Kommissar X - Bis der Mord uns scheidet von A. F. Morland ISBN: 3-8328-1107-9
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Kommissar X - Bis der Mord uns scheidet von A. F. Morland ISBN: 3-8328-1107-9
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Die Tür flog auf, und die beiden Killer fingen sofort zu schießen an. Ihre Schalldämpferpistolen niesten in den Raum. Doch der Mann, der sterben sollte, verfügte über phänomenale Reflexe. Er hatte auf der Couch gelegen. Augen geschlossen. Musik im Hintergrund, zu der man träumen konnte. Da war das mit der Tür passiert. Robert Vickers Reaktion erfolgte augenblicklich. Während die Killer in den Living-room sprangen, federte Vicker von der Couch hoch. Als die Killer ihren Finger krümmten, hatte Vicker bereits den Beistelltisch mit der schweren, massiven Schieferplatte hochgerissen. Vier Kugeln fing Vicker mit diesem Schild ab. Dann schleuderte er den Revolvermännern den Tisch entgegen. Er traf sie beide. Sie fluchten, und sie waren damit noch nicht fertig, da hatte Robert Vicker seine Beine bereits über die Fensterbank geschwungen. Dritter Stock. Keine Feuerleiter. Trotzdem gelang dem geschmeidigen Jungen mit der eingeschlagenen Nase die Flucht. Er turnte mit affenartiger Geschwindigkeit an der Dachrinne zur Straße hinunter. Unten angekommen, ruhte er sich nicht auf seinen Lorbeeren aus ; sondern nahm erst recht seine Beine in die Hand...
* Riverdale. West 239.Straße. Die Wohnung, in der sich April Bondy befand, hatte das gewisse Etwas. Koreanische Seidentapeten an den Wänden. In den großzügigen Räumen standen futuristische Möbel. Es gab wunderschöne Gemälde, und die Teppiche waren überall so hoch, daß man darin fast versank. Dieses Miniatur-Paradies gehörte Barbara Holland. Barbara war so alt wie April: vierundzwanzig. Und sie stammte aus derselben Ecke wie April: Minneapolis in Minnesota. Schon dort waren die beiden attraktiven Mädchen miteinander befreundet gewesen. Sie besuchten zusammen die Mannequinschule und hatten schon damals von New York geträumt, wo sie ihr Glück versuchen wollten. Aber dann hatten verschiedene Dinge ihre gemeinsamen Pläne durchkreuzt. Zum Beispiel April Bondys geplatzte Verlobung. Von diesem Tag an hielt es April einfach nicht mehr in Minneapolis aus. Aber die Zeit heilt alle Wunden, sagt man, und an diesem Spruch ist eine ganze Menge dran. Jedenfalls kam April ohne Barbara nach New York, und sie wurde kein Mannequin, sondern Volontärin in der Detektei von Jo Louis Walker. Als April aus Minneapolis fort war, hatte Barbara plötzlich Angst., nach New York zu gehen. Sie fühlte sich diesem riesigen Schmelztiegel der Nationen nicht gewachsen. Nicht allein. Deshalb blieb sie vorläufig noch in Minneapolis. Sie nahm Schauspielunterricht, nachdem sie mit der Mannequinschule fertig war. Und als sie die Abschlußprüfung hinter sich hatte - mit großem Erfolg übrigens -,hatte sie keine Angst mehr vor New York. Nun fühlte sie sich dieser Stadt gewachsen... Und sie war ihr gewachsen, wie sich mittlerweile herausgestellt hatte. Sie hatten einen guten Job bei der Fernsehgesellschaft ABC, war da Ansagerin, aber nicht nur das. Sie bekam auch regelmäßig gute Rollen, in anspruchsvollen TV-Stücken Copyright 2001 by readersplanet
angeboten, und sie suchte sieh sorgfältig jene Stücke aus, die ihrem Image entsprachen. Barbara - groß, schlank, brünett, mit großen braunen Samtaugen, die beim Publikum so gut ankamen - hatte Tausende von glühenden Verehrern. Aber es gab nur einen, den sie aufrichtig liebte: Roy Mandell - Import/Export. Er war jung, gut aussehend und...reich, was bei Gott kein Fehler war. Er überhäufte Barbara mit Geschenken, und sie hatte nichts dagegen. Mandell hätte sie gern für sich allein gehabt. "Gib den Job bei der ABC auf", sagte er immer wieder. "Du hast es nicht nötig zu arbeiten. Du hast mich." Aber Barbara liebte ihre Arbeit, und sie liebte - vorläufig auch noch - ihre Freiheit; deshalb war aus der Heirat bis jetzt noch nichts geworden. Doch Roy ließ sich deswegen nicht entmutigen. Er konnte verdammt hartnäckig sein, und er wußte, daß er sein Ziel eines Tages erreichen würde. Und im Grunde genommen wußte das Barbara Holland ebenfalls. April Bondy hatte Barbara vor drei Tagen im Fernsehen gesehen, kurzerhand die TV-Anstalt angerufen. Barbara wäre vor Freude fast übergeschnappt. "April! Nein, das halt,' ich im Kopf nicht aus! Bist du's wirklich? April Bondy aus Minneapolis, Minnesota?" "Ich bin's." "Du untreue Seele. Hast mich damals einfach sitzen lassen." April lachte herzlich. "Ich hab' dich vorhin auf dem Bildschirm gesehen. Keine einzige Kummerfalte." "Wir haben hier 'nen verdammt guten Maskenbildner." "Du siehst großartig aus, Barbara." "Das Kompliment gebe ich gern an Tony, den Maskenbildner, weiter", lachte Barbara. "Er wird sich freuen." Sie plapperten endlos weiter, und schließlich sagte Barbara: "Was hältst du davon, wenn wir uns an einem der nächsten Abende zu einem ausgedehnten Schwätzchen zusammensetzen? In meiner Wohnung? Ich wohne in Riverdale. Ruf mich an, wenn du Zeit hast." "Das werde ich", stimmte April begeistert zu. "Werd' ich ganz bestimmt." Und heute hatte sie angerufen. Der Abend mit Barbara war für April ein nettes Erlebnis. Nun blickte die blonde Detektiv-Volontärin auf ihre Uhr. "Gleich zwölf." Barbara schüttelte den Kopf. "Wie an manchen Abenden die Zeit vergeht... Ich habe den Eindruck, du bist eben erst gekommen. Noch was zu trinken?" "Nein. Vielen Dank, Barbara. Ich habe genug." "Wir sollten uns bald Wiedersehen, was meinst du?" "Einverstanden." "Wir haben uns noch so viel zu erzählen." "Man erlebt eigentlich sehr viel - in relativ kurzer Zeit, was?" sagte April. Barbara hob lächelnd die Achseln. "So geht das eben mit uns Mädchen aus Minneapolis." Bevor April Bondy ging, trat sie mit Barbara noch einmal auf die Terrasse. Ringsherum blinkte und funkelte das Lichtermeer von New York. Ein grandioser Anblick, an dem sich April niemals satt sehen konnte. Dem Haus, in dem Barbara Holland wohnte, breitete sich allerdings gegenüber das schwarze Rechteck einer Großbaustelle aus. Barbara kräuselte ihre hübsche kleine Nase. "Nicht gerade erbauend, das dort unten." "Was soll das werden?" fragte April. Sie trug ein dunkelblaues Kleid aus Seidenjersey, das sich wie eine zweite Haut an ihren gertenschlanken Körper schmiegte. "Wolkenkratzer. Riesengroßes Ding", sagte Barbara mit zusammengezogenen Brauen. "Wenn der häßliche Klotz fertig ist, wird dort drüben ein Elektronik-Konzern einziehen, aber Copyright 2001 by readersplanet
das werde ich hier nicht mehr miterleben, denn wenn der Kasten so hoch ist, daß mir die Arbeiter ins Schlafzimmer sehen, räume ich hier das Feld." "Wo ziehst du hin?" "Irgendwo in die Bronx. Weiß noch nicht." "Wenn es soweit ist, laß es mich wissen, dann helfe ich dir beim Suchen." "Kann ich machen", erwiderte Barbara. Sie kehrten in den Living-room zurück. "Das nächstemal treffen wir uns bei mir", sagte April. "Die Adresse hast du behalten?" "Klar. 123rd Street... Freut mich, dich wiedergefunden zu haben, Schätzchen." "Mich auch. Es war ein reizender Abend", meinte April. Barbara lächelte. "Und ganz ohne Männer, was? Man braucht sie wirklich nicht immer." Die Mädchen lachten. April nahm ihre Handtasche. Dann brachte Barbara sie bis zum Lift. Dort küßte sie Aprils Wangen und fragte noch: "Wie war doch gleich die Nummer von dieser Detektei?" "774-3321. Steht in jedem Telefonbuch." "Aja. Und wie steht dein Chef zu Privatgesprächen?" "Jo? Der hat nichts dagegen. Wofür hältst du meinen Chef denn?" Barbara hob schmunzelnd die Schulter. "Weiß man's, an wen du geraten bist." Der Fahrstuhl war da. April Bondy verschwand hinter den sich langsam schließenden Holztüren. Wenig später trat sie auf die nächtliche Straße, die zu beiden Seiten verparkt war. Sie hielt nach einem Taxi Ausschau und war sicher, auf dem Hudson Parkway einen Wagen zu finden. Bis dorthin hatte sie höchstens fünf Minuten zu gehen. Angst? Nein,. Angst kannte April keine. Immerhin war sie in Judo und Karate ausgebildet, und in ihrer Handtasche trug sie eine kleine, perlmuttbesetzte Pistole - von der Jo Walker allerdings behauptete, sie wäre bloß ein nett anzusehendes Spielzeug, mit dem sie nicht einmal die Wochenendausgabe der New York Times durchlöchern könnte. Das war selbstverständlich stark übertrieben, denn auf kurze Distanz konnte April sich damit sehr wohl ihrer Haut wehren. Sie marschierte los mit ihren hochhackigen Pumps. Plötzlich hörte sie hallende Schritte. Keuchen. Dann sah April einen rasch größer werdenden Schatten. Sekunden später kam ein junger Mann aus der schmalen Seitenstraße herausgeschossen. Er war groß und kräftig, hatte eine eingeschlagene Nase. Hätte ein Boxer sein können. Angst verzerrte sein Gesicht. Dicke Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn. Gehetzt schaute er sich um. Er schien auf der Flucht. Mit weiten Sätzen überquerte er die Straße. Augenblicke später tauchte er in die tintige Schwärze ein, die über der Großbaustelle lastete. Und dann noch einmal: Hallende Schritte. Keuchen. Alles in doppelter Ausführung. Zwei Männer. Zwei Schatten. April Bondy versteckte sich blitzschnell hinter einem giftgrünen Kastenwagen. RELLERS WIENER WÜRSTCHEN SIND UNSCHLAGBAR, war auf die Flügeltüren gepinselt. April war neugierig genug, um ein Auge zu riskieren. Sie zuckte sofort wieder zurück. Etwas strich ihr eiskalt über den schlanken Nacken. Der junge Mann hatte wahrhaftig allen Grund, wie von Furien gehetzt durch die Nacht zu rennen. Die Kerle, die ihm auf den Fersen waren, hatten großkalibrige Kanonen mit aufgesetztem Schalldämpfer in den Fäusten. Profis. Killer! Sie blieben kurz stehen, wechselten schnell ein paar Worte. Es hörte sich an, als würden sie knurren. Der eine schaute nach links. Der andere nach rechts. Besser, sie sehen dich nicht! dachte April und verhielt sich so ruhig, als wäre sie ausgestopft. Sie liefen über die Straße und betraten Sekunden später das finstere Areal des Baugeländes. Robert Vicker wischte sich mit einer fahrigen Handbewegung den Schweiß von der heißen Stirn. Copyright 2001 by readersplanet
Seine Nerven vibrierten ganz entsetzlich. Noch nie im Leben hatte er so große Angst gehabt. Seine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, die auf der Baustelle herrschte. Er sah viele Hindernisse, doch bei weitem nicht alle. Immer wieder stolperte er. Zweimal. knallte er auf den Boden. Erde knirschte zwischen seinen Zähnen. Er spuckte, kämpfte sich hoch, rannte weiter. Berge von Baumaterial türmten sich auf. Dazwischen standen Bulldozzer, riesige Betonmischmaschinen, Kräne. Einige Betonpfeiler ragten wie erstarrte Finger zum schwarzen Nachthimmel empor. Viele Verstecke gab es hier. Zahlreiche Schlupfwinkel. Doch keiner schien ihm sicher genug zu sein. Er hatte eiskalte Bluthunde auf den Fersen. Er befürchtete, daß sie ihn überall aufstöbern würden. Selbst wenn er sich in die Erde hineinwühlte, würden sie ihn wieder ausbuddeln und ihn mit ihren Kanonen brutal zusammenschießen. Zum Teufel, wie hatte er bloß denken können, man würde ihn ungeschoren lassen. Wie hatte er nur so wahnsinnig naiv sein können? Er hätte wissen müssen, daß sie sich das von ihm nicht bieten lassen würden. Aber hatte es jetzt noch einen Sinn, sich mit Selbstvorwürfen zu zerfleischen? Es war nicht mehr rückgängig zu machen. Die Würfel waren gefallen. Das Spiel war entschieden. Der Verlierer hieß Robert Vicker, und die Killer waren unterwegs, den Gewinn ihres Chefs einzustreichen:. Vickers Leben. Der junge Mann verkroch sich hinter einem Bretterberg. Sein Herz ging wie eine Trommel. Er leckte sich die trockenen Lippen. Seine Kleider waren schweißnaß. Gehetzt schaute er sich um. Nein, hier konnte er nicht bleiben. Das war kein Versteck. Das war ein Präsentierteller. Nervös sprang der Junge wieder auf. Vor einem mächtigen Bulldozzer mit riesigen Raupen warf er sich auf den Bauch. Keuchend robbte er unter die Baumaschine. Dann preßte er sein erhitztes Gesicht auf die Erde. Im Ring war er ein guter Fighter. Kaum ein Gegner war ihm gewachsen. Im Ring konnte er seine Fäuste einsetzen. Fäuste gegen Fäuste. Aber nicht Fäuste gegen Revolver. Gegen die war er machtlos. Vor denen hatte er Angst. Sie brauchten nur ein einziges Mal Feuer zu spein - wenn die Kugel ihr Ziel erreichte, war das große Aus da. Für immer. Uriwiderruflich. Knirschende Schritte. Eine unsichtbare Hand schnürte Vicker die Kehle zu. Da kamen sie, die gnadenlosen Bluthunde. Noch suchten sie ihn. Noch wußten sie nicht, daß er sich unter diesem Bulldozzer verkrochen hatte. O Himmel, mach, daß sie mich nicht finden! flehte der Boxer. Laß mich überleben. Die schwarzen Silhouetten der Killer tauchten auf. Als Robert Vicker sie sah, setzte sein Herzschlag aus...
* Der Junge brauchte Hilfe, das stand für April Bondy fest. Was tun? Die Polizei alarmieren? Das wäre der verkehrte Weg gewesen, denn bis die Cops hier eintrafen, hätte der Junge keine Hilfe mehr gebraucht. Aus dieser Überlegung heraus beschloß April, die kritische Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sofort war dieses kribbelige Gefühl da, das immer zwischen ihren Schulterblättern auftauchte, wenn sie sich an eine Sache heranwagte, die unter Umständen um einige Nummern zu groß für sie war. Ihr Mut sprengte hin und wieder den Rahmen jeglicher Vernunft. Sehr zum Leidwesen von Jo Walker, der sie bereits mehr als einmal aus argen Klemmen herausboxen mußte, in die sie sich mit ihrem ungestümen Draufgängertum, das sogar einem Mann zur Ehre gereicht hätte, hineinmanövriert hatte. Nicht lange überlegen! Ran! Das war Aprils Devise. Mit einer schnellen Bewegung öffnete sie die Handtasche. Sie kramte einen Augenblick darin herum. Puderdose, Lippenstift, Scheckheft, Schlüssel - alles wurde tüchtig durcheinandergequirlt, das Unterste zuoberst gekehrt, dann lag das perlmuttbesetzte Pistölchen in Aprils zierlicher Hand. Sie entsicherte die Waffe und betrat entschlossen die finstere Baustelle. Copyright 2001 by readersplanet
Schon nach wenigen Schritten blieb sie stehen, um zu lauschen. Sie hörte das Knirschen von Schuhen und lief hinterher, sorgsam darauf bedacht, so lautlos wie möglich vorwärts zu kommen. Jo würde Augen machen, wenn sie ihm morgen von diesem Abenteuer berichtete. Natürlich würde er mit rügender Miene erwähnen - er vergaß dies niemals zu tun -, daß er es nicht gern sehe, wenn sie sich solche gefährlichen Eskapaden leistete. Aber, verflixt noch mal, sie machte das ja nicht zum Spaß. Der Junge brauchte Hilfe. Zwei Killer waren hinter ihm her. Ein trüber Halbmond strengte sich nicht sonderlich an, Licht zu spenden. Trotzdem sah April Bondy verhältnismäßig gut. Mit angehaltenem Atem und völlig reglos lauschte sie wieder. Keine Schritte mehr. Stille. Für einen kurzen Augenblick herrschte auf dem düsteren Gelände eine fast unerträgliche Stille, die an Aprils Nerven, die wie Klaviersaiten angespannt waren, zerrte. Plötzlich scharfe Worte. Dem Klang nach scharf. Ihre Bedeutung konnte April wegen der großen Entfernung nicht verstehen. Das blonde Mädchen befürchtete das Schlimmste. Die Killer hatten ihr Opfer aufgestöbert. Höchste Alarmstufe. April rannte auf die Stimmen zu. Da sah sie grelle Blitze. Dazu husteten die schallgedämpften Kanonen der Killer. Ein gurgelnder Schrei folgte. Aprils Herz krampfte sich unwillkürlich zusammen. O Gott, sie kam zu spät. So schnell sie auch lief, sie würde für den Jungen nichts mehr tun können. Tränen stiegen ihr in die Augen. Es war verrückt, sie kannte den Jungen überhaupt nicht. Trotzdem ging ihr das, was ihm auf dieser endlos weiten Baustelle passierte, furchtbar nahe. Ein junger Mensch. Vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, bestimmt nicht älter. Eben erst zum Mann geworden. Ein solcher Mensch durfte einfach noch nicht sterben. April schlug einen Haken, lief um einen Bauholzstapel herum, während zwei heiße Tränen über ihre kalten Wangen liefen. Es war vor allem die Wut, die sie weinen ließ. Eine unbändige Wut über die lähmende Ohnmacht, der sie sich gegenüber sah. Der Junge lag vor dem Bulldozzer auf dem zerwühlten Boden. Er mußte sich darunter verkrochen haben, aber die geübten Jagdhunde hatten ihn aufgespürt, hatten ihn mit vorgehaltenen Revolvern gezwungen, unter dem Bulldozzer hervorzukriechen. Als er ihrem Befehl folge geleistet hatte, wurde er eiskalt abserviert. Er blutete aus mehreren Wunden. Von seinen Mördern keine Spur. Die Baustelle hatte sie verschluckt.
* Hawaii. Hohe, rauschende Palmen. Schattige Plätzchen am goldenen Sandstrand. Glasklares Wasser. Hohe Wellen mit weißen Schaumkronen. Ein Paradies. Jo Walker war da. Zumindest im Traum. Er schnarchte wie ein Bär im Winterschlaf und ließ es sich in der weiten Ferne gut gehen. Bikinigirls umsorgten ihn kichernd. Ganz klar, daß Jo im Traum zufrieden grinste. Welchem Mann sind Träume dieser Art unangenehm? Plötzlich ein Klingeln, das nicht zu Hawaii paßte. "Telefon, Jo", sagten die Mädchen. "Nicht jetzt, meine Lieben", gab der Privatdetektiv unwillig zurück. "Aloah", sagten die Mädchen. Sie küßten ihn zum Abschied und streiften ihm duftende Blumenketten über den Kopf. Dann entschwanden sie. "Halt, bleibt doch!" rief Jo ihnen enttäuscht nach. Doch sie entfernten sich mehr und mehr, und mit ihrem Verschwinden verblaßte alles Schöne. Übrig blieb schließlich nur noch dieses verdammte lästige Klingeln des Telefons. Ärgerlich schlug Jo die Augen auf. Good bye, Hawaii. Jetzt war er wieder in seiner kleinen Junggesellenbude in der 7th Avenue. Kein Vergleich zu Hawaii. Enttäuscht setzte er sich im Bett auf. Mit Daumen und Zeigefinger massierte er seine traumverklebten Augen. Verdammt und zugenäht, wie spät war es eigentlich? Mit tränendem Blick suchte er die Uhr. Das Zifferblatt des elektrischen Weckers grinste ihm boshaft und schadenfroh entgegen. Copyright 2001 by readersplanet
Verdrossen kroch er aus den Federn. Indessen klingelte es unentwegt weiter. Jo warf sich in seinen Bademantel und schlurfte dem Klingeln entgegen. Wer auch immer der Anrufer sein mochte, er würde eine verdammt gute Erklärung haben müssen, wenn er diese gemeine nächtliche Ruhestörung heil überstehen wollte. "Ja!" bellte Jo mißmutig in die Sprechrillen. Er versuchte erst gar nicht, freundlich zu sein. Die Person am anderen Ende sollte gleich erkennen, was los war. Außerdem hätte er zu dieser nachtschlafenden Zeit sowieso keinen freundlichen Ton hervorgebracht. April meldete sich. Das rüttelte den Detektiv einigermaßen wach. "April!" stieß Jo verwundert hervor. "Kannst du nicht schlafen? Ich schon. Zumindest konnte ich's bis vor einer Minute noch." "Jo, es ist etwas Furchtbares passiert!" Aprils Stimme klang heiser und zitterte. Alarm für Walker. Niemand stand ihm näher als dieses Mädchen. Egal ob Kummer, Angst oder Zahnschmerzen, was immer sie hatte, er fühlte mit ihr. Der Schlaf fiel von Jo ab wie eingetrockneter Schlamm. Sein Rücken straffte sich. Die Augen nahmen den gewohnten wachen Glanz an. "Was ist geschehen?" fragte er mit einer scharfen; lebendigen Stimme. "Ich war doch bei Barbara eingeladen..." "Weiß ich. Habt ihr euch gut unterhalten?" "Ja. Es war ein netter Abend, aber." "Ist etwas mit Barbara?" "Nein, Jo. Die ist okay." "Was ist dann das Furchtbare?" fragte Jo. "Ich verabschiedete mich etwa um Mitternacht von Barbara und wollte nach Hause fahren. Als ich auf die Straße trat, sah ich einen jungen Mann..." "Hat er dich belästigt?" fragte Jo wie aus der Pistole geschossen. "Nein, Jo. Der Mann war auf der Flucht. Er hatte zwei Killer auf den Fersen. Ich versteckte mich. Die Revolvermänner haben mich nicht gesehen. Ihr Opfer floh auf die Baustelle, die sich dem Haus gegenüber befindet, in dem Barbara wohnt. Die Killer folgten dem jungen Mann. Mir war sofort klar, daß der Junge es nicht überleben würde, wenn die Mörder ihn auf der Baustelle stellten. Ich wollte dem Jungen helfen, aber ich kam zu spät. Oh Jo, es war eine eiskalte Hinrichtung. Der arme Bursche hatte nicht die geringste Chance. Sie haben ihn kaltblütig liquidiert." Nachrichten waren das - mitten der Nacht. Aprils Stimme hörte nicht zu zittern auf. Sie machte sich Vorwürfe, weil sie es nicht geschafft hatte, das Leben des Jungen zu retten. Sie fühlte sich als Versager. Jo merkte bei jedem Wort, das sie sprach, wie schlimm deprimiert sie war. Sie brauchte jetzt jemand, der ihr den Kopf hochhielt. "Von wo aus rufst du an?" fragte Walker schnell. "Ich bin wieder in Barbaras Wohnung." "Hast du die Polizei schon verständigt?" "Ja, das habe ich sofort getan." "Gut. Und nun hättest du dringend jemand nötig, der sich um dich kümmert." April seufzte. "Eine moralische Stütze wäre jetzt wirklich nicht schlecht." "Bin schon unterwegs", sagte Kommissar X. "Jo,, das kann ich nicht von dir verlangen. Mitten in der Nacht..." Typisch April war das. Wozu hatte sie dann angerufen? Jo grinste. "Quatsch, ,Mädchen. Ich mußte sowieso raus aus'm Bett, weil das Telefon geklingelt hat. Bis gleich. Kipp mir in der Zwischenzeit nicht aus den Pumps."
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* Jo Walker stoppte seinen silbergrauen Mercedes 450 SEL. Riverdale. Endstation. Jo faltete sich aus dem Fahrzeug. Links breitete sich das weite Baustellenareal aus. Rechts stand das Haus, in dem Barbara Holland wohnte. Im Moment kümmerte sich Walker um links. Vier Streifenwagen standen mit zuckenden Rotlichtern am Fahrbahnrand. Dazu kamen ein Ambulanzwagen, ein Leichenwagen und der Kastenwagen der Mordkommission. Eine eindrucksvolle Kolonne. Dazwischen blaue Uniformen, Cops. Ihre Gesichter waren ernst und wirkten abgestumpft. Wieder mal eine Leiche. Das gehörte zu ihrem Job. Sie empfanden schon lange nichts mehr dabei. Jo gab der Tür seines Wagens einen Schubs. Sie fiel mit einem satten Geräusch zu. Auf der Baustelle waren Standscheinwerfer aufgebaut worden, die den Tatort taghell ausleuchteten. Kommissar X zündete sich eine Pall Mall an und stakte dann auf die gleißende Scheinwerfergruppe zu. Der Wind nahm ihm den Rauch von den Lippen und zerfaserte ihn sogleich. Gedämpfte Rufe. Befehle vielleicht. Jo konnte die Worte nicht verstehen. Er war noch zu weit entfernt. Jemand rief: "Falls sich Journalisten anschleichen, sofort abwimmeln!" Die Stimme war Walker bekannt. Sie gehörte Ron Myers, dem Lieutenant der Mordkommission Manhattan C/ II. Jo hielt sofort auf Ron zu. Ein stattlicher Cop versperrte ihm den Weg. Der Mann hatte ein schwieliges Gesicht und unfreundliche Augen. "Sie machen am besten gleich wieder kehrt, Mister!" sagte er zu Jo. "Wenn Sie sich noch nie geirrt haben - diesmal tun Sie's", gab Walker zurück. Er fand, daß seine saure Reaktion ihre Berechtigung hatte. Wie man in den Wald ruft, so hallt es wider... "Mann, machen Sie mir bloß keinen Ärger", erwiderte der Cop. "Ich möchte mit Lieutenant Myers sprechen!" "Der hat jetzt keine Zeit für Sie." "Wetten doch?" Trotz der Dunkelheit konnte Jo sehen, daß das Gesicht des Cops sich tomatenrot verfärbte. "Also jetzt reicht's mir aber." "Mir auch." "Damit kommen Sie bei mir nicht durch. Wenn Sie nicht auf der Stelle abhauen, finde ich einen Grund, um Sie für vierundzwanzig Stunden festzunehmen. Wegen ungebührlichen Benehmens zum Beispiel. Wie würde Ihnen das gefallen?" "Absolut nicht." "Dann ziehen Sie bei gutem Wind Leine..." Jo trat einen Schritt zur Seite. Im selben Moment wandte sich der schlaksige Lieutenant im Lichtkegel eines Scheinwerfers um. Er rief: "He, Sergeant Reyner! Gibt's Schwierigkeiten?" Reyner war der Brocken, der sich vor Jo aufgebaut hatte. "Nein, Sir", gab er zurück, den Kopf halb nach hinten gedreht. "Das ist gleich erledigt!" Jo nickte grinsend. "Endlich mal ein wahres Wort aus Ihrem Mund." Mit gleichmütiger Miene ging er an dem Cop vorbei. Reyner wollte mit einem Donnerwetter loslegen, aber da kam Ron Myers zu ihnen. Als der Lieutenant den Detektiv erkannte, lachte er herzlich. "Jo..." Erfreut streckte Myers dem Freund die Hand entgegen. Zu Reyner gewandt sagte Ron: "Es ist gut, Sergeant. Das ist Jo Walker..." Reyner zog die Mundwinkel nach unten. Verärgert brummte er: "Warum hat er das nicht gleich gesagt." "Sie ließen mich ja nicht zu Wort kommen", gab Jo zurück. Copyright 2001 by readersplanet
"Von wegen nicht zu Wort kommen. Und all die Frechheiten, die Sie losgeworden sind?" "Nun vertragt euch wieder", ging Ron als Schiedsrichter dazwischen. Reyner ließ schnaufend Dampf ab, und er verkniff sich jedes weitere Wort. Myers nahm Jo zu den Standscheinwerfern mit. Die Männer von der Spurensicherung krebsten auf dem Boden herum. Der Polizeifotograf schoß seine Aufnahmen. Außerdem fotografierte er alles, was ihm die Spurensicherungsleute zeigten. In mühevoller Kleinarbeit wurde das, was für die Aufklärung des Falles von Wichtigkeit sein konnte, zusammengetragen. "Fleißig wie die Ameisen, deine Leute", lobte Jo. "Es ist immer dieselbe Arbeit, die sie tun. Nur der Ort, an dem sie's tun, ändert sich." "Wo ist April?" fragte Jo. Myers wies auf das gegenüberliegende Haus. Die meisten Fenster waren erhellt. Neugierige Leute lehnten auf den Fensterbänken. Einige von ihnen verwendeten sogar Ferngläser, um besser sehen zu können. Alles erstklassige Logenplätze. "April ist bei Barbara Holland. Tom ist auch oben." Jo wies auf Rons Gesicht. "Du hast auch schon mal besser ausgesehen." "Ich werde bald mehr Falten haben als Charles Bronson. Das kommt von den vielen Überstunden. Mein Dienst wäre längst zu Ende, aber wen kümmert das schon? Die anfallende Arbeit muß bewältigt werden. In welcher Zeit, ist uninteressant. "Darf ich mir den Toten ansehen?" fragte Jo. "Natürlich." Walker trat an die Leiche. Ron sagte neben ihm mit gedämpfter Stimme: "Jeder Schuß eine absolut tödliche Sache. Profiarbeit." Noch einen Zug von der Zigarette. Dann schnippte Kommissar X die Pall-Mall-Kippe fort. Verwundert sagte er zu Ron: "Ist das nicht Robert Vicker, der neue Boxstern im Halbschwergewicht?" Myers nickte. "Er ist es." "Wann immer er in den Ring stieg, heimste er gute Kritiken von der Sportpresse ein. Er war ein Klassefighter. Ich habe selbst ein paar ausgezeichnete Kämpfe mit ihm gesehen. Er hatte einen unwahrscheinlichen Punch." "Und nun ist er tot", sagte der Lieutenant nüchtern. "Er hatte nur einen einzigen Nachteil. Es gab bei ihm hin und wieder eine Formschwankung, die sich keiner erklären konnte. Der Gegner, den er heute mit seinen Fäusten atomisierte, konnte ihn vielleicht schon morgen mit einem einzigen Hammer zum Mond hinaufschießen." "Wir haben alle unsere guten und schlechten Tage", bemerkte Ron. "Das ist richtig. Aber bei einem Klasseboxer wie Robert Vicker hätte sich das nicht so kraß auswirken dürfen." Jo musterte das sommersprossenübersäte Gesicht des Lieutenants. "Was meinst du, wird es schwierig sein, Vickers Mörder zu kassieren?" Ron hob die Schultern und sog die Luft geräuschvoll ein. "Wie's im Moment aussieht bestimmt. Jo, du kennst dich doch im Boxgeschäft einigermaßen aus..." Walker wiegte den Kopf. "Ich kenne ein paar Namen." "Sag mir, wer hat einen Grund, Robert Vicker abtreten zu lassen?" Jo stieß seinen Zeigefinger gegen Myers' Brust. "Das herauszufinden ist dein Job."
*
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April Bondy, Barbara Holland und Captain Tom P. Rowland, der gewichtige Leiter der Mordkommission Manhattan C/II, standen auf der Terrasse. April schaute über die Brüstung. Dort unten zuckten nach wie vor nervös die Rotlichter der Einsatzfahrzeuge, Dort drüben strahlten die Scheinwerfer der Mordkommission. Hektische Betriebsamkeit herrschte auf dem nächtlichen Baugelände. Barbara ging in den Living-room. Sie kam mit einem glänzenden Silbertablett wieder, auf dem drei Gläser Orangensaft standen. Wortlos griffen April und Tom zu. Nachdem der blonde, vierschrötige Captain kurz an seinem Glas genippt hatte, fuhr er fort: "Also noch mal, Miß Bondy. Sie sahen Robert Vicker auf die Baustelle fliehen... Und dann tauchten die Killer auf." April nickte. "So war es, Captain." "Sie versteckten sich hinter dem Kastenwagen dort unten, wußten sofort, daß Sie Mörder vor sich hatten. Wieso?" "Weil die Kerle bewaffnet waren. Revolver mit Schalldämpfern. Wenn Sie das Fabrikat wissen wollen, muß ich leider passen." "Versuchen Sie noch einmal, die Männer zu beschreiben. Ihren ersten diesbezüglichen Anlauf kann man nicht gerade als geglückt bezeichnen." "Ich hatte nicht viel Zeit, mir die Gesichter der Männer einzuprägen", rechtfertigte sich April Bondy. "Das ist mir schon klar, aber ein bißchen mehr, als Sie mir vorhin erzählten, müßte meiner Meinung nach schon hängen geblieben sein." April schloß einen Moment die Augen. Sie drehte im Geist das Rad der Zeit ein Stück zurück. Da waren die beiden wieder. Annähernd gleich groß. Dunkelhaarig. Weder besonders elegant noch besonders schlampig gekleidet. Das war wirklich alles; was dem Mädchen einfiel. Sie sagte es Tom. Der kräuselte unzufrieden die Nase. "So sieht zumindest jeder vierte New Yorker aus", sagte er enttäuscht. April hob seufzend die Schultern. "Ich weiß. Aber ich kann's nicht ändern." "Bei jeder anderen Person würde ich mich mit dieser Antwort zufrieden geben. Sie aber, April, sind Detektiv-Volontärin." April Bondy brauste verärgert auf. "Muß ich deswegen hellsehen können?" "Das gerade nicht, aber ein geschulteres Gedächtnis sollte man in Ihrem Fall doch wohl voraussetzen dürfen." April hob trotzig ihr Kinn. "Dann tut es mir leid, Sie enttäuscht zu haben, Tom." Die Klingel schlug an. Barbara stellte ihr Glas auf die Brüstung. "Entschuldigt mich." Sie durchquerte den Living-room, trat in die Diele und öffnete die Tür. Vor ihr stand ein gutaussehender Mann: einsachtzig groß, schlank, breitschultrig, durchtrainiert, wie zu erkennen war. In dem schmalen Gesicht fielen vor allem die hellen, durchdringenden Augen auf. Der Mann hatte dunkles Haar, und sein Lächeln ging jeder Frau unter die Haut - auch dann, wenn sie in festen Händen war. "Sie müssen Jo Walker sein." Barbara Holland lächelte und reichte Kommissar X die Hand. "Bedauerlich, daß ich Ihre Bekanntschaft unter diesen Umständen machen muß, Miß Holland", sagte Jo höflich. "Sie dürfen mich Barbara nennen." "Okay." "Treten Sie ein." "Vielen Dank. Ist April da?" "Auf der Terrasse." "Und Captain Rowland?" fragte Jo. "Er ist bei April." Copyright 2001 by readersplanet
"Wie fühlt sie sich?" erkundigte sich Jo besorgt. "Ich denke, sie ist über den ärgsten Schock bereits hinweg." "Dem Himmel sei Dank." Barbara Holland bedachte Jo mit einem bewundernden Blick. Sie lächelte freundlich. "April scheint Ihnen sehr viel zu bedeuten, Jo." Dieses Thema war Walker unangenehm. Er sprach nicht gern mit jemandem über seine Gefühle zu April. Er wollte sich kaum selbst eingestehen, daß April für ihn viel mehr war als nur seine Sekretärin. Noch viel weniger war er bereit, mit anderen über diese ganz und gar privaten Dinge zu sprechen. Tabu war das -wohl das einzige Tabu, von dem Jo Walker erwartete, daß es respektiert wurde. Er ging mit einem breiten Grinsen über dieses heikle Thema hinweg und sagte scherzhaft: "Nun, April ist die große und einzige Stütze meiner Firma. Ich wüßte nicht, was ich ohne sie anfangen sollte." Barbara hatte gute Ohren. Sie konnte zwischen den Silben hören. Schmunzelnd ergriff sie Jos Hand und sagte: "Kommen Sie, ich bringe Sie zu Ihrer Stütze." Rowland war gerade im Begriff, sein Glas zu leeren, als Jo auf die Terrasse trat. Sie hatten einander schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen, nur hin und wieder miteinander telefoniert. Privat. Bei beiden reichte die Zeit nicht aus, um oft privat zusammenzukommen. "Tom, wie geht's?" Jo schüttelte die mächtige Pranke des Captain. "Besch... sch... scheiden", erwiderte Rowland. Wäre er mit Jo allein gewesen, hätte er das Kind beim richtigen Namen genannt. April machte einen geknickten Eindruck. Sie war todunglücklich darüber, den Mord an Robert Vicker nicht verhindert zu haben. Jo bedachte das Mädchen mit einem vorwurfsvollen Blick. Rügend sagte er: "Wir können trotz allem von Glück reden, daß die Sache nicht schlimmer ausgegangen ist." "Schlimmer'?" fragte Tom. "Ebenso gut könnten dort drüben jetzt zwei Leichen liegen", sagte Jo ernst. "Konnte April dir helfen, Tom?" "Leider nein." April Bondy warf mit beleidigter Miene ein: "Dein Freund erwartet von mir, daß ich ihm Name und Anschrift der Killer nenne, und weil ich das nicht kann, ist er unzufrieden mit mir." Jo grinste. "Tom hatte es immer schon gern, wenn ihm die gebratenen Tauben in den Mund flogen." Walker wandte sich an den Captain. "Tja. Wie's aussieht, wirst du dich diesmal selbst anstrengen müssen, um Erfolg zu haben." Rowland reagierte darauf grimmig. "Natürlich. Der neunmalkluge Jo Walker möchte mal wieder ganz besonders witzig sein." "Was hast du denn? Du hast doch sonst solche Bemerkungen nicht in die falsche Kehle gekriegt. War nicht böse gemeint, Tom. Nun komm schon, laß doch deswegen nicht gleich den Kopf so tief hängen. Seit wann ist der rauhschalige Tom Rowland denn eine Mimose?" "Seit ich so viel Arbeit am Hals habe, daß ich nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht", erwiderte Tom ächzend. Jetzt war es ihm unangenehm, sich vorhin nicht beherrscht zu haben. Verlegen wandte er sich an April. "Ich erwarte Sie morgen, im Laufe des Vormittags, in meinem Büro. Möchte Ihnen ein paar Fotos vorlegen. Vielleicht erkennen Sie einen der Kerle darauf wieder." Jo nickte statt April und antwortete auch für sie: "Sie wird kommen, Tom." Der Captain verabschiedete sich mit einem starren Lächeln. Barbara bot Jo einen Drink an, aber Walker lehnte dankend ab. Zu April gewandt sagte er: "Komm, Sorgenkind. Ich fahre dich nach Hause." Wieder küßte Barbara die Freundin auf beide Wangen. Ihre Brauen zogen sich kummervoll zusammen. Über ihrer Nasenwurzel entstand eine kleine V-Falte. "Ist es nicht bedauerlich, Copyright 2001 by readersplanet
daß unser netter Abend ein solches Ende genommen hat?" April lächelte aufmunternd. "Ich bitte dich, daran bist du doch völlig unschuldig." Sie verließen Riverdale in Walkers Mercedes. Jo lieferte seine Sekretärin ein paar Minuten später in der 123rd Straße ab und fuhr dann nach Hause weiter. Bald lag er wieder im Bett. Aber er träumte nicht mehr von Hawaii.
* Jos "Stütze" befand sich im Police Headquarters in der Centre Street. Dadurch sah sich Walker gezwungen, seine und Aprils Arbeit zu übernehmen. Das behagte ihm absolut nicht. Sogar den Kaffee mußte er sich selbst zubereiten, schrecklich! Jeder Anruf, der hereinkam, mußte entgegengenommen werden - normalerweise Aprils Aufgabe. Die Post mußte aussortiert werden: auch einer von Aprils Jobs. Herrje, April fehlte an allen Ecken und Enden. Als Jo ein bißchen Luft hatte, warf er einen ungeduldigen Blick auf seine Uhr. April war erst seit einer Stunde weg. Es klopfte. Jo griff nach seinem Krawattenknopf und schob ihn nach oben. Er richtete den Blick auf die Tür und rief: "Ja, bitte?" So zaghaft hatte diese Tür noch niemand aufgemacht. Ein taubengraues Kostüm erschien. Es paßte zum Himmel. Auch das Gesicht der Trägerin wirkte grau. Sie war proportioniert wie die selige Monroe: schmale Taille, üppiger Busen, auffallend blondes Haar. Das Gesicht ebenmäßig, die Nase klein, die Lippen voll. Nur die Augen hatten rote Ränder. Ein Zeichen, daß das Mädchen erst kürzlich Tränen vergossen hatte. "Sind Sie Mr. Jo Walker? fragte sie. Es klang wie ein langgezogener, unglücklicher Seufzer. "Der bin ich", erwiderte Jo. Er hatte sich erhoben. "Was kann ich, für Sie tun?" Die Blonde schleppte sich bis zum Besucherstuhl und sank darauf nieder. Jo nickte dazu. Er hatte ihr sowieso gerade Platz. anbieten wollen. Das Gesicht. Jo betrachtete jede Linie genau. Diese Züge waren ihm nicht fremd. Er hatte dieses Antlitz schon mal irgendwo gesehen. Auf dem Bildschirm. Talitha Banks. Sie war Nachrichtensprecherin bei der ABC-Fernsehgesellschaft. Eine Kollegin von Barbara Holland. Jo ließ sie wissen, daß er sie erkannt hatte. Sie nahm seine Worte mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken zur Kenntnis. Liebe Güte, dachte Jo. Dem Mädchen muß ein Lkw mit seinen Zwillingsrädern über die Seele gerollt sein. Er nahm einen zweiten Anlauf, um zu erfahren, was die Fernsehsprecherin von ihm wollte. "Welches Problem führt Sie zu mir, Miß Banks?" "Mrs. Banks", korrigierte sie ihn. "Verzeihung." Ihre rotgeränderten Augen suchten Jos Blick. "Ich möchte Sie engagieren, Mr. Walker." Jo machte es ihr leichter, indem er lächelnd die Arme ausbreitete und meinte: "Dazu bin ich da, Mrs. Banks." Wieder dieses kaum wahrnehmbare Nicken. "Worum geht's?" erkundigte sich Jo. Er verschränkte die Finger und legte das Kinn darauf. "Es handelt sich um den Mord an Robert Vicker. Ich möchte, daß Sie sich darum kümmern, Mr. Walker." "Waren Sie mit Vicker befreundet?" wollte Jo wissen. Die graue Schattierung in Talitha Banks' Gesicht nahm merklich zu. "Robert Vicker", erwiderte die Fernsehansagerin mit blecherner Stimme, "war mein Bruder." Daraufhin hob Copyright 2001 by readersplanet
Kommissar X überrascht den Kopf. Daß Vicker eine Schwester gehabt hatte, war ihm neu.
* Gleich nachdem Captain Rowland das Police Headquarters betreten hatte, war er durch sämtliche ihm unterstehende Abteilungen gewandert. Er machte Dampf unter jeden einzelnen Hintern. Ab und zu schien ihm das einfach nötig. Kopfschüttelnd standen die von Tom heruntergeputzten Männer in ihren Zimmern. Der Knall der Tür machte sie noch eine Weile halb taub, und in jeder Abteilung fand sich zumindest einer, der aussprach, was sich die anderen dachten "Heute spinnt der Captain mal wieder ganz gehörig." In der Computerabteilung ließ Rowland April Bondys dürftige Angaben durchs Gerät rasseln. Daraufhin spuckte der Blechonkel eine Menge Namen aus. Kein Wunder bei diesen ungenauen Angaben. Tom raffte die Lochkarten zusammen und forderte danach die Fotos vom Erkennungsdienst an. Den ganzen Packen Dreierstreifen schleppte er in sein Büro. Da läuteten sich mal wieder die Telefone ihre Glocken heiser. Rowland erledigte die Anrufe der Reihe nach. Er biß und wurde gebissen - der übliche Ärger mit District Attorney Brown, dem Tom direkt unterstellt war. Brown erwartete von seinem Captain wieder einmal, daß er zauberte. Tom gab sich während des Gesprächs lammfromm. Es hatte keinen Sinn, sich mit dem DA anzulegen. Brown hatte den längeren Atem. Tom mußte wohl oder übel versuchen, mit ihm auszukommen. Kaum hatte Rowland den Hörer in die Gabel geworfen, da machte er seinem Unmut mit den bissigen Worten Luft: "Unmögliches erledigen wir stets sofort, mein lieber Mr. Brown. Nur für Wunder... Es tut mir schrecklich leid, das sagen zu müssen... Für Wunder brauchen wir leider etwas länger." Danach war ihm wohler. Fünfzehn Minuten später traf April Bondy ein. Sie trug einen saloppen, khakifarbenen Hosenanzug mit aufgenähten Taschen. Tom versuchte zu ihr freundlicher zu sein als in der vergangenen Nacht. Schließlich setzte er auf sie seine ganzen Hoffnungen. Sie war die einzige Augenzeugin. Wenn sie ihm nicht half, die Killer des Boxers zu identifizieren, konnte er ganz New York umackern. "Gut geschlafen?" fragte Tom leutselig. "Ich habe kaum ein Auge zugemacht." "Kann ich verstehen." "Ihnen ist es vermutlich genauso ergangen", sagte April. Sie anerkannte Toms Anteilnahme. "So ähnlich", erwiderte Rowland. "Möchten Sie Kaffee haben? Aus dem Automaten. Schmeckt zwar scheußlich, belebt aber." April schüttelte den Kopf. "Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich schlafe nicht ein." "Schön. Dann können wir also beginnen mit dem grausamen Spiel." Der Captain klopfte auf die Dreierstreifen. "Es täte mir leid, Ihnen nicht helfen zu können." "Ich bin sicher, Sie tun Ihr möglichstes", erwiderte Rowland. "Na denn. Fangen wir an." Tom schob dem Mädchen die Verbrecherfotos zu. "Alles Killer", sagte er. "Nach Ihren Angaben von unserem Computer ausgesucht. Möchten Sie, daß ich Sie allein lasse. Vielleicht können Sie sich dann besser konzentrieren." "Sie stören mich nicht", erwiderte April. Eine ganze Weile wurde nichts mehr gesprochen. Während sich April Bondy gewissenhaft die Verbrechervisagen zu Gemüte führte, holte Rowland eine Akte aus dem Schrank, in die er sich mit düsterer Miene vertiefte. Allmählich verschwammen die Gesichter vor Aprils Augen. Sie mußte eine kleine Pause einlegen. Als sie seufzte, hob Rowland den Blick. Er musterte sie kurz, blieb stumm, arbeitete weiter, machte sich Notizen. Copyright 2001 by readersplanet
Aus den etwa zweihundert Karten sortierte April zunächst einmal vierundzwanzig aus. Danach begann sie erneut zu sieben. Auf diese Weise verringerte sie die vierundzwanzig Möglichkeiten auf zehn. Diese zehn Karten legte sie nebeneinander auf Rowlands Schreibtisch. Zwei weitere Verbrecher schieden aus... da waren es nur mehr acht. Dann sieben. Dann vier. Zuletzt blieb eine Karte übrig. "Der?" fragte Rowland erregt. "Ich kann's natürlich nicht beschwören", sagte April unsicher. Der Gangster war von links, von rechts und von vorn fotografiert. Dunkles Haar, längliche Nase, Herzchenmund, große Ohren. "Aber er könnte einer der beiden Killer gewesen sein", sagte Tom hastig. "Könnte er gewesen sein", nickte April. Tom streckte die Pranke nach der Karte aus. "Darf ich mal sehen?" Er bekam den Dreierstreifen und knurrte, während sich seine Augen verengten. "Delmer Wood", las er. "Da haben Sie keinen schlechten Griff getan, April. Für den Knaben halten wir seit langem ein Zimmer im Kittchen frei."
* Talitha Banks. Robert Vickers Schwester. Verheiratet mit einem wohlhabenden Mann, der Sprengstoffe für die Army erzeugte. Das erfuhr Jo Walker als nächstes. "Barbara Holland hat mir geraten, ich solle mit Ihnen darüber sprechen. Ihre Assistentin ist eine Freundin von Barbara... Sie war sehr mutig, als sie versuchte, Robert zu helfen. Bitte richten Sie ihr meinen innigsten Dank aus." "Das mache ich, Mrs. Banks", versprach Jo. "Werden Sie den Fall übernehmen? Ich möchte, daß die Mörder meines Bruders gefaßt werden. Wieviel muß ich Ihnen bezahlen?" "Den üblichen Satz: hundert Dollar pro Tag, Spesen extra", bemerkte Jo. "Einverstanden. Soll ich eine Vorauszahlung leisten?" Talitha öffnete sofort ihre Handtasche, um ihr Scheckheft herauszunehmen. Jo winkte ab. "Das ist nicht nötig. Sie kriegen meine Rechnung, wenn ich den Fall abgeschlossen habe. Und nun ein paar Angaben zu Ihrem Bruder, wenn ich bitten darf." Jo lehnte sich zurück und wartete. Talitha nestelte an ihrem Taschentuch herum. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie schien an ihrem Bruder sehr gehangen zu haben. "Unsere Eltern waren nicht gerade das, was man betuchte Leute nennt", begann Talitha heiser. "Trotzdem haben Robert und ich eine gute Erziehung in einem Bostoner Internat genossen . Mein Bruder war zwei Jahre jünger als ich. Als er sich entschloß, Boxer zu werden, gab es zu Hause einen Aufstand. Vater und Mutter waren dagegen. Vor allem unsere Ma. "Warum will sich der verrückte Junge sein hübsches Gesicht kaputtschlagen lassen?" fragte sie uns verständnislos. "Ich habe ein schönes Kind zur Welt gebracht, und er tut alles, um zu einem häßlichen Affen zu werden." Meine Eltern übten jeden erdenklichen Druck auf Robert aus, aber er blieb so hart, wie er in seinem Leben noch nie gewesen war. Fürs Boxen hätte er alles geopfert. Er zog von zu Hause fort. Er suchte sich eine kleine Wohnung, arbeitete schwer als Lastenträger im Hafen und trainierte nebenbei so hart, wie man es sich nicht vorstellen kann. Auch bei mir machte er sich rar, denn ich vertrat die Ansicht meiner Eltern, und er wollte kein Wort hören, das gegen den Boxsport gerichtet war. Boxen war für ihn eine Lebenserfüllung. So verbissen wie er ist wohl noch keiner dem Erfolg nachgerannt.. Sein Ehrgeiz ließ es nicht zu, einer von vielen zu sein. Er wollte zur Spitze vordringen, und er machte schon bald von Copyright 2001 by readersplanet
sich reden. Die Sportfachleute wurden auf ihn aufmerksam. Er hatte im Ring etwas zu bieten; das sage ich nicht, weil er mein Bruder war, sondern ich zitiere, was ich über ihn gelesen habe. Natürlich war ich von da an ein wenig stolz auf meinen Bruder. Bei jedem Kampf hielt ich ihm fest die Daumen. Er kam gut ins Geschäft. Er schlug alle seine Aufbaugegner und machte sich dann an die großen Namen furchtlos heran. Man sagte von ihm, er wäre einer von den Männern, die mit dem Herz in den Fäusten boxten. Robert war überall beliebt..." Talitha Banks brach kopfschüttelnd ab. Sie erkannte den Widerspruch. Warum wird ein Mensch ermordet, der überall beliebt ist? Überall. Das war das Wort, das nicht stimmen konnte: Es mußte Leute gegeben haben, die mit Robert aus irgendeinem Grund nicht einverstanden gewesen waren. Jo fand, daß diese Frage nun reif war: "Kann Bob Vicker, trotz der vielen Freunde und Fans, die er hatte, nicht auch Feinde gehabt haben, Miß Banks?" Talitha atmete tief ein. Sie schaute mit düsterer Miene auf ihre schlanken Finger. "Es muß wohl welche geben, nur... ich kann mir keinen Grund denken, weshalb man meinen Bruder gehaßt hat." "Vielleicht war Neid im Spiel", sagte Jo. "Mag sein... Sie hätten ihn kennen sollen, Mr. Walker. Er war die Liebenswürdigkeit in Person. Hilfsbereit. Zu jedermann freundlich. Er ging jedem Streit aus dem Weg. Er gebrauchte seine Fäuste nur im Ring. Niemals außerhalb." "Hört sich so an, als hätte er überhaupt keinen Fehler gehabt", sagte Jo. "Er hat wirklich keinen. Jedenfalls ist mir keiner bekannt." "Ein solcher Mann muß doch eine Menge Freunde haben." "Jedermann war sein Freund." "Können Sie mir ein paar Namen nennen, Mrs. Banks?" "Sam Orissa. Er boxt im selben Stall - wie man dazu wohl sagt - wie Robert. Ted Sahett. Er war Roberts Trainer." Jo ließ sich die Adresse von Vickers Wohnung geben: Er notierte sie auf einem Blatt Papier. "Kriege ich die Erlaubnis von Ihnen, da mal meine Nase hineinzustecken, Mrs. Banks?" fragte Kommissar X. Talitha schaute ihn verwundert an. "Natürlich dürfen Sie sich Roberts Wohnung ansehen, Mr. Walker. Aber was erwarten Sie da zu finden?" "Einen Hinweis darauf, weshalb man ihn ermordet hat", gab Jo trocken zurück. Die Fernsehsprecherin hob langsam die Schultern. "Sie wissen wohl besser als ich, was zur Klärung dieses gemeinen Mordes beiträgt." Sie erhob sich. Werden Sie mich auf dem laufenden halten, Mr. Walker?" Ihre Augen bettelten darum. "Selbstverständlich", versprach Jo, und seine neue Klientin verließ sein Allerheiligstes. In der Tür blieb sie noch einmal kurz stehen. Sie drehte sich um. Ihr Blick war jetzt hart. "In mir schreit alles nach Rache. Können Sie das verstehen?" "So geht es jedem Menschen, der einen lieben Verwandten auf diese Weise verliert, Mrs. Banks. Solche Gefühle sind in uns programmiert. Sie treten dann auf, wenn sie durch Ereignisse wie das von der vergangenen Nacht abgerufen werden. Ist völlig normal."
* April Bondy warf seufzend ihre Handtasche auf den Schreibtisch. Es war Mittag. Sie hatte Hunger und war geschlaucht. Jo kam aus seinem Arbeitszimmer. "Es war schlimm bei Tom, nicht wahr?" "Es war anstrengend", gab April mit müder Stimme zurück. Copyright 2001 by readersplanet
"Das sieht man dir an", nickte Jo. "Hattest du wenigstens Erfolg?" "Das", sagte April Bondy, und sie bemühte sich um ein schelmisches Lächeln, "erzähle ich dir bei einem schönen, nicht ganz durchgebratenem Steak." Walker lachte. "He, Mädchen, kannst du Gedanken lesen? Ich wollte dir gerade das Angebot machen, mit mir zu Musi hinüberzugehen." April lachte. "Ich könnte es mir nicht leisten, dieses Angebot abzulehnen. Mein Kohldampf ist beinahe schon zu hören." Einige Minuten später betraten sie Walkers Stammkneipe: Musi's Bar & Grill. Sie bekamen den Ehrenplatz im Lokal, und der Armenier/Türke - seine genaue Herkunft kannte er wohl selbst nicht - zerfranste sich für April und Jo. Das Steak war dann genauso, wie April es sich erträumt hatte. Und Walkers glasierte Leber war gleichfalls ein einmaliges Erlebnis. Hinterher wollte der schnauzbärtige Musi ein bißchen Konversation machen, als er aber bemerkte, daß April und Jo geschäftlich miteinander zu reden hatten, zog er sich diskret zurück. "Einen der beiden Killer habe ich -jedenfalls glaube ich das - wiedererkannt", erzählte April. Jo stellte das Ingwerbier weg. "Wie ist sein Name?" Walker kannte eine ganze Menge Ganovennamen. Möglich, daß er mit dem Typ irgendwann schon mal zu tun gehabt hatte. "Delmer Wood", sagte April. Jo dachte mit schmalen Augen nach. Wood., Wood. Wood. Dazu fiel ihm nur ein Vorname ein: Nathalie. Aber das war ja ein Hollywoodstar. Delmer Wood. "Nie gehört", stellte Kommissar X fest. "Tom Rowland hat, sofort zwei Leute losgeschickt", berichtete die Detektiv-Volontärin weiter. April schürzte die Unterlippe. "Fehlanzeige. Alte Adresse. Wood wohnt nicht mehr dort." "Und wo ist das?" erkundigte sich Jo. Er hatte einen kleinen Hintergedanken. "Tremont." Kommissar X leerte sein Glas und verlangte die Rechnung. "Wenn Delmer Wood in Tremont zu Hause war, dann kennt ihn bestimmt Stevie Kenna." "Stevie Kenna?" fragte April verwundert. Jo schmunzelte. "Was wäre ein Privatdetektiv ohne einen sorgsam über New York verteilten Spitzelstab." "Kenna spitzelt für dich?" "Der Junge ist einer meiner zuverlässigsten V-Männer überhaupt. Ich denke, es könnte Früchte tragen, wenn ich mich mal bei Gelegenheit zu ihm bemühen würde."
* Bevor Kommissar X jedoch nach Tremont fuhr, machte er einen Abstecher zu Robert Vickers Wohnung. Als er sich aus seinem 450 SEL faltete, bekam ein kleiner Negerjunge suppentellergroße Augen. "Mann, ist das ein schicker Wagen, Mister", sagte der Kleine ehrfürchtig. "Wie schnell kann man denn mit so was fahren?" "Zweihundertzehn km/h", antwortete Jo lächelnd. Der Kleine rollte beeindruckt mit den Augen. "Wieviel PS?" "Zweihundertfünfundzwanzig." "O Jesus. Bei wieviel Umdrehungen?" "Fünftausend in der Minute." "Ob ich mir den mal kaufen kann, wenn ich groß bin?"
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"Ganz bestimmt", sagte Jo grinsend. "Und sollten dir zehn, fünfzehn Dollar auf den Kaufpreis fehlen, dann komm zu mir, ich geb' sie dir." Der Junge strahlte. "Ehrlich?" "Ehrlich", nickte Jo. Er ging weiter: Der Negerjunge schlich mit glänzenden Augen um den Mercedes. Mit seinen schwarzen, samtweichen Fingerkuppen strich er vorsichtig über den silbergrauen Lack. Er konnte sich an dem Fahrzeug einfach nicht satt sehen. Jo betrat das Haus, in dem Vicker gewohnt hatte. Radiogeplärr im Erdgeschoß. Indianergeheul aus dem TV-Gerät dazu. Hinter einer Tür hustete, räusperte sich und spuckte jemand. Walker lief die Treppen hoch. Dritter Stock. Robert Vickers Wohnung. Er holte ein kleines Etui aus der Innentasche seines Jacketts. Darin bewahrte er sein Spezialbesteck auf, das immer dann zur Anwendung kam, wenn gerade der nötige Schlüssel nicht zur Hand war. Diesmal geschah das Öffnen des Türschlosses mit Talitha Banks' ausdrücklicher Genehmigung. Walker war also gedeckt. Eine Minute benötigte er für sein Werk. Dann war er in der Wohnung. Schon in der Diele empfingen ihn Zeitungsausschnitte in Bilderrahmen, die mit fetten Lettern verkündeten, was für ein prima Fighter Robert Vicker gewesen war. Dazwischen waren die Wände mit Veranstaltungsplakaten tapeziert, auf denen Vickers Name so groß stand, daß ihn nicht einmal ein Blinder ohne Stock hätte übersehen können. Nur ein Analphabet hätte jetzt noch meinen können, sich nicht in Robert Vickers Wohnung zu befinden. Rechts ging es ab in die Küche. Jo warf einen desinteressierten Blick hinein. Im Spülstein lag das Geschirr von drei Tagen. Walkers Blick blieb am Kühlturm hängen. Er war durstig, deshalb öffnete er den Eisschrank. Vier Dosen Coke, drei Dosen Juice, zwei Dosen Bier standen ihm zur Auswahl. Er griff nach Coca Cola. Plötzlich ein Geräusch hinter Jo. Er zuckte herum, so schnell er konnte, die Cola-Dose zum Schlag erhoben. Aber der andere war im Vorteil. Die Sache spulte sich so schnell ab, daß Kommissar X nicht einmal mit dem Denken mit kam. Für den Bruchteil einer Sekunde schien ein matt schimmernder Totschläger in der Luft zu hängen. Genau über Jo. Umschlossen von einer Faust, an der ein protziger silberner Siegelring blitzte. Das waren so ziemlich die letzten Eindrücke, die Jo Walker wahrnahm. Dann kam der knallharte Schlag. Ein präziser Treffer. Er riß Jo förmlich die Beine unter dem Körper weg. Die Cola-Dose sprang Jo aus der Hand. Abwärts ging's mit beiden - mit Jo und mit der Dose. Mitten am Tag war für Jo ganz plötzlich die schwärzeste Nacht angebrochen...
*
Der Mann mit dem Siegelring steckte hastig den Totschläger weg. Seine stechenden Augen waren starr auf Jo Walker gerichtet. Hastig bückte er sich. Mit beiden Händen faßte er unter Walkers Arme. So, wie man es beim Erste-Hilfe-Kursus lernt, schleppte der Gangster Jo aus der Küche. Walkers Füße schleiften über den Boden. Der Verbrecher brachte KX ins Bad. Er blieb einige Minuten bei Jo. Dann verließ er das Bad, um den Detektiv darin einzuschließen. Nun setzte der Mann seine Arbeit, die er wegen Jo unterbrochen hatte, fort. Auf einem Highboard standen die Pokale von Robert Vickers Amateurkämpfen. Der Gangster fegte sie mit einem ungestümen Handstreich herunter. Er öffnete alle Schränke, jede Lade, verstreute den Inhalt auf den Boden, ging mit einer Gründlichkeit vor, die kaum mehr zu überbieten war.
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Nachdem er alle Räume durchgewühlt hatte, lief er zum Bad zurück. Er legte sein Ohr an das Holz und lauschte. Drinnen herrschte noch Ruhe. Der Verbrecher grinste breit. Er wandte sich von der Tür ab und verließ Vickers Wohnung. Ohne Eile ging er die Treppen hinunter. Vor dem Haus setzte er sich eine große Sonnenbrille auf die Nase. In einiger Entfernung vom Hauseingang parkte ein silbergrauer Mercedes, um den ein schmaler Negerjunge herumschlich. Außer dem Jungen befand sich im Moment niemand auf der Straße. Der Mann wandte sich nach rechts und verschwand Augenblicke später um die nächste Ecke. Vier Straßen weiter betrat er eine kleine Cafeteria. Das größte im Lokal war die italienische Espressomaschine. Sie funkelte blankgeputzt und war der Stolz des Lokalbesitzers, eines schwindsüchtigen Kerls mit eingefallenen Wangen und spinnendürren Armen. "Sir?" fragte das Klappergestell an der Maschine vorbei. Ein helles, freundliches Augenpaar war auf den Eintretenden gerichtet. "Capuccino", sagte der Gangster. Seine Stimme war dunkel und kratzte ein wenig unangenehm. "Capuccino. Sofort", sagte der Magere, und die schmale Fliege an seinem Hals zuckte auf und ab, weil sie den knotendicken Adamsapfel im Wege war. Der Gangster ließ die vier Hocker vorläufig unbeachtet. "Kann man bei Ihnen telefonieren?" fragte er den Wirt. "Aber natürlich. Alles können Sie bei mir. Wirklich alles. Gleich neben den Toiletten. Aber verwechseln Sie die Türen nicht, sonst rauscht es zu laut beim Sprechen." Der Schwindsüchtige kicherte jungmädchenhaft, während er die Espressomaschine in Betrieb nahm. Der Gangster setzte sich zu den Toiletten ab. Er kam an einem Tisch vorbei, an dem ein Liebespaar saß. Die beiden waren Zeit und Raum so weit entrückt, daß man ihnen den Tisch hätte stehlen können, ohne daß sie es mitbekommen hätten. Die Telefonzelle war beklemmend eng. Der Gangster suchte in seinen Taschen nach einer Münze, warf sie in den Apparat, wählte eine Nummer, die er im Kopf hatte. Am anderen Ende klingelte es achtmal. Dann eine Männerstimme: "Ja?" "Ich bin's. Ich war in der Wohnung." "Und?" fragte der andere. "Nichts." "Hast du dich auch bestimmt gründlich genug umgesehen?" Der Anrufer wurde wütend. "Wofür hältst du mich? Für einen Anfänger? Ich hab' die Wohnung auf den Kopf gestellt. Wenn es etwas gibt, das uns belasten könnte - in dieser Wohnung hat Vicker es ganz bestimmt nicht aufbewahrt, dafür würde ich meinen Hintern verwetten." Der andere lachte. "Wer will den denn schon haben? Sehen wir uns heute?" "Kann sein. Weiß ich noch nicht." "Kannst mich ja anrufen." "Mal sehen", erwiderte der Gangster und hängte ein. Kein Wort von seiner Begegnung mit Jo Walker in Robert Vickers Wohnung. Die Sache schien ihm zu unbedeutend zu sein.
* Jo machte einiges mit, als er zu sich kam. Er hatte das Gefühl, eine Dampfrolle würde seine Gehirnwindungen plattwalzen, und auf der Schädeldecke saß ein Schmerz, der stolz auf sich sein konnte, denn er machte seinem Namen alle Ehre. Mühsam schlug Kommissar X die Augen auf. Seine Zunge war Copyright 2001 by readersplanet
aufgedunsen und irgendwie pelzig. Sie klebte am Gaumen. In Jos Hals machte sich eine würgende Übelkeit bemerkbar. Alles das zusammengenommen, schmälerte Jos Freude am Leben enorm. Ächzend quälte er sich hoch. Durst. Ach ja, dazu fiel ihm ein, daß er eine Cola hatte trinken wollen. Jemand schien sie ihm aber nicht gegönnt zu haben. Ein Kerl mit einem Siegelring und einem Totschläger. Verwundert, auf dem Boden sitzend, schaute sich Jo um. Was ihn da umgab, hatte so gar nichts von einer Küche an sich. Eher von einem Bad. Etwas rutschte über Jos Brust. Sein Blick senkte sich. Es war seine Brieftasche. Er griff mit unsicherer Hand nach ihr und klappte sie auf. Natürlich. Der Knabe hatte nachgesehen, mit wem er es zu tun hatte, wessen Kopf er beinahe zu Brei geschlagen hätte. Die ID-Card und die Detektivlizenz steckten andersherum in den Fächern. Jo brachte das schnell in Ordnung und schob die Brieftasche dann wieder an ihren angestammten Platz. Er versuchte sich zu sammeln. Den Luxus, sich zu erheben, leistete er sich noch nicht. Dazu hatte er sich von dem gewaltigen Hammer noch nicht gut genug erholt. Überlegen, dachte Jo. Du mußt überlegen. Dies hier ist Robert Vickers Wohnung. Du kommst hierher, um mal ein bißchen in verstaubten Ecken zu schnuppern. Und was passiert? Ehe du richtig mit Schnuppern beginnen kannst, macht einer aus deinem Kopf eine Dunkelkammer. War schon vor dir da, der Knabe. Sicherlich mit derselben Absicht wie du. Aber vermutlich mit mehr Erfolg. Jetzt wagte Jo den Versuch. Eine Schmerzwelle durchraste sein Gehirn, als er sich aufrichtete. Er stöhnte und verzog das Gesicht, aber er blieb auf den Beinen, die zwar noch aus Gummi zu sein schienen, sich aber nach und nach wieder festigten. Benommen suchte er den Spiegel. Er wollte feststellen, ob er noch wie ein Mensch aussah. Da war ein Spiegel. Arg verschmiert. Oder nein. Nicht einfach sinnlos mit Dreck verkleistert, sondern bewußt und mit Zahncreme. Der Spaßvogel mit dem Totschläger hatte mit Hilfe der Zahnpasta eine Nachricht für ihn auf den Spiegel praktiziert. Da stand: HALTE DEINE DRECKSNASE AUS DINGEN RAUS, DIE FÜR DICH GEFÄHRLICH WERDEN KÖNNTEN, SCHNÜFFLER! Jo zog die Mundwinkel nach unten. "Nicht mal'ne Unterschrift", knurrte er. Dann drehte er das Kaltwasser auf, ließ die Waschmuschel vollaufen und steckte den Kopf so lange in das kühle Naß, wie seine Luft reichte. Hinterher fühlte er sich bedeutend besser. Er sah sich um und wollte das Bad verlassen. Ging aber nicht. Jedenfalls nicht so einfach, wie Jo sich das vorstellte. Verdrossen rammte er das Bein gegen die Tür. Krachend flog sie auf. Jo stieg über Illustrierte, Pullover und Pokale hinweg. Chaos, wohin er schaute. In dieser Wohnung hatte sich jemand verdammt gründlich umgesehen? Wonach? Hatte Robert Vicker Material in Händen gehabt, das irgend jemand schwer belastete? Das wäre jedenfalls ein triftiger Grund gewesen, ihn umzupusten. Die Mühe, sich jetzt noch hier umzusehen, konnte sich Jo sparen. Wenn es in dieser Wohnung etwas zu finden gegeben hatte, dann war es garantiert bereits gefunden worden. Walker verließ Vickers Wohnung nicht ohne die Cola getrunken zu haben, die ihm der Typ mit dem protzigen silbernen Siegelring nicht gegönnt hatte.
* Stevie Kenna hatte ein Leben hinter sich, aus dem man einen Film hätte machen können. Sein Vater war Rechtsanwalt in Los Angeles gewesen. Vorwiegend Scheidungsangelegenheiten. Aber immer im Rahmen der oberen Zehntausend. Kennas Mutter hatte in mehreren Hollywoodfilmen der sogenannten B-Serie mitgemacht, für die man auch Ronald Reagan so häufig verpflichtet hatte. Keine Kassenschlager, aber sie spielten Copyright 2001 by readersplanet
zumeist die Produktionskosten und ein bißchen Gewinn dazu ein. Das Geld war vorhanden, also ließ man Stevie Kenna Musik studieren. Nach dem Examen schrieb Stevie drei Filmmelodien, die sich auch auf Platte gut verkauften. Kenna kam allmählich besser ins Geschäft als seine Mutter, die sich damals bereits auf dem absteigenden Ast befand. Sie dachte, mit einem neuen Mann - einem aus der Filmbranche wieder nach oben kommen zu können, und lachte sich Sam Harloch, den zu dieser Zeit berühmtesten Regisseur der Filmmetropole, an. Sam, selbst schon eine ganze Weile nicht mehr taufrisch, griff mit Begeisterung zu. Doch der Anwalt, der selbst so viele Scheidungen befürwortet hatte, konnte den eigenen ehelichen Schiffbruch nicht verkraften. Er drehte durch, griff zur Pistole und fuhr zu Sam Harlock. Er erwischte seine Frau mit Sam in einer Peinlichen, eindeutigen Situation. Sie hatten beide keine Zeit, sich zu rechtfertigen. Es knallte in Harlocks 'Schlafzimmer insgesamt dreimal. Dann gab es drei Leichen. Und Stevie Kenna hatte keine Eltern mehr. Er brauchte den Psychiater um darüber hinwegzukommen, und zwei Jahre später, nach wöchentlich drei Sitzungen - also etwa dreihundert Sitzungen insgesamt - schien Stevie Kenna zumindest einigermaßen über den Schock hinweg zu sein. Er begann wieder zu arbeiten und hatte wieder Erfolg. Aber er begann auch zu trinken, um vergessen zu können, wenn ihn die Erinnerung plagte. Als sich Amerika in Vietnam engagierte, flog Kenna nach Saigon, um da für die Gls in den Casinos am Klavier zu spielen. Als er aus Saigon zurückkam, war er rauschgiftsüchtig und konnte nicht mal mehr einen Bleistift halten. Eine Entziehungskur folgte. Es war die Hölle. Trotzdem wurde Stevie Kenna rückfällig. Eine zweite Entziehungskur war nötig, und man sagte ihm, daß er eine dritte vermutlich nicht mehr überstehen würde. Okay, sagte er sich. Dann lasse ich eben die Finger vom Schnee. Und er fing wieder zu trinken an. Hollywood hatte ihn schon lange vergessen. Kein Musikverlag gab ihm heute noch einen Auftrag, und die Songs, die er anbot, waren so schlecht, daß keiner sie haben wollte. Kenna war froh, nach langem Suchen eine Bar gefunden zu haben, in der er täglich für wenig Geld und ein bißchen Essen Klavier spielen durfte. Hier störte man sich nicht daran, daß er hin und wieder blau war. Im Gegenteil. Manchmal spendierte ihm einer der Gäste drei, vier Whiskys, weil Kenna, wenn er betrunken war, wie ein Gott musizierte. Ab und zu hörte Kenna etwas. Wenn die Information was taugte, verkaufte er sie an Jo Walker oder an die Polizei. Auf diese Weise gelang es dem Lebenskünstler Stevie Kenna, sich seit langem über Wasser und unter Whisky zu halten. Die Bar, in der Kenna spielte, hatte keinen Namen. Nur BAR stand über der Tür. Jo Walker trat ein. Stevie war immer noch ein begnadeter Musiker. Aber auch furchtbar unzuverlässig. Vor einem Jahr hatten sie's mal mit ihm als Studiomusiker versucht. Drei Tage hintereinander hatte es mit ihm geklappt. Dann war er den Aufnahmen ferngeblieben, lag zu Hause - als Alkoholleiche, die kaum mehr wach zu kriegen war. Klar, daß sie ihn auf der Stelle gefeuert hatten. Seither krähte aus der Musikbranche nicht einmal mehr der letzte Hahn nach ihm. Niemand schien dem Klavierspieler zuzuhören. Stevie Kenna störte das nicht. Er spielte sowieso nur für sich allein. Jo steuerte das Klavier an. Kenna spielte mit geschlossenen Augen. Er hatte ein Gesicht, grau wie ein Fußabstreifer. Sein Haar war stark gelichtet. Das Jackett spannte über den Nieren. Sein ganzer Körper war vom Alkohol mächtig aufgeschwemmt. "Hallo, Stevie", sagte Jo. Grinsend lehnte er sich ans schäbige Klavier. Kenna machte die Augen nicht auf. "Welch hoher Besuch: Kommissar X!" "Wie geht's?" Copyright 2001 by readersplanet
"Schlecht." "Wieso schlecht?" "Ich bin dazu verdammt, nüchtern zu sein." "Vom Arzt angeordnet?" Kenna schüttelte - die Augen waren immer noch geschlossen - langsam den Kopf. "Ich geh' zu keinem Arzt. Diese Kerle versuchen einem doch nur einzureden, man wäre nicht gesund. Nein, Mr. Walker. Die Abstinenz wurde mir vom Besitzer dieser verdammten Bude hier auferlegt." "Hast du etwa im Suff randaliert?" fragte Jo schmunzelnd. "Schon wieder daneben, Sie wissen, daß ich, wenn ich betrunken bin, wie ein Gott spiele, und daß ich dabei lammfromm bin. Nur wenn ich nüchtern bin, könnte ich verschiedene Leute erwürgen." "Warum kriegst du nichts mehr?" fragte Jo. Jetzt öffnete Kenna die Augen. Himmelblaue Augen waren es, jung geblieben waren und intelligent. Ihnen hatte der Alkohol bis jetzt noch nichts anzuhaben vermocht. "Kein Geld, KX", seufzte Kenna mit leidender Miene. "Wenn Sie mich auf den Kopf stellen, und es fällt auch nur ein Cent aus meinen Taschen, dann können Sie in alle Welt hinausposaunen, Sie hätten ein Wunder zustande gebracht. Stellen Sie sich diese Katastrophe vor, KX: Ich, der One-Man-Säufer, ohne sein wichtigstes Requisit - den Whisky." "Darf ich dich zu so was einladen, Stevie?" "Sie wissen, daß Sie dürfen", grinste Kenna: "Ehrlich, Sie schickt mir der Teufel... vielleicht sogar der Himmel." Jo ging zum Tresen und kaufte vom Wirt eine Flasche Johnnie Walker. Mit zwei Gläsern kehrte er zum Klavier zurück. Kenna machte Augen wie ein Wallfahrer, dem ein Heiliger erschienen ist. "Ich bete ihn an, den Whisky", sagte er grinsend. "Jede Karre braucht 'nen Treibstoff. Dies hier ist mein Treibstoff." Jo goß ein. "Möchtest du rauchen?" fragte er den Pianisten. Kenna kniff ein Auge zu. "He, KX, so bin ich von Ihnen ja noch nie verwöhnt worden." Jo brannte zwei Pall-Mall an. Er schob eine davon zwischen Kennas Lippen. Dann gab er ihm den Whisky. Kenna wälzte mit der Zunge die Zigarette zum rechten Mundwinkel und trank, während er mit einer Hand weiterspielte: Strangers in the night... "Ist Whisky nicht was Wunderbares? Eine Medizin just das." "Mäßig genossen", schränkte Jo ein. "Mäßig", sagte Kenna mit zusammengezogenen Brauen. "Das ist eine sehr relative Angelegenheit. Mir kann eine ganze Pulle nichts anhaben." Er kicherte. "Im übrigen bin ich beim Trinken ja mäßig - und zwar übermäßig." Er wurde ernst. "Womit kann ich mich erkenntlich zeigen, KX?" "Ich bin mal wieder auf eine Auskunft von dir angewiesen, Stevie." "Sie können von mir verlangen, was Sie wollen. Soll ich was für Sie spielen? Haben Sie einen besonderen Musikwunsch?" "Spiel was von dir", sagte Jo. Kennas Blick wurde gerührt. "Sie wollen wirklich was von mir hören?" "Du hast hervorragende Songs geschrieben." Kenna nickte mit entrücktem Blick. "Oja, das hab' ich. Hab' ich wirklich. Damals. Alle wollten sie meine Songs singen. Ich konnte mir die Interpreten aussuchen." Kenna seufzte. "Verdammt, das war eine schöne Zeit, KX." Er fing die Nummer zu spielen an, die ihn über Nacht bekannt gemacht hatte. Jo goß in Kennas Glas Whisky nach. "Und nun zum Geschäft, Stevie. Ich suche Delmer Wood." Copyright 2001 by readersplanet
"Aha." "Du kennst ihn?" Kenna griente. "Er ist nicht mein Freund." "Ein Glück für uns beide. Er hat hier in Tremont gewohnt." "Das tut er jetzt nicht mehr." "Du weißt wahrscheinlich selber, daß diese Antwort keinen Whisky wert ist", sagte Jo. "Ist weggezogen aus Tremont", bemerkte Kenna. "Kannst du mir nicht mal was sagen, das ich nicht weiß?" fragte Walker brummig. "Weggezogen - wohin?" "Keine Ahnung. Das könnte ich Ihnen nicht mal für eine ganze Whiskyfabrik sagen: Ist 'n gefährlicher Bursche, was?" "Ja." "'n Revolvermann, so sagt man. Natürlich können ihm die Bullen das nicht beweisen." "Sonst säße er längst da, wohin er gehört", sagte Jo. "Für wen hat er in letzter Zeit den Kaltmacher gespielt, Stevie?" Kenna spielte wieder nur mit einer Hand. Mit der zweiten griff er nach dem Whiskyglas. "Es gibt so viele Menschen, die sich selbst die Hände nicht schmutzig machen möchten... Die Welt ist ja so schlecht." "Fang jetzt nicht zu philosophieren an!" knurrte Jo: "Weswegen sind Sie hinter ihm her?" "Auftrag." "Was hat er denn ausgefressen?" wollte Kenna wissen. "Sagt dir der Name Robert Vicker was?" "Klar." Jo nickte mit grimmiger Miene. "Den hat er umgebracht. Hör dich ein bißchen um für mich, ja? Ich will wissen, wo Wood steckt und für wen er Vicker über den Jordan geschickt hat. Wenn du das für mich herauskriegst, komme ich mit 'ner Kiste Whisky wieder. Dann kannst du dich zum erstenmal in deinem Leben zu Tode saufen." Kenna lachte. "Einen schöneren Tod könnte ich mir gar nicht vorstellen. Im Whisky ertrinken... Da fällt mir ein, Wood war vor ungefähr zwei Monaten zum letztenmal hier. In Begleitung." "Ein Mädchen, das du kennst?" fragte Jo sofort hoffnungsvoll. Kenna schüttelte den Kopf. "Es war ein Mann. Gefiel mir ganz und gar nicht, der Bruder. Hatte so ein gefährliches Glitzern in den Augen. Trug an der Rechten 'nen verdammt protzigen silbernen Siegelring." In Jos Kopf machte es sofort klick...
* Seth Bouchet war Geschäftsmann. Er handelte mit Pelzen, mit Panama-Bananen und mit Heroin aus Marseille. Sein Geld steckte im Bankgeschäft und in der Baubranche. Er besaß Anteile von zwei namhaften Rundfunkgesellschaften, und es gab zwei Schiffe, die er an Reisebüros vermietet hatte, was ihm zusätzliche Dollars einbrachte. Nach außen hin war Bouchet ein Saubermann, wie er im Buche steht. Kein Mensch. dachte daran, an seinem Imagelack zu kratzen. Diejenigen, die es versucht hatten, lebten heute nicht mehr. Sie waren von Bouchets zuverlässigen Handlangern erstochen, erschlagen, erschossen oder einfach Copyright 2001 by readersplanet
ertränkt worden. Mr. Bouchet ,besaß ein großzügiges Haus in Bronx auf einem ebenso großzügigen Grundstück. Alarmanlagen verschiedenster Elektronikfirmen sicherten das Anwesen. Hinzu kamen zwölf auf den Mann dressierte Bluthunde, die alles in Stücke reißen würden, was Bouchet nicht auf seinem Grund und Boden haben wollte. Seit etwa einem Jahr, so hieß es, hatte Seth Bouchet seine Goldhändchen auch ins Boxgeschäft gesteckt. Selbstredend mit Erfolg, wie verlautete, denn es schien einfach nichts zu geben, wobei Bouchet keinen Erfolg gehabt hätte. Flammender Hibiskus blühte vor Bouchets Haus. Auf dem asphaltierten Parkplatz stand der mausgraue Cadillac von Dr. Al Husner. Husner war Bochets Hausarzt. Er kümmerte sich in regelmäßigen Abständen um seinen schwerreichen Schützling. Im Augenblick lag Bochet nackt auf dem Massagebett, ein Nilpferd. Übergewichtig und viel zu schwer für seine Knochen, was zu zahlreichen Wehwehchen führte. Husner, ein kleiner Mann mit spitzer Nase und wackelnden Ohrläppchen, schüttelte mit besorgter Miene den Kopf. Bouchet setzte sich mit Schwung auf. Seine Schwabbelmassen wogten bis zu den Waden hinunter. "Kann ich mich anziehen, Doc?" "Ja, Mr. Bochet. Natürlich." "Zum Teufel, was machen Sie denn heute für ein Gesicht? Ich muß doch nicht sterben, oder?" Bochets kleine Augen wurden ganz schmal, verschwanden hinter wulstigen Lidern. "Sie haben schon wieder zugenommen", sagte Husner vorwurfsvoll. Seth Bochet streifte die Unterhosen über seine dicken Beine. Er schnaufte und grinste. "Kaviar, Sekt und die herrlichen Speisen, die mir mein chinesischer Koch zubereitet. Ich kann einfach nicht widerstehen." "Sie werden diese Maßlosigkeit noch mal zu bereuen haben." Bouchet schlüpfte in sein Hemd. "In wieviel Jahren? Hm, Doc. Wie viele Jahre geben Sie mir noch, wenn ich so weitermache?" "Schwer zu sagen, Mr. Bouchet. Wenn es schlimm kommt, kann es morgen schon aus sein. Sie wissen, daß Sie an Hypertonie leiden." Bouchet winkte ab. "Haben Sie nicht selbst gesagt, daß der Bluthochdruck wahrscheinlich die häufigste Krankheit überhaupt ist? Ich bin kein Einzelfall." "Rund ein Viertel aller Todesfälle nach dem mittleren Lebensalter ist durch eine Hypertonie bedingt, Mr. Bouchet." "Na schön. Dann will ich Ihnen zuliebe wieder mal versuchen, abzunehmen." "Und Sie sollten Aufregungen vermeiden." Bouchet lächelte gutmütig. "Sie haben leicht reden, Doc." Er war jetzt mit dem Ankleiden fertig. Der teure Maßanzug ließ ihn nicht mehr so unförmig erscheinen. Dr. Husner ließ zwei Rezepte da, die Bouchet in den Papierkorb warf. Dann schlenderte er zum Fenster und schaute dem Cadillac des Arztes nach, bis er verschwunden war. Ein anderer Wagen kam. Er hielt vor dem Haus. Ein Mann stieg aus, betrat das Haus. Gleich darauf klopfte jemand an die Tür. "Ja?" rief Bouchet. Die Tür öffnete sich. "Ah, Mr. Wood", sagte Seth Bouchet freundlich. Er reichte dem Killer die Hand. Delmer Wood drückte die schwammige Pfote und grinste. "Pünktlich wie die Uhr", lobte Bouchet. "Das ist eine meiner ganz starken Seiten", erwiderte Wood. Bouchet winkte dem Killer. "Kommen Sie. Gehen wir in mein Arbeitszimmer." Der Raum war mit Rokoko-Möbeln eingerichtet. Es gab vergoldete Bilderrahmen, einen rußgeschwärzten offenen Kamin, einen großen, reichverzierten Schreibtisch. Copyright 2001 by readersplanet
Hinter einem der teuren Ölschinken befand sich der Wandsafe. "Sie und Ihr Kamerad haben ausgezeichnete Arbeit geleistet." Delmer Wood lachte verhalten. "Oja, Mr. Bouchet. Die Zeitungen haben gute Kritiken gebracht." "Ich bin der Meinung, daß gute Arbeit fürstlich honoriert gehört." "Eine anerkennenswerte Meinung, Mr. Bouchet." Woods Zunge huschte aufgeregt über die Lippen. Der Mann wußte, wie man Geschäfte im großen Stil abwickelte, und er war niemals kleinlich, wenn es darum ging, sich finanziell für gewisse Dienstleistungen erkenntlich zu zeigen. Bouchet stellte sich so vor den Safe, daß Wood nicht sehen konnte, wie der schwerreiche Mann an der Kombination herumfingerte. Die Stahltür öffnete sich und Bouchet holte zwei weiße Briefumschläge heraus. Gut gefüllt mit Banknoten. "Hier", sagte er und reichte Wood die Umschläge. "Der vereinbarte Betrag." Er zwinkerte. "Ich habe mir erlaubt, noch ein paar Scheine dazuzulegen, weil die Sache so reibungslos über die Bühne gegangen ist." Woods Augen strahlten. Ein großartiger Mann war dieser Bouchet. Seinesgleichen konnte man mit der Lupe suchen. "Sie sind ein Pfundskerl, Mr. Bouchet!" platzte Wood heraus. Diese Sprache, paßte dem anderen jedoch nicht. Wood senkte den Blick, räusperte sich und sagte verlegen: "Verzeihen Sie, Sir. Es war die Freude, die mich übermannt hat." Bouchet ließ die Entschuldigung gelten. "Ich darf doch wieder auf Sie zurückgreifen, falls dies nötig sein sollte, Mr. Wood?" "Selbstverständlich", Delmer Woods Augen glänzten. "Stets zu Diensten; Mr. Bouchet." Seth Bouchet entließ den Killer mit einem wohlwollenden, zufriedenen Kopfnicken. Nachdem Wood die Tür von außen zugemacht hatte, zog Bouchet eine Lade auf. Vor ihm lag eine offene Schachtel, gefüllt mit köstlichen Bonbons. Er konnte einfach nicht widerstehen. Zum Teufel mit Dr. Husner und seiner qualvollen Diät. Bouchet stopfte gleich drei Bonbons auf einmal in den weit aufgerissenen Mund. Sterben müssen wir alle mal, sagte er sich. Und wenn dich der Schlag trifft, dann ist das wenigstens eine schnelle Sache. Nicht so schmerzhaft und so langwierig wie Krebs.
* Stevie Kenna beschrieb den Mann mit dem Siegelring so genau, daß Jo Walker der Meinung war, damit ließe sich etwas anfangen. Kommissar X setzte sich sofort in seinen Wagen und rauschte in Richtung Centre Street ab. Tom Rowland hörte sich Walkers Geschichte interessiert an. Es war bisher nicht sicher gewesen, ob April Bondy den richtigen Mann an Hand der Fotos wiedererkannt hatte. Dadurch aber, daß Delmer Woods Freund sich in Robert Vickers Wohnung hatte blicken lassen, wurde aus dem bloßen Verdacht eine zementierte Tatsache. Delmer Wood war einer der beiden Mörder von Vicker. Und Killer Nummer zwei? Wahrscheinlich der Kumpel mit dem Siegelring? Gemeinsam gingen die beiden in die Computerzentrale. Der Mann, der den Blechonkel bediente, hatte einen Papierbecher in der Hand und machte ein gesäuertes Gesicht. "Was ist denn Ihnen über die Leber gelaufen?" fragte der Captain. "Diese verdammten Automaten", sagte der Polizeibeamte. Mit gekräuselter Nase blickte er in den Becher. "Ich wollte heiße Schokolade haben..." Tom warf einen Blick auf den Becherinhalt. "Sieht aus wie Hühnerbrühe." "Ist aber Kaffee", sagte der andere. "Und schmeckt wie russischer Tee. Dabei kommt man ganz schön ins Schleudern." Copyright 2001 by readersplanet
Der Beamte stellte den Becher weg und gab dem Computer die von Jo genannten Facts ein. Das klügste Gehirn des gesamten New Yorker Polizeiapparats spuckte ein einziges Kärtchen aus. "Martin Becht", las Tom Rowland. "Ein Vorstrafenregister, so lang wie'n Bein von Marlene Dietrich. Oder gibt's längere?" Tom besorgte sich Fotos von dem Burschen. "Diesmal mache ich mich gleich selbst auf die Socken. Vielleicht habe ich mehr Glück als meine Männer", meinte der Captain und schob Jo Walker aus seinem Büro. "Was dagegen, wenn ich mitkomme?" "Nur zu", grinste Rowland. "Wenigstens lernst du mal was dazu." Sie nahmen Jos Silberschwalbe. Bedford Park, Webster Avenue 5038, lautete Martin Bechts Anschrift. Ein Haus aus der Gründerzeit. Risse im Gemäuer. Bröckelige Fassade. Dreckige Fenster. Mieter, die größtenteils so alt waren, daß sie auch aus der Gründerzeit stammen konnten. Der Hausmeister lugte vorsichtig hinter einem fadenscheinigen Vorhang hervor, der das Fenster an der Tür abdeckte. Der Mann hatte mehr Runzeln als ein Siebzigjähriger, obwohl er erst fünfzig war. Keine Zähne im Mund, eine schiefe Nase. Captain Rowland zeigte ihm seinen Dienstausweis. Der Hausmeister machte deshalb aber noch lange nicht die Tür auf. Bekanntlich kann man heutzutage jeden Ausweis fälschen. Durch das Glas gestaltete sich die Unterhaltung ziemlich mühsam. Mit den Ohren schien Rowlands Gesprächspartner auch nicht gerade den glücklichsten Fang gemacht zu haben. "Martin Becht!" sagte der Captain mit schroffer Stimme. "Wohnt der hier?" "Wer?" fragte der Hausmeister. "Becht!" "Wie?" "Becht!" "Hören Sie, brüllen können Sie mit Ihrem Freund, nicht mit mir!" begehrte der Hausmeister auf. "Ich habe ein Recht darauf, von Ihnen anständig behandelt zu werden. Ich bin kein Verbrecher, guter Mann." Tom kochte innerlich. Er trat einen Schritt zurück, schüttelte den Kopf und knurrte: "Den halt ich nicht aus, Jo. Rede du mit ihm." Es war wie bei Delmer Wood. Ja, Martin Becht hatte mal hier gewohnt. Im zweiten Stock. In der Wohnung, die jetzt von dieser halbseidenen Fotografin belegt war. Seit zwei Monaten etwa. Das kam mit Delmer Wood hin. Vielleicht hatten Wood und Becht eine gemeinsame Bleibe gefunden. Irgendwo in New York. Liebe Güte, New York kann verdammt groß sein, wenn man zwei Typen wie Becht und Wood finden will. Jo brachte den Freund in die Centre Street zurück und fuhr dann nach Hause. Während er unterwegs war, überlegte er sich die ganze Sache noch einmal gründlich. Wenn er weiter hinter Becht und Wood herrannte, lief er leicht Gefahr, sich schon bald totzulaufen. Aus diesem Grund wollte Kommissar X das Pferd von einer anderen Seite her aufzäumen. Die andere Seite, das war Robert Vicker. Den Boxer gab es zwar nicht mehr, aber er hatte gelebt, und alles, was ihn umgeben hatte, das existierte noch, und genau da hinein wollte Jo Walker nun seinen Stachel setzen - in Robert Vickers Leben.
* April Bondy legte den Hörer in die Gabel. "Jetzt wissen wir's", sagte sie. "Du weißt es", verbesserte Jo seine Sekretärin. "Ich habe vorläufig noch keine Ahnung. Aber ich hoffe, daß sich das in den nächsten Minuten ändern wird." "Es ist so, wie du gesagt hast: Robert Vicker ging aus der Boxschule von Bing Larreck hervor." Copyright 2001 by readersplanet
"Ansehen kostet nichts", sagte Jo und machte auf den Hacken kehrt. "He, Chef. Darf ich mit kommen?" "In eine Boxschule?" "Warum nicht? Da wimmelt's nur so von Männern." April klimperte mit den Wimpern. "Oh, ich mag Männer." Jo zog die Brauen zusammen und meinte grimmig: "Du möchtest wohl wieder mal was erleben. Zu Bing Larreck gehe ich allein, wenn's recht ist. Du hast dich in diesem Fall ohnedies schon zu weit vorgewagt." "Ich?" fragte April verwundert. "Wann denn?" "Schon vergessen, daß du auf der Baustelle Kopf und Kragen riskiert hast?" "Ich finde, das ist ein bißchen reichlich übertrieben, Jo. Ich war bewaffnet." Jo nickte. "Ich kenne deine Waffe. Sie kracht zwar ganz hübsch, aber das ist auch schon beinahe alles, was sie kann." "Was Größeres bringe ich leider in meinen Handtaschen nicht unter." "Siehst du, deshalb solltest du dort, wo größere Kanonen zum Einsatz gebracht werden müssen, lieber passen. Ende der Diskussion. "Ich dachte, ich hätte in dieser Firma ein Mitspracherecht." Jo grinste. "Hast du auch. Aber nicht in allen Dingen. Es gibt Fälle, da entscheide ich schon lieber allein. Mach's gut, meine Liebe. Und behalte mich während meiner Abwesenheit in guter Erinnerung." April rümpfte die Nase. "Wird mir schwerfallen, nachdem du dich so unmöglich aufgeführt hast." Jo lachte darüber und verließ die Detektei.
* Bing Larreck hatte früher selbst im Ring gestanden. Schwergewicht. Sein rechter Punch war damals in die Boxgeschichte eingegangen. Die größten Namen hatte er mühelos auf die Bretter gelegt. Viele seiner Gegner mußten sich nach dem Fight ins Sanatorium begeben, um da ihre Fassade renovieren zu lassen. Bing Larreck, das war ein Name, den man damals beinahe ehrfürchtig ausgesprochen hatte. Bing Larreck, das war ein Qualitätszeichen. Und das war es auch heute noch. Aus seiner Boxschule kamen hervorragende Fighter hervor. Dafür hatte der nunmehr fünfzigjährige Mann einen ganz besonderen Blick. Er wußte, welchen Jungen er aus dem reichhaltigen Boxerreservoir herausheben und gesondert trainieren mußte. Die jungen Kerle kamen scharenweise zu Bing Larreck, denn sie dachten, hier eine ganz große Nummer werden zu können. Und manche von ihnen schafften das auch tatsächlich. Wie Robert Vicker zum Beispiel. Bing Larreck. Er nannte sich selbst den "Champ-Maker", und damit hatte er gar nicht so unrecht. Wenn er einen Boxer förderte, dann verdiente dieser es, und dann kam der Mann innerhalb kürzester Zeit groß heraus - und somit zum angenehmen Geld verdienen. Bing Larreck. Ein Mann mit schweren Tränensäcken, unzähligen Cutnarben rund um die Augen, Blumenkohlohren und der unvermeidlichen eingeschlagenen Nase, durch die er nicht genug Luft bekam, weshalb er die meiste Zeit durch den Mund atmete. Jo saß Larreck in dessen Boxschulbüro gegenüber. Der Mann hockte hinter einem kleinen Schreibtisch. Seine Schultern waren beinahe ebenso breit wie das Möbel. Es gab kein Fenster. Die Luft war abgestanden. Rauch hing oben an der Decke. An den Wänden hingen Veranstaltungsplakate. Dazwischen gab es Fotografien, die Larreck im Kreise seiner diversen Schützlinge zeigten.
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Larreck schaute mit einer Trauermiene auf seine mächtigen Pranken. Sie sprachen gerade von Robert Vicker. Der Junge war Larrecks bestes Pferd im Stall gewesen. "Er hat mir sehr viel Freude gemacht", sagte Larreck mit belegter Stimme. Vickers Tod ging ihm sichtlich nahe. "Hat genauso beherzt gefightet, wie ich das früher getan habe, wissen Sie, Mr. Walker. So etwas läßt mein Herz heute noch höher schlagen. Wenn ich sehe, wie ein Mann in seinen Gegner hineingeht. Ohne Rücksicht auf Verluste. Wenn er nicht zimperlich ist. Wenn er die geringste Chance blitzschnell zu nützen versteht. Bobby Vicker hatte ein hervorragendes Auge. Er erkannte jeden Fehler des Gegners sofort. Und - wumm schon schlug er zu. Noch in diesem Jahr wollten wir ihn nach Zaire bringen. Dorthin, wo Muhammed Ali geboxt hat, wenn Sie sich erinnern. Wir hatten vor, in den nächsten sechs Monaten eine groß angelegte Publicity-Campagne zu starten, damit auch die Leute, die sich nicht so sehr für den Boxsport interessieren, mit dem Namen Robert Vicker etwas anfangen können. Wir wollten den Kampf aus Zaire über Satelliten in die ganze Welt übertragen lassen... Aus der Traum. Ich kann's verschmerzen. Mir tut nur der Junge leid. Ein so schreckliches Ende hat er nicht verdient." "Ganz meine Meinung", sagte Jo Walker ernst. "Wer hat Sie engagiert? Dürfen Sie mir das sagen?" "Warum nicht? Seine Schwester hat mich gebeten, Roberts Mörder zu finden." Bing Larreck massierte sein Kinn. "Und Sie kommen zu mir, weil Sie denken, daß ich Ihnen eventuell helfen könnte, nicht wahr?" "So ist es, Mr. Larreck." Das Schwergewicht atmete geräuschvoll ein. "Ich bin untröstlich. Hier in meiner Boxschule werden Sie die Lösung des Falles nicht finden, das kann ich Ihnen versichern." "Sie haben sicher darüber nachgedacht, weshalb es Vicker erwischt haben könnte, hab' ich recht?" "Klar macht man sich so seine Gedanken, Mr. Walken" "Und? Was ist dabei herausgekommen?" Bing Larreck strich sich nachdenklich über das schüttere Haar. "Der Grund muß irgendwo im privaten Bereich liegen. Möglich, daß er da mit jemandem Schwierigkeiten bekam." "Mit wem, wissen Sie nicht?" Larreck legte mit einem treuherzigen Blick die Hände auf seine muskulöse Brust. "Denken Sie, das würde ich Ihnen vorenthalten, Mr. Walker?" Jo versuchte es mit einer gezielten Schocktherapie. Er fragte leichthin: "Sagen Sie, Mr. Larreck, haben Sie schon mal die Namen Delmer Wood und Martin Becht gehört?" Während dieser Frage ließ Kommissar X sein Gegenüber nicht aus den Augen. Keine Veränderung in Larrecks Gesicht. Kein Erschrecken. Kein Erstaunen. Nur Nachdenklichkeit. "Delmer Wood? Martin Becht? Wer soll das sein?" Jetzt feuerte Jo seine Kanone ab: "Die beiden haben Robert Vicker gekillt." Ein Ruck ging durch Larrecks schweren Körper. Er beugte sich mit großen Augen über den Schreibtisch und stieß aufgeregt hervor: "Das wissen Sie bereits?" Jo hob mit einem kleinen Lächeln die Achseln. "Das war nicht schwer herauszufinden. Schwierig ist es, Wood und Becht auszuforschen. Niemand weiß, wo die beiden stecken. Und kein Mensch hat eine Ahnung, von wem die Killer angeheuert wurden." Larreck ächzte: "Ich leider am allerwenigsten." "Wer hat Bobby Vicker trainiert, Mr. Larreck?" "Ted Sahett. Ein ausgezeichneter Betreuer." "Ob er mir weiterhelfen kann?" "Ich würde ihn an Ihrer Stelle mal fragen." "Darf ich mich ein wenig in Ihrer Boxschule umsehen?" Copyright 2001 by readersplanet
"Aber natürlich. Ich wäre verrückt, wenn ich nein sagen würde." Larreck lachte abgehackt. "Sie sind ein cleverer Detektiv, Mr. Walker, und Sie würden sofort denken, der alte Larreck hat irgend etwas zu verbergen." "Haben Sie...?" fragte Jo Walker grinsend. Larreck grinste zurück. "Natürlich habe auch ich etwas zu verbergen, Mr. Walker. Aber nicht vor Ihnen..." "Sondern?" "Vorm Finanzamt." "Welcher Geschäftsmann hat das nicht", sagte Jo. "Eben", nickte Larreck lachend. Er erhob sich und begleitete Jo in die Sporthalle. An allen Geräten wurde eifrig gearbeitet. Es roch intensiv nach Schweiß. Vor einem Spiegel stand ein mageres Hühnchen und kontrollierte die blitzschnell abgefeuerten Schläge. Neben ihm sprang einer unermüdlich über eine schwingende Schnur. Es wurden Gewichte gehoben, schattengeboxt, man pumpte Liegestütz. "Fleißige Leute", sagte Jo anerkennend. Larreck ließ die Brauen nach oben schnappen. "Das ist bei mir oberstes Gebot. Ohne Fleiß kein Preis. Wer bei mir nicht richtig rangeht, fliegt. Zum Faulenzen sind die anderen Boxschulen da. Bei mir wird hart gearbeitet. Daher kommt ein Großteil meines Erfolgs im Boxgeschäft. Hinzu kommt mein fachmännischer Scharfblick. Ich erkenne schon heute den Champion von morgen. Sehen Sie zum Beispiel die beiden Jungs im Ring?" Jo nickte. In der Mitte des großen Sportsaales gab es ein Seilgeviert. Ein Mann stand außerhalb. Das war der Trainer. Ted Sahett, sagte Larreck. Im Ring sparrten zwei gut gebaute junge Männer: Sam Orissa und John Garling. Sie trugen lederne Schutzhelme, umtänzelten einander unermüdlich, schlugen blitzschnelle, gekonnte Schlagkombinationen, lieferten einander einen Fight, der jedes Publikum von den Stühlen gerissen hätte. John Garling kannte die besseren Finten. Orissa hatte zu kämpfen, um nicht abzuschwimmen. "Orissa", sagte Larreck. Er verzog kurz das Gesicht. "Ein guter Freund von Robert. Eine Zeitlang hatte es den Anschein, als würde Sam unseren Bobby überrumpeln. Doch dann blieb er mitten in der schönsten Entwicklung stecken, während ihm Vicker einfach davon zog. Sie sehen es selbst. Sam ist ein ausgezeichneter Techniker. Aber er hat seine Mängel. Die wird er nicht mehr los. Deshalb werden wir nun auch Garling den Vorzug geben. Solange Bobby da war, mußte John immer die zweite Geige spielen. Jetzt werden wir ihn an Vickers Stelle setzen." Larreck zuckte die Achseln. "Das Leben geht weiter. Im Boxgeschäft ist keine Zeit für Sentimentalitäten. Wir haben Vicker verloren und sind in der glücklichen Lage, einen nahezu vollwertigen Ersatz für ihn in den Ring zu bringen. Das bißchen Kampferfahrung, das John noch fehlt, holt er sich bei den nächsten Fights, die wir für ihn arrangieren werden. Dann wird er in Vickers Fußstapfen treten, dessen bin ich ganz sicher. Mal sehen, wie er sich in den nächsten Monaten entwickelt. Vielleicht gehen wir mit ihm nach Zaire. Das hängt jetzt von ihm ab." John Garling, der neue Stern. Der König ist tot. Es lebe der König. Grausame Welt, dachte Jo Walker. Er ging zu Ted Sahett hinüber. Larreck kehrte in sein Büro zurück. Sahett rief pausenlos seine Anweisungen in den Ring. "Johnny-Boy! Weg von seiner Linken! So ist es gut. Ja. Und jetzt in den Infight. Brillant... Sam, komm raus. Und hoch mit der Rechten. Und links nachschlagen..." Jo stellte sich neben Sahett. Der Mann war klein und drahtig. Er trug einen grünen Trainingsanzug mit weißen Streifen an der Seite: Er hatte ein pfiffiges Fuchsgesicht mit klaren, kleinen Augen. "Wollen Sie was von mir, Mister?" ,,Mein Name ist Walker. Jo Walker. Ich bin Privatdetektiv." "Was kann ich für Sie tun, Mr. Walker?" "Ich möchte mit Ihnen über Robert sprechen." "Jetzt?" Copyright 2001 by readersplanet
"Wenn Sie's einrichten können..." Sahett ließ die Boxer allein weiterfighten. Er wandte sich Jo voll zu. "Okay. Was wollen Sie wissen, Mr. Walker?" "Alles." "'n bißchen viel." "Ich gebe mich natürlich auch mit weniger zufrieden", sagte, Jo schmunzelnd. "Bobby war für alle hier ein Vorbild. Er hat nicht trainiert, sondern gerackert. Mann, hatte der 'nen Ehrgeiz. So etwas kommt nicht wieder, sag' ich Ihnen, Mr. Walker. Geschuftet hat der Junge bis zum Umfallen. War verliebt in diesen Sport. Boxen war sein Lebensinhalt. Er hätte das Zeug in sich gehabt, mit seinen Fäusten Millionen zu machen." Sahett schüttelte mit harter Miene den Kopf. "Jammerschade um den Jungen. Wirklich jammerschade. Hat gelebt wie ein Asket. Keine Mädchen. Kein Alkohol. Gegessen hat er nur das, was ihm der Sportarzt empfahl. Hin und wieder hat er mal ein Spielchen gemacht." Sahett lachte gequält. "Sein einziges Laster, wenn Sie so wollen..." Jemand rief Sahetts Namen. Der Trainer wandte sich um. "Ja?" "Telefon!" rief der andere. "Entschuldigen Sie mich einen Moment." "Aber natürlich", sagte Jo. Sahett rief in den Ring: "So, Jungs. Das reicht für heute. Ich war sehr zufrieden mit euch. Wir reden morgen über ein paar Details. Jetzt ab mit euch unter die Dusche." John Garling kam dieser Aufforderung sofort nach. Sam Orissa blieb keuchend im Ring stehen. Er holte den Zahnschutz aus dem Mund und nahm den Trainingshelm ab. Sam hatte schwarzes Kraushaar, große Ohren und schmutziggraue Augen, in denen ein Ausdruck lag, der Jo Walker stutzig machte. War es Mißtrauen? Neugier? Furcht? Von allem ein bißchen? Ehe sich Orissa ebenfalls dünnmachen konnte, winkte Jo ihn zu sich. Sahett war bereits zum Telefon unterwegs. Kommissar X sagte dem Boxer, wie er hieß und weswegen er die Sportschule aufgesucht hatte. Orissas Gesicht nahm eine ungesunde Färbung an. Er schien sich ständig beobachtet zu fühlen. Vielleicht auch bedroht. Jo wußte es sofort: dieser Junge hatte Angst. Vermutlich Angst davor, daß man mit ihm das gleiche machte, was man mit seinem Freund Robert Vicker getan hatte. Folglich wußte Orissa etwas, das für Jo bestimmt von großem Interesse war. Schweiß perlte auf Orissas Stirn. Angst? Oder kam der Schweiß noch von der vorangegangenen Sparringsarbeit? "Robert war Ihr Freund, nicht wahr?" fragte Jo. Sam senkte den Blick. "Ja", antwortete er heiser. "Wie ich hörte, hat er hin und wieder mal gespielt." "Richtig." "Mit Ihnen?" Sam Orissa schüttelte heftig den Kopf. "Ich rühr' keine Spielkarten an. Das gibt's bei mir nicht, Mr. Walker. Ich hasse das Spiel. Mein Vater war ein Spieler. Sie können sich nicht vorstellen, was er seiner Familie damit angetan hat. Als seine Schulden so hoch geworden waren, daß er nicht mehr wußte, wie's weitergehen sollte, hat er sich vor die Eisenbahn geworfen. Wer spielt, der riskiert alles." "Kommt immer darauf an, mit wem man spielt", widersprach Jo. "Mag sein." "Mit wem hat Robert gespielt?" "Weiß ich nicht", sagte Orissa. Aber seine Augen verrieten, daß er nicht die Wahrheit sprach. Copyright 2001 by readersplanet
"Hat Robert um hohe Beträge gespielt?" "Weiß ich nicht", sagte Orissa wieder. Aber er wußte es. "Waren Sie oft mit ihm zusammen?" fragte Jo unbeirrt weiter. "Das war ganz verschieden." Orissa hob das rechte Bein und stellte den Fuß auf das untere Seil. Nervös brachte er es zum Wippen. Mit belegter Stimme sagte er: "Bobby war ein prima Kumpel. Für einen Freund ging der durchs Feuer." "Was man von Ihnen nicht gerade behaupten kann", erwiderte Jo anzüglich. Orissa zuckte zusammen, als hätte ihm Kommissar X eine Ohrfeige gegeben. "Wie meinen Sie das?" fragte er scharf. "Sie wissen mehr, als Sie mir zu sagen bereit sind", behauptete Jo. "Ist ja gar nicht wahr." "Sie sind ein verdammt schlechter Schauspieler, Sam." "Ich denke, wir haben miteinander nichts mehr zu besprechen, Mr. Walker!" sagte Orissa schnell. "Finden Sie, daß Flucht Ihr Problem lösen kann?" fragte Jo eindringlich. "Problem? Was für ein Problem denn?" Orissas Augen flatterten nervös. Er schaute sich suchend um, als wäre es ihm nicht recht, mit diesem Detektiv so lange zusammen gesehen zu werden. Den Lederhelm, den er unter dem rechten Arm trug, drückte er kräftig zusammen. "Wovor haben Sie Angst, Sam?" fragte Jo so direkt, daß Orissa erneut zusammenzuckte. Der Boxer lachte schrill auf. "Wovor sollte ich denn Angst haben? Es wird Zeit für mich, unter die Dusche zu gehen." "Okay. Lassen wir Ihre Probleme beiseite. Erzählen Sie mir noch was von Robert." "Da gibt es nichts mehr zu erzählen. Er war ein wunderbarer Fighter. Kaum einer war seinen Fäusten gewachsen. Er hat im letzten halben Jahr verdammt viel dazugelernt." Hier hakte Jo wieder ein. "Man hat ihn im vergangenen halben Jahr immer wieder in eine Favoritenrolle gedrängt." "Nicht gedrängt. Er war der Favorit", verbesserte Orissa. "Wieso hat er nicht jeden Kampf gewonnen, wenn er so haushoch favorisiert wurde?" "Formschwankung", antwortete Orissa lakonisch. Aber da war wieder jenes Signal in den Augen des Boxers, das Kommissar X nicht übersehen konnte. Hier lag ein weiterer Hund begraben. Aber auch dazu wollte Orissa keinen weiteren Kommentar abgeben. ,,Was glauben Sie, weshalb Robert sterben mußte, Sam?" Orissa wischte sich mit einer schnellen Handbewegung den Schweiß von der Stirn. "Keinen blassen Schimmer, Mr. Walker." "Das nehme ich Ihnen nicht ab, Sam." "Hören Sie mal...", wollte Orissa aufbrausen. Jo winkte ab. "Sie waren Roberts Freund, Mann. Sie haben Probleme, über die Sie mit mir nicht sprechen möchten. Sie wissen, was Robert das Leben gekostet hat. Finden Sie nicht, daß Sie es Ihrem Freund schuldig wären, dazu beizutragen, daß seine Killer vor Gericht kommen?" Wieder dieser nervöse, furchtsame Blick in die Runde. "Sam", sagte Jo Walker eindringlich. Er hoffte, den Jungen doch noch weichzubekommen. "Draußen steht mein Mercedes. Wenn Sie hier drinnen aus irgendeinem Grund nicht mit mir über die Sache reden wollen, dann setzen wir uns in meinen Wagen und wir machen zusammen eine kleine Spazierfahrt." Orissa schluckte trocken; sagte aber nichts. Copyright 2001 by readersplanet
"Was halten Sie von meinem Vorschlag?" fragte Jo. "Nichts", krächzte Sam. "In meinem Wagen wären wir ungestört." Orissa straffte den Rücken. "Sie verschwenden Ihre Zeit, Mr. Walker." "Oh, ich habe genug davon", gab Jo lächelnd zurück. "Ich gehe jetzt duschen." "Sam!" sagte Jo scharf, und seine Augen funkelten wütend. "Glauben Sie ja nicht, daß Sie so billig davonkommen. Es ist Ihre verdammte Pflicht..." "Leben Sie wohl, Walker!" sagte Orissa eisig. Er wandte sich um und kletterte aus dem Ring. Augenblicke später verschwand er durch eine Tür, ohne sich noch einmal umzusehen. Jo seufzte. Hier war er richtig. Er hatte zwar nichts erfahren, aber sein Besuch hatte sich doch gelohnt. Irgend etwas war hier faul. Weitermachen. Nicht lockerlassen. Beharrlichkeit führt zum Ziel - ein altes chinesisches Sprichwort. Sahett kam vom Telefonieren zurück, als Jo gerade gehen wollte. Der Trainer schien keine Angst zu haben. Vielleicht verstand er sie aber auch besser zu verbergen als Sam Orissa. Jo blieb mit dem Mann noch eine ganze Weile zusammen. Sahett verstand es hervorragend, viel zu reden und wenig zu sagen. Heiklen Themen wich er geschickt aus. Über alles andere wußte er viel belangloses Zeug zu erzählen. Schließlich meinte auch er - wie vor ihm schon Bing Larreck -: "Hier bei uns werden Sie den Schlüssel zu diesem Geheimnis nicht finden, Mr. Walker." "Wo denn?" fragte Kommissar X mit einem listigen Lächeln. "Wenn ich das wüßte, würde ich es Ihnen sagen", erwiderte Ted Sahett. Das klang zwar gut, entsprach aber sicherlich nicht der Wahrheit. Keiner in dieser Boxschule wollte den Mund zu weit aufmachen. Den Leuten steckte der Tod von Robert Vicker noch zu sehr in den Knochen. Sie schienen alle keine allzu große Lust zu verspüren, dem Jungen in die Leichenhalle zu folgen. "Es war sehr nett mit Ihnen zu plaudern", sagte Jo zu dem Trainer, bevor er ging. Sahett knurrte mit finsterer Miene: "Finden Sie die Killer, Mr. Walker. Verdammt, ich weiß, daß es nicht richtig ist, so zu reden, aber ich würde es begrüßen, wenn Sie die Kerle genauso abknallen würden, wie sie es mit Bobby getan haben." Jo verließ die Boxschule. Delmer Wood und Martin Becht zu erschießen - das war keine Lösung. Die beiden waren lediglich Werkzeuge. Natürlich durften auch sie nicht ungeschoren davonkommen. Aber noch wichtiger war es, den Mann zu finden, der sich dieser Werkzeuge bedient hatte. Jo erreichte seinen Mercedes. Jemand hatte mit Kaugummi einen Zettel an der Windschutzscheibe befestigt. Schmale Buchstaben waren in großer Eile auf das Papier geworfen worden. Möchte mit Ihnen unter vier Augen sprechen. Kommen Sie um 21 Uhr zu mir. Orissa. Jo schnippte den Kaugummi fort, faltete den Zettel zusammen, schob ihn in die Tasche und nickte. "Okay, Sam. Ich komme."
* John Garlings Nerven vibrierten. Orissa hatte mit ihm in der Garderobe über Jo Walker gesprochen. Er wußte über die Absichten des Detektivs Bescheid, und er zog für einen kurzen Moment in Erwägung, sich mit Walker in Verbindung zu setzen. Heimlich. Aber dann brachte der junge Boxer doch nicht genügend Mut auf, um die Idee zu verwirklichen. Er verwarf den Gedanken wieder.
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Mit schnellen Schritten trabte er die Straße entlang. Er war so sehr in seine Gedanken versunken, daß er kaum mitbekam, wo er sich befand. Hin und wieder stieß er mit einem Passanten zusammen. Er vergaß, sich zu entschuldigen, wurde beschimpft, hörte das jedoch nicht, ging bei Rot über die Straße, wurde beinahe von einem Lieferwagen angefahren, bekam auch das nicht mit. Er hatte Sorgen. Zum erstenmal in seinem Leben hatte er echte Sorgen. Robert lebte nicht mehr. Sie hatten ihn einfach über den Haufen geschossen. Ein Menschenleben war ihnen überhaupt nichts wert. Garling schauderte. Was mochte bloß in ihren Gehirnen vorgehen. Grausamkeiten und Brutalitäten, Gemeinheiten jeder Art waren für sie Mittel zum Zweck. Und wenn's nicht anders klappte, dann schreckten sie sogar vor einem gemeinen Mord nicht zurück. Wie Roberts Beispiel deutlich zeigte. O Gott, was waren das nur für schreckliche Bestien. Ohne ein Herz in der Brust. Ohne Gewissen. Eiskalte Maschinen. Profitorientiert. Alles hatte für sie einen bestimmten Preis. Hier Soll. Da Haben. Und wer keinen Gewinn mehr einbrachte, wurde einfach abgeschrieben. Wie Robert Vicker. Garling schüttelte erschüttert den Kopf. Wieso durften solche Menschen frei herumlaufen? Warum legte ihnen denn keiner das schäbige Handwerk? Der Boxer fand seinen Heimweg, ohne darauf zu achten. Jetzt stand er vor dem Haus, in dem er wohnte. Sein jungenhaftes Gesicht wurde hart. Er mußte Robert Vickers Erbe antreten. Wie sehr hatte er sich danach gesehnt, eines Tages Roberts Platz einnehmen zu dürfen. Nun war es soweit. Und er war nicht glücklich, denn es war ganz anders gekommen, als er sich das vorgestellt hatte. Roberts Erbe. Das war ein gottverdammter Fluch. Eine tödliche Sache unter Umständen. Garling bekam schon Bauchschmerzen, wenn er bloß daran dachte. Im zweiten Stock schloß er die Wohnungstür auf. Die Fans, die Robert zugejubelt hatten, würden sich nun ihm zuwenden. Ihm, dem blonden Jungen mit den veilchenblauen Augen, den weißen Zähnen, dem kantigen Kinn. Er war hübscher, als es Robert Vicker gewesen war. Man würde einen irren Kult mit ihm aufziehen. Die Mädchen würden T-Shirts tragen, auf die John Garlings Kopf gedruckt sein würde. Man würde Poster mit seinem Gesicht verkaufen. Er würde in vielen Schlafzimmern an der Wand hängen und könnte damit eine Menge Geld machen. Trotzdem war er nicht glücklich. Nicht auf diese Weise. Verflucht noch mal, Geld verdienen - ja. Boxen - ja. Erfolg haben - ja. Aber nicht auf diese Art. Wütend warf Garling die Tür hinter sich zu. Es gab einen scharfen Knall, der sich durch die Räume der großen Wohnung fortpflanzte. John streifte die Slipper ab. Er massierte seine Augen. Herrgott noch mal, er mußte aufhören, zu denken. Abschalten. Nicht mehr weiter grübeln. Es brachte nichts, machte ihn noch zorniger. Er brauchte jetzt vor allem Ruhe. Vielleicht würde sich die Angelegenheit von selbst erledigen. Manchmal steht man verzweifelt vor einem Knoten, den man nicht lösen kann. Und dann kommt die Zeit und löst den Knoten, ohne daß man etwas dazu tun muß. Die Zeit. Vielleicht arbeitete sie für John Garling. Er hoffte es inständigst, und er begrüßte es, daß sich dieser Jo Walker um den Tod von Robert kümmerte. Vielleicht brachte der Privatdetektiv den Stein ins Rollen, der jetzt so schwer auf seiner Brust lag. Mit einer unwilligen Gebärde strich sich Garling das blonde Haar aus der Stirn. Er schob die Slipper beiseite. Plötzlich hatte der den Eindruck, ein Geräusch zu vernehmen, das nicht in diese Wohnung gehörte. Sofort war sein Mißtrauen wach. Auf Zehenspitzen schlich er den Flur entlang. Die erste Tür, die er erreichte führte in sein Arbeitszimmer. Er stieß sie blitzschnell auf. Entspannte sich gleich wieder. Der Raum war leer. Weiter. Zum Wohnzimmer. Garlings Herz schlug heftig gegen die Rippen. Kein Boxkampf beschleunigte seinen Puls so sehr wie diese Copyright 2001 by readersplanet
Situation. Er erreichte die Wohnzimmertür. Sie stand halb offen. Garling trat mit einem großen Schritt ein. Mitten in der dunkelbraunen, samtenen Wohnlandschaft saß ein Mann und grinste. Er trug einen silbernen Siegelring an der rechten Hand. Die Gefahr drohte jedoch nicht von ihm, sondern von seinem Komplicen, den Garling übersehen hatte. Der zweite Mann schnellte jetzt hinter der Tür hervor. Garling hörte die Bewegung. Er war bekannt für sein unwahrscheinliches Reaktionsvermögen, doch diesmal vermochte er diese Fähigkeit nicht wirkungsvoll genug in die Waagschale zu werfen. Der andere war um einen Sekundenbruchteil schneller. Das reichte fürs Zuschlagen. Der Hieb traf Garling wie ein Dampfhammer. Selbst ein Ochse hätte diesen Treffer nicht stehend verkraftet. .
* Sie aßen Chili con carne in der kleinen Imbißstube am Ende der 123rd Straße. Von hier hatte es April Bondy nicht mehr weit nach Hause. Der Tisch, an dem sie mit Jo Walker saß, war nicht viel größer als eine Briefmarke. Aber Essen konnte man hier ausgezeichnet. "Du hast mich nicht in die Boxschule mitgenommen", sagte April. "Darf ich nun wenigstens zu Sam Orissa mitkommen?" Jo schüttelte den Kopf. "Tut mir leid, Baby. Orissa hat ausdrücklich geschrieben, er möchte mich unter vier Augen sprechen." April hatte eine raffinierte Lösung parat: "Wenn du ein Auge zumachst, und ich auch - dann würde die Zahl stimmen, die Sam Orissa angenehm ist." Jo hob die Hand. "Gib dir keine Mühe. Orissa ist ein Angsthase. Er würde die Zähne nicht auseinandernehmen, wenn ich einen Betriebsausflug zu ihm machen würde. Du gehst besser nach Hause und pflegst dich schön. Hab' ich da vorhin nicht ein Fältchen ums hübsche Auge liegen gesehen?" "Ich bin doch erst vierundzwanzig!" antwortete April entrüstet. Jo nickte grinsend. "In dem Alter fängts an sagt die Werbung." "Scheusal!" Walker lachte. "Du weißt, was ich gern höre." Er wurde ernst und sprach von Orissa. "Der Junge ist die Weichstelle, nach der ich gesucht habe." "Weißt du schon, wo er wohnt?" Jo nickte. "Ich hab' seine Adresse im Telefonbuch gefunden." "Warum tut er so geheimnisvoll?" "Du hättest seine Augen sehen sollen. Er hatte Angst." Jo bestellte zwei Kaffee. Dann beugte er sich vor und fragte: "Willst du mal hören, was ich mir inzwischen zusammengereimt habe?" "Aber nur, wenn es gut ist." "Was Besseres gibt's gar nicht. Hör zu. Ich habe mir vor allem über Robert Vickers Formschwankungen Gedanken gemacht. Jeder Favorit kann einmal einen schwachen Tag haben, das ist unbestritten. Aber ich erinnere mich an einen Fight zwischen Robert Vicker und dem Box-Methusalem Tony Cool. Cool war früher der Mann im Ring. Ein Chef. Hat alles mit seinen harten Fäusten niedergeknüppelt, was man vor ihn hinstellte. Aber auch er hatte die ewige Jugend nicht gepachtet. Er hätte längst aufhören müssen, aber er redete immer noch von einem grandiosen Comeback, auf das er sich vorbereite. Die Presse nannte ihn Opa. Man schrieb ihn allgemein ab. Keiner glaubte mehr an ihn, außer er selbst. Als er die Chance bekam, gegen Robert Vicker in den Ring zu steigen, nahm er begeistert an. Mit Copyright 2001 by readersplanet
beiden Händen griff er zu. Sie machten mächtig Reklame für den Kampf, in den Tony Cool als krasser Außenseiter ging. Und was passierte?" "Keine Ahnung." "Vicker spielte drei Runden mit Opa Cool. Er hätte den Burschen schon in der ersten Runde ausknocken können. Kein Mensch verstand, warum er es nicht getan hatte. Aus Mitleid? Ab der vierten kam Tony Cool plötzlich auf. Er machte Vicker arg zu schaffen. Da warf ein Heumacher den Opa auf den Boden. Alle dachten, der Kampf wäre endlich entschieden. Aber Cool kam noch einmal hoch. Wut verzerrte sein Gesicht. Man sagt, ein angeschlagener Gegner ist doppelt gefährlich. Tony Cool stellte unter Beweis, daß daran etwas Wahres ist. Sein Lucky Punch hob Robert Vicker fast aus den Schuhen. Der Junge fiel um und kam erst wieder auf die Beine, als der Ringrichter Opa Cool zum Sieger erklärt hatte." April nippte an ihrem Kaffee. "Deiner Meinung nach ging es bei diesem Kampf nicht reell zu, willst du das damit sagen, Jo?" "Sehr richtig, Mädchen. Ich denke an Schiebung im Boxgeschäft. Robert Vicker hat Tony Cool in den ersten drei Runden gestreichelt. Er hat den Gegner geschont, was sonst ganz und gar nicht seine Art war. In anderen Kämpfen kam er wie ein wilder Bulle aus seiner Ecke heraus. Er schoß ein Schlagfeuerwerk auf seinen Gegner ab, dem man kaum mit den Augen folgen konnte." "Schiebung", sagte April Bondy nachdenklich. "Paßt das denn zu dem Bild, das wir von Robert Vicker haben? Er war ein ehrgeiziger Junge. Mutig. Aufrichtig. Beherzt. Gibt sich so ein Mann zu einer solchen Gemeinheit her?" "Es gibt viele Mittel und Wege, sich einen Jungen wie Robert Vicker gefügig zu machen. Prügel. Nötigung. Erpressung. Drohungen verschiedenster Art." "Und wozu das alles?" fragte April gespannt. "Das kann ich ganz einfach erklären", erwiderte Kommissar X. "Stell dir vor, es gibt ein paar Leute deren Leidenschaft es ist, zu wetten. Wenn diese Leute nun vor dem Kampf schon genau wissen, wer gewinnen und wer verlieren wird, gehen sie kein Risiko ein, wenn sie ihr ganzes Geld auf den vorher bestimmten Sieger setzen. Auf diese Weise kann man unwahrscheinlich hohe Gewinne erzielen, ohne auch nur eine Minute um sein Geld bangen zu müssen. Schiebung. Das würde Robert Vickers unerklärliche Formschwankungen erklären." April leerte ihre Tasse. "Es ist also irgendwelchen Gangstern gelungen, sich Robert Vicker gefügig zu machen." "Richtig", sagte Jo. "Anscheinend wollte Vicker ihr Spielchen jetzt aber nicht mehr mitmachen." "Meiner Meinung nach auch richtig", sagte Jo. "Vermutlich hat er den Leuten, die ihn an der Kandare hatten, gesagt, er würde aussteigen." "Deshalb mußte er sterben." "Du sagst es", nickte Jo. "Und Sam Orissa wird mir das bestätigen." April griff nach ihrer Handtasche, während Jo Walker bezahlte. "Eigentlich müßten Bing Larreck und Ted Sahett über diese Dinge Bescheid wissen." "Davon", erwiderte Kommissar X, "bin ich zu neunundneunzigkommaneun Prozent überzeugt."
* Mit schmerzverzerrtem Gesicht rollte John Garling herum. Er sah einen Schuh auf sein Gesicht zurasen und stöhnte auf, als ihn der Schuh traf. Martin Becht verließ die Wohnlandschaft, um sich an der gemeinen Züchtigung zu beteiligen. Sie gebrauchten beide nicht ihre Hände. Fast schien es, als wollten sie sich die Finger nicht an Garling schmutzig machen. Sie bearbeiteten ihn nur mit den Füßen. So lange, bis der harte Boxer Copyright 2001 by readersplanet
weichgetreten war und schmerzvoll aufstöhnte. Danach packten sie ihn zu zweit und warfen ihn auf die Sitzelemente. Garlin blutete aus Mund und Nase. Diese verdammten Gangster beherrschten ihren Job gewissenhaft. Delmer Wood holte ein großes weißes Taschentuch aus dem Jackett und wischte sich damit den Schweiß ab. Dann griff er nach seinem Revolver, den er in der Schulterhalfter stecken hatte. Mit oft geübtem Griff schraubte er den Schalldämpfer auf. Er richtete seine Waffe genau auf Garlings Gesicht. Mit verschwollenen Augen starrte der Boxer in die schwarze Mündung. "Warum?" stieß er verdattert hervor. "Warum...?" "Verdammt, du weißt genau, warum, Garling!" schrie Wood den Boxer ran. Der Killer grinste eiskalt. "Du hast neulich eine ganz verrückte Antwort gegeben, Junge. So etwas Blödes hättest du nie und nimmer, sagen dürfen." Wood machte seinem Komplicen ein Zeichen. Becht setzte sich daraufhin in Bewegung. Er nahm eine teure chinesische Vase von der Kommode, hob sie hoch, grinste und ließ sie fallen. "Nein!" schrie Garling entsetzt. "Das... das könnt ihr doch nicht machen!" "Wir können!" knurrte Wood. "Weiter, Kamerad. Jetzt das Bild." An der Wand hing ein moderner Maler. Garling hatte viertausend Dollar dafür bezahlt. Becht nahm es vom Haken, stellte es schräg auf den Boden und trat dann mit Vergnügen mitten in das Gemälde hinein. "Mein Gott, ihr seid wahnsinnig!" schrie Garling. "Hör nicht auf ihn!" sagte Wood gleichmutig. Und Becht. warf einen schönen Keramikaschenbecher in eine geschmackvoll ausgestattete Glasvitrine. "Wollt ihr aus meiner Wohnung ein Trümmerfeld machen?" schrie Garling verzweifelt. Delmer Wood lächelte frostig. "Du weißt, was wir von dir hören wollen, Junge." "Ich bleibe bei meiner Antwort!" kreischte Garling wütend. "Das ist sehr unvernünftig von dir, Johnny-Boy. Du solltest dich darüber freuen, daß es Robert Vicker, diesen Holzkopf, nicht mehr gibt. Jetzt geht's bei dir ans große Geldverdienen. Du darfst Vickers Platz einnehmen. Ist das denn nichts, worüber man sich freuen kann? Vickers Platz. Umjubelt wirst du werden. Von Vickers Fans. Und all die schönen Geschäfte, die Vicker noch vor sich gehabt hätte, wird man mit dir machen - wenn du vernünftig bist." Trotz der drohenden Waffe schüttelte John Garling heftig den Kopf. "Nein! Nein! Nein! Ich mache bei keiner Schiebung mit!" "Verflucht noch mal, du willst boxen und wir lassen dich boxen." "Ich will meine Kämpfe mit meinen Fäusten gewinnen. Nicht mit eurer Hilfe!" "Okay. Okay. Das darfst du. Du mußt nur mal zwischendurch ein bißchen kürzertreten. Mehr verlangt ja keiner von dir. Mehr hat auch keiner von Vicker verlangt." "Ich will nicht verlieren, weil ihr mir's diktiert! Wenn ich verliere, dann nur deshalb, weil mein Gegner der bessere Mann war." "Mach weiter", sagte Wood zu Becht. Und der Gangster zückte sein Springmesser, um den Spannteppich aufzuschlitzen. "Ihr könnt machen, was ihr wollt!" brüllte Garling außer sich vor Wut. "Meinetwegen könnt ihr die Wohnung in Brand setzen. Ich bleibe bei meinem Nein." Wood grinste seinen Komplicen an. "Ist er nicht rührend, unser wackerer Ritter? Er trieft nur so von Edelmut. Tja, wenn das so ist, dann können wir uns die weitere Mühe, diese Wohnung nach unserem Geschmack herzurichten, wohl sparen." Wood, winkte seinem Freund. "Komm her, Kamerad. Ich denke, wir müssen die Sache doch ein wenig anders anpacken." Copyright 2001 by readersplanet
Martin Becht stellte sich neben Wood. Das Springmesser blitzte in seiner Hand. Wood spannte den Hahn seiner Kanone. "Jetzt will ich dir mal was von Schwester zu Schwester sagen, Garling. Es würde mir nicht das geringste ausmachen, dir das Gehirn aus deinem verdammten Dickschädel zu pusten, und vielleicht rechnest du insgeheim sogar schon damit. Deshalb macht es dir nichts mehr aus, wenn wir deine Wohnung zerstören. Du glaubst, sie sowieso bald nicht mehr zu benötigen. Aber eine Kugel in die Birne ist für unsere Freunde keine Lösung, verstehst du? Ein toter John Garling nützt ihnen nichts. Sie möchten, daß du für sie boxt, und wir haben den Auftrag, dir diese Zusage abzuringen." "Schert euch zum Teufel!" schrie Garling mit wutverzerrtem Gesicht. Delmer Wood grinste. "Er hat kein bißchen Angst. Was sagst du dazu?" "Er ist ein wahrhaftiger Held", spottete Becht. "Kann man wohl sagen. Aber das hält er nicht durch. Paß auf, Held der Nation. Du boxt doch bestimmt genauso gern, wie's Robert Vicker getan hat, wie? Boxen, das ist für dich mehr als bloß ein Sport, mit dem man die Figur fit hält. Boxen, das ist für dich so 'ne Art zweite Religion. Nun stell dir mal vor, du kannst plötzlich nicht mehr boxen. Von heute auf morgen. Wäre das nicht schrecklich? Gewiß, unsere Geschäftspartner müßten sich dann um einen anderen Burschen umsehen, der mehr Grütze im Schädel hat als du - und du kannst versichert sein, daß sie einen finden werden. Es gibt zum Glück nicht allzu viele edle Kerle im harten Boxgeschäft. Also: wenn du nicht mitmachst, wird es jemand anders tun. Noch möchten unsere Freunde dich haben. Du solltest diese großartige Chance nicht ungenützt vorbeiziehen lassen. Bis hierher konntest du mir doch hoffentlich folgen, oder?" "Ich kauf' mir euch bei der erstbesten Gelegenheit!" schnaufte Garling mit haßerfüllter Stimme. "Ist er nicht niedlich?" kicherte Wood. "Soll ich ihm aufs lose Maul hauen?" fragte Becht grimmig. "Laß ihn doch schwatzen. Was stört es uns, wenn er plappert?"' "Ich geh' zur Polizei!" schrie Garling... Wood hob eine Hand. "Vorsicht, Junge. In dem Punkt verstehen wir absolut keinen Spaß. Gegen Bullen sind wir allergisch. Laß mich dich weiter aufklären, Johnny-Boy. Also, die Sache sieht für dich folgendermaßen aus: Wenn du nicht für uns boxt, wirst du überhaupt nie mehr boxen können, dafür würden wir sorgen. Was sagst du dazu?" Garling fletschte die Zähne. "Ihr kriegt mich nicht weich. Ihr nicht!" "Wetten doch? Sieh mal, wir haben ein Messer. Mein Kumpel hier ist zwar kein gelernter Chirurg, aber wie man ein paar Sehnen an deinen Händen durchtrennt, versteht er allemal noch. Kapierst du endlich, wo's lang geht, Garling? Mit durchschnittenen Sehnen bist du erledigt. Du könntest kaum noch eine Fliege von deiner Nase verjagen, und daß du mal geboxt hast, würde dir vermutlich keiner mehr so recht glauben." Garling wurde Bleich. Diese Teufel. Der Tod war nicht so schlimm wie zwei verstümmelte Hände. Sie wußten, womit sie ihn treffen konnten. "Wie steht's?" fragte Wood gleichmütig. "Soll sich mein Freund mal um deine Pfoten kümmern?" "Das... das würdet ihr nicht tun!" schrie Garling entsetzt. Er verbarg die Hände hinter seinem Rücken. Wood nickte dem Komplicen zu. "Mach mal." Martin Becht trat einen Schritt vor. Delmer Wood setzte dem Boxer die Waffe an die Stirn. "Nur, damit ich's erwähnt habe, Baby: Ich hab' 'nen verdammt nervösen Zeigefinger. Eine falsche Bewegung, und du hörst die Engel singen." Becht faßte nach Garlings linkem Arm. Der Boxer spannte die Muskeln an. Becht überwand den Widerstand. Die Tritte hatten Garling zuvor mehr als geschwächt. Himmel, sie wollten es tatsächlich tun. Herrgott noch mal, das war kein Bluff. Sie wollten ihm wirklich die Sehnen durchtrennen. Copyright 2001 by readersplanet
"Nein!" schrie Garling außer sich. "Ihr könnt mich doch nicht verstümmeln!" Wood grinste. "Wer sollte uns daran hindern?" "Bringt mich um. Aber tut mir das nicht an." "Wir sind nicht daran interessiert, daß du krepierst. Es genügt uns, wenn du tot für den Boxsport bist. Nie wieder Ringluft atmen, mein Junge. Das wird für dich verdammt bitter werden. Du wirst den Tag verfluchen, an dem du so starrsinnig warst. Man sagt, jeder Mensch ist seines eigenen Glückes Schmied. Du bist gerade dabei, dieses Glück kaputt zu machen." Das Messer näherte sich Garlings Handrücken. "Ihr dürft mir das nicht antun!" schrie der Boxer verzweifelt. "Du weißt, was wir hören wollen!" sagte Wood. schneidend. "Nur so kannst du deine Pfoten noch retten!" Die Klinge ritzte jetzt Garlings Haut. Der Boxer stieß einen wahnsinnigen Angstschrei aus. "Ja!" schrie er mit furchtverzerrtem Gesicht. Tränen quollen aus seinen Augen. "Ja. Zum Teufel, ich. mach' mit." Er schluchzte, weil er sich für einen jämmerlichen Feigling hielt. Aber er wollte von diesen gewissenlosen Gangstern nicht auf diese grausame Weise verstümmelt werden. "Ich gebe auf. Ich mache mit... Delmer Wood nickte Becht zu. Dieser steckte das Messer ein. "Warum nicht gleich?" fragte Wood spöttisch. "Wir wußten von Anfang an, daß du nicht so hart bleiben würdest." Garling zitterte am ganzen Leib. "Ich hasse euch!" stieß er keuchend hervor. Wood zuckte die Schultern. "Das kratzt uns nicht." "Der Himmel wird euch dafür büßen lassen!" "Der Himmel ist eine fiktive Sache, mein Lieber. Er wurde von den Priestern erfunden. Meiner Meinung nach gibt es nur die Hölle. Und die befindet sich auf dieser Welt." Wood nahm den Revolver etwas zurück. "Wir haben dein Okay, Johnny-Boy. Wir haben so etwas wie einen Vertrag miteinander abgeschlossen. Es wäre verdammt unklug von dir, wenn du dich nicht daran halten würdest. Solltest du versuchen, aus der Reihe zu tanzen oder uns gar aufs Kreuz zu legen, kommen wir wieder, aber dann nützt kein Bitten und Betteln mehr. Dann geht's dir an den Kragen!" Garling schüttelte angewidert den Kopf. "Was seid ihr doch für widerliche Schweine." Wood überhörte diese Beleidigung. "Halte dir stets vor Augen, daß es keinen Zweck hat, sich an die Polizei zu wenden. Die Bullen können dir nicht helfen. Nur du allein kannst dir helfen." Wood lachte hart. "Du weißt schon: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott." Der Gangster nickte. "Du hörst wieder von uns." Danach verließen Wood und Becht die Wohnung des Boxers. Garling zitterte am ganzen Leibe. In was war er da bloß hineingeraten. Ein Sumpf, zäh und ekelhaft. Das, was er einmal in sich aufgenommen hatte, gab er nicht mehr her. Mühsam wankte Garling ins Bad. Ohne sich auszuziehen, stellte er sich unter die Dusche und drehte das kalte Wasser auf.
* Sam Orissa seufzte geplagt. Die Zeit wollte nicht vergehen. Der Boxer hypnotisierte die Uhr, deren Zeiger hängengeblieben zu sein schien. Er lief ruhelos im Wohnzimmer auf und ab. Er kam sich vor, als wäre er eingesperrt in eine kleine Gefängniszelle. Die unterschwellige Angst, die ihn seit langem quälte, trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Was war er für ein vielversprechender Boxer gewesen. Vom Start weg hatte man ihm hervorragende Qualitäten konzidiert. Aber dann war er plötzlich mitten in der Entwicklung steckengeblieben. Bobby Vicker hatte ihn Copyright 2001 by readersplanet
überholt und war zum Champion aufgerückt, während er, Orissa, nur zu Rahmenkämpfen herangezogen wurde. Robert war eben der bessere Mann gewesen. Orissa neidete ihm den Erfolg nicht, denn Vicker hatte ihn sich hart erarbeitet. Aber war das, was Robert Vicker erreicht hatte, tatsächlich ein, Erfolg gewesen? Dort oben an der Spitze, war Robert in eine teuflische Maschinerie hineingeraten, von der niemand eine Ahnung gehabt hatte. Mußte Sam Orissa nicht froh sein, daß er nicht so erfolgreich war wie Robert? Wieder wanderte Orissas Blick zur Wanduhr. Kurz vor neun. Wenn Walker was von Pünktlichkeit hielt, mußte er in wenigen Minuten eintreffen. Orissa nahm sich einen Sherry. Vielleicht wurde er auch deswegen kein Supersportler: Er konnte nicht so enthaltsam leben, wie Robert das getan hatte. Er brauchte hin und wieder eine Zigarette. Er brauchte ab und zu einen kräftigen Schluck Alkohol. Und verdammt noch mal, er konnte nicht widerstehen, wenn ihm ein hübsches Mädchen schöne Augen machte. Gleich neun. Dann kam Walker. Ein Mann, zu dem man Vertrauen haben konnte. Ein Mann auch, bei dem Sorgen aller Art gut aufgehoben waren. Dieser Privatdetektiv schien das Zeug in sich zu haben, klare Verhältnisse im Boxgeschäft schaffen zu können. Orissa baute auf Jo Walker, der in ein paar Minuten an der Tür klingeln würde. Der Boxer leerte das Sherry-Glas mit einem Ruck. Es fiel ihm nicht auf, daß jemand die Wohnungstür vorsichtig öffnete. Ein Schatten huschte herein. Und damit war Orissas Schicksal besiegelt...
* Jo Walker stieg aus dem Mercedes. Er durchwanderte das Streulicht einer Peitschenlampe. Gleich darauf betrat er das Gebäude, in dem Sam Orissa zu Hause war. Er lief die Stufen hoch und erreichte - ein wenig außer Atem - die zweite Etage. Orissas Name stand an einer hellbraun lackierten Tür. Am Rahmen rechts befand sich ein Klingelknopf aus Messing. Jo klingelte und wartete. Sam Orissa scherte sich nicht um ihn. Jo klingelte noch einmal, wartete erneut. Orissa schien sich einen Scherz mit ihm zu erlauben. Jo trat ans Geländer und blickte ins Treppenhaus hinab. Orissa konnte noch ganz schnell eine Besorgung gemacht haben, um dem Besuch etwas anbieten zu können. Jo läutete ein drittes Mal. Danach wollte er gehen. Vielleicht hatte er mehr Glück, wenn er in einer halben Stunde noch einmal vorbei kam. Er hatte sich schon halb umgewandt, da kam ihm zu Bewußtsein, daß ihn an der Tür irgend etwas irritierte. Sie schloß schlecht. Jo legte seine Hand an das hellbraune Holz, und die Tür gab sogleich nach. Offene Wohnungstüren riefen bei Jo immer eine unangenehme Gänsehaut hervor. Zugegeben, es kann vorkommen, daß jemand seine Tür zu schließen vergißt. Aber wie oft passiert das? Und wie oft passiert das andere? Walker griff nach seiner Automatic. Verdruß lag in der Luft. Ärger. Jo legte den Sicherungsflügel seiner Waffe um. Er dachte an die mit Kaugummi an der Mercedes-Frontscheibe befestigte Nachricht von Sam Orissa. Es war nicht klug gewesen, den Zettel so gut sichtbar anzubringen. Für jedermann gut sichtbar! Andererseits aber wollte Orissa sichergehen, daß Jo das Papier auch wirklich entdeckte. Wenn noch jemand diese Nachricht gelesen hatte... Copyright 2001 by readersplanet
Jo trat rasch in die Wohnung. Er konzentrierte sich auf sein Gehör. Kein verräterisches Geräusch. Die Wohnung schien menschenleer zu sein. Eine offene Tür. Eine Verabredung für einundzwanzig Uhr. Und dann niemand zu Hause? Das reimte sich nicht. Die Automatic folgte der Richtung von Walkers scharfen Augen. Sein Finger lag feuerbereit um den Abzug. Mit angespannten Nerven betrat Kommissar X das Wohnzimmer. Sam Orissa war zu Hause. Jo sah die Beine des Boxers. Sie ragten unter dem Couchtisch hervor. Kein Wunder, daß er auf Walkers Läuten nicht reagiert hatte. Er war so tot, wie ein Mensch nur tot sein konnte. Sein Körper wies zahlreiche Einschüsse auf, wie bei Robert Vicker: Jeder einzelne Treffer war - wie Ron Myers gesagt hatte - eine tödliche Sache.
* Gepolter im Treppenhaus. Für Jo stand augenblicklich fest, daß die Geräusche von Orissas abendlichen Besuchern hervorgerufen wurden. Orissa wollte sich etwas von der Seele reden, aber die Gegenseite hatte das zu verhindern gewußt: Erstaunlich, wie schnell die Gangster reagierten. Mit weiten Sätzen jagte Kommissar X aus der Wohnung des Boxers. Unten hackten Schuhe auf die Stufen. Jo beugte sich über das Geländer. Er sah zwei Schatten. Und eine rechte Hand - mit einem protzigen silbernen Siegelring daran. Delmer Wood und Martin Brecht. Das Killerduo hatte wieder einmal eiskalt zugeschlagen. Und diesmal hatte Jo Walker es nicht verhindern können. Mit wütender Miene stürzte Jo die Treppe hinunter. Die Mörder setzten sich in den Hinterhof ab. Kommissar X folgte ihnen mit fest auf einander gepreßten Zähnen. Ihre Kanonen blitzten in der Dunkelheit auf. Jo ließ sich fallen, rollte über den Boden, schoß zurück, rollte weiter, schoß noch einmal. Die Killer fluchten. Da aber Kommissar X seine Position immer wieder blitzschnell wechselte, wußten die Gangster nie genau, wo sie ihn erwischen konnten. Sie sprangen auf zerbeulte Mülltonnen. Es war so dunkel im Hof, daß Jo sie nicht genau sehen konnte. Er hörte sie aber und feuerte auf die Geräusche. Sie blieben ihm keine einzige Kugel schuldig. Sengend heiß schwirrten zwei ihrer Projektile haarscharf an seiner Wange vorbei. Dann folgte Stille. Jo kam auf die Beine. Er lief die Hausfront entlang und erreichte wenig später mit schußbereiter Automatic die vom Dreck überquellenden Mülltonnen. Die Gangster hatten sie dazu benützt, um die Mauer überklettern zu können, die an dieser Stelle den Hinterhof einfriedete. Ein kraftvoller Satz. Jo lag flach auf der Mauerkrone. Nichts passierte. Kein Schuß fiel mehr. Die Killer waren verduftet. Jo sprang auf der anderen Seite der Mauer hinunter. Durch ein Tor gelangte er auf eine schmale Straße. Da vernahm er das Heulen eines Automotors. Walker jagte auf die Fahrbahn. Hundert Meter weiter raste ein Wagen mit quietschenden Reifen aus einer Parklücke. Die Fahrzeugbeleuchtung brannte nicht, deshalb war es unmöglich, die Nummer zu erkennen. Der Gangsterwagen - es handelte sich um einen alten Buick -entfernte sich von Jo immer mehr. Jetzt flammten kurz die Hecklichter auf, dann jaulten die Pneus um die Ecke, und der ganze Spuk war vorbei. Zornig stieß Kommissar X die Automatic in die Schulterhalfter zurück. Er hatte allen Grund, mit dem Ausgang dieser Aktion mehr als unzufrieden zu sein.
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* Jetzt war es dreiundzwanzig Uhr. Kommissar X saß in seinem Mercedes 450 SEL und fuhr nach Hause. Er hatte gleich nachdem ihm Wood und Becht entkommen waren, Tom Rowland angerufen, um ihm mitzuteilen, was mit Sam Orissa geschehen war. "Bleib am Tatort", hatte der Captain verlangt. "Wir machen uns sofort auf den Weg." Die Mordkommission traf fünfzehn Minuten später ein. Tom stampfte ins Wohnzimmer. Jo hatte nichts verändert. Auch die Leiche hatte er nicht angefaßt. Rowland schüttelte mit grimmiger Miene den Kopf. "Diese verdammten Hundesöhne machen ihre Arbeit gründlich." Jo holte die Pall-Mall-Packung heraus. Tom nahm sich ein Stäbchen. Sie rauchten. Jo erzählte von seinem Besuch in Bing Larrecks Boxschule und von der Nachricht, die ihm Orissa an die Windschutzscheibe geklebt hatte. Er gab dem Captain den Zettel. Tom las was darauf stand und schob den Zettel dann in seine Tasche. "Wood und Becht?" fragte der Captain. Er wies dabei auf den ermordeten Boxer. "Da bin ich absolut sicher." "Hast du sie erkannt?" "Ich habe Bechts Siegelring gesehen." "Deswegen muß der andere noch nicht Wood gewesen sein." Jo nickte ärgerlich. "Richtig. Muß nicht. Aber er war es, da gehe ich jede Wette ein." Im Telegrammstil ratterte Jo herunter, was sich in der Folge ereignet hatte... Und nun war es dreiundzwanzig Uhr. Sam Orissa lebte seit zwei Stunden nicht mehr. Das, was er Jo mitteilen wollte, nahm er jetzt mit sich ins Grab. Kommissar X erreichte die 7th Avenue. Die Leuchtreklame von Musi's Bar & Grill strahlte verlockend. Aber Jo war diesen Abend der Appetit gründlich vergangen. Ein verfluchter Tag neigte sich seinem Ende entgegen. Er war es nicht wert, daß man sich an ihn erinnerte. Besser, man vergaß ihn. Übelgelaunt betrat Jo Walker sein Büro-Apartment. Und da erlebte er die nächste herbe Überraschung: Er hatte Besuch - von Wood und Becht.
* Wie riesige schwarze Pupillen glotzten ihn ihre Revolvermündungen an. Jo kannte die Spielregeln, und er hielt sich daran. Er hob die Hände, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Es war eine fatale Situation, in der sich Kommissar X befand. Jo hatte inzwischen Arbeitsmethoden der Killer kennengelernt. Sie waren schnell, zuverlässig - und absolut tödlich. Robert Vicker und Sam Orissa bestätigten das. "Hübsch artig!" zischte Delmer Wood. Sein Herzchenmund bebte. Er wußte, daß er es mit dem gefährlichsten Verbrecherjäger New Yorks zu tun hatte. Es hieß allgemein: Wem sich Kommissar X an die Fersen heftete, der hatte nichts mehr zu lachen. KX, der Superschnüffler, der schon so vielen Gangstern das Handwerk gelegt hatte, der Privatdetektiv, auf den schon mehr Attentate verübt worden waren als rauf alle amerikanischen Präsidenten zusammen. Jetzt stand er vor zwei Kanonen. Und Delmer Wood wollte mit dem idiotischen Märchen aufräumen, daß KX nicht zu killen war. Jo Walker war genauso zu schaffen wie Vicker und Orissa. Wood wollte das beweisen. "Wir haben gehört, du suchst uns", sagte Martin Becht höhnisch. "Hier sind wir." "Ich seh's!" knurrte Jo, während er fieberhaft überlegte, wie er aus dieser kritischen Lage heil herauskommen konnte. "Ihr seid in letzter Zeit verdammt fleißig." "Du auch, KX". grinste Becht. Copyright 2001 by readersplanet
"Ist mein Job." "Du hättest meinen Rat beherzigen sollen, den ich dir in Vickers Wohnung zurückgelassen habe", grinste Becht wieder. "Man kann nicht auf jeden Rat hören", gab Jo trocken zurück. "Nun, wer nicht hören will, muß fühlen", sagte Becht gleichmütig. Sie werden dich erschießen. Es wird ihnen mehr Spaß machen als bei Vicker und Orissa, denn wenn sie dich umlegen, erledigen sie ihrer Meinung nach etwas Großes, etwas Heldenhaftes. Etwas, das vor ihnen schon so viele Gangster versucht, aber nicht geschafft haben, schoß es Jo in diesem Augenblick durch den Kopf. Ihm wurde kalt bei dem Gedanken, daß er nur noch wenige Augenblicke zu leben hatte. "Für wen arbeitet ihr?" fragte er, bemüht, sich seine Erregung nicht anmerken zu lassen. "Für jeden, der gut zahlt", antwortete Becht mit einem Schlangenlächeln. "Und wer zahlt gut?" "Jeder, der es sich leisten kann." "Habt ihr den Auftrag, mich zu töten?" fragte Jo. "Ja", sagte Becht. "Aber wir hätten es auch so getan. Du machst uns langsam nervös." "Schluß mit dem Gerde!" schaltete sich Delmer Wood mit granitharten Zügen ein. Jetzt passiert's! dachte Jo. Eine Million Ameisen befanden sich plötzlich unter seiner Haut. "Umdrehen, Walker!" befahl Wood scharf. Umdrehen. Und dann ein Schuß ins Genick. Eine saubere, ganz einfache Sache, ohne jedes Problem. Wozu sollte sich Jo überhaupt noch umdrehen? Von vorn waren die Kugeln genauso tödlich. Er blieb mit grimmiger Miene stehen. "Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?" schnauzte Wood den Privatdetektiv an. "Doch. Aber wozu soll ich mir noch die Mühe machen." Wood fletschte die Zähne. "Weil ich es so haben will. Deshalb zeig uns deine Kehrseite, Walker. Aber ein bißchen plötzlich." Widerwillig wandte sich Kommissar X um. "Martin!" bellte Wood. "Nimm ihm die Kanone ab." O Himmel, was waren das noch für Umstände. Wozu? Delmer Wood lachte gemein. "Wir werden", sagte er, "den Bullen ein kleines Rätsel aufgeben. Walker hat 'ne Menge Freunde bei der Polizei. Man wird sich kopfschüttelnd fragen, warum er das getan hat." "Was getan?" fragte Becht. "'ne Kugel in die Birne geschossen", kicherte Wood, der von seiner Idee begeistert war. "Selbstmord, wird man denken, wenn man ihn morgen hier findet. Eine Kugel im verdammten Schädel, aus der eigenen Pistole. Die Bullen werden denken, Walker hätte plötzlich den Verstand verloren." Das war es. Deshalb brauchten sie die Automatic. Jos Nackenhaare stellten sich quer, als er Martin Becht näher kommen hörte. Seine Nerven vibrierten. Bechts Pfote fühlte ihn ab. Jetzt oder nie! dachte Kommissar X in diesem Augenblick. Wahrscheinlich die allerletzte Chance für ihn. Die Hand erreichte die Schulterhalfter. Ohne daß es der Gangster bemerkte, spannte Jo seine Muskel an, und dann handelte er blitzschnell. Ansatzlos kreiselte er herum. Becht stieß einen erschrockenen Schrei aus. Jo packte den Mann und riß ihn an sich, preßte Becht als lebenden Schild vor seinen Körper. Delmer Wood sprang erschrocken zurück. Es war ein reiner Reflex, daß er den Stecher seiner Waffe durchzog. Er begriff erst, was er getan hatte, als Martin Becht einen gurgelnden Schrei ausstieß.
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Als ihm klar wurde, daß sein Komplice tödlich verletzt war, verlor er den Kopf. In größter Panik stürmte er aus Walkers Büro-Apartment. Geschockt sprang er in den Fahrstuhl. Die Türen schlossen sich hinter ihm. Ein heftiges Zittern durchlief Bechts Körper, der nun schnell erschlaffte. Die Beine wollten den Killer nicht mehr tragen. Er sackte in sich zusammen. Jo ließ den Mann zu Boden gleiten. Das Ende kam sehr schnell. Innerhalb weniger Sekunden verlor Becht das Bewußtsein. Blut quoll aus .seinem Mund. Sein Atem ging unregelmäßig, sein Leib bäumte sich in wilden Krämpfen mehrmals auf. Er röchelte entsetzlich, wurde aber schnell ruhiger, lag schließlich still...atmete nicht mehr. Jo legte die Hand über seine Augen. Das war verdammt knapp gewesen. Er brauchte jetzt dringend einen Whisky, um psychisch wieder auf die Beine zu kommen. Als er sich vom Johnnie Walker ins Glas schüttete, merkte er wie seine Hand zitterte. Es wunderte ihn nicht. Nach dem Whisky und nach einer Pall-Mall rief er die Polizei. Jo vernahm die angenehme Stimme der Telefonistin, die in der Zentrale des Police Headquarters Nachtdienst hatte. Wenig später hörte er die unausgeschlafene Stimme von Tom Rowland. Jo sagte dem Captain, was gelaufen war. "Neuerdings stolperst du wieder über Leichen", knurrte der Captain, denn der tote Martin Becht bedeutete zusätzliche Arbeit für ihn. "Ich kann's leider nicht ändern", erwiderte Jo und legte auf.
* Ted Sahett wohnte in der Fulton Avenue 8756. Mit Blick auf den Crotona Park. Unausgeschlafen, aggressiv und leicht reizbar war Jo Walker bei ihm aufgekreuzt. Sahett schien Fieber zu haben. Seine Lippen waren trocken und spröde, die Wangen glühten. Im Living-room herrschte eine desorganisierte Ordnung. Die Tapeten paßten weder zum Spannteppich noch zu den Übergardinen, und der Lüster war eine gewaltige Ohrfeige in das Gesicht des guten Geschmacks. Sahett knetete unruhig seine Finger. Er mied Walkers Blick, schien Angst zu haben. Jo fing sofort mit scharfen Geschützen zu schießen an: "Zwei Morde, Mr. Sahett! Drei Leichen! Ein Mordanschlag. Wie fällt Ihnen das?" Sahett räusperte sich. Seine Augen flatterten. "Ich verstehe nicht, warum Sie damit zu mir kommen, Mr. Walker." "Ich bin inzwischen dahintergekommen, aus welchem Grund Robert Vicker aus dem Verkehr gezogen wurde. Sie hätten mit mir darüber reden sollen, Sahett!" sagte Walker scharf. Der Trainer erschrak. "Ich?" "Wer sonst? Sie wissen Bescheid, was läuft, Mann. Ich sage Ihnen auf den Kopf zu, daß Sie mit diesen Gangstern unter einer Decke stecken!" Sahett japste nach Luft. "Mein Gott, Mr. Walker, wissen Sie, was Sie da sagen?" "Ich bin mir der Bedeutung dieser Anschuldigung voll bewußt Sahett, und ich werde dieses Wissen noch heute der Polizei übermitteln." "Das dürfen Sie nicht tun!" krächzte Sahett bestürzt. Jo setzte dem Mann den nächsten Pfeil ins Fleisch. "Bei einem übelgelaunten Richter fressen Sie für das, was ich Ihnen anhängen werde, gut und gern zwanzig Jahre aus, Sahett. Wie alt sind Sie jetzt? Vierzig? Dann sind Sie sechzig, wenn sich die Gefängnistore für Sie wieder öffnen. Zwanzig verdiente Jahre, mein Lieber, denn Sie gehören einer Gangsterbande an, die vor nichts zurückschreckt. Nicht einmal vor Mord." Sahett raufte sich verzweifelt die Haare. "Das stimmt nicht, Mr. Walker. Das ist nicht wahr. Ich habe mit diesen Verbrechern nichts zu tun." Copyright 2001 by readersplanet
"Kein Mensch würde Ihnen das abkaufen, Sahett. Sie sind der Trainer. Robert Vicker war Ihr Schützling. Erzählen Sie mir nicht, Sie hätten von den Schiebungen nichts gewußt, zu denen man Vicker gezwungen hat." "Ich hatte damit nichts zu tun!" schrie Sahett. Seine Stimme überschlug sich nach oben. "Aber Sie haben davon gewußt!" bohrte Jo weiter. "Ja:" "Na also", knurrte Kommissar X. "Jetzt kommen wir der Sache schon näher." Ted Sahett hob beteuernd beide Hände. "Ich habe Robert auf jeden Kampf gewissenhaft vorbereitet." "Wer hat ihm gesagt, welchen Kampf er verlieren mußte?" fragte Jo schneidend. Sahett blickte auf seine Pantoffel. "Wer?" schrie Walker ihn an. Der Trainer zuckte erschrocken zusammen. "Bing Larreck!" preßte er heiser hervor. Jo grinste verbittert. "Interessant. Larreck, der biedere Ex-Champion, ein Verbrecherboß. Er ist also der Mann, der die Fäden in seinen Händen hält." Ted Sahett schüttelte nervös den Kopf. Hastig sagte er: "Larreck hängt selbst an einem Faden." Kommissar X hob erstaunt eine Braue. "Noch interessanter. Wer ist der Mann im Hintergrund, Sahett?" Der Trainer hob die Schultern. "Das weiß ich nicht, weiß ich wirklich nicht." "Wie hat man Vicker dazu gebracht, daß er mit dem Betrug einverstanden war?" wollte Jo wissen. "Robert spielte gern. Es entwickelte sich daraus eine verzehrende Leidenschaft. Vicker hatte keinen anderen Fehler, nur diesen, und der sollte ihm zum Verhängnis werden. Sie haben ihm die Möglichkeit gegeben, zu spielen. "Wer?" "Bing Larreck und der Mann, der sich hinter ihm verbirgt. Sie arrangierten Spielchen bei Herb McRae..." "Herb McRae!" Der Name war Jo Walker nicht unbekannt. McRae kontrollierte das illegale Glücksspiel in Brooklyn. "Anfangs", fuhr Ted Sahett fort, "ließen sie Robert gewinnen. Dann aber kam seine Pechsträhne. Sie gewährten ihm jede Menge Kredit, und der dumme Junge sank immer tiefer in diesen Sumpf ein. Eines Tages kam er aus der Sache nicht mehr raus. Sie hatten ihn Wechsel unterschreiben lassen. Als diese fällig waren, gaben sie ihm zu verstehen, daß er nunmehr drei Möglichkeiten hatte: Entweder er bezahlte seine Schulden - wozu er nicht in der Lage war. Oder er ging ins Gefängnis - was seiner Box-Karriere ein Ende gesetzt hätte. Oder er kämpfte im Ring von nun an so, wie sie es ihm diktierten. Robert wollte nicht ins Gefängnis gehen. Er wollte weiterboxen. Er war rasend vor Wut, weil man ihn zum Betrug zwang, aber er hatte keine andere Wahl. Er mußte dem gemeinen Druck nachgeben und bei diesen Schurkereien mitmachen." "Er hat es moralisch nicht durchgestanden, wie?" sagte Jo. Sahett nickte mit weinerlicher Miene. "Er wurde seine Gewissensbisse nicht los. Jeder Kampf, den er auf Befehl verlieren mußte, lastete zentnerschwer auf seiner Seele. Eines Tages wurde es ihm dann zuviel. Er entschloß sich, auszusteigen. Aber bei denen kann man nur auf eine Art aussteigen..." Gallebitter klangen diese letzten Worte. Jo hatte plötzlich einen Gedanken, der ihn sofort beunruhigte. Ihm war eingefallen, daß Bing Larreck John Garling über den grünen Klee gelobt hatte. Garling war der neue Mann. Er sollte Vickers Platz einnehmen. Vickers Platz! Hieß das, daß Garling auch Vickers Verpflichtungen übernehmen mußte? Jo sprach seinen Gedanken aus, und es wunderte ihn nicht, daß Ted Sahett dazu langsam nickte. Copyright 2001 by readersplanet
"Garling wird Roberts Rolle übernehmen. Mit allen Nachteilen, die sich daraus ergeben", sagte der Trainer mit leiser Stimme. "Ist man an ihn schon herangetreten?" fragte Jo gespannt. "Ja", sagte Sahett. "Wird er es tun?" Sahett lächelte gequält. "Er hat keine andere Wahl, dafür sorgen die schon." Das Telefon schlug auf April Bondys Schreibtisch an. Sie fischte den Hörer aus der Gabel und sagte ihr Sprüchlein auf: "Detektei Walker, Büro für private Ermittlungen." Eine blecherne Stimme am anderen Ende des Drahtes. "Geben Sie mir Jo Walker... bitte." "Mit wem spreche ich?" "Stevie Kenna." "Tut mir leid, Mr. Kenna. Mr. Walker ist zur Zeit nicht hier. Kann ich Ihnen helfen?" Der V-Mann räusperte sich und überlegte, während er murmelte: "Soso, nicht da. Hm. Was mach' ich jetzt? Bringt mich ganz aus dem Konzept, Miß..." Die Stimme wurde lauter und deutlicher. "Wissen Sie, da war eine Kiste Whisky im Gespräch. Ich weiß nicht, ob Mr. Walker mit Ihnen über mich gesprochen hat. Ich bin ganz versessen auf 'ne Flasche Whisky. Und für 'ne Kiste Würde ich so ziemlich alles tun. Walker war bei mir in der Bar..." "Davon weiß ich", sagte April. "Er wollte von mir hören, wie Delmer Woods neue Anschrift lautet. Ich konnte sie ihm nicht nennen, aber ich versprach ihm, mich ein bißchen umzuhören. Dafür stellte er mir eine Kiste Whisky in Aussicht. Nicht fürs Umhören, sondern für Woods neue Adresse. Tja, was rede ich so lange darum herum. Ich hab' die neue Anschrift, Miß." Es prickelte wie Champagner in Aprils Adern.. "Wenn Sie mir die Adresse nennen, sorge ich dafür, daß Sie Ihren Whisky kriegen, Mr. Kenna." "Ehrlich?" "Hand aufs Herz." "Nun, wenn das so ist... Also der Knabe ist in ein Haus übersiedelt, das in Norwood steht." Kenna nannte die genaue Anschrift. Dann sagte er besorgt: "Und Sie vergessen doch hoffentlich nicht, Mr. Walker an sein Versprechen zu erinnern, nicht wahr, Miß?" "Ganz bestimmt nicht, Mr. Kenna." "Dann bin ich ja beruhigt", atmete Kenna erleichtert auf. Es klickte in der Leitung. April Bondy flitzte von ihrem Schreibtischstuhl hoch. Jo war nicht da. Eine günstige Gelegenheit, mal wieder selbst ins Geschehen einzugreifen. Die blonde Sekretärin eilte in Walkers Allerheiligstes. Sie schrieb eine kurze Nachricht auf ein Blatt Papier und verließ dann tatendurstig die Detektei.
* Garling sah aus, als hätte er versucht, sich einer Grislybärin unsittlich zu nähern. Er war zerkratzt und verschrammt, hatte ein Pflaster über dem linken Auge, eines an der rechten Wange und eines unter dem Kinn. Seine muskulösen Schultern hingen nach vorn. Er wirkte unglücklich und deprimiert. Jo Walker bearbeitete den Mann seit fünfzehn Minuten, doch John Garling wollte den Mund nicht aufmachen. Er hatte Angst. Angst, daß Wood und Becht wiederkommen würden. Er brauchte es nicht zu sagen. Jo wußte auch so, daß die beiden bei ihm gewesen waren, um ihm auf ihre Weise ins Gewissen zu reden. Bei dieser Begegnung war er trotz allem noch besser weggekommen als Robert Vicker und Sam Orissa. Kommissar X legte seine Karten offen auf den Tisch. Was er, wußte, erzählte er Garling. Copyright 2001 by readersplanet
Der Boxer reagierte nicht. In seinen Augen glühte ein Lämpchen. Angst! schrie es immer wieder. Angst. Angst. Angst. Jo fuhr mit seiner Seelenmassage fort. "Gestern nacht hatte ich Besuch von Delmer Wood und Martin Becht." Garling schaute Jo verwundert in die Augen. "Und das haben Sie überlebt?" "Sie wollten mich killen", sagte Jo hart. "Aber sie haben es nicht geschafft. Wood hat Becht erschossen. Ein Unfall, der mir das Leben rettete. Becht starb statt mir." Der Ausdruck in Garlings Augen veränderte sich. Freude war plötzlich in ihnen. Freude über den Tod des verhaßten Gangsters. Triumph! Jo Walker nützte diese Stimmung sofort geschickt aus. "Wood ist allein naturgemäß nur halb so gefährlich." Erstmals eine Reaktion von Garling: er nickte. Jo fragte eindringlich: "Möchten Sie immer noch, daß ich Sie in Ruhe lasse, Mr. Garling? Soll ich immer noch gehen?" Der Boxer schüttelte kaum merklich den Kopf; kaum hörbar, sagte er: "Bleiben Sie, Mr. Walker. Ich möchte mit Ihnen reden." Jo grinste breit. "Dazu bin ich hier. Sie hatten Besuch von Wood und Becht, das sieht man." Walker wies auf die Schrammen und blauen Flecken in Garlings Gesicht. Mit belegter Stimme murmelte der Boxer: "Sie wollten mich für ihre niederträchtigen Schiebungen haben. Ich habe entrüstet abgelehnt. Da kamen sie gestern wieder. Sie traten mich zuerst mit ihren Füßen. Dann zertrümmerten sie einen Teil meiner Wohnungseinrichtung. Und als ich dann immer noch nicht auf ihre Forderungen einging, drohten sie mir, mich zu verstümmeln." Garling wischte sich den Schweiß, den ihm die Erinnerung auf die Stirn trieb, mit einer schnellen Handbewegung ab. "Sie hatten die Absicht, mir die Sehnen meiner Hand durchzutrennen." Kommissar X schüttelte entrüstet den Kopf. "Diese Schweine!" "Ich hatte entsetzliche Angst um meine Hände." "Das kann ich verstehen", sagte Jo ernst. "Ich hatte keine andere Wahl. Ich mußte einwilligen. Sie hätten es getan, Mr. Walker. Sie waren drauf und dran, es zu tun." Jo nickte. "Verstehe." Der Detektiv massierte nachdenklich sein Kinn. Es war so still im Raum, daß man eine Stecknadel zu Boden fallen gehört hätte. Nach einer Weile meinte Jo vorsichtig: "Mr. Garling...ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen..." "Ja?" Der Boxer hob interessiert den Kopf. "Wenn die Sache für Sie zu gefährlich ist, dann lehnen Sie getrost ab", sagte, Jo. "Ich würde Ihnen das nicht übelnehmen. Im Gegenteil, ich würde das verstehen." "Lassen Sie Ihren Vorschlag hören, Mr. Walker", verlangte Garling. Jos Augen verengten sich. Er schwieg drei Atemzüge lang. "Könnten Sie den Mut aufbringen, die Einwilligung, die Sie gestern den beiden Killern gegeben haben, zu widerrufen?" Garling erschrak. Er wurde bleich. Verwirrt nagte er an seiner Unterlippe. Er war sich der Gefahr bewußt, die ihm drohte, wenn er auf Walkers Vorschlag einging. Besorgt blickte er auf seine Hände. Die setzte er dabei aufs Spiel. Die Hände, oder gar sein Leben. Auf der einen Seite stand der Umstand, daß man solchen Gangstern trotzen sollte. Auf der anderen Seite aber stand die Tatsache, daß man damit sein Leben aufs Spiel setzte. Wie sollte sich Garling entscheiden? Für sein Leben - und damit für die Gangster? Was für ein Leben war das dann noch? John Garling trug innerlich einen schweren Kampf aus. Den schwersten, den er jemals durchzustehen hatte. "Ich würde", sagte Jo, um dem Boxer die Entscheidung leichter zu machen, "von dem Moment an, wo Sie Larreck und der ganzen Brut die glatte Abfuhr erteilt haben, nicht mehr von Ihrer Seite weichen. Ich wäre Ihr Leibwächter. Ihr Schutzengel. Tag und Nacht." Copyright 2001 by readersplanet
"Wood wird wiederkommen", sagte Garling heiser. Jo nickte. "Das erwarte ich. Es war mir bis zur Stunde nicht möglich, herauszufinden, wo er untergekrochen ist. Also muß ich ihn auf diese Weise aus seinem Versteck locken." Garling hüstelte nervös. "Wird er allein kommen? Was meinen Sie?" "Er war auf Becht eingespielt. Becht lebt nicht mehr..." "Er könnte sich einen anderen Komplicen zulegen", sagte Garling. "Die Möglichkeit besteht natürlich. Fragt sich nur, ob er so schnell einen vollwertigen Ersatz für Becht auftreiben kann. Mein Gefühl sagt mir, daß er allein kommen wird." "Hierher?" "Zu Ihnen." Jo nickte. "Und was dann?" "Dann schnappt die Falle zu." "Dann haben Sie Delmer Wood, aber nicht den Mann hinter Bing Larreck", sagte Garling. Jo schmunzelte kühl. "Wenn ich Delmer Wood habe, kriege ich auch den Mann hinter Larreck, dessen bin ich ganz sicher." Der Boxer atmete tief durch. "Okay, Mr. Walker. Ich werde Larreck anrufen." "Sie sind ein tapferer Junge." "Bringen wir's schnell hinter uns, sonst verläßt mich mein Mut wieder", stöhnte John Garling. Jo nickte. "Okay, John. Ich sage Ihnen jetzt, was Sie Larreck erzählen werden..."
* Norwood. April Bondy bezahlte den Fahrpreis und stieg aus dem gelben Taxi. Den Rest des Weges legte sie zu Fuß zurück. Ein Mann schnipselte mit seiner riesigen Gartenschere an einem winzigen Busch herum. Auf dem nächsten Grundstück sprengte jemand seinen Rasen. Nicht mit Dynamit, sondern so, wie es üblich war. Das übernächste Grundstück wäre zu kaufen gewesen. Eine an gut sichtbarer Stelle angebrachte Tafel verkündete das in schlichten Worten. Und dann kam die Adresse, die Stevie Kenna der Detektiv-Volontärin genannt hatte. Es gab keinen Zaun, keine Hecke, die das Grundstück einfriedete. Jedermann schien hier willkommen zu sein. Im Postkasten steckte die Reklameflut von mehreren Wochen. April ging achtlos daran vorbei. Das war also das Haus, in dem Delmer Wood wohnen sollte. Wood, der Killer. Wood, der Komplicenmörder. Ein Haus mit blütenweißen Wänden. Die Tür mit einer getriebenen Kupferplatte ausgelegt. Eine große Leuchte mit gelbem Glas hing darüber. April überlegte, wie sie Wood am gründlichsten überfahren konnte. Sie mußte sich das Überraschungsmoment zunutze machen. Wenn Wood die Tür aufschloß, mußte sie ihm schon ihren Knaller unter die Nase halten. Vorausgesetzt, daß er überhaupt zu Hause war. Neugierig wandte sich die blonde Detektiv-Volontärin von der Tür ab. Sie huschte auf eines der Fenster zu und warf einen Blick in das Haus. Niemand war zu sehen. April erreichte die Terrassentür. Sie stand offen. Ein Mann wie Delmer Wood wußte von sich selbst, wie schlecht die Welt war. Er schloß bestimmt vor dem Weggehen alle Türen und Fenster. Die Überraschung würde ihn wie ein Keulenschlag treffen, wenn April ihm in seinem Schlupfwinkel gegenübertrat. Schnell, aber vorsichtig betrat sie den großzügig ausgestatteten Living-room. Und dann war es an ihr überrascht zu sein, denn plötzlich drückte sich ein verdammt harter Gegenstand in ihren schmalen Rücken. Sofort dachte April an Jo, der ihr bestimmt wieder tüchtig den Kopf waschen würde, wenn sie mit dieser Situation nicht allein fertig wurde. Aus Copyright 2001 by readersplanet
diesem Grund fand sie sich mit ihrer Lage nicht einfach ab. Sie zuckte urplötzlich herum. Ihre Handkante traf Woods Hals. Der Gangster machte einen Schritt zurück. April setzte nach, wie sie es gelernt hatte, doch Delmer Wood hatte einen absolut unorthodoxen Kampfstil. Er schlug einfach mit dem Lauf seines Revolvers zu. Der Schlag riß April Bondy zu Boden, und ehe sie es verhindern konnte, stand der Gangster giftig grinsend über ihr. "Ist das eine gelungene Überraschung", höhnte der Killer. "April Bondy! Ein nützlicheres Vögelchen hätte mir gar nicht zufliegen können!"
* Nach der leckeren Trüffelschokolade schob sich Seth Bouchet zwei köstliche Rumpastillen in den Mund. Er verdrehte genießend die Augen und seufzte. "Mmh. Göttlich. Zum Teufel mit Dr. Husner, der nichts anderes kann, als einem alles verbieten. Zum Teufel mit der verdammten Hypertonie, die Dr. Husner erfunden hat, um ein Schreckgespenst an die Wand malen zu können. Soll er mich treffen, der Schlag - in vierzig Jahren." Der fette Bouchet kicherte amüsiert. Sein schwabbeliger Bauch hüpfte vergnügt. Und Bouchet futterte weiter die phantastischen Rumpastillen. Das Telefon meldete sich. "Ja?" bellte Bouchet in die Membrane. "Ah. Larreck. Was gibt's?" Larreck war hörbar aufgeregt. Die Wut zwang ihn, zu schreien. Bouchet verzog verdrossen das Gesicht und hielt den Hörer etwas von seinem Ohr weg. "Ich hatte gerade einen Anruf von Garling", plärrte Bing Larreck. "Der Satan soll seine Seele fressen." "Er hat sich doch gestern einverstanden erklärt, mit uns gemeinsame Sache zu..." "Er hat widerrufen!" schrie Larreck zornig. Seth Bouchet wuchtete seine Massen gereizt nach vorn. "Verdammt, Larreck, wir sind doch nicht im Kindergarten! Weiß er nicht, was mit ihm geschieht, wenn er sich weigert..." "Er weiß Bescheid." "Trotzdem weigert er sich?" "Er sagte, wir könnten ihm alle den Buckel runterrutschen. Er würde überhaupt nicht mehr in den Ring steigen. Dazu habe er sich in der vergangenen Nacht durchgerungen. Der Boxsport sei für ihn gestorben: Wir könnten John Garling vergessen." "Oho, so einfach darf sich der Junge das aber nicht machen!" sagte Bouchet erzürnt. "Wir haben mit ihm eine Vereinbarung getroffen, zu derer nun - verflucht noch mal - stehen muß!" "Er lacht Sie aus, wenn Sie ihm damit kommen!" Bouchets Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er schnaufte. "Ich werde dafür sorgen, daß ihm das Lachen gründlich vergeht. Wo steckt der Knabe jetzt?" "Zu Hause. Er fängt gerade an, sich sinnlos zu besaufen." "Gut", sagte Seth Bouchet. Er grinste über sein ganzes, feistes Gesicht. "Sehr gut. Hören Sie zu, Larreck. Garling sagte, wir können ihn vergessen. Okay, das werden wir tun." "Heißt das...?" "Ja, Larreck, das heißt es. Wir werden unser Geschäft mit einem anderen Mann, mit einem vernünftigeren Jungen, machen." "Und was wird aus Garling? Der rennt womöglich noch zur Polizei." "Keine Sorge", sagte Seth Bouchet mit einem teuflischen Lächeln. "Dafür wird er keine Zeit mehr haben."
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"Jo Walker weiß, daß ich hier bin!" keuchte April Bondy wütend. Sie lag auf dem Teppich. Delmer Wood hatte sie an Armen und Beinen gefesselt. Jetzt war er dabei, ihren Mund mit einem breiten Pflasterstreifen zuzukleben. Das Mädchen warf den Kopf wild hin und her, aber Wood gelang trotzdem, was er vorhatte. Jetzt lachte er höhnisch. "Das kaufe ich dir nicht ab, Mädchen. Wenn Walker wüßte, wo ich zu finden bin, hätte er sich sicherlich persönlich herbemüht, soviel bin ich ihm bestimmt wert." Das Telefon klingelte. Delmer Wood ließ das Mädchen auf dem Boden liegen und ging an den Apparat. Er meldete sich mit der Telefonnummer. "Garling hat den Verstand verloren!" blaffte Seth Bouchet am anderen Ende des Drahtes. "Was hat er denn gemacht?" fragte Wood erstaunt. "Widerrufen. Er macht jetzt doch nicht mit. Ich will, daß Sie sich sofort um ihn kümmern. Er ist zu Hause. Betrinkt sich da, sagt Larreck. Stopfen Sie ihm das Maul, ehe er uns gefährlich werden kann." "Mach' ich mit dem größten Vergnügen, zu den üblichen Bedingungen." "Das versteht sich von selbst." "Ich fahre gleich los." "Gut", sagte Bouchet. "Es muß ein glatter Schnitt werden." "Wie gehabt", sagte Wood. "Ich verlasse mich auf Sie." "Das können Sie", versicherte Wood. Er legte auf, und wandte sich an April Bondy. "Hab' was Dringendes zu erledigen. Wir beide sehen uns später." Der Killer grinste diabolisch. "Wir werden miteinander noch eine Menge Spaß haben, bevor ich dir den Hals umdrehe, Baby. Kannst dich inzwischen darauf freuen."
* Die Whiskyflasche war fast leer. John Garling hatte sich auf die Wohnlandschaft gefläzt und wartete mit vibrierenden Nerven. Er stellte sich die Zahnräder vor, die er mit seinem Anruf bei Larreck in Gang gesetzt hatte. Eines griff in das andere. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Wood sich hier blicken ließ. Ein Geräusch an der Tür. Da war der Killer schon. Garling schloß die Augen, aber nicht zu fest. Er blinzelte. Aus seinem Mund wehte eine Fahne, hinter der sich das Sternenbanner verstecken konnte. Vor ihm stand die fast leere Whiskyflasche. Daneben ein leeres Glas. Keinen Tropfen hatte Garling zu sich genommen. Er hatte nur tüchtig mit Whisky gegurgelt, damit ihm auch Delmer Woods Nase den Besoffenen abkaufte. Wood trat ein. Er zog noch an der Tür seine Waffe. Erst dann kam er näher. Garling grunzte. Wood richtete die Waffe auf ihn und gab ihm einen Tritt. Garling öffnete verwirrt die Augen. "Du bist doch das größte Rindvieh aller Zeiten!" sagte Wood verächtlich. "Wieso?" fragte Garling lallend: "Geht in deinen dämlichen Schädel denn nicht hinein, was wir mit Robert Vicker gemacht haben, als er uns verschaukeln wollte?" "Sparen Sie sich die Mühe. Sie können mich nicht überreden", sagte Garling schleppend. Delmer Wood lachte schnarrend. "Junge, du bist auf'm Holzweg, wenn du denkst, ich bin hier, um dir klarzumachen, daß du deine Meinung revidieren mußt. Wir haben genug von deinem Wankelmut, mein Lieber. Man hat mich gebeten, dich hinter Robert Vicker und Sam Copyright 2001 by readersplanet
Orissa herzuschicken, was ich hiermit gern tun will." Der Killer hob die Waffe. "Hände hoch, Wood!" Die Stimme peitschte plötzlich scharf durch den Raum. Der Revolvermann begriff, daß er in eine Falle getappt war. Seine Waffe schwang herum. Er wollte sich den Fluchtweg freischießen. Das Mündungsfeuer stach auf Jo zu. Jo federte zur Seite und feuerte zurück. In das Donnern seiner Automatic mengte sich der grelle Schrei des Killers. Jos Kugel war dem Mann in die Brust gedrungen. Der Treffer warf Delmer Wood zurück. Sein Revolver polterte zu Boden, und Wood brach zusammen. Blitzschnell war John Garling auf den Beinen. Mit einem Satz holte er sich die Waffe des Mörders. Einen Moment sah es so aus, als wollte Garling den Revolver auf den Killer richten und ihn leer feuern. Es kostete den Boxer verdammt viel Mühe, nicht abzudrücken. Jo kam heran. Er beugte sich über Delmer Wood und sah sich dessen Verletzung an. "Schlimm?" fragte Wood. Und Angst glänzte in seinen Augen. "Sie werden es überstehen", erwiderte Jo. "Wenn Sie schnellstens ins Krankenhaus geschafft werden." "Rufen Sie an, Walker!" stöhnte Wood mit schmerzverzerrtem Gesicht. "Schnell. Es ist keine Zeit zu verlieren. Rufen Sie an..." "Besser, wir lassen ihn verrecken", knurrte Garling mit haßerfüllter Miene. "Ich sage euch dafür alles, was ich weiß!" krächzte Delmer Wood. "Was alles?" fragte Jo ernst. "Ich weiß, von wem Larreck seine Befehl 'bekommt." "Von wem?" "Rufen Sie an, Walker!" "Sofort. Erst den Namen." "Seth Bouchet. Ein verdammt reicher Bursche, Geschäftsmann mit 'ner lupenreinen Weste. Er hat mir aufgetragen, Garling zu liquidieren. Ich schwör's, daß er mich losgeschickt hat. Einen Ambulanzwagen, Walker. Ich halt' diese höllischen Schmerzen nicht mehr aus." Wood stieß einen langen Seufzer aus. Seine Augen schlossen sich, der Kopf rollte zur Seite. Jo tastete sofort nach dem Puls des Killers. "Tot?" fragte Garling. "Ohnmächtig. Rufen Sie den Krankenwagen. Wir brauchen Wood ,lebend. Er muß noch vor Gericht gegen diesen Mr. Bouchet aussagen." Widerwillig ging der Boxer ans Telefon.
* Sie operierten zwei Stunden. Delmer Wood würde wieder auf die Beine kommen. Jo Walker atmete auf. Es bedrückte ihn jedesmal, wenn ein Mensch durch seine Hand gestorben war, selbst dann, wenn es sich um einen so miesen Kerl wie Delmer Wood handelte. Sein Job war es, straffällige Personen dem Gericht zu überantworten. Als er nach Hause kam, lag ein Zettel von April auf seinem Schreibtisch. Ich kenne Woods Schlupfwinkel, fahre jetzt los und schnapp' ihn mir. Küßchen, April. Jo hatte das Gefühl, jemand hätte ihn mit Eiswasser begossen. Er schüttelte wütend den Kopf. "Dieses Mädchen. Sie macht mich noch wahnsinnig!" Delmer Wood lag im Krankenhaus. Der Mann war nicht vernehmungsfähig. Und April Bondy? Wo um alles in der Welt war jetzt April? Zum Glück meldete sich eine halbe Stunde später Stevie Kenna noch einmal. Er wollte sichergehen, daß er seine Whiskykiste bekam. Jo versprach, die Kiste in den nächsten Copyright 2001 by readersplanet
Tagen persönlich vorbeizubringen. Dann raste er nach Norwood. April Bondy machte nicht gerade, einen sehr glücklichen Eindruck, als er ihr die Fesseln abnahm. "Siehst du endlich ein, daß du hinter dem Schreibtisch besser aufgehoben bist?" fragte er ärgerlich. Ganz nebenbei war er aber ungeheuer froh darüber, das Mädchen wohlauf wiedergefunden zu haben, doch das hätte er in diesem Moment nie und nimmer zugegeben. "Ach, Jo", seufzte April, als sie mit ihrem Chef das Haus verließ. Sie legte den Kopf auf seine Schulter. "Warum bist du bloß so furchtbar streng mit mir? Dir kann getrost mal etwas danebengehen, darüber wird kein Wort verloren. Nur ich... ich darf niemals Pech haben." Jo grinste sie an. "Du Ärmste. Wenn ich mal Zeit habe, werde ich dich ehrlich bedauern." Sie setzten sich in den Mercedes und fuhren nach Manhattan zurück. Zwei Monate später wurden Ted Sahett, Bing Larreck, Delmer Wood und Mr. Seth Bouchet vor Gericht gestellt. Über Sahet wurde eine einjährige Haftstrafe verhängt. Man setzte sie zur Bewährung aus. Bing Larreck und Delmer Wood bekamen lebenslänglich. Mr. Seth Bouchet ging leer aus. Ihn traf der Schlag, noch ehe er vom Gericht abgeurteilt werden konnte...
ENDE
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