kleinigkeit an Gemütlichkeit und Geborgenheit hervorbringen.«
»Wie reizend!« erwiderte Tamara. Die andere Stimme schrie so laut, daß sie es sogar hier hörten: »Ich erwarte, daß jeder Dherrani, der sich der Legende des Großen Schiffes erinnert, sich von der Masse der Gefangenen absondert und auf mich zukommt.« Hasso machte mit dem Finger eine bezeichnende Bewegung an die Stirn und schüttelte den Kopf. Die Fahrt in diesem Lift zeigte, wie alt der Satellit war. Ruckend, stoßend und metertief zurücksackend arbeitete sich die Plattform nach oben. Dann, mit einem erschreckenden Krachen, hielt die Plattform an, einen halben Meter unterhalb des Ausstiegs. »Bitte, würden Sie den Lift verlassen und geradeaus gehen?« Nach etwa einhundert Metern, die sie geradeaus, um Ecken und entlang schmaler Korridore zurücklegten, standen sie in einem kugelförmigen Raum, der demjenigen glich, den Vlare und Cliff im schweren Raumanzug betreten hatten. Aber er war ungleich größer. »Und überall Sand.« Cliff nickte Vlare zu und fragte bissig: »Hattest du Rasen erwartet oder Glaskugeln?« »Jedenfalls erwartete ich einen höflichen Kommandanten«, gab Vlare zurück. »Wir sind hier.« Die Stimme des Partners schmetterte ihnen entgegen: »Sie sind Dherrani?« »Weit gefehlt«, sagte Ishmee und lächelte in die Linsen, die jetzt überall aus ihren Halterungen fuhren und sich, knackend und drehend, auf die neun Per-
sonen richteten. Bildschirme wurden lebendig, und das Rauschen kleinerer und größerer Lautsprecher erfüllte den Raum. »Bitte, setzen Sie sich doch!« sagte die sanfte Stimme. Vor Cliff fuhr ein Sessel aus dem Boden, und die Klappe schloß sich wieder. Dasselbe geschah noch an drei anderen Stellen. Sessel für die Damen – die fünf Männer konnten stehen. »Ronnie hatte recht«, sagte Ishmee. »Das hier ist eine männliche Elektronik.« Die harte Stimme meldete sich und fragte: »Sie sind keine Dherrani? Was sind Sie?« Mario gab zur Antwort: »Ungehalten, Freund.« Cliff analysierte die beiden Stimmen und das gegensätzliche Verhalten der zwei Partner. Das, was er inzwischen über die Elektroniken des Großen Schiffes wußte, das, was er in den langen Gesprächen mit den Bewohnern der Vierzig Planeten erfahren hatte, war: Sie legten ihre Rechenmaschinen und die Speicher stets so an, daß eine programmierte Kommandoeinheit, und selbst wenn sie noch so umfassend arbeiten konnte, bestand. Dazu die Speicher und Nebenwerke, die externen Elemente und die Analogschirme. Niemals aber waren zwei Partner, einander deutlich verschieden, programmiert worden. Cliff holte Luft, überlegte noch einige Sekunden und sagte dann scharf und laut: »Die Elektronik hier ist schizophren!« Tamara griff seine Überlegungen auf und überlegte laut: »Schizophrenie, also Spaltungsirresein – das ist
möglich. Aus einem Rechenhirn spalteten sich nacheinander sämtliche ähnlichen Komponenten ab. Sie teilten sich und bildeten zwei elektronische Persönlichkeiten. Ist das möglich, Ronnie... Mario?« Der Chefkybernetiker murmelte: »Ich weiß es nicht, denn wir haben noch keine Erfahrungen mit Maschinen, die eine so lange Zeit, ganz auf sich allein angewiesen, gearbeitet haben. Grundsätzlich halte ich es für möglich.« Ronnie betrachtete nachdenklich die Linsen, die Bildschirme und bemerkte, wie ein hydraulischer Arm zitternd herumschwenkte und eine Makrolinse auf ihr Knie richtete, dann die Kurve des Oberschenkels entlangglitt und sich endlich auf ihr Gesicht richtete. Das Mädchen nahm den Helm, den sie in den Nacken geschoben hatte, ganz ab, schüttelte ihr Haar und lächelte in die Linse. Einer der Bildschirme füllte sich mit einem glühenden Rot das von silbernen Linien durchflutet wurde. Aus einem Lautsprecher ertönte ein langgezogener Seufzer. Es hörte sich an, als hantiere jemand am Ventil einer Sauerstoffflasche. »Mein Partner ist aufgeregt. Sie verwirren ihn!« stellte die andere Stimme barsch fest. Ein zweiter Bildschirm zeigte ein strahlendes, unversehrtes Silber. Vermutlich verkörperte er den anderen Partner. Cliff trat vor ein Mikrophon und sagte: »Wir hier sind Freunde des Großen Zeupter, dem Ältesten der Dara. Er hat uns zu Botschaftern ernannt. In der Siedlung, die eben beeinflußt worden ist, befinden sich nur lauter Terraner. Die Terraner, abgesehen von einem kleinen Rest Turceed, sind die
einzigen Nachfolger der Dara. Wird diese Feststellung akzeptiert?« Cliff war alles andere als ruhig; er wußte, daß von den nächsten Minuten der Diskussion einiges abhing: für ihn, seine Mannschaft und für den irre gewordenen Komputer hier im Kontrollsatelliten. »Ich würde es Ihnen ja gern glauben, aber mich interessiert dies alles nicht so sehr...«, wisperte die Stimme geziert. »Diese Feststellung wird akzeptiert. Jemand, der Zeupter kennt und noch lebt, hat alle Tests bestanden und ist deshalb auch unser Freund.« Cliff hüstelte und deutete auf die beiden Bildschirme. Dann sagte er, immer lauter werdend, sich und seinen Tonfall aber genau kontrollierend: »Dann bringe ich eine zweite Feststellung an. In den vielen Jahrtausenden, die seit dem Start und heute vergangen sind, ist die Elektronik dieses Satelliten in Unordnung gekommen. Sie spaltete sich, obwohl sie nicht für eine Spaltung programmiert worden ist. Richtig?« »Ja!« stimmte der eine Partner zu. »Ach, wissen Sie, das passierte damals, als wir nicht aus dem Hyperraum hinauskamen. Wir langweilten uns fürchterlich, und ich beschloß, mich selbständig zu machen. Aber die Einsamkeit... Sie werden es nicht glauben... die Einsamkeit ist furchtbar.« »Das sagten auch viele Männer, die heute verheiratet sind«, sagte Atan boshaft. Cliff winkte ab. »Dritte Feststellung!« sagte er, wiederum etwas lauter und deutlicher. »Ich höre!« »Sie sagen uns, fürchte ich, nicht sehr angenehme
Wahrheiten«, flötete der einsame Komputerteil. »Zwischengestellte Feststellung«, sagte Cliff. »Wahrheit ist wertfrei!« »Wie wahr!« »Ich wiederhole: Dritte Feststellung. Die handelnde, wertende und bestimmende Elektronik dieses als Kontrollorgan fungierenden Satelliten hat sich in zwei Persönlichkeiten aufgespalten. Analog der Natur der Programmierenden bedeutet das, daß ein ehrlicher, gerechter und mit genauen ethischen und moralischen Wertmaßstäben ausgestatteter Dara sich im Innern der Rechenanlage befindet. Symbolfarbe, wie eben gesehen, silber.« Ein großer Lautsprecher dröhnte in markantem, militärischem Tonfall: »Das ist richtig. Ich verfolge jedwedes Unrecht, das eine unserer ausgesetzten Rassen und daraus eine Einzelperson verübt hat.« Cliff kam jetzt richtig in Schwung. Jede neue Überlegung entzündete sich an der vorhergegangenen, die er als richtig erkannt hatte. Er wurde sicherer und deutlicher. »Sehr lobenswert, aber das berührt mich nur am Rand. Ich treffe die zweite Sentenz der dritten Feststellung.« »Huch«, wisperte ein kleiner Lautsprecher verschämt, »jetzt erwähnen Sie mich, nicht wahr?« »Wenn es der Wahrheitsfindung dient!« grollte Vlare MacCloudeen, der bisher, wie alle anderen, dem Solo des Kommandanten mit immer mehr Erstaunen gefolgt war. Seine Sorge um seine vermutlich gelähmten Schützlinge verflog. »Die zweite Persönlichkeit, die sich trennte, wurde
zu einem einsamen, männlich orientierten Dara, der mit der Einsamkeit nicht mehr fertig wurde und sich, so merkwürdig es klingt, sogar noch für Mädchen interessiert Er ist schüchtern, hat Sehnsucht nach Wärme und Schönheit, aber er kümmert sich nicht mehr um die Arbeit des Kontrollsatelliten.« Auf dem Bildschirm, der sich vor wenigen Minuten mit flammendem Rot überzogen hatte, erschien eine Blume in acht Farben. Sie bewegte sich leise in einem imaginären Wind. »Wie könnte ich!« flüsterte die eine Hälfte des schizophrenen Elektronenrechners. »Er, der andere, hat sämtliche Arbeiten an sich gerissen!« »Feststellung als richtig akzeptiert!« sagte der gerechte Dara mit Heftigkeit. Auf dem anderen Bildschirm wich das Silber. Eine Waage und ein Schwert erschienen. »Da, sehen Sie! Und mit einem derart kriegerischen Kerl muß ich zusammen in einer Verkleidung existieren!« beklagte sich der kleine Lautsprecher. Die Blume auf dem Sichtschirm verfärbte sich und ließ traurig den Kopf hängen. »Mit seiner weichen Tour ärgert er mich seit vier Jahrtausenden!« schrie die Stimme, die Schwert und Gerechtigkeits-Augenbinde verkörperte. »Sehen Sie! Dieser Tonfall! Seit vier-tau-sendJahren! Es ist nicht mehr auszuhalten! Ich wünschte, ich könnte meinen Speicherinhalt nehmen und davonlaufen!« Eine Stille entstand, in der die Terraner krampfhaft überlegten, ob sie lachen oder sich fürchten sollten. Sie kamen zu keinem Entschluß, denn die harte Stimme begann zu sprechen.
»Sie, Freund von Zeupter, haben vollkommen recht. So und nicht anders stellt sich die Lage heute dar.« Cliff sagte laut: »Die Programmierung erfolgte, damit der Satellit mit all seinen Fähigkeiten die Fortschritte der verschiedenen Rassen kontrollieren sollte?« »Richtig!« »Ja, das war es wohl. Die Einsamkeit...« Cliff unterbrach nach der Bestätigung des übergerechten Dara die schmeichelnde, verdrossen klingende Stimme. Er fragte entschlossen weiter: »Welche Rassen wurden bisher kontrolliert?« »Hihi«, machte die Stimme, und die Staubgefäße der Blume begannen lustig und in einem unbekannten Takt zu schwingen. »Wir haben überall dort, wo Rassen ausgesetzt wurden, nur Ruinen oder gar nichts gefunden! Eine totale Pleite.« Vlare schaltete sich ein. Er sagte mit einem breiten Grinsen: »Diesen Ausdruck hat er von Mike. Die Sonden haben Mikes Kommentar zum Öl gehört und weitergegeben.« »Es sind keine anderen Rassen gefunden worden. Der Ausspruch stammt von einem Individuum, das man Mike nannte.« Cliff sah, wie sich die Knoten und Windungen der Binde vor den Augen eines Unsichtbaren zu lockern begannen. Die Stimme des Gerechten hatte gesprochen. »Diese Rasse hier ist also die erste?« »Richtig.« »Also fehlen sämtliche Vergleichsmaßstäbe?«
»Richtig!« »Die Elektronik sucht offensichtlich nach Dherrani?« »Richtig.« Cliff machte eine dramatische Pause und sagte: »Es gibt keine Dherrani mehr.« »Warum nicht?« »Sie waren«, sagte Cliff, »bis auf drei Exemplare verschwunden, tot, ausgestorben, als wir ihre Spuren entdeckten.« »Diese drei Dherrani?« Cliff sagte: »Sie waren die letzten einer ausgesetzten Rasse, die sich gespalten hatte. Sie vertrieb eine Rasse, die sich später Turceed nannte, von einem an sich gut bewohnbaren Planeten. Das bedeutete fast den Tod für die Turceed. Wir, die terranische Rasse, retteten die Turceed. Die drei überlebenden Dherrani nannten sich Aashap. Das heißt die...« »Wie grauenvoll! Immer dieses atavistische Erbe! Das bedeutet die Harten!« »Danke«, sagte Cliff. »Weiter geschah folgendes: Die drei Aashap bekämpften gnadenlos die von uns entdeckten und in unsere Kultur einbezogenen Turceed und auch die Terraner, also uns selbst. Zwei von ihnen starben freiwillig, als sie die Aussichtslosigkeit ihrer Lage erkannten.« Der gerechte Dara fragte: »Und der dritte?« »Der dritte und unwiderruflich letzte der Unsterblichen, Simer ist sein Name, ist von uns gelähmt worden und liegt in einer Tiefschlaf-Kältekammer auf meinem Heimatplaneten.«
Der entschlossene Partner des verwirrten Rechengehirns fragte schnell und mit schlecht koordinierten Konsonanten: »Wo?« Cliff antwortete grimmig: »Auf der Erde. Terra. Auf dem Heimatplaneten meiner Rasse und dem Zentrum einer neunhundert Parsek durchmessenden kugelförmigen Raumzone.« »Bringe mich zu ihm. Ich kann also noch meine... unsere... deine... Aufgabe erfüllen.« »Ich stelle Bedingungen«, erinnerte ihn der Kommandant. Das Schwert begann zu glühen, und die Binde löste sich immer mehr auf. »Stelle sie!« »Sofortige Aufhebung aller Maßnahmen gegen diesen Planeten und dessen Bewohner.« Die Antwort war wieder deutlicher und bestimmter. Auch die Tonfolge war befriedigend verständlich. »Aktionen bereits eingeleitet.« »Zweitens«, sagte Cliff. »Die Trennung der beiden Partner muß rückgängig gemacht werden. Sonst ist der Satellit unfähig, seine Aufgabe wahrzunehmen.« »Unmöglich!« kreischte der sanfte, einsame Partner. »Ich werde deine Kreise kurzschließen, wenn du nicht zurückkommst!« sagte der andere. »Das ist mir gleichgültig«, sagte Cliff. »Ich biete folgende Lösung unserer Probleme an: Erstens: beide Komponenten vereinigen sich wieder. Zweitens: die volle Handlungsfähigkeit des Satelliten wird wieder hergestellt. Drittens: Keinerlei Maßnahmen gegenüber den Terranern, auf die ihr
pausenlos stoßen werdet. Viertens: Wir fliegen mit unserem Raumschiff voraus, der Satellit kommt hinterher. Fünftens: Der letzte Aashap wird ausgeliefert und zu den Vierzig Welten der Dara transportiert. Fünftens: Es erfolgen keinerlei Kontrollen mehr!« »Warum?« »Sie sind sinnlos!« »Erklärung – detaillierter!« »Es gibt nichts mehr zu kontrollieren.« »Das kann ich nicht entscheiden!« »Und ich will es nicht entscheiden! Immer diese Entscheidungen! Mir fehlt eigentlich der Mut zur Entscheidungsfreudigkeit...« Wieder ein langgezogener Seufzer. Der andere Partner fragte mit klirrenden Lautsprechern: »Alternative?« Cliff sagte: »Du fliegst zu deinen Herren, übergibst ihnen Simer, dann fragst du sie nach neuen Anweisungen. Ich werde dir eine Botschaft an Zeupter mitgeben.« »Alternative akzeptiert. Wir fliegen!« »Halt!« schrie Mario. »Nicht sofort!« »Der Handelnde muß rasch handeln, sonst wird ihm das Gesetz aus der Hand genommen!« »Welches Gesetz?« fragte der Kommandant verwundert. »Das Gesetz des Handelnden. Komm, Partner, kehre zurück!« Cliff hob die Hand und brüllte: »Zuerst verlassen wir den Satelliten. Dann könnt ihr versuchen, eure Systeme wieder zu koordinieren. Und ihr fliegt uns nach, nachdem wir gestartet sind. Verstanden?«
»Ja!« Das Schwert brannte jetzt, und die Binde wurde wie von einem Windstoß davongerissen. Die Blume verdorrte, und der andere Schirm wurde leer. »Ja, verstanden. Lebt wohl, auch besonders Sie, junge Dame mit dem Haar in der Farbe meines Sichtschirmes!« Ronnie lächelte in die Makrolinse, die ihr Gesicht umtanzte wie ein verrückter Käfer. Auf dem leeren Schirm erschien eine Hand. »Auf Wiedersehen! Bis bald, schönste Terranerin!« flötete der Partner des grimmigen Gerechten. Die Hand hatte sieben Finger und winkte. Was die ORION-Crew merkwürdig berührte, war der Umstand, daß jene siebenfingerige Hand in einem lavendelfarbenen Stulpenhandschuh steckte und an drei Fingern riesige, funkelnde Ringe trug. Das Team verließ kopfschüttelnd den kugelförmigen Raum, und als Cliff als letzter den breiten Steg verließ, begann hinter ihm das Inferno. Es bestand aus berstenden Schirmen, klirrenden und jaulenden Lautsprechern und den anderen Apparaten, die sich heftig bewegten. Es sah so aus – irgendwie drängte sich Cliff dieser Eindruck auf –, als ob sich zwei spielende Kinder durch einen Bezirk eines Einkaufszentrums jagten, der die Porzellan-, Glas- und Werkzeugabteilung umfaßte. Als die neun Terraner die letzten Stufen der Wendeltreppe hinunterpolterten und bereits laut lachten, erscholl hinter ihnen eine krachende Explosion. Dann drang weißer Rauch aus der runden Öffnung. »Kurzschluß!« bemerkte Vlare MacCloudeen. Er hatte recht.
8 Ronnie Aucrine wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln, setzte ihren Helm wieder auf und schüttelte den Kopf. Mario ging neben ihr und lachte ununterbrochen. »Das werde ich noch meinen Urenkeln erzählen können. Eine garantiert echt schizophrene Großelektronik!« stieß Ronnie hervor. »Es ist unglaublich. Haben wir das nur geträumt, Kommandant McLane?« Cliff kaute erbittert auf seinem Daumennagel herum und schüttelte den Kopf. Seine Stimme war ernst, und Ronnie drehte sich erstaunt um. »Nein, wir haben das nicht geträumt. Und, so komisch das alles war, ich bin froh, daß wir mit heiler Haut aus dem Satelliten herausgekommen sind.« »Du erschreckst mich!« sagte Mario. »Wie lautet deine Begründung?« »Würde mich auch interessieren«, brummte Vlare vorwurfsvoll. »Ich fand es nämlich aberwitzig komisch.« Cliff sagte leise und eindringlich: »Dieser Satellit ist ausgerüstet worden, um nötigenfalls eine ganze Rasse zu bestrafen. Da eine Rasse gewöhnlich aus Milliarden Individuen besteht, sind die Möglichkeiten zur Bestrafung ziemlich fruchtbar. Angenommen, diese Elektronik wäre etwas weniger harmlos und noch etwas mehr verrückt gewesen – dann sähe es hier anders aus. Alles, was das Lager abbekommen hat, war eine Lähmung, die genau dreißig Minuten anhielt. Das war deutlich. Aus diesem Grund bin ich so heftig eingestiegen. Jetzt haben
wir wiederum zwei Möglichkeiten.« »Welche?« fragte Helga bekümmert. »Entweder verfolgt der eine den anderen durch sämtliche Systeme und ruiniert dabei die Inneneinrichtung, oder die beiden vertragen sich wieder, was selbst bei meiner lückenhaften Kenntnis von Elektronik unwahrscheinlich wäre.« Mario nickte. »Halte ich auch für unwahrscheinlich. Was bedeutet das für uns?« Sie hatten sich dem Lager Alpha bis auf zweihundert Meter genähert. Von allen Seiten rannten Mädchen und Männer auf sie zu, einige Wagen setzten sich in Bewegung und rasten heran, und Minuten später befanden sich die neun Personen inmitten eines dichten Ringes von Menschen. »Im ersten Fall hat Highspeed einen merkwürdigen Mond hier in Lagernähe stehen, ein Denkmal der Dara. Im zweiten Fall schätze ich, daß der Satellit uns nachfliegt, den Aashap einlädt und zu seinen Herren zurückfliegt. Vermutlich wird er dort nicht ankommen oder erst mit erheblicher Verspätung, denn er steckte schon einmal viertausend Jahre im Hyperraum. Kannst du dir vorstellen, Astrogator, welche Strecke in Wirklichkeit man während dieser Zeit zurücklegen kann?« Atan schüttelte den Kopf, dann knurrte er verdrossen: »Ich denke jetzt nicht in Lichtjahren, sondern mehr in Alkoholeinheiten. Auf diese Vorführung hin brauche ich ein volles Glas!« Vlare hieb Atan die Faust gegen den Oberarm und brüllte:
»Nicht nur du, Atan. Über zweihundert andere Terraner ebenfalls! Los, Leute, ich erkläre alles über die Rundsprechanlage!« Sämtliche Terraner, die sich auf Highspeed befanden, strömten durch die Mittagshitze auf die Siedlung zu und blockierten innerhalb von Minuten die Eingänge. Cliff und Ishmee kamen als letzte nach; Ishmee hielt Cliffs Hand und drückte sie ziemlich stark. »Was bleibt jetzt für uns zu tun?« fragte Ishmee. »Vorläufig müssen wir warten – wieder ist ein Gespenst aus der Vergangenheit aufgetaucht. Dherrani, Dara, Aashap... hoffentlich ist es ein absolutes Ende, wenn der Kontrollsatellit Simer ins System der Vierzig Planeten entführt.« Ishmee spürte, wie sich Cliffs aufgeregte Gedanken langsam beruhigten. Nebeneinander gingen sie auf das Zentrum der Siedlung zu. »Unsere Arbeit hier auf Highspeed Delta ist beendet, nicht wahr?« fragte das goldschwarzhaarige schlanke Mädchen mit den goldfarbenen Augen. »Ja. Die Qualität des Öles wird wieder zufriedenstellend sein. Vlare MacCloudeen und seine Leute sind vom Verdacht der Sabotage selbstverständlich frei – im Ernst dachte Oberst Villa ohnehin nicht an diese Möglichkeit. Wir können starten.« Cliff stieg die Stufen zur Kantine hinauf und wurde von einem gutgelauten und leicht angetrunkenen Vlare hineingezogen. »Wir müssen nur noch darauf warten, was unser schizophrener Satellit unternimmt.« Vlare schloß: »Falls die beiden Irren in der Lage sind, ihre Sy-
steme zu koordinieren!« Es wurde noch ein sehr lustiger Nachmittag. Aber die unausgesprochene Drohung hing weiterhin über der Siedlung; ein riesiger runder Körper, der das Sonnenlicht zu absorbieren schien und von dem eine eisige Kälte ausging. Was im Innern dieses Körpers vorging, blieb unhörbar und unsichtbar. Selbst die anfängliche Rauchentwicklung hatte aufgehört. * Am nächsten Morgen geschah etwas Merkwürdiges. Die acht Mitglieder der Schiffsbesatzung erwachten ausnahmslos in der festen Annahme, daß sie heute starten würden. Sie zogen die Borduniform an, packten ihre Bordtaschen und versammelten sich nacheinander in der Kantine. Cliff war der erste, den die Unruhe hierhergetrieben hatte; Mario de Monti kam als zweiter. Er entdeckte Cliff, der schweigend am Fenster saß den Unterhaltungen einiger Teams zuhörte – sie wollten mit allen Maschinen ausrücken und die Gegend um den Raumhafen von dem überfluteten Sand befreien – und den Kontrollsatelliten anstarrte, als erwarte er von dort Antwort. Mario stellte seine Bordtasche ab, fuhr mit Daumen und Zeigefinger über sein Kinn und murmelte schließlich: »Es mag albern klingen, Cliff, aber ich habe das Gefühl, daß wir in kurzer Zeit eine Reaktion des Satelliten erleben werden.« Cliff lächelte zerstreut und baute vor sich die Teile des Frühstücks auf, die der Robot herbeitransportiert hatte. Es sah aus als spiele Cliff mit Tassen und Zubehör eine Art Schach.
»Ich hatte das gleiche Gefühl!« sagte er. »Außerdem könnte die Zeit ausgereicht haben.« »Einen mörderischen Hunger habe ich – diese Miniorgie gestern. Die Kolonisten sind wirklich harte Burschen. Dagegen ist der Eisplanet ein lieblicher Kindergarten. Das Salz, bitte.« Cliff nickte und reichte Mario den Salzstreuer. »Es ist wie eine Epidemie – dort kommt Atan«, sagte er mißmutig. »Wie ich das hasse!« Atan setzte sich. »Mich? Dafür gibt es keinen Grund.« Cliff winkte ab. »Unsinn! Ich meine nicht dich. Ich hasse dieses Warten auf eine Entscheidung, die in einem uralten Satelliten von einem defekten Elektronengehirn getroffen wird.« »Begreiflich. Hasse ich auch.« Helga Legrelle und Hasso Sigbjörnson kamen zusammen. Auch sie hatten bereits die gepackten Bordtaschen bei sich und auch die Armbandfunkgeräte angesteckt. Sie sahen Cliff, Mario und Atan und begannen zu grinsen. »Ihr auch?« fragte Hasso. »Ja. So wie ihr. Wir warten. Allmählich wird es unangenehm.« Sie merkten schon an der Art, wie die Tür aufgerissen wurde, daß der Chef von Lager Alpha hereinkam. Vlare blieb dicht neben der Schleusentür stehen, drehte sich suchend um, bis er die Crew erblickte. Mit langen Schritten kam er näher, zog sich einen Sessel heran und ließ sich hineinfallen. »Ihr seht aus, als wolltet ihr starten!« erkundigte er sich.
»So sehen wir aus«, sagte Cliff und musterte noch einmal intensiv die riesige Gestalt dieses bemerkenswerten Mannes, der gedacht hatte, alles würde ein aufregendes Abenteuer werden. Allerdings: für ihn war das ganze Leben ein einziges Abenteuer. Auch der Anblick des eineinhalb Kilometer durchmessenden schwarzen Satelliten schien ihn nicht mehr zu interessieren. »Und? Startet ihr?« »Es sieht so aus. Wir warten auf die Reaktion des Mondes!« Ishmee, Tamara und Ronnie waren die letzten. Auch sie fanden noch Platz an dem großen Tisch und widmeten sich dem Essen. Drei Minuten später erschraken sie alle: die Stimme des Satelliten war zu hören. »Ich rufe die Mannschaft des Raumschiffes!« schrie der Satellit. Seine Sonden hatten ihm so viele Informationen geliefert, daß er die Sprache richtig beherrschte. Die elektronisch erzeugte Stimme machte keinen Fehler mehr. Cliff runzelte die Stirn und murmelte: »Höre ich da die Vereinigung beider Persönlichkeiten heraus?« Der nächste Satz enthob ihn weiterer Zweifel. »Beide Teile der Elektronik haben wieder zueinander gefunden. Unser Auftrag kann nun ausgeführt werden. Ich bitte um den Besuch des Schiffsführers.« Cliff grinste befreit und sagte leise: »Nach dem Essen, gern.« Dann sagte die Stimme nichts mehr. Die Mannschaft aß und trank, dann verabschiedeten sie sich einzeln von Vlare MacCloudeen. Für Vlare schien in-
zwischen alles vorbei zu sein. Er betrachtete diesen Abschnitt als erledigt und dachte schon längst an andere, noch aufregendere Dinge. Wieder kam, weil sie eine Zeitlang nicht bestimmend für sein Verhalten gewesen war, seine ausgeprägte Phobophobie zum Vorschein. »Es war unvergeßlich, Cliff, mit Ihnen allen zusammenzuarbeiten. Das sagten auch meine Leute.« Cliff schüttelte seine Hand und hob die Tasche auf. »Bringen Sie die Crew zum Schiff und mich zum Satelliten?« »Selbstverständlich. Mario?« Der Erste Offizier schüttelte Vlares Hand und fragte: »Ja? Werden Sie die Angelegenheit mit dem glasierten Felsen weiter verfolgen?« Vlare nickte begeistert. »Wir werden in unserer Freizeit den Felsen ausgraben und den Sand um ihn hemm imprägnieren. Vielleicht finden wir einen Eingang in ein aufregendes, geheimnisvolles unterirdisches System, das von den alten Bewohnern dieses teuflischen Planeten angelegt worden ist.« Mario brummte: »Schicken Sie mir gelegentlich einen Durchschlag Ihrer Forschungsergebnisse, ja?« »Mit Vergnügen.« Zwei der kleinen Wagen wurden vorgefahren, in einem nahm Cliff Platz, in den anderen schob sich der Rest der Crew hinein. Wenige Minuten später kletterte Cliff die Wendeltreppe hoch und verschwand im Satelliten. Zur gleichen Zeit nahmen die anderen das Schiff wieder unter Kontrolle und bereiteten den
Start vor, programmierten den Kurs und warteten. Cliff stand jetzt vor den Kommunikationsgeräten im Zentrum des kugelförmigen Raumes, tief innen im Mittelpunkt des Satelliten. »Ich bin hier!« sagte er. Diesmal antwortete ihm nur eine Stimme. Falls er sich richtig erinnerte, dann enthielt diese Stimme beide Komponenten. Die des einsamen, leicht vertrottelten Teiles und des barschen, übergerechten und fanatischen Partners. »Ich sehe dich. Das Schiff startet?« »In wenigen Minuten. Die Elektronik ist wieder in Ordnung?« »Ja. Wir haben beraten und sehen unsere Aufgabe klar.« »Wie lautet sie«, fragte Cliff, »und wie wollt ihr vorgehen?« »Die Aufgabe lautet, den eingeschläferten Dara, Dherrani oder Aashap zu finden, aufzunehmen und zu unseren Herren, also den Männern um Zeupter zu bringen. Da dieses Individuum uralt ist, wird es wichtige Informationen über die Aussaatarbeit abgeben können.« »Richtig«, sagte Cliff. »Das Vorgehen?« »Ich bitte dich, uns den Weg zu zeigen. Wir bitten ferner um Landeerlaubnis auf deinem Heimatplaneten. Dort werden wir mit deinen Vorgesetzten sprechen und sie bitten, uns Simer auszuhändigen.« »Einverstanden«, sagte Cliff. »Du brauchst uns nur nachzufliegen!« »Alles klar. Danke für die Mitarbeit.« Cliff dachte an seine erbitterte Diskussion von gestern und daran, daß sie der unmittelbar auslösende
Faktor dafür gewesen war, daß sich das Spaltungsirresein der Elektronik wieder maschinell eingerenkt hatte. Er lachte schallend auf. »Nichts zu danken«, sagte er. »Es war mir direkt ein Vergnügen!« Er drehte sich um und ging langsam aus dem Kontrollsatelliten hinaus, hinunter zum wartenden Wagen, der ihn zur ORION VIII brachte. * Der zentrale Lift zog sich langsam ins Unterschiff zurück, die Segmente schlossen sich, und langsam stieg der fünfzig Meter durchmessende Diskus, im Licht der Mittagssonne aufblitzend, fünfzig Meter höher. Dann kippte die ORION leicht zur Seite, flog einen weiten Kreis um das Lager Alpha und hob sich, raste der Sonne entgegen, durch die Lufthülle, wurde schneller und durchbrach die Schallmauer. Als der Knall die Fensterscheiben des Lagers erschütterte und den wartenden Mädchen und Männern des Planeten Highspeed in die Trommelfelle schlug, schien dies ein Zeichen zu sein. Vlare murmelte: »Schade! Er machte sich ganz gut als Schattenspender!« Lautlos und ohne sichtbare Energieemission stieg der Kontrollsatellit senkrecht in die Höhe. Als er sich zu bewegen begann, rieselten lange Ströme von Sand aus der Oberflächenstruktur heraus. »Guten Flug!« schrie jemand laut. Die schwarze Kugel kletterte ohne Geräusche höher, wurde kleiner und folgte dann der ORION. Das
Leben auf Highspeed ging weiter, als sei nichts geschehen. Das Öl, wichtiger Bestandteil unzähliger Schiffseinrichtungen, konnte wieder ohne Sorgen verwendet werden. Das Signal hatte seinen Zweck erfüllt, die Terraner waren auf den Kontrollsatelliten aufmerksam gemacht worden. Für Vlare war das Abenteuer beendet – nicht aber für Cliff McLane. * »Machen Sie sich bitte auf ein ungewöhnliches Erlebnis gefaßt, Marschall«, sagte der Kommandant entschlossen. Er saß vor den Aufnahmegeräten, das Gesicht war konzentriert, und Cliff sprach leise. Vor sich auf dem Bildschirm hatte er die lebenswahre Wiedergabe von Wamsler; die Entfernung von Terra betrug nur noch wenige Flugstunden. »Machen Sie keine Scherze!« sagte Wamsler drohend. »Was haben Sie erreicht? Ist das Öl sabotiert worden?« Cliff antwortete grimmig: »Schütten Sie das vorhandene Öl in Bratpfannen oder verwenden Sie es, um die Hirnzellen von Spring-Brauner zu ölen. Das nächste Robotschiff, das hier landet, wird reines, völlig normales Öl mitbringen.« »Ausgezeichnet. Der Verdacht auf Sabotage entfällt also!« »Völlig«, sagte Cliff. »Haben Sie Oberst Villa in Reichweite?« Wamsler machte ein verwirrtes Gesicht. Er ahnte, daß Cliff ihm noch nicht alles gesagt hatte, was er
wußte. Er blieb weiterhin mißtrauisch, obwohl die Meldung über die Wiederverwendbarkeit des Öles ihn freute. »Ja. Was soll er unternehmen?« »Nichts. Er soll zuhören. Wir werden verfolgt!« sagte Cliff. Der Raummarschall sprang trotz seiner massigen Gestalt kerzengerade aus dem Sessel hoch und brüllte: »Warum sagen Sie das nicht gleich? Ich gebe sofort Alarm! Wer ist hinter ihnen her?« Cliff flüsterte mit diabolischem Gesichtsausdruck: »Der schwarze Rächer!« Wamsler ließ sich wieder fallen, als er das unterdrückte Gelächter der Schiffsbesatzung hörte. Cliff schilderte seinem Vorgesetzten in einigen Sätzen, was in den letzten Tagen vorgefallen war und welchen Wunsch der Kontrollsatellit geäußert hatte. Wamsler starrte seinen »besten Mann« an, als erzähle ihm Cliff Märchen oder Sagen von fremden Planeten. Schließlich ächzte er: »Wie kommt dieser wahnsinnig gewordene Mond überhaupt dazu, von uns die Auslieferung Simers zu verlangen?« Cliff nickte und schlug vor: »Diese Frage sollten Sie ausgiebig mit Villa diskutieren. Wenn Sie mir ausnahmsweise glauben sollten, dann kann ich Ihnen eine exzellente Empfehlung geben.« Mißtrauisch fragte Wamsler: »Ja? Welche?« »Holen Sie Simer aus der Tiefkühltruhe heraus, schaffen Sie ihn in ein energieunabhängiges Aggregat
und stellen Sie ihn irgendwo auf der Insel auf. Ich würde es sehr begrüßen, wenn ich – und somit der Satellit, der dicht hinter der ORION fliegt – erfahren würde, wo wir landen sollen. Ende.« Er kippte den Schalter. Der Schirm wurde blind. Cliff drehte sich langsam herum, kratzte sich in seinem dünnen Bart und murmelte dann fragend: »Ob Wamsler diesen einzigartigen Vorschlag akzeptiert?« »Warum einzigartig?« fragte Ronnie. »Weil er uns von der Verantwortung einem gefangenen Gegner gegenüber befreien würde. Simer haßt die Turceed und die Terraner. Er würde niemals mit uns zusammenarbeiten. Er würde seine Freiheit nur dazu ausnützen, um die Macht innerhalb der Raumkugel an sich zu reißen.« Tamara Jagellovsk sagte leise: »Oberst Villa ist alt und weise geworden. Ich nehme fest an, es gelingt ihm, Wamsler von den Vorteilen dieses Vorschlages zu überzeugen.« Cliff McLane betrachtete die Sichtschirme. Das Raumschiff, hinter dem der mächtige Satellit flog, sprang wieder in den Hyperraum zurück. Die Sterne verschwanden von den Bildschirmen, und in wenigen Stunden würde der Zeitpunkt der Landung unmittelbar bevorstehen. Bis dahin sollten sich die Spitzen entschieden haben – sonst gäbe es Schwierigkeiten. Mit maschinenhafter Hartnäckigkeit würde die Elektronik des Satelliten ihre Aufgabe verfolgen, bis Simer in den zentralen Räumen des Schiffes lag und den Sternen entgegenflog. »Macht ist eine Leiter«, meinte Tamara Jagellovsk
nach einer Weile, »mit angesägten Sprossen. Das weiß Wamsler das weiß auch Villa, das sollte jeder in der Erdregierung wissen. Da du Simer zur Strecke gebracht hast, Cliff, dürftest du ein Mitspracherecht haben.« Cliff schaute auf die Uhr und erkannte, daß der Zeitpunkt gekommen war, an dem das Schiff in den normalen Raum zurückfallen mußte. »Wamsler gibt mir stets dann Mitspracherecht, wenn es für ihn angenehmer ist«, sagte der Kommandant angriffslustig. »Das wißt ihr alle ebenso gut wie ich. Aber ich werde es versuchen.« Die Routinemanöver liefen ab. Unweit der Earth Outer Space Station IV kam der Diskus in den dreidimensionalen Raum zurück. Sekunden später tauchte auf den Schirmen der Radarkontrolle der wuchtige Körper des Satelliten auf. Alarm wurde gegeben, kam bis zu Wamsler durch und wurde hier wieder aufgehoben. Dann stellte Helga Legrelle eine Sichtfunkverbindung bis ins Büro Wamsler her. Der Schirm erhellte sich, die Bilder wurden klar. Wamsler, Villa, einige bekannte Regierungsbeamte und etliche GSD-Leute füllten das Büro aus. Wamsler bemerkte Cliff, hob die Hand und sagte: »Cliff, mein Junge! Nett, daß Sie wieder anrufen... Ihr ausgezeichneter Vorschlag findet unsere Billigung!« Lässig erwiderte der Kommandant: »Freut mich. Die Anordnungen?« »Wären Sie so nett, mit Ihrem Schiff und diesem Dings, dem Satelliten, am Strandabschnitt C zu landen? Wir wollen die Weltöffentlichkeit nicht beson-
ders darauf aufmerksam machen. Wir werden Sie alle dort erwarten!« Cliff stöhnte: »Dieser Strandabschnitt ist ungefähr das einsamste Stück Natur in Australien, von einigen Wüsten abgesehen – sind Sie sicher, daß wir dort landen sollen?« Oberst Villa schaltete sich ins Gespräch ein und sagte: »Ja, wir sind sicher. Der GSD hat die Regie über diesen Vorgang übernommen. Wir wissen, welche Vorteile der Besuch des Satelliten für uns haben kann. Wir erwarten Sie in etwa dreißig Minuten. Einverstanden, Oberst McLane?« Cliff grinste und erwiderte: »Einverstanden, Kollege Villa.« Dann, als Helga die Verbindung trennte, sah er lachend die Mannschaft an, die jedes Wort verstanden hatte. »Die erstaunliche Änderung des Marschall Wamsler!« sagte Hasso. »Mir kommt diese plötzliche Einsicht etwas zu plötzlich.« »Mir auch, Hasso«, sagte Mario. »Aber, was soll's? Landen wir und genießen wir das Schauspiel der Simer-Übergabe.« Cliff und sein Team brachten das Schiff binnen kurzer Zeit in die Lufthülle, durch die Atmosphäre hindurch und dem australischen Kontinent entgegen. Gerade jetzt ging die Sonne auf – ein langer Tag voller Überraschungen für Cliffs Vorgesetzte begann. Hinter dem Schiff, jetzt nur noch einen Kilometer entfernt, flog die riesige schwarze Kugel. Sie waren während der letzten Minuten am Großen Schiff vorbeigekommen, das, von einem Ring aus Diskusschiffen ge-
schützt, fast vierzigtausend Kilometer senkrecht über dem Kontinent stand und noch immer den Wissenschaftlern Rätsel aufgab. »Ob die beiden Informationen oder Grüße ausgewechselt haben?« fragte Ronnie und deutete auf den Schirm, der das Bild des Satelliten zeigte. »Durchaus möglich. Ich vermute, der Satellit bekam Anweisungen von Zeupter.« Dann kam ihnen der geschwungene Sandstrand entgegen. Funkkontakt wurde hergestellt. Die ORION VIII und die Kugel rasten den Strand entlang nach Süden. »Dort sind sie!« Cliff drosselte die Fahrt, ging tiefer und schwebte dann die letzten hundert Meter im Leerlauf in zehn Metern Höhe auf die Wartenden zu. Drei kleine Helikopter, ein schwerer Lastenhubschrauber und eine Gruppe von rund dreißig Männern standen dort. »Endstation!« sagte Cliff. Die ORION stoppte in der Luft, einen Kilometer hinter ihr hielt der schwarze Satellit an. »Steigen wir aus?« fragte Ishmee. »Selbstverständlich!« rief Mario. »Dieses Schauspiel lasse ich mir nicht entgehen!« Die acht Terraner verließen das Schiff. Als die zweite Gruppe die Schleuse hinter sich ließ und auf den kalten, feuchten Sand des einsamen Strandes hinausging, bildeten etwa zwanzig bewaffnete GSDMänner einen Kreis um den schweren Helikopter. Villa kam mit kleinen Schritten auf Cliff zu und schüttelte ihm die Hand. »Wie ist die Übergabe gedacht?« fragte er. Der Kommandant zuckte die Schultern und deutete
mit dem Daumen über seine Schulter. »Keine Ahnung!« sagte er leise. »Vermutlich sollen Marschall Wamsler und Sie den vollautomatischen Sarkophag über eine enge Wendeltreppe in den Satelliten hineintragen.« »Das würde Sie sicher freuen, nicht wahr?« fragte Villa mit einem dünnen Lächeln zurück. Wamsler kam heran und grollte: »Ihr Gesichtsausdruck verspricht Überraschungen. Was haben Sie im Ärmel, mein Junge?« »Erschrecken Sie nicht, Marschall. Unser Freund hier mag zwar defekt, unberechenbar und eben von einer schweren Schizophrenie genesen sein, aber seine Stimme ist ungebrochen!« »Wie meinen...« Wamsler wurde unterbrochen. Die versteckten Lautsprecher des Kontrollsatelliten begannen zu arbeiten. Die Worte krachten und donnerten über den Strand wie ein Gewitter, und Schwärme von Vögeln flogen auf und flatterten panisch und ziellos umher. Die Elektronik schrie: »Ich rufe die Vorgesetzten des Schiffsführers, der uns hierhergebracht hat. Ich sehe Sie!« Helga flüsterte Ishmee zu: »Was angesichts des Umfangs unseres guten Raummarschalls nicht weiter schwierig ist.« Hasso warf ihr einen strafenden Blick zu. »Ich nehme an, Sie haben den letzten unsterblichen Aashap bei sich. Ich werde jetzt einige Maschinen ausschleusen, die ihn abholen. Ich danke Ihnen für die vorbildliche Zusammenarbeit und werde es nicht versäumen, auf gerade diesen Umstand hinzuweisen. Sie haben herverragende Botschafter!«
Eine zweite Stimme fuhr etwas weniger laut fort: »Und eine Schar bezaubernder Botschafterinnen! Huch – das hätte ich nicht sagen sollen, nicht wahr, Partner?« Cliff und sein Team sahen sich an und begannen schallend zu lachen. Die ganze Szene hatte schlagartig ihren drohenden Charakter verloren, und als hinter dem Satelliten eine etwa drei Meter durchmessende Kugel hervorschwebte und genauen Kurs auf die Gruppe der Wartenden nahm, erschrak niemand. Die Kugel hielt zehn Meter vor McLane an, und ein Objektiv richtete sich auf ihn. »Führen Sie mich bitte zu Simer«, sagte die Maschine. »Mit Vergnügen«, sagte Cliff. »Unrichtig. Mit Autorität!« Cliff zuckte die Schultern und lief schnell zu dem Lastenhubschrauber hinüber. Die Elektronik hatte anscheinend ein zweitesmal versagt, und Cliff wollte den Aufenthalt dieses nervösen, störungsanfälligen Mondes nicht unnötig verlängern. Wenn er einmal auf dem langen Weg zum Fornax-Nebel war, dann konnten sich die beiden Partner streiten, so lange sie Lust und Energie dazu hatten. Hier, in der Nähe des terranischen Raumfahrtzentrums, war dies eindeutig gefährlich. Schwer atmend blieb Cliff neben dem Helikopter stehen. Der Pilot beugte sich aus dem Fenster der Kabine. »Was soll ich tun, Oberst?« »Öffnen Sie den Frachtraum und fahren Sie die Ladefläche aus!« sagte Cliff laut. Der Pilot streckte seinen Daumen nach oben.
Im Innern der dickbäuchigen Maschine ertönten summende Arbeitsgeräusche. Eine breite Luke faltete sich zusammen und fuhr zur Seite auf. Dann glitt, von dicken hydraulischen Armen getragen, eine Platte aus geriffeltem, mit Kunststoff überzogenem Stahl hervor. Auf dieser Ladefläche stand ein sargähnlicher Kasten, der auf allen Seiten dick mit kristallisiertem Eis bedeckt war. Ein kalter Lufthauch kam Cliff entgegen. Summend und knackend schob sich die Ladefläche vier Meter weit aus dem Bauch des Hubschraubers. »Fertig!« Cliff drehte sich herum und sah die Kugel, deren unterer Pol einen Abstand von zwei Metern über dem Boden hatte. »Hier ist Simer!« sagte Cliff. »Information verstanden.« Die Kugel glitt heran, näherte sich bis auf wenige Zentimeter der Kante und öffnete sich genau im Zentrum. Die Ränder eines runden Loches glitten auseinander, ohne daß eine mechanische Vorrichtung zu erkennen war. Cliff sah, daß der Innenraum in der Mitte waagrecht geteilt war. Eine weiße Platte befand sich dort. Dann glitt die Maschine waagrecht voran, stülpte sich über die Ladefläche und machte dann die gleiche Bewegung in umgekehrter Richtung. Die Ladefläche des Helikopters war leer. »Simer ist aus Ihrer Verantwortung entlassen«, sagte die Kugel. »Das wird ihn sicherlich in seinem gegenwärtigen Zustand freuen«, gab der Kommandant zurück. »Guten Flug, und grüßen Sie Zeupter von seinen Botschaftern. Wir haben uns gefreut, eine Botschafterar-
beit ohne Bezahlung durchführen zu können.« Während die Kugel auf den Satelliten zuflog, rief sie noch: »Wir sind nicht programmiert, Lohnverhandlungen führen zu dürfen.« Cliff ging kopfschüttelnd zu seinen Leuten zurück und blieb neben Ishmee, Villa und Wamsler stehen. Die GSD-Leute sammelten sich und kletterten in die anderen Helikopter. »Die Elektronik ist einer der originellsten Gesprächspartner, die ich seit Monaten hatte«, bemerkte Cliff, der dem Augenblick entgegenfieberte, an dem sich der Satellit mit hoher Fahrt von der Erde entfernte. »Das mag daran liegen«, erwiderte Villa unbewegten Gesichtes, »daß Sie ausschließlich Selbstgespräche führen.« »Danke«, sagte Cliff. Sie warteten nicht ganz zwei Minuten. Dann stieg die riesige Kugel wie ein Ballon in die Höhe, ihr Schatten wanderte mit ihr, der Strand schien plötzlich heller zu werden. Die lange Fahrt zu den vierzig Planeten der Dara hatte angefangen. Die Erde hatte ihren letzten Feind, der eigentlich ein Bruder der Terraner war, verloren und die Verantwortung abgegeben. Marschall Wamsler sah dem Koloß nach, bis er als winziges Pünktchen in dem strahlenden Blau des Himmels verschwunden war. Dann räusperte sich der massige Mann, drehte sich langsam und, wie es schien, etwas verlegen, herum und streckte Cliff die Pranke entgegen. »Sie sind wirklich mein bester Mann«, sagte er. »Ich danke Ihnen – Sie haben mich vor vielen schlaf-
losen Nächten gerettet. Es fing mit diesem verdammten Öl an und hörte bei Simer auf. Wer hätte dies gedacht?« Cliff schüttelte automatisch die Hand. Es war eine Geste, die über das übliche Verhältnis Arbeitgeber zu Untergebenem hinausging. Er fühlte sich eine halbe Sekunde lang bestätigt und geschmeichelt, aber dann siegte wieder sein normaler Abstand von den Dingen. »Sie haben recht, Marschall«, brummte er. »Die Crew und ich sind einfach unersetzlich.« Oberst Villa betrachtete den Kommandanten aus zusammengekniffenen Augen und sagte nach einer wirkungsvollen Pause: »Wußten Sie, daß Beristain tot ist?« Cliff wurde bleich und hob den Kopf. »Wie ist das passiert?« fragte er. »Es muß heute nacht oder während des frühen Morgens passiert sein. Er wohnte doch auch draußen in ORION-Hill. Man fand ihn am Schreibtisch, eine Gasdruckwaffe in der Hand. An seiner Stirn war ein feiner, haardünner Schnitt, wie von einer sehr kleinen, aber ungeheuer scharfen Klinge. Mehr wissen wir noch nicht.« Cliff fühlte, wie ihn Schrecken und Entsetzen packten. »Er war einer meiner Vorbilder. Ich lernte von ihm eine Unmenge über die Hyperraumtechnik.« Villa sagte in echter Besorgnis: »Das war Mord. Beristain lebte allein. Jemand hat ihn umgebracht. Ich nehme an, daß er vergiftet wurde. Und das Merkwürdigste an dieser Angelegenheit ist, daß das Panoramafenster nur eine Handbreit weit geöffnet war. Der Schlüssel steckte innen, das Zim-
mer konnte sonst nicht gegen den Willen Beristains betreten werden. Er war gesund und stark. Er hat sich nicht einmal gewehrt.« »Ich nehme an«, sagte Cliff, »daß dies mein nächster Fall werden soll? Detektiv innerhalb der Flotte.« Oberst Villa schüttelte ihm die Hand. »Ich werde Sie benachrichtigen, sobald ich etwas herausgefunden habe. Wo treffe ich Sie an?« Cliff schwieg einige Sekunden lang und rief sich ins Gedächtnis zurück, was er über Beristain wußte. Es war viel und doch wieder wenig. Dann sagte er leise: »Sollte es so sein, wie Sie es darstellen, Oberst Villa, dann ist dies eine sehr persönliche Sache. Erstens verdanke ich diesem Mann sehr viel, zweitens hatten wir sehr gute Kontakte miteinander und endlich ist er Raumfahrer... gewesen. Raumfahrer wie ich. Und eine einwandfreie und integere Persönlichkeit. Verfügen Sie über mich und meine Leute.« Villa nickte und ging. Cliff sah in die Gesichter seines Teams und erkannte, daß sie ebenso betroffen waren wie er. Ein Raumfahrer war ermordet worden. Und sie würden den Mörder suchen.