Springer-Lehrbuch
Guillaume Lecointre Hervé Le Guyader
Biosystematik Erste deutsche Auflage Aus dem Französischen üb...
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Springer-Lehrbuch
Guillaume Lecointre Hervé Le Guyader
Biosystematik Erste deutsche Auflage Aus dem Französischen übersetzt von Claudia Schön und überarbeitet von Bruno P. Kremer Mit 492 Abbildungen
13
Guillaume Lecointre Museum National d’Histoire Naturelle (MNHN), Paris Hervé Le Guyader Université Pierre et Marie Curie (Paris 6), Paris
Übersetzerin Dr. Claudia Schön, Mannheim Lektorat Dr. Bruno P. Kremer, Wachtberg-Pech
Originalausgabe: Classification phylogénétique du vivant, © Editions Belin – Paris, 2001
ISBN-10 ISBN-13
3-540-24037-3 975-3-540-24037-2
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen un-
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Planung: Iris Lasch-Petersmann, Heidelberg
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Redaktion: Stefanie Wolf, Heidelberg
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© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinn der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.
Umschlaggestaltung: deblik, Berlin Umschlagfotos: links (von oben nach unten): Cyanobakterien (Nostoc sp.), Wildhefen-Mischkultur, männliche Gametangien vom Sägetang (Focus serratus), Bruno P. Kremer, Wachtberg-Pech; rechts: Giraffenfamilie, Gabriela Staebler, Schondorf Satz: SDS, Leimen Gedruckt auf säurefreiem Papier 29/3152/Re 543210
Das Erbe der heutigen Systematik
Vorwort Das vorliegende Werk versucht eine Lücke im Bereich der universitären Literatur zu schließen: Bislang gab es kein Werk, das eine vollständige und zusammenhängende Klassifizierung der Lebewesen bietet, die ausschließlich auf der evolutiven Abstammung basiert. Derartige Abstammungsbeziehungen werden in Stammbäumen dargestellt, die man als Phylogenien bezeichnet. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde es durch die zunehmende Anwendung der so genannten kladistischen Analysemethode, deren große Linien in der Einleitung dieses Werks vorgestellt werden, möglich, einen bereits 1859 von Darwin in seinem Werk „Über den Ursprung der Arten“ formulierten Wunsch zu erfüllen: „… die Schwierigkeiten der Klassifizierung erklären sich, wenn ich mich nicht irre, dadurch, dass das natürliche System auf Abstammung und Modifizierung beruht; die Merkmale, die von den Naturforschern als echte Gemeinsamkeiten zwischen zwei oder mehreren Arten diejenigen sind, die von einem gemeinsamen Elter ererbt worden sind, so dass jede echte Klassifizierung genealogisch sein muss; die Gemeinschaft der Abstammung die versteckte Verbindung ist, die die Naturforscher, ohne es zu wissen, immer gesucht haben – und somit nicht irgendeinen unbekannten Schöpfungsplan darstellt oder eine Äußerung allgemeiner Vorschläge ist oder die einfache Tatsache einander mehr oder weniger ähnliche Objekte zu vereinen bzw. voneinander zu trennen. Genauer gesagt bin ich der Ansicht, dass die Anordnung von Gruppen in der jeweiligen Klasse gemäß ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen und ihres gegenseitigen Unterordnungsgrades streng
Vorwort genealogisch sein muss, um natürlich zu sein.“ Auf diese Weise ist der Aufbau einer Phylogenie – „dem geschichtlichen Verlauf der Abstammung der Lebewesen“ (Darlu und Tassy 1993) – und die Etablierung einer natürlichen Klassifizierung daher ein und dasselbe. Daher präsentieren wir hier die neueren Ergebnisse nach den Maßstäben der Kladistik (oder phylogenetischen Systematik), der einzigen Methode, die den Zugang zu einem zusammenhängenden und systematischen „Entschlüsselungsverfahren“ der Merkmalsevolution der Organismen leistet. Außer dem methodologischen und konzeptionellen Vorsprung, der von der kladistischen Analyse herrührt, haben die Fortschritte der Molekularbiologie – vor allem die Sequenzen biologischer Makromoleküle, die die morphologisch-anatomischen Merkmalen, so wie es hier geschieht, ergänzen – Zugang zu neuen Merkmalen eröffnet. Somit bietet sich die Möglichkeit, Organismen zu vergleichen, die sich a priori nicht ähneln – z. B. Bakterien, Pflanzen, Pilze und Tiere – und sie im selben phylogenetischen Stammbaum zu präsentieren. Zum ersten Mal seit den Anfängen der Biologie hat man nun – ausgehend von einem Stammbaum der Lebewesen, der nahezu unendlich weiter ausgefeilt werden kann – die Mittel, zumindest in groben Zügen die Struktur der gesamten Biodiversität zu skizzieren.
Das Erbe der heutigen Systematik Die traditionellen Klassifizierungen, die noch heute gelehrt werden, gehen sowohl auf den Einfluss von Carl von Linné zurück (1707–1778) als auch von Charles Darwin (1809–1882). Das Erbe Linnés und seiner Epoche drückt sich im Fortbestehen eines
Anthropozentrismus aus, bei dem der Mensch den höchsten Punkt in der Ordnung der Lebewesen einnimmt. Die weiteren Gruppen wurden häufig mittels „negativer“ Vorsilben bezeichnet – beispielsweise Evertebraten, also Nicht-Wirbeltiere, während die Fische als nicht-tetrapode Wirbeltiere bezeichnet wurden. Diese offensichtlichen Widersinnigkeiten erklären sich aus dem Kontext einer Epoche, in der die Naturphilosophie den damaligen Evolutionsphilosophien entgegengesetzt war: der Essentialismus und Fixismus im Zeitalter Linnés sowie der wissenschaftliche Materialismus und Nominalismus in der Epoche Darwins. Das Erbe Darwins hat indessen bedeutende Änderungen bewirkt. Die Phylogenie muss, gemäß dem 1866 durch Ernst Haeckel (1834– 1919) eingeführten Begriff, eine natürliche, wissenschaftlich gültige Klassifizierung widerspiegeln. Darwin besaß noch nicht die konzeptionellen Werkzeuge, um strikt phylogenetische Klassifizierungen zu entwickeln, innerhalb derer Gruppen wie die Evertebraten oder die Fische keinen Platz gehabt hätten. Diese konzeptionelle Revolution war das Werk des deutschen Entomologen Willi Hennig (1913-1976), der die phylogenetische Systematik begründete, die man auch als Kladistik bezeichnet. Dies ist die einzige Methode, die ausschließlich monophyletische Gruppen erzeugt, d. h. Gruppen, die jeweils einen Vorfahr sowie die Gesamtheit von dessen Nachfahren enthält. Nach der Publikation seines Meisterwerkes im Jahr 1950, das zunächst in deutscher Sprache erschien, und vor allem nach dessen Übersetzung ins Englische im Jahr 1966, änderten die Systematiker auf der ganzen Welt zunehmend ihre Arbeitsweise: So wurde das Ziel Darwins mehr als ein Jahrhundert später schließlich doch noch erreicht. Heute V
Struktur des Buches gibt es keine vergleichende, seriöse Analysemethode anatomischer Merkmale mehr, die nicht dieser Lehre entspricht. Wie wir im Folgenden sehen werden, ist diese Situation bei der Analyse molekularer Merkmale weniger deutlich. Im Laufe der vergangenen 30 Jahre hat die phylogenetische Systematik die biologischen Klassifizierungen völlig umgekrempelt. Sie erlaubt nun ein wesentlich besseres Verständnis der Strukturierung biologischer Vielfalt, die nur durch die Phylogenie wirklich verständlich sein kann – auch wenn es hierbei noch viel zu tun gibt.
Die phylogenetische Systematik im Unterricht Trotz spektakulärer Fortschritte und obwohl die phylogenetischen Klassifizierungen in den Labors vorherrschen, werden von der Grundschule bis zur Universität noch weithin die traditionellen Klassifizierungen unterrichtet und auch in den Medien verbreitet. Dennoch weiß man heute, dass die traditionelle Klassifizierung mit vielen falschen Vorstellungen einhergeht: So wird beispielsweise die Biodiversität als linear organisiert angesehen. Nach den Ansichten des Finalismus und des Anthropozentrismus erscheint die biologische Evolution als eine Serie von Verbesserungen, die ihren Höhepunkt im Menschen erreicht. Der Zusammenhang zwischen Verwandtschaft und dem Begriff des Vorfahren bleibt schlicht unverstanden. Das Konzept vom lebenden Fossil wird beibehalten. Diese archaische Vorstellung von Systematik geht auf einen Essentialismus zurück, den zusätzlich eine Fassade aus Positivismus schönt – im Verbund mit einer Mischung aus gängigem und speziellem Vokabular (man denke an die Worte VerwandtVI
Vorwort schaft, Vorfahr etc.). Diese Mischung kann beispielsweise innerhalb einer Phylogenie zu einer naiven Auffassung einer Stammesgeschichte führen. Daher sind die Gymnasiallehrer heute in einer schwierigen Situation. Sie selbst haben die traditionelle Klassifizierung erlernt und sollen nun – so schnell wie immer, was ein gewisses Können erfordert – einer dreizehnten Klasse erklären, wie man eine Phylogenie im modernen Wortsinn aufbaut. Dabei müssen sie feststellen, dass ihre traditionelle Klassifizierung keinerlei phylogenetischen Sinn aufweist. Um die Ablösung der Begriffe Reptil, Fisch, Evertebrat vernünftig zu vollziehen (die Erfahrung zeigt, dass die Unlogik dieser „Nicht-Gruppen“ für die Schüler der 13. Klasse leicht zu erfassen ist), sind die Lehrer an einem Basiswerk interessiert, das in einer Gesamtübersicht die phylogenetische Systematik der Lebewesen präsentiert. Auch an der Universität führt die Beharrlichkeit des Systems fallweise dazu, dass in den Anfangssemestern immer noch eine traditionelle Klassifikation der Lebewesen gelehrt wird, obwohl dies völlig überholt ist. Dennoch wird sich beim längst fälligen Wechsel die neue Sicht durchsetzen. Möge dieses Werk Lehrende und Lernende dabei begleiten. Dieses Buch wendet sich somit an die Gymnasiallehrer, die die schwere Aufgabe haben, ihr Wissen auf den neuesten Stand zu bringen, ohne einen schnellen Zugang zu einer umfangreichen wissenschaftlichen Bibliographie oder zu einer vollständigen und exakten Gesamtübersicht zu haben. Dieses Werk richtet sich aber ebenso an Studierende des Grund-, Haupt und Postgraduiertenstudiums sowie an die Hochschullehrer und die nicht-phylogenetisch arbeitenden Wissenschaftler. Nicht
zu vergessen sind passionierte Autodidakten der Systematik sowie naturwissenschaftlich interessierte Laien, die hier sowohl eine Phylogenie als auch eine Klassifizierung vorfinden – und somit, wie wir hoffen, die faszinierende Vielfalt der Lebewesen noch besser verstehen lernen.
Struktur des Buches Der Stammbaum des Lebens, den wir in diesem Buch vorstellen, entspricht einer verschachtelten Serie von Gruppen (oder Klada). Kein lebender Organismus wurde ausgeklammert: Jeden erdenklichen Organismus findet man in dem einen oder anderen Kladon wieder. Einige Phyla werden jedoch ausführlicher beschrieben als andere. Wir wollen eine Phylogenie der Lebewesen zeichnen, indem wir auf die für den Unterricht bedeutendsten Gruppen „zoomen“ – beispielsweise auf die Metazoen. Aus Platzgründen sind einige Klada nicht in eigenen Kapiteln aufgeführt – trotz ihrer zahlenmäßig beachtlichen Bedeutung (z. B. Hexapoda, Angiospermae, Teleostei etc.). Eine Phylogenie dieser Klada ist jedoch im Anhang aufgeführt, ohne allerdings die Merkmalsdetails zu benennen, die sie jeweils auszeichnen. Eine solche Synthese ist ein kühnes Unterfangen. Immerhin können die Meinungen über die phylogenetische Stellung einer bestimmten Gruppe weit auseinander gehen. Wenn man die Hinweise aller Wissenschaftler berücksichtigt hätte, würden sich die meisten Verzweigungen im Stammbaum des Lebens in Multifurkationen auflösen, dann aussehen wie die Zinken eines Rechens und ein Bild davon geben, wo überall man sich nicht entscheiden konnte. Die Hinweise aller Wissenschaftler zu beachten wäre somit nicht im Sinne
Struktur des Buches der Leser gewesen. Wir mussten daher Entscheidungen treffen, und zwar nach bestimmten Kriterien, die im Folgenden aufgeführt werden. Wenn wir zwischen mehreren widersprüchlichen Stammbäumen wählen mussten, haben wir demjenigen, der aus einer kladistischen Analyse resultiert, den Vorzug vor einem Stammbaum gegeben, der lediglich die Meinung nur seines Autors widerspiegelt. Bei einem kladistischen Stammbaum ist die Analyse transparent, da wir dort die formalisierten Daten (häufig morphologische Merkmale) sowie die Auswahlkriterien für diesen Stammbaum gemeinsam anordnen – was wiederum der Logik dieses Buches entspricht. Wenn die morphologischen und anatomischen Daten zu einem anderen Stammbaum als die molekularen Daten führen, haben wir von Fall zu Fall entschieden.Wenn die morphologischen Daten viele innere Widersprüche enthalten, haben wir uns für den Stammbaum entschieden, der auf den molekularen Daten beruht. Diese Vorgehensweise kann jedoch auch zu schweren Artefakten führen. Daher waren wir gegenüber diesem Datentyp extrem misstrauisch. Häufig wurden die Ergebnisse der molekularen Phylogenien nur dann berücksichtigt, wenn die zu berücksichtigende phylogenetische Hypothese durch mehrere, auf unabhängigen Genen basierende Studien bestätigt worden war. Dieses Auswahlkriterium übertrifft alle anderen technischeren Kriterien (siehe Einleitung: verwendete Rekonstruktionsmethode, Länge des fraglichen Astes, statistische Robustheit der Schlussfolgerung, assoziierte Homoplasie, Gefahr der Entstehung eines Artefakts in Form einer Annäherung zwischen mehreren Ästen oder in Form eines symplesiomorphen Zusammenschlusses etc.). In manchen Fällen ist der Konflikt zwischen den
Vorwort Analysen so groß, dass konkurrierende Ergebnisse dargestellt werden müssen. So haben wir uns entschieden, das Kladon der Anthophyten beizubehalten, das die Gnetophyten und die Angiospermen zusammenfasst, trotz einiger neuerer widersprüchlicher Ergebnisse der molekularen Phylogenien. Doch haben wir auch die alternative Verzweigung dargestellt. Multifurkation haben wir nur in zwei Fällen vorgeschlagen: Einmal, wenn Daten fehlen, und ein weiteres Mal bei großen Widersprüchen – ohne Zuverlässigkeitsgarantie der widersprüchlichen Stammbäume, was noch seltener der Fall ist. Einige Gruppen schließlich haben eine unbestimmte phylogenetische Stellung. Wir haben sie mit Fragezeichen versehen und auf die uns am vernünftigsten erscheinende Art in den Stammbaum gesetzt. Einige Klada wurden ans Astende gesetzt, andere bilden „interne Knoten“ im Stammbaum. Jeder ist Teil eines synthetischen Blattes, das ihn anhand seiner exklusiven Merkmale definiert. Jeder Name eines Taxons wird durch ein kleines Bild illustriert. Aus Platzgründen haben wird die Fossilien nicht mit aufgenommen. Die Blätter der „Astspitzen“ bestehen aus sieben Rubriken (Allgemeines; Spezielle Merkmale; Anzahl der Arten; Ältestes bekanntes Fossil; Vorkommen; Ökologie; Beispiele). Die als „interne Knoten“ bezeichneten Blätter bestehen aus denselben Rubriken außer „Allgemeines“ und „Ökologie“ – dies nur, um redundante Information zu vermeiden. Wir haben für die Namen der Taxa eine moderne Schreibweise gewählt. Die Größe der Organismen wird als Durchschnittsgröße angegeben. So hat Callithrix jacchus eine Körpergröße (Gesamtlänge des Körpers einschließlich des Kopfes) von 19–21 cm, und eine Schwanzlänge von
25–29 cm. Bei Organismen mit Dauerwachstum ist die maximal bekannte Größe angegeben. Allgemeines Wenn eine Gruppe durch neu hinzugekommene Merkmale (oder Synapomorphien) definiert wird, interessiert man sich nur für einen bestimmten Punkt in ihrer Anatomie oder in ihren Genen – nur für die Bereiche also, in denen es Neuerungen gibt. Die Synapomorphie ist keine allgemeine Beschreibung einer Gruppe. Eine allgemeine Beschreibung besteht darin, umfassende Informationen über das Aussehen der Arten zu geben, die das Kladon bilden, ohne die Unterschiede zwischen den abgeleiteten Merkmalen (Synapomorphien) und den ursprünglichen Merkmalen (Symplesiomorphien) zu betrachten. Spezielle Merkmale Hierbei handelt es sich um die Beschreibung der Synapomorphien – um die Argumente also, die für die Monophylie einer Gruppe sprechen. Genauer gesagt werden hier abgeleitete Merkmalszustände beschrieben. Häufig wird der ursprüngliche Zustand des Merkmals (der außerhalb des Kladons auftritt) ebenfalls beschrieben, um die Neuerung besser einschätzen zu können. Das Adjektiv „speziell“ bedeutet „speziell bei diesem Kladon“. Es kann jedoch vorkommen, dass ein Merkmalszustand dazu dient, ein Kladon zu definieren und gleichzeitig zuzulassen, dass eine Konvergenz in einem anderen, entfernten Kladon aufgetreten sein könnte. So sind beispielsweise die Mesaxonia (Tapir, Pferd, Nashorn) durch die Tragachse ihres Hinterbeins definiert, die durch den 3. Zeh verläuft und mit einer Reduktion der seitlichen Zehen einhergeht. Doch ist dieser Aufbau ebenfalls bei den Litopterna aufgetreten – fossilen VII
Struktur des Buches Huftieren aus Südamerika, die nicht direkt mit den Mesaxonia verwandt sind. Es kann auch vorkommen, dass der Merkmalszustand, der ein Kladon definiert, sekundär von einem Teil des Kladons abgeleitet sein könnte. Ein Tetrapode besitzt beispielsweise eine fünffingrige, der Fortbewegung dienende Gliedmaße. Einige Tetrapoden-Klada haben jedoch diesen Merkmalszustand abgewandelt: Die Vögel besitzen 4 Zehen, die Pferde haben nur noch einen einzigen Zeh. Die Embryologie deckte auf, dass diese sekundäre Anordnung ursprünglich von einer pentadactylen Gliedmaße ausgeht. Anzahl der Arten In dieser Rubrik findet der Leser die Anzahl der heute bekannten und bestimmten Arten. Es handelt sich hierbei somit nicht um eine Schätzung der tatsächlich lebenden Arten – die die Zahl der beschriebenen Arten sowie die geschätzte Zahl von Arten umfassen würde, die erst noch beschrieben werden müssen. Bei Klada, die große Organismen enthalten, gehen diese beiden Zahlen ineinander über. Bei anderen Klada, beispielsweise den Nematoden oder den Eubacteria, sind sie sehr unterschiedlich. Wenn man das Ineinandergreifen bzw. die Verschachtelung der Klada berücksichtigt, addieren sich die Artenzahlen, wenn man den Stammbaum von den Spitzen der Zweige bis zur Wurzel hin durchläuft. Die Anzahl der Arten ist bei einigen Klada sehr genau bekannt, während es sich bei anderen nur um einen Näherungswert handeln kann, da dort keine neue Bestandsaufnahme durchgeführt worden ist – obwohl wir auch dazu übergegangen sind, genaue Zahlen zu weniger genauen Zahlen hinzu zu addieren. Es mag absurd erscheinen, die Zahl der Metazoen bis auf die letzte Einheit zu VIII
Vorwort bestimmen. Dennoch ist es genau das, was wir hier vorschlagen, da wir uns entschlossen haben, die Logik des Ineinandergreifens der Klada zu berücksichtigen. Ältestes bekanntes Fossil Auf das älteste bekannte Fossil eines Kladons hinzuweisen, erscheint einfach. Doch weisen wir in dieser Rubrik an manchen Stellen auf verschiedene Fossilien hin, wenn dieses Kladon fossile Schwesterlinien besitzt. So haben wir beispielsweise im Kapitel über die heute lebenden Säugetiere das älteste Fossil einer jeden „Ordnung“ (darunter der Carnivoren) hinzugefügt. Die Carnivoren lösen sich allerdings nicht nur von den anderen Säugerordnungen: Die Linie, die sich von den anderen rezenten Ordnungen der Mammalia löst, heißt nicht „Carnivora“, sondern „Ferae“ und umfasst die Carnivoren und die Creodonten (die ausschließlich fossil sind). Wir weisen also auf das älteste bekannte Fossil des Kladons (im engeren Sinne) hin – sowie auf das älteste Fossil des umfassenderen Kladons, das auch die Fossilen enthält. Wenn das Fossil des ersten Kladons das älteste der gesamten Linie im weitesten Sinne ist, wird nur das älteste Fossil benannt. Vorkommen In dieser Rubrik wird die geographische Verbreitung eines Taxons beschrieben. Einige Beispielfälle widmen sich der Verbreitung fossiler Gruppen. Ökologie In dieser Rubrik beschreiben wir die Lebensweise der Organismen, den Biotop, in dem sie leben, ihre Stellung in der Nahrungskette, ihre Reproduktionsweisen und ihre Beziehung zum Menschen (z. B. ihre Domestikation). Manchmal ergänzen wir dies durch kleine Anekdoten.
Beispiele Wir führen jeweils sehr viele Beispielarten auf, doch ist es unmöglich, alle zu nennen. Unsere ausgewählten Beispiele spiegeln die größtmögliche taxonomische Palette der einzelnen Gruppe wider. Anhang Die Klassifizierung der zahlenmäßig wichtigen Klada (Pilze, Bedecktsamer, Insekten etc.) sind im Anhang dargestellt. Aus Platzgründen sind diese Phylogenien nicht auf jeweils separaten Seiten aufgeführt. Einige Gruppen der traditionellen Systematik (z. B. Prosimia, Reptilien, Fische, Evertebraten, Acoelomaten, Gymnospermen etc.) fehlen in diesem Buch vollständig, da sie keine monophyletischen Gruppen sind. Um es dem Leser dennoch zu ermöglichen, auch diese Gruppen zu finden, sind diese „traditionellen“ Hauptgruppen, die den phylogenetischen Analysen nicht standgehalten haben, in den Anhängen mit der Bezeichnung „Wo stehen sie?“ aufgeführt. Am Ende des Buches findet der Leser darüber hinaus ein Glossar, das die wichtigsten methodologischen und technischen Begriffe erläutert. Ein solcher Gesamtüberblick läuft Gefahr,schnell überholt zu sein.Doch sollte man den Gedanken beiseite legen, die Klassifizierungen seien unveränderlich. Wir sind der Meinung, dass die natürliche Klassifizierung die Geschichte der Lebewesen so zuverlässig wie möglich widerspiegeln sollte. Da die Phylogenien dann Widerlegungen offen stehen, können sie sich entwickeln. Sie können sich auf zwei verschiedene Weisen verändern, einerseits dadurch, dass Multifurkationen aufgelöst werden können, und andererseits dadurch, dass Äste des Stammbaums ihren Platz verändern. In all diesen Fällen wird das Wissen anwachsen. Spätere Auflagen dieses Buches wer-
Danksagungen den Fortschritte in der Systematik so weit wie möglich berücksichtigen.
Danksagungen Zu diesem Buch haben zahlreiche Kollegen mit ihrer Meinung, mit Ratschlägen und Hinweisen beigetragen. Bedanken möchten wir uns bei: Véronique Barriel, Marie-Laure Bonnet, Nicole Boury-Esnault, Céline Brochier, Christiane Denys, Agnès Germot, Annick Le Thomas, Purificacion Lopez-Garcia, Noëlle Narradon, Denise Pons, Florence Rousseau, Anne-Marie Slézec, Géraldine Véron. Bertrand Bed Hom, Thierry Bourgoin, Jean Broutin, Gilles Cusin,
Vorwort Bruno David, Benoît Dayrat, Éric Denamur, Jean Deutsch, Jim Doyle, Jean-Yves Dubuisson, Georges Ducreux, Jean-Pierre Féral, Daniel Frydman, Jean-Michel Gibert, Cyril d’Haese, Jean-Loup d’Hondt, Philippe Janvier, Hervé Laboulle, Patrick Luckett, Michaël Manuel, François Meunier, David Moreira, Éric Pasquet, Fredrik Pleijel, Éric Quéinnec, Bruno de Reviers, Marc-André Sélosse, Michel Tranier, Nicolas Vidal. Besonders erwähnt seien an dieser Stelle die Mitglieder des AIMPM (Georgevitch Miloch, Armand de Ricqlès, Pascal Tassy, Simon Tillier, John Wade). Die Autoren und die Illustratorin danken Agnès, Marie-Françoise und Pascal für ihre Unterstützung wäh-
rend der gesamten Entstehungszeit dieses Buches. Alle etwaigen Fehler oder Ungenauigkeiten dieses Buches werden selbstverständlich von den Autoren verantwortet. Dieses Projekt hätte nicht erfolgreich durchgeführt werden können ohne die Unterstützung durch das Ministère de l’Éducation Nationale, de l’Einseignement Supérieur et de la Recherche, genauer der Direction de l’information scientifique des technologies nouvelles et de bibliothèques sowie ohne die Unterstützung des Centre National du Livre. Guillaume Lecointre Hervé Le Guyader
IX
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Kapitel 1 Lebewesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
Kapitel 2 Bacteria. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
Kapitel 3 Archaea. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
Kapitel 4 Eucarya . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100
Kapitel 5 Chlorobionta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164
Kapitel 6 Embryophyta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
194
Kapitel 7 Metazoa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
238
Kapitel 8 Protostomia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
266
Kapitel 9 Mollusca . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
336
Kapitel 10 Euarthropoda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
374
Kapitel 11 Deuterostomia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
404
Kapitel 12 Actinopterygii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
440
Kapitel 13 Sarcopterygii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
460 XI
Inhaltsverzeichnis
XII
Kapitel 14 Mammalia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
508
Kapitel 15 Primates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
616
Anhang . . . . . . . . Allgemeine Literatur Lexikon . . . . . . . . Sachwortverzeichnis
652 666 667 673
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Eine kurze Geschichte der Klassifizierungen
Einleitung 1. Eine kurze Geschichte der Klassifizierungen Der Begriff Taxonomie (oder Taxinomie, vom Griechischen taxis = Ordnung, Anordnung; nomos = Gesetz) wurde 1813 von dem Schweizer Botaniker Augustin-Pyramus de Candolle (1778–1841) vorgeschlagen, um die Wissenschaft der Klassifizierungsgesetze für die verschiedenen Lebewesen zu bezeichnen. Dennoch dauerte es bis zum 19. Jahrhundert, bis eine entsprechende Disziplin entstand, die die Biologen – und vor allem die Botaniker – über viele Jahrhunderte hinweg beschäftigte. Weshalb gerade die Botaniker? Es ist zwar vergleichsweise einfach, die aus praktischen Gründen (wie Fischerei oder Jagd) wichtigsten Tiere zu kennen und sich deren Namen zu merken, doch erfordert die genauere Kenntnis der Pflanzen (und insbesondere der Arzneipflanzen) allein aufgrund ihrer großen Anzahl ein tieferes Verständnis der Materie, das ausschließlich einigen Spezialisten vorbehalten war. Sehr bald wurde es daher aus rein praktischen Gründen nötig, die Pflanzen zu inventarisieren und zu klassifizieren.
Von Aristoteles bis zur Renaissance Der Grieche Theophrast (372-287 v. Chr.), Nachfolger von Aristoteles (385–322 v. Chr.), verfasste eine Geschichte der Pflanzen. Daher kann man ihn als Gründer der Botanik ansehen. Später, im ersten Jahrhundert unseres Zeitalters, verfasste Dioscorides eine botanische Abhandlung in sechs Bänden, die sich der Reihe nach den Gewürz-, Arzneiund Giftpflanzen sowie verschiede-
nen Weinsorten widmete. In der römischen Welt markiert Plinus der Ältere (23–79 n. Chr.) den Beginn. Er ist der Autor einer umfangreichen Historia Naturalis, die in 37 Bänden ebenfalls eine nützliche Klassifizierung bietet. Bis zum 16. Jahrhundert hat man vor allem auf diese drei antiken Autoren zurückgegriffen und sie ausführlich kommentiert. Texte und Zeichnungen wurden hinzugefügt, die Bestimmungsmerkmale wurden präziser, und man stellte Schritt für Schritt fest, dass sich hinter verschiedenen Namen ein und dieselbe Pflanze verbergen kann – oder umgekehrt, dass derselbe Name unterschiedliche Pflanzen bezeichnen konnte. Die Notwendigkeit, Regeln und strengere Prinzipien aufzustellen, wurde immer deutlicher. Eine Sache ist es, Fehler einer Klassifizierung festzustellen, eine ganz andere jedoch, eine Basis festzulegen, auf der eine neue Klassifizierung gegründet werden soll. Das hat eine Reihe von Botanikern – beispielsweise Leonhart Fuchs 1531, Conrad Gesner 1541 und Rudolf Jakob Camerarius 1586 – dazu gebracht, sämtliche bestehenden Klassifizierungen zu verwerfen und die Pflanzen alphabetisch zu klassifizieren – ein a priori unbrauchbares Unterfangen: Wer den Namen einer Pflanze kennt, braucht kein Bestimmungsbuch, und derjenige, der ihn nicht kennt, kann ihn so nicht finden. Glücklicherweise wurde die Botanik jedoch von dem Zeitpunkt, als die Arbeit der Vorfahren nicht mehr als unantastbar galt, auf eine neue Basis gestellt.
Von der Renaissance bis Linné Seitdem gab es eine unglaubliche Fülle von Versuchen, so genannten Systemen oder Methoden. Im 16. und
Einleitung 17. Jahrhundert gab es bereits gut hundert davon. Alle möglichen Bestimmungskriterien wurden ausprobiert: Größe, Grundbauplan, Wurzelform, Blattform etc. und bei Andrea Cesalpino auch Blüten und Früchte. Zwei große logische Linien bestimmten diese Ansätze: Die eine, zurückgehend auf Aristoteles, besteht darin, alle Organismen zusammenzufassen und diese dann entsprechend zuvor definierter Kriterien wiederholt zu unterteilen, bis man bei den einzelnen Arten anlangt. Diese als „divisiv“ bezeichnete Methode verwendet bei jedem Bestimmungsschritt eine Dichotomie, bei der eine der beiden angefragten Eigenschaften in Bezug auf die andere stets auf negative Weise definiert wird, zum Beispiel „Pflanzen mit Blüten/Pflanzen ohne Blüten. Die andere, als agglomerativ bezeichnete Methode besteht dagegen in einer „Zusammenfassung“: Die Arten werden betrachtet und mit den Ähnlichkeitskriterien innerhalb verschiedener Gruppen verglichen. Das Ganze wird dann wiederholt, indem die bereits definierten Gruppen als neue Einheiten verwendet werden, bis man schließlich alle miteinander verglichen hat. Man könnte glauben, dass diese beiden Methoden gleichwertig seien und zum selben Resultat führen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Denn bei der erstgenannten Methode müssen die Kriterien zur Bestimmung a priori ausgewählt werden, während sie bei der zweiten Methode das Resultat der Beobachtung der Organismen sein können. Joseph Pitton de Tournefort (1656–1708), einem Botaniker aus Montpellier, ist der im Jahre 1694 formulierte Vorschlag zu verdanken, die Arten in Gattungen zusammenzufassen. Auf diese Weise kam man zum Begriff der hierarchischen Ebenen, der in der Tat in einigen Punkten der zweiten, oben genannten Klassifizie1
Eine kurze Geschichte der Klassifizierungen rungsmethode entspricht. Diese Ebenen wurden von Carl von Linné (1707–1778) als Reich, Klasse, Ordnung, Gattung, Art und Varietät bezeichnet. Diese Begriffe entwickelten sich, bezogen auf das Tierreich, zu den sieben traditionellen Rängen Reich, Stamm, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung und Art. Gemäß dem Zeitgeist der Epoche musste dabei die Siebenzahl erreicht werden, die als schlicht perfekt galt. In der Folge zeigte sich allerdings, dass diese Einteilung zu starr ist und eine divisive Logik widerspiegelt. In den Gruppen, die man durch die Methode der Zusammenfassung erhält, gibt es a priori überhaupt keinen Grund, jedes Mal sieben zahlenmystische Ebenen zu schaffen. Gegen diese Regel verstieß man darüber hinaus schon bald durch die Einführung von Zwischenebenen (Unterordnungen, Überklassen, etc.). Linné übernahm zwei Vorläufer-Methoden: die erste, divisive Methode für die übergeordneten Taxa und die zweite, agglomerative Methode für die Arten und Gattungen. De Candolle betonte 1835, dass Linné nur auf der Basis dieser Voraussetzung jeden Organismus durch einen Gattungsnamen und einen Artzusatz (Epitheton) benannte. Die danach so bezeichnete binominale Nomenklatur ging aus den Taxa hervor, die er als natürlich betrachtete. Die Systeme und Methoden, die in dieser Epoche zahlreich entwickelt wurden, führten zu einem besonders glücklichen Ergebnis: In den allermeisten Fällen wurden auf den unterschiedlichsten Wegen die großen Familien (Rosaceae, Papilionaceae/ Fabaceae, Umbelliferae/Apiaceae, Gramineae/Poaceae, Orchidaceae etc.) entdeckt. Daher rührt auch die Vorstellung, dass es vielleicht eine natürliche Klassifizierung gibt, die manchmal in der einen oder anderen künstlichen Klassifizierung auf2
taucht. Die Existenz der einzigartigen, natürlichen Klassifizierung selbst führte dazu, dass man an eine Ordung in der Natur glaubte. Entsprechend der Vorstellungen dieser Epoche stellte diese Ordnung die Schöpfung Gottes dar.
Die Suche nach der natürlichen Methode Seit diesem Zeitpunkt verfolgten die Botaniker ein gemeinsames Ziel: eine Methode zu finden, um zu einer natürlichen Klassifizierung zu kommen. Das vor diesem Hintergrund von Bernard de Jussieu (1699–1776) und seinem Neffen Antoine-Laurent de Jussieu (1748–1836) entwickelte Prinzip der schrittweisen Unterordnung der Merkmale stellte eine echte Revolution dar. Bernard de Jussieu war von Ludwig IV. beauftragt worden, den Garten von Trianon aufzubauen – und zwar so natürlich wie möglich. Dazu illustrierte er die Beobachtungen, die Linné 1751 gemacht hatte: Die Pflanzen zeigten untereinander Affinitäten, die denen der Territorien auf einer geographischen Karte ähnelten. Er bemerkte, dass die Merkmale, die auf der selben taxonomischen Ebene verwendet wurden, nicht alle gleichwertig waren: „Die Merkmale in ihrer Gesamtheit dürfen nicht als Einheiten gewertet werden, sondern jedes gemäß seiner relativen Wertigkeit (so als wenn ein einzelnes konstantes Merkmal gleichwertig oder sogar höher als mehrere nichtkonstante Merkmale eingeschätzt würde) vereint zu einem Ganzen.“ Mit anderen Worten: Es ist besser, ein Taxon anhand von wenigen konstanten Merkmalen zu definieren, die aber von allen dort vereinten Arten geteilt werden, als durch viele labile Merkmale, die zu keinem soliden Ergebnis führen. Dieses Prinzip
Einleitung erlaubt es, in der Botanik eine leistungsfähige Klassifizierung zu schaffen, die dann als natürlich angesehen wird. Ende des 18. Jahrhunderts wurde dieses Prinzip von Georges Cuvier (1769–1832) auf das Tierreich übertragen: Dieses gliederte man in vier Äste (Vertrebrata, Arthropoda, Mollusca und Radiata), von denen jeder durch seinen spezifischen Grundbauplan charakterisiert ist.
Von Jussieu zu Darwin Durch die beiden Jussieus und Cuvier wurde eine wichtige Etappe gemeistert: Die Biologen waren nun überzeugt, theoretische Werkzeuge ausreichender Stärke zur Hand zu haben, um damit zu einer akzeptablen Klassifizierung zu gelangen – selbst wenn große Fortschritte natürlich erst in der Folgezeit realisiert wurden. Dennoch war das Grundproblem verschoben: Man musste nun nicht mehr nach einer effektiven Methode suchen, mit deren Hilfe man zu einer natürlichen Klassifizierung kam, sondern jetzt war dieser Klassifizierung vielmehr ein Sinn zu geben. Am Ende der Aufklärung gab es keinen Konsens mehr darin, die natürliche Klassifizierung als eine göttliche Ordnung anzusehen. In seiner im Jahre 1809 erschienenen Philosophie zoologique gab Jean-Baptiste de Lamarck (1744– 1829) dem Transformismus Substanz, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in ziemlich diffuser Form in den Köpfen einiger Philosophen kursierte. Lamarck skizzierte einen ersten instruktivistischen Inspirationsmechanismus für die Transformation der Lebewesen – den man später als Vererbung erworbener Merkmale bezeichnet hat. Da er das Hauptaugenmerk nicht auf die Veränderung der Lebewesen richtete, musste er einen äußeren Einfluss für
Eine kurze Geschichte der Klassifizierungen die organische Veränderung der Lebewesen postulieren. Um die Ideen von Darwin und Wallace zu Variation und Selektion zu begreifen, musste die Aufmerksamkeit auf den Polymorphismus nahe verwandter Organismen innerhalb einer Art gerichtet werden. Die Naturforscher der Lamarck‘schen Epoche beobachteten die absoluten Prototypen und hielten die Variation für eine vernachlässigbare Störung der Ordnung. Die Individuen, die eine Art bildeten, wurden nicht als eigenständige Wesen angesehen, sondern als Inhaber einer essenziellen Eigenschaft der Art, zu der sie gehörten und die a priori als Frucht der göttlichen Schöpfung definiert worden war. Der Essenzialismus verhinderte, dass man sich für die Unterschiede zwischen den Individuen interessierte. Erst Charles Darwin (1809–1882) kehrte dem Essenzialismus den Rücken. Bevor er die Art betrachtete, sah er sich die untereinander unterschiedlichen Individuen an. Durchschnitt und Varianz innerhalb dieser Individuen gaben eine gewisse Vorstellung davon, was eine Art ausmacht. Der Nominalismus Darwins erlaubte ihm, die verborgenen Geheimnisse der Variation aufzudecken, die man früher für vernachlässigbar gehalten hatte. Seitdem lautete die Frage nicht mehr „Warum sind die Lebewesen unterschiedlich?“, sondern „Warum ähneln sie sich trotz dieses Variationspotenzials immer noch?“. Er postulierte, dass dies nicht aufgrund einer (göttlichen) Instruktion der Fall sei, sondern die Folge einer natürlichen Selektion. Das Diktat der Umweltbedingungen begünstigt zu einem bestimmten Zeitpunkt gewisse Varianten: Sie werden zahlreicher, da sie mehr Nachkommen erzeugen als die konkurrierenden Varianten. Eine Veränderung der Umweltbedingun-
gen kann dieses Gleichgewicht verändern: Die Population entwickelt sich im Laufe von Generationen und somit im Laufe ihrer Stammesgeschichte. Hiermit war Darwin bei der Schlüsselvorstellung von der „Abstammung mit Modifikation“ angelangt, die er in seinem Werk Über den Ursprung der Arten (1859) veröffentlichte und die nunmehr die phylogenetische Lehre aufbaute. Nach Darwin war nunmehr der rote Faden durch das Studium nicht der erworbenen Merkmalsveränderungen zu verfolgen, sondern durch das Studium der Veränderungen einzelner Erbanlagen, die an die folgenden Generationen weitergegeben werden. Die Ähnlichkeit zwischen Arten rührt somit von Merkmalen her, die von einer Vorfahrenart ererbt wurden. Daher kommt es auch, dass die Gesamtheit der Nachkommenschaft der verborgene Zusammenhang ist, der die Ähnlichkeit der Arten und somit deren Zusammenfassung im selben Taxon erklärt. Da diese Denkweise auch umgekehrt verwendet werden kann, indem man in der Zeit zurückblickt, könnte man sie auch für eine Klassifizierung einsetzen, die auf einer Verwandtschaftsuntersuchung basiert. Wenn man verschiedene rezente Arten untereinander vergleicht, sind einige Merkmale stichhaltig genug, um eine gemeinsame Abstammung festzustellen. Merkmale, die von einem gemeinsamen Vorfahren ererbt wurden, werden als homolog bezeichnet. Im Gedächtnis der Vergangenheit sind dies die Elemente, mit denen man die Geschichte rekonstruieren kann. Man versteht nun, warum Darwin die Notwendigkeit bekräftigt hat, dass die Klassifizierung der Lebewesen ihrer genealogischen Entwicklung (Phylogenie) folgt. Anders gesagt, die Verteilung der heute beobachteten biologischen Strukturen spiegelt lediglich die lange
Einleitung Geschichte der Lebewesen wider. Dies hat unter anderem Theodosius Dobzhansky (1900–1975) zu seiner berühmten Maxime veranlasst: „Nichts hat einen biologischen Sinn, es sei denn, man betrachtet es im Licht der Evolution.“ Man musste bis zur Ära Darwins warten, um zu begreifen, dass die Ordnung in der Natur das Spiegelbild der Evolutionsgeschichte der Organismen auf dieser Erde ist. Die natürliche Klassifizierung zu finden und die Geschichte der Lebewesen aufzudecken, sind ein und dasselbe Unternehmen. Trotzdem musste man nach diesem fundamentalen konzeptionellen Durchbruch nahezu ein Jahrhundert warten, bis dieser einsatzfähig wurde.
Von Darwin zu Hennig Im Laufe von hundert Jahren bemühten sich die Biologen (ohne eine wirklich explizite Arbeitsmethode zu besitzen), die Klassifikationen ihren Vorstellungen von der Stammesgeschichte (wer stammt von wem ab?) und von der Phylogenie (wer ist mit wem näher verwandt?) anzupassen – was sie übrigens durcheinander brachten. Die Baumstrukturen in Blasenform, die dem amerikanischen Paläontologen A. S. Romer (1884–1973) (Abb. 1) lieb und teuer waren, vermischten so das Verhältnis von Vorfahr und Nachkommen (Genealogie) mit dem Verwandtschaftsverhältnis (Phylogenie). Die Verzweigungspunkte zwischen zwei Gruppen enthielten häufig Vorfahren, die man bei bekannten Fossilien identifiziert hatte. Außerdem baute man gern, im Bemühen um Eklektizismus und Vollständigkeit, nicht allein strikte Merkmalslisten in die Klassifizierung ein, sondern auch adaptative und ökologische Überlegungen sowie Kriterien für die relati3
Eine kurze Geschichte der Klassifizierungen
Einleitung
Abb. 1. Darstellung der Beziehungen zwischen den Taxa unter Einbeziehung der Fossilien bei den Tetrapoden (Vertebrata). a Klassische Darstellung der Beziehungen zwischen den Taxa nach der Auffassung von Alfred Romer. Bei den Fossilien handelt es sich um Cynognathus und Archaeopteryx. b Dieselben Beziehungen aus Sicht der kladistischen Analyse. Amphibien und Reptilien sind voneinander getrennt, um die Monophylie dieser Gruppen zu zeigen. Die Fossilien sitzen, ebenso wie die rezenten Gruppen, am Astende. A: Amphibien; M: Mammalia; O: Vögel; R: Reptilien.
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Eine kurze Geschichte der Klassifizierungen ve Komplexität und die generelle Ähnlichkeit. Das klassische Beispiel sind die Reptilien. Obwohl man bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund der Becken- und Zehenanatomie wusste, dass die Vögel Archosaurier sind, deren Ursprung sich bei den theropoden Dinosauriern finden müsste, unterschlug man diese Abstammung vorerst weiterhin, indem man in der Klassifizierung Vögel und Reptilien voneinander trennte – und zwar mit dem Argument, dass die Vögel mit ihrer Fähigkeit zu fliegen einen „adaptiven Sprung“ vollzogen hätten, der es verdiente, sie in einer eigenen Klasse einzusortieren (Abb. 2). Zu diesem Kriterium sei noch die Tatsache hinzugefügt, dass die einzigen noch heute lebenden Dinosaurier die Krokodile sind – nachdem die Dinosaurier (im klassischen Sinne) bereits ausgestorben sind. Obwohl es mehrere Dutzend anatomischer Strukturen gibt, die nur bei den heute lebenden Vögeln und den Krokodilen vorkommen (gefensterte Kiefer, Muskelmagen etc.), nähern der Grad der globalen Ähnlichkeit und die ökologische Situation die Krokodile und Vögel einander nicht an. Im Gegensatz dazu zieht eine rein phylogenetische Systematik die verwandtschaftliche Ähnlichkeit auf Kosten adaptiver und ökologischer Überlegungen vor. Sie benötigt also eine eigene Gruppe, um diese verwandtschaftliche Ähnlichkeit zu verdeutlichen. Die Vögel sind Archosaurier, Dinosaurier und Theropoden. Die Reptilien bilden kein Kladon, sondern einen Grad, eine Gruppe, die dazu bestimmt ist, einen Komplexitätsgrad aufzuzeigen. Der Grad als solcher wird nie durch ein einzelnes Merkmal definiert, sondern durch dessen Anpassung, und manchmal auch durch dessen zukünftige Entwicklung. Er entspricht also dem Abschnitt der Komplexität, der der
übergeordneten Komplexität des Kladons vorausgeht, das ihm direkt folgt. Der Grad besitzt keine exklusiven Merkmale und definiert sich über das Fehlen von Merkmalen, die in dem Kladon auftreten, das er unterstreicht. Die „Reptilien“ existieren nur deshalb, weil die Vögel und die Säugetiere aus ihnen hervorgegangen sind: Sie sind Amnioten ohne Haare und Federn. Aus kladistischer Sicht sind die Zwischengrade immer paraphyletisch, da sie eines der Glieder besitzen, das mit dem eines außenstehenden Organismus näher verwandt ist, als mit denen innerhalb des Grades. Die theropoden Dinosaurier aus der Gruppe der Dromaeosauria sind mit den Vögeln näher verwandt als jedes andere Reptil. In der heutigen Fauna sind die Krokodile näher mit den Vögeln verwandt als jedes andere Reptil (Schildkröten, Eidechsen, Schlangen, Brückenechsen). Die phylogenetische Systematik (oder Kladistik) wurde von Willi Hennig (1913–1976) im Jahre 1950 begründet und im Laufe der letzten 30 Jahre umfassend weiterentwickelt. Sie hat das Ziel, die evolutiven Verwandtschaften zwischen den Arten aufzufinden, indem diese in monophyletischen Gruppen zusammengefasst werden, d. h. in Gruppen, die einen gemeinsamen Vorfahr sowie die Gesamtheit von dessen Nachkommen enthalten. Dazu schöpft diese Methode mit maximaler Strenge das Darwin’sche Konzept der Vererbung und der Modifikation aus. Wenn in einer untersuchten Gruppe eine erbliche Änderung eines Merkmals auftritt, so weist dieses zwei Zustände auf: das älteste Merkmal einen ursprünglichen und das neue Merkmal einen abgeleiteten Zustand – das Ergebnis einer in neuerer Zeit stattgefundenen Transformation. Das Teilen eines ursprünglichen Zustands (eine Symplesiomorphie) muss nicht berück-
Einleitung sichtigt werden, da er – weil er bereits außerhalb der Gruppe steht – keinerlei Informationen über die unmittelbaren Verwandtschaftsbeziehungen liefert. Untersucht man beispielsweise die Primaten, so stellt man fest, dass alle Primaten Haare besitzen. Obwohl sie diese natürlich von einem gemeinsamen Vorfahren ererbt haben, erlaubt das Auftreten von Haaren nicht, die Primaten zu definieren – und auch nicht eine Untergruppe der Primaten, da Haare bereits innerhalb der Gesamtgruppe der Mammalia auftreten. Der hypothetische Vorfahr, bei dem zum ersten Mal Haare aufgetreten sind, ist auf jeden Fall einer der Vorfahren der Primaten – aber auch der Vorfahr vieler anderer Säugetiere. Innerhalb des Untersuchungsrahmens der Primaten stellt das Auftreten von Haaren ein primitives Merkmal dar, das von allen Mitgliedern dieser Gruppe geteilt wird – eine Symplesiomorphie. Nur wenn mehrere Arten einer untersuchten Gruppe einen abgeleiteten Zustand gemeinsam haben (der das Resultat eines einzigen evolutiven Ereignisses ist, das innerhalb der Gruppe stattgefunden hat), ist dies ein Zeichen dafür, dass einige Mitglieder der Gruppe miteinander verwandt sind. Das gemeinsame abgeleitete Merkmal (Synapomorphie) definiert eine monophyletische Gruppe innerhalb der untersuchten Gruppe. So ist bei den Primaten das Auftreten einer Nase und das Verschwinden der Schnauze eine Innovation, die nur bei den Haplorrhini (Tarsier und echte Affen) vorkommt. Die Kladistik kann bei ihrer Anwendung auf Schwierigkeiten stoßen, da nicht jedes ähnliche Element zwangsläufig ein homologes Merkmal darstellt. Bei einigen Ähnlichkeiten handelt es sich um Konvergenzen – Ergebnisse der Erlangung von Merkmalen, die im Laufe der Evolution unabhängig voneinander erwor5
Eine kurze Geschichte der Klassifizierungen
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Abb. 2. Die Klassifizierung auf Basis der phylogenetischen Systematik (Kladistik) unterscheidet sich von der Klassifizierung auf Basis der generellen Ähnlichkeit (Phänetik) und von der Klassifizierung auf Basis der Anpassung (eklektische Systematik). a Der Komodo-Waran (Varanus komodensis) ähnelt generell dem Krokodil (Crocodylus niloticus), der Vogel (Knäkente, Anas querquedula) ähnelt weder dem einen noch dem anderen.Trotzdem teilt der Vogel spezifische Merkmale mit dem Krokodil, die er nicht mit dem Waran teilt: Dies sind die Innovationen oder Synapomorphien (I). Eine Klassifizierung, die auf der generellen Ähnlichkeit basiert, würde (selbst wenn sie den „adaptiven Sprung“ der Vögel unterstreicht) Waran und Krokodil gemeinsam innerhalb der Gruppe der Reptilien ansiedeln und die Vögel außen vor lassen. Eine Klassifizierung, die auf der gemeinsamen Abstammung basiert (Kladistik), siedelt Krokodil und Vogel innerhalb der Archosaurier an und belässt den Waran in der Gruppe der Lepidosaurier. b Dieselbe Situation wie bei a: Der Waran wird hier durch die Forelle (Salmo trutta) ersetzt, das Krokodil durch einen Lungenfisch (Neoceratodus forsteri), der Vogel durch das Zebra (Equus zebra),Vögel durch Mammalia, Reptilien durch Fische, Lepidosaurier durch Actinopterygii und Archosaurier durch Rhipidistia.
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Eine kurze Geschichte der Klassifizierungen ben wurden – was die phylogenetische Information durcheinander bringt. Das führt fallweise dazu, dass man zu Beginn nur HomologieHypothesen für Merkmale formuliert, da man weiß, dass es sich bei einigen auch um konvergente Merkmale handeln kann. Diese Hypothesen werden stets sehr klar ausgedrückt und sehr häufig codiert. Dann konstruiert man alle möglichen Stammbäume, in die man die evolutiven Ereignisse einträgt – und zwar so, dass sie so unwahrscheinlich wie möglich erscheinen. Dadurch werden identische Merkmalszustände im Stammbaum so dicht wie möglich aneinander gerückt.Wenn man so bei allen der möglichen Stammbäume verfährt, erhält man den „sparsamsten“ Stammbaum – d. h. denjenigen, der die kleinste Zahl an Evolutionsschritten aufweist. Auf diese Weise kann man die zuvor aufgestellten Homologie-Hypothesen bestätigen oder verwerfen. Am sparsamsten Stammbaum festzuhalten bedeutet, die einfachste und die in ihren Transformationshypothesen ökonomischste Darstellung beizubehalten. Doch allein damit ist nichts bewiesen,wenn nicht noch weitere Daten ins Spiel gebracht werden. Der Stammbaum kann ganz oder teilweise bestätigt oder nicht bestätigt werden, indem man weitere Merkmale und/oder Arten hinzufügt. Daher kann man einen phylogenetischen Stammbaum als offenen Vorschlag ansehen. Vor allem aber ist er mit einer transparenten Vorgehensweise verknüpft. Nur wenn viele übereinstimmende Ergebnisse vorliegen, kann man auf die Zuverlässigkeit des vorgeschlagenen Stammbaums schließen. Die Transparenz des kladistischen Ansatzes erfordert eine beachtliche Entwicklung in der Mentalität der Systematiker des 20. Jahrhunderts. Erinnern wir uns, dass die vor Hennig gelieferten Ansätze mehr
die Meinung des jeweiligen Autors widerspiegelten als eine echte Arbeitsmethode darstellten. Heute ist es einfach, den Einfluss einer Hypothese in Form eines Ergebnisses zu prüfen, indem man sie einer anderen phylogenetischen Analyse unterzieht. Bei einer Systematik, die keine so durchsichtige Methodik besitzt, ist dies unmöglich.
Philosophische Grundlagen der Klassifizierungen Man kann die Geschichte der Klassifizierungen nicht präsentieren, ohne an das Konzept der Großen Seinskette – die Scala Naturae – zu erinnern, die lange Zeit von Gottfried Leibnitz (1646-1715) entwickelt wurde. Die Basis dieses Konzepts wurde schon bei Platon und Aristoteles vorgestellt. Aristoteles schlug das Prinzip der linearen Abstufung vor: die Klassifizierung der Lebewesen entsprechend des Grades ihrer Perfektion. Man interessiert sich entweder für den Grad der Entwicklung, den ein lebender Organismus zum Zeitpunkt seiner Geburt aufweist, oder für die Fähigkeiten seiner Seele. Auf diese Weise kann man eine Abstufung erstellen: von den Pflanzen („nahrhafte Seelen“) über die rationalen Seelen bis zum Menschen und anderen Wesen, die über ihm stehen. In einer solchen Hierarchie besitzt jedes Wesen die Fähigkeit derer, die unterhalb seiner angesiedelt sind, zuzüglich seiner eigenen Fähigkeiten. Die Große Seinskette stellt eine lineare, doch starre Anordnung dar. Die so genannte Große Seinskette ist in unserer Kultur und in unseren Köpfen fest verankert. Sie ist Gegenstand zahlreicher schwerer Irrtümer, die gemeinhin zugelassen werden und die durch die Lehrer nur schwer zu korrigieren sind. Genannt seien hier:
Einleitung – Anthropozentrismus: Wenn man nur die auf der Erde lebenden Wesen betrachtet (und einmal von den Engeln absieht), so befindet sich der Mensch an der höchsten Stelle der Leiter. Aus evolutionistischer Sicht drückt sich dies durch die Tatsache aus, dass der Mensch sich als das am weitesten entwickelte Wesen begreift. Es ist sehr schwer verständlich zu machen, dass alle heute lebenden Organismen ebenfalls entwickelt sind: Die Linien, aus denen sie abstammen, haben dieselbe evolutive Zeit durchlebt. In der Tat ist die Große Seinskette auf die Ansicht zurückzuführen, dass der Mensch qualitativ höher gestellt ist als die anderen Organismen – was keinen wissenschaftlichen Wert hat. Darüber hinaus ist der Anthropozentrismus ein Faktor für das Festhalten an Graden innerhalb der Klassifizierung. Die Prokaryoten sind Zellen ohne Kern (Wer besitzt einen Kern? Die Eukaryoten, darunter der Mensch); die Invertebraten sind Metazoen ohne Wirbel (Wer besitzt Wirbel? Die Vertebraten, darunter der Mensch); die Fische sind Cranioten ohne Arme und Beine (Wer besitzt solche Gliedmaßen? Die Tetrapoden, darunter der Mensch); die Reptilien sind Amnioten ohne Haare (Wer besitzt Haare? Die Säugetiere, darunter der Mensch) etc. – Finalismus: Diese Systematik scheint das Auftauchen des Menschen zum Ziel zu haben. Da das heutige Verständnis der evolutiven Mechanismen der Evolution kein Ziel zugewiesen haben würde, entspricht die natürliche Selektion einer Sortierung der Varianten entsprechend der Zufallsmomente. Mit anderen Worten: Wenn sich in der Geschichte alles wiederholen könnte, ist die Wahr7
Die Systematik heute scheinlichkeit dafür, dass alles wieder auf genau dieselbe Weise abläuft, nahezu gleich Null. – Essenzialismus: Die Annahme, dass die Evolution ein Ziel hat, hat die weitere Annahme zur Folge, dass die innerste Natur der Lebewesen – die Wesensform oder Essenz – aus einem philosophischen Blickwinkel heraus der Existenz vorausgeht. Der Essenzialismus versieht die Lebewesen mit einer absoluten Essenz, die in den Naturwissenschaften normalerweise nur in den Naturgesetzen liegen dürfen – und nicht in den Objekten, die diesen Gesetzen unterworfen sind. Der Essenzialismus schafft a priori Wesenheiten und haucht diesen Leben ein. Die Lebewesen werden somit nur als das angesehen, was sie mit dieser Essenz verbindet. Der Essenzialismus hat Linné und seine Zeitgenossen dazu bewogen, die Veränderungen innerhalb der Arten zu verleugnen. Auch ist es der Essenzialismus, der den Paläontologen Richard Owen (1804–1892) dazu gebracht hat, Darwin zu bekämpfen. Der Essenzialismus leugnete, dass auf der Erde zufällige Ereignisse eine grundlegende Rolle spielen. Phylogenetisch ist der Essenzialismus mit dem Widerlegungsprinzip unvereinbar: Eine veränderliche Klassifizierung macht das Wesen des Taxons zunichte, das sich eines Tages als polyphyletisch erweist, d. h. keinen gemeinsamen Vorfahr mehr hat (z. B. die Pachydermen, die die Elefanten, Nashörner und Nilpferde umfassen). Außerdem betrachtet die phylogenetische Klassifizierung die Organismen als Mosaik aus primitiven, abgeleiteten und konvergenten Merkmalen – je nach Untersuchungsrahmen und phylogenetischer Stellung. Schließlich haben die meisten Phylogenetiker, die nach der kladistischen 8
Einleitung Methode arbeiten, gegenüber den Lebewesen eine nominalistische Haltung – ebenso wie Darwin, und im Gegensatz zum Essenzialismus. Die Wirklichkeit der belebten Welt entspricht der, die wir mit unserer Sprache bezeichnen können. Die Art ist nichts anderes als eine monophyletische Auswahl an Individuen, die bestenfalls durch eine Synapomorphie und schlimmstenfalls durch den Durchschnitt und die Varianz gemessener Parameter definiert ist. Die Ideen, die dem Konzept der Großen Seinskette unterworfen sind, werden vom Konzept der „Abstammung und Modifikation“ zunichte gemacht. Dies erklärt, warum unter den essenziellen Begriffen der modernen Naturwissenschaften gerade der Phylogenie – die der breiten Öffentlichkeit am wenigsten gut bekannt ist – am meisten Beachtung geschenkt wird. Es ist eine Tatsache, dass die biologischen Grundlagen nicht immer unseren eigenen Eitelkeiten schmeicheln, wenn diese schwer zu verstehen sind.
2. Die Systematik heute Definition und Bedeutung der Systematik In den Naturwissenschaften ist die Systematik die Wissenschaft der Klassifizierung. Ihre erste Aufgabe ist die Identifizierung, Beschreibung und Inventarisierung der Lebewesen in der heutigen und der gewesenen Natur. Ihre zweite Aufgabe ist deren Klassifizierung: Sie dient dazu, die immense Vielfalt der Natur verständlich zu machen. Hierbei handelt es sich um das Ziel einer jeden Wissenschaft, die Komplexität der Natur zu verstehen mithilfe von Kategorien, die es emöglichen, eine so kohärent wie mögliche Sprache und Denkweise zu entwickeln, die als Grundla-
ge für weitere Studien dienen können. Diese Kategorien basieren nicht auf irgendeiner Logik. Die Individuen, Populationen und schließlich die Arten sind über die Stammesgeschichte miteinander verbunden, im Laufe derer sie sich verändern und ihre erworbenen Merkmale an ihre Nachkommen weiter geben. Die Arten haben somit eine evolutive Geschichte, die allein ihre Diversität erklären kann. In der Biologie ist die passendste Methode, die Arten einzuteilen, deren evolutive Verwandtschaft. Die Klassifizierung muss die Abfolge der Verzweigungen des einzigartigen Stammbaums der Lebewesen widerspiegeln. Sie darf nicht mit einem Bestimmungsschlüssel verwechselt werden, der dem Erkennen der Arten dient. Außer den Antworten, die die Systematik auf den einfachen Wunsch gibt,zu erkennen und zu verstehen,ist sie essenziell für medizinische, pharmazeutische, agronomische, ökologische oder geologische Anwendungen. Insbesondere die Umweltwissenschaften und die Medizin zeigen die Bedeutung der Systematik deutlich auf. So sind die aufgelisteten Arten und deren Verbreitung in einem bestimmten Lebensraum exzellente Beschreibungen für die Zerstörungen, die dort stattfinden. Dies ist beispielsweise bei den marin lebenden Anneliden der Fall, die sehr gute Marker für den Verschmutzungsgrad des Meeres sind, aber auch bei den Süßwasserfischen. Alle Umweltschutzmaßnahmen hängen eng von einer guten Kenntnis der Biodiversität in den entsprechenden Lebensräumen ab. Der Kampf gegen die großen, durch Parasiten ausgelösten Epidemien, die jährlich weltweit mehrere Millionen Tote fordern, würde sich ohne eine fundierte Kenntnis der Parasiten-und Vektorensystematik nicht weiterentwickeln.
Die Systematik heute Systematik und Biodiversität Die Vielfalt der Lebewesen – die Biodiversität – kann man auf zwei verschiedene Weisen wahrnehmen. Die erste resultiert aus einer Annäherung an den natürlichen Lebensraum, aus der ökologischen Biodiversität. Die Arten werden beispielsweise entsprechend dem von ihnen besiedelten Lebensraum, ihrer Stelle in der Nahrungskette oder auch ihrer Reproduktionstrategie klassifiziert. In der Summe handelt es sich also um eine Klassifizierung, die auf funktionalen, relationalen Daten basiert und die quasi im Raum des Biotops und in der Zeit der Biologie aufgeschrieben ist. Der Begriff „Wühler“ umfasst Taxa, die Funktionen gemeinsam haben, die oft durch ähnliche morphologische Anpassungen entstanden sind: Sowohl Maulwürfe als auch Maulwurfsgrillen haben kurze, breite, abgeplattete Vorderbeine. Diese Gruppen haben Beispielcharakter für die Ökologie und die Umweltwissenschaften. Die zweite, etwas abstraktere Auffassung von Biodiversität bezieht sich darauf, ihre Struktur aufzuklären und somit auf die Geschichte. Die Arten werden also auf der Basis vergleichender Strukturdaten klassifiziert – und paläontologischen Zeiträumen zugeschrieben. Diese integrative Klassifizierung beantwortet die Frage: Woher kommt das? Das ist es, was uns hier interessiert. Die erste (horizontale) Erhebung der Biodiversität muss sich nicht zwangsläufig mit der zweiten (vertikalen) decken. Häufig führen die verschiedenen Erfordernisse desselben Lebensraums bei Arten, die phylogenetisch sehr weit voneinander entfernt sind, zum Auftreten ähnlicher (konvergenter) Strukturen – beispielsweise die hydrodynamische Struktur bei Ichthyosaurus, Hai und Delfin. Wenn die ökologischen Gruppen dazu die-
Einleitung nen, die Funktionsweise eines Biotops zu analysieren, kann man dies in der Gesamtheit nicht verstehen, ohne die Geschichte zu integrieren. Und diese Geschichte kann wiederum nicht ohne das Werkzeug der Phylogenie – ohne den Bezug zu den monophyletischen Gruppen – rekonstruiert werden. Für das, was die Phylogenie erklären möchte, ist die historische Dimension unumgänglich.
Merkmal und Homologie Was ist ein Merkmal? Ein Merkmal (oder ein Charakter) ist ein beobachtbares Attribut eines Organismus. Um erfolgreich einen Stammbaum zu konstruieren, müssen die Merkmale vergleichbar sein und miteinander verglichen werden. Wenn zwei Strukturen ähnlich, aber nicht identisch sind, so kann man mindestens zwei Zustände desselben Merkmals unterscheiden. Mit anderen Worten: Das Merkmal ist die Bezeichnung für das, was man sieht (z. B.Augenfarbe oder Site Nr. 177 der Gensequenz für β-Hämoglobin); der Zustand ist die Bezeichnung für die Unterschiede, die innerhalb einer Stichprobe von Organismen auftreten (z. B. blaue oder braune Augen, G oder T). Merkmal und Merkmalszustand unterscheiden sich in ihrer Bezeichnung, aber nicht in ihrer Natur. Aus einer vergleichenden Sichtweise ist ein Merkmal somit eine als ähnlich identifizierte Struktur, die in zwei oder mehreren Organismen auftritt. Ähnlich bedeutet, dass – die Struktur vollkommen identisch ist oder sich graduell innerhalb der beobachteten Organismen unterscheidet; – diese Ähnlichkeit, die dann phylogenetisch analysiert wird, eine Homologie-Hypothese (oder primäre Homologie) darstellt. Man
stellt auf Anhieb fest, dass der Begriff des Merkmals nicht vom Begriff der Ähnlichkeit – und somit vom Begriff der Homologie – zu trennen ist. Die vollständige Definition eines Merkmals in der Systematik ist somit ganz das beobachtbare Attribut der Organismen, für die man eine Homologie-Hypothese aufstellen kann. Was ist Homologie? In zahlreichen naturwissenschaftlichen Lehrbüchern werden für die Homologie zwei Definitionen gegeben, von denen weder die eine noch die andere aus praktischen Gesichtspunkten verworfen werden kann. Erstens spricht man von homologen Strukturen, wenn sie von einem gemeinsamen Vorfahren stammen. Dies ist die Homologie der Abstammung – die so genannte sekundäre Homologie. So ausgelegt ist dieser Begriff aus praktischen Gesichtspunkten nicht interessant: Erstens sagt er nichts darüber aus, wie man herausfindet, dass diese Struktur von einem gemeinsamen Vorfahr stammt, und zweitens spezifiziert er nicht näher den taxonomischen Rahmen, in dem diese Strukturen beobachtet werden. Die Homologie der Abstammung bezieht ihren Sinn ausschließlich aus einem vorgegebenen taxonomischen Rahmen. Ohne einen taxonomischen Vergleichsrahmen wäre in den Maßstäben des einzigen Stammbaums der Lebewesen zum Schluss alles miteinander homolog. Beispielsweise ist der Flügel des Papageis dem des Adlers in der Eigenschaft eines Flügels homolog (Homologie auf der taxonomischen Ebene der Vögel) und ebenfalls in der Eigenschaft als vordere Gliedmaße (taxonomische Ebene der Tetrapoda). Der Flügel des Papageis und der Flügel der Fledermaus dagegen sind in der Eigenschaft als Flügel nicht mehr homolog (Ebene der 9
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Die Systematik heute Amnioten) – wenn auch sie auf Ebene des Taxons der Tetrapoden in ihrer Eigenschaft als vorderes Beinpaar ziemlich homolog sind. Zweitens spricht man auch von homologen Strukturen, wenn – beim Vergleich mehrerer Organismen desselben Bauplans – diese dieselben Verbindungen mit benachbarten Strukturen unterhalten – unabhängig von Form oder Funktion. Es handelt sich hierbei um die Definition, die Richard Owen 1843 formuliert hat, ausgehend vom Prinzip der Verbindungen nach Geoffroy SaintHilaire (1772-1844). Man muss diese beiden Definitionen jedoch in einen zeitlichen Kontext setzen: Zunächst formuliert man eine Homologie-Hypothese (zweite Definition), die dann – eventuell – durch den Stammbaum bestätigt wird, der konstruiert wird (erste Definition). Die Definition Owens entspricht einer anfänglichen Homologie-Hypothese, der so genannten primären Homologie. Dies entspricht dem, was wir tun, wenn wir zunächst erklären, dass der RadiusKnochen des Delfins mit dem des Opossums oder dem der Fledermaus verglichen werden kann – dass diese Strukturen einander somit ähnlich sind (Abb. 3a). Dann verschlüsseln wir ihre Unterschiede in verschiedene Zustände unter der Bezeichnung desselben Merkmals „Radius“. Keiner dieser Radius-Knochen hat dasselbe Aussehen. Wenn diese RadiusKnochen als homolog betrachetet werden, so tritt der Radius als ein ganz bestimmter Teil in einem konstanten Bauplan der vorderen Gliedmaße auf: Er liegt zwischen dem proximalen Stylopodium (Humerus) und dem distalen Basipodium (Carpus). Der Radius ist eines der Elemente des Zwischensegments, das Zeugopodium. Dasselbe ist es, wenn wir Nucleinoder Aminosäuresequenzen mitei10
nander vergleichen. Indem man ähnliche Sequenzen zum Vergleich untereinander anordnet, wenden wir eine Interpretationsstrategie an. Innerhalb einer Kolonne oder eines Site werden Nucleotide oder Aminosäuren als homolog angesehen, da ihre Position innerhalb der Sequenz dieselbe ist. Dies ist das Prinzip der Verbindungen, angewendet auf Moleküle. Um eine Homologie-Hypothese zu formulieren, verwendet man somit einen Plan – eine Art abstraktes Leseraster der Beziehungen zwischen den Strukturen. Man kann jedoch ebenso Daten aus der Ontogenese (Entwicklung der Organismen) verwenden, die aufzeigen, dass die heutigen Strukturen sich voneinander ableiten. Beispielsweise erfährt man mit dieser Methode – insbesondere durch die Embryologie der Marsupialia – dass zwei der drei Knochen des Mittelohrs bei den Säugetieren (Hammer und Amboss) bestimmten Knochen homolog sind, die am Kiefergelenk des Schädels anderer Vertebraten beteiligt sind (Articulare, Quadratum, Abb. 3b). Die gelenkige Verbindung zwischen diesen beiden Knochen ist konserviert worden, obwohl sie in die auditive Sphäre verlagert worden sind. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass dieser Transfer einerseits aus ontogenetischer Sicht als auch bei den Fossilien des Perm und der Trias sehr gut dokumentiert ist. Die Homologie der Abstammung kann nur durch einen Stammbaum ermittelt werden: Sie ist das Ergebnis von dessen Analyse. Die Kladistik wählt den „sparsamsten“ Stammbaum aus – nämlich den, dessen Daten entlang seiner Äste von Anfang an die geringste Zahl an evolutiven Ereignissen benötigen. Wenn man sich einmal für einen Stammbaum entschieden hat, so ist die Position einer jeden Merkmalsverän-
derung im Stammbaum festgelegt. Man kann dann feststellen, dass ein Merkmalszustand gruppenartig im Stammbaum verteilt ist, so dass dieser Merkmalszustand nur auf einem einzigen Ast vorkommt. Es handelt sich somit um eine homologe Struktur, da sie von einem gemeinsamen hypothetischen Vorfahren ererbt worden ist, bei dem diese Struktur zum ersten Mal aufgetreten ist. Diese homologe Struktur ist die Synapomorphie – oder sekundäre Homologie. Wenn dagegen die Struktur eines Merkmals an mehreren Stellen des Stammbaums auftaucht, so ist dies eine Homoplasie – eine Ähnlichkeit, die nicht von einem gemeinsamen Vorfahren stammt. Sie zeigt auf, dass die Hypothese der initialen Homologie falsch war (Beispiele für Homologie und Homoplasie folgen in Abb. 11). Zusammengefasst bedeutet das: Das Konzept der Ähnlichkeit unterteilt sich in die Homologie (Ähnlichkeit, die von einem gemeinsamen Vorfahren ererbt worden ist) und in die Homoplasie (Ähnlichkeit, die nicht auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgeht: Konvergenzen, Reversionen) (Abb. 4). Die Aufdeckung einer Ähnlichkeit drückt sich in einer Homologie-Hypothese oder primären Homologie aus: Man postuliert eine Ähnlichkeit, die von einem gemeinsamen Vorfahren ererbt worden ist. Der „sparsamste“ Baum liefert die richtige Antwort. Die Homologie der Abstammung wird als sekundäre Homologie bezeichnet, da sie das Ergebnis der Analyse darstellt: Alle bestätigten primären Homologien sind sekundäre Homologien oder auch Synapomorphien – Ähnlichkeiten, die von einem gemeinsamen hypothetischen Vorfahren ererbt worden sind. Alle widerlegten Primär-Homologien sind Homoplasien und damit Ähn-
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Einleitung
Abb. 3. a Primärhomologie innerhalb eines Bauplans. Vordere Gliedmaße von drei Säugetieren zur Illustration des „Bauplan“-Begriffs. Der Radius ist farbig hinterlegt. ba = Basipodium, st = Stylopodium, ze = Zeugopodium b Primärhomologie in der Ontogenese. Die Ontogenese (insbesondere die der Marsupialia) zeigt, dass sich zwei der drei Gehörknöchelchen des SäugetierMittelohrs von Knochen ableiten, die früher am Kiefergelenk beteiligt waren.Diese Knochen stimmen auch mit den beiden Kiefergelenkknochen des Schädels anderer Amnioten (hier der fossile Synapside Ophiacodon) überein. Das Articulare ist homolog zum Hammer, das Quadratum zum Amboss, das Angulare zum Tympanicum, der Steigbügel zum Hyomandibulare (hier nicht dargestellt). ar = Articulare, mr = Hammer, c2 = Quadratum, en = Amboss, ang = Angulare, otymp = Tympanicum, er = Steigbügel, cae = äußerer Gehörgang, fov = ovales Fenster, fro = rundes Fenster, tE = Eustachische Röhre
lichkeiten, die nicht von einem gemeinsamen Vorfahren stammen (Konvergenzen, Reversionen).
Was ist ein Stammbaum? Die Beschreibung der Stammbäume verwendet gleichzeitig Begriffe der Theorie der Graphen und Meta-
phern, die aus der evolutionistischen Tradition stammen. Nach den Begriffen der Graphen-Theorie ist ein Stammbaum ein zusammenhängender, nicht-zyklischer Graph. Die11
Einleitung
Die Systematik heute
Abb. 4. Verschiedene Ähnlichkeitskategorien. a Ähnlichkeit aufgrund sekundärer Homologie; b Ähnlichkeit aufgrund einer Konvergenz; c Ähnlichkeit aufgrund einer Reversion. Die hellen Punkte repräsentieren den ursprunglichen Merkmalszustand, die schwarzen Punkte den abgeleiteten (entwickelten) Merkmalszustand. Der Pfeil zeigt die Transformationsrichtung an.
ser unterhält Verbindungen (Bögen, Äste, Grate), die untereinander durch Spitzen verbunden sind. Der Graph ist nicht zyklisch, da ein einziger Weg die Verknüpfung von zwei Spitzen untereinander erlaubt (der Stammbaum ist kein Netz). Die internen Spitzen stellen die Knoten dar – Punkte, an denen drei Verbindungen aufeinander treffen. Die externen Spitzen stellen die Blätter (terminale Taxa oder evolutive Einheiten) des Stammbaums dar. Die inneren Verbindungen werden auch als internodiale Äste (oder Segmente) bezeichnet, die äußeren Verbindungen als Astenden. Ein Stammbaum, bei dem jeder Knoten der Treffpunkt dreier Verbindungen ist, wird als vollständig aufgeschlüsselt bezeichnet. Wenn der Stammbaum gewurzelt ist, hat jeder innere Ast zwei Tochteräste. Dies entspricht ganz einfach dem Informationsgehalt des Stammbaums, der in diesem Falle maximal ist: Alle Verwandtschaftsbeziehungen sind abgesichert. Dagegen wird ein Staumbaum, bei dem einige Knoten 12
der Treffpunkt von mehr als drei Verbindungen sind, als nicht (oder teilweise nicht) aufgeschlüsselt bezeichnet. Es besteht hier eine Multifurkation, die schlicht bedeutet, dass der Stammbaum in Bezug auf die verwandtschaftlichen Beziehungen einige ungenaue Punkte enthält. Einen dichotomen oder einen nicht dichotomen Stammbaum vorliegen zu haben, sagt nichts über Spezifikation oder Modalitäten aus – diese bleiben unbekannt. Ein Stammbaum kann auch ungewurzelt sein. Um jedoch zu einer Phylogenie zu werden, muss er gewurzelt werden – dies ist allerdings nicht die einzige Bedingung für eine Phylogenie. Es geht vielmehr darum, einen Ursprung für diesen Stammbaum zu definieren – die Wurzel, die die Leserichtung des Stammbaums bestimmt, der dann im Maßstab der Zeit ausgerichtet werden muss. Auf diese Weise kann ein bestimmter Stammbaum mehreren Phylogenien entsprechen, je nach der Position der Wurzel. Abbildung 5 zeigt, ausgehend vom einfachsten
Fall mit vier Taxa, die drei möglichen Topologien (nicht gewurzelte Stammbäume). Vier Taxa zu klassifizieren bedeutet, sie 2 und 2 zu trennen. Dies zeigen die drei Topologien: (AB, CD); (AC, BD); (AD, BC). Bei dieser Art der Darstellung können sich die Knoten um das mediane Segment drehen. In solchen Darstellungen kann jedoch der zeitliche Ursprung nicht dargestellt werden. Die Wurzel eines Stammbaums anzugeben bedeutet, den zeitlichen Ursprung zu markieren. In Abbildung 5 sind für sämtliche Topologien alle Wurzel-Möglichkeiten angegeben. Wie wählt man eine Wurzel aus? Nach dem klassisch hennigschen Ansatz wird der Stammbaum obligatorisch durch die Außengruppe gewurzelt, die gewählt wurde, um die Merkmale zu polarisieren, das heißt, um die Transformationsrichtung ihrer Zustände zu bestimmen. Bei der computerisierten kladistischen Analyse werden die Merkmale einer oder mehrere Außengruppen codiert. Auf Basis dieser Außen-
Die Systematik heute
Einleitung
Abb. 5. Vier Taxa (A, B, C, D) mit drei Topologien, drei nicht gewurzelten Stammbäumen und 15 insgesamt möglichen Stammbäumen. Keiner der 15 Stammbäume beschreibt dieselbe Phylogenie.Wenn man die Außengruppe (Extragruppe) a priori kennt, kennt man im Voraus die Wurzel. Es gibt nicht mehr als drei mögliche Topologien, die sich auf einer der fünf horizontalen Linien befinden.Die Software zur Stammbaumkonstruktion findet die optimale Lösung, ohne auf eine vorher festgelegte Wurzel zurückzugreifen. Wir jedoch wurzeln den Stammbaum entsprechend der Abfolge mit Hilfe von einer oder mehrerer Außengruppe(n), die wir der Matrix vorher hinzugefügt haben.
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Die aktuellen Methoden gruppen wird der aus den Analysen resultierende Stammbaum später gewurzelt. Die Softwareprogramme zur Stammbaumkonstruktion finden die optimale Lösung heraus, ohne auf eine vorher festgelegte Wurzel zurückzugreifen. Der Anwender der Software legt nach Abschluss des Programms die Wurzel fest. Den Stammbaum bezeichnet man je nach der Methode, die bei der Konstruktion eines Stammbaums zum Einsatz kam. Der Terminus Dendrogramm ist neutral und bezeichnet nichts anderes als einen Stammbaum. Das Kladogramm ist dagegen ein Dendrogramm, das mit Hilfe kladistischer Analysen konstruiert wurde: Es drückt die phylogenetischen Beziehungen zwischen den Taxa aus; die auftretenden Knotenpunkte sind als Synapomorphien definiert. Das Phänogramm ist ein Dendrogramm, das mit den Methoden der Phänetik konstruiert wird, ausgehend von den Distanzen zwischen den Taxa. Es drückt globale Ähnlichkeitsgrade zwischen Taxa aus. Das Phylogramm ist ein Kladogramm, bei dem die Länge der Äste proportional ist zur Divergenz der Taxa – oder mit anderen Worten, bei dem die Länge der Äste proportional ist zur Anzahl der Merkmalsänderungen (Synapomorphien, Autapomorphien, Homoplasien).
Was ist ein Taxon? Ein Taxon ist eine Gruppe von Organismen, die eine eindeutige Einheit darstellen. Homo sapiens ist ein Taxon von besonderem Rang: Homo ist ein Taxon vom Rang einer Gattung; die Hominidae bilden den Rang einer Familie. Die Primaten sind ein Taxon vom Rang einer Ordnung, etc. In der phylogenetischen Systematik stellt das Kladogramm selbst eine Serie von ineinander grei14
Einleitung fenden Taxa dar (Abb. 6). Ein Taxon entspricht einem Knoten des phylogenetischen Stammbaums oder einem seiner Blätter. Es ist definiert durch mindestens ein abgeleitetes Merkmal (Synapomorphie). Das Taxon ist monophyletisch – es umfasst einen gemeinsamen hypothetischen Vorfahren (bei dem die Synapomorphie zum ersten Mal auftritt) sowie sämtliche bekannte Nachkommen. Zwei Schwester-Taxa haben denselben Rang. In Bezug auf das vorliegende Werk sind zwei Anmerkungen erforderlich: Bei den hier vorgestellten Kladogrammen werden die Ränge der beschriebenen Taxa nicht näher (als Klasse, Unterabteilung, Unterordnung, Überfamilie etc.) bezeichnet. Der Rang wird durch die Position des Astes im Stammbaum bestimmt. So zeigt unser Stammbaum, dass das Taxon der Mammalia denselben Rang besitzt wie die Sauropsida, einen niedrigeren Rang als die Tetrapoden und einen höheren als die Primaten aufweist. Es wäre besser, an den logischen Abfolgen der Ränge festzuhalten als an den Rängen selbst, also besser am relativen Rang (der Position im Stammbaum) als am absoluten Rang (der immer willkürlich ist) – zumal die alte logische Rangfolge durch die phylogenetische Systematik völlig verändert worden ist. Die Unterteilung der rezenten Vertebraten in fünf Klassen (Fische, Amphibien, Reptilien, Säugetiere, Vögel) trägt nicht mehr; nicht nur weil die drei erstgenannten Klassen nicht monophyletisch sind, sondern auch weil eine phylogenetische Klassifizierung nicht alle im selben Rang einer Klasse einstufen kann. Wenn man beispielsweise im Stammbaum von Kapitel 12 für die Säugetiere den Rang einer Klasse beibehalten hätte, müssten die Sauropsida auch den Rang einer Klasse, haben, die Chelonia und Diapsida den einer Unter-
klasse, die Lepidosaurier und die Archosaurier den einer Infraklasse, die Krokodile den einer Überordnung – und dies alles nur, wenn man die fossilen Äste außer Acht lässt. Die zweite Anmerkung betrifft die terminalen Taxa der Stammbäume, die auf den folgenden Seiten dargestellt sind. Ein phylogenetischer Stammbaum präsentiert eine Serie ineinander folgender Taxa, die die Gruppen unendlich weiter teilen könnte, so weit dies das Wissen zulässt.Der Stammbaum muss daher an einer bestimmten Stelle in jedem großen Zweig gekappt werden. Die (immer willkürliche) Auswahl dieser Punkte wurde durch die Erfordernisse, die Zeit und Umfang des Buches stellen, begrenzt. Die Tatsache, dass die Phylogenie der Insekten oder der Chelonia hier nicht detaillierter vorgestellt wird, sagt weder etwas über ihren Rang (sie haben keineswegs denselben Rang) noch über die phylogenetischen Kenntnisse aus, die man von diesen Taxa hat.
3. Die aktuellen Methoden Heute verwendet man in der Systematik Werkzeuge und Konzepte, die außerhalb des Hennig’schen Ansatzes entstanden sind.Aus historischen und praktischen Gründen gibt es heute zur Stammbaumkonstruktion Algorithmen, die entweder auf DNASequenzen basieren und sich die allgemeine Ähnlichkeit spezifisch zunutze machen oder auf einem Wahrscheinlichkeitsansatz beruhen. Die ersteren – die phänetischen Algorithmen – sind außerhalb des Evolutionismus entstanden. Sie sind so effizient, dass die Unähnlichkeit proportional zum Verwandtschaftsgrad bleibt (was nicht immer der Fall ist). Die als zweites genannten Algorithmen, die Wahrscheinlichkeitsalgo-
Die aktuellen Methoden
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Abb. 6. Ineinander geschachtelte Klassifizierung innerhalb eines Kladogramms. Zwei Schwester-Taxa (Mammalia und Sauropsida) haben denselben Rang (aus Gründen der Vereinfachung wurden die Fossilien nicht berücksichtigt).
rithmen, nutzen die Wahrscheinlichlichkeit, die für den Austausch eines Nucleotids oder Aminosäure besteht, um die Wahrscheinlichkeit für Stammbaum-Daten zu berechnen. Kurz: heute werden drei große Algorithmenfamilien verwendet – nämlich kladistische, phänetische und wahrscheinlichkeitstheoretische (maximale Wahrscheinlichkeit).
Wohl gemerkt: Alle werden mithilfe der Informatik praktiziert. Sie könnte dazu beitragen, an die Algorithmen und ihre spezifischen Probleme gezielt heran zu gehen (z. B. Suchalgorithmen, um den optimalen Stammbaum zu finden, ohne sämtliche Stammbäume zu untersuchen; Techniken zur Stammbaumerforschung; etc.). Wir begnügen uns hier
damit, die entsprechenden Grundlagen aufzuzeigen.
Kladistik Die kladistische Analyse zielt darauf ab, die Phylogenie eines Taxons durch die Unterscheidung von ursprünglichen (plesiomorphen) und 15
Einleitung
Die aktuellen Methoden abgeleiteten (apomorphen) Merkmalen zu rekonstruieren. Diese Qualitäten gelten nur innerhalb des Taxons. Hennig hat als Erster verstanden, dass man Arten nicht auf Basis eines gemeinsamen ursprünglichen Merkmals zusammenfassen kann, da dieses Merkmal bereits außerhalb des untersuchten Taxons auftritt. Innerhalb dieses Taxons sind nur die miteinander geteilten, abgeleiteten Merkmalszustände (Synapomorphien) Zeichen einer Verwandtschaft. Die Zusammenfassungen auf der Basis gemeinsamer, abgeleiteter Merkmalszustände führen somit zur Bildung monophyletischer Gruppen. In diesem Buch sprechen wir von speziellen Merkmalen: Unter dieser Rubrik werden also Merkmalszustände dargestellt, die der fraglichen Gruppe eigen sind und die von den Mitgliedern dieser Gruppe geteilt werden. Dies sind die Synapomorphien oder auch Innovationen, die in dieser Gruppe auftreten. Stammbaumelemente Bevor wir mit der kladistischen Analyse noch weiter ins Detail gehen, möchten wir hier einige Begriffe erläutern. Damit die biologische Klassifizierung strikt phylogenetisch ist, dürfen die Klassifizierungen nur monophyletische Gruppen enthalten. Eine monophyletische Gruppe enthält einen hypothetischen Vorfahren sowie die Gesamtheit seiner Nachkommen (Abb. 7a). Von diesem sind nur die abgeleiteten Merkmale bekannt, die die Gruppe definieren würden. Beispielsweise sind die Vögel in der heutigen Fauna monophyletisch. Es gibt kein Taxon, das die Schwestergruppe bestimmter Vögel darstellen könnte und das nicht bereits innerhalb der Vögel eingeschlossen wäre. Der letzte gemeinsame Vorfahr aller Vögel besaß (für seine Epoche neue) Merkmale, die ausschließlich bei den Vögeln auftre16
ten – beispielsweise die Feder, die beim Fliegen eine wichtige Rolle spielt, oder der nach hinten gedrehte erste Zeh. Die paraphyletischen und polyphyletischen Gruppen unterscheiden sich von der monophyletischen Gruppe dadurch, dass ihnen etwas fehlt. Der paraphyletischen Gruppe fehlen bestimmte Nachkommen des gemeinsamen Vorfahrs, der polyphyletischen Gruppe der gemeinsame Vorfahr. Eine paraphyletische Gruppe besteht aus einem Vorfahren sowie nur
einem Teil seiner Nachkommen (Abb. 7a). Beispielsweise haben die Reptilien (im klassischen Sinne, also Schildkröten, Rhynchocephala, Squamata, Krokodile) alle einen gemeinsamen Vorfahren (nämlich den Vorfahren der Amnioten). Aber innerhalb der Reptilien fehlen Schwester-Taxa bestimmter Reptilien – beispielsweise die Vögel (Schwestergruppe der Krokodile, Abb. 1b). Gruppen auf ökologischen, adaptiven, an einen Fortschritt oder an eine Zunahme der Komplexität gebundene Charakteristika zu be-
Abb. 7. a Eine monophyletische Gruppe enthält einen Vorfahren und alle seine Nachkommen. DE und CDE sind allesamt monophyletische Gruppen. b Die paraphyletische Gruppe umfasst einen Vorfahren, aber nur einen Teil seiner Nachkommen. Eines der Mitglieder der Gruppe (hier D) ist näher mit einer Gruppe außerhalb dieses Taxons (E) als mit den Seitenlinien innerhalb seiner Gruppe (C) verwandt. c Die polyphyletische Gruppe hat Mitglieder (hier BD), die keinen gemeinsamen Vorfahren in dieser Gruppe haben. a Monophyletische Gruppe b Paraphyletische Gruppe c Polyphyletische Gruppe
Die aktuellen Methoden gründen, führt oft zur Konstruktion paraphyletischer Gruppen. Die polyphyletische Gruppe enthält keinen gemeinsamen Vorfahr sämtlicher Gruppenmitglieder (Abb. 7c). Die Geier der Alten Welt beispielsweise zählen zu den Falconiformes und sind in diesem Rahmen polyphyletisch, während die Cathardidea (Geier der Neuen Welt) zu den Ciconiiformes gehören. Innerhalb der Gruppe der Geier gibt es keinen gemeinsamen Vorfahren. Natürlich gibt es einen solchen Vorfahren, da es ja nur einen einzigen Stammbaum der Lebewesen gibt. Doch muss man, um ihn zu finden, in die Zeit vor Entstehung der Geier zurückgehen. Auch zahlreiche so genannte neornithische Vögel besitzen eben diesen gemeinsamen Vorfahren, der jedoch mit einem taxonomischen Rahmen verbunden ist, der den der Geier bei weitem übersteigt. Was ist Verwandtschaft? Die Suche nach der Verwandtschaft ist die Suche nach der Schwestergruppe – und nicht nach dem Vorfahren. Es handelt sich darum, für eine gegebene Gruppe oder Art die Gruppe zu suchen, mit der sie denselben, ausschließlichen Vorfahren teilt, d. h. den sie mit keiner weiteren Gruppe gemeinsam hat. Dies hat nichts mit der Suche nach dem Vorfahren im eigentlichen (genetischen) Sinn zu tun, da dieser für immer unerreichbar bleibt.Vielmehr bedeutet diese Suche, einige Merkmale abzuleiten, die dieser Vorfahr besessen haben musste, und zwar ausgehend von den abgeleiteteten, die Gruppe definierenden Merkmalen – den Synapomorphien. Wie erkennt man Verwandtschaft? In einem klassisch Hennig’schen Ansatz ist der erste Schritt für die Konstruktion einer phylogenetischen Klassifizierung die Polari-
Einleitung sierung der Merkmale, d. h. den ursprünglichen (plesiomorphen) und den abgeleiteten (apomorphen) Zustand zu definieren. Der zweite Schritt besteht darin, eine Verwandtschaft über gemeinsame abgeleitete Zustände abzuleiten – und so eine Gruppe zu konstruieren. Wie findet man die Polarität eines Merkmals? Man arbeitet ausgehend von zwei Kriterien, dem Kriterium der Extra- oder Außengruppe sowie dem Kriterium der Ontogenie. Diese Kriterien werden auf eine Auswahl von Arten angewendet, die man als die Probe ausgewählt hat und deren Verwandtschaftsbeziehungen man kennenlernen möchte. Diese Auswahl stellt die Untersuchungs- oder Innengruppe (ingroup) dar. Sie wird als monophyletisch angesehen – was jedoch nicht bedeutet, dass man im Voraus die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern kennt. Ziel ist es, innerhalb der Untersuchungsgruppe den ursprünglichen und den abgeleiteten Zustand eines gegebenen Merkmals zu bestimmen. Das gebräuchlichere Kriterium der Extragruppe (Abb. 8) besteht darin, eine Art (oder eine Gruppe von Arten) zu finden, bei der man sicher sein kann, dass sie außerhalb der untersuchten Gruppe angesiedelt ist, d. h. dass sie mit keinem Ast in die Innengruppe hineinragt. Diese Art wird als Außengruppe oder Extragruppe (outgroup) bezeichnet und dient dazu, den Stammbaum mit einer Wurzel zu versehen; denn man weiß, dass der gemeinsame, an der Wurzel sitzende Vorfahr der älteste Vorfahr ist, wenn die Außengruppe monophyletisch ist, und dass er zur Außengruppe gehört, wenn diese paraphyletisch ist. Zur Definition des Vorfahren wird a priori keinerlei Information über die mögliche Verwandtschaft innerhalb der untersuchten Gruppe benutzt. Seine Defi-
nition muss daher als Teil der Ausgangshypothesen angesehen werden. In einem zweiten Schritt vergleicht man jeden der beiden in der untersuchten Gruppe auftretenden Zustände mit dem Zustand des selben Merkmals bei der Außengruppe. Wenn bei einer oder mehreren Arten der untersuchten Gruppe (z. B. Krokodil und Alligator) der Merkmalszustand (Schuppe) derselbe ist wie bei der Außengruppe (Auftreten von Schuppen bei der Schildkröte), muss dieser Zustand innerhalb der untersuchten Gruppe als primitiv (plesiomorph) angesehen werden. Wenn bei anderen Arten (Huhn, Strauß) der Zustand (Feder) unterschiedlich zu dem bei der Außengruppe gefundenen Merkmalszustand (Schuppe) ist, muss dieser Zustand als abgeleitet (apomorph) angesehen werden. Das zweite Kriterium der Merkmalspolarisierung ist die Ontogenese. Dieses Kriterium basiert auf dem Haeckel‘schen Gesetz, nach dem während der Ontogenese noch einmal die Phylogenie durchlaufen wird: Während der Embryonalentwicklung treten die allgemeinen Merkmale zeitlich vor den artspezifischen Merkmalen auf. Wenn es bei einer Art aus der untersuchten Gruppe möglich ist, die Entwicklung des Merkmals, das man polarisieren möchte, zu beobachten, versucht man herauszufinden, welcher der beiden Zustände zuerst auftaucht. Der als erstes auftritt, wird als ursprünglich angesehen. Wenn er sich dann verändert, entspricht dieser modifizierte Zustand dem abgeleiteten Zustand. Erinnern wir uns, dass die Qualitäten „ursprünglich“ und „abgeleitet“ relativ zu dem taxonomischen Rahmen sind, in dem man sich gerade befindet (Abb. 9). Die Feder ist der abgeleitete Zustand des Merkmals „Schutzhülle der Haut“ innerhalb der Archosauromorphen (eine Grup17
Die aktuellen Methoden
Einleitung dass dieses Produkt von einer Generation zur nächsten weitergegeben worden ist. Dieses evolutive Ereignis zeugt von der Verwandtschaft der Arten (Vögel), die den abgeleiteten Zustand aufweisen (die Feder).
Abb. 8. Die Polarisierung eines Merkmals in zwei Zustände (rund, dreieckig) durch den Vergleich mit der Extragruppe
Abb. 9. Der Zustand eines Merkmals ist primitiv oder abgeleitet – je nachdem,in welchem Untersuchungsrahmen man ihn platziert. Rahmen 1: Archosaurier; Rahmen 2: Vögel;Rahmen 3: Falconiformes.Innerhalb der Archosaurier ist die Feder ein abgeleiteter Zustand,den alle Vögel gemeinsam haben (teilen) – was wiederum die Verwandtschaft der Vögel untereinander unterstreicht. Innerhalb der Falconiformes ist die Feder ein gemeinsamer primitiver Zustand,da er bereits außerhalb der Falconiformes auftritt.
pe, die in der heutigen Fauna die Vögel und Krokodile, Rahmen 1, umfasst). Innerhalb der Falconiformes (Ordnung der tagaktiven Greifvögel, Rahmen 3) dagegen wird die Feder zu einem ursprünglichen Zustand, da sie auch außerhalb dieser Ordnung bei zahlreichen anderen Vogelordnungen auftritt. Aus diesem Grunde kann das bloße Auftreten von Federn nicht dazu dienen, 18
eine Gruppe innerhalb der Falconiformes zu konstruieren. Erinnern wir uns auch, dass bei der Polarisierung von Merkmalen das Konzept von der Abstammung und Modifikation mitspielt. Die Polarisierung von Merkmalen bedeutet nämlich, dass der abgeleitete Zustand (Feder) das Produkt einer Transformation des ursprünglichen Zustands (Schuppe) darstellt, und
Anwendung der Sparsamkeitsmethode Nehmen wir ein einfaches biologisches Beispiel, das es uns erlaubt, die vorhergehenden Elemente gegeneinander auszutauschen. Der einfachste Fall der phylogenetischen Rekonstruktion umfasst eine aus drei Arten bestehende Untersuchungsgruppe sowie eine Außengruppe. Die untersuchten Arten seien der Mensch (Primaten), der Graupapagei (Vögel) und eine Fledermaus. Nun gilt es herauszufinden, welches davon die beiden miteinander am nächsten verwandten Arten sind und welches die am wenigsten verwandte Art. Der vorliegenden Fall liefert nur drei Möglichkeiten: Mensch, (Vogel, Fledermaus); Vogel (Mensch, Fledermaus); Fledermaus (Mensch, Vogel). Um eine dieser Möglichkeiten auszuwählen, haben wir eine Auswahl beobachteter Merkmale zur Verfügung. Untersuchen wir nun diese Merkmale, um herauszufinden, welchen dieser drei Stammbäume sie unterstützen. Zunächst muss man die Merkmalszustände polarisieren. Wir können nun eine vierte Art einführen – die Forelle – von der wir aufgrund einiger Informationen wissen, dass sie außerhalb unserer Untersuchungsgruppe (Mensch, Vogel, Fledermaus) steht. Die Tatsache, dass die Mitglieder unserer Untersuchungsgruppe Amnioten sind (die Embryonalentwicklung findet also in der Amnionhülle statt), schließt die Forelle von dieser Gruppe aus, denn sie gehört nicht zu den Amnioten. Die Forelle stellt somit die Außengruppe dar und dient zur Wurzelung des Stammbaums. Betont sei, dass
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bei dieser Wahl keinerlei Information verwendet wird, die etwas über die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Mensch,Vogel und Fledermaus vorwegnimmt. Im Gegensatz zu einem häufig vorgetragenen Vorwurf ist die Definition der Außengruppe nicht zirkulär. In Abbildung 10 werden sechs Merkmale untersucht: 1. Kiefer (zwei Zustände: vorhanden/nicht vorhanden); 2. Typ der paarigen Anhänge (Strahlenflosse/Gliedmaße); 3. Zähne (vorhanden/nicht vorhanden); 4.Kieferaufbau (ein einziger Knochen (Dentale)/mehrere Knochen); 5. Dottervorräte des Eies (groß/fast null); 6. paarige Vordergliedmaße (Flügel/ keine Flügel). Nicht alle diese Merkmale haben jedoch denselben Informationsgehalt. Nicht informative Merkmale Merkmal 1 (Auftreten eines Kiefers) findet man bei der Forelle. Üblicherweise codiert man den Merkmalszustand, der bei der Außengruppe gefunden worden ist, mit der Ziffer 0. Bei jeder dieser Arten findet man einen Kiefer. Daher wird das Auftreten eines Kiefers bei allen vier Arten mit 0 codiert. Nur das Auftreten eines Kiefers ermöglicht es somit nicht, zwei der drei Arten der Untersuchungsgruppe abzugrenzen und stellt somit für die vorliegenden Untersuchingsprobe ein nicht-informatives Merkmal dar. Das zweite Merkmal, die Art der paarigen Anhänge, wird bei der Forelle, da sie paarige Anhänge – allerdings in Form von Strahlenflossen (ursprünglicher Zustand) – besitzt, mit 0 codiert. Mensch, Fledermaus und Vogel haben alle paarige Anhänge, und zwar in Form von Laufbeinen. Dieser Zustand wird mit 1 codiert (abgeleiteter Zustand). Dieses Merkmal ist für unsere Untersuchung jedoch nicht informativ, da es nicht erlaubt, zwei der drei Arten der
Abb. 10. Merkmals-Matrix (siehe Text); 1: Kiefer (vorhanden/nicht vorhanden); 2: Typ der paarigen Anhänge (Strahlenflosse/Gliedmaße); 3: Zähne (vorhanden/nicht vorhanden); 4: Kieferaufbau (mehrere Knochen, darunter das Dentale/ Kiefer nur aus dem Dentale bestehend); 5: Dottervorräte des Eies (groß/fast null); 6: paarige Vordergliedmaße (Flügel/kein Flügel).
untersuchten Gruppe abzugrenzen. Das dritte Merkmal (Zähne) wird bei der Forelle mit 0 codiert. Nach der Definition ist das Auftreten von Zähnen somit der ursprüngliche Zustand. Beim Menschen und der Fledermaus treten Zähne auf: Dieser Zustand wird mit 0 codiert (ursprünglicher Zustand). Beim Vogel sind die Zähne zurückgebildet: Dieser Zustand wird mit 1 codiert. Hier haben wir nun ein Merkmal, das zwei Gruppen von der dritten Gruppe unserer Probe abgrenzt – und somit ein informatives Merkmal. Es ermöglicht jedoch keine Unterteilung innerhalb der Untersuchungsgruppe, da die kladistische Methode keine Unterteilungen in Gruppen auf Basis gemeinsamer ursprünglicher Merkmale zulässt. Mensch und Fledermaus können nicht aufgrund des Vorhandenseins von Zähnen in einer gemeinsamen Gruppe zusammengefasst werden, da das Merkmal
„Zähne“ bereits bei der Forelle auftritt. Der Erwerb des abgeleiteten Merkmals „Rückbildung der Zähne“ tritt hier nur bei den Vögeln auf. Dies bezeichnet man als Autapomorphie, das heißt, es handelt sich um ein abgeleitetes Merkmal, das nur bei einem der untersuchten Taxa auftritt. Dieses Merkmal ist somit aus der Sicht der verwendeten Methode nicht informativ: Es sagt uns nur, dass der Vogel ein Vogel ist. Informative Merkmale Das vierte Merkmal, das sich auf den Aufbau des Kiefers bezieht, wird bei der Forelle und dem Vogel mit 0 codiert, da man bei diesen beiden ein Knochen-Mosaik vorfindet (ursprünglicher Zustand). Bei Mensch und Fledermaus wird dieses Merkmal mit 1 codiert, da hier nur ein einziger Knochen pro Kieferhälfte auftritt – das Dentale (abgeleiteter Zustand). Dieses Merkmal erlaubt es, 19
Einleitung
Die aktuellen Methoden diese beiden Arten in einer Untergruppe zusammenzufassen: sie teilen ein abgeleitetes Merkmal. Ebenso ist es mit dem fünften Merkmal, dem Dottervorrat des Eies: Vogel und Forelle haben sehr dotterreiche Eier. Dies entspricht einem ursprünglichen Zustand, da er bei der Forelle auftritt. Bei Mensch und Fledermaus dagegen besitz das Ei praktisch keinen Dotter (abgeleiteter Zustand). Das sechste Merkmal, die in Flügel umgewandelten vorderen Gliedmaßen, lassen in der Untersuchungsgruppe ebenfalls eine Unterteilung zu – allerdings dieselbe: (Fledermaus, Vogel). Dies führt zu zwei Schlüssen: 1. Für die angewandte Methode sind nur die Merkmale informativ, die mindestens zwei Mal den abgeleiteten Zustand innerhalb der Untersuchungsgruppe zeigen; 2.die Merkmale können sich völlig widersprechen (Aufteten von Homoplasie: evolutive Konvergenzen, Reversionen etc.). Legen wir nun unsere Merkmale in jedem der möglichen Stammbäume übereinander (Kladogramm, Abb. 11) und erinnern wir uns, dass eine verwandtschaftliche Beziehung, das heißt, eine Gruppe oder auch ein Knoten des Stammbaums nur auf Basis eines gemeinsamen abgeleiteten Merkmals gegründet werden darf – also auf einen gemeinsamen
schwarzen Punkt. Auf Ebene des schwarzen Punktes gehen wir von Zustand 0 zu Zustand 1. Der Stammbaum in Abbildung 11a zeigt, dass der Knoten (Mensch, Vogel) auf keinem gemeinsamen schwarzen Punkt basiert. Der Stammbaum in Abbildung 11b zeigt den Knoten (Fledermaus, Mensch); er wird von den Merkmalen 4 und 5 unterstützt: Der aus dem Dentale bestehende Kiefer und das dotterarme Ei stellen jeweils einen gemeinsamen abgeleiteten Zustand – eine Synapomorphie – dar, was wiederum von einer möglichen Verwandtschaft zwischen Mensch und Fledermaus zeugt. Der Stammbaum in Abbildung 11 zeigt den Zusammenschluss von Vogel und Fledermaus in einer gemeinsamen Gruppe auf Basis des Flügels als abgeleitetem Merkmal. Zwei Merkmale plädieren somit für die Gruppierung (Vogel, [Mensch, Fledermaus]), eines für die Gruppierung (Mensch, [Vogel, Fledermaus]) und keines für (Fledermaus, [Mensch,Vogel]). Jetzt muss folglich die Zahl der Merkmalstransformationen für jeden Stammbaum berechnet werden. Merkmal 6 widerspricht den Merkmalen 4 und 5. Zwei Möglichkeiten müssen hinsichtlich der Homoplasie in Betracht gezogen werden: Für ein homoplasisches Merkmal kann man
sowohl eine Konvergenz (Abb. 11) als auch eine Reversion (Abb. 12) annehmen. Diese beiden Optionen laufen bezüglich der Anzahl der evolutiven Ereignisse im Stammbaum auf dasselbe hinaus. Sie unterscheiden sich lediglich durch die Position dieser Ereignisse. Betrachten wir nun den Stammbaum, der in Bezug auf die evolutiven Ereignisse am ökonomischsten ist – nämlich Stammbaum 11b.Der schwarze Punkt symbolisiert die Synapomorphie – das heißt, die sekundäre Homologie (Homologie der Abstammung). Auf dem Astsegment, das Mensch, Fledermaus und Vogel verknüpft, geht das Merkmal 2 über den Zustand 0 in den Zustand 1 über (das ist bei allen diesen drei Stammbäumen so). Dies entspricht einem Schritt. Auf dem Astsegment, das Mensch und Fledermaus verknüpft, verändern die Merkmale 4 und 5 ihren Zustand (von 0 nach 1): dies sind somit zwei zusätzliche Schritte. Merkmal 3 verändert sich auf dem Ast, der zum Vogel führt, von 0 nach 1 (Autapomorphie). Dies ist somit insgesamt der vierte Schritt. Merkmal 6 (Flügel) lässt eine Konvergenz vermuten – zwei unabhängige Veränderungen von 0 nach 1 (einerseits auf dem Ast, der zum Vogel führt, und andererseits auf dem, der zur Fledermaus führt; siehe
Abb. 11. Die drei möglichen Stammbäume nach der sparsamsten Transformationshypothese. Die Homoplasien werden als Konvergenzen interpretiert; Punkte: Synapomorphien; Rechtecke: Konvergenzen.
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Abb. 12. Die drei möglichen Stammbäume (wie in Abb.11) nach der sparsamsten Transformationshypothese.Die Homoplasien werden als Reversionen interpretiert; schwarze Punkte: Synapomorphien; weiße Punkte: Reversionen.
Rechtecke). Diese Konvergenz kostet somit zwei Schritte. Dies macht für diesen Stammbaum also insgesamt sechs Schritte. Man kann auch eine Reversion vermuten; diese benötigt ebenfalls zwei Schritte (siehe weiße Punkte im Stammbaum 12b): Eine Transformation von 0 nach 1 auf dem Astsegment, das Mensch, Fledermaus und Vogel (schwarzer Punkt) verknüpft und dann eine Reversion von 1 nach 0 (weißer Punkt) auf dem Ast, der zum Menschen führt. Der Mensch hätte dann seine Flügel verloren! Die Reversion bringt es in Stammbaum 12b ebenfalls auf insgesamt sechs Schritte. Betrachten wir nun Stammbaum 11a. Hier muss eine Synapomorphie (schwarzer Punkt bei Merkmal 2), eine Autapomorphie (schwarzer bei Merkmal 3) und drei Homoplasien (Rechtecke bei 4, 5 und 6) angenommen werden. Jede Homoplasie kostet zwei Schritte, wenn es sich um eine Konvergenz (Abb. 11a) oder eine Reversion (Abb. 12a) handeln würde: Dies sind insgesamt acht Schritte. Betrachten wir schließlich Stammbaum 11c. Hier müssen zwei Synapomorphien (Merkmale 2 und 6), eine Autapomorphie (Merkmal 3) plus zwei Homoplasien (Merkmale 4 und 5) angenommen werden. Jede Homoplasie kostet zwei Schritte –
insgesamt kommt man auf sieben Schritte. Das Auswahlkriterium für einen Stammbaum ist – entsprechend dem Sparsamkeits- oder Ökonomie-Prinzip für die Hypothesen – eine möglichst geringe Zahl evolutiver Schritte. Man entscheidet sich somit für Stammbaum 11b (bzw. in der Reversionsvariante für Stammbaum 12b), da er der sparsamste ist. Wir haben uns nun folglich für die Verwandtschaft zwischen Mensch und Fledermaus entschieden. Die resultierende Klassifizierung lautet (Vogel, [Mensch, Fledermaus]). Der sparsamste Stammbaum verrät uns, dass Federn und Brustdrüsen von einem gemeinsamen Vorfahr von Mensch und Fledermaus erworben worden sind. Was die Homoplasie betrifft erkennt man, dass die Flügel entweder zweimal unabhängig voneinander entstanden (11b) oder dass sie beim Menschen sekundär verloren gegangen sind (12b). Ein Stammbaum, der noch weitere Arten enthält, würde uns zeigen, dass die erste dieser beiden Hypothesen die richtige ist. Zusammenfassung: Konstruktionsablauf einer phylogenetischen Klassifizierung Die Rekonstruktion der Verwandtschaftsverhältnisse resultiert nicht
aus einer willkürlichen Entdeckung, sondern ist eine vorher wohl durchdachte Entscheidung entsprechend der folgenden Postulate: 1. Am Anfang steht eine Frage: Definition des phylogenetischen Problems und Eingrenzung der Gruppe, die im Mitttelpunkt des Interesses steht (ingroup). 2. Auswahl einer „OrganismenStichprobe“, die geeignet ist, diese Frage zu beantworten – das taxonomische „Muster“. Dieser Schritt besteht auch darin, einen oder mehrere externe Referenzpunkte auszuwählen – die Extragruppe(n). Diese Organismen werden außerhalb der interessierenden Gruppe postuliert, das heißt, außerhalb aller Organismen, deren Verwandtschaftsverhältnis man ermitteln möchte. Die Extragruppen dienen dazu, den (die) zukünftigen Stammbaum (-bäume) zu wurzeln. 3. Wahl und/oder Ermittlung der Merkmale, die Informationen für die gestellte Frage liefert: Dieser Vorgang entspricht der Auswahl einer „Probe“ von Merkmalen. 4. Codierung und Konstruktion der Merkmalsmatrix. Die Codierung umfasst den Schritt der Aufstellung der primären Homologien (Verknüpfungsprinzip, Sequenz21
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vergleich); das Ergebnis dieser Analyse wird in einer Merkmalsmatrix eingetragen. Erforschung der möglichen Stammbäume. Eine festgelegte Zahl von Taxa der Matrix entspricht einer präzisen Anzahl möglicher Stammbäume. Bei vier Taxa, von denen eines vorab als Außengruppe definiert wurde, gibt es drei mögliche gewurzelte Stammbäume. Bei 5 Taxa sind es 15 mögliche gewurzelte Stammbäume. Im Hinblick auf den Informationsgehalt der Matrix ist es ideal, alle möglichen Stammbäume zu evaluieren. Von der Matrix ausgehende Evaluierung jedes einzelnen Stammbaums. Bestimmung eines Auswahlkriteriums für einen Stammbaum. In der Kladistik ist dieses Kriterium die Sparsamkeit (parsimony). Man wählt den sparsamsten Stammbaum aus – denjenigen also, der die kleinste Zahl evolutiver Ereignisse für die von den Organismen gezeigten Merkmalszustände benötigt. Man sollte jedoch im Hinterkopf behalten, dass es außerhalb der Kladistik noch andere Auswahlkriterien für die Wahl eines Stammbaums gibt. Wahl des Stammbaums: Hierbei handelt es sich um den kürzesten Stammbaum – um denjenigen, der die wenigsten Hypothesen zur Merkmalsveränderung erfordert. Mit diesem Stammbaum ist es möglich: – die Merkmalszustände zu identifizieren, die jeden Knoten (Kladon) dieses Stammbaums definieren (Synapomorphien = Abstammungs- oder sekundäre Homologien). – Homoplasien zu identifizieren und eventuell Schlussfolgerungen hinsichtlich der Art der Merkmalsevolution zu ziehen.
– eine phylogenetische Klassifizierung durchzuführen, das heißt, jedem zuverlässigen Knoten (Kladon) des Stammbaums einen Gruppennamen zu geben (ranking). ANMERKUNG: Die Schritte 2, 3 und 4 werden manchmal vermischt: Es kommt vor, dass die Variabilität der Merkmale zu einer Modifikation der taxonomischen „Probe“ führt. In der molekulare Phylogenie werden manchmal die Schritte 4, 5, 6, 7, 8 vermischt. Bestimmte Softwareprogramme berechnen für die Sequenzen der ausgewählten Arten direkt den Sequenzvergleich, der zum kürzesten Stammbaum führt.
Phänetik Die phänetischen Methoden analysieren die Daten auf andere Weise. Im Gegensatz zur Kladistik versuchen sie, die generelle Ähnlichkeit zwischen Organismen zu quantifizieren. Zu diesem Zweck errechnen sie einen Index für die generelle Ähnlichkeit zwischen zwei Taxa – das heißt, eine Distanz für jedes Taxonpaar. Werden Sequenzen verglichen, so entspricht diese Distanz der Zahl der unterschiedlichen Nucleotide zweier Arten – oder im Falle von Aminosäuresequenzvergleichen der Zahl der unterschiedlichen Aminosäuren – dividiert durch die Zahl der untersuchten Sites. Insgesamt handelt es sich um das prozentuale Verhältnis der Sequenzunterschiede, die zwischen zwei Arten bestehen. Die Distanzen werden in eine Matrix (Abb. 13) eingetragen. Solche Distanzen können auch noch korrigiert werden, in dem man eine evolutive Information einfließen lässt – beispielsweise um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass
bestimmte Mutationstypen häufiger stattfinden als andere. Dies zu vertiefen sprengt jedoch den Rahmen dieses Kapitels. Es gibt mehrere Techniken, um einen Stammbaum, ausgehend von so einer Matrix, zu konstruieren. Die einfachste ist die UPGMA (unweighted pair group method using averages)-Methode. Sie findet durch schrittweises Zusammenfassen von Organismen (von den am nächsten zu den am weitesten entfernt verwandten) für eine bestimmte Matrix jeweils einen einzigen möglichen Stammbaum und hat den Vorteil, dass man sie sozusagen „von Hand“ durchführen kann – vorausgesetzt die Matrix ist nicht zu groß. Ihr Nachteil ist jedoch, dass sie die Hypothese voraussetzt, wonach sich die Sequnzen in allen Ästen des Stammbaums gleich schnell entwickeln. Dies ist ein echter Nachteil, da diese Forderung nur schwer einzuhalten ist. Wenn man sie jedoch nicht beachtet, resultiert daraus ein falscher Stammbaum. Eine weitere, ziemlich verbreitete Methode ist die von W. Fitch und E. Margoliash. Sie erfordert für die Evolutionsgeschwindigkeit der Moleküle keine spezielle Hypothese. Wenn man die Homoplasie berücksichtigt, die bei allen biologischen Gegebenheiten im Spiel ist, lässt sich kein Stammbaum konstruieren, bei dem jede Distanz zwischen zwei Arten (die man durch die Addition der Astlängen erhält, die die beiden Arten im Stammbaum miteinander verbindet) exakt gleich groß wäre wie die Distanz, die in der Ausgangsmatrix dargestellt ist. Die Konsequenz ist, dass die Distanzen in diesem Stammbaum immer mehr oder weniger von den Distanzen der Ausgangsmatrix abweichen (also größer oder kleiner sind). Das Auswahlkriterium für den Stammbaum ist die Minimierung dieser Abweichung:
Die aktuellen Methoden
Einleitung
Abb. 13. Sequenzvergleich eines Teils von α-Hämoglobin.Die Buchstaben entsprechen dem Code der Aminosäuren.Die Bindestriche stellen zur ersten Reihe identische Aminosäuren dar. Ein Stern zeigt das Fehlen einer Aminosäure an.
Man wählt den Stammbaum aus, bei dem die Distanzen zwischen den Arten zu denen der Ausgangsmatrix so ähnlich wie möglich sind. Eine dritte Methode, die einen ausgefeilteren Algorithmus besitzt, ist die so genannte neighbour-joining-Methode. Der besondere Kniff dieser Distanzmethode ist die Einführung eines Minimierungs-Kriteriums, das sich auf die gesamte Stammbaumlänge bezieht. Mit dieser Methode wird stets ein einziger Stammbaum ermittelt – doch ohne unbedingt von Anfang an die am nächsten miteinander verwandten Arten zusammenzufassen (wie es bei UPGMA der Fall ist). Bei jedem Zusammenfassungsschritt werden bei dieser Methode stattdessen diejenigen Arten ausgewählt, deren Zusammenschluss die Gesamtlänge des Stammbaums minimiert. Zwei Anmerkungen sollen in diesem Zusammenhang nicht fehlen: Die auf der Distanz basierenden Stammbäume drücken Ähnlichkeitsgrade zwischen Taxa aus. Die Ähnlichkeit ist nicht immer proportional zur Verwandtschaft. Dies ist
einerseits bei einer extremen Divergenz des Taxons der Fall und andererseits, wenn unzureichende phylogenetische Signale zu einer schwachen Auflösung des Verwandtschaftsgrades führen. Dann kann es vorkommen, dass die Distanzmethoden Arten auf Basis von Symplesiomorphien zusammenfassen (die man als solche aufdeckt, wenn man dieselben Daten kladistisch analysiert). Die Distanzmethoden werden heute vor allem auf molekulare Daten angewendet – und nicht mehr auf morphologische. Im Gegensatz zu einer in der fachkundigen Öffentlichkeit ziemlich verbreiteten falschen Vorstellung müssen die Sequenzdaten nicht unbedingt mithilfe der Distanzmethoden analysiert werden, sondern können uneingeschränkt mit dem kladistischen Ansatz bearbeitet werden. Anwendung der „UPGMA-Methode“ Der Algorithmus lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. In der Distanz-Matrix müssen die Taxa i und j gefunden werden, für die die Distanz d am kleinsten ist.
2. Die Wurzel wird im gleichen Abstand zu i und j gesetzt – dies entspricht dij/2. 3. Es wird eine neue Gesamtgruppe U gebildet, die i und j enthält. Wenn i und j die letzten beiden Gesamtheiten sind, ist der Stammbaum vollständig. 4. Berechnung einer Distanzmatrix, indem man als Abstand von U zu jedem anderen Taxon k die Mitte der Distanzen dki und dkj berechnet: dUk = (dki + dkj)/2. 5. Ausgehend von dieser neuen Matrix (zu der man mindestens einen Zugang hat, da i und j zu der Gesamtheit U zusammengefasst wurden) kehrt man wieder zu Punkt 1 zurück. ANMERKUNG: Die Schritte 2 und 4 setzen voraus, dass die Quantität der Evolution (die Distanz) in zwei Schwesterästen gleich groß sein muss. Wenn die Daten dies jedoch nicht erfüllen, resultiert daraus ein falscher Stammbaum. Betrachten wir den Aminosäuresequenz-Vergleich für α-Hämoglobin (Abb. 13) beim Menschen (H), einer Fledermaus (Ch), einem Vogel 23
Einleitung
Die aktuellen Methoden (Huhn, O) und dem Karpfen (Ca). Man kann den Prozentsatz für die Unterschiede in jedem Sequenzpaar berechnen und diesen dann in eine Matrix (Abb. 14) eintragen. Der kleinste Abstand liegt mit 9,93% zwischen Mensch und Fledermaus. Die Wurzel zwischen Mensch und Fledermaus beträgt 9,93/2 – liegt also ca. bei 5% (Abb. 14). Betrachten wir M als neue Gesamtheit (Mensch + Fledermaus) und erstellen nun eine neue Matrix mit dMO = (dHO + d
ChO)/2 = 30,5%, und dMCa = (dHCa + dChCa)/2 = 51,4%. In der neuen Matrix ist dMO die kürzeste Distanz. Der Vogel wird der Gesamtheit M zugerechnet – es entsteht eine neue Gesamtheit. Die Wurzel liegt im Abstand von dMO/2 = 15,25 % zu O. Nun muss nur noch der Karpfen hinzugefügt werden: dCaA = (dCaO + dCaM)/2 = 52,11%. Die Wurzel liegt in einem Abstand von dCaA/2 = 26,055% zum Karpfen. Der aus diesen Berechnungen resultie-
rende Stammbaum ist in Abbildung 14 unten dargestellt. ANMERKUNG: Diese Methode ermöglicht keine Auswahl einer Außengruppe: Der Stammbaum wird im Mittelpunkt nach dem Prinzip der Schritte 2 und 4 gewurzelt. Das Risiko, Arten auf Basis gemeinsamer ursprünglicher Merkmale in einer Gruppe zusammenzufasssen, ist daher groß.
Abb. 14. Berechnung eines Stammbaums nach der UPGMA-Methode. Die Distanz-Matrices werden aus den Sequenzen ermittelt (Abb. 13). Die jeweils angegebene Zahl ist das prozentuale Verhältnis, das zwischen den verschiedenen Aminosäuren zweier Sequenzen auftritt.
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Eigenschaften der Methoden Andere Methoden der Stammbaum-Konstruktion Die oben beschriebenen Methoden sind die gebräuchlichsten. Die Kladistik und ihre computerisiserten Derivate, die Sparsamkeitsmethoden (z. B. Softwareprogramme PAUP, HENNIG86, DNAPARS, WINCLADA etc.), werden universell eingesetzt. Die Distanzmethoden (Fitch, Neighbour-Joining) werden vor allem für DNA- und Aminosäuresequenzdaten eingesetzt. Es gibt jedoch auch noch andere Methoden – beispielsweise die mit der Sparsamkeitsmethode verwandte Kompatibilitätsmethode. Sie ermittelt jedoch nicht den kürzesten Stammbaum, sondern den am weitesten entwickelten, bei dem die gleichzeitig auftretenden Merkmale (untereinander kompatible Merkmale) nicht homoplasisch sind. Die Wahrscheinlichkeitsmethoden stellen ein Modell aus Parametern auf, deren Regeln verschiedene Hypothesen formulieren. Diese Hypothesen betreffen vor allem Merkmalszustände und werden in Wahrscheinlichkeitstermini ausgedrückt. Beispielsweise könnte ein Modell festlegen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Nucleotidaustauschs von Adenin zu Cytosin 0,3 beträgt, die Wahrscheinlichkeit eines Nucleotidaustauschs von Adenin zu Guanin dagegen 0,5. So wie jeder Stammbaum entlang seiner Äste Veränderungen in den Merkmalszuständen voraussetzt, multiplizieren sich alle Wahrscheinlichkeiten, die mit den Transformationen bei einem bestimmten Stammbaum verknüpft sind und liefern einen globalen Wahrscheinlichkeitswert für die Daten, die diesen Stammbaum betreffen. Unter den möglichen Stammbäumen wird derjenige ausgewählt, bei dem die Wahrscheinlichkeit der Daten im Hinblick auf das Modell maximal ist. Diese Methode funktio-
Einleitung niert bei molekularen Merkmalen, für die dann Evolutionsmodelle der Proteine oder Nucleinsäuen aufgestellt werden können. Auf morphologische Merkmale ist diese Methode nur schwierig anzuwenden, da die Morphologien sehr stark mit dem Organismus verknüpft sind: Man hat daher meist keinerlei Vorstellung von der Umwandlungswahrscheinlichkeit, die von einem Merkmalszustand zum anderen führt und kann daher keine entsprechenden Modelle konstruieren.
4. Eigenschaften der Methoden Bei echten Phylogenien – bei solchen also, die durch computergestützte Simulationen oder experimentalphylogenetischen Arbeiten bekannt sind (z. B. schnelle Virus-Phylogenese unter Laborbedingungen) – konnte man zeigen, dass alle Methoden dieselbe Phylogenie ergeben, wenn die Daten nur wenig Homoplasien und ausreichend Information enthalten. Wenn die Daten nur wenige Unterscheidungs-Informationen enthalten, liefern alle diese Methoden Stammbäume mit kurzen inneren Ästen. In diesem Fall findet man häufig widersprüchliche Topologien zwischen den Methoden, insbesondere bei den Distanzmethoden, die die Arten aufgrund gemeinsamer ursprünglicher Merkmale (Symplesiomorphien) einer gemeinsamen Gruppe zuordnen. Alle diese Methoden neigen zu Artefakten in Form langer Äste (Abb. 19). Dieses Artefakt rührt von Ungleichheiten bei den Evolutionsraten der Merkmale zwischen den analysierten Linien her. Die Arten, die sich schneller entwickeln, haben einen längeren eigenen Ast. Sie liefern Homoplasien. Theoretisch und experimentell konnte gezeigt
werden, dass – unterhalb eines bestimmten Abstands der Evolutionsgeschwindigkeit zwischen den Arten – die Arten, die sich schneller entwickeln, mehr Chancen haben, durch Zufall gemeinsame Merkmalszustände zu besitzen als durch die gewöhnliche Abstammung, und dass die Anzahl der so gewonnenen gemeinsamen Merkmale höher wird als die, die sie getrennt haben müsste. Die Folge ist, dass sie im Stammbaum unabhängig von der Verwandtschaft als Gruppe angeordnet werden: Dies bezeichnet man als die Anziehungskraft der langen Äste.
Wann ist ein Stammbaum phylogenetisch? Ausgehend von der historischen Sichtweise (Haeckel 1866; Darwin 1872) definieren Darlu und Tassy (1993) Phylogenie so: „Sie entspricht dem geschichtlichen Verlauf der organisierten Lebewesen.“ Sie betonen damit, dass der erfolgreiche Einsatz des Stammbaums mit einer phylogenetischen Darstellung einhergeht. Auch wenn die Phylogenie durch einen Stammbaum effektiv repräsentiert wird, ist nicht jeder Stammbaum gleich phylogenetisch, da jeder Stammbaum als nicht zirkulärer, zusammenhängender Graph außerhalb eines jeden phylogenetischen Kontexts genutzt werden kann, wann immer eine Hierarchie symbolisiert werden soll. Beispielsweise besteht ein Schlüssel zur Bestimmung von Arten aus einer Hierarchisierung von Erkennungsmerkmalen, die das Aussehen eines Stammbaums hat. Ein Stammbaum kann auch dazu dienen, Gartenwerkzeuge aufgrund ihres Aussehens zu klassifizieren, über das Ergebnis von Auswahlverfahren zu berichten, die einer sportlichen Begegnung vorausgehen, die hierarchischen Beziehun25
Einleitung
Eigenschaften der Methoden gen von Dienstpersonal zu illustrieren – oder, allgemeiner formuliert, irgendeine Rangordnung (Organigramm) aufzustellen. Wie wird ein Stammbaum zur Phylogenie? Hier ist es üblich, eine umfangreiche und eine strikte, ein wenig technische Definition zu geben. Nach P. Darlu kann keine Rekonstruktionsmethode für sich allein irgendein evolutives Modell hervorbringen, das heißt, ein Modell mit einem automatisch aus einer Phylogenie resultierenden Stammbaum. Dem ist zuzustimmen. Ein Stammbaum ist phylogenetisch aufgrund spezifischer evolutiver Hypothesen, die die Biologen bei der Anwendung der Klassifizierungsmethoden aufstellen. Anders ausgedrückt sind Phäno- und Dendrogramme nur dann Phylogenien, wenn der Autor sie konstruiert hat und sie als solche bezeichnet. Der zuletzt genannte Punkt wird von den Verfechtern einer strikteren Definition diskutiert. Die strikte Definition beinhaltet zwei Bedingungen: 1. Das Konzept von Abstammung und Modifikation muss innerhalb der Methode formuliert werden, die für die Stammbaumkonstruktion verwendet wird. Die Lebewesen haben nämlich die einzigartige Fähigkeit, ihre Modifikationen an ihre Nachkommen zu vererben und sich dadurch weiter zu entwickeln. Diese einzigartige Fähigkeit muss untrennbar mit dem Stammbaum verknüpft sein, den man zu einer Phylogenie machen möchte (wenn auch diese Frage unter Spezialisten noch weiter diskutiert werden muss). Technisch wird dieses Konzept bei der „a-priori-Polarisation“ der Merkmale eingesetzt – bei der klassisch Hennig’schen Methode. Bei den computergestützten ParsimonieMethoden wird dieses Konzept durch die „a-priori-Auswahl“ einer (oder mehrerer) Außengrup26
pe(n), deren Einbau in die Matrix und die „a-posteriori-Wurzelung“ des Stammbaums gemäß der Außengruppen erzeugt. 2. Der Stammbaum ist phylogenetisch, wenn er a posteriori die Aufdeckung von Ähnlichkeiten (Homologien), die von einem gemeinsamen Vorfahr geerbt worden sind, sowie von falschen Ähnlichkeiten (Homoplasien) ermöglicht. Insbesondere das Kladogramm ermöglicht uns eine „sparsame“ Aufdeckung von Erfolgen (bestätigte Homologien) und Irrtümern (Homoplasien) innerhalb dessen, was wir ursprünglich als homologe Merkmale angenommen haben, da auf den Ästen des Kladogrammms die Modifikationen der Merkmale angesiedelt sind (Abb. 19). Wenn wir die Hypothese einer Homologie zwischen dem Flügel einer Fledermaus und dem eines Vogels aufgestellt hätten, würde der sparsamste Wirbeltierstammbaum, der aufgrund Dutzender weiterer Merkmale aufgestellt worden ist, zeigen, dass diese Flügel zweimal unabhängig voneinander entstanden sind: einmal auf dem Ast der Fledermaus (Abb. 11b) und einmal auf dem Ast des Vogels, der von dem der Fledermaus durch weitere Äste getrennt ist. Es handelt sich somit um eine Homoplasie – eine Ähnlichkeit, die nicht von einem gemeinsamen Vorfahren geerbt worden ist. Wenn wir gleichzeitig beim Aufbau des Kiefers von Mensch und Fledermaus eine Homologie angenommen hätten, hätten wir festgestellt, dass der ausschließlich aus dem Dentale bestehende Kiefer in diesem Stammbaum nur ein einziges Mal aufgetaucht ist, und zwar an dem Punkt, an dem sich diese beide Arten treffen (Abb. 11b) – nämlich dort, wo sich deren gemein-
samer Vorfahr befindet. Der ausschließlich aus dem Dentale bestehende Kiefer ist somit eine durch den Stammbaum bestätigte Homologie-Hypothese, eine Ähnlichkeit, die von einem gemeinsamen Vorfahren ererbt wurde. Die Kladogramme erlauben somit schlussendlich, Homologien und Homoplasien zu identifizieren. Die Distanzstammbäume ermöglichen dies nicht, da sie nicht direkt von den Merkmalen ausgehen. Ist eine primäre Homologie erst einmal formuliert, werden die Merkmalszustände von Anfang an in Distanzen umgewandelt.
Umgang mit phylogenetischen Konflikten Die molekularen Daten stellen dem Biologen viele wertvolle Merkmale zur Verfügung – sowie im Allgemeinen eine große strukturelle Armut. Am häufigsten werden die Nucleinsäuren analysiert. Sie haben nur fünf mögliche Zustände: A, C, G, T sowie Insertion/Deletion (*). Die Zahl der analysierten Organismen ist gering (weniger als 25 Arten sind untersucht). Die morphologisch-anatomischen Daten liefern Merkmale, die an sich reicher an Information sind – allerdings in kleinerer Zahl.Vor allem die taxonomische Stichprobennahme ist deutlich vollständiger. Trotz dieser Unterschiede kann man mit Recht sagen, dass die Konflikte innerhalb der morphologischen bzw. molekularen Stammbäume zumindest so häufig sind wie die echten Konflikte zwischen morphologischem und molekularem Stammbaum. Die phylogenetischen Konflikte zwischen morphologischen und molekularen Daten können von verschiedenen Faktoren herrühren: von unterschiedlichen Evolutionsgeschwindigkeiten molekularer Merk-
Eigenschaften der Methoden male innerhalb der Linien, von der Stichprobengröße, von der Zahl der Merkmale, von der Konstruktionsmethode des Stammbaums, die der Art der Merkmalsevolution nicht angepasst ist – bei der molekularen Phylogenie manchmal sogar von der Verfälschung von Genen, die als Marker für die Geschichte der Arten fungieren: Das Gen, das bei einer bestimmten Art gefunden wurde, kann in Gestalt eines horizontalen Transfers die Kopie von dem eines anderen Organismus sein. Diese Konflikte können durch den Vergleich von Stammbäumen dargestellt werden, die durch das Zusammenspiel verschiedener Daten entstanden sind, sowie durch Konsensustechniken. Um jedoch den Konflikt zu verstehen (um dessen Stärke zu messen und um eventuell die Artefakte aufzudecken, die die Quelle dieses Konfliktes sind), muss man die verschiedenen Stammbäume untersuchen und deren Robustheit vergleichen. Man kann hier noch weiter gehen, indem man die Stärke des auftretenden Konflikts mit statistischen Tests misst und zum Schluss eine gleichzeitige phylogenetische Analyse aller vorhandenen Daten produziert – das heißt, man kann einen Stammbaum, ausgehend von allen, in ein und derselben Matrix verfügbaren Daten konstruieren. Dieser Ansatz wird als total evidence bezeichnet – doch kann man zeigen, dass dieser Ausdruck nicht treffend ist. Wenn die Quelle des Konflikts zuverlässig identifiziert werden kann, kann man den letztgenannten Ansatz so angehen, dass man die von dem Artefakt stammenden Merkmalszustände mit einem Fragezeichen versieht– und auf diese Weise die Matrix bereinigen. Im vorliegenden Werk bekommen wir die Konflikte durch den Vergleich der Stammbäume und den der Robustheit in den Griff sowie durch den
Einleitung Vergleich der Häufigkeit, mit der ein Kladon gefunden wird – unabhängig von der Häufigkeit, mit der sein Herausforderer gefunden worden ist. Wenn der Konflikt unlösbar ist, wird der strikte Konsensus-Stammbaum angewendet (vgl. Abb. 16a).
Robustheit-Analyse In der heutigen Zeit sollte ein phylogenetischer Stammbaum nicht ohne Robustheit-Analyse veröffentlicht werden. Die Robustheit der phylogenetischen Stammbäume unterscheidet sich je nach der Kultur des Biologen, der einen solchen Stammbaum aufstellt. Die Statistiker unter den Biologen nehmen Bezug auf den bootstrap-Wert eines StammbaumKnotens – ein Maß für die statistische Robustheit. Die bootstrap-Technik wird weiter unten erklärt. Die Morphologen, Anatomen und Paläontologen bevorzugen die Betrachtung von Quantität und Qualität der Synapomorphien, die in einem Kladon auftreten. Bei der Darstellung eines Kladogramms in Form eines Phylogramms ist die Astlänge proportional zur Zahl evolutiver Ereignisse, die dort stattgefunden haben. Diese Ereignisse können Synapomorphien (exklusiver Erwerb abgeleiteter Merkmalszustände) oder Homoplasien (nicht exklusiver Erwerb abgeleiteter Merkmalszustände) sein. Je länger ein innerer Ast wird, um so größer wird der Anteil synapomorpher Ereignisse, und um so solider oder robuster wird dieser Ast. Der Ausschluss eines Kladon-Mitglieds würde viele zusätzliche Konvergenzhypothesen erfordern. Bei den morphologischen Merkmalen sind die Komplexität eines Merkmals,das sich an einem bestimmten Knoten des Stammbaums verändert und die Zahl der Male, an denen dieses Merkmal an anderen Orten des Stammbaums
Änderungen durchläuft, daher Hinweise auf die Solidität des Knotens. Eine andere Weise, die Solidität eines Kladons einzuschätzen,besteht in der Untersuchung der Stammbäume, die ein bisschen weniger sparsam sind als der sparsamste. Erinnern wir uns, dass der sparsamste Stammbaum derjenige ist, der die geringste Zahl an evolutiven Transformationen oder Schritten entlang seiner Äste benötigt. Für ein bestimmtes Kladon wird untersucht, wie viele evolutive Schritte zusätzlich benötigt werden, um innerhalb der weniger sparsamen Stammbäume auf ein Kladon zu treffen, das dem Kladon, das im Mittelpunkt des Interesses steht, widerspricht. Wenn man auf ein widersprechendes Kladon trifft (unter der Voraussetzung, dass man die Stammbäume zulässt, die nur einen einzigen Schritt mehr als die minimale Schrittzahl erfordern), braucht es dagegen nicht viel, das interessierende Kladon zu verwerfen. Diese Anzahl der Schritte wird als Bremer-Index bezeichnet. Die Biologen, die die molekularen Phylogenien konstruieren,haben mit einer großen Zahl strukturarmer Merkmale zu tun. Die Tatsache, dass die Site einer Sequenz an diesem oder jenem Knoten mutiert, ist für das Merkmal selbst nur von geringem Interesse. Diese Daten werden daher mit einem statistischen Verfahren bearbeitet – so wie es in der Phänetik üblich ist. Dieser ist sicherlich der Grund dafür, dass der bootstrap in der molekularen Phylogenie sehr gebräuchlich ist. 1985 schlug J. Felsenstein den bootstrap als Messinstrument für die Robustheit von Phylogenien vor. Ohne von außen kommende Informationen zu benutzen, misst man hierbei den Grad, mit dem eine Auswahl an Daten (meist Sequenzen) eine bestimmte Gruppierung unterstützt. Dies geschieht anhand einer bestimmten Technik zur Stamm27
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Eigenschaften der Methoden baumkonstruktion. Die Vorgehensweise des bootstrap besteht in der zufälligen Auswahl und dem Ausschluss von Merkmalen – im vorliegenden Fall in der Auswahl von Sites der Sequenz, bis die Zahl der ausgewählten Sites gleich groß ist wie die der ursprünglichen Daten-Stichprobe (siehe Abb. 15). Nach der Auswahl einer ersten Site ist zu berücksichtigen, dass diese stets bei den weiteren Auswahlvorgängen auf dem Spiel steht. Bei der Auswahl der zweiten Site ist es daher sehr gut möglich, dass die erste Site ein zweites mal ausgewählt wird. Daraus folgt, dass bei der Auswahl von n Sites aus n Sites die künstliche Stichprobenmenge aus mehreren Exemplaren einer bestimmten Site besteht, während andere fehlen. Ausgehend von dieser künstlichen Datenprobe wird ein Stammbaum konstruiert. Dabei sind alle Konstruktionstechniken möglich: Parsimonie, Distanz etc. Diese Vorgehensweise (Auswahl und Ausschluss von n Sites unter n Sites mit anschließender Stammbaumkonstruktion) wird sehr häufig wiederholt (im Allgemeinen 1000 Mal). Auf diese Weise erhält man viele Stammbäume, die eine Vielzahl von Gruppierungen repräsentieren. Einige davon sind allerdings widersprüchlich. Das Ergebnis hat generell die Form eines Konsensus-Stammbaums, in dem alle aufgetretenen Hauptgruppen dargestellt sind (Abb. 15). Jede Gruppe (jeder Knoten) hat somit einen Prozentsatz, der auf das Größenverhältnis der Stammbäume hindeutet, die aus den Auswahlverfahren hervorgegangen sind, die sie darstellen: Dies ist der bootstrapWert oder das Größenverhältnis vom bootstrap zum Knoten. Man muss nun im Hinterkopf behalten, dass der Prozentsatz eines Knotens bedeutet, dass jede andere Topologie, die ihm widerspricht, mit einem geringeren Prozentsatz auftritt. Die Darstellung 28
in einem Konsensus-Stammbaum ist nicht obligatorisch. Man kann auch den sparsamsten Stammbaum, der aus einer kladistischen Standardanalyse stammt, darstellen und die Klada mit ihren bootstrap-Werten versehen. Auf diese Weise kommt es zu einer Einschätzung der Widerstandsfähigkeit eines Knotens gegenüber der Störung durch die Datenlage: Je kleiner die Zahl der Sites, die eine bestimmte Gruppierung unterstützen, desto geringer die Chancen, dass diese Site bei zufälligen Probenauswahlen („Ziehungen“) gezogen wird – und um so geringer wird das Größenverhältnis der Stammbäume, die diese Gruppierung repräsentieren: der bootstrap-Wert wird schwach sein. Wenn es umgekehrt für eine bestimmte Gruppierung von Arten innerhalb der Sequenzen ein starkes Signal gibt (viele Sites), haben diese Sites mehr Chancen, bei jeder Ziehung ausgewählt zu werden – und der bootstrap-Wert ist stark. Der bootstrap-Wert spiegelt somit Charakteristika phylogenetischer Signale einer Datenauswahl wider, und zwar anhand einer bestimmten Technik zur Stambaumkonstruktion. Ein Knoten, der zu 95% „unterstützt“ wird, bedeutet, dass es innerhalb der Sequenzdaten ein sehr starkes Signal gibt, das es mit der benutzten Konstruktionstechnik ermöglicht, diese Arten in eine gemeinsame Gruppe einzuordnen. Der Knoten wird dann als robust bezeichnet. Doch darf diese Robustheit nicht als die Wahrscheinlichkeit dafür angesehen werden, dass diese Gruppe auch in Wirklichkeit so aufgebaut ist – ein Fehler, dem man ziemlich oft begegnet. Die Robustheit gibt lediglich einen Hinweis auf die Unterstützung dieser Gruppierung durch die vorher analysierten Daten. Die Robustheit erlaubt es uns also, bei der Behandlung phylogene-
tischer Konflikte einen gewissen Abstand zu gewinnen: Einem phylogenetischen Konflikt wird somit keine Bedeutung beigemessen, wenn die Klada, auf denen er beruht, nicht robust sind. Außerdem erwartet man von einem zufälligen phylogenetischen Ergebnis, dass es robust ist. Doch ist diese Robustheit nicht alles. Die Indizes für die Robustheit können selbst Opfer von Artefakten sein. Die Robustheit ist nicht das selbe wie die Zuverlässigkeit. Damit ein neues phylogenetisches Ergebnis als zuverlässig angesehen werden kann, muss es mehrere Male unabhängig reproduzierbar sein – das heißt, von verschiedenen Forschern und ausgehend von unabhängigen Daten. Beispielsweise hat man in den letzten Jahren entdeckt, dass die Schwestergruppe der Cetacea (Wale) die Hippopotamidae sind – und dies mehrmals, ausgehend von mehreren, sehr unterschiedlichen molekularen Daten (mehrere unabhängige Gene, Retrotransposons an ganz bestimmten, immer gleichen Stellen des Genoms). Seit den 1970er-Jahren dachte man, dass die Pinnipedia (Ohrenrobben, Robben, Walrosse) polyphyletisch seien, und dass die Ohrenrobben näher mit den Bären, die Robben näher mit den Wieseln verwandt seien. Doch haben seit einigen Jahren mehrere unabhängige Carnivoren-Phylogenien aufgedeckt, dass die Pinnipedia monophyletisch sind. Dieses Ergebnis muss sehr genau weiter verfolgt werden.
Konsensustechniken Um die taxonomische Information zusammenzufassen, die von widersprüchlichen, gleich sparsamen Stammbäumen stammt, werden Konsensusbäume verwendet (Abb. 16). Diese Techniken setzen den Akzent auf die Stabilität eines gege-
Eigenschaften der Methoden
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Abb. 15. bootstrap-Verfahren Sequenzvergleich: p = Arten; n = Sites
benen Knotens und auf den gemeinsamen Teil der Information, die durch mehrere Stammbäume rekonstruiert wurde. Die gebräuchlichsten Konsensustechniken sind der strikte
Konsensus (Abb. 16a) und der Hauptkonsensus (Abb. 16b zur Darstellung der bootstrap-Resultate). Bei der strikten Konsensustechnik werden nur die Knoten beibehalten, die
bei sämtlichen widersprüchlichen Datenproben gefunden worden sind. Die anderen Knoten werden zu Multifurkationen verkürzt. Bei der Hauptkonsensustechnik werden nur 29
Veränderungen unserer Klassifizierungen die Verzweigungen beibehalten, die bei der Mehrheit der widersprüchlichen Datenproben auftreten. Ein weiterer Konsensustyp wird als „semi-strikt“ oder „kombinierbare Komponente“ bezeichnet. Er besteht darin, die untereinander kompatiblen Klada darzustellen und die inkompatiblen Klada zu Multifurkationen zu verkürzen (Abb. 16c). Wenn einer der beiden Stammbäume, die zusammengefasst werden sollen, nicht gelöst werden kann (Abb. 16c, links), ist dieser nicht grundsätzlich inkompatibel mit
einem gelösten Stammbaum (Abb. 16c, rechts). Der strikte Konsensus rekonstruiert kein Kladon innerhalb von BCD, da er nur die Klada beibehält, die in sämtlichen Stammbäumen auftreten, die zusammengefasst werden sollen. Der semi-strikte Konsensus nimmt an, dass die beiden Stammbäume sich in der Schwestergruppen-Beziehung zwischen B und C nicht widersprechen, und rekonstruiert daher diese Beziehung.
Einleitung
5. Veränderungen unserer Klassifizierungen Die Veränderungen unserer Klassizierungen während der letzten 30 Jahre haben zwei Triebfedern. Die erste besteht in reiner Technik – der Einführung von biotechnologischen Werkzeugen in die Systematik, die alle grundsätzlich dieselben Konzepte benutzen. Die zweite Triebfeder ist viel tief greifender: Es handelt sich um unsere Art, über die Hierarchisierung der Biodiversität zu denken – um die Algorithmik, mit deren
Abb. 16. Konsensus-Techniken zur Stammbaumkonstruktion. a: strikter Konsens; b: Hauptkonsens; c: semi-strikter Konsens
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Veränderungen unserer Klassifizierungen Hilfe wir uns versichern, dass die Analyse der Strukturen der Lebewesen zu einer rein phylogenetischen Klassifizierung führt. Die molekulare Systematik erscheint nur deshalb modern, weil sie spektakuläre Werkzeuge verwendet, die von den beteiligten Vertriebsfirmen zusätzlich aufgewertet werden. Diese Art der Modernität wird gelobt, da sie handwerklich ist; doch sie kaschiert die wahre Modernität – die Vergänglichkeit der Geschichte der Ideen. Die Hennig‘sche Revolution hat mit hundertjähriger Verspätung ermöglicht, den Wunsch Darwins zu erfüllen, dass die Klassifizierungen den Stammesgeschichten (wir würden heute Phylogenien sagen) so genau wie möglich folgen sollten. Die wahre Modernität ist der Verzicht auf die paraphyletische Gruppe.
Eine neue Methode und das Zurückgreifen auf neue Merkmale Im gesamten Buch zeigen wir die Veränderungen auf, die in unseren Klassifizierungen durch die konzeptionelle und methodologische Revolution erzeugt wurden – basierend auf der kladistischen Analyse der klassischen Merkmale der Anatomen. Zur Erinnerung seien hier die wichtigsten Ergebnisse genannt – z. B. der Wegfall der klassischen Gruppen der Protozoen, Algen, Bryophyten, Gymnospermen, Evertebraten, Diblasten, Acoelomaten, Agnathen, Fische, Reptilien und Prosimia (siehe Anhang). Doch ist die Hennig’sche Systematik (ebenso wie deren geschichtliche Herausforderer) unfähig, die Fragen zu beantworten, die sich ihr ohne vergleichbare Merkmale stellen. Der Zugang zu DNA- und Proteinsequenzen war zwischen 1967 und 1985 nur sehr eingeschränkt möglich. Zwischenzeitlich
ist dies durch die in-vitro-Amplifizierung von Genen (PolymeraseChain-Reaction, PCR) und die automatischen Sequenzierungstechniken viel einfacher geworden. Dies sind für die Systematiker zwar in diesem Sinne keine neuen Methoden, doch wird so der Zugang zu einer neuen Merkmalsklasse ermöglicht – der Quelle der molekularen Phylogenie. Zugegeben, die Biochemie lieferte bereits seit Beginn der 1950er-Jahre Möglichkeiten zur phänetischen Klassifizierung – und zwar in Form des Enzympolymorphismus, der Interaktionskräfte zwischen Antikörper und Antigen (seit 1963) sowie der Interaktionskräfte zwischen DNA und DNA (seit 1970). Diese Techniken traten in der Systematik jedoch nur marginal auf, da sie den schmalen taxonomischen Ebenen untergeordnet wurden – mit Ausnahme der DNA-DNA-Hybridisierung, die in großem Umfang durchgeführt wurde, um 168 der 171 rezenten Vogelfamilien zu klassifizieren. Der allergrößte Teil der Ergebnisse der molekularen Systematik beruht heute auf Sequenzdaten. Abgesehen von dem experimentellen (aber pionierhaften) Ansatz von W. Fitch und E. Margoliash im Jahre 1967 und den Arbeiten der Gruppe um Goodmann im Jahr 1963, die alle auf Proteinsequenzen basierten, fand der wirkliche Kulturschock erst im Jahr 1977 statt, als C. Woese und G. E. Fox die Bakterien auf der Basis ribosomaler Sequenzen klassifizierten. Sie entdeckten, dass sich die Lebewesen nicht (nur) in Pro- und Eukaryoten aufteilen, sondern vielmehr in drei Domänen – nämlich die Archaea, Eubacteria und Eucarya – und dass der genetische Unterschied zwischen Eukaryoten und Archaeen genauso groß ist wie zwischen Eukaryoten und Eubakterien. Die Welt der Prokaryoten deckte somit ungeahnte
Einleitung Divergenzebenen auf. Im Jahre 1986 hatten C. Woese und G. Olsen die Idee, die homologen 16S-Sequenzen der Mitochondrien und der Chloroplasten in den Datensatz einzubauen. Sie kamen zu der erstaunlichen Feststellung, dass sich diese Mitochondrien- und ChloroplastenSequenzen im Stammbaum nicht in der Nähe der homologen Kernsequenzen ihres Wirtes wiederfanden, sondern innerhalb der Eubakterien (Abb. 17). Dies war der berühmte endgültige Beweis dafür, dass die Mitochondrien und die Chloroplasten endosymbiontischen Ursprungs sind. Ende der 1980er-Jahre kam es zu einer Polemik über die Paraphylie der Archaea: Einige davon waren näher mit den Eukaryoten als mit anderen Archaeen verwandt, der Stammbaum der Lebewesen wurzelte auf den Eubakterien. Heute ist die Diskussion über die Wurzel der Lebewesen immer noch lebendig. Es kommen sogar Argumente ins Spiel, wonach die Wurzel der Lebewesen eukaryotisch sein soll. Genetische Amplifikationen, die mit nicht identifizierten Mikroorganismen aus den verschiedensten Lebensräumen durchgeführt wurden, legen beunruhigende genetische Divergenzen nahe. Die Welt der Bakterien könnte uns somit nur einen Teil ihres „genetischen Eisberges“ zeigen: Es könnten zahlreiche Arten existieren, deren Divergenzen zu den heute bekannten Arten vergleichbar sind mit den maximalen Divergenzen der bekannten Arten untereinander. Die Phylogenie und damit die Klassifizierung der Eukaryoten befindet sich heute in der vollen Aufbereitungsphase – wenn nicht sogar in der Dechiffrierungsphase. Die molekularen Phylogenien decken unerwartete Verwandtschaften auf. Wenn die Artefakte der phylogenetischen Rekonstruktion erst einmal beseitigt 31
Veränderungen unserer Klassifizierungen sind, tauchen Verwandtschaften auf, wie sie im Folgenden in diesem Buch dargestellt sind. Einige Beispiele seien genannt: – Verwandtschaft zwischen Eumyceten und Mikrosporidien – Konstruktion des Kladons der Opisthochonta, das die Eumyceten, die Mikrosporidien, die Choanoflagellaten und die Metazoen enthält – Verwandtschaft von Chloro- und Rhodobionten – Konstruktion des Kladons der Alveolobionten, das die Ciliaten, Dinophyten und Apicomplexa umfasst. Die Apikomplexa wiederum bestehen aus den Sporozoa und den Hematozoa
– Konstruktion des Kladons der Stramenopilen, das die Braunalgen, Diatomeen, Chrysophyten, Xanthophyten, Eustigmatophyten, Oomyceten und Hyphochytridiomyceten umfasst – Paraphylie der Grünalgen – Paraphylie der Bryophyten – Paraphylie der Gymnospermen – Paraphylie der Diblasten – Aufteilung der Protostomier in Lophotrochozoen und Ecdysozoen, die die alte Unterteilung der Triploblasten in Acoelomata, Pseudocoelomata und Coelomata verwirft – Paraphylie der Crustacea: Die Hexapoden werden als terrestrische Crustacea betrachtet
Einleitung – Paraphylie der Fische und Reptilien – Verwandtschaft zwischen Hippopotamidae und Cetacea (Paraphylie der Artiodactyla).
Die Rolle der Fossilien bei der phylogenetischen Rekonstruktion Die phylogenetische Stellung der Vögel war in den 1980er-Jahren Gegenstand einer Auseinandersetzung, welche die Bedeutung der Fossilien in der phylogenetischen Rekonstruktion aufzeigte.
Abb. 17. Molekularer, nicht gewurzelter und auf der 16S/18S-rRNA basierender Stammbaum. Zu erkennen ist die molekulare Divergenz zwischen Bacteria (Eubakterien) und Archaea (Archaebakterien) sowie der endosymbiotische Ursprung der Mitochondrien und Chloroplasten.
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Veränderungen unserer Klassifizierungen Die klassischen Theorien Die Paläontologen betrachten die Vögel als Archosaurier. Davon ausgehend stehen sich zwei Ansichten gegenüber. Bei der einen könnten die Vögel ihren Ursprung innerhalb einer paraphyletischen, fossilen Archosauriergruppe, den Thecodonten, haben, die wiederum die Vorfahren der Krokodile und der Dinosaurier umfassen. Nach der zweiten, vom Ende des 19. Jahrhunderts stammenden Theorie haben die Vögel ihren Ursprung in einer anderen paraphyletischen, fossilen Archosauriergruppe – nämlich innerhalb der Dinosaurier. Heute betrachtet die Mehrheit der Paläontologen die Dromaeosauriden (theropode Dinosaurier, darunter Deinonychus und Velociraptor) als Schwestergruppe der Vögel. Wenn die Dinosaurier eine monophyletische Gruppe bildeten, müssten, insgesamt betrachtet, die Vögel dort eingeschlossen werden. Es ist daher legitim zu sagen, dass die Dinosaurier immer noch unter uns sind. Thecodonten und Dinosaurier (im klassischen Sinne) sind jedoch verschwunden. In jedem Fall sind die einzigen noch heute lebenden Archosaurier die Vögel und die Krokodile. Heute sieht die Mehrzahl der Paläontologen in den Krokodilen die allernächste Verwandtschaft der Vögel. Streit über den Ursprung der Vögel und die Rolle der Fossilien Die oben beschriebene Polemik stammt aus einer etwas provozierenden Formulierung des englischen Paläontologen C. Patterson. 1981 äußerte er die Vorstellung, dass die Fossilien nur eine sehr begrenzte Rolle für die phylogenetische Rekonstruktion spielen: „Die Fälle, in denen die Fossilien die Verwandtschaftstheorien verändern, die auf heute sehr selten vorkommenden Organismen basieren, sind sehr sel-
ten bis inexistent.“ Ein anderer englischer Forscher, B. Gardiner, nahm ihn beim Wort und veröffentlichte 1982 eine berühmte Studie über die Phylogenie der Amnioten, in der die fünf heutigen Amniotengruppen nach 37 abgeleiteten Merkmalen klassifiziert sind – darunter anatomische und physiologische Merkmale, die bei den Fossilien nicht zugänglich sind. Ohne ein einziges Fossil zu analysieren, und auf der Basis von 17 gemeinsamen abgeleiteten Merkmalen weist der sparsamste Stammbaum (Abb. 18b) bei dieser Analyse die Vögel als Schwestergruppe der Säugetiere aus – anstatt der klassischen Annahme einer Verwandtschaft zwischen Vögeln und Krokodilen. Danach führte Gardiner Fossilien in seine Studie ein und behielt diesen Blickwinkel bei. Die Einführung der Fossilien änderte nichts an der Schlussfolgerung: Vögel und Säugetiere bilden die Gruppe der Haemothermia. Die Suche nach den tieferen Ursachen und der Arbeitseinsatz Gardiners betrafen nicht nur die Rolle der Fossilien, sondern auch die theoretischen und praktischen Grundlagen der phylogenetischen Analysen. Mit anderen Worten: Diese Studie über den Ursprung der Vögel ist zu dieser Zeit auch (und vielleicht sogar vor allem) die Gelegenheit, bestimmte Arbeitsmethoden zu bestätigen – die Verteidigung der kladistischen Analyse. 1985 steuerte S. Løvtrup weitere Merkmale bei, die das AmniotenKladogramm Gardiners unterstützten. Doch 1985 demonstrierten Gauthier und seine Kollegen mittels der kladistischen Analyse (derselben Methode wie die von Gardiner) überzeugend, dass die Einbeziehung der Fossilien zu den von Gardiner (1982) und Løvtrup (1985) verwendeten Merkmalen den sparsamsten Stammbaum völlig verändern kann.
Einleitung Sie widersprachen somit Patterson, indem sie die Bedeutung der Fossilien unterstrichen. Sie analysierten die Daten von Gardiner und Løvtrup aufs Neue und fügten diesen Originaldaten hinzu, die sie von rezenten Tieren gewonnen hatten (109 Merkmale). Auf diese Weise entwickelte Gauthier das in Abbildung 18c dargestellte Kladogramm – mit den Vögeln als Schwestergruppe der Krokodile. In diesem Fall sind die Säugetiere die Schwestergruppe der Gruppe (Vögel + Krokodile) – was wiederum nicht der klassischen Phylogenie der Amnioten entspricht. Dann führte Gauthier zahlreiche fossile Reptilien in die Analyse ein und erhöhte die Zahl der Merkmale auf 207. Dies führt zu einer Positionsveränderung der Säugetiere und damit zurück zum klassischen Kladogramm der Amnioten (Abb. 18d). Unter diesen hinzugefügten Fossilien suchten die Autoren dann nach den für die Veränderung des Stammbaums Verantwortlichen: Es handelte sich um die fossilen Synapsiden (aus der paraphyletischen Gruppe der Therapsiden oder säugetierartigen Reptilien. Diese Tiere zeigen in der Tat Merkmalskombinationen, die in der heutigen Fauna verschwunden sind: Sie besitzen Merkmale, die sich in den Mammalia weiter entwickelt haben, gemischt mit einigen ursprünglichen Merkmalen, die in den rezenten Diapsidenlinien (Lepidosaurier, Krokodile, Vögel) schon vor langer Zeit verloren gegangen sind. Es kommt noch besser: Das Vorhandensein auch nur eines einzigen dieser Synapsiden (gleichgültig welcher) kann diese Stammbaumveränderung bewirken. Augenscheinlich besitzen diese Fossilien Merkmalskombinationen, die die logische Schlußfolgerung der Geschichte der Amnioten sehr stark beeinflussen. Alle Fossilien haben die typische Eigenschaft, Kombinationen apo33
Veränderungen unserer Klassifizierungen morpher und plesiomorpher Merkmale aufzuweisen, die aus der heutigen Natur verschwunden sind. Die Fossilien sind keine Vorfahren, sie sind nicht ursprünglich, sie stellen –
ebenso wie die rezenten Organismen – keinen Beweis mehr für die Evolution dar: Sie sind für uns lediglich neue Mosaiksteinchen.
Einleitung Der Schlüssel der morphologischen Merkmale Auf morphologischer Ebene konnten 28 Merkmale aufgelistet werden, die den Vögeln und den Säugetieren
Abb. 18. Bedeutung der Fossilien für die phylogenetische Rekonstruktion. a Klassische Theorie der Beziehungen zwischen rezenten Amnioten; b Verwandtschaftsbeziehungen nach Gardiner auf Basis von Weichteilmerkmalen der rezenten Amnioten sowie auf Basis gemischter Merkmale unter Einbeziehung der Fossilien; Beziehungen nach Gauthier et al.c Beziehungen auf der Basis von 109 Skelett- und Weichteilmerkmalen (darunter die von Gardiner) rezenter Amnioten; d Beziehungen nach Gauthier et al. unter Einbeziehung der Fossilien in die vorhergehende Matrix.
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Bedeutende Konzepte, unklare Konzepte gemeinsam sind. Die Mehrzahl von ihnen sind das Ergebnis einer konvergenten Evolution zur Endothermie (erhöhte und konstante Innentemperatur des Körpers). Einige andere Merkmale sind in die Kritik geraten und verworfen worden. Als Beispiele kann man einfache Merkmale nennen wie die Henle’sche Schleife in der Niere, die Endothermie, einen einzigen Aortenstamm oder die Langerhans’schen Inseln. Ebenso gibt es bei Vögeln und Krokodilen 77 gemeinsame Merkmale – beispielsweise das Fenster im Kieferskelett, das Auftreten eines Muskelmagens, eine Membran auf dem Auge, die eine Art Pupille bildet, die Reduktion oder der Verlust bestimmter Schädelknochen wie des Postfrontale oder des Postparietale. Der aktuelle Konsens orientiert sich in Richtung einer Verwandtschaft zwischen Vögeln und Krokodilen. Viele gemeinsame Merkmale von Vögeln und Säugetieren indessen entstammen einer konvergenten Evolution in Richtung der Endothermie innerhalb dieser beiden Gruppen. Die Endothermie ist in der Tat mindestens zwei Mal bei den Amnioten aufgetreten, und zwar in unterschiedlichen Linien: ein erstes Mal bei den fossilen Synapsiden aus dem Perm – Merkmale, die man bei den Säugetieren wiederfindet; und ein zweites Mal bei einigen, wahrscheinlich aus dem Unteren Jura stammenden Dinosauriern – Merkmale, die man bei den Vögeln wieder findet.
6. Bedeutende Konzepte, unklare Konzepte Homologie-Begriff und Ähnlichkeit Die Ähnlichkeit ist die Grundlage der Homologie. Sie schließt quasi eine Wette ab auf die gemeinsame
Abstammung einer bis dahin lediglich ähnlichen Stuktur bei zwei oder mehreren Organismen. Der Unterschied zwischen Ähnlichkeit und Homologie besteht darin, dass die Homologie eine von einem Vorfahren ererbte Ähnlichkeit ist – wohingegen eine Ähnlichkeit nicht unbedingt von einem gemeinsamen Vorfahr vererbt sein muss (Abb. 4a): Die Ähnlichkeit, die wir zwischen verschiedenen Organismen aufdecken, ist ein Mosaik von Ähnlichkeiten, die durch Symplesiomorphien, Synapomorphien und evolutiven Konvergenzen hervorgerufen werden. Denn Ähnlichkeit kann einerseits auf dem Erbe gemeinsamer Vorfahren beruhen als auch auf Anpassungen an die verschiedenen Lebensräume. Die allgemein angenommene Ähnlichkeit ist keine Erfolgsgarantie dafür, eine Abstammung aufzudecken, da – die globale Unähnlichkeit (die lediglich das Gegenteil der Ähnlichkeit ist) feine anatomische Spuren verdecken kann, die ein Ähnlichkeitsbild zeichnen, das auf den ersten Blick nicht der Intuition entspricht – wie beispielsweise in der heutigen Fauna die Schwestergruppenbeziehung zwischen Krokodilen und Vögeln; – bestimmte Strukturen, die die Organismen einander ähnlich erscheinen lassen, die Früchte spektakulärer evolutiver Konvergenzen sind. Als Beispiel hierfür seien der Beutelmaulwurf Notoryctes und der „Säugermaulwurf“ Talpa genannt, die in der Eigenschaft als „Maulwürfe“ überhaupt nicht miteinander verwandt sind – d. h. sie haben keinen Maulwurf als gemeinsamen Vorfahren. Die Beuteltiere Australiens und die Plazentatiere Eurasiens haben jeweils selbst einen Organismus hervorgebracht, der als „Maulwurf“ bezeichnet wird.
Einleitung Der Begriff der molekularen Uhr Das Konzept der molekularen Uhr resultiert aus den Arbeiten von M. Kimura: Die selektiv neutralen Mutationen fixieren sich und lösen sich, als genetische Ableitungen, innerhalb der Populationen in einem regelmäßigen zeitlichen Rhythmus ab. In der molekularen Phylogenie setzt der Begriff der molekularen Uhr voraus, dass die globale Austauschgeschwindigkeit von Nucleotiden (in der DNA) oder von Aminosäuren (in Proteinen) bei allen rekonstruierten evolutiven Linien nahezu gleich ist. Dies ist kein unbedingt erforderliches Postulat, sondern vielmehr eine Null-Hypothese, die getestet werden muss. Man kann heute nämlich sehr gut Stammbäume konstruieren, ohne eine solche Uhr zu postulieren – insbesondere ausgehend von einer kladistischen Sequenzanalyse oder von Distanzmatrices. Die Drehungen an dieser Uhr selbst können in einem Stammbaum festgestellt werden. Diese gleichen Abstände in der molekularen Uhr, können, wenn sie extrem sind, große Artefakte bei der Stammbaumkonstruktion bewirken. Wenn sich nämlich die Sequenzen einer Gruppe von (tatsächlich oder nicht verwandten) Taxa schneller entwickeln als die in der Probe vorliegenden Sequenzen, haben alle Methoden der Stammbaumkonstruktion die Tendenz, fälschlicherweise die Sequenzen mit ähnlichen Evolutionsraten in Gruppen zu vereinen, ohne die Verwandtschaftsverhältnisse zu berücksichtigen. Ein klassisches Artefakt ist der Ausschluss langer Äste (d. h. der Ausschluss von Arten, die ihre Evolution im betrachteten Gen beschleunigt haben) zur Basis des phylogenetischen Stammbaums hin, nahe der Außengruppe. Die Außengruppe ist nämlich ausgewählt worden, weil 35
Bedeutende Konzepte, unklare Konzepte
Einleitung
Abb. 19. Die Attraktion langer Äste ist eines der Hauptartefakte der molekularen Phylogenien,hier dargestellt anhand eines einfachen phylogenetischen Falls mit vier Taxa. Links ist dargestellt, was tatsächlich passiert: Die Nucleotide symbolisieren die Mutationen, die an einer bestimmten Stelle eines Gens X stattfinden. Rechts ist die daraus folgende molekulare Phylogenie dargestellt. Wir setzen voraus, dass Gen X, von dem ausgehend wir die Phylogenie der vier Organismen ableiten wollen, bei der Maus seine Evolutionsgeschwindigkeit erhöht. Die Außengruppe hat auf ihrem eigenen Ast viele Transformationen durchlaufen, da sie sehr weit von den anderen Arten entfernt ist; ihr Divergenzzeitpunkt ist weiter von den drei anderen entfernt als bei den Dreien untereinander. Die größte Divergenz zwischen der Außengruppe und der Maus besteht darin,dass sie durch eine Konvergenz identische Nucleotide an mehreren Stellen des Gens erhalten. Die Maus wird somit in die Richtung der Außengruppe „gezogen“, und wir müssten daher auf eine Paraphylie der Nagetiere (rechts) schließen. Die Beschleunigung der Mutationen bei der Maus ist eine typische Verdrehung der Null-Hypothese der molekularen Uhr.Wenn sich die Gene wie echte Uhren verhalten würden, würde es solche Artefakte nicht geben.
sie von den Mitgliedern der Untersuchungsgruppe weiter entfernt ist als diese Mitglieder untereinander. Es werden somit mehr Substitutionen aufgenommen als es Mitglieder in der Untersuchungsgruppe gibt – und es ensteht somit ein langer Ast. Da die Außengruppe die Basis des Stammbaums definiert, sind alle langen Äste an der Basis des Stammbaums miteinander verknüpft (Abb. 19). Unsere Methoden zur Detektion und Verwaltung der Abstände der molekularen Uhren werden immer effektiver. Wir kennen heute eine ganze Palette von Genen, die – gemäß der taxonomischen Probenauswahl – sich wie Uhren verhalten oder dies gerade nicht tun, einschließlich aller Zwischenstufen. Die molekulare Uhr kann in einigen umschriebenen taxonomischen Fällen beobachtet werden, in anderen Fällen nur in Teilen oder aber überhaupt nicht. Alles hängt vom jeweils analysierten Gen und von der Untersuchungsgruppe ab. In einigen Teleostei-Familien beispielsweise verhält sich das Gen für Cytochrom b wie eine gute molekulare Uhr und er36
laubt die Rekonstruktion einer sehr zuverlässigen Phylogenie. Hingegen entwickelt sich Cytochrom b innerhalb der Säugetiere, ja sogar innerhalb der Nagetiere, nicht mit derselben Geschwindigkeit. Man spricht hier von einer „lokalen molekularen Uhr“. Daher ist die molekulare Uhr heute nur noch eine Null-Hypothese, die niemand bestätigen oder verwerfen kann – was auch Kimura selbst erkannte. Die molekulare Uhr ist darüber hinaus eine bestimmte Art und Weise, über die Homoplasie molekularer Merkmale zu sprechen. Wenn Sequenzen Substitutionsraten haben, die eine molekulare Uhr widerzuspiegeln scheinen, kann man – ausgehend von der bekannten Evolutionsgeschwindigkeit des Moleküls und der Anzahl der festgestellten Substitutionen zwischen zwei Arten – den Divergenzzeitraum zwischen zwei Arten durch einen einfachen Dreisatz leicht ableiten. Dies ist die molekulare Datierung des letzten gemeinsamen Vorfahren zweier Arten.
Begriff des lebenden Fossils Den Begriff des lebenden Fossils, so wie er in der populärwissenschaftlichen Literatur verwendet wird, gibt es nicht. Das lebende Fossil ist lediglich eine rezente Art, die mit einem bekannten Fossil morphologisch identisch ist. Beispielsweise ist der heute lebende Coelacanthier Latimeria chalumnae (Quastenflosser) in seiner Gestalt identisch mit einigen Fossilien aus der Ober-Kreide. Doch sollte man im Hinterkopf behalten, dass es hier nichts gibt, was es uns erlauben würde zu sagen, dass es sich dabei um dieselbe Art handelt. Die allgemeine genetische Divergenz kann sich akkumulieren, während die Morphologie stabil bleibt: Weniger als 5% des Genoms nämlich kontrollieren die Morphologie eines Wirbeltieres.
Der Status des Vorfahren Die Stammesgeschichte (Genealogie) zeigt, wer von wem abstammt: Die Vorfahren werden hier individuell identifiziert. Die Phylogenie
Bedeutende Konzepte, unklare Konzepte dagegen zeigt, wer mit wem näher verwandt ist: Die Vorfahren werden hier nicht identifiziert, sondern stückchenweise zusammengesetzt – wie ein unvollständiges Puzzle. Im Stammbaum Ihrer Familie sind die Vorfahren über die Personenstandsregister der entsprechenden Ämter identifizierbar: Man weiß, wer wessen Kind ist. Die Verbindungen in einem genealogischen Stammbaum symbolisieren die genetischen Beziehungen zwischen Vorfahren und Nachkommen. Natürlich gibt es für sämtliche Lebewesen einen solchen Stammbaum – doch nicht die entsprechenden Ämter, die darüber Buch geführt hätten: Die Lebewesen haben keine Personenstandsregister überliefert. Daher fehlt von den genauen individuellen Vorfahren jede Spur. Wenn ein Fossil entdeckt wird, ist es unmöglich zu wissen, wer dessen Vorfahr im genetischen Sinne ist. Daher muss man mit dem Fossil genauso arbeiten, wie mit den heute lebenden Arten. Die Hennig’schen Systematiker müssen bei der phylogenetischen Rekonstruktion den Status des Vorfahren an zwei Fronten klären: Auf der einen Seite muss klar gesagt werden, dass der einzelne Vorfahr nicht zugänglich ist. Falls dies nicht geschieht, kehrt man wieder zur Vermischung von Genealogie und Phylogenie zurück – dem Ausgangspunkt der paraphyletischen Gruppen. Die andere Seite – vorausgesetzt, der Vorfahr wird nicht verleugnet – beinhaltet das Gegenteil: Der Vorfahr unterstützt die gesamte Logik der phylogenetischen Rekonstruktion. Hennig lieferte die methodologischen Werkzeuge, die es ermöglichten, nur monophyletische Gruppen aufzubauen, d. h. Gruppen, die einen Vorfahren sowie die Gesamtheit von dessen Nachfahren enthalten. Häufig wird jedoch vergessen zu sagen, dass man stets nur
auf diesen Vorfahren schließt – ihn aber nicht identifiziert. Das Kladogramm zeigt an jedem Knoten und für jedes Merkmal den sparsamsten Zustand. An einem bestimmten Knoten des Stammbaums hat man somit einen abstrakten, puzzleartig zusammengesetzten Vorfahren. Von ihm sind lediglich die Innovationen bekannt, die er zu seinen Lebzeiten aufwies – die Synapomorphien, die er an seine Nachfahren weitergegeben hat und die wir heute untersuchen. Der Vorfahr aller Tetrapoden hat uns seine vier Beine hinterlassen (und natürlich auch noch einige andere Merkmale). Nur über diese Merkmale ist er uns bekannt. Trotzdem ist es nicht obligatorisch, dass alle Merkmalszustände an einem bestimmten Stammbaumknoten bei ein und demselben Organismus bestehen blieben. Diese Merkmalszustände können bei mehreren Organismen aufgetreten sein, ohne dass wir dies hätten unterscheiden können.
Begriff des Zwischenglieds In der Phylogenie gibt es viele falsche Vorstellungen darüber, was ein Zwischenglied oder „missing link“ ist. Es ist bekannt, dass die Phylogenie keine Aussage trifft über den Vorfahr und seinen Nachkommen (der von ihm abstammt), sondern über deren Verwandtschaft (wer ist näher mit wem verwandt). Ein konkreter Organismus (rezent oder fossil), der als Zwischenglied bezeichnet wird, ist somit kein Vorfahr. Ein Organismus (rezent oder fossil) kann nicht als Zwischenglied bezeichnet werden, wenn er eine Auswahl von Merkmalen aufweist, die einzigartig unter den bekannten Lebewesen sind. Stellen wir uns einen konkreten Organismus (rezent oder fossil) vor, der sich verhält wie ein Puzzle aus
Einleitung weißen Teilen, und einen anderen, der aus den gleichen Teilen besteht, die untereinander genauso zusammengesetzt, aber schwarz gefärbt sind. Ein Zwischenglied würde dann ein Puzzle sein, das aus ebendiesen Teilen besteht – doch wären einige schwarz und einige weiß (Abb. 20). Beispielsweise ist der Archaeopteryx ein Zwischenglied – und zwar in dem Sinne, dass die Fauna, die vor seiner Entdeckung bekannt war, einerseits aus den theropoden Dinosauriern bestand (weißes Puzzle: keine Federn, kein Brustbein, Schwanz, Zähne) und andererseits aus den modernen Vögeln (farbiges Puzzle: Federn, Brustbein, aber kein Schwanz und keine Zähne). Archaeopteryx zeigt ein ursprüngliches Mosaik von Merkmalsspuren, das sowohl aus Elementen des einen als auch des anderen Puzzles aufgebaut ist: Federn (farbiges Puzzle), Brustbein (farbig), kein Brustbein (weiß), Schwanz (weiß), Zähne (weiß). Um alle Zweideutigkeiten des Zwischenglied-Begriffs auszuräumen, sprechen wir künftig von einem strukturellen Zwischenglied. Dieses befindet sich in einem phylogenetischen Stammbaum nicht an einem Knoten, sondern am Ende eines eigenen Astes, zwischen zwei bereits bekannten Ästen. Wer behauptet, dass es keine Zwischenglieder zwischen definierten Organismenklassen gibt, weist auf ein falsches Problem hin. Es gibt keine Vorfahren-Zwischenglieder, aber nicht aus den Gründen, aus denen dies erhofft wird: Der Grund dafür ist rein methodologisch. Dagegen gibt es gut und gerne strukturelle Zwischenglieder – beispielsweise die gefederten Dinosaurier und die Vögel des Mesozoikums, die Therapsiden (paraphyletische Gruppe der säugetierartigen Reptilien), etc. Es ist sehr gut möglich, dass der Einspruch gegen die Evolutionstheorie niemals enden wird, wonach es bei den 37
Bedeutende Konzepte, unklare Konzepte
Einleitung
Abb. 20. Der Begriff des Zwischenglieds. a Der Begriff des Bindeglieds als „missing link“ in einem Abstammungsschema von Vorfahren und Nachkommen (sollte nicht benutzt werden); b Der Begriff des strukturellen Bindeglieds, eingetragen in ein Schema gemeinsamer Strukturen. br = Merkmal „Brustbein“, de = Merkmal „Zahn“, fc = Merkmal „Gabelbein“, pl = Merkmal „Feder“, q = Merkmal „Schwanz“ Weißes Puzzle: Auftreten von Schwanz und Zähnen, Fehlen von Federn, Brustbein. Farbig hinterlegtes Puzzle: Fehlen von Schwanz und Zähnen, Auftreten von Brustbein.
38
Bedeutende Konzepte, unklare Konzepte großen Organismenklassen keine Zwischenglieder gibt. Selbst wenn es die strukturellen Zwischenglieder tatsächlich gibt, wird man struktu-
relle Zwischenglieder immer zwischen den Zwischengliedern suchen, da die Wahrscheinlichkeit, die präzise genealogische Kette aller Lebewe-
Einleitung sen zu finden – Generation für Generation – unendlich klein ist!
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1 Lebewesen 1
Lebewesen 42
2
Bacteria 44 Kapitel 2, Seite 54 Beispielart: Rhizobium leguminosarum Größe: 2 µm
3
Archaea 47 Kapitel 3, Seite 82 Beispielart: Desulfurococcus mobilis Größe: 1 µm
4
Eucarya 50 Kapitel 4, Seite 100 Beispielart: Nordmann-Tanne Abies nordmanniana Größe: 50 m
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KAPITEL 1
Lebewesen
Kapitel 1
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1 Lebewesen
Kapitel 1
Lebewesen Alle lebenden Organismen zeichnen sich durch eine zelluläre Struktur aus. Die Zelle ist die Grundeinheit des Lebens – auch die allerkleinsten Organismen bestehen aus mindestens einer Zelle. Alle 1 747 851 derzeit bekannten bzw. heute lebenden Organismenarten besitzen zwei besondere Fähigkeiten: Sie können ihre DNA-Sequenz selbständig verdoppeln und auf diese Weise ihre genetische Information in Zeit und Raum vermehren. Darüber hinaus übersetzen sie diese genetische Information selbständig in Proteine, entweder Strukturproteine oder Enzyme. Diese beiden autonomen Eigenschaften definieren das Leben. Viren dagegen können sich nicht eigenständig, d. h. aus sich selbst heraus reproduzieren. Daher kann man sie nicht als Lebewesen auffassen. Sie sind folglich nicht autonom, sondern in ihrer Replikation und Proteinsynthese abhängig von einer Wirtszelle, die sie als Parasiten befallen, um deren zelluläre Maschinerie zu benutzen. Daher sind Viren auch nicht Bestandteil dieses Buches. Traditionell wird die prokaryotische Zellstruktur (Abb. 1a) als ursprünglich angesehen, der eukaryotische Zellbauplan mit Kern (Nucleus), Golgi-Apparat, Mitochondrium und Endoplasmatischem Reticulum dagegen als weiter entwickelte, abgeleitete Form. Einige Mikrobiologen dachten, dass die heute Archaea genannten Archaebakterien angesichts ihres einzigartigen Stoffwechsels die ersten Organismen sein sollten, die im Stammbaum der Lebewesen auftauchten. Die Archaea wurden also als eigene Gruppe außerhalb der Gesamtheit der übrigen Organismen (Eubakterien = Domäne Bacteria 42
und Eukaryoten = Domäne Eucarya) angesehen und zunächst als Archaebakterien bezeichnet. Dieser Sicht hat man seither heftig widersprochen und alle möglichen Alternativen vorgeschlagen. Andere Mikrobiologen hatten dagegen die Vorstellung, die Eukaryoten seien als früheste Gruppe aufgetaucht. Dann müsste man die Prokaryoten als monophyletisch ansehen, und dies würde die traditionelle Sicht der einfachen Prokaryoten und der ungleich komplizierteren Eukaryoten auf den Kopf stellen. Wenn die Eukaryoten tatsächlich die ersten Organismen wären, würde dies natürlich die gradistische, klassische und damit die gesamte bisherige Sicht in Frage stellen. Die heute
mehrheitlich als die einfachste angesehene prokaryotische Struktur müsste in diesem Modell sekundär aufgetreten sein – als nachträgliche Vereinfachung einer anfangs komplexeren Struktur. Da man stets die Gesamtheit der Lebewesen untersucht, ist das grundlegende Problem bei der Festlegung der Wurzelbereiche des Stammbaums, dass man zunächst keine klare Ausgangsgruppe zur Verfügung hat. Daher wählt man eine andere Vorgehensweise: Man sucht nach Genen, die sich im Genom der Organismen in mehrfacher Ausfertigung befinden und die älter sind als die Trennung der drei Domänen Archaea, Bacteria und Eucarya. Nehmen wir als Beispiel ein gemein-
Abb. 1. Vergleich der Zellstruktur bei Prokaryoten (a) und Eukaryoten (b).
Lebewesen 1
Lebewesen sames Gen (Abb. 2), das vor der Trennung der Linien zu a und b dupliziert wurde: Die Phylogenie dieses Gens wird sich dann im Stammbaum so ausdrücken, dass zwei Unterstammbäume bestehen, wovon einer die Nachkommenlinie des Gens a und der andere die des Gens b darstellt. Da die Duplikation das früheste fassbare Ereignis ist, ist es nun möglich, dem Stammbaum tatsächlich eine Wurzel zu geben. Mit anderen Worten: Jeder „Unterstammbaum“ kann nun für jede der abgeleiteteren Gruppen als Ausgangsgruppe dienen. Diese Methode der „Wurzel-Definition“ hat dazu beigetragen, die Bacteria als früheste Gruppe anzusehen und die Archaea eher als Schwestergruppe der Eucarya. Im Moment ist es allerdings schwierig, diese Ergebnisse zu interpretieren. Vergessen wir nicht, dass sie Ereignisse spiegeln, die mindestens eine Milliarde Jahre zurückliegen. Die Tatsache, dass entscheidende Überlieferungen teilweise – wenn nicht sogar ganz – ausgelöscht sind, ist nicht überraschend. Schließlich sollte man auch eine weitere Lösung nicht verschweigen, selbst wenn sie aktuell weniger im Blickfeld steht: Vielleicht sind nämlich einige dieser Linien überhaupt nicht monophyletisch. Der gesamte Evolutionsverlauf wäre dann noch komplizierter als angenommen. Die lebenden Organismen kommen in allen erdenklichen Lebens-
Abb. 2.
räumen vor, von der Atmosphäre bis zur untersten Bodengrenze. Lebewesen definieren somit die Biosphäre. Die physikalisch-chemischen Bedingungen, unter denen Leben möglich ist, unterscheiden sich beträchtlich – wenn man allein die organismischen Ruhestadien wie Zysten, Sporen oder Samen betrachtet. Leben kann sich unter aeroben und anaeroben Bedingungen entfalten. Man findet halophile Archaea im wässrigen Milieu, dessen Salz- (NaCl-) Konzentration mehr als 2 Mol/L beträgt. Andere Archaea gedeihen in stark saurem Milieu und sogar bei pH-Werten unter 1. Wiederum andere ertragen bei mäßigem Überdruck Temperaturen von mehr als 110 °C. Zahlreiche Arten leben in den Polarmeeren aktiv bei –1,8 °C. Hochentwickelte Metazoen wie die Säugetiere können mithilfe komplexer Systeme zur inneren Temperaturregelung und Wärmespeicherung sogar Außentemperaturen von –40 °C ertragen, darunter beispielsweise der Yak oder der Moschusochse. Manche Lebensformen, beispielsweise die Sporen einiger Eucarya oder die seltsamen Bärtierchen (Tardigraden), überleben sogar das Einfrieren in flüssigem Stickstoff (–196 °C) oder gar in flüssigem Helium (–268,5 °C). Es gibt auch Lebensformen, die rigorose Austrocknung ertragen – beispielsweise Samen, Sporen, Moose, etliche Milben oder die bereits erwähnten Bärtierchen. In diesen Fällen zeigen
die Zellen nur noch einen stark verlangsamten Stoffwechsel, verlieren dabei jedoch nie ihre Reproduktionsfähigkeit. Die Energiequellen und die Stoffwechselwege der Lebewesen sind überaus unterschiedlich. Einige Zellen sind chemoautotroph: Ohne organische Kohlenstoffquelle und völlig unabhängig vom Sonnenlicht gewinnen sie ihre Energie aus der Oxidation anorganischer Verbindungen wie Nitrit, Ammoniak oder Sulfiden. Diese Zellen sind für den Stickstoff-, den Schwefel- und den Kohlenstoffkreislauf in der Biosphäre von entscheidender Bedeutung, da sie Gase und Mineralsalze, die so für die Mehrzahl der lebenden Organismen nicht verwertbar sind, in nutzbare Verbindungen umwandeln. Andere Zellen wiederum sind autotroph und betreiben Photosynthese: Sie ziehen ihre Energie aus dem Sonnenlicht. In den einzelnen Organismengruppen kann die Photosynthese sowohl aerob (oxigen, mit Sauerstoff-Freisetzung) als auch anaerob (anoxigen) ablaufen. Wieder andere Lebewesen sind heterotroph und gewinnen ihre für den Stoffwechsel benötigte Energie aus der Oxidation zuvor absorbierter organischer Verbindungen. Hinsichtlich ihrer Nahrungsquellen sind sie somit entweder direkt von autotrophen Organismen abhängig oder von Heterotrophen, die sie ganz oder deren Stoffwechselprodukte sie fressen. Die Diversifizierung der Organismen durch Mutation und Selektion stellt einen kontinuierlichen Prozess dar. Wenn man bedenkt, wie viele Organismen bereits ausgestorben sind, repräsentieren die heute lebenden Organismen nur einen sehr geringen Teil der Gesamtheit aller Lebewesen, die je im Laufe der biosphärischen Geschichte existiert haben. 43
2 Bacteria
Kapitel 1
Bacteria Allgemeines Die nach der Entdeckung der Archaea zunächst Eubacteria und heute wieder einfach Bacteria genannten Formen sind Organismen mit prokaryotischer Struktur – sie besitzen keinen Zellkern. Diese Domäne umfasst den Großteil der Bakterien, mit der sich die klassische Mikrobiologie (medizi-
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nische und landwirtschaftliche Mikrobiologie, Mikrobiologie des Bodens) beschäftigt. Die Bacteria unterscheiden sich in Form und Größe beträchtlich. Zu den Kleinsten zählen beispielsweise die Mykoplasmen: Mit einem Durchmesser von 0,3 µm sind sie nur so groß wie ein großes Virus. Das größte
bekannte Eubakterium, die Spezies Epilopiscium fishelsoni, ist mit 600 ¥ 80 µm länger als ein Pantoffeltier (Paramecium) und lebt als Symbiont im Verdauungsstrakt mancher Fische. Bei den Bacteria sind die Stoffwechselwege, die die lebensnotwendige chemische Energie liefern, äußerst vielfältig.
Bacteria 2
Lebewesen
Ökologie Während die Formenvielfalt der Bacteria verglichen mit der der Eucarya eher bescheiden ist, sind ihre Möglichkeiten zur Energiegewinnung und ihrer Stoffwechselwege unvergleichlich viel größer. Chemoautotrophe Bakterien können ohne jede organische Verbindungen und ohne Sonnenlicht Energie gewinnen, indem sie mineralische Verbindungen oxidieren. In Anwesenheit einfacher Moleküle wie der von Stickstoffsalzen, Sauerstoff oder Kohlenstoffdioxid oxidieren manche Formen verschiedene Stickstoffverbindungen, darunter auch Ammoniak, zu Nitrit oder Nitrat. Andere oxidieren Methan zu Methanol, wieder andere auch Sulfite, Sulfide oder Thiosulfate zu Sulfaten. Diese Bakterien sind von großer Bedeutung für den Stickstoff-, Schwefel- und Kohlenstoffkreislauf in der Biosphäre,da sie Gase und Mineralsalze, die für die meisten Lebewesen nicht verwertbar sind, in nutzbare Verbindungen verwandeln. Die Bacteria zeigen eine enorme Bandbreite möglicher Lebensweisen – von der Autotrophie über die Heterotrophie und die strikte oder fakultative Aero- oder Anaerobiose bis zur Photosynthese. Diese Vielfalt wird noch vergrößert durch die chemischen Verbindungen, die ihnen als Substrate dienen, als Elektronendonatoren ebenso wie als -akzeptoren. Photosynthetisch aktive Bakterien gewinnen ihre Energie aus den Photonen des Sonnenlichts. Diese wird in chemische Energie in den Bindungen bestimmter organischer Moleküle festgelegt. Innerhalb dieser Bakterien kann die Photosynthese sowohl mit oder ohne Sauerstofffreisetzung erfolgen. Die Cyanobakterien, die in großer Zahl schon im Präkambrium (vor ca. 2,6–0,6 Mrd. Jahren) vorkamen, vermehrten den Sauerstoffgehalt der Erdatmosphäre
von ursprünglich < 1 auf heute rund 20%. Manche Bakterien sind heterotrophe anaerobe Fermentierer. Heterotroph bedeutet, dass die Zelle ihre Energie aus bereits bestehenden organischen Molekülen bezieht. Somit sind die Bakterien sehr bedeutende Lebewesen, da sie aufgrund ihrer Stoffwechselvielfalt und ihrer Fähigkeit, auch in der feindlichsten Umgebung ohne Luft und ohne Licht zu wachsen, an der Basis der ökologischen Pyramide stehen. Sie sind an den ersten Schritten der Bodenentstehung beteiligt, bevor sich dort überhaupt eine höhere Pflanze ansiedeln kann. Sie sind Nahrungsquelle für viele eukaryotische Einzeller und kleine Metazoen. Sie kommen als Symbionten im Cytoplasma von Einzellern und selbst im Verdauungstrakt der Vertebraten vor. Nach der derzeit gültigen Vorstellung der Zellevolution leiten sich auch die Mitochondrien und Plastiden der Eucarya von Bakterien ab. Bakterien können auch Parasiten von Tieren und Pflanzen sein, und einige sind
auch pathogen, für den Menschen zum Beispiel die Erreger von Cholera, Pest und Typhus. Die Bakterien haben entscheidenden Anteil am ökosystemaren Recycling organischen Materials, beispielsweise bei der Verwesung von Kadavern oder Exkrementen.
Spezielle Merkmale – Bacteria besitzen eine Zellwand aus Peptidoglycan, die Muraminsäure enthält (Abb. 1). Arten ohne Muraminsäure haben die Wand sekundär verloren. – Die bakterielle tRNA, welche die Translation initiiert, trägt ein NFormylmethionin. – Die molekulare Phylogenie basiert auf unterschiedlichen Molekülen, nämlich auf den RNA-Polymerasen, der ribosomalen RNA und den Elongationsfaktoren EF-TU, EF1-· sowie der ‚-Untereinheit der ATPase. Diese unterstreichen die Monophylie der Bacteria.
Abb. 1. Molekularer Aufbau der Peptidoglycanstruktur der bakteriellen Zellwand mit Muraminsäure, Peptidkette, N-Acetylglucosamin und Pentaglycin-Brücken.
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2 Bacteria Beispiele Escherichia coli, Desulfovibrio desulfuricans, Azotobacter vinelandii, Pseudomonas multivorans, Nitrobacter winogradskyi, Micrococcus radiodurans, Bacillus anthracis (MilzbrandErreger), Mycobacterium leprae
Kapitel 1 (Lepra-Erreger), Pectinatus cerevisiaephilus, Planctomyces maris, Rhizobium leguminosarum, Stigmatella aurantiaca, Thiotrix nivea, Treponema pallidum (Erreger der Syphilis), Clostridium tetani (Erreger des Wundstarrkrampfs), Mycobacterium tuberculosis (Tuberkulose-Erreger)
Artenzahl: bisher ca. 9020, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA (diese Artenzahl ist eine Minimalangabe). Ältestes bekanntes Fossil: Die ältesten Stromatolithen datieren vor 3,5 Mrd. Jahren. Es handelt sich dabei um Sedimentgestein aus dünnen Schichtlagen, die durch die metabolische Aktivität filamentöser, Photosynthese betreibender Cyanobakterien entstanden sind. Abb. 2 zeigt den Abschnitt eines 3,5 Mrd. Jahre alten Fossils aus Westaustralien, das als 2 µm langer Cyanobakterienfaden interpretiert wird. Heutiges Vorkommen: Die Bacteria kommen in der gesamten Biosphäre vor (von der Atmosphäre bis in die untersten Bereiche der terrestrischen und marinen Böden) sowie im Verdauungstrakt zahlreicher Tiere.
46
Abb. 2
Archaea 3
Lebewesen
Archaea Allgemeines Die Archaea (Archaebakterien) bilden eine Organismengruppe mit ausnahmslos prokaryotischer Struktur – sie besitzen keinen Zellkern. Darüber hinaus unterscheiden sie sich stark in Morphologie und Physiologie. Die Zellen können grampositiv oder gramnegativ sein. Sie sind rund, gelappt oder liegen in Stäbchen- bzw. Spiralform vor. Sie können einzeln
auftreten oder Filamente sowie Aggregate bilden. Ihr Durchmesser variiert zwischen 0,1–15 µm. Manche Filamente erreichen sogar eine Länge von 200 µm. Die Archaea leben aerob, fakultativ oder strikt anaerob. Sie umfassen die Methanbakterien, die Halobakterien und die Thermoacidophilen. Überwiegend besiedeln sie Biotope, in denen extreme Lebens-
bedingungen herrschen – beispielsweise heiße Vulkanquellen am Meeresboden (HydrothermalBiozönosen). Ihren Namen erhielten sie von dem amerikanischen Mikrobiologen Carl Woese im Jahre 1977, weil er annahm, dass sie die ältesten Lebensformen überhaupt darstellen.
47
3 Archaea
Kapitel 1
Ökologie
Beispiele
Die Archaea finden sich überwiegend in extremen aquatischen oder terrestrischen Lebensräumen, darunter strikt anaeroben, hypersalinen oder extrem heißen Biotopen. Neuerdings hat man sie nicht nur in kochenden Schlammlöchern von aktiven Vulkanfeldern gefunden, sondern auch in dauerkalten Gewässern rund um die Antarktis: Hier stellen sie sogar etwa 34% der prokaryotischen Biomasse. Archaea sind außerdem eine wichtige mikrobielle Komponente im Verdauungstrakt der Wirbeltiere, darunter im Pansen der Wiederkäuer.
Desulfurococcus mobilis, Halobacterium halobium, H. marismortui, Methanobacillus amelianski, Methanobacterium ruminantium, Methanobrevibacter ruminantium, Methanococcus vannielii, Natrococcus occultus, Sulfolobus solfataricus
Spezielle Merkmale – Die Zellmembran enthält charakteristische Lipide. Im Unterschied zu den Bakterien und den Eucarya gibt es hier zwischen der Fettsäure und dem Alkohol keine
Abb. 1. a Gewöhnliches Membranlipid, das zwischen dem Glycerol (Glycerin) und der Fettsäure (hier eine Stearinsäure) eine Esterbindung enthält. b Membranlipid eines Archaeons mit Etherbindung zwischen dem Glycerin und der Fettsäure (hier ein Phytanol). Dieses Lipid kann auch die Form einer Tetraether-Bindung haben, mit zwei Molekülen Glycerol, die durch zwei Fettsäuren miteinander verbunden sind.
48
–
–
– –
Ester-, sondern eine Etherbindung (Abb. 1). Die Membranlipide können, wie bei den Bakterien und den Eucarya, eine Doppelschicht (Bilayer) bilden (Abb. 2a). Darüber hinaus können die Membranlipide auch feste, einlagige Schichten (Monolayer) aus Tetraethern aufbauen (Abb. 2b). Der T„C-Arm der tRNA besitzt kein Thymin. Dieses wird durch Pseudouracil oder durch 1-Methyl-Pseudouracil ersetzt. Die Ribosomen der Archaea haben eine charakteristische Form. Die molekularen Phylogenien basieren auf unterschiedlichen
Abb. 2. Die Membranlipide bilden bei den Bacteria und Eucarya meist eine Doppelschicht (bilayer) (a), bei den Archaea dagegen eine Einzelschicht (monolayer) (b).
Archaea 3
Lebewesen Molekülen, nämlich auf den RNAPolymerasen, der ribosomalen RNA und den Elongationsfaktoren EF-TU, EF1-a sowie der bUntereinheit der ATPase. Dies unterstreicht die Monophylie der Archaea.
Artenzahl: bisher etwa 260, klassifiziert auf Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: Weltweit, in Böden und im Meerwasser. Einige methanogene Archaea leben im Pansen der Wiederkäuer, die wiederum auf der ganzen Welt vertreten sind, andere auch im Boden. Sonst finden sich die überwiegend als extremophil eingestuften Archaea vor allem in Salzseen, sauerstofffreien Sedimenten oder tiefen Hydrothermalquellen.
49
4 Eucarya
Kapitel 1
Eucarya Allgemeines Die eukaryotischen Lebewesen (= Domäne Eucarya) unterscheiden sich beträchtlich in Größe und Gestalt. Sie kommen als Ein- oder Vielzeller vor. Allen gemeinsam ist, dass die genetische Information in einem echten, von einer zweilagigen Kernhülle umgebenen Zellkern enthalten ist. Das Cytoplasma ist strukturiert, insbesondere durch das Cytoskelett. Ein internes
50
Membrangefüge unterteilt die Zelle in verschiedene Kompartimente, darunter beispielsweise das Endoplasmatische Reticulum, den Golgi-Apparat oder die Lysosomen. Organellen (Mitochondrien und Chloroplasten) sind für die Energieversorgung der Zelle verantwortlich. Die Eukaryotenzelle ist zwischen 10 und 100 µm groß. Die Größe der Organismen reicht
von einigen µm (einzellige Eucarya) bis zu mehr als 100 m. Der größte Vertreter der Metazoen ist der Blauwal, der bis zu 33 m lang und bis 130 t schwer sein kann. Manche Landpflanzen übertreffen diese Zahlen: Bäume wie der Mammutbaum oder einige Eucalyptus-Arten erreichen sogar eine Wuchshöhe von > 100 m.
Eucarya 4
Lebewesen
Ökologie Die Eukaryoten kommen überall vor, von den höchsten Höhen bis zu den tiefsten Tiefen, und zudem auf allen Breitengraden. Sie stellen innerhalb aller Ökosysteme eine beachtliche Biomasse. Die Eucarya sind grundsätzlich Aerobier, d. h. ihr Stoffwechsel benötigt ständig Sauerstoff. Ausnahmen davon gibt es nur in Form sekundärer Modifikationen ehemals aerober Eucarya oder als vorübergehende Umsteuerung. Alle eukaryotischen Bauplantypen haben einen ziemlich einheitlichen Primärstoffwechsel mit Glykolyse, Krebs-Zyklus und oxidativer Phosphorylierung in der Atmungskette. Die photosynthetisch aktiven Formen arbeiten mit speziellen Enzymen, die in membranbegrenzten Chloroplasten enthalten sind. Die Photosynthese ist oxigen und setzt demnach ständig Sauerstoff aus dem Elektronendonator Wasser frei. Bei den Prokaryoten sind dagegen auch alternative Photosynthese-Modelle mit anderen Elektronendonatoren (z. B. Schwefelwasserstoff) im Einsatz. Der Lebenszyklus der Eukaryoten besteht jeweils aus einer diploiden und einer haploiden Phase. In der Meiose erfolgt der Übergang von der diploiden in die haploide Phase, bei der Befruchtung (Zygotenbildung) wieder der Wechsel von der Haplo- in die Diplophase.
–
–
–
–
periphere Mikrotubuli-Paare (oder -Triplets) sind verbunden mit einem zentralen MikrotubuliPaar (Abb. 1). Die weitaus meisten heute lebenden Eukaryoten besitzen Mitochondrien, die für den Atmungstoffwechsel der Zelle verantwortlich sind. Das Fehlen der Mitochondrien ist stets das Ergebnis eines sekundären Verlustes. Vor der Zellteilung wird die DNA auf zwei Tochterkerne verteilt und dazu in den Chromosomen verdichtet (Abb. 2). Die Zellteilung ist eine Mitose, an der die Centriolen sowie der Spindelapparat (aus cytoplasmatischen Mikrotubuli) beteiligt sind. Bei allen anderen Lebewesen (Domänen Archaea und Bacteria) erfolgt die Zellteilung dagegen durch direkte Durchschnürung. Die Eukaryoten vermehren sich durch echte Sexualität, wobei die Partner ihr genetisches Material
als komplettes Genom und zu gleichen Teilen an die folgende Generation weitergeben. – Die molekularen Phylogenien basieren auf den RNA-Polymerasen, der ribosomalen RNA und den Elongationsfaktoren EF-TU, EF1-a sowie der b-Untereinheit der ATPase. Diese unterstreichen die Monophylie der Eucarya.
Beispiele Gonyaulaux tamarensis, Tetrahymena pyriformis, Tritrichomonas sp., Euglena spirogyra, Blasentang (Fucus vesiculosus), NordmannTanne (Abies nordmanniana), Mais (Zea mays), Trompetentierchen (Stentor polymorphus), Amoeba proteus, Bierhefe (Saccharomyces cerevisiae), Rotfußröhrling (Boletus chrysenteron), Cistocerca gregaria, Hauskatze (Felis catus), Blauwal (Balaenoptera musculus)
Spezielle Merkmale – Die DNA ist einem Zellkern enthalten, der durch eine Kernhülle begrenzt wird. – Die Mikrotubuli sind TubulinPolymere. Sie sind auch der Hauptbestandteil des Cytoskeletts der Zelle. – Die Geißeln sind Axoneme mit charakteristischer Struktur: 9
Abb. 1. Struktur eines Axonems der Eucarya (9 + 2-Muster)
51
4 Eucarya
Kapitel 1
Abb. 2. Karyotyp vom Molch (Triturus sp.): Chromosomen der späten Metaphase. Jedes einzelne Chromosom besteht aus zwei Längshälften (Chromatiden). cee = Centromer (Kinetochor)
Artenzahl: bisher 1 738 571 Ältestes bekanntes Fossil: Bei einigen, etwa 1 Mrd. Jahre alten Fossilien handelt es sich wahrscheinlich um einzellige Eukaryoten. In vielen Schichtgesteinen aus dem Präkambrium kommen kugelartige Gebilde vor, die an Sporen erinnern, wie sie für Eukaryoten charakteristisch sind. Heutiges Vorkommen: weltweit
52
2 Bacteria 1
Bakterien 56
KAPITEL 2 8
siehe Kapitel 1, Seite 44 2
3
4
9
10
α-Proteobakterien 59 Beispielart: Rhizobium leguminosarum Größe: 2 µm β-Proteobakterien 61
γ-Proteobakterien 62
Beispielart: Staphylococcus aureus Größe: 0,3 µm
54
17
Grüne Schwefelbakterien 71
Beispielart: Pectinatus cerevisiaephilus Größe: 3,5 µm
Grüne Nichtschwefelbakterien 78 Beispielart: Chloroflexus aurantiacus Größe: 10 µm
Flavobakterien 72
Bacteroide 73
Planctomyceten 77 Beispielart: Planctomyces maris Größe: 4 µm
Aquificales 79 Beispielart: Aquifex pyrophilus Größe: 5 µm
19 13
Gruppe Bacillus/Clostridium 64
16
Beispielart: Flavobacterium johnsoniae Größe: 3 µm
Beispielart: Photobacterium phosphoreum Größe: 3,5 µm
Chlamydien 76 Beispielart: Chlamydia psittaci Größe: 0,7 µm
18 12
7
15
Beispielart: Chlorobium vibrioforme Größe: 15 µm
Beispielart: Thiothrix nivea Größe: Zelle: 1 µm pro 6
Gruppe Thermus/Deinococcus 70 Beispielart: Deinococcus radiodurans Größe: Durchmesser einer Zelle: 2,5 µm
11 5
Cyanobakterien 68
Spirochaeten 74 Beispielart: Leptospira interrogans Größe: 7 µm
Beispielart: Arthrospira platenis Größe: Zelle: 1 µm
δ-Proteobakterien 58 Beispielart: Stigmatella aurantiaca Größe: 130 µm
14
Beispielart: Streptoverticillium salmonis Größe: Spore: 1 µm
ε-Proteobakterien 57 Beispielart: Helicobacter rodentium Größe: 10 µm
Actinobakterien 66
Thermotogales 80 Beispielart: Thermotoga maritima Größe: 5 µm
Bacteria
Kapitel 2
55
1 Bacteria
Kapitel 2
Bacteria Die molekularen Phylogenien, die auf den Nucleotidsequenzen der 16S-rRNA basieren, hatten großen Einfluss auf die Klassifikation der Bakterienwelt – und darüber hinaus auch auf die Vorstellungen, die man von ihr haben sollte. Die Bakterien wurden nämlich von den Mikrobiologen bislang vor allem auf der Basis ihrer zellulären Merkmale (u. a. Zellform und Beschaffenheit der Zellwand) klassifiziert. Die aus der Sicht der Kladisten brauchbaren Merkmale sind indessen rar: – Die morphologische Einfachheit der Bakterien begrenzt die Anzahl morphologischer Eigenheiten; – Die Mehrzahl der „günstigen“ Merkmale sind Autapomorphien, die die Stammeszugehörigkeit definieren; – Einige der von den Mikrobiologen klassischerweise verwendeten Merkmalstypen erweisen sich als äußerst schwach und somit homoplasisch; – Um Bakterien zu bestimmen, müssen diese kultivierbar sein: Nur kultivierbare Bakterien sind den Mikrobiologen zugänglich. Als sich die Kladistik zum Hauptwerkzeug der Klassifikation entwickelte, wurde den Mikrobiologen bewusst, dass mit den klassischen Bestimmungsmerkmalen nur wenig zu klären ist. Viele haben sich daher entschlossen, eine Klassifikation
56
(oder vielmehr einen Bestimmungsschlüssel) zu verwenden, der strikt auf den Nutzen – und nicht phylogenetisch – ausgerichtet und in Anbetracht der medizinischen, agronomischen und alimentären Bedeutung der Bakterien pragmatisch ist. Zu diesem Zeitpunkt sind die molekularen Phylogenien entstanden. Sie erlauben nunmehr, – eine zuverlässige Phylogenie innerhalb der großen Linien vorzuschlagen, – die homoplasische Natur der metabolischen Merkmale zu beweisen, – die Konstruktion molekularer Sonden, die es ermöglichen, Bakterien in ihrer natürlichen Umgebung aufzuspüren, zu denen bisher kein Zugang möglich war, da sie nicht kultiviert werden konnten. In seiner neuesten Auflage bezieht sich „Bergey’s Manual“, die Bibel der Mikrobiologen, gänzlich auf die Phylogenie der 16S-rRNA (vgl. http:// www.cme.msu.edu/Bergeys/). Jedes neue Bakterium wird nun im Hinblick auf seine 16S-rRNA-Sequenz klassifiziert. Das ist übrigens auch der Grund, weshalb wir unter der Rubrik „Anzahl bekannter Arten“ nur die Zahl der Arten angeben, deren 16S-rRNA bisher sequenziert worden ist. In der vollständigsten, jährlich aktualisierten Datenbank (http://rrna.uia.ac.be/) werden darüber
hinaus die Sequenzen angegeben, die aus Proben aus der natürlichen Umgebung gewonnen wurden, d. h. Sequenzen, die von Bakterien stammen, die aber zurzeit noch nicht kultiviert sind. Von den 9021 beschriebenen Bakterien kennt man 391 Sequenzen, die aus solchen Proben stammen. Es steht fest, dass deren Zahl weiter steigen wird. Einige Mikrobiologen glauben, dass im Moment nicht einmal 10% der tatsächlichen Bakterienzahl bekannt ist. Dennoch muss man diese Zahlen hinterfragen – und dies umso mehr, als das traditionelle Artkonzept nur sehr schwer auf die Bakterienwelt zu übertragen ist. In der dargestellten Phylogenie, die ausschließlich auf der 16S-rRNA beruht, sind einige wie das Taxon der Proteobakterien und das Taxon „Grüne Schwefelbakterien + (Flavobakterien + Bacteroides)“ zuverlässig. Dagegen ist die allgemein anerkannte Monophylie der grampositiven Bakterien weit weniger solide. Von einigen Mikrobiologen wird derzeit auch eine gemeinsame Klassifizierung der Gruppe „Cyanobakterien + Gruppe Thermus/Deinococcus“ einerseits und die der Schwestergruppe der grampositiven Bakterien andererseits postuliert. Diese Klassifizierungen sind allerdings noch nicht bestätigt.
ε-Proteobakterien 2
Bacteria
ε-Proteobakterien Allgemeines Die e-Proteobakterien sind 0,2– 0,5 µm breite und 0,5–5 µm lange Stäbchen. Sie können gerade, gekrümmt oder helical geformt sein. Die Zellen sind mittels einer (oder mehrerer) Bakteriengeißel(n) beweglich. Die gesamten Genome von Campylobacter jejuni und die von zwei Helicobacter pylori-Linien sind vollständig sequenziert.
Spezielle Merkmale Außer den Nucleotidsequenzen der 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Die Proteobakterien e sind schwach aerob. Man findet sie in der Mundhöhle, dem Verdauungstrakt oder den Genitaltrakten der Säugetiere. Viele sind pathogen und rufen beispielsweise Fehlgeburten bei der Kuh und dem Mutterschaf hervor, ferner
Enteritiden beim Menschen und beim Schaf sowie Gastritiden beim Menschen.
vor), C. jejuni (Erreger der Enteritis beim Menschen), Helicobacter pylori (Erreger der Gastritis beim Menschen), H. rodentium
Beispiele Campylobacter fetus (ruft Aborte bei der Kuh oder dem Mutterschaf her-
Artenzahl: bisher 179, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
57
3 δ-Proteobakterien
Kapitel 2
δ-Proteobakterien Allgemeines Die d-Proteobakterien bestehen aus zwei Gruppen, den Desulfovibrionales, zu denen die Bdellovibrionaceen gehören, und den Myxobakterien. Es handelt sich dabei um Stäbchen unterschied-
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz für die 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Die Desulfovibrionales sind von beachtlicher ökologischer Bedeutung. Sie leben strikt anaerob und reduzieren durch anaerobe Atmung Sulfat und Schwefel. Sie kommen in allen terrestrischen und aquatischen Habitaten vor und spielen eine wichtige 58
licher Größe von 0,2–1,5 µm Breite und 0,5–10 µm Länge. Die Zellen sind meist durch Bakteriengeißeln beweglich. Bdellovibrio besitzt eine dicke Bakteriengeißel, die mit einer von der Zellwand ausgehen-
Rolle im Schwefelkreislauf. Bdellovibrio ist ein Parasit, der andere Bakterien befällt, um sich von ihnen zu ernähren. Sein Lebenszyklus gleicht dem eines Bakteriophagen. Die Myxobakterien produzieren proteolytische Enzyme. Sie sind Parasiten oder Detritovoren. Ihr Fruchtkörper trägt Sporangien.
den Schicht bedeckt ist. Die Myxobakterien haben einen Lebenszyklus, der aufgrund der Bildung eines mehrzelligen Fruchtkörpers an manche eukaryotische Schleimpilze erinnert.
Beispiele Bdellovibrio bacteriovirus, Chondromyces apiculatus, Desulfovibrio desulfuricans, Desulfuromonas acetoxidans, Stigmatella aurantiaca
Artenzahl: bisher 179, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
α-Proteobakterien 4
Bacteria
α-Proteobakterien Allgemeines Die a-Proteobakterien bilden eine umfangreiche Gruppe, die einen Großteil der oligotrophen Bakterien (sie können sich in äußerst nährstoffarmem Milieu entwickeln) umfasst. Ihre Stoffwechselwege sind recht unterschiedlich und reichen von der Chemolitho- über die Methylotrophie bis hin zur reduktiven Bindung von molekularem Stickstoff. Die Nichtschwefel-Purpurbakterien variieren in Größe und
Form sehr stark: Es gibt gestreckte, halbrunde oder spiralförmige Stäbchen. Darüber hinaus finden sich hier bedeutende Pathogene, beispielsweise die Rickettsien – intrazelluläre Parasiten von geringer Größe (0,3–0,5 µm im Durchmesser und 0,8–2 µm Länge). Caulobacter und Hyphomicrobium besitzen charakteristische Fortsätze. Rhizobium und Agrobacterium sowie nitrifizierende Bakte-
rien wie Nitrobacter oder Nitrococcus sind aufgrund ihrer großen landwirtschaftlichen Bedeutung sehr gut untersuchte Beispiele. Das Genom von Rickettsia prowzekii ist vollständig sequenziert. Die Mitochondrien der Eucarya stammen vermutlich von einem symbiontischen a-Proteobakterium ab, offenbar einem Vorfahren der drei Gruppen Agrobacterium, Rhizobium und Rickettsia.
59
4 α-Proteobakterien Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz der 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Die Nichtschwefel-Purpurbakterien kommen häufig in Bodenschlamm und Freiwasserraum von Seen vor, die reich an organischem Material sind. Es gibt auch marine Formen. Wie die übrigen Purpurbakterien besitzen sie Bacteriochlorophylle und betreiben eine anoxigene Photosynthese. Die meisten Rickettsien sind intrazelluläre Parasiten, die schwere Krankheiten verursachen, beispielsweise Typhus. Mit den Rickettsien eng verwandt ist die Gruppe der Wolbachia-Bakterien, die bei Arthropoden, insbesondere bei Insekten und Asseln, vorkommen.
60
Kapitel 2 Sie sind zwar nicht pathogen, verursachen bei ihren Wirten jedoch häufig sexuelle Inkompatibilität. Die Gruppe Hyphomicrobium bildet Zellfortsätze, mit denen sie sich am Untergrund ihres aquatischen Lebensraums festsetzen. Caulobacter hat einen komplexen Lebenszyklus, während dem diese Gruppe Rosetten bilden kann. Rhizobium leguminosarum bildet die charakteristischen Knöllchen an den Wurzeln Stickstoff fixierender Leguminosen. Agrobacterium tumefaciens ruft die Wurzelhalsgalle hervor, einen Tumor landwirtschaftlicher Nutzpflanzen. Dieses Bakterium verwendet man heute als Vektor (Genfähre) für die genetische
Transformation grüner Pflanzen. Nitrifizierende Bakterien wie Nitrobacter oder Nitrococcus sind in Böden häufig. Sie oxidieren Nitrit zu Nitrat.
Beispiele Agrobacterium tumefaciens, Caulobacter bacteroides, Caulobacter crescentus, Hyphomicrobium facilis, Nitrococcus mobilis, Nitrobacter winogradskyi, Rhizobium leguminosarum, Rhodomicrobium vannielii, Rickettsia prowazakii, R. typhi (Typhus-Erreger)
Artenzahl: 996, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
β-Proteobakterien 5
Bacteria
β-Proteobakterien Allgemeines Die b-Proteobakterien zeigen äußerst unterschiedliche Formen, Größen und Stoffwechselwege. Man findet unter ihnen Kokken und Stäbchen, unbewegliche oder begeißelte, einzelne oder Ketten
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz der 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Die Nitrosomonaden (Nitrosomonas, Nitrosococcus) sind nitrifizierende Bodenbakterien, die Ammoniak zu Nitrit oxidieren. Die farblosen Schwefelbakterien wie Thiobacillus oder Thiothrix sind Aerobier und oxidieren Schwefelverbindungen zu Sul-
bildende Zellen. Sie können chemoheterotroph sein, photolitho-, methylo- oder chemolithotroph. Der einzige gemeinsame Nenner dieser Gruppe ist ihre molekulare Phylogenie, die auf der Sequenz
faten. Sie kommen in allen aquatischen und terrestrischen Biotopen vor. Die Bakterien der Gattung Bordatella findet man in den Atemwegen von Vögeln und Säugern. Einige Arten der Gattung Neisseria sind humanpathogen (Gonorrhoe, Meningitis).
der 16S-rRNA basiert. Die Genome von zwei Neisseria meningitidisLinien sind vollständig sequenziert.
Beispiele Bordatella bronchiseptica (Erreger bronchialer Infektionen bei Säugern und Vögeln), Neisseria gonorrhoeae (Erreger der Gonoerrhoe), N. meningitidis (Erreger der Meningitis), Nitrosococcus oceanus, Nitrosomonas europea, Spirillium volutans, Thiobacillus novellus, Thiothrix nivea
Artenzahl: 459, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit 61
6 γ-Proteobakterien
Kapitel 2
γ-Proteobakterien Allgemeines Diese Gruppe ist die bedeutendste innerhalb der Proteobakterien und zeichnet sich durch eine große Vielfalt an Anpassungen und Stoffwechseltypen aus. Die molekularen Phylogenien lassen mehrere
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz der 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Die Schwefel-Purpurbakterien sind photolithoautotroph und leben strikt anaerob. Sie verwenden Bakteriochlorophylle als Photosynthese-Pigmente. Der frei gesetzte Schwefel sammelt sich in den Zellen vorübergehend in Form von Körnchen an. Er dient häufig als Elektronendonator. Die humanpathogenen Legionellen 62
große Formenkreise unterscheiden, in der Hauptsache die Schwefel-Purpurbakterien, die intrazellulären Parasiten Legionella und Coxiella, die Pseudomonaden, die Vibrionen, die Enterobakterien
finden sich in verschmutztem, warmem Wasser. Die Methylokokken leben unter schwach aeroben Bedingungen und nutzen Methan als einzige Kohlenstoff- und Energiequelle. Die Pseudomonaden spielen eine wichtige Rolle beim Mineralisationsprozess von organischem Material. Bakterien der Gattung Azotobacter, weit verbreitet in Böden und Gewässern, sind Stickstofffixierer. Die Vibrionen sind hauptsächlich aquatische Bakterien. Einige von ihnen sind pathogen – beispielsweise der Erreger der Cholera. Einige Vertreter der Gattung Photobacterium sind biolumineszent und besiedeln die Leuchtorgane von Fischen. Die
und die Pasteurellales. Die Genome von Escherichia coli und Haemophilus influenzae sind vollständig sequenziert.
Enterobakterien wie Escherichia coli sind vielfach im Darm von Säugetieren angesiedelt. Diese Gruppe beinhaltet bedeutende Pathogene, die eine Vielzahl an Krankheiten verursachen, darunter Typhusfieber, Gastroenteritis, Ruhr, Lungenentzündung oder Lepra. Die Pasteurellales sind Parasiten der Vertebraten und beispielsweise verantwortlich für die Cholera beim Huhn oder für Pneumonien bei Rindern und Schafen.
Beispiele Chromatium okenii, Escherichia coli, Haemophilus influenzae, Legionella
γ-Proteobakterien 6
Bacteria pneumophila (Erreger der Legionellose), Methylococcus capsulatus, Phytobacterium phosphoreum, Pseudomonas aeruginosa, Salmonella typhi (Erreger von Typhus), Vibrio cholerae (Erreger der Cholera), Yersinia pestis (Erreger der Pest)
Artenzahl: 1457, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
63
7 Gruppe Bacillus/Clostridium
Kapitel 2
Gruppe Bacillus/Clostridium
Grampositive Bakterien mit niedrigem GC-Gehalt Allgemeines Die Gruppe Bacillus/Clostridium vereint drei wichtige Formenkreise: die Mycoplasmen (oder Mollicutes), die Clostridien und die Bazillen. Die Mycoplasmen besitzen keine Peptidoglycan-Zellwand und können stark unterschiedliche Formen aufweisen: Sie können kugelig sein, verzweigte Filamente
64
bilden oder helikal wachsen. Sie sind mit 0,3–0,8 µm Durchmesser die kleinsten Bakterien. Auch ihr Genom ist mit 5–10 ¥ 108 Dalton ebenfalls eines der kleinsten. Clostridien sind strikte Anaerobier und bilden Endosporen. Die Bazillen sind sporulierende Stäbchen, die mittels Bakteriengeißeln be-
weglich sind. Die Lactobazillen sind ebenfalls stäbchenförmig, sporulieren jedoch nicht und sind nahezu immer unbeweglich. Die Genome von Mycoplasma genitalium, M. pneumoniae, Ureaplasma urealyticum, Bacillus subtilis und Lactobacillus lactis sind vollständig sequenziert.
Gruppe Bacillus/Clostridium 7
Bacteria
Ökologie
Spezielle Merkmale
Die Mycoplasmen sind in der Natur weit verbreitet: Sie kommen in Böden, bei Pflanzen und Tieren vor. Mindestens 10% aller EukaryotenZellkulturen sind mit Mycoplasmen kontaminiert, die nur schwer zu entdecken und zu beseitigen sind. Bei Tieren verursachen die Mycoplasmen häufig Erkrankungen der Atemoder Urogenitalwege (beispielsweise Lungenentzündungen bei Mensch, Schwein und Rind). Die Spiroplasmen hat man bei zahlreichen Insekten gefunden, die diese wiederum auf Pflanzen übertragen können (beispielsweise auf Zitronenbaum, Kohl oder Mais). Die anaeroben Clostridien mit ihren temperaturresistenten Sporen können Konserven verderben und Botulismus verursachen. Darüber hinaus sind sie als Erreger beispielsweise von Tetanus und Wundbrand bedeutende Pathogene. Die Bazillen sind für den Menschen ebenfalls sehr bedeutsam. Sehr viele von ihnen sind Krankheitserreger – beispielsweise die Streptokokken, die Staphylokokken und die Listerien. Einige Bacillus-Gattungen produzieren Antibiotika (zum Beispiel Bacitracin, Gramicin oder Polymyxin). Zu den Pathogenen zählen beispielsweise der Anthrax (Milzbrand) verursachende B. anthracis. B. thuringiensis und B. sphaericus sind für eine beträchtliche Anzahl von Insekten tödlich. Daher werden sie zur biologischen Insektenbekämpfung eingesetzt. Die Laktobazillen sind in der Nahrungsmittelindustrie bedeutsam: Sie werden zur Herstellung von fermentiertem Gemüse (Sauerkraut), von Getränken (Bier und Wein) sowie von Milchprodukten (Käse, Joghurt) verwendet.
– Die charakteristische Eigenschaft dieser Organismen ist die Nucleotidsequenz ihrer 16S-rRNA. – Die Zellen sind grampositiv: Sie reagieren aufgrund der besonderen Beschaffenheit ihrer Zellwand positiv auf die Gram-Färbung (Abb. 1).
Beispiele Bacillus subtilis, B. anthracis (Anthrax/Milzbrand-Erreger), B. thurin-
giensis, Clostridium perfringens (Erreger des Wundbrands), C. botulinum (Botulismus-Erreger), C. tetani (Tetanus-Erreger), Lactococcus lactis, Mycoplasma pneumoniae und Streptococcus pneumoniae (Erreger der Lungenentzündung beim Menschen), Mycoplasma genitalium, Ureaplasma urealyticum, Streptococcus thermophilus und Lactobacillus bulgaricus (werden zur Joghurt-Herstellung verwendet), Listeria monocytogenes (Listeriose-Erreger), Staphylococcus aureus
Artenzahl: 3125, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
Abb. 1. Zellwandstruktur grampositiver (a) und gramnegativer (b) Bakterien. Die grampositiven Bakterien besitzen eine dicke, mehrschichtige Zellwand aus Peptidoglycan oder Murein; die gramnegativen Bakterien haben eine dünne Zellwand, die durch eine äußere Membran bedeckt ist.
Gram-Färbung: – Bakterien-Ausstrich 30 s mit Kristallviolett färben, anschließend spülen; – mit Lugol‘scher Lösung (Jodlösung) 1 min färben, anschließend spülen; – mit Ethanol oder Aceton 10–30 s waschen, anschließend spülen; – mit Safranin färben, anschließend spülen. Die grampositiven Zellen behalten die violette Farbe; die gramnegativen Zellen werden durch Aceton oder Ethanol entfärbt und durch Safranin rot gegengefärbt.
65
8 Actinobakterien
Kapitel 2
Actinobakterien
(Grampositive Bakterien mit hohem GC-Gehalt) Allgemeines Die Actinobakterien entsprechen – zusammen mit einigen zusätzlichen Gruppen – der früheren Gruppe der Actinomyceten. Viele Arten sind einzellig, meist mit stäbchenförmigen Zellen. Andere Arten zeichnen sich durch eine erstaunliche Komplexität ihres Organismus aus. Einige Vertreter
66
erinnern sogar an Ascomyceten, aber dies sind natürlich nur äußere Konvergenzen: Sobald diese Actinobakterien auf ein festes Substrat stoßen, bilden sie einen Thallus aus Zellfäden. Diese Fäden sind durchschnittlich 20 µm lang. Am Thallus entstehen – gelegentlich sogar in Sporangien – besondere
Spezifische Mekmale
Ökologie
– Gemeinsames Merkmal dieser Gruppe ist die Nucletidsequenz ihrer 16S-rRNA. – Die Bakterien reagieren bei der Gram-Färbung positiv (gram+). Es ist nicht sicher, ob dies eine Apomorphie mit der Gruppe Bacillus/Clostridium darstellt, die bisher den Firmicutes zugeordnet wird.
Die Actinobakterien sind von großer ökologischer, landwirtschaftlicher und medizinischer Bedeutung: Man findet sie beispielsweise im Boden, wo sie, wie im Fall von Arthrobacter, eine große Rolle bei der Mineralisation von organischem Material spielen. Sie sind im Verdauungstrakt zahlreicher Tiere vorhanden: So ist Bifidobacterium bifidus das erste Bacterium, das sich im Verdauungs-
Sporen (den Konidien bzw. Konidiosporen der Ascomyceten ähnlich), die der vegetativen Vermehrung dienen. Die Sporen können Bakteriengeißeln tragen. Das Genom von Mycobacterium tuberculosis ist vollständig sequenziert.
trakt von Babys ansiedelt, die gestillt werden. Darüber hinaus sind sie bei der Herstellung von Käse wichtig: Vertreter der Spezies Propionibacterium sind an der Herstellung von großlöcherigem Gruyère-Käse beteiligt. Schließlich sind etliche Arten auch Erreger schwerer Krankheiten wie Diphterie, Lepra oder Tuberkulose. Doch gibt es auch andere Arten, die Antibiotika produzieren, beispielsweise Streptomycin.
Actinobakterien 8
Bacteria
Beispiele Actinoplanes rectilineatus, Bifidobacterium bifidus, Corynebacterium diphteriae (Diphterie-Erreger), Mycobacterium leprae (Lepra-Erreger), M. tuberculosis (Erreger der Tuberkulose beim Menschen), Streptomyces griseus (produziert das Antibiotikum Streptomycin), S. salmonis
Artenzahl: 1408, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
67
9 Cyanobakterien
Kapitel 2
Cyanobakterien Allgemeines Die Cyanobakterien stellen die bedeutendste Klasse der photosynthetischen Bakterien. Sie sind in Form und Größe sehr unterschiedlich. Die im Durchmesser 1–10 µm großen Zellen können einzeln vorliegen, Kolonien unterschiedlicher Formen sowie Filamente (= Trichome) bilden. In einem Trichom liegen die Zellen lückenlos hintereinander, wie beispielsweise bei der Gattung Oscillatoria. Wenn reichlich Phycocyanin vorhanden ist, zeigen diese Organismen eine charakteristisch blaugrüne Färbung. Wenn Phyco-
Spezifische Merkmale – Die Photosynthesepigmente und die Elektronentransportkette befinden sich in den Phycobilisomen. – Der Photosyntheseapparat enthält ein Photosystem II (PSII). – Wie bei den übrigen Eubakterien liegen auch hier die charakteristi68
erythrin vorwiegt, ist die Färbung eher rotbraun bis dunkelrot. Die Peptidoglycan-Schicht ist mit bis zu 200 nm häufig äußerst dick. Die Zellen enthalten oft gasgefüllte Vesikel, die ihnen eine vertikale Bewegung erlauben. Viele der filamentösen Kolonien können sich aktiv fortbewegen. Die Photosynthesepigmente und die Elektronentransportkette sind in speziellen Strukturen (= Phycobilisomen) organisiert, die den Membranen anhaften. Die biochemischen, ultrastrukturellen und phylogenetischen Merkmale beweisen, dass
schen Eigenschaften in der Nucleotidsequenz der 16S-rRNA.
Ökologie Die Cyanobakterien betreiben oxigene Photosynthese mit Sauerstoffentwicklung. Der Elektronendonator ist Wasser. Die Cyanobakterien sind
sich die Chloroplasten der photosynthetisch aktiven Eucarya von symbiontischen Cyanobakterien ableiten. Eventuell hat sich bei einem hypothetischen gemeinsamen Vorfahren der grünen Pflanzen nur eine einzige primäre Endosymbiose ereignet und einen Hauptast am Stammbaum hervorgebracht, der heute die Glaucocystophyten, Rhodobionten und Chlorobionten umfasst. Das Genom einer Synechocystis-Art ist vollständig sequenziert.
sehr wahrscheinlich der Ursprung der Sauerstoffanreichung in der Erdatmosphäre. Gegenüber Umweltbedingungen sind sie bemerkenswert tolerant und kommen daher in nahezu allen Gewässern und Böden vor. Einige Arten sind thermophil, andere leben in Felsspalten der Wüsten. In Gewässern, die mit (an)organischem Material belastet sind, bil-
Cyanobakterien 9
Bacteria den manche Cyanobakterien so genannte Wasserblüten, die eventuell einen chemoheterotrophen Stoffwechselweg einschlagen und dann durch Verbrauch des gelösten Sauerstoffs das Absterben von Fischen und anderen Lebewesen verursachen. Manche Arten sind zudem hochgradig toxisch. Einige Cyanobakterien leben häufig in Symbiosen, beispielsweise mit Flechten oder Protozoen. Einige Stickstoff fixierende Arten leben in Gemeinschaft mit zahlreichen Pflanzen, darunter mit Laubund Lebermoosen, Koniferen oder wenigen Angiospermen.
Beispiele Anabaena variabilis, Arthrospira platenis, Mastigocladus laminosus, Os-
cillatoria agardhii, Prochloron didemni, Spirulina labyrinthiformis, Synechocystis sp.
Artenzahl: 152, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: Die ältesten Stromatolithen datieren vor 3,4 Mrd. Jahren. Es handelt sich dabei um feingebändertes Sedimentgestein, das durch die metabolische Aktivität filamentöser, Photosynthese betreibender Cyanobakterien entstanden ist. Heutiges Vorkommen: weltweit
69
10 Gruppe Thermus/Deinococcus
Kapitel 2
Gruppe Thermus/Deinococcus Allgemeines Die Zellen haben entweder die Form von Kokken mit einem Durchmesser von 0,5–3,5 µm, die häufig in Paaren oder Tetraden zusammengeschlossen sind, oder liegen in Form von Stäbchen mit
Spezielle Merkmale – das Peptidoglycan enthält viel LOrnithin. – wie bei den anderen Bakterien liegen auch hier die charakteristischen Eigenschaften in der Nucleotidsequenz der 16S-rRNA.
Ökologie Diese Bakterien sind mesophile Aerobier. Bakterien der Gattung Deinococcus können aus der Luft, aus Süßwasser oder aus Exkrementen isoliert werden, ohne dass ihr natürliches Habitat wirklich bekannt wäre. 70
einem Durchmesser von 0,5– 0,8 µm und einer Länge von 5 bis 10 µm vor. Sie sind zwar grampositiv, jedoch ist ihre Zellwand wie bei den gramnegativen Bakterien von einer äußeren Membran um-
Sie sind überaus resistent gegen Austrocknung und Strahlung: Deinococcus radiodurans überlebt Strahlenexpositionen von 3–5 ¥ 106 rad – für den Menschen sind bereits 100 rad absolut letal. Deinokokken sind tatsächlich in der Lage, ihre Chromosomen zu reparieren. Sie enthalten jeweils mehrere Kopien und besitzen ein spezielles Reparatursystem, das Protein RecA. Thermus wird in heißen Quellen gefunden, aber auch in natür-
schlossen. Das Peptidoglycan enthält L-Ornithin. Das Genom von Deinococcus radiodurans ist vollständig sequenziert.
lichen Gewässern, die einer thermischen Belastung (beispielsweise durch Kühlwässer von Kraftwerken) ausgesetzt sind. Thermus bildet Kolonien von 10–20 µm Durchmesser.
Beispiele Deinococcus radiodurans, Meiothermus ruber, Thermus aquaticus, Thermus thermophilus
Artenzahl: 58, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
Grüne Schwefelbakterien 11
Bacteria
Grüne Schwefelbakterien Allgemeines Die Zellen sind beweglich, kugelig, oval oder haben die Form gestreckter bzw. gekrümmter Stäbchen. Sie sind 0,3–1,1 µm breit und 0,4–3 µm lang. Häufig bilden sie
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz für die 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Die grünen Schwefelbakterien sind strikt phototrophe Anaerobier. Sulfide und Schwefel dienen ihnen als Elektronendonatoren. Während der Oxidation der Sulfide werden außerhalb der Zelle Schwefelkügelchen gebildet – daher der Name dieser
Filamente, manchmal auch Spiralen. Die Kolonien sind entweder grün oder braun, abhängig von der Farbe der akzessorischen Pigmente. Diese sind zusammen mit den
Gruppe. Anschließend kann dieser Schwefel zu Sulfat oxidiert werden. Die Grünen Schwefelbakterien kommen mit sehr schlechten Lichtverhältnissen zurecht. Daher findet man sie in der Natur auch unter Schichten anderer phototropher Organismen, beispielsweise in schlammigen Gewässern oder in Meeressedimenten.
Bakteriochlorophyllen in so genannten Chlorosomen enthalten, die unter der Cytoplasmamembran sitzen.
Beispiele Chlorobium vibrioforme, Pelodictyon clathratiforme, Prosthecochloris aestuarii
Artenzahl: 38, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
71
12 Flavobakterien
Kapitel 2
Flavobakterien Allgemeines Die Flavobakterien sind Stäbchen mit runden Ausläufern, 0,5 µm breit und 1–3 µm lang. Die Zellen sind unbeweglich. Kulturen, die auf festem Milieu leben, sind meist gelb oder braun gefärbt – daher auch der Name der Gattung (lat. flavus = gelb).
Spezielle Merkmale Außer der Gensequenz für die 16SrRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Milchprodukten. Darüber hinaus findet man sie im Krankenhausmilieu: Eine Vielzahl der dort auftretenden Stämme ist resistent gegen Antibiotika. Einige Arten sind pathogen.
Beispiele Flavobacterium aquatile, F. johnsoniae, F. meningosepticum (Erreger der Meningitis der Neugeborenen)
Ökologie Die Flavobakterien sind als strikte Aerobier in Boden und Wasser weit verbreitet, ebenso in rohen Nahrungsmitteln, in Milch sowie in
72
Artenzahl: 116, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
Bacteroide 13
Bacteria
Bacteroide Allgemeines Die Bacteroiden umfassen die Bacteroidaceen und die Sphingobakterien. Die Bacteroidaceen sind gestreckte, gekrümmte oder spi-
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz der 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Die Bakteroidaceen sind strikte Anaerobier, die niemals sporulieren. Sie entwickeln sich in der Mundhöhle und im Verdauungstrakt zahlreicher Tiere, unter anderem beim Menschen und bei Wiederkäuern. Bacteroides ruminicola ist die meist ver-
ralförmige Stäbchen. Manche sind mittels ihrer Bakteriengeißeln mobil. Die Sphingobakterien sind meist flexible Stäbchen. Ihre Zell-
tretene Art in der Flora des Pansens von Wiederkäuern. Etwa 30% der menschlichen Darmflora besteht aus Bacteroidaceen. Einige Formen sind pathogen. Die Sphingobakterien sind Aerobier. Viele von ihnen bauen komplexe Polysaccharide wie Cellulose ab und spielen daher eine große Rolle bei der Mineralisation organischen Materials. Man findet sie in
wand enthält Sphingolipide. Diese Bakterien sind beweglich, obwohl sie keine Bakteriengeißeln besitzen.
den Böden, aber auch in Meeressedimenten. Einige sind pathogen.
Beispiele Bacteroides ruminicola, Flexibacter elegans, F. flexis, Pectinatus cerevisiaephilus, Sporocytophaga myxococcoides
Artenzahl: bisher 269, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
73
14 Spirochaeten
Kapitel 2
Spirochaeten Allgemeines Die Spirochaeten sind Zellen, die durch ihre Form und ihre Art der Fortbewegung charakterisiert sind. Sie sind lang (0,1–3 µ Durchmesser bei 250 µm Länge) und spiralförmig. Zahreiche Arten sind so dünn, dass man sie nur mit dem Phasenkontrastmikroskop erkennen kann. Die Spirochaeten können sich wegen ihrer schlanken
Ökologie Die Spirochaeten sind häufig anaerob oder schwach aerob. Die klassischen organischen Moleküle wie Zucker, Aminosäuren oder Fettsäuren können als Kohlenstoff- und Energiequelle dienen. Die ökologischen Nischen, die diese Bakterien besiedeln, sind sehr unterschiedlich: Sie kommen frei lebend im Schlamm oder in aquatischen sowie marinen Sedimenten vor, symbiontisch im Verdauungstrakt von Insekten (vor allem von Termiten und Schaben), Mollusken und des Menschen. Als Pathogene kommen sie in den Genital- und Blutwegen von Vertebraten, darunter des Menschen, vor. Die externe Tunika ist für die Pathoge74
Form auch in einem sehr zähflüssigem Medium fortbewegen. Der zentrale Zylinder enthält das Protoplasma. Er besitzt eine Plasmamembran und eine klassische Zellwand. An den beiden Zellpolen sind Hunderte von Bakteriengeißeln befestigt, die parallel zu dem Zylinder verlaufen und ihn zur Mitte hin bedecken. Diese Bakte-
nität sehr bedeutsam: Da diese Bakterien nur wenige Oberflächenproteine besitzen, dient sie als Schutz
riengeißeln bedeckt eine externe, sehr geschmeidige Tunika. Die Bewegung der Bakteriengeißeln im Tunikainneren bewirkt die Fortbewegung der Zelle. Der exakte Mechanismus dafür ist noch nicht vollständig bekannt. Die Genome von Borrelia burgdorferi und Treponema pallidum sind vollständig sequenziert.
vor den Antikörpern des Wirts. Die Borrelien werden durch Zecken und Flöhe auf den Menschen übertragen.
Abb. 1. Schnitt durch Clevelandina, einem Symbionten der Termite Reticulitermes flavipes
Spirochaeten 14
Bacteria
Spezielle Merkmale
Beispiele
– Die Geißeln sind von einer geschmeidigen externen Tunika umhüllt, die diesen Bakterien erlaubt, sich fortzubewegen. – 16S-rRNA: Wie bei den anderen Bakterien liegen auch hier die charakteristischen Eigenschaften in der Nucleotidsequenz ihrer 16SrRNA.
Borrelia burgdorferi (Erreger der Lyme-Borreliose), Cristispira pecti-
nis, Leptospira interrogans, Spirochaeta litoralis, Treponema pallidum (Syphilis-Erreger)
Artenzahl: bisher 344, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
75
15 Chlamydien
Kapitel 2
Chlamydien Allgemeines Unbewegliche Kokken von 0,2– 1,5 µm Durchmesser, die so genannten Elementarkörperchen, stellen die infektiösen Partikeln dar. Ihre Zellwand enthält weder Muraminsäure noch Peptidoglycan. Mit 4–6 ¥ 108 Dalton ist ihr Genom eines der kleinsten aller Prokaryotengenome. Die Genome je zweier Linien von Chlamydia pneumoniae sowie von Chlamydia trachomatis sind vollständig sequenziert.
Spezielle Merkmale – Die Infektionen werden durch die Elementarkörperchen ausgelöst. – Verlust von Cytochromen – Verlust von Muraminsäure und Peptidoglycanen – 16S-rRNA: Wie bei den anderen Bakterien liegen auch hier die charakteristischen Eigenschaften in der Nucleotidsequenz ihrer 16SrRNA.
Durchmesser) an die Zellmembran der Wirtszelle, die dieses dann phagocytiert. Die Lysosomen des Wirtes werden inaktiviert, und die Chlamydie wandelt sich in das so genannte Netzkörperchen um. Dieses vermehrt sich in der Vakuole, die durch die Phagocytose entstanden ist. Die Netzkörperchen wandeln sich anschließend in Elementarkörperchen um, die frei gesetzt werden, wenn die Zelle 72 h nach der Infektion lysiert. Die Chlamydien sind Erreger schwe-
rer Krankheiten wie Psittacose, Trachom oder Pneumonie.
Beispiele Chlamydia psittaci (Psittacose-Erreger), C. trachomatis (Trachom-Erreger), C. pneumoniae (PneumonieErreger)
Ökologie Die Chlamydien sind obligate intrazelluläre Parasiten von Vögeln und Säugern. Zur Infektion heftet sich ein Elementarkörperchen (0,2–0,4 µm
76
Artenzahl: bisher 113, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
Planctomyceten 16
Bacteria
Planctomyceten Allgemeines Die Zellen sind kugelig, oval, elliptisch oder tropfenförmig. Sie tragen eine Art fibrillären Anhang, den so genannten Stiel. Die Zellen enthalten kein Peptidoglycan und sind meist in Büscheln angeordnet. Einige Arten haben einen dimorphen Lebenszyklus mit sesshaften Mutterzellen, die Knospen bilden können und begeißelten, dadurch beweglichen Tochterzellen.
Spezielle Merkmale – 16S-rRNA: Wie bei den anderen Bakterien liegen auch hier die charakteristischen Eigenschaften in der Nucleotidsequenz der 16SrRNA. – Einige Arten besitzen einen „Kern-Körper“, der von Membranen umgeben ist (von einer einzigen Membran im Falle von Pirellula, von zwei Membranen bei Gemmata obscuriglobus). In dieser Hinsicht ähneln diese Zellen den kernhaltigen eukaryotischen Zellen.
Abb. 1. Gemmata obscuriglobus. Der so genannte KernKörper zeigt ein Doppelmembransystem, das aussieht wie ein Zellkern. Dieses Charakteristikum könnte bereits bei der Entstehung der Gruppe aufgetreten sein.
Ökologie
Beispiele
Die Planctomyceten finden sich in Süßwasser, das reich an organischen Verbindungen ist, in mariner Umgebung oder im Bereich von Flussmündungen.
Gemmata obscuriglobus; Pirellula sp.; Planctomyces maris Artenzahl: bisher 78, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit 77
17 Grüne Nichtschwefelbakterien
Kapitel 2
Grüne Nichtschwefelbakterien Allgemeines Die Zellen sind als vielzellige Filamente unbestimmter Länge angeordnet, die bis zu mehreren Dutzend µm lang werden. Ihr Durchmesser liegt bei 0,5–5,5 µm.
Spezielle Merkmale – Die Zellen bilden lange Filamente, die vielzellig, in Serie angeordnet und beweglich sind. – 16S-rRNA: Wie bei den anderen Bakterien liegen auch hier die charakteristischen Eigenschaften in der Nucleotidsequenz ihrer 16SrRNA.
Ökologie Diese Bakterien sind in der Regel Anaerobier, einige leben jedoch fakultativ aerob. Sie betreiben fast
78
Die Zellen können sich fortbewegen. Mit Ausnahme von Heliothrix besitzen alle Gattungen Chlorosomen – spezielle Strukturelemente, die an der Innenseite der
alle anoxigene Photosynthese. Sie benutzen als Elektronenquelle (eDonator) organische Moleküle (kein Wasser!) und setzen somit keinen Sauerstoff frei. Ein Absorptionsmaximum ihres Bacteriochlorophylls liegt im Infrarotbereich. Chloroflexus und Heliothrix findet man in heißen Quellen mit neutralem oder alkali-
Plasmamembran angeheftet sind und die Photosynthesepigmente (= Bakteriochlorophylle) enthalten.
schem pH, vergesellschaftet mit Cyanobakterien.
Beispiele Chloroflexus aurantiacus, Heliothrix oregonensis, Herpetosiphon aurantiacus
Artenzahl: bisher 21, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
Aquificales 18
Bacteria
Aquificales Allgemeines Die Zellen haben die Form von Stäbchen und sind unbeweglich. Die molekularen, auf der 16S-RNA basierenden Phylogenien haben gezeigt, dass diese Gruppe an der Basis des Eubakterien-Stammbaums steht. Dies sowie die Tatsache, dass die Aquificales chemolithoautotroph sind, hat zu der umstrittenen Spekulation geführt, dass hier eventuell der Vorfahr der (Eu)Bakterien zu suchen ist. Das Genom von Aquifex aeolicus ist vollständig sequenziert.
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz für die 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Die Aquificales sind hyperthermophile Bakterien, deren Temperaturoptimum bei 80 °C liegt. Sie leben in
heißen vulkanischen Quellen. Aquifex benutzt Wasserstoff, Thiosulfat und Schwefel als Elektronendonatoren, Sauerstoff als Elektronenakzeptor. Als Kohlenstoffquelle dient Kohlenstoffdioxid.
Beispiele Aquifex aeolicus, A. pyrophilus, Calderobacterium hydrogenophilum, Hydrogenobacter thermophilus
Artenzahl: bisher 14, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
79
19 Thermotogales
Kapitel 2
Thermotogales Allgemeines Die meisten dieser Zellen sind Stäbchen, die von einer lockeren Hülle wie von einer Tunika umgeben sind. Das Genom von Thermatoga maritima ist vollständig sequenziert.
Spezielle Merkmale
Beispiele
– Die Zelle wird von einer tunikaartigen Hülle umkleidet – 16S-rRNA: Wie bei den anderen Bakterien liegen auch hier die charakteristischen Eigenschaften in der Nucleotidsequenz ihrer 16SrRNA.
Geotoga petrae, Fervidobacterium gondwanense, Thermotoga maritima
Ökologie Die Thermotogales sind Hyperthermophile mit einem Temperatur-Optimum von rund 80 °C. Man findet sie in untermeerischen hydrothermalen Quellen und terrestrischen Solfataren. Als Chemoheterotrophe können sie unter anaeroben Bedingungen gedeihen, indem sie Zucker oder Proteine als Energiequelle nutzen.
80
Abb. 1. Schnitt durch Thermotoga maritima
Artenzahl: bisher 18, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
3 Archaea
82
1
Archaea 84 siehe Kapitel 1, Seite 47
2
Crenarchaeota 85
3
Thermoproteales 86 Beispielart: Thermoproteus tenax Größe: 4 µm
4
KAPITEL 3 8
Thermococcales 91 Beispielart: Pyrococcus furiosus Größe: 2 µm
13
Halobakterien 96 Beispielart: Natrococcus occultus Größe: 1,5 µm
9
Methanococcales 92 Beispielart: Methanococcus jannaschii Größe: 2 µm
14
Methanomicrobiales 97 Beispielart: Methanospirillium hungatei Größe: 60 µm
Igneococcales 87 Beispielart: Desulfurococcus mobilis Größe: 1 µm
10
Methanbakterien 93 Beispielart: Methanobrevibacter ruminantium Größe: 10 µm
15
Methanosarcinales 98 Beispielart: Methanosarcina barkeri Größe: 2,5 µm
5
Sulfolobales 88 Beispielart: Sulfolobus solfataricus Größe: 1 µm Durchmesser
11
Thermoplasmen 94 Beispielart: Ferriplasma acidophilum Größe: 2 µm
6
Euryarchaeota 89
12
7
Methanopyrales 90 Beispielart: Methanopyrus kandleri Größe: 10 µm
Archaeoglobales 95 Beispielart: Archaeoglobus venificus Größe: 2 µm
Archaea
Kapitel 3
83
1 Archaea
Kapitel 3
Archaea Die molekulare Phylogenie, die sich die Nucleotidsequenz der 16S-rRNA zur Klassifizierung zunutze macht, hat von Anfang auch die Archaea (Archaebakterien) ins Rampenlicht gerückt. Im Gegensatz zu den (Eu)Bakterien (Bacteria) gab es von den Archaeen bis dahin keine stark strukturierte Klassifikation, an die man hätte anknüpfen können. Man hatte lediglich einige typische Stoffwechseleigenschaften verwendet, um die Halophilen (leben in stark salzhaltigem Milieu, die Thermophilen (ertragen hohe Temperaturen) und die Methanogenen (produzieren über ihre Stoffwechselwege Methan) voneinander zu unterscheiden. Die Archaeen wurden dennoch sehr schnell auf der Basis ihrer 16S-rRNA klassifiziert – die metabolischen Eigenheiten haben sich dabei häufig als Homoplasien herausgestellt. Angesichts ihrer Bedeutung für die Grundlagenforschung (Wie können diese Organismen so hohe Temperaturen ertragen?) – oder die angewandte Forschung (Methanoge-
84
ne sind in großen Mengen im Verdauungstrakt des Menschen, aber auch der Tiere vorhanden und somit auch aus dem Blickwinkel der Tiermedizin von Interesse) sind die Archaeen unterdessen relativ gut untersucht. Darüber hinaus hat die Anwendung moderner molekularer Sonden für Proben aus tiefen hydrothermalen Quellen, Geysiren, Sümpfen und anderen ungewöhnlichen Habitaten ergeben, dass die Biodiversität der Archaeen weitaus umfangreicher ist als erwartet. In seiner neuesten Auflage bezieht sich „Bergey’s Manual“, die „Bibel“ der Mikrobiologen, gänzlich auf die Phylogenie, die auf der 16S-rRNA basiert (siehe: http//www.cme.msu. edu/Bergeys/). Jetzt wird die 16SrRNA auch eines jeden neu entdeckten Archaeons zur genaueren Klassifizierung sequenziert. Daher haben wir unter der Rubrik „Anzahl bekannter Arten“ die Zahl der Arten angegeben, deren 16S-rRNA sequenziert ist. In der vollständigsten, jährlich aktualisierten Datenbank
(http://rrna.uia. ac.be/), werden darüber hinaus die Sequenzen angegeben, die aus Proben aus der natürlichen Umgebung gewonnen wurden, d. h. Sequenzen von Bakterien darstellen, die zurzeit noch nicht kultivierbar sind. Man zählt derzeit 258 bekannte Archaeen. In den Datenbanken gibt es zusätzlich 58 Sequenzen von Formen, die noch nicht genauer identifiziert sind. Es existiert demnach auch eine Anzahl Archaeen, die lediglich durch ihre 16S-rRNA bekannt sind. Dies alles lässt vermuten, dass die Zahl der Archaeen in den nächsten Jahren stark anwachsen wird und der Prozentsatz der beschriebenen Arten bisher noch vergleichsweise klein ist.
Crenarchaeota 2
Archaea
Crenarchaeota Einige Vertreter
Spezielle Merkmale Einige Mikrobiologen sind der Meinung, dass die Crenarchaeota (griech. kren = Quelle) viele Eigenschaften des gemeinsamen Vorfahren der Archaeen besitzen. Die Crenarchaeota sind fast alle extrem thermophil und strikt anaerob. Die meisten haben einen schwefelabhängigen Stoffwechsel. Sie nutzen Schwefel bei der anaeroben Atmung als Elektronenakzeptor, oder bei den lithotrophen Formen als Elektronenquelle. Man findet diese Bakterien in heißen geothermalen Quellen oder in schwefelhaltigen Böden. Berühmte Habitate sind beispielsweise die heißen Quellen des Yellowstone
Nationalparks (Wyoming, USA), ferner die Solfataren von Vulkanfeldern wie dem Vesuv oder dem Vulcanello (Liparische Inseln, Italien) sowie die heißen hydrothermalen Quellen des Meeresbodens. Die Crenarchaeota und ihre phylogenetischen Verzweigungen sind das Ergebnis molekularer Analysen. Das hierbei am häufigsten verwendete Molekül ist die 16S-rRNA, Bestand-
teil der kleinen Unterheit des archaeellen Ribosoms.
Beispiele Thermoproteales: Thermoproteus tenax Igneococcales: Desulfurococcus mobilis, Pyrodictium abyssi Sulfolobales: Sulfolobus solfataricus
Artenzahl: bisher 51, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
85
3 Thermoproteales
Kapitel 3
Thermoproteales Allgemeines Die Thermoproteales sind feste Stäbchen von unterschiedlicher Länge und einem Durchmesser von 0,15–0,4 µm. Die Zellen können verzweigt sein. Die Zellwand hat Glycoprotein-Charakter.
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz der 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Man findet Thermoproteus in heißen schwefelreichen Quellen. Es handelt sich dabei um ein strikt anaerobes Archaeon, das bei einer Temperatur von 70–97 °C und einem pH-Wert von 2,5–6,5 wächst. Der Stoffwechsel ist organotroph: Die Zellen können anaerob atmen, indem sie Glucose,
86
Aminosäuren oder andere organische Moleküle oxidieren. Schwefel dient dabei als Elektronenakzeptor. Das dabei entstehende reduzierte Molekül ist Schwefelwasserstoff (H2S). Thermoproteus kann darüber hinaus auch einen chemolithotrophen Stoffwechselweg einschlagen, bei dem Wasserstoff (H2) und Schwefel als Elektronendonatoren genutzt wer-
den. Kohlenstoffmonoxid und -dioxid sind mögliche Kohlenstoffquellen. Glycogen dient als Speichermolekül.
Beispiele Hyperthermus butylicus, Thermofilum pendens, Thermoproteus tenax
Artenzahl: bisher 14, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
Igneococcales 4
Archaea
Igneococcales Allgemeines Die Igneococcales umfassen einerseits die Desulfurococcaceen – Kokken von geringer Größe – und andererseits die scheibenförmigen
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz der 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Pyrodictiaceen. Einige Arten können Aggregate bilden, andere sind beweglich. Diese Archaeen sind strikt anaerobe Hyperthermophi-
Pyrodictiacee von geothermisch aufgeheizten Tiefseeböden, hält den Rekord unter den Hyperthermophilen: Die Wachstumstemperatur dieses Archaeons liegt bei 82–110 °C mit einem Optimum bei 105 °C.
le. Das Genom von Aeropyrum ist vollständig sequenziert.
Beispiele Aeropyrum pernix, Desulfurococcus mobilis, Igneococcus islandicus, Pyrodictium abyssi, Staphylothermus marinus
Ökologie Die Desulfurococcaceen nutzen Proteine und Zucker, um eine Gärung durchzuführen oder um anaerob zu atmen. Pyrodictium abyssi, eine
Artenzahl: bisher 8, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
87
5 Sulfolobales
Kapitel 3
Sulfolobales Allgemeines Die Sulfolobales sind kokkenförmige, meist unregelmäßig gelappte Bakterien. Ihre Zellwand enthält Lipoproteine und Zucker.
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz der 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Die Sulfolobales sind extrem thermacidophil – ihr Wachstumsoptimum liegt bei pH 2. Sie sind strikt oder fakultativ aerob. Als Chemolithotrophe nutzen sie Schwefel als Elektronenquelle. Diese Archaeen gedeihen auf Sulfidkristallen in heißen sauren Quellen. Der am besten bekannte Vertreter dieser Gruppe ist
88
die Gattung Sulfolobus, die aus den Solfataren des Yellowstone-Parks (Wyoming, USA) und der VesuvRegion (Italien) isoliert wurden. Die optimale Wachstumstemperatur von Sulfolobus liegt zwischen 70 und 80 °C. Die Sulfolobales oxidieren Schwefelwasserstoff zu Schwefel und den Schwefel zu Schwefelsäure. Im Allgemeinen ist Schwefel der Elektronenakzeptor, doch können sie
statt dessen auch Eisen-Ionen verwenden. Darüber hinaus dienen Zucker und Aminosäuren als Kohlenstoff- und Energiequelle.
Beispiele Acidianus infernus, Metallosphaera sedula, M. prunae, Sulfolobus solfataricus
Artenzahl: bisher 29, klassifiziert auf Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
Euryarchaeota 6
Archaea
Euryarchaeota Einige Vertreter
Spezielle Merkmale Die Monophylie der Euryarchaeen (griech. eury = eigentlich) und der für sie vorgeschlagene Stammbaum sind das Ergebnis der molekularen Phylogenien, die vor allem auf der Nucleotidsequenz der 16S-rRNA basieren. Die hier zusammengeführten Archaeen zeigen ein recht großes Spektrum verschiedener Stoffwechselwege und sind an verschiedenartige Lebensräume angepasst. Man unterscheidet prinzipiell die Methanogenen, die extrem Halophilen und die Thermophilen. Darüber hinaus sind jedoch auch Kombinationen solcher Angepasstheiten möglich. Die Vorsilbe des jeweiligen Gruppennamens (Methano-, Thermo-, Halo-) zeigt den Haupttyp dieser Spezialisierungen an. Ein kurzer Blick auf
den Stammbaum zeigt, dass es sich dabei nicht um Synapomorphien handelt. In den sechs Gruppen an der Basis des Stammbaums (7–12) findet man thermophile Arten; einige Arten können gleichzeitig methanogen und thermophil sein. Die drei letzten Gruppen (13–15) sind dagegen eher mesophil. Die Methanosarcinales sind methanogen, einige aber auch halophil. Bei den Euryarchaeen gibt es somit eine evolutive Tendenz von der Thermophilie hin zur Mesophilie, und von der Non-Halophilie zur Halophilie – ohne echte Synapo-
morphien, da die Gruppen in ihren jeweiligen Angepassheiten nicht homogen sind.
Beispiele Archaeoglobus fulgidus, Halobacterium salinarium, Halococcus morrhuae, Methanobrevibacter ruminantium, Methanococcus jannaschii, Methanomicrobium mobile, Methanopyrus kandleri, Methanosarcina barkeri, Pyrococcus furiosus, Thermoplasma acidophilum
Artenzahl: bisher 208, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
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7 Methanopyrales
Kapitel 3
Methanopyrales Allgemeines Die Methanopyrales gehören zu einer einzigen Gattung Methanopyrus, einem stäbchenförmigen, methanogenen, extrem thermophilen Archaeon. Aufgrund ihrer Stellung im Stammbaum der Eury-
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz ihrer 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie
archaeen postulieren einige Mikrobiologen, die methanogenen Archaea als eine der am frühesten entstandenen Lebewesen anzusehen, da sie an die extremen Lebensbedingungen der noch jun-
großer Tiefe isoliert worden. Seine Wachstumstemperatur liegt zwischen 84–110 °C mit einem Optimum bei 98 °C.
gen Erde angepasst sind. Allerdings ist diese Meinung von der allgemeinen Zustimmung noch weit entfernt.
Beispiele Methanopyrus kandleri
Artenzahl: bisher nur 1, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines
Methanopyrus kandleri ist von einer hydrothermalen marinen Quelle aus
90
Heutiges Vorkommen: zweifelsohne weltweit, im Meeresboden
Thermococcales 8
Archaea
Thermococcales Allgemeines Die Thermococcales sind kugelförmige oder längliche Archaeen mit einem Durchmesser von fast 1 µm, ausgestattet mit Bakteriengeißeln. In Kultur beobachtet man sie häufig in Form von Diplokokken, die aussehen, als befänden sich die Zellen in Teilung. Die Genome von Pyrococcus abyssi und P. horikoshii sind vollständig sequenziert.
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz der 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
wenden Zucker oder Peptide als Kohlenstoffquelle. Sie betreiben anaerobe Atmung und bilden, ausgehend von Schwefel, Schwefelwasserstoff (H2S).
Beispiele Pyrococcus abyssi, P. furiosus, P. horikoshii, Thermococcus celer
Ökologie Die Thermococcales sind strikte Anaerobier. Man findet sie in marinen Solfataren bei neutralem pH und Temperaturen von 80–103 °C. Sie ver-
Artenzahl: bisher 30, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: zweifellos weltweit, im Meeresboden
91
9 Methanococcales
Kapitel 3
Methanococcales Allgemeines Die Methanococcales sind unregelmäßige Kokken mit einem Durchmesser von 1–2 µm. Die strikten Anaerobier sind durch Bakteriengeißeln beweglich. Die
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz der 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Die Methanococcales sind strikt methanogen. Man findet sie in Salzsümpfen der Küste, in marinen Sedimenten oder Flussmündungen. Wasserstoff (H2) und Formiate dienen als
92
Zellwand ist vom Proteintyp. Das Spektrum ihrer Wachstumstemperatur reicht von der Mesophilie (Optimum bei 35–40 °C) über die Thermophilie (Optimum bei
Elektronendonatoren. Mit einer Ausnahme leben alle Methanococcales autotroph in mineralischem Milieu. Die Stickstoffquelle kann Ammoniak, gasförmiger Stickstoff oder Alanin sein. Glycogen dient als Kohlenhydratspeicher.
65 °C) bis hin zur extremen Thermophilie (Optimum bei 85 °C). Das Genom von Methanococcus jannaschii ist vollständig sequenziert.
Beispiele Methanococcus jannaschii, M. thermolithotrophicus, M. vannielii
Artenzahl: bisher 18, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit, in Sedimenten
Methanbakterien 10
Archaea
Methanbakterien Allgemeines Die Methanbakterien sind methanogen und strikt anaerob. Ihre Form ist variabel: Methanobacterium hat die Form von Stäbchen oder Filamenten, Methanothermus ist ein gekrümmtes Stäbchen. Ihre Zellwand besteht aus Pseudomurein als vorherrschendem Peptidoglycan-Polymer. Das Genom von Methanobacterium thermoautotrophicum ist vollständig sequenziert.
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz der 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Die Methanobakterien sind in der Natur weit verbreitet: Man findet sie in zahlreichen anaeroben Habitaten, in denen sich geothermisch entstandener Wasserstoff (H2) ansammelt – in aquatischen Sedimenten, im
Boden, im Dung sowie im Darm von Tieren, speziell der Wiederkäuer. Sie wachsen, indem sie Wasserstoff (H2) oxidieren. Kohlenstoffdioxid ist der übliche Elektronenrezeptor. Diese Archaeen bauen außer Formiat und Kohlenstoffmonoxid weder Zucker, noch Proteine oder sonst irgendeine organische Verbindung ab.
Beispiele Methanobacterium formicicum, M. thermoautotrophicum, Methanobrevibacter ruminantium, Methanothermus fervidus
Artenzahl: bisher 42, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
93
11 Thermoplasmen
Kapitel 3
Thermoplasmen Allgemeines Die Thermoplasmen sind obligat thermoacidophil. Sie besitzen keine Zellwand. Ihre Form ist unterschiedlich: Je nach den vorherrschenden Umweltbedingungen kommen 2–3 µm große Kugeln vor oder aber Filamente. Die DNA der Thermoplasmen wird durch Proteine stabilisiert, die den Histonen analog sind. Dies erlaubt die Bildung von Strukturen, die den Nukleosomen der Eukaryoten ähneln.
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz ihrer 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Thermoplasma acidophilum entwickelt sich in schwelenden Abraumhalden von Kohleminen. Diese sind reich an Pyrit (FeS), das durch die Zellen zu Schwefelsäure oxidiert wird. Die Abraumhalden werden mit der Zeit sehr heiß und sauer – was wiederum ideale Lebensbedingungen für T. acidophilum darstellt, des-
94
sen Idealbedingungen bei einer Temperatur von 55–59 °C und pH-Wert 1–2 liegen. Picrophilus wurde in japanischen Solfataren gefunden. Seine Optimaltemperatur liegt bei 60 °C. Beim pH-Wert hält dieses Bakterium den Rekord: sein pH-Optimum liegt bei 0,7 – es kann jedoch sogar bei einem pH von fast 0 gedeihen!
Beispiele Ferriplasma acidophilum, Picrophilus oshimae, Thermoplasma acidophilum
Artenzahl: bisher 3, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: punktuell, im Abraum von Kohleminen in Indien und Pennsylvania sowie in einigen Solfataren
Archeoglobales 12
Archaea
Archeoglobales Allgemeines Die Archeoglobales sind Bakterien von unregelmäßiger Kokkenform. Die Zellwand ist aus GlycoproteinUntereinheiten aufgebaut. Das Genom von Archaeoglobus fulgidus ist vollständig sequenziert.
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz ihrer 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
liert. Es kann eine Vielzahl von Elektronendonatoren nutzen – beispielsweise Wasserstoff (H2), Glucose oder Lactat und damit Sulfat, Sulfit oder Thiosulfat reduzieren.
Beispiele Archaeoglobus fulgidus, A. venificus
Ökologie Archaeoglobus ist extrem thermophil: sein Temperatur-Optimum liegt bei 83 °C. Dieses Archaeon wurde aus tiefen hydrothermalen Quellen iso-
Artenzahl: bisher 4, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: zweifellos weltweit, im Meeresboden
95
13 Halobakterien
Kapitel 3
Halobakterien Allgemeines Die Zellen sind kokken- oder stäbchenförmig. Häufig bilden sie Triangeln oder Scheiben. Einige
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz ihrer 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Die Halobakterien kommen überall dort vor, wo hohe Salzkonzentrationen vorliegen – in Salzseen wie dem Toten Meer oder in Salinen. Solche Archaeen können sich auch in eingepökelten Konserven entwickeln, die gesalzenes Protein enthalten – vor
96
Arten sind mit einem Büschel aus Bakteriengeißeln beweglich. Die Kolonien sind aufgrund ihres
allem in Fischkonserven (Halococcus morrhuae). Die Halobakterien sind fakultativ aerob oder anaerob und benötigen eine mindestens 1,5 molare Natriumchloridlösung, um wachsen zu können. Um diese hohe Salzkonzentration im umgebenden Milieu zu kompensieren, akkumulieren die Zellen Kaliumchlorid bis zu einer Konzentration von 5 M.
Carotenoidgehalts rot gefärbt. Einige Arten enthalten Bakteriorhodopsin.
Beispiele Halococcus morrhuae, Haloarcula vallismortis, Halobacterium halobium, Haloferax volcanii, Natrobacterium magadii, Natrococcus occultus
Artenzahl: bisher 53, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
Methanomicrobiales 14
Archaea
Methanomicrobiales Allgemeines Diese Archaeen kommen in unterschiedlichen Formen vor: Es gibt Kokken, gestreckte oder helikal
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz ihrer 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
gekrümmte Stäbchen sowie Filamente. Einige sind mittels einer Bakeriengeißel mobil.
oxidieren Formiat oder Wasserstoff (H2), um Kohlenstoffdioxid unter Bildung von Methan zu reduzieren. Sie sind mesophil: ihr Temperaturoptimum liegt zwischen 30 und 50 °C.
Beispiele Methanogenium cariaci, Methanomicrobium mobile, Methanosaeta thermophila, Methanospirillium hungatei
Ökologie Die Methanomicrobiales sind strikte Anaerobier. Sie kommen häufig in aquatischen Sedimenten und im Darm zahlreicher Tiere vor. Sie
Artenzahl: bisher 29, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
97
15 Methanosarcinales
Kapitel 3
Methanosarcinales Allgemeines Die Zellen haben entweder die Form unregelmäßiger Kugeln mit einem Durchmesser von 0,8– 2,5 µm, die isoliert, in Aggregaten (Pseudosarcinen) oder in Zysten vorliegen können. Sie können
Spezielle Merkmale Außer der Nucleotidsequenz ihrer 16S-rRNA sind keine spezifischen Eigenschaften bekannt.
Ökologie Die Methanosarcinales sind mesooder thermophile strikte Anaerobier. Sie leben in aquatischen Sedimenten oder im Verdauungstrakt von Tieren,
98
jedoch auch die Form von Stäbchen haben, die sich ebenfalls aneinander lagern können. Die Zellen haben in der Regel eine Zellwand aus Protein, die von Heteropolysacchariden bedeckt
vor allem im Pansen der Wiederkäuer. Diese Archaeen oxidieren Methanol, Amine oder Wasserstoff (H2), um Kohlenstoffdioxid unter Bildung von Methan zu reduzieren. Zahlreiche Arten benötigen eine erhöhte Salzkonzentration.
ist. Die Aggregate können eine Größe von mehreren Millimetern erreichen. Die Zysten vereinen zahlreiche Zellen, die durch eine gemeinsame Zellwand umschlossen werden.
Beispiele Methanococcoides methylutens, Methanolobus vulcani, Methanosarcina barkeri, M. mazei
Artenzahl: bisher 29, klassifiziert auf der Basis der 16S-rRNA Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
4 Eucarya 1
Eucarya 102
KAPITEL 4 13
siehe Kapitel 1, Seite 50 2
Die Grüne Linie 103
3
Glaucocystophyta 106
14
Die braune Linie 125
Beispielart: Cyanophora paradoxa Größe: Zelle: 16 µm
15
Stramenopilaten 127
4
Metabionta 107
5
Rhodobionta 108
6
Chlorobionta 111 Beispielart: Nordmann-Tanne Abies nordmanniana Größe: 50 m siehe Kapitel 5, Seite 164
7
Beispielart: Blasentang Fucus vesiculosus Größe: 40 cm 16
Beispielart: Emiliania huxleyi Größe: 5 µm 17
Alveolobionta 132
18
Ciliophora 134
Pilze 115
9
Eumycetes 116 Beispielart: Steinpilz Boletus edulis Größe: 15 cm siehe Anhang 1, Seite 653
20
22
12
Choanoflagellaten 121 Beispielart: Pleurasiga minima Größe: 10 µm
Foraminifera 150 Beispielart: Discospirulina sp. Größe: 2 mm
26
Euglenobionta 152 Beispielart: Euglena spirogyra Größe: 120 µm
27
Cryptophyta 155 Beispielart: Cryptomonas erosa Größe: 30 µm
28
Rhizopoda 157 Beispielart: Amoeba proteus Größe: 800 µm
29
Percolozoa 159 Beispielart: Tetramitus rostratus Größe: 50 µm
30
Chlorarachniophyta 161 Beispielart: Chlorarachnion reptans Größe: Zelle: 10 µm
Dinophyta 137
Apicomplexa 140
Parabasalia 142 Beispielart:Trichomonas sp. Größe: 10 µm
Beispielart: Nosema lepocreadii Größe: 60 µm
Choano-Organismen 120
25
Beispielart: Plasmodium vivax Größe: 10 µm
Microsporidien 119
11
Actinopoda 148 Beispielart: Thalassicola nucleata Größe: 70 µm
Beispielart: Peridinium cinctum Größe: 30 µm
21 10
24
Beispielart: Paramecium tetraurelia Größe: 100 µm 19
Metamonadina 144 Beispielart: Retortamonas sp. Größe: 20 µm
Mycetozoa 146 Beispielart: Echinostelium minutum Größe: 2 mm
Haptophyta 130
Opisthokonta 113
8
23
Beispielart: Phakellia flabellata Größe: 13 cm siehe Kapitel 7, Seite 238
Beispielart: Polysiphona elongata Größe: 50 cm
100
Metazoa 122
Eucarya
Kapitel 4
101
1 Eucarya
Kapitel 4
Eucarya Die meisten der heute lebenden, biologisch bestimmten Lebewesen gehören zu den Eukaryoten, die man heute zur Domäne Eucarya zusammenfasst. In Größe und Komplexität sind sie enorm unterschiedlich und reichen von einzelligen Organismen bis zu hochorganisierten Vielzellern wie dem Mammutbaum oder dem Blauwal. Die Eukaryotenzelle (= Eucyt) von heute ist sehr originell, denn sie ist, im wahrsten Sinne des Wortes, eine Chimäre. Tatsächlich hat sie durch Endosymbiose sehr leistungsstarke Organellen für ihren Energiehaushalt gewonnen – die Mitochondrien. Das Mitochondrium, Sitz der Zellatmung, ist ein Proteobakterium vom Typ a, das schrittweise ins Wirtscytoplasma integriert wurde. Der Chloroplast, Sitz der Photosynthese, leitet sich von einem Cyanobakterium ab. Daher besitzt ein Photosynthese betreibender Eukaryot mindestens drei Genome unterschiedlichen Ursprungs, nämlich ein Kerngenom mehrheitlich eukaryotischen Ursprungs sowie zwei Genome (eu)bakterieller Herkunft (Mitochondrien und Chloroplasten). In Wirklichkeit ist die Sache noch komplizierter: Nach vollzogener Endosymbiose teilen sich die Gene des Symbionten (beispielsweise des künftigen Mitochondriums) in drei Gruppen auf, die unterschiedliche Ziele haben: Einige Gene gehen verloren, andere bleiben im Genom der
102
Organellen und wiederum andere werden aus den Organellen exportiert und in das Kerngenom integriert, das damit zur genetischen Chimäre wird. Diese Tatsache ist von großer praktischer und theoretischer Bedeutung: Sie erlaubt nämlich den direkten experimentellen Nachweis, dass eine rezente Eukaryotenzelle, die keine Mitochondrien mehr besitzt, diese sekundär verloren hat, oder dass es sich dabei um ein Relikt handelt, das von einem Vorfahren stammt, der bereits vor dem Zeitpunkt der Endosymbiose gelebt hat. Bestimmte mitochondriale Gene (beispielsweise Hsp) im Kerngenom beweisen also, dass jede rezente Eukaryotenzelle, die kein Mitochondrium mehr besitzt, dieses sekundär verloren hat. Dieses Ergebnis sowie die Interpretation der molekularen, auf den Nucleotidsequenzen der 16S- und 18S-rRNA basierenden Phylogenien bestätigen, dass alle heute lebenden Eukaryoten einen Mitochondrien tragenden Eukaryoten als hypothetischen gemeinsamen Vorfahren haben, und dass es nur eine einzige mitochondriale Endosymbiose gegeben hat. Die evolutiven Abläufe sind bei den Plastiden noch viel komplizierter, denn man muss hier zwischen einer primären und einer sekundären (und gegebenenfalls sogar tertiären) Endosymbiose unterscheiden. Die primäre Endosymbiose entspricht der einmaligen Integration
eines Cyanobakteriums, gefolgt von genetischen Umbauten vergleichbar der mitochondrialen Endosymbiose. Sekundär haben sich jedoch auch Endosymbiosen von Photosynthese betreibenden Eukaryoten in nicht Photosynthese betreibenden Eukaryoten ereignet. In bestimmten Fällen findet man daher besondere Relikte, beispielsweise zusätzliche Membranen, die sich von diesen Endosymbiose-Ereignissen herleiten. Als Beispiel dienen die Braunalgen und die Augenflagellaten (Euglenen). So stammt der Chloroplast dieser Vertreter in Wirklichkeit aus einer sekundären Endosymbiose, bei der ein farbloser Wirt einen einzelligen photosynthetischen Eukaryoten integrierte, der zu den Rhodobionten (Braunalgen) bzw. Chlorobionten (Euglena) gehörte. Manchmal findet sich in bestimmten Algen sogar ein als Nucleomorph bezeichnetes kernartiges Gebilde, das den stark reduzierten Zellkern eines endosymbiontischen Eukaryoten darstellt. Ein Beispiel dafür sind die Cryptophyten. Eine jüngst erschienene Zusammenstellung zählt nicht weniger als 13 sekundäre endosymbiontische Ereignisse auf. Die Dinophyten sind aus diesem Blickwinkel vielleicht die kuriosesten Organismen: Innerhalb dieser Gruppe findet man, ausgehend von einem Eukaryoten, Hinweise auf mindestens drei voneinander unabhängige Endosymbiosen.
Die grüne Linie 2
Eucarya
Die grüne Linie Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Chloroplast: Die Grüne Linie umfasst die Glaucocystophyten, die Rhodobionten und die Chlorobionten prinzipiell aufgrund
ihrer Chloroplasten-Merkmale. Die Mitglieder der Grünen Linie sind also direkte Nachkommen eines Organismus, bei dem eine primäre Chloroplasten-Endosymbiose stattgefunden hat. In der
Folge fanden dann sekundäre Endosymbiosen statt, bei denen der Wirt einen Photosysnthese betreibenden, eukaryotischen Einzeller intrazellulär aufgenommen hat. Die Chloroplasten der Glau-
Abb. 1. Bei den meisten Glaucocystophyten besitzt der Chloroplast noch eine dünne cyanobakterielle (!) Zellwand aus Peptidoglycan. Erst in einem weiteren Integrationsschritt wird diese abgebaut.
103
2 Die grüne Linie cocystophyten zeigen deutlich ausgeprägt ursprüngliche Merkmale. Daher hat es einige Zeit gedauert, bis man sie überhaupt als Chloroplasten erkannt hat. Früher einfach als Cyanellen bezeichnet, schienen sie ein früheres Stadium der Endosymbiose darzustellen. Damit waren zwei Interpretationen möglich: Entweder hatte die Endosymbiose gerade erst stattgefunden und strebte nun ihrer Vollendung zu, oder die Endosymbiose lag schon sehr lange zurück, blieb aber bei den Glaucocystophyten in einem Zwischenstadium stehen. Eine neuere Studie beweist, dass die zweite Interpretation zutrifft. – Gen-Struktur: Neuere Ergebnisse der molekularen Phylogenie, die sowohl mitochondriale als auch Chloroplasten- und Kern-Marker verwendet, sprechen für die Monophylie dieser Gruppe. Die Bestimmung der Reihenfolge, in der diese drei Taxa entstanden sind, ist momentan noch schwierig, auch wenn die Monophylie der Gruppe „Rhodobionten/Chlo-
Kapitel 4
–
– – –
–
robionten“ sehr wahrscheinlich ist. Die Charakteristika der Glaucocystophyten müsste man dann als ursprünglich ansehen. Die Thylakoide der Glaucocystophyten und Rotalgen sind nicht gestapelt, sondern liegen in gleich großen Abständen voneinander getrennt (Abb. 2). Ihre akzessorischen Pigmente sind in Phycobilisomen enthalten, die wie bei den Cyanobakterien auf den Thylakoiden liegen. Die Chloroplasten enthalten nur Chlorophyll a. Kohlenhydrate werden in Form extraplastidärer Stärkekörner gespeichert. Die Chloroplasten-DNA ist wie bei den Cyanobakterien zirkulär und im Zentrum des Chloroplasten untergebracht. Die Chloroplasten-DNA zeigt zwei inverse Repetitionen, welche die rRNAs umfassen.
Abb. 2. Ultrastruktur des Chloroplasten der Rotalge Ceramium mit umhüllender Doppelmembran und einzeln liegenden Thylakoiden
104
– Die beiden Untereinheiten der Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase (RubisCo) werden von der Chloroplasten-DNA codiert. – Einzeller mit zwei Geißeln: Fehlen die Geißeln, so wird dies als sekundärer Verlust interpretiert. Der Beweis dafür ist das Vorhandensein von Restgeißeln bei Glaucocystis (Abb. 3). – Die begeißelten Zellen sind isokont, das heißt, die Geißeln einer Zelle haben eine identische Struktur, selbst wenn sie ungleich lang sind. – Die Geißeln besitzen zwei Reihen feinfädiger Anhänge, die man als Mastigonemen bezeichnet und die denjenigen ähneln, die man bei begeißelten Chlorobionten wie Chlamydomonas findet (Abb. 4). – Eine sternförmige Struktur markiert den Übergang zwischen der Geißel und ihrem Basalkörper (Abb. 5).
Abb. 3. Schematischer Zellaufbau des Glaucocystophyten Glaucocystis nostochinearum
Die grüne Linie 2
Eucarya
Beispiele
Artenzahl: bisher 283 415
Glaucocystophyten: Cyanophora paradoxa Metabionten: Bathycoccus prasinosus, Chlamydomonas reinhardtii, Meersalat (Ulva lactuca), Cladophora vagabunda, Sternalge (Micrasterias papillifera), Schraubenalge (Spirogyra fluviatilis), Chaetosphaeridium minus, Armleuchteralge (Chara vulgaris), Coleochaete scutata, Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Mais (Zea mays), Wildapfelbaum (Malus sylvestris), Nabelhauttang (Porphyra umbilicalis), Palmblattrotalge (Palmaria palmata), Korallenmoos (Corallina officinalis), Knorpeltang (Chondrus crispus), Lithothamnion roseum
Ältestes bekanntes Fossil: Zysten, ähnlich denen der Gattung Pterosperma (Micromonadophyten), sind seit dem Präkambrium (–1,22 Mrd. Jahre) bekannt. Fossilien im Gestein der sauren Quellen Zentralaustraliens (Bitter Springs), die ins Präkambrium datieren (–900 Mio. Jahre), sind möglicherweise versteinerte einzellige, filamentöse Chlorophyceen.
Abb. 4. Distales Ende einer Geißel von Chlamydomonas sp. Auch die begeißelten Glaucocystophyten tragen solche seitlichen Anhänge (Flimmerhaare).
Abb. 5. Längsschnitt und drei Querschnitte durch die Geißel von Chlamydomonas reinhardtii. Schnittebene A, im Bereich des Basalkörpers, zeigt die typische Struktur mit 9 Mikrotubuli-Tripletts; Schnittebene B lässt die Sternstruktur erkennen; Schnitt C zeigt die übliche Axonemstruktur mit 9 peripheren Doppeltubuli und einem zentralen Doppeltubulus. Die sternförmige Struktur der Glaucocystophyten ist etwas anders aufgebaut. Daher bezweifeln einige Autoren, dass es sich hierbei um eine Synapomorphie handelt.
Heutiges Vorkommen: weltweit
105
3 Glaucocystophyta
Kapitel 4
Glaucocystophyta Allgemeines Die Glaucocystophyten (häufig unkorrekt als Glaucophyten zitiert) wurden lange Zeit zu den Rhodobionten gestellt. Vor kurzem hat man sie jedoch von diesen getrennt, da sich die Merkmale ihrer Chloroplasten (oder Cyanellen), die sie mit den Rhodobionten zu vereinen schienen, als ursprünglich und nicht als abgeleitet herausstellten. Die Glaucocystophyten sind einzellige Organismen, die dorso-ventral strukturiert sind, mit einer gerundeten Rücken- und einer abgeflachten Bauchflanke. Sie tragen Geißeln unterschiedlicher Länge. Obwohl sie nur ein Phylum von eingeschränkter Vielfalt bilden, sind die Glaucocystophyten in Bezug auf ihre Chloroplasten unter evolutiven Gesichtspunkten interessant. Man hat sie lange als „Zwischen-
106
glieder“ zwischen Prokaryoten und Eukaryoten angesehen. In Wirklichkeit repräsentieren sie
Spezielle Merkmale
Ökologie
– Die blaugrüne Färbung der Chloroplasten kommt durch akzessorische Pigmente (Phycocyanin und Allophycocyanin) zu Stande, die in den Phycobilisomen enthalten sind. – Die Zellen besitzen Alveolen unter der Cytoplasmamembran, die durch Mikrotubuli gehalten werden. Diese Alveolen können, wie bei den Dinophyten, fibrilläres Material enthalten. Dies ist ein Merkmal, das die Glaucocystophyten in die verwandtschaftliche Nähe der Alveolobionten rückt.
Die Glaucocystophyten sind seltene Organismen, die in Seen, Sümpfen und in sauren nordischen Seen zwischen Wasserpflanzen umher schwimmen. Im Labor hat man selektiv die Cyanellen von Cyanophora abgetötet, und daraufhin starben auch die Wirtszellen sehr schnell ab. Die metabolischen Bande zwischen
jedoch Eukaryoten, die einige markante Merkmale ihrer Vorfahren behalten haben.
diesen beiden Partnern sind somit sehr stark und spiegeln eine hoch entwickelte Symbiose wider.
Beispiele Cyanophora paradoxa, Glaucocystis nostochinearum, Gloeochaete wittrockiana
Artenzahl: bisher 13 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: Man findet Glaucocystophyten im Plankton von Süßwassertümpeln gemäßigter Zonen.
Metabionta 4
Eucarya
Metabionta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Peptidoglycan-Zellwand des Chloroplasten der Glaucocystophyten ist verschwunden – der Chloroplast ist jetzt nur von einer Doppelmembran umgeben. Die innere Membran wird als Plasmalemma des Cyanobakteriums interpretiert, das am Ursprung der Endosymbiose stand. Die äußere Membran stellt dagegen die Vakuolenmembran dar, die bei der Endocytose durch den Wirt entstanden ist. – Chloroplasten-DNA: Die zirkulären DNA-Moleküle des Chloroplasten sind in zahlreichen kleinen Nukleoiden von 1–2 µm Durchmesser konzentriert, die überall im Chloroplasten verteilt sind.
– Neben zahlreichen Einzellern existiert auch eine beeindruckende Fülle mehrzelliger Formen. – Das Gen für den Elongationsfaktor EF-2 zeigt spezielle Merkmale.
Beispiele
(Polysiphonia elongata), Nabelhauttang (Porphyra umbilicalis), Palmblattrotalge (Palmaria palmata) Chlorobionten: Meersalat (Ulva lactuca), Caulerpa taxifolia, Mougeotia tenuis, Armleuchteralge (Chara vulgaris), Coleochaete scutata, Mais (Zea mays), Wildapfelbaum (Malus sylvestris)
Rhodobionten: Knorpeltang (Chondrus crispus), Lithothamnion roseum, Nemalion multifidum, Fadenrotalge Artenzahl: 283 402 Ältestes bekanntes Fossil: Zysten, ähnlich denen der Gattung Pterosperma (Micromonadophyten), sind aus dem Präkambrium (–1,2 Mrd. Jahre) bekannt. Fossilien im Gestein der sauren Quellen Zentralaustraliens (Bitter Springs), die ins Präkambrium datieren (–900 Mio. Jahre), sind möglicherweise versteinerte einzellige, filamentöse Chlorophyceen. Heutiges Vorkommen: weltweit
107
5 Rhodobionta
Kapitel 4
Rhodobionta Allgemeines Die Rhodobionten (Rhodophyta, mit der Klasse Rhodophyceae) stellen die typischen Rotalgen unserer Meeresküsten. Die Homogenität dieser Gruppe beruht auf verschiedenen biochemischen und zellulären Merkmalen, beispielsweise auf dem Fehlen von Centriolen, Cilien bzw. Geißeln. Zum größten Teil handelt es sich um marine Algen. Sie sind oft bereits an ihrer Farbe und Form erkennbar. Die Rhodobionten unterteilt man in zwei Unterklassen (gelegentlich als eigene Klassen aufgefasst), einerseits die Bangiophyci-
108
dae, die relativ einfache Thalli besitzen, und andererseits die Florideophycidae mit einem stärker abgeleiteten Thallusbau. Die Bangiophycidae definieren sich über das Fehlen von Merkmalen, die für die Florideophycidae typisch sind. Wenn Letztere eine monophyletische Gruppe bilden, scheint es, dass die Bangiophycidae paraphyletisch sind. Bei den Florideophycidae erfolgt das Wachstum typischerweise durch die Teilung apikaler Zellen. Dies erlaubt die Bildung stark differenzierter Thalli, die oft aus einer Vielzahl feiner,
verzweigter Filamente bestehen und dann besonders schöne und grazile Formen zeigen. Man findet bei den Rotalgen aber auch bandförmige Thalli, die etwa 1 m Länge erreichen. Die geschlechtliche Fortpflanzung ist komplex: Sie umfasst einen Zyklus, der aus drei Generationen besteht und bei dem phasenweise haploide bzw. diploide Sporen abgegeben werden. Nur wenige Rotalgengattungen sind einzellig. Die ursprüngliche Vielzelligkeit ist bei diesen Formen sekundär verloren gegangen.
Rhodobionta 5
Eucarya
Ökologie Die Mehrzahl der Rhodobionten lebt festgewachsen an Felsen im Meer. Einige bevorzugen andere Substrate, beispielsweise größere Braunalgen, Seegras oder die Schalen von Muscheln und Gastropoden. Der Lebensraum der Rotalgen ist auf den schmalen Litoralgürtel begrenzt, der die Kontinente säumt. Ihre speziellen akzessorischen Pigmente erlauben es ihnen jedoch, hier in deutlich größerer Tiefe zu leben als die Grünalgen (Chlorobionten) oder die Braunalgen (Phaeophyceen). Das Wasser absorbiert nämlich vorzugsweise das energieärmere rote Licht. Nur die grünen und blauen Quanten, die durch die roten Pigmente absorbiert werden können, dringen bis in diese Tiefen vor. Die Eindringtiefe hängt allerdings von der jeweiligen Transparenz des Meerwassers ab. In der Nordsee liegt diese bei einigen Metern, im Mittelmeer dagegen bei einigen hundert Metern. So hält auch ein Rhodobiont den Tiefenrekord: Er lebt als Krustenrotalge an den Hängen eines untermeerischen Berges nahe den Bahamas in 268 m Tiefe. Dort ist nur noch 0,001% des auf die Wasseroberfläche treffenden Lichts verfügbar. Einige einzellige Rhodobionten sind Symbionten – beispielsweise Vertreter der Gattung Porphyridium – Endosymbiont tropischer, benthischer Foraminiferen. Andere Rhodobionten haben ihre Chloroplasten verloren und sind nun obligate Parasiten anderer Rhodobionten (Alleloparasiten). Wegen ihrer besonderen Zellwandchemie haben einige Rhodobionten eine beachtliche wirtschaftliche Bedeutung: Sie liefern die technisch vielfach genutzten Polysaccharide Agar und Carragheenan, die in der Biochemie, bei der Produktion von Süßigkeiten, Eis, Konfitüren und anderen Nahrungsmitteln
Abb. 1. Bei den Rhodobionten (Rotalgen) bleibt die Kernmembran während der Mitose bestehen (geschlossene Mitose, a Metaphase). Die Spindel bleibt während der Telophase bestehen; die Polringe übernehmen die Rolle der Centriolen (b).
verwendet werden. Die jährliche Ernte hat eine Größenordnung von etwa 1 Mio. t Frischgewicht. Die Hälfte davon kommt aus Aquakulturen des Fernen Ostens. Dort werden Rotalgen auch direkt gegessen (Nori). In Frankreich verwendet man einige Rhodobionten aufgrund ihrer verkalkten Zellwände zur Verbesserung saurer Böden. Der Kalksand „maerl“ de Bretagne besteht überwiegend aus Lithothamnion calcareum.
Spezielle Merkmale – Verlust der Centriolen und ihrer Derivate – Die männlichen Gameten sind Protoplasten, d. h. es handelt sich bei ihnen um nackte Zellen ohne feste Zellwand und ohne Geißeln. Die Befruchtung ist immer oogam: Der weibliche Gamet ist unbeweglich und viel größer als der männliche.
Abb. 2. Bildung eines Rotalgen-Tüpfels: Ansicht der Pore am Ende der Metaphase (a) und Ersatz der ERZisternen durch den Tüpfelpfropfen aus Protein (b).
109
5 Rhodobionta – Die Mitose ist geschlossen, wie beispielsweise im Falle der Gattung Polysiphonia (Abb. 1). – Rotalgen-Tüpfel: Wenn am Ende der Mitose die Cytoplasmata der beiden gebildeten Tochterzellen noch miteinander in Verbindung stehen, wird in die sich bildende Zellwand schnell ein spezieller und nur für diese Klasse typischer Tüpfel in Form eines Pfropfens aus Protein eingebaut. Insgesamt sind 7 verschiedene Typen solcher Tüpfelverschlüsse bekannt. – Phycobilisomen: Die grüne Farbe vom Chlorophyll a wird überdeckt durch zwei akzessorische Pigmente, die in den Phycobilisomen angesiedelt sind, einem meist dominanten Phycoerythrin (rot) und einem geringeren Anteil Phycocyanin (bläulich). – die Chloroplasten-DNA ist niemals zirkulär. – Reservestoff ist die FlorideenStärke, die in Form extraplastidärer, frei im Cytoplasma liegender Granula gespeichert wird (Abb. 3).
Beispiele Knorpeltang (Chondrus crispus), Korallenmoos (Corallina officinalis),
110
Kapitel 4
Abb. 3. Im Ultrastrukturbild einer Zelle von Porphyridium purpureum erkennt man die außerhalb der Plastiden-Doppelmembran lokalisierten Granula von Florideenstärke.
Seeampfer (Delesseria sanguinea), Furcellaria lumbricalis, Gracilaria compressa, Lithothamnion roseum, Nemalion multifidum, Plumaria ele-
gans, Fadenrotalge (Polysiphonia elongata), Nabelhauttang (Porphyra umbilicalis), Palmblattrotalge (Palmaria palmata), Scinaia furcellata
Artenzahl: 5500 Ältestes bekanntes Fossil: Fossilien aus dem Kambrium (–590 Mio. Jahre) wurden der Familie Solenoporaceae zugeordnet. Sie gehören innerhalb der Florideophycidae zur Ordnung Corallinales, deren Zellwände dick mit Calcitkristallen inkrustiert sind (Bildung von Kalkalgenriffen). Einige Autoren haben vorgeschlagen, sehr alte präkambrische Fossilien (> 1,9 Mrd. Jahre) wie Eosphaera und Huroniospora zu den Rhodobionten zu zählen. Diese in der Diskussion stehende Ansicht stützt sich mehr auf die vermutete Ursprünglichkeit dieser Gruppe als auf deren tatsächliche Merkmale. Heutiges Vorkommen: weltweit
Chlorobionta 6
Eucarya
Chlorobionta Allgemeines Die Chlorobionten umfassen die Grünalgen sowie die grünen Landpflanzen (= Embryophyten). Die phylogenetische Untersuchung zeigt, dass die Grünalgen eine paraphyletische Gruppe bilden. Die Embryophyten sind dagegen
Ökologie Die Lebensräume und -weisen der Grünalgen sind sehr unterschiedlich. Man findet diese Organismen sowohl im Süßwasser als auch im Meer. Die einzelligen Formen sind meist planktonisch, einige können
monophyletisch. Die Grünalgen zeigen eine außerordentliche Formenvielfalt: Außer Einzellern finden sich auch fädige Formen sowie flächige oder röhrige Thalli. Der Chloroplast ist grün, da die beiden Chlorophylle a und b hier nicht
jedoch auch Überzüge auf Felsen bilden. Die einzelligen Formen sind häufig an ein Substrat gebunden, doch gibt es auch filamentöse Formen, die sich ablösen und mengenweise frei umher treiben. Arten mit Ausläufern wie Caulerpa taxifolia nehmen im Mittelmeer überhand.
durch akzessorische Pigmente überdeckt werden – auch nicht von den Xanthophyllen, die stets nur in geringen Mengen vorhanden sind. Das Genom der AckerSchmalwand (Arabidopsis thaliana) ist vollständig sequenziert.
Doch findet man die Grünalgen nicht nur im Wasser, sondern auch als so genannte Atmophyten oder aeroterrestrische Formen an der Luft auf Baumstämmen, auf Böden oder auf Mauern. Die Gattungen Trebouxia und Trentepohlia gehen mit Ascomyceten, seltener auch mit Basi111
6 Chlorobionta
Kapitel 4
diomyceten, Symbiosen ein und bilden Flechten. Ein ökologisches Kuriosum ist die Grünalge Chlamydomonas nivalis: Man findet sie auf Gletschern, die sie kräftig rötlich einfärbt, da ihre Carotenoide das Grün der Chloroplasten überdecken. Die Embryophyten haben das terrestrische Milieu erobert und bilden in ihrer Gesamtheit die Wälder, Prärien und Steppen der ganzen Welt. Abb. 1. Ausschnitt aus der Ultrastruktur eines Chloroplasten von Chlamydomonas reinhardtii.
Spezielle Merkmale – Die Chloroplasten sind grün, da die Farbe der beiden Chlorophylle a und b nicht durch akzessorische Pigmente (Xanthophylle) überdeckt werden, die nur in geringer Menge vorhanden sind. Phycobiline kommen nie vor. – Chlorophylle: zusätzlich zum Chlorophyll a enthalten die Chloroplasten Chlorophyll b und, bei einer einzigen Art (Mantionella squamata), Chlorophyll c. Der Photosyntheseapparat, der ursprünglich auf Chlorophyll a und den akzessorischen Phycobilinen basierte, ist nun in einen Apparat auf der Basis der Chlorophylle a und b gewandelt worden. – Die Thylakoide der Chloroplasten sind in Gruppen (von 2–6) angeordnet und bilden auf diese Weise Lamellen (Abb. 1). – Das Pyrenoid, sofern vorhanden, ist im Chloroplasten eingeschlossen und wird von intraplastidären Stärkekörnchen umgeben (Abb. 1). – Das Reservekohlenhydrat besteht vorwiegend aus Stärke (a1,4-Glucan). Die Stärkekörnchen umge-
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ben die Pyrenoide oder befinden sich im Stroma des Chloroplasten. – Das Gen, das für die kleine Untereinheit der RibosebisphosphatCarboxylase (RubisCo) codiert, ist aus dem Chloroplasten-Genom in den Zellkern transferiert worden.
Beispiele Prasinophyten: Bathycoccus prasinosus, Pyramimonas lunata Ulvophyten: Chlamydomonas reinhardtii, Volvox globator, Meersalat
(Ulva lactuca), Cladophora vagabunda, Caulerpa taxifolia, Acetabularia acetabulum Streptophyten: Chlorokybus atmophyticus, Klebsormidium flaccidum, Desmidium schwartzii, Sternalge (Micrasterias papillifera), Schraubenalge (Spirogyra fluviatilis), Mougeotia tenuis, Zygnema peliosporum, Chaetosphaeridium minus, Armleuchteralge (Chara vulgaris), Nitella gracilis, Coleochaete scutata, Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Mais (Zea mays), Wildapfelbaum (Malus sylvestris)
Artenzahl: bisher 277 902 Ältestes bekanntes Fossil: Zysten, ähnlich denen der Gattung Pterosperma (Micromonadophyten), sind aus dem Präkambrium (–1,2 Mrd. Jahre) bekannt. Fossilien im Gestein der Bitter Springs Formation Zentralaustraliens, die ins Präkambrium datieren (–900 Mio. Jahre), sind möglicherweise versteinerte einzellige, filamentöse Chlorophyceen. Heutiges Vorkommen: weltweit
Opisthokonta 7
Eucarya
Opisthokonta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Ähnlichkeit der Taxa, die einerseits die Eumyceten und andererseits die Metazoen umfassen, wurde bis zum Durchbruch der molekularen Phylogenien niemals ernsthaft in Erwägung gezogen. Da nun mehrere voneinander unabhängige Genanalysen vorliegen, wurde am Stammbaum der Organismen das Kladon der Opisthokonten eingerichtet, das dieser Sichtweise Ausdruck gibt. Andere Synapomorphien sind nun deutlicher geworden: – Ursprünglich wurde Chitin als strukturelles Makromolekül verwendet – beispielsweise für das Zellwandgerüst der Eumyceten und für die Cuticula der Arthropoden. – Soweit begeißelte Zellen vorkommen, beispielsweise die Spermatozoide, besitzen sie immer eine
vorwärts treibende Geißel (Schubgeißel): Die Geißel sitzt in diesem Fall immer am hinteren Ende der Zelle – daher auch der Name des Taxons (griech. opistho:
hinter; kont: Geißel). Alle anderen bekannten begeißelten Zellen werden durch ihre Geißel gezogen (Zuggeißel): Diese befindet sich daher am vorderen Ende (Abb. 1).
Abb. 1. Fortbewegung eines tierischen Spermatozoids (a) sowie von Chlamydomonas,die zwei Geißeln besitzt (b). Der Pfeil zeigt jeweils die Fortbewegungsrichtung an.
113
7 Opisthokonta Beispiele Pilze: Bierhefe (Saccharomyces cerevisiae), Steinpilz (Boletus edulis), Penicillium chrysogenum, Nosema locustae, Diaphanoeca pedicellata Choano-Organismen: Badeschwamm (Spongia officinalis), Gewöhnlicher Kalmar (Loligo vulgaris), Regenwurm (Lumbricus terrestris), Siebenpunktmarienkäfer (Coccinella septempunctata), Hauskatze (Felis catus)
114
Kapitel 4 Artenzahl: bisher 1 312 532 Ältestes bekanntes Fossil: versteinerte Baue, die durch Metazoen – wahrscheinlich Bilaterier – gegraben wurden, datieren ins Präkambrium (–700 Mio. Jahre). Einige Gruppen (wie die Medusen und die Bilaterier) kommen bereits in der berühmten australischen Ediacara-Fauna (–680 Mio. Jahre) vor. Heutiges Vorkommen: weltweit
Pilze 8
Eucarya
Pilze Allgemeines
Spezielle Merkmale Die molekulare, auf der 18S-rRNA basierende Phylogenie deutet ein frühes Auftreten dreier Eukaryotengruppen (Microsporidien, Parabasalier und Metamonadinen) an, die keine Mitochondrien besitzen. Kurzzeitig dachte man sogar daran, dass diese drei Gruppen Relikte von Eukaryoten seien, die vor der mitochondrialen Symbiose gelebt haben. Zwischenzeitlich hat man allerdings zeigen können, dass diese Organismen ihre Mitochondrien sekundär verloren haben. Ihre bisherige Stellung im Stammbaum, der auf der 18S-rRNA basiert, stellt insofern ein Rekonstruktions-Artefakt dar, das aufgrund ihrer großen Evolutionsgeschwindigkeit zu Stande kam. Phylogenien, die auf anderen Genen basie-
ren (beispielsweise auf denen für Tubulin oder Hsp 70), bringen die Microsporidien und die Eumyceten wieder miteinander in Verbindung. Zudem erscheint es sehr wahrscheinlich, dass die Microsporidien Eumyceten sind, die aufgrund ihrer parasitisch-intrazellulären Lebensweise eine weitgehende zelluläre Vereinfachung erfahren haben.
Beispiele Eumyceten: Mucor racemosus, Bierhefe (Saccharomyces cerevisiae), Steinpilz (Boletus edulis), Aspergillus niger, Penicillium chrysogenum Microsporidien: Glugea stephani, Nosema locustae
Artenzahl: 100 800 Ältestes bekanntes Fossil: eine fossile an Eumyceten erinnernde Form, die mit dem Gewebe eines versteinerten Embryophyten assoziiert ist, datiert ins Devon (–400 Mio. Jahre). Versteinerungen von Spezies der Gattung Glomus sind in Gesteinen des Ordovizium (–460 Mio. Jahre) gefunden worden. Heutiges Vorkommen: weltweit
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9 Eumycetes
Kapitel 4
Eumycetes Allgemeines
Die Eumyceten sind Eukaryoten mit sehr unterschiedlichen Formen: Sie können ein- oder vielzellig sein und besitzen, mit Ausnahme der Chytridiomyceten, weder Geißeln noch Cilien. Die Fortpflanzung erfolgt durch haploide Sporen. Ihre Zellwand enthält Chi116
tin, jedoch niemals Cellulose. Ihre morphologische Vielfalt erstreckt sich von der einfachen, mikroskopisch kleinen, ellipsoiden Zelle einer Hefe bis hin zu den großen terrestrischen Pilzen, den Basidiomyceten, deren Fruchtkörper mehrere Dezimeter messen können.
Einige Pilzthalli, zum Beispiel in der Gattung Armillaria, durchziehen sogar mehrere tausend Hektar. Zu den Eumyceten gehören die Ascomyceten (Hefen, Trüffel und zahlreiche Schimmelpilze), die Basidiomyceten (die üblichen Hutpilze) und die Zygomyceten (Joch-
Eumycetes 9
Eucarya
pilze). Die Namen der einzelnen Gruppen leiten sich meist von den die Sporen bildenden Strukturen (Ascus, Basidie) ab, in denen jeweils die Meiose stattfindet. Die Pilzkörper sind aus filamentösen Strukturen aufgebaut. Es gibt weder eine Embryonalentwicklung noch eine Gewebedifferenzierung. Nur bei manchen Asco- und Basidiomyceten sind Anklänge einer gewissen funktionalen Diversifikation zu beobachten. Aus der haploiden Spore keimt ein 1–15 µm
Ökologie Die Eumyceten sind überwiegend terrestrische Organismen. Sie leben in Symbiosen oder als Parasiten. In der Mehrheit sind sie aerob und heterotroph. Am häufigsten leben sie saprobiontisch, d. h. sie ernähren sich von totem organischem Material. Alle Eumyceten sind grundsätzlich absorbotroph und oxidieren organische Verbindungen, die sie zuvor hydrolysiert haben. Die parasitischen und symbiontischen Arten ernähren sich von niedermolekularen Nährstoffen, die ihnen ihr Wirt liefert. Die Eumyceten scheiden für den extrazellulären Verdauungsvorgang (Exodigestion) lytische Enzyme aus. Nach der Exodigestion der organischen Verbindungen absorbieren sie die gelösten Nährstoffe, niemals jedoch feste bzw. partikuläre Bestandteile. Etwa 25 000 Arten (am häufigsten die Ascomyceten) leben in Symbiose mit einer Grünalge oder einem Cyanobakterium. Die daraus entstehende Lebensgemeinschaft nennt man Flechte. Viele Flechten sind Pionier-Organismen an Problemstandorten. Da sie Gestein auflösen, stehen sie am Beginn der Bodenbildung.
dicker Zellfaden, die Hyphe. Dieser ist durch Querwände (Septen) in einzelne Zellen aufgeteilt. Die Hyphen können auch verzweigt sein. Mitunter fehlen die Septen. Das Cytoplasma kann über besondere Poren in den Septen sitzen, zwischen den Zellen zirkulieren. Die Gesamtheit der Hyphen wird als Myzel bezeichnet. Das Myzel bildet den vegetativen Thallus und die Fruchtkörper. Die Eumyceten haben keine Gefäße zur Stoffleitung, obwohl zahreiche Arten ter-
Das Myzel der Eumyceten ist haploid. Der asexuellen Vermehrung dienen Teilung, Sprossung oder Knospung. Die sexuelle Vermehrung erfolgt durch die Fusion von Hyphenzellen unterschiedlicher Paarungstypen. Bewegliche freie Gameten kommen, außer bei den Chytridiomyceten, nicht vor. Nach der Hyphenverschmelzung liegen die beiden haploiden Kerne noch eine Zeit lang zusammen, ohne miteinander zu fusionieren und bilden auf diese Weise zweikernige Zellen (Paarkernstadium). Erst nach der Verschmelzung ergeben die Kerne eine diploide Zygote. Der diploide Zustand ist aber nur kurzlebig, da sofort die Meiose stattfindet und wieder haploide Zellen (= Meiosporen) erzeugt. Diese bilden bei der Keimung eine Hyphe und schließlich ein haploides Myzel. Bei den Ascomyceten ist das Myzel immer haploid, bei Basidiomyceten wächst es überwiegend im Paarkernstadium. Einige Eumyceten, darunter viele Schimmelpilze, haben die Fähigkeit zur sexuellen Fortpflanzung sekundär verloren. Viele Eumyceten stellen nur geringe Ansprüche: Einige Arten können in saurem Milieu und ohne
restrisch leben und makroskopisch sichtbar sind. Sie betreiben auch niemals Photosynthese und enthalten keine Plastiden. Bei den terrestrischen Formen gibt es keine beweglichen Zellen. Die molekularen Phylogenien ordnen die Chytridiomyceten, eine Gruppe von bisher eher unsicherer Stellung, innerhalb der Eumyceten ein. Die meisten Chytridiomyceten sind Parasiten von Algen. Das Genom von Saccharomyces cerevisiae ist vollständig sequenziert.
Stickstoff wachsen. Viele von ihnen rufen vor allem bei Pflanzen parasitäre Erkrankungen hervor. Andere leben symbiontisch, vor allem in den Wäldern, wo die im Boden lebenden Eumyceten sich über die Mykorrhiza an den Wurzeln der Gehölze in den Transport anorganischer und organischer Substanzen einklinken. Um sich selbst gegen Schmarotzer zu schützen, bilden einige Eumyceten toxische Substanzen, darunter Alkaloide, wie einige Vertreter der Gattung Amanita, zu der unter anderem der Fliegenpilz und der Grüne Knollenblätterpilz gehören. Manche dieser Pilztoxine sind für Säugetiere tödlich. Die Eumyceten haben eine beachtliche gesundheitliche, medizinische und alimentäre Bedeutung: Manche sind Parasiten des Menschen (Mykosen der Haut, Candidosen), aber auch Quelle pharmakologisch wirksamer Moleküle. So stammt das Penicillin aus dem Pinselschimmel Penicillium. Schließlich sind die Eumyceten von großem ökonomischem Interesse: Bei der Herstellung von Bier, Brot und Wein nutzt man die Soffwechselkaktivität von Hefen der Gattung Saccharomyces. Auch zahlreiche Käsesorten bedürfen der Mitarbeit der Eumyce117
9 Eumycetes ten. Zahlreiche Arten sind wertvolle Speisepilze, darunter Steinpilze und andere Röhrlinge, Morcheln, Trüffel und Champignons. Neurospora crassa ist ein berühmter Labor-Ascomycet, der viel zur Aufklärung der Rolle der Gene beigetragen hat. Das gesamte Hefe-Genom ist sequenziert.
Kapitel 4 – Der Stoffwechselweg zur Biosynthese der Aminosäure Lysin ist einzigartig.
Beispiele Chytridiomyceten: Chytridium lagenaria (Parasit von Grünalgen), Olpidium viciae (Parasit von Wicken).
Zygomyceten: Mucor mucedo, Rhizopus niger, Glomus mossae Ascomyceten: Claviceps purpurea, Morchella vulgaris, Neurospora crassa, Saccharomyces cerevisiae, Tuber melanosporum Basidiomyceten: Pantherpilz (Amanita pantherina), Steinpilz (Boletus edulis), Maisbrand (Ustilago maydis), Getreiderost (Puccinia graminis)
Spezielle Merkmale – Die Definition dieser Organismen als eigenes Taxon basiert auf den molekularen Phylogenien: Sie stützen sich auf die 18S-rRNA sowie auf Gene, die für bestimmte Proteine kodieren (z. B. für die Elongationsfaktoren oder für Hitzeschock-Proteine).
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Artenzahl: etwa 100 000; sicherlich sind es noch mehr Ältestes bekanntes Fossil: eine fossile, an Eumyceten erinnernde Form, die mit dem Gewebe eines versteinerten Embryophyten assoziiert ist, datiert ins Devon (–400 Mio. Jahre). Versteinerungen von Spezies der Gattung Glomus sind in Gesteinen des Ordovizium (–460 Mio. Jahre) gefunden worden. Heutiges Vorkommen: weltweit
Microsporidia 10
Eucarya
Microsporidia Allgemeines Die Microsporidien sind einzellige Eukaryoten, die obligat als intrazelluläre Parasiten leben. Sie besitzen keine Mitochondrien, Plastiden, Cilien und Geißeln. Sie haben ein oder zwei Zellkerne und einen gut entwickelten Golgi-Apparat. In einer Phase ihres Lebenszyklus tritt die Zelle in Form einer resistenten Spore auf, die mit einer chininhaltigen Zellwand versehen ist.
Die Spore besitzt ein protraktiles röhriges Organell, mit dem sie beim Infektionsvorgang ihr Sporoplasma in die Wirtszelle überträgt. Dieser Extrusomen-Apparat, der vom Golgi-Apparat abgeleitet ist, ist häufig ziemlich komplex und besteht aus mehreren Teilen. Er nimmt den größten Teil des Sporen-Innenraums ein.
Spezielle Merkmale
Ökologie
– Mitochondrien fehlen, da sie sekundär verloren gingen. Im Kerngenom sind jedoch noch mitochondriale Gene nachweisbar. – Fusion der Gene der 5,8S- und 18S-rRNA. – Der röhrige Extrusomenapparat ist in der Spore spiralig aufgewickelt (Abb. 1).
Die Microsporidien sind intrazelluläre Parasiten mit einem großen Wirtsspektrum (Apikomplexa, Ciliaten, Cnidarier, Nematoden, Anneliden, Mollusken, aber vor allem Vertebraten und Arthropoden). Man findet sie vor allem bei den Knorpelfischen,den Insekten oder den Krebstieren. Beim Öffnen schleudert die Spore ihr Sporoplasma aus und infiziert so den Wirt. In den infizierten Zellen führt das injizierte Sporoplasma nach mitotischen Kernteilungen bei intranukleärer Mitose-Spindel zu einem vielkernigen plasmodialen Syncytium. Schließlich umgeben sich die Kerne mit eigenen Plasmaportionen und bilden neue Sporen. Die neuen Sporen entstehen in großen parasitophoren Vakuolen der Wirtszelle und sind von einer einfachen Zellmem-
bran umgeben. Eine Sexualität der Microsporidien ist nicht bekannt, wird aber vermutet. Nosema bombycis, zum ersten Mal von Louis Pasteur als Auslöser der Seidenraupen-Fleckenkrankheit erkannt, verursacht Schäden in der Naturseidenindustrie. Arten der Gattung Glugea rufen bei Knorpelfischen Tumoren hervor. Die Microsporidien fügen dem Menschen, mit Ausnahmen von immungeschwächten Personen,keinen Schaden zu. Nosema locustae setzt man zur Bekämpfung von HeuschreckenMassenentwicklung ein.
Beispiele Glugea stephani, Ichthyosporidium giganteum, Nosema lepocreadii, N. locustae
Artenzahl: etwa 800 Ältestes bekanntes Fossil: keines Abb. 1. Röhriger Extrusomenapparat zur Infektion der Wirtszelle
Heutiges Vorkommen: weltweit 119
11 Choano-Organismen
Kapitel 4
Choano-Organismen Allgemeines
Spezielle Merkmale Dass eine verwandtschaftliche Nähe zwischen den Choanoflagellaten und den Schwämmen besteht, wurde bereits von Ernst Haeckel aufgrund der ähnlichen zellulären Strukturen der Kragengeißelzellen vermutet. Der seinerzeit aufgestellten Hypothese lag die Idee zugrunde, dass die Schwämme von einer Choanoflagellaten-Kolonie abzuleiten seien. Diese Vorstellung gab man Mitte des 20. Jahrhunderts wieder auf. Dann gaben jedoch die molekularen Phylogenien, die auf der 18S-rRNA basieren, Anlass für die neuerliche These einer Ähnlichkeit zwischen den Choanoflagellaten und den Metazoen. Somit wurde die alte Hypothese einer Strukturhomologie
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zwischen diesen beiden Zelltypen reaktiviert. Es bleibt allerdings zu beweisen, ob dies wirklich zutrifft.
Beispiele
Schweinespulwurm (Ascaris lumbricoides), Gewöhnlicher Kalmar (Loligo vulgaris), Regenwurm (Lumbricus terrestris), Siebenpunktmarienkäfer (Coccinella septempunctata), Seestern (Asterias rubens), Hauskatze (Felis catus)
Choanoflagellaten: Diaphanoeca pedicellata Metazoen: Badeschwamm (Spongia officinalis), Planaria maculata,
Artenzahl: 1 211 732 Ältestes bekanntes Fossil: versteinerte Gänge, die durch Metazoen (wahrscheinlich Bilaterier) gegraben wurden, datieren aus dem Präkambrium (–700 Mio. Jahre). Einige Gruppen (darunter Medusen oder Bilaterier) kommen bereits in der Ediacara-Fauna (–680 Mio. Jahre) vor. Heutiges Vorkommen: weltweit
Choanoflagellata 12
Eucarya
Choanoflagellata Allgemeines Die Choanoflagellaten (Kragenflagellaten) sind einzellige, begeißelte Eukaryoten. Sie leben frei oder bilden Kolonien. Häufig sitzen sie geschützt in einer organischen
oder silikatischen Hülle (Lorica). Die Zelle trägt einen Kragen aus reusenartig aufgestellten Mikrovilli sowie eine Geißel, die einen Partikelstrom zur Ernährung erzeugt.
Spezielle Merkmale – Die Zelle trägt einen MikrovilliKragen sowie eine Geißel (Abb. 1). – Die Zelle sezerniert als Schutzhülle eine Lorica.
Ökologie Die Choanoflagellaten sind marin oder limnisch verbreitete Organismen, die planktonisch leben oder einzeln bzw. in Kolonien an Algen haften. Sie ernähren sich vor allem von angestrudelten Bakterien. Über ihre ökologische Bedeutung ist wenig bekannt.
Beispiele
Abb. 1. Aufbau eines einzelnen Choanoflagellaten
Artenzahl: etwa 120 Ältestes bekanntes Fossil: keines
Diaphanoeca pedicellata, Parvicorbicula socialis, Pleurasiga minima
Heutiges Vorkommen: weltweit 121
13 Metazoa
Kapitel 4
Metazoa Allgemeines Die eigentlichen Tiere (= Metazoen) sind vielzellige, bewegliche Organismen, die sich heterotroph ernähren: Sie erhalten ihren Kohlenstoff und ihre Energie aus organischen Verbindungen, die durch autotrophe, Photosynthese betreibende Organismen produziert wurden. Nach früherem Verständ-
122
nis schloss das so verstandene „Tierreich“ auch alle nicht Photosynthese betreibenden Einzeller ein. Aus evolutiver Sicht macht dies keinen Sinn: Die Tiere, genauer die Metazoen, besetzen im Stammbaum der Eucarya lediglich einen größeren Ast neben anderen. Ausgehend von den Kennzeichen,
die diesen Organismen erst Aristoteles, dann Carl von Linné zuteilten (= Organismen, die „wachsen, leben und fühlen“), teilen die Metazoen untereinander ziemlich klar umrissene, abgeleitete Merkmale. Die Genome von Drosophila melanogaster und Caenorhabditis elegans sind seqenziert.
Metazoa 13
Eucarya
Abb. 1. Struktur eines Kollagenmoleküls vom Typ IV mit zwei nichtkollagenen Domänen an den Enden. Die Dreifach-Helix wird durch nichthelikale Segmente (farbig) unterbrochen.
Spezielle Merkmale – Kollagen: als langes, filamentöses Protein bildet das Kollagen die Grundlage der extrazellulären Matrix. Sie ordnet die Zellen untereinander an und trägt so zur Konstruktion, Architektur und Morphogenese der tierischen mehrzelligen Organismen bei (Abb. 1). – Moleküle wie das Fibronektin oder die Integrine sind charakteristisch für die Metazoen. – Centriole: An der Basis von Cilien und Flagellen gibt es ein zusätzliches Centriol, die im rechten Winkel zum Basalkörper sitzt. – In der Meiose werden direkt Gameten produziert (= Meiogameten), keine Sporen. – Bei der Meiose des weiblichen Gameten ist nur die Zelle funktionsfähig, die die Gesamtheit der Reserven trägt. Die übrigen drei Zellen degenerieren zu Pol- oder Richtungskörperchen.
– Desmosomen: Die Zellen können durch starke, wie Nieten wirkende Membranverbindungen miteinander verknüpft sein, beispielsweise durch Desmosomen (Abb. 4).
Ökologie Die Metazoen besiedeln alle terrestrischen, aquatischen und marinen Lebensräume – von den höchsten Bergen bis zur tiefsten Tiefsee, von den trockensten Wüsten bis zu den kältesten Zonen.
Beispiele Badeschwamm (Spongia officinalis), Planaria maculata, Schweinespulwurm (Ascaris lumbricoides), Gewöhnlicher Kalmar (Loligo vulgaris), Regenwurm (Lumbricus terrestris), Siebenpunktmarienkäfer (Coccinella septempunctata), Seestern (Asterias rubens), Hauskatze (Felis catus)
Abb. 2. Netzartige Anordnung von Kollagenmolekülen des Typs IV (Größe des dargestellten Areals 250 nm) in vitro. Kovalente Brückenbindungen befestigen die Moleküle aneinander. Das so gebildete Netz ähnelt der Struktur in der Basalmembran.
Abb. 3. Schematische Darstellung der Spermatozoid-Struktur (Säuger-Spermium). Der Zellkern und das Akrosom befinden sich im konischen Kopf. Das Zwischenstück enthält die beiden Centriolen und die Mitochondrien. Die Geißel ist akronematisch organisiert.
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13 Metazoa
Kapitel 4
Abb. 4. Desmosom eines menschlichen Keratinozyten
Artenzahl: 1 211 612 Ältestes bekanntes Fossil: versteinerte Gänge, die durch Metazoen (wahrscheinlich Bilaterier) gegraben wurden, datieren ins Präkambrium (–700 Mio. Jahre). Einige Gruppen (wie die Medusen oder Bilaterier) kommen bereits in der Ediacara-Fauna (–680 Mio. Jahre) vor Heutiges Vorkommen: weltweit
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Die braune Linie 14
Eucarya
Die braune Linie Einige Vertreter
Spezielle Merkmale Die Haptophyten, deren bekannteste Vertreter die einzelligen Coccolithophoriden sind, stellte man früher zu den Chromophyten, die den Bacillariophyceen (Diatomeen bzw. Kieselalgen) nahe stehen. Zwischenzeitlich hat man sie davon wieder getrennt. Dennoch bleiben sie den Stramenopilaten (s.u.) nahe. Die Photosynthese betreibenden Stramenopilaten und die Haptophyten zeigen mehrere gemeinsame Merkmale. – Zwischen den beiden Chloroplastenhüllen und der Kernhülle liegt ein periplastidäres Retikulum aus netzförmig verbundenen Röhren. – Die Photosynthesepigmente der Haptophyten ähneln denen der photosynthetischen Stramenopilaten, speziell denen der Bacillariophyceen. – Der Chloroplast ist von vier Membranen umgeben – zu den beiden üblichen Membranen treten zwei
zusätzliche hinzu. Die äußere dieser Membranen ist gewöhnlich eine Ausbuchtung der Kernhülle, abgeleitet vom Endoplasmatischen Retikulum der Zelle (Abb. 1). Dies ist das Resultat einer sekundären
Endosymbiose, bei der eine einzellige, von den Rhodophyten stammende Eukaryotenzelle durch eine andere Eukaryotenzelle aufgenommen wurde. Für die beiden zusätzlichen Membranen gibt es
Abb. 1. Schema zum Feinbau einer Braunalgenzelle
125
14 Die braune Linie folgende Erklärung: Die äußere Membran gehört zu der bei der Phagocytose entstandenen Vakuolenmembran, die innere zur Cytoplasmamembran des phagocytierten Eukaryoten. Daher stellt sich die Frage nach der Anzahl der sekundären Endosymbiosen in der Geschichte der Haptophyten und der Stramenopilaten. Es könnten zwei voneinander unabhängige Endosymbiosen stattgefunden haben, vorausgesetzt der phagocytierte Rhodophyt und dessen Merkmale stimmen miteinander überein. Es könnte sich aber auch um eine einzige Endosymbiose mit einem gemeinsa-
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Kapitel 4 men Vorfahren der beiden Gruppen handeln. Wenn dies der Fall wäre, wäre das Problem der nicht photosynthetischen Stramenopilaten wie der Oomyceten gelöst: Sie hätten dann ihre Chloroplasten sekundär verloren. Diese Frage wird gegenwärtig noch diskutiert.
Beispiele Stramenopilaten: Navicula incerta, Blasentang (Fucus vesiculosus), Sphacelaria rigidula, Poteriochromonas danica, Ophiocytium arbuscula, Plasmopara viticola Haptophyten: Emiliania huxleyi, Prymnesium patellifera
Artenzahl: bisher 106 422 Ältestes bekanntes Fossil: Es gibt Sporen, die möglicherweise von Chrysophyceen aus dem Präkambrium (–700 Mio. Jahre) stammen. Heutiges Vorkommen: weltweit
Stramenopilata 15
Eucarya
Stramenopilata Allgemeines Obwohl diese Organismen auf den ersten Blick sehr heterogen wirken, bilden die Stramenopilaten (gelegentlich auch als Stramenopilen oder Heterokonten zitiert) zweifellos eine umfangreiche, aber
monophyletische Eukaryotengruppe. In der Tat stimmen ihre molekularen Phylogenien überein. Darüber hinaus gibt es eine eindrucksvolle zelluläre Synapomorphie, nämlich hohle, gelegentlich
auch Mastigonemen genannte Haare, die in Längsreihen auf den Geißeln sitzen. Die Bezeichnung Stramenopiles kommt von lat. stramen = Stroh, hohler Stängel und pilus = Haar, Borste.
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15 Stramenopilata Die Organismen können einoder vielzellig, photosynthetisch (ausgerüstet mit Chlorophyll a und c) oder nicht photosynthetisch sein. Die bekannteste Gruppe der Stramenopilaten sind die Phaeophyceen (Braunalgen) und die Bacillariophyceen (Kieselalgen, Diatomeen). Man hat sich darauf geeinigt, den Stramenopilaten einige Gruppen von geringerer ökologischer Bedeutung hinzuzufügen: die Chrysophyceen (einzellige oder Kolonien bildende, goldbraun gefärbte Algen), die
Ökologie Die meisten Stramenopilaten betreiben Photosynthese und bilden eine bedeutende marine Biomasse. Viele Arten sind Teil des marinen Phytoplanktons oder makroskopische Primärproduzenten, beispielsweise in Gestalt der vor allem in der Gezeitenzone gemäßigter Breiten angesiedelten Braunalgenwälder. Sie stehen an der Basis der marinen Nahrungskette, da sie organisches Material produzieren und damit die Nahrungsquelle zahlreicher Organismen sind, darunter vor allem des Zooplanktons. Gleichermaßen bedeutsam sind die Stramenopilaten im Süßwasser (Kieselalgen, Chrysophyceen, Eustigmatophyceen) oder im Brackwasser (Xanthophyceen). Arten wie die Oomyceten sind Parasiten von Pflanzen und Vertebraten. Einige leben im feuchten Humus wie die Oomyceten oder die saprobiontischen Labyrinthomyceten, die sich von verrottendem organischem Material ernähren. Sexualität kann vorhanden sein; die beteiligten (männlichen) Gameten sind zweifach heterokont begeißelt. Im Lebenszyklus der großen Braunalgen 128
Kapitel 4
Xanthophyceen (einzellige, filamentöse oder Kolonien bildende gelbgrüne Algen), die Eustigmatophyceen (einzellige Algen, die ein typisches Photorezeptor-Organell tragen), die Raphidophyceen und die Dictyochophyceen (einzellige, begeißelte Algen). Vor kurzem hat man auch einige nicht photosynthetische Taxa, die zuvor Teil der umfangreichen polyphyletischen Gruppe der „Niederen Pilze“ waren, in dieser Gruppe eingeschlossen. Dort findet man beispielsweise die Oomyce-
ten, die häufig parasitär leben, wie der Mehltau bei der Weinrebe (Plasmopara viticola) oder der Schimmel Saprolegnia ferax bei den Fischen. Hierher stellt man nun auch die Hypochytridiomyceten (Parasiten von Algen und Tieren), die Labyrinthulomyceten (Saprobionten oder Parasiten von Algen und Pilzen) sowie schließlich die Opalinen (Parasiten von Tieren, hauptsächlich der zu den Amphibien gehörenden Froschlurche).
(Phaeophyceen) folgen jeweils ein diploider Sporophyt und ein haploider Gametophyt aufeinander.
Spezielle Merkmale – Die Geißeln (Flagellen) sind heterokont, sie unterscheiden sich paarweise durch ihre Form, Ausrichtung (vorne, seitlich oder nach hinten) und ihre Funktion (Schlagrhythmus). Die heterokonte Begeißelung umfasst also zwei heterogene (anisokonte) Geißeln. Die vorne gelegene Geißel trägt Mastigoneme, das heißt, spezielle, röhrenförmige, dreiteilige Haare (Abb. 1). – An der Basis der Flagellen gibt es eine intrazelluläre Übergangszone, die aus einem fibrösen Körper besteht, der Übergangshelix (Abb. 2).
Beispiele Bacillariophyceen: Entogonia sp., Navicula incerta, Thalassiosira nordenskioeldii Phaeophyceen: Knotentang (Ascophyllum nodosum), Blasentang (Fucus
Abb. 1. Zellschema von Poteriochromonas danica (Chrysophyceae)
Stramenopilata 15
Eucarya vesiculosus), Riementang (Himanthalia elongata), Palmentang (Laminaria hyperborea), Riesentang (Nereocystis luetkeana), Rinnentang (Pelvetia fastigata), Sphacelaria rigidula Chrysophyceen: Poteriochromonas danica, Synura petersenii
Xanthophyceen: Ophiocytium arbuscula Eustigmatophyceen: Eustigmatos magnus Oomyceten: Plasmopora viticola, Saprolegnia ferax Opalinen: Opalina sp.
Artenzahl: bisher 105 922 Ältestes bekanntes Fossil: Es gibt Sporen, die möglicherweise von Chrysophyceen aus dem Präkambrium (–700 Mio Jahre) stammen. Die Chrysophyceen und die Bacillariophyceen (Diatomeen) haben in Form silikatischer Bruchstücke oder kompletter Zellwände zahlreiche Fossilien hinterlassen. Abb. 2. Längsschnitt durch die Basalregion der längeren Geißel einer Chrysophyceen-Zelle
Heutiges Vorkommen: weltweit in allen Meeren sowie im Süß- und Brackwasser, ferner in Böden
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16 Haptophyta
Kapitel 4
Haptophyta Allgemeines Der Großteil der Haptophyten (früher Prymnesiophyten genannt) sind einzellige, photosynthetische, mit Chlorophyll a und c ausgestatte Flagellaten. Sie tragen
Ökologie Die Haptophyten stellen einen großen Teil des marinen, photosynthetisch aktiven Nanoplanktons. Die Coccolithen sind der Ausgangspunkt vieler mariner Sedimente. Die großen Kreideplatten aus der Kreidezeit bestehen überwiegend aus diesem Material. Es gibt auch wenige Süßwasserarten.
Spezielle Merkmale – Haptonema: Zusätzlich zu ihren beiden Geißeln trägt die Zelle ein kurzes filamentöses Anhängsel, das Haptonema. Es besteht aus 6 oder 7 Mikrotubuli und zeigt 130
ein formschönes Exoskelett aus harten organischen oder kalkhaltigen, schuppenartigen Teilen, die im Cytoplasma oder auf der Cytoplasmamembran sitzen. Diese
Teile werden als Coccolithen bezeichnet. Daher nannte man diese Algen zuvor „Coccolithen-Träger“ oder entsprechend Coccolithophoridae.
somit eine andere Struktur als die Geißel (Abb.1). – Die Oberfläche der Zelle ist mit Schuppen oder Plättchen aus organischem Material (= Coccolithen) bedeckt, die verkalkt sein können. Sie werden vom GolgiApparat gebildet (Abb. 2). – Die Mitose ist offen; sie zeigt eine charakteristische Äquatorialebene.
Beispiele Chrysochromulina polylepis, Discosphaera tubifera, Emiliania huxleyi, Prymnesium patellifera, Syracosphaera subsalsa
Abb. 1. Haptonema von Chrysochromulina polylepis.Diese Struktur ist etwa halb so lang wie die Geißeln (Flagellen).Die gesamte Zelle ist 10 µm lang.
Eucarya
Haptophyta 16
Abb. 2. Schnitt durch Emiliania huxleyi (a).Die Randsegmente der Coccolithen (b) sind so geformt, dass sie sich an der Zelloberfläche miteinander verknüpfen können (c).
Artenzahl: etwa 500 Ältestes bekanntes Fossil: Einige Coccolithen sind in Gestein gefunden worden, das aus dem Karbon stammt (–300 Mio. Jahre). Die Haptophyten haben sich vor allem im Mesozoikum diversifiziert und wurden im Jura (–180 Millionen Jahre) besonders formenreich. Heutiges Vorkommen: in den Ozeanen, weltweit
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17 Alveolobionta
Kapitel 4
Alveolobionta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Alveolobionten sind einzellige Eukaryoten, die in Größe und Lebensweise extrem unterschiedlich sind. Häufig tragen sie Geißeln oder Cilien. Ihre Morphologien sind sehr unterschiedlich. Diese Gruppe setzt sich aus den Ciliaten, den Dinophyten und den Apikomplexen zusammen. Eine Monophylie wurde bereits zu Beginn des Einsatzes der auf den Sequenzdaten der 18S-rRNA
132
basierenden Phylogenien vermutet. Es ist wahrscheinlich, dass die Dinophyten und die Apikomplexen Schwestergruppen sind. – Unter der Membran gelegene Vesikel: Unter der Zellmembran befindet sich eine Lage abgeflachter Vesikel (Alveolen). Diese können als Kalkreservoir dienen (Abb. 1a). Diese Alveolen können auch dichtes Material enthalten – beispielsweise die Thekalplatten der Dinophyten (Abb. 1b).
Beispiele Dinophyten: Gonyaulax tamarensis, Noctiluca miliaris Apicomplexa: Plasmodium falciparum, Eimera falciformis Ciliaten: Paramecium tetraurelia, Stentor coeruleus
Eucarya
Alveolobionta 17
Abb. 1. Kortikalstruktur von Paramecium (a) und von Peridinium bipes (b)
Artenzahl: etwa 15 200 Ältestes bekanntes Fossil: Die ältesten Zysten , die unzweifelhaft Dinophyten darstellen, datieren aus dem Silur (–420 Mio. Jahre). Zellpanzer, die von Dinophyten stammen könnten, sind in Gestein aus dem frühen Kambrium (–540 Mio. Jahre) gefunden worden. Heutiges Vorkommen: weltweit
133
18 Ciliophora
Kapitel 4
Ciliophora Allgemeines Die Ciliophora (= Ciliata, Wimpertiere) sind einzellige Eukaryoten, die dadurch charakterisiert sind, dass sie in irgendeinem Stadium ihres Lebenszyklus zahlreiche Wimpern auf ihrer Oberfläche tragen. Diese Wimpern sind meistens in Zeilen angeordnet und mit ihrem unteren Ende in einen Komplex aus Mikrotubuli oder Mikrofibrillen eingebaut, der in seiner Gesamtheit die so genannte Infraciliatur darstellt. Die morpholo-
134
gische Vielfalt ist beachtlich – sowohl was die Größe der Zellen (30–300 µm) als auch die Verteilung der Wimpern betrifft. Letztere weist häufig bestimmte Spezialisierungen auf: So gibt es beispielsweise besondere Wimperstrukturen, die dem Beutefang dienen.Viele Arten haben einen funktionellen Zellmund (Cytostom). Die Ciliaten sind darüber hinaus durch den Besitz zweier Zellkerne charakterisiert: einen unbegrenzt
generativen (reproduktiven) Mikronukleus und einen somatischen (vegetativen) Makronukleus. Viele Arten schwimmen frei umher, andere bilden Kolonien, leben parasitär oder sind Organismen, die über einen Stiel am Substrat fixiert sind. Diese Organismen betreiben keine Photosynthese. Einige besitzen jedoch einzellige Endosymbionten (Zoochlorellen: Grünalgen), die Chloroplasten tragen.
Ciliophora 18
Eucarya
Spezielle Merkmale – Es liegt immer Kerndualismus vor (Abb. 1). Der diploide Mikronukleus dient der sexuellen Fortpflanzung. Er enthält die Chromosomen und durchläuft Mitosen. Der polyploide Makronukleus dient zellulären Basisfunktionen. Er differenziert sich – ausgehend von einem Mikronukleus – während der Konjugation, einem für die Ciliaten einzigartigen sexuellen Prozess. Er ist gekennzeichnet durch eine komplexe Serie von DNA-Synthesewellen mit der anschließenden Eliminierung eines Teils des genetischen Materials. Der Makronukleus besitzt keine Chromosomen, jedoch verstreutes Chromatin, das Tausende von Kopien einer kleinen Zahl von Genen enthält. – Cilien: Zahlreiche Cilien (Wimpern) sind im hoch differenzierten Cortikalkomplex (Infraciliatur) verankert, der aus Membranen, Mikrotubuli und Mikrofibrillen besteht (Abb. 2). – Die Bewimperung der Zelloberfläche sichert die Fortbewegung,
Abb. 1. Kerndualismus bei Tetrahymena pyriformis: Man erkennt die beiden Kerne: Mikro- und Makronucleus.
die orale Bewimperung den Beutefang (Abb. 3). – Die ungeschlechtliche Vermehrung erfolgt durch Zweiteilung quer zur Längsachse der Zelle (Abb. 4).
Ökologie Das Auftreten der Ciliaten ist an das Wasser gebunden. In terrestrischem Milieu findet man sie in feuchten Moosrasen oder im Porenraum des Bodens. Ihre ökologischen Nischen sind sehr unterschiedlich: Man kann sie in Süß- oder in Brackwasser finden, in fließendem oder stehendem Gewässer, frei schwimmend oder mittels eines Stiels an ein Substrat fixiert. Wieder andere Arten leben symbiontisch oder als nicht pathogene Parasiten verschiedener Organismen. Die Ciliaten sind heterotroph, am häufigsten phagotroph: Sie
ernähren sich von organischen Partikeln wie Bakterien, anderen Ciliaten, Flagellaten oder sogar von kleinen Tieren. Diese unterschiedlichen Lebensräume gehen mit Spezialisierungen der oralen Strukturen einher. Das parasitäre Leben kann zu bedeutenden Anpassungen führen – von der Entwicklung von Fixierungsorganen bis hin zu komplexen Entwicklungszyklen. Wenn das umgebende Milieu ungünstig ist, sind zahlreiche Arten in der Lage, resistente Zysten zu bilden. Die geschlechtliche Fortpflanzung erfolgt bei den Ciliaten über die Konjugation. Zellen unterschiedlichen sexuellen Typs lagern sich längsseitig aneinander und tauschen gegenseitig einen haploiden Kern aus. Es gibt hier also keine echten Gameten im Sinne einer Zellspezialisierung. Die Konjugation ist ein komplexes Phänomen, in dessen Verlauf das gesamte Genom restrukturiert wird.
Abb. 2. Cortikalstruktur bei Paramecium tetraurelia
135
18 Ciliophora
Kapitel 4
Abb. 4. Zellteilung von Paramecium Abb. 3. Ventralansicht von Stylonichia mytilus
Beispiele Blepharisma japonicum, Codonella cratera, Chattonidium sp., Discocephalus sp., Euplotes aediculatus, Paramecium tetraurelia, Stentor coeruleus, Stylonichia mytilus, Tetrahymena pyriformis, Vorticella campanula
136
Artenzahl: etwa 8000 Ältestes bekanntes Fossil: Ciliaten aus der Ordnung der Tintinniden scheiden Schutzhüllen als Lorica aus, die versteinern können. Solche Fossilien kennt man aus dem Ordovizium (–450 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
Dinophyta 19
Eucarya
Dinophyta Allgemeines Die Dinophyten (mit der Klasse Dinophyceae) sind einzellige Eukaryoten, die zwei Geißeln tragen (daher auch Dinoflagellaten oder Panzergeißler genannt). Eine Geißel umgibt die Zelle gürtelartig in der Äquatorialebene, die andere
ist im rechten Winkel zu ihr angeordnet und erstreckt sich nach hinten. Bei vielen Arten ist die Zelle durch eine Hülle geschützt. Sie besteht aus festen, silikatisch verstärkten Celluloseplatten. Die Celluloseplatten sind in subcorti-
kalen Vakuolen enthalten und durch ein komplexes System aus Mikrotubuli unterlegt. Die äquatoriale Geißel liegt in einer Furche, die die Theka (Hülle) in zwei Teile teilt: in einen oberen Teil (Epikon) und einen unteren Teil (Hypokon).
137
19 Dinophyta Der Zellkern enthält auch in der Interphase kondensierte Chromosomen (Dinokaryon). Einige Arten besitzen einen photosensiblen Apparat, andere haben echte Ozellen, die dem Aufspüren von Beute zu dienen scheinen. Man kennt solitäre, filamentöse oder biolumineszente Arten sowie Arten ohne Theka (Hülle). Zahlreiche Arten
138
Kapitel 4
betreiben Photosynthese. Die Chloroplasten, die von Art zu Art sehr unterschiedlich sind, leiten sich aus sekundären Endosymbiosen ab. Bei einem Vorfahren dieser Gruppe hat eine Endosymbiose stattgefunden, bei der ein Eukaryot der Grünen oder Braunen Linie phagocytiert wurde. Danach haben zahlreiche Dinophyten die-
Ökologie
Spezielle Merkmale
Die Dinophyten sind marin oder limnisch verbreitete planktonische Einzeller. Die größte Vielfalt der Arten findet sich im Plankton warmer Meere. Einige Arten leben als Parasiten verschiedener mariner Tiere (beispielsweise Copepoden, Medusen und Fische). Nur etwa die Hälfte der bekannten Arten betreibt Photosynthese – manchmal sind auch sie mixotroph. Die anderen Arten sind vor allem phagotrophe Carnivoren und ernähren sich, dank ihrer posterioren Geißel, vom Angeln nach Beute. Noctiluca miliaris zum Beispiel ist ein carnivorer Dinophyt, der darüber hinaus biolumineszent ist und mit einer großen, zum Angeln dienenden Geißel ausgestattet ist. Einige Arten sind giftig und verursachen große Schäden, wenn sie sich im Oberflächenwasser massenhaft vermehren und so genannte Rote Tiden bilden. Aufgrund der spezifischen Organisation ihres Zellkerns ist auch ihre Zellteilung sehr speziell. Die einzelnen Mitoseabschnitte fehlen, und das Chromatin liegt in den Chromosomen ständig in kondensierter Form vor. Bei einigen Arten ist eine sexuelle Fortpflanzung bekannt. Lediglich die Zygote ist diploid. Einige Arten bilden resistente Zysten.
– Geißeln: Die Zelle trägt zwei senkrecht aufeinander stehende Geißeln, die jeweils in einer Rinne des Panzers verlaufen (Abb. 1). – Die subkortikalen Alveolen enthalten Celluloseplatten, welche die Theka (Zellpanzer) bilden. Danach nennt man diese Einzeller auch Panzergeißler (Dinoflagellaten). – Dinokaryon: Der Kern – das so genannte Dinokaryon – ist spezifisch organisiert. In der Interphase ist die DNA bei anderen Eukaryoten an Histone gebunden. Bei
sen Symbionten wieder verloren. Viele von ihnen sind heterotroph geblieben, während andere neue Endosymbiosen ausführten. Die Endosymbiosepartner reichen dabei von den Stramenopilaten über die Cryptophyten bis hin zu anderen Dinophyten.
den Dinophyten dagegen ist die DNA an ein spezielles basisches Protein gebunden, und die Chromosomen sind in einer Helix kondensiert (Abb. 2). – Die geschlossene Mitose ist für diese Gruppe charakteristisch. – Die Zelle trägt Trichocysten, die ebenfalls für diese Gruppe charakteristisch sind.
Beispiele Ceratium hirundinella, Erythropsidinium pavillardii, Gonyaulax tamarensis, Symbiodinium microadriati-
Abb. 1. Didinium mit ihren beiden Geißeln
Dinophyta 19
Eucarya
Abb. 2. Mikroskopische Ansicht eines DinophytenChromosoms. Interpretation der Aufwicklung des Chromosoms (a, b) und mikroskopisches Bild (c)
cum, Nematodinum lebourae, Noctiluca miliaris, Noctiluca scintillans, Syndinium rostratum, Peridinium cinctum, Polykrikos schwarzii
Artenzahl: etwa 2200 Ältestes bekanntes Fossil: Die ältesten unzweifelhaften Dinophyten-Zysten stammen aus dem Silur (–420 Mio. Jahre). Panzerstrukturen, die von Dinophyten stammen könnten, sind aus dem frühen Kambrium (–540 Mio. Jahre) bekannt. Heutiges Vorkommen: weltweit
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20 Apicomplexa
Kapitel 4
Apicomplexa Allgemeines Die Apicomplexa (früher als Sporozoen = Sporentierchen bezeichnet) sind einzellige Eukaryoten, die als extra- oder intrazelluläre Parasiten von Tieren leben. Im Laufe ihres Lebenszyklus bilden sie Sporen (= Sporozoiten). Diese dienen der Ausbreitung und der Übertragung der Arten von einem Wirt zum anderen. Der Lebenszyklus ist komplex und bezieht häufig mehrere Wirte ein.Generell umfasst der Zyklus drei Phasen: Im Wachs-
Ökologie Die Apicomplexa sind sehr vielseitig und kommen in nahezu jedem Milieu vor. Sie sind intrazelluläre Parasiten 140
tumsstadium wird der Wirt durch ein Sporozoit infiziert, das dann wächst und sich teilt. Darauf folgt ein sexuelles Stadium, in dessen Verlauf Gameten produziert werden. Diese ergeben nach der Befruchtung eine Zygote, die in einer Oocyste eingeschlossen ist. Im dritten Stadium, der Sporogenese, schließlich laufen in der Oocyste zahlreiche Teilungen ab, bei denen die infektiösen Sporozoiten des folgenden Zyklus entstehen.
oder Endosymbionten einer Vielzahl tierischer Wirte. Es gibt einen haploiden und einen diploiden Generationswechsel. Beide Formen können sich durch Schizogenie vermehren.
Das Aussehen der Zellen ist sehr unterschiedlich, meist sind sie jedoch länglich. Vor kurzem fand man heraus, dass einige Apokomplexa (darunter Plasmodium falciparum, eine Toxoplasma-Art sowie eine Art der Gattung Eimeria) Reste von Chloroplasten-DNA tragen. Dies zeugt davon, dass diese Organismen von einem Photosynthese betreibenden Vorfahren abstammen.
Dabei handelt es sich um eine Vermehrung des Zellkerns durch rasch hintereinander ablaufende Mitosen, unter Beteiligung einer internuklearen Mitosespindel – jedoch ohne
Apicomplexa 20
Eucarya Größenzunahme. Das Ganze gipfelt schließlich in einer vielkernigen Form, die dann eine Cytoplasma-Teilung durchläuft, so dass um jeden Kern kleine infektiöse Zellen entstehen – die Sporen. Sie dienen zur Verbreitung dieser Organismen. Die sexuelle Vermehrung verläuft charakteristisch: Der männliche Mikrogamet – klein und manchmal begeißelt – fusioniert mit dem weiblichen Makrogameten. Die entstehende Zygote, die in der Regel mobil ist, wandelt sich in eine Oozyste um, eine Zelle mit dicker Hülle. Sie stellt eine Dauerform dar. Unter bestimmten Bedingungen findet dann die Meiose im Inneren der Oozyste statt. Darauf folgt die Sporenbildung: Schnell nacheinander ablaufende Kernteilungen lassen kleine infektiöse Zellen entstehen, die haploiden Sporozoiten. Sobald diese Zellen in einen Wirt gelangen, können sie sich in männliche oder weibliche Gameten umwandeln. Dieser Zyklus findet nacheinander in mehreren Wirten statt. Einige Arten sind für schwere Gesundheitsprobleme auf der ganzen Welt verantwortlich. Nehmen wir den Lebenszyklus von Plasmodium falciparum, dem Erreger der Malaria: Der Zwischenwirt ist hier eine Stechmücke der Gattung Anopheles. Die Befruchtung findet im Verdauungstrakt der Mücke statt. Das bewegliche Ei wandelt sich in eine resistente Oocyste um, die nach der Meiose und der Sporulation die haploiden, infektiösen Sporozoiten entstehen lässt. Diese verlassen den Verdauungstrakt der Mücke und wandern in deren Speicheldrüsen. Die Mücke sticht einen Menschen und infiziert ihn. Die Sporozoiten entwickeln sich im menschlichen Blut, da sie das Häm des Hämoglobins zum Wachstum benötigen. Sie befallen die roten Blutzellen, erreichen dort das trophozoite Stadium, durchlaufen rasch hintereinander ablaufende Mitosen und
erreichen schließlich das merozoite Stadium. Die Merozoiten lassen die roten Blutzellen platzen und verteilen sich im Blutstrom, wo sie andere rote Blutzellen infizieren. Nun kann ein neuer Vermehrungszyklus beginnen. Nach mehreren Infektionszyklen differenzieren sich die Metozoiten zu weiblichen und männlichen Gameten aus, die wiederum von einer Mücke aufgenommen werden, sobald diese den infizierten Menschen sticht. Die periodische Freisetzung der Merozoiten-Generationen aus den roten Blutzellen ruft regelmäßige Fieberschübe hervor, die auch unter der Bezeichnung „Malaria-Krisen“ bekannt sind.
– Spezialisierte Organellen bilden einen einzigartigen Apikal-Komplex an einem Ende der Zelle (Abb. 1). Eine von dessen Strukturen ist das Conoid, ein spiralig aufgewickeltes Band aus Mikrotubuli, die einen verkürzten Kegel bilden. Der Apikal-Komplex umfasst Geißeln, Mikrotubuli, Vakuolen, Polringe und Mikronemen. – Die Centriolen, sofern vorhanden, sind aus 9 einzelnen Mikrotubuli aufgebaut und nicht wie üblich aus 9 Tripletts (ursprünglicher Zustand).
Spezielle Merkmale
Babesia canis (Erreger der Piroplasmose). Coccoid: Eimeria falciformis; Gregarinen: Gregarina cuneata, Stylocephalus longicollis, Plasmodium falciparum (Malaria-Erreger), Toxoplasma gondii (ToxoplasmoseErreger)
– Es treten immer Sporozoiten auf. Der Sporozoit ist die infektiöse Zelle, die den Zyklus beginnt. Der Zyklus endet in der Sporulationsteilung im Innern der Oocyte.
Beispiele
Artenzahl: etwa 5000 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
Abb. 1. Vorderer Teil eines Sporozoiten
141
21 Parabasalia
Kapitel 4
Parabasalia Allgemeines Die Parabasalia vereinen die einzelligen Eukaryoten, die ein Kinetid besitzen, das – entsprechend dem Trichomonadinen-Bauplan – aus mindestens vier Geißeln aufgebaut ist. Der Parabasalapparat enthält einen gut entwickelten Golgi-Apparat, der mit einem kontraktilen Fibrillensystem ver-
Ökologie Die einzelligen Parabasalier ernähren sich durch Phagocytose. Sie speichern ihre Energie in Form von Glycogen. Fast alle Arten leben als Endosymbionten oder Endoparasiten von Insekten oder Vertebraten. Man findet sie beispielsweise im Verdauungstrakt von Schaben und Termiten. Bei den Holz fresssenden Ter142
knüpft ist. Die Mitose verläuft nach dem pleuromitotisch-extrazellulären Typ. Die Organismen haben keine Plastidien oder Mitochondrien. Einige Zellen besitzen Hydrogenosomen – Organellen, die mithilfe von molekularem Wasserstoff Energie produzieren und wahrscheinlich modifizierte
miten sind einige Arten aktiv an der Ligninverdauung beteiligt – alleine könnten die Insekten das Holz gar nicht verdauen. Andere Arten sind Parasiten im Verdauungs- oder im Urogenitaltrakt sowie in der Mundhöhle von Vertebraten. Trichomonas vaginalis beispielsweise ist ein Parasit im Urogenitaltrakt des Menschen. Bei den Parabasaliern gibt es Sexualität, doch ist darüber wenig bekannt.
Mitochondrien darstellen. Geißeln sind häufig in großer Zahl vorhanden und am vorderen Zellpol angeordnet – bei den Trichomonaden in geringer Menge. Bei den Hypermastigina können es jedoch bis zu mehreren 10 000 sein.
Spezielle Merkmale – Kinetid: In seiner einfachsten Form besteht es aus vier Geißeln, wobei drei nach vorne gerichtet sind und eine nach rückwärts schlägt (Abb. 1). In dieser Gruppe sind die Kinetosomen auf einzigartige Weise aufgebaut, denn sie sind mit besonderen Strukturen des Cytoskeletts (präaxostyläre
Parabasalia 21
Eucarya
Abb. 1. Kinetid von Tritrichomonas
Abb. 2. Zellorganisation von Joenia annectens
Faser, Pelta, Parabasalfasern) verknüpft. – Der Parabasalkörper ist eine für diese Gruppe charakteristische Struktur: Er ist aus gerillten, filamentösen Fasern aufgebaut, die immer mit dem Golgi-Apparat (Dicytsomen) verknüpft sind (Abb. 2). – Die Mitosespindel, die während der Mitose die Chromosomen trägt, liegt außerhalb des Kerns. Die Centriolen, die die Spindel während der Zellteilung auseinander ziehen, sind komplex: Sie stellen Atractophoren dar, fibrillöse Ausläufer einiger Basalkörper (Abb. 3).
Beispiele Calonympha grassii, Joenia annectens, Trichonympha agilis, Trichomonas vaginalis
Abb. 3. Mitoseapparat der Parabasalia
Artenzahl: bisher etwa 350 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
143
22 Metamonadina
Kapitel 4
Metamonadina Allgemeines Die Metamonadina sind einzellige Eukaryoten, die weder Plastiden noch Mitochondrien oder einen Golgi-Apparat besitzen. Die zahlreichen Mikrotubuli haben einen komplexen, charakteristischen Aufbau. Die Metamonadina besitzen einen (oder zwei) Karyomastigonten. Dieser besteht aus einem Zellkern, der von einem charakteristisch angeordneten Mikrotubu-
144
li-System umhüllt und mit zwei Geißel-Paaren verknüpft ist. Mindestens eine Geißel eines jeden Karyomastigonten ist nach hinten ausgerichtet. Die Mitose-Spindel befindet sich im Kern, umhüllt von einer ständig vorhandenen Kernhülle. Zu den Metamonadina zählen die Retortamonadinen, die Diplomonadinen und die Oxymonadi-
nen. Der Grundaufbau ihres Cytoskeletts weist ursprüngliche Merkmale auf. Allerdings messen einige Fachleute diesen Merkmalen unterschiedliche Bedeutung bei und schätzen diese Gruppe als nicht monophyletisch ein.
Metamonadina 22
Eucarya
Ökologie
Abb. 1. Ultrastruktur des Karyomastigonten von Hexamita (Diplomonadina) mit zwei Kernen.
Spezielle Merkmale – Der Grundbaustein dieser Organismen ist der Karyomastigont (Abb. 1).
Die Retortamonadinen sind Flagellaten von sehr geringer Größe, die als Kommensalen oder Parasiten den Verdauungstrakt von Tieren (Insekten, Blutegel, Vögel, Säugetiere) besiedeln. Die Diplomonadinen können frei lebend im Süßwasser, das reich an organischem Material ist, aber auch im Verdauungstrakt von Tieren (Blutegel, Vertebraten) gefunden werden. Die Oxymonadinen sind Kommensalen oder Symbionten von Vertebraten (Kröten, Eidechsen;
Meerschweinchen) sowie von Holz fressenden Insekten, beispielsweise den Termiten. Giardia lamblia, ein Darmparasit des Menschen, kann im Labor kultiviert werden.
Beispiele Retortamonadina: Chilomastix intestinalis, Retortamonas sp. Diplomonadina: Giardia lamblia, Octomitus neglecta Oxymonadina: Saccinobaculus lata, Pyrsonympha sp.
Artenzahl: bisher etwa 300 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
145
23 Mycetozoa
Kapitel 4
Mycetozoa Allgemeines Seitdem die molekularen Phylogenien (besonders die auf dem Elongationsfaktor EF1a basierenden) gute Argumente dafür geliefert haben, eine Monophylie für diese Gruppe zu postulieren, fasst man unter dem Taxon Mycetozoa die Myxomyceten und die Acrasiomyceten zusammen. Früher wurde diese Einteilung mangels überzeugender Beweise von einigen Autoren angezweifelt. Bei den Mycetozoen, die man wegen ihres seltsamen Aussehens auch als Schleimpilze bzw. Myxomyceten bezeichnet, handelt es sich um Eukaryoten, die keine Photosynthese betreiben. Sie können amöboid (Myxamöben) oder mit zwei Geißeln ausgestattet sein (Myxoflagellaten). Die haploiden Zellen können in die Rolle von Gameten schlüpfen und nach der
146
Befruchtung eine amöboide, diploide Form ergeben. Anschließend verwandeln sich diese Individuen einzeln oder in Aggregaten in ein Plasmodium – eine nackte, vielzellige oder vielkernige Protoplasmamasse, die keine innere Gliederung aufweist. Dieses Gebilde kann relativ groß, manchmal sogar mit bloßem Auge sichtbar und gelb, braun oder orange gefärbt sein. Fuligo septica beispielsweise ist eine schaumige, klebrige Masse von braungelber Farbe, die man am Boden oder auf Kompost finden kann. Im Inneren des Plasmodiums fließt das Protoplasma und erzeugt so eine Bewegung, die eine gleichmäßige Verteilung von Metaboliten und Sauerstoff sicherstellt. Unter bestimmten Umweltbedingungen produziert das diploide Plasmodium einen formschönen
Fruchtkörper. Dieser setzt sich zusammen aus einem Sporokarp, in dem die haploiden Sporen entstehen, und einem Stiel, der von starren Zellen mit Cellulose-Zellwänden gebildet wird. Bei der Keimung einer Spore kann entweder eine Myxamöbe oder ein Myxoflagellat entstehen. Die molekularen Phylogenien deuten darauf hin, dass auch die Archamöben wie Mastigamoeba, Pelomyxa und Phreatamoeba sehr wahrscheinlich den Myxozoen zugeordnet werden müssen. Die parasitische Amöbe Entamoeba histolytica und ihre Verwandten gehören zweifellos ebenfalls in diese Gruppe. Die bei ihnen fehlenden Mitochondrien sind somit, bedingt durch ihre parasitische Lebensweise, sekundär verloren gegangen.
Mycetozoa 23
Eucarya
Ökologie Die Mycetozoen leben an feuchten Orten: auf oder unter altem Holz sowie in anderem verrottendem organischem Material. Sie sind heterotroph und phagocytieren Bakterien oder Partikeln von organischem Material, das sich zersetzt. Asexuelle Vermehrung ist bei ihnen häufig. Sobald das Milieu für diese Organismen ungünstig wird, findet die sexuelle Vermehrung statt. Das diploide Plasmodium produziert dann einen aufrechten, arttypisch gestalteten Fruchtkörper. Die Aggregation der Myxamöben im Plasmodium von Dictystelium discoideum ist sehr gut untersucht und hat Modellcharakter. Für die Entstehung des Plasmodiums ist cyclisches AMP als Signalsubstanz verantwortlich.
Spezielle Merkmale – Es findet ein Wechsel zwischen einer einzelligen (manchmal begeißelten oder amöboiden) und einer mehrzelligen Phase statt. Das Plasmodium produziert Fruchtkörper mit einem Sporangium. Die daraus frei gesetzten Sporen sind haploid.Wenn sie keimen, ergeben sie entweder amöboide oder mit zwei Geißeln ausgestattete Zellen – je nach den Bedingungen im umgebenden Milieu. Diese Zellen verhalten sich wie Gameten und bilden durch Fusion eine Zygote,die bei der Keimung ein Plasmodium produziert (Abb. 1). – Die Gene für die Cytochrom-Oxidasen cox1 und cox2 sind in
Abb. 1. Lebenszyklus eines Mycetozoen (Schleimpilze)
das mitochondriale Genom integriert. – Das Gen für den Elongationsfaktor EF1a zeigt einige spezielle Merkmale.
Myxomyceten: Didymium iridis, Fuligo septica, Physarum polycephalum, Stemonitis sp. Archamöben: Mastigamoeba sp., Pelomyxa palustris, Phreatamoeba sp., Entamoeba histolytica
Beispiele Acrasiomyceten: Dictyostelium discoideum Artenzahl: bisher 532 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
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24 Actinopoda
Kapitel 4
Actinopoda Allgemeines Die Actinopoden umfassen die Radiolarien, die Heliozoen und die Acantharier. Dies sind einzellige Eukaryoten, die einen komplexen Aufbau zeigen und mitunter eine beachtliche Größe erreichen. Am häufigsten besitzen diese Organismen eine Kugelsymmetrie. Manchmal tragen sie halbkugelförmige Ausbuchtungen und sind mit Stacheln sowie mit besonderen cytoplasmatischen Fortsätzen gespickt, den Filopodien und den Axopodien. Die Stacheln gehen
Spezielle Merkmale – Die Zelle ist mit Axopodien und Stacheln, die von Cytoplasma bedeckt sind, gespickt (Abb. 1). 148
von einem gut entwickelten Endoskelett aus, das je nach Art aus Celestit (Strontiumsulfat), Silikaten oder einer Mischung aus Silikat und organischen Verbindungen aufgebaut ist. Die Axopodien sind durch Mikrotubuli-Bündel verbunden, die im Zentrum der Zelle miteinander verknüpft sind. Die Stacheln sind von Cytoplasma bedeckt. Einfache cytoplasmatische Fortsätze, die keine feste Zentralachse besitzen, strahlen ebenfalls nach außen (Filopodien). Der
– Das Axopodium hat eine charakteristische Struktur: Es besteht aus einem festen Zentrum, dem Axonema, das aus einem Mikrotubuli-Paket zusammengesetzt ist.
zelluläre Aufbau ist von Art zu Art unterschiedlich, doch wird häufig eine kugelige Symmetrie eingehalten: Die Zelle ist aus konzentrischen Schichten aufgebaut. Die Actinopoden besitzen Mitochondrien, die röhrenförmige Cristae aufweisen. Es gibt weder Plastiden noch Pigmente. Einige Arten haben begeißelte Stadien, andere besitzen mehrere Kerne. Einige Experten ziehen die Monophylie dieser Gruppe in Zweifel.
Dieses Merkmal könnte jedoch bei den verschiedenen Arten auch mehrfach unabhängig voneinander erworben worden sein.
Actinopoda 24
Eucarya
Ökologie Die Actinopoden leben hauptsächlich marin, nur wenige Arten kommen im Süßwasser vor. Die Actinopoden sind planktonische Räuber. Die Beute – Einzeller, kleine Tiere oder Larven von Crustaceen – klebt an den Axopodien fest und wird durch Phagocytose ins Cytoplasma aufgenommen. Cytoplasmaströmung transportiert dann die aufgenommene Beute vom Axopodium bis in den inneren Teil der Zelle, wo sie dann verdaut wird. Einige Arten beherbergen in ihrer aus Stacheln und Axopodien bestehenden Rindenschicht symbiontische Algen. Ungeschlechtliche Vermehrung ist häufig. Man kennt bei vielen Arten auch eine geschlechtliche Fortpflanzung, bei der Zysten oder begeißelte, ausschwärmende Stadien (Zoosporen) auftreten. Die hierher gehörenden Radiolarien sind von großer geologischer Bedeutung.
Abb. 1. Zellorganisation eines Actinopoden
Beispiele Radiolarien: Challengeron wyvillei, Hexacontium asteracanthion, Thalassicola pelludica
Heliozoen: Actinophrys pontica, Clathrulina elegans, Sticholonche zanclea Acantharier: Amphilonche elongata, Acantochiasma fusiforme
Artenzahl: etwa 12 000 Ältestes bekanntes Fossil: Radiolarien sind bereits aus dem unteren Kambrium (–540 Mio. Jahre) bekannt. Heutiges Vorkommen: weltweit
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25 Foraminifera
Kapitel 4
Foraminifera Allgemeines Die Foraminiferen (Kammerlinge, gelegentlich auch Granuloreticulosa genannt) haben ein komplexes, netzartiges Cytoplasma mit zahlreichen Pseudopodien. Es hat ein gekörntes Aussehen, hervorgerufen durch Partikeln, die in gegenläufigen Richtungen zirkulieren. Die meisten Arten besitzen eine Schale mit mehreren Kammern, die häufig spiralig angeordnet
150
sind. Die Schale erreicht einen Durchmesser von 20 µm bis zu mehreren Zentimetern. Die Schalen sind fossil gut erhalten, da sie aus organischem Material, aus Kalk oder aus kondensiertem, organischem Material bestehen. Die gekammerte Schale hat zahlreiche Poren (daher auch der Name dieser Gruppe, von lat. foramen = Loch), von denen zahlreiche
Filopodien ausgehen, die der Fortbewegung und der Nahrungsaufnahme dienen. Die Foraminiferen zeigen im Laufe ihres Lebenszyklus haploide oder diploide Zellstadien. Die Gameten sind mehrfach begeißelt. Die fossilen Foraminiferen sind exzellente stratigraphische Marker.
Foraminifera 25
Eucarya
Abb.1. Kammerige Unterteilung der Schale von Polystomella mit zahlreichen,ausstrahlenden Filopodien
fortzubewegen und zum Sammeln mineralischer Partikeln, die sie zum Aufbau der Schale verwenden. Die räuberischen Arten fangen Ciliaten, Actinopoden, Algen, manchmal auch Nematoden oder Larven von Crustaceen. Ihre geschlechtliche Fortpflanzung ist sehr komplex: Es tritt ein Generationswechsel mit diploiden und haploiden Zellen auf. Die damit verbundenen unterschiedlichen Formen hat man fallweise für verschiedene Arten gehalten – ein Irrtum, den auch die Paläontologen nicht vermeiden können. Die Sexualität ist aufgrund eines Kerndimorphismus kompliziert. Bei einigen Gruppen können die Gameten Geißeln tragen. Einige Foraminiferen beherbergen photosynthetische Symbionten wie Dinophyten, Chrysophyten, Rhodophyten oder Diatomeen.
Beispiele Spezielle Merkmale – Die netzartigen Filopodien (Reticulopodien) sind durch ein dynamisches Cytoskelett verbunden (Abb. 1). – Die Schale besteht anfänglich aus Glycoprotein und wächst, indem neue Kammern hinzugefügt werden (Abb. 1). Sekundär kann sich Kalk oder kondensiertes organisches Material einlagern.
Ökologie Die Foraminiferen leben ausschließlich marin, vor allem in benthischen
Regionen. Einige Arten sind planktonisch. Diese Einzeller benutzen ihre Filopodien, die sie aus den Poren der Schale herausstrecken, um Nahrungspartikel einzusammeln, sich
Allogromia laticollaris, Astrorhiza limicola, Discospirulina sp., Globigerina pachyderma, Globigerinoides ruber, Iridia serialis, Myxotheca arenilega, Rotaliella roscoffensis, Rosalina leei, Textularia sp.
Artenzahl: etwa 6 000 Ältestes bekanntes Fossil: Die ältesten Foraminiferen stammen aus dem unteren Kambrium (–540 Mio. Jahre). Seit der Trias treten sie besonders zahl- und formenreich auf und wurden zu wichtigen Lieferanten mariner Sedimente. Ihr häufiges Auftreten (30 000 fossile Arten sind beschrieben) und der detaillierte Aufbau ihrer Schale machen sie zu stratigraphischen Markern erster Wahl. Heutiges Vorkommen: weltweit
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26 Euglenobionta
Kapitel 4
Euglenobionta Allgemeines Das Taxon Euglenobionten vereint drei lange bekannte Gruppen einzelliger Eukaryoten. Die molekularen Phylogenien, die vor allem auf der 18S-rRNA beruhen, haben bestätigt, dass drei Stämme unter dieses Taxon (das bereits vor 30 Jahren vorgeschlagen worden ist) zu fassen sind – was wiederum aus biologischer Sicht erstaunlich ist, da es einzellige photosynthetische
152
Algen (die Euglenida = Augenflagellaten), Parasiten des menschlichen Blutes (Trypanosomen) und deren Verwandte sowie bestimmte Organismen der Gattung Stephanopogon (früher als primitive Ciliaten angesehen) vereint. Die Euglenophyten sind bewegliche Zellen, die meist mit zwei Geißeln (einer großen und einer kleinen) ausgestattet sind. Die Geißeln entsprin-
gen aus einer am Vorderende der Zelle liegenden Einbuchtung oder Ampulle. Dicht benachbart sitzt bei den Photosynthese betreibenden Arten eine photosensible Organelle (Stigma = Augenfleck). Die Geißel trägt auf einer Seite Flimmerhaare. Die Chloroplasten, sofern vorhanden, besitzen drei Membranen und enthalten Chlorophyll a und b sowie Xanthophyl-
Euglenobionta 26
Eucarya
le – eine Situation wie bei den Chlorobionten. Sie leiten sich offenbar von Organismen ab, die einen Eukaryoten durch sekundäre Symbiose aufgenommen haben. Die Zelle ist von einer festen Schicht (Pellicula) bedeckt, von Mikrotubuli durchzogen und durch spiralförmige Streifen skulpturiert. Die Mitose-Spindel liegt im Zellkern (geschlossene Mitose), und die Chromosomen bleiben während der Interphase bestehen. Die Kinetoplasten sind begeißelte, häufig parasitische Arten, die nicht pigmentiert sind. Die
Spezielle Merkmale – Die Cristae der Mitochondrien sind scheibenförmig und an der Basis so abgeflacht, dass sie wie Tischtennis-Schläger aussehen (Abb. 1). – Die Zellhülle (Pellicula) wird von einem blättrig angeordneten Cytoskelett aus corticalen Mikrotubuli verfestigt. In Abb. 1 sind nur die Mikrotubuli-Komplexe im unteren Teil der Zelle dargestellt. – Die molekularen Phylogenien, die auf den Sequenzvergleichen für Cytochrom c sowie der 5S- und der 18S-rRNA beruhen, ergeben ein monophyletisches Taxon.
Zelle enthält ein einziges großes, röhrenförmiges, manchmal verzweigtes Mitochondrium, das sich nahezu über die gesamte Länge der Zelle erstreckt. Das Mitochondrium enthält einen Abschnitt besonders hoher DNA-Konzentration, der nahe den Kinetosomen lokalisiert und in einer für diese Gruppe einzigartigen und charakteristischen Organelle organisiert ist – dem Kinetoplasten. Die Geißeln, gewöhnlich zwei an der Zahl, treten aus einer Tasche oder Einbuchtung der nackten Zelloberfläche aus. Eine der Geißeln kann
siblen Organs auf das Licht zu. Sexualität ist unbekannt. Die Kinetoplasten tragen entweder zwei Geißeln und schwimmen frei in Süß- oder Salzwasser oder
nach hinten gebogen sein und eine undulierende Membran bilden. Die beiden Kinetosomen sind zueinander parallel und durch Filamente miteinander verbunden. Die Pseudociliaten sind nicht photosynthetische Einzeller, bei denen die Geißeln in mehreren Reihen angeordnet sind. Der apikal gelegene Zellmund ist von Auswüchsen umgeben, die der Nahrungsaufnahme dienen. Die vielkernige Zelle enthält 2–16 identische Kerne. Die Mitose-Spindel liegt im Zellkern.
leben parasitisch. Die Arten der Gattung Leishmania rufen beim Menschen die Leishmaniose hervor. Dieser Parasit wird durch bestimmte Mücken von einem Menschen auf
Ökologie Die Euglenophyten sind frei schwimmende Einzeller. Sie leben in Süßwasser – besonders in Wasser, das reich an organischen Verbindungen ist. Sie nehmen die Nahrung über eine Art Zellmund auf, das Cytostom. Die photosynthetisch aktiven Arten bewegen sich mittels eines photosen-
Abb. 1. Zellorganisation von Trypanosoma congolense
153
26 Euglenobionta den anderen übertragen. Leishmania tropica beispielsweise dringt in die Makrophagen der Epidermis ein und ruft dort Hautgeschwüre hervor. Leishmania donovani ist ein tödlicher Parasit, der in die Makrophagen von Leber, Milz und der Knochenhaut eindringt. Die Arten der Gattung Trypanosoma rufen die Schlaf- und die Chagas-Krankheit hervor. Überträger ist hier die Tsetsefliege der Gattung Glossina. Die Trypanosomiase ist eine schwere chronische Erkrankung des Viehs, die in Afrika große wirtschaftliche Verluste verursacht. Beim Menschen läuft der Lebenszyklus der Trypanosomen vollständig in Blut und Lym-
154
Kapitel 4 phe ab. Die Folgeerscheinungen im Zentralnervensystem äußern sich zunächst in Schläfrigkeit, dann folgt das Koma. Die Pseudociliaten der Gattung Stephanopogon sind marine, benthische Einzeller. Sie leben in Sedimentspalten und ernähren sich von Bakterien, Diatomeen und Flagellaten.
Artenzahl: bisher 1 398 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
Beispiele Euglenophyten: Euglena gracilis, E. spirogyra Kinetoplastiden: Bodo caudatus, Crithidia fasciculata, Leishmania donovani, L. tropica, Trypanosoma brucei, T. cruzi, T. gambiense, T. rhodesiense Pseudociliaten: Stephanopogon apogon
Cryptophyta 27
Eucarya
Cryptophyta Allgemeines Die Cryptophyten (auch Cryptomonaden genannt) sind einzellige, photosynthetische Eukaryoten. Sie besitzen Chlorophyll a und c sowie eine ursprüngliche, aus verschiedenen akzessorischen Pigmenten (oft Phycobilinen) bestehende Pigmentzusammensetzung. Einige Arten (beispielsweise Chilomonas paramecium) betreiben dagegen keine Photosynthese; aber das Vorkommen von Leukoplasten bei einigen Formen zeigt, dass es die fehlenden Chloroplasten ein
sekundärer Verlust sind. Die Cryptophyten besitzen am Vorderende der Zelle zwei Geißeln, die in einer Einbuchtung inseriert sind. Diese Mundtasche ist mit Trichocysten umstanden – spezialisierten Strukturen, die Beutetiere außer Gefecht setzen. Aus evolutiver Sicht sind die Cryptophyten sehr interessant, da ihre Struktur beweist, dass sekundäre Symbiosen stattgefunden haben. Sie führen nämlich eine spezielle Organelle nahe am Chloroplasten, das Nucleomorph.
Dieses entspricht dem Rest des Zellkerns eines symbiontisch eingefangenen Eukaryoten. Darüber hinaus findet man auf GenomEbene für dieses Nucleomorph auch das entsprechende Gen seiner 18S-rRNA. Die molekulare Phylogenie zeigt dagegen, dass der Symbiont mit den Rhodobionten verwandt ist. Das Vorhandensein eines Mastigonems rückt die Cryptophyten in die verwandtschaftliche Nähe mit den Stramenopilaten.
155
27 Cryptophyta
Kapitel 4
Spezielle Merkmale – Die Bauchseite der Zelle zeigt eine Furche, die mit einer Einbuchtung abschließt. Am vorderen Teil der Zelle gibt es eine enge Einbuchtung, die mit Trichocysten umstanden ist (Abb. 1). – Die Trichocysten (oder Ejektosomen) kommen nur bei dieser Gruppe vor; sie ähneln weder den Trichocysten der Dinophyten noch denen der Ciliaten. – Geißel: Die längste Geißel trägt zwei Reihen von Mastigonemen (Abb. 1). – Maupas-Körper: Es handelt sich hierbei um zwei spezifische Strukturen, deren Funktion nicht bekannt ist. Sie liegen dicht an der engen Einbuchtung (Abb. 1). – Die Mitose ist offen und zeigt gruppenspezifische Besonderheiten. Es gibt keine Centriolen. – Der Chloroplast besitzt wie bei den Vertretern der Braunen Linie vier Membranen. – Die Thylakoide der Chloroplasten sind paarweise angeordnet. – Eine typische Organelle, das Nucleomorph, stellt die Reste des Kerns eines Eukaryoten dar, der mit den Rhodobionten verwandt und zum Symbionten geworden ist.
Ökologie
Abb. 1. Zellorganisation von Cryptomonas
raumwasser feuchter terrestrischer Lebensräume vor. Sie bilden einen bedeutenden Teil des Nanoplanktons. Man findet sie auch im antarktischen Süßwasser. Einige Arten sind Darmparasiten von Haustieren, andere sind zu Endosymbionten von Dinophyten geworden.
Artenzahl: etwa 200 Ältestes bekanntes Fossil: keines
Die Cryptophyten kommen in allen Meeren, in Süßwasser und im Poren-
156
Heutiges Vorkommen: weltweit
Beispiele Chilomonas paramecium, Cryptomonas erosa, Goniomonas truncata
Rhizopoda 28
Eucarya
Rhizopoda Allgemeines Die Rhizopoden sind nackt oder mit einem Gehäuse versehen. Sie bewegen und ernähren sich durch die Ausbildung cytoplasmatischer Fortsätze, der Pseudopodien. Die Formen dieser Gruppe, die je nach Aktivität der Zelle sehr unterschiedlich aussehen, liefern nur
Spezielle Merkmale Pseudopodien: Im Hinblick darauf, dass sich die heutige Klassifikation auf molekulare Phylogenien stützen, gibt es hier keine wirklich spezifi-
wenige Merkmale, die für die Systematik verwendet werden können. Dagegen ermöglichten es die neueren molekularen Phylogenien, die alte Gruppe der Rhizopoden (= Wurzelfüßer) weitgehend aufzulösen: Die Archamöben wurden den Mycetozoen zugeordnet,
schen Merkmale cytologischer Natur. Dennoch ist das Vorhandensein der Pseudopodien vielleicht eine echte Synapomorphie. Konvergenzen mit anderen Gruppen sind dennoch möglich (Percolozoen, Myce-
und die begeißelten Amöben bilden nun eine eigene monophyletische Gruppe Percolozoen. Ist nun wenigstens das restliche Taxon Rhizopoda monophyletisch? Ist dieses Teil eines anderen Taxons? Diese Fragen können zurzeit noch nicht abschließend beantwortet werden.
tozoen, Chlorarachniophyten, Foraminiferen). Die Abbildung 1 zeigt verschiedene Typen von Pseudopodien.
157
28 Rhizopoda
Kapitel 4
Ökologie Die Rhizopoden sind einzellige Organismen, die man in Böden oder in (semi)aquatischen Lebensräumen findet, die reich an organischem Material sind. Einige Gruppen haben eine besondere Ökologie: So besiedeln die Thecamöben (Beschalte Amöben) grundsätzlich Süßwasserhabitate oder leben in Moosen und im Boden. Einige Formen sind parasitär.
Beispiele Amoeba dubia, A. proteus, Thecamoeba terricola, Difflugia oblonga
Artenzahl: etwa 200 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
158
Abb. 1. Typen von Pseudopodien bei den Rhizopoda. a gelappt, b schneckenartig, (in zwei Stellungen), c warzenartig, d strahlenförmig
Percolozoa 29
Eucarya
Percolozoa Allgemeines Die Percolozoen sind amöbenartige Organismen, denen ein GolgiApparat fehlt. Charakteristisch für die Percolozoen ist, dass sie von der amöboiden in eine begeißelte Form übergehen können – je nach dem, welche Umweltbedingungen herrschen. Je nach Organismus überwiegt die eine oder die andere Form. So herrscht bei Tetramitus
rostratus, einem koprophilen Organismus, der in sauerstoffarmem Milieu lebt, die begeißelte Form vor. Eine hohe Salz- und Sauerstoffkonzentration veranlasst die Transformation zur Amöbe, die sich auch einkapseln kann. Im Gegensatz dazu lebt Naegleria gruberi in Gestalt einer Amöbe in Böden, die reich an
Spezielle Merkmale
Ökologie
– Im Laufe ihres Lebenszyklus können die Percolozoen eine amöboide sowie eine begeißelte Form durchlaufen, und umgekehrt – wie der Lebenszyklus von Naegleria gruberi zeigt (Abb. 1).
Viele dieser Organismen besiedeln Lebensräume, die reich an organischem Material und manchmal relativ sauerstoffarm sind. Einige Arten leben parasitisch: Die Amöbe Naegleria fowleri kommt beispielsweise
organischem Material sind. Bei reicher Wasserführung ihres Lebensraums wandelt sich die Amöbe jedoch in eine begeißelte Zelle um, die sich weder teilt noch Nahrung aufnimmt. Diese Erscheinungsform erleichtert die Rückkehr in trockenere Böden, wo der Organismus wieder die Amöbenform annimmt.
in verschmutzten Schwimmbädern vor. Sie dringt durch die Nasennebenhöhlen der Schwimmer ein und wandert entlang des Geruchsnervs bis zum Gehirn. Dort proliferiert der Parasit und phagocytiert die Nervenzellen – was zu einem raschen Tod führt. 159
29 Percolozoa
Kapitel 4
Beispiele Naegleria fowleri, N. gruberi, Tetramitus rostratus, Vahlkampfia magna
Abb. 1. Lebenszyklus von Naegleria gruberi
Artenzahl: bis 20 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
160
Chlorarachniophyta 30
Eucarya
Chlorarachniophyta Allgemeines Die Chlorarachniophyten bilden eine sehr kleine Gruppe, denn es gibt bislang nur zwei erst unlängst beschriebene Arten,die möglicherweise den Rhizopoden nahe stehen. Die Zellen sind nackt, amöboid und im Inneren eines Plasmodiums durch Filopodien miteinander verbunden. Mit den Filopodien kann der Organismus einzellige Beutetiere fangen und anschließend phagocytieren – und dies, obwohl er auch Photosynthese betreiben könnte. Chlorarachniophyten können Dauerzysten oder begeißelte Zoosporen bilden. Wie bei den Cryptophyten gibt es hier ein dem Chloroplasten eng benachbartes Nucleomorph, das von einer sekundären Endosymbiose zeugt. In Anbetracht dessen, dass
Ökologie Beide bisher bekannten Arten sind assoziiert mit tropischen, siphonalen Grünalgen gefunden worden. Sie dringen in abgestorbene Filamente dieser Algen ein und wachsen dort weiter.
Spezielle Merkmale – Zoospore: Sie trägt eine einzige Geißel, die während des Schwimmens spiralig um die Zelle gewickelt ist (Abb. 1). – Der Chloroplast ist zweifach gelappt und – wie bei den photosynthetischen Stramenopilaten sowie den Cryptophyten – von vier Membranen umgeben. Die
der Chloroplast Chlorophyll a und b enthält, ist der Symbiont wahrscheinlich ein einzelliger Chloro-
biont, der aus den Ulvophyten hervorgegangen ist – was die molekularen Phylogenien bestätigen.
Thylakoide sind in Zweier- oder Dreiergruppen angeordnet und bilden auf diese Weise Lamellen. – Das Nucleomorph befindet sich in einer Einbuchtung auf der Oberfläche des Pyrenoids (Abb. 2). Man erkennt die Membranen des Chloroplasten und die beiden äußeren Membranen – also die Cytoplasmamembran des endosymbiontischen Eukaryoten und die von der Phagocytose stammende Membran. Der Rest des Symbionten-Cytoplasmas ist ebenfalls sichtbar.
Beispiele Chlorarachnion reptans, Cryptochlora perforans
Abb. 1. Begeißelte Zoospore von Chlorarachnion reptansd
161
30 Chlorarachniophyta
Abb. 2. Nucleomorph und Chloroplast bei den Chlorarachniophyten
Artenzahl: bisher nur 2 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: tropische und gemäßigte Meere
162
Kapitel 4
5 Chlorobionta 1
Chlorobionta 166
KAPITEL 5 6
siehe Kapitel 4, Seite 111 2
Ulvophyta 167 Beispielart: Meersalat Ulva lactuca Größe: 20 cm
3
12
Coleochaetophyta 186
Phragmoplastophyta 177
8
Plasmodesmophyta 179
9
Chaetosphaeridiophyta 181
Beispielart: Coleochaete orbicularis Größe: 1 mm 13
14
Chlorokybophyta 175
Charophyta 182 Beispielart: Nitella batrachosperma Größe: 10 cm
Embryophyta 188 Beispielart: Nordmann-Tanne Abies nordmanniana Größe: 50 m siehe Kapitel 6, Seite 194
Beispielart: Chaetosphaeridium minus Größe: 40 µm (ohne Seta)
Streptophyta 172
Beispielart: Chlorokybus atmophyticus Größe: 200 µm
164
Parenchymophyta 184
7
10 5
11
Beispielart: Raphidonema longiseta Größe: 70 µm (Länge einer Zelle)
Prasinophyta 170 Beispielart: Pyramimonas obovata Größe: 30 nm, ohne Geißel
4
Klebsormidiophyta 176
Zygnematophyta 191 Beispielart: Sternalge Micrasterias papillifera Größe: 60 µm
Chlorobionta
Kapitel 5
165
1 Chlorobionta
Kapitel 5
Chlorobionta Die Chlorobionten stellen sowohl aus ökologischer als auch aus phylogenetischer Sicht eine Gruppe von beachtlicher Bedeutung dar. Man findet sie im Meer ebenso wie im Süßwasser sowie an Land. Die Landpflanzen stellen innerhalb der Chlorobionten die wichtigste monophyletische Untergruppe dar. Lange Zeit war der evolutive Ursprung der Landpflanzen ein Mysterium. Licht in dieses Problem kam zum ersten Mal im Jahr 1869, als der deutsche Botaniker W. Hofmeister (1824–1877) den Generationswechsel der Blütenpflanzen entdeckte und die großen Ähnlichkeiten aufzeigte, die zwischen den Reproduktionszyklen der Verwandtschaftsgruppen der Landpflanzen bestehen. Alle Embryophyta haben einen zweiphasischen Zyklus (Abb. 1) mit einem Wechsel zwischen einer vielzelligen Haplophase (= Gametophyt) und einer vielzelligen Diplophase (= Sporophyt). Zahlreiche Algen (beispielsweise Ulva lactuca) zeigen
einen solchen Kernphasenwechsel. Die Mehrzahl der führenden Botaniker (u. a. A. H. Church, F. E. Fritsch, N. Pringsheim) sprach sich seinerzeit für die so genannte homologe Theorie aus. Diese besagt, dass der Vorfahr der Landpflanzen einen isomorphen Generationswechsel gehabt haben muss, bei dem die haploide und die diploide Phase morphologisch gleichwertig waren. Eine alternative Sicht, die „antithetische Theorie“, entwickelte der britische Botaniker F. O. Brower fast zur selben Zeit, im Jahr 1890 – ausgehend von den Arbeiten von L. Celakovsky aus dem Jahr 1874. Darin postulierte er, dass sich die Landpflanzen aus filamentösen, im Süßwasser lebenden Grünalgen entwickelt haben könnten, die einen Lebenszyklus hatten, bei dem die haploide Phase vorherrschte. Wichtige Evolutionsstadien wären demnach beispielsweise das Festhalten der Eizelle auf dem Gametophyten oder die Ernährung der Zygote durch den Gametophyten
gewesen. Dann hätte die Meiose der Zygote nicht sofort nach deren Keimung stattgefunden, sondern sie hätte im Gegenteil zunächst mehrere Mitosen durchlaufen. Die Meiose wäre dann verzögert eingetreten, und der Sporophyt – als Resultat der Mitosen der Zygote – wäre nur als eine Art Zwischenstadium aufgetreten. Die aktuellen Forschungen zur Systematik, bei denen biochemische, ultrastrukturelle und molekulare Methoden angewandt werden, kommen zu dem übrereinstimmenden Ergebnis, dass die Coleochaetophyta und die Charophyta (Armleuchteralgen) als nächste Verwandte der Landpflanzen anzusehen sind, denn beide Algengruppen zeigen einen haplophasischen Lebenszyklus mit Oogamie. Diese Sicht entspricht bezeichnenderweis eher der „antithetischen Theorie“ von Celakovsky und Bower. Es hat über ein Jahrhundert gedauert, um dieses Problem zu lösen.
Abb. 1. Lebenszyklen der Chlorobionten: a Haplodiplophasischer Zyklus mit Gleichgewicht zwischen der haploiden und der diploiden Phase (wie bei der Ulvophycee Ulva lactuca = Haplodiplont),b Diplohaplophasischer Zyklus,bei dem die diploide Phase vorherrscht (wie bei der Braunalge Fucus mit stark heteromorphem Generationswechsel; reine Diplonten wie bei den Tieren kommen bei den Chlorobionten nicht vor); c Haplophasischer Zyklus, bei dem die haploide Phase dominiert (wie bei den Zygnematophyta, Charophyta und Coleochaetophyta = Haplonten).
166
Ulvophyta 2
Chlorobionta
Ulvophyta Allgemeines Die Ulvophyta sind ein- oder vielzellige Grünalgen. Sie können Kolonien bilden, filamentös oder siphonal (schlauchförmig) organisiert sein. Die Monophylie dieser Gruppe gründet sich ausschließlich auf molekularen Phylogenien. Die Ulvophyta umfassen die drei Klassen Pleurastrophyceen (auch Trebouxiophyceae genannt), die Chlorophyceen und die Ulvophyceen (im engeren Sinne). Die ein-
zelligen, filamentösen Pleurastrophyta sind durch ihre Mitose charakterisiert. Die Chlorophyceen bilden eine sehr bedeutende Gruppe (110 Gattungen mit 1000 Arten) und zeigen hinsichtlich ihrer Organisation die größte Vielfalt: Es gibt einzellige (begeißelte oder unbegeißelte), Kolonien bildende oder filamentöse Formen sowie Thalli und siphonale Formen. Die Ulvophyceen im engeren Sinne
sind ein- oder vielzellige Grünalgen, die – außer den Gameten bzw. Zoosporen – niemals Geißeln tragen. Sie bilden eine paraphyletische Gruppe. Eine monophyletische Gruppe erhält man, wenn man die Cladophorophyceen, Bryopsidophyceen, Dasycladophyceen und Trentepohliophyceen hinzunimmt.
167
2 Ulvophyta Ökologie Viele Ulvophyta im hier verstandenen Umfang bilden einen Hauptbestandteil des Süßwasser- und des marinen Phytoplanktons. Schätzungen gehen davon aus, dass diese Organismen durch Photosynthese jährlich mehr als eine Milliarde Tonnen Kohlenstoff fixieren. An der Basis der aquatischen Nahrungsnetze angesiedelt, dienen sie einer Vielzahl ein- und vielzelliger Organismen als Nahrungsquelle. Es gibt auch mehrzellige, festsitzende Formen, von denen einige an den Küsten sehr häufig sind. Die geschlechtliche Fortpflanzung verläuft bei den einzelnen Gruppen sehr unterschiedlich: Bei einigen Arten verschmelzen zwei bewegliche Gameten (Isogamie), bei anderen wird eine große, unbewegliche Eizelle von einen kleinen, beweglichen Androgameten befruchtet (Oogamie).Dieser zweifach begeißel-
Kapitel 5 te männliche Gamet ähnelt manchmal sehr der Adultform (beispielsweise der Gattung Chlamydomonas). Einige Chlorophyceen sind während eines Großteils ihres Lebenszyklus haploid. Bei anderen gibt es einenWechsel zwischen der haploiden und der diploiden Phase. Die Pleurastrophyceen leben häufig mit Pilzen assoziiert und bilden auf diese Weise die Flechten.
Spezielle Merkmale – Cytoskelett: Das Cytoskelett an der Basis der Chlorobionten-Geißel zeigt eine von den in Abbildung 1 dargestellten vier möglichen Anordnungen (a–d). Die Ulvophyta besitzen entweder die Anordnung b, c oder d: Diese sind charakterisiert durch eine GeißelBasis bei 180° und MikrotubuliBündel in Meridianen bei 90°.
Beispiele Pleurastrophyceae: Trebouxia parmelia, Friedmannia sp., Myrmecia sp. Chlorophyceae: Chlamydomonas reinhardtii, Chlorococcum echinozygotum, Scenedesmus falcatus, Kugelalge (Volvox globator) Ulvophyceae (im engeren Sinne): Darmtang (Enteromorpha intestinalis), Meersalat (Ulva lactuca) Cladophorophyceae: Cladophora vagabunda, Chaetomorpha darwinii Bryopsidophyceae: Bryopsis plumosa, Caulerpa taxifolia, Codium tomentosum Dasycladophyceae: Schirmchenalge (Acetabularia acetabulum), Dasycladus vermicularis Trentepohliophyceae: Trentepohlia aurea
Abb. 1. Anordnungsmöglichkeiten der Geißelbasis bei den Grünalgen: Streptophyta (a), Ulvophyceen im weiteren Sinne (b), Pleurastrophyceen (c) und Chlorophyceen (d)
168
Chlorobionta
Ulvophyta 2
Artenzahl: bis 3679 Ältestes bekanntes Fossil: In Gestein der sauren Quellen Zentralaustraliens (Bitter Springs Formation) enthaltene Fossilien sind möglicherweise einzellige, filamentöse Chlorophyceen aus dem Präkambrium (–900 Mio. Jahre). Fossilien, die an Coelastrum oder Cladophora erinnern, hat man im Spitzbergen (–800 Mio. Jahre) gefunden. Heutiges Vorkommen: weltweit
169
3 Prasinophyta
Kapitel 5
Prasinophyta Allgemeines Die Prasinophyta – auch Micromonadophyta genannt bzw. als Klasse Prasinophyceae aufgefasst – sind einzellige begeißelte Algen,
Spezielle Merkmale – Zelle und Geißel: bedeckt von einer oder mehreren Schuppenschichten, die aus organischem Material aufgebaut sind. Diese Schichten werden im Golgi-Apparat synthetisiert. In Form und chemischer Zusammensetzung sind diese sehr charakteristisch: Die Schuppen können beispielsweise sternförmig (Abb. 1a, Nephroselmis rotunda) oder schildförmig (Abb. 1b, Bathycoccus) sein. Die Zellen tragen 1–8 Geißeln, die lateral oder apikal inseriert sind (Abb. 2a). – Die Chloroplasten enthalten zusätzlich zu Chlorophyll a und b auch wenig Chlorophyll c. 170
über die nur relativ wenig bekannt ist. Die Charakteristika der Mitose und die Ultrastruktur der Geißel sind von Art zu Art sehr unter-
– Zysten bzw. Phycome sind die Dauerformen dieser Organismen (Abb. 2 b, Phycom von Pterosperma, 250 µm).
schiedlich. Dies lässt vermuten, dass diese Gruppe paraphyletisch ist.
Ökologie Die Prasinophyta (Prasinophyceae) sind begeißelte Einzeller. Sie leben planktonisch in den Meeren und im Süßwasser. Da sie einen recht großen Teil des marinen Planktons ausma-
Abb. 1. Sternförmige Schuppen von Nephroselmis rotunda (a) und schildförmige bei Bathycoccus spp. (b)
Prasinophyta 3
Chlorobionta chen, sind sie von großer ökologischer Bedeutung. Insbesondere Vertreter der Gattung Bathycoccus bilden das Picoplankton (Zellen mit einem Durchmesser von weniger als 2 µm).Viele Prasinophyta sind Endosymbionten: Klassische Beispiele sind Pedinomonas, ein Symbiont des Dinophyten Noctiluca scintillans, sowie die Art Tetraselmis convolutae, ein Symbiont des zu den Acoela gehörenden, in der Gezeitenzone lebenden Strudelwurms Convoluta roscoffensis. Lange Zeit kannte man bei diesen Organismen nur eine asexuelle Vermehrung. Vor kurzem hat man die sexuelle Fortpflanzung der Süßwasserart Nephroselmis rotunda genauer beobachtet. Es handelt sich hierbei um eine Isogamie, wobei je ein morphologisch identischer Gamet des Typs + und des Typs – miteinander zur Zygote verschmelzen. Bei der Keimung nach einer Ruhe-
Abb. 2. Pterosperma sp. Begeißeltes Stadium (a, Zelldurchmesser ohne Geißel 5 mm) und Dauerform (b, Durchmesser 250 µm)
phase durchläuft die Zygote sofort eine Meiose. Der Lebenszyklus dieser Alge ist somit haplobiontisch.
Beispiele Bathycoccus prasinosus, Nephroselmis rotunda, Pyramimonas lunata, Tetraselmis convolutae
Artenzahl: bis etwa 180 Ältestes bekanntes Fossil: Zysten, die denen der Gattung Pterosperma ähneln, sind aus dem Präkambrium (–1200 Millionen Jahre) bekannt. Heutiges Vorkommen: weltweit
171
4 Streptophyta
Kapitel 5
Streptophyta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Geschlechtliche Fortpflanzung: Sie findet in Form einer Oogamie statt, wobei der per definitionem männliche Gamet begeißelt ist. Der andere Gamet (per definitionem der weibliche) ist eine unbewegliche Eizelle und enthält Reservestoffe. Das ursprünglichere Merkmal ist die Planogamie, bei der beide Gameten durch Geißeln beweglich sind. – Cytoskelett: Das Cytoskelett der Geißelbasis zeigt einen spezifischen, assymetrischen Aufbau, der in dieser Gruppe sehr homogen ist (Abb. 1). – Begeißelte Zellen: Die Zoosporen oder Gameten zeigen im elektronenmikroskopischen Bild eine mehrschichtige Proteinstruktur 172
an der Basis der Geißeln, wie das Beispiel Chaetosphaeridium verdeutlicht (Abb. 2). – Peroxisomen sind in der Regel vorhanden; sie sitzen am häufigsten zwischen dem Kern und dem Plastiden (Abb. 3a) und enthalten Enzyme wie Glycolat-Oxidase und Katalase, die eine höhere Ausbeute bei der Kohlenstoffassimilation ermöglichen. – Offene Mitose: Die Kernmembran verschwindet in der Prophase. Abbildung 3 zeigt vier Mitosestadien bei Klebsormidium. In der Metaphase (Abb. 3b) ist die Kernmembran verschwunden. Die Zellteilung erfolgt entlang einer Teilungsfurche, gesteuert durch Mikrotubuli. Bei den meisten anderen Chlorobionten bleibt die Kernmembran bestehen, auch
wenn sie manchmal durchbrochen ist. – Mikrotubuli-Spindel: Sie bleibt bis zum Ende der Mitose, bis zum Zeitpunkt der Kernteilung, bestehen, obwohl die Kernmembranen synthetisiert worden sind (Telophase, Abb. 3c). Bei den anderen Chlorobionten (von wenigen Ausnahmen abgesehen) verschwindet die Spindel in der Telophase; es entsteht dann ein System aus Mikrotubuli, die parallel der künftigen Teilungsfurche angeordnet sind – der so genannte Phycoplast (Abb. 4c). – Filamentöses Wachstum ist möglich.
Streptophyta 4
Chlorobionta
Abb. 1. Cytoskelett an der Flagellenbasis der Streptophyta
Abb. 2. Feinbau der Flagellenbasis bei Chaetosporidium sp.
Abb. 3. Mitosestadien von Klebsormidium mit Prophase (a), Metaphase (b),Telophase (c) und Beginn der Interphase (d)
Beispiele Chlorokybophyceae: Chlorokybus atmophyticus Klebsormidiophyceae: Klebsormidium flaccidum
Phragmoplastophyta: Desmidium schwartzii, Sternalge (Micrasterias papillifera), Schraubenalge (Spirogyra fluviatilis), Mougeotia tenuis, Zygnema peliosporum, Chaetosphaeridium minus, Armleuchteralge
(Chara vulgaris), Nitella gracilis, Coleochaete scutata, Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Mais (Zea mays), Wildapfelbaum (Malus sylvestris)
173
4 Streptophyta
Kapitel 5
Abb. 4. Mitosestadien bei der nicht zu den Streptophyta gehörenden Gattung Chlamydomonas mit Prophase (a), Metaphase (b), Telophase (c) und Beginn der Interphase (d). In der Metaphase bleibt die Kernmembran bestehen, obwohl die Kernspindel ausgebildet ist.
Artenzahl: 274 043 Ältestes bekanntes Fossil: Aus dem mittleren Ordovizium (–460 Mio. Jahre) sind Embryophytasporen bekannt, die in Tetraden angeordnet sind (= Sporen in Vierergruppen nach der Meiose). Heutiges Vorkommen: weltweit
174
Chlorokybophyta 5
Chlorobionta
Chlorokybophyta Allgemeines Dieses Taxon enthält nur eine einzige Gattung – Chlorokybus in der Klasse Chlorokybophyceae. Sie wurde zuvor zu den Klebsormidiophyceae gestellt. Man hat die Chlorokybophyta jedoch aufgrund der molekularen Phylogenie und der Einfachheit ihres Aufbaus aus dieser gemeinsamen Gruppe ausgegliedert. Dennoch bleibt ihre phy-
logenetische Stellung unsicher. Der Organismus hat die Form kubischer oder kugeliger DoppelPakete, die jeweils aus acht Zellen bestehen, und wird von einer gallertartigen Hülle umgeben. Diese Art ist erst vor kurzer Zeit genauer untersucht worden. Hinsichtlich ihrer sexuellen Fortpflanzung ist bisher nichts bekannt.
Ökologie
Spezielle Merkmale
Die einzige bekannte Art wächst auf felsigen Substraten in luftigen Habitaten. Die ungeschlechtliche Vermehrung erfolgt durch doppelt begeißelte Zoosporen.
– Peroxisom: Das Peroxisom ähnelt dem der Charophyta, ist jedoch nicht zwischen dem Kern und dem Plastiden angeordnet. – Chloroplast: Er besitzt zwei Pyrenoide, die man im Lichtmikroskop auf dem Chloroplasten erkennen kann (Abb. 1).
– Nach der Mitose bleiben die Zellen paketartig umhüllt angeordnet (Abb. 2).
Beispiel Chlorokybus atmophyticus
Artenzahl: bisher nur 1 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: Europa
Abb. 1. Chloroplastenmorphologie von Chlorokybus sp.
Abb. 2. Autosporenbildung bei Chlorokybus sp.
175
6 Klebsormidiophyta
Kapitel 5
Klebsormidiophyta Allgemeines Die Klebsormidiophyten mit der Klasse Klebsormidiophyceae umfassen nur drei Gattungen, die in früheren Klassifikationen voneinander getrennt waren. Die heute hierher gestellten Arten sind fädig wachsende, unverzweigte Algen von geringer Größe. Die Zellen besitzen einen Chloroplasten mit einem stets wandständigen Pyrenoid.
Spezielle Merkmale – Fortpflanzung: Die einzig bekannte Fortpflanzungsweise ist eine sehr spezifische Form der Oogamie (Abb. 1). Bei Raphidonema longiseta ist der männliche Gamet mit zwei Geißeln ausgestattet (Abb. 1a). Nach der Befruchtung entwickelt die Zygote eine zystenartige Struktur (Abb. 1b).
Beispiele flächen). Raphidonema nivale entwickelt sich auf dem Schnee bzw. Firn alpiner Gletscher.
Artenzahl: 40 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: Europa
Ökologie Über die allgemeine Biologie dieser Gruppe ist nur wenig bekannt. So ist die sexuelle Fortpflanzung nur bei einer einzigen Art von Raphidonema bekannt. Die Klebsormidiophyta sind Süßwasserarten, jedoch besiedeln einige von ihnen andere Lebensräume. Vertreter von Klebsormidium und Stichococcus sind in terrestrischen Habitaten gefunden worden (alte Gemäuer, Dächer, Felsober176
Abb. 1. Oogamie bei Raphidonema longiseta
Klebsormidium flaccidum, Stichococcus bacillaris, Rhaphidonema longiseta, R. nivale
Phragmoplastophyta 7
Chlorobionta
Phragmoplastophyta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Teilung der Tochterzellen am Ende der Mitose erfolgt über einen Phragmoplasten: In der Mitte der Zelle bildet sich ein neues Mikrotubuli-Netz, das parallel zur ehemaligen Spindel angeordnet ist. Es leitet die GolgiVesikel, die das Ausgangsmaterial zum Aufbau einer neuen Zellwand enthalten. – Synthese von Cellulose-Mikrofibrillen: Die Synthese erfolgt durch einen rosettenförmigen Komplex aus Cellulose-Synthetasen, der immer aus acht Untereinheiten besteht (Abb. 2). Der Rosetten-Körper von Micrasterias durchdringt die Cytoplasmamembran und entnimmt die Moleküle aus dem Cytoplasma. Nun werden 5 nm große Mikrofi-
brillen synthetisiert und zu einer Cellulose-Fibrille zusammengelagert. Diese dient dem Aufbau der Zellwand. – Zellwand: in den Zellwänden findet man ligninähnliche Polyphenol-Verbindungen.
– Die Alanin tragende tRNA (tRNAAla) besitzt ein Intron der Gruppe II; bei den anderen Chlorobionten dagegen ist diese Gensequenz nicht durch ein solches Intron unterbrochen.
Abb. 1. Phragmoplasten von Spirogyra sp. im Detail. Die Mikrotubuli leiten die Golgi-Vesikel, die die neue Zellwand aufbauen.
177
7 Phragmoplastophyta
Kapitel 5
Beispiele Plasmodesmophyta: Chaetosphaeridium minus, Chara vulgaris, Nitella gracilis, Coleochaete scutata, Widertonmoos (Polytrichum piliferum), Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Mais (Zea mays), Wildapfelbaum (Malus sylvestris) Zygnematophyta: Desmidium schwartzii, Sternalge (Micrasterias papillifera), Spirogyra fluviatilis, Mougeotia tenuis, Zygnema peliosporum
Abb. 2. Funktion des Rosetten-Körpers bei Micrasterias sp.
Artenzahl: 274 002 Ältestes bekanntes Fossil: Aus Schichten des mittleren Ordovizium (–460 Mio. Jahre) kennt man Embryophytensporen, die in Tetraden angeordnet sind (Sporen nach der Meiose in Vierergruppen). Heutiges Vorkommen: weltweit
178
Plasmodesmophyta 8
Chlorobionta
Plasmodesmophyta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale Bei der Bildung des Phragmoplasten bleiben die beiden Tochterzellen über Plasmodesmen miteinander in
Kontakt. Abbildung 1 zeigt vier Stadien der Mitose bei Coleochaete. Die Kernmembran verschwindet am Ende der Prophase. Die Kernspindel bleibt bis zur Anaphase bestehen
(1c). Erneut bauen Mikrotubuli den Phragmoplasten auf. Die Plasmodesmen ermöglichen eine rasche Kommunikation zwischen den Zellen.
Abb. 1. Vier Mitosestadien bei Coleochaete mit früher Prophase (a), Metaphase (b), Anaphase (c) und früher Interphase (d)
179
8 Plasmodesmophyta – Das apikale Wachstum ermöglicht Verzweigungen. – Die Eizelle wird im Organismus festgehalten. – Die Zygote wächst nach der Befruchtung. Dies wird durch den Transfers von Assimilaten ermöglicht, vor allem von Lipiden und Kohlenhydraten. – Die Isoleucin tragende tRNA (tRNA Ile) besitzt ein Intron der Gruppe II, während diese Gensequenz bei den anderen Chlorobionten nicht durch ein solches Intron unterbrochen ist.
180
Kapitel 5
Beispiele Chaetosphaeridiophyta: Chaetosphaeridium minus Charophyta: Chara vulgaris, Nitella gracilis
Parenchymophyta: Coleochaete scutata, Widertonmoos (Polytrichum piliferum), Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Mais (Zea mays), Wildapfelbaum (Malus sylvestris)
Artenzahl: 270 002 Ältestes bekanntes Fossil: Aus Schichten des mittleren Ordovizium (–460 Mio. Jahre) kennt man Embryophytensporen, die in Tetraden angeordnet sind (Sporen nach der Meiose in Vierergruppen). Heutiges Vorkommen: weltweit
Chaetosphaeridiophyta 9
Chlorobionta
Chaetosphaeridiophyta Allgemeines Das Taxon Chaetosphaeridiophyten mit der Klasse Chaetosphaeridiophyceae enthält nur die einzige Gattung Chaetosphaeridium. Sie wurden aufgrund ihrer charakteristischen cytoplasmatischen Fortsätze (Setae) lange Zeit den Coleochaetophyten zugeordnet. Dennoch unterscheiden sie sich davon in bestimmten Merkmalen von diesen, beispielsweise in der Struktur mehrerer Gene. Ihre taxonomische Stellung bleibt unklar. Die Chaetosphaeridiophyta leben als isolierte Zellen oder in diffusen Zellverbänden ohne echte Organisation. Teilweise sind sie von einer Schleimschicht umhüllt.
Spezielle Merkmale Es muss betont werden, dass über dieses Taxon nur wenig bekannt ist. So wurde beispielsweise bisher die Ultastruktur des Mitoseablaufs noch nicht untersucht. – Die kugelförmige Zelle (Abb. 1) trägt einen kennzeichnenden cytoplasmatischen Fortsatz, die Seta. Diese ist von einer Hülle umgeben, die von der Zellwand ausgeht. Aufgrund dieses Charakteristikums wurden die Chaetosphaeridien zuvor zu den Coleochaetophyten gezählt. – Chloroplast: Der einzige Chloroplast ist wandständig und trägt ein Pyrenoid.
– Nach der Mitose schlüpft die zweifach begeißelte Zoospore über einen Schlauch, der mit einer Schleimschicht ausgkleidet ist (Abb. 1).
Beispiele Chaetosphaeridium minus
Ökologie Die Chaetosphaeridiophyta leben als Epiphyten auf großen Süßwasseralgen. Die Vermehrung ist nur bei einer einzigen Art beobachtet worden: Sie verläuft im Rahmen einer Oogamie mit zweifach begeißelten, männlichen Gameten. Die ungeschlechtliche Vermehrung erfolgt durch zweifach begeißelte Zoosporen (Abb. 1).
Artenzahl: 4 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: Europa und Nordamerika
Abb. 1. Zellmorphologie von Chaetosporidium sp.
181
10 Charophyta
Kapitel 5
Charophyta Allgemeines Sämtliche Mitglieder der Charophyten (Armleuchteralgen, Klasse Charophyceae) besitzen den gleichen Bauplan: Sie zeigen einen modularen Aufbau aus Nodien und Internodien. Die wirtelig angeordneten Seitenzweige erinnern im Aussehen an einen Schachtelhalm (Abb. 1). Die Durchschnittsgröße variiert zwischen etwa 20 cm und, wie bei Nitella cernua, einer südamerikanischen Art, mehreren Metern. Die Internodalzellen können sehr groß sein (bis 25 cm) und teilweise stark mit Kalk inkrustrierte Zellwände aufweisen.
Spezielle Merkmale – Zelle: Jede adulte Zelle besitzt eine sehr große zentral gelegene Vakuole. Das Cytoplasma zeigt eine stetige longitudinale Strömung, die von der Interaktion zwischen Aktin- und Myosinmolekülen herrührt. – Chloroplasten: Die Chloroplasten sind scheibenförmig und sitzen in der peripheren Cytoplasmaschicht. Sie besitzen keine Pyrenoide. – Die Antheridien (männliche Gametangien) und Oogonien (weibliche Gametangien) bilden sich im Verlauf eines komplizierten Prozesses an den Knoten (Nodien) in der Achsel eines Seitenzweigs (Abb. 2). Die männlichen Gameten haben eine charakteris182
tische Spiralform und tragen zwei Geißeln. In den Oogonien sind die Eizellen von je fünf spiralig angeordneten Hüllzellen umgeben. An der Spitze des Oogons befinden
Abb. 1. Habitus eines Wirtelastes von Chara sp.
sich die fünf kleinen Krönchenzellen. Sie bilden eine Öffnung, durch die der männliche Gamet eindringen kann.
Abb. 2. Gametangien von Chara fragilis
Charophyta 10
Chlorobionta
Ökologie Die Mehrzahl der Arten lebt im Süßwasser. Außerdem kennt man auch Brackwasserarten wie Chara baltica aus der Ostsee. Die Charophyten kommen in ruhigem Wasser mit lockerem Grund vor, wo sie ihre Rhizoide leicht verankern können. Der Organismus ist haploid: Die makroskopische Alge ist der Gametophyt. Er entwickelt Antheridien, in denen die männlichen, zweifach begeißelten Gameten entstehen, sowie Oogonien, die je eine große Eizelle enthalten.
Nach der Befruchtung hüllt sich die Zygote in eine dicke Zellwand ein und durchläuft eine Ruhephase auf dem Gewässergrund. Die Meiose erfolgt sofort mit Beginn der Keimung.
Beispiele Chara vulgaris, Lamprothamnium populosum, Nitella gracilis, Nitellopsis obtusa, Tylopella glomerata
Artenzahl: 81 – entsprechend einer vor kurzem durchgeführten Revision der Gruppe. Frühere Autoren hatten etwa 400 Arten vorgeschlagen. Ältestes bekanntes Fossil: Die Charophyten haben viele Fossilien hinterlassen, da bei einigen die Zellwand mit Kalk inkrustiert ist. Das älteste Fossil dieser Gruppe, Praesycidium siluricum, ist im oberen Silur in der Ukraine gefunden worden (–420 Mio. Jahre). Die beiden Hauptgruppen der Charophyta sind seit der Trias voneinander getrennt. Die Versteinerungen von Eochara und Paleonitella deuten darauf hin, dass die heutigen Formen bereits seit dem Devon existieren. Heutiges Vorkommen: weltweit
183
11 Parenchymophyta
Kapitel 5
Parenchymophyta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale
184
Beispiele Coleochaetophyta: Coleochaete scutata Embryophyta: Widertonmoos (Polytrichum piliferum), Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Pinie (Pinus pinea), Mais (Zea mays), Wildapfelbaum (Malus sylvestris) ▲
– Feste Zygoten-Zellwand: Die Zellwand der Zygote enthält Polyphenolverbindungen, die unter anderem bakterielle Angriffe verhindern. Die für diese Verbindungen wichtigen Syntheseschritte werden durch sexuelle Phänomene aktiviert. – Zygote: Sie bleibt mindestens bis zur Sporogenese auf dem mütterlichen Organismus. Sie ist von Zellen umgeben, die für ihre Ernährung sorgen. Man kann die Zygoten von Coleochaete scutata durch den durchsichtigen Thallus erkennen (Abb. 1a). – Die Zellen lagern sich zu einem Parenchym zusammen – einem
Füllgewebe, dessen Zellen einen für den Organismus nützlichen Metabolismus aufweisen und sich differenzieren können.
Abb. 1. Zygoten im Thallus von Coleochaete (a). Das Schnittbild (b) durch den Thallus verdeutlicht Schutz und Ernährung der Zygote.
Parenchymophyta 11
Chlorobionta Artenzahl: 269 917
Ältestes bekanntes Fossil: Aus dem mittleren Ordovizium (–460 Mio. Jahre) sind Sporen von Embryophyten bekannt, die in Tetraden (Vierergruppen aus der Meiose) angeordnet sind. Heutiges Vorkommen: weltweit
Abb. 2. Archegonium des Brunnenlebermooses (Marchantia polymorpha) nach der Befruchtung. Der Embryo des Sporophyten lebt als Parasit des Gametophyten.
185
12 Coleochaetophyta
Kapitel 5
Coleochaetophyta Allgemeines Die Coleochaetophyten (mit der einzigen Klasse Coleochaetophyceae) sind recht zarte Organismen, die an kleine runde Kissen von wenigen Millimetern Durchmesser erinnern. Diese bilden sich aus dichten Zellfäden, die häufig auch verzweigt sind (Abb.1 und 2).Cytoplasmatische Fortsätze (Setae) dienen der Verteidigung gegen Herbivoren: Sobald sie zerstört werden, geben sie eine abstoßende Substanz ab. Die Befruchtung erfolgt nach dem oogamen Typ. Kleine
Spezielle Merkmale – Jede Zelle enthält nur einen Chloroplasten, der stark abgeflacht
Abb. 1. Gametangien von Coleochaete pulvinata
186
Antheridien produzieren zweigeißelige männliche Mitogameten. Das weibliche Oogonium trägt eine Trichogyne, die den männlichen Gameten aufnimmt. Die Zygote wird von den umgebenden Zellen ernährt und fällt dann in einen Ruhezustand. Bei der Keimung durchläuft sie sofort eine Meiose und produziert 16 oder 32 zweigeißlige, haploide Meiosporen, aus denen sich neue Thalli entwickeln. Der Zyklus ist somit haplophasisch.
und mit einem Pyrenoid ausgestattet ist. – Einige Zellen tragen einen auffallenden cytoplasmatischen Fortsatz, die Seta. Diese ist der Seta der Chaetosphaeridiophyta sehr ähnlich. – Das Oogonium trägt eine Trichogyne (Abb. 1). – Die Zygoten sind im Thallus eingeschlossen (Abb. 2).
Ökologie Die Coleochaetophyta leben als Epiphyten im seichten Litoral von Süßwasserseen auf großen Algen, Blättern von Wasserpflanzen wie der Potamogetanoceen, aber auch auf anorganischen Substraten wie Steinen oder sogar Flaschen und Konservendosen. Diese Organismen sind gute Indikatoren für Umweltver-
Abb. 2. Schnitt durch den Thallus von Coleochaete pulvinata
Coleochaetophyta 12
Chlorobionta schmutzungen: Sie reagieren sehr empfindlich gegenüber Eutrophierung.
Beispiele
Artenzahl: 15 Ältestes bekanntes Fossil: Parka decipiens, ein Fossil aus dem Ober-Silur (–415 Mio. Jahre) Schottlands, scheint mit den heutigen Coleochaeten morphologisch und ökologisch identisch zu sein. Dieses Fossil kann dennoch einen Durchmesser von 7 cm erreichen. Heutiges Vorkommen: vor allem Europa und Nordamerika
Coleochaete divergens, C. irregularis, C. nitellarum, C. orbicularis, C. pulvinata, C. scutata, C. soluta
187
13 Embryophyta
Kapitel 5
Embryophyta Allgemeines Das Taxon Embryophyta umfasst die Landpflanzen. Früher wurden sie Archegoniaten genannt – eine Bezeichnung, die an ihre Hauptsynapomorphie erinnert, das Archegonium (= weibliches Game-
Spezielle Merkmale – Die weiblichen Gametangien sind die Archegonien (Abb. 1). Man erkennt den Bauchkanal, der die Eizelle schützt, sowie den Halskanal als Weg der männlichen Gameten. Das Archegonium ist mehr oder weniger tief in den Gametophyten versenkt. – Die männlichen Gametangien sind die Antheridien (Abb. 2). Die dichte Netzstruktur des Antheri188
tangium). Außerdem bezeichnete man die meisten dieser Organismen früher auch als Kormophyten oder Sprosspflanzen. Unter Kormus versteht man eine Pflanze mit den Grundorganen Wurzel, Spross-
diums ist das Ergebnis von Teilungen der Mutterzellen. – Der Lebenszyklus umfasst eine vielzellige, diploide Phase. Das Ergebnis der Befruchtung, der diploide Sporophyt, ist zunächst noch vom haploiden Gametophyten abhängig (Abb. 3). – Sporangien: Die Sporen sind in einem Sporangium mit zelliger Wand enthalten (Abb. 4). – Die feste Zellwand der Sporen enthält einen spezifischen und
achse und Blätter. Die Embryophyten sind evolutiv außerordentlich erfolgreich, da ihnen die Besiedlung eines Großteils des Festlandes gelang.
bemerkenswert resistenten Zellwandbaustoff, das Sporopollenin. – Die Außenseite ist von einer Cuticula bedeckt. – Die männlichen Gameten zeigen einige ultrastrukturelle Besonderheiten, beispielsweise das Vorhandensein eines Centrosoms mit einer doppelten Centriole. – Während der Interphase liegen die Mikrotubuli an der Zelloberfläche, unter der Cytoplasmamembran. Zu Beginn der Propha-
Embryophyta 13
Chlorobionta
Abb. 2. Antheridium des Brunnenlebermooses (Marchantia polymorpha)
Abb. 1. Archegonium des Brunnenlebermooses (a) und der Natternzunge (b). Man erkennt den Bauchkanal, der die Eizelle enthält, sowie den Halskanal, durch den die männlichen Gameten schwimmen.
se schließen sie sich in der Mitte der Zelle zu einem Präprophaseband (Abb. 5) zusammen, das den Kern umgibt. Dieses verschwindet kurz darauf bei der Synthese der
Abb. 3. Diploider Sporophyt eines Farns mit dem ersten Rhizoid und seinem ersten Blatt.Der Sporophyt entwickelt sich in Abhängigkeit vom haploiden Gametophyten, der wenig später zu Grunde geht.
Spindel. In der Telophase erkennt man den Phragmoplasten, der die neue Zellwand mit Plasmodesmen bildet. – Im Kerngenom der Embryophyten findet sich das Gen tufA, das für einen Elongationsfaktor des Chloroplasten codiert. Im Gegensatz dazu sitzt dieses Gen bei den anderen Streptophyten im Genom des Chloroplasten.
Ökologie Die Embryophyten haben alle terrestrischen Biotope besiedelt, in denen überhaupt Leben möglich ist. Einige Arten wie die Seegräser (Zosteraceae, Posidoniaceae) sind sekundär zu einem völlig aquatischen Leben im Meer übergegangen. Die Meiosporen sind zu Beginn in die Sporangien des diploiden Sporophyten ein-
Abb. 4. Tannenbärlapp (Huperzia selago). Fast ausgereiftes Sporangium mit Sporenmutterzellen
189
13 Embryophyta
Kapitel 5
Abb. 5. Mitosestadien von Embryophyten mit Interphase (a), Beginn der Prophase (b), Beginn der Telophase (c) und Ende der Telophase (d)
geschlossen. Nach der Keimung bringt jede von ihnen einen haploiden Gametophyten hervor, der wiederum die Mitogameten produziert. Die Verschmelzung der Gameten ergibt eine Zygote, die ihrerseits wiederum der Ursprung des Sporophyten ist. Die Zygote setzt ihre Entwicklung fort, während sie vom Gametophyten ernährt wird.
Beispiele Widertonmoos (Polytrichum piliferum), Brunnenlebermoos (Marchan-
190
tia polymorpha), Brachsenkraut (Isoetes lacustris), Acker-Schachtelhalm (Equisetum arvense), Natternzunge (Ophioglossum vulgatum), Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Pinie (Pinus
pinea), Palmfarn (Cycas revoluta), Meerträubel (Ephedra equisetiformis), Mais (Zea mays), Wildapfelbaum (Malus sylvestris)
Artenzahl: 269 902 Ältestes bekanntes Fossil: Aus dem mittleren Ordovizium (–460 Mio. Jahre) sind Sporen von Embryophyten bekannt, die in Tetraden (Vierergruppen aus der Meiose) angeordnet sind. Das älteste bekannte Makrofossil eines Embryophyten ist Cooksonia pertoni: Es datiert in das Ende des Silur (–410 Mio. Jahre) und wurde in Schottland gefunden. Spuren der Gattung findet man bereits im mittleren Silur (–425 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
Zygnematophyta 14
Chlorobionta
Zygnematophyta Allgemeines Die Zygnematophyta (mit der Klasse Zygnematophyceae = Jochalgen, früher auch Conjugatae genannt) sind einzellige oder fädige Grünalgen, die in keiner Phase ihres Lebenszyklus ein begeißeltes Stadium aufweisen. Entsprechend kommen keine Centriolen vor. Die
Vermehrung erfolgt über eine Konjugation, das heißt, über die Fusion amöboider Zell-Gameten. Jede einkernige Zelle enthält einen oder mehrere Chloroplasten mit Pyrenoiden, die eine für die jeweilige Gattung oder Art charakteristische Form aufweisen (Abb. 1). Beispiels-
weise besitzt die Fadenalge Mougeotia scalaris (140 µm) einen einzigen plattigen Chloroplasten, der auf beiden Seiten Pyrenoide trägt. Die Vertreter der Gattung Spirogyra besitzen einen schraubigen Chloroplasten, der mit zahlreichen Pyrenoiden versehen ist (Abb. 2).
191
14 Zygnematophyta
Kapitel 5
Spezielle Merkmale – Es gibt keine Centriolen. – Die geschlechtliche Fortpflanzung erfolgt über eine Konjugation (Abb. 3 ). Die Alge ist immer haploid. Abbildung 3 zeigt drei Stadien dieses Ablaufs bei Zygogonium ericetorum. – Es gibt nur zwei Organisationsstufen: Die Organismen sind entweder einzellig oder filamentös; verzweigte Formen treten niemals auf. – Das Gen der RNA der kleinen Ribosomen-Untereinheit (18SrRNA) enthält ein Intron der Gruppe I.
Abb. 1. Fadenalge Mougeotia scalaris mit plattigem Chloroplast in Flächen- (a) und Flankenansicht (b)
Abb. 2. Schraubenalge Spirogyra. Schraubig gewundener Chloroplast mit Pyrenoiden
Ökologie Die Mehrheit dieser Gattungen sind Süßwasseralgen, einige tolerieren jedoch Brackwasser, manche leben sogar terrestrisch zwischen Moosrasen oder im Boden. Bei der Konjugation umgibt sich die Zygote, die durch die Fusion zweier Zellen gebildet wurde, mit einer dicken Wand und geht in ein Ruhestadium über. Die Keimung der Zygote beginnt mit einer Meiose.
Beispiele Closterium lunula, Cylindrocystis brebissonii, Cosmarium botrytis, Des-
midium schwartzii, Sternalge (Micrasterias papillifera), Spirogyra fluviatilis, Mougeotia tenuis, Zygnema peliosporum
Artenzahl: etwa 4000 Ältestes bekanntes Fossil: Das Fossil Paleoclosterium leptum datiert in das mittlere Devon (–380 Mio. Jahre). Versteinerungen einer Zygote sind in kohlehaltigem Gestein gefunden worden. Heutiges Vorkommen: weltweit
Abb. 3. Ablauf der Konjugation bei Zygogonium ericetorum. Zu Beginn bilden die Zellen zweier Filamente charakteristische Ausbuchtungen (a),die durch Verschmelzen der Zellwände interzelluläre Brücken bilden und den Durchtritt des kompletten Zellinhalts ermöglichen (b) (Befruchtung).Die verschmolzenen ZellGameten bilden eine Zygote (c).
192
6 Embryophyta 1
Embryophyta 196
KAPITEL 6 9
Euphyllophyta 212
10
Moniliformopses 214
11
Sphenophyta 215
17
siehe Kapitel 5, Seite 188 2
3
Beispielart: Acker-Schachtelhalm Equisetum arvense Größe: 25 cm
Anthoceratophyta 201
Anthophyta 231
19
Gnetophyta 233
5
Hemitracheophyta 203
6
Bryophyta 205 Beispielart: Widertonmoos Polytrichum formosum Größe: 8 cm
7
Polysporangiophyta 208
8
Lycopodiophyta 210
13
Spermatophyta 220
14
Coniferophyta 223
15
Ginkgophyta 225 Beispielart: Ginkgobaum Ginkgo biloba Größe: 35 m
16
Beispielart: Keulen-Bärlapp Lycopodium clavatum Größe: 12 cm (Höhe)
Beispielart: Welwitschie Welwitschia mirabilis Größe: 5 m (Blattlänge)
Filicophyta 217 Beispielart: Tüpfelfarn Polypodium vulgare Größe: 30 cm
Beispielart: Hornmoos Anthoceros fusiformis Größe: 3 cm
194
18
Stomatophyta 199 12
4
Beispielart: Palmfarn Cycas revoluta Größe: 1,5 m
Marchantiophyta 197 Beispielart: Brunnenlebermoos Marchantia polymorpha Größe: 5 cm
Pinophyta 227 Beispielart: Nordmann-Tanne Abies nordmanniana Größe: 50 m
Cycadophyta 230
20
Angiospermae 235 Beispielart: Quittenbaum Cydonia oblonga Größe: 4 m (Baum) siehe Anhang 2, Seite 654
Embryophyta
Kapitel 6
195
1 Embryophyta
Kapitel 6
Embryophyta Die Interpretation der Phylogenie der Embryophyta folgte lange Zeit zwei großen Hypothesen. Die eine betrachtet diese Gruppe als polyphyletisch, die andere als monophyletisch. Die Homologie-Theorie betont, dass die Embryophyten aus einer Grünalge entstanden sein könnten, die einen isomorphen Lebenszyklus besaß und bei der die haploide und die diploide Phase morphologisch gleichwertig waren. Wenn man dieser Theorie zustimmt, muss man zwei unterschiedliche Evolutionsreihen fordern: Die eine Reihe hätte den Gametophyten bevorzugt, was die Moose im weitesten Sinne (= Bryophyten in der früheren Bedeutung dieses Wortes), hervorgebracht hätte.
Die andere Reihe hätte den Sporophyten bevorzugt. Dies ergäbe dann die Gruppe der Polysporangiophyten mit den Farnen und den Samenpflanzen (Spermatophyten). Die als antithetische Theorie bezeichnete Sichtweise geht von einer de novo-Entstehung der diploiden Phase aus, bedingt durch eine verzögerte Meiose der Zygote. Trifft diese Theorie zu, so hätte dies eine neue Interpretation der Moose zur Folge. Tatsächlich könnte man sie dann, bedingt durch die schwache Ausprägung ihres Sporophyten (Abb. 1) als Zwischenstadium zwischen einem hypothetischen Vorfahren (mit entstehendem Sporophyten) und den Farnen (mit reduziertem Gametophyten) betrachten. Dennoch plä-
dieren einige Autoren weiterhin für einen polyphyletischen Ursprung der Embryophyten und gehen dabei von verschiedenen Vorfahren aus, die mit den Charophyten und den Coleochaetophyten nahe verwandt sind. Merkmale wie der Erwerb des Archegoniums und des Antheridiums wären dann Homoplasien. Die morphologische Analyse und die molekulare Phylogenie zielen eher darauf ab, die Monophylie der Embryophyten zu beweisen, wobei die Moose sehr wahrscheinlich eine paraphyletische Gruppe bilden. Damit rückt man eine schrittweise Adaptation des Sporophyten an das terrestrische Leben ins Blickfeld.
Abb. 1. Beim Lebenszyklus eines Bryophyten erkennt man, dass sich der Sporophyt immer aus dem Gametophyten entwickelt und niemals autonom ist (a). Die haploide und die diploide Phase sind zwar gleich wichtig, aber die erstere ist im Phänotyp dominanter (b).
196
Marchantiophyta 2
Embryophyta
Marchantiophyta Allgemeines Die Lebermoose oder Marchantiophyta (mit der Klasse Marchantiatae, eine von der Gattung Marchantia abgeleitete Bezeichnung) sind Pflanzen von geringer Größe, die weder Wurzeln noch ein Gefäßsystem besitzen. In ihrem Lebenszyklus dominiert der Gametophyt als haploide Phase. Die Struktur des Gametophyten ist
Spezifische Merkmale – Gametophyten: Sie besitzen ölhaltige Zellen, die so genannten Ölzellen (Abb. 1.) – Synthese von Lunularsäure
variabel: Einige tragen blattartige Strukturen, während andere noch das Erscheinungsbild eines Thallus mit leberartigen Lappen aufweisen – daher der Name dieser Pflanzen. Die Kapsel des Sporophyten ist einfach gebaut. Zwischen den Sporen entwickeln sich Zellen zu Elateren, die die Ausbreitung der Sporen erleichtern. Der
– Elateren: Vor der Bildung der Sporenmutterzellen differenzieren sich zahlreiche Zellen im Innern der Kapsel zu Elateren. Diese sind sehr lange Zellen, deren Zellwand spiralförmige Verdickungen auf-
Gametophyt trägt einzellige Rhizoiden. Es gibt keine echten Spaltöffnungen (Stomata), jedoch sind in die Epidermis besondere Atemöffnungen eingelassen, die zu einer Luftkammer mit chlorophyllhaltigen Assimilationszellen führen. An der Unterseite sind die einzelligen Rhizoide sichtbar (Abb. 1).
weist (Abb. 2). Manche Autoren sehen darin eine Homologie zu den Pseudo-Elateren der Anthocerophyta.
197
2 Marchantiophyta
Kapitel 6
Abb. 1. Schnitt durch den Gametophyten des Brunnenlebermooses (Marchantia polymorpha)
Ökologie
Beispiele
Die Lebermoose bevorzugen feuchte Habitate und wachsen auf Böden, Felsen oder Baumstämmen. Sie können in den Tropen auch als Epiphyten auf Blättern anderer Pflanzen auftreten.
Mondbechermoos (Lunularia cruciata), Brunnenlebermoos (Marchantia polymorpha), Sternlebermoos (Riccia glauca)
Artenzahl: etwa 9100 Ältestes bekanntes Fossil: Mikrosporen, die zu Dyadospora (Sphaerocarpales) gehören, datieren aus dem unteren Silur (–435 Mio. Jahre). Das älteste Makrofossil ist zweifellos Pallavicinites aus dem oberen Devon (–375 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit (am zahlreichsten in den Tropen)
198
Abb. 2. Elatere aus der Sporenkapsel von Marchantia polymorpha
Stomatophyta 3
Embryophyta
Stomatophyta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale
Beispiele
– Spaltöffnungen (Stomata): Diese Pflanzen weisen Stomata auf (Abb. 1). Ein Stoma ist charakterisiert durch zwei chlorophyllhaltige, bohnenförmige Schließzellen, die durch druckabhängige Verformung eine Öffnung (= Spalt) öffnen oder schließen. Dies ermöglicht den Gasaustausch zwischen der Atmosphäre und einer Kammer, die unter der Spaltöffnung liegt. Die Stomata ermöglichen somit die Kontrolle des Gasaustauschs des Organismus. – Die Sporangien besitzen eine Columella (Abb. 2). – Drei neue Introns tauchen in den mitochondrialen Genen auf, und zwar in den Genen cox2 sowie nad1.
Anthocerophyta: Hornmoos (Anthoceros fusiformis) Hemitracheophyta: BrandstellenDrehmoos (Funaria hygrometrica), Widertonmoos (Polytrichum juniperum), Torfmoos (Sphagnum secun-
dum), Keulen-Bärlapp (Lycopodium clavatum), Brachsenkraut (Isoetes lacustris), Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Acker-Schachtelhalm (Equisetum arvense), Ginkgobaum (Ginkgo biloba), Wald-Kiefer (Pinus sylvestris), Schwarzer Holunder (Sambucus nigra), Mais (Zea mays)
Abb. 1. Schema einer Spaltöffnung (Stoma)
199
3 Stomatophyta
Abb. 2. Längsschnitt durch das Sporangium des Brandstellen-Drehmooses (Funaria hygrometrica). Die Columella ist von Sporenmutterzellen umgeben.
Artenzahl: 260 802 Ältestes bekanntes Fossil: Sporen von Stomatophyten sind aus dem oberen Ordovizium bekannt (–455 Mio. Jahre). Versteinerte Cuticulae von Stomatophyten sind in Gesteinen aus dem oberen Silur (–415 Mio. Jahre) gefunden worden. Heutiges Vorkommen: weltweit
200
Kapitel 6
Anthoceratophyta 4
Embryophyta
Anthoceratophyta Allgemeines Die Anthoceratophyten (Hornmoose, mit der Klasse Anthoceratopsida) sind benannt nach der Gattung Anthoceros. Sie bilden nur eine kleine Gruppe, deren Monophylie als gut gesichert gilt. Angesichts ihrer umfassenden Ähnlichkeit hat man sie lange Zeit zu den Marchantiophyten (siehe 2) gerechnet. Der hornförmige Gametophyt hat das Aussehen eines gelappten Thallus mit dichotomen Verzweigungen. Der Sporophyt ist sehr charakteristisch, denn er weist in seiner Entwicklung eine starke Polarität auf: Sein unterer Teil verbleibt immer in juvenilem Zustand, während der apikale Teil die Sporendifferenzierung übernimmt. Die Tatsache, dass der Sporophyt aufgerichtet sein kann, wird teilweise als unabhängige evolutive Errungenschaft (konvergent zu den Hemitracheophyten) angesehen.
Spezielle Merkmale – Biochemische Merkmale: Die Anthocerophyten können noch keine Flavonoide synthetisieren. – Die Chloroplasten tragen ein Pyrenoid. – Cyanobakterien der Gattung Nostoc leben als Symbionten in Einbuchtungen auf der ventralen Seite des Thallus. – Entwicklung der Antheridien: Sie vollzieht sich ausgehend von einer unter der Epidermis liegenden Zelle und nicht, wie bei den Bryophyten und den Marchantiophy-
ten, von einer an der Oberfläche lokalisierten Zelle aus (Abb. 1). – Archegonien: Sie sind im Thallus eingeschlossen und treten niemals an die Oberfläche (Abb. 2). – Zygote: Die erste Teilung der Zygote verläuft typischerweise vertikal, während sie bei den anderen Embryophyten transversal verläuft (Abb. 3). – Sporangium: Im Sporangium differenzieren sich Pseudo-Elateren. Eine Homologie zwischen diesen Pseudo-Elateren und den Elateren der Marchantiophyten wird diskutiert.
Ökologie Viele Anthoceratophyten gedeihen direkt auf dem Boden. Einige tropische Arten sind Epiphyten auf Blättern, Zweigen oder Baumstämmen.
Beispiele Anthoceros fusiformis, Clasmatocolea puccionana, Dendroceros endivaefolius, Notothylas flabellatus
201
4 Anthoceratophyta
Abb. 1. Entwicklung eines Antheridiums des Hornmooses Anthoceros pulcherrimus. Die Entstehung des Antheridiums findet ziemlich weit unter der Epidermis statt (a). Das Antheridium durchbricht dann die Epidermis (b) und öffnet sich schließlich im Innern einer Kammer, die nach außen hin offen ist (c).
Kapitel 6
Abb. 2. Entwicklung eines Archegoniums des Hornmooses Anthoceros fusiformis. Das weibliche Gametangium ist im Gametophyten eingeschlossen.
Artenzahl: etwa 300 Ältestes bekanntes Fossil: Sporen von Anthoceratophyten sind aus dem oberen Silur (–415 Mio. Jahre) bekannt. Das älteste Makrofossil eines Hornmooses ist Notothrylacites aus der unteren Kreidezeit (–120 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: gemäßigte und tropische Regionen
Abb. 3. Erste Teilung im Embryo des Hornmooses Anthoceros fusiformis. Die erste Teilung verläuft vertikal (a), die zweite Teilung transversal (b).
202
Hemitracheophyta 5
Embryophyta
Hemitracheophyta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale Die Hemitracheophyten bilden eine monophyletische Gruppe, die die Bryophyten und die Tracheophyten (oder Gefäßpflanzen) vereint. Die Bryophyten im engeren Sinne wurden früher mit den Marchantiophyten und den Anthoceratophyten aufgrund gemeinsamer ursprünglicher Merkmale in einer paraphyletischen Gruppe zusammengefasst (Bryophyten = Moospflanzen im weiteren Sinne). Nun scheinen die Bryophyten im engeren Sinne jedoch den Tracheophyten näher zu stehen als den Anthoceratophyten. Mit den Tracheophyten teilen sie einige neu entwickelte Merkmale: – Der Sporophyt besitzt eine ausgesprochen ausgeprägte Vertikalachse (Abb. 1). – Im Stängel des Gametophyten und des Sporophyten liegen Leitelemente. Bei den Bryophyten werden die Hydroide und die Leptoide (Abb. 2) jeweils als homolog zu den Bestandteilen von Xylem (dem Transport organischer Stof-
fe dienende Elemente) und Phloem (dem Wassertransport dienende Elemente) in den Leitbündeln der Sprosspflanzen angesehen. – Sporen: Die Zellwand ist von einer besonders differenzierten Schicht umgeben, der sogenannten Exine.
– Die Gametangien (Antheridien und Archegonien) sind apikal auf dem Gametophyten angeordnet. Dieses Merkmal ist jedoch kein starkes Charakteristikum für diese Gruppe, da es Ausnahmen gibt, beispielsweise bei den Hypnobryales.
Abb. 1. Aufgerichteter Sporophyt des Laubmooses Polytrichum mit Seta und Sporenkapsel (a) sowie Rekonstruktion von Horneophyton lignieri, einem fossilen Nacktfarn aus dem Unterdevon, mit einer ausgeprägten Achse und einem am Ende gegabelten Sporangium (b).
203
5 Hemitracheophyta
Kapitel 6
Beispiele Bryophyta: Widertonmoos (Polytrichum juniperum) Polysporangiophyta: Brachsenkraut (Isoetes lacustris), Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Acker-Schachtelhalm (Equisetum arvense), Ginkgobaum (Ginkgo biloba), Wald-Kiefer (Pinus sylvestris), Schwarzer Holunder (Sambucus nigra), Mais (Zea mays)
Abb. 2. Leitelemente im Stämmchen des Laubmooses Polytrichum juniperinum.
Artenzahl: 260 502 Ältestes bekanntes Fossil: Cooksonia sp. aus dem mittleren Silur (–430 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
204
Embryophyta
Bryophyta 6
Bryophyta Allgemeines
205
6 Bryophyta Die Bryophyten sind die Moose im üblichen Sinn. In älteren Klassifizierungen gehören die Bryophyten zu einer paraphyletischen Gesamtgruppe, die aus den Marchantiophyten (Lebermoose), Anthoceratophyten (Hornmoose) und Bryophyten (Laubmoose im engeren Sinn) besteht. Die Bryophyten sind in der Regel kleine Pflanzen (es gibt jedoch tropische Laubmoose, die bis zu 1 m hoch wer-
Abb. 1. Brandstellen-Drehmoos (Funaria hygrometrica). Der mit lanzettlichen Blättchen bestückte Gametophyt trägt den sich entwickelnden Sporophyten.
206
Kapitel 6
den) ohne echte Wurzeln und ohne ausgefeiltes Gefäßsystem. Der Gametophyt trägt kleine Blättchen. Der Sporophyt, immer auf dem Gametophyten fixiert, ist aufgerichtet. An seinem oberen Ende trägt er ein chlorophyllhaltiges Sporogon, das Spaltöffnungen (Stomata) besitzt. Das Sporogon entlässt seine Sporen – meist durch die Öffnung des Deckels – nach Austrocknen. Die Bryophy-
ten unterteilen sich in die drei Klassen: die Bryopsida (Laubmoose), die Andreaeopsida (Klaffmoose) und die Sphagnopsida (Torfmoose). Eine weitere Gruppe, die erst kürzlich in Japan entdeckt wurde, bilden eine vierte Klasse – die Takakiopsida. Diese besteht aus zwei Arten der Gattung Takakia, die man früher den Bryopsida zurechnete.
Spezielle Merkmale
Ökologie
– Der Gametophyt trägt einspitzige Blättchen – Die Rhizoide sind vielzellig. – Sporangium: Die Sporen werden ausgeschleudert, wenn sich der Deckel der Kapsel öffnet (Abb. 3).
Laubmoose bevorzugen feuchte Lebensräume und kommen in den Tropen sowie in den gemäßigten Zonen vor. Da sie den Wasserhaushalt des Bodens regulieren, spielen sie für andere Pflanzen der terrestrischen Vegetation eine wichtige Rolle. Die Torfmoose bilden die Torfmoore der gemäßigten oder kalten Zonen. Sie gehören zu den Pionierpflanzen
Abb. 2. Junger Gametophyt eines Torfmooses (Sphagnum sp.). Aus der Spore keimt zunächst ein Filament (Protonema), von dem das künftige Stämmchen und ein vielzelliges Rhizoid abzweigen.
Abb. 3. Sporenkapsel (Sporangium) mit Deckel
Bryophyta 6
Embryophyta und sind der Ursprung einer ersten Humusschicht. Zahlreiche Arten sind sehr empfindlich gegenüber Immissionen. Daher sind sie hervorragende Bioindikatoren für Luft- und Wasserverschmutzungen.
Beispiele Brandstellen-Drehmoos (Funaria hygrometrica), Widertonmoos (Polytrichum juniperum), Torfmoos (Sphagnum secundum), Takakia lepidozioides
Artenzahl: etwa 15 000 Ältestes bekanntes Fossil: Sporogonites ist ein Makrofossil aus dem unteren Devon (–395 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
207
7 Polysporangiophyta
Kapitel 6
Polysporangiophyta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale Das Kladon Sporangiophyta geht (wenn man die Fossilien nicht berücksichtigt) in das der Tracheophyten und der Eutracheophyten über – vor allem angesichts der Tatsache, dass die Gruppen, die zwischen den Abzweigungen zu den Polysporangiophyten und den Euphyllophyten auftauchten, allesamt ausgestorben sind. Die frühesten Polysporangiophyten werden durch die Gattung Cooksonia repräsentiert, gefolgt von Horneophyton und Rhynia (manchmal als Aglaophyton bezeichnet). Berühmtester Fundort dieser Gruppe ist der verkieselte Rhynie Chert in der Nähe des schottischen Dorfes Rhynie, den man in das mittlere Devon datiert. Einige Vertreter dieser Organismen sind jedoch in noch etwas älteren Vorkommen gefunden worden. Um den Lebensraum Festland zu erobern, waren einige Schlüsselmerkmale entscheidend, die in der Evolution sehr schnell aufgetreten sind und denen man auch 208
bei den modernen Eutracheophyten begegnet: Dazu gehören das Überwiegen der diploiden Phase (Sporophyt), die Verzweigung des Sporophyten, die Bildung von Tracheiden und Tracheen sowie Lignin als Zellwandbaustoff. Die Pflanze kann sich nun aufrichten und Wasser in ihre höher gelegenen Teile leiten. Die Eutracheophyten wurden früher in die Gefäßkryptogamen (oder Pteridophyten = Farnpflanzen) und in die Spermatophyten (Samenpflanzen) unterteilt. Wenn Letztere eine monophyletische Gruppe bilden, erscheinen die Gefäßkryptogamen paraphyletisch. Die spezifischen Eigenschaften eines jeden dieser einzelnen Klada werden nun einzeln aufgezählt – unter Berücksichtigung auch der Beiträge wichtiger Fossilien. Polysporangiophyta – Die diploide Phase herrscht im Lebenszyklus vor, und der Sporophyt wird zu einem bestimmten
Zeitpunkt seines Lebens vom Gametophyten unabhängig. – Die Archegonien sind im Gametophyten eingeschlossen (Abb. 1). Man nimmt heute an, dass sich dieses Merkmal bei den Anthoceratophyten unabhängig entwickelt hat. – Der Sporophyt ist verzweigt, die Sporangien treten endständig und zahlreich auf (Abb. 2). – Das Protoxylem ist diffus oder liegt in Bezug auf das Metaxylem zentral. Tracheophyta (mit den Polysporangiophyten zusammenzufassen, wenn man die Fossilien außer Acht lässt) – Wasser leitende Zellen (Tracheiden) entwickeln Zellwände mit ringförmigen (Abb. 3a) oder helikalen (Abb. 3b) Verdickungen. – Die Tracheiden besitzen eine vollständig verholzte Zellwand. – Die Sporangien haben keine Columella.
Polysporangiophyta 7
Embryophyta
Abb. 1. Archegonium der Zucker-Kiefer (Pinus lambertiana). Das Archegonium ist tief in das Gewebe des weiblichen Gametophyten eingesenkt.
Eutracheophyta (mit den Polysporangiophyten zusammenzufassen, wenn man die Fossilien außer Acht lässt) – Die Öffnung des Sporangiums ist auf einen einfachen Schlitz reduziert. – Der Stängel weist ein Stereom auf: eine periphere Zone aus mehreren Schichten von Zellen mit verdickter, beständiger Zellwand.
Abb. 2. Rekonstruktion von Rhynia (Aglaophyton) major mit zahlreichen endständigen Sporangien.
Beispiele Lycopodiophyta: Keulen-Bärlapp (Lycopodium clavatum), Brachsenkraut (Isoetes lacustris) Euphyllophyta: Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Acker-Schachtelhalm (Equisetum arvense), Ginkgobaum (Ginkgo biloba), Pinie (Pinus pinea), Schwarzer Holunder (Sambucus nigra), Mais (Zea mays)
Artenzahl: 245 502 Ältestes bekanntes Fossil: Fossilien von Cooksonia hemisphaerica und von Caia langii sind vom Ende des Silurs (–425 Mio. Jahre) bekannt. Heutiges Vorkommen: weltweit Abb. 3. Tracheiden mit ausgesteiften Zellwänden beim Fenchel (Foeniculum vulgare).
209
8 Lycopodiophyta
Kapitel 6
Lycopodiophyta Allgemeines Die Lycopodiophyten mit der Klasse Lycopodiopsida sind krautige Pflanzen mit Mikrophyllen: Dies sind kleine einspitzige Blätter, die an der Sprossachse spiralig angeordnet sind. Die Sporangien
Spezielle Merkmale
210
– Das primäre Xylem ist vom exarchen Typ (Abb. 3): Das Protoxylem liegt außerhalb des Metaxylems.
▲
– Die Blätter stellen Mikrophylle dar, die klein und einspitzig sind (Abb. 1). – Die Sporangien sitzen auf der Oberseite oder in den oberseitigen Achseln der Sporophylle (Abb. 2). – Das Sporangium öffnet sich entlang einer Naht, die von Zellen mit spangenförmig verstärkten Zellwänden gebildet wird.
sitzen auf spezialisierten Blättern, den Sporophyllen. Die Lycopodiophyten umfassen die Ordnungen Moosfarne (Selaginellales), die Bärlappe (Lycopodiales) und die Brachsenkräuter (Isoetales). Im
Abb. 1. Moosfarn (Selaginella selaginoides) mit mikrophyller Beblätterung und distalen Sporophyllständen. Diese können bei fossilen Formen sehr groß sein.
Karbon (–360 bis –290 Mio. Jahre) waren die Lycopodiophyten sehr formenreich vertreten, unter anderem auch mit baumförmigen Arten.
Lycopodiophyta 8
Embryophyta
Abb. 2. Sporophyllstand von Selaginella willdenowii (a). An der Basis sitzen Makrosporophylle (b) und an der Spitze Mikrosporophylle (c). Die Makrosporophylle sind Blätter, die an ihrer Oberseite ein Makrosporangium mit vier (weiblichen) Makrosporen enthalten. Die Mikrosporophylle tragen ein Mikrosporangium, das sehr viele (männliche) Mikrosporen enthält.
Beispiele Keulen-Bärlapp (Lycopodium clavatum), Gezähnter Moosfarn (Selaginella denticulata), Brachsenkraut (Isoetes lacustris)
Abb. 3. Schnitt durch die Stängelmitte eines Bärlapps (Lycopodium lucidulum). Das Protoxylem besteht aus sehr kleinen Zellen und sitzt peripher, während das großzellige Metaxylem zentral angeordnet ist.
Artenzahl: 1275 Ältestes bekanntes Fossil: Baragwanathia aus dem oberen Silur (–420 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
211
9 Euphyllophyta
Kapitel 6
Euphyllophyta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Blätter stellen Megaphylle dar, die nach der Telomtheorie durch Verwachsungen und Planation aus lateralen Verzeigungen hervorgegangen sind. – Die Sprossachse zeigt Phyllotaxis: Sie drückt sich durch eine helika-
le Anordnung der Blätter bzw. der Verzweigungen rund um den Stängel aus. – Die Sporangien sind paarweise angeordnet. – Die Tracheiden des Metaxylems weisen Hoftüpfel auf.
Beispiele Pteridophyta: Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Hirschzungenfarn (Asplenium phyllitis)
▲
Abb. 1. Querschnitt durch eine Knospe des Ginkgobaums (Ginkgo biloba). Man erkennt die helikale Anordnung der Blattprimordien.
212
Abb. 2. Tracheide aus dem Holz des Küstenmammutbaums (Sequoia sempervirens) mit Hoftüpfeln. Im Hoftüpfel löst sich die verholzte Sekundärwand von der überwiegend aus Cellulose bestehenden Primärwand ab und bildet einen Porus. An dieser Stelle entsteht dann eine zentrale Verdickung, der Torus. Diese ringförmigen Einrichtungen ermöglichen den Wassertransport.
Euphyllophyta 9
Embryophyta Spermatophyta: Pinie (Pinus pinea), Ginkgobaum (Ginkgo biloba), Palmfarn (Cycas revoluta), Meerträubel (Ephedra equisetiformis), Schwarzer Holunder (Sambucus nigra), Mais (Zea mays)
Artenzahl: 244 227 Ältestes bekanntes Fossil: Pertica und Psilophyton aus dem unteren Devon (–390 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
213
10 Moniliformopses
Kapitel 6
Moniliformopses Einige Vertreter
Spezielle Merkmale
Beispiele
– Dieses Kladon steht sehr in der Diskussion. Aus molekularer Sicht ist es abgesichert. Es gibt jedoch tatsächlich nur ein einziges Merkmal, das diese Gruppe definiert: Es betrifft die Histologie der Leitgewebe, genauer gesagt, die Beziehungen zwischen Protound Metaxylem. Bei den Moniliformopsen wird das Protoxylem, das als erstes ausgebildet wird, als mesarch (Abb. 1d) bezeichnet – es ist zwar umgeben vom Metaxylem, aber dabei weder gänzlich zentral (Abb. 1a) noch gelappt centrarch (Abb. 1b) noch vollständig peripher exarch (Abb. 1c). Dieser ursprüngliche Zustand gehört entweder zu einem diffusen axialen oder zu einem centrarchen Protoxylem.
Sphenophyta: Acker-Schachtelhalm (Equisetum arvense) Filicophyta: Königsfarn (Osmunda regalis), Adlerfarn (Pteridium aquili-
num), Tüpfelfarn (Polypodium vulgare), Dreikantnacktfarn (Psilotum triquetrum)
Artenzahl: 9520 Ältestes bekanntes Fossil: Ibyka ist ein Makrofossil aus dem mittleren Devon (–380 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
Abb. 1. Organisation des Xylems bei den Farnpflanzen: zentral (a), gelappt (b), peripher exarch (c) und mesarch (d)
214
Embryophyta
Sphenophyta 11
Sphenophyta Allgemeines Die Sphenophyten (mit der Klasse Sphenopsida = Schachtelhalme, auch als Equisetophyten bzw. Klasse Equisetopsida bezeichnet) bilden eine recht homogene Gruppe und sind heute nur noch mit zwei Gattungen repräsentiert. Die Schachtelhalme sind krautige Pflanzen mit gegliederten, aufrechten Stängeln und wirtelig angeordneten Zweigen. Viele Arten entwickeln eigene fertile Stängel, die kein Chlorophyll enthalten und unverzweigt bleiben. Im Karbon (–360 bis –290 Mio. Jahre) wiesen diese Pflanzen eine sehr große Formenvielfalt auf, unter anderem mit baumartigen Vertretern wie den Calamitaceae.
Spezielle Merkmale – Die Zweige: sie sind in vielteiligen Wirteln angeordnet. Die Abfolge der Knoten ist regelmäßig. – Sporangiophoren: Die Sporophylle sind zu sehr dicht stehenden Sporangiophoren (Sporangienträgern) umgestaltet und bilden einen zapfenförmigen Sporophyllstand von typischem Aussehen. – Die Sporen weisen ein charakteristisches Perispor auf: Zellen, die die Sporen im Sporangium ernährten, bleiben als bandförmige Hapteren an der Sporenwand haften. – Blätter: Die sehr kleinen Mikrophylle sind in Wirteln angeordnet und an ihrer Basis zu einer Hülle verwachsen.
Abb 1. Sporophyllstand des Acker-Schachtelhalms (Equisetum arvense) (a) sowie Detailansicht eines Sporangienträgers (Sporangiophor) des Riesen-Schachtelhalms (Equisetum telmateia) mit geöffneten Sporangien (b)
215
11 Sphenophyta Ökologie Viele der heute noch lebenden Schachtelhalm-Arten bevorzugen Feuchtbiotope, kommen aber auch im Kulturland vor, darunter auch an Ruderalstellen bzw. Straßenrändern.
Beispiele Acker-Schachtelhalm (Equisetum arvense), Winter-Schachtelhalm (Equisetum hyemale)
216
Kapitel 6 Artenzahl: knapp 20 Ältestes bekanntes Fossil: Ibyka ist ein Makrofossil aus dem mittleren Devon (–380 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
Embryophyta
Filicophyta 12
Filicophyta Allgemeines
217
12 Filicophyta Die Filicophyten (mit der Klasse Filicopsida bzw. Pteridopsida) repräsentieren die eigentlichen Wedelfarne. Sie sind vor allem mit krautigen Arten vertreten, kommen aber manchmal auch in Form kleiner Bäume vor. Kennzeichnend
Kapitel 6
sind ihre großen zusammengesetzten Blätter, die Farnwedel (Megaphylle), die auf ihrer Unterseite Gruppen von Sporangien tragen. Die Sporangien enthalten die Isosporen, die aus der Meiose hervorgegangen sind. Sie entwickeln
Ökologie Man begegnet den Farnen überall in feuchten sowie trockenen Biotopen von den Tropen bis in die gemäßigten Zonen.
–
Spezielle Merkmale – – Das zusammengesetzte Blatt – der Farnwedel – hat eine charakteristische Form. Die gefiederten Blätter und die Fiedern erster und höherer Ordnung sind auf beiden Seiten einer Mittelrippe (Rachis) angeordnet. – Die in der Jugend an der Spitze eingerollten Farnwedel ent-
–
–
„wickeln“ sich im Laufe des Wachstums. Die Sporangien sitzen in der Regel auf der Unterseite der Farnwedel. Meist überspannt sie ein Ring aus Zellen mit spangenförmig verdickten Zellwänden (Annulus). Man kann dort die Sporen durchschimmern sehen. Die Rhizoide des Gametophyten sind vielzellig. Das Antheridium entsteht aus einer Oberflächenzelle. Diese bildet eine Apikalzelle, die die Rolle des Operculums (Deckel) übernimmt (Abb. 3). Das Leitsystem (Xylem und Phloem) enthält Stelenelemente, die grundsätzlich in Form einer
Abb. 1. Unterseite eines Farnwedels vom Wurmfarn (Dryopteris filix-mas) mit Fiedern erster Ordnung und Sori (Sporangiengruppen)
218
sich nach der Keimung zum Gametophyten. Der Stängel zeigt kein sekundäres Dickenwachstum. Neueste kladistische Studien schließen die Psilotales bei den Filicophyten mit ein.
Siphono-Dictyostele angeordnet sind – einer Zwischenlösung zwischen der einfachen Siphonostele (Abb. 4a) und der Dictyostele (Abb. 4b).
Beispiele Kleefarn (Marsilea quadrifolia), Königsfarn (Osmunda regalis), Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Tüpfelfarn (Polypodium vulgare), Rundstängel-Nacktfarn (Psilotum nudum)
Abb. 2. Sporangium des Tüpfelfarns (Polypodium vulgare) mit Annulus. Beim Trocknen reißt die Sporangienwand an der unverdickten Vorderseite auf und entlässt die Sporen.
Embryophyta
Filicophyta 12
Abb. 3. Entwicklung eines Antheridiums des Wimperfarns (Woodsia alpina). Die spermatogenen Zellen sind im Antheridium eingeschlossen, dessen Apikalzelle sich bereits erahnen lässt (a). Die Spermatozoiden sind reif, die Zellen der Zellwand stehen unter Spannung (b). Das Antheridium ist reif und die Cuticula (c) der Apikalzelle reißt auf. Schließlich öffnet sich auch das Antheridium. Die Wandzellen schwellen an und pressen die Spermatozoiden aus (d). Abb. 4. Leitbündelanordnung bei den Wedelfarnen: Einfache Siphonostele (a), Dictyostele (b)
Artenzahl: etwa 9500 Ältestes bekanntes Fossil: Rhacophyton, mittleres Devon (–375 Mio. Jahre). Sporangien von Senftenbergia sind in Gestein aus dem unteren Karbon (–350 Mio. Jahre) gefunden worden. Heutiges Vorkommen: weltweit
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13 Spermatophyta
Kapitel 6
Spermatophyta Allgemeines
Spezielle Merkmale Wenn man die fossilen Arten nicht berücksichtigt, kann man die
Spermatophyta oder Samenpflanzen (griech. sperma = Samen) mit den Lignophyten (den Holz- bzw. Bastpflanzen) zusammenfassen. Der Bast
Abb. 1. Querschnitt durch einen jungen Zweig einer Wald-Kiefer (Pinus sylvestris).
220
ist ebenso wie das Holz das Ergebnis der Funktionsweise eines geschlossenen, nach innen und außen teilungsaktiven Kambiumrings, wäh-
Spermatophyta 13
Embryophyta rend das Kambium bei den Monokotyledonen sekundär verloren ging. Diese Gruppe vereint den alten Unterzweig der paraphyletischen Gruppe der Gymnospermen mit der monophyletischen Gruppe der Angiospermen. Der Samen ist eine sexuell entstandene Verbreitungseinheit, die einen embryonalen Sporophyten umfasst sowie Nahrungsreserven und ein (oder mehrere) Integument(e). Gelegentlich unterscheidet man die Samen danach, ob die Reservestoffe vor oder nach der Befruchtung aufgenommen werden, oder ob sie nach der Reife eine echte Ruhephase (Samenruhe) einlegen. Der weibliche Gametophyt ist sehr stark reduziert und in einer Samenanlage (Ovulum) vollständig im Sporophyten eingeschlossen. Der männliche Gametophyt, ebenfalls stark reduziert, ist das gekeimte, mehrkernige Pollenkorn, das die beiden männlichen Gameten(kerne) durch den Pollenschlauch zur Samenanlage leitet. – Der Stängel weist ein sekundäres Wachstum auf, das heißt, das nach beiden Seiten teilungsaktive Kambium baut Holz oder Phloem auf (Abb. 1). – Die Seitenzweige gehen von Knospen in den Blattachseln aus. – Die Samenanlage (Ovulum) ist eine Einheit aus Nucellus, der durch ein oder zwei Integument(e) geschützt ist und dem weiblichen Gametophyten (Abb. 2). – Nach der Befruchtung verwandelt sich die Samenanlage in einen Samen. – Der männliche Gametophyt ist stark reduziert und besteht nur noch aus wenigen Zellen (Abb. 3). – Pollen: Das Pollenkorn keimt mit einem Pollenschlauch aus, der in den Nucellus eindringt. Die Befruchtung ist eine innere Zoidogamie – dazu werden begeißel-
te, mobile Gameten frei gesetzt (Abb. 4).
Beispiele Coniferophyta: Pinie (Pinus pinea), Ginkgobaum (Ginkgo biloba)
Cycadophyta: Palmfarn (Cycas revoluta) Anthophyta: Meerträubel (Ephedra equisetiformis), Saat-Weizen (Triticum aestivum), Wiesen-Hafer (Avena pratensis), Ölbaum (Olea europaea), Schwarzer Holunder (Sambucus nigra)
Abb. 2. Samenanlage der Zucker-Kiefer (Pinus lambertiana) mit Gametophyten und zwei Archegonien in einem Nucellus. Der Nucellus ist umgeben von einem Integument, das eine Mikropyle frei lässt, durch den die Pollenkornschläuche eindringen.
Abb. 3. Das Pollenkorn des Meerträubels (Ephedra trifurca) mit zwei vegetativen Kernen (Prothalliumzelle und Pollenschlauchzelle). Die beiden anderen Kerne dienen der Befruchtung: Die Antheridiumzelle teilt sich in eine Stielzelle und eine spermatogene Zelle, wobei aus letzterer die beiden Spermakerne hervorgehen.
221
13 Spermatophyta
Abb. 4. Schnitt durch eine Samenanlage des Palmfarns Dioon edule (Cycadophyten) im Moment der Befruchtung. Die Pollenkörner sind vor Schließung der Mikropyle eingedrungen. Der Pollenschlauch wächst zum Nucellus. Das Pollenkorn auf der rechten Seite hat seine beiden begeißelten Spermatozoide sowie die Flüssigkeit, in der diese schwimmen, frei gesetzt, um schließlich die Eizelle zu befruchten.
Artenzahl: 234 707 Ältestes bekanntes Fossil: Crossia, aus dem mittleren Devon (–380 Mio. Jahre), Elkinsia, aus dem oberen Devon (–370 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
222
Kapitel 6
Coniferophyta 14
Embryophyta
Coniferophyta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale Die Conipherophyten (mit Kiefer, Tanne, Fichte u. a.) sind nicht zu verwechseln mit der früheren Gruppe Gymnospermen. Letztere umfasst Pflanzen, deren Samen nicht in einem Fruchtknoten aus Karpellen eingeschlossen sind: Neben den Conipherophyten sind in diesem Kladon noch die Cycadophyta (Palmfarne, Beispiel Cycas) sowie die Gnetophyta (Beispiel Meerträubel Ephedra) vertreten. Heute bilden diese zweifellos zusammen mit den Angiospermen die Gruppe der Anthophyta. Die Gymnospermen würden somit eine paraphyletische Gruppe darstellen. – Die Blätter sind einfach gebaut, dick, unverzweigt und haben Nadel-, Stachel- bzw. Schuppengestalt (Mikrophylle) oder sind
fächerförmige Megaphylle (Abb. 1). – Die männlichen Blütenstände sind kätzchenförmig organisiert (Abb. 1). – Der Samen ist bilateralsymmetrisch. – Das Holz ist kompakt, besitzt aber nur ein schwach verholztes Parenchym. Es besteht ausschließlich aus Tracheiden mit auffälligen Hoftüpfeln. Markstrahlen sind nur in geringer Zahl vorhanden.
Beispiele Ginkgophyta: Ginkgobaum (Ginkgo biloba) Pinophyta: Pinie (Pinus pinea), Weiß-Tanne (Abies alba), Gewöhnliche Fichte (Picea abies)
Abb. 1. Zweig mit Nadelblättern der Berg-Kiefer (Pinus mugo)
223
14 Coniferophyta
Abb. 2. Schnitt durch das Frühholz der Wald-Kiefer (Pinus sylvestris)
Artenzahl: etwa 600 Ältestes bekanntes Fossil: Cordaites aus dem oberen Karbon (–310 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
224
Kapitel 6
Ginkgophyta 15
Embryophyta
Ginkgophyta Allgemeines Die Ginkgophyten (auch als Klasse Ginkgoopsida bezeichnet), die im Jura von großer Bedeutung waren, sind heute nur noch von einer Art repräsentiert, dem Ginkgobaum (Ginkgo biloba), einem dekorativen Baum, der bis 40 m hoch werden kann. Im Winter verliert er seine häufig zweifach gelappten, fächerförmigen Blätter, die eine divergente, dichotome Aderung aufweisen. Im Frühjahr sind die Blätter zart grün, im Herbst färben sie sich goldgelb. Ginkgo biloba ist zweihäusig (diözisch) – die beiden Geschlechter sind getrennt auf verschiedenen Individuen. Der Ginkgobaum ist ein botanisches Kuriosum: Obwohl er aussieht wie ein Laubgehölz, weist er im Hinblick auf die Fortpflanzung eine Vielzahl an Plesiomorphien auf.
Dazu zählt beispielsweise das Auftreten von Zooidiogamie sowie die Tatsache, dass die Samenanlage bereits vor der Befruchtung Reser-
vestoffe erwirbt. Die Befruchtung findet ausnahmsweise erst statt, nachdem sich die Samenanlage vom Sporophyten abgelöst hat.
Spezielle Merkmale – Blatt: Die Blattaderung des Ginkgo ist dichotom gabelig (Abb. 2). – Triebe: Die Langtriebe zeigen unbegrenztes Wachstum und trägen einzelne geschlitzte Blätter, die durch Internodien voneinander getrennt sind (Abb. 3b). Die Kurztriebe wachsen nur begrenzt und tragen die glattrandigen Blätter büschelig. – Zweihäusigkeit (Diözie): Der männliche Baum (Abb. 1a) produziert Kätzchen, die auf kurzen Verzweigungen (Kurztrieben) sitzen. Der weibliche Baum (Abb. 1b) entwickelt lang gestielte Samenanlagen, die von einem fleischigen
Abb. 1. Männliche (a) und weibliche Bäume (b) unterscheiden sich im Wuchsbild.
225
15 Ginkgophyta
Kapitel 6
Abb. 2. Fächerförmiges, gabelnerviges GinkgoBlatt
Samenmantel umgeben sind. Dieses Merkmal ist eventuell von den Spermatophyten abgeleitet, da es auch bei den Cycadophyten vorkommt.
Ökologie Ginkgo biloba ist ein Baum der gemäßigten Zonen und stammt aus
Abb. 3. Geschlitzte Blätter am Langtrieb (a), glattrandige am Kurztrieb (b)
Ostasien. Seine grünen Blätter färben sich im Herbst goldgelb, bevor sie abfallen. Da er Luftverschmutzungen sehr gut verkraftet, wird er häufig als Straßenbaum verwendet (beispielsweise in New York). Er ist der lebende Organismus, der die
Kernexplosion von Hiroshima (1945) am besten überstanden hat.
Beispiele Ginkgo biloba
Artenzahl: 1 Ältestes bekanntes Fossil: Die im Jura vorkommende Art Gingkoites lunzensis ist die älteste Spur von Pflanzen mit einer zweigelappten Beblätterung, wie sie für Ginkgophyten typisch ist. Sphenobaiera (Perm, –270 Mio. Jahre) wird manchmal den Ginkgoales zugerechnet. Heutiges Vorkommen: Die Art Ginkgo biloba ist ein Relikt aus den Bergen von Südwest-China. Die Wildform ist vermutlich ausgestorben. Ginkgo biloba wurde bereits von den buddhistischen Mönchen des 12. Jahrhunderts geschützt und an Tempeln angepflanzt. Im 18. Jahrhundert wurde dieser Baum in Europa eingeführt. Heute wird Ginkgo biloba in allen Ländern der gemäßigten Zonen kultiviert.
226
Embryophyta
Pinophyta 16
Pinophyta Allgemeines
227
16 Pinophyta Die Pinophyten repräsentieren die eigentlichen Nadelbäume (Koniferen). Diese Bäume – beispielsweise Kiefern, Tannen, Fichten, Lärchen, Eiben oder Wacholder – sind in unseren Regionen sehr häufig. Die meist nadelblättrigen Bäume können sehr groß werden: Der Küs-
Kapitel 6
ten-Mammutbaum Sequoia kann etwa 100 m, die Douglasie (Pseudotsuga) bis zu 110 m hoch werden. Die Pinophyten der südlichen Hemisphäre sind Bäume oder Sträucher von eher ausladendem Wuchs, deren Blätter ziemlich breit sein können. Die Samen
Ökologie
Beispiele
Die Pinophyten sind häufige Pflanzen der gemäßigten und feuchten Klimazonen. Man findet sie aber auch in kalten Regionen, wo sie oft die Baumbestände dominieren. Einige dieser Bäume können erstaunlich langlebig sein: So können die Grannen-Kiefer (Pinus longaeva) 5000, der kalifornische Riesenmammutbaum (Sequoiadendron giganteum) 4000 und die in Mexiko verbreitete Sumpfzypresse Taxodium mucronatum 2000 Jahre alt werden.
Wald-Kiefer (Pinus silvestris), Pinie (Pinus pinea), Weiß-Tanne (Abies alba), Atlas-Zeder (Cedrus atlan-
erhalten ihre Reservestoffe erst nach der Befruchtung, und der Embryo tritt vor der Keimung in eine Ruhephase ein (Abb. 2). Die Samen sind von (in der Regel verholzten) Zapfen geschützt.
tica), Europäische Lärche (Larix decidua), Gewöhnliche Fichte (Picea abies), Gewöhnlicher Wacholder (Juniperus communis), MittelmeerZypresse (Cupressus sempervirens)
Spezielle Merkmale – Der Pollen ist siphonogam – die männlichen Gameten werden über einen Pollenschlauch zur Eizelle geführt. Die Siphonogamie der Pinophyten ist wahrscheinlich nicht derjenigen der Anthophyten homolog. – Die Samenanlagen sitzen an der Oberseite verholzter Schuppen, deren Gesamtheit als weiblicher Zapfen bezeichnet wird, beispielsweise der Tannenzapfen (Abb. 2). – Entwicklung eines charakteristischen Proembryos (Abb. 4). – Das sekundäre Xylem (Holz) ist homoxyl: Es enthält ausschließlich Tracheiden.
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Abb. 1. Entwicklung des Pollenschlauchs bei Pinus laricio. Das Pollenkorn (a) besitzt eine Prothalliumzelle, eine Pollenschlauchzelle und eine Antheridiumzelle. Nach der Pollenkeimung in der Samenanlage (b) streckt sich der Pollenstrauch und nimmt den Kern der Pollenschlauchzelle mit. Die Antheridiumzelle teilt sich und lässt die spermatogene Zelle entstehen, die sich wiederum teilt und dadurch zwei Spermakerne liefert.
Pinophyta 16
Embryophyta
Abb. 2. Die weiblichen Blütenstände reifen zu Zapfen.
Abb. 3. Schnitt durch den Samen der Pinie (Pinus pinea).Der Embryo liegt im Endosperm. Eine feste,vom Integument abgeleitete Samenschale schützt den Samen,der zahlreiche Keimblätter (Kotyledonen) und eine Keimwurzel (Radicula) besitzt.
Abb. 4. Proembryo-Entwicklung bei Pinus banksiana). Primäre und supplementäre Suspensorzellen, die den Embryo im Nährgewebe verankern. Einzig die Terminalzelle jedes Proembryos lässt den endgültigen Embryo entstehen.
Artenzahl: etwa 600 Ältestes bekanntes Fossil: Walchia aus dem oberen Karbon (–310 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
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17 Cycadophyta
Kapitel 6
Cycadophyta Allgemeines Die Cycadophyten (auch Cycadeen oder Palmfarne genannt) sind Pflanzen mit zusammengesetzten, gefiederten Blättern von farn- bzw. palmartigem Wuchs, wenig verzweigt und mit einem dicken Stamm. Die Pflanzen sind diözisch (zweihäusig). Wie Ginkgo sind auch die Cycadophyta botanische Kuriositäten, denn im Hinblick auf ihre Reproduktion weisen sie viele Plesiomorphien aus. So kommt auch hier Zooidogamie vor, und die Samenanlage erhält ihre Reservestoffe vor der Befruchtung.
Spezielle Merkmale – Diözische (zweihäusige) Art: Es gibt männliche und weibliche Pflanzen (Konvergenz zum Ginkgobaum). Dieses Merkmal ist möglicherweise von den Spermatophyten abgeleitet, da man dieses u. a. auch bei den Ginkgophyten antrifft. – Die Samenanlagen sitzen in zwei Reihen auf besonderen Blättern (= Makrosporophyllen), die zusammen den weiblichen Zapfen bilden (Abb. 1). – Die Pflanzen besitzen spezifische biochemische Merkmale: Eine
dieser Besonderheiten ist die Synthese toxischer Glycoside (Cycasine), die vor Bakterien und Pilzen schützen.
Beispiele Cycas revoluta, Cycas media, Dioon edule
Ökologie Die Cycadophyten kommen in tropischen und subtropischen Gebieten Amerikas, Asiens, Australiens und Afrikas vor. Sie haben charakteristische Wurzeln – die so genannten koralloiden Wurzeln, die an Korallen erinnern. Sie beherbergen Cyanobakterien, die Stickstoff aus der Luft fixieren.
Artenzahl: 130 Ältestes bekanntes Fossil: Taeniopteris taiyuanensis aus dem Perm Chinas (–270 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit 230
Abb. 1. Makrosporophyll des Palmfarns Cycas revoluta mit Samenanlagen
Anthophyta 18
Embryophyta
Anthophyta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale Der Name des Taxons (griech. anthos = Blüte) signalisiert bereits, dass die Blüte (= Gesamtheit der an einer kurzen Achse versammelten Sporo-
Abb. 1. Männliche Blüte von Ephedra trifurca
phylle) kein Charakteristikum einzelner Angiospermen ist. Dennoch tragen die Homologien, die zwischen verschiedenen Blütenteilen der Gnetales und der Angiospermen bestehen,zur Diskussion bei.Sind die Bestandteile der mit Staubblättern (Stamina) ausgestatteten Blüte von Ephedra viridis (Abb. 1) homolog zu den Bestandteilen einer Angiospermenblüte? Sechs bedeutende Syn-
apomorphien scheinen die Gnetophyten und die Angiospermen unter das Kladon Anthophyta zu vereinen, obwohl jüngste Ergebnisse der molekularen Phylogenie mehr für eine Verwandtschaft zwischen Gnetound Pinophyten sprechen: – Siphonogamie: Die beiden Spermakerne werden über einen Pollenschlauch bis zur Eizelle geleitet, ohne dass dabei männliche,
Abb. 2. Männlicher Gametophyt von Ephedra trifurca im Laufe der Keimung. Man erkennt einen vegetativen Kern am unteren Ende des Pollenschlauchs, der außerdem zwei Spermakerne trägt.
231
18 Anthophyta
–
–
–
– –
begeißelte Gameten frei gesetzt werden. Wahrscheinlich ist diese Siphonogamie nicht mit der der Pinophyten homolog. Doppelte Befruchtung: Beide Spermakerne des männlichen Gametophyten, die durch den Pollenschlauch geleitet wurden, verschmelzen mit Kernen des weiblichen Gametophyten. Die zweite Verschmelzung erzeugt eine überzählige Zygote. Es ist jedoch nicht sicher, ob es sich hierbei um eine Homologie zwischen den Gnetophyten und den Angiospermen handelt. Apikalmeristem: Das embryonale Gewebe, das für das Längenwachstums zuständig ist, trägt eine Tunika (Abb. 3). Das Lignin reagiert positiv auf die Mäule-Reaktion: Nach der Einwirkung von Kaliumpermanganat und Ammoniak ist das Lignin intensiv rot gefärbt. Die Exine des Pollenkorns ist granulär. Das Xylem besitzt Tracheen. Sie entstehen aus Zellreihen, deren Querwände aufgelöst werden (Abb. 4). Im Gegensatz dazu sind die Tracheiden differenzierte Einzelzellen. Bei dem am weitesten entwickelten Zustand ist das Gefäßelement kurz und dick, mit zwei terminalen, horizontalen Scheidewänden, die von einer großen, einfachen Perforation durchbrochen sind sowie zahlreiche Tüpfel aufweist.
Kapitel 6
Abb. 3. Apikalmeristem der Anthophyten. Die Tunika besteht aus zwei Zellschichten, die sich entsprechend der Teilungsrichtung differenzieren. T1 und T2 bringen jeweils die Epidermis sowie die suberpidermalen Gewebe hervor. Das Korpus bringt noch weiter innen gelegene Gewebe hervor. Je nach Orientierung der Mitosen Aktivität kann man auch einen weiteren Zonierungstyp unterscheiden (gestrichelt dargestellt): Hierbei ist die axiale Zone weniger aktiv als die periphere Zone.
Abb. 4. Tracheen-Elemente bei den Angiospermen. Die einfachste Variante stellt ein langes, schmales Element dar,das mit einer terminalen,treppenförmigen und abgeschrägten Perforation ausgestattet ist. Am Ende stehen große Durchbrechungen und einfache Tüpfel.
Beispiele Gnetophyta: Meerträubel (Ephedra equisetiformis) Angiospermen: Saat-Weizen (Triticum aestivum), Mais (Zea mays), Ölbaum (Olea europea), Schwarzer Holunder (Sambucus nigra), DuftVeilchen (Viola odorata) 232
Artenzahl: 233 976 Ältestes bekanntes Fossil: Pollenkörner von Equisetosporites aus dem Perm Chinas (–270 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
Gnetophyta 19
Embryophyta
Gnetophyta Allgemeines Unter die Gnetophyta fasst man – möglicherweise willkürlich – drei Gattungen sehr unterschiedlicher Gestalt. Gnetum umfasst (mit Ausnahme von Gnetum gnemon,
einem kleinen Baum) Lianen. Ephedra ist ein kleiner Busch mit gegliederten Stängeln und reduzierten Blätter. Welwitschia mirabilis ist ein botanisches Kuriosum:
Die Pflanze besitzt zwei bandförmige Blätter, die kontinuierlich wachsen.
233
19 Gnetophyta
Kapitel 6
Spezielle Merkmale – Die Samenanlage ist von einer Hülle umgeben. Diese ist jedoch nicht vollständig geschlossen, sondern bildet eine auffallend lange Mikropyle (Abb. 1). Sie wird von zwei Integumenten umgeben. – Das Pollenkorn besitzt eine Exine mit ausgeprägten Längsfurchen, die bei Gnetum auch fehlen können.
Ökologie Die Gattung Gnetum findet sich in feuchten tropischen Wäldern. Die
Abb. 1. Längsschnitt einer Samenanlage von Ephedra trifurca
Gattung Ephedra umfasst xerophytische Pflanzen, die Trockenheit ertragen können; die Gattung kommt in Wüstenzonen und in semiariden Regionen vor, an Stränden oder auf Flussschotter. Das Ephedrin, ein Gefäß verengendes Mittel mit ähnlicher Wirkung wie Adrenalin, ist der Extrakt aus Ephedra equistina. Welwitschia mirabilis ist eine Wüstenpflanze Südwestafrikas (Namib).
Beispiele Ephedra equisetiformis, Gnetum gnemon, Welwitschia mirabilis
Artenzahl: 91 Ältestes bekanntes Fossil: Pollenkörner von Equisetosporites aus dem Perm Chinas (–270 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: Gnetum ist in den Tropen verbreitet. Ephedra begegnet man im mediterranen sowie im gemäßigt warmen Klima der nördlichen Hemisphäre. Welwitschia mirabilis kommt endemisch im Südwesten von Angola und Namibia vor.
234
Embryophyta
Angiospermae 20
Angiospermae Allgemeines
235
20 Angiospermae Die Angiospermen (Bedecktsamer, Magnoliopsida) sind die Blütenpflanzen im engeren Sinne. Man könnte sie auch als Fruchtpflanzen bezeichnen, denn sie tragen Früchte. Im Aussehen sind sie enorm unterschiedlich: Außer Bäumen kommen auch Kräuter, Kletter- oder Wasserpflanzen vor. Die weiblichen Reproduktionsorgane, die Fruchtblätter (Karpelle), sind modifizierte Blätter, die einen geschlossenen Fruchtknoten bilden. Darin liegen eine oder mehrere Samenanlagen. Nach der Be-
Spezielle Merkmale – Die Blüte ist komplex und typischerweise aus vier Serien von Bauteilen zusammengesetzt. Die sterilen Bauteile sitzen außen: Die Kelchblätter (Sepalen) bilden den Blütenkelch; die (häufig bunt gefärbten) Kronblätter (Petalen) bilden die Blütenkrone. Die fertilen Teile liegen innen: Die Staubblätter (Stamina) bilden das Androceum; die Fruchtblätter (Karpelle) das Gynoeceum (Abb. 1).
Kapitel 6
fruchtung und zur Reifezeit wird dieses Gebilde zur Frucht mit den Samen. In der Blüte bezeichnet man den Fruchtknoten auch als Stempel und seine bauchige Basis als Ovar. Nach oben verlängert er sich zu einem Griffel, der in der Narbe endet. Die männlichen Elemente sind die Staubblätter. Jedes Staubblatt ist aus einem stielförmigen, schlanken Staubfaden aufgebaut, der terminal die Anthere (Staubbeutel) trägt. Die Anthere besteht aus zwei miteinander verbundenen Hälften (Theken), die je
– Angiospermie (griech.: aggeion = Mantel; sperma = Samen): Die Samenanlage, die zum Samen wird, ist vollständig im Fruchtknoten (= Verwachsung einzelner oder mehrerer Fruchtblätter = Makrosporophylle) eingeschlossen, der später zur Frucht wird. – Das keimende Pollenkorn repräsentiert den männlichen Gametophyten. Er ist stark reduziert und hat drei Kerne, einen vegetativen Kern und zwei Spermakerne.
Abb. 1. Schnitt durch die Blüte des Sonnenröschens (Helianthemum corymbosum).
236
zwei miteinander verwachsene Pollensäcke enthalten. Darin wird der Pollen gebildet. Die Samen bleiben einige Zeit in der Frucht eingeschlossen. Nach der Anzahl der ersten embryonalen Blätter, der Kotyledonen (Keimblätter), teilte man die Angiospermen in die wahrscheinlich monophyletischen Monokotyledonen (Klasse Liliopsida) und die paraphyletischen Dikotyledonen (Klassen Magnoliopsida und Rosopsida) ein.
– Der weibliche Gametophyt ist ebenfalls extrem reduziert. Er bildet den Embryosack, der meist acht Kerne besitzt. – Die doppelte Befruchtung ist ein äußerst charakteristisches Merkmal. Während die erste Befruchtung die Zygote erzeugt, die sich zum Embryo entwickelt, führt die zweite Befruchtung zur Bildung von triploidem Endosperm gewebe, dem Nährgewebe des Embryos.
Abb. 2. Schnitt durch ein Pollenkorn der Gold-Lilie (Lilium auratum). Der generative Kern teilt sich und bringt die beiden Spermakerne hervor.
Angiospermae 20
Embryophyta – Das (primäre oder sekundäre) Xylem weist Tracheen (Gefäße) auf. – Das Holz ist, sofern vorhanden, komplex und mit Tracheen sowie Holzfasern ausgestattet. Holzfasern sind besonders dickwandig und haben Stützfunktion. – Phloem: Die Siebröhren des Phloems besitzen Geleitzellen), die den Stofftransport in den zellkernlosen Siebröhrengliedern unterstützen.
Abb. 3. Befruchtung bei Fritillaria biflora. Ein Spermakern vereinigt sich mit der Eizelle und erzeugt so die diploide Zygote. Der andere Spermakern vereinigt sich mit zwei Polkernen und erzeugt den Startkern des triploiden Endosperms.
Ökologie Die Angiospermen besiedeln sämtliche terrestrischen Lebensräume. Einige sind in das aquatische Milieu zurückgekehrt – ins Süß- oder ins Meerwasser. Die Angiospermen sind von lebenswichtiger wirtschaftlicher Bedeutung: Praktisch alle Kulturpflanzen zählen zu den Angiospermen.
Artenzahl: 233 885 Ältestes bekanntes Fossil: Pollenkörner von Clavatipollenites und Ficophyllum, untere Kreidezeit (–135 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
Beispiele Mais (Zea mays), Saat-Weizen (Triticum aestivum), Schwarzer Holunder (Sambucus nigra), Ölbaum (Olea europaea), Wildapfelbaum (Malus sylvestris), Kork-Eiche (Quercus suber)
237
7 Metazoa 1
Metazoa 240
KAPITEL 7 6
Eumetazoa 249
7
Cnidaria 251
11
Siehe Kapitel 4, Seite 122 2
Placozoa 241
12 8
3
Demospongiae 243
Hexactinellida (Glasschwämme) 246 Beispielart: Euplectella aspergillum Größe: 50 cm
5
Calcarea (Kalkschwämme) 248 Beispielart: Sycon elegans Größe: 5 cm
238
Ctenophora 254 Beispielart: Seestachelbeere Pleurobrachia pileus Größe: 2 cm
Beispielart: Phakellia flabellata Größe: 13 cm 4
Beispielart: Capillaria obsignata Größe: 30 cm Siehe Kapitel 8, Seite 266
Beispielart: Pelagia noctiluca Größe: 10 cm (Durchmesser)
Beispielart: Trichoplax adhaerens Größe: 2 mm
9
Myxozoa 256 Beispielart: Myxobolus pfeifferi Größe: 12 µm
10
Bilateria 257
Protostomia 259
Mesozoa 262 Beispielart: Dicyema truncatum Größe: 400 µm
13
Deuterostomia 264 Beispielart: Prionocidaris baculosa Größe: ca. 10 cm (Durchmesser) siehe Kapitel 11, Seite 404
Metazoa
Kapitel 7
239
1 Metazoa
Kapitel 7
Metazoa Die übliche Klassifizierung der Metazoen, die auf dem Prinzip der zunehmenden Komplextität beruht, wird seit einigen Jahrzehnten sowohl aufgrund der molekularen Phylogenien als auch der systematischen Verwendung neuer anatomischer und embryologischer Merkmale mehr und mehr aufgegeben. Diese präkladistische Klassifizierung war dichotom und basierte auf dem Konzept des Vorhandenseins bzw. des Fehlens bestimmter Merkmale. Das Problem dabei war, dass das Fehlen eines Merkmals immer als ursprünglich angesehen wurde. So wurde beispielsweise ein Acoelomat als Abkömmling eines triploblastischen Vorfahren angesehen, der vor dem Auftreten des Coeloms gelebt hat. Heute werden vor der phylogenetischen Rekonstruktion alle möglichen Hypothesen in Betracht gezogen. So wird man, ohne sich auf die Seite einer bestimmten Schule zu schlagen, darüber nachdenken, ob ein Organismus, der kein Coelom besitzt, eventuell der Abkömmling eines Vorfahren sein kann, der niemals ein Coelom besessen hat, oder ob er gar von einem Coelomaten abstammt, der sein Coelom sekundär verloren hat. An dieser Stelle seien einige wichtige Punkte genannt, die die herkömmliche Klassifizierung in Frage stellen:
240
– Die Schwämme scheinen paraphyletisch zu sein. – Die Eumetazoen sind durch das Vorhandensein von Muskel- und Nervenzellen und zweifellos durch das Vorhandensein echter Keimblätter charakterisiert. – Alle Triploblasten scheinen Coelomaten zu sein – die Baupläne der Acoelomaten und der Pseudocoelomaten sind nicht mehr aktuell. Plathelminthen, Nemerta, Nematoden, Nematomorphen, Entoprocten, Rotiferen, Gastrotricha und Kinorhyncha werden bei den Protostomia eingeordnet. – Die Protostomia sind in zwei große Gruppen aufgeteilt, nämlich die Lochotrophozoen und die Ecdysozoen – insofern man die Gastrotricha außer Acht lässt. In diesem Kontext entfernen sich die Anneliden und die Arthropoden im Stammbaum voneinander – was wiederum die Hypothese widerlegt, dass die Arthropoden von den Anneliden abstammen. Trotz dieses Fortschritts bleiben bis jetzt zahlreiche Fragen unbeantwortet, beispielsweise: – Ist das Coelom nur ein einziges Mal oder mehrfach augetaucht? Wir haben hier angenommen, dass die Coelome der Protostomia und der Deuterostomia homolog
sind – doch ist dies noch Gegenstand von Diskussionen. – Sind die Protostomia wirklich monophyletisch? Man kann heute daran zweifeln. – Sind die Metameren der Protound der Deuterostomia homolog? Oder sind die Metameren mehrfach unabhängig voneinander entstanden? Diese Frage geht über die Intention dieses Buches hinaus, da sie eine lange Diskussion über den Ursprung der Entwicklungsgene voraussetzt. Einige Gruppen schließlich scheinen ihren Platz im Stammbaum nicht eben leicht zu finden. Fragezeichen im Stammbaum unterstreichen diese Schwierigkeiten. Dies ist speziell bei den Placozoen, den Myxozoen, den Mesozoen und, im Stammbaum der Protostomia, bei den Chaetognathen der Fall. An dieser Stelle möchten wir betonen, dass es innerhalb der Zoologen Unstimmigkeiten gibt. So haben wir in diesem Buch Partei bezogen – und an entsprechender Stelle darauf hingewiesen – beispielsweise bei der Stellung der Ctenophoren, der Gastrotrichen oder der Entoprocten im Stammbaum der Protostomia.
Placozoa 2
Metazoa
Placozoa Allgemeines Das Taxon Placozoa enthält nur die eine Spezies Trichoplax adhaerens. Diese Art wurde im Jahr 1883 in einem Meereswasser-Aquarium in Österreich entdeckt. Es handelt sich hierbei um einen mikroskopisch kleinen, weichen, scheibenförmigen Organismus, der allerdings aus mehreren Millionen Zellen aufgebaut ist. Wie die Schwämme besitzt auch er keine Basallamina. Der Körper besteht aus einer dorsalen und einer ventralen Schicht begeißelter Zellen. Diese beiden Schichten sind so unterschiedlich, dass man eine dorsoventrale Polarität erkennen könnte. Die beiden Schichten umschließen eine Öffnung, die Flüssigkeit und ein lockeres Mesenchym enthält. Es gibt keine Organe und keine differenzierten Gewebe. Einige Autoren haben vorgeschlagen, die obere und die untere
Schicht dieses Tieres als Homologien zu Ecto- und Entoderm zu betrachten. Die ursprünglichen Merkmale von Trichoplax adhaerens sind schwierig zu interpretieren. Dennoch könnte es sich bei einigen dieser Merkmale – beispielsweise dem Fehlen einer Verdauungshöhle – um sekundäre Verluste handeln. Einige Autoren sehen in diesem Tier eine Urform, ein echtes Relikt aus Urzeiten. Für
andere ist diese Art dagegen ein Schwamm, vielleicht sogar ein vereinfachter Vertreter der Cnidaria. Unglücklicherweise ist die Stellung dieses Tieres in den molekularen, auf der 18S-rRNA basierenden Phylogenien nicht gesichert. Dennoch decken die Phylogenien Merkmale auf, die Trichoplax adhaerens als einen Vertreter der Eumetazoen definieren.
Spezifische Merkmale – Zwei Zellschichten begrenzen einen Raum, der Mesenchymzellen enthält, die in eine extrazelluläre Matrix eingebettet sind. – Die äußere Verdauung erfolgt in einer nur vorübergehend bestehenden Verdauungskammer, die sich aus der unteren Schicht bildet (Abb. 2). Dies hat dazu beigetragen, diese Schicht als Homologie zum Entoderm anzusehen.
Abb. 1. Schnitt durch Trichoplax adhaerens
241
2 Placozoa
Kapitel 7
Ökologie Trichoplax ist ein mariner Organismus. Das Tier kann sich mit Cilien oder durch amöboide Verformung des Körpers fortbewegen. Es ernährt sich von organischen Resten, die außerhalb des Körpers verdaut und dann resorbiert werden. Drüsenzellen sondern Enzyme in den Verdauungsraum zwischen der Ventralseite des Tieres und dem Substrat ab. Die Vermehrung erfolgt über eine Zweiteilung. Geschlechtliche Fortpflanzung wurde beobachtet.
Abb. 2. Verdauungskammer von Trichoplax adhaerens
Artenzahl: 1
Beispiele Trichoplax adhaerens
242
Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: wahrscheinlich weltweit
Demospongiae 3
Metazoa
Demospongiae Allgemeines Die Demispongiae umfassen die große Mehrheit des Phylums Schwämme (Porifera) – ein Taxon, das wahrscheinlich paraphyletisch ist und von einigen Autoren erst vor kurzem in drei verschiedene
Phyla aufgespalten worden ist. Die Demospongiae zeigen niemals die einfachen Ascon- und SyconStrukturen, wie sie bei den Kalkschwämmen (Calcarea) auftreten: Alle Demospongia sind vom Leu-
con-Typ. Diese Organismen besitzen große Spicula (Megaskleren), die für den Aufbau des Organismus unverzichtbar sind, sowie kleine Spicula (Mikroskleren), die ins Parenchym eingebettet sind.
243
3 Demospongiae
Abb. 1. Schwammspicula mit 1-4 Spitzen
Ökologie Die Demospongien kommen in allen aquatischen Lebensräumen vor – im Süß- und im Meerwasser, in Polarmeeren, in tropischen Meeren, von der Gezeitenzone bis hin zu den Tiefseeböden (8600 m). Wie auch die anderen Schwämme versorgen sie sich mit Nährstoffen und Sauerstoff, indem sie durch ihre inneren Kammern eine Wasserströmung erzeugen.
Kapitel 7 Diese entsteht durch den Geißelschlag der Choanozyten. Ihre Nahrung setzt sich aus Plankton, insbesondere Dinoflagellaten und Bakterien, sowie aus organischen Abfallpartikeln zusammen. Die Nahrungspartikeln werden durch die Choanocyten eingefangen. Die Verdauung erfolgt intrazellulär. Abfallprodukte der Verdauung werden durch Austrittsporen ausgeschieden.Einige Fleisch fressende Schwämme, beispielsweise Cladorhiza, haben ihr Wasserleitungssystem verloren. Bei ihnen diffundiert der Sauerstoff ins Gewebe. Die Demospongiae sind häufig zwittrig. Die Spermien werden durch eine Austrittspore in die Umgebung abgegeben und schwimmen im Wasser. Einigen gelingt es, mit dem Wasserstrom über eine Eintrittspore in einen anderen Schwamm einzudringen. Die Befruchtung findet im Empfänger-Schwamm statt. Einige Demospongiae sind ovipar, andere brüten die Embryonen aus. Bevor sich die Larve an einen Untergrund anhaftet, lebt sie planktonisch. Die Demospongiae enthalten Symbionten und Kommensalen in
Abb. 2. Strukturtypen von Schwämmen: Ascon-Typ (a), Sycon-Typ (b), Leucon-Typ (c)
244
großer Zahl. So enthielt beispielsweise in Florida ein einziges Exemplar von Speciospongia vesparia 16000 Garnelen. Im Golf von Kalifornien trug ein Exemplar von Geodia mesotriaena etwa 100 verschiedene Algen- und Tierarten – ohne die Bakterien mitzurechnen. Die Pharmakologen interessieren sich zunehmend für spezielle Stoffe, die die Demospongiae ausscheiden – von den verschiedensten Giften bis hin zu Wachstumsfaktoren.
Spezielle Merkmale – Das Skelett besteht aus zwei Komponenten: aus Kiesel-Spicula, die eine (monactin) bis vier (tetractin) Spitzen aufweisen können (Abb. 1) und aus Spongin, einer speziellen Kollagen-Form, das entweder im Parenchym verstreut oder aber in langen Fasern angeordnet ist. – Es treten nie die einfachen Asconund Sycon-Strukturen auf. Man findet ausschließlich Strukturen vom Leucon-Typ (Abb. 2).
Demospongiae 3
Metazoa
Beispiele Axinella balfourensis, Cladorhiza abyssicola, Esperiopsis challengeri, Homeodictya grandis, Phakellia flabellata, Badeschwamm (Spongia officinalis), Süßwasserschwamm (Spongilla fluviatilis)
Artenzahl: etwa 8000 Ältestes bekanntes Fossil: Hazella datiert in das mittlere Kambrium (–520 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
245
4 Hexactinellida
Kapitel 7
Hexactinellida Allgemeines
Die Hexactinelliden oder Glasschwämme sind generell marin verbreitet. Sie sind in großen Tiefen häufig und besitzen ein Kieselsäureskelett mit Megaskleren (große Nadeln bzw. Spicula) sowie Mikroskleren (kleine Spicula). Die Spicula können eine sechstrahlige (hexactine) Struktur aufweisen. Zwar existieren zahlreiche reduzierte Formen, doch sieht man die
Ökologie Die Löslichkeit von Siliciumdioxid nimmt mit sinkender Temperatur ab und als Konsequenz davon mit zunehmender Tiefe. Dies könnte erklären, dass man die Hexactinellidae in großer Zahl in größerer Mee246
Hexactinelliden als die plesiomorphe Form dieser Organismenlinie an. Sehr häufig sind die Megaskleren so angeordnet, dass sie ein komplexes silikatisches Netz bilden, das keine Proteinmatrix enthält. Das Gewebe der Hexactinelliden ist teilweise syncytial mit netzartig angeordneten Choanozyten.
restiefe, ab etwa 200 m oder sogar noch tiefer sowie in den kalten Polarmeeren findet. So wurden ausführliche Studien in der Antarktis durchgeführt, wo die Hexactinellidae im Bereich von 30–60 m Tiefe die am häufigsten vorkommenden Organismen darstellen. Einige waren meh-
rere hundert Jahre alt. Forscher der marinen Forschungsstation von Endoume fanden Hexactinellidae auch in einer unterseeischen Grotte in der Nähe von La Ciotat. Sie konnten zeigen, dass bei dem Embryo von Oopsacas minuta eine durch Delamination bedingte Gastrulation statt-
Hexactinellida 4
Metazoa findet – ein Einzelfall bei den Schwämmen. Bei Euplectella tritt ein berühmter Fall von Kommensalismus auf: Ein Garnelen-Paar dringt in den Schwamm ein, so lange es noch klein ist. Sind die beiden Untermieter ausgewachsen, sind sie im Schwamm gefangen und verbleiben dort für den Rest ihres Lebens. Dieser Schwamm mit seinen zwei Gästen ist in Japan ein traditionelles Hochzeitsgeschenk.
Spezielle Merkmale – Nadeln (Spicula): Die Hexactinellidae besitzen Spicula (= Hexactinen) mit drei Hauptachsen, die somit sechsstrahlig sind (Abb. 1). – Die Hexactinen lagern sich zu einer komplexen und harmonischen Konstruktion zusammen (Abb. 2). – Die Hexactinellidae besitzen kein Pinakoderm (Epidermis = Ectoderm). Sie haben keine fortgesetzte äußere Zellschicht, die bei den anderen Schwämmen durch die Pinakozyten gebildet wird (Abb. 2). – Die Hexactinellidae haben kein Choanoderm (Entoderm = Gas-
troderm), eine Zellschicht, die bei den anderen Schwämmen durch die Choanozyten gebildet wird. Die Hexactinellidae besitzen jedoch ein Choanosyncytium, aus dem Strukturen austreten, die kernlosen Choanocyten ähneln.
Beispiele Aphrocallistes vastus, Asconema setubalense, Euplectella aspergillum, Hyalonema schmidtii, Staurocalyptus solidus
Artenzahl: etwa 1000 Ältestes bekanntes Fossil: Der erste eindeutig erkennbare Hexactinellide ist Protospongia. Dieser Organismus ist in den berühmten BurgessSchiefern (Kanada) im unteren Kambrium (–540 Mio. Jahre) gefunden worden. Heutiges Vorkommen: weltweit
Abb. 2. Schnitt durch Euplectella sp.
Abb. 1. Hexactine (6-strahliges Spiculum) von Calycosoma validum
Abb. 3. Choanosyncytium von Aphrocallistes vastus
247
5 Calcarea
Kapitel 7
Calcarea Allgemeines Die Kalkschwämme – auch Calcarea oder Calcispongia genannt – kommen ausschließlich in den Meeren vor. Sie besitzen ein Kalkskelett, das am häufigsten aus Calcit (CaCO3) besteht. Es ist aus Nadeln (Spicula) aufgebaut und enthält manchmal noch eine wei-
Ökologie Die Löslichkeit von Calciumcarbonat steigt mit zunehmender Tiefe. Die Bildung eines Kalkskeletts wird daher mit zunehmender Entfernung vom Oberflächenwasser immer schwieriger. Das ist wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, dass Kalkschwämme vorwiegend in Flachwasserbereichen bis höchstens 100 m Wassertiefe auftreten, und dennoch findet man einige Arten auch in der Tiefsee. Im Unterschied zu den Demospongiae und den Hexactinellidae benötigen die Kalkschwämme ein festes Substrat, um sich dort anzuheften und zu entwickeln. Bei Sycon hat man eine Gastrulation beobachtet. Die Larve 248
tere Masse. In dieser Reihe findet man alle Konstruktionstypen dieser Organismen – von der einfachsten Form, dem Ascon-, über den Sycon- bis hin zum komplexen Leucon-Typ. Man nimmt an, dass der Leucon-Typ in diesen Reihen während der Evolution mehrmals
heftet sich mit einem blastoporalen Fortsatz an das Substrat und bildet sich zu einem kleinen Schwamm von asconoider Struktur um. Später entwickelt sich dieser zum Sycon-Typ.
Spezielle Merkmale
unabhängig voneinander entstanden ist. Die molekularen, auf der 18S-rRNA basierenden Phylogenien schlagen die Kalkschwämme als Schwestergruppe der Eumetazoen vor. Diese These ist jedoch nicht gesichert.
– Die Nadeln sind nicht in Megaund Mikroskleren gegliedert.
Beispiele Grantia compressa, Leucandra aspera, Leucosolenia complicata, Sycon elegans
– Das Skelett besteht aus Kalknadeln.
Artenzahl: etwa 1000 Ältestes bekanntes Fossil: Chancellaria sp. ist aus dem unteren Kambrium (–540 Mio. Jahre) beschrieben worden. Heutiges Vorkommen: weltweit
Eumetazoa 6
Metazoa
Eumetazoa Allgemeines
Spezielle Merkmale – Die extrazelluläre Matrix enthält im Epithel Kollagen vom Typ IV. Die extrazelluläre Matrix ist in Form einer Basalmembran organisiert und die Grundlage echten Gewebes (Abb. 1). – Lückenhafte Verbindungen (gapVerbindungen), die mit Hilfe von Konnexin entstehen, erlauben den Durchtritt kleiner Moleküle von Zelle zu Zelle.
– Verdauung: Der Organismus ist mit einer differenzierten Verdauungshöhle ausgestattet. Die Verdauungsprodukte werden an sämtliche Zellen verteilt. Der Mund ist die Eintrittspforte dieses Verdauungsapparats. In allen anderen Gruppen findet die Verdauung entweder außerhalb des Körpers (Placozoen) oder intrazellulär (Schwämme) statt. – Bei der Gastrulation entstehen die Keimblätter Ectoderm und
Abb. 1. Schnitt durch die Haut eines Schweins
Entoderm, deren weitere Entwicklung im Embryo genau festgelegt ist. – Das Entoderm besteht aus sezernierenden Zellen. Sie produzieren Verdauungsenzyme, die im extrazellulären Milieu aktiv sind (Exoenzyme). – Die Zellen differenzieren sich in Muskel-, Nerven- und Sinneszellen. – Nervensystem: das Vorhandensein chemischer Synapsen erlaubt
Abb. 2. Nervennetz von Hydra sp.
249
6 Eumetazoa den Aufbau eines Nervensystems (Abb. 2). – Es gibt keine Choanocyten.
Beispiele
Kapitel 7 Artenzahl: 1 201 611 Ältestes bekanntes Fossil: Aus dem Präkambrium (–700 Mio. Jahre) gibt es Versteinerungen von Eumetazoen-Grabgängen. Organismen, bei denen es sich ohne Zweifel um Eumetazoen handelt, finden sich in der Ediacara-Fauna (–680 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
Cnidaria: Grüner Süßwasserpolyp (Hydra viridis) Ctenophora: Melonenqualle (Beroe cucumis) Bilateria: Bachplanarie (Planaria maculata), Schweinespulwurm (Ascaris lumbricoides), Gefleckte Weinbergschnecke (Helix aspersa), Gewöhnlicher Kalmar (Loligo vulgaris), Regenwurm (Lumbricus terrestris), Hausspinne (Tegenaria domestica), Schleie (Tinca tinca)
250
Cnidaria 7
Metazoa
Cnidaria Allgemeines Zu den Cnidaria (Nesseltieren) gehören die Hydren, die Seeanemonen, die Korallen und die Medusen. Sie alle sind charakterisiert durch stark spezialiserte Nesselzellen, der Cnidocyten. Diese radiärsymmetrischen Tiere sind grundsätzlich aus zwei Keimblättern aufgebaut: Man bezeichnet sie daher auch als diploblastisch. Zwischen diesen beiden Keimblättern befindet sich ein gallertige, weiche,
gelatineartige Masse, die Mesogloea. Die Verdauungshöhle ist gut ausgebildet und besitzt nur eine Öffnung. Diese führt über einen Mund nach außen, der von Tentakeln umgeben ist. Die Cnidaria besitzen weder ein Kreislaufsystem noch einen Exkretionsapparat. Die Nervenzellen bilden ein Netz ohne Zentralnervensystem. Dieser Tierstamm tritt in zwei Erscheinungsformen auf, den Polypen und den
Medusen. Der Polyp ist eine hohle Röhre, die am Fußende geschlossen und an ihrer Oberseite (Mundseite) geöffnet ist. Der Körper ist von außen nach innen aus dem Ectoderm, der Mesogloea und dem Entoderm aufgebaut. Mit seinem Fuß ist der Polyp an ein Substrat fixiert. Die Meduse lebt frei schwimmend. Sie hat eher die Form einer Scheibe, die durch Abflachung und Ausweitung der
251
7 Cnidaria vorangegangenen Röhrenform entsteht. Die Mesogloea-Schicht verdickt sich stark und die Achse kehrt sich um: Der Mund, immer von Tentakeln umgeben, wandert auf die ventrale Seite. Typischerweise gibt es im Leben der Cnidaria eine festsitzende Phase (Polyp) und eine frei schwimmende Phase (Meduse, Qualle) – abhängig von der Ausbreitung dieser Art. Die Meduse trägt die Gonaden und produziert die Gameten. Der Polyp vermehrt sich meist durch Knospung, also asexuell. Doch finden sich bei verschiedenen Cnidaria-Gruppen auch Arten mit gemischtem Zyklus. Andere, beispielsweise die Seeane-
Ökologie Die sesshaften Formen kommen an den Küsten vor – in tropischen Meeren bilden sie Korallenriffe. Nur wenige Arten leben im Süßwasser. Die Cnidaria sind Räuber: Ihre Beute sind planktonische Organismen, kleine Invertebraten und manchmal auch kleine Fische. Die Tentakel der Polypen und der Medusen sind mit Cnidocyten ausgerüstet – Zellen mit kleinen, eventuell stark nesselnden Harpunen, die in das Beutetier eindringen und dort ihr lähmendes Gift frei setzen. Die Tentakel befördern die Beute zum zentral gelegenen Mund. Der Generationswechsel durchläuft in der Regel zwei Phasen, eine festsitzende und eine frei schwimmende. Der Polyp produziert durch Knospung Medusen. Bei einigen Arten können jedoch durch eine besondere Zerlegung (Strobilation) weitere Polypen entstehen, oder es können weitere asexuelle Planulalarven produziert werden, die dann noch mehr Polypen ergeben. Alle 252
Kapitel 7
monen, sind ihr ganzes Leben an ein Substrat fixiert, und wieder andere führen ein gänzlich frei schwimmendes Leben, ohne Polypenstadium. Bei den verschiedenen Cnidariern können somt alle Abstufungen zwischen der Polypen- und der Medusenphase auftreten. Die Hydrozoa sind Hydren, die meist Kolonien bilden. Sie haben eine relativ gut entwickelte, frei schwimmende Phase. Die Meduse ist klein, transparent und lebt planktonisch. Die Mesogloea enthält keine Zellen. Die Cnidocyten sitzen ausschließlich in der Epidermis, ebenso die Gonaden. Die Scyphozoa leben pelagisch; die
Medusen leben frei schwimmend und tragen die Gonaden, ob sie nun von einem Polypen oder einer Planula-Larve stammen. Sobald die Game-
Abb. 1. Nematocyste vor und nach der Entleerung
Medusenphase dominiert oder kommt zum Teil sogar ausschließlich vor. Die Medusen sind groß und die Mesogloea enthält Zellen. Auch das Entoderm trägt Cnidocyten. Die Gonaden sitzen im Entoderm. Die Anthozoa umfassen die Seeanemonen und die Korallen. Sie bilden überwiegend Kolonien und haben keine frei schwimmende Phase. Der Magenhohlraum ist mit einem Pharynx ausgestattet und teilweise durch Septen in mehrere Kammern unterteilt. Die Korallen bestehen aus Kolonien mit zahlreichen Polypen, die ein kalkhaltiges Exoskelett abscheiden.
ten reif sind, werden sie ins Meerwasser abgegeben. Dort findet die Befruchtung statt. Die begeißelte, schwimmende Planula-Larve lebt
Cnidaria 7
Metazoa zunächst einige Zeit planktonisch und heftet sich dann an ein Substrat. Dort verwandelt sie sich in einen winzigen Polypen. Bei den verschiedenen Arten kann die Polypen- oder die Medusenphase hinsichtlich ihrer Größe und ihrer Lebensdauer sehr reduziert sein oder sogar ganz verschwinden. Einige Arten sind getrenntgeschlechtlich, andere sind zwittrig. Die Kolonien bildende Lebensweise ist mehrfach unabhängig voneinander aufgetreten. Einige Kolonien bildende Cnidaria zeigen sogar besonders spezialisisierte Polypen: Sie arbeiten so zusammen, als würde es sich um ein Organ handeln.
Spezielle Merkmale – Cnidocyten (Nesselzellen): Diese Zellen dienen dem Angriff und der Verteidigung. Jede Nesselzelle enthält einen Vesikel, die Nematocyste (Cnide, Nesselkapsel). Diese wiederum enthält eine winzige Harpune, die ausgeschleudert werden kann und mit einer lähmenden Giftquelle verbunden ist (Abb. 1). – Die Muskulatur hat einen zweifachen (= ecto- und entodermalen) Ursprung und enthält Myoepithelzellen.
Abb. 2. Längsschnitt durch die 300 µm messende Planula-Larve von Gonothyraea sp.
– Reproduktionszyklus: Außer bei den Anthozoen gibt es einen Wechsel zwischen einer Polypenund einer Medusenphase. Davon gibt es jedoch vielerlei Abwandlungen. – Typisch ist die Planula-Larve: Deren Epidermis ist begeißelt (Abb. 2).
Beispiele Hydrozoa: Grüner Süßwasserpolyp (Hydra viridis), Stachelpolyp (Hy-
dractinia equinata), Obelia geniculata, Portugiesische Galeere (Physalia physalis) Scyphozoa: Ohrenqualle (Aurelia aurita), Leuchtqualle (Pelagia noctiluca) Anthozoa: Adamsia palliata, Schwefelanemone (Anemonia viridis), Antipathes subpinnata, Pferdeaktinie (Actinia equina), Balanophyllia regia, Rote Edelkoralle (Corallium rubrum), Dickhornrose (Urticina felina) Cubozoa: Chiroplasmus quadrigatus, Seewespe (Chironex fleckeri)
Artenzahl: etwa 9000 Ältestes bekanntes Fossil: Staatsquallen (Siphonophora) kommen bereits in der Ediacara-Fauna (Ediacarium, –680 Mio. Jahre) vor. Heutiges Vorkommen: weltweit
253
8 Ctenophora
Kapitel 7
Ctenophora Allgemeines Die Ctenophora (= Rippenquallen) bilden eine spezielle Gruppe planktonischer Tiere: Sie sind transparent und ähneln sehr den Medusen, denen man zwischen der Meeresoberfläche und Tiefen bis etwa 3000 m begegnet. Einige sind sekundär zu einer benthischen Lebensform übergegangen. Allen Ctenophora gemeinsam ist ein kugeliger, transparenter Körper mit Radiärsymmetrie, ein ventral gelegener Mund sowie eine umfangreiche bindegewebige Mittelschicht (Mesogloea). Es gibt im Lebenszyklus keine Anhaftungsphase, und die Arten bilden nie-
254
mals Kolonien. Typisch für diese Organismen sind lange Reihen von Wimpernplättchen (in der Regel 8), die der Fortbewegung dienen und an Kämme erinnern (griech. ctenos = Kamm). Ihre große Ähnlichkeit mit den Medusen resultiert wahrscheinlich aus einer Konvergenz, denn viele wichtige Merkmalen entfernen diese Organismen im Stammbaum voneinander. Die phylogenetische Stellung der Rippenquallen ist sehr unklar. Einerseits ordnen die molekularen, auf der 18S-rRNAbasierenden Phylogenien diese Organismen als Schwestergruppe
der Cnidaria ein – und lassen auf diese Weise wieder die alte Gruppe der Coelenterata erstehen. Andererseits platzieren sie sie an der Basis der Eumetazoen. Besonders im Hinblick auf die Bedeutung des zellulären Mesenchyms, das echte Muskelzellen hervorbringt, gehen einige Zoologen sogar so weit, diese Organismen als Triploblasten anzusehen, die mit den Plathelminthen, ja sogar mit den Deuterostomia nahe verwandt sind. Die Denkmöglichkeit, die wir hier vertreten, kann also in Frage gestellt werden.
Ctenophora 8
Metazoa
Abb. 1. Die beiden Symmetrieebenen der CtenophorenOrdnung Cydippida mit 1 = Sagittalebene und 2 = Transversalebene Abb. 2. Cydippia-Lavre der Ctenophoren
Ökologie Die Ctenophora sind hauptsächlich planktonisch lebende Tiere. Da sie sehr zerbrechlich sind, lassen sie sich nur schwer sammeln. Selten kann man sie bei der Schleppnetzfischerei in gutem Zustand ernten. Dennoch können diese Organismen in einigen Teilen der Erde die Mehrheit der planktonischen Biomasse bilden. Die Ctenophora sind Carnivoren, die sich vor allem von Zooplankton ernähren. Nachdem Haeckelia sp. eine Meduse verspeist hat, behält sie die Cnidocyten ihrer Beute und baut diese als Kleptocniden in ihre eigene Epidermis ein.
nerseits die Rippen und andererseits die Tentakel berücksichtigt (Abb. 1). – Kolloblasten (Klebzellen): Die Tiere tragen spezifische Haftzellen, die Kolloblasten. Sie sitzen häufig auf den Tentakeln. – Kämme (Rippen): Die Ctenophora tragen grundsätzlich acht Reihen von Kämmen (Rippen), die durch ein spezifisches, apikal gelegenes Sinnesorgan kontrolliert werden.
– Die Cydippida-Larve ist für dieses Taxon charakteristisch (Abb. 2).
Beispiele Melonenqualle (Beroe cucumis), Venusgürtel (Cestum veneris), Haeckelia rubra, Seestachelbeere (Pleurobrachia pileus)
Artenzahl: etwa 100
Spezielle Merkmale
Ältestes bekanntes Fossil: Ein Fossil, das den Cydippida ähnelt, stammt aus dem Devon (–380 Mio. Jahre).
– Die Organismen haben eine biradiäre Symmetrie, wenn man ei-
Heutiges Vorkommen: weltweit
255
9 Myxozoa
Kapitel 7
Myxozoa Allgemeines Die Myxozoa sind einfach organisierte Organismen. Sie sind Parasiten von Anneliden und wechselwarmen Wirbeltieren. Ihre phylogenetische Stellung bleibt sehr unsicher. Sie wurden lange Zeit als ein von den Eukaryoten getrenntes Phylum angesehen, bis vor relativ kurzer Zeit die auf der Nucleotidsequenz der 18S-rRNA basierenden molekularen Phylogenien zeigten, dass es sich bei die-
sen Tieren um Metazoen handelt, sehr wahrscheinlich sogar um Eumetazoen. Die Einfachheit dieser Organismen ist daher als sekundär anzusehen, offenbar als Folge der parasitischen Lebensweise. Die Zellen besitzen Polfäden und erinnern an die Cnidocyten der Cnidaria. Dies hat zu der Hypothese geführt, dass es sich bei den Myxozoen um parasitäre Cnidaria handeln könnte.
Ökologie Die Myxozoa sind Parasiten, deren Sporen vom Wirt aufgenommen werden. Im Wirt stülpen sich die Polfäden aus. Sie dienen dazu, die Passage der Sporen durch den Verdauungstrakt des Wirts zu verlangsamen. Die Sporenwand öffnet sich und entlässt den Parasiten. Mit amöboiden Bewegungen durchquert er die Darmschleimhaut seines Wirtes und wandert zu seinem Zielort. Einige myxozoische Parasiten der Wirbeltiere zeigen einen komplexen Lebenszyklus, der die Passage durch einen Protostomier umfasst.
Abb. 1. Schematischer Schnitt durch eine Spore mit zwei Terminalzellen, die jeweils einen Polfaden tragen.
– Das Gen der 18S-rRNA weist abgeleitete Merkmale auf. – Das Fehlen der Keimblätter könnte das Resultat eines sekundären Verlustes aufgrund der parasitären Lebensweise sein.
Spezielle Merkmale – Die Sporen besitzen Zellen, die mit einem Polfaden versehen sind. Sie ähneln daher den Cnidocyten der Cnidaria (Abb. 1).
256
Artenzahl: etwa 1200 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
Beispiele Myxobolus pfeifferi (Parasit von Süßwasserfischen), Triactinomyxon ignotum (Parasit von Tubifex, einem Süßwasseroligochaeten)
Bilateria 10
Metazoa
Bilateria Allgemeines
Spezielle Merkmale – Bilateralsymmetrie: Das Tier weist zwei Körperachsen auf, eine anterior-posteriore und eine dorsoventrale Achse. Daraus ergibt sich eine bilaterale Symmetrie, die der Name des Taxons aufgreift. – Die anterior-posteriore Achse ist parallel zur Richtung der Fortbewegung und zur Richtung des Nahrungstransports im Verdauungstrakt ausgerichtet. – Der Verdauungstrakt ist vollständig und nicht verzweigt – er öffnet sich am oberen Ende in Form eines Mundes und am unteren Ende in Form eines Anus. – Der Blastoporus der Gastrula ergibt mindestens eine der Öffnungen des Verdauungstrakts. – Ein drittes Keimblatt, das Mesoderm bildet sich zwischen dem Ecto- und dem Entoderm und umschließt eine Höhle, das Coelom. – Das Protonephridium – ein Zellsystem, das der Exkretion dient – ist einfach aufgebaut. Es besteht aus drei unterschiedlich differen-
– –
–
– –
zierten Zellen: einer begeißelten Terminalzelle, einer Kanalzelle und einer Nephridioporus-Zelle (Abb. 1). Von diesem Grundtyp leiten sich kompliziertere Formen ab. Alle Synapsen sind unidirektional – sie leiten die Erregung nur in eine Richtung. Für die Bilateria sind Synapsen charakteristisch, die mit dem Acethylcholin/AcethylcholinesteraseSystem arbeiten. Zentrales Nervensystem: Entstehung eines zentralen Nervensystems, das von einem Kopfganglion und einem Strickleiternervensystem ausgeht. Ein Ausläufer des Hirns bündelt die Nerven für die Sinnes- und die Greiforgane um den Mund. Die Entwicklungsgene der HoxFamilie sind in einem Komplex angeordnet. Dieser folgt der Kolinearitätsregel: Wenn man das Tier von vorne nach hinten durchmustert, entspricht die Anordnung der Gene in diesem Komplex ihrem Wirkungsort (Abb. 2). Dieser Komplex diente anfangs wahr-
scheinlich dem Aufbau einer harmonischen Beziehung zwischen dem zentralen Nervensystem und dem Rest des Körpers entlang der Längsachse.
Abb. 1. Protonephridium ohne NephridioporusZelle
257
10 Bilateria
Kapitel 7
Beispiele Protostomia: Schweinespulwurm (Ascaris lumbricoides), Priapswurm (Priapulus bicaudatus), Gewöhnlicher Tintenfisch (Sepia officinalis), Weinbergschnecke (Helix pomatia), Regenwurm (Lumbricus terrestris), Hausspinne (Tegenaria domestica), Siebenpunktmarienkäfer (Coccinella septempunctata) Deuterostomia: Seestern (Asterias rubens), Flussbarsch (Perca fluviatilis) Abb. 2. Hox-Komplex von Drosophila melanogaster: Illustration der Kolinearitätsregel
Artenzahl: 1 191 311 Ältestes bekanntes Fossil: Grabgänge, die vermutlich von einem Coelomaten stammen, finden sich als Versteinerungen im Präkambrium (–700 Mio. Jahre). Damit dieses Tier wühlen konnte, musste es nämlich eine interne Körperhöhle besitzen. Nur deren hydrostatischer Druck verleiht eine gewisse Stabilität, die für das Wühlen nötig ist. Tiere, bei denen es sich zweifellos um Bilateria handelt, kommen in der Ediacara-Fauna (Ediacarium, –680 Mio. Jahre) vor. Heutiges Vorkommen: weltweit
258
Protostomia 11
Metazoa
Protostomia Allgemeines Das Taxon Protostomia umfasst die große Mehrheit der Tiere, von denen viele unter der Bezeichnung Evertebraten = Wirbellose zusammengefasst sind – ein Begriff, den man vermeiden sollte, da er sich
auf eine paraphyletische Gruppe bezieht.Die Protostomia sind durch die Entstehung des Blastoporus (Urmund) ebenso charakterisiert wie durch die ventrale Lage des Zentralnervensystems sowie mög-
licherweise durch das Auftreten eines Exoskeletts. Unter den Vertretern der Protostomia findet man einige sehr umfangreichee Phyla – beispielsweise die Arthropoden, die Mollusken und die Anneliden.
259
11 Protostomia Spezielle Merkmale – Der Blastoporus (Urmund) ergibt in der Ontogenie oft den definitiven Mund. Der Mund ist somit in seiner ursprünglichen Form ausgebildet – daher der Name des Taxons (Abb. 1). – Das Mesoderm leitet sich von Mesentoblasten ab. – Das Coelom entsteht durch Schizocoelie: Gruppen von mesentoblastischen Zellen erweitern sich zu einer Höhle (Abb. 2). – Das Zentralnervensystem ist ventral entwickelt, mit Ausnahme des Cerebralganglions (Oberschlundganglion). Das Tier ist demnach vom hyponeuralen Typ und besitzt einen Schlundring (Abb.3). – Exoskelett: Sofern ein Skelett auftritt, ist es als Außenstütze entwickelt.
Kapitel 7 culus robustus), Wattwurm (Arenicola marina), Rindenmoostierchen (Membranipora membranacea), Lingula anatina, Magellania flavescens, Hufeisenwurm (Phoronis architecta) Cuticulata: Stummelfüßer (Peripatus jamaicensis), Kreuspinne (Araneus
diadematus), Taschenkrebs (Cancer pagurus), Siebenpunktmarienkäfer (Coccinella septempunctata), Capillaria obsignata, Schweinespulwurm (Ascaris lumbricoides), Muskeltrichine (Trichinella spiralis, Erreger der Trichinose), Caenorhabditis elegans,
Abb. 1. Entstehung des Blastoporus von Peripatopsis capensis, einem Vertreter der Onychophora. Der Blastoporus wird zum Mund und zum Anus.
Ökologie Die Protostomia haben sämtliche Lebensräume erobert – von den Gipfeln der Berge bis zu den Tiefen der Meere, auf allen Breitengraden. Die Insekten – das Taxon mit der größten Artenzahl, gehören ebenfalls zu den Protostomia.
Beispiele Lophotrochozoa: Philodina roseola, Seison annulatus, Moniliformis dubius (befällt Mäuse, Ratten, Katzen und Hunde), Symbion pandora, Loxosomella elegans, Taenia saginata (Bandwurm des Menschen), Bachplanarie (Dugesia gonocephala), Leberegel (Fasciola hepatica), Schnurwurm (Lineus longissimus), Käferschnecke (Chiton tuberculatus), Weinbergschnecke (Helix pomatia), Scheidenmuschel (Solen marginatus), Perlboot (Argonauta argo), Spritzwurm (Sipun260
Abb. 2. Trochophora-Larve eines Anneliden, von vorne betrachtet. Man sieht den anfänglichen Teloblasten, aus dem das Mesoderm entsteht und sich zu einem Coelom ausweitet.
Abb. 3. Vorderer Teil des Nervensystems von Nymphon sp. (Pycnogonidae)
Protostomia 11
Metazoa Gordius robustus, Nectonema agile, Tubiluchus corallicola, Priapswurm (Priapulus bicaudatus), Cateria styx, Kinorhynchus sp., Nanaloricus mysticus, Lepidoderma squamatum
Artenzahl: 1 132 930 Ältestes bekanntes Fossil: Ein Gelenk, das von einem Arthropoden stammen könnte, ist in der Ediacara-Fauna (–680 Mio. Jahre) gefunden worden. Mehrere trilobitomorphe Arthropoden-Arten sind aus der Zeit vor dem Kambrium (–580 Mio. Jahre) bekannt. Darüber hinaus gibt es einen Vertreter der Echiurida, Protechiurus edmonsi, der im Präkambrium (Ober-Vendium) Namibias (–560 Mio. Jahre) gefunden wurde. Heutiges Vorkommen: weltweit
261
12 Mesozoa
Kapitel 7
Mesozoa Allgemeines Die Mesozoen sind kleine parasitische Organismen von Meerestieren. Sie sind in zwei Klassen aufgeteilt, die Rhombozoa (Dicyemiden und Heterocyemiden) und die Orthonectida. Die phylogenetische Stellung dieser Gruppe ist sehr problematisch. Zudem gibt es keinerlei Bestätigung dafür, dass die
262
Mesozoa monophyletisch sind. Der Körper besitzt keine differenzierten Organe. Er ist bilateralsymmetrisch sowie dorsoventral abgeflacht, besteht aus zwei Zellschichten und ist außen begeißelt. Bei den Rhombozoa umschließen oder bedecken diese Zellschichten ein oder zwei große germinative Axialzellen, die
Spezielle Merkmale
Ökologie
– Verlust von Geweben (Mesoderm) und Organen (Verdauungstrakt, Nervensystem) in Zusammenhang mit der parasitischen Lebensweise. – Eine (oder mehrere) große axiale Zelle(n) mit polyploidem Kern (Abb. 1). – In der Axialzelle sind die Zellen miteinander verknüpft. In einigen erzeugen diese durch Wachstum und Entwicklung eine Larve. Dies stellt somit eine intrazelluläre Embryonalentwicklung dar.
Die Klasse Rhombozoa umfasst Parasiten des exkretorischen Systems der (zu den Mollusken gehörenden) Kopffüßer (Cephalopoden). Die Orthonectida sind Parasiten mariner Plathelminthen, Nemerta, Polychaeten (Anneliden), Bivalvia (Mollusca) und Echinodermata. Die Mesozoen resorbieren die verschiedensten Körperflüssigkeiten ihrer Wirte durch Diffusion. Dies erklärt das Fehlen von Organen zur Nahrungsaufnahme. Die Vertreter dieses Taxons haben einen komplexen Lebenszy-
der Fortpflanzung dienen und rudimentäre Gonaden darstellen. Die riesigen Axialzellen besitzen je einen polyploiden Kern. Sie können Gameten, Eier und Embryonen enthalten. Das Gen der 18SrRNA enthält Merkmale, die die Mesozoa innerhalb der Bilateria einzuordnen scheinen.
klus mit Wechsel zwischen sexueller Fortpflanzung und vegetativer Vermehrung – was in beiden Fällen mit einem Eindringen in den Wirt verbunden ist. Aufgrund der anatomischen Besonderheiten der Mesozoa interpretieren einige Spezialisten diese als degenerierte Plathelminthen. Andere nehmen an, dass sie Vertreter einer Gruppe sind, die noch vor – und unabhängig von – den Plathelminthen entstanden ist. Die Bezeichnung Mesozoa gab man dieser Gruppe, als man glaubte, dass sie ein Zwischenstadium zwischen Ein- und Vielzellern darstellt. Die
Mesozoa 12
Metazoa (ziemlich unsichere) phylogenetische Position der Mesozoa liegt mit Sicherheit nicht an der Basis des Metazoen-Stammbaums, wie man zeitweilig annahm, sondern eher bei den Bilateria.
Beispiele Conocyema polymorpha, Dicyema truncatum, Microcyema gracile, Rhopalura ophiocomae
Artenzahl: etwa 50, aufgeteilt in zwei Klassen Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit; die Mesozoa sind Parasiten verschiedener mariner Organismen.
Abb. 1. Schnitt durch Concynema sp.: Die Axoblasten erzeugen die Embryonen.
263
13 Deuterostomia
Kapitel 7
Deuterostomia Allgemeines Die Deuterostomia sind durch Merkmale der Embryonalentwicklung charakterisiert, hauptsächlich durch die weitere Entwicklung des Blastoporus (Urmund), der zum embryonalen Anus wird. Der definitive Mund wird immer sekundär gebildet. Das Ectoderm ergibt
Spezielle Merkmale – Mund: er wird sekundär gebildet – daher auch der Name der Gruppe (griech.: deutero: sekundär; stoma: Mund). Die allererste Öff264
periphere Strukturen, die Epidermis der Haut und das Nervensystem. Das Entoderm liefert innere Strukturen, in erster Linie den Verdauungstrakt und dessen Anhänge. Aus dem Mesoderm entstehen Organe wie die Nieren, das Skelett und die Skelettmuskeln. Die adul-
nung des Embryos wird zum Anus der Larve und bleibt in den meisten Fällen auch der Anus des Adulten. – Das Coelom bildet sich durch Enterocoelie, das bedeutet, das
ten Formen der Deuterostomia sind so vielfältig, dass man sie nicht allgemein und allumfassend beschreiben kann. Hierher gehören die Echinodermata, die Hemichordata und die Chordata, die wiederum die Wirbeltiere beinhalten.
Mesoderm stammt von der Wand des Archenterons (Urdarm) (Abb. 1). – Das Skelett liegt im Körperinnern.
Deuterostomia 13
Metazoa
Ökologie Die Deuterostomia zeigen eine riesige Formenvielfalt. Sie kommen in sämtlichen Lebensräumen vor: in der Luft, terrestrisch, marin und aquatisch, von 11000 m Meerestiefe bis in 6000 m Höhe.
Beispiele Echinodermata: Seestern (Asterias rubens), Strandseeigel (Paracentrotus lividus) Hemichordata: Eichelwurm (Balanoglossus clavigerus) Chordata: Seescheide (Ciona intestinalis), Lanzettfischchen (Branchiostoma lanceolatum), Kammmolch (Triturus cristatus), Mensch (Homo sapiens)
Abb. 1. Aus Einstülpungen der Urdarmwand entsteht ein Coelom-Vesikelpaar. arc = Archenteron (Urdarm), blp = Blastoporus (Urmund), vec = Coelom-Vesikel
Artenzahl: 58 331 Ältestes bekanntes Fossil: Helicoplacus sp., von der Basis des Kambriums Nevadas (–540 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
265
8 Protostomia 1
Protostomia 268
KAPITEL 8 14
siehe Kapitel 7, Seite 259 2
Lophotrochozoa 269
3
Eutrochozoa 270
4
Syndermata 272
5
Rotifera 273 Beispielart: Philodina roseola Größe: 0,2 mm
6
15
16
Lophophorata 298
17
Ectoprocta 299
Beispielart: Bärtierchen Echiniscus trisetosus Größe: 0,16 mm 28
18
Phoronozoa 301
29
Introverta 323
19
Brachiopoda 302
30
Nematozoa 324
Beispielart: Magellania flavescens Größe: 3 cm
31
Nematoda 325
Entoprocta 282
Parenchymia 284
11
Plathelminthes 285
21
Beispielart: Capillaria obsignata Größe: 30 cm
Phoronida 304 Beispielart: Hufeisenwurm Phoronis psammophila Größe: 5 cm
32
Beispielart: Bachplanarie Dugesia gonocephala Größe: 1 cm
22
Cuticulata 308
Nemertinea 287
23
Gastrotricha 310
Beispielart: Nectonema agile Größe: 2 cm 33
Cephalorhyncha 330
34
Kinorhyncha 331 Beispielart: Cateria styx Größe: 0,15 mm
35
Beispielart: Thaumastoderma heideri Größe: 0,2 mm
Beispielart: Perlboot Argonauta argo Größe: 10 cm siehe Kapitel 9, Seite 336
24
Ecdysozoa 312
25
Panarthropoda 314
Loricifera 333 Beispielart: Nanaloricus mysticus Größe: 0,5 cm
36
Mollusca 289
Nematomorpha 328
Chaetognatha 306 Beispielart: Pfeilwurm Sagitta elegans Größe: 2,5 cm
Beispielart: Cerebratulus californensis Größe: 30 cm
266
Euarthropoda 320 Beispielart: Taschenkrebs Cancer pagurus Größe: 25 cm siehe Kapitel 10, Seite 374
Spiralia 280
10
13
Tardigrada 318
Cycliophora 278
Beispielart: Pedicellina cernua Größe: 4,5 mm
12
27
Beispielart: Cristatella mucedo Größe: 1,5 cm (Kolonie: 20 cm)
20 9
Annelida 294
Onychophora 316 Beispielart: Heteroperipatus engelhardi Größe: 8 cm
Beispielart: Wattwurm Arenicola marina Größe: 15 cm
Acanthocephala 276
Beispielart: Symbion pandora Größe: 350 µm 8
26
Beispielart: Dendrostomum pyroides Größe: 15 cm
Beispielart: Corynosoma sp. Größe: 3 cm 7
Sipunculida 292
Priapulida 334 Beispielart: Priapswurm Priapulus bicaudatus Größe: 10 cm
Protostomia
Kapitel 8
267
1 Protostomia
Kapitel 8
Protostomia Die Protostomia bilden im historischen Kontext der Naturwissenschaften ein sehr ursprüngliches Taxon. Im 19. Jahrhundert aufgrund eines fehlenden Merkmals („NichtDeuterostomia“…) definiert, sind sie eines der wenigen Taxa, das gegenwärtig monophyletisch zu sein scheint. Die Klassifizierung der Protostomia hat man im Laufe der vergangenen zehn Jahre vollständig revidiert – in erster Linie durch die Phylogenien, die auf der 18S-rRNA basieren. Dennoch ist diese Arbeit noch lange nicht abgeschlossen, denn viele wichtige Details liegen nach wie vor im Dunklen. Im Vergleich zur klassischen Sichtweise integriert die nachfolgend vorgeschlagene Phylogenie zahlreiche neue Gegebenheiten, darunter insbesondere folgende Punkte: – die Auflösung der beiden Taxa Acoelomata und Pseudocoelomata: Stattdessen werden beide Gruppen innerhalb der Protostomia angesiedelt, – die Aufteilung der Protostomia in zwei Taxa: Sie werden (unter Aus-
268
lassung der Gastrotricha) in die Lophotrochozoa und die Ecdysozoa aufgeteilt, – die verwandtschaftliche Nähe von Nematoden und Arthropoden, – die verwandtschaftliche Nähe von Mollusken und Anneliden. Die gradistische Sichtweise beruht auf wachsender Komplexität. Die nachfolgend vorgeschlagene Phylogenie ist dagegen weit davon entfernt, alle Fragen der Zoologen zu beantworten. Diese Phylogenie stellt auf andere Weise evolutive Fragen – beispielsweise nach dem Ursprung des Coeloms, der Metamerie sowie generell nach dem Ursprung der großen Baupläne. Diese Probleme werden hier allerdings nicht diskutiert, denn dies würde den Rahmen des Buches sprengen. Dennoch betrachten wir das Mesoderm, das sich zum Coelom erweitert hat, als eine Synapomorphie der Bilateria, und demnach stellen wir die Coelome der Proto- und der Deuterostomia als homolog dar – eine Ansicht, die nicht generell ak-
zeptiert wird. So könnte man, sofern man nicht den Entstehungsprozess (Schizocoelie oder Enterocoelie) berücksichtigt, zwei voneinander unabhängige Entstehungsereignisse annehmen. Dies bedeutet gleichzeitig, dass alle Organismen, die von den Protostomiern abstammen und kein Coelom besitzen, dieses sekundär verloren haben – eine Ansicht, die ebenfalls nicht auf allgemeine Zustimmung trifft, und dies um so mehr, je seltener die allgemein anerkannte Hypothese der Monophylie der Protostomia in Frage gestellt wird. Dennoch sind die morphologischen und embryologischen Merkmale, die dieses Kladon bestätigen, schwach und können als Plesiomorphien angesehen werden. Man könnte fast eine Wette darauf abschließen, dass der traditionellen Klassifizierung der Metazoen in den kommenden Jahren der Gnadenstoß versetzt werden wird und unter anderem das Verschwinden der Protostomia zur Folge haben wird.
Lophotrochozoa 2
Protostomia
Lophotrochozoa Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – 18S-rRNA- und Hox-Gene: Die molekularen, generell auf dem Gen der 18S-rRNA basierenden Phylogenien sowie einige Entwicklungsgene (besonders die hinteren Hox-Gene) scheinen Tiere, die eine Trochophora-Larve besitzen und solche, die einen Lophophor (Tentakelkrone um den Mund) besitzen, zuverlässig miteinander zu verknüpfen – daher der Name der Gruppe.
Beispiele Eutrochozoa: Philodina roseola, Seison annulatus, Stephanoceros sp., Corynosoma sp. (befällt Wasservögel und Robben), Moniliformis dubius (befällt Mäuse, Ratten, Katzen und Hunde), Symbion pandora, Loxosomella elegans, Pedicellina cernua, Taenia saginata (Bandwurm des
Menschen), Bachplanarie (Dugesia gonocephala), Planaria maculata, Leberegel (Fasciola hepatica), Schnurwurm (Lineus longissimus), Käferschnecke (Chiton tuberculatus), Weinbergschnecke (Helix pomatia), Scheidenmuschel (Solen marginatus), Perlboot (Argonauta argo), Gewöhnlicher Kalmar (Loligo vulgaris), Spritzwurm (Sipunculus robus-
tus), Wattwurm (Arenicola marina), Seeringelwurm (Nereis diversicolor), Regenwurm (Lumbricus terrestris), Blutegel (Hirudo officinalis) Lophophorata: Cristatella mucedo, Rindenmoostierchen (Membranipora membranacea), Lingula anatina, Magellania flavescens, Terebratulina retusa, Hufeisenwurm (Phonoris architecta)
Artenzahl: 154 806 Ältestes bekanntes Fossil: Das älteste Fossil ist ein Vertreter der Echiurida (Annelida): Protechiurus edmonsi stammt aus dem höheren Vendium Namibias (–560 Mio. Jahre). Die Plathelminthen Platypholinia pholiata und Vladimissa missarzhevskii sind im oberen Präkambrium am weißen Meer (–550 Mio. Jahre) gefunden worden. Mehrere Mollusken-Klassen sind seit Beginn des unteren Kambriums (–540 Mio. Jahre) bekannt, darunter Vertreter der Bivalvia wie Heraultipegma sp. aus Sibirien und Projetaia runnegari aus Südaustralien und China, ferner Vertreter der Monoplacophora wie Anabarella plana aus Sibirien und Yochelcionella aus Südaustralien. Heutiges Vorkommen: weltweit 269
3 Eutrochozoa
Kapitel 8
Eutrochozoa Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Trochophora-Larve: Diese Larvenform erinnert an einen Kreisel. Typisch für diese Larve ist ihr Wimperngürtel (Prototroch), der der Fortbewegung dient und am vorderen Teil des Mundes sitzt (Abb. 1). Fallweise, wie bei den Anneliden, kann sich diese Larve metamerisieren oder sich, wie bei den Mollusken, ohne Metamerisierung umwandeln. Dies könnte in der Tat eine Synapomorphie zu den Lophotrochozoen sein, da bei den Ectoprocta, den Brachiopoda und den Phoronida Larven mit einer ähnlichen Anatomie auftreten.
270
Abb. 1. Organisation einer Trochophora-Larve
Eutrochozoa 3
Protostomia
Beispiele Syndermata: Philodina roseola, Seison annulatus, Stephanoceros sp., Corynosoma sp. (befällt Wasservögel und Robben), Moniliformis dubius (befällt Mäuse, Ratten, Katzen und Hunde), Symbion pandora, Loxosomella elegans Spiralia: Pedicellina cernua, Taenia saginata (Bandwurm des Menschen), Bachplanarie (Dugesia gonocephala), Leberegel (Fasciola hepatica), Schnurwurm (Lineus longissimus), Käferschnecke (Chiton tuberculatus), Weinbergschnecke (Helix pomatia), Scheidenmuschel (Solen marginatus), Perlboot (Argonauta argo),
Gewöhnlicher Kalmar (Loligo vulgaris), Spritzwurm (Sipunculus robustus), Wattwurm (Arenicola marina),
Seeringelwurm (Nereis diversicolor), Regenwurm (Lumbricus terrestris), Blutegel (Hirudo officinalis)
Artenzahl: 149 956 Ältestes bekanntes Fossil: Das älteste Fossil ist ein Vertreter der Echiurida (Annelida): Protechiurus edmonsi stammt aus dem höheren Vendium Namibias (–560 Mio. Jahre). Die Plathelminthen Platypholinia pholiata und Vladimissa missarzhevskii sind im oberen Präkambrium am Weißen Meer (–550 Mio. Jahre) gefunden worden. Mehrere MolluskenKlassen sind seit dem unteren Kambrium (–540 Mio. Jahre) bekannt: Vertreter der Bivalvia wie Heraultipegma sp. aus Sibirien und Projetaia runnegari aus Südaustralien und China, ferner Vertreter der Monoplacophora wie Anabarella plana aus Sibirien und Yochelcionella sp. aus Südaustralien. Heutiges Vorkommen: weltweit
271
4 Syndermata
Kapitel 8
Syndermata Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Keratin-Cuticula, von den syncytialen Epidermiszellen produziert, ist intrazellulär (Abb. 1). Dieses Merkmal tritt bei den Rotatoria und den Acanthocephala, nicht jedoch bei den Cycliophora auf.
Beispiele Rotatoria (Rotifera, Rädertiere): Bryceelia tenella, Lecane luna, Philodina roseola, Seison annulatus, Stephanoceros sp. Acanthocephala: Corynosoma sp. (befällt Wasservögel und Robben), Macracanthorhynchus hirudinaceus (befällt das Hausschwein), Moniliformis dubius (befällt Mäuse, Katzen, Ratten und Hunde). Cycliophora: Symbion pandora 272
Abb. 1. Elektronenmikroskopische Ansicht der syncytialen Epidermisstruktur von Asplanchna sieboldi (Rotatoria)
Artenzahl: 2 951 Ältestes bekanntes Fossil: Ein Vertreter der Rotatoria, Keratella sp., ist in Gesteinen von der Basis des mittleren Eozän Südaustraliens gefunden worden. Heutiges Vorkommen: weltweit
Protostomia
Rotifera 5
Rotifera Allgemeines Die Rotifera (Rotatoria; Rotatorien oder Rädertiere) sind kleine, weniger als 2 mm Länge messende, triploblastische Tiere von trompetenförmiger, zylindrischer oder kugelförmiger Gestalt. An ihrem Vorderende tragen sie ein charakteristisches Räderorgan aus Wimpern (Cilien), von dem sich der Name des Taxons ableitet (lat. rota = Rad, ferre = tragen). Die untere Region des Körpers besitzt einen Fuß, der häufig mit einer Klebdrüse ausgestattet ist. Mit deren Hilfe können sich einige Arten am Substrat fixieren. Alle Rotatoria sind bilateralsymmetrisch. Die Leibeshöhle ist ein Pseudocoelom. Der Mund sitzt in der Mitte des Räderorgans, der After am unteren Körperende. Am Grund des muskulösen Pharynx sitzt der Mastax (Kaumagen). Er besteht aus sieben
273
5 Rotifera harten Teilen, die einen effektiven Kauapparat bilden. Das exkretorische System umfasst zwei Protonephridien (zwei rudimentäre Exkretionsröhren) im Pseudocoelom. Das Nervensystem besitzt an seinem oberen Teil ein dorsales
Ökologie Die meisten Rotatorien leben im Süßwasser. Manche Arten wie Seison annulatus sind marin, andere leben terrestrisch in feuchtem Milieu. Einige Arten parasitieren Crustaceen, Mollusken und Anneliden. Die Rotatoria sind ein Hauptbestandteil des Süßwasser-Zooplanktons und stellen daher eine wichtige Nahrungsquelle in allen Süßwasserökosystemen dar. An Land beteiligen sie sich an der Zersetzung der Bodenstreu. Man findet Rotatorien außer im Plankton der Meere, Seen und Flüsse auch im Sand von Stränden, in Mooren, aber auch in Moosen, Flechten und im
Abb. 1. Organisation von Stephanocerus sp.
274
Kapitel 8
Cerebralganglion und eine variable Anzahl von Nerven. Rudimentäre Photorezeptoren und Wimpern dienen als Sinnesorgane. Es gibt weder ein Blutgefäßsystem noch einen Respirationsapparat. Der Sauerstoff diffundiert in die
Gletscherschlamm. Viele Arten sind erstaunlich resistent gegen Austrocknung. Sie können frei schwimmen oder sich mit ihrer Fußdrüse an ein Substrat fixieren. Manche benthischen Arten leben sowohl frei schwimmend als auch zeitweilig fest am Substrat. Bei vielen planktonischen Arten ist der Fuß reduziert. Die Rotatoria ernähren sich von verschiedenen Einzellern, von anderen Rotatoria oder von suspendiertem, organischem Material. Die Tiere sind getrenntgeschlechtlich. Die Männchen der Monogononta sind deutlich kleiner als die Weibchen. Die Befruchtung findet intern statt. Das Spermatozoid erreicht die Eizelle, indem es die Körperwand des Weibchens durchdringt. Die direkte Entwicklung des befruchteten Eies zeigt Anklänge an eine Spiralfurchung. Bei vielen Arten der Monogononta kommen zwei Typen von Eiern vor,
Abb. 2. Zwei Typen von Räderorganen
Gewebe. Die Körperwand besteht aus einer Cuticula, der Lorica. Häufig sind die Tiere durchsichtig, doch können sie je nach aufgenommener Nahrung auch grün, orange, rot oder braun gefärbt sein.
nämlich Dauereier und Subitaneier. Bei den Bdelloidea bestehen die Populationen ausschließlich aus Weibchen, die sich parthenogenetisch vermehren. Die beiden verschiedenen Eitypen sowie die Parthenogenese werden als Anpassung an die schnelle, vorübergehende Besiedelung günstiger Lebensräume angesehen, die wiederum ein schnelles Anwachsen der Population ermöglicht. Die Dauereier können ungünstige Perioden überleben und sich entwickeln, sobald die äußeren Bedingungen wieder günstiger werden.
Spezielle Merkmale – Das Vorderende trägt ein charakteristisches Räderorgan aus Wimpern zur Fortbewegung und Nahrungsaufnahme (Abb. 1). Ab-
Rotifera 5
Protostomia bildung 2 zeigt zwei charakteristische Typen solcher Räderorgane. – Der Mastax (Kauapparat) besteht aus 7 charakteristischen, beweglichen Teilen (Abb. 3). – Das Retrocerebralorgan ist mit dem Cerebralganglion verbunden. Die Funktion dieser Drüsenstruktur ist nicht bekannt.
Beispiele Asplanchna priodonta, Bryceelia tenella, Collotheca campanulata, Floscularia sp., Lecane luna, Philodina roseola, Pleurotrocha petromyzon, Rhinops fertoensis, Seison annulatus, Stephanoceros sp., Trochosphaera solstitialis
Artenzahl: etwa 2000, unterteilt in 3 Klassen Ältestes bekanntes Fossil: Keratella sp. aus der Basis des mittleren Eozän Südastraliens Heutiges Vorkommen: weltweit
Abb. 3. Mastax (Kauapparat) eines Rädertieres. Die 7 Konstruktionsteile sind farbig hinterlegt.
275
6 Acanthocephala
Kapitel 8
Acanthocephala Allgemeines Die Acanthocephala oder Kratzer sind kleine Tiere und leben als obligatorische Parasiten von Vertebraten. Sie haben ein wurmförmiges Aussehen und besitzen am Vorderende einen einstülpbaren, mit gekrümmten Stacheln besetzten Rüssel (Proboscis). Dieser hakenbewehrte Rüssel kann in eine muskulöse Höhle zurückgezogen werden. Der Körper ist bilateralsymmetrisch, zylindrisch und
Ökologie Alle Acanthocephala sind als Adulte Darmparasiten von Wirbeltieren. Die juvenilen Formen sind innere Parasiten von Arthropoden. Für ihren 276
bis auf eine ringförmige Einschnürung, die manchmal an der Oberfläche sichtbar ist, nicht segmentiert. Der Rumpf kann Papillen oder Stacheln tragen. Die Acanthocephala sind in der Regel nur einige Millimeter groß. Allerdings wird eine Art, Macracanthorhynchus hirudinaceus, ein Parasit von Schweinen, bis zu 1 m groß. Die große Leibeshöhle ist ein Pseudocoelom. Mund, Verdauungs-
Lebenszyklus benötigen die Acanthocephala stets zwei Wirte – es gibt keine frei lebende Phase. Die Nahrung wird in gelöster Form direkt aus den Körperflüssigkeiten des Wirts über die Körperwand in das
trakt, Blutgefäßsystem oder ein Respirationsapparat fehlen. Muskeln, Nervensystem und exkretorisches System sind reduziert. Die äußere Färbung ist variabel: Die Tiere können weißlich, gelb, orange oder braun gefärbt sein. Zahlreiche Zoologen nehmen an, dass die Acanthocephala Rotatoria darstellen, die zu Parasiten geworden sind.
Pseudocoelom des Parasiten aufgenommen. Die Larve bewegt sich mit ihrem Rüssel im Wirt fort. Beim Adulten dient er dazu, sich an der Darmwand des Wirbeltier-Wirts – häufig einem Vertreter der Knochen-
Acanthocephala 6
Protostomia
Abb. 1. Organisation von Acanthocephalus pallisentisfractus
fische – festzusetzen. Die Acanthocephala sind getrenntgeschlechtlich. Das Männchen besitzt einen ausstülpbaren Penis. Die Befruchtung findet im Körperinneren statt. Die Eier entwickeln sich im Pseudocoelom des Weibchens. In diesem Stadium befinden sich die Adulten im Verdauungstrakt eines Vertebraten. Die Eier werden mit den Faeces des Wirtes ausgeschieden. Sobald ein Insekt oder ein Kleinkrebs ein solches Ei aufnimmt, entwickelt sich die Larve und setzt sich in der Leibeshöhle des Arthropoden fest. Diese Acanthor-Larve ist mit einem hakenbesetzten Sporn bewehrt, mit dem sie die Gewebe des Wirts durchdringt und ins Innere seines Verdauungstrakts gelangt. Hier vollzieht die Larve nun zwei weitere Metamorphosen in die Folgestadien Acanthella und Cystacantha. Wenn ein Wirbeltier einen befallenen Arthropoden frisst (beispielsweise eine Ratte ein Insekt bzw. ein Vogel oder Fisch einen im Wasser lebenden Kleinkrebs), wird die Cystacantha-Schale bei der Verdauung im Räuber zerstört, und der juvenile Acanthocephalus klammert sich an der Darm-
wand seines neuen Wirts fest. Die Acanthocephala richten in der Darmwand ihres Wirts großen Schaden an. So wurden beispielsweise im Darm einer Robbe 1154, und im Darm einer Ente Tausende adulter Individuen gefunden.
Spezielle Merkmale – Der Rüssel (Proboscis) ist mit Haken versehen, mit dem sich das Tier in der Darmwand des Wirtes befestigt. Der Rüssel ist mit einer Muskelhöhle verbunden, in die er zurückgezogen werden kann (Abb. 1). Abbildung 2 zeigt den zurückgezogenen und den ausgestülpten Rüssel.
Abb. 2. Ausgestülpter und zurückgezogener Hakenrüssel
Beispiele Acanthocephalus pallisentisfractus, Corynosoma sp. (befällt Wasservögel und Robben), Leptorhynchoides thecatus (befällt den Knochenfisch Micropterus salmoides, Macracanthorhynchus hirudinaceus (befällt das Schwein), Moniliformis dubius (befällt Mäuse, Katzen, Ratten und Hunde), Polymorphus minutus (befällt im Wasser lebendes Wild und die Hausente)
Artenzahl: 1150, aufgeteilt in 3 Ordnungen Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
277
7 Cycliophora
Kapitel 8
Cycliophora Allgemeines Der Tierstamm Cycliophora wurde erst im Dezember 1995 beschrieben. Die einzige bisher bekannte Art ist mikroskopisch klein und lebt auf den Borsten der Mundwerkzeuge des Kaisergranats (Nephrops norvegicus) und des Hummers (Homarus gammarus). Die Cycliophora gehören zu den
Ökologie Die einzige bisher beschriebene Art lebt am Kaisergranat. In Roscoff (Bretagne, Frankreich) konnten wir Cycliophoren beobachten, die morphologisch mit Symbion pandora identisch waren, aber an den Mandibelborsten des Hummers (Homarus 278
Acoelomata und sind bilateralsymmetrisch. Sie sind sessil und ernähren sich als Filtrierer. Ihre Mundöffnung ist von einem Wimpernkranz umgeben. Die Zwergmännchen sitzen an den Weibchen. Die phylogenetische Stellung der Cycliophora war von Anfang an unsicher. Sie wurden tatsächlich
gammarus) festsaßen. Die Vermehrung ist komplex: Es tritt ein ungeschlechtlicher Vermehrungszyklus mit Freisetzung einer Pandora-Larve auf. Die sexuelle Fortpflanzung findet zwischen einem sessilen Weibchen und einem damit verwachsenen Zwergmännchen statt.
als Tierstamm beschrieben, „der Beziehungen zu den Entoprocta und zu den Ectoprocta aufweist“ – eigentlich eine Absurdität. Die molekulare Phylogenie ordnet sie nahe bei oder innerhalb der Syndermata ein. Nur ihrer Morphologie nach sind sie eine Schwestergruppe der Entoprocta.
Spezielle Merkmale – Die Mundöffnung ist charakteristisch. – Männchen und Weibchen sind mikroskopisch klein. – Zwei Typen von Larven: Die Pandora-Larve ist das Ergebnis einer asexuellen Vermehrung, die Chor-
Cycliophora 7
Protostomia doid-Larve das Resultat einer Eibefruchtung.
Beispiele
Artenzahl: 1 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: bisher nur im Nordatlantik
Symbion pandora
279
8 Spiralia
Kapitel 8
Spiralia Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Furchung des befruchteten Eies verläuft nach dem Spiraltyp. Die Teilungsebenen der Zellen
Abb. 1. Zwei Stadien der Spiralfurchung des Gastropoden Ilyanassa sp. Der Makromer 1D ist größer als die anderen.
280
verlaufen dabei quer zur Achse, die vom animalen zum vegetativen Pol gerichtet ist. Die ersten Teilungen führen am animalen Pol zur Bildung kleiner Zellen
(Mikromeren) und am vegetativen Pol zur Bildung großer Zellen (Makromeren). Abbildung 1 zeigt zwei Stadien der Spiralfurchung des Gastropoden Ilyanassa sp.
Abb. 2. Die Zelllinien des Anneliden Arenicola sp. und des Gastropoden Trochus sp.
Spiralia 8
Protostomia Der Makromer 1D ist größer als die anderen. Abbildung 2 zeigt, dass die Zelllinien des Anneliden Arenicola sp. und des Gastropoden Trochus sp. identisch sind. Aus dem Mikromer 4D, der bei der sechsten Teilung entstanden ist, gehen die Zellen des Mesoderms hervor.
pomatia), Scheidenmuschel (Solen marginatus), Perlboot (Argonauta argo), Loligo vulgaris Sipunculida: Dendrostomum pyroides, Spritzwurm (Sipunculus robustus)
Annelida: Wattwurm (Arenicola marina), Schillernder Seeringelwurm (Nereis diversicolor), Regenwurm (Lumbricus terrestris), Blutegel (Hirudo officinalis)
Artenzahl: 147 005
Beispiele Entoprocta: Loxosomella elegans, Pedicellina cernua Parenchymia: Bandwurm (Taenia saginata), Bachplanarie (Dugesia gonocephala), Leberegel (Fasciola hepatica), Schnurwurm (Lineus longissimus) Mollusca: Käferschnecke (Chiton tuberculatus), Weinbergschnecke (Helix
Ältestes bekanntes Fossil: Das älteste Fossil ist ein Vertreter der Echiurida (Annelida): Protechiurus edmonsi stammt aus dem höheren Vendium Namibias (–560 Mio. Jahre). Die Plathelminthen Platypholinia pholiata und Vladimissa missarzhevskii sind im oberen Präkambrium am Weißen Meer (–550 Mio. Jahre) gefunden worden. Mehrere Mollusken-Klassen sind seit Beginn des unteren Kambriums (–540 Mio. Jahre) bekannt, darunter Vertreter der Bivalvia wie Heraultipegma sp. aus Sibirien und Projetaia runnegari aus Südaustralien und China, ferner Vertreter der Monoplacophora wie Anabarella plana aus Sibirien und Yochelcionella aus Südaustralien. Heutiges Vorkommen: weltweit
281
9 Entoprocta
Kapitel 8
Entoprocta Allgemeines Die Entoprocta (auch Kamptozoa oder Kelchwürmer genannt) sind kleine, bis etwa 1 cm messende sessile, marine Tiere. Sie sind bilateralsymmetrisch, nicht segmentiert und besitzen einen relativ langen, mobilen, kontraktilen Stiel, der mit einer Klebscheibe ausgerüstet ist und sie am Substrat befestigt. Ein Kelch, der die Organe enthält, trägt an seiner Oberseite eine Tentakel-
282
krone (je nach Art mit 6–36 Tentakeln), in deren Mitte Mund und Anus münden (daher der Name dieses Stammes). Der Körper ist von einer dünnen, äußeren Cuticula bedeckt. Der Kelch enthält den U-förmigen Verdauungstrakt. Die einzigen Muskeln des Kelches sind Schließmuskeln, die mit dem Verdauungstrakt verknüpft sind. Ein Herz und ein Blutgefäßsystem
fehlen. Die Exkretionsprodukte werden in zwei Protonephridien gesammelt, die in einen gemeinsamen Kanal münden, der sich über den nahe dem Mund sitzenden Nephrophor nach außen hin öffnet. Das Nervensystem besteht aus einem Ganglion in der Windung des Verdauungstrakts. Dort teilen sich die Nerven und ziehen zum Kelch, zu den Tentakeln und zum
Entoprocta 9
Protostomia
Stiel. Die Leibeshöhle stellt ein Pseudocoelom dar und ist mit einem gallertigen Mesenchym gefüllt. Die bewimperten Tentakel
sind gleichmäßig auf beiden Seiten der bilateralen Symmetrieebene verteilt. Der Schleim gleitet zuerst in Richtung Tentakelbasis
und schließlich zum Mund. Der so entstandene Gleitteppich sammelt die feinen Nahrungspartikeln in einer Suspension.
Ökologie Die Kelchwürmer sind festsitzende marine Formen, die in geringer Wassertiefe solitär leben oder Kolonien bilden. Es gibt nur eine im Süßwasser lebende Art (Urnatella gracilis) sowie eine einzige Art, die adult ein nicht festsitzendes Leben führt (Loxosomella davenportii). Die Entoprocta ernähren sich von Nahrungspartikeln, die im Meerwasser suspendiert sind und die sie mit der Bewimperung ihrer Tentakel in ein Schleimband einstrudeln. Dieses sammelt die Partikeln und befördert sie zur Basis der Tentakel und bis zum Mund. Die Tentakel können nicht eingezogen werden. Im Ruhezustand rollen sie sich ein und bedecken sich mit einer intertentakulären Membran. Die ungeschlechtliche Vermehrung erfolgt durch Knospung, die häufig am Stolo beginnt – der Achse, von der aus sich das Tier verzweigt. Einige Stolonsegmente bringen in der Kolonie neue Kelche hervor. Es kommt aber auch vor, dass die Stiele knospen. Bei den solitär lebenden Formen geht die Knospe vom Kelch aus, trennt sich dann und setzt sich an einem anderen Ort fest. Die Entoprocten sind hermaphroditisch. Der Kelch trägt zwei Ovarien und zwei Hoden. Die Gameten werden durch den einzigen Gonoporus in der Nähe des Nephroporus entlassen. Die Befruchtung findet ohne Begattung im Körperinneren statt. Die Eier entwickeln sich in einer Tasche, die zwischen Gonoporus und Anus liegt. Die Embryonen werden
Abb. 1. Organisation eines Vertreters der Entoprocta
durch die Zellen der elterlichen Körperwand ernährt. Die Larve ist eine bewimperte, schwimmende Trochophora, die an die der Mollusken und Anneliden erinnert. Sie lebt für einige Zeit frei schwimmend, bis sie sich an ein Substrat heftet. Dann durchläuft sie eine Metamorphose,die zur Adultform führt.
Spezielle Merkmale
1). Aus anatomischer Sicht besteht hier der deutlichste Unterschied zu den Bryozoa. – Die Larve ist charakteristisch.
Beispiele Barentsia laxa, Loxosomella annelidicola, Loxosomella claviformis, Pedicellina cernua, Pedicellina ichikawai, Urnatella gracilis
– Mund und Anus münden im Inneren der Tentakelkrone (Abb. Artenzahl: 150 Ältestes bekanntes Fossil: Barentsia sp. aus dem Ober-Jura Englands (–145 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: an den Küsten Amerikas, Afrikas, Europas, Asiens und der Arktis
283
10 Parenchymia
Kapitel 8
Parenchymia Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Das Mesoderm bildet ein lockeres Gewebe – das Parenchym –, das den Raum zwischen Ectoderm und Entoderm ausfüllt. Abbildung 1 zeigt den Schnitt durch einen Vertreter der Nemertinea auf der Ebene des Rüssels (Proboscis). Es ist wahrscheinlich, dass der Grundbauplan des Körpers dem eines triploblastischen Tieres enstpricht, dessen Coelom sich sekundär gefüllt hat.
Abb. 1. Schnitt durch einen Vertreter der Nemertinea auf der Ebene des Rüssels (Proboscis)
Beispiele Plathelminthes: Bachplanarie (Dugesia gonocephala), Planaria maculata (Süßwasser), Taenia saginata (Wirte: Rind, Mensch), T. taeniaeformis, Pärchenegel (Schistosoma mansoni) (Wirt: Mensch), Leberegel (Fasciola hepatica) Nemertinea: Cerebratulus californiensis, Lineus longissimus 284
Artenzahl: 14 680 Ältestes bekanntes Fossil: Die Plathelminthen Platypholinia pholiata und Vladimissa missarzhevskii sind im oberen Präkambrium am Weißen Meer (–550 Mio. Jahre) gefunden worden. Heutiges Vorkommen: weltweit
Plathelminthes 11
Protostomia
Plathelminthes Allgemeines Die Plathelminthen sind stark abgeflachte Tiere (daher auch Plattwürmer genannt). Ihr Verdauungstrakt besitzt nur eine einzige ventrale Öffnung, die gleichzeitig die Funktion von Mund und After übernimmt. Die Tiere sind bilate-
ralsymmetrisch. Außer bei den parasitischen Arten tritt ein differenzenierter Kopf mit einfachen Sinnesorganen auf. Das Größenspektrum schwankt zwischen etwa 1 mm bei einigen schwimmenden Arten bis zu 5 m bei einigen Para-
siten. Der Grundbauplan ist der eines triploblastischen Acoelomaten. Im Inneren des Mesoderms bilden die Organe Systeme – beispielsweise in Form eines Nervenoder eines komplexen Reproduktionssystems. Ein Blutgefäß- und
285
11 Plathelminthes ein respiratorisches System fehlen jedoch. Protonephridien übernehmen die Exkretion und die Osmoregulation. Das Nervensystem umfasst mehrere starke Längsstränge. Der Verdauungstrakt ist häufig verzweigt. Einige parasitische Arten tragen auf ihrer Oberfläche Befes-
Ökologie Der Stamm Plathelminthes umfasst terrestrisch und vor allem aquatisch verbreitete Arten, die entweder frei oder als Parasiten leben. Plathelminthen können Temperaturen von –50 bis + 47 °C ertragen und unter sehr unterschiedlichen Klimabedingungen leben. Sie sind Carnivoren oder Detrivoren. Die meisten Arten sind hermaphroditisch. Die Geschlechtsorgane sind häufig komplex und
Kapitel 8
tigungsorgane wie Haken oder Saugfüße, mit denen sie sich in ihrem Wirt festsetzen. Die Turbellaria (Strudelwürmer) sind frei lebende, schwimmende Plathelminthen, die im Meer oder im Süßwasser vorkommen. Die Monogenea sind parasitische Plathelminthen
ermöglichen interne Befruchtungsmechanismen. Die Spermatozoiden einiger Arten besitzen zwei Geißeln. Der Lebenszyklus der parasitischen Arten ist oft sehr komplex: Er schließt mehrere Wirtsorganismen, mehrere Larvenstadien sowie Phasen ungeschlechtlicher Vermehrung ein. Plathelminthen können verlorenes oder geschädigtes Gewebe regenerieren. Zahlreiche Arten sind Parasiten von Wirbeltieren, und einige stellen auch den Menschen weltweit vor gesundheitliche Probleme. So ist beispielsweise der Pärchenegel Schistosoma mansoni für die in tropischen Ländern auftretende Bilharziose verantwortlich.
Spezielle Merkmale
aquatischer Wirbeltiere; sie besitzen nur einen einzige Wirt. Die Trematoda (Saugwürmer) sind Wirbeltierparasiten, deren Lebenszyklus 2–4 verschiedene Wirtsarten umfasst. Die Cestoda (Bandwürmer) sind innere Parasiten von Wirbeltieren.
dauungssystem und nur eine einzige Darmöffnung („Mund”) besitzen (Abb.1).
Beispiele Cestoda: Taenia saginata (Wirte: Rind, Mensch), Taenia solium (Wirte: Mensch, Schwein), Taenia taeniaeformis Turbellaria: Dugesia gonocephala, Planaria maculata (Süßwasser), Polycelis nigra, Thysanozoon brocchii (marin) Trematoda: Fasciola hepatica (Leberegel des Schafs), Polystonum integerrimum, Schistosoma mansoni (Wirt: Mensch), Schistosoma haematobium Monogenea: Benedenia melleni (befällt Süßwasserfische), Encotyllabe pagrosomi
– Plattwürmer sind triploblastische Tiere, die ein oft komplexes Ver-
Artenzahl: 13 780 Ältestes bekanntes Fossil: Bereits im oberen Präkambrium (–550 Mio. Jahre) vom Weißen Meer mit Platypholinia pholiata und Vladimissa missarzhevskii vertreten
Abb. 1. Organisation von Monocelis galapagoensis
286
Heutiges Vorkommen: weltweit. Die im Süßwasser lebenden Plathelminthen leben vorwiegend in gemäßigten, ja sogar kalten Zonen. Die marinen Arten kommen in allen Meeren vor. Die beachtliche geographische Verteilung an Land ist vor allem auf die Wirte zurückzuführen, die die verschiedenen Arten parasitischer Plathelminthen übertragen. Es gibt nur wenige wirklich terrestrische Arten. Diese kommen vor allem in den Tropen vor und leben dort in feuchten Böden.
Nemertinea 12
Protostomia
Nemertinea Allgemeines Die Nemertinea (auch Nemertini oder Schnurwürmer genannt) sind lange, dorsoventral abgeplattete Coelomaten. Der nicht segmentierte Körper ist bewimpert. Die vordere Partie des Körpers trägt Ocellen, zwei Kopfspalten und einen komplexen Rüsselapparat. Dieser ist nicht mit dem Oesopha-
Ökologie Die Nemertinea sind benthische, marine Würmer. Nur wenige wie Nectonemertes mirabili leben pelagisch. Es gibt auch einige terrestrische und im Süßwasser verbreitete Arten. Die meisten leben in Felsspalten oder unter Steinen. Manche
gus verbunden – mit Ausnahme einiger Gruppen, bei denen eine solche Verbindung sekundär entstanden ist. Die Tiere besitzen einen verzweigten Verdauungstrakt mit Mund und Anus sowie ein Blutgefäßsystem, das im Parenchym eingeschlossen ist. Das Nervensystem umfasst Cerebral-
Arten graben Gänge in lockerem marinem Substrat. Die Nemertinea bewegen sich mit ihrer äußeren Bewimperung oder durch Wellenbewegungen ihres Körpers fort. Die Tiere sind aktive Räuber, die zum Jagen ihren Rüssel benutzen. Der Rüssel wird durch den hydrostatischen Druck des Rhynchocoels
ganglien und entlang der Körperachse verteilte Nervenknoten. Die Nemertinea besitzen ein Exkretionsorgan, das eng mit dem Blutgefäßorgan verknüpft ist. Diese Gruppe enthält die längsten Tiere der Welt: Lineus longissimus beispielsweise wird mehr als 30 m lang.
abrupt ausgestülpt. Die Beute wird ergriffen oder durch ein giftiges, auf dem Rüssel sitzendes Stilett verletzt. Die terrestrischen Arten können ihren Rüssel auch zur Fortbewegung nutzen. Die Nemertinea sind getrenntgeschlechtlich und ovipar. Die Eier, die manchmal durch eine gallertige Masse geschützt sind, werden 287
12 Nemertinea
Kapitel 8
ins Meerwasser abgelegt. Die Entwicklung erfolgt entweder direkt oder aber indirekt, über eine Pilidium-Larve, die eine charakteristische Metamorphose durchläuft.
Spezielle Merkmale – Die Proboscis ist ein ausstülpbarer Rüssel, der vom Verdauungstrakt getrennt ist (Abb. 1). – Das Rhynchocoel (Abb. 1) ist eine röhrige, hydrostatisch gesteuerte Coelomhöhle, die den Rüssel (Proboscis) umhüllt. Wenn durch Muskelkontraktion der Druck steigt, wird der Rüssel ausgestülpt (Abb. 1a–c).
Abb. 1. Rüsselapparat eines Schnurwurms
Artenzahl: etwa 900, aufgeteilt in 2 Klassen
Beispiele Cerebratulus californiensis, Lineus ruber, L. longissimus, Nectonemertes mirabilis, Paranemertes peregrina, Tubulanus annulatus
288
Ältestes bekanntes Fossil: Das älteste sichere Fossil ist Archisymplectes rhoton aus dem Karbon von Illinois (–310 Mio. Jahre). Doch auch bei Amiskwia sp. aus dem Kambrium (von –540 bis –500 Mio. Jahre) könnte es sich um einen Vertreter der Nemertinea handeln. Heutiges Vorkommen: weltweit
Mollusca 13
Protostomia
Mollusca Allgemeines Die Mollusca oder Weichtiere gehören zu den Metazoa. Sie sind triploblastische Coelomaten, deren Coelom bei den Adultformen stark reduziert ist. Diese Organismen zeigen zwar eine große Formenvielfalt, doch ist ihr Bauplan ziemlich homogen. Der oft muskulöse Fuß übernimmt unterschiedliche Funktionen. Die lateralen und dorsalen Körperregionen sind zu einem sekretorischen Mantel modifiziert, der eine Schale und/oder kalkhaltige Nadeln (Spicula) ab-
scheidet. Bei einigen Arten kann die Schale sekundär fehlen oder reduziert in das Körperinnere verlagert sein, wobei sie vom Mantel eingeschlossen wird. Eine Visceralmasse, die im Verhältnis zum Fuß dorsal liegt, ist an ihrem hinteren Ende mit einer Höhle verknüpft, die durch die Mantelfalte begrenzt und als Mantelhöhle bezeichnet wird. Sie öffnet sich nach außen: Hier münden die Exkretions- und Reproduktionssysteme sowie dorsal der After. Die
Mantelhöhle enthält außerdem Organe mit Chemorezeptoren (Osphradien) und ein bewimpertes Kiemenpaar. Der Körper ist nicht segmentiert. Die anfängliche Bilateralsymmetrie kann durch Drehung sekundär abgewandelt sein. Der Verdauungstrakt ist einfach. Der Mund enthält zwei chitinige Kauwerkzeuge und ein bezahntes Band, die Radula. Das Blutgefäßsystem ist offen: Es besteht aus Gefäßen und einem Sinus. Ein dorsal gelegenes Herz bestimmt darin
289
13 Mollusca den Rhythmus der Blutzirkulation. Das Nervensystem besteht aus einem Ring um den Oesophagus sowie aus mehreren Ganglien, da-
Ökologie Die Mollusken bevorzugen aquatische oder zumindest feuchte Lebensräume und kommen marin oder limnisch in Sedimenten vor. Die Muscheln (Bivalvia) wühlen im Sediment oder filtrieren mit ihren Kiemen im Meerwasser suspendierte Mikroorganismen und Nahrungspartikeln aus. Viele Mollusken sind Pflanzenfresser (Gastropoden, Polyplacophora) und beweiden dann Algen oder Landpflanzen: Mit Raspelbewegungen ihrer Radula zerkleinern sie die Pflanzenteile und leiten sie zum Oesophagus. Viele Arten ernähren sich jedoch als Fleischfresser und konsumieren andere Tiere, die an ein Substrat fixiert sind, darunter beispielsweise Bryozoen-Kolonien. Manche Arten sind sogar aktive Jäger mit schnellem Bewegungsablauf und hochentwickeltem Sehvermögen. Dies ist bei den Cephalopoden der Fall: Sie jagen Fische, Krebse und andere Cephalopoden. Einige Gastropodenarten sind Parasiten von anderen marinen Tieren. Die Mollusken sind in der Regel getrenntgeschlechtlich. Einige Gastropoden und Bivalvia sind hermaphroditisch, vollziehen dann aber praktischerweise immer eine gegenseitige Befruchtung. Bei machen Arten gibt es auch Fälle von periodischem Geschlechtswechsel. Die Befruchtung findet meistens extern statt, seltener intern (Gastropoda). Bei den Cephalopoden wirbt das Männchen um die ein Weibchen. Zur Befruchtung benutzt das Männchen einen spezialisierten Arm, um seine Spermatophoren 290
Kapitel 8
runter einem Nervenknotenpaar, das den Fuß, und einer pallealen Schleife, die den Mantel und die Visceralmasse innerviert.Abwand-
(Spermatozoiden-Päckchen) in die Mantelhöhle des Weibchens zu übertragen. Die Weibchen sind meist ovipar, in einigen Fällen auch vivipar. Die Eier werden – oft umhüllt von einer gallertigen Masse, von Schalen oder Kapseln – abgelegt. Einige Tintenfisch-Weibchen brüten die Eier aus, reinigen und verteidigen sie und führen ihnen Sauerstoff zu. Die Larve ist eine bewimperte, schwimmende, planktonische Trochophora. Sie verwandelt sich in eine VeligerLarve und schließlich in ein adultes Tier. Diese Larvenstadien können zeitlich mehr oder weniger komprimiert sein. Bei einigen Gruppen verläuft die Entwicklung auch direkt – beispielsweise bei den terrestrischen
lungen dieser Grundstruktur ergeben die spezifischen Merkmale der 8 Klassen dieses Stamms.
Gastropoden und den Cephalopoden. Unter den Mollusken gibt es sehr große Formen: Der Cephalopode Architeuthis wird einschließlich seiner Tentakel bis zu 20 m lang, während die kleinste Molluskenart etwa die Größe eines Sandkorns erreicht. Viele Cephalopoden, Gastropoden und Muscheln stehen auch auf dem Speiseplan des Menschen. Weinbergschnecken und Austern werden gezüchtet. Aufgrund ihrer Artenzahl, ihrer Diversität und ihrer Biomasseanteile bilden die Mollusken eine wichtige Gruppe innerhalb verschiedener Nahrungsnetze. Sie können Zwischenwirte diverser Parasiten sein (beispielsweise von Schistosoma, dem für den Menschen
Abb. 1. Funktionsschema zur „Transportband”-Funktion der Radula
Mollusca 13
Protostomia gefährlichen Pärchenegel = Erreger der Bilharziose). Die Mollusken sind eine häufige Beute von Walen, Robben, Walrossen und zahlreichen Fischen. Die terrestrischen Gastropoden bilden die Nahrung zahlreicher Tetrapoden.
Spezielle Merkmale – Ein spezialisiertes Integument, der Mantel, scheidet Kalkgebilde (Calciumcarbonat) ab. Diese können, wenn die Drüsenzellen des Mantels vereinzelt angeordnet sind, Spicula sein, oder aber Platten, wenn diese Drüsen ganze Sekretionszonen umfassen. – Die gezähnte, harte Radula, eine buccale Chitinstruktur dient bei der Nahrungsaufnahme des Tieres als Raspel (Abb.1). Dieses chitinige, bezahnte Band kann von Gruppe zu Gruppe anders aussehen.
– Die Kiemen (Ctenidien, Kammkiemen) haben die Form eines Kammes.
Beispiele Solenogastres: Proneomenia aglaopheniae Caudofoveata: Chaetoderma nitidulum. Polyplacophora: Acanthochiton communis, Chiton tuberculatus Monoplacophora: Neopilina galatheae
Gastropoda (Schnecken): Weinbergschnecke (Helix pomatia), Strandschnecke (Littorina littoralis) Cephalopoda (Kopffüßer, Tintenfische): Perlboot (Argonauta argo), Gewöhnlicher Kalmar (Loligo vulgaris), Nautilus (Nautilus pompilus) Bivalvia (Lamellibranchiata, Muscheln): Scheidenmuschel (Solen marginatus), Miesmuschel (Mytilus edulis) Scaphopoda: Elefantenzahn (Dentalium dentalis)
Artenzahl: 117 495 Ältestes bekanntes Fossil: Einige Mollusken-Klassen sind bereits von der Basis des unteren Kambriums bekannt (–540 Mio. Jahre), z. B. Bivalvia wie Heraultipegma sp. aus Sibirien sowie Projetaia runnegari aus Südaustralien und China, Monoplacophora wie Anabarella plana aus Sibirien und Yochelcionella sp. aus Südaustralien. Heutiges Vorkommen: Die Mollusken leben marin, limnisch oder terrestrisch. Sie fehlen lediglich in den trockensten und eisigsten Wüsten.
291
14 Sipunculida
Kapitel 8
Sipunculida Allgemeines Die Sipunculidae (Spritzwürmer) sind wurmförmige, marine Tiere mit einer Länge von 2 mm bis 70 cm. Sie sind bilateralsymmetrisch und nicht segmentiert. Diese Metazoen gehören zu den triploblastischen Coelomaten. Das flüssigkeitsgefüllte Coelom dient als hydrostatisches Skelett. Es gibt weder ein Blutgefäßsystem noch ein Atmungssystem. Der einstülpbare Vorderkörper, auch Introvert genannt, macht etwa die Hälfte der
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Gesamtlänge aus und trägt auf seiner Oberfläche Papillen oder Stacheln. Er endet vorne mit einem Mund, der von bewimperten Tentakeln oder von wulstigen, bewimperten Lappen umgeben ist und im Wasser suspendierte Partikeln einsammelt. Er dient außerdem dazu, im Sediment zu wühlen. Durch den Druck der Coelomflüssigkeit kann er ins Sediment eintauchen, wird aufgepumpt und dient dann als Verankerungs-
punkt. Daraufhin ziehen ihn 1–4 Muskeln wieder ein und ziehen damit den Hinterkörper nach vorne. Die Tentakel haben ihr eigenes hydraulisches Kanalsystem. Der Verdauungstrakt ist U-förmig, da der After an der Dorsalpartie des Vorderkörpers mündet. Das Exkretionssystem besteht aus 1–2 Protonephridien. Sie scheiden die stickstoffhaltigen Abfälle über ein oder zwei Nephroporen aus, die ventral an der Basis des Vorderkör-
Sipunculida 14
Protostomia
pers münden. Das Nervensystem besteht aus einem gelappten Hirn, das unterhalb des Oesophagus liegt. Es ist – ohne ein Ganglion – mit einem einzigen, ventral gelege-
Ökologie Die Sipunculiden sind bodenlebende Meeresbewohner. Sie graben Tunnelsysteme in den Sand oder in den Schlamm und kleiden diese mit Schleim aus. Sie können auch in Felsspalten, in Korallenriffen, in leeren Molluskenschalen, unter Steinen oder zwischen Mangrovenwurzeln leben. Einige Arten sind Ectoparasiten von Anneliden. Die Tiere ernäh-
nen Nervenknoten verknüpft. Die Sipunculida besitzen bewimperte Photorezeptorzellen. Die Körperhülle besteht aus einer Cuticula, einer Epidermis sowie aus Längs-
ren sich von Diatomeen, diversen Einzellern, planktonischen Larven, organischen Sedimentpartikeln oder von mikroskopischen Algenfilmen, die Felsen überkleiden. Mithilfe des Schleims, der das Tentakelbüschel bedeckt, sammeln sie die Nahrungsteilchen ein. Die Bewimperung der Tentakel leitet die Nahrung zum zentral gelegenen Mund. Eine umfangreiche innere Bewimperung im Verdauungstrakt leitet die Nahrung weiter. Die Sipunculida sind bis auf eine hermaphroditische Art getrenntgeschlechtlich. Sie besitzen eine Gonade. Die Gameten werden zunächst ins Coelom und dann durch den Nephroporus nach außen entlassen. Bei einigen Arten entsteht aus dem Ei eine begeißelte, schwimmende Trochophora-Larve, die ein kurzes planktonisches Leben führt. Sie sinkt schnell auf den Meeresboden und durchläuft hier eine Metamorphose. Bei anderen Arten führt
und Ringmuskeln. Die Färbung ist variabel, meist sind die Tiere jedoch farblos.
die Larve ein längeres pelagisches Leben (Pelagosphaera-Larve). Wieder andere Arten schließlich entwickeln sich direkt. Die Sipunculida können sich auch asexuell vermehren, meist in Form einer Querteilung.
Spezielle Merkmale – Der schlanke Vorderkörper (Introvert) trägt um den Mund eine Tentakelkrone (Abb. 1). – Epidermis-Kanäle sind für die Atmung wichtig.
Beispiele Aspidosiphon steenstrupii, Dendrostomum pyroides, Golfingia elongata, G. vulgare, Paraspidosiphon klunzingeri, Phascolion strombi, Sipunculus nudus, S. robustus
Artenzahl: 320 Ältestes bekanntes Fossil: Trypanites sp. datiert in das Ober-Silur (–415 Mio. Jahre).
Abb. 1. Innere Organisation von Golfingia vulgare
Heutiges Vorkommen: Die meisten Sipunculida leben in warmen, flachen Meeren. Trotzdem gibt es auch einige Arten im Polarmeer. Die Sipunculida kommen vor allem in der Gezeitenzone vor, doch findet man sie auch in bis zu 7000 m Tiefe.
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15 Annelida
Annelida Allgemeines
294
Kapitel 8
Annelida 15
Protostomia
Die zu den Coelomaten gehörenden Anneliden (Ringelwürmer) sind Tiere mit zylindrischem Querschnitt. Sie sind segmentiert, bilateralsymmetrisch und zwischen 0,5 mm und 3 m lang. Ihr Körper ist metamerisiert – er ist aus einer Folge identischer Ringe aufgebaut. Die von außen sichtbaren Ringe entsprechen nicht immer der tatsächlichen Metamerisierung. Jeder Ring (Metamer) enthält ein Paar Coelomsäcke (Mesodermsäcke) sowie je ein Element des Nerven-, des Blutgefäß- und des Exkretionssystems. Die Körperhülle besteht aus einer Cuticula und einem Epithel. Das erste Segment (= Kopflappen oder Prostomium) trägt den Mund. Der Verdauungstrakt ist geradlinig und verläuft bis zum Körperende. Dort liegt das Pygidium mit dem After. Bei einigen Arten gibt es einen einstülpbaren Rüssel, der auch Zähne oder chitinige Kauwerkzeuge tragen kann. Die Coelomflüssigkeit bildet ein hydrostatisches Skelett. Das Blutgefäßsystem ist geschlossen. Es umfasst ein dickes dorsales und ventrales Blutgefäß. In einigen Metameren können die Blutgefäße die Funktion von Herzen haben. Sie sind mit Ventilen ausgerüstet, die durch ihre Kontraktion das Blut zirkulieren lassen. Respiratorische Pigmente wie Hämoglobin, Chlorocruorin oder Hämerythrin, die für den Sauerstofftransport zuständig sind, kommen häufig vor. Der Austausch der Atemgase findet durch die feuchte
Ökologie Bei den Anneliden findet man marine, terrestrische und im Süßwasser lebende Arten. Die marinen Poly-
Körperhülle statt, aber auch über Kiemen, oder – wie bei den Polychaeten – über Parapodien. Die Parapodien sind seitliche, der Bewegung dienende Fortsätze (Ruder) der Metamere. Der Exkretionsapparat besteht aus einem Paar Nephridien pro Segment. Das Nervensystem besteht aus einem Cerbralganglion im ersten Segment (Kopflappen, Protostomium) und einem Strickleitersystem mit zwei ventralen Hauptnerven, die pro Segment ein Ganglienpaar enthalten. Zahlreiche frei lebende Anneliden besitzen Komplexaugen mit Cristallin und Retin, Tentakel am Vorderende des Körpers sowie Gleichgewichtsorgane, die dicht beim Gehirn sitzen. Sie tragen auf ihrer Oberfläche häufig Chitinborsten. Vertreter der Klasse Vielborster (Polychaeten) sind marine Würmer, deren Metamere jeweils seitliche Fortsätze (= Parapodien) tragen. Sie dienen der Fortbewegung und tragen Büschel aus starren Chitinborsten. Der Kopf setzt sich aus mehreren modifizierten Segmenten zusammen, die miteinander verschmolzen sind. Er trägt Antennen, Augen, Fühler, Kauwerkzeuge und Tentakelcirren. Die Polychaeten haften entweder an einem Substrat fest oder sind frei beweglich (Arenicoliden, Nereiden, Sabellarien). Die Myzostomida, Parasiten von Crinoiden, leiten sich wahrscheinlich von kleinen Polychaeten ab. Die Wenigborster (Oligochaeta) besitzen ein Prostomium ohne
chaeten (Vielborster) sind Schwimmer, Röhrenbewohner oder benthische Wühler. Sie sind Jäger und leben ebenso vom Fang diverser Tiere wie von deren Eiern. Sie können im Sand
vorspringende Sinnesorgane. Parapodien fehlen, doch dafür tragen sie wenige, einfache Chitinborsten. Ihre Reproduktionsorgane erstrecken sich über wenige Segmente. Eine drüsige Hautregion, das Clitellum, sezerniert einen Kokon, in dem sich die Eier entwickeln. Oligochaeten kommen im Süß- und im Meerwasser vor. Manche leben auch terrestrisch, beispielsweise die Lumbricidae (Regenwürmer) und die Kompostwürmer. Die Hirudinea (Egel) besitzen am Hinter- und manchmal auch am Vorderende einen Saugnapf. Diese Vertreter sind ventral abgeplattet und besitzen weder Borsten noch Parapodien. Zu dieser Gruppe gehören die Blutegel. Die modernen Phylogenien zeigen, dass die Polychaeten paraphyletisch sind. Die Oligochaeten und die Hirudinea, für die allerdings keine Synapomorphien bekannt sind, bilden das Kladon Clitellata. Einige Organismen, die früher als eigene Stämme beschrieben worden sind, scheinen abgeleitete Polychaeten zu sein, so die Pogonophoren und die Vestimentifera – Tiere, die in größerer Meerestiefe vorkommen. Ebenso ist dies bei den Echiurida der Fall – Tiere, die wie Bonellia viridis die Zoologen lange Zeit fasziniert haben. Vielleicht betrifft dies auch die Gnathostomulida – Tiere, die im Lückensystem der Fauna des Meeressandes als Teil der Meiofauna leben. Diese Sicht ist allerdings noch sehr umstritten.
oder Schlamm jedoch auch mikrophagisch leben. Die Filtrierer leben meist in selbstgebauten Kalkröhren oder Röhren, die sie durch Verkleben von Sandkörnern konstruieren. Diese 295
15 Annelida Würmer filtrieren das Meerwasser mit Hilfe ihrer Tentakel. Auch um zu atmen, strecken sie ihre Kiemen weit aus den Röhren heraus. Die Tentakel sind mit einer Wimpernreihe ausgerüstet, welche die aus dem Meerwasser gefilterten Nahrungspartikeln zum Mund leiten. Die Oligochaeten (Wenigborster) leben im Meer, im Süßwasser oder an Land. Sie sind Mikrophagen. Die terrestrischen Oligochaeten sind Wühler und lieben die Feuchtigkeit. Sie ernähren sich von verrottendem organischem Material im Boden, das sie einspeicheln, bevor sie es aufnehmen. Sie sind überaus wichtig für die Belüftung der Böden und die Wiederverwertung von organischem Material. Die Hirudinea (Egel) leben aquatisch und terrestrisch. Diese Anneliden sind Ectoparasiten aquatischer Tiere und landlebender Wirbeltiere. Die Blutegel setzen sich mit einem oder zwei Saugnäpfen an ihrem Wirt fest und saugen Blut. Einige terres-
Abb. 1. Metamorphosestadium der TrochophoraLarve. Die farbig unterlegte Partie ist metamer aufgebaut.
296
Kapitel 8 trische Arten der Tropen sind besonders in den Regenwäldern häufig. Die Anneliden können sich sowohl ungeschlechtlich als auch geschlechtlich vermehren. Mit Ausnahme der Egel können sie ihren Körper teilen und die fehlende Partie jeweils regenerieren. Polychaeten sind gewöhnlich getrenntgeschlechtlich; die Befruchtung findet extern statt. Aus dem Ei entsteht eine bewimperte, schwimmende Trochophora-Larve. Einige Polychaeten-Arten bebrüten ihre Eier. In manchen Fällen beschützt das Männchen das Gelege und versorgt es mit Sauerstoff. Bei einigen Arten teilen sich die einzelnen Tiere zum Zeitpunkt der Reproduktion. Daraus entsteht ein weiteres Tier, das auf die Gametenproduktion spezialisiert ist. Die dabei unter endokriner Kontrolle ablaufenden gestaltlichen Veränderungen sind so tiefgreifend, dass die Zoologen fallweise glaubten, dass die unreife bzw. die reproduktive Form verschiedene Arten darstellen. Die Oligochaeten und die Egel sind Zwitter (Hermaphroditen) mit gegenseitiger Befruchtung. Die Eier, in schleimigen Kokons abgelegt, werden zu Jungtieren, die bereits den Adulten ähneln – es gibt somit kein Larvenstadium. Dies ist als Anpassung an das terrestrische Leben anzusehen. Die Pogo-
Abb. 2. Morphologie des Polychaeten Branchiura sp.
nophoren (Bartwürmer) und die Vestimentiferen (Obturata) sind überwiegend ökologische Spezialisten der Tiefsee: Sie leben gewöhnlich nur in der Nähe heißer hydrothermaler Quellen (black smoker-Lebensgemeinschaften). Bei den Echiurida (Igelwürmer) zeigen die Bonellien einen bedeutenden Sexualdimorphismus mit einem Zwergmännchen, das gleichsam als Parasit auf dem Weibchen lebt. Die Gnathostomulidae sind Tiere, deren Körper aufgrund ihrer Lebensweise in der Meiofauna stark vereinfacht ist (fehlendes Coelom).
Spezielle Merkmale Trotz des homogenen Grundbauplans gibt es bei den Anneliden so gut wie keine abgeleiteten Hauptmerkmale. Man könnte höchstens zwei spezielle Merkmale anführen: – Die Tiere sind grundsätzlich metamerisiert (Abb. 1). Eine Abwandlung der Metamerie ist immer sekundär. Branchiura zeigt eine nahezu gleichförmige Metamerie. Nur die hintere Körperpartie trägt Kiemen (Abb. 2). – Die Anneliden sind die einzigen Protostomia mit geschlossenem Blutgefäßsystem (Abb. 3).
Annelida 15
Protostomia
Beispiele Polychaeta (Vielborster): Seemaus (Aphrodita aculeata), Wattwurm (Arenicola marina), Halosydina sp., Hydroides norvegica, Schillernder Seeringelwurm (Nereis diversicolor), Owenia fusiformis, Protula tubularia, Pfauenwurm (Sabella pavonina) Oligochaeta (Wenigborster): Andiodrillus buollyi, Eisenia foetida, Regenwurm (Lumbricus terrestris), Riesenregenwurm (Megascolides australis), Bachröhrenwurm (Tubifex tubifex) Hirudinea (Egel): Haementeria officinalis, Fischegel (Haemopsis sanguisuga), Blutegel (Hirudo officinalis) Echiurida (Igelwürmer): Bonellia viridis, Thalassema hartmani Pogonophora (Bartwürmer): Lamellisabella sp. Vestimentifera (Obturata): Riftia pachyptila
Abb. 3. Blutgefäßsystem der Anneliden
Artenzahl: 14 360 (Polychaeten: 10 000, Oligochaeten: 3 500, Achaeten: 500, Echiuriden: 135, Pogonophoren und Vestimentiferen: 145, Gnathostomuliden: 80) Ältestes bekanntes Fossil: Das älteste Fossil ist ein Vertreter der Echiurida (Annelida): Protechiurus edmonsi stammt aus dem höheren Vendium Namibias ( –560 Mio. Jahre). Man fand Anneliden auch an der Basis des Kambriums: Palaeoscoleca sinensis (–530 Mio. Jahre) in Yunnan/China, Scolelepsis sp. (–540 Mio. Jahre) in Australien. Möglicherweise handelt es sich bei einigen seltsamen Fossilien aus der präkambrischen EdiacaraFauna ebenfalls um Anneliden. Heutiges Vorkommen: Die marinen Anneliden kommen in allen Ozeanen vor. Die terrestrischen und aquatischen Anneliden haben sämtliche Kontinente besiedelt – lediglich auf Madagaskar und in der Antarktis fehlen sie.
297
16 Lophophorata
Kapitel 8
Lophophorata Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Der Körper der Lophophorata besteht aus den 3 Teilen Prosoma (Protosoma) – in reduzierter Form auch als Epistom (Oberlippe) bezeichnet –, Mesosoma (Kragen) und Metasoma (Rumpf). Jede dieser Körperregionen schließt ein Coelomkompartiment ein. – Der Verdauungstrakt ist U-förmig. – Der Lophophor umgibt ausschließlich den Mund und enthält Ausläufer des Coeloms (Abb. 1).
Abb. 1. Apikalansicht eines Phoroniden-Lophophors (vgl. Abb. 1/Seite 301)
Beispiele Ectoprocta: Cristatella mucedo, Membranipora membranacea Phoronozoa: Lingula anatina, Lacazella mediterranea, Magellania flavescens, Terebratulina retusa, Phoronis architecta, Phoronis psammophila, Phoronopsis harmeri 298
Artenzahl: 4850 Ältestes bekanntes Fossil: Die Brachiopoden sind bereits von der Basis des Kambriums (–540 Mio. Jahre) bekannt. Sie sind in allen späteren Epochen, vor allem im Ordovizium, mit zahlreiche Fossilien (12 000 bekannte Fossilienarten) vertreten. Heutiges Vorkommen: weltweit
Ectoprocta 17
Protostomia
Ectoprocta Allgemeines Die Ectoprocta werden auch Bryozoen (Moostierchen) genannt. Sie sind kleine, marin oder limnisch verbreitete und in Kolonien lebende Tiere, die an ein Substrat fixiert sind. Die Kolonie besteht aus zahlreichen Individuen, den Zooiden. Sie entstehen durch Knospung aus einem einzigen Individuum. Den Körper des Zooids schützt ein chitiniges, gallertiges oder ein Chitin sowie Kalk enthaltendes Exoskelett. Dieses Skelett erstreckt sich über sämtliche Zooide einer Kolonie. Eine Kolonie kann einen bis mehrere Zentimeter groß sein, ein einzelnes Zooid misst etwa 0,5 mm. Je nach Art können die Kolonien krustenförmig flach oder strauchig verzweigt sein sowie auch
unregelmäßige Formen annehmen. Mit bloßem Aug betrachtet erinnern sie häufig an eine Art Wassermoos – daher auch die Bezeichnung Bryozoa. Die Zooide sind bilateralsymmetrisch und nicht segmentiert. Benachbarte Zooide sind untereinander verbunden. Ein Zooid besteht aus einem Kelch, der den Lophophor trägt, sowie Gonaden und einem U-förmigen Verdauungstrakt. Der Mund sitzt im Inneren der Tentakelkrone; der Anus befindet sich am Vorderende – allerdings außerhalb des Raums, der durch die Tentakel begrenzt wird. Die Epidermis scheidet ein Exoskelett ab. Der Lophophor tritt über eine röhrenförmige Öffnung des Exoskeletts
ein und aus. Ein Retraktormuskelpaar befestigt den Kelch am Skelett und ermöglicht das Einziehen der Tentakeln. Ein Kreislauf-, Atmungs- oder Exkretionsapparat fehlen. Der Gasaustausch verläuft durch die Gewebe. Das Nervensystem ist einfach gebaut. Es besteht aus einem um den Mund verlaufenden Nervenring, an dem die Nerven entspringen. Innerhalb einer Kolonie können sich die Zooide manchmal auf eine bestimmte Funktion (Ernährung, Verteidigung, Bebrüten der Eier, etc.) spezialisieren und sich somit in den Dienst der Gesamtkolonie stellen.
299
17 Ectoprocta
Kapitel 8
Ökologie Die Ectoprocten (Bryozoen) sind vor allem marine Tiere. Dennoch leben etwa 50 Arten im Süßwasser. Die Kolonien bilden auf Felsen oder auf der Oberfläche größerer Algen gallertartige oder feste Überzüge. Die Individuen ernähren sich grundsätzlich von Phytoplankton. Die Tentakel werden aus dem Skelett ausgefahren, indem der hydrostatische Druck in der Coelomhöhle erhöht wird. Diese Druckveränderung wird durch die Kompression bestimmter Körperpartien erreicht. Das Plankton wird mit den Wimpern der Tentakel eingefangen. Diese erzeugen gleichzeitig eine Strömung, die die Nahrung zum Mund leitet. Die Tentakelkrone kann durch die Aktion eines speziellen, am Skelett ansetzenden Muskelpaares schlagartig eingezogen werden. Die im Süßwasser lebenden Ectoprocten sowie die Kolonie bildenden marinen Formen besitzen hermaphroditische Zooide. Abwechselnd produzieren sie Spermien und Eizellen. Bei den Ectoprocten werden die Gameten auf verschiedene Weise zunächst ins Coelom, später nach außen abgegeben – es gibt jedoch keine spezialisierten Genitalwege. Die Befruchtung findet intern, jedoch ohne Begattung statt. Die meisten Ectoprocten sind ovipar und entlassen kleine Eier ins Meerwasser, aus denen die schwimmenden Larven schlüpfen. Nach einem pelagischen Lebensabschnitt heften sich diese an ein Substrat, durchlaufen eine Metamorphose und nehmen die Gestalt des adulten Tieres an. Einige Arten betreiben Brutpflege. Fallweise treten spezielle Reproduktions-Zooide auf, bei denen die Tentakel und der Verdauungstrakt feh-
300
Abb. 1. Organisation von Bowerbankia sp.
len können. Die Befruchtung findet entweder im Coelom oder in einer speziellen Kammer statt. Die Eier werden durch eine Coelompore (Coelomoporus) oder durch eine Pore, die mit einem speziellen Organ verknüpft ist und in den Tentakeln mündet, nach außen abgegeben. In einigen Arten kommt Polyembryonie vor. Bei den Süßwasserarten der gemäßigten Zonen sterben die Kolonien im Herbst ab. Dabei scheiden sie Statoblasten ab – Zellpakete, die durch eine Wand geschützt sind und so die ungünstige Periode überdauern. Im Frühjahr entstehen daraus neue Zooide. Bei der ungeschlechtlichen Vermehrung kann ausgehend von einer einzigen Larve eine ganze Kolonie entstehen.
Spezielle Merkmale – Innerhalb der Lophophoraten sind die Ectoprocta durch sekundäre Verluste charakterisiert: Das Epistom, das der Vorderpartie mit dem ersten Coelomvesikel entspricht, fehlt. Ebenso sind Kreislauf-, Atmungs- und Exkretionsapparat verschwunden. – Der Lophophor lässt sich einziehen (Abb. 1).
Beispiele Bugula neritina, Cellaria sinuosa, Cristatella mucedo, Flustrellida hispida, Lophopus sp., Membranipora membranacea, Plumatella casmiana
Artenzahl: etwa 4500, aufgeteilt in 4 Klassen und 9 Ordnungen. Ältestes bekanntes Fossil: Aus dem unteren Ordovizium (–480 Mio. Jahre) sind verschiedene Fossilien bekannt, z. B. Wolinella baltica aus dem Ostseeraum, Profistulipora arctica aus Russland, Xenotrypa primaeva und Revalotrypa eugeniae aus Estland. Heutiges Vorkommen: weltweit
Phoronozoa 18
Protostomia
Phoronozoa Einige Vertreter
Spezielle Merkmale
Phoronida: Phoronis architecta, P. psammophila, Phoronopsis harmeri
– Das Prosoma ist reduziert und in eine gewölbte Oberlippe, das Epistom, umgewandelt, das in den Mund hineinragt (Abb. 1).
Beispiele Brachiopoda: Lingula anatina, Lacazella mediterranea, Magellania flavescens, Terebratulina retusa
Artenzahl: 350 Ältestes bekanntes Fossil: Die Brachiopoden sind mit mindestens 12 Familien aus dem frühen Kambrium (–540 Mio. Jahre) bekannt. Das Spurenfossil Skolithos aus dem unteren Kambrium (–540 Mio. Jahre) Deutschlands und Nordaustraliens ist eine Röhre, die wahrscheinlich von einem Phoroniden stammt. Heutiges Vorkommen: weltweit
Abb. 1. Aufbau der Apikalpartie eines Phoroniden
301
19 Brachiopoda
Kapitel 8
Brachiopoda Allgemeines Die Brachiopoda oder Armfüßer sind bilateralsymmetrische, nicht segmentierte Tiere. Ihr Körper befindet sich in einem Gehäuse, das aus zwei ungleich großen und dorsoventral angeordneten Schalenklappen besteht. Im Gegensatz zu den Bivalvia (Muscheln), deren Schalenklappen rechts und links angeordnet sind, tragen die Brachiopoden also eine dorsale und eine ventrale Schalenklappe. Die Tiere besitzen einen flexiblen Stiel, mit dem sie sich am Substrat befestigen. Der Stiel dient häufig auch dazu, die Tiere mit ihrer Ventralseite nach oben auszurichten. Das ganze Gebilde ist 1–6 cm lang. Die Schale besteht aus Chitin und Calciumcarbonat oder Calciumphos-
302
phat. Sie wird von einem Ausläufer der Körperhülle (= Mantel) sezerniert. Der Mantel der Brachiopoden wird von Borsten gesäumt. Er ist dem der Mollusken nicht homolog. Der Innenraum der Schale wird größtenteils vom Lophophor ausgefüllt, der von einem dünnen Skelettstück getragen wird. Je nach Art endet der Verdauungstrakt blind oder besitzt einen After, der in die Mantelhöhle mündet. Verglichen mit dem Lophophor, der am Hinterende der Schale ansetzt, nimmt die Gesamtheit der Organe nur ein begrenztes Volumen ein. Das Coelom ist groß und erstreckt sich in den Mantel und die Tentakel. Das Blutgefäßsystem ist offen und enthält ein kleines, kontrakti-
les Herz. Der Sauerstoff wird über das Blut transportiert. Der Exkretionsapparat besteht aus einem oder zwei Paar rudimentären Nieren, die auf beiden Seiten des Darms liegen. Das Tier besitzt drei Muskelpaare, von denen eines die Schalenklappen öffnet und schließt. Die beiden anderen sind mit dem Stiel verbunden. Das Nervensystem besteht aus einem, um den Oesophagus liegenden Ring, von dem die Nerven ausgehen. Es gibt keine individuellen Gonaden, sondern nur je ein Paar dorsale und ventrale Keimzell-Aggregate. Die Brachiopoden teilt man in zwei Klassen ein: Die Inarticulata besitzen kein Schalenschloss, das die beiden Schalenklappen miteinander ver-
Brachiopoda 19
Protostomia
bindet, während die Articulta, die ein solches Schalenschloss aufweisen, jedoch keinen Anus besitzen.
Die phylogenetische Stellung der Brachiopoda hat viele Probleme aufgeworfen. Ihre charakteristische
Entwicklung ließ kurzzeitig sogar daran denken,dass es sich um Deuterostomier handeln könnte.
Aus dem Ei entsteht eine schwimmende, planktonische und bewimperte Larve. Die Metamorphose führt zur Adultform. Die einzigen Feinde der Brachiopoden sind Seesterne.
Spezielle Merkmale
Abb. 1. Sagittalschnitt durch Magellania sp.
Ökologie Die Brachiopoden leben ausschließlich marin und überwiegend in der Tiefe. Die meisten sind sesshaft. Eini-
ge Arten – beispielsweise Lingula anatina – durchwühlen mit senkrechten Gängen das Sediment. Man findet die Tiere bevorzugt in kalten Meeren, von der Gezeitenzone bis in größere Tiefen. Alle Brachiopoden ernähren sich als Filtrierer von organischen Partikeln. Die Individuen sind getrenntgschlechtlich. Die Befruchtung findet außerhalb des Körpers statt. Die Eifurchung ist radiär.
– Ein spezieller Mantel sondert eine Schale ab. – Die beiden Schalenklappen sind rechtwinklig zur Symmetrieebene angeordnet, so dass eine auf der Rücken- und eine auf der Bauchfläche des Tieres liegt (Abb. 1). – Ein Stiel, der der ventralen Schalenklappe entspringt, fixiert das Tier am Substrat (Abb. 2).
Beispiele Inarticulata (Ecardines): Lingula anatina, Discinisca lamellosa Articulata (Testicardines): Lacazella mediterranea, Magellania flavescens, Gryphus vitreus, Terebratulina retusa
Artenzahl: 335, verteilt auf 5 Ordnungen und 2 Klassen. Ältestes bekanntes Fossil: Die Brachiopoden sind mit mindestens 12 Familien seit dem frühen Kambrium (–540 Mio. Jahre) bekannt. In allen späteren Epochen haben sie zahlreiche Fossilien (etwa 12 000 fossile Arten) hinterlassen, insbesondere während des Ordoviziums (–500 bis –435 Mio. Jahre). Gegen Ende des Perm (–245 Mio. Jahre) starben zahlreiche Formen wieder aus. Die Zahl der überlebenden Arten ist gering, auch ihre geographische Verteilung ist nur noch punktuell. Die heute noch lebende Gattung Lingula ist bereits aus dem Ordovizium bekannt.
Abb. 2. Lingula sp. von vorne und von der Seite. Das Tier ist mit seinem Stiel am Grund seiner Wohnhöhle verankert.
Heutiges Vorkommen: Man findet diese Organismen auf der ganzen Welt – allerdings nur punktuell. So sind sie besonders in kalten Meeren anzutreffen, in antarktischen und subantarktischen Meeren sowie an den Küsten Südamerikas, Australiens und Neuseelands. Mit wenigen Arten kommen sie im Mittelmeer und im Ärmelkanal vor. 303
20 Phoronida
Kapitel 8
Phoronida Allgemeines Die Phoronida (Hufeisenwürmer) sind solitäre, marine Organismen. Sie sind wurmförmig, bilateralsymmetrisch und unsegmentiert. Ihr Körper ist von einer chitinigen Röhre umschlossen, die manchmal von Sandkörnen bedeckt ist. Der Körper ist stets dreigeteilt: Das Epistom ragt in den Mund hinein, das Mesosom trägt den Lophophor, das restliche Tier besteht aus dem Metasoma. Diese drei Abschnitte spiegeln jedoch keine Regionalisierung in Vorder- und Hinterteil wider, da der Verdau-
Ökologie Die Phoroniden leben in flachen Meeren und gewöhnlich unterhalb der Niedrigwasserlinie. Das adulte Tier ist an ein Substrat fixiert. Es ernährt sich von Plankton und von 304
ungstrakt U-förmig ist und der Mund dorsal nahe dem Lophophor (aber außerhalb davon) gelegen ist. Je nach Art messen die Individuen 1 mm bis 50 cm und können gelb, rosa oder orange gefärbt sein. Die Coelomhöhle ist dreigeteilt. Das Coelom des Mesosomas erstreckt sich in die Tentakeln. Die Körperhülle besitzt eine Lage Ring- und Längsmuskelfasern. Der Lophophor kann eingezogen werden. Das Blutgefäßsystem enthält hämoglobinloses Blut. Der Gasaustausch findet über die Gewebe statt,
organischer Substanz, die im Meerwasser gelöst ist. Die Nahrung wird durch die Bewimperung der Tentakeln zum Mund geleitet. Diese Tentakel haben darüber hinaus die Fähigkeit, unerwünschte Partikel auszusortieren und gleichsam aus-
hauptsächlich über den Lophophor. Das Exkretionssystem besteht aus einem Paar Metanephridien, die über zwei neben dem After gelegenen Poren münden. Das Nervensystem befindet sich in der Körperhülle unter dem Epithelium. Zum Nervensystem gehört auch ein um den Mund verlaufender Nervenring, von dem Nerven zu den Tentakeln und zu anderen Strukturen ziehen. Die Phoroniden besitzen auf ihrer Körperoberfläche Sinneszellen.
zuspucken. Die meisten Arten sind Zwitter. Die an der Hinterseite der Coelomhöhle liegenden Gonaden der beiden Geschlechter sind deutlich voneinander getrennt. Die Gameten werden über die Nephridien ausgeleitet. Die Eizellen werden
Phoronida 20
Protostomia durch die Tentakeln in einen abgegrenzten Raum geführt. Dort findet die externe Befruchtung durch die im Wasserstrom schwimmenden, von einem anderen Individuum stammenden Spermien statt. Bei einigen Arten entwickeln sich die befruchteten Eier zwischen den Tentakeln. Die frei schwimmende Larve ist bewimpert. Sie lebt einige Zeit pelagisch, bevor sie sich an einem Substrat festsetzt und die Metamorphose durchläuft. Diese Organismen können sich darüber hinaus durch Teilung mit anschließender Regeneration ungeschlechtlich vermehren.
Spezielle Merkmale – Charakteristisch für den Stamm Phoronida ist die etwa 400 µm große Actinotrocha-Larve. Das Metasoma ist an seinem Ende stark ampullenartig geweitet (Abb. 1).
Beispiele Phoronis architecta, Phoronis hippocrepia, Phoronis psammophila, Phoronopsis harmeri
Abb. 1. Organisation von Phoronis sp.
Artenzahl: 15 Ältestes bekanntes Fossil: Skolithos aus dem unteren Kambrium (–540 Mio. Jahre) Deutschlands und Nordaustraliens ist ein Spurenfossil (= Wohnröhre), die wahrscheinlich von einem Phoroniden angelegt wurde. Mit Sicherheit identifizierte Phoroniden sind seit dem UnterDevon (–420 Mio. Jahre) bekannt. Heutiges Vorkommen: in allen Weltmeeren
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21 Chaetognatha
Kapitel 8
Chaetognatha Allgemeines Die Chaetognathen oder Pfeilwürmer sind kleine, planktonische Organismen. Sie sind bilateralsymmetrisch und 0,5–12 cm lang. Einige Arten der Gattung Spadella leben benthisch. Der transparente Körper erinnert an einen Pfeil und ist in drei Abschnitte unterteilt. Der Kopf ist mit Augen, einem Mund und mit kräftigen ChitinHaken ausgestattet. Die Haken können durch eine Kopfkappe völlig bedeckt sein, die von einer Integumentfalte des Halses gebildet wird und den Wasserwiderstand beim Schwimmen verringert. Der Rumpf trägt zwei seitliche Flossen. Das Hinterende
Ökologie Die Chaetognathen leben im Plankton und kommen von der Wasseroberfläche bis zu einer Tiefe von 900 m vor. Als Räuber stellen sie vor allem planktonischen Kleinkrebsen (Copepoden) nach. Deren Schwimmbewegungen erzeugen charakteristische Vibrationen, die die Chaetognathen wahrnehmen. Anhand solcher Vibrationen können die Chaetognathen ihre Beute aufspüren. Darüber hinaus können sie auch Fische fangen. Beim Beutefang wird die Kopfkappe zurückgezogen, und die Haken werden frei. Sie dienen dazu, die Beute zu packen, zu verletzen und ihr Gift zu injizieren. Die Tiere sind Zwitter. Die Individuen erkennen einander 306
des Tieres ist hinter dem After mit einer unpaaren, horizontalen Flosse ausgestattet. Die Chaetognathen haben weder einen Kreislauf- noch einen Exkretionsapparat. Ihre phylogenetische Stellung ist recht unsicher. Ihre Embryonalentwicklung ließ zeitweilig daran denken, dass sie Deuterostomier sein könnten. Die molekularen Phylogenien haben diese Sicht jedoch eindeutig widerlegt. Die Chaetognathen sind eindeutig Protostomia, die eine spezifische Entwicklung aufweisen. Dennoch lässt sich daraus für die Chaetognathen keine plausible Stellung innerhalb dieses Kladons ableiten.
durch Signalverhalten. Die Befruchtung findet intern statt und erfolgt durch wechselseitigen Tausch eines Spermatophors. Die Entwicklung des Eies verläuft direkt.
Spezielle Merkmale – Die Grundform des dreigeteilten Körpers ist sehr homogen und zeigt charakteristische Flossen (Abb. 1). – Der Mund ist von chitinigen Haken (Zähne und Stacheln) umgeben, die eine typische Form und Anordnung aufweisen (Abb. 2). – Eine besondere Kopfkappe kann den Kopf bedecken und die Haken schützen (Abb. 1).
Abb. 1. Bauchansicht von Spadella sp.
Chaetognatha 21
Protostomia
Beispiele Krohnitta subtilis, Sagitta elegans, Spadella cephaloptera
Abb. 2. Kopf von Sagitta sp.
Artenzahl: etwa 100 Ältestes bekanntes Fossil: Wenn man Amiskwia (aus dem berühmten Burgess-Schiefer; Kambrium, –520 Mio. Jahre) nicht den Chaetognathen zurechnet, stellt Paucijaculum (Karbon, –340 Mio. Jahre) das älteste Chaetognathen-Fossil dar. Nicht benannte Exemplare datieren jedoch in das Kambrium von British Columbia/Kanada. Heutiges Vorkommen: Man findet diese Tiere zwar in allen Weltmeeren, doch die Mehrzahl lebt in tropischen Gewässern.
307
22 Cuticulata
Kapitel 8
Cuticulata Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Cuticulata besitzen eine zweischichtige Cuticula, die aus der Epicuticula und der Procuticula besteht. Die Epicuticula besitzt drei Laminae: Von außen nach innen sind dies eine Zement-, eine Wachs- und eine komplexe Cuticulinschicht (Abb. 1). – Terminale Mundöffnung – Der Pharynx hat eine dreistrahlig angeordnete Muskulatur, die meist mit einem dreilippigen Mund korreliert (Abb. 2).
(Coccinella septempunctata), Bärtierchen (Echiniscus trisetosus), Macrobiotus hufelandi, Schweinespulwurm (Ascaris lumbricoides), Muskeltrichine (Trichinella spiralis) (Trichinose-Erreger), Caenorhabdi-
tis elegans, Gordius robustus, Nectonema agile, Tubiluchus corallicola, Priapulus bicaudatus, Cateria styx, Kinorhynchus sp., Nanaloricus mysticus
Beispiele Gastrotricha: Lepidoderma squamatum, Thaumastoderma heideri Ecdysozoa: Heteroperipatus engelhardi, Peripatus jamaicensis, Kreuzspinne (Araneus diadematus), Scorpio maurus, Taschenkrebs (Cancer pagurus), Siebenpunktmarienkäfer
308
Abb. 1. Schnitt durch die Epicuticula eines Insekts
Cuticulata 22
Protostomia
Abb. 2. Vorderansicht des dreilippigen Mundes des Nematoden Ascaris sp.
Artenzahl: 978 024 Ältestes bekanntes Fossil: Ein Gelenk, das von einem Arthropoden stammen könnte, ist aus der präkambrischen Ediacara-Fauna (–680 Mio. Jahre) bekannt. Mehrere trilobitomorphe Arthropoden stammen aus der Zeit vor dem Kambrium (–580 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
309
23 Gastrotricha
Kapitel 8
Gastrotricha Allgemeines Die Gastrotricha oder Bauchhärlinge sind bilateralsymmetrische, 50 µm bis 4 mm lange Tiere. Sie haben einen länglichen Körper, der gerade oder flaschenförmig sein kann, und einen gelappten Kopf. Die Bauchseite ist abgeplattet und bewimpert. Die Anordnung der Wimpern wird zur Klassifizierung verwendet. Der Körper ist von einer Cuticula bedeckt, die nicht aus Chitin besteht und mit diversen Cuticulargebilden (Dornen, Borsten, Schuppen) bedeckt ist. Der Rücken trägt eine spezielle
Ökologie Die Gastrotricha sind marine Tiere der Gezeitenzone. Es gibt auch einige 310
Bewimperung: Jede Zelle trägt nur eine einzige axonematische Geißel. Der Rücken und die Flanken sind stachelig oder schuppig. Der hintere Teil des Tieres ist gegabelt und kann bis zu 250 Haftröhrchen tragen. Diese scheiden eine Substanz ab, mit der sich das Tier vorübergehend im Sand oder an einem Substrat festsetzt. Der Körper ist transparent. Die Gastrotricha besitzen einen vollständigen Verdauungstrakt und einen muskulösen Pharynx. Sie haben weder ein Skelett noch ein Respirations- oder
Süßwasserarten. Sie bewohnen das Sedimentlückensystem oder die Oberfläche schwimmenden Detritus, auf Tieren oder oder auf unterge-
Kreislaufsystem. Ihre Osmolarität regulieren sie mithilfe der Protonephridien, rudimentären Ausscheidungsorganen. Die Gastrotricha haben Ring- und Längsmuskeln. Das Nervensystem ist gut entwickelt; es umgibt den Pharynx am vorderen Ende als Cerebralganglion und setzt sich nach hinten in einen paarigen Längsstrang fort. Als Sinneseinrichtungen dienen einfache Stacheln und Sinneszellen. Einige Arten haben rot gefärbte Photorezeptoren.
tauchten Pflanzen, ferner im Bodenwasser oder in limnischen Stillgewässern. Sie ernähren sich von Resten organischen Materials sowie von
Gastrotricha 23
Protostomia Foraminiferen und Diatomeen, die sie mit ihrer ventralen Bewimperung zum Mund transportieren. Sie selbst sind die Beute von Amöben, Hydrozoen, Turbellarien, Insekten, Krebsen und Anneliden. Die marinen Gastrotrichen sind zwittrig: Sie produzieren abwechselnd Eizellen und Spermatozoiden – aber nicht mit der selben Gonade. Das Individuum, das männliches Verhalten zeigt, überträgt einen Spermatophor (Spermatozoidensack) auf das Individuum, das weibliches Verhalten zeigt. Als Weibchen produziert dieses in seinem Leben nur 5 große Eier. Die Entwicklung ist direkt. Die Süßwasser-Gastrotricha vermehren sich meistens parthenogenetisch. Sie produzieren zwei Typen von Eiern – dünnschalige Eier,
die sich sofort nach der Ablage entwickeln sowie Dauereier, die erst extreme Temperaturen oder Trockenperioden überdauern, bevor sie sich entwickeln. Diese treten dann auf, wenn die Tiere vorübergehend unter ungünstigen Umweltbedingungen leben.
Spezielle Merkmale
– Die Cuticula bedeckt den gesamten Körper, einschließlich der lokomotorischen und sensorischen Wimpern.
Beispiele Lepidoderma squamatum, Polymerurus rhomboides, Thaumastoderma heideri, Tubanella ocellata, Urodasys sp.
– Die Epicuticula besteht aus vielen Schichten.
Artenzahl: 430 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
311
24 Ecdysozoa
Kapitel 8
Ecdysozoa Allgemeines
312
Spezielle Merkmale
Beispiele
Nach den molekularen, auf der 18SrRNA und den Hox-Genen beruhenden Phylogenien sind die Protostomia in die Lophotrochozoen und die Ecdysozoen zu trennen – sofern man die Gastrotricha außer Acht lässt, die vielleicht eine Schwestergruppe der Ecdysozoen darstellen. Jedenfalls bestätigen einige wichtige Synapomorphien dieses Kladon: – Die Epidermiszellen haben die der Fortbewegung dienende Bewimperung verloren. – Häutung: Die Organismen sind von einer festen Cuticula umgeben. Sie wachsen, indem sie sich – reguliert durch Ecdysteroid-Hormone – häuten (Ecdysis = Häutung). – Die Cuticula enthält a-Chitin. Sie besteht aus den drei Schichten Epicuticula, Exocuticula und Endocuticula (Abb. 1). – Die Epicuticula wird von epidermalen Mikrovilli sezerniert.
Panarthropoda: Heteroperipatus engelhardi, Stummelfüßer (Peripatus jamaicensis), Kreuzspinne (Araneus diadematus), Sahara-Skorpion (Scorpio maurus), Taschenkrebs (Cancer
pagurus), Siebenpunktmarienkäfer (Coccinella septempunctata), Bärtierchen (Echiniscus trisetosus, Macrobiotus hufelandi) Introverta: Schweinespulwurm (Ascaris lumbricoides), Caenorhabditis elegans, Capillaria obsignata, Mus-
Abb. 1. Cuticularaufbau der Ecdysozoa
Ecdysozoa 24
Protostomia keltrichine (Trichinella spiralis) Trichinose-Erreger), Gordius robustus, Nectonema agile, Tubiluchus corallicola, Priapulus bicaudatus, Cateria styx, Kinorhynchus sp., Nanaloricus mysticus
Artenzahl: 977 594 Ältestes bekanntes Fossil: Ein Gelenk, das von einem Arthropoden stammen könnte, ist in der präkambrischen Ediacara-Fauna (–680 Mio. Jahre) Australiens gefunden worden. Mehrere trilobitomorphe Arthropodenarten sind aus der Zeit vor dem Kambrium (–580 Mio. Jahre) bekannt. Heutiges Vorkommen: weltweit
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25 Panarthropoda
Kapitel 8
Panarthropoda Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Panarthropoda sind segmentierte Metazoen, die ein häufig festes, äußeres Skelett besitzen. Diese Gruppe umfasst die Euarthropoda (28) sowie zwei verwandte Taxa, die Onychophora (26) und die Tardigrada (27), die früher schwierig einzuordnen waren. Die Tardigrada sind manchmal auch als Verwandte der Nematoden, die Onychophoren dagegen als Verwandte der Anneliden angesehen worden. Das solide scheinende Kladon Pan-
arthropoden widerlegt die Hypothese, dass die Arthropoden von den Anneliden abstammen. – Die Tiere tragen paarige, nicht nahtlos aneinander grenzende Anhänge, die an ihrem Ende mit Krallen versehen sind (Abb. 1). – Die Nahrungsaufnahme erfolgt mit Hilfe der am Vorderende des Tieres befindlichen, modifizierten und der Fortbewegung dienenden Anhänge. – Herz: Das Blut wird durch ein dorsales Herz mit lateralen Ostien durch den Körper gepumpt.
Abb. 1. Ventralansicht einer Filzlaus (Phthirus pubis, Größe: 1 mm)
314
– Die Haupthöhle des Körpers ist ein Haemocoelom, das aus der Fusion des Coeloms mit dem Blastocoel entstanden ist. – Das Komplexgehirn umfasst ein Protocerebrum, das die Lateralaugen innerviert, sowie ein oder zwei Ganglien, die die Antennen innervieren (Abb. 2). Das dritte Ganglion – das Tritocerebrum – umgibt den Oesophagus des Tieres.
Abb. 2. Gehirnschema eines Krustentieres
Panarthropoda 25
Protostomia
Beispiele Onychophora: Stummelfüßer (Heteroperipatus engelhardi, Peripatus jamaicensis) Euarthropoda: Asselspinne (Pycnogonum littorale), Kreuzspinne (Araneus diadematus), Sahara-Skorpion (Scorpio maurus), Graphidistreptus sp., Taschenkrebs (Cancer pagurus), Siebenpunktmarienkäfer (Coccinella septempunctata), Wanderheuschrecke (Locusta migratoria) Tardigrada: Bärtierchen (Echiniscus trisetosus, Macrobiotus hufelandi)
Artenzahl: 957 094 Ältestes bekanntes Fossil: Ein Gelenk, das von einem Arthropoden stammen könnte, ist in der präkambrischen Ediacara-Fauna (–680 Mio. Jahre) Australiens gefunden worden. Mehrere trilobitomorphe Arthropodenarten sind aus der Zeit vor dem Kambrium (–580 Mio. Jahre) bekannt. Heutiges Vorkommen: weltweit
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26 Onychophora
Kapitel 8
Onychophora Allgemeines Die Onychophora (auch Peripata oder Stummelfüßer genannt) sind wurmförmige, 1–15 cm lange, zylindrische und segmentierte Tiere. In jedem Segment tragen sie ein Paar kurze, ungegliederte Anhänge, die Lobopoden, denen durch den hydrostatischen Innendruck Festigkeit verliehen wird. Die Lobopoden enden in kleinen Krallen (daher der Name der Gruppe, griech. onychos = Kralle). Der Körper ist von einer dünnen, weichen und durchlässigen Chitinhülle bedeckt und trägt Papillen sowie Schuppen, die ihm ein samtiges und schillerndes Aussehen verleihen. Die Farbe dieser Tiere ist sehr variabel: Sie können blauschwarz, grau, orange, grün oder weißlich sein. Darüber hinaus kann man eine große Zahl warziger Erhebungen beobachten, die jeweils von
Ökologie Die Onychophoren leben ausschließlich terrestrisch, obwohl ihre Vorfahren ursprünglich marine Tiere waren. Sie leben immer in Feuchtgebieten, insbesondere in tropischen Regenwäldern, vor allem in der Bodenstreu, in verrottendem Holz, 316
einer Sinnes-Borste überragt werden. Der Kopf trägt zwei segmentierte Antennen, zwei Augen und auf der Bauchseite einen Mund, der mit einem Mandibel-Paar und mit Schleimzellen (Klebdrüsen) ausgerüstet ist. Der Rumpf besteht aus 14–43 Segmenten. Anfänglich besitzen die Onychophora eine echte Segmentierung. Diese verschwindet im Adultstadium. Sie ist dann nur noch in Form der paarigen Anhänge und einiger metamerisierter innerer Organe wie dem Exkretions- und dem Nervensystem zu erkennen. Das Coelom ist im Adultstadium reduziert. Es ist lediglich der Ausgangspunkt der Nephridien sowie der Genitalöffnungen und -gänge. Das unpigmentierte Blut zirkuliert in einer Haupthöhle (Haemocoel). Das Blut wird durch die Körperbewe-
unter Blättern oder unter Steinen. Sie sind Räuber kleiner Insekten (beispielsweise Termiten) oder von Krustentieren. Sie fangen ihre Beute, indem sie diese mit einem speziellen leimartigen Speichelstrahl verkleben, den sie über eine Entfernung von bis zu 15 cm ausstoßen. Außerdem ernähren sie sich von zerfallen-
gung und durch die Aktion von zwei röhrenförmigen, dorsal gelegenen Herzen bewegt. Die Onychophora besitzen sehr spezifische Blutkanäle: Sie verlaufen unter der Cuticula, stehen mit dem Haemocoel in Verbindung und werden zum Innenraum des Körpers durch Muskeln abgegrenzt. Jedes Segment besitzt ein Nephridienpaar, das über zwei Poren an der Basis jeden Segments mündet. Der Sauerstoff wird über die Körperhülle aufgenommen und tritt dann in die Tracheen ein. Das Nervensystem besteht aus einem an der Vorderseite gelappten Hirn, das oberhalb des Pharynx sitzt, sowie aus zwei ventralen Längsbahnen mit Querkommissuren. Der lange Verdauungstrakt endet als After an der Bauchseite des letzten Segments.
dem Pflanzenmaterial. Unter ungünstigen Umweltbedingungen sind die Onychophora inaktiv. Die Tiere sind getrenntgeschlechtlich. Jedes Individuum trägt zwei metamerisierte Gonaden. Bei den verschiedenen Onychophoren-Arten findet die Befruchtung entweder intern oder extern statt. Die oviparen
Onychophora 26
Protostomia
Abb. 2. Querschnitt durch einen Onychophoren Abb. 1. Ventralseite des Kopfes von Peripatus sp.
Arten besitzen eine Legeröhre. Die Weibchen legen ihre großen, dotterreichen und von einer Chitinschale eingehüllten Eier in feuchtes Milieu. Bei einigen Arten besitzen die Weibchen eine Art Uterus, in dem die dottereichen Eier heranreifen. Die Eier entwickeln sich unter Aufbrauchen der Dottervorräte im Körper des Weibchens. Bei den viviparen Arten sind die Eier dotterarm: Die Embryonen ernähren sich hier von Absonderungen der Uteruswand.
Spezielle Merkmale – Leim: Die Onychophora besitzen ein Paar Oralpapillen mit Drüsen, die eine klebrige Substanz abscheiden. Diese dient der Verteidigung und dem Beutefang. Diese Substanz wird ausgestoßen und härtet an der Luft zu einer elastischen und klebrigen, gummiartigen Masse aus (Abb. 1). – Tracheen (Sonderbildung, nicht homolog zu denen der Insekten
und Spinnen) unterstützen den Gasaustausch des Organismus. – Die Muskulatur ist nicht segmental gegliedert und besteht aus einer äußeren Ringmuskelschicht und kräftigen Bändern von Längsmuskulatur. – Der Körper weist ein Haemocoel und ein unter der Haut gelegenes
Gefäßsystem auf. Diese liegen zwischen den Ringmuskeln und der Cuticula, (Abb. 2).
Beispiele Heteroperipatus engelhardi, Peripatus jamaicensis, Peripatopsis capensis
Artenzahl: 80 Ältestes bekanntes Fossil: Aysheaia pedunculata und Hallucigenia sparsa sind in den Burgess-Schiefern (mittleres Kambrium, –520 Mio. Jahre) gefunden worden. Heutiges Vorkommen: Die geographische Verteilung ist lückenhaft und beschränkt sich auf äquatoriale und tropische Gebiete. Keine einzige Art lebt nördlich des Wendekreises des Krebses. Man findet die Tiere in Mittelamerika, Südamerika, auf den Antillen, in Südafrika, Madagaskar, in Gabun, im Kongo, im Himalaya, im tropischen Indien, in Südwestasien, in Australien und in Neuseeland. Dieses lückenhafte Vorkommen hängt nicht nur mit klimatischen Faktoren zusammen, sondern auch mit dem alten Kontinent Gondwana aus der Frühzeit der Erde, der vor rund 200 Mio. Jahren zerfallen ist. Dies ist auch der Grund dafür, dass die südafrikanischen Arten mehr mit den heute in Chile lebenden Arten als mit denen aus Äquatorialafrika verwandt sind.
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27 Tardigrada
Kapitel 8
Tardigrada Allgemeines Die Tardigrada oder Bärtierchen (lat. tardus = langsam und gradi = gehen) sind kleine, 50 µm bis 1,2 mm große Tiere. Der gedrungene, zylindrische Körper trägt vier kurze, dicke Beinpaare. Die Beine sind jeweils mit 4–8 beweglichen Krallen versehen. Der halslose Kopf sitzt direkt auf dem Rumpf. Der Körper ist von einer komplexen Chitincuticula, von Proteinen und Mucopolysacchariden bedeckt. Die Cuticula kann dorsale Platten bilden, die manchmal mit Stacheln oder Wachsen versehen sind. Das Tier trägt ein Photorezeptoren-Paar. Der Mund ist mit zwei Stiletten ausgerüstet. Die adulten Tiere haben eine stark
318
reduzierte Coelomhöhle; die unpaaren Gonaden sind möglicherweise Reste der sekundären Leibeshöhle. Die Haupthöhle des Körpers ist ein flüssigkeitsgefülltes Pseudocoelom – der Rest der allerersten Embryonalhöhle, des Blastocoels. Das Pseudocoelom hat die Funktion eines hydrostatischen Skeletts. Aus diesem besonderen Körperbau resultiert das Problem, die Tardigraden als echte Coelomaten einzuordnen. Es gibt weder ein Kreislauf- noch ein Respirationssystem. Der Gasaustausch erfolgt über die feuchte Oberfläche des Tieres und per Diffusion in die Gewebe. Es kommen ausschließlich glatte Längsmuskeln vor –
daher auch die nur langsame, etwas tapsig erscheinende Fortbewegungsweise. Der Verdauungstrakt besteht aus einem Mund mit Perforationsstiletten, einem muskulösen Pharynx, der wie eine Pumpe arbeitet, einem Oesophagus, einem großen Magen, einem kurzen Rektum und einem terminalen Anus. Im Rektum münden taschenförmige, dorsal gelegene Exkretionsdrüsen. Das Nervensystem besteht aus einem dorsalen, gelappten Gehirn. Es ist mit einem Ring verknüpft, der den Pharynx umgibt sowie mit einer strickleiterartigen Bauchkette, die – entsprechend den 4 Beinpaaren – 4 Ganglien trägt. Diese Metamerisie-
Tardigrada 27
Protostomia
rung des Nervensystems lässt vermuten, dass die Tardigrada ursprünglich aus einem Kopf und
5 weiteren Segmenten aufgebaut waren. Das erste Segment könnte mit dem Kopf verschmolzen sein,
die Krallen der ersten Beinchen könnten sich zu den buccalen Stiletten umgewandelt haben.
Ökologie Die Tardigraden umfassen aquatische und terrestrische Arten. Ihre Lebensräume reichen von arktischen Regionen bis hin zu heißen Quellen. Im Meer besiedeln sie Sedimentlücken von der Gezeitenzone bis in die Tiefsee. Die Süßwasserarten leben zwischen Algen, in feinem Schlamm und in den Moosrasen von Seen. Mehr als 100 Arten leben in feuchtem terrestrischem Milieu, in Bodenlücken und im Kapillarwasser, das von den Blättern diverser Pflanzen festgehalten wird, insbesondere von Laub- und Lebermoosen. Die Tradigrada ernähren sich vom Inhalt pflanzlicher Zellen, deren Zellwand sie mithilfe ihrer Stilette durchstechen. Einige ergreifen auch Nematoden oder Rotiferen, die mit ihnen den Lebensraum teilen. Sie durchbohren ihre Beute und saugen deren Körperflüssigkeit ein. Andere Tardigrada ernähren sich von Detritus und von organischen Partikeln aus dem Sediment. Die Tradigrada sind extrem resistent gegen Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen. In Trockenperioden verlieren sie Wasser, ziehen sich zusammen und treten in eine Starre mit äußerst verlangsamten Lebensprozessen ein. In diesem Zustand können sie mehrere Jahre überdauern und extreme Temperaturen (von –273 bis 151 °C) ertragen. Bei Nahrungsmangel können sich die Tardigrada verkapseln: Das Tier verliert dann einen Teil seiner inneren Organe und zieht sich in das Innere seiner alten Cuticula zurück.
Abb. 1. Seitenansicht von Batillipes sp.
Die Wand dieser Zyste wird von einer neuen Cuticula gebildet. Diese Tiere zeigen auch eine erstaunliche Resistenz gegenüber Röntgenstrahlen: Die letale Dosis für einen Tardigraden ist 1000 Mal höher als die für den Menschen. Nach Angaben russischer Zoologen überlebten diese Tiere sogar einen Ausflug in den Weltraum. Die Tardigrada besitzen eine einzige, dorsal gelegene Gonade. Sie sind getrenntgeschlechtlich. Die Befruchtung findet, je nach Art, intern oder extern statt. Die Tardigrada sind ovipar. Sie legen einige Dutzend Eier, die aus zwei verschiedenen Sorten bestehen können: Unter ungünstigen Lebensbedingungen überdauern die Eier mit einer dicken Schale. Bei günstigen Bedingungen haben sie nur eine dünne Schale mit einer klebrigen Oberflä-
che. Sie durchlaufen dann sofort eine direkte Entwicklung. Einige Arten sind allerdings auch parthenogenetisch.
Spezielle Merkmale – Ein Konnektiv verknüpft die Protocerebrum-Lappen mit dem ersten Ventralganglion (Abb. 1). – Bei den Mund-Stiletten könnte es sich um umgewandelte Krallen handeln.
Beispiele Batillipes noerrevangi, Echiniscus trisetosus, Macrobiotus hufelandi, Wingstrandarctus corallinus
Artenzahl: etwa 600, aufgeteilt in 3 Ordnungen Ältestes bekanntes Fossil: Man hat Tardigrada als Einschlüsse in fossilem Bernstein gefunden – beispielsweise Beorn leggi (Kreide/Cenoman, –95 Mio. Jahre) vom Manitoba-See/Kanada. Heutiges Vorkommen: weltweit
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28 Euarthropoda
Kapitel 8
Euarthropoda Allgemeines Die Euarthropoden sind nach Anzahl der bekannten Arten, der von ihnen gebildeten Biomasse und durch ihren Einfluss auf die Ökosysteme der bedeutendste Stamm der Lebewesen. Körper und Beine dieser Metazoen sind segmentiert. Anfänglich bestand ihr Körper wohl aus einer Folge identischer Ringe, den Metameren: Ursprünglich trägt jeder Metamer ein Paar symmetrischer Anhänge, ein Gefäßsegment, ein Verdauungsseg-
320
ment, ein Nervensegment (Neuromer), ein Muskelsegment (Myomer) und ein Exkretionssegment (Nephromer). Diese Metamerie wurde während der Evolution dieser Gruppe abgewandelt: Verschiedene Segmente wurden miteinander zu komplexeren Strukturen (= Tagmata) verknüpft. Das harte Exoskelett ist am Körper in Platten und an den Anhängen in röhrenförmige Teile gegliedert.Der Segmentierung des Exoskeletts
entspricht die Segmentierung im Körperinnern. Die Entwicklung der Euarthropoden erfolgt häufig über eine Folge von Larvenstadien, deren Aussehen sich stark von dem der Adulten unterscheidet. Im Gegensatz zu vielen Metazoen bewegen sich die Euarthropoden nicht durch eine Verformung ihres Körpers, sondern durch koordinierte Bewegungen ihre Lokomotionsanhänge. Die Tiere sind zwischen 0,1 mm und 1 m groß.
Euarthropoda 28
Protostomia
Ökologie Die Euarthropoden besiedeln sämtliche terrestrischen und aquatischen Lebensräume mit Ausnahme der polnahen Eiswüsten – in allen Klimazonen, in allen Höhen und Tiefen. Zahlreiche Arten leben in unmittelbarer Nähe des Menschen (Milben, Schaben, Flöhe, Fliegen). In den aquatischen und terrestrischen Ökosystemen sind sie von größter Bedeutung. Sie stellen eine beachtliche Biomasse und in der Nahrungskette häufig das erste Glied der Pflanzenfresser; damit bilden sie für eine Vielzahl von Metazoen eine unentbehrliche Nahrungsquelle. So stellen beispielsweise die Larvenstadien der Krebstiere einen bedeutenden Teil des Zooplanktons dar. Die geschlechtliche Vermehrung vieler Blütenpflanzen ist abhängig von fliegenden Insekten, die den Pollen transportieren. Unter den Euarthropoden gibt es auch viele Parasiten: Die Zecken zum Beispiel sind Parasiten von Wirbeltieren, deren Blut sie saugen. Die Euarthropoden sind von beachtlicher wirtschaftlicher Bedeutung: Sie sind Nahrungsquelle (Krebstiere), häufig auch landwirtschaftliche Schädlinge sowie Überträger pflanzenpathogener Parasiten (Eubakterien und Pilze). Darüber hinaus übertragen sie Krankheitserreger – Flöhe beispielsweise die Pest. Plasmodium vivax (Malaria), Leishmania (Leishmaniose), Trypanosoma (Schlafkrankheit) oder Trichinella (Trichinose) sind pathogene Parasiten des Menschen, die über stechende Insekten übertragen werden. Der Einfluss dieser Krankheiten auf die menschlichen Populationen in den Tropen ist beachtlich. Schließlich sind zahlreiche Euarthropoden auch Kommensalen des Menschen: Zahlreiche mikroskopisch kleine Milben im Hausstaub oder in unseren Bet-
Abb. 1. Querschnitt durch ein Arthropodensegment
ten, die sich von unseren abgestorbenen Hautzellen ernähren, sind verantwortlich für Allergien. Schaben, Fliegen und Ameisen ernähren sich von unseren Abfällen oder unseren Vorräten.
Spezielle Merkmale – Exoskelett: Das metamerisierte Tier trägt ein Exoskelett, das in verschiedene Teile, die Sklerite (Tergite, Pleurite und Sternite; Abb. 1), untergliedert ist. Zwischen diesen Platten liegen biegsame Zwischenzonen, die die einzelnen Bestandteile untereinander verbinden.
– Gegliederte Anhänge (Extremitäten): Jedes Segment trägt ursprünglich ein Paar gegliedeter Anhänge, die der Fortbewegung dienten (Abb. 1). – Die Euarthropoden besitzen mindestens ein Paar lateraler Facettenaugen, die aus unabhängigen Photorezeptor-Einheiten, den Ommatidien, bestehen (Abb. 2). – Die Zellen besitzen, mit Ausnahme der Spermien mancher Gruppen, keine Cilien oder Geißeln.
Beispiele Cheliceriformes: Nymphon gracile, Asselspinne (Pycnogonum littorale),
Abb. 2. Komplexauge der Arthropoden
321
28 Euarthropoda Pfeilschwanzkrebs (Limulus polyphemus), Skorpion (Androctonus australis), Buthus occitanus, Kreuzspinne (Araneus diadematus) Mandibulata: Polydesmus sp., Erdläufer (Geophilus electricus), Entenmuschel (Lepas anatifera), Wasserfloh (Daphnia pulex), Garnele (Palaemon serratus), Taschenkrebs (Cancer pagurus), Laufkäfer (Ctenosta bastardi), Schwalbenschwanz (Papilio machaon)
Kapitel 8 Artenzahl: 956 414 Ältestes bekanntes Fossil: Ein Gelenk, das von einem Arthropoden stammen könnte, ist in der präkambrischen Ediacara-Fauna (–680 Mio. Jahre) Australiens gefunden worden. Die aus den Vendium-Meeren (etwa –600 Mio. Jahre) stammende Parvanorina wird manchmal als Arthropode interpretiert. Ziemlich sicher gab es an der Basis des Kambriums (–540 Mio. Jahre) bereits sechs Familien der Ostracoda, in Kanada Bradoria scrutator und Hipponicharion eos, in Ostsibirien Cambria sibirica, in Yunnan/China Kunmingella maxima, in Kasachstan Uscarella prisca, in England Hesslandona sp. und Strenuella sp. Einige Phyllocariden datieren in dieselbe Epoche – beispielsweise Hymenocaris sp. aus dem Unteren Kambrium (–540 Mio. Jahre) Europas, Nordamerikas, Australiens und Neuseelands sowie Perspicaris sp. aus dem tiefen Kambrium von Yunnan/China. Darüber hinaus gab es an der Basis des Kambriums bereits 49 Trilobiten-Familien. Heutiges Vorkommen: weltweit
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Introverta 29
Protostomia
Introverta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale
Beispiele
– Introvert: Die Tiere besitzen einen einstülpbaren Vorderkörper, das Introvert (Abb. 1.). – Der Pharynx ist radialsymmetrisch. – Ein dreigeteilter Schlundring bildet das Gehirn (Abb. 2). Aufgrund dieses Schlundrings wird dieses Kladon manchmal auch als Cycloneuralia bezeichnet.
Nematozoa: Schweinespulwurm (Ascaris lumbricoides), Caenorhabditis elegans, Capillaria obsignata, Chondronema passali, Trichinella spiralis
(Erreger der Trichinose), Gordius robustus, Nectonema agile Cephalorhyncha: Tubiluchus corallicola, Priapulus bicaudatus, Cateria styx, Kinorhynchus sp., Nanaloricus mysticus
Artenzahl: etwa 20 500 Ältestes bekanntes Fossil: Maotianshania cylindrica ist ein Priapulide aus dem tiefen Kambrium (–540 Mio. Jahre) von Yunnan/China. Heutiges Vorkommen: weltweit
Abb. 1. Introvert des Nematoden Kinonchulus (a), des Nematomorphen Gordius (b) und des Priapuliden Priapulus (c)
Abb. 2. Gehirn eines Kinorhynchen (a), Priapuliden (b) sowie eines Nematoden (c)
323
30 Nematozoa
Kapitel 8
Nematozoa Allgemeines
Spezielle Merkmale – Die molekularen Phylogenien, die auf der Nucleotidsequenz der 18S-rRNA basieren, vereinen fast immer die Nematoda mit den Nematomorpha. Die grundlegende Ähnlichkeit dieser Organismen ist so groß, dass einige Wissenschaftler die Nematomorpha innerhalb der Nematoda ansiedeln. – Fast vollständiger Verlust des Cuticula-Chitins: Statt dessen tritt eine Kollagen-Cuticula auf.
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– Es sind ausschließlich Längsmuskeln vorhanden.
Beispiele Nematoda: Schweinespulwurm (Ascaris lumbricoides), Caenorhabditis
elegans, Capillaria obsignata, Chondronema passali, Draconema sp., Greeffiella sp., Wuchereria bancrofti (Erreger der Elefantiasis), Trichinella spiralis (Erreger der Trichinose), Strongyloides duodenale Nematomorpha: Gordius robustus, Nectonema agile
Artenzahl: 20 325 Ältestes bekanntes Fossil: Heydonius antiquus ist ein Nematode aus dem Eozän Deutschlands (–50 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
Nematoda 31
Protostomia
Nematoda Allgemeines Die Nematoden sind runde, zylindrische, schlanke Würmer mit kreisförmigem Querschnitt. Sie sind nicht segmentiert und besitzen dünne, spitze Extremitäten. Die Cuticula der Leibeshöhle ist komplex, dick und aus Kollagen aufgebaut. Die meisten dieser Würmer sind durchsichtig. Die frei lebenden, im Boden vorkommenden Formen werden nur einige Millimeter groß. Einige parasitische Formen bringen es dagegen auf mehrere Meter. Auf ihrer Körperoberfläche zeigen sie weder eine Segmentierung noch eine Bewimperung. Unter der Cuticula
befindet sich eine syncytiale Epidermis. Darunter folgt eine dicke Längsmuskel-Schicht. Eine Ringmuskulatur fehlt. Die Tiere können daher nur S-förmige Bewegungen ausführen. Der Darm ist ein gerades Rohr. Der endständige Mund ist manchmal bezahnt und wird von (in Zahl und Form unterschiedlichen) Lippen sowie von sensorischen Papillen umrahmt. Der After ist subterminal angebracht. Die Nematoden sind triploblastische Tiere. Die Haupthöhle des Körpers ist gut entwickelt und entspricht einem Pseudocoelom – dem Rest der ersten Leibes-
höhle des Embryos (= Blastocoel). Der Flüssigkeitsdruck dieser Leibeshöhle wirkt als hydrostatisches Skelett. Das Nervensystem besteht aus einer Ringkomissur, die den Pharynx umgibt, sowie zwei ventralen Ganglien. Es gibt weder ein Respirations- noch Kreislaufsystem. Der Exkretionsapparat mündet antero-ventral. Die Sensillen sind Chemorezeptoren. Eine Sensille besteht typischerweise aus einer Nervenzelle, die modifizierte Cilien trägt.Viele der frei lebenden Arten tragen in der Nähe des Mundes spezielle sensorische Organe, die Amphiden.
325
31 Nematoda
Kapitel 8
Ökologie Die frei lebenden Formen finden sich im Meer – wo sie pelagisch leben oder in den marinen Sedimenten wühlen –, im Sandlückensystem, in Seen, heißen Quellen, feuchten terrestrischen Habitaten und in Böden. Hier stellen die Nematoden den größten Teil der tierischen Biomasse. Entsprechend der vielen Arten zeigen die Nematoden in diesen Habitaten eine große Vielfalt. Sie spielen eine bedeutende Rolle sowohl bei der Belüftung der Böden als auch beim Kreislauf des mineralischen und organischen Materials. Viele Nematoden sind Parasiten von Pflanzen, Insekten und Wirbeltieren. Sie befallen die Gewebe von Wurzeln, Blättern oder sogar von Früchten. Tierparasitische Formen leben in verschiedenen Organen, bei den Vertebraten vor allem im Verdauungstrakt, den häufig die Adultformen besiedeln, sowie in der quergestreiften Muskulatur, in der sie verkalkte Zysten (verkapselte Dauerformen) anlegen. Bei den Spulwürmern begatten sich die Adulten im Verdauungstrakt carnivorer Arten und legen dort ihre Eier. Diese werden ausgeschieden. Einige der Eier werden dann von einem Pflanzenfresser aufgenommen. Die Jungen schlüpfen im Verdauungstrakt des zweiten Wirtes und gelangen über das Blutgefäßsystem in die quergestreifte Muskulatur, wo sie sich einkapseln. Der Fleischfresser infiziziert sich wiederum mit den Würmern, sobald er das befallene Muskelfleisch zu sich nimmt. In dessen Verdauungstrakt entstehen aus den Zysten sehr rasch adulte, fortpflanzungsfähige Tiere. Die Beziehungen zwischen Wirt und Parasit sowie der Ablauf des Lebenszyklus sind bei den verschiedenen Nematoden äußerst vielgestaltig: Man kennt endoparasitische und ektoparasitische Arten, die Pflanzen 326
Abb. 1. Voderansicht eines Nematoden
schädigen, ferner saprobiontische Arten, die Tiere befallen (die Jungen fressen die abgestorbenen Gewebe des toten Wirts), juvenile Zooparasiten mit einem frei lebenden Adultstadium, juvenile Zooparasiten mit adulten Phytoparasiten, juvenile Phytoparasiten mit adulten Zooparasiten, außerdem Zooparasiten, die nur einen Wirt oder zwei aufeinander folgende Wirte haben. Mehrere parasitische Nematodenarten stellen den Menschen besonders in tropischen Gebieten vor beachtliche gesundheitliche Probleme: Sie rufen Schädigungen der Augen und daneben Filariosen wie die Trichinose und die Elephantiasis hervor. Der Spulwurm ist der häufigste Parasit des Menschen. Die Nematoden sind fast ausnahmslos getrenntgeschlechtlich. Das Männchen ist häufig kleiner als das Weibchen und besitzt Kopulationshaken (Spicula). Die Befruchtung ist intern, die Entwicklung erfolgt direkt. Einige Arten sind parthenogenetisch. Die Eier werden über einen Gonoporus ausgeleitet. Viele Arten haben ein enormes Reproduktionsvermögen. Man hat weibliche Nematoden beobachtet, die 27 Mio. Eier enthielten und in einem Rhythmus von 20 000 Eiern pro Tag legen konnten. Viele Nematoden haben extrem resistente Eier: Sie können
mehr als zehn Jahre auf günstige Umweltbedingungen warten und sich dann entwickeln.
Spezielle Merkmale – Sensillenringe: Die Nematoden tragen drei Sensillenringe um ihren Mund. Die beiden inneren Ringe tragen je sechs, der äußere Ring vier Sensillen (Abb. 1). – Amphiden: Im Mundbereich finden sich Amphiden – spezielle Chemorezeptoren, die aus 4–13 Sinneszellen bestehen (Abb. 1). – Der Mund ist von 3–6 Lippen umgeben (Abb. 1). – Der Exkretionsapparat besteht aus so genannten Renette-Zellen, die über eine Exkretionspore nach außen münden. – Die Anzahl der Zellen und die Zelllinie sind (wahrscheinlich) für jede Art konstant. So besteht der sehr gut untersuchte Nematode Caenorhabditis elegans aus 959 somatischen Zellen, wenn es sich um ein zwittriges Individuum handelt. Ein männliches Individuum besteht dagegen immer aus 1031 somatischen Zellen.
Protostomia
Beispiele Schweinespulwurm (Ascaris lumbricoides), Caenorhabditis elegans, Capillaria obsignata, Chondronema passali, Criconemoides limitaneum, Draconema sp., Eubostrichius dianae, Greeffiella sp., Loa loa (Parasit des menschlichen Auges), Onchocerca gibsoni, O. volvulus (Parasit des menschlichen Auges), Pirofilaria immitis, Strongyloides duodenale, Trichinella spiralis (Erreger der Trichinose), Wuchereria bancrofti (Erreger der Elefantiasis)
Nematoda 31 Artenzahl: 20 000, aufgeteilt in 2 Klassen und 20 Ordnungen. Einige Zoologen schätzen, dass es mehrere Millionen Arten gibt. Ältestes bekanntes Fossil: Heydonius antiquus aus dem Eozän (–50 Mio. Jahre) Deutschlands Heutiges Vorkommen: Die Nematoden bewohnen sämtliche Winkel der Erde: Sie kommen in allen Klimazonen (von den Trockenwüsten bis zu den Polarzonen) vor, in allen marinen, terrestrischen und limnischen Lebensraumtypen, in allen Höhen, Tiefen und Breitengraden.
327
32 Nematomorpha
Kapitel 8
Nematomorpha Allgemeines Die Nematomorpha oder Saitenwürmer sind extrem lange und dünne Würmer mit zylindrischem Körper. Mitunter bilden sie verschlungene Knäuel und sehen aus wie komplizierte Gordische Knoten. Die schwarz, grau oder gelblich gefärbten Tiere sind nicht segmentiert. Der Kopf ist deutlich ausgebildet und genauso groß wie der restliche Körper. Die Tiere haben einen Durchmesser von 0,5–2,5 mm und werden 10–70 cm lang. Die Weibchen sind länger als die Männchen. Die Körperhülle besteht aus einer Kollagen-Cuticula. Auf der Oberfläche der Cuticula sitzen runde oder vieleckige Verdickungen. Unter der Cuticula liegt eine Epidermis und eine Längsmuskelschicht. Eine Ringmuskulatur fehlt. Die Leibeshöhle ist ein Pseudocoelom. Sie hat die Ten-
Ökologie Die adulten Nematomorpha sind frei lebend – im Süßwasser oder in feuchten Böden. Es gibt auch einige marine Arten. Die juvenilen Tiere sind Parasiten von Arthropoden. Die Adulten absorbieren gelöste Nährstoffe über ihre Körperwand. Die Geschlechter sind getrennt. Die Spermien werden über den Enddarm ausgeleitet, Kopulations-Spicula treten nicht auf. Die Eier gelangen über die Kloake nach außen. Das Männchen ist aktiver als das Weibchen: Es umschwimmt das Weibchen und gibt sein Sperma in der Nähe der Kloake ab. Kurz darauf stirbt das Männchen. Das Weibchen legt Millionen von 328
denz, sich zu reduzieren und ist mit Mesenchym ausgefüllt. Es gibt kein Respirations-, kein Exkretions- und kein Kreislaufsystem. Der Verdauungstrakt ist verkümmert. Allein die Kloake ist intakt: Sie dient der Reproduktion. Da sie Parasiten sind, absorbieren die adulten Nematomorpha über ihre Körperwand die gelösten Nährstoffe, die aus dem umgebenden aquatischen Milieu oder von
Eiern, die in eine Gallerte gehüllt sind. Dieses Gelege bleibt an Wasserpflanzen hängen. Nach 15–80 Tagen schlüpfen die Larven. Sie sind mit einem ausstülpbaren Vorderende ausgestattet, das gebogene Haken und Stilette trägt. Die Larve gelangt in die Leibeshöhle eines Arthropoden (aquatische Krebstiere, Tausendfüßer, Heuschrecke u. a.). Die Metamorphose findet im Wirt statt. Das fertige, wurmförmige Adulttier verlässt den Wirt. Wenn dieser, wie die Heuschrecke, terrestrisch lebt, erreicht der Parasit mit bisher noch unbekannten Mitteln, dass er sich zu einer Wasserstelle begibt. Je nach Art kann der Lebenszyklus des Parasiten einen oder zwei Wirt(e) umfassen.
ihrem Wirt stammen. Das Nervensystem besteht aus einem Ring, der den Pharynx umgibt sowie einem einzigen, ventralen Markstrang. Einige Arten besitzen Photorezeptoren. Mithilfe ihrer Längsmuskeln und des hydrostatischen Skeletts (den Druck liefert die Flüssigkeit des Pseudocoeloms) können die Tiere schwimmen. Einige Zoologen halten die Nematomorpha für sehr spezialisierte Nematoden.
Abb. 1. Ein Saitenwurm als Parasit eines Insekts. Der Parasit verlässt gerade seinen Wirt.
Nematomorpha 32
Protostomia
Spezielle Merkmale – Die Adulten besitzen keinen oder einen reduzierten, nicht funktionstüchtigen Verdauungstrakt. – Die Larve ist immer der Parasit eines Arthropoden (Abb. 1).
Artenzahl: 325 in 2 Ordnungen Ältestes bekanntes Fossil: Gordius tenuifibrosus ist aus dem Eozän Deutschlands (Lutetium, –45 Mio. Jahre) beschrieben worden. Heutiges Vorkommen: Nematomorpha findet man in sämtlichen aquatischen Lebensraumtypen – in Meeren, Seen, tropischen Flüssen und Flüssen gemäßigter Zonen, Gebirgsbächen sowie in feuchter Erde. In Trockenwüsten kommen sie nicht vor.
Beispiele Gordius robustus, Nectonema agile
329
33 Cephalorhyncha
Kapitel 8
Cephalorhyncha Einige Vertreter
Spezielle Merkmale
Beispiele
– Das Introvert trägt Ringe aus kleinen Stacheln oder Skaliden (Abb. 1). – Zwei Muskelbänder (Retraktoren) verbinden die Mundregion mit der Zone, in der das Gehirn in Form einer Halskrause liegt. Einer zieht zur Innenseite des Gehirns, ein anderer zu dessen Außenseite (Abb. 1).
Kinorhyncha: Cateria styx, Kinorhynchus sp., Echinoderes aquilonius. Loricifera: Nanaloricus mysticus Priapulida: Tubiluchus corallicola, Priapulus bicaudatus
Artenzahl: 175 Ältestes bekanntes Fossil: Maotianshania cylindrica ist ein Priapulide aus dem tiefen Kambrium (–540 Mio. Jahre) von Yunnan/China. Heutiges Vorkommen: weltweit
330
Abb. 1. Schnitt durch das Vorderteil des Priapuliden Tubiluchus sp.
Kinorhyncha 34
Protostomia
Kinorhyncha Allgemeines
Die Kinorhyncha sind kleine frei lebende, gelbbraune, um 1 mm lange Tiere. Sie haben einen gestreckten Körper, der von einer Cuticula bedeckt ist. Diese ist mit zahlreichen, gebogenen und nach hinten ausgerichteten Stacheln versehen. Der Körper ist bilateralsymmetrisch und hat einen dreieckigen Querschnitt. Der Vorderteil des Tieres besteht aus einem konischen Kopf auf einem Halsabschnitt. Der Mund trägt ein vorne sitzendes Büschel langer Stacheln (Skaliden), gefolgt von einem Ring aus großen Stacheln, die den Kopf umgeben. Das gesamte Gebilde kann in den Rumpf eingezogen und durch dessen Cuticularplatten abgeschlossen werden. Der Rumpf besteht aus 13 Oberflächensegmenten, den Zoniten. Diese entsprechen der Segmentierung des
Ökologie Die Kinorhyncha sind frei lebende Meerestiere. Man findet sie von der Gezeitenzone bis in 1000 m Tiefe.
Nervensystems und der Muskeln. Die harten Cuticularplatten der Zenite besitzen weder Zellen noch Cilien. Sie sind durch eine dünne flexible Haut gelenkig miteinander verbunden. Die dorsalen Platten tragen große, bewegliche Stacheln. Auf der am weitesten am hinten gelegenen Platte sitzen zwei große, terminale Stacheln. Der Verdauungstrakt ist vollständig. Ein Kreislauf- und ein Respirationsapparat fehlen. Die Leibeshöhle entspricht einem Pseudocoelom. Die
Diese Arten leben als Sedimentwühler. Sie leben im Lückenräumen von Sand und Bodenschlamm. Hier ernähren sie sich hauptsächlich von Diatomeen sowie von organischen
in dieser Leibeshöhle enthaltene Flüssigkeit hat respiratorische, Kreislauf- und Skelett-Funktion, ihr variabler hydrostatischer Druck dient der Fortbewegung beim Wühlen. Die Ausscheidung erfolgt über zwei Protonephridien, die auf Höhe des elften Segments nach außen münden. Der Pharynx wird von einem Nervenring umgeben. Darüber hinaus gibt es Ganglien und einen ventralen Markstrang. Einige Arten besitzen rote Photorezeptor-Organe.
Partikeln. Die Kinorhyncha schwimmen nicht, sondern durchgraben das Sediment, indem sie hydrostatische Druckunterschiede in ihrem stacheligen Kopf erzeugen. 331
34 Kinorhyncha Die Tiere sind getrenntgeschlechtlich. Die Befruchtung ist intern. Die Männchen besitzen einen stacheligen Penis. Die Eier werden außerhalb des Körpers ausgetragen. Die Larven besitzen keinen stacheligen Kopf. Ihr Verdauungstrakt ist unvollständig. Bevor die Tiere das Adultstadium erreichen, häuten sie sich fünf Mal.
Kapitel 8 unterteilt ist. Kopf und Hals stellen jeweils einen dieser 13 Zonite dar (Abb. 1).
Beispiele Cateria styx, Kinorhynchus sp., Echinoderes aquilonius, Pychophyes echinoderoides, Pychophyes flaveolatus, Conduloderes storchi
Spezielle Merkmale – Der Körper ist mit einer ChitinCuticula bedeckt, die in 13 Zonite
Artenzahl: 150 in 2 Ordnungen Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
332
Abb. 1. Echinoderes mit ausgestülptem Kopf und 13 Zoniten
Loricifera 35
Protostomia
Loricifera Allgemeines Der Stamm Loricifera wurde erst im Jahre 1983 entdeckt – in der offenen See vor Roscoff (Bretagne, Frankreich). Die Tiere sind mikroskopisch klein (250 µm) und ziemlich kurz. Sie bestehen aus einem konischen Vorderteil (Introvert), der um die Mundregion 8 Stachel trägt, und einem hinteren Teil, den man Abdomen oder Rumpf nennt. Dieser ist in eine Art CuticulaCarapax eingeschlossen, der aus 4 Teilen bestehenden Lorica. Die Seitenteile des konusartigen Vorderteils tragen nach hinten gebogene Stacheln (Skaliden), die mit denen der Halsregion identisch sind. Der Verdauungstrakt ist vollständig. Das Nervensystem besteht aus einem relativ großen Gehirn, Ganglien und einer Anzahl Längsner-
Ökologie Die Loricifera leben in den Lückensystemen mariner Sedimente, in warmen, gemäßigten oder kalten Meeren. Sie heften sich fest an die Sandkörner und sind von dort nur schwer zu entfernen. Die Tiere sind getrenntgeschlechtlich. Sowohl Männchen als auch Weibchen tragen je ein Gonadenpaar. Eine Begattung ist unbekannt. Die Larvenform ähnelt den Adulten. Die Larve unterscheidet sich vom erwachsenen Tier lediglich dadurch, dass ihr Thorax keine Stacheln trägt, um den Mund noch keine Stilette auftreten und sie
ven. Der Grundbauplan entspricht dem eines Pseudocoelomaten. Einige Autoren haben vorgeschla-
zwei Hinterbeine besitzen, mit denen sie schwimmen.
Spezielle Merkmale – Die Chitin-Ornamentik (Skaliden) besitzt eine eigene Muskulatur. – Ein cuticulärer Carapax, die Lorica, ist aus 4 plattenförmigen Tei-
gen, die Loricifera als Priapulida anzusehen, die lebenslang im Larvenstadium verharren.
len aufgebaut, je einem ventralen und dorsalen sowie zwei lateralen Teilen. Loricifera bedeutet „Lorica-Träger“.
Beispiele Nanaloricus mysticus, Pliciloricus enigmaticus
Artenzahl: bisher 9 (vermutlich wesentlich mehr) Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: weltweit
333
36 Priapulida
Kapitel 8
Priapulida Allgemeines Die Priapulida (Priapswürmer) sind bilateralsymmetrische, wurmoder gurkenförmige Tiere von 0,05–20 cm Länge, die aus drei verschiedenen Teilen aufgebaut sind: Der erste Abschnitt ist ein einstülpbarer Vorderkörper (Introvert); er trägt den mit Stacheln bedeckten Mund, der zum Graben oder zur Nahrungsaufnahme dient und etwa ein Drittel der gesamten Körperlänge ausmacht. Der zweite Teil des Körpers wird als Abdomen bezeichnet: Er kann zwar geringelt sein, ist jedoch nicht segmentiert.
Ökologie Die Priapulida sind marine Tiere. Man findet sie in Flussmündungen und in Meerestiefen bis zu 500 m. Sie graben durch Kontraktion ihres Kör334
Auf seiner Oberfläche trägt er Knoten, Papillen und sogar kurze Stacheln. Ein dritter Körperteil am Hinterende kommt nur bei manchen Arten in Form von einem oder zwei einstülpbaren schwanzartigen Auswüchsen vor. Die Körperwand besteht aus einer ChitinCuticula. Diese Tiere besitzen eine gut entwickelte Leibeshöhle. Sie ist mit einer Flüssigkeit gefüllt, die die Funktion eines hydrostatischen Skeletts und eines Kreislaufsystems erfüllt. Der Verdauungstrakt ist vollständig. Es umfasst einen
pers und durch das Ein- und Ausstülpen ihres Introverts im Sediment. Die Priapuliden ernähren sich räuberisch. Ihre Beute sind andere grabende Organismen, beispielsweise Polychaeten, manchmal auch
muskulösen Pharynx, der Zähne trägt. Die Protonephridien dienen als Exkretionsapparat und als Genitalkanal. Das Nervensystem ist mit der Körperwand verknüpft. Es besteht aus einem Vorderring, der sich im Rumpf befindet, und einem ventralen Markstrang. Ein Kreislauf- und ein Respirationssystem fehlen. Ob die gut entwickelte Leibeshöhle der Priapulida ein Pseudocoelom oder eine echtes Coelom darstellt, wird immer noch diskutiert.
andere Priapulida. Sie packen ihre Beute mit Hilfe gebogener Haken, die um den Mund angeordnet sind, und verschlingen sie als Ganzes. Den Schluckvorgang unterstützen abwechselnde Schwell- und Kontrak-
Priapulida 36
Protostomia tionsbewegungen von Introvert und Rumpf. Die Beute gelangt so rasch durch den muskulösen und bezahnten Pharynx. Die Nahrung wird während des Transports durch den Darm direkt verdaut. Die dabei entstehenden Abfälle werden über den After ausgeschieden. Die Tiere sind getrenntgeschlechtlich. Die Furchung verläuft radiär. Die Larve unterscheidet sich deutlich von den Adulten. Sie besitzt einen Carapax, der aus 8 Cuticula-Platten besteht, und erinnert damit sehr an einen Loriciferen. Die Larve lebt im Sediment. Erst nach zahlreichen Häutungen erreicht sie das Adultstadium.
Spezielle Merkmale – Die große Leibeshöhle ist möglicherweise ein Coelom (Abb. 1). In ihr befindet sich eine Flüssigkeit mit zahlreichen Amöbo- und Erythrocyten.
Beispiele Maccabeus tentaculus, Tubiluchus corallicola, Priapulus bicaudatus
Artenzahl: 16 in 2 Klassen
Abb. 1. Längsschnitt durch einen Priapuliden
Ältestes bekanntes Fossil: Maotianshania cylindrica aus dem tiefen Kambrium (–540 Mio. Jahre) von Yunnan/China. Ancalagon minor und Fieldia lanceolota sind Priapuliden aus den berühmten Burgess-Schiefern (–520 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
335
9 Mollusca 1
Mollusca 338
KAPITEL 9 6
Conchifera 348
12
Diasoma 364
7
Monoplacophora 350
13
Bivalvia 367
siehe Kapitel 8, Seite 289 2
Solenogastres 339
Beispielart: Neopilina galatheae Größe: 3,5 cm
Beispielart: Rhopalomenia aglaopheniae Größe: 2,5 cm
8
Ganglioneura 352
Caudofoveata 341
9
Visceroconchae 354
Beispielart: Chaetoderma nitidulum Größe: 6 cm
10
Gastropoda 356
Beispielart: Miesmuschel Mytilus edulis Größe: 8 cm 14
3
4
Eumollusca 343
5
Polyplacophora 345 Beispielart: Lepidopleurus cajenatus Größe: 2,5 cm
336
Beispielart: Weinbergschnecke Helix pomatia Größe: 10 cm 11
Cephalopoda 360 Beispielart: Perlboot Nautilus macromphalus Größe: bis zu 20 cm
Scaphopoda 370 Beispielart: Elefantenzahn Dentalium dentalis Größe: 4 cm
Mollusca
Kapitel 9
337
1 Mollusca
Kapitel 9
Mollusca Dieses Kladon umfasst sowohl die seltsamsten als auch die vertrautesten Metazoen. Jedermann weiß, was eine Weinbergschnecke, ein Tintenfisch oder eine Miesmuschel ist. Doch die Mollusken umfassen auch die Dentaliida, die Monoplacophora und die Chitonida sowie die Solenogastres und Caudofoveata – seltsame wurmförmige Tiere, die von Kalkspicula bedeckt sind. Andererseits unterschätzt man auch die Formenvielfalt innerhalb der Gruppen, die uns bekannt erscheinen, insbesondere innerhalb der Gastropoda. Die Verwandtschaftsverhältnisse der Mollusken lassen uns zur Basis des Kambriums blicken. Das Hauptproblem ihrer Phylogenie rührt von der Wurzel des Mollusken-Stammbaums her – und von der Interpretation der Anatomie von Solenogastres und Caudofoveata, die man früher als „Aplacophora“ bezeichnete, eine Benennung, die ausschließlich dazu bestimmt war zu unterstreichen, dass diese Tiere kein Gehäuse besitzen. Diese Formen entsprechen nämlich entweder schalenlosen Mollusken, deren Ursprung vor dem Auftreten einer Schale liegt und die daher an der Basis des Mollusken-Stammbaums angesiedelt sind, oder es handelt sich bei beiden Gruppen um stark abgeleitete Mollusken, die ihre Schale sekundär verloren haben. Eine einfache Art dies zu entscheiden wäre, die Entwicklung des Mantels der Solenogastres und Caudofoveata zu untersuchen. Wenn keinerlei
338
Schale oder keine Drüsengruppen auftreten, legt dies für die betreffenden Gruppen eine Position an der Stammbaumbasis nahe. Wenn sich dagegen noch ansatzweise eine Schale bildet, muss man einen sekundären Schalenverlustes ins Auge fassen: Der „aplacophore“ Zustand wäre somit ein abgeleitetes Merkmal. Eine einzige, aus dem 19. Jahrhundert stammende Untersuchung zur Entwicklung der Solenogastres ergab, dass sich im Mantel als Vorläufer der Schalenplatten acht Drüsen bilden. Dies wiederum erinnert an die acht Platten der Polyplacophora. Leider gelang diese Beobachtung seither nicht wieder. Wenn wir der zweiten Denkmöglichkeit folgen, bleibt herauszufinden, mit welcher heutigen Molluskengruppe die Solenogastres und Caudofoveata am engsten verwandt sind. Gute Kandidaten dafür sind, aus zweierlei Gründen, die Polyplacophora. Der erste Grund ist der Aufbau ihrer acht Platten – was an die gerade zitierte embryologische Untersuchung anknüpft. Der zweite Grund ist die Anatomie des wurmförmigen Polyplacophora-Vertreters Cryptoplax mit acht rudimentären Schalen, die in der dorsalen Mantelfalte versenkt sind. Anstatt eine Kriechsohle auszubilden, ist hier der Fuß in eine Längsrinne verlängert, die auf der Ventralseite durch den Mantel gebildet wird – eine verwirrende Konvergenz mit den Solenogastres, die uns deutlich zeigt, wie
man von einer Chiton- zur Solenogastres-Struktur gelangt. Wenn die Solenogastres abgeleitete Polyplacophora wären, würden die Synapomorphien der Eumollusca (Fuß in Form einer großen, flachen Kriechsohle, Mantelfalte, Manteldrüsen, die Kalk-Spicula sezernieren, sich in einzelnen Drüsen-Gruppen anordnen und Schalenplatten synthetisieren, zumindest ursprüngliches Vorhandensein von 16 dorsoventralen Muskelpaaren) zu Synapomorphien der Mollusken werden, mit sekundären Verlusten bei allen oder einem Teil der „Aplacophora“. Bliebe noch, die Interpretation der acht dorsalen Schalenplatten zu präzisieren. Handelt es sich hier um eine reine Synapomorphie zwischen Polyplacophora, Solenogastres und Caudofoveata, die die Verwandtschaft dieser drei Gruppen bestätigt? Oder handelt es sich bei der Schalenbildung aller Mollusken um einen ursprünglichen Zustand (und somit um eine Synapomorphie der Mollusken)? Es gibt keine „NichtmolluskenGruppe“, die nahe genug mit den Mollusken verwandt ist, um mit ihnen verglichen zu werden und so Deutungen zu ermöglichen. Daher sind in Zukunft mit Sicherheit die molekularen Phylogenien zur Aufdeckung der Wurzeln des MolluskenStammbaums heranzuziehen, um die Evolutionsrichtung dieses Merkmals zu interpretieren und die phylogenetische Stellung der Solenogastres und Caudofoveata zu präzisieren.
Solenogastres 2
Mollusca
Solenogastres Allgemeines Die Solenogastres (= Furchenfüßer) sind wurmförmige, bilateralsymmetrische Mollusken mit fast kreisförmigem Querschnitt. Sie sind je nach Art zwischen 15 mm und 30 cm lang. Der Kopf, mit ventral gelegenem Mund, ist undeutlich und besitzt keine Sinnesorgane (weder Augen noch Statocysten). Manchmal fehlt die Radula sekundär – insbesondere bei den saugenden Arten. Der Darm hat zahlreiche seitliche Ausstülpungen, die sich von vorne nach hinten fortsetzen. Der Mantel ist gut ausgebildet und sezerniert eine dicke, glänzende Cuticula, die hervorspringende Kalkspicula enthält und die der Oberfläche ein samtiges Aussehen verleihen. Die Färbung der Tiere – hell- oder
Ökologie Die Solenogastres sind frei lebende, marine Tiere, die sich am Meeresboden, aber außerhalb des Sediments bewegen. Sie leben auf festsitzenden Metazoen, deren Oberflächengewebe
dunkelgrau, hell- oder dunkelbraun, gelblich oder rot – ist je nach Art variabel und scheint zum Teil von der Farbe ihrer Beute bestimmt zu werden. Der wenig entwickelte Fuß ist ein einfacher, bewimperter Kamm, der in einer ventralen Fußrille sitzt, die durch die Seitenränder des Mantels begrenzt wird. Die Mantelhöhle liegt am hinteren Teil des Körpers. Sie ist zu einer Kloakenöffnung (oder Kloake) ausgebildet, die zwei rudimentäre Kiemen enthält und in die der After sowie zwei Geschlechtsund Exkretionsöffnungen münden. Die Kiemen sind nicht kammförmig (Ctenidien), sondern einfache Falten mit Atmungsfunktion. Es kommen keine eigenständigen Gonoducte vor. Der Repro-
sie beweiden. Seltener leben sie im Sediment (Biserranenia sammobionta), wo sie ausnahmlos graben (Neomenia carinata). Die meisten Arten leben räuberisch von Cnidariern und Bryozoen. Die Art Rhopalomenia aglaopheniae lebt an den europä-
duktionsapparat mündet in der unpaaren Reno-Pericardial-Höhle. Die Nephridien (oder Coelomoducte) sind zuständig für die Ausleitung der Genitalprodukte. Es tritt ein Begattungsorgan auf sowie bei manchen Arten ein Begattungsstilett (Kloaken-Stilett) – Organe die der Erregung dienen und mit den Begattungsorganen zusammenspielen. Diese findet man bei keiner anderen Molluskengruppe. Die Furchung erfolgt nach dem Spiraltyp. Die Embryonalentwicklung führt zu einer Trochophora-Larve, die wie bei den Polyplacophora acht Dorsalplatten besitzt, die später wieder verschwinden – diese Entwicklung wurde allerdings nur ein einziges Mal beobachtet.
ischen Küsten in einer Tiefe von 50– 100 m und ernährt sich ausschließlich von dem Cnidarier Lytcarpia myriophyllum. Die etwa gleich große (1–3,5 cm) und im selben Lebensraum vorkommende Nematomenia banyulensis greift dagegen auch 339
2 Solenogastres andere Hydrozoen an. Beide Arten haben ihre Radula verloren. Sie verdauen die Nahrung mit Drüsensekreten. Bei den anderen Arten kann die Radula unterschiedliche Formen aufweisen – je nach Art der Ernährung. Genitoconia rosea (0,3 cm) und Eleutheromenia sierra (1 cm) besitzen eine zweigeteilte Greif-Radula. Nur wenige Arten sind omnivor, darunter beispielsweise Proneomenia sluiteri (1–15 cm). Bei vielen Arten, die räuberisch von Cnidariern leben, können die Nesselkapseln (die für die Cnidaria so typischen Nematocysten) den Verdauungstrakt passieren, ohne sich zu öffnen. Auf welche Weise sich die Solenogastren gegen die gefährlichen Substanzen der Nematocysten schützen, ist nicht bekannt. Möglicherweise sind besondere Ausscheidungen ihrer Drüsen an diesem Mechanismus beteiligt. Die Cuticula der Solenogastres ist mit Spicula bedeckt. Sie ist ebenfalls ein Schutzschild gegen die Nesselkapseln der Cnidarier. Die genauere Untersuchung des Mantels eines Solenogastren aus dem Roten Meer (Forcepimenia protecta, 0,2 cm lang) ergab, dass dieser komplett mit den Nematocysten seiner Beutetiere bedeckt war. Die Solenogastres sind Zwitter mit innerer Befruchtung. Die Larven schwimmen. Erstaunlich ist das Verhalten von Epimenia verrucosa, Pruvotina providens und Halomenia gravida: Sie schützen ihre Jungen in Taschen ihrer Mantelhöhle.
Spezielle Merkmale – Eine ventrale Fußrinne, durch die Seitenränder der Mantelfalten begrenzt, erstreckt sich über die gesamte Körperlänge. In der Rinne münden Schleim produzierende Fußdrüsen. Sie beginnt auf Höhe einer kleinen, bewimperten, 340
Kapitel 9
Abb. 1. Proneomenia aglaopheniae (a) und Rhopalomenia aglaopheniae (b)
hinter dem Mund sitzenden Grube und endet nahe der Kloake. Die Rinne enthält einen kammförmigen, bewimperten Fuß. Durch Bewegungen der Wimpern und die Ausscheidung einer schleimigen Substanz aus Drüsen am hinteren Teil des Mundes können sich die Tiere fortbewegen.
Beispiele Nematomenia banyulensis, Genitoconia rosea, Proneomenia aglaopheniae, P. sluiteri, Rhopalomenia aglaopheniae, Pruvotina providens, Strophomenia lacazei, Eleutheromenia sierra, Forcepimenia protecta, Epimenia verrucosa, Halomenia gravida, Biserramenia psammobionta, Neomenia carinata, Pachymenia abyssorum
Artenzahl: 350 Ältestes bekanntes Fossil: Es ist nur eine nicht näher bezeichnete Art bekannt. Sie stammt aus dem oberen Karbon von Illinois/USA (–310 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: Solenogastren findet man in allen Weltmeeren einschließlich der Antarktis und der Arktis und in jeder Tiefe. Pachymenia abyssorum wurde mit dem Schleppnetz in 4000 m Tiefe vor der kalifornischen Küste gefangen.
Caudofoveata 3
Mollusca
Caudofoveata Allgemeines Die Caudofoveata oder Schildfüßer sind wurmförmige, bilateralsymmetrische Mollusken mit fast kreisförmigem Querschnitt. Sie sind je nach Art zwischen 0,3 und 14 cm lang. Sie besitzen weder einen Fuß noch eine Ventralrinne. Der Körper wird vollständig vom Mantel bedeckt. Dieser sezerniert eine Cuticula, die Kalkschuppen enthält und im Allgemeinen graubraun gefärbt ist. Die Mantelhöhle befindet sich am hinteren Teil des Körpers und ist als Kloakenöffnung ausgebildet, die durch einen Muskelring geschlossen werden
Ökologie Die Caudofoveaten sind marine Mikrophagen, die sich im Sediment in vertikalen Höhlen eingraben. Sie lassen ihren hinteren Körperteil – den Teil also, der die Ctenidien trägt und somit der Atmung dient – ins Wasser ragen und bewegen ihn rhythmisch. Abbildung 2 zeigt, welche Position ein Schildfüßer im Sediment einnimmt. Die Gänge können
kann. In diese Körperhöhle, die zwei echte Ctenidien (Kammkiemen) enthält, münden der After sowie zwei Geschlechts- und Exkretionsöffnungen. Es gibt keine eigenen Gonoducte. Die einzige Gonade mündet in einer unpaaren Reno-Pericardial-Höhle. Somit sorgen Nephridien (Coelomoducte) für die Ausleitung der Genitalprodukte. Der Mantelbereich hat die Form einer Glocke und ist durch lange Stacheln geschützt. Nahe der Mundöffnung befindet sich ein charakteristischer Fuß- oder Grab-
jedoch auch, wie bei Limifossor talpoideus, horizontal verzweigt sein. Die Caudofoveaten ernähren sich von im Sediment lebenden Einzellern, Algen oder kleinen Metazoen. Die Art Prochaetoderma raduliferum (0,3–0,4 cm) bewegt sich fort, indem sie die Radula zangenförmig aus ihrem weit geöffneten Mund streckt. Es ist möglich, dass die Radula in diesem Fall die Funktion eines Greiforgans übernimmt und zum Sam-
schild. Je nach Art kann die Radula unterschiedliche Formen annehmen und besitzt ein oder zwei Zangenpaare, Zähnchen unterschiedlicher Größe oder plattenartige Formationen. Sie kann sekundär verloren gehen – insbesondere bei der Gattung Chaetoderma. Der Verdauungstrakt setzt sich aus einer doppelten Mundtasche, einer ventralen oder lateralen Verdauungsdrüse sowie einem geraden Rectum zusammen. Es gibt kein Begattungsorgan.
meln von Beute dient. Der Sinnesteil des Schildes hat die Aufgabe, die Beute zu sortieren. Die Tiere vergraben sich durch Kontraktionen ihres Vorderkörpers im Sediment – rückwärts gehen können sie jedoch nicht. Es ist möglich, dass die Schuppen und Stacheln, die alle zum hinteren Körperteil hin ausgerichtet sind, eine Rückwärtsbewegung verhindern, was wiederum den Erfolg des Grabens verbessert. 341
3 Caudofoveata
Kapitel 9
Abb. 1. Zwei Ansichten der Kopfregion von Chevroderma turnerae
Die Caudofoveaten sind getrenntgeschlechtlich, die Befruchtung erfolgt extern. Über ihre Entwicklung ist wenig bekannt. Die Larven schwimmen.
Spezielle Merkmale – Grabschild: Am Mundbereich sitzt ein vom Fuß abgeleiteter Schild, der aus einer Grab- und einer Sinnesplatte besteht. Manchmal ist dieser Grabschild auch in zwei Teile untergliedert. Er wird als vorderer Rest des Fußes interpretiert und daher Fußschild
genannt. Der Schild dient zum Graben und Sortieren der Beute (Abb. 1). Der Mundschild ist in zwei Stücke unterteilt und umgibt den Mund. Im Gegensatz dazu besteht der Schild bei Scutopus megaradulatus nur aus einem Stück.
Beispiele Limifossor talpoideus, Scutopus megaradulatus, Falcidens crossotus, Prochaetoderma raduliferum, Chaetoderma nitidulum, Chevroderma turnerae, Crystallophrisson indicum
Artenzahl: etwa 100 Ältestes bekanntes Fossil: keines Heutiges Vorkommen: Die Caudofoveata findet man in allen Meeren.
342
Abb. 2. Schildfüßer in seiner Sedimenthöhle
Eumollusca 4
Mollusca
Eumollusca Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Kriechsohle: Die Eumollusca besitzen einen Fuß in Form einer gut ausgebildeten Kriechsohle: Sie ist groß, flach und muskulös (Abb. 1). – Der Mantel umgibt den gesamten Körper als spezielle Falte, die Mantelfalte (Abb. 1). Diese Falte bildet auf der Dorsalseite die Grenze zwischen dem Mantel und seinen Produkten (Spicula, Schalenplatten, Gehäuse) und auf der Ventralseite einen Raum zwischen Falte und Fuß, die so genannte Mantelrille oder Mantelhöhle. Ursprünglich beherbergt diese Rille die Ctenidien (Kammkiemen), die Exkretions- und Genitalöffnungen sowie den After (Abb. 2). – Die Drüsen des Mantels sezernieren Kalkspicula. Diese zunächst diffus angeordneten Drüsen können sich flächig zusammenschließen und Schalenplatten synthetisieren (Abb. 2a). Ursprünglich sind 7 (bei einigen Fossilien) oder typischerweise 8 Schalenplatten.
Bei den Conchifera haben sich die Schalenplatten sekundär auf nur noch eine reduziert (Abb. 2b). – Ursprünglich sind 16 dorsoventrale Muskelpaare. Dieses Merkmal ist jedoch wenig zuverlässig: Diese Muskeln scheinen nämlich bei den Solenogastres und den Caudofoveata sekundär zurückgebildet worden zu sein. Wenn dieses Charakteristikum bestätigt
würde, könnte es sich hier in der Tat um ein Merkmal handeln, das sehr früh in der Molluskenevolution auftrat.
Beispiele Polyplacophora: Käferschnecken (Chiton tuberculatus, Acanthochiton communis)
Abb. 1. Ventralansicht von Chiton tuberculatus
343
4 Eumollusca
Kapitel 9
Abb. 2. Zwei schematische Ansichten der linken Seite eines Vertreters der Polyplacophora- (a) und der Monoplacophora (b).
Conchifera: Neopilina galatheae, Laevipilina rolani, Napfschnecke (Patella vulgata, Strandschnecke (Littorina littorea), Tigerschnecke (Cypraea pantherina), Großer Schnegel (Limax maximus), Gefleckte Weinbergschnecke (Helix aspersa), Seehase (Aplysia fasciata), Wurmschnecke (Vermetus adansoni), Perlboot (Nautilus pompilus), Gewöhnlicher Kalmar (Loligo vulgaris), Gewöhnlicher Tintenfisch (Sepia officinalis, Gewöhnlicher Krake (Octopus vulgaris), Perlboot (Argonauta argo), Nussmuschel (Nucula nucleus), Miesmuschel (Mytilus edulis), Pinctada margaritifera, Pilgermuschel (Pecten maximus), Dreikantmuschel (Dreissena poly-
344
morpha), Scheidenmuschel (Solen marginatus), Cuspidaria typus, Elefantenzahn (Dentalium vulgare),
Entalina quinquangularis, Siphonodentalium galatheae, Fissidentalium plurifissuratum
Artenzahl: 117 045 Ältestes bekanntes Fossil: Rätselhafte und Schalen tragende Mollusken sind bereits Bestandteil der australischen Ediacara-Fauna (–680 Mio. Jahre). Dazu zählen der Circithecide Circotheca longiconica aus Yunnan und der Globorilide Wyattia reedensis aus Kalifornien. Die Zuordnung dieser sehr alten Fossilien zu den heutigen Molluskenklassen ist problematisch. Von der Basis des Kambriums sind einige der großen heutigen Molluskengruppen bekannt, beispielsweise die Monoplacophoren Latouchella korobkovi, Latouchella memorabilis, Anabarella plana und A. indecora aus dem tiefen Kambrium Sibiriens oder die Muschel Projetaia runnegari aus dem unteren Kambrium Südaustraliens und Chinas (–530 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
Polyplacophora 5
Mollusca
Polyplacophora Allgemeines Die Polyplacophora (oder Chitonen, Käferschnecken) sind bilateralsymmetrische, dorsoventral abgeflachte Mollusken mit Kopf, Fuß und deutlich erkennbaren inneren Organen. Sie sind zwischen 0,3 und 33 cm lang. Der Fuß stellt eine flache, ovale Kriechsohle dar. Am Mantelrand umschließt eine rinnenförmige Mantelhöhle den Fuß fast vollständig. Sie enthält zahlreiche sekundäre Kiemenpaare – je nach Art können dies 6–88 Paare sein. Schleimdrüsen enden ebenfalls in der Mantelhöhle. In ihrem hinteren Teil liegt der After, eingerahmt von Exkretions- und davon getrennten Genitalöffnungen. Der dorsale Teil des Mantels sezerniert eine Schale, die aus acht gelenkig miteinander verbundenen Kalkplatten besteht. Am Rand dieser Dorsalplatten sezerniert der Mantel vereinzelte Kalkspicula. Bei den Acanthochitonida findet man darüber hinaus Paare von Tastborsten-Büscheln. Der Mund öffnet sich ventral in der Mitte einer Mundscheibe („Maul“). Mit einem protraktilen subradulär angebrachten Organ können die Tier ihre Nahrung verkosten, bevor sie aus dem Substrat gerissen wird. Die Radula hat in den meisten Fällen die Form einer Raspel, die aus mehreren Reihen mit 17 Zähnen
Ökologie Die Polyplacophora beweiden Algen. Sie bevorzugen den Aufwuchs auf festem Substrat. Die Mehrzahl dieser Organismen findet man in der
besteht. Der Magen wird von zwei Verdauungsdrüsen (Hepatopankreas, Mitteldarmdrüse) flankiert. Der bewimperte Darm beschreibt zwei Windungen. Der After wird von einer Papille getragen. Die Coelomhöhle ist zur Genital- und zur Renopericardial-Höhle mit eigenen Coelomo-, Gono- und Nephroducten reduziert. Der Exkretionsapparat besteht aus zwei Nephridien, die mit drüsigen Magenblindsäcken verknüpft sind. Das Nervensystem ist an der Vorderseite des Körpers konzentriert und besteht im Wesentlichen
Gezeitenzone und unmittelbar darunter. Einige Arten sind auch in Korallenriffen und wenige auch in 1500–3000 m Tiefe anzutreffen. Mit ihren gegeneinander beweglichen Platten können sich die Tieren wie
aus einem Schlundring sowie paarigen Marksträngen, die durch zahlreiche und gleichmäßig verteilte Kommissuren miteinander verknüpft sind. Die Polyplacophora besitzen keine echten Augen. Stattdessen sind die Dorsalplatten von zahlreichen epidermalen Sinnes-Papillen durchsetzt, die Tastund Schmeckfunktion (Mikroaestheten) haben sowie von verschiedenartigen Photorezeptororganen, die Linsen tragen (Makraestheten). Die Chitonen weisen vielfältige Färbungen auf sowie Muster mit Streifen und Flecken.
Asseln einzurollen. Sobald sie im Freien liegen, heften sie sich so fest an Felsen an, dass es sehr schwierig ist, sie von dort zu lösen. Diese feste Anhaftung ans Substrat verhindert, dass sie während der Ebbe austrock345
5 Polyplacophora nen. Auch wenn die große Mehrheit der Polyplacophora weidende Mikrophagen sind, leben einige Arten wie Mopalia hindsi oder Placiphorella velata trotz ihrer Langsamkeit räuberisch: Ihre Beute sind Würmer und kleine Crustaceen. Der Mantelrand von Placiphorella velata ist an seinem vorderen Teil stark vergrößert. Das Tier zieht diesen Mantelteil hoch und verharrt so lange, bis ein Beutetier darunter hindurch läuft. Dann lässt der Mollusk seine Falle zuschnappen und fängt auf diese Weise eine Beute, die viel schneller ist als er selbst. Bei manchen Arten – beispielsweise bei Cryptochiton stelleri – hat der Mantel die Tendenz, die Dorsalplatten zu bedecken. Bei anderen Arten, so bei Cryptoplax larvaeformisi, sind die Platten kleiner. Dieses Tier nimmt sekundär ein wurmartiges Aussehen an, da der Fuß im Inneren der Mantelrinne reduziert ist – eine erstaunliche Konvergenz zu den Solenogastres. Bei den Chitonen sind die Geschlechter getrennt, die Befruchtung erfolgt extern. Die Spiralfurchung ergibt eine typische TrochophoraLarve. Diese zeigt sehr schnell die Andeutungen der acht Skelettplatten sowie des Fußes. Ein Veliger-Stadium tritt nicht auf. Die Larve verliert schnell ihre Bewimperung und sinkt zu Boden. Einige Arten tragen ihre Larven in der Mantelhöhle. Bei Callistochon viviparus schlüpfen die Jungen sogar vollständig entwickelt aus der mütterlichen Mantelhöhle. Chiton tuberculatus kann ein Dutzend Jahre alt werden.
Spezielle Merkmale – Kiemen: Die Polyplacophora zeigen vielfältige sekundäre Kiemen-
346
Kapitel 9
Abb. 1. Ventralansicht von Chiton tuberculatus
paare, die in der Mantelrinne sitzen und die nicht mit den Ctenidien anderer Mollusken homolog sind (Abb. 1). – Die Schale ist in 7–8 Platten unterteilt, die miteinander gelenkig verbunden und daher beweglich sind (Abb. 2). Der Anzahl der Platten entspricht eine ebenso große Zahl von Drüsenregionen im Mantel. Dies könnte die ursprünglichen Bedingungen bei den Mollusken widerspiegeln – vorausgesetzt, dass es sich bei den Solenogastres und den Caudofoveaten um stark abgeleitete Polyplacophora handelt. – Die Lichtsinnesorgane (= Aestheten, Abb. 3) sind in die Dorsalplatten eingebaut. Diese Strukturen sind in großer Zahl vorhanden und informieren das Tier über die Lichtmenge (die Chitonen besitzen am Kopf keine Augen). Mantelzellen steigen in vertikalen Gängen auf und breiten sich in
Abb. 2. Dorsalansicht von Acanthochiton communis. Der so genannte Gürtel am Mantelrand sezerniert die Kalkspicula.
Poren (Megalo- oder Mikroporen) aus, die sich in den äußersten Schichten der Schale öffnen. Details über ihre Funktionsweise sind nicht bekannt. Abbildung 3 zeigt den Längsschnitt durch einen Aestheten von Acanthopleura spiniger. Dieser Aesthet ist eines der am höchsten entwickelten photosensiblen Organe, die man bei den Polyplacophora finden kann. – Die Radula besteht pro Reihe aus 17 Zähnen.
Beispiele Lepidopleurus luridus, Hemiarthrum setulosum, Ischnochiton imitator, Mopalia hindsi, Placiphorella velata, Callistochiton viviparus, Chiton tuberculatus, Cryptochiton stelleri, Cryptoplax larvaeformis, Acanthochiton communis, Acanthopleura spiniger
Mollusca
Polyplacophora 5
Abb. 3. Aesthet von Acanthopleura spiniger
Artenzahl: etwa 900 Ältestes bekanntes Fossil: Matthevia virabilis und M. walcotti sowie Preacanthochiton cooperi und P. productus aus dem höheren Kambrium von Wisconsin und Missouri/USA (–510 Mio. Jahre). Die Polyplacophora haben mit 24 Familien mäßig umfangreiche fossile Spuren hinterlassen. Heutiges Vorkommen: weltweit, marin, in Tiefen zwischen 0–3000 m
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6 Conchifera
Kapitel 9
Conchifera Allgemeines
Spezielle Merkmale – Die Schale der Conchifera besteht – zumindest im Larvenstadium – nur aus einem Stück. Im Adultstadium hat dies in den meisten Fällen zur Folge, dass es nur einen einzigen Drüsenbereich im Mantel gibt. Es sei betont, dass der bivalve Zustand sekundär erlangt wird, ausgehend vom univalven Zustand. – Der Mantelrand ist aus drei parallelen Falten aufgebaut, die entsprechend ihrer spezifischen Funktionen übereinander gelegt sind. Der oberste äußere Lappen (Marginalfalte) sezerniert die beiden äußeren Schichten der Schale, das Periostracum und die Prismenschicht. Der mittlere Lappen ist sensorisch, der innere Lappen muskulös (Abb. 2). – Die Schale besteht aus drei Schichten (Abb. 2): Die äußere Schicht ist das Periostracum, darauf folgt die Prismenschicht und darauf, als innerste Schicht, die Perlmuttschicht. Diese wird vom äußeren Mantelepithel, die beiden anderen vom äußeren Mantellappen synthetisiert. – Bei den Conchifera fusionieren – zumindest ursprünglich – die Fas348
zien der Dorsoventralmuskeln zu acht Retraktormuskelpaaren des Fußes. – Statocysten: Die Conchifera besitzen Gleichgewichtsorgane, die Statocysten. Die Position dieser kugeligen Sinnesorgane und ihre Verknüpfung mit dem zentralen Nervensystem sind für den pelagischen Gastropoden Plerotrachea mutica in Abbildung 3 dargestellt. Eine Statocyste kann man sich wie eine Kugel vorstellen, deren Wand von Nervenfasern durchzogen und die mit einem Statocysten-
Nerv verbunden ist. Diese Kugel besitzt in ihrem Zentrum Statolithen (Kristalle) sowie Büschel von Sinneszellen, die an ihrer Innenseite beginnen und konzentrisch zu den Statolithen ausgerichtet sind (Abb. 4). Jede Bewegung verschiebt die Kristalle ein wenig, die mit den Sinneszellen in Kontakt stehen. Dies führt zu einer Stimulation der Sinneszellen, die diese Höhle auskleiden. Daraufhin wird ein nervöses Signal zum Statocysten-Nerv geleitet.
Abb. 1. Seitenansicht einer Veliger-Larve (Größe: 150 µm) des Gastropoden Patella (a) und der Muschel Teredo (b)
Conchifera 6
Mollusca
Abb. 2. Beziehungen zwischen Mantel und Schale
Abb. 3. Sinnesorgane der pelagischen Schnecke Pterotrachea mutica
Beispiele Monoplacophora: Neopilina galatheae, Laevipilina rolani Ganglioneura: Napfschnecke (Patella vulgata), Strandschnecke (Littorina littorea), Tigerschnecke (Cypraea pantherina), Großer Schnegel (Limax maximus), Gefleckte Weinbergschnecke (Helix aspersa), Seehase (Aplysia fasciata), Wurmschnecke (Vermetus adansoni), Perlboot (Nautilus pompilus), Gewöhnlicher Kalmar (Loligo vulgaris), Gewöhnlicher Tintenfisch (Sepia officinalis), Gewöhnlicher Krake (Octopus vulgaris), Nussschnecke (Nucula nucleus), Miesmuschel (Mytilus edulis), Perlmuschel (Pinctada margaritifera), Pilgermuschel (Pecten maximus), Dreikantmuschel (Dreissena
polymorpha), Scheidenmuschel (Solen marginatus), Körbchenmuschel (Corbicula sp.), Elefantenzahn (Dentalium vulgare), Entalina quinquangularis, Siphonodentalium galatheae, Fissidentalium plurifissuratum
Abb. 4. Schematischer Querschnitt durch eine Statocyste
Artenzahl: 116 145 Ältestes bekanntes Fossil: Rätselhafte, Schalen besitzende Mollusken sind Teil der australischen Ediacara-Fauna (–680 Mio. Jahre). Dazu zählen der Circithecide Circotheca longiconica aus Yunnan und der Globorilide Wyattia reedensis aus Kalifornien. Die Zuordnung dieser sehr alten Fossilien zu den heutigen Molluskenklassen ist problematisch.Von der Basis des Kambriums sind einige der großen heutigen Molluskengruppen bekannt, beispielsweise die Monoplacophoren Latouchella korobkovi, Latouchella memorabilis, Anabarella plana und A. indecora aus dem tiefen Kambrium Sibiriens oder die Muschel Projetaia runnegari aus dem unteren Kambrium Südaustraliens und Chinas (–530 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit 349
7 Monoplacophora
Kapitel 9
Monoplacophora Allgemeines Das Taxon Monoplacopohora wurde 1940 eingeführt, um Fossilien aus dem Kambrium, die Tryblidiidae, zu bezeichnen – bilateralsymmetrische Tiere, deren napfförmige Schale auf der Innenseite Abdrücke von acht Paar symmetrischer Muskelansätze trugen. Dies erinnerte an eine interne Segmentierung bzw. Metamerie. Im Mai 1952 entdeckte die dänische Expedition Galathea im Pazifischen Ozean im Westen Costa Ricas in 3590 m Tiefe einen rezenten Repräsentanten der Tryblidiidae, die Art Neopilina galatheae. Diese besitzt eine dünne Schale von etwa 3,5 cm Breite und 3,7 cm Länge, mit Wachstumsrillen und einem nach vorne gebogenen Apex. Später wurden weitere Arten gefunden, die die Größenskala auf 0,15–3,7 cm Länge erweiterten. Der runde Fuß bildet eine große Kriechsohle, die mit einem Rand ausgestattet ist und von einer Körperhöhle bis zum Mantelrand hin vollständig eingehüllt ist. In dieser Höhle befinden sich 5–6 symmetrisch angeordnete Kiemenpaare. An der Basis eines jeden Paares mündet eine Nephridienöffnung. Der After liegt am Hinterende des Körpers auf Sagittalebene. Der am Körpervorderende sitzende Mund trägt eine Ober- und eine Unterlippe, die von einer dicken Cuticula bedeckt und mit großen, bewimperten Seitenlappen versehen ist. Die Unterlippe trägt fächerförmige Tentakel. Die Radula besteht aus 11
350
Zahnreihen. Der Verdauungstrakt umfasst neben den Speicheldrüsen und den großen anterioren Magentaschen ein kurzes posteriores Caecum (Magenblindsack). Das Caecum enthält einen Kristallstiel, der die Verdauungsenzyme liefert. Dieses Organ findet sich auch bei den Gastropoden und den Bivalvia. Der Fuß besitzt Retraktormuskeln. Das Nervensystem weist keine Ganglienkonzentration auf. Das Coelom ist weiter entwickelt als bei den Polyplacophora: Es umfasst zwei Pericardialhöhlen, zwei Genitalhöhlen sowie eine große, dorsal gelegene Viszeralhöhle, die in zwei abgeflachte Säcke unterteilt ist. Der metamerisierte Exkretionsapparat besteht aus sechs Nephridienpaaren. Die ersten vier Paare stehen mit den coelomischen Genitalhöhlen in Verbindung, die beiden anderen Paare mit den Pericardialhöhlen. Zwei Gonadenpaare leiten
die Genitalprodukte über zwei Paar Gonoducte aus, die mit den Nephridien des dritten und vierten Paares verbunden sind. Da die Mollusken keinerlei innere Segmentierung zeigen, wollte man in der seriellen Abfolge der Organe der Monoplacophora Spuren einer ursprünglichen Metamerie sehen, welche die Mollusken mit den Anneliden oder den Arthropoden verknüpft hätte. Diese Sichtweise wird heute aus verschiedenen Gründen nicht mehr verfolgt: Erstens sind die verschiedenen Konstruktionen nicht voneinander abhängig, und nicht alle Coelomhöhlen sind von dieser „Segmentierung“ betroffen. Zweitens können die acht Retraktormuskelpaare ganz einfach die acht ursprünglichen Platten widerspiegeln, die bei den Conchifera zu einer einzigen Platte verschmolzen sind.
Monoplacophora 7
Mollusca
Ökologie Die Monoplacophora leben in der Tiefsee: Sie kommen kaum oberhalb von 200 m vor.Am häufigsten sind sie in 2500–4000 m, kommen aber auch bis zu 6500 m Tiefe vor. Sie ernähren sich von organischem Abfall und besonders von Radiolarien und Diatomeen. Im Magen von Neopilina ewingi hat man Spicula von Schwämmen sowie Seeigelstacheln gefunden. Die Tiere sind getrenntgeschlechtlich, die Befruchtung findet wahrscheinlich extern statt. Die Monoplacophora haben eine Schwimmlarve vom Veliger-Typ.
Abb. 1. Ventralansicht (links) und die Dorsalansicht (rechts) von Neopilina galatheae
Spezielle Merkmale – Der innere Aufbau zeigt eine charakteristische seriale Anordnung aus 8 Retraktormuskel-, 6 Nephridien-, 5 Ctenidien- und 2 Gonadenpaaren. Das dritte und vierte Nierenpaar fungieren als Genitalkanäle (Abb.1 ). Abbildung 2 zeigt schematisch den inneren Aufbau von Neopilina. Die Monoplacophora sind die einzigen heute lebenden Mollusken, die diese Anordnung zeigen. Die acht Retraktormuskeln des Fußes jedoch stellen kein alleiniges Charakteristikum der Monoplacophora, sondern sämtlicher Conchifera dar, das später bei den Ganglioneuren modifiziert worden ist. Das Auftreten einer Aorta ist ein Charakteristikum der Eumollusca.
Beispiele Neopilina galatheae, N. bruuni, N. ewingi, N. veleronis, N. bacescui, Laevipilina rolani
Abb. 2. Organisation von Neopilina (Ventralseite, Darm und Coelom entfernt)
Artenzahl: 15 Ältestes bekanntes Fossil: Aus dem frühen Kambrium sind die Monoplacophoren Latouchella korobkovi, L. memorabilis, Anabarella plana und A. indecora bekannt (Unter-Kambrium Sibiriens, –530 Mio. Jahre). Das älteste Fossil der heutigen Familie Tryblidiidae ist Helcionopsis sp. von der Basis des mittleren Kambriums Australiens (–520 Mio. Jahre). Die Monoplacophora haben mit acht Familien nur mäßige fossile Spuren hinterlassen. Heutiges Vorkommen: marine Gräben der amerikanischen Pazifikküste sowie des Golfs von Aden und des Zentralatlantiks
351
8 Ganglioneura
Kapitel 9
Ganglioneura Allgemeines
Spezielle Merkmale – Retraktormuskeln: Die Zahl der Retraktormuskeln des Fußes ist von acht (Abb. 1) auf ein (Abb. 2) bis zwei Paare reduziert (Abb. 3).
Beispiele Visceroconchae: Patella vulgata, Littorina littorea, Cypraea pantherina,
Limax maximus, Seehase (Aplysia fasciata), Wurmschnecke (Vermetus adansoni), Perlboot (Nautilus pompilus), Gewöhnlicher Kalmar (Loligo vulgaris), Gewöhnlicher Tintenfisch (Sepia officinalis), Gewöhnlicher Krake (Octopus vulgaris) Diasoma: Nussmuschel (Nucula nucleus), Miesmuschel (Mytilus edulis), Perlmuschel (Pinctada margaritifera), Pilgermuschel (Pecten maximus), Dreikantmuschel (Dreissenia
Abb.1. Acht ventrale Retraktormuskelpaare bei Neopilina (Monoplacophora)
352
polymorpha), Scheidenmuschel (Solen marginatus), Cuspidaria typus, Elefantenzahn (Dentalium vulgare), Entalina quinquangularis, Siphonodentalium galatheae, Fissidentalium plurifissuratum
Abb. 2. Unpaarer Retraktormuskel des Fußes bei einem Gastropoden mit Lunge
Ganglioneura 8
Mollusca
Abb. 3. Paarige Retraktormuskeln bei einem Scaphopoden
Artenzahl: 116 130 Ältestes bekanntes Fossil: Die Ganglioneura sind schon von der Basis des Kambriums bekannt (–530 Mio. Jahre), mit der pränuculiden Muschel Projetaia runnegari aus dem unteren Kambrium Südaustraliens und Chinas, mit dem Rostrocongen (nur fossil bekannte Gruppe, mit den Bivalvia verwandt) Heraultipegma varensalense aus dem französischen Herault sowie mit Watsonella crosbyi aus Massachusetts/USA. Heutiges Vorkommen: weltweit
353
9 Visceroconchae
Kapitel 9
Visceroconchae Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Der Kopf ist deutlich erkennbar und sehr gut ausgebildet. Das Nervensystem konzentriert sich im Vorderteil in Form von Ganglien (Abb. 1). Bei den Nonganglioneuren ist der Kopf sehr undeutlich und das Nervensystem über die ganze Länge des Körpers verteilt ( Abb. 1b). Bei den Diasoma dagegen ist das Nervensystem zurückgebildet oder fehlt sogar ganz (Abb.1e und 1f). Bei den Visceroconchen (Abb.1c und 1d) springt das Nervensystem hervor. Die Ganglien konzentrieren sich auf die Kopf- und die vordere Körperregion. – Bei den Visceroconchae umgibt der Mantel nur den inneren Teil des Körpers. Folglich schützt die Schale bei den Gastropoden sowie den nautilusartigen, ammonitoiden (fossil) und belemnitoiden (fossil) Cephalopoden ursprünglich nur die inneren Organe – außer wenn die Schale sekundär zurückgebildet wurde oder wieder durch den Mantel bedeckt ist, wie beispielsweise bei der Gastropodenordnung Nudibranchia, bei 354
den Limacina oder auch den heutigen, nicht nautilusartigen Cephalopoden. Abbildung 1. zeigt, dass der Mantel bei den Nonganglioneuren den ganzen Körper bis auf die Kriechsohle schützt (Abb. 1a und 1b). Bei den Diasoma umhüllt der Mantel dagegen den gesamten Körper (Abb. 1e und 1f). Bei den Visceroconchae – den Gastropoden (Abb. 1c) und den Cephalopoden (Abb. 1d) – kann der Mantel grundsätzlich mit einem Sack gleichgesetzt werden, der die Eingeweide umschließt.
littorea), Tigerschnecke (Cypraea pantherina), Großer Schnegel (Limax maximus), Gefleckte Weinbergschnecke (Helix aspersa), Seehase (Aplysia fasciata), Wurmschnecke (Vermetus adansoni) Cephalopoda: Perlboot (Nautilus pompilus), Gewöhnlicher Kalmar (Loligo vulgaris), Gewöhnlicher Tintenfisch (Sepia officinalis), Gewöhnlicher Krake (Octopus vulgaris)
Beispiele Gastropoda: Napfschnecke (Patella vulgata), Strandschnecke (Littorina
Artenzahl: 103 730 Ältestes bekanntes Fossil: Fossile Visceronchen sind – mit den Gastropoden Kobayashiella circe aus Shantung/China, Macluritella walcotti aus Nevada, Sinuella minuta aus Texas sowie Sinuopea sweeti aus Wisconsin, Schizopea typica aus Missouri und Prohelicotoma uniangularia aus New York – vom oberen Kambrium (–510 Mio. Jahre) bekannt. Heutiges Vorkommen: weltweit
Mollusca
Visceroconchae 9
Abb. 1. Schematische Ansicht der linken Seite je eines Vertreters der Polyplacophora (a), Monoplacophora (b), Gastropoda (c), Cephalopoden (d), Bivalvia (e) und Scaphopoda (f)
355
10 Gastropoda
Kapitel 9
Gastropoda Allgemeines Die Gastropoden (Schnecken) sind Mollusken mit einer Größe von 0,1–60 cm. Sie zeigen so unterschiedliche Formen und Farben, dass es für Laien schwierig ist, sie alle einzuordnen. Wenn man nur von ihrer äußeren Morphologie ausgeht – wie soll man da etwa eine Napf- oder Weinbergschnecke mit den pelagischen Nudibranchia in Verbindung bringen, die auf ihrem Rücken lebhaft gefärbte Sekundär-
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kiemen tragen? Oder mit einer riesigen Wurmschnecke, die eine seltsame, nicht spiralige, röhrenförmige Schale trägt? Oder mit einer merkwürdigen Cavolina oder Clio, die kugelförmige Schalen tragen und große Mantellappen besitzen? Oder gar mit Gasterosiphon und Entocolax, die immer parasitisch leben und aufgrund dieser Lebensweise sehr stark modifiziert sind? Doch trotz ihrer spektakulären
Vielfalt sind die Gastropoden anhand ihrer Anatomie klar zu erkennen. Sie besitzen einen deutlich ausgebildeten Kopf und sehr häufig ein einteiliges, dorsales, spiralig gedrehtes Gehäuse. Ihr Kopf trägt dorsal ein oder zwei Fühlerpaare sowie an der Basis zwei Augen, die auf einem Stiel oder am äußeren Ende der Fühler sitzen.Der Fuß bildet die von außen sichtbare, wulstige Hauptmasse des Körpers. Er bil-
Gastropoda 10
Mollusca
det eine Kriech- oder Schwimmsohle, die reich ist an einzeln oder in Gruppen angeordneten Schleimdrüsen und bewimperten Zellen. Der Fuß erstreckt sich schwanzförmig am hinteren Teil des Körpers. Landlebende Arten lassen den Fuß von muskulär erzeugten Kontraktionswellen durchlaufen. Marine Arten bewegen die Seitenränder des Fußes flügelartig. Diese Seitenränder können Fußanhänge (= Parapodien) tragen. Damit kann das Tier schwimmen. Die Schwimmbewegungen erinnern ein wenig an einen Flug. Der Eingeweidesack und die Schale sind spiralig aufgerollt und asymmetrisch angeordnet. Ursprünglich erfährt der Eingeweidesack während der Entwicklung des Tieres eine Drehung um 180 °: Dadurch verlagert sich die Mantelhöhle von ihrer hinteren Position nach vorne und dann in Richtung unterhalb des Kopfes bzw. antero-lateral. Die ursprünglich auf der linken Seite sitzenden Organe (Herzvorhof, Kiemen, Niere, Osphradien (Chemorezeptoren) geraten auf diese Weise nach rechts. Dort verkümmern sie oder verschwinden ganz. Die Organe, die ursprünglich auf
Ökologie Die Gastropoden leben marin, im Süßwasser oder terrestrisch. Man findet sie überall (sogar im Polarmeer) und in jeder Meerestiefe von der Tiefsee bis zur Gezeitenzone, auf offener See – wo viele Arten ausschließlich pelagisch leben –, ferner in Seen oder Fließgewässern sowie überall auf dem Land, von den feuchtesten bis zu den trockensten Lebensräumen. Sie bewohnen sogar
der rechten Seite lokalisiert waren, finden sich nun auf der linken Seite wieder und entwickeln sich normal. Das Nervensystem trägt ebenfalls Spuren dieser Torsion: Es findet sich weiter in der Körpermitte als bei den Nichtconchiferen. Die unpaare Radula zeigt eine große Formenvielfalt. Der Vorderteil des Verdauungstrakts ist häufig zu einem Saugrüssel umgewandelt. Der Mitteldarm ist oft mit Kauplatten versehen. Der Magen ist meist mit einem Kristallstiel verknüpft, der Enzyme synthetisiert und freisetzt. Die Mitteldarmdrüse (Hepatopankreas) bildet zwei Lappen mit voneinander unabhängigen Röhren. Die beiden Nieren bilden zwei Säcke, die in der Mantelhöhle münden. Die in der Embryonalentwicklung rechts, durch die Torsion dann auf der linke Seite lokalisierte Niere ist generell alleine funktionstüchtig. Der unpaare Genitalapparat zeigt sowohl in seinem Aufbau als auch in seiner Komplexität große Vielfalt. Das verbliebene Gonoduct mündet nicht direkt in die Mantelhöhle, sondern in das renale Coelomoduct. Die Männchen besitzen häufig ein Begattungsorgan, das
Trockenwüsten (beispielsweise in Nevada, Mexiko, Nordafrika und Namibia). Sphincterochila kann in der Negev bei Temperaturen von 65 °C überleben. Gastropoden findet man auch in den Bergen, beispielsweise in den Rocky Mountains oder im Himalaya in mehreren tausend Metern Höhe. Die Gastropoden zeigen alle möglichen Ernährungsweisen und sind daher Bestandteil aller aquatischen und terrestrischen Nahrungsketten.
vorne rechts sitzt. Es ist durch eine Rinne mit der Urogenitalöffnung verbunden. Bei einigen Arten weisen die Genitalwege der Weibchen Unterteilungen auf, die den für die Begattung nötigen Teil von dem für die Eiablage trennen. Bei den terrestrischen Arten (Pulmonata = Lungenschnecken) lässt die Mantelhöhle Raum für ein Atemloch, das mit der Umgebung über eine Öffnung (Pneumostom) in Verbindung steht. Die Schale zeigt bei den Gastropoden alle möglichen Entwicklungsgrade von hart und dick (Nerinea, Turitellidae, Cyprea) bis zum totalen Fehlen (Nacktschnecken, z. B. Arion). Die Schale kann auch in Form einer dünnen Schicht vorhanden sein, die vom Mantel bedeckt wird (Limax, Aplysia). Die Schalen tragenden Arten können Kopf und Fuß mit ihrem kräftigen, unpaaren Retraktormuskel vollständig in die Schale einziehen. Der Fuß trägt ursprünglich im rückwärtigen Dorsalbereich eine gekrümmte oder verkalkte Platte, das Operculum. Dieses verdeckelt die Öffnung des Gehäuses, sobald sich das Tier in dessen Inneres zurückzieht.
Einige Arten leben sogar als Parasiten: So parasitiert Thyca Seesterne, Sacculus Ascidien oder Odostomia einige Bivalvia. Die stark modifizierten Eulimida parasitieren Echinodermata. Einige sind ständige innere Parasiten von Holothurien. Die marinen Vermetacea leben in röhrenförmigen Gehäusen und fangen ihre Beute mit langen Schleimfäden, die sie ausstoßen und dann wie ein Netz um kleine Lebewesen legen. Wieder andere Arten leben unter 357
10 Gastropoda
Kapitel 9
Abb. 1. Torsion des Eingeweidesacks bei einer Trochophora- und Veliger-Larve: Ventralansicht einer frühen Trochophora (a) und zu einem späteren Zeitpunkt (b), Ansicht der rechten Seite; Veliger-Larve nach der Flexion, aber noch vor der Torsion (c), Ansicht der rechten Seite, und nach der Torsion (d)
Algen, in Sedimentlücken oder in Felsen. Das Hauptproblem der landlebenden Gastropoden ist es, den Wasserverlust in Grenzen zu halten. Arten der gemäßigten Zonen ziehen sich im Winter zum Winterschlaf in den Boden zurück. Den trockenen Sommer verbringen sie lethargisch, eingegraben im Boden, im Schlamm oder in sonnengeschützten Bodenvertiefungen. Einige Arten der Gattung Helicella versammeln sich in
Abb. 2. Adulter Gastropode nach Abschluss der Torsionen
358
den ersten Stunden des Tages an den Spitzen von Pflanzenstängeln. Auf diese Weise entgehen sie während der heißen Stunden des Tages den hohen Temperaturen am Boden. Erst am Abend klettern sie wieder von den Stängeln herunter. Mit einem solchen Verhalten regulieren terrestrische Gastropoden ihre Wasserbilanz auch in Problemhabitaten, was ihnen das Vorkommen in nahezu jeder terrestrischen Umgebung ermöglicht. Die Gastropoden sind getrenntgeschlechtlich oder zwittrig. Die Eier werden in Form von Laich, als Kokons oder einzeln abgelegt. Die marinen Arten haben häufig schwimmende Trochophora- oder Veliger-Larven. Die landlebenden und die Süßwasser-Gastropoden haben dotterreiche Eier, aus denen bereits fertig ausgebildete Junge schlüpfen. Einige Arten tragen ihre Eier mit sich umher, andere sind vivipar. Die Pulmonaten der Gattung Helix (Helix pomatia, Weinbergschnecke) werden vom Menschen verzehrt – und dazu sogar im Farmbetrieb gezüchtet.
Spezielle Merkmale – Torsion des Eingeweidesacks: Zu einem bestimmten Zeitpunkt der Entwicklung findet die für die Gastropoden charakteristische Drehung des Eingeweidesacks statt. Bei einigen Gastropodengruppen kann eventuell sekundär eine Detorsion auftreten (Abb. 1). Abbildung 2 zeigt einen adulten Gastropoden von oben: In dieser transparenten Darstellung erkennt man die aufeinander folgenden Drehungen des Verdauungsapparats.
Beispiele Napfschnecke (Patella vulgata), Kreiselschnecke (Gibbula adriatica), Seeohr (Haliotis lamellosa), Strandschnecke (Littorina littorea), Tigerschnecke (Cypraea pantherina), Wellhornschnecke (Buccinum undatum), Stachelschnecke (Murex tenuispina), Conus ventricosus, Acteon tornatilis, Flossenfuß (Clio pyramidata), Großer Schnegel (Limax maximus), Rote Wegschnecke (Arion rufus), Gefleckte Weinbergschnecke (Helix aspersa), Seehase (Aplysia fasciata), Meerzitrone (Doris verruco-
Gastropoda 10
Mollusca sa), Schwimmfuß (Atlanta peroni), Gasterosiphon deimatis, Entocolax schiemenzi, Thyca entoconcha, Odostomia rissoides, Eulima equestris, Wurmschnecke (Vermetus adansoni)
Artenzahl: 103 000 Ältestes bekanntes Fossil: Die ältesten bekannten Gastropodenfossilien stammen aus dem Oberen Kambrium: Kobayashiella circe aus Shantung/China, Macluritella walcotti aus Nevada, Sinuella minuta aus Texas sowie die „Archaegastropoden“ Sinuopea sweeti aus Wisconsin, Schizopea typica aus Missouri und Prohelicotoma uniangularia aus New York (–510 Mio. Jahre). Die Gastropoden sind mit 315 Familien recht umfangreich fossil dokumentiert. Heutiges Vorkommen: weltweit
359
11 Cephalopoda
Kapitel 9
Cephalopoda Allgemeines Die Cephalopoden (Kopffüßer, Tintenschnecken, Tintenfische) sind marine Mollusken. Sie sind von gestreckter Gestalt und ziemlich groß (1 cm bis 22 m).Der Vorderteil des Fußes ist mit der Kopfregion verbunden und bildet um den Mund eine unterschiedliche Zahl an Tentakeln. Die Verschiebung des Fußes in Richtung Kopf entlang einer Sagittalachse führt zusam-
360
men mit der endogastrischen Flexion zu einer ventralen Position, die bei den anderen Mollusken (Monoplacophora, Polyplacophora, Solenogastres, Caudofoveata) in der Vorderregion des Körpers liegt und so die Bilateralsymmetrie der Cephalopoden bewahrt. Daher findet sich die Mantelhöhle mit ihrem Inhalt (Kiemen, Anus, Exkretionsund Genitalöffnungen) auf der
Bauchseite und öffnet sich nach vorne direkt hinter dem Kopf. Die Mantelrinne verläuft fast um den gesamten Körper herum und ermöglicht den Wasserdurchtritt in die Mantelhöhle. Der Mittelteil der Mantelrinne trägt einen Sipho. Dieser entspricht dem hinteren Teil des Fußes, der zu einer Art muskulösem Trichter umgewandelt ist. Seine Aufgabe ist es,Wasser aus der
Cephalopoda 11
Mollusca
Mantelhöhle auszustoßen. Die Cephalopden sind somit vollständig von ihrem Mantel eingehüllt – wie in einen Sack, der nach vorne hin offen ist. Sie schwimmen nach dem Rückstoßprinzip, indem sie Wasser aus ihrer Mantelhöhle ausstoßen. Ursprünglich sezerniert der Mantel eine konische Schale, deren Spitze nach hinten gerichtet ist. Bei den Nautiloiden ist diese Schale eingerollt und in Kammern abnehmender Größe unterteilt. Das Tier bewohnt ausschließlich die jüngste (und größte) Kammer, bleibt aber mit der ersten über ein dorsales Ligament in Verbindung. Bei den meisten heute lebenden Formen wird diese Schale durch einen Mantel bedeckt oder bleibt nur als Rest. Bei den meisten Octopoden (Kraken) verschwindet sie sogar ganz. Die Cephalopoden besitzen große, hoch entwickelte
Ökologie Die Cephalopoden sind Räuber und leben rein marin, entweder pelagisch wie die Decapoda oder sesshaft in Bodennähe wie die Octopoda. Man begegnet den Cephalopoden in allen Weltmeeren, in Tiefen bis zu mehr als 6000 m. Die größte Vielfalt ist in warmen Meeren wie dem Mittelmeer oder an den Küsten des Indopazifik anzutreffen. Im Schwarzen Meer und in der Ostsee fehlen die Cephalopoden wegen des zu geringen Salzgehalts. In den kalten Meeren findet sich die größte Zahl der solitär lebenden Tiere. Ihre solitäre Lebensweise unterbrechen sie nur zur Paarungszeit: Dann finden riesige Treffen in Form gemeinsamer Wanderungen statt, deren Ziel das Laichen ist (besonders bei Loligo). Sol-
Seitenaugen. Der Mund liegt inmitten der Tentakelbasis. Er besteht aus einer häufig kreisrunden Doppellippe sowie dem für diese Gruppe charakteristischen „Papageienschnabel“ und der Radula. Der U-förmig gefaltete Verdauungstrakt umfasst einen dreiteiligen Magen, der eine paarige Verdauungsdrüse enthält. Das Coelom ist sehr gut ausgebildet. Es besteht aus einer Pericardialhöhle sowie zwei symmetrischen Nierenhöhlen. Sie öffnen sich über zwei Genital- und zwei renale Coelomoducte zur Mantelhöhle. Die Genitalwege sind mit diversen Anhangdrüsen ausgestattet. Die Ganglien sind im Kopf konzentriert und bilden ein Gehirn, das von einer knorpeligen Kapsel geschützt wird. Die Weibchen besitzen unter der Haut Nidamentaldrüsen, die in der Mantelhöhle münden. Diese Drüsen
che gemeinsamen Wanderungen hat man bei einigen Cephalopodenarten auch dann beobachtet, wenn diese beispielsweise Fischschwärme verfolgen. Die Cephalopoden ernähren sich in erster Linie von Knochenfischen, Crustaceen und anderen Mollusken. Einige stark abgeleitete Arten ernähren sich von Phyto- und Zooplankton. Die Cephalopoden sind die Beute von Zahnwalen, einigen Haien, Knochenfischen wie Seehecht und Meeraal, von Robben, Sturmvögeln und Pinguinen. Wenn sie sich bedroht fühlen, tarnen die Cephalopoden ihre Flucht durch den Ausstoß einer Tintenwolke, die ihren Feind – wenn er nicht allzu groß ist – zumindest erschreckt oder stört. Cephalopoden sind bekannt für ihre Intelligenz und ihr gut entwickeltes Lernvermögen,
sezernieren Material für die Bildung der Eihüllen. Das Vorhandensein von zwei Ctenidienpaaren entspricht dem ursprünglichen, ein Ctenidienpaar dem abgeleiteten Zustand. Die Nautiloida und die Ammonoida werden zu den Tetrabranchiata gezählt, die Decapoda – fossile Belemnoidea, Teuthoidea (Calamaria), Sepioidea – sowie die Octopoda (Kraken) zu den Dibranchiata. Die Färbung der Cephalopoda ist sehr variabel. Einige Arten sind zur Homochromie fähig und können die Farbe des Substrats annehmen, auf dem sie sich gerade befinden. In der Tiefsee kommen jedoch auch völlig durchsichtige Kalmare vor. Sie sind an verschiedenfarbigen lumineszenten Organen zu erkennen: Lycotheutis diadema besitzt 22 dieser Organe, die 10 unterschiedliche Strukturen aufweisen.
das im Aquarium bei Kraken getestet wurde. Sepia und Krake sind sesshafter als der Kalmar. Dies ist vielleicht der Grund dafür, dass letzterer als unermüdlicher Schwimmer ein riesiges Jagdrevier benötigt und sich daher nur schwer im Aquarium halten lässt. Viele Cephalopoden haben die erstaunliche Fähigkeit, ihre Farbe zu verändern. Dieser Wechsel dient einerseits dazu, sich zu schützen und bei der Jagd zu tarnen, andererseits aber auch bei der Balz. Die Geschlechter sind getrennt. Nach dem Hochzeitstanz werden die vom Männchen abgegebenen Spermatophoren über einen spezialisierten Tentakel (Hectocotyl) in die Mantelhöhle des Weibchens übertragen. Die Eier werden auf festem Untergrund abgelegt (Korallen, Schwämme, Algen, etc.). Die mehr oder weni361
11 Cephalopoda ger dotterreichen Eier erfahren eine partielle Furchung, bei der ein Dotterrest als Reserve zurückbleibt. Die Entwicklung ist direkt und ohne Larvenstadium: Die Embryonen sehen bereits bei ihrer Geburt aus wie kleine Erwachsene. Das Wachstum der Cephalopoden ist unbegrenzt, und sie können mehrere Jahre leben. Die Untersuchung des Mageninhalts von Pottwalen ergab, dass die Tiefsee von Kalmaren bewohnt sein muss, die größer sind als alle anderen heute lebenden Mollusken: Man hat dort Saugnäpfe mit einem Durchmesser von 25 cm entdeckt und Augen mit einem Durchmesser von 40 cm – die größten Augen im gesamten Tierreich. Dies lässt einen Kalmar vermuten, der 10 m – mit den Tentakeln sogar 25 m – lang ist. Den Größenrekord hält ein 1933 in Neuseeland gefundenes komplettes Individuum von Architeuthis princeps: Das Tier war 8 m lang, die Tentakeln 14 m – dies macht eine Gesamtlänge von 22 m bei einem Gewicht von annähernd 4 t. Der Mensch konsumiert mehrere Kalmar- und Sepia-Arten.
Kapitel 9
Spezielle Merkmale – Tentakel: Der Vorderteil des Fußes ist zu verschiedenartigen Fangarmen umgestaltet (Abb. 1). – Trichter: Der Vorderteil des Fußes bildet den siphoartigen Trichter (Abb. 1) – einen Muskeltrichter, der aus zwei tütenförmig eingerollten Lappen besteht. Dieses Organ sorgt für die Ausstoßung des Wassers aus der Mantelhöhle. – Blutgefäßsystem: Die Cephalopoden besitzen im Gegensatz zu allen anderen Mollusken, die ein offenes Blutgefäßsystem haben, ein geschlossenes Gefäßsystem. – Das Nervensystem – bei den anderen Mollusken ganglionär – ist bei den Cephalopoden extrem zentralisiert: Es bildet ein Gehirn, das durch eine knorpelige Kopfkapsel wie von einem Schädel geschützt wird (Abb. 1). – Tintenbeutel: Ein spezieller Beutel speichert die Tinte (Abb. 1) – eine dunkle Flüssigkeit, die ausgestoßen wird, sobald das Tier sich bedroht fühlt.
Abb. 1. Schematischer Längsschnitt durch einen weiblichen Kalmar (Loligo)
362
Abb. 2. Papageienschnabelartige Mandibelteile (linke Seitenansicht)
– Zwei skelettartige Mandibelteile: Sie haben die Form eines Papageienschnabels (Abb. 2).
Beispiele Perlboot (Nautilus pompilus), Gewöhnlicher Kalmar (Loligo vulgaris), Gewöhnlicher Tintenfisch (Sepia
Cephalopoda 11
Mollusca officinalis), Gewöhnlicher Krake (Octopus vulgaris), Lycotheutis diadema, Riesenkrake (Architheutis princeps), Vampyrotheutis infernalis, Sepiola atlantica, Eledona moschata, Papierboot (Argonauta argo)
Artenzahl: 730 Ältestes bekanntes Fossil: Nautiloiden Plectronoceras cambria, Theskeloceras benxiense, Eburnoceras pissinum, Acaroceras primordium, Huaiheceras longicollum, Xiaoshanoceras jini, Wanwanoceras exiguum, Yanheceras anhuiense, Aetheloceras suxianense, Archendoceras conipartitum, Oonendoceras sinicum vom ausgehenden Kambrium Chinas (–505 Mio. Jahre) sowie Balkoceras gracile aus Texas (–505 Mio. Jahre). Die Cephalopoden haben mit 134 Nautiloid-, 271 Ammonitoid- und 45 DibranchiaFamilien (davon 16 Belemnitoiden) ein reichhaltiges fossiles Formenspektrum hinterlassen. Heutiges Vorkommen: weltweit, außer Ostsee und Schwarzes Meer
363
12 Diasoma
Kapitel 9
Diasoma Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Der Kopf verschwindet, das Nervensystem ist sekundär dezentralisiert. Der Kopf ist bei den Nichtganglioneuren zwar undeutlich, aber noch vorhanden (Abb.1a und 1b). Bei den Visceroconchen springt er hervor, die Nervenganglien konzentrieren sich in und vor der Kopfregion (Abb. 1c und 1d). Bei den Diasoma ist der Kopf dagegen zurückgebildet oder fehlt ganz (Abb.1e und 1f). – Mantel: Bei den Diasoma (auch Loboconchae genannt) umgibt der Mantel das gesamte Tier. Bei den Nichtganglioneura schützt der Mantel den ganzen Körper bis auf auf die Kriechsohle (Abb. 1a und 1b). Bei den Visceroconchae dagegen umgibt der Mantel nur die Eingeweide des Körper (Abb. 1c und 1d). Der Mantel der Dia-
364
soma bildet zwei Hüll-Lappen (Abb. 2). Die Schale der Diasoma schützt folglich das gesamte Tier. – Das Volumen des Fußes (Abb. 3 und 4) ist variabel, abhängig vom Fluss der Hämolymphe und von den Retraktormuskeln. Er ist jedoch generell gespalten und hat die Form eines Beils, insbesondere bei den grabenden Arten. Bei Arten, die wie die Miesmuschel an ein Substrat fixiert sind, hat er die Form eines Fingers. – Die Veliger-Larve durchläuft ein Bivalvia-Stadium. Die Schale der Trochophora-Larve ist ursprünglich einklappig. Mangels Calcifizierung entlang einer medio-dorsalen Linie erlangt diese Schale eine bivalve Anordnung. Bei der Veliger-Larve der Scaphopoden treffen die beiden Mantellappen in der Sagittalebene ventral aufeinander und wachsen, ebenso
wie die beiden Klappen der Schale, zusammen, die dadurch ihre Röhrenform annimmt. Bei einigen Scaphopoden bleibt diese Fusion unvollständig, so dass die Schale einen Spalt (bei Dentalium stenoschizum) oder eine Öffnung (bei Fissidentalium plurifissicatum) aufweist.
Beispiele Bivalvia: Nussmuschel (Nucula nucleus), Miesmuschel (Mytilus edulis), Perlmuschel (Pinctada margaritifera), Pilgermuschel (Pecten maximus), Dreikantmuschel (Dreissena polymorpha), Scheidenmuschel (Solen marginatus), Cuspidaria typus Scaphopoda: Elefantenzahn (Dentalium vulgare), Entalina quinquangularis, Siphonodentalium galatheae, Fissidentalium plurifissuratum
Mollusca
Diasoma 12
Abb. 1. Schematische Ansichten der linken Seite eines Vertreters der Polyplacophoren (a), Monoplacophoren (b), Gastropoden (c), Cephalopoden (d), Bivalvia (e) und Scaphopoden (f)
365
12 Diasoma
Kapitel 9
Abb. 2. Organisation der Miesmuschel (Mytilus edulis) (Schale entfernt; oben Vorderteil, unten hinterer Teil, rechts Dorsal-, links Ventralseite)
Abb. 4. Sandklaffmuschel (Mya)
Abb. 3. Muschel (Tagelus sp.) im Sediment
Artenzahl: 12 400 Ältestes bekanntes Fossil: Die Diasoma (Loboconchae) sind schon von der Basis des Kambriums (–530 Mio. Jahre) bekannt, mit Projetaia runnegari (Südaustralien, China), mit den Rostrocongen (nur fossil bekannte, mit den Bivalvia verwandte Gruppe) Heraultipegma varensalense aus dem französischen Hérault und Watsoniella crosbyi aus Massachusetts/USA. Heutiges Vorkommen: weltweit
366
Bivalvia 13
Mollusca
Bivalvia Allgemeines Die Bivalvia (Muscheln oder Lamellibranchiata) sind seitlich zusammengedrückte Mollusken, die ihre Bilateralsymmetrie behalten haben. Ihre Schale ist aus zwei Klappen zusammengesetzt, die gelenkig miteinander verbunden sind. Ursprünglich sind die beiden Klappen symmetrisch, doch kann sich bei einigen Arten sekundär eine Klappe im Verhältnis zur anderen spezialisieren. Die Eingeweide treten auf der Bauchseite hervor. In der mittleren Rückenregion befindet sich ein Scharnier: Hier passen die beiden Klappen ineinander und sind durch ein Gelenk miteinander verbunden. Form und Farbe sind bei den ein-
zelnen Arten sehr unterschiedlich. Ihre Größe schwankt zwischen 0,2 und 150 cm, und sie können ein Gewicht von bis zu 250 kg erreichen. Muschelschalen können hammer-, messer-, säbel-, schoten- oder halbkugelförmig sein. Kopf, Pharynx, Radula und Speicheldrüsen fehlen. Der Körper wird vom Mantel, der zwei Flügel bildet, vollständig umhüllt. Die Außenseite des Mantels sezerniert die Schale. Die Wimpern der Kiemen erzeugen einen Wasserstrom. Das Wasser tritt über eine Einstromöffnung ein und wird über eine Ausstromöffnung wieder nach außen abgegeben. Diese Öffnungen werden manchmal durch Siphone verlän-
gert, die bei einigen grabenden Arten sehr lang sein können. Die beiden Klappen der Schale sind miteinander durch ein elastisches, dorsales, abduktorisches Ligament und zwei adduktorische Muskeln verknüpft, welche die Schale schließen, sobald sie sich kontrahieren. Der Mantel ist mit einer unterschiedliche Zahl von Muskeln (bis zu 7) mit dem Fuß verbunden. Der ausstreckbare Fuß hat die Form eines Beils. An seiner Basis sitzt manchmal eine charakteristische Drüse – die Byssusdrüse. Sie scheidet Haftfäden (Byssusfäden) aus. Im Fuß sitzt auch das Gleichgewichtsorgan. Der Mantelrand ist reich an Sinnesorganen.
367
13 Bivalvia Bei manchen Arten bildet er Lappen, Flügel oder Tentakel. Dort befinden sich manchmal auch Augen, die von Art zu Art eine unterschiedliche Komplexität aufweisen – einfache Grubenaugen, zusammengesetzte Augen, die aus 70–250 Sehzellen bestehen, in seltenen Fällen sogar Komplexaugen mit Retina. Die Mantelhöhle enthält auf beiden Seiten des Fußes ein Paar gut ausgebildeter Ctenidien. Ihre Struktur ist komplex und unterscheidet sich innerhalb
Ökologie Die Bivalvia leben als Filtrierer im Meer oder im Süßwasser. Sie sind an Substrat befestigt oder graben im Sediment. Sie können jedes Substrat besiedeln. Bewohner harter Untergründe – beispielsweise Austern, Stachelaustern oder Chama – befestigen eine Klappe am Untergrund oder fixieren sich dort mit Hilfe ihres Byssus (Miesmuscheln, Pinctada). An ihrer Oberfläche tragen die Klappen häufig Stacheln, Falten oder Rippen. Grabende Bivalvia wie die Venusund Klaffmuscheln haben häufig eine abgeflachte, glatte Schale. Andere Bivalvia können Holz, Kalkstein, Sandstein, Korallen oder Ton durchbohren – entweder mechanisch (Bohrmuscheln) oder mithilfe von Säuren (Meerdattel) und in den so entstandenen Löchern wohnen. Die Süßwasserarten kommen sogar in Bergseen und in arktischen Regionen vor. Pisidium casertanum, 4 mm lang, lebt auf dem Grund von Bergseen. Mehrere tausend Kiemenwimpern erzeugen einen kontinuierlichen Atemwasserstrom, der Sauerstoff und Nahrungspartikeln durch in die Mantelhöhle leitet, wo die Renalöffnung und der Anus münden. Nah368
Kapitel 9
der einzelnen Gruppen. Die meisten Bivalvia haben filament-, netzoder blattförmige Kiemen, die einerseits der Atmung dienen, aber andererseits auch dazu, Nahrungspartikeln aus dem Atemwasserstrom zu filtern. Der Mund ist von vier bewimperten Buccallappen umgeben. Der Magen ist an seinem hinteren Teil mit einem langen Caecum (Magenblindsack), mit dem Kristallstiel sowie mit zwei Verdauungsdrüsen ausgerüstet. Darüber hinaus ist er mit einem
rungspartikeln, die an der Oberfläche der Kiemen hängen blieben, werden über einen Schleimfaden zur Mundöffnung geleitet. Die Bewimperung der vier Buccallappen unterstützt den Transport dieser Partikel in den Verdauungstrakt. Die Kiemen können über Pinocytose kleine organische Stoffe direkt absorbieren. So rührt beispielsweise die Grünfärbung der Austern von der Aufnahme eines Lipoprotein-Pigments her, das auf Sedimentoberflächen lebende Diatomeen abgeben. Der Magen wird von einem weiter hinter gelegenen Caecum mit Kristallstiel flan-
ziemlich großen Hepatopankreas (Mitteldarmdrüse) verbunden. Im Bereich des Perikards ist das Herz offen. Es besteht aus zwei Vorhöfen und einem Ventrikel, der das Blut in die beiden Aorten pumpt. Das Blutgefäßsystem ist offen. Zwei Uförmige Nephridien münden im Pericard. Die beiden Genitaldrüsen liegen vor und unterhalb des Pericards. Das Nervensystem weist einen mittleren ganglionären Fusionsgrad auf.
kiert. Dieser besteht aus konzentrischen Mucoproteinschichten. Der Vorderteil des Stiels tritt im Magen hervor, wo er gegen eine bezahnte Cuticula-Platte stößt. Meist dreht sich der Stiel unter dem Einfluss von Flimmerhärchen um sich selbst. Er trennt die Nahrung auf, indem er sie gegen die Raspelplatte drückt. Gleichzeitig setzt er die Enzyme frei. Zu voluminöse Partikeln werden über die Ausstromöffnung ausgeschieden. Der Magen sortiert die Nahrungsbestandteile: Die kleinen Sandkörner gelangen direkt in den Verdauungstrakt, während die Nah-
Abb. 1. Innenseite (a) der rechten Schalenklappe (rechts hinterer Teil, links Vorderteil, oben Dorsalseite) sowie Dorsalansicht (b) (Vorderteil oben)
Bivalvia 13
Mollusca rungspartikeln und die Enzyme zunächst zwei Verdauungsdrüsen passieren, um dort verdaut zu werden. Als Meerwasser-Filtrierer tragen die Tiere zur Sedimentbildung bei. Die portugiesische Austernart Crassostrea angulata setzt in 24 h eine Partikelfracht von 1,075 g ab. Die Bivalvia sind ihrerseits Opfer bohrender Gastropoden, von Seesternen und zahlreichen Muschel fressenden Vertebraten mit entsprechend spezialisierter Bezahnung. Die Geschlechter sind getrennt. Allerdings kommen auch verschiedene Varianten von Zwittertum vor. Die Gameten werden mit der ausströmenden Flüssigkeit direkt ins Wasser abgegeben. Die Befruchtung findet im freien Wasser statt oder in der Mantelhöhle. Bei einigen Arten werden die Jungen durch spezielle Brutpflegeorgane geschützt, oder, bei einigen Süßwasserarten, in den Kiemen. Die Larvenentwicklung erfolgt über zwei Entwicklungswege, entweder über den vorherrschenden Tornaria-Trochophora-Veliger-Weg, der eine pelagische Phase umfasst, oder die Tornaria-Glochidium-Lasidium-Route, die bei den Süßwasserarten auftritt: Deren Larven sind zunächst Parasiten und befallen insbesondere die Kiemen von Knochenfischen. In beiden Fällen trägt die Trochophoraoder Glochidium-Larve eine dorsale Schale, die entlang der Mediodorsallinie nicht verkalkt und so ihre typische bivalve Form annimmt. Viele Bivalvia werden vom Menschen verzehrt und sogar gezüchtet (Austern, Jakobsmuscheln, Miesmuscheln, Venusmuscheln). Muschelschalen waren zeit- und gebietsweise sogar Zahlungsmittel. Bedeutsam ist die Nutzung verschiedener Bivalvia zur Perlengewinnung: Einige Bivalvia reagieren nämlich auf das Eindringen eines Parasiten oder eines Fremdkörpers mit einer besonderen
Abb. 2. Byssus der Miesmuschel (Mytilus edulis)
Wuchsleistung des Periostracums, mit anschließender Verkalkung und schließlich mit der Produktion einer glänzenden Perlmuttschicht, die dann die äußere Schicht der Perle bildet.
Spezielle Merkmale – Im Adultstadium besteht die Schale aus zwei seitlich komprimierten Klappen. Sie sind miteinander durch ein medio-dorsales Scharnier und ein Ligament verbunden, das nicht verkalkt ist (Abb. 1). – Die Radula fehlt. – Eine spezielle Drüse (Byssusdrüse) sitzt an der Basis des Fußes. Sie produziert den Byssus – Haftfäden aus Protein, die am Substrat festkleben und durch Wasserkontakt aushärten. Der Byssus ist besonders wichtig für die sesshaften Arten, die sich an ein Substrat heften (Abb. 2).
Beispiele Nussmuschel (Nucula nucleus), Miesmuschel (Mytilus edulis), Steindattel (Lithophaga mytiloides), Perlmuschel (Pinctada margaritifera), Hammermuschel (Malleus malleus), Steckmuschel (Pinna nobilis), Kammmuschel (Chlamys varius), Stachelauster (Spondylus gaederopus), Pilgermuschel (Pecten maximus), Zuchtauster (Crassostrea angulata), Gewöhnliche Flussmuschel (Unio crassus), Kugelmuschel (Sphaerium corneum), Dreikantmuschel (Dreissena polymorpha), Erbsenmuschel (Pisidium casertanum), Herzmuschel (Echinocardium edule), Venusmuschel (Venus verrucosa), Scheidenmuschel (Solen marginatus), Sandklaffmuschel (Mya arenaria), Bohrmuschel (Pholas dactylus), Schiffsbohrwurm (Teredeo navalis), Büchsenmuschel (Pandora inaequivalvis), Tiefseemuschel (Lyonsella abyssicola)
Artenzahl: 12 000 Ältestes bekanntes Fossil: Der älteste bekannte Vertreter der Bivalvia ist der Praenuculide Projetaia runnegari aus dem unteren Kambrium Südaustraliens und Chinas (–530 Mio. Jahre). Die Bivalvia sind mit 215 Familien fossil sehr reich dokumentiert. Heutiges Vorkommen: weltweit in allen Meeren, einschließlich der Polarmeere. Süßwassermuscheln findet man in Flüssen und Seen, in Bergseen sogar in mehr als 2500 m Höhe.
369
14 Scaphopoda
Kapitel 9
Scaphopoda Allgemeines Die Scaphopoden (oder Solenoconchae, Kahnfüßer) sind marine, im Boden lebende, länglich geformte Mollusken. Sie sind von einem Mantel sowie einer 0,2– 15 cm langen Schale umgeben, die die Form einer konischen Röhre hat und an beiden Seiten offen ist. Im Adultstadium besteht die Schale aus einem einzigen Stück. Die Rückenseite der Schale ist konkav. Sie hat einen kreisförmigen, sechseckigen oder achteckigen Querschnitt. Die Oberfläche der Schale kann glatt sein oder ein leichtes Relief bzw. Streifen tragen. Sie ist generell hell, weiß, beige oder rosa gefärbt und kann manchmal Muster aufweisen. Lebhafte Färbungen wie das Purpurrot von Fustiaria rubescens sind eher die Ausnahme. Der Kopf, stark reduziert und augenlos, wird nur durch die Buccalzone begrenzt. Der ventral gelegene zylindrische Fuß endet in
370
einer kontraktilen Verdickung, die dem Graben im Sediment dient. Der Fuß ist von einem Kragen umgeben, der von den Seitenlappen des Fußes gebildet wird. Der Mund öffnet sich über eine Art Maul. Er wird von vier Buccalpalpen, und nahe seiner Rückseite von zwei flachen Lappen umrandet, die zu zahlreichen Captacula (lange, bewimperte, kontraktile und an den Enden verdickte Fäden) verlängert sind. Die Captacula sezernieren Schleim, der die Mikroorganismen des Sediments verklebt. Die Visceralmasse ist symmetrisch und dorsoventral ausgerichtet. Die hintere Körperöffnung ermöglicht den Eintritt von Wasser in die Mantelhöhle. Die größere vordere Körperöffnung erlaubt den Ein- und Austritt des Fußes und der Captacula. Der nicht kontraktile Buccalkegel trägt die Radula sowie ein unter der
Radula gelegenes Organ, das Geschmacksfunktion hat. Der Oesophagus ist kurz. Der Magen wird von zwei Lappen der Mitteldarmdrüsen mit röhrenartigen Verzweigungen flankiert. Der lange Darm endet mit dem Anus, der sich in der Mantelhöhle öffnet. Das Blutgefäß- und das respiratorische System sind rudimentär, Kiemen fehlen. Die Atmung der Scaphopoden verläuft über eine bewimperte, im Mantelinneren sitzende Oberfläche. Der Exkretionsapparat besteht aus zwei lateroventralen Nieren, die in der Mantelhöhle münden. Die rechte Nierenöffnung ist gleichzeitig die Genitalöffnung. In der rückwärtigen dorsalen Körperregion sitzt eine lappenartige unpaare Gonade, die mit der rechten Niere in Verbindung tritt, sobald die sexuelle Reife erlangt ist. Das Nervensystem ist nicht zentralisiert.
Scaphopoda 14
Mollusca
Ökologie
Spezielle Merkmale
Die Scaphopoden kommen im Sediment aller Meere vor, von der Küstenzone bis in 7000 m Tiefe (beispielsweise Siphonodentalium galatheae). Sie leben eingegraben im sandigen oder schlammigen Meeresboden, wobei sie den hinteren Teil der Schale immer außerhalb des Substrats halten. Das Eingraben erfolgt mit ihrem beil- oder keulenförmigen Fuß, dessen Volumen unter dem Einfluss eines hydrostatischen Systems variiert. Die Scaphopoden sind Mikrophagen. Mithilfe ihrer Captacula, die mit Klebdrüsen ausgerüstet sind, fangen sie Nahrungspartikeln ein und leiten sie zum Mund. Sie durchwühlen gerne das Lückensystem zwischen den Sedimentskörnern, wo das Interstitialwasser reich ist an Mikroorganismen wie Diatomeen und Foraminiferen, ihrer bevorzugten Nahrung. Die Scaphopoden sind ihrerseits die Beute von Polychaeten, von Gastropoden, die ihre Schale durchbohren sowie von Fischen. Scaphopoden sind getrenntgeschlechtlich und ovipar. Die Genitalprodukte werden ins Meerwasser ausgeleitet. Dort findet die Befruchtung statt. Die Furchung erfolgt total oder inäqual nach dem Spiraltyp. Die typische, kreiselförmige Trochophora-Larve trägt einen apikalen Wimpernschopf und drei Wimpernkronen. Die Veliger-Larve entwickelt zwei dorsale Integumentlappen – den Mantel, der die embryonale Bivalvienschale sezerniert. Die beiden Lappen treffen ventral in der Sagittalebene, aufeinander und wachsen so zusammen wie die beiden Klappen der Schale, die dann ihre Röhrenform annimmt. Bei einigen Arten bleibt diese Fusion unvollständig, so dass die Schale einen Riss (beispielsweise bei Dentalium stenoschizum) oder Öffnungen (beispielsweise bei Fissidentalium plurifissuratum) aufweist.
– Captacula: Nahe des Mundes sitzen zwei Büschel Fangfäden (Captacula). Bei einigen Arten kann ein Büschel aus bis zu 130 Fäden bestehen. Die Captacula sind lange, bewimperte, kontraktile Fäden, die an den Enden verdickt und mit Klebdrüsen versehen sind. Damit können sie Nahrungspartikeln einfangen, die dann zum Mund weitergeleitet werden. Darüber hinaus unterstützt eine Strömung, die durch die Wimpern
erzeugt wird, den Transport der Partikeln zum Mund. Abbildung 1 zeigt den Grundbauplan eines Scaphopoden sowie die Anordnung der Captacula. – Die Schale hat die Form einer konischen Röhre und ist an beiden Enden offen. Im Adultstadium besteht sie aus einem einzigen Stück. Die dorsale Region ist konkav, die ventrale Region konvex (Abb. 2). Die Schale hat einen kreisförmigen, sechseckigen oder achteckigen Querschnitt.
Abb. 1. Organisation eines Scaphopoden
371
14 Scaphopoda
Kapitel 9
Beispiele Elefantenzahn (Dentalium vulgare, Fustiaria rubescens, Cadulus quadridentatus, Entalina quinquangularis, Siphonodentalium galatheae, Fissidentalium plurifissuratum, Pusellun lofotense
Abb. 2. Rechte Seite einer Scaphopodenschale
Artenzahl: 400 Ältestes bekanntes Fossil: Der älteste bekannte fossile Scaphopode ist der Laevidentalide Hytiodentalium kentuckyensis aus Kentucky/USA (–450 Mio. Jahre). Die Scaphopoden sind mit 4 Familien fossil nur mäßig dokumentiert. Heutiges Vorkommen: weltweit in allen Meeren, einschließlich Polarmeere
372
10 Euarthropoda 1
Euarthropoda 376 siehe Kapitel 8, Seite 320
2
Cheliceriformes 377
3
Pycnogonida 379 Beispielart: Asselspinne Pycnogonum littorale Größe: 15 mm
4
Chelicerata 381
5
Merostomata 382 Beispielart: Pfeilschwanzkrebs Limulus polyphemus Größe: 30 cm
6
374
Arachnida 383 Beispielart: Skorpion Androctonus australis Größe: 9 cm Siehe Anhang 3, Seite 656
KAPITEL 10 7
Mandibulata (Antennata) 386
8
Myriapoda 387 Beispielart: Polydesmus sp. Größe: 15 mm
9
Pancrustacea 389
10
Remipedia 391 Beispielart: Lasionectes entrichoma Größe: 3 cm
11
Cephalocarida 393 Beispielart: Hutchinsoniella macracantha Größe: bis 2,5 mm
12
Maxillopoda 394 Beispielart: Entenmuschel Lepas anatifera Größe: 5 cm
13
Branchiopoda 396 Beispielart: Wasserfloh Daphnia pulex Größe: 3,5 mm
14
Malacostraca 398 Beispielart: Taschenkrebs Cancer pagurus Größe: 25 cm
15
Hexapoda 401 Beispielart: Laufkäfer Ctenosta bastardi Größe: 4 cm Siehe Anhang 4, Seite 657
Euarthropoda
Kapitel 10
375
10 Euarthropoda
Kapitel 10
Euarthropoda Die Euarthropoda sind der Tierstamm mit der beeindruckensten Biodiversität. Wenn man die noch unbeschriebenen Arten berücksichtigt, müssten allein die Insekten schätzungsweise mehrere Millionen Arten umfassen. Man findet Euarthropoden in allen Klimazonen – von den tiefsten Stellen der Ozeane bis hinzu den höchsten Gipfeln der Berge. Dieses Phylum wird hier als Euarthropoda und nicht als Arthropoda bezeichnet, da der Begriff Arthropoda für das Taxon reserviert ist,das auch die fossilen Arthropoden umfasst, die bereits an der Basis des Kambriums aufgetreten sind. Die Klassifizierung dieser fossilen
376
Arthropoden ist allerdings heikel. Nach Ansicht einiger Experten wie S. J. Gould (in „Wonderful Life: The Burgess Shale and the Nature of History“) zeigen viele dieser Tiere einen sehr ursprünglichen Bauplan und müssten eigentlich in eigene Phyla eingeordnet werden.Für andere Paläontologen wie D. Briggs oder S. Conway-Morris sind diese Organismen jedoch zweifelsfrei Arthropoden. Dies ist auch die Sicht der Dinge, wie wir sie in diesem Buch vertreten. Die Euarthropoden entsprechen somit einem monophyletischen Taxon innerhalb der Arthropoden, das wiederum im monophyletischen Taxon der Panarthropoden eingeschlossen ist (siehe 25, Kapitel 8). Die
Trilobiten bilden ein eigenes Taxon der Euarthropoden. Wir haben uns hier für die moderne Sichtweise entschieden und halten daher nicht an der früheren Unterteilung fest. Ganz im Gegenteil finden sich hier die Insekten zusammen mit den Crustacea gruppiert, und zwar in einem Taxon, das wir mit Pancrustacea bezeichnen. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass die Insekten innerhalb der Malacostraca einzuordnen sind. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil es interessant wäre, hinreichend zuverlässige phylogenetische Daten zu besitzen, mit denen man ein mögliches Szenario zum Ursprung der Insekten konstruieren könnte.
Euarthropoda
Cheliceriformes 2
Cheliceriformes Allgemeines
Spezielle Merkmale – Der Körper ist in ein Prosoma und ein Opisthosoma aufgeteilt. Das Prosoma besteht aus einem Acron und sechs Segmenten, das Opisthosoma aus maximal zwölf Segmenten und einem Telson. – Das Cheliceren-Paar bildet das für dieses Taxon charakteristische erste Extremitätenpaar. Es ist homolog zum zweiten Antennenpaar der Mandibulata (Abb. 1). – Pedipalpen: Das zweite Extremitätenpaar ist ein Taster- oder ein Kauwerkzeug-Paar (Pedipalpen) (Abb. 1). – Am Prosoma inserieren vier Laufbein-Paare (Abb. 1). – Ein Deutocerebrum fehlt: Das zentrale Nervensystem enthält kein Deutocerebrum (Abb. 2). Das Hirnschema der Mandibulaten entspricht dem ursprünglichen Zustand. – Die Nahrungsaufnahme erfolgt in den meisten Fällen saugend. – In den frühesten Phasen der Embryogenese werden sehr schnell vier postorale Segmente gebildet (Abb. 3). Die Protonym-
Abb. 1. Rückenansicht des Amblypygen Stegophrynus dammermani
Abb. 2. Hirnschema eines Mandibulaten (a) und eines Cheliceriformen (b)
377
2 Cheliceriformes
Kapitel 10
phon-Larve der Asselspinnen lässt drei Extremitätenpaare (Cheliceren, Pedipalpen und Brutbeine, dienen beim Männchen als Eiträger) erkennen. Die Anlage des ersten Laufbeinpaares ist nur ventral zu sehen.
Beispiele Pycnogonida: Endeis spinosa, Nymphon gracile, Pycnogonum littorale Merostomata: Pfeilschwanzkrebs (Limulus polyphemus) Arachnida: Skorpion (Androctonus australis), Buthus occitanus, Kreuzspinne (Araneus diadematus), Hausspinne (Tegenaria domestica), Krätzmilbe (Sarcoptes scabiei; Erreger der Krätze), Erntemilbe (Thrombicula autumnalis)
378
Abb. 3. Protonymphon-Larve eines Pycnogoniden (Asselspinnen)
Artenzahl: 75 450 Ältestes bekanntes Fossil: Sanctacaris uncata, Burgess-Schiefer, Basis des mittleren Kambriums, Kanada (–520 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
Pycnogonida 3
Euarthropoda
Pycnogonida Allgemeines Die Pycnogoniden (von griech.: pycnos = knotig, gony = Knie) oder Asselspinnen (Pantopoda) sind spinnenähnliche Meeresbewohner. Der Körper wirkt gedrungen und besitzt lange Beine. Die Tiere sind mit 1–10 mm relativ klein, doch können manche Tiefsee- (bis 7000 m) oder Polarmeer-Arten eine beachtliche Größe erreichen: Colossendeis erreicht eine Spannweite von 40 cm, andere Arten sogar bis zu 70 cm. Die Tiere sind meist farblos, doch gibt es unter
Ökologie Die meisten Pycnogoniden sind Carnivoren und ernähren sich von Cnidariern (Korallen, Seeanemonen), Bryozoen, kleinen Polychaeten oder Schwämmen. Sie setzen ihren Rüssel direkt auf der Beute an und saugen die Gewebe ihrer Beute ein. Einige
den Küstenbewohnern auch Arten, die grün oder purpurn sind. Einige Tiefseearten sind kräftig rot. Der Körper ist sehr schmal und zeigt gut sichtbare Segmente. Der Kopf (Cephalon) verlängert sich vorne in einen Rüssel (Proboscis) und trägt vier Augen auf einem Augenhügel der Dorsalseite. Die Beine sind durch seitliche Segmentverbreiterungen gegliedert. Das Opisthosoma ist reduziert. Die Extremitäten bestehen – von vorne nach hinten – aus einem Cheliceren-
ernähren sich von Algen, Mikroorganismen oder von Detritus. Es gibt weder ein Respirations- noch ein Exkretionsorgan. Dies erklärt sich eventuell aus der besonderen Gestalt der Tiere: Sie besitzen nämlich eine große Oberfläche, die den Stoffaustausch mit der Umgebung sehr erleichtert.
Paar, einem Palpen-Paar, bei den Männchen einem Brutbeinpaar (Ovigeren) und meist vier Laufbein-Paaren, die häufig sehr lang sind. Die Verwandtschaft dieses Taxons mit den Cheliceraten scheint heute allgemein anerkannt zu sein. Dennoch geben beim Vergleich der Pycnogonida mit den Chelicerata die Homologien diverser Körperpartien immer noch Anlass zur Diskussion.
Die parasitischen Formen befallen ausschließlich Mollusken. Die Geschlechter sind getrennt. Die einfachen Gonaden erstrecken sich in den oberen Bereich der Beine. Es gibt mehrere Genitalöffnungen, die gewöhnlich auf den Beinen sitzen. Die Eier sind bereits bei ihrer Ablage befruchtet. Die Männchen sammeln 379
3 Pycnogonida
Kapitel 10
diese auf und tragen sie bis zum Schlüpfen auf ihren Ovigeren (Brutbeine, Eiträger). Die ProtonymphonLarve zeigt die drei ersten Extremitätenpaare (Cheliceren, Palpen und Brutbeine) sowie die Anlage des ersten Beinpaares.
Spezielle Merkmale – Proboscis: Das Tier trägt einen präoralen unpaaren Rüssel (Proboscis) (Abb. 1). – Eiträger (Ovigeren): Das Männchen (seltener auch das Weibchen) verwendet das dritte Extremitätenpaar als Eiträger (Abb. 1). – Das Opisthosoma ist reduziert oder fehlt,Anhänge fehlen (Abb. 2). – Die Laufbeine bestehen einschließlich des Endglieds aus 9 Segmenten (Abb. 1). – Die Gonaden münden in verschiedenartigen Gonoporen, die manchmal auf dem zweiten Coxalsegment oder auf allen Laufbeinen sitzen (Abb. 2).
Abb. 1. Ventralansicht von Nymphon rubrum
Beispiele
soni, Endeis spinosa, Nymphon gracile, N. rubrum, Pycnogonum littorale
Achelia echinata, Colossendeis proboscidea, C. scotti, Dodecolopoda maw-
Artenzahl: etwa 1 000 Ältestes bekanntes Fossil: Eine nicht benannte Larvenform ist im oberen Kambrium Schwedens (–510 Mio. Jahre) gefunden worden. Die ältesten Adultformen sind Palaeoisopus problematicus, Palaeopantopus maucheri und Palaeothea devonica aus dem Unter-Devon Deutschlands (–395 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit, vor allem in kalten Gewässern
Abb. 2. Hintere Rumpfregion von Pycnogonum littorale
380
Chelicerata 4
Euarthropoda
Chelicerata Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Das Prosoma trägt einen schildförmigen Carapax (Abb. 1). – Genitalsomit: Das erste oder zweite Opisthosoma-Segment ist zu einem Genitalsomit abgewandelt (Abb. 2).
Artenzahl: 74 450 Ältestes bekanntes Fossil: Der älteste Arthropode, der die Merkmale eines Cheliceraten trägt, ist Sanctacaris uncata aus den Burgess-Schiefern an der Basis des mittleren Kambriums (–520 Mio. Jahre) in Kanada. Dieses Fossil stellt die Schwestergruppe zu allen anderen bekannten Cheliceraten dar. Heutiges Vorkommen: weltweit
Beispiele Merostomata: Pfeilschwanzkrebs (Limulus polyphemus) Arachnida: Skorpion (Androctonus australis), Buthus occitanus, Kreuzspinne (Araneus diadematus), Hausspinne (Tegenaria domestica), Copidognathopsis kerguelensis, Krätzmilbe (Sarcoptes scabiei; Erreger der Krätze), Erntemilbe (Thrombicula autumnalis)
Abb. 1. Dorsalansicht von Ricinoides sjöstedti (Größe: 20 mm)
Abb. 2. Ventralansicht von Mossamedessa abnormis (Solifugae) mit Genitalöffnung auf dem zweiten Segment des Opisthosomas
381
5 Merostomata
Kapitel 10
Merostomata Allgemeines Die Merostomata umfassen ein ausschließlich fossiles Taxon – die Eurypterida (Gigantostraca) – sowie die rezente Gattung Limulus (Pfeilschwänze, Xiphosura). Die Pfeilschwänze haben einen bemerkenswerten, hufeisenförmigen Carapax: In Amerika nennt man sie danach horseshoe crab (Hufeisenkrabbe). Das Tier besitzt ein Cheliceren-Paar sowie fünf LaufbeinPaare, die aus sieben Gliedern bestehen. Das erste Laufbeinpaar ist den Pedipalpen der übrigen Cheliceriformes homolog. Die vier ersten Laufbeinpaare tragen kleine Scheren. Das Opisthosoma trägt sechs Extremitätenpaare. Das erste
Ökologie Der Pfeilschwanz lebt marin auf sauberen Sandgründen, erträgt aber in gewissem Umfang auch Verschmutzungen seines Habitats. Die Form des Carapax erleichtert das Eingraben des Tieres im Sediment im meist seichten Wasser. Die Tiere sind Allesfresser, die sich räuberisch oder von Aas ernähren. Als Nahrung dienen
Paar ist zusammengewachsen und bildet einen Genitaldeckel (Operculum), der auf seiner Innenseite die beiden Genitalporen trägt. Die anderen Extremitätenpaare sind zu Kiemenlamellen umgebildet, die
Mollusken (vor allem Bivalvia), Würmer und tote Tiere.
Spezielle Merkmale
ständig in Bewegung sind und so beim Schwimmen unterstützen können. Das Opisthosoma trägt an seinem Ende ein stachelförmiges Telson (Schwanzstachel) – das Charakteristikum dieses Taxons.
Beispiele Pfeilschwanzkrebs (Limulus polyphemus), Tachypleus tridentatus
– Kiemen: Die Anhänge des Opisthosomas sind zu Kiemen umgewandelt (Abb. 1). – Das Telson ist lang und spitz (Schwanzstachel) (Abb. 1).
Artenzahl: 5 Ältestes bekanntes Fossil: Der älteste Pfeilschwanz ist Eolimnus alatus, von der Basis des mittleren Kambriums in Schweden (–520 Mio. Jahre). Die ältesten Eurypteriden (Waeringopterus priscus, Eocarcinosoma ruedemanni, Dolichopterus antiquus, Pterygotus deepkillensis) stammen aus dem unteren Ordovizium New Yorks/USA (–470 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: Nordwestküste des Atlantik sowie asiatische Küsten von Korea und Japan bis zu den Philippinen und Westindien 382
Abb. 1. Ventralansicht von Limulus polyphemus
Euarthropoda
Arachnida 6
Arachnida Allgemeines
383
6 Arachnida Unter den Arachnida (Spinnentiere) fasst man die Spinnen, Skorpione und Milben zusammen, zu denen noch einige weniger bekannte Gruppen wie die Pseudoskorpione, Solifugae (Walzenspinnen), Uropygi (Geißelskorpione),
Kapitel 10
Amblypygi (Geißelspinnen), die Palpigradi und die Ricinulei (Kapuzenspinnen) hinzu kommen. Das Prosoma dieser Tiere ist teilweise oder vollständig von einem Panzer bedeckt. Das Opisthosoma kann segmentiert sein.
Wenn es Anhänge trägt, sind diese spezialisiert – bei den Spinnen zu Spinnwarzen und bei den Skorpionen zu Kämmen. Der Gasaustausch verläuft über Tracheen oder Fächerlungen – oder über beide Einrichtungen.
Ökologie Die Arachnida leben fast alle terrestrisch. Dennoch gibt es einige Milben (Acari), die im Meer oder im Süßwasser leben, sowie einige seltene Süßwasserspinnen wie Argyroneta aquatica. Aus evolutiver Sicht entspricht dies jedoch einer Rückkehr zum Wasser. Die Skorpione sind vivipare Tiere. Sie sind bekannt für ihr langes, metamerisiertes Abdomen, an dessen Ende ein Giftstachel sitzt. Sein Stich ist für die Beute tödlich – und manchmal auch für den Menschen gefährlich. Das Gift enthält zwei aktive Substanzarten: Neurotoxine, die auf das Nervensystem wirken, und Hämorrhagine, die die Blutgerinnung blockieren und lokale Nekrosen hervorrufen. Bei den Spinnen mündet die Giftdrüse an der Spitze der Cheliceren. Der Spinnapparat produziert Seidenfäden, die je nach Art dazu dienen, ein Netz zu spinnen, eine als Behausung dienende Hülle zu bauen oder Kokons für die Eier herzustellen. Die Tiere sind Fleischfresser, die sich fast ausschließlich von Insekten ernähren. Dennoch kann eine kräftige Vogelspinne auch kleine Nagetiere oder Vögel erbeuten. Die frei lebenden Acari sind grundsätzlich Räuber kleiner, im Boden lebender Tiere. Häufig sind sie auch Kommensalen oder Symbionten anderer Arthropoden (Tausendfüßer, Ameisen, Käfer). Die größte Gruppe unter 384
Abb. 1. Ventralansicht einer Spinne
ihnen bilden die Zecken – blutsaugende Parasiten der Wirbeltiere. Einige Milben sind verantwortlich für charakteristische Krankheiten: Sarcoptes scabiei beispielsweise ist der Krätze-Erreger des Menschen und bohrt Gänge in der Epidermis. In Nordamerika überträgt Dermacentor andersoni eine Rickettsien-Art, die das Rocky Mountain-Fleckfieber auslöst. Die Stiche der Erntemilbe Thrombicula autumnalis rufen Juckreiz hervor.
Spezielle Merkmale – Opisthosoma: Die OpisthosomaAnhänge sind reduziert, zu Spinnwarzen oder Kämmen modifiziert oder fehlen ganz (Abb. 1).
– Atmung: Das Tier atmet über Tracheen, Fächerlungen oder über beides (Abb. 1).
Beispiele Skorpione: Androctonus australis, Buthus occitanus Pseudoskorpione: Neobisium tuzeti Uropygi: Mastigoproctus giganteus Amblypygi: Stegophrynus dammermani, Phrynictus lunatus Araneae: Kreuspinne (Araneus diadematus), Schwarze Witwe (Latrodectus mactans), Hausspinne (Tegenaria domestica) Opiliones: Kanker (Phalangium opilio) Acari: Copidognathus kerguelensis, Haarbalgmilbe (Demodex follicu-
Arachnida 6
Euarthropoda lorum; Parasit der Talgdrüsen), Krätzmilbe (Sarcoptes scabiei; Erreger der Krätze), Erntemilbe (Thrombicula autumnalis) Palpigradi: Koenenia mirabilis
Artenzahl: 74 445 (davon 1 200 Skorpione, 35 000 Spinnen und 30 000 Acari) Ältestes bekanntes Fossil: Das älteste bekannte Fossil ist der Skorpion Dolichophonus loudonensis aus dem unteren Silur Schottlands (–435 Mio. Jahre). Außerdem seien genannt die Acari Protospeleorchestes pseudoprotacarus, Protacarus crani, Pseudoprotacarus scoticus, Palaeotydeus devonicus, Paraprotacarus hirsti aus dem Unter-Devon Schottlands (–395 Mio. Jahre), der Pseudoskorpion Dracochela deprehendo aus dem MittelDevon New Yorks, USA (-380 Millonen Jahre), nicht benannte Weberknechte (Opiliones) aus dem Unter-Karbon Schottlands (–330 Mio. Jahre) sowie Phalangio tarbida, Goniotarbus tuberculatus, Mesotarbus intermedius, und Leptotarbus torpedo aus dem Ober-Karbon Englands (–315 Mio. Jahre), ferner Protosolpuga carbonaria (Solifugae) aus dem Ober-Karbon von Illinois (–310 Mio. Jahre). Die älteste Spinne ist Attercopus fimbriunguis aus dem Unter-Devon New Yorks (–395 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
385
7 Mandibulata (Antennata)
Kapitel 10
Mandibulata (Antennata) Allgemeines
Spezielle Merkmale – Mandibeln: Der Kopf trägt Mandibeln, wenig gegliederte und durch Chitin verstärkte Anhänge zum Ergreifen, Schneiden oder Zerkleinern der Beute (Abb. 1). Die Mandibel der Heuschrecke Dissoteria carolina lässt die Apo-
demen erkennen, an denen die Muskeln ansetzen, den Gelenkansatz und die kräftige Kaulade (farbig hinterlegt). – Das Gen für die 18S-rRNA zeigt molekulare Merkmale, die die Monophylie dieses Taxons unterstützen.
Beispiele Myriapoda (Tausendfüßer): Julus scandinavius, Polydesmus sp., Geophilus electricus Pancrustacea: – Remipedia: Peleonectes lucayensis
– Cephalocarida: Hutchinsoniella macracanthra – Maxillopoda: Amphiascus sp., Tigriopus fulvus, Lepas anatifera – Branchiopoda: Salinenkrebs (Artemia salina), Wasserfloh (Daphnia pulex) – Malacostraca: Ostseegarnele (Palaemon serratus), Taschenkrebs (Cancer pagurus), Mauerassel (Oniscus asellus), Bachflohkrebs (Gammarus pulex) – Hexapoda: Laufkäfer (Ctenosta bastardi), Schwalbenschwanz (Papilio machaon), Taufliege (Drosophila melanogaster), Fleischfliege (Sarcophaga sp. )
Artenzahl: 880 964 Ältestes bekanntes Fossil: Sechs Familien der Ostracoda waren bereits an der Basis des Kambriums (–540 Mio. Jahre) vertreten: Bradoria scrutator und Hipponicharion eos in Kanada, Cambria sibirica in Ostsibirien, Kunmingella maxima in Yunnan/China, Uskarella prisca in Kasachstan, Hesslandona sp. und Strenuella sp. in England. Die Phyllocarida datieren in dieselbe Epoche – beispielsweise Hymenocaris sp. im tiefen Kambrium Europas, Nordamerikas, Australiens und Neuseelands (–540 Mio. Jahre) oder Perspicaris sp. im frühen Kambrium von Yunnan/China (–540 Mio. Jahre). Abb. 1. Mandibel der Heuschrecke Dissoteria carolina
386
Heutiges Vorkommen: weltweit
Myriapoda 8
Euarthropoda
Myriapoda Allgemeines Die Myriapoda (oder Tausendfüßer) besitzen zahlreiche postcephale Segmente: Manche Chilopoden haben mehr als 180 solcher Segmente. Jedes dieser Segmente trägt ein Beinpaar. Bei den Diplopoden sind die meisten dieser Rumpfsegmente Doppelsegmente
und mit je zwei Beinpaaren ausgestattet. Nur der Kopf ist davon deutlich abgesetzt. Ein MandibelPaar und zwei Kauwerkzeug-Paare bilden die Mundwerkzeuge. Fast alle Arten tragen Komplexaugen. Die phylogenetische Stellung der Myriapoda wird nach wie vor
diskutiert. Lange Zeit wurden sie mit den Insekten in ein gemeinsames Taxon gruppiert, das Arthropoden ohne Extremitätengliederung in Endo- und Exopodit vereint. Tatsächlich teilen die Myriapoda mit den Insekten einerseits die unverzweigten Extre-
387
8 Myriapoda mitäten und andererseits das Auftreten von Malpighischen Gefäßen. Die molekularen, auf der Nucleotidsequenz der 18S-rRNA basierenden Phylogenien leugnen die Existenz dieser Gruppe. Diese beiden Merkmale werden daher nun
Kapitel 10
als Konvergenzen interpretiert, die aus der Anpassung von Insekten und Myriapoden an das Landleben resultieren. Doch ist ein anderes entscheidendes phylogenetisches Problem nach wie vor ungelöst: Sind die Myriapoda
monophyletisch? Sie umfassen vier Unterklassen – die Diplopoda, Pauropoda, Chilopoda und Symphyla, die möglicherweise gar nicht miteinander verwandt sind.
Ökologie Die Diplopoda sind fast ausnahmslos Vegetarier. Sie leben im Boden oder unter Baumrinden. Im Obstund Gemüsebau können sie Schäden anrichten, beispielsweise bei Rote Bete, Kartoffeln oder Erdbeeren. Die Chilopoda leben räuberisch: Ihr erstes Rumpfbeinpaar ist zu mächtigen Gifthaken (Kieferfüße) umgewandelt. Sie bevorzugen die Feuchtigkeit und scheuen das Licht. Man findet sie daher unter Steinen, im Moos oder im Boden. Die Diplopoda besitzen Wehrdrüsen, die abschreckende toxische Substanzen ausscheiden. Die Entwicklung verläuft direkt, das Wachstum wird nach dem Schlüpfen durch eine postembryonale Entwicklung fortgesetzt. Die Wachstumszone liegt vor dem Telson.
Abb. 1. Ventralseite von Scutigerella immaculata (Symphyla). Zu erkennen sind die einfach verzweigten Antennen und Beine.
Myriapoden lange Zeit mit den übrigen einästigen Arthropoden zusammengefasst. – Tracheen: Der Gasaustausch erfolgt über ein Tracheensystem, das mit dem der Hexapoden konvergent ist. – Exkretionsorgane sind die Malpighischen Gefäße.
Spezielle Merkmale – Tömösvarysche Organe: Die Tiere besitzen Sinnesorgane, deren Funktion unbekannt ist – die so genannten Tömösvaryschen Organe. Sie bestehen aus Gruppen von Sinneszellen, die in der Epidermis liegen und vom Protocerebrum innerviert werden. – Die ursprünglich zweiästige Extremität könnte einen Ast verloren haben. Abbildung 1 zeigt die einfachen, unverzweigten Antennen und Beine. Daher wurden die 388
Beispiele Diplopoda: Julus scandinavius, Glomeris marginata, Graphidostreptus sp., Polydesmus sp. Chilopoda: Geophilus carpophagus, Geophilus electricus, Lithobius forficatus, Scolopendra cingulata, S. subspinipes, Scutigera coleoptrata Pauropoda: Decapaurus cuenoti, Pauropus silvaticus Symphyla: Scutigerella immaculata
Artenzahl: 12 050 (8000 Diplopoda, 400 Pauropoda, 150 Symphyla, 3500 Chilopoda) Ältestes bekanntes Fossil: Einige nicht benannte Formen aus dem OberSilur sind unzweifelhaft Myriapoden, speziell ein Diplopode aus Schottland (–410 Mio. Jahre). Außerdem sei noch auf Campropodus gracilis aus dem mittleren Kambrium aus Utah/USA (–515 Mio. Jahre) hingewiesen, wobei allerdings nicht gesichert ist, ob es sich hierbei wirklich um einen Myriapoden handelt. Heutiges Vorkommen: weltweit
Pancrustacea 9
Euarthropoda
Pancrustacea Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Es tritt eine Nauplius-Larve auf – ein Entwicklungsstadium, das noch keine Segmentierung aufweist und mit nur drei Extremitätenpaaren ausgerüstet ist, die der Fortbewegung dienen. Von vorne nach hinten ist dies jeweils das 1. Antennenpaar, das 2. Antennenpaar und die Mandibeln (Abb. 1). – Die Nucleotidsequenz der 18SrRNA weist Merkmale auf, die die Monophylie dieses Taxons unterstützen.
Abb. 1. Nauplius-Larve der Seepocke Semibalanus balanoides (Cirripedia, 300 µm groß)
Beispiele Remipedia: Speleonectes lucayensis Cephalocarida: Hutchinsoniella macracantha Maxillopoda: Amphiascus sp., Tigriopus fulvus, Entenmuschel (Lepas anatifera)
Branchiopoda: Salinenkrebs (Artemia salina), Triops cancriformis), Wasserfloh (Daphnia pulex) Malacostraca: Nebalia bipes, Palaemon serratus, Hummer (Homarus gammarus), Einsiedlerkrebs (Eupagurus bernhardus), Taschenkrebs
(Cancer pagurus), Meerassel (Ligia oceanica), Mauerassel (Oniscus asellus), Tangassel (Idotea bastardi), Bachflohkrebs (Gammarus pulex), Strandfloh (Talitrus saltator) Hexapoda: Laufkäfer (Ctenosta bastardi), Schwalbenschwanz (Papilio 389
9 Pancrustacea machaon), Wanderheuschrecke (Locusta migratoria), Taufliege (Drosophila melanogaster), Fleischfliege (Sarcophaga sp.)
Kapitel 10 Artenzahl: 868 914 Ältestes bekanntes Fossil: Sechs Familien der Ostracoda waren bereits an der Basis des Kambriums (–540 Mio. Jahre) vertreten: Bradoria scrutator und Hipponicharion eos in Kanada, Cambria sibirica in Ostsibirien, Kunmingella maxima in Yunnan/China, Uskarella prisca in Kasachstan, Hesslandona sp. und Strenuella sp. in England. Die ältesten Phyllocarida datieren in dieselbe Epoche – beispielsweise Hymenocaris sp. aus dem frühen Kambrium Europas, Nordamerikas, Australiens und Neuseelands (–540 Mio. Jahre) oder Perspicaris sp. im frühen Kambrium von Yunnan/China (–540 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
390
Remipedia 10
Euarthropoda
Remipedia Allgemeines Die Remipedia wurden erst Ende der 1980er Jahre in marinen Höhlen der Bahamas, der Halbinsel Yucatan und von Lanzarote entdeckt. Die kleinen, durchsichtigen Tiere leben im freien Wasser. Es war ziemlich schwierig, sie in der Dunkelheit überhaupt zu beobachten. Da alle ihre postcephalen Segmente identisch sind, könnte man annehmen, dass diese Tiere die allerunterste Position im
Stammbaum der Pancrustacea einnehmen – umso mehr, als die 1. und 2. Antennen zweiästig zu
sein scheinen. Doch gibt es bis heute keinerlei Beweis für diese These.
Ökologie Die Remipedia leben ausschließlich in untermeerischen Höhlen. Man findet sie auch in Brackwassergebieten, wo Süß- und Salzwasser aufeinandertreffen. Über ihre Biologie, speziell über ihre Reproduktion und ihre Entwicklung, weiß man noch nichts. Auch über die Art ihrer Nahrungsaufnahme wird diskutiert: Manche halten sie für Carnivoren, andere deuten sie als Filtrierer. Das Auftreten zahlreicher Borsten in ihrer Mundregion spricht eher für die letztere Ernährungsform.
Abb. 1. Ventralansicht des Vorderteils von Speleonectes lucayensis
Spezielle Merkmale – Die Mundwerkzeuge sitzen in einer ventralen Vertiefung des Cephalons – im Atrium (Abb. 1). Ventralansicht der Vorderpartie von Speleonectes lucayensis. – Der erste Anhang, der aus Sicht der vergleichenden Anatomie postceph sein könnte, ist ein Maxilliped, der ins Cephalon integriert ist (Abb. 1).
Abb. 2. Ventralansicht von Speleonectes sp. app = Extremität at = Atrium
391
10 Remipedia – Alle Rumpfextremitäten sind lateral angeordnet (Abb. 2). – Die Genitalöffnungen (Gonoporen) sind spezifisch angeordnet: Beim Weibchen sitzen sie auf Höhe des 7. postcephalen Segments, bei den Männchen auf Höhe des 14. Segments.
Beispiele Lasionectes entrichoma, Speleonectes lucayensis, S. ondinae
392
Kapitel 10 Artenzahl: 11 Ältestes bekanntes Fossil: Tesnusocaris goldichi aus dem Unter-Karbon von Texas (USA, –340 Mio. Jahre). Diese Spezies ist mit den Enantiopoden verwandt, einer ausschließlich fossilen Gruppe der Remipedia. Heutiges Vorkommen: Untermeerische Grotten des Golfs von Mexiko (Cuba, Bahamas, Yucatan) und der Kanarischen Inseln
Cephalocarida 11
Euarthropoda
Cephalocarida Allgemeines Die seltenen Cephalocarida sind kleine Meeresbewohner, die erst im Jahre 1955 von H. L. Sanders in den Flachwassergebieten vor der Nordost-Küste der USA entdeckt worden sind. Bisher kann man nur Hutchinsoniella macracantha im lebenden Zustand untersuchen. Der längliche Körper ist in Kopf, Thorax und Abdomen unterteilt. Der Kopf ist von einem Schild umgeben, der an den Seiten eine Falte bildet. Die 9 Thorakalsegmente zeigen eine Faltung derselben Größe. Das Abdomen besteht aus 11 Segmenten und besitzt keine
Extremitäten. Aufgrund ihrer Morphologie, Anatomie, Biologie und Entwicklung postulieren einige Autoren, dass diese Tiere die ursprünglichsten Euarthropoden darstellen könnten. Doch wird diese Hypothese in nichts wirklich bestätigt, obwohl diese Tiere eine
große Ähnlichkeit mit fossilen Formen aus dem höheren Kambrium Schwedens zeigen.
Ökologie
Spezielle Merkmale
Die Cephalocariden sind Teil der Meiofauna in marinen Kies- oder Schlammsedimenten. Sie filtrieren feine Sedimentpartikeln und ernähren sich davon. Die Entwicklung verläuft progressiv. Bei Hutchinsoniella macracantha stellt ein Metanauplius das erste Stadium dar. Daran schließen sich 18 weitere Entwicklungsstadien an.
– Verlust der abdominalen Anhänge. – Die Zahl der Abdomensegmente einschließlich des Telsons ist auf 11 reduziert (Abb. 1).
Beispiele Hutchinsoniella macracantha, Lightiella incisa, Sandersiella acuminata
Artenzahl: 9 Ältestes bekanntes Fossil: Lepidocaris rhynensis, Unter-Devon Schottlands (–395 Mio. Jahre)
▲
Heutiges Vorkommen: mit Ausnahme der europäischen Küsten weltweit
Abb. 1. Ventralansicht von Hutchinsoniella macracantha: zu erkennen sind das Abdomen mit 11 Segmenten, einschließlich Telson. a1 = 1. Antennenpaar, a2 = 2. Antennenpaar, ad = Abdomen, ma = Mandibel, mx1 = 1. Maxille, mx2 = 2. Maxille, ath1 = 1.Thorax-Anhang, ts = Telson
393
12 Maxillopoda
Kapitel 10
Maxillopoda Allgemeines Das Taxon Maxillopoda ist wahrscheinlich nicht monophyletisch, obwohl es auf den ersten Blick zahlreiche Synapomorphien zeigt. Es umfasst Taxa unterschiedlichen Aussehens und verschiedener Ökologien. Die Cirripedia (Rankenfüßer), beispielsweise die Entenmuschel (Lepas anatifera) oder die
394
Seepocke (Semibalanus balanoides), leben festgeheftet an felsiges oder lebendes (Mollusken, Wale) Substrat. Sie wohnen in einer Schale, die aus mehreren kalkigen Platten besteht. Die zu den Cirripedia gehörenden Rhizocephala sind Parasiten anderer Crustaceen. Die Copepoda (Ruderfußkrebse)
sind kleine Tiere, die den Großteil der im Plankton lebenden Crustaceen bilden: Ihr Kopf ist durch ein Schild geschützt. Die ersten Thoraxsegmente sind mit dem Kopf verschmolzen. Das einfache Auge ist unpaar. Die Ostracoda (Muschelkrebse) sind charakterisiert durch ihre zweiklappige
Maxillopoda 12
Euarthropoda
Schale, die ein dorsal gelegenes Scharnier besitzt und Kopf und Körper schützt. Die Mystacocarida sind Krebse, deren Körper in einen Kopf und einen aus 11 Segmenten bestehenden Rumpf unterteilt ist. Die ersten Rumpfsegmente tragen Maxillipeden und sind nicht zu einem Thorax verschmolzen. Die
Ökologie Die Maxillopoden sind sehr weit verbreitet. Die Copepoda sind mehrheitlich planktonische Tiere. Angesichts ihrer Stellung in der marinen Nahrungskette sind sie von beachtlicher ökologischer Bedeutung. Die Ostracoda können ebenfalls planktonisch leben, doch gibt es unter ihnen auch viele benthische Arten: Man findet sie im Süßwasser, im Moos, im Humus, aber auch in der Tiefsee bis in 7000 m. Die Cirripedia sind in der Hauptsache Filtrierer. Sie sind in der Gezeitenzone auf felsigen Substraten sehr weit verbreitet. Im Hinblick auf ihre Morphogenese sind diese Tiere außerordentlich interessant: Sie haben ihr Abdomen sekundär verloren, und sie sind mit dem Kopf am Substrat fixiert. Charles Darwin hat die früheste vergleichende Untersuchung dieser Gruppe durchgeführt. Die Mystacocariden sind marine Tiere der Meiofauna – sie leben im Sandlückensystem.Viele Arten dieses Taxons (einige Cirripedia, Copepoden, Branchiuren und Pentastomida) leben parasitisch.
Spezielle Merkmale – Die abdomonalen Anhänge sind sekundär verloren gegangen.
Branchiura (Karpfenläuse) sind Ektoparasiten von Fischen. Ihre Körperanhänge sind reduziert oder zu Fixierungsorganen modifiziert. Die Tantulocarida sind durch ihre parasitische Lebensweise noch weiter abgewandelt: Sie hängen wie Säcke an ihren Wirten – in der Mehrzahl benthische Crustaceen.
– Der Thorax besteht aus bis zu sechs Segmenten. – Das Abdomen besteht aus bis zu vier Segmenten. – Der Carapax ist reduziert. – Die Genitalanhänge befinden sich am ersten abdominalen Somiten. Sie sind mit den männlichen Genitalöffnungen verbunden. – Das Auge der Nauplius-Larve zeigt einige Besonderheiten. – Verlust der Frontalorgane
Beispiele
Die früher rätselhaften Pentastomida (Zungenwürmer) schließlich sind Parasiten der Lunge oder der Nasenwege von Tetrapoden. Sie müssen wohl aufgrund ihrer auf der Nucleotidsequenz der 18SrRNA basierenden Stellung im Stammbaum bei den Maxillopoden eingeordnet werden.
Cirripedia: Entenmuschel (Lepas anatifera), Gewöhnliche Seepocke (Semibalanus balanoides), Sternseepocke (Chthamalus stellatus), Neuseeländische Seepocke (Elminius modestus), Sacculina carcini (Parasit der Strandkrabbe Carcinus maenas) Ostracoda: Candona candida, Cypris sp., Cythereis sp., Conchoecia sp. Mystacocarida: Derocheilocaris remanei Tantulocarida: Basipodella atlantica Branchiura: Karpfenlaus (Argulus foliaceus) Pentastomida: Cephalobaena tetrapoda
Copepoda: Amphiascus sp., Canthocamptus sp., Cyclops sp., Tigriopus fulvus
Artenzahl: 15 214 (Ostracoda: 5650, Mystacocarida: 10, Copepoda: 8405, Branchiura: 150, Cirripedia: 900, Tantulocarida: 4, Pentastomida: 95) Ältestes bekanntes Fossil: Die ältesten Maxillopoden sind die Ostracoden. Sechs Familien von ihnen sind bereits an der Basis des Kambriums aufgetreten (–540 Mio. Jahre): Bradoria scrutator und Hipponicharion eos in Kanada, Cambria sibirica in Ostsibirien, Kunmingella maxima in Yunnan/China, Uskarella prisca in Kasachstan, Hesslandona sp. und Strenuella sp. in England. Der älteste Copepode ist Kabatarina pattersoni aus der Unter-Kreide Brasiliens (–110 Mio. Jahre). Der älteste Cirripede ist Priscansermarinus barnetti aus dem mittleren Kambrium von British Columbia/Kanada (–520 Mio. Jahre). Der älteste Pentastomide ist eine nicht bekannte, marine Form aus dem tiefen Ordovizium Schwedens (–490 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
395
13 Branchiopoda
Kapitel 10
Branchiopoda Allgemeines Die Branchiopoden (Blattfußkrebse) umfassen vier ziemlich unterschiedliche Ordnungen. Die Anostraca (Kiemenfüßer) ähneln kleinen Garnelen. Sie besitzen einen deutlich ausgebildeten Thorax, der immer aus 11 Segmenten aufgebaut ist. Ihr Abdomen trägt keinerlei Anhänge. Einer ihrer Vertreter, der Salinenkrebs Artemia salina, ist bei Aquariumliebhabern
396
gut bekannt. Die Notostraca sind durch ein Schild charakterisiert, das den vorderen Teil des Körpers bedeckt, durch ein geringeltes Abdomen sowie durch ein Telson mit langen, caudalen Verzweigungen. Die Conchostraca haben eine zweiklappige Schale, die den Kopf und den Rumpf bedeckt. Die Cladocera (Wasserflöhe) haben eine stark reduzierte Segmentierung:
Thorax und Abdomen sind fusioniert. Ihr Carapax ist einfach gebaut und entlang der Mittellinie nach hinten gefaltet, so dass der Eindruck entsteht, es handele sich um zwei Schalenklappen. Die Extremitäten sind in den meisten Fällen blattartig abgeflacht – davon leitet sich auch der Name der früheren Gruppe Phyllopoden ab (griech. phyllos = Blatt).
Branchiopoda 13
Euarthropoda
Ökologie Die Mehrzahl der Branchiopoden lebt im Süßwasser. Sie sind an das Leben in einem sich periodisch verändernden Milieu (beispielsweise periodisch austrocknende Süßwassertümpel) angepasst und können fallweise beachtliche Schwankungen im Salzgehalt ertragen. Häufig besitzen sie Eier, die zu Zysten umgewandelt sind und eine Dauerform darstellen, die die Eroberung solcher veränderlicher Lebensräume erleichtern. Kurioserweise schwimmen die Anostraca mit dem Bauch nach oben. Sie sind eine wichtige Nahrungsquelle für die Vögel. Obwohl es nur wenige Notostracea-Arten gibt, sind sie geographisch sehr weit verbreitet. Man findet sie in temporären Milieus, unter anderem in Reisfeldern. Auch die Conchostraca sind weltweit verbreitet – mit Ausnahme der Antarktis. Die meisten Arten
leben benthisch. Bei den Cladocera gibt es einige marine Arten, viele leben benthisch. Die planktonischen Arten schwimmen mithilfe ihrer Antennen.
Spezielle Merkmale – Die abdominalen Anhänge sind sekundär verloren gegangen. – Die Maxillen sind reduziert oder fehlen. Maxillipeden kommen nicht vor. – Die Genitalanhänge werden vom ersten Abdominalsegment getra-
gen. Sie sind mit den männlichen Geschlechtsöffnungen verknüpft.
Beispiele Anostraca: Salinenkrebs (Artemia salina), Linderiella massaliensis Notostraca: Triops cancriformis, Lepidurus apus Conchostraca: Cyzicus bucheti, Lynceus gracilicornis Cladocera: Wasserfloh (Daphnia pulex), Leptodora kindti
Artenzahl: 934 (Anostraca: 275, Notostraca: 9, Conchostraca: 200, Cladocera: 450) Ältestes bekanntes Fossil: Die Conchostraca Cyzicus sp. und Asmussia membranacea aus dem tiefen Devon (–408 Mio. Jahre) waren auf der ganzen Welt verbreitet. Heutiges Vorkommen: weltweit
397
14 Malacostraca
Kapitel 10
Malacostraca Allgemeines Die allgemein bekannten Crustaceen (Krabben, Garnelen, Kaisergranat, Langusten, Hummer oder
398
Flusskrebse) gehören alle zu den Malacostraca. Innerhalb dieses Taxons unterscheidet man die Lep-
tostraca und die Eumalacostraca. Von den Leptostraca nimmt man an, dass sie einen ursprünglichen
Malacostraca 14
Euarthropoda
Aufbau besitzen. Sie haben 7 Segmente. Die Thoraxsegmente tragen blattartige Extremitäten. Ein zweilappiger Carapax bedeckt den Thorax. Die Eumalacostraca besitzen einen Kopf, einen Thorax und ein Abdomen (bei den Krebsen auch Pleon genannt), das sich ohne das Telson jeweils aus 5, 6 oder 8 Somiten zusammensetzt. Je nach
Ökologie Die Leptostraca leben vorzugsweise in einer Umgebung mit geringem Sauerstoffgehalt. Sie ernähren sich von organischen Resten. Die Eumalacostraca haben alle nur möglichen aquatischen Lebensräume erobert: So leben beispielsweise die Garnelen frei schwimmend im Meer, die Krabben am Meeresboden, die Flusskrebse im Süßwasser, die Scherenasseln (Tanaidacea) im Sedimentlückensystem. Die Asseln sind terrestrische Crustaceen. Die Isopoden sind häufig Parasiten. Die Malacostraca spielen eine bedeutende Rolle in der Ökologie. Beispielsweise sind die Krabben effiziente Abfall- und Aasfresser; ohne sie würden die Meeresstrände entsetzlich stinken. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass viele Malacostraca, insbesondere Krabben und Garnelen, auch in hydrothermalen Tiefseequellen vorkommen.
Art fusioniern 1, 2 oder 3 Thoraxsegmente mit dem Kopf. Die Extremitäten sind zu Maxillipeden umgewandelt. Wir wollen uns hier nicht ausführlicher mit der Klassifizierung der Eumalacostraca befassen. Es sei innerhalb der Eucariden lediglich die Ordnung Decapoda (Zehnfußkrebse) genannt, die unter anderem die
– Das Abdomen trägt 5 zweiästige Pleopodenpaare sowie ein Paar Uropoden, das ebenfalls zweiästig ist. – Die männlichen Genitalausgänge sitzen auf dem 8., die weiblichen auf dem 6. Thoraxsegment. – Die Sehbahnen zeigen ein doppeltes Chiasma (Abb. 1). Wenn das doppelte Chiasma der Malacostraca dem der Hexapoda homolog ist, so müssen Hexapoda und Malacostraca in einer gemeinsamen Gruppe zusammengefasst werden. – Das Auge der Nauplius-Larve zeigt typische Malacostraca-Merkmale.
Garnelen, Flusskrebse, Hummer, Langusten, Langustinen, Krabben oder Einsiedlerkrebse enthält, sowie innerhalb der Peracarida die Ordnung Isopoda mit den Landund Meerasseln (Ligia). Ferner ist zu erwähnen die Ordnung Amphipoda mit Flohkrebs (Gammarus), Gespenstkrebs (Caprella) und Strandfloh (Talitrus).
Beispiele Leptostraca: Nebalia bipes Eumalacostraca/Hoplocarida: Fangschreckenkrebs (Squilla mantis) Eucarida/Euphausiacea: Krillkrebs (Euphausia superba) Eucarida/Decapoda: Schwimmkrabbe (Portunus holsatus), Nordseegarnele (Crangon crangon), Languste (Palinurus elephas), Tiefseegarnele (Pandalus borealis), Kaisergranat (Nephrops norvegicus), Hummer (Homarus gammarus), Einsiedlerkrebs (Eupagurus bernhardus), Taschenkrebs (Cancer pagurus), Strandkrabbe (Carcinus maenas),
Spezielle Merkmale – Cephalothorax: Der Vorderteil des Körpers ist als Cephalothorax ausgebildet. – Der Kopf trägt maximal 3 Maxillipeden. – Der Thorax besteht aus 8 Segmenten, das Abdomen (ohne Telson) aus 6–7.
Abb. 1. Verlauf der Sehbahn bei Hexapoda und Malacostraca (a) mit doppeltem sowie bei den übrigen Crustaceae (b) ohne Chiasma.
399
14 Malacostraca Xantho pilipes, Seespinne (Maja squinado) Pericarida/Isopoda: Armadillidium sp., Meerassel (Ligia oceanica), Mauerassel (Oniscus asellus), Tangassel (Idotea bastardi), Asellus sp., Bopyrus sp. (Decapoda-Parasit). Peracarida/Amphipoda: Flohkrebse (Gammarus locusta, G. pulex, Orchestia gamarellus), Strandfloh (Talitrus saltator), Gespenstkrebs (Caprella linearis)
400
Kapitel 10 Artenzahl: 22 671 (20 Leptostraca, 350 Hoplocarida, 11 150 Peracarida, innerhalb der Eucarida die umfangreichste Ordnung, 90 Euphausiacea und ebenso viele Decapoda) Ältestes bekanntes Fossil: Die ältesten Malacostraca sind Leptostraca wie Hymenocaris sp. aus dem tiefen Kambrium Europas, Nordamerikas, Australiens und Neuseelands (–540 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
Euarthropoda
Hexapoda (Insecta) 15
Hexapoda (Insecta) Allgemeines
401
15 Hexapoda (Insecta) Die Hexapoden stellen in der Hauptsache die bekannten Insekten dar. Dennoch darf man die Protura und die Collembola nicht vergessen. Das Phylum Hexapoda umfasst außer den bisher bekannten, vermutlich mehreren Millionen Arten, die größte Artenzahl aller Organismenreiche. Lange Zeit hat man die Hexapoden mit den
Ökologie Die Hexapoda haben sämtliche terrestrischen Biotope erobert. Einige sind ins Wasser zurückgekehrt – beispielsweise die Dytiscidae (Schwimmkäfer), die Nepidae (Wasserskorpione) oder die Notonectidae (Rückenschwimmer). Ihre Biodiversität ist ungeheuer groß – die Zahl der Arten übersteigt unsere Vorstellungskraft: So gibt es beispielsweise allein etwa 20 000 Ameisenarten. Die Entwicklung der Hexapoda ist durch eine Serie von Häutungen charakterisiert. Nach den Veränderungen, die damit einhergehen, unterscheidet man drei Möglichkeiten: Bei den Ametabolen erhöht sich die Zahl der Segmente, ohne dass sich die Gestalt dieser Tiere verändert. Bei den meisten Insekten erfolgt jedoch eine Metamorphose. Die Hemimetabolen zeigen eine so genannte unvollständige Metamorphose – das Jungtier ähnelt bereits dem Adulten (beispielsweise bei den Heuschrecken). Die Holometabolen vollziehen eine vollständige Verwandlung. Hier hat die Larve ein gänzlich anderes Aussehen sowie eine andere Ökologie als das adulte Tier, die Imago. Beispielsweise ähnelt die Made nicht der adulten Fliege. Es gibt auch Fälle, bei denen die Larve aquatisch und das Adulttier terrestrisch oder die Larve frei lebend und das Adulte parasi402
Kapitel 10
Myriapoden nach dem Bau ihrer Extremitäten in einem Taxon „Einästige“ zusammengefasst. Doch die molekularen, auf der 18S-rRNA basierenden Phylogenien stützen diese These nicht. Die Merkmale, die man früher als Synapomorphien ansah, sind nun zu Konvergenzen geworden. Hierbei ist zu betonen, dass diesen Konvergen-
tisch ist. Es ist hier nicht der Raum, die ökologische Bedeutung der Insekten im Detail zu beschreiben. Ihre medizinische Relevanz als Parasiten (Flöhe, Läuse) oder als Überträger von Parasiten (Mücken, Tsetse-Fliegen, Wanzen, Kriebelmücken) ist enorm. Auch ihre agronomische Bedeutung als Bestäuber oder als Schädlinge ist nicht weniger groß.
Spezielle Merkmale – Labium: Das zweite Paar der Kopfgliedmaßen (= 2. Maxille) ist zu einer Unterlippe (= Labium) fusioniert (Abb. 1). Man beachte hier das Konvergenz-Phänomen mit den Symphyla, einer Unterklasse der Myriapoda. – Das zweite Antennepaar fehlt. – Thorax: In der postcephalen Region ist ein deutlicher Thorax ausgebildet. Er besteht aus drei Segmenten, gefolgt von einem Abdomen. – Der Organismus trägt am Thorax drei Beinpaare – daher auch der Name der Hexapoda (Sechsbeiner). – Abdominalsegmente: Ihre Zahl ist auf 11 begrenzt. – Verlust der Abdominalextremitäten. Dennoch gibt es ein paar Überbleibsel, beispielsweise die Styli der Diplura, die Furca der
zen weitere Anpassungen an das Landleben wie Malpighische Gefäße oder Tracheensysteme entsprechen. Einige Besonderheiten wie das doppelte Chiasma des Sehsystems lassen vermuten, dass die Malacostraca und die Hexapoda eine monophyletische Gruppe bilden könnten.
Collembola sowie die Genitalanhänge. – Tracheen: Der Gasaustausch verläuft über ein Tracheensystem (Konvergenz zu den Myriapoda). – Malpighische Gefäße: Die Exkretion erfolgt über die Malpighischen Gefäße, die sich vom Ectoderm ableiten (Konvergenz zu den Myriapoda). – Die Sehbahnen weisen ein doppeltes Chiasma auf (vgl. Abb. 2 bei 14). Dies ist eine Konvergenz mit den Malacostraca – es sei denn, die doppelten Chiasmata wären homolog für den Fall, dass es sich um eine Synapomorphie des Kladons handelt, das die Malacostraca und die Hexapoda vereint.
Abb. 1. Unterlippe (Labium) eines Geradflüglers
Hexapoda (Insecta) 15
Euarthropoda
Beispiele Collembola: Anurida maritima Insecta: Siebenpunktmarienkäfer (Coccinella septempunctata), Maikäfer (Melolontha melolontha), Schwalbenschwanz (Papilio machaon), Wanderheuschrecke (Locusta migratoria), Honigbiene (Apis mellifica), Taufliege (Drosophila melanogaster), Fleischfliege (Sarcophaga sp.), Kopflaus (Pediculus humanum), Steinlaus (Petrophaga lorioti)
Artenzahl: 830 075, wenn man eine grobe Schätzung der einzelnen Ordnungen vornimmt (Protura: 100, Collembola: 2000, Diplura: 100, Thysanura und Archaeognatha: 700, Ephemeroptera: 2100, Odonata: 5500, Blattoidea: 3700, Mantodea: 1800, Isoptera: 2000, Plecoptera: 1600, Orthopteria: 20 000, Dermaptera: 1100, Phasmida: 2500, Zoraptera: 25, Psocoptera: 2600, Hemiptera: 35 000, Thysanoptera: 4000, Anoplura: 500, Mallophaga: 2800, Homoptera: 33000, Coleoptera: 3000 000, Neuroptera: 4700, Hymenoptera: 125 000, Mecoptera: 500, Siphonaptera: 1750, Diptera: 150 000, Trichoptera: 7000, Lepidoptera: 120 000). Diese Zahlen entsprechen Näherungswerten der bisher beschriebenen Arten. Die Zahl der tatsächlich existierenden Arten dürfte weitaus höher liegen: Einige Wissenschaftler nehmen allein für die tropischen Regenwälder bis zu 30 Mio. Insektenarten an. Ältestes bekanntes Fossil: Der älteste fossile Vertreter der Hexapoda ist der Collembole Rhyniella praecursor aus dem Unter-Devon Schottlands (–395 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
403
11 Deuterostomia 1
Deuterostomia 406
KAPITEL 11
7
Myomerozoa 416
8
Cephalochordata 417
14
siehe Kapitel 7, Seite 264 2
Echinodermata 407 Beispielart: Seestern Asterias rubens Größe: bis zu 50 cm siehe Anhang 5, Seite 658
3
Pharyngotremata 410
4
Hemichordata 411
404
Beispielart: Heringshai Lamna nasus Größe: bis zu 300 cm
Beispielart: Lanzettfischchen Branchiostoma lanceolatum Größe: 5 bis 7,5 cm
15
Osteichthyes 432
9
Craniota 419
16
Actinopterygii 437
10
Myxonoidea 421
Beispielart: Nilflösselhecht Polypterus bichir Größe: bis zu 65 cm Siehe Kapitel 12, Seite 440
Beispielart: Inger Myxine glutinosa Größe: bis zu 50 cm
Beispielart: Eichelwurm Balanoglossus clavigerus Größe: bis zu 50 cm
11
Vertebrata 423
5
Chordata 413
12
Petromyzonta 425
6
Urochordata 414 Beispielart: Seescheide Halocynthia papillosa Größe: 10 cm
Chondrichthyes 429
17
Beispielart: Flussneunauge Lampetra fluviatilis Größe: bis zu 45 cm 13
Gnathostomata 427
Sarcopterygii 434 Beispielart: Schimpanse Pan troglodytes Größe: 90 cm Siehe Kapitel 13, Seite 460
Deuterostomia
Kapitel 11
405
1 Deuterostomia
Kapitel 11
Deuterostomia Die hier dargestellte Phylogenie der Deuterostomia weist zwei grundsätzliche Kontroversen auf: erstens die phylogenetische Stellung sowie die Monophylie der Hemichordata (Enteropneusta und Pterobranchia), und zweitens die verwandtschaftlichen Beziehungen der Myxinoidea und der Petromyzonta (Neunaugen) zu den Gnathostomata (Deuterostomia mit Kauwerkzeugen). Die Monophylie der Hemichordata ist in Frage gestellt worden. Die Enteropneusta teilen mit den Chordata nämlich den Aufbau der Kiemenspalten, das dorsal gelegene Neuralrohr sowie mehrere Strukturen des Verdauungstraktes – Merkmale, die die Pterobranchia so nicht besitzen. Andererseits schlägt Jefferies eine Phylogenie der Deuterostomia vor, die sich von der hier vorgestellten grundlegend unterscheidet. Sie basiert auf der Interpretation merkwürdiger Fossilien, den Calcichordaten. Diese Tiere aus dem Kambrium oder dem Devon sind abgeflacht und völlig asymmetrisch – so als ob sie auf ihrer rechten Seite liegen würden – und mit den für die Echinodermata charakteristischen Calcitplatten bedeckt. Jefferies postuliert, dass die Hemichordata paraphyletisch sind – allerdings zusammen mit den Pterobranchia und den Enteropneusta als den basalen Nachkommen der bilateralsymmetrischen Deuterostomia. Im Kladon Dexiothetica fasst er die Calcichordata und alle anderen Deuterostomia zusammen, die seiner Ansicht nach irgendwie zu den Hemichordata
406
gehören und sich zumindest ursprünglich auf ihre rechte Körperseite gelegt haben. In diesem Kladon der absolut asymmetrischen Deuterostomia sind die Echinodermata die Schwestergruppe der Chordata und die Cephalochordata die Schwestergruppe eines Kladons, das die Urochordata und die Craniota umfasst. Jede Dexiothetica-Gruppe würde demnach einen Calcichordaten-Ursprung haben – asymmetrische, auf der rechten Körperseite am Boden liegende Organismen als Vorfahren. Unsere Bilatersymmetrie, die wir im Adultstadium haben, wäre nichts weiter als eine sekundäre Anordnung. Eine erneute Analyse der Calcichordata-Anatomie deutet sie jedoch als ungewöhnliche Echinodermata. Andererseits impliziert die Theorie Jefferies eine beträchtliche Zahl an sekundären Merkmalen, insbesondere den Verlust der Calcitplatten. Innerhalb der Craniota ist hinsichtlich der phylogenetischen Stellung der Neunaugen schon viel Tinte verspritzt worden – zum Teil deshalb, weil der Einsatz der Polemik an den Neunaugen vorbeigegangen ist und so zur Bestätigung der phylogenetischen Systematik geführt hat. Traditionell sind die Myxinoidea und die Neunaugen innerhalb der Agnatha eingeordnet worden – einer ausschließlich paraphyletischen Gruppe. Die Analyse der Merkmale heutiger Agnatha nach der HennigMethode hat jedoch mehr als ein Dutzend Synapomorphien zwischen Neunaugen und Vertebraten aufge-
deckt. Die Paraphylie der Agnatha wird noch offensichtlicher, wenn man die Fossilien in die Analyse einschließt. Um jedoch die heutigen Agnatha, die Cyclostomata, zu schützen, behaupten einige konservative Autoren, dass es bei den Knorpelstrukturen (Zungenbein), Zahnplatten, Kiementaschen und sogar dem Nasen-Hypophysengang Homologien gibt. Sie gingen sogar so weit zu behaupten, dass die Myxinoidea gemeinsame Merkmale mit den Neunaugen und den Gnathostomata gehabt haben müssen, dass die Myxinoidea diese aber, aufgrund ihrer ectoparasitischen Lebensweise, sekundär wieder verloren haben. Da man wenig über die Entwicklung der Myxinoidea weiß, gründet sich diese Behauptung nicht auf embryologischen Befunden, die die angenommenen Rückbildungen bestätigen würden. Auch nach den molekularen Phylogenien gibt es kein zuverlässiges Ergebnis, das diese Frage entscheiden ließe. Die heutigen am nächsten mit ihnen verwandten „Sondergruppen“ sind die Cephalochordata und die Urochordata, die hinsichtlich ihres „Divergenz-Zeitraums“ bereits zu weit von den Craniota entfernt sind. Die langen Kiemen stellen die basale Stammbaumposition der Craniota als Bindeglied zu den heutigen „Sondergruppen“ in Frage. Diese muss jedoch auf der Basis mehrerer unabhängiger Gene erst noch geklärt werden.
Echinodermata 2
Deuterostomia
Echinodermata Allgemeines Die Echinodermata (Stachelhäuter) sind marine Deuterostomia. Die Larve ist bilateralsymmetrisch. Im Laufe ihrer Entwicklung erlangen die Tiere die (meist fünfstrahlige) Radiärsymmetrie,die den Echi-
nodermata ihr charakteristisches Aussehen verleiht. Man kann zehn Abschnitte zwischen Mund und After unterscheiden: fünf Strahlen (Radien, Arme) mit fünf jeweils dazwischen liegenden Zwischen-
strahlen (Interradien) (Abb. 1). Die Adulten einiger Gruppen zeigen eine sekundäre Bilateralsymmetrie. Das Integument ist rau oder stachelig, da es mit Dornen gespickt oder durch innere, unterbro-
407
2 Echinodermata chene (Spicula) oder nicht unterbrochene (Platten) Skelettgebilde mesodermalen Ursprungs verstärkt ist. Die Echinodermata verteilen sich auf zwei Unterstämme. Die Pelmatozoa vereinen Organismen, die im Larven- und im Adultstadium über einen Stiel ans Sub-
Ökologie Die Echinodermata besiedeln sämtliche Meere – einschließlich der Tiefsee und der kältesten Gewässer. Sie leben sehr häufig benthisch. Die Art der Ernährung ist von Klasse zu Klasse unterschiedlich: Die Tiere können Partikelfiltrierer (Crinoidea, Holothuroidea) sein, im Sediment graben und sich von den dort befindlichen, organischen Partikeln ernähren (einige Holothuroidea und flache Seeigel), oder sie sind Aasfresser (Ophiuridea, Asteroidea) oder aktive Räuber (Asteroidea, einige Seeigel) bzw. beweiden Felsen (Seeigel). Meist sind die Tiere getrenntgeschlechtlich. Die Befruchtung ist extern und findet im Meerwasser statt. Die meisten Arten haben eine pelagische, frei schwimmende Larve. Das Adulttier entwickelt sich durch Knospung aus der linken Seite der fortgeschrittenen Larve.
Kapitel 11
strat fixiert sind. Der Mund sitzt auf derselben Seite wie der After im Zentrum des Fangarmkreises. Diese Gruppe umfasst die heutigen Crinoidea sowie mehrere fossile Gruppen. Der andere Unterstamm Eleutherozoa tauchte am Ende des Kambriums (–500 Mio. Jahre) auf
gefüllt ist – das Ambulakralsystem (Wassergefäßsystem) (Abb. 2). Es steht durch den Steinkanal über eine Madreporenplatte (Abb. 2a) mit dem Außenmedium in Verbindung. Durch unterschiedlichen hydrostatischen Druck ermöglicht es die Bewegung der Ambulakralfüßchen, die meist in einem Saugnapf enden und der Fortbewegung dienen.
Beispiele Asteroidea: Seestern (Asterias rubens), Kammstern (Astropecten aurantiacus)
und umfasst frei lebende Echinodermata, deren After auf einer anderen Körperseite wie der Mund liegt. Hierher gehören die vier Klassen Echinoidea (Seeigel), Asteroidea (Seesterne), Ophiuroidea (Schlangensterne) und die Holothuroidea (Seegurken).
Ophiuroidea: Zerbrechlicher Schlangenstern (Ophiothrix fragilis), Fadenstern (Amphipholis squamata), Weißlicher Schlangenstern (Ophiura albida) Holothuroidea: Kletterholothurien (Cucumaria frondosa, C. normani), Wurmholothurie (Leptosynapta inhaerens) Echinoidea: Violetter Seeigel (Sphaerechinus granularis), Steinseeigel (Paracentrotus lividus), Kleiner Strandigel (Psammechinus miliaris), Prionocardis baculosa, Violetter Herzigel (Spatangus purpureus) Crinoidea: Federstern (Antedon bifida), Rhizocrinus lofotensis
Spezielle Merkmale – Skelett: Die organische und kristalline Mikrostruktur des Skeletts ist charakteristisch. Das Skelett liegt intern im Bindegewebe (mesodermal) und besteht aus Einheiten von Calcit-Einzelkristallen (Calciumcarbonat) (Abb. 1). – Im Körperinneren liegt ein Kammernsystem, das mit Meerwasser 408
Abb. 1. Gehäuse eines Seeigels
Deuterostomia
Echinodermata 2
Abb. 2. Ambulacralsystem des Seesterns
Artenzahl: etwa 6000 Ältestes bekanntes Fossil: Helicoplacus, Basis des Kambriums (–580 Mio. Jahre), Nevada/USA Heutiges Vorkommen: weltweit, nur marin
409
3 Pharyngotremata
Kapitel 11
Pharyngotremata Einige Vertreter
Spezielle Merkmale
Beispiele
– Seitlich öffnen sich bewimperte Kiemenspalten (Pharyngialspalten). Sie resultieren aus der Fusion von zwei der ursprünglich drei embryonalen Keimblätter, dem Ecto- und dem Entoderm (Abb. 1 und 2). Die Pfeile geben die Richtung an, in die das Wasser strömt. – Diese Spalten besitzen ein Skelett, das in der einfachsten Ausführung zumindest aus knorpeligen, septalen Stäben besteht. – Das dorsal gelegene Neuralrohr entsteht durch Einstülpung des Neuroectoderms.
Hemichordata: Balanoglossus clavigerus, Rhabdopleura normanni Chordata: Ascidia mentula, Salpa maxima, Lanzettfischchen (Bran-
Abb. 1. Kiemenspalten eines Hemichordaten
410
chiostoma lanceolatum), Kammmolch (Triturus cristatus), Mensch (Homo sapiens)
Artenzahl: 52 331 Ältestes bekanntes Fossil: Pikaia (Cephalochordata), unteres Kambrium (–530 Mio. Jahre); noch älter und rätselhafter ist ein nicht benannter Vertreter der Urochordata (Appendicularia), der ebenfalls aus dem unteren Kambrium (–540 Mio. Jahre) stammt. Heutiges Vorkommen: weltweit
Abb. 2. Kiemenspalten der Larve eines Chordaten
Hemichordata 4
Deuterostomia
Hemichordata Allgemeines Die Hemichordaten umfassen zwei Klassen wurmförmiger mariner Deuterostomier, die Enteropneusten (Eichelwürmer) und die Pterobranchier (Flügelkiemer). Sie haben einen weichen, zylindrischen Körper. Er ist in eine konische Vorderspitze (Proboscis oder Protosoma), gefolgt von einem Kragen (Mesosoma, Hals) und einen langen Rumpf (Metasoma) unterteilt. Die Proboscis ist ein muskulöses Organ, mit dessen Kontraktionen die Enterpneusten im Sediment graben. Der Kragen
hat die Form eines kleinen Zylinders. Er trägt auf seiner ventralen Seite den Mund, und bei den Pterobranchiern ein Tentakelpaar. Ein innerhalb des Kragens gelegener, harter Stiel erinnert an die Chorda. Im vorderen Teil des Rumpfes öffnen sich zu jeder Seite Kiemenspalten durch die Pharynx- und Rumpfwand. Diese Gliederung rückt innerhalb der Pharyngotremata die Hemichordaten näher an die Chordaten. Der Rumpf bildet den Hauptteil des Körpers und enthält die Gonaden. Die Entero-
pneusten sehen aus wie dicke Würmer und sind 9–45 cm lang. Die südatlantische Art Balanoglossus gigas misst bis zu 2,5 m. Die Pterobranchier sind Röhrenbewohner. Sie tragen ein Tentakelpaar auf dem Kragen, mit dem sie organische Partikeln aus dem Meerwasser einfangen. Die mit den Pterobranchiern (vermutlich) nahe verwandten Graptolitha sind ausschließlich fossil bekannte, Kolonien bildende marine Hemichordaten, die im Silur (–415 Mio. Jahre) zahlreich vertreten waren.
411
4 Hemichordata
Kapitel 11
Ökologie Die Pterobranchier kommen vor allem in südhemisphärischen Meeren vor. Sie leben im tieferen Wasser in Röhren. Die Enteropneusten leben vor allem im eher im seichten Meerwasser. Sie kommen an allen Küsten vor. 60% der Arten kommen in warmen Meeren vor, einige Arten auch in der Tiefsee (Grandiceps abyssicola). Die meisten dieser Tiere graben U-förmige Gänge in das Sediment der Gezeitenzone. Die Hemichordaten bewegen sich durch Kontraktion ihres Rumpfes oder der Proboscis fort. Sie ernähren sich von organischen Partikeln im Sediment (Enterpneusta) oder solchen, die im Wasser suspendiert sind (Pterobranchia). In beiden Fällen dient die Proboscis der Nahrungsaufnahme. Flimmerhärchen auf der Proboscis leiten die Schwebstoffe zum Mund. Das unverdauliche Material werfen die Sedimentwühler wieder als kleine Haufen an der hinteren Gangöffnung aus. Die Tiere sind getrenntgeschlechtlich. Die Befruchtung erfolgt extern, die Entwicklung kann direkt oder indirekt sein. Die bei der indirekten Entwicklung entstehende Tornaria-Larve erinnert sehr an die der Echinodermata.
Spezielle Merkmale – Proboscis (Eichel): Der Vorderteil des Tieres besteht aus einer Proboscis. Die Hemichordata sind an ihrem dreiteiligen Körper gut zu erkennen (Abb. 1).
Beispiele Balanoglossus clavigerus, Saccoglossus cambrensis, Rhabdopleura normanni, Cephalodiscus dodecephalus 412
Abb. 1. Körpergliederung von Saccoglossus (Enteropneusta; a) und Cephalodiscus (Pterobranchia; b)
Artenzahl: 85 Ältestes bekanntes Fossil: Rhabdotubus johanssoni (Pterobranchia, Rhabdopleuridae) aus dem mittleren Kambrium Schwedens (–515 Mio. Jahre); Yunnanozoon lividum aus Chengjiang/China (-510 Mio. Jahre) ist kürzlich als Hemichordat (Enteropneusta) gedeutet worden, der nah mit den Balanoglossa verwandt ist. Heutiges Vorkommen: weltweit
Chordata 5
Deuterostomia
Chordata Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Larve: Die Chordata haben – zumindest ursprünglich – eine schwimmende, bilateralsymmetrische, gestreckte Larve mit Schwanz (Abb. 1). Bei den späteren Chordata (Amniota) gibt es diese Larve nur noch in Form des amniotischen Eies. – Chorda: Eine feste Dorsalachse dient, zumindest bei der Larve, als Stützstab des Organismus. Sie besteht nicht aus Knochen, sondern aus einem fibrösen Gewebe (Abb. 1). – Bauplan: Charakteristisch sind entlang der dorsoventralen Achse die folgenden Elemente: Neuralrohr, das vom Neurectoderm abstammt, Chorda sowie der ventral gelegene Verdauungstrakt entodermalen Ursprungs (Abb. 1).
Abb. 1. Bauplan eines Chordaten
Beispiele Urochordata: Oikopleura albicans, Salpa maxima, Ascidia mentula, Sternseescheide (Botryllus schlosseri)
Myomerozoa: Lanzettfischchen (Branchiostoma lanceolatum), Flussbarsch (Perca fluviatilis), Kammmolch (Triturus cristatus), Hauskatze (Felis catus)
Artenzahl: 52 246 Ältestes bekanntes Fossil: Pikaia (Cephalochordata), unteres Kambrium (–530 Mio. Jahre); noch älter und rätselhafter ist ein nicht benannter Vertreter der Urochordata (Appendicularia), der ebenfalls aus dem unteren Kambrium (–540 Mio. Jahre) stammt. Heutiges Vorkommen: weltweit 413
6 Urochordata
Kapitel 11
Urochordata Allgemeines Die Urochordata sind Deuterostomier, die nur im Larvenstadium eine auf die Schwanzregion beschränkte Chorda besitzen. Die Urochordata bestehen aus drei Klassen, die sich auf den ersten Blick nicht ähneln: Die Ascidiae (Ascidiacea, Seescheiden) machen den größten Teil der Urochordata aus. Als Adulte sind sie sesshaft, als Larven frei schwimmend. Das Adulttier sieht äußerlich wie ein Sack aus, der auf einem Substrat steht. Es ist mit zwei Poren (Siphonen) ausgestattet – einer Ein-
Ökologie Die Urochordaten nehmen über den Einstromsipho Wasser auf, das dann die Pharynxwand durchquert und über die Ausstromöffnung den Kör414
strom- und einer Ausstromöffnung (Pfeile in Abb. 1). Ihr Körper ist in eine Tunica gehüllt, die artabhängig dünner oder dicker ist. Die Thaliacea (Salpen, Feuerwalzen) sind durchsichtig, frei schwimmend und sehen aus wie kleine Fässer. Ihre Einstromöffnung sitzt am Körper genau entgegengesetzt von der Ausstromöffnung. Nur die Larven besitzen einen Schwanz. Es gibt einzeln lebende Arten (Salpa maxima) und Kolonien bildende, schwimmende Arten (Thalia democrati-
per wieder verlässt (Abb. 1). Der Pharynx ist auf die Filtration des Meerwassers spezialisiert. Er bildet einen Pharyngialoder Kiemenkorb (Abb.1), der Schleim absondert. Dieser fängt Nahrungspartikeln ein und
ca). Die Appendicularia sind möglicherweise neotenische (lebenslang in Larvengestalt und dennoch geschlechtsreif, daher auch Larvacea genannt), transparente Urochordaten mit einem persistierenden, langen Schwanz mit Chorda. Diese Organismen sind in eine feine Gallertmasse gehüllt, die nicht ganz einer Tunica entspricht. Bei einigen Arten bedeckt diese Hülle den gesamten Körper. Die 3 mm langen Tiere leben planktonisch als Filtrierer.
leitet diese durch eine umfangreiche Bewimperung in den Verdauungstrakt. Die an ein Substrat fixierten Ascidiae können Kolonien bilden und dann eine gemeinsame dicke Tunica und einen gemeinsamen Aus-
Urochordata 6
Deuterostomia
Abb. 1. Metamorphose eines Tunicaten von der frei schwimmenden Larve (mit Chorda) zum festsitzenden Adulttier
stromsipho haben. Die Ascidien sind meist Zwitter. Die Befruchtung kann im Körperinnern stattfinden – gewöhnlich im Peribranchialraum, in die die Spermatozoen über die Einstromöffnung gelangen. Hier entwickeln sich fallweise auch die Larven, deren Schwanz mit einer Chorda ausgestattet ist. Die Befruchtung kann jedoch auch extern erfolgen. Nach einem pelagischen Leben heften sich die an Kaulquappen erinnernden Larven mit dem Vorderteil an den Untergrund (Abb. 1). Die Thaliacea (Salpen) sind pelagische Schwimmer. Muskelstreifen umgeben ihren Körper, durch deren Kontraktionen das Wasser aus dem Ausstromsipho gestoßen wird. Der Ausstromsipho liegt dem Einstromsipho diametral gegenüber. Der so erzeugte Wasserstrom dient sowohl dem Antrieb als auch der Filtration des Wassers. Der Reproduktionszyklus der Thaliacea ist im Wechsel geschlechtlich und ungeschlechtlich. Die Larve besitzt eine Chorda. Die Ascidien und Thalia-
cea bilden teilweise Kolonien, die mehrere Dutzend Meter groß sein können. Die Appendicularia leben planktonisch und ernähren sich von winzigem Phytoplankton (Nanoplankton). Sie umgeben sich mit einem schützenden Gallertgehäuse, das komplizierte Ein- und Ausstromöffnungen aufweist.
Spezielle Merkmale – Sesshafte Lebensweise des Adulten (zumindest ursprünglich) (Abb. 1). – Auftreten einer Tunica (Abb. 1): Sie enthält ein spezifisches Pro-
tein, das Tunicin, sowie ein Polysaccharid, das strukturell mit der Cellulose verwandt ist.
Beispiele Thaliacea: Salpa maxima, S. democratica, Thalia democratica, Pyrosoma atlanticus, Doliolum denticulatum Ascidia: Sternseescheide (Botryllus schlosseri), Ascidia mentula, Halocynthia papillosa, Ciona intestinalis, Phallusia mammilata, Stolonica aggregata Appendicularia: Oikopleura albicans, O. ongicauda
Artenzahl: etwa 1300 Ältestes bekanntes Fossil: Paleooikopleura (Appendicularia) aus dem unteren Kambrium Chinas (–530 Mio. Jahre). Noch rätselhaft ist ein nicht benannter Appendicularier aus dem unteren Kambrium Chinas. Heutiges Vorkommen: weltweit
415
7 Myomerozoa
Kapitel 11
Myomerozoa Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Somiten: Auf beiden Seiten der Chorda und des Neuralrohrs ist das primäre, intermediäre Keimblatt in antero-posteriorer Richtung segmentiert. Dieses Gewebe unterteilt sich in kleine, aufeinander folgende Abschnitte, die so genannten Somite. Jeder Somit bringt ein oder mehrere Organ(e) hervor – vor allem Muskelgebilde, die so genannten Myotome. – Das Adulttier ist bilateralsymmetrisch.
Beispiele
Abb. 1. Embryo mit durchscheinendem Mesoderm
Craniota: Inger (Myxine glutinosa), Flussbarsch (Perca fluviatilis), Kammmolch (Triturus cristatus),
Griechische Landschildkröte (Testudo hermanni), Hauskatze (Felis catus), Bankivahuhn (Gallus gallus)
Artenzahl: 50 946 Ältestes bekanntes Fossil: Pikaia, unteres Kambrium (–530 Mio. Jahre).
Cephalochordata: Lanzettfischchen (Branchiostoma lanceolatum)
416
Heutiges Vorkommen: weltweit
Cephalochordata 8
Deuterostomia
Cephalochordata Allgemeines Die Cephalochordata (Acrania, Schädellose) sind marine Organismen, die wie kleine Fische aussehen. Sie haben die Form einer Spindel, die an beiden Enden ausgefranst und seitlich zusammengedrückt ist. Die Tiere sind 5– 7,5 cm lang, 6–8 mm hoch und 3–4 mm dick. Sie sind weiß bis cremefarben bzw. fast farblos. Es gibt weder einen Kopf noch einen Schädel noch Flossen. Eine am hinteren Teil des Tieres gelegene Hautfalte hat jedoch die Funktion einer caudalen Flosse. Der Mund ist umrahmt von starren Cirren. Die Mundhöhle ist kurz und führt
Ökologie Die Cephalochordata leben in Tiefen bis maximal 50 m. Sie können durch laterale Wellenbewegungen des Körpers kurze Zeit schwimmen. Meist findet man sie jedoch auf der Seite liegend oder schräg im Sand steckend, so dass nur der vordere Körperteil herausragt. Sie filtrieren im Meerwasser suspendierte organische Partikeln. Die Bewimperung der Kiemenspalten erzeugt einen Wasserstrom, der über den Mund eintritt, den Kiemendarm über die Kiemenspalten quert, dann in der Peribranchialkammer mündet und schließlich über den Kiemenporus wieder austritt. Dieses Wasser dient sowohl der Atmung als auch der Nahrungsaufnahme. Ein Endostyl sezerniert Schleim, der die Nahrungspartikel einfängt. Dieser Schleim wird zum Verdauungstrakt geleitet. Die Tiere sind getrenntgeschlechtlich. Die
zu einem großen Kiemendarm, der fast die ganze vordere Körperhälfte ausfüllt. Die Kiemenspalten sind bei der Larve nach außen geöffnet. Beim Adulten bildet die Körperwand eine vertikale Falte über der Kiemenregion und damit eine Peribranchialhöhle, die mit dem Außenmedium über den Kie-
Befruchtung ist extern: Sie findet im Meerwasser statt.
Spezielle Merkmale – Die Chorda ist über den Mund hinaus verlängert (Abb. 1).
menporus in Verbindung steht. Die Chorda ist kräftig: Sie erstreckt sich über die gesamte Länge des Tieres und bleibt während des gesamten Lebens bestehen. Auf beiden Seiten der Chorda besteht die quer gestreifte Muskulatur aus gebogenen, ineinander folgenden Segmenten (Myomeren).
– Im Inneren der Chorda bildet sich segmentierte Muskulatur (Abb. 2). Die Muskelplatten sind in der Chorda quer gestapelt. Jede Platte besteht aus ein oder zwei Muskelzellen mit kontraktilen Filamenten und entwickelt zum dorsal gelegenen Neuralrohr
Abb. 1. Kopfregion des Lanzettfischchens
417
8 Cephalochordata
Kapitel 11
cytoplasmatische Ausläufer, die über kleine Löcher in der Chordawand austreten.
Beispiele Lanzettfischchen (Branchiostoma lanceolatum), Asymmetron lucayanum Abb. 2. Struktur der Chorda
Artenzahl: 13 Ältestes bekanntes Fossil: Pikaia, unteres Kambrium (–530 Mio. Jahre), Palaeobranchiostoma hamatotergum, Unter-Perm Südafrikas. Heutiges Vorkommen: in allen Weltmeeren, vor allem in den Tropen und in wenig tiefen Küstengewässern
418
Craniota 9
Deuterostomia
Craniota Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Auftreten eines Schädels, der urprünglich aus Knorpelbögen und fibrösen Platten (Neurocranium) besteht. – Bei der Entstehung des zentralen und des axialen Nervensystems bilden sich in Längsrichtung dor-
Abb. 1. Ursprünglicher Schädelbau
sale Wülste aus. Von diesen Neuralleisten wandern Zellen an verschiedene Zielorte aus, die so genannten Neuralleistenzellen. Sie sind in Abbildung 2 punktiert dargestellt. – Sinnesorgane: Die Sinnesorgane (Riech-, Seh-, Hörorgane) bilden sich aus kleinen plattigen Bezir-
ken an der Oberfläche des Embryos (Abb. 2). – Die Mineralisierung des Skeletts erfordert Calciumphosphat.
Abb. 2. Frühe Differenzierungen im Embryo
419
9 Craniota Beispiele Myxinoidea: Inger (Myxine glutinosa) Vertebrata: Flussneunauge (Lampetra fluviatilis), Sternrochen (Raja radiata), Flussbarsch (Perca fluviatilis), Grünfrosch (Rana esculenta), Smaragdeidechse (Lacerta viridis), Hausmaus (Mus musculus), Schimpanse (Pan troglodytes)
420
Kapitel 11 Artenzahl: 51 066 Ältestes bekanntes Fossil: Myllokunmingia fengjiaoa und Haikouichthys ercaicunensis aus dem unteren Kambrium von Yunnan/China (–530 Mio. Jahre) sind vielleicht schon Vertebraten. Die Conodonten (Abb. 3) sind Cranioten: Die ältesten sind Eoconodontus und Proconodontus aus dem Ober-Kambrium von Texas (–500 Mio. Jahre). Ein weiterer unbestreitbarer Craniot ist das Fragment eines Arandaspiden aus dem unteren Ordovizium. Heutiges Vorkommen: weltweit
Myxinoidea 10
Deuterostomia
Myxinoidea Allgemeines Die Myxinoidea (Schleimaale) sind Cranioten von wurmförmigem Aussehen. Sie besitzen weder Kiefer noch Wirbel. Die Augen liegen unter der Haut. Sie haben nur eine einzige, caudal gelegene Flos-
Ökologie Die Myxinoidea leben ausschließlich marin. Sie graben sich gewöhnlich im Sediment ein und kommen nur heraus, um sich von kranken oder toten Fischen zu ernähren, die sie aufbeißen und aussaugen. Über Fortpflanzung und Entwicklung dieser Tiere ist wenig bekannt.
se. Der Mund enthält Zahnplatten, die durch das Zusammenspiel von Knorpeln und Muskeln betätigt wird. Die Zahnplatten, Skelettstücke und die damit verbundenen Muskeln bilden den Zungenappa-
anum 8 und bei E. stoutii 12 solcher Öffnungen. – Der Kopf trägt eine Nasopharyngialöffnung (Abb. 2 und 3a), die sich im Pharynx öffnet und durch
rat, der zum Angriff, zum Beißen und vor allem zum Aussaugen der Beute dient. Die Platten, die die Zähne tragen, sind den Kiefern der Gnathostomata nicht homolog.
die das Atemwasser aufgenommen wird. Sechs Taster umgeben den Mund (Abb. 2). – Ein besonderer Gang, über dessen Funktion nichts bekannt ist, ver-
Spezielle Merkmale – Der Kiemenapparat unterscheidet sich stark von dem der Wirbeltiere: Er besteht aus zahlreichen kleinen, zwiebelförmigen Taschen mit Kiemen (Abb 1.). Dort wird das Wasser durch mehrere Öffnungen ausgeschleust. Die Zahl der Kiemenöffnungen ist je nach Art unterschiedlich: So gibt es bei Myxine glutinosa 1, bei Paramyxine atami 6, bei Eptatretus okinose-
Abb. 1. Kiemenapparat von Myxine (a) und Eptatretus (b) (Dorsalansicht)
421
10 Myxinoidea
Kapitel 11
bindet den Oesophagus an der linken Seite des Tieres mit der äußeren Umgebung. – Zungenapparat: Eine komplexe Konstruktion aus Knorpelstücken und charakteristisch angeordneten Muskeln betätigt die Zahnplatten. Die Funktionsweise dieses Zungenbeins ist vereinfacht in Abbildung 3a und b dargestellt. Wenn der untere Muskel kontrahiert und der obere Muskel gestreckt ist, wird die Zahnplatte nach außen gestoßen (Abb. 2b und 3c).
Abb. 2. Kopfregion eines Myxinoiden
Beispiele Inger (Myxine glutinosa), Eptatretus stoutii, Paramyxine atami
Abb. 3. Aufbau und Funktion des Zungenapparates
Artenzahl: 22 Ältestes bekanntes Fossil: Myxineides gonorum, aus dem oberen Karbon von Monceaux-les-Mines. Die Myxinen tauchen erstmals in einer Epoche vor dem mittleren Kambrium (–540 Mio. Jahre) auf. Heutiges Vorkommen: kalte und gemäßigte Meere der nördlichen und südlichen Hemisphäre; einige Arten leben in größeren Tiefen tropischer Meere (Venezuela, Brasilien, Philippinen). 422
Vertebrata 11
Deuterostomia
Vertebrata Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Wirbel: Skelettteile umgeben die Chorda und folgen von vorne nach hinten ineinander (Abb. 1). Bei den später aufgetauchten Vertebraten verschwindet die Chorda zugunsten der Wirbel: Zwischen den Wirbeln bleiben nur Reste davon übrig (Abb. 2, rudimentäre Wirbelkörper). – Im Ohr gibt es zwei Bogengänge (Abb. 3b), die der Raumorientierung dienen. Die Myxinen haben dagegen nur einen Bogengang (Abb. 3a). – Auftreten einer äußeren Muskulatur am Auge. – Nervöse Steuerung des Herzens. – Es tritt ein Seitenlinienorgan auf, das mit Neuromasten (Rezeptoren) ausgerüstet ist. – Auftreten einer Milz und eines Pankreas.
Abb. 1. Chorda und rudimentäre Wirbel eines Neunauges
Abb. 2. Teil der Wirbelsäule von Lampanyctus leucopsarus (Teleostei).
Beispiele Petromyzonta: Flussneunauge (Lampetra fluvialis) Gnathostomata: Sternrochen (Raja radiata), Lachs (Salmo salar), Grünfrosch (Rana esculenta), Ringelnatter
(Natrix natrix), Griechische Landschildkröte (Testudo hermanni), Bankivahuhn (Gallus gallus), Hausmaus (Mus musculus) 423
11 Vertebrata
Abb. 3. Bogengänge im Ohr von Myxine (a) und Wirbeltieren (b)
Artenzahl: 50 911 Ältestes bekanntes Fossil: Myllokunmingia fengjiaoa und Haikouichthys ercaicunensis aus dem unteren Kambrium von Yunnan/China (–530 Mio. Jahre) sind ziemlich sicher Vertebraten. Den ersten unzweifelhaften Vertebraten gibt es in Form von Fragmenten des Arandapsiden Porophoraspis aus dem unteren Ordovizium Australiens. Sacabambaspis janvieri aus dem mittleren Ordovizium Boliviens (–470 Mio. Jahre) ist ein vollständig erhaltener Vertebrat. Heutiges Vorkommen: weltweit
424
Kapitel 11
Petromyzonta 12
Deuterostomia
Petromyzonta Allgemeines Die Petromyzonten (Neunaugen) sind kieferlose Wirbeltiere mit einem gestreckten Körper, ohne paarige Flossen. Der Kopf besitzt
einen Saugnapf, der den Mund umgibt. Auf der dorsalen Kopfseite sitzt die kleine Naso-HypophysalÖffnung des Nasensacks, in die das
Ökologie
Spezielle Merkmale
Die adulten Petromyzonten leben in marinem Milieu, während ihre Larven im Süßwasser leben. Die Petromyzonten sind meist Ectoparasiten und ernähren sich vom Blut von Fischen oder Walen. Die Neunaugen durchlaufen ein Larvenstadium und eine Metamorphose. Die Larve, die sich von Bakterien, Mikroalgen und anderen aquatischen Kleinlebewesen ernährt, ist lange Zeit als eigene, von den adulten Tieren unabhängige Art angesehen und als Ammocoetes (Querder) bezeichnet worden. Dieser Name dient heute nur noch als Bezeichnung für die NeunaugenLarve. Der Name Neunauge rührt von den 7 Kiemenöffnungen, der Augen- und der Nasenöffnung her.
– Spezielles Kiemenskelett (Kiemenkorb, Abb. 1): Die Skelettteile unterstützen das Kiemensystem – die Kiemenbögen (Abb. 2) liegen außerhalb der Kiementaschen.
Geruchsorgan mündet. Das Tier besitzt 7 seitliche Kiemenöffnungen, ein oder zwei Rücken- und eine Schwanzflosse.
– Das Geruchsorgan steht in Verbindung mit einem Blindgang, dem Hypophysenkanal (Nasensack) (Abb. 2) – Saugmund: Die Mundöffnng ist mit Hornzähnen auf Knorpelplatten besetzt (Abb. 3). Diese Teile
Abb. 1. Kiemenskelett der Neunaugen
425
12 Petromyzonta
Kapitel 11
bewegen sich mithilfe eines langen Kolbenknorpels (Abb. 1). Durch dessen Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen saugen die Tiere das Blut ihrer Opfer.
Beispiele Flussneunauge (Lampetra fluviatilis), Entosphenus tridentatus, Meerneunauge (Petromyzon marinus), Geotria australis, Ichthyomyzon unicuspis, Mordacia mordax
Abb. 2. Sagittalschnitt durch den Kopf von Petromyzon
Abb. 3. Saugmund der Neunaugen
Artenzahl: 38 Ältestes bekanntes Fossil: Haikouichthys ercaicunensis aus dem unteren Kambrium von Yunnan/China (–530 Mio. Jahre) ist eventuell ein Neunauge. Unzweifelhaft ein Neunauge ist Hardistiella montanensis aus dem Ober-Karbon von Montana/USA (–325 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: In Gewässern zwischen dem 30. nördlichen und dem 30. südlichen Breitengrad kommen diese Tiere nicht vor. In der südlichen Hemisphäre kommen vier Arten (der Gattungen Mordacia und Geotria) vor. In der nördlichen Hemisphäre (Eurasien und Nordamerika, Atlantischer Ozean und Pazifik) gibt es 34 Arten.
426
Gnathostomata 13
Deuterostomia
Gnathostomata Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Kiefer: Es tritt ein oberes, bilaterales Mandibulare auf (Abb. 1), das aus PterygopalatoquadratumKnorpeln besteht, sowie ein unteres, bilaterales Mandibulare, das aus Meckelschen Knorpeln aufgebaut ist. Das Ganze geht möglicherweise aus dem frühesten Kiemenbogen hervor, der entsprechend modifiziert ist. Die damit verbundene, direkt dahinter liegende Kiemenspalte bildet das Spiraculum (Spritzloch) – eine Öffnung, die mit dem Pharynx über den Spritzlochkanal in Verbindung steht. – Das Kiemenskelett liegt im Verhältnis zu den Kiemen innen (Abb. 2).
– Innenohr: Auftreten eines dritten Bogengangs (Abb. 3). Diese Gänge dienen der Orientierung. – Die Nervenfasern sind von Myelinscheiden umhüllt (Abb. 4). – Hämoglobin: Das Molekül trägt zwei Typen von Aminosäureketten: Das Hämoglobinmolekül ist tetramer und besteht aus 2 α- und 2 β -Ketten.
hermanni), Bankivahuhn (Gallus gallus), Hausmaus (Mus musculus), Delfin (Delphinus delphis)
Beispiele Chondrichthyes: Sternrochen (Raja radiata) Osteichthyes: Lachs (Salmo salar), Grünfrosch (Rana esculenta), Ringelnatter (Natrix natrix), Smaragdeidechse (Lacerta viridis), Griechische Landschildkröte (Testudo
Abb. 1. Kieferapparat
Abb. 2. Kiemenbögen eines Knorpel- (links) und eines Knochenfischs (rechts) (Dorsalansicht)
427
13 Gnathostomata
Kapitel 11
Abb. 3. Innenohrkonstruktion
Abb. 4. Nervenfaser mit Myelinscheide
Artenzahl: 50 873 Ältestes bekanntes Fossil: Acanthodii-Schuppen vom Ende des Ordovoziums Sibiriens (–430 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
428
Deuterostomia
Chondrichthyes 14
Chondrichthyes Allgemeines
429
14 Chondrichthyes Die Chondrichthyes (Knorpelfische) sind die Haie, Rochen und Chimären (Holocephali) – in erster Linie marine Tiere, die meist räuberisch leben und gute Schwimmer sind. Ursprünglich treten zwei Rückenflossen, eine Analflosse (die fallweise fehlen kann), eine caudale, heterocerce Flosse sowie zwei Paar paarige Brustflossen auf. Die Rochen stellen stark modifizierte, dorsoven-
Ökologie Die Chondrichthyes (Knorpelfische) sind in erster Linie marine Tiere. Sie leben pelagisch oder auf dem Boden und sind meist Räuber anderer Fische. Es gibt auch einige Süßwasserarten. Sie besitzen keine Schwimmblase: Sie schwimmen dauernd oder sinken ab. Einige Autoren vermuten, dass manche fossilen Gnathostomata – beispielsweise die Placodermata – Spuren von Lungen aufweisen, und dass die Ausbildung von Lungen daher ein ursprünglicher Zustand der Gnathostomata sein könnte. In diesem Falle hätten die Chondrichthyes ihre Lungen
Kapitel 11
tral abgeflachte Haie dar. Der Mund ist unterständig. Der Oberkiefer der Haie und Rochen (Elasmobranchii) ist niemals ganz mit dem Neurocranium verschmolzen und kann auf verschiedene Weisen mit diesem verbunden sein. Sie besitzen keine echten Knochen, denn ihr Skelett besteht aus Knorpel. Genau genommen zeigen die Chondrichthyer dennoch den ersten Anklang von Perichondral-
sekundär verloren. Einige Arten ernähren sich von Plankton (Riesenhai), andere von Mollusken (bestimmte Rochen). Die Tiere sind ovipar, ovovivipar oder sogar vivipar, die Ernährung erfolgt im Uterus, wo teilweise sogar Kannibalismus stattfindet.
Spezielle Merkmale – Eine Knorpelschicht, prismenförmig verkalkt mit charakteristischer Struktur, bedeckt den Skelett-Knorpel (Abb. 1). Abbildung 1a zeigt den Schnitt durch ein Skelettelement eines Chondrich-
Abb. 1. Schnitt durch ein Skelettelement (a) und prismatische Strukturen (b)
430
knochen, doch ist die knöcherne Substanz auf eine sehr dünne Kalkschicht reduziert, die stellenweise den Ptreygopalatoquadratum-Knorpel bedeckt. Zähne und Schuppen sind identisch aufgebaut. Die Tiere besitzen Schuppen vom Placoid-Typ: Dies sind winzige, spitzige Zähne mit einer hohlen Basis und einer Krone aus Dentin. Die Haut ist daher sehr rau und fast schmirgelpapierartig.
thyers. Die Pünktchen markieren den Knorpel, die Striche auf dessen Oberfläche weisen auf die prismatischen Strukturen hin. – Bei den männlichen Tieren besitzen die Bauchflossen spezielle Kopulationsorgane – die Mixopterygien oder Pterygopodien (Abb. 2).
Beispiele Kleingefleckter Katzenhai (Scylorhinus canicula), Weißer Hai (Carcharodon carcharias), Glatthai (Mustelus antarcticus), Dornhai (Squalus acanthias), Doggenhai (Heterodontus
Abb. 2. Kopulationsorgan (Mixopterygium oder Pterygopodium) eines männlichen Doggenhais (Heterodontus portusjacksoni)
Chondrichthyes 14
Deuterostomia portusjacksoni), Sägehai (Pristiophorus cirratus), Marmorzitterrochen (Torpedo torpedo), Sternrochen (Raja radiata), Seekatze (Chimaera monstrosa)
Artenzahl: 846 Ältestes bekanntes Fossil: Einzelne Schuppen aus dem Ober-Silur Zentralasiens (–410 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
431
15 Osteichthyes
Kapitel 11
Osteichthyes Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Knochen: Auftreten eines neuen Knochentyps – des chondralen Knochens (Ersatzknochen). Die Osteichthyes entwickeln zwei Sorten von echten Knochen. Der chondrale (Ersatz)Knochen ist das Ergebnis des Abbaus embryonaler Knorpel und deren Rekonstruktion aus Knochensubstanz. Diese Knochen bilden das Endoskelett mit Wirbelsäule, Neurocranium und Extremitätengürteln. Die Deck- oder Hautknochen entstehen dagegen direkt aus embryonalem Bindegewebe (desmale Knochenbildung). – Es treten Gruppen von Knochenelementen desmalen Ursprungs auf, insbesondere die Maxillar-, Praemaxillar- und Dentale-Knochen, die alle Zähne tragen. Die Elemente desmalen Ursprungs sind in Abbildung 1 am Beispiel des Kahlhechtes (Amia calva) weiß dargestellt. – Der Schultergürtel – die Gesamtheit der Knochen, die die vorderen Gliedmaßen mit der Wirbelsäule verbinden – trägt auch Hautknochen (Abb. 1). 432
– Der erste und der zweite Kiemenbogen sind ventral über das Basibranchiale gelenkig miteinander verbunden. – Es treten Luftsäcke auf, die mit dem Verdauungstrakt verbunden sind. Diese Säcke sind ursprünglich Lungen. Sie können jedoch eine Schwimmblase bilden, die als hydrostatisches Organ dient. Einige Autoren sind der Ansicht, dass fossile Wirbeltiere wie die Placodermi
aus dem Devon ebenfalls solche Säcke besessen haben müssen. Wenn dies der Fall war, würden diese Säcke ein typisches Merkmal der Gnathostomata – und nicht der Osteichthyes – darstellen; die Chondrichthyes hätten dann sekundär ihre Lungen verloren. – Die Haut der Flossen wird von Strahlen (=Lepidotrichen) gestützt, die aus Hautknochen bestehen.
Abb. 1. Kopfskelett des Kahlhechtes (Amia calva): Hautknochen weiß ang = Angulare, ant = Anteorbitale, cl = Cleithrum, de = Dentale, dsp = Dermosphenoid, esc = Extrascapula, fr = Frontale, io = Infraorbitale, iop = Interoperculare, la = Lacrimale, mx = Maxillare, na = Nasale, op = Operculare, pa = Parietale, pcl = Postcleithrum, pmx = Praemaxillare, po = Postorbitale, pro = Präoperculare, pt = Posttemporale, pto = Pteroticum, san = Supraangulare, scl = Supracleithrum, sg = Schultergürtel, smx= Supramaxillare, sop = Suboperculare
Osteichthyes 15
Deuterostomia
Beispiele Sarcopterygii: Afrikanischer Lungenfisch (Protopterus dolloi), Grünfrosch (Rana esculenta), Smaragdeidechse (Lacerta viridis), Hausmaus (Mus musculus), Hauskatze (Felis catus) Actinopterygii: Aal (Anguilla anguilla), Flussbarsch (Perca fluviatilis), Lachs (Salmo salar)
Artenzahl: 50 027 Ältestes bekanntes Fossil: Andreolepis hedei, Ober-Silur Schwedens (–420 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
433
16 Sarcopterygii
Kapitel 11
Sarcopterygii Allgemeines Die Sarcopterygier umfassen sowohl die zwei- und vierbeinigen Wirbeltiere als auch die rezenten und fossilen aquatischen Formen. Letztere stellen bei den Wirbeltieren den Übergang zum Landleben
Ökologie Die heutigen Formen leben vor allem terrestrisch. Sie besiedeln alle Lebensräume, auf allen Breitengraden. Zahlreiche Fossilien aquatischer Formen sind bekannt. Die heutigen vom Wasser abhängigen Arten sind 434
dar. Die Eroberung dieses neuen Milieus bringt eine große Formenvielfalt mit sich, beispielsweise die Vögel, die Frösche und die Säugetiere. Die paarigen Flossen sind monobasal (Auftauchen von
vor allem die Dipnoi (subtropisches Süßwasser), Coelocanthini (Küsten der Komoren-Inseln, Südafrikas und der Sulawesi-Inseln) und die Wale (kommen in allen Meeren vor; Rückkehr von Säugetieren ins Wasser). Außerdem sei hier noch auf weitere Fälle sekundärer Wiederanpassung
Humerus und Femur), fleischig (daher die Bezeichnung „Sarcopterygier“; griech. sarkos = Fleisch) und sehr beweglich.
an den Lebensraum Wasser fossiler (Ichthyosaurier, Placodonta, Sauropterygier, Mosasaurier) und rezenter Sarcopterygier (Seeschlangen) hingewiesen. In diesen Fällen wird, wie bei den Walen, die Lungenatmung beibehalten.
Sarcopterygii 16
Deuterostomia
Spezielle Merkmale – Das Flossenskelett (Gliedmaßen) ist monobasal: Es ist mit dem Extremitätengürtel durch ein einziges Element verbunden. Die Gürtel sind besondere Skelettabschnitte (beispielsweise das
Becken), die die Gliedmaßen mit der Wirbelsäule verknüpfen. Abbildung 1 zeigt die Endoskelett-Teile der Brustflossen einiger Sarcopterygier und eines NichtSarcopterygiers (Stör). Das Metapterygium der Nichtsarcopterygier ist schraffiert dargestellt.
Man nimmt an, dass es der monobasalen Brustflosse der Sarcopterygier homolog ist. – Die Zähne sind von echtem Zahnschmelz überzogen. – Kiemenbögen: Der letzte (fünfte) Kiemenbogen ist ventral mit dem vorletzten (vierten) verbunden. Ein Kiemenbogen ist eine vertikale Aufeinanderfolge von knöchernen Stielen, die dorsoventral hintereinander angeordnet sind. Sie dienen als Kiemenskelett. Bei den Sarcopterygiern gibt es ursprünglich fünf Kiemenbögen (Abb. 2). Bei dem Actinopterygier sind der vierte und fünfte Kiemenbogen nicht gelenkig miteinander verbunden. Bei den beiden Sarcopterygiern ist der ventrale Verknüpfungspunkt zwischen dem vierten und fünften Kiemenbogen mit einem Pfeil markiert.
Beispiele
Abb. 1. Endoskelett-Teile der Brustflossen vom Stör (a), einem Actinistier (Coelocanthini; b), dem Lungenfisch Neoceratodus (c) und einem Tetrapoden (Mensch; d)
Coelocanthini: Quastenflosser (Latimeria chalumnae), Afrikanischer Lungenfisch (Protopterus dolloi), Grünfrosch (Rana esculenta), Sma-
Abb. 2. Dorsalansicht des ventralen Kiemenskeletts von Pternisculus (fossiler Actinopterygier; a) sowie zweier Sarcopterygier, dem Coelocanther Latimeria (b) und dem Lungenfisch Neoceratodus (c)
435
16 Sarcopterygii ragdeidechse (Lacerta viridis), Ringelnatter (Natrix natrix), Griechische Landschildkröte (Testudo hermanni), Haushund (Canis familiaris), Hausmaus (Mus musculus), Hauskatze (Felix catus), Bankivahuhn (Gallus gallus)
436
Kapitel 11 Artenzahl: 26 315 Ältestes bekanntes Fossil: Psarolepis romeri aus dem oberen Silur Chinas und Vietnams (–420 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
Actinopterygii 17
Deuterostomia
Actinopterygii Allgemeines Die Actinopterygii (Strahlenflosser) sind für die meisten Menschen „die Fische“ schlechthin (ohne Haie und Rochen, Coelacanthini und Dipnoi). Die Schwimmblase – ein mit Luft gefülltes hydrostati-
sches Organ – ist im Allgemeinen gut ausgebildet. Die Schuppen sind charakteristisch und fallweise von einer harten Spezialschicht, dem Ganoin, bedeckt (Ganoidschuppen). Diese sind ursprünglich rau-
Ökologie
Spezielle Merkmale
Die Actinopterygier stellen fast die Hälfte aller Wirbeltierarten. Sie besiedeln alle aquatischen Habitate und kommen von der Tiefsee (11 000 m) bis in die höchst gelegenen Gewässer (bei 4500 m) vor, ferner in heißen Quellen (43 °C) bis hin zu sehr kalten Gewässern (–1,8 °C). Sie sind morphologisch, ökologisch und im Verhalten außerordentlich vielgestaltig.
– Jeder Zahn trägt eine Art Kapuze aus einem speziellen, mineralisierten Material, dem Zahnschmelz (Abb. 1). – Verlust der vorderen Rückenflosse (Abb. 2): Die verbleibende Flosse ist der hinteren Rückenflosse der Chondrichthyes homolog. Sie kann sich sekundär unterteilen. – Die Schuppen sind durch ein Hakensystem gelenkig miteinander verbunden (Abb. 3).
tenförmig verdickt oder platt und von beachtlicher Größe. Bei den späteren Actinopterygiern werden die Schuppen dünner. Die Flossen besitzen typische Strahlen – daher auch der Name „Strahlenflosser“.
Abb. 1. Zähne mit Zahnschmelzkappe
437
17 Actinopterygii
Kapitel 11
Beispiele Senegalflösselhecht (Polypterus senegalus), Knochenhecht (Lepisosteus osseus), Stör (Acipenser baeri), Aal (Anguilla anguilla), Lachs (Salmo salar), Thunfisch (Thunnus thynnus), Petersfisch (Zeus faber), Flussbarsch (Perca fluviatilis)
Abb. 2. Actinopterygier tragen nur eine Rückenflosse.
Abb. 3. Hakenverbindung der Schuppen
Artenzahl: 23 712 Ältestes bekanntes Fossil: Schuppen von Andreolepis und Lophosteus, Ober-Silur Europas (–420 Mio. Jahre) sowie Naxilepis, Ober-Silur Chinas (–420 Mio. Jahre). Skelette: Cheirolepis, Mittel-Devon Schottlands und Kanadas (–380 Mio. Jahre), Stegotrachelus, Moythomasia und Orvikuina, Mittel-Devon Schottlands, Deutschlands und Estlands (–380 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
438
12 Actinopterygii 1
Actinopterygii 442
KAPITEL 12 4
siehe Kapitel 11, Seite 434 2
440
7
Halecostomae 454
8
Halecomorpha 455
Cladistia 443 Beispielart: Nilflösselhecht Polypterus bichir Größe: bis zu 65 cm
3
Chondrostei 447 Beispielart: Stör Acipenser sturio Größe: 100 cm
Actinopteri 445
5
Neopterygii 450
6
Ginglymoda 452 Beispielart: Knochenhecht Lepisosteus osseus Größe: 180 cm
Beispielart: Kahlhecht Amia calva Größe: 50–87 cm 9
Teleostei 457 Beispielart: Petersfisch Zeus faber Größe: bis zu 70 cm siehe Anhang 7, Seite 660
Actinopterygii
Kapitel 12
441
1 Actinopterygii
Kapitel 12
Actinopterygii Die Actinopterygii machen die Hälfte der heute lebenden Wirbeltierarten aus. Sie umfassen vier reliktäre Verwandtschaftsgruppen sowie eine riesige Gruppe, die Teleostei, die alleine fast die Gesamtheit des Taxons stellen und damit nahezu die Hälfte aller Cranioten. Vier Gruppen werden als Relikte angesehen, da sie im Gegensatz zu ihrer heute geringen Bedeutung fossil eine beachtliche Diversität aufweisen. Die Actinopterygii erlebten ihren ersten „Diversitäts-Boom“ zu Beginn des Karbons, und dann zusammen mit den Teleostei eine zweite explosive Formentfaltung im Jura. Die Cladistia umfassen die Polyptera – Tiere mit Lungen, bei deren Klassifizierung sich die Zoologen lange Zeit schwer taten. Mal bei den Sarcopterygii eingeordnet, mal bei der paraphyletischen Gruppe Crossopterygii und gelegentlich bei den „Brachioptterygii“ einsortiert, sind sie seit dem Beginn der 1950er-Jahre klassifiziert. Seit Einführung der kladistischen Analyse auch in die Ichthyologie, betrachtet man die Cladistia als
442
eine der frühesten ActinopterygiiLinien. Die Chondrostea (Störe und Löffelstöre) haben dagegen eine stabile phylogenetische Stellung. Sie stellen die Reste einer ehemals artenreichen Gruppe dar und sind heute in ihren natürlichen Habitaten vom Aussterben bedroht. Die Ginglymoda (Knochenhechte) und die Halecomorpha, von denen es heute als einzigen Repräsentanten nur noch den Kahlhecht oder Schlammfisch (Amia calva) gibt, wurden früher zu den Holostei gezählt. Die kladistische Analyse ergab, dass diese Gruppe paraphyletisch ist. Wenn die Holostei tatsächlich ein eigenes Taxon darstellten (dem sie seinerzeit aufgrund einer nicht ausreichenden Methode zugeordnet wurden), würden sie unter dem Einfluss der systematischen Phylogenie (Kladistik) und der Entdeckung neuer Fossile heute ironischerweise wieder vor derselben Situation stehen – doch dieses Mal aus guten Gründen. In Wirklichkeit stellt die Entdeckung der Fossilien die Merkmale in Frage, die die Paraphylie der Holostei
beweisen – die Holostei könnten daher gut paraphyletisch sein. Mehrere kladistische Analysen liefern jedoch heute widersprüchliche Ergebnisse oder werfen Fragen auf. Andererseits gibt es seitens der molekularen Phylogenien keine handfeste und reproduzierbare Antwort auf diese Frage. Daher haben wir die klassische phylogenetische Interpretation beibehalten. Was die Teleostei betrifft, so war ihre Phylogenie zu Beginn der 1960er Jahre noch nahezu unbekannt. Die Einführung der systematischen Phylogenie in die Ichtyologie Anfang 1967 brachte innerhalb von fünf Jahren einen spektakulären Fortschritt des Verständnises hinsichtlich der Diversität dieses großen Kladons. Die Gruppe war von jeher reich an Merkmalen, doch mangelte es an guten Methoden, um sie zu analysieren. Heute bleibt noch viel zu tun, um die obersten Äste des Teleostei-Stammbaums aufzuklären: die Untersuchung der Acanthomorpha, die rund 14 000 Arten umfassen – und damit mehr als die Hälfte aller Teleosteer.
Cladistia 2
Actinopterygii
Cladistia Allgemeines In der heutigen Fauna werden die Cladistia durch die Polyptera (Flösselhechte) repräsentiert – spezialisierte Überlebende der früher zahlreich vertretenen alten Actinopterygii. Die Tiere sind lang gestreckt bis aalförmig. Sie können bis zu 1,20 m lang werden. Ihre strahlige Brustflosse ist fleischig
und mit einem speziellen Skelett ausgerüstet, das sich von den Flossen der Sarcopterygii unterscheidet. Ihr Darm enthält eine an die Haie erinnernde Spiralfalte. Die Adulten können mithilfe ihres vaskularisierten Lungenpaars Luft atmen. Die Larven haben wie diejenigen der Amphibien externe
Kiemen. Alle diese ursprünglichen Merkmale haben die Zoologen lange Zeit verwirrt. Aus diesem Grund wurden die Cladistia früher außerhalb der Actinopterygii eingeordnet: in ein eigenes Taxon außer- oder innerhalb der Sarcopterygii.
Ökologie Die Cladistia kommen im warmen Süßwasser Afrikas vor. Sie leben räuberisch und jagen in der Dämmerung. Sie lauern ihrer Beute auf – und das ist so gut wie jedes im Wasser lebende Tier. Die Cladistia leben beim Austrocknen ihres Wohngewässers eingegraben im Schlamm und können auch außerhalb des Wassers sowie in Gewässern mit nur geringem Sauerstoffgehalt überleben. In diesem Falle benutzen sie zur Atmung ihre Lungen. Der erste in den westlichen Naturwissenschaften bekannte Polypterus wurde während
Abb. 1. Pinnula in Seitenansicht (a) und Einzelstachel (b) von hinten
443
2 Cladistia des Ägypten-Feldzugs Napoleons von Geoffroy Saint-Hilaire entdeckt.
Spezielle Merkmale – Die Rückenflosse weist voneinander unabhängige Strahlen auf. Sie ist in einzelne kleine „Fahnen“ (= Pinnulae) unterteilt, die vorderseitig jeweils einen Stachel tragen (Abb. 1). – Das Parasphenoid (= tragender Knochen, der von der Schädelba-
Kapitel 12 sis ausgeht und auf die Unterseite des Mauls trifft) ist weit nach hinten verschoben und umgibt den Aortakanal (Abb. 2). Bei den ersten Actinopterygier-Gruppen erstreckte sich das Parasphenoid nur bis zur Ohrregion.
Beispiele Flösselhechte (Polypterus senegalus, P. bichir, P. palmas), Flösselaal (Calamoichthys calabaricus) Abb. 2. Schädel eines Flösselhechts
Artenzahl: 10 (je nach Autor bis 15) Ältestes bekanntes Fossil: Polypterus, Ober-Kreide, Bolivien (–70 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: Zentralafrika und Nilbecken
444
Actinopteri 3
Actinopterygii
Actinopteri Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Luftsäcke: Ursprünglich haben alle Osteichthyes (Knochenfische) Luftsäcke, die mit dem Verdauungstrakt verknüpft sind. Bei den Actinopteri sind diese Luftsäcke dorsal mit dem Verdauungstrakt verknüpft. Ursprünglich stellen sie Lungen dar, doch können sie sich bei einigen Actinopteri (den Chondrostei und den Teleostei) zu einem gasgefüllten Schwimmorgan – der Schwimmblase – umwandeln (Abb. 1). Bei den Actinopteri (Abb. 1a) ist die unpaare Schwimmblase oder eine Lunge dorsal mit dem Verdauungstrakt verknüpft. Einige Teleostei haben diese Verbindung sekundär verloren. Bei den Cladistia (Abb. 1b) besteht eine ventrale Verbindung zum Verdauungstrakt; die paarigen Lungen ziehen nach hinten und auf die Dorsalseite. Bei den Dipnoi (Lungenfische, Abb. 1c) ist die Verbindung ventral (bei Propterus) oder dorsal (bei Neoceratodus). Bei den Tetrapoden und Coelacanthus (Abb. 1d) sind die paarigen Lungen ventral mit dem
Verdauungstrakt verknüpft und ziehen dann seitlich am Verdauungstrakt vorbei auf die Ventralseite.
– Jede Flosse trägt auf ihrem vordersten Strahl modifizierte Schuppen (Abb. 2). – Supraangulare: Im Kiefer tritt ein neuer Knochen auf (Abb. 3).
Beispiele Chondrostei: Störe (Acipenser baeri, A. sturio)
Abb. 1. Anordnungen der Luftsäcken zum Verdauungstrakt bei Actinopteri (a), Cladistia (b), Dipnoi (c) sowie Tetrapoden und Coelacanthus (d)
Abb. 2. Flossenstrahlschuppe isoliert (a) und positioniert (b)
445
3 Actinopteri
Kapitel 12
Neopterygii: Knochenhecht (Lepisosteus osseus), Aal (Anguilla anguilla), Hecht (Esox lucius), Guppy (Poecilia reticulata), Thunfisch (Thunnus thynnus), Petersfisch (Zeus faber)
Abb. 3. Kiefer von Amia calva (Zungenseite)
Artenzahl: 23 702 Ältestes bekanntes Fossil: Stegotrachelus, Moythomasia und Orvikuina, Mittel-Devon (–380 Mio. Jahre) Schottlands, Deutschlands und Estlands Heutiges Vorkommen: weltweit
446
Chondrostei 4
Actinopterygii
Chondrostei Allgemeines Die Chondrostei umfassen die Störe (Acipenseridae) und die Löffelstöre (Polyodontidae). Diese großen Wirbeltiere sind die Überlebenden einer sehr alten Fischfauna. Die früher weit verbreiteten Fische besitzen strahlige Flossen. Charakteristisch ist das knorpelige Skelett
Ökologie Zu den Chondrostei gehört der größte Süßwasserfisch der Welt, der Hausen (Huso huso). Das größte jemals gefangene Exemplar war 8 m lang und wog 1,3 t. Einige Chondrostei verbringen einen Teil ihres Lebens im Meer. Einige Arten wie der Amerikanische Löffelstör ernähren sich
– daher auch der Name der Gruppe (griech. chondro = Knorpel). Die Chorda dorsalis ist kräftig, die Wirbelkörper sind noch wenig entwickelt. Die Haut ist fast nackt – nur bei den Acipenseridae ist sie mit vereinzelten Reihen großer, schildförmiger Knochenstücke
von Krebsen und anderen kleinen, im Wasser schwimmenden Beutetieren. Andere wie der Chinesische Löffelstör ernähren sich von Fischen und im Wasser lebenden Mollusken. Alle diese Fische sind in ihren natürlichen Lebensbereichen durch den Einfluss des Menschen und aufgrund des früher exzessiven Fischfangs mehr oder weniger vom Aussterben
ausgestattet. Der Mund liegt ventral. Das Operculare (= Gesamtheit der Knochen des Kiemendeckels) ist spezialisiert. Die Polyodontiden haben ein flaches Maul, das die Form eines abgerundeten Löffels hat. Die Acipenseridae haben dagegen ein spitzes Maul.
bedroht: Ihr Fleisch und ihre Eier sind seit langem sehr begehrt: Der Kaviar besteht aus den Eiern der Störarten Acipenser gueldenstaedti, A. stellatus, A. baeri, A. transmontanus, ferner vom Hausen (Huso huso) und seit mehr als 30 Jahren von Polyodon spathula.
447
4 Chondrostei
Kapitel 12
Spezielle Merkmale – Die Tiere tragen als Sinnesorgane dienende Barteln vor der Mundregion (Abb. 1). – Die Chondrostei besitzen extrem modifizierte, häufig zahnlose Kiefer. Einige Knochen des Oberkiefers (Maxillare, Praemaxillare und Dermopalatinum) sind miteinander verwachsen – Knochen also, die nicht am Neurocranium befestigt sind (Abb. 2). – Das Interhyale ist stark ausgeprägt. Die Hyoidbögen (Skelettbögen hinter dem Kiefer) einiger Osteichthyes zeigt Abbildung 3. Bei den Chondrostei ist das Interhyale enorm groß und hat die Funktion des Symplecticums – es dient als Aufhängung des Kiefers und des Kiemendeckels.
Abb. 1. Kopf von Scaphirhynchus platorhynchus
Beispiele Störe (Acipenser sturio, A. baeri), Sterlet (A. stellatus), Hausen (Huso huso), Löffelstör (Polyodon spathula), Nasenstör (Psephurus gladius), Schaufelstör (Scaphirhynchus platorhynchus), Pseudoscaphirhynchus kaufmanni
Abb. 2. Seitenansicht des Schädels von Acipenser (a) und Polyodon (b)
448
Actinopterygii
Chondrostei 4
Abb. 3. Hyoidbögen eines fossilen Sarcopterygiers (Eusthenopteron; a), des Quastenflossers (Latimeria; b), Chondrostiers (Acipenser; c) und des Actinopterygiers (Amia; d)
Artenzahl: 26 Ältestes bekanntes Fossil: Errolichthys aus der unteren Trias Madagaskars (–235 Mio. Jahre) ist eventuell ein Chondrostier; ferner Chondrosteus, aus dem unteren Jura Englands (–200 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: Nordamerika und Eurasien
449
5 Neopterygii
Kapitel 12
Neopterygii Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Hautknochen der Rückenflosse (= Flossenstrahlen, Lepidotrichen) sind gleichzahlig mit ihren Sockeln (= Flossenträgern, Pterygiophoren) (Abb. 1).
– Das Symplecticum, ein neuer Knochen, übernimmt im Gelenk die Aufhängung des Kiefers und des Kiemendeckels (Abb. 2). – Hyomandibulare: Der oberste Knochen des Hyoidbogens (= Hyomandibulare), für die Aufhän-
gung des Kiefers am Schädel, hat einen Ausläufer, der mit dem Knochen Operculare des Kiemendeckels in Verbindung steht (Abb. 2, Pfeil).
Abb. 1. Flossenstrahlen und ihre knöchernen Sockel von Lampanyctus leucopsarus (Teleostei; a) sowie isolierter Strahl vom Hecht (Esox lucius) in Seitenansicht (b)
450
Neopterygii 5
Actinopterygii
Beispiele Ginglymoda: Lepisosteus osseus Halecostomae: Kahlhecht (Amia calva), Aal (Anguilla anguilla), Hecht (Esox lucius), Guppy (Poecilia reticulata), Thunfisch (Thunnus thynnus), Petersfisch (Zeus faber)
Abb. 2. Symplecticum der Makrele
Artenzahl: 23 676 Ältestes bekanntes Fossil: Elonychthys, ein Palaeoniscide aus dem UnterKarbon (–355 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
451
6 Ginglymoda
Kapitel 12
Ginglymoda Allgemeines Die Ginglymoden umfassen die Lepisosteidae (Knochenhechte) – ziemlich große (bis zu 6 m lange), im Süßwasser lebende Wirbeltiere mit langgestrecktem Körper. Sie sind mit einem Schuppenpanzer bedeckt. Die Schuppen sind rautenförmig, dick, grenzen aneinan-
Ökologie Diese Fische sind große, im Süßwasser lebende Räuber. Ihre Lebensweise ähnelt der des Hechts. Verborgen in der Unterwasservegetation greifen sie ihre Beute (andere Fische) als Stoßjäger aus dem Hinterhalt. Wenn sie in sauerstoffarmes Wasser gelangen, können sie Luft von der Oberfläche in die Schwimmblase atmen. Diese ist gut mit Blutgefäßen versorgt und kann so die Funktion einer Lunge übernimmt. Knochenhechte laichen im Frühjahr in flachem, vegetationsreichem Wasser mit geringer Strömung. Das restliche Jahr lebt der Fisch in Gruppen im tieferen Wasser und überwintert bodennah. Der Alligator-Knochenhecht wird im Süden der USA als 452
der und sind gelenkig miteinander verbunden. Sie sind mit einer Schutzschicht (Ganoin) überzogen, die dem Fisch ein porzellanartiges Aussehen und Elfenbeinglanz verleiht. Der Kopf des Tieres endet in einer spitzen Schnauze, die zahlreiche Zähne enthält und
„Süßwasser-Hai“ bezeichnet. Bei den Fischern ist er nicht besonders beliebt, denn einerseits ist er nicht essbar, und andererseits zerstört er Fischernetze, um an die Fische heranzukommen.
Spezielle Merkmale – Das Infraorbitale ist bezahnt (Abb. 1).
Abb. 1. Bezahntes Infraorbitale (farbig)
an eine Krokodilschnauze erinnert. Rücken- und Afterflosse sind symmetrisch, nach hinten ausgerichtet und liegen einander gegenüber. Wirbeltiere, die den Ginglymoden ähneln, waren im Perm (–250 Mio. Jahre) sehr zahlreich.
– Die Wirbel sind opisthocoel und gelenkig verbunden: Die Vorderseite des Wirbelzentrums ist konvex, die Rückseite konkav. Abbildung 2 zeigt, wie aus einem amphicoelen Wirbel durch Fusion des Vorderendes mit einem linsenförmigen Chordateil ein opistocoeler Wirbel entsteht.
Ginglymoda 6
Actinopterygii Artenzahl: 7
Ältestes bekanntes Fossil: Paralepisosteus, Unter-Kreide Westafrikas (–130 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: die großen Seen Nord- und Mittelamerikas bis Panama Abb. 2. Längsschnitte durch die Wirbelmitte
Beispiele Knochenhechte (Lepisosteus tristoechus, L. osseus, L. platyrhincus)
453
7 Halecostomae
Kapitel 12
Halecostomae Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Das Maxillare im Oberkiefer ist beweglich (Abb. 1). Die Beweglichkeit des Maxillare ist hervorgehoben (Pfeile). – Interoperculare: Neu ist ein weiterer Kiemendeckel-Knochen (Abb. 2). – Verlust des Quadratojugale, eines hinten im Oberkiefer liegenden Knochens: Es fusioniert mit einem anderen Knochen, dem Quadratum (Abb. 2).
Abb. 2. Interoperculare der Makrele
Beispiele Halecomorpha: Kahlhecht (Amia calva) Teleostei: Aal (Anguilla anguilla), Hecht (Esox lucius), Guppy (Poecilia reticulata), Thunfisch (Thunnus thynnus), Petersfisch (Zeus faber), Kliesche (Limanda limanda) Artenzahl: 23 669 Ältestes bekanntes Fossil: Acenthrophorus, Ober-Perm (–255 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit 454
Abb. 1. Unbewegliches Maxillare beim Polypterus-Schädel (Cladistia, a) und knöcherner Kopf eines Teleosteers (b)
Halecomorpha 8
Actinopterygii
Halecomorpha Allgemeines Während des Paläo- und des Mesozoikums bevölkerten fünf Familien der Halecomorphen die Gewässer. Heute gibt es von diesen Fischen nur noch eine einzige Art, den Kahlhecht (Amia calva). Das Tier hat einen gestreckten Körper und eine lange, stachellose Rückenflosse, die bei der Fortbewegung leichte undulierende Bewegungen ausführt. Tatsächlich kann jeder der 42–53 Flossenstrahlen durch einen jeweils eigenen Muskel bewegt
werden. Der Kopf ist mit schweren Knochenplatten gepanzert. Die Schwanzflosse ist abgerundet. Die
Schwimmblase kann unter bestimmten Umständen die Funktion einer Lunge übernehmen.
Ökologie Der Kahlhecht lebt im stehenden Süßwasser. Das Tier ist ein gefräßiger Räuber. Die Effizienz der Beutefangtechnik mit dem Mund wird durch eine besondere Anordnung des Maxillare verstärkt: Dieser Knochen nimmt während des extrem schnellen Angriffs eine vertikale Position ein. Dank der Lungen kann Amia Luft atmen. Das Tier hält Winterruhe.
Abb.1. Schädel und Kiefergelenk des Kahlhechtes
Spezielle Merkmale – Symplecticum und Quadratum sind gemeinsam am Aufbau des Kiefergelenks beteiligt. Abbildung 1 zeigt eine Teilansicht des Kiefergelenks von Amia – oberflächliche Hautknochen wurden entfernt. Wenn das Symplecticum zusammen mit dem Quadratum das Kiefergelenk bildet, nimmt es die tiefe Position ein. Im Vergleich dazu ist die Stellung dieser Knochen bei einer Makrele dargestellt (Abb. 2), einem späten Teleosteer:
Abb. 2. Schädel und Kiefergelenk einer Makrele
455
8 Halecomorpha Das Symplecticum tritt im Verhältnis zum Kiefergelenk in den Hintergrund.
Beispiele Kahlhecht (Amia calva)
456
Kapitel 12 Artenzahl: 1 Ältestes bekanntes Fossil: Ospia und Broughia, Basis der Trias (–245 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: USA
Teleostei 9
Actinopterygii
Teleostei Allgemeines Die Teleostei sind eine extrem breit gefächerte Gruppe der Actinopterygier und stellen die überwältigende Mehrheit der heutigen Fische und an Artenzahl etwa die Hälfte aller Wirbeltiere. Diese Tiere haben eine typische Art des Beutefangs mit dem Mund entwickelt, die jedoch bei den vielen Arten dieses umfangreichen Taxons unterschiedliche Varianten erfahren hat. Der Mechanismus des
Ökologie Die Teleostei stellen nahezu die Hälfte aller Wirbeltierarten dar. Sie besiedeln sämtliche marinen und Süßwasser-Habitate zwischen 11 000 m Meerestiefe und 4500 m Höhe, heiße
Beutefangs unterscheidet sich bei den frühen Teleostei von dem anderer Actinopterygii. Im Allgemeinen erfolgt der Beutefang durch einen passiven Saugvorgang – eine Volumenveränderung in der Orobranchialkammer (Mund-Kiemen-Höhle). Das Volumen wird durch spezielle Bewegungen der Wände dieser Kammer (Anhebung des Kopfes, Absenken des Kiefers, Zusammendrücken der Kiemen-
Quellen (bis 43 °C) ebenso wie sehr kaltes Wasser der Polarregionen (–1,8 °C). Morphologie, Ökologie und Verhalten sind je nach Art stark unterschiedlich.
deckel-Aufhängung, Seitwärtsbewegungen der Kiemendeckel) plötzlich erhöht. Diese Manöver bewirken einen plötzlichen Druckabfall. Dadurch strömt Wasser ein – und mit ihm die Beute. Bei den späteren Teleosteern spezialisiert sich diese Fangmethode weiter: Der Oberkiefer wird in seiner Gesamtheit protraktil – und kann ganz ausgefahren werden.
Spezielle Merkmale – Im Oberkiefer wird das Praemaxillare beweglich. Abbildung 1 zeigt die beweglichen Maxillaren und das unbewegliche Praemaxillare im Schema eines Tele457
9 Teleostei
Kapitel 12
Abb. 1. Schädelschema der Teleostei (a, b) und des Karpfens (c)
▲ Abb. 2. Heterozerke Schwanzflosse des Störs (a), homozerke Schwanzflosse (b) und Caudalskeletts einer Forelle (c)
ostei-Schädels. Extrem ist die Beweglichkeit beider Knochen beim Karpfen (Abb. 1c, Pfeile). – Im Caudalskelett trennen sich die Uroneuralbögen vom Wirbelkörper ab und bilden Paare kleiner Stäbchen, die paarigen Uroneuralia (Abb. 2). – Die Schwanzflosse ist symmetrisch (Abb. 2). Bei den anderen
458
Actinopterygiern sind die obere und die untere Hälfte des Schwanzes unterschiedlich – die Schwanzflosse ist daher asymmetrisch. Die symmetrische = homozerke Schwanzflosse der Teleostei entstand durch die gleichzeitige Entwicklung der Uroneuralia und der Hypuralia. Genau genommen bleibt die Schwanzflosse jedoch
solange asymmetrisch, wie die Wirbelsäule im oberen Lappen endet. – Die Asymmeterie der Schwanzflosse resultiert außerdem aus der Torsion der caudalen Achse der Wirbelsäule im ersten Pleurocentrum.
Teleostei 9
Actinopterygii
Beispiele Nilhecht (Mormyrus mormyrus), Aal (Anguilla anguilla), Hering (Clupea harengus), Schleie (Tinca tinca), Katzenwels (Ictalurus melas), Hecht
(Esox lucius), Lachs (Salmo salar), Meerforelle (Salmo trutta trutta), Guppy (Poecilia reticulata), Thun-
fisch (Thunnus thynnus), Petersfisch (Zeus faber), Kliesche (Limanda limanda), Flussbarsch (Perca fluviatilis)
Artenzahl: 23 668 Ältestes bekanntes Fossil: Pholidophorus, untere Trias (–195 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
459
13 Sarcopterygii 1
Sarcopterygii 462
KAPITEL 13 9
siehe Kapitel 11 Seite 434 2
Actinistia 463 Beispielart: Quastenflosser Latimeria chalumnae Größe: 150 cm
10
16
Lepidosauria 494
Beispielart: Feuersalamander Salamandra salamandra Größe: 25 cm
17
Squamata 496
Beispielart: Ruderfrosch Rhacophorus omeimontis Größe: bis zu 8 cm
Rhipidistia 465
4
Dipnoi 466
11
Amniota 481
Beispielart: Lungenfisch Neoceratodus forsteri Größe: 180 cm
12
Mammalia 484
5
Tetrapoda 468
6
Lissamphibia 470
7
Gymniophiona 472
8
Beispielart: Streifengnu Connochaetes taurinus taurinus Größe: bis zu 200 cm siehe Kapitel 14, Seite 508 13
Sauropsida 487
14
Chelonia 489 Beispielart: Griechische Landschildkröte Testudo hermanni Größe: 20 cm
Batracia 474 15
Beispielart: Komodowaran Varanus komodoensis Größe: 300 cm
Anura 478
3
Beispielart: Wurmwühle Caecilia sp. Größe: bis zu 61 cm
460
Urodela 476
Diapsida 492
18
Sphenodontia 498 Beispielart: Brückenechse Sphenodon punctatus Größe: bis zu 70 cm
19
Archosauria 500
20
Vögel 502 Beispielart: Knäkente Anas querquedula Größe: 37 cm Siehe Anhang 6, Seite 659
21
Crocodylia 505 Beispielart: Nilkrokodil Crocodylus niloticus Größe: 480 cm
Sarcopterygii
Kapitel 13
461
1 Sarcopterygii
Kapitel 13
Sarcopterygii Über die phylogenetischen Gemeinsamkeiten der Actinistia – eine Gruppe, deren fossile Formen sehr nahe mit den heutigen Coelacanthini verwandt sind und die bereits im Devon vorkamen – ist lange Zeit debattiert worden. Die Actinistia sind als Schwestergruppe der Chondrichthyes (Knorpelfische), der Actinopterygii (Strahlenflosser), der Tetrapoda (Vierfüßer), der Dipnoi (Lungenfische) und als Schwestergruppe des Kladons Dipnoi/Tetrapoda vorgeschlagen worden. Diese merkwürdigen Tiere – sie haben mit Fett gefüllte Lungen, einen beachtlichen Harnstoffspiegel im Blut, die typischen Rostralorgane, ventral gelegene Nieren, eine flüssigkeitsgefüllte Chorda, ein reduziertes Gehirn – sind echte Mosaikwesen hinsichtlich der Merkmale archaischer Sarcopterygier (Fleischflosser) sowie spezieller Kennzeichen der Actinistia. Hinzu kommen einige Spezialisierungen, die mit dem Leben im tiefen, kalten Wasser verbunden sind, sowie einige neuere Merkmale, die mit der Struktur des Herzens und der reduzierten Verknöcherung des Endoskeletts in Verbindung stehen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die evolutive Interpretation dieser Merkmale zu gegensätzlichen Resultaten führt – selbst wenn man die Anatomie der heutigen Latimeria recht gut kennt. Die Amphibien im klassischen Sinne – einschließlich der fossilen Formen – bilden die Gruppe der nicht-amniotischen Tetrapoden. Sie stellen also eine paraphyletische Gruppe dar. Einige fossile Klada aus dem Karbon und dem Perm – bei-
462
spielsweise die Anthracosaurier, Seymouriamorpha und Diadectomorpha – sind mit den Amniota näher verwandt als mit den übrigen Amphibien, den so genannten Batrachomorpha. Diese drei Gruppen fossiler Amphibien bilden zusammen mit den Amniota das Kladon Reptiliomorphen. Um die Phylogenie der Amnioten hat es in den letzten zwanzig Jahren einigen Aufruhr gegeben. In den 1980er Jahren war die phylogenetische Stellung der Vögel Gegenstand kontroverser Diskussionen (siehe Einleitung). In neuerer Zeit gab es einige Arbeiten, die die traditionelle Stellung der Schildkröten in Frage stellten. Der hier vorgestellte Stammbaum ist das traditionelle Kladogramm der Amnioten, bei dem die Vögel Archosaurier und die Schildkröten eine Schwestergruppe der Diapsida darstellen. Zuvor debattierte man über das Abstammungsverhältnis zwischen Vögeln und Säugetieren. Alle neueren Arbeiten sowie zahlreiche Untersuchungen der molekularen Phylogenie stimmen jedoch darin überein, in der heutigen Fauna Vögel und Krokodile als Schwestergruppen einzuordnen. Darüber hinaus hat die kürzliche Entdeckung spektakulärer Fossilien die Ableitung der Vögel von den Dinosauriern bestätigt. Dagegen könnten die aktuellen Diskussionen über die Stellung der Schildkröten nachhaltig das Bild verändern, das wir diesen Tieren haben. Traditionell versteht man die Schildkröten als basale Folgegruppe der Sauropsiden. Die Schildkröten besitzen keine Temporalfenster – ihre
Schwestergruppe, die Diapsiden, haben dagegen ein doppeltes Temporalfenster hinter der Augenhöhle. Im Jahr 1996 zeigten zwei Paläontologen durch eine kladistische Analyse anatomischer Merkmale heutiger und fossiler Amnioten, dass die Schildkröten Diapsiden und damit eine Schwestergruppe der Sauropsiden (Nothosaurier, Plesiosaurier, Elasmosaurier) sind – eine Stellung, die durch andere Analysen im Jahr 1999 bestätigt wurde. Wenn man den Stammbaum so zuschneidet, dass dort nur noch die heutigen Vertreter übrig bleiben, gruppiert dies die Schildkröten zur Schwestergruppe der Lepidosaurier. Das Fehlen der Temporalfenster bei den Schildkröten wäre somit lediglich ein sekundärer Verlust. Mehrere molekulare Untersuchungen bestätigen, dass die Schildkröten Diapsiden und keine Schwestergruppe der Lepidosaurier sind – aber eine Schwestergruppe des Kladons Vögel/Krokodile (Genom der Mitochondrien, Simultananalyse von 11 Kernproteinen), oder sogar als eine Schwestergruppe der Krokodile (Simultananalyse von 18 Genen, Analyse der LDHA-, LDHB-, α-Enolase- und MyoglobinGene). Einige Paläontologen veröffentlichen nach wie vor kladistische Analysen, die weiterhin den in diesem Buch vorgestellten, so genannten klassischen Stammbaum unterstützen. Letztendlich ist die exakte Schwestergruppe der Schildkröten noch nicht eindeutig identifiziert. Ohne noch weiter auf dieses Problem einzugehen, halten wir uns hier an das Ergebnis der klassischen kladistischen Analysen.
Actinistia 2
Sarcopterygii
Actinistia Allgemeines Latimeria ist die einzige heute noch vorhandene Art der Actinistia (Coelacanthini, Quastenflosser) – einer Gruppe, die mit zahlreichen fossilen Arten belegt ist. Fossile Formen, die etwa 70 Mio. Jahre alt sind, weisen zum Teil eine identische Gestalt auf. Das „lebende Fossil“ Latimeria ist grau-blau gefärbt mit weißen Flecken. Das Tier wird bis zu 1,5 m groß und ist an seinen Flossen leicht zu erkennen: Der fleischige Basallappen der vorderen Rückenflosse ist reduziert und mit stacheligen, hohlen Pterygophoren bewehrt (daher die Bezeichnung „Coelacanthini“, was „hohle Flossen-
strahlen“ bedeutet). Die paarigen Flossen besitzen einen langen, fleischigen Lappen und sind sehr beweglich. Die Bewegungen werden wie bei einem Tetrapoden
Ökologie
Spezielle Merkmale
Latimeria lebt räuberisch in Tiefen zwischen 70 und 400 m. Sie ernährt sich vor allem von Leuchtfischen. Latimeria wurde in Indonesien in einer Tiefe von 100–150 m gefangen, unterhalb eines vulkanischen Abhangs, dessen zerklüftete Oberfläche und unterseeische Grotten dem Tier als Schutz dienten. Über die Größe der Populationen, ihre Altersstruktur oder das Alter zum Zeitpunkt der Geschlechtsreife ist nichts bekannt. Die Tiere sind ovovivipar. Im weiblichen Genitaltrakt hat man fünf Föten gefunden, die fast den ganzen Oviduct ausfüllten, worin sie sich bis zu einem sehr fortgeschrittenen Stadium entwickeln. Die Tragzeit dauert mit Sicherheit ein Jahr. Die Tiere können mindestens 25 Jahre alt werden.
– Die Schwanzflosse gliedert sich in einen Ventral-, Dorsal- und einen kleinen Mittellappen, in den sich die Chorda fortsetzt. – Die erste Rückenflosse ist mit dicken, hohlen Stacheln bewehrt (Abb. 1). – Verlust des Maxillarknochens. Am knöchernen Kopf einer Latimeria erkennt man die vom Ectopterygoid getragenen Zähne sowie die Palatinae und das Parasphenoid (Abb. 2 und 3).
kreuzweise koordiniert. Typisch ist auch die dreilappige Schwanzflosse. Die Actinistia und die Rhipidistia fasst man auch als Quastenflosser (Crossopterygier) zusammen.
– Rostralorgan: Das Maul enthält ein spezielles Elektrorezeptororgan, das Rostralorgan. Seine hinteren Öffnungen sind in Abbildung 3 gekennzeichnet. – Auftreten eines intracranialen Gelenks (Abb. 3). Es liegt zwischen der Ethmoid- und der Otico-Occipitalregion und ermöglicht typische Bewegungen des Kopfskeletts. Dieses Gelenk ist ein ursprüngliches Merkmal der Sarcopterygii, das bei Tetrapoden und Dipnoern unabhängig verloren gegangen ist. In der heutigen
Abb. 1. Morphologie von Latimeria
463
2 Actinistia
Kapitel 13
Abb. 3. Gelenkschädel von Latimeria
Abb. 2. Kopfskelett von Latimeria
Fauna ist dieses Merkmal daher einzigartig. Bei den Coelacanthini (der fossilen Macropoma und der rezenten Latimeria) gehört dazu ein sehr langer Basicranialmuskel, der sich über mehr als die Hälfte des Parasphenoids erstreckt.
Beispiele Coelacanthini: Latimeria chalumnae
464
Artenzahl: 1 Ältestes bekanntes Fossil: Fossil: Euporosteus eifeliensis, Unter-Devon Deutschlands (–380 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: Coelacanthini leben im offenen Meer vor den Komoren. Das erste Exemplar wurde 1938 in der offenen See vor der Ostküste Südafrikas entdeckt. Es wurde von M. Courtenay-Latimer untersucht – daher der Name Latimeria. 1998 hat man weitere, allerdings braun gefärbte Coelacanthini in der Nähe vulkanischer Inseln nördlich von Sulawesi/Indonesien gefunden.
Rhipidistia 3
Sarcopterygii
Rhipidistia Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die funktionelle Lunge ist mit Alveolen ausgestattet (Abb. 1). – Der Conus arteriosus (Truncus arteriosus) des Herzens ist ein Sinus venosus (Abb. 2).
– Auftreten zweier Herzvorhöfe (Abb. 2): Die Nicht-Rhipidistia besitzen nur ein Atrium. – Auftreten einer Glottis (Schlund) am Zusammentreffen von Larynx und Verdauungstrakt (Abb. 1) – Die Larve hat eine bewimperte Epidermis.
Beispiele Dipnoi: Lungenfische (Neoceratodus forsteri, Lepidosiren paradoxa) Rhipidistia: Grünfrosch (Rana esculenta), Bankivahuhn (Gallus gallus), Gorilla (Gorilla gorilla)
Artenzahl: 26 314 Ältestes bekanntes Fossil: Youngolepis praecursor und Diabolepis speratus, Unter-Devon Yunnans/China (–410 Mio. Jahre), Powichthys thorsteinssoni, Unter-Devon des arktischen Kanada Heutiges Vorkommen: weltweit
Abb. 1. Lungen des Lungenfischs Lepidosiren (Dorsalansicht)
Abb. 2. Herz (Ventralansicht) von Neoceratodus (Dipnoi; a) und eines Hais (Cetorhinus; b)
465
4 Dipnoi
Kapitel 13
Dipnoi Allgemeines Die Dipnoi (Lungenfische) sind lang gestreckte Tiere mit einem nahezu kreisförmigen Querschnitt. Sie haben kleine Augen und dicke, feine Schuppen. Die paarigen Flossen sind bei den Gattungen Protopterus und Lepidosiren lange, dünne, aber fleischige Achsen, bei Neoceratodus dagegen breitere Paddel, die durch Strahlen verlängert sind. Die Tiere besitzen funktionelle, mit Alveolen ausgerüstete Lungen. Die Nasenöffnungen sind in den Mund verlagert: Die vorderen und hinteren Öffnungen jedes Nasenlochs befinden sich in der Mundhöhle. Zusammen mit den fossilen Gattungen Powychthys, Youngolepis, Dipterus u. a. bilden die heutigen Dipnoer eine umfassendere Gruppe, die Dipnomorpha. Diese sind eine Schwestergruppe der Tetrapodomorpha.
Ökologie Die Dipnoi leben in Süßwasser mit geringer Strömung, in schlammigen Gewässern, teileweise auch in Bereichen, die austrocknen. Sie ernähren sich von Krebsen, Mollusken und kleinen Fischen. Wenn das Wasser ausreichend Sauerstoff enthält, atmen sie mit Hilfe ihrer Kiemen. Ist der Sauerstoffgehalt jedoch nicht hoch genug, atmen sie an der Wasseroberfläche über ihre Lungen. Protopterus und Lepidosiren graben bei Trockenheit Löcher im Schlamm. Sie leben dann in einer Art Kokon, einer Hülle aus Schleim, und sind mit der Außenwelt nur über eine Atemöffnung verbunden. Sobald ihr Lebens466
raum wieder Wasser führt, befreien sie sich aus ihrer Kruste. Die Fortpflanzung fällt in die Regenzeit: Das Männchen baut dann ein tunnelförmiges Nest, in das ein Weibchen seine Eier ablegt. Das Männchen besamt diese und bewacht sie, bis die Jungen schlüpfen.
Präarticulare-Knochen getragen (Pterygoid-Zahnplatte), die unteren von den Coronoid-Knochen
Spezielle Merkmale – Der Mund ist mit beißend-kauenden Zahnplatten ausgerüstet, die fächerförmige Kämme tragen. Je nach Art zeigen diese Zahnplatten unterschiedliche Ausformungen (Abb. 1). Die oberen Platten werden von den Pterygoid- und den
Abb. 1. Gaumenzahnplatte (Pterygoid-Zahnplatte) von Neoceratodus forsteri (a) und von Protopterus protopterides (b).
Dipnoi 4
Sarcopterygii (Coronoid-Zahnplatten). Abbildung 2 zeigt eine Ventralansicht des Kopfes von Neoceratodus. – Einige Kieferknochen (Maxillare und Praemaxillare) sind verschwunden (Abb. 3). Die benannten Merkmale betreffen alle Dipnoiformes, die die heutigen sowie alle fossilen Dipnoer mit Ausnahme von Powichthys und Youngolepi umfassen.
Beispiele Abb. 2 Ventralansicht des Kopfskeletts von Neoceratodus
Lungenfische (Protopterus annectens, Lepidosiren paradoxa, Neoceratodus forsteri)
Abb. 3. Schädel von Neoceratodus (Seitenansicht)
Artenzahl: 6 Ältestes bekanntes Fossil: Youngolepis praecursor und Diabolepis speratus, Unter-Devon Yunnans/China (–410 Mio. Jahre), Powichthys thorsteinssoni, Unter-Devon des arktischen Kanada Heutiges Vorkommen: Die Gattung Lepidosiren findet man in Südamerika im Amazonasbecken, die Gattung Protopterus im subtropischen Afrika und die Gattung Neoceratodus in Australien (Queensland).
467
5 Tetrapoda
Kapitel 13
Tetrapoda Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Auftreten eines Tränengangs zwischen dem Auge und dem Nasensack. Bei einem Actinopterygier liegen beide Nasenöffnungen außen (Abb. 1a). Bei den Tetrapoden mündet die innere Nasenöffnung als Choane im Mundraum (Abb. 1b). Der Nasensack ist über den Tränengang mit dem Auge verbunden. – Der Schultergürtel trennt sich vom Hals. Bei Eusthenopteron (Sarcopterygier), der nicht zu den Tetrapoden gehört, ist der Schultergürtel mit dem dermalen Knochendach verbunden (Abb. 2a). Bei einem Tetrapoden (Ichthyostega) ist der Schultergürtel davon getrennt (Abb. 2b). – Gliedmaßen: Die Tetrapoden sind durch Gliedmaßen charakterisiert, die der Fortbewegung dienen. Die Gliedmaßen sind mit Fingern bzw. Zehen ausgestattet. Das Skelett der paarigen Gliedmaßen ist aus der paarigen Flosse einiger fossiler Sarcopterygier hervorgegangen. Die vorderen 468
Gliedmaßen bestehen meist aus 5 Fingern (ursprünglich 6–8), den Handwurzelknochen (Carpalia), Elle (Ulna) und Speiche (Radius) sowie dem Oberarmknochen (Humerus). Die hinteren Gliedmaßen bestehen aus Fußwurzelknochen (Tarsalia), Schienbein (Tibia) und Wadenbein (Fibula) sowie aus dem Oberschenkelknochen (Femur) (Abb. 2). – Das Hyomandibulare, das als Aufhängung des Kiefers diente, steht nun im Dienste des Hörens: Es leitet den Ton vom Trommelfell zum ovalen Fenster (Abb. 3). – Der erste Halswirbel spezialisiert sich zum Atlas. Gemeinsam mit fossilen Formen (Panderichthyidae, Osteolepiformes) lassen sich die Tetrapoden in einem Kladon Choanata zusammenschließen, die über die Choane definiert sind. Die Tetrapodomorpha sind eine Schwestergruppe der Dipnomorpha. Diese wiederum umfassen die Porolepiformes (sämtlich fossil) und die Dipnoi.
Abb. 1. Lage der Nasenöffnungen bei den Actinopterygiern (a) und Tetrapoden (b)
Tetrapoda 5
Sarcopterygii
Abb. 2. Schultergürtel bei Eusthenopteron (a) und Ichthyostega (b)
Abb. 3. Ventralansicht (a) und Frontalschnitt (b) eines Froschschädels (Rana catesbeiana)
Beispiele Lissamphibia: Grünfrosch (Rana esculenta), Smaragdeidechse (Lacerta viridis), Ringelnatter (Natrix natrix), Bankivahuhn (Gallus gallus) Amniota: Lederschildkröte (Dermochelys coriacea), Delfin (Delphinus delphis), Schimpanse (Pan troglodytes),
Artenzahl: 26 308 Ältestes bekanntes Fossil: Eleginerpeton pancheni aus dem Ober-Devon Schottlands (–368 Mio. Jahre), Obruchvichthys sp. aus dem Ober-Devon Russlands (–368 Mio. Jahre). Hingewiesen sei auch auf das Mandibulare von Livoniana multidentata, Mittel-Devon Estlands (–375 Mio. Jahre) sowie auf nicht gesicherte Laufspuren in Australien (–390 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
469
6 Lissamphibia
Kapitel 13
Lissamphibia Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Zähne: Die Lissamphibia haben zweihöckrige (Abb. 1; heutige Arten) oder vielhöckrige zweiteilige Zähne (Abb. 2 ). – Verlust des Jugale (Abb. 3): Bei den Lissamphibia ist das Jugale zwischen dem Maxillare und dem Quadratojugale verschwunden. – Das Labyrinth der Lissamphibia enthält eine spezielle Sinneszone, die Papilla amphibiorum. – Die Rippen sind kurz, manchmal fehlen sie sogar. Da der Brustkorb
Abb. 1. Zweihöckrige Zähne rezenter Lissamphibia
470
nicht geschlossen ist, sind Atmungsbewegungen nicht möglich – daher das für diese Tiere typische Luftschlucken. – Die visuelle Akkomodation der Lissamphibia erfolgt durch Verschiebung der Linse nach innen oder außen. Diese Bewegung wird durch einen für die Lissamphibien charakteristischen Muskel mesodermalen Ursprungs ermöglicht – dem Protractor Lentis. Die Urodela besitzen einen, die Anurea zwei solcher Muskeln.
Beispiele Gymnophiona: Ceylonwühle (Ichthyophis glutinus), Schwimmwühle (Typhlonectes compressicauda), Hautwühle (Dermophis oxacae Batracia: Alpensalamander (Salamandra atra), Kammmolch (Triturus cristatus), Tigerquerzahnmolch (Ambystoma tigrinum), Rippenmolch (Pleurodeles waltl), Laubfrosch (Hyla arborea), Ochsenfrosch (Rana catesbeiana), Erdkröte (Bufo bufo), Grünfrosch (Rana esculenta), Krallenfrosch (Xenopus laevis)
Abb. 2. Längsschnitt durch den zweihöckrigen Zahn eines Gymnophionen (a), eines Urodelen (b) und eines Anuren (c)
Lissamphibia 6
Sarcopterygii
Abb. 3. Seitenansicht eines Anurenkopfes
Artenzahl: 4975 Ältestes bekanntes Fossil: Triadobatrachus massinoti, untere Trias Madagaskars (–240 Mio. Jahre). Gemeinsam mit den fossilen Microsauria, Nectridea, Eryopida, Dissorophida u. a. stammen die Lissamphibia von einem größeren Kladon ab, nämlich den Batrachomorpha, die bis zum Unter-Karbon zurückreichen. Die Batrachomorpha sind die Schwestergruppe der Reptiliomorpha. Mit den Amniota sind innerhalb der Reptiliomorpha fossile Formen eingereiht, die früher als Amphibien angesehen worden sind – wie die Anthracosauria, Seymouriamorpha und Diadectomorpha. Heutiges Vorkommen: weltweit, bis auf die Polarregionen und den marinen Lebensraum. Das Vorkommen dieser Tiere ist meist an das Vorhandensein von Feuchtigkeit oder Wasser gebunden. Die größte Artenvielfalt findet sich im feuchten, tropischen Regenwald.
471
7 Gymnophiona
Kapitel 13
Gymnophiona Allgemeines Die Gymnophionen (Blindwühlen) sind grabende Lissamphibien, die ihre Gliedmaßen sekundär verloren haben. Sie erinnern an dicke Würmer und sind 6–140 cm lang. Die nackte, schleimige Haut besitzt kleine Schuppen, die in der Haut eingeschlossen sind (Caecilia, Ichthyophis, Hypogeophis). Die Haut
Ökologie Die Gymnophionen leben in feuchten Böden und im Schlamm von Sümpfen. Lediglich die Gattung Typhlonectes lebt aquatisch. Die Tiere ernähren sich von Würmern und kleinen Arthropoden. Sie werden ihrerseits von Schlangen erbeutet. Von anderen Wirbeltieren werden sie anscheinend gemieden – zweifelsohne aufgrund ihrer abstoßenden und giftigen Hautsekrete. Die Männchen besitzen ein Kopulationsorgan. Die Befruchtung erfolgt intern. Kein einziger Vertreter der 472
ist so gefaltet, dass Querringe entstehen. Einige Gattungen (Gymnophis, Siphonops, Typhlonectes) tragen keine Hautschuppen – zweifellos ein sekundärer Verlust. Die Augen sind reduziert und manchmal unter der Haut verborgen. Das Trommelfell fehlt. Ein spezielles Sinnestentakel inseriert
Gymnophiona legt seine Eier im Wasser ab. Ichthyophis beispielweise legt ein Dutzend sehr voluminöser, dottergefüllter Eier in feuchte Baue in der Nähe des Wassers. Das Weibchen wickelt sich um die Eier. Während der Embryogenese verdoppelt das Ei sein Volumen durch die Aufnahme von Wasser. Nach dem Schlüpfen steuert das Jungtier, das mit Kiemen ausgestattet ist, auf eine Pfütze zu. Dort bleibt es bis zu seiner Metamorphose. Mehrere Gymnophionen-Gattungen sind ovovivipar und bringen Junge zur Welt, die bereits die Morphologie der Adulten
zwischen Auge und Nasenloch. Die Schwanzregion ist so kurz, dass die Kloake nahezu terminal endet. Die Farbe der Tiere ist variabel – in den meisten Fällen dunkelbraun, braun-oliv, schwarz oder sogar nachtblau.
haben. Bei einigen Arten haben die Ovidukte Uterus-Funktion: Die Larven ernähren sich von Uterussekreten aus Drüsen der Oviduktwand.
Spezielle Merkmale – Vollständiger Verlust der Gliedmaßen sowie des Schulter- und Beckengürtels. Dieser Verlust liegt mit Sicherheit sehr lange zurück, da es nicht einmal embryonale Spuren dieser Elemente gibt. – Auftreten eines ausstülpbaren Tentakels, das viele Tastknospen
Gymnophiona 7
Sarcopterygii
Abb. 1. Sensorisches Organ (Tentakel) von Ichthyophis glutinus
Abb. 2. Details der Tentakelkonstruktion
besitzt (Abb. 1). Die Details des Tentakels zeigt Abbildung 2. Das Ganze sitzt in einem Tentakelsack, begrenzt durch eine Bindegewebshülle. Ein besonderer Muskel, der Retractor tentaculi, setzt am Tentakelsack an. Kontrahiert er, so streckt sich das Tentakel und wird mit Schleim befeuchtet. Dieser Schleim sammelt die Duftstoffe des umgebenden Milieus. Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen des Tentakels führen diese Moleküle zum Vomero-Nasalorgan, das mit einem olfaktorischen Epithel ausgestattet ist.
Beispiele Ceylonwühle (Ichthyophis glutinus), Schwimmwühle (Typhlonectes compressicauda), Wurmwühle (Caecilia
dentaculata), Hautwühle (Dermophis oxacae), Erdwühle (Geotrypetes seraphini), Buntwühle (Schistometopum gregorii)
Artenzahl: 165 Ältestes bekanntes Fossil: nicht bestimmte Gymnophiona aus dem unteren Jura (–200 Mio. Jahre) aus Arizonas/USA, doch ist diese Gruppe sicherlich viel älter. Heutiges Vorkommen: Wälder der Subtropen – von Südmexiko bis Nordargentinien, Zentralafrika, Wälder Ostafrikas, Seychellen, Südindien, Ceylon, Südostasien, Malaysia. Die Tiere fehlen auf Madagaskar, den Antillen und in Australien.
473
8 Batracia
Kapitel 13
Batracia Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Innenohr: Zwei Knochen inserieren im ovalen Fenster des Innenohrs (Abb. 1): Stapes (Steigbügel) und Operculum.Abbildung 1 zeigt am Querschnitt durch den Kopf eines Anuren die Lage des Operculums. Dieses ist mit dem Brustgürtel (an der Suprascapula) über eine Muskelkonstruktion verknüpft (Abb. 2). Die Vibrationen werden von den Beinen auf den Schultergürtel übertragen, dann über den Opercularmuskel auf das Operculum und von dort in das Innenohr. Die Salamander haben – im Gegensatz zu den Fröschen – das Tympanicum verloren. Der Stapes ist mit dem Squamosum über ein Ligament verknüpft. Die Vibrationen werden somit ebenfalls vom Mandibulare über Squamosum, Ligament und Stapes zum ovalen Fenster geleitet. – Die Entwicklung der Choanen ist für die Batracia charakteristisch und führt zu entodermischen Choanen (Abb. 3). Abbildung 4 zeigt die Entstehung der Choanen bei Nicht-Batraciern wie den Gymnophionen und den Amnioten, und Abbildung 5 bei den 474
Abb. 1. Querschnitt durch den Kopf eines Anuren
Abb. 2. Ohrkonstruktion des Salamanders
Batracia 8
Sarcopterygii
Abb. 3. Nasenraum eines Frosches
Batracia (Anura und Urodela). Bei den Nicht-Batraciern trennen sich die Wand der Mundhöhle und der Nasensack – beide ectodermalen Ursprungs – in einen Nasobuccalspalt (Abb. 4a und 4b). Dieser endet in zwei Öffnungen, der äußeren Nase und der Choane Abb. 4 c), während sich der Tränennasengang entwickelt. Die Choane ist somit ectodermalen
Ursprungs. Bei den Batracia (Abb. 5) ergeben der Nasensack und die Mundhöhle dagegen nur eine Öffnung – die äußere Nase (Abb. 5a). Der vordere Teil des primitiven Verdauungstrakts (entodermaler Ursprung) bildet eine Ausstülpung, die auf den Nasensack trifft und die Choanenröhre (Abb. 5c) bildet. Der Nasensack steht somit mit dem Verdauungstrakt in Verbindung. Die Choane ist entodermalen Ursprungs. – Pigment: In den Stäbchen der Retina tritt ein grünes Pigment auf.
Beispiele Urodela: Feuersalamander (Salamandra salamandra), Riesensalamander (Andrias davidianus), Tigerquerzahnmolch (Ambystoma tigrinum), Kammmolch (Triturus cristatus), Grottenolm (Proteus anguinus), Rotrücken-Waldsalamander (Plethodon cinereus) Anura: Neuseelandurfrosch (Leiopelma hochstetteri), Krallenfrosch (Xenopus laevis), Knoblauchkröte (Pelobates fuscus), Erdkröte (Bufo bufo), Laubfrosch (Hyla arborea), Grünfrosch (Rana esculenta)
Artenzahl: 4810 Ältestes bekanntes Fossil: Triadobatrachus massinoti, untere Trias von Madagaskar (–240 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit, in allen Klimazonen und auf allen Kontinenten, außer in den Polargebieten
Abb. 4. Entstehung der Choanen bei Nicht-Batraciern (Gymnophionen und Amnioten)
Abb. 5. Entstehung der Choanen bei Batraciern
475
9 Urodela
Kapitel 13
Urodela Allgemeines Die Urodela (Schwanzlurche, z. B. Salamander und Molche) haben einen zylindrischen, gestreckten Körper mit einem langen Schwanz und einem kurzen Kopf. Die Augen sind häufig gut ausgebildet. Der Mund öffnet sich weit bis hinter die Augen. Das Trommelfell ist verloren gegangen. Die vier Gliedmaßen sind kurz, seitlich eingelenkt, und wie bei den Anura an der
Ökologie Die Urodela sind gegenüber Wassermangel noch empfindlicher als die Anura – was wiederum ihr lückenhaftes und begrenztes Vorkommen 476
Hand mit 4 Fingern und am Fuß mit 5 Zehen ausgestattet. Die Haut ist glatt, durchlässig und häufig lebhaft gefärbt. Die meisten dieser Tiere sind zwischen 8 und 25 cm lang. Extreme sind die nur 4 cm langen Zwergformen sowie Riesen, die über 1 m lang werden können (Siren lacertina sowie der chinesische Andrias davidianus, der 150 cm lang und 10 kg schwer wer-
erklärt. Die meisten dieser Tiere teilen ihr Leben zwischen Wasser (wo zumindest die Reproduktion und das Larvenstadium stattfinden) und Land auf. Einige Arten leben auf Bäumen, andere sind Höhlenbewoh-
den kann). Die Urodela neigen zur Neotenie: Einige Arten erlangen ihre Geschlechtsreife in einem morphologischen Juvenilstadium. Andere Arten zeigen reproduktionsfähige Individuen mit gut entwickelten externen (Ambystoma tigrinum) oder mit rudimentären Kiemen (Hypselotriton wolterstorffi).
ner, wieder andere leben ausschließlich im Wasser und einige nur an Land. Man findet sie nicht in Höhen über 4500 m. Sie sind in temperierten Zonen weit verbreitet. Einen Extremfall stellt der sibirische Salamander
Urodela 9
Sarcopterygii Hynobius keyserlingii dar: Er kommt bis zum arktischen Polarkreis vor. Die Urodela ernähren sich von Insekten und deren Larven, von Krebsen, Mollusken, Eiern und Kaulquappen. Sie werden ihrerseits von Vögeln, Nagern, Carnivoren (Hunden, Mardern) und Wasserschlangen erbeutet. Die Urodela pflanzen sich ohne Begattung fort. Die Befruchtung erfolgt intern oder extern. Nach der Balz legt das Männchen vor dem Weibchen seinen Spermatophoren ab – einen kleinen gallertigen Kegel, der die Spermatozoiden enthält. Das Weibchen packt diesen mit Hilfe ihrer Kloakenlippen und nimmt ihn in die Kloake auf. Die meisten Urodelen sind ovipar. Nach der Befruchtung werden die Eier im Wasser oder im feuchten Boden abgelegt. Nach dem Schlüpfen besitzen die Larven drei gut entwickelte, externe Kiemenpaare. Sie führen bis zu ihrer Metamorphose ein aquatisches Leben. Der Alpensalamander (Salamandra atra) ist der einzige lebendgebärende Urodele: Das Junge entwickelt sich im mütterlichen Ovidukt, wo auch die Metamorphose stattfindet, und wird mit adulter Gestalt geboren. Die Tragezeit beträgt 2–4 Jahre. Diese Eigenheit wird als Anpassung an die Kälte der Gebirge interpretiert.
Spezielle Merkmale – Auf der Basis der abgeleiteten morphologischen oder anatomischen Merkmale gibt es keine Argumente für die Monophylie der Urodela. Merkmale, die sie innerhalb der Lissamphibien abgrenzen (langer Schwanz, kurze Beine), sind in Wirklichkeit lediglich primitive Amphibienmerkmale, die bereits bei anderen – heute lebenden oder fossilen – Tetrapoden vorhanden sind. Man hat daher vorgeschlagen, dass die Urodela paraphyletisch sind und die Ursprungsgruppe der Anura darstellen könnten. Dagegen scheint ihre Monophylie durch die
Phylogenien, die von vier mitochondrialen Genen abgeleitet sind, bestätigt zu werden.
Beispiele Feuersalamander (Salamandra salamandra), Alpensalamander (Salamandra atra), Sibirischer Winkelzahnmolch (Hynobius keyserlingii), Riesensalamander (Andrias davidianus), Tigerquerzahnmolch (Ambystoma tigrinum), Kammmolch (Triturus cristatus), Rippenmolch (Pleurodeles waltl), Grottenolm (Proteus anguinus), Rotrücken-Waldsalamander (Plethodon cinereus), Zweizehenaalmolch (Amphiuma means)
Artenzahl: 429 Ältestes bekanntes Fossil: Albanerpeton inexpectatum, Mittlerer Jura (–170 Mio. Jahre) von Aveyron Heutiges Vorkommen: In Amerika kommen die Urodela von Südkanada bis Nordbolivien vor. Sie sind auch in ganz Europa verbreitet, in der Türkei und im Nahen Osten. In Asien treten sie nur lückenhaft auf: Man findet sie in Sibirien, in der Mandschurei und auf der koreanischen Halbinsel, in Japan und im südwestlichen Drittel Chinas. In Afrika kommen diese Tiere nur im äußersten Norden des Maghreb (Marokko, Algerien, Tunesien) vor. Auf dem afrikanischen Kontinent, auf Madagaskar und auf der arabischen Halbinsel fehlen sie somit fast ganz. In Indien, Indochina, Malaysia, Ozeanien, der südlichen Hälfte Südamerikas sowie in arktischen und antarktischen Regionen fehlen diese Tiere ebenfalls.
477
10 Anura
Kapitel 13
Anura Allgemeines Die Anura (Froschlurche: Frösche, Kröten, Laubfrösche) sind an ihren langen Hinterbeinen und dem fehlenden Schwanz leicht zu erkennen. Der Kopf ist sehr kurz und trägt vorstehende Augen. Der Mund ist tief eingeschnitten und reicht bis hinter die Augen. Die vorderen Gliedmaßen sind viel
Ökologie Die Anura sind im Vergleich zu den Urodela unabhängiger vom aquatischen Milieu. Sie bewohnen eine 478
kleiner als die hinteren. Letztere haben einen verlängerten Tarsus, was zur Bildung eines zusätzlichen Beinsegments und dies wiederum zu einer besonderen Sprung- und Schwimmfähigkeit führt. Wie die Urodela besitzen auch die Anura an den Händen 4 Finger und an den Füßen 5 Zehen. Bei den Anura
Vielzahl unterschiedlicher Biotope – tropische Wälder, Wüsten, die Tundra und die Gebirge bis an das Nival. Im Meer kommen sie nicht vor. Nur wenige Arten ertragen Brackwasser.
sind die Zehen lang gestreckt und manchmal mit Schwimmhäuten versehen. Die Haut ist durchlässig, glatt oder mit warzigem Aussehen und häufig lebhaft gefärbt. Das Trommelfell ist deutlich sichtbar. Die Anura erreichen (ohne Beine) eine Gesamtlänge von 2–25 cm.
Die Anura ernähren sich in der Hauptsache von Arthropoden. Viele Arten schützen sich vor ihren Feinden durch toxische Hautausscheidungen. Im Gegensatz zu den Urode-
Anura 10
Sarcopterygii la und den Gymnophiona, die nur kurze, spitze Schreie ausstoßen, zeichnen sich die Anura durch spezifische und sehr unterschiedliche Gesänge aus, die eine wichtige Rolle im Sozialleben, bei der Verteidigung des Territoriums und bei der Paarung spielen. Das entwickelte Trommelfell erlaubt ein gutes Hörvermögen. Einer der interessantesten Aspekte dieser Tiergruppe sind die unterschiedlichen Reproduktionsmechanismen. Nur in seltenen Ausnahmen findet die Befruchtung extern statt. Die Balz endet mit einer typischen Scheinbegattung, dem so genannten Amplexus: Das Männchen reitet auf dem Weibchen, indem es dieses mit den Vorderbeinen um klammert. Typischerweise entwickeln sich die befruchteten Eier im Wasser, wo auch die beinlosen, mit Kiemen und einem Schwanz ausgestatteten Larven (Kaulquappen) schlüpfen. Die Metamorphose ist spektakulär. Die Gelege und die Larven der Anuren sind sehr gefährdet: Sie fallen häufig ihren Fressfeinden zum Opfer. Einige Arten haben daher Schutzvorrichtungen entwi-
ckelt: Einige Pipa-Arten tragen ihre Eier in der Rückenhaut. Laubfrösche der Gattung Gastrotheca schützen ihre Eier in einem Beutel, den sie bis zum fortgeschrittenen Stadium, ja sogar bis zum Endstadium der Jungtierentwicklung auf dem Rücken tragen. Andere Arten wie Assa darlingtoni besitzen Bruttaschen unterhalb der Leiste des Männchens: Die Eier werden an Land gelegt. Nach dem Schlüpfen werden die Larven bis zum Ende ihrer Entwicklung in diesen Taschen getragen. Wieder andere Arten transportieren ihre frei lebenden Kaulquappen auf dem Rücken. Einige Bergkröten (Gattung Nectophrynoides) sind sogar vivipar: Die Larven entwickeln sich innerhalb von neun Monaten in den weiblichen Genitalwegen, bevor die Jungen zur Welt kommen.
– Extreme Reduktion der Rippen (Abb. 1 und 2): Die Rippen können sogar vollständig fehlen (Abb. 3). Bei Vieraella (Abb. 1) sind nur an den vorderen Wirbeln Überbleibsel der Rippen zu erkennen. Rezente Salientia: – Die postsacralen Wirbel (Schwanzwirbel) sind zu einem festen zentralen Stab, dem Urostyl (Abb. 3) umgebildet. Triadobatrachus besitzt noch den Überrest eines Schwanzes (Abb. 2). – Die Zahl der Wirbel ist reduziert (Abb. 3): Die Erdkröte besitzt 8 Wirbel. – Zwei Tarsalknochen, das Sprungbein und das Calcaneum (Fersenbein), sind verlängert: Sie bilden ein zusätzliches Segment im Hinterbein.
Spezielle Merkmale Fossile und rezente Salientia – Die Salientia weisen eine charakteristische Verlängerung des Iliums nach vorne auf (Abb. 1–3).
Abb. 1. Skelett eines fossilen Anuren (Vieraella)
Abb. 2. Skelett des fossilen Anuren Triadobatrachus
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10 Anura
Kapitel 13
Beispiele Neuseelandurfrosch (Leiopelma hochstetteri), Schwanzfrosch (Ascaphus truei), Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans), Wabenkröte (Pipa pipa), Krallenfrosch (Xenopus laevis), Knoblauchkröte (Pelobates fuscus), Schlammtaucher (Pelodytides punctatus), Gehörnter Hornfrosch (Ceratophrys cornuta), Erdkröte (Bufo bufo), Laubfrosch (Hyla arborea), Grünfrosch (Rana esculenta), Ochsenfrosch (Rana catesbeiana)
Abb. 3. Skelett der Erdkröte (Bufo bufo)
Artenzahl: 4381 Ältestes bekanntes Fossil: Vieraella herbstii (Abb. 2) aus dem tiefen Jura Argentiniens (–205 Mio. Jahre) ist der erste bekannte, echte Frosch (er besitzt ein Urostyl). Triadobatrachus (Abb. 1) aus der unteren Trias Madagaskars ist kein echter Frosch: Von den modernen Anura unterscheidet er sich durch das Fehlen des Urostyls und der langen Hinterbeine. Triadobatrachus und die Anura bilden gemeinsam das Kladon Salientia. Heutiges Vorkommen: weltweit, in allen Klimazonen und auf allen Kontinenten. Lediglich in (ant)arktischen Regionen innerhalb der Polarkreise kommen diese Tiere nicht vor.
480
Amniota 11
Sarcopterygii
Amniota Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Amnion: Der Embryo ist von einer Membran umgeben. Die Embryonalmembran („Eihaut“) bildet einen Sack mit der Flüssigkeit, in der sich das Junge entwickelt (Abb. 1). Diese Membran ist das Amnion (innere Embryonalhaut). Die Flüssigkeit, die vom Amnion umschlossen wird, wird als Fruchtwasser bezeichnet. Die Amnioten haben sich hinsichtlich ihrer Reproduktion vom Wasser gelöst. Der Embryo entwickelt sich, geschützt von der harten Eischale, im wässrigen Milieu des Amnions. Bei den zu den Theropsida gehörenden Säugetieren läuft die Entwicklung im Uterus ab, das Amnion bleibt jedoch erhalten. – Der Hinterhaupt-Gelenkkopf (Condylus occipitalis) ist konvex (Abb. 2). Bei dem nicht zu den Amniota gehörenden Tetrapoden Palaeogyrinus (Abb. 2a) ist er konkav, während er bei dem Amnioten Paleothyris (Abb. 2b)
konvex ist, ebenso wie bei zwei heutigen Amnioten (Abb. 2c und 2d). – Verlust des zum Schädeldach gehörenden Intertemporale (Abb. 3): Bei Palaeogyrinus, einem aus dem Karbon stammenden Tetrapoden, der nicht zu den Amnioten
gehört, ist das Intertemporale vorhanden, bei Paleothyris, einem Amnioten aus dem Karbon, ist es verschwunden. – Auf dem Schädeldach der Amnioten begrenzt das Frontale die Augenhöhle (Abb. 3).
Abb. 1. Embryonalhüllen der Amniota
481
11 Amniota
Kapitel 13
Abb. 2. Schädel von hinten (a, b) und in Ventralansicht (c, d) von Palaeogyrinus (karbonischer Tetrapode; a), Paleothyris (karbonischer Amniot; b), Krokodil (c) und Säugetier (d)
Abb. 3. Schädeldach von Palaeogyrinus (a) und Paleothyris (b). Bei Palaeogyrinus ist das Intertemporale vorhanden, bei Paleothyris ist es verschwunden.
482
Amniota 11
Sarcopterygii
Beispiele Mammalia: Hauskatze (Felis catus), Mensch (Homo sapiens) Sauropsida: Lederschildkröte (Dermochelys coriacea), Griechische Landschildkröte (Testudo hermanni), Smaragdeidechse (Lacerta viridis), Ringelnatter (Natrix natrix), Brückenechse (Sphenodon punctatus, Nilkrokodil (Crocodylus niloticus), Bankivahuhn (Gallus gallus)
Artenzahl: 21 333 Ältestes bekanntes Fossil: Westlothania lizziae, Unter-Karbon Schottlands (–340 Mio. Jahre). Gemeinsam mit den fossilen Diadectomorpha, Seymouriamorpha und Anthracosauria stammt das Kladon Amniota vom größeren Kladon Reptiliomorpha ab. Die Reptiliomorpha sind die Schwestergruppe der Batrachomorpha, einem anderen Kladon, das die fossilen und die heutigen Amphibien einschließt. Die heutigen Amphibien gehören alle zu den Lissamphibia. Heutiges Vorkommen: bis auf die Tiefsee weltweit, auf allen Breitengraden und in allen Höhen
483
12 Mammalia
Kapitel 13
Mammalia Allgemeines Die Mammalia (Säugetiere, Säuger) sind vivipare Wirbeltiere. Sie besitzen Körperhaare, Brust bzw. Euter und sind warmblütig – sie sind homöotherm und halten ihre innere Temperatur zwischen 37 und 42 °C konstant. Ihre verschiedenen Anpassungen zeigen eine so große Bandbreite, dass es schwierig ist, sie alle allgemeingültig zu beschreiben. Die Größenord-
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nung reicht von der Etruskischen Zwergpitzmaus (Suncus etruscus; 35 mm, 2 g) bis zum Blauwal (33 m, 130 t). Die enorme Formenvielfalt umfasst so unterschiedliche Tiergestalten wie Maulwurf, Delfin, Fledermaus, Hausrind, Elefanten, Seekuh, Maus und Giraffe. Ein Säugetier besitzt bei gleicher Masse immer ein besser entwickeltes Gehirn als ein Nicht-Mammalier.
Die Zähne zeigen eine deutliche Tendenz funktioneller Differenzierung (Heterodontie). Im Mittelohr gibt es 3 Gehörknöchelchen, die die Vibrationen des Trommelfells auf das ovale Fenster übertragen. Ein doppeltes Hinterhauptgelenk taucht auf. Die Wirbelsäule hat 5 unterschiedliche Abschnitte: die Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, das Sacrum (Kreuzbein)
Mammalia 12
Sarcopterygii
sowie die caudale Wirbelsäulenregion. Die Gliedmaßen sind gerade und nicht mehr seitwärts gebogen. Wenn man die so genannten Säugerfossilien (paraphyletische
Ökologie Dank ihrer Homöothermie waren die Säugetiere in der Lage, neben den gemäßigten und trockenen Regionen auch die kältesten Lebensräume (Nord- und Südpolarregion) zu erobern. Die Chiroptera (Fledermäuse) bevölkern die Lüfte (vor allem in der Dämmerung und nachts), die Wale (Delfine, etc.) das Meer. Die Mammalia sind sogar im Boden präsent (Maulwürfe, Spitzmäuse). Die meisten dieser Tiere sind vivipar, ihre Fortpflanzungsweise ist unabhängig vom Wasser. Die Bindung zwischen Mutter und Kind ist sehr stark. Verhalten, Sozialleben und Lernfähigkeit dieser Tiere sind (in den meisten
Gruppen der Pelycosaurier und der Therapsiden) hinzu nimmt, ist das Kladon Mammalia in einem größeren Kladon Synapsida enthalten, die bis in das Ober-Karbon
Fällen) komplexer als bei den anderen Wirbeltiergruppen: Alle diese Eigenschaften haben zweifellos zu der weiten Verbreitung der Mammalia beigetragen.
Spezielle Merkmale – Das Kiefergelenk besteht aus Dentale und Squamosum (Abb. 1–3): Bei dem nicht zu den Mammalia gehörenden Synapsiden Ophiacodon (Pelycosauria; (Abb. 1) aus dem unteren Perm wird es von Quadratum und Articulare gebildet (= primäres Kiefergelenk). Ein anderer Synapside, der Probainognathus (Cynodonta,
zurückreichen. Die Synapsiden sind die Schwestergruppe der Sauropsida und umfassen alle anderen heutigen Amnioten.
Abb. 2), hat ein doppeltes Kiefergelenk, das einerseits aus Quadratum und Articulare und andererseits aus Squamosum und Dentale besteht. Das Squamosum bildet ein hinteres Verbindungsstück, das sich mit dem Squamosum verbindet. Bei den heute lebenden Säugern (Hund, Abb. 3) wird das Gelenk ausschließlich von Squamosum und Dentale gebildet (= sekundäres Kiefergelenk). – Die vom Jugale getragenen Zähne haben eine doppelte Wurzel. – Die innere Wand, die die Augenhöhlen voneinander trennt, besteht aus dem Orbitosphenoid und einem Fortsatz, der vom Palatinum aufsteigt.
Abb. 1. Schädel von Ophiacodon (Pelycosauria) Abb. 2. Schädel von Probainognathus (Cynodonta) ang = Angulare, ar = Articulare, c2 = Quadratum, cor = Coronoid, de = Dentale, ept = Epipterygoid, fr = Frontale, ft = Temporalfenster, j = Jugale, la = Lacrimale, mx = Maxillare, na = Nasale, or = Orbitale, pa = Parietale, pf = Praefrontale, pg = Pterygoid, pm = Praemaxillare, po = Postorbitale, qj = Quadratojugale, sq = Squamosum
485
12 Mammalia
Kapitel 13
– Die Haare, die Muskulatur, die sie aufrichtet sowie die mit ihnen verbundenen Talgdrüsen sind charakteristisch für die Mammalia. In der Haut treten außerdem Schweißdrüsen auf, die eine wichtige Rolle in den Beziehungen der Artgenossen untereinander sowie bei der Thermoregulation spielen. – Die Milchdrüse ist ein weiteres Charakteristikum der Mammalia. Sie produziert die Milch – die ausschließliche Nahrung der Neugeborenen. Die Milchdrüsen sind geradzahlig und entlang zweier thoraco-abdominaler Linien angeordnet. Die Zahl der Milchdrüsen ist von Art zu Art unterschiedlich.
Beispiele Schnabeltier (Ornithorhynchus anatinus), Rotes Riesenkänguru (Macropus rufus), Dreifingerfaultier/Ai (Bradipus tridactylus), Igel (Erinaceus europaeus), Hauskatze (Felis catus), Hausmaus (Mus musculus), Gorilla (Gorilla gorilla), Mensch (Homo sapiens), Afrikanischer Ele-
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Abb. 3. Schädel eines rezenten Säugers (Wolf, Hund)
fant (Loxodonta africana), Asiatisches Urwildpferd (Equus przewalskii), Delfin (Delphinus delphis), Rote
Fledermaus (Lasiurus borealis), Riesen-Schuppentier (Manis gigantea)
Artenzahl: 4496 Ältestes bekanntes Fossil: Haramiya, obere Trias Englands (Norium, –220 Mio. Jahre), Morganucodon und Eozostrodon, obere Trias Europas (Rhät, –210 Mio. Jahre), Sinocodon, obere Trias von Yunnan/China. Heutiges Vorkommen: weltweit
Sauropsida 13
Sarcopterygii
Sauropsida Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Halswirbel zeigen an ihrem unteren Teil einen ventralen Kegel, die Hypapophyse (Abb. 2–5). Die Halswirbel eines Synapsiden aus dem Oberen Perm (Ophiacodon, Abb. 1) zeigen keine Hypapophyse. – Die Iris des Auges enthält quergestreifte Muskeln. – Die Sauropsiden produzieren Ornithinsäure. Abb. 2. Halswirbel eines Sphenodon
Abb. 1.
Abb. 3. Halswirbel der Eidechse Ophisaurus apodus arn = Neuralbogen, av = vorne, cy = Condylus, di = Diapophyse, pap = Parapophyse, ple = Pleurozentrum, ply = Pleurapophyse, pra = Proatlas, pz = Postzygapophyse, z = Zygosphen, hy = Hypophyse
487
13 Sauropsida
Kapitel 13
Beispiele Chelonia: Griechische Landschildkröte (Testudo hermanni), Lederschildkröte (Dermochelys coriacea) Diapsida: Smaragdeidechse (Lacerta viridis), Ringelnatter (Natrix natrix), Ringelechse (Amphisbaena alba), Brückenechse (Sphenodon punctatus), Bankivahuhn (Gallus gallus), Afrikanischer Strauß (Struthio camelus), Kormoran (Phalacrocorax carbo), Schnee-Eule (Nyctea scandiaca), Nilkrokodil (Crocodylus niloticus)
Abb. 4. Halswirbel des Warans Varanus monitor
arn = Neuralbogen av = vorne cy = Condylus di = Diapophyse pap = Parapophyse ple = Pleurozentrum ply = Pleurapophyse pra = Proatlas pz = Postzygapophyse z = Zygosphen hy = Hypophyse
Abb. 5. Halswirbel und vorderer Rückenwirbelteil der Natter Coluber gemonensis
Artenzahl: 16 837 Ältestes bekanntes Fossil: Hylonomus lyelli, Ober-Karbon Neuschottlands/Kanada (–315 Mio. Jahre); ein bisher noch nicht benannter Sauropside ist im Unter-Karbon Schottlands entdeckt worden (–340 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
488
Chelonia 14
Sarcopterygii
Chelonia Allgemeines Die Chelonia (Schildkröten) sind Amniota, die leicht an ihrem schützenden Panzer zu erkennen sind. Er besteht aus zwei Teilen: dem ventral gelegenen Plastron und dem dorsal gelegenen Carapax. Meist können die Gliedmaßen, der Kopf und der Schwanz ins
Innere dieser schützenden Hülle eingezogen werden. Einige Arten besitzen am Plastron ein oder zwei Lappen, mit denen sich das Tier im Inneren seines Carapax hermetisch einschließen kann. Die an Land lebenden Arten haben säulenförmige Gliedmaßen. Es gibt
jedoch zahlreiche aquatische Arten: Ihr Carapax ist abgeflacht, und zwischen den Fingern/Zehen haben sie Schwimmhäute (beispielsweise bei der kleinen Floridaschildkröte). Einige marine Arten haben echte Schwimmpaddel. Die Kiefer sind zahnlos und
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14 Chelonia mit einer häufig scharfen Hornhülle („Schnabel“) versehen. Die Gruppe ist wahrscheinlich sehr alt – sie stammt aus dem Paläozoikum. Zusammen mit einigen nahe verwandten Fossilien sind die Schildkröten im Kladon Testudi-
Ökologie Die meisten Schildkröten sind Carnivoren oder Omnivoren. Viele Schildkrötenarten sind landlebend und kommen in allen gemäßigten Klimazonen vor, aber auch in heißen Regionen, ja selbst in sonnendurchglühten Wüsten. In den gemäßigten Klimazonen verbringen sie die kalte Jahreszeit ruhend. Es gibt auch zahlreiche aquatische sowie etliche pelagisch lebende Arten. Alle Schildkröten sind ovipar. Die Meeresschildkröten kehren nur zur Eiablage an Land zurück: Sie legen ihre Eier am Strand ab. Die Galapagos-Inseln und die Seychellen sind bekannt für ihre Riesenschildkröten. Schildkröten haben eine bemerkenswerte Langlebigkeit: Einige Arten können mehr als 120 Jahre alt werden.
Kapitel 13
nes zusammengefasst. Gemeinsam mit entfernter verwandten fossilen Formen (Milleretidae, Pareiasaura, Procolophonidae, etc.) ist dieses im größeren Kladon Anapsidae enthalten, das mit den Captorhinidae bis in das Untere Perm zurück-
2). Bei der Schildkröte ist der Schultergürtel in dem von den Rippen gebildeten Korb eingeschlossen, während beim Alligator der Schultergürtel außerhalb des Brustkorbs liegt. – Maxillare, Praemaxillare und Dentale sind zahnlos (Abb. 3). – Die rezenten Chelonia haben einen Hornschnabel.
reicht. Dieses Kladon ist eine Schwestergruppe zu einem anderen nicht benannten Kladon, das fossile Amnioten wie Paleothyris, die Captorhinidae sowie alle Diapsidae (Eidechsen, Schlangen, Krokodile, Vögel) umfasst.
Beispiele Galapagos-Riesenschildkröte (Geochelone elephantopus), SeychellenRiesenschildkröte (Geochelone gigantea), Griechische Landschildkröte (Testudo hermanni), Schnappschildkröte (Chelydra serpentina), Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), Höckerschildkröte (Graptemys geo-
Spezielle Merkmale – Der dorsale Carapax besteht aus zwei flachen, miteinander verwachsenen Knochen und trägt dicke Schuppen. Die flachen Knochen sind fest mit den Rippen und den Wirbeln verbunden (Abb. 1). Die Suturen (Nähte) des Hautpanzers entsprechen nicht den Suturen der Knochenplatten. – Der Bauch wird durch einen ventralen Panzer, das Plastron, geschützt (Abb. 1). – Becken- und Schultergürtel liegen im Inneren des Brustkorbs (Abb. 490
Abb. 1. Skelett von Geochelone elephantopus (Längsschnitt)
Abb. 2. Querschnitte in Höhe des Schultergürtels einer Schildkröte (a) und eines Alligators (b)
Chelonia 14
Sarcopterygii Artenzahl: 290
Ältestes bekanntes Fossil: Proganochelys quenstedtii, obere Trias Deutschlands und Thailands (–210 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit, in warmen und gemäßigten Zonen
Abb. 3. Schädel von Lepidochelys
graphica), Suppenschildkröte (Chelonia mydas), Lederschildkröte (Dermochelys coriacea), Weichschildkröte (Trionyx ferox), Fransenschildkröte (Chelus fimbriatus)
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15 Diapsida
Kapitel 13
Diapsida Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Hinter der Augenhöhle treten zwei temporale Fenster (Schläfenfenster) auf (Abb. 1). – Auftreten eines großen suborbitalen Fensters, das sich über dem Palatinum öffnet (Abb. 2). – Das Gelenk zwischen Tibia und Sprungbein hat die Form einer Rille, in der sich ein Kamm befindet. – Der erste Mittelfußknochen ist nur halb so lang wie der vierte (Abb. 3)
Abb. 1. Schädel der Brückenechse Sphenodon
Beispiele Lepidosauria: Komodowaran (Varanus komodoensis), Smaragdeidechse (Lacerta viridis), Ringelnatter (Natrix natrix), Ringelechse (Amphisbaena alba), Brückenechse (Sphenodon punctatus) Archosauria: Strauß (Struthio camelus), Wanderalbatros (Diomedea exulans), Wanderfalke (Falco peregrinus), Kormoran (Phalacrocorax carbo), Nilkrokodil (Crocodylus niloticus) 492
Abb. 2. Schädel der Eidechse Tupinambis nigropunctatus (Leptosaurier; a) und von Alligator mississippiensis (Archosaurier; b), zweier heutiger Diapsida
Diapsida 15
Sarcopterygii
Abb. 3. Linker Fuß des aus dem Jura stammenden Sphenodonten Homoeosaurus (a) und der rezenten Eidechse Tupinambis (b) asc = Calcaneum, mit dem Sprungbein verschmolzen mtt1 = erster Mittelfußknochen
Artenzahl: 16 547 Ältestes bekanntes Fossil: Petrolacosaurus kanensis aus dem Ober-Karbon von Kansas/USA (–300 Mio. Jahre); mit der fossilen Paleothyris (Captorhinida) ist dieses Kladon in einem größeren, nicht benannten Kladon enthalten, das durch den Verlust des Kontaktes zwischen Postorbitale und Supratemporale charakterisiert ist. Dieses Kladon ist die Schwestergruppe der Anaspida, das die Schildkröten und fossile Formen wie die Milleretiden und Pareiasaurier einschließt. Heutiges Vorkommen: weltweit, an Land; im Meer kommen die Tiere nicht pelagisch vor. Die Krokodile und die Seeschlangen kommen in Küstenregionen vor.
493
16 Lepidosauria
Kapitel 13
Lepidosauria Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Sprungbein und Calcaneum sind miteinander verwachsen (Abb. 1). Abbildung 4 zeigt die ursprüngliche Anordnung. – Die Centralia sowie der erste und fünfte distale Tarsus fehlen (Abb. 1–3). Bei einem NichtLepidosaurier wie Ophiacodon erkennt man zwei Centralia sowie
den ersten und fünften Tarsus (Abb. 4). – Der fünfte Metatarsus ist gekrümmt oder hakenförmig. – Zusammen mit den fossilen Formen (Sauropterygier, Ichthyosaurier) ist dieses Kladon im größeren Kladon Lepidosauromorpha enthalten. Diese bilden eine Schwestergruppe der Archosauromorpha, die wiederum die Kroko-
dile und Vögel umfassen. Bei den Lepidosauromorpha ist das Quadratum mit dem Trommelfell durch eine hervortretende Spitze verbunden. Das Postparietale und das Supratemporale (zwei Knochen des Schädeldachs) sind verloren gegangen. Die Tiere bewegen sich durch wellenförmige Bewegungen des Rumpfs fort.
Abb. 1. Linker Fuß des jurassischen Sphenodon- Abb. 2. Linker Fuß des rezenten Sphenodonten Abb. 3. Hinterbein der Eidechse Tupinambis ten Homoeosaurus Sphenodon as = Sprungbein, asc = mit dem Calcaneus verschmolzenes Sprungbein, cal = Calcaneus, cen = Centralia, mtt1 = erster Mittelfußknochen, mtt5 = gekrümmter fünfter Mittelfußknochen, tad1 = distaler Tarsus, tad4+5s = fusionierter vierter und fünfter Tarsus
494
Lepidosauria 16
Sarcopterygii
Beispiele Sphenodontia: Brückenechse (Sphenodon punctatus) Squamata: Gecko/Tokee (Gekko gecko), Grüner Leguan (Iguana iguana), Chamäleon (Chamaeleo cha-
maeleon), Komodowaran (Varanus komodoensis), Blindschleiche (Anguis fragilis), Ringelnatter (Natrix natrix), Anakonda (Eunectes murinus), Hornviper (Cerastes cerastes), Ringelechse (Amphisbaena alba)
Artenzahl: 6852 Ältestes bekanntes Fossil: Saurosternon bainii, oberes Perm, Südafrika (–250 Mio. Jahre) Abb. 4. Fuß des permischen Pelycosauriers Ophiacodon as = Sprungbein, , cal = Calcaneus, cen = Centralia, mtt5 = gekrümmter fünfter Mittelfußknochen, tad1 = distaler Tarsus, tad4+5s = fusionierter vierter und fünfter Tarsus
Heutiges Vorkommen: terrestrisch, mit Ausnahme der Polarregionen, weltweit. Die meisten marinen Lepidosaurier kommen an Küsten vor (Galapagos-Leguan und die Seeschlangen).
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17 Squamata
Kapitel 13
Squamata Allgemeines Die Squamata umfassen Reptilien mit gestrecktem Körper, der einen langen Schwanz trägt und mit Hornschuppen bedeckt ist. Die meisten bewegen sich entweder vierbeinig oder aber kriechend fort, darunter die Schlangen, die Amphisbaenidae sowie einige Eidechsen,die sekundär ihre Gliedmaßen verloren haben. Als Diapsi-
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den haben sie in der Temporalregion zwei übereinander liegende Gräben, die durch eine Knochenleiste getrennt werden. Die Eidechsen haben die Leiste verloren, die den unteren Graben nach unten hin begrenzt, so dass dieser offen bleibt. Die Schlangen zeigen ebenfalls diesen Aufbau, doch haben sie zusätzlich auch noch den
Zwischensteg verloren, der die beiden Gräben voneinander trennt. Ihr Schläfenfenster ist somit maximal geöffnet – so dass man das Neurocranium sehen kann. Diese Anordnung ist mit einer maximalen Beweglichkeit der Kiefer und des Schädels verknüpft – daher die Fähigkeit der Schlangen, riesige Beutetiere zu verschlingen.
Squamata 17
Sarcopterygii
Abb. 1. Schädel des Nichtsquamaten Sphenodon
Ökologie Die rezenten Squamata stellen eine Verwandtschaftsgruppe mit extremer Anpassungsfähigkeit dar. Sie sind Insekten- oder Fleischfresser, ovipar oder vivipar. In gemäßigten und sogar kalten Klimazonen halten sie einen Winterschlaf. Charakteristisch für diese Tiere ist das beständige Züngeln mit ihrer gespaltenen Zunge, über die sie Witterung aufnehmen. Duftstoffe werden so zum Jacobsonschen Organ geleitet, einer Art inneren Nase, die in einer Öffnung des Palatinums liegt. Die Schlangen haben eine spezielle Form der Nahrungsaufnahme entwickelt: Sie verschlingen voluminöse Beutestücke als Ganzes, ohne sie zu zerkauen. Die Amphisbenidae sind grabende, wühlende Squamata. Sie besitzen keine Beine – und sind weder Eidechsen noch Schlangen.
Spezielle Merkmale – Die Squamata haben die untere Temporalleiste verloren (Abb. 1). Im Schädel des Nichtsquamaten Sphenodon erkennt man zwei Temporalfenster; das obere Fenster wird nach unten durch die Postorbital-Squamosum-Leiste verschlossen, das untere Fenster
Abb. 2. Schädel der Eidechse Tupinambis nigropunctatus (Squamata)
dagegen durch die Jugal-Quadratojugal-Leiste. Bei einem Squamaten wie der Eidechse Tupinambis nigropunctatus (Abb. 2) fehlt der untere Steg – das untere Fenster ist daher nach unten geöffnet. – Das Quadratum ist beweglich. Wie bei vielen anderen Tetrapoden besteht bei den Squamaten das Kiefergelenk aus dem Articulare (Mandibulare), das in der Ohrregion beweglich auf dem Quadratum sitzt. Die Squamaten besitzen ein bewegliches Quadratum – man spricht daher von Streptostylie. Damit ist es möglich, den Mund sehr weit zu öffnen (Abb. 3). – Verlust des Quadratojugale (Abb. 1): Dieser Knochen sitzt eigentlich zwischen Wange und Ohrregion. Bei einem Nichtsquamaten wie Sphenodon tritt dieser Knochen auf (Abb. 1), bei einem Squamaten wie Tubinambis dagegen fehlt er (Abb. 2).
Abb. 3. Bewegliches Quadratum der Squamata
Beispiele Gecko (Gekko gecko), Grüner Leguan (Iguana iguana), Chamäleon (Chamaeleo chamaeleon), Komodowaran (Varanus komodoensis), Blindschleiche (Anguis fragilis), Ringelnatter (Natrix natrix), Anakonda (Eunectes murinus), Hornviper (Cerastes cerastes), Ringelechse (Amphisbaena alba)
Artenzahl: 6850 Ältestes bekanntes Fossil: Becklesius hofstetteri, Saurillodon proraformis, Dorsetisaurus purbeckensis, oberer Jura Portugals (–150 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: terrestrisch, mit Ausnahme der Polargebiete, weltweit. Die meisten marinen Lepidosaurier kommen an den Küsten vor (Galapagos-Leguan, Seeschlangen). 497
18 Sphenodontia
Kapitel 13
Sphenodontia Allgemeines Äußerlich ähneln die heute lebenden Sphenodontia (Rhynchocephalia, Brückenechsen) riesigen Eidechsen. Sie können bis zu 70 cm lang werden. Heute gibt es nur noch zwei sehr nahe miteinander verwandte Arten – die letzten Relikte einer Gruppe, die vor etwa 200 Mio. Jahren sehr artenreich war. Der Körper dieser Tiere ist gedrungen und seitlich zusammengedrückt. Die Gliedmaßen sind kräftig und mit bekrallten Fingern (bzw. Zehen) ausgestattet, die durch einen kurzen Hautsaum an ihrer Basis miteinander verbunden sind. Kopf und Rücken sind von kleinen Warzen bedeckt, der Bauch von quer verlaufenden Knochenplatten. Hinter dem Kopf beginnt ein bis zum Schwanzende
Ökologie Sphenodon (Brückenechse oder Tuatara) ist ein landlebendes, sanftmütiges nacht- oder dämmerungsaktives Tier, das in Heidelandschaften oder in grasbewachsenen Küstenzonen der kleinen Inseln Neuseelands lebt. Die Tiere ernähren sich hauptsächlich von Würmern, Arthropoden oder Schnecken, Vogeleiern, Jungvögeln und Eidechsen. Sie zeigen Territorialverhalten und bewohnen alleine einen selbst gegrabenen Bau. Eventuell sind sie auch Nachmieter verlassener Neströhren von Papageientauchern. Man hat sogar beobachtet, dass sie mit einem Vogel im selben Bau wohnen. Ein Begattungsorgan fehlt – die Begattung vollzieht sich durch Aneinanderlegen der Klo498
reichender Rückenkamm aus stacheligen Erhebungen. Die Augen sind groß, dunkel und mit einem zweiten Augenlid, der so genannten Nickhaut ausgestattet – eine Konvergenz mit den Archosauriern. Das Trommelfell fehlt. An der höchsten Stelle des Kopfes tritt ein im Durchmesser 5 mm großes, drittes Auge (Parietalauge) auf.
aken. Das Weibchen hortet die Spermien von einem Sommer bis zum nächsten und legt dann schließlich 9–12 Eier in einem Erdloch ab. Hinsichtlich der Brutzeit halten die Tiere einen Rekord, denn erst nach 13–15 Monaten schlüpfen die Jungen. Sphenodon ist eine landlebende, wechselwarme Tierart, die wenig Wärme benötigt: Die bevorzugte Temperatur liegt bei 12 °C; bei bis zu 7 °C ist das Tier noch aktiv. Stoffwechsel und Wachstum dieser Tiere sind extrem langsam. Die Geschlechtsreife erlangen sie mit 20 Jahren, ihr Wachstum dauert 50 Jahre. Sie haben eine Lebenserwartung von 100 Jahren.
Es besitzt eine Retina, eine Linse und einen Sehnerv, und öffnet sich über dem Pinealfenster. Die Schuppe, die es bedeckt, ist bei den Jungen noch durchsichtig. Mit zunehmendem Alter trübt sie sich. Die Tiere sind in der Regel braun, können jedoch ihre Farbe wechseln.
Spezielle Merkmale – Das Praemaxillare trägt 2–3 miteinander fusionierte Zähne (Abb. 1). Bei den triassischen Rhynchosauriern treten solche fusionierten Zähne als Konvergenz auf. – Zähne: Im Oberkiefer gibt es eine zweite Zahnreihe, eine äußere Zahnreihe mit den Zähnen des Maxillare, und eine innere mit den Zähnen des Palatinums (Abb. 2). Die Knochen des Palatinums sind verbreitert und verschließen das Palatinumfenster (Suborbitalfenster) partiell. – Die Zähne sind acrodont – sie sind mit ihrer Basis in der Kieferkante über eine Ankylose eingewachsen (Abb. 3a). Ein anderer Implantationstyp der Ankylose ist
Sphenodontia 18
Sarcopterygii
Abb. 1. Schädel von Sphenodon punctatus (Seitenansicht) Abb. 3. Verschiedene Zahn-Implantationstypen bei Sphenodon (a), einer Eidechse (b) und einem Krokodil (c)
Abb. 2. Schädel von Sphenodon punctatus (Ventralansicht)
Artenzahl: 2
die Pleurodontie (Abb. 3b): In diesem Falle weist der Zahn tragende Knochen an seiner (labialen) Außenkante eine Rille auf, entlang derer die Zähne mit ihrer Seite festgewachsen sind. Zähne, die in Gruben (Alveolen) der Kieferkanten festgewachsen sind, bezeichnet man als thecodont (Abb. 3c). Acrodonte Zähne findet man als Konvergenz auch bei einigen Eidechsen wie den Agamidae (Agamen), Chamaeleonidae (Chamälons) und Trogonophidae (Ringelechsen). Pleurodontie tritt bei einigen anderen Eidechsen (außer den Amphisbaenidae) auf. Thecodonte Zähne gibt es bei den Archosauriern und somit bei den Krokodilen.
Ältestes bekanntes Fossil: Planocephalosaurus, mittlere Trias Virginias/ USA (–230 Mio. Jahre); Brachyrhinodon, mittlere Trias Schottlands (–230 Mio. Jahre)
Beispiele
Heutiges Vorkommen: kleine Inseln vor der Küste Neuseelands
Brückenechsen (Sphenodon punctatus, S. guntheri)
499
19 Archosauria
Kapitel 13
Archosauria Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Antorbitalfenster: Im Schnauzenbereich der Archosauria gibt es vor der Augenhöhle ein seitliches Fenster (Öffnung der Schädelwand) – das Antorbitalfenster (Abb. 1). Bei allen Dinosauriern, die nicht zu den Vögeln gehören, ist es gut sichtbar. Bei den Krokodilen verschwindet es sekundär, bei den Vögeln verschmilzt es mit der Augenhöhle. – Latero-posteriores Fenster: Über dem Mandibulare der Archosau-
ria befindet sich ein latero-posteriores Fenster (Abb. 1). Bei den Krokodilen ist es deutlich zu erkennen, im Skelett der heute lebenden Vögel jedoch nicht immer sofort sichtbar. – Auftreten eines Muskelmagens – Nickhaut: Die Archosaurier besitzen eine durchsichtige Schutzmembran am Auge, die so genannte Nickhaut. – Die Zähne sind seitlich komprimiert: Abbildung 2 zeigt einen 5 cm langen Zahn des rechten Unterkiefers eines herbivoren
Abb. 1. Schädel eines jurassischen Ceratosauriers
500
Dinosauriers aus dem Jura. Bei den Krokodilen, den Fleisch fressenden Dinosauriern und auch bei den bezahnten Vögeln (Archaeopteryx, Archaeornithes) sind die Zähne ebenso seitlich komprimiert. – Bei den Archosauromorpha tragen alle Halswirbel zweiköpfige Cervicalrippen (Abb. 3).
Abb. 2. Zahn des rechten Unterkiefers eines herbivoren jurassischen Dinosauriers lingual (a) und labial (b)
Archosauria 19
Sarcopterygii Artenzahl: 9695
Abb. 3. Halswirbel eines Krokodils
Beispiele
Ältestes bekanntes Fossil: Proterosuchus, ausgehendes Perm Südafrikas (–250 Mio. Jahre); Archesaurus rossicus vom Ober-Perm Russlands (–250 Mio. Jahre); gemeinsam mit fossilen Formen wie den Trilophosauridae, Rhynchosauria und Prolacertiformes sind die Archosauria Teil einer größeren Gruppe Archosauromorpha, die bis in das Ober-Perm zurückreichen. Die Archosauromorpha sind die Schwestergruppe der Lepidosauromorpha, einer anderen Gruppe, die die Eidechsen und die Schlangen enthält. Außer den Vögeln und Krokodilen umfassen die Archosauria viele fossile Vertreter, darunter die Dinosaurier. Die Krokodile haben sich sehr früh (bereits in der unteren Trias) von den Dinosauriern getrennt. Die Vögel dagegen stammen von den Dinosauriern ab – und stellen somit die heute lebenden Dinosaurier dar. Heutiges Vorkommen: weltweit
Crocodylia: Mississippi-Alligator/ Hechtalligator (Alligator mississippiensis), Mohrenkaiman (Melanosuchus niger), Nilkrokodil (Crocodylus niloticus), Gavial (Gavialis gangeticus) Vögel: Bankivahuhn (Gallus gallus), Wanderalbatros (Diomedea exulans), Wanderfalke (Falco peregrinus), Kolibri (Colibri thalassirus), Tordalk (Alca torda)
501
20 Vögel
Vögel Allgemeines
502
Kapitel 13
Vögel 20
Sarcopterygii
Die Vögel sind Archosaurier, die zum Flatterflug befähigt sind.Beim Fliegen werden sie von ihren vorderen Gliedmaßen vorwärts getrieben und in der Luft getragen. Die heute lebenden Vögel haben Federn sowie eine Hornhülle, die ihren Kiefer bedeckt – den Schnabel (Abb. 1). Ihr Körper ist vor allem durch Verminderung der Knochenmasse erstaunlich leicht. Das Sternum (Abb. 1) ist stark vergrößert und trägt einen Kamm. Dadurch entsteht eine große Oberfläche, an der die Flugmuskulatur ansetzt. Die Rumpfwirbel sind
Ökologie Die Vögel kommen, außer in der Tiefsee,in jedem Lebensraum vor,auch in den kältesten Regionen. Diese Gruppe ist aufgrund der Eroberung der Lüfte, ihrer vom Wasser unabhängigen Fortpflanzung und ihrer Homöothermie sehr weit verbreitet. Zweifellos aus Gründen der Energiegewinnung sind sie meist beutejagende Carnivoren, die sich von Insekten oder Wirbeltieren ernähren. Etliche Arten sind Körnerfresser oder ganz selten Herbivoren wie die Gänse oder der Hoatzin. Das Sehvermögen der Vögel ist exzellent. Sekundär können die Vögel ihre Flugfähigkeit verlieren und sich auf Laufen (Strauße) oder Schwimmen im Meer (Pinguine) spezialisieren. Sie sind grundsätzlich ovipar. Ihr Verhalten ist komplex und sehr gut untersucht. Einige Vögel führen mit die größten saisonalen Wanderungen im ganzen Tierreich durch.
mehr oder weniger miteinander verwachsen und geben dem Brustkorb eine gewisse Festigkeit. Die Zahl der Wirbel schwankt beträchtlich, insbesondere die der Halswirbel (Schwan: 25,Amsel: 16). Der Schwanz ist zu einem Pygostyl zurückgebildet. Die Hand trägt zur Unterstützung des Flugs bei. Handwurzel- und Mittelhandknochen sind fusioniert, die Finger sind zurückgebildet: Es sind nur noch der 2., 3. und 4. Finger geblieben. Vögel sind sehr unterschiedlich in Aussehen und Größe und zeigen häufig deutlichen Geschlechts-
Fliegen ermöglicht. Bei einigen fossilen Theropoda gab es Hautstrukturen, die zwar den Federn homolog waren, diesen Tieren aber nicht das Fliegen ermöglichten.
dimorphismus: Ein männlicher Strauß bringt es auf 250 cm Größe und ein Gewicht von 130 kg. Der Kolibri Mellisuga helenae dagegen ist nur 6 cm groß und wiegt höchstens 2 g. Gemeinsam mit den fossilen Flugsaurieren (Pterosauria) und allen Dinosauriern ist dieses Taxon Teil einer größeren Gruppe Ornithodira, die bis zur Unteren Trias zurückreicht. Die Ornithodira sind eine Schwestergruppe der Crurotarsa, zu denen die Krokodile gehören.
– Der erste Zeh (= Hallux) ist nach hinten gerichtet, wobei die Kralle zu den drei anderen Zehen zeigt (Abb. 1). – Die Vordergliedmaßen sind nach hinten rotiert. Auf diese Weise
Spezielle Merkmale – Die Schwungfedern bilden eine tragende Oberfläche, die das
Abb. 1. Skelett des Huhns
503
20 Vögel können sie der Länge nach am Körper angelegt werden (Abb. 1). – Die Claviculae (Schlüsselbeine) sind fest verbunden und bilden die vogeltypische Furcula (Gabelbein) (Abb. 1). Dieses Merkmal ist bei den heute lebenden Vögeln einmalig, doch findet man es auch bei einigen fossilen Theropoden.
Beispiele Bankivahuhn (Gallus gallus), Wanderalbatros (Diomedea exulans), Wan-
504
Kapitel 13 derfalke (Falco peregrinus), Kolibri (Colibri thalassirus), Tordalk (Alca torda), Königspinguin (Aptenodytes forsteri), Meerespelikan (Pelecanus occidentalis), Graupapagei (Psittacus
erithacus), Strauß (Struthio camelus), Flamingo (Phoenicopterus ruber), Knäkente (Anas querquedula), Kolkrabe (Corvus corax), Blaumeise (Parus caeruleus)
Artenzahl: 9672 Ältestes bekanntes Fossil: Archaeopteryx lithographica, oberer Jura Deutschlands (–150 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit, einschließlich der kältesten Kontinente (Pinguine der Antarktis)
Crocodylia 21
Sarcopterygii
Crocodylia Allgemeines Auf den ersten Blick sehen die Krokodile (Crocodylia, mitunter auch Crocodilia genannt) aus wie sehr große Eidechsen. Sie können bis zu 10 m lang werden und besitzen einen voluminösen, länglichen Kopf mit Nasenöffnungen und Augen, die erhöht sitzen. Der Rumpf ist massiv, flach und breit, der Schwanz seitlich komprimiert. Den Körper bedecken große Hautschuppen. Auf ihrer Unterseite sind sie mit Hautknochen, den Osteodermen, verstärkt. Die innere Anatomie der Krokodile unterscheidet sich sehr von der der
Eidechsen – die Krokodile stehen den Dinosauriern und den Vögeln verwandtschaftlich deutlich näher als den Lepidosauriern. Die Krokodile haben ein vierkammeriges Herz und eine höher entwickelte Hirnrinde als Schlangen und Eidechsen. Ihre Beine sind aufgrund ihrer Fortbewegungsweise vertikaler angesetzt als die der Eidechsen. Die triassischen Vorfahren der Krokodile waren bipede Formen mit vertikal angesetzten Beinen, wie einige fossile, ausschließlich landlebende Krokodile zeigen. Die rezenten Krokodile
haben sich an die amphibische Lebensweise angepasst – daher haben sie diese spezifischen Beinansätze ein wenig verloren. Zusammen mit den fossilen Ornithosuchidae, Phytosaurier u. a. gehört dieses Kladon in das größere Kladon Crurotarsa, das aus der unteren Trias stammt. Die Crurotarsa sind die Schwestergruppe der Ornithodira, einer anderen Gruppe, die die Pterosaurier sowie die Dinosaurier und damit auch die Vögel enthält.
505
21 Crocodylia
Kapitel 13
Abb. 2. Schädel eines Alligators (Dorsalansicht) Abb. 1. Schädel eines Alligators (Ventralansicht)
Ökologie Die Krokodile sind meist limnisch verbreitete Beutejäger. Wenige Arten leben jedoch (zumindest zeitweilig) marin. Die Tiere sind gute Schwimmer. Sie sind Fleisch- oder Aasfresser mit dämmerungs- oder nachtaktiver Lebensweise. Ihr großes Lungenvolumen erlaubt ihnen, ungefähr eine Stunde unter Wasser zu bleiben – nachdem sie ihre Nasenöffungen und Choanen (interne Nasenöffnungen) abgedichtet, das Trommelfell mit einer Hautfalte verschlossen und die Augen mit einer Nickhaut geschützt haben. Die Choanen münden weit unten im Hals: Das eingesogene Wasser passiert somit nicht das Maul. So kann das Maul im Wasser offen bleiben, ohne dass dadurch die Atmung behindert würde. Die Krokodile können daher ihre Beute somit unter Wasser halten und gleichzeitig über ihre äußeren Nasenöffnungen atmen, die außerhalb des Wassers bleiben. Sie sind ovipar: Die Weibchen legen 506
ihre Eier in Nestern in der Nähe des Wohngewässers.
Spezielle Merkmale – Ein zweites Palatinum entsteht – ausgehend von den ventralen Maxillar-, Palatinum- und Pterygoid-Leisten. Die inneren Nasen-
öffnungen (Choanen) liegen dann ganz hinten in der Occipitalregion. Sie öffnen sich in den Pterygoiden. – Der untere Temporalgraben ist dreieckig (Abb. 2). – Fußgelenk: Bei den Crurotarsia ist das Calcaneum funktionell mit dem Fuß verknüpft und das Sprungbein mit der Tibia. Auf
Abb. 3. Schema eines Fußes von Proterosuchus (a), Dinosaurier (b) und Krokodil (c) cal = Calcaneum, as = Sprungbein, ti = Schiene (Tibia), lf = Beugelinie, mtt = Metatarsale, pe = Wadenbein (Peroneum), tad = distaler Tarsus
Crocodylia 21
Sarcopterygii diese Weise bildet die Beugelinie des Gelenks eine Diagonale (Abb. 3c) – im Gegensatz zur horizontalen Beugelinie (Abb. 3a und b) bei einem ursprünglichen Archosaurier wie Proterosuchus oder wie bei einem Ornithodiren (Pterosaurier, Dinosaurier darunter die Vögel). Bei letzterem verläuft die Beugelinie zwischen den proximalen Tarsalia (Sprungbein und Calcaneum); diese Linie bezeichnet man als intratarsal (Abb. 4a). Bei den Ornithodiren verläuft die Beugelinie zwischen den proximalen und distalen Tarsalia. Sie wird daher als mesotarsal bezeichnet (Abb. 4b).
Abb. 4. Beinanatomie von Krokodil (a) und Dinosaurier (b)
Beispiele Mississippi-Alligator/Hechtalligator (Alligator mississippiensis), Mohrenkaiman (Melanosuchus niger), Kaiman (Caiman crocodilus), Leistenkrokodil (Crocodylus porosus), Nilkrokodil (C. niloticus), Sundagavial (Tomistoma schlegelii), Gavial (Gavialis gangeticus)
Artenzahl: 23 Ältestes bekanntes Fossil: Protosuchus (Sphenosuchide) aus der oberen Trias Südafrikas (–230 Mio. Jahre); Hesperosuchus agilis, obere Trias von Arizona (–230 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: Die Krokodile bewohnen die Flüsse subtropischer Regionen und kommen, bis auf Europa, auf allen Kontinenten vor.
507
14 Mammalia 1
Mammalia 510
KAPITEL 14 15
siehe Kapitel 13, Seite 484 2
Monotremata 511 Beispielart: Schnabeltier Ornithorhynchus anatinus Größe: 40 cm
16
3
Theria 513
17
4
Marsupialia 516 Beispielart: Beutelmarder Dasyurus viverrinus Größe: 40 cm
5
Eutheria 521
6
Xenarthra 523
29
Unbenanntes Kladon 581
Beispielart: Pelzflatterer Cynocephalus volans Größe: 38 cm
30
Suiformes 583 Beispielart: Wildschwein Sus scrofa Größe: 140 cm
31
Unbenanntes Kladon 586
32
Ruminantia (Wiederkäuer) 587 Beispielart: Okapi Okapia johnstoni Größe: 210 cm
33
Unbenanntes Kladon 590
34
Hippopotamida 591 Beispielart: Flusspferd Hippopotamus amphibius Größe: 400 cm
35
Cetacea 593 Beispielart: Pottwal Physeter catodon Größe: 14 cm
36
Altungulata 598
37
Perissodactyla 600
38
Mesaxonia 602 Beispielart: Spitzmaulnashorn Diceros bicornis Größe: 340 cm
39
Hyracoidea 605 Beispielart: Kapklippschliefer Procavia capensis Größe: 50 cm
40
Tethytheria 607
41
Sirenia 609 Beispielart: Rundschwanzsirene Trichechus senegalensis Größe: 400 cm
42
Proboscidea 612 Beispielart: Afrikanischer Elefant Loxodonta africana Größe: 690 cm
Primates
547
(im weiteren Sinne)
Scandentia 549 Beispielart: Spitzhörnchen Tupaia belangeri Größe: 18 cm
18
Primates
552
(im engeren Sinne) Beispielart: Diana-Meerkatze Cercopithecus diana Größe: bis zu 45 cm siehe Kapitel 15, Seite 616
Beispielart: Ameisenbär Myrmecophaga tridactyla Größe: 110 cm
19
Anagalidea 555
7
Epitheria 527
20
Macroscelidea 557
8
Pholidota 529
Beispielart: Elefantenspitzmaus Elephantulus rozeti Größe: 12 cm
Beispielart: Riesenschuppentier Manis gigantea Größe: 80 cm
21
Glirimorpha 559
9
Preptoptheria 531
22
Lagomorpha 562
10
Insectivora 533 Beispielart: Schlitzrüssler Solenodon paradoxus Größe: 30 cm
11
Beispielart: Feldhase Lepus europaeus Größe: bis zu 50 cm 23
Rodentia (Nagetier) 565 Beispielart: Stachelschwein Hystrix cristata Größe: 70 cm
Carnivora 536 Beispielart: Walross Odobaenus rosmarus Größe: 310 cm
24
Huftiere 569
12
Archonta 539
25
13
Volitantia 540
14
Chiroptera 542
Tubulidentata 571 Beispielart: Erdferkel Orycteropus afer Größe: 130 cm
26
Cetungulata 573
27
Cetartiodactyla 575
28
Tylopoda 577 Beispielart: Dromedar Camelus dromedarius Größe: 280 cm
Beispielart: Flughund Eilodon helvum Größe: 17 cm
508
Dermoptera 545
Mammalia
Kapitel 14
509
1 Mammalia
Kapitel 14
Mammalia Die Phylogenie der Mammalia (Säugetiere) ist sehr eigentümlich: Obwohl es es sich hier um sehr gut bekannte Tierarten handelt, über die sich das Wissen seit Beginn der Naturwissenschaften anhäuft, stellen sich die Phylogenien als immer konfliktbehafteter dar – und zwar je mehr das Wissen fortschreitet. Je mehr Daten man über die Mammalia gewinnt, desto weiter entfernt erscheint ein Konsens. Diese eigentümliche Situation, die insbesondere bei den Plazentatieren besteht, ist auf verschiedene Probleme zurückzuführen. Das erste Problem ist die wahrscheinlich sehr rasch verlaufene Radiation (Diversifikation) der Plazentalia vor 60 Mio. Jahren: Dies begünstigt nicht gerade die Bewahrung von Protein- und DNA-Sequenzen, die man als gutes phylogenetisches Kriterium verwenden könnte und die es erlauben würden, die Plazentalia in ein Taxon einzuordnen, das man üblicherweise als Ordnung bezeichnet. Zweitens ist die heutige Diversifikation der Mammalia verglichen mit ihrer fossilen ziemlich reduziert. Beschränkt man die Mammalia auf die Mammaliaformes (einschließlich Eozostrodon, aber ohne Siconodon oder Adelobasileus), so sind allein hier 5162 Gattungen aus 425 Familien bekannt – darunter 4079 fossile Gattungen und 300 fossile Familien. Man muss also im Hinterkopf behalten, dass 79% der bekannten Gattungen der Mammalia und 71% der Familien fossil sind. Der Versuch, die Phylogenie der Mammalia mit anatomischen Merkmalen ohne Berücksichtigung der Fossilien zu rekonstruieren, ver-
510
spricht somit nur wenig Erfolg bei der Suche nach verlässlichen Resultaten. Es ist sogar so, dass die Geschichte vieler anatomischer Merkmale ohne die Fossilien überhaupt nicht zu verstehen ist. Andererseits bestehen für molekulare Analysen wenig Chancen: Da die Mehrzahl der Mammalia-Linien fossil und daher für die DNA-Sequenzierung nicht zugänglich sind, ging uns ein Großteil der Geschichte ihrer molekularen Merkmale verloren. Auch wenn es sich um alle erdenklichen morphologischen oder molekularen Merkmale handeln würde, die Synapomorphien bilden und auf diese Weise die verwandtschaftlichen Beziehungen innerhalb der Plazentalia-Ordnungen strukturieren, so gibt es dennoch kein einziges Merkmal, das eine etwas weiter entfernt im Stammbaum auftretende Konvergenz erlauben oder das in späteren Taxa sekundär abgeändert werden würde. Dennoch haben wir versucht, uns auf die stabilsten Merkmale zu beschränken – und gleichzeitig gelegentlich die eine oder andere Reversion oder Konvergenz zu erlauben. Neuere Diskussionen gaben einen Hinweis auf eine mögliche Verwandtschaft zwischen den Pholidota und den Carnivora. Die Monophylien der Chiroptera und der Nagetiere wurden in Frage gestellt, doch diesen Thesen fehlt noch die entsprechende Untermauerung. Die Megachiroptera können möglicherweise nicht mehr als Schwestergruppe der Microchiroptera betrachtet werden, sondern als Schwestergruppe eines Kladons, das Primaten und Dermoptera enthält: Dies ist der
Blickwinkel von einem der zahlreichen heutigen Stammbäume, die für die Archonta vorgeschlagen werden. Die Monophylie der Nagetiere wird nicht aus dem Blickwinkel morphologischer Merkmale diskutiert – allerdings gibt es über sie auch nur wenige Sequenzdaten. Hier vermischt sich die taxonomische Unzulänglichkeit mit den Problemen, die die langen Äste eines Stammbaums mit sich bringen: In einigen Genen zeigen die Myomorpha (Mäuse, Ratten) eine schnellere Evolutionsrate, bei anderen dagegen die Caviomorpha. Die Stellung der Hyacoidea ist nach wie vor Gegenstand der Diskussion – sie könnten die Schwestergruppe der Tethytheria sein. Andere Schwachstellen im hier vorgestellten Stammbaum betreffen die Stellung der Macroscelidea, der Tubulidentata sowie die Monophylie der insectivoren Lipotyphla – das heißt, der Insectivora mit Ausnahme der Tupaias und der Macroscelidea. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass die neueren molekularen Phylogenien nahelegen, die Klada Afrotheria sowie Laurasiatheria einzuführen – ein absoluter Gegensatz zu dem hier vorgestellten Stammbaum. Das Kladon Afrotheria würde mehrere afrikanische Plazentalia-Ordnungen zusammenfassen: die Proboscidea, Sirenia, Hyracoidea, Tubulidentata, Macroscelidea und einen Teil der Insectivora. Dennoch sollte man weitere Studien abwarten, um zu sehen, ob dieses Kladon tatsächlich auf einer soliden Basis steht: das heißt, die Daten sollten unabhängig voneinander reproduzierbar sein.
Monotremata 2
Mammalia
Monotremata Allgemeines Die Monotremata (Kloakentiere) sind schwere, stämmige Säugetiere mit kurzen Beinen und kurzem Schwanz. Sie werden zwischen 40 und 80 cm lang. Sie besitzen ein dickes Fell.Einige Arten tragen Stacheln, zwischen denen Hautpapillen als Reste von Schuppen hervortreten können. Die Tiere sind dunkelbraun gefärbt. Beim Kurzschnabel-Ameisenigel (Tachyglossus) sind die Stacheln etwas heller. Die Brustdrüsen haben keine Zitzen, sondern münden in zwei Milchfeldern.Die Augen sind klein, ebenso die Ohrmuscheln. Manch-
mal fehlen sie auch. Die Schnauze ist lang gestreckt und hornförmig, beim Schnabeltier (Ornithorhynchus) abgeflacht und beim Kurzschnabel-Ameisenigel (Tachyglossus) röhrenförmig. Die Adulten besitzen keine Zähne – stattdessen haben sie Hornreihen oder -platten. Der Schultergürtel zeigt ursprüngliche Merkmale: Er besteht aus den drei Elementen Scapula, Coracoid und Epicoracoid. Das Becken besitzt ein Epipubis. Die Tiere sind ovipar und haben eine persistierende Kloake. Das Ei ist groß und schalenlos. Im Jahre
1798 erhielt das British Museum in London einen kompletten Balg von Ornithorhynchus: Niemand wollte glauben, dass dieses Tier je existiert hatte. Ein biberartiges Fell mit flachem Schwanz und vertrocknetem Entenschnabel konnte wohl nur eine aus verschiedenen Einzelteilen zusammengebaute Chimäre sein, die Kapitäne manchmal auf ihren Schiffen von orientalischen Märkten mitbrachten. Erst nach langen Diskussionen, die nahezu ein Jahrhundert andauerten, wurden die Monotremata unter den Säugetieren eingereiht.
511
2 Monotremata Ökologie Die Monotremata umfassen mit dem Schnabeltier (Ornithorhynchus) eine semiaquatische, am Süßwasser lebende Art, die unterirdische Baue gräbt, sowie zwei landlebende Arten, die Schnabeligel Tachyglossus und Zaglossus, die in lichten Wäldern und in Halbwüsten leben. Ornithorhynchus ist auf den Fang kleiner Wassertiere (Würmer, Krebse und kleine Fische) spezialisiert. Die Beutetiere werden unter Wasser in Bodennähe mithilfe des Schabels gepackt, der quer verlaufende Filtrierfalten, -rinnen und -rillen besitzt. Die mit breiten Schwimmhäuten ausgerüsteten Füße sowie der platte Schwanz machen das Tier zu einem hervorragenden Schwimmer. Das Schnabeltier gräbt ausgedehnte Baue mit zahlreichen Verzweigungen. Der Unterschlupf enthält einen etwa 30 cm unterhalb der Wasserlinie gelegenen Brutraum, in dem das Weibchen 1–3 weiche, ungefähr 1,7 cm große Eier ablegt, die sie bebrütet (die Schnabeltiere besitzen keine Bauchtasche). Die Jungen, blind, nackt und 2,5 cm lang, schlüpfen nach etwa 12 Tagen. Vier Monate lang schlabbern sie die Milch aus den Milchfeldern ihrer Mutter. Wenn sie dann etwa 35 cm groß sind, geben sie diese Futterquelle auf und gehen auf die Jagd.Der Fersensporn an den Hinterbeinen ist bei den Weibchen nur vorübergehend vorhanden. Bei den Männchen bleibt er als Giftsporn bestehen. Das Gift ist für den Menschen nicht ganz ungefährlich. Ein Schnabeltier frisst pro Tag große Mengen an Würmern und Krebsen. Dies macht es sehr schwierig, diese Tiere im Zoo zu halten – ganz abgesehen davon, dass man ihnen eine Wasserfläche mit einem weichen Uferbereich zur Verfügung stellen müsste. Die beiden Schnabeligel Tachyglossus und Zaglossus ernähren sich 512
Kapitel 14 von Ameisen, Termiten und anderen Insekten, die sie mit ihrer langen Zunge fangen. Mit ihren kräftigen Krallen können sie sich bei Gefahr sehr schnell eingraben. Selbst wenn sie nur zur Hälfte eingegraben sind, ist es wegen der spitzen Rückenstacheln und ihrer Krallen, mit denen sie sich festklammern, nahezu unmöglich, sie aus ihrem Versteck wieder herauszuholen – und zudem sind sie erstaunlich kräftig. Sie können mehr als einen Monat ohne Nahrung auskommen. Die Weibchen legen ihre Eier in eine temporäre Bauchtasche und tragen sie etwa 10 Tage. Beim Schlüpfen sind die Jungen ca. 12 mm groß. Sie trinken die dicke Milch, die sich in den Haaren am Milchfeld der Mutter sammelt. 6–8 Wochen später, wenn sie etwa 10 cm groß sind und sich ihre Stacheln bilden, verlassen sie die Bauchtasche der Mutter. Mit einem Jahr sind sie geschlechtsreif. Seltsamerweise hat man im Prager Zoo entdeckt, dass einige männliche Schnabeligel alle 28 Tage eine Bauchtasche entwickeln. Die Tiere können mehr als 50 Jahre alt werden.
Spezielle Merkmale – Die Monotremata besitzen am Fuß einen Fersensporn, der bei den Männchen ein Gift führt (Abb. 1). – Als Adulttiere verlieren die Monotremata ihre Zähne. Dieser Zahnverlust ist konvergent zu dem der Pholidota (Schuppentie-
Abb. 1. Rechte Fußsohle vom Männchen des Kurzschnabel-Ameisenigels (Tachyglossus aculeatus; a), Langschnabel-Ameisenigels (Zaglossus bruijni; b) und des Schnabeltiers (Ornithorhynchus anatinus; c)
re) und einiger Xenarthra (Zahnarme), beispielsweise dem Ameisenbären.
Beispiele Schnabeltier (Ornithorhynchus anatinus), Kurzschnabel-Ameisenigel (Tachyglossus aculeatus), Langschnabel-Ameisenigel (Zaglossus bruijni)
Artenzahl: 3 Ältestes bekanntes Fossil: Steropodon, untere Kreide Australiens (–115 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: Australien, Tasmanien und Neu-Guinea
Theria 3
Mammalia
Theria Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Auftreten einer Fossa supraspinata auf der Scapula (Schulterblatt). Der Übergang von einer Gliedmaße mit quer verlaufender Stellung zu einem Knochen, der eine dazu vollständig entgegengesetzte Stellung einnimmt, bringt bedeutende Modifikationen der Brust- und Schultermuskulatur mit sich. Die Mehrheit der Muskeln, die auf dem Coracoid ansetzen, sitzt auf der Scapula. Das Coracoid existiert bei den Theria nur noch in Form einer Coracoid-Apophyse der Scapula, die am Rand der Cavitas glenoidalis sitzt, die wiederum den Oberarmknochen aufnimmt (Abb. 1). Bei den Theria (Abb. 1b) hat die Außenseite des Schulterblatts einen dicken Grat (Spina scapulae), oben mit der Fossa supraspinalis und unten mit der Fossa infraspinalis. Bei den Nicht-Theria ist die Außenseite der Scapula dagegen glatt (Abb. 1a). Darüber hinaus haben die Theria (Abb. 1a) das Procoracoid und die Interclavicula verloren. Der Schulter-
gürtel der Theria besteht somit ausschließlich aus Scapula (Schulterblatt) und Schlüsselbein (Clavicula; bei der Katze nicht dargestellt). – Die Blastozyste besteht nur aus einer Schicht (Abb. 2). Beim Frosch und bei den nicht zu den Theria gehörenden Amnioten ist das Blastocoel von einer Wand aus mehreren Zellschichten umgeben. Bei den Theria besteht der
größte Teil der Blastocoelwand nur aus einer einzigen Zellschicht, dem Trophoblasten. – Die oberen Molaren sind tribosphenisch: Sie sind mit einem neuartigen Höcker (Cuspidum) ausgerüstet, der auf der Zungenseite der Zähne sitzt. Dieser Höcker passt in eine Vertiefung am hinteren Teil des entsprechenden unteren Molaren (Schlüssel-
Abb. 1. Linke Seitenansicht des Schultergürtels des Ameisenigels (a) und der Scapula (Schulterblatt) der Katze (b)
513
3 Theria
– – – –
Schloss-Prinzip) (Abb. 3). Bei den oberen Molaren ist der äußere (buccale) Rand oben, der innere (linguale) Rand unten und der vordere Teil links; bei den unteren Molaren ist der innere Teil oben, der äußere unten. Die Farbpunkte in Abbildung 3a zeigen die drei Passflächen zwischen den oberen und unteren Molaren bei dem Vetreter der Nicht-Theria. Bei den tribosphenischen Molaren (Abb. 3b) gibt es sechs Passflächen, von denen nur zwei dargestellt sind, nämlich die zwei neuen, die durch den neuen Höcker (Protoconus) entstehen. Prae- und Postfrontale fehlen. Die Brustdrüse liegt in einer besonderen Wölbung. Die Cochlea hat die Form einer Spirale und ist mindestens einmal gewunden. Das Ei ist microlecithal: Es ist klein und besitzt keine Dotterreserven. Die totale Furchung teilt das Ei zunächst in zwei und dann in 4 Tochterzellen etc. Ursprünglich, außerhalb der Theria, ist ein sehr großes telolecithales Ei (bis 9 cm Durchmesser) mit reichhaltigen Dotterreserven. Hier trennt sich das zelluläre Cytoplasma vom Dotter und verlagert sich zusammen mit dem Zellkern zum animalen Pol, wo es eine kleine, flache Scheibe (Germinations- = Keimscheibe) bildet. In diesem Fall ist die Furchung des Eis nur noch partiell – der Dotter bleibt von der Teilung ausgeschlossen. Diesen Furchungstyp findet man bei den Myxinen, den Chondrichthyes, den Teleostei, den Actinistia, den Sauropsida und den Monotremata.
ANMERKUNG: Die Schwestergruppe der Monotremata wird als Therimorpha bezeichnet. Sie fasst die rezenten Gruppen 514
Kapitel 14 der Marsupialia und der Eutheria (Theria) zusammen sowie zahlreiche fossile Gruppen, deren Äste sich zwischen den der Monotremata und den der Theria schieben. Diese aus dem Mesozoikum stammenden Mammalia sind die Triconodonta, Multituberculata, Kuehnotherium, Trinodon, Shoutherium, die Symmetrodonta, die Dryolestoidae, Amphitherium, die Peramuridae, Vincelestes, Aegialodon und schließlich Pappotherium – die Schwestergruppe der Theria. Die Synapomorphien werden alle bei den heute lebenden Theria dargestellt. Sie können jedoch nicht gleichzeitig bei den fossilen Gruppen aufgezeigt werden. So wird beispielsweise der tribosphenische Molar nur bei den Tribosphenidae (Aegialodon, Pappotherium und die Theria) vorgestellt.
Abb. 2. Embryonen im Blastula-Stadium bei Frosch (a) und Mensch (b, Einnistung am 6.Tag)
Beispiele Marsupialia (Beuteltiere): Opossum (Didelphis marsupialis), Rotes Riesenkänguru (Macropus rufus) Eutheria (Placentalia): Dreizehenfaultier (Bradypus tridactylus), Ceylon-Schuppentier (Manis crassicaudata), Igel (Erinaceus europaeus), Spitzhörnchen (Tupaia glis), Dachs (Meles meles), Bergzebra (Equus zebra)
Abb. 3. Obere und untere Molaren von Kuehnotherium, eines fossilen, nicht zu den Theria gehörenden Säugers aus dem unteren Jura (a) sowie von Gypsonictops, einem zu den Eutheria gehörenden fossilen Säuger aus der oberen Kreide (b)
Mammalia
Theria 3
Artenzahl: 4493 Ältestes bekanntes Fossil: Die ältesten Therimorpha sind die Triconodonten aus der oberen Trias (–205 Mio. Jahre), die Morganocudontidae Eozostrodon und Morganucodon aus England, Helvetiodon aus der Schweiz, Brachyzostrodon aus Europa und die Siconodontidae Siconodon und Lufengoconodon aus China. Der älteste Therier ist der Gypsonictoptide Prokennalestes vom Ende der unteren Kreide der Mongolei (–100 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
515
4 Marsupialia
Marsupialia Allgemeines
516
Kapitel 14
Marsupialia 4
Mammalia
Die Marsupialia (Beuteltiere) sind Säugetiere, die in einem ovoviviparen Stadium stehen geblieben sind und daher oft als plazentalos bezeichnet werden. Bei ihnen erfüllt eine Art Dotter-Plazenta während der kurzen intrauterinen Lebensphase der Jungen die Funktion einer Plazenta. Sie ist der Plazenta der Eutheria allerdings nicht homolog und wird von der Uterusschleimhaut und vom Choriovitellin gebildet. Somit wird sie durch die Gefäße des Ombilikalvesikels mit Blut versorgt. Im Gegensatz dazu besitzt die große Mehrheit der Eutheria eine Allantoisplazenta: Diese wird durch die Gefäße der Allantois mit Blut versorgt. Einige Eutheria (Insectivora, Nagetiere) entwickeln jedoch eine Omphaloplazenta, die aber niemals ausschließlich auftritt und bald wieder verschwindet (außer bei Igeln und Maulwürfen), oder aber nie mit dem Uterus in Berührung kommt. Gleichzeitig ist die Allantoisplazenta immer vorhanden. Bei den Marsupialia stellt der Beuteldachs Perameles eine Ausnahme dar, da dieses Tier gleichzeitig eine Omphaloplazenta und eine Allantoisplazenta ausbildet. Die Marsupialia unterscheiden sich von den Eutheria neben der sehr kurzen intrauterinen Lebens-
Ökologie Die Marsupialia sind tag- oder nachtaktiv und leben terrestrisch. Sie leben auf Bäumen, in der Ebene oder in selbst gegrabenen Höhlen. Entweder ernähren sie sich von Insekten, Fleisch, Pflanzen bzw. Nektar oder sind Allesfresser. Sie leben in unterschiedlichen terrestrischen Lebensräumen, vor allem in den Tropenwäl-
phase und dem Fehlen einer Plazenta außerdem dadurch, dass sie gleichsam zweimal geboren werden: Das junge Beuteltier kommt zunächst in einem unentwickelten Zustand zur Welt und schließt seine Entwicklung im Beutel ab. Daher verstand man die Marsupialia als unvollkommene Form der Mammalia. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um eine eigenständige Gruppe, die sich vor 120 Mio. Jahren ausgebreitet hat und die eine Formen- und Anpassungsvielfalt zeigt, die der der anderen rezenten Mammalia nahezu ebenbürtig ist. Man findet Marsupialia in allen Formen und Größen (ohne Schwanz erreichen sie eine Länge von 10–200 cm), in allen Lebensräumen (außer im Meer). Sie können alle erdenklichen Lebens- und Ernährungsweisen haben. Diese Vielfalt wird noch deutlicher, wenn man die fossilen Marsupialia einbezieht. Das Fell der Marsupialia ist meist dicht. Die Tiere haben 2–27 gut entwickelte Zitzen. Diese sind mit einem Muskel ausgestattet, so dass die Milch in den Mund des noch unfertigen Jungen gespritzt werden kann. Die Zitzen sind von einer Hautfalte umgeben – dem Beutel. Aussehen und Anordnung des Beutels ist von Art zu Art sehr
dern, Savannen, trockenen Regionen, Wüsten und Wiesenlandschaften. Die Vielfalt der von den Marsupialia besiedelten ökologischen Nischen ist vergleichbar mit der der Placentalia. Der Vergleich dieser beiden Faunen offenbart übrigens zahlreiche Fälle konvergenter Evolution, was zwischen Arten, die nicht miteinander verwandt sind, äußerst bemerkenswert ist: Diese Arten haben vergleichbare
unterschiedlich. Die Jungen klammern sich an den Zitzen fest und schließen dort ihre Entwicklung ab. Im Beckengürtel ist ein Beutelknochen (Epipubis) vorhanden, der nur beim Beutelwolf (Thylacinus) zurückgebildet ist. Die Tiere haben 18–56 Zähne. Jede Oberund Unterkieferhälfte enthält 4–5 Schneidezähne. Die Zahnzahl variiert je nach Art. Bemerkenswert ist, dass das von Quadratum und Articulare gebildete Gelenk zwischen Kiefer und Schädel (ein den Reptilien vergleichbares Gelenk) während des 25-tägigen extrauterinen Lebens immer noch funktioniert. Der knöcherne Gaumen besitzt ein Fenster. Das Gehirn ist einfach, der Cortex besitzt keine Furchen. Die Körpertemperatur ist mit 34–36 °C niedriger und von der Außentemperatur unabhängiger als bei den Plazentatieren. Der Penis liegt in einer Hülle hinter dem Scrotum. Ursprünglich treten je zwei voneinander getrennte Vaginae und Uteri auf, doch ist bei den heute lebenden Arten eine Vielzahl schrittweiser Fusionen zu beobachten. After und Genitalwege münden in einer Kloake, die mit einem Schließmuskel ausgestattet ist.
Lebensweisen eingenommen. Thylacosmilos, ein fossiles Beuteltier aus Südamerika, ähnelt verblüffend den carnivoren Säbelzahntigern Nordamerikas. Der Beutelmaulwurf Notoryctes steht den Maulwürfen der Placentalia (Insectivora) in nichts nach. Der Flugbeutler Petaurus ähnelt den Flughörnchen (Nagetiere). Der vor kurzem ausgestorbene Beutelwolf ähnelt dem Wolf. Es gibt auch Beutel517
4 Marsupialia mäuse (Sminthopsis), Beutelratten (Antechinus), Beutelmarder (Dasyurus) und Beutelameisenbären (Myrmecobius). Die Beuteltiere haben eine sehr kurze Tragzeit – je nach Art 8–42 Tage – und eine Art zweifache Geburt. Während der ersten Entwicklungsschritte wird der Embryo über eine Dottersackplazenta ernährt. Verglichen mit der Entwicklung der Plazentatiere kommt das junge Beuteltier bei seiner ersten Geburt sehr unreif auf die Welt, mit Vordergliedmaßen, die deutlich weiter entwickelt sind als die Hinterbeine. Nackt und blind und nur 0,5– 3 cm lang schlüpft das Junge aus dem Urogenitalsinus der Mutter. Es klammert sich am Fell fest und hangelt sich entlang einer Haarlinie voran, die vorher von der Mutter befeuchtet wurde. Obwohl die Mutter bei dieser Kletterpartie nicht mithilft, erreicht das Junge innerhalb einiger Minuten den Beutel. Es saugt sich an einer Zitze fest und bleibt hier für mehrere Wochen. Das Verlassen des Beutels entspricht seiner zweiten Geburt.
Kapitel 14 ist fest mit der Zitze seiner Mutter verbunden: Seine Zunge und die Zitze füllen seine Mundhöhle vollständig aus. Daher haben Milchzähne keinen Platz, um sich zu entwickeln. Der Wechsel der vorderen Molaren des Milchgebisses wird verzögert, und nur der letzte Prämolar (Pm4, wenn Pm2 tatsächlich verschwunden ist) wird gewechselt. Die meisten Marsupialia haben 3 Prämolaren und 4 Molaren, während die meisten Placentalia 4 Prämolaren und 3 Molaren haben. Die These, dass die (bis auf Pm4) nicht gewechselte Bezahnung der Marsupialia dem Milchgebiss der Eutheria ent-
spricht, war Gegenstand heftiger Diskussionen. – Der weibliche Genitaltrakt besteht aus zwei langen, lateral gelegenen Vaginae, die mit einem paarigen Uterus und einem Pseudovaginalgang verbunden sind (Abb. 2). Bei den Mammalia sind die Müllerschen Gänge der Ursprung der Eileiter, des Uterus und der Vagina. Ursprünglich sind alle diese Strukturen paarig. Im Laufe der Säugetierevolution jedoch findet eine schrittweise Fusion der beiden Vaginae und der beiden Uteri statt. Bei den Monotremata sind die Müllerschen Gänge (Abb. 2a und 2b)
Spezielle Merkmale – Das Jugale bildet entlang des Jochbeinbogens bis zum vorderen, seitlichen Rand der Fossa glenoidalis einen Steg (Abb. 1). Zu erkennen ist, dass bei den Eutheria – im Gegensatz zu den Marsupialia – das Jugale nicht mit der Fossa glenoidalis zusammentrifft. – Der Jochbein-Fortsatz zum Squamosum ist dorsal und lateral kräftig ausgebildet (Abb. 1). – Zähne: Im Ober- und Unterkiefer entsprechen die Zähne (mit Ausnahme des letzten Prämolaren) Milchzähnen. Bei den rezenten Marsupialia ist die Modifizierung der Zähne abhängig von der Art der Milchaufnahme. Das Jungtier 518
Abb. 1. Linke Seitenansicht der Schädel des Wolfs (Eutheria; a) sowie der Marsupialia Beutelwolf (b) und Opossum (c)
Mammalia
Marsupialia 4
Abb. 2. Ventralansicht (a, c) sowie linksseitige Ansicht der weiblichen Urogenitaltrakte des Langschnabel-Ameisenigels (Monotremata; a, b) und eines Opossums (Marsupialia; c, d) clo = Kloake, csv = vaginaler Blindsack, rec = Rectum, spc = Sphincter cloacis, ure = Urethra (Harnröhre), urt = Ureter (Harnleiter), vs = Blase, vg = Vagina, vgl = Seitenvaginae, tp = Eileiter, ut = Uterus, cpv = Pseudovaginalgang, sug = Sinus urogenitalis
kaum differenziert, der Urogenitalsinus übernimmt bei der Paarung die Funktion der Vagina. Bei den Marsupialia berühren sich die beiden Müllerschen Gänge mit einem Teil ihres Vaginaanteils auf sagittaler Ebene und können fusionieren. Sind die Vaginae sehr gut ausgebildet, zeigen sie einen lateralen Verlauf, der einen langen Bogen beschreibt sowie einen paarigen, vaginalen Blindsack, in den sich der zugehörige Uterus öffnet. Die beiden vaginalen Blindsäcke verkleben an ihren medianen Rändern und bilden dann eine unpaare Struktur, den Blindsack der Medianvagina. Dieser Blindsack kann sich bei manchen Arten nach unten verlängern und zu einem Urogenitalsinus werden. Bei den Kängurus öffnet sich die Medianvagina im Urogenitalsinus und bildet so eine dauerhaft funktionsfähige Medianvagina, die die Ausstoßung der Jungen ermöglicht. Bei den meisten Kängurus findet der Durchbruch dieser Wand bei der ersten Geburt statt und bleibt anschließend dauerhaft bestehen: Die Jungen können bei der Geburt nämlich nicht die zu engen, lateralen
Abb. 3. Sagittalschnitte durch den männlichen Urogenitaltrakt (ventral links, dorsal rechts) der Katze (a) und des Kängurus (b) ccp = Corpus cavernosum penis, clo = Kloake, csp = Corpus spongiosum penis, cw = Wolffscher Gang (primärer Harnleiter), epi = Epididymus (Nebenhoden), gC = Cowpersche Drüsen, os: Os penis, prs = Prostata, rec = Rectum, spa = Sphincter analis (Afterschließmuskel), tes = Testikel (Hoden), ure = Urethra (Harnröhre), urt = Ureter (Harnleiter), vs = Blase
519
4 Marsupialia Vaginae passieren. Bei den anderen Marsupialia bildet sich der untere Teil des vaginalen Blindsacks nur bei der Geburt zurück. Unter hormonellem Einfluss bildet sich in dem darunter liegenden Bindegewebe ein Pseudovaginalkanal, durch den die Jungen vom Uterus zum Urogenitalsinus transportiert werden. – Der männliche Genitaltrakt zeigt ein vor dem Penis liegendes Scrotum (Abb. 3). – Vitellin-Plazenta: Die Entwicklung der Allantochorion-Membran wird unterdrückt, so dass eine Vitellin-Plazenta entstehen kann.
Beispiele Beuteldachs (Perameles fasciata), Opossum (Didelphis marsupialis), Beutelmarder (Dasyurus viverrinus), Beutelteufel (Sarcophilus harrisi), Beutelwolf (Thylacinus cynocephalus), Flugbeutler (Petaurus australis), Rotes Riesenkänguru (Macropus rufus), Beutelmull (Notoryctes typhlops), Beutelameisenbär (Myrmecobius fasciatus), Tüpfelkuskus (Phalanger maculatus), Koala (Phasolarctos cinereus), Wombat (Vombatus ursinus), Opossummaus (Caenolestes fuliginosus)
520
Kapitel 14 Artenzahl: 272 Ältestes bekanntes Fossil: Holoclemensia, mittlere Kreide/Texas (–100 Mio. Jahre); noch älter ist Kokopellia, untere Kreide/Utah; dies könnte ebenfalls ein Beuteltier gewesen sein und würde den nordamerikanischen Ursprung der Marsupialia in der Kreidezeit bestätigen. Einige Autoren plädieren für einen südamerikanischen Ursprung dieser Tiere, wo im Paläozän eine große Formenvielfalt (10 Familien) entstand. Eine typisch südamerikanische Familie ist im späten Eozän der Antarktis gefunden worden – was für die Hypothese einer frühen Ausbreitung nach Australien via Antarktis spricht. In Australien kennt man fossile Beuteltiere aus der Basis des Eozäns, zahlreich seit dem späten Oligozän, einer Zeit, in der sie bereits stark diversifiziert waren. Sie erreichten Europa und Nordafrika während des Eozän und blieben dort bis zum Miozän. In Asien traten bereits sehr früh die Placentalia auf. Man dachte lange Zeit, dass es dort gar keine Marsupialia gegeben habe, bis man 1998 in der oberen Kreide der Mongolei Asiatherium entdeckte. Südamerika war vom Beginn des Tertiärs der Kontinent der Marsupialia und kam – lange Zeit isoliert –im Pleistozän wieder mit Nordamerika in Berührung. Viele nordamerikanische Familien der Placentalia wanderten daraufhin nach Südamerika ein. Darauf wurde die vorhandene Fauna vielfach durch eine neue ersetzt, so dass zahlreiche Marsupialia-Familien auf diesem Kontinent auszusterben drohten. Heutiges Vorkommen: Australien, Tasmanien, Neu-Guinea, Celebes, Südamerika, Mittelamerika, südliches Nordamerika. Das heutige Vorkommen der Marsupialia scheint, verglichen mit dem der Placentalia, nur noch ein Rest oder eine Ergänzung zu sein. Wenn man von den Placentalia absieht, die der Mensch nach Australien eingeführt hat, so war dieser isolierte Kontinent im Quartär offenbar ausschließlich ein Kontinent der Marsupialia. In Südamerika kommen lediglich noch zwei Familien vor – die ratten- oder mäuseähnlichen Didelphidae und die Caenolestidae. Lediglich ein paar Opossums haben vor 3 Mio. Jahren wieder Nordamerika erreicht.
Eutheria (Placentalia) 5
Mammalia
Eutheria (Placentalia) Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Der Beutelknochen (Os epipubis) fehlt (Abb. 1). – Die Kloake fehlt: Die Ausgänge der Verdauungs- und Urogenitalwege sind mehr oder weniger getrennt (Abb. 2). Bei den Monotremata münden sowohl Enddarm als auch Urogenitalsinus in derselben Höhle: Die Kloake bildet somit für sämtliche ableitenden Wege einen gemeinsamen Ausgang. Bei den Theria dagegen besitzt der Darm einen eigenen Ausgang. – Die Vagina liegt median und ist dauerhaft vorhanden. Sie resultiert aus der Fusion eines Teils der Müllerschen Gänge (Abb. 3). Bei den Mammalia sind die Müllerschen Gänge der Ursprung der Eileiter, des Uterus und der Vagina. Ursprünglich sind diese Strukturen paarig. Im Laufe der Säugetierevolution findet eine schrittweise Fusion der beiden Vaginae und Uteri statt. Dagegen gibt es bei den Monotremata und den Marsupialia keine echte, unpaare, dauerhaft bestehende Medianvagina.Bei den Eutheria ist die Vagina unpaar, median und dauerhaft vorhanden. Die Blase der Maus in Abb.3 ist auf die linke Seite geschoben worden.
– Die Harnleiter passieren lateral die Derivate der Müllerschen Gänge, die Eileiter, den Uterus und die Vagina (Abb. 3c). Ursprünglich ist es genau umgekehrt (Abb. 3a): Bei den Monotremata liegen der Uterus und die Eileiter lateral (Abb. 3a), bei den
Marsupialia liegen die Vaginae lateral (Abb. 3b). – Die intrauterine Lebensphase ist durch anatomische und hormonelle Einflüsse verlängert. – Das Foramen opticum ist von der Fissura sphenoorbitale weit getrennt (Abb. 4).
Abb. 1. Linke Seitenansicht des Beckengürtels der Katze (a) mit fehlendem und des Schnabeltiers mit vorhandem Epipubis (b) sowie Lage des Epipubis im vollständigen Skelett (c) ac = Acetabulum (Gelenkpfanne), vrc1 = erster Schwanzwirbel, il = Ilium, is = Ischium, vrl6 = sechster Lendenwirbel, pu = Pubis, vrs = Kreuzbein, epu = Epipubis
521
5 Eutheria (Placentalia) – Das Corpus callosum verbindet die beiden Hirnhälften.
Beispiele
Kapitel 14
Artenzahl: 4221 Ältestes bekanntes Fossil: Der älteste Eutherier ist der Lepticide Prokennalestes (Gypsonictopidea) vom Ende der unteren Kreide der Mongolei (–100 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
Xenarthra: Dreizehenfaultier (Bradypus tridactylus), Neunbinden-Gürteltier (Dasypus novemcinctus) Epitheria: Ceylon-Schuppentier (Manis crassicaudata), Dachs (Meles meles), Wildkatze (Felis sylvestris), Bergzebra (Equus zebra)
Abb. 2. Linke Seitenansicht der Ausgänge der Abb. 3. Ventralansichten des weiblichen UrogeVerdauungs- und Urogenitalwege bei einem nitaltraktes eines Langschnabeligels (MonotreLangschnabel-Ameisenigel (Monotremata; a) und mata; a), Opossums (Marsupialia; b) und einer Maus (Eutheria; c) beim Menschen (Theria; b) cli = Clitoris, clo = Kloake, gl = große Schamlippen, i = Darm, Sp = Sphincter cloacis, tp = Eileiter, ut = Uterus, ure = Harnröhre (Uretra), urt = Harnleiter (Ureter), ves = Vestibulum, vg = Vagina, vs = Blase, a = After, rec = Rectum (Enddarm), sug = Urogenitalsinus,
522
Abb. 4. Postero-dorsale Ansicht des inneren Schädelbodens (Schädeldach entfernt) vom Beuteldachs (Marsupialia; a) und Faultier (Eutheria; b)
Xenarthra 6
Mammalia
Xenarthra Allgemeines Die Xenarthra (Zahnarme) sind Plazentatiere mit verlangsamtem Stoffwechsel. Bei ihnen besteht die Tendenz zur Vereinfachung des Gebisses. Die säulenförmigen Zähne haben keinen Zahnschmelz – oder fehlen überhaupt. Die Tiere haben kleine Augen und immer recht kräftige Krallen. Gestalt und Größe sind unterschiedlich. In diesem Kladon findet man drei in sich ziemlich homogene Gruppen, die Faultiere (Bradypus), die Ameisenbären (Myrmecophaga) und die Gürteltiere (Dasypus). Die Faul-
tiere zeigen typische Merkmale baumlebender Tiere: einen runden Kopf, ein abgeflachtes Gesicht und lange Gliedmaßen. Der Schwanz ist zu einem Stummel zurückgebildet. Je nach Art werden die Faultiere 50–65 cm lang und wiegen 4–9 kg. Hände und Füße sind schmal, mit gelenkigen Fingern und Zehen, die mit 2–3 mächtigen Krallen bewehrt sind. Die Krallen dienen als Haken, mit denen die Faultier klettern und sich in die Äste hängen. Der graue Pelz ist sehr dicht und mit Grünalgen sowie Cyanobakterien durch-
setzt – daher der schmutziggrüne Schimmer. Die Ameisenbären dagegen haben eine sehr lange, fast röhrenförmige Schnauze, an deren Ende der schmale Mund sitzt. Die zahnlosen Tiere besitzen eine lange Klebzunge, mit der sie in Baue und Gänge von Ameisen und Termiten eindringen. Die Hand ist stark modifiziert: Sie laufen auf das letzte Fingerglied gestützt, wobei die Krallen nach innen gerichtet werden. Der Schwanz ist lang und schuppig, bei den baumbe-
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6 Xenarthra wohnenden Arten zum Greifschwanz umgebildet und beim Großen Ameisenbären sehr buschig. Haarlänge und -farbe sind unterschiedlich. Die Körperlänge von der Schwanz- bis zur Schnauzenspitze schwankt zwischen 16 und 120 cm, die Schwanzlänge beträgt 18–90 cm. Entspre-
Ökologie Die Zahnarmen (Xenarthra) leben terrestrisch oder als Baumbewohner in dichten oder lichten Wäldern, Savannen und Prärien. Die Faultiere hängen in den Ästen der Bäume und ernähren sich ausschließlich von Früchten und Blättern. Ihr großer Magen spielt eine entscheidende Rolle bei der Verdauung: Die Blattcellulose wird durch bakterielle Gärung in Fettsäuren umgewandelt, die dann ins Blut aufgenommen werden. Bei verschiedenen Säugetiergruppen (Wiederkäuer, Unpaarhufer, pflanzenfressende Beuteltiere der Gattung Setonix, blattfressende Affen der Gattung Colobus sowie Hyracoidea) sind solche Gärverfahren in unterschiedlichen Abschnitten des Verdauungstraktes (Magen, Pansen oder Blinddarm) durch Konvergenz entstanden. Die Faultiere paaren sich in den Bäumen – Weibchen und Männchen einander gegenüber und in den Ästen hängend. Die Tragzeit beträgt 5 Monate und 3 Wochen. Die Geburt findet ebenfalls in den Bäumen statt – die Mutter hängt sich auch hierbei mit ihren Armen in die Äste. Das fertig ausgebildete Junge wird mit dem Kopf voraus, ohne fötale Hüllen, geboren. Es atmet sofort, hilft bei seiner Geburt mit und klammert sich dann an seiner Mutter fest. Die Faultiere bewegen sich äußerst langsam fort. Sie schla524
Kapitel 14
chend können die Ameisenbären 0,5–35 kg schwer sein. Die Gürteltiere sind deutlich lebhafter als Faultiere und Ameisenbären. Auf ihrer gesamten Rückenseite, dem Schwanz und der Außenseite der Gliedmaßen sind sie mit knöchernen Hautschuppen bedeckt. Diese bilden
fen oder ruhen ungefähr 20–24 h täglich – daher ihr Name. Durch ihre ruhige Lebensweise und ihr verstecktes Leben im Kronendach der Bäume sind diese Tiere nur wenig
eine Art Panzer, unter dem die Tiere spärlich behaart sind. Gürteltiere sind stämmig, schwer, bräunlich gefärbt und haben eine ziemlich lange Schnauze und lange Ohrmuscheln. Die Chlamydophoren sind Wühler: Sie haben als Einzige ein weißes Fell sowie stark reduzierte Augen und Ohren.
bedroht. Die Indianer des Amazonaswaldes haben die Faultiere als Haustiere domestiziert. Die Gürteltiere (Chlamydophoren) sind vorwiegend nachtaktive, omni-
Abb. 1. Linksseitige Ansichten des Beckengürtels der Katze (a) und des Großen Ameisenbären (b) ac = Acetabulum (Gelenkpfanne) vrc1 = 1. Schwanzwirbel il = Ilium (Darmbein) is = Ischium (Sitzbein) vrl6 = 1. Lendenwirbel pu = Pubis (Schambein) ssi = sacroischiale Naht fos = Foramen sacroischialis sm = Sacrum
Xenarthra 6
Mammalia vore Wühler mit schwachem Sehvermögen, jedoch sehr gut entwickeltem Geruchssinn. Die Zahl der Zitzen ist je nach Art unterschiedlich. Die Zahnzahl kann innerhalb derselben Art unterschiedlich sein. Die Paarung findet grundsätzlich im Juli statt. Nach der Befruchtung und den ersten Entwicklungsstadien kommt es zu einem Stillstand: Die Nidation findet erst 14 Wochen später statt. Die Tragzeit dauert ungefähr vier Monate, so dass die Jungen gegen Februar oder März geboren werden. Dasypus novemcinctus bringt grundsätzlich 4, Dasypus septemcinctus sogar 4, 8 und manchmal sogar 12 eineiige Zwillinge zur Welt. Im Süden der USA sind die Hauptfeinde des Gürteltiers längst nicht mehr die Kojoten, Wölfe und Pumas, sondern die Autofahrer. Wie bei uns die Igel, findet man dort frühmorgens am Straßenrand zahlreiche überfahrene Exemplare. Vor Bedrohung schützen sich die Gürteltiere, indem sie sich sehr schnell eingraben. Manche Arten, beispielsweise Tolypeutes matacus, können sich zu einer geschlossenen Kugel einrollen. Die Chlamydophoren graben unterirdische Gänge, die sie nur selten verlassen. Ameisenbären ernähren sich ausschließlich von Insekten. Der Große Ameisenbär (Myrmecophaga tridactyla) lebt tagaktiv und terrestrisch, der Kleine Ameisenbär oder Tamandua (Tamandua tetradactyla) ist nachtaktiv, terrestrisch und baumbewohnend. Der Zwergameisenbär (Cyclopes didactylus) ist nachtaktiv und lebt ausschließlich in den Bäumen. Wenn sich diese Tiere bedroht fühlen, setzen sie sich auf ihr Hinterteil und zeigen ihre gefährlichen Krallen. Bei Cyclopes didactylus kümmern sich beide Eltern um das Junge und füttern es mit einem Brei aus zerkauten Insekten. Das Junge kann sich im Fell des Männchens festklammern.
Spezielle Merkmale – Auf der dorsalen Seite ist das Sitzbein (Ischium) mit dem Kreuzbein (Sacrum) zusammengewachsen (Abb. 1). Mit Ausnahme von Cyclopes berührt der dorsale Teil des Ischiums fast auf seiner ganzen Länge die Querapophysen des Sacrums (beim Großen Ameisenbären, Myrmecophaga) oder die der Pseudosacralwirbel (beim Dreizehenfaultier Bradypus). Das Ischium wächst mit 2–4 Wirbeln zusammen; dabei entsteht eine sacro-ischiale Naht (Sutur), und
davor ein Foramen sacro-ischialis. – Bei den unteren Brust- und Lendenwirbeln treten zusätzliche Apophysen und Wirbelgelenke auf (Abb. 2). Die einzige Gelenkfläche beim Menschen bis auf das Wirbelzentrum ist die normale Präzygapophyse. Bei den Xenarthra wird die Gelenkverbindung zwischen den Wirbeln komplexer: Die beiden akzessorischen Postzygapophysen setzen sich aus zwei akzessorischen Präzygapophysen, aus Postzygapophysen und normalen Präzygapophysen
Abb. 2. Dritter Lendenwirbel des Menschen (Cranialansicht; a) sowie Cranial- (b) und Caudalansicht (c) des zweiten Lendenwirbels und rechte Seitenansicht (d) des Lendenwirbels 2 und 3 des Großen Ameisenbären cvr = Wirbelzentrum, prz = Präzygapophyse, prza = zusätzliche Präzygapophyse, pza = akzessorische Postzygapophyse, pz = Postzygapophyse, prza1, prza2, pza1, pza2 = zusätzliche Gelenke, map = Metapophyse, anap = Anapophyse
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6 Xenarthra zusammen. Diese neuen Gelenkflächen bilden ein so genanntes xenarthrales Gelenk (Abb. 2).
Beispiele Neunbindengürteltier (Dasypus novemcinctus), Siebenbindengürteltier (Dasypus septemcinctus), Kugelgürteltier (Tolypeutes matacus), Riesengürteltier (Priodontes giganteus), Gürtelmaus (Chlamydophorus truncatus), Dreizehenfaultier (Bradypus tridactylus), Ameisenbär (Myrmecophaga tridactyla), Kleiner Ameisenbär (Tamandua tetradactyla), Zwergameisenbär (Cyclopes didactylus)
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Kapitel 14 Artenzahl: 29 Ältestes bekanntes Fossil: Protegotherium, Paläozän, Brasilien (–60 Mio. Jahre); die Xenarthra sind mit zahlreichen Fossilien vertreten. Die Faultiere erreichten den Höhepunkt ihrer Verbreitung im Pleistozän mit Riesenformen wie Megatherium von der Größe eines Elefanten sowie mit Mylodon und Megalonyx. Im Pleistozän lebte auch noch das Riesengürteltier Glyptopodon. Es war 4 m lang und mit einem starken Panzer ausgerüstet. Heutiges Vorkommen: Südamerika, Mittelamerika, Süden Nordamerikas
Epitheria 7
Mammalia
Epitheria Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Das Wadenbein (Fibula) berührt den Oberschenkelknochen (Femur) nicht. Abbildung 1 zeigt die Vorderansicht von Schien- und Wadenbein verschiedener Säuger, Abbildung 2 die Außenansicht vom rechten Schien- und Waden-
bein von Huftieren: Das Wadenbein ist reduziert. Bei den NichtEpitheria (Marsupialia, Abb. 1a) erreicht das Wadenbein proximal die Höhe des Schienbeins und berührt den Oberschenkelknochen. Bei allen anderen sitzt der proximale Kopf des Wadenbeins tiefer als der des Schienbeins.
Abb. 1. Vorderansicht des rechten Schien- und Wadenbeins von Koala (Marsupialia; a), Elefant (Proboscidea; b), Schuppentier (Pholidota; c) sowie Igel (Insectivora; d)
– In der Medianvagina, die aus der Fusion eines Teils der Müllerschen Gänge hervorgeht, verschwinden die Längsteilungen oder deren Reste.
Abb. 2. Außenansicht vom rechten Schien- und Wadenbein von Pferd (Mesaxonia; a) und Flusspferd (Hippopotamida; b): Das Wadenbein ist reduziert.
527
7 Epitheria Beispiele Pholidota: Ceylon-Schuppentier (Manis crassicaudata), Riesenschuppentier (Manis gigantea) Preptotheria: Igel (Erinaceus europaeus), Dachs (Meles meles), Bergzebra (Equus zebra)
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Kapitel 14 Artenzahl: 4912 Ältestes bekanntes Fossil: der Lepticide Prokennalestes (Gypsonictopidea) vom Ende der unteren Kreidezeit/Mongolei (–100 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
Pholidota 8
Mammalia
Pholidota Allgemeines Die Schuppentiere sind gedrungene Säuger mit einer Gesamtkörperlänge von 75–150 cm. Das Riesenschuppentier (Manis gigantea) wird bis zu 35 kg schwer. Der lange Schwanz macht 45–65% der Gesamtlänge des Tieres aus. Der Schädel ist länglich und besitzt weder Jochbeinbögen noch -vorsprünge (Abb. 1), an denen Kaumuskeln ansetzen könnten. Die Unterkieferhälften sind schmal und zu zahnlosen, knöchernen Stäbchen reduziert. Die Schnauze ist eine Art Röhre, aus der eine sehr lange Zunge austritt. Augen, Ohrmuscheln und Mundöffnung sind stark reduziert. Die Rückenseite ist dachziegelartig mit dicken, braunen Epidermisschuppen bedeckt. Darunter sitzen spärliche Haare. Der Schwanz ist vollständig mit Schuppen bedeckt. Die Bauchseite trägt dünne Haaren. Die Gliedmaßen sind zwar pentadactyl, doch sind die Hände funktionell tridactyl. Die Tiere haben sehr kräftige Krallen. Die lange, wurmförmige Zunge kann sehr
Ökologie Schuppentiere sind nachtaktiv und ernähren sich von Ameisen und Termiten. Sie leben am Boden oder auf Bäumen, in Wäldern oder bewaldeten Savannen der Tropenregionen der Alten Welt. Die baumbewohnenden Schuppentiere ernähren sich von Termiten, die auf den Bäumen vorkommen. Die bodenlebenden Schuppentiere attackieren ganze Termitenbaue und Ameisenhaufen. Der
weit herausgestreckt werden. Bei den großen Schuppentierarten kann sie bis zu 40 cm, bei den kleinen, baumbewohnenden Arten Afrikas 18 cm lang werden. In Ruhe wird sie in eine Hülle zurückgezogen und bis in den Brustkorb umgeschlagen. Die Speicheldrüsen sind sehr groß. Die Zunge ist mit viskösem Speichel bedeckt, auf dem die als Nahrung dienenden Insekten kleben bleiben. Der Xyphoid-Appendix des Brustbeins (Xiphisternum) ist modifiziert. Er
Magen ist zu einem Kauorgan umgewandelt. Der Mageneingang ist, statt mit einer Schleimschicht, mit einem mehrschichtigen, verhornten Epithel ausgestattet, das Hornzähne zur Zerkleinerung der Insekten trägt. Wenn sie sich schnell fortbewegen, laufen die Schuppentiere nur auf den Hinterbeinen. Vor Angriffen großer Carnivoren (Löwen, Tiger) schützen sie sich, indem sie sich zur Kugel einrollen. Um sie aufzurollen, bedarf es einer beachtlichen Kraftanstrengung
ist je nach Art verlängert oder verbreitert und mit verschiedenartigen knorpeligen Stielen verbunden. Diese Struktur kann sich ventral auf die Außenseite des Bauchfells bis hin zum Becken erstrecken. Das bandförmige Xiphisternum der afrikanischen Schuppentiere ist im Becken sogar um sich selbst gewickelt; bei den asiatischen Schuppentieren hat es dagegen die Form einer Schaufel. Diese Strukturen unterstützen die Zungenmuskulatur.
– ein Mensch schafft das nicht. Die afrikanischen Arten bringen ein einziges Junges zur Welt, die asiatischen Arten 1–3. Die Jungen der baumbewohnenden Arten krallen sich auf dem Rücken oder an der Schwanzbasis ihrer Mutter fest und reiten dann gleichsam, wobei sich ihr Schwanz um den der Mutter ringelt. Die Jungen der bodenlebenden Arten wachsen in einem Bau geschützt auf. 529
8 Pholidota
Kapitel 14
Spezielle Merkmale – Die Schuppentiere sind vollkommen zahnlos (Abb. 1). – Der Unterkiefer ist zierlich (Abb. 1). – Die Tiere sind mit großen Hornschuppen epidermalen Ursprungs bedeckt (Abb. 2). – Die Mageninnenwand weist am Eingang ein verhorntes Epithel auf. In der Pylorus-Region befindet sich ein Organ, das der Zerkleinerung der Nahrung dient. Es ist mit Hornzähnen ausgerüstet. Darüber hinaus ist die Magenmuskulatur in der Pylorusregion sehr kräftig. Die Schuppentiere kauen also nicht mit dem Mund – dessen Funktion übernimmt der Magen: Die im Schleim verklebten Insekten erreichen den Magen, ohne dass sie vorher zerkleinert wurden. Sie werden vom Schleim der großen Magenschleimdrüsen und seinen Steinchenbeimengungen umhüllt und von dem oben beschriebenen Pylorusorgan zerkleinert. Die Magendrüsen setzen zudem Pepsin frei, das Proteine abbaut.
Abb. 1. Linke Seite des Schädels von Manis tetradactyla
Abb. 2 Schematischer Längsschnitt durch drei Schuppen von Manis tricuspis
Beispiele Ceylon-Schuppentier (Manis crassicaudata), Riesenschuppentier (Ma-
nis gigantea), M. temmincki, M. tricuspis, M. pentadactyla, M. tetradactyla, M. javanica.
Artenzahl: 7 Ältestes bekanntes Fossil: Eomanis, Eozän/Grube Messel (–40 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: Südsahara, Indien, Südchina, Südostasien, Java, Borneo, Sumatra
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Preptotheria 9
Mammalia
Preptotheria Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Der Stapes ( = Hyomandibulare, eines der Gehörknöchelchen) hat die Form eines Steigbügels (Abb. 1). Ursprünglich ist er säulig und nicht perforiert. Er leitet die Vibrationen vom Trommelfell zum ovalen Fenster (Foramen ovale). Die im Wasser lebenden Epitheria (Seekühe, Wale, Seehunde, Seelöwen, Walrosse) haben sekundär wieder einen massiven, säuligen Stapes erworben – zweifellos aufgrund ihrer aquatischen Lebensweise. Bei den Reptilien liegt zwischen Articulare (Hammer) und Quadratum (Amboss) das primäre Kiefergelenk. – Das Foramen ovale ist vollständig ins Alisphenoid inkorporiert. Dieses ovale Fenster erlaubt den Austritt des 3. Trigeminus-Astes (mandibulärer Ast), der für die Übertragung der Sinnes- und Bewegungsimpulse zuständig ist. Bei den Nicht-Preptotheriern (Abb. 2a und b) begrenzt dieses Foramen das Alisphenoid von hinten und öffnet sich zwischen zwei Knochen der hinteren Schädelba-
sis, nämlich zwischen dem Alisphenoid und dem Basisphenoid oder auch Perioticum (Felsenbein, Petrosum). Bei den Preptotheriern (Abb. 2d–g) öffnet sich das Foramen ovale vollständig im Alisphenoid. Beim Wolf bzw.
Hund (Canis) befindet sich das Basisphenoid verborgen hinter dem untersten Teil des Squamosums und unter dem hinteren Teil des Alisphenoids. Das Alisphenoid verschmilzt mit dem Perisphenoid.
Abb. 1. Formen des Stapes: Nicht perforiert bei Sauropsida, Monotremata und Pholidota (a), perforiert bei Marsupialia und einigen Xenarthra (b) sowie steigbügelförmig bei Preptotheria (c)
531
9 Preptotheria Beispiele Insectivora: Igel (Erinaceus europaeus) Carnivora: Dachs (Meles meles), Wolf (Canis lupus) Anagalidea: Alpenmurmeltier (Marmota marmota) Huftiere: Erdferkel (Orycteropus afer), Bergzebra (Equus zebra)
Kapitel 14 Artenzahl: 4185 Ältestes bekanntes Fossil: Prokennalestes (Lepticidae, Gypsonictopidea) vom Ende der unteren Kreidezeit/Mongolei (–100 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
asp = Alisphenoid boc = Basioccipitale bsp = Basissphenoid coo = Condylus occipitalis ecp = Ectopterygoid ept = Epipterygoid fov = Foramen ovale fr = Frontale j = Jugale la = Lacrimale mx = Maxillare na = Nasale
occ = Occipitale ors = Orbitosphenoid pa = Parietale pal = Palatinum per = Perioticum pg = Pterygoid pp = Postparietale ps = Praesphenoid ptr = Petrosum soc = Supraoccipitale sq = Squamosum
Abb. 2. Ventralansicht (von hinten links) der Schädel der Nicht-Preptoptheria Opossum (Marsupialia; a) und Schuppentier (Pholidota; b) sowie der Preprotheria Murmeltier (Nagetiere; c), Erdferkel (Tubulidentata; e) und Klippschliefer (Hyracoidea; f); linke Schädelseite (Jochbogen jeweils entfernt) eines NichtPreptotheriers (Schnabeltier; c) und eines Preptotheriers (Hund; f)
532
Insectivora 10
Mammalia
Insectivora Allgemeines Die Insectivoren (Insektenfresser) sind kleine bis sehr kleine Säugetiere – sie sind nie größer als 50 cm. Ihre Gliedmaßen sind kurz und fünffingrig (pentadactyl). Diese Ordnung enthält mit der Etruskischen Zwergspitzmaus (Suncus etruscus) das kleinste heute lebende Säugetier: Dieses Tier ist nur 3,5 cm lang und wiegt 2 g. Die Insectivora haben einen ziemlich langgestreckten Körper und eine bewegliche Schnauze. Körper und Schnauze sind mit langen Tasthaaren ausgestattet. Die Postorbitalleiste fehlt, der Jochbogen ist meistens – außer bei den Maulwürfen und Igeln – zurückgebildet. Die Jugalzähne haben scharfe Spitzen. Die Gestalt der Insectivoren ist sehr unterschiedlich: Es gibt den „Spitzmaus-Typ“ mit schlankem Körper, einer langen, spitzen, den Mund weit über-
ragenden Schnauze, kurzen Beinen und winzigen Augen, den „Ratten-Typ“, den „Otter-Typ“ mit langem Körper und sehr langem, seitlich zusammengedrücktem Schwanz, den „Igel-Typ“ mit gedrungenem Körper und der Fähigkeit, sich zu einer Kugel einzurollen, der Rücken mit Stacheln oder dichten Haaren gespickt, mit einem kurzen Schwanz, und schließlich den „Maulwurf-Typ“, mit zylindrischem Körper, sehr kurzem Schwanz und zurückgebildeten Augen und Ohren. Die Insectivoren umfassen, nach der ältesten Definition, die Spitzmäuse, Borstenigel, Igel, die Große Otterspitzmaus und die Maulwürfe sowie die Macroscelideae (Rüsselspringer) und Spitzhörnchen. Es war sehr schwierig, anhand dieser Zusammenstellung für diese als ursprünglich geltende Plazentalia-
Gruppe homogene Merkmale zu finden. Die Rüsselspringer und Spitzhörnchen waren ausgeklammert; die Rüsselspringer wurden für Verwandte der Glirimorpha und Tupaia für Verwandte der Primaten gehalten. Die heutigen Insectivoren im engeren Sinne tragen in der Tat mit der Bezeichnung Lipotyphla einen exakteren Namen. Da sie keinen Blinddarm besitzen, hat man sie den Rüsselspringern und Tupaias gegenüber gestellt, die einen Blinddarm besitzen und daher in der Unterordnung Menotyphla zusammengefasst wurden. Es gibt keinen triftigen Grund, die Insectivoren gegenüber den Carnivoren oder den Primaten als primitiver anzusehen. Bei den Insectivoren muss man unter Lipotyphla noch eine fossile Gruppe einordnen, die Lepticidae.
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10 Insectivora
Kapitel 14
Ökologie Es ist schwierig, bei den Insectivoren eine Homogenität der Morphologie und der Lebensweise zu umreißen. Man findet diese Tiere in verschiedenen terrestrischen Lebensräumen – in feuchten Wäldern, in Ebenen und Savannen, Steppen, Tundren, in Halbwüsten und Wüsten, in Sümpfen und in den Bergen. Alle dieses Tiere leben terrestrisch, und die meisten graben Gänge – auch wenn einige amphibisch leben wie die Große Otterspitzmaus (Potamogale velox) oder der Bisamrüssler (Desmana pyrenaica). Sie graben provisorische oder dauerhaft bestehende Gänge. Mitunter übernehmen sie auch die Gänge anderer Arten. Es gibt insektivore und omnivore Arten. Die wichtigsten Sinne sind der Geruchssinn und das Gehör. Die Tiere sind tagoder nachtaktiv. Sie leben nicht in Gemeinschaften, zeigen Revierverhalten und sind untereinander sehr aggressiv. Die Insectivoren haben keine gemeinsamen, typischen Fortpflanzungseigenschaften. Unter den Säugetieren halten die Borstenigel (Tenrecoidea) mit 31 Jungen pro Wurf den Rekord. Bei dieser Art sind 12-15 Junge pro Wurf üblich, die Mutter hat 12 Zitzenpaare.
Spezielle Merkmale – Das Jugale fehlt manchmal (Abb. 1). Das Jugale liegt zwischen Maxillare (vorne) und Squamosum (hinten) (Abb. 1a und b). Beim Igel ist der Jochbogen vorhanden – aber ohne Jugale: Das Maxillare berührt das Squamosum. Beim Borstenigel ist der Jochbogen vollständig verschwunden. – Die Postorbitalleiste fehlt (Abb. 1). Bei einem Nicht-Insectivoren wie Tupaia ( Abb. 1a) ist sie gut ausgebildet und entsteht durch 534
Abb. 1. Linke Schädelseite von Spitzhörnchen (a), Hund (b), Igel (c) und Borstenigel (d)
Insectivora 10
Mammalia
Abb. 2. Ventralansicht des Beckengürtels der Nicht-Insectivoren Beutelwolf (Marsupialia;a) und Flughund (Dermoptera; b) sowie der Insectivoren Igel (c) und Maulwurf (d)
den Kontakt zwischen Frontale und Jugale. Beim Wolf ist die Postorbitalleiste nur noch als Rest vorhanden: Jugale und Frontale haben aufeinander gerichtete Ausläufer, die sich jedoch nicht berühren. Bei den Insectivoren fehlt die Postorbitalleiste ganz. – Der Beckengürtel hat je zwei getrennte Sitzbeine (Ischium) und Schambeine (Pubis): Es tritt keine Pubissymphyse auf (Abb. 2). Die Verbindung zwischen den beiden Pubis-Knochen kann entweder durch einen Interpubisknorpel oder ein Interpubisligament gebildet werden (Desmanidae, Igel, Tenrecidae, Chrysochloridae). Fallweise fehlt die Symphyse, da diese Knochenverbindung vollständig geöffnet ist (Soricidae,Talpidae). Die erstgenannte Anordnung ist bei den Pholidota,
Xenarthra, einigen Chiroptera (Pteropus) und den Walen aufgrund der extremen Reduktion ihres Beckengürtels konvergent entstanden. Die als zweites genannte Anordnung ist bei Cyclopes (Xenarthra) entstanden. ANMERKUNG: Der Beutelwolf (Thylacinus) ist das einzige Beuteltier, das das Epipubis (Beutelknochen) vollständig verloren hat.
Beispiele Schlitzrüssler (Solenodon paradoxus), Borstenigel (Tenrec ecaudatus), Otterspitzmaus (Potamogale velox), Goldmull (Chrysochloris congicus), Igel (Erinaceus europaeus), Rattenigel (Echinosorex gymnurus), Hausspitzmaus (Crocidura suaveolens), Etruskische Zwergspitzmaus (Suncus etruscus), Bisamrüssler (Desmana pyrenaica), Maulwurf (Talpa europaea)
Artenzahl: 342 Ältestes bekanntes Fossil: Prokennalestes/Lepticidae, mittlere Kreide/Mongolei (–105 Mio. Jahre), Batodon/Lipotyphia, Ende der Kreide/Wyoming (–70 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit, außer von Südamerika bis zum Südäquator, Australien und Neu-Guinea
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11 Carnivora
Carnivora Allgemeines
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Kapitel 14
Carnivora 11
Mammalia
Die Carnivora (Raubtiere) sind in der Mehrzahl Fleisch fressende, mittelgroße bis große Säugetiere mit sehr gut entwickelten Sinnesorganen.Die vorderen Gliedmaßen sind pentadactyl und mit starken, spitzen Krallen ausgestattet. Die hinteren Gliedmaßen haben generell 4 Zehen. Die Tiere haben in jeder Hälfte des Ober- und Unterkiefers jeweils 3 scharfe Schneidezähne. Die Eckzähne sind zu langen, spitzen Fangzähnen umgebildet. Die Prämolaren sind schräg abgeflachte Schneidewerkzeuge. Die Molaren sind mehrhöckrig und scharf. Die Jochbögen sind an
Ökologie Die Carnivoren sind Fleisch-, Aasoder Allesfresser – und nur in Ausnahmefällen Vegetarier (Großer Panda). Sie leben in unterschiedlichen terrestrischen Biotopen, in den Polarregionen (Seehunde, Eisbären), im Tropenwald (Jaguar), in den trockensten Wüstengegenden (Fennek) und sogar in großer Höhe (Schneeleopard). Carnivoren findet man auch im Meer. Die Pinnipedia (Walross, Seehund) sowie die Seeotter leben semiaquatisch. Im Gegensatz zu den Walen und den Sirenen haben die Pinnipedia nicht die Fähigkeit verloren, sich an Land zu bewegen und sich dort auszuruhen. Auf allen Kontinenten stellen die Carnivora die Hauptmasse der Nahrungsverwerter zweiter und dritter Ordnung – sie sind die Endglieder der Nahrungsketten. Eine Ausnahme ist Australien: Wenn man von den seit drei Jahrhunderten vom Menschen eingeführten Carnivoren absieht, nimmt hier neben den Fleisch fressenden Beuteltieren ausschließlich der Dingo diesen Platz ein. Aufgrund
beiden Seiten des Schädels stark ausgebildet, so dass viel Platz für den Durchtritt der mächtigen Kaumuskeln entsteht. Der Kiefer kann vertikale, jedoch keine lateralen Bewegungen ausführen. Die Tiere tragen ein Fell. Schweißdrüsen fehlen, bis auf sehr eng begrenzte Regionen (bei den Hunden beispielsweise die Region zwischen den Zehen). Talgdrüsen dagegen sind in großer Zahl vorhanden: In der Anogenitalregion besitzen die Carnivoren einen Drüsenkomplex, der jedem Tier seinen individuellen Geruch gibt. Die Analtaschen sind Hauteinstülpungen,
des Energieverlustes auf jeder Stufe der Nahrungskette ist die Zahl der Carnivoren sehr beschränkt, die innerhalb eines Ökosystems leben können. Carnivoren regulieren die Populationen der Pflanzenfresser und dienen indirekt als Nahrungsquelle für Aasfresser (beispielsweise Geier) oder Detrivoren (zahlreiche Insekten), die sich von den Beuteresten ernähren. Sobald die Carnivoren verschwinden, gerät das Ökosystem
die Talgdrüsen sowie röhrenförmige, schweißdrüsenartige Organe enthalten, deren Sekretionsprodukte einen starken Geruch verbreiten (insbesondere bei Stinktier, Zibetkatze und Ginsterkatze). Form und Farbe sind sehr unterschiedlich: So ist beispielsweise das Mauswiesel nur 13 cm groß (ohne Schwanz). Männliche Seeelefanten bringen es dagegen auf bis zu 650 cm Länge und 3600 kg. Die Carnivora umfassen die Wölfe, Bären, Waschbären, Wiesel, Otter, Ginsterkatzen, Hyänen, Panther, Robben, Seehunde, Walrosse sowie die fossilen Creodonta.
völlig aus dem Gleichgewicht. Im Jahre 1907 zählte man noch 7000 Hirsche auf dem Kaibab-Plateau in Arizona. Infolge einer Kampagne, bei der alle Raubtiere ausgerottet wurden, war die Zahl der Hirsche 19 Jahre später bereits auf 100 000 angestiegen – auf 30 000 ha waren die Weiden fast vollständig vernichtet. Die jungen Carnivoren kommen, bis auf die marinen Arten, sehr klein, wenig mobil und blind zur Welt. Man
Abb. 1. Linke Schädelseite einer Hyäne (Crocuta crocuta): Der Brechscherenapparat Pm4/ M1 ist farbig hinterlegt. I = Schneidezahn (Incisivi) C = Eckzahn (Canini)
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11 Carnivora vermutet, dass der Grund dafür die räuberische Lebensweise der Carnivoren ist: Die Weibchen müssen auch während der Tragzeit jagen können. Voluminöse Junge im Bauch der Mutter wären für die erforderliche Schnelligkeit beim Jagen nachteilig. Arten, die Beutetiere jagen, die größer sind als sie selbst, haben grundsätzlich ein gut entwickeltes Gemeinschaftsleben mit artspezifischer Organisation und Kommunikation (z. B. Wolf, Hyänenhund, Löwe, Hyäne). Viele unserer Haustiere sind Carnivoren. Der Hund ist wahrscheinlich mehrfach domestiziert worden, etwa 2400 v. Chr. in Amerika, 9500 v. Chr. in Persien und in Palästina, ca. 10000 v. Chr. in Mitteleuropa und 13000 v. Chr. in Sibirien. Die deutlich weniger „formbare“ Katze wurde ca. 3500 v. Chr. in Ägypten, Lybien, Pakistan und eventuell auch in Südostasien domestiziert. Die Ginsterkatze wurde seit der Antike im Mittelmeerraum als Begleiterin geschätzt. Der Gepard wurde ca. 3000 v. Chr. von den Sumerern domestiziert, dann in Zentralafrika, Nordafrika und Nordindien.
Kapitel 14
Abb. 2. Bezahnung der linken Oberkieferhälfte verschiedener Carnivoren. Der Brechscherenapparat der verschiedenen Arten ist zur besseren Vergleichbarkeit von oben nach unten übereinander angeordnet.Wolf (a), Bär (b), Marder (c), Dachs (d), Manguste (e), Hyäne (f) und Löwe (g) C = Eckzahn (Canini) M = Molar Pm = Prämolar
Panda (Ailuropus melanoleuca), Braunbbär (Ursus arctos), Ginsterkatze (Genetta genetta), Ichneumon (Herpertes ichneumon), Rotfuchs (Vulpes vulpes), Haushund (Canis familiaris), Wolf (Canis lupus), Mönchsrobbe (Monachus mona-
chus), Walross (Odobaenus rosmarus), Südlicher See-Elefant (Mirounga leonina), Kalifornischer Seelöwe (Zalophus californianus), Gestreifte Hyäne (Hyaena hyaena), Wildkatze (Felis sylvestris), Löwe (Panthera leo), Gepard (Acinonyx jubatus)
Spezielle Merkmale – Der letzte Prämolar des Oberkiefers (Pm4) und der erste Molar des Unterkiefers (M1) sind zu einem Brechscherenapparat umgebildet: Die Zähne sind zu langen Klingen vergrößert. Ihre Funktionsweise entspricht dem Schneiden einer Schere (Abb. 1 und 2).
Beispiele Mauswiesel (Mustela nivalis), Dachs (Meles meles), Skunk (Mephitis mephitis), Fischotter (Lutra lutra), Waschbär (Procyon lotor), Großer 538
Artenzahl: 271 Ältestes bekanntes Fossil: Die Carnivora sind Teil einer größeren Gruppe Ferae, die auch die fossilen Gruppen Cimolesta und Creodonta umfasst. Die ältesten Fossile der Ferae-Linie sind die Cimolestia Otlestes aus der mittleren Kreide Usbekistans und Deccanolestes aus der mittleren Kreide Indiens (–95 Mio. Jahre). Der älteste Creodont ist der Oxyaenide Tytthaena aus dem Paläozän Wyomings (–60 Mio. Jahre). Zu den ältesten Fossilen unter den Carnivoren im engeren Sinne gehört der Didymictide Protictis aus dem Paläozän Nordamerikas (–60 Mio. Jahre), der Miacide Uintacyon und der Viverravide Simpsonictis, beide aus dem Paläozän Wyomings (–60 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: mit Ausnahme Australiens weltweit; einige Ohrenrobben (Arctocephalinae) jedoch treten an der Küste Südaustraliens auf. Der in Australien vorkommende Dingo ist ein großer Wildhund, der dort vor 6000 Jahren vom Menschen eingeführt worden ist. Seit 300 Jahren hat der Mensch die Einfuhr von Carnivoren (Katzen, Hunde) nach Australien noch verstärkt – zum Schaden der autochthonen Beuteltierfauna.
Archonta 12
Mammalia
Archonta Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Der Penis hängt herab, mit einer kurzen Insertion des Scrotums am Abdomen (Abb. 1). Bei den Nicht-Archonta ist der Penis entweder intern (z. B. Katze) oder extern, doch dann mit einem Teilabschnitt am Abdomen fixiert (z. B. Hund). – Auftreten einer distalen und medianen Verschmelzung über dem Sprungbein (Fußwurzelknochen), zwischen der Subtentacular-Facette und den Distal-Facetten, die das Naviculare und das Cuboid berühren (Abb. 2). Diese
L-förmige Verschmelzung ermöglicht die Auswärtsdrehung (Supination) des Fußes. Es sei darauf hingewiesen, dass einige andere Säugetiere (Didelphidae = Marsupialia und einige Nagetiere) eine Verschmelzung zwischen den Subtentacular-Facetten sowie dem Naviculare und dem Cuboid aufweisen, doch ist dieser distallateral und nicht distal-median. Die kletternden Nagetiere (z. B. Eichhörnchen) haben die distalmediane Verschmelzung unabhängig davon erworben.
Beispiele Volitantia: Pelzflatterer (Cynocephalus volans), Kleiner Flughund (Rousettus aegyptiacus), Langohrfledermaus (Plecotus auritus), Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus) Primates (im weiteren Sinne): Spitzhörnchen (Tupaia glis), Baummaki (Lemur variegatus), Fingertier (Daubentonia madagascarensis), Hundskopfpavian (Papio cynocephalus), Mensch (Homo sapiens)
Artenzahl: 1128 Ältestes bekanntes Fossil: Berühmt ist Purgatorius aus dem tiefen Paläozän (–65 Mio. Jahre); Paromomys aus Neu-Mexiko, datiert in dieselbe Epoche. Heutiges Vorkommen: weltweit
Abb. 1. Frei hängender Penis der Archonta
Abb. 2. Linkes Sprungbein verschiedener Spezies, von der Fußsohle aus gesehen: Pelzflatterer (Dermoptera; a), Federschwanzhörnchen (Scandentia; a), Adapis (fossiler Primat¸ c), Flughund (Chiroptera; d) und Arctocyonides (fossiles Huftier; e) fsu = subtentacular-Facette, fd = Distalfacette
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13 Volitantia
Kapitel 14
Volitantia Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Volitantia zeigen eine ausgeprägte Verlängerung der vorderen Gliedmaßen (Abb. 1). – Der Oberarmknochen (Humerus) ist kürzer als der Unterarm (Abb. 1a und b). – Die Elle (Ulna) ist deutlich zurückgebildet, beim Wadenbein ist diese Rückbildung nicht so stark ausgeprägt. – Die Rippen sind besonders zur Wirbelsäule hin abgeflacht (deutlich zu sehen in Abb. 1a und b, aber nicht in Abb. 1 c). – Auftreten einer Flughaut zwischen den Fingern (Abb. 2) – Die Flughaut (Patagium) besitzt eine eigene Muskulatur. Besonders zu erwähnen sind hierbei die Muskeln Occipitopollicalis und Humeropatagialis.
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Abb. 1. Linksseitige Ansicht des Skeletts von Pelzflatterer (Cynocephalus volans, Dermoptera; a), Großes Mausohr (Myotis myotis, Chiroptera; b), Buschschliefer (Heterohyrax syriacus, Hyracoidea, gehört nicht zu den Volitantia; c)
Volitantia 13
Mammalia
Beispiele Chiroptera (Fledermäuse): Kleiner Flughund (Rousettus aegyptiacus), Langohrfledermaus (Plecotus auritus) Dermoptera (Flatterer): Pelzflatterer (Cynocephalus volans)
Abb. 2. Ventralansichten der linken Hand vom Pelzflatterer (Cynocephalus volans, Dermoptera; a) und Großem Mausohr (Myotis myotis, Chiroptera; b)
Artenzahl: 927 Ältestes bekanntes Fossil: Die ältesten bekannten Dermoptera sind vor den ältesten Chiroptera entstanden. Zu den Dermoptera zählen Elpidophorus, Dracontolestes und Navajovius aus dem unteren Paläozän Nordamerikas (–60 Mio. Jahre) sowie Berruvius aus dem unteren Paläozän Frankreichs. Doch gibt es noch ältere Fossilien von Tieren, die bereits den Gleitflug beherrschten, z. B. den Paromomyiden Purgatorius aus dem tiefen Paläozän Montanas sowie Paromomys aus Neu-Mexiko (–65 Mio. Jahre). Die früher als Primaten angesehenen Paromomyiden werden heute oft als Schwestergruppe der Galeopithecidae betrachtet. Heutiges Vorkommen: Äquatoriale, tropische und gemäßigte Regionen aller Kontinente außerhalb der Polarkreise
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14 Chiroptera
Kapitel 14
Chiroptera Allgemeines Die Chiroptera (Fledermäuse) sind Säugetiere, die aufgrund ihrer stark vergrößerten vorderen Gliedmaßen zum echten, aktiven Flatterflug befähigt sind. Außer dem ersten sind sämtliche Finger – besonders in der Metacarpalregion – stark vergrößert. Zwischen den Fingern spannt sich eine Flughaut (Dactylopatagium), die am Körper und den 4 Fingern befestigt ist. Die Flughaut erstreckt sich vom Hals bis zum Daumen (Plagiopatagium) und zwischen den Hinterbeinen (Uropatagium). Das Uropatagium wird darüber hinaus von einem spezifischen Knochensporn gehalten, der am Fersenbein ansetzt. Der Daumen selbst wird nicht von der Flughaut umspannt und endet wie die Zehen mit einer spitzen Kralle. Alle anderen Finger
542
haben keine Krallen. Die elastische, epidermal-dermale Flughaut setzt weit oben am Rücken an und besitzt eine eigene Muskulatur sowie Nerven und Blutgefäße. Das Brustbein und der Schultergürtel sind sehr kräftig. Das gut ausgebildete Schulterblatt liegt weit dorsal. Das Becken der Tiere ist klein, die Hinterbeine sind kurz. Der Körper ist mit einem dichten Pelz bedeckt. Im Gesicht tragen die Tiere zahlreiche Tasthaare und sehr große Hautdrüsen (Talgdrüsen). Diese Drüsen treten auch am Hals, an der Schulter, am Ellbogen und rund um den After auf. Schweißdrüsen fehlen. Die Ohrmuscheln sind sehr groß und manchmal kompliziert geformt. Um die Nasenöffnungen entwickeln sich oft besondere Hautfalten. Die
Komplexität des Gesichts und der Ohren hängt mit der Echoortung zusammen und verleiht den Tieren ihr einzigartiges, typisches Aussehen. Obwohl der Körperbau aufgrund der Erfordernisse an das Fliegen gewisse Übereinstimmungen zeigt, findet man bei diesen Tieren eine Vielzahl an Formen und Farben: Die Größe variiert zwischen 3 und 42 cm (ohne Schwanz), die Spannweite liegt zwischen 18 und 142 cm und das Gewicht zwischen 4 bis 900 g. Die Chiroptera sind in zwei Gruppen aufgeteilt, die größeren Megachiroptera mit langer Schnauze und die meist kleinen Microchiroptera, deren Gesicht abgeflachter und häufig komplexer ist, oft mit winzigen Augen und großen Ohren.
Chiroptera 14
Mammalia
Ökologie Die Fledermäuse sind nachtaktive Tiere, die den Tag ruhend in geschützter Umgebung, mit dem Kopf nach unten hängend, verbringen. Schutz bieten Bäume, Höhlen, Felsnischen oder vom Menschen geschaffene Konstruktionen. Grundsätzlich geht man davon aus, dass der Luftraum und die Nahrungsressourcen, die die fliegenden Wirbeltiere benötigen, tagsüber stark von den zum größten Teil tagaktiven Vögeln abgeschöpft werden. Den Fledermäusen blieb somit nichts anderes übrig, als nachtaktiv zu sein, um sich im Wettstreit um den Luftraum zu behaupten. Man findet unter den Chiroptera jedoch ein ganzes Spektrum an Ernährungstypen mit Entsprechungen bei den Vögeln: Es gibt unter den Megachiroptera Frucht- und Nektarfresser, und unter den Microchiroptera Insekten-, Fisch-, Fleisch- und Fruchtfresser. Bei den Microchiroptera gibt es sogar noch eine Besonderheit, die man bei Vögeln nicht findet: Einige Arten ernähren sich ausschließlich vom Blutsaugen. Ein Pendant hierzu bilden nur die Stechmücken und die Blutegel. Diese Vampire sind Objekt vieler übertriebener Fantasien über die Fledermäuse. Die Blutmenge, die ein Vampir aufleckt, ist nämlich angesichts des Körpervolumens ihrer schlafenden Beute (Rinder, Pferde, Ziegen) minimal. Die Chiroptera haben eine hohe Stoffwechselrate und eine sehr schnelle Verdauung: Der Darm ist kurz, insbesondere bei den Insectivoren. Fledermäuse erkennen und lokalisieren ihre Beute durch Echoortung: Dazu stoßen sie mit ihrem kompliziert gebauten Kehlkopf kurze Töne im Ultraschallbereich aus. Das Echo dieser Töne nehmen sie mit ihren Ohren auf und erken-
nen auf diese Weise ihre Beute ebenso wie Hindernisse. Die Fledermäuse sind soziale Tiere – es gibt nur wenige solitär lebende Arten. Die Zahl der Tiere einer Kolonie schwankt zwischen zwei bis zu mehreren Hunderttausenden (Tadarida, Hipposideros, Miniopterus). In einer Grotte in Gabun fand man 600 000 Individuen der Gattung Hipposideros. Die Exkrementschicht am Boden war 2,5 m dick, und die Tiere flogen in schnellem Rhythmus und ohne Unterbrechung in der Zeit von 17.30–21 h aus ihrem Unterschlupf. Tiere, die in einem bestimmten Gebiet jagen, gehören zu derselben Kolonie. Einen sicheren Unterschlupf benötigen die Fledermäuse auch zur Fortpflanzung. Meist haben sie ein einzelnes Junges. Die tragenden Weibchen trennen sich von den Männchen, ziehen sich in großer Zahl in einen gemeinsamen Unterschlupf zurück und bilden regelrechte Wochenstuben. Wenn die Weibchen zur Nahrungssuche den Unterschlupf verlassen, verbleiben die Jungen hier und können von mehreren Weibchen gesäugt werden. Bei einigen Arten wie der Zwergfledermaus und der Langohrfledermaus ernährt die Mutter nur ihr eigenes Kind. In den gemäßigten Zonen halten die Fledermäuse einen Winterschlaf. Zu Beginn des Winters setzen sie ordentlich Fett an. In der Ruhephase sinkt ihre Körpertemperatur unterschiedlich tief ab. Beim Großen Mausohr sinkt sie auf 5,8 °C. Werden sie im Winterschlaf gestört, beginnen die Tiere umher zu fliegen – und brauchen so ihre Fettreserven auf. Dies führt meist zum Tod der Tiere, da sie dann nicht mehr genügend Reserven haben, um die restliche Wintersaison zu überstehen. In Nordamerika gibt es einige Arten der Gattung Lasiurus, die sich – wie die Zugvögel – auf Wanderschaft bege-
ben: Sie verbringen den Sommer im Norden Kanadas und den Winter im Süden der USA.
Spezielle Merkmale – Die dünne Flughaut (Patagium) wird von den stark vergrößerten Fingern II, III, IV und V gestützt (Abb. 1). – Die Schädelknochennähte verschmelzen früh. – Der Schultergürtel ist stark vergrößert und sitzt dem Brustkorb dorsal auf (Abb. 2). Beim Pferd (Abb. 2a) sitzt der Schultergürtel dagegen seitlich am Brustkorb. Beim Großen Mausohr (Abb. 2b) liegt der im Verhältnis ungleich größere Schultergürtel dem Brustkorb dorsal auf. – Auftreten einer ursprünglichen Apophyse: Sie kann knorpelig oder knöchern sein und inseriert am Knöchel. Sie trägt den hinteren Teil des Patagiums, das Uropatagium. Diese verlängerte, vom Fersenbein (Calcaneus) getragene Apophyse wird als Fersensporn bzeichnet (Abb. 2b).
Beispiele Kleiner Flughund (Rousettus aegyptiacus), Kurznasenflughund (Cynopterus sphinx), Lippenfledermaus
Abb. 1. Flughaut der Fledermäuse
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14 Chiroptera
Kapitel 14
(Noctilio labialis), Kleine Hufeisennase (Rhinolophus hipposideros), Echter Vampir (Desmodus rotundus), Blattnasenfledermaus (Phyllostomus hastatus), Langohrfledermaus (Plecotus auritus), Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus), Großes Mausohr (Myotis myotis), Guanofledermaus (Tadarida brasiliensis)
Abb. 2. Linksseitige Ansichten des Skeletts vom Pferd (Mesaxonia; a) und Mausohr (Chiroptera; b)
Artenzahl: 925 Ältestes bekanntes Fossil: Icaronycteris, unteres Eozän Frankreichs (Meudon), Belgiens (Dormaal) und Nordamerikas (Wyoming) (–55 Mio. Jahre), Archaeonycteris und Palaeochiropteryx, unteres Eozän Frankreichs (Rians) und Belgiens (Dormaal) Heutiges Vorkommen: Äquatoriale, tropische und gemäßigte Regionen aller Kontinente, jedoch nicht innerhalb der Polarkreise
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Dermoptera 15
Mammalia
Dermoptera Allgemeines Die Dermoptera (Pelzflatterer) sind katzengroße, zum Gleit- und Fallschirmflug und zum Klettern befähigte Mammalia. Sie können nicht stehen und sind auf dem Erdboden in ihrer Beweglichkeit stark eingeschränkt. Ihr Körper ist vom Hals bis zum Schwanz einschließlich der Gliedmaßen von einer großen, dicken Flughaut umgeben, die von weichem Pelz bedeckt ist.Diese Flughaut erzeugt eine Tragfläche ähnlich der eines Gleitfliegers. Die Fellfarbe ist äußerst unterschiedlich, meist jedoch graubraun, auf der Oberseite mit blassgelben und auf der Unterseite mit orangefarbenen, rotbraunen oder gelblichen Flecken. Der Kopf ähnelt dem eines Hundes (daher auch der Gattungsname Cynocephalus). Der Hals ist lang und sehr beweglich, der Körper schlank. Die Gliedmaßen sind
Ökologie Die Dermoptera (Pelzflatterer) sind nachtaktiv und leben in den Regenwäldern Südostasiens. Sie hängen an der Unterseite der Äste und bewegen sich gewandt in den Baumkronen fort: Von einem Baum zum nächsten gelangen sie durch einen bis zu 70 m weiten Gleitflug. Tagsüber ruhen sie hängend, jedoch – wie die Faultiere – mit dem Kopf nach oben, meistens in Löchern hohler Bäume. Als strikte Vegetarier ernähren sie sich von Blättern, Knospen, Blüten und manchmal auch von Früchten. Die Weibchen bringen ein einziges Junges zur Welt, das kaum mehr entwickelt ist als ein Beuteltierjunges. Die
gestreckt. Die Flughaut ist mehrfach in unterschiedlichen, nicht miteinander verwandten Familien der Mammalia entstanden: beispielsweise bei den Pelzflatterern, bei einigen Marsupialia (Acrobates, Schoinobates) oder bei den Nagetieren (Flughörnchen wie Anoma-
ersten Wochen verbringt das Junge saugend, an eine der beiden Brüste seiner Mutter geklammert. Auch später, wenn das Junge sein eigenes Fell entwickelt hat, bleibt es noch für einen längeren Zeitraum im Fell der Mutter verankert.
lurus, Idiurus, Glaucomys und Petaurista). Das Uropatagium (caudale Flughaut) tritt jedoch nur bei den Pelzflatterern sowie den Chiroptera auf, doch haben diese eine völlig andere Variante des Flatterflugs entwickelt.
streckt sich vom Hals über die Finger der Hände und die Zehen der Füße bis zur Schwanzspitze.
Spezielle Merkmale – Der erste und zweite Schneidezahn des Unterkiefers ist groß und springt hervor. Diese beiden Zähne sind schaufelförmig abgeflacht,ihr vorderer Rand ist in 6 bis 20 Längsriefen unterteilt (Abb. 1). – Die Flughaut (Patagium) ist vollständig von Pelz bedeckt. Sie er-
Abb. 1. Dorsalansicht des vorderen Kieferteils eines Pelzflatterers
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15 Dermoptera Beispiele Pelzflatterer (Cynocephalus volans, C. temminckii)
Kapitel 14 Artenzahl: 2 Ältestes bekanntes Fossil: Elpidophorus, Dracontolestes, Navajovius aus dem unteren Paläozän Nordamerikas (Montana, Utah, Colorado) (–60 Mio. Jahre); Berruvius, unteres Paläozän Frankreichs Heutiges Vorkommen: Südostasien: Halbinsel Indochinas, Birma, Malaysia, Java, Sumatra, Borneo, Philippinen
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Mammalia
Primates (im weiteren Sinne) 16
Primates (im weiteren Sinne) Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Das Felsenbein (Petrosum) bildet die Gehörkapsel (Bulla auditiva, Bulla tympanica) – eine harte, knöcherne Kapsel an der Schädelbasis, die das Mittelohr (Paukenhöhle, Cavum tympani) umschließt. Insbesondere die drei Gehörknöchelchen übernehmen die Schallleitung zwischen Trommelfell und dem ovalen Fenster des Innenohrs (Abb. 1). Diese Kapsel wird bei den Primaten und den Scandentia vollständig vom Petrosum (Perioticum, Felsenbein) begrenzt. Bei den Nicht-Primaten dagegen besteht diese Kapsel aus 4 Knochen, im vorderen Bereich aus Petrosum (je nach Art auch aus dem Alisphenoid), Tympanicum, Squamosum und Basisphenoid sowie im hinteren Bereich aus Petrosum und Entotympanicum. – Das Gehirn weist einen gut entwickelten Occipitallappen (Sitz des Sehzentrums) auf – ein Hinweis auf die Dominanz des Sehens gegenüber den anderen Sinnen.
Abb. 1. Sitz der Bulla tympanica beim Spitzhörnchen (Tupaia)
Abb. 2. Schematische Ventralansicht (Hinterseite oben, Vorderseite unten) und knöcherner Aufbau der Bulla tympanica beim Igel (Insectivora; a), Rüsselspringer (Macroscelidea; b) und Spitzhörnchen (Scandentia; c) ptr = Petrosum, asp = Alisphenoid, bsp = Basisphenoid, en = Entotympanicum, ec = Ectotympanicum, oas = Öffnung für den unteren Ast der Stapedial-Arterie, ort = Tubenöffnung, tc = Öffnung für den Carotis-Durchtritt, tsm = Stylomastoid-Öffnung
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16 Primates (im weiteren Sinne) Beispiele Scandentia: Spitzhörnchen (Tupaia glis, Anathana ellioti), Federschwanzhörnchen (Ptilocercus lowii) Primaten (im engeren Sinne): Baummaki (Lemur variegatus), Indri (Indri indri), Fingertier (Daubentonia madagascariensis), Schlanklori (Loris tardigradus), Koboldmaki (Tarsius syrichta), Weißpinseläffchen (Callithrix jacchus), Hundskopfpavian (Papio cynocephalus), Mensch (Homo sapiens)
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Kapitel 14
Artenzahl: 201 Ältestes bekanntes Fossil: Purgatorius aus dem basalen Paläozän Montanas (–65 Mio. Jahre) galt lange Zeit als der älteste bekannte Primat. Er ist jedoch näher mit den Dermoptera als mit den Primaten verwandt. Die zweifellos ältesten Primaten sind älter als die ältesten bekannten Scandentia: Es handelt sich um die Adapidae Donrusselia (Frankreich) und Cantius (Belgien, Frankreich, Wyoming, –55 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit (einschließlich Mensch). Ohne den Menschen mitzurechnen, besiedeln die Primaten und Scandentia die subtropischen Regionen aller Kontinente mit Ausnahme Australiens.
Scandentia 17
Mammalia
Scandentia Allgemeines Die Scandentia sind kleine, baumbewohnende Plazentalia mit buschigem Schwanz und eichhörnchenartigem Aussehen. Ihr Körper ist 15–20 cm lang, ebenso der Schwanz – nur bei Ptilocercus ist er ein wenig länger. Die Tiere haben ziemlich große Augen und Ohren. Die Schnauze ist länglich, und die Augenhöhlen sind leicht nach vorne ausgerichtet. An allen Fingern und Zehen sitzen Krallen. Die Daumen können den anderen Fingern nicht zugewandt, doch kann der große Zeh abgespreizt werden – ohne jedoch die völlige
Opponierbarkeit mit Greiffunktion der großen Zehen wie bei den echten Primaten zu erreichen. Diese Merkmale wurden mal als Zeichen der Verwandtschaft mit den Primaten angesehen, mal als Konvergenz bedingt durch das Leben auf den Bäumen. Das Fell ist dicht und weich, der Schwanz ist bei Tupaia mit buschigen Haaren, bei Ptilocercus mit Schuppen bedeckt. Die Färbung ist artabhängig sehr unterschiedlich, wobei jedoch dunkelrotbraun vorherrscht – man findet aber auch schwarz, grau und braun. Die Tupaias haben den
Zoologen früher viel Kopfzerbrechen bereitet: Aufgrund ihres Gehirns, der Schädelanatomie, dem Aufbau der Bulla tympanica, der Muskulatur und dem nahezu opponierbaren Großzeh wirken sie wie Primaten, doch aufgrund des Chondrocraniums, der Bezahnung und des Tarsus wie Insectivoren. Einige Zoologen verfolgten sogar Spuren, die eine Verwandtschaft mit den Marsupialia und andere, die eine Verwandtschaft mit den Nagetieren und sogar den Lagomorphen vermuten ließen.
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17 Scandentia
Kapitel 14
Ökologie Die Scandentia sind tagaktive, baumund bodenbewohnende Tiere. Sie leben in den Bäumen und im Gestrüpp der südostasiatischen Regenwälder. Sie sind omnivor und ernähren sich von Früchten und Insekten. Manchmal erlegen sie eine Maus oder eine junge Ratte. Häufig suchen sie ihre Nahrung auf dem Boden. Sie leben einzeln oder in Paaren und verteidigen ihr Territorium gegen eindringende Artgenossen. Das Territorium wird mit Duftmarken gekennzeichnet, die entweder am Boden gesetzt werden (durch Sekrete von Drüsen am vorderen Teil des Körpers) oder in den Zweigen (durch Urintropfen). Die Tragzeit dauert 43–56 Tage. Die Weibchen haben 1–3 Junge. Sie wachsen in Moosnestern auf, die die Weibchen in den Bäumen bauen. Mit 3 Monaten sind die Jungen erwachsen, mit 4 Monaten geschlechtsreif. Die Weibchen sind bereits am Anfang der sechsten Woche nach der Geburt erneut trächtig. Die Tiere können etwa zwei Jahre alt werden.
Abb. 1. Bezahnung des Oberkiefers vom Spitzhörnchen (Tupaia), linke Seite (a), ventral (b)
Spezielle Merkmale – Die Schneidezähne (Incisivi) sehen aus wie Eckzähne (Canini). Besonders im Unterkiefer sind sie spitz und springen hervor (Abb. 1). Diese Zähne dienen der Fellpflege. In jeder Hälfte des Oberkiefers besitzen die Scandentia 2 Incisivi, 1 Eckzahn (Canini), 3 Prämolaren und 3 Molaren, und in jeder Unterkieferhälfte 3 Incisivi, 1 Eckzahn, 3 Prämolaren und 3 Molaren. – Der Eckzahn ist klein und hat die Form eines Prämolaren (Abb. 1 und 2). Abbildung 2 zeigt die extreme Ausbildung der unteren Incisivi sowie die zurückgebilde550
Abb. 2. Bezahnung des Spitzhörnchens (Tupaia glis)
Abb. 3. Bezahnung eines Carnivoren (Hund) I = Incisivi, C = Canini, Pm = Prämolaren, M = Molaren
Scandentia 17
Mammalia ten Canini bei Tupaia glis. Zum Vergleich ist die Bezahnung eines Carnivoren (Wolf) abgebildet (Abb. 3): Die Incisivi sind hier kleiner als die Canini.
Artenzahl: 19 Ältestes bekanntes Fossil: Eodendrogale aus dem Eozän Chinas (–40 Mio. Jahre) gehört möglicherweise zu den Tupaiidae. Palaeotupaia stammt aus dem Miozän des indischen Subkontinents (–15 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: Indien, Südostasien, Java, Sumatra, Borneo, Philippinen
Beispiele Spitzhörnchen (Tupaia glis, Tupaia belangeri, Tana tana, Anathana ellioti), Buschschwanzhörnchen (Urogale everetii, Dendrogale melanura), Federschwanzhörnchen (Ptilocercus lowii)
551
18 Primates (im engeren Sinne)
Kapitel 14
Primates (im engeren Sinne) Allgemeines Der überwiegende Teil der Primaten lebt in Bäumen. Nur die in der Savanne lebenden Arten sind sekundär zur dauerhaften Fortbewegung auf den Boden zurückgekehrt. Ihre Körpergröße variiert zwischen 13 cm beim Großen Katzenmaki (Cheirogalus minor) und 175 cm beim Gorilla, der zwischen 135 und 275 kg wiegt. Das Neurocranium nimmt gegenüber dem
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Gesichtsschädel an Volumen zu. Die nach vorne gerichteten Augenhöhlen ermöglichen binokuläres Sehen. Das Gesicht sieht, je nach Art, sehr unterschiedlich aus: Bei den Strepsirrhini (Lemuriund Lorisiformes) ist es mehr oder weniger länglich, mit einer Schnauze und Tasthaaren, bei den Haplorrhini (Tarsier und Simiiformes, die echten Affen) eher abge-
flacht, mit fehlenden Tasthaaren und einer zu Gunsten der Nase reduzierten Schnauze. Der Hauptsinn ist das Sehen, wie die Entwicklung des Occipitallappens des Gehirns beweist. Der Hals ist kurz, die Gliedmaßen sind häufig schlank. Die vorderen Gliedmaßen sind oft länger als die hinteren. Radius (Speiche) und Ulna (Elle) sind untereinander äußerst be-
Mammalia
weglich: Dies ermöglicht der Hand weit ausholende Pronations- und Supinationsbewegungen. Die Primaten im engeren Sinne besitzen eine Greifhand mit einem Daumen, der gegen die anderen vier Finger opponierbar ist. Außer bei den Tarsiern (Springer) und dem Menschen (biped) ist der Fuß als Greiffuß ausgebildet. Statt der Krallen treten flache Nägel auf –
Ökologie Die Primaten leben in Wäldern, Steppen, bewaldeten Ebenen und im Hochgebirge warmer Länder – in den Subtropen also, wo es keine rauen Winter gibt. Davon gibt es jedoch zwei Ausnahmen: einerseits einige chinesische und japanische Makakenarten, die verschneite Winter erleben, und andererseits den Menschen, der sämtliche terrestrischen Biotope auf dem ganzen Erdball besiedelt – sogar innerhalb der Polarkreise. Primaten leben niemals
Primates (im engeren Sinne) 18 nur bei den Tarsiern und den Callithriciden (Platyrrhini) weist der zweite und dritte Zeh Krallen auf. Die Strepsirrhini haben die Kralle am zweiten Zeh behalten – mit einem Sonderfall: Das Fingertier (Daubentonia madagascariensis) besitzt nur am Daumen und am großen Zeh einen flachen Nagel. Die sitzende Haltung macht die Hände frei für andere Aktivitäten.
aquatisch oder marin. Sie sind omnivor oder ernähren sich von Pflanzen und Früchten. Einige Arten (beispielsweise Colobus) ernähren sich ausschließlich von Blättern. Sie haben im Magen Taschen entwickelt, in denen bakterielle Gärung stattfindet, die der Celluloseverdauung dient. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (z. B. Orang-Utan) leben die Primaten in Gruppen. Sie haben ein gut entwickeltes Sozialleben und pflegen eine intensive und umfangreiche Kommunikation. Die natürlichen Feinde der Primaten sind die
Dichte und Färbung der Körperbehaarung sind extrem unterschiedlich, ebenso die Länge des Schwanzes, der bei den Hominoidea vollständig verschwindet. Mehrere Catarrhini-Arten haben nackte, hornhautartige Bereiche am Hinterteil, die durch Dicke und Färbung den Zeit der Fortpflanzungsbereitschaft signalisieren.
großen Carnivoren, Raubvögel sowie andere Primaten. Primaten sind vom Menschen vor allem als Zirkustiere und für Tierversuche domestiziert worden. Die ökologische Bedeutung einer einzigen Primatenart – nämlich des Menschen – sollte nicht verschwiegen werden: Der Mensch als einzelne Art ist dabei, die Biosphäre mit großer Geschwindigkeit und tiefgreifend zu verändern, wie es wahrscheinlich keine andere Art vor ihm je erreicht hat. Die Bevölkerungsexplosion des Menschen sowie seine wirtschaftliche und sozi-
Abb. 1. Fußsohlen verschiedener Primaten: Galago (Lorisiformes; a), Schimpanse (Hominoidea; b) und Indri (c): Opponierbarkeit des Daumens bzw.des Großzehes gegenüber den anderen Fingern bzw. Zehen
553
18 Primates (im engeren Sinne) ale Organisation führen zu einer raschen Erosion der Biodiversität – insbesondere durch die Zerstörung der natürlichen Lebensräume.
Spezielle Merkmale Abb. 2. Primatenhand
– An der Hand steht der erste Finger (Daumen) den restlichen Fingern gegenüber, am Fuß der erste Zeh (Großzeh) den restlichen Zehen (Opponierbarkeit) (Abb. 1 und 2). Diese Anordnung verleiht der Hand ebenso wie dem Fuß die Fähigkeit zu greifen. ANMERKUNG: Die Tupaias können den Großzeh abspreizen, ohne jedoch eine vollständige Opponierbarkeit mit Greiffunktion zu erlangen. Der Großzeh ist beim Menschen und bei den Tarsiern nicht opponierbar. Hierbei handelt es sich jedoch um sekundär erworbene Eigenschaften – beim Menschen aufgrund der bipeden und bei den Tarsiern aufgrund der springenden Fortbewegungsweise. – Finger und Zehen tragen flache Nägel (Abb. 2). An einigen Fingern können jedoch Krallen bestehen bleiben, beispielsweise am zweiten Zeh des Galago.
Kapitel 14 – Die Augenhöhlen wandern nach vorne: Dadurch wird binokuläres Sehen möglich (Abb. 3). Die Augenhöhlen sind, wie bei Tupaia, nach hinten stets durch einen Postorbitalsteg geschlossen. Auch wenn bei den Scandentia zu erkennen ist, dass die Augenhöhlen leicht nach vorne wandern, so bleiben diese doch mehr lateral als facial. – In der Multigenfamilie des β-Globins ist das η-Gen inaktiviert und wird zu einem Pseudogen.
Beispiele Baummaki (Lemur variegatus), Großer Katzenmaki (Cheirogalus major), Indri (Indri indri), Fingertier (Daubentonia madagascariensis), Schlanklori (Loris tardigradus, Galago (Galago senegalensis), Koboldmaki (Tarsius syrichta), Weißpinseläffchen (Callithrix jacchus), Springtamarin (Callimico goeldii), Nachtaffe (Aotus trivirgatus), Hundskopfpavian (Papio cynocephalus), Diana-Meerkatze (Cercopithecus diana), Guereza (Colobus badius), Schopfgibbon (Hylobates concolor), Orang-Utan (Pongo pygmaeus), Mensch (Homo sapiens)
Artenzahl: 182 Ältestes bekanntes Fossil: Purgatorius aus dem basalen Paläozän Montanas (–65 Mio. Jahre) galt lange Zeit als der älteste bekannte Primat. Er ist jedoch näher mit den Dermoptera als mit den Primaten verwandt. Die zweifellos ältesten Primaten sind älter als die ältesten bekannten Scandentia: Es handelt sich um die Adapidae Donrusselia (Frankreich) und Cantius (Belgien, Frankreich, Wyoming, –55 Mio. Jahre). Abb. 3. Schädel von Schimpanse (a),Weißpinseläffchen (b) und Igel (c). Man beachte die laterale Augenhöhle beim Igel, und die faciale beim Weißpinseläffchen.
554
Heutiges Vorkommen: weltweit (einschließlich Mensch). Ohne den Menschen mitzurechnen, besiedeln die Primaten und Scandentia die subtropischen Regionen aller Kontinente – bis auf Australien. Ebenso fehlen sie in Nordamerika, in Europa (bis auf Gibraltar), in Nordasien ab dem 40. Breitengrad (bis auf Japan: die Insel Honshu ist die nördlichste Region, wo man noch Affen finden kann) sowie in Südamerika, südlich des Wendekreises des Steinbocks.
Anagalidea 19
Mammalia
Anagalidea Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Außenwand des Alisphenoids weist zwei Foramina sphenoidea auf: Das hintere Foramen sphenoideum dient dem Durchtritt des Nervus masseter, das mittlere Foramen sphenoideum dem Durchtritt des Nervus buccalis (Abb. 1). Der Nervus trigeminus (= Gehirnnerv V) ist in 3 Äste unterteilt (V1,V2,V3). Zwei dieser Äste (V2 und V3) bilden den Nervus maxillomandibularis, der gemischt sensibel und motorisch ist. Der Mandibularis-Ast tritt über das Foramen ovale aus. An seinem Austritt ist er bereits in 7 Äste unterteilt. Durch das hintere Foramen sphenoideum tritt der Ast des Nervus masseter (nf2) aus, der vom Foramen ovale kommend unterhalb des Kiefers wieder aufsteigt, den Kiefer umrundet, wieder absteigt und oberhalb des Kiefers, aber unterhalb des Jochbogens die Kaumuskeln (insbesondere den M. masseter) innerviert. Im mittleren Foramen sphenoideum tritt ein weiterer
Zweig des Nerven V3 aus, der Nervus temporo-bucco-pterygoidalis (nf4+5). Er kommt ebenfalls vom Foramen ovale und teilt sich, nach seiner Passage durch das Alisphenoid, in einen hohen, kurzen Ast (Nervus temporo-bucco-pterygo-
idalis, nf4) und in einen tiefen, längeren Ast (Nervus buccalis, nf5), der den Musculus buccinator (Wangenmuskel) innerviert. Beim Kaninchen (Abb. 1) dient das hintere Foramen sphenoideum darüber hinaus dem Durchtritt
Abb. 1. Schematische linke Seitenansicht eines Kaninchenschädels foi = hinteres Foramen sphenoideum, nf2 = Nervus masseter, foe = mittleres Foramen sphenoideum, nf4+5 = Nervus buccalis, fov = Foramen ovale, nf1 = hinterer Nervus temporalis profundus, nf3 = mittlerer tiefer Nervus temporalis, az = Jochbogen, nf6 = Nervus lingualis, nf7 = Nervus dentalis inferior, nf8 = Nervus mylohyoideus, nf9 = gemeinsamer Stamm am Musculus pterygoideus internus, am Pterystaphylinum externum und des Hammer-Muskels , nf10 = Nervus auricotemporalis
555
19 Anagalidea des mittleren tiefen Nervus temporalis (nf3).
Beispiele Macroscelidea (Rüsselspringer): Elefantenspitzmaus (Elephantulus brachyrhynchus) Glirimorpha: Hase (Lepus europaeus), Hausmaus (Mus musculus)
556
Kapitel 14 Artenzahl: 2116 Ältestes bekanntes Fossil: Anaptogale, Chianshania, Wanogale, Linnania und Stenanagale sind Anagalidea aus dem unteren Paläozän Chinas (–65 Mio. Jahre). Wenn man die Zalambdalestidae als Lagomorpha ansieht, reicht dieses Kladon bis zur mittleren Kreidezeit zurück (Zalambdalestes und Barunlestes aus der Mongolei, –90 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit
Macroscelidea 20
Mammalia
Macroscelidea Allgemeines Die Macroscelidea sind die Rüsselspringer – kleine Plazentalia mit rüsselartiger Schnauze, an deren Ende sich die Nasenöffnungen befinden. Die Augen und die Ohrmuscheln sind groß. Die Tiere haben einen kurzen Rumpf und einen langen Schwanz. Schienbein und Mittelfußknochen sind verlängert. Die Hinterbeine sind länger als die Vorderbeine und er-
Ökologie Die Macroscelidea sind Tag-, Dämmerungs- oder Nachttiere. Man findet sie vor allem in der Baumsavanne, doch ist keine der Arten ausschließlich auf diese Regionen fixiert. Sie ernähren sich von Insekten, manchmal von Mollusken, Eiern und die größten Arten der Gattung Rhynchocyon manchmal sogar von kleinen Wirbeltieren. Der Rüssel spielt eine wichtige Rolle beim Aufspüren der Beute. Die Tiere sind aktive und sehr schnelle Jäger. Die Flucht verläuft ebenfalls sehr schnell: Durch ihre
möglichen weite Sprünge. Das Fell der Tiere ist dick, weich und – je nach Art – unterschiedlich braun gefärbt. Der Bauch ist heller als der restliche Körper. Das Rüsselende ist nackt, an seiner Wurzel sitzen lange Schnurrhaare. An der Schwanzwurzel befinden sich Duftdrüsen, die vor allem bei den Männchen einen Moschusduft verströmen. Die Körperlänge
Sprünge erreichen die Tiere ein so hohes Tempo, dass sie sich schnell aus der Angriffszone ihrer Feinde bringen können. Der lange Schwanz dient dazu, bei den Sprüngen die Balance zu halten. Die Tiere nisten in einem Nest aus Blättern, in selbst gegrabenen Gängen, in Bauen anderer Säugetiere oder in Baumstümpfen. Sie leben alleine oder in lockeren Gruppen. Über spezielle soziale Bindungen der Einzeltiere, die über die Fortpflanzung hinausgehen, ist nichts bekannt. Um ihr Revier zu markieren, setzen sie an den Grenzen ihres Territoriums Kot ab. Ihr Revier verteidigen
schwankt zwischen 9,5 und 31,5 cm, die Schwanzlänge zwischen 8 und 26,5 cm. Die Macroscelidea wurden früher zur Ordnung Insectivora gezählt. Sie unterscheiden sich von diesen jedoch deutlich durch das gut ausgebildete Jochbein, den gefensterten Gaumen (Ausnahme: Rhynchocyon) und das Vorhandensein eines Blinddarms.
sie, indem sie mit ihren Hinterbeinen auf den Boden trommeln. Im Gegensatz zu den Insectivoren, zu denen man sie früher stellte, bringen die Macroscelidea nur ein bis zwei Junge zur Welt – obwohl während des Östrus in jedem Ovar bis zu 60 Eizellen heranreifen. Nach einer Tragzeit von etwa 2 Monaten bringt das Weibchen vollständig entwickelte, behaarte Junge zur Welt, die nestflüchtig sind und sofort herumspringen oder fliehen. Die Tiere können bis zu 3 Jahre alt werden.
557
20 Macroscelidea
Kapitel 14
Spezielle Merkmale – Die Hinterbeine sind länger als die Vorderbeine, der Fuß ist stark verlängert (Abb. 1). – Die Schnauze ist zu einem kurzen, flexiblen Rüssel verlängert (Abb. 1). – Der obere Eckzahn hat die Form eines Prämolaren (Abb. 2a und b). Der Vergleich zum Eckzahn eines Carnivoren ist aufschlussreich. – Der Gaumen hat zahlreiche Fenster (Abb. 2b). Bei den Eutheria tritt dieses Merkmal eher selten auf.
Abb. 1. Rhynchocyon stuhlmanni
Beispiele Elefantenspitzmäuse (Elephantulus brachyrhynchus, Elephantulus rozeti), Langrüsselspringer (Rhynchocyon petersi), Petrodromus tetradactylus, Kurzrüsselspringer (Macroscelides proboscideus)
Artenzahl: 15 Ältestes bekanntes Fossil: Anaptogale, Chianshania, Wanogale, Linnania und Stenanagale sind Anagalidea aus dem unteren Paläozän Chinas (–65 Mio. Jahre). Chambius ist ein Macroscelide aus dem unteren Eozän Tunesiens (–50 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: Afrika südlich der Sahara sowie eine Art (Elephantulus rozeti) in Nordafrika Abb. 2. Schädelansicht eines Macrosceliden (Elephantulus brachyrhynchus) linksseitig (a) und ventral (b) im Vergleich zum Carnivorenschädel (c): Der prämolarenförmige Eckzahn ist hervorgehoben. I = Incisivi, C = Canini, Pm = Prämolaren, M = Molaren
558
Glirimorpha 21
Mammalia
Glirimorpha Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Fossa glenoidalis, die den Condylus mandibularis einrahmt,
sitzt weit unterhalb des Basiscraniums und wird auf ihrer Hinterseite nicht mehr durch den Processus postglenoidalis begrenzt
(Abb. 1 und 2). In den Seitenansichten (Abb. 1 und 2a) ist ihre Lage farbig markiert. Im Vergleich dazu zeigt der Carnivorenschädel
Abb. 1. Hasenschädel (Lepus europaeus) von links (a) und ventral (b) Abb. 2. Rattenschädel (Rattus rattus) von links (a) und ventral (b) fg = Fossa glenoidalis, I3 = Incicivus, cn = Condylus mandibularis, dI2 = 2. Schneidezähne des Milchgebisses, pmx = Praemaxillare, cpm = Grenze zwischen Praemaxillare und Maxillare, mx = Maxillare, fi = Incisiv-Foramen
559
21 Glirimorpha
–
–
–
–
– –
(Abb. 3) eine transversale, nicht in die Länge gezogene Anordnung der Fossa glenoidalis. Nach hinten hin ist sie durch den Processus postglenoidalis begrenzt. Die Foramina der Incisivi – paarige Öffnungen – sind sehr gut entwickelt. Sie öffnen sich im Gaumen nach hinten (Abb. 1–3). Der Gaumen besteht aus Maxillare und Praemaxillare (Abb. 1b und 2b). Beim Hund (Abb. 3) trägt das Maxillare nur noch einen kleinen Teil zum Gaumen bei. Typische Zahnformel: Die Glirimorpha verlieren die ersten oberen und unteren Incisivi, die dritten unteren Incisivi, die Canini und die ersten Prämolaren. Die zweiten Incisivi fehlen ebenfalls. An ihrer Stelle entwickeln sich jedoch mächtige zweite Incisivi im Milchgebiss, die Dauerwachstum zeigen (Abb. 1a und 2a). Der hintere Fortsatz des Praemaxillare ist sehr lang und berührt dorsal das Frontale, während das Maxillare das Frontale vor der Augenhöhle nicht mehr berührt (Abb. 4). Bei dem Schädel der Glirimorpha (Abb. 4a) berühren sich Maxillare und Frontale vor der Augenhöhle nicht. Dagegen ist in Abbildung 4b am Beispiel Hund vor der Augenhöhle deutlich die Berührungszone zwischen Frontale und Maxillare zu erkennen. Das Nasale ist sehr lang (Abb. 4). Auftreten eines Uterus duplex (Abb. 5).
Kapitel 14
Abb. 3. Hundeschädel (Canis) ventral
Nagetiere: Alpenmurmeltier (Marmota marmota), Eichhörnchen (Sciurus vulgaris), Hausmaus (Mus musculus), Stachelschwein (Hystrix
cristata), Meerschweinchen (Cavia porcellus), Pampashase (Dolichotis patagonum)
Beispiele Lagomorpha: Feldhase (Lepus europaeus), Kaninchen (Oryctolagus cuniculus), Zwergkaninchen (Brachylagus idahoensis), Pfeifhase (Ochotona alpina) 560
Abb. 4. Apikalansicht des Schädels einer Wüstenspringmaus (Jaculus jaculus, Glirimorpha; a) und eines Nicht-Glirimorphen (Hund; b).
Glirimorpha 21
Mammalia
Abb. 5. Ventralansicht von Ableitungen der Müllerschen Gänge bei den Glirimorpha (a) mit doppeltem Uterus und beim Menschen (b) mit einfachem Medianuterus
Artenzahl: 2101 Ältestes bekanntes Fossil: Wenn man die Zalambdalestidae als Lagomorpha ansieht, reicht das Kladon bis zur mittleren Kreidezeit zurück (Zalambdalestes und Barunlestes aus der Mongolei, –90 Mio. Jahre). Die ältesten bekannten echten Lagomorpha sind Hsiuannania, Paranictops, Anictops und Cartictops aus dem Paläozän Chinas (–60 Mio. Jahre). Genauso alt sind die ältesten bekannten Nagetiere, Heomys und Mimotona aus dem Paläozän Chinas (–60 Mio. Jahre), Acritoparamys und Paramys aus dem Paläozän von Wyoming/USA sowie Microparamys und Pseudoparamys aus dem Paläozän von Meudon/Frankreich (–60 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: bis auf Australien, Neuseeland, die Antarktis und die Polkappen findet man die Glirimorpha überall. In Australien und Neuseeland wurden diese Tiere vom Menschen eingeführt.
561
22 Lagomorpha
Kapitel 14
Lagomorpha Allgemeines Die Lagomorpha – Hasen, Kaninchen und Pfeifhasen – sind kleine bis mittelgroße Plazentalia: Sie werden 12–70 cm groß und wiegen zwischen 100 g und 7 kg. Der Schwanz ist sehr kurz und buschig. Sie bewegen sich auf allen Vieren (quadruped) und laufen entweder auf ihren Fingern (digitigrad) oder auf den Fersen (plantigrad). Die Hinterbeine sind bei den Hasen und Kaninchen lang und kräftig, bei den Pfeifhasen kurz. Die Vordergliedmaßen sind nie zu Greifwerkzeugen umgebildet, wie es etwa bei den Nagetieren der Fall ist. Die Nasenöffnungen sind
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durch eine Hautfalte geschützt, die hochgezogen werden kann. Das Gehör ist sehr gut entwickelt, Kaninchen und Hasen haben sehr lange Ohrmuscheln. Die beiden oberen Incisivi-Paare (I2 und I3 des Milchgebisses) und das untere Incisivi-Paar (I2 des Milchgebisses) wachsen ständig nach. Sie sind vollständig von Zahnschmelz bedeckt und vom restlichen Gebiss durch eine Lücke (Diastema) getrennt. Eckzähne fehlen. Die Kiefer können aufgrund eines speziellen Zusammenspiels der Muskeln Seitwärtsbewegungen ausführen. Die Fossa glenoidalis ist nach hinten
nicht geschlossen und auch nicht zur Seite begrenzt. Die Condyli haben daher einen großen – meist mehr transversalen als sagittalen – Bewegungsspielraum. Der sehr große Blinddarm dient der bakteriellen Cellulose-Verdauung. Das Fell ist dicht und weich. Es kann weiß, grau, schwarz, gelb, rot oder in allen möglichen Braunschattierungen gefärbt sein. Bei den im Norden oder im Gebirge lebenden Arten wechselt die Fellfarbe mit den Jahreszeiten: Im Winter tragen die Tiere ein helles oder weißes Fell.
Lagomorpha 22
Mammalia
Ökologie Die Lagomorpha besiedeln sämtliche terrestrischen Biotope in allen Klimazonen: Selbst in unwirtlichen Gegenden wie dem Hochgebirge, den Polarregionen und den Trockenwüsten kommen sie vor. Sie leben niemals im Wasser oder auf Bäumen. Sie graben Baue und Gänge und sind sehr wendig und schnell. Alle Lagomorpha sind strikte Pflanzenfresser. Außer dem normalen Kot scheiden die Tiere noch eine andere, weiche, kugelförmige Kotform aus. Diese Kügelchen schlucken sie, ohne sie vorher zu kauen. Dieser Vorgang, als Caecotrophie bezeichnet, unterwirft einen Teil der Nahrung einem zweiten Verdauungsschritt, der dem Wiederkäuen der Ruminantia nicht unähnlich ist. Die weichen Kotkügelchen werden im Blinddarm gebildet; dort verdauen anaerobe Bakterien das cellulosehaltige Material. Die Blinddarmwände absorbieren die freien Fettsäuren aus der Verdauung der Cellulose – die Kotkügelchen reichern sich dabei beachtlich mit Vitamin B1 an. Die Lagomorpha nehmen diese Kügelchen oral auf und lassen sie durch ihren Verdauungstrakt wandern. Während dieser Passage werden die Vitamine absorbiert und die Bakterien im Colon verdaut: 80% der Bakterien werden dort lysiert, 85% der stickstoffhaltigen Bestandteile passieren die Darmwand und gelangen ins Blut. Der Fortpflanzungserfolg der Lagomorpha ist sprichwörtlich. Die Weibchen werden bereits in der Tragzeit wieder gedeckt. Die Befruchtung findet zum Zeit der Niederkunft (beim Hasen) oder kurz danach (beim Kaninchen) statt. Auf diese Weise kann ein Teil des Uterus noch den fast fertigen Fötus enthalten, während sich im anderen Teil bereits die von einer kurz vorher stattgefundenen Paarung stammen-
den Embryonen einnisten. Hasen können 4, Kaninchen bis zu 7 Mal pro Jahr trächtig sein – wobei die Stellung des Weibchens innerhalb der Hierarchie und die Umweltbedingungen die Zahl der Schwangerschaften und die Zahl der Jungen beeinflussen. Das Maximum der pro Jahr geborenen Jungen liegt beim Wildkaninchen bei etwa 30. Dies ist einer der Gründe dafür, dass es immer zu einer drastischen Überbevölkerung an Kaninchen kommt, wenn der Mensch die Art in Gegenden einführt, in denen es keine potenziellen Feinde gibt. Die Folge ist eine ökologische Katastrophe: Als die Römer in Spanien das Kaninchen kennen gelernt hatten, führten sie es in Italien und auf einigen Mittelmeerinseln ein. Nach kurzer Zeit riefen die Bewohner der Balearen den Kaiser Augustus um Hilfe, um die Plage zu bekämpfen. Eine vergleichbare Plage traf im 15. Jahrhundert
auch die kleine Insel Porto Santo nördlich von Madeira, im 19. Jahrhundert die Kerguelen-Inseln und Neuseeland, im 20. Jahrhundert auch Chile und Australien. Das Kaninchen wird für die Jagd und wegen seines Fleischs geschätzt und daher vom Menschen seit der römischen Antike gezüchtet.
Spezielle Merkmale – Incisivi: In jeder der Oberkieferhälften haben die Lagomorpha zwei Incisivi: einen zweiten Incisivus des Milchgebisses und den Rest eines dritten. – Die faziale Partie des Maxillare ist gefenstert (Abb. 1). – Das Gaumendach ist mit Haaren bedeckt. – Caecotrophie: Alle Lagomorpha praktizieren Caecotrophie – ihr Blinddarm dient als Fermenter;
Abb. 1. Linke Seitenansicht des Schädels vom Feldhasen (Lepus europaeus) mf = faziales Maxillare I3 = Rest eines dritten Incisivus dl2 = 2. Incisivi des Milchgebisses
Abb. 2. Lateroventralansicht der Praemaxillareregion mit dem Rest des Incisivus-Paares dI2 = 2.Incisivi des Milchgebisses I3 = Rest eines dritten Incisivus na = Nasale mx = Maxillare pmx = Praemaxillare
563
22 Lagomorpha sein Inhalt wird gesondert abgesetzt und dann erneut oral aufgenommen.
Beispiele Feldhase (Lepus europaeus), Schneeschuhhase (L. americanus), Kaninchen (Oryctolagus cuniculus), Weißschwanzkaninchen (Sylvilagus floridanus), Zwergkaninchen (Brachylagus idahoensis), Sumatra-Kaninchen (Nesolagus netscheri), Buschmannhase (Bunolagus monticularis), Pfeifhase (Ochotona alpina)
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Kapitel 14 Artenzahl: 80 Ältestes bekanntes Fossil: Wenn man die Zalambdalestidae als Lagomorpha ansieht, reicht das Kladon bis zur Mittleren Kreidezeit zurück (Zalambdalestes und Barunlestes aus der Mongolei, –90 Mio. Jahre). Die ältesten bekannten echten Lagomorpha sind Hsiuannania, Paranictops, Anictops und Cartictops aus dem Paläozän Chinas (–60 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: Bis auf Australien, Neuseeland, die Antarktis, Madagaskar, das südliche Südamerika und einige Regionen Indonesiens findet man die Glirimorpha überall. Allerdings wurden Kaninchen und Hasen vom Menschen in diese Regionen eingeführt. Vor den Eiszeiten des Quartärs bewohnten die Kaninchen ganz Westeuropa. Nachdem die letzten Gletscher abgeschmolzen waren, besiedelten sie nur noch Spanien und Nordafrika. Nach Mitteleuropa wurden sie erst wieder durch den Menschen eingeführt.
Rodentia 23
Mammalia
Rodentia Allgemeines Die Rodentia (Nagetiere) sind generell kleine Plazentalia – mit Ausnahme einiger südamerikanischer Caviomorpha, die mehr als 1 m groß und 50 kg schwer sein können. Eines der kleinsten Nage-
tiere ist die Zwergmaus: Sie wird mit Schwanz nur 12 cm groß und wiegt etwa 5 g. Die Nager haben einen zylindrischen Körper und bewegen sich – bis auf die Wüstenspringmaus – mit Hilfe ihrer 4
Beine fort. Die Hinterbeine sind länger als die Vorderbeine. Daumen und Großzeh fehlen häufig, Finger und Zehen sind mit Krallen, die Fußsohle mit einer Hornhaut ausgerüstet. Der Schwanz ist
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23 Rodentia meist lang. Die Ohrmuscheln sind in der Regel gut ausgebildet – außer bei den Gänge grabenden Arten. Im Gegensatz zu den Insectivoren, Macrosceliden und Scandentia haben die Nager keine spitze Schnauze. Stattdessen erscheint ihre Schnauze aufgrund ihres besonderen Gebisses leicht verkürzt. Im Ober- und Unterkiefer sitzt jeweils nur ein einziges Schneidezahnpaar – der zweite „Milchgebiss-Schneidezahn“, der Dauerwachstum zeigt. Diese Schneidezähne sind sehr groß und vollständig mit Zahnschmelz bedeckt. Die Wurzeln der Incisivi setzen tief im Maxillare und im Dentale an und bilden so einen großen Bogen im Inneren der Kiefer, deren Krümmung die Schnau-
Ökologie Die Nagetiere sind Pflanzen- oder Allesfresser. Sie besiedeln alle Lebensräume, sogar die trockensten Gegenden, und leben auf Bäumen, am Boden oder semiaquatisch. Sie graben Gänge oder können sogar eine Art Gleitflug durchführen. Gehör und Tastsinn (vermittelt durch Tasthaare) sind die dominanten Sinne. Mit den vorderen Gliedmaßen bewegen sie sich fort, halten ihre Nahrung fest, hängen sich an Äste oder bauen ihr Nest. Die kräftigen Schneidezähne sind beachtliche Waffen, denen nur wenige Materialien ernsthaften Widerstand leisten können. Die Tiere haben einen ständigen Drang zu nagen: Wenn ihre Nagezähne – Schneidezähne mit Dauerwachstum – nicht ständig benutzt werden, können sie für das einzelne Individuum sogar gefährlich werden. Die Nagetiere sind von beachtlicher ökologischer Bedeutung – als 566
Kapitel 14
ze anhebt. Dahinter befindet sich eine zahnlose Zone (Diastema): Sie trennt die Incisivi von den Backenzähnen (Molaren). Die Canini und einige Prämolaren fehlen. Die Jochbögen sind stark ausgeprägt. Die Fossa glenoidalis hat die Form einer Schiene: Sie ermöglicht Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen, jedoch keine Seitwärtsbewegungen des Kiefers. Die Oberlippe ist häufig gespalten. Sie bildet darüber hinaus seitliche sowie zum Gaumen hinter die oberen Incisivi ausgerichtete Lappen. Auf diese Weise entstehen bei zahlreichen Nagern dehnbare Säcke, die so genannten Backentaschen, die dem Transport von Nahrung dienen. Behaarung und Färbung der Nagetiere sind von Art zu
Biomasse, die sie in den verschiedenen Ökosystemen darstellen, als Erstverbraucher in der Nahrungskette und als Beute vieler Reptilien, Vögel und Säugetiere. Bei zahlreichen Arten ist ein umfangreiches Sozialleben zu beobachten sowie gute Lernfähigkeit. Bei Arten, die in Kolonien leben, bildet die Familie die Grundeinheit. Jede Familie besiedelt ihr eigenes Territorium, dessen Grenzen durch Duftmarken wie Urin oder Drüsensekrete gekennzeichnet werden. Nur wenige Nagetierarten leben solitär – beispielsweise die Eichhörnchen, Hamster oder Siebenschläfer. Nach Konkurrenzkämpfen und Werbung folgt eine generell kurze Paarungsphase. Bei den kleinen Arten findet die Befruchtung sofort nach der Niederkunft statt. Die Tragzeit dauert, je nach Art, 16 Tage (Goldhamster) bis 5,5 Monate (Wasserschwein = Capybara). Die meisten Arten sind Nesthocker – die Jungen werden nackt, pigment-
Art extrem unterschiedlich. Der Schwanz und die Beine sind vollständig oder teilweise geschuppt. An den Haarfollikeln sitzen Talgdrüsen. Die Hautdrüsen treten lokal in großen Ansammlungen auf, die dann unterschiedliche Drüsenkörper bilden, beispielsweise in den Wangen des Murmeltiers, den Ohren der Lemminge, an den Flanken der Feldmäuse, in der Analregion der Stachelschweine sowie in Gestalt der Analdrüsen (Ölsäcke) und Präputialdrüsen der Biber. Innerhalb der Mammalia sind die Nagetiere die artenreichste Ordnung – und auch im Hinblick auf die Zahl der auf der Erde lebenden Individuen bedeutsam.
los und blind geboren und wachsen in der Geborgenheit eines Nests (Mäuse, Ratten oder Eichhörnchen) auf. Im Gegensatz dazu sind die Jungen bei nestflüchtenden Arten wie Meerschweinchen (Cavia) oder Sumpfbiber (Myocastor) bei ihrer Geburt bereits sehr weit entwickelt. Die meisten Nagetiere pflanzen sich rasend schnell fort. Die Zahl der Jungen pro Wurf reicht von 1 (Cuniculus paca) bis 18 (Hamster). Eine Hausmaus kann das ganze Jahr über Junge bekommen – selbst im Winter. Unter günstigen Bedingungen kann ein Weibchen über das Jahr hinweg mehr als 80 Junge werfen. Bei den kleinen Arten liegt die Lebenserwartung unter 2 Jahren. Flughörnchen können 13, das Stachelschwein der Alten Welt bis zu 18 Jahre alt werden. Einige Sciroidea- und MuroideaArten weisen starke Schwankungen in ihrer Populationsdichte auf – ein Phänomen, das bei den anderen Mammalia nicht auftritt. Es handelt
Rodentia 23
Mammalia sich hierbei um zyklisch auftretende Bevölkerungsexplosionen, in deren Zwischenphasen die Zahl der Individuen wieder auf ein Minimum zurückgeht. So vermehren sich beispielsweise die Lemminge alle 9–11 Jahre explosionsartig. Die Bevölkerungsexplosion anderer Arten wiederum verläuft in unregelmäßigen Zeitabständen. Solche Massenvermehrungen sind der Ausgang starker Abwanderungen. Der Grund dafür ist unklar. Diskutiert hat man das verfügbare Nahrungsangebot, den Einfluss bestimmter Pflanzenstoffe auf die Aktivität der Eierstöcke oder das Fehlen von Epidemien. Die Populationsdichte geht jedoch auch dann zurück, wenn vorher keine Epidemien ausgebrochen sind oder wenn die natürlichen Feinde fehlen. Man erklärt sich das Phänomen als physiologische Überlastung, die Sozialstress auslöst. Seitdem der Mensch sesshaft geworden ist, sind die Beziehungen zu den Nagetieren Konflikt behaftet: die Nager nutzen die Nahrungsvorräte der Menschen, aber auch alle möglichen Werkstoffe wie Holz, Leder, Tuch, Textilien, Papier – ja sogar Kabel. Darüber hinaus übertragen sie Krankheiten – die bekannteste und verheerendste in der Menschheitsgeschichte war die Pest. In neuerer Zeit nutzt der Mensch die Nagetiere nicht als Nahrungslieferanten, sondern wegen ihres Fells (beispielsweise Chinchilla oder Biber) oder als Labortiere (Maus, Ratte, Hamster, u. a.). Die Zahl der pro Jahr im Labor verwendeten Nagetiere beläuft sich auf mehrere Dutzend Millionen: Die Verbesserung der menschlichen Gesundheit in den letzten 150 Jahren geht zu einem großen Teil zu Lasten der Nagetiere. Das Meerschweinchen (Cavia porcellus) wurde in den Anden bereits vor über 4000 Jahren domestiziert.
Spezielle Merkmale – Die Nagetiere haben in jeder Hälfte des Ober- und Unterkiefers
nur einen Schneidezahn (Incisivus), den zweiten Schneidezahn des Milchgebisses, der Dauerwachstum zeigt (Abb. 1).
Abb. 1. Linke Seitenansicht des Rattenschädels (Rattus rattus)
Abb. 2. Ventralansicht des Schädels einer Ratte (a), eines Hasen (b) und eines Carnivoren (Hund; c)
567
23 Rodentia – Die Fossa glenoidalis, die den Condylus mandibularis umfängt, ist nach hinten nicht mehr durch den Processus glenoidalis begrenzt. Bei den Nagetieren bildet sie eine tiefe, von vorne nach hinten verlängerte Rille. Sie ermöglicht Vor- und Zurückbewegungen des Condylus, verhindert jedoch seitliche Bewegungen (Abb. 2). Bei der Ratte (Abb. 2a) erkennt man die rillenförmige Fossa glenoidalis, beim Hasen (Abb. 2b) das Fehlen ihrer hinteren Begrenzung. Der Hund (Abb. 2c) hat eine ganz anders gestaltete Fossa glenoidalis: Sie verläuft schräg und wird nach hinten hin vom Processus postglenoidalis begrenzt.
Beispiele Sciuromorpha (Hörnchenverwandte): Alpenmurmeltier (Marmota
568
Kapitel 14 marmota), Eichhörnchen (Sciurus vulgaris), Taguan (Petaurista grandis), Taschenratte (Geomys bursarius), Biber (Castor fiber), Dornschwanzhörnchen (Anomalurus peli) Myomorpha: Hausmaus (Mus musculus), Hausratte (Rattus rattus), Bisamratte (Ondatra zibethica), Feldhamster (Cricetus cricetus), Berglemming (Lemmus lemmus), Feldmaus (Microtus arvalis), Siebenschläfer (Glis glis), Wüstenspringmaus (Jaculus jaculus), Westblindmaus (Spalax leucodon)
Hystricomorpha: Stachelschwein (Hystrix cristata) Caviomorpha: Sumpfbiber (Myocastor coypus), Hasenmaus (Lagostomus maximus), Chinchilla (Chinchilla laniger), Meerschweinchen (Cavia porcellus), Großer Mara (Dolichotis patagonum), Wasserschwein (Hydrochoerus hydrochoeris), Aguti (Cuniculus paca), Greifstachler (Coendou prehensilis)
Artenzahl: 2021 Ältestes bekanntes Fossil: Heomys und Mimotona aus dem Paläozän Chinas (–60 Mio. Jahre), Acritoparamys und Paramys aus dem Paläozän Wyomings/USA sowie Microparamys und Pseudoparamys aus dem Paläozän von Meudon/Frankreich (–60 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: Nagetiere findet man überall bis auf Australien, Neuseeland, die Antarktis und die Polarregionen. Allerdings wurden sie vom Menschen in Australien und Neuseeland eingeführt.
Huftiere 24
Mammalia
Huftiere Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die am weitesten distal gelegenen Finger- bzw. Zehenglieder sind spatelförmig. Diese Verbreiterung geht mit dem Auftreten eines verhornten Hufs einher (Abb. 1). Beim Makaken (1a) sind die distalen Phalangen nicht spatelförmig – im Gegensatz zu denen der drei anderen, hier dargestellten Tiere. Detailansichten des letzten Fingerglieds verschiedener Arten zeigt Abb. 2.
bius), Blauwal (Balaenoptera muculus), Pottwal (Physeter catodon), Schwertwal (Orcinus orca), Wildschwein (Sus scrofa), Hirscheber (Babyrousa babyrussa), Südamerikanischer Tapir (Tapirus terrestris),
Breitmaulnashorn (Ceratotherium simum), Wildpferd (Equus caballus przewalskii), Buschschliefer (Heterohyrax syriacus), Rundschwanzsirene (Trichechus senegalensis), Afrikanischer Elefant (Loxodonta africana)
Beispiele Tubulidentata: Erdferkel (Orycteropus afer) Cetungulata: Kleinkantschil (Tragulus javanicus), Moschustier (Moschus moschiferus), Rothirsch (Cervus elaphus), Giraffe (Giraffa camelopardalis), Gabelbock (Antilocapra americana), Grantgazelle (Gazella granti), Flusspferd (Hippopotamus amphi-
Abb. 1. Vorderansichten des linken Fußes vom Makaken (Primates; a), vom Wildschwein (Suiformes; b), Tapir (Mesaxonia; c) und Pferd (Mesaxonia; d)
569
24 Huftiere
Kapitel 14
Abb. 2. Seiten- (oben) und Distalansicht (unten) des letzten rechten Zehenglieds bei Mensch (Primates; a), Erdferkel (Tubulidentata; b), Rind (Ruminantia; c), Tapir (Mesaxonia; d) und Pferd (Mesaxonia; e)
Artenzahl: 328 Ältestes bekanntes Fossil: Die Zhelestidae aus der oberen Kreide Usbekistans (–85 Mio. Jahre) könnten die ersten Huftiere gewesen sein – doch dies ist umstritten. Das erste, aufgrund seiner Zahnmerkmale echte Huftier ist Protongulatum, ein zu den Arctocynoidea gehörender Vertreter der Condylarthra (paraphyletische Gruppe) vom Ende der Kreidezeit Saskatchewans, Kanada (–72 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit – bis auf Australien, Tasmanien und Neuseeland. Dort wurden sie erst vom Menschen eingeführt.
570
Tubulidentata 25
Mammalia
Tubulidentata Allgemeines Zu den Tubulidentata gehört nur die eine Art Erdferkel (Orycteropus afer), ein mittelgroßer Vertreter der Plazentalia. Das Tier wird 120–170 cm lang, der Schwanz misst 45–60 cm, und es wiegt 50–80 kg. Orycteropus ist leicht an seinem länglichen Kopf zu erkennen, der von seinen langen Ohren überragt wird. Das Tier hat eine lange, bewegliche, rüsselartige Schnauze. Der Hals ist kurz, der Körper gedrungen und mit hoher Kruppe. Die Hinterbeine sind länger als die Vorderbeine, der Schwanz dick und muskulös. Die vorderen Gliedmaßen sind vierfingrig und mit kräftigen Grabkrallen ausgestattet, die die Fingerglieder bedecken und eine Art Schuh bilden. Die Hinterbeine sind die eines Zehengängers: Sie haben 5 Zehen, die ebenfalls mit kräftigen Krallen bewehrt sind. Die Tiere sind spärlich behaart und bräunlich gefärbt. Der Jochbogen ist stark ausgeprägt. Der Fötus hat zahlreiche,
Ökologie Die einzige Art – Erdferkel (Orycteropus afer) – ist nachtaktiv, lebt solitär, gräbt Gänge und ernährt sich von Termiten, manchmal auch von Ameisen. Man findet diese Tiere im Regenwald und in den Savannen, insbesondere in Regionen, in denen Termiten der Gattungen Macrotermes, Cubitermes, Trinervitermes und Bellicotermes auftreten. Orycteropus gräbt sehr effektiv: Das Tier kann sich in nur wenigen Minuten einen schützenden Bau graben. Tagsüber
in den Alveolen verankerte Zähne. Beim Adulttier sind in jeder Hälfte des Ober- und des Unterkiefers jedoch nur noch 5–7 Jugalzähne erhalten (Abb. 2). Diese Zähne sind säulenförmig und besitzen weder Wurzel noch Zahnschmelz. Stattdessen sind sie mit Zement bedeckt. Das Dentin ist in hexagonale, parallel verlaufende Prismen gegliedert – eine Besonderheit dieser Gruppe. Diese Säulenzähne wachsen das ganze Leben lang. Die
schläft Orycteropus in seinem Bau, dessen Eingang er mit loser Erde verstopft, um das Eindringen von Feinden wie dem Python zu verhindern. Gewöhnlich ist ein Bau 2–3 m lang und hat einen Durchmesser von 40 cm. Er endet in einem kugelförmigen Raum. Verlassene Baue nutzt das Warzenschwein, das sich eventuell mit der ganzen Familie dort einrichtet. In manchen Gegenden Afrikas findet man Warzenschweine sogar nur dort, wo es auch Tubulidentaten gibt. Darüber hinaus werden die Baue auch von Stachelschweinen,
flache, schmale, lange Zunge ist protraktil und stets gut eingespeichelt. Sie dient dazu, Termiten zu fangen. Der Magen ist einfach aufgebaut, jedoch in der Pylorusregion stark bemuskelt – ein Bauplan, der konvergent bei den Pholidota sowie den Ameisenbären und anderen Termitenfressern auftritt. Wie bei diesen sind auch bei den Tubulidentata die Speicheldrüsen äußerst gut entwickelt.
Igeln, Nagetieren, Schleichkatzen, Schakalen, Hyänen, ja sogar von einem Vogel der Gattung Chamaeza sowie von der Fledermaus Nycteris thebaica genutzt. Ist ausreichend Nahrung vorhanden, bewegt sich Orycteropus in seinem begrenzten Territorium nur wenig. Es benutzt dabei immer dieselben Wege und untersucht dieselben Termitenhügel in wöchentlichem Abstand. Um an seine Nahrung zu kommen, öffnet das Tier die Termitenhügel und fängt die Termiten mit seiner klebrigen Zunge. Die ein571
25 Tubulidentata
Kapitel 14
Abb. 2. Ventralansicht des Oryceropus-Schädels und der säulenförmigen Jugalzähne.
Abb. 1. Schematischer Vertikalschnitt durch einen Tubulidentaten-Zahn Abb. 3. Krallen an Fingern und Zehen vom Erdferkel (Orycteropus)
wöchige Pause gibt den Termiten Gelegenheit, den Schaden wieder zu beheben. Feinde der Tubulidentata sind Leoparden, Löwen und Hyänen. Die Paarung findet – je nach der Region Afrikas, in der diese Tiere leben – zu unterschiedlichen Zeiten innerhalb eines Jahres statt. Die Tragzeit dauert etwa 7 Monate. In den meisten Fälle wird nur ein Junges geboren: Es ist bei der Geburt nackt, rosa und verbringt seine ersten Lebenswochen im Bau. Mit 6 Monaten gräbt das Junge seinen eigenen Bau in der Nähe der Mutter und geht gemeinsam mit ihr auf Nahrungssuche. Ist das Jungtier ein Männchen, so verlässt es seine Mutter bei der nächsten Brunft. Die Tiere können etwa 15 Jahre alt werden.
Dauerwachstum, haben keinen Zahnschmelz und sind aus zahlreichen hexagonalen Prismen aufgebaut, wobei jedes Prisma im Zentrum einen eigenen Pulpakanal besitzt. Allein der 2. Molare besitzt 1500 Prismen. Die Pulpahöhle ist an ihrem Grund weit geöffnet. Von ihr führen vertikale Verzweigungen nach oben. – Die Tubulidentata besitzen kräftige Krallen zum Graben (Abb. 3). ANMERKUNG: Der Fuß in Abb. 3 ist wie der es eines Sohlengängers dargestellt. In Wirk-
lichkeit ist Orycteropus jedoch ein echter Zehengänger. Diese plantigrade Stellung nimmt der Fuß nur dann ein, wenn sich das Tier hinsetzt und mit seinen Händen einen Bau gräbt oder einen Termitenhügel aufbricht. Die plantigrade Stellung wird durch zwei Kissen an der Fußsohle ermöglicht: das Metartarsal- und das Calcaneus-Kissen.
Beispiel Erdferkel (Orycteropus afer)
Artenzahl: 1
572
Spezielle Merkmale
Ältestes bekanntes Fossil: Leptomanis aus dem unteren Oligozän von Quercy, Frankreich (–30 Mio. Jahre).
– Die Zähne sind charakteristisch: Sie sind säulenförmig, zeigen
Heutiges Vorkommen: Afrika, südlich der Sahara
Cetungulata 26
Mammalia
Cetungulata Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Cetungulata verlieren das Foramen mastoideum. Das Mastoid ist kein ursprünglicher Knochen, sondern ein dorso-lateraler Fortsatz des Petrosums. Bei den Hyracoidea (Abb. 1c), den Proboscidea, den Cetacea und den Suiformes besitzt das Mastoid keinen Ausläufer in die Occipitalregion mehr. Man könnte sich vorstellen, dass dies der Grund dafür ist, dass das Foramen verloren gegangen ist. Der MastoidAusläufer der Seekühe ist sekundär erworben worden, ausgehend von amastoiden Vorläufern – was wiederum das Fehlen des Foramen erklärt. Man schätzt, dass das Foramen mastoideum bei den Xenarthra, den Pholidota und den Dermoptera konvergent verloren gegangen ist.
Abb. 1. Occipitalansichten der Schädel von Opossum (Marsupialia, kein Vertreter der Cetungulata; a), Erdferkel (Tubulidentata, kein Vertreter der Cetungulata; b), Kapschliefer (Hyracoidea, Cetungulata; c) und Rundschwanzsirene (Sirenia, Cetungulata; d) ex = Exoccipitale, fot = Foramen mastoideum, j = Jugale, m = Mastoid, soc = Supraoccipitale, sq = Squamosum
Beispiele Cetartiodactyla: Kleinkantschil (Tragulus javanicus), Moschustier (Moschus moschiferus), Rothirsch (Cervus elaphus), Giraffe (Giraffa
camelopardalis), Gabelbock (Antilocapra americana), Grantgazelle (Gazella granti), Flusspferd (Hippopotamus amphibius), Blauwal (Balaenoptera musculus), Pottwal (Physeter
catodon), Schwertwal (Orcinus orca), Wildschwein (Sus scrofa), Hirscheber (Babyrousa babyrussa) Altungulata: Südamerikanischer Tapir (Tapirus terrestris), Breitmaulnas573
26 Cetungulata horn (Ceratotherium simum), Wildpferd (Equus caballus przewalskii), Buschschliefer (Heterohyrax syriacus), Rundschwanzsirene (Trichechus senegalensis), Afrikanischer Elefant (Loxodonta africana)
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Kapitel 14 Artenzahl: 327 Ältestes bekanntes Fossil: Protongulatum ist ein zu den Arctocyonidea gehörender Vertreter der Condylarthra (paraphyletische Gruppe) vom Ende der Kreidezeit Saskatchewans/Kanada (–72 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit – bis auf Australien, Tasmanien und Neuseeland. Dort wurden sie erst vom Menschen eingeführt.
Cetartiodactyla 27
Mammalia
Cetartiodactyla Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Achse der hinteren Gliedmaßen verläuft zwischen dem 3. und 4. Zeh (Digitus). Diese als Paraxonie bezeichnete Anordnung ist hier mit einer paarigen Zehenzahl assoziiert (Abb. 1). – Das Sprungbein ist doppelscheibig: Es besteht aus einer proximalen (tibialen) und einer distalen (naviculären) Scheibe. Man beachte,dass dieses Merkmal bei den heutigen Cetacea nicht beobachtet werden kann, denn sie haben ihr Sprungbein ebenso wie alle hinteren Gliedmaßen verloren. – Im Knöchel berührt das Sprungbein das Cuboid (Abb. 2a, Abb. 3). – Die Monophylie der Cetartiodactyla wird durch mitochondriale DNA-Sequenzen bestätigt, die für Cytochrom b und Exon 7 des βCaseins codieren.
Beispiele Tylopoda: Wildkamel (Camelus ferus) Kladon 29: Kleinkantschil (Tragulus javanicus), Moschustier (Moschus
moschiferus), Rothirsch (Cervus elaphus), Giraffe (Giraffa camelopardalis), Gabelbock (Antilocapra americana), Grantgazelle (Gazella granti), Flusspferd (Hippopotamus amphi-
bius), Blauwal (Balaenoptera musculus), Pottwal (Physeter catodon), Schwertwal (Orcinus orca), Wildschwein (Sus scrofa), Hirscheber (Babyrousa babyrussa)
Abb. 1. Vorderansichten des linken Beins vom Rind (Certiodactyla; a), Schwein (Certiodacctyla; b),Tapir (gehört nicht zu den Certiodactyla; c). Die vertikale Linie kennzeichnet die Tragachse. as = Sprungbein, cal = Calcaneus (Fersenbein), cbd = Cuboid, cun = Keilbein, cun3 = 3. Keilbein, mtt = Metatarsale, mtt3 = 3. Metatarsale, nav = Naviculare, pe = Wadenbein (Fibula), ti = Schienbein (Tibia)
575
27 Cetartiodactyla
Abb. 2. Vorderansichten des linken Sprungbeins von Schwein (Certiodactyla; a) und Mensch (gehört nicht zu den Cetartiodactyla; b)
Kapitel 14
Abb. 3. Vorderansicht der linken Fußwurzel des Menschen (a) und des Schweins (Cetartiodactyla; b): Beim Schwein ist der Kontakt zwischen Sprungbein und Cuboid zu erkennen.
Artenzahl: 296 Ältestes bekanntes Fossil: Diese Reihe umfasst die fossile Familie Mesonychidea. Die ältesten Mesonychidea gingen mit Yatanglestes und Dissacusium (unteres Paläozän Chinas) und Ankalagan (unteres Paläozän NeuMexikos, USA) (–60 Mio. Jahre) den Cetacea nur wenig voraus. Die ältesten bekannten Fossile der heutigen Gruppen sind die Cetacea Ambulocetus, Pakicetus, Gandakasia und Ichthyolestes aus dem unteren Eozän Pakistans (–50 Mio. Jahre) sowie aus derselben Epoche die fossilen Schweine Cebochoerus aus dem unteren Eozän Spaniens (–50 Mio. Jahre), Khirtaria, Indohys, Kunmunella und Raoella aus dem unteren Eozän Asiens (–50 Mio. Jahre), der Thylopode Cuisitherium (Dacrytheridea) aus dem unteren Eozän Frankreichs (–50 Mio. Jahre) und der Thylopode Mixtotherium (Mixtotheridea) aus dem unteren Eozän Spaniens, Englands und Frankreichs (–50 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit – bis auf Australien und Neuseeland. Dort wurden sie erst vom Menschen eingeführt.
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Tylopoda 28
Mammalia
Tylopoda Allgemeines Die Tylopoda (Schwielensohler) umfassen die Kamele, Dromedare, Guanakos und Vikunjas. Die Tiere sind groß und schlank: Sie sind 125–345 cm lang, haben eine Rückenhöhe von 70–230 cm und
wiegen bis zu 650 kg. Der Kopf ist konisch, die Ohren sind klein, die Oberlippe ist behaart und in der Mitte gespalten. Die weit oben an der Schnauze sitzenden Nasenöffnungen können verschlossen wer-
den. Der Hals ist sehr lang, die Beine lang und schlank. Die Extremitätenstrahlen 1, 2 und 5 sind völlig verschwunden. Die Metacarpalia und Metatarsalia 3 und 4 sind verschmolzen. Diese Huftiere kön-
577
28 Tylopoda nen nicht nur auf dem letzten, sondern auch auf dem vorletzten Finger- bzw. Zehenglied gehen. Die Hufe sind so klein, dass sie nur die Vorderseite des letzten Zehenglieds schützen. Die Sohle der Zehen, die den Boden berühren, ist mit einem dicken, elastischen Kissen versehen. Einige Arten zeigen auf dem Rücken eine subkutane Fettansammlung – den berühmten
Ökologie Die Tylopoda sind ausnahmslos landlebende Pflanzenfresser. Sie bewohnen trockene, unwirtliche Regionen wie Trockenwüsten von ausgetrockneten Tälern, Steppen und Hochplateaus. Sie leben in gemischten Gruppen. Diese bestehen in der Regel aus weiblichen Tieren und deren Jungen – die meisten männlichen Adulttiere leben solitär. In der Brunftzeit scharen die männlichen Tiere einen Harem um sich und liefern sich spektakuläre Kämpfe, bei denen jeder versucht, den anderen in die Knie zu zwingen. Die Tragzeit ist lang: Sie dauert beim Vinkunja 10, beim Dromedar 12–14 Monate. In der Regel bringen die Weibchen ein einziges Junges zur Welt, das innerhalb von 3 h zu laufen beginnt. Je nach Art werden die Tiere mit 1–3 Jahren geschlechtsreif. Das zweihöckrige Kamel wurde bereits um 3000 v. Chr. zwischen Turkestan und der Mandschurei domestiziert. Die Domestikation hat diese Tiere nur wenig verändert. Die Kamele ertragen große Temperaturschwankungen, bis 50 °C im Sommer und bis –25 °C im Winter. Im Gegensatz dazu bekommt dem Dromedar nur ein heiß-trockenes Klima. Es wurde um 2500 v. Chr. in Arabien domestiziert. Dieses Tier ist Rekord578
Kapitel 14
Kamelhöcker. Das Dromedar besitzt einen, das Kamel zwei Höcker. Die Eckzähne und die ersten Prämolaren sind gekrümmt. Die Molaren sind hochkronig (hypsodont) und mit halbmondförmigen Höckern (selonodont) versehen. Die Tylopoda sind Wiederkäuer: Ihr Magen besteht aus 4 Kammern. Besonderheiten bei der Entwicklung der spezifischen Magen-
halter im Austrocknen: Der Mensch fällt bei einem Wasserverlust von 5–10% seines Körpergewichts ins Koma, in der Hitze führt eine Dehydratation von 12% zum Tode. Das Dromedar dagegen kann eine Austrocknung von 30% seines Körpergewichts ertragen, ohne dass sein Blut zu dickflüssig wird – ein gesundes Dromedar sogar bis 40%. Es kann ein Viertel seines Gewichts an Wasser verlieren – gleichzeitig verliert das Blut aber nur 10% seines Wassergehalts. Wenn die Temperatur 40 °C nicht überschreitet und sich das Dromedar von Grünzeug ernähren kann, genügt es dem Tier, alle zwei Wochen zu trinken. Beim Trinken kann das Dromedar enorme Mengen aufnehmen: etwa 15 L pro Minute und insgesamt 120–140 L. Das Dromedar verfügt darüber hinaus über eine erstaunliche Thermoregulation: Nachts hat das Tier eine innere Körpertemperatur von 34 °C. Es dauert dann den ganzen Morgen, bis seine Temperatur zur heißesten Zeit des Tages etwa 40 °C erreicht – erst dann beginnt es zu schwitzen. Nur auf der Basis dieser Fähigkeiten kann der Mensch mithilfe des Dromedars die Sahara durchqueren.Die Wildform des Dromedars ist ausgestorben – es bestehen regional verwilderte Gruppen. Guanako und Vikunja sind Tiere der Trockenebene (Grand Chaco,
strukturen lassen vermuten, dass der Magen der Tylopoda unabhängig von dem der Ruminantia entstanden ist. Die Tylopoda haben einen dichten, wolligen Pelz, der an manchen Stellen buschig wächst. Die Fellfärbung ist je nach Art unterschiedlich und reicht von weiß über rötlich bis hin zu dunkelbraun.
Patagonien) sowie der Ebenen und Bergzüge der Anden. In heißen und feuchten Ebenen kommen sie nicht vor. Daher trifft man sie in der Äquatorregion nur in großer Höhe an. Das Vikunja ist in Peru domestiziert worden. Die Domestikation von Lama und Alpaka (Lama guanicoë paco) liegt schon sehr lange zurück: Sie erfolgte bereits vor der Inka-Zeit (etwa 4000 v. Chr. ) in den Zentralanden. Das Alpaka, dessen Wolle vom Menschen genutzt wird, ist aus einer Kreuzung zwischen Vikunja und Guanako hervorgegangen. Das Lama (Lama guanicoë) hat man wegen seines Fleisches und als Lasttier domestiziert.
Spezielle Merkmale – Die Tylopoden gehen auf den Sohlen des letzten und vorletzten Zehenglieds. Der Huf bedeckt nur den vorderen Teil des letzten Zehenglieds. Dessen hinterer Teil ist mit einem dicken elastischen Kissen versehen. Alle anderen terrestrischen Cetartiodactyla dagegen gehen auf der Spitze ihres Hufs, der das letzte Zehenglied umhüllt. – Der Extremitätenstrahl IV ist am Metatarsale (oder am Metacarpale) weiter unten befestigt
Tylopoda 28
Mammalia
Abb. 1. Schematischer Längsschnitt durch die Fußspitze von Lama (Tylopoda; a) und Schaf (Ruminantia; b)
als der Extremitätenstrahl III (Abb. 2). – Wiederkäuen: Die Tylopoden sind Wiederkäuer. Allerdings ist diese Form des Wiederkäuens mit einem Cellulose verdauenden Gärungsprozess im Magen verbunden, der auf einer anderen Anatomie als bei den Ruminantia beruht. Es handelt sich hierbei um Konvergenz. Der Blättermagen hat eine nahezu faltenlose Wand und ist sehr lang. Der Labmagen ist nur schwach ausgebildet. Im Gegen-
satz dazu ist die Wand des Blättermagens bei den Ruminantia in Hunderte von lamellenartigen Längsfalten aufgeworfen. Ebenfalls im Gegensatz zu den Ruminantia besitzt der Pansen der Tylopoda keine Papillen. Die Wand des Netzmagens und ein Teil der Pansenwand sind mit einem dichten Netz von Auswüchsen versehen, die tiefe Taschen bilden – die Wasserzellen, die als Wasserreservoir dienen können (Abb. 3). Weitere Informationen zu den Funktionen
Abb. 2. Vorderansicht des linken Hinterbeins des Kamels (Tylopoda, nur Fußspitze dargestellt; a) und des Rinds (Ruminantia, Nicht-Tylopode; b) ta = Tarsus (Fußwurzel), mta = Metatarsus (Mittelfuß), Pha = Phalangen, A3 = Befestigung des 3. Extremitätenstrahls, A4 = Befestigung des 4. Extremitätenstrahls
der Magenkammern sind unter Kladon 32 aufgeführt. – Knöchernes Diaphragma (Zwerchfell): Die Tylopoden besitzen als einzige Säugetiere ein verknöchertes Diaphragma (Zwerchfellknochen). – Die Erythrocyten der Thylopoden sind flach und plan (also nicht bikonvex) und klein (Außendurchmesser 8 µm, Innendurchmesser 4 µm). Sie treten in sehr hoher Zahl auf: beim Lama 14 × 106/mm3, beim Kamel 19 × 106/mm3.
Beispiele Wildkamel (Camelus ferus), Dromedar (Camelus dromedarius), Guanako (Lama guanicoë), Vikunja (Lama vicunga)
Abb. 3. Schematische Ansichten des Magensystems eines Tylopoden (a) und eines Ruminantiers (b): Deutlich erkennbar ist die unterschiedliche Größe der einzelnen Magenkammern. fe = Blättermagen, cai = Labmagen, pan = Pansen, bon = Netzmagen, caq = Wasserzellen, du = Duodenum, goe = Schlundrinne, oe = Oesophagus
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28 Tylopoda Artenzahl: 6 Ältestes bekanntes Fossil: Die Tylopoden umfassen die fossilen Oreodontoidae, Protoceratidae und Oromerycidae sowie die Camelidae. Beim ältesten Fossil handelt es sich um einen Vertreter der Camelidae, Poebrodon, aus dem mittleren Eozän Nordamerikas (Utah und Kalifornien) (–45 Mio. Jahre). Eine Anzahl fossiler Familien rätselhafter Abstammung wurde vor kurzem den Tylopoda zugeordnet, darunter die Cainotheridae, Mixtotheridae und Xiphodontidae. Die Linie könnte als älteste bekannte Fossilformen außerdem Cuisitherium (Dacrytheridae) aus dem unteren Eozän Frankreichs (–50 Mio. Jahre) sowie Mixtotherium (Mixtotheridae) aus dem unteren Eozän Spaniens, Englands und Frankreichs (–50 Mio. Jahre) umfassen. Heutiges Vorkommen: Die Tiere leben verstreut – das Ergebnis relativ kurz zurückliegender Migrationen. Im Eozän taucht die Gruppe in Nordamerika auf. Im Mittleren Miozän erreichte die Verbreitung dieser Gruppe ihren Höhepunk, der im späten Miozän und Pliozän Europas, Nordafrikas und Asiens sowie im Pleistozän Südamerikas bereits überschritten war. Heute ist diese Gruppe in Nordamerika nicht mehr vertreten. In Zentralasien – von Turkestan bis Tibet, einschließlich der Wüste Gobi (Mongolei, China) – ist die Gruppe jedoch nach wie vor mit dem Wildkamel vertreten. Im Westen erstreckt sich die Verbreitung des domestizierten Kamels vom Kaukasus bis in die Türkei. Das Dromedar kommt in Nordafrika, in der Sahara, auf der arabischen Halbinsel sowie im Mittleren Osten – von Palästina über die Türkei bis zu den Grenzen Indiens – vor. Die Guanakos und Vikunjas leben in den Cordilleren und in den peruanischen Anden bis an die Grenze Feuerlands. In historischer Zeit bevölkerten die südamerikanischen Tylopoden auch die große Trockenebenen im Süddrittel dieses Kontinents, von wo sie dann vom Menschen vertrieben wurden.
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Kapitel 14
Unbenanntes Kladon 29
Mammalia
Unbenanntes Kladon Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Retrotransposon-Sequenzen: Die Suiformes, Ruminantia, Hippopotamida und Cetacea besitzen in ihrem Genom an denselben Stellen kurze Retrotransposon-Sequenzen. Diese mobilen genetischen Elemente, die so genannten LINES (long interspersed elements), stellen daher einen verlässlichen phylogenetischen Marker dar. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese mobilen genetischen Elemente zweimal unabhängig voneinander bei zwei verschiedenen Arten an genau derselben Stelle inserieren, ist äußerst gering. Wenn zwei oder mehrere Arten diese genetischen Elemente an denselben Stellen ihres Genoms besitzen, bedeutet das, dass bei ihnen ein gemeinsames Retranpositions-Ereignis stattgefunden hat – und zwar bei ihrem gemeinsamen Vorfahr. Die Suiformes, Ruminantia, Hippopotamida und Cetacea haben an einer spezifischen Stelle des Genoms, dem so genannten ino-Locus, die repetitiven „ARE“-Sequenzen (LINES-
Typ) gemeinsam. Der Replikationsmechanismus, über den sich diese Sequenzen an einem neuen Locus einbauen, macht diesen Einbau mehr oder weniger irreversibel. Wenn die Tylopoda diese Sequenzen heute nicht besitzen, dann deshalb,weil sie sie noch niemals besessen haben – wohingegen bei einem Vorfahr der Suiformes, Ruminantia, Hippopotamida und Cetacea dieses Insertionsereignis stattgefunden hat. – Molekulare Phylogenien: Weitere Argumente dafür, die Tylopoda als Schwestergruppe der übrigen Cetartiodactyla einzuordnen, stammen von den molekularen Phylogenien. Die Cetartiodactyla – ausgenommen die Tylopoda – vereint die Struktur der DNASequenzen der mitochondrialen Gene, die für Cytochrom b codieren sowie der Kerngensequenzen, die für das Exon 7 und das Intron 7 des β-Caseins codieren. Diese Klassifizierung stimmt allerdings nicht mit den Zahntypen überein. Tatsächlich unterteilten die früheren Klassifizierungen die Artiodactyla (terrestrische Cetartio-
dactyla) in Bunodonta, deren Molaren kegelförmige Höcker besitzen, und Selonodonta, deren sehr hochgewachsene Molaren halbmondförmige Höcker aufweisen. Zu den Bunodonta zählte man die Suiformes und Hippopotamida, zu den Selonodonta die Tylopoda und Ruminantia. Während bereits die allerfrühesten fossilen Familien der Artiodactyla (Diacodexeidae und Dichobunidae, unteres Eozän) bunodont waren, zeigt die hier präsentierte Phylogenie, dass die Selonodontie bei den Cetatriodactyla im Laufe der Evolution mit Sicherheit mehrere Male entstanden ist – mindestens einmal bei den Tylopoda und einmal bei den Ruminantia.
Beispiele Kladon 31: Kleinkantschil (Tragulus javanicus), Moschustier (Moschus moschiferus), Rothirsch (Cervus elaphus), Giraffe (Giraffa camelopardalis), Gabelbock (Antilocapra americana), Grantgazelle (Gazella granti), 581
29 Unbenanntes Kladon Hausrind (Bos taurus), Flusspferd (Hippopotamus amphibius), Blauwal (Balaenoptera musculus), Pottwal (Physeter catodon), Schwertwal (Orcinus orca) Suiformes: Wildschwein (Sus scrofa), Hirscheber (Babyrousa babyrussa)
Kapitel 14
Artenzahl: 290 Ältestes bekanntes Fossil: Die Linie umfasst die fossile Familie der Mesonychidea. Die ältesten Mesonychidea, Yatanglestes und Dissacusium (unteres Paläozän Chinas) sowie Ankalagan (unteres Paläozän NeuMexikos) (–60 Mio. Jahre) gingen den Cetacea nur wenig voraus. Die ältesten bekannten Fossilformen der heute lebenden Gruppen sind die Cetacea mit Ambulocetus, Pakicetus, Gandakasia und Ichthyolestes (Unteres Eozän Pakistans, –50 Mio. Jahre), aber auch die in diese Epoche datierenden fossilen Suiformes mit Cebochoerus aus dem unteren Eozän Spaniens (–50 Mio. Jahre) sowie die Raoellidea Khirtharia, Indohys, Kunmunella und Raoella aus dem unteren Eozän Asiens (–50 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit, bis auf Australien und Neuseeland. In diese Regionen wurden diese Tiere erst vom Menschen eingeführt.
582
Suiformes 30
Mammalia
Suiformes Allgemeines Die Suiformes sind die Pekaris (Nabelschweine) und „die Schweine“ (Wildschwein, Hausschwein, Warzenschwein, Hirscheber etc.). Die Tiere sind mittelgroß (50 cm lang, 18 kg schwer) bis groß (200 cm lang, 300 kg schwer oder mehr). Sie haben einen gedrungenen, zylindrischen oder beinahe fassförmigen Körper, der wie bei den Pekaris seitlich abgeflacht sein kann. Beine, Hals und Schwanz sind kurz. Die Beine sind relativ
schlank, der Hals ist sehr dick. Der Kopf verlängert sich in einen Rüssel – einer verkürzten, konischen Schnauze, die von zwei Nasenlöchern durchbrochen wird. Dieses Organ wird von einem für diese Gruppe charakteristischen Knorpel getragen. Die Rüsselscheibe ist haarlos und beweglich. Die Augen sind klein und sitzen an den Seiten des Kopfes sehr weit oben. Die Ohren sind mittelgroß, spitz und hängen manchmal herunter. Das
Gesicht einiger Arten trägt markante Höcker (z. B. bei den Warzenschweinen). Besonders die Männchen besitzen kräftige Eckzähne: Sie dienen der Verteidigung und zeigen Dauerwachstum. Die Molaren sind bunodont – ihre Höcker sind kegelförmig. Im Gegensatz zu den Tylopoda, Ruminantia und Hippopotamida ist der Magen einfach aufgebaut und nicht in Kammern aufgeteilt. Alle Gliedmaßen haben 4 Finger/Zehen. Der Körper
583
30 Suiformes wird ausschließlich von den Hufen des 3. und 4. Phalangen getragen – die beiden anderen (2 und 5) berühren den Boden nicht. Unter der sehr dicken Haut, die kaum Schweiß- und Talgdrüsen besitzt,
Ökologie Die meisten Schweine sind kaum spezialisiert und besiedeln ein breites Spektrum an Biotopen in den verschiedenen Klimazonen: Sie leben in der Ebene, in kultivierten Zonen, in Sümpfen, im Hochgebirge, in Wäldern, Steppen und Savannen. Meist benötigen sie eine Wasserstelle in ihrer Nähe – lediglich die Pekaris leben in den Halbwüsten von Mexiko und Texas. Die Tiere sind Allesfresser; der Hauptbestandteil der Nahrung ist jedoch pflanzlich. Schweine sind gesellige Tiere und leben in Paaren oder Kleingruppen. Während der Brunftzeit sind die älteren Männchen Einzelgänger. Die Suche nach Nahrung führt häufig zur Bildung eines größeren Rudels. Die Tiere kommunizieren über eine Palette unterschiedlicher Töne. Sie erkennen sich gegenseitig am Duft. Ihr Sehvermögen ist dagegen ziemlich schlecht. In der Brunftzeit liefern sich die Männchen spektakuläre Kämpfe und attackieren sich gegenseitig mit Kopf- und Rüsselstößen oder Vertei-
Kapitel 14
liegt eine dicke Fettschicht. Die Haare (Borsten) sind dick und dicht. Auf Nacken und Hals sitzt häufig eine Mähne, die aufgerichtet wird, wenn das Tier irritiert ist. Die Farbe der Tiere ist variabel: Sie
digungsschlägen. Bei der Werbung massiert das Männchen das Weibchen mit seinem Rüssel. Die Tragzeit dauert 4–5 Monate. Die Weibchen graben ein flaches Loch im Boden und bedecken es mit Pflanzen – so entsteht eine Art Nest. Ein Wurf besteht aus 2–14 Jungen, die vollständig entwickelt sind und sehr früh zu laufen beginnen. In der Regel findet ein Wurf pro Jahr statt – wenn das Nahrungsangebot besonders gut ist, können es auch zwei sein. Das Warzenschwein schützt seine Jungen teilweise in verlassenen Bauen anderer Arten – beispielsweise in denen vom Erdferkel. Unser Hausschwein stammt vom eurasischen Wildschwein ab, das durch den sesshaft gewordenen Menschen um 9000 v. Chr. in Thessalien domestiziert worden ist.
siert. Er wird gestützt von zwei spezialisierten Nasenknochen, die am Nasale, am Praemaxillare und manchmal auch am Mesethmoid befestigt sind. Der Rüssel wird über eine spezielle Muskulatur bewegt (Abb. 1 und 2). – Gene: Die Schweine sind charakterisiert durch die Struktur der DNA-Sequenz ihres mitochondrialen Gens für Cytochrom b sowie durch mehrere Kerngensequenzen, nämlich Exon 1 und 2 des Protamins P1, Exon 7 und Intron 7 des β-Caseins, Exon 4 des κ-Caseins, Exon 2 und 4 sowie Intron 2 und 3 des γ-Fibrinogens. – Retrotransposon-Sequenzen: Die Schweine besitzen in ihrem Genom kurze RetrotransposonSequenzen genau an denselben Stellen (siehe Kladon 29): Tayassuidea und Suidea haben an spe-
Spezielle Merkmale – Rüssel: Die Schweine sind durch den am Schnauzenende sitzenden, beweglichen Rüssel charakterisi-
Abb. 1. Ansicht der linken Schädelseite eines Jungschweins
584
können schwarz, grau, hellbraun oder rötlich gefärbt sein. Die Frischlinge haben ein gestreiftes oder getupftes Haarkleid und zeigen damit eine andere Farbe als die Adulten.
Abb. 2. Vorderansicht eines Schweinekopfes mit Rüssel und den beiden Nasenöffnungen an der Rüsselscheibe
Suiformes 30
Mammalia zifischen Stellen des Genoms repetitive „ARE“-Sequenzen vom LINES-Typ gemeinsam („gpi“ und „pro“).
Beispiele Buschschwein (Potamochoerus porcus), Wildschwein (Sus scrofa), Pustelschwein (Sus verrucosus), BorneoBartschwein (Sus barbatus), Warzenschwein (Phacochoerus aethiopicus), Waldschwein (Hylochoerus meinertzhageni), Hirscheber (Babyrousa babyrussa), Halsbandpekari (Tayassu tajacu), Weißbartpekari (Tayassu albirostris)
Artenzahl: 19 Ältestes bekanntes Fossil: Die Linie der Schweine umfasst die heute lebenden Familien Tayassuidae (mit der einzigen Gattung Tayassu) sowie die Suidae, die alle anderen heute lebenden Gattungen enthält, sowie mehrere fossile Familien. Die ältesten bekannten fossilen Schweine sind Cebochoerus (Cebochoeridea, unteres Eozän Spaniens, –50 Mio. Jahre) sowie Khirtharia, Indohyus, Kunmunella und Raoella (Raoellidea, unteres Eozän Asiens, –50 Mio. Jahre). Die ältesten Fossilien der heute lebenden Arten sind die Tayassuidea Perchoerus und Doliochoerus (oberes Eozän Süd-Dakotas/USA und Frankreichs, –35 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: Mittelamerika, Südamerika (bis auf die Anden und die argentinischen Ebenen), Afrika südlich der Sahara, Eurasien, SundaInseln, Java, Sumatra, Borneo, Philippinen, Celebes. Die Wildschweine sind vom Menschen in Nord- und Südamerika, in Australien, Tasmanien und Neuseeland eingeführt worden. Das Schwein ist überall eingeführt worden.
585
31 Unbenanntes Kladon
Kapitel 14
Unbenanntes Kladon Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Gen-Sequenzen: Dieses Kladon, das die Ruminantia, Hippopotamida und Cetacea umfasst, basiert auf der Struktur der DNASequenzen mehrerer Gene, und zwar Exon7 des β-Caseins, Exon 4 des κ-Caseins, Exon 2 und 4 sowie Intron 2 und 3 des γ-Fibrinogens, α-Hämoglobin. – Retrotransposon-Sequenzen: Die Ruminantia, Hippopotamida und Cetacea besitzen in ihrem Genom genau an denselben Stellen kurze Retrotransposon-Sequenzen. Diese mobilen genetischen Elemente, die so genannten SINES (short interspersed elements) oder LINES (long interspersed elements), sitzen bei verschiedenen Spezies genau an der selben Stelle des Genoms und stellen daher einen verlässlichen phylogenetischen Marker dar (siehe Kladon
586
29). Ruminantia, Hippopotamida und Cetacea haben SINES-Elemente aus der Familie CHR1 an 4 spezifischen Stellen des Genoms gemeinsam: „aaa228“, „aaa792“, „Gm5“, „HIP5“.
Beispiele
moschiferus), Rothirsch (Cervus elaphus), Giraffe (Giraffa camelopardalis), Gabelbock (Antilocapra americana), Grantgazelle (Gazella granti), Hausrind (Bos taurus) Kladon 33: Flusspferd (Hippopotamus amphibius), Blauwal (Balaenoptera musculus), Pottwal (Physeter catodon), Schwertwal (Orcinus orca)
Ruminantia: Kleinkantschil (Tragulus javanicus), Moschustier (Moschus
Artenzahl: 271 Ältestes bekanntes Fossil: Die Linie umfasst die fossile Familie der Mesonychidea. Die ältesten Mesonychidea, Yatanglestes und Dissacusium (unteres Paläozän Chinas) sowie Ankalagan (unteres Paläozän NeuMexikos) (–60 Mio. Jahre) gingen den Cetacea nur wenig voraus. Die ältesten bekannten Fossile der heute lebenden Gruppen sind die Cetacea mit Ambulocetus, Pakicetus, Gandakasia und Ichthyolestes (unteres Eozän Pakistans, –50 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit, bis auf Australien und Neuseeland. In diesen Regionen wurden sie erst vom Menschen eingeführt.
Ruminantia 32
Mammalia
Ruminantia Allgemeines Die Ruminantia sind unguligrade Plazentalia (Huftiere): Sie gehen auf dem letzten Zehenglied (Phalange), das mit einem Hornhuf versehen ist. Die Finger bzw. Zehen sind geradzahlig. Die Tiere sind generell schlank, ihr Körper ist ans
Laufen angepasst. Größe, Form und Farbe sind sehr unterschiedlich. Die Tiere sind zwischen 30 cm (Blauducker, Cephalophus monticola) und 4 m (Giraffe: Hals ist 2,7–3,3 m lang) groß und können etwas mehr als eine Tonne (Yak)
wiegen. Die Hörner sind bei verschiedenen Familien unabhängig voneinander aus dem Frontale entstanden – bei den Giraffen ein knöcherner, stets hautbedeckter Stirnzapfen, bei den Bovidae umgeben von einer Hornhülle,bei den Cervi-
587
32 Ruminantia dae ein knöchernes, hautbedecktes Geweih, das jedes Jahr erneuert wird, bei den Antilocarpidae ein knöchernes Horn, das ebenfalls jährlich abgestoßen wird, aber von einer Hornhülle umgeben ist. Alle
Ökologie Die Ruminantia leben ausschließlich terrestrisch. Sie besiedeln dichte Wälder, Grasland und Savannen. Sie sind Pflanzenfresser und ernähren sich von Blättern, Kräutern und Gras. In der terrestrischen Nahrungskette spielen sie als Primärverbraucher (Megaherbivoren) eine bedeutende Rolle. In vielen Biotopen sind sie die Beute zahlreicher Carnivoren. Diese Bedrohung hat besonders bei den kleinen und mittelgroßen Vertretern der Ruminantia zur Entwicklung von Eigenschaften wie Wachsamkeit und Geschwindigkeit geführt. Die Jungen kommen vollständig entwickelt zur Welt und können sehr früh laufen. Die Hörner werden als Angriffswaffen gebraucht. Sie kommen allerdings häufiger bei den Kämpfen zwischen den Männchen zum Einsatz als bei der Verteidigung. Die Hörner werden als Strukturen interpretiert, mit denen die Männchen Zugang zu den Weibchen gewinnen, einen dominanten sozialen Rang erringen und/ oder ein Territorium erobern. Ruminantia sind soziale Tiere, die meist in Rudeln oder Herden leben: Die Männchen scharen einen Harem um sich. Rinder, Schafe und Ziegen sind für den Menschen von beachtlicher ökonomischer Bedeutung: Sie sind seit Beginn ihrer Domestikation vor mehr als 6000 Jahren bis heute die Hauptlieferanten tierischer Proteine. Zeitgleich erfolgte die Domestikation des Urrinds (Bos primigenius) in 588
Kapitel 14
Ruminantia haben – mit Ausnahme einiger Cervidae und Tragulidae – ihre oberen Incisivi sowie die oberen Canini verloren. Bei den Tragulidae können die Canini aus dem Mund herausragen. Die Zähne,
Osteuropa und im Mittleren Osten, des Zebus (Bos indicus) in Syrien und Pakistan, des Schafs (Ovis aries) im Mittleren Osten und der Ziege (Capra hircus) im Iran. Das Rentier ist gegen 3000 v. Chr. im Norden Eurasiens domestiziert worden und ist für den Menschen innerhalb des arktischen Polarkreises seither eine bedeutende Lebensgrundlage.
Spezielle Merkmale – Die Ruminantia sind durch einen ursprünglichen, vierkammerigen Magen (Rumen) gekennzeichnet. Er ermöglicht mit den dort lebenden Mikroorganismen eine anaerobe Fermentation der Cellulose. Der Rumen (Abb. 1) besteht aus dem Pansen, dessen samtige Wand mit Papillen versehen ist, dem Netzmagen, mit einer netzartigen Wand aus polygonalen Alveolen, dem länglichen Blättermagen, mit Hunderten von Wandlängsfalten und schließlich dem Labmagen – dem echten Magen – in dem die Magensäfte in Aktion treten. Die ersten drei Kammern sind somit
die vom Jugale getragen werden, sind selonodont – sie weisen halbmondförmige Höcker auf. Die Kiefer können weit ausholende Seitwärtsbewegungen ausführen. Der Magen (Rumen) ist vierkammerig.
Oesophagus-Derivate. Bei den anderen wiederkäuenden Pflanzenfressern – beispielsweise bei den Tylopoden (Kladon 28) – sind die Wände dieser 4 Kammern nicht in dieser Weise strukturiert. – Das Wiederkäuen ist ein verlängerter Kauvorgang: Die Tiere würgen ihre Nahrung nochmals nach oben, um sie dann erneut zu kauen. Bei der Nahrungspassage durch den Magen eines Wiederkäuers (Abb. 2) tritt ein nur grob zerkautes Grasbüschel (1) in den Pansen (2) ein und gelangt dann in den Netzmagen (3), wo es bakteriell zersetzt wird. Der Wiederkäuer selbst besitzt keine zur Celluloseverdauung erforderlichen Enzyme, sondern ist Nutznießer der anaeroben Gärung,die die im Pansen lebenden Bakterien (vor allem Clostridium und Ruminococcus) durchführen. Die so vorverdaute Nahrung gelangt dann zum Wiederkäuen in den Mund zurück (4). Dort wird sie erneut gekaut und eingespeichelt. Danach gelangt sie in die beiden weiteren Magenkammern, zunächst in den Blättermagen (5), wo der Nahrung Abb. 1. Vierkammeriger Magenaufbau bei den Ruminantia du = Duodenum goe = Schlundrinne oe = Oesophagus pan = Pansen bon = Netzmagen fe = Blättermagen cai = Labmagen
Ruminantia 32
Mammalia
transposon-Sequenzen vom SINES-Typ (siehe Kladon 31) aus der CHR1-Familie an zwei spezifischen Stellen des Genoms gemeinsam: „c21-352“ und „Pgha“. – Die Monophylie der Ruminantia wird durch die DNA-Sequenzen mehrerer Gene des Kerngenoms bestätigt: Intron 7 und Exon7 des β-Caseins, Intron 1 und Exons 1 und 2 des Protamin P1, Exon 4 des κ-Caseins, Exon 2 und 4 sowie Introns 2 und 3 des γ-Fibrinogens.
Beispiele Abb. 2. Passage der Nahrung durch den Magen eines Wiederkäuers
Wasser entzogen und sie anschließend zusammengepresst wird, und schließlich in den Labmagen (6), wo sie durch die Magensäfte verdaut wird. Bei der Verdauung im Pansen nimmt der Wiederkäuer die Abbauprodukte der Cellulose, insbesondere kurzkettige Fettsäuren, ins Blut auf, die gebunden an Basen die Pansenwand durchqueren und die Venen erreichen. Das Wasser wird im Blättermagen resorbiert. Die Bakterien und der restliche Speisebrei werden in den nachfolgenden Kompartimenten Labmagen (6) und Darm (7) durch proteolytische Magenenzyme verdaut. Die frei gesetzten Proteine gelangen über den langen Darm (7) ins Blut. Man glaubt, dass das Wiederkäuen nicht nur einen Vorteil für die Verdauung selbst darstellt, sondern dass sie auch die Zeit der Nahrungsaufnahme auf ein Minimum reduziert: Gekaut wird an einem sichereren Ort. Die Fähigkeit des Wiederkäuens ist bei den Mammalia mehrfach aufgetreten, so bei den Kängurus, den
Ruminantia und den Tylopoda. Das Prinzip der bakteriellen Zersetzung der Cellulose tritt ebenfalls bei verschiedenen pflanzenfressenden Mammalia auf – bei den Lagomorpha, Hyracoidea und Mesaxonia (Unpaarhufer). Die Magenverdauung ist bei den Primaten, Ruminantia, Tylopoda und Hippopotamida unabhängig entstanden. – Retrotransposon-Sequenzen: Alle Ruminantia haben kurze Retro-
Kleinkantschil (Tragulus javanicus), Moschustier (Moschus moschiferus), Rothirsch (Cervus elaphus), Giraffe (Giraffa camelopardalis), Gabelbock (Antilocapra americana), Blauducker (Cephalophus monticola), Kleinstböckchen (Neotragus pygmaeus), Bongo (Tragelaphus strepsiceros), Wildyak (Bos mutus), Hausrind (Bos taurus), Streifengnu (Connochaetes taurinus), Rappenantilope (Hippotragus niger), Grantgazelle (Gazella granti), Defassa-Wasserbock (Kobus defassa), Saigaantilope (Saiga tatarica), Steinbock (Capra ibex), AltaiWildschaf (Ovis ammon), Moschusochse (Ovibos moschatus)
Artenzahl: 191 Ältestes bekanntes Fossil: Die meisten heutigen Familien stammen aus dem unteren Miozän. Der älteste bekannte Ruminantier ist der Leptomyrecide Hendryomeryx (aus einer fossilen Familie der paraphyletischen Gruppe von Tragulina, zu denen die heute lebenden Traguliden gehören) aus dem mittleren Eozän von Wyoming und von Texas (USA, –40 Mio. Jahre). Der Amphimerycide Amphimeryx aus dem Eozän vom Montmartre datiert mindestens in dieselbe Epoche – er könnte sogar noch älter sein (–50 Mio. Jahre). Da die Datierung dieses Fossils zweifelhaft ist, sei auf die Mitglieder einer anderen fossilen Familie hingewiesen, die Hypertragulidae Hypertragulus und Parvitragulus aus dem oberen Eozän Nordamerikas (–35 Mio. Jahre) sowie auf Miomeryx aus Asien. Heutiges Vorkommen: weltweit, bis auf Australien und Neuseeland. In diese Regionen wurden diese Tiere erst vom Menschen eingeführt. 589
33 Unbenanntes Kladon
Kapitel 14
Unbenanntes Kladon Einige Vertreter
590
Spezielle Merkmale
Beispiele
– Retrotransposon-Sequenzen: Hippopotamida und Cetacea haben kurze Retrotransposon-Sequenzen vom SINES-Typ (siehe Kladon 31) aus der CHR1-Familie gemeinsam, und zwar an 4 spezifischen Stellen des Genoms: „HIP23“, „KM14“, „HIP4“, „AF“. – Gen-Sequenzen: Innerhalb der rezenten Fauna wird die eindeutige Verwandtschaft zwischen Hippopotamida und Cetacea durch die Struktur der DNA-Sequenzen mehrerer Gene bestätigt – und zwar durch Exon7 des β-Caseins, Exon 4 des κ-Caseins, Exon 2 und 4 sowie Intron 2 und 3 des γ-Fibrinogens.
Hippopotamida: Flusspferd (Hippopotamus amphibius) Cetacea: Grönlandwal (Balaena mysticetus), Grauwal (Eschrichtius gibbosus), Blauwal (Balaenoptera musculus, Pottwal (Physeter catodon), Cuvier-Schnabelwal (Ziphius cavi-
rostris), Ganges-Delfin (Platanista gangetica), Amazonas-Delfin (Inia geoffrensis), La-Plata-Delfin (Pontoporia blainvillei), Narwal (Monodon monoceros), Schweinswal (Phocaena phocaena), Rauzahndelfin (Steno bredanensis), Großtümmler (Tursiops truncatus), Schwertwal (Orcinus orca)
Artenzahl: 80 Ältestes bekanntes Fossil: Die Linie umfasst die fossile Familie der Mesonychidea. Die ältesten Mesonychidea Yatanglestes und Dissacusium (unteres Paläozän Chinas) sowie Ankalagan (unteres Paläozän NeuMexikos) (–60 Mio. Jahre) gingen den Cetacea nur wenig voraus. Die ältesten bekannten Fossile der heute lebenden Gruppen sind die Cetacea mit Ambulocetus, Pakicetus, Gandakasia und Ichthyolestes (unteres Eozän Pakistans, –50 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: subtropisches Afrika, südlich der Sahara. Alle Weltmeere. Brackwasser von Flussmündungen, aber auch einige Ströme, Flüsse und Seen Südostasiens, des tropischen Südamerika, des nördlichen Nordamerika und Eurasiens
Hippopotamida 34
Mammalia
Hippopotamida Allgemeines Die Hippopotamida sind schwere, stämmige Tiere mit zylindrischem Körper und einem fassförmigen Thorax. Das Zwergflusspferd ist etwa 150 cm groß und wiegt ca. 180 kg. Das Flusspferd hat eine Körpergröße von 450 cm und wiegt bis zu 3200 kg. Die Beine sind säulenförmig, Hals und Schwanz sind kurz. Der massive Kopf hat ein riesiges Maul, das weit geöffnet werden kann. Augen und Ohren sind klein. Die Sinnesorgane sitzen am äußersten Kopfende – ein Charakteristikum amphibisch lebender Tetrapoden, das man beispielsweise auch bei den Krokodilen vorfindet. Für das Zwergflusspferd trifft dies weniger zu: Seine
Ökologie Die Flusspferde suchen gerne Seen, Flüsse und Ströme auf, die von Weidegebieten gesäumt werden. In den
Nasenöffnungen können durch Kontraktion verschlossen werden. Die Eckzähne sind Verteidigungswerkzeuge und besonders im Unterkiefer sehr mächtig. Canini und Incisivi zeigen Dauerwachstum. Der sehr voluminöse Magen ist kompartimentiert. Er ist Sitz des bakteriellen Cellulose-Abbaus – wie er unabhängig sowohl bei den Ruminantia als auch den Tylopoda auftritt. Zwei Divertikel (Caeca) flankieren den Mageneingang. Darauf folgt eine zylindrische, kompartimentierte Mittelregion und eine bauchige Pylorusregion, deren Wand hohe Falten bildet. Die Lungen sind sehr lang – das Flusspferd kann mehr als 5 min die
Trockenzonen der namibischen und südafrikanischen Wüsten sind sie nicht anzutreffen. Die Tiere sind Pflanzenfresser: Sie ernähren sich von Gräsern, Wasserpflanzen der
Luft anhalten. Alle 4 Gliedmaßen haben 4 Finger, bzw. Zehen, die an ihrer Basis mit einer Schwimmhaut verbunden sind. Die Haut ist dick, reich an Schleimdrüsen und nahezu haarlos. Haare befinden sich vor allem auf der Oberlippe und am Schwanzende. Die Tiere sind bräunlich gefärbt, das Zwergflusspferd braun-schwarz, das Flusspferd kupferbraun, auf der Bauchseite, um die Augen und Ohren herum etwas heller bzw. purpurner. Die Jungen sind graurosa. Die Schleimdrüsen sezernieren eine visköse, rötliche Flüssigkeit, die die Haut vor dem Wasser und vor der Austrocknung außerhalb des Wassers schützt.
Uferregion, Blättern und Früchten. Nachts gehen sie auf die Weide und kehren vor Sonnenaufgang ins Wasser zurück, wo sie die meiste Zeit des Tages verbringen. Im Gegensatz zum 591
34 Hippopotamida Zwergflusspferd ist das Flusspferd ein geselliges Tier, das in Gruppen von rund einem Dutzend Individuen ein gemeinsames Territorium besiedelt. Die Männchen liefern sich heftige Kämpfe, bei denen sie sich schwere Verletzungen zuziehen können. Die Kämpfe werden häufig dann ausgetragen, wenn es um die Bildung eines Harems oder um die Verteidigung der besten Ruheplätze geht. Je mehr Individuen ein Gebiet besiedeln, um so häufiger finden die Kämpfe statt. Die Männchen markieren ihr Territorium im Wasser und auf den Weidewegen, indem sie ihre Exkremente mit Hilfe ihres Schwanzes verteilen. Nach einer Tragzeit von 233 Tagen findet die Geburt eines einzigen Jungen statt: an Land, an einem ruhigen, vom Weibchen sorgfältig ausgewählten Ort. Die Stillzeit beträgt 8 Monate. Die Weibchen richten „Kinderkrippen“ ein, in denen die Jungen beaufsichtigt werden, wenn sich die Mutter einmal entfernt. Die erwachsenen Männchen bleiben in der Nähe dieser Krippen, wobei jedes einzelne Männchen für einen bestimmten Teil der Krippe zuständig ist. Die erwachsenen Tiere haben praktisch keinen natürlichen Feind, doch müssen sie ihre Jungen gegen Löwen und Krokodile verteidigen. Die Tiere können etwa 50 Jahre alt werden. Das Zwergflusspferd lebt als Einzelgänger in den Sümpfen oder im von Süßwasser umgebenen Buschwerk des Urwalds, wo es sein Territorium eifersüchtig gegen Artgenossen verteidigt. Das Tier ist nachakativ. Sein Hauptfeind ist der Panther. Die Tragzeit dauert beim Zwergflusspferd 207 Tage. Auch hier wird pro Tragzeit ein einziges Junges geboren. Die Tiere können 30 Jahre alt werden.
Kapitel 14
Abb. 1. Ansicht der linken Skelettseite von Hippopotamus amphibius
Abb. 2. Hippopotamus amphibius
Spezielle Merkmale – Der Thorax ist sehr lang: Er umfasst nicht nur die Lungen, sondern nahezu die Gesamtheit der inneren Organe (Abb. 1). – Incisivi: Die Hippopotamida haben mächtige, konische Incisivi sowie riesige, dreieckige Canini (Abb. 1) – alle diese Zähne zeigen Dauerwachstum. – Retrotransposon-Sequenzen: Die Hippopotamida haben an einer spezifischen Stelle des Genoms ein kurzes Retrotransposonele-
ment vom SINES-Typ (siehe Kladon 31) aus der CHR1-Familie gemeinsam: „HIP5“. – Die Schnauze ist lang gestreckt. Die Sinnesorgane (Nasenöffnungen, Augen, Ohren) sitzen periskopartig auf dem Kopf (Abb. 2).
Beispiele Flusspferd (Hippopotamus amphibius), Zwergflusspferd (Choreopsis liberiensis)
Artenzahl: 2 Ältestes bekanntes Fossil: Die Linie der Hippopotamida umfasst die fossile Familie der Anthracotheridea. Zu den ältesten Fossilien dieser Linie zählen zahlreiche Anthracotheridea aus dem mittleren Eozän (–43 Mio. Jahre): Anthracokeryx aus Pakistan, Siamotherium aus Thailand, Probrachiodus, Bakalovia, Anthracosenex aus China, Prominatherium vom Balkan und Ulausuodon aus der Mongolei. Der älteste Hippopotamide strictu sensu ist Kenyapotamus aus dem Miozän Kenias (–15 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: Heutiges Vorkommen: subtropisches Afrika, südlich der Sahara
592
Cetacea 35
Mammalia
Cetacea Allgemeines Die Wale sind große Plazentalia: Sie werden 1,25–33 m lang und wiegen 23 kg bis 136 t. Von anderen Säugetieren unterscheiden sie sich deutlich durch ihre ausschließliche, dauerhaft aquatische Lebensweise. Ihr fischartiges Aussehen ist verknüpft mit einer spektakulären Vergrößerung des Gesichtsschädels, einer nach hinten versetzten Position der Hirnschale, einer Stauchung des Halses, der Umwandlung der Vordergliedmaßen in Flossen (oft verbunden mit Hyperphalangie), einem verkümmerten Becken sowie der Entstehung einer mächtigen Schwanzfluke, die horizontal ausgerichtet ist. Deren beide Flügel besitzen kein Skelett – ebenso die Rücken-
flosse: Sie besteht aus einer Bindegewebsfalte. Es gibt kein Organ (außer vielleicht dem Herzen), das nicht durch die pelagische Lebensweise in Form oder Funktion abgewandelt worden ist. Die Zitzen sitzen in Bauchtaschen. Der Penis ruht in einer Verdickung der Bauchwand und tritt nur zur Ausscheidung des Urins oder bei der Paarung aus dieser schützenden Hülle. Die Tiere sind zylindrisch geformt. Die Hautoberfläche ist im Verhältnis zur Größe des Tieres reduziert: Die Haut eines Elefanten von der Größe eines Blauwals würde 440 m2 bedecken, beim Blauwal dagegen bedeckt sie nur die Hälfte. Die geringere Körperoberfläche bedingt gleichzeitig
ein hydrodynamisches Profil und einen geringeren Wärmeaustausch mit dem umgebenden Wasser. Diese homöothermen Tiere ertragen sogar Temperaturunterschiede von 15–35 °C zur Umgebungstemperatur. Diese Situation ist nicht zu vergleichen mit der eines Tieres, das an der Luft lebt: Wasser leitet Wärme besser als Luft. Die Hornschicht der Haut sowie Epidermis und Dermis sind zwar sehr dünn, doch eine dicke Speckschicht (Panniculus adiposus) dient als thermische Isolationsschicht. Haare fehlen oder sind nur sehr spärlich vorhanden. Auf der Schnauze der Wale finden sich ein paar Sinneshaare, manchmal treten auch im Gehörgang Haare auf. Integument-
593
35 Cetacea Drüsen fehlen. Im Beckenbereich gibt es nur noch zwei kleine, einzelne Knochen, die nicht mehr mit der Wirbelsäule in Verbindung stehen und die in der Muskelmasse vergraben sind. Interessant ist bei den Balaenopteridae das Fortbestehen eines Femurrestes – einem kleinen Knochen, der mit dem Beckenrest verknüpft ist. Beim Grönlandwal (Balaena mysticetus) verlängert ihn ein weiterer kleiner Knochen (= Rest einer Tibia). Skelett und Körper bilden eine starre Einheit – die vorderen Gliedmaßen und der mächtige Schwanz dienen der Fortbewegung. Üblicherweise unterteilt man die Cetacea in Zahnwale (Odontoceti) und Bartenwale (Mysticeti, Echte Wale). Die Zahnwale haben ein homodontes Milchgebiss – es
Ökologie Die Cetacea leben ausschließlich marin oder limnisch. Manche Zahnwale tauchen bis zu 1000 m tief (z. B. Pottwal). Die Zahnwale ernähren sich von Fischen, Cephalopoden, Crustaceen und sogar von Säugetieren oder Seevögeln. Der Orca frisst beispielsweise Pinguine, Robben und Tümmler. Die Bartenwale ernähren sich ausschließlich von Plankton. Die meisten Wale sind gesellige Tiere. Die Zahl der Individuen und die Zusammensetzung der Gruppen sind je nach Art unterschiedlich: Beim Blauwal bestehen sie oft aus zwei Paaren und deren Jungen, bei den Delfinen eventuell aus mehreren Tausend Tieren. Der Ganges-Delfin (Platanista gangetica) und wenige andere Arten leben als Einzelgänger. Die Wale kommunizieren miteinander über Geräusche und zeichnen sich durch eine komplexe Lernfähigkeit aus. 594
Kapitel 14
ist monotom. Die konischen Zähne haben nur eine Wurzel. Sie dienen dem Beutefang und nicht dem Kauen. Die jungen Wale werden zahnlos geboren. Die Barten sind keine Zahngebilde, sondern Hornplatten mit Dauerwachstum, die an ihrem Innenrand ausgefranst sind und lange, starre Ausläufer haben. Diese Strukturen sind am Kiefer transversal, in Abständen von 6–10 mm angeordnet. Sie dienen dazu, Plankton zu filtrieren (Planktonreusen). Der Unterkiefer ist sehr lang und ohne aufsteigenden Ast. Der Oberkiefer ist verlängert und zum hinteren, oberen Teil des Frontale in Richtung des Nasale, verschoben. Die äußeren Nasenöffnungen (Blaslöcher) sitzen dadurch am Kopf weit oben. Die Mysticeti besitzen zwei äußere
Die Wale können vielfältige Töne erzeugen. Zur Kommunikation verwenden sie Basstöne (auch im Infraschallbereich) sowie Töne mittlerer Frequenz. Darüber hinaus führen die Cetacea eine Echoortung aus – sie stoßen Töne im Ultraschallbereich (Hochfrequenzbereich) aus und orten ihre Beute anhand der Reflexion dieser Töne. Die berühmten Fledermaus-Versuche von Spallanzani wurden mit Tümmlern (Tursiops) wiederholt: Spallanzani hatte am Ende eines Fadens, an dem ein undurchsichtiger Gegenstand von der Decke hing, Glocken befestigt. Daraufhin ließ er Fledermäuse in diesem Raum fliegen – keine einzige Glocke erklang.Analog dazu hat man Metallstäbe ins Wasser gehängt – und Tursiops schwamm, ohne diese Stäbe zu berühren. Das Tier sandte hochfrequente Klicktöne aus, deren Reflexion ihm den Weg zwischen den Hindernissen wies. Der Ganges-Delfin
Nasenöffnungen, die Odontoceti nur eines. Die Wale atmen nie mit dem Mund, sondern über das Blasloch ein oder aus, das beim Eintauchen ins Wasser verschlossen wird. Das Auge ist klein und, außerhalb des Wassers myop. Das Außenohr ist verschwunden, das Mittelohr stark modifiziert. Das Innenohr liegt außerhalb der Schädelwand. Petrosum und Tympanicum sind verschmolzen (Petrotympanicum) und mit dem Schädel nur über fibrilläre Fascien verbunden. Im Gegensatz zum übrigen Skelett, das relativ weich ist, ist das Petrotympanicum ein kompakter, sehr harter Knochen, der auch nach der Verwesung des Tieres bestehen bleibt – im Grunde ist dies alles, was von einem Walkadaver auf dem Meersgrund übrig bleibt.
(Platanista gangetica) ist fast blind, doch er findet sich mit großer Sicherheit im trüben Wasser zurecht und fängt seine Beute, indem er Ultraschalltöne ausstößt. Die Mysticeti (Bartenwale) stoßen viel längere und tiefere Töne aus (Niederfrequenzbereich). Zur Paarungszeit singt der Buckelwal mittels verschiedener und modulierter Töne. Nach der Werbung findet im Wasser die Paarung statt, in der Vertikalen (bei Blauwal, Pottwal und Buckelwal) oder in der Horizontalen (beim Grauwal und den Delfinen). Die Tragzeit dauert beim Delphin 9, beim Pottwal 17 Monate. Es kommt in der Regel ein einziges Junges zur Welt. Die Geburt findet im oberflächennahen Wasser statt. Das Junge wird mit dem Schwanz voraus geboren und von seiner Mutter sofort an die Wasseroberfläche gebracht. Das Junge bleibt sehr lange bei der Mutter. Zahnwale säugen ihre Jungen durchschnittlich ein Jahr lang. Die
Cetacea 35
Mammalia sehr fette Milch wird dem Jungen durch Muskelkontraktion in den Mund gespritzt. Die Cetacea müssen immer wieder an die Wasseroberfläche, um zu atmen – während des Schlafs stellt dies natürlich ein Problem dar. Die Lösung: Die Tiere schlafen nur mit einer Hirnhälfte. Wenn die eine Hemisphäre schläft, bleibt die andere wach – und dies durchschnittlich über 8 von 24 Stunden.Die Notwendigkeit, sich dauerhaft im nassen Element zu bewegen, erklärt auch das Fehlen der geringsten paradoxen Schlafphase – einer Phase, die mit einer tiefen Muskelentspannung verbunden ist. Die Mysticeti führen an die Fortpflanzungszeiten geknüpfte Wanderungen durch. Sie frequentieren die arktischen und antarktischen Meere. Dort fressen sie tonnenweise die Crustaceenart Euphausia superba (Krill) und setzen
ordentlich Speck an. Die Paarung findet in tropischen Gewässern statt. Man glaubt, dass das Junge, das ohne dicke Speckschicht geboren wird, die Temperaturen der kalten Meere nicht überstehen würde. Erst nach einigen Monaten Stillzeit entwickelt sich bei ihm eine Speckschicht, die ihm den Aufenthalt auch in kälterem Gewässer erlaubt. Während der Wanderung und dem Aufenthalt in den Tropen nehmen die Mysticeti keine Nahrung auf. Bereits um 1500 v. Chr. machten die Einwohner Alaskas Jagd auf Wale. In Europa gibt es seit 890 Spuren von Aufzeichnugen über den Walfang, der wahrscheinlich in erster Linie wegen des Walfetts (Tran) erfolgte. Im 20. Jh. stehen wegen intensiver Jagd auf Wale mehrere Arten vor dem Aussterben. Der Beitrag der Wale zur menschlichen
Ernährung ist dennoch gering – die Produkte, die aus diesen Tieren hergestellt werden (Tierfutter, Dünger, Seifen, Kunstharz, Klebstoffe, Gelatine u. a.) gibt es im Überfluss. Die Walpopulationen sind so stark zurückgegangen, dass die Jagd heute streng reglementiert wird. Die Cetacea sind erst in neuerer Zeit domestiziert worden – beispielsweise als Zirkustiere (Orca, Beluga, diverse Delfine) oder als militärische Helfer (insbesondere der Große Tümmler, Tursiops truncatus).
Spezielle Merkmale – Die Nasenöffnungen (Blaslöcher) sind sehr weit nach hinten versetzt (Abb. 1). – Der Unterkiefer besitzt keinen aufsteigenden Ast (Abb. 1).
Abb. 1. Linke Seitenansicht des vordern Skelettteils vom Südlichen Glattwal (Eubalaena australis)
595
35 Cetacea – Die Halswirbel sind teleskopartig komprimiert (Abb. 1). – Die Vorderbeine sind zu Flossen umgebildet: Die Handwurzel (Carpus) und die Hand liegen auf der gleichen Ebene. Der Humerus ist kurz, Radius und Ulna sind abgeflacht. Die Flosse ist durch Hyperphalangie des 2. und 3. Fingers (Abb. 2 und 3) verlängert – manchmal treten hier bis zu 14 Phalangen auf. – Die hinteren Gliedmaßen sind verkümmert. – Außer den Brustdrüsen treten keine weiteren Drüsen des Integuments auf. – Auftreten eines vergrößerten Schwanzes in Form einer horizontalen, zweilappigen Fluke. Deren beide Lappen besitzen kein Skelett. – Retrotransposon-Sequenzen: Die Cetacea haben an 3 spezifischen Genomstellen kurze Retrotransposonelemente aus der CHR2Familie vom SINES-Typ (siehe Kladon 31): „Pm52“, „Pm72“ und „M11“. – Die Monophylie der Cetacea basiert auf der Struktur der DNASequenzen mitochondrialer Gene (z. B. für Cytochrom b) sowie der 12S- und der 16S-rRNA-Gene und der einiger Kerngene – nämlich Intron 7 und Exon 7 des βCaseins, Exon 4 des κ-Caseins, Exons 2 und 4 sowie Introns 2 und 3 des γ-Fibrinogens, Exon 2 von Protamin P1 und α-Hämoglobin.
Kapitel 14
I, II, III, IV,V = 1.–5. Finger cal = Carpus (Handwurzel) cub = Ulna (Elle) sc = Scapula (Schulterblatt
Abb. 2. Schultergürtel und die linke Vordergliedmaße eines Delfins
Abb. 3. Hyperphalangie der vorderen Gliedmaße des Schwertwals (a) und des Blauwals (b). Darüber hinaus wird diese Gliedmaße durch ein verlängertes Zeugopodium (abgeflachter Radius-Ulna-Komplex) noch weiter verlängert. I, II, III, IV,V = 1.–5. Finger cal = Carpus (Handwurzel) cub = Ulna (Elle) sc = Scapula (Schulterblatt)
Beispiele Mysticeti (Bartenwale): Grönlandwal (Balaena mysticetus), Grauwal (Eschrichtius gibbosus), Blauwal (Balaenoptera musculus) Odontoceti (Zahnwale): Pottwal (Physeter catodon), Cuvier-Schnabelwal (Ziphius cavirostris), Ganges596
Delfin (Platanista gangetica), Amazonas-Delfin (Inia geoffrensis), LaPlata-Delfin (Pontoporia blainvillei), Narwal (Monodon monoceros), Schweinswal (Phocaena phocaena),
Gewöhnlicher Delfin (Delphinus delphis), Rauzahndelfin (Steno bredanensis), Großtümmler (Tursiops truncatus), Schwertwal (Orcinus orca)
Mammalia
Cetacea 35
Artenzahl: 78 Ältestes bekanntes Fossil: Die ältesten Cetacea strictu sensu sind Ambulocetus, Pakicetus, Gandakasia und Ichthyolestes (unteres Eozän Pakistans, –50 Mio. Jahre). Die Schwester-Linie der Hippopotamida umfasst auch die fossile Familie Mesonychidea. Die ältesten Mesonychidea, Yatanglestes und Dissacusium (unteres Paläozän Chinas) sowie Ankalagan (unteres Paläozän NeuMexikos, –60 Mio. Jahre), gingen den Cetacea nur wenig voraus. Heutiges Vorkommen: Die Cetacea kommen in allen Weltmeeren vor. Auch im Brackwasser von Flussmündungen sowie in einigen Flüssen und Seen Südostasiens, des tropischen Südamerika, des nördlichen Nordamerika und Eurasiens sind sie anzutreffen.
597
36 Altungulata
Kapitel 14
Altungulata Einige Vertreter
Spezielle Merkmale
Beispiele
– Petrosum und Basioccipitale berühren sich nicht (Abb. 1 und 2). – Brustwirbel: Die Altungulata besitzen 19 Brustwirbel (Abb. 3). – Die Claviculae (Schlüsselbeine) fehlen – es treten nicht einmal Reste oder Knorpel auf (Abb. 3).
Perissodactyla: Südamerikanischer Tapir (Tapirus terrestris), Breitmaulnashorn (Ceratotherium simum), Wildpferd (Equus caballus przewals-
Abb. 1. Ventralansicht des linken hinteren Schädelteils des Esels
598
kii), Buschschliefer (Heterohyrax syriacus) Tethytheria: Rundschwanzsirene (Trichechus senegalensis), Afrikanischer Elefant (Loxodonta africana)
Abb. 2. Ventralansicht eines Scandentia-Schädels (Tupaya, Nicht-Altungulat): Die Bulla tympanica besteht aus dem Petrosum, das das Basioccipitale berührt.
Mammalia
Altungulata 36
Abb. 3. Vergleichende Ansicht der linken Skelettseite von Buschschliefer (Hyracoidea, Altungulata; a), Pferd (Mesaxonia, Altungulata; b) und Fledermaus (Chiroptera, kein Altungulat; c)
Artenzahl: 31 Ältestes bekanntes Fossil: Wenn man die Gesamtheit der Schwester-Linie Cetartiodactyla betrachtet, gehören Mimatuta (Periptychidea, Ende der Kreidezeit Montanas, –72 Mio. Jahre) sowie das südamerikanische Huftier Perutherium (Ende der Kreidezeit Perus, –72 Mio. Jahre) zu den ältesten bekannten Fossilen dieser Linie (paraphyletische Gruppe). Darüber hinaus sei auf einige ausschließlich fossile Gruppen verwiesen, die von der Basis des Paläozäns (–65 Mio. Jahre) bekannt sind – beispielsweise die Dinocerata. Der älteste Altungulat im engeren Sinne ist der Embrithopode Phenacolophus aus dem unteren Paläozän der Mongolei und Chinas (–60 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: weltweit außer Nordamerika, Südhälfte Südamerikas, Australien, Tasmanien und Neuseeland. Diese Tiere wurden erst vom Menschen in diesen Regionen eingeführt.
599
37 Perissodactyla
Kapitel 14
Perissodactyla Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Navicular-Facette des Sprungbeins ist glatt (Abb. 1 und 2). – Die Eustachische Röhre bildet nach hinten eine große Ausstülpung – die Guttural-Tasche. Die beiden Taschen berühren sich auf Sagittalebene und nehmen den ganzen Raum zwischen Schädelbasis und Pharynx ein. Diese Taschen sind bei den Hyracoidea und den Mesaxonia deutlich ausgeprägt – bei den zu den Mesaxonia gehörenden Rhinocerotidea sind sie allerdings sekundär verschwunden (Abb. 3). – Tubus maxillaris: Bei der Entstehung der Jugal-Zähne schwillt das Maxillare, das diese Zähne enthält, aufgrund der Bildung einer internen Röhre – des Tubus maxillaris – an. Bei den Perissodactyla bleibt diese Anschwellung hinter dem Maxillare auch dann noch bestehen, wenn der dritte Molar gebildet wurde. – Der Durchtritt der Arteria carotis interna verläuft nicht durch die Bulla auditiva, sondern durch das Foramen lacertum medium. 600
Abb. 1. Vorderseitenansicht des linken Sprungbeins von Pferd (Perissodactyla; a), Schwein (Cetartiodactyla; b) und Mensch (Primates; c)
Abb. 2. Schematische Vorderansicht des linken Tarsus von Pferd (Perissodactyla; a), Schwein (Cetartiodactyla; b) und Mensch (Primates; c) (vgl. Abb. 1)
Perissodactyla 37
Mammalia
Abb. 3. Hinteransicht eines Tapirschädels
Beispiele Mesaxonia: Südamerikanischer Tapir (Tapirus terrestris), Schabrackentapir (Tapirus indicus), Panzernashorn (Rhinoceros unicornis), Spitzmaulnashorn (Diceros bicornis), Breitmaulnashorn (Ceratotherium simum), Bergzebra (Equus zebra), Kulan (Equus hemionus), Wildpferd (Equus caballus przewalskii) Hyracoidea: Baumschliefer (Dendrohyrax dorsalis, D. arboreus), Kapklippschliefer (Procavia capensis), Buschschliefer (Heterohyrax syriacus)
Abb. 4. Linksseitige Ventralansicht des hinteren Schädelteils eines Esels
Artenzahl: 24 Ältestes bekanntes Fossil: Radinskya, oberes Paläozän, China (–55 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: Afrika, Mittlerer Osten, Zentral- und Südasien bis Borneo, Nordhälfte Südamerikas, Mittelamerika. Die Equidea wurden vom Menschen auf allen Kontintenten eingeführt.
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38 Mesaxonia
Kapitel 14
Mesaxonia Allgemeines Zu den Mesaxonia (Unpaarhufer) gehören Tapir, Nashorn, Pferd, Esel und Zebra. Diese Plazentalia sind mittelgroß (180 cm) bis groß (420 cm) und gute Läufer. Sie sind unguligrad – sie laufen auf dem
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letzten Zehenglied, das mit einem Hornschuh versehen ist. Die Mittelachse der Gliedmaßen verläuft durch den dritten Finger bzw. Zeh. Diese Anordnung ist innerhalb der Mammalia ursprünglich.
Sie geht mit der Reduktion der seitlichen Finger bzw. Zehen einher. Bei den Equidae ist der 3. Zeh bzw. Finger einer jeden Gliedmaße am längsten. Das Nashorn hat je 3 Finger und 3 Zehen, die Tapiridae 3
Mesaxonia 38
Mammalia
Zehen und 4 Finger, wobei der 3. der kräftigste ist. Die Schnauze ist generell hoch und länglich, mit kräftigen Lippen, die als Greifwerkzeug dienen und nicht gespalten sind. Augen und Ohren sind relativ klein – mit Ausnahme der Ohren einiger Esel. Die Canini sind klein oder fehlen ganz, die Zähne des Jugale haben kammförmige Höcker. Der Magen ist einfach. Das Caecum (Blinddarm) ist ziemlich voluminös: Beim Pferd hat es ein
Ökologie Die Mesaxonia leben ausschließlich terrestrisch und ernähren sich herbivor von Laub und Gräsern. Sie leben in der Ebene, Steppe und auf Hochplateaus, die Equidae in Halbwüsten, die Kulane in Wüsten, das Zebra und die afrikanischen Nashörner in Savannen, das asiatische Panzernashorn sowie der Tapir in feuchten Wäldern. Die Equidae sind gesellig, während das Rhinoceros und der Tapir als Einzelgänger leben – nur das Weibchen des Breitmaulnashorns (Ceratotherium simum) lebt zeitweilig mit einer Gruppe Jungtieren zusammen. Die Equidae bilden als einzige Mesaxonia Herden, die von einem dominanten Hengst geführt werden. Die Weibchen bringen ein einzelnes Junges zur Welt, das vollständig entwickelt ist und seiner Mutter sehr schnell auf eigenen Beinen folgt. Die Tiere werden mit 4–6 Jahren geschlechtsreif. Sie können je nach Art 20–45 Jahre alt werden. Der älteste domestizierte Vertreter der Mesaxonia ist der Esel (Equus asinus), der um 5000 v. Chr. im Niltal domestiziert wurde, sowie der Onager (Equus hemionus onager), der zeitgleich in Mesopotamien zum
Fassungsvermögen von mehr als 30 L. In dieser Verdauungskammer findet – in Analogie zu den Ruminantia – eine anaerobe CelluloseGärung durch eine mikrobielle Flora statt. Die Mesaxonia sind im Gegensatz zu den Ruminantia jedoch keine Wiederkäuer. Die Rhinocerotidae tragen in der Nasenregion ein oder zwei Hörner, deren faseriger Aufbau sich von dem der Ruminantia-Hörner grundlegend unterscheidet. Die
Haustier wurde. Das domestizierte Pferd (Equus caballus) spielt in der Geschichte der Menschheit als Lasttier, Transportmittel, Begleiter und als Nahrungsquelle (für Christen war der Verzehr von Pferdefleisch ein Tabu; das Verbot wurde erst Ende des
Schnauze der Tapire setzt sich in einem kurzen, konischen und beweglichen Rüssel fort.Das Fell ist von Art zu Art sehr unterschiedlich und kann schwarz, grau, braun oder wie beim Zebra gestreift sein. Oft werden die Pferde als exemplarische Vertreter der Mesaxonia herangezogen – doch bei ihnen tritt eine solche Vielzahl unterschiedlicher abgeleiteter Merkmale auf, dass der Tapir die Rolle der Beispielart deutlich besser ausfüllt.
19. Jh. aufgehoben) eine bedeutende Rolle. Das Pferd stammt von drei eurasischen Unterarten ab. Wahrscheinlich fanden die ersten Domestizierungsversuche bereits 4000 v. Chr. in Mesopotamien und China und gegen 3500 v. Chr. im Süden der
Abb. 1. Linkes Fußskelett (Vorderansicht) zweier Mesaxonia (Tapir; a, Pferd; b) sowie eines Makaken (Nicht-Mesaxonia; c). Die Hauptachse ist farbig hinterlegt. as = Sprungbein, cal = Calcaneus, cas = Sprungbein-Naviculare-Kontakt, cbd = Cuboid, cun = Cuneiformes, nav = Naviculare
603
38 Mesaxonia Ukraine statt. Im Pleistozän verschwanden die Pferde aus Nordamerika. Als die Europäer nach Amerika aufbrachen, hatten sie englische und spanische Pferde an Bord, die in den großen Ebenen Südamerikas (Pampa) und Nordamerikas (Prärien) als Mustangs wieder verwilderten. Das gleiche spielte sich in Australien ab – dort entstanden auf diese Weise die so genannten BrumbieWildpferde.
Kapitel 14
Abb. 2. Linkes Sprungbein (Vorderansicht) von Tapir (Mesaxonia; a), Schwein (Cetartyodactyla; b) und Mensch (Primates; c)
Spezielle Merkmale – Die Tragachse des Hinterbeins verläuft durch den 3. Zeh, die seitlichen Zehen sind zurückgebildet. Paradoxerweise ist die Mesaxonie – der Verlauf der Beinachse durch den 3. Finger bzw. Zeh – bei den Mesaxonia ein ursprüngliches Merkmal, da es auch bei anderen Mammalia auftritt. Doch bei den Mesaxonia ist dieser Achsenverlauf stets mit dem Verschwinden seitlicher Finger und Zehen verbunden. Außer bei den Tapiren (hier ist der 5. Finger am Vorderbein erhalten) verschwinden bei allen Mesaxonia der 1. und 5. Finger/Zeh. Bei den Equidae ist nur noch der 3. Finger/Zeh übrig. Für einige fossile Huftiere wie den Litoternes aus dem Tertiär Südamerikas können Konvergenzen angenommen werden (Abb. 1). – Die Navicular-Facette des Sprungbeins ist glatt – und zwar bei allen Perissodactyla im weiteren Sinne: Sie hat jede konvexe Form verloren. Bei den Mesaxonia ist diese Facette gebogen, was zur Bildung einer leicht konkaven Form führt. Der Kontakt zwischen der Navicular-Facette des Sprungbeins und des Naviculare beschreibt somit eine sattelförmige Krümmung (Abb. 1b, Abb. 2). Beim 604
Tapir ist die glatte und konkave Navicular-Facette zu erkennen. Bei den Equidae hingegen verschwindet die konkave Form: die Navicular-Facette ist hier horizontal. ANMERKUNG: Manche Merkmale tauchen als Konvergenz außerhalb der Mesaxonia nicht wieder auf, sondern als Homoplasie innerhalb der Mesaxonia selbst: Ein Beispiel dafür ist der Kontakt zwischen Lacrimale und Nasale. Dieses Merkmal kann man am Pferdeschädel und bei zahlreichen fossilen Mesaxonia beobachten – bei den rezenten Tapiren und Rhinocerossen
jedoch ist es sekundär verloren gegangen. Die Navicular-Facette des Sprungbeins ist bei den Equidae glatt.
Beispiele Südamerikanischer Tapir (Tapirus terrestris), Schabrackentapier (Tapirus indicus), Panzernashorn (Rhinoceros unicornis), Spitzmaulnashorn (Diceros bicornis), Breitmaulnashorn (Ceratotherium simum), Bergzebra (Equus zebra), Kulan (Equus hemionus), Wildpferd (Equus caballus przewalskii)
Artenzahl: 18 Ältestes bekanntes Fossil: Vor ihrem Abstieg war diese Gruppe im Eozän mit einer großen Formenvielfalt vertreten und kam im Quartär auf allen Kontinenten (ohne Australien) vor. Wenn man diese Linie als Schwesterlinie der Hyracoidea betrachtet, ist das älteste bekannte Fossil Radinskya, aus dem oberen Paläozän Chinas (–55 Mio. Jahre). Der älteste Mesaxonia-Vertreter strictu sensu ist Hyracotherium von der Basis des Eozäns Europas und Nordamerikas (–53 Mio. Jahre), doch folgten schon bald darauf weitere Familien. Heutiges Vorkommen: Afrika, Mittlerer Osten, Zentral- und Südasien bis Borneo, Nordhälfte Südamerikas, Mittelamerika. Die Equidea wurden vom Menschen auf allen Kontintenten eingeführt.
Hyracoidea 39
Mammalia
Hyracoidea Allgemeines Die Hyracoidea (Schliefer) sind kleine, gedrungene Plazentalia, die dem Murmeltier ähneln. Schliefer werden 40–50 cm groß,wiegen 2,5– 3,5 kg und sind plantigrade Huftiere: Sie sind Sohlengänger und laufen auf ihren Fersen. Sie besitzen nackte, elastische Polster an der Fußsohle, die mit Schweißdrüsen ausgerüstet sind. Die Vorderbeine haben 4 Finger, die Hinterbeine 3 Zehen (den 2., 3. und 4. Zeh). Die Nägel sind abgeflacht und lang – bis auf den 2. Zeh, der eine Putzkralle besitzt. Die Schnauze ist kurz, die Augen sind groß, die Ohrmuscheln kurz und abgerundet. Die Oberlippe ist gespalten. Die oberen Incisivi zeigen Dauerwachstum, die unteren sind nach vorne gebogen, Canini fehlen. Der Magen ist nicht gekammert. Der
Ökologie Die Hyracoidea sind prinzipiell Pflanzenfresser – nur ausnahmsweise fressen sie auch Insekten (Heuschrecken). Sie besiedeln nahezu alle terrestrischen Lebensräume: feuchte Tropenwälder, Steppen, Halbwüsten oder Felsregionen bis in 5000 m Höhe. Sie leben auf dem Boden, in Felsen oder auf Bäumen, als Einzelgänger, in Paaren oder in Trupps aus mehreren Individuen. Je nach Art sind sie tag- oder nachtaktiv (letzteres insbesondere in dichten Wäldern). In waldarmen Regionen leben die Tiere in Felsspalten, Vertiefungen, im Geröll und in Höhlen mit engen Zugängen. Sie selbst graben niemals einen Bau, doch gelingt es
ileo-caecale Blinddarm enthält Bakterien, die Cellulose abbauen. Darüber hinaus gibt es ein zweispitziges, weiteres Caecum am Colon, über dessen Funktion wenig bekannt ist. Das Fell ist dicht, hellgrau bis schwarz oder aber grau-
ihnen manchmal, in den ohnehin dicht besiedelten Felsregionen einen Bau zu ergattern, der von einer anderen Tierart (beispielsweise dem Erdferkel) aufgegeben wurde. Die Tiere
braun, hellbraun, ocker oder sandfarben. Auf der Rückenmitte tritt eine Dorsaldrüse auf – eine schmale, langgezogene, unbehaarte Drüsenregion, die von weißen und orangen Haaren gesäumt wird, die aufgestellt werden können.
zeigen Revierverhalten: Sie markieren Bäume und Felsen ihres Territoriums mit Duftmarken, indem sie ihren Rücken, dem Sitz entsprechender Drüsen, an Bäumen oder Felsen
Abb. 1. Linke Seitenansicht des Skeletts vom Buschschliefer (Heterohyrax syriacus): Das Vorderbein ruht auf der Fußsohle.
605
39 Hyracoidea
Kapitel 14
Abb. 2. Fußsohle des linken Hinterbeins vom Baumschliefer (Dendrohyrax): Die Fußsohle ist elastisch und nackt.
reiben. Darüber hinaus verteidigen sie ihr Revier durch Schreien, Zähnefletschen, Präsentation ihrer Dorsaldrüse, Händeklatschen und durch das gezielte Absetzen von Exkrementen an genau definierten Stellen ihres Territoriums. Ihre Feinde sind tagund nachtaktive Carnivoren und Greifvögel – beispielsweise Leopard, Panther, Serval oder Adler. Kolonien, die in Verstecken leben, haben Wächter. Bei Gefahr genügt ein Alarmpfiff, um die Kolonie zu warnen. Auf mehrere schrille Alarmpfiffe hin flüchtet der ganze Stamm in Löcher oder unter Felsen. Die Tragzeit dauert 7–8 Monate – eine lange Zeit für diesen relativ kleinen Säuger. Die pro Wurf 1–3 Jungen werden vollständig entwickelt geboren und folgen ihrer Mutter bereits kurz nach der Geburt. Frühzeitig geht das Junge gemeinsam mit seiner Mutter zum Grasen. Die Ernährung der Jungen ist schon sehr bald gemischt – sie werden nie länger als drei Monate gesäugt. Die Tiere lieben den Kontakt und schmiegen sich häufig aneinander. Das Junge des Kapklippschliefers (Procavia capensis) reitet mit Vorlie-
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Abb. 3. Ventralansicht des Schädels vom Kapklippschliefer (Procavia capensis)
be auf dem Rücken seiner Mutter. Die Tiere sind mit 16 Monaten geschlechtsreif und können ca. 12 Jahre alt werden. Die Tiere lassen sich in Gefangenschaft sehr gut halten.
Spezielle Merkmale – Die Dorsaldrüse ist ein typisches Merkmal der Hyracoidea. Es handelt sich hierbei um eine schmale, lang gezogene Drüsenregion von etwa 2 cm2. Diese Zone ist nicht behaart und von erektilen Haaren umgeben. Hier sitzen viele apokrine, tubulöse Drüsen sowie Talkdrüsen. Zur Brunftzeit sezernieren diese Drüsen ein duftendes, cremiges Sekret.
– Plantigradie: Die Hyracoidea sind Sohlengänger – sie sind plantigrad. Die Fußsohle ist elastisch und mit Schweißdrüsen ausgerüstet. Es handelt sich hier um eine sekundäre Plantigradie – sekundär deshalb, weil die Vorfahren der Hyracoidea nicht-plantigrade Huftiere waren (Abb. 1, Abb. 2). – Incisivi: Das obere Incisivus-Paar der Hyracoidea zeigt Dauerwachstum (Abb. 3).
Beispiele Baumschliefer (Dendrohyrax dorsalis, D. arboreus), Kapklippschliefer (Procavia capensis), Buschschliefer (Heterohyrax syriacus)
Artenzahl: 6 Ältestes bekanntes Fossil: Titanohyrax, unteres Eozän Algeriens (–50 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: Afrika – bis auf den Atlas und die West-Sahara, Naher Osten
Tethytheria 40
Mammalia
Tethytheria Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Das hintere, äußerste Ende des Herzens ist zweigeteilt.
– Die Augenhöhlen sind auf der antero-posterioren Schädelachse weit nach vorne gewandert und öffnen sich in dem Bereich, der
vor den Zähnen des Jugale liegt (Abb. 1). Beim Hund (Abb. 1d) öffnet sich die Augenhöhle oberhalb der letzten Molaren. Bei den
Abb. 1. Linksseitige Schädelansichten: rezenter,junger Indischer Elefant (a),Proboscidea-Fossil Moeritherium (b) und Seekuh (c) (allesamt Tethytherier) sowie Nicht-Tethytherier (Hund; d)
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40 Tethytheria Tethytheria dagegen öffnet sie sich bereits vor allen Molaren und Prämolaren.
Beispiele Sirenia: Rundschwanzsirene (Trichechus senegalensis) Proboscidea: Afrikanischer Elefant (Loxodonta africana)
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Kapitel 14 Artenzahl: 7 Ältestes bekanntes Fossil: Der älteste bekannte Vertreter der Tethytheria ist der Embrithopode Phenacolophus aus dem unteren Paläozän der Mongolei und Chinas (–60 Mio. Jahre). Heutiges Vorkommen: Afrika südlich der Sahara sowie Südostasien (von Indien bis nach Nordvietnam, Südchina, südlicher Himalaja, Sumatra, Borneo), Flüsse, flache Küstenregionen des westlichen und östlichen, subtropischen Atlantiks, Rotes Meer, ostafrikanische Küste, Küsten Madagaskars, Südindiens, Sri Lankas, südostasiatische Küsten bis zu den Südküsten Chinas, Neu-Guineas und Nordaustraliens, Küsten der Carolinen-, Salomon- und Marschall-Inseln sowie Küsten Neu-Kaledoniens
Sirenia 41
Mammalia
Sirenia Allgemeines Die Sirenen (Seekühe) haben einen massiven, länglichen, zylindrischen Körper, der wegen der dicken Fettschicht rundlich erscheint. Die Tiere werden 250– 400 cm lang und wiegen mindestens 360 kg. Die Adulten sind völlig unbehaart, während der Fötus noch einige vereinzelte Haare besitzt.An der quadratisch erscheinenden Schnauze befinden sich noch Schnurr- und Tasthaare. Schnauze und Kiefer sind nach unten hin abgeknickt. Der Mund wird von zwei dicken Oberlippen umschlossen, die seitlich herab hängen. Bei der Gattung Trichechus ist die Oberlippe dreigeteilt, und die Nasenöffnungen sind durch Klappen verschließbar. Das winzige Auge ist mit einer Nickhaut sowie mit Tränendrüsen versehen, die
ölige Sekrete absondern. Ohrmuscheln fehlen. Die Bulla tympanica ist nicht fest mit der Schädelbasis verbunden. Die Rippen sind durch Pachyostose bemerkenswert massiv – daher das hohe Gewicht der Tiere. Die horizontale Stabilität des Körpers wird durch sehr lang gestreckte Lungen und ein nahezu horizontal ausgerichtetes Zwerchfell begünstigt. Im Gegensatz zu den Cetacea sind die Sirenen keine aktiven Taucher: Über Veränderungen ihres Lungenvolumens treiben sie eher im Wasser. Eckzähne fehlen. Beim Dugong sind die Zähne des Jugale zurückgebildet, die Incisivi jedoch zeigen – wie bei den Elefanten – Dauerwachstum. Bei Trichechus hingegen fallen die Incisivi vor der Geschlechtsreife aus. Die Zähne
des Jugale sind in Überzahl vorhanden: Sie wandern von hinten nach vorne, bis sie schließlich ausfallen. Äußerlich ist bei den Sirenen fast kein Hals sichtbar. Die fünffingrigen Hände der Sirenen sind zu Flossen umgewandelt – es tritt keine Hyperphalangie auf. Die hinteren Gliedmaßen fehlen, doch ist der Rest eines Beckens erhalten. Die horizontale Schwanzflosse wird von einer Hautfalte gebildet, die sich jedoch von der der Cetacea unterscheidet: Bei Trichechus ist sie rund und hat einen nichtknöchernen Mittelkamm. Beim Dugong ist die Schwanzflosse zweigeteilt. Die Haut ist meist grau bis grau-braun, der Bauch ist etwas heller als der Rest.
609
41 Sirenia Ökologie Die Sirenen (Seekühe) sind dickleibige Wassertiere. Man findet sie in Flüssen oder in marinen Küstenregionen – überall dort, wo es ein reichhaltiges Angebot an Wasserpflanzen gibt. Sie grasen in einer Tiefe von 1–2, manchmal auch in bis zu 10 m Wassertiefe Algenwiesen oder Süßwasserpflanzen ab. Die Feinde der Sirenen sind große Haie und der Mensch. Sie sind gesellige Tiere, die in Familien oder in Familiengruppen leben. Beim Dugong kann solch eine Gruppe aus 80–100 Individuen bestehen, die gemeinsam auf Seegraswiesen grasen. Die jungen Männchen leben meist solitär. Auch wenn einmal zwei Männchen ein Auge auf dasselbe Weibchen geworfen haben – einen Kampf zwischen den beiden Kontrahenten hat man nie beobachtet. Das Männchen nähert sich dem Weibchen und berührt es an der Schnauze. Dann umarmt er sie und schwimmt an ihre hintere Seite. Die Begattung findet im Wasser Bauch an Bauch statt. Das Paar ist offenbar stark miteinander verbunden, das Männchen liebkost sein Weibchen während der Paarung. Die Tragzeit beträgt je nach Art
Kapitel 14 5–11 Monate. Die Geburt eines, seltener zweier Jungen findet im Wasser statt. Die Tiere sind das ganze Jahr über fortpflanzungsbereit. Die Sirenen stillen 18 Monate – doch das Junge beginnt schon bald mit einer Mischkost. Beide Eltern behüten ihr Junges, das meist auf dem Rücken der Mutter getragen wird. Häufig nimmt sie es auch in die Arme. Mit 3–4 Jahren sind die Tiere geschlechtsreif. Sie können 20–30 Jahre alt werden. Alle Sirenen sind vom Aussterben bedroht, einerseits aufgrund der Zerstörung und Verschmutzung ihrer Lebensräume durch den Menschen, andererseits weil sie wegen ihres schmackhaften Fleisches gejagt werden – trotz offizieller Schutzbestimmungen zahlreicher Länder. Bereits vor mehr als 200 Jahren hat der Mensch den größten Vertreter dieser Ordnung, die Stellersche Seekuh (Rhytina gigas), ausgerottet – ein marines, 7 m langes und 4 t schweres Tier. Das letzte bekannte Exemplar wurde im Jahr 1768 getötet – nur 27 Jahre nach seiner Entdeckung im Jahr 1741.
Spezielle Merkmale – Das Ectotympanicum zeigt eine charakteristische Tropfenform. Es ist ventral verdickt und besitzt eine vordere und eine hintere Halterung. Es ist quer zur Vertikalebene ausgerichtet. Sein unterer Ausläufer geht weiter unter den Schädel zurück als sein oberer Ausläufer. Über diesen Rahmen spannt sich das Trommelfell (Abb. 1). Die Bulla auditiva ist locker am Squamosum befestigt. – Das Praemaxillare hat nach hinten kräftige Ausläufer, die die reduzierten Nasalia einrahmen und die Frontalia berühren, während sich Maxillare und Frontale nicht berühren (Abb. 2). Beim Hund (Abb. 2b) berühren Nasale und Maxillare (und nicht das Praemaxillare) immer das Frontale. Bei einigen Mammalia-Gruppen (beispielsweise bei den Glirimorpha und den Cetacea) kann das Praemaxillare nach hinten hin dünne Ausläufer bilden, die die Knochen des Frontale berühren, ohne jedoch einen Kontakt zwischen Maxillare und Frontale zu verhindern. Dieser Situation begegnet man auch bei den heute
Abb. 1. Position des Ectotympanicums bei der Rundschwanzsirene (a) und vergrößerte Darstellung der Bulla auditiva (Bulla tympanica)(b)
610
Sirenia 41
Mammalia
– – –
–
lebenden Proboscidea (Konvergenz), nicht jedoch nicht bei deren fossilen Vertretern (siehe Moeritherium, Kladon 42). Die vorderen Gliedmaßen fehlen (Konvergenz zu den Cetacea) (Abb. 3). Die Hände sind zu einem Paddel umgewandelt. Hyperphalangie tritt jedoch nicht auf (Abb. 3). Knochen: Bei den Sirenen sind durch Pachyostose und Osteosklerose beinahe zellfreie, dichte und schwere Knochen entstanden. Verlust des Ethmoid-Foramens: Dieses Foramen öffnet sich in der Orbitalregion der Schädelwand – entweder im Orbitosphenoid, im Frontale, zwischen diesen beiden Knochen oder im Präsphenoid.
Beispiele Dugong/Gabelschwanzsirene Dugong dugon, Rundschwanzsirenen (Trichechus inunguis, T. senegalensis), Manati (Trichechus manatus)
Abb. 2. Dorsalansicht des Schädels von Manati (a) und Hund (b)
Abb. 3. Linke Seitenansicht des Skeletts vom Manati (Trichechus manatus)
Artenzahl: 5 Ältestes bekanntes Fossil: Prorastomus aus dem Eozän Jamaikas (–40 Mio. Jahre), Eotheroides, Eozän Ägyptens Heutiges Vorkommen: flache Flüsse, Küsten und Meere der Subtropen. Trichechus: Ost- und Westküsten des subtropischen Atlantiks, Karibik, Amazonasbecken sowie zahlreiche Flüsse Westafrikas und Floridas. Dugong: Rotes Meer, Küsten Ostafrikas und Madagaskars, Südindiens, Sri Lankas, Küsten Südostasiens bis zu den Südküsten Chinas, Neu-Guineas, Nordaustraliens, Küsten der Carolinen-, Salomon- und Marschall-Inseln sowie Küsten Neu-Kaledoniens 611
42 Proboscidea
Kapitel 14
Proboscidea Allgemeines Die Elefanten sind die größten heute lebenden Landsäugetiere. Sie haben eine Widerristhöhe von 220–400 cm, eine Körperlänge von 260–400 cm und wiegen zwischen
612
1,5–6 t. Der Kopf ist kurz und sitzt hoch. Die Nasenhöhlen liegen höher als die Augenhöhlen. Die oberen Incisivi zeigen Dauerwachstum und bilden die langen
Stoßzähne. Sie bestehen aus Elfenbein (Dentin) und sind nicht von Zahnschmelz umhüllt. Die Canini fehlen. Die Molaren bestehen aus vertikalen Elfenbein-Lamellen und
Proboscidea 42
Mammalia
werden von Zement und Zahnschmelz umhüllt. Sie rücken mit zunehmender Abkauung im Kiefer nach vorne. Von den Dauermolaren ist immer nur einer im Einsatz. Nase und Oberlippe sind zu einem flexiblen Rüssel umgebildet. Er
Ökologie Die Elefanten sind Pflanzenfresser. Sie leben in dichten Wäldern, baumbestandenen Savannen, im Dschungel und in Trockenwäldern, Ebenen und in bis zu 5000 m hohen Gebirgsgegenden. In der Trockenwüste kommen sie nicht vor. Sie ernähren sich von Kräutern, Bambus, Wurzeln, Rinde, Knollen, Knospen und Früchten. Entsprechend ihrer Größe fressen sie täglich 100–200 kg. In Afrika gibt es 2 Formen (Ökotypen), die unterschiedliche Lebensräume besiedeln: den Savannenelefanten (Loxodonta africana africana), der offenes Terrain bevorzugt, sowie den etwas kleineren und weniger bekannten Waldelefanten (Loxodonta africana cyclotis, Schulterhöhe 106–205 cm, Gewicht 900–1500 kg), der vor allem im dichten Wald Zentralafrikas lebt. In Asien unterscheidet man mindestens 4 Unterarten sowie 4 weitere Arten, die in Mesopotamien, China, Persien und Java vertreten waren und vor dem Mittelalter ausgerottet wurden. Elefanten sind soziale Tiere, deren Grundeinheit die matriarchale Familie ist. Es gibt auch alleine lebenden Männchen und so genannte Junggesellen-Clubs. Der asiatische Elefant bildet Kinderkrippen, in denen einige Weibchen mehrere Junge bewachen, während die Herde auf Nahrungssuche ist. Den Tag verbringen die Tiere vor allem mit der Suche nach Nahrung und mit Körperpflege.
dient zum Atmen, Trinken, Fühlen, Aufnehmen von Gegenständen oder zum Schlagen. Die Unterlippe ist fleischig und spitz. Die Augen sind klein, die Ohrmuscheln groß bis sehr groß. Der Hals ist kurz. Die Beine sind säulenförmig und
Elefanten schlafen nur wenig. Sie führen saisonale Wanderungen entlang fester Wanderwege durch, um eine Wasserstelle oder eine nahrungsreiche Gegend aufzusuchen. So besucht beispielsweise der Savannenelefant in Trockenzeiten die feuchte Savanne, in der es ein gutes Nahrungsangebot gibt. In der Regenzeit zieht er sich in die Trockensavanne und die Steppe zurück, wo er von der dann blühenden und wachsenden Vegetation profitiert. Die Familien schließen sich großen, locker gefügten Truppen an, die bis zu 1000 Individuen zählen und wandern entlang bestimmter Routen bis zu 500 km weit. Diese Wanderbewegungen werden durch Ansiedlungen und andere Aktivitäten des Menschen immer mehr beschränkt. Die Elelefanten machen sich regelmäßig auf die Suche nach Wasserstellen: Sie lieben es, zu baden und Kopf, Nacken und Rücken mit Schlamm einzureiben. Der getrocknete Schlamm schützt die Tiere vor der Sonne und vor Insekten. Sie kommunizieren untereinander über ein großes Spektrum an Tönen und über Bewegungen und Stellungen von Ohren und Rüssel. Geruchs-und Tastsinn sowie Gehör sind sehr gut, der Lichtsinn dagegen nur mittelmäßig entwickelt. Feinde der Elefanten sind Löwen, Hyänen, Hyänenhunde und Krokodile, die Jungtiere angreifen. Stirbt ein Artgenosse, so bewacht die Herde das tote Tier einige Zeit und bedeckt es
tragen jeweils 5 Zehen. Die Ferse stützt sich auf ein bindegewebiges Kissen, das die Fußsohle bildet. Der Schwanz ist zierlich. Die Haut der Tiere ist grau und trägt vereinzelte Haare.
manchmal mit Geäst. Mütter ziehen ihr totes Junges manchmal einen ganzen Tag mit sich herum. Die Elefanten bekämpfen sich untereinander nur wenig. Wenn ein dominanter Bulle einen Fehler macht, können die in der Hierarchie folgenden Männchen dasselbe Weibchen decken, ohne aufeinander neidisch zu sein. Die Tragzeit dauert 22 Monate. Zum Zeitpunkt der Geburt wird die werdende Mutter oft von anderen Weibchen unterstützt. Ein einziges Junges ist die Regel – Zwillinge sind sehr selten. Die Jungen werden 2, manchmal sogar 4–6 Jahre gesäugt, doch nimmt das Junge schon bald zusätzlich Pflanzenkost zu sich. Geburten finden im Abstand von 2–4 Jahren statt. Bis zum 30. Lebensjahr hat ein Elefant sein volles Gewicht erreicht. Die Stoßzähne wachsen während des ganzen Elefantenlebens. Der Savannenelefant ist mit 10–12, der Waldelefant mit 8–10 Jahren geschlechtsreif. Der Savannenelefant wird 60, der Waldelefant bis zu 80 Jahre alt. Auch wenn Wald- und Savannenelefant selten aufeinander treffen, da sie unterschiedliche Biotope besiedeln, sind die beiden Ökotypen genetisch nicht voneinander isoliert: Man hat nämlich für den Savannenelefanten typische genetische DNA-Marker mitochondrialen Ursprungs auch beim Waldelefanten gefunden. Es ist daher ziemlich übertrieben, den Waldelefanten als eine eigene Art aufzufassen. Die afrikanischen, süd613
42 Proboscidea
Kapitel 14
lich der Sahara lebenden Elefanten sind nie domestiziert worden. Dagegen ist der asiatische Elefant in Indien bereits um 2500 v. Chr. domestiziert worden – vor allem als Transport- und Arbeitstier sowie für den Einsatz in Kriegen. Die Karthager haben eine kleine, nordafrikanische Unterart des Elefanten domestiziert, die heute ausgerottet ist: Mit diesen Elefanten überquerte Hannibal und seine Armee 220 v. Chr. die Alpen.
Spezielle Merkmale – Verlust der oberen Canini (Abb 1): Der obere Schneidezahn (I3) ist zum Stoßzahn vergrößert. In Ober- und Unterkiefer sind nur noch die Zähne des Jugale vorhanden. – Die Augenhöhle öffnet sich im Maxillare (Abb. 2), während sie sich bei den anderen Säugetieren hinter dem Maxillare, auf Höhe von Jugale und Frontale, öffnet. – In der Temporaliswand des Schädels ist der aufsteigende Processus des Palatinums reduziert. – Der äußere Gehörgang (Meatus acusticus externus) wird vom Squamosum eingefasst. Er wird ventral durch den postglenoidalen Teil des Squamosums und durch den Processus posttympanicus verschlossen (Abb. 2). Bei den rezenten Vertretern der Proboscidea sind diese beiden Teile vollständig miteinander verschmolzen (Abb. 3). ANMERKUNG: Die oben genannten Merkmale beziehen sich sowohl auf die rezenten als auch auf die fossilen Proboscidea. Das Auftreten eines Rüssels, Nasenöffnungen, die sich an der Stirn oberhalb der Augenhöhlen öffnen, sowie die Umwandlung der 3. 614
Abb. 1. Linke Seitenansicht des Schädels eines rezenten Elefanten
Incisivi zu Stoßzähnen mit Dauerwachstum sind charakteristische Merkmale der Proboscidea – insofern man sich auf die heutige Fauna beschränkt, denn diese Charakteristika treffen auf einige Fossilien, beispielsweise Moeritherium, nicht zu.
Beispiele Afrikanischer Elefant (Loxodonta africana), Indischer Elefant (Elephas maximus)
Abb. 2. Linke Seitenansicht eines Schädels des fossilen Probisciden Moeritherium aus dem Eozän Ägyptens und Libyens (–37 Mio. Jahre) pCi = Verlust der unteren Incisivi, C = Oberer Eckzahn (Canini), de = Dentale, fr = Frontale, I1, I2, I3 = 1.–3. Incisivus, j = Jugale, mx = Maxillare, na = Nasale, or = Augenhöhle, pa = Parietale, pmx = Praemaxillare, ppt = Processus posttympanicus, pgs = postglenoidaler Teil des Squamosums, soc = Supraoccipitale, sq = Squamosum, tae = äußerer Gehörgang
Mammalia
Proboscidea 42
Abb. 3. Linke Seitenansicht des Schädels eines jungen Indischen Elefanten. Abb. 4. Linke Seitenansicht des Schädels eines Carnivoren (Wolf, Canis). Die Grenzen des Maxillare sind farbig hinterlegt. Die Grenzen des Maxillare sind farbig hinterlegt. la = Lacrimale, pg = Pterygoid, pa = Parietale, fr = Frontale, na = Nasale, or = Augenhöhle, pmx = Praemaxillare, I3 = 3. Incisivus, mx = Maxillare, j = Jugale, pg = Pterygoid, sq = Squamosum, tae = äußerer Gehörgang, soc = Supraoccipitale
Artenzahl: 2 Ältestes bekanntes Fossil: Phosphatherium, oberes Paläozän Marokkos (–55 Mio. Jahre); innerhalb der Gesamtheit der Schwesterlinie der Sirenen – einschließlich der fossilen Desmostyliae, der heute lebenden Proboscidea und der fossilen Embrithopoden – ist der Embrithopode Phenacolophus aus dem unteren Paläozän Chinas und der Mongolei (–60 Mio. Jahre) das älteste Fossil. Heutiges Vorkommen: Die Elefanten leben heute in Afrika südlich der Sahara sowie in Südostasien (von Südindien und Sri Lanka bis nach Nordvietnam, Südchina, Südhimalaya, Sumatra und Borneo).
615
15 Primates 1
Primates 618
KAPITEL 15 8
siehe Kapitel 14, Seite 552
15
Homininae 645
16
Gorilline 646
2
Strepsirrhini 619
3
Lorisiformes 620
9
Catarrhini (Schmalnasen) 633
Beispielart: Potto Perodicticus potto Größe: 30 cm
10
Cercopithecoidea 635
17
Hominine 647
Beispielart: Pavian Papio papio Größe: 70 cm
18
Panine 648
4
5
Haplorrhini 624
6
Tarsoidea 626 Beispielart: Koboldmaki Tarsius spectrum Größe: 12 cm
7
Beispielart: Gorilla Gorilla gorilla Größe: 180 cm
Lemuriformis 622 Beispielart: Schwarzweißer Vari Lemur variegatus Größe: 55 cm
616
Platyrrhini (Breitnasen) 630 Beispielart: Weißpinseläffchen Callithrix jacchus Größe: 20 cm
Simiiformes 628
11
Hominoidea 637
12
Hylobatidae 639 Beispielart: Siamang Symphalangus syndactylus Größe: 85 cm
13
Hominidae 641
14
Ponginae 643 Beispielart: Orang-Utan Pongo pygmaeus Größe: 130 cm
Beispielart: Schimpanse Pan troglodytes Größe: 90 cm 19
Menschen 649 Beispielart: Mensch Homo sapiens Größe: 170 cm
Primates
Kapitel 15
617
1 Primates
Kapitel 15
Primates Die Phylogenie der Primaten ist zwar sehr gut untersucht, doch gibt es gleichzeitig das Drama heftiger methodologischer Gegensätze. Die kladistische Methode (und damit eine Klassifizierung, die auf dem strikten Verwandtschaftsverhältnis basiert und von sämtlichen „Graden“ im Sinne der Terminologie der Systematiker befreit ist) anzuwenden, mag einfach erscheinen – allerdings nur für den Fall, dass man etwa über die Braunalgen arbeitet. Man kann nämlich leicht auf Rangstufen verzichten, so lange sie nicht anthropozentrisch belastet sind. Unter den Primatologen gibt es jedoch starke Widerstände gegen eine Klassifizierung, die strikt auf Verwandtschaftsverhältnissen begründet ist, weil es sich dabei nicht um Klassifizierungen aus dem Umfeld des Mystizismus handelt und etwa an die Paläontologie von P. Teilhard de Chardin erinnert. Bei vielen, sehr bekannten Primatologen und Paläoanthropologen ist es nach wie vor üblich, eine „Extra-Kiste“ nur für unsere eigene Art zu reservieren – eine Zuordnung, die lediglich den Effekt hat, die verwandtschaftlichen Beziehungen des Menschen mit seiner Schwesterart zu verbergen. Somit ist die Unterfamilie Ponginae im klassischen Sinne ein Taxon, das OrangUtan, Gorilla und die beiden Schimpansen-Arten umfasst. Der Mensch steht außerhalb dieser, zumindest in einer eigenen Unterfamilie – trotz seines engen Verwandtschaftsverhältnisses mit den Schimpansen. Im Gegensatz dazu würde eine objektive Klassifizierung fordern, Mensch (Homo sapiens) und Schimpansen
618
(Pan troglodytes und Pan paniscus) in eine gemeinsame Schublade einzusortieren – nämlich in die Familie Hominidae und sogar in die gleiche Unterfamilie Homininae, die die Hominidae mit dem Gorilla zusammenfasst. M. Goodman oder E. Watson schlagen auf der Basis beeindruckender genetischer Ähnlichkeiten sogar vor, den Menschen und die Schimpansen in die gleiche Gattung Homo einzuordnen. Entsprechend würde dann der wissenschaftliche Name des Schimpansen Homo troglodytes lauten. Für diesen Vorschlag ist die Welt allerdings noch nicht reif! Einer unserer Kollegen merkte spaßeshalber an, dass es noch amüsanter wäre, den Menschen in Pan sapiens umzubenennen. Ein anderes Beispiel für die Beibehaltung der Rangstufen sind die Prosimii. Das Taxon Prosimii bezeichnet diejenigen Primaten, die nicht zu den Simiiformes zählen – die Lemuren, Lorisiformes und Tarsioidea. Letztere sind mit den echten Affen jedoch näher verwandt als die Lemuren. Dennoch wird der Begriff Prosimiae weiterhin verwendet – und manchmal nicht einmal aus konservativen Gründen, sondern aus einem rein methodologischen Irrtum. Dies ist in Frankreich bei zahlreichen cytogenetischen Arbeiten über die Primaten der Fall, bei denen beachtliche Daten über die Chromosomenstruktur zusammengetragen wurden. Die aus dem Vergleich dieser Strukturen aufgestellten Stammbäume stimmen dennoch mit denen überein, wie sie in diesem Buch präsentiert werden – abgesehen davon, dass deren Wurzel falsch ist. Die
Topologie der Stammbäume ist somit dieselbe, doch der auf den Chromosomen basierende Stammbaum wird aus einer ungünstigen Perspektive dargestellt: Der „Chromosomen-Stammbaum“ hat seine Basis bei den Simiiformes, so dass der Eindruck entsteht, die Prosimiae seien monophyletisch. Dies rührt von der Methode dieser Autoren her, Organismen aufgrund von Symplesiomorphien und ohne Berücksichtigung von Außengruppen in die Stammbäume einzusortieren, anstatt Synapomorphien zu suchen. Die exzellente Datenbasis der Chromosomenstudien verdient es also, mit einer echten kladistischen Methode analysiert zu werden. Der Primatenstammbaum, so wie er hier präsentiert wird, ist in hohem Maße zuverlässig, da er durch zahlreiche unterschiedliche Datentypen untermauert wird. Eine Ausnahme ist allerdings die Identifizierung der Schwestergruppe des Menschen. Hierzu liegen viele verschiedene Ergebnisse vor: Die Schwestergruppe besteht einmal aus den Gorillas, dann aus den Schimpansen oder gar aus dem Kladon Gorilla plus Schimpansen. Die Schimpansen könnten paraphyletisch sein, und der Bonobo bzw. Zwergschimpanse (Pan paniscus) dem Menschen sogar noch näher stehen als Pan troglodytes. Keine dieser Thesen stellt jedoch die Paraphylie der Ponginae im klassischen Sinne in Frage. Die Analyse mehrerer Typen von Sequenzdaten deutet vielmehr auf eine Schwestergruppen-Beziehung zwischen den Gattungen Pan und Homo hin.
Strepsirrhini 2
Primates
Strepsirrhini Einige Vertreter
Spezielle Merkmale
Beispiele
– Die Vorderzähne bilden einen Zahnkamm (Putzkamm) (Abb. 1). Daran sind die vier Incisivi (Schneidezähne, I) und die beiden nach vorne gebogenen Canini (Eckzähne) beteiligt. Diese Konstruktion dient dem Freisetzen von Pflanzensäften (Baumharze), von denen sich diese Tiere ernähren, sowie der Fellreinigung beim Lausen.
Lorisiformes: Schlanklori (Loris tardigradus), Potto (Perodicticus potto), Riesengalago (Galago crassicaudatus) Lemuriformes: Katta (Lemur catta), Halbmaki (Hapalemur griseus), Katzenmaki (Cheirogalus major), Indri (Indri indri), Fingertier (Daubentonia madagascariensis) Abb. 1. Oberkiefer der Strepsirrhini
Artenzahl: 32 Ältestes bekanntes Fossil: Die fossile Familie Adapoidea, die zu den Strepsirrhini gehört, reicht mit Donrusselia (Frankreich) und Cantius (Belgien, Frankreich, Wyoming/USA) bis in das frühe Eozän (–55 Mio. Jahre) zurück. Heutiges Vorkommen: Afrika südlich der Sahara (ausgenommen Südafrika), Madagaskar, Indien, Indochina, Südostasien
619
3 Lorisiformes
Kapitel 15
Lorisiformes Allgemeines Die Lorisiformes umfassen fünf Gattungen, die in einer einzigen Familiengruppe – den Lorisoidea –zusammengefasst werden. Dieses Taxon teilt sich in die beiden Familien Lorisidae und die Galagidae (Buschbabys) auf. Die Lorisiformes sind kleine Primaten mit rundem Kopf, großen Augen und einer
Spezielle Merkmale – Das Ectotympanicum ist mit der Öffnung der Bulla tympanica zusammengewachsen, verlängert sich jedoch nicht zu einem äußeren Gehörgang. Das Ectotympanicum stellt einen Knochenring dar, über den das Trommelfell gespannt ist. Die Bulla tympanica ist eine knöcherne Gehörkapsel der Schädelbasis, die bei den Primaten durch das Petrosum (Felsenbein) begrenzt wird. Abbildung 1 zeigt Schnitte durch die Bulla tympanica bei verschiedenen Verwandtschaftsgruppen. Bei den Lorisiformes und den Platyr620
spitzen Schnauze. Die meisten wiegen zwischen 200 und 300 g. Die Größe (ohne Schwanz) reicht von 12–44 cm, das Gewicht liegt zwischen 60 g und 1,2 kg. Finger und Zehen tragen Nägel – mit Ausnahme des zweiten Zehs, der mit einer Putzkralle ausgestattet ist. Mit ihren vier gleich langen Gliedma-
rhini ist die Verschmelzung von Ectotympanicum und Felsenbein ähnlich. Dies ist auch bei den Tarsiiformes und den Catarrhini der
ßen und ihrem zurückgebildeten Schwanz ähneln die Lorisidae langsamen Bärenjungen. Loris tardigradus hat die längsten und schlankesten Gliedmaßen. Die Galagidae besitzen einen langen Schwanz, die Farben ihres Fells variieren von Art zu Art zwischen grau-braun, ocker und beige.
Fall, jedoch verlängert sich hier das Ectotympanicum und wandelt sich dann in den knöchernen, äußeren Gehörgang um.
Abb. 1. Schnitte durch die Bulla tympanica bei den Insectivoren (a), Lemuriformes (b), Lorisiformes und Platyrhina (c) sowie den Tarsiiformes und Catarrhini (d)
Lorisiformes 3
Primates
Ökologie Die Lorisiformes sind Baumbewohner und leben sowohl in Regenwäldern, in trockenen Wäldern und in den Bäumen der Savannen. Sie sind die einzigen ausschließlich nachtaktiven Strepsirrhini. Die Lorisoidea sind Allesfresser: Sie ernähren sich vor allem von Insekten, Früchten und dem Saft der Bäume. Die beiden Familien unterscheiden sich deutlich in ihrer Fortbewegungsweise. Die sechs Arten der Galagidae leben in Afrika. Sie sind geschickte Kletterer, deren Verteidigungsstrategie die Flucht ist. Sie können in den Bäumen umher laufen und senkrecht von Ast
zu Ast springen. Die vier Arten der Lorisidae (je zwei in Afrika und in Asien) bewegen sich so langsam wie Chamäleons – sie können nicht mehr springen. Sie verteidigen sich, indem sie unbeweglich verharren und so gleichsam zu einem Teil ihrer Umgebung werden. Die sozialen Strukturen sind unterschiedlich.
Beispiele Lorisidae: Schlanklori (Loris tardigradus), Plumplori (Nycticebus coucang), Bärenmaki (Arctocebus calabarensis), Potto (Perodicticus potto) Galagidae: Riesengalago (Galago crassicaudatus), Kielnagelgalago (Euoticus elegantulus)
Artenzahl: 10 Ältestes bekanntes Fossil: Aus dem oberen Eozän Ägyptens (–37 Mio. Jahre) ist eine Gattung der Lorisiformes bekannt. Heutiges Vorkommen: Afrika südlich der Sahara (ausgenommen Südafrika), Madagaskar, Indien, Indochina, Südostasien
621
4 Lemuriformes
Kapitel 15
Lemuriformes Allgemeines Die 12 Gattungen der Lemuriformes sind in die vier Familien Lemuridae, Cheirogaleidae (Katzenmakis), Indriidae und Daubentoniidae unterteilt. Der kleinste Vertreter der Lemuriformes ist der Mausmaki (Microcebus rufus), der (ohne Schwanz) 12,5 cm lang ist
Spezielle Merkmale – Das Ectotympanicum ist im Inneren der knöchernen Gehörkapsel (Bulla) aufgehängt. Das Ectotympanicum ist ein Knochenring, 622
und 55 g wiegt. Der größte ist der Indri (Indri indri), der 57–70 cm lang wird und 7–10 kg wiegt. Diese Primaten haben runde, kleine Augen und eine spitze Schnauze mit Schnurrhaaren. Ihr Kopf ähnelt – außer beim Mausmaki (Microcebus) und dem Fingertier
über den sich das Trommelfell spannt. Abbildung 1 zeigt Schnitte durch die Bulla tympanica bei verschiedenen Verwandtschaftsgruppen. Das Ectotympanicum ist bei den Lemuriformes (Abb. 1b)
(Aye-Aye) – dem eines Hundes. Die hinteren Gliedmaßen sind ein wenig länger als die vorderen. Der Schwanz ist (außer beim Indri) sehr lang. Die Tiere haben ein weiches Fell, das unterschiedlich gefärbt ist.
im Inneren der Bulla aufgehängt, während es bei den Insectivoren (Abb. 1a) extern und bei den Lorisiformes sowie den Platyrhina (Abb. 1c) ebenso wie den Tarsiiformes und den Catarrhini (Abb.
Lemuriformes 4
Primates 1d) mit dem Felsenbein zusammengewachsen ist.
Ökologie Diese Tiere sind vierhändige Baumbewohner, die in der Lage sind, senkrecht von Ast zu Ast zu springen – sie hangeln sich also nicht mit Hilfe ihrer Arme, sondern springen. Jedoch können sie auch auf dem Boden leben. Lemur catta ist der einzige Vertreter dieser Gruppe, der mehr Zeit auf dem Boden als in den Bäumen verbringt. Die Lemuridae und die Indriidae sind tagaktive Pflanzenfresser. Die Cheirogaleidae und die Daubentoniidae sind nachtaktive Omnivoren: Sie ernähren sich von Insekten, Früchten und Blättern. Die soziale Organisation und die hierarchischen Strukturen sind von Art zu Art sehr unterschiedlich. Das Fingertier, das kurz vor der Ausrottung steht, ist zweifellos der merkwürdigste und am meisten spezialisierte Primat: Er ist ein nachtaktiver Einzelgänger, der sich von Früchten und Insektenlarven ernährt. Einzigartig unter den Primaten ist, dass das Fingertier kräftige, vorstehende Schneidezähne besitzt, mit denen es das Holz aushöhlt, um an die Insektenlarven heranzukommen, die es vorher mit Hilfe seines Gehörs im Holz ausfindig gemacht hat. Entsprechend besitzt dieser Primat große
Abb. 1. Schnitte durch die Bulla tympanica bei den Insectivoren (a),Lemuriformes (b),Lorisiformes und Platyrhina (c) sowie den Tarsiiformes und Catarrhini (d)
Ohren. Er holt die Larve mit Hilfe seines dritten, ungewöhnlich langen und dünnen Fingers aus dem Holz heraus. Alle Lemuriformes sind durch die Zerstörung ihrer Lebensräume bedroht. Seitdem der Mensch vor 2000 Jahren auf Madagaskar heimisch geworden ist, sind bereits 14 Lemuridae-Arten verschwunden. Einige dieser Arten waren so groß wie ein Orang-Utan.
Beispiele Lemuridae: Katta (Lemur catta), Wieselmaki (Lepilemur mustelinus), Halbmaki (Hapalemur griseus) Cheirogaleidae: Mausmaki (Microcebus rufus), Katzenmaki (Cheirogalus major) Indriidae: Indri (Indri indri), Wollmaki (Avahi laniger), Sifaka (Propithecus vereauxii) Daubentoniidae: Fingertier/Aye-Aye (Daubentonia madagascarensis)
Artenzahl: 22 Ältestes bekanntes Fossil: Fossilien mit Ähnlichkeit zum Indri sind an der Basis des Pliozän (–5,2 Mio. Jahre) gefunden worden. Alle Familien der Lemuriformes sind aus Madagaskar subfossil bekannt. Wenn man die Adapoidea zu den Lemuriformes zählt, reichen diese mit Donrusselia (Frankreich) und Cantius (Belgien, Frankreich, Wyoming/USA) bis in das frühe Eozän (–55 Mio. Jahre) zurück. Heutiges Vorkommen: Madagaskar
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5 Haplorrhini
Kapitel 15
Haplorrhini Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Das Rhinarium (Schnauze) verschwindet und wird durch eine Nase ersetzt. Abbildung 1 zeigt die Nasenregion verschiedener Vertreter. – Die Schnurrhaare verschwinden. – In der Globin-Multigenfamilie ereignet sich eine partielle Genkonversion vom δ- zum β-Globin-Gen. – Der Aufbau der Plazenta ist unterschiedlich (Abb. 2). Bei den Strepsirrhini (Abb. 2a) ist sie epi-
theliochorial, bei den Haplorrhini (Abb. 2b) haemochorial. In einer epitheliochorialen Plazenta tritt ein Uterusepithel auf, und die Uteruskapillaren durchdringen das Plazentargewebe nicht. In einer haemochorialen Plazenta verschwindet das Uterusepithel: Die Uteruskapillaren dehnen sich stark aus und bilden mütterliche Blutlakunen, die sich bis ins Innere des chorialen Syncytiums – das in der Plazenta am weitesten außen gelegene Gewebe des Fötus – erstrecken.
Abb. 1. Nasenregion eines Vertreters der Lemuriden (a), Catarrhini (Schimpanse, b) und Platyrrhini (c)
624
Abb. 2. Plazenta von epitheliochorialem (a) und haemochorialem Aufbau (b)
Haplorrhini 5
Primates
Beispiele Koboldmaki (Tarsius syrichta), Weißbüscheläffchen (Callithrix jacchus), Hundskopfpavian (Papio cynocephalus), Weißhandgibbon (Hylobates lar), Orang-Utan (Pongo pygmaeus), Gorilla (Gorilla gorilla), Schimpanse (Pan troglodytes), Mensch (Homo sapiens)
Artenzahl: 150 Ältestes bekanntes Fossil: Afrotarsius, Basis des Eozän, Ägypten; Shoshonius, Unteres Eozän, Wyoming/USA (–55 Mio. Jahre). Wenn man die fossile Familie Omomyidea zu den Tarsioidea zählt, reichen die Haplorrhini mit Decoredon (China) und mit Altiatlasius (Marokko) bis ins obere Paläozän zurück. Heutiges Vorkommen: weltweit
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6 Tarsioidea
Kapitel 15
Tarsioidea Allgemeines Die Tarsioidea (Tarsiiformes) sind kleine, baumbewohnende Primaten mit dickem, runden Kopf und großen Augen und Ohren. Wie Eulen können sie ihren Kopf um nahezu 180 ° drehen. Bei einer Körperlänge von 9,5–14,5 cm (gemessen ohne Schwanz) wiegen sie 105–135 g. Die Hinterbeine sind länger als die Vorderbeine. Der Rumpf ist nur halb so lang wie die hinteren Gliedmaßen, deren drei Abschnitte (Ober-, Unterschenkel, Fuß) gleich lang sind. Dies macht sie zu exzellenten Springern. Die Arten sind an den Haarbüscheln am Schwanz zu erkennen. Das Fell ist weich und graubraun, ocker
Ökologie
626
oder beige gefärbt. Die Finger und Zehen tragen Nägel – mit Ausnahme des zweiten und dritten Zehes,
die Putzkrallen aufweisen. Bei Tarsius bancanus ist der dritte Finger fast so lang wie der Arm (3 cm).
Spezielle Merkmale
Die Tarsioidea sind Baumbewohner: Sie leben in Schatten spendenden, buschartigen Wäldern,in Baumgruppen oder in Plantagen. Überwiegend sind sie in der Dämmerung und während der Nacht aktiv und ernähren sich insectivor und carnivor (beispielsweise von Eidechsen, Schlangen, Fledermäusen oder Vögeln). Sie
sind exzellente Kletterer und Springer. Ihre auffallend großen, nach vorne gerichteten Augen (jedes Auge wiegt so viel wie das Gehirn) ermöglicht ihnen auch bei Dunkelheit die präzise Abschätzung von Entfernungen – unerlässlich beim Springen und beim Fangen von Insekten. Sie leben in Paaren oder in Familiengruppen und können 8–12 Jahre alt werden.
Abb. 1. Vergrößerte Augenhöhle eines Koboldmakis
Abb. 2. Schnitte durch die Bulla tympanica bei den Insectivoren (a),Lemuriformes (b),Lorisiformes und Platyrhina (c) sowie den Tarsiiformes und Catarrhini (d)
– Die Augenhöhle ist vergrößert (Abb. 1). – Das Ectotympanicum ist zu einem äußeren Gehörgang verlängert (Abb. 2). Bei den Tarsioidea und Catarrhini ist das verlängerte und zu einem knöchernen äußeren Gehörgang umgewandelte Ectotympanicum konvergent.
Tarsioidea 6
Primates
Beispiele Koboldmakis (Tarsius syrichta, T. bancanus, T. spectrum)
Artenzahl: 3 Ältestes bekanntes Fossil: Afrotarsius, Ägypten, Basis des Eozän; Shoshonius, unteres Eozän, Wyoming/USA (–55 Mio. Jahre). Fossile Formen sind in Asien, Europa und Amerika gefunden worden. Wenn die fossile Familie Omomyidea zu den Tarsiiformen gerechnet wird, reichen sie mit Decoredon (China) und mit Altiatlasius (Marokko) bis in das obere Paläozän zurück. Heutiges Vorkommen: Inseln Südostasiens
627
7 Simiiformes
Kapitel 15
Simiiformes Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Eine Knochenwand verschließt die Augenhöhle nach hinten (Abb. 1). Der Pfeil in Abbildung 1a zeigt die im hinteren Teil offene Augenhöhle bei einem Lemuriformen (ursprünglicher Zustand). Das Fehlen des Pfeils verdeutlicht den Verschluss der hinteren Augenhöhle. – Der Cerebralcortex zeigt eine markante Faltung (Abb. 2). – Die Symphyse des Mandibulare verschwindet durch Fusion der beiden Dentalia – was bei den
Mammalia zur Bildung des Kiefers führt (Abb. 3). Die beiden Dentalia treffen, beispielsweise bei einem Tarsiiformen (Abb. 3a), vorne in der Mitte mit einer Symphyse aufeinander. Dagegen verschwindet die Symphyse bei den Simiiformes durch Fusion zu einem einzigen Dentale (Schimpanse; Abb. 3b). – Das rechte und das linke Frontale verschmelzen zu einem einzigen Frontale (Abb. 4). Im Schädel eines Lemuren (Abb. 4a) ist die Naht (Sutur) zwischen den beiden Frontalia noch sichtbar, beim
Abb. 1. Seitenansicht von Schädeln eines Lemuriformen (a) und des Weißbüscheläffchens Callithrix (b)
628
Schimpansenschädel (Abb. 4b) ist sie verschwunden.
Beispiele Platyrrhini: Brüllaffe (Alouatta fusca), Weißbüscheläffchen (Callithrix jacchus) Catarrhini: Hundskopfpavian (Papio cynocephalus), Roter Stummelaffe (Procolobus badius), Orang-Utan (Pongo pygmaeus), Gorilla (Gorilla gorilla), Schimpanse (Pan troglodytes), Mensch (Homo sapiens)
Abb. 2. Gehirn eines Loris (a) und eines Vertreters der Simiiformes (Makake, b)
Simiiformes 7
Primates
Abb. 3. Verschmelzung der beiden Dentalia zum Unterkiefer
Abb. 4. Schädel eines Lemuren (a) und des Schimpansen (b)
Artenzahl: 147 Ältestes bekanntes Fossil: Echte Affen sind von der Basis des Oligozäns (–34 Mio. Jahre) Ägyptens (beispielsweise Oatrania, Parapithecus, Apidium aus der fossilen Familie Parapithecidae) und Ungarns (Pliopithecus, aus der fossilen Familie Pliopithecidae) bekannt. Die gleiche Zeitstellung weisen Funde aus Ägypten auf – Catarrhini wie Propliopithecus und Aegyptopithecus aus der fossilen Familie Propliopithecidae. Heutiges Vorkommen: weltweit
629
8 Platyrrhini
Kapitel 15
Platyrrhini Allgemeines Die Platyrrhini oder Breitnasen sind kleine bis mittelgroße, baumbewohnende Affen Mittel- und Südamerikas. Die 16 Gattungen verteilen sich auf zwei Familien – die Callithricidae (Krallenäffchen, monophyletisches Taxon u. a. mit Callithrix) und die Cebidae (Greifschwanzaffen, paraphyletisches Taxon u. a. mit Alouatta). Die Callithricidae sind kleine Affen, deren Färbung der von
630
Eichhörnchen ähnelt. Sie sind etwa 17,5–40 cm groß (ohne Schwanz). Der kleinste bekannte Affe, das Weißbüscheläffchen, wiegt nur 150 g. Sein Fell ist fein, seidig und bunt gefärbt. Viele Arten haben Schnurrhaare, Haarbüschel an den Ohren und eine Haube oder eine Mähne. Alle Finger und Zehen tragen – mit Ausnahme des großen Zehes – Nägel, die zu Krallen umgewandelt sind.
Die Cebidae messen 25–74 cm (ohne Schwanz) und wiegen 0,6– 12 kg. Das Fell ist unterschiedlich texturiert und kann schwarz, braun, rot, gelb oder weiß sein. Diese Affen haben mit Ausnahme von Cacajao einen langen Schwanz.
Platyrrhini 8
Primates
Abb. 1. Nasenöffnungen der Catarrhini (a) und Platyrrhini (b)
Ökologie Diese Tiere leben in schattigen Tropenwäldern, in Galeriewäldern oder in Baumgruppen der Savanne. Viele Cebidae nutzen ein vielfältiges Nahrungsangebot: Sie ernähren sich von Früchten, Blättern, Insekten, Körnern und kleinen Säugetieren. Es gibt jedoch auch etwas spezialisiertere Arten – beispielsweise ist der Mantelbrüllaffe ein Blattfresser. Bei den Cebidae reicht die soziale Organisation vom monogamen Paar bis hin zu großen polygamen Gruppen. In dieser Familie findet man auch die einzige nachtaktive, echte Affenart, den Nachtaffen oder Mirikina (Aotus trivirgatus). Die Lebensdauer beträgt bei den meisten Cebidae 12–25 Jahre. Bei den Callithricidae kennt man das genaue Lebensalter nicht, das sie in natürlicher Umgebung erreichen. Die Callithricidae sind monogame Affen, die in sozialen Gruppen leben. Sie ernähren sich von Insekten und sind darüber hinaus auf den Verzehr von Gummiharzen spezialisiert.
Spezielle Merkmale
Abb. 2. Seitliche Schädelansicht eines Vertreters der Platyrrhini (a), Cercopithecoiden (b) und Hominoiden (c)
– Bei den Platyrrhini stehen die Nasenöffnungen seitlich und sind deutlich voneinander getrennt (Abb. 1b). Bei den Catarrhini öffnen sie sich nach unten hin und
Abb. 3. Greifschwanz der Platyrrhini
sind nur durch eine dünne Scheidewand getrennt (Abb. 1a). – Bei den Platyrrhini (Ateles; Abb. 2a) berühren sich das Parietale und Jugale. Bei einem Cercopithecoiden (Abb. 2b; Cercopithecus) berührt das Parietale weder das Jugale noch das Alisphenoid. Bei einem Hominiden (Abb. 2 c; Mensch) tritt ein spheno-parietaler Kontakt auf. – Auftreten eines Greifschwanzes (Abb. 3). – Das Ectotympanicum ist mit der Öffnung der Bulla tympanica zusammengewachsen, verlängert sich jedoch nicht zum äußeren Gehörgang (Abb. 4). Bei den Lorisiformes und den Platyrrhini ist die Verschmelzung von Ectotympanicum mit dem Felsenbein ähnlich, ebenso bei den Tarsiiformes und den Catarrhini; hier jedoch verlängert sich das Ectotympanicum und wandelt sich dann in den knöchernen, äußeren Gehörgang um.
Beispiele Klammeraffe (Ateles paniscus), Brüllaffe (Alouatta fusca), Uakari (Cacajao rubicundus), Nachtaffe (Aotus 631
8 Platyrrhini
Kapitel 15
trivirgatus, Grauer Springaffe (Callicebus moloch), Totenkopfäffchen (Saimiri sciureus), Apella (Cebus apella), Tamarin (Saguinus imperator), Weißbüscheläffchen (Callithrix jacchus)
Abb. 4. Schnitte durch die Bulla tympanica bei den Insectivoren (a),Lemuriformes (b),Lorisiformes und Platyrhini (c) sowie den Tarsiiformes und Catarrhini (d)
Artenzahl: 51 Ältestes bekanntes Fossil: Branisella aus dem mittleren Oligozän Boliviens (–29 Mio. Jahre). Die Cebidae sind in Argentinien mit der Gattung Tremacebus seit dem oberen Oligozän (–25 Mio. Jahre) vertreten. Heutiges Vorkommen: Zentralamerika und Nordhälfte Südamerikas
632
Primates
Catarrhini 9
Catarrhini Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Nasen öffnen sich bei den Catarrhini nach unten und sind nur durch eine dünne Scheidewand getrennt (Abb. 1a). Bei den Platyrrhini dagegen sind sie seitlich ausgerichtet und weiter voneinander getrennt (Abb. 1b). – Der Prämolar Pm3 fehlt (Abb. 2). Die ursprüngliche Bezahnung, wie sie bei den Platyrrhini (Abb. 2a) auftritt, besteht von hinten nach vorne aus drei Molaren und drei Prämolaren, gefolgt von einem Eckzahn und den Schneidezähnen. Bei den Catarrhini (Abb. 2b) besteht sie aus drei Molaren, nur zwei Prämolaren, dem Eckzahn und den Schneidezähnen. – In der Multigenfamilie der β-Globine tritt eine Duplikation des γGlobingens auf.
Abb. 1. Nasenöffnungen der Catarrhini (a) und Platyrrhini (b)
Abb. 2. Bezahnung bei den Platyrrhini (a) und Catarrhini (b) M = Molaren, Pm = Prämolaren, C = Eckzahn (Canini), I = Schneidezahn (Incisivi)
633
9 Catarrhini Beispiele Cercopithecoidea (Hundsaffen): Hundskopfpavian (Papio cynocephalus), Rotgesichtmakak (Macaca fuscata), Hulman (Semnopithecus entellus), Roter Stummelaffe (Procolobus badius) Hominoidea (Menschenaffen und Mensch): Weißhandgibbon (Hylobates lar), Orang-Utan (Pongo pygmaeus), Gorilla (Gorilla gorilla), Schimpanse (Pan troglodytes), Mensch (Homo sapiens)
634
Kapitel 15 Artenzahl: 96 Ältestes bekanntes Fossil: Catarrhini der fossilen Familie Propliopithecidae wie Propliopithecus und Aegyptopithecus sind aus Ägypten von der Basis des Oligozäns (–34 Mio. Jahre) bekannt. Heutiges Vorkommen: weltweit
Cercopithecoidea 10
Primates
Cercopithecoidea Allgemeines Die Cercopithecoidea (Hundsaffen) umfassen 14 Gattungen afroasiatischer Affen, die alle zu der einzigen Familie Cercopithecidae gehören. Diese Familie ist in zwei Unterfamilien aufgeteilt, die Colo-
Ökologie Diese Tiere besiedeln die unterschiedlichsten Lebensräume – von tropischen Wäldern über (im Winter schneebedeckte) Berge bis hin zu Savannen und dem Busch. Sie ernähren sich in erster Linie von Früchten, doch ist ihre Speisekarte sehr varia-
binae (Blätter- oder Schlankaffen) und die Cercopithecinae (Meerkatzen). Die Cercopithecinae haben eher den gedrungenen Körper bodenbewohnenender Affen (Papio, Macaca). Die Colobinae
bel: Die Gattungen Colobus und Procolobus ernähren sich ausschließlich von Blättern. Papio cynocephalus dagegen lebt teilweise carnivor und jagt in der Gruppe Hasen oder junge Gazellen.
sind schlanker und leben gern auf Bäumen (Semnopithecus, Procolobus). Alle Cercopithecoidea besitzen einen Schwanz.
Spezielle Merkmale – Die Molaren haben zwei Querhöcker: Sie sind bilophodont (Abb. 1). Die oberen rechten Molaren des Gibbons (Hominoidea) zeigen keine bevorzugte Ausrichtung dieser Querhöcker (Abb. 1a). Die oberen rechten 635
10 Cercopithecoidea Molaren eines Cercopithecoiden (Abb. 1b) zeigen eine zentrale Längsrille – sie trennt die beiden Querhöcker parallel zur Achse der Molarenreihe voneinander. – Am äußersten distalen Ende des Humerus verschwindet der mediane Epicondylus (Abb. 2). Beim Menschen ist der ursprüngliche Aufbau, der mediane Epicondylus, mit einem deutlichen Vorsprung erhalten, beim Pavian fehlt er.
Kapitel 15
Abb. 2. Distales Endes des Humerus von Mensch (a) und Pavian (b) Abb. 1. Obere rechte Molaren eines Gibbons (a) und Cercopitheciden (b)
Beispiele Hundskopfpavian (Papio cynocephalus), Dschelada (Theropithecus gelada), Berberaffe (Macaca sylvanus), Rotgesichtmakak (Macaca fuscata), Grüne Meerkatze (Cercopithecus aethiops), Halsbandmangabe (Cercocebus torquatus), Zwergmeerkatze (Miopithecus talapoin), Hulman (Semnopithecus entellus), Roter Stummelaffe (Procolobus badius), Nasenaffe (Nasalis larvatus)
636
Artenzahl: 82 Ältestes bekanntes Fossil: Phylobates aus dem unteren Miozän Libyens und Ägyptens (–20 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: Afrika südlich der Sahara und des Maghreb, Indien, Südostasien, Südchina, Sunda-Inseln, Japan
Hominoidea 11
Primates
Hominoidea Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Steißbein: Ein echter Schwanz fehlt (Abb. 1). Die Schwanzwirbel bilden sich zurück und ver-
Abb. 1. Skelettvergleich Mensch (a) und Gorilla (b)
schmelzen zu einem Steißbein (Abb. 2). – Außer beim Menschen (Abb. 1a) sind die Arme länger als die Beine (Abb. 1b).
– Im Handskelett ist eine Fusion des Scaphoids mit dem Centrale zu beobachten (Abb. 3). Beim Lemuren ist das Scaphoid vom Centrale getrennt (Abb. 3a), beim Menschen (Abb. 3b) sind diese Knochen dagegen fusioniert. – Die Scapula (Schulterblatt) liegt dorsal und anterio-posterior verlängert (Abb. 1 und 4a). Dagegen ist sie bei einem Vertreter der Nicht-Hominoidea, beispielsweise einem Makaken (Abb. 4b), lateral vergrößert.
Abb. 2. Schwanzwirbel werden zum Steißbein.
637
11 Hominoidea
Kapitel 15
Abb. 3. Handskelett eines Lemuren (a) und des Menschen (b)
Beispiele Hylobatidae (Gibbons): Weißhandgibbon (Hylobates lar), Siamang (Symphalangus syndactylus) Hominoidea (Menschenaffen und Mensch): Orang-Utan (Pongo pygmaeus), Gorilla (Gorilla gorilla), Schimpanse (Pan troglodytes), Bonobo (Pan paniscus), Mensch (Homo sapiens)
638
Abb. 4. Schulterblatt von Mensch (a) und Makake (b)
Artenzahl: 14 Ältestes bekanntes Fossil: Der berühmte Proconsul datiert ins untere Miozän Ostafrikas (–23 Mio. Jahre). Dryopithecus ist in Europa in derselben Epoche nachgewiesen. Heutiges Vorkommen: weltweit
Hylobatidae 12
Primates
Hylobatidae Allgemeines Die beiden Gattungen Hylobates und Symphalangus bilden eine einzige Familie Hylobatidae (Gibbons). Die Gibbon-Arten sind schlanke, schwanzlose Affen mit überlangen Armen. Die meisten Arten sind etwa 45–65 cm lang und
Ökologie Die Gibbons bewohnen die schattigen immergrünen Wälder Südostasiens und die Monsunwälder Kontinentalasiens. Sie sind exzellente Hangler (Brachiatoren), die die meiste Zeit ihres Lebens in den Baumkronen verbringen. Dennoch sind sie auf der Erde ebenso wie in den Ästen weit bessere bipede Läufer als die großen Affen. Sie sind monogam, leben in Familien und verteidigen ihr Familienterritorium. In erster Linie ernähren sie sich von Früchten.
wiegen 5,5–6,7 kg. Der Siamang (Symphalangus syndactylus) wird 75–90 cm groß und wiegt bis 10,5 kg. Im Gegensatz zu den anderen Hominoidea ist der Sexualdimorphismus unabhängig von der Körpergröße. Das dichte Fell ist
Sie kommunizieren über äußerst hoch entwickelte Laute. In der freien Natur werden sie 25–30 Jahre alt. Angesichts der Vernichtung ihrer Lebensräume ist die Zukunft dieser Tiere ungewiss.
Spezielle Merkmale – Die Gibbons bewegen sich durch das für sie typische Hangeln fort: Sie greifen abwechselnd mit der rechten und linken Hand nach Ästen und lassen bei jedem Greif-
schwarz, braun, gelb oder cremefarben. Die Arten können anhand der Kopfzeichnungen und nach ihren Lautäußerungen unterschieden werden. Das Gesicht ist immer grau gefärbt und manchmal von einem weißen Haarkranz umgeben.
vorgang abwechselnd die rechte und die linke Hand vom Ast los. Das Hangeln wird den Tieren durch die einzigartigen anatomischen Eigenschaften ihres Skeletts sowie ihrer Schulter- und Rückenmuskulatur ermöglicht: Sie können dadurch mit ihren Armen extreme Rotationsbewegungen (Abb. 1) in alle Richtungen des Raums und auch Halbkreisbewegungen ausführen. – Der Karyotyp dieser Affen ist sehr speziell: Er ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen auf 639
12 Hylobatidae
Kapitel 15
Chromosomenebene – weit mehr, als dies bei den anderen Primaten der Fall ist.
Beispiele Weißhandgibbon/Lar (Hylobates lar), Schopfgibbon (H. concolor), Kappengibbon (H. pileatus), Borneogibbon (H. muelleri), Siamang (Symphalangus syndactylus)
Abb. 1. Beweglichkeit der Vorderextremität beim Gibbon
Artenzahl: 9 Ältestes bekanntes Fossil: Es ist kein fossiler Gibbon bekannt. Heutiges Vorkommen: Südostasien: von Ostindien bis nach Südchina, Indonesien, Malaysia, Sumatra, West-Java und Borneo
640
Hominidae 13
Primates
Hominidae Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Die Großhirnrinde (Cerebralcortex) weist eine stärkere Faltung auf (Abb. 1). – Das Maxillare und das Praemaxillare rücken zusammen (Abb. 2, Pfeil). Beim Gibbon sind beide Knochen eindeutig getrennt. Bei beiden anderen Affen rücken sie zusammen und bilden so einen Kanal. – Stirnhöhle (Abb. 3): Der Parasagittalschnitt durch die faziale Schädelregion eines adulten Gorillas zeigt die an höchster Stelle direkt unterhalb der Überaugenwülste liegende Stirnhöhle.
Beispiele Ponginae: Orang-Utan (Pongo pygmaeus) Hominidae: Gorilla (Gorilla gorilla), Schimpanse (Pan troglodytes), Bonobo (Pan paniscus), Mensch (Homo sapiens)
Abb. 1. Großhirnfaltung bei einem Makaken (a) und beim Menschen (b)
Abb. 2. Sagittalschnitte durch die Naso-MaxillarRegion von Gibbon (a), Gorilla (b) und Schimpanse (c)
641
13 Hominidae
Kapitel 15
Abb. 3. Schädel des Gorilla (Sagittalschnitt)
Artenzahl: 5 Ältestes bekanntes Fossil: Ramapithecus und Sivapithecus aus dem mittleren Miozän Europas und Afrikas (–14 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit
642
Ponginae 14
Primates
Ponginae Allgemeines Die Ponginae sind heute nur noch mit einer einzigen Art vertreten – dem Orang-Utan. Er ist ein großer, schwanzloser Affe, der ungefähr 1,30 m groß wird und 75 kg (Männchen) wiegt. Die vorderen Giedmaßen sind viel länger als die hinteren. Das Fell ist schütter, lang und struppig und bei den Jungtieren orange. Bei den Erwachsenen schlägt die Farbe nach rot oder braun um. Das Gesicht ist nackt und grau gefärbt, und bei den Jungen um die Augen und das Maul herum leicht rosa. Die erwachsenen Männchen haben ein ausgeprägtes Doppelkinn. Es handelt sich hierbei um einen Kehlkopfsack, der als Resonanzkörper für die Stimmsignale dient.
Ökologie Der Orang-Utan besiedelt schattige, in der Ebene oder auf Hügeln gelegene Tropenwälder. Er verbringt fast sein ganzes Leben in den Baumkronen. Seine langen Arme sowie seine hakenförmigen Hände und Füße konstitutieren ihn als exzellenten Hangler. Der Orang-Utan ist der einzige ausschließlich baumbewohnende Vertreter der Hominoidea. Er ist tagaktiv und lebt solitär. Zu 60% ernährt er sich von Früchten – die restliche Nahrung besteht aus Blättern. Nur gelegentlich verzehrt er Insekten, Eier und kleine Wirbeltiere. In freier Wildbahn kann der OrangUtan 35 Jahre alt werden, in Gefangenschaft bis zu 50. Er profitiert von Umweltschutzmaßnahmen – die Jagd auf diese Art und der Handel sind
strengstens verboten. Man findet diesen Affen in vielen Naturschutzgebieten Indonesiens und Malaysias. Allerdings verschwinden seine Lebensräume – die Wälder Sumatras und Borneos – mit beängstigender Geschwindigkeit.
Spezielle Merkmale – Die Augenhöhlen sind höher als breit (Abb. 1). – Das Praemaxillare sitzt dem Maxillare auf (Abb. 2). Beim Gibbon liegen beide Knochen auf
Abb. 1. Schädel von Orang-Utan (a) und Schimpanse (b)
643
14 Ponginae
Kapitel 15
einer Linie. Beim Orang-Utan dagegen schiebt sich das Praemaxillare auf.
Beispiele Orang-Utan (Pongo pygmaeus) Abb. 2. Sagittalschnitt der Naso-Maxillar-Region von Gibbon (a) und Orang-Utans (b)
Artenzahl: 1 Ältestes bekanntes Fossil: Am berühmtesten sind Ramapithecus und Sivapithecus, die im mittleren Miozän Europas und Afrikas (–14 Mio. Jahre) gefunden worden sind. Aus China sind Fossilien riesiger Pongiden aus dem Pleistozän bekannt. Heutiges Vorkommen: Borneo und Norden Sumatras
644
Homininae 15
Primates
Homininae Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Im Handskelett tritt bereits pränatal eine Fusion zwischen Centrale und Scaphoid auf. Bei den anderen Hominoidea tritt diese Fusion erst postnatal auf (Abb. 1).
Abb. 1. Centrale und Scaphoid bei einem Lemuren (a) und Fusion beider Knochen beim Menschen (b)
Beispiele Gorillinae: Gorilla Gorilla gorilla Homininae: Bonobo (Pan paniscus), Schimpanse (Pan troglodytes), Mensch (Homo sapiens)
Artenzahl: 4 Ältestes bekanntes Fossil: Kenyapithecus aus dem Miozän Kenyas (–13 Mio. Jahre) wird von einigen Autoren innerhalb der Gattung Sivapithecus eingeordnet. Graecopithecus ist im späten Miozän Griechenlands (–10 Mio. Jahre) gefunden worden. Heutiges Vorkommen: weltweit
645
16 Gorilline
Kapitel 15
Gorilline Allgemeines Der Gorilla ist der größte heute lebende Primat. In natürlicher Körperhaltung – auf allen Vieren – ist er 1,25–1,80 m groß, aufgerichtet bringt er es auf bis zu 2,3 m. Die Spannweite seiner Arme beträgt 2–2,75 m. Das Weibchen wiegt 70– 140 kg, das Männchen 135–275 kg. Das Tier ist stämmig, hat vier kräftige Gliedmaßen und ist schwanzlos. Das Fell ist dick, schwarz oder grauschwarz und auf dem Rücken der alten Männchen silbern. Gesicht, Füße und Hände sind schwarz und unbehaart. Überaugenwülste und Hinterhauptskamm sind deutlich ausgeprägt.
Ökologie Der Flachlandgorilla bewohnt die dichten Wälder im Westen Äquatorialafrikas. Der Berggorilla lebt in den Wäldern der Ebene oder der Berge Zaires, in bis zu 3500 m Höhe. Gorillas leben in Territorien von etwa 25– 40 km2 in kleinen Gruppen, die von einem dominanten Männchen angeführt werden. Sie sind strikte Vegeta-
rier und ernähren sich von Blättern, Beeren, Früchten und Rinde. Den Tag verbringen sie auf dem Boden, doch nachts klettern sie zum Schlafen in die Bäume. In der freien Natur werden sie 35 Jahre alt. Die Gorillas sind offiziell geschützt – doch ist der Berggorilla aufgrund von Wilderei und der Zerstörung der Wälder nach wie vor in Gefahr.
Spezielle Merkmale – Das Foramen infraorbitale liegt bei den Gorillas weit vom unteren Rand der Augenhöhle entfernt (Abb. 1). Im Vergleich dazu liegt es beim Menschen sehr nah am unteren Rand der Augenhöhle.
Beispiele Westlicher Tieflandgorilla (Gorilla gorilla gorilla), Östlicher Tieflandgorilla (Gorilla gorilla graueri), Berggorilla (Gorilla gorilla beringei) Artenzahl: 1 Ältestes bekanntes Fossil: Fossile Gorillas sind nicht bekannt.
Abb. 1. Lage des Foramen infraorbitale bei Gorilla (a) und Mensch (b)
646
Heutiges Vorkommen: Westen Äquatorialafrikas, Ost-Zaire, Ruanda, Burundi, Uganda
Hominine 17
Primates
Hominine Einige Vertreter
Spezielle Merkmale – Molekulare Phylogenie: Die derzeit zuverlässigsten Argumente zu den Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Homininen und Paninen resultieren aus voneinander unabhängigen Untersuchungen der molekularen Phylogenie. Eine neuere Betrachtung dieser Frage verwendet die Analyse von 45 Einzelgenen – insgesamt sind das 46 855 Nukleotide. Mehr als die Hälfte dieser Gene unterstützt die These einer engen Verwandtschaft von Mensch und Schimpansen. Der Rest der Gene dagegen spaltet sich in zwei Gruppen auf, von denen die eine für eine engere Verwandtschaft zwischen Mensch und Gorilla und die andere für eine Verwandtschaft zwischen Gorilla und Schimpanse spricht. Genetische Mechanismen sind mutmaßlich dafür verantwortlich, dass die Phylogenie eini-
Abb. 1. Gaumendach eines Kindes (a) und eines Erwachsenen (b)
ger Gene nicht immer der Phylogenie der Arten entspricht. – Die Incisiv-Naht (Sutur) zwischen Maxillare und Praemaxillare ist beim Adulten nur noch undeutlich zu erkennen (Abb. 1).
Beispiele Bonobo/Zwergschimpanse (Pan paniscus), Schimpanse (Pan troglodytes), Mensch (Homo sapiens)
Artenzahl: 3 Ältestes bekanntes Fossil: Australopithecus anamensis aus dem Pliozän Afrikas (–4 Mio. Jahre) Heutiges Vorkommen: weltweit 647
18 Panine
Kapitel 15
Panine Allgemeines Die Schimpansen sind große, schwanzlose Primaten, deren Arme länger sind als die Beine. Ihr Körper misst 70–92 cm, doch können die Männchen in aufgerichtetem Zustand eine Größe von 1,70 m erreichen und 50 kg wiegen. Die Weibchen sind kleiner. Das Fell der Schimpansen ist dick, ziemlich lang und dunkelbraun oder schwarz glänzend.Gesicht,Genitalund Analregion, die Handinnenflächen und die Füße sind nackt. Die Wangen tragen einen schwarzen Bart. Die aufstülpbaren Lippen sind kräftig, Überaugenwülste und Ohren groß. Der Zwergschimpanse oder Bonobo (Pan paniscus) unterscheidet sich vom gewöhnlichen Schimpansen (Pan troglodytes) durch eine geringere Körpergröße, eine weniger gedrungene Gestalt, rote Lippen, die äußeren Geschlechtsorgane des Weibchens, das Verhalten, die Stimme und den Ablauf der Paarung.
Ökologie Die Schimpansen leben in Gruppen von 10–30 Individuen in dichten oder lichten Wäldern, im Flachland und in der Baumsavanne Afrikas. Sie sind sowohl auf dem Boden als auch in den Baumkronen aktiv – auf letztere ziehen sie sich vor allem nachts zum Schlafen zurück. Die Schimpansen ernähren sich zu 90% von Früchten. Darüber hinaus verzehren sie Blüten, Blätter, Knospen, Rinde und Insekten. In einigen Savannenregionen töten und fressen sie manchmal sogar kleine Säugerjunge (Affen, 648
Antilopen oder Buschschweine (Potamochoerus)). In der Natur werden Schimpansen um 40 Jahre alt.
Spezielle Merkmale – Das Gen für das Pseudo-η-Globin trägt Nukleotid-Signaturen, die ausschließlich bei den beiden
Arten Pan paniscus und Pan troglodytes vorkommen.
Beispiele Bonobo/Zwergschimpanse (Pan paniscus), Schimpanse (Pan troglodytes)
Artenzahl: 2 Ältestes bekanntes Fossil: Es sind keine fossilen Schimpansen bekannt. Heutiges Vorkommen: Zentral- und Westafrika
Menschen 19
Primates
Menschen Allgemeines Der Mensch zeichnet sich durch seine permanent aufrechte Haltung aus. Er ist ein großer Primat, wobei die Frauen kleiner sind als die Männer. Die unteren Gliedmaßen sind länger als die oberen, der Schwanz fehlt. Gesicht, Kiefer, Überaugenwülste und Ohren sind reduziert, wohingegen die Schädeldecke groß ist. Die Hände sind quadratischer als bei den anderen Primaten. Der große Zeh hat seine Opponierbarkeit gegen die anderen Zehen verloren. Die Behaarung ist gering – auf dem Kopf, unter dem Arm und in der Schamgegend jedoch ist sie nach wie vor dicht. Die Männer tragen eine Gesichtsbehaarung – den Bart. Die Hautfarbe variiert zwischen Hellrosa über alle möglichen Brauntönungen hin bis zu Tiefschwarz.
Ökologie Der Mensch ist ein extrem räuberisches Lebewesen. Er lebt in komplexen, hierarchischen Gesellschaften. Seine Lern-, Kommunikations-, Abstraktions- und Anpassungsfähigkeiten sind sehr stark ausgeprägt. Darüber hinaus besitzt er – infolge seiner von der vierbeinigen Lauffunktion befreiten Hände und der damit verbundenen bipeden Fortbewegungsweise – außergewöhnliche technische Fähigkeiten. Wie die meisten Primaten ist der Mensch tagaktiv und omnivor. Die ursprünglichen Populationen des Menschen lebten als Jäger und Sammler. In den meisten Fällen wählen die Menschen einen Partner fürs Leben – doch
kommen gegen diese „Gesetzmäßigkeit“ sehr häufig Verstöße vor. Die menschlichen Gesellschaften verdanken ihren Zusammenhalt sowohl dem Familienverband als auch der Identität der Gruppe, in der die jeweiligen Menschen leben – gestützt von Riten, Bräuchen, Religionen und hierarchischen Strukturen. Lebensweise sowie einige biologische Eigenheiten des Menschen wurden vor etwa 11 000 Jahren mit dem Beginn der Landwirtschaft und der daraus resultierenden Sesshaftigkeit nachhaltig verändert. Die ersten Städte entstanden vor etwa 8000 Jahren. Die natürliche Lebensdauer des Menschen betrug ursprünglich 35–40 Jahre, doch die Sesshaftigkeit und die technischen Errungenschaften
haben die Lebenserwartung des Menschen auf 80–100 Jahre erhöht. Als äußerst weit verbreitete (einzelne!) Art bedroht der Mensch die biologische Vielfalt sowie das ökologische und klimatische Gleichgewicht der Erde.
Spezielle Merkmale – Der aufrechte Gang auf zwei Beinen erfordert eine Verschiebung des Hinterhauptslochs (Foramen magnum) unter die Schädeldecke, eine S-förmige Wirbelsäule und das Auftreten eines Gesäßes (Abb. 1). – Das Becken ist beim Menschen verbreitert und kurz, während es 649
19 Menschen
Kapitel 15
bei den anderen Hominoidae eng und lang ist (Abb. 2). – Das Praemaxillare ist vertikal aufgerichtet, beim Schimpansen liegt es dagegen schräg (Abb. 3). – Der Zahnbogen verläuft parabolisch (Abb. 4). Ursprünglich ist er bei den Tarsiiformen V-förmig, beim Schimpansen U-förmig.
Beispiele Mensch (Homo sapiens)
Abb. 1. Skelettvergleich Mensch (a) und Gorilla (b)
Abb. 2. Beckenkonstruktion von Mensch (a) und Gorilla (b)
Abb. 3. Orientierung des Praemaxillare bei Schimpanse (a) und Mensch (b)
650
Primates
Menschen 19
Abb. 4. Zahnbogen von Tarsiiformen (a), Schimpanse (b) und Mensch (c)
Artenzahl: 1 Ältestes bekanntes Fossil: Australopithecus anamensis aus dem Pliozän Afrikas (–4 Mio. Jahre). Fossile Arten der Gattung Homo sind H. habilis, H. erectus und der 2004 entdeckte H. floresiense. Die berühmten Neanderthaler-Funde stellt man heute zu H. sapiens. Heutiges Vorkommen: weltweit
651
Anhang
652
Anhang
Anhang
Eumyceten 1
653
2 Angiospermen Nymphaeales (Nymphaeaceae sowie Vertreter weiterer Ordnungen: Amborellaceae, Canellaceae, Illiciaceae, Rafflesiaceae, Winteraceae) Ceratophyllales (Ceratophyllaceae) Laurales (Lauraceae) Magnoliales (Annonaceae, Magnoliaceae) Piperales (Aristolochiaceae, Piperaceae, Saururaceae) Acorales (Acoraceae) Alismatales (Alismataceae, Araceae, Posidoniaceae, Zosteraceae) Asparagales (Agavaceae, Alliaceae, Amaryllidaceae, Asparagaceae, Convallariaceae, Hyacynthaceae, Iridaceae, Nolinaceae, Orchidaceae)
Proteales (Nelumbonaceae, Platanaceae, Proteaceae) Santalales (Loranthaceae, Santalaceae) Caryophyllales (Amaranthaceae, Cactaceae, Caryophyllaceae, Droseraceae, Molluginaceae, Nepenthaceae, Nyctaginaceae, Phytolaccaceae, Plumbaginaceae, Polygonaceae, Portulacaceae) Saxifragales (Crassulaceae, Hamamelidaceae, Paeoniaceae, Penthoraceae, Saxifragaceae) Geraniales (Geraniaceae)
Dioscoreales (Dioscoreaceae)
Malpighiales (Erythroxylaceae, Euphorbiaceae, Linaceae, Malpighiaceae, Passifloraceae, Salicaceae, Violaceae)
Pandanales (Pandanaceae)
Oxalidales (Oxalidaceae)
Liliales (Colchicaceae, Liliaceae)
Fabales (Fabaceae, Polygalaceae)
Arecales (Arecaceae)
Rosales (Cannabaceae, Elaeagnaceae, Moraceae, Rhamnaceae, Rosaceae, Ulmaceae, Urticaceae)
Poales (Cyperaceae, Flagellariaceae, Joinvillaceae, Juncaceae, Poaceae, Restionaceae) Commelinales (Commelinaceae) Zingiberales (Cannaceae, Marantaceae, Musaceae, Zingiberaceae)
654
Ranunculales (Berberidaceae, Papaveraceae, Fumariaceae, Ranunculaceae)
Cucurbitales (Begoniaceae, Coriariaceae, Cucurbitaceae, Datiscaceae) Fagales (Betulaceae, Casuarinaceae, Fagaceae, Juglandaceae, Myricaceae)
Anhang Myrtales (Myrtaceae, Onagraceae) Brassicales (Brassicaceae, Moringaceae, Resedaceae) Malvales (Bixaceae, Cistaceae, Malvaceae) Sapindales (Rutaceae, Sapindaceae) Cornales (Cornaceae) Ericales (Balsaminaceae, Ebenaceae, Ericaceae, Polemoniaceae, Primulaceae, Sapotaceae, Styracaceae, Theaceae) Garryales (Garryaceae) Gentianales (Gentianaceae, Rubiaceae) Lamiales (Bignoniaceae, Gesneriaceae, Lamiaceae, Oleaceae, Orobanchaceae, Plantaginaceae, Scrophulariaceae, Verbenaceae) Solanales (Convolvulaceae, Solanaceae) Aquifoliales (Aquifoliaceae) Apiales (Apiaceae, Araliaceae) Asterales (Asteraceae, Campanulaceae) Dipsacales (Caprifoliacea, Dipsacaceae, Valerianaceae)
Anhang
Angiospermen 2
655
3 Arachnida
656
Anhang
Anhang
Hexapoda 4
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5 Echinodermata
658
Anhang
Anhang
Vögel 6
659
7 Teleostei
660
Anhang
Anhang
Wo stehen sie? 8
661
9 Wo stehen sie?
662
Anhang
Anhang
Wo stehen sie? 10
663
11 Wo stehen sie?
664
Anhang
Anhang
Wo stehen sie? 12
665
Allgemeine Literatur
Anhang
Allgemeine Literatur Benton M (1993) The Fossil Record II. Chapman & Hall, London Benton M (1997) Vertebrate Palaeontology. 2nd edn. Chapman & Hall, London Briggs DEG, Crowther PR (1990) Palaeobiology, a Synthesis. Blackwell, Oxford Bold HC, Wynne MJ (1978) Introduction to the Algae. Prentice-Hall, Englewood Cliffs, NJ Brusca RC, Brusca GJ (1990) Invertebrates. Sinauer, Sunderland, MA Conroy G (1990) Primate Evolution. W. W. Norton, New York Corliss JO (1979) The Ciliated Protozoa. 2nd edn. Pergamon, Oxford Cusset G (1997) Botanique. Les Embryophytes. Masson, Paris De Puytorac P, Grain J, Mignot JP (1987) Précis de Protistologie. Boubée, Paris Devillers C, Clairambault P (1976) Précis de Zoologie. Vertébrés. Masson, Paris Dorit RL, Walker WF, Barners RD (1991) Zoology. Saunders, Philadelphia Eldredge N, Stanley S (1984) Living Fossils. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Goodrich, E (1958) Studies on the Structure and Development of Vertebrates. 2nd edn. Dover, New York Graham LE (1993) Origin of Land Plants. Wiley & Sons, New York Frohne D, Jensen U (1998) Systematik des Pflanzenreichs. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart Hayward PJ, Ryland JS (1998) Handbook of the Marine Fauna of North-West Europe. Oxford University Press, Oxford Hennig W (1984) Taschenbuch der speziellen Zoologie. Wirbellose I
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Lexikon
Anhang
Lexikon Ähnlichkeit s. Verwandschaftsgrad bzw. Verwandtschaftsverhältnis
man von Anfang an weiß, dass sie außerhalb der Binnengruppe steht.
Analogie Strukturen, die sich ähneln (oder die gleich sind), jedoch einander nicht homolog* sind, sondern nur die gleichen biologischen Funktionen erfüllen. Die Analogie ist ein Spezialfall der Homoplasie*.
Blatt terminales Taxon in einem Stammbaum (oder Ende eines Astes).
apomorph bestimmt (durch eine Abfolge evolutiver Veränderungen eines Merkmals) den abgeleiteten Zustand im Vergleich zum ursprünglichen. Man verwendet auch den Begriff „apomorpher Zustand“ oder, erweitert, „apomorphes Merkmal“ oder „abgeleitetes Merkmal“. äquiparsimonial von engl. parsimony = Sparsamkeit; bezeichnet zwei oder mehrere Modelle bzw. Theorien, die die gleiche Anzahl an Hypothesen voraussetzen. Zwei äquiparsimoniale Stammbäume erfordern dieselbe Zahl evolutiver Schritte, dieselbe Zahl an Mutationshypothesen oder dieselbe Zahl an Umwandlungen von Merkmalen*. Außengruppe s. Extragruppe autapomorph Beim Vergleich von Merkmalen zwischen Schwestergruppen bezeichnet dieses Adjektiv den abgeleiteten (oder apomorphen*) Zustand eines solchen Merkmals in einer dieser beiden Gruppen. In weiterem Sinne spricht man von einem autapomorphen Merkmal oder von einer Autapomorphie. Binnengruppe bezeichnet eine Gesamtheit von Taxa, innerhalb derer man Verwandtschaftsbeziehungen sucht (engl. ingroup). Diese Gesamtheit steht der Außengruppe* gegenüber – einer Gruppe also, von der
Charakter s. Merkmal Deletion Mutationstyp, bei dem in der DNA ein oder mehrere Basenpaar(e) verschwinden. Im weiteren Sinne Verlust von einer oder mehrerer Aminosäuren innerhalb eines Proteins. Siehe auch Insertion*. Dendrogramm von griech. dendros = Baum; Schema, das durch eine Abfolge von Verzweigungen die Verbindungen zwischen den Taxa ausdrückt. Kladogramme*, Phänogramme* und Phylogramme* sind spezielle Dendrogramme, die nach jeweils eigenen Regeln konstruiert werden. Distanzmatrix s. Matrix Distanz-Methode Merkmalsanalyse*, die an dem Punkt, an dem die Sequenzen der evolutiven Veränderungen untereinander verglichen werden, den Grad der Gesamtunterschiede (= Distanz) zwischen zwei Merkmalsgruppen (also zwischen zwei Taxa*) durch eine bestimmte, fortlaufende Variable misst. Jede Analyse liefert somit einen Distanzwert für jedes Taxon-Paar. Die Distanzen werden auf einer Matrix eingezeichnet. Der aus dieser Matrix abgeleitete Verzweigungsbaum wird als Phänogramm* bezeichnet, da er sich auf generelle Ähnlichkeitsmessungen* zwischen verschiedenen Taxa* gründet. Duplikation Mutationstyp, bei dem ein Gen kopiert und innerhalb des
Genoms an einen anderen Ort übertragen wird. Solche voneinander abstammenden Gene bilden Multigenfamilien*. Extragruppe wird auch Außengruppe (oder outgroup) genannt; bezeichnet eine Gruppe, von der man von Anfang an weiß, dass sie außerhalb einer Gesamtheit von Taxa* steht, innerhalb derer man nach Verwandschaftsbeziehungen* sucht. Der gemeinsame Vorfahr der Innengruppe und der Außengruppe ist meist der älteste Vorfahr im Stammbaum. evolutionistische Systematik Schule der Systematik*, die nach Grad* und Kladon* (Plural: Klada) klassifiziert. Simpson und Mayr sind die Referenzautoren für diese Disziplin. Die evolutionistische Klassifizierung versucht, gleichzeitig die phylogenetischen Beziehungen und die Divergenzrate zwischen Organismen auszudrücken. generelle Ähnlichkeit allgemeine (im Französischen auch mit global bezeichnete) Ähnlichkeit zwischen zwei Taxa in sämtlichen Merkmalen. Wird häufig mithilfe einer einzigen fortlaufenden Variablen, der Distanz*, gemessen. Allgemeiner: Generelle Ähnlichkeit zwischen zwei Taxa, die ohne Polarisation* der Merkmale* festgestellt wurde. gewurzelt bezeichnet einen Stammbaum oder ein Dendrogramm*, an dessen Basispunkt sich eine Wurzel* befindet; ein solcher Stammbaum wird auch als „gewurzelt“ bezeichnet. Grad 1. allgemeiner Organisationsgrad, der von einer Gruppe innerhalb eines bestimmten Zeitraums 667
Lexikon erlangt worden ist. 2. Gesamtheit der Lebewesen als Teil einer Gruppe, die nach Huxley (1957-58) als Entwicklungsstadium oder evolutive Perfektion definiert wurden. Der Grad kann – im Gegensatz zum Kladon – paraphyletisch* sein. Gradist Bezeichnung für einen Evolutionssystematiker, der Klassifizierungen sowohl mithilfe von Graden* als auch von Klada* durchführt. Nicht zu verwechseln mit Gradualist*. Gradualist bezeichnet Biologen, die der Meinung sind, dass die Evolution der Organismen schrittweise erfolgt – ohne Beschleunigung oder Stillstand. Hennig, Willi deutscher Entomologe (1913–1976), Begründer der Kladistik*. Die beiden Hauptprinzipien der Hennig‘schen Methode sind: – Die Untersuchung der Phylogenie beginnt mit der Recherche der Schwestergruppen*. Das bedeutet in der Praxis, dass diese Recherche mit der Polarisierung* der Merkmale (Charaktere)* beginnt. – Das Vorhandensein einer Synapomorphie muss, solange es keinen Gegenbeweis gibt, als Hinweis auf eine nahe phylogenetische Verwandtschaft interpretiert werden. Homologie (homologe Merkmale) 1. Zwei Strukturen sind homolog, wenn sie bei unterschiedlichen Lebewesen dieselbe Grundbauweise und dieselben essenziellen Verknüpfungen mit den Nachbarorganen behalten haben – trotz unterschiedlichen Aussehens (Owen, 1843). Diese HomologieDefinition richtet sich nach der Position, die zwischen den verwandtschaftlichen Verbindungen bestehen. Historisch geht dieses Prinzip auf Geoffroy Saint-Hilaire (1818) zurück. Heute nennt man dies auch Pri668
Anhang märhomologie, da diese Art der Homologie den Homologie-Hypothesen entspricht, wie man sie zu Beginn der phylogenetischen Analysen formuliert hat. 2. Ähnlichkeit zwischen einer oder mehreren Arten, Organen und Organteilen, wenn man annehmen kann, dass diese Übereinstimmung auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgeht. Diese Definition beschreibt den Homologie-Begriff der Abstammung oder der Sekundärhomologie. Das Konzept der Abstammung ist an einen Stammbaum geknüpft – die Sekundärhomologie zwischen Merkmalen wird durch den sparsamsten (most parsimonious) Stammbaum aufgezeigt.
Stammbaum aufgedeckt. Bei den morphologischen Merkmalen ermöglicht die genaue Analyse der Merkmale und deren Primärhomologie in den meisten Fällen die Aufdeckung von Homoplasien. Wie im erstgenannten Fall können die so nicht aufgedeckten Homoplasien durch den sparsamsten Stammbaum ermittelt werden.
ANMERKUNG:
Kategorie In der zoologischen und botanischen Nomenklatur stellt die Kategorie eine Hierarchieebene oder einen Rang dar. Kategorien sind beispielsweise die Art, die Gattung, der Stamm, die Familie, die Ordnung, die Klasse oder der Stamm bzw. die Abteilung (Phylum). Bildhaft gesprochen ist die Kategorie eine Kiste und das Taxon* deren realer Inhalt. Die Kategorien sind hierarchisch so geordnet, dass jede von ihnen Teil der ranghöheren Kategorie ist. Die ranghöhere Kategorie umfasst sämtliche Kategorien der unteren Ränge (enkaptisches Verfahren).
Nach Hennig werden verschiedene Merkmale dann als homolog bezeichnet, wenn sie aus der Transformation desselben ursprünglichen Merkmals resultieren. Diese Definition gilt auch für molekulare Merkmale. Wenn es keinen Gegenbeweis gibt, sind zwei ähnliche Merkmale a priori homolog (Hennig’sches Prinzip, das beim Vergleich von Nukleotid- oder Proteinsequenzen angewendet wird). Homoplasie Ähnlichkeit zwischen einer oder mehreren Arten, Organen, Teilen von Organen, DNA- oder Proteinsequenzen, wenn man voraussetzen kann, dass diese Übereinstimmungen nicht auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen. Man unterscheidet verschiedene Fälle der Homoplasie, nämlich Analogie*, Konvergenz*, Parallelismus* und Reversion*. ANMERKUNG:
Bei den molekularen Merkmalen ist die Homoplasie oft nicht a priori zu erkennen und wird erst vom „sparsamsten“ (most parsimonious)
Insertion DNA-Mutationstyp, der durch den Einbau einer oder mehrerer zusätzlicher Basenpaare in die DNA-Sequenz* entsteht. Darüber hinaus wird so auch das Hinzukommen einer oder mehrerer Aminosäuren* in eine Protein-Sequenz* bezeichnet. Siehe auch Deletion*.
Kladistik synonym zu Kladismus. Methode zur Analyse von Merkmalen. Sie zielt darauf ab, die Evolutionsschritte aufzuzeigen, die im Zuge der Merkmalsveränderungen durchlaufen wurden. Diese Methode will also den plesiomorphen* (primitiven) und apomorphen* (abgeleiteten) Zustand der Merkmale bestimmen. Methode nach Hennig*, 1966. Siehe auch Polarisierung*.
Lexikon kladistisch bezeichnet eine Klassifizierung, die prinzipiell phylogenetisch sein will und ausschließlich monophyletische Taxa oder Klada* enthält. Kladogramm Schema oder „Stammbaum“ als Ausdruck einer Hypothese über die phylogenetischen Abstammungen zwischen mehreren Taxa*. Ein Kladogramm wird auf Basis von Resultaten aus kladistischen* Analysen konstruiert. Jeder Verzweigungspunkt eines solchen Stammbaums ist durch eine oder mehrere Synapomorphien* definiert. Das Kladogramm zeigt somit eine Verteilung der apomorphen* Merkmale in den Taxa*. In der Kladistik wird die Klassifizierung durch die Phylogenie bestimmt: Das Kladogramm stellt somit eine Klassifizierung dar, die auf dem Schachtelprinzip beruht. Kladon Plural: Klada, von griech. klados = Zweig; als strikt monophyletisches Taxon* enthält ein Kladon einen Vorfahr und alle seine Nachkommen. Klassifizierung (biologische) Abgrenzung, Reihung und Anordnung von Taxa* (Mayr, 1969). Anordnung der Lebewesen in Gruppen nach typologischen, phänetischen* oder phylogenetischen* Kriterien. Knoten s. Verzweigungspunkt kongruent gleich, in Übereinstimmung; genauer: Bezeichnung für einen phylogenetischen Stammbaum, der dieselbe Topologie zeigt wie ein anderer und somit die gleichen Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Taxa aufweist. Konvergenz Ähnlichkeit, die unabhängig in verschiedenen Taxa* auftritt. Die Ähnlichkeiten wurden nicht
Anhang von einem gemeinsamen Vorfahr in die verschiedenen Taxa vererbt. Eine Konvergenz, die zwischen nahe verwandten Taxa auftritt, wird Parallelismus genannt. Die Konvergenz ist ein Spezialfall der Homoplasie*.
unterscheidet. Allgemein kann ein Merkmal jedes Attribut sein, das verwendet wird, um die Taxa zu erkennen, zu beschreiben zu, definieren oder zu differenzieren. Merkmale bezeichnet man auch als Charaktere.
Länge (eines Stammbaums) 1. Bei einem Stammbaum, der mittels der Distanz*-Methode (Phänogramm) erstellt wurde: Summe der Astlängen, die proportional zum Prozentsatz der Unterschiede zwischen zwei Taxa sind. 2. Bei einem Stammbaum, der mittels einer auf dem Parsimonieprinzip basierenden Methode erstellt wurde: Gesamtzahl der evolutiven Ereignisse (oder Evolutionsschritte), die der Stammbaum (entlang der Gesamtlänge seiner Äste) erfordert.
molekulare Uhr Hypothese, wonach sich Moleküle aus derselben Funktionsklasse normalerweise gleichzeitig und mit demselben Rhythmus innerhalb verschiedener Linien entwickeln. So kann die Zahl der molekularen Unterschiede, die man heute in homologen Sequenzen verschiedener Arten ermitteln kann, dazu verwendet werden, abzuschätzen, wie viel Zeit zwischen dem letzten gemeinsamen Vorfahren zweier Arten vergangen ist (Divergenz-Zeitraum).
Matrix (Distanz-) Tabelle, in der vertikal und horizontal eine Abfolge von Arten (oder Taxa) angeordnet ist. Diese Tabelle zeigt in jedem ihrer Fächer die jeweilige Distanz* (in Form einer Ziffer), die die beiden beteiligten Arten voneinander trennt. Eine Distanzmatrix enthält somit sämtliche Distanzen, das heißt, eine Distanz für jedes mögliche Arten- oder Taxon-Paar. Matrix (Merkmals-) Tabelle, in der vertikal eine Abfolge von Arten (oder Taxa), und horizontal eine Abfolge von Merkmalen angeordnet ist. In den einzelnen Fächern der Tabelle werden die Eigenschaften der Merkmale für jedes dieser Taxa in Form eines Codes eingetragen. Die kladistische Analyse von Merkmalen führt zu so einer Matrix. Die Merkmalseigenschaften werden meist mit den Ziffern 0, 1, 2 etc. kodiert. Merkmal Attribut eines Mitglieds einer Population oder eines Taxons*, worin es sich von einem anderen Mitglied oder einem anderen Taxon
monophyletisch In der phylogenetischen Systematik* eine Gruppe, die eine Ursprungsart sowie alle davon abstammenden Arten umfasst. Eine monophyletische Gruppe wird durch mindestens eine Synapomorphie* definiert. Ein Kladon* bezeichnet man ebenfalls als monophyletische Gruppe. Morphokline 1. Abfolge von Merkmalsumwandlungen innerhalb einer polarisierten evolutiven Serie (siehe Polarisation*) von einem ursprünglicheren Zustand (plesiomorph*) zu einem abgeleiteteren Zustand (apomorph*). 2. Hierarchische Anordnung von Merkmalszuständen, in der jeder Merkmalszustand von dem vorhergehenden abgeleitet werden kann. Multifurkation Knotenpunkt in einem Stammbaum mit mehr als 3 Ästen oder Astsegmenten. Wenn der Stammbaum auf einer Wurzel basiert, bezeichnet die Multifurkation einen Knotenpunkt* mit mehr als 2 Tochter-Ästen. Eine Multifurkation zeigt an, dass die phylogeneti669
Lexikon schen Beziehungen der beteiligten Gruppen (Äste) nicht genau bekannt sind. Multigen-Familie Gruppe von Genen, die aus Duplikationen* resultieren. Hierbei handelt es sich um homologe Gene, die innerhalb desselben Genoms auftreten und miteinander verwandt sind. Mutation Bezeichnet jede Veränderung des Genoms*, die nicht repariert worden ist. Meist handelt es sich hierbei um einen Replikationsfehler innerhalb einer DNA*-Sequenz. Im weiteren Sinne kann man auch von einer Mutation innerhalb eines Proteins sprechen: Eine Veränderung in der DNA-Sequenz hat eine Veränderung innerhalb des Proteins zur Folge, das von dieser DNA-Sequenz codiert wird. Achtung: Dieser Terminus wird einerseits verwendet, um den Prozess der Mutation zu bezeichnen und andererseits, den mutierten Zustand (als Resultat der Mutation). neighbour joining Bezeichnung für eine Methode, Stammbäume auf der Basis einer Distanzmatrix* zu erstellen. Diese Methode wurde von Saitu und Nei im Jahr 1987 entwickelt. Geht diese Methode der Konstruktion eines Stammbaums voraus, so hat sie die Besonderheit, die Arten in einer Ordnung zusammenzufassen – was eine Minimierung der Gesamtlänge* des Stammbaums zur Folge hat. Neutral-Allel Bezeichnung für ein Allel, das keinen Effekt auf den selektiven Nutzen eines Genotyps darstellt; Bezeichnung für ein Allel, das für den Organismus hinsichtlich der natürlichen Selektion weder einen Vor- noch einen Nachteil bringt. Parallelismus (Parallelentwicklung) Ähnlichkeit, die unabhängig in ver670
Anhang schiedenen, eng verwandten Taxa* auftaucht: Derselbe apomorphe* Zustand wird bei verschiedenen Taxa, ausgehend von dem selben Ausgangsmerkmal, mehrfach erreicht. Der Parallelismus ist ein Spezialfall der Konvergenz*. paraphyletisch bezeichnet in der phylogenetischen Systematik eine Gruppe, die eine Ursprungsart umfasst und nur einen Teil ihrer Nachkommen. Eine paraphyletische Gruppe wird durch mindestens eine Symplesiomorphie* oder durch das Fehlen eines Merkmals gekennzeichnet. Die Grade* sind meist paraphyletische Gruppen. Parsimonie Methode zur Konstruktion von Phylogenien, die unter allen denkbaren Dendrogrammen* dasjenige auswählt, das mit so wenigen evolutiven Ereignissen wie möglich (also mit so wenigen Veränderungen der Merkmalszustände wie möglich) auskommt. Allgemeiner: Prinzip des sparsamen Umgangs mit Hypothesen. Phänetik 1. Synonym für numerische Taxonomie*. Verfahren, bei dem die Taxa auf der Basis ihrer generellen Ähnlichkeit* identifiziert und angeordnet werden. Die evolutive Bedeutung der Merkmale wird hierzu nicht herangezogen. Die Merkmale selbst werden nicht polarisiert, also nicht als apomorphe* und plesiomorphe* Zustände verschlüsselt. Die Unterschiede zwischen sämtlichen Merkmalen zweier Taxa werden mit Hilfe einer fortlaufenden Variablen global gemessen (globale Ähnlichkeit), die eine Distanz* zwischen den Taxa darstellt. In einer Matrix trägt man die Distanz für jedes Taxonpaar ein. Aus diesen Daten wird dann eine Klassifizierung konstruiert. 2. Bezeichnung für eine Klassifizierung*, die mit der Methode der
numerischen wurde.
Taxonomie
erstellt
phänetische Systematik Schule der Systematik*, die entsprechend der globalen Ähnlichkeit von Organismen klassifiziert (siehe Phänetik*). Sie drückt die Divergenzrate zwischen Organismen aus. Phänogramm Dendrogramm*, das durch die numerische oder phänetische Taxonomie entsteht: Die Beziehungen zwischen den Taxa drücken den Grad der generellen Ähnlichkeit* aus. phylogenetische Systematik siehe Kladistik*, Hennig*. Schule der Systematik, die – nach Hennig (1913– 1976) – ausschließlich nach Klada klassifiziert. Die phylogenetische Klassifizierung drückt ausschließlich die phylogenetischen Beziehungen zwischen Organismen aus, die mittels der kladistischen Analyse* aufgedeckt werden. Phylogenie Der geschichtliche Verlauf der Abstammung organisierter Lebewesen. Der Terminus wird auch verwendet, um innerhalb desselben Genoms die Abstammung von Genen zu bezeichnen, die sich vom selben ursprünglichen Gen ableiten. Phylogramm Schema der verwandtschaftlichen Beziehungen (Dendrogramm), das die Verzweigungen und den Divergenzgrad ausdrückt, der mit jedem Zweig (Taxon) verbunden ist. Das Phylogramm war lange die traditionelle Darstellungsform phylogenetischer Stammbäume. plesiomorph bezeichnet den ursprünglichen Zustand eines Merkmals*. Ein Synonym für diesen Begriff ist das Adjektiv „primitiv“.
Lexikon
Anhang
Polarisation Vorgehensweise, die darin besteht, die Evolutionsschritte der Umwandlung eines Merkmals von seinem plesiomorphen* zu seinem (seinen) apomorphen* Zustand (Zuständen) zu bestimmen. Dies führt man mit einer bestimmten Anzahl von Kriterien (in der Regel drei) durch, die von Hennig (1966) vorgeschlagen worden sind.
ihnen bestehen. Man kann Gene aus ein und derselben „Multigen*-Familie“ vergleichen sowie Gene verschiedener Arten. Sind die Gene homolog*, so sind die Unterschiede der Aminosäuren oder der Nukleotide zwischen den betrachteten Sequenzen Zeugnisse von Mutationen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben.
der hierarchisierten biologischen Klassifizierungen bestimmt und definiert werden; konkreter Inhalt einer Kategorie. Beispiel: Der Wolf (Canis lupus) ist ein Taxon von spezifischem Rang (Kategorie: Art); die Canidae (mit den Arten Hund, Wolf, Fuchs) bilden ein Taxon mit dem Rang einer Familie (Kategorie: Familie).
polyphyletisch bezeichnet in der phylogenetischen Systematik eine Gruppe, die eine bestimmte Anzahl an Arten oder Taxa*, jedoch nicht deren gemeinsamen Vorfahr enthält; eine polyphyletische Gruppe leitet sich von zwei oder mehr Ursprungsarten ab und ist durch mindestens eine Homoplasie* gekennzeichnet.
site Beim Sequenzvergleich stellt ein „site“ eine vertikale Serie von Nucleotiden oder Aminosäuren dar, die von verschiedenen Arten stammen. Sie werden durch Homologien* im Sequenzvergleich bestimmt. Wenn man Phylogenien konstruiert, stellt der „site“ das molekulare „Merkmal“ dar. Die Art der Aminosäure oder des Nukleotids stellt den Merkmalszustand dar.
Taxonomie Wissenschaft von der Klassifizierung lebender Organismen, gelegentlich auch als Taxionomie bezeichnet; Theorie und Praxis der Klassifizierung (Mayr). Diese Disziplin umfasst praktisch das Erkennen und die Bestimmung von Organismen, sowie deren Einordnung innerhalb einer Klassifizierung.
Position siehe site* Pseudogen nicht funktionelles Gen, das in der Regel zu einer MultigenFamilie* gehört. Reversion abgeleiteter Zustand, der dem ursprünglichen (plesiomorphen*) Zustand ähnelt. Allgemeiner: Während einer Serie von Transformationen eines Merkmals (vom ursprünglichen zum abgeleiteten Zustand) die Rückkehr (Reversion) zu einem morphologischen oder molekularen Zustand, der dem vorausgegangenen (oder ursprünglichen) Stadium gleicht. Die Reversion ist ein Spezialfall der Homoplasie*. Schwestergruppen monophyletische Gruppen oder Klada*, die eine Art als gemeinsamen Vorfahr haben und mit dieser eine monophyletische Gruppe* eines übergeordneten Rangs bilden. Sequenzvergleich Vorgang, bei dem ähnliche Sequenzen so übereinander angeordnet werden, dass so wenige Unterschiede wie möglich zwischen
Substitution Mutationstyp innerhalb einer Sequenz*, die im Austausch einer oder mehrerer Aminosäure(n)* oder Nukleotide* durch eine oder mehrere andere Aminosäure(n) oder Nukleotide besteht. symplesiomorph plesiomorphes* Merkmal, das bei zwei oder mehreren Taxa auftritt. synapomorph apomorphes* Merkmal, das bei zwei oder mehreren Taxa auftritt. Systematik 1. Wissenschaft von der biologischen Klassifizierung und den evolutiven Beziehungen zwischen Organismen. 2. Wissenschaftliche Untersuchung verschiedener Organismen hinsichtlich ihrer Vielfalt und ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen (nach Simpson: unter Einbeziehung der phylogenetischen Beziehungen). Taxon Plural: Taxa, Gesamtheit von Organismen, die in jeder Kategorie
UPGMA „unweighted pair group method using arithmetic average“; phänetische Methode zur Konstruktion von Stammbäumen, die auf einer Distanzmatrix* basiert. Sie besteht darin, die Arten zunächst in die am nächsten verwandten Taxa einzusortieren. Die Distanzen dieser Arten zu anderen Taxa werden gemittelt, um eine generelle Distanz der neu geschaffenen Gesamtheit (gebildet aus diesen beiden Arten gegenüber jedem anderen Taxon) zu erhalten. Diejenigen, deren Distanz (im Vergleich zur Gesamtheit, die durch die beiden ersten Arten gebildet wird) am geringsten ist, werden zusammengefasst. Nach und nach werden alle Arten (oder Taxa) durch sukzessives Mitteln nacheinander in einem Stammbaum integriert. Wenn diese Methode auf der Basis molekularer Daten angewendet wird, erfordert sie die Beständigkeit der molekularen Uhr*; sie unterstellt, dass zwei Schwester-Taxa seit dem letzten gemeinsamen Vorfahr dieselbe Menge an evolutiven Veränderungen angehäuft hat. Ist dies nicht der Fall, 671
Lexikon hat also das Molekül keinen konstanten Evolutionsrhythmus in allen betroffenen Taxa, so kann dies zu verfälschten Ergebnissen führen. Verwandtschaftsgrad Das Verwandtschaftsverhältnis (Ähnlichkeit) zeigt an, dass zwei Arten oder Taxa* nur einen gemeinsamen Vorfahr haben. Dieser Vorfahr ist in seiner Gesamtheit nicht zu ergründen: Von ihm sind nur die apomorphen* Merkmale bekannt, die die verwandten fraglichen Taxa zeigen. Die Verwandtschaftsbeziehung unterscheidet sich völlig von der Beziehung zwischen Vorfahr und Nachkommen; oder ein bekanntes Taxon ist der mutmaßliche Vorfahr eines anderen, was dazu führt, dass man dieses ursprüngliche Taxon als paraphyletisch* bezeichnet. ANMERKUNG:
Die Lebensgeschichte eines Vorfahren ist längst Vergangenheit, so dass man das reale, ursprüngliche Taxon im genetischen Wortsinn niemals kennt. Ein Gesamttaxon, das nichts weiter ist als eine Abstraktion, kann nicht der Ursprung eines anderen Taxons sein: Es umfasst nur ursprüngliche Arten, die ebenfalls nicht bekannt sind. Man kann somit lediglich den Zustand einiger Merkmale ableiten, indem man die Merkmale der Nachkommen untersucht. Das gleiche gilt für die fossilen Taxa.
672
Anhang Verwandtschaftsverhältnis s. Verwandtschaftsgrad Verzweigungspunkt Punkt, an dem 3 Äste oder Astsegmente eines Stammbaums aufeinander treffen, oft auch als Knoten bezeichnet. Basiert der Stammbaum auf einer Wurzel, so besteht der Knoten aus einem Wurzelsegment an seinem „Oberlauf“ sowie zwei Tochterästen oder Schwester-Taxa an seinem „Unterlauf“. Handelt es sich um eine phylogenetische Klassifizierung – stellt der Stammbaum also ein Kladogramm dar –, so repräsentiert der Knoten ein Taxon (eine Gruppe), das die zwei Schwester-Taxa* am „Unterlauf“ dieses Knotens umfasst. Der Knoten wird durch Apomorphien* oder apomorphe Merkmale* definiert. Diese stellen das einzige (fragmentarische) Wissen dar, das man vom letzten gemeinsamen Vorfahr der beiden Schwester-Taxa hat, die diesen Knoten bilden. Ein Knoten kann mehrere Tochteräste umfassen. In diesem Fall handelt es sich um eine Multifurkation*: Sie zeigt an, dass die phylogenetischen Beziehungen der verschiedenen Äste (Taxa) nicht genau bekannt sind. Wurzel Segment eines Astes oberhalb des Knotens der wichtigsten Reihe: Wenn die Außengruppe nur aus einem einzigen Taxon besteht, ist
die Wurzel die Stelle im Stammbaum, an der sie angesiedelt ist. Gleichzeitig definiert sie das Taxon* der Binnengruppe*. Die Wurzel kann als Referenzpunkt für die Interpretation der Merkmale angesehen werden: Die Merkmalszustände der Außengruppe* sind plesiomorph*, die Merkmalszustände, die davon abweichen, sind apomorph*. ANMERKUNG 1:
Um zwei Stammbäume besser miteinander vergleichen zu können, muss man jeden dieser Stammbäume auf den Basispunkt (Wurzel) derselben Art oder desselben Taxons beziehen. ANMERKUNG 2:
Gibt es mehrere Außengruppen, so ist das Segment des Astes oberhalb des Knotens der wichtigsten Reihe nicht immer der Trennpunkt zwischen den Außengruppen und der Binnengruppe. Zeitpunkt der Divergenz Zeitpunkt der Trennung zweier Taxa*, Zeitpunkt des letzten gemeinsamen Vorfahren zweier Taxa; genauer: Zeitpunkt, an dem die gemeinsame Vorfahren-Art zweier Taxa ihre genetische Gemeinsamkeit verloren hat.
Sachwortverzeichnis
Anhang
Sachwortverzeichnis A Aal 433, 438, 446, 451, 454, 459 Abies alba 223, 228 Abies nordmanniana 40, 49, 51, 100, 103, 111, 164, 172, 177, 179, 184, 188, 194, 208, 212, 220, 223, 227 Abstufung, lineare 7 Acantharier 148 Acanthocephala 266, 272, 276 Acanthocephalus pallisentisfractus 276, 277 Acanthochiton communis 289, 343, 344, 345, 346 Acanthopleura spiniger 346 Acantochiasma fusiforme 149 Acari 384 Acaroceras primordium 363 Acenthrophorus 454 Acetabularia acetabulum 112, 167, 169 Achelia echinata 380 Acidianus infernus 88 Acinonyx jubatus 538 Acipenser baeri 438, 445, 448 Acipenser stellatus 447, 448 Acipenser sturio 440, 445, 447, 448 Acipenseridae 447 Acker-Schachtelhalm 190, 194, 199, 203, 204, 208, 209, 212, 215, 216 Acker-Schmalwand 111, 235 Acoelomata 268, 663 Acrania 417 Acrasiomyceten 147 Acritoparamys 561, 586 Acteon tornatilis 358 Actinia equina 251, 253 Actinistia 460, 462, 463 Actinobakterien 54, 66 Actinomyceten 67 Actinophrys pontica 149 Actinoplanes rectilineatus 66, 67 Actinopoda 100, 148 Actinopteri 440, 445 Actinopterygii 404, 433, 437, 440, 442, 462
Adamsia palliata 253 Adlerfarn 105, 112, 173, 178, 180, 184, 190, 199, 204, 209, 212, 214, 218 Aegialodon 513 Aegyptopithecus 629, 634 Aeropyrum pernix 87 Aetheloceras suxianense 363 Afrotarsius 624, 627 Afrotheria 510 Agnatha 664 Aglaophyton 208 Agrobacterium tumefaciens 60 Aguti 568 Ähnlichkeit 35 Ai 486 Ailuropus melanoleuca 538 Albanerpeton inexpectatum 477 Alca torda 501, 504 Algen 661 Algorithmen, phänetische 14 Alligator mississippiensis 500, 507 Allogromia laticollaris 151 Allouatta caraya 630 Alouatta fusca 628, 631 Alpenmurmeltier 532, 559, 560, 565, 568 Alpensalamander 470, 477 Altai-Wildschaf 589 Altiatlasius 624, 627 Altungulata 508, 573, 598 Alveolobionta 100, 132 Alytes obstetricans 480 Amanita pantherina 116, 118 Amazonas-Delfin 590, 596 Amblypygi 384 Ambulocetus 576, 582, 586, 590, 597 Ambystoma tigrinum 470, 475, 477 Ameisenbär 508, 521, 523, 526 Ameisenbär, Kleiner 526 Amia calva 440, 445, 451, 454, 455, 456 Amiskwia 288, 307 Amniota 460, 462, 469, 481 Amoeba dubia 157, 158 Amoeba proteus 51, 100, 157, 158 Amphiascus sp. 386, 389, 394 Amphilonche elongata 148, 149
Amphimeryx 589 Amphipholis squamata 408 Amphipoda 400 Amphisbaena alba 488, 492, 495, 496, 497 Amphitherium 513 Amphiuma means 477 Anabaena variabilis 68, 69 Anabarella indecora 344, 349, 351 Anabarella plana 289, 269, 271, 281, 344, 349, 351 Anagalidea 508, 532, 555 Anakonda 495, 497 Anaptogale 556, 558 Anas querquedula 49, 413, 427, 432, 434, 460, 502, 504 Anathana ellioti 548, 551 Ancalagon minor 335 Andiodrillus buollyi 294, 297 Andreaea petrophila 205 Andreaeopsida 206 Andreolepis 438 Andreolepis hedei 433 Andrias davidianus 475, 477 Androctonus australis 322, 374, 377, 378, 381, 383, 394 Anemonia viridis 253 Angiospermae 194, 221, 231, 235, 654 Anguilla anguilla 433, 438, 446, 451, 454, 459 Anguis fragilis 495, 497 Anictops 561 Ankalagan 576, 582, 586, 590, 597 Annelida 266, 281, 294 Anomalurus peli 568 Anostraca 396, 397 Antedon bifida 408 Antennata 374, 386 Anthoceratophyta 194, 199, 201 Anthoceratopsida 201 Anthoceros fusiformis 194, 199, 201 Anthophyta 194, 221, 231 Anthozoa 253 Anthracosenex 592 Anthrax 65 Anthropozentrismus 5 673
Sachwortverzeichnis Antilocapra americana 569, 573, 575, 581, 586, 589 Antipathes subpinnata 253 Anura 460, 475, 478 Anurida maritima 402 Aotus trivirgatus 554, 632 Apella 632 Aphrocallistes vastus 247 Aphrodita aculeata 297 Apicomplexa 100, 132, 140 Apidium 629 Apis mellifica 402 Aplacophora 338 Aplysia fasciata 344, 349, 354, 359, Aplysia punctata 356 Appendicularia 414, 415 Aptenodytes forsteri 504 Aptenodytes patagonica 500, 502 Apteryx australis 500, 502 Aquifex aeolicus 79 Aquifex pyrophilus 54, 79 Aquificales 54, 79 Arabidopsis thaliana 111, 235 Arachnida 374, 378, 381, 383, 656 Araneae 384 Araneus diadematus 260, 308, 312, 314, 315, 320, 322, 377, 378, 383, 384 Arca noae 367 Archaea 47, 82, 84 Archaebakterien 47 Archaeoglobales 82 Archaeoglobus fulgidus 89, 95 Archaeoglobus venificus 82, 95 Archaeonycteris 544 Archaeopteryx lithographica 504 Archamöben 146, 147 Arche Noah 367 Archegoniaten 188 Archendoceras conipartitum 363 Archeoglobales 95 Archesaurus rossicus 501 Archisymplectes rhoton 288 Architheutis princeps 363 Archonta 508, 539 Archosauria 460, 492, 500, 502 Arctocebus calabarensis 621 Arenicola marina 259, 260, 266, 269, 270, 271, 280, 281, 294, 297 Argonauta argo 257, 259, 260, 266, 269, 270, 271, 280, 281, 289, 344, 360, 363 674
Anhang Argulus foliaceus 395 Arion rufus 356, 359 Armadillidium sp. 400 Armfüßer 302 Armleuchteralge 105, 107, 111, 112, 173 Armleuchteralgen 662 Armmolch, Großer 476 Artemia salina 386, 389, 396, 397 Arthropoda 376 Arthrospira platenis 54, 68 Articulata 303 Ascaphus truei 480 Ascaris lumbricoides 120, 123, 250, 258, 261, 308, 312, 323, 324, 327 Ascidia 415 Ascidia mentula 410, 413, 415 Ascidiacea 414 Ascidiae 414 Ascidie 413, 414 Ascomyceten 118, 653 Ascon-Typ 244 Asconema setubalense 246, 247 Ascophyllum nodosum 129 Asellus sp. 400 Asmussia membranacea 397 Aspergillus niger 115 Aspidosiphon steenstrupii 292, 293 Asplanchna priodonta 275 Asplenium phyllitis 212, 214, 217 Asselspinne 315, 320, 322, 374, 377, 379, 380 Asterias rubens 120, 123, 258, 265, 404, 407, 408 Asteroidea 408, 658 Astropecten aurantiacus 408 Astrorhiza limicola 150, 151 Asymmetron lucayanum 418 Ateles geoffroyi 630 Ateles paniscus 631 Atlanta peroni 359 Atlas-Zeder 228 Attercopus fimbriunguis 385 Augenflagellat 49 Aurelia aurita 253 Außengruppe 17 Australopithecus anamensis 647, 651 Autapomorphie 20, 21 Avahi laniger 623 Avena pratensis 221
Axinella balfourensis 243, 245 Aye-Aye 623 Aysheaia pedunculata 317 Azotobacter vinelandii 46
B Babesia canis 141 Babyrousa babyrussa 569, 573, 575, 582, 583, 585 Bachflohkrebs 386, 389, 398 Bachplanarie 250, 260, 266, 269, 271, 281, 284, 285 Bachröhrenwurm 297 Bachstrudelwurm 269, 270, 280, 284 Bacillariophyceen 125, 129 Bacillus anthracis 46, 65 Bacillus subtilis 65 Bacillus thuringiensis 65 Bacteria 44, 54, 56 Bacteroide 54, 73 Bacteroides ruminicola 73 Badeschwamm 114, 120, 123, 245 Bakalovia 592 Bakteriodaceen 73 Balaena mysticetus 590, 596 Balaenoptera muculus 51, 569, 573, 575, 582, 586, 590, 596 Balanoglossus clavigerus 265, 404, 410, 411, 412 Balanophyllia regia 253 Balkoceras gracile 363 Bandwurm 269, 271, 281, 284 Bandwürmer 285 Bankivahuhn 416, 423, 427, 436, 465, 469, 482, 488, 501, 504 Baragwanathia 211 Bärenmaki 621 Barentsia laxa 283 Barentsia sp. 283 Bärlappe 210 Barramunda 465, 466 Bartenwale 596 Bärtierchen 266, 308, 312, 314, 318 Bartwürmer 297 Barunlestes 561 Basidiomyceten 117, 118, 653 Basipodella atlantica 395 Bastpflanzen 221
Sachwortverzeichnis Bathycoccus prasinosus 105, 112, 170, 171 Batillipes noerrevangi 318, 319 Batodon 535 Batracia 460, 470, 474 Bauchhärlinge 310 Baummaki 539, 548, 552, 554, 619, 622 Baumschliefer 601, 606 Bdellovibrio bacteriovirus 58 Becklesius hofstetteri 497 Bedecktsamer 236 Benedenia melleni 286 Beorn leggi 319 Berberaffe 636 Berggorilla 646 Berglemming 568 Bergzebra 515, 522, 528, 532, 573, 600, 601, 602, 604 Beroe cucumis 250, 255 Berruvius 541, 546 Beutelameisenbär 520 Beuteldachs 516, 520 Beutelmarder 508, 520 Beutelmull 516, 520 Beutelteufel 520 Beuteltiere 515, 516 Beutelwolf 520, 535 Biber 568 Bierhefe 51, 114, 115 Bifidobacterium bifidus 67 Bilateria 238, 250, 257 Bindeglied 38 Biodiversität 9 Bipes biporus 494, 496 Bisamratte 568 Bisamrüssler 535 Biserramenia psammobionta 340 Bison bonasus 587 Bivalvia 289, 336, 364, 367 Blasentang 49, 51, 100, 125, 127, 129 Blattfußkrebse 396 Blattnasenfledermaus 544 Blauducker 589 Blaumeise 504 Blauwal 51 Blauwal 569, 573, 575, 582, 586, 590, 596 Blepharisma japonicum 134 Blindschleiche 495, 497
Anhang Blindwühlen 472 Blutegel 269, 271, 281, 294, 297 Bodo caudatus 152, 154 Bohrmuschel 369 Boletus chrysenteron 51 Boletus edulis 100, 113, 114, 115, 116, 118 Bonellia viridis 294, 297 Bongo 589 Bonobo 638, 641, 645, 648 (s. auch Zwergschimpanse) bootstrap 27, 28, 29 Bopyrus sp. 400 Bordatella bronchiseptica 61 Borneo-Bartschwein 585 Borneogibbon 640 Borrelia burgdorferi 74 Borstenigel 535 Bos mutus 589 Bos taurus 582, 586, 589 Botryllus schlosseri 413, 415 Botulismus 65 Brachiopoda 266, 301, 302 Brachsenkraut 190, 199, 204, 209, 211 Brachsenkräuter 210 Brachylagus idahoensis 560, 564 Brachyrhinodon 498 Brachyzostrodon 515 Bradipus tridactylus 486, 515, 522, 523, 526 Bradoria scrutator 322, 386, 390, 395 Branchiopoda 374, 386, 389, 396 Branchiostoma lanceolatum 264, 265, 404, 410, 413, 416, 417, 418 Branchiura 395 Brandstellen-Drehmoos 199, 207 Branisella 632 Braunalgen 128 Braunbär 536, 538 Breitmaulnashorn 569, 573, 598, 601, 604 Breitnasen 630 Bremer-Index 27 Brückenechse 460, 482, 488, 492, 494, 498 Brückenechsen 498, 499 Brüllaffe 628, 630, 631 Brunnenlebermoos 190, 194, 197, 198
Bryceelia tenella 272, 275 Bryophyta 194, 204, 205, 662 Bryopsida 206 Bryopsidophyceae 167, 169 Bryopsis plumosa 169 Bryozoen 299 Buccinum undatum 356, 358 Büchsenmuschel 369 Buckelwal 590, 593 Bufo bufo 465, 468, 470, 474, 475, 478, 480 Bugula neritina 300 Bunolagus monticularis 564 Buntwühle 473 Buschmannhase 564 Buschschliefer 569, 574, 598, 601, 606 Buschschwanzhörnchen 539, 549, 551 Buschschwein 585 Buthus occitanus 322, 378, 381, 384
C Cacajao rubicundus 631 Cadulus quadridentatus 371 Caecilia dentaculata 473 Caecilia sp. 460, 470, 472 Caenolestes fuliginosus 520 Caenorhabditis elegans 261, 308, 312, 323, 324, 327 Caia langii 209 Caiman crocodilus 507 Calamoichthys calabaricus 443, 444 Calcarea 238, 248 Calcispongia 248 Calderobacterium hydrogenophilum 79 Callicebus moloch 632 Callimico goeldii 554 Callistochiton viviparus 346 Callithrix jacchus 548, 554, 616, 624, 628, 630, 632 Callorhynchus milii 429 Calonympha grassii 142 Cambria sibirica 322, 386, 395 Camelus dromedarius 508, 577 Camelus ferus 527, 569, 573, 575, 577 Camerarius, Rudolf Jakob 1 675
Sachwortverzeichnis Campropodus gracilis 388 Campylobacter fetus 57 Campylobacter jejuni 57 Cancer pagurus 122, 249, 257, 259, 260, 266, 308, 312, 314, 315, 320, 322, 374, 386, 389, 398, 399 Candolle, Augustin-Pyramus de 1 Candona candida 394, 395 Canis familiaris 436, 538 Canis lupus 532, 538 Canthocamptus sp. 395 Cantius 548, 554, 619 Capillaria obsignata 238, 259, 260, 266, 308, 312, 323, 324, 325, 327 Capra ibex 589 Caprella linearis 400 Carcharodon carcharias 430 Carcinus maenas 399 Carnivora 508, 510, 532, 536 Cartictops 561 Castor fiber 568 Catarrhini 616, 628, 633 Cateria styx 261, 266, 308, 312, 313, 323, 330, 331 Caudofoveata 289, 336, 341 Caulerpa floridiana 167 Caulerpa taxifolia 107, 112, 169 Caulobacter bacteroides 59, 60 Caulobacter crescentus 59, 60 Cavia porcellus 560, 568 Caviomorpha 510, 569 Cebochoerus 576, 582, 585 Cebus apella 632 Cedrus atlantica 228 Cedrus libani 223, 227 Cellaria sinuosa 300 Cephalobaena tetrapoda 394, 395 Cephalocarida 374, 386, 389, 393 Cephalochordata 404, 406, 416, 417 Cephalodiscus dodecephalus 411, 412 Cephalophus monticola 589 Cephalopoda 289, 336, 354, 360 Cephalorhyncha 266, 323, 330 Cerastes cerastes 495, 497 Ceratium hirundinella 137, 139 Ceratophrys cornuta 480 Ceratotherium simum 569, 574, 598, 601, 604 Cercocebus torquatus 636 Cercopithecinae 635 676
Anhang Cercopithecoidea 616, 634, 635 Cercopithecus aethiops 636 Cercopithecus diana 508, 539, 547, 552, 635 Cerebratulus californensis 266, 284, 287, 288 Cervus elaphus 569, 573, 575, 581, 586, 587, 589 Cestoda 285, 286 Cestum veneris 254, 255 Cetacea 508, 590, 593 Cetartiodactyla 508, 573, 575 Cetungulata 508, 569, 573 Ceylon-Schuppentier 515, 522, 528, 530 Ceylonwühle 470, 473 Chaetoderma nitidulum 289, 336, 341, 342 Chaetognatha 266, 306 Chaetomorpha darwinii 169 Chaetosphaeridiophyceae 164, 181 Chaetosphaeridiophyta 180, 181 Chaetosphaeridium minus 105, 112, 164, 173, 177, 178, 179, 180, 181 Challengeron wyvillei 149 Chamaeleo chamaeleon 495, 497 Chamäleon 495, 497 Chancellaria sp. 248 Chara hispida 177, 179, 182 Chara vulgaris 105, 107, 111, 112, 173, 178, 180, 182, 183 Charophyceae 182 Charophyta 164, 180, 182, 662 Chattonidium sp. 134 Cheirogaleidae 622, 623 Cheirogalus major 554, 619, 623 Cheirolepis 438 Chelicerata 374, 381 Cheliceriformes 322, 374, 377 Chelodina longicollis 489 Chelonia 460, 488, 489 Chelonia mydas 491 Chelus fimbriatus 491 Chelydra serpentina 490 Chevroderma turnerae 342 Chianshania 556, 558 Chilomastix intestinalis 145 Chilomonas paramecium 156 Chilopoda 388 Chimaera cubana 429
Chimaera monstrosa 431 Chimären 430 Chinchilla 568 Chinchilla laniger 568 Chironex fleckeri 253 Chiroplasmus quadrigatus 253 Chiroptera 508, 510, 541, 542 Chiton tuberculatus 260, 269, 271, 281, 289, 344, 346 Chitonen 345 Chlamydia pneumoniae 76 Chlamydia psittaci 54, 76 Chlamydia trachomatis 76 Chlamydien 54, 76 Chlamydomonas nivalis 112 Chlamydomonas reinhardtii 105, 112, 169 Chlamydophorus truncatus 513, 523, 526 Chlamys opercularis 367 Chlamys varius 369 Chlorarachnion reptans 100, 162 Chlorarachniophyta 100, 161 Chlorobionta 100, 111, 164, 166 Chlorobium vibrioforme 54, 71 Chlorococcum echinozygotum 169 Chloroflexus aurantiacus 54, 78 Chlorokybophyceae 173, 175 Chlorokybophyta 164, 175 Chlorokybus atmophyticus 112, 164, 172, 173, 175 Chlorophyceae 167, 169 Choanoflagellata 100, 120, 121 Choano-Organismen 100, 114, 120 Cholera 63 Chondrichthyes 404, 427, 429, 462 Chondromyces apiculatus 58 Chondronema passali 323, 324, 325, 327 Chondrostei 440, 445, 447 Chondrosteus 448 Chondrus crispus 105, 107, 108, 110 Chordata 265, 404, 406, 410, 413 Choreopsis liberiensis 591, 592 Chromatium okenii 62 Chromophyten 125 Chrysochloris congicus 535 Chrysochromulina polylepis 130 Chrysophyceen 128, 129 Chthamalus stellatus 395 Chytridiomyceten 118
Sachwortverzeichnis Chytridium lagenaria 118 Ciliata 132, 134 Ciliophora 100, 134 Cimolesta 538 Ciona intestinalis 265, 415 Circotheca longiconica 344, 349 Cirripedia 394, 395 Cistocerca gregaria 51 Cladistia 440, 443 Cladocera 396, 397 Cladophora vagabunda 105, 112, 169 Cladophorophyceae 167, 169 Cladorhiza abyssicola 243, 245 Clasmatocolea puccionana 201 Clathrulina elegans 149 Clavatipollenites 237 Claviceps purpurea 116, 118 Clevelandina sp. 74 Clio pyramidata 358 Closterium lunula 192 Closterium sp. 191 Clostridium botulinum 65 Clostridium perfringens 64, 65 Clostridium tetani 46, 65 Clupea harengus 459 Cnidaria 238, 250, 251 Coccinella septempunctata 114, 120, 123, 258, 260, 308, 312, 315, 402 Coccolithen 130 Coccolithophoridae 125, 130 Codium tomentosum 169 Codonella cratera 134 Coelacanthini 462, 463, 464 Coelocanthini 435 Coelomata 663 Coendou prehensilis 568 Coleochaete divergens 186 Coleochaete irregularis 186 Coleochaete nitellarum 186 Coleochaete orbicularis 164, 179, 184, 186 Coleochaete pulvinata 186 Coleochaete scutata 105, 107, 112, 173, 178, 180, 184, 186 Coleochaete soluta 186 Coleochaetophyceae 186 Coleochaetophyta 164, 184, 186 Colibri thalassirus 501, 504 Collembola 402
Anhang Collotheca campanulata 273, 275 Colobinae 635 Colobus abyssinicus 635 Colobus badius 554 Colossendeis proboscidea 379, 380 Colossendeis scotti 380 Columba livia 502 Conchifera 336, 344, 348 Conchoecia sp. 395 Conchostraca 396, 397 Condyloderes storchi 332 Coniferophyta 194, 221, 223 Conjugatae 191 Connochaetes taurinus 460, 468, 484, 575, 581, 586, 587, 589 Conocyema polymorpha 263 Conodonten 420 Conus ventricosus 358 Cooksonia hemisphaerica 209 Cooksonia pertoni 190 Cooksonia sp. 204, 298 Copepoda 394, 395 Copidognathopsis kerguelensis 381, 383, 384 Corallina officinalis 105, 110 Corallium rubrum 251, 253 Corbicula sp. 349 Cordaites 223 Corvus corax 504 Corynebacterium diphteriae 67 Corynosoma sp. 266, 269, 271, 272, 276, 277 Cosmarium botrytis 192 Crangon crangon 399 Craniota 404, 406, 416, 419 Crassostrea angulata 369 Crenarchaeota 82, 85 Creodonta 536, 538 Cricetus cricetus 568 Criconemoides limitaneum 325, 327 Crinoidea 408, 658 Cristatella mucedo 266, 269, 298, 299, 300 Cristispira pectinis 75 Crithidia fasciculata 154 Crocidura suaveolens 535 Crocodilia 505 Crocodylia 460, 500, 505 Crocodylus niloticus 460, 482, 488, 492, 501, 505, 507
Crocuta crocuta 531, 536 Crossia 221 Crossopterygier 463 Cryptochiton stelleri 346 Cryptochlora perforans 162 Cryptomonaden 155 Cryptomonas erosa 100, 155, 156 Cryptophyta 100, 155 Cryptoplax larvaeformis 346 Crystallophrisson indicum 341, 342 Ctenophora 238, 250, 254 Ctenosta bastard 322, 374, 386, 401 Cubozoa 253 Cucumaria frondosa 408 Cucumaria normani 407, 408 Cuisitherium 576 Cuisitherium 578 Cuniculus paca 568 Cupressus sempervirens 228 Cuspidaria typus 344, 352, 364 Cuticulata 260, 266, 308 Cuvier-Schnabelwal 590, 596 Cyanobakterien 54, 68 Cyanophora paradoxa 100, 103, 105, 106 Cyathomonas truncata 156 Cycadeen 230 Cycadophyta 194, 221, 230 Cycas media 230 Cycas revoluta 190, 194, 212, 213, 220, 221, 230 Cycliophora 266, 272, 278 Cyclopes didactylus 526 Cyclops sp. 395 Cydonia oblonga 194, 199, 203, 208, 212, 231, 235 Cylindrocystis brebissonii 192 Cynocephalus temminckii 546 Cynocephalus volans 545, 508, 539, 540, 541, 546 Cynopterus sphinx 543 Cypraea pantherina 344, 349, 352, 354, 358 Cypris sp. 395 Cythereis sp. 395 Cyzicus bucheti 397 Cyzicus sp. 397
677
Sachwortverzeichnis D Dachs 515, 522, 527, 528, 532, 536, 538 Daphnia pulex 322, 374, 386, 389, 396, 397 Daphnie 396 Darmtang 169 Darwin, Charles 3 Dasycladophyceae 167, 169 Dasycladus vermicularis 169 Dasypus novemcinctus 522, 523, 526 Dasypus septemcinctus 526 Dasyurus viverrinus 508, 520 Dattelpalme 235 Daubentonia madagascarensis 539, 548, 554, 619, 622, 623 Daubentoniidae 622, 623 Decapaurus cuenoti 388 Decapoda 398, 399 Deccanolestes 538 Decoredon 624, 627 Defassa-Wasserbock 589 Deinococcus radiodurans 54, 70 Delesseria sanguina 108, 110 Delfin 427, 469, 486, 596 Delphinus delphis 427, 469, 486, 596 Demodex folliculorum 384 Demospongiae 238, 243 Dendroceros endivaefolius 201 Dendrogale melanura 551 Dendrogramm 14 Dendrohyrax arboreus 601, 606 Dendrohyrax dorsalis 601, 606 Dendrostomum pyroides 266, 280, 281, 292, 293 Dentalium dentalis 289, 336, 364, 370, Dentalium vulgare 344, 349, 352, 364, 371 Dermochelys coriacea 469, 482, 488, 489, 491 Dermophis oxacae 470, 473 Dermoptera 508, 510, 541, 545 Derocheilocaris remanei 395 Desmana pyrenaica 535 Desmidium schwartzii 112, 173, 178, 192 Desmodus rotundus 544 678
Anhang Desulfovibrio desulfuricans 46, 59 Desulfurococcaceen 87 Desulfurococcus mobilis 40, 47, 48, 82, 85, 87 Desulfuromonas acetoxidans 58 Deuterostomia 238, 258, 264, 404, 406 Diabolepis speratus 465, 467 Diana-Meerkatze 508, 539, 547, 552, 635 Diaphanoeca pedicellata 114, 120, 121 Diapsida 460, 488, 492 Diasoma 336, 352, 364 Diatomeen 125 Diceros bicornis 508, 531, 598, 600, 601, 602, 604 Dichtomie 1 Dickhornrose 253 Dictyochophyceen 128 Dictyostelium discoideum 147 Dicyema truncatum 238, 257, 262, 263 Dicyemiden 262 Didelphis marsupialis 515, 520 Didelphis virginiana 516 Didymium iridis 147 Difflugia oblonga 157, 158 Dikotyledonen 236 Dinoflagellaten 137 Dinophyceae 137 Dinophyta 100, 132, 137 Diomedea exulans 492, 501, 504 Dioon edule 230 Diphterie 67 Diploblasten 663 Diplomonadina 145 Diplopoda 388 Dipnoi 460, 462, 465, 466 Dipsas indica 468, 481, 486, 492, 494, 496 Dipus sagitta 565 Discinisca lamellosa 302, 303 Discocephalus sp. 134 Discosphaera tubifera 130 Discospirulina sp. 100, 150, 151 Dissacusium 576, 586, 590, 597 Distanz-Matrix 23 Dodecolopoda mawsoni 380 Doggenhai 430 Dolichopterus antiquus 382
Dolichotis patagonum 560, 568 Doliochoerus 585 Doliolum denticulatum 415 Donrusselia 548, 554, 619 Doris verrucosa 359 Dornhai 430 Dornschwanzhörnchen 568 Dorsetisaurus purbeckensis 497 Dracochela deprehendo 385 Draconema cephalatum 325 Draconema sp. 324, 327 Dracontolestes 541, 546 Dreifingerfaultier 486, 515, 522, 523, 526 Dreikantmuschel 344, 349, 352, 364, 369 Dreikantnacktfarn 214 Dreissena polymorpha 344, 349, 352, 364, 369 Dromedar 508, 577 Drosophila melanogaster 386, 390, 402 Dryolestoidae 513 Dryopithecus 638 Dschelada 636 Duft-Veilchen 232 Dugesia gonocephala 259, 260, 269, 270, 271, 280, 281, 284, 285, 286 Dugong 607, 606, 609, 611 Dugong dugon 607, 606, 609, 611 Dyadospora 198
E Eburnoceras pissinum 363 Ecardines 303 Ecdysozoa 266, 268, 308, 312 Echiniscus trisetosus 266, 308, 312, 314, 315, 318, 319 Echinocardium edule 369 Echinoderes aquilonius 330, 332 Echinodermata 265, 404, 407, 658 Echinoidea 408, 658 Echinosorex gymnurus 535 Echinostelium minutum 100, 146 Echiurida 297 Ectoprocta 266, 298, 299 Edelkoralle, Rote 251, 253 Egel 295, 297 Eibe, Gewöhnliche 227
Sachwortverzeichnis Eichelwurm 265, 404, 410, 411 Eichelwürmer 411 Eichhörnchen 560, 568 Eilodon helvum 508, 540, 542 Eimera falciformes 132, 141 Eimeria necatrix 140 Einsiedlerkrebs 389, 399 Eisenia foetida 297 Eledona moschata 363 Elefant, Afrikanischer 486 , 508, 521, 569, 573, 574, 598, 607, 607, 608, 614 Elefant, Indischer 607, 612, 614 Elefantenspitzmaus 508, 555, 556, 557, 558 Elefantenspitzmäuse 558 Elefantenzahn 289, 336, 344, 349, 352, 364, 370, 371 Elefantiasis 324, 327 Eleginerpeton pancheni 469 Elephantulus brachyrhynchus 558 Elephantulus rozeti 508, 555, 556, 557, 558 Elephas maximus 607, 612, 614 Eleutheromenia sierra 340 Eleutherozoa 408 Eliomys quercinus 521, 555, 559, 565 Elkinsia 221 Elminius modestus 395 Elonychthys 451 Elpidophorus 541, 546 Embryophyta 111, 164, 184, 188, 194, 196 Emiliania huxleyi 100, 125, 127, 127, 130 Emys orbicularis 481, 486, 489, 490 Encotyllabe pagrosomi 285, 286 Endeis spinosa 378, 380 Entalina quinquangularis 344, 349, 353, 364, 371 Entamoeba histolytica 147 Entenmuschel 322, 374, 386, 389, 394, 395 Enteromorpha intestinalis 169 Enteropneusta 406, 411 Entocolax schiemenzi 359 Entogonia sp. 127, 129 Entoprocta 266, 281, 282 Entosphenus tridentatus 426 Entwicklung, genealogische 3
Anhang Eocarcinosoma ruedemanni 382 Eochara sp. 183 Eoconodontus 420 Eodendrogale 551 Eolimnus alatus 382 Eomanis 530 Eosphaera sp. 110 Eotheroides 611 Eozostrodon 486, 515 Ephedra equisetiformis 190, 213, 221, 231, 234 Ephedra fragilis 233 Epimenia verrucosa 340 Epitheria 508, 522, 527 Epitheton 2 Eptatretus stoutii 421, 422 Equisetophyten 215 Equisetopsida 215 Equisetosporites 232 Equisetum arvense 190, 194, 199, 203, 204, 208, 209, 212, 214, 215, 216 Equus caballus przewalskii 486, 569, 574, 598, 601, 604 Equus hemionus 601, 604 Equus zebra 515, 522, 528, 532, 573, 600, 601, 602, 604 Erbsenmuschel 369 Erdferkel 508, 532, 569, 571, 572 Erdkröte 465, 468, 470, 474, 475, 478, 480 Erdläufer 322, 387 Erdwühle 473 Erinaceus europaeus 486, 515, 527, 528, 531, 532, 533, 535 Erntemilbe 378, 381, 385 Errolichthys 448 Erythropsidinium pavillardii 139 Escherichia coli 46, 62 Eschrichtius gibbosus 590, 596 Esox lucius 446, 451, 454, 459 Esperiopsis challengeri 243, 245 Essenzialismus 8 Euarthropoda 266,315,320,374,376 Euastrum oblongum 191 Eubostrichius dianae 327 Eucarida 399 Eucarya 49, 100, 102 Euglena gracilis 154 Euglena spirogyra 49, 51, 100, 152, 154
Euglenobionta 100, 152 Euglenophyten 154 Eulima equestris 359 Eumalacostraca 398, 399 Eumetazoa 238, 249 Eumollusca 336, 343 Eumycetes 100, 116, 653 Eunectes murinus 495, 497 Euoticus elegantulus 621 Eupagurus bernhardus 389, 399 Euphausia superba 399 Euphausiacea 399 Euphyllophyta 194, 209, 212 Euplectella aspergillum 238, 246, 247 Euplotes aediculatus 134 Euporosteus eifeliensis 464 Euryarchaeen 82, 89 Eustigmatophyceen 129 Eustigmatos magnus 129 Eutheria 508, 515, 521 Eutracheophyta 208, 209 Eutrochozoa 266, 269, 270 Extragruppe 17
F Fadenstern 408 Falcidens crossotus 342 Falco peregrinus 492, 501, 504 Fangschreckenkrebs 398, 399 Farnpflanzen 208, 662 Fasciola hepatica 260, 269, 271, 281, 284, 285, 286 Federschwanzhörnchen 547, 548, 548, 549, 551 Federstern 408 Feldhamster 568 Feldhase 508, 560, 564 Feldmaus 568 Felis catus 51, 114, 120, 123, 413, 416, 433, 436, 482, 468 Felis sylvestris 522, 536, 538 Felsentaube 502 Ferriplasma acidophilum 82, 94 Fervidobacterium gondwanense 80 Feuersalamander 460, 470, 475, 476, 477 Fichte, Gewöhnliche 223, 228 Ficophyllum 237 679
Sachwortverzeichnis Fieldia lanceolota 335 Filicophyta 194, 214, 217 Filicopsida 217 Finalismus 7 Fingertier 539, 548, 554, 619, 622, 623 Fische 664 Fischegel 297 Fischotter 538 Fischwühle 472 Fissidentalium plurifissuratum 344, 349, 353, 364, 371 Flamingo 504 Flatterer 541 Flavobacterium aquatile 72 Flavobacterium johnsoniae 54, 72 Flavobacterium meningosepticum 72 Flavobakterien 54, 72 Fledermaus, Rote 486 Fledermäuse 541, 542 Fleischfliege 386, 390, 401, 402 Flexibacter elegans 73 Flexibacter flexis 73 Flohkrebse 400 Floscularia sp. 273, 275 Flösselaal 443, 444 Flösselhechte 443, 444 Flossenfuß 358 Flugbeutler 516, 520 Flügelkiemer 411 Flughund, Gewöhnlicher 508, 540, 542 Flughund, Kleiner 539, 541, 543 Flussbarsch 258, 413, 416, 420, 433, 438, 459 Flussmuschel, Gewöhnliche 369 Flussneunauge 404, 420, 423, 425, 426 Flusspferd 508, 569, 573, 575, 581, 582, 582, 586, 590, 591, 592 Flustrellida hispida 300 Foraminifera 100, 150 Forcepimenia protecta 340 Fossil, lebendes 36 Fossilien 33 Fransenschildkröte 491 Frauenschuh 235 Friedmannia sp. 169 Froschlurche 478 Fuchs 536 680
Anhang Fuchs, Leonhart 1 Fucus vesiculosus 49, 51, 100, 125, 127, 129 Fuligo septica 146, 147 Funaria hygrometrica 199, 207 Furcellaria lumbricalis 110 Furchenfüßer 339 Fustiaria rubescens 371
G Gabelbock 569, 573, 575, 581, 586, 589 Gabelschwanzsirene 611 Galagidae 621 Galago 554 Galago crassicaudatus 619, 620, 621 Galago senegalensis 554, 619 Galapagos-Riesenschildkröte 490 Galeere, Portugiesische 251, 253 Gallus gallus 416, 423, 427, 436, 465, 469, 482, 488, 501, 504 Gammarus locusta 400 Gammarus pulex 386, 389, 398, 400 Gandakasia 576, 582, 586, 590, 597 Ganges-Delfin 590, 596 Ganglioneura 336, 349, 352 Gänsegeier 502 Garnele 322 Gartenschläfer 521, 555, 559, 565 Gasterosiphon deimatis 359 Gastropoda 289, 336, 354, 356 Gastrotricha 266, 308, 310 Gavial 465, 486, 492, 500, 501, 501, 505, 507 Gavialis gangeticus 465, 486, 492, 500, 501, 501, 505, 507 Gazella granti 569, 573, 575, 581, 586, 589 Geburtshelferkröte 480 Gecko 495, 497 Gefäßkryptogamen 208 Gefäßpflanzen 204 Geißelskorpion 383 Gekko gecko 495, 497 Gemmata obscuriglobus 77 Genealogie 3, 36 Genetta genetta 538 Genitoconia rosea 340 Geochelone elephantopus 490
Geochelone gigantea 490 Geomys bursarius 568 Geophilus carpophagus 388 Geophilus electricus 322, 386, 387, 388 Geotoga petrae 80 Geotria australis 425, 426 Geotrypetes seraphini 473 Gepard 538 Gesner, Conrad 1 Gespenstkrebs 400 Getreiderost 118 Giardia lamblia 144, 145 Gibbula adriatica 358 Ginglymoda 440, 451, 452 Ginkgo biloba 194, 199, 204, 209, 213, 221, 223, 225, 226 Ginkgobaum 194, 199, 204, 209, 213, 221, 223, 225, 226 Ginkgoites lunzensis 226 Ginkgoopsida 225 Ginkgophyta 194, 223, 225 Ginsterkatze 538 Giraffa camelopardalis 569, 573, 575, 581, 586, 589 Giraffe 569, 573, 575, 581, 586, 589 Glasschwämme 238, 246 Glatthai 430 Glaucocystis nostochinearum 106 Glaucocystophyta 100, 106 Glirimorpha 508, 556, 559 Glis glis 568 Globigerina pachyderma 151 Globigerina sp. 150 Globigerinoides ruber 151 Gloeochaete wittrockiana 106 Glomeris marginata 388 Glomus mossae 118 Glugea stephani 115, 119 Glyptopodon 526 Gnathostomata 404, 423, 427 Gnathostomulida 295 Gnetophyta 194, 231, 233 Gnetum gnemon 234 Gnetum latifolium 231, 233 Goldmull 535 Golfingia elongata 293 Golfingia vulgare 292, 293 Goniotarbus tuberculatus 385 Gonyaulaux tamarensis 51, 132, 139
Sachwortverzeichnis Gordius robustus 261, 308, 313, 323, 324 Gordius tenuifibrosus 329 Gorilla 264, 465, 486, 616, 624, 628, 638, 641, 645, 646 Gorilla gorilla 264, 465, 486, 616, 624, 628, 638, 641, 645, 646 Gorilla gorilla beringei 646 Gorilla gorilla gorilla 646 Gorilla gorilla graueri 646 Gorillinae 645 Gorilline 616, 646 Gracilaria compressa 110 Grad 4 Grantgazelle 569, 573, 575, 581, 586, 589 Grantia compressa 248 Granuloreticulosa 150 Graphidistreptus sp. 315, 387, 388 Graptemys geographica 490 Graupapagei 113, 120, 122, 249, 257, 481, 486, 492, 500, 502, 504 Grauwal 590, 596 Greeffiella sp. 324, 325, 327 Gregarina cuneata 141 Gregarinen 141 Greifstachler 568 Gromia sp. 150 Grönlandwal 590, 596 Großtümmler 569, 573, 575, 581, 586, 590, 596 Grottenolm 474, 478, 476, 477 Grünalgen 111, 662 Grünfrosch 420, 423, 427, 433, 436, 465, 469, 470, 475, 478, 480 Gruppe Bacillus/Clostridium 54, 64 Gruppe Thermus/Deinococcus 54, 70 Gruppe, monophyletische 16 Gruppe, paraphyletische 16 Gruppe, polyphyletische 16 Gryphus vitreus 303 Guanako 577 Guanofledermaus 531, 539, 540, 542, 544 Guereza 554, 635 Guppy 446, 451, 454, 459 Gürtelmaus 513, 523, 526 Gymniophiona 460, 470, 472 Gymnospermen 221, 662 Gyps fulvus 502
Anhang H Haarbalgmilbe 384 Haarstern 407 Haeckelia rubra 255 Haementeria officinalis 297 Haemophilus influenzae 62 Haemopsis sanguisuga 297 Haftfinger 496 Hai, Weißer 430 Haie 430 Haikouichthys ercaicunensis 420, 424, 426 Halbmaki 619, 623 Halecomorpha 440, 451, 454, 455 Halecostomae 440 Haliotis lamellosa 358 Hallucigenia sparsa 317 Haloarcula vallismortis 96 Halobacterium halobium 48, 96 Halobacterium marismortui 48 Halobacterium salinarium 89 Halobakterien 82, 96 Halococcus morrhuae 89, 96 Halocynthia papillosa 404, 413, 414, 415 Haloferax volcanii 96 Halomenia gravida 340 Halosydina sp. 294, 297 Halsbandmangabe 636 Halsbandpekari 583, 585 Hammerhai 429 Hammermuschel 369 Handwühle 494, 496 Hapalemur griseus 619, 623 Haplognathia simplex 294 Haplomitrium hookeri 197 Haplorrhini 616, 624 Haptophyta 100, 125, 127, 130 Haramiya 486 Hardistiella montanensis 426 Hase 556 Hasenmaus 568 Hausen 447, 448 Haushund 436, 538 Hauskatze 51, 114, 120, 123, 413, 416, 433, 436, 482, 486 Hausmaus 420, 423, 427, 433, 436, 486, 556, 560, 568 Hausratte 565, 568, 582 Hausrind 582, 586, 589
Hausspinne 250, 258, 378, 381, 384 Hausspitzmaus 535 Hautwühle 470, 473 Hazella 245 Hecht 446, 451, 454, 459 Hechtalligator 500, 507 Helcionopsis sp. 351 Helicobacter pylori 57 Helicobacter rodentium 54, 57 Helicoplacus sp. 265, 409 Heliothrix oregonensis 77 Heliozoen 148, 149 Helix aspersa 250, 344, 349, 354, 359 Helix pomatia 258, 260, 269, 271, 281, 289, 336, 343, 348, 352, 354, 356 Helvetiodon 515 Hemiarthrum setulosum 346 Hemichordata 265, 404, 406, 410, 411 Hemitracheophyta 194, 199, 203 Hendryomeryx 589 Hennig, Willi 4 Heomys 561, 568 Heraultipegma sp. 269, 271, 281 Heraultipegma varensalense 353, 366 Hering 459 Heringshai 404, 416, 419, 423, 427, 429 Herpertes ichneumon 538 Herpetosiphon aurantiacus 77 Herzigel, Violetter 408 Herzmuschel 369 Hesperosuchus agilis Hesslandona sp. 322, 386, 390, 395 Heterocyemiden 262 Heterodontus portusjacksoni 430 Heterohyrax syriacus 569, 574, 598, 601, 606 Heterokonten 127 Heteroperipatus engelhardi 266, 308, 312, 314, 315, 316, 317 Hexaconthium asteracanthion 148, 149 Hexactinellida 238, 246 Hexapoda 374, 386, 389, 401, 657 Heydonius antiquus 324, 327 Himanthalia elongata 129 Hipponicharion eos 322, 386, 390, 395 681
Sachwortverzeichnis Hippopotamida 508, 590, 591 Hippopotamus amphibius 508, 569, 573, 575, 581, 582, 582, 586, 590, 591, 592 Hippotragus niger 589 Hirscheber 569, 573, 575, 582, 583, 585 Hirschzungenfarn 212, 214, 217 Hirudinea 295, 297 Hirudo officinalis 269, 271, 281, 294, 297 Höckerschildkröte 490 Holocephali 430 Holoclemensia 520 Holothuroidea 408, 658 Holunder, Schwarzer 199, 204, 209, 213, 221, 232, 237 Holzpflanzen 221 Homarus gammarus 389, 399 Homeodictya grandis 243, 245 Hominidae 616, 641 Homininae 616, 645 Hominine 616, 647 Hominoidea 616, 634, 637, 638 Homo erectus 651 Homo floresiense 651 Homo habilis 651 Homo sapiens 265, 410, 482, 486, 539, 548, 552, 554, 616, 624, 628, 633, 634, 637, 638, 641, 645, 647, 648, 650 Homo troglodytes 618 Homologie 9, 10, 12 Homoplasie 10, 12, 20, 26 Honigbiene 402 Hoplocarida 399 Hörnchenverwandte 568 Horneophyton 208 Hornfrosch, Gehörnter 480 Hornmoos 194, 199, 201, 206 Hornviper 495, 487 Hsiuannania 561 Huaiheceras longicollum 363 Hufeisenkrabbe 382 Hufeisennase, Kleine 544 Hufeisenwurm 260, 266, 269 Hufeisenwürmer 304 Huftiere 508, 532, 569, 587 Hulman 634, 636 Hummer 389, 399 Hundsaffen 634, 635 682
Anhang Hundskopfpavian 539, 548, 554, 624, 628, 633, 634, 635, 636 Huroniospora sp. 110 Huso huso 447, 448 Hutchinsoniella macracantha 374, 386, 389, 393 Hutpilze 117 Hyacoidea 510 Hyaena hyaena 538 Hyalonema schmidtii 246, 247 Hyäne, Gefleckte 531, 536, 538 Hydra viridis 250, 251, 253 Hydractinia equinata 253 Hydren 251 Hydrochoerus hydrochoeris 568 Hydrogenobacter thermophilus 79 Hydroides norvegica 294, 297 Hydrozoa 253 Hyla arborea 470, 475, 480 Hylobates concolor 554, 640 Hylobates lar 624, 634, 638, 639, 640 Hylobates muelleri 640 Hylobates pileatus 640 Hylobatidae 616, 638, 639 Hylochoerus meinertzhageni 585 Hylonomus lyelli 488 Hymenocaris sp. 322, 386, 390, 400 Hynobius keyserlingii 477 Hyperthermus butylicus 86 Hypertragulus 589 Hyphomicrobium facilis 59, 60 Hypochytridiomyceten 128 Hyracoidea 508, 510, 601, 605 Hyracotherium 604 Hystricomorpha 568 Hystrix cristata 508, 555, 560, 565, 568 Hytiodentalium kentuckyensis 371
I Ibyka 214, 216 Icaronycteris 544 Ichneumon 538 Ichthyolestes 576, 582, 586, 590, 597 Ichthyomyzon castaneus 425 Ichthyomyzon con color 425 Ichthyomyzon unicuspis 426 Ichthyophis glutinus 470, 473
Ichthyophis sp. 472 Ichthyosaurier 434 Ichthyosporidium giganteum 119 Ictalurus melas 457, 459 Idotea bastardi 389, 398, 400 Igel 486, 515, 527, 528, 531, 532, 533, 535 Igelwürmer 297 Igneococcales 82, 87 Igneococcus islandicus 87 Iguana iguana 495, 497 Inarticulata 303 Indohys 576, 582, 585 Indri 547, 548, 554, 619, 622, 623 Indri indri 547, 548, 554, 619, 622, 623 Indriidae 622, 623 Inger 404, 416, 420, 421, 402, 422 ingroup 21 Inia geoffrensis 590, 598 Insecta 401, 402 Insectivora 508, 510, 532, 533 Insektenfresser 533 Introverta 266, 312, 323 Iridia serialis 151 Ischnochiton imitator 346 Isoetales 210 Isoetes bolanderi 210 Isoetes lacustris 190, 199, 204, 209, 211 Isopoda 400
J Jaculus jaculus 568 Jochalgen 191 Jochpilze 117 Joenia annectens 143 Julus scandinavius 386, 388 Juniperus communis 228 Jussieu, Antoine Laurent de 2 Jussieu, Bernard de 2
K Kabatarina pattersoni 395 Käferschnecke 260, 269, 271, 281, 289, 345 Käferschnecken 344, 345
Sachwortverzeichnis Kahlhecht 440, 445, 451, 454, 455, 456 Kahnfüßer 370 Kaiman 507 Kaisergranat 399 Kalkschwämme 238, 248 Kalmar, Gewöhnlicher 114, 120, 123, 250, 269, 271, 289, 344, 349, 352, 354, 362 Kammerlinge 150 Kammmolch 265, 410, 413, 416, 470, 475, 477 Kammmuschel 369 Kammstern 408 Kamptozoa 282 Kängurumaus 565 Kaninchen 513, 559, 560, 562, 564 Kanker 383, 384 Kaphase 555, 562 Kapklippschliefer 508, 569, 598, 600, 601, 605, 606 Kappengibbon 640 Karpfenlaus 395 Karpfenläuse 395 Katta 619, 623 Katzenhai, Kleingefleckter 430 Katzenmaki 619, 623 Katzenmakis 622 Katzenwels 457, 459 Kelchwürmer 282 Kenyapithecus 645 Kenyapotamus 592 Keratella sp. 272, 265 Keulen-Bärlapp 194, 199, 203, 208, 209, 210, 211 Khirtharia 576, 582, 585 Kielnagelgalago 621 Kiemenfüßer 396 Kieselalgen 125 Kinetoplastiden 154 Kinorhyncha 266, 330, 331 Kinorhynchus sp. 261, 308, 313, 323, 330, 332 Kiwi 500, 502 Kladistik 4, 6,15 Kladogramm 14, 15 Kladon 4 Klaffmoos 205, 206 Klammeraffe 631 Klassifizierung, natürliche 2
Anhang Klassifizierung, phylogenetische 21 Klebsormidiophyceae 173, 175, 176 Klebsormidiophyta 164, 176 Klebsormidium flaccidum 112, 173, 176 Kleefarn 217, 218 Kleinkantschil 569, 573, 575, 581, 586, 589 Kleinstböckchen 589 Kletterholothurien 408 Kliesche 454, 459, 413, 459 Kloakentiere 511 Knäkente 49, 413, 427, 432, 434, 460, 502, 504 Knoblauchkröte 475, 480 Knochenhecht 437, 438, 440, 445, 446, 450, 452 Knochenhechte 452, 453 Knorpelfische 430, 462 Knorpeltang 105, 107, 108, 110 Knotentang 129 Koala 516, 520 Kobayashiella circe 354, 359 Koboldmaki 548, 554, 616, 624, 627 Koboldmakis 627 Kobus defassa 589 Koenenia mirabilis 383, 385 Kokopellia 520 Kolibri 501, 504 Kolkrabe 504 Komodowaran Kompostwürmer 295 Koniferen 228 Königsfarn 214, 218 Königspinguin 500, 502, 504 Konsensus-Stammbaum 28 Konsensustechniken 28, 30 Konvergenz 11, 12, 20 Köpfchenschimmel 115, 116 Kopffüßer 289, 360 Kopflaus 402 Korallen 251 Korallenmoos 105, 110 Körbchenmuschel 349 Kork-Eiche 237 Kormoran 488, 492 Kragenflagellaten 121 Krake, Gewöhnlicher 343, 344, 348, 349, 352, 354, 360, 363 Krallenfrosch 470, 475, 480
Krätze 378, 381, 385 Kratzer 276 Krätzmilbe 378, 381, 385 Kreiselschnecke 358 Kreuzspinne 260, 308, 312, 314, 315, 320, 322, 377, 378, 383, 384 Krillkrebs 399 Krohnitta subtilis 307 Kuehnotherium 513 Kugelalge 169 Kugelgürteltier 526 Kugelmuschel 369 Kulan 601, 604 Kummunella 576, 582, 585 Kunmingella maxima 322, 386, 390, 395 Kurznasenflughund 543 Kurzrüsselspringer 558 Kurzschnabel-Ameisenigel 511, 512
L Labyrinthulomyceten 128 Lacazella mediterranea 298, 301, 303 Lacerta viridis 420, 427, 433, 436 Lacerta viridis 469, 482, 488, 492 Lachs 423, 427, 433, 438, 459 Lactobacillus bulgaricus 65 Lactococcus lactis 65 Laevipilina rolani 344, 349, 351 Lagomorpha 508, 560, 562 Lagostomus maximus 568 Lama guanicoë 577 Lama vicunga 577 Lamarck, Jean-Baptiste de 2 Lamellibranchiata 289, 367 Lamellisabella sp. 294, 297 Laminaria hyperborea 129 Lamna nasus 404, 416, 419, 423, 427, 429 Lampetra fluviatilis 404, 420, 423, 426 Lamprothamnium populosum 183 Landpflanzen 111 Landschildkröte 416, 423, 427, 436 Landschildkröte, Griechische 460, 482, 488, 489, 490 Langnasenchimäre 429 683
Sachwortverzeichnis Langohrfledermaus 539, 541, 544 Langrüsselspringer 557, 558 Langschnabel-Ameisenigel 511, 512 Languste 399 Lanzen-Schildfarn 214, 217 Lanzettfischchen 264, 265, 404, 410, 413, 416, 417, 418 La-Plata-Delfin 590, 596 Lärche, Europäische 228 Larix decidua 228 Larvacea 414 Lasionectes entrichoma 374, 391, 392 Lasiurus borealis 486 Latimeria chalumnae 434, 435, 460, 463, 464 Latouchella korobkovi 344, 349, 351 Latouchella memorabilis 349, 351 Latrodectus mactans 384 Laubfrosch 470, 475, 480 Laubmoose 206 Laufkäfer 322, 374, 386, 389, 401 Laurasiatheria 510 Leberegel 260, 269, 271, 281, 284, 285, 286 Lebermoose 197, 206 Lecane luna 272, 275 Lederschildkröte 469, 482, 488, 489, 491 Legionella pneumophila 62 Legionellose 63 Leguan, Grüner 495, 497 Leibnitz, Gottfried 7 Leiopelma hochstetteri 475 Leiopelma hochstetteri 480 Leishmania donovani 154 Leishmania tropica 154 Leistenkrokodil 507 Lemmus lemmus 568 Lemur catta 619, 623 Lemur variegatus 539, 548, 552, 554, 616, 619, 622 Lemuridae 622, 623 Lemuriformes 616, 619, 622 Lepas anatifera 322, 374, 386, 389, 394, 395 Lepidocaris rhynensis 393 Lepidoderma squamatum 261, 308, 310, 311 Lepidopleurus cajenatus 336, 345 684
Anhang Lepidopleurus luridus 346 Lepidosauria 460, 492, 494 Lepidosiren paradoxa 434, 465, 466, 467 Lepidurus apus 397 Lepilemur mustelinus 623 Lepisosteidae 452 Lepisosteus osseus 437, 438, 440, 445, 446, 450, 451, 453 Lepisosteus platyrhincus 453 Lepisosteus tristoechus 453 Lepra 46, 67 Leptodora kindti 396, 397 Leptomanis 572 Leptorhynchoides thecatus 277 Leptospira interrogans 54, 75 Leptostraca 398, 399 Leptosynapta inhaerens 408 Leptotarbus torpedo 385 Lepus americanus 564 Lepus capensis 555, 562 Lepus europaeus 508, 556, 560, 564 Leucandra aspera 248 Leuchtqualle 120, 122, 249, 251, 253 Leucon-Typ 244 Leucosolenia complicata 248 Libanon-Zeder 223, 227 Lightiella incisa 393 Ligia oceanica 389, 400 Lignophyten 221 Liliopsida 236 Limacia clavigera 356 Limanda limanda 454, 459, 413, 459 Limax maximus 344, 349, 354, 359 Limifossor talpoideus 342 Limulus polyphemus 322, 374, 377, 378, 381, 382 Linderiella massaliensis 397 Lineus longissimus 260, 269, 271, 281, 284, 288 Lineus ruber 288 Lingula anatina 260, 269, 298, 301, 302, 303 Linie, Braune 100, 125 Linie, Grüne 100, 103 Linnania 556, 558 Linné, Carl von 2 Lipotyphla 510 Lippenfledermaus 543
Lissamphibia 460, 469, 470 Listeria monocytogenes 65 Listeriose 65 Lithobius forficatus 387, 388 Lithophaga mytiloides 369 Lithothamnion roseum 105, 107, 110 Littorina littoralis 289 Littorina littorea 344, 349, 352, 354, 358 Livoniana multidentata Loa loa 327 Locusta migratoria 315, 320, 390, 401, 402 Löffelstör 447, 448 Löffelstöre 447 Loligo vulgaris 114, 120, 123, 150, 269, 271, 289, 344, 349, 352, 354, 362 Lophophorata 266, 269, 298 Lophopus sp. 299, 300 Lophosteus 438 Lophotrochozoa 260, 266, 268, 269 Loricifera 266, 330, 333 Loris tardigradus 548, 552, 554, 619, 620, 621 Lorisidae 621 Lorisiformes 616, 619, 620 Löwe 538 Loxodonta africana 486, 508, 521, 569, 573, 574, 598, 607, 607, 608, 614 Loxodonta africana africana 612 Loxodonta africana cyclotis 612 Loxosomella annelidicola 282, 283 Loxosomella claviformis 282, 283 Loxosomella elegans 260, 269, 271, 281 Luchs 536 Lufengoconodon 515 Lumbricidae 295 Lumbricus terrestris 114, 120, 123, 250, 258, 269, 271, 281, 297 Lungenentzündung 65 Lungenfisch 434, 460 Lungenfisch, Afrikanischer 433, 435 Lungenfische 462, 465, 466, 467 Lunularia cruciata 198 Lutra lutra 538 Lycopodiales 210
Sachwortverzeichnis Lycopodiophyta 194, 209, 210 Lycopodiopsida 210 Lycopodium clavatum 194, 199, 203, 208, 209, 210, 211 Lycotheutis diadema 363 Lyme-Borreliose 75 Lynceus gracilicornis 397 Lynx lynx 536 Lyonsella abyssicola 369
M Macaca fuscata 634, 636 Macaca sylvanus 636 Maccabeus tentaculatus 334, 335 Macluritella walcotti 354, 359 Macracanthorhynchus hirudinaceus 272, 276, 277 Macrobiotus hufelandi 308, 312, 315, 318, 319 Macroperipatus geayi 316 Macropus rufus 484, 486, 513, 515, 516, 520 Macroscelidea 508, 510, 556, 557 Macroscelides proboscideus 558 Magellania flavescens 259, 260, 266, 269, 298, 301, 302, 303, 364 Magnoliopsida 236 Maholi 619 Maikäfer 402 Mais 51, 105, 107, 112, 173, 178, 180, 184, 190, 199, 204, 209, 213, 232, 237 Maisbrand 118 Maja squinado 400 Malacostraca 374, 386, 389, 398 Malaria 141 Malleus malleus 369 Malus sylvestris 105, 107, 112, 173, 178, 180, 184, 190, 237 Mammalia 460, 482, 484, 508, 510 Mammaliaformes 510 Manati 611 Mandibulata 322, 374, 386 Manis crassicaudata 515, 522, 528, 530 Manis gigantea 486, 508, 521, 527, 528, 530 Manis javanica 530 Manis pentadactya 530
Anhang Manis temmincki 530 Manis tetradactyla 530 Manis tricuspis 530 Mantionella squamata 112 Maotianshania cylindrica 323, 330, 335 Mara, Großer 568 Marchantia polymorpha 190, 194, 197, 198 Marchantiatae 197 Marchantiophyta 194, 197 Marmorzitterrochen 431 Marmota marmota 532, 559, 560, 565, 568 Marsilea quadrifolia 217, 218 Marsupialia 508, 515, 516 Mastigamoeba sp. 147 Mastigocladus laminosus 69 Mastigoproctus giganteus 383, 384 Matthevia virabilis 346 Matthevia walcotti 346 Mauerassel 386, 389, 398, 400 Maulwurf 533, 535 Mausmaki 623 Mausohr, Großes 544 Mauswiesel 538 Maxillopoda 374, 386, 389, 394 Medusen 251 Meerassel 389, 400 Meerespelikan 504 Meerforelle 454, 457, 459 Meerkatze, Grüne 636 Meerkatzen 635 Meerneunauge 410, 416, 423, 425, 426 Meersalat 105, 107, 111, 112, 164, 167, 169 Meerschweinchen 560, 569 Meerträubel 190, 213, 221, 231, 234 Meerzitrone 359 Megachiroptera 510, 542 Megalonyx 526 Megaptera novae-angliae 590, 593 Megascolides australis 297 Megatherium 526 Meiothermus ruber 70 Melanosuchus niger 500, 507 Meles meles 515, 522, 527, 528, 532, 536, 538 Melolontha melolontha 402
Melonenqualle 250, 255 Membranipora membranacea 260, 269, 298, 300 Meningitis 61, 72 Mensch 265, 410 Mensch 482, 486, 539, 548, 552, 554, 616, 624, 628, 633, 634, 637, 638, 641, 645, 647, 649 Menschen 616, 649 Menschenaffen 634, 638, 665 Mephitis mephitis 538 Merkmal 9 Merkmal, informatives 19 Merkmal, nicht informatives 19 Merkmals-Matrix 19, 21 Merostomata 374, 378, 382 Mesaxonia 508, 601, 602 Mesonychidea 582 Mesotarbus intermedius 385 Mesozoa 238, 262 Messermuschel 289, 367 Metabionta 100, 107 Metallosphaera prunae 88 Metallosphaera sedula 88 Metamonadina 100, 144 Metazoa 100, 120, 122, 238, 240 Methanbakterien 82, 93 Methanobacillus amelianski 48 Methanobacterium formicicum 93 Methanobacterium ruminantium 48 Methanobacterium thermoautotrophicum 93 Methanobrevibacter ruminantium 47, 48, 82, 89, 93 Methanococcales 92 Methanococcoides methylutens 98 Methanococcus jannaschii 82, 89, 92 Methanococcus thermolithotrophicus 92 Methanococcus vannielii 48, 92 Methanogenium cariaci 97 Methanokokken 82 Methanolobus vulcani 98 Methanomicrobiales 82, 97 Methanomicrobium mobile 89, 97 Methanopyrales 82, 90 Methanopyrus kandleri 82, 89, 90 Methanosaeta thermophila 97 Methanosarcina barkeri 82, 89, 98 685
Sachwortverzeichnis Methanosarcina mazei 98 Methanosarcinales 89, 98 Methanospirillium hungatei 82, 97 Methanothermus fervidus 93 Methylococcus capsulatus 63 Micrasterias papillifera 103, 105, 111, 112, 164, 172, 173, 177, 178, 191, 192 Microcebus rufus 623 Microchiroptera 510, 542 Micrococcus radiodurans 46 Microcyema gracile 263 Micromonadophyta 170 Micromonadophyten 105 Microparamys 561, 568 Micropterus salmoides 277 Microsporidia 100, 115, 119 Microtus arvalis 568 Miesmuschel 289, 336, 344, 348, 349, 352, 364, 367, 369 Milzbrand 46, 65 Mimatuta 599 Mimotona 561, 568 Miomeryx 589 Miopithecus talapoin 636 Mirounga leonina 538 missing link 38 Mississippi-Alligator 500, 507 Mittelmeer- Zypresse 228 Mixtotherium 576, 578 Modifikation 18 Mohrenkaiman 500, 507 Mollusca 266, 281, 289, 336, 338 Monachus monachus 538 Mönchsrobbe 538 Mondbechermoos 198 Moniliformis dubius 260, 269, 272, 277 Moniliformopses 194, 214 Monodon monoceros 590, 593, 596 Monogenea 285, 286 Monokotyledonen 236 Monoplacophora 289, 336, 349, 350 Monospora polyancantha 132, 140 Monotremata 508, 511 Moosfarn, Gezähnter 211 Moosfarne 210 Moostierchen 299 Mopalia hindsi 346 Morchel 115, 116, 188 Morchella vulgaris 115, 116, 118 686
Anhang Mordacia 426 Mordacia mordax 426 Morganucodon 486, 515 Mormyrus mormyrus 459 Mormyrus rume 264, 410, 413, 416, 419, 423, 427, 432, 437, 450, 454, 457 Mosasaurier 434 Moschus moschiferus 569, 573, 575, 581, 586, 589 Moschusochse 589 Moschustier 569, 573, 575, 581, 586, 589 Mougeotia tenuis 107, 112, 173, 178, 192 Moythomasia 438, 446 Mucor mucedo 115, 116, 118 Mucor racemosus 115 Multituberculata 513 Murex tenuispina 358 Mus musculus 420, 423, 427, 433, 436, 486, 556, 560, 568 Muschelkrebse 394 Muscheln 289, 367 Muskeltrichine 261, 308, 312 Mustela nivalis 538 Mustelus antarcticus 430 Mutterkorn 116 Mya arenaria 369 Mycetozoa 100, 146 Mycobacterium leprae 46, 67 Mycobacterium tuberculosis 46, 67 Mycoplasma genitalium 65 Mycoplasma pneumoniae 64, 65 Myllokunmingia fengjiaoa 420, 424 Mylodon 526 Myocastor coypus 565, 568 Myomerozoa 404, 413, 416 Myomorpha 510, 568 Myotis myotis 544 Myriapoda 374, 386, 387 Myrmecia sp. 169 Myrmecobius fasciatus 520 Myrmecophaga tridactyla 508, 521, 523, 526 Mystacocarida 395 Mysticeti 596 Mytilus eduli 289, 336, 344, 348, 349, 352, 364, 367, 369 Myxine glutinosa 404, 416, 420, 421, 402, 422
Myxineides gonorum 422 Myxinoidea 420, 421 Myxobolus pfeifferi 238, 256 Myxomyceten 147 Myxonoidea 404 Myxotheca arenilega 151 Myxozoa 238, 256 Myzostomida 295
N Nabelhauttang 105, 107, 110 Nachtaffe 554, 631 Nacktsamer 221, 662 Nadelbäume 228 Naegleria fowleri 160 Naegleria gruberi 160 Nagetiere 508, 510, 560, 565 Nanaloricus mysticus 261, 266, 308, 313, 323, 330, 333 Napfschnecke 344, 349, 354, 358 Narwal 590, 593, 596 Nasalis larvatus 636 Nasenaffe 636 Nasenstör 448 Natrix natrix 423, 427, 436, 469, 482, 488, 492, 495, 497 Natrobacterium magadii 96 Natrococcus occultus 47, 48, 82, 96 Natternzunge 190 Nautilus 289 Nautilus macromphalus 336, 354, 360 Nautilus pompilus 289, 344, 349, 352, 354, 362 Navajovius 541 Navajovius 546 Navicula incerta 127, 129 Naxilepis 438 Nebalia 273 Nebalia bipes 389, 398, 399 Nectonema agile 261, 266, 308, 313, 323, 324, 328, 329 Nectonemertes mirabilis 284, 287, 288 Neisseria gonorrhoeae 61 Neisseria meningitidis 61 Nemalion multifidum 107, 108, 110 Nematoda 266, 324, 325 Nematodinum lebourae 139
Sachwortverzeichnis Nematomenia banyulensis 340 Nematomorpha 266, 324, 328 Nematozoa 266, 323, 324 Nemertinea 266, 284, 287 Nemertini 287 Neobisium tuzeti 381, 383, 384 Neoceratodus forsteri 460, 465, 465, 466, 467 Neomenia carinata 340 Neomys fodiens 533 Neopilina bacescui 351 Neopilina bruuni 351 Neopilina ewingi 351 Neopilina galatheae 289, 336, 343, 344, 348, 349, 350, 351 Neopilina veleronis 351 Neopterygii 440, 446, 450 Neotragus pygmaeus 589 Nepa cinerea 401 Nephrops norvegicus 399 Nephroselmis rotunda 170, 171 Nereis diversicolor 269, 271, 281, 297 Nereis sp. 294 Nereocystis luetkeana 125, 127, 129 Nesolagus netscheri 564 Nesseltiere 251 Neunaugen 425 Neunbinden-Gürteltier 522, 523, 526 Neurospora crassa 118 Neuseelandurfrosch 475, 480 Nichtschwefelbakterien, Grüne 54, 78 Nilflösselhecht 404, 437, 440, 443 Nilhecht 264, 410, 413, 416, 419, 423, 427, 432, 437, 450, 454, 457 Nilkrokodil 460, 482, 488, 492, 501, 505, 507 Nitella batrachosperma 164, 182 Nitella gracilis 112, 173, 178, 180, 183 Nitellopsis obtusa 183 Nitrobacter winogradskyi 46, 60 Nitrococcus mobilis 60 Nitrosococcus oceanus 61 Nitrosomonas europaea 61 Noctilio labialis 544 Noctiluca miliaris 132, 139 Noctiluca scintillans 137, 139 Nomenklatur, binominale 2
Anhang Nordlandrochen 429 Nordmann-Tanne 40, 49, 51, 100, 103, 111, 164, 172, 177, 179, 184, 188, 194, 208, 212, 220, 223, 227 Nordseegarnele 399 Nosema lepocreadi 100, 113, 115, 119 Nosema locustae 114, 115, 119 Notoryctes typhlops 516, 520, 522 Notostraca 397 Notothrylacites 201 Notothylas flabellatus 201 Nucula nucleus 344, 349, 352, 364, 369 Nussmuschel 344, 349, 352, 364, 369 Nussschnecke 349 Nyctea scandiaca 488 Nycticebus coucang 621 Nymphon gracile 322, 378, 380 Nymphon rubrum 380
O Oatrania 629 Obelia geniculata 253 Obruchvichthys sp. Obturata 297 Ochotona alpina 560, 564 Ochotona rutila 559, 562 Ochsenfrosch 470, 480 Octomitus neglecta 144, 145 Octopus vulgaris 343, 344, 348, 349, 352, 354, 360, 363 Odobaenus rosmarus 508, 536, 538 Odontoceti 596 Odostomia rissoides 359 Ohrenqualle 253 Oikopleura albicans 413, 415 Oikopleura ongicauda 414, 415 Okapi 508, 586, 587 Okapia johnstoni 508, 586, 587 Ölbaum 221, 232, 237 Olea europaea 221, 232, 237 Oligochaeta 295, 297 Olpidium viciae 118 Onchocerca gibsoni 327 Onchocerca volvulus 327 Ondatra zibethica 568 Oniscus asellus 386, 389, 398, 400
Onychophora 266, 315, 316 Oomyceten 128, 129 Oonendoceras sinicum 363 Opalina sp. 129 Opalinen 128,129 Ophiocytium arbuscula 127, 129 Ophioglossum vulgatum 190 Ophiothrix fragilis 408 Ophiura albida 407, 408 Ophiuroidea 408, 658 Opiliones 384 Opisthokonta 100, 113 Opossum 515, 516, 520 Opossummaus 520 Orang-Utan 554, 616, 624, 628, 633, 634, 637, 638, 641, 643 Orchestia gamarellus 400 Orcinus orca 569, 573, 575, 582, 586, 590, 596 Ornithorhynchus anatinus 484, 486, 508, 511, 512 Orthonectida 262 Orvikuina 438, 446 Orycteropus afer 508, 532, 569, 571, 572 Oryctolagus cuniculus 513, 559, 560, 562, 564 Oscillatoria agardhii 69 Osmunda regalis 214, 218 Ospia 456 Osteichthyes 404, 427, 432 Ostracoda 394, 395 Ostseegarnele 386 Otlestes 538 Otterspitzmaus 535 Outgroup 17 Ovibos moschatus 589 Ovis ammon 589 Owen, Richard 8, 10 Owenia fusiformis 297 Oxymonadina 145
P Pachymenia abyssorum 340 Pakicetus 576, 582, 586, 590, 597 Palaemon serratus 322, 386, 389 Palaeobranchiostoma hamatotergum 418 Palaeochiropteryx 544 687
Sachwortverzeichnis Palaeoisopus problematicus 380 Palaeopantopus maucheri 380 Palaeoscoleca sinensis 297 Palaeosuchus palpebrosus 505 Palaeothea devonica 380 Palaeotupaia 551 Palaeotydeus devonicus 385 Paleoclosterium leptum 192 Paleonitella sp. 183 Paleooikopleura 415 Paleothyris 493 Palinurus elephas 399 Pallavicinites 198 Palmaria palmata 105, 107, 108, 110 Palmblattrotalge 105, 107, 108, 110 Palmentang 129 Palmfarn 190, 194, 212, 213, 221 Palmfarne 230 Palpigradi 385 Pampashase 560 Pan paniscus 638, 641, 645, 647, 648 Pan sapiens 618 Pan troglodytes 404, 420, 423, 427, 432, 434 Pan troglodytes 465, 468, 469, 481, 484, 616, 624, 628, 634, 637, 641, 645, 647, 648 Panarthropoda 266, 312, 314 Pancrustacea 374, 386, 389 Panda, Großer 538 Pandalina brevirostris 398 Pandalus borealis 399 Pandora inaequivalvis 369 Panine 616, 648 Panthera leo 538 Pantherpilz 116, 118 Pantopoda 379 Panzergeißler 137 Panzernashorn 601, 604 Paphiopedilum callosum 235 Papierboot 270, 363 Papilio machaon 322, 386, 389, 401, 402 Papio cynocephalus 539, 548, 554, 624, 628, 633, 634, 635, 636 Papio papio 616, 624, 628, 633, 635 Pappotherium 513 Parabasalia 100, 142 Paracentrotus lividus 265, 408 688
Anhang Paralepisosteus 453 Paramecium tetraurelia 100, 132, 134 Paramys 561, 561 Paramyxine atami 422 Paranemertes peregrina 288 Paranictops 561 Paraphylie 32 Parapithecus 629 Paraprotacarus hirsti 385 Paraspidosiphon klunzingeri 292, 293 Pärchenegel 284 Parenchymia 266, 281, 284 Parenchymophyta 164, 180, 184 Parka decipiens 186 Paromomys 539, 541 Parsimonie-Methode 26 parsimony 22 Parus caeruleus 504 Parvanorina 322 Parvicorbicula socialis 121 Parvitragulus 589 Patella vulgata 344, 349, 354, 358 Paucijaculum 307 Pauropoda 388 Pauropus silvaticus 387, 388 Pavian 616, 624, 628, 633, 635 Pecten maximus 344, 349, 352, 364, 369 Pectinatus cerevisiaephilus 44, 46, 54, 73 Pedicellina cernua 266, 269, 270, 271, 280, 281, 283 Pedicellina ichikawai 282, 283 Pediculus humanum 402 Pelagia noctiluca 120, 122, 238, 249, 251, 253 Pelecanus occidentalis 504 Peleonectes lucayensis 386 Pelmatozoa 408 Pelobates fuscus 475, 480 Pelodictyon clathratiforme 71 Pelodytides punctatus 480 Pelomyxa palustris 146, 147 Pelvetia fastigata 129 Pelzflatterer 508, 539, 540, 541, 545, 546 Penicillium chrysogenum 114, 115 Pentastomida 395 Peracarida 400
Perameles fasciata 520 Perameles gunnii 516 Peramuridae 513 Perca fluviatilis 258, 413, 416, 420, 433, 438, 459 Perchoerus 585 Percolozoa 100, 159 Pericarida 400 Peridinium cinctum 100, 132, 137, 139 Peripata 316 Peripatopsis capensis 317 Peripatus jamaicensis 260, 308, 312, 315, 317 Perissodactyla 508, 598, 600 Perlboot 257, 259, 260, 266, 269, 270, 271, 280, 281, 289, 344, 360, 363 Perlmuschel 349, 352, 364, 369, Perodicticus potto 616, 619, 620, 621 Perspicaris sp. 386, 390 Pertica 213 Perutherium 599 Pest 63 Petaurista grandis 568 Petaurus australis 520 Petaurus sciureus 516 Petersfisch 432, 437, 438, 440, 445, 446, 450, 451, 454, 457, 459 Petrodromus tetradactylus 558 Petrolacosaurus kanensis 493 Petromyzon fluviatilis 404, 420, 423, 425, 426 Petromyzon marinus 410, 416, 423, 425, 426 Petromyzonta 404, 423, 425 Petrophaga lorioti 403 Pfauenwurm 297 Pfeifhase 559, 560, 562, 564 Pfeilschwänze 382 Pfeilschwanzkrebs 322, 374, 377, 378, 381, 382 Pfeilwurm 259, 266 Pferdeaktinie 251, 253 Phacochoerus aethiopicus 583, 585 Phaeophyceen 129 Phakellia flabellata 100, 120, 122, 238, 243, 245 Phalacrocorax carbo 488, 492
Sachwortverzeichnis Phalanger maculatus 520 Phalangio tarbida 385 Phalangium opilio 383, 384 Phallusia mammilata 415 Phänetik 22 Phänogramm 14 Pharyngotremata 404, 410 Phascolion strombi 293 Phasolarctos cinereus 516, 520 Phenacolophus 599, 608, 615 Philodina roseola 260, 266, 269, 270, 271, 272, 273, 275 Phocaena phocaena 590, 596 Phoenicopterus ruber 504 Phoenix dactylifera 235 Pholas dactylus 369 Pholidophorus 459 Pholidota 508, 510, 528, 529 Phonoris architecta 269 Phoronida 266, 301, 304 Phoronis architecta 260, 298, 301, 304, 305 Phoronis hippocrepia 304, 305 Phoronis psammophila 266, 298, 301, 304, 305 Phoronopsis harmeri 298, 301 Phoronozoa 266, 298, 301 Phosphatherium 614 Photobacterium phosphoreum 54, 62 Phragmoplastophyta 164, 173, 177 Phreatamoeba sp. 147 Phrynictus lunatus 384 Phyllopoden 396 Phyllostomus hastatus 544 Phylobates 636 Phylogenie 3 Phylogramm 14 Physalia physalis 251, 253 Physarum polycephalum 147 Physeter catodon 508, 513, 569, 573, 575, 582, 586, 590, 593, 596 Phytobacterium phosphoreum 63 Picea abies 223, 228 Picrophilus oshimae 94 Pierwurm 259 (s. auch Wattwurm) Pikaia 410, 413, 416, 418 Pilgermuschel, Gewöhnliche 344, 349, 352, 364, 369 Pilgermuschel, Kleine 367
Anhang Pilze 100, 115 Pinctada margaritifera 344, 349, 352, 364, 369 Pinie 184, 190, 209, 212, 221, 223, 228 Pinna nobilis 369 Pinophyta 194, 223, 227 Pinus pinaster 223, 227 Pinus pinea 184, 190, 209, 212, 221, 223, 228 Pinus silvestris 199, 204, 228 Pipa pipa 474, 478, 480 Pipistrellus pipistrellus 539, 542, 544 Pirellula sp. 77 Pirofilaria immitis 327 Piroplasmose 141 Pisidium casertanum 369 Placentalia s. Plazentalia Placiphorella velata 346 Placodonta 434 Placozoa 238, 241 Planaria maculata 120, 123 Planaria maculata 250, 269, 284, 286 Planarie 259 Planctomyces maris 44, 46, 54, 77 Planctomyceten 54, 77 Planocephalosaurus 498 Plasmodesmophyta 164, 178, 179 Plasmodium falciparum 132, 141 Plasmodium vivax 100, 140 Plasmopara viticola 127, 128, 129 Platanista gangetica 590, 596 Plathelminthes 266, 284, 285 Plattwürmer 285 Platypholinia pholiata 269, 271, 284, 286, Platyrrhini 616, 628, 630 Plazentalia 510, 515, 521 Plazentalia, unguligrade 587 Plazentatiere 510 Plecotus auritus 539, 541, 544 Plectronoceras cambria 363 Plethodon cinereus 475, 477 Pleurasiga minima 100, 113, 120, 121 Pleurastrophyceae 167, 169 Pleurobrachia pileus 238, 249, 254, 255 Pleurodeles waltli 470, 471
Pleurotrocha petromyzon 275 Pliciloricus enigmaticus 333 Pliopithecus 629 Plumaria elegans 110 Plumatella casmiana 300 Plumplori 621 Pneumonie 76 Poebrodon 578 Poecilia reticulata 446, 451, 454, 459 Pogonophora 295, 297 Polycelis nigra 285, 286 Polychaeta 295, 297 Polydesmus sp. 322, 374, 386, 387, 388 Polykrikos schwarzii 137, 139 Polymerurus rhomboides 310, 311 Polymorphus minutus 277 Polyodon spathula 447, 448 Polyodontidae 447 Polyplacophora 289, 336, 344, 345 Polypodium vulgare 184, 188, 194, 199, 214, 217, 218 Polyptera 443 Polypterus bichir 404, 437, 440, 443, 444, Polypterus palmas 443, 444 Polypterus senegalus 438, 444 Polysiphona elongata 100, 103, 107, 108, 110 Polysporangiophyta 194, 204, 208 Polystichum lonchitis 214, 217 Polystonum integerrimum 286 Polytrichum formosum 188, 194, 199, 203, 205 Polytrichum juniperum 199, 204, 207 Polytrichum piliferum 178, 180, 184, 190 Ponginae 616, 641, 643 Pongo pygmaeus 554, 616, 624, 628, 633, 634, 637, 638, 641, 643b Pontoporia blainvillei 590, 596 Porifera 244 Porophoraspis 424 Porphyra umbilicalis 105, 107, 110 Portunus holsatus 399 Potamochoerus porcus 585 Potamogale velox 535 Poteriochromonas danica 127, 129 689
Sachwortverzeichnis Potto 616, 619, 620, 621 Pottwal 508, 513, 569, 573, 575, 582, 586, 590, 593, 596 Powichthys thorsteinssoni 465 Praesycidium siluricum 183 Prasinophyceae 170 Prasinophyta 112, 164, 170 Preacanthochiton cooperi 346 Preacanthochiton productus 346 Preptotheria 508, 528, 531 Priapswurm 258, 261, 266, 308, 312, 313, 323, 330, 334, 335 Priapswürmer 334 Priapulida 266, 330, 334 Priapulus bicaudatus 258, 261, 266, 308, 312, 313, 323, 330, 334, 335 Primärhomologie 11 Primates – im engeren Sinne 508, 548, 552 – im weiteren Sinne 508, 539, 547 Primates 616, 618 Priodontes giganteus 526 Prionocidaris baculosa 238, 264, 407, 408 Priscansermarinus barnetti 395 Pristiophorus cirratus 431 Proboscidea 508, 510, 612 Probrachiodus 592 Procavia capensis 508, 569, 598, 600, 601, 605, 606 Prochaetoderma raduliferum 342 Prochloron didemni 69 Procolobus badius 628, 634, 636 Proconodontus 420 Proconsul 638 Procyon lotor 536, 538 Profistulipora arctica 300 Proganochelys quenstedtii 491 Prohelicotoma uniangularia 354, 359 Projetaia runnegari 269, 271, 281, 289, 344, 349, 353, 369 Prokaryoten 661 Prokennalestes 515, 522, 528, 532, 535 Prominatherium 592 Proneomenia aglaopheniae 289, 339, 340 Proneomenia sluiteri 340 Propithecus vereauxii 623 Propliopithecus 629, 634 690
Anhang Prorastomus 611 Prosimia 618, 665 Prostheceraeus vitatus 285 Prosthecochloris aestuarii 71 Protacarus crani 385 Protechiurus edmonsi 261, 269, 271, 281, 297 Protegotherium 526 Proteobakterien – α-Proteobakterien 54, 59 – β-Proteobakterien 54, 61 – γ-Proteobakterien 54, 62 – δ-Proteobakterien 54, 58 – ε-Proteobakterien 54, 57, 59 Proterosuchus 501 Proteus anguinus 474, 475, 476, 477 Protictis 538 Protisten 661 Protongulatum 574 Protopterus annectens 467 Protopterus dolloi 433, 435, 466 Protosolpuga carbonaria 385 Protospeleorchestes pseudoprotacarus 385 Protospongia 247 Protostomia 238, 258, 259, 266, 268 Protosuchus 507 Protula tubularia 297 Pruvotina providens 340 Prymnesiophyten 130 Prymnesium patellifera 127, 130 Psammechinus miliaris 408 Psarolepis romeri 436 Psephurus gladius 448 Pseudociliaten 154 Pseudocoelomata 268, 663 Pseudomonas aeruginosa 63 Pseudomonas multivorans 46 Pseudoparamys 561, 568 Pseudoprotacarus scoticus 385 Pseudosarcinen 98 Pseudoscaphirhynchus kaufmanni 447, 448 Pseudoskorpion 381, 383 Pseudoskorpione 384 Psilophyton 213 Psilotum nudum 218 Psilotum triquetrum 214 Psittacose 76
Psittacus erithacus 113, 120, 122 Psittacus erithacus 249, 257, 481, 486, 492, 500, 502, 504 Pteridium aquilinum 105, 112, 173, 178, 180, 184, 190, 199, 204, 209, 212, 214, 218 Pteridophyta 208, 212, 662 Pteridopsida 217 Pterobranchia 406, 411 Pterosperma sp. 105, 107, 112 Pterygotus deepkillensis 382 Ptilocercus lowii 547, 548, 549, 551 Ptyodactylus hasselquistii 496 Puccinia graminis 118 Purgatorius 539, 541, 548, 554 Pusellun lofotense 352, 364, 370, 371 Pustelschwein 585 Pychophyes echinoderoides 331, 332 Pychophyes flaveolatus 331, 332 Pycnogonida 374, 378, 379 Pycnogonum littorale 315, 320, 322, 374, 377, 379, 380 Pyramimonas lunata 112, 171 Pyramimonas obovata 164, 170 Pyrococcus abyssi 91 Pyrococcus furiosus 82, 89, 91 Pyrococcus horikoshii 91 Pyrodictium abyssi 85, 87 Pyrosoma atlanticus 415 Pyrsonympha sp. 144, 145
Q Quastenflosser 434, 435, 460, 463 Quercus suber 237 Quittenbaum 194, 199, 203, 208, 212, 231, 235
R Rädertier 269, 270, 272, 273 Radinskya 601 Radiolarien 148, 149 Raja nidarosiensis 429 Raja radiata 420, 423, 427, 429, 431 Ramapithecus 642, 644
Sachwortverzeichnis Rana catesbeiana 470, 480 Rana esculenta 420, 423, 427, 433, 436, 465, 469, 470, 475, 478, 480 Rankenfüßer 394 ranking 22 Raoella 582, 585 Raphidonema longiseta 164, 172 Rappenantilope 589 Rattenigel 535 Rattus rattus 565, 568 Raubtiere 536 Rauzahndelfin 590, 596 Regenwurm 114, 120, 123, 250, 258, 269, 271, 281, 297 Regenwürmer 295 Rekonstruktion, phylogenetische 32 Remipedia 374, 386, 389, 391 Reptilien 664 Reptiliomorphe 462 Retortamonadina 145 Retortamonas sp. 100, 144, 145 Revalotrypa eugeniae 300 Reversion 11, 20, 21 Rhabdopleura normanni 410, 411, 412 Rhabdotubus johanssoni 412 Rhacophorus omeimontis 460, 478 Rhacophyton 219 Rhaphidonema longiseta 176 Rhaphidonema nivale 176 Rhinoceros unicornis 601, 604 Rhinolophus hipposideros 544 Rhinops fertoensis 272, 273, 275 Rhipidistia 460, 465, 485 Rhizobium leguminosarum 40, 44, 46, 54, 59, 60 Rhizocrinus lofotensis 407, 498 Rhizopoda 100, 157 Rhizopus niger 118 Rhodobionta 100, 108 Rhodomicrobium vannielii 59, 60 Rhodophyceae 108 Rhodophyta 108 Rhombozoa 262 Rhopalomenia aglaopheniae 336, 339, 340 Rhopalura ophiocomae 262, 263 Rhynchocephalia 498 Rhynchocyon petersi 558 Rhynchocyon stuhlmanni 557
Anhang Rhynia 208 Rhyniella praecursor 402 Riccia glauca 198 Rickettsia prowazakii 60 Rickettsia typhi 60 Riementang 129 Riesengalago 619, 620, 621 Riesengürteltier 526 Riesenkänguru, Rotes 484, 486, 513, 515, 516, 520 Riesenkrake 363 Riesenregenwurm 297 Riesensalamander 475, 477 Riesenschuppentier 486, 508, 521, 527, 528, 530 Riesentang 125, 127, 129 Riftia pachyptila 297 Rindenmoostierchen 260, 269 Ringelechse 488, 492, 495, 496, 497 Ringelnatter 423, 427, 436, 469, 482, 488, 492, 495, 497 Ringelwürmer 295 Rinnentang 129 Rippenmolch 470, 477 Rippenquallen 254 Robustheit-Analyse 27 Rochen 430 Rodentia 565 Röhrenwurm 294 Romer, A. S. 3 Rosalina leei 151 Rosopsida 236 Rotaliella roscoffensis 151 Rotatoria 272, 273 Rotfuchs 538 Rotfußröhrling 51 Rotgesichtmakak 634, 636 Rothirsch 569, 573, 575, 581, 586, 587, 589 Rotifera 266, 272, 273 Rotrücken-Waldsalamander 475, 477 Rousettus aegyptiacus 539, 541, 543 Ruderfrosch 460, 478 Ruderfußkrebse 394 Ruminantia 508, 586, 587 Rundschwanzsirene 508, 569, 574, 598, 607, 608, 609, 611 Rundstängel-Nacktfarn 218 Rüsselspringer 556, 557
S Saat-Weizen 184, 188, 221, 231, 235, 237 Sabella pavonina 297 Sacabambaspis janvieri 424 Saccharomyces cerevisiae 51, 114, 115, 118 Saccinobaculus lata 145 Saccoglossus cambrensis 411, 412 Sacculina carcini 395 Sägehai 431 Sagitta elegans 259, 266, 306, 307 Saguinus imperator 632 Sahara-Skorpion 312, 315 Saiga tatarica 589 Saigaantilope 589 Saimiri sciureus 632 Saitenwürmer 328 Salamander 474 Salamandra atra 470, 477 Salamandra salamandra 460, 470, 475, 476, 477 Salinenkrebs 386, 389, 396, 397 Salmo salar 423, 427, 433, 438, 459 Salmo trutta trutta 454, 457, 459 Salmonella typhi 63 Salpa democratica 415 Salpa maxima 410, 413, 414, 415 Salpe 414 Sambucus nigra 199, 204, 209, 213, 221, 232, 237 Samenpflanzen 208, 221 Sanctacaris uncata 378, 381 Sandersiella acuminata 393 Sandklaffmuschel 369 Saprolegnia ferax 128, 129 Saprolegnia sp. 127 Sarcophaga sp. 386, 390, 401, 402 Sarcophilus harrisi 520 Sarcopterygii 404, 433, 434, 443 Sarcopterygii 460, 462 Sarcoptes scabiei 378, 381, 385 Säugetiere 484, 510 Saugwürmer 285 Saurillodon proraformis 497 Sauropsida 460, 462, 487 Sauropterygier 434 Saurosternon bainii 495 Savannenelefant, Afrikanischer 612 Scala Naturae 7 691
Sachwortverzeichnis Scandentia 508, 548, 549 Scaphirhynchus platorhynchus 448 Scaphopoda 289, 336, 364, 370 Scenedesmus falcatus 167, 169 Schabrackentapir 600, 601, 602, 604 Schachtelhalme 215 Schädellose 417 Schaufelstör 448 Scheidenmuschel 260, 269, 271, 281, 289, 344, 349, 352, 364, 369 Schiffsbohrwurm 369 Schildfüßer 341 Schildkröten 489 Schimpanse 404, 420, 423, 427, 432, 434, 465, 468, 469, 481, 484, 616, 624, 628, 634, 637, 641, 645, 647, 648 Schirmchenalge 167, 169 Schistometopum gregorii 473 Schistosoma haematobium 285, 286 Schistosoma mansoni 284, 286 Schizopea typica 354, 359 Schlammtaucher 480 Schlangenhalsschildkröte 489 Schlangenstern, Weißlicher 408 Schlangenstern, Zerbrechlicher 408 Schlangensterne 408 Schlanklori 548, 552, 554, 619, 620, 621 Schleie 250, 459 Schleimaale 421 Schliefer 605 Schlitzrüssler 508, 533, 535 Schmalwand, Acker- 111 Schnabeltier 484, 486, 508, 511, 512 Schnappschildkröte 490 Schnecken 289, 356 Schneckennnatter 468, 481, 486, 492, 494, 496 Schnee-Eule 488 Schneeschuhhase 564 Schnegel, Großer 344, 349, 354, 359 Schnurwurm 260, 269, 271, 281, 284 Schnurwürmer 287 Schopfgibbon 554, 640 Schraubenalge 105, 112, 173, 191 Schuppentiere 529 Schwalbenschwanz 322, 386, 389, 401, 402 Schwamm 122 692
Anhang Schwanzfrosch 480 Schwanzlurche 476 Schwefelanemone 253 Schwefelbakterien, Grüne 54, 71 Schweine 583 Schweinespulwurm 120, 123, 250, 258, 261, 308, 312, 323, 324, 327 Schweinswal 590, 596 Schwertwal 569, 573, 575, 582, 586, 590, 596 Schwielensohler 577 Schwimmfuß 359 Schwimmkrabbe 399 Schwimmwühle 47, 472 Scinaia furcellata 110 Sciuromorpha 568 Sciurus vulgaris 560, 568 Scolelepsis sp. 297 Scolopendra cingulata 388 Scolopendra subspinipes 388 Scorpio maurus 308, 312, 315 Scutigera coleoptrata 387, 388 Scutigerella immaculata 388 Scutopus megaradulatus 342 Scylorhinus canicula 430 Scyphozoa 253 Seeampfer 108, 110 Seeanemonen 251 See-Elefant, Südlicher 538 Seegurke 407 Seegurken 408 Seehase 344, 349, 352, 354, 356, 359 Seeigel 407, 408 Seeigel, Violetter 408 Seekatze 429, 431 Seekühe 609 Seelöwe, Kalifornischer 538 Seemaus 297 Seeohr 358 Seepocke 394 Seepocke, Gewöhnliche 395 Seepocke, Neuseeländische 395 Seeringelwurm 269, 271, 281, 297 Seescheide 265, 404, 414 Seescheiden 414 Seeschlangen 434 Seespinne 400 Seestachelbeere 238, 249, 254, 255 Seestern 120, 123, 258, 265, 404, 407, 408 Seesterne 408
Seewespe 253 Seinskette, Große 7 Seison annulatus 260, 269, 271, 272, 273, 275 Sekundärhomologie 22 Selaginella denticulata 211 Selaginellales 210 Selenidioides hollandei 140 Semibalanus balanoides 394, 395 Semnopithecus entellus 634, 636 Senegalflösselhecht 438 Sepia officinalis 258, 344, 349, 352, 354, 362 Sepiola atlantica 363 Seychellen-Riesenschildkröte 490 Shoshonius 624, 627 Shoutherium 513 Siamang 616, 628, 633, 637, 638, 639, 640 Siamotherium 592 Siconodon 515 Siebenbindengürteltier 526 Siebenpunktmarienkäfer 114, 120, 123, 258, 260, 308, 312, 315, 402 Siebenschläfer 568 Sifaka 623 Simiiformes 616, 628 Simpsonictis 538 Sinocodon 486 Sinuella minuta 354, 359 Sinuopea sweeti 359 Siphonodentalium galatheae 344, 349, 353, 364, 371 Sipunculida 266, 281, 292 Sipunculus nudus 292, 293 Sipunculus robustus 260, 269, 271, 281, 293 Siren lacertina 476 Sirenia 508, 510, 608, 609 Sivapithecus 642, 644, 645 Skolithos 301 Skorpion 322, 374, 377, 378, 381, 383, 394 Skorpione 384 Skunk 538 Smaragdeidechse 420, 427, 433, 436, 469, 482, 488, 492 Sminthurus sp. 401 Solen marginatus 260, 269, 271, 281, 289, 344, 349, 352, 364, 369 Solenoconchae 289, 336, 339, 370
Sachwortverzeichnis Solenodon paradoxus 508, 533, 535 Spadella cephaloptera 307 Spalax leucodon 568 Sparsamkeitsmethode 18 Spatangus purpureus 408 Speleonectes lucayensis 389, 392 Speleonectes ondinae 392 Spermatophyta 194, 208, 212, 220, 221 Sphacelaria rigidula 127, 129 Sphaerechinus granularis 408 Sphaerium corneum 369 Sphagnopsida 206 Sphagnum secundum 199, 207 Sphagnum sp. 205 Sphenobaiera 226 Sphenodon guntheri 498 Sphenodon punctatus 460, 482, 488, 492, 494, 498 Sphenodontia 460, 495, 498 Sphenophyta 194, 214, 215 Sphenopsida 215 Sphingobakterien 73 Sphyrna zygaena 429 Spinnenaffe 630 Spinnentiere 383 Spiralia 266, 271, 280 Spirillium volutans 61 Spirochaeta litoralis 75 Spirochaeten 54, 74 Spirogyra fluviatilis 105, 112, 173, 178, 192 Spirogyra sp. 191 Spirotaenia condensata 191 Spirulina labyrinthiformis 68, 69 Spitzhörnchen 508, 515, 539, 547, 548, 549, 551 Spitzmaulnashorn 508, 531, 598, 600, 601, 602, 604 Spondylus gaederopus 369 Spongia officinalis 114, 120, 123, 243, 245 Spongilla fluviatilis 245 Sporentierchen 140 Sporocytophaga myxococcoides 73 Sporogonites 207 Sporozoen 140 Springaffe, Grauer 632 Springschwanz 401 Springtamarin 554 Spritzwurm 260, 269, 271, 281
Anhang Spritzwürmer 292 Squalus acanthias 430 Squamata 460, 495, 496 Squilla mantis 398, 399 Stachelauster 369 Stachelhäuter 408 Stachelpolyp 253 Stachelschnecke 358 Stachelschwein 508, 555, 560, 565, 569 Stammbaum 11, 26 Stammbaumelemente 16 Staphylococcus aureus 54, 64, 65 Staphylothermus marinus 87 Staurocalyptus solidus 246, 247 Steckmuschel 369 Stegophrynus dammermani 384 Stegotrachelus 438, 446 Steinbock 589 Steindattel 369 Steinläufer 387 Steinlaus 403 Steinpilz 100, 113, 114, 115, 116, 118 Steinseeigel 408 Stemonitis sp. 146, 147 Stenanagale 556, 558 Steno bredanensis 590, 596 Stentor coeruleus 132, 134 Stentor polymorphus 49, 51, 132, 134 Stephanoceros sp. 269, 271, 272, 275 Stephanopogon apogon 152, 154 Sterlet 447, 448 Sternchenalge 103, 105, 111, 112, 164, 172, 173, 177, 178, 191, 192 Sternlebermoos 198 Sternrochen 420, 423, 427, 429, 431 Sternseepocke 395 Sternseescheide 413, 415 Steropodon 512 Stichococcus bacillaris 176 Sticholonche zanclea 149 Stigmatella aurantiaca 44, 46, 54, 58 Stolonica aggregata 415 Stomatophyta 194, 199 Stör 438, 440, 445, 447 Störe 445, 447, 448 Strahlenflosser 437, 462
Stramenopilata 127 Stramenopilaten 100, 127 Stramenopilen 127 Strandfloh 389, 400 Strandigel, Kleiner 408 Strand-Kiefer 223, 227 Strandkrabbe 399 Strandschnecke 289, 344, 349, 352, 354, 358 Strandseeigel 265 Strauß, Afrikanischer 488, 492, 504 Streifenflösselhecht 443 Streifengnu 460, 468, 484, 575, 581, 586, 587, 589 Strenuella sp. 322, 386, 390, 395 Strepsirrhini 616, 619 Streptococcus pneumoniae 65 Streptococcus thermophilus 65 Streptomyces griseus 66, 67 Streptomyces salmonis 67 Streptomycin 67 Streptophyta 112, 164, 172 Streptoverticillium salmonis 54, 66 Stromatolithen 69 Strongyloides duodenale 324, 327 Strophomenia lacazei 340 Strudelwürmer 285 Struthio camelus 488, 492, 504 Stummelaffe, Roter 628, 634, 636 Stummelfüßer 260, 312, 314, 315, 316 Stylocephalus longicollis 141 Stylonichia mytilus 134 Suiformes 508, 582, 583 Sulfolobales 82, 88 Sulfolobus solfataricus 47, 48, 82, 85, 88 Sumatra-Kaninchen 564 Sumpfbiber 565, 568 Sumpfschildkröte 481, 489, 490 Suncus etruscus 535 Sundagavial 507 Suppenschildkröte 491 Sus barbatus 585 Sus scrofa 508, 569, 573, 575, 581, 582, 583, 585 Sus verrucosus 585 Süßwasserpolyp, Grüner 250, 251, 253 Süßwasserschwamm 245 Sycon elegans 122 693
Sachwortverzeichnis Sycon elegans 238, 248 Sycon-Typ 244 Sylvilagus floridanus 564 Symbiodinium microadriaticum 139 Symbion pandora 260, 266, 269, 271, 272, 278, 279 Symmetrodonta 513 Symphalangus syndactylus 616, 628, 633, 637, 638, 640 Symphyla 388 Symplesiomorphie 4 Synapomorphie 14, 20, 21 Syndermata 266, 271, 272 Syndinium rostratum 139 Synechocystis sp. 69 Synura petersenii 129 Syphilis 46, 75 Syracosphaera subsalsa 125, 130 Systematik, Hennig’sche 31 Systematik, phylogenetische 4 Systeme 1
T Tachyglossus aculeatus 511, 512 Tachypleus tridentatus 382 Tadarida brasiliensis 531, 539, 540, 542, 544 Taenia saginata 260, 269, 271, 281, 284, 284, 286 Taenia solium 286 Taenia taeniaeformis 284, 285, 286, Taeniopteris taiyuanensis 230 Taguan 568 Takakia lepidozioides 205, 207 Takakiopsida 206 Talitrus saltator 389, 400 Talpa europaea 533, 535 Tamandua tetradactyla 526 Tamarin 632 Tana tana 551 Tangassel 389, 398, 400 Tantulocarida 395 Tapir, Südamerikanischer 569, 573, 598, 601, 604 Tapirus indicus 600, 601, 602, 604 Tapirus terrestris 569, 573, 598, 601, 604 Tardigrada 266, 315, 315 694
Anhang Tarsiiformes 626 Tarsioidea 626 Tarsius bancanus 627 Tarsius spectrum 616, 624, 626, 627 Tarsius syrichta 548, 554, 624, 627 Tarsoidea 616 Taschenkrebs 122, 249, 257, 259, 260, 266, 308, 312, 314, 315, 320, 322, 374, 386, 389, 398, 399 Taschenratte 568 Tausendfüßer 386, 387 Taxinomie 1 Taxon 14 Taxonomie 1 Taxus baccata 227 Tayassu 585 Tayassu albirostris 585 Tayassu tajacu 583, 585 Tegenaria domestica 250, 258, 378, 381, 384 Teleostei 440, 454, 457, 660 Tenrec ecaudatus 535 Terebratulina retusa 269, 298, 301, 303 Teredeo navalis 369 Tesnusocaris goldichi 392 Testicardines 303 Testudo hermanni 416, 423, 427, 436 Testudo hermanni 460, 482, 488, 489, 490 Tetanus 65 Tethytheria 508, 510, 598, 607 Tetrahymena pyriformis 51, 134 Tetramitus rostratus 100, 159, 160 Tetrapoda 460, 462, 468 Tetraselmis convolutae 171 Textularia sp. 150, 151 Thalassema hartmani 297 Thalassicola nucleata 100, 148 Thalassicola pelludica 149 Thalassiosira nordenskioeldii 127, 129 Thalassiovirgo neritica Thalia democratica 415 Thaliacea 415 Thaumastoderma heideri 266, 308, 310, 311 Thecamoeba terricola 157, 158 Theophrast 1 Theria 508, 513
Therimorpha 513 Thermococcales 91 Thermococcus celer 91 Thermofilum pendens 86 Thermokokken 82 Thermoplasma acidophilum 89, 94 Thermoplasmen 82, 94 Thermoproteales 82, 86 Thermoproteus tenax 82, 85, 86 Thermotoga maritima 54, 80 Thermotogales 54, 80 Thermus aquaticus 70 Thermus thermophilus 70 Theropithecus gelada 636 Theskeloceras benxiense 363 Thiobacillus novellus 61 Thiomicrospora pelophila 62 Thiothrix nivea 44, 46, 54, 61 Thrombicula autumnalis 378, 381, 385 Thunfisch 438, 446, 451, 454, 459 Thunnus thynnus 438, 446, 451, 454, 459 Thyca entoconcha 359 Thylacinus 535 Thylacinus cynocephalus 520 Thysanozoon brocchii 286 Tieflandgorilla, Östlicher 646 Tieflandgorilla, Westlicher 646 Tiefseegarnele 399 Tiefseemuschel 369 Tigerquerzahnmolch 470, 475, 477 Tigerschnecke 344, 349, 354, 358 Tigriopus fulvus 386, 389, 395 Tinca tinca 250, 459 Tintenfisch, Gewöhnlicher 258, 344, 349, 352, 354, 362 Tintenfische 289, 360 Tintenschnecken 360 Titanohyrax 606 Tokee 495 Tolypeutes matacus 526 Tomistoma schlegelii 507 Topologie 12, 13 Tordalk 501, 504 Torfmoos 199, 205, 207 Torfmoose 206 Torpedo torpedo 431 total evidence 27 Totenkopfäffchen 632 Tournefort, Joseph Pitton de 1
Sachwortverzeichnis Toxoplasma gondii 141 Toxoplasmose 141 Tracheophyta 204, 208 Trachom 76 Tragelaphus strepsiceros 589 Tragulina 589 Tragulus javanicus 569, 573, 575, 581, 586, 589 Trebouxia parmelia 169 Trebouxia sp. 111 Trebouxiophyceae 167 Tremacebus 632 Trematoda 285, 286 Trentepohlia aurea 169 Trentepohlia sp. 111 Trentepohliophyceae 167, 169 Treponema pallidum 46, 75 Triactinomyxon ignotum 256 Triadobatrachus 480 Triadobatrachus massinoti 471, 475 Trichechus inunguis 611 Trichechus manatus 611 Trichechus senegalensis 508, 569, 574, 598, 607, 609, 611 Trichinella spiralis 261, 308, 313, 323, 324, 327 Trichinose 261, 308, 313, 324, 327 Trichomonas sp. 100 Trichomonas vaginalis 143 Trichonympha agilis 143 Trichonympha sp. 142 Trichoplax adhaerens 238, 241, 242 Triconodonta 513 Trinodon 513 Trionyx ferox 491 Trionyx spiniferus 489 Triops cancriformis 389, 396, 397 Triticum aestivum 184, 188, 221, 231, 235, 237 Tritrichomonas sp. 49, 51, 142 Triturus cristatus 265, 410, 413, 416 Triturus cristatus 470, 475, 476, 477 Trochosphaera solstitialis 275 Trompetentierchen 49, 51 Trypanites sp. 293 Trypanosoma brucei 152, 154 Trypanosoma cruzi 154 Trypanosoma gambiense 154 Trypanosoma rhodesiense 154 Tubanella ocellata 311 Tuber melanosporum 118
Anhang Tuberkulose 46, 67 Tubifex tubifex 297 Tubiluchus corallicola 261, 308, 313, 323, 330, 334, 335 Tubulanus annulatus 287, 288 Tubulidentata 508, 510, 569, 571 Tümmler, Großer 593 Tupaia belangeri 508, 547, 549, 551 Tupaia glis 515, 539, 548, 551 Tupaias 510 Tüpfelfarn 184, 188, 194, 199, 214, 217, 218 Tüpfelkuskus 520 Turbellaria 285, 286 Tursiops truncatus 569, 573, 575, 581, 586, 590, 596 Tylopella glomerata 183 Tylopoda 508, 575, 577 Typhlonectes compressicauda 470 , 473 Typhus 63 Tytthaena 538
U Uakari 631 Uhr, molekulare 35 Uintacyon 538 Ulausuodon 592 Ulva lactuca 105, 107, 111, 112, 164, 167, 169 Ulvophyceae 167, 169 Ulvophyta 112, 164, 167 UMPG-Methode 22, 23, 24 Unio crassus 369 Unpaarhufer 602 Ureaplasma urealyticum 65 Urnatella gracilis 282, 283 Urochordata 404, 406, 413, 414 Urodasys sp. 310, 311 Urodela 460, 475, 476 Urogale everetii 539, 549, 551 Uropygi 384 Ursus arctos 536, 538 Urticina felina 253 Urwildpferd, Asiatisches 486 (s. auch Wildpferd) Uscarella prisca 322, 386, 390, 395 Ustilago maydis 118
V Vahlkampfia magna 160 Vampir, Echter 544 Vampyrotheutis infernalis 363 Varanus komodoensis 460, 492, 494, 495, 496, 497 Vari 616 Venus verrucosa 369 Venusgürtel 254, 255 Venusmuschel 369 Vermetus adansoni 344, 349, 352, 354, 359 Vertebrata 404, 420, 423 Verwandtschaft 17 Vestimentifera 295, 297 Vibrio cholerae 63 Vielborster 295, 297 Vieraella herbstii 480 Vierfüßer 462 Vikunja 577 Vincelestes 513 Viola odorata 232 Visceroconchae 336, 352, 354 Vladimissa missarzhevskii 269, 271, 281, 284, 286 Vögel 460, 501, 502, 659 Volitantia 508, 539, 540 Volvox globator 112, 169 Vombatus ursinus 520 Vorticella campanula 134 Vulpes vulpes 536, 538
W Wabenkröte 474, 478, 480 Wacholder, Gewöhnlicher 228 Waeringopterus priscus 382 Wahrscheinlichkeit 15 Wahrscheinlichkeitsmethode 25 Walchia 229 Waldelefant, Afrikanischer 612 Wald-Kiefer 199, 204, 228 Waldschwein 585 Wale 593 Walross 508, 536, 538 Wanderalbatros 492, 501, 504 Wanderfalke 492, 501, 504 Wanderheuschrecke 315, 320, 390, 401, 402 695
Sachwortverzeichnis Wanogale 556, 558 Wanwanoceras exiguum 363 Warzenschwein 583, 585 Waschbär 536, 538 Wasserfloh 322, 374, 386, 389, 396, 397 Wasserflöhe 396 Wasserschimmel 127 Wasserschwein 568 Wasserspitzmaus 533 Wasserwanze 401 Watsoniella crosbyi 353, 366 Wattwurm 259, 260, 266, 269, 270, 271, 280, 281, 294, 297 Wedelfarne 217 Wegschnecke, Rote 356, 359 Weichschildkröte 489, 491 Weichtiere 289 Weinbergschnecke, Gefleckte 250, 344, 349, 354, 359 Weinbergschnecke, Gewöhnliche 258, 260, 269, 271, 281, 289, 336, 343, 348, 352, 354, 356 Weinrebe 128 Weißbartpekari 585 Weißbüscheläffchen 624, 628, 630, 632 Weißhandgibbon 624, 634, 638, 639, 640 Weißpinseläffchen 548, 554, 616 Weißschwanzkaninchen 564 Weiß-Tanne 223, 228 Wellhornschnecke 356, 358 Welwitschia mirabilis 194, 220, 231, 233, 234 Welwitschie 194, 220, 231, 233 Wenigborster 295, 297 Westblindmaus 568 Westlothania lizziae 482 Widertonmoos 178, 180, 184, 188, 190, 194, 199, 203, 204, 205, 207 Wieselmaki 623 Wiesen-Hafer 221 Wildapfelbaum 105, 107, 112, 173, 178, 180, 184, 190, 237
696
Anhang Wildkamel 527, 569, 573, 575, 577 Wildkatze 522, 536, 538 Wildpferd 569, 574, 598, 601, 604 Wildschwein 508, 569, 573, 575, 581, 582, 583, 585 Wildyak 589 Wimpertiere 134 Wingstrandarctus corallinus 319 Winkelzahnmolch, Sibirischer 477 Winter-Schachtelhalm 216 Wisent 587 Witwe, Schwarze 384 Wolf 532, 538 Wolinella baltica 300 Wollmaki 623 Wombat 520 Wuchereria bancrofti 324, 327 Wundbrand 65 Wundstarrkrampf 46 Wurmholothurie 408 Wurmschnecke 344, 349, 352, 354, 359 Wurmwühle 460, 470, 472, 473 Wüstenspringmaus 568 Wyattia reedensis 344, 349
X Xanthidium antilopaeum 191 Xantho pilipes 400 Xanthophyceen 129 Xenarthra 508, 522, 523 Xenopus laevis 470, 475, 480 Xenotrypa primaeva 300 Xiaoshanoceras jini 363 Xiphosura 382
Y Yanheceras anhuiense 363 Yatanglestes 576, 582, 586, 590, 597 Yersinia pestis 63 Yochelcionella sp. 289
Youngolepis praecursor 465, 467 Yunnanozoon lividum 412
Z Zaglossus bruijni 511, 512 Zahnarme 523 Zahnwale 596 Zalambdalestes 561 Zalophus californianus 538 Zea mays 51, 105, 107, 112, 173, 178, 180, 184, 190, 199, 204, 209, 213, 232, 237 Zehnfußkrebse 398 Zeus faber 432, 437, 438, 440, 445, 446, 450, 451, 454, 457, 459 Ziphius cavirostris 590, 596 Zuchtauster 369 Zufall 25 Zungenwürmer 395 Zweizehenaalmolch 477 Zwergameisenbär 526 Zwergfledermaus 539, 542, 544 Zwergflusspferd 591, 591 Zwergkaiman 505 Zwergkaninchen 560, 564 Zwergmeerkatze 636 Zwergschimpanse 647, 648 Zwergspitzmaus, Etruskische 535 Zwischenglied 37 Zygnema peliosporum 112, 173, 178, 192 Zygnema sp. 191 Zygnematophyceae 191 Zygnematophyta 164, 178, 191 Zygomyceten 117, 118, 653