Biochemie der Ernährung
Gertrud Rehner · Hannelore Daniel
Biochemie der Ernährung 3. Auflage
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Biochemie der Ernährung
Gertrud Rehner · Hannelore Daniel
Biochemie der Ernährung 3. Auflage
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de
3. Auflage 2010 © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2010 Spektrum Akademischer Verlag ist ein Imprint von Springer
10 11 12 13
14
5 4 3 2 1
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Planung und Lektorat: Merlet Behncke-Braunbeck, Martina Mechler Index: Bärbel Häcker Satz: TypoDesign Hecker GmbH, Leimen Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu–Ulm Titelfotografie: Vitamin E, mit freundlicher Genehmigung des Arbeitskreises Ernährungs- und Vitamin-Informationen e.V. (evi)
ISBN 978-3-8274-2041-1
„Wollte ich Vollkommenheit anstreben, würde mein Buch nie fertig“ schrieb der chinesische Gelehrte Tai T’ung im 13. Jahrhundert … in diesem Sinne würden wir konstruktive Kritik begrüßen.
Die Autorinnen
Vorwort zur 3. Auflage
Nach Erscheinen der zweiten Auflage der Biochemie der Ernährung waren bereits mehr als acht Jahre vergangen, als sich der Verlag mit der Frage an uns wandte, ob wir zur Bearbeitung einer dritten Auflage bereit wären. Dieses Angebot erfreute uns natürlich, sprach es doch dafür, dass die „klassische“ Biochemie der Ernährung wohl auch weiterhin unverzichtbar ist. Durch den rasanten Fortschritt der molekularen Biologie während der letzten Dekade traten nämlich neue Aspekte der Ernährung in den Vordergrund der Forschung. Von besonderem Interesse war dafür die Entdeckung, dass verschiedene Nährstoffe wie auch andere Komponenten der Nahrung mit zentralen intrazellulären Signalkaskaden interferieren und auf die Genexpresion wirken. Die Variabilität solcher durch die Nahrung beeinflussbaren Systeme entspringt wohl der genetischen Varianz und/oder epigenetischen Mechanismen und mag erklären, weshalb unterschiedliche Individuen auf bestimmte Komponenten der Nahrung verschieden reagieren. Zweifelsohne bietet dieses neue Forschungsgebiet großartige Möglichkeiten für das Verstehen des Stoffwechsels und eventuell für das Vermeiden ernährungsbedingter Krankheiten. Die faszinierenden neuen Schwerpunkte der Ernährungsforschung haben sich unter den beiden Bezeichnungen „Nutritional Genomics“ und „Molecular Nutrition“ etabliert. Mit jeder neuen Auflage und dem neu angesammelten Wissen stellt sich natürlich die Frage: Was sollen wir weglassen und was sollen wir aufnehmen, um Studierenden und auch Lehrenden ein möglichst nützliches Lehrbuch an die Hand zu geben? Wir entschieden uns für die bisherige Betrachtung der Ernährung als Quelle für Energie und Baumaterial des menschlichen Körpers. Auch die Gliederung der vorherigen Auflagen, d.h. „die Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene“ (Teil I) und „Regulation des Metabolismus des Nährstoffe“ (Teil II) haben wir beibehalten. Wo es notwendig erschien, haben wir Ergänzungen vorgenommen, besonders bei der „Regulation der Nahrungsaufnahme“. Unserer Bitte folgend haben einige Leser auf Fehler und Unklarheiten hingewiesen. So gut es ging, haben wir sie beseitigt. Zu besonderem Dank verpflichtet sind wir auch bei dieser Auflage dem Tübinger Molekularpharmakologen Prof. Dr. Dietrich Winne, der auch in der zweiten Auflage noch zahlreiche Fehler entdeckt hatte. Ob diese dritte Auflage fehlerfrei ist?? Wir danken Spektrum Akademischer Verlag für die Bereitschaft, die dritte Auflage der Biochemie der Ernährung auf den Markt zu bringen. Besonders herzlich sei Frau Merlet Behncke-Braunbeck und Frau Martina Mechler gedankt. Ohne ihr Verständnis und ihre Aufmunterung hätte die 3. Auflage nicht realisiert werden können. Die Autorinnen
Vorwort zur 2. Auflage
Die erste Auflage der Biochemie der Ernährung fand eine unerwartet positive Aufnahme, sodass knapp zwei Jahre nach ihrem Erscheinen der Verlag und die Autorinnen eine Überarbeitung und Erweiterung des Lehrbuchs ins Auge gefasst haben. Die bewährte Gliederung in einen ausführlichen zellbiologischen Teil und einen zweiten Teil, der den Stoffwechsel der Nährstoffe unter Berücksichtigung der Organspezifität behandelt, wurde in der neuen Auflage beibehalten. Einige Kapitel – insbesondere im zellbiologischen Teil – wurden neu gefasst, mehrere Abbildungen neu gezeichnet. Bei anderen Kapiteln beschränkten wir uns auf einige Ergänzungen und Korrekturen. Die zweite Auflage enthält außer dem Haupttext 12 sogenannte Exkurse, die einzelnen Kapiteln zugeordnet sind, ohne direkt in den Haupttext integriert zu sein. Diese, auch in anderen modernen Lehrbüchern übliche Darstellungsart, wurde gewählt, um die Kontinuität des Haupttextes zu wahren, anstatt ihn durch Details zu überfrachten. Die ersten fünf Exkurse sind dem zellbiologischen Teil zugeordnet. Sie enthalten molekularbiologische Grundinformationen und sollen das Verstehen der behandelten zellulären Prozesse einem größeren Kreis von Lesern erleichtern. Die weiteren sieben Exkurse befassen sich mit der Entstehung funktionstüchtiger Moleküle durch die Proteinfaltung, dem oxidativen Stress und seiner biologischen Abwehr, spezifischen Fragen der intestinalen Resorption, den molekularen Grundlagen des Sauerstofftansportes sowie dem Stoffwechsel des Ethanols und der Harnsäure. Obwohl in mehreren Rezensionen angeregt, konnte die Pathobiochemie der Ernährung auch in der vorliegenden Auflage nicht berücksichtigt werden – mit Ausnahme gelegentlicher kurzer Hinweise. Dieses Gebiet ist so umfangreich, dass seine einigermaßen zufriedenstellende Behandlung beim vorgegebenen Umfang des Lehrbuchs nicht möglich gewesen wäre. Unserer Bitte folgend haben einige Leser der ersten Auflage auf Unklarheiten hingewiesen und Verbesserungsvorschläge gemacht. Zu besonderem Dank verpflichtet sind wir dem Tübinger Molekularpharmakologen Prof. Dr. Dietrich Winne, der die erste Auflage des Buches sorgfältig durchgearbeitet und uns auf eine Reihe von Fehlern und Unstimmigkeiten aufmerksam gemacht hat. Ebenfalls dankbar sind wir unserer Kollegin Prof. Dr. Katja Becker-Brandenburg für die kritische Durchsicht einiger Kapitel sowie von Exkurs 5.1. Sehr hilfreich empfanden wir die „Fehler-Suchleidenschaft“ der Diplomökotrophologin Susanne Sachs. Wir waren bemüht, alle Fehler, auf die sie uns aufmerksam gemacht hat, aus dem Text und den Abbildungen zu eliminieren, sind jedoch sicher, dass sie auch in der zweiten Auflage noch welche entdecken wird. Für Hinweise und konstruktive Kritik sind wir auch weiterhin allen Lesern dankbar. Wir danken Spektrum Akademischer Verlag für die Bereitschaft, die zweite Auflage der Biochemie der Ernährung auf den Markt zu bringen. Dass dies relativ schnell erfolgt ist, verdanken wir der „katalytischen“ Wirkung von Frau Merlet Behncke-Braunbeck. Besonderer Dank gilt auch dieses Mal unserer Lektorin Frau Martina Mechler für die stets geduldige und humorvolle Aufmunterung während der vielen Monate der Umarbeitung. November 2001
Die Autorinnen
Vorwort zur 1. Auflage*
Der Stoffwechsel ist ein grundsätzliches Charakteristikum lebender Systeme jeglicher Entwicklungsstufe. Um ihn aufrechtzuerhalten, bedarf es der Zufuhr von anorganischen, für die meisten Lebewesen auch von organischen Substanzen aus der Umgebung. Phototrophe Organismen sind zusätzlich auf die Bereitstellung von Lichtenergie angewiesen. Die Aufnahme fester, flüssiger und gasförmiger anorganischer und organischer Stoffe zur Deckung des Substanz- und Energiebedarfs aller Lebensvorgänge wird als Ernährung im weitesten Sinne bezeichnet. Die chemotrophen und phototrophen Organismen, die ihre vitalen Vorgänge auch ohne Zufuhr organischer Verbindungen aus ihrem Lebensraum aufrechterhalten können, sind autotroph. Ihnen werden die heterotrophen Organismen gegenübergestellt, die nur organische Verbindungen als Quelle von Baustoffen und von Energie verwerten können. Zu dieser Klasse von Organismen gehört bekanntlich auch der Mensch, dessen Ernährung als biochemischer Prozeß im Mittelpunkt dieses Lehrbuchs steht. Physiologische Funktionen resultieren aus der Summation biochemischer Prozesse. Die Biochemie der Ernährung ist daher auch Grundlage zum tieferen Verständnis der Ernährungsphysiologie. Der Übergang zwischen diesen beiden Teildisziplinen der Ernährungswissenschaft ist fließend. Je detaillierter die Kenntnisse über die molekularen Prozesse der Ernährung, um so besser kann das „Idealziel“ der Ernährungswissenschaft, die „richtige“ Ernährung von Individuen und Kollektiven zu definieren, angenähert werden. Aufnahme und Metabolisierung der Nährstoffe sowie die Eliminierung der unverwertbaren Endprodukte spielen sich primär auf der Ebene von Zellen ab. Die Zellbiologie als allgemeingültige Basis des Stoffwechselgeschehens spielt daher eine grundlegende Rolle in diesem Lehrbuch und bildet seinen ersten Teil. Die Regulationsmechnismen, ohne die der koordinierte Ablauf der stets komplexen Lebensvorgänge nicht vorstellbar ist, greifen bereits auf zellulärer Ebene an. Die evolutionär ursprüngliche Regulation des Substanzdurchtritts durch die biologische Membran sowie die Steuerung des Metabolismus auf der Ebene der enzymatischen Katalyse machen den geregelten Ablauf des Zellstoffwechsels mit Tausenden von synchron und in enger räumlicher Nachbarschaft stattfindenden Reaktionen überhaupt erst möglich. Diese bereits bei den Prokaryoten bewährten Prinzipien der Steuerung wurden über Jahrmillionen hinweg konserviert. Die immer komplexeren zellulären Reaktionen erforderten eine Weiterentwicklung der räumlichen Ordnung in der Zelle. Durch die Kompartimentierung entstanden die Zellen der Eukaryoten. Der Zusammenschluß von Zellen zu mehrzelligen Lebewesen führte zur Ausdifferenzierung verschiedener Zelltypen eines Organismus und damit zu der evolutionär höchst vorteilhaften Arbeitsteilung. Die Entwicklung von Funktionseinheiten in Form von Geweben und Organen, mit unterschiedlicher biochemischer und damit unterschiedlicher physiologischer Potenz, erfordert eine meistens über lange Strecken wirksame humorale Kommunikation zwischen den Organen. Diese Informationsübertragung wird bei höheren tieri-
* Vielleicht sollten Sie auch dieses Vorwort lesen.
XII
Biochemie der Ernährung
schen Organismen, einschließlich des Menschen, hauptsächlich durch Hormone realisiert. Die grundlegenden Prinzipien der biologischen Regulation gelten selbstverständlich auch für den Stoffwechsel der Nährstoffe, der Gegenstand des zweiten Teils des Lehrbuchs ist. Hier steht die Organspezifität der biochemischen Prozesse im Mittelpunkt. Dementsprechend spiegelt die Gliederung dieses Teils die Prozeßfolge wider, die die Nährstoffe im menschlichen Körper durchlaufen. Die Steuerung der Nahrungs- und Trinkwasseraufnahme durch Hunger und Durst sowie die biochemischen Vorgänge, die mit den Empfindungen Geschmack und Geruch in Zusammenhang stehen, leiten diesen Teil ein. Der Magendarmtrakt als Ort der Verdauung und Resorption wird als Vermittler zwischen Innen- und Außenwelt betrachtet. Ein Kapitel über das Blut als System zur Verteilung der Nährstoffe und zur Vermittlung der Homöostase führt weiter zur Metabolisierung der Nährstoffe in den – der Masse nach überwiegenden – Organen und Geweben, das heißt, in der Leber, im Fett- und im Muskelgewebe. Der physiologischen Sequenz folgend beschließt ein Kapitel über die Funktion der Niere als Ausscheidungsorgan den zweiten Teil des Lehrbuchs. Abweichend von der Gliederung der meisten Lehrbücher der Biochemie erfolgt die Betrachtung also nicht nach chemisch-deskriptiven Gesichtspunkten. Statt der Substanzklasse steht die Funktion auf der Ebene der Zelle und des Organismus im Mittelpunkt. Als Grundlage für das Lehrbuch diente der Stoff, den wir unseren Studierenden in Pflichtvorlesungen und fakultativen Veranstaltungen – stets unter Berücksichtigung des Erkenntnisfortschritts – über Jahrzehnte hindurch vermittelt haben. Geschrieben haben wir dieses Buch primär für die Studierenden der Ernährungswissenschaft in höheren Semestern, die durch das Grundstudium bereits Kenntnisse der allgemeinen Biochemie erworben haben. Es würde uns jedoch freuen, wenn es auch andere an Fragen der Ernährung Interessierte lesenswert fänden. Wir setzten voraus, daß unsere Leser mit dem chemischen Aufbau der Nährstoffe sowie mit den grundlegenden Prozessen des Stoffwechsels – wie Glykolyse, Lipogenese und Lipolyse, Tricarbonsäurecyclus (Citratcyclus), oxidative Phosphorylierung, Proteinbiosynthese und einiges mehr – grundsätzlich vertraut sind. Das von uns verfaßte Lehrbuch kann und soll weder die einführenden Lehrbücher der Biochemie überflüssig machen, noch jene ausgezeichneten Werke ersetzen, die nach mehreren Auflagen zu umfangreichen Nachschlagewerken der Biochemie erweitert worden sind (siehe Literaturempfehlungen). Die pathobiochemischen Fragen der Ernährung haben wir nicht berücksichtigt, da sie den vorgegebenen Umfang des Lehrbuches gesprengt hätten. Auf diese hochinteressanten Aspekte haben wir nur gelegentlich kurz hingewiesen. Für die Weiterbildung auf diesem Gebiet muß auf die in größerer Zahl vorhandenen Lehrbücher der Pathobiochemie und Pathophysiologie verwiesen werden (siehe Literaturempfehlungen). Auf eine Einführung in die experimentellen Methoden der Zellbiologie und Molekularbiologie, die alle wichtigen Fortschritte der Biochemie der letzten Jahre ermöglicht haben, haben wir ebenfalls verzichtet. Die Ernährung des Menschen hat zahlreiche Facetten. Es gibt daher mehrere Disziplinen, die die „Ernährungswissenschaft“ für sich reklamieren. Dennoch ist die Ernährung primär ein biochemisch-physiologischer Prozeß, ohne dessen grundlegende Kenntnis sich die angewandten Zweige der Ernährungswissenschaft auf einem gefährlich unwissenschaftlichen Terrain bewegen würden. Wir hoffen mit diesem Lehrbuch nicht zuletzt einen Beitrag dazu geleistet zu haben, daß unsere Studierenden die Faszination der Biochemie, die stets auch „ernährungsrelevant“ ist, entdecken.
Vorwort zur 1. Auflage
XIII
Wir danken Spektrum Akademischer Verlag für die Realisierung dieses LehrbuchProjektes, das auf die Anregung von Frau Dr. Ursula Loos zurückgeht. Ihr danken wir für die Geduld, mit der sie die reichlich verspätete Ablieferung des Manuskriptes ertrug. Besonderer Dank gilt der Mitarbeiterin des Lektorats Frau Martina Mechler, die in der letzen, schwierigen Phase der Herstellung uns beinahe täglich aufmunterte, das wortreiche Wehklagen über die nicht immer optimal reproduzierten Abbildungen anhörte und stets für Abhilfe sorgte. Last but not least, danken wir Frau Ute Richter für das tadellose Schreiben des Manuskriptes.
Gießen im Februar 1999
Gertrud Rehner Hannelore Daniel
Inhaltsübersicht
Teil I
1
Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene 1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten 3
Teil II Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus 175 2
Regulation der Nahrungsaufnahme 177
3
Wahrnehmung des Geschmacks und des Geruchs der Nahrung 199
4
Die Nährstoffe 217
5
Die Gewinnung biologischer Energie aus Nährstoffen 275
6
Die Entwicklung von Organen als evolutionärer Fortschritt 295
7
Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 307
8
Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase 363
9
Die Leber als multifunktionelles Organ 409
10
Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels 493
11
Das Muskelgewebe – Energietransformator und Proteinspeicher 521
12
Die Niere als Ausscheidungsorgan 543
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur 3. Auflage
VII
Vorwort zur 2. Auflage
IX
Vorwort zur 1. Auflage
XI
Teil I
Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
1
Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten 3
1.1 1.1.1 1.1.2
Die biologische Membran 5 Molekulare und strukturelle Organisation der biologischen Membran 5 Die biologische Membran als Voraussetzung eines selektiven Stoffaustausches 13 Rezeptoren der biologischen Membran als Empfänger und Übermittler von Signalen 27
1.1.3
1.2 1.2.1
1.2.2
1.2.3 1.2.4 1.2.5 1.2.6 1.2.7 1.3 1.3.1
Die Zellkompartimentierung 41 Der Zellkern 44 EXKURS 1.1: Die Kern-DNA und ihre Replikation 45 EXKURS 1.2: Die Transkription der DNA – Erster Schritt zur Expression der genetischen Information 51 Das endoplasmatische Reticulum 57 EXKURS 1.3: Was ist ein Ribosom? 61 EXKURS 1.4: Die Translation – Ein Prozess außerhalb des Kernraumes 66 Der Golgi-Apparat 71 Das Lysosom 77 Das Peroxisom 80 Das Mitochondrion 82 EXKURS 1.5: Die mitochondriale DNA und ihre Leistung 83 Das Cytosol 96 Die enzymatische Regulation 103 Die Menge des Enzymproteins lässt sich sowohl durch Steuerung der de novo Synthese als auch durch Steuerung des Abbaus modifizieren 107
XVIII
1.3.2 1.3.3 1.3.4
1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 1.4.5 1.4.6 1.4.7
Biochemie der Ernährung
Die enzymatische Katalyse muss sich der Stoffwechsellage kurzfristig und auch ohne Änderung der Enzymmenge anpassen 112 Bei manchen Enzymen wird eine irreversible Aktivierung durch Proteolyse erreicht 129 Die Existenz von Isoenzymen ermöglicht unterschiedliche Steuerungsmöglichkeiten in verschiedenen Organen und verschiedenen Zellkompartimenten 131 Die hormonale Regulation 132 Hormone können nach unterschiedlichen Gesichtspunkten klassifiziert werden 133 Hormone stehen in Wechselwirkung miteinander und bilden in vielen Fällen hierarchische Systeme 138 Synthese und Sekretion der Peptidhormone erfolgt in der Regel nach einem für alle Sekretproteine gültigen Muster 141 Viele Hormone und sonstige Signalstoffe entstehen durch Modifikation von Aminosäuren 151 Die Steroidhormone des Menschen und anderer Wirbeltiere sind Metaboliten des Cholesterins 161 Auch Derivate des Vitamin A wirken als Hormone 169 Eikosanoide sind Signalstoffe besonderer Art 171
Teil II Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus 2
Regulation der Nahrungsaufnahme 177
2.1
Hunger und Sättigung sind Empfindungen mit sehr komplexen Auslösungsmechanismen 178 Das Gehirn empfängt und prozessiert alle Signale, die die Empfindung von Hunger und Sättigung auslösen 179 Signalträger für das Gefühl von Hunger und Sättigung entstehen auf unterschiedlichen Ebenen 180 In der postresorptiven Phase steuern unter anderem die Makronährstoffe und ihre Metaboliten die Nahrungsaufnahme 181 Pankreatische und gastrointestinale Hormone beteiligen sich ebenfalls an der Steuerung der Nahrungsaufnahme 186 Einige Neurotransmitter und Neuromodulatoren steuern auf zentraler Ebene nicht nur die Energieaufnahme, sondern auch die Selektion der Makronährstoffe 188 Gentechnologische Methoden eröffnen der Forschung über die Regulation der Nahrungsaufnahme und des Körpergewichts neue Möglichkeiten 191 A never ending story? 195
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5
2.1.6 2.1.7
Inhaltsverzeichnis
XIX
3
Wahrnehmung des Geschmacks und des Geruchs der Nahrung
3.1
Der Geschmack wird über im Mund und im Rachen lokalisierte Geschmacksknospen wahrgenommen 200
3.2
Die einzelnen Geschmacksqualitäten kommen durch unterschiedliche molekulare Prozesse zustande 201
3.3
Die Geschmacksinformationen werden durch mehrere afferente Nerven der zentralen Verarbeitung zugeführt 205
3.4
Die Geruchsempfindung wird durch spezifische Sinneszellen der Riechschleimhaut vermittelt 206
3.5
Auch bei der Geruchswahrnehmung spielen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren eine Schlüsselrolle 207
3.6
Die neurale Verarbeitung der Geruchsreize ist komplex 209
3.7
Die Wahrnehmung des flavours der Nahrung hat vielfältige physiologische Konsequenzen 210
3.8
Die Grundgeschmacksqualitäten lassen sich in vielen Fällen mit bestimmten molekularen Strukturen in Zusammenhang bringen 212
3.9
Die Zusammenhänge zwischen stereochemischer Struktur und Geruchsqualität sind weitgehend ungeklärt 216
4
Die Nährstoffe
4.1
Nur wenige Kohlenhydrate haben eine quantitative Bedeutung für die Ernährung des Menschen 217
4.2 4.2.1
Die Lipide bilden eine außerordentlich heterogene Stoffklasse 221 Unter den alimentär zugeführten Lipiden überwiegen die Triglyceride 221
4.3
Kein anderes Biomolekül übertrifft die funktionelle Vielfalt der Proteine 224 Zwanzig proteinogene L-Aminosäuren sind Bausteine aller Proteine 226 EXKURS 4.1: Von der Peptidkette zum biologisch aktiven Protein 228 Aminosäuren sind die Vorstufen fast aller stickstoffhaltigen Verbindungen des Organismus 234
4.3.1 4.3.2
199
217
XX
4.4 4.4.1 4.4.2 4.5 4.5.1 4.5.2
4.6 4.6.1 4.6.2 4.6.3
Biochemie der Ernährung
Vitamine sind essentielle Spurennährstoffe 235 Die vier fettlöslichen Vitamine haben unterschiedliche biochemische Funktionen 236 Alle wasserlöslichen Vitamine haben Coenzymfunktionen 242 Die Mineralstoffe werden auch als anorganische Nährstoffe bezeichnet 258 Nur etwa ein Viertel der Elemente des Periodensystems sind „Bioelemente“ 259 Die Mineralstoffe haben strukturbildende, katalytische und regulatorische Funktionen 262 Das Wasser ist ebenfalls ein essentieller Nährstoff 264 Wasseraufnahme und Wasserabgabe müssen im Gleichgewicht stehen 265 Der Wasserbestand des Organismus ist ungleichmäßig verteilt 266 Die Wasseraufnahme wird durch den Durst gesteuert, die Wasserabgabe hormonell auf renaler Ebene geregelt 269
5
Die Gewinnung biologischer Energie aus Nährstoffen 275
5.1
Beim anaeroben Abbau von Nährstoffen entsteht das ATP durch Substratkettenphosphorylierung 277
5.2
Der überwiegende Teil nutzbarer biologischer Energie wird durch den oxidativen Abbau der Nährstoffe gewonnen 278 Die Reaktionsfolge des Tricarbonsäurecyclus liefert den Hauptanteil der Reduktionsäquivalente für die Atmungskette 280 Energiekonservierung durch Protonengradienten an der Innenmembran der Mitochondrien ist ein zentrales Prinzip der Bioenergetik 285 EXKURS 5.1: Oxidativer Stress und Abwehrmechanismen 291
5.2.1 5.2.2
6
Die Entwicklung von Organen als evolutionärer Fortschritt 295
6.1
Zelldifferenzierung, Gewebeentwicklung und Organogenese sind Grundlagen einer effektiven Arbeitsteilung 295
6.2
Die Zellen bilden hochdifferenzierte Funktionseinheiten: Die Gewebe und Organe 299
6.3
Die morphologische Differenzierung wird von der Diversifizierung des Zellstoffwechsels begleitet 305
Inhaltsverzeichnis
XXI
6.3.1
Der Stoffwechsel der Hauptnährstoffe hat organspezifische Charakteristika 306
7
Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 307
7.1
Die gastrointestinalen Funktionen werden komplex geregelt 308
7.2 7.2.1
Die Nahrung wird in der Mundhöhle nicht nur zerkleinert 311 Die Innervierung der Speicheldrüsen lässt „das Wasser im Munde zusammenlaufen“ 311
7.3 7.3.1
Der Magen erfüllt in erster Linie Kontrollfunktionen 314 Magenfunktionen werden mit intestinalen Sekretionsprozessen koordiniert 315 Die Digestionsleistungen des Magens sind vermutlich nicht sehr bedeutend 319
7.3.2
7.4 7.4.1
Verschiedene morphologische Strukturen führen zu einer extremen Vergrößerung der inneren Darmoberfläche 322 Der obere Dünndarm funktioniert wie ein Bioreaktor mit Prozessüberwachung 324
7.5
Das Gallensekret dient primär der Solubilisierung der Lipide des Chymus 328
7.6
Die enzymatische Hydrolyse der Nährstoffpolymere im oberen Dünndarm hat eine luminale und eine membrangebundene Phase 330 Die Digestion und Resorption von Kohlenhydraten erfolgt mit rasanter Geschwindigkeit 330 Im menschlichen Dünndarm existiert während der Fettverdauung ein ZweiPhasensystem 334 EXKURS 7.1: Die intestinale Resorption von Cholesterin wird durch spezifische Membranproteine begrenzt 340 Die Digestion der Proteine liefert vielfältige Produkte 341 Die Resorption von Aminosäuren erfolgt über eine Vielzahl von Transportsystemen 343 Auch größere Oligopeptide und Proteine werden vom Darmepithel intakt aufgenommen 345 EXKURS 7.2: Gastrointestinales Schicksal von DNA und RNA 347
7.6.1 7.6.2
7.6.3 7.6.4 7.6.5
7.7 7.7.1
Die Resorptionsprozesse von Elektrolyten und von Wasser sind osmotisch gekoppelt 349 Die Resorption der Mengenelemente Calcium, Magnesium und Phosphat wird von Wechselwirkungen bestimmt 351
XXII
Biochemie der Ernährung
7.7.2
Die Resorption von Eisen zeigt eine eindrucksvolle Adaptation an die Versorgungslage des Organismus 352
7.8
Die gastrointestinalen Vorgänge bei der Resorption von wasserlöslichen Vitaminen sind so vielgestaltig wie deren chemische Struktur 355 Die meisten wasserlöslichen Vitamine werden vor und nach der Resorption enzymatisch verändert 355 Cobalamine der Nahrung werden über einen exklusiven Weg resorbiert 357 Die Freisetzung der Vitamine aus den Coenzymformen erfordert vor allem membrangebundene Hydrolasen 358 Die wasserlöslichen Vitamine sind überwiegend schwache Elektrolyte 358
7.8.1 7.8.2 7.8.3 7.8.4
7.9 7.9.1
Der Dickdarm dient als Fermentationskammer 359 Die Stoffwechselleistungen der Flora beeinflussen das Darmepithel 360
8
Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase 363
8.1
Das Blut ist ein sehr effektives Verteilersystem 363
8.2
Das Blut lässt sich in zwei Hauptfraktionen trennen 366
8.3
Das Blutplasma enthält eine große Vielfalt unterschiedlicher Substanzen 367 Die einzelnen Plasmaproteine haben verschiedene biologische Funktionen 368 Das Blutplasma transportiert die Lipide in Form von LipoproteinKomplexen 372 Die Lipoprotein-Komplexe werden im Blutplasma vielfältig modifiziert 375 Im Plasmawasser sind zahlreiche hydrophile, organische Verbindungen gelöst 379 Der Plasmaspiegel der meisten essentiellen Mineralstoffe wird in engen Grenzen konstant gehalten 380 Die Konzentration der Elektrolyte ist im intravasalen, im interstitiellen und im intrazellulären Raum unterschiedlich 386 Der pH-Wert des Blutes dient als Indikator für den Säure-Basen-Status des Organismus 389 Die Puffersysteme des Blutes halten den pH-Wert im extrazellulären Kompartiment im physiologischen Bereich 391 Um ihrer Aufgabe zu genügen, müssen die Puffersysteme des Blutes regeneriert werden 394
8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.3.5 8.3.6 8.3.7 8.3.8 8.3.9
Inhaltsverzeichnis
8.4 8.4.1 8.4.2
8.4.3
XXIII
Die Erythrocyten sind auf den Transport von Sauerstoff und Kohlendioxid spezialisiert 396 Die Synthese des Hämoglobins erfolgt während der Erythropoese 396 Sauerstoffaufnahme und -abgabe werden von Änderungen der Quartärstruktur des Hämoglobins begleitet 398 EXKURS 8.1: Das Hämoglobin – Funktionieren eines O2-transportierenden allosterischen Proteins 401 Der Transport von Sauerstoff und von Kohlendioxid sind aneinander gekoppelte Prozesse 404
9
Die Leber als multifunktionelles Organ 409
9.1
Die Leber weist eine spezifische Feinstruktur auf 409
9.2
Die „Filterwirkung“ der Leber sorgt für eine weitgehend konstante Nährstoffkonzentration im peripheren Blut 411
9.3
In der Leber finden alle wichtigen anabolen und katabolen Prozesse des Kohlenhydrat-Stoffwechsels statt 414 Die Glykolyse ist der Hauptweg zur Verwertung von Glucose 416 Die Gluconeogenese ist zur Aufrechterhaltung der Glucose-Homöostase unerlässlich 418 Die Schlüsselreaktionen von Glykolyse und Gluconeogenese werden durch verschiedene Enzyme katalysiert 419 Die aerobe Verwertung der Glucose führt über das Acetyl-CoA 428 Die Leber speichert Glucose in Form von Glykogen 431 Der Abbau der Galactose findet ebenfalls in der Leber statt 437 Die Fructose ist als Bestandteil der Saccharose ein bedeutendes Kohlenhydrat der menschlichen Ernährung 438 Im Pentosephosphat-Weg wird die Glucose direkt zu CO2 abgebaut 441
9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.3.4 9.3.5 9.3.6 9.3.7 9.3.8 9.4 9.4.1 9.4.2 9.4.3
Die Leber ist auch die Drehscheibe des Proteinstoffwechsels 445 Der Hepatocyt katabolisiert und synthetisiert sowohl zelleigene als auch nicht-zelleigene Proteine 448 Ein Teil der Aminosäuren wird von allen Zellen abgebaut 450 Aus dem Kohlenstoffgerüst der Aminosäuren entstehen Intermediate des Tricarbonsäurecyclus 458
9.5 9.5.1 9.5.2 9.5.3
Die Leber spielt auch im Lipidstoffwechsel eine zentrale Rolle 471 Die Bildung von Ketonkörpern dient der Energiekonservierung 471 Die Leber synthetisiert einen großen Teil des endogenen Cholesterins 475 Das Cholesterin ist die Muttersubstanz der Gallensäuren 482
9.6
Der Leberstoffwechsel weist eine periportal-perivenöse Zonierung auf 487
XXIV
Biochemie der Ernährung
EXKURS 9.1: Ethanol – Energielieferant, Genussmittel, Suchtdroge 488 10
Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels 493
10.1
Das histologische Bild widerspiegelt die spezifische Aufgabe des Fettgewebes 493 Die Entwicklung des Fettgewebes ist für die Pathogenese der Adipositas von größtem Interesse 495
10.1.1
10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4
10.3 10.3.1 10.3.2 10.3.3
Im Fettgewebe finden fast alle anabolen und katabolen Prozesse des Lipidstoffwechsels statt 495 Die Biosynthese der Fettsäuren findet im Cytosol statt 496 Der katabolen und anabolen Verwertung der Fettsäuren geht stets eine Aktivierung voraus 503 Die Verwertung der Fettsäuren zur Energiegewinnung beginnt mit ihrem intramitochondrialen Abbau zu Acetyl-CoA 504 Eine β-Oxidation von Fettsäuren findet auch in den Peroxisomen statt 508 Im Fettgewebe werden die Fettsäuren vorwiegend zur Synthese der Triglyceride verwendet 509 Zur Biosynthese der Triglyceride dienen aktiviertes Glycerin und aktivierte Fettsäuren 509 Der Abbau der Triglyceride wird durch Lipasen katalysiert 510 Synthese und Abbau der Triglyceride werden in einer konzertierten Aktion von Hormonen gesteuert 512
10.4
Die Phosphatidsäure ist auch die Vorstufe der meisten Phospholipide 515
10.5
Im braunen Fettgewebe findet eine „zitterfreie Thermogenese“ statt 517
10.6
Das Fettgewebe entpuppt sich als endokrines Organ 519
11
Das Muskelgewebe – Energietransformator und Proteinspeicher 521
11.1
Die Kontraktion der Muskelzelle kommt durch die Interaktion der Myofilamente zustande 523 Bei der Muskelkontraktion spielen mehrere Proteine eine Rolle 524 Grundlage der Muskelkontraktion ist die Interaktion des Myosinkopfes mit dem Actinfilament 526 Calciumionen wirken als Mediatoren zwischen der Membranerregung und der Kontraktion und Relaxation der Myofibrillen 527
11.1.1 11.1.2 11.1.3
Inhaltsverzeichnis
11.2 11.2.1 11.2.2 11.2.3 11.2.4
XXV
Die Energieversorgung der Muskulatur ist durch mehrere ATP-Quellen gesichert 531 Der Muskel kann das ATP aus Glucose anaerob oder aerob gewinnen 532 Der Muskel speichert Glykogen als Energiereserve und mobilisiert das Glucosepolymer bei Bedarf 534 Fettsäuren und Ketonkörper werden von der Muskelzelle zur aeroben Energiegewinnung verwendet 536 Zur schnellen Regenerierung von ATP dienen Transphosphorylierungen 537
11.3
Die Skelettmuskulatur enthält die größte Proteinreserve des Organismus 539
12
Die Niere als Ausscheidungsorgan 543
12.1
Der spezifische histologische Aufbau ist die Grundlage der renalen Funktionen 543
12.2
Die Hauptaufgabe der Nieren ist die Ausscheidung von Wasser und wasserlöslichen Substanzen mit dem Harn 547 Die glomeruläre Filtration ist ein druckabhängiger passiver Prozess 548 Für die Resorption und Sekretion der Harnbestandteile haben die einzelnen Tubulusabschnitte vielfältige Transportmechanismen 548 Der Organismus des Menschen kann Protonen ausschließlich über die Nieren eliminieren 560 Die Nieren sind sowohl für die Ausscheidung zahlreicher Kataboliten des Stoffwechsels als auch für die Exkretion von Xenobiotica zuständig 565 EXKURS 12.1. Woher stammt die Harnsäure? 567
12.2.1 12.2.2 12.2.3 12.2.4
12.3
Der renale Stoffwechsel weist einige Besonderheiten auf 570
12.4
Die Nieren haben auch endokrine Funktionen 571
Literaturempfehlungen 573
Index
577
TEIL I Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
1
Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
Nach Auffassung von Evolutionsbiologen nahm die Entwicklung des Lebens ihren Anfang damit, dass sich organische Materie mit Hilfe einer Urmembran von ihrer Umgebung abgrenzte. Damit war die strukturelle und funktionelle Einheit aller Lebewesen, die Zelle, entstanden, die mit relativ geringfügigen Modifikationen über Jahrmilliarden hinweg als solche konserviert worden ist. Zu den Charakteristika lebender Systeme jeglicher Organisationsstufe, und somit auch der einzelnen Zelle, gehört der Stoffwechsel. Es handelt sich dabei um eine koordinierte Aktivität, die auf Anlieferung von Energie und Materie in Form von Nährstoffen aus der Umgebung angewiesen ist und deren Endprodukte teilweise in die Umgebung eliminiert werden. Um diesen Austausch zu ermöglichen, darf also die biologische Membran keine absolut dichte Barriere sein. Andererseits darf sie nur einen in qualitativer und quantitativer Hinsicht streng kontrollierten Substanzfluss erlauben, da ein beliebiger Stoffaustausch unweigerlich zum Zelltod führen würde. Die selektive Permeabilität ist zum Teil eine inhärente Eigenschaft der Membran, die durch ihre chemische Beschaffenheit gegeben ist. Andererseits besitzt die biologische Membran einige hochspezifische und durch interne und externe Signale steuerbare Transportvermittler, die dafür zuständig sind, dass bestimmte Substanzen – und nur diese – in definierter Menge in die Zelle aufgenommen werden oder sie verlassen. Die biologische Membran kann somit als evolutionär ältester Garant der Homöostase des inneren Milieus der Zelle angesehen werden. Dieses wiederum ist die Voraussetzung für den feingeregelten Ablauf des Zellstoffwechsels. Bei vielzelligen Organismen ist die biologische Membran gleichzeitig Empfänger der Botschaften, die den Stoffwechsel einzelner Organe miteinander koordinieren. Zu dieser Leistung der Signaltransduktion wird sie durch den Besitz von spezifischen Membranrezeptoren befähigt. Mit zunehmender Komplexität des Stoffwechsels im Verlauf der Evolution erwies es sich als vorteilhaft, den intrazellulären Raum durch unterschiedliche Membranspezies in diskrete funktionelle Räume, in Zellkompartimente, aufzuteilen. Auf dieser Ebene lässt sich ebenfalls eine effektive Regulation erreichen. Das umfangreicher und komplizierter gewordene genetische Material der Eukaryoten erforderte die Faltung und Verpackung der DNA mit spezifischen Proteinen zu abgegrenzten Komplexen, den Chromosomen. Diese befinden sich beim Eukaryoten im Zellkern, der durch eine Doppelmembran als Umhüllung vom übrigen Zellraum, dem Cytoplasma, getrennt ist. Die Transkription, die im Kern stattfindet, wurde so örtlich von der im Cytoplasma ablaufenden Translation, der Proteinbiosynthese, getrennt. Diese Trennung brachte entscheidende Vorteile für die Regulation beider Prozesse. Ein sicherlich ausschlaggebender evolutionärer Fortschritt wurde erzielt, als primitive anaerobe Eukaryotenzellen Prokaryotenzellen, die zu aerobem Stoffwechsel befähigt waren, – wahrscheinlich waren es Bakterien – auf Dauer in sich aufnahmen. Eine derartige Endosymbiose war nach heutiger Ansicht der Ursprung zur Entwicklung von
4
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Mitochondrien. Diese Organellen, die in jeder höheren Eukaryotenzelle vorkommen, befähigen die Wirtszelle nicht nur zum aeroben Stoffwechsel, sondern sind auch Zellkompartimente mit speziellen biochemischen Funktionen. Ihre Existenz ermöglicht unter anderem die räumliche Trennung von Stoffwechselprozessen mit gemeinsamen Ausgangssubstraten, Metaboliten und Endprodukten. Das geläufigste Beispiel in dieser Hinsicht ist die Kompartimentierung des Acetyl-CoA. Dieses ist das Endprodukt des Fettsäureabbaus in der β-Oxidation, die im Mitochondrion lokalisiert ist. Die Fettsäuresynthese, deren primäres Substrat das Acetyl-CoA ist, findet hingegen extramitochondrial statt. Einem unsinnigen „Recycling“ des Acetyl-CoA zwischen dem katabolen und dem anabolen Prozess wird durch die räumliche Trennung der beiden Acetyl-CoA-Pools vorgebeugt. Das endoplasmatische Reticulum und der Golgi-Apparat gehören zu den dynamischen Membransystemen der Zelle, die für eine räumlich organisierte Synthese von Proteinen und für die Lenkung dieser Moleküle zu den einzelnen Bestimmungsorten sorgen. Eine weitere Ebene, auf der die Steuerung des Zellstoffwechsels stattfindet, ist die enzymatische Regulation. Sie gehört – genauso wie die Membran – zu den evolutionär ursprünglichen Steuerungsmöglichkeiten, da die enzymatische Katalyse für alle lebenden Systeme unverzichtbar ist. Ohne eine hochwirksame und hochspezifische Katalyse kämen die meisten biochemischen Reaktionen in der Zelle gar nicht zustande, beziehungsweise verliefen außerordentlich langsam. Der Grund hierfür sind die sehr ungünstigen Reaktionsbedingungen in der Zelle: eine relativ niedrige Konzentration der Reaktanten in wässriger Umgebung mit etwa neutralem pH-Wert, ein Druck von nur einer Atmosphäre und eine niedrige Temperatur. In jeder Zelle katalysieren Hunderte von Enzymen ebenso viele – meistens schrittweise aufeinanderfolgende – Reaktionen von Stoffwechselketten, durch die Nährstoffe abgebaut werden, Makromoleküle aus einfacheren Vorstufen synthetisiert werden und chemische Energie gewonnen und umgesetzt wird. Biologische Systeme haben ein besonders wirksames Prinzip entwickelt, um diese vielen synchron und in räumlicher Nähe ablaufenden Reaktionen zu steuern, indem sie die Regelung auf die Ebene der Katalysatoren, das heißt der Enzyme, verlagert haben. Bei komplexen Stoffwechselketten sind es besondere Schlüsselenzyme, deren Effektivität je nach speziellem Bedarf einer bestimmten Stoffwechselsituation durch verschiedene Regelmechanismen verändert werden kann. Zwei grundlegend unterschiedliche Möglichkeiten gibt es zu diesem Zweck: Erstens die Änderung der Menge des Katalysators, indem die Synthese und/oder die Abbaurate des Enzymproteins modifiziert wird; zweitens die Änderung der Enzymaktivität bei konstanter Enzymmenge, wofür es mehrere hochwirksame Mechanismen gibt. Die bisher erwähnten Möglichkeiten der Stoffwechselregulation betrafen die Ebene einzelner Zellen. Die Entwicklung vielzelliger Organismen im Zuge der Evolution führte zu Zelldifferenzierung und Arbeitsteilung. Obwohl alle Zellen eine Grundausstattung an metabolischen Leistungen, wie Glykolyse und Energiestoffwechsel, beibehalten haben, unterscheiden sich auch diese grundlegenden Stoffwechselvorgänge in quantitativer Hinsicht in den einzelnen Zelltypen. Anatomisch und histologisch unterschiedliche Gewebe und Organe hochentwickelter Vielzeller erwarben zusätzlich stark spezialisierte Funktionen, die nur durch besondere biochemische Leistungen ihrer Zellen zu erfüllen sind. Damit der Gesamtorganismus als Einheit bestehen kann, müssen diese Funktionen allerdings koordiniert und aufeinander abgestimmt werden. Die voneinander oft sehr weit entfernten Organe müssen mittels Signalstoffe miteinander kom-
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
5
munizieren. Hierzu dienen Hormone und hormonähnliche Mediatoren, die in spezialisierten Einzelzellen von Geweben oder in Hormondrüsen gebildet werden. Unter diesen gibt es Vertreter, die in unmittelbarer Nähe des Bildungsortes wirken, und solche, die wie die „klassischen Hormone“ in der Blutbahn über weite Strecken hinweg zu den Zielorten transportiert werden. Um wirken zu können, braucht jedes Signal Rezeptoren, die entweder intrazellulär oder an der Membran der Zielzellen lokalisiert sein können. Somit schließt sich der Regelkreis, indem sich das evolutionär höchstentwickelte System mit dem ursprünglichen, der Membran, „kurzschließt“. Das registrierte Signal moduliert dann meistens auf der Ebene der Enzyme, wodurch sich deren Menge und/oder Aktivität so ändert, wie es die augenblickliche biochemische Gesamtsituation des Organismus erfordert.
1.1 Die biologische Membran Die biologische Membran ist ein evolutionär sehr altes Gebilde, das bei allen Entwicklungs- und Organisationsstufen lebender Systeme auftritt. Sie grenzt die Zelle als Struktur- und Funktionseinheit gegenüber ihrer Umgebung ab. In höher entwickelten Zellen der Eukaryoten umschließen bestimmte Spezies der biologischen Membran diskrete Zellkompartimente, in denen unterschiedliche biochemische Prozesse ablaufen. Ein ständiger Stoffaustausch mit der Umgebung ist ein Charakteristikum lebender Systeme. Dieses impliziert, dass die biologische Membran neben ihrer Aufgabe als Barriere auch die Funktion eines selektiv permeablen Transportsystems erfüllen muss. Weiterhin dient die Membran als Informationsvermittler bei der Kommunikation zwischen Zellen und Organen. Außerdem kommt ihr eine zentrale Rolle bei der Gewinnung und Speicherung biologischer Energie zu.
1.1.1 Molekulare und strukturelle Organisation der biologischen Membran Die außerordentlich vielfältigen Aufgaben der biologischen Membranen erfordern nicht nur eine unterschiedliche Lokalisation dieser Strukturen – sowohl als Begrenzung von Zellen als auch innerhalb von Zellen –, sondern auch die funktionsangepasste Ausbildung sehr verschiedener Membrantypen. Trotzdem besitzen alle biologischen Membranen eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten, die vor allem auf die chemische Beschaffenheit ihrer Bausteine und deren Verhalten im wässrigen Milieu zurückführbar sind: – Membranen sind flächige Aggregate, die meistens zwischen 6 und 10nm dick sind. – Hauptbausteine der Membranen sind Lipide und Proteine, deren Gewichtsverhältnis je nach Membrantyp zwischen 1:4 und 4:1 liegt. Viele Membranen enthalten auch einige Prozent Kohlenhydrate in Form von Glykolipiden und Glykoproteinen. Weiterhin ist in den meisten Membranen tierischer Zellen auch Cholesterin vertreten. – Die Membranlipide sind amphiphil und bilden im wässrigen Milieu geschlossene bimolekulare Strukturen aus, die für polare Substanzen eine wirksame Barriere bedeuten. – Die Membranlipide wirken in erster Reihe als Isolatoren. Die Membranproteine haben jedoch als Pumpen, Kanäle, Rezeptoren und Enzyme auch spezifische Funkti-
6
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
onen. Sie sind dafür in die Lipiddoppelschichten, die für ihre Wirkung die adäquate Umgebung schaffen, mehr oder minder stark eingebettet. – Die Protein- und Lipidmoleküle der Membran werden durch nicht-kovalente Wechselwirkungen von kooperativem Charakter zusammengehalten. – Die beiden Seiten der biologischen Membran sind unterschiedlich. Diese Asymmetrie ist für die meisten Funktionen essentiell. – Die meisten Membranen sind elektrisch polarisiert. Das Membranpotential ist für Transportprozesse, Erregbarkeit und Energieumwandlung unabdingbar. – Biologische Membranen können als zweidimensionale Lösungen gerichteter Lipide und Proteine angesehen werden, in denen eine laterale Diffusion der Komponenten möglich ist. – Membranen sind selbstdichtend, wodurch es zur Verschmelzung von Membranen und zur Spaltung von membranumschlossenen Räumen kommen kann, ohne dass die Kontinuität der Begrenzung unterbrochen wird. – Membranen sind flexibel, wodurch Formveränderungen der umschlossenen Räume möglich sind. Die Funktionen, die die biologischen Membranen zu erfüllen haben, werden maßgeblich von der topologischen Anordnung ihrer Komponenten bestimmt. Es wurden daher mehrere funktionelle Modelle der biologischen Membran konzipiert. Die heutige Vorstellung von der biologischen Membran als einer „flüssig-kristallinen“ Lipiddoppelschicht, in der integrale Membranproteine lateral frei beweglich sind, basiert auf dem fluid mosaic model, das die amerikanischen Wissenschaftler Singer und Nicolson, vor allem aufgrund von Experimenten mittels Gefrierbruch- und Gefrierätz-Elektronenmikroskopie konzipiert haben. Abbildung 1 gibt dieses Modell in der von den Autoren
1.1
Das „fluid mosaic model“ der biologischen Membran Quelle: Singer, S.J., Nicolson,G.L. (1972) Science 175 S.723
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
7
1972 veröffentlichten Originalform wieder. Die dem Modell zugrundliegenden Vorstellungen erwiesen sich in den letzten drei Jahrzehnten als hervorragende Grundlage für die Erforschung der dynamischen Prozesse von biologischen Membranen. Struktur und Funktion der biologischen Membran werden vor allem durch die chemischen und physiokochemischen Eigenschaften ihrer Hauptkomponenten, der Lipide und der Proteine, bestimmt, weshalb diese im folgenden näher betrachtet werden sollen.
1.1.1.1
Die Lipidzusammensetzung der einzelnen Membrantypen ist in qualitativer und quantitativerer Hinsicht unterschiedlich
Die Grundstruktur jeder biologischen Membran wird durch eine Doppelschicht (Bilayer) amphipolarer Lipide gebildet. Das Mengenverhältnis von Lipiden zu Proteinen schwankt je nach Funktion einer bestimmten Membran in weiten Grenzen. In der Myelin-Membran der Schwann´schen Zellen, die die Axone der Nervenzellen als Isolatoren umgeben, beträgt der Lipidanteil etwa 80%, während die innere Membran der Mitochondrien, an der die Enzyme der Atmungskette lokalisiert sind, zu mehr als 75% aus Protein besteht, bei entsprechend niedrigem Lipidanteil. Die gleiche Lipid-Protein-Relation wie die innere Mitochondrienmembran weist übrigens auch die Plasmamembran von Bakterien auf. Bei der Plasmamembran der meisten tierischen Zellen machen die Lipide etwa 50% der Gesamtmasse aus. Bei der Lipidkomponente der biologischen Membran lassen sich drei Gruppen unterscheiden: die Phospholipide – mit dem höchsten Anteil -, die Glykolipide und das Cholesterin. Zentraler Baustein der Phospholipide ist bekanntlich ein Alkohol: Bei den Phosphoglyceriden (oder Glycerophospholipiden) ist dies der dreiwertige Alkohol Glycerin, bei den Sphingolipiden der Aminoalkohol Sphingosin. Im Falle der Phosphoglyceride sind zwei Hydroxylgruppen des Glycerins mit langkettigen Fettsäuren verestert, während die Hydroxylgruppe in der Position 3 mit Phosphorsäure besetzt wird, wodurch die Phosphatidsäure entsteht. Diese kann mit der Hydroxylgruppe eines Aminoalkohols – des Serins, des Ethanolamins oder des Cholins – oder mit der Hydroxylgruppe eines Zuckeralkohols – des myo-Inositols – verestert sein. Die in Abbildung 1.2 dargestellten Strukturen aus dem Phosphatrest und dem jeweiligen Aminoalkohol beziehungsweise Zuckeralkohol bilden den hydrophilen „Kopf“ der Phosphoglyceride, während die beiden Fettsäuren in Positionen R und R´ den hydrophoben „Schwanz“ darstellen. Ein weiteres Phosphoglycerid, das Cardiolipin (Diphosphatdylglycerin), ist in Abbildung 1.3 dargestellt. Das Cardiolipin ensteht durch Verbinden zweier Phosphatidylreste über ein drittes Glycerinmolekül. Es kommt fast ausschliesslich in der inneren Mitochondrienmembran vor. Bei den Sphingophospholipiden, die hauptsächlich im Gehirn und Nervengewebe vorkommen, hat das Sphingosin die Rolle des zentralen Alkohols. Wie Abbildung 1.4 A zeigt, ist das Sphingosin ein Aminoalkohol mit einer langen Kohlenwasserstoffkette. Wenn das Sphingosin mit einer Fettsäure amidartig verknüpft wird, entsteht ein Vorläufer der Sphingolipide, das Ceramid. Abbildung 1.4 B zeigt das wichtigste davon abgeleitete Sphingolipid, das Sphingomyelin, bei dem die primäre Hydroxylgruppe des Alkohols einen Phosphatrest sowie Cholin trägt.
8
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
´
1.2
„Kopfgruppen” der häufigsten Phosphoglyceride R und R’ = Fettsäure an Position 1 und Position 2 des Glycerins
Vom Sphingosin geht auch die Synthese der Glykolipide aus. Wie beim Ceramid, wird auch in diesem Fall die Aminogruppe des Sphingosins mit einer Fettsäure acyliert. An die primäre Hydroxylgruppe wird jedoch bei den Glykolipiden kein Phosphat angefügt, sondern ein Rest aus einem oder mehreren Zuckern. Die einfachsten GlykoliOH H2 C O O
P O
O
1.3
Struktur des Cardiolipins
H2C
H C
O
O
C
C
CH2
O
O
C H
CH2 O O
P
O
O H2C
O
H C
CH2
O
O
C
C
O
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
9
A.
B.
1.4
Sphingosin und Sphingomyelin
pide, die Cerebroside, tragen nur ein Glykosyl- oder Galactosylrest. Bei den komplexer aufgebauten Gangliosiden können bis zu sieben Zucker, auch in Form verzweigter Ketten angefügt sein. N-Acetylneuraminsäure (Sialinsäure) ist eine charakteristische Komponente des Kohlenhydratanteils der Ganglioside. Die Zuckerreste der Glykolipide sind in der Plasmamembran stets nach der Zellaußenseite hin gerichtet. Die langkettigen Fettsäuren, die die hydrophoben „Schwänze“ der Phospholipide und Glykolipide bilden, enthalten meistens eine gerade Anzahl von C-Atomen, – zwischen 14 und 24. In Position 1 kommen am häufigsten die gesättigte Palmitinsäure (C16:0) und Stearinsäure (C18:0) vor, in Position 2 die ungesättigten Fettsäuren Ölsäure (C18:1), Linolsäure (C18:2), Linolensäure (C18:3) und Arachidonsäure (C20:4). Tabelle 1.1: Lipidzusammensetzung der Membranen einer Rattenleberzelle (in Gewichtsprozenten)
Plasmamembran Golgi-Komplex glattes endoplasmatisches Reticulum raues endoplasmatisches Reticulum Kernmembran Lysosomenmembran Mitochondrienmembran äußere innere
Chol PC
PE
PS
PI
CL
SM
30 8
18 43
11 15
9 4
4 6
0 0
14 10
10
48
21
0
7
2
12
6 10 14
55 55 25
16 20 13
3 3 0
8 7 7
0 0 5
3 3 24
3 5
45 40
24 20
1 2
6 13
4 18
3 2
Chol = Cholesterin; PC = Phosphatidylcholin; PE = Phosphatidylethanolamin; PS = Phosphatidylserin; PI = Phosphatidylinositol; CL = Cardiolipin; SM = Sphingomyelin
10
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Tabelle 1.2: Verteilung einiger Phospholipide an der Außen- und Innenseite der Erythrocyten-Membran (in Mol% der Gesamtlipide)
Phosphatidylcholin Phosphatidylethanolamin Phosphatidylserin Sphingomyelin
Gesamt
Außenseite
Innenseite
30 31 9 25
22 7 0 21
8 24 9 4
Zu den Membranlipiden wird – chemisch nicht korrekt – auch das Cholesterin gerechnet, ein Steroid von ebenfalls amphipolarem Charakter (Abschnitt 1.4.5 und 9.5.2). Den polaren „Kopf“ bildet eine Hydroxylgruppe des Cholesterins, während die Steroid-Ringstruktur die hydrophobe Komponente darstellt. Die Lipidzusammensetzung der biologischen Membran ist jeweils charakteristisch für Organismen unterschiedlicher Entwicklungsstufe, für verschiedene Spezies, Gewebe und Zellorganellen. Wie aus Tabelle 1.1 hervorgeht, sind die einzelnen Lipide in den verschiedenen Membrantypen unterschiedlich stark repräsentiert. Besonders auffallend ist, dass die innere Membran des Mitochondrions bei manchen Komponenten von den übrigen Membranen der Zelle abweicht. Tabelle 1.2 zeigt am Beispiel der Membran menschlicher Erythrocyten, dass die einzelnen Phospholipide auch an der Außen- und Innenseite einer Membran asymmetrisch verteilt sind
1.1.1.2
Die Membranproteine sind ein Spiegelbild der funktionellen Spezialisierung der einzelnen Membrantypen
Die Grundstruktur der biologischen Membran wird durch die Lipiddoppelschicht festgelegt. Zur Ausführung spezifischer Aufgaben dienen die Membranproteine. Die Vielfalt der Funktionen der einzelnen Membrantypen entsprechend weisen auch die Membranproteine eine starke, funktionsangepasste Variabilität auf. Wie bereits erwähnt, ist die quantitative Relation zwischen Lipid- und Proteinanteil ein Hinweis auf die Rolle der betreffenden Membran (Abschnitt 1.1.1.1). Die Membranproteine sind hinsichtlich ihrer Größe und räumlicher Struktur sehr unterschiedlich. Es gibt viele Hundert verschiedene Membranproteine, die man grob in zwei Klassen einteilen kann: Erstens die der Lipiddoppelschicht oberflächlich aufgelagerten, mehr oder weniger fest verankerten Proteine, die man periphere oder extrinsische Proteine nennt. Zweitens die mit der Lipidschicht fester verbundenen, in diese eindringenden oder sie vollständig durchspannenden Peptidketten, die man als integrale, intrinsische oder auch Transmembranproteine bezeichnet. In Abbildung 1.5 ist die Anordnung einiger funktionell unterschiedlicher Proteine in beziehungsweise an der Lipiddoppelschicht schematisch dargestellt. Zu den Transmembranproteinen gehören die Kanalproteine, die einen schnellen Durchfluss beispielsweise von Ionen ermöglichen (Abschnitt 1.1.3.3), die Transportproteine, wie die Na+/K+-ATPase (Abschnitt1.1.2.7) und eine große Anzahl von Rezeptorproteinen, die die Botschaft eines extrazellulären Signals in das Zellinnere übertragen. Unter den extrinsischen Membranproteinen gibt es eine Reihe von membranassoziierten Enzymen.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.5
11
Anordnung der Membranproteine in der biologischen Membran a = integrales porenbildendes Protein; b = integrales Glykoprotein; c = teilweise in die Membran integriertes Protein; d = transmembranäres Transportprotein; SB = Substratbindungsstelle; e = aufgelagertes peripheres Protein
Eine Vielzahl von integralen Membranproteinen tragen komplexe vielgestaltige Kohlenhydrateinheiten, die bis zu 20% der Masse dieser Glykoproteine ausmachen können. Die Zucker werden entweder über O-glykosidische Bindung mit dem O-Atom der Seitenkette von Serin oder Threonin gebunden oder über N-glykosidische Bindung mit dem N-Atom von Asparaginresten (Abschnitt 1.2.3.1). Genau wie die Glykolipide sind auch die Glykoproteine charakteristische Moleküle der Plasmamembran der Zellen, während bei den im Zellinneren lokalisierten Membrantypen Glykoproteine selten vertreten sind. Die Kohlenhydratketten an der Plasmamembran sind stets nach außen orientiert, was auf ihre Rolle bei der interzellulären Kommunikation hinweist. Außerdem beeinflussen diese Kohlenhydrate die Proteinfaltung und möglicherweise die Stabilität der Proteine gegenüber den Proteasen. Die Transmembranproteine durchspannen die Lipiddoppelschicht ein-oder mehrfach. Die Peptidabschnitte, die sich in der Lipidschicht befinden, bestehen aus je etwa 21 bis 25 vorwiegend hydrophoben Aminosäuren, die mit den Membranlipiden interagieren und in der Regel eine rechtsgängige α-Helix mit 6 bis 12 Windungen bilden. Die einzelnen Transmembranhelices sind durch intrazelluläre und extrazelluläre Aminosäureschleifen miteinander verbunden, an denen sich meistens die funktionellen Domänen des Proteins befinden. Die extrazellulären Schleifen tragen häufig Glykosylreste. Üblicherweise ist das N-terminale Ende eines Transmembranproteins an der extrazellulären Seite der Membran, das C-terminale Ende intrazellulär. Abbildung 1.13 zeigt als Beispiel für ein Transmembranprotein die Struktur eines Glucosetransporters. Periphere Proteine, die an der Innenseite der Plasmamembran oder von Organellenmembranen lokalisiert sind, werden in der Membran durch kovalent gebundene Acyl- oder Prenylgruppen verankert. Als lipophile Anker, die im Verlauf der Synthese den peripheren oder assoziierten Proteinen angehängt werden, dienen Myristoyl- (C14), und Palmitoyl- (C16)-Reste sowie die Prenylreste Farnesyl- (C15) sowie Geranylgeranyl- (C20). Zur Verankerung eines peripheren Proteins an der Außenseite der Plasmamembran wird Glykosylphosphatidylinositol-Anker (GPI-Anker) eingesetzt. Abbildung 1.6 zeigt den komplizierten Aufbau des GPI-Ankers. Das carboxyterminale
12
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Phosphoethanolamineinheit Oligosaccharideinheit O Asp
O
C N CH2 CH2 O P O H O-
O GlycerinO P O- phosphateinheit O H2C CH CH2 O O C
O C O
(CH2)12 (CH2)12 CH3
1.6
Fettsäureeinheiten (Membrananker)
CH3
Der GPI-Anker Quelle: Doering,T.L. u.a. (1990) J.Biol.Chem. 265 S.611
Ende des Proteins ist mit dem Phosphoethanolamin des GPI verknüpft. Die beiden Fettsäureketten an der Glycerophosphateinheit dienen als Membrananker.
1.1.1.3
Die supramolekulare Organisation der biologischen Membran ergibt sich aus den physikochemischen Eigenschaften der Bausteine
Wie bereits ausgeführt, wird die Grundstruktur der biologischen Membran durch die Doppelschicht der amphipolaren Phospholipide gebildet, wobei die nicht-polaren „Fettsäureschwänze“ sich im Inneren des Bilayers gegenüberliegen, während die polaren „Kopfgruppen“ nach außen gerichtet sind. Die Ausbildung der Lipiddoppelschichten kommt spontan vor allem durch hydrophobe Kräfte zustande. Diese Selbstorganisation (self assembly) ist durch den amphipathischen Charakter der Phospholipide determiniert. Die Phospholipid-Bilayer sind kooperativ, das heißt, sie werden durch sich gegenseitig verstärkende, nicht-kovalente Wechselwirkungen zusammengehalten. Die enge Packung der Kohlenwasserstoffketten wird vor allem durch van-der-Waals-Anziehungskräfte begünstigt. Die polaren Köpfe werden durch elektrostatische Bindungen und Wasserstoffbrücken, die sie mit den Wassermolekülen der Umgebung ausbilden, stabilisiert. Die Phospholipide lagern sich im wässriger Umgebung zusammen, um die Zahl der Kohlenwasserstoffketten, die mit Wasser in Kontakt kommen, möglichst klein zu halten. Daraus ergibt sich unter anderem, dass sie einen Zusammenschluss mit sich selbst anstreben, was zur Bildung von Kompartimenten führt, und dass sie selbstreparierend sind, da Unterbrechungen mit freien Rändern in der Doppelschicht energetisch ungünstig sind. In der lebenden Zelle befinden sich die Membranen in einem „flüssig-kristallinen“ Zustand, das heißt, die Komponenten sind in permanenter Bewegung. Diese Bewegung kann mehr oder minder intensiv sein, wodurch der Grad der Fluidität der Membran variiert. Bestimmend hierfür sind die Lipidzusammensetzung und die Temperatur. Mit steigendem Anteil an ungesättigten Fettsäuren steigt die Fluidität, da die cis-Doppelbindungen ein „Abknicken“ der Fettsäureschwänze und damit eine Störung
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
13
der geordneten „Kristallstruktur“ der Membran verursachen. Der Gehalt an ungesättigten Fettsäuren in Membranlipiden lässt sich übrigens bis zu einem gewissen Umfang alimentär beeinflussen, ohne dass die biologische Bedeutung dieses Effektes klar wäre. Bestimmend für den Grad der Fluidität ist auch die Temperatur. Unterhalb der sogenannten Übergangstemperatur befinden sich die Phospholipidmoleküle in einem geordneten, relativ starren Zustand. Oberhalb dieser Temperatur gehen sie abrupt in einen relativ ungeordneten „flüssigen“ Zustand über. Die Übergangstemperatur hängt von der Länge der Fettsäureketten und ihrem Sättigungsgrad ab und ist für jede Membran charakteristisch. Bei den Eukaryoten gilt das Cholesterin als Hauptregulator der Membranfluidität. Das voluminöse und starre Steroidgerüst des Cholesterins, das in die Lipiddoppelschicht eingelagert ist, schränkt sterisch die Bewegungen der Fettsäureketten und damit die Membranfluidität ein. Die Lipidmoleküle führen innerhalb des Bilayers unterschiedliche Arten von Bewegungen aus. Man beobachtet eine recht intensive Lateraldiffusion einzelner Moleküle, die etwa 2 μm pro Sekunde betragen kann. Die Kohlenwasserstoffketten führen ständige Rotationsbewegungen um die C-C-Bindungen aus. Auch einige kleinere Proteinmoleküle bewegen sich lateral, andere scheinen unbeweglich zu sein. Die Phospholipidmoleküle können sich auch transversal bewegen, was zum Platztausch zwischen den beiden Lipidschichten führt. Diese transversale Diffusion (flipflop) ist allerdings ein seltenes Ereignis, der Wechsel eines Lipidmoleküls von der einen Seite des Bilayers zur anderen dauert mehrere Stunden. Der Seitenwechsel eines Proteins wird überhaupt nicht beobachtet. Dies wäre mit der funktionellen Asymmetrie der beiden Membranseiten auch nicht vereinbar. Membranen unterliegen, wie alle Zellbestandteile, einem ständigen turnover, wobei die Einzelkomponenten unterschiedliche Halbwertszeiten haben. Die meisten Membranproteine einer Rattenleberzelle sollen eine Halbwertszeit von zwei Tagen, die Lipide von nur einem Tag haben, während die Lebensdauer des Hepatocyten vier Tage beträgt. Eine de novo Synthese ganzer Zellmembranen wird als sehr unwahrscheinlich angenommen, vielmehr wird neu synthetisiertes Membranmaterial nur in bereits bestehende Membranen integriert (Abschnitt 1.2.2.2).
1.1.2 Die biologische Membran als Voraussetzung eines selektiven Stoffaustausches Membranen ermöglichen es, in bestimmten diskreten Räumen lebender Systeme ein konstantes inneres Milieu zu schaffen, mit Stoffkonzentrationen und physiologischen Parametern, die für den optimalen Ablauf der Stoffwechselvorgänge notwendig sind. Sie sorgen somit für die Homöostase der Zelle. Bei den Einzellern handelt es sich um eine Abgrenzung gegenüber dem Außenmedium, bei den Organen eines vielzelligen Organismus um die Abgrenzung der einzelnen Zelle gegenüber gleichen oder anders gearteten Nachbarzellen. Die auffälligste Funktion einer biologischen Membran ist also die einer isolierenden Barriere. Lebende Systeme sind jedoch auch auf einen ständigen Stoffaustausch mit ihrer Umgebung angewiesen. Um die Homöostase der Zelle zu garantieren, muss dieser Austausch ebenfalls den jeweils gegebenen Anforderungen angepasst werden. Die biologische Membran bietet durch ihre Selektivität die Möglichkeit der Regulation auf dieser Ebene.
14
1.1.2.1
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Die Plasmamembran hat vielseitige Aufgaben
Jede einzelne Zelle ist von einer Plasmamembran umgeben, die durch ihre selektive Permeabilität regulierend wirkt. Zunächst sollen die Leistungen dieses evolutionär ältesten Membrantyps betrachtet werden. Um das Grundsätzliche zu veranschaulichen, wird es notwendig sein, einige spezielle Beispiele des Nährstofftransports bereits an dieser Stelle zu besprechen. Weitere folgen bei der Behandlung des Stoffwechsels auf Organebene. Die Existenz der Plasmamembran verhindert, dass sich die Inhaltsstoffe der Zelle ungezielt mit dem extrazellulären Medium vermischen, was den Zusammenbruch des zellulären Stoffwechsels und damit den Zelltod bedeuten würde. Diese Barrierefunktion der Plasmamembran wird hauptsächlich durch die Lipiddoppelschicht ausgeübt, da die meisten Substanzen, die für den Austausch in Frage kommen, hydrophil sind.
1.1.2.2
Nur wenige Substanzen überwinden die Barriere der Lipiddoppelschicht durch einfache Diffusion
Trotz ihres hydrophoben Charakters ist die Lipiddoppelschicht auch für wasserlösliche Substanzen etwas durchlässig und theoretisch würde jedes Molekül seinem Konzentrationsgradienten folgend durch sie hindurchdiffundieren. Die Geschwindigkeit, mit der dieser Vorgang der einfachen Diffusion abläuft, ist allerdings stark unterschiedlich und hängt von der Molmasse sowie von der Lipophilie der betreffenden Substanz ab. Hydrophobe Moleküle (O2, N2, Benzol) diffundieren am schnellsten, gefolgt von kleinen ungeladenen polaren (H2O, Harnstoff, Glycerin, CO2) und großen ungeladenen polaren Molekülen (Glucose, Saccharose). Für anorganische Ionen (H+, Na+, K+, Ca2+,Mg2+, Cl– und so weiter) und geladene organische Moleküle (Lactat, β-Hydroxybutyrat, geladene Aminosäuren und andere) stellt die Lipiddoppelschicht eine schwer zu überwindende Diffusionsbarriere dar. Der Permeabilitätskoeffizient (cm × s–1) ist ein Maß für die Fähigkeit von Teilchen durch eine Lipiddoppelschicht zu diffundieren. Wie in Abbildung 1.7 dargestellt, unterscheidet sich dieser Koeffizient, der üblicherweise mit Hilfe von künstlich hergestellten Lipid-Bilayern ermittelt wird, bei den einzelnen Teilchenklassen um viele Größenordnungen. Die sehr schlechte Permeationsfähigkeit der kleinen Ionen ist neben ihrer Ladung auf ihre relativ große Hydratationshülle zurückzuführen. Die unerwartet gute Diffusionsfähigkeit des stark lipophoben Wassermoleküls resultiert daraus, dass dieses kleine Molekül infolge seines Dipolcharakters die Regionen des Bilayers mit den Kopfgruppen der Phospholipide besonders schnell durchqueren kann. Da sich fast alle Stoffwechselprozesse der Zelle in einem wässrigen Milieu abspielen und die Konzentration der Metaboliten von ausschlaggebender Bedeutung ist, ist die hohe Penetrationsfähigkeit des Wassers eine ebenso unentbehrliche Grundbedingung des Zellstoffwechsels wie der fast unbehinderte Sauerstoffaustausch. Bestimmte Membranen, beispielsweise die Erythrocytenmembran sowie die apikale und baso-laterale Membran der Epithelzellen des proximalen Nierentubulus weisen eine auffallend hohe osmotische Wasserpermeabilität auf (Abschnitt 12.2.2.2). Diese Eigenschaft wird auf die Existenz von spezifischen Wasserkanalproteinen in den Membranen zurückgeführt. Diese Transmembranproteine werden als Aquaporine bezeichnet. Sie sind selektiv für Wasser; weder Ionen noch sonstige Substanzen treten durch sie hindurch. Die Kanäle werden von polaren Aminosäureresten gebildet. Es wird ange-
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.7
15
Permeationsfähigkeit verschiedener Substanzen durch die biologische Membran Permeabilitätskoeffizienten (cm × s–1) bestimmt beim Durchtritt durch eine künstliche Lipiddoppelschicht
nommen, dass das Wasser als kontinuierliche Säule einem osmotischen Gradienten folgend durch sie hindurchströmt. Der Radius der Poren wird auf etwas über 1,5 × 10–1 nm geschätzt. (Radius des Wassermoleküls: 1,5 × 10–1 nm). 1.1.2.3
Spezifische Membranproteine sind Vermittler eines effektiven Stofftransports
Um auch Aufnahme und Abgabe von Stoffen zu ermöglichen, deren Penetrationsfähigkeit durch eine Lipiddoppelschicht sehr stark begrenzt ist, besitzt die Plasmamembran, ebenso wie die Membranen der Zellkompartimente, eine Reihe von Transportsystemen. Alle diese Transportsysteme erleichtern den Durchtritt von Substanzen im Sinne einer Katalyse. Diese Funktion wird von spezifischen Transmembranproteinen, die das Bilayer durchqueren, wahrgenommen. In Abbildung 1.8 sind die Transportsysteme von biologischen Membranen ihrer Funktionsweise nach in unterschiedliche Typen eingeteilt. Bei der einfachen Diffusion handelt es sich im Idealfall um einen rein physikalischen Vorgang, der zum Konzentrationsausgleich einer Substanz auf beiden Seiten der Membran führt. Der Substanzdurchtritt kann entweder durch die Lipiddoppelschicht oder durch wassergefüllte
16
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
erleichterte Diffusion
1.8
Transportsysteme von biologischen Membranen
Poren, die von Membranproteinen gebildet werden, erfolgen. Eine Wechselwirkung zwischen der diffundierenden Substanz und den Bestandteilen der biologischen Membran findet nicht statt. Treibende Kraft der Diffusionsbewegung ist der Konzentrationsunterschied einer Substanz an beiden Seiten der Membran. Daraus resultiert, dass der Durchtritt – abhängig von der Richtung des Konzentrationsgradienten – in beiden Richtungen erfolgen kann und der Nettoflux Null wird, sobald ein Konzentrationsausgleich erfolgt ist, obwohl die Bewegung der Partikel nie aufhört. Außer beziehungsweise neben dem Konzentrationsunterschied kann im Falle von geladenen Teilchen, die durch wassergefüllte Poren durchtreten, auch die ungleiche elektrische Ladung auf beiden Seiten der Membran die treibende Kraft für die Diffusionsbewegung sein. Auch in diesem Falle wird der Nettoflux mit Erreichen der Elektroneutralität Null. Neben der einfachen Diffusion gehört auch die erleichterte Diffusion zu den passiven Transportvorgängen, denn auch diese Art von Diffusion führt zu einem Konzentrationsausgleich auf beiden Seiten der Membran. „Erleichert“ wird die Diffusion von polaren und auch von geladenen Substanzen durch spezielle Membranproteine. Sie wirken im gewissen Sinne als Transportkatalysatoren, indem sie die für den Transport von polaren beziehungsweise geladenen Substanzen notwendige sehr hohe Aktivierungsenergie vermindern. Die transportierten Moleküle und Ionen sind „Substrate“ solcher Transportproteine. Im Gegensatz zur enzymatischen Katalyse werden die Substrate von einem Kompartiment in das andere geschleust, ohne sie chemisch zu verändern. In Analogie zu einer enzymkatalysierten Reaktion muss auch die zu transportierende Substanz an eine spezifische Bindungsstelle des Transportproteins gebunden werden. Manche Transportproteine haben ganz selektive Bindungsstellen und binden nur ein einziges Substrat. Andere sind weniger spezifisch und binden mehrere chemisch mehr oder weniger ähnliche Substrate, zu denen die Bindungsstelle meistens eine unterschiedlich hohe Affinität hat. Ein Maß für die Affinität der Bindungsstelle zu einem bestimmten Substrat ist der Kt-Wert, der der Michaelis-Konstante (Km) enzymatischer Reaktionen
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
17
analog ist und ebenfalls die Dimension einer Konzentration hat. Der Kt-Wert entspricht derjenigen Konzentration der zu transportierenden Substanz, bei der die halbmaximale Transportgeschwindigkeit erreicht wird.
1.1.2.4
Die Kinetik einer einfachen Diffusion unterscheidet sich grundsätzlich von der Kinetik der erleichterten Diffusion
Wie Abbildung 1.9 zeigt, erhält man bei Auftragen der Transportgeschwindigkeit gegen die Konzentration der transportierten Moleküle im Falle einer einfachen Diffusion eine Gerade. Die Transportgeschwindigkeit ist somit einzig und allein von der Konzentration des Substrates beziehungsweise vom Konzentrationsunterschied auf beiden Seiten der Membran abhängig.
1.9
Kinetik des Substrattransportes bei einfacher (A) und bei erleichterter Diffusion (B) Vmax = maximale Transportgeschwindigkeit; Kt = Transportkonstante
Dies gilt nicht für die Kinetik der erleichterten Diffusion. Beim Auftragen der Transportgeschwindigkeit gegen die Konzentration erhält man in diesem Fall eine Hyperbel in Analogie zu einer enzymatischen Reaktion, die der Michaelis-Menten-Kinetik folgt (Abschnitt 1.3.2.2). Diese „Sättigungskinetik“ kommt dadurch zustande, dass die Anzahl der Bindungsstellen am Transportprotein begrenzt ist. Für eine derartige Kinetik lässt sich neben dem Kt-Wert auch eine maximale Transportgeschwindigkeit als Vmax angeben. Die genaue Berechnung dieser Konstanten wird im Kapitel „Enzymatische Regulation“ besprochen.
1.1.2.5
Aktive Transportprozesse benötigen Stoffwechselenergie
Während die passiven Formen des Transports, die einfache und die erleicherte Diffusion, zum Konzentrationsausgleich einer Substanz auf beiden Seiten einer Membran
18
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
führen, bewirken primär aktive und sekundär aktive Transportprozesse eine Nettoakkumulation von Substrat auf einer der beiden Membranseiten. Das Schaffen eines Konzentrationsgradienten ist mit einer Abnahme von Entropie verbunden und bedarf daher eines Aufwandes an Energie, die in biologischen Systemen meistens durch Spaltung von ATP zur Verfügung gestellt wird. Bei dem primär aktiven Transport ist die Akkumulation des Stoffes in einem Kompartiment direkt an eine exergonische Reaktion, zum Beispiel an die Hydrolyse von ATP, gekoppelt. Bei einem sekundär aktiven Transport wird der Konzentrationsgradient eines Stoffes, der durch einen primär aktiven Prozess erzeugt wurde, abgebaut, um einen zweiten Stoff gegen seinen Konzentrationsgradienten, das heißt akkumulierend, zu transportieren. Als Beispiel für einen primär aktiven Transportvorgang soll die Funktion der Na+/K+ATPase besprochen werden. Der durch diesen Vorgang geschaffene Ionengradient wird unter anderem für den sekundär aktiven Transport von Glucose und Aminosäuren in die Dünndarmepithelzelle oder für die Aminosäureaufnahme in peripheren Körperzellen ausgenutzt. Den sekundär aktiven Transport soll die epitheliale Glucoseaufnahme als Beispiel veranschaulichen.
1.1.2.6
Die Na+/K+-ATPase ist ein lebenswichtiges Transportsystem in der Plasmamembran jeder tierischen Zelle
Primär ist die Na+/K+-ATPase für die Aufrechterhaltung der für die tierischen Zellen charakteristischen ungleichen Verteilung von Kalium und Natrium zwischen dem intrazellulären und dem extrazellulären Kompartiment verantwortlich. Das durchschnittliche Konzentrationsverhältnis des intrazellulären K+ zum extrazellulären K+ beträgt ca. 150 mmol × L–1 zu 4 mmol × L–1. Die intrazelluläre Na+-Konzentration ist andererseits mit ca. 10 bis 40 mmol × L–1 wesentlich niedriger als die extrazelluläre, die mit etwa 142 bis 144 mmol × L–1 beziffert wird. Die hohe intrazelluläre K+- beziehungsweise
1.10 Anordnung der Untereinheiten der Na+/K+-ATPase
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
19
niedrige Na+-Konzentration – und die inverse Verteilung der beiden Ionen im extrazellulären Raum – ist für den Zellstoffwechsel unverzichtbar. Aufrechterhalten wird dieses Ungleichgewicht durch die Na+/K+-ATPase, die mit Hilfe der Energie, die aus der Hydrolyse von einem ATP gewonnen wird, zwei K+-Ionen in die Zelle hineinschleust und drei Na+-Ionen aus der Zelle befördert. Wie alle ATP-asen benötigt auch die Na+/K+-ATPase Mg2+. Die Na+/K+-ATP-ase ist ein tetrameres Transmembranprotein aus je zwei α- und β- Untereinheiten, die in der Membran als α2β2-Tetramer vorliegen. Abbildung 1.10 zeigt deren Anordnung in der Plasmamembran. Die beiden je 112 kDA großen α-Untereinheiten befinden sich unmittelbar nebeneinander, je eine der 35 kDA großen β-Untereinheiten ist seitlich von ihnen angeordnet. Alle für die Transportfunktion wesentlichen Domänen werden den α-Untereinheiten zugeordnet. Die β-Untereinheit der Na+/K+-ATP-ase ist ein glykosyliertes Transmembranprotein mit einem Kohlenhydratanteil von ca. 20 %. Die genaue Funktion der β-Untereinheiten ist noch nicht bekannt. Die für den Na+- und K+-Austausch wesentliche α-Untereinheit ist kloniert und sequenziert worden. Sie besteht aus 1 021 Aminosäuren. Wie Abbildung 1.11 zeigt, durchqueren etwa zwei Drittel der Aminosäuren mit acht α-Helices die Phospholipiddoppelschicht. Zwischen diesen ragen mehrere Peptidschleifen in das Cytosol hinein. Die mittlere von diesen trägt in Form eines Lysylrestes die ATP-Bindungsstelle sowie einen Aspartylrest als reversible Phosphorylierungsstelle. In der Nähe des N-Terminus ist die Na+/K+-Bindungsstelle lokalisiert. Extrazellulärraum
Lipiddoppelschicht
1.11 Aufbau der α-Untereinheit der Na+/K+-ATPase Asp = reversible Phosphorylierungsstelle; Lys = ATP-Bindungsstelle
1.1.2.7
Bei der Na+/K+-ATPase sind die enzymkatalysierten Prozesse direkt an die Transportvorgänge gekoppelt
Nach dem aktuellen Modell des Wirkungsmechanismus ist die Na+/K+-ATPase ein Enzym – und gleichzeitig ein Transportprotein –, das zwischen mehreren Konformationszuständen hin- und herwechselt (Abbildung 1.12). In der Konformation I sind die αUntereinheiten nicht phosphoryliert; die zum Zellinneren gerichteten Na+-Bindungs-
20
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
1.12 Funktion der Na+/K+-ATPase. I bis VIII Konformationszustände während eines Zyklus
stellen sind hochaffin und binden drei Na+. Die Bindung des Na+ aktiviert die Hydrolyse des ATP, das an die ebenfalls zum Cytoplasma hin gerichtete ATP-Bindungsstelle der α-Untereinheit gebunden ist. Das freiwerdende ADP wird in das Cytoplasma abgegeben, während das Phosphat an einen Aspartylrest der α-Untereinheit gebunden wird (II). Diese Phosphorylierung induziert eine Konformationsänderung des Proteins: Die Na+-Ionen werden eingeschlossen, der Zustand relaxiert durch Umorientierung der Na+-Bindungsstellen zum extrazellulären Raum hin (III) und die Na+-Ionen werden nach außen abgegeben (IV). Gleichzeitig erhöht sich die Affinität der Bindungsstellen für K+, die jetzt nach außen hin orientiert sind. Trotz relativ niedrigerer K+-Ionenkonzentration im Extrazellulärraum werden zwei K+ an die Bindungsstellen angelagert (V). Die Bindung von K+ induziert eine intrinsische Phosphatase-Aktivität , wodurch das Phosphat hydrolytisch abgespalten wird (VI). Die Dephosphorylierung des Proteins ruft wiederum eine Konformationsänderung hervor: Die mit K+ besetzten Bindungsstellen orientieren sich zum Intrazellulärraum um (VII) und verlieren ihre Affinität zu den K+Ionen, die in das Zellinnere abgegeben werden (VIII). Damit ist die Ausgangskonfor-
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
21
mation mit hoher Affinität der Bindungsstellen für Na+, die nun wieder zum Zellinneren hin gerichtet sind, erreicht und der Kreisprozess kann von neuem beginnen. Beim Reaktionscyclus der Na+/K+-ATP-ase handelt es sich im Endeffekt um einen Wechsel der Affinität einer Ionenbindungsstelle, ausgelöst durch eine Na+-abhängige Phosphorylierung beziehungsweise K+-abhängige Dephosphorylierung der ATP-ase. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes gekoppeltes System, da das ATP nur dann hydrolysiert wird, wenn gleichzeitig Na+ und K+ für den Transport zur Verfügung stehen. Eine solche Kopplung ist typisch für energieumwandelnde biologische Systeme und dient der Vermeidung unrationeller ATP-Spaltung. Die Steroidglykoside Digitoxin und Ouabain hemmen die Na+/K+-ATPase und damit den Na+/K+-Austausch. Auf molekularer Ebene wirken diese Substanzen, indem sie nach Bindung an eine spezifische extrazelluläre Bindungsstelle die Dephosphorylierung des Enzyms hemmen und damit den Kreisprozess des Na+/K+-Austausches unterbrechen. Hierdurch erhöht sich die intrazelluläre Na+-Konzentration. Der experimentelle Einsatz der Steroidglykoside leistete einen wesentlichen Beitrag zur Klärung des molekularen Mechanismus der Funktion der Na+/K+-ATPase. In niedriger Dosierung haben diese sogenannten herzwirksamen Glykoside auch Eingang in die Therapie verschiedener Formen der Herzinsuffizienz gefunden. Ihre Wirkung auf die Herzmuskelzelle ist folgendermaßen zu erklären: Durch Hemmung der Na+/K+ATPase erhöht sich die intrazelluläre Na-Konzentration. Der flachere Na+-Gradient bewirkt einen verlangsamten Ca2+-Ausstrom über den in der Membran der Zelle lokalisierten Na+/Ca2+-Austauscher. Es kommt zu einer leichten Erhöhung der intrazellulären Ca2+-Konzentration, wodurch die Kontraktionskraft der Herzmuskelzelle zunimmt.
1.1.2.8
Die Funktion der Na+/K+-ATPase ist Grundlage zahlreicher zellulärer Prozesse
Die ungleiche Verteilung von Na+ und K+ zwischen dem intra- und extrazellulären Kompartiment ist eine unabdingbare Grundlage der Zellfunktion. Der für die Aufrechterhaltung dieses Ungleichgewichtes verwendete Energiebetrag ist je nach Zelltyp unterschiedlich, aber mit 17 bis 50 % des Energieverbrauchs der ruhenden Zelle sehr hoch. Den höchsten Energiebedarf hat mit ca. 52 % das Gehirn, gefolgt von der Nierenrinde (40 %), der Leber (30 %) und dem ruhenden Muskel (17 %). Bei maximaler Geschwindigkeit befördert jedes Na+/K+-ATP-ase-Molekül 300 Na+ und 200 K+ pro Minute. Wie bereits ausgeführt, werden pro Durchgang des Kreisprozesses drei Na+-Ionen aus der Zelle und zwei K+.-Ionen in die Zelle befördert. Es ist unter anderem der Na+/K+ATPase zuzuschreiben, dass eine Ladungsdifferenz zwischen der Innen- und Außenseite der Membran entsteht, die als Membranpotential bezeichnet wird. Sie beträgt je nach Zelltyp zwischen –50 und –70 mV, wobei innen ein negativer, außen ein positiver Ladungsüberschuss vorhanden ist. Die Na+/K+-ATPase ist also ein elektrogen arbeitendes – das heißt einen Nettoladungstransfer vermittelndes – primär aktives Transportsystem. Das Membranpotential ist Grundlage der Vermittlung von elektrischen Signalen. Das Ruhepotential der Nervenzellen, das eine entscheidende Voraussetzung dafür ist, dass die Neuronenmembran erregt werden kann, ist im wesentlichen durch die K+-Ionen bestimmt. Die Na+/K+-ATPase kommt in der Plasmamembran – und auch in der Kernmembran – fast aller tierischen Zellen vor. Abwesend ist sie lediglich in den nichtzellulären Geweben wie der Linse und dem Glaskörper des Auges. Grundlegende zelluläre Prozesse
22
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
sind auf die von diesem Transportsystem geschaffenen Ionengradienten angewiesen: die Osmoregulation der Zelle, die Rückresorption der Elektrolyte und des Wassers aus dem Primärharn durch die Tubuluszellen der Niere, die Sekretion von Speichel und Pankreassaft und andere. Der durch die Na+/K+-ATPase geschaffene transmembranäre Na+-Gradient, mit niedriger intrazellulärer Na+-Konzentration, wird insbesondere in den Epithelzellen von Darm und Nierentubulus zur sekundär aktiven Aufnahme von Substraten ausgenutzt. Diese Art von Transportvorgängen wird im Folgenden noch detailliert besprochen.
1.1.2.9
Es gibt verschiedene Klassen von Ionentransport-ATPasen
Die Na+/K+-ATPase ist eines der Transportproteine, die im Verlauf eines Kreisprozesses reversibel phosphoryliert wird, weshalb sie zur Klasse der P-ATPasen gerechnet wird. Charakteristisch für diese ist, dass sie durch Vanadat hemmbar sind. Wie Tabelle 1.3 zeigt, gibt es in der Plasmamembran – aber auch in anderen Membrantypen – der Zellen höherer Eukaryoten auch weitere primär aktive Transportproteine, deren Funktion auf ATP-Spaltung mit anschließender Phosphorylierung der Proteine beruht. Die in den Mucosa-Zellen des Magens vorkommende H+/K+-ATPase, ebenfalls eine P-ATPase, arbeitet nicht elektrogen; es wird ein H+ aus der Zelle und ein K+ in die Zelle transportiert. Die in das Magenlumen abgegebenen H+-Ionen dienen der Ansäuerung des Mageninhalts. Die Ca2+-ATPasen bestehen aus nur einer Polypeptidkette und transportieren pro gespaltenes ATP zwei Ca 2+. Ihre Affinität für Ca2+ ist sehr hoch, so dass der Transport auch bei niedriger cytoplasmatischer Ca2+-Konzentration sehr effektiv ist. Ihrer Lokalisation nach unterscheidet man zwei Klassen von Ca2+-ATPasen: Die ersten sind in der Plasmamembran lokalisiert und sorgen für die Aufrechterhaltung einer niedrigen intraTabelle 1.3: Klassen von Ionentransport-ATPasen beim höheren Eukaryoten Transportierte(s) Ion(en) P-ATPasen Na+/K+ H+/K+ Ca2+ Ca2+ V-ATPasen H+
F-ATPasen H+
Membrantyp
Rolle
Plasma-(Kern-)Membran
niedrige [Na+], hohe [K+] in der Zelle; Transmembranpotential Säureproduktion im Magen
Plasmamembran säuresezernierender Zellen Plasmamembran Sarkoplasmatisches Reticulum der Muskelzelle
niedrige [Ca2+] in der Zelle Kompartimentierung des Ca2+ in der Zelle
Membran von Lysosomen, endosomalen und sekretorischen Vesikeln
Ansäuerung von Kompartimenten
innere Mitochondrienmembran
ATP-Synthese in den Mitochondrien
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
23
zellulären Ca2+-Konzentration. Sie werden durch das intrazelluläre Ca2+-bindende Protein Calmodulin (Abschnitt 1.1.3.10) gesteuert. Die zweite Klasse der Ca2+-ATPasen, kommt in der Membran des sarkoplasmatischen Reticulums der Muskelzelle vor. Sie sorgen für die intrazelluläre Kompartimentierung der Ca2+-Ionen, eine Voraussetzung für das Funktionieren des kontraktilen Apparates dieser Zellen (Abschnitt 11.1.3). Die Bezeichnung V-ATPasen leitet sich von der Vakuole pflanzlicher Zellen ab, in deren Membran sie vorkommen. Bei den tierischen Zellen sind diese ebenfalls aus mehreren Untereinheiten bestehenden Transporter in der Membran von Lysosomen, Endosomen und sekretorischen Vesikeln integriert. Sie „pumpen“ H+-Ionen in das Innere dieser Vesikel gegen einen beträchtlichen, bis zu 100fachen Konzentrationsgradienten. Im Gegensatz zu den P-ATPasen werden die V-ATPasen nicht reversibel phosphoryliert und dephosphoryliert. Die Kopplung zwischen der ATP-Spaltung und dem Transport von Protonen ist nicht geklärt. Die F-ATPasen erhielten ihre Bezeichnung dadurch, dass sie als Kopplungs-Faktoren bei der ATP-Bildung identifiziert worden sind. Sie vermitteln den durch ATP-Hydrolyse getriebenen Durchtritt von Protonen durch die innere Mitochondrienmembran. Der Rückfluss der Protonen in Richtung des Gradienten wird zur Synthese von ATP aus ADP und Pi genutzt (Abschnitt 5.2.2.2). Die Erzeugung von Ionengradienten ist die am meisten verbreitete Aufgabe der Transport-ATPasen. Seit einigen Jahren wird jedoch auch über ATPasen intensiv geforscht, die lipophile Pharmaka und andere Xenobiotika gegen einen Konzentrationsgradienten aus Zellen transportieren. Zu diesen gehört das MDR-Protein (MDR = multi drug resistance) – auch p-Glykoprotein 170 genannt –, ein glykosyliertes Transmembranprotein, das unter anderem die Tumortherapie mit Cytostatika dadurch erschwert, dass es diese Pharmaka effektiv aus den Krebszellen hinausbefördert und damit den Wirkstoffspiegel unter die gewünschte Konzentration senkt. Die Energie für diesen „Bergauf“-Transport von Xenobiotika liefert ebenfalls die Hydrolyse von ATP.
1.1.2.10
Die durch die Transport-ATPasen geschaffenen Ionengradienten werden für den sekundär aktiven Transport genutzt
Die durch die Ionentransport-ATPasen geschaffenen Ionengradienten können als Triebkraft zum akkumulierenden Transport verschiedener Moleküle dienen. Dieser als sekundär aktiv bezeichnete Transportmodus soll anhand des Glucosetransportes in die Epithelzellen des Dünndarms besprochen werden. Das in die Bürstensaummembran der Dünndarmepithelzelle integrierte Transportsystem für Glucose ist vor mehr als zehn Jahren kloniert und exprimiert worden und erhielt die Bezeichnung SGLT 1. Das Transportprotein besteht aus 664 Aminosäuren und hat wahrscheinlich zwölf α-helikale Transmembrandomänen, die von je 21 hydrophoben Aminosäuren gebildet werden (Abbildung 1.13). Ein größerer N-glykosidisch gebundener Kohlenhydratrest befindet sich an einer zellauswärts gerichteten Schleife. Das SGLT 1 ist ein Na+-Glucose-Cotransporter, der ein Glucosemolekül in Begleitung von zwei Na+-Ionen in die Epithelzelle transportiert (Abbildung 1.14). Die Bindungsstellen für Na+ und Glucose befinden sich im Ausgangszustand des Prozesses nach außen, das heißt zum Darmlumen hin, gerichtet. In Abwesenheit von Na+ ist die Affinität der Bindungsstellen für Glucose außerordentlich niedrig (appKt > 10 mmol × L–1). Werden zwei Na+ an die Na+-Bindungsstellen angelagert, ändert sich die Konformation des Proteins und damit auch die Affinität der Glucose-Bindungsstelle zum Sub-
24
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
B
1.13
Modell der Sekundärstruktur des Glucosetransporters SGLT 1 in der intestinalen Bürstensaummembran
strat drastisch: Der appKt-Wert für Glucose beträgt nun < 0,5 mmol × L–1. Dies bedeutet, dass für eine physiologisch relevante Rate des Glucosetransports durch dieses Transportsystem die Anwesenheit von Na+ unabdingbar ist. Nach Binden von zwei Na+ wird ein Molekül Glucose an die entsprechenden Bindungsstellen angelagert. Dies ruft eine nochmalige Konformationsänderung des SGLT 1 hervor, bei der sich alle Bindungsstellen zum Zellinneren hin ausrichten. Als Folge der Tätigkeit der Na+/K+-ATPase, die bei den Epithelzellen an der baso-lateralen Membran lokalisiert ist, ist die intrazelluläre Na+-Konzentration sehr niedrig. Dies hat zur Folge,
Blutseite
Bürstensaummembran
1.14
Modell des Monosaccharidtransportes durch den Enterocyten des Dünndarms SGLT 1 = Na+/Glucose-Cotransporter an der Bürstensaummembran; GLUT 2 = Glucose/ Fructose-Transporter der baso-lateralen Membran; GLUT 5 = Fructose-Transporter an der Bürstensaummembran
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
25
dass die beiden Na+-Ionen von ihren Bindungsstellen am SGLT 1 abdiffundieren. Dadurch verändert sich die Affinität der Glucose-Bindungsstelle zum Substrat und der Zucker wird ebenfalls in die Epithelzelle abgegeben und zwar auch dann, wenn sich bereits relativ viel Glucose in der Zelle befindet. Als sekundär aktives Transportsystem arbeitet das SGLT 1 akkumulierend; die Glucosekonzentration in der Zelle kann bis zum Zehnfachen der Konzentration im extrazellulären Kompartiment erhöht werden. Treibende Kraft dieses Konzentrierungseffektes ist einzig und allein die niedrige intrazelluläre Na+-Konzentration, die das Ablösen des Na+ vom SGLT 1 ermöglicht. Die Hemmung der Na+/K+-ATPase bringt somit auch die Tätigkeit von SGLT 1 zum Erliegen. Das SGLT 1 ist nicht absolut spezifisch für den Transport von Glucose, sondern akzeptiert auch Galactose als Substrat. Wichtig für die Bindung an den Transporter sind der pyranoide Sechserring sowie die Hydroxylgruppen am C-1 und C-2. Ein analog funktionierendes Transportsystem, das SGLT 2, befindet sich in der Bürstensaummembran der Epithelzellen der Nierentubuli. Für beide Mitglieder der „SGLT-Familie“ ist charakteristisch, dass sie durch das Polyphenolglucosid Phlorrhizin hemmbar sind. Fructose wird durch das SGLT 1 nicht transportiert; sie gelangt durch erleichterte Diffusion mittels GLUT 5 in den Enterocyten. Die intrazellulär akkumulierte Glucose verlässt die Epithelzelle auf der Blutseite mittels eines anderen in der baso-lateralen Membran integrierten Glucose-Transporters, des GLUT 2. Dieser Glucose-Carrier ist nicht Na+-abhängig und arbeitet nach dem Prinzip einer erleichterten Diffusion, das heißt, er transportiert das Substrat in Richtung des Glucose-Gradienten aus der Zelle in die Blutbahn nur solange, wie die intrazelluläre Glucose-Konzentration höher ist als die extrazelluläre. Konsequenterweise kann über
Tabelle 1.4: Vorkommen und Substratspezifität der GLUT-Transporter* Vorkommen in menschlichen Geweben
Transportierte Zucker Glucose Galactose Mannose Fructose
Xylose GLUT 1 GLUT 2
GLUT 3 GLUT 4
GLUT 5
Erythrocyt Darm-Nieren-Epithel Hepatocyten β -Zellen des Pankreas alle Zellen braunes und weißes Fettgewebe Skelettmuskel Herzmuskel Jejunum (Niere, Skelettmuskel, Fettgewebe)
+
+
+
–
–
+ +
+ +
+ +
+ –
– +
+
n.b.
n.b.
n.b.
n.b.
–
n.b.
n.b.
+
n.b.
* exprimiert in Xenopus laevis Oocyten n.b. = nicht bestimmt; + = Tranport; – = keinTransport Quelle: Thorens, B. Facilitated Glucose Transporters in Epithelial Cells. In: Hoffmann, J. F.; DeWeer, P. (Hrgs.) Annual Review of Physiology. Palo Alto, CA. Bd. 55 (1993), 595 (modifiziert)
26
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
das GLUT 2 auch Glucose aus dem Blut in die Epithelzelle aufgenommen werden, wenn die intrazelluläre Glucosekonzentration niedriger ist als diejenige im Blut. Das GLUT 2 gehört ebenfalls zu einer ganzen Familie von Glucose-Carriern (GLUT 1 bis GLUT 5; numeriert in der Reihenfolge ihrer Entdeckung), die in der Plasmamembran verschiedener Zellen integriert sind und den Glucose-Transport – und/oder den Transport sonstiger Monosaccharide – nach dem Prinzip einer erleichterten Diffusion katalysieren. In Tabelle 1.4 ist das Vorkommen der einzelnen GLUT-Transportern in den menschlichen Geweben und ihre Substratspezifität aufgelistet. Die GLUT-Transporter, insbesondere GLUT 4, sind in peripheren Geweben für die unter Insulinwirkung stark erhöhte Glucoseaufnahme in die Zellen verantwortlich (Abschnitt 1.4.3.2).
1.1.2.11
Die Transportsysteme lassen sich in mehrere Typen einteilen
Wie in Abbildung 1.15 skizziert, gibt es unter den Carrier-Proteinen solche, die beim einzelnen Transportvorgang nur ein bestimmtes Substrat binden und transportieren. (Bei einem unspezifischen System kann es sich bei den einzelnen Transportvorgängen um jeweils andere Molekülarten handeln). Ein Beispiel für ein solches Uniport-System ist das GLUT 2, das die Glucose an der baso-lateralen Seite der Epithelzelle im Dünndarm und Nierentubulus aus der Zelle durch erleichterte Diffusion hinausbefördert. Das sekundär aktiv arbeitende SGLT 1 benötigt für den Ablauf des Transports zwei gleichzeitig gebundene Substrate, Na+ und Glucose, die nur zusammen transportiert werden. Hierbei handelt es sich um einen Symport. Beide Substrate werden in diesem Falle in treibende Kräfte
BEISPIELE GLUT 1-4
Substratgradient
Uniporter
elektroneutral
Glucoseaufnahme in periphere Gewebe
GLUT 5
elektroneutral
Fructoseaufnahme in Enterocyten
Substratgradient Ionengradient
Symporter
Antiporter
PepT 1, PepT 2
Substratgradient
rBAT
Ionengradient
ATP ADP + PI
Aminosäurenaufnahme in Epithelzellen
elektrogen oder elektroneutral
Aminosäurenaufnahme/-abgabe
elektrogen oder elektroneutral
NHE 1-3
elektroneutral
Na+/K+-ATPase
elektrogen
Na+/H+-Antiporter
Kationentransport
ATP-Hydrolyse
p-Glycoprotein 170 Fremdstofftransport
1.15
elektrogen
Glucoseaufnahme in Epithelzellen (Dünndarm, Nierentubulus)
elektrochemische Potentialdifferenz
elektrochemische Potentialdifferenz
Transport-ATPasen
SGLT 1, SGLT 2
Typisierung der Transportsysteme der biologischen Membran
elektroneutral
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
27
die gleiche Richtung, nämlich in die Zelle, befördert. Andere Transportproteine mit ebenfalls mehreren unterschiedlichen Bindungsstellen, zum Beispiel die Na+/K+-ATPase, fungieren als Antiport-Systeme: Die beiden Ionen, Na+ und K+, werden in jeweils entgegengesetzte Richtungen – bei ungleicher Stöchiometrie – transportiert. Weitere gut bekannte Beispiele für Antiporter oder Austauscher sind das Bande-3-Protein der Erythrocytenmembran, das ein Bicarbonat-Anion gegen ein ebenfalls einfach negativ geladenes Chlorid transportiert und der ubiquitär vorkommende Na+/H+-Austauscher, der extrazelluläre Na+-Ionen in einem 1:1-Verhältnis gegen intrazelluläre H+-Ionen austauscht. Die Co-Transporter, das heißt Symporter und Antiporter, können, wenn sie geladene Teilchen befördern, elektrische Ladungen ausgleichen, wie beispielsweise der HCO3–/Cl–-Transporter und der Na+/H+-Austauscher, oder aber Ladungen auf einer der beiden Seiten der Membran akkumulieren, wie dies bei der Na+/K+-ATPase und dem SGLT 1-Glucosetransporter der Fall ist, und damit elektrogen wirken.
1.1.3 Rezeptoren der biologischen Membran als Empfänger und Übermittler von Signalen In der Biochemie versteht man unter Rezeptoren im weitesten Sinne Proteine, die Signalsubstanzen spezifisch binden – beziehungsweise physikalische Reize, zum Beispiel Licht, empfangen – und das Signal an die Zelle weitergeben, wodurch eine koordinierte und mehr oder minder spezifische zelluläre Reaktion ausgelöst wird. Rezeptoren kommen sowohl intrazellär als auch an die Außenseite der Zellmembran gebunden vor. Die biologische Bedeutung der cytoplasmatischen Rezeptoren wird in Abschnitt 1.3.1.1 besprochen. Unter den Rezeptoren, die an die Außenseite der Plasmamembran gebunden vorkommen, den Membranrezeptoren, gibt es zwei Arten: erstens solche, die der Signaltransduktion dienen, zweitens solche, die eine Endocytose auslösen.
1.1.3.1
Die Rezeptoren der Signaltransduktion übermitteln einen spezifischen chemischen oder physikalischen Reiz an das Zellinnere
Die Signaltransduktion ist ein hochaktuelles Forschungsgebiet der Biochemie, das in den letzten zwei Jahrzehnten besondere Fortschritte erzielt hat. Die Signalrezeptoren sind Transmembranproteine mit einer meistens sehr großen glykosylierten extrazellulären Domäne, an der sich die Ligandenbindungsstelle befindet. Die Transmembrandomäne durchquert die Membran entweder mit einer α-Helix oder mit mehreren αHelices bestehend aus je etwa 25 vorwiegend hydrophoben Aminosäuren. An der intrazellulären Domäne, die unterschiedlich lang sein kann, spielt sich die eigentliche Übermittlung der Botschaft des Liganden ab. Die Interaktion zwischen Rezeptor und Ligand ist reversibel, hochspezifisch und führt zu einer Konformationsänderung des Rezeptors. Die Ligandenbindung ist durch eine hohe Affinität gekennzeichnet; Dissoziationskonstanten unter 10–9 mol × L–1 kommen häufig vor. Durch Bindung des Liganden wird in vielen Fällen eine mehrstufige Reaktionskette ausgelöst, die sich nach dem Kaskadenprinzip um mehrere Zehnerpotenzen verstärkt.
28
1.16
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Wirkungsweise membrangebundener Rezeptoren bei der Signaltransduktion Typ I-Rezeptor mit intrinsischer Enzymaktivität (im Beispiel: Kinase-Aktivität); Typ II-Rezeptor als ligandengesteuerter Ionenkanal; Typ III-Rezeptor mit G-Protein-vermittelter Signalübertragung; EZ = Extrazellulärraum; IZ = Intrazellulärraum; L = Ligand
Je nach Prinzip der Signalübermittlung lassen sich die Membranrezeptoren in drei Typen einteilen, deren molekularer Wirkungsmechanismus in Abbildung 1.16 stark schematisiert dargestellt ist.
1.1.3.2
Typ-I-Rezeptoren haben intrinsische Enzymaktivitäten, die durch die Bindung des Liganden angeregt werden
Der bekannteste Vertreter dieses Rezeptortyps ist der Insulinrezeptor, der zur Demonstration der Wirkungsweise dieser Rezeptoren dienen soll. Der Insulinrezeptor (siehe Abbildung 1.17) besitzt zwei identische α-Untereinheiten, die der Außenseite der Plasmamembran aufgelagert sind und je eine Insulinbindungsstelle aufweisen. Je zwei ebenfalls identische β-Untereinheiten durchdringen die Phospholipiddoppelschicht und tragen am cytoplasmatischen Ende der Peptidketten eine Tyrosinkinase-Domäne. Die Untereinheiten dieses heterotetrameren Glykoproteins sind durch Disulfid-Brücken untereinander verbunden. Die Bindung der Insulinmoleküle bewirkt – als Folge einer Konformationsveränderung der α-Untereinheiten, die sich den β-Untereinheiten mitteilt – das Auftreten einer Tyrosinkinase-Aktivität in den cytoplasmatischen Domänen der β-Untereinheiten. Bis zu sieben benachbarte Tyrosylreste der β-Untereinheiten werden im Zuge einer Autophosphorylierung phosphoryliert. Dies löst die Assoziation eines spezifischen Proteins, des Insulinrezeptor-Substrat-1 (IRS-1), mit dem Rezeptor aus, wobei bestimmte Tyrosylreste des IRS-1 phosphoryliert werden. An das phosphorylierte IRS-1 können verschiedene intrazelluläre Proteine andocken, wodurch die Signaltransduktion des Insulins – zum Teil in Form weiterer Phosphorylierungen, beispielsweise von Enzymen – intrazellulär weitergeleitet wird. Das Insulinsignal führt unter anderem zur Translokation von GLUT 4, zur Erhöhung der Aktivität der Phosphodiesterase und zu verschie-
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
α β
β
29
α β
β
IRS-1
1.17
Mechanismus der Signaltransduktion durch den Insulinrezeptor α = α-Untereinheit; β = β-Untereinheit; Tyr = Tyrosylrest; EZ = Extrazellulärraum; IZ = Intrazellulärraum; IRS-1 = Insulinrezeptor-Substrat-1
denen Änderungen der Genexpression, um nur einige wenige Effekte zu nennen (Abschnitt 1.4.3.2). Der Insulinrezeptor kann außer an Tyrosylresten auch an Seryl- und Threonylresten phosphoryliert werden. Dies geschieht wahrscheinlich durch eine cAMP-abhängige Proteinkinase. Hierdurch kommt es zu einem Abfall der Tyrosinkinase-Aktivität des Rezeptors und damit zu einer Herunterregulierung der Insulinwirkung. Man nimmt an, dass bei Patienten mit insulinresistentem Diabetes mellitus unter anderem eine Mutation in der Tyrosinkinase-Domäne des Insulinrezeptors vorhanden ist. Daher bindet zwar das körpereigene oder injizierte Insulin an den Rezeptor, das Signal wird jedoch nicht an die Zelle weitergeleitet. Zu den ligandenaktivierten Membranenzymen mit Tyrosinkinase-Aktivität gehören außer dem Insulinrezeptor auch die Rezeptoren für Wachstumsfaktorpeptide wie der Epidermis-Wachstumsfaktor (EGF = epidermal growth factor), oder der Blutplättchen-Wachstumsfaktor (PDGF = platelet-derived growth factor). Manche Vertreter der Typ-I-Rezeptoren haben eine cytoplasmatische Domäne mit tyrosinspezifischer Proteinphosphatase-Aktivität. In diesem Falle löst also die Ligandenbindung die Abspaltung von Phosphatgruppen, die an Tyrosylresten gebunden sind, aus.
30
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Ein weiteres Beispiel für Typ-I-Rezeptoren ist der Rezeptor für das atriale natriuretische Peptid (ANP). Wenn sich dieses Hormon an den Rezeptor bindet, kommt es zur Expression einer dem Rezeptorprotein innewohnenden Guanylatcylase-Aktivität. Es entsteht 3⬘,5⬘-cyclisches Guanosinmonophosphat (cGMP), das als second messenger wirkt. In diesem Falle produziert also die enzymatische Aktivität des Rezeptors selbst den für die Vermittlung der Hormonwirkung zuständigen second messenger (Abschnitt 1.1.3.7).
1.1.3.3
Zu den Typ-II-Rezeptoren gehören ligandengesteuerte Ionenkanäle
Der nicotinische* Acetylcholinrezeptor ist der am besten untersuchte Vertreter der ligandengesteuerten Ionenkanäle; er interagiert mit dem Neurotransmitter Acetylcholin. Der nicotinische Acetylcholinrezeptor ist ein Transmembranprotein mit fünf Untereinheiten (2α, β, γ, δ), die ringförmig zusammengelagert in die Membran eingefügt sind, und dadurch einen „Kanal“ durch die Membran bilden (Abbildung 1.18). Im Eingangsbereich des Kanals befinden sich geladene Aminosäurereste. Sobald das Acetylcholin an die Bindungsstellen des Rezeptors, die sich an den α-Untereinheiten befinden, bindet, erfolgt eine Konformationsänderung des Rezeptors, der Kanal „öffnet“ sich für kurze Zeit für Na+- (und K+-)Ionen. Das Acetylcholin wird in den präsynaptischen Neuronen synthetisiert und dann in sekretorischen Vesikeln gespeichert. Die Ausschüttung des Acetylcholins in den synaptischen Spalt geschieht durch Exocytose und wird durch Erhöhung der intrazellulären Ca2+-Konzentration im präsynaptischen Neuron ausgelöst. Die Acetylcholinrezeptoren sind in dem Membranbezirk des postsynaptischen Neurons lokalisiert, der an den synaptischen Spalt angrenzt (Abbildung 1.19). A
B
β
δ α
α γ
= positiver AS-Rest = negativer AS-Rest
1.18
Der nicotinische Acetylcholin-Rezeptor A. Anordnung der Untereinheiten in der Membran; B. Struktur der α-Untereinheit; 1,2,3,4 = Transmembrandomänen
* Nicotin wird experimentell zur Charakterisierung von Rezeptortypen eingesetzt.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
31
Axon des präsynaptischen Neurons
-
1.19
Übertragung eines elektrischen Signals zwischen zwei Neuronen mittels ligandenund spannungsgesteuerter Ionenkanäle (im Beispiel: Acetylcholin als Ligand)
Der Einstrom von Na+- (und Ca2+-)Ionen in das postsynaptische Neuron führt zu einer Depolarisierung der Membran dieser Zelle. Dies initiiert im postsynaptischen Neuron ein Aktionspotential, das sich entlang des Axons fortpflanzt. Für das Fortschreiten des Aktionspotentials sind mehrere Typen spannungsgesteuerter Ionenkanäle notwendig. Das schnelle Öffnen und Schließen dieser Ionenkanäle erfolgt als Reaktion auf Veränderungen des elektrischen Potentials der Membran. Die spannungsgesteuerten Na+-Kanäle, die auf der ganzen Länge des Axons angeordnet sind, sind geschlossen, solange die Membran polarisiert ist. Bei der Depolarisierung – beispielsweise als Folge der Bindung von Acetylcholin an seinen Rezeptor – öffnen sich die Na+-Kanäle für kurze Zeit. Solche spannungsgesteuerten Ionenkanäle sind somit nicht direkt, sondern nur indirekt von der Ligandenbindung an einen Rezeptor abhängig. Die ebenfalls spannungsgesteuerten Ca2+-Kanäle lassen in der Nähe der Acetylcholin-Speichervesikel Ca2+-Ionen in das präsynaptische Neuron einströmen, sobald die Depolarisationswelle sie erreicht. Dies wiederum führt die exocytotische Freisetzung des Acetylcholins in den synaptischen Spalt herbei. Somit beeinflussen sich die ligandengesteuerten und spannungsgesteuerten Ionenkanäle wechselseitig. Ligandengesteuerte Ionenkanäle kommen nicht nur in der Plasmamembran vor, sondern auch in den Membranen von Zellorganellen. Zur Gruppe der Typ-II-Rezeptoren gehören Na+-, K+-, Ca2+-, Cl–- und HCO3–-Kanäle. Charakteristisch für sie sind zahl-
32
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
reiche Isoformen, mit unterschiedlicher Ionenselektivität. Häufig haben die Rezeptoren dieses Typs Bindungsstellen auf beiden Seiten der Membran, so dass die Ionenkanäle auch durch intrazelluläre Liganden reguliert werden können. Tabelle 1.5 enthält einige Beispiele von Rezeptoren, die auf extrazelluläre beziehungsweise intrazelluläre Liganden ansprechen. Tabelle 1.5: Einige ligandengesteuerte Ionenkanäle Ligand
durchlässig für
extrazelluläre Aktivierung Acetylcholin (nicotinisch) γ-Aminobuttersäure Glycin Glutamat Serotonin ATP
Na+, K+, Ca2+ Cl–, HCO3– Cl–, HCO3– Na+, K+, (Ca2+) Na+, K+ Ca2+, Na+, Mg2+
intrazelluläre Aktivierung cGMP (Photorezeptoren) cAMP, cGMP (olfaktorische Rezeptoren) ATP
Na+, K+ Na+, K+ K+ (Schließen des Kanals)
1.1.3.4
Typ-III-Rezeptoren übertragen Signale mit Hilfe von G-Proteinen
Die bisher besprochenen Rezeptoren des Typs I und II übten die Signalübertragung auf direktem Wege aus: Ein Typ-I-Rezeptor erlangt beispielsweise eine Tyrosinkinase-Aktivität, indem er selbst phosphoryliert und damit befähigt wird, weitere Zielproteine zu phosphorylieren. Beim Typ-II-Rezeptor bewirkt die Ligandenbindung das Öffnen eines durch das Rezeptorprotein selbst gebildeten Ionenkanals. Die zum Typ-III gehörenden Signalträger erreichen die Transduktion auf indirektem Wege, indem sie unter Zwischenschaltung von G-Proteinen (Guanosinnucleotid bindende Proteine) second messenger erzeugen , die ihrerseits die Aktivität weiterer Proteine modifizieren. Die Wirkungsweise der Typ-III-Rezeptoren ist also sehr komplex, wurde jedoch durch Forschungsarbeiten der letzten Jahrzehnte in ihren Grundzügen geklärt. Die Typ-III-Rezeptoren sind Transmembranproteine, die die Lipiddoppelschicht mit sieben aus je 28 Aminosäuren bestehenden α-Helices durchspannen. Die Ligandenbindungsstelle des Rezeptors liegt an der Außenseite der Membran. Die cytoplasmatische Domäne des Rezeptors ist mit den G-Proteinen vergesellschaftet.
1.1.3.5
G-Proteine sind zwischengeschaltete Mediatoren der Signaltransduktion
Die rezeptorgekoppelten G-Proteine sind Heterotrimere aus drei unterschiedlich großen Untereinheiten: Die α-Untereinheit, die die GDP/GTP-Bindungsstelle trägt, ist je nach Typ (mehr als 20 unterschiedliche sind bekannt) 39–49 kDa, die β-Untereinheit 37 kDa, die γ-Untereinheit, die dem Rezeptorprotein unmittelbar angelagert ist, 8 kDa groß. Durch vielfältige Kombination der Untereinheiten kommt es zu verschiedenen
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
33
ä
ä g
1.20
Allgemeines Schema der von einem Typ III-Rezeptor ausgelösten Signalkette
Isotypen, die von unterschiedlichen Signalrezeptoren gebunden werden. Nicht zuletzt hierdurch ist es erklärbar, dass durch die Typ-III-Rezeptoren eine sehr große Anzahl verschiedener intrazellulärer Reaktionen vermittelt wird. Abbildung 1.20 zeigt, dass nicht nur sehr viele unterschiedliche Signale als first messenger der Typ-III-Rezeptoren in Frage kommen, sondern dass auch auf der Stufe der Effektorenzyme, der second messenger und der sekundären Effektorenzyme eine große Vielfalt gegeben ist. Je nach ihrer Funktion können die G-Proteine in stimulierende Gs, inhibitorische Gi und sonstige Go (von others abgeleitet) eingeteilt werden. Das Transducin (GT) ist ebenfalls ein G-Protein, das beim Sehvorgang in Verbindung mit Rhodopsin eine Rolle spielt.
1.1.3.6
Die Adenylat-Cyclase ist das bekannteste primäre Effektorsystem der Typ-III-Rezeptor-vermittelten Signalkette
Abbildung 1.21 stellt die G-Protein-vermittelte Ereigniskette dar, die beispielsweise durch die Hormone Adrenalin und Glucagon in der Leberzelle in Gang gesetzt wird. Als primäres Effektorsystem fungiert in diesem Falle das Enzym Adenylat-Cyclase, das als integrales Protein in der Nähe des Rezeptors ebenfalls an die Membran gebunden ist. Im Ausgangszustand (1) ist die Hormonbindungsstelle des Rezeptors nicht besetzt, der G-Protein-Komplex, bestehend aus den α-, β- und γ-Untereinheiten, befindet sich in der Nähe des Rezeptors und an der Bindungsstelle der α-Untereinheit befindet sich ein GDP. Die Bindung des Hormons (2) induziert eine Konformationsänderung des Rezeptors und damit auch des G-Proteins, das nun an den Rezeptor gebunden wird. Diese Wechselwirkung hat zur Folge, dass an der Bindungsstelle der α-Untereinheit das GDP
34
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
G-Protein-gekoppelter Rezeptor
Adenylat-Cyclase
ligandenkontrollierter Kanal
cA M
P
EZ
GTP α
GDP
IZ
β
α
ATP
1.21
cAMP
G-Protein-vermittelte Aktivierung der Adenylat-Cyclase EZ = Extrazellularraum; IZ = Intrazellularraum
durch GTP ersetzt wird, wobei gleichzeitig die β- und γ-Untereinheit als Dimer abdissoziieren. Die mit GTP besetzte und damit „aktivierte“ α-Untereinheit diffundiert an die Adenylat-Cyclase (3) und aktiviert diese zur Katalyse der Umwandlung von ATP in 3⬘,5⬘-cyclisches Adenosinmonophosphat (cAMP), das als second messenger die Botschaft des Signals weiterleitet. Die Rückführung des Ausgangszustandes erfolgt durch Hydrolyse – wahrscheinlich handelt es sich um eine Autohydrolyse – von GTP zu GDP an der α-Untereinheit des G-Proteins, wodurch dann die Aktivität der Adenylat-Cyclase abgeschaltet wird.
1.22
Struktur des cAMP und des cGMP
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
35
Das cAMP (Abbildung 1.22) war der erste second messenger, der als solcher identifiziert und dessen molekularer Wirkungsmechanismus geklärt wurde. Das cyclische Adenosinmonophosphat wirkt als allosterischer Effektor mehrerer Proteinkinasen vom Typ A. Die Proteinkinase A ist im inaktiven Zustand ein Tetramer, bestehend aus zwei katalytischen Untereinheiten und zwei regulatorischen Untereinheiten, deren Aufgabe es ist, die phosphorylierende Wirkung der katalytischen Untereinheiten zu blockieren (Abbildung 1.23). Die Bindung von je zwei cAMP-Molekülen an die regulatorischen Untereinheiten führt durch Konformationsänderung dazu, dass die katalytischen Untereinheiten aus dem Tetramer als aktive Kinasen freigesetzt werden und verschiedene Zellproteine phosphorylieren können. Meistens handelt es sich um die Phosphorylierung von Threonyl- und Serylresten interkonvertierbarer Enzyme (Abschnitt 1.3.2.6), deren Aktivität je nachdem, ob sie phosphoryliert oder dephosphoryliert sind, ab- beziehungsweise angeschaltet wird. Zahlreiche Prozesse des Zellstoffwechsels, die im weiteren Kapiteln näher besprochen werden, unterliegen der Regulation durch interkonvertierbare Enzyme und sind damit von der An- beziehungsweise Abwesenheit des second messengers cAMP abhängig. Die Steuerung des cAMP-Spiegels in der Zelle geschieht nicht allein auf der Stufe der Synthese, sondern auch auf der des Abbaus durch die Phosphodiesterase. Dieses Enzym, das durch methylierte Xanthine, wie Coffein und Theophyllin, gehemmt wird, überführt das cAMP hydrolytisch in das nicht-cyclische AMP. Wie bereits erwähnt, gibt es außer den stimulierenden Gs-Proteinen auch inhibierende G-Proteine, die die Adenylat-Cyclase hemmen, wodurch die cAMP-Konzentration in der Zelle sinkt. Beispielsweise ist der Rezeptor des Somatostatins über ein inhibierendes Gi-Protein an die Adenylat-Cylase gekoppelt. Dieses Hormon bewirkt also
KU = katalytische Untereinheit RU = regulatorische Untereinheit
1.23
Aktivierung der Proteinkinase A durch cAMP
36
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Tabelle 1.6: Einige extrazelluläre Signale, die über cAMP vermittelt werden a. durch Anstieg der [cAMP]
b. durch Abfall der [cAMP]
Glucagon Adrenalin (β 1 und β 2-Rezeptoren) Vasopressin (ADH) Thyreotropin-Releasing-Hormon Adrenocorticotropes Hormon Dopamin (D1-Rezeptor) Histamin (H2-Rezeptor) Serotonin
Adrenalin (α 2-Rezeptor) Somatostatin Bradykinin Dopamin (D2-Rezeptor)
ein Sinken des intrazellulären cAMP-Spiegels. Tabelle 1.6 gibt eine Übersicht über die Signale, deren Botschaft über das cAMP weitergeleitet wird, wobei es in manchen Fällen der Anstieg, in anderen Fällen der Abfall der intrazellulären cAMP-Konzentration auslösend wirkt.
1.1.3.7
Bei einigen Prozessen der Signaltransduktion ist das cyclische Nucleotid cGMP der second messenger
In die Kategorie der G-Protein gesteuerten Prozesse, an denen das cGMP (3⬘,5⬘-cyclische Guanosinmonophosphat) die Rolle des second messengers übernimmt, gehört die Hydrolyse von cGMP zu GMP durch das Enzym cGMP-Phosphodiesterase. Diese Umwandlung ist Teil der Photorezeption durch die Stäbchen der Netzhaut. Als Signal dient bei diesem Vorgang das Licht, als Rezeptor das Rhodopsin. Das spezielle G-Protein dieser Signalkette heißt Transducin (GT). Endglieder der Transduktionskette sind Na+- und Ca2+-Kanäle, deren Öffnungszustand von der Konzentration des second messengers cGMP abhängt. Analog zur Bildung von cAMP wird auch das 3⬘,5⬘-cyclische Guanosinmonophosphat von der membrangebundenen Guanylat-Cyclase aus GTP unter Abspaltung von Diphosphat gebildet (Abbildung 1.22). Die Aktivierung der Guanylat-Cyclase erfolgt durch Vermittlung eines Typ-I-Rezeptors, wenn dieser unter anderem den atrialen natriuretischen Faktor, ein Hormon, das von der Vorkammer des Herzens bei erhöhtem Blutvolumen ausgeschüttet wird, gebunden hat (Abschnitt 1.1.3.2). Von der Guanylat-Cyclase existieren mehrere Isoenzyme, von denen eines an die Bürstensaummembran des Darmepithels gebunden ist. Es wird von einem hitzestabilen Enterotoxin (STa-Toxin), das E. coli produziert, aktiviert. Die dadurch ausgelöste erhöhte cGMP-Konzentration in den Epithelzellen führt zu einer massiven Störung der Elektrolyt- und Wasserresorption und damit zu Durchfall. Ein weiteres Isoenzym der Guanylat-Cyclase ist nicht membrangebunden, sondern im Cytoplasma gelöst (sGC = soluble guanylat cyclase). Diese lösliche Form der Guanylat-Cyclase steht im Zusammenhang mit dem Stickstoffmonoxid, NO, das als neuartiger second messenger in den letzten Jahren viel Beachtung fand. Analog dem cAMP wirkt auch das cGMP als allosterischer Effektor mehrerer Proteinkinasen vom Typ G (Abbildung 1.22). Proteinkinasen G kommen besonders reichlich in der glatten Muskulatur und im Gehirn von Säugetieren vor. Die Polypeptidkette der Proteinkinasen des G-Typs hat eine regulatorische Domäne. Die katalytische
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
37
Domäne weist Sequenzen auf, die zu denen in der katalytischen Untereinheit der Proteinkinase A homolog sind. Es existiert auch eine Proteinkinase C, bei der durch Bindung von cGMP eine selbstinhibierende Domäne von der Substratbindungsstelle verdrängt wird, wodurch das Enzym aktiviert ist. Alle drei Proteinkinasen phosphorylieren Seryl- oder Threonylreste von Proteinen. Welches Protein von welchem der Enzyme phosphoryliert und damit moduliert wird, hängt von einer sogenannten „Consensus-Sequenz“ der Aminosäuren in der Nähe der Phosphorylierungsstelle ab.
1.1.3.8
Auch manche Ionenkanäle werden durch G-Proteine gesteuert
Wie in Abschnitt 1.1.3.3 besprochen, kann das Öffnen und Schließen von Ionenkanälen direkt erfolgen, nachdem sich ein Ligand an einen Typ-II-Rezeptor angelagert hat. Bei anderen Ionenkanälen dagegen wirkt die GTP-tragende α-Untereinheit von G-Proteinen als Zwischenglied der Signalkette. Es sind K+- und Ca2+-Kanäle bekannt, die nach diesem Prinzip gesteuert werden.
1.1.3.9
Die Entstehung von zwei second messenger aus Phosphatidylinositol wird ebenfalls durch G-Proteine vermittelt
Das membrangebundene Enzym Phospholipase C hydrolysiert das Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat, ein Bestandteil der Phospholipiddoppelschicht jeder Membran, zu den Spaltprodukten Inositol-1,4,5-trisphosphat (InsP3) und Diacylgycerol (DAG) (Abbildung 1.24). Die beiden Hydrolyseprodukte fungieren als second messenger einer Signaltransduktionskette, die durch Binden eines der first messenger, die in Tabelle 1.7 aufgelistet sind, an einen Typ-III-Rezeptor eingeleitet wird. Die hierdurch aktivierte αUntereinheit eines G-Proteins leitet das Signal an das Enzym weiter, das dadurch aktiviert wird. In diesem speziellen Falle sind die beiden second messenger also Abkömmlinge von Phospholipiden der biologischen Membran. Das hydrophile InsP3 diffundiert zum endoplasmatischen Reticulum und bewirkt dort die Öffnung von ligandengesteuerten
Tabelle 1.7: Einige extrazelluläre Signale, die über die PhosphatidylinositolSpaltprodukte vermittelt werden Acetylcholin (muscarinisch*) Angiotensin II Vasoaktives Intestinales Polypeptid (VIP) Cholecystokinin Bombesin Histamin (H1-Rezeptor) Adrenalin (α 1-Rezeptor) * Das Alkaloid Muscarin wird experimentell zur Charakterisierung von Rezeptortypen eingesetzt.
38
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
phosphoryliertes Protein
HO H PO
HO OP
H OP
H H
H
OH
H
Ca2+-Speicher des ER 1.24
G-Protein-vermittelte Aktivierung der Phospholipase C und die Effekte der entstandenen second messenger Inositoltrisphoshat und Diacylglycerol α = aktivierte α-Untereinheit des G-Protein-Komplexes; PIP2 = Phosphatidyl-Inositol-4,5-bisphosphat; DAG = Diacylglycerol; InsP3 = Inositol-1,4,5-trisphosphat; EP = endoplasmatisches Reticulum
Ca2+-Kanälen, wodurch das in diesen Strukturen gespeicherte Ca2+ ins Cytoplasma übertritt. Die Konzentration des Ca2+ im Cytoplasma erhöht sich hierdurch kurzfristig um mehr als das 100fache. Diese wiederum übt eine Reihe von Effekten aus, zu denen auch die Aktivierung der Proteinkinase C gehört. Das lipophile DAG verbleibt in der Membran und aktiviert die ebenfalls membrangebundene Proteinkinase C mit der Konsequenz, dass bestimmte weitere Zielproteine an Seryl- und Threonylresten phosphoryliert werden, wodurch sich deren katalytische Aktivität verändert. Es existieren verschiedene Isoenzyme der Proteinkinase C, die gewebsspezifisch exprimiert werden und gegenüber dem DAG unterschiedlich empfindlich sind.
1.1.3.10. Bei vielen Arten der Signaltransduktion ist Calcium das Endglied der Übertragungskette Das ionisierte Calcium ist bei fast allen der besprochenen Typen der Signaltransduktion als second beziehungsweise als third messenger beteiligt. Die geringe intrazelluläre Ca2+-Konzentration von weniger als 10–7 mol × L–1 wird, wie bereits erwähnt, von Ca2+Transportsystemen aufrechterhalten. Sie befördern das Ca2+ entweder in den Extrazellulärraum, wo die Konzentration etwa 1,5 × 10–6 mol × L–1 beträgt, oder in
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.25
39
Struktur des Calmodulins I bis IV Calciumbindungsstellen
intrazelluläre Calciumspeicher, wie die Mitochondrien und das endoplasmatische Reticulum. Das Öffnen der signalgesteuerten Ca2+-Kanäle in der Plasmamembran beziehungsweise in den Membranen der Calciumspeicherorganellen lässt die cytoplasmatische Ca2+-Konzentration schnell, aber nur vorübergehend, stark ansteigen. Dieses führt zu zellspezifischen Antworten: in den Muskelzellen werden Kontraktionen ausgelöst, in Nervenzellen wird die Abgabe von Neurotransmittern stimuliert, in Hormondrüsen die Exocytose von Peptidhormonen eingeleitet und vieles andere mehr. Die Wirkungen des Ca2+ werden in vielen Fällen durch das niedermolekulare (148 Aminosäuren), in tierischen Zellen ubiquitär vorkommende Protein Calmodulin vermittelt (Abbildung 1.25). An definierten Stellen der Aminosäurekette befinden sich vier hochaffine Ca2+-Bindungsstellen. Die Ca2+-bindenden Domänen sind durch α-helikale Ketten miteinander verbunden. Die Anlagerung des Ca2+ an die Bindungsstellen ruft eine Konformationsänderung des Calmodulins hervor, wodurch dieser Regulator mit anderen Proteinen in Wechselwirkung tritt. Handelt es sich um Enzyme, dann wird deren Aktivität verändert.
1.1.3.11. Eine spezielle Klasse von Membranrezeptoren vermittelt die Endocytose Manche Substanzen gelangen nicht mittels der bereits besprochenen Transportmechanismen aus dem Extrazellulärraum in die Zelle, sondern durch Endocytose. Dabei handelt es sich um einen Vorgang, bei dem sich die betreffende Substanz an einen spezifischen Rezeptor der Plasmamembran anlagert, woraufhin die Membran sich einstülpt und an der cytoplamatischen Seite sich ein von der Membran umschlossenes Vesikel, ein Endosom, das die Substanz enthält, ablöst (Abbildung 1.26). Bei der rezeptorvermittelten Endocytose spielt ein spezielles dimeres Protein, aus einer leichten und einer schweren Kette (Abbildung 1.26 A), das Clathrin, eine beson-
40
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
dere Rolle. Nach Bindung des Liganden an den Rezeptor erfolgt auf der cytoplasmatischen Seite die Anlagerung des Clathrins an die cytoplasmatische Domäne des integralen Rezeptors. An dieser Stelle dellt sich die Membran leicht ein. Nach dem elektronenmikroskopischen Erscheinungsbild werden diese Stellen als coated pits oder Stachelsaumgrübchen bezeichnet. Die Anlagerung des Clathrins ist das Signal zur Endocytose in Form von endocytotischen Vesikeln oder coated vesicles, an deren Oberfläche das Clathrin eine käfigartige Struktur bildet (Abbildung 1.26 B). Anschließend werden das Clathrin und die Rezeptoren in einem ATP-abhängigen Prozess durch ein konstitutives Hitzeschockprotein (hsp 70) abgelöst und der weiteren Verwendung zugeführt. Der internalisierte Ligand befindet sich nun in membranumhüllten lysosomalen Vesikeln, den Endosomen (Abbildung 1.26 C). Ein bekanntes Beispiel für eine derartige rezeptorvermittelte Endocytose ist die Aufnahme von LDL- (low density lipoprotein) Partikeln aus dem Blut. Zellen, die über LDL mit Cholesterin versorgt werden, enthalten an ihrer Oberfläche spezifische LDL-Rezeptoren. Das LDL und sein Rezeptor werden bei dieser Endocytose internalisiert. Das Endosom verschmilzt mit einem Lysosom, dessen Enzyme die Cholesterinester hydrolytisch spalten. Der LDL-Rezeptor wird nicht abgebaut, sondern nach Wiedereinfügen in die Membran erneut verwendet (Abschnitt 8.3.3 und 9.5.2.2). Die Aufnahme des Eisens in die Zellen erfolgt ebenfalls durch eine rezeptorvermittelte Endocytose. Als Ligand fungiert das Fe-beladene Ferritin. In diesem Falle wird nur das Eisen in das Endosom freigesetzt, während das Ferritin mit dem membrangebundenen Rezeptor zur Plasmamembran zurückkehrt, abdissoziiert und zur Bindung von weiterem extrazellulärem Eisen verfügbar ist. Rezeptor Clathrin schwere Kette
leichte Kette
Clathrin
Endosom
1.26
Rezeptorvermittelte Endocytose
Einen Sonderfall der endocytotischen Aufnahme von Substanzen stellt die Pinocytose dar, die nicht rezeptorvermittelt und damit unspezifisch ist. Bei der Pha-
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
41
gocytose handelt es sich um Internalisierung größerer Partikel durch spezielle Zellen, den Phagocyten, zu denen Monocyten, Gewebsmakrophagen und polymorphkernige neutrophile Granulocyten gerechnet werden. Die Phagocytose ist unter anderem integraler Bestandteil von Abwehrmechanismen. Das Auslösen der Phagocytose kann durch unspezifische Anlagerung von Partikeln erfolgen oder rezeptorvermittelt und damit spezifisch sein, wie dies bei vielen Prozessen der Immunabwehr der Fall ist.
1.2 Die Zellkompartimentierung Die Eukaryotenzellen unterscheiden sich von ihren evolutionären Vorläufern, den Prokaryotenzellen, schon bei lichtmikroskopischer Betrachtung dadurch, dass sie einen von einer Doppelmembran begrenzten Zellkern (griechisch: karyon) besitzen. Weitere auffallende Merkmale der Eukaryotenzellen, die allerdings erst im elektronenmikroskopischen Bild deutlich sichtbar werden, sind verschiedene andere membranumhüllte Organellen und Strukturen, die unter der Bezeichnung Zellkompartimente subsumiert werden. Die Notwendigkeit, den Innenraum der höher entwickelten Zelle zu unterteilen, ergab sich wahrscheinlich daraus, dass die intrazellulären, biochemischen Prozesse im Verlauf der Evolution kontinuierlich vielfältiger wurden. Parallel nahm die Anzahl der sie katalysierenden Enzyme und damit auch die Größe der einzelnen Zelle zu. Die linearen Abmessungen einer Prokaryotenzelle betragen 1 bis 10 μm, diejenigen einer höheren Eukaryotenzelle 10 bis 100 μm. Das Volumenverhältnis von Prokaryotenzelle zu Eukaryotenzelle berechnete man auf rund 1 : 2 000. Ausschlaggebend für die Größen – und damit Volumenzunahme – war vor allem die Anzahl der Proteinmoleküle. Im Cytoplasma einer E.coli-Zelle, als Beispiel eines heutigen Prokaryoten, befinden sich etwa 250 000 Proteinmoleküle, während eine durchschnittliche Säugerzelle rund 10 Milliarden solcher Moleküle enthält, die zu rund 10 000 verschiedenen Proteinarten gehören. Zahlreiche grundlegende zelluläre Prozesse spielen sich durch Vermittlung membrangebundener Proteine ab. Der bereits besprochene Ionentransport mit Hilfe der Transportproteine, die biologische Atmung, die durch eine Kette von Membranproteinen katalysiert wird, und die Synthese von Proteinen an membrangebundenen Ribosomen sind einige diesbezügliche Beispiele. Bei der Prokaryotenzelle reicht die Oberfläche der Plasmamembran aus, um den Enzym-, Transport- und sonstigen Proteinen an diesem einzigen Membrantyp Platz zu bieten. Für die Unterbringung des um mehrere Zehnerpotenzen größeren Proteinbestands der Eukaryotenzelle – darunter zahlreiche Membranproteine – hätte die Oberfläche der Plasmamembran auch dann nicht ausgereicht, wenn sie durch Mikrozottenbildung – wie dies von den Bürstensaummembranen von Epithelzellen bekannt ist – vergrößert worden wäre. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass im Verlauf der Evolution zur Vergrößerung der verfügbaren membranären Oberflächen ein Teil der Membranen in das Zellinnere verlagert wurde. Tabelle 1.8 veranschaulicht den dadurch erzielten Gewinn: Die Oberfläche der beiden Typen des endoplasmatischen Reticulums in Hepatocyten und Pankreaszellen ist rund 25- bzw. 12mal so groß wie die der Plasmamembran. Man geht davon aus, dass mit Ausnahme der inneren Membran des Mitochondrions alle intrazellulären Membrantypen Abkömmlinge der Plasmamembran sind. Sie folgen dem einheitlichen molekularen Bauprinzip aller biologischen Membranen, indem eine Doppelschicht amphipolarer Lipide ihre Grundstruktur bildet. Ihren differenzierten
42
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Tabelle 1.8: Relativer Anteil der verschiedenen Membrantypen in zwei Arten eukaryotischer Zellen Prozent der gesamten Zellmembran Membrantyp
Leberzelle (Hepatocyt)*
Exokrine Pankreaszelle*
Plasmamembran Membran des rauhen ER Membran des glatten ER Membran des Golgi-Apparats Mitochondrien Außenmembran Innenmembran Zellkern Innenmembran Membran der sekretorischen Vesikel Lysosomenmembran Peroxisomenmembran Endosomenmembran
2 35 16 7
5 60 <10 10
7 32
4 17
0,2 nicht bestimmt 0,4 0,4 0,4
0,7 3 nicht bestimmt nicht bestimmt nicht bestimmt
* Die beiden gewählten Zelltypen haben sehr unterschiedliche Größe: der durchschnittliche Hepatocyt hat ein Volumen von etwa 5 000 μm3, die exokrine Zelle von etwa 1 000 μm3. Die gesamten Zelloberflächen werden auf 110 000 μm2 bzw. 13 000 μm2 geschätzt. Quelle: Alberts, B., Bray, D., Lewis, J., Raff, M., Roberts, K., Watson, J. D. (1990) Molekularbiologie der Zelle VCHVerlagsgesellschaft 2. Aufl. S. 482
Funktionen entsprechend hat jede dieser Membrantypen eine Reihe charakteristischer Eigenschaften, die hautpsächlich den unterschiedlichen Proteinen zuzuschreiben sind. Die Unterteilung des intrazellulären Raumes brachte neben der Schaffung großer membranärer Oberflächen einen weiteren Vorteil: Es entstanden diskrete Räume mit verschiedener enzymatischer Ausstattung und damit unterschiedlichen biochemischen Funktionen. Das beliebige Vermischen von Ionen und Stoffwechselzwischenprodukten wird hierdurch verhindert, und mittels spezifischer Transportsysteme können Substrate und Metaboliten gezielt zu den jeweils richtigen Orten gelenkt werden. Wie aus Tabelle 1.9 zu entnehmen ist, ist der prozentuale Anteil der einzelnen Zellkompartimente am Gesamtvolumen einer typischen Eukaryotenzelle recht unterschiedlich; fast die Hälfte des Raumes wird von den Organellen eingenommen. Zur Untersuchung der Eigenschaften der Zellorganellen, einschließlich der sie umgebenden Membranen, werden diese nach Zellaufschluss durch verschiedene physikalische Verfahren, wie zum Beispiel differentielle Zentrifugation, isoliert. Zur Kontrolle der Reinheit der gewonnen Fraktionen dient die Bestimmung von sogenannten Leitmolekülen – meistens sind es Leitenzyme –, die für die betreffenden Organellen charakteristisch und in Tabelle 1.10 erfasst sind. Im folgenden werden die wichtigsten metabolischen Leistungen der Zellkompartimente einer Eukaryotenzelle beschrieben, wobei der Stoffaustausch zwischen den einzelnen Räumen, als wesentliche Möglichkeit der Regulation, besondere Beachtung findet. Die hier vereinfacht besprochenen Prozesse und Mechanismen stellen lediglich eine Auswahl dar und sollen als Grundlage zum Verständnis der Stoffwechselregulation auf
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
43
Tabelle 1.9: Die relativen Volumina der größeren intrazellulären Kompartimente in einer typischen Leberzelle (Hepatocyt) Intrazelluläres Kompartiment
Prozent des Zellgesamtvolumens
Ungefähre Anzahl je Zelle
Cytosol Mitochondrien Zisternen des rauhen ER Zisternen des glatten ER und des Golgi-Apparats Zellkern Peroxisomen Lysosomen Endosomen
54 22 9
1 1700 1
6 6 1 1 1
1 400 300 200
Quelle: Alberts, B., Bray, D., Lewis, J., Raff, M., Roberts, K., Watson, J. D. (1990) Molekularbiologie der Zelle 2. Aufl. S. 483
Organebene dienen. Auf Einzelheiten der metabolischen Vorgänge wird hier nicht eingegangen. Soweit sie nicht im Teil II des Lehrbuches behandelt werden, wird zur Vertiefung des Stoffes auf die ausführlichen Lehrbücher der Biochemie und Cytobiologie (siehe Literaturverzeichnis) verwiesen.
Tabelle 1.10: Leitenzyme bzw. Leitmoleküle der Zellkompartimente und Membranen einer Eukaryotenzelle Zellkompartiment
Leitenzyme
Plasmamembran
Na+/K+-ATPase; Phosphodiesterase I
Cytosol
L-Lactat-Dehydrogenase; sonstige glykolytische Enzyme
Endoplasmatisches Reticulum
Glucose-6-Phosphatase; RNA
Golgi-Apparat
α -Mannosidase II; Galactosyl-Transferase
Zellkern
NAD-Pyrophosphorylase; DNA
Lysosomen
N-Acetyl-β -Glucose-Aminidase; β -Galactosidase; saure Phosphatase
Peroxisomen
Katalase
Mitochondrien
Succinat-Dehydrogenase; Cytochrom-c-Oxidase; Glutamat-Dehydrogenase
44
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
1.2.1 Der Zellkern Der für die Eukaryotenzelle charakteristische Zellkern dient der Speicherung und Replikation des Genoms, das heißt des gesamten Erbgutes eines Organismus. Nahezu der gesamte DNA-Bestand der Zelle ist im Zellkern eingeschlossen. Eine geringe Menge an DNA, die in Säugetierzellen weniger als ein Prozent der gesamten zellulären DNA ausmacht, befindet sich in den Mitochondrien. Der etwa kugelförmige Zellkern, der einen Durchmesser von ungefähr 10 μm hat, ist von einer doppelten Hülle umgeben, der äußeren und der inneren Kernmembran (Abbildung 1.27). Zwischen den beiden befindet sich ein Zwischenraum, der perinucleare Spalt. Die äußere Kernmembran geht kontinuierlich in die Membranen des endoplasmatischen Reticulums (ER) über, so dass der perinucleare Spalt mit den Zisternen des ER direkt verbunden ist. Die äußere Membran ist von einem Gerüst aus intermediären Fasern umgeben und häufig mit Ribosomen besetzt. Die Kernlamina, ein Netzwerk aus Intermediärfilamenten, sind der inneren Membran angelagert. Die beiden Kernmembranen sind von Kernporen durchsetzt, die dem geregelten Stofftransport in den Kern und aus ihm heraus dienen. Zwischen den Zellteilungen, das heißt in der Interphase, befindet sich die DNA zusammen mit Proteinen und RNA als Chromatin in verschiedenen Bereichen des Nucleoplasmas. Das transkriptionsinaktive Heterochromatin ist sehr dicht gepackt. Die etwas lockerer gepackten DNA-Protein-RNA-Aggregate, die als Euchromatin bezeichnet werden, sind die Orte, wo die Transkription von DNA in RNA stattfindet. Der wegen seines hohen RNA-Gehalts elektronendichtere Nucleolus enthält viele Kopien
Kernpore
1.27
Schema des Zellkerns
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
45
der Gene, welche die ribosomalen RNA codieren. Der Transkriptionsprozess ist am Nucleolus besonders intensiv. Bei der Zellteilung kondensiert das Chromatin der Zelle zu Chromosomen, die aus je einem riesigen DNA-Molekül bestehen und auch lichtmikroskopisch sichtbar sind. Die Anzahl der Chromosomen – in den somatischen Zellen des Menschen sind es 46 – ist für jeden Organismus charakteristisch. Die einzelnen unterschiedlich großen Chromosomen tragen jeweils einen charakteristischen Satz von Genen. Nach einer sehr allgemein gefassten Definition sind Gene DNA-Abschnitte, deren Information in funktionelle Moleküle umgesetzt wird. Im Sinne der Genetik stellen sie die Erbfaktoren dar. Die gesamte genetische Information eines Organismus, die in Form von DNA aufbewahrt wird, wird als Genom bezeichnet. Das Genom der Prokaryoten ist sehr viel kleiner als die der höher entwickelten Eukaryoten. Der DNA-Bestand im Kern hat einen sehr hohen Grad an Organisation und Verdichtung. Er wird in Form supramolekularer Komplexe mit spezifischen Proteinen eng gefaltet und kompakt verpackt gespeichert. Diese Proteine werden in Histone und NichtHistonproteine eingeteilt. Histone sind kleine basische Proteine, die direkt mit der DNA assoziiert sind. Sie ermöglichen die dichte Packung der DNA im Zellkern wahrscheinlich dank ihrer hauptsächlich basischen Aminosäuren, die die sauren Phosphatgruppen der DNA abschirmen. DNA und Histone sind zu elektronenmikroskopisch sichtbaren Nucleosomen organisiert. Die Gruppe der Nicht-Histonproteine ist sehr heterogen, zu ihr zählen unter anderem Strukturproteine, Enzyme und Transkriptionsfaktoren. In den Genomen höherer Organismen gibt es einen riesigen Überschuss an DNA. Nur einige Prozent der DNA codieren in diesem Falle für essentielle Proteine, beziehungsweise regulieren Gene, die für solche Proteine codieren. Man schätzt, dass ein Säugetiergenom genug DNA besitzt, um für nahezu drei Millionen mittelgroße Proteine zu codieren, obwohl kein Säugetierorganismus mehr als 60 000 essentielle Proteine besitzt. Die Notwendigkeit, das riesige Genom höherer Eukaryoten in einem gesonderten Raum, dem Kern, zu speichern, begründen Evolutionsbiologen unter anderem mit der Größe des DNA-Bestandes und der komplexen supramolekularen Struktur der DNA in diesen Zellen. Diese Strukturen bedürfen einer Art räumlichen „Abschirmung“ gegenüber den dynamischen Prozessen der Zelle, die sich extranuclear abspielen. Einzelheiten sind im Exkurs 1.1 dargestellt.
EXKURS 1.1 Die Kern-DNA und ihre Replikation1 Bekanntlich ist die genetische Information von Prokaryoten und Eukaryoten in dem fadenförmigen Makromolekül der Desoxyribonucleinsäure (DNA) gespeichert. Bei einigen Viren – den Retroviren – ist allerdings die Ribonucleinsäure(RNA) Träger der Erbinformation. Grundbausteine der DNA sind die Desoxyribonucleotide, die jeweils aus einer stickstoffhaltigen Base, einem Zucker (β-D-2-Desoxyribose) und einer Phosphatgruppe bestehen. Zwei der in der DNA vorkommenden Basen, das 1 Die Exkurse E.1.1 bis E.1.5 haben die Intention,einige grundlegende Tatsachen über die Übertragung der genetischen Information kurz zusammenzufassen. Detaillierte Beschreibungen dieser hochkomplexen Prozesse enthalten alle größeren Lehrbücher der Biochemie (siehe Literaturempfehlungen).
䊳
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Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Adenin(A) und das Guanin(G) sind Abkömmlinge des Purins, während das Thymin(T) und das Cytosin(C) Pyrimidin-Derivate sind (Abbildung 1). Durch Verknüpfung einer der Basen mit 2-Desoxyribose erhält man ein Desoxynucleosid (z.B. aus Adenin das 2⬘-Desoxyadenosin). Alle Nucleosidphosphate fasst man unter dem Begriff Nucleotide zusammen. Abbildung 2 zeigt die Anordnung der Basen und der Zuckermoleküle am Beispiel eines kurzen Stückes einer DNA-Kette. Die DNA-Kette ist polar: Das eine Ende besitzt eine 5⬘-OH-Gruppe, das andere eine 3⬘-OHGruppe, die beide mit keinem weiteren Nucleotid verknüpft sind. Nach Übereinkunft schreibt man die Basensequenz in der 5⬘→ 3⬘-Richtung.(Eine Zahl mit ⬘ bezeichnet stets ein Atom des Zuckers). Der gesamte DNA-Bestand des Zellkerns besteht aus zwei sehr langen, in Helixform um eine imaginäre ge-
Abb. 1 Basen und Zuckerkomponente der DNA
Abb. 2 Struktur eines kurzen DNA-Abschnittes
䊳
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
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Abb. 3 Watson-Crick-Modell der doppelthelikalen Struktur der DNA
meinsame Achse gewundenen Polynucleotidsträngen (Abbildung 3). Die beiden Stränge der Doppelhelix haben entgegengesetzte Richtung. Das gleichbleibende Rückgrat aus Desoxyriboseeinheiten (S) jedes Stranges, die über Phosphatgruppen verknüpft sind, liegt an der Außenseite der Doppelhelix und hat strukturelle Aufgaben. Die Purin- und Pyrimidinbasen sind nach innen gekehrt und sind Träger der genetischen Information, die in der Sequenz der Basen festgelegt ist. Die Wasserstoffbrücken zwischen den Basenpaaren halten die beiden Ketten zusammen. Die Paarung der Basen kann nicht beliebig erfolgen, sondern ist streng vorgeschrieben: Adenin (A) paart stets mit Thymin (T), Guanin (G) immer mit Cytosin (C). An jedem Basenpaar ist also eine Purin- und eine Pyrimidin-Base beteiligt. Die Spezifität der Basenpaarung ist aus sterischen Gründen zwingend notwendig, da sie allein die Ausbildung der H-Brücken ermöglicht. In A-T-Paaren können sich zwei, in GC-Paaren drei stabile lineare H-Brücken ausbilden. Die DNA-Moleküle der Eukaryoten sind sehr groß: Die der Hefe bestehen aus 13 500 Basenpaaren und sind 4 600 μm lang, die des Menschen sind 990 000 μm lang und haben 2 900 000 Basenpaare. Die DNA-Doppelhelix hat einen Durchmesser von 2 nm. Die benachbarten aromatischen Ringe der Basen entlang der Achse sind 0,34 nm voneinander entfernt und um 36o Grad gegeneinander verdreht. Die Struktur wiederholt sich nach zehn Resten auf jedem Strang, das heißt in Intervallen von 3,4 nm. Die volle Windung der Doppelhelix enthält also zehn Basenpaare. Das Innere der Doppelhelix ist unpolar, die Oberfläche dagegen durch die Anwesenheit von Zucker- und Phosphatresten des Rückgrats polar und negativ geladen. Zwischen den Strängen liegen in regelmäßigen Abständen auf der ganzen Länge der DNA Dellen, die als „kleine Furche“ und „große Furche“ bezeichnet werden. An diesen Stellen ist der Zutritt von regulierenden Faktoren erleichtert. Das riesige lineare doppelhelikale DNA-Molekül , das das Genom, das heißt die Gesamtheit der genetischen Information, bewahrt, liegt im Kern in Form eines dicht gepackten Histon-DNA-Nucleoprotein-Komplexes, Chromatin genannt, vor.
䊳
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Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Abb. 4 Entspiralisierung der doppeltsträngigen DNA bei der Replikation
Die DNA-Kette ist in diesem Komplex um die Histone gewunden und bildet so die Nucleosomen. Die Histone, von denen es mehrere Typen gibt, sind kleine stark basische Proteine, wodurch sie die sauren Phospatgruppen der DNA neutralisieren. Nicht zuletzt hierdurch ist eine sehr dichte Packung der DNA im Zellkern möglich, so dass das menschliche Genom mit einer Gesamtlänge von etwa 2 m in einem Zellkern mit einem Durchmesser von nur 10 μm untergebracht werden kann. Die in den DNA-Molekülen gespeicherte genetische Information kann auf zweierlei Art weiter gegeben werden: in Form der Replikation und als Expression. Unter Replikation versteht man die Weitergabe der gesamten Information an die Tochterzellen bei der Zellteilung. Bei der Expression handelt es sich um die Weitergabe der Information mit dem Zweck, sie in funktionelle Biomoleküle, das heißt in Proteine zu übersetzen. Im Folgenden werden die Grundzüge der Replikation betrachtet, während die Expression Gegenstand weiterer Exkurse ist. Kurz vor Ende der G1-Phase des Zellcyclus2, am Restriktionspunkt entscheidet sich, ob die Zelle den Weg der Zellteilung, die mit der Verdoppelung der genetischen Information, der Replikation, verbunden ist, einschlägt, oder im Ruhezustand (GoPhase) verbleibt. Zum Überschreiten des Restriktionspunktes muss das Verhältnis von Zellvolumen zu Genomgröße einen gewissen Schwellenwert erreichen und auch sonstige Milieubedingungen, unter anderem verschiedene Regulatorproteine, müssen vorhanden sein.
2 Details über den Zellcyclus sind in den Lehrbüchern der Biologie zu finden (siehe Literaturempfehlungen)
䊳
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
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Wenn eine Zelle zur Teilung bereit ist, muss ihr in der DNA gespeichertes Genom dupliziert werden. Als erstes werden die Wasserstoffbrücken, die die beiden DNAStränge verknüpfen, gelöst (Abbildung 4). Die beiden Stränge entwinden sich und jeder der Einzelstränge dient als Matrize für die Anordnung der Nucleotide auf dem komplementären Strang. Bei der Replikation der Doppelhelix bestehen die beiden Tochtermoleküle aus je einem elterlichen und einem neu synthetisierten DNA-Molekül. Die DNA-Replikation ist also semikonservativ. Die Verlängerung des neu synthetisierten DNA-Moleküls erfolgt vom 5⬘-Ende der DNA zum 3⬘-Ende hin. Der Prozess wird hauptsächlich von DNA-abhängigen DNAPolymerasen katalysiert, die als unbedingte Voraussetzung eine einzelsträngige DNA als Matrizenstrang benötigen. An dieser synthetisieren sie einen komplementären zweiten Strang. Die vier Nucleosid-5-phosphate werden bei der Synthese in aktivierter Form als Triphosphate (z.B. als Desoxyribonucleosid-5`-triphosphat [dATP]) eingesetzt. Das zur jeweiligen Base der Matrize komplementäre Nucleotid wird zunächst gebunden. Dann greift die 3⬘-OH-Gruppe des zuletzt eingebauten Bausteins nucleophil den α-Phosphatrest des gebundenen Nucleotids an. Dadurch kommt es unter Austritt von Pyrophosphat zur Knüpfung der neuen Phosphorsäurediester-Bindung. Die Polymerasen sind nicht die einzigen Enzyme, die an der DNA-Replikation beteiligt sind. Jeder Schritt des sehr komplexen Prozesses wird durch Enzyme und sonstige Proteine gesteuert. Es gibt unter anderem Enzyme, die während der Replikation „Korrektur lesen“ und Schäden an der bereits synthetisierten DNA reparieren. Dadurch wird eine erstaunliche Genauigkeit des Kopiermechanismus erreicht: Unter etwa einer Milliarde kopierter Nucleotide tritt ein Fehler auf. Ebenfalls bemerkenswert ist die Schnelligkeit des Einbaus: Die DNA der menschlichen Zelle wird pro Sekunde um etwa 50 Nucleotide verlängert. Nachdem die DNA-Replikation erfolgt ist, ordnet sich das Chromatin während der Mitose zu Chromosomen, die im Lichtmikroskop sichtbar sind. Jede Eukaryotenart hat in jedem einzelnen Zellkern eine artenspezifische Anzahl von Chromosomen. Die diploiden somatischen Zellen des Menschen haben 46, die Gameten (Ei- und Samenzelle) den haploiden Satz von 23 Chromosomen. Jedes Chromosom enthält Tausende von Genen. Die einzelnen Gene oder bestimmte genetisch wirksame Signalstrukturen haben eine bestimmte charakteristische Lage auf einem Chromosom, Genort oder Genlocus genannt. Nach der Replikation entstehen aus jedem Chromosom zwei identische Schwesternchromatide, von denen bei der Zellteilung je eines in die Tochterzellen übergeht.
1.2.1.1
Die Speicherung der genetischen Information und ihre Umsetzung in funktionelle Proteinmoleküle sind bei Eukaryoten räumlich getrennt
Die Expression der genetischen Information wird bekanntlich durch die Übersetzung der linearen Sequenz der Nucleotide in der DNA in eine co-lineare Sequenz von Aminosäuren in einem Protein realisiert. Die Überführung der Information aus der DNA-Sequenz in das Protein geschieht nicht direkt, sondern über Zwischenschaltung von messenger RNA (mRNA) als Matrize für die Proteinsynthese. Bei dem als Transkription bezeichneten Vorgang wird ein begrenzter Abschnitt der DNA in eine komplementäre Kette von mRNA kopiert, die dann im Zuge der Translation in einer komplizierten Reaktionsfolge in ein Protein übertragen wird. Das Ribosom, ein supramolekularer Multienzymkomplex, katalysiert diese Synthese der Polypeptidketten. Abbildung 1.28 zeigt stark vereinfacht die Grundzüge des Expressionsprozesses.
50
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Plasmamembran Kernhülle DNA
Zellkern
5' RNA-bindende Proteine
RNA-Spleißen
3' primäres Transkript
5' 5'
3' 3' reifes Transkript
Transport Cytoplasma 3'
Ribosom
5' entstehendesProtein
1.28
Räumliche Trennung der Transkription und Translation
Der größte Teil der DNA besteht aus nicht codierenden Sequenzen, die man Introns nennt. Zwischen diesen liegen relativ kurze Abschnitte codierender, und damit exprimierender DNA, die als Exons bezeichnet werden. Bei der Anfertigung der RNA-Kopie werden zunächst beide Sequenzarten übernommen. Die Transkription wird durch Enzyme katalysiert, die DNA-abhängige RNA-Polymerasen genannt werden. Der Vorgang benötigt außer der doppelsträngigen DNA als Matrize die vier Nucleotidtriphosphate – Adenin, Guanin, Cytosin und Uracil – als Substrate. Bei Eukaryoten sind drei unterschiedliche Polymerasen bekannt: Polymerase I katalysiert im Nucleolus die Synthese der Vorläufer der ribosomalen RNA (rRNA), Polymerase II transkribiert Strukturgene zur Synthese von messenger RNA (mRNA), beziehungsweise deren Vorläufer, und Polymerase III katalysiert die Synthese kleiner RNA-Arten, zu denen unter anderem die transfer RNA (tRNA) gehört. Lediglich die RNA-Polymerase II transkribiert also Gene, deren Transkript, die mRNA, in Proteine translatiert wird. Die Transkription eukaryotischer Gene ist auf die Anwesenheit zahlreicher interagierender Transkriptionsfaktoren angewiesen. In der Prokaryotenzelle spielen sich die Transkription, das heißt die RNA-Synthese, und die Translation, also die Proteinsynthese, im selben Raum und annähernd synchron ab. In der Eukaryotenzelle dagegen sind Transkription und Translation räumlich getrennt. Der Kernraum enthält keine funktionsfähigen Ribosomen, somit muss das Transkript den intranuclearen Raum verlassen, bevor die Proteinsynthese an den Ribosomen beginnen kann. Die räumliche Trennung der beiden grundlegenden Prozesse bietet die Möglichkeit, die ursprünglich entstandene RNA vielfältig zu modifizieren. Dieser Vorgang wird als Reifung oder Prozessierung bezeichnet und ist bei den Produkten der drei unterschiedlichen Polymerasen verschieden.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
51
Das ursprüngliche Transkript der DNA-abhängigen RNA-Polymerase II ist die heterogene Kern-RNA (hnRNA), aus der nach mehreren Modifikationen die reife messenger RNA entsteht. Durch diese Prozesse wird der größte Teil des primären RNATranskriptes entfernt und im Kern abgebaut. Man schätzt, dass nur einige Prozent des Primärtranskripts der mRNA als reife mRNA aus dem Kernraum entlassen werden. Das RNA-Spleißen eröffnet die Möglichkeit, durch einzelne Gene mehrere verschiedene Proteine zu codieren. In vielen Fällen gibt es ein alternatives RNA-Spleißen, das so reguliert wird, dass die Auswahl der Spleißstellen von der Zelle selbst getroffen wird. In verschiedenen Zellarten kann auf diese Weise von demselben primären RNA-Transkript ein jeweils anderes Protein synthetisiert werden, je nachdem welches dem Bedarf der betreffenden Zelle entspricht. Dies dürfte die Grundlage für die gewebsspezifische Synthese von Protein-Isoformen sein. Am besten bekannt sind die Isoenzyme, die zwar eine vergleichbare katalytische Funktion haben, aber so modifiziert sind, dass sie eine Reihe unterschiedlicher katalytischer Eigenschaften aufweisen (Abschnitt 1.3.4). Einzelheiten sind in Exkurs 1.2 dargestellt.
EXKURS 1.2 Die Transkription der DNA –Erster Schritt zur Expression der genetischen Information Um die genetische Information zu exprimieren, müssen die Nucleotide der DNA in eine entsprechende Sequenz der Aminosäuren eines Proteins übertragen werden. Eine direkte Benutzung der DNA als Matrize bei diesem als Translation bezeichneten Vorgang ist nicht möglich. Die Basensequenz der DNA wird daher zunächst in eine korrespondierende Basensequenz der Ribonucleinsäure (RNA) transkribiert. Diese dient dann als Matrize bei der Translation, die beim Eukaryoten außerhalb des Zellkerns stattfindet (Exkurs 1.4). Die Transkription, mit der sich dieser Exkurs befasst, ist also die DNA-gesteuerte Synthese der RNA, die als zwischengeschalteter Informationsüberträger bei der Expression der genetischen Information fungiert. Transkribierbare DNA-Abschnitte, die für ein definiertes Produkt codieren, nennt man Gene. Das Genom des Menschen enthält schätzungsweise 30 000 bis 40 000 Gene, die insgesamt weniger als 10% der DNA ausmachen. Die Ribonucleinsäure ist, wie die DNA, ein unverzweigtes Polynucleotid, ihre Zuckerkomponente ist jedoch die Ribose. Als Basen fungieren das Adenin (A), das Guanin (G), das Cytosin (C) sowie das Uracil (U) (Abbildung 1). Während die ersten drei Basen mit den Basen der DNA identisch sind, wird bei der Synthese der RNA das Thymin durch das Uracil ersetzt. Die RNA-Moleküle der Eukaryoten sind einzelsträngig. Durch Bildung von Haarnadelschleifen können jedoch auch in RNAMolekülen Regionen mit Doppelhelix-Struktur entstehen, in denen A mit U und G mit C paart, aber auch eine Paarung zwischen G und U ist möglich. Der Helixanteil der RNA variiert stark. Bei der Transkription entstehen verschiedene RNA-Sorten. Die messenger RNA (mRNA) sind mit mehr als 5 000 Nucleotiden die größten RNA-Moleküle, auf sie entfällt jedoch mit ca. 5% die kleinste relative Menge der synthetisierten RNA. Die mRNA dient bei der Proteinsynthese als Matrize (Exkurs 1.4). Die transfer RNA (tRNA) sind mit etwa 75 Nucleotiden die kleinsten RNA. Sie transportieren aktivierte Aminosäuren zum Ribosom, wo die Peptidbindungen geknüpft werden. Die ribosomalen RNA (rRNA) sind die Hauptbausteine der Ribosomen und spielen sowohl eine strukturelle als auch eine katalytische Funktion bei der Proteinsynthese (Exkurs
䊳
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Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
NH2 C N H
C
6 5
1 2
4
3
N
C
7 8
9
C
C
H
N
N
H Adenin (A)
1.3). Die ribosomalen RNA (rRNA) haben den höchsten Anteil an den drei RNA-Sorten. Eukaryotenzellen enthalten noch weitere kleine RNA-Moleküle, die small nuclear RNA (snRNA), die unter anderem am Spleißen der mRNA beteiligt sind. Die einzelnen RNA-Sorten der Eukaryotenzelle werden von drei verschiedenen Typen von DNA-abhängigen RNA-Polymerasen, die sich in ihrer Lokalisation innerhalb des Kerns sowie in der Art ihrer Transkripte unterscheiden, synthetisiert (Tabelle 1).
O
Tabelle 1: RNA-Polymerasen der Eukaryotenzelle
C H
N
H2N
C
6
3
N
C
5
1 2
4
7 9
C
C
8
H
Typ
Lokalisation
Zelluläre Transkripte
I
Nucleolus
II
Nucleoplasma
III
Nucleoplasma
18S-rRNA; 5,8S-rRNA; 28S-rRNA mRNA-Vorläufer; snRNA tRNA; 5S-rRNA
N
N
H Guanin (G)
O C HN O
5
C
CH CH
N H Uracil (U) NH2 C N O
C
4 5
3 2 1
6
C
H
C
H
N H Cytosin (C)
HOCH2
OH
O
H H
H H
HO
OH
Ribose
Abb. 1 Basen und Zuckerkomponente der RNA
Die RNA-Polymerasen katalysieren den nucleophilen Angriff des 3⬘-OH der wachsenden RNA-Kette auf das α-Phosphoratom eines zu verknüpfenden Ribonucleosidtriphosphates. Einen Primer benötigen diese Enzyme nicht. Die Synthese verläuft – wie bei der DNASynthese – in 5⬘ → 3⬘-Richtung, entsprechend den Informationen eines antiparallelen DNA-Matrizenstranges. Im Gegensatz zu den DNA-Polymerasen besitzen die RNA-Polymerasen keine Nuclease-Aktivitäten, so dass eventuelle Fehler in der neu synthetisierten RNAKette nicht korrigiert werden können. Bei der RNA-Synthese bleibt die DNA-Matrize vollständig erhalten, da sie lediglich die Funktion einer Matrize hat. Die Basen der Doppelhelix der DNA liegen in gepaarter Form vor. Vor der Initiation der RNA-Synthese entwindet daher die RNA-Polymerase als erstes etwa zwei Windungen der DNA-Doppelhelix, die als Matrize dienen soll. Damit ist der Weg frei für die Bildung der ersten Phosphodiester-Bindung der neuen RNA-Kette (Abbildung 2). Die DNA-Matrizen enthalten bei den Eukaryoten – genau wie bei den Prokaryoten – bestimmte Regionen, die als Promotorstellen bezeichnet werden. Sie binden spezifisch die RNA-Polymerase und bestimmen, wo die Transkription anfängt. Die meisten Protein-codierenden Eukaryoten-Gene haben einen Promotor, der bei etwa –25 liegt, – das heißt 25 Nucleotide von der 5⬘-Seite des ersten transkribierten Nucleotids entfernt, das mit +1 bezeichnet wird. Neben dieser als TATA-Box bezeich-
䊳
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
53
Abb. 2 Entwindung der Matrizen-DNA durch die RNA-Polymerase
Abb. 3 Promotorstellen für die Transkription bei den Eukaryoten
neten Stelle existieren an vielen eukaryotischen DNA-Matrizen weiter „stromaufwärts“ noch eine CAAT-Box und/oder eine GC-Box (Abbildung 3). Die DNA-Polymerase II kann die Transkription nicht von selbst starten, sondern bedarf einer ganzen Reihe von Transkriptionsfaktoren, die das Enzym an die Startstelle dirigieren. Entscheidend für die Initiation ist die Bindung der TATA-Box an das TATA-Bindeprotein, das eine Schlüsselrolle beim Aufbau des aktiven Transkriptionskomplexes spielt. Die Transkription der eukaryotischen Gene wird ferner von regulatorischen Sequenzen mit verstärkendem Effekt beeinflusst, die als Enhancer-Sequenzen bezeichnet werden. Diese können vom Startpunkt der Transkription weit entfernt liegen, und sowohl auf der 5⬘-Seite als auch an der 3⬘-Seite lokalisiert sein. Enhancer-Sequenzen spielen eine Schlüsselrolle unter anderem bei der Vermittlung des Effektes der Steroid-Hormone (Abbildung 4). Nach Binden des Steroids an das
Enhancer
Promotor
Startstelle
inaktives Gen
Hormon-RezeptorKomplex
Promotor aktivierter Enhancer aktives Gen
Abb. 4 Rolle der enhancer-Sequenzen bei der Vermittlung der Wirkung von Steroid-Hormonen bei der Transkription
䊳
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Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Abb. 5 Strukturen von Caps am 5´-Ende der mRNA von Eukaryoten
zelluläre lösliche Rezeptor-Protein interagiert dieser Komplex mit den EnhancerSequenzen einer bestimmten Gruppe von Genen und stimuliert spezifisch deren Transkription. Die RNA-Polymerase schreitet nun vorwärts entlang der DNA-Matrize und transkribiert einen der DNA-Stränge bis sie eine Terminationsstelle erreicht. Bei den Eukaryoten beginnt die Transkription meistens mit A oder G. Die Vorwärtsbewegung der Polymerase bei der Elongation der Kette wird von Pausen unterbrochen und ist insgesamt ein langsamer Vorgang. Kurz nach Beginn der Elongation wird das entstehende Transkript, die PräRNA, mehrfach modifiziert. Eine dieser Modifikationen ist das Capping, das in Abbildung 5 gezeigt wird: Ein Phosphatrest am RNA wird hydrolytisch entfernt und an dieses 5⬘-Diphosphatende hängt sich ein GTP über sein α-Phosphoratom an. Die ungewöhnliche 5⬘,5⬘-Triphosphatbindung wird als Cap („Kappe“) bezeichnet. Ein N-Atom des endständigen Guanin wird zu Cap 0 methyliert. Werden zusätzliche CH3-Gruppen der Ribose methyliert, so entsteht das Cap 1 oder das Cap 2. Derartige Caps haben nur die mRNA-Moleküle, die durch die Caps stabilisiert werden, indem diese die RNA gegen den Abbau durch die 5⬘-Exonucleasen schützen.
Abb. 6 Transkription des ß-Globin-Gens und Prozessierung der Prä-RNA
䊳
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
55
Die meisten mRNA-Moleküle werden auch am 3⬘-Ende modifiziert, an das ein 3⬘Polyadenylat-Schwanz angehängt wird. Dieser besteht aus ca. 200 AMP-Resten und übt ebenfalls eine Schutzfunktion gegenüber Nucleasen aus. Auch die Effizienz der Translation wird durch die Polyadenylierung beeinflusst. Die Transkription der RNA setzt sich fort, bis die Polyadenylierunssequenz überschritten ist. Neben dem Capping und der Polyadenylierung gehört das Spleißen der PräRNA zum Vorgang der Prozessierung, wodurch aus dem „unreifen“ mRNA die „reife“mRNA entsteht, die bei der Translation als Matrize verwendet werden kann. Die meisten Gene der Eukaryoten sind diskontinuierlich , das heißt sie bestehen aus Sequenzen, die Information für ein Protein tragen – diese codierenden Bereiche sind die Exons – und aus nicht-codierenden Bereichen, den Introns. Abbildung 6 zeigt als Beispiel den Aufbau des β-Globin-Gens, der gut bekannt ist. Dieses Gen enthält zwischen dem Transkriptions-Start und dem Transkriptions-Ende beinahe 2 000 Basenpaare, von denen jedoch nur etwa 450 Informationen für die Synthese des Proteins enthalten. Diese Basenpaare sind auf drei Exons verteilt. Der Rest der Basenpaare verteilt sich auf die Introns, die keine Proteine codieren. Bei der Transkription werden zunächst alle Basen zwischen Transkriptions-Start und Transkriptions-Ende, das heißt nicht nur die Exons sondern auch die Introns, als Kopien in das Primär-RNA-Transkript übertragen. Beim Reifen der Prä-mRNA (auch hnRNA oder unreife RNA genannt), werden die Introns entfernt und die Exons unmittelbar aneinander gefügt. Dieser Vorgang wird als Spleißen bezeichnet und wird von Komplexen aus RNA und Protein, den small nuclear ribonucleoprotein particles (snRNP), katalysiert. Während des Spleißens entstehen Komplexe aus dem Prä-RNA und den snRNPs, die Spleißosome genannt werden. Wahrscheinlich üben die RNA-Anteile des Spleißosoms, Ribozyme genannt, die katalytische Wirkung aus. Manche RNA-Moleküle spleißen sich selbst, was für ihre katalytische Aktivität spricht. Die Primärtranskripte sind meistens vier- bis zehnmal länger als die reifen mRNAMoleküle, mit einer durchschnittlichen Länge von 1 bis 2 Kilobasen. Die Genauigkeit des Spleißens ist für die funktionellen Eigenschaften der Zellproteine von entscheidender Bedeutung. Andererseits können die Spleißmuster einiger Primärtranskripte physiologischerweise variieren. Durch dieses alternative Spleißen kann das Proteinrepertoire der Eukaryoten vergrößert werden. Die reifen mRNA werden durch die Kernporen, wahrscheinlich durch einen Energie-abhängigen, möglicherweise Carrier-vermittelten Prozess, in den extranuclearen Raum transportiert, wo sie für die Proteinsynthese als Matrize zur Verfügung stehen.
1.2.1.2
Die räumliche Trennung von Transkription und Translation macht durch Kernporen geregelte Transportvorgänge notwendig
Für den Ablauf aller biochemischen Vorgänge, die im Kernraum stattfinden, sind Proteine notwendig. Sie bilden die Grundstrukturen für die Organisation des Chromatins, sie müssen bereitstehen für die Bildung der Vorstufen von Ribosomen, sie nehmen als Hormon-Rezeptor-Komplexe an der intranuclearen Signalvermittlung teil und sie katalysieren als Enzymproteine das gesamte komplexe Geschehen innerhalb des Kernraumes oder sind als Regulatorproteine daran beteiligt. Da innerhalb des Kerns keine funktionsfähigen reifen Ribosomen vorhanden sind, müssen alle diese Proteine aus dem Cytoplasma importiert werden. Erwartungsgemäß kann dies nicht durch einfache Diffusion geschehen und eine Endocytose als Aufnahmemechanismus wird beim Kern nicht beobachtet.
56
1.29
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Aufbau einer Kernpore A Querschnitt einer Pore; R = äußere und innere Proteinringstrukturen; RA = radiale Arme; G = zentrale granuläre Struktur; B Aufsicht auf eine Pore
Für den Transport – Import und Export – großer Moleküle dienen die Kernporen, deren Struktur und Funktionsweise gut erforscht ist (Abbildung 1.29). Jeder Zellkern hat 2 000 bis 4 000 solcher Poren, das heißt bis zu 10 Poren pro μm2 Membranoberfläche. Die Kernporenkomplexe sind größere Gebilde, deren molare Masse 50 bis 100 Millionen kDa beträgt. Sie sind aus mehr als 100 verschiedenen Proteinmolekülen aufgebaut, die zu regelmäßigen Oktameren angeordnet sind. Sie verbinden die äußere und innere Kernmembran und bilden einen etwa 15 nm langen und 9 nm breiten wassergefüllten Kanal. Kleine Moleküle bis zu 5 kDa penetrieren unbehindert durch diese Öffnung. Mit steigender Molmasse wird das Durchdringen kontinuierlich schwieriger und bei etwa 60 kDa liegt die Grenze, ab der ein Wechsel der Moleküle zwischen dem Cytoplasma- und dem Kernraum durch einfache Penetration nicht mehr möglich ist. Zahlreiche Proteine, die zur Replikation, Transkription und Reparatur der DNA benötigt werden, sind so groß, dass ihr Import in den Kernraum auf spezielle Transportmechanismen angewiesen ist. Beispielsweise haben die Untereinheiten der DNAund RNA-Polymerasen molare Massen zwischen 100 und 200 kDa. Solche Proteine treten nach neueren Untersuchungen mit Rezeptoren, die am Rande des Kernporenkomplexes lokalisiert sind, in Wechselwirkung und werden dann aktiv in den Kernraum transportiert. Die Aufnahme von Makromolekülen in den Kernraum ist selektiv und beschränkt sich bei Proteinen auf solche, die Kernlokalisationssignale tragen. Derartige Signale, die mit gentechnischen Methoden identifiziert wurden, sind kurze Peptidketten aus vier
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
57
bis acht Aminosäuren, in der Hauptsache Lysin, Arginin und des öfteren auch Prolin. Die Position der Signalsequenz innerhalb der Aminosäuresequenz scheint ohne Bedeutung zu sein. Die Interaktion der Signalsequenzen mit den Rezeptoren der Kernporenkomplexe führt dazu, dass sich die Porenkanäle genau auf den richtigen Umfang erweitern und das betreffende Makromolekül in den Kerninnenraum einschleusen, wobei eine Entfaltung der Proteinmoleküle nicht notwendig ist. Der genaue molekulare Mechanismus dieser Transportvorgänge, die durch ATP-Hydrolyse angetrieben werden, ist noch nicht geklärt. Die Signalpeptide werden von den Proteinen nach dem Eintritt in den Kernraum nicht abgespalten. Die entsprechend markierten Proteine können also nach der Replikation des Zellkerns wieder in den intranuclearen Raum des neugebildeten Nucleus aufgenommen werden. Die Kernporen dienen nicht nur dem Import in den, sondern auch dem Export von Makromolekülen und supramolekularen Partikeln aus dem Zellkern. Unter anderem müssen Untereinheiten von Ribosomen ins Cytoplasma befördert werden, da diese zwar im Zellkern entstehen, aber außerhalb des Kerns zu Ribosomen aggregieren. Der Durchmesser der Ribosomen-Untereinheiten beträgt etwa 15 nm. Auch diese müssen also durch Vermittlung spezieller Transportsysteme den Kernraum verlassen. Auch messenger RNA-Moleküle müssen in großer Menge ins Cytosol übertreten, allerdings nur solche, die den Prozess der mRNA-Reifung im Kernraum durchlaufen haben. Andere RNA-Arten, wie tRNA und rRNA werden mit speziellen Proteinen komplexiert, die möglicherweise Signalsequenzen tragen, und als RibonucleoproteinPartikel durch die Kernporen ausgestoßen werden. Es scheint gesichert zu sein, dass ein und dieselbe Kernpore den Transport in beide Richtungen vermitteln kann, abhängig allein davon, für welches Kompartiment ein bestimmtes Partikel vorgesehen ist.
1.2.2 Das endoplasmatische Reticulum Das in allen Eukaryotenzellen vorhandene endoplasmatische Reticulum (ER) bildet im Cytoplasma ein weitverzweigtes, engmaschiges Netz, das einerseits als zusammenhängende Membranfläche, andererseits als ebenfalls zusammenhängender Raum innerhalb des Cytoplasmas betrachtet werden kann. Dieser von der Membran des ER begrenzte Raum, der den Stellenwert eines Kompartiments hat, wird als ER-Zisterne oder als ER-Lumen bezeichnet und nimmt etwa 10 % des Zellvolumens ein. Die relative Oberfläche des ER beträgt bei manchen Zelltypen 50 bis 60 % der gesamten zellulären Membranflächen (Tabelle 1.8). Die Membran des ER ist eine einfache Membran – evolutionär wahrscheinlich durch Einstülpungen der Plasmamembran entstanden –, deren Aufbau aus einer Phospholipiddoppelschicht und verschiedenen Proteinen dem molekularen Bauprinzip aller biologischen Membranen folgt. Man unterscheidet bei der Membran des ER feinstrukturell und funktionell zwei unterschiedliche Seiten: die cytosolische und die zisternale oder lumenwärtige Membranseite. Wie Abbildung 1.30 zeigt, steht das ER mit anderen membranumschlossenen Kompartimenten, wie dem Golgi-Apparat, den Lysosomen, verschiedenen Transportversikeln und schließlich der Plasmamembran in einer dynamischen Beziehung des Materialaustauschs, der an anderer Stelle dargestellt wird. Auch die Außenmembran des Zellkerns ist ein spezialisierter Bereich des ER. Nach dem elektronenmikroskopischen Erscheinungsbild wird das ER in zwei Typen eingeteilt: das rauhe endoplasmatische Reticulum (rER), dessen „rauhes“ Aussehen
58
1.30
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Räumliche Anordnung des endoplasmatischen Reticulums und des Golgi-Apparates in der Zelle ER = endoplasmatisches Reticulum
den von der cytosolischen Seite her angelagerten Ribosomen zuzuschreiben ist, und das glatte endoplasmatische Reticulum (gER). Die Membranen des ER sind wenig widerstandsfähig und zerreißen, wenn die Zelle aufgeschlossen wird. Die Membranbruchstücke bilden dann in wässerigem Milieu kleine Vesikel, die als Mikrosomen bezeichnet werden. (Mikrosomen sind also keine Zellorganellen, wie es gelegentlich angenommen wird, sondern präparative Artefakte!). Durch Dichtegradienten-Zentrifugation lassen sich die aus dem gER hervorgegangenen Vesikel von denen, die aus dem rER entstanden sind, trennen. Die rER-Mikrosomen haben infolge ihres hohen RNA-Gehalts eine höhere Dichte. So lassen sich die Eigenschaften der beiden ER-Typen, die in der Zelle nahtlos ineinander übergehen, getrennt untersuchen. Hinsichtlich ihrer Phospholipid-Zusammensetzung sind die beiden ER-Typen weitgehend gleich, hinsichtlich ihrer Ausstattung mit funktionellen Proteinen jedoch verschieden. Sie erfüllen daher auch unterschiedliche Aufgaben und kommen in verschiedenen Zellen und Geweben in unterschiedlichen Mengenverhältnissen vor. Meistens findet man auch kleine ER-Abschnitte, die als Übergangs-ER bezeichnet werden. Aus diesen ER-Abschnitten schnüren sich meistens die Transportvesikel ab, die Transportfunktionen zum Golgi-Apparat wahrnehmen.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.2.2.1
59
Die enzymatische Ausstattung des glatten endoplasmatischen Reticulums weist eine ausgeprägte gewebespezifische Variabilität auf
Manche Zellen enthalten auffallend viel gER als Hinweis darauf, dass sich in ihnen biochemische Prozesse abspielen, die durch Enzyme katalysiert werden, die am gER lokalisiert sind. Es handelt sich vor allem um Enzyme, die mit dem Lipidstoffwechsel im weiteren Sinne in Verbindung stehen. Am gER findet die Biosynthese der Triglyceride (Abschnitt 10.3.1), der Phospholipide, die hier besprochen wird, und des Cholesterins (Abschnitt 9.5.2) statt. Weiterhin sind Teilschritte der Steroidhormon- (Abschnitt 1.4.5.1) und der Prostaglandin-Synthese (Abschnitt 1.4.7) an diesem Membransystem lokalisiert. Die Cytochrom P450-haltigen Enzyme der hepatischen Entgiftungsreaktionen sind mit dem gER der Leberzelle assoziiert. Durch hohe Dosen bestimmter Pharmaka lassen sich die Menge detoxifizierender Enzyme und parallel dazu die Oberfläche des gER stark erhöhen. Nach Abklingen der Fremdstoffbelastung nimmt das gER wieder seinen normalen Umfang an. Ein Enzym des Kohlenhydratstoffwechsels, die Glucose-6-Phosphatase, ist in Zellen der Leber, der Niere und der intestinalen Mucosa in hohen Mengen am gER lokalisiert. Die Glucose-6-Phosphatase setzt als letztes Schlüsselenzym der Gluconeogenese die Glucose aus Glucose-6-phosphat frei (Abschnitt 9.3.3). Das Substrat wird an der cytosolischen Seite der Membran gebunden und die Glucose als Produkt der Reaktion in das Lumen des ER abgegeben. Dadurch wird einer sofortigen Rephosphorylierung der Glucose durch die cytosolische Glucokinase beziehungsweise Hexokinase vorgebeugt und die freie Glucose kann über das Kanalsystem des gER in das Blut übertreten. Die Muskelzellen enthalten ein spezialisiertes gER, das als sarcoplasmatisches Reticulum bezeichnet wird. Es enthält zahlreiche Kopien einer Ca2+-transportierenden P-ATPase (Tabelle 1.3), die der Aufrechterhaltung eines Ca2+-Gradienten dient. Zwischen dem Cytosol, mit weniger als 10–7 mol × L–1 Ca2+, und dem Lumen des sarcoplasmatischen Reticulums, dessen Ca2+-Konzentration etwa 10–3 mol × L–1 beträgt, besteht ein sehr steiler Ca2+-Gradient. Das dort gespeicherte Ca2+ ist zum größten Teil an ein Ca2+-bindendes Protein aus vielen sauren Aminosäuren, das Calsequestrin, gebunden. Eine Depolarisation der Membran der Muskelzelle bewirkt die Öffnung von Ca2+Kanälen an der Membran des sarcoplasmatischen Reticulums. Das Ca2+ strömt dann dem Gradienten folgend zu den Myofibrillen und die Kontraktion wird ausgelöst. Nach Beendigung der Kontraktion sorgt die Ca2+-ATPase für den aktiven Rücktransport der Ca2+-Ionen in das Lumen des sarkoplasmatischen Reticulums, wodurch die Wiederholung des Kontraktionsprozesses ermöglicht wird (Abschnitt 11.1.3).
1.2.2.2
Die Lipide der Membran-Bilayer werden ebenfalls am glatten endoplasmatischen Reticulum synthetisiert
Alle Enzyme, die an der Synthese der Phospholipide beteiligt sind, sind in der Membran des gER integriert, wobei ihre Substratbindungsstelle zur cytosolischen Seite hin ausgerichtet ist. Abbildung 1.31 veranschaulicht die Synthese der Phospholipide am Beispiel des Phosphatidylcholins (Lecithins), des häufigsten Phospholipids der biologischen Membran. Im Schritt I werden durch mehrere Acyltransferasen unter Abspaltung der CoA-Reste zwei aktivierte Fettsäuren auf das Glycerin-3-phosphat übertragen.
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
P
Fettsäure
Fettsäure
60
Fettsäure-CoA
P
P
CHOLIN
P
P
CHOLIN
Phosphatidsäure
Diacylglycerin
Fettsäure
Fettsäure
Fettsäure
P
Fettsäure
Fettsäure
Fettsäure
P
Cytosol
ER-Membran
Phosphatidylcholin Lumen
1.31
Synthese des Phosphatidylcholins am glatten endoplasmatischen Reticulum ER = endoplasmatisches Reticulum
Die entstandene Phosphatidsäure wird als hydrophobe Verbindung in die Lipiddoppelschicht der Membran des ER integriert. Nach hydrolytischer Abspaltung des Phosphatrestes (Schritt II) entsteht Diacylglycerin. Auf diese Verbindung wird im Schritt III durch die Cholin-Phosphotransferase ein Phosphocholinrest übertragen. Nach dem gleichen Reaktionsmuster entstehen – abhängig von der übertragenen Kopfgruppe – die weiteren Phospholipide der Membran, das Phosphatidylethanolamin, das Phosphatidylserin und das Phosphatidylinositol (Abbildung 1.2). Die Substrate für die beschriebene Phospholipidsynthese stammen aus dem Cytosol und die neu synthetisierten Moleküle werden von dieser Seite her an die Membran des ER angelagert. Da bei einem Lipid-Bilayer beide Schichten gleichmäßig wachsen sollen, muss es also einen Mechanismus geben, der einen Teil der neugebildeten Phospholipidmoleküle in die entgegengesetzte Hälfte des Bilayers des ER befördert. Für eine derartige Umschichtung sollen Phospholipid-Translocatoren zuständig sein. Der Translocator des ER bevorzugt Phospholipide mit Cholin als Kopfteil, während solche mit Ethanolamin, Serin und Inositol als Kopfgruppe weniger Chance zum Wechsel zwischen den Monolayern haben, wodurch es zu einer asymmetrischen Verteilung der Phospholipidarten im Bilayer kommt.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
61
EXKURS 1.3 Was ist ein Ribosom? Ribosomen sind kompliziert aufgebaute, stabile Partikel aus Ribonucleoproteinen, an denen in der Zelle die Translation der genetischen Information stattfindet. In den Eukaryotenzellen kommen sie frei im Cytosol, an die Membran des endoplasmatischen Reticulums gebunden sowie in den Mitochondrien vor. Auch die Prokaryotenzellen besitzen Ribosomen, die sich von den Ribosomen der Eukaryotenzelle in mancherlei Hinsicht unterscheiden. Die Ribosomen der Mitochondrien repräsentieren eher den Typ der prokaryotischen Ribosomen. Dieser Exkurs beschränkt sich auf die Ribosomen der Eukaryotenzelle – mit Ausnahme der mitochondrialen Ribosomen, die in Exkurs 1.5 besprochen werden. Bei einem Durchmesser von 15 bis 30nm sind die Ribosomen elektronenmikroskopisch erkennbare rundliche bis ellipsoide Aggregate. Während des Translationsprozesses können an jedem mRNA-Strang gleichzeitig mehrere Ribosomen perlenschnurartig gebunden sein und damit Polyribosome bilden. Die Anzahl der Ribosomen in der Zelle ist sehr hoch: In den Leberparenchymzellen wird sie beispielsweise mit 4.106angegeben. Besonders viele finden sich in den Eizellen. Die Ribosomen der Eukaryotenzelle – und auch der Prokaryotenzelle – bestehen aus je zwei ribosomalen Untereinheiten. Diese sind verschieden groß und unterschiedlich zusammengesetzt. Die 80S-Ribosomen der Eukaryotenzelle bilden sich aus den 60S großen Untereinheiten und den 40S kleinen Untereinheiten. Beide Untereinheiten bestehen aus ribosomaler RNA (rRNA) und ribosomalen Proteinen (rProtein). Tabelle 1 enthält einige Daten über die Zusammensetzung der Ribosomen in Eukaryotenzellen.
Tabelle 1: Zusammensetzung der cytosolischen Eukaryoten-Ribosomen Durchmesser
15 – 30 nm
Relative Teilchenmasse
3 800 – 4 500 kDa
Sedimentationskonstante aggregiertes Ribosom große Untereinheit kleine Untereinheit
80 S* 60 S 40 S
Ribosomale RNA-Sorten große Untereinheit kleine Untereinheit
28 S; 5,8 S; 5 S 18 S
Anzahl der ribosomalen Proteine große Untereinheit kleine Untereinheit
ca. 40 ca. 30
Massenverhältnis RNA/Protein
1/1
*S = Svedberg-Einheit = Sedimentationskoeffizient (1S=1013)
䊳
62
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Abb. 1 Dreidimensionales Modell eines Ribosoms und seiner Untereinheiten aus verschiedenen Blickwinkeln
Abb. 2 Biogenese der Ribosomen
䊳
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
63
Wie aus der Tabelle zu entnehmen ist, sind an einem Ribosom zahlreiche unterschiedliche Proteine und RNA-Sorten beteiligt, die alle ihre definierte Lokalisation am Partikel haben und spezielle Aufgaben erfüllen. Man nimmt an, dass die Bildung der Ribosomen aus den sehr vielen Protein- und RNA-Komponenten spontan, ohne Einwirkung zusätzlicher Faktoren erfolgt. Sie gilt als Musterbeispiel für die Selbstorganisation einer sehr komplexen biologischen Struktur. Abbildung 1 zeigt dreidimensionale Modelle der Untereinheiten des Ribosoms sowie eines aggregierten Ribosoms aus unterschiedlichen Perspektiven gesehen. Die Biogenese von Ribosomen ist ein außerordentlich komplizierter Prozess. Wie in Abbildung 2 schematisch dargestellt, aggregiert das funktionstüchtige Ribosom im extranuclearen Raum aus seinen Untereinheiten. Die Untereinheiten selbst entstehen im Nucleolus. Die zu deren Genese notwendigen rRNA werden teils im Nucleus, teils im Nucleolus synthetisiert. Die zahlreichen ribosomalen Proteine,- die selbst an Ribosomen synthetisiert werden müssen -, entstehen im Cytosol, da der Kernraum keine aggregierten und damit funktionsfähigen Ribosomen enthält. Ebenso muss die gesamte Prozesskette mit Enzymen und sonstigen Proteinfaktoren versorgt werden, die ebenfalls cytosolischen Ursprungs sind. Die Biogenese der Ribosomen erfordert somit allein beim Transport der mehr als hundert Bausteine zwischen den Kompartimenten eine erstaunliche Steuerungsleistung.
1.2.2.3
Das rauhe endoplasmatische Reticulum mit seinen membrangebundenen Ribosomen ist ein Ort intensiver Proteinsynthese
Im elektronenmikrokopischen Bild sind zwei räumlich getrennte Ribosomenpopulationen sichtbar: die freien Ribosomen, die an keine Membran angeheftet sind, und die membrangebundenen Ribosomen, die an bestimmten ER-Bezirken der Membran ihren „rauhen“ Charakter verleihen. Beide Arten von Ribosomen haben die gleiche Struktur und die gleiche Funktion, nämlich die Übertragung der in der mRNA enthaltenen Information in Peptidketten und sind nicht an priori der einen oder der anderen Ribosomenpopulation zuzurechnen. Ob sich ein Ribosom an das ER anheftet, entscheidet sich co-translational und hängt von der Anwesenheit einer bestimmten Aminosäuresequenz am N-Terminus der entstehenden Polypeptidkette ab. Diese aus 13 bis 36 meist hydrophoben Aminosäuren bestehende Sequenz wird als Signalpeptid bezeichnet. Beginnt ein Ribosom zufällig mit der Synthese eines Proteins, das ein solches ER-Signalpeptid enthält, dann wird dieses Ribosom mitsamt der begonnenen Polypeptidkette zur Membran des ER „dirigiert“. Peptidketten mit derartigen Signalsequenzen müssen natürlich von der Membran des endoplasmatischen Reticulums erkannt und durch sie hindurchgeschleust werden (Abbildung 1.32). Um dies zu ermöglichen, bindet sich an die Ribosomen, die eine neu entstehende Peptidkette mit Signalsequenz tragen, – und nur an solche – ein Signalerkennungspartikel (SRP = signal recognition particle). Diese Bindung kommt zustande, sobald das N-terminale Ende der Signalsequenz aus dem Ribosom austritt. Das SRP besteht aus einem RNA-Molekül mit 300 Nucleotiden und aus sechs Polypeptidketten. Solange das SRP gebunden ist, wird die Elongation der Peptidkette nicht fortgesetzt. Der Komplex aus Ribosom und SRP bindet dann an den SRP-Rezeptor (docking protein). In einem Prozess, der an einem GTP/GDP-Austausch gekoppelt ist, wird das SRP vom Ribosom losgelöst und kann weiter verwendet werden. Danach kann die Elongation der Peptidkette am Ribosom fortgesetzt werden, wobei diese mitsamt der Signalsequenz an
64
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
SRP
G
Ribosomenrezeptor Signalpeptidase
AA
AU
A3 ‘
SRP-Rezeptor
klUE
grUE
Lumen des ER
Cytosol
1.32
Signalsequenz ER-Membran
Translokation eines Sekretproteins in das Lumen es endoplasmatischen Reticulums ER = endoplasmatisches Reticulum; klUE = kleine ribosomale Untereinheit; grUE = große ribosomale Untereinheit Quelle: Walter, P. u. a. (1984) Cell 38 S. 6
eine Translationsstelle, die als Membranpore ausgebildet ist, weitergereicht wird. Die Translation geht solange weiter, bis eine Stop-Transfer-Sequenz erreicht wird. Die Signalsequenzen werden nach der Translation auf der Lumenseite des ER durch eine Signalpeptidase abgespalten. Die neu entstandenen Polypeptidketten sollen sich im Lumen des ER nicht sofort falten, da das carboxyterminale Ende des neuen Proteins die Membranpore des ER erst viele Sekunden oder sogar Minuten nach dem aminoterminalen Ende verlässt. Vor Abschluß der Synthese der vollständigen Kette käme es zu Proteinen mit funktionell unbrauchbaren Faltungsmustern. Die neu entstandenen Polypeptidketten werden daher an Chaperone, Proteine, die sie einige Minuten entfaltet halten, gebunden. (Exkurs 4.1). Ihrer Bestimmung nach gehören die Proteine, die an den Ribosomen des ER synthetisiert werden, in zwei Kategorien. Erstens, die sogenannten wasserlöslichen Proteine oder Sekretproteine, die durch die Membran des ER hindurchgeschleust und in das Lumen des ER freigesetzt werden. Sie sind entweder für das Lumen verschiedener Organellen beispielsweise der Lysosomen oder für den extrazellulären Raum bestimmt. Hierzu gehören unter anderem die Plasmaproteine, die Proteohormone und die Proteine der extrazellulären Matrix. Die zweite Kategorie der am rER synthetisierten Proteine bilden die Transmembranproteine, die die Membran des ER mehr oder minder vollständig durchqueren, aber in ihr verankert bleiben. Die Transmembranproteine sind für die Plasmamembran, die Membran des ER oder die Organellenmembranen bestimmt.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.2.2.4
65
Sekretproteine und Transmembranproteine nehmen nach ihrer Synthese unterschiedliche räumliche Anordnungen ein
Ob ein Protein als Sekretprotein in das Lumen des rER abgegeben oder als Transmembranprotein in der Membran verbleibt, ist durch strukturelle Signale, die als „Adresse“ für die Lokalisation dienen, vorgegeben. Im Falle der Sekretproteine wird – wie bereits beschrieben – die neu synthetisierte Polypeptidkette mit ihrem N-terminalen Ende voraus vollständig durch die Membran des rER geschleust, während das Signalpeptid, das in diesem Falle in der Kette nur einmal, am N-terminalen Ende, vorhanden ist, in der Membran integriert bleibt. Wie aus Abbildung 1.33 zu ersehen ist, wechseln in der Peptidkette von Transmembranproteinen mehrere Signalpeptide, – die auch als Transfer-Startpeptide dienen – , mit Transfer-Stoppeptiden, – eine weitere Signalsequenz der Polypeptidkette –, ab. Diese spezifischen Abschnitte der Transmembranproteine werden als topogene Sequenzen bezeichnet. Die Signalpeptide werden bei den Transmembranproteinen nicht abgespalten. Entsprechend der Lokalisation und Anzahl der Signalpeptide und der Transfer-Stoppeptide, durchquert das Protein die Membran mehrmals und es bilden sich eine oder mehrere unterschiedliche Domänen an der cytosolischen und/oder luminalen Seite der Membran des rER aus.
= Transfer-StartPeptid = Transfer-StopPeptid
1.33
Ausbildung der Raumstruktur eines Transmembranproteins A. Protein mit transmembranären und einer intraluminalen Domäne; B. Protein mit einer transmembranären, einer intraluminalen und einer cytosolischen Domäne; C. Protein mit einer transmembranären, einer intraluminalen und zwei cytosolischen Domänen; D. Protein mit mehreren transmembranären, mehreren intraluminalen und mehreren cytosolischen Domänen; ER = endoplasmatisches Reticulum
66
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
EXKURS 1.4 Die Translation – Ein Prozess außerhalb des Kernraumes Die Information für die Aminosäuresequenzen der Proteine ist bekanntlich in den Genen, das heißt in Form von DNA festgelegt. Als Matrize für die Proteinsynthese dient jedoch nicht die DNA sondern ihr Transkript, die reife messenger RNA (mRNA) (Exkurs 1.2). Während es sich bei der Transkription um eine „Überschreibung“ der Nucleotidsequenz der DNA in die der RNA handelt, erfolgt bei der Translation eine „Übersetzung“ der Information aus der „Sprache“ der Nucleinsäuren, das heißt der RNA, in die der Proteine. Das „Alphabet“ der Ribonucleinsäure besteht aus vier Buchstaben – U,C,A,G (s. S. 52) – für die vier in ihr vorkommenden Basen. Durch ihre Kombination war ein Code herzustellen, der es erlaubt, die 20 proteinogenen Aminosäuren eindeutig zu verschlüsseln. Wie es sich errechnen lässt, sind für das Determinieren einer Aminosäure mindestens drei Basen notwendig1.Mit drei Zeichen pro Wort lassen sich 43, also 64 Wörter schreiben. Eine aus drei aufeinander folgenden Nucleotiden bestehende RNA-(oder DNA-) Sequenz, die eine bestimmte Aminosäure oder ein Terminationssignal repräsentiert, nennt man Codon oder Triplett. Tabelle 1 stellt den genetischen Code dar, das Tabelle 1: Der genetische Code* erste Position (5⬘-Ende)
zweite Position
dritte Position (3⬘-Ende)
U
C
A
G
U
Phe Phe Leu Leu
Ser Ser Ser Ser
Tyr Tyr Stop Stop
Cys Cys Stop Trp
U C A G
C
Leu Leu Leu Leu
Pro Pro Pro Pro
His His Gln Gln
Arg Arg Arg Arg
U C A G
A
Ile Ile Ile Met
Thr Thr Thr Thr
Asn Asn Lys Lys
Ser Ser Arg Arg
U C A G
G
Val Val Val Val
Ala Ala Ala Ala
Asp Asp Glu Glu
Gly Gly Gly Gly
U C A G
* Zu einem Codon sucht man die zugehörige Aminosäure auf, indem man das erste Nucleotid am linken Rand wählt, das zweite am oberen und das dritte am rechten Seitenrand. Beispiel: Das triplett AUG codiert für Methionin.
1 Mit nur zwei Basen pro Aminosäure wären nur 42 Kombinationen möglich,das heißt, es ließen sich nur 16 Aminosäuren codieren. 2 Als 21. Aminosäure wird während der Translation das Selenocystein am Codon UGA (das ansonsten als Stopcodon wirkt) in die Polypeptidkette eingebaut.
䊳
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
67
heißt alle 64 Kombinationen, die sich aus der Verwendung der Basen UCAG ergeben. Die 20 proteinogenen Aminosäuren werden durch 61 Tripletts codiert. Außer Tryptophan und Methionin wird also jede Aminosäure durch mehr als ein Codon verschlüsselt2. Dieses Phänomen wird als Degeneration des Codes bezeichnet. Die restlichen drei Tripletts codieren Terminationssignale. Das Codon 5⬘-AUG-3⬘ ist zusätzlich zu seiner Rolle als Codewort für Methionin auch Teil des Initiationssignals. Beim Eukaryoten ist das Umsetzen der in der mRNA enthaltenen Information in die Aminosäuresequenz der Proteine ein außerordentlich komplexer Vorgang, der das koordinierte Zusammenspiel von mehr als 100 Makromolekülen beansprucht. Die Translation spielt sich im extranuclearen Raum, entweder im Cytosol oder an der Membran des endoplasmatischen Reticulums ab unter Verwendung von Ribosomen als Syntheseapparate (Exkurs 1.3). Die Translation lässt sich in vier Phasen unterteilen: Aminosäure-Aktivierung, Initiation, Elongation und Termination Die Aminosäure-Aktivierung läuft im Cytosol ohne Beteiligung der mRNA und der Ribosomen ab und wird von Aminoacyl-tRNA-Synthetasen (Aminosäure-tRNA-Ligasen) katalysiert. Abbildung 1 zeigt vereinfacht die allgemeine Struktur einer transferRNA (tRNA), die in einer ATP-abhängigen Reaktion an ihrem 3⬘-Ende (Sequenz CCA) mit der zugehörigen Aminosäure beladen wird. Die mit Aminosäuren beladenen aktivierten tRNA wirken bei der Translation als spezielle Adapter, indem sie mit ihrem komplementären Anticodon das zugehörige Codon in der mRNA durch Basenpaarung erkennen. Jede tRNA wird hochspezifisch nur mit einer bestimmten Aminosäure beladen. Die Fehlerquote der Falschbeladung der tRNA liegt bei nur 1 zu 10 000. Die folgenden drei Phasen der Proteinbiosynthese spielen sich an den Ribosomen ab. Ribosomen, die nicht gerade am Translationsvorgang beteiligt sind, zerfallen in ihre Untereinheiten und müssen bei der Initiation zu funktionsfähigen Ribo-
Abb. 1 Allgemeine Struktur der tranfer-RNA
䊳
68
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
somen zusammengefügt werden. Hierzu werden außer den ribosomalen Untereinheiten folgende Komponenten benötigt: eine mRNA mit dem Startcodon AUG, eine Starter-tRNA, die bei den Eukaryoten Methionin trägt, mehrere Initiationsfaktoren sowie GTP. Wie Tabelle 1 zeigt, codiert das Codon AUG zwei unterschiedliche tRNA-Moleküle für Methionin: Eines für den Start, das andere für Methionylreste, die in die Peptidkette eingefügt werden. Die Auswahl zwischen den beiden funktionell unterschiedlichen tRNA-Molekülen wird in der Initiationsphase der Proteinsynthese durch den eukaryotischen Initiationsfaktor 2 getroffen. Dieser Faktor, der zu den G-Proteinen gehört, bindet die Starter-Aminoacyl-tRNA und lagert sich damit an die kleine 40S-Untereinheit des Ribosoms an. Der hierdurch entstandene Komplex erkennt das 5⬘-Ende der mRNA mit der cap-Struktur und wandert die mRNA entlang bis zum ersten AUG-Codon. Die Starter-Aminoacyl-tRNA und das Starter-Codon der mRNA werden an der P-Stelle der kleinen ribosomalen Untereinheit positioniert. Nach Eliminierung mehrerer Initiationsfaktoren erfolgt dann die Anlagerung der großen 60S-Untereinheit des Ribosoms. Das nun funktionsfähige 80S-Ribosom enthält die Starter-Aminoacyl-tRNA noch an der P-Stelle gebunden. Wie Abbildung 2 zeigt, existieren am so entstandenen 80S-Ribosom mehrere für die Funktion wichtige Stellen. An die Aminoacyl- oder Akzeptor-Stelle (A-Stelle) bindet die ankommende Aminoacyl-tRNA mit Ausnahme der Starter-AminoacyltRNA. An die erwähnte P-Stelle oder Peptidyl-Stelle bindet bei der Initiation die Starter-Aminoacyl-tRNA, bei der Elongation die Peptidyl-tRNA. Die Exit-Stelle (EStelle) setzt die deacylierte tRNA frei. Die A-,P- und E-Stellen befinden sich an der kleinen Untereinheit, die A-und P-Stelle in unmittelbarar Nachbarschaft zueinander. Wie aus der Abbildung ebenfalls zu ersehen ist, durchzieht die fadenförmige mRNA einen Spalt, der zwischen den beiden Untereinheiten liegt. Die syntetisierte Peptidkette verlässt das Ribosom an der Basis der großen Untereinheit. In der Elongationsphase wird die Peptidkette am Carboxylende verlängert. Zunächst ist die Peptidyl-Stelle des Ribosoms noch mit der Starter-Aminoacyl-tRNA besetzt. Dann bindet eine zweite mit der entsprechenden Aminosäure beladene tRNA über ihr komplementäres Anticodon an das in der Akzeptor-Stelle (A) exponierte mRNA-Codon. Hierfür ist der eukaryotische Elongationsfaktor 1 notwendig. Im nächsten Schritt findet die Synthese der Peptidbindung durch eine Peptidyltransferase statt. Diese knüpft eine Peptidbindung zwischen der NH2–Gruppe der auf der A-Stelle sitzenden Aminoacyl-tRNA und der Carboxylgruppe der auf der P-
Abb. 2 Funktionelle Bezirke am eukaryotischen Ribosom
䊳
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
69
Stelle sitzenden Peptidyl-tRNA. Für diese Transpeptidierung ist keine Energie notwendig, sie kommt allein aufgrund der katalytischen Wirksamkeit des Peptidyltransferase-Zentrums an der Oberfläche der großen ribosomalen Untereinheit zustande. Die Termination der Proteinbiosynthese erfolgt, sobald eine der drei Stop-Codons (Tabelle 1) auf der A-Stelle des Ribosoms liegt. Hierzu ist der eukaryotische release factor notwendig. Die fertige Peptidkette – ebenso die unbeladene tRNA auf der Peptidylstelle – wird durch hydrolytische Spaltung freigesetzt. Anschließend zerfällt das Ribosom in seine Untereinheiten und steht für den nächsten Cyclus zur Verfügung. An ein bestimmtes mRNA-Molekül können gleichzeitig mehrere Ribosomen gebunden sein und damit Polysomen bilden. Hierdurch kann das betreffende Protein durch zeitverschobenes mehrfaches Ablesen der Information der mRNA binnen kurzer Zeit in vielen Exemplaren synthetisiert werden. Der Energiebedarf der Proteinbiosynthese ist beträchtlich. Für jeden angefügten Aminosäurerest werden drei Phosphorsäureanhydrid-Bindungen hydrolysiert: Die Aminosäure-Aktivierung verbraucht ein ATP, die Elongation pro Cyclus zwei GTP. Zusätzlich wird für die Initiation und die Termination je ein GTP pro Peptidkette aufgewendet.
1.2.2.5
Die am endoplasmatischen Reticulum synthetisierten Proteine werden vielfältig modifiziert
Das Lumen des rER enthält keine reduzierenden Verbindungen – im Gegensatz zum Cytosol, wo Glutathion und sonstige reduzierende Agentien reichlich vorkommen. Dies hat zur Konsequenz, dass sich in diesem nicht-reduzierenden Milieu zwischen den Cysteylresten der im rER synthetisierten Proteine Disulfidbrücken ausbilden. Diese ungesteuerte „falsche“ Bildung von S-S-Brücken wird durch das Enzym ProteinDisulfid-Isomerase korrigiert. Es katalysiert die wiederholte Spaltung der S-S-Bindungen solange, bis es zur energetisch günstigsten Anordnung der S-S-Brücken kommt, wodurch die korrekte Faltung der Proteine gewährleistet wird. Das Enzym ist auch selbst ein Produkt der Proteinsynthese am rER und ist durch eine C-terminale Erkennungssequenz zum Verbleib an der Membran der rER determiniert. Die meisten am rER synthetisierten Proteine werden durch kovalente Anheftung von Zuckern glykosyliert. Dies gilt für Proteine, die zum Golgi-Apparat, zu den Lysosomen, zur Plasmamembran oder in den extrazellulären Raum transportiert werden. Die für die Glykosylierung eingesetzten Oligosaccharide gehören zu einem einzigen Typ: Sie bestehen aus N-Acetylglucosamin, Mannose und Glucose und enthalten insgesamt 14 Zuckerreste. Diese Oligosaccharide werden stets an die NH2-Gruppe eines Asparagins gebunden, weshalb sie als N- oder Asparagin-gekoppelte Oligosaccharide bezeichnet werden. Wie Abbildung 1.34 verdeutlicht, ist das Akzeptormolekül Asparagin auf eine bestimmte Nachbarsequenz angewiesen, wobei x jede beliebige Aminosäure außer Prolin sein kann, gefolgt von Serin oder Threonin. Die rot gezeichneten Zucker bilden die Kernregion, die meistens auch nach weiteren Modifikationen des Oligosaccharids im Golgi-Apparat (Abschnitt 1.2.3.1) erhalten bleibt. Der Zucker wird auf der dem Lumen zugekehrten Seite der ER-Membran an das Protein angeheftet. Die Übertragung des Oligosaccharids als Ganzes katalysiert eine membrangebundene Glykosyltransferase bereits während der Synthese der Peptidkette. Sobald die entsprechende Sequenz mit
70
1.34
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Aufbau eines Asparagin-gekoppelten Oligosaccharids Glc = Glucose; Man = Mannose; GlcNac = N-Acetylglucosamin
dem Asparagin durch die Membran ins Lumen übertritt, findet die Anheftung des Zuckers statt. Das zur Übertragung vorgesehene fertige Oligosaccharid befindet sich in unmittelbarer Nähe der Anknüpfungsstelle an ein spezielles Isoprenderivat, das Dolichol, gebunden. Eine Pyrophosphatgruppe, die das Oligosaccharid mit dem Dolichol verbindet, liefert die Aktivierungsenergie für die Glykosylierung. Die einzelnen Monosaccharide stammen aus dem Cytosol, wo auch die Synthese unter Beteiligung des membrangebundenen Dolichols beginnt. Nach Erreichen einer bestimmten Größe wird der Zuckerrest mit Hilfe des Dolichols lumenwärts gedreht.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
71
Die N-gekoppelten Oligosaccharidstrukturen weisen eine bemerkenswerte Vielseitigkeit auf. Sie kommt dadurch zustande, dass der bei der Synthese primär verwendete Grundtyp des Zuckers, der in Abbildung 1.34 dargestellt ist, überlicherweise bereits im ER vielfältig modifiziert wird. Meistens werden drei Glucosereste und eine Mannose entfernt. Das „Trimmen“, Umordnen und Verlängern durch andere Zucker der oft kompliziert verzweigten Kette wird im Golgi-Apparat fortgesetzt. Konserviert bleibt allerdings die „Kernregion“. Zu den posttranslationalen Modifikationen der am rER synthetisierten Peptidketten gehört auch die Kopplung mancher Proteine an glykosyliertes Phosphatidyl-Inositol. An solche GPI-Anker bindet sich stets das C-terminale Ende der Peptidkette. Mit einem GPI-Anker sind manche membrangebundene Enzyme, beispielsweise die alkalische Phosphatase, die Acetylcholinesterase und verschiedene Proteasen in der Membran verankert.
1.2.3 Der Golgi-Apparat Der Golgi-Apparat besteht meistens aus vier bis sechs, von einer einfachen Membran umhüllten, scheibenförmigen Strukturen, die aufeinandergestapelt erscheinen (GolgiStapel) (Abbildung 1.35). Der membranumhüllte Raum des einzelnen Scheibchens wird als Golgi-Zisterne bezeichnet. Der Durchmesser der Scheibchen, die am Rande mit unregelmäßigen Einbuchtungen versehen sind, beträgt etwa 1 μm. Die Anzahl der GolgiStapel pro Zelle ist je nach Zelltyp unterschiedlich und schwankt zwischen einem
1.35
Schema eines Golgi-Scheibchens
72
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
großen Golgi-Apparat und mehr als hundert kleinen. Besonders ausgeprägte Golgi-Apparate haben Zellen mit sekretorischen Aufgaben, beispielsweise Zellen, die Schleim produzieren. Der Golgi-Apparat hat zwei funktionell unterschiedliche Seiten: die cis-Seite oder Bildungsseite, die dem ER zugewandt und mit dem Übergangs-ER in Verbindung steht sowie die trans-Seite oder Reifungsseite, die in das Röhrchensystem des trans-GolgiNetzes übergeht und zur Plasmamembran hin orientiert ist. Zwischen cis- und transSeite befindet sich der Medial-Bereich (Abbildung 1.30). Auffallend ist, dass sich am Rand der Scheibchen, besonders der cis-Seite sehr viele kleine Vesikel befinden. Die Golgi-Vesikel schnüren sich teilweise von den Rändern der Scheibchen ab oder sie verschmelzen mit ihnen. Sie transportieren Proteine und Lipide zum Golgi-Apparat beziehungsweise von ihm weg und von einer Zisterne zur anderen. Die Vesikel, die sich an der trans-Seite bilden, transportieren Makromoleküle, die in den Golgi-Zisternen verschiedene Modifikationen erfahren haben, zu ihren Bestimmungsorten. Funktionell stellt der Golgi-Apparat eine Einrichtung zur Prozessierung der Produkte des ER dar, ein Vorgang, der aus mehreren aufeinander abgestimmten Schritten aufgebaut ist. Alle Zwischenprodukte dieser Verarbeitung werden stets in einer Richtung, von der cis-Seite zur trans-Seite, transportiert. Der Materialtransfer von einem Element zum nächsten wird wahrscheinlich durch coated vesicles vermittelt und ist so programmiert, dass er stets von einer zur nächsten benachbarten Zisterne erfolgt, ohne dass Zisternen übersprungen werden oder die Richtung geändert wird. Die Prozessierungen werden durch Enzyme katalysiert, die für die betreffenden Golgi-Elemente jeweils charakteristisch sind.
1.2.3.1
Die im endoplasmatischen Reticulum synthetisierten N-gekoppelten Oligosaccharide werden im Golgi-Apparat weiter modifiziert
Ein erheblicher Teil der neu synthetisierten Glykoproteine wird nach Durchtritt in das Lumen des rER in sogenannte Übergangsvesikel, deren Material vom ER stammt, verpackt und zur cis-Seite des Golgi-Apparates transportiert. Dort verschmelzen die Vesikel mit den Elementen des Golgi-Apparates, wodurch ihr Inhalt den Enzymen, die spezifische Veränderungen an den enthaltenen Molekülen vornehmen, zur Verfügung steht. Zu den im Golgi-Apparat durchgeführten Modifikationen gehört unter anderem die Reifung der Glykoproteine. Abbildung 1.36 zeigt die Vertreter der beiden wichtigsten Klassen der N-gekoppelten Oligosaccharide, die in „reifen“ Glykoproteinen vorkommen: ein komplexes Oligosaccharid (A) und ein mannosereiches Oligosaccharid (B). Die gezeigten Strukturen sind Beispiele, die in zahlreichen Variationen vorkommen. Die komplexen Oligosaccharide entstehen, indem das unter Umständen bereits im ER veränderte Oligosaccharid weiter zurechtgeschnitten und mit zusätzlichen Zuckerresten ergänzt wird. Die „Kernregion“ stammt aus dem ursprünglichen Syntheseprodukt des ER. Die sehr variable „Endregion“ besteht aus unterschiedlich vielen verschiedenartig verknüpften Trisaccharid-Einheiten, die aus N-Galactosamin, Galactose und Sialinsäure zusammengesetzt sind. Alle Zucker der Endregion werden im trans-Bereich des Golgi-Apparates von mehreren Glykosyltransferasen angefügt. Substrate dieser, in streng geordneter Reihenfolge katalysierenden Enzyme sind die durch
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
73
B komplexerTyp
1.36
Mannose-reicher Typ
Aufbau der „reifen“ Glykoproteine A. Komplexes Oligosaccharid; B. Mannosereiches Oligosaccharid
Nucleotide aktivierten Zucker. An die mannosereichen Oligosaccharide werden nach Entfernen der Glucosereste im ER keine weiteren Zuckerreste angefügt. Die biologische Funktion der komplizierten Oligosaccharidketten in Glykoproteinen und Glykolipiden ist weitgehend unerforscht. Auffallend ist, dass die Orientierung der Oligosaccharidketten in derartigen Glykokonjugaten streng geregelt ist. In den intrazellulären Organellen sind sie immer zu deren Lumen hin ausgerichtet, während sie in der Plasmamembran stets zum extrazellulären Raum hin orientiert sind.
1.2.3.2
Auch die Proteoglykane werden sekundär im Golgi-Apparat glykosyliert
Wie die Glykoproteine bestehen auch die Proteoglykane aus einer Peptidkette, an die Oligosaccharidketten kovalent gebunden sind. Das Mengenverhältnis Kohlenhydrate zu Protein ist bei den Proteoglykanen allerdings sehr viel höher als bei den Glykoproteinen. Das meistens ziemlich lange (bis zu 300 nm) Proteoglykan-Kernprotein wird an den Ribosomen des rER synthetisiert. Anschließend wird noch in diesem Kompartiment an die zahlreichen Serylreste dieser Polypeptidkette je ein Verbindungstrisaccharid, bestehend aus einem Xylose- und zwei Galactose-Molekülen, verknüpft über eine Oglykosidische Bindung, angeheftet (Abbildung 1.37A).
74
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Glykosaminoglykan
unverzweigte Glykosaminoglykane
B
Kernprotein
1.37
Baustein (A) und Erscheinungsbild (B) eines Proteoglykans
Diese Vorstufe wird in den Golgi-Apparat transferiert, wo an die Verbindungstrisaccharide identische, als Glykosaminoglykane bezeichnete, Disaccharid-Einheiten in wechselnder Anzahl (70 bis 200) angefügt werden. Diese Disaccharid-Einheiten bestehen üblicherweise aus einem N-Acetylaminozucker (N-Acetyl-D-Glucosamin oder NAcetyl-D-Galactosamin; in Abbildung 1.37 mit a bezeichnet) und aus einer Uronsäure (D-Glucuronsäure oder L-Iduronsäure; in Abbildung 1.37 mit b bezeichnet). Die durch Nucleotidphosphate aktivierten Zucker werden einzeln durch Glykosyltransferasen – ohne Verzweigungen – aneinandergebunden. Den schematischen Gesamtaufbau eines typischen Proteoglykans zeigt Abbildung 1.37B. Manche Proteoglykane sind sehr große Moleküle mit molaren Massen von etwa 3 × 106Da. Die meisten Aminozucker der Glykosaminoglykane sind mit einer Sulfatgruppe versehen. Diese sowie die Carboxylgruppe der Uronsäuren verleihen den Glykosaminoglykanen eine hohe negative Ladungsdichte, weshalb für die Proteoglykane des öfteren auch die Bezeichnung polyanionische (oder saure) Proteoglykane verwendet wird. Nach den Zuckerresten, der Art ihrer Verknüpfung sowie der Anzahl und Position der Sulfatgruppen werden die Glykosaminoglykane in mehrere Gruppen eingeteilt: Hyaluronsäure, Chondroitinsulfat, Dermatansulfat, Heparansulfat, Heparin, Keratansulfat. Glykosaminoglykane sind typische Bestandteile der extrazellulären Matrix und ihre einzelnen Vertreter sind charakteristisch für die unterschiedlichen Bindegewebstypen. Dank ihrer negativ geladenen Gruppen binden sie osmotisch aktive Kationen, insbesondere Na+ und damit viel Wasser, womit sie dem Bindegewebe Turgor und Druckfestigkeit verleihen. Einige Glykosaminoglykane kommen auch an Zellmembranen vor.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
75
1.2.3.3. Zahlreiche Proteine werden im Golgi-Apparat durch posttranslationale Proteolyse verändert Viele biologisch wirksame Peptide, beispielsweise Hormone und Neuropeptide werden am rER als inaktive Vorläufer synthetisiert. Durch membrangebundene Proteasen werden aus diesen biologisch aktive Moleküle herausgeschnitten. Die Proteolyse beginnt meistens im trans-Golgi-Netz und wird in den sekretorischen Vesikeln, ebenfalls Abkömmlinge des Golgi-Apparates, fortgesetzt. Die katalysierenden Enzyme sind membrangebunden und die Spaltung beginnt üblicherweise in der Nähe basischer Aminosäure-Paare. In sehr vielen Fällen ist das biologisch inaktive Vorläuferpeptid ein Pro-Protein, das durch Abspaltung einer einzigen Sequenz in die wirksame Form überführt wird. Bei den Prä-Pro-Proteinen – bekanntes Beispiel ist das Prä-Pro-Insulin – wird die Prä-Sequenz bereits im ER als Signalpeptid abgespalten, die Abtrennung der Pro-Sequenz erfolgt dann in den sekretorischen Vesikeln. Die Polyproteine enthalten diesselbe Aminosäuresequenz mehrmals hintereinander. Bei ihrer Proteolyse entstehen mehrere Kopien des gleichen Moleküls, die meistens Signalpeptid-Charakter haben. Polyproteine können allerdings auch Vorläufer für mehrere unterschiedliche Endprodukte sein. Solche Polyproteine können in unterschiedlichen Zellen verschieden prozessiert werden, so dass jeweils andere Peptide entstehen, wodurch sich die Vielfalt der Signalmoleküle erhöht. Die Prozessierung von Peptidketten durch proteolytische Spaltung hat gewisse Vorteile. Entsteht ein biologisch aktives Peptid erst, nachdem der Vorläufer in sekretorische Vesikel verpackt worden ist, kann dies insofern günstig sein, als damit der Entfaltung der biologischen Aktivität in der Zelle vorgebeugt wird. Außerdem sind manche biologisch wirksamen Peptide so kurz, dass ihnen möglicherweise die Signale fehlen, die für den Weitertransport notwendig wären.
1.2.3.4
Für die Lenkung von Proteinen und sonstigen Syntheseprodukten an den Ort ihrer Bestimmung ist ebenfalls der Golgi-Apparat zuständig
Nur einige Proteine, die am rER synthetisiert und im Golgi-Apparat modifiziert werden, sind dazu bestimmt, in diesen Kompartimenten zu verbleiben. Viele andere haben Funktionen als Transmembranproteine der Plasmamembran und als Membran- oder Enzymproteine verschiedener Organellen, oder aber sie werden in den Extrazellularraum geschleust. Für das Zurückhalten einzelner Moleküle im ER und im Golgi-Apparat werden spezifische „Rückhalte-Signale“ postuliert. Einige sind auch bereits bekannt. So enthalten mehrere permanent im rER verbleibende Proteine, zum Beispiel die Protein-Disulfid-Isomerase (Abschnitt 1.2.2.5) ein Signalpeptid, das das Enzym für das Verbleiben am ER kennzeichnet. Bei der Substanzverteilung auf verschiedene funktionelle Räume handelt es sich prinzipiell um einen Transport in Vesikeln, die an ihren Oberflächen wahrscheinlich immer „molekulare Adressen“ tragen müssen, damit sie ihren Inhalt nur an bestimmten Orten abliefern und sich in die vorgegebene Richtung bewegen. So dürfen zum Beispiel Vesikel, die am ER abschnüren, nur an der cis-Seite des Golgi-Apparates ankoppeln, dort entstandene Vesikel nur mit dem Medial-Bereich interagieren, dessen Vesikel wiederum nur für den trans-Bereich bestimmt sind. Für jedes Abschnüren und Fusionieren von Vesikeln ist ein hochspezifischer Erkennungsvorgang erforderlich, der im Einzel-
76
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
fall auf molekularer Ebene weitgehend ungeklärt ist. Am besten verstanden wird die Lenkung von Lysosomen-spezifischen Proteinen, die in Abschnitt 1.2.4.2 besprochen wird. Bei der Ausscheidung von Syntheseprodukten aus der Zelle wird, wie in Abbildung 1.38 schematisch dargestellt, zwischen einem konstitutiven Ausscheidungsweg und einem gesteuerten Ausscheidungsweg unterschieden. Im ersten Fall handelt es sich um ein kontinuierliches, nicht von extrazellulären Signalen gesteuertes Ausschleusen von Proteinen – und sonstigen Syntheseprodukten –, das in jeder Zelle vorkommt. Die Vesikel, in die Substanzen verpackt werden, werden als Transportvesikel bezeichnet. Nach einer plausiblen Hypothese werden alle löslichen Syntheseprodukte, die im ER synthetisiert worden sind, durch einen unspezifischen Substanzfluss aus dem ER-Kompartiment Richtung Zelloberfläche befördert, wenn sie nicht spezifisch zurückgehalten oder zu einem Bestimmungsort dirigiert werden, wozu es einer Markierung durch spezifische Peptidsequenzen oder durch sonstige spezifische Signalmoleküle bedarf. Bei der gesteuerten Ausscheidung wird der Sekretionsprozess durch ein extrazelluläres Signal – ein Hormon oder einen Neurotransmitter – getriggert. Diese Art der Stoffabgabe ist charakteristisch für spezialisierte sekretorische Zellen. In diesem Falle werden die Vesikel, die die Syntheseprodukte enthalten, sekretorische Vesikel genannt. Sie sind größer als die Transportvesikel und dienen auch der Speicherung und eventuellen Konzentrierung der auszuscheidenden Moleküle. Möglicherweise wird die Konzentrierung des Materials durch einen relativ niedrigen pH-Wert, der in solchen Vesikeln gemessen wird, unterstützt. Die Konzentrierung des Inhaltes, die bis zu 200–fach sein kann, führt zu einer erhöhten optischen Dichte, weshalb diese Vesikel auch als sekretorische Granula bezeichnet werden.
1.38
Ausscheidung von Syntheseprodukten aus der Zelle
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
77
Bei der Ausbildung und Abschnürung der sekretorischen Vesikel im trans-GolgiNetz werden sie temporär mit einer Hülle aus Clathrin (Abschnitt 1.1.3.11) und damit verbundenen Hüllproteinen versehen, die nach Abschnürung der Vesikel abgeworfen wird. Die durch die sekretorischen Vesikel auszuscheidenden löslichen Proteine müssen natürlich ebenfalls ein „Sortiersignal“ – wahrscheinlich ist es ein Signalbereich der Peptidkette – tragen. Möglicherweise erfolgt eine selektive Aggregation derart gekennzeichneter Moleküle, was wiederum Anlass zum Verpacken der Aggregate in die speziellen sekretorischen Vesikel gibt. Sowohl Transportvesikel als auch sekretorische Vesikel befördern natürlich nicht nur ihren Inhalt, sondern auch die sie umhüllende Membran an die Plasmamembran der Zelle, mit der sie verschmelzen. Dies müsste unweigerlich zu einer Vergrößerung der Membranfläche führen, was jedoch nicht eintritt. Die Oberflächenvergrößerung ist nämlich nur vorübergehend, da in der Plasmamembran nur ein geringer, für ihre Reparatur und Erneuerung notwendiger Anteil zurückgehalten wird. Der Rest des Membranmaterials wird durch Endocytose wieder von der Oberfläche entfernt und im Sinne einer Recyclisierung dem Golgi-Apparat zugeleitet. Die Verteilung der Membranbestandteile zwischen den einzelnen Zellkompartimenten weist somit ein Fließgleichgewicht auf. Zahlreiche Zellen haben einen polaren Charakter. Ihre Plasmamembran ist nicht rundum einheitlich, sondern hat spezielle Bezirke, meistens eine apikale und eine baso-laterale Domäne. Die Lipid- und Proteinkomponenten der Domänen weisen charakteristische Differenzen auf. Zum Beispiel treten Glykolipide nur in der apikalen Membran auf. Auch die Proteinausstattung unterschiedet sich: Wie bereits erwähnt (Abschnitt 1.1.2.10) kommt der Glucosetransporter SGLT 1 nur in der apikalen Membran der Dünndarmepithelzellen vor, während der GLUT 2 das für die baso-laterale Membran charakteristische Transportprotein ist. Eine interessante, noch nicht ganz geklärte Frage ist, wodurch die einzelnen Membrankomponenten, beziehungsweise die sie transportierenden Vesikel, an die richtige Membrandomäne „dirigiert“ werden. Auch bei dieser Transportentscheidung dürfte das Clathrin, genauso wie bei der Rückgewinnung des Membranmaterials, eine entscheidende Rolle spielen.
1.2.4 Das Lysosom Die Lysosomen sind durch eine einfache Membran begrenzte Zellorganellen von recht uneinheitlicher Morphologie, deren Durchmesser zwischen 0,05 und 0,5 μm schwankt. Das gemeinsame Merkmal, das diese Zellorganellen verbindet, ist ihr sehr hoher Gehalt an verschiedenen sauren Hydrolasen, die praktisch alle zellulären Makromoleküle hydrolytisch spalten können. Die etwa 40 unterschiedlichen Proteasen, Nucleasen, Glykosidasen, Lipasen, Phosphatasen, Phospholipasen und Sulfatasen der Lysosomen haben ihr Aktivitätsoptimum bei einem pH-Wert von etwa 5. Dieses saure intravesikuläre Milieu wird gegenüber dem cytosolischen pH-Wert von etwa 7,2 durch eine membrangebundene Protonenpumpe aufrechterhalten, die unter ATP-Verbrauch H+-Ionen aktiv in das Lumen der Lysosomen befördert. Die enzymatische Ausstattung der Lysosomen dient der Beseitigung sowohl zelleigener als auch fremder Makromoleküle, also der kontrollierten intrazellulären „Verdauung“. Die Membran der Lysosomen enthält auch weitere Transportproteine, die es ermöglichen, die Endprodukte des Abbaus von Makromolekülen aus dem Organell aus-
78
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
zuschleusen. Diese werden von der Zelle entweder weiter verwertet oder ausgeschieden. Alle Membranproteine des Lysosoms sind ungewöhnlich stark glykosyliert, vermutlich werden sie dadurch gegen die proteolytische Spaltung durch die lysosomalen Enzyme geschützt.
1.2.4.1
Das abzubauende Material gelangt auf unterschiedlichen Wegen in die Lysosomen
Man unterscheidet nach Herkunft der Moleküle oder Partikel, die durch die Enzyme der Lysosomen hydrolysiert werden, drei verschiedene Wege und schließlich drei unterschiedliche Subtypen von Lysosomen (Abbildung 1.39). Da diese sich nur durch die Inhaltsstoffe, die sie abbauen, unterscheiden und nicht durch den prinzipiellen Vorgang des Abbaus, ist die Einteilung in Subtypen von geringer Bedeutung. Wie in Abschnitt 1.1.3.11 besprochen, ist Endocytose einer der Wege zur Aufnahme von Substanzen aus dem extrazellulären Raum in die Zelle. Hierbei bilden sich aus der eingestülpten Plasmamembran die Endosomen, die die Substanzen weiter befördern. Diese gelangen in ein Intermediärkompartiment, das als Endolysosom bezeichnet wird und die Vorstufe des reifen Lysosoms ist. Die Reifung erfolgt durch die weitere Aufnahme Lysosomen-spezifischer Hydrolasen und Membranbestandteile, die aus dem ER stammen, sowie durch Absenken des intraluminalen pH-Wertes. Stammt das abzubauende Material aus der Zelle selbst, so wird ein anderer Weg eingeschlagen, der Autophagie genannt wird. Soll ein gealtertes Zellorganell, beispielsweise ein Mitochondrion, abgebaut werden, wird das Partikel von einer Membran, die von dem ER stammt, umhüllt. Damit entsteht ein Autophagosom, das mit einem LysoB
1.39
Entstehung unterschiedlicher Lysosom-Subtypen
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
79
som verschmilzt. Im so entstandenen Autophagolysosom werden die Makromoleküle des Partikels hydrolysiert. Der Vorgang der Autophagie scheint zellulär gesteuert zu sein und es können je nach Bedarf verschiedene Zellinhaltsstoffe abgebaut werden. Die Phagocytose großer Partikel, als dritter Weg der Materialaufnahme durch Lysosomen, wird nur in spezialisierten Zellen, wie Makrophagen und neutrophilen Granulocyten, realisiert. In diesen Zellen werden beispielsweise Mikroorganismen durch die eingestülpte Plasmamembran in Phagosomen eingeschlossen, die nach Verschmelzung mit Endolysosomen zu Phagolysosomen werden.
1.2.4.2
Lysosomen-Hydrolasen tragen Mannose-6-phosphat als Erkennungssignal
Die Lysosomen müssen sowohl mit speziellen Membranproteinen, zum Beispiel der H+ATPase, als auch mit der ganzen Palette der lysosomalen Enzymproteine ausgestattet werden. Auch diese Proteine werden am rER synthetisiert und müssen verläßlich an den Ort ihrer Wirkung – einerseits an die Membran des Organells, andererseits in sein Lumen – gelenkt werden. Das Aussortieren der Lysosomen-Hydrolasen und ihr rezeptorvermittelter Transport ist ein Modell für viele mittels Transportvesikel vermittelte Sortiervorgänge der Eukaryotenzelle. Wegen seiner Allgemeingültigkeit soll dieser relativ komplizierte Prozess, wenn auch etwas schematisiert, besprochen werden (Abbildung 1.40). Die am rER synthetisierten Hydrolasen sind Vorläufer der lysosomalen Enzyme, die als typische Glykoproteine N-gekoppelte Oligosaccharide mit mehren Mannoseresten tragen. An der cis-Seite des Golgi-Apparates werden mehrere solche Mannosereste in zwei enzymkatalysierten Schritten phosphoryliert. Das so entstandene Mannose-6phosphat (M6P) ist charakteristisch für die lysosomalen Hydrolasen und dient als
B
1.40
Eingliederung der Hydrolasen in das Lysosom ER = endoplasmatisches Reticulum; M6P = Mannose-6-phosphat
80
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Erkennungssignal für die weitere Lenkung dieser Enzyme. Bestimmte Signalbereiche in der Peptidkette der lysosomalen Hydrolasen sorgen dafür, dass die Phosphorylierung der Mannosereste auf diese Proteine begrenzt bleibt. Das Erkennungssignal ist um so effektiver, je mehr Mannosereste phosphoryliert worden sind. Enzymmoleküle, die Mannose-6-phosphat als Erkennungssignal tragen, werden von M6P-Rezeptoren, die in der Membran des trans-Golgi-Netzes integriert sind, erkannt und gebunden. Daraufhin schnüren sich Clathrin-umhüllte Vesikel ab, die den Enzym-M6P-Rezeptor-Komplex enthalten. Die Vesikel, die ihre Clathrinhülle bald verlieren, verschmelzen mit Endolysosomen, wodurch diese ihre charakteristischen Hydrolasen erhalten. Der im Lumen des Lysosoms herrschende niedrige pH-Wert bewirkt sowohl das Abdissoziieren des Enzyms aus dem Enzym-Rezeptor-Komplex als auch die hydrolytische Abspaltung des Phosphatrestes von der Mannose. Damit liegt nun die Hydrolase als reifes katalysefähiges Enzym im Lumen des Lysosoms vor. Der Membranbezirk des Lysosoms, in dem sich der M6P-Rezeptor befindet, ist solange von einer Clathrinhülle umgeben, bis sich ein Vesikel mit den integrierten Rezeptoren ablöst. Diese Vesikel transportieren den Rezeptor zurück zum trans-GolgiNetz, mit dem sie verschmelzen. Auf diese Weise können die Rezeptoren wieder verwendet werden.
1.2.5 Das Peroxisom Die Peroxisomen oder Mikrobodies, die in allen Eukaryotenzellen vorkommen, sind von einer einfachen Membran umhüllte Organellen mit einem Durchmesser von 0,15 bis 0,25 μm. Die Hepatocyten enthalten etwa 400 Peroxisomen pro Zelle und diese sind mit bis zu 1,50 μm größer als die in sonstigen Zellen. Auffallend an diesen Organellen ist, dass sie mehrere Enzyme enthalten, die unter Verbrauch von molekularem Sauerstoff Oxidationsreaktionen katalysieren. Die Einordnung der Peroxisomen hinsichtlich ihrer Genese bereitete der Evolutionsbiologie einige Probleme. Man nimmt heute an, dass sie Rudimente von Organellen sind, die in primitiven Eukaryotenzellen die Auseinandersetzung mit dem atmosphärischen Sauerstoff ermöglichten, bevor die Mitochondrien diese Aufgabe – wenn auch in anderer Form – übernommen haben (Abschnitt 1.2.6). Die Peroxisomen entstehen aus bereits existierenden Peroxisomen durch Wachstum und Teilung. Da sie weder DNA noch Ribosomen enthalten, stammt das hierzu notwendige Material vollständig aus dem Cytosol. Die meisten Proteine, die für den Import in die Peroxisomen vorgesehen sind, tragen am C-terminalen Ende ein Signaltripeptid aus Serin, Lysin und Leucin. Ein an der cytoplasmatischen Seite des Peroxisoms exponiertes Rezeptorprotein erkennt dieses Signal. Andere Proteine, die in das Peroxisom aufgenommen werden, scheinen ein solches Signal nicht zu haben: Die Katalase, ein Enzymprotein, das in den Peroxisomen in besonders hoher Konzentration vorkommt, gelangt in Form ihrer Untereinheiten ohne Vermittlung eines Signalpeptids in das Lumen des Organells. Das Zusammenfügen des Enzymtetramers und der Einbau des Häms, als Coenzym der Katalase, erfolgt dann im Lumen des Peroxisoms. Die Enzymkonzentration in den Peroxisomen ist häufig so hoch, dass sich kristallartige elektronendichte Proteinaggregate bilden.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.2.5.1
81
Mehrere Enzyme der Peroxisomen katalysieren Reaktionen, an denen molekularer Sauerstoff und Wasserstoffperoxid beteiligt sind
Die Oxidoreductase-Reaktionen, die sich in den Peroxisomen abspielen, werden durch drei Enzym-Typen katalysiert: Oxidasen, Peroxidasen und die Katalase. Bei den Oxidase-Reaktionen (Beispiel: D-Aminosäure-Oxidase, Urat-Oxidase), die in Gleichung 1.1 in allgemeiner Form dargestellt sind, entsteht bei der Übertragung des Wasserstoffs von einem reduzierten Substrat (R) auf molekularen Sauerstoff Wasserstoffperoxid. R · H2 + O2 → Oxidase → R + H2O2
(Gl. 1.1)
In den Peroxidase-Reaktionen (siehe Gl. 1.2) dient das in den Peroxisomen entstandene Wasserstoffperoxid dem oxidativen Abbau anderer Moleküle, zum Beispiel von Ethanol, Phenol, Formiat, Formaldehyd. H2O2 + R⬘H2 → Peroxidase → R⬘ + 2 H2O
(Gl. 1.2)
Ein erheblicher Anteil des Ethanols wird in der Leber durch diese Reaktion in Acetaldehyd überführt. Die Katalase-Reaktion (siehe Gl. 1.3) führt schließlich zum Abbau von Wasserstoffperoxid zu Wasser und Sauerstoff. 2 H2O2 → Katalase → 2 H2O + O2
(Gl. 1.3)
Das Wasserstoffperoxid, das bei zahlreichen Reaktionen auch außerhalb der Peroxisomen entsteht, ist ein Zellgift, da es infolge Radikalbildung Membranlipide, Proteine und Nucleinsäuren angreifen und zerstören kann. Die Entgiftung des Wasserstoffperoxids durch die Katalasereaktion dürfte die Hauptaufgabe der Peroxisomen sein.
1.2.5.2
In den Peroxisomen findet eine alternative Form des Fettsäureabbaus statt
Der stufenweise Abbau der Fettsäuren in der β-Oxidation findet in den Mitochondrien statt (Abschnitt 10.2.3.2). Besonders langkettige Fettsäuren (nC > 20) werden jedoch in den Peroxisomen durch eine „alternative β-Oxidation“ bis zu Fettsäuren mit 8 C-Atomen verkürzt, die dann weiter im Mitochondrion abgebaut werden. Das im ersten, durch die Acyl-CoA-Oxidase katalysierten Schritt entstandene FADH2 steht, im Gegensatz zur mitochondrialen Fettsäureoxidation, nicht der Atmungskette zur Verfügung. Dieses FADH2 wird durch die Oxidase rückoxidiert, wobei Wasserstoffperoxid entsteht, das dann durch die Katalase abgebaut wird (Abschnitt 1.2.5.1). Die in den Peroxisomen ablaufenden Schritte des Fettsäureabbaus dienen somit nicht der Energiegewinnung. Die weiteren Schritte der β-Oxidation sind denen im mitochondrialen System analog. Neben dieser initialen β-Oxidation langkettiger Fettsäuren erfolgt in den Peroxisomen – ebenfalls durch β-Oxidation – auch die Verkürzung der Cholesterin-Seitenkette bei der Biosynthese der Gallensäuren (Abschnitt 9.5.3).
82
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
1.2.6 Das Mitochondrion Mitochondrien sind auch lichtmikroskopisch erkennbare Organellen, die in jeder Eukaryotenzelle vorkommen. Beinahe alle sauerstoffverbrauchenden Reaktionen der Zelle spielen sich in diesen „Energieumwandlern“ ab. Hinsichtlich ihrer Anzahl, Größe und Form sind die Mitochondrien der einzelnen Zelltypen recht unterschiedlich. Eine Rattenleberzelle beispielsweise enthält 1 000 bis 2 000 dieser Organellen, die 20 bis 25 % des Zellvolumens einnehmen; in manchen Oocyten gibt es mehr als 10 000 Mitochondrien. Die Anzahl richtet sich im allgemeinen nach dem Energiebedarf der Zelle. Die Dimensionen der Mitochondrien entsprechen in etwa denen von Bakterien: ihre Länge wird mit 2 bis 8 μm, ihre Breite mit 0,2 bis 1 μm angegeben, obgleich es auch kugelförmige Varianten gibt. Insgesamt weist die Form nicht nur Variabilität, sondern auch eine gewisse Plastizität auf. Je nach Funktionszustand der Zelle sind die Mitochondrien auch zu Ortswechsel befähigt und sammeln sich in der Nähe von Zellbezirken mit hohem ATP-Verbrauch an. Mitochondrien sind mit einer äußeren und einer inneren Membran ausgestattet, die hinsichtlich ihrer chemischen Zusammensetzung und ihrer Funktion unterschiedlich sind. Die beiden Membranen sind durch einen Zwischenraum, den Intermembranraum, getrennt, der als eigenes Kompartiment aufgefasst werden kann (Abbildung 1.41). Die innere Membran ist die Begrenzung der mitochondrialen Matrix. Diese Membran weist zahlreiche Einstülpungen, Cristae genannt, auf, die ihre Oberfläche stark vergrößern. Die Ausbildung der Cristae variiert ebenfalls in Abhängigkeit vom Aktivitätszustand und damit dem aktuellen ATP-Bedarf der Zelle.
ä
1.41
1.2.6.1
Schema eines Mitochondrions
Mitochondrien sind Endosymbionten der Eukaryotenzelle
Nach der Endosymbionten-Hypothese sind die Mitochondrien aus aeroben Prokaryoten – wahrscheinlich Purpurbakterien – hervorgegangen. Die Integration dieser Aerobier in primitive Eukaryoten war eine Folge der Anreicherung von Sauerstoff in der Biosphäre vor rund 1,5 Milliarden von Jahren. Die Aufnahme der Aerobier brachte den Anaerobier-„Wirtszellen“ den evolutionären Vorteil einer vielfach höheren Energiegewinnung, da sie das System der oxidativen Phosphorylierung des Symbionten für sich nutzten. Die Mitochondrien haben als Relikt ihrer Abstammung ein dem Bakteriengenom ähnliches, ringförmig angeordnetes Genom konserviert, die mitochondriale DNA
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
83
(mtDNA). Sie können also als semiautonome Organellen aufgefasst werden, die zur Synthese von RNA und Protein befähigt sind. Die in der mtDNA codierte Information reicht allerdings nur für die Synthese von etwa 5 % der Proteine aus, die für die Existenz und Vermehrung der Mitochondrien notwendig sind. Der Rest der mitochondrialen Proteine wird im Kern codiert, an cytoplasmatischen Ribosomen synthetisiert und durch spezielle Mechanismen in die Mitochondrien importiert (Abschnitt 1.2.6.6; Exkurs 1.5). Es wird angenommen, dass während der frühen Evolution der Eukaryoten ein lebhafter Gentransfer von der Mitochondrien-DNA zur Kern-DNA stattgefunden hat. Das würde erklären, weshalb einige Gene des Kerns für mitochondriale Proteine codieren. Alle Mitochondrien enthalten mehrere Kopien der mtDNA, die auf getrennte Cluster in der mitochondrialen Matrix verteilt sind. Die mtDNA enthält, ebenso wie die bakterielle DNA, keine Histone. Die Größe des mitochondrialen Genoms der einzelnen Organismen weist beträchtliche Unterschiede auf. Die menschliche mtDNA, die sequenziert ist, enthält 16 569 Basenpaare, im Vergleich zu den 5,8 × 109 Basenpaaren der Kern-DNA. Bei einigen höheren Pflanzen ist die mtDNA mehr als hundertmal größer als bei den Säugetieren, ohne dass die Anzahl der codierten Proteine signifikant höher wäre. Sowohl die Zellteilung als auch der kontinuierliche Abbau gealterter Organellen macht es notwendig, Mitochondrien zu ersetzen. Sie werden jedoch niemals de novo geschaffen, sondern entstehen durch Teilung bereits vorhandener Mitochondrien. Dem Beginn der Teilung geht ein Wachstum voraus, das etwa zu einer Verdoppelung der Masse des Mitochondrions führt. Alle Mitochondrien menschlicher Zellen sind Abkömmlinge der Mitochondrien der Eizelle, da die Mitochondrien der Spermien bei der Befruchtung nicht in die Eizelle eindringen.
EXKURS 1.5 Die mitochondriale DNA und ihre Leistung Die Mitochondrien besitzen ein eigenes Genom in Form großer, ringförmig angeordneter DNA-Moleküle. Die mitochondriale DNA (mtDNA) ist im Matrixraum lokalisiert und stellenweise an die innere Membran des Mitochondrions angeheftet. Je nach Tierart sind in jedem Organell zwei bis zehn mtDNA-Moleküle, wobei mehrere von ihnen Aggregate bilden können, ohne mit Histonen assoziiert zu sein. In Säugerzellen entfällt nur etwa 1% des gesamten DNA-Bestandes auf die mtDNA. Das mitochondriale Genom hat nur eine begrenzte Codierungskapazität; die Mitochodrien sind also zu einem autonomen Eigenleben nicht befähigt. Der Informationsgehalt der mtDNA ist bei allen tierischen Organismen etwa gleich und scheint genauso stark konserviert zu sein wie die mitochondriale Struktur und das biochemische Potential der Mitochondrien Die mtDNA kann sich replizieren und die in ihr enthaltene Information kann durch Transkription und Translation in Proteine übersetzt werden. Es steht mit dem endosymbiontischen Ursprung der Mitochondrien im Einklang, dass mehrere Reaktionsschritte bei diesen Prozessen denen der Prokaryoten ähneln. Die beiden Stränge der mtDNA – der C-reiche L-Strang und der G-reiche HStrang – sind unterschiedlich dicht. Die Replikation der mtDNA weist Besonderheiten auf: Sie beginnt an einem etwa 500 Nucleotide umfassenden Bereich, in dem die mtDNA oft eine Drei-Strang-Struktur aufweist, da die beiden ursprünglichen Stränge der mtDNA durch ein kurzes DNA-Stück auseinander gedrängt werden.
䊳
84
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Dieses als D-loop (D von displacement abgeleitet) bezeichnetes kurzes DNA-Stück ist zum L-Strang komplementär. Nachdem der L- und der H-Strang repliziert worden sind, bildet eine spezifische Gyrase aus beiden eine superhelikale Struktur. Die Transkription findet an beiden Strängen der mtDNA statt und die Transkripte enthalten die komplette Sequenz je eines der Stränge. Die langen Transkripte werden noch während der Transkription durch Ribonucleasen in die einzelnen tRNA, rRNA und mRNA zerschnitten. Bei der Transkription der mtDNA entstehen mit nur 22 wesentlich weniger tRNAs als bei der Kern-DNA. Man nimmt an, dass die starke Reduktion der Anzahl der tRNA im Mitochondrion dadurch möglich ist, dass die mitochondrialen tRNA eine Struktur haben, die eine höhere Flexibilität der CodonAnticodon-Paarung erlaubt. Wie Tabelle 1 zeigt, weicht der mitochondriale Code vom Standardcode ab: In humanen Mitochondrien wird UGA als Codon für Tryptophan gelesen und nicht als Stopsignal; AGA und AGG, die im Standardcode Arginin codieren, sind im mitochondrialen Code Startsignale; weiterhin codiert AUA das Methionin, nicht wie im Standardcode das Isoleucin.
Tabelle 1: Besonderheiten des mitochondrialen Codes Codon
Standardcode
mitochondrialer Code
UGA UGG
Stop Trp
Trp Trp
AUA AUG
Ile Met
Met Met
AGA AGG
Arg Arg
Stop Stop
Sowohl im L-Strang als auch im H-Strang des mtDNA ist annähernd jedes der dicht aneinander gereihten Nucleotide Teil einer codierenden Sequenz. Regulatorische Sequenzen gibt es kaum, die cap-Sequenz am 5⬘-Ende ist ebenfalls nicht vorhanden. Die Ribosomen, an denen die mitochondriale Polypeptidsynthese stattfindet, sind vom prokaryotischen 70S-Typ. Die menschliche mtDNA enthält die Information für die 22 tRNA, für 2 rRNA und für 13 Proteine. Der größte Teil der proteincodierenden Kapazität der mtDNA wird zur Synthese von sieben Untereinheiten der NADH-Q-Reductase, einer Untereinheit der Cytochrom-Reductase und drei Untereinheiten der Cytochrom-Oxidase genutzt (Abschnitt 5.2.2.1). Durch die mitochondriale Synthese werden nur etwa 10% der Proteine geliefert, die das Mitochondrion für seine zahlreichen biochemischen Funktionen benötigt. Die restlichen 90% werden aus dem Cytosol importiert, wobei es sich um einen unidirektionalen Substratfluss handelt, da keines der mitochondrialen Syntheseprodukte exportiert wird.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.2.6.2
85
Außen- und Innenmembran des Mitochondrions weisen signifikante Unterschiede auf
Wie bereits erwähnt, ist das Mitochondrion von zwei Membranen umgeben, wodurch zwei Reaktionsräume mit völlig unterschiedlichen Funktionen entstehen: der Intermembranraum und der Matrixraum. Die funktionelle Verschiedenheit dieser beiden Räume kommt nicht zuletzt durch die Eigenschaften der beiden Membranen zustande. Das Protein-Lipid-Verhältnis in der äußeren Membran beträgt circa 1,1 : 1. Diese Membran erinnert an die Außenhülle Gram-negativer Bakterien. Sie enthält außerdem relativ viel Cholesterin. Charakteristisch für die Außenmembran des Mitochondrions ist, dass zahlreiche Kopien eines Kanalproteins, des Porins, in sie integriert sind. Die Poren derartiger kanalbildender Proteine sind relativ groß und im Gegensatz zu den selektiven Ionenkanälen wenig spezifisch. Für Moleküle kleiner als 10 kDa sind die wassergefüllten Poren durchlässig. Dadurch ist die Zusammensetzung des Intermembranraumes und des cytosolischen Raumes hinsichtlich kleinerer Moleküle beinahe identisch. Dennoch sind im Intermembranraum einige spezifische Reaktionsvorgänge lokalisiert. Hier spielt sich unter anderem die Aktivierung langkettiger Fettsäuren ab, zunächst mittels Coenzym A, der dann die Übertragung auf Carnitin folgt. Das Enzym, dass die Transferreaktion katalysiert, die Carnitin-O-Palmitoyl-Transferase, ist an die äußere Oberfläche der inneren Membran gebunden und ragt mit dem katalytischen Zentrum in den Intermembranraum (Abschnitt 10.2.3.1). Dieser Raum enthält auch mehrere Enzyme, die den Phosphatrest vom ATP, das aus dem Matrixraum abgegeben wird, auf andere Nucleotide übertragen. In der inneren Mitochondrienmembran ist das Protein-Lipid-Verhältnis 3,2 : 1. Der sehr hohe Proteinanteil ist auf die zahlreichen Enzymproteine und ebenfalls sehr viele Transportproteine zurückzuführen, die integrale Bestandteile dieser Membran sind. Neben dem insgesamt geringen Phospholipidanteil und dem fast völligen Fehlen von Cholesterin ist für diese Membran ein spezifisches Phospholipid, das Cardiolipin (Diphosphatidylglycerin) charakteristisch (Abbildung 1.3). Das Vorkommen dieses typischen Phospholipids der Bakterienmembran in den Mitochondrien war der erste Hinweis auf den Endosymbionten-Charakter dieser Organellen. Es wird angenommen, dass das reichliche Vorkommen von Cardiolipin dafür verantwortlich ist, dass die innere Membran des Mitochondrions für Ionen besonders undurchlässig ist. Die innere Membran stellt die eigentliche Permeationsbarriere des Mitochondrions dar. Für alle Moleküle, mit Ausnahme von O2, CO2 und H2O, ist diese Membran impermeabel. Die hohe Stoffwechselaktivität des Organells erfordert allerdings einen intensiven Stoffaustausch mit der Umgebung, die durch zahlreiche Transportproteine vermittelt wird. Die innere Mitochondrienmembran ist in viel höherem Maße als sonstige biologische Membranen nicht nur die Begrenzung eines Kompartiments, sondern selbst ein Funktionsraum. Sie ist der Ort für vektorielle Reaktionsketten, die der Umwandlung und Konservierung biologischer Energie dienen. Unerlässlich für die Erfüllung dieser Aufgabe ist die hochgradige Impermeabilität dieser Membran, die nur durch hochspezialisierte, meist asymmetrisch arbeitende Transportsysteme überwunden werden kann.
86
1.2.6.3
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Beim oxidativen Stoffwechsel der Mitochondrien sind mehrere Prozesse aneinander gekoppelt
Die wichtigste energiereiche Verbindung des Zellstoffwechsels ist bekanntlich das Adenosintriphosphat (ATP). Der weitaus größte Teil des ATP, das die Zelle zur Energieversorgung ihrer zahlreichen Leistungen benötigt, wird durch die Mitochondrien zur Verfügung gestellt, weshalb diese Organellen häufig als „Kraftwerke der Zelle“ apostrophiert werden. Die mitochondriale ATP-Synthese ist das Endglied mehrerer aneinander gekoppelter Stoffwechselketten, die in ihrer Gesamtheit den oxidativen Stoffwechsel der Mitochondrien ausmachen (Abschnitt 5.2). Prinzipiell können alle Verbindungen, die Reduktionsäquivalente liefern, oxidativ verstoffwechselt werden. Beim Menschen werden für diesen Zweck vor allem die Hauptnährstoffe, das heißt Kohlenhydrate, Fette und Aminosäuren, eingesetzt. Die Fettsäuren und das Pyruvat, das als Endprodukt der Glykolyse im Cytosol entsteht, sind die quantitativ überwiegenden Verbindungen, die selektiv in die mitochondriale Matrix transportiert werden und dort als Substrate der „biologischen Atmung“ dienen. Fettsäuren und Pyruvat werden intramitochondrial in „aktivierte Essigsäure“, das heißt in Acetyl-CoA, umgewandelt. Im Falle der Fettsäuren geschieht dies in der β-Oxidation (Abschnitt 10.2.3.2), im Falle des Pyruvats durch die Pyruvat-DehydrogenaseReaktion (Abschnitt 9.3.4). Das bei diesen – und bei einigen quantitativ weniger bedeutenden – Reaktionsfolgen entstandene Acetyl-CoA wird im Tricabonsäurecyclus zu CO2 oxidiert, wobei NADH und FADH2 entstehen. Obwohl der Tricarbonsäurecyclus Teil des aeroben Metabolismus ist, macht keine seiner Reaktionen unmittelbar Gebrauch von molekularem Sauerstoff. Die energiereichen Elektronen werden in diesem Cyclus in Form von NADH und FADH2 gebunden. Diese reduzierten Coenzyme sind dann Substrate der Elektronentransportkette – auch Atmungskette genannt –, in der die Elektronen mit molekularem Sauerstoff zu Wasser vereinigt werden. Dies ist eine stark exergone Reaktion, deren freiwerdende Energie dazu benutzt wird, Protonen von der Matrixseite der inneren mitochondrialen Membran in den Intermembranraum zu pumpen. Dadurch wird ein elektrochemischer Protonengradient über die innere Membran aufgebaut, der eine protonenmotorische Kraft darstellt. Diese Kraft resultiert aus dem Membranpotential und dem Protonen-Konzentrationsgradienten. Protonenspezifische Kanäle der ATP-Synthase ermöglichen den Wiedereintritt der im Intermembranraum aufgestauten Protonen in den Matrixraum. Die protonenmotorische Kraft, die die Protonen zurücktreibt, liefert die Energie zur Synthese von ATP aus ADP und Pi. Wegen der energetischen Kopplung an die Atmungskette wird dieser Prozess auch Atmungsketten-Phosphorylierung oder oxidative Phosphorylierung genannt. Abbildung 1.42 veranschaulicht schematisch diese vereinfacht beschriebenen Prozesse des oxidativen Stoffwechsels in den Mitochondrien, die in Abschnitt 5.2.2 detailliert besprochen werden. Wie erwähnt, stammt das Acetyl-CoA, das vom Tricarbonsäurecyclus als Substrat verwendet wird, fast ausschließlich aus der β-Oxidation der Fettsäuren und aus der dehydrierenden Decarboxylierung des Pyruvats. Sowohl die Enzyme der β-Oxidation als auch der Multienzymkomplex der Pyruvat-Dehydrogenase befinden sich in der mitochondrialen Matrix. Das Acetyl-CoA kann somit im Tricabonsäurecyclus, dessen Enzyme ebenfalls im Matrixraum lokalisiert sind, direkt verwertet werden, ohne dass Transportvermittler notwendig wären.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
87
ä
ä ä
1.42
Schema der intramitochondrialen Kopplung zwischen Tricarbonsäurecyclus und ATP-Synthese
Die Reduktionsäquivalente, die sowohl in der β-Oxidation als auch im Tricabonsäurecyclus als NADH bzw. FADH2 produziert werden, stehen ebenfalls ohne Wechsel des Kompartimentes für die Elektronentransportkette zur Verfügung. Alle Enzyme und sonstige Proteine dieser Kette – mit Ausnahme des Cytochrom C – sowie die ATPSynthase sind integrale Bestandteile der inneren Mitochondrienmembran. Die enge räumliche Nachbarschaft dieser aneinander gekoppelten metabolischen Ketten ist zweifelsohne von erheblichem Vorteil, da Transportvorgänge über die impermeable Innenmembran fast immer mit Energieverbrauch verbunden sind.
1.2.6.4
Die miteinander vernetzten Prozesse des oxidativen Stoffwechsels bedürfen einer koordinierten Regulation
Der oxidative Stoffwechsel ist für die Lebensfähigkeit der Zelle von zentraler Bedeutung, was eine feinregulierte Kontrolle seines Ablaufs unerlässlich erscheinen lässt. Das Kontrollsystem funktioniert hauptsächlich nach dem Prinzip einer Selbstregulation, bei der die Verfügbarkeit von ADP den steuernden Faktor darstellt. Bei hohem ATPVerbrauch entsteht viel ADP als Spaltprodukt. Dies ermöglicht eine Erhöhung der ATPSynthese, zu deren Energetisierung der Protonenrückfluss in die Matrix beschleunigt wird. Der abfallende Protonengradient steigert wiederum die Geschwindigkeit des Elektronentransports und als Konsequenz die Nachlieferung der reduzierenden Äqui-
88
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
valente durch den Tricarbonsäurecyclus. Es existiert ein fein abgestimmtes, ineinandergreifendes System von Rückkopplungsmechanismen, das schließlich auch die weiteren vorgeschalteten Prozesse, wie Fettsäureabbau und Glykolyse, einbezieht. Die oxidative Phosphorylierung bedeutet eine erhebliche Verbesserung der Energieausbeute gegenüber dem anaeroben Abbau von Substraten. Tabelle 1.11 enthält einen Vergleich der ATP-Ausbeute bei vollständiger Oxidation eines Glucosemoleküls und beim glykolytischen Abbau bis zur Stufe des Pyruvats. Die anaerobe Verstoffwechselung der Glucose liefert im Cytoplasma lediglich 2 Mol ATP pro Mol Substrat, die in der Pyruvat-Kinase-Reaktion (Abschnitt 9.3.1) entstehen. Die darüberhinaus gewonnenen Energieäquivalente von 34 (oder 36) Mol ATP entstehen durch die intramitochondrialen Prozesse. Tabelle 1.11: ATP-Ausbeute bei vollständiger Oxidation von Glucose Biochemischer Prozess
Produkt
Anzahl der gewonnen ATP-Moleküle
Glykolyse
2 NADH (Cytosol) 2 ATP 2 NADH (Mito.-Matrix)
4 2 6
6 NADH (Mito.-Matrix) 2 FADH2 2 ATP (bzw. 2 GTP)
18 4 2
Pyruvat-Oxidation (Pyruvat-DH-Reakt.) 2mal/Glucose Acetyl-CoA-Oxidation (Tricarbonsäurecyclus) 2mal/Glucose Gesamtausbeute pro Molekül Glucose
bzw 6*
36 bzw 38*
* abhängig vom Austauscher-System, das für den NADH-Transfer in die Matrix benutzt wurde (Abschnitt 1.2.6.6)
Die oxidative Phosphorylierung gilt als Höhepunkt der Entwicklung aller energieliefernden Prozesse bei aeroben Organismen. Die Aufrechterhaltung der komplexen Strukturen sowie die aufwendigen Biosynthese- und Transportprozesse der Eukaryotenzelle sind auf Energiebeiträge angewiesen, die nur auf aerobem Wege, durch die mitochondriale ATP-Synthese, zu gewinnen sind.
1.2.6.5
Im Mitochondrion finden auch weitere Reaktionen statt, die nicht direkt zur Prozessfolge des oxidativen Stoffwechsels gehören
In Tabelle 1.12 sind die wichtigsten mitochondrialen Stoffwechselprozesse zusammengefaßt, die sich ganz oder teilweise in diesem Organell abspielen. Die ATP-Synthese und die ihr direkt zugeordneten metabolischen Vorgänge – β-Oxidation, Pyruvat-Dehydrogenase-Reaktion und Elektronentransport – sind zweifelsohne die auch quantitativ bedeutendsten Leistungen des Mitochondrions. Sie sind allerdings nicht die einzigen, die sich im Verlauf der Evolution mit ihrer enzymatischen Ausstattung dort angesiedelt haben. Das in der β-Oxidation entstandene Acetyl-CoA wird nicht allein im Tricarbonsäurecyclus verwertet, sondern ist bei überreichlichem Fettsäureangebot auch Substrat der Ketonkörper-Synthese, die eine spezifische Leistung der Hepatocyten ist (Abschnitt
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
89
Tabelle 1.12: In Mitochondrien lokalisierte Reaktionsketten (Auswahl) Metabolischer Prozess
Produkte
ganz/ teilweise intramitoch.
mitoch. Organe Subkompartiment
Transkription/Translation der mtDNA
kleine u. große rRNA/tRNA f. 22 Aminosäuren/ 13 Polypeptide Acetyl-CoA/ FADH2/NADH Acetyl-CoA/ CO2/NADH
ganz
Matrix
ubiquitär
ganz
Matrix
ubiquitär
ganz
Matrix
ubiquitär
NADH/ FADH2/CO2 Elektronentransportkette Ionengradient
ganz
Matrix
ubiquitär
ganz
ubiquitär
ATP-Synthese
ATP
ganz
Ketonkörper-Synthese Ketonkörper-Abbau
Acetoacetat Acetyl-CoA
ganz ganz
innere Membran innere Membran Matrix Matrix
Gluconeogenese
Oxalacetat (Malat)
Harnstoffcyclus
Citrullin
teilweise, 2 Initialschritte teilweise, 2 Initialschritte
β -Oxidation der Fettsäuren Dehydrierende Decarboxylierung des Pyruvats (Pyruvat-Dehydrog.) Tricarbonsäurecyclus
Matrix
Matrix
ubiquitär Leber extrahepatisch Leber/ Niere Leber
9.5.1). Das Produkt dieser Synthese, das Acetoacetat, wird ausschließlich außerhalb der Leber verwertet, durch Enzyme, die ebenfalls intramitochondrial lokalisiert sind. Das beim Abbau von Acetoacetat entstehende Acetyl-CoA ist somit im Mitochondrion, das heißt an Ort und Stelle, für Zwecke der Energiegewinnung verfügbar. Dies ist sinnvoll, da Acetyl-CoA selbst die Barriere der inneren Membran des Mitochondrions nicht überwinden kann. Dennoch ist es notwendig auch den cytosolischen Raum mit Acetyl-CoA, das in nennenswerten Mengen ausschließlich im Mitochondrion entsteht, zu versorgen. Das Acetyl-CoA wird im Cytosol als primäres Substrat sowohl für die Fettsäuresynthese (Abschnitt 10.2.1) als auch für die Cholesterinsynthese (Abschnitt 9.6) benötigt. Um die Versorgung dieser beiden Biosynthesen mit Acetyl-CoA zu gewährleisten, ist ein Umweg notwendig: das Citrat, das durch die katalytische Aktion der Citratsynthase aus Acetyl-CoA und Oxalacetat entsteht, wird dem Tricarbonsäurecyclus entzogen, über ein spezifisches Transportprotein in das Cytosol geschleust und dort durch einen energieverbrauchenden Prozess in Oxalacetat und Acetyl-CoA gespalten (Abschnitt 10.2.1). Die räumliche Trennung des Fettsäureabbaus und der Fettsäuresynthese hat trotz des energiebeanspruchenden Transfers von Acetyl-CoA den Vorteil, dass Abbau und Auf-
90
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
bau der Fettsäuren unabhängig voneinander reguliert werden können und so einer unsinnigen Recyclisierung des Acetyl-CoA vorgebeugt wird. Die Gluconeogenese, an sich eine cytosolische Stoffwechselleistung, beginnt mit zwei enzymatischen Initialschritten in der mitochondrialen Matrix. Diese räumliche Trennung der Gluconeogenese ist darauf zurückzuführen, dass die Glucosesynthese aus Pyruvat durch einfache Umkehrung der Glykolyse energetisch nicht möglich ist, sondern ein Umweg unter Einbeziehung von Oxalacetat gewählt wird (Abschnitt 9.3.3). Die Carboxylierung von Pyruvat zu Oxalacetat ist ebenfalls ein intramitochondrialer Vorgang. Erst das Ausschleusen des Oxalacetats in der reduzierten Form, das heißt als Malat, aus dem Mitochondrion ermöglicht die weiteren Schritte in Richtung Gluconeogenese (Abschnitt 9.3.3). Auch die beiden Initialschritte einer weiteren wichtigen hepatischen Leistung, der Harnstoffsynthese, sind intramitochondrial lokalisiert. Die in Tabelle 1.12 aufgelisteten Reaktionen sind nur einige wichtige Beispiele; Teile der Hämsynthese, die Bildung von Steroidhormonen aus Cholesterin, verschiedene Schritte des Aminosäurestoffwechsels und viele andere mehr spielen sich ebenfalls im mitochondrialen Kompartiment ab.
1.2.6.6
Verschiedene Transportsysteme ermöglichen den Stoffaustausch über die innere Membran des Mitochondrions
Die im Mitochondrion lokalisierten biochemischen Reaktionen müssen selbstverständlich mit Substraten und Cofaktoren versorgt werden. Ebenso müssen der Hauptteil der Syntheseprodukte sowie die dort nicht weiter verwendbaren Metaboliten den mitochondrialen Raum verlassen. Die bereits betonte ausgeprägte Impermeabilität der inneren Membran lässt katalysierte Transportprozesse unerlässlich erscheinen. Tatsächlich beruht der Proteinreichtum der inneren Membran – neben den in ihr integrierten Enzymen – auf dem Vorhandensein zahlreicher Transportproteine. Die Elektronenübertragung im Mitochondrion dient primär der Bereitstellung von Energie für die ATP-Synthese. Gleichzeitig muss jedoch ein relativ hoher Betrag dieser Energie für den Betrieb der Transportprozesse aufgewendet werden, die wiederum die direkten und indirekten Substrate, für die aneinandergekoppelten Reaktionsketten des oxidativen Stoffwechsels, in das Mitochondrion befördern. Die Transportvorgänge durch die innere Membran sind auf Carrier angewiesen, die fast ausschließlich als Antiporter und Symporter arbeiten und von Protonengradienten und/oder vom Membranpotential angetrieben werden. Eines der Transportsysteme ist der Adenosinnucleotid-Translokator, dessen Funktion in Abbildung 1.43 dargestellt ist. Dieses integrale Transmembranprotein der inneren Membran ist ein Antiporter. Von der Matrixseite der Membran wird ein vierfach negativ geladenes ATP4– an die Außenseite der inneren Membran geschafft, was durch die dort herrschende hohe H+-Konzentration begünstigt wird. Im Austausch gegen das ATP4– wird ein dreifach negativ geladenes ADP3– auf die Matrixseite transportiert. Der Austausch von ATP4– gegen ADP3– bewirkt einen Netto-Ausstrom von negativer Ladung. Die Synthese von ATP aus ADP ist zusätzlich auf Einfuhr von Phosphat angewiesen, ein Transportvorgang, der durch den Phosphat-Translokator, der als Symporter funktioniert, katalysiert wird. Dieser Transporter ist für H2PO4– spezifisch und der Übertritt des Phosphats zur Matrixseite erfolgt zusammen mit H+. Der Import von H+ in Rich-
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.43
91
An die ATP-Synthese gekoppelte Transportsysteme der inneren Membran des Mitochondrions
tung Matrixraum wird durch die dort herrschende niedrige Protonenkonzentration gefördert. Bei diesem Transportvorgang gibt es keine Netto-Ladungsverschiebung. Die protonenmotorische Kraft energetisiert somit sowohl die ATP-Synthese durch die ATP-Synthase als auch den Transport der Substrate ADP und Pi in Richtung Matrixraum, genauso wie den Transport des Produkts, das heißt des ATP, nach außen, in Richtung Cytosol. Der Hauptanteil des NADH, das der Elektronentransportkette als Substrat dient, entsteht intramitochondrial durch die β-Oxidation der Fettsäuren, im Tricarbonsäurecyclus und durch die Pyruvat-Dehydrogenase-Reaktion. Es gibt allerdings auch mehrere cytosolische Reaktionen, zum Beispiel in der Glykolyse, die NADH liefern. Damit es im Cytosol zu keiner Anhäufung von NADH und damit zu einem Mangel an NAD kommt, müssen die Reduktionsäquivalente für die Atmungskette intramitochondrial zur Verfügung gestellt werden. NADH kann jedoch weder durch die innere Membran des Mitochondrions penetrieren, noch existieren dort Transportsysteme für die Nicotinadeninnucleotide, die in der Zelle streng kompartimentiert sind. Diese Schwierigkeit wird durch zwei Austauscher*-Systeme gelöst: den in Leber, Niere und Herz vorkommenden Malat-Aspartat-Austauscher und den α-Glycerophosphat-Austauscher, der im Skelettmuskel und wahrscheinlich auch im Gehirn vorkommt. Die Funktionsweise der beiden Austauscher-Systeme ist in Abbildung 1.44 A und B dargestellt. Beim quantitativ bedeutenderen Malat-Aspartat-Austauscher werden die * auch Shuttle-Systeme genannt
92
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
A
IMM = innere mitochondriale Membran MDHc = Malat-Dehydrogenase, cytosolisch MDHm = Malat-Dehydrogenase, mitochondrial ASAT = Glutamat-Oxalacetat-Transaminase M-K-Carrier = Malat-Ketoglutarat-Carrier A-G-Carrier = Aspartat-Glutamat-Carrier
B
ÄMM = äußere mitochondriale Membran IMM = innere mitochondriale Membran GPDHc = Glycerophosphat-Dehydrogenase (cytosolisch) GPDHm = Glycerophosphat-Dehydrogenase (mitochondrial) DHAP = Dihydroxyacetonphosphat α-GP = α-Glycerophosphat Qox = Ubichinon (oxidiert) Qred = Ubichinon (reduziert) 1.44
Austauscher-Systeme zur Übertragung von Reduktionsäquivalenten aus dem Cytosol in die mitochondriale Matrix A. Malat-Aspartat-Austauscher; B. α-Glycerophosphat-Austauscher
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
93
Reduktionsäquivalente vom cytosolisch produzierten NADH durch die MalatDehydrogenase auf Oxalacetat übertragen. Das entstandene Malat kann die innere mitochondriale Membran durch Vermittlung eines Malat-α-Ketoglutarat-Austauschers ohne weiteres überwinden. Im Matrixraum ist die mitochondriale Isoform der MalatDehydrogenase vorhanden, die in Umkehrung der cytosolischen Reaktion das Malat zu Oxalacetat dehydriert und den Wasserstoff auf NAD überträgt. Damit stehen die Reduktionsäquivalente als NADH dem Elektronentransportsystem zur Verfügung, und wenn das Elektronenpaar an O2 weitergeben wird, werden drei Moleküle ATP erzeugt. Das System muss noch regeneriert werden. Das Oxalacetat kann den Matrixraum nicht ohne weiteres verlassen, da die innere Membran keinen Carrier für diese Ketodicarbonsäure hat. Für das Ausschleusen des Kohlenstoffskeletts von Oxalacetat ist ein Umweg erforderlich, der über die mitochondriale Isoform der Glutamat-OxalacetatTransaminase führt. Für die weiteren Reaktionspartner dieser Transaminierung – Glutamat, Aspartat, α-Ketoglutarat – besitzt die Membran entsprechende Carrier, die in beide Richtungen transportieren. Im Cytosol existiert ebenfalls eine Isoform der Glutamat-Oxalacetat-Transaminase, die wie alle Transaminasen, reversibel katalysiert. Die NH2-Gruppe des Aspartats wird auf α-Ketoglutarat übertragen. Das Oxalacetat ist somit regeneriert und steht für einen neuen Cyclus des Austauschers zur Verfügung. Der α-Glycerophosphat-Austauscher ist weniger kompliziert und ist nur auf ein Enzympaar angewiesen, auf die cytosolische beziehungsweise mitochondriale Isoform der α-Glycerophosphat-Dehydrogenase. Auf der cytosolischen Seite überträgt das Enzym die Reduktionsäquivalente von NADH auf Dihydroxyacetonphosphat. Das entstandene α-Glycerophosphat wird von der mitochondrialen Form der α-Glycerophosphat-Dehydrogenase dehydriert, wobei die Reduktionsäquivalente auf FAD übertragen werden. Die mitochondriale Isoform der α-Glycerophosphat-Dehydrogenase ist in die innere Membran des Mitochondrions integriert und leitet den Wasserstoff direkt in die Atmungskette, an Komplex III, weiter (Abschnitt 5.2.2.1). In der Bilanz werden in diesem Falle nur zwei Moleküle ATP gewonnen, dafür müssen die Substrate nicht über die innere Membran transportiert werden. Voraussetzung für das Funktionieren derartiger Austauscher-Systeme ist das Vorhandensein von Substratpaaren, die reversibel hydriert beziehungsweise dehydriert werden können, sowie die Existenz entsprechender Dehydrogenasen in den beiden Kompartimenten. Der erwähnte Malat-α-Ketoglutarat-Austauscher ist nur eines der Anionen-Antiportsysteme. Citrat tritt durch einen Tricarboxylat-Carrier ins Cytosol über, wo sein Spaltprodukt , das Acetyl CoA, Substrat der Fettsäuresynthese ist. Für den Import von Pyruvat in den Matrixraum ist ein H+-getriebener Pyruvat/H+-Symporter verantwortlich. Ein geregelter Ca2+-Influx in das Mitochondrion ist aus zwei Gründen von Bedeutung: Erstens spielt Ca2+ bei vielen enzymatischen Prozessen im Mitochondrion eine regulatorische Funktion, zweitens wird bei Erhöhung der Ca2+-Konzentration im Cytosol über ein bestimmtes Niveau das überschüssige Ca2+ in das Mitochondrion „entsorgt“. Der Eintritt des Ca2+ in den Matrixraum wird über einen spezifischen Carrier mit niedriger Affinität und hoher Kapazität, der vom elektrochemischen Gradienten getrieben wird, vermittelt. Der spezielle Fall des durch Carnitin vermittelten Eintritts langkettiger Fettsäuren in den Matrixraum wurde bereits besprochen (Abschnitt 1.2.6.2).
94
1.2.6.7
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Für den Import von Proteinen aus dem Cytosol in das Mitochondrion existieren spezifische Transportsysteme
Es ist evident, dass die vielfältigen biochemischen Reaktionen, die sich im Mitochondrion teils an der inneren Membran, teils im Matrixraum abspielen, nicht nur der Versorgung mit Substraten bedürfen, sondern dass auch ein entsprechender Apparat mit Dutzenden von Enzym- und sonstigen Proteinen zur Verfügung stehen muss. Wie in Abschnitt 1.2.6.1 erörtert, besitzt das Mitochondrion ein eigenes Genom (mtDNA), das für einige Prozent der mitochondrialen Proteine codiert. Die mtDNA tierischer Zellen enthält die Information für eine große und eine kleine ribosomale RNA, für die Transfer–RNA von 22 Aminosäuren und für 13 unterschiedliche Polypeptide, unter anderem für zwei Untereinheiten der ATP-Synthase und für einige Untereinheiten von Proteinen, die an der Elektronenübertragung beteiligt sind. Dieser rudimentäre Bestand an Proteinen könnte verständlicherweise weder die Existenz der Mitochondrien, noch ihre großartigen biochemischen Leistungen gewährleisten, wenn man bedenkt, dass allein das komplexe System der Atmungskette aus etwa 50 Polypeptiden besteht. Das Mitochondrion ist also auf den Import zahlreicher Proteine angewiesen, die im Zellkern codiert und im Cytosol an freien Ribosomen synthetisiert werden. Diese zu importierenden Proteine können entsprechend ihrer Funktion grob eingeteilt werden in: mitochondriale Aminoacyl-tRNA-Synthasen, mitochondriale DNA-Replikationsenzyme, mitochondriale ribosomale Proteine, mitochondriale RNA-Polymerasen, membrangebundene Enzyme der Elektronentransportkette und der ATP-Synthese sowie lösliche Enzyme der Matrix. Das Mitochondrion ist nicht angeschlossen an das Protein-Transportsystem, das durch die Interaktion zwischen endoplasmatischem Reticulum und Golgi-Apparat zustandekommt, und als vesikulärer Transport bezeichnet wird. Es mussten also andere Arten der Proteinerkennung, -Lenkung und -Internalisierung entwickelt werden. Dieser Transport funktioniert im übrigen nur in einer Richtung, ein Proteintransport aus dem Mitochondrion in das Cytosol ist nicht nachgewiesen worden. Der Import von Proteinen in das Mitochondrion ist äußerst komplex und noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. Er ist ein relativ schneller Prozess; die Aufnahme erfolgt innerhalb von ein bis zwei Minuten, nachdem die Synthese der Polypeptidkette an den cytosolischen Polysomen abgeschlossen ist. Für den Import, der sich in mehreren Phasen abspielt, müssen die zu transportierenden Polypeptide bestimmte Voraussetzungen erfüllen: Sie dürfen nicht gefaltet sein und müssen als für den Import vorgesehen markiert sein, damit sie von Rezeptoren an der Oberfläche der Mitochondrien erkannt werden. In einigen wenigen Fällen haben die Moleküle nur die äußere Membran des Mitochondrions zu überwinden, da sie, wie die Porin-Moleküle, in dieser Membran lokalisiert sind. Die meisten jedoch, die für die sonstigen Subkompartimente vorgesehen sind, müssen durch beide Membranen hindurchtreten. Im Mitochondrion angelangt, muss die importierte Polypeptidkette die für ihre Funktion adäquate räumliche Struktur durch Faltung erlangen. Die importierten Proteine müssen zu ihren Funktionsorten gelenkt werden, und schließlich müssen sie unter Umständen mit anderen Polypeptiden cytosolischen oder mitochondrialen Ursprungs zu funktionellen Komplexen aggregieren. Die einzelnen Schritte des Proteinimports sind in Abbildung 1.45 vereinfacht dargestellt. Die von den cytosolischen Polysomen freigesetzten Polypeptidketten sind Vorläuferproteine, die erst nach dem Import in die Mitochondrien ihre Funktionsfähigkeit erlangen. Der Durchtritt bereits gefalteter Proteine durch die mitochondrialen Membra-
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ä
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1.45
Import von Proteinen durch die Membranen des Mitochondrions hsp 70/60 = Hitzeschockprotein 70/60
nen gilt als sehr unwahrscheinlich. Um die Vorläuferproteine in der importkompetenten, das heißt entfalteten, Form zu bewahren, werden diese an cytosolische Begleitproteine, Chaperone (auch Chaperonine) genannt, gebunden. Chaperone sind eine funktionell definierte Gruppe von Proteinen, die ganz allgemein eine regulatorische Rolle bei der Faltung anderer Proteine haben („Protein-katalysierte Proteinfaltung“). Einerseits verhindern sie die beliebige Aggregation noch nicht gefalteter Proteine, andererseits tragen sie durch Bindung an exponierte hydrophobe Regionen dazu bei, dass falsch gefaltete Proteine korrekt gefaltet werden. Die für die Bindung der Vorläuferproteine zuständigen cytosolischen Chaperone gehören zur hsp70-Familie, der sogenannten Hitze-Schock-Proteine. Nach Initiation der Aufnahme des Vorläuferproteins dissoziieren die Chaperone in einem ATP-abhängigen Prozess von diesen wieder ab. Außer der Verhinderung der Faltung dürften die Chaperone auch an der Lenkung der Peptidketten zu den Rezeptoren beteiligt sein. Es gibt einige wenige Vorläuferproteine, deren Import nicht von der Bindung an Chaperone abhängt; sie bleiben auch ohne diese Bindung importfähig. Die Vorläuferproteine tragen am N-terminalen Ende ein aus 20 bis 80 Aminosäuren bestehendes Signalpeptid, wobei möglicherweise nur etwa 12 Aminosäuren für die Signalwirkung essentiell sind. Durch ein und dasselbe Signal können verschiedene Proteine für den Import markiert werden. Vollständige Signalpeptide bilden eine amphipatische α-Helix, da die Aminosäuren so angeordnet sind, dass eine Seite der Helix positiv, die andere negativ geladen ist. Wahrscheinlich ist diese Konformation diejenige, die durch spezifische Rezeptoren an der mitochondrialen Oberfläche erkannt wird. Die Rezeptoren sind auf der gesamten äußeren Oberfläche des Mitochondrions verteilt, kommen jedoch an bestimmten Stellen in besonders hoher Anzahl vor. An diesen
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Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Stellen besteht – auch elektronenmikroskopisch sichtbar – ein enger Kontakt zwischen der äußeren und inneren Membran des Mitochondrions. So kann das Vorläuferprotein die beiden Membranen durch Vermittlung eines sogenannten Insertionsproteins, das mit den benachbarten Rezeptoren interagiert, in einem Schritt durchqueren. Es gibt zwei unterschiedliche Rezeptortypen mit überlappender Spezifität, aber möglicherweise unterschiedlichen Aufgaben. Für die Initiation des Importes ist die elektrochemische Potentialdifferenz, die durch die Elektronentransportkette geschaffen wird, grundlegend. Nach Übertritt des Vorläuferpeptids durch die Membranen wird dieses an die mitochondrialen Chaperone hsp70, eventuell in einem weiteren Schritt an hsp60 gebunden. Auch diese Bindungen werden dann in je einem ATP-verbrauchenden Schritt gelöst. Man nimmt an, dass dieser energiegetriebene Cyclus von Binden und Loslassen die treibende Kraft des Importes darstellt, nachdem das Vorläuferprotein über Insertionsprotein in den Matrixraum gelangt ist. Gleich nach Eintritt in den Matrixraum wird das Signalpeptid durch eine spezifische Signalpeptidase hydrolytisch abgespalten, wodurch das reife mitochondriale Protein entsteht. Dessen Faltung wird durch das hsp60 erleichtert. Ist das reife Protein nicht für den Matrixraum bestimmt, wird es weiter gelenkt an die innere Membran – beispielsweise die Untereinheit 9 der Fo-ATPase (Fo9) – oder in den Intermembranraum – wie das Cytochrom b2. Bei der Lenkung zum richtigen funktionellen Ort sind wahrscheinlich ebenfalls sekundäre Signalpeptide beteiligt. Diese Sequenzen entstehen nach Abspalten des ursprünglichen Signalpeptids und führen zur Insertion des Proteins an der richtigen Stelle. Es gibt auch Proteine, beispielsweise der ADP/ATP-Translokator, die einen alternativen Weg der Insertion in die innere Membran gehen. Sie werden an Stellen integriert, an denen kein Kontakt zwischen den beiden Membranen des Mitochondrions besteht, und besitzen ein an das ursprüngliche Signalpeptid angrenzendes Stop-TransferPeptid. Nach Übertritt des Signalpeptids zur Matrixseite, wird dieses abgespalten und der ADP/ATP-Translokator bleibt mit dem Stop-Transfer-Peptid in der Membran verankert. Den gleichen „direkten“ Weg der Insertion unter Umgehung der mitochondrialen Chaperone dürfte auch das Porin nehmen, das in die äußere Membran integriert wird.
1.2.7 Das Cytosol Der Begriff Cytosol wurde ursprünglich von Zellbiologen eingeführt als Bezeichnung für einen Überstand, der bei der Ultrazentrifugation von aufgeschlossenem Zellmaterial gewonnen wurde. Es handelt sich somit um einen Begriff der präparativen Laboratoriumstechnik, der unscharf definiert ist und des öfteren synonym für Cytoplasma verwendet wird. Unter Cytoplasma versteht man jedoch den gesamten Bereich einer Zelle zwischen Plasmamembran und Zellkern. Somit gehören auch die bisher besprochenen von Membranen umschlossenen Kompartimente – endoplasmatisches Reticulum, Golgi-Apparat, Lysosomen, Peroxisomen und Mitochondrien – zum Cytoplasma. Das Cytosol ist somit ein Kompartiment, dessen räumliche Ausdehnung nach Abzug dieser Kompartimente sowie des Zellkerns von der Plasmamembran umschlossen wird. Im Cytosol verteilt befinden sich zahlreiche supramolekulare Gebilde, unter anderem Ribosomen, Polysomen, verschiedene Granula und die Strukturen des Cytoskeletts. Die Zugehörigkeit des Cytoskeletts zum Cytosol wird unterschiedlich beurteilt.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
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Die Bezeichnung Cytosol ist ein Hinweis darauf, dass es sich um den löslichen Anteil des Cytoplasmas handelt. Da es sich jedoch im Cytosol zahlreiche hochmolekulare Substanzen, zum Beispiel Multienzymkomplexe oder Lipidaggregate befinden, entspricht dieses Kompartiment keineswegs einer wässrigen Lösung, sondern ist ein komplex zusammengesetztes Gemisch von gelartiger Konsistenz, das auch unlösliche Bestandteile enthält.
1.2.7.1
Das Cytosol ist von einem dichten Netzwerk aus Proteinfilamenten durchzogen
Im Cytosol aller Eukaryotenzellen befindet sich ein dynamisch organisiertes, dreidimensionales System aus faserigen Strukturen, das als Cytoskelett bezeichnet wird. Den Durchbruch zur Darstellung dieses auch ästhetisch faszinierenden, das Cytosol ausfüllenden Netzwerks brachten insbesondere Immunfluoreszenz-Techniken. Das Cytoskelett ist an mehreren grundlegenden zellbiologischen Prozessen beteiligt. Am besten erforscht ist seine Rolle bei der Zellteilung, der Zellmobilität, dem Zustandekommen der Zellpolarität, der Stabilisierung der Zellform und der Steuerung der Bewegungsabläufe von Zellorganellen. Alle Filamente des Cytoskeletts sind Polymere aus unterschiedlichen Proteinmonomeren. Sie werden nach ihrem Durchmesser in drei Typen eingeteilt: Actinfilamente, auch Mikrofilamente genannt, Intermediärfilamente und Mikrotubuli. Die einzelnen Filamenttypen unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer chemischen Zusammensetzung, sondern auch hinsichtlich ihres Vorkommens und ihrer Funktion. Actinfilamente und Mikrotubuli benötigen für die Erfüllung ihrer Aufgaben jeweils spezifische assoziierte Proteine. Einige Charakteristika der Filamenttypen sind in Tabelle 1.13 zusammengefasst. Der monomere Baustein der Actinfilamente ist das globuläre Protein Actin (G-Actin), von dem es mehrere Typen gibt. Die Monomere aggregieren zu den helikalen Actinfilamenten (F-Actin). Dabei lagern sich die asymmetrischen G-Actin-Moleküle stets gleich ausgerichtet aneinander, wodurch das Actinfilament eine Polarität erhält. An einem Ende – dem (+)-Ende – des Filaments ist die weitere Polymerisation begünstigt, am anderen der Zerfall des Polymers. Dadurch wandern die einzelnen Monomere langsam durch das Filament. Actinfilamente befinden sich also in einem, für die Komponenten des Cytoskeletts charakteristischen und funktionell bedeutsamen, dynamischen Zustand. Mit dem G- und F-Actin interagieren mehr als 50 unterschiedliche Zellproteine. Manche assoziierte Proteine kontrollieren, wie das Profilin, die Verfügbarkeit der Monomere. Andere regeln die Polymerisationsgeschwindigkeit (Villin), stabilisieren die Kettenenden (Fragin, β-Actinin), verbinden die Filamente untereinander oder mit anderen Proteinen der Zelle (α-Actinin, Spektrin), lösen die Struktur des Filamentes auf (Gelsolin) und vieles andere mehr. Soweit bekannt, werden diese Interaktionen durch Ca2+ und/oder Proteinkinasen gesteuert. Actin ist das häufigste Protein der Eukaryotenzelle, oft mehr als 5 % der gesamten Proteinmasse. Die Actinmonomere und -Filamente sind über das gesamte Cytosol verteilt. In den meisten tierischen Zellen bilden jedoch Actinfilamente direkt an der Innenseite der Plasmamembran ein dichtes Netz, das als Zellcortex oder Zellrinde bezeichnet wird. In diesem Falle sind die Filamente mit dem Protein Filamin quervernetzt und
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Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Tabelle 1.13: Elemente des Cytoskeletts Filamenttyp
Durchmesser (nm)
Actinfilamente 6-7 (Mikrofilamente)
Intermediärfilamente
Monomere Untereinheiten (Molekülmasse in kDa)
Vorkommen
Assoziierte Proteine
β -Actin (43) γ -Actin (43)
ubiquitär
α -Actinin β -Actinin Myosin Tropomyosin Troponin Filamin Fimbrin Fodrin Profilin Spektrin Ankyrin Villin Vinculin Gelsolin u.a.
8-10
Typ I
saure Keratine (40-70) Epithelzellen neutrale und basische und Derivate Keratine (40-70) (Haar, Nägel)
Typ II
Vimentin (53)
Zellen mesenchymat. Ursprungs
Desmin (52) fibrilläres saures Gliaprotein (45)
Muskelzellen Gliazellen
Typ III
Neurofilamentproteine Neurone (60-130)
Typ IV
nucleare Lamina A, B, C (65-75)
Kernlamina aller Zellen
α -Tubulin (50) β -Tubulin (50)
ubiquitär
Mikrotubuli
20-25
Dynesin Kinetin Nexin
verleihen der Zelle mechanische Stärke und gleichzeitig die Fähigkeit ihre Form zu ändern. Die Mikrovilli am lumenseitigen Pol der intestinalen Epithelzelle verdanken ihre Beweglichkeit ebenfalls den Actinfilamenten, die sie in Längsrichtung durchziehen. An diesem Beispiel soll die Struktur und Funktionsweise des Cytoskeletts für einen Einzelfall dargestellt werden (Abbildung 1.46). Je Mikrovillus sind etwa 40 Actinfilamente in parallelen Bündeln angeordnet und untereinander durch die assoziierten Proteine Villin, Fimbrim und andere verknüpft. Eine Myosin-ähnliche ATPase und das Ca2+-bindende Calmodulin stellen eine seitliche Verbindung mit der Plasmamembran her. Ein weiteres assoziiertes Protein, das Fodrin, verbindet die Actinfilamente an der Basis un-
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
99
ä
1.46
Interaktion zwischen Actinfilamenten mit assoziierten Proteinen und Intermediärfilamenten in Mikrovilli der intestinalen Epithelzelle
tereinander und stabilisiert damit das Gefüge. Es stellt auch die Verbindung zu einem Netz aus Intermediärfilamenten her, das quer zur Richtung der Actinfilamente verläuft. Die Intermediärfilamente sind dauerhafte Proteinfasern, die die für Actinfilamente und Mikrotubuli charakteristische Dynamik des Auf- und Abbaus nicht aufweisen. In tierischen Zellen bilden sie eine Art von „Korb“ um den Zellkern, von dem aus sie sich bis zur Zellmembran erstrecken. Sie sind unlöslich und reißfest, und haben die Form gewundener Seile vom Typ eines α-helikalen Superhelix. Die Monomere der Intermediärfilamente sind selbst faserige Proteinmoleküle. Die in verschiedenen Zelltypen vorkommenden Intermediärfilamente werden aus unterschiedlichen, zu vier Typen gehörenden, Proteinen zusammengefügt, deren molare Masse zwischen 40 und 100 kDa liegt. Acht nicht-polare Protofilamente bilden zusammen je ein Intermediärfilament. Diese stabilen Strukturen des Cytoskeletts sind für den Zusammenhalt epithelialer Zellen durch die Desmosomen von Bedeutung. Als Neurofilamente festigen sie neurale Strukturen. Die röhrenförmigen Mikrotubuli gehen in den meisten tierischen Zellen vom Centrosom aus, das als Organisationszentrum für diese Elemente des Cytoskeletts fungiert. Ihre strahlenförmigen Fortsätze reichen bis zur Plasmamembran. Auch die Mikrotubuli sind polare Strukturen. Ihre (+)-Enden weisen eine dynamische Instabilität auf, indem sie an diesen ständig auf- und abgebaut werden, während das (–)-Ende des Centrosoms durch assoziierte Proteine blockiert und damit stabilisiert wird. Die Monomere der Mikrotubuli sind die beiden globulären Proteine α- und β-Tubulin, die sich zu α-, β-Heterodimeren zusammenlagern. In einem zweiten Schritt bilden 13 dieser Heterodimere einen Ring, der durch Zusammenlagerung mit weiteren Ringen eine Röhre bildet. Tubuline binden im nicht polymerisierten Zustand je 2 GTP pro Dimer, die zu GDP hydrolysiert werden. Auch die Mikrotubuli sind auf assoziierte Proteine angewiesen, die ihre Eigenschaften modifizieren. Im Gegensatz zu den Actinfilamenten werden jedoch die Mikrotubuli durch diese Proteine nicht quervernetzt, sie sind Einzelfilamente. Am Fasersystem der Mikrotubuli können Organellen, zum Beispiel Mitochondrien, entlang geleitet werden. Weiterhin bestimmen sie in den Zellen die Lage des endoplas-
100
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
matischen Reticulums und des Golgi-Apparats. Die Mikrotubuli sind auch an der Ausbildung der Polarität von Zellen beteiligt und spielen eine besondere Rolle bei der Zellteilung. Actinfilamente, Intermediärfilamente und Mikrotubuli haben eine jeweils spezifische chemische Zusammensetzung und charakteristische Aufgaben. Dennoch sind sie keine unabhängigen Komponenten des Cytoskeletts. Es steht fest, dass ihre Funktionen koordiniert sind, ohne dass die molekularen Mechanismen, die dabei wirksam werden, geklärt sind.
1.2.7.2
Das Cytosol ist ein zentrales Kompartiment des gesamten Zellstoffwechsels
Das Cytosol ist ein Reaktionsraum der Zelle, in dem sich Tausende von biochemischen Vorgängen abspielen. Unter diesen sind sowohl katabole Prozesse, die zum Abbau komplexerer Moleküle führen, vertreten als auch anabole, das heißt solche, deren Endprodukte komplexer sind als die Ausgangssubstanzen. Diese Prozesse werden fast ohne Ausnahme von Enzymen katalysiert, die häufig zu Reaktionsketten organisiert sind. Das Cytosol besteht zu etwa 20 Gewichtsprozenten aus Proteinen, von denen ein erheblicher Anteil Enzymproteine sind. Annähernd der gesamte Proteinbestand des Cytosols wird an den zahlreichen freien, das heißt nicht an Membranen gebundenen, Ribosomen dieses Kompartiments synthetisiert. Der Umfang des Proteinimports aus dem extrazellulären Raum ins Cytosol ist je nach Zelltyp unterschiedlich, aber insgesamt geringfügig. Andererseits ist das Cytosol – wie bereits besprochen - ein bedeutender Proteinlieferant für die Organellen. Mit Ausnahme der wenigen mitochondrial codierten Proteine beginnt die Synthese aller Proteinmoleküle im Cytosol. Besitzen diese entsprechende Signalpeptide, so werden sie zwecks Modifikation in das ER-Golgi-System dirigiert oder zu ihrem Bestimmungsort in den Mitochondrien weitergeleitet. Proteine, denen derartige Signalsequenzen fehlen, verbleiben im Cytosol. Man schätzt, dass etwa die Hälfte der in diesem Kompartiment synthetisierten Proteinmoleküle an Ort und Stelle bleibt. Einige dieser Proteine sind tatsächlich löslich und gehen wahrscheinlich keine Bindung mit anderen Bestandteilen des Cytosols ein. Andere wiederum werden über Fettsäureketten an den cytosolischen Seiten von Organellenmembranen oder an der Innenseite der Plasmamembran verankert. Zunächst wird das Protein mit der Fettsäure – meistens handelt es sich um Myristin- oder Palmitinsäure – verknüpft, die sich dann in die Lipiddoppelschicht der Membran einlagert. Diese Anheftung von Proteinen mittels Lipidanker hat wichtige Konsequenzen für die Funktion der Proteine (Abschnitt 1.1.1.2). Kleine Moleküle, wie Metaboliten des Intermediärstoffwechsels, niedermolekulare Proteine und auch anorganische Ionen, sind im Cytosol weitgehend frei beweglich und diffundieren schnell. Größere jedoch sind schon durch die Existenz des Cytoskeletts in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt. Hierdurch wäre es auch möglich – jedoch noch nicht bewiesen –, dass bestimmte Enzyme von metabolischen Ketten, zum Beispiel der Glykolyse, an spezifischen Stellen an Fibrillen des Cytoskeletts gebunden sind. Hierdurch wäre die Möglichkeit gegeben, dass die Enzyme auch räumlich zu funktionell sinnvollen Sequenzen zusammengefasst werden. Die Zwischenprodukte hätten in solchen hochorganisierten Enzymketten kurze Diffusionswege und wären wirkungsvoll kanalisiert. Auch Teile des Proteinsyntheseapparats scheinen in irgendeiner Form mit dem
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101
Cytoskelett verbunden zu sein. Es ist durchaus möglich, dass auch im Cytosol funktionell unterschiedliche Räume existieren. Eine große Anzahl von Proteinen erfährt im Cytosol eine posttranslationale Modifikation, die zur Modulation der biologischen Funktion führt. Im speziellen Fall der Enzymproteine wird dadurch die Enzymaktivität gesteuert (Abschnitt 1.3.2.6). Zu den wichtigsten Modifikationen gehören die reversible Phosphorylierung, die reversible Methylierung und die reversible Acetylierung. Bei allen drei Modifizierungen handelt es sich um eine enzymkatalysierte kovalente Verknüpfung eines Substituenten mit dem Protein. Die Umkehrung der Reaktion wird durch ein anderes spezifisches Enzym katalysiert. Die Modifikation durch Anfügen von Zuckerresten, wie dies am endoplasmatischen Reticulum und im Golgi-Apparat geschieht (Abschnitt 1.2.2.4 und 1.2.3.2), ist im Cytosol auf einen Fall beschränkt. In diesem Kompartiment der Säugerzelle findet die Anheftung eines einzelnen N-Acetyl-Glucosamins an ein beliebiges Protein statt. Es gibt auch einige andere dauerhaft wirksame Proteinmodifikationen im Cytosol, zu denen die kovalente Anbindung von Coenzymen, zum Beispiel des Biotins und des Pyridoxalphosphats gehören. Das Cytosol ist ein zentraler Reaktionsraum, in dem grundlegende Vorgänge des Zellstoffwechsels stattfinden. Dazu gehört der evolutionär sicherlich sehr alte Prozess der Glykolyse. Wenn auch alle Enzyme dieser katabolen Reaktionskette im Cytosol lokalisiert sind, besteht eine enge Kooperation mit anderen Kompartimenten. Von besonderer Bedeutung ist die Versorgung des Mitochondrions mit dem Endprodukt der Glykolyse, dem Pyruvat, das eines der Hauptsubstrate der mitochondrialen Energiegewinnung ist. Wie bereits besprochen (Abschnitt 1.2.6.6), werden auch die reduzierten Coenzyme aus der glykolytischen Kette zur Energiegewinnung in das Mitochondrion transferiert. Große Teile des Umkehrprozesses der Glykolyse, der der Synthese von Glucose dient, sind ebenfalls im Cytosol lokalisiert. Die ersten Schritte der Gluconeogenese finden jedoch im Mitochondrion statt, am letzten Schritt der Freisetzung der Glucose ist das endoplasmatische Reticulum beteiligt. Ein auch quantitativ wesentlicher Substratfluss aus dem Mitochondrion in das Cytosol ist der von Acetyl-CoA, das fast ausschließlich im Mitochondrion gebildet wird. Dieser Metabolit ist das Primärsubstrat zweier cytosolischer Synthesen: der Fettsäureund der Cholesterinsynthese. Zahlreiche weitere Austauschvorgänge zwischen dem Cytosol und verschiedenen Organellen – einschließlich der zugehörigen Transportmechanismen – wurden bereits besprochen. Weitere werden bei der Behandlung der betreffenden Stoffwechselprozesse berücksichtigt.
1.2.7.3
Im Cytosol findet ein gesteuerter Proteinabbau statt
Alle cytosolischen Proteine unterliegen einem turnover, indem sie ständig auf- und abgebaut werden. Die Mehrzahl dieser Proteine ist relativ lange funktionsfähig. Die biologische Halbwertszeit der Leberproteine beträgt beispielsweise einige Stunden bis wenige Tage. Bei dem, in jeder Zelle existierenden, konstanten Proteinumsatz werden einige zufällig ausgewählte Proteinmoleküle abgebaut und durch neue Exemplare ersetzt. In anderen Fällen betrifft der Abbau gezielt nur bestimmte Proteine und erfolgt meistens schnell.
102
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Bei der Proteinbiosynthese entstehen relativ häufig Fehler. Man schätzt die Fehlerquote der Translation auf ungefähr 1 pro 104 eingebauten Aminosäuren. Falsch eingefügte Aminosäuren können die richtige Ausbildung der Tertiärstruktur eines Proteins beeinträchtigen. Die Zuverlässigkeit der Translation scheint trotzdem ausreichend zu sein, da die Fehler durch raschen Abbau nicht korrekter Proteine korrigiert werden. Fehlerhafte Proteine können auch posttranslational, zum Beispiel durch Oxidation von Seitenketten, oder bei sonstigen chemischen Vorgängen entstehen und bedürfen ebenfalls der schnellen Elimination. Nicht nur fehlerhaft synthetisierte oder chemisch geschädigte Proteine müssen abgebaut werden, sondern auch solche, deren spezifische biologische Funktion nur erfüllt wird, wenn sie einen raschen turnover haben. Solche schnelle Umsatzraten, die genetisch determiniert sind, aber auch durch verschiedene Faktoren steuerbar sein können, haben beispielsweise die sogenannten Schlüsselenzyme von Reaktionsketten. Diese Enzyme haben eine regulatorische Funktion, die unter anderem über die Kontrolle der Enzymkonzentration realisiert wird. Ein weiteres Beispiel: Bei der Reifung der Reticulocyten müssen die nicht mehr gebrauchten Proteine, dem jeweiligen Reifestadium entsprechend, gezielt abgebaut werden. Die kurze Lebensdauer derartiger Proteine ist durch eine einzige, N-terminale „destabilisierende Aminosäure“ als Signal festgelegt und an ihrem Abbau ist ein cytosolisches Protein beteiligt, das in allen Eukaryotenzellen vorkommt und daher den Namen Ubiquitin trägt. Das Ubiquitin ist ein kleines Proteinmolekül aus 76 Aminosäuren und dient dazu Proteine, die das entsprechende Signal tragen, für den Abbau zu markieren. Zu diesem Zweck wird der C-terminale Glycyl-Rest des Ubiquitins mit Amino-Gruppen von Lysyl-Seitenketten des abzubauenden Proteins peptidartig verknüpft.
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1.47
Aktivierung des Ubiquitins beim gesteuerten cytosolischen Abbau von Proteinen
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Diesem Vorgang geht eine komplizierte Aktivierung des Ubiquitins voraus, die in Abbildung 1.47 dargestellt ist. Für die ATP-abhängige Aktivierung sind drei hintereinander geschaltete enzymatische Reaktionen notwendig. Zunächst wird das Ubiquitin über eine Thioesterbindung mit Enzym 1 verknüpft und von diesem auf eine SH-Gruppe des Enzyms 2 übertragen. Enzym 3, das auch die Spezifität für das abzubauende Protein vermittelt, katalysiert schließlich die Übertragung des Ubiquitins auf das Protein. Häufig wird nicht nur ein Ubiquitinmolekül an das Protein gebunden, sondern eine oft verzweigte Kette aus bis zu 20 Molekülen. Ein mit Ubiquitin markiertes Protein wird von einem großen Protease-Komplex, dem 28 S Proteasom, in einem ATP-abhängigen Prozess zu kleinen Peptiden und Aminosäuren gespalten. Das abgespaltene Ubiquitin wird recyclisiert. Im Cytosol gibt es eine weitere Möglichkeit, denaturierte und falsch gefaltete Proteine wieder in Lösung zu bringen und neu zu falten. Erhöhung der Umgebungstemperatur stört die Faltung der Polypeptide. Auf diesen „stress“ reagieren die Zellen mit Verstärkung der Syntheserate sog. Hitzeschock-Proteine (Hsp). Diese „helfen“ bei der Faltung, der Reparatur, dem Abbau und dem Transfer der Proteine zwischen den Kompartimenten. Sie sind sog. „molekulare Chaperone“, von denen es mehrere Hsp-Familien gibt (z.B. Hsp 40, Hsp 70 und Hsp 90). Die Einteilung erfolgte nach ihrer molaren Masse in kDa. Die hsp-Proteine bewirken die Auflösung zusammengeballter und falsch gefalteter Proteinaggregate durch wiederholte Cyclen von ATP-Bindung und ATP-Hydrolyse.
1.3 Die enzymatische Regulation Die Bedingungen, unter denen chemische Umsetzungen in biologischen Systemen ablaufen, sind denkbar ungünstig: Die Substanzen, die miteinander reagieren sollen, sind in wässriger Lösung weitgehend verdünnt, die Temperatur übersteigt – mit wenigen Ausnahmen – die 37°-Marke kaum, der Druck ist nicht über eine Atmosphäre steigerbar. Die meisten, an biochemischen Reaktionen beteiligten Moleküle, weisen außerdem eine relativ hohe Stabilität auf. Für den Ablauf derartiger Reaktionen ist daher das Vorhandensein von Katalysatoren von essentieller Bedeutung. In biologischen Systemen haben bekanntlich Enzyme die Rolle von Biokatalysatoren. Generell verkürzen Katalysatoren die Reaktionszeit bis zum Erreichen eines Gleichgewichtszustandes, ohne die Richtung einer gegebenen chemischen Reaktion zu beeinflussen, und sie gehen unverändert aus dem Reaktionsablauf hervor. Diese allgemeinen Katalyseregeln gelten auch für die enzymatische Katalyse. Die durch die Katalyse erzielte Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit kommt durch die Herabsetzung der Aktivierungsenergie zustande, die die entscheidende Größe für den Start jeder Reaktion ist. Genauer gesagt: Ein Katalysator eröffnet der Reaktion neue Wege mit mehreren Übergangszuständen (Abbildung 1.48). Wenn alle auftretenden Übergangszustände eine geringere Aktivierungsenergie haben als die nicht katalysierte Reaktion, wird der alternative Weg schneller durchlaufen und zwar auch dann, wenn die Zahl der Zwischenprodukte größer ist. Wie aus Abbildung 1.48 ebenfalls ersichtlich, ist die Änderung der freien Enthalpie Δ G gleich, unabhängig davon, ob die Reaktion katalysiert (rote Linie), oder nicht katalysiert (schwarze Linie) abläuft. Enzyme sind ungewöhnlich effektive Katalysatoren. Sie erhöhen die Reaktionsgeschwindigkeiten auf das 107- bis 1010-fache – in einigen Fällen sogar auf das 1014-fa-
104
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
1.48
Energiediagramm einer Reaktion ohne und mit enzymatischer Katalyse S = Substrat‚P = Produkt; Ea = „Aktivierungsenergie“ (kJ × mol–1); schwarz = ohne Enzym; rot = mit Enzym
che – gegenüber nicht katalysierten Reaktionen. Dies bedeutet beispielsweise, dass eine enzymkatalysierte Reaktion, die sich in einer Sekunde abspielt, ohne enzymatische Katalyse 30 Jahre beanspruchen würde. Im Vergleich zu den chemischen Katalysatoren wirken Enzyme hochspezifisch. Sie weisen eine Substratspezifität auf, indem sie nur die Umsetzung ganz bestimmter Moleküle katalysieren. Die Substratspezifität mancher Enzyme betrifft allerdings nicht das Substrat als Gesamtmolekül, sondern nur eine bestimmte chemische Gruppierung dieses Moleküls. Das bedeutet, dass solche Enzyme eine Gruppenspezifität besitzen, indem sie verschiedene Moleküle, die die gleiche chemische Gruppierung aufweisen, umsetzen, wenn auch meistens mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Besonders häufig katalysieren derartige Enzyme den Umsatz von polymeren Verbindungen, wie Polypeptide, Polysaccharide und andere. Viele Enzyme sind auch stereospezifisch, indem sie nur ein bestimmtes Enantiomer eines Substratmoleküls akzeptieren. Außerdem zeichnet sich die enzymatische Katalyse durch eine ausgeprägte Wirkungsspezifität aus, indem von zahlreichen möglichen Umsetzungen eines Substratmoleküls nur eine bestimmte katalysiert wird. Für Biosysteme besonders wichtig ist die Tatsache, dass Enzyme – im Gegensatz zu chemischen Katalysatoren – in ihrer Wirksamkeit gesteuert werden können. Diese Besonderheit der enzymatischen Katalyse ermöglicht es, dass auf ihrer Ebene eine sehr effiziente Regulation des Stoffwechsels erfolgen kann. Dieser Aspekt liegt auch im Mittelpunkt der Betrachtungen dieses Kapitels. Die Gesetze der Thermodynamik, einschließlich der Gleichgewichtseinstellung chemischer Reaktionen, gelten grundsätzlich auch für enzymkatalysierte biologische Prozesse. Zum Charakteristikum lebender Systeme gehört allerdings, dass sie zwar auf ein Gleichgewicht hinstreben, aber ein solches nie erreichen und auch nie erreichen sollen, da Systeme im chemischen Gleichgewicht „arbeitsunfähig“ sind. Eine dauernde „Arbeitsfähigkeit“, wie sie beim Stoffwechsel von lebenden Systemen – sei es eine einfache Zelle oder ein komplexer Organismus – erwartet wird, erfordert ein offenes System, das durch ein Fließgleichgewicht gekennzeichnet ist. Wie Abbildung 1.49 schematisch zeigt, werden einem solchen System im Fließgleichgewicht ständig Stoffe und/oder
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105
ä
1.49
Schema des Fließgleichgewichtes
Energie zugeführt und von ihm abgegeben. Zum Wesen des Fließgleichgewichts gehört also, dass an den Begrenzungen des Systems – bei einer Zelle beispielsweise ist dies die Plasmamembran – ein Stoffaustausch durch Transportprozesse stattfindet. Dessen Intensität kann also selbst die stationären Konzentrationen der einzelnen Stoffe im System beeinflussen. Die Bedeutung der biologischen Membran für die Stoffwechselregulation (Abschnitt 1.1.) findet damit ihre Bestätigung. Ein geschlossenes System tauscht dagegen keine Substanzen mit seiner Umgebung aus und befindet sich im echten chemischen Gleichgewicht, d. h. im Äquilibrium. Gleichung 1.4. beschreibt ein geschlossenes System im Gleichgewicht; A s I1 s I 2 s B
Gl 1.4
Gleichung 1.5. ein offenes System im Fließgleichgewicht. A → A s I⬘1 s I⬘2 s B → B
Gl 1.5
Im Falle des geschlossenen Systems (Gl. 1.4) stehen die Reaktionspartner über die Zwischenprodukte I1 und I2 in einem stabilen Gleichgewicht, das sich bald nach Beginn der Reaktion einstellt. Im Falle des offenen Systems (Gl. 1.5) haben wir es mit einem Fließgleichgewicht zu tun, bei dem der Reaktionspartner A dem System ständig zugeführt wird, während der Reaktionspartner B es ständig verläßt. Die Konzentration der Intermediate I1 und I2 kann im System – zum Beispiel in einer Zelle – konstant bleiben, solange die Geschwindigkeit ihrer Bildung gleich der ihrer Weiterreaktion ist. Dieser quasi stationäre Zustand, auch steady state genannt, ist nur ein scheinbares Gleichgewicht, das nur solange besteht, wie ein gerichteter Substanzfluss durch das System erhalten bleibt. Wird er abgestellt, tritt ein stabiles Gleichgewicht, ein Äquilibrium ein, das mit der Existenz lebender Systeme unvereinbar ist. Die Umwandlung der einzelnen Glieder im Fließgleichgewicht biologischer Systeme geschieht fast ohne Ausnahme mittels enzymatischer Katalyse. Da sich Stoffwechselreaktionen meistens in Form mehr oder minder langer metabolischer Ketten oder von Cyclen abspielen, ist die Anzahl der Intermediate oft weit höher als zwei. Wie bereits erwähnt, ist die katalytische Fähigkeit der Enzyme steuerbar. Somit bestimmt in einem
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Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
offenen System nicht allein die zu- beziehungsweise abgeführte Menge der Reaktionspartner die stationären Konzentrationen der Intermediate und die Fließgeschwindigkeiten, sondern auch die Aktivität der einzelnen beteiligten Enzyme. Im begrenzten Raum jeder Zelle spielen sich synchron Tausende von Reaktionen ab. Um den jeweiligen Anforderungen des Stoffwechsels zu entsprechen, müssen manche enzymatische Reaktionen beschleunigt werden, während andere zu gleicher Zeit verlangsamt oder ganz stillgelegt werden sollen. Dieses bedeutet, dass die Aktivität der Enzyme selektiv regulierbar sein muss. Diese sehr anspruchsvolle Anforderung wird von der Zelle mit außerordentlicher Präzision gemeistert. Dadurch ist es möglich, dass eine Vielzahl enzymatischer Reaktionen in genau aufeinander abgestimmter Weise nebeneinander ablaufen. Enzyme werden von Lebewesen jeglicher Organisationsstufe als Biokatalysatoren eingesetzt. Die Beeinflussung der Wirksamkeit dieser Katalysatoren als Regulationsprinzip des Stoffwechsels dürfte daher evolutionär sehr alt sein. Um die Effektivität der enzymatischen Katalyse den jeweiligen Anforderungen des zellulären Stoffwechsels anzupassen, werden zwei grundsätzlich unterschiedliche Regulationsprinzipien realisiert: die Variation der Enzymmenge und die Variation der Enzymaktivität. Die Variation der Enzymmenge wird entweder durch Steuerung der Biosynthese des Enzyms mittels Induktion und Repression erreicht oder durch Steuerung der Abbaurate. Diese Regulationsmöglichkeiten werden dann eingesetzt, wenn auf eine Änderung der Stoffwechsellage längerfristig reagiert werden soll. Es handelt sich somit um eine chronische Adaptation. Um die Intensität der Biokatalyse zu erhöhen, beziehungsweise zu verringern, ist es allerdings nicht zwingend erforderlich, die Enzymmenge zu variieren. Der gleiche Effekt ist auch zu erzielen, wenn bei konstant angenommener Menge eines Enzyms nur dessen Aktivität, das heißt der Substratumsatz pro Zeiteinheit, geändert wird. Wie im Folgenden beschrieben wird, gibt es dazu mehrere Möglichkeiten. Diese Art von akuter Adaptation eignet sich als Antwort auf plötzlich auftretende, kurzfristige Änderungen der Stoffwechsellage der Zelle. Das Studium der komplexen Regulationsvorgänge bei der enzymatischen Katalyse ist Aufgabe eines Spezialgebietes der Enzymologie, der Enzymkinetik, die jahrzehntelang die biochemische Forschung beherrschte. Sie untersucht sowohl die katalytischen Eigenschaften isolierter Enzyme unter genau definierten, „optimierten“ Bedingungen, als auch das Verhalten dieser Biokatalysatoren unter den sehr komplexen Bedingungen, die in der Zelle oder in sonstigen biologischen Systemen gegeben sind. Modellrechnungen und Simulation enzymatischer Reaktionen gehören zu den Werkzeugen moderner Enzymkinetik. Jahrzehnte hindurch galt als gesichert, dass alle Enzyme Proteine sind. Dieses Dogma ist jedoch Anfang der achtziger Jahre ins Wanken geraten, als man entdeckt hatte, dass eine bestimmte RNA-Sorte des Einzellers Tetrahymena thermophila Schneid- und Spleißvorgänge katalysierte, durch die eine bestimmte Sequenz aus derselben RNA entfernt wurde. Diese RNA-Sorte wirkte also im Sinne eines Autokatalysators. Sie ging jedoch nicht unverändert aus der Reaktion hervor, wie dies für Enzyme gefordert wird, da sie sich selbst veränderte. Zur Unterscheidung von „echten“ Enzymen wurde für solche „RNA-Enzyme“ der Begriff Ribozym eingeführt. Wenige Jahre später wurde entdeckt, dass eine etwas verkürzte Form derselben RNA nicht nur autokatalytisch wirkt, sondern auch das Zusammenfügen anderer RNAs katalysieren kann. Hierbei geht die katalysierende RNA unverändert aus dem katalytischen Prozess hervor und entspricht damit den strengen Kriterien eines echten Katalysators.
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Die Entdeckung, dass eine Biokatalyse nicht nur durch Proteine, sondern auch durch RNA möglich ist, war insofern sensationell, als dadurch auch die bis dahin gültige Auffassung über die Entstehung des Lebens überdacht werden musste. Nach dieser Ansicht hätten nämlich Proteine und Nucleinsäuren nur in gegenseitiger Abhängigkeit entstehen können, müssten sich also gemeinsam entwickelt haben. Wenn jedoch RNA nicht nur als Informationsträger, sondern auch als Katalysator wirken kann, stand sie möglicherweise am Beginn der Evolution und kam ohne DNA und ohne Proteine aus. Welche Konsequenz diese Entdeckung für die Evolutionstheorie auch haben mag, die folgenden Ausführungen dieses Kapitels über die enzymatische Regulation beziehen sich auf Enzyme im klassischen Sinne, also auf Enzymproteine.
1.3.1 Die Menge des Enzymproteins lässt sich sowohl durch Steuerung der de novo Synthese als auch durch Steuerung des Abbaus modifizieren Obwohl jede Zelle das komplette Genom des betreffenden Organismus enthält, nutzt sie nur einen sehr geringen Bruchteil der darin enthaltenen Erbinformationen – und zwar je nach Zelltyp einen anderen Bruchteil. Für einen mehrzelligen Eukaryoten ist diese Tatsache die Grundlage der Zelldifferenzierung. Der menschliche Organismus beispielsweise besitzt mehrere Hundert verschiedene Zelltypen. Jeder einzelne Typ hat eine charakteristische strukturelle und biochemische Ausstattung, das heißt, eine Muskelzelle unterscheidet sich von einer Darmepithelzelle hinsichtlich Form, biochemischer und physiologischer Leistung. Der von einer bestimmten Zelle nicht abgerufene Teil der Erbinfomation ist auf Dauer reprimiert; normalerweise „entdifferenziert sich“ eine Zelle nicht. Jede Zelle verdankt ihre biochemische Individualität einer spezifischen enzymatischen Ausstattung. Neben den Genen, die für Strukturmoleküle codieren, gibt es eine Reihe von Genen, welche die Information für jene Enzyme enthalten, die den Ablauf grundlegender zellulärer Prozesse, die allen Zellen gemein sind, katalysieren. Auch diese Enzyme können allerdings in verschiedenen Zellen in unterschiedlicher Menge und/oder mit unterschiedlicher Aktivität vorkommen. Das bekannteste diesbezügliche Beispiel sind die in jedem Zelltyp vorhandenen Enzyme der glykolytischen Kette. Die meisten von ihnen – und viele andere zur „Grundausstattung“ zellulärer Funktion gehörenden Enzyme – werden durch sogenannte house keeping genes codiert, die konstitutiv exprimiert werden, wobei die Expression keine oder nur geringfügige gewebeund stadienspezifische Regulation aufweist. Auch in der ubiquitär vorkommenden glykolytischen Kette gibt es allerdings drei Enzyme, deren Biosynthese zweifelsohne einer Regulation unterliegt: die Glucokinase (in den extrahepatischen Geweben die Hexokinase), die Phosphofructokinase und die Pyruvat-Kinase. Diese drei Enzyme der Glykolyse sind regulatorische Enzyme, die auch als Schlüsselenzyme oder Schrittmacherenzyme bezeichnet werden. Die Regulation der katalytischen Wirksamkeit dieser drei Enzyme erfolgt – neben verschiedenen anderen Möglichkeiten der Steuerung – auch durch Änderung der Menge des Enzymproteins. Prinzipiell kann diese Änderung durch Induktion einer de novo Synthese oder durch geregelten Abbau bewirkt werden. Beispielsweise werden die Schlüsselenzyme der Glykolyse durch das pankreatische Hormon Insulin induziert, wodurch die Biosyntheserate der Enzymproteine ansteigt.
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Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Die selektive Änderung der Biosyntheserate von Schlüsselenzymen ist eine sehr effiziente Möglichkeit der metabolischen Regulation. Statt alle Enzyme von Stoffwechselketten abzubauen und mittels stark energieverbrauchender Prozesse neu zu synthetisieren, genügt es zur Anpassung an die aktuelle Stoffwechselsituation, nur die Menge eines Enzyms oder einiger weniger regulatorischer Enzyme zu verändern. Regulatorische Enzyme befinden sich meistens am Anfang einer Stoffwechselkette, wie beispielsweise die Glucokinase oder Hexokinase der Glykolyse. Die für eine bestimmte Stoffwechselsituation günstigste Durchflussrate von Metaboliten kann somit bereits beim Initialschritt eingestellt werden. Andere Schlüsselenzyme befinden sich an Verzweigungsstellen von vernetzten metabolischen Ketten oder am Ende einer Kette. Damit lassen sich metabolische Flüsse in verschiedene Richtungen lenken. Wie fast alle biologischen Makromoleküle unterliegen auch alle Enzyme einem turnover; sie werden ständig auf- und abgebaut. Die biologische Halbwertszeit, t/2, die Zeit also, in der die Hälfte eines bestimmten Enzymproteins abgebaut wird, ist recht unterschiedlich und eine charakteristische Größe der einzelnen Enzyme. Im allgemeinen sind regulatorische Enzyme recht kurzlebig. Beispielsweise hat das Schlüsselenzym der Cholesterinbiosynthese, die Hydroxymethylglutaryl-CoA-Reductase (Abschnitt 9.6.1.1), mit einer t/2 von 2 bis 3 Stunden eine relativ kurze Lebenszeit. Die Arginase, ein Enzym der Harnstoffbiosynthese (Abschnitt 9.5.2.1), der keine regulatorische Funktion zukommt, ist mit einer biologischen Halbwertszeit von 4 bis 5 Tagen sehr langlebig. Die „Instabilität“, die ein hoher turnover bedingt, scheint die regulatorische Funktion von Enzymen zu begünstigen. Im Intermediärstoffwechsel der Nährstoffe gibt es zahlreiche Schlüsselenzyme, die neben anderen regulatorischen Mechanismen auch mittels Änderung der Enzymmenge der aktuellen metabolischen Situation angepasst werden. Dieser Aspekt wird im Teil II des Buches im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen. Zunächst soll jedoch der molekulare Mechanismus der Regulation durch Variation der Enzymmenge auf genetischer Ebene erörtert werden.
1.3.1.1
Die Expression bestimmter Gene wird durch Induktion erhöht, durch Repression verringert
Wie bereits ausgeführt, erfolgt die Expression der meisten Gene konstant und scheinbar ungeregelt. In diesem Falle haben wir es mit einer konstitutiven Genexpression zu tun. Die Menge der regulatorischen Enzyme soll dagegen den aktuellen Erfordernissen des Stoffwechsels entsprechen. Ihre Synthese ist daher nicht gleichmäßig, sondern durch bestimmte Bedingungen induzierbar. Unter Induktion versteht man einen Vorgang, durch den die Expression eines Gens erhöht wird. Eine Verringerung der Genexpression wird als Repression bezeichnet. Repression als steuernder Mechanismus der Genexpression wird bei Eukaryoten sehr viel seltener angewendet als die Induktion. In einigen Fällen ist allerdings bekannt, dass Endprodukte einer Stoffwechselkette die Synthese von Enzymen reprimieren, die am Anfang der betreffenden Kette lokalisiert sind. Um die de novo Synthese eines Proteins in Gang zu bringen, bedarf es eines Induktors. Als Induktoren von Enzymproteinen kommen bei Eukaryoten neben bestimmten Fremdstoffen manche Metaboliten und hauptsächlich einige Hormone in Frage. Unter den Hormonen sind es die lipophilen Hormone – Steroidhormone, Schilddrüsenhormone, Calcitriol (1 α, 25-Dihydroxycholecalciferol) und Retinsäure (Abschnitt
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ä
ä
A/B
ä
B
B
ä ä
B
ä
ä
1.50
Aufbau des intrazellulären Rezeptors lipophiler Hormone Quelle: Koolman, J.; Röhm, K.-H. (1994) Taschenatlas der Biochemie S. 343 Thieme Verlag
1.4.6) –, die ihre induktive Wirkung durch direkte Interaktion mit dem genetischen Material entfalten, indem sie an hormone-response-elements (HRE) der DNA binden. Auch unter den hydrophilen Hormonen, deren Rezeptoren auf der Oberfläche der Plasmamembran lokalisiert sind (Abschnitt 1.41), gibt es einige, – beispielsweise das Insulin und das Glucagon –, die neben andersgearteten Effekten auch eine induktive Wirkung auf die de novo Synthese von Enzymen ausüben. In diesem Falle kommt die Induktion nicht durch unmittelbare molekulare Interaktion des Hormons mit der DNA zustande, sondern wird indirekt durch Phosphorylierung beziehungsweise Dephosphorylierung von Transkriptionsfaktoren erzielt. Diese Prozesse werden durch second messenger vermittelt. Die induktive Wirkung lipophiler Hormone soll am gut erforschten Beispiel der Corticosteroide (Abschnitt 1.4.5.3) besprochen werden. Das von seinen Transportvermittlern losgelöste Steroid durchdringt die Plasmamembran der Zielzelle durch einfache, eventuell durch erleichterte Diffusion. Der Rezeptor lipophiler Hormone ist bekanntlich intrazellulär lokalisiert. Das Hormon bindet sich entweder bereits im Cytoplasma oder erst im Kernraum an seinen Rezeptor. Die Rezeptoren lipophiler Hormone kommen in den Zielzellen in einer Anzahl von 103 bis 104 vor und sind durch hochgradige Affinität (KD = 10–8 bis 10–10 M) und hohe Spezifität charakterisiert. Wie Abbildung 1.50 zeigt, hat das Rezeptorprotein aus insgesamt 400 bis 1 000 Aminosäuren mehrere funktionelle Domänen. Domäne A/B, die unterschiedlich groß sein kann, hat regulatorische Funktionen. Domäne C aus etwa 70 Aminosäuren ist die DNA-Bindungsdomäne. Die kleine Domäne D enthält die Kernlokalisierungssequenz, während in der circa 250 Aminosäuren langen Domäne E die Hormonbindungsstelle integriert ist. Die DNA-Bindungsdomäne (C) weist bei den Rezeptoren aller lipophilen Signalstoffe eine weitgehende Homologie auf. Dieser Bereich hat
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Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
1.51
Wirkungsmechanismus lipophiler Hormone Quelle: Koolman, J.; Röhm, K.-H. (1994) Taschenatlas der Biochemie S. 343 Thieme Verlag
mehrere Cystein-reiche Sequenzen, die Zink-Ionen koordinativ binden, weshalb sie Zink-Finger genannt werden. Die Bindung des Steroids an die Ligandenbindungsstelle (Domäne E) führt, wie in Abbildung 1.51 schematisch dargestellt, zu einer Konformationsänderung des Rezeptorproteins mit mehreren Konsequenzen: vom Rezeptor dissoziiert ein Hitzeschockprotein hsp 90 ab, der Rezeptor wird wahrscheinlich phosphoryliert, es bildet sich ein Dimer aus zwei Rezeptormolekülen aus und die Affinität zur spezifischen Nucleotidsequenz der DNA erhöht sich. Der dimerisierte Hormon-Rezeptor-Komplex bindet sich an das bereits erwähnte hormone-response-element (HRE), eine kurze Nucleotidsequenz des DNA-Doppelstranges. Bei den HREs handelt es sich um DNA-Segmente (Abbildung 1.52), die als Palindrome bezeichnet werden und als Verstärkerelemente (enhancer) bei der Transkriptionskontrolle fungieren. Ausschlaggebend für die Spezifität der Hormonwirkung ist die Nucleotidsequenz in den Palindromen. In Abbildung 1.52 ist das HRE der Glucocorticoide dargestellt; andere Hormonrezeptoren erkennen andere HREs. Ein bestimmtes HRE kann in verschiedenen Zelltypen unterschiedliche Gene kontrollieren. Dadurch ist es zu erklären, dass ein und dasselbe Hormon in verschiedenen Geweben die de novo Synthese unterschiedlicher Proteine induzieren kann. Die Bindung des dimerisierten Hormon-Rezeptor-Komplexes an den Verstärkerabschnitt führt zur Aktivierung der Transkription benachbarter Gene. Diese Aktivierung verläuft entweder über eine Veränderung der Struktur der Nucleosomen (Abschnitt 1.2.1) oder über eine direkte Wechselwirkung mit dem Transkriptionskomplex, bestehend aus der RNA-Polymerase II und verschiedenen Transkriptionsfaktoren. Die ent-
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hormone-response-element (HRE) 1.52
Nucleotidsequenzen des hormone-response-elementes (HRE) für Glucocorticoide n = beliebiges Nucleotid Quelle: Koolman, J.; Röhm, K.-H. (1994) Taschenatlas der Biochemie S. 343 Thieme Verlag
standene mRNA verlässt den Kernraum und im Cytoplasma kommt es zur Synthese der Proteine, zum Beispiel bestimmter Schlüsselenzyme, deren Entstehung unter der Kontrolle eines Hormons als Induktor steht. Der besprochene Fall der Induktion von Schlüsselenzymen durch Corticosteroide ist ein Beispiel für die Transkriptionskontrolle, da sie unmittelbar an der DNA angreift. Die durch Induktion ausgelöste de novo Synthese von Proteinen ist ein relativ langwieriger Prozess. Vom Eintritt des Signalträgers in die Zelle bis zur Fertigstellung eines funktionsfähigen Proteins, zum Beispiel eines Enzyms, kann es bis zu einer Stunde und länger dauern. Diese Art der Regulation auf der enzymatischen Ebene eignet sich daher nur für die chronische Adaptation des Stoffwechsels.
1.3.1.2
Die Menge eines Enzyms lässt sich auch durch Steuerung der Proteolyse kontrollieren
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Variation der Enzymmenge nicht allein durch Induktion der de novo Synthese erreicht wird, sondern dass sie auch durch Kontrolle der Abbaugeschwindigkeit möglich ist. Die meisten Proteine der Zelle unterliegen einem konstanten Proteinumsatz, bei dem die Auswahl der Moleküle wahrscheinlich durch Zufall erfolgt. Regulatorische Enzyme dagegen, die im allgemeinen einen genetisch determinierten raschen turnover haben, werden selektiv abgebaut, durch einen Prozess, an dem das Ubiquitin beteiligt ist (Abschnitt 1.2.7.3). Als Erkennungszeichen tragen die für die gesteuerte Proteolyse vorgesehenen Proteine am aminoterminalen Ende „destabilisierende“ Aminosäuren, vor allem Arginyl-, Aspartyl- und Glutamyl-Reste. Endständige Aspartyl- und Glutamyl-Reste können in einem ersten Schritt der gesteuerten Proteolyse durch Desaminierung von Asparagin und Glutamin durch spezifische Amidasen entstehen. Sie gelten daher als sekundär „destabilisierende“ Aminosäuren, während Arginin eine primär „destabilisierende“ Aminosäure ist. Die Kenntnisse darüber, wie die Steuerung der Markierung der abzubauenden Proteine „bedarfsangepasst“ zustandekommt, sind noch sehr lückenhaft. Einige Untersuchungen deuten darauf hin, dass sowohl eine Sättigung von Enzymproteinen mit Coenzymen als auch ein reichliches Substratangebot eine gewisse „schützende“ Wirkung gegenüber proteolytischem Abbau ausüben.
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Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
1.3.2 Die enzymatische Katalyse muss sich der Stoffwechsellage kurzfristig und auch ohne Änderung der Enzymmenge anpassen Für die katalytische Effektivität von Enzymen ist der Begriff Enzymaktivität eingeführt worden. Darunter versteht man den Substratumsatz pro Zeiteinheit. Die Enzymaktivität hat also die Dimension einer Geschwindigkeit und wird nach gültiger internationaler Regelung in Katal (kat) angegeben. Ein kat entspricht dem Umsatz von 1 mol Substrat pro Sekunde (mol × s–1). Eine ältere, aber weiter gebräuchliche Größe ist die Internationale Einheit (U). Als ein U wird der Umsatz von 1 μmol Substrat pro Minute (μmol × min–1 = 16,7 × 10–9 kat) bezeichnet. Für Enzyme, deren Molekulargewicht genau definiert ist, lässt sich unter Standardbedingungen eine charakteristische Größe, die „Wechselzahl“ oder „molekulare Aktivität“ bestimmen. Sie gibt an, wieviele Moleküle Substrat pro Enzymmolekül je Zeiteinheit umgesetzt werden und hat die Dimension s–1 oder min–1. Besonders hohe Wechselzahlen haben zum Beispiel die Katalase (5 × 106min–1) oder die Acetylcholinesterase (3 × 106min–1). Andere Enzyme sind wesentlich weniger leistungsfähig und haben Wechselzahlen um 1 000 pro Minute. Die Aktivität eines Enzyms ist eine variable Größe und wird von verschiedenen Stoffwechselsignalen chemischer und physikalischer Natur beeinflusst. Zu diesen Einflussfaktoren, die mehr oder minder effektiv für die enzymatische Regulation eingesetzt werden können, gehören: die Konzentration des Substrats, der Coenzyme, des Produkts und zahlreicher Metaboliten, einschließlich der second messenger, sowie der pH-Wert und die Temperatur. Im folgenden soll der Effekt dieser Einflussfaktoren einschließlich der molekularen Wirkungsmechanismen, über die sie zustandekommen, betrachtet werden.
1.3.2.1
Die Wechselwirkung zwischen Enzym und Substrat spielt sich im „aktiven Zentrum“ des Enzyms ab
Enzymkatalysierte Reaktionen laufen, wie bereits erwähnt, in mehreren Einzelschritten über Zwischenprodukte ab. Gleichung 1.6 beschreibt den einfachsten Fall einer solchen Reaktion. E + S s ES s E + P
(Gl. 1.6)
Hierbei steht E für das Enzym, S für das Substrat, das heißt für die umzusetzende Substanz, und P für das Produkt, das als Ergebnis der Reaktion entsteht. Wie aus Gl. 1.6 hervorgeht, ist der erste Teilschritt einer enzymatischen Reaktion die Ausbildung eines Enzym-Substrat-Komplexes. Dieser Prozess läuft bekanntlich nicht an irgendeiner beliebigen Stelle des Enzymproteinmoleküls ab, sondern am sogenannten aktiven Zentrum, auch Substratbindungsstelle genannt. Dieser Ort ist nur ein winziger Bruchteil der gesamten gefalteten Polypeptidkette eines Enzyms und ist meistens als eine Einbuchtung oder ein Spalt in der dreidimensionalen Enzymstruktur ausgebildet. Es ist für die Bildung des Enzym-Substrat-Komplexes charakteristisch, dass sie nur sehr selten durch kovalente Bindung zustandekommt. Sie wird vielmehr durch Wasserstoffbrückenbindungen sowie hydrophobe, ionische und van-der-Waals-Wechselwirkungen vermittelt. Im aktiven Zentrum stehen bestimmte Seitenketten von Aminosäuren der Polypeptidkette, reaktive Gruppen von Coenzymen (Abschnitt 1.3.2.3)
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113
und in manchen Fällen auch Metallionen für die Interaktion mit dem Substrat zur Verfügung. Bei jeder schwachen Wechselwirkung bei der Bildung des Enzym-Substrat-Komplexes entsteht in geringem Umfang freie Enthalpie, die die Wechselwirkungen stabilisiert. Die aus diesen Interaktionen resultierende Energie wird als Substrat-Bindungsenergie bezeichnet. Sie gilt als die Hauptquelle für die freie Enthalpie, die zur Erniedrigung der Aktivierungsenergie bei enzymkatalysierten Reaktionen notwendig ist. Die Interaktionen des Substrates mit den katalytisch wirksamen Gruppen erniedrigen die Aktivierungsenergie meistens dadurch, dass sie einen energetisch günstigen Reaktionsweg ermöglichen. Die Bindung des Substrates an das Enzym hält das Substrat in einer für den Ablauf der Reaktion korrekten Orientierung, wodurch sich die Anzahl der produktiven Zusammenstöße dramatisch erhöht. Weiterhin wird bei der Bindung des Substrates dessen Hydrathülle abgestreift. Durch Ausschluß von Wasser herrschen im begrenzten Raum des aktiven Zentrums andere, für die Katalyse günstigere Bedingungen als in der umgebenden Lösung. Die Wasserstoffbrückenbindungen zwischen gelöstem Substrat und dem Lösungsmittel Wasser werden durch Enzym-Substrat-Wechselwirkungen ersetzt. Die aktiven Zentren von Enzymen sind nicht a priori komplementär zu den Substraten im Sinne des „Schloß-Schlüssel-Prinzips“. Sie ändern vielmehr ihre Konformation während der Substratbindung. Dieser Prozess wird als induzierte Konformationsänderung bezeichnet und betrifft häufig auch die räumliche Konformation des Substrates, die ebenfalls nicht als starr aufzufassen ist. Wesentlich für die enzymatische Katalyse ist insgesamt also, dass das Enzym mit Hilfe des aktiven Zentrums der Reaktion eine Umgebung bietet, in der eine bestimmte Reaktion energetisch stark begünstigt wird.
1.3.2.2
Zwischen der Geschwindigkeit einer enzymatischen Reaktion und der Substratkonzentration besteht eine gesetzmäßige Beziehung
Die Menge des verfügbaren Substrates, die bei gleichbleibendem Volumen der jeweiligen Substratkonzentration gleichgesetzt werden kann, ist einer der Hauptfaktoren, über den die Geschwindigkeit enzymatischer Reaktionen und damit die metabolischen Umsätze regulierbar sind. Die Abhängigkeit der Umsatzgeschwindigkeit eines Enzyms von der aktuellen Konzentration seines Substrates wird als isosterische Regulation der Enzymaktivität bezeichnet. Es erscheint evident, dass bei konstanter Enzymmenge die pro Zeiteinheit umgesetzte Substratmenge, das heißt die Enzymaktivität, umso höher sein müsste, je mehr Substrat zur Verfügung steht. Diese einfache Überlegung gilt für eine enzymkatalysierte Reaktion allerdings nur sehr eingeschränkt und nur für den Fall, dass die Substratkonzentration sehr niedrig ist. Bei graphischer Darstellung der Enzymaktivität als Funktion steigender Substratkonzentration ergibt sich daher keine lineare Beziehung, sondern – wie dies aus Abbildung 1.53A zu ersehen ist –, eine Sättigungsfunktion, die die Form einer Hyperbel hat. Eine derartige Charakteristik resultiert aus der Tatsache, dass die Anzahl der Substratbindungsstellen, an denen sich als Initialschritt der enzymatischen Umsetzung der Enzym-Substrat-Komplex ausbildet, limitiert ist. Bei einer bestimmten Substratkonzentration ist somit der Punkt erreicht, an dem alle – korrekter gesagt fast alle – Bindungsstellen des Enzyms mit Substrat besetzt sind, weshalb eine weitere Erhöhung des Substratangebots keine weitere Erhöhung der Enzymaktivität zur Folge haben kann. Aus Abbildung 1.53A läßt sich dieser Punkt als Maximalgeschwindigkeit Vmax ablesen.
114
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
1.53
Enzymaktivität in Abhängigkeit von der Substratkonzentration A. Hyperbelfunktion nach Michaelis-Menten; B. Linearisierung nach Lineweaver-Burk; v = Reaktionsgeschwindigkeit; Vmax = maximale Reaktionsgeschwindigkeit; Km = MichaelisKonstante; S = Substrat
Die hyperbelförmige Beziehung zwischen Enzymaktivität und Substratkonzentration lässt sich durch die Gleichung 1.7 beschreiben, die nach ihren Urhebern MichaelisMenten-Gleichung genannt wird, v=
Vmax × [S] K m + [S]
(Gl. 1.7)
wobei v die Reaktionsgeschwindigkeit, Vmax die Maximalgeschwindigkeit und Km die Michaelis-Konstante bezeichnet. Die Maximalgeschwindigkeit Vmax ist der Grenzwert der Reaktionsgeschwindigkeit bei hoher Substratkonzentration und entspricht in etwa der katalytischen Effizienz eines Enzyms. Die Michaelis-Konstante Km ist als diejenige Substratkonzentration definiert, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit des Enzyms die Hälfte der Maximalgeschwindigkeit erreicht. Diese auch als Halbsättigungskonstante bezeichnete Größe hat entsprechend die Dimension einer Konzentration und wird in mol pro Liter (mol
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× L–1) oder mmol pro Liter (mmol × L–1) angegeben. Durch die Km wird die Affinität des Enzyms zum Substrat definiert. Ein hoher Km-Wert entspricht einer niedrigen Affinität, da es zur Halbsättigung des Enzyms einer hohen Substratkonzentration bedarf. Ein niedriger Km-Wert entspricht somit einer hohen Affinität des Enzyms zum Substrat. Die beiden in der Michaelis-Menten-Gleichung enthaltenen Größen Vmax und Km charakterisieren in quantitativer Hinsicht die Wirksamkeit eines Enzyms und lassen sich prinzipiell aus der graphischen Darstellung ablesen. Die auf diese Weise gewonnenen Daten sind nur annäherungsweise richtig, da Vmax, der mathematischen Definition einer Hyperbel entsprechend, keine fixe Größe, sondern eine asymptotische Annäherung ist. Somit ist es schwierig, durch Extrapolation verlässliche Werte für Vmax und damit für Km zu erhalten. Die Michaelis-Menten-Gleichung, die die Gleichung einer Hyperbel ist, lässt sich linearisieren, das heißt rechnerisch so umformen, dass alle Messwerte auf einer Geraden liegen. Eine dieser Methoden ist die von Lineweaver und Burk, bei der die Kehrwerte der Variablen v und [S] in die Michaelis-Menten-Gleichung eingesetzt werden. Dadurch erhält man die Gleichung 1.8, welche die Gleichung einer Geraden ist. K + [S] 1 = m v Vmax × [S]
(Gl. 1.8)
Wie Abbildung 1.53B zeigt, erhält man bei der graphischen Auftragung dieser doppelt reziproken Funktion als exakt ablesbaren Schnittpunkt auf der x-Achse den negativen Kehrwert der Michaelis-Konstante (–Km–1) und auf der y-Achse den Kehrwert der Maximalgeschwindigkeit (Vmax–1). Zwar ist die Lineweaver-Burk-Darstellung die einfachste Methode zur Linearisierung einer Sättigungskinetik, doch ist sie nicht die beste, da bei ihr die Messpunkte einzelner Substratkonzentrationen unterschiedlich starke Gewichtung bekommen. So werden zum Beispiel die Meßwerte, die sich bei hoher Substratkonzentration ergeben, nach Linearisierung auf der x-Achse gestaucht. Es existieren jedoch noch eine Reihe weiterer Linearisierungsverfahren, die je nach Datenmaterial eine mehr oder weniger genaue Ermittlung der beiden Kenndaten erlauben. Die genauesten Ergebnisse lassen sich durch Analyse der Messdaten mittels spezieller Computerprogramme erreichen. Vmax und Km sind wichtige kinetische Konstanten zur Charakterisierung der einzelnen Enzyme. In begrenztem Umfang ermöglichen sie sowohl Aussagen über den Mechanismus diskreter Reaktionsschritte der Katalyse als auch über die Bedeutung einzelner Enzyme für die Regulation von Stoffwechselketten. Die „wahren“ Werte dieser Konstanten können streng genommen nur an isolierten und gereinigten Enzymen unter sogenannten Standardbedingungen bestimmt werden. Als Randbedingungen zu ihrer Ermittlung sind festgelegt: Substratsättigung (das heißt [S] >> [E]); optimale Konzentration von Cosubstraten und Coenzymen; Abwesenheit von Inhibitoren; pH-Optimum des betreffenden Enzyms; 30° C (nach internationaler Konvention). Bei Bestimmung der Konstanten unter „physiologischen“ Bedingungen können diese Voraussetzungen selbstverständlich nicht eingehalten werden und die ermittelten Werte gelten als „scheinbare“ Konstanten (appVmax und appKm). Die Km-Werte der einzelnen Enzyme bewegen sich in einem weiten Bereich zwischen 10–1 mol × L–1und 10–6 mol × L–1 mit einer Häufung zwischen 10–3 und 10–5 mol × L–1. In Tabelle 1.14 sind Beispiele von Michaelis-Konstanten einiger Enzyme aufgelistet. Enzyme, die mehrere Substrate umsetzen, wie beispielsweise die Lactat-Dehydrogenase (LDH) sind unterschiedlich affin zu den Substraten, im Falle der LDH zu Lactat be-
116
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Tabelle 1.14: Michaelis-Konstanten einiger Enzyme Enzym
Substrat
Km (mmol × L–1)
Lactat-Dehydrogenase
Lactat Pyruvat NAD NADH Glucose Glucose Glucose Fructose ATP H2O2 Gly-Tyr-Gly Lactose
6,70 0,16 0,25 0,01 10,00 0,10 0,05 1,50 0,40 25,00 108,00 4,0
Glucokinase (Leber) Hexokinase (Leber) Hexokinase (Gehirn) Katalase Chymotrypsin β -Galactosidase
ziehungsweise Pyruvat. Die Cofaktoren NAD und NADH sind als Cosubstrate der LDH mit eigenen Km-Werten anzusehen. Das gleiche gilt für die Hexokinase, die sowohl Glucose als auch Fructose phosphoryliert. Es ist aus der Tabelle ebenfalls zu ersehen, dass der Km-Wert der Hexokinase zum Substrat Glucose unterschiedlich ist, je nachdem, ob das Enzym aus der Leber oder aus dem Gehirn stammt. Glucokinase und Hexokinase der Leber, die die gleiche Reaktion katalysieren, interagieren mit demselben Substrat, der Glucose, mit hundertfach unterschiedlicher Affinität. Dies hat eine wesentliche Bedeutung für die Steuerung des Kohlenhydratstoffwechsels in der Leber (Abschnitt 9.3.3). Die intrazelluläre Konzentration vieler Substrate bewegt sich in der Größenordnung der Km-Werte jener Enzyme, die ihre Umsetzung katalysieren. Dies bedeutet, dass relativ geringfügige Schwankungen der Substratkonzentration zu einer starken Änderung der Enzymaktivität führen, und damit eine regulatorische Bedeutung für den metabolischen Fluss durch Stoffwechselketten gewinnen. Zahlreiche Enzyme katalysieren Reaktionen mit zwei oder mehr Substraten gleichzeitig, wie dies das Beispiel der Phosphorylierung von Glucose zu Glucose-6-phosphat durch die Hexokinase zeigt (Gleichung 1.9). Glucose + ATP → Glucose-6-phosphat + ADP
(Gl. 1.9)
Solche Bisubstrat-Reaktionen können prinzipiell auch mit der Michaelis-MentenGleichung analysiert werden. Man erhält die beiden in Tabelle 1.14 erfaßten Km-Werte. Bei Bisubstrat-Reaktionen können sich im Verlauf der Katalyse beide Substrate gleichzeitig an das aktive Zentrum des Enzyms unter Bildung eines ternären Komplexes binden. Je nach Enzym kann die Reihenfolge, in der die Substrate gebunden werden, genau festgelegt oder zufällig sein. Kinetische Untersuchungen liefern ganz allgemein wertvolle Hinweise auf den molekularen Mechanismus enzymkatalysierter Reaktionen, vorausgesetzt, dass sie mit der notwendigen Kritik interpretiert werden. Die gemessenen Daten werden mit Hilfe komplizierter mathematischer Verfahren analysiert. Eines der Ziele derartiger Untersuchungen ist es, ein quantitatives Bild über den energetischen Verlauf der häufig sehr komplexen Reaktionen zu erhalten.
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1.3.2.3
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Zahlreiche Enzyme brauchen für die Katalyse nicht-proteinartige niedermolekulare Cofaktoren
Enzyme – in dem Sinne, wie sie in diesem Kapitel behandelt werden, – sind Proteine mit molaren Massen zwischen etwa 10 000 und über eine Million Dalton. Ein Teil der Enzyme benötigt für die Durchführung der Katalyse außer einer intakten Proteinstruktur keine weiteren Bestandteile. Andere dagegen sind zur Entfaltung ihrer Aktivität auf zusätzliche Komponenten angewiesen, die keine Proteine sind und unter der Bezeichnung Cofaktoren subsumiert werden. Sie greifen in den Ablauf der enzymatischen Katalyse auf unterschiedliche Art und Weise direkt ein. Bei Fehlen ihrer Cofaktoren sind die betreffenden Enzyme entweder völlig inaktiv, oder ihre Aktivität ist vermindert. Die Cofaktoren gehören verschiedenen Substanzklassen an. Zahlreiche Enzyme sind auf anorganische Ionen – in fast allen Fällen handelt es sich um Kationen – angewiesen. Bei Metalloenzymen – beispielsweise Alkohol-Dehydrogenase, Katalase, Carboanhydrase – sind die jeweils spezifischen Kationen in stöchiometrisch genau definierter Relation fest an das Enzymprotein, häufig im aktiven Zentrum, gebunden. Das metallfreie Enzym ist inaktiv. Bei den sogenannten metallaktivierten Enzymen ist das Metallion nur locker an das Protein gebunden. Das metallfreie Enzym behält zwar noch eine Restaktivität, für die optimale katalytische Fähigkeit ist jedoch die Anwesenheit von Metallionen notwendig, wobei sich auch chemisch nahe verwandte Ionen gegenseitig vertreten, aber auch inhibieren können. Metallionen haben verschiedene Möglichkeiten, direkt auf die enzymatische Katalyse einzuwirken. Das Metall kann sich unmittelbar an der Katalyse beteiligen, zum Beispiel durch Valenzwechsel beim Elektronentransport der Oxidoreductase-Reaktionen. Das metallische Kation kann sich an ein negativ geladenes Substratmolekül oder an ein Substrat mit einem freien Elektronenpaar binden, wobei sich ein Metall-Substrat-Komplex bildet, der als das eigentliche Substrat des betreffenden Enzyms fungiert. Schließlich kann das Metallion an eine funktionelle Gruppe des aktiven Zentrums gebunden sein und als Brücke zur Substratbindung dienen. Tabelle 1.15 enthält einige Beispiele von Enzymen, deren Aktivität auf die Anwesenheit von Metallionen angewiesen ist. Aufgrund des Effektes auf die enzymatische Katalyse stellt die Konzentration von Metallionen in den einzelnen Zellkompartimenten einen wesentlichen Faktor zur Regulation von Stoffwechselwegen dar. Insbesondere der Veränderung der Calciumkonzentrationen in unterschiedlichen Kompartimenten misst man in dieser Hinsicht eine vielfältige Bedeutung zu. Zahlreiche andere Enzyme benötigen zur Entfaltung ihrer katalytischen Aktivität organische oder metallorganische Moleküle als Cofaktoren, die als Coenzyme bezeichnet werden. In einigen Fällen sind sowohl Coenzyme als auch Metallionen an der Katalyse beteiligt. Ein Teil der Coenzyme ist kovalent und permanent an das Enzymprotein, das Apoenzym, gebunden und trägt dann die Bezeichnung prosthetische Gruppe. Diese Benennung wird im übrigen auch für die Ionen, die fest an Metalloenzyme gebunden sind, angewendet. Der Komplex aus Apoenzym und Coenzym beziehungsweise Metallion(en) trägt den Namen Holoenzym. Eine Reihe von Coenzymen interagiert nur temporär mit dem Apoenzym. Diese dissoziablen Coenzyme sollten korrekterweise als Cosubstrate aufgefasst werden. Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise das ATP sowie NAD/NADP beziehungsweise ihre reduzierten Formen NADH/NADPH. Das ATP liefert bekanntlich den Phosphatrest für die Reaktion der Kinasen. Die Nicotinamidadenindinucleotide übernehmen den Wasserstoff von reduzierten Substraten beziehungsweise dienen als Wasserstoffdonatoren
118
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Tabelle 1.15: Einige Enzyme, deren Aktivität von anorganischen Ionen abhängig ist Metall
Enzym
Fe2+ oder Fe3+
Cytochrom-Oxidase Katalase
Cu2+
Cytochrom-Oxidase
Zn2+
Alkohol-Dehydrogenase Carboanhydrase Alkalische Phosphatase
Mg2+
Hexokinase Glucose-6-Phosphatase Pyruvat-Kinase
Mn2+
Ribonucleotid-Reductase Arginase
K+
Pyruvat-Kinase
Se
Glutathion-Peroxidase
bei zahlreichen Reaktionen der Oxidoreductasen, wie dies Gleichung 1.10 verallgemeinert darstellt. SH2 + NAD+/NADP+ s S + NADH/NADPH + H+
(Gl. 1.10)
Diese Coenzyme fungieren als wasserlösliche Elektronen-Carrier. (Das H in den Abkürzungen NADH und NADPH steht für ein addiertes Hydrid-Ion (H–), NAD/NADP nehmen je zwei Elektronen und ein Proton auf). Analog dem Substrat gehen die Coenzyme – gleichgültig, ob sie den Charakter eines Cosubstrates oder einer prosthetischen Gruppe haben – aus der enzymatischen Katalyse verändert hervor. Sie müssen daher regeneriert, das heißt in einem cyclischen Prozess wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückgeführt werden. Dies geschieht bei den dissoziablen Coenzymen wie dem NAD in einer etwas anderen Form als bei den fest gebundenen prosthetischen Gruppen. Als Beispiel für letztere sei das Flavinadenindinucleotid betrachtet, das ebenfalls Wasserstoff überträgt, aber vom Enzym nicht abdiffundieren kann. Wie Abbildung 1.54 zeigt, wird für das Regenerieren des NAD/ NADH-Systems ein zweites Enzym gebraucht. Im Falle des FAD-haltigen Enzyms erfolgt die Dehydrierung des bei der Katalyse entstandenen FADH2 mittels molekularen Sauerstoffs, wobei Wasserstoffsuperoxid entsteht. Ein zweites Enzym ist hierzu nicht notwendig, das Regenerieren der prosthetischen Gruppe ist Teil des enzymatischen Prozesses. Die Aminosäure-Oxidasen sind ein Beispiel für eine derartige Reaktionsfolge. Tabelle 1.16 enthält eine Liste der Coenzyme, die an der enzymatischen Katalyse im Stoffwechsel des höheren tierischen Organismus beteiligt sind. Sie sind nach den Reaktionen geordnet, für deren Ablauf sie notwendig sind. Wasserstoffübertragende Coenzyme, gruppenübertragende Coenzyme sowie Coenzyme von Isomerase- und Lyase-
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
119
Tabelle 1.16: Coenzyme Coenzym
Abkürzung
Übertragene Gruppe
I. Wasserstoffübertragende Coenzyme Nicotinamidadenin- NAD+ Wasserstoff dinucleotid NicotinamidadeninNADP+ Wasserstoff dinucleotidPhosphat Flavinmononucleotid FMN Wasserstoff FlavinadeninFAD Wasserstoff dinucleotid Ubichinon Q Wasserstoff Metalloporphyrine – Elektronen Wasserstoff und Liponsäure Lip(S2) Acylgruppen (Ascorbinsäure)* Asc Wasserstoff II. Gruppenübertragende Coenzyme Adenosintriphosphat ATP Phosphat- und AMP-Rest PhosphoadenosinPAPS Sulfat-Rest phosphosulfat Pyridoxalphosphat PLP Aminogruppe Cytidindiphosphat CDP Phosphocholin Uridindiphosphat UDP Zucker, Uronsäure Coenzyme für C1-Transfer S-Adenosylmethionin SAM Tetrahydrofolsäure THF Biotin
–
Coenzyme für C2-Transfer Coenzym A CoA Thiamindiphosphat TPP
Vitamin Nicotinsäureamid Nicotinsäureamid Riboflavin Riboflavin – – – Ascorbinsäure – – Pyridoxin – –
Methylgruppe – Formyl- und andere Folsäure C1-Gruppen Carboxy-Gruppen (CO2) Biotin Acetyl-(Acyl)Gruppe C2-Aldehydgruppe
III. Wirkgruppen der Isomerasen und Lyasen Uridindiphosphat UDP Monosaccharidisomerisierung Pyridoxalphosphat PLP Decarboxylierung Thiamindiphosphat TPP Decarboxylierung Cobalamine Vit.B12 Umlagerung
Pantothensäure Thiamin – Pyridoxin Thiamin Vitamin B12
* Die Coenzymfunktion der Ascorbinsäure ist nicht vollständig geklärt Quelle: Karlson, P., Doenecke, D., Koolman, J. (1994) Kurzes Lehrbuch der Biochemie für Mediziner und Naturwissenschaftler Thieme Verlag 14. Aufl. S. 73 (modifiziert)
Reaktionen bilden die drei Hauptgruppen. Wie aus der Liste zu ersehen ist, gehören die Coenzyme zu sehr unterschiedlichen chemischen Verbindungsklassen. Mehrere Coenzyme sind wasserlösliche Vitamine, beziehungsweise sie enthalten als integralen Bestandteil eines dieser Vitamine. Meistens handelt es sich um modifizierte Abkömmlinge der Vitamine. Auffallend ist, dass fast alle Coenzyme als wesentlichen Bestandteil Phosphatgruppen enthalten, häufig in Form von Nucleotiden.
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Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
B
1.54
Regenerieren wasserstoffübertragender Coenzyme A. NAD/NADH-System; B. FAD/FADH-System; S = dehydriertes Substrat; SH = hydriertes Substrat; E = Enzym
Ein optimales Funktionieren der enzymatischen Katalyse ist nur dann gewährleistet, wenn nicht nur ausreichend Apoenzym vorhanden ist, sondern auch eine entsprechende Menge an Cofaktoren. Den Coenzymen kommt daher ebenfalls eine signifikante regulatorische Funktion zu. Aus der absoluten Notwendigkeit von Cofaktoren für viele Enzyme lässt sich folgern, dass ein Mangel an diesen Faktoren, – der unterschiedliche, zum Beispiel auch alimentäre Ursachen haben kann, – eine messbare Verringerung der Aktivität der betreffenden Enzyme verursacht. Die Bestimmung der katalytischen Effizienz solcher Enzyme dient daher zur Ermittlung des Versorgungszustandes mit einigen Vitaminen. Ein diesbezügliches Beispiel ist die erythrocytäre Transketolase als Indikatorenzym des Versorgungszustandes mit Thiamin (Abschnitt 4.4.2.1). Auf die molekulare Wirkungsweise einiger Vitamine mit Coenzymfunktion wird in Teil 2 des Buches eingegangen. Die chemischen Formeln der Vitamine sind in Abschnitt 4.4.2 erfasst.
1.3.2.4
Die Inhibierung enzymatischer Reaktionen dient ebenfalls der Steuerung des Stoffwechsels
Substrate und Coenzyme sind nicht die einzigen stofflichen Faktoren, die auf die Geschwindigkeit der enzymatischen Katalyse Einfluss ausüben. Vielmehr gibt es eine sehr große Anzahl von weiteren organischen Verbindungen – und auch von anorganischen Ionen –, die die Enzymaktivität im positiven und negativen Sinne beeinflussen. Die negativen Effektoren enzymatischer Reaktionen werden als Hemmstoffe oder Inhibitoren bezeichnet. Es kann sich dabei um Inhibitoren mit speziellen physiologischen Funktionen, zum Beispiel um Proteinase-Inhibitoren handeln, weiterhin um Metaboliten, die im Stoffwechsel selbst entstehen, aber auch um die große Gruppe der Xenobiotica, die unbeabsichtigt, oder – wie die Pharmaka – beabsichtigt in den Organismus gelangen. Es gibt zwei grundsätzlich unterschiedliche Möglichkeiten, eine enzymkatalysierte Reaktion zu hemmen. Im ersten Fall blockiert ein Inhibitor den katalytischen Prozess durch direkte Interaktion mit reaktiven Gruppen im aktiven Zentrum, die für den en-
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.55
Typen der Hemmung enzymatischer Reaktionen S = Substrat; I = Inhibitor; E = Enzym
121
122
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
1.56
Einfluß eines kompetitiven und eines nicht kompetitiven Inhibitors auf Vmax und Km der enzymatischen Reaktion A. Kompetitive Hemmung in der Michaelis-Menten-Darstellung; B. Kompetitive Hemmung in der Lineweaver-Burk-Darstellung; C. Nicht kompetitive Hemmung in der LineweaverBurk-Darstellung; v = Reaktionsgeschwindigkeit; Vmax = maximale Reaktionsgeschwindigkeit; Km = MichaelisKonstante; [I1], [I2] = Inhibitorkonzentration
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
123
zymatischen Umsatz wesentlich sind. Diese Kategorie von Inhibierungen wird im folgenden besprochen. Im zweiten Fall interagiert der Hemmstoff nicht mit dem katalytischen Zentrum, sondern mit einer zweiten Bindungsstelle am Enzymprotein, mit der allosterischen Bindungsstelle. Diese Interaktion führt zu einer Konformationsänderung des Enzymproteins mit der Konsequenz einer indirekten Beeinflussung des aktiven Zentrums. Diese für die Steuerung des Stoffwechsels außerordentlich wichtige allosterische Regulation wird in Abschnitt 1.3.2.5 berücksichtigt. Die Inhibierung von Enzymen durch direkte Interaktion des Hemmstoffs mit dem aktiven Zentrum weist drei unterschiedliche Hemmtypen auf: erstens die kompetitive, zweitens die nicht kompetitive und drittens die unkompetitive Hemmung. Ihr Zustandekommen ist in Abbildung 1.55 schematisch dargestellt. Im Falle der kompetitiven Hemmung konkurriert ein dem Substrat strukturell ähnliches Molekül, ein Analogon, das jedoch nicht umgesetzt werden kann, um die Substratbindungsstelle. Bei ausreichender Menge des Inhibitors kann dieser das Substrat vom aktiven Zentrum vollständig verdrängen und damit die Reaktion verhindern. Andererseits lässt sich der Inhibitor durch einen hohen Substratüberschuss von der Substratbindungsstelle durch Kompetition verdrängen und die Hemmung aufheben. Bei der nicht kompetitiven Hemmung reagiert der Hemmstoff mit einer für die katalysierte Reaktion essentiellen Gruppe des aktiven Zentrums, wobei diese Gruppe mit der Substrat-bindenden Gruppe nicht identisch ist. Der Inhibitor dieses Hemmtyps ist kein Substratanalogon und kann sich sowohl an das freie Enzym als auch an den Enzym-Substrat-Komplex binden. Der Inhibitor verhindert in diesem Falle also nicht die Bindung des Substrates im aktiven Zentrum, unterbindet jedoch dessen Umsatz, je nach Quantität ganz oder teilweise. Typischerweise tritt dieser Hemmtyp bei Bisubstratreaktionen auf, bei denen das aktive Zentrum reaktive Gruppen für zwei Substrate aufweist. Bei der selten auftretenden unkompetitiven Hemmung interagiert der Inhibitor nur mit dem Enzym-Substrat-Komplex unter Bildung eines nicht umsetzbaren ternären Komplexes. Die Kinetik einer enzymatischen Reaktion lässt sich in Gegenwart und in Abwesenheit eines Inhibitors mathematisch und graphisch analysieren. Damit kann man die einzelnen Hemmtypen voneinander unterscheiden. Bei Einsatz eines kompetitiven Inhibitors erhält man bei der Michaelis-Menten-Auftragung die in Abbildung 1.56A dargestellte Abhängigkeit der Enzymaktivität von der Substratkonzentration. Bei doppeltreziproker Auftragung der Daten nach Lineweaver-Burk (Abbildung 1.56B) zeigt sich deutlich, dass sich in Gegenwart des Inhibitors die effKm erhöht, während die effVmax mit und ohne Inhibitor gleich ist. Wendet man die Lineweaver-Burk-Auftragung auf den Fall eines nicht kompetitiven Inhibitors an (Abbildung 1.56C), wird deutlich, dass in diesem Fall die Michaelis-Konstante gleich bleibt, die effVmax dagegen je nach Inhibitor-Konzentration mehr oder minder stark erniedrigt ist. Die kinetische Analyse der Daten, die sich ohne beziehungsweise mit Inhibitor ergeben, erlaubt also, den Hemmtyp zu bestimmen. Analog der Michaelis-Konstante Km lässt sich auch eine Hemmkonstante Ki, errechnen. Je fester sich der Hemmstoff an das Enzym bindet, umso niedriger ist der Wert von Ki. Die Wirkung der bisher besprochenen Inhibitoren ist reversibel. Es gibt jedoch auch Hemmstoffe, die Enzyme irreversibel inhibieren. Diese binden sich meistens kovalent an das Enzymprotein und blockieren die Umsetzung endgültig. Eine spezielle Gruppe irreversibler Hemmstoffe bilden die Selbstmord-Inhibitoren. Die ursprünglich relativ wenig reaktiven Verbindungen binden sich an das aktive Zentrum bestimmter Enzyme. Die ersten Schritte der enzymatischen Reaktion finden statt, aber anstelle der Bildung des normalen Produktes der betreffenden Reaktion wird der Selbstmord-Inhibitor in
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Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
eine stark reaktive Verbindung umgewandelt, die sich irreversibel an das Enzym bindet und weitere Reaktionen blockiert. Zu derartigen Inhibitoren gehören manche Pharmaka beispielsweise das Penicillin, das auf diese Weise die Synthese der Zellwand mancher Bakterien blockiert. Selbstmord-Inhibitoren können auch eine physiologische Rolle haben, zum Beispiel der α1-Proteinase-Inhibitor, der verschiedene Blutgerinnungsfaktoren und andere Serin-Proteasen hemmt. Das Studium der Hemmung enzymatischer Reaktionen gibt in bestimmten Fällen Aufschluss über den katalytischen Mechanismus von Reaktionen sowie über die molekulare Struktur des aktiven Zentrums. Weiterhin kann man auf diesem Weg wertvolle Informationen über die Regulation von Stoffwechselketten erhalten.
1.3.2.5
Allosterische Modulatoren interagieren mit einer zweiten Bindungsstelle des Enzymproteins
Die durch die Michaelis-Menten-Gleichung beschriebene Beziehung zwischen Substratkonzentration und Enzymaktivität gilt für die Mehrzahl der Enzyme, aber keineswegs für alle. Es gibt eine Reihe von Enzymen, insbesondere solche mit regulatorischer Funktion, die ein anderes kinetisches Verhalten zeigen und zur Kategorie der allosterischen Enzyme gehören. Die Bezeichnung allosterisch (griechisch: anderer Ort) weist darauf hin, dass diese Enzyme außer der Substratbindungsstelle noch eine weitere – gelegentlich auch mehrere weitere – Bindungsstelle(n) für allosterische Effektoren (Modulatoren) haben. Man unterscheidet homotrope Effektoren, die mit dem Substrat identisch sind und sich sowohl an das aktive Zentrum als auch an die allosterische Bindungsstelle anlagern, und heterotrope Effektoren, die sich ausschließlich an die allosterische Bindungsstelle binden. Homotrope Modulatoren haben stets eine positive Wirkung auf die enzymatische Katalyse, heterotrope Modulatoren können entweder einen positiven oder einen negativen Effekt ausüben. Allosterische Modulatoren werden stets nicht kovalent gebunden. Es gehört zu den Charakteristika der allosterischen Enzyme, dass sie (fast) immer aus mehreren identischen, oder nicht identischen Untereinheiten bestehen, das heißt eine Quartärstruktur aufweisen. Die Anlagerung eines allosterischen Effektors an die allosterische Bindungsstelle führt zu einer Konformationsänderung des Enzymproteins, die sich über das gesamte Molekül fortpflanzt und sich auch dem aktiven Zentrum mitteilt. Damit ändert sich die Aktivität des Enzyms im Sinne einer Erhöhung oder einer Erniedrigung – je nachdem, ob der Effekt von einem positiven oder einem negativen Modulator ausgelöst wird. Die Konformationsänderung spielt sich nicht nur innerhalb der einzelnen Untereinheit ab, sondern betrifft auch die weiteren Untereinheiten eines Enzyms mit Quartärstruktur im Sinne eines kooperativen Verhaltens. Das Phänomen der Kooperativität ist wesentlich für das Zustandekommen allosterischer Effekte bei der enzymatischen Katalyse. Das kooperative Verhalten ist allerdings nicht auf Enzyme beschränkt, sondern wird auch bei Proteinen mit Quartärstruktur, die keine Enzyme sind, beobachtet. Ein physiologisch relevantes Beispiel ist das kooperative Verhalten des Hämoglobins: Nach initialer Bindung von Sauerstoff steigt die Affinität des Hämoglobins zu weiteren Sauerstoffmolekülen stark an. Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass auch Enzyme mit Quartärstruktur bekannt sind, deren Untereinheiten sich gegenseitig nicht beeinflussen, da sie keine allosterischen Bindungsstellen haben. Wie bereits erwähnt, lässt sich die Abhängigkeit der Enzymaktivität von der Substratkonzentration im Falle der allosterischen Enzyme nicht durch die Michaelis-Men-
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.57
125
Reaktionskinetik eines allosterischen Enzyms a: ohne allosterischen Effektor; b: mit allosterischem Aktivator; c: mit allosterischem Inhibitor; Vmax = maximale Reaktionsgeschwindigkeit; Km = Michaelis-Konstante; S = Substrat
ten-Gleichung beschreiben. Trägt man die Reaktionsgeschwindigkeit gegen die Substratkonzentration auf, so erhält man bei allosterischem Verhalten – wie aus Abbildung 1.57 ersichtlich – keine Hyperbel, sondern eine sigmoidale Beziehung, die durch Gleichung 1.11, die Hill-Funktion, erfaßt wird. h
v=
Vmax × [S]
h
K 0,5 + [S]
(Gl. 1.11)
wobei v die Reaktionsgeschwindigkeit, Vmax die Maximalgeschwindigkeit, h den Hill-Koeffizienten und K0,5 diejenige Substratkonzentration bezeichnet, bei der die halbmaximale Reaktionsgeschwindigkeit erreicht ist. Die Steigung der sigmoidalen Substratsättigungskurve ist ein Maß für die Affinität zwischen Enzym und Substrat. Bei allosterischen Enzymen nimmt die Steigung mit steigender Substratkonzentration zunächst zu, bei höherer Substratkonzentration wieder ab. Die Affinität der allosterischen Enzyme variiert also mit der Substratkonzentration. Das heißt K0,5 ist zwar dem Km-Wert analog, jedoch keine Konstante. Der sigmoidale Verlauf der Kurve wird durch den Hill-Koeffizienten h beschrieben. Im Falle einer positiven Kooperativität ist h>1, bei negativer Kooperativität ist h<1. (Bei nicht-kooperativem Verhalten wäre h = 1). Allosterische Effektoren verändern außer der K0,5 auch h: ein positiver Modulator bewirkt eine Linksverschiebung der Kurve und verringert sowohl K0,5 als auch h; ein negativer Modulator führt zu einer Rechtsverschiebung und zu einer Erhöhung von K0,5 und h. Bei dem in Abbildung 1.57 dargestellten Beispiel der allosterischen Modulation der Enzymaktivität durch einen positiven und einen negativen Effektor blieb die Vmax unverändert. Lediglich die K0,5 wurde durch einen positiven Modulator erniedrigt und
126
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
durch einen negativen Modulator erhöht. Dieses Verhalten zeigen die meisten allosterischen Enzyme. Es gibt allerdings auch einen weniger verbreiteten Modulationstyp, bei dem sich die Vmax ändert, im Sinne einer Erhöhung bei einem positiven Effektor beziehungsweise einer Erniedrigung bei Einsatz eines negativen. Der Wert von K0,5 ändert sich bei diesen Enzymen kaum oder gar nicht. Zur Erklärung des kooperativen Effektes auf molekularer Ebene nimmt man an, dass in Abwesenheit von Modulatoren die Untereinheiten eines allosterischen Enzyms in zwei Konformationen vorkommen: überwiegend in einer T-Form (von tensed = gespannt), die keine oder nur geringfügige Ligandenaffinität aufweist, und in einer RForm (von relaxed = entspannt), die nur in einer sehr geringen Konzentration vorkommt und eine hohe Affinität zum allosterischen Modulator hat. Homotrope und heterotrope Effektoren sowie Substrate beeinflussen das Gleichgewicht zwischen den beiden Zuständen und führen so zum sigmoidalen Sättigungsverhalten. Mit zunehmender Substratkonzentration wird das Gleichgewicht immer stärker zur aktiven R-Form verschoben. Positive allosterische Modulatoren stabilisieren die R-Konformation, negative Modulatoren fördern den Übergang in die T-Konformation. Beim Übergang von der T-Form in die R-Form handelt es sich wahrscheinlich weniger um eine Änderung der Tertiärstruktur der einzelnen Untereinheiten als vielmehr um mehr oder minder starke räumliche Verschiebungen in der Quartärstruktur des Oligomeren. Die kooperative Wechselwirkung wird durch zwei unterschiedliche Modelle demonstriert. Nach dem Symmetriemodell müssen alle Untereinheiten eines Enzyms mit Quartärstruktur entweder in der T-Form oder in der R-Form vorliegen. Der Übergang zwischen den beiden Formen erfolgt also nach dem „alles-oder-nichts Prinzip“. Nach dem Sequenzmodell können die einzelnen Untereinheiten unabhängig voneinander ihre Konformation ändern. Nach diesem Modell sind also mehrere Übergangszustände mit der Möglichkeit einer differenzierteren Steuerung denkbar. Enzyme, deren Aktivität durch das Wechselspiel allosterischer Aktivatoren und Inhibitoren reguliert wird, sind in der Zelle weit verbreitet. Die Konzentration der positiven und negativen Modulatoren, die wiederum unter der Kontrolle zahlreicher Faktoren steht, bestimmt die katalytische Wirksamkeit dieser regulatorischen Enzyme. Die Anlagerung beziehungsweise Loslösung der stets nicht kovalent gebundenen Modulatoren ist ein schneller Prozess. Somit eignet sich diese Art der Regulation für die akute Adaptation des Stoffwechsels. Eine besondere physiologische Bedeutung kommt der allosterischen Regulation im Falle der Rückkopplungs- oder feed-back-Hemmung längerer metabolischer Ketten zu. In diesem Falle wirkt das Endprodukt der Stoffwechselkette, die aus zahlreichen hintereinander geschalteten enzymatischen Schritten bestehen kann, als allosterischer Inhibitor auf jenes Enzym, das den ersten Schritt in der Kette katalysiert. Verständlicherweise ist es für die Zelle ökonomisch, den Substratdurchsatz durch die Reaktionskette auf diese Weise bereits beim ersten enzymatischen Schritt zu stoppen, sobald sich genügend Produkt angesammelt hat. Da der allosterische Effekt voll reversibel ist, kann der Ablauf der Reaktionsfolge wieder beginnen, sobald die Menge des inhibierenden Produktes wieder abgenommen hat. Allosterische Enzyme findet man allerdings nicht nur am Beginn, sondern häufig auch an Kreuzungspunkten metabolischer Ketten. Sie können in diesem Fall die Aufgabe übernehmen, Zwischenprodukte des Stoffwechsels, die verschiedenen Zwecken dienen sollen, je nach der aktuellen Stoffwechselsituation in die eine oder andere Richtung zu kanalisieren. Einen Sonderfall des allosterischen Mechanismus stellen die regulatorischen Untereinheiten dar. Es gibt eine Reihe von oligomeren Enzymen, die zwar allosterisch re-
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
127
guliert werden, bei denen sich jedoch die Substratbindungsstelle und die allosterische Bindungsstelle nicht am selben Protein befinden. Diese Enzyme besitzen besondere regulatorische Untereinheiten, die die allosterischen Modulatoren binden und danach mit dem Enzym interagieren. In diese Gruppe gehören insbesondere die durch second messenger modulierten Enzyme, beispielsweise die verschiedenen Proteinkinasen.
1.3.2.6
Die Aktivität interkonvertierbarer Enzyme lässt sich durch chemische Modifikation des Enzymproteins an- und abschalten
Die interkonvertierbaren Enzyme kommen in der Zelle in zwei Zuständen vor: einem inaktiven (oder fast inaktiven) und in einem aktiven Zustand. Interkonversion bedeutet die Überführung eines derartigen Enzyms von einem dieser Zustände in einen anderen, und zwar durch kovalente Anbindung bestimmter funktioneller Gruppen an eine definierte Stelle des Enzymproteins beziehungsweise Abspaltung dieser Gruppen. Im Stoffwechsel des höheren tierischen Organismus handelt es sich stets um Phosphatgruppen, die an die OH-Gruppe von Serin beziehungsweise Threonin der Peptidkette angeheftet werden. Andere Organismen können zur Interkonversion auch Adenyl-, Uridyl-, ADP-Ribosyl- und Methylgruppen verwenden. Die energieabhängige Phosphorylierung erfolgt stets durch Kinasen mit ATP als Phosphatdonator. Die Abspaltung der Phosphatgruppe wird durch Phosphatasen katalysiert. Bei der Interkonversion handelt es sich also um eine enzymkatalysierte chemische Modifikation von Enzymen, bei der drei Enzyme im Spiele sind: das zu interkonvertierende Enzym und zwei modifizierende Enzyme, wie dies in Abbildung 1.58 allgemeingültig skizziert ist. Die Interkonversion ist also eine ebenfalls reversible Modifikation von Enzymen. Im Gegensatz zur allosterischen Modifikation bedarf es jedoch zur Wiederherstellung des ursprünglichen Aktivitätszustandes der Katalyse durch ein zweites modifizierendes Enzyms, da die einzelne Reaktion, zum Beispiel die Phosphorylierung durch die Kinase, an sich irreversibel ist. Die Phosphorylierung beziehungsweise Dephosphorylierung eines interkonvertierbaren Enzyms führt zu einer Konformationsänderung des Enzymproteins, die auch das katalytische Zentrum betrifft. Während bei der allosterischen Modulation der Effektor die Enzymaktivität in einem weiten Bereich erhöht, beziehungsweise erniedrigt, handelt es sich bei der Interkonversion um ein vollständiges An- beziehungsweise Abschalten der katalytischen Wirksamkeit des Enzyms. Je nach Enzym kann die Phosphorylierung ein Anschalten der Enzymaktivität – wie im Falle der Glykogen-Phosphorylase – oder ein Abschalten, wie bei der Glykogen-Synthase (Abschnitt 9.3.5.1) – hervorrufen. In vielen Fällen unterliegen auch die modifizierenden Enzyme selbst einer Regulation, in einigen Fällen ebenfalls durch Interkonversion, in anderen Fällen durch allosterische Beeinflussung. Es kommt zu einer regulatorischen Kaskade. Die Interkonversion wird meistens durch hormonelle Signale ausgelöst. Es gibt sehr viele Hormone, die ihre Botschaft durch Initiieren einer Interkonversion von Enzymen realisieren. Interkonvertierbare Enzyme sind, ähnlich der allosterisch regulierten, an Schlüsselpositionen des Stoffwechsels lokalisiert. Ein bekanntes Beispiel ist die Pyruvat- Dehydrogenase, die sich an der Schaltstelle zwischen Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel befindet (Abschnitt 9.3.4). Die interkonvertierbaren Enzyme bilden eine Klasse regulatorischer Enzyme, die außerordentlich ökonomisch agieren. Ohne Abbau und stark energieverbrauchende Resynthese von Enzymproteinen kann der Aktivitätszustand vom Nullpunkt auf ein Maximum umgeschaltet werden. Der einmal eingestellte
128
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
1.58
Prinzip der Interkonversion OH = Hydroxylrest von Serin oder Threonin; O–P = Phosphatgruppe; Pi = anorganisches Phosphat
Aktivitätszustand bleibt auch dann noch erhalten, wenn das auslösende Agens der Interkonversion nicht mehr gegenwärtig ist. Erst das zweite modifizierende Enzym kann ihn wieder aufheben.
1.3.2.7
Der pH-Wert in der Umgebung des Enzyms beeinflusst die Katalyse
Bestimmt man die Aktivität eines Enzyms in Pufferlösungen mit unterschiedlichen pHWerten, erhält man die in Abbildung 1.59 dargestellte, im Idealfall glockenförmige Funktion. Das Maximum der Aktivität, das pH-Optimum, entspricht in vielen Fällen – wenn auch nicht immer – in etwa dem pH-Wert, der am Wirkungsort des Enzyms im intra- beziehungsweise extrazellulären Raum gegeben ist. Das pH-Optimum – öfters handelt es sich um einen Optimum-Bereich – gehört zu den Kenngrößen eines Enzyms. Es liegt für die Mehrzahl der Enzyme zwischen pH 4 und 9, mit Ausnahme einiger Verdauungsenzyme, zum Beispiel des Pepsins, das seine maximale Aktivität bei einem pHWert von 2 bis 3 entfaltet. Bei extrem hoher und extrem niedriger H+-Konzentration tendiert die Aktivität der Enzyme gegen null, da Enzymproteine unter beiden Bedingungen denaturieren. Änderungen der H+-Konzentration können direkt im aktiven Zentrum einen Effekt ausüben, indem sie die Bildung des Enzym-Substrat-Komplexes beeinflussen, wie dies Gleichung 1.12a bis 1.12c deutlich machen: E– + SH+ → ESH E– + H+ → EH SH+ → S + H+
(Gl. 1.12a) (Gl. 1.12b) (Gl. 1.12c)
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.59
129
Abhängigkeit der Enzymaktivität vom pH-Wert des Reaktionsmediums (im Beispiel: Trypsin)
Voraussetzung für die Bildung des Enzym-Substrat-Komplexes ist in diesem Beispiel, dass das Enzym negativ und das Substrat durch Protonierung positiv geladen ist (Gl. 1.12a). Bei Erniedrigung des pH-Wertes, das heißt Erhöhung der H+-Konzentration, wird das Enzym zu EH protoniert (Gl. 1.12b) und die Bindung des Substrates kommt nicht mehr zustande. Wird der pH-Wert erhöht, und damit die H+-Konzentration erniedrigt, wird das Substrat deprotoniert (Gl. 1.12c) mit der Konsequenz, dass ebenfalls kein Enzym-Substrat-Komplex gebildet wird. Je stärker die pH-Änderung, umso niedriger die Konzentration von E– und SH+, den einzigen Formen, die miteinander reagieren können. Der Einfluß des pH-Wertes beschränkt sich allerdings nicht auf das aktive Zentrum. Protonierung und Deprotonierung von reversibel protonierbaren Aminosäureresten an sonstigen Bezirken der Polypeptidkette kann dazu führen, dass ionische Wechselwirkungen gestärkt oder geschwächt werden und sich die Konformation des Enzyms ändert. Außer der Tertiärstruktur kann auch die Quartärstruktur betroffen sein und es kann zum Zerfall von Oligomeren kommen. Wegen des starken Einflusses des pH-Wertes auf die katalytische Wirksamkeit von Enzymen ist es notwendig, den intrazellulären pH-Wert innerhalb enger Grenzen konstant zu halten. Dies geschieht außer durch effektive Pufferung durch Einsatz von Protonen-Transportsystemen. Kleine Änderungen des pH-Wertes werden in einigen Fällen als Steuerungsfaktoren der Enzymaktivität eingesetzt.
1.3.3 Bei manchen Enzymen wird eine irreversible Aktivierung durch Proteolyse erreicht Die in Abschnitt 1.3.2 besprochenen Möglichkeiten zur Steuerung der Enzymaktivität führten zu Zustandsänderungen, die direkt oder indirekt rückgängig zu machen waren. Es gibt jedoch eine relativ große Anzahl von proteolytisch wirksamen Enzymen, die in Form katalytisch inaktiver Vorstufen, Zymogene genannt, synthetisiert und an ihre Wirkorte befördert werden. Sie erlangen ihre enzymatische Aktivität, indem Teile der Peptidkette an vorbestimmten Stellen proteolytisch gespalten werden. Die Abspaltung definierter Aminosäuresequenzen führt zu einer Konformationsänderung der Kette, wobei
130
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
1
245
Chymotrypsinogen (inaktiv)
245
π−Chymotrypsin (aktiv)
Trypsin
1
15
16
Arg
Ile π−Chymotrypsin Ser 14
1
13
16
146
149
Leu
Ile
Tyr
Ala
A-Kette 1.60
Arg und Thr 15 147
B-Kette
Asn 148
245
α−Chymotrypsin (aktiv)
C-Kette
Aktivierung des Zymogens von Chymotrypsin durch Proteolyse
sich für die enzymatische Katalyse wesentliche Gruppen zum aktiven Zentrum ordnen. Die irreversible Aktivierung durch Proteolyse findet in der Regel außerhalb der Zellen statt. Als Beispiel für die proteolytische Umwandlung von Zymogenen ist die Aktivierung des Chymotrypsins in Abbildung 1.60 dargestellt. Das Chymotrypsinogen wird aus den Acinus-Zellen des Pankreas in das Duodenum sezerniert. Es besteht aus 245 Aminosäuren und ist enzymatisch inaktiv. Wird die Peptidbindung zwischen Arginin15 und Isoleucin 16 durch Trypsin gespalten, entsteht das π-Chymotrypsin, das zwar voll aktiv, jedoch instabil ist. Durch Abspaltung der Dipeptide Serin-Arginin und Threonin-Asparagin durch das π-Chymotrypsin selbst, entsteht die stabile Form, das α-Chymotrypsin. Die aus den beiden Spaltungen hervorgegangenen drei Ketten – A, B und C – sind durch Disulfidbrücken miteinander verbunden. Außer dem Chymotrypsinogen werden auch die weiteren Zymogene des Pankreas – Trypsinogen, Proelastase und Procarboxypeptidase – im Duodenum proteolytisch aktiviert (Tabelle 1.17). Bei allen diesen Prozessen leitet eine geringe Menge an Trypsin die Proteolyse ein. Die Bildung dieser winzigen Menge an Trypsin wird durch die Enteropeptidase, die aus den Zellen des Duodenums stammt, katalysiert. Dieses Enzym hydrolysiert eine einzige Lysin-Isoleucin-Bindung im Trypsinogen, sobald dieses aus dem Pankreas ins Doudenum übertritt, und setzt die Kette der Proteolysen in Gang. Auch die proteolytischen Verdauungsenzyme, die aus den sekretorischen Zellen des Magens stammen, werden als Zymogene gebildet. Die Umwandlung der inaktiven Vorstufen in die aktive Form geschieht im Lumen des Magens beziehungsweise des Dünndarms. Der biologische Sinn der verzögerten Aktivierung der Proteasen ist darin zu sehen, dass dadurch der Selbstverdauung der Gewebe, von denen sie produziert werden, vorgebeugt wird. Die Aktivierung von Zymogenen durch begrenzte Proteolyse ist ein irreversibler Vorgang, weshalb zur Inaktivierung der Enzyme dieser Kategorie andersgeartete Mechanismen notwendig sind. Derartige Proteasen werden durch inhibitorische Proteine
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
131
Tabelle 1.17: Zymogene gastrointestinaler Enzyme Enzym
Vorstufe
Bildungsort
Substrat
Produkte
pH-Optimum
Pepsin
Pepsinogen
Magenschleimhaut
Proteine
Peptide
2–3
Trypsin
Trypsinogen
Pankreas
Proteine Polypeptide
Oligopeptide
7–8
Chymotrypsin
Chymotrypsinogen
Pankreas
Proteine, Polypeptide
Oligopeptide
7–8
Carboxy- Procarboxypeptidase peptidasen A und B
Pankreas
C-terminale Aminosäuren v. Proteinen
Aminosäuren, Peptide
7–8
Elastase
Pankreas
Elastin
Proelastase
inaktiviert, die sich an das aktive Zentrum des Enzyms binden und die Katalyse damit blockieren. Der sekretorische Pankreas-Trypsininhibitor als Beispiel wird zusammen mit dem Trypsinogen in einem Verhältnis von 1 zu 100 vom Pankreas sezerniert. Dieser Inhibitor bindet sich an vorzeitig in den Pankreasgängen aktiviertes Trypsin und verhindert damit den proteolytischen Angriff des Trypsins auf das Pankreasgewebe. Die Inhibierung wirkt sich gleichzeitig auch auf die Entstehung von Chymotrypsin und Elastin aus deren Zymogenen aus, da diese ebenfalls durch Trypsin aktiviert werden. Außer den proteolytisch wirksamen Enzymen werden auch sonstige biologisch wirksame Proteine als Vorstufen, auch Pro-Formen genannt, synthetisiert und durch proteolytische Verkürzung der Peptidkette in ihre biologisch aktive Fom umgewandelt. Bekannte diesbezügliche Beispiele sind verschiedene Proteohormone sowie Faktoren der Blutgerinnung und Fibrinolyse.
1.3.4 Die Existenz von Isoenzymen ermöglicht unterschiedliche Steuerungsmöglichkeiten in verschiedenen Organen und verschiedenen Zellkompartimenten Isoenzyme sind unterschiedliche molekulare Formen eines Enzymproteins, die ein und dieselbe Reaktion katalysieren. Diese multiplen Formen eines Enzyms können in verschiedenen Organismen speziesspezifisch auftreten. Sie kommen jedoch auch innerhalb desselben Organismus in unterschiedlichen Geweben und unterschiedlichen Zellkompartimenten mit ihren jeweils typischen Varianten vor. Die einzelnen Isoformen haben des öfteren eine etwas unterschiedliche Affinität zu ihrem Substrat beziehungsweise ihren Substraten. Auch sonst können sie in ihrem kinetischen Verhalten, hinsichtlich des bevorzugten Coenzyms und der regulatorischen Eigenschaften, deutliche Unterschiede aufweisen. Dieses differenzierte Verhalten lässt sich auf Unterschiede in der Primärstruktur der einzelnen Polypeptidketten zurückführen. Die Existenz der Isoenzymformen ist wahrscheinlich immer genetisch bedingt. Es wird angenommen, dass beispielsweise die cytosolische Form der Malat-Dehydrogenase durch ein Gen des Kerngenoms, die mitochondriale Form desselben Enzyms jedoch
132
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
durch ein mitochondriales Gen codiert wird. In anderen Fällen könnten Gene nach Duplikation an zwei unterschiedliche Genloci gelangen und beide Kopien sich etwas unterschiedlich entwickeln, ohne ihre ursprüngliche Funktion zu verlieren. Dies könnte zur Bildung von Heteropolymeren eines Enzyms aus nicht identischen Untereinheiten führen. Diese Möglichkeit ist bei der Lactat-Dehydrogenase realisiert, einem Enzym, das die reversible Überführung von Pyruvat in Lactat und umgekehrt katalysiert. Die Lactat-Dehydrogenase ist aus vier Untereinheiten aufgebaut, von denen zwei zum M-Typ (M steht für Muskel) und zwei zum H-Typ (H steht für Herz) gehören. Die Polypeptidkette des M-Typs und des H-Typs wird durch unterschiedliche Gene codiert. Durch Kombination der beiden Typen zum enzymatisch aktiven Tetramer ergeben sich fünf Möglichkeiten: HHHH, HHHM, HHMM, HMMM und MMMM. Der im Skelettmuskel vorherrschende Isoenzymtyp enthält vier M-Untereinheiten, der im Herzen dominierende Typ vier H-Untereinheiten. Sonstige Gewebe enthalten Gemische der fünf Isoenzymformen in jeweils charakteristischem Verhältnis. Bei Schädigung eines Organs tritt neben anderen Enzymen auch die Lactat-Dehydrogenase vermehrt in das Blut über. Die überproportionale Erhöhung der Konzentration einer der Isoformen ist ein diagnostischer Hinweis auf die Erkrankung jenes Organs, für das gerade diese Isoform charakteristisch ist. Die Bestimmung verschiedener Isoenzyme ist ein oft angewendetes Verfahren der klinischen Chemie. Aus der unterschiedlichen Primärstruktur der einzelnen Isoenzymformen resultieren mehr oder minder unterschiedliche physikochemische Eigenschaften. Insbesondere die Differenzen im Ladungszustand machen es möglich, die einzelnen Formen durch Elektrophorese auf geeigneten Trägern zu trennen. Isoenzymformen kommen in verschiedenen Enzymklassen vor. Besonders häufig weisen Dehydrogenasen, Oxidasen, Transaminasen, Kinasen und Proteasen multiple Formen auf. Die Existenz von Isoenzymen hat vielfältige biologische Bedeutung, unter anderem bei der Differenzierung und Entwicklung adulter Gewebe aus embryonalen und fetalen Formen, aber auch bei malignen Entdifferenzierungen. Sie sind ausschlaggebend für die unterschiedliche Organisation des Stoffwechsels in verschiedenen Organen, ein Aspekt, der im Teil II des Lehrbuches durch Beispiele belegt wird. Durch die unterschiedliche Antwort der Isoenzymformen auf allosterische und sonstige Modulatoren wird eine Feinabstimmung des Stoffumsatzes ermöglicht.
1.4 Die hormonale Regulation Bereits die Einzeller haben im Verlauf der Evolution eine bewundernswerte biochemische Differenzierung entwickelt, die sie befähigte, die unterschiedlichsten Substrate als Lebensgrundlage zu nutzen. Dennoch war die Zusammenlagerung mehrerer Zellen – erst zu Kolonien, dann zu mehrzelligen Organismen – ein entscheidender evolutionärer Fortschritt, da sie von Spezialisierung und Arbeitsteilung innerhalb eines Individuums begleitet war. Für den einzelnen Organismus eröffnete dies nicht zuletzt die Möglichkeit, die Nährstoffe eines wesentlich vergrößerten Raumes effektiv zu nutzen. Die Vorteile der Arbeitsteilung zwischen den einzelnen spezialisierten Teilen eines Mehrzellers konnten verständlicherweise nur zum Tragen kommen, wenn auch die Möglichkeit der Verständigung zwischen Zellen und Zellverbänden geschaffen wurde. Hierzu waren chemische Botenstoffe notwendig, die – von einer Zelle abgegeben – eine Information auch über mehr oder minder weite Strecken an andere Zellen vermittelten. Diese wiederum mussten die Botschaft mittels Rezeptoren empfangen können.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
133
Um Wachstum und Leistung von Organen, Geweben und Zellen aufeinander abzustimmen, haben sich bei den höheren tierischen Organismen im Verlauf der Evolution die hormonale (hormonelle) oder humorale und die neuronale Koordination herausgebildet. Die neuronale Kommunikation vermittelt hauptsächlich äußere Reize in das Innere von Organismen. Sie ist eine Informationsvermittlung mittels Neurotransmitter und ähnlicher Signalstoffe und findet zum Teil innerhalb von Sekunden statt. Die Kommunikation mittels Hormone und hormonähnlicher Substanzen benötigt dagegen Minuten, Stunden und öfters auch längere Zeiträume, bis die Botschaft des Signals in biochemische Effekte umgesetzt wird. Dabei handelt es sich vor allem um die Einstellung definierter Bedingungen im Organismus. Mit den Prinzipien der biologischen Information befasst sich ein spezieller Zweig der Physiologie, die Biokybernetik, eine Wissenschaft, die mit den Modellen und Begriffen der technischen Informationsübermittlung arbeitet. Nach den Gesichtspunkten der Kybernetik wäre die neuronale Kommunikation mit einem Telefon vergleichbar, bei dem Sender und Empfänger direkt miteinander verbunden sind. Die hormonale Kommunikation funktioniert dagegen nach dem Prinzip des Rundfunks, indem sie Information an alle die vermittelt, die Empfänger, das heißt spezifische Rezeptoren haben. Eine strikte Trennung beider Koordinationssysteme ist allerdings nicht möglich, was auf eine gemeinsame phylogenetische Wurzel hinweist. Häufig sprechen beide Systeme auf ein und denselben Signalstoff an, wie dies das Beispiel der Catecholamine zeigt (Abschnitt 1.4.4.1), die teils Neurotransmitter-, teils Hormonfunktion haben. Alle Signalstoffe weisen eine Reihe gemeinsamer Charakteristika auf: 1. Beim höher entwickelten tierischen Organismus sind sie Syntheseprodukte desselben Individuums, in dem sie wirken. 2. Ihre Botschaft richtet sich an definierte Zielzellen, die mit spezifischen Rezeptoren für den Empfang des Signals ausgestattet sind. 3. Die Information initiiert, beschleunigt oder verlangsamt an beziehungsweise in den Zielzellen biochemische – meistens enzymatische – oder physiologische Reaktionen; oft handelt es sich hierbei um eine sich verstärkende Kaskade von Reaktionen. 4. Das Signalmolekül selbst ist an der Reaktion nicht beteiligt. 5. Es genügt eine sehr niedrige Konzentration (10–12 bis 10–6 mol × L–1) der Signalmoleküle, um eine Wirkung auszuüben, was eine sehr hohe Affinität des Rezeptors zum Signal, auch Agonist bezeichnet, voraussetzt. 6. Um der regulatorischen Funktion zu genügen, muss die Bildung des Signal-Rezeptor-Komplexes reversibel sein. Die Effektivität der Hormonwirkung wird generell durch fünf Faktoren bestimmt: 1. die Biosyntheserate; 2. die Sekretionsrate; 3. die Transportrate, die bei einigen Hormonen von der Verfügbarkeit spezieller Transportproteine abhängt; 4. die Anzahl und Affinität der spezifischen Hormonrezeptoren an beziehungsweise in den Zielzellen, 5. die Rate der Inaktivierung des Hormons durch chemische Modifikation und/oder Abbau.
1.4.1 Hormone können nach unterschiedlichen Gesichtspunkten klassifiziert werden Der Begriff Hormon (griechisch: horman = aufrühren, erregen) als Sammelbezeichnung für chemische Botenstoffe kann unterschiedlich weit gefasst werden. Nach der „klassischen“ Auffassung werden unter diesem Begriff Signalstoffe verstanden, die in spezialisierten Organen (oder Geweben) , den Hormondrüsen, synthetisiert werden. Fast immer gelangen diese glandulären Hormone, beispielsweise die Schilddrüsen-
134
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
hormone oder das Insulin, über die Blutbahn zu ihren Zielorganen – auch Erfolgsorgane genannt –, wo sie ihre Regulationsfunktionen auf biochemischer und physiologischer Ebene ausüben. Die Hormondrüsen sind also endokrine oder innersekretorische Drüsen, die ihre Produkte, die Inkrete, an das Körperinnere, üblicherweise an das Blut, abgeben. Dagegen scheiden exokrine Drüsen ihre Sekrete nach außen, meistens in Körperhöhlen, wie in den Magendarmtrakt, ab. Es sind auch Drüsen bekannt, die sowohl eine endokrine als auch eine exokrine Funktion haben, wie dies beim Pankreas der Fall ist. Die aglandulären Hormone, auch als Gewebshormone bezeichnet, werden in spezialisierten Einzelzellen verschiedener Gewebe synthetisiert. In den meisten Fällen wirken sie nach der Abgabe aus diesen Zellen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Man spricht in diesem Falle von einer parakrinen Vermittlung des interzellulären Signals. Manche Gewebshormone werden allerdings auch in die Blutbahn abgegeben, das heißt sie entfalten ihre Wirkung auf endokrinem Wege. Einige Signalträger, insbesondere Wachstumsfaktoren, wirken autokrin, indem sie auf dieselbe Zelle rückwirken, die sie abgegeben hat. Es gibt eine sehr große Anzahl von Gewebshormonen. Die meisten von ihnen sind Peptide, andere sind direkte oder modifizierte Decarboxylierungsprodukte von Aminosäuren, die unter der Bezeichnung biogene Amine zusammengefasst werden. Im weitesten Sinne werden eine Anzahl weiterer Signalstoffe mit hormonähnlichen Wirkungen ebenfalls zu den Hormonen gerechnet: die Neurohormone und Neurotransmitter, die Wachstumshormone und die Mediatoren. Die Neurohormone werden auch als releasing-Faktoren beziehungsweise inhibiting-Faktoren bezeichnet. Sie sind Polypeptide, die aus der Region des Nucleus supraopticus des Hypothalamus über ein spezielles Venensystem zum Hypophysenvorderlappen gelangen. Sie stimulieren beziehungsweise hemmen dort die sekretorische Aktivität der Adenohypophyse. Die Neurotransmitter werden im Perikaryon von Nervenzellen gebildet und auf einen Reiz an der präsynaptischen Membran in den synaptischen Spalt abgegeben. Sie wirken erregend beziehungsweise hemmend, indem sie an die Rezeptoren der postsynaptischen Membran eines anderen Neurons oder einer Muskelzelle binden. Sie beeinflussen die Aktivität der postsynaptischen Zellen durch Regulation von Ionenströmen. Neurotransmitter haben eine sehr viel kürzere biologische Halbwertszeit als die Neurohormone. Wachstumshormone oder Wachstumsfaktoren sind ebenfalls Polypeptide, die Wachstum, Zellteilung und Lebensdauer verschiedener Zelltypen regulieren. Mediatoren, beispielsweise die Prostaglandine, sind sehr kurzlebig und wirken nur in ihrer unmittelbaren Umgebung. Wie bereits wiederholt angedeutet, ist eine Klassifizierung der einzelnen Hormongruppen nach dem Ort ihrer Synthese schwierig und möglicherweise auch wenig relevant, sondern nur der Konvention folgend. Tabelle 1.18 enthält eine Auswahl der „glandulären“ Hormone des Menschen. Die Schilddrüse ist eine anatomisch eindeutig abgrenzbare Drüse, die einzig und allein auf die Synthese der Jodthyronine sowie des Calcitonins spezialisiert ist. Andere Hormone, beispielsweise das 1α,25-Dihydroxycholecalciferol (Vitamin D3) und das Erythropoetin, sind Produkte der Niere, die bekanntlich andere Hauptaufgaben hat. Dennoch werden sie üblicherweise zu den glandulären Hormonen gerechnet, da sie über die Blutbahn zu ihren Erfolgsorganen befördert werden. Das gleiche gilt für zahlreiche andere Hormone, deren Synthese in spezialisierten Zellansammlungen von Organen mit mehrfachen Funktionen angesiedelt ist.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
135
Tabelle 1.18: Glanduläre Hormone des Menschen Hormondrüse
Hormon
Wirkung*/Wirkungsort
Hypophysenvorderlappen; HVL (Adenohypophyse)
Adrenocorticotropes Hormon; ACTH (Corticotropin) (P; 54 500) Thyreotropin; TSH (P; 528 000) Follikel stimulierendes Hormon, FSH (P; 534 000) Luteinisierendes Hormon; LH (Lutropin) (P; 525 000 Prolactin (P; 522 000) Wachstumshormon; GH (Somatotropin; STH) (P; 521 500)
Stimulation der Nebennierenrinde Stimulation der Schilddrüse Stimulation der Keimzellenreifung Stimulation d. Sexualhormonproduktion Stimulation d. Brustdrüse Stoffwechsel; Wachstum
Hypophysenhinterlappen; HHL (Neurohypophyse)
Antidiuretisches Hormon; ADH (Vasopressin) (P; Nonapeptid) Oxytocin (P; Nonapeptid)
Wasserhaushalt
Zirbeldrüse (Epiphyse)
Melatonin
Schilddrüse
Jodthyronine (T 3 und T4)
Uterus-Kontraktion, Milchdrüse
(5-Methoxy-NEnergiestoffwechsel, Acetyl-Tryptamin) Tagesrhythmik Energiestoffwechsel
Calcitonin
(jod. Diphenylether aus Tyr) (P; 3 416)
Nebenschilddrüse
Parathormon; PTH
(P; 59 500)
Calciumstoffwechsel
Nebennierenrinde; NNR
Glucocorticoide
(17-α -OHC21-Steroide) (C21-Steroid)
Stoffwechsel
Nebennierenmark; NNM
Adrenalin
(Catecholamin aus Phe) (Catecholamin aus Phe)
Stoffwechsel, Neurotransmitter Stoffwechsel, Neurotransmitter
Aldosteron
Noradrenalin
Calciumstoffwechsel
Mineralstoffwechsel
Niere
Calciumstoffwechsel 1α ,25Dihydroxycholecalciferol (C27-Seco-Steroid) Erythropoetin; EPO (P; 18 400) Erythropoese
Herz
Atrialer natriuretischer Faktor; ANF (P; 28 AS)
Thymus
Thymosin
(P; 12 000–14 000) Proliferation u. Differenzierung von Lymphozyten
Pankreas, β-Zellen α-Zellen
Insulin Glucagon
(P; 5 734) (P; 3 481)
Stoffwechsel Stoffwechsel
Ovar, Corpus luteum
Progesteron
(C21-Steroid)
Follikel
Estradiol
(C18-Steroid)
Relaxin
(P; 56 000)
Uterusschleimhaut, Sekretionsphase Uterusschleimhaut Proliferationsphase Symphyse-Erweichung
Plazenta
Chorion-Gonadotropin; HGC (P; 528 000)
Hoden
Testosteron
(C19-Steroid)
Wasser- u. Na+-Haushalt
Uterus-Wachstum männl. Genitaltrakt, sekundäre Geschlechtsmerkmale
* Angaben verallgemeinert; Details siehe bei den einzelnen Hormonen
kursiv: chemische Beschaffenheit; Molekulargewicht oder Mr P = Peptid- oder Proteohormon
Wie aus Tabelle 1.18 ebenfalls zu entnehmen ist, ist die chemische Beschaffenheit der glandulären Hormone unterschiedlich und ein eindeutiges Kriterium zur Klassifizierung der Hormone. Die meisten Hormone sind Peptid- beziehungsweise Proteohormone mit recht unterschiedlichem Molekulargewicht. Die Spanne reicht von Verbindungen aus wenigen Aminosäuren bis Proteinen mit Tausenden von Kilodalton.
136
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Proteohormone werden von mehreren Drüsen synthetisiert und zu dieser Klasse gehören auch die meisten Gewebshormone. Die Hormone der Nebennierenrinde und die Geschlechtshormone sind Steroide, die aus Cholesterin entstehen. Auch das Secosteroid 1α,25-Dihydroxycholecalciferol ist ein Abkömmling des Cholesterins. Diese biologisch wirksame Form des Vitamin D wird von der Niere sezerniert, wo die letzte Stufe seiner Umwandlung stattfindet (Abschnitt 1.4.5.4). Die beiden Hormone des Nebennierenmarks, das Adrenalin und das Noradrenalin sind Catecholamine und entstehen als modifizierte Amine des Phenylalanins (Abschnitt 1.4.4.1). Das Hormon der Zirbeldrüse, das Melatonin, ist ebenfalls ein modifiziertes Amin des Tryptophans. Eine Sonderstellung hinsichtlich der chemischen Beschaffenheit nehmen die Schilddrüsenhormone ein, die aus zwei durch eine Ethergruppe verbundenen jodierten Tyrosylresten bestehen (Abschnitt 1.4.4.3). Hormone und hormonähnliche Signalstoffe lassen sich aufgrund ihrer Polarität in zwei Gruppen einteilen: lipophile Signalstoffe und hydrophile Signalstoffe. Dieser einfache physikochemische Unterschied der Mitglieder der beiden Gruppen hat weitreichende Konsequenzen für ihre Wirkungsweise auf molekularer Ebene. Als Folge der Lipophilie durchdringen die fettlöslichen Hormone ohne Schwierigkeiten die Plasmamembran und werden im Cytosol an entsprechende spezifische Rezeptoren gebunden – eine unverzichtbare Voraussetzung jeglicher Hormonwirkung. Der Hormon-RezeptorKomplex übt seine Wirkung schließlich auf der Ebene der Transkriptionskontrolle aus. Die hydrophilen Hormone binden an Rezeptoren, die auf der äußeren Oberfläche der Plasmamembran ihrer Zielzelle lokalisiert sind. Die Botschaft dieser Hormone wird über second messenger und/oder Proteinkinasen und Proteinphosphatasen in das Zellinnere weitergeleitet. Die zahlreichen auch chemisch sehr verschiedenen Hormone wirken über einen dieser beiden Mechanismen. Allerdings schließen sich diese beiden, anscheinend gut abgrenzbaren Wirkungsmechanismen der lipophilen und hydrophilen Hormone gegenseitig nicht aus. Manche Hormone wirken auf beiden Wegen. Einige Steroide binden auch an Rezeptoren auf der Außenseite der Plasmamembran ihrer Zielzellen und lösen entsprechende Reaktionen aus. Andererseits sind zahlreiche hydrophile Signalstoffe in der Lage, die Transkription spezifischer Gene zu steuern. Solche Hormone lösen nach Bindung an einen membranständigen Rezeptor Signalkaskaden von second messengern aus, die zur Phosphorylierung und Dephosphorylierung von sequenzspezifischen Transkriptionsfaktoren führen. Dies wiederum ruft eine Aktivierung spezifischer Gene hervor. Zur Gruppe der lipophilen Hormone des Menschen gehören die Steroide, die Jodthyronine und die Retinsäure. Sie weisen außer der Fettlöslichkeit auch einige weitere gemeinsame Eigenschaften auf: Sie haben eine relativ lange Lebensdauer von Stunden bis Tagen und zu ihrem Transport zu den Zielorganen sind Transportvermittler notwendig. Die hydrophilen Hormone, zu denen die Peptid- und Proteohormone, die Catecholamine, sonstige Aminosäurederivate und einige Aminosäuren gehören, haben eine biologische Halbwertszeit von wenigen Minuten, und sie werden als wasserlösliche Moleküle meistens in ungebundener Form transportiert. Tabelle 1.19 enthält eine Liste von Hormonen und hormonähnlichen Signalstoffen, die nach ihrem generellen Wirkungsmechanismus, der sich aus ihrem lipophilen beziehungsweise hydrophilen Charakter ergibt, geordnet sind. Die molekulare Wirkung der Hormone mit intrazellulärem Rezeptor (Gruppe A) wurde in Abschnitt 1.3.1.1 im Zusammenhang mit der Induktion der de novo Synthese von Enzymen detailliert besprochen. Die Art der Signaltransduktion von Hormonen, die an membranständige Rezeptoren binden (Gruppe B), richtet sich nach dem Typ des Rezeptors für das betref-
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
137
Tabelle 1.19: Klassifikation der Hormone nach ihrem Wirkungsmechanismus A. A.1 A.2 A.3 A.4 A.5 A.6 A.7 A.8
Hormone mit intrazellulärem Rezeptor Glucocorticoide* Aldosteron* 1α ,25-Dihydroxycholecalciferol (Calcitriol)* Testosteron Estradiol Progesteron Jodthyronine (T3 und T4)* Retinsäure*
B.
Hormone mit membranständigem Rezeptor Rez. mit intrins. Kinase- bzw. Phosphatase-Akt. B.1 Insulin* B.2 Insulinähnliche Wachstumsfaktoren (IGF; Somatomedine) B.3 Wachstumshormon (GH) B.4 Prolactin (PRL) B.5 Chorion-Somatomammotropin (CS) B.6 Epidermis-Wachstumsfaktor (EGF) B.7 Blutplättchen-Wachstumsfaktor (PDGF) B.8 Fibroblasten-Wachstumsfaktor (FGF) B.9 Nervenwachstumsfaktor (NGF) B.10 Erythropoietin (EPO)
(Fortsetzung von B.) B.17 Antidiuretisches Hormon (ADH; Vasopressin) B.18 Angiotensin II B.19 Somatostatin B.20 Corticotropin-Releasing Hormon (CRH) B.21 β -Lipotropin (β LPH) B.22 Melanocyten stimulierendes Hormon (MSH; Melanotropin) B.23 Thyreotropin (TSH) B.24 Chorion-Gonadotropin (hCG) B.25 Follikelstimulierendes Hormon (FSH) B.26 Luteinisierendes Hormon (LH) cGMP als second messenger B.27 Atrialer natriuretischer Faktor (ANF) B.28 Stickstoffmonoxid (NO)
B.29 B.30 B.31 B.32 B.33
B.11 B.12 B.13 B.14 B.15 B.16
cAMP als second messenger α 2-adrenerge Catecholamine* β -adrenerge Catecholamine* Glucagon* Adrenocorticotropes Hormon (ACTH)* Parathormon (PTH) Calcitonin
B.34 B.35 B.36 B.37 B.38 B.39
Phosphatidylinositol und/oder Ca2+ als second messenger Acetylcholin (muscarinischer Rezeptor) α 1-adrenerge Catecholamine Angiotensin II Antidiuretisches Hormon (ADH; Vasopressin) Thyreotropin-Releasing-Hormon (TRH) Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) Cholecystokinin Gastrin Blutplättchen-Wachstumsfaktor (PDGF) Oxytocin Substanz P
* Hormon von besonderer Bedeutung für den Intermediärstoffwechsel der Nährstoffe. Quelle: Murray, R.K., Granneär, D.K., Mayer, P.A., Rodwell, V.W. (1996) Harper’s Biochemistry Prentice Hall, New Jersey 24. Aufl. S. 510 (modifiziert)
fende Hormon. Die Membranrezeptoren als Empfänger und Vermittler von Signalen wurden in Kapitel 1.1.3 in drei Rezeptortypen – Typ I bis Typ III – eingeteilt. Nach diesem System gehören die in Tabelle 1.19 als Rezeptoren mit intrinsischer Kinase beziehungsweise Phosphatase-Aktivität bezeichneten Rezeptoren zu den Typ I-Rezeptoren (Abschnitt 1.1.3.2). Alle weiteren in der Tabelle erwähnten Rezeptoren sind Typ IIIRezeptoren. Die Unterteilung innerhalb dieser Gruppe erfolgte in Tabelle 1.19 nach den second messengern – cAMP, cGMP, Phosphatidylinositol und/oder Ca2+ –, welche die Botschaft des Hormons vermitteln.
138
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Einige Hormone, beispielsweise die Catecholamine, sind in Tabelle 1.19 in mehreren Untergruppen vertreten. Dies bedeutet, dass sie sich an mehrere, je nach Gewebe unterschiedliche Rezeptoren binden. Da die Spezifität der Hormonwirkung auf die Spezifität der Hormonrezeptoren zurückzuführen ist, ist es verständlich, dass ein und dasselbe Hormon seine Botschaft mittels unterschiedlicher molekularer Mechanismen vermitteln kann. Nach aktuellem Stand der Endokrinologie, der Wissenschaft von den Hormonen, gibt es beim Menschen mehr als 100 Hormone und hormonähnliche Signalstoffe. Es werden allerdings, insbesondere durch Anwendung molekularbiologischer Methoden, immer noch neue derartige Signalträger entdeckt. Aufgrund von Homologie zu anderen Hormonen werden Gene isoliert, die für ein Peptidhormon kodieren könnten. Diese Verfahrensweise wird als reverse Endokrinologie bezeichnet. Im folgenden werden Synthese, Sekretion, Transport, Abbau beziehungsweise Inaktivierung jener Hormone besprochen, die für den Intermediärstoffwechsel des Menschen von signifikanter Bedeutung sind (sie sind in Tabelle 1.19 mit * markiert). Die biochemisch-physiologischen Wirkungen werden auf der Organebene, das heißt im Teil II des Lehrbuchs, erörtert.
1.4.2. Hormone stehen in Wechselwirkung miteinander und bilden in vielen Fällen hierarchische Systeme Es ist evident, dass eine effektive Koordination des Stoffwechsels komplexer Organismen nur möglich ist, wenn alle Glieder des Steuerungssystems miteinander verbunden sind und ihre Wirkungen aufeinander abstimmen. Abbildung 1.61 enthält eine Übersicht
Ziele der zweiten Stufe
B
1.61
Hierarchische Einordnung der wichtigsten Hormone des Menschen
Arteriolen Niere
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
139
über die hierarchische Ordnung der wichtigsten Hormone des Menschen. Bereits ein kurzer Blick auf diese Darstellung macht das enge Zusammenwirken der einzelnen Mitglieder des neuroendokrinen Systems deutlich. Alle in der Abbildung erfassten Hormone, mit Ausnahme des Insulins, des Glucagons und des Somatostatins, unterliegen dem Einfluss des zentralen Nervensystems. Als Koordinationszentrum fungiert ein spezialisierter Bereich des Gehirns, der Hypothalamus. Dieser erhält Informationen unter anderem von der Hirnrinde, dem limbischen System, dem Thalamus und den Nervenfasern des Rückenmarks. An den synaptischen Verbindungen der verschiedenen Neuronen werden Neurotransmitter freigesetzt, die die neurosekretorischen Zellen des Hypothalamus aktivieren. Diese Zellen sind spezialisierte Neuronen mit quasi-endokriner Funktion und setzen nach ihrer Aktivierung Releasing-Faktoren, auch Liberine genannt, beziehungsweise InhibitingFaktoren (Statine) frei. Diese regulatorischen Peptide, die aus 3 bis 56 Aminosäuren bestehen und am C-terminalen Ende amidiert sind, werden über spezielle Blutgefäße unmittelbar zu einem Kapillarnetz im Hypophysenvorderlappen (HVL, Adenohypophyse) befördert. Tabelle 1.20 enthält eine Liste der Releasing- und Inhibiting-Faktoren sowie der Hormone des HVL, deren Ausschüttung durch sie beeinflusst wird. Im paraventrikulären Kern des Hypothalamus werden zwei weitere Hormone synthetisiert: ein blutdrucksteigerndes antidiuretisches Hormon (ADH), das auch Vasopressin genannt wird, und das Oxytocin (Ocytocin), das bei der Uteruskontraktion und der Laktation eine Rolle spielt. Beide sind Polypeptide aus neun Aminosäuren und stammen wahrscheinlich von einem gemeinsamen Vorläufergen ab. Je zwei Cysteinreste bilden eine Disulfidbrücke, so dass jeweils ein cyclisches Peptid entsteht (siehe Abbildung 4.35). Diese beiden Hormone unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Funktion von den anTabelle 1.20: Releasing- und Inhibiting-Faktoren des Hypothalamus Hypothalamischer Faktor
Hypophysäres Hormon, dessen Sekretion beeinflusst wird
Effekt ±
Anzahl d. AS
Corticotropin-ReleasingHormon (CRH)
Adrenocorticotropes Hormon (ACTH)
+
41
Thyreotropin-ReleasingHormon (TRH)
Thyreotropin (TSH)
+
3
Luteinisierendes HormonReleasing-Hormon (LH-RH)
Luteinisierendes Hormon (LH) Follikelstimulierendes Hormon (FSH)
+
10
+
WachstumshormonReleasing-Hormon (GRH)
Somatotropin (STH)
+
44
Somatostatin*
Somatotropin (STH) Thyreotropin (TSH)
–
14/28
Prolactin-Inhibiting-Faktor (PIH)
Prolactin (PRL)
–
56
* Wird auch in anderen Geweben synthetisiert, u. a. im Pankreas
140
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
deren regulatorischen Peptiden des Hypothalamus, indem sie ihre Wirkung nicht über den HVL weiterleiten. Sie werden vom Ort ihrer Biosynthese mittels Neurophysine als Trägerproteine zum Ort ihrer Speicherung, dem Hypophysenhinterlappen (HHL, Neurohypophyse), transportiert, von wo aus sie ihre Zielorgane direkt erreichen. Die Wirkung des antidiuretischen Hormons wird im Zusammenhang mit der Regulation des Wasserhaushaltes besprochen (Abschnitt 4.6.3). Der Hypophysenvorderlappen stellt für mehrere Hormone die zweite Ebene des hierarchischen Steuerungssystems dar. Die vom Hypothalamus abgegebenen Releasing-Faktoren regen im HVL die Synthese und Abgabe von vier Tropinen (trope Hormone; griechisch: tropos = Wendung) an, deren Ziele bestimmte endokrine Drüsen sind. Die Zieldrüse des adrenocorticotropen Hormons (ACTH, Corticotropin) ist die Nebennierenrinde (lateinisch: cortex = Rinde), des Thyreotropins (TSH) die Schilddrüse, des follikelstimulierenden Hormons (FSH) und des luteinisierenden Hormons die Eierstöcke und die Hoden. Diese Zieldrüsen sind also eine weitere Ebene im hierarchischen System. Sie bilden die glandulären Hormone – Cortisol, Corticosteron, Aldosteron, Jodthyronine, Progesteron, Estradiol und Testosteron –, die als letzte Glieder der Informationskette auf die einzelnen Zielgewebe wirken. In diesen wird die Botschaft in biochemische Reaktionen als Primäreffekt übersetzt, gefolgt von der physiologischen Wirkung. Zwei weitere Hormone des HVL, das Somatotropin (STH) und das Prolactin (PRL) sind keine tropen Hormone, da sich ihre Wirkung nicht auf hormonproduzierende Drüsen, sondern direkt auf das Zielgewebe richtet, wo die Botschaft dieser hypophysären Hormone ihre Endstation erreicht. Im Falle des STH sind die Leber und der Knochen, im Falle des Prolactins ist die weibliche Brustdrüse das Zielorgan. Insulin, Glucagon und Somatostatin, die drei Hormone des Pankreas, sind nicht in das hypothalamisch-hypophysäre Regulationssystem eingebunden. Die Sekretion von Insulin und Glucagon wird durch die extrazelluläre Glucosekonzentration reziprok gesteuert: Anstieg der Glucosekonzentration wird durch Anstieg der Insulinausschüttung beantwortet, ihr Abfall stimuliert die Glucagonsekretion. Die Ausschüttung der drei pankreatischen Hormone unterliegt einer komplexen wechselseitigen Beeinflussung. Die Insulinsekretion wird durch Glucagon gefördert, durch Somatostatin gehemmt. Andererseits inhibiert Insulin über einen parakrinen Mechanismus die Bildung und Ausschüttung des Glucagons. Somatostatin hemmt nicht nur die Insulin-, sondern auch die Glucagonsekretion. Hormone sind auch in geringen Mengen hochwirksame Signalstoffe, weshalb ihre Konzentration im Blut und in sonstigen extrazellulären Kompartimenten genauestens reguliert werden muss. Dies geschieht einerseits durch Inaktivierung und/oder Abbau, andererseits durch Steuerung der Sekretion. Für das Insulin, das nicht in das hierarchische System eingegliedert ist, ist der Blutglucosespiegel, für dessen Konstanthaltung das Insulin zuständig ist, der regulierende Faktor. Sobald unter der Wirkung des Insulins die Konzentration der Glucose im Blut den Normbereich erreicht, wird die weitere Sekretion des Hormons eingestellt. Anders spielt sich die Regulation im Fall der Hormone ab, deren Produktion auf mehreren Ebenen beeinflusst werden kann. Wie dies in Abbildung 1.62 für das Cortisol beispielhaft dargestellt ist, erfolgt die Regulation in diesem Fall nicht auf der Ebene der Hormon produzierenden Drüse, der Nebennierenrinde, sondern durch negative Rückkopplung auf der Ebene des Hypothalamus und der Hypophyse, indem die Ausschüttung des Corticotropin-Releasing-Hormons und des adrenocorticotropen Hormons durch die Hormone der Nebennierenrinde gedrosselt wird.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.62
141
Rückkoppelnde Steuerung der Cortisolsekretion
1.4.3 Synthese und Sekretion der Peptidhormone erfolgt in der Regel nach einem für alle Sekretproteine gültigen Muster Im Zusammenhang mit der Funktion des rauhen endoplasmatischen Reticulums und des Golgi-Apparates sind die Synthese, die weitere Prozessierung, die Speicherung sowie die Sekretion von Peptiden, die ihre biochemische Funktion außerhalb der sie produzierenden Zellen erfüllen, bereits in den Abschnitten 1.2.2.2 bis 1.2.2.4 und 1.2.3.3 bis 1.2.3.4 in ihren Grundsätzen abgehandelt worden. Im Folgenden sollen diese Vorgänge für den speziellen Fall von zwei wichtigen Peptidhormonen, Insulin und Glucagon, detailliert besprochen werden.
1.4.3.1
Insulin wird in den B-Zellen der Langerhansschen Inseln des Pankreas synthetisiert
Das Insulin wurde erstmalig 1921 aus Rinderpankreas isoliert. Bis zur Aufklärung der Struktur des Proteohormons vergingen dann noch mehr als zwei Jahrzehnte. Grundsätzlich ist das Insulin aller Wirbeltiere ähnlich aufgebaut; der Austausch einiger Ami-
142
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
N H2
COOH
N H2
COOH 8 8
8
B
8 8
1.63
Primärstruktur des menschlichen Insulins
nosäuren in der Peptidkette ist möglich, ohne dass die biologische Aktivität des Hormons grundsätzlich beeinflusst wäre. Das Humaninsulin besteht aus 51 Aminosäuren und hat eine molare Masse von 5 786 Dalton. Die größte Ähnlichkeit mit dem Humaninsulin hat das Insulin des Schweines. Das Insulin ist ein Peptidhormon bestehend aus einer A-Kette aus 21 Aminosäuren und einer B-Kette aus 30 Aminosäuren (Abbildung 1.63). Die beiden Ketten sind über zwei Disulfidbrücken miteinander verbunden. Eine dritte Disulfidbrücke verbindet zwei Cysteylreste innerhalb der A-Kette und trägt zur Stabilisierung des Moleküls bei. Das Insulin ist eines der am besten untersuchten Biomoleküle. Eine Röntgenstrukturanalyse zeigte, dass die A-Kette auf der Außenseite des globulären Proteins lokalisiert ist, während die B-Kette sich im wesentlichen im Inneren des Moleküls befindet. Die AKette trägt die biologische Aktivität des Hormon. Die Expression des Insulingens, das auf dem kurzen Arm von Chromosom 11 liegt, wird durch die extrazelluläre Glucose-Konzentration gesteuert, deren Erhöhung bereits innerhalb von ca. 30 Minuten die Transkription des Gens initiiert. Dadurch ist es möglich die intrazellulären Insulinvorräte, die sich infolge der durch die Glucose stimulierten Insulinsekretion erschöpfen, schnell aufzufüllen. Außerdem soll extrazelluläres Insulin selbst die Transkription des eigenen Gens induzieren. Die Biosynthese des Insulins (Abbildung 1.64) erfolgt im endokrinen Teil des Pankreas. Dieser besteht aus kleinen, gleichmäßig über das Pankreas verteilten, in das exokrine Pankreasgewebe eingebetteten Zellaggregaten, die Langerhanssche Inseln genannt werden. In diesem Teil des Pankreas sind elektronenmikroskopisch vier unterschiedliche Zelltypen zu unterscheiden: – die α-Zellen (etwa 20% der Inselzellen), die Glucagon synthetisieren (Abschnitt 1.4.3.3); – die β-Zellen, die für die Insulinsynthese zuständig sind und 70 bis 80% der Inselzellen ausmachen; – die δ-Zellen (max.5% der Inselzellen), die Somatostatin synthetisieren, und – die PP-Zellen (max. 2% der Zellen); in denen das Pankreatische-Polypeptid entsteht.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.64
Biosynthese des Insulins A = A-Kette; B = B-Kette; C = C-Peptid; S = Signalpeptid; I = Intron
143
144
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Die Synthese des Insulins ist in Abbildung 1.64 dargestellt. Das Insulingen enthält zwei Introns (I), die bei der Translation in die Ribosomen entfernt werden. Die nach Transkription und Spleißen entstandene mRNA des Insulins codiert für ein Peptid, das eine Signalsequenz (S) aus 24 Aminosäuren enthält. An diese schließt die Aminosäure-Sequenz der B-Kette (B) des Insulins an. Diese ist von der A-Kette (A) durch das C-Peptid (C) aus 35 Aminosäuren getrennt. Diese Sequenz wird als Prä-Proinsulin bezeichnet. Das Prä-Proinsulin wird an den Ribosomen des rauen endoplasmatischen Reticulums synthetisiert. Das Signalpeptid ist für die Einfädelung der synthetisierten Peptidkette in das Lumen des endoplasmatischen Reticulums verantwortlich und wird anschließend abgetrennt. Dadurch entsteht das ca. 9 kDa große Proinsulin, das die Aminosäuresequenz der A-Kette, der B-Kette und des C-Peptids enthält. Bereits in diesem Stadium bilden sich die für das reife Insulin charakteristischen Disulphidbrücken zwischen der A- und B-Kette und innerhalb der A-Kette aus. Der letzte Schritt der Synthese des Insulins findet im Golgi-Apparat (Abschnitt 1.2.3) statt. Bei dieser „Reifung“ des Insulins wird das C-Peptid enzymatisch durch die Prohormon-Konvertase abgespalten. Das „reife“ Insulinmolekül und das C-Peptid werden in den Golgi-Vesikeln im äquimolaren Verhältnis in Sekretgranula verpackt. Das C-P eptid, das keine physiologische Rolle zu haben scheint, wird nicht abgebaut, sondern zusammen mit dem Insulin in den Blutkreislauf sezerniert. Dies hat eine gewisse diagnostische Relevanz, da durch immunologische Bestimmung der sezernierten Menge an C-Peptid die Höhe der Restsekretion von Insulin simultan ermittelt werden kann, und zwar auch dann, wenn insulinpflichtige Diabetiker gleichzeitig mit exogenem Insulin supplementiert worden sind. Das in den Granula gespeicherte Insulin bildet mit Zink-Ionen – im Verhältnis sechs zu eins – hexamere Komplexe in mikrokristalliner Form, die für die hohe optisch Dichte der Granula der B-Zellen verantwortlich sind. Der physiologische Reiz zur Auslösung der Insulinsekretion aus den Granula ist die Erhöhung der Glucose-Konzentration in der extrazellulären Flüssigkeit. Die Sekretion beginnt bei einer Blutglucose-Konzentration von 2–3 mmol/l und nimmt bis zu einer Glucose-Konzentration von 15 mmol/l zu. Bei der Sekretion wandern die Granula an die innere Oberfläche der beta-Zellen, die Zellmembran reißt auf und der Inhalt der Granula wird in den perikapillären Raum sezerniert. Eine physiologische Ca2+-Konzentration im extrazellulären Raum scheint für die Exocytose notwendig zu sein.Im Blut zirkuliert das Insulin wahrscheinlich hauptsächlich in monomerer Form. Nur bei stärkerer Konzentration und in Anwesenheit von Zink-Ionen dürften sich hexamere und dimere Formen des Insulins bilden. Weitere physiologische Sekretagoga (Sekretion auslösende Substanzen), die ebenfalls zur Ausschüttung von Insulin führen, sind Aminosäuren, insbesondere Leucin, sowie Fettsäuren. Neurale Reize und Pharmaka, beispielsweise Sulfonylharnstoffe, lösen ebenfalls eine Insulinsekretion aus. Eine Reihe von Hormonen wirken modulierend auf die Sensitivität des Pankreas gegenüber den Reizen, die eine Insulinausschüttung bewirken: Glucagon, gastrisches Inhibitor-Polypeptid (GIP), Cholecystokinin, Sekretin und Gastrin wirken fördernd, Somatostatin und Catecholamine hemmend. Um die sekretagoge (sekretionsauslösende) Wirkung der Glucose zu erklären, muss man annehmen, dass die B-Zelle irgendeine Art von Glucosesensor besitzt. Nach Untersuchungen der letzten Jahre erscheint es sehr wahrscheinlich, dass der auslösende Mechanismus intrazellulär lokalisiert ist. In Abbildung 1.65 ist die Kette der Ereignisse, die zur Insulinsekretion führen, schematisch dargestellt. Die Glucose wird in die B-Zellen des Pankreas über den Glucosetransporter GLUT 2 (Abschnitt 1.1.2.10) aufge-
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.65
145
Auslösen der Insulinsekretion durch Glucose
nommen. Dieses Transportprotein hat einen hohen Kt-Wert von etwa 17 mmol× L–1, womit die Aufnahme der Glucose in die B-Zelle auch bei erhöhtem Blutglucosespiegel der Glucosekonzentration proportional erfolgen kann. Der erste Schritt, der die intrazelluläre Metabolisierung der Glucose einleitet, ist die Phosphorylierung mittels einer Glucokinase, deren Km-Wert mit 8 mmol× L–1 ebenfalls hoch liegt. Dieses Enzym ist mit der Glucokinase der Leber vergleichbar (Abschnitt 9.3.31). Die Phosphorylierung der in die B-Zelle transportierten Glucose zu Glucose-6phosphat kann durch diese Glucokinase somit ebenfalls etwa proportional des Angebotes erfolgen. Die Metabolisierung des Glucose-6-phosphats durchläuft nun die hintereinander geschalteten Reaktionsketten – Glykolyse, Tricarbonsäurecyclus, oxidative Phosphorylierung – mit dem Ergebnis, dass je nach Glucoseangebot mehr oder minder viel ATP entsteht. Als steuerndes Glied der Ereigniskette gilt die Glucokinase, die damit die Rolle eines Glucosesensors hat. Bei erhöhtem Glucoseeintritt in die B-Zelle erhöht sich demnach die ATP-Konzentration beziehungsweise das ATP:ADP-Verhältnis in der Zelle. Dies hat zur Folge, dass ATP-sensitive Kalium-Kanäle inhibiert werden, wodurch die Herausbeförderung von Kalium-Ionen aus der Zelle abnimmt. Daraus resultiert eine Depolarisierung der Membran, wodurch wiederum die spannungsgesteuerten Calcium-Kanäle aktiviert werden. Durch diese strömen Ca2+-Ionen in die Zelle. Eine der spezifischen Zellantworten auf die Erhöhung der intrazellulären Ca2+-Konzentration ist das Auslösen der Exocytose (Abschnitt 1.1.3.10). Die insulinhaltigen Granula verschmelzen mit der Plasmamembran und geben ihren Inhalt in den extrazellulären Raum ab. Das in die Pankreasvene sezernierte Insulin wird in die Portalvene weitergeleitet. Für den Transport des Insulins im Blut sind keine Transportproteine notwendig. Die Insulinkonzentration im Blut beträgt je nach Blutglucosespiegel 0,4 bis 4 ng × mL–1. Diese
146
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Werte sind mittels immunologischer Testverfahren ermittelt worden. Die früher angewendeten biologischen Bestimmungsmethoden ergeben höhere Werte, da durch diese Verfahren nicht nur das Insulin selbst, sondern auch andere Verbindungen mit insulinähnlicher Wirksamkeit, beispielsweise Somatomedine und Wachstumsfaktoren, erfasst werden. Die biologische Halbwertszeit des Insulins beträgt drei bis fünf Minuten. Die Halbwertszeit des rezeptorgebundenen Insulins ist mit etwa 40 Minuten erheblich länger. Der Abbau des Insulins geschieht hauptsächlich in der Leber, die bei einer einzigen Passage etwa 50 Prozent des Insulins aus dem Blut entnimmt. Weitere Organe, die für die Metabolisierung des Insulins von quantitativer Bedeutung sind, sind Niere und Plazenta. Die hepatische Glutathion-Insulin-Transhydrogenase reduziert die drei Disulfidbrücken des Insulins, was mit dem Verlust der biologischen Aktivität des Hormons verbunden ist. Eine insulinspezifische Protease, die in der Leber mit besonders hoher Aktivität vorkommt, baut die beiden Peptidketten ab.
1.4.3.2
Die sehr vielfältigen biochemischen Wirkungen des Insulins entfalten sich auf verschiedenen Ebenen
Wahrscheinlich werden alle Wirkungen des Insulins durch denselben Insulinrezeptor vermittelt, der zu den Typ-I-Rezeptoren gehört. Dieser Rezeptortyp überträgt die Signale, indem diese intrinsische Enzymaktivitäten anregen; beim Insulinrezeptor handelt es sich um eine Tyrosinkinase-Aktivität. Der Aufbau und die molekulare Wirkungsweise dieses Rezeptors wurden bereits in Abschnitt 1.1.3.2 detailliert besprochen. Fast alle Organe des Menschen sind Zielorgane des Insulins; ihre Zellen müssen also mit Insulinrezeptoren ausgestattet sein. Eine eindeutig feststehende Ausnahme bilden die Erythrozyten, die keine Insulinempfindlichkeit aufweisen. Bei allen anderen, früher als insulinunempfindlich eingestuften Geweben ist es gelungen, eine – wenn auch oft nur geringfügige – Sensitivität gegenüber Insulin nachzuweisen. Das Insulin hat ein sehr breites Wirkungsspektrum, das in mancher Hinsicht organspezifische Differenzen aufweist. Es hat sowohl schnelle Effekte von kurzer Dauer (im Sekunden- und Minutenbereich) als auch langsame mit einer Wirkungsdauer von bis zu mehreren Stunden. Abbildung 1.66 fasst schematisch die unterschiedlichen Wirkungskategorien des Insulins zusammen, die sich auf drei Zellkompartimente – die Plasmamembran, das Cytoplasma beziehungsweise Cytosol und den Zellkern – verteilen. Die Bindung des Insulins an die α-Untereinheit des Rezeptors lässt ein (oder mehrere) Signal(e) entstehen, das (die) die Botschaft des Insulins weiterleitet(en). Die molekulare Basis dieser Signaltransduktion wurde bereits besprochen (Abschnitt 1.1.3.2). Die am längsten bekannte Wirkung des Insulins ist der rasche Abfall der Blutglucosekonzentration, der auf die potente Förderung der Glucoseaufnahme in die Zellen des Skelettmuskels und des Fettgewebes zurückzuführen ist. Muskel- und Fettgewebe sind – neben der Leber – die bedeutendsten Glucoseverbraucher. Bei physiologischer Glucose- und Insulinkonzentration im Blut ist die Effektivität der Aufnahme der Glucose in die Muskel- und Fettgewebszellen ausschlaggebend für die Verstoffwechselung dieses Zuckers und den Abfall der Glucosekonzentration im Blut. Erst bei stark erhöhtem Blutglucosespiegel wird die Phosphorylierung der Glucose zu Glucose-6-phosphat zur steuernden Größe der Metabolisierung. In die Muskel- und Fettzellen wird die Glucose durch erleichterte Diffusion aufgenommen (Abschnitt 1.1.2.4). Der Glucosecarrier GLUT 4 in der Plasmamembran
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.66
147
Intrazelluläre Wirkungen des Insulins
dieser Zellen vermittelt den Transport. Abbildung 1.67 zeigt ein Modell, das den Effekt des Insulins auf den Glucosetransport erklären soll. Bei Abwesenheit von Insulin ist der Transport in die beiden Zellarten nur geringfügig. Insulin erhöht dosisproportional den Transport der Glucose in diese Zellen, indem das Hormon die Vmax, das heißt die Kapazität des Transportes drastisch erhöht, während die Kt, als Ausdruck für die Affinität des Zuckers zum Carrier, unverändert bleibt. Zur Erklärung des Phänomens wird angenommen, dass sich die Anzahl der den Transport katalysierenden Carriermoleküle unter dem Einfluss des Insulins stark erhöht. Wahrscheinlich ist im Golgi-Kompartiment ein inaktiver Pool an Glucosecarriern vorhanden. Durch die Vermittlung eines noch nicht genau identifizierten Signalträgers, der nach Binden des Insulins an den Rezeptor intrazellulär entsteht, werden die Transportproteine aus diesem Pool an die Plasmamembran geleitet und in diese eingebaut. Nach Abdissoziieren des Insulins vom Rezeptor werden die GLUT 4-Transportproteine von der Membran wieder losgelöst und in den intrazellulären Pool integriert. Die Translokation der Carrier ist energie- und temperaturunabhängig. Eine durch Insulin induzierte Neusynthese der Carrier gilt als weniger bedeutend. Insulin erhöht auch die Aufnahme von Aminosäuren insbesondere in die Muskelzelle, wobei dieser Effekt vom Prozess der Glucoseaufnahme unabhängig ist. Weiterhin wird der Austausch von K+, Ca2+, Pi und Nucleosiden zwischen den Kompartimenten auf bislang nicht geklärten Wegen gefördert. Im Gegensatz zum Muskel- und Fettgewebe nimmt die Leberzelle die Glucose insulinunabhängig durch Diffusion auf. Zur Aufrechterhaltung eines ausreichenden Glucosegradienten zwischen dem Blut und dem Inneren der Leberzelle dient die potente Phosphorylierung der Glucose zu Glucose-6-phosphat durch die Glucokinase. Andererseits steht die Aktivität dieses Enzyms unter der Kontrolle des Insulins, womit der
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Insu
lin
Insu
1.67
lin
Re zep tor
148
Re ze pto r
Durch Insulin initiierte Translokation des Glucosetransporters GLUT4 zur Plasmamembran
Einstrom von Glucose in die Leberzelle indirekt ebenfalls durch das Insulin beeinflusst wird. Die Glucokinase ist nur eines der zahlreichen Enzyme, deren Aktivität und/oder Menge auch durch Insulin kontrolliert wird. Dieser Aspekt der Insulinwirkung wird im Zusammenhang mit dem Stoffwechsel der Hauptnährstoffe – Kohlenhydrate, Fette und Proteine – auf Organebene noch ausführlich diskutiert. Die zellulären Effekte des Insulins gleichen denen von Wachstumsfaktoren (insulinähnliche Wachstumsfaktoren, epidermaler Wachstumsfaktor und andere) und werden als mitogene Wirkungen bezeichnet. Die Tyrosinkinaseaktivität des Insulinrezeptors (Abschnitt 1.1.3.2) führt nach Bindung von Insulin unter anderem zur Phosphorylierung von zwei Proteinen, die als insulin responsive substrates (IRS-1 und IRS-2) bezeichnet werden. Diese aggregieren nach Phosphorylierung mit anderen zellulären Proteinen, wobei die gebildeten Proteinkomplexe zur Aktivierung einer mitogen activated protein kinase-Kaskade (MAP-Kinase-Kaskade) führen. Die Mehrzahl der kurzfristigen Insulinwirkungen in der Zelle wird vor allem über das IRS-1-Protein vermittelt. Dieser Weg führt unter anderem zur Aktivierung des Phospholipase C-Weges, dessen Produkt, das InsP3, eine Erhöhung des intrazellulären Ca2+-Spiegels bewirkt (Abschnitt 1.1.3.9).
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
149
Zellspezifisch kommt es hierdurch, beispielsweise durch Interaktion mit Calmodulin, zur Aktivierung der Phosphodiesterase und damit zu einer für das Insulin charakteristischen Reduktion des cAMP-Spiegels der Zelle. Wie aus Abbildung 1.66 ersichtlich, übt das Insulin auch auf Prozesse im Zellkern einen Einfluss aus. Auch die nuclearen Effekte werden durch die beschriebene Reaktionsfolge eingeleitet. Unter Wirkung der aktivierten Proteinkinasen werden spezifische Transkriptionsfaktoren phosphoryliert beziehungsweise dephosphoryliert. Dadurch wird die Transkription einer Reihe von Genen kontrolliert. Die Insulinwirkungen können positiv im Sinne einer Förderung der Genexpression sein, oder negativ, indem die Transkription behindert oder verlangsamt wird. Die Synthese von mehr als hundert mRNAs steht unter der Kontrolle des Insulins; in zahlreichen Fällen handelt es sich um mRNAs von Enzymproteinen. Der Einfluss von Insulin auf die Embryogenese, auf Differenzierungsvorgänge, Wachstum und Replikation ist ebenfalls in diesem Zusammenhang zu sehen. Das aus den β-Zellen freigesetzte Insulin wirkt auf zahlreiche, jedoch nicht alle, Zellen des menschlichen Organismus. Als Insulin-empfindliche Gewebe gelten: Herzund Skelettmuskel, Fettgewebe, Leber, Leukozyten, Brustdrüse (laktierend), Samenblasen, Knorpel, Knochen, Augenlinse, Hypophyse, Hypothalamus, periphere Nerven, Aorta. Auf Grund ihrer Masse fallen die Muskulatur, das Fettgewebe und die Leber als Erfolgsorgane ins Gewicht. An diesen Geweben wurde auch die biochemische Wirkung des Insulins .Jahrzehnte hindurch erforscht. Die schnellen Wirkungen des Insulins treten als Folge der Senkung des cAMP-Spiegels in den Hepatozyten und den Fettzellen auf. Im Fettgewebe und in der Muskulatur kommt es zu einer besonders starken Stimulierung der K+ -Aufnahme in die Zelle. Die Wirkungen des Insulins beim Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel der Leber, des Fettund des Muskelgewebes sind in den Kapiteln 9, 10 und 11 ausführlich besprochen. In isolierten Geweben und Zellen durchgeführte Untersuchungen ergaben, dass das Insulin die Proteinbiosynthese auch stimuliert, ohne dass ein gesteigerter AminosäureTransport stattfindet. Es handelt sich dabei um eine Insulin-abhängige Phosphorylierung ribosomaler Proteine, wodurch die Translationsvorgänge beschleunigt werden. Vorausgesetzt, dass eine generalisierte Aussage über die biologische Wirkung des Insulins, die außerordentlich facettenreich ist, überhaupt sinnvoll ist, kann es als das anabole Hormon apostrophiert werden. Es fördert den Aufbau von Speicherstoffen (Glykogen, Triglyceride, Proteine) und hemmt deren Metabolisierung.
1.4.3.3
In den A-Zellen der Langerhansschen Inseln wird der Gegenspieler des Insulins, das Glucagon synthetisiert
Auch das Glucagon ist ein Polypeptid, dessen 29 Aminosäuren zu einer einzelnen Kette verbunden sind (Abbildung 1.68). Alle Aminosäuren sind für die biologische Wirksamkeit essentiell. Die molare Masse des Glucagons des Menschen beträgt 3 485 Dalton. Das Glucagon ist ein Syntheseprodukt der A-Zellen der Langerhansschen Inseln, es entsteht also in unmittelbarer Nachbarschaft der B-Zellen, die das Insulin synthetisieren. Die Sequenz der beiden Hormone weist dennoch große Unterschiede auf; Glucagon und Insulin sind miteinander nicht „verwandt“. Auch das Glucagon wird als ein längeres Vorläuferprotein aus 160 Aminosäuren, das Präproglucagon, gebildet. Wie Abbildung 1.69 zeigt, enthält dieses Translationspro-
150
1.68
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Primärstruktur des Glucagons
dukt am N-terminalen Ende das für Sekretproteine obligatorische Signalpeptid. Nach dessen Abspaltung entsteht das Proglucagon, das auch als Glicentin bezeichnet wird. Nterminal enthält das Proglucagon ein aus 30 Aminosäuren bestehendes proglucagon related polypeptide und C-terminal ein Oktapeptid. Nach Abspaltung dieser beiden Sequenzen entsteht das biologisch aktive Glucagon. Das Glucagon teilt einige immunologische und physiologische Eigenschaften mit dem Enteroglucagon, einem Hormon der Mucosa des Duodenums. Die Aminosäuresequenz des Secretins, eines weiteren gastrointestinalen Hormons, ist der des Glucagons sehr ähnlich; 14 der 27 Aminosäuren des Sekretins sind mit denen des Glucagons identisch. Nur etwa 30 bis 40 Prozent des immunreaktiven Glucagons im Blutplasma sind tatsächlich das in den A-Zellen des Pankreas synthetisierte, biologisch aktive Glucagon; der Rest entfällt auf Glucagonvorstufen und auf glucagonähnliche Peptide nichtpankreatischen Ursprungs. Der Stimulus für die Sekretion des in Granula gespeicherten Glucagons ist der Abfall des Blutglucosespiegels. Andererseits führt jede Erhöhung der Glucosekonzentration im Blut zu sofortiger Drosselung der Glucagonsekretion. Die Sekretion von Insulin und von Glucagon wird also durch den Blutglucosespiegel reziprok gesteuert. Insulin und insulinähnliche Wachstumsfaktoren hemmen auch – und unabhängig von der Glucose – die Ausschüttung des Glucagons. Es ist auch nicht entschieden, ob Glucose direkt, oder über das Insulin die Glucagonsekretion beeinflusst. Dagegen stimulieren bestimmte Aminosäuren, Fettsäuren, Catecholamine, Corticosteroide und gastrointestinale Hormone den Sekretionsprozess. Das in den D-Zellen der Langerhansschen Inseln des Pankreas synthetisierte Somatostatin 28 wirkt ebenfalls inhibierend auf die Glucagonausschüttung. Das Somatostaä
1.69
Biosynthese des Glucagons GRPP = proglucagon related polypeptide
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
151
tin 28 gehört zu einer Familie von Polypeptiden, die durch proteolytische Prozessierung aus einem Prohormon entstehen und deren einzelnen Mitglieder in verschiedenen Geweben, – vor allem im Nervensystem und im Gastrointestinaltrakt, – entstehen. Je nach Kettenlänge üben sie sehr unterschiedliche Wirkungen aus. Das aus dem Hypothalamus stammende Somatostatin 14 ist ein Inhibitor der Sekretion des Somatotropins aus der Hypophyse (Tabelle 1.20). Glucagon zirkuliert in freier Form im Blut. Die Glucagonkonzentration im Plasma ist eine Funktion des Ernährungszustandes, insbesondere der Kohlenhydratzufuhr. Bei mehrtägigem Fasten kann die Konzentration des Glucagons auf 50 picomol × L–1 ansteigen und nach Kohlenhydratzufuhr auf weniger als 20 picomol × L–1 sinken. Die biologische Halbwertszeit des Glucagons liegt bei etwa fünf Minuten. Sein proteolytischer Abbau erfolgt in der Leber, wobei als erster Schritt eine Peptidase die beiden N-terminalen Aminosäuren abspaltet. Da das Portalvenenblut zuerst die Leber passiert, wird dort ein beträchtlicher Anteil des sezernierten Glucagons bereits abgebaut, so dass die Glucagonkonzentration im peripheren Blut erheblich geringer ist als im Portalblut.
1.4.3.4
Die biochemischen Wirkungen des Glucagons werden durch Typ-IIIRezeptoren mit Hilfe von G-Proteinen vermittelt
Das komplexe System der Typ-III-Rezeptoren, über die zahlreiche Hormone ihre Botschaft in das Zellinnere translozieren, wurde in den Abschnitten 1.1.3.4 bis 1.1.3.6 behandelt. Anhand von Abbildung 1.21 wurde bereits dort ausgeführt, dass das Glucagon in der Leberzelle eine Ereignisfolge initiiert, bei dem 3⬘-5⬘cyclisches AMP (cAMP) als second messenger entsteht. Soweit bekannt, sind alle biochemischen Prozesse, die durch Glucagon gesteuert werden, eine Folge der Erhöhung der intrazellulären cAMPKonzentration. Da das Insulin (über andere molekulare Mechanismen) stets einen Abfall der cAMP-Konzentration in der Zelle bewirkt, ist es zu erklären, dass diese beiden pankreatischen Hormone eindeutig antagonistische Effekte hervorrufen. Ähnlich dem Insulin, hat auch das Glucagon sowohl schnelle Wirkungen, die auf Phosphorylierung von Enzymen zurückzuführen sind, als auch langsame Effekte, die sich auf nuclearer Ebene abspielen und durch Phosphorylierung von Transkriptionsfaktoren zustandekommen. Auf diesem Wege bewirkt das Glucagon die Induktion spezifischer Enzyme. Hauptzielorgan des Glucagons ist die Leber, gefolgt von Muskel- und Fettgewebe. Auch im Falle des Glucagons werden die gut erforschten Wirkungen dieses Hormons auf den Nährstoffmetabolismus auf Organebene diskutiert. Über die Wirkung des Glucagons lässt sich verallgemeinernd die Aussage machen, dass es katabol wirkt, indem es die Kohlenhydrat- und Fettspeicher mobilisiert. In der Leber wirkt es allerdings insofern anabol, als es die Gluconeogenese fördert.
1.4.4 Viele Hormone und sonstige Signalstoffe entstehen durch Modifikation von Aminosäuren Relativ geringfügige Änderungen an freien Aminosäuremolekülen führen dazu, dass aus ihnen Hormone, Hormonvorstufen, sonstige Signalstoffe und auch Verbindungen mit starker pharmakologischer Wirkung entstehen. Viele solche niedermolekulare Derivate von Aminosäuren entstehen durch Pyridoxalphosphat-abhängige Decarboxy-
152
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Tabelle 1.21: Decarboxylierungsprodukte von Aminosäuren Aminosäure
Decarboxylierungsprodukt
Biologische Funktion
Serin
Ethanolamin
Threonin Asparaginsäure
Aminopropanol β -Alanin
Glutaminsäure Cystein
γ -Aminobuttersäure Cysteamin
Methionin
Propylamin (Methamin)
Arginin Ornithin*
Agmatin Putrescin
Lysin Histidin
Cadaverin Histamin
Tyrosin
Tyramin
3,4-Dihydroxyphenylalanin**
Dopamin
Tryptophan
Tryptamin
5-Hydroxytryptophan**
Serotonin
Vorstufe von Phosphatidylethanolamin und von Cholin Baustein in Vitamin B12 Baustein in Pantothensäure Neurotransmitter Baustein in Pantothensäure Baustein in Spermin und Spermidin Vorstufe von Putrescin Vorstufe von Spermin und Spermidin; Baustein in Ribosomen Baustein in Ribosomen Mediator immunologischer Reaktionen Steigerung von Blutdruck und Uteruskontraktion Neurotransmitter; Vorstufe von Noradrenalin und Adrenalin Hormon (?), Produkt von Mikroorganismen in Darm und Niere Neurotransmitter; Vorstufe von Melatonin
* keine proteinogene Aminosäure, entsteht aus Arginin ** keine proteinogene Aminosäure, vor Decarboxylierung erfolgt Hydroxylierung im Ringsystem
lierung. Prinzipiell können fast alle Aminosäuren enzymatisch zu Aminen decarboxyliert werden, besondere biologische Bedeutung haben jedoch die in Tabelle 1.21 erfassten sogenannten biogenen Amine. Etwa die Hälfte dieser Verbindungen hat direkt den Charakter eines Signalstoffes; die anderen Decarboxylierungsprodukte wurden vollständigkeitshalber in der Tabelle miterfasst. Für die hormonale Regulation des Stoffwechsels sind jene Abkömmlinge des Tyrosins von besonderem Interesse, die nach Hydroxylierung dieser Aminosäure zu 3,4Dihydroxyphenylalanin in mehreren enzymatischen Schritten in Noradrenalin und Adrenalin überführt werden.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
153
1.4.4.1 Die Tyrosin-Abkömmlinge Noradrenalin und Adrenalin werden im Nebennierenmark und in anderen neuralen Geweben synthetisiert Das Nebennierenmark ist eine endokrine Drüse, die entwicklungsgeschichtlich ein Abkömmling eines sympathischen Ganglions ist. Die chromaffinen Zellen dieses Gewebes produzieren die beiden Catecholamine Noradrenalin und Adrenalin, die als glanduläre Hormone ihre zahlreichen Zielorgane auf dem Blutweg erreichen. Andererseits werden diese Catecholamine auch in synaptischen Endigungen von adrenergen Nervenzellen synthetisiert und wirken dort lokal im Sinne von Neurotransmittern. Die Synthese der Catecholamine, die in Abbildung 1.70 dargestellt ist, geht von Tyrosin aus. Als erster Schritt wird durch die Tyrosin-Hydroxylase – eine mischfunktionelle Oxigenase, die außer NADPH und O2 Tetrahydropteridin, Ascorbinsäure und Cu2+ als Cofaktoren benötigt – in den aromatischen Ring des Tyrosins eine zweite Hydroxylgruppe eingeführt. Das entstehende Produkt 3,4-Dihydroxyphenylalanin wird als Dopa abgekürzt. Durch dessen Decarboxylierung durch ein Enzym, das für aromatische Aminosäuren spezifisch ist, entsteht das biogene Amin Dopamin, ein Neurotransmitter. Diese beiden Reaktionen finden im Cytoplasma statt und das Dopamin wird durch einen aktiven Prozess in Membranvesikel, die als chromaffine Granula bezeichnet werden, aufgenommen. Als nächster Schritt erfolgt durch die Dopamin-β-Hydroxylase, ein membrangebundenes Enzym der Granula, eine weitere Hydroxylierung, diesmal am βC-Atom der Seitenkette. Auch dieses Enzym ist auf Ascorbinsäure und Cu2+ als Cofaktoren angewiesen. Das entstandenene Noradrenalin wird durch die Phenylethanolamin-N-Methyltransferase mittels S-Adenosylmethionin als CH3-Gruppen-Donator zu Adrenalin methyliert. Die Synthese der Catecholamine wird auf der Stufe der Tyrosin-Hydroxylase und der Dopamin-β-Hydroxylase geregelt. Beide Enzyme werden durch neurale, über nicotinische Acetylcholin-Rezeptoren vermittelte Impulse aktiviert. Glucocorticoide haben eine schwache induktive Wirkung auf die Tyrosin-Hydroxylase und eine stärkere auf die Phenylethanolamin-N-Methyltransferase. Andererseits lösen die Catecholamine eine verstärkte Sekretion des Corticotropin-Releasing-Hormons aus dem Hypothalamus und des adrenocorticotropen Hormons aus der Hypophyse aus. Hierdurch ergibt sich ein Verstärkersystem, das eine schnelle Produktion der Catecholamine, die als „Stresshormone“ gelten, gewährleistet. Gedrosselt wird die Produktion, indem Adrenalin und Noradrenalin die beiden regulatorischen Enzyme allosterisch hemmen. Die chromaffinen Granula sind nicht nur der Ort der enzymatischen Umwandlung von Dopa in Noradrenalin – und möglicherweise auch von Noradrenalin in Adrenalin –, sondern dienen auch der Speicherung der Catecholamine. Außer Catecholaminen enthalten diese Granula auch ATP-Mg2+, Ca2+, Dopamin-β-Hydroxylase und ein spezielles Protein, das Chromagranin. Die Granula sind auch fähig, bereits vorgeformte Catecholaminmoleküle aufzunehmen. Die Sekretion der Catecholamine geschieht durch Ca2+-abhängige Exocytose, bei der die Granula mit der Plasmamembran fusionieren. Dieser Prozess wird durch cholinerge und β-adrenerge Agonisten stimuliert, durch α-adrenerge Agonisten gehemmt. Die Neurotransmitterwirkung der Catecholamine wird durch ihre Wiederaufnahme in die Granula von Neuronen schnell beendet. Die Zellen des Nebennierenmarks sind hierzu nicht befähigt. In diesem Falle werden die beiden Hormone lose an Plasmaalbumin gebunden und zu den hauptsächlichen Erfolgsorganen Leber und Muskel transportiert. Die biologische Halbwertszeit ist mit 10 bis 30 Sekunden sehr kurz. Der Plas-
154
1.70
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Biosynthese der Catecholamine
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
OH
OH
HO
CH
HO
HO
CH 2
HO
CH CH 2
NHCH 3
NH 2
OH HO
CH
HO
C
O
OH
ä OH
OH CH 3O
CH 3O
CH
HO
CH
HO
CH 2
C
O
NH 2
NHCH 3
OH CH 3O
CH
HO
C
O
OH
ä
HO
CH 2
HO
CH 2 NH 2
HO
CH 2
HO
C
CH 3O
CH 2
HO
CH 2
O
OH
NH
2
ä CH 3O HO
CH 2 C
O
OH
ä
1.71
Enzymatische Inaktivierung von Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin COMT = Catechol-O-Methyltransferase; MAO = Monoamin-Oxidase
155
156
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
maspiegel des Noradrenalins ist mit etwa 1 nmol × L–1 höher als derjenige des Adrenalins, der nur 0,2 nmol × L–1 beträgt. Die Catecholamine werden, wie dies in Abbildung 1.71 dargestellt ist, in zwei Reaktionsketten zu O-methylierten und desaminierten Metaboliten, die keine hormonelle Wirkung haben, umgewandelt. An beiden Reaktionsketten sind die Enzyme CatecholO-Methyltransferase (COMT) und Monoamin-Oxidase (MAO) beteiligt. Nur etwa fünf Prozent der Catecholamine entgehen dem Abbau und werden als solche im Urin ausgeschieden.
1.4.4.2
Die Wirkung der Catecholamine an den Erfolgsorganen wird durch den Typ des membranständigen Rezeptors determiniert
Die Wirkung der Catecholamine wird durch α-adrenerge und β-adrenerge Rezeptoren mit den Subtypen α1 und α2 sowie β1, β2 und β3 vermittelt. Adrenalin bindet sich sowohl an α- als auch an β-Rezeptoren und aktiviert diese. In Geweben mit beiderlei Rezeptortypen hängt die Wirkung von der relativen Affinität der jeweiligen Rezeptoren zum Hormon ab. In physiologischen Konzentrationen bindet sich das Noradrenalin bevorzugt an α-Rezeptoren. Die Catecholaminrezeptoren gehören zu den Typ-III-Rezeptoren (Abschnitt 1.1.3.4), die Signale mit Hilfe von G-Proteinen übertragen. Die Bindung von Hormonen an β1- und β2-Rezeptoren aktiviert die Adenylat-Cyclase, während die Bindung an α2-Rezeptoren zu einer Inhibierung des Enzyms führt. α1-Rezeptoren vermitteln Prozesse, die die intrazelluläre Ca2+-Konzentration verändern und/oder das Phosphatidylinositol-System beeinflussen. Tabelle 1.22 fasst die hauptsächlichen Wirkungen, die durch die einzelnen Rezeptortypen vermittelt werden, auf Organebene zusammen. Insgesamt lösen die Catecholamine in zahlreichen Organen komplexe biochemische und physiologische Prozesse aus, die mit der Stressbeantwortung im Zusammenhang stehen. Sie werden dabei von anderen Hormonen – Glucocorticoide, Wachstumshormon, Vasopressin, Glucagon – unterstützt.
1.4.4.3
Die Schilddrüsenhormone* sind ebenfalls Tyrosin-Derivate
Die Schilddrüse (Thyreoidea), eine endokrine Drüse im unteren Halsbereich des Menschen, besteht aus etwa drei Millionen mit Speichersekret (Kolloid) gefüllten Follikeln. Das Follikellumen ist von einem einschichtigen Epithel umgeben, dessen Zellen das jodtyrosinhaltige Prohormon, das Thyreoglobulin, synthetisieren (Abbildung 1.72). Dieses sehr große (660kDa) Glykoproteinmolekül enthält etwa 115 Tyrosylreste und wird nach der Synthese in das Follikellumen ausgeschleust. Im Bereich der Zellmembran, die an das Follikellumen angrenzt, werden einige Tyrosylreste jodiert. Die JodidIonen werden aus dem Blut gegen einen Konzentrationsgradienten aufgenommen, durch eine Peroxidase mit H2O2 zu Jodradikalen oxidiert und an die Tyrosylreste, die sich im Verband der Polypeptidkette befinden, posttranslational angefügt. Die Jodierung * Außer den Schilddrüsenhormonen Trijodthyronin und Tetrajodthyronin produzieren die parafollikulären C-Zellen der Thyreoidea das Thyreocalcitonin (Calcitonin). Dieses Peptidhormon, das den Calciumstoffwechsel reguliert, wird trotz seines Ursprungs nicht zu den „Schilddrüsenhormonen“ gerechnet.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
157
Tabelle 1.22: Durch verschiedene adrenerge Rezeptoren vermittelte biochemische und physiologische Prozesse
α1
α2
β1
Erhöhung der Glykogenolyse
Stimulierung Relaxation der glatten Muskulatur der Lipolyse Gastrointestinaltrakt
Kontraktion der glatten Muskulatur Blutgefäße Urogenitaltrakt
Kontraktion der glatten Muskulatur (Blutgefäße) Inhibierung der Lipolyse Reninfreisetzung Plättchenaggregation Insulinsekretion
Kontraktion des Myokards erhöhte Rate erhöhte Kraft
β2 Erhöhung der hepat. Gluconeogenese
Erhöhung der hepat. Glykogenolyse Erhöhung der MuskelGlykogenolyse Erhöhung der Freisetzung von Insulin Glucagon Renin Relaxation der glatten Muskulatur Bronchien Blutgefäße Urogenitaltrakt Gastrointestinaltrakt
erfolgt erst in Position drei des aromatischen Ringes, wobei das 3-Monojodtyrosin entsteht. An einige Tyrosylreste wird anschließend in Position fünf ein weiteres Jod angefügt, unter Bildung von 3,5-Dijodtyrosin (Abbildung 1.73) Durch eine intermolekulare Kopplung von einem Dijodtyrosin mit einem zweiten Dijodtyrosin – unter Ausbildung einer Diphenylether-Gruppierung und Abspaltung eines Serylrestes – entsteht das Tetrajodthyronin (T4), auch Thyroxin genannt. Wird an ein Dijodtyrosin ein Monojodtyrosin angelagert, kommt es zur Bildung von Trijodthyronin (T3), der wirksamsten Form der Schilddrüsenhormone. Erfolgt die Verbindung in umgekehrter Reihenfolge, das heißt das zweifach jodierte Tyrosin wird an das einfach jodierte gebunden, so entsteht das inaktive „reverse“ Trijodthyronin (rT3) (Abbildung 1.73). Zur Freisetzung der wirksamen Hormone muss das Thyreoglobulin, an das sie noch gebunden sind, durch Pinocytose aus dem Follikellumen wieder in die Epithelzelle aufgenommen werden. Durch lysosomalen Abbau werden die Hormone T3 und T4 aus dem Peptidverband freigesetzt und stehen für die Sekretion in die Blutbahn zur Verfügung. Vorausgesetzt, dass die Jodversorgung adäquat ist, würde die Menge der Schilddrüsenhormone, die am Thyreoglobulin gespeichert ist, ausreichen, um den Organismus mehrere Wochen hindurch mit T3 und T4 zu versorgen. Das an die Tyrosylreste angekoppelte Jod unterliegt einer sehr ökonomischen Recyclisierung. Etwa 70 % des Jods in der Schilddrüse befinden sich zunächst nicht in den Schilddrüsenhormonen, sondern
158
1.72
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Biosynthese der Schilddrüsenhormone J– = Jodid; T3 = Trijodthyronin; T4 = Tetrajodthyronin
in den Vorstufen, dem Monojodtyrosin und dem Dijodtyrosin. Nach der vollständigen lysosomalen Hydrolyse des Thyreoglobulins werden diese Aminosäuren freigesetzt und enzymatisch dejodiert. Das Jod bleibt in einem Jodpool integriert. Außerdem wird ein Teil des T4 bereits in der Schilddrüse in T3 umgewandelt, was wiederum zur Rückgewinnung von Jod beiträgt. Mehrere Isoenzyme der Dejodase befinden sich in der Leber, der Niere und der Hypophyse. Diese enzymatische Aktivität trägt ebenfalls zur Konservierung des Jodbestandes des Organismus bei, da etwa 80 Prozent des zirkulierenden T4 in der Peripherie zu T3 und rT3 dejodiert werden. Dank dieser mehrfachen Rückgewinnung des Jods ist die mit der Nahrung aufzunehmende Jodmenge mit 150 bis 200 μg pro Tag relativ niedrig. Sowohl die Synthese als auch die Sekretion der Schilddrüsenhormone wird über die Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse gesteuert. Das TSH-ReleasingHormon (TRH) des Hypothalamus bewirkt die Ausschüttung des thyreoideastimulierenden Hormons (TSH) aus der Hypophyse. In der Schilddrüse, dem Zielorgan, bindet das TSH an den TSH-Rezeptor der Plasmamembran der Epithelzelle. Das TSH stimuliert die Thyreoglobulinsynthese ebenso wie die Jodierung und Kopplung der Tyrosylreste sowie die Sekretion der Hormone. Die Schildrüsenhormone hemmen ihrerseits rückkoppelnd sowohl die TRH-Sekretion aus dem Hypothalamus als auch die TSH-Abgabe aus der Hypophyse.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
159
J
HO
COOH
CH2CH NH2
J
HO
CH2CH NH2
J
J
J
O
HO
CH2CH
J
J
J
J
O
HO
COOH
NH2
CH2CH
J
O
HO
CH2CH
J
1.73
COOH
NH2
J
J
COOH
COOH
NH2
Struktur der Schilddrüsenhormone und deren Vorläufer
TSH übt einen trophen Effekt auf die Proliferation der Thyreocyten aus. Bei Jodmangel kann die Synthese der Schilddrüsenhormone erheblich verringert sein. Dies hat zur Konsequenz, dass die rückkoppelnde Hemmung der Hormone auf die TSH-Sekretion geschwächt ist und die proliferierende Wirkung auf das Schilddrüsengewebe ungebremst erfolgen kann. Es kommt zu einer Vergrößerung des Schilddrüsengewebes, die als Struma (Kropf) bezeichnet wird. Etwa 50 bis 60 Prozent des Schilddrüsenhormonbestandes zirkulieren im Blut. T3 und T4 werden im Blutplasma an zwei spezifische Proteine, das thyroxinbindende Globulin (TBG) und das thyroxinbindende Präalbumin (TBPA) gekoppelt transportiert. Das TBG, ein Glykoprotein von 500 kDa, bindet die beiden Hormone fast quantitativ, da seine Affinität etwa hundertmal höher als die des TBPA ist. Ein kleiner Anteil der Hormone zirkuliert in ungebundener Form, die allein biologisch wirksam ist. Dieser
160
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Tabelle 1.23: Trijodthyronin und Tetrajodthyronin im Blutplasma Ungebundene Hormone
T3 T4
gebunden + ungebunden μ g × L–1
% von geb. + ungeb.
Konzentration ng × L–1 mol × L–1
t/2 im Blut (Tage)
1,5 8,0
0,3 0,03
5 4,0 5 22,4
1,5 6,5
5 0,6 × 10–11 5 3,0 × 10–11
Anteil wird durch Freisetzung aus den Bindungsproteinen nachgeliefert. Tabelle 1.23 enthält einige quantitative Angaben über die Schilddrüsenhormone im Blutplasma. Die Monodejodierung von T4 insbesondere in der Leber und der Niere führt zur T3Neogenese. Etwa 80 % des T3 im Plasma stammen aus dieser Umwandlung und wurden aus den Leber- und Nierenzellen wieder ins Blut abgegeben. Die biologische Aktivität des T3 ist etwa dreimal höher als die von T4. Bei der Dejodierung entsteht auch rT3, das biologisch inaktiv ist. Auch vollständige Dejodierung führt zur Inaktivierung der Schilddrüsenhormone, ebenso wie Desaminierung und Decarboxylierung. Durch Konjugation mit Sulfat und Glucuronat kommt es zu Abbauprodukten, die in der Galle ausgeschieden werden.
1.4.4.4
Die Schilddrüsenhormone üben ihre Wirkung auf nuclearer Ebene aus
Nach Eindringen in den Zellkern werden die Schilddrüsenhormone durch hochaffine spezifische Kernrezeptoren gebunden. Die Affinität des T3-Rezeptors ist etwa zehnmal höher als die des T4-Rezeptors, was die unterschiedliche biologische Wirksamkeit der beiden Hormonspezies erklären könnte. Nach neueren Untersuchungen existieren für T3 zwei verschiedene Rezeptoren, (α und β), mit mehreren Subtypen. Einige Subtypen sind ubiquitär, andere befinden sich nur in speziellen Organen und Gewebsarealen. Im Cytoplasma existiert ein niederaffiner Rezeptor, der jedoch mit dem Kernrezeptor nicht identisch ist und möglicherweise die Aufgabe hat, die Hormone in der Nähe des Zellkerns verfügbar zu halten. Die Schilddrüsenhormone haben Induktorfunktion und binden sich an spezifische hormone response-Elemente (Abschnitt 1.3.1.1) des DNA-Doppelstranges, wodurch es zur Aktivierung der Transkription benachbarter Gene kommt. Es ist auffallend, dass die Schilddrüsenhormone eine generelle Erhöhung der Proteinbiosynthese und eine positive Stickstoffbilanz hervorrufen. Möglicherweise steht dieser Effekt im Zusammenhang mit der erhöhten Produktion des Wachstumshormons. Eine der bekannten spezifischen Wirkungen der Schilddrüsenhormone ist nämlich die Erhöhung der Transkription des Wachstumshormon-Gens, ein Effekt, den auch die Glucocorticoide zeigen. Auch die Expression der Gene, die für die Untereinheiten der Na+/K+-ATPase (Abschnitt 1.2.2.6) codieren, steht unter der Kontrolle der Schilddrüsenhormone. Da die Funktion der Na+/K+-ATPase ein ATP-abhängiger Prozess ist, ist ihre Intensivierung an eine erhöhte ATP-Synthese und damit einen erhöhten O2-Verbrauch gekoppelt. In vielen Geweben kommt es unter dem Einfluss der Schilddrüsenhormone nicht nur zur Steigerung des O2-Verbrauchs, sondern auch zu einer erhöhten Thermogenese, da ein
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
161
Teil der bei der ATP-Spaltung freiwerdenden Energie in Wärme umgewandelt wird. Der Grundumsatz wird messbar gesteigert. Es ist anzunehmen, dass der Stoffwechsel aller Zelltypen durch die Schilddrüsenhormone beeinflusst wird, wenn auch die Wirkungen auf den Hepatocyten am besten erforscht sind. Betroffen von dieser Kontrolle ist der Metabolismus aller Nährstoffe, und eine komplexe, noch nicht vollständig verstandene Interaktion mit sonstigen hormonellen Systemen und Wachstumsfaktoren ist zu beobachten. Eine spezifische Wirkung üben die Schilddrüsenhormone auf Entwicklungs- und Differenzierungsvorgänge aus, insbesondere bei der Entwicklung des Gehirns von Neugeborenen. T3 verstärkt die Aktion der Catecholamine, wobei es zu einer Zunahme der β-Rezeptoren im Herzmuskel kommt. Die Kontraktilität des Herzmuskels wird erhöht, der periphere Gefäßwiderstand verringert. Außerdem induziert T3 im Herzmuskel die Synthese von Myosintypen, die eine höhere ATPase-Aktivität aufweisen (Abschnitt 11.1.1).
1.4.5 Die Steroidhormone des Menschen und anderer Wirbeltiere sind Metaboliten des Cholesterins Ein kleiner Teil des endogen synthetisierten beziehungsweise mit der Nahrung zugeführten Cholesterins wird in den dafür prädestinierten Drüsenzellen in Steroidhormone umgewandelt. Die Formel des Cholesterins – nach der englischen Nomenklatur als Cholesterol bezeichnet – ist, einschließlich Numerierung der C-Atome, in Abbildung 1.74 dargestellt, seine Biosynthese wird in Abschnitt 9.5.2 besprochen. Bei der Umwandlung des Cholesterins in die Steroidhormone kann es sich sowohl um Einführung oder Abspaltung von Substituenten am Ringsystem als auch um Veränderungen an der Seitenkette handeln. Im menschlichen Organismus werden sechs Steroidhormone gebildet (siehe Abbildung 1.75): Cortisol und Aldosteron in der Nebennierenrinde, Progesteron und Estradiol im Ovar sowie Testosteron in den Hoden. Zu den Steroidabkömmlingen zählt weiterhin das Calcitriol (Abschnitt 1.4.5.4). Die komplizierte Biosynthese der Steroidhormone aus Cholesterin verläuft über eine gemeinsame Ausgangssubstanz, das Pregnenolon (Abbildung 1.76). Auf dem Weg zu den erwähnten fünf Hormonen entstehen zahlreiche Zwischenprodukte, die zu einem bestimmten Hormon oder auch zu mehreren verschiedenen Hormonen führen können. Viele dieser Intermediärprodukte haben ebenfalls hormonale Wirksamkeit, wenn diese auch nicht so ausgeprägt ist wie die der Endprodukte der Biosynthese. Neben den eigentlichen Hormondrüsen scheinen im
C 8
C C C
HO
1.74
Struktur des Cholesterins
C C
C
C
C
C C
B C
C8 C
C C
C C
C
C C C
C C
C
C
C
162
1.75
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Struktur der Steroidhormone
Organismus auch sonstige Gewebe kleine Mengen an Steroidhormonen zu synthetisieren. Das durch Zusammenwirken von Haut, Leber und Niere entstehende Calcitriol nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als bei diesem Hormon, das den Calciumstoffwechsel steuert, der B-Ring des Cholesterins aufgespalten wird. Im Folgenden werden das für die Regulation des Intermediärstoffwechsels sehr bedeutende Cortisol – beziehungsweise die Glucocorticoide – und die beiden wichtigen Regulatoren des Mineralstoffwechsels, das Aldosteron und das Calcitriol, detailliert besprochen.
1.4.5.1
Bei der Synthese des Cortisols wechseln die Intermediärprodukte mehrmals das Zellkompartiment
Etwa 80 Prozent der Masse der Nebenniere entfällt auf die Nebennierenrinde (NNR). Diese weist drei distinkte Schichten auf: die Zona glomerulosa, in der das Aldosteron und verwandte Mineralocorticoide synthetisiert werden, und die Zona fasciculata sowie die Zona reticularis, die als Syntheseorte des Cortisols und sonstiger Glucocorticoide sowie einiger Androgenvorstufen fungieren. Die Ausgangssubstanz der Steroidsynthese, das Cholesterin, wird im Cytosol der Zellen der NNR in Form von Cholesterinestern in zahlreichen Lipidtröpfchen gespeichert. Dabei ist es gleichgültig, ob das Cholesterin aus der Eigensynthese der Zellen stammt oder aus anderen Geweben in Form von low density lipoproteins (LDL) herantransportiert worden ist. Die Freisetzung des Cholesterins aus den Estern wird durch die CholesterinesterHydrolase katalysiert. Dieses Enzym wird in die phosphorylierte und damit aktive Form überführt, sobald das adrenocorticotrope Hormon (ACTH) an die Rezeptoren der Zellmembran bindet und dadurch eine Erhöhung des cAMP-Spiegels bewirkt. Das freie Cholesterin gelangt mittels Trägerproteine (Abbildung 1.76) in das Mitochondrion. Dort wird durch die Cholesterin-Desmolase, – das geschwindigkeitsbestimmende Enzym des Syntheseweges –, die Seitenkette des Cholesterins abgespalten, wodurch
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
163
das Ausgangsprodukt zur Synthese aller Steroide der NNR, das Pregnenolon, entsteht. Das Pregnenolon wird durch die 3-β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase in Progesteron überführt, das an das endoplasmatische Reticulum weitergeleitet wird. Durch ein Cytochrom-P450-Enzym erfolgt eine Hydroxylierung in 17α-Stellung zu 17-α-Hydroxyprogesteron, das ebenfalls Cytochrom-P450-abhängig in Stellung 21 ein weiteres Mal hydroxyliert wird. Dieses Derivat tritt in das Mitochondrion über und wird dort durch Hydroxylierung in Stellung 11 in Cortisol überführt. Die Synthese und Sekretion von Cortisol stehen unter der Kontrolle von regulatorischen Polypeptiden des Hypothalamus und der Hypophyse. Die Ausschüttung des hypothalamischen Corticotropin-Releasing-Hormons (CRH) sowie des hypophysären Adrenocorticotropen-Hormons (ACTH) ist teilweise stressinduziert, teilweise folgt sie einem endogenen circadianen Rhythmus, der sich im Endeffekt auch auf die Synthese und Sekretion der Corticosteroide auswirkt. Das Maximum der Cortisolausschüttung wird morgens um etwa acht Uhr registriert. Das Cortisol wirkt negativ rückkoppelnd sowohl auf den Hypothalamus als auch auf die Hypophyse (Abbildung 1.62). Verschiedene Cytokine wirken stimulierend auf das System Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinde und stellen dadurch die Verbindung zwischen Immunsystem und Corticosteroiden her. Es werden täglich 5 bis 30 mg (14 bis 84 μmol) Cortisol synthetisiert. Die Steroidhormone werden nicht am Ort ihrer Synthese gespeichert, sondern unmittelbar, vermutlich durch Exocytose in die Blutbahn sezerniert. Um acht Uhr morgens ist die radioimmunologisch bestimmte Konzentration des Cortisols im Plasma 50 bis 250 μg × L–1 (0,14 bis 0,69μmol × L–1). Die gesamte im Organismus zirkulierende Menge des Cortisols wird alle zwei bis drei Stunden erneuert.
Cholesterindesmolase
P450c17
1.76
P450c21
P450c11
Biosynthese des Cortisols ACTH = adrenocorticotropes Hormon; P450c = Cytochrom-P-450-Enzyme
Blutplasma
endoplasmatisches Reticulum
164
1.77
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Reaktionen zur Inaktivierung des Cortisols
Das wenig hydrophile Cortisol wird im Blut an das α-Globulin Transcortin gebunden transportiert. Einige Steroidhormone konkurrieren um das Transportprotein. Als unspezifisches, wenig affines Transportprotein steht auch Albumin zur Verfügung. Zur Inaktivierung wird das Cortisol in die Hepatocyten aufgenommen. Abbildung 1.73 zeigt die Reaktionen, die zur Inaktivierung des Cortisols führen, bei denen es sich um NADPH2-abhängige, enzymatische Hydrierungen handelt. Die entstandenen Tetrahydroverbindungen, ebenso wie unveränderte Steroide, werden als Glucuronatund Sulfatester größtenteils renal, zu einem geringeren Anteil über die Galle ausgeschieden.
1.4.5.2
Das Mineralocorticoid Aldosteron ist ein Syntheseprodukt der Zona glomerulosa der Nebennierenrinde
Die ersten Schritte der Biosynthese von Aldosteron aus Cholesterin sind mit denen von Cortisol identisch. Die Gabelung der Synthesewege geht vom Progesteron aus, das im Fall des Aldosterons durch eine 21-β-Hydroxylierung in das 11-Desoxycorticosteron übergeführt wird (Abbildung 1.78). Durch 11-β-Hydroxylierung entsteht das Corticosteron, daraus durch eine weitere Hydroxylierung das 18-Hydroxycorticosteron. Durch Oxidation der Hydroxylgruppe am C-Atom 18 entsteht schließlich das Aldosteron, dessen C-Atom 18 eine Aldehydgruppe trägt, wonach das Aldosteron seine Bezeichnung erhielt. Diese Gruppe kann mit der Hydroxylgruppe am C-Atom 11 reversibel ein Aldosteron-Halbacetal bilden. Das Corticosterin, das als Zwischenprodukt dieses Syntheseweges entsteht, hat sowohl eine Glucocorticoid- als auch eine schwache Mineralocorticoid-Wirksamkeit. Das potenteste natürliche Mineralocorticoid ist das Aldosteron, gefolgt vom 11-Desoxycorticosteron. Die Effektivität des Aldosterons ist etwa 35mal höher als die des 11-Desoxycorticosterons. Wie die anderen Hormone der NNR wird auch das Aldosteron nicht gespeichert, sondern gleich nach der Synthese in die Blutbahn abgegeben. Im Gegensatz zu den sonstigen Corticosteroiden steht die Sekretion des Aldosterons nicht unter der Kontrolle des Hypothalamus und der Hypophyse, wenn auch eine leichte Stimulierung durch ACTH beobachtet wird. Determinierend wirken vielmehr Änderungen des Blutvolumens und der Elektrolytkonzentration im Blutplasma. Stimulierend wirken ein Absinken der Na+-Konzentration, beziehungsweise ein Anstieg der K+-Konzentration sowie eine Abnahme des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens. Da diese Größen durch
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
165
HO
H2C
CH3 C
O
CH2
HO
C
18-Hydroxycorticosteron
Pregnenolon Oxidation Umlagerung der Doppelbindung
HO
OH O
O
Oxidation
CH3 C
O O C
HO
Progesteron
H2C H C
OH O
Aldosteron O
21-β-Hydroxylierung O
Halbacetalbildung H2C C
OH O
11-Desoxycorticosteron
O
OH
CH
O
C
Aldosteron Halbacetal
18-Hydroxylierung 11-β-Hydroxylierung
O
OH H2C
O
1.78
Biosynthese des Aldosterons
mehrere hormonale und nicht-hormonale Ereignisse beeinflusst werden, ist die Steuerung der Aldosteronsekretion in ein vielfältiges Kontrollnetz eingebunden. Von besonderer Bedeutung ist in dieser Hinsicht das Renin-Angiotensin-System (Abschnitt 4.6.3). Angiotensin II hat an den Zellen der Zona glomerulosa spezifische Rezeptoren und ist ein sehr potenter direkter Stimulator der Aldosteronsynthese. Unabhängig von dieser Regulation wird die Biosynthese und Sekretion der Mineralocorticoide durch Substanzen mit β-adrenerger Wirkung gefördert und durch Dopamin gedrosselt. Mit 0,3 mg ist die Tagesproduktion an Aldosteron sehr viel geringer als die von Cortisol. Der Plasmaspiegel wird mit 0,3 μg × L–1, die biologische Halbwertszeit mit etwa 30 Minuten angegeben. Für das Aldosteron existiert kein spezifisches Transportprotein im Blutplasma. Diese Tatsache sichert dem freien Aldosteron gewisse Vorteile bei der Konkurrenz um Rezeptorbindungsstellen gegenüber Steroiden, die an Transportproteine gebunden sind. Auch die Inaktivierung des Aldosterons erfolgt in der Leber durch Hydrierung zu Tetrahydroaldosteron, das als Glucuronsäurekonjugat im Urin ausgeschieden wird.
1.4.5.3
Alle Steroidhormone entfalten ihre molekulare Wirkung auf der Ebene der Transkriptionskontrolle
Das Wirkungsprinzip der lipophilen Hormone als Induktoren der Biosynthese spezieller Proteine wurde am Beispiel der Corticosteroide bereits im Zusammenhang mit der enzymatischen Regulation besprochen (Abschnitt 1.3.1.1). Wie bereits dort ausgeführt, befinden sich die Rezeptoren dieser Hormonklasse intrazellulär und das rezeptorgebundene Hormon aktiviert im Zellkern die Transkription bestimmter Gene. In unterschiedlichen Zellen können dies jeweils andere Gene sein, wodurch die ausgeprägt organspezifische Wirkungsweise der Steroidhormone erklärt wird.
166
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Zahlreiche biochemische, immunologische und genetische Studien der letzten Dekade führten zu der Erkenntnis, dass die Rezeptoren der lipophilen Hormone zu einer Steroid-Thyroid-Hormonrezeptor-Superfamilie gehören. Die Mitglieder dieser Familie sind die Rezeptoren für Glucocorticoide, Mineralocorticoide, Progesteron, Androgene, Estrogene, Calcitriol, Schilddrüsenhormone und Retinsäure. Die DNA-Bindungsdomänen dieser Rezeptoren weisen eine relativ hohe Homologie auf. Diese weitgehende Ähnlichkeit der Rezeptoren dürfte ein Grund für die überlappende Wirksamkeit sein, die insbesondere bei den Steroidhormonen festzustellen ist. Das Wirkungsspektrum der Steroidhormone ist außerordentlich vielfältig. Es gibt unter anderem kaum ein Gebiet des Intermediärstoffwechsels der Nährstoffe, auf das die Glucocorticoide, sonstige Corticosteroide, aber auch sonstige Steroide, keinen Einfluss ausüben. Beinahe alle Organe und Organsysteme sind betroffen, da die GlucocorticoidRezeptoren ubiquitär in fast allen Zellen vorkommen. Da, wie bereits erwähnt, ein und dasselbe Hormon in unterschiedlichen Zellen unterschiedliche biochemische Effekte hervorrufen kann, wird die regulatorische Funktion dieser Hormone im zweiten Teil des Lehrbuchs im Zusammenhang mit der metabolischen Leistung verschiedener Organe im einzelnen diskutiert. Im folgenden sollen nur die Hauptwirkungen von Cortisol und Aldosteron erwähnt werden, wobei nochmals darauf hingewiesen werden soll, dass es sich in den meisten Fällen nicht um isolierte Effekte dieser beiden Einzelsubstanzen, sondern um die der Glucocorticoide und Mineralocorticoide handelt. Auf den Stoffwechsel der Hauptnährstoffe bezogen, lässt sich festhalten, dass die Glucocorticoide als Gegenspieler des Insulins fungieren, indem sie den Blutglucosespiegel erhöhen. In dieser Hinsicht wirken sie gleichgerichtet mit Glucagon und Adrenalin, wobei sie die Wirkung dieser beiden Hormone verstärken und verlängern. Im Muskel-, Knochen- und Fettgewebe sowie in den Lymphocyten stimulieren die Glucocorticoide die Proteolyse und damit die Freisetzung von Aminosäuren. Im Fettgewebe führen sie zu einer Verstärkung der Lipolyse mit entsprechender Freisetzung von freien Fettsäuren und Glycerin. In diesen Organen wirken die Glucocorticoide somit katabol. In der Leber dagegen kann ihre Wirkung eher als anabol bezeichnet werden, da sie direkt und indirekt den Aufbau von Glucose, Ketonkörpern und Harnstoff fördern. Durch gezielte Induktion bestimmter Enzyme stimulieren sie auch die Proteinbiosynthese. Glucocorticoide und auch viele sonstige Steroide haben ausgeprägte Wirkungen auf das Immunsystem; sie unterdrücken immunologische und entzündliche Prozesse. Hierdurch wird ein Überschießen dieser Reaktionen, die zur Störung der Homöostase führen könnten, verhindert. Die immunsuppressive Wirkung der Corticosteroide wird in großem Maßstabe therapeutisch genutzt, wozu Hunderte von Cortisolderivaten synthetisch hergestellt wurden. Durch relativ geringfügige Änderungen am Molekül lassen sich gewünschte Wirkungen dieser hochwirksamen Pharmaka gezielt verstärken und unerwünschte Effekte ausblenden. Hauptzielorgan des Aldosterons, des Mineralocorticoids mit der höchsten Wirksamkeit, ist die Niere. Die biologischen Wirkungen des Aldosterons werden daher im Zusammenhang mit den Stoffwechselleistungen der Niere detailliert erörtert (Abschnitt 12.2.2.2). Generell gesehen ist die Steigerung der renalen Rückresorption von Natrium und Chlorid der auffallendste Effekt des Aldosterons. Die durch Mineralocorticoide bewirkte Natriumretention zieht eine entsprechende Wasserretention und Blutdruckerhöhung nach sich. Neben der Niere, wo sich die Rezeptoren des Aldosterons besonders konzentriert in den corticalen Abschnitten der Sammelrohre befinden, zählen auch das Colon und die Schweißdrüsen zu den Zielgeweben der Mineralocorticoide.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
1.4.5.4
167
An der Synthese von Calcitriol beteiligen sich die Haut, die Leber und die Niere
Die Synthese des 1α,25-Dihydroxycholecalciferol (Vitamin D3), das den Trivialnamen Calcitriol trägt, geht – wie dies aus Abbildung 1.79 zu entnehmen ist –, von 7-Dehydrocholesterin aus, das heißt von einem Cholesterinmolekül, das am C-Atom sieben des B-Ringes dehydriert ist. Belichtung der Haut führt zur Spaltung der Bindung zwischen C-9 und C-10, wodurch das Prävitamin D3, das Präcalciol entsteht. Diese thermodynamisch instabile Form des Moleküls geht durch die Hautwärme in Calciol über, das eine seco-Steroidstruktur hat. Diese Verbindung wird auch als Vitamin D3 oder Cholecalciferol bezeichnet. Bekanntlich kann das Vitamin D3 auch bereits präformiert mit der Nahrung zugeführt und nach intestinaler Resorption mit den Chylomikronen assoziiert in der Lymphe transportiert werden. Um seine Wirkungen als Hormon entfalten zu können, muss das Cholecalciferol in zwei aufeinander folgenden Schritten in der Leber und in der Niere hydroxyliert werden. Das in der Haut entstandene Cholecalciferol wird an ein spezifisches Bindungsprotein der α-Globulinfraktion, an das DBP gebunden auf dem Blutweg transportiert. Auch das mit den Chylomikronen assoziierte Vitamin D3 wird auf das DBP übertragen. Die erste Hydroxylierung wird durch die hepatische Cholecalciferol-25-Hydroxylase, eine Cytochrom-P450-abhängige Monooxygenase, katalysiert. Das Produkt ist das 25-Hydroxycholecalciferol (Calcidiol). Die zweite Hydroxylierung, durch die das hormonell aktive 1α,25-Dihydroxycholecalciferol oder Calcitriol entsteht, erfolgt in der Niere durch die katalytische Aktivität der mitochondrialen 25(OH)D-1α-Hydroxylase.
OH
UV-Licht
Wärme
(Haut)
CH2
HO HO
Präcalciol (Prävitamin D3)
7-Dehydrocholesterin
Cholecalciferol (Calciol, Vitamin D3)
OH
OH
25(OH)D-1α Hydroxylase
Cholecalciferol-25-Hydroxylase (Leber)
(Niere) CH2
CH2 HO
25-Hydroxycholecalciferol (Calcidiol)
1.79
Biosynthese des 1α, 25-Dihydroxycholecalciferols
HO
OH
1α,25-Dihydroxycholecalciferol (Calcitriol)
168
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Die renale Hydroxylierung unterliegt einer komplexen Regulation, woran das Calcitriol selbst, das Parathormon der Nebenschilddrüse, das Thyreocalcitonin, eine Reihe weiterer Hormone sowie Calcium und Phosphat beteiligt sind. Dank dieser multifaktoriellen Regulation ist der Plasmaspiegel des Calcitriols unter normalen Bedingungen weitgehend konstant. Es werden täglich etwa 0,4 μg Calcitriol synthetisiert, dessen Lebensdauer mit zwei bis drei Stunden angegeben wird. Das Calcitriol wird hauptsächlich nach Konjugation mit Glucuronsäure über die Galle ausgeschieden und unterliegt einem enterohepatischen Kreislauf. Ein geringer Anteil des Calcitriols wird durch Oxidation der Seitenkette, beziehungsweise durch Einfügen einer weiteren Hydroxylgruppe inaktiviert.
1.4.5.5
Zielorgane des Calcitriols sind der Darm, die Niere und der Knochen
Der molekulare Wirkungsmechanismus des Calcitriols entspricht dem der „echten“ Steroide, das heißt, es fungiert in den Zielzellen als Induktor der Biosynthese spezieller Proteine. Wie bereits erwähnt, gehört der Rezeptor des Calcitriols zu einer Rezeptorsuperfamilie (Abschnitt 1.4.5.3). Die Struktur des Rezeptors ist aufgeklärt, seine aktive Form ist ein Heterodimer mit einem Retinoatrezeptor des Typs RxR (Abschnitt 1.4.6). Im Darm, speziell im Ileum, dem Hauptort der Calciumaufnahme, bewirkt das Calcitriol eine signifikante Förderung der Calciumresorption. Aufgrund mehrerer Studien kommt diese Wirkung dadurch zustande, dass das Calcitriol die Synthese eines calciumbindenden Proteins, des Calbindins, induziert. Das Gen dieses Proteins weist ein calcitriolempfindliches Element auf. Das Calbindin ist Teil eines aus mehreren Proteinen bestehenden Transportsystems, das für den transzellulären Transport des Calciums in der Darmepithelzelle zuständig ist. Über diese induktive Wirkung hinaus ist das 1α,25-Dihydroxycholecalciferol für die Erhaltung der Integrität der intestinalen Villi notwendig. Diese indirekte Wirkung des Vitamin D auf die Darmmucosa dürfte dadurch zustande kommen, dass Calcitriol die Ornithindecarboxylase induziert. Hierdurch entsteht aus dem Ornithin das biogene Amin Putrescin, die Vorstufe für die Synthese der Polyamine Spermin und Spermidin, die ihrerseits die Proliferation der intestinalen Mucosazellen potent stimulieren. Auch in der Niere wirkt das 1α,25-Dihydroxycholecalciferol konservierend auf den Calciumbestand, indem es die Wirkung des Parathormons auf die Rückresorption des Calciums und Phosphats unterstützt. Bei Abwesenheit des Parathormons ist dieser Effekt nicht zu beobachten. Ein weiteres Zielorgan des Calcitriols ist der Knochen. Rezeptoren für das 1α,25Dihydroxycholecalciferol wurden nur in den Osteoblasten, das heißt in den für den Knochenaufbau verantwortlichen Zellen gefunden. In diesen induziert das Calcitriol eine Anzahl von Proteinen (Calbindin, Osteocalcin, Matrix-Gla-Protein, Osteopontin, Typ I Kollagen), die am Aufbau der Knochenmatrix und an der Calcifikation beteiligt sind. Allerdings fördert das Calcitriol nicht nur die Deposition, sondern auch die Mobilisierung des Calciums aus den Knochen, ein Effekt, der bei Überschuss des Hormons besonders ausgeprägt ist. Möglicherweise kommt es hierbei zu verstärkter Differenzierung von Osteoclasten, die knochenabbauend wirken. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das 1α,25-Dihydroxycholecalciferol den Calciumstoffwechsel potent beeinflusst, indem es die intestinale Resorption sowie die renale Rückresorption des Calciums fördert. Weiterhin wirkt es im positiven und negativen Sinne mobilisierend auf den Calciummetabolismus des Knochens. Insgesamt
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
169
wirkt dieses Hormon calciumkonservierend und verhindert den Abfall der Plasmakonzentration des Calciums.
1.4.6 Auch Derivate des Vitamin A wirken als Hormone Üblicherweise – und nicht ganz korrekt* – gebraucht man die Bezeichnung Vitamin A synonym mit Retinol. Der Ausdruck Retinol sollte jedoch nur für die Alkoholform des Vitamin A verwendet werden, da es außer dieser zahllose weitere natürliche und synthetische Vitamin A-Verbindungen gibt. Das aus vier Isopreneinheiten zusammengesetzte Retinol wird entweder präformiert mit der Nahrung aufgenommen, oder aus βCarotin synthetisiert, wie dies in Abbildung 1.80 dargestellt ist. Das β-Carotin wird durch eine spezifische Dioxygenase in zwei Moleküle all-transRetinaldehyd (all-trans-Retinal), die Aldehydform des Vitamins also, gespalten. Dieses kann durch eine Isomerase in 11-cis-Retinaldehyd umgewandelt werden. Die lichtinduzierte Stereoisomerisierung der 11-cis zur all-trans-Form des Retinaldehyds spielt bei der Photorezeption eine Schlüsselrolle. Durch eine nicht umkehrbare Reduktion des Aldehyds kommt man zur Alkoholform des Vitamin A, zum all-trans-Retinol. Ebenfalls aus dem all-trans-Retinaldehyd entsteht durch Oxidation der Aldehydgruppe die Säureform des Vitamin A, das all-trans-Retinoat. Diese Verbindung kann ebenfalls isomerisieren, wobei das 9-cis-Retinoat entsteht. Diese komplexen Umwandlungsprozesse spielen sich teils in den intestinalen Epithelzellen, teils in der Leber ab, wo das Vitamin A in Form von Retinylpalmitat in speziellen Zellen (Ito-Zellen) gespeichert wird. Aber auch in sonstigen Zellen des Organismus können verschiedene Vitamin A-Derivate entstehen, da fast alle Zellen irgendeine Form dieses Vitamins benötigen. Die stark hydrophoben Moleküle sind auf spezifische Transportproteine angewiesen, die sowohl im Blut (Retinol-Bindungsprotein, RBP) als auch in Form verschiedener intrazellulärer Bindungsproteine in allen „Vitamin A-empfindlichen“ Geweben anzutreffen sind. Die drei Formen des Vitamin A, das Retinaldehyd, das Retinol und die Retinsäure haben jeweils verschiedene biologische Funktionen. Das Retinaldehyd spielt als Bestandteil des Sehpigments Rhodopsin eine spezifische Rolle. Das Retinol ist in Form von Retinylphosphat für die Biosynthese von Glykoproteinen in Epithelzellen von Bedeutung. Im Kontext dieses Kapitels ist die hormonelle Wirkung von Retinoat, das heißt der Säureform des Vitamin A, von besonderem Interesse. Es war zwar länger bekannt, dass das Vitamin A zahlreiche physiologische Vorgänge, unter anderem die Fertilität, die Embryogenese, die Morphogenese, das Wachstum und die Differenzierung höherer tierischer Organismen maßgeblich beeinflusst, aber es ist erst in letzter Zeit gelungen, den molekularen Wirkungsmechanismus dieser Effekte zu klären. Als Ergebnis zahlreicher Studien gilt als erwiesen, dass Retinoate die Fähigkeit haben, die Transkription bestimmter Gene zu regulieren, das heißt im Sinne eines Hormons wirksam zu werden. Die Rezeptoren der Retinoate gehören zu der bereits erwähnten Superfamilie der Steroid-Thyroid-Rezeptoren (Abschnitt 1.4.5.3). Es gibt zwei Typen von Retinoat* Laut Nomenklaturempfehlung sollen alle nativen und synthetischen Formen des Vitamin A unter der Bezeichnung Retinoide zusammengefasst werden. Der Begriff Vitamin A ist enger gefasst und bezeichnet die Retinoide, die die biologische Wirksamkeit des Retinols aufweisen.
170
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
β-Carotin
Dioxygenase
O
CH3
CH3 CH3
H3C
O
CHO CH3 all-trans-Retinaldehyd
RetinaldehydDehydrogenase
H3C
CH3 CH3
RetinolDehydrogenase
Isomerase
CH3
H3C
CH3 CH3
H3C
CH3 CH3
CH3
COOH CH3
CH2OH CH3
CH3
H3C CHO
all-trans-Retinsäure
1.80
11-cis-Retinaldehyd
all-trans-Retinol
Biosynthese von Retinaldehyd, Retinol und Retinsäure
rezeptoren: der RAR (retinoic acid receptor), mit den Isoformen α, β und γ, dessen natürlicher Ligand das all-trans-Retinoat ist, und der RXR (Retinoat-X-Rezeptor) mit ebenfalls drei Subtypen, der das 9-cis-Retinoat bindet. Der Retinoat-X-Rezeptor hat die Rolle eines weiteren nuclearen Faktors, der mit RAR ein Heterodimer bildet. Die Rolle des RXR scheint darin zu bestehen, als Partner zur Aktivierung verschiedener Hormonrezeptoren zu dienen. Damit es zur Genexpression kommt, muss sich das Heterodimer RAR/RXR bilden, RAR allein oder das Homodimer RAR/RAR ist unwirksam, im Gegensatz zum Homodimer RXR/RXR. Wie bereits erwähnt (Abschnitt 1.4.5.5), ist auch zur Aktivierung des Calcitriolrezeptors die Bildung eines Heterodimers RVitD/RXR notwendig. Das gleiche gilt für den Rezeptor des Schilddrüsenhormons, der als RTh/RXR effektiv ist. Es sind bereits mehrere Gene und entsprechend mehrere Proteine bekannt, deren Transkription durch Retinoate ausgelöst oder zumindest gesteigert wird. Zu dieser Liste, die sicherlich nicht abgeschlossen ist, gehören: das Retinolbindungsprotein, das Apoliporotein AI, das gluconeogenetische Schlüsselenzym Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase und verschiedene Keratine.
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
171
1.4.7 Eikosanoide sind Signalstoffe besonderer Art Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene werden unter der Gruppenbezeichnung Eikosanoide zusammengefasst. Sie sind Mediatoren mit außerordentlich vielfältiger Wirkung, die hormonelle und sonstige Signale modulieren. Sie werden weder in bestimmten Drüsen – wie die glandulären Hormone –, noch in spezialisierten Einzelzellen verschiedener Gewebe – wie die Gewebshormone – synthetisiert, sondern werden in vielen verschiedenen Geweben und Zellarten gebildet. Eikosanoide sind Abkömmlinge von mehrfach ungesättigten C20-Fettsäuren, insbesondere der Arachidonsäure (C20:4), die in die Phospholipide der Plasmamembran integriert sind. Ihre Biosynthese, die in den Abbildungen 1.81 und 1.82 dargestellt ist, beginnt an der Membran, wo die Phospholipase A2 die Arachidonsäure (Eikosatetraensäure) aus den Membranphospholipiden, insbesondere aus Phosphatidylinositol abspaltet. Die Arachidonsäure ist Substrat zweier Enzyme: der Cyclooxygenase und der 5-Lipoxygenase. Die Cyclooxygenase kommt in zwei Isoformen vor: die konstitutive Cyclooxygenase I und die bei Entzündungen induzierbare Cyclooxygenase II. Durch die Wirkung der Cyclooxygenase entsteht ein Endoperoxid mit gleichzeitiger Ausbildung eines alicyclischen Fünfringes. Dieses Prostaglandin H2 ist die Muttersubstanz der Prostaglandine E2, F2α und I2 – auch Prostacyclin genannt – sowie des Thromboxan A2, das einen Oxanring besitzt. Die einzelnen Derivate des ProstaglanOH
OH
OH
HO O
1-Acyl-2-arachidonyl3-glycerophosphoinositol
O
CH2 HC
O
C
H 2C
O
C
R
O
Phospholipase A 2 11
14
20
CH
10
3
5-Lipoxygenase
COO
8
1
Cyclooxygenase
Arachidonat H
OH CH
3
O
COO
O
COO
OOH
5-HPTE
Prostaglandin H2 H HO
HO
H
H
OH
HO
H
CH
H
H
OH
OH CH
3
OH
O CH
3
H
3
COO
CH
3
O
COO
COO
O COO
O
HO
Prostaglandin E2
1.81
H
Prostaglandin F2α
Thromboxan A2
Biosynthese der Prostaglandine und des Thromboxans
Prostacyclin (Prostaglandin I2)
172
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
dins H2 unterscheiden sich lediglich in der Position einzelner OH-Gruppen beziehungsweise durch das Vorhandensein einer Ketogruppe. Sie gehören zu den Prostaglandinen der Serie 2, wobei die tiefgestellte Ziffer die Anzahl der Doppelbindungen bezeichnet. Arachidonat
O
OOH
COO –
OH
COO–
COO–
OH
5-HydroxyperoxyEikosatetraenoat (5-HPTE)
Leukotrien A4
COO– HC
Leukotrien B4
Glutathion
NH3
CH 2 O CH 2 C
O HN
C
CH
NH
CH 2 COO–
CH 2 S COO–
OH
Leukotrien C4
Glu O H 2N
CH
C
NH
CH 2 COO–
CH 2 S COO– OH
Leukotrien D4
Gly H 2N
CH
COO–
CH 2 S COO– OH
Leukotrien E4
1.82
Biosynthese der Leukotriene
1 Die Ebenen der Stoffwechselregulation beim höheren Eukaryoten
173
Die Prostaglandine der Serie 1 sind Abkömmlinge der Eikosatriensäure, die der Serie 3 stammen von der Eikosapentaensäure ab. Das Produkt der 5-Lipoxygenase-Reaktion ist das 5-Hydroperoxyeikosatetraenoat (5-HPTE), wovon sich die Leukotriene – Hydroxy- und Hydroperoxy-Derivate von C20-Fettsäuren – ableiten, deren Synthese Abbildung 1.82 zeigt. Bei der 5-Lipoxygenase-Reaktion kommt es zur Bildung eines Hydroperoxids am C-Atom 5 der Arachidonsäure, das durch Umlagerung der Doppelbindungen in Leukotrien A4 übergeht. Daraus entsteht durch die Epoxyhydrolase das Leukotrien B4 oder durch Verknüpfung mit dem Tripeptid Glutathion mittels der Glutathion-5-Transferase das Leukotrien C4. Abspaltung eines Glutamylrestes führt zu Leukotrien D4, woraus durch Eliminierung eines Glycylrestes das Leukotrien E4 wird. Die Phospholipase A2 wird durch das Lipocortin gehemmt. Da die Produktion von Lipocortinen, die Glykoproteine sind, in verschiedenen Zellen des Organismus (unter anderem Neutrophile, Makrophagen) durch Glucocorticoide induziert wird, ergibt sich eine Verbindung zwischen Eikosanoiden und Corticosteroiden, die sich als Drosselung der Eikosanoidsynthese bei hoher Corticosteroidausschüttung manifestiert. Salicylate hemmen die Cyclooxygenase und damit die Bildung der Prostaglandine und des Thromboxans. Beide Hemmstoffe werden als Pharmaka eingesetzt, um die von den Prostaglandinen und anderen Eikosanoiden hervorgerufenen Effekte zu inhibieren oder zu mildern. Eikosanoide wirken als Mediatoren in sehr geringen Konzentrationen zwischen 10–10 und 10–8 mol × L–1 unmittelbar am Ort ihres Entstehens. Die Effekte werden entweder auf parakrinem Wege auf benachbarte Zellen ausgeübt oder auf autokrinem Wege auf die produzierende Zelle selbst. Die Reichweite dieser Mediatoren wird schon dadurch begrenzt, dass sie eine sehr kurze Lebensdauer von Sekunden bis wenigen Minuten haben. Die Inaktivierung der Prostaglandine und Thromboxane wird durch die Prostaglandin-15-Dehydrogenase katalysiert, die die Hydroxylgruppe der Seitenkette in eine Ketogruppe umwandelt. Ebenfalls zur Inaktivierung kommt es durch Reduktion von Doppelbindungen und Verkürzung von Seitenketten. Die Wirkung der Prostaglandine und verwandter Mediatoren wird durch membranintegrierte Rezeptoren vermittelt, die an heterotrimere G-Proteine gekoppelt sind. Die einzelnen Prostaglandine haben jeweils spezifische Rezeptoren, die zum Beispiel im Falle des Prostaglandin E2-Rezeptors in drei Subtypen unterteilt werden. Für verschiedene Zelltypen sind unterschiedliche Rezeptoren charakteristisch, was die ausgeprägte gewebsspezifische Wirkung der Prostaglandine erklärt. Je nach Rezeptortyp kommt es zur Stimulierung oder Hemmung der Adenylat-Cyclase mit entsprechender Erhöhung beziehungsweise Abfall der cAMP-Konzentration (Abschnitt 1.1.3.6). In manchen Fällen kommt es über die Vermittlung des Phosphatidylinositol-Cyclus zur Zunahme oder Abnahme der Ca2+-Konzentration (Abschnitt 1.1.3.9). Produktion und Freisetzung der Eikosanoide wird durch neurale Reize, sonstige Mediatoren (zum Beispiel Histamin), aber auch durch gastrointestinale Hormone (zum Beispiel Gastrin) ausgelöst. Die biologische Wirkung der Prostaglandine und sonstiger Eikosanoide ist außerordentlich komplex und bei weitem nicht vollständig geklärt. Ein einheitliches Wirkungsprinzip zu erkennen bereitet Schwierigkeiten, da die zahlreichen Verbindungen teilweise auch synergistisch beziehungsweise antagonistisch wirken. Eine besondere Rolle spielt außerdem nicht nur die absolute Menge dieser Mediatoren, sondern auch das Mengenverhältnis der einzelnen zueinander. So wird angenommen, dass die Mengenrelation von Thromboxan A2 zu Prostaglandin I2 bei Gefäßkomplikationen, die bei Diabetes mellitus auftreten, und auch bei der Genese der
174
Teil I: Grundlagen der Stoffwechselregulation auf zellulärer Ebene
Arteriosklerose eine besondere Rolle spielt. Thromboxan A2, das von aktivierten Endothelzellen sezerniert wird, induziert die Thrombocyten-Aggregation. Das Prostaglandin I2, das aus ruhenden Endothelzellen stammt, hemmt dagegen die Aggregation der Thrombocyten. Von den zahlreichen biologischen Effekten der Eikosanoide können hier nur die wichtigsten beispielhaft erwähnt werden, da es kaum einen physiologischen oder pathophysiologischen Prozess gibt, der nicht direkt oder indirekt durch diese Mediatoren beeinflusst wäre. Je nach Rezeptortyp bewirkt das Prostaglandin E2 eine Erhöhung oder eine Erniedrigung der cAMP-Konzentration der Zelle. Die Erhöhung ruft eine Relaxation der glatten Muskulatur – beispielsweise in den Bronchien, den Gefäßen und im Uterus – hervor. Ein Abfall der cAMP-Konzentration bewirkt eine Hemmung der HClSekretion im Magen und eine potente Inhibierung der Lipolyse im Fettgewebe. Prostaglandin F2α führt zu einer Zunahme des Inositoltriphosphates, die eine Bronchound Vasokonstriktion nach sich zieht. Thromboxan A2 induziert die Plättchenaggregation gleichfalls über den Abfall der cAMP-Konzentration in den Thrombocyten. Das Prostacyclin, ein Aktivator der Adenylatcyclase, ist ein Gegenspieler des Thromboxans und hemmt die Plättchenaggregation. Prostaglandine und verwandte Verbindungen sind wirkungsvolle Signale für die Schmerzempfindung. Hierauf beruht die schmerzdämpfende Wirkung der Salicylate, die die Prostaglandinsynthese blockieren. Die physiologische Wirkung der Leukotriene, insbesondere ihr molekularer Wirkungsmechanismus, ist weitgehend ungeklärt. Bekannt ist allerdings, dass sie zu den potentesten Konstriktoren der Bronchialmuskulatur gehören, und damit für das Auslösen asthmatischer Anfälle mitverantwortlich sein könnten. Außerdem sind sie maßgeblich am Zustandekommen entzündlicher Phänomene beteiligt.
TEIL II Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Im zweiten Teil des Lehrbuchs soll der katabole und anabole Stoffwechsel der Nährstoffe, das heißt der chemisch definierten Bestandteile der komplex zusammengesetzten Nahrung des Menschen im Vordergrund stehen. Diese Darstellung wäre jedoch unvollständig ohne eine übergreifende Betrachtung der Regulation der Nahrungsaufnahme durch Hunger und Sättigung sowie der Wahrnehmung des Geschmacks und Geruchs der Nahrung. Diese komplizierten biochemisch-physiologischen Prozesse können nur teilweise auf das Vorhandensein einzelner Nährstoffe zurückgeführt werden. Sie basieren vielmehr auf der Nahrung als Ganzes. So wurden sie als Kapitel 2 und Kapitel 3 der Darstellung der einzelnen Nährstoffe im Kapitel 4 vorangestellt. Die Gewinnung biologischer Energie aus den Nährstoffen kann nur auf der Ebene des Gesamtorganismus beschrieben werden. Sie wird im Kapitel 5 behandelt. Die Regulation des Stoffwechsels der Hauptnährstoffe – der Kohlenhydrate, Lipide und Proteine – soll auf der Ebene einzelner Organe dargestellt werden. Es erschien daher sinnvoll, im Kapitel 6 Grundsätzliches über die Entwicklung von Geweben und Organen zu erörtern. In den Kapiteln 7 bis 12 wird schließlich das biochemische Schicksal der Hauptnährstoffe zwischen der Inkorporierung durch den Magendarmtrakt und der renalen Exkretion der Endprodukte beschrieben.
2
Regulation der Nahrungsaufnahme
Um den Stoffwechsel in Gang zu halten, ist der Organismus darauf angewiesen, neben Sauerstoff, Wasser und einigen Mikronährstoffen auch energieliefernde Substrate in Form von Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen mit der Nahrung aufzunehmen. Während der Energieverbrauch zur Aufrechterhaltung grundsätzlicher zellulärer Leistungen ohne Unterbrechung stattfindet, erfolgt die Nahrungsaufnahme beim Menschen nicht kontinuierlich, sondern üblicherweise in Form von Mahlzeiten, die unregelmäßig über den Tag verteilt eingenommen werden. Energetisch verwertbare Substrate müssen daher gespeichert werden. Die Speicherkapazität für ATP, dessen Spaltung unmittelbar der Energieversorgung biologischer Prozesse dient, ist außerordentlich niedrig. Das ATP muss ständig nachgeliefert werden, was durch kontinuierliche autonome Mechanismen erfolgt. Der Energienachschub für die Regeneration des ATP-Pools muss durch die Energieträger der Nahrung gewährleistet werden. Die Notwendigkeit, diese trotz diskontinuierlicher Zufuhr der Nahrung verfügbar zu haben, ist also der Grund dafür, dass sie in einem bestimmten Umfang gespeichert werden müssen. Als Kohlenhydratspeicher fungiert das Glykogen, das hauptsächlich in der Leber und in der Muskulatur vorkommt. Diese Vorräte haben eine physiologisch festgelegte obere Grenze. Der Glykogenvorrat – insbesondere die leichtmobilisierbaren 150 g, die in der Leber gespeichert werden – wird schnell, das heißt innerhalb eines Tages vollständig abgebaut, wenn mit der Nahrung keine Kohlenhydrate zugeführt werden (Abschnitt 9.3.5). Proteine sind an sich nicht als Energiespeicher vorgesehen und werden zur Energiegewinnung in nennenswertem Umfang nur unter bestimmten Bedingungen herangezogen (Abschnitt 4.3). Zur Speicherung von Fett in Form von Triglyceriden dient das Fettgewebe. Der normalgewichtige Erwachsene hat einen Energiespeicher von ungefähr 600 000 kJ, hauptsächlich als Depotfett. Dieser Energiebetrag entspricht etwa der siebzigfachen Energiemenge, die täglich mit der Nahrung zugeführt wird. Entwicklungsgeschichtlich gesehen ist diese beachtliche Menge an gespeicherter Energie als „Notvorrat“ für Perioden vorgesehen, in denen der Zugang zur Nahrung erschwert ist. Beim ausgewachsenen Organismus sollte die Depotfettmenge, über längere Perioden hinweg betrachtet, eine konstante Größe sein. Das heißt zugleich, dass das Körpergewicht innerhalb einer als physiologisch zu bezeichnenden Schwankungsbreite gleich bleibt. Schwankungen des Körpergewichtes sind nämlich fast ausschließlich auf Änderungen der Depotfettmenge zurückzuführen. Der Speicherung von Depotfett sind keine der Glykogenspeicherung vergleichbaren Grenzen gesetzt. Eine gegenüber dem Energieverbrauch erhöhte Zufuhr an Nahrungsenergie führt bei fast jedem Menschen zu einer Vermehrung an Depotfett, das heißt zu Übergewicht mit seinen entsprechenden negativen gesundheitlichen Konsequenzen. Auslöser für eine dem aktuellen Bedarf angepasste Nahrungsaufnahme sollte physiologischerweise das Gefühl von Hunger sein. Das Sättigungsgefühl sollte eine übermäßige Energiezufuhr verhindern, indem es zum Einstellen der Nahrungsaufnahme
178
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
führt. Im Idealfall sollte dieser Steuerungsmechanismus ein Garant für die Konstanthaltung des Körpergewichts eines Erwachsenen sein. Das weitverbreitete Auftreten der Adipositas, insbesondere in den technisch hochentwickelten Ländern, aber auch von Essstörungen, wie Bulimia nervosa und Anorexia nervosa, deuten darauf hin, dass der Kontrollmechanismus von Hunger und Sättigung bei sehr vielen Menschen versagt. Die Regulation des Hunger- und Sättigungsgefühls wurde daher in den letzten Jahren zu einem der zentralen Themen der Ernährungsphysiologie und Ernährungspsychologie. Zweifelsohne spielen bei der außerordentlich vielschichtigen Steuerung des Essverhaltens auch psychosoziale Faktoren eine bedeutende Rolle. Der Zielsetzung eines Lehrbuchs der Biochemie der Ernährung entsprechend, können jedoch diese Zusammenhänge verständlicherweise nicht weiter erörtert werden. Im Mittelpunkt der Besprechung stehen vielmehr jene Aspekte der Hungerregulation, die mit naturwissenschaftlichen Methoden erfassbar sind, insbesondere die hormonelle und metabolische Kontrolle der Nahrungsaufnahme.
2.1 Hunger und Sättigung sind Empfindungen mit sehr komplexen Auslösungsmechanismen Die aufgenommene Nahrung sollte hinsichtlich Qualität und Quantität so beschaffen sein, dass der Bedarf des jeweiligen Individuums an Energie und an einzelnen essentiellen Nährstoffen gedeckt wird. Die Entscheidung darüber, welche Stoffe der Umgebung als Energie- und Nährstoffträger akzeptiert werden – welche Qualität also die Nahrung haben muss –, ist bei allen Organismen das Ergebnis ihrer phylogenetischen und ontogenetischen Entwicklung. Dies gilt im Großen und Ganzen, trotz der Komplexität seines Verhaltens, auch für den Menschen. Die Quantität der aufgenommenen Nahrung sollte – wie bereits erwähnt – physiologischerweise durch das subjektive Gefühl von Hunger und Sättigung reguliert werden. Der Begriff Hunger kann je nach Auffassung unterschiedlich definiert werden. Üblicherweise versteht man darunter eine in der Magengegend lokalisierte, beziehungsweise dorthin projizierte Allgemeinempfindung, die zur Kategorie der viszeralen Sensibilitäten gehört. Die gewöhnlich mit Unlust verknüpfte angeborene Empfindung des Hungers wird durch Nahrungsmangel, genauer gesagt durch Energiemangel, hervorgerufen. Mehrere Untersuchungen weisen jedoch darauf hin, dass auch beim Menschen ein „spezifischer Hunger“ als Verlangen nach bestimmten Nährstoffen in Betracht kommt. Als Sättigung wird der Zustand definiert, bei dem die Empfindung des Hungers nicht auftritt. Vom Hunger häufig nicht eindeutig abzugrenzen ist der Appetit, worunter im allgemeinen der Wunsch verstanden wird, bestimmte Nahrung aufzunehmen, oder Nahrung zum Lustgewinn auch dann zu verzehren, wenn kein Hungergefühl auftritt. Hierbei spielen der Geruch und der Geschmack der Nahrung eine beachtliche Rolle (Kapitel 3). Die Wahrnehmung von Hunger und Sättigung entsteht im zentralen Nervensystem (ZNS) und wird aus der Peripherie durch neurale, hormonelle und metabolische Signale dorthin vermittelt. Im Gehirn erfolgt die Organisation und Integration der Signale hauptsächlich mit dem Ziel, einen Bilanzausgleich zwischen Energieausgabe, Energiespeicherung und Nahrungsaufnahme herbeizuführen und eventuell die Versorgung mit essentiellen Nährstoffen zu gewährleisten. Die fundamentale Frage im Zusammenhang mit der Regulation von Hunger und Sättigung ist, welche Stoffe die Funk-
2 Regulation der Nahrungsaufnahme
179
tion der vermittelnden Signale ausüben. Das Interesse der Ernährungsphysiologie an der Lösung dieser Frage, die trotz jahrzehntelanger Forschungsarbeit bei weitem nicht gelungen ist, ist verständlich. Sie würde einen bedeutenden Beitrag zur Bekämpfung der Adipositas leisten, nicht zuletzt durch Beeinflussung des Essverhaltens mittels Pharmaka. Obwohl die Fehlregulation des Sättigungsgefühls mit Sicherheit nicht der einzige Grund für die Genese des Übergewichts ist, wurde und wird die Mehrzahl der Forschungsarbeiten über die Regulation der Nahrungsaufnahme im Zusammenhang mit der Adipositas durchgeführt.
2.1.1 Das Gehirn empfängt und prozessiert alle Signale, die die Empfindung von Hunger und Sättigung auslösen Signale jeglicher Art, die einen Einfluß auf die Nahrungsaufnahme ausüben, müssen vom ZNS erkannt werden, was entsprechende Rezeptoren voraussetzt. Verschiedene Regionen des Gehirns wurden auf diesen Aspekt hin untersucht. Derartige Untersuchungen bedeuten stets mehr oder minder gravierende Eingriffe in die Struktur und/oder den Stoffwechsel des Gehirns, weshalb sie beim Menschen nicht durchführbar sind. Auch sonst stammen viele grundlegenden Erkenntnisse über die Regulation von Hunger und Sättigung aus Tierversuchen. Man darf zu Recht annehmen, dass beim Tier die Empfindung des Hungers den Beginn der Nahrungsaufnahme auslöst, während es auf das Gefühl der Sättigung mit Beenden der Nahrungsaufnahme reagiert. Beim Menschen wird diese einfache Regulation der Nahrungsaufnahme fast immer durch komplexe soziale und psychologische Faktoren überlagert, die die internen metabolischen und physiologischen Signale signifikant modifizieren. Ergebnisse aus Tierversuchen sind daher fast immer verlässlicher und auch aussagekräftiger als die Resultate der Untersuchungen an Probanden, bei denen die Ausarbeitung von Ursache-Wirkungsbeziehungen außerordentlich erschwert ist. Aus vor mehreren Jahrzehnten durchgeführten Läsionsstudien, bei denen verschiedene Bezirke des Hypothalamus von Versuchstieren operativ ausgeschaltet wurden, ergab sich, dass zwei Kerne des Hypothalamus ausschlaggebend für die Steuerung der Nahrungsaufnahme sind (Abbildung 2.1): Ein Kern im lateralen Hypothalamus wurde als Esszentrum identifiziert, das Aktivitäten wie Nahrungssuche und Nahrungsaufnahme auslöst. Entsprechend sistierte die Nahrungsaufnahme, wenn es zerstört wird. Es kam zu Aphagie, was zu Gewichtsverlust und schließlich zum Tod führte. Als Gegenspieler des Esszentrums wurde im ventromedialen Kern des Hypothalamus ein Sattheitszentrum gefunden. Man postulierte, dass das Esszentrum kontinuierlich aktiv ist und durch das Sattheitszentrum inhibiert werden müsse. Wurde das Sattheitszentrum zerstört, fiel diese dämpfende Wirkung weg und dementsprechend kam es zu Hyperphagie, woraus eine Zunahme des Körpergewichts resultierte. Dieses bereits recht alte „klassische“ Konzept der Steuerung durch die beiden hypothalamischen Kerne, an deren Existenz nicht gezweifelt wird, erwies sich im Verlauf des letzten Jahrzehnts als zu einfach. Dem Hypothalamus wird derzeit eine weit komplexere, integrative Funktion bei der Rezeption und Integration von zahlreichen Signalen, die mit der Nahrungsaufnahme in Verbindung stehen, beigemessen. Außer den beiden erwähnten hypothalamischen Kernen wurden mittlerweile noch weitere neurale Strukturen identifiziert, die als Empfänger von Hunger-Sättigungs-Signalen in Frage kommen.
180
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Fornixsäule
Area hypothalamica lateralis Nucleus paraventricularis Area hypothalamica posterior
Nucleus supraopticus Hypothalamus Hypophyse Thalamus
N.hypothalamicus dorsomedialis
Nucleus arcuatus
N.hypothalamicus ventromedialis
Hypophyse A. Hypothalamus und Hypophyse in der Medialansicht des Gehirns
2.1
B. Die wichtigsten hypothalamischen Kerne
Regionen des Zentralnervensystems, die im Zusammenhang mit der Steuerung der Nahrungsaufnahme diskutiert werden
2.1.2 Signalträger für das Gefühl von Hunger und Sättigung entstehen auf unterschiedlichen Ebenen Zu Beginn der Forschungsarbeiten über das Übergewicht – und damit in unmittelbarem Zusammenhang über die Regulation von Hunger und Sättigung – wurde mit „Einzelursachen-Modellen“ gearbeitet. Die beiden erwähnten hypothalamischen Kerne galten als die Koordinationsorte. Die Anzahl der Einflussfaktoren erwies sich bald als außerordentlich groß und auch die zentralnervöse und periphere Koordination als sehr vielfältig. Die einzelnen Faktoren, die die Empfindung von Hunger und Sättigung beeinflussen, sind zu einem komplexen System fördernder und hemmender Wirkgrößen vernetzt. Sensationen im Zusammenhang mit dem Füllungszustand des Gastrointestinaltraktes kommen als Einflussfaktoren genauso in Frage wie Hauptnährstoffe – einzeln und in unterschiedlicher Relation zueinander – und deren zahlreichen Metaboliten, die bei ihrer Verstoffwechselung entstehen, sowie eine Reihe von Hormonen und hormonähnlichen Signalstoffen zentralnervösen und peripheren Ursprungs. Die Signale, die den Beginn beziehungsweise die Beendigung der Nahrungsaufnahme steuern sollen, können auf verschiedenen Ebenen entstehen. Sie können bereits in der Perzeption, das heißt in der sinnlichen Wahrnehmung der Nahrung, ihren Ursprung haben. Weitere werden bei der Ingestion, der Verdauung, der Resorption und der Metabolisierung der Nahrung ausgesendet und treffen im ZNS und/oder auch peripher auf ihre Rezeptoren. Die Aussendung von Signalen der kognitiven Ebene wird durch die sensorische Beschaffenheit der Nahrung oder einfach durch die gedankliche Vorstellung über ihren Genusswert initiiert (Kapitel 3). Diese Signale leiten die kephalische Phase des Appetits und Hungers ein. Über sympathische und parasympathische Stimulation werden biochemische und physiologische Aktivitäten angeregt, die die Nahrungsaufnahme vorbereiten. Zu ihnen gehören die Speichelabsonderung, die gastrale Sekretion und die Se-
2 Regulation der Nahrungsaufnahme
181
kretion mehrerer intestinaler Hormone. Auch beim Zustandekommen der Sättigung spielen Signale der kognitiven Ebene eine Rolle (Abschnitt 3.7). Die sensorische Qualität kann die Quantität der aufgenommenen Nahrung bekanntlich erheblich beeinflussen. Der Genusswert ein und derselben Nahrung nimmt während des Verzehrs fast immer ab. Gleichzeitig entsteht „Hunger“ beziehungsweise Appetit auf eine andere Art von Nahrung, die meistens eine andere Relation der Hauptnährstoffe aufweist. Es wird angenommen, dass dieses angeborene Verhalten einen physiologischen Sinn hat, indem dadurch die Zufuhr verschiedener essentieller Nährstoffe garantiert wird. Die Menge der aufgenommenen Nahrung, die zum subjektiven Gefühl der Sättigung führt, ist also infolge des kognitiven Einflusses keine konstante Größe, sondern abhängig von deren Genusswert. Ob es sich dabei nur um eine Kurzzeitregulation der Nahrungsaufnahme handelt, oder auch ein Langzeiteffekt zu erwarten ist, ist nicht gesichert. Die Einnahme von Nahrung und deren Verdauung lässt eine Reihe von Signalen auf der präresorptiven Ebene entstehen, noch bevor die Nährstoffe resorbiert worden sind. Zu diesen Signalen gehören vor allem die Informationen über den Füllungszustand des Magens, aber auch anderer Abschnitte des Magendarmtraktes. Während die Kontraktionen des leeren Magens als „nagender“ Hunger bewusst werden, tritt mit fortschreitender Nahrungsaufnahme durch die Dehnung der Magenwand ein Gefühl von Sättigung auf. Beiderlei Sensationen werden durch viszerale Rezeptorneurone vermittelt, deren Axone dem autonomen Nervensystem folgen und über den Nervus vagus den Hirnstamm erreichen. Die vermittelnden Muskelrezeptoren sind langsam adaptierende Mechanorezeptoren, die in Serie mit der glatten Muskulatur der Magenwand geschaltet sind. Zur Inhibierung weiterer Nahrungsaufnahme kommt es üblicherweise, wenn die Dehnung des Magens etwa 20 % der normalen Größe überschreitet. Auch der Füllungszustand des Duodenums wird registriert. Wird die Füllung in diesem Darmabschnitt durch nicht-nutritive Substanzen hervorgerufen, ist der Sättigungseffekt geringer als bei Verabreichung von Nährstoffen in gleicher Menge. Diese Beobachtung sowie Parabiose-Experimente* lassen darauf schließen, dass die Ingestion von Nahrung noch vor der Resorption der Nährstoffe die Freisetzung gastraler und intestinaler Hormone und sonstiger Informationsträger hervorruft, die im Blut zirkulieren und die Nahrungsaufnahme modulieren. Dass das Sättigungsgefühl als Folge der Magenfüllung nicht allein neural vermittelt wird, kann auch durch Unterbinden der Nervenleitung zum ZNS gezeigt werden.
2.1.3 In der postresorptiven Phase steuern unter anderem die Makronährstoffe und ihre Metaboliten die Nahrungsaufnahme Das primäre Ziel der Regulation der Nahrungsaufnahme scheint es zu sein, die ausreichende Zufuhr energetisch verwertbarer Substrate zu sichern. Da die Makronährstoffe, das heißt die Kohlenhydrate, die Fette und in gewissen Situationen auch die Proteine, als Quellen biologischer Energie dienen, wurden deren regulatorischen Wirkungen – einzeln und in Kombination – in unzähligen Studien an Versuchstieren und beim Menschen erforscht. Ebenfalls beachtet wurde der Effekt einiger Metaboliten, die bei der Verstoffwechselung der Makronährstoffe entstehen. * Unter Parabiose versteht man die operative Vereinigung zweier Versuchstiere gleicher Art meistens unter Bildung einer gekreuzten Blutzirkulation; solche Experimente dienten unter anderem zum Nachweis zirkulierender Sättigungssignale.
182
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Wie bereits erwähnt, ruft die Nahrungsaufnahme bereits in der präresorptiven Phase die Ausschüttung von Hormonen hervor. Die Resorption, das heißt der Übertritt der Nährstoffe in das Blut, wird ebenfalls von der Sekretion zahlreicher Hormone begleitet, wobei diese synchron zum Resorptionsprozess oder zeitlich verzögert eintreten kann. Die Hormone können ihrerseits den Blutspiegel verschiedener Nährstoffe beeinflussen, wodurch – zumindest in vielen Fällen – die Hormonausschüttung wiederum eine Gegenregulation erfährt. Ein bekanntes diesbezügliches Beispiel ist die Interaktion zwischen Glucose und Insulin: Der Übertritt von Glucose in das Portalvenenblut löst eine sofortige Insulinsekretion aus dem Pankreas aus. Das Insulin seinerseits bewirkt die Aufnahme von Glucose, hauptsächlich in die Zellen des Skelettmuskels und des Fettgewebes. Der dadurch bedingte Abfall der Glucosekonzentration im Blut sorgt für die Einstellung von weiterer Insulinsekretion. Beide, die Glucose und das Insulin, gelten als Regulatoren der Nahrungsaufnahme. Durch die gegenseitige Beeinflussung ihrer Konzentrationen im Blut erscheint es verständlich, dass unter physiologischen Bedingungen zwischen dem isolierten Einfluss von Glucose einerseits und des Insulins andererseits nicht unterschieden werden kann. Zur Differenzierung bedarf es besonderer Kunstgriffe und isolierter Systeme. Dennoch befassten sich zahlreiche Studien mit der Klärung der Frage, welchen Einfluss der Nährstoff Glucose und seine Metaboliten und welchen das Hormon Insulin bei der Regulation von Hunger und Sättigung haben. Bei der folgenden Darstellung stehen die Effekte der Nährstoffe im Vordergrund, auch wenn sie untrennbar mit dem hormonellen Einfluss verknüpft sind. Aus einer großen Zahl von Ergebnissen werden die wichtigsten ausgewählt. Glucose als Hauptbestandteil der Nahrungskohlenhydrate ist ein unmittelbar verwertbares, energielieferndes Substrat. Nicht alle Zellen sind unbedingt auf Glucose als Energieträger angewiesen, aber das Gehirn und vermutlich die dort lokalisierten regulatorischen Zentren von Hunger und Sättigung können unter normalen Ernährungsbedingungen lediglich Glucose als Energiequelle nutzen. Es ist daher anzunehmen, dass die Verfügbarkeit von Glucose für das Nervengewebe sowie ihre Verwertung als primäre Signale zur Regulierung der Nahrungsaufnahme gelten müssen. Diese Annahme ist als glucostatische Theorie der Nahrungsaufnahme bekannt geworden. Allerdings ist es ungewiss, ob der Blutglucosespiegel zur Information des Gehirns als direkter oder indirekter Signalträger von Bedeutung ist, da Hypoglykämie im Tierversuch nicht notwendigerweise den Beginn der Nahrungsaufnahme auslöst und Hyperglykämie nicht unbedingt zu deren Beendigung führt. Vielmehr spielt bei dieser Regulation auch das Insulin eine Rolle, das neben dem Blutglucosespiegel auch die Konzentration der freien Fettsäuren, der Ketonkörper und der Aminosäuren im Blutplasma erniedrigt. Es wird angenommen, dass nicht der Blutglucosespiegel die Nahrungsaufnahme regelt, sondern die Intensität der Metabolisierung von Glucose durch die Nervenzellen. Demnach löst eigentlich die erhöhte Utilisation von Glucose nach einer Mahlzeit das Sättigungsgefühl aus. Neben der Verstoffwechselung von Glucose im ZNS dürfte auch die Glucoseverfügbarkeit in der Leber eine Rolle spielen. Diese wird durch Glucosesensoren der Leber registriert und das Signal über den Nervus vagus an das Gehirn weitergeleitet. Es ist interessant, dass die Sensitivität der hepatischen Glucosesensoren bei gefülltem Glykogenspeicher der Leber herabgesetzt ist. Wenn auch die Glucosekonzentration im Blut sowie die Glucoseutilisation zweifelsohne einen Einfluss auf die Regulation der Nahrungsaufnahme haben, sind diese Faktoren doch nur kleine Bausteine in einem kom-
2 Regulation der Nahrungsaufnahme
183
plexen Steuerungssystem und können das Zustandekommen des Hunger- und Sättigungsgefühls bei weitem nicht allein erklären. Auch Glucosekataboliten, insbesondere das Pyruvat und auch das Lactat – nach seiner Dehydrierung zu Pyruvat – können energetisch verwertet werden. Die Metabolisierung dieser beiden organischen Säuren in der Leber trägt, wahrscheinlich in Interaktion mit Glucose, ebenfalls zur Aufrechterhaltung des Sättigungsgefühls bei. Die Tatsache, dass das Depotfett den Hauptenergiespeicher des Organismus darstellt, führte zur Formulierung der lipostatischen Theorie, wonach die Variationen in der Größe dieses Speichers Signale produzieren müssten, die die Energiezufuhr steuern. Eine direkte neurale oder sonstige Verbindung zwischen dem Fettspeicher und der Kontrolle der Nahrungsaufnahme ist jedoch Jahrzehnte hindurch zunächst nicht gefunden worden (Abschnitt 2.1.6). Allerdings scheinen einige Metaboliten, die aus dem Fettstoffwechsel stammen, einen Effekt auf Hunger und Sättigung zu haben. Bei der Mobilisierung der Fettdepots entstehen bekanntlich freie Fettsäuren und Glycerin. Triglyceride und Ketonkörper sind weitere Metaboliten des Lipidstoffwechsels, die im Blutplasma zirkulieren. Es wurde – zumindest im Tierversuch – festgestellt, dass Perioden der Depotfettsynthese von erhöhter Nahrungsaufnahme begleitet werden, während Fettmobilisierung zur Beendigung der Nahrungsaufnahme führt. Es ist evident, dass zwischen der Metabolisierung von Fett und Glucose Interaktionen stattfinden, nicht zuletzt weil beide Prozesse unter der Kontrolle des Insulins stehen. Während und unmittelbar nach der Nahrungszufuhr überwiegen im Blutplasma die Triglyceride als primäre Vehikel des Fetttransportes vom Darm und von der Leber zum Fettgewebe. Der Insulinspiegel ist in dieser Situation erhöht und der Spiegel an freien Fettsäuren, Glycerin und Ketonkörpern niedrig. Nachdem die Anlieferung der resorbierten Triglyceride längerfristig beendet ist, schaltet das Fettgewebe von Speicherung auf Mobilisierung um. Die Konzentration der freien Fettsäuren, des Glycerins und der Ketonkörper steigt an. Es wird angenommen, dass es zwei bis drei Tage nach Auftreten eines erhöhten Ketonkörperspiegels im Plasma zur Dämpfung des Hungergefühls kommt. Der endgültige Beweis für diese sättigende Wirkung der Ketonkörper steht allerdings aus. Das gleiche gilt für die Annahme, dass unveresterte Fettsäuren des Plasmas als Sättigungssignal dienen. Insgesamt gilt auch für die Fettmetaboliten, die Fettspeicher und die Fettsynthese, dass ihre Rolle bei der Kontrolle der Nahrungsaufnahme weiterer Klärung bedurfte (Abschnitt 2.1.6). Prinzipiell kommen auch Aminosäuren als energieliefernde Substrate in Frage und werden in bestimmten Stoffwechselsituationen auch als solche benutzt. Aus Aminosäuren entstehen jedoch auch eine Reihe hochwirksamer Metaboliten – wie Amine, Purine, Pyrimidine –, unter ihnen mehrere Neurotransmitter, die das Gefühl von Hunger und Sättigung grundsätzlich steuern könnten. Der energetische Aspekt der Aminosäuren ist für die Regulation von Hunger und Sättigung im Vergleich zur Wirkung dieser Aminosäurederivate wahrscheinlich von untergeordneter Bedeutung. Die Beobachtung, dass die Konzentration der Aminosäuren im Blutplasma umgekehrt proportional zur Nahrungsaufnahme ist, führte dennoch zur Aufstellung der aminostatischen Theorie der Steuerung von Hunger und Sättigung, wonach das Gehirn den Aminosäurespiegel des Plasmas registrieren kann. Auch nach dieser Theorie werden jedoch Wirkungsmechanismen postuliert, die nicht auf den energieliefernden Eigenschaften der Aminosäuren beruhen. Stark proteinreiche Kostformen und solche mit Aminosäureimbalancen führten im Tierversuch zu veränderten Aminosäuremustern sowohl im Plasma als auch im Gehirn. Insbesondere der erhöhte Spiegel der verzweigtkettigen Aminosäuren war auffällig,
184
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
woraus eine regulatorische Bedeutung dieser Aminosäuren abgeleitet wurde. Nach neueren Studien haben die verzweigtkettigen Aminosäuren einen signifikanten Einfluss vor allem auf den sogenannten „spezifischen“ Hunger, als dem Verlangen nach ganz bestimmten Nährstoffen. Der Mechanismus dieser Wirkung, der mit der Neurotransmittersynthese im Zusammenhang steht, wird in Verbindung mit dem Zustandekommen des „spezifischen“ Hungers später besprochen (Abschnitt 2.1.5). Einzelne Aminosäuren dürften jedoch auch andersgeartete Effekte auf die Nahrungsaufnahme ausüben. Bei übergewichtigen Probanden bewirkte die Verabreichung relativ geringer Mengen einer Mischung von Phenylalanin (3 g), Valin (2 g), Methionin (2 g) und Tryptophan (1 g) eine Herabsetzung der Nahrungsaufnahme um 22 %. Eine alleinige Verabreichung von Tryptophan (2 beziehungsweise 3 g) reduzierte ebenfalls die Menge der aufgenommenen Nahrung bei normalgewichtigen Probanden. Die Gehirnregionen, die auf Änderungen des Plasmaaminosäurespiegels reagieren, scheinen außerhalb des Hypothalamus, des Hauptzentrums der Regulation von Hunger und Sättigung, zu liegen. Es wird angenommen, dass die Amygdala und der Cortex prepiriformis hierfür in Frage kommen. Den drei Hauptnährstoffen – Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen – ist gemeinsam, dass sie Substrate der Energiegewinnung sind. Daraus kann gefolgert werden, dass die Kontrolle der Nahrungsaufnahme durch sie unter einem integrativen Aspekt zu betrachten ist. Nach dieser Sicht müsste das generalisierte Absinken der Energiegewinnung aus den drei Substraten auf zellulärer Ebene den Beginn der Nahrungsaufnahme auslösen. Hierzu wäre es notwendig, dass das Gehirn über die verringerte Metabolisierungsrate der Substrate der Energiegewinnung mittels Signale, die möglicherweise aus der Leber stammen, verständigt wird. Die morphologischen Substrate der schon seit langem postulierten metabolischen Sensoren der Leber konnten bislang nicht identifiziert werden. Dennoch ist anzunehmen, dass sowohl die Hepatocyten als auch die hepatischen Nerven auch die Funktion von Sensoren haben. Nach einer einleuchtenden Theorie ist die Verwertung von Glucose und sonstiger energieliefernder Substrate – über die oxidative Phosphorylierung und die Aktivität der Na+/K+-ATPase – mit der Frequenz der Aktionspotentiale von afferenten Nerven zu einem Regelkreis verbunden. Abbildung 2.2 stellt den Ablauf der Ereignisse etwas vereinfacht dar, beginnend mit dem Einstrom verschiedener Substrate in den Hepatocyten bis zum Auslösen des Sättigungsgefühls. Zeitgleich mit dem verstärkten postprandialen Eintritt der Nährstoffe aus dem Portalvenenblut in die Leberzelle erhöht sich der Blutfluss zur Leber. Dadurch wird die Sauerstoffzufuhr in die Leber optimiert und damit die oxidative Phosphorylierung gefördert. Das intrazelluläre ATP/ADP-Verhältnis steigt an, und dies führt zu einer erhöhten Aktivität der Na+/K+ATPase, die zu den hauptsächlichen Verbrauchern des zellulären ATP gehört. Weiterhin trägt die postprandial ebenfalls ansteigende glykolytische Aktivität zum Anstieg der intrazellulären ATP-Konzentration bei. Als Folge der gestiegenen Aktivität der Na+/K+ATPase erhöht sich auch das Membranpotential des Hepatocyten und somit auch das Membranpotential der benachbarten afferenten Nervenfasern. Dies hat zur Konsequenz, dass die Frequenz der Aktionspotentiale der Nervenzellen abfällt, wodurch das Gefühl von Sättigung ausgelöst wird. Ein Beweis dafür, dass die Aktivität der Na+/K+-ATPase im Zusammenhang mit dem Gefühl von Hunger und Sättigung steht, ist die Tatsache, dass Ouabain, das die Na+/K+-ATPase spezifisch hemmt (Abschnitt 1.1.2.7), im Tierversuch Hunger auslöst, der sich als Hyperphagie äußert. Nach Auffassung einiger Autoren können Änderungen des Membranpotentials der Hepatocyten auch dadurch verursacht werden, dass als Folge des Substrateinstroms es
2 Regulation der Nahrungsaufnahme
afferenter Nerv
Oxidation
185
Membranpotential
Aktionspotential
Sättigung
Glucose Membranpotential
+ + Na/K - ATPase
Hepatocyt [ATP]
Glucose (u.a. Metaboliten)
Oxidation
O2
2.2
Einfluß der Metabolisierung energieliefernder Substrate in der Leberzelle auf die Frequenz der Aktionspotentiale afferenter Nerven und das Auslösen des Sättigungsgefühls
zu einer Schwellung der Zellen mit anschließender Öffnung von K+-Kanälen kommt. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, dass die Glucosemetabolisierung in den afferenten Nervenfasern ebenfalls zum Zustandekommen des Sättigungsgefühls beiträgt. Damit kommt den Neuronen selbst die Rolle von Glucosensoren zu. Es erscheint wahrscheinlich, dass Hepatocyt und Nervenzelle als Sensoren zur Kontrolle der Nahrungsaufnahme interagieren. Die Oxidation energieliefernder Substrate führt stets auch zu einer Wärmeproduktion, die ebenfalls zur Regulation beiträgt. Von besonderem Interesse in dieser Hinsicht sind die Fettsäuren, die eine besonders hohe thermogenetische Kapazität haben. Der hepatische Zweig des Nervus vagus enthält thermosensitive Fasern, die auch einen geringfügigen Temperaturanstieg in der Leber mit einer Erniedrigung der Frequenz des Aktionspotentials beantworten. Dies trägt möglicherweise ebenfalls zum Zustandekommen des Sättigungsgefühls bei. Die Auffassung, dass die thermogenetische Wirkung der Nahrung zur Steuerung der Nahrungsaufnahme beiträgt, hatte bereits vor Jahrzehnten zur Etablierung der thermostatischen Theorie der Regulation von Hunger und Sättigung geführt. Ob die thermogenetische Wirkung der Nährstoffe tatsächlich eine diesbezügliche physiologische Funktion hat, muss durch weitere Untersuchungen überprüft werden. Die Aufrechterhaltung eines ausreichenden Energieflusses, einschließlich einer normalen Energiespeicherung, scheint für die Regulationssysteme von Hunger und Sättigung Priorität zu besitzen. Sie sollten auch bei recht unterschiedlicher Relation der Hauptnährstoffe in der Nahrung und bei unterschiedlicher Nährstoffdichte ausreichend sein. Trotz jahrzehntelanger Forschungsarbeit ist der Mechanismus dieser Regulation ebenso wenig klar wie die Antwort auf die Frage, weshalb die Energiespeicherung in Form von Depotfett nach oben hin – zumindest beim Menschen – nicht genau limitiert ist.
186
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
2.1.4 Pankreatische und gastrointestinale Hormone beteiligen sich ebenfalls an der Steuerung der Nahrungsaufnahme Wie bereits in Abschnitt 2.1.3 ausgeführt, ist die Aufnahme und Metabolisierung der Nahrung von einer Ausschüttung von Hormonen begleitet. Dadurch bedingt sind die regulatorischen Wirkungen, die die Nährstoffe einerseits und die Hormone andererseits auf die Nahrungsaufnahme zweifelsohne ausüben, kaum voneinander zu unterscheiden. Trotz einer sehr komplexen Wechselwirkung soll im folgenden versucht werden, eine vereinfachende Übersicht über die Vielzahl der Hormone herzustellen, die beim Zustandekommen des Hunger-Sättigungsgefühls auf peripherer Ebene mitwirken. Soweit bekannt, soll an dieser Stelle auch auf den Wirkungsmechanismus der einzelnen Hormone eingegangen werden. Die Metabolisierung der Makronährstoffe wird in qualitativer und quantitativer Hinsicht von den beiden pankreatischen Hormonen Insulin und Glucagon kontrolliert. Wie bereits in Abschnitt 2.1.3 ausgeführt, sind sie aufgrund dieser Interaktion auch an der Steuerung der Nahrungsaufnahme beteiligt. Außer diesen indirekten Wirkungen entfalten sie jedoch auch direkte Effekte auf die Regulation von Hunger und Sättigung, die ausführlich untersucht worden sind. Wie bereits erwähnt, wird das Insulin bereits präresorptiv mittels kephaler Reize ausgeschüttet. Nach Übertritt des Nahrungschymus in den Gastrointestinaltrakt erfolgt unter dem Einfluss einiger gastrointestinaler Hormone – insbesondere Gastrin, Cholecystokinin (CCK), gastroinhibitorisches Peptid (GIP) und Sekretin – eine weitere, weitaus stärkere Insulinsekretion. Diese wird durch die stimulierende Wirkung der im Blut zirkulierenden Nährstoffe solange aufrechterhalten, bis die Glucosekonzentration im Blut abfällt. Aminosäuren wirken ebenfalls stimulierend auf die Insulinsekretion, ihr Effekt ist jedoch wesentlich schwächer. Endogen produziertes Insulin kann unter bestimmten Bedingungen zwar Hunger auslösen, die diesbezüglichen Befunde sind jedoch widersprüchlich. Verabreicht man dagegen hohe Hypoglykämie auslösende Dosen Insulin, so wird beim Menschen und vielen Versuchstieren Hunger ausgelöst, was zur Aufnahme von Nahrung führt. Dies dürfte eine Folge der raschen intrazellulären Verarmung an Glucose sein, dessen Metabolisierung durch Insulin stark gefördert wird. Weniger wahrscheinlich erscheint dagegen, dass der Abfall des Blutglucosespiegels selbst Hunger auslöst, da der Beginn der Nahrungsaufnahme erst 30 bis 60 Minuten nach der Insulininjektion beginnt. Langanhaltende intraperitoneale Infusion oder intravenöse Injektion niedriger Insulindosen wirken eher dämpfend als fördernd auf das Hungergefühl. Eine relativ geringe Erhöhung der Insulinkonzentration im Blutplasma, wie sie auch als Antwort auf die Nahrungsaufnahme auftritt, löst eher Sättigung als Hunger aus. Der Mechanismus des regulierenden Effektes von Insulin ist nicht genau bekannt. Es wird vermutet, dass der Effekt an Neuronen zustandekommt, die in Gehirnarealen lokalisiert sind, die durch eine Blut-Hirn-Schranke nicht abgeschirmt sind. Dies würde auf die Area postrema im kaudalen Bereich des Gehirns zutreffen sowie auf hypothalamische Areale, an denen Insulinrezeptoren nachgewiesen wurden. Es gilt als gesichert, dass das Hormon der α-Zellen der Langerhansschen Inseln, das Glucagon (Abschnitt 1.4.3.3), zu den Hormonen gehört, die physiologischerweise Sättigung hervorrufen. Die Glucagonkonzentration im Plasma ist während des Fastens erhöht und fällt ab, sobald Kohlenhydrate aufgenommen werden. Es ist daher überraschend, dass dieses Hormon Sättigung auslöst. Gemischte Kost erhöht jedoch – wie wiederholt nachgewiesen – ebenfalls den Glucagonspiegel im Blut – wenn auch nicht so
2 Regulation der Nahrungsaufnahme
187
stark wie Nahrungsentzug –, indem es innerhalb von Minuten nach Beginn der Aufnahme derartiger Kost zu einem erhöhten Glucagonausstoß kommt. Es wird angenommen, dass die Sekretion des Hormons eher durch neurale und endokrine Stimuli als durch die resorbierten Nährstoffe selbst ausgelöst wird. Die sättigende Wirkung des endogenen Glucagons kommt schnell zustande und ist vorübergehend, so dass primär der Umfang der Mahlzeit begrenzt wird. Neutralisation des Glucagons mittels Antikörper hebt den Sättigungseffekt auf. Die Leber gilt als primäres Zielorgan des Glucagons auch beim Sättigungseffekt, der durch afferente Nerven des Vagus vermittelt wird. Das Glucagon stimuliert nicht nur die hepatische Glykogenolyse und Gluconeogenese, sondern auch die oxidative Verwertung von freien Fettsäuren. Es wird unter der Wirkung des Glucagons auch eine Erhöhung des Membranpotentials der Hepatocyten beobachtet. Wie in Abschnitt 2.1.3 erörtert, löst dies Sättigung aus, da die Frequenz der Aktionspotentiale benachbarter afferenter Nerven absinkt. Eventuell könnte das Glucagon eine Hyperpolarisierung der Hepatocyten auch durch direkte Stimulierung der Na+/K+-ATPase und durch Erhöhung der K+-Permeabilität der Membran auslösen. Da unter dem Einfluss des Glucagons unter bestimmten Bedingungen auch die Ketogenese ansteigt, könnte die postulierte sättigende Wirkung der Ketonkörper ebenfalls zur Einschränkung der Nahrungsaufnahme beitragen. Die gastrointestinalen Peptidhormone, die als Antwort auf die Passage des Nahrungschymus ausgeschüttet werden, tragen ebenfalls wesentlich zur peripheren Regulation der Nahrungsaufnahme bei. Die paraventriculären und ventromedialen Kerne des Hypothalamus sowie Strukturen, die mit dem vierten Ventrikel assoziiert sind, dürften die anatomischen Korrelate auch dieser Steuerung sein. An den gleichen Strukturen manifestiert sich auch die direkte zentralnervöse Wirkung einer Reihe von Neurotransmittern und Neuromodulatoren, einschließlich Noradrenalin, Endorphine und Neuropeptid Y (Abschnitt 2.1.5). Genau wie die resorbierten Nährstoffe selbst, dürften auch die gastrointestinalen Hormone die Nahrungsaufnahme längerfristig steuern. Als Prototyp eines peripher wirksamen Sättigungshormons gilt das Cholecystokinin (CCK). Dieses Peptidhormon hat mehrere verschieden lange molekulare Formen. Neben dem CCK-33 aus 33 Aminosäuren gilt das Oktapeptid CCK-8 als die häufigste Form des Hormons. Wie aus Abbildung 2.3 zu ersehen ist, wird die Sekretion des CCK durch Aufnahme einer gemischten Kost potent stimuliert. Die CCK-Konzentration im Plasma steigt innerhalb weniger Minuten vom Basalwert <1pM auf >6pM an. Das CCK übt vielfache Effekte sowohl auf der Ebene des Gastrointestinaltraktes als auch auf der des ZNS aus. Peripher verabreichtes CCK ist bei den meisten Spezies effektiver als CCK, das in die Gehirnventrikel verabreicht wird. Dies führte zu der Annahme, dass der Hauptort der CCK-Wirkung peripher lokalisiert ist. Intraperitoneal verabreicht, ist CCK wesentlich wirksamer als bei intravenöser oder intraportaler Applikation. Daraus wurde geschlossen, dass der Effekt des Hormons hauptsächlich durch den Vagus vermittelt wird. Durchtrennung des Nervus vagus bewirkte, dass die sättigende Wirkung des CCK bei niedriger Dosierung – nicht jedoch bei hoher – unterbunden wurde. Es ist auch gelungen nachzuweisen, dass der Nervus vagus CCK-Rezeptoren enthält, die durch das Hormon auf parakrinem Wege aktiviert werden. Die meisten Erkenntnisse über die sättigende Wirkung des CCK stammen aus Tierversuchen. Es wurde jedoch festgestellt, dass intravenös verabreichtes CCK (60 bis 100 ng pro kg Körpergewicht) auch bei normal- und übergewichtigen Probanden eine Einschränkung der Nahrungsaufnahme um 12 bis 16 % bewirkt. Es ist ein interessanter Befund, dass Bulimie-Patienten einen niedrigen CCK-Plasmaspiegel haben und auf Verabreichung von CCK schlecht ansprechen. CCK ruft bei älteren Menschen ein er-
188
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
CCK-Äquivalente (pM)
8
6 Mischkost
4
Wasser
2
0 -10 0
30
60
90
Zeit (Min) 2.3
Stimulierung der Sekretion von Cholecystokinin durch eine „gemischte“ Kost
höhtes Sättigungsgefühl hervor, woraus auf den gelegentlich verringerten Appetit alter Menschen geschlossen werden könnte. Es gibt auch einige weitere gastrointestinale Hormone, die einen Einfluss auf die Steuerung der Nahrungsaufnahme haben könnten, deren Wirkungen jedoch nicht genau erforscht sind.
2.1.5 Einige Neurotransmitter und Neuromodulatoren steuern auf zentraler Ebene nicht nur die Energieaufnahme, sondern auch die Selektion der Makronährstoffe Die zunächst nur vermutete Existenz eines „spezifischen Hungers“, der die bevorzugte Aufnahme bestimmter Nährstoffe initiiert, wurde durch neuere Untersuchungen über die regulatorische Wirkung von Neurotransmittern bestätigt. Es wird angenommen, dass die gleichen Hirnbezirke – bestimmte Areale des Hypothalamus und einige weitere neuronale Systeme –, in denen sich die Regulation der Nahrungsaufnahme zur Aufrechterhaltung der Energiebilanz abspielt, auch als Orte zur Steuerung des „spezifischen Hungers“ in Frage kommen. Zu den Neurotransmittern, die die selektive Nährstoffaufnahme regeln, gehören das Serotonin (5-Hydroxytryptamin), das Noradrenalin und einige endogene Opioide. Die Wirkung des Serotonins fand die meiste Beachtung und ist am besten erforscht. Serotonin erzeugt spezifischen Hunger nach Kohlenhydraten oder Proteinen und hat vermutlich den physiologischen Zweck, eine ausreichende und ausbalancierte Aufnahme der beiden Makronährstoffe zu sichern. Das Serotonin wird im Perikaryon der Neuronen synthetisiert und über das Axoplasma den Nervenendigungen zugeleitet, wo der Neurotransmitter in Vesikeln gespeichert und bei Stimulierung in den synaptischen Spalt abgegeben wird. Syntheseorte befinden sich in einigen Regionen des ZNS, insbesondere im Bulbus olfactorius, im Diencephalon (besonders Hypophyse) und im Mesencephalon. Etwa 90 % des Seroto-
2 Regulation der Nahrungsaufnahme
189
H
H C HC
C
C
CH2
HC
C
CH
C O O—
L-Tryptophan
+ NH3
N H
C H
C
L-Tryptophan-Hydroxylase
H
H C
HO
C
C
C
HC
C
CH
C
N
H
H
CH2
C
COO
—
5-Hydroxytryptophan
+ NH3
5-HydroxytryptophanDecarboxylase CO 2 H
H C
HO
C
C
C
HC
C
CH
C H
2.4
N H
CH2
C + NH3
H
5-Hydroxytryptamin ( Serotonin )
Biosynthese des Serotonins
nins werden allerdings in den chromaffinen Zellen des Magendarmtraktes synthetisiert. Serotonin gehört somit zu jenen Neurotransmittern, die sowohl im ZNS als auch im intestinalen Gewebe entstehen. Serotonin wird in den Thrombocyten transportiert, wo es im Zusammenhang mit der Blutgerinnung eine physiologische Funktion hat. Ausgangssubstanz für die Synthese des Serotonins, die in Abbildung 2.4 dargestellt ist, ist das L-Tryptophan. Vor der Decarboxylierung durch eine spezifische Pyridoxalphosphat-abhängige Decarboxylase wird das Tryptophan am Indolring hydroxyliert. Das Serotonin oder 5-Hydroxytryptamin ist also ein modifiziertes biogenes Amin des Tryptophans (Abschnitt 1.4.4). Tryptophan wird über das gleiche Transportsystem wie die verzweigtkettigen Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin sowie Methionin, Phenylalanin und Tyrosin von den Neuronen aufgenommen. Diese Tatsache ist für die Entstehung des Serotonins insofern von ausschlaggebender Bedeutung, als die Tryptophan-Hydroxylase, das Schlüsselenzym der Synthese, einen sehr hohen Km-Wert hat. Folglich bestimmt fast ausschließlich das Tryptophanangebot die Intensität der Serotonin-Biosynthese. Alle Prozesse, die den Plasmaspiegel des Tryptophans sowie dessen Aufnahme durch die Blut-Hirn-Schranke und in die Neuronen beeinflussen, haben auch einen Effekt auf die Biosynthese des Serotonins. Die Verfügbarkeit des Tryptophans hängt in hohem Maße davon ab, ob die Nahrung protein- oder kohlenhydratreich ist. Nahrungsproteine enthalten wenig Tryptophan im Verhältnis zu den oben erwähnten ebenfalls um das Transportsystem konkurrierenden Aminosäuren, die als „große neutrale Aminosäuren“ (NAAs = neutral amino acids) bezeichnet werden . Beim hydrolytischen Abbau
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Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
der Nahrungsproteine entstehen also relativ große Mengen an NAAs. Dagegen verschiebt sich nach Verdauung einer kohlenhydratreichen Nahrung unter Wirkung des Insulins das Verhältnis NAA/Tryptophan im Blutplasma zugunsten des Tryptophans. Damit erhöht sich die Chance des Tryptophans, durch den gemeinsamen Carrier aufgenommen zu werden. Die Erhöhung des Tryptophan/NAA-Verhältnisses im Plasma ist im Endeffekt darauf zurückzuführen, dass die Kohlenhydrate die Insulinsekretion stimulieren. Bekanntlich begünstigt das Insulin auch die Aufnahme von Aminosäuren in die Zellen verschiedener Gewebe. Dieser Effekt des Insulins betrifft das Tryptophan weniger als die anderen Aminosäuren, da ein hoher Anteil des Tryptophans an Plasmaalbumin gebunden ist. Dieser Anteil erhöht sich unter der Wirkung des Insulins weiter, da das Hormon auch den Einstrom nicht-veresterter Fettsäuren in die Zellen fördert. Dadurch werden am Plasmaalbumin – das potentiell auch die Fettsäuren bindet – Bindungsstellen frei, an die sich das Tryptophan anlagern kann. Beim Eintritt in die Gehirnkapillaren diffundiert das Tryptophan vom Albumin ab und steht dann in relativ hoher Konzentration als Konkurrent der NAAs für die Aufnahme in die Neuronen zur Verfügung. Zusammenfassend kann man also festhalten, dass bei Aufnahme proteinreicher Nahrung der Serotoninspiegel im Gehirn niedrig ist, da der Einstrom des Tryptophans, das als Ausgangssubstanz für die Synthese des Neurotransmitters dient, behindert ist. Dagegen führt die Aufnahme von Kohlenhydraten zur Erhöhung des Tryptophanspiegels im Gehirn und damit zur Intensivierung der Serotonin-Synthese. Der gleiche Effekt ist in einem gewissen Umfang auch durch isolierte Verabreichung des Tryptophans zu erreichen. Aufgrund dieser Zusammenhänge wurde die Hypothese aufgestellt, dass die Serotoninkonzentration im Gehirn die Nährstoffauswahl – zumindest die Bevorzugung von Protein gegenüber Kohlenhydrat und umgekehrt – in Form einer feed back-Regulation bestimmt. Die physiologische Relevanz dieser Hypothese wurde – zumindest im Tierversuch – erhärtet: Ratten bevorzugen nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit bei der nachfolgenden Nahrungsaufnahme Proteine und umgekehrt. Nach kohlenhydratreicher Nahrung kann tatsächlich eine erhöhte Serotoninkonzentration im Gehirn der Versuchstiere gemessen werden, die durch geringe Dosen von Tryptophan gesteigert werden konnte. Verhindert man die Biosynthese des Serotonins durch spezifische Inhibitoren der Tryptophan-Hydroxylase, des Schlüsselenzyms des Syntheseweges, bleibt der Effekt der Nährstoffe auf den „spezifischen Hunger“ aus. Dies weist eindeutig darauf hin, dass der Neurotransmitter Serotonin der Schlüssel zum Zustandekommen des „spezifischen Hungers“ ist. Es ist auch gelungen, serotoninerge Neuronen, die mittels Rezeptoren diesen zwischen Kohlenhydrat und Protein differenzierenden „Hunger“ vermitteln, in geringer Zahl im Mittelhirn zu lokalisieren. Es wurde in Abschnitt 2.1.2 erwähnt, dass beim Menschen der „Genusswert“ einer bestimmten Nahrung während des Verzehrs abnimmt und gleichzeitig Appetit auf eine Nahrung aufkommt, die hinsichtlich der Makronährstoffe anders zusammengesetzt ist. Ob dieses Phänomen allein auf kognitiver Ebene zustandekommt, oder möglicherweise durch Neurotransmitter – eventuell das Serotonin – vermittelt wird, bedarf weiterer Klärung. Es sprechen auf alle Fälle mehrere Befunde dafür, dass zwischen Ernährungsverhalten und Serotoninstoffwechsel Zusammenhänge bestehen. Ein weiterer Neurotransmitter, das Noradrenalin (Abschnitt 1.4.4.1), dessen Wirkung über catecholaminerge Neuronen vermittelt wird, beeinflusst ebenfalls die Wahl zwischen unterschiedlichen Makronährstoffen. Wurde das Hormon in den Nucleus
2 Regulation der Nahrungsaufnahme
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paraventricularis des Hypothalamus von Ratten appliziert, so erhöhten die Versuchstiere selektiv die Kohlenhydrataufnahme. Es wird als Hypothese angenommen – jedoch nicht bewiesen –, dass nach Proteinkonsum die Synthese des Noradrenalins aus der Aminosäure Tyrosin zunimmt und die Präferenz eines kohlenhydratreichen Futters verursacht. Als weiterer Effekt des Noradrenalins wurde eine insgesamt erhöhte Nahrungsaufnahme beobachtet. Die Wirkungen scheinen durch α2-adrenerge Rezeptoren vermittelt zu werden. Zu den Faktoren, die eine selektive Nährstoffwahl ebenfalls auf der Ebene des zentralen Nervensystems steuern, werden einige endogene Opioide, insbesondere die Dynorphine, gerechnet. Dies sind körpereigene kurzkettige Peptide, die über die κ-Untergruppe der Opiatrezeptoren wirken. Sie lösen eine selektive Präferenz für Fett aus, ein Effekt, der auch dem Morphin zugeschrieben wird. Wirkungsort der Opioide scheinen jene Areale des Hypothalamus zu sein, die auch für die Initiation der Nahrungsaufnahme zuständig sind, und in denen auch Noradrenalin-haltige Neuronen lokalisiert sind. Außer den besprochenen Neurotransmittern, die mit der Steuerung des „spezifischen Hungers“ in Verbindung stehen, sind im Gehirn eine Reihe weiterer Substanzen nachgewiesen worden, die beim Zustandekommen des Gefühlspaares Hunger und Sättigung als Neuromodulatoren wirken. Nach aktueller Kenntnis üben sie zwar einen Einfluss auf die Quantität der aufgenommenen Energieträger aus, nicht jedoch auf die selektive Wahl der Nährstoffe.
2.1.6 Gentechnologische Methoden eröffnen der Forschung über die Regulation der Nahrungsaufnahme und des Körpergewichts neue Möglichkeiten Von den Energiespeichern des Organismus, – hauptsächlich vom Fettgewebe – gehen afferente Signale aus, die der Langzeitregulation der Energiehomöostase und der Kalorienzufuhr dienen. Das Leptin als Syntheseprodukt des Fettgewebes gilt als maßgeblicher Faktor, der das Gehirn über die Größe der vorhandenen Fettspeicher und damit des Energiereservoirs informiert. Die Bildung des Leptins ist unmittelbar abhängig von der Fettsäuresynthese bzw. den Wirkungen des Insulins. Leptin reduziert nach Bindung an Leptinrezeptoren im Gehirn die Nahrungsaufnahme und erhöht über periphere Rezeptoren auch den Energieumsatz. Leptin trägt also bei Zunahme der Fettgewebsmasse zu deren Reduktion bei, indem der Energieverbrauch erhöht wird. Es wurde daher angenommen, dass bei der Adipositas entweder eine Fehlregulation in der Bildung des Leptins oder auf der Ebene seiner Interaktion mit Leptinrezeptoren vorliegt. Nach neueren Untersuchungen nimmt man an, dass bei Adipositas der Leptinspiegel etwa proportional der Fettmasse zunimmt. Die im Blut zirkulierende erhöhte Leptinmenge soll jedoch zu einer chronischen peripheren Desensibilisierung des Rezeptorwegs. führen – ähnlich der peripheren Insulinresistenz. Damit wäre eine unzureichende Aufnahme von Leptin ins Gehirn assoziiert. Die meisten Signalträger, die die Empfindung von Hunger und Sättigung an das ZNS vermitteln, gehören zur Stoffklasse der Peptide. Als Informationsträger sind solche Peptide kurzlebig und die Konzentration, die zum Ausüben ihrer Effekte notwendig ist, ist sehr niedrig. Diese Tatsachen erschwerten in der Vergangenheit sowohl die Aufklärung ihrer chemischen Struktur als auch den Mechanismus, über den sie mit anderen Substanzen und mit ihren Rezeptoren interagieren. Erst die molekularbiologischen
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Methoden der letzten Jahre, die ein Vordringen auf die genetische Ebene der Entstehung dieser hochwirksamen Substanzen erlauben, ermöglichten ein tieferes Verständnis ihrer Wirkungsweise. Eine zentrale Bedeutung unter den regulatorischen Peptiden, die die Nahrungsaufnahme steuern, kommt zweifelsohne dem Neuropeptid Y (NPY) zu. Aufgrund zahlreicher experimenteller Studien gilt das NPY als potenter Stimulator der Nahrungsaufnahme, da es das Sättigungsgefühl unterdrückt. Das bereits Anfang der achtziger Jahre isolierte NPY besteht aus 36 Aminosäuren und gehört zur „pankreatischen-PolypeptidFamilie“. Es wird sowohl in den intrinsischen Neuronen des Gastrointestinaltraktes als auch im ZNS synthetisiert, wo der Nucleus arcuatus, ein Kern im basalen Abschnitt des Hypothalamus, sowie der Nucleus paraventricularis, ein Kern des vorderen Hypothalamus, als Orte der Biosynthese gelten (Abbildung 2.1). Das NPY wird zusammen mit Noradrenalin gespeichert und sezerniert, so dass eine synergistische Wirkung der beiden Substanzen als wahrscheinlich angenommen wird. Die Biosynthese und/oder Wirkung des NPY steht unter dem Einfluss weiterer regulatorischer Peptide peripheren und zentralen Ursprungs. Das in den letzten Jahren am meisten diskutierte Peptid dieser Art ist das Leptin. Das Leptin hat eine Molekularmasse von 16 kDa und besteht, einschließlich der für Sekretproteine charakteristischen Signalsequenz, aus 167 Aminosäuren. Es wird ausschließlich im Fettgewebe synthetisiert, besonders intensiv während der Phase aktiver Lipogenese. Das aus den Adipocyten sezernierte Fettgewebshormon gelangt auf dem Blutweg zu den Zielorganen. Es hat wahrscheinlich autokrine, parakrine und endokrine Effekte auf verschiedene Gewebe, die jedoch wenig ausgeprägt sind. Hauptzielorgan ist der Hypothalamus, wo einige hypothalamische Kerne eine besonders hohe Dichte an Leptinrezeptoren aufweisen. Es handelt sich um Areale, die schon seit Jahrzehnten mit der Regulation von Hunger und Sättigung in Verbindung gebracht werden. Sowohl das ob-Gen, dessen Produkt das Leptin ist, als auch das Gen (die Gene), das (die) den Leptinrezeptor codiert (codieren) sind hochkonserviert und weisen bei allen untersuchten Tierarten, einschließlich des Menschen eine weitgehende Homologie auf (Abbildung 2.5). Das Leptin ist ein Fettgewebshormon, das ausschließlich die Adipocyten synthetisieren. Die mRNA des Leptins weist eine klassische Signalpeptidsequenz auf, so dass das Polypeptid in das Blut sezerniert werden kann. Auch sonst weist das Leptin alle Charakteristika eines Hormons auf (Abschnitt 1.4). Die Transkription des ob-Gens steht offenbar unter der Kontrolle des Insulinspiegels und wird möglicherweise über die zelluläre Bereitstellung von nucleotidaktivierten Monosacchariden (UDP-Glucose) und davon abhängigen Transkriptionsfaktoren gesteuert. Die Effekte des Leptins auf Hunger und Sättigung werden vor allem über den Hypothalamus vermittelt. Darüber hinaus übt das Hormon seine Wirkung auch direkt in einer Reihe von peripheren Geweben aus. Dazu zählen auch die β -Zellen des endokrinen Pankreas, in denen das Leptin die glucosestimulierte Insulinsekretion herabsetzt. Die Wirkungen des Leptins werden im ZNS und in den peripheren Geweben durch spezifische Rezeptoren (Ob-R) vermittelt (Abbildung 2.5). Die Rezeptoren kommen in zwei unterschiedlich großen Formen vor. Sie sind jeweils mit einer Transmembrandomäne in der Plasmamembran der Zelle verankert und weisen strukturelle Ähnlichkeiten mit Cytokinrezeptoren auf. Die Bindung des Leptins führt zu Konformationsänderungen des Rezeptors, der dieses Signal durch die Aktivierung sogenannter Janus-Kopf-Kinasen (JAK-Kinasen) auf Proteine überträgt, die als Transkriptionsfaktoren fungieren. Darüber hinaus werden mitogen activated protein-Kinasen (MAPKinasen) aktiviert, die ebenfalls auf der Ebene der Gentranskription wirken. Im Hypo-
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Blutzirkulation COOH
ob-Genprodukt LEPTIN Leptin-Rezeptor extrazellulär
Nerven- Zellmembran Neuronen-Zellmembran
intrazellulär
Fettgewebe
JAK-Kinase-Motive
ZNS Kontrolle der Expression des ob-Gens Energieüberschuß
NH2
Kontrolle der Expression und Sekretion u.a. von Glucagon-like-Peptide Neuropeptid Y Melanocyten stimulierendes Hormon
Reziproke Kontrolle der Nahrungsaufnahme
2.5
Wirkungen des Leptins auf unterschiedlichen Ebenen
thalamus kommt es auf diesem Wege zur Bildung verschiedener Neuropeptide, darunter Neuropeptid Y (NPY), Galanin, corticotropin releasing hormon (CRH), melanocytes stimulating hormon (MSH) und glucagon like peptide-1 (GLP-1), die ihrerseits ausgeprägte Wirkungen auf die Nahrungsaufnahme haben (Abschnitt 2.1.6). Neben diesen Effekten des Leptins auf die Genexpression sind in hypothalamischen Neuronen und β-Zellen des Pankreas auch akute Wirkungen auf ATP-abhängige Kaliumkanäle beschrieben worden. Die Aktivierung spezifischer Kaliumkanäle bewirkt Veränderungen des Membranpotentials, die zum Verschluß spannungskontrollierter Calciumkanäle in der Zellmembran führen. Dadurch wird die Sekretion unter anderem von NPY in Neuronen und von Insulin in β-Zellen reduziert, da deren Freisetzung einen Anstieg des cytosolischen Calciumspiegels erfordert (Abschnitt 1.4.3.1). Ausgangspunkt für die Entdeckung des Leptins war 1994 die Identifizierung des obGens. Dies geschah im Zusammenhang mit dem Auftreten einer hochgradigen Fettsucht bei einem Mäusestamm mit einer Spontanmutation des ob-Gens, dem ob/obStamm. Die ob/ob-Mäuse sind infolge des Gendefektes, der zur Bildung eines Stopcodons führt, nicht imstande, im Fettgewebe Leptin zu produzieren und an das Blut abzugeben. Verabreicht man den ob/ob-Mutanten gentechnisch hergestelltes (rekombinantes) Leptin, so stellen die Tiere die übermäßige Futteraufnahme ein, ihr Energieverbrauch erhöht sich und sie erreichen innerhalb kurzer Zeit eine bedeutende Reduktion des Körpergewichtes. Die Mutation des ob-Gens bewirkte bei den ob/ob-Mäusen nicht nur eine erhebliche Zunahme der Fettdepots, sondern war auch mit zahlreichen hormonellen und metabolischen Veränderungen verknüpft, die sich auf die Thermoregulation, die Fertilität und beinahe die gesamte endokrine Situation auswirkten. Man geht davon aus, dass diese
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Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Änderungen sekundär sind und nicht durch direkte Interaktion mit dem Leptin zustande kommen. Die durch das rekombinante Leptin erzielte Gewichtsreduktion bei den ob/ob-Mäusen ließ die Hoffnung aufkommen, dass mit dem Leptin ein auch beim Menschen wirksames Mittel zur Gewichtsreduktion gefunden wurde. Diese Erwartung hat sich nicht bestätigt. Bislang wurde weder bei normalgewichtigen noch bei adipösen Menschen eine Mutation des ob-Gens festgestellt. Vielmehr fand man, dass die Menge des Leptins der Masse des Fettgewebes des betreffenden Menschen direkt proportional ist. Dieser Befund ist insofern faszinierend, als damit das seit langem gesuchte Signal gefunden zu sein scheint, das als Maß für die Größe des Fettdepots gelten kann. Mit der Entdeckung des Leptins wäre somit der von der lipostatischen Theorie (Abschnitt 2.1.3) geforderte zirkulierende Faktor gefunden, der das ZNS über die energetische Lage des Organismus informiert und damit eine längerfristige Regulation der Nahrungsaufnahme möglich macht. Mittlerweile stellte man in mehreren Forschergruppen fest, dass nicht nur die ob/obMäuse, sondern auch Tiere aus anderen Stämmen (db-Stamm) zu Fettsucht neigen, obwohl sie ausreichend Leptin produzieren. Die Analyse ihres Genmaterials zeigte, dass das ob-Gen dieser Tiere und damit auch ihre Leptinsynthese normal ist. Dagegen wies das Gen, das für den Leptinrezeptor codiert, Mutationen auf. Wie jedes Hormon, ist auch das Leptin darauf angewiesen, an den Zellen, die seine Botschaft empfangen sollen, passende Rezeptoren vorzufinden. Sind diese nicht vorhanden oder modifiziert, kommt eine Hormonwirkung nicht zustande. Das Gen des Leptinrezeptors wird in bestimmten Arealen des Hypothalamus exprimiert, vor allem im Nucleus arcuatus und im Nucleus paraventricularis, also an den Orten, die seit langem mit der Regulation von Hunger und Sättigung in Zusammenhang gebracht werden. Der mögliche Analogieschluß, dass übergewichtige Menschen auf das in ihrem Blut reichlich vorhandene Leptin deshalb nicht mit Einschränkung der Nahrungsaufnahme antworten, weil sie defekte Leptinrezeptoren aufweisen, trifft aber nicht zu. Ein mutiertes Gen für den Leptinrezeptor lässt sich beim Menschen genausowenig nachweisen wie eine Mutation des ob-Gens. Eine direkte Wirkung einer Substanz auf der Ebene des ZNS setzt voraus, dass diese die Blut-Hirn-Schranke überwindet. Eine weitere Erklärung dafür, weshalb das Leptin beim Menschen nicht appetitdämpfend wirkt, wird daher auf dieser Ebene vermutet. Tatsächlich wurde im Liquor cerebrospinalis Adipöser eine – im Vergleich zu Normalgewichtigen – nur geringfügig erhöhte Leptinkonzentration festgestellt, obwohl Adipöse durchschnittlich fünfmal höhere Leptinblutspiegel haben als Normalgewichtige. Wie bereits erwähnt, steht das NPY einschließlich der Steuerung seiner Synthese und seiner Funktion durch andere regulatorische Peptide zur Zeit im Mittelpunkt der Forschung über Hunger und Sättigung. Wie durch mehrere Arbeitsgruppen bewiesen wurde, kommt bei diesen Prozessen dem Leptin ebenfalls eine Schlüsselrolle zu. Der Nucleus arcuatus des Hypothalamus – einem Areal, das durch die Blut-HirnSchranke nicht abgeschirmt ist – stellt einen Hauptsyntheseort des NPY dar und diese Areale besitzen eine hohe Leptinrezeptordichte. Tatsächlich unterdrückt Leptin die NPY-Biosynthese, wie anhand der Suppression von NPY-spezifischer mRNA nach Leptin-Gabe nachgewiesen werden konnte. Außer der Biosynthese inhibiert das Leptin auch die NPY-Sekretion. Es wird erwartet, dass noch weitere Wirkungen des Leptins entdeckt werden.
2 Regulation der Nahrungsaufnahme
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Ein weiteres Hormon, das die Expression des NPY-Gens im Nucleus arcuatus unterdrückt, ist das Insulin. Dies ist insofern sinnvoll, als dass eine längerfristige Insulinausschüttung eine erhöhte Nahrungsaufnahme signalisiert, wodurch das NPY als appetitanregendes Hormon überflüssig wird. Die hypothalamische Unterdrückung der NPY-Genexpression durch Insulin – dessen Ursprung im Gehirn unbekannt ist – erklärt zumindest teilweise die appetithemmende Wirkung, die das Insulin bei physiologischer Ausschüttung zeigt (Abschnitt 2.1.4). Ein weiteres Neuropeptid, das Melanocortin, wirkt ebenfalls im Sinne einer Appetithemmung. Die Rezeptoren des Melanocortins, die G-Protein gekoppelt sind (Abschnitt 1.1.3.4), befinden sich ebenfalls im Nucleus arcuatus, in dem Areal also, in dem sich die Biosynthese des NPY und die reprimierende Wirkung des Leptins abspielen. Ob eine Interaktion des Melanocortins mit dem NPY und/oder mit dem Leptin stattfindet, bedarf jedoch weiterer Klärung. Zu den Neuropeptiden, die die Nahrungsaufnahme mittels direkter Wirkung auf das ZNS drosseln, gehört das Glucagon-like-peptide-1(GLP-1). Die Sequenz dieses hochkonservierten Peptids weist bei allen bisher untersuchten Säugetierspezies, einschließlich des Menschen, eine weitgehende Homologie auf, was auf seine universelle Bedeutung hindeutet. Sowohl der Ort der Synthese des GLP-1 als auch seine Rezeptoren wurden in hypothalamischen Arealen nachgewiesen, die mit der Regulation der Nahrungsaufnahme in Verbindung stehen. Es wird auch im Falle des GLP-1 angenommen, dass seine sättigende Wirkung durch eine Interaktion mit dem NPY, dem potentesten Stimulator der Nahrungsaufnahme, zustandekommt. Im Gegensatz zu Leptin und Insulin wirkt jedoch das GLP-1 nicht auf der Ebene der Transkription des NPY-Gens. Ob eine Interaktion zwischen GLP-1 und Leptin stattfindet, ist zu prüfen.
2.1.7 A never ending story? Die Kontrollmechanismen der Nahrungsaufnahme, die zweifelsohne sehr komplexer Natur sind, stellen nach wie vor einen besonders interessanten und vielseitigen Forschungsbereich der modernen Neurowissenschaften dar. In Tabelle 2.1 sind die Neuromodulatoren der Nahrungsaufnahme, zusammengefasst, – eingeteilt in Agenzien, die hemmend und solche, die stimulierend auf die Nahrungsaufnahme wirken. Alle waren, bzw. sind noch seit Jahren Gegenstand der Forschung. Seit einiger Zeit wird dem Peptidhormon Ghrelin eine besondere und sehr vielfältige Rolle beigemessen, – entsprechend zahlreich sind die Untersuchungen über diese Substanz. Das Ghrelin, – ein Peptid aus 28 Aminosäuren, – wurde zum ersten mal 1999 als endogenes Ligand eines Wachstumshormon-Rezeptors beschrieben. Der Hauptanteil des Ghrelins, das im Blut zirkuliert, stammt aus den endokrinen Zellen des Magens und des proximalen Dünndarms. Das Ghrelin scheint eine gewisse Omnipotenz zu haben, denn zahlreiche, recht unterschiedliche Funktionen wurden ihm zugeordnet: Beteiligung an der gastro-intestinalen Motilität und an der Sekretion von Magensäure, weiterhin an verschiedenen kardiovaskulären, immunologischen und reproduktiven Prozessen. Ghrelin scheint auch die Glucose-Homöostase zu regulieren: Infusion von Ghrelin erhöhte die Blutglucose, reduzierte die Glucose-Toleranz und setzte die Insulin-Sekretion herab, möglicherweise durch direkte Wirkung auf die Langerhansshen Inseln. Höchste Aufmerksamkeit erlangte die Rolle des Ghrelins bei der Regulierung des Körpergewichtes. Ghrelin stimulierte die Nahrungszufuhr von Ratten, bei gleichzeiti-
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Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 2.1: Neuromodulatoren der Nahrungsaufnahme Neuromodulatoren mit hemmender Wirkung auf die Nahrungsaufnahme Neurotransmitter
Peptidhormone
Serotonin
Neurotensin
Dopamin
Cholecystokinin
Noradrenalin
Somatostatin
Adrenalin
Enterostatin
GABA
Anorectin Bombesin Glucagon Calcitonin Arginin-Vasopressin CRH
Neuromodulatoren mit stimulierender Wirkung auf die Nahrungsaufnahme (nach Injektion in das Gehirn von gesättigten Tieren) Serotonin
Ghrelin
GH-RH
Opioide, β-Endorphin
GABA
Galanin
Noradrenalin
Neuropeptid Peptid YY pancreatic polypeptide
GABA = Gamma-Aminobuttersäure CRH = Corticotropin Releasing Hormone (Corticoliberin) GH-RH = Growth Hormon Releasing Hormone
gem Herabsetzen der O 2-Aufnahme Dies führte zu einer positiven Energiebilanz mit Erhöhung des Körpergewichtes, vor allem durch Zunahme der Köperfettmasse. Es ist verständlich, dass diese Resultate die Frage aufwarfen, wieweit diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind, und ob damit ein Weg zur Eindämmung der Adipositas vorgezeichnet sein könnte. Abertausend Untersuchungen weltweit sprechen für das Interesse am Ghrelin, ohne dass eine endgültige Beurteilung seiner Rolle beim Menschen möglich wäre. Feststeht, dass Ghrelin bei Fastenden vor der Nahrungsaufnahme vom Fundus des Magens sezerniert wird und die Nahrungsaufnahme zu initiieren scheint. Es wirkt also Appetit anregend. Interessanterweise wird in der Darmmucosa aus dem Ghrelin-Vorläufer ein weiteres Hormon durch alternative post-translationale Prozessierung gebildet: das Obestatin, das die Nahrungsaufnahme hemmt. Dieses aus 23 Aminosäuren bestehende Peptid bewirkt über Bindung an einen G-Protein gekoppelten Rezeptor im Hypothalamus eine Verringerung der Nahrungsaufnahme. Die Steuerung der Bildung der beiden antagonistisch wirksamen Peptidhormone aus einem Vorläufer ist noch ungeklärt. Also, auch weiterhin: Guten Appetit! Wie die vorausgehende Übersicht (Abschnitt 2.1.3; 2.1.4; 2.1.5) zeigt, ist die Frage, welche Kontrollmechanismen die Nahrungsaufnahme insgesamt sowie die Zufuhr
2 Regulation der Nahrungsaufnahme
197
CCK = Cholecystochinin GLP-1 = glucagon-like-peptide-1 GIP = gastroinhibitorisches Peptid PYY = Peptid YY 2.6
Das Gehirn als Sensor und Signalgeber für die Kontrolle der langfristigen Energiebilanz
der einzelnen Nährstoffe steuern, mit zahlreichen unterschiedlichen Ansätzen und Methoden Jahrzehnte hindurch untersucht worden. Keines der Ergebnisse brachte auch nur annähernd eine befriedigende Antwort auf die Frage, wie die Ernährung des Menschen sein soll, damit sie „gesund“ ist, dass heißt, alle Nährstoffe in optimaler Relation enthält und das Körpergewicht in den „idealen „ Grenzen bleibt. In Anbetracht der weltweiten Zunahme von hochgradiger Adipositas ist also das Interesse an der Lösung des Problems weiterhin von dringender Aktualität. Abbildung 2.6 fasst die hauptsächliche Signalträger zusammen, die aus verschiedenen Organen und Geweben stammend das Gehirn über die Größe der Energiespeicher und allgemein über den Energiestatus des Organismus orientieren. Welche Regionen des Zentralnervensystems dabei eine Rolle spielen, wurde bereits einleitend (Abbildung 2.1) erörtert. Die Diskussion über die physiologische Regulation der Energiebilanz begann zu Zeiten von Lavoisier und Laplace Ende des 18. Jahrhunderts. In einer nicht mehr zu überblickenden Anzahl von Forschungsarbeiten versuchte man seitdem zu klären, wie die Empfindung von Hunger und Sättigung zustande kommt und dazu führt, dass Nährstoffe in geeigneter Qualität und Quantität aufgenommen werden. Metaboliten des Intermediärstoffwechsels wurden ebenso in Betracht gezogen wie eine große Anzahl von
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Hormonen und sonstigen Signalträgern. Das ZNS als primärer Wirkungsort der Signale steht ebenso wie die Peripherie im Mittelpunkt der Diskussion. Alle Versuche zur Problemlösung lieferten kleine, mehr oder weniger bedeutende Bausteine zu einem sicherlich hochkomplexen Regulationssystem, konnten allerdings keine allumfassende Lösung anbieten. Kritische Wissenschaftler warnen immer wieder davor, die Lösung von der Entdeckung eines einzelnen Faktors zu erwarten. Da die Zufuhr von Energie die unbedingte Voraussetzung zur Aufrechterhaltung des Lebens ist, würde ein nur durch wenige Kontrollelemente abgesichertes System einen evolutionären Nachteil im Vergleich zu einem System darstellen, das eine vielschichtige Steuerung ermöglicht.
3
Wahrnehmung des Geschmacks und des Geruchs der Nahrung
Für das Überleben eines tierischen Organismus ist es unabdingbar, dass er Essbares – das heißt Materie, die er verstoffwechseln kann oder die ihm zumindest keinen Schaden zufügt – von Nicht-Essbarem oder sogar Toxischem unterscheidet. Die Werkzeuge, die diese lebensnotwendige Entscheidung ermöglichen, sind in erster Linie die chemischen Sinne, das heißt der Geschmacks- und der Geruchssinn. Beim höher entwickelten Lebewesen spielt natürlich auch der Gesichtssinn eine Rolle bei der Nahrungswahl, die beim Menschen schließlich auch durch eine Vielzahl mentaler Prozesse beeinflusst wird. Dennoch können auch für den Menschen Geschmack und Geruch einer an sich als essbar bekannten Nahrung als Warnsignale dienen, wenn diese – durch welche Einflüsse auch immer – „verdorben“ wurde. Für jene Menschen, denen eine reiche Auswahl unterschiedlicher Lebensmittel zur Verfügung steht, spielen Geschmack und Geruch der Nahrung eine wichtige Rolle, die zum Wohlbefinden und zur Lebensqualität beitragen. Die Funktionen von Geschmack und Geruch führten in den letzten Jahrzehnten zu gewaltigen Anstrengungen bei Züchtung und technologischer Erzeugung möglichst wohlschmeckender und wohlriechender Lebensmittel. Wie bereits erwähnt (Abschnitt 2.1), ist die Nahrungsaufnahme ein kognitiver Prozess, bei dessen kephalischer Steuerung Geschmack und Geruch einen signifikanten Einfluss ausüben. In diesem Kapitel steht nicht der Effekt der sensorischen Qualität der Lebensmittel auf Hunger und Sättigung und damit auf die Nahrungsaufnahme im Vordergrund. Derartige Zusammenhänge sind ohnehin schwer objektivierbar. Es werden vielmehr die biochemisch-physiologischen Vorgänge der Perzeption von Geschmack und Geruch behandelt. Weiterhin soll erklärt werden, welche molekularen Eigenschaften Verbindungen haben müssen, um diese oder jene Geschmacks- oder Geruchsempfindung hervorzurufen. Geschmack und Geruch sind charakteristische Eigenschaften der Nahrung. Es gibt kaum Lebensmittel, die als völlig geschmack- und geruchlos zu bezeichnen wären. Wie auch sonstige Wahrnehmungen sind Geschmacks- und Geruchsempfindungen keine direkten Aufzeichnungen der chemischen Eigenschaften von Substanzen, durch die sie hervorgerufen werden, sondern mentale Konstruktionen, die durch ihre Verarbeitung im Gehirn entstehen. Dementsprechend groß ist die individuelle Variabilität von Empfindungen, die ein und dasselbe Lebensmittel bei verschiedenen Personen hervorruft. Es ist allgemein üblich, vom Geschmack der Nahrung zu sprechen, obwohl beim Verzehr von Lebensmitteln ein Gesamteindruck entsteht. Daran beteiligt sind neben dem Geschmacks- und Geruchssinn auch durch entsprechende Rezeptoren der Mundschleimhaut registrierte Schmerzempfindungen, die zum Beispiel durch die Schärfe des Chili oder das Prickeln kohlensäurehaltiger Getränke hervorgerufen werden. Weiterhin tragen die durch Thermosensoren vermittelte Temperatur sowie die Konsistenz der Nahrung, die durch Druckrezeptoren wahrgenommen wird, zum Zustandekommen der Gesamtempfindung bei. Es kommt nur relativ selten vor, dass nur einer der Sinne bei
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der Perzeption des „Geschmacks“ der Nahrung beteiligt ist. Fast immer handelt es sich um Funktionsüberschneidungen mehrerer Sinne, die schwer voneinander zu trennen sind. Die dadurch entstehende außerordentlich komplexe sensorische Eigenschaft der Nahrung wird im Angloamerikanischen als flavour (auch flavor) bezeichnet. Im Deutschen existiert dafür kein adäquater Ausdruck; das Wort „Geschmack“ engt die Gesamtempfindung des flavour auf eine Teilkomponente ein. Es ist daher üblich, den Ausdruck flavour zu verwenden, wenn es sich nicht speziell um die Sinnesempfindung Geschmack oder Geruch handelt. Das Zustandekommen der Empfindungen von Geschmack und Geruch basiert auf einer selektiven und empfindlichen Interaktion spezialisierter Sinneszellen mit bestimmten Verbindungen. Die Geschmacks- und Geruchssinneszellen sind Chemosensoren und arbeiten als Exterorezeptoren, da die auslösenden Reize, das heißt die Moleküle von Geschmacks- und Geruchsstoffen, aus der Außenwelt stammen. Die empfangenen Reize werden durch afferente Nerven zu speziell zugeordneten Hirnarealen geleitet und dort zu Sinnesempfindungen verarbeitet. Geschmacks- und Geruchsrezeptoren weisen zwar eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf, lassen sich jedoch aufgrund morphologischer und physiologischer Kriterien deutlich unterscheiden. Charakteristisch für die chemischen Sinne ist der rasche Rückgang der Empfindung bei längerer Reizeinwirkung, der als Adaptation bezeichnet wird. Im Falle des Geschmacks ist trotz anhaltender Reizeinwirkung ein Nachlassen der Erregung im Bereich der Sensoren feststellbar. Beim Geruch kommt es zur inhibitorischen Selbstdämpfung der Erregung auf der Ebene des Gehirns.
3.1 Der Geschmack wird über im Mund und im Rachen lokalisierte Geschmacksknospen wahrgenommen Wie bereits ausgeführt, ist Geschmack im physiologischen Sinn nur die über die gustatorischen Sensoren vermittelte Empfindung und nicht der als flavour bezeichnete Gesamteindruck der Nahrung. Die Geschmackssinneszellen des erwachsenen Menschen sind vor allem auf der Zungenoberfläche lokalisiert. Wie in Abbildung 3.1 dargestellt, bilden sie – zusammen mit Basalzellen und Stützzellen – in Gruppen von jeweils 40 bis 60 Geschmackssinneszellen die Geschmacksknospen, die in das Epithel der Zungenpapillen eingesenkt sind. Die spindelförmigen hellen und dunklen Sinneszellen liegen schalenartig zusammen und bilden eine kleine Grube, die Geschmackspore. Die an diese Pore angrenzende Oberfläche der Plasmamembran der Geschmackssinneszelle wird durch zahlreiche Mikrovilli stark vergrößert. Die Geschmacksmoleküle gelangen durch Diffusion in die Pore und damit an diesen reizempfindlichen Teil der Membran. Am unteren Pol der Geschmacksknospe befinden sich zwischen den Sinneszellen zahlreiche, vielfach gewundene marklose Nervenfasern. Sie sind mit den Geschmackssinneszellen über synaptische Kontakte verknüpft. Die Geschmackszellen haben eine Lebensdauer von etwa zehn Tagen und werden unter Einfluss der Geschmacksneuronen durch Abkömmlinge der Basalzellen ersetzt. Der erwachsene Mensch hat einige Tausend Geschmacksknospen, die auf der Zungenoberfläche unterschiedlich verteilt sind (Abbildung 3.6). Die großen Wallpapillen (Papillae vallatae) am Zungengrund enthalten jeweils bis zu 200 Knospen an ihren Seitenwänden. In die kleineren Pilz- und Blattpapillen (Papillae fungiformes und foliatae), in den vorderen und seitlichen Zungenabschnitten sind jeweils nur einige Knospen insertiert.
3 Wahrnehmung des Geschmacks und des Geruchs der Nahrung
201
B
Geschmacksporus A Epithelzellen
Wallpapille helle Geschmackszelle
C
dunkle
Blattpapille
Geschmackszelle D Basalzelle neuronale Afferenzen
3.1
Pilzpapille
Aufbau einer Geschmacksknospe und ihre Einfügung in die Geschmackspapillen. A) Schema einer Geschmacksknospe, B) Wallpapille, C) Blattpapille, D) Pilzpapille
Weiterhin sind vereinzelte Geschmacksknospen am weichen Gaumen, an der hinteren Rachenwand und am Kehldeckel anzutreffen. Zwischen den Papillen befinden sich Drüsen, deren Sekret die Geschmacksknospen umspült. Damit wird der Zugang der Geschmacksstoffe zur Knospe vermittelt. Andererseits werden sie durch das Sekret verdünnt beziehungsweise von der Knospe wieder weggespült.
3.2 Die einzelnen Geschmacksqualitäten kommen durch unterschiedliche molekulare Prozesse zustande Es wurde lange Zeit hindurch die Auffassung vertreten, dass der Mensch – und vermutlich die meisten Wirbeltiere – vier Grundgeschmacksqualitäten unterscheiden: süß, salzig, sauer und bitter. Seit einigen Jahren kam die Qualität des umami hinzu, worunter man den charakteristischen Geschmack versteht, den die Glutamate, speziell das Mononatriumglutamat, sowie – meistens in Kombination mit diesem – auch die Dinatriumsalze von Inosinmonophosphat (IMP) und Guanosinmonophosphat (GMP) hervorrufen*. Die Perzeption der einzelnen Geschmacksqualitäten wird verschiedenen Geschmacksfeldern der Zunge zugeordnet. Eine strenge lokale Zuordnung der Geschmacksempfindungen wird allerdings gelegentlich angezweifelt. Auf alle Fälle repräsentieren die Geschmacksfelder Bereiche maximaler Empfindlichkeit für einen Geschmack. Danach wird süß hauptsächlich an der Zungenspitze wahrgenommen, sauer am Zungenrand, salzig an der Zungenspitze sowie am Zungenrand und bitter am Zungengrund (Abbildung 3.6). Die Reaktion der einzelnen Geschmacksknospen auf verschiedene Geschmacksqualitäten ist unterschiedlich. Manche Knospen reagieren nur auf süß oder nur auf sauer, manche registrieren zwei oder drei Qualitäten, ohne dass ein
* Nach Auffassung einiger Autoren könnte es allerdings auch mehr als vier oder fünf Grundgeschmacksqualitäten geben.
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Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Zusammenhang zwischen dem morphologischen Erscheinungsbild und dem Erkennungsmuster feststellbar wäre. Wie jedes sensorische System wird auch der Geschmackssinn dadurch aktiviert, dass zwischen dem Geschmacksstoff und einem entsprechenden Rezeptor in der Membran der Sinneszelle eine Verbindung zustande kommt. Den angenommenen vier Grundgeschmacksqualitäten entsprechend müssen also zumindest vier unterschiedliche Rezeptoren (oder Bindungsstellen) postuliert werden, die in die Membran der Geschmacksporen integriert sind. Da auf der Zunge verschiedene Geschmacksfelder existieren, scheint die Verteilung der Rezeptoren auf die einzelnen Geschmacksknospen recht unterschiedlich zu sein. Alle durch gustatorische Signale initiierten Ereignisse gleichen sich insofern, als die reizauslösenden Geschmacksstoffe, die sich mit dem Rezeptor verbinden, in gelöster Form in die Geschmackspore diffundieren müssen. Allen Geschmacksperzeptionen ist weiterhin gemeinsam, dass die Reizenergie nach dem Zustandekommen der Verbindung zwischen Signal und Rezeptor in elektrochemische Energie umgewandelt wird. Dieser Vorgang, der übrigens bei allen sensorischen Systemen gleich abläuft, spielt sich in zwei Stufen ab. Die erste Stufe ist die Reizumwandlung, das heißt die Umsetzung der Reizenergie in eine lokale Depolarisation beziehungsweise Hyperpolarisation der Zellmembran. Die zweite Stufe ist die neuronale Codierung, wobei das erzeugte neuronale Signal eine Folge von Aktionspotentialen auslöst. Wie dies in Abbildungen 3.2 bis 3.5 schematisch dargestellt ist, sind die Prozesse der Signaltransduktion, die sich zwischen dem Primärereignis der Rezeptorbindung und der neuronalen Codierung abspielen, je nach Geschmacksstoff unterschiedlich. Die Empfindungen von süß und bitter haben beispielsweise subjektiv betrachtet gegensätzliche Erlebniswerte. Ihr Zustandekommen ist jedoch auf molekularer Ebene insofern verwandt, als für beide G-Protein-gekoppelte Signalübertragungswege in Anspruch genommen werden. Wie in Abschnitt 1.1.3.4 detailliert besprochen, erfolgt die Signaltransduktion bei Zwischenschaltung von G-Proteinen durch second messenger, die ihrerseits die Aktivität weiterer Proteine modifizieren. Die Rezeptoren, die die Geschmacksträger als Signal binden, sind auch in diesem Falle Transmembranproteine, die die apikale Membran der Geschmackszelle mit sieben α-Helices durchspannen. Verbinden sich natürlich vorkommende Zucker – Saccharose, Fructose, Glucose – mit dem spezifischen RezepZucker
Rezeptor
AdeCy P
K+
GTP
ATP G-Proteine 3.2
cAMP PKA
–
G-Protein-vermittelte Signalübertragung nach Bindung von Zuckern an den Rezeptor der Geschmackszelle. AdeCy = Adenylatcyclase; PKA = Proteinkinase A
3 Wahrnehmung des Geschmacks und des Geruchs der Nahrung
203
synthetischer Süßstoff
PIP2
Rezeptor
PL C γ α
β
DAG
α
PK C
P
GTP
K+
InsP3
G-Proteine 3.3
G-Protein-vermittelte Signalübertragung nach Bindung künstlicher Süßstoffe an den Rezeptor der Geschmackszelle. PLC = Phospholipase C; PIP2 = Phosphatidylinositol-bisphosphat; InsP3 = Inositol-trisphosphat; DAG = Diacylglycerin; PKC = Proteinkinase C
tor, so wird als primäres Effektorsystem die Adenylat-Cyclase aktiviert, wodurch cAMP als second messenger entsteht (Abschnitt 1.1.3.6). Das cAMP aktiviert als allosterischer Effektor die Proteinkinase A. Das aktivierte Enzym überträgt an der Zellinnenseite einen Phosphatrest auf ein K+-Kanalprotein mit der Konsequenz, dass sich der Kanal schließt und das Membranpotential sich ändert (Abbildung 3.2). Obwohl synthetische Süßstoffe im Endeffekt die gleiche subjektive Empfindung hervorrufen wie die natürlichen Zucker und auch sie durch G-Protein-gekoppelte Rezeptoren gebunden werden, verläuft die Signalübertragung bei ihnen anders. Statt der Adenylat-Cyclase wird eine Phospholipase C aktiviert und als second messenger entstehen Inositol-trisphosphat (Ins P3) und Diacylglycerol (DAG) (Abschnitt 1.1.3.9). Das DAG aktiviert die Proteinkinase C, die dann ebenfalls durch Übertragung eines Phosphatrestes auf das Protein eines K+-Kanals diesen Kanal schließt, wodurch sich das Membranpotential verändert (Abbildung 3.3). Die Empfindung bitter wird ebenfalls durch G-Protein-gekoppelte Rezeptoren vermittelt. Die Bindung eines Bitterstoffes an den spezifischen Rezeptor der Geschmackszelle aktiviert in diesem Falle die Phosphodiesterase, das Enzym also, das das cAMP zum nicht-cyclischen 5⬘-AMP hydrolysiert. Als Folge der abgesunkenen cAMP-Konzentration in der Geschmackszelle öffnen sich – möglicherweise ebenfalls durch Veränderung des Phosphorylierungszustandes – Ca2+-Kanäle. Das Einströmen der Ca2+Ionen führt zur Depolarisierung der Zelle (Abbildung 3.4). Nicht endgültig geklärt ist der Signaltransduktionsweg im Falle der Verbindungen, die Träger der umami Geschmacksqualität sind. Man nimmt an, dass die Rezeptorproteine dieser Substanzen zwei Bindungsstellen haben: eine für das Mononatriumglutamat und eine weitere allosterische für Nucleotide. Die Bindung der Nucleotide erhöht die Affinität der Mononatriumglutamat-Bindungsstelle, wodurch der synergistische Effekt der umami-Substanzen hervorgerufen wird (siehe auch Abschnitt 3.8). Die Geschmacksqualitäten sauer und salzig werden von Substanzen getragen, die ihr Signal auf eine andere Art als die bisher besprochenen weitergeben. Träger der Qualität sauer sind einzig und allein Protonen. Es ist daher gleichgültig, von welcher Säure sie stammen, wenn auch die Begleitanionen auf den sauren Geschmack durchaus modifi-
204
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Ca
Bitterstoff
2+
Rezeptor
PDase γ α
α
+
GTP
β ?
G-Proteine 3.4
cAMP
G-Protein-vermittelte Signalübertragung nach Bindung von Bitterstoffen an den Rezeptor der Geschmackszelle. PDase = Phosphodiesterase
zierend wirken können. Auch die Träger der Qualität salzig sind in wässriger Lösung stets dissoziiert. Als solcher kommt in erster Linie das Na+ in Frage, wenn auch andere Kationen salzig schmecken können (Abschnitt 3.8). Die molekulare Wirkungsweise von H+ und Na+ beim Hervorbringen des sauren beziehungsweise salzigen Geschmacks ist in Abbildung 3.5 schematisch dargestellt. Diese ionisierten Geschmacksstoffe verändern das elektrische Potential der Geschmackszellen, indem sie direkt mit Ionenkanälen interagieren. Es wird angenommen, dass die Bindung von H+ an bestimmte Gruppen von Na+-Kanälen zu einer Schließung des Kanals und damit zur Änderung des Membranpotentials führt. Das wiederum bewirkt die Abgabe eines Transmitters an der baso-lateralen Seite der Geschmackszelle, der dann über Synapsen mit den Geschmacksnerven interagiert. Im Falle des Na+ wird angenommen, dass dieses Kation bei verstärktem Angebot über offene amilorid-sensitive Natriumkanäle in das Innere der Geschmackszelle eindringt und damit direkt eine Änderung des Membranpotentials verursacht. Einer speziellen Betrachtung bedarf die Gruppe jener Verbindungen, die keine eigentlichen Geschmacksstoffe sind, sondern die in der Nahrung vorkommen und das GeH+ Na+
H+
Rezeptor
Na+ + Transmitter-Freisetzung
3.5
Wirkungsweise von H+ und Na+ an der Geschmackszelle beim Zustandekommen des sauren und salzigen Geschmacks
3 Wahrnehmung des Geschmacks und des Geruchs der Nahrung
205
fühl von Schärfe, Brennen, Prickeln, Kühle und anderes hervorrufen. Es handelt sich dabei fast immer um lipophile Verbindungen. Es wird angenommen, dass sie direkt mit den Nervenendigungen der mukösen Epithelien in der Mundhöhle interagieren und die Ca2+-Leitfähigkeit dieser Nerven verändern. Inwieweit die Geschmackszellen selbst zu ihrer Wahrnehmung notwendig sind, ist ungeklärt.
3.3 Die Geschmacksinformationen werden durch mehrere afferente Nerven der zentralen Verarbeitung zugeführt Die Geschmackszellen sind nicht-neuronale Rezeptorzellen, die über einen der synaptischen Übertragung ähnlichen Mechanismus mit Nervenzellen kommunizieren. Sie sind also sekundäre Sinneszellen. Die nachgeschalteten Nervenzellen werden als primäre sensorische Neuronen bezeichnet. Das einzelne Geschmacksneuron erhält Informationen von zahlreichen Geschmackszellen, die auch in unterschiedlichen Geschmacksknospen lokalisiert sein können. Somit reagieren die einzelnen Neurone auf mehrere verschiedene Geschmacksqualitäten, wenn auch mit unterschiedlicher Empfindlichkeit. Hierdurch ist es zu erklären, dass verschiedene Axone unterschiedliche Geschmacksprofile vermitteln.
Gyrus postcentralis Insel
Thalamus: medialer ventrobasaler Kern
Nucleus tractus solitarii N. Petrosus major Gaumen Rachen
N.Vagus N.Glossopharyngeus N.Facialis Chorda tympani
bitter sauer salzig süß
3.6
Die Geschmacksbahnen
Zunge
206
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Wie aus Abbildung 3.6 zu entnehmen ist, innervieren mehrere Nerven die geschmacksempfindlichen Regionen auf der Zunge, dem Rachen und dem Gaumen. Der N. facialis (VII) ist an der neuralen Übermittlung des Geschmacks mit zwei Ästen beteiligt: Die Geschmacksfasern der Chorda tympani versorgen die Geschmacksknospen der Pilzpapillen und teilweise der Blattpapillen und vermitteln die Geschmackssensation des vorderen zwei Drittels der Zunge; der N. petrosus major innerviert die Geschmacksknospen des Gaumens. Der N. glossopharyngeus (IX) versorgt das hintere Drittel der Zunge einschließlich der Papillae vallatae mit sensiblen Fasern und Geschmacksfasern. Als dritter innerviert der N. vagus (X) mit seinen Geschmacksfasern die auf dem Rachen und dem Kehldeckel gelegenen Geschmacksknospen. Außer den drei eigentlichen Geschmacksneuronen tragen auch einige Äste des N. trigeminus (V) zur Geschmacksvermittlung bei, obwohl bei diesem Nerv die Zahl der chemo-, thermound mechanosensiblen Axone die der Geschmacksaxone bei weitem übersteigt. Die Axone der Geschmacksnerven treten in die Medulla ein und treffen im Nucleus tractus solitarii, dem Geschmackskern, zusammen. Der Kern vergrößert sich in diesem Bereich und enthält den als Nucleus gustatorius bezeichneten Zellkomplex. Im Geschmackskern werden die Geschmacksinformationen mit viszeralen und somatischen Signalen vereinigt. Vom Geschmackskern aus werden die Informationen an drei Bereiche des ZNS weitergeleitet, wodurch unterschiedliche physiologische Antworten hervorgerufen werden. Über sekretorische, viszeromotorische und skelettmotorische Kerne des Hirnstammes werden Verdauungsreflexe (Speichelfluss, Magensaftsekretion, Schlucken und andere) ausgelöst. Über limbische Zentren des Hypothalamus und den orbitofrontalen Cortex werden affektive Geschmackserlebnisse vermittelt. Über den medialen-ventrobasalen Kern des Thalamus geleitet entstehen bewusste Geschmackswahrnehmungen.
3.4 Die Geruchsempfindung wird durch spezifische Sinneszellen der Riechschleimhaut vermittelt Die 10 bis 25 Millionen olfaktorischen Sinneszellen oder Riechzellen des Menschen befinden sich in der etwa 2,5 cm2 großen Riechschleimhaut (Regio olfactoria) in den Kuppeln der Nasenhöhlen. Die Riechzellen sind primäre Sinneszellen, das heißt spezialisierte Neuronen. Als Ausnahmeerscheinung unter den reifen Nervenzellen haben allein sie die Fähigkeit zur mitotischen Teilung. Nach einer mittleren Lebensdauer von 60 Tagen werden sie aus den Basalzellen des Epithels erneuert. Abbildung 3.7 zeigt das Schema einer einzelnen Riechzelle (A) sowie das Riechepithel (B). Beim Heranreifen strecken sich die Riechzellen so, dass sie die ganze Höhe der Schleimhaut durchziehen. Der apikale Fortsatz der Riechzelle bildet den Endkolben, der fünf bis 20 dünne zilienförmige Fortsätze trägt. Diese Riechhärchen bilden in der Schleimhaut eine verfilzte Schicht, die als chemorezeptive Oberfläche dient. Der verdickte Zellkörper, der den Zellkern enthält, läuft in ein sehr dünnes (etwa 0,2 μm) Axon aus. Zahlreiche Axone benachbarter Zellen lagern sich zu einem Bündel, dem von einer einzigen Schwann’schen Zelle umhüllten Filium olfactorium zusammen. Die Gesamtheit dieser Bündel bildet den N. olfactorius (I) (Abschnitt 3.5). Mehrere olfaktorische Sinneszellen umgeben eine längliche Stützzelle, die mit Mikrovilli in der Schleimhaut ankert. In das Riechepithel eingestreut liegen die Bowmanschen Drüsen, deren Sekret das Riechepithel bedeckt.
3 Wahrnehmung des Geschmacks und des Geruchs der Nahrung
A
zentraler Fortsatz (Neurit bzw. Axon)
207
B Bowmansche Drüse
Zellkörper mit Kern Riechzellen peripherer Fortsatz
Endkolben Sekret Schleimschicht
3.7
Stützzellen
Riechhärchen
Einzelne Riechzelle (A) und das Riechepithel (B)
3.5 Auch bei der Geruchswahrnehmung spielen G-Proteingekoppelte Rezeptoren eine Schlüsselrolle Beim normalen Atmen erreichen nur einige Prozent der in der Luft enthaltenen Geruchsstoffe (Odorantien) das Riechepithel, da dieses außerhalb des Hauptluftstromes liegt. Durch das Schnüffeln kann diese Menge erheblich erhöht werden. Dagegen gelangen flüchtige Geruchsstoffe der Nahrung infolge der anatomischen Verbindung zwischen Mund und Nase größtenteils unmittelbar zum Riechepithel. Die außerordentlich hohe Empfindlichkeit der olfaktorischen Sinneszellen erklärt es, dass am Zustandekommen des flavour der Nahrung die Geruchsstoffe häufiger und viel stärker beteiligt sind als die Geschmacksstoffe. Während die Anzahl der Geschmackqualitäten vier – eventuell fünf oder einige mehr – beträgt, gibt es Tausende unterschiedlicher Geruchsempfindungen, die wahrscheinlich von ebenfalls sehr zahlreichen Geruchsstoffen hervorgerufen werden. Geruchsstoffe sind bei physiologischen Temperaturen flüchtige Verbindungen. Es handelt sich bei ihnen um relativ kleine Moleküle, mit einem Molekulargewicht < 1 kDa. Sie sind klein genug, um mit dem Strom der Atmungsluft transportiert werden zu können. Andererseits müssen sie groß und komplex genug sein, damit ihre Struktur als Informationsträger von den olfaktorischen Rezeptoren erkannt wird. Die Geruchsrezeptoren sind in eine spezielle Umgebung, den Mucus, der das Riechepithel überzieht, eingebettet. Mit Sicherheit beeinflusst der komplex zusammengesetzte Mucus die Odorantien, bevor diese den Rezeptor erreichen. Die großen Glykoproteine dieser Schicht, die Mucine, halten Wassermoleküle an der Oberfläche der Sinneszellen fest. Die sogenannten peri-Rezeptor-Ereignisse spielen sich also in einem
208
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
wässrigen Medium ab. Auch polymere Peptidketten, die als Olfaktomedine bezeichnet werden, tragen zur Struktur und Elastizität des Mucus bei. Krankheits- und altersbedingte Veränderungen des Mucus können die olfaktorische Leistung beeinträchtigen. Es wird angenommen, dass die im Mucus vorkommenden Zucker mit Geruchsstoffen Komplexe bilden. Die dadurch bewirkte Konformationsänderung könnte die Bindung an die Rezeptoren erleichtern. Verschiedene Drüsen der Nasenhöhle produzieren niedermolekulare wasserlösliche Proteine, die ebenfalls Geruchsstoffe binden. Mit ihrer Hilfe können auch hydrophobe Odorantien über die Mucusschicht an die Rezeptoren vordringen. Eine funktionell andere Art von Proteinen, die ebenfalls in der olfaktorischen Mucosa gefunden werden, sind Enzyme, die Geruchsstoffe abbauen, oder sie so verändern, dass sie als Stimulantien ineffektiv werden. Diese Wirkungen sind insofern physiologisch relevant, als dadurch die Rezeptoren zur weiteren Interaktion mit Odorantien frei gemacht werden. Möglicherweise dienen sie auch dazu, die Wirkung sehr intensiver Geruchsstoffe noch vor der Rezeptorbindung abzuschwächen. Soweit bisher bekannt ist, zeigen diese Enzyme gegenüber unterschiedlichen Odorantien eine sehr geringe Spezifität. Es wird vermutet, dass die Geruchsrezeptoren der Nase die Perzeption von bis zu 10 000 Geruchsstoffen in Gang setzen können. Die olfaktorische Rezeptorfamilie zeigt eine hochgradige genetische Diversität. Somit ist es wahrscheinlich, dass für sehr viele Geruchsstoffe spezifische Rezeptoren existieren. Ihre genaue Zahl ist Gegenstand der Spekulation; man beziffert sie auf 1 000 bis 10 000. Allerdings wird auch die Ansicht vertreten, dass ein Rezeptor durchaus auch mehrere verschiedene Odorantien binden kann. In diesem Falle wäre es allein die Aufgabe des ZNS die Unspezifität der Rezeptoren zu kompensieren. Es ist außerordentlich schwierig, Untersuchungen über die Anzahl und die Spezifität olfaktorischer Rezeptorproteine durchzuführen, da nur winzige Mengen an Untersuchungsmaterial zur Verfügung stehen. Nachdem die Verbindung zwischen dem Geruchsstoff und dem transmembranären Rezeptor stattgefunden hat, erfolgt eine Konformationsänderung des Rezeptormoleküls, die die G-Protein-vermittelte Kaskade aktiviert (Abschnitt 1.1.3.4). Bei der Transduktion olfaktorischer Signale handelt es sich prinzipiell um die gleiche Kette von Ereignissen wie bei sonstigen sensorischen Systemen: Die Reizenergie wird nach Bindung des Odorans an den Rezeptor in elektrische Energie umgewandelt, die nach Weiterleitung zum ZNS zur Geruchsempfindung verarbeitet wird. Die G-Proteine, die im Falle der Geruchsstoffe die Signalkette einleiten, gehören zur Familie der heterotrimeren G-Proteine. Die α-Untereinheit wird in diesem Falle als Golf (olf steht für olfaktorisch) bezeichnet. Wie in Abbildung 3.8 gezeigt wird, können im Falle der Geruchsstoffe sowohl die Adenylatcyclase als auch die Phospholipase C als primäre Effektorsysteme in Anspruch genommen werden. Entsprechend kann je nach Fall also sowohl das cAMP als auch das InsP3 (oder das DAG) als second messenger die Ereigniskette fortsetzen. Je nach second messenger kann also entweder die Erhöhung der Na+-Konzentration oder die der Ca2+-Konzentration zur Depolarisierung der Zelle führen. Welcher der Transduktionswege benutzt wird, kann sowohl vom speziellen Rezeptortyp einer Geruchszelle als auch von den Odorantien abhängen. Es besteht die Möglichkeit, dass ein und dieselbe Geruchszelle unterschiedliche Transduktionswege einsetzt, je nachdem welcher Geruchsstoff an sie gebunden hat. Das Endresultat bleibt gleich: Durch Übertritt von Na+, K+, Ca2+ oder Cl– durch entsprechende Ionenkanäle ändert sich der elektrische Zustand der Zelle. Ist der Ionenstrom stark genug, wird ein neuraler Impuls ausgelöst, der über das Axon das ZNS erreicht.
3 Wahrnehmung des Geschmacks und des Geruchs der Nahrung
209
Geruchsstoff a
Rezeptor
AdeCy γ
P
α α
GTP
ATP
β
cAMP
Modulation von Ionenkanälen
PK A
G-Proteine
alternativ: Geruchsstoff b
PIP2
Rezeptor
PL C γ α
β
DAG
α
PK C
P
GTP
InsP3
Modulation von Ionenkanälen
G-Proteine 3.8
G-Protein-vermittelte Signalübertragung nach Bindung von Geruchsstoffen an den Rezeptor von Riechzellen. AdeCy = Adenylatcyclase; PKA = Proteinkinase A; PLC = Phospholipase C; PIP2 = Phosphatidyl-Inositol-4,5-bisphosphat; InsP3 = Inositol-1,4,5-trisphosphat; DAG = Diacylglycerin; PKC = Proteinkinase C
3.6 Die neurale Verarbeitung der Geruchsreize ist komplex Der N. olfactorius (I), in dem die Axone der Riechzellen gebündelt sind, tritt in den Bulbus olfactorius oder Riechkolben über, der die erste Schaltstation des olfaktorischen Systems darstellt (Abbildung 3.9). Die Axone der Riechzellen übergeben ihre Information an die apikalen Dendriten von Pyramidenzellen, die als Mitralzellen bezeichnet werden. Die Axone und die Dendriten der Mitralzellen bilden eine von Schwann’schen Zellen umhüllte funktionelle Einheit, den Glomerulus. Die Glomeruli sind dynamische Strukturen, da die Axone der neugebildeten olfaktorischen Sinneszellen stets von neuem ihren Weg zu ihnen finden müssen. Benachbarte kleine dichtgelagerte Nervenzellen, die Körnerzellen, und die periglomerulären Zellen beeinflussen die Prozesse im Bulbus olfactorius fördernd, jedoch vor allem inhibierend. Der wichtigste hemmende Neurotransmitter der Körnerzellen des Bulbus olfactorius ist vermutlich das biogene Amin γ-Aminobuttersäure (Abschnitt 1.4.4, Tabelle 1.21). Die Axone der Mitralzellen verlassen den Bulbus olfactorius durch den Tractus olfactorius und erreichen ohne Unterbrechung das gleichseitige Riechhirn. Von diesen Axonen können auch Kollaterale an den Nucleus olfactorius anterior abgehen. Das Riechhirn ist ein entwicklungsgeschichtlich sehr alter Teil des Telenzephalons, der die
210
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
vom und zum primären olfaktorischen Kortex Nucleus olfactorius anterior
Tractus olfactorius
Bulbus olfactorius
Körnerzelle +
+
Mitralzelle
+
+
periglomeruläre Zellen
Glomerulus
3.9 Fila olfactoria
Neurale Weiterleitung der Geruchsinformation im Bulbus olfactorius
Geruchsinformationen verarbeitet. Werden seine Signale an den orbitofrontalen Cortex und an die Insel weitergeleitet, so entstehen die Geruchswahrnehmungen. In den Mandelkernen und im Hypothalamus lösen sie affektive und autonome Begleitreaktionen aus.
3.7 Die Wahrnehmung des flavours der Nahrung hat vielfältige physiologische Konsequenzen Die komplexe Geschmacks- und Geruchsqualität der Nahrung, das flavour, wird in erster Reihe als Determinante für den Genusswert und damit für die Nahrungswahl angesehen. Neben diesen kognitiven Wirkungen hat jedoch das flavour auch zahlreiche nachgeschaltete physiologische Effekte, die unbewusst zustandekommen. Grundlage dieser Wirkungen ist die Existenz neuraler Verbindungen zwischen der oropharyngealen Region, dem ZNS und mehreren peripheren Organen (Abbildung 3.10) Der Nucleus solitarius ist der primäre Ort, der Geschmacksinformationen erhält. Nach Aktivierung sendet er Signale zum Nucleus dorsalis des N. vagus (X), wo efferente Fasern des N. vagus ihren Ursprung haben. Der N. vagus, der Teil des Parasym-
3 Wahrnehmung des Geschmacks und des Geruchs der Nahrung
VMH
211
LH
NTS DMV
nervus vagus Magen
Leber
Sekretion von Magensäure erhöhte Motilität Darm
Pankreas GlykogenSpeicherung
erhöhte Resorption
3.10
GlucagonSekretion InsulinSekretion
Physiologische Effekte der Perzeption des flavours der Nahrung. LH = Lateraler Hypothalamus; VMH = Ventromedialer Hypothalamus; NTS = Nucleus des Tractus solitarius; DMV = Dorsaler Nucleus motorius des Vagus
pathicus ist, verzweigt sich stark und innerviert eine Reihe von wichtigen Organen des Nährstoffmetabolismus, einschließlich Magen, Darm, Pankreas und Leber. Die vagale Stimulierung führt zur Freisetzung biologisch aktiver Substanzen aus den innervierten Geweben. Nach Wahrnehmung des flavours kommt es unter anderem zur Sekretion von Speichel und Magensalzsäure, von Enzymen des exokrinen sowie von Hormonen des endokrinen Pankreas. Diese als Folge der sensorischen Stimulation auftretenden Antworten werden als Reflexe der kephalischen Phase bezeichnet. Auch die Modulierung der Aktivität hepatischer Enzyme und die diätinduzierte Thermogenese werden ihnen zugerechnet. Das Atropin, ein spezifischer Hemmstoff der muscarinischen Acetylcholin-Rezeptoren, unterbindet das Zustandekommen dieser Wirkungen. Dies gilt als sicherer Beweis dafür, dass die Effekte neural vermittelt werden. Die autonomen Reflexe der kephalischen Phase treten schnell ein und unterscheiden sich in ihrem zeitlichen Verlauf deutlich von den postprandialen Reflexen. Beispielsweise beginnt die Freisetzung des Insulins nach sensorischer Stimulation innerhalb von zwei Minuten, erreicht den Höhepunkt nach etwa vier Minuten und kehrt innerhalb von acht bis zehn Minuten zum Basalwert zurück. Dagegen beginnt die postprandiale Insulinsekretion, deren Höhe von der Glucose- und/oder Aminosäure-Konzentration im
212
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Blutplasma abhängt, erst 15 Minuten nach der Nahrungsaufnahme und erreicht ihren Höhepunkt nach 30 bis 45 Minuten. Die Intensität der Antwort auf die Reflexe der kephalischen Phase ist geringer als die der postprandialen Antwort. Etwa 33 % der totalen Salzsäuresekretion nach einer Mahlzeit und etwa 3 % der totalen postprandialen Insulinfreisetzung werden den Reflexen der kephalischen Phase zugerechnet. Es wird allgemein angenommen, dass es sich bei diesen um „vorbereitende“ Reaktionen handelt, die dazu beitragen, die Verdauung und die Resorption der Nahrung zu optimieren.
3.8 Die Grundgeschmacksqualitäten lassen sich in vielen Fällen mit bestimmten molekularen Strukturen in Zusammenhang bringen Das Auffinden charakteristischer Strukturmerkmale von Molekülen, die für das Zustandekommen bestimmter Geschmacksempfindungen verantwortlich sind, ist sowohl von allgemein biologischem als auch von praktischem Interesse. Die Grundlagenforschung erhofft sich davon allgemein gültige Rückschlüsse auf die Beschaffenheit von Rezeptorbindungsstellen und auf Interaktionen zwischen Rezeptoren und Agonisten. Die Lebensmittelindustrie erwartet von der Klärung der Zusammenhänge zwischen Molekülstruktur und Geschmack die Möglichkeit einer Produktoptimierung. Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der chemischen Struktur einer Substanz und dem Geschmack, der ihr zugeordnet wird, ist im Falle der Qualität sauer einfach zu beantworten: Grundsätzlich sind es H+-Ionen, die sauer „schmecken“. Es wird angenommen, dass zwischen den H+-Ionen und dem Rezeptor ein bipolarer Kontakt im Sinne einer nicht-kovalenten Wechselwirkung zustandekommt. Wie mittels elektrophysiologischer Methoden feststellbar, ist die Intensität der Empfindung innerhalb physiologischer Grenzen der H+-Konzentration direkt proportional. Dies setzt definierte Randbedingungen voraus. Beim Vergleich verschiedener Säuren zeigt sich nämlich, dass für die Geschmacksqualität und -Intensität auch das Begleitanion maßgebend ist. Vergleicht man die Signalstärke einer 5,0 millimolaren HCl-Lösung mit der Lösung anderer Säuren, so stellt man fest, dass zur Erzeugung des gleichen Potentials im Falle der Milchsäure eine 15,6 millimolare, der Essigsäure eine 64,0 millimolare und der Buttersäure eine 150,0 millimolare Lösung eingesetzt werden muss. Dagegen reichen zum Erzielen des gleichen Effektes 3,3 mmol × L–1 Oxalsäure. Bei vielen Verbindungen lässt sich der Geschmack nicht eindeutig einer der vier Geschmacksqualitäten zuordnen. Dies ist insbesondere bei Salzen der Fall, bei denen verschiedene Geschmacksqualitäten gleichberechtigt auftreten können, wie dies Abbildung 3.11 beispielhaft zeigt. Der Geschmack der Salze NaCl, NaNO3 und KCl wurde von 20 Testpersonen beurteilt. Nur dem Kochsalz (NaCl) wurde von allen Testpersonen die Qualität salzig als eindeutig überwiegender Geschmack zugesprochen. Für einige Tester schmeckte jedoch das NaCl nebenbei auch süß, sauer und bitter. Im Falle des NaNO3 kam der Geschmack salzig fast gleichberechtigt neben sauer und bitter vor. Das KCl war nach dem NaCl am ehesten als salzig empfunden worden. Dieses Phänomen lässt annehmen, dass entweder die Geschmackszellen oder die afferenten Nervenfasern – oder beide – keine ausgeprägte Spezifität aufweisen. Es ist wahrscheinlich, dass die einzelnen Sinneszellen und die einzelnen Fasern Stimulantien unterschiedlicher Qualität als Reize registrieren und weiterleiten, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität.
3 Wahrnehmung des Geschmacks und des Geruchs der Nahrung
Anzahl der Testpersonen
NaCl
3.11
KCl
NaNO3
20
20
20
15
15
15
10
10
10
5
5
5
süß
salzig sauer
213
bitter
süß
salzig sauer bitter
süß
salzig sauer
bitter
Ausprägung der primären Geschmacksqualitäten bei unterschiedlichen Salzlösungen. NaCl 0,1 mol × L–1; NaNO3 0,46 mol × L–1; KCl 0,11 mol × L–1
Zur oft relativ geringen Spezifität der Geschmacksempfindungen dürfte auch beitragen, dass sich die Geschmacksfasern meistens verzweigen und damit im ZNS verschiedene rezeptive Felder innervieren. Es gilt als gesichert, dass auch für die Geschmacksqualität salzig das Vorhandensein von Ionen – insbesondere von Kationen – grundsätzlich notwendig ist. Zwischen diesen und den Rezeptoren kommt ein bipolarer Kontakt als eine nicht-kovalente Wechselwirkung zustande. In der menschlichen Ernährung werden die Mono- und Oligosaccharide sowie einige Zuckeralkohole als natürliche Süßungsmittel verwendet. Es gibt jedoch eine sehr große Anzahl sonstiger Verbindungen – natürliche und synthetisch hergestellte –, die ebenfalls die Geschmacksempfindung süß hervorrufen. Die Suche nach einem allgemein gültigen Modell für das Auftreten dieser Empfindung führte zur Entwicklung der AH-BTheorie, die in Abbildung 3.12 schematisch dargestellt ist. Nach dieser Theorie interagiert ein Säure/Basen-(oder Protonendonator/Akzeptor-)System von süß schmeckenden Substanzen (AHS/BS) über zwei Wasserstoffbrücken mit einem komplementären System des Rezeptors (AHR/BR). Zusätzlich kann eine hydrophobe Wechselwirkung mit einer in geeigneter Position befindlichen Gruppe X angenommen werden. Das System muss die ebenfalls in Abbildung 3.12 dargestellten sterischen Bedingungen erfüllen, das heißt die Gruppen AH, B und X müssen bestimmte Abstände voneinander aufweisen. Computersimulierte Molekülmodelle sind geeignete Werkzeuge zur Aufklärung derartiger struktureller Beziehungen. Unter anderem ist es damit auch gelungen, die Struktur der Bindungsstelle eines Süß-Rezeptors aufzuklären. Bei Untersuchungen über Zusammenhänge zwischen chemischer Struktur und Geschmack ist der Erkennungsschwellenwert von Bedeutung, der der niedrigsten Konzentration einer Verbindung entspricht, bei der ein definierter Geschmackseindruck wahrnehmbar ist. Dieser Wert steht mit der Affinität des betreffenden Geschmacksträgers zum speziellen Geschmacksrezeptor in Beziehung. Für den Erkennungsschwellenwert von Saccharose beispielsweise werden Werte zwischen 0,01 und 0,04 mol × L–1 angegeben, für Glucose 0,09 mol × L–1.
214
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Rezeptor der Geschmackszelle
AHR
BS
BR
HAS Süßes Molekül
Beispiel: β-D-Fructopyranose (AH)S OH O HO
OH
CH2OH (B) S OH
Sterische Voraussetzung des AH/B(X)-Systems (X) 0,525 nm 0,314 nm
(AH)
3.12
0,3 nm
(B)
Das AH/B/(X)-System süßschmeckender Verbindungen
Qualität und Intensität des Geschmacks einer süßen Verbindung hängen – in komplexen Lösungen beurteilt – nicht allein von der Struktur des betreffenden Moleküls ab, sondern auch von anderen Parametern, zum Beispiel von der Anwesenheit weiterer süßer oder nicht-süßer Substanzen sowie von flüchtigen Aromastoffen. Auch der pHWert, die Temperatur und die Farbe der Lösungen können modifizierend wirken. Das AH/B/X-Modell lässt sich auch auf künstliche Süßstoffe aus unterschiedlichen Stoffklassen anwenden. Der Protonendonator AHS muss nicht unbedingt eine OHGruppe sein. Auch eine NH-Gruppe kann diese Aufgabe übernehmen, wie dies das Beispiel des Süßstoffs Saccharin zeigt. Ebenso wie der süße Geschmack wird auch die Empfindung von bitter von sehr unterschiedlichen Verbindungen hervorgerufen. Die strukturellen, insbesondere sterischen Anforderungen an bitter schmeckende Moleküle sind weniger streng: Bitter schmeckende Verbindungen benötigen im Gegensatz zu den süßen nur eine polare und eine hydrophobe Gruppe. Die polare Gruppe kann sowohl elektrophil als auch nucleophil sein. Aufgrund dieser Gegebenheiten ist die Anzahl der bitter schmeckenden Verbindungen sehr viel größer als die der süßen. Die Beziehung zwischen Geschmack und Molekülstruktur ist bei bitteren Verbindungen auch komplexer und schwerer zu erfassen als bei süßen, da die räumliche Fixierung durch einen monopolaren Kontakt weniger starr ist als über einen bipolaren. Bitter schmeckende Moleküle besitzen außerdem mehrere Funktionen, die als polare Kontaktgruppen in Frage kommen. Verallgemeinernd lässt sich festhalten, dass die Qualität und Intensität des bitteren Geschmacks einer Verbindung von folgenden Faktoren abhängt: erstens von der Anzahl,
3 Wahrnehmung des Geschmacks und des Geruchs der Nahrung
215
Art und sterischen Anordnung polarer Gruppen; zweitens von der Ladungsverteilung im Molekül und drittens von der Größe und Form apolarer Gruppen. Die Aussage gilt jedoch nicht nur für bitter schmeckende Verbindungen, sondern – mit gewissen Modifikationen – auch für andere insbesondere süß schmeckende. Mit Hilfe von Computersimulationen ist es gelungen festzustellen, dass die Rezeptorbindungsstellen für süß und bitter schmeckende Moleküle einander ähnlich sind, wenn auch die hydrophobe Tasche der Bindungsstelle im Falle bitterer Verbindungen größer ist als im Falle süß schmeckender. Die emotionale Einstellung gegenüber den beiden G-Protein-vermittelten Geschmacksempfindungen, süß und bitter, ist meistens antagonistisch. Auch der intrazellulären Signaltransduktion dienen unterschiedliche messenger-Systeme (Abschnitt 3.2). Dennoch haben zahlreiche Moleküle, die die Empfindung süß und bitter hervorrufen, ausgeprägte Gemeinsamkeiten. Ein Beispiel hierfür sind die Aminosäuren, die – bis auf wenige geschmacksneutrale Vertreter – Geschmacksträger sind. Wie aus Tabelle 3.1 hervorgeht, gibt es unter den Aminosäuren solche, die die Geschmacksempfindung süß hervorrufen, andere schmecken bitter. Einige wenige haben beide dieser Grundgeschmacksqualitäten.
Tabelle 3.1: Geschmack von Aminosäuren in wässeriger Lösung bei pH 6 bis 7
Aminosäure
Geschmack L-Form D-Form
Alanin
süß
süß
Arginin
bitter
neutral
Asparagin
neutral
süß
Asparaginsäure
neutral
neutral
Cystein
neutral
neutral
Glutamin
neutral
neutral
Glutaminsäure
umami
–
Glycin
süß
–
Histidin
bitter
süß
Isoleucin
bitter
süß
Leucin
bitter
süß
Lysin
süß/bitter
süß
Methionin*
neutral
neutral/süß
Phenylalanin
bitter
süß
Prolin
süß/bitter
neutral
Serin
süß
süß
Threonin
süß
süß
Tryptophan
bitter
süß
Tyrosin
bitter
süß
* Methionin ruft die Empfindung „schwefelhaltig“ hervor, dabei handelt es sich allerdings nicht um den Geschmack, sondern um den Geruch dieser Aminosäure.
216
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Wie aus der Liste der Aminosäuren zu ersehen ist, lassen sich die Geschmacksqualitäten der einzelnen Vertreter nicht ihrer Kettenlänge zuordnen. Fast alle aromatischen Aminosäuren schmecken bitter, lediglich Prolin sowohl süß als auch bitter. Unter den aliphatischen Aminosäuren sind die süß, bitter und neutral schmeckenden etwa gleich verteilt. Auffallend ist, dass die Konfiguration der Aminosäuren für ihren Geschmack eine determinierende Rolle spielt. In den meisten Fällen schmeckt die L-Form einer Aminosäure anders als die D-Form. Der Glutaminsäure – insbesondere dem Natriummonoglutamat – schreibt man die Geschmacksqualität umami (japanisch: köstlich im Geschmack) zu. Ob die Glutaminsäure überhaupt einen Eigengeschmack hat, wird allerdings kontrovers diskutiert; die Ansichten schwanken zwischen geschmacksneutral und stark „fleischbrühenartig“. Einig ist man sich jedoch darüber, dass diese Aminosäure den Eigengeschmack verschiedener Speisen erheblich verstärkt. Aufgrund der stereochemischen Konfiguration könnte die Glutaminsäure an sich alle vier Grundgeschmacksqualitäten auslösen. Die durch diese Aminosäure induzierte Geschmacksverstärkung soll allerdings in Kooperation mit bestimmten Nucleotiden, die in den Lebensmitteln enthalten sind, erfolgen. Die für den synergistischen Effekt geeigneten Nucleotide müssen an Position sechs des Purinrings eine Ketogruppe aufweisen. Dies ist beim Inosinmonophosphat und Guanosinmonophosphat der Fall, nicht jedoch beim Adenosinmonophosphat. Bei der Interaktion soll es sich um eine allosterische Demaskierung verborgener Rezeptoren handeln, die regulatorische Untereinheiten mit Bindungsstellen für 5⬘-Nucleotide besitzen.
3.9 Die Zusammenhänge zwischen stereochemischer Struktur und Geruchsqualität sind weitgehend ungeklärt Auch die Einwirkung von Odorantien auf die Geruchsrezeptoren führt zu Reizantworten, die durch ihre Qualität und Intensität charakterisiert sind. Die Intensität ist durch elektrophysiologische Meßmethoden objektivierbar, die Qualität der Gerüche lässt sich dagegen vorläufig nur vergleichend beschreiben. Aufgrund zahlreicher bisheriger Untersuchungen steht fest, dass der Geruch von Verbindungen erstens von der Größe und Form des Moleküls, zweitens von der Art und Anzahl polarer funktioneller Gruppen und deren Stellung zueinander und zu hydrophoben Strukturelementen abhängt. Die systematische Bearbeitung des Datenmaterials im Hinblick auf Struktur-Aktivitätsbeziehungen bereitet im Falle der Geruchsempfindungen größere Schwierigkeiten als beim Geschmack. Der Grund hierfür liegt insbesondere in der sehr großen Zahl sowohl von Geruchsstoffen als auch von Geruchsqualitäten. In Analogie zu den Geschmackseindrücken ist es jedoch auch im Falle der Geruchsempfindungen von höchstem wissenschaftlichen und praktischen Interesse, diese Beziehungen zu klären. Eine Reihe moderner Methoden – analytisch-instrumentelle, Computer-simulierte Molekülmodelle und gentechnische – lassen in absehbarer Zeit die Lösung mancher dieser Fragestellungen erwarten.
4
Die Nährstoffe
Nährstoffe sind chemisch definierte organische und anorganische Bestandteile der Nahrung, die beim Ablauf der Lebensvorgänge eines Organismus als Energielieferanten, Baustoffe und Steuerungssubstanzen dienen. Im weitesten Sinne gehört auch der Sauerstoff zu den Nährstoffen, obwohl er nicht mit der Nahrung, sondern mit der Atemluft aufgenommen wird. Es hat sich in der Ernährungsphysiologie eingebürgert, die Kohlenhydrate, Fette und Proteine – unter dem Aspekt, dass sie bereits infolge ihrer Menge als Energielieferanten in Frage kommen – zur Gruppe der Hauptnährstoffe, Makronährstoffe oder Grundnährstoffe zusammenzufassen. Zu den nicht-energieliefernden Nährstoffen, gelegentlich auch akzessorische Nährstoffe genannt, werden alle anderen Bestandteile der Nahrung gerechnet, wie die Vitamine, die Mineralstoffe und eine Anzahl sonstiger Substanzen. Die Vertreter dieser Gruppe kommen für die energetische Verwertung entweder grundsätzlich nicht in Frage, oder ihre Menge ist so minimal, dass die aus ihnen gewonnene Energie vernachlässigbar wäre. Die Einteilung der Nährstoffe in die beiden Gruppen ist willkürlich, und die Grenzen sind fließend. Man sollte sie daher für Zwecke der Wissenschaft nicht gebrauchen und statt dessen die einzelnen Nährstoffe als solche benennen. Es wird grundsätzlich zwischen essentiellen und nicht-essentiellen Nährstoffen unterschieden. Als essentiell werden solche Nährstoffe bezeichnet, auf die der Betrieb des Stoffwechsels zwar unbedingt angewiesen ist, die jedoch der betreffende Organismus nicht selbst synthetisieren kann. Die Unfähigkeit dies zu tun, beruht meistens darauf, dass im Verlauf der Evolution die Expression von Genen, die für bestimmte Enzyme des Syntheseweges codieren, eingestellt worden ist. Die Zufuhr des betreffenden Syntheseproduktes mittels pflanzlicher oder tierischer Lebensmittel wurde daher lebensnotwendig. Alle Nährstoffe, die für den Menschen nicht essentiell sind, können im Organismus synthetisiert werden, vorausgesetzt, dass die Nahrung geeignete Vorstufen in ausreichender Menge enthält. Es ist evident, dass der Mensch als heterotrophes Lebewesen auf die Zulieferung organischer Verbindungen durch autotrophe Organismen angewiesen ist.
4.1 Nur wenige Kohlenhydrate haben eine quantitative Bedeutung für die Ernährung des Menschen Kohlenhydrate werden von Organismen, die zur Photosynthese befähigt sind, in riesigen Mengen produziert und machen den überwiegenden Anteil der Biomasse der Erde aus. Entsprechend sind sie auch die Hauptnahrungsquelle praktisch aller heterotropher Organismen. Sie werden nicht nur für die Energiegewinnung genutzt, sondern sind auch Ausgangssubstanzen zahlreicher Verbindungen, die insbesondere als Speicher- und Gerüststoffe sowie als Bestandteile der extrazellulären Matrix fungieren.
218
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Als Kohlenhydrate werden verallgemeinernd Verbindungen bezeichnet, die die Bruttoformel Cn(H2O)n aufweisen, wenn auch einige Vertreter der Gruppe – wie Uronsäuren, Zuckeralkohole und andere (Tabelle 4.1) – von dieser Formel abweichen. Die Monomere der Kohlenhydrate zeigen eine starke Neigung zur Polymerisierung. Von den so entstandenen Polysacchariden besitzen Stärke und Glykogen eine große Bedeutung für die Ernährung und den Stoffwechsel des Menschen. Die Cellulose beansprucht als einer der wichtigsten Ballaststoffe Interesse. Grundeinheiten aller Kohlenhydrate sind einfache Zucker, die Monosaccharide. Da jedes Monosaccharid mehrere freie Hydroxylgruppen besitzt, die eine Verbindung mit einem weiteren Monosaccharid – oder mit einem anderen Molekül – eingehen können, ist die Kombinationszahl möglicher Polysaccharid-Strukturen außerordentlich groß. Selbst ein einfaches Disaccharid aus nur zwei Glucoseresten kann in elf verschiedenen Varianten vorkommen. Wie Abbildung 4.1 zeigt, unterscheiden sich diese allein im Typ ihrer Verknüpfung zwischen den Glucoseresten. Es ist somit evident, dass die Anzahl unterschiedlicher Oligosaccharide allein durch die Möglichkeit verschiedener Verknüpfung ihrer Monomere auf mehrere Tausend anwächst. In der Muttermilch allein gibt es an die Tausend unterschiedlicher Zucker, deren biologische Wirkung Gegenstand der aktuellen Forschung ist. CH2OH O
O
CH2OH
CH2 O
β1
6
O O
O
O O
β1
α1
α1
α1
2
α1
3
α1
4
α1
6
CH2OH
CH2OH
CH2OH
CH2OH
CH2OH O
O
O
4
O
CH2OH
CH2OH O
O
CH2OH O
β1
3
CH2OH O
O
O
CH2OH
CH2OH
CH2OH O
O O
β1
CH2OH O
O
2
O
CH2OH
CH2OH
CH2OH
O
O
β1
β1
β1
α1
CH2 O
O O
CH2OH
CH2OH O
4.1
O
O
Die theoretischen Möglichkeiten zwei D-Glucose-Moleküle zu Disacchariden zu verbinden
4 Die Nährstoffe
219
Tabelle 4.1: Metabolisch wichtige Kohlenhydrate Bezeichnung 1.
MONOSACCHARIDE
1.1
Hexosen
1.1.1
D-Glucose*
1.1.2 1.1.3 1.1.4
D-Galactose* D-Mannose L-Fucose
1.1.5
D-Fructose*
1.2
Pentosen
1.2.1
D-Ribose
1.2.2
D-Desoxyribose
1.2.3
D-Ribulose
1.2.4 1.2.5
D-Arabinose D-Xylose
1.3
Derivate der Monosaccharide
1.3.1
Monosaccharid-Phosphate
1.3.2
Uronsäuren (z. B. Glucuronsäure)
1.3.3
Zuckeralkohole (z. B. Sorbitol)
1.3.4
Zuckercarbonsäuren (z. B. Gluconsäure) Aminozucker (z. B. Glucosamin) acetylierte Aminozucker (z. B. Neuraminsäure)
1.3.5 1.3.5.1 2.
DI- und OLIGOSACCHARIDE
2.1
Disaccharide
2.1.1
Saccharose
2.1.2
Maltose
2.1.3
Lactose
Chemie – Vorkommen (Bedeutung)
Aldohexose – Zentralmolekül des KHStoffwechsels; Energielieferant Aldohexose – in Lactose; in Glykosiden Aldohexose – in Polysacchariden Aldohexose (6-Desoxy-L-Galactose) – Milch; Erythrocyten-Membran Ketohexose – Saccharose; Raffinose
Aldopentose – in Ribonucleinsäuren; in Nucleotid-Coenzymen Desoxy-Aldopentose – in Desoxyribonucleinsäuren Ketopentose – Metabolit d. KHStoffwechsels Aldopentose – in Hemicellulosen Aldopentose – Zuckerersatzstoff
Phosphorsäureester der Monosaccharide – „aktive Zucker“ aus Aldosen durch Oxidation am C6-Atom – in Polysacchariden; Entgiftungsstoffwechsel durch Hydrierung der Aldehyd- bzw. Ketogruppe von Monosacchariden – Zuckerersatzstoff aus Aldosen durch Oxidation am C1-Atom – Metabolit des Glucosestoffwechsels durch Ersatz einer OH- durch eine NH2-Gruppe – durch Acetylierung der NH2-Gruppe – in Glykolipiden und Glykoproteinen
α-D-Glucopyranosyl-(1→2)-β-Dfructofuranosid – in Pflanzen (Rüben- oder Rohrzucker) α-D-Glucopyranosyl-(1→4)-α-Dglycopyranose – Metabolit des Glykogenund Stärkeabbaus β-D-Galactopyranosyl-(1→4)-α-Dglucopyranose – Milchzucker
* Saccharide, deren Stoffwechsel in der Leber detailliert besprochen wird.
220
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 4.1: Metabolisch wichtige Kohlenhydrate (Fortsetzung) Bezeichnung
Chemie – Vorkommen (Bedeutung)
2.1.4
Trehalose
2.1.5
Cellobiose
α-Glucosyl (1→1)-α-Glucosid – in Pilzen und Hefen β-Glucosyl (1→4)-Glucosid – CelluloseGrundsubstanz
2.2
Oligosaccharide
3.
POLYSACCHARIDE
3.1
Homoglykane
aus einer Art von Monosacchariden
3.1.1
Glykogen*
3.1.2
Stärke
3.1.3
Cellulose
3.1.4
Dextran
3.1.5
Inulin
aus Glucose α(1→4) gebunden mit α (1→6)Verzweigungen; MG 1,6 × 10–7D – Leber, Muskel aus 250-300 Glucose α(1→4) glykosidisch (Amylose) mit α(1→6) Verzweigungen (Amylopektin); 8 000-12 000 Glucose/Molekül – Pflanzen aus 500-5 000 Glucose β(1→4) gebunden; MG 1,3-2,0 × 109 D – Gerüstsubstanz von Pflanzen aus Glucose 6-glykosidisch gebunden mit 2-, 3-, 4-glykosidischen Verzweigungen; MG ca. 4 × 106 D – Bakterienmembran Polyfructosan; ca. 30 Fructose 1βglykosidisch gebunden – in Pflanzen
3.2
Heteroglykane
aus Kohlenhydraten und NichtKohlenhydraten
3.2.1
Glykoproteine
3.2.2
Proteoglykane
3.2.3
Peptidglykane
3.2.4
Glykolipide
aus Oligosacchariden (2-20 verschiedene Monosaccharide) und versch. Proteinen – zahlreiche Funktionen aus Glykosaminoglykanen und Disacchariden; Proteinskelett; MG 2 × 103 3×106 D – extrazelluläre Matrix aus N-Acetylglucosamin, NAcetylmuraminsäure und 4-5 Aminosäuren – Bakterienzellwand aus Oligosacchariden und Ceramid, Diacylglycerin oder Polyprenolen – Zellmembran
aus 3 bis 9 glykosidisch verknüpften Monosacchariden – in Milch, in Glykoproteinen
Aus der sehr großen Anzahl von Zuckern, die aufgrund der Variabilität der Verknüpfung und der Konformation der Zuckermoleküle an sich möglich sind, haben nur relativ wenige eine quantifizierbare Bedeutung für den Stoffwechsel des Menschen. Allerdings weisen zahlreiche Forschungsergebnisse darauf hin, dass die Saccharide und ihre Polymere auf verschiedene physiologische Vorgänge einen möglicherweise weitreichenden, wenn auch schwer dokumentierbaren Einfluss ausüben. Die in Tabelle 4.1 aufgeführten Kohlenhydrate, die von Monomeren bis zu komplexen Polysacchariden rei-
4 Die Nährstoffe
221
chen, werden entweder als Nahrungskohlenhydrate aufgenommen, oder im Stoffwechsel synthetisiert. Alle für den menschlichen Stoffwechsel notwendigen Kohlenhydrate können prinzipiell auch vom Menschen synthetisiert werden. Kohlenhydrate sind also keine essentiellen Nährstoffe. Nach Ansicht mancher Autoren ist allerdings die Aufnahme von Glucose in geringen Mengen lebensnotwendig, da eine Nettosynthese von Glucose fast ausschließlich nur aus den glucogenen Aminosäuren möglich ist (Abschnitt 9.3.2), und die dadurch gewinnbare Glucosemenge wäre nicht ausreichend. Demnach hätte die Glucose den Charakter einer Semi-Essentialität. Obwohl Kohlenhydrate nicht essentiell sind, ist eine völlig kohlenhydratfreie Ernährung nicht nur schwer realisierbar, sondern gilt auch als „ungesund“. Es gibt allerdings auch Populationen, deren alimentäre Kohlenhydrataufnahme im Vergleich zur Zufuhr beim überwiegenden Anteil der Weltbevölkerung sehr gering ist. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, dass 50 % des Energiebedarfs durch Kohlenhydrate gedeckt wird, während Fette ca. 35 % und Protein 15 % der Kalorien liefern sollen. Die Ernährung der Population in den technisch entwickelten Ländern der westlichen Welt entspricht dieser Empfehlung bekanntlich nicht. Der Kohlenhydratverzehr hat im Verlauf der letzten Jahrzehnte zugunsten des Fettverzehrs abgenommen, so dass Kohlenhydrate und Fette etwa zu gleichen Teilen zur Deckung des Energiebedarfs beitragen. Hinzukommt mit steigender Tendenz die Energieaufnahme mit Ethanol.
4.2 Die Lipide bilden eine außerordentlich heterogene Stoffklasse Es hat sich eingebürgert, unter der Bezeichnung Lipide eine Vielzahl recht unterschiedlicher Substanzen biologischen und nicht-biologischen Ursprungs zusammenzufassen, die auf den ersten Blick nur eine Gemeinsamkeit aufweisen: Sie sind in organischen Lösungsmitteln – wie Methanol, Aceton, Chloroform, Benzol und anderen – gut löslich (oder gehören selbst zu diesen Lösungsmittteln, wie dies Tabelle 4.2 zeigt). Entsprechend mischen sie sich nicht oder kaum mit Wasser, was darauf zurückzuführen ist, dass sie nicht polar sind und die Wasserstoff-Brücken-Struktur des Wassers unterbrechen ohne selbst günstige Wechselkräfte mit Wassermolekülen auszubilden. Sie sind daher hydrophob. Betrachtet man jedoch die Entstehung der sehr unterschiedlichen Lipidmoleküle, stellt man eine weitere Gemeinsamkeit fest: Sie alle werden aus Acetyl-CoA als Ausgangsubstanz synthetisiert, vorausgesetzt, dass sie Produkte des Stoffwechsels sind. Trotz der auffallenden Unterschiede in ihrer chemischen Struktur und ihrer biologischen Funktion hat man daher die heterogene Stoffklasse der Lipide als solche beibehalten. In Tabelle 4.2 wird eine Einteilung der Lipide vorgenommen, wobei zwischen zwei Gruppen unterschieden wird: 1. Lipide, die nicht hydrolysiert werden können, und 2. Lipide, die hydrolytisch in zwei bis mehrere Bestandteile spaltbar sind.
4.2.1 Unter den alimentär zugeführten Lipiden überwiegen die Triglyceride Als pflanzliche Öle und tierische Depotfette stellen die Lipide für beide Organismengruppen wichtige Energiereserven dar. Bei höheren Tieren, die erhebliche Mengen an
222
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Depotfett anlegen können, haben die Lipide auch die Funktion von Baustoffen sowie von thermischen und mechanischen Isolatoren. Als wesentlicher Bestandteil von biologischen Membranen üben bestimmte Lipide auch in jeder Zelle die Rolle von Baustoffen aus (Abschnitt 1.1.1). Weiterhin sind Lipide auch Lösungsmittel für lipidlösliche Substanzen, beispielsweise fettlösliche Vitamine. Lipide sind somit ubiquitär sowohl in pflanzlichen als auch in tierischen Organismen. Beinahe alle in Tabelle 4.2 aufgelisteten Verbindungen sind in der Nahrung des Menschen enthalten. Allerdings sind nur die Triglyceride (Triacylglycerine) als Nahrungskomponenten von quantitativer Bedeutung. Auf sie entfallen etwa 98 % der alimentär zugeführten Lipide, weshalb sie als „das Fett“ in der Nahrung gelten. Die übrigen 2 % der Nahrungslipide setzten sich aus dem Cholesterin und den Phospholipiden zusammen. Die zahlreichen weiteren Lipide, die in der Tabelle erfasst sind, kommen im Gemisch der Nahrungslipide nur in Spuren vor. Aufgrund ihrer hohen Kaloriendichte von 9,5 kcal × g–1 (39,6 kJ × g–1) eignen sich Lipide besonders gut zur Speicherung von Energie. Bei der heute üblichen Ernährung in den westlichen Industrieländern werden etwa 50 % – statt der empfohlenden 35 % – des Energiebedarfs durch Fett gedeckt. Die Triglyceride sind Ester, die aus dem dreiwertigen Alkohl Glycerin und drei Fettsäuren bestehen. In geringen Mengen können in der Nahrung auch Mono- und Diglyceride sowie freie Fettsäuren vorkommen. Die Fettsäuren, die Bestandteile natürlicher Fette sind, werden in Tabelle 4.3 gezeigt. Sie haben stets eine gerade Anzahl von C-Atomen, sind unverzweigt und können unterschiedlich lang sein. In höheren Pflanzen und Tieren sind es vor allem Fettsäuren mit 16 bis 18 C-Atomen. Fettsäuren mit nur 1 bis 3 C-Atomen kommen in Triglyceriden nicht vor, Fettsäuren mit 4 bis 5 C-Atomen werden als kurzkettige, mit 6 bis 12 als mittelkettige, mit mehr als 12 C-Atomen als langkettige Fettsäuren bezeichnet. Fettsäuren können eine Doppelbindung oder auch mehrere Doppelbindungen in ihren Kohlenstoffketten enthalten; sie sind dann einfach beziehungsweise mehrfach ungesättigte Polyenfettsäuren. Die ungesättigten Fettsäuren weisen fast ausschließlich eine cis-Konfiguration auf, Transfettsäuren kommen in natürlichen Fetten sehr selten vor. Triglyceride, die viele Fettsäuren mit Doppelbindungen enthalten, sind bei Raumtemperatur flüssig (Öle). Die beiden C18-Fettsäuren Linolsäure – mit zwei Doppelbindungen – und die Linolensäure – mit drei Doppelbindungen – sowie die C20-Fettsäure Arachidonsäure, die vier Doppelbindungen hat, sind essentielle Fettsäuren. Doppelbindungen, die mehr als 9 C-Atome von der Carboxylgruppe entfernt sind, können nämlich von Säugetierorganismen nicht in die Kohlenwasserstoffkette eingeführt werden. Somit ist die Aufnahme solcher Fettsäuren mit der Nahrung lebensnotwendig, während alle anderen aus AcetylCoA synthetisiert werden können (Abschnitt 10.2.1). Bei ausreichender Zufuhr von Linolsäure und Linolensäure kann die Arachidonsäure durch Kettenverlängerung gewonnen werden. Sie ist also semi-essentiell.
4 Die Nährstoffe
223
Tabelle 4.2: Klassifizierung der Lipide Einteilung
Chemie
Repräsentative Verbindung oder Vorkommen
1. NICHT HYDROLYSIERBARE LIPIDE 1.1 Kohlenwasserstoffe Alkane Carotinoide (Lipochrome) 1.2 Alkohole Alkanole Sterole (Sterine)1) Steroide2) 1.3 Säuren Fettsäuren1)
Eicosanoide3) 2.
gesättigte Kohlenwasserstoffe der Paraffinreihe Tetraterpene aus Prenylresten
Ethanol Cholesterol (Cholesterin)
aliphatische Carbonsäuren mit unpolarer Kohlenwasserstoffkette
Palmitinsäure (gesättigt) Linolsäure (ungesättigt) Prostaglandine
Abkömmlinge der Arachidonsäure
Wachse Sterolester1)
Fettalkohol + Fettsäure Sterol + Fettsäure
2.2 Phospholipide Phosphatidsäure4) Phosphatide4) Sphingolipide4) 2.3 Glykolipide Cerebroside Ganglioside
3) 4)
Cortisol
HYDROLYSIERBARE LIPIDE Glycerin + 3 Fettsäuren
2)
β-Carotin
gesättigte Alkohole der Paraffinreihe Alkohole aus 27-30 C-Atomen mit OH-Gruppe am C3 des Gonanringes Abkömmlinge des Cholesterins
2.1 Einfache Ester Triglyceride (Triacylglycerole)1)
1)
Methan
Glycerin + 2 Fettsäuren + Phosphat Glycerin + 2 Fettsäuren + Phosphat + Alkohol Sphingosin + Fettsäure + Phosphat + Aminoalkohol
Neutralfette der Nahrung, Depotfett Lanolin Cholesterinester Muttersubstanz der Phosphatide Phosphatidylcholin Membranlipide im ZNS
Sphingosin + Fettsäure + 1 Saccharid Membranlipide von Neuronen Sphingosin + Fettsäure Membranlipide + > 1 Saccharid (u. a. Neuraminsäure) von Neuronen
Besprechung unter organspezifischem Stoffwechsel siehe Abschnitt 1.4.5 siehe Abschnitt 1.4.7 siehe Abschnitt 1.1.1
224
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 4.3: Fettsäuren, die in pflanzlichen und tierischen Fetten vorkommen Chemische Bezeichnung
Trivialname
Anzahl C-Atome
Doppelbindungen Anzahl Position
Butansäure
Buttersäure
4
0
Isopentansäure
Isovaleriansäure
5
0
Hexansäure
Capronsäure
6
0
Octansäure
Caprylsäure
8
0
Decansäure
Caprinsäure
10
0
Dodecansäure
Laurinsäure
12
0
Tetradecansäure
Myristinsäure
14
0
Hexadecansäure
Palmitinsäure
16
0
Octadecansäure
Stearinsäure
18
0
Octadecensäure
Ölsäure
18
1
䊱9 cis-䊱
Octadecadiensäure
Linolsäure
18
2
䊱9,12
Octadecatriensäure
Linolensäure
18
3
䊱9,12,15
n-Eicosansäure
Arachinsäure
20
0
Eicosatetraensäure*
Arachidonsäure
20
4
Docosansäure
Behensäure
22
0
Tetracosansäure
Lignocerinsäure
24
0
Tetracosensäure
Nervonsäure
24
1
䊱5,8,11,14
䊱15
für den Menschen essentielle Fettsäuren; Symbol 䊱x,y,z = Position der Doppelbindung; cis = Konfiguration der Doppelbindung * semi-essentiell (Abschnitt 10.2.1.3)
4.3 Kein anderes Biomolekül übertrifft die funktionelle Vielfalt der Proteine Die Bezeichnung Protein leitet sich vom griechischen proteios, das heißt „erstrangig“ ab. Durch diesen Begriff charakterisierte der schwedische Chemiker Berzelius bereits 1838 sehr treffend die Wichtigkeit dieser für alle lebenden Systeme unentbehrlichen Stoffklasse. Ihre zentrale Stellung resultiert im Endeffekt daraus, dass die genetische Information in Form von Proteinen ausgedrückt wird. Aufgrund ihrer Strukturvielfalt
4 Die Nährstoffe
225
und Flexibilität beteiligen sich die Proteine an allen vitalen Prozessen. Sie sind Baustoffe unter anderem der biologischen Membranen, der kontraktilen Strukturen und der extrazellulären Matrix. Sie fungieren in Form von Enzymen als Biokatalysatoren, dienen als Hormone und Rezeptoren der Informationsübermittlung und steuern auch sonst in vielfältiger Art die Lebensprozesse jeder Zelle. Sie dienen als Transportvermittler für hydrophobe Moleküle, wie beispielsweise das Hämoglobin beim Sauerstofftransport (Abschnitt 8.4). Beim Menschen und bei höheren Tieren repräsentieren die Proteine den Hauptanteil der organischen Makromoleküle. Ein 70 kg schwerer Mann hat einen Proteinbestand von etwa 10 kg. Die Anzahl der unterschiedlichen Proteine, die im menschlichen Organismus vorkommen, wird auf mehr als 50 000 geschätzt. Eine ähnliche Proteinvielfalt ist in pflanzlichen und tierischen Organismen und somit auch in der Nahrung des Menschen anzunehmen. Eine nach chemischen Gesichtspunkten befriedigende Klassifizierung der Proteine scheint nicht möglich zu sein. Üblicherweise unterscheidet man zwischen den einfachen Proteinen, die ausschließlich aus Aminosäuren bestehen, und den zusammengesetzten Proteinen, die außer den Aminosäuren noch sonstige Bestandteile enthalten. Diese können Nucleotide, Mono- und Polysaccharide, Porphyrine, Flavine, Lipide und Metalle sein. Man bezeichnet diese chemisch sehr unterschiedlichen Substanzen, die kovalent oder nicht kovalent an die Proteine gebunden sind, als prosthetische Gruppen. Man benutzt als Einteilungsprinzip auch die Form des Proteinmoleküls. Danach unterscheidet man die kugelförmigen globulären Proteine, die gut wasserlöslich sind und die schlecht löslichen langgestreckten fibrillären Proteine, auch Skleroproteine genannt. Zur ersten Gruppe gehören die Enzymproteine, Plasmaproteine und Proteohormone sowie das Hämoglobin und Myoglobin, zur zweiten Gruppe die Strukturproteine wie Kollagen, Fibrinogen und andere. Aufgrund von Sequenzhomologien lassen sich Proteine häufig zu Großfamilien zusammenfassen, deren Mitglieder jedoch sehr unterschiedliche Funktionen haben können. Wie fast alle Makromoleküle der Lebewesen befinden sich die Proteine des menschlichen Organismus in einem dynamischen Gleichgewicht. Sie werden also abgebaut und müssen entsprechend durch Biosynthese ersetzt werden. Man schätzt, dass ein Erwachsener täglich 300 g Protein neu synthetisieren muss. Die biologische Halbwertszeit verschiedener Proteine ist recht unterschiedlich und kann bei Eukaryoten zwischen einer halben Minute und vielen Tagen liegen. Der Eiweißkatabolismus ist stets mit Verlusten an Proteinbausteinen, das heißt Aminosäuren verbunden. Die Zufuhr von Proteinen mit der Nahrung ist daher lebensnotwendig. Der Proteinbedarf ist im Grunde genommen ein Bedarf an Aminosäuren, zumal alle anabolen und katabolen Wege des Proteinstoffwechsels stets mit freien Aminosäuren beginnen bzw. enden. Da jedoch in Nahrungsmitteln die Aminosäuren praktisch vollständig Bestandteile von Proteinen sind, spricht man von Proteinbedarf. Nach einer wenig verbindlichen Empfehlung soll die wünschenswerte Zufuhr an Proteinen 12 bis 14 % des Energiebedarfs betragen. Bei Abschätzung des Proteinbedarfs fällt die „biochemische Individualität“ des Einzelnen wahrscheinlich stärker ins Gewicht als bei anderen Nährstoffen. Der Proteinbedarf hängt außer von der Qualität des Nahrungsproteins auch von der weiteren Zusammensetzung, insbesondere vom Kohlenhydratgehalt, der Nahrung ab. Weiterhin spielen zahlreiche physiologische Faktoren eine Rolle. Die Berechnung des Proteinbedarfs war Jahrzehnte hindurch ein zentrales Thema der Ernährungsphysiologie und hat bis heute nicht an Interesse verloren. Sie wird in den einschlägigen Lehrbüchern detailliert behandelt.
226
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Im Gegensatz zu Fett und Kohlenhydraten werden Proteine beim Menschen nicht gezielt als Energiereserve gespeichert. Trotzdem kann der Organismus bei entsprechender Anforderung auf einen gewissen Anteil der funktionellen Proteine, der bis zu 2 kg betragen kann, verzichten und das Protein energetisch verwerten.
4.3.1 Zwanzig proteinogene L-Aminosäuren sind Bausteine aller Proteine Proteine sind Polymere von Aminosäuren. Bei dieser Polymerisation verbindet sich bekanntlich die Carboxylgruppe einer Aminosäure unter Abspaltung von Wasser mit der α-Aminogruppe einer anderen Aminosäure. Die dabei entstandene Säureamidbindung wird als Peptidbindung bezeichnet. Die Zahl der Aminosäuren in einer solchen Kette kann recht unterschiedlich sein. Man ist übereingekommen, Verbindungen aus 2 bis 9 Aminosäuren als Oligopeptide, aus 10 bis 100 Aminosäuren als Polypeptide und aus mehr als 100 Aminosäuren als Proteine zu bezeichnen. Diese Grenzziehung ist jedoch willkürlich und weder chemisch noch funktionell untermauert. Vom evolutionären Standpunkt ist es hochinteressant, dass alle Lebewesen – vom Prokaryoten bis zum Menschen – einen identischen Satz von 20 L-α-Aminocarbonsäuren durch Translation in die Proteine einbauen. Diese hochkonservierten proteinogenen Aminosäuren sind – nach ihren Seitenketten geordnet – in Abbildung 4.2 zusammengefasst. Prinzipiell könnte sich jede der 20 proteinogenen Aminosäuren mit jeder anderen in beliebiger Reihenfolge verbinden. Bereits bei einer Kettenlänge von 100 Aminosäuren ergeben sich 20100, das heißt 1013 verschiedene Kombinationen. Diese an sich schon unvorstellbar hohe Zahl steigt bei Verlängerung der Kette ins Astronomische. Natürlich wird diese prinzipiell mögliche Anzahl von Proteinen nicht realisiert. Es entstehen jeweils nur jene Proteine, die durch die Sequenzinformation der DNA für einen bestimmten Organismus genetisch festgelegt sind. Beim Menschen dürften es – wie bereits erwähnt – schätzungsweise 50 000, vielleicht auch 100 000 sein. Außer der α-ständigen Carboxyl- und Aminogruppe besitzen die Aminosäuren unterschiedliche, zum Teil dissoziable Seitenketten. Diese sind für die strukturelle und funktionelle Vielfältigkeit der Proteine von besonderer Bedeutung. Beispiele solcher funktioneller Gruppen sind die seitenständige ε-Aminogruppe des Lysins, die Guanidinogruppe des Arginins und die Carboxylgruppe von Aspartat und Glutamat. Eine weitere wichtige funktionelle Gruppe ist der endständige Imidazolrest des Histidins. Die Sequenz der durch Peptidbindungen miteinander verbundenen Aminosäuren wird als Primärstruktur eines Peptids beziehungsweise Proteins bezeichnet. Bereiche der Peptidkette mit definierter Konformation, die durch H-Brücken stabilisiert werden, ergeben die Sekundärstruktur. Die dreidimensional gefaltete, meistens auch biologisch aktive Konformation eines Proteins wird Tertiärstruktur genannt. Es gibt Proteinmoleküle, die auch eine Quartärstruktur ausbilden, indem sich einzelne Monomere durch nicht-kovalente Wechselwirkungen zu symmetrischen Komplexen zusammenlagern. Meistens hat die Bildung solcher Oligomere aus identischen oder nicht-identischen Monomeren auch eine funktionelle Bedeutung.
4 Die Nährstoffe
227
Aminosäuren mit unverzweigter und verzweigter aliphatischer Seitenkette H Glycin (Gly/G)
α-Aminoessigsäure (75)
-
OOC C
H
+
NH3
Alanin (Ala/ A )
CH3
α-Aminopropionsäure (89)
Valin (Val/ V)
CH
α-Aminoisocapronsäure (131)
Leucin (Leu/L)
CH2
Isoleucin (Ile/I )
CH3
α-Aminoisovaleriansäure (117)
α-Amino-β-methylvaleriansäure (131)
CH3 CH3
CH
CH3
CH
CH3
CH2 CH3
Aminosäuren mit einer Seitenkette, die eine Hydroxylgruppe enthält Serin (Ser/S) CH OH
α-Amino-β-hydroxypropionsäure (105)
2
Threonin (Thr/ T)
OH
α-Amino-β-hydroxybuttersäure (119)
CH
CH3
Aminosäuren mit einer Seitenkette, die ein Schwefelatom enthält Cystein (Cys/C) CH2
α-Amino-β-mercaptopropionsäure (121)
Methionin (Met/M)
α-Amino-γ- methylmercaptobuttersäure (149)
SH
CH2 CH2
S
CH3
Aminosäuren mit einer Seitenkette, die eine Carboxylgruppe oder deren Amid enthält Aspartat(Asp/D) α-Aminobernsteinsäure (133)
CH2 COO
Asparagin (Asn/N)
CH2
γ-Amid der α-Aminobernsteinsäure (132)
Glutamat (Glu/E )
CONH2 -
CH2 CH2 COO
α-Aminoglutarsäure (147)
Glutamin (Gln/Q)
CH2
δ -Amid der α-Aminoglutarsäure (146)
CH2
CONH2
Aminosäuren mit einer Seitenkette, die eine Aminogruppe enthält + NH Arginin (Arg/R)
α-Amino- δ- guanidinvaleriansäure (174)
CH2 CH2
Lysin (Lys/ K )
CH2
α,ε-Diaminocapronsäure (146)
CH2 NH
C
NH2
+
CH2 CH2 CH2 NH3
Aminosäuren mit einer aromatischen Seitenkette
Histidin (His/ H)
CH2 C
CH
N
NH
α-Amino- ß - imidazolpropionsäure (155)
C H CH2
Tryptophan (Trp/W )
α-Amino-β-indolylpropionsäure (204)
N
H
Phenylalanin (Phe/ F)
α-Amino-β-phenylpropionsäure (165)
CH2
Tyrosin (Tyr/ Y)
CH2
α-Amino-β-(p-hydroxy)phenylpropionsäure (181)
OH
Aminosäuren mit cyclischem Aufbau Prolin (Pro/P)
α-Pyrrolidincarbonsäure (115)
H -
OOC C +
H2N
4.2
CH2 CH2 CH2
Die proteinogenen Aminosäuren des Menschen. Trivialname; (3-/1-Buchstaben-Abkürzung); chemische Bezeichnung; (Molekulargewicht in Da). Quelle: Löffler, G., Petrides, P. E. (1997) Biochemie und Pathobiochemie. 5. Aufl. Springer Vlg., S. 35
228
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
EXKURS 4.1 Von der Peptidkette zum biologisch aktiven Protein Die biologische Aktivität von Proteinen ist in den meisten Fällen darauf zurückzuführen, dass sie die Fähigkeit haben, andere Moleküle zu erkennen und mit ihnen zu interagieren. Um derartige Funktionen ausüben zu können, müssen sie eine spezifische, meist komplizierte räumliche Konformation aufweisen. Polypeptide werden jedoch aus den Ribosomen als einfache ungefaltete Aminosäureketten freigesetzt. Die hoch komplexe Architektur, die für jedes einzelne funktionstüchtige Protein charakteristisch ist, muss erst durch den Prozess der Proteinfaltung geschaffen werden. Wie in Abbildung 1 schematisch dargestellt, lässt die Architektur der Proteine vier Strukturebenen erkennen, die sich aufeinander aufbauen. Die Sequenz der Aminosäuren bezeichnet man als Primärstruktur (a). Die Sekundärstruktur (b) tritt in zwei Varianten auf: als α-Helix und als β-Faltblatt. Die Windungen beziehungsweise Faltungen dieser Gebilde resultieren aus Wasserstoffbrücken, die in regelmäßigen Abständen entlang der Peptidkette auftreten. Obwohl die einzelnen Wasserstoffbrücken schwach sind, üben sie durch die vielfache Wiederholung entlang eines relativ langen Abschnittes der Polypeptidkette eine formende Wirkung auf diesen Abschnitt aus. Es entsteht die feine Spirale der α-Helix, die zwischen jeder vierten Peptidbindung durch eine Wasserstoffbrücke zusammengehalten wird. Oder es bildet sich ein β-Faltblatt aus, bei dem die Polypeptidkette sich entweder hin- und zurückfaltet, oder zwei Abschnitte der Kette parallel zueinander verlaufen. Zwischen den parallelen Abschnitten halten wiederum Wasserstoffbrücken die Struktur zusammen.
Abb. 1 Die vier Ebenen der Proteinstrukturen
䊳
4 Die Nährstoffe
229
In der Tertiärstruktur (c) sind Sekundärstrukturmuster, das heißt α-Helices und β-Faltblätter in einer definierten räumlichen Ordnung zusammengefügt. Die unregelmäßigen Windungen der Tertiärstruktur werden durch chemische Bindungen zwischen den Seitenketten der Aminosäuren stabilisiert. In Abbildung 2 sind die häufigsten Bindungen, die zur Tertiärstruktur eines Proteins beitragen, dargestellt. Hierzu gehören hydrophobe Wechselwirkungen (van-der-Waals-Kräfte). Bei der Faltung eines Polypeptids konzentrieren sich Aminosäuren mit hydrophoben Seitenketten normalerweise im Inneren des Proteins, wo kein Kontakt mit Wasser besteht. Ihr gegenseitiger Wasserausschluss hält sie in Clustern zusammen. Weiterhin tragen Wasserstoffbrücken zwischen den Seitenketten bestimmter Aminosäuren sowie Ionenbindungen zwischen positiv und negativ geladenen Seitenketten zur Stabilisierung der Tertiärstruktur bei. Die Summe dieser im Einzelnen schwachen Kräfte formt zu einem wesentlichen Anteil die spezifische Gestalt der Tertiärstruktur eines Proteins. Die Konformation kann durch feste kovalente Bindungen der Disulfidbrücken, die sich zwischen den Sulfhydrylgruppen zweier Cysteinreste ausbilden, weiter verstärkt werden. Meistens kooperieren alle der genannten Bindungsarten beim Zustandekommen der Tertiärstruktur eines Proteins. Eine weitere Ebene, die Quartärstruktur, tritt dann in Erscheinung, wenn sich mehrere, häufig identische Polypeptidketten zu einem funktionsfähigen Komplex assoziieren.Voraussetzung für die Zusammenlagerung sind bestimmte komplementäre Bereiche auf der Oberfläche der Proteine, mit deren Hilfe sie sich gegenseitig „erkennen“ und zusammenlagern können. Es gehört zu den interessantesten Fragestellungen der Proteinbiochemie, wie der Prozess der Proteinfaltung, in dessen Verlauf aus einer Peptidkette die biologisch wirksame Form eines Proteins entsteht, gesteuert wird. Prinzipiell wird die Tertiärstruktur von Proteinen durch ihre Aminosäuresequenz bestimmt und ist somit genetisch determiniert. Die meisten Proteine falten sich jedoch nicht spontan in ihre endgültige Struktur, sondern über Zwischenstufen, die unstrukturierte Bereiche be-
hydrophobe Wechselwirkung CH CH2 O Wasserstoff- H brücke
H3C
CH3
H3C
CH3
Polypeptidrückgrat
CH
O C
OH
CH2
CH2 S S CH2 Disulfidbrücke
O CH2
CH2
CH2
CH2
NH3+
-O
Ionenbindung
C
CH2
Abb. 2 Die häufigsten chemischen Bindungen zur Stabilisierung der Tertiärstruktur von Proteinen
䊳
230
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
sitzen und durch komplexe Mechanismen in die endgültige biologisch aktive Form überführt werden. Feststeht, dass sich die Proteine nicht durch ein zufälliges „Ausprobieren“ aller möglichen Konformationen falten, da dies bei der hohen Zahl der Möglichkeiten außerordentlich lange dauern würde.Tatsächlich ist die Proteinfaltung ein sehr schneller Prozess, der über eine fortschreitende Stabilisierung von Zwischenprodukten verläuft. Wie kinetische Untersuchungen über die Proteinfaltung gezeigt haben, entstehen als frühe Zwischenstufen zunächst molten globules („geschmolzene Kügelchen“), die bereits Teile der Sekundärstruktur enthalten. Zwischen diesen finden schnell wechselnde Interaktionen statt. Die Triebkräfte zur Entstehung der molten globules sind hydrophobe Wechselwirkungen. Von zentraler Bedeutung bei der Proteinfaltung ist die Ausbildung von α-Helices und von β-Strängen. Die einzelnen Aminosäuren neigen unterschiedlich stark zur Bildung von α-Helices, von β-Strängen und von Haarnadelschleifen. Alanin und Leucin fördern die Bildung von α-Helices, Valin und Isoleucin bevorzugen die β-Faltenbildung, Glycin und Prolin die Schleifenbildung. In der Sekundärstruktur der meisten Proteine machen α-Helices und β-Stränge mehr als 60% der Struktur aus. Diese Elemente vereinigen sich zu Faltungsmotiven, (Supersekundärstrukturen), wie VierHelix-Bündeln und β-Haarnadelschleifen. Die Bildung von α-Helices erfolgt innerhalb weniger Millisekunden, während Tertiärstrukturen wesentlich langsamer entstehen. Verschiedene Regionen eines Proteins werden im Verlauf der Faltung zu unterschiedlichen Zeitpunkten stabilisiert. Meistens wird eine α-helicale Domäne vor der β-Faltblatt-Domäne gebildet. Für experimentelle Zwecke kann die Faltung von Peptidketten auch in vitro studiert werden. Dabei zeigt sich, dass der Faltungsprozess in vivo um Größenordnungen schneller verläuft als in vitro. Dies liegt daran, dass er in der Zelle durch Katalysatoren unterstützt wird, die das Zustandekommen der Raumstruktur, die durch die Aminosäuresequenz vorgegeben ist, stark beschleunigen. Einer dieser Katalysatoren ist die Proteindisulfid-Isomerase, ein dimeres Enzym, das vier thioredoxinartige Domänen enthält. Durch Thioloxidation und Umlagerung von Disulfidbrücken trägt dieses Enzym zur korrekten Faltung von Proteinen bei und beschleunigt diesen Prozess erheblich. Bereits vorhandene „falsche“ Disulfidbrücken werden gespalten und neue geknüpft. Der Endzustand ist dann erreicht, wenn die thermodynamisch stabilste Form des Proteins erreicht ist. Prolyl-cis-trans-Isomerasen katalysieren die Isomerisierung der Peptidyl-Prolyl-Bindungen. Üblicherweise liegen in Proteinen fast alle Peptidbindungen in der trans-Konformation vor. Eine Ausnahme bilden die Peptidbindungen, an denen Prolin beteiligt ist. Etwa 6% von diesen weisen eine cis-Konfiguration auf, was die Ausbildung von β-Schleifen ermöglicht. Die Gleichgewichtseinstellung dieser Isomerie wird durch die Prolyl-cis-trans-Isomerase katalysiert. Die wichtigsten Katalysatoren der Peptidfaltung sind die molekularen Chaperone, die zu den sogenannten Hitzeschock-Proteinen gehören. Die vermehrte Synthese dieser Proteine wird nicht nur durch einen Hitzeschock ausgelöst, sondern – auf noch völlig unbekannte Weise – auch dann, wenn die Zahl der nicht oder fehlerhaft gefalteten Proteine in einer Zelle zunimmt. Man nimmt an, dass die Chaperone physiologischerweise die Funktion haben, das Erreichen des korrekt gefalteten Zustandes der Proteine zu beschleunigen. Alle Familien der Hitzeschock-Proteine – Hsp70, Hsp60 und Hsp90 – enthalten Vertreter, die auch in Eukaryotenzellen als Chaperone wirken und zwar ortsspezifisch entweder im Cytosol oder im endoplasmatischen Reticulum oder in den Mitochondrien. Es handelt sich um stark konservierte Proteine, die in allen Organismen vorkommen und ATP-ase-Aktivität besitzen. Die Hauptfunktion der Chaperone dürfte sein, zur Aggregation führende unerwünschte Wechselbeziehungen zwischen Proteinen zu verhindern. (Diese Wirkung
䊳
4 Die Nährstoffe
231
führte zur zutreffenden Bezeichnung chaperon = „Anstandsdame“). Weiterhin katalysieren einige der Chaperone die Faltung frisch synthetisierter oder frisch importierter Proteine. Auch Proteinaggregate, die durch thermische Denaturierung entstehen, können durch Chaperone aufgelöst werden. Die Faltung von Proteinen steht in kinetischem Wettlauf mit cotranslationalen Abbaumarkierungen und vorzeitiger Recyclisierung. Mehr als 50% der wachsenden Proteine, die ein aminoterminales Abbausignal enthalten, werden während der Translation abgebaut, so dass sie niemals zur Ausreifung kommen. Kleine Proteine scheinen weniger betroffen zu sein als große. Da die Faltung eines Proteinmoleküls während oder kurz nach dem Austritt aus dem Ribosomenkanal stattfindet, kann der cotranslationale Abbau eine Art Qualitätskontrolle sein, durch die solche Proteine eliminiert werden, die nicht rasch genug „richtig“ gefaltet haben.
In Tabelle 4.4 sind die 20 Aminosäuren, die der Mensch zur Proteinbiosynthese benötigt, in drei Gruppen eingeteilt: 1. unbedingt essentielle; 2. bedingt essentielle und 3. nichtessentielle Aminosäuren. Eine quantitativ ausreichende* Zufuhr der unbedingt essentiellen Aminosäuren mit der Nahrung ist lebensnotwendig, da sie zwar von Mikroorganismen und Pflanzen, nicht jedoch vom Menschen synthetisiert werden. Die Fähigkeit zur Synthese dieser Aminosäuren ging beim höheren Tier im Verlauf der Evolution verloren. Die reichlich vorhandene pflanzliche Nahrung enthielt wohl ausreichende Mengen dieser Nährstoffe. Somit erübrigte sich die komplizierte Synthese, die mindestens 5 – beim Tryptophan sogar 11 – enzymatische Schritte umfasst. Der Verzicht auf die Eigensynthese bedeutete Material- und Energieersparnis und damit einen Selektionsvorteil für „Mangelmutanten“, bei denen als Folge von Genmutationen die Expression bestimmter Enzymproteine der Synthesekette eingestellt wurde. Tyrosin und Cystein gelten als bedingt essentielle Aminosäuren, da das Tyrosin aus Phenylalanin und das Cystein aus Methionin auch im Stoffwechsel des Menschen entstehen können (Abschnitt 9.4.3.2). Bedingung für eine ausreichende Umwandlung der beiden unbedingt essentiellen Aminosäuren in Tyrosin beziehungsweise in Cystein ist allerdings, dass sie in der Nahrung in ausreichender Menge vorhanden sind. Ist dies nicht der Fall, wird die alimentäre Zufuhr von Tyrosin und Cystein lebensnotwendig. Tabelle 4.4: Für den Menschen essentielle und nicht essentielle Aminosäuren Essentiell:
Valin, Leucin; Isoleucin Threonin, Methionin Lysin, Histidin3) Phenylalanin, Tryptophan
Bedingt essentiell:
Cystein1), Tyrosin2)
Nicht essentiell:
Glycin, Alanin, Serin Aspartat, Asparagin Glutamat, Glutamin Prolin, Arginin3)
1) 2) 3)
Synthese teilweise aus Methionin möglich Synthese teilweise aus Phenylalanin möglich möglicherweise bedingt essentiell
* Über den Bedarf an einzelnen essentiellen Aminosäuren informieren die Lehrbücher der Ernährungsphysiologie.
232
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Die nichtessentiellen Aminosäuren können im Stoffwechsel des Menschen insbesondere durch Transaminierung und/oder NH3-Fixierung (Aminierung) entsprechender Ketosäuren gebildet werden. Weiterhin besteht die Möglichkeit, ihre Abbauwege umzukehren, wobei aus regulatorischen Gründen für den anabolen und den katabolen Weg unterschiedliche Enzyme eingesetzt werden. Außer den 20 „klassischen“ Aminosäuren, für die eigene Codons existieren, wird als 21. Aminosäure das Selenocystein in einige Proteine eingebaut. Dabei findet eine ungewöhnliche Decodierung der mRNA statt, indem das Codon UGA, das sonst als Stopcodon dient, für das Selenocystein (Sac) benutzt wird. Wegen der hohen Reaktivität des negativ geladenen Se-, das den Schwefel des Cysteins ersetzt, – befindet sich das Selenocystein im katalytischen Zentrum einiger Oxidoreductasen (Glutathion-Peroxidase, Thioredoxin-Reductase) sowie der 5-Tetrajodthyronin-Dejodase.
4.3.1.1
Die Nahrung enthält auch kleine Mengen an D-Aminosäuren
Mit Ausnahme des Glycins trägt das α-C-Atom aller Aminosäuren vier verschiedene Substituenten: eine Carboxylgruppe, eine Aminogruppe, einen Wasserstoff und eine Seitenkette. Das α-C-Atom bildet also ein Chiralitätszentrum. Die vier – tetraedrisch angeordneten – Substituenten können in zwei verschiedenen Konfigurationen gebunden werden, die sich zueinander wie Bild und Spiegelbild verhalten und sich nicht zur Deckung bringen lassen. Die beiden Formen, die Abbildung 4.3 am Beispiel des Alanins demonstriert, bezeichnet man als Enantiomere. Alle Moleküle mit einem Chiralitätszentrum sind optisch aktiv, das heißt, sie drehen die Ebene des linear polarisierten Lichtes nach links (L) oder nach rechts (D). Es gibt also L- und D-Aminosäuren. D-Aminosäuren sind als Bausteine kleiner Peptide in mikrobiellen Membranen, in Antibiotica sowie in einigen Syntheseprodukten niedriger Tiere nachgewiesen worden. Weiterhin entstehen sie gelegentlich bei Alkalibehandlung von Proteinen bei gleichzeitiger Hitzeeinwirkung. Kleine Mengen an D-Aminosäuren kommen daher auch in den Nahrungsmitteln des Menschen vor. Wie bereits erörtert, baut der Organismus des Menschen – und der höheren Tiere – während der Translation ausschließlich L-Aminosäuren in den Peptidverband ein. Die Aminoacyl-tRNA-Synthetasen, die für die Beladung der tRNA-Moleküle mit den zugehörigen Aminosäuren zuständig sind, aktivieren jedoch auch D-Aminosäuren. Diese können allerdings nicht in die wachsende Peptidkette eingefügt werden und stören somit den Translationsvorgang. Die in den Peroxisomen vorkommenden D-AminosäureOxidasen (Abschnitt 1.2.5.1) dürften die Aufgabe haben, die D-Aminosäuren zu eliminieren. Es handelt sich dabei um eine irreversible, dehydrierende Desaminierung mit FAD als Coenzym. Das bei dieser Reaktion entstehende FADH2 wird durch O2 unter COO+
H3N
4.3
C
H
COOH
C
+
NH3
CH3
CH3
L-Alanin
D-Alanin
Die beiden Enantiomere des Alanins
4 Die Nährstoffe
233
Bildung von H2O2 regeneriert. Das H2O2 wird durch die ebenfalls in den Peroxisomen lokalisierte Katalase in 1⁄2 O2 und H2O überführt (Abschnitt 1.2.5.1, Gleichung 1.3). 4.3.1.2
Einige Aminosäuren werden im Peptidverband posttranslational modifiziert
Verschiedene Proteine enthalten in ihrem Peptidverband an der Seitenkette modifizierte Aminosäuren, die als solche bei der Translation nicht in den Peptidverband der wachsenden Kette eingefügt werden können. Abbildung 4.4 zeigt einige Beispiele. Das δHydroxylysin und das γ -Hydroxyprolin, die im Kollagen in hoher Zahl vorkommen, dienen der Stabilisierung der Tripelhelix. Das 3-Methylhistidin ist für die Muskelproteine Actin und Myosin charakteristisch. Das γ -Carboxyglutamat befindet sich in den Calcium-akkumulierenden Proteinen der Blutgerinnung, sowie im Osteocalcin des Knochengewebes und im Nephrocalcin, ein saures Glykoprotein der Niere (Abschnitt H –
C
OOC
CH2
CH2
CH
+
NH3
CH2 +
OH
NH3
δ-Hydroxylysin H –
C
OOC
CH2 HC
+
H2N
OH
CH2
γ-Hydroxyprolin H –
OOC
C
CH2
+
NH3
C
CH
N
N C H
3-Methylhistidin –
H –
OOC
C
COO CH2
+
CH –
COO
NH3
γ-Carboxyglutamat 4.4
Posttranslational modifizierte Aminosäuren
CH3
234
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
4.4.1.4). Die enzymkatalysierte Modifikation dieser Aminosäuren erfolgt, nachdem sie bereits in die Peptidkette integriert worden sind. Diese beim Abbau der Proteine freigesetzten Aminosäuren werden für die Proteinsynthese nicht reutilisiert. Das Hydroxyprolin wird teilweise über Pyruvat oxidativ verstoffwechselt, ein Anteil von 10 bis 15 % wird jedoch im Urin ausgeschieden und dient als Indikator für die Intensität des Bindegewebsstoffwechsels. Das 3-Methylhistidin, das ebenfalls renal ausgeschieden wird, ist eine Markersubstanz für den Umsatz der Muskelproteine.
4.3.2 Aminosäuren sind die Vorstufen fast aller stickstoffhaltigen Verbindungen des Organismus Der Mensch deckt seinen Stickstoffbedarf fast ausschließlich mit den Aminosäuren der Nahrungsproteine, zu einem geringen Anteil auch mit freien Aminosäuren, die insbesondere in manchen pflanzlichen Nahrungsmitteln enthalten sind. Andere N-haltige Verbindungen der Nahrung fallen quantitativ kaum ins Gewicht. Tierische Gewebe– und damit Lebensmittel – enthalten aber immerhin 1 bis 2 % des Stickstoffs in Form von Purin- und Pyrimidinbasen sowie von Phospholipiden, Creatin und einigen anderen N-haltigen Substanzen. Ein Erwachsener synthetisiert durchschnittlich 300 g Körperprotein pro Tag. Somit dienen die alimentär zugeführten Aminosäuren in erster Reihe der Proteinbiosynthese. Dessen ungeachtet haben die Aminosäuren Dutzende sonstiger essentieller Funktionen von außerordentlicher Vielfalt. Sie überwiegen als Bauelemente in den Purin- und Pyrimidinbasen. Obwohl die intrazellulär abgebauten und mit der Nahrung aufgenommenen Purin- und Pyrimidinbasen relativ gut reutilisierbar sind, müssen täglich 400 bis 700 mg Purin- und Pyrimidinnucleotide neu synthetisiert werden. Alle kernhaltigen Zellen sind zu dieser Synthese befähigt, die von Aminosäuren ausgeht. Abbildung 4.5 zeigt die Herkunft der einzelnen Atome des Purinkerns: Bis auf die C-Atome 2, 6 und 8 stammen alle Bausteine von den Aminosäuren Glycin, Aspartat und Glutamin. Die Biosynthese des Pyrimidinkerns (Abbildung 4.6) geht vom Aspartat aus. Wie in Abschnitt 1.4.4 bereits detailliert besprochen, werden 11 der proteinogenen Aminosäuren und 3 nicht-proteinogene Aminosäuren in einer Pyridoxalphosphat-abhängigen Reaktion decarboxyliert. Wie Tabelle 1.21 zeigt, entstehen bei dieser Reaktion eine große Anzahl biogener Amine. Sie fungieren als Hormone, Neurotransmitter,
HCO3-
Aspartat (Amino-N)
N1 C
2
C 6
3
N
Formiat
Glycin
N
5C
7
4C
9
8C
N H
Glutamin Glutamin (Amid-N) (Amid-N)
4.5
Herkunft der Atome des Purinkerns
Formiat
4 Die Nährstoffe
235
C
Glutamin N
C
C
C
HCO3-
4.6
N
-Aspartat
Atome des Pyrimidinkerns, die von Aspartat und Glutamin abstammen
Mediatoren, Vitaminbausteine, Bestandteile von Phospholipiden und Vorstufen sonstiger hochwirksamer Biomoleküle. Die Schilddrüsenhormone sind jodierte Abkömmlinge des Tyrosins (Abschnitt 1.4.4.3). Weiterhin sind Aminosäuren an der Porphyrinsynthese und an der Creatinsynthese (Abschnitt 11.2.4) beteiligt, die noch besprochen wird – um nur wenige der Synthesewege zu erwähnen, in die Aminosäuren involviert sind, ohne dass Peptide beziehungsweise Proteine entstehen.
4.4 Vitamine sind essentielle Spurennährstoffe Die Bezeichnung Vitamine umfasst eine Reihe sehr unterschiedlicher organischer Verbindungen, die für den Ablauf des Stoffwechsels unentbehrlich sind. Beim höheren tierischen Organismus – einschließlich des Menschen – ist die Fähigkeit zur Synthese auch dieser Substanzen im Verlauf der Evolution verlorengegangen. Somit ist der Mensch darauf angewiesen, diese Verbindungen, die durch Mikroorganismen und Pflanzen synthetisiert werden, mit der Nahrung aufzunehmen. Vitamine sind also essentielle Nährstoffe. Zwei Vitamine können jedoch prinzipiell auch vom Menschen synthetisiert werden, da alle Enzyme des Syntheseweges erhalten sind: Nicotinsäure kann – wenn auch nicht bedarfsdeckend – auf einem Nebenweg des Tryptophan-Abbaus und Vitamin D3 durch Lichteinwirkung aus 7-Dehydrocholesterin entstehen. Diese beiden Vitamine sind semi-essentiell. Die Vitamine sind sowohl hinsichtlich ihrer chemischen Konstitution als auch hinsichtlich ihrer biologischen Funktion inhomogen. Als Grundlage der Einteilung wird üblicherweise die Löslichkeit in Lipiden beziehungsweise im Wasser verwendet. Nach diesem Kriterium unterscheidet man zwischen den fettlöslichen Vitaminen – Vitamin A, Vitamin D, Vitamin E und Vitamin K – und den wasserlöslichen Vitaminen – Thiamin, Riboflavin, Niacin, Pyridoxin, Folsäure, Cobalamin, Biotin, Pantothensäure und Ascorbinsäure. Als Folge ihrer Hydrophobizität werden die fettlöslichen Vitamine im Fettgewebe akkumuliert und eine exzessive Zufuhr kann zu Hypervitaminosen führen. Die wasserlöslichen Vitamine werden dagegen nur in geringem Umfang gespeichert und die den aktuellen Bedarf überschreitende Menge wird im allgemeinen renal ausgeschieden. Immerhin hat auch der Organismus höherer Tiere ein gewisses Körperdepot an Vitaminen. Somit trägt auch tierische Nahrung zur Deckung des Vitaminbedarfs des Menschen bei. Die Mengen, die zur Ausübung der spezifischen biochemischen Wirkung der Vitamine notwendig sind, liegen im Bereich von Spuren. Entsprechend niedrig ist auch der Gesamtbestand des Organismus, der für das Vitamin K auf etwa 0,1 mg, für das Vitamin C auf ungefähr 3,5 g geschätzt wird.
236
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Die fettlöslichen Vitamine weisen insofern eine gewisse chemische Verwandtschaft miteinander auf, als dass sie ganz oder teilweise aus Isoprenoid-Einheiten aufgebaut sind. Im Falle der wasserlöslichen Vitamine handelt es sich um chemisch völlig unterschiedliche Verbindungen. Die meisten Vitamine haben mehrere biologisch wirksame Formen mit ähnlicher molekularer Struktur, die als Vitamere bezeichnet werden.
4.4.1 Die vier fettlöslichen Vitamine haben unterschiedliche biochemische Funktionen Alle vier Vertreter in der Gruppe der fettlöslichen Vitamine haben mehrere Strukturanaloga. Die meisten dieser Vitamere sind biologisch wirksam, sie können sich also prinzipiell bei ihren biochemischen Aufgaben vertreten. Wie aus Tabelle 4.5 zu ersehen ist, kann die relative biologische Wirksamkeit, die mittels biologischer Tests ermittelt wird, bei den einzelnen Strukturanaloga recht unterschiedlich sein. Tabelle 4.5: Relative biologische Wirksamkeit der wichtigsten Strukturanaloga der fettlöslichen Vitamine Chemische Kurzbezeichnung
Relative Aktivität
Vitamin A-Gruppe1) all-trans-Retinol (Vitamin A1) all-trans-Retinal cis-Retinol-Isomere Retinyl-Ester 3-Dehydro-Retinol (Vitamin A2) all-trans-Retinsäure
100 90-100 23-75 10-100 30-40 50
β-Carotin α-Carotin γ-Carotin Kryptoxanthin
50 26 21 28
Vitamin D-Gruppe2) Ergocalciferol (Vitamin D2) Cholecalciferol (Vitamin D3) 25-OH-Cholecalciferol 1α, 25(OH)2-Cholecalciferol
100 100 200-500 500-1 000
Vitamin E-Gruppe3) α-Tocopherol β-Tocopherol γ-Tocopherol δ-Tocopherol α-Tocotrienol β-Tocotrienol
100 15-27 3-20 0,3-2 17-25 1-5
Vitamin K4) Phyllochinon (Vitamin K1) Menachinon-6 (Vitamin K2)
100 60
Standard: 1)Speicherung in Ratten- beziehungsweise Hühnerleber; 2)Rachitis-Präventivtest bei Ratten beziehungsweise Hühnern; 3)Hämolyse-Test bei Ratten; 4)Blutgerinnungszeit bei Vitamin K-Mangel-Küken
4 Die Nährstoffe
4.4.1.1
237
Carotinoide sind Provitamine der Retinoide
Der Gruppenname Vitamin A wird mit der Bezeichnung Retinoide synonym gebraucht. Die Gruppe umfasst etwa 1 500 natürliche und synthetische Verbindungen. Formal bestehen diese Moleküle aus vier Isopren-Einheiten. Es existieren drei natürliche Grundformen des Vitamin A: der Alkohol Retinol, das Aldehyd Retinal und die Retinsäure. Ihre Strukturformel zeigt Abbildung 4.7. Die sehr große Zahl der Varianten kommt dadurch zustande, dass die Retinoide sowohl an der Ringstruktur als auch hinsichtlich der Doppelbindungen vielfach modifiziert werden können und außerdem alle nativen Retinoide auch cis-trans-Isomerie der Doppelbindungen aufweisen. CH3
H3C CH3 H C 2 3
4.7
1
4
6 5
7
CH3 H C
C C H 8
9
C H
11
10
C
C H
12
13
R
C H
15
14
CH3
R=
CH2OH
Retinol
R=
CHO
Retinal
R=
COOH
Retinsäure
Strukturformel von Retinol, Retinal und Retinsäure
Es existieren etwa 40 natürliche Provitamine A, von denen vor allem das β-, α- und γ -Carotin in der Nahrung vorkommen und in Abbildung 4.8 dargestellt sind. Zur Biosynthese von Carotinoiden sind höhere Pflanzen und Mikroorganismen befähigt. Im Organismus des Menschen werden die Carotinoide vor allem in der Darmmucosa und in der Leber durch die β-Carotin-15, 15⬘-Dioxygenase in Vitamin A umgewandelt (Abschnitt 1.4.6; Abbildung 1.80). Aus β-Carotin entstehen durch Spaltung zwei Moleküle Retinaldehyd, das zu Retinol reduziert wird. In den Industrieländern wird etwa die Hälfte des Vitamin A-Bedarfs durch Umwandlung der Carotinoide der pflanzlichen Nahrung gedeckt. Die andere Hälfte stammt aus tierischen Produkten, die vor allem Retinol und Retinylester – überwiegend als Palmitat – enthalten. In den Leberzellen werden die Retinylester hydrolysiert und als Retinol an das Blut abgegeben, wo das Retinol-bindende-Protein den Transport in die peripheren Organe
β -Carotin
α -Carotin
γ -Carotin 4.8
Strukturformel des β-, α- und γ-Carotins
238
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
vermittelt. Die Retinsäure wird vor allem an Albumin gebunden transportiert. Es gibt eine größere Anzahl von Proteinen, die Retinoide binden. Sie transportieren die Retinoide nicht nur in- und außerhalb von Zellen, sondern präsentieren sie auch Rezeptoren und Enzymen. Diesen spezifischen Proteinen wird eine wichtige Rolle bei der Vermittlung der biologischen Funktion der Retinoide zugeschrieben. Die physiologischen Funktionen der Retinoide lassen sich in drei Gruppen einteilen: 1. die Funktion beim Sehprozess; 2. die Funktionen bei Wachstum, Entwicklung und Differenzierung von Epithelgeweben und 3. die Funktionen bei der Reproduktion, die die Spermatogenese, das embryonale Wachstum und die Entwicklung der Plazenta betreffen. Am besten geklärt ist die spezifische Rolle des Retinals als Bestandteil des Sehpigments Rhodopsin*. An der Biosynthese von Glykoproteinen in Epithelzellen ist das Retinol in Form des Retinylphosphats beteiligt. Die Retinoate wirken auf verschiedene Vorgänge der Reproduktion im Sinne von Hormonen, indem sie die Transkription bestimmter Gene mittels spezifischer Rezeptoren im Zellkern regulieren. Dieser Aspekt wurde in Abschnitt 1.4.6 detaillierter besprochen.
4.4.1.2
Dem Wirkungsmechanismus nach ist das Vitamin D ein Steroidhormon
Auch die Bezeichnung Vitamin D ist ein Gruppenname und umfasst alle Steroide, die in qualitativer Hinsicht die biologische Wirkung des Cholecalciferols aufweisen. In Abbildung 4.9 sind die beiden biologisch gleich wirksamen Formen des Vitamin D dargestellt: das Vitamin D3 oder Cholecalciferol, dessen Vorstufe das in der Leber aus Cholesterin gebildete 7-Dehydrocholesterin ist, und das Vitamin D2 oder Ergocalciferol, das aus der in Hefe gebildeten Vorstufe Ergosterin entsteht. Die Synthese des Cholecalciferols und seine enzymatische Überführung in die hormonell aktive Form, das heißt CH3 H C CH3
CH3 CH2 CH2 CH2 CH CH3
CH3 H C CH3
hν
CH3
CH3 CH2 CH2 CH2 CH CH3
CH2
Photolyse HO
HO
7-Dehydrocholesterin Provitamin D3 (Leber)
CH3 H C CH3
CH3 CH3 CH CH CH CH CH3
Cholecalciferol (Vitamin D3)
CH3 H C CH3
hν
CH
CH3 CH CH
CH3 CH CH CH3
CH2
Photolyse HO
HO
Ergosterin (Hefe)
4.9
Provitamin D2
Ergocalciferol (Vitamin D2)
Photolytische Umwandlung von 7-Dehydrocholesterin und Ergosterin in Vitamin D3 und Vitamin D2
* Genaueres siehe Lehrbücher der Physiologie.
4 Die Nährstoffe
239
in 1α ,25-Dihydroxycholecalciferol (Abbildung 1.79) wurde bereits in Abschnitt 1.4.5.4 dargestellt. Das gleiche gilt für die biochemische Wirkung des Calcitriols, die in Abschnitt 1.4.5.5 behandelt wurde. Bei allen Effekten des Calcitriols handelt es sich um Induktion der Biosynthese spezieller Proteine, vor allem in den Zielorganen Darm, Niere und Knochen. Dem Wirkungsmechanismus nach handelt es sich beim Vitamin D um ein Steroidhormon. Die Eingliederung dieser Substanz in die Gruppe der Vitamine ist allein dadurch gerechtfertigt, dass unter bestimmten Bedingungen – vor allem bei nicht ausreichender Sonnenlichteinwirkung – die Eigensynthese nicht ausreicht, um den Bedarf zu decken. In diesem Falle ist die alimentäre Zufuhr von Cholecalciferol mit tierischen Produkten essentiell.
4.4.1.3
Das Vitamin E nimmt an Redox-Reaktionen teil
Vitamin E ist die Sammelbezeichnung für acht Derivate des 6-Chromanols, vier Tocopherole und vier Tocotrienole, von denen es jeweils α, β, γ und δ Varianten gibt. Diese unterscheiden sich in der Anzahl und der Stellung von CH3-Gruppen am Chromanring. Am C-2 des Ringes ist eine isoprenoide Seitenkette mit 16 C-Atomen verankert. Diese ist bei den Tocopherolen gesättigt, bei den Trocotrienolen weist sie drei Doppelbindungen auf. Im physiologischen Sinne werden unter dem Begriff Vitamin E alle Derivate der Tocopherole und Trocotrienole verstanden, die die biologische Aktivität von α-Tocopherol haben. Zur Biosynthese sind außer einigen Mikroorganismen ausschließlich Pflanzen befähigt. Vitamin E-Quellen sind daher vor allem Pflanzenöle und in geringem Umfang tierische Fette, da Tiere im Fettgewebe nur kleine Mengen an Vitamin E speichern. Wie Abbildung 4.10 am Beispiel des α -Tocopherols zeigt, nehmen Tocopherole an Redox-Reaktionen teil, indem sie in Tocochinone umgewandelt werden. Dabei reagieren sie mit organischen Peroxidradikalen nach Gleichung 4.1: ROO• + Tocopherol-OH → ROOH + Tocopherol-O•
(Gl. 4.1)
Durch diese Reaktion können Radikalketten unterbrochen werden, die vor allem zur oxidativen Schädigung von Fettsäuren der biologischen Membran führen können (siehe Exkurs 5.1). Zur Rückreduktion des Tocopherols dienen Ascorbat und Glutathion. Außer der antioxidativen Wirkung dürfte das Vitamin E auch andere spezifische Effekte haben, deren biochemischer Wirkungsmechanismus unklar ist. Besonderes Interesse beansprucht die Wechselwirkung zwischen Vitamin E und dem Spurenelement Selen.
4.4.1.4
Das Vitamin K ist Coenzym bei der γ-Carboxylierung des Glutamates
Die Vitamere der Vitamin K-Gruppe – auch Phyllochinone genannt – sind in Abbildung 4.11 dargestellt. Sie sind Naphthochinon-Derivate. Die Methylgruppe in Position 2 des Ringes ist für die biologische Wirkung essentiell. Die in der Natur als Syntheseprodukte von Pflanzen und der Darmflora vorkommenden Formen enthalten am C-3 eine ungesättigte isoprenoide Seitenkette. Bei Vitamin K1 handelt es sich um einen Phytylrest, beim Vitamin K2 um einen Difarnesylrest. Das synthetische Vitamin K3
240
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
α-Tocopherol
β-TocopherolHydrochinon
Tocochinon 4.10
α-Tocopherol und seine Redoxformen
4 Die Nährstoffe
241
O 1
4
CH3 2 3
R
O
Naphthochinon-Ring
Phytylrest CH3
CH3 R= -- CH2-- CH = C
CH2-- CH2-- CH2-- CH -- CH3 n
Phytomenadion (Phyllochinon, Vit. K1)
Difarnesylrest CH3
CH3 R= -- CH2-- CH = C
CH2-- CH2-- CH -= C -- CH3 n
Menachinon(Vit. K2) R=H
Menadion(Vit. K3)
4.11
Vitamere der Vitamin K-Gruppe
oder Menadion hat keine Seitenkette. Die Leber kann alle Derivate in Vitamin K2 umwandeln, das wahrscheinlich die einzige biologisch aktive Form ist. Das Vitamin K fungiert als Cofaktor bei der γ -Carboxylierung von Glutamylseitenketten mehrerer Proteine. Es handelt sich dabei um die posttranslationale Modifikation der Blutgerinnungsfaktoren VII, IX, X, Protein C und Protein S sowie von Prothrombin. Die Einführung von γ-Carboxylgruppen in den Peptidverband dieser Glykoproteine führt zu einer beträchtlichen Zunahme von negativen Ladungen. Dieses wiederum ist die Voraussetzung für die Wechselwirkung dieser Proteine mit Phospholipiden und Calcium, die zu ihrer Aktivierung führt. Ein weiteres Protein, dessen Glutamylreste posttranslational γ-carboxyliert werden, ist das Osteocalcin im Knochen, sowie in den atherosklerotischen Plaques der Blutgefäße. Abbildung 4.12 stellt den Reaktionsablauf der γ -Carboxylierung dar. Als erster Schritt wird das Vitamin K2 durch eine Chinon-Reductase mit Hilfe von NADPH+H+ zu Hydrochinon reduziert, das die Coenzymform des Vitamins darstellt. Für die nachfolgende Carboxylierung sind außer Glutamat in entsprechender Position CO2 und O2 notwendig. Das Vitamin K2 geht aus dieser Reaktion als 2,3-Epoxid hervor, das im nachfolgenden Schritt durch eine Epoxid-Reductase zur Chinonform reduziert wird, wobei ein Thiol als Reduktionsmittel Verwendung findet. Der Cyclus kann von neuem beginnen.
242
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus Protein-gebundenes Glutamat R
O2
CO 2
Carboxylase
HC
HCH
COOH
COOH
COOH
Hydrochinon
Protein-gebundenes Carboxyglutamat
R
OH
O CH3
CH3
O R
Epoxid
R
NADP + O
OH
SH
NADPH+H+
SH
O
ChinonReductase
CH3
R
EpoxidReductase S
S
O
Chinon
4.12
Vitamin K-abhängige γ -Carboxylierung
4.4.2 Alle wasserlöslichen Vitamine haben Coenzymfunktionen Zu den wasserlöslichen Vitaminen gehören neun Substanzen. Wie die folgenden Strukturformeln zeigen, weisen die einzelnen Moleküle keinerlei chemische Verwandtschaft untereinander auf. Die wasserlöslichen Vitamine werden – mit Ausnahme der Ascorbinsäure – auch „B-Vitamine“ genannt. Dieser Ausdruck geht auf die Geschichte der Entdeckung der vitaminwirksamen Substanzen zurück; er ist nichtssagend und unpräzise. Abgesehen von ihren hydrophilen Eigenschaften berechtigt auch der prinzipiell ähnliche Wirkungsmodus dazu, die wasserlöslichen Vitamine als Gruppe zu betrachten. Sie wirken als Coenzyme bei zahlreichen enzymatischen Reaktionen. Diese Funktion ist streng spezifisch, das heißt, die einzelnen Vitamine sind untereinander nicht austauschbar. Einige wasserlösliche Vitamine wirken als biologische Redox-Systeme ohne an enzymatischen Reaktionen beteiligt zu sein. Auch die wasserlöslichen Vitamine sind Syntheseprodukte von Pflanzen und Mikroorganismen. Die Gewebe höherer Tiere – insbesondere die Leber – speichern auch diese Vitamine, wenn auch in weitaus geringerem Umfang als die fettlöslichen. Somit können auch tierische Produkte zur Deckung des Bedarfs an wasserlöslichen Vitaminen beitragen*.
* Über den Bedarf an Vitaminen und den Vitamingehalt von Lebensmitteln informieren die Lebensmitteltabellen (siehe Literaturempfehlungen).
4 Die Nährstoffe
4.4.2.1
243
Biologisch wirksam sind die Phosphatester des Thiamins
Das Thiamin (Vitamin B1) ist aus je einem Pyrimidin- und einem Thiazolring zusammengesetzt, die durch eine Methylenbrücke verbunden sind. Der Pyrimidinring ist am C-2 durch eine CH3-, am C-4 durch eine NH2-Gruppe substituiert. Der Thiazolring trägt eine CH3-Gruppe und eine Hydroxyethylgruppe als Substituenten (Abbildung 4.13). Die Substituenten am Pyrimidinring sind für die biologische Wirkung des Thiamins wichtig, die Hydroxyethylgruppe des Thiazolringes dient zur Bildung der Phosphatester. Dies sind das Thiaminmonophosphat (TMP), das Thiamindiphosphat oder Thiaminpyrophosphat (TDP oder TPP) und das Thiamintriphosphat (TTP).
A
NH2 CH2
N
S
N
H3C
B
CH3
N
CH2
CH2OH
NH2 CH2
N H3C
N
CH3
N
O S
CH2
CH2
O
P O
4.13
–
–
O O
P
O
–
O
Strukturformel von A. Thiamin und B. Thiamindiphosphat
Das Thiamindiphosphat ist die Coenzymform des Thiamins und dominiert in tierischen Geweben, wo es meistens an Enzymproteinen gebunden vorliegt. Zellen nehmen nur freies Thiamin auf, das intrazellulär durch Thiaminkinasen, über TMP als Zwischenstufe, zu TDP rephosphoryliert wird. Mehrere TDP-abhängige Enzyme befinden sich an Schaltstellen des Zellstoffwechsels. Dies gilt insbesondere für die Pyruvat-Dehydrogenase, ein Multienzymkomplex, der Pyruvat in Acetyl-CoA überführt (Abschnitt 9.3.4) und die α -Ketoglutarat-Dehydrogenase, die im Tricarbonsäurecyclus die Umwandlung von α-Ketoglutarat zu Succinyl-CoA katalysiert (Abschnitt 5.2.1). Weitere TDP-abhängige enzymatische Reaktionen zeigt Abbildung 4.14. Allgemein wirkt das TDP an Aldehyd-Transferreaktionen mit. Es besitzt ein „acides“ C-Atom, das sein H-Atom leicht gegen ein C-Atom eines Substrates austauscht. Die Aktivität der Transketolase – ein Enzym des Pentosephosphat-Weges (Abschnitt 9.3.8) – in den Erythrocyten gilt als Kriterium zur Beurteilung des Versorgungszustandes mit Thiamin. Ein manifester Thiaminmangel betrifft fast immer das neuronale System. Die nervenspezifische Funktion des Thiamins scheint anders geartet zu sein als seine Coenzymfunktion und ist nicht vollständig geklärt. Elektrische oder chemische Stimulation von Neuronen ist von der Abgabe von freiem Thiamin und von TMP aus diesen Zellen begleitet, was auf Dephosphorylierung von TDP und TTP zurückgeführt wird. Einige kausal nicht ganz geklärte Beobachtungen deuten darauf hin, dass TTP die neurologisch aktive Form des Thiamins ist. Zur Zeit wird auch die Hypothese diskutiert, dass Thi-
244
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Pyruvat
α-Ketoglutarat
Pyruvat-Dehydrogenase
Acetyl-CoA
α-Ketoglutarat-Dehydrogenase
Succinyl-CoA
α-Ketoisovalerianat
VK-DH
Isoleucin
α-Keto-β-Methylvalerianat
VK-DH
α-Methylbutyryl-CoA
Leucin
α-Keto-Isocapronat
VK-DH
β-Methylcrotonyl-CoA
Valin
Isobutyryl-CoA
Transketolase
Xylulose-5-phosphat+Ribose-5-phosphat
Sedoheptulose-7- P +Glycerinaldehyd-3- P
VK - DH = Verzweigtkettige-Aminosäure-Dehydrogenase
4.14
Thiamindiphosphat-abhängige Reaktionen im Intermediärstoffwechsel
amin daran beteiligt ist, an der inneren Oberfläche der neuronalen Membran ein negatives Ladungspotential aufrechtzuerhalten und damit die Na+-Permeabilität dieser Membran zu modulieren.
4.4.2.2
Das Riboflavin ist Baustein der Flavinnucleotide
Das Riboflavin (Vitamin B2), die Stammverbindung der Gruppe, ist ein 7,8-Dimethyl10-(1⬘-D-Ribityl)-Isoalloxazin (Abbildung 4.15). Es kann in unterschiedlichen RedoxZuständen als Flavochinon, Flavosemichinon und Flavohydrochinon vorkommen, was seine Rolle in biologischen Redox-Systemen erklärt. Riboflavinhaltige Coenzyme sind H
O CH3
N
CH3
N
H+ + e
NH O
N
FMN
CH2
CH3
N+
CH3
N
O-
H NH
N
R
HCOH
FADH (FMNH )
HCOH
(Semichinon)
HCOH CH2
FAD
O -O
O
P
NH2
O -O
P
O
N
O CH2
N
O H
H
OH
OH
N N
H
H
Flavinadenindinucleotid (FAD) und Flavinmononucleotid (FMN)
4.15
H+ + e
Die Flavinnucleotide in unterschiedlichen Redoxzuständen
O
O
CH3
N
CH3
N
N
R
H
NH
FADH2(FMNH2)
(vollständig reduziert)
O
4 Die Nährstoffe
245
das Flavinmononucleotid oder Riboflavinmonophosphat (FMN) und das Flavinadenindinucleotid oder Riboflavinadenosindiphosphat (FAD). Beim FMN ist ein Phosphat mit dem Ribitylrest verestert, beim FAD ist das Adenin über zwei Phosphatgruppen an das Ribityl gebunden. Eine sehr große Zahl von Enzymen, die als Flavoproteine oder Flavoenzyme bezeichnet werden, benötigt FMN, noch häufiger FAD als Coenzym. Sie katalysieren Redox-Reaktionen. Dabei wird – wie in Abbildung 4.15 dargestellt – der IsoalloxazinRing reversibel reduziert. Dazu übernimmt er entweder ein oder zwei Elektronen in Form von Wasserstoff von einem reduzierten Substrat. Flavoproteine wirken also sowohl an Ein- als auch an Zwei-Elektronenübertragungen mit. Zahlreiche Flavoproteine sind an Reaktionen in Schlüsselpositionen des Stoffwechsels beteiligt. Tabelle 4.6 enthält einige Beispiele. Tabelle 4.6: Beispiele von Enzymen, die mit Flavinnucleotiden katalysieren Enzym
Flavinnucleotid
Succinat-Dehydrogenase
FAD
α-Glycerophosphat-Dehydrogenase
FAD
Acyl-CoA-Dehydrogenase
FAD
Dihydrolipoyl-Dehydrogenase
FAD
NADH-Dehydrogenase
FMN
Glycolat-Dehydrogenase
FMN
Bei den meisten Flavoproteinen ist das Flavinnucleotid fest, bei manchen auch kovalent an das Apoenzym gebunden. Flavoproteine sind häufig sehr komplex aufgebaut. Manche enthalten auch fest gebundene Metalle, zum Beispiel Eisen oder Molybdän, die sich an den Elektronenübertragungen beteiligen.
4.4.2.3
Das „Niacin“ liefert die Nicotinamid-Einheit für die Synthese der Pyridinnucleotide
Die Bezeichnung Niacin wird als Gruppenname für Derivate der Nicotinsäure benutzt. Von der Nicotinsäure (Pyridin-3-Carbonsäure) leitet sich das Nicotinamid (Pyridin-3-Carboxamid; Abbildung 4.16) ab. Bei der Synthese der Coenzyme Nicotinamid-Adenindinucleotid (NAD+) und dem Nicotinamid-Adenindinucleotidphosphat (NADP+) werden zwei Nucleotide – das Nicotinat-Mononucleotid und das Adenosin-Monophosphat – über ihre Phosphatgruppen durch eine PhosphorsäureanhydridBindung miteinander verbunden (Abbildung 4.17). Im NADP+ trägt der Adenosinteil in 2⬘-Stellung der Ribose einen dritten Phosphatrest. Die Nicotinsäure ist ein Semi-Vitamin, da in einem Nebenweg des Tryptophanstoffwechsels Niconat-Mononucleotid entsteht, das für die Coenzymsynthese direkt verwendbar ist (Abschnitt 9.4.3.3; Abbildung 9.39). Etwa 60 mg Tryptophan sind notwendig, um 1 mg Nicotinsäure zu gewinnen. Ein vollständiger Ersatz des Vitamins durch erhöhte Tryptophanzufuhr ist nicht möglich, da der Nebenweg des Tryptophan-
246
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
O
C
4.16
C
–
O
N
N
A
B
O NH2
Strukturformel der Nicotinsäure (A) und des Nicotinamids (B)
abbaus, dessen Endprodukt das Niacin ist, nur begrenzt nutzbar ist und höhere Tryptophangaben ab einer bestimmten Grenze toxisch wirken. O C
CH2
O O
P
O– H
O
P O
H
Nicotinamid
H H OH NH2
O–
N
CH2 H H
N O
N N
H H
OH
4.17
O
OH
O
+ N
NH2
OH
Strukturformel des Nicotinamid-adenindinucleotids (NAD+)
Es sind mehr als 200 Dehydrogenasen bekannt, bei deren Reaktionen NADH und NADPH als lösliche Elektronen-Carrier wirken. Tabelle 4.7 zeigt einige Beispiele von Dehydrogenasen. Im katabolen Stoffwechsel fungiert meistens das NAD, im anabolen das NADP als Coenzym. Beide Coenzyme werden am Nicotinamid-Ring reversibel reduziert. Bei der Dehydrierung eines Substratmoleküls unter Abgabe von zwei Wasserstoffatomen nimmt die oxidierte Form des Nucleotids (NAD+ oder NADP+) ein HydridIon (H–) auf und geht so in die reduzierte Form (NADH oder NADPH) über nach Gleichung: NAD+ + 2e– + 2 H+ → NADH + H+ oder NADP+ + 2e– + 2 H+ → NADPH + H+ Das zweite vom Substrat abgespaltene H+ verbleibt im Reaktionsmedium.
(Gl. 4.2)
4 Die Nährstoffe
247
Tabelle 4.7: Beispiele von Enzymen, die NAD oder NADP als Coenzym benutzen Enzym
NAD/NADP
Isocitrat-Dehydrogenase Malat-Dehydrogenase Lactat-Dehydrogenase Alkohol-Dehydrogenase Glutamat-Dehydrogenase Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase
NAD NAD NAD NAD NAD/NADP NADP
Im Gegensatz zu den Flavonucleotiden sind NAD und NADP mit dem Apoenzym nicht fest assoziiert. Sie können zwischen den Enzymen diffundieren und fungieren damit als wasserlösliche Elektronen-Carrier zwischen den Metaboliten.
4.4.2.4
Pyridoxalphosphat ist als Coenzym an zahlreichen Reaktionen des Aminosäurestoffwechsels beteiligt
Die Gruppe der Pyridoxin-Vitamere besteht aus dem Alkohol Pyridoxol – auch Pyridoxin genannt –, dem Aldehyd Pyridoxal und dem Pyridoxamin. Die Bezeichnung Vitamin B6 wird synonym zur Pyridoxingruppe gebraucht. Die Stammform der Pyridoxin-Vitamere ist das 3-Hydroxy-2-Methylpyridin (Abbildung 4.18). Coenzymfunktion hat die phosphorylierte Form des Aldehyds, das Pyridoxalphosphat (PALP). Es gibt mehrere Dutzend PALP-abhängige Enzyme, die fast ausschließlich Reaktionen im Aminosäurestoffwechsel katalysieren. Zu diesen Reaktionen gehören die Transaminierungen, die Decarboxylierungen und verschiedene enzymatische Modifikationen der Seitenkette von α-Aminosäuren. Bei allen PALP-abhängigen Reaktionen ist der Mechanismus der Katalyse gleich. Er wird am Beispiel einer Transaminase-(Aminotransferase-)Reaktion besprochen (Abbildung 4.19). Bei der Transaminierung handelt es sich um eine cyclische Reaktionsfolge: Im Schritt I bildet sich zwischen der Aldehyd-Funktion des enzymgebundenen Pyridoxalphosphats und der Aminogruppe einer Aminosäure (AS1) unter Austritt von H2O eine Aldimin-Formation, die als Schiff-Base bezeichnet wird. Eine kationische Gruppe im aktiven Zentrum des Enzyms stabilisiert diese Formation. Der Pyridinstickstoff des Vitamins und auch die kationische Gruppe des Enzymproteins üben eine elektronenanziehende (elektrophile) Wirkung aus. Hierdurch kommt es zur Elektronenverschiebung innerhalb des Coenzym-Substrat-Komplexes, die eine Schwächung der Bindung zwischen dem α-C-Atom und dem angelagerten H verursacht. Der Wasserstoff spaltet sich R HO
H2C
OH
N
4.18
R = CH2OH R = CH O R = CH2NH2
CH3
Strukturformel der Pyridoxin-Vitamere
Pyridoxol(Pyridoxin) Pyridoxal Pyridoxamin
R
H
COO–
+
N H
C
O
–
COO
NH3
C
H
+
H2C
NH3
+
C
CH3
O
–
VI
I
P
P
H2C
H2C
H
N H
+
C
R
N H
+
-
N
C
H
CH3
O–
E
+
-
O
C
CH3
O
O–
E
+
N
O
O
V
H2O
H2O
II P
P
H2C
H2C
H
H
H
H
N H
+
C
R
N H
+
C
R
N
~
C
C N
CH3
O–
E
+
O-
C
O–
CH3
-
O
E
+
C
O
O
IV
P
III H2C
Mechanismus der Transaminierung einer Aminosäure. AS = Aminosäure; E = Enzym (Aminotransferase); KS = α-Ketosäure
P
R
C
C
C
H
~~
4.19
AS2
AS1
H
H
R
+
N H
C
+
–
CH3
O
NH3
O
R C COO–
H
H
O
R C COO–
KS2
KS1
248 Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
4 Die Nährstoffe
249
als H+ ab und lagert sich im Schritt II an das C-Atom des Aldehyds an. Hierdurch entsteht über ein chinoides Zwischenprodukt zwischen dem α-C-Atom der Aminosäure und dem Aminostickstoff eine labile Doppelbindung (Ketimin-Formation). Die hydrolytische Spaltung dieser Bindung im Schritt III führt zur Freisetzung einer αKetosäure (KS1). Die NH2-Gruppe bleibt als Pyridoxaminphosphat kovalent an das Enzymprotein gebunden, das nun als intermediärer Träger der NH2-Gruppe fungiert. Im Schritt IV kommt es wiederum unter Austritt von H2O zur Ausbildung einer Schiff-Base, diesmal mit einer Ketosäure (KS2). Die oben beschriebenen Teilschritte wiederholen sich in Schritt V und Schritt VI, wobei in diesem Fall eine Aminosäure (AS2) aus der Reaktion hervorgeht. Jede Zelle enthält Transaminasen – in besonders hoher Konzentration die Leberparenchym- und die Herzmuskelzellen –, die sich durch ihre Spezifität für jene α-Aminosäure, die die NH2-Gruppe abgibt, unterscheiden. Die durch die Transaminasen katalysierten Reaktionen sind mit einer Gleichgewichtskonstante von 1.0 uneingeschränkt reversibel. Der biologische Vorteil der Übertragung von NH2-Gruppen auf α-Ketosäuren durch Transaminierung liegt darin, dass die NH2-Gruppe dabei am Pyridoxalphosphat kovalent gebunden bleibt. Hierdurch muss sie nicht durch einen ATP-abhängigen, das heißt energieverbrauchenden, Prozess fixiert werden. Eine besondere Bedeutung der Transaminierung ist auch dadurch gegeben, dass der Aminostickstoff von Aminosäuren, die an diesen Reaktionen teilnehmen, in Glutamat und Aspartat „gesammelt“ und damit stufenweise der Harnstoffsynthese zugeführt wird (Abschnitt 9.4.2.3). Glutamat ist außerdem Zwischenträger der NH2-Gruppe, die für amidierende Synthesen benötigt werden (Abschnitt 9.4.2.2). Wie bereits gezeigt wurde, haben Transaminasen auch eine Funktion beim Transport von Metaboliten zwischen Cytosol und Mitochondrion (Abschnitt 1.2.6.6). Bei der Decarboxylierung der Aminosäuren wird anstelle der α-Aminogruppe die α -Carboxylgruppe abgespalten. Auch diese enzymatische Reaktion wird durch die Bildung einer Schiff-Base eingeleitet. Die Elektronenverschiebung bewirkt jedoch in diesem Fall eine Labilisierung der Bindung zwischen dem α-C-Atom und seiner COOH-Gruppe. Welche Bindung bei den einzelnen Pyridoxalphosphat-abhängigen Reaktionen destabilisiert wird, hängt allein von den funktionellen Gruppen im aktiven Zentrum des betreffenden Enzyms ab. Das im Falle der Decarboxylierung an der Schiff-Base verbleibende Amin wird hydrolytisch abgespalten. Diese Amine werden als biogene Amine bezeichnet. Da die meisten von ihnen den Charakter von Signalstoffen haben, wurden sie bereits bei der hormonellen Regulation in Tabelle 1.21 aufgelistet. Eine weitere Pyridoxalphosphat-abhängige Reaktionskette im Aminosäurestoffwechsel ist die α, β-Elimination. Sie dient dem Abbau von Serin und Threonin, die am β-C-Atom eine Hydroxylgruppe tragen, und wird durch die Serin-Threonin-Dehydratase (Abbildung 9.33) katalysiert. Die Cystein-Desulfhydrase baut nach demselben Schema das Cystein ab. Im Falle des Serins und Threonins werden das H+ am α-CAtom sowie das OH– am β-C-Atom als H2O eliminiert. Im Falle des Cysteins entsteht durch Abspalten von H+ am α-C-Atom und von SH– am β-C-Atom H2S. Bei der ebenfalls Pyridoxalphosphat-abhängigen Aldolspaltung wird die Bindung zwischen dem α-C-Atom und dem β-C-Atom destabilisiert und gespalten. Durch eine derartige Aldolase-Reaktion entstehen beispielsweise aus Threonin Glycin und Acetaldehyd. Die Aldolspaltung ist eine nicht umkehrbare Reaktion.
250
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Es sei schließlich erwähnt, dass Pyridoxalphosphat auch ein essentieller Cofaktor bei der Glykogen-Phosphorylase-Reaktion ist. In diesem Falle fungiert seine Phosphatgruppe als allgemeiner Säurekatalysator und fördert den Angriff des Pi an der glykosidischen Bindung (Abschnitt 9.3.5).
4.4.2.5
Folsäure dient als Coenzym bei der Übertragung von C1-Einheiten
Die Bezeichnung Folsäure wird – synonym zu „Folate“ – als Gruppenname für mehr als 100 Derivate der Pteroylmonoglutaminsäure verwendet. Die Pteroylmonoglutaminsäure, die Stammsubstanz der Gruppe, besteht, wie Abbildung 4.20 zeigt, aus einem Pterinringsystem, p-Aminobenzoesäure und L-Glutaminsäure. In pflanzlichen und tierischen Geweben kommt die Folsäure fast ausschließlich als Folylpolyglutamat mit bis zu acht Glutamylresten, die über γ-Carboxylgruppen verbunden sind, vor. Die biologisch aktive Form, die Tetrahydrofolsäure, entsteht durch zwei hintereinander geschaltete Reduktionen mittels NADPH2. Im ersten Schritt reduziert die Folatreductase die Folsäure zu Dihydrofolsäure, die Substrat der Dihydrofolatreductase ist. Die übertragenen H-Atome sind in Abbildung 4.20 rot markiert. Die Tetrahydrofolsäure (H4-Folat) fungiert als Akzeptor für Ein-Kohlenstoff-Gruppierungen, die bei verschiedenen Reaktionen im Stoffwechsel entstehen und zur weiteren Verwertung in „aktivierter“ Form verfügbar sein sollten. Die kovalent gebundenen Gruppen können – vor allem durch Dehydrogenasen – reversibel in unterschiedliche Oxidationsstufen überführt werden, so dass unter anderem Methyl-, Methylen-, Methenyl- und Formylreste entstehen. Für alle Ein-Kohlenstoffgruppen kommen ausOH O N
A
C
CH2
N H
C
N H
HC
C N
HN 2
H
N
C
COO -
C CH2
N
CH2 COO
-
Folat OH N
B
CH
CH2
N H
C
HCH
C H2N
O
H N
C
N Pteridin
N H
H N H
C
COO -
CH2 p-Aminobenzoat
CH2 COO Glutamat
Tetrahydrofolat 4.20
A) Pteroylmonoglutaminsäure (Folat) und B) Tetrahydrofolsäure
4 Die Nährstoffe
251
schließlich die Stickstoffatome in Position fünf und Position zehn des Pterinringes als Träger in Frage. Abbildung 4.21 enthält eine Zusammenfassung aller wichtigeren Reaktionen mit H4Folat als Coenzym. Die Aminosäure Serin ist wahrscheinlich die Hauptquelle von EinKohlenstoff-Gruppen. Durch eine Pyridoxalphosphat-abhängige Reaktion wird zunächst die Hydroxymethyl-Gruppe des Serins an das H4-Folat übertragen. Aus diesem Intermediärprodukt entsteht dann durch Austritt von H2O N5,N10-Methylen-H4-Folat (1). Die Reaktion ist reversibel, so dass aus dem ebenfalls entstandenen Glycin auch wieder Serin synthetisiert werden könnte. N5,N10-Methylen-H4-Folat kann durch NADH zu N5-Methyl-H4-Folat reduziert werden (2). Diese Verbindung dient als Methylgruppen-Donator bei verschiedenen Methylierungen. Hierzu zählt jene Reaktion, bei der aus Homocystein Methionin synthetisiert wird. In diesem Fall fungiert das Vitamin B12 in Form von Methylcobalamin als Zwischenträger der CH3-Gruppe (Abschnitt 4.4.2.6). Die CH3-Gruppen zur Methylierung des Cholins stammen ebenfalls vom N5-Methyl-H4-Folat. N5, N10-Methylen-
4.21
Interkonversion der Ein-Kohlenstoff-Einheiten an der Tetrahydrofolsäure
252
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
H4-Folat ist auch in die DNA-Synthese involviert, indem es die Methylgruppen für das Thymin und das Hydroxymethylcytosin zur Verfügung stellt (x). In einer NADP-abhängigen Reaktion kann das N5,N10-Methylen-H4-Folat auch dehydriert werden (3). Das dabei entstandene N5,N10-Methenyl-H4-Folat steht im Gleichgewicht mit N10-Formyl-H4-Folat (4). Diese Verbindung liefert die C2- und C8Atome des Purinkerns (Abbildung 4.5). In kleinen Mengen entsteht das N10-FormylH4-Folat auch durch eine ATP-abhängige direkte Übertragung des Formiats auf die Tetrahydrofolsäure (y). Eine weitere Quelle von Ein-Kohlenstoff-Resten ist die Aminosäure Histidin, deren Abbau über N-Formiminoglutamat (Figlu) verläuft. Der Formiminorest wird ebenfalls auf Tetrahydrofolsäure übertragen (z). Das so entstandene N5-Formimino-H4-Folat geht nach Desaminierung in N5,N10-Methenyl-H4-Folat über (6). Das N5,N10-Methenyl-H4-Folat wird schließlich durch hydrolytische Spaltung der Bindung zwischen dem N10- und dem benachbarten C-Atom in Folinsäure oder N5-Formyl-H4-Folat umgewandelt (5). Dieses Folsäurederivat wird wegen seiner Stabilität gegen O2 in pharmazeutischen Präparaten verwendet. 4.4.2.6
Das Vitamin B12 beteiligt sich an der Katalyse von intramolekularen Umlagerungen und von Methylierungen
Vitamin B12 ist der Gruppenname für Cobalamine mit Vitaminwirksamkeit. Cobalamine bestehen aus einem Corrin-Ringsystem, mit einem zentral angeordneten Cobalt-Atom (Abbildung 4.22). Eine weitere koordinative Bindung des Cobalts bildet über 5,6-Dimethylbenzimidazol-Ribosidphosphat und Aminopropanol eine Brücke zu einem der Pyrrolringe. Die sechste koordinative Bindung des Cobalts kann verschiedene Substituenten tragen: 5⬘-Desoxyadenosyl-, Methyl-, Hydroxyl- und Cyano-Gruppe sowie Wasser. Coenzymfunktion haben beim Menschen das 5⬘-Desoxyadenosylcobalamin und das Methylcobalamin. Das Hydroxocobalamin entsteht in wässeriger Lösung, das Aquocobalamin bei thermischer Behandlung von gelöstem Cobalamin. Das Cyanocobalamin ist wegen seiner Stabilität die bevorzugte Form in Vitaminpräparaten. Das Vitamin B12 wird ausschließlich von Mikroorganismen synthetisiert. Pflanzliche Nahrungsmittel enthalten kein Cobalamin, im Gegensatz zu tierischen, da höhere Tiere insbesondere in der Leber Vitamin B12 speichern. Nach einem komplizierten Resorptionsprozess (Abschnitt 7.8.2) wird das Cobalamin an spezifische Transportproteine, die Transcobalamine, gebunden über das Blut verteilt. Die Zellen internalisieren den Komplex, der sich aus dem Vitamin B12, dem Transportprotein und einem Rezeptorprotein der Zellmembran gebildet hat. Nach lysosomalem Abbau des Komplexes befindet sich das Vitamin als Hydroxocobalamin im Cytosol. Ein Teil des Cobalamins wird in die Mitochondrien aufgenommen und dort in die 5⬘Desoxyadenosyl-Form umgewandelt. Hierfür wird das zweiwertige oder dreiwertige Cobalt mittels FADH und NADH zu einwertigem Cobalt reduziert. Anschließend wird die 5⬘-Desoxyadenosylgruppe, die von ATP geliefert wird, an das Cobalt gebunden. Die Synthese des Methylcobalamins, das ebenfalls Coenzym-Funktion hat, erfolgt im Cytosol. Im Stoffwechsel des Menschen gibt es zwei intramitochondrial ablaufende, enzymatische Reaktionen mit 5⬘-Desoxyadenosylcobalamin als Coenzym: die Methylmalonyl-CoA-Mutase- und die Leucin-2,3-Amino-Mutase-Reaktion. Die erste, in Abbil-
4 Die Nährstoffe
4.22
253
Strukturformel des Coenzym B12 (5⬘-Desoxyadenosylcobalamin)
dung 4.23 dargestellte Reaktion, dient der Umwandlung von Methylmalonyl-CoA, wobei es sich um eine intramolekulare Umlagerung eines Alkylrestes handelt. Dies ist das Endglied der Reaktionsfolge zur Umwandlung von Propionyl-CoA, das unter anderem beim Abbau ungeradzahliger Fettsäuren entsteht, in Succinyl-CoA. Die Leucin-2,3-Amino-Mutase katalysiert in einem Nebenweg des Leucinabbaus die Umlagerung der NH2-Gruppe des Leucins nach Gleichung:
α-Leucin i β-Amino-Isocapronat
(Gl. 4.3)
Im Stoffwechsel des Menschen gibt es ein einziges Enzym mit Methylcobalamin als Coenzym. Es ist die cytosolische N5-Methyltetrahydrofolat-Homocystein-Methyltransferase, mit der Kurzbezeichnung Methionin-Synthase genannt. Die von ihr katalysierte Reaktion ist in Abbildung 4.24 dargestellt. Das „aktivierte Methionin“ oder S-Adenosylmethionin (Abbildung 9.37) geht nach Abgabe seiner CH3-Gruppe an verschiedene Akzeptoren in Homocystein über. Das Homocystein kann durch die Methionin-Synthase remethyliert werden. Als Methylgruppen-Donator fungiert die N5-Methyl-Tetrahydrofolsäure, wobei die direkte Übertragung der CH3-Gruppe nicht möglich ist, sondern des Cobalamins (Vitamin B12) als
254
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
H2C
CH3
C
S
CoA
O
Propionyl-CoA CO2 ATP + H 2 O (Biotin)
Propionyl-CoACarboxylase
ADP + Pi O
C
O
H C
–
CH3
C
S
CoA
O
D-Methylmalonyl-CoA MethylmalonylCoA-Racemase O C O H2C H
–
CH C
S
CoA
O
L-Methylmalonyl-CoA L-MethylmalonylCoA-Mutase O
(Cobalamin)
C
–
O
CH2 CH2 C
S
CoA
O
Succinyl-CoA 4.23
Cobalamin-abhängige Umlagerung von Methylmalonyl-CoA zu Succinyl-CoA
eines Zwischenträgers bedarf. Die Reaktion läuft in Gegenwart von NADPH ab, das das Cobalt-Atom des Vitamin B12 zum einwertigen Co(I) reduziert. Das enzymgebundene Co(I) Cobalamin übernimmt die CH3-Gruppe vom H4-Folat und überträgt sie an die SHGruppe des Homocysteins (Abbildung 4.24). Außer zur Methioninsynthese soll diese Reaktion auch dazu dienen, die Tetrahydrofolsäure, die für die Bildung zahlreicher weiterer Folatverbindungen benötigt wird (Abschnitt 4.4.2.5), zu regenerieren.
4 Die Nährstoffe
4.24
255
Synthese von L-Methionin aus L-Homocystein
4.4.2.7
Das Biotin ist essentieller Cofaktor der Carboxylierungsreaktionen
Biotin ist der Trivialname für die bicyclische Verbindung Hexahydro-2-oxo-1H-thieno [3,4-d] imidazol-4-pentansäure (Abbildung 4.25). Tierische Nahrungsmittel enthalten das Biotin in Form von ε-N-Biotinyllysin, auch Biocytin genannt, das heißt an Enzymproteine gebunden.
4.25
Strukturformel des Biotins
Bei der Bildung des Holoenzyms der Biotin-abhängigen Carboxylasen kommt zwischen der ε-Aminogruppe eines Lysylrestes im aktiven Zentrum und dem Biotin eine kovalente Säureamidbindung zustande. Bei allen Carboxylierungen bildet das System Bicarbonat/ATP den Carboxyl-Donator. Die Reaktionsfolge ist in Abbildung 4.26 dargestellt. Im ersten Schritt erfolgt die Carboxylierung des Biotins zu Carboxybiotin, im zweiten wird der aktivierte Carboxylrest auf das Substrat übertragen. Es gibt vier Biotin-abhängige Carboxylierungen, die im Intermediärstoffwechsel von großer Bedeutung sind: 1. Durch die Pyruvat-Carboxylase-Reaktion wird als einleitende Reaktion der Gluconeogenese das Pyruvat in Oxalacetat überführt (Abschnitt 9.3.3). 2. Durch die Acetyl-CoA-Carboxylase entsteht das Malonyl-CoA, das bei der Fettsäuresynthese zur Kettenverlängerung um zwei C-Einheiten dient (Abbildung 4.26). Die Bildung von Malonyl-CoA ist der entscheidende Schritt der Fettsäuresynthese.
256
4.26
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Biotin-abhängige Carboxylierung von Acetyl-CoA zu Malonyl-CoA
3. Die Propionyl-CoA-Carboxylase katalysiert den ersten Schritt zur Einführung von Propionyl-CoA in den Tricarbonsäurecyclus (Abbildung 4.23) 4. Die β -Methylcrotonyl-CoA-Carboxylase spielt beim Abbau von Leucin (Abschnitt 9.4.3.3) und einigen Isoprenoid-Abkömmlingen eine Rolle.
4.4.2.8
Die Pantothensäure ist Baustein des Coenzym A
Die Pantothensäure ist eine Verbindung aus β-Alanin und aus 2,4-Dihydroxy-3,3-dimethylbutyrat, auch Pantoinsäure genannt (Abbildung 4.27) Die Pantothensäure ist Bestandteil des Coenzym A, das im Stoffwechsel jeder Zelle durch Kopplung mit ATP und Cystein synthetisiert wird. Coenzym A, dessen Strukturformel in Abbildung 4.27 dargestellt wird, ist ein wichtiger Cofaktor zahlreicher Reaktionen im Intermediärstoffwechsel, unter anderem im Tricarbonsäurecyclus, bei der Fettsäure-, Cholesterin- und Ketonkörpersynthese sowie bei Acetylierungen. Die Rolle des Coenzym A ist in der Aktivierung von Metaboliten zu sehen, die an die endständige SH-Gruppe des Coenzyms unter Ausbildung eines Thioesters angelagert werden. Wegen der Bedeutung der SH-Gruppe für die Metabolitaktivierung wird für das Coenzym A auch die Abkürzung CoA-SH benutzt. Die Hydrolyse von Thioestern liefert etwa genau so viel Energie wie die ATP-Spaltung. Eine besonders wichtige CoA-abhängige Reaktion ist die Aktivierung des Acetylrestes zu Acetyl-CoA, das als zentrale Verbindung des gesamten Intermediärstoffwechsels bezeichnet werden kann (Abschnitt 5.2), indem es die katabolen Prozesse mit der
4.27
Strukturformel der Pantothensäure und des Coenzym A
4 Die Nährstoffe
257
Gewinnung von biochemischer Energie verbindet. Als 4-Phosphopantethein ist die Pantothensäure auch prosthetische Gruppe des Acylcarrierproteins, das eine Domäne der Fettsäuresynthase darstellt (Abschnitt 10.2.1.1).
4.4.2.9
Das Vitamin C hat die Funktion eines Redox-Systems
Die Bezeichnung Vitamin C wird synonym mit Ascorbinsäure verwendet. L-Ascorbinsäure ist ein 2,3-Endiol-L-Gulonsäure-γ-Lacton, die Dehydroascorbinsäure ein 2Oxo-L-Gulonsäure-γ-Lacton (Abbildung 4.28). Die radikalische Zwischenstufe wird Semidehydroascorbinsäure genannt. Die drei Formen bilden ein reversibles RedoxSystem. Im Verlauf der Evolution verloren der Mensch und einige weitere Wirbeltiere infolge einer Genmutation die Fähigkeit, Ascorbinsäure aus Glucose zu synthetisieren. Die biochemischen Funktionen der Ascorbinsäure lassen sich in drei Kategorien einteilen: Sie wirkt als Antioxidans, als Elektronendonator und als „Schutzfaktor“. Die exakte Abgrenzung dieser Funktionen ist oft schwierig. Ascorbinsäure wirkt als wasserlösliches Antioxidans, das zur Ein-Elektronenübertragung befähigt ist. Besondere Bedeutung dürfte die antioxidative Wirkung der Ascorbinsäure bei der Eliminierung von Lipid-Peroxidradikalen unter Einbeziehung von Vitamin E haben. H
H
O
O
H O
+e–, –H+ O
O
CH
CH2OH
–e–, +H+ O
O
O
OH
L-Ascorbinsäure
4.28
O
+e–, –H+ CH
CH2OH
OH
L-Semidehydroascorbinsäure
O
–e–, +H+ O
O
CH
CH2OH
OH
L-Dehydroascorbinsäure
Die Ascorbinsäure als Redox-System
Außer diesem allgemeinen antioxidativen Effekt hat die Ascorbinsäure auch spezifische Wirkungen bei enzymatischen Reaktionen, die in Abwesenheit von Vitamin C nicht oder nur außerordentlich langsam ablaufen. Tabelle 4.8 enthält eine Liste derartiger Reaktionen. Sie lassen sich in zwei Gruppen einteilen: In die erste Gruppe gehören enzymatische Reaktionen, die mit der Kollagen- und der Carnitinbiosynthese im Zusammenhang stehen und neben O2 auch α-Ketoglutarat als Cosubstrat benötigen. Man nimmt an, dass die Ascorbinsäure bei diesen vier Hydroxylase-Reaktionen eine Schutzfunktion ausübt, indem sie die Oxidation des Fe2+ verhindert. Die Bedeutung dieser spezifischen Funktion wird deutlich, wenn man in Betracht zieht, welche gravierenden Symptome bei Vitamin C-Mangel im Bindegewebsstoffwechsel auftreten. Zur zweiten Gruppe gehören die durch die Dopamin-β-Monooxygenase, die 4-Hydroxypyruvat-Hydroxylase und die Peptidylglycin-amidierende-Monooxygenase katalysierten Reaktionen. Auch an diesen Katalysen sind Schwermetalle beteiligt. Die Ascorbinsäure dürfte in diesem Fall die Rolle eines Elektronendonators spielen, da sie in einem stöchiometrischen Verhältnis zum hydroxylierten Substrat verbraucht wird.
258
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 4.8: Enzymatische Reaktionen mit Ascorbinsäure als Cofaktor Enzymatische Reaktion
Cosubstrate/Metalle
Biologische Bedeutung
Hydroxylierung von Prolin (2 Enzyme)
O2/α-Ketoglutarat/Fe2+
Biosynthese von Kollagen
O2/α-Ketoglutarat/Fe2+ O2/α-Ketoglutarat/Fe2+
Biosynthese von Kollagen
Hydroxylierung von Dopamin
O2/Cu2+
Biosynthese von Noradrenalin
Hydroxylierung von 4-Hydroxyphenylpyruvat
O2/Fe2+
Abbau von Tyrosin
Amidierung von Peptiden mit C-terminalem Glycin
O2/Fe2+
Synthese von Peptidhormonen mit Cterminalem Glycin
Hydroxylierung von Lysin Hydroxylierung von Trimethyllysin
Biosynthese von Carnitin
4.5 Die Mineralstoffe werden auch als anorganische Nährstoffe bezeichnet Die Begriffe Mineralstoffe und anorganische Nährstoffe werden in der Ernährungsphysiologie meistens synonym verwendet. Mit beiden Bezeichnungen versucht man diese Nährstoffe von denen abzugrenzen, die – wie die Kohlenhydrate, Lipide und Proteine – mit der Nahrung als organische Verbindungen aufgenommen werden und als solche ihren Funktionen im Organismus genügen. Tatsächlich ließe sich der Bedarf an Mineralstoffen grundsätzlich auch mit anorganischen Salzen decken; sie wären für die zahlreichen Aufgaben, die sie im Stoffwechsel ausüben, verwertbar. Alleinige Ausnahme dürfte das Cobalt sein, das – soweit bekannt – im menschlichen Stoffwechsel einzig und allein im Vitamin B12 eine Funktion hat (Abschnitt 4.4.2.6) und dessen Einbau in das Corrin-Ringsystem bei höheren Lebewesen nicht möglich ist. Pflanzliche und tierische Lebensmittel enthalten die Mineralstoffe allerdings nur zum Teil als anorganische Verbindungen. Dies trifft zweifelsohne für das Natrium und das Chlorid zu, die in der Nahrung vor allem als Kochsalz, das heißt in anorganischer Form vorhanden sind. Eisen und Zink kommen dagegen in den Lebensmitteln fast ausschließlich als Bestandteile organischer Komplexe vor; das Eisen zum Beispiel als Zentralatom des Hämoglobins und sonstiger Porphyrine, das Zink an zahlreiche organische Liganden gebunden. Die Liste ließe sich fortsetzen. Es ist also Ansichtssache, ob man die Mineralstoffe als anorganische Nährstoffe ansieht und sie auch so bezeichnet, oder sie unter dem ebenfalls nicht sehr eindeutigen Begriff Mineralstoffe zusammenfasst. Im Gegensatz zu den organischen Makronährstoffen – den Kohlenhydraten, Lipiden und Proteinen – werden die Mineralstoffe als solche im eigentlichen Sinne nicht verstoffwechselt. Charakteristisch für sie ist vielmehr, dass sie je nach physiologischem Zustand des Organismus eventuell in größeren Mengen deponiert, aus den Depots freigesetzt und zwischen verschiedenen Kompartimenten verschoben werden. Manche von
4 Die Nährstoffe
259
ihnen wechseln die Liganden, mit denen sie interagieren. Es wäre zutreffender statt über Mineralstoffwechsel über Mineralstoffumsatz* zu sprechen. Ein Umsatz an Mineralstoffen besteht insofern, als sie über mehrere Wege ausgeschieden werden, und die Verluste durch alimentäre – eventuell auch nicht alimentäre – Zufuhr zu ersetzen sind. Der Körperbestand muss nämlich, in einer für jeden Mineralstoff charakteristischen Höhe, aufrechterhalten werden. Die Homöostase der meisten essentiellen Mineralstoffe wird durch Hormone garantiert. Dieser Aspekt wurde bereits bei den entsprechenden Hormonen ausführlich behandelt (siehe insbesondere die Abschnitte 1.4.5.2 bis 1.4.5.5).
4.5.1 Nur etwa ein Viertel der Elemente des Periodensystems sind „Bioelemente“ Von den mehr als 100 Elementen des Periodensystems wurden im Verlauf der Evolution 21 – eventuell auch einige mehr – als solche ausgewählt, die für den Ablauf des Stoffwechsels des Menschen benötigt werden. Diese Bioelemente sind in Abbildung 4.29 im Periodensystem der Elemente gekennzeichnet. Die Frage, weshalb bestimmte Elemente für den Aufbau und den Betrieb lebender Systeme geeignet sind und andere nicht, ist eine bereits lange diskutierte Frage der Evolutionsbiologie. Vier der Bioelemente, der Kohlenstoff, der Wasserstoff, der Sauerstoff und der Stickstoff, sind bekanntlich Bausteine organischer Moleküle, das heißt der Kohlenhydrate, der Lipide, der Proteine, der Nucleinsäuren und vieler anderer mehr sowie des Wassers. Hauptsächlich aus diesen besteht die gesamte Biomasse der Erde. Der Entstehung der belebten Materie aus diesen Elementen galt seit jeher das Interesse der Evolutionsbiologen. Es wurden plausible Theorien entwickelt und deren Gültigkeit in Laboratorien geprüft. 2 He
1
1 H
2
3 Li
4 Be
5 B
6 C
7 N
8 O
9 F
10 Ne
3
11 Na
12 Mg
13 Al
14 Si
15 P
16 S
17 Cl
18 Ar
4
19 K
20 Ca
21 Sc
37 Rb 55 6 Cs
38 Sr
39 Y
33 As 51 Sb
34 Se 52 Te
35 Br 53 I
36 Kr 54 Xe
83 Bi
84 Po
85 At
86 Rn
5
7 87 Fr
24 Cr
25 Mn
26 Fe
42 Mo
43 Tc
56 57-71 72 73 74 Ba La* Ta W Hf 88 89-103 * Lanthaniden Ra Ac** **Actiniden
75 Re
22 Ti 40 Zr
23 V 41 Nb
Grundbausteine organischer Verbindungen
4.29
28 Ni 46 Pd
29 Cu 47 Ag
30 Zn 48 Cd
31 Ga
44 Ru
27 Co 45 Rh
49 In
32 Ge 50 Sn
76 Os
77 Ir
78 Pt
79 Au
80 Hg
81 Tl
82 Pb
Mengenelement
essentielle Spurenelemente
möglicherweise essentielle Spurenelemente
Die Bioelemente im Periodensystem
* Es ist insbesondere in der populärwissenschaftlichen Literatur üblich, auch den Ausdruck „Mineralhaushalt“ zu verwenden.
260
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Alle anderen Bioelemente des Periodischen Systems werden zu den Mineralstoffen gerechnet. Es hat sich eingebürgert, die Mineralstoffe ausschließlich nach quantitativem Aspekt in die Kategorie der Mengenelemente (Makroelemente) und der Spurenelemente (Mikroelemente, Oligoelemente) einzuteilen*. Als Mengenelemente werden jene bezeichnet, an denen der Tagesbedarf über 100 mg liegt. Entsprechend liegt die empfohlene tägliche Zufuhr bei den Spurenelementen unter 100 mg. Zur Grenzziehung zwischen Mengen- und Spurenelementen kann man auch den Gesamtkörperbestand eines Erwachsenen verwenden. Beträgt dieser bei einem 70 kg schweren Mann mehr als 10 g, so handelt es sich um ein Mengenelement, bei weniger als 10 g um ein Spurenelement. Der Eisenbestand wird mit 4 bis 5 g beziffert; Eisen gehört also zu den Spurenelementen. Die rein quantitative Einteilung der Mineralstoffe in Mengen- und Spurenelemente sagt nichts über deren Funktion aus. Zu den Mengenelementen – die ausnahmslos essentiell sind – zählen die Alkalimetalle Natrium und Kalium sowie die Erdalkalimetalle Calcium und Magnesium, die Nichtmetalle Phosphor, Schwefel und Chlor. Ob man Schwefel zu den Mineralstoffen zählt oder zur Gruppe der Elemente, die Bausteine organischer Verbindungen sind, ist Ansichtssache. Der Schwefel wird fast ausschließlich mit der Sulfhydrylgruppe schwefelhaltiger Aminosäuren aufgenommen. Im Stoffwechsel entsteht daraus allerdings auch anorganischer Schwefel in Form von SO42–, das bei verschiedenen Konjugationsreaktionen weiter verwendet werden kann. Die im Periodensystem markierten Spurenelemente gehören zwei Untergruppen an: 1. Spurenelemente, deren essentieller Charakter zweifelsfrei feststeht und 2. solche, bei denen Hinweise auf ihre Lebensnotwendigkeit gefunden wurden, ohne dass diese einwandfrei bewiesen wäre. Essentiell ist bekanntlich ein Nährstoff dann, wenn er bestimmte molekular definierte, biochemische Effekte ausübt, bei denen er durch keine andere Substanz ersetzt werden kann. Den essentiellen Charakter eines Spurenelementes zweifelsfrei nachzuweisen, bereitet besondere Schwierigkeiten, die vor allem darin liegen, dass die Mengen, die eine biologische Wirkung ausüben, außerordentlich gering sind. Eine Kontamination mit derartigen Spurenstoffen, die ubiquitär sind, ist nur unter extrem sauberen experimentellen Bedingungen zu vermeiden. Weiter kompliziert wird der Nachweis der Essentialität durch die schwierige Analytik der Spurenelemente. Erschwerend wirkt auch, dass die biochemische Wirkung der Spurenelemente in manchen Fällen speziesspezifisch ist. Somit können im Tierversuch gewonnene Ergebnisse nicht ohne weiteres auf den Stoffwechsel des Menschen übertragen werden. Andererseits lassen sich am Menschen schon aus ethischen Gründen keine Untersuchungen über die metabolische Rolle von Spurenstoffen durchführen. Dadurch ist es zu erklären, dass über die Essentialität einer Reihe von Spurenelementen keine eindeutige, experimentell gesicherte Aussage getroffen werden kann. Es ist jedoch zu erwarten, dass mit dem Fortschritt der experimentellen Techniken – insbesondere neuartiger Methoden – Klarheit über den essentiellen beziehungsweise nicht-essentiellen Charakter der heute als „möglicherweise essentiell“ eingestuften Spurenelemente geschaffen werden kann. Es ist auch durchaus denkbar, dass sich die Anzahl der möglichen „Kandidaten“ der Essentialität noch vergrößert. Als essentiell gelten nach heutiger Auffassung zehn Spurenelemente: Eisen, Zink, Kupfer, Mangan, Molybdän, Selen, Chrom, Cobalt, Jod und Fluor. Aufgrund von in vitro Untersuchungen und Tierexperimenten wird die Essentialiät folgender weiterer * Die häufg verwendete Einteilung in Mineralstoffe und Spurenelemente ist grundsätzlich abzulehnen, da dabei das Einteilungsprinzip gewechselt wird (Mineralstoff, das heißt anorganisch versus Spurenelement, das heißt Menge!).
4 Die Nährstoffe
261
Spurenelemente als wahrscheinlich angenommen: Vanadium, Nickel, Aluminium, Silicium, Zinn, Arsen. Es werden mehrere Theorien diskutiert, um zu erklären, weshalb sich einige Elemente im Verlauf des Evolutionsprozesses als Bioelemente bewährt haben, andere hingegen nicht. Bekanntlich entstand das Leben sehr wahrscheinlich im Meer. Die hohe Verfügbarkeit bestimmter Elemente in diesem Milieu war sicherlich ein Selektionskriterium. Wie Tabelle 4.9 ausweist, ist die Konzentration der Mengenelemente im Meerwaser – mit Ausnahme des Phosphors – hoch. Sie boten sich daher als Bioelemente an. Da sie sich wohl als solche bewährt haben, wurden sie beim allmählichen Aussiedeln von Lebewesen auf das Festland als Mengenelemente „mitgenommen“. Die Verfügbarkeit war nur eines der Auswahlkriterien für die Bioelemente. Die Weiterentwicklung der Lebewesen stellte sicherlich wachsende Anforderungen an die Katalyse. Zunächst handelte es sich wahrscheinlich um eine einfache Metallkatalyse. Deren Effizienz kann um mehrere Größenordnungen gesteigert werden, wenn das Metall über eine organische Verbindung koordiniert wird. Abbildung 4.30 macht dies am Beispiel des Häm-haltigen Enzyms Katalase (Abschnitt 1.2.5.1; Gleichung 1.3) deutlich. Die Intensität der Katalyse durch das dreiwertige Eisen des Ferrihydroxyds lässt sich um drei Zehnerpotenzen erhöhen, wenn das Eisen in den Porphyrinring des Häms integriert wird. Um weitere sieben Zehnerpotenzen lässt sich die Umsatzrate steigern, wenn sich das Häm im aktiven Zentrum der Katalase befindet. Voraussetzung für eine derartig spektakuläre Verbesserung der katalytischen Wirksamkeit eines Spurenmetalls ist, dass das betreffende Element die Fähigkeit besitzt, mit organischen Liganden Komplexe zu bilden. Diese Eigenschaft weisen die Übergangsmetalle auf, insbesondere Eisen und Zink. Vor etwa zwei Milliarden Jahren häufte sich der Sauerstoff zunehmend in der bis dahin reduzierenden Erdatmosphäre an. Evolutionär erfolgreiche Lebewesen entwickelten effektive aerobe Stoffwechselwege. Eine besondere Bedeutung errangen unter diesen Bedingungen Elemente, die zu Interaktionen mit Sauerstoff befähigt waren. Diese finden sich in der Reihe der Übergangselemente. Eisen zum Beispiel, das häufigste Übergangselement der Erde, nimmt als Hämoglobin-Eisen am Transport von Sauerstoff im Blut teil (Abschnitt 8.4.2) und ist Bestandteil zahlreicher elektronenübertragender Proteine.
Tabelle 4.9: Konzentration von Mengen- und Spurenelementen im Meerwasser (in mmol × L–1) Mengenelemente
Spurenelemente
Chlor
536
Silicium
0,107
Selen
0,00005
Natrium
456
Fluor
0,068
Kupfer
0,00005
56
Chrom
0,001
Mangan 0,00004 Cobalt
Magnesium Schwefel
(SO2– 4 )
Calcium Kalium Phosphor
(HPO42–)
28
Jod
0,0005
10
Eisen
0,0002
9,7
Zink
0,00016
0,001
Molybdän
0,00011
0,00001
262
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
CH3 H
H O
H H
CH3 H
O
O
HC
H
Fe3+
CH N
H3C N -
H
O
O
H
H
O H
CH
CH2
OOC
H
CH3
Fe
CH2
N CH
N CH
HC
CH3
H
CH2
Ferri-Ion in wässriger Lösung v = 10–5 mmol × sec–1 bei 0 °C
CH3
CH2 -
COO
Häm v = 10–2 mmol × sec–1 bei 0 °C
HN
C
C
C
N
H
H N
N
(Häm)
N
N
Protein
Fe
H HN
C
N
C
C
H
Katalase v = 105 mmol × sec–1 bei 0 °C 4.30
Vergleich der katalytischen Effizienz von Fe3+, Häm und Katalase
4.5.2 Die Mineralstoffe haben strukturbildende, katalytische und regulatorische Funktionen Tabelle 4.10 bietet einen stichwortartigen Überblick über die wichtigsten physiologisch-biochemischen Funktionen der Mengenelemente. Viele dieser Funktionen sind an entsprechenden Stellen im Zusammenhang mit dem Zellstoffwechsel bereits im er-
4 Die Nährstoffe
263
Tabelle 4.10: Die wichtigsten physiologisch-biochemischen Funktionen der Mengenelemente Element (chem. Zeichen)
Körperbestand g × 70 kg–1
Funktionen
Calcium (Ca)
1 000 bis 1 200
90 % Hartgewebe (Apatit); Reizübermittlung (Muskel; Neuronen); Stabilisierung von Biomembranen; Signaltransfer (third messenger); enzymatische Katalyse (z. B. Calcium/Calmodulin-Kinasen)
Phosphor (P)
500 bis 800
ca. 80 % Hartgewebe (Apatit); organische P-Verbindungen (Nucleinsäuren, Phosphoproteine, Phospholipide, „aktivierte“ Metaboliten)
Magnesium (Mg)
20 bis 30
95 % intrazellulär; enzymatische Katalyse (P-Gruppenübertragung, ATP2–Mg2+Komplex)
Schwefel (S)
-
als SH-Gruppe von Cys und Meth in Redox-Systemen (SH i S=S); als SO42– in sulfatierten Mucopolysacchariden, Cerebrosiden; Konjugation bei Entgiftungsreaktionen
Natrium (Na)
ca. 100
Hauptkation des Extrazellulärraumes; Bioelektrizität; Osmoregulation
Kalium (K)
ca. 150
Hauptkation des Intrazellulärraumes; Bioelektrizität; Osmoregulation; enzymatische Katalyse
Chlor (Cl)
80 bis 100
Hauptanion des Extrazellulärraumes (enge Verbindung mit Na); Bioelektrizität; Osmoregulation; Magen-Salzsäure
sten Teil des Lehrbuches ausführlich besprochen worden. Weiterhin sei insbesondere auf die Abschnitte 8.3.5 bis 8.3.9 verwiesen, in denen auf die Aufgaben der Elektrolyte im Blutplasma detailliert eingegangen wird. Die Tabelle 4.11 enthält eine Aufstellung über die wesentlichen biochemischen Funktionen der essentiellen Spurenelemente. Manche dieser Wirkungen sind ebenfalls im Zusammenhang mit dem Stoffwechsel erörtert worden. Es sei beispielsweise an die Funktion des Eisens beim Sauerstofftransport erinnert.
264
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 4.11: Die wichtigsten physiologisch-biochemischen Funktionen der essentiellen Spurenelemente Element (chem. Zeichen)
Körperbestand mg × 70 kg–1
Funktionen
Eisen (Fe)
4 000 bis 5 000
O2-Transport (Hämoglobin); ElektronenTransfer
Zink (Zn)
1 500 bis 2 500
enzymatische Katalyse (> 300 Enzyme); Stabilisierung biologischer Membranen; in DNA-bindenden Proteinen („Zn-Finger“); Speicherung von Insulin
Kupfer (Cu)
75 bis 150
enzymatische Katalyse; ElektronenTransfer; Interaktion mit Fe
Mangan (Mn)
12-20
enzymatische Katalyse
Selen (Se)
14-30
als Selenocystein in Glutathionperoxidase u. Typ I-Thyroxin-5⬘-Dejodase; antioxidatives Schutzsystem
Molybdän (Mo)
5,0 bis 9,3
Enzymatische Katalyse; ElektronenTransfer
Jod (J)
12 bis 20
Schilddrüsenhormone (T3 und T4)
Cobalt (Co)
1 bis 2
Vitamin B12 (Cobalamin)
Chrom (Cr)
0,6 bis 1,4
Glucose-Toleranzfaktor (Cr3+); Cofaktor bei Insulin/Insulin-Rezeptor-Wechselwirkung
2,6 bis 6,5
Mineralisierung der Zahnhartsubstanz
Fluor (F)
4.6 Das Wasser ist ebenfalls ein essentieller Nährstoff Die Biomoleküle lebender Zellen existieren und reagieren fast ausschließlich in einem wässrigen Milieu. Dank der Polarität des Wassermoleküls lösen sich Kristallgitter in diesem Medium leicht auf, und die entstandenen Ionen umgeben sich mit einer Hydrathülle. Als Konsequenz bewegen sich Ionen in wässrigen Lösungen beinahe unabhängig voneinander, wodurch sich ihre Reaktionsfähigkeit stark erhöht. Das Wasser modifiziert auch die Eigenschaften von Makromolekülen, wie Nucleinsäuren, Proteinen und Kohlenhydraten, indem es mit den polaren funktionellen Gruppen dieser Moleküle leicht spaltbare Wasserstoffbrücken bildet. Durch diese Interaktion ändert sich die Konformation von Biomolekülen in zahlreichen Fällen so, dass damit die räumliche Voraussetzung für das Zustandekommen biochemischer Reaktionen geschaffen wird. Auch die hydrophobe Wechselwirkung unpolarer Moleküle, wie der Lipide, mit dem Wasser ist eine Grundvoraussetzung für viele ihrer biologischen Funktionen. Eine elementare Rolle spielen solche hydrophobe Interaktionen bei der Selbstorganisation
4 Die Nährstoffe
265
biologischer Strukturen, beispielsweise der Faltung von Nucleinsäuren und Proteinen, sowie bei der Bildung von Quartärstrukturen. Außerdem tritt das Wasser als Reaktionspartner in zahlreichen biochemischen Reaktionen auf, wozu es durch seine Polarität und seine hohe Konzentration in biologischen Systemen befähigt ist. Die Spaltung kovalenter Bindungen von Biopolymeren durch Wasseranlagerung bei der Hydrolyse ist nur eines der Beispiele. Bei der Umkehr dieser Prozesse, das heißt bei Kondensationsreaktionen, entsteht Wasser. Es ist auch eines der Endprodukte des oxidativen Stoffwechsels. Die Aufrechterhaltung der Konstanz des wässrigen inneren Milieus ist für jede Zelle – und für jeden Organismus – eine absolute Lebensnotwendigkeit und wird durch homöostatische Regelvorgänge gewährleistet. Wasser war wahrscheinlich das Medium, in dem sich Biomoleküle zuerst zu lebenden Systemen organisiert haben, und kein anderes Lösungsmittel könnte bei den Organismen der Erde das Wasser – mit seinen besonderen physikochemischen Eigenschaften – ersetzen. Das Wasser muss daher als essentieller Nährstoff eingestuft werden. Die Befriedigung des Wasserbedarfs hat Vorrang gegenüber der Befriedigung des Bedarfs an sonstigen essentiellen Nährstoffen. Der Mensch kann mehrere wochenlang auf Zufuhr von anderen Nährstoffen verzichten, ein absoluter Mangel an Wasser ist dagegen nur wenige Tage mit dem Leben vereinbar.
4.6.1 Wasseraufnahme und Wasserabgabe müssen im Gleichgewicht stehen Die Wasserbilanz muss – genauso wie die Elektrolytbilanz* – ausgeglichen sein. Obligate und fakultative Wasserverluste müssen innerhalb kurzer Zeit durch Zufuhr einer adäquaten Wassermenge kompensiert werden. Tabelle 4.12 zeigt als Beispiel die Tageswasserbilanz eines Erwachsenen. Sowohl die Posten der Abgabe- als auch die der Aufnahmeseite einer derartigen Bilanz können beträchtlich schwanken. Sie gilt daher nur für die jeweils gewählten Bedingungen. Für das berechnete Beispiel wurde angenommen, dass es sich um die Bilanz einer „Standardperson“ mit einer Körperoberfläche von 1,72 m2 handelt, die sich in einem angenehm temperierten Raum in Ruhe aufhält. Unter diesen Bedingungen beträgt der unvermeidliche Wasserverlust über die Oberfläche der Haut und durch die Atemluft – der als perspiratio insensibilis („unbemerktes Schwitzen“) bezeichnet wird – etwa 840 ml pro Tag. Erhöhte Umgebungstemperatur und körperliche Anstrengung, die mit erhöhter Atemfrequenz und Schweißabsonderung verbunden ist, können diesen Posten, der selbstverständlich auch eine Funktion der Körperoberfläche ist, merklich erhöhen. Auf der Abgabeseite der Bilanz sind noch zwei weitere Posten zu verbuchen: Mit 100 ml ist der Wasserverlust mit den Fäzes eingesetzt und mit 760 ml die Wasserabgabe mit dem Urin. Für die Berechnung des obligaten Urinvolumens wurde die Menge der osmotisch wirksamen Teilchen zugrunde gelegt, die unter den Bedingungen des Beispiels anfallen und als „harnpflichtige“ Substanzen renal ausgeschieden werden müssen (Abschnitt 12.2). Mengenmäßig ins Gewicht fallen der Harnstoff als Endprodukt des Proteinstoffwechsels und das in der Nahrung enthaltene NaCl. Die Kochsalzzufuhr wurde im Beispiel mit 156 mmol NaCl angesetzt und die Kochsalzbilanz als ausgeglichen angenommen. Da die Fähigkeit der Niere, osmotisch wirksame Teilchen zu konzentrieren, * Der Wasserhaushalt ist untrennbar mit dem Elektrolythaushalt verknüpft, der in den Abschnitten 8.36 und 12.2.2.2 behandelt wird.
266
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 4.12: Beispiel einer Tageswasserbilanz Wasserabgabe (ml/Tag)
Wasseraufnahme (ml/Tag)
obligat
obligat
Perspiratio insensibilis
840
Urin
760
Kot obligates Minimum
fakultativ Präformiertes Wasser der Nahrung
750
Oxidationswasser aus der Nahrung
320
100
Trinkwasser
630
1 700
obligates Minimum
1 700
1 000 und mehr
fakultativ
1 000 und mehr
Daten aus: Deetjen, P., Boylan, J.W., Kramer, K. (1976) Niere und Wasserhaushalt 3. Aufl. S. 109
genau limitiert ist (Abschnitt 12.2), bedarf es einer bestimmten Menge an Lösungswasser, die für die Bedingungen des Beispiels mit etwa 760 ml berechnet wurde. Auf der Aufnahmeseite der Bilanz sind 750 ml „präformiertes“ Wasser der Nahrung verbucht. Dabei wird angenommen, dass die Bezugsperson eine Nahrungsmenge von 1,25 kg pro Tag verzehrt und diese Nahrung im Mittel zu 60 % aus Wasser besteht. Bei der oxidativen Verstoffwechselung der Hauptnährstoffe – Kohlenhydrate, Triglyceride und Proteine – ensteht unterschiedlich viel Oxidationswasser: Beim Abbau von 1 g Kohlenhydrat entstehen 0,6 g, von 1 g Triglycerid 1,0 g, und von 1 g Protein – bei Metabolisierung bis zur Stufe des Harnstoffs – 0,4 g Wasser. Für die Berechnung im Beispiel wurde eine Nahrung zugrundegelegt, die aus 300 g Kohlenhydrat, 100 g Triglycerid und 100 g Protein besteht. Die Metabolisierung der Kohlenhydrate liefert also 180 g, der Triglyceride 100 g und der Proteine 40 g Oxidationswasser. Damit beide Seiten der Bilanz ausgeglichen sind, ergibt sich auf der Aufnahmeseite ein obligater Trinkwasserbedarf von 630 ml. Es ist evident, dass beide Seiten der Bilanz auch eine fakultative Komponente enthalten können. Bei hoher Umgebungstemperatur und/oder schwerer körperlicher Aktivität können beträchtliche Mengen an Wasser – im Extremfall bis zu 20 Liter – durch den Schweiß verloren gehen. Zum Bilanzausgleich müssen die Verluste durch vermehrtes Trinken ausgeglichen werden. Andererseits können beträchtliche Mengen an Flüssigkeit auch über den Bedarf hinaus getrunken werden. Zum Bilanzausgleich wird der Überschuss in Form eines verdünnten Urins renal ausgeschieden.
4.6.2 Der Wasserbestand des Organismus ist ungleichmäßig verteilt Ein erwachsener, „normalgewichtiger“ Mensch besteht im Mittel zu etwa 60 % aus Wasser; der Wasserbestand einer 60 bis 70 kg schweren Person beträgt also 36 bis 42 kg. Bereits ein Wasserverlust, der etwa 10 % des Körpergewichtes ausmacht, führt beim Erwachsenen zu schwerwiegenden Stoffwechselstörungen. Ein Verlust von mehr als 20 %
4 Die Nährstoffe
267
ist mit dem Leben nicht vereinbar. Noch wesentlich empfindlicher reagieren Säuglinge und Kleinkinder auf eine unausgeglichene Wasserbilanz. Verschiedenartige Zellen enthalten unterschiedlich viel Wasser. Eine Leberzelle beispielsweise besteht zu etwa 70 %, eine Fettzelle im Durchschnitt zu 20 % aus Wasser. Noch wesentlich größer ist der Unterschied im relativen Wassergehalt der einzelnen Gewebe des Menschen, da diese bekanntlich verschieden hohe zelluläre Anteile und mit unterschiedlichen Materialien ausgefüllte Zwischenzellräume aufweisen. Es sei beispielsweise auf den sehr hohen extrazellulären Anteil an Calciumsalzen im Knochengewebe hingewiesen. Die Extreme liegen zwischen 0,2 % Wasseranteil im Zahnschmelz und 99 % im Glaskörper des Auges. Das Skelett enthält 20 bis 25 %, das Fettgewebe etwa 30 %, das Muskelgewebe 73 bis 76 % und das Bindegewebe 80 % Wasser, um nur einige Gewebe mit großer Masse zu erwähnen. Die Differenz im relativen Wassergehalt von Fettgewebe und von sonstigen Geweben, die einen wesentlichen Anteil des Körpergewichtes ausmachen, bedingt, dass „große magere“ und „kleine dicke“ Personen erheblich unterschiedliche Wasserbestände aufweisen, wenn man diese auf das Gesamtkörpergewicht bezieht (Abbildung 4.31). Wie aus Abbildung 4.31 ebenfalls zu ersehen ist, differiert der prozentuale Anteil von Fettgewebe und fettfreier Körpermasse auch bei Männern und Frauen. Daraus folgt, dass auch der prozentuale Anteil des Wassers am Gesamtkörpergewicht bei den Geschlechtern unterschiedlich ist. Der Anteil des Wassers am Gesamtkörpergewicht des Menschen nimmt im allgemeinen mit steigendem Lebensalter ab. Als Durchschnittswerte nimmt man für den „normalgewichtigen“ erwachsenen Mann einen Wasseranteil von 60 %, für einen nicht adipösen Greis von 55 %, für die erwachsene „normalgewichtige“ Frau von 50 %, und für den reifen Neugeborenen von 75 % an. Das Wasser verteilt sich auf zwei Hauptflüssigkeitsräume: den Intrazellulärraum (IZF = Intrazellulärflüssigkeit) und den Extrazellulärraum (EZF = Extrazellularflüssigkeit). Die EZF bildet wiederum zwei Teilkompartimente: die interstitielle Flüssig-
Frauen
Fett
Fett
22%
18% 32%
42%
16%
Fett
"klein/dick"
Wasser
sonstigeTrockensubstanzen
Wasser
60%
50%
25% 20
Fett
70% 40
sonstigeTrockensubstanzen
60
"groß/schlank"
"klein/dick"
Wasser
80
sonstigeTrockensubstanzen
"groß/schlank” Wasser
100
sonstigeTrockensubstanzen
Männer
42%
18% 5%
4.31
Prozentualer Anteil von Wasser, Fett und sonstigen Trockensubstanzen (Proteine, Kohlenhydrate, Nucleinsäuren u. a.) am Gesamtkörpergewicht in Abhängigkeit von Geschlecht und Konstitution
268
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
keit und die intravasale Flüssigkeit. Die interstitielle Flüssigkeit füllt die Zellzwischenräume (Interstitium) aus und umgibt die Zellen mit einem Flüssigkeitsmantel, der als „inneres Milieu“ aufgefasst werden kann. Die intravasale Flüssigkeit befindet sich als Plasmawasser im Blutgefäßsystem. Wie aus Abbildung 4.32 hervorgeht, ist der prozentuale Anteil des intrazellulären Wassers und des Plasmawassers am Gesamtwasserbestand beim Erwachsenen und Kleinkind gleich, während der interstitielle Anteil beim Kleinkind mit 25 % erheblich größer ist als beim Erwachsenen mit 15 %. Der „Wasserreichtum“ des Kleinkindes ist somit auf den höheren interstitiellen Raum zurückzuführen. 100
Erwachsener
Kleinkind
90
Prozent der Körpermasse
80 70 60 50
Plasma
5%
Interstitium
25%
Plasma
5%
Interstitium
15%
40 30 20 10
intrazellulär
40%
intrazellulär 40%
4.32
Wasserverteilung auf die Flüssigkeitsräume beim Kleinkind und beim Erwachsenen in Prozent des Körpergewichtes. Der Wasseranteil der Gesamtkörpermasse wurde beim Kleinkind mit 70 %, beim Erwachsenen mit 60 % angenommen
Zur EZF wird auch das „transzelluläre Wasser“ des Liquor cerebrospinalis, der Augenkammer sowie des Pleura-, Perikard- und Peritonealraumes gerechnet. Zu diesem Kompartiment wird gelegentlich auch das Wasser im Magendarmtrakt und der ableitenden Harnwege gezählt, dessen Menge starken Schwankungen unterliegt. Dies ist insofern nicht korrekt, als diese Kompartimente im strengen Sinne Extrakorporalräume sind. Zwischen den einzelnen Flüssigkeitsräumen findet ein ständiger Wasseraustausch statt, der – wie Abbildung 4.33 zeigt – zwischen dem Intrazellulärraum und dem interstitiellen Raum, sowie zwischen dem interstitiellen und dem intravasalen Raum in beiderlei Richtungen erfolgen kann. Über den Magendarmtrakt, als Vermittler zwischen dem Innen- und Außenraum des Körpers, wird Wasser dem intravasalen Raum zugeführt und von dort auch in den Magen und Darm abgegeben. Über Haut, Lunge und Niere ist der Flüssigkeitsstrom unidirektional und das Wasser wird extrakorporal eliminiert. Osmotische Gradienten zwischen Extra- und Intrazellulärraum können nur kurzfristig bestehen. Die Dehydratation des Extrazellulärraumes führt daher zwangsläufig auch zu Wasserverlusten der Zelle. Erwartungsgemäß beeinträchtigt dies die Stoffwechselprozesse jeder Zelle. Am stärksten betroffen ist jedoch die Funktion der Zellen des ZNS, was sich in den bekannten neurologischen Erscheinungen bei starker Dehydratation – Lethargie, Krämpfe und schließlich Koma – manifestiert. Die Zellen besit-
4 Die Nährstoffe
269
Magen
Haut Lunge
Darm
intravasal 8%
Niere
interstitiell 28 %
intrazellulär 64 %
4.33
Wasseraustausch zwischen den Flüssigkeitsräumen und Wasserabgabe über die Ausscheidungsorgane. Prozente auf den Gesamtwasserbestand bezogen
zen die Möglichkeit, die Wasserverluste durch eine Autoregulation bis zu einem gewissen Grade auszugleichen, indem Elektrolyte, vor allem Kalium und Bicarbonat, aber auch Glucose im Zellinneren zurückgehalten werden. Die so entstandene intrazelluläre Hyperosmolalität bewirkt einen Einstrom von Wasser und damit einen Ausgleich des Zellvolumens.
4.6.3 Die Wasseraufnahme wird durch den Durst gesteuert, die Wasserabgabe hormonell auf renaler Ebene geregelt Wie bereits ausgeführt (Abschnitt 4.6.1), ist es unvermeidbar, dass der menschliche Organismus eine bestimmte Quantität an Wasser abgibt und zum Ausgleich der Bilanz eine ebensolche Menge an Wasser obligat zuführt. Der Bilanzausgleich des essentiellen Nährstoffs Wasser muss sehr präzise gesteuert werden. Auf der Aufnahmeseite erfolgt die Steuerung durch den Durst und unterscheidet sich prinzipiell von der auf der Abgabeseite der Bilanz, wo die Wasserausscheidung auf der Ebene der Niere hormonell geregelt wird. Um den Akt der Flüssigkeitsaufnahme in Gang zu bringen, muss das ZNS über den Wassermangel informiert werden. Dies geschieht über das Gefühl von Durst. Der Begriff Durst bezeichnet eine Allgemeinempfindung, die bei negativer Wasserbilanz auftritt und mit dem Verlangen Flüssigkeit aufzunehmen verbunden ist. Ähnlich dem Hunger kann auch der Durst keinem bestimmten Sinnesorgan oder Körperstruktur zugeordnet werden. Trockenheit von Mund und Kehle wird zwar gelegentlich mit dem Gefühl von Durst in Verbindung gebracht. Diese Sensation kann jedoch aus verschiedenen Gründen auch auftreten, ohne dass die Flüssigkeitsbilanz negativ wäre, und hat mit dem physiologisch als Wassermangel definierten Durst nichts zu tun.
270
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Der Durst tritt als Empfindung ins Bewusstsein, wenn die Durstschwelle überschritten wird, das heißt, wenn der Wasserverlust etwa 0,5 % des Körpergewichtes, beziehungsweise etwa 350 ml überschreitet. Die Existenz dieser physiologischen Durstschwelle soll wahrscheinlich verhindern, dass bei jedem geringgradigen Wasserverlust ein Trinkbedürfnis entsteht. An sich ist die Menge der aufgenommenen Flüssigkeit von geringer Bedeutung, sobald der Bilanzausgleich hergestellt ist. Der Überschuss wird durch die Niere eliminiert. Dennoch wird auch für die Wasseraufnahme ein Sollwert postuliert, da übermässiges Trinken – schon wegen der Notwendigkeit der Ausscheidung des Überschusses – als physiologisch ineffizient angenommen wird. Zwei physiologische Variablen sind für die Steuerung des Flüssigkeitshaushaltes von Bedeutung: das Volumen des Blutplasmas und die Osmolalität* des Blutplasmas. Beide Variablen werden durch separate, aber miteinander verknüpfte Mechanismen geregelt. Die Änderungen des Blutvolumens werden auf der Niederdruckseite des Kreislaufs registriert – im rechten Vorhof des Herzens und in den Wänden der anschließenden großen Venen –, wo Dehnungsrezeptoren lokalisiert sind. Auf starke Volumenveränderungen können auch arterielle Barorezeptoren im Aortenbogen und im Sinus carotis ansprechen. Diese Signale werden wahrscheinlich an das ZNS weitergeleitet und initiieren die Wasseraufnahme direkt, indem sie Durst auslösen. Die Abnahme des Blutvolumens hat einen weiteren Effekt: Sie führt zur Ausschüttung von Renin und setzt damit die in Abbildung 4.34 dargestellte Folge von Ereignissen in Gang. Das Renin ist ein Enzym, das in den juxtaglomerulären Zellen der Niere synthetisiert und in das Blut sezerniert wird. Das Substrat des Renins ist das Angiotensinogen, ein Glykoprotein, das aus der Leber, möglicherweise auch aus anderen Geweben, stammt und ebenfalls in das Blut abgegeben wird. Das Renin spaltet aus dem Angiotensinogen, ein Peptid aus 14 Aminosäureresten, ein Decapeptid, das Angiotensin I, ab. Dieses ist das Substrat einer weiteren Peptidase, des angiotensin converting enzyme (ACE), das vor allem an den Endothelzellen und glatten Muskelzellen verankert ist. Das ACE spaltet ein Dipeptid vom Angiotensin I ab – vor allem während der Durchströmung der Lunge – wodurch das Angiotensin II entsteht. Dieses Octapeptid, das im Blut zirkuliert, übt einen starken konstriktorischen Effekt auf die Arteriolen aus und steigert so rasch den Blutdruck. Außer der gefäßverengenden Wirkung hat das Angiotensin II noch weitere direkte und indirekte Effekte, die mit dem Wasserhaushalt im Zusammenhang stehen. In erster Linie kontrolliert es die Biosynthese und Sekretion des Aldosterons (Abschnitt 1.4.5.2). Dabei wird die Wirkung des Angiotensin II auf die Zellen der Zona glomerulosa der Nebennierenrinde, die das Mineralocorticoid synthetisieren, durch G-Proteingekoppelte AT1-Rezeptoren vermittelt. Es wird der Phosphatidylinositolcyclus aktiviert und es kommt zu einer erhöhten intrazellulären Calciumkonzentration (Abschnitt 1.1.3.9). Die Wirkung des Aldosterons zielt hauptsächlich auf die corticalen Abschnitte der Sammelrohre der Nierentubuli. Dem molekularen Wirkungsmechanismus der Steroide entsprechend, entfaltet das Aldosteron seine Wirkung im Zellkern, wo es die Transkription spezieller Gene auslöst. Hierdurch kommt es unter anderem zur vermehrten Synthese von Natriumkanalproteinen, die in die apikale Membran der Tubuluszelle integriert werden. Die Rückresorption des Natriums aus dem Sammelrohr wird damit sehr stark gefördert, was einen osmotisch bedingten Wassereinstrom und eine entspre* Konzentration osmotisch wirksamer Teilchen bezogen auf ein kg Wasser.
4 Die Nährstoffe
271
Plasmavolumen Glomerulus Aminosäuren
+ Renin Leber? Aminosäuren
Angiotensinogen
+
Blut
Angiotensin I Lungenblut Angiotensin converting enzyme Angiotensin II NNR Cholesterin
+ Aldosteron
+ Natrium-Rückresorption im distalen Tubulus
Plasmaosmolalität
Hypothalamus AS
+ Adiuretin
+ Wasser-Rückresorption im distalen Tubulus 4.34
Plasmavolumen
Regulation des Wasserhaushaltes durch das Renin-Angiotensin-Aldosteron-AdiuretinSystem. NNR = Nebennierenrinde
272
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
chende Blutdruckerhöhung nach sich zieht. Allein dieses Beispiel zeigt eindeutig, dass der Elektrolyt- und Wasserhaushalt untrennbar miteinander verbunden sind. In den Regelkreis des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems greift der atriale natriuretische Faktor (ANF) im Sinne eines Antagonisten ein. Dieses vor allem im rechten Vorhof des Herzens gebildete Peptidhormon inhibiert in der Niere die Renin-Sekretion und hemmt die Wirkung des Aldosterons. Weiterhin blockiert es in der Nebennierenrinde die durch Angiotensin II induzierte Stimulation der Aldosteron-Sekretion. Weitere Zielzellen des Angiotensin II befinden sich im Gehirn. Über diese kommt es einerseits zur direkten Auslösung von Durst gefolgt von Wasseraufnahme, andererseits zur Stimulierung der Sekretion von Adiuretin (Vasopressin). Damit das im Blut zirkulierende Angiotensin II diese Wirkungen auslösen kann, müssen die Zielzellen in Gehirnbereichen liegen, in denen die Blut-Hirn-Schranke überwunden werden kann. Solche Regionen sind tatsächlich im subfornicalen Organ entdeckt worden. Diese kleine neuronale Struktur, die sich in den dritten Ventrikel erstreckt, wird von fenestrierten Kapillaren versorgt und erlaubt den Durchtritt kleiner Peptide wie den des Angiotensin II. Das subfornicale Organ spricht auf sehr niedrige Angiotensin II-Konzentrationen an. Seine Reaktion wird dem Hypothalamus über Nervenbahnen gemeldet, die ein angiotensinähnliches Molekül als Transmitter verwenden. Demnach übt das gleiche Peptid einerseits die Rolle eines Hormons, andererseits die eines Neurotransmitters aus, um den Wasserhaushalt zu steuern. Das präoptische Areal erhält genauso wie der Nucleus paraventricularis auch Informationen von Barorezeptoren, die zentral und peripher verteilt sind. Die Integration dieser Informationen führt schließlich einerseits zu Wasseraufnahme, die durch Durst stimuliert wird, andererseits zu Wasserretention über die Wirkung des Adiuretins. Das Adiuretin (antidiuretisches Hormon, ADH), ein cyclisches Nonapeptid (Abbildung 4.35), wird in neurosekretorischen Neuronen, die in mehreren paraventrikulären Kernen des Hypothalamus lokalisiert sind, synthetisiert. Das Hormon gelangt mittels H Cys
Tyr Phe
S
Gln
S
4.35
Cys
Asn
Pro
Arg
Gly
NH2
Struktur des antidiuretischen Hormons (Synonyme: Adiuretin, ADH, Vasopressin)
4 Die Nährstoffe
273
Neurophysine als Transportvermittler entlang der Axone in den Hypophysenhinterlappen, wo es gespeichert wird. Primäres physiologisches Signal zur Ausschüttung von Adiuretin ist die erhöhte Plasmaosmolalität. Dieser Stimulus wird durch Osmorezeptoren im Hypothalamus sowie durch Barorezeptoren vermittelt, die im Herz und in verschiedenen Regionen des Kreislaufsystems lokalisiert sind. Das ADH wird bereits bei einem Anstieg der Plasmaosmolalität um ein mosm/kg Wasser vermehrt freigesetzt. Die maximale ADH-Sekretion wird erreicht, wenn die Plasmaosmolalität über 295 mosm × kg–1 Wasser ansteigt. Wie bereits erwähnt, stimuliert auch das Angiotensin II die Ausschüttung des ADH. Acetylcholin und Nicotin erhöhen ebenfalls die Sekretion, während Ethanol sie hemmt. Zielorgan des Adiuretin (ADH) ist ebenfalls die Niere, wo es die Wasserresorption im Sammelrohr fördert. Der Wirkungsmechanismus des ADH bei diesem Prozess ist in Abbildung 4.36 dargestellt. Die apikale Membran der Epithelzellen, die das Sammelrohr zum Tubuluslumen hin auskleiden, ist im unstimulierten Zustand für das Wasser nicht permeabel. In diesen Epithelzellen befinden sich zahlreiche Vesikel, in deren Membran Wasserkanalproteine (Aquaporine) integriert sind. Bindet von der Blutseite her das ADH an ADH-spezifische V2-Rezeptoren dieser Epithelzellen, wird die Adenylat-Cyclase G-Protein-vermittelt aktiviert. Die Konzentration des cAMP und des intra-
H2 O
H2 O
Sammelrohrzelle
Tubuluslumen
Tubuluslumen
ATP Adenylat cyclase
ADH
ATP Sammelrohrzelle
Adenylat cyclase
ADHRezeptor
cAMP Blut
Blut 2+
Ca
"dicht"
Vesikel mit "Wasserkanälen"
2+
Ca
H2 O H2 O
H2 O
Osmolalität
ohne ADH sind die Sammelrohrzellen dicht für Wasser
4.36
Osmolalität
Kanalproteine ermöglichen Wassereinstrom in die hypotone Umgebung (Zelle, Interstitium, Plasma)
Wirkungsmechanismus des Adiuretins bei der Rückresorption von Wasser durch das Sammelrohr der Niere
274
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
zellulären Calciums steigt an, was zur Fusion der Vesikel mit der apikalen Membran führt. Die Wasserkanalproteine werden in die Membran integriert, und es kommt zu einer dramatischen Erhöhung der Wasserrückresorption. Dieser Vorgang dauert so lange an, bis der Urin die maximale osmotische Konzentration von 1 200 mosm× kg–1 erreicht. Es wird angenommen, dass nicht nur Signale existieren, die das Trinken auslösen, sondern auch solche, die das Beenden der Wasseraufnahme veranlassen. Für ihre Existenz spricht die Tatsache, dass der Trinkakt, der beispielsweise durch ein Absinken des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens ausgelöst wurde, beendet wird, lange bevor der Volumenmangel ausgeglichen ist. Möglicherweise wird durch dieses Verhalten einer Hyperhydrierung vorgebeugt, da die Resorption des Wassers gegenüber der Wasserzufuhr durch das Trinken zeitlich erheblich verzögert ist. Dieses Phänomen, das wohl eine übermäßige Wasseraufnahme verhindern soll, wird als präresorptive Durststillung bezeichnet. Die dafür verantwortlichen Rezeptoren und Mechanismen sind nicht bekannt. Es scheinen jedoch der Trinkakt selbst und Dehnungsrezeptoren des Magens daran beteiligt zu sein. Erst wenn das Wasser vollständig resorbiert worden ist, wird ein noch vorliegendes Defizit in der Bilanz durch weiteres Trinken ausgeglichen.
5
Die Gewinnung biologischer Energie aus Nährstoffen
Jede Zelle – und somit auch jeder Organismus – braucht Energie um zelltypische Bausteine zu synthetisieren, osmotische Gradienten aufrechtzuerhalten, Substanzen aktiv gegen Konzentrationsgradienten zu transportieren und mechanische Arbeit zu leisten. Die für diese Arbeitsleistungen notwendige Energie muss lebenden Systemen von außen zugeführt werden. Bei autotrophen Organismen geschieht dies hauptsächlich in Form von Sonnenlicht, das heißt als physikalische Energie, die zum Aufbau organischer Substanzen eingesetzt wird. Heterotrophe Organismen sind dagegen auf chemische Energie angewiesen. Höhere Tiere nehmen diese in Form von Nährstoffen aus ihrer Umgebung auf. Die hauptsächlichen Energieträger des menschlichen Stoffwechsels sind – wie bereits erwähnt – die Lipide und Kohlenhydrate der Nahrung. Prinzipiell können auch weitere Moleküle, insbesondere Proteine, zur Energiegewinnung herangezogen werden (Abschnitt 4.3). Sollen die relativ komplexen organischen Moleküle der Nahrung zur Gewinnung von Energie dienen, so müssen sie zu niedermolekularen Produkten abgebaut werden. Die Prozesse, die dabei eingesetzt werden, bilden den katabolen Stoffwechsel. Unter der Bezeichnung anaboler Stoffwechsel werden hingegen jene Vorgänge zusammengefasst, die zum Aufbau und zur Speicherung von Zell- beziehungsweise Körpersubstanz führen. In der Regel entsteht bei katabolen Stoffwechselvorgängen freie Enthalpie. Als freie Enthalpie (freie Energie) ΔG wird der in Arbeit umwandelbare Anteil der Enthalpie bezeichnet. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass der bei chemischen Reaktionen freigesetzte Energiebetrag nicht vollständig zu biochemischer Arbeit genutzt werden kann. Somit kommt es stets zu einem Verlust an Energie in Form von Wärme und Entropie, die in lebenden Organismen nicht in biologisch verwertbare Energie umgewandelt werden können. Wie Abbildung 5.1 deutlich macht, sind der katabole und der anabole Stoffwechsel über den Energiezustand des Systems miteinander verbunden. Der Katabolismus führt zur Umwandlung der höher molekularen Nährstoffe in die energiearmen Endprodukte CO2, H2O und NH3. Gleichzeitig wird biologische Energie in Form von ATP, NADH und NADPH gewonnen. Diese Metaboliten (Energieträger) ermöglichen den Ablauf anaboler Vorgänge, bei denen aus niedermolekularen Vorstufen komplexe Makromoleküle, wie Proteine, Polysaccharide, Lipide und Nucleinsäuren entstehen. Das Umschalten des Stoffwechsels von Katabolismus auf Anabolismus und umgekehrt, ist eine hochkomplexe, regulatorische Leistung des Organismus, die alle Steuerungsmechanismen beansprucht. Verallgemeinernd lässt sich feststellen, dass der aktuelle Vorrat, beziehungsweise Bedarf an biologischer Energie, der zentrale Steuerungsfaktor für das Umschalten zwischen den beiden gegenläufigen Stoffwechselabläufen ist. Der momentane Energiezustand einer Zelle wird als Energieladung (energy charge) bezeichnet. Sie wird durch das Konzentrationsverhältnis der drei Adenosinphosphate ATP, ADP und AMP nach folgender Gleichung charakterisiert:
276
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
energieliefernde Nährstoffe
makromolekulare Bausteine
Kohlenhydrate Fette Proteine
Proteine Lipide Polysaccharide Nucleinsäure
katabol
ADP+HPO 42NAD+ NADP+
anabol
ATP NADH NADPH
Energiegewinnung
energiearme Endprodukte CO2 H2O NH3 5.1
Vorstufen Aminosäuren Fettsäuren Saccharide Stickstoffbasen
Katabole und anabole Stoffwechselwege und ihre Beziehung zur Stoffwechselenergie
E =
[(ATP) + 0,5(ADP)] [(ATP) + (ADP) + (AMP)]
(Gl. 5.1)
wobei E = Energieladung ist. Für den Fall, dass ausschließlich AMP vorhanden ist, ist E = 0. Enthält das System ausschließlich ATP, beträgt der Wert für E = 1. Eine hohe Energieladung hemmt die katabolen Stoffwechselwege über allosterische Beeinflussung von Schlüsselenzymen, zum Beispiel der Phosphofructokinase der Glykolyse (Abschnitt 9.3.3), und aktiviert gleichzeitig die anabolen Stoffwechselwege. In vivo liegt die Energieladung meist um 0,8 und ist in diesem Bereich empfindlich regulierbar.
5 Die Gewinnung biologischer Energie aus Nährstoffen
277
5.1 Beim anaeroben Abbau von Nährstoffen entsteht das ATP durch Substratkettenphosphorylierung Bei der Verstoffwechselung organischer Substrate kann aus Metaboliten, die Phosphat in energiereicher Bindungsform enthalten, direkt ATP gewonnen werden, indem der Phosphatrest auf ADP übertragen wird. Diese Art des ATP-Gewinns wird als Substratkettenphosphorylierung (Substratstufenphosphorylierung) bezeichnet. Das bekannteste diesbezügliche Beispiel ist die ATP-Produktion während des Abbaus von Glucose in der glykolytischen Kette (Abschnitt 9.3.1). Abbildung 5.2 zeigt die Reaktionsfolge der neun enzymatischen Schritte der Glykolyse, wobei die für die Energiebilanz wesentlichen Schritte mit den Buchstaben a bis f bezeichnet werden. Im Schritt a wird zur Aktivierung von Glucose zu Glucose-6-phosphat 1 mol ATP in die Reaktionsfolge eingeführt. Ein weiteres ATP-Molekül muss im Schritt b zur Bildung von Fructose-1,6-bisphosphat zur Verfügung gestellt werden. Im Glucose
ATP
a Glucose-6-phosphat
Fructose-6-phosphat
ATP
b Fructose1,6-bisphosphat
c Dihydroxyacetonphosphat
2x Glycerinaldehyd-3-phosphat 2x Pi
d
2 NADH
2x 1,3-Bisphosphatglycerat e
2 ATP
2x 3-Phosphoglycerat
2x 2-Phosphoglycerat
2x Phosphoenolpyruvat f
2 ATP
2x Pyruvat 5.2
Für die Energiebilanz wesentliche Schritte der glykolytischen Kette
278
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Schritt c entstehen durch Aldolspaltung aus dieser C6-Verbindung zwei phosphorylierte C3-Moleküle. Vom Glycerinaldehyd-3-phosphat führt die Glykolyse dann weiter, nicht jedoch vom Dihydroxyacetonphosphat. Dieses wird durch eine Triosephosphat-Isomerase in Glycerinaldehyd-3-phosphat umgewandelt. Im Schritt d wird das Glycerinaldehyd-3-phosphat unter Bildung von NADH dehydriert. Gleichzeitig wird anorganisches Phosphat in das Molekül eingeführt (Substratkettenphosphorylierung). Das entstandene 1,3-Bisphosphatglycerat enthält eine gemischte Säureanhydridbindung. Die Phosphoglyceratkinase hydrolysiert im Schritt e diese Bindung, womit die Bildung von 1 mol ATP energetisch gekoppelt ist. Im letzten Schritt f der Kette entsteht durch die Pyruvatkinase aus dem Phosphoenolpyruvat, das der Phosphorsäureester der Enolform des Pyruvats ist, das Endprodukt der Kette, das Pyruvat. Die freie Enthalpie dieser Hydrolyse ist sehr hoch und es wird ein weiteres mol ATP gebildet. In der Glykolyse werden pro mol Glucose 2 mol ATP zur Aktivierung eingesetzt und pro C3-Fragment 2 mol ATP – pro mol Glucose also 4 mol ATP – gebildet. Damit wird ein Nettogewinn von 2 mol ATP pro mol Glucose erzielt. Außerdem entstehen noch 2 mol NADH, das bei aerobem Ablauf der Glykolyse als Substrat der oxidativen Energiegewinnung dienen kann (Abschnitt 5.2). Die beschriebene Reaktionsfolge der Glykolyse kann auch in Abwesenheit von Sauerstoff ablaufen. Dies ist für den Skelettmuskel von Bedeutung, wenn unter anaeroben Bedingungen Energie gewonnen werden soll. Für den Erythrocyten, der keine Mitochondrien und somit auch nicht die Möglichkeit der oxidativen Energiegewinnung besitzt, ist die Substratkettenphosphorylierung die einzige ATP-Quelle. Für die meisten Zellen ist sie allerdings nur ein Nebenweg der ATP-Gewinnung, da diese das Pyruvat in die Mitochondrien einschleusen, wo es über die Pyruvat-Dehydrogenase-Reaktion in Acetyl-CoA überführt wird (Abschnitt 9.3.4).
5.2 Der überwiegende Teil nutzbarer biologischer Energie wird durch den oxidativen Abbau der Nährstoffe gewonnen Die evolutionär ältere anaerobe Bildung von ATP aus Nährstoffen, beispielsweise aus Glucose in der glykolytischen Kette, ist wenig effektiv. Das Pyruvat als Endprodukt dieser Reaktionsfolge enthält noch eine erhebliche Menge an potentiell nutzbarer chemischer Energie. Das Pyruvat und viele weitere Verbindungen können beim aeroben Abbau viel wirkungsvoller für die ATP-Produktion genutzt werden. Der oxidative Katabolismus der Nährsubstrate wurde im Verlauf der Evolution erst möglich, nachdem sich – wahrscheinlich als eine Folge der photosynthetischen Aktivität von Cyanobakterien – molekularer Sauerstoff in der Erdatmosphäre angereichert hatte. Es ist anzunehmen, dass unter diesen Bedingungen nach und nach O2-verbrauchende Reaktionsvorgänge an die bis dahin anaerob ablaufenden katabolen Prozesse bestimmter heterotropher Einzeller angekoppelt wurden. Der Energiegewinn aus den Nährsubstraten erhöhte sich hierdurch signifikant, und dies bedeutete einen beträchtlichen evolutionären Vorteil. Wie bereits ausgeführt, sind nach der Endosymbionten-Theorie die Mitochondrien eukaryotischer Zellen Abkömmlinge von Prokaryoten, die die Fähigkeit zum oxidativen Stoffwechsel besaßen (Abschnitt 1.2.6.1). Mit der Integration derartiger Einzeller
5 Die Gewinnung biologischer Energie aus Nährstoffen
279
konnten auch die „Wirtszellen“ den evolutionären Vorteil dieser, um das Vielfache effektiveren, Energiegewinnung nutzen. Im Verlauf der weiteren Evolution bewährte sich diese Symbiose und aus den Prokaryotenzellen entwickelten sich die Mitochondrien als Organellen der Eukaryotenzelle. Wie bereits erwähnt, ist das ursprüngliche Genom der Prokaryoten im Mitochondrion nur noch rudimentär erhalten (Abschnitt 1.2.6.1). Dieses Organell ist also keineswegs mit der ursprünglichen Prokaryotenzelle identisch. Was beide allerdings verbindet, ist die beinahe identische Art der Energiegewinnung mittels der oxidativen Phosphorylierung. Die für diese Prozesse verantwortlichen Proteine sind integrale Bestandteile sowohl der Plasmamembran von Prokaryotenzellen als auch der inneren Membran der Mitochondrien von Eukaryotenzellen. Normalerweise leben die meisten Eukaryotenzellen und auch viele Bakterien unter aeroben Bedingungen und oxidieren ihre organischen Brennstoffe vollständig zu CO2 und H2O. Dieser Prozess der oxidativen Energiegewinnung wird – mit einem nicht sehr glücklich gewählten mehrdeutigen Begriff – auch als Zellatmung bezeichnet. Die oxidative Verstoffwechselung der Nährsubstrate soll zur besseren Übersicht in vier hintereinander geschaltete Prozessfolgen gegliedert werden: In der ersten Stufe werden die Moleküle der energieliefernden Nährstoffe zu C2-Fragmenten in Form von Acetyl-CoA abgebaut. Wie Abbildung 5.3 zeigt, liefert sowohl der Katabolismus der Kohlenhydrate als auch der der Lipide Acetyl-CoA. Der Abbau einiger Aminosäuren ergibt ebenfalls Acetyl-CoA. Die katabolen Schritte, die von den einzelnen Ausgangssubstanzen zu Acetyl-CoA, dem zentralen Molekül des gesamten Intermediärstoffwechsels, führen, tragen je nach Nährstoff individuelle Züge. Sie werden im Zusammenhang mit dem Stoffwechsel auf Organebene besprochen. Das gleiche gilt für die anabolen Vorgänge, die von Acetyl-CoA als Substrat ausgehen. Die wichtigsten der dabei entstehenden Substanzen sind im rechten Teil von Abbildung 5.3 ebenfalls aufgelistet. In der zweiten Stufe werden die Acetylreste in den Tricarbonsäurecyclus eingespeist und über mehrere enzymatische Schritte zu CO2 oxidiert. Die bei der Oxidation Cholesterinester
Phospholipide
IsopentenylCholesterin pyrophosphat Triglyceride Stärke Glykogen Saccharose
Fettsäuren
Serin
Acetyl-CoA
Pyruvat
Acetoacetyl-CoA
Leucin Isoleucin
Oxalacetat
Fettsäuren
Triglyceride
CDP-Diglyceride
Citrat CO2 CO2
5.3
Steroidhormone
Mevalonat
Alanin Glucose
Gallensäuren
Acetyl-CoA im Zentrum kataboler und anaboler Prozesse
Phospholipide
280
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
freigesetzte Energie wird in den reduzierten Coenzymen NADH und FADH2 konserviert. In der dritten Stufe geben die im Tricarbonsäurecyclus entstandenen reduzierten Cofaktoren – neben Reduktionsäquivalenten aus anderen Quellen – Protonen und Elektronen ab. Über eine Folge von elektronenübertragenden Molekülen, Atmungskette genannt, werden die Elektronen an O2 weitergereicht, wobei der Sauerstoff zu H2O reduziert wird. Die Energie, die durch den Elektronenübertragungsprozess frei wird, dient zum Aufbau eines elektrochemischen Gradienten über die innere Membran des Mitochondrions, in der und an der alle Komponenten der Atmungskette lokalisiert sind. In der vierten Stufe der oxidativen Energiegewinnung wird schließlich die im Protonengradienten gespeicherte Energie zur Synthese von ATP aus ADP und Pi verwendet.
5.2.1 Die Reaktionsfolge des Tricarbonsäurecyclus liefert den Hauptanteil der Reduktionsäquivalente für die Atmungskette Der Tricarbonsäurecyclus, auch Citratcyclus oder nach seinem Entdecker Krebs-Cyclus genannt, stellt eine cyclische Prozessfolge dar. Sie wird durch acht Enzyme katalysiert und ist zwischen Substratabbau zu Acetyl-CoA (Abschnitt 9.3.4) und der oxidativen Phosphorylierung (Abschnitt 5.2.2) eingeschaltet. Tabelle 5.1 fasst die Reaktionen des Tricarbonsäurecyclus typisierend zusammen. Tabelle 5.1: Die Einzelreaktionen des Tricarbonsäurecyclus Schritt Reaktion
Enzym
prosthetische Typ* Gruppe
1
Acetyl-CoA + Oxalacetat + H2 O → Citrat + CoA + H+
Citrat-Synthase
2
Citrat a cis-Aconitat + H2O
Aconitase
Fe-S
b
3
cis-Aconitat + H2O a Isocitrat
Aconitase
Fe-S
c
4
Isocitrat + a α-Ketoglutarat + CO2 + NADH
IsocitratDehydrogenase
d+e
5
α-Ketoglutarat + NAD+ + CoA a Succinyl-CoA + Co2 + NADH
α-Ketoglutarat- Liponsäure, Dehydrogenase- FAD, TPP Komplex
d+e
6
Succinyl-CoA + Pi + GDP a Succinat + GTP + CoA
Succinyl-CoASynthetase
f
7
Succinat + FAD (enzymgebunden) a SuccinatFumarat + FADH2 (enzymgebunden) Dehydrogenase
8
Fumarat + H2O a L-Malat
9
NAD+
NAD+
L-Malat
+ + NADH + H+
* Reaktionstyp:
a Oxalacetat
a) Kondensation
b) Dehydratisierung
a
FAD, Fe-S
e
Fumarase
c
MalatDehydrogenase
e
c) Hydratisierung
d) Decarboxylierung
e) Oxidation
Molekularer Sauerstoff beteiligt sich nicht direkt am Tricarbonsäurecyclus. Der Cyclus verläuft trotzdem nur unter aeroben Bedingungen, da NAD+ und FAD in den Mi-
5 Die Gewinnung biologischer Energie aus Nährstoffen
281
Acetyl-CoA O
H2O NADH+H
CH3
C
CoA-SH
CoA
S
Oxalacetat
+
O
C
COO-
CitratSynthase
COO-
CH2
CH2 HO
C
COOCOOCOO-
CH2
Citrat
+
NAD
MalatDehydrogenase
COO-
HO
Malat
H2O
Aconitase
CH
CH2
CH2
C
COOCOO-
C
COO-
COO-
cis-Aconitat H2O
H
Fumarase
H2O
Aconitase
COO-
Fumarat
CH2
CH HC COO-
FADH2 FAD
Succinat
COO-
CH2
-
COO-
α -Ketoglutarat -
SuccinatThiokinase
Dehydrogenase-
5.4
GDP (ADP) +P i
C
S
CH2 CH2 C
COO-
CH2
HO
C
NAD+
CoA
O
COOCOO- Isocitrat COO-
H
COO-
NAD+ NADH+H+ CO2
COO-
α-Ketoglutarat
O
CH2
CoA-SH GTP (ATP)
C
IsocitratDehydrogenase
SuccinatDehydrogenase CH2
H
CoA-SH
NADH+H+
CO2
Succinyl-CoA
Die Reaktionsschritte des Tricarbonsäurecyclus
tochondrien nur durch Elektronenübertragung auf molekularen Sauerstoff regeneriert werden können. Während die Glykose sowohl unter aeroben als auch unter anaeroben Bedingungen stattfinden kann, ist der Tricarbonsäurecyclus strikt aerob. Die Glykose (9.3.1) kann anaerob verlaufen, weil NAD+ bei der Überführung von Pyruvat in Lactat regeneriert wird. Alle Enzyme des Tricarbonsäurecyclus sind intramitochondrial lokalisiert. Die Succinat-Dehydrogenase ist ein integraler Bestandteil der inneren Mitochondrienmembran und ist gleichzeitig Bestandteil der Atmungskette. Die anderen sieben Enzyme des Cyclus befinden sich in der Matrix. Die einzelnen Reaktionsschritte des Tricarbonsäurecyclus sind in Abbildung 5.4 dargestellt. Sie gehören zu den am besten untersuchten biochemischen Vorgängen und sind in jedem anspruchsvollen Lehrbuch der Biochemie detailliert beschrieben (siehe Literaturempfehlungen). Ihre Kenntnis wird als Basiswissen vorausgesetzt. Im folgenden soll daher nur auf jene Prozesse eingegangen werden, die mit der Gewinnung biologi-
282
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Acetyl-CoA
Oxalacetat NADH+H
Citrat
+
NAD+
Isocitrat NAD+
Malat CO 2
NADH+H
+
α-Ketoglutarat Fumarat
CO2
FADH 2 FAD
Succinat
Succinyl-CoA
NAD+ NADH+H
+
GTP (ATP)
5.5
Entstehung von Reduktionsäquivalenten im Tricarbonsäurecyclus
scher Energie in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Abbildung 5.5 zeigt diese schematisiert. Die für den oxidativen Abbau bestimmten Kohlenstoffketten der Kohlenhydrate und der Fettsäuren treten über das Acetyl-CoA in den Cyclus ein. Auch der Abbau einiger weniger Aminosäuren liefert Acetyl-CoA. Aus den Kohlestoffgerüsten anderer Aminosäuren entstehen Intermediate, – α-Ketoglutarat, Succinyl-CoA, Fumarat, Oxalacetat –, die an entsprechenden Stellen als solche in den Tricarbonsäurecyclus gelangen können (Abschnitt 9.4.3). Gleichung 5.2 beschreibt die Bilanz der Reaktionen im Tricarbonsäurecyclus: Acetyl-CoA + 3NAD + FAD + GDP (oder ADP) + Pi + 2H2O → 2CO2 + 3NADH + FADH2 + GTP (oder ATP) + 2H+- + CoA
(Gl. 5.2)
Bei einem Umlauf des Tricarbonsäurecyclus entstehen also pro mol Acetyl-CoA 2 mol CO2, 3 mol NAHD und 1 mol FADH2. Durch die oxidative Phosphorylierung gewinnt die Zelle aus diesen reduzierten Coenzymen letztlich 11 mol ATP (Abschnitt 5.2.3). Außerdem entsteht bei der Umwandlung von Succinyl-CoA in Succinat durch Substratkettenphosphorylierung ein weiteres energiereiches Triphosphat in Form von GTP. Die Spaltung der Thioesterbindung des Succinyl-CoA ist mit der Phosphorylierung von Guanosindiphosphat (GDP) zu GTP gekoppelt. Da 1 mol GTP 1 mol ATP energetisch äquivalent ist, werden aus 1 mol Acetyl-CoA im Tricarbonsäurecyclus und der anschließenden Oxidation der Reduktionsäquivalente in der Atmungskette 12 mol ATP gewonnen.
5 Die Gewinnung biologischer Energie aus Nährstoffen
5.2.1.1
283
Der Tricarbonsäurecyclus ist amphibol
Der Substratabbau im Tricarbonsäurecyclus dient in erster Reihe der Produktion von Reduktionsäquivalenten (Abbildung 5.5) und damit der Energiegewinnung. Als Nebeneffekt könnte jedoch der Cyclus mehrere anabole Vorgänge mit Substraten, die in seinem Verlauf entstehen, versorgen. Er hat somit einen amphibolen Charakter. Es hängt von der jeweiligen Stoffwechsellage – und nicht zuletzt von dem spezifischen Bedarf einzelner Organe – ab, wie die quantitative Relation der katabolen und anabolen Verwertung ausfällt. Bei gluconeogenetischer Stoffwechsellage werden in den zur Gluconeogenese befähigten Organen relativ große Mengen an Oxalacetat dem Cyclus entzogen (Abschnitt 9.3.3). Für die Synthese von Fettsäuren (Abschnitt 10.2.1) und von Isoprenderivaten (Abschnitt 9.5.2) liefert der Tricarbonsäurecyclus das Citrat als Substrat. Das α-Ketoglutarat, das bei zahlreichen Transaminiermgs-Reaktionen im Aminosäurestoffwechsel eingesetzt wird, kann ebenfalls dem Tricarbonsäurecyclus entnommen werden. Das Gleiche gilt, wenn auch in geringerem Umfang, für das Oxalacetat. Das Succinyl-CoA
Lactat
Hydroxyprolin Serin Cystein Threonin Glycin
TRANSAMINASE
Tryptophan
Alanin
Pyruvat PYRUVATCARBOXYLASE
PHOSPHOENOLPYRUVATCARBOXYKINASE
Phosphoenolpyruvat
Glucose
Tyrosin Phenylalanin
Acetyl-CoA
Oxaloacetat
TRANSAMINASE
Fumarat
Aspartat Citrat
Isoleucin Methionin Valin
Succinyl-CoA
Fettsäuren Isoprene
CO2 α-Ketoglutarat
Propionat CO2 Histidin Prolin Glutamin Arginin
TRANSAMINASE
Glutamat
Substratentzug für Biosynthesen Zufuhr / Entnahme von Substraten
5.6
Substratentnahme aus dem Tricarbonsäurecyclus und Ersatz durch anaplerotische Prozesse
284
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
– auch ein Intermediat des Tricarbonsäurecyclus – ist Ausgangssubstanz der Porphyrinsynthese. Die Konzentration der Metaboliten des Tricarbonsäurecyclus ist an sich sehr niedrig. Sie wird im zeitlichen Mittel durch den Verbrauch des Acetyl-CoA konstant gehalten. Die extramitochondrialen Reaktionen, die die Zwischenmetaboliten des Cyclus anabol verwerten, sind dagegen meistens sehr intensiv. Dies bedeutet, dass der Tricarbonsäurecyclus bald zum Erliegen käme, wenn die abfließenden Metaboliten nicht aus Quellen ersetzt werden könnten, die außerhalb des Cyclus liegen. Die metabolischen Prozesse, die die Metaboliten des Tricarbonsäurecyclus ergänzen, werden als anaplerotische (auffüllende) Reaktionen bezeichnet. Zu diesen gehören insbesondere die Abbauwege der Aminosäuren (Abbildung 5.6). Beispielsweise endet der Katabolismus von Histidin, Prolin, Arginin, Glutamin und Glutamat in α-Ketoglutarat. Phenylalanin und Tyrosin liefern Fumarat, Asparagin und Aspartat werden in Oxalacetat umgewandelt. Auch die intramitochondriale Carboxylierung von Pyruvat führt zu Oxalacetat, das je nach Stoffwechsellage und Organ entweder zur Auffüllung des Tricarbonsäurecyclus verwendet, oder in die Gluconeogenese eingeschleust wird.
5.2.1.2
Der Tricarbonsäurecyclus wird hauptsächlich bei drei enzymatischen Schritten reguliert
In Anbetracht der komplexen Natur des Tricarbonsäurecyclus und seiner Bedeutung für den oxidativen Stofwechsel ist eine bedarfsangepasste Regulation des Metabolitflusses durch den Cyclus unbedingt notwendig. Drei unterschiedliche Möglichkeiten der Steuerung werden eingesetzt: die Variation des Substratangebotes, die direkte Produkthemmung und die allosterische Hemmung. Dabei wirken Zwischenprodukte des Cyclus oder deren Endprodukte sowie das ATP auf Enzyme des Cyclus zurück im Sinne einer Rückkopplungshemmung (Abschnitt 1.3.2.5). Drei Enzyme des Tricarbonsäurecyclus haben die Funktion von Schlüsselenzymen: die Citrat-Synthase, die Isocitrat-Dehydrogenase und die α-Ketoglutarat-Dehydrogenase. Das Angebot an Acetyl-CoA und Oxalacetat, die Substrate der Citrat-Synthase sind, ist abhängig von den Stoffwechselbedingungen und kann unter Umständen für die Geschwindigkeit der Citratbildung ausschlaggebend sein. Meistens stammt ein erheblicher Anteil des Acetyl-CoA aus Pyruvat. Bekanntlich katalysiert die Pyruvat-Dehydrogenase diese Umwandlung, ein Enzym, das selbst einer sehr komplexen Regulation unterliegt (Abschnitt 9.3.4). Die Aktivität der Pyruvat-Dehydrogenase kann daher den Durchsatz durch den Tricarbonsäurecyclus bereits zu Beginn des Kreisprozesses in erheblichem Umfang beeinflussen. Der Pyruvat-Dehydrogenase-Komplex wird bei hohem ATP/ADP-, NADH/NAD+- und Acetyl-CoA/CoA-Konzentrationsverhältnis gehemmt. Da ein derartiges Konzentrationsverhältnis ein Indiz für eine ausreichende Energieversorgung ist, erscheint dies sinnvoll. Zwei der drei Schlüsselenzyme werden durch die eigenen Produkte gehemmt: die Citrat-Synthase durch das Citrat und der α-Ketoglutarat-Dehydrogenase-Komplex durch das Succinyl-CoA. Die Citrat-Synthase wird außerdem durch das α-Ketoglutarat inhibiert. Das ATP, dessen Produktion das ferne Endziel des Tricarbonsäurecyclus ist, hemmt den Cyclus, – wenn es sich in höherer Konzentration angesammelt hat –, sowohl auf der Stufe der Isocitrat-Dehydrogenase als auch auf der der Citrat-Synthase. Das ADP hebt die allosterische Inhibierung der Citrat-Synthase durch ATP auf.
5 Die Gewinnung biologischer Energie aus Nährstoffen
285
Der wichtigste Faktor für die Regulation des Tricarbonsäurecyclus ist das NADH/NAD+-Konzentrationsverhältnis. Die Citrat-Synthase, die Isocitrat-Dehydrogenase und die α-Keto-Glutarat-Dehydrogenase werden bei hohem NADH/NAD+Konzentrationsverhältnis gemäß dem Massenwirkungsgesetz erheblich gehemmt. Die Richtung der Malat-Dehydrogenase-Reaktion hängt ebenfalls vom NADH/NAD+Konzentrationsverhältnis ab. Ist dieses hoch, so entsteht Malat. Damit sinkt das Oxalacetat-Angebot an den Cyclus entsprechend und der Durchsatz verlangsamt sich. Alle diese fördernden und hemmenden Einflüsse zielen im Endeffekt darauf hin, die NADHProduktion dem aktuellen ATP-Bedarf der Zelle anzupassen. Das Pyruvat ist das quantitativ wichtigste Substrat, aus dem Acetyl-CoA entsteht. Es ist daher sinnvoll, dass auch die Intensität der Glykolyse, deren Endprodukt das Pyruvat ist, auf den Substratbedarf des Tricarbonsäurecyclus und schließlich auf den ATPBedarf der Zelle eingestellt wird. Auch die glykolytische Kette wird durch ein hohes NADH/NAD+-Konzentrationsverhältnis sowie durch einen hohen ATP-Spiegel in ihrer Intensität gehemmt. Ebenso ist das Citrat allosterischer Inhibitor eines der Schlüsselenzyme der Glykolyse, der Phosphofructokinase (Abschnitt 9.3.3.2).
5.2.2 Energiekonservierung durch Protonengradienten an der Innenmembran der Mitochondrien ist ein zentrales Prinzip der Bioenergetik Die tierische Zelle deckt den größten Teil ihres Energiebedarfs durch die mitochondriale Oxidation reduzierter Coenzyme mit molekularem Sauerstoff als Oxidationsmittel. Die gesamte komplexe Reaktionsfolge, die mit der Synthese von ATP endet, wird als oxidative Phosphorylierung oder Atmungskettenphosphorylierung bezeichnet. Die Reduktionsäquivalente, die als Substrate dieses Prozesses dienen, stammen zum größten Teil aus dehydrierenden Reaktionen, die im Mitochondrion selbst stattfinden. Zu diesen gehören die durch den Pyruvat-Dehydrogenase-Komplex katalysierte Reaktion (Abschnitt 9.3.4), die vier dehydrierenden Reaktionen im Tricarbonsäurecyclus (Abschnitt 5.2.1), die β-Oxidation der Fettsäuren (Abschnitt 10.2.3.2) und der Ketonkörper (Abschnitt 9.5.1) sowie einige dehydrierende Abbauwege von Aminosäuren. Es gibt allerdings auch einige cytosolische Reaktionen, beispielsweise in der Glykolyse, die NADH liefern. Wie bereits besprochen, überwinden diese Reduktionsäquivalente die mitochondriale Barriere mit Hilfe von Austauscher-Systemen (Abschnitt 1.2.6.6).
5.2.2.1
Die Elektronenübertragung auf Sauerstoff erfolgt in der Atmungskette kaskadenartig
Obwohl der Tricarbonsäurecyclus als ein Teil der oxidativen Energiegewinnung gilt, macht keine seiner Reaktionen unmittelbaren Gebrauch vom molekularen Sauerstoff. Dies geschieht, wie bereits erwähnt, im Verlauf der Atmungskette. Dabei geben die reduzierten Coenzyme NADH und FADH2 ihre Elektronen stufenweise ab, wobei O2 zu H2O reduziert wird. Formal entspricht dieses der stark exergonen Knallgasreaktion, nach Gleichung 5.3, H2 + 1⁄2 O2 j H2O
(Gl. 5.3)
286
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
die –234 kJ an freier Enthalpie pro mol liefert. Dieser für biochemische Reaktionen ungewöhnlich hohe Energiebetrag ist – würde er in einem Schritt freigesetzt – für zelluläre Prozesse unbrauchbar, da eine effiziente Kopplung an endergone Reaktionen nicht möglich ist. In der Atmungskette wird statt dessen der freiwerdende Energiebetrag in Teilbeträge gegliedert, indem die Elektronen von NADH und FADH2 über eine Kaskade von Elektronen-Carriern auf O2 übetragen werden. An dieser Kaskade ist des weiteren ein Komplex aus Protonenpumpe und einer ATP-synthetisierenden Untereinheit beteiligt. Die Elektronen von NADH und FADH2 werden schrittweise durch eine Reihe von Proteinkomplexen, die in der inneren Mitochondrienmembran lokalisiert sind, auf O2 übertragen. An diese Reaktionsfolge gekoppelt, werden Protonen aus der mitochondrialen Matrix herausgepumpt und es bildet sich ein Protonengradient an der inneren Mitochondrienmembran. Sobald Protonen durch einen Enzymkomplex in die Mitochondrienmatrix zurückfließen, wird ATP gebildet. Die gegenwärtige Vorstellung über die topologische Anordnung der Redox-Systeme der Atmungskette stellt Abbildung 5.7 dar. Die vier Hauptenzymkomplexe der Atmungskette sowie die ATP-Synthase sind integrale Bestandteile der inneren Mitochondrienmembran. Die beiden Komponenten, die Elektronen zwischen den Hauptenzymkomponenten der Atmungskette tragen – Ubichinon (Q) und Cytochrom c –, diffundieren schnell in der Membranebene. Die verschiedenen Bestandteile der Atmungskette liegen in unterschiedlichen molaren Mengen vor; so schätzt man, dass in Herz-Mitochondrien je NADH-Ubichinon-Oxidoreductase-Komplex I drei Moleküle Ubichinon-
Intermembran-Raum 4H+
4H+
-
2H +
OH Pi
4H+
Cytochrom
c
2e-
H+ Fe 2S2 FMN
Q/QH2
2e-
Q/QH2
Fe 4S4
4H+ NAD+
NADH
I NADH-UbichinonOxidoreductase Matrix-Raum
Succinat
2e-
Zn
2e- Cytoch .b1
Häm a3 H+
5.7
H+ O2
Fumarat
0 bis +50
III
2OH -
IV
Cytochrom c Oxidase
Pi ADP
P/OH Austausch
ATP
V ATPSynthase 2
O2 /O
+275 +30 bis +250
H+
F1
4H+ 2H+
II
+
FO
Häm b
+30 bis +60
Q=Ubichinon
Cu Häm a
Succinat-Ubichinon- Ubichinon-Cytochrom c Oxidoreductase Reductase
-370 bis +100
E (mV)
2e- 2e-
Cytoch .c1
FAD Fe 2 S2 Häm b Fe 4S4
H+
Q Q
Häm c1
Fe 2S2
+280 bis +400 +820
Anordnung der Redox-Systeme der Atmungskette in der inneren Membran des Mitochondrions
5 Die Gewinnung biologischer Energie aus Nährstoffen
287
Cytochrom c Reductase-Komplex III, sieben Moleküle Cytochrom c Oxidase-Komplex IV, neun Moleküle Cytochrom c und 50 Moleküle Ubichinon vorliegen. Die Größenverhältnisse der Komponenten weist eine sehr große Spanne auf (Tabelle 5.2). Deshalb sind sie in Abbildung 5.7 nur näherungsweise wiedergegeben. Wie aus der Skala unterhalb der Membran zu entnehmen ist, sind die Komponenten nach steigendem RedoxPotential nebeneinander angeordnet und stehen mittels der frei beweglichen Elektronenüberträger Ubichinon und Cytochrom c in Kontakt. Die molekular und organisatorisch sehr vielfältig aufgebauten Komponenten der Atmungskette werden üblicherweise zu sogenannten Komplexen zusammengefasst. Die Komplexe I bis IV gehören zur Atmungskette, während an Komplex V die ATP-Synthese stattfindet. Die Organisation dieser Komplexe und ihre detaillierte Funktion, – die trotz jahrezehntelanger Forschung nicht in allen Einzelheiten geklärt sind, – werden in den Lehrbüchern der Biochemie eingehend besprochen (siehe Literaturempfehlungen). Wesentliche Angaben über diese sind in Tabelle 5.2 zusammengefasst. Neben den Multienzymkomplexen I bis IV nehmen die beweglichen Überträgermoleküle, das hydrophile Cytochrom c und das Ubichinon, als Hilfssubstrate an den Reaktionen teil. Das Ubichinon, auch Coenzym Q (Q) genannt, ist ein Chinon-Derivat, das eine Seitenkette aus etwa zehn Isopreneinheiten besitzt, wodurch dieses Molekül in der Lipidphase der Membran eine gute Beweglichkeit erlangt. Dieser mobile Elektronen-Carrier geht durch Reduktion in die Hydrochinonform über (Abbildung 5.8). Verschiedene Typen von Eisen-Schwefelzentren nehmen am Elektronentransport teil, indem sich die Wertigkeit des Eisens entsprechend ändert. Unterschiedliche Hämmoleküle sind an Redox-Reaktionen ebenfalls dadurch beteiligt, dass ihr zentrales Eisenatom – im Gegensatz zum Eisen im Hämoglobin (Abschnitt 8.4.2) – zum Valenzwechsel befähigt ist. Weiterhin partizipieren am Elektronentransport durch den Komplex IV Kupfer- und Zinkionen. Während des Elektronentransportes entlang der Komplexe der Atmungskette werden Protonen aus der mitochondrialen Matrix in den Intermembranraum herausgepumpt.
Tabelle 5.2: Durch die Enzymkomplexe der Atmungskette katalysierte Reaktionen Komplex/ katalysierte Reaktion
Coenzyme
Mr kDa
Anzahl der Untereinh.
I
NADH: Ubichinon-Oxidoreductase/ NADH + H+-Ubichinon → NAD++Ubichinol
1 FMN; 2 Fe2S2; 4–5 Fe4S4
ca. 700
23–30
II
Succinat: Ubichinon-Oxidoreductase/ 1 FAD; 1 Fe2S2; Succinat + Ubichinon 1 Fe4S4; 1 Fe3S4; → Fumarat + Ubichinol 2 Ubichinon; 1 Häm b
125
4–6
III
Ubichinol-Cytochrom c-Reductase/ Ubichinol + 2 Cytochrom cox → Ubichinon + 2 Cytochrom cred
2 Fe2S2; 2 Häm b; 1 Häm c1
230
11
IV
Cytochrom c-Oxidase/ 2 Cytochrom cred + 1⁄2 O2 + 2H+ → 2 Cytochrom cox + H2O
2 Cu; 1 Zn; 220 1 Häm a; 1 Häm a3
8–13
288
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
O C H 3CO H 3CO
C
C
C
C
CH3
( CH2
CH3 CH
C
C O
CH2)
10
H
Ubichinon(Q) + [H] = H ,e -
O C H3CO
C
C
H3CO
C
C
CH3
( CH2
CH3 CH
C
C
CH2)
H
CH2)
H
10
OH
Semichinon(QH ) + [H] = H ,e -
OH C H3CO
C
H3CO
C
C C
CH3
( CH2
CH3 CH
C OH
5.8
C
10
Ubichinol(QH2)
Das Coenzym Q (Ubichinon) als Redox-System
Dadurch entsteht ein elektrochemisches Potential an der inneren Mitochondrienmembran, welches aus einem pH- und Potentialgradienten besteht. Eine Translokation von Protonen findet an den Komplexen I, III und IV statt. Voraussetzung für die vektorielle Protonenbewegung ist das Vorhandensein von Protontransportierenden Kanälen innerhalb der Multienzymkomplexe, die den Transport von H+ nur von innen nach außen erlauben. Die für diesen aktiven Transport notwendige Energie entstammt den jeweiligen exergonen Reaktionen. Durch die Komplexe I und III werden je 4, durch den Komplex IV wahrscheinlich 2 Protonen pro Elektronenpaar in den Intermembranraum befördert.
5 Die Gewinnung biologischer Energie aus Nährstoffen
289
5.2.2.2 Die im Protonengradienten gespeicherte Energie ist die Triebkraft für die ATP-Synthese Die Speicherung der freien Enthalpie, – die die Redox-Reaktionen der Atmungskette liefern, – in Form eines Protonengradienten über die Innenmembran des Mitochondrions ist der Primärprozess der oxidativen Phosphorylierung. In einem Sekundärprozess wird das elektrochemische Potential dieses Gradienten für die stark endergone Synthese von ATP aus ADP und Pi verwendet. Ort dieser Synthese ist der transmembrane Komplex V, die H+-transportierende ATP-Synthase, die vereinfacht auch als ATP-Synthase bezeichnet wird. Dieser 400 kDa große Multienzymkomplex besteht aus 8 bis 14 Untereinheiten. Für die Funktion wesentlich sind die als Kopplungsfaktor F0 und Kopplungsfaktor F1 bezeichneten Komponenten (Abbildung 5.7). Der Kopplungsfaktor F0 ist das hydrophobe Segment der ATP-Synthase, das sich durch die innere Mitochondrienmembran zieht und den Protonenkanal des Komplexes darstellt. In elektronenmikroskopischen Aufnahmen erscheint der Kopplungsfaktor F1 als kugelförmige Erhebung auf der Matrixseite der inneren Mitochondrienmembran. Die normale Aufgabe der F1-Einheit ist die Katalyse der ATP-Synthese. Die ATP-Synthese ist nur durch Interaktion beider Kopplungsfaktoren möglich. Wie bereits erwähnt, wird beim Sekundärprozess der Energiekonservierung die freie Enthalpie des Protonengradienten für die ATP-Synthese genutzt. Es bereitete erhebliche Schwierigkeiten, die energetische Kopplung des Ionenflusses mit der ATP-Synthese zu erklären. Heute ist als Erklärungsansatz die chemiosmotische Hypothese von Mitchell allgemein akzeptiert, wenn auch manche Details noch als ungeklärt gelten. Der katalytisch wirksame F1-Kopplungsfaktor des Komplex V besteht aus fünf unterschiedlichen Polypeptiden mit der Stöchiometrie α3 β3 γ δ ε und besitzt eine Masse von 378 kDa. Wie Abbildung 5.9 zeigt, sind die großen Untereinheiten α und β symmetrisch an der Peripherie des Komplexes angeordnet, die wesentlich kleineren Untereinheiten γ, δ und ε befinden sich im Zentrum. Letztere sind für die Bindung an den F0Kopplungsfaktor und die H+-Übertragung zuständig. Je ein αβ-Paar bildet eine katalytische Funktionseinheit, wobei sich das aktive Zentrum an der β-Untereinheit nahe der Grenzfläche zwischen der α- und β-Einheit befindet. Abbildung 5.10 stellt den hypothetischen Mechanismus der ATP-Synthese dar. Der zentrale, in der Abbildung rot markierte Komplex rotiert durch die Triebkraft des Protonentransportes angetrieben relativ zu den außen angeordneten katalytischen Funktionseinheiten. Dadurch erhalten diese jeweils unterschiedliche katalytische Eigenschaf-
5.9
Anordnung der Untereinheiten des Kopplungsfaktors F1 der ATP-Synthase
290
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Energie des H+-Gradienten ADP + Pi ADP + Pi
P+
P AT
AD
P+
AD
AT P
ADP + Pi
Pi
Pi
ATP
5.10
Hypothetischer Mechanismus der ATP-Synthese am Kopplungsfaktor F1 der ATP-Synthase. Quelle: Löffler, G., Petrides, P.E. (1997) Biochemie und Pathobiochemie, 5. Aufl., SpringerVlg, S. 502
ten im Sinne von Konformationsänderungen. Diesem Modell zufolge sind die drei katalytischen Untereinheiten zwar im Prinzip identisch, jedoch zu keinem Zeitpunkt funktionell äquivalent. Eines der katalytischen Zentren liegt in der O-Form (O = open) vor, die offen (also unbesetzt) ist und eine niedrige Substrataffinität besitzt. Das zweite liegt in der L-Form (L = loose) vor, die die Substrate locker bindet, aber katalytisch inaktiv ist. Das dritte Zentrum schließlich liegt in der T-Form (T = tight) vor, die die Substrate fest bindet und aktiv ist. Betrachten wir zunächst das T-Zentrum in der Konfiguration I. Es bindet fest ATP. Durch Rotation des zentralen Komplexes und entsprechende Konformationsänderung wandelt sich das T- in ein O-Zentrum um, wobei ATP freigesetzt wird, und aus dem vorherigen O- wird ein L-Zentrum, das mit ADP und Pi beladen vorliegt (Konfiguration II). Beim nächsten Rotationsschritt wird aus dem L-Zentrum ein TZentrum und es erfolgt die Synthese von ATP. Der Protonenfluss durch die ATP-Synthase treibt dabei die Umwandlung des einen Zustandes in den anderen an. Die ATP-Bildung erfolgt also stets spontan, wenn sich ein mit ADP und Pi beladenes katalytisches Zentrum in der T-Konformation befindet. Wie das Modell zeigt, sind die vom Intermembranraum über das F0 zurückströmenden Protonen nicht direkt an der chemischen Reaktion der ATP-Synthese beteiligt, sondern verändern während des Transportes die Konformation einzelner Peptid-Untereinheiten, das heißt das katalytische Zentrum von Enzymen. Der Hauptanteil der durch die Redox-Reaktionen der Atmungskette gelieferten Energie wird im Sekundärprozess der oxidativen Phosphorylierung zur Synthese von ATP verwendet. Ein geringerer Teil dient der Energetisierung von Transportprozessen in den beziehungsweise aus dem Matrixraum (Abschnitt 1.2.6.6). Von unmittelbarem Interesse für die ATP-Synthese selbst ist der Transport von Phosphat in den Matrixraum. Der dafür zuständige Phosphat/OH–-Austauscher ist in Abbildung 5.7 zwischen den Komplexen IV und V dargestellt.
5 Die Gewinnung biologischer Energie aus Nährstoffen
5.2.2.3
291
Die oxidative Phosphorylierung wird durch den Energiebedarf der Zelle bestimmt
Die ATP-Produktion muss dem ständig wechselnden Bedarf der Zelle angepasst werden. Der Regulationsmechanismus, der den ATP-Verbrauch, die ATP-Bildung und den Katabolismus der Nährstoffe koordiniert, wird als Atmungskontrolle bezeichnet. Die Kopplung der zu steuernden Prozesse erfolgt über gemeinsame Coenzyme und sonstige Faktoren. Wird der ATP-Verbrauch der Zelle gedrosselt, so wird die ATP-Synthese automatisch verringert, da weniger ADP zur Verfügung steht. Die Verfügbarkeit von ADP ist somit der ausschlaggebende Faktor zur Regulation des Energiestoffwechsels. Der menschliche Organismus verfügt nur über einen knappen Vorrat von 3 bis 4 g an freien AdeninNucleotiden (AMP, ADP, ATP). Der tägliche Bedarf an ATP beträgt etwa 80 kg. Somit muss jedes ADP-Molekül täglich mehrere tausendmal zu ATP phosphoryliert und wieder dephosphoryliert werden.
EXKURS 5.1 Oxidativer Stress und Abwehrmechanismen Die Nutzung von Sauerstoff zur effektiven Energiegewinnung war zweifelsohne die Voraussetzung für die Entstehung höherer Lebensformen. Der evolutionäre Vorteil des aeroben Lebens hat allerdings auch seine Schattenseiten. So kann sowohl molekularer Sauerstoff selbst als auch verschiedene hoch reaktive Nebenprodukte, die bei vielen Reaktionen entstehen, mit nahezu allen Biomolekülen und Strukturen interagieren und deren Funktion beeinträchtigen. Um dieser existentiellen Gefährdung entgegenzuwirken, entwickelten alle aerob lebenden Organismen enzymatische und nicht-enzymatische Abwehrmechanismen. Es sollen im Folgenden die Entstehung der wichtigsten reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) sowie die Reaktionen betrachtet werden, die zu ihrer Abwehr dienen. Viele ROS sind freie Radikale (mit X• symbolisiert), das heißt, sie besitzen ein ungepaartes Elektron in einem äußeren Bindungsorbital. Von besonderer biologischer Bedeutung ist das Superoxid-Radikal O2• –, das durch Einelektronentransfer auf O2 gebildet wird. Das O2•– entsteht in einigen NeSonstige Reaktionen NADPH-OXIDASE NADPH NADP+ H+ 2O2
b
SUPEROXIDRADIKAL
O a
O2 O•
O
O-
O
•2
Abb. 1 Bildung des Superoxid-Radikals
+
H
WASSERSTOFFPEROXIDRADIKAL HOO•
Lipidperoxidation
䊳
292
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
benreaktionen von Oxidasen, zum Beispiel der Xanthinoxidase beim Abbau von Purinen, bei der Elektronenübertragung in der Atmungskette hauptsächlich auf Ubichinon oder durch Elektronentransfer von Semichinon-Zwischenstufen (Abbildung 1a), beispielsweise bei Monooxygenase-Reaktionen im endoplasmatischen Reticulum. Aktivierte Makrophagen erzeugen bei Entzündungsreaktionen durch die NADPH-Oxidase ebenfalls O2•– (Abbildung 1b). In diesem Falle dienen die entstehenden Sauerstoffradikale zur Abwehr von Bakterien, haben also einen erwünschten Effekt. Das O2•– kann auch durch Autooxidation von Flavinen, Hämoglobin, Glutathion und anderen Thiolen sowie durch physikalische Einwirkungen, wie UV-Licht, Ultraschall, Röntgen- und γ-Strahlen, entstehen. Die außerordentliche Toxizität des O2•– beruht vor allem auf seinen Reaktionen mit ungesättigten Phospholipiden der biologischen Membran, was zur Lipidperoxidation führt. O2•– geht unter der katalytischen Wirkung der Superoxiddismutase oder auch spontan in das Wasserstoffperoxid, H2O2 über, das ebenfalls zu den ROS gehört. H2O2 entsteht auch als Reaktionsprodukt verschiedener Oxidasen, beispielsweise in Peroxisomen (Abschnitt 1.2.5.1). Die schädigende Wirkung des H2O2 beruht insbesondere auf Inaktivierung von Enzymen. Wie aus Abbildung 2a ersichtlich, entsteht aus dem H2O2 durch Reaktion mit Semichinonen das sehr aggressive Hydroxylradikal (HO•). Es ist das reaktionsfreuSUPEROXID RADIKAL
O O
2 O•-
Cyclisches Peroxid
C C H H
2 H+ H SUPEROXIDDISMUTASE (spontan)
HYDROXYLRADIKAL
O2
a WASSERSTOFFPEROXID
• O
C H
H2O
HO•
O•
O
O-
O
OH-
O2
O
• C
C
H
H
H2O2 b
2 GSH
NADP+
PEROXIDASE
GLUTATHIONPEROXIDASE
GLUTATHIONREDUCTASE
X
GSSG
X H2
2 ASCORBAT
Se KATALASE 1/2 O2
H2O
2 H2O
2 H2O
L-ASCORBATPEROXIDASE
NADPH + H+
MONODEHYDROASCORBAT
2 H2O
Abb. 2 Zentrale Stellung des Wasserstoffperoxids
䊳
5 Die Gewinnung biologischer Energie aus Nährstoffen
293
digste und kurzlebigste Mitlied der ROS. Es reagiert mit fast allen Biomolekülen und startet Radikalketten-Reaktionen, beispielsweise bei der Lipidperoxidation. Als Zwischenstufen bei der Peroxidations-Kettenreaktion entstehen durch die spontane Reaktion von O2 mit organischen Radikalen, – die durch den Angriff von Hydroxyl- oder Superoxid-Radikalen gebildet wurden, – Peroxid-Radikale (ROO•) und cyclische Peroxide. Zu den ROS wird auch der Singulett-Sauerstoff (1O2) gerechnet, ein „angeregter Zustand“ des molekularen Sauerstoffs, der an Ein- und Zweielektronen-Reaktionen teilnehmen kann. Er ist insofern von biologischem Interesse, als er an Photosensibilisierungsreaktionen beteiligt ist. Abbildung 2b fasst die Reaktionen zusammen, die zum enzymatischen Abbau des Wasserstoffperoxids, H2O2 führen,das eine zentrale Stellung im Stoffwechsel der ROS einnimmt. Insbesondere die Katalase und mehrere Peroxidasen reduzieren das H2O2 zu Wasser. Die ROS beeinträchtigen die Biomoleküle auf verschiedene Weise. Im Fall der DNA können sowohl die Zuckerkomponente als auch die Basen modifiziert werden. Die Oxidation der Desoxyribose verursacht häufig Strangbrüche, die oxidative Modifikation der Basen führt zu Fehlpaarungen und wirkt damit mutagen. In Proteinen sind besonders Methyl-, Histidyl-und Tryptophanreste sowie die Thiolgruppe von Cystein Ziele der ROS-Wirkung. Es kann insbesondere die katalytische Wirksamkeit von Enzymen beeinträchtigt werden. Besonders gut untersucht ist die Auswirkung der oxidativen Schädigung auf die Membranlipide. Bei der Lipidperoxidation handelt es sich um das autokatalytische Fortschreiten der Bildung von Lipidperoxiden. Derartige Modifikationen führen zu tiefgreifenden Veränderungen der Lipiddoppelschicht biologischer Membranen mit entsprechenden Folgen für die zellulären Funktionen. Zur Verhinderung, oder zumindest Milderung, der Wirkung der ROS setzt der Organismus – neben den erwähnten enzymatischen Abbaureaktionen – auch nicht enR OO•
R OOH
CH3
CH3
HO
R
H3C
OH
HO
R
H3C
O•
CH3
CH3
Tocopherol
Tocopherol-Radikal
H2C
OH
H2C
OH
HC
OH
HC
OH
O
O O
HO
O•
Ascorbat-Radikal
Abb. 3 α-Tocopherol als Radikalfänger
O HO
OH
Ascorbat
䊳
294
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
zymatisch wirksame Antioxidantien ein. Dieser Begriff wird für Substanzen verwendet, die in physiologischen Konzentrationen die Oxidation eines Substrates hemmen. Dies kann dadurch geschehen, dass sie entweder die Bildung von ROS verhindern, oder die Wirkung von ROS unterbinden, oder schließlich dadurch, dass sie die durch die ROS verursachten Schäden beseitigen. Von ernährungsphysiologischem Interesse ist die antioxidative Wirkung des Provitamins β-Carotin und zweier Vitamine, des α-Tocopherols und der Ascorbinsäure. Das β-Carotin reagiert mit reaktivem O2 und unterbricht Radikalketten. Die Tocopherole spielen besonders beim Schutz der Membranlipide vor Peroxidation eine Rolle. Sie wirken als „Radikalfänger“ (scavenger), indem sie in den Tocopheroxy-Zustand übergehen (Abbildung 3). Dieses ist ein wenig reaktives Radikal mit einer Halbwertszeit von mehreren Stunden, wodurch Kettenreaktionen unterbrochen werden. Die Rückreduktion erfolgt durch Ascorbat, die beiden Vitamine wirken also synergistisch. Die Ascorbinsäure geht jedoch auch mehrere direkte nichtenzymatische Reaktionen mit aktivierten Sauerstoffspezies ein. Eine wesentliche Rolle bei der Beseitigung oxidativer Schäden spielen schließlich Reparationsprozesse an der DNA, sowie das lipolytische Entfernen geschädigter Membranlipide.
6
Die Entwicklung von Organen als evolutionärer Fortschritt
Die einzelligen Organismen, wie Bakterien und Protozoen, machen etwa die Hälfte der heutigen Biomasse der Erde aus. Diesen quantitativen „Erfolg“ verdanken sie vor allem der Tatsache, dass sie alle ihre Bausteine und Energielieferanten selbst aus wenigen sehr einfachen Molekülen ihrer unmittelbaren Umgebung aufbauen können. Dennoch führte die Evolution unweigerlich zu Vielzellern. Der erste Schritt in diese Richtung dürfte die Zusammenlagerung von Einzellern zu Kolonien gewesen sein. Im einfachsten Falle geschieht dies dadurch, dass Tochterzellen nach der Zellteilung zusammen bleiben, ein Verhalten, das bereits prokaryotische Zellen zeigen. Die Kolonienbildung bringt einen gewissen Nutzeffekt bei der Nährstoffversorgung, ohne dass die Äquivalenz der einzelnen Zellen aufgegeben wäre. Ein bedeutender evolutionärer Fortschritt wurde erzielt, als Eukaryotenzellen die Fähigkeit erlangten, sich zu differenzieren, sich zu funktionell unterschiedlichen Organen zusammenzulagern und in einem Organismus zu kooperieren. Die durch Spezialisierung ermöglichte Arbeitsteilung führte zur Entwicklung immer komplexerer, höher differenzierter Lebewesen. Sie besaßen mehr Beweglichkeit, mehr Wirksamkeit und damit auch einen höheren Fortpflanzungserfolg. Die Kooperation bot reichhaltigere Möglichkeiten als die einzelnen Komponenten gehabt hätten. Diese vielzelligen, komplexen Eukaryoten, zu denen auch der Mensch gehört, sind mit 300 bis 500 Millionen Jahren eine relativ junge Erscheinung der Evolutionsgeschichte.
6.1 Zelldifferenzierung, Gewebeentwicklung und Organogenese sind Grundlagen einer effektiven Arbeitsteilung Bekanntlich entwickeln sich alle Zellen eines vielzelligen Organismus aus der befruchteten Eizelle. Bei den Vielzellern, die verschiedene Organe haben, müssen also im Verlauf der Ontogenese unterschiedliche Zelltypen entstehen. Alle diese Zellen sind genetisch identisch, das heißt sie enthalten das vollständige Genom des betreffenden Lebewesens, sie sind phänotypisch dagegen unterschiedlich. (Alleinige Ausnahme von dieser Regel bilden einige Zellen des Immunsystems der Vertebraten. Bei der Produktion der Antikörper und der Antigen-spezifischen Rezeptoren der Lymphocyten werden bei der Differenzierung ursprünglich getrennte Abschnitte der DNA zusammengespleißt). Die biochemisch und morphologisch so verschiedenen somatischen Zellen eines hochentwickelten Organismus unterscheiden sich also nicht, weil sie unterschiedliche Gene besitzen, sondern weil sie eine unterschiedliche Auswahl von Genen exprimieren. Jede Zelle exprimiert jedoch auch eine gewisse Anzahl von Genen („Haushaltsgenen“), die für konstitutive Proteine codieren, auf die keine Zelle verzichten kann. Derartige Proteine werden in relativ großen Mengen produziert, die Anzahl ihrer Kopien
296
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
pro Zelle beträgt mehr als 50 000. Zu ihnen gehören die meisten Proteine des Cytoskeletts (Abschnitt 1.2.7.1), der Golgi-Membran (Abschnitt 1.2.3), die ribosomalen Proteine und manche Enzyme, zum Beispiel die der glykolytischen Kette. Differenzierte Zellen synthetisieren jedoch zusätzlich einen jeweils anderen Satz von speziellen Proteinen. Beispielsweise produzieren die B-Zellen der Langerhansschen Inseln des Pankreas Insulin (Abschnitt 1.4.3.1), die Epidermiszellen Keratin, um nur einige von Tausenden von Syntheseleistungen zu erwähnen. Eine typische höhere Eukaryotenzelle synthetisiert 10 000 bis 20 000 unterschiedliche Proteine. Etwa die Hälfte davon sind zellspezifisch. Die Verschiedenheit des Proteinmusters bewirkt die unterschiedlichen biochemischen Leistungen und schließlich die funktionelle Variabilität der Zellen: Einige spezialisieren sich zu Muskelzellen, andere zu Hepatocyten, andere wiederum zu Neuronen. Um deutliche Unterschiede in der Zellmorphologie und -funktion hervorzurufen, genügen im allgemeinen relativ geringfügige Änderungen des zellspezifischen Proteinmusters. Die Entwicklung, die zu den verschiedenen Zelltypen führt, wird als Differenzierung bezeichnet. Die Zelldifferenzierung beginnt bereits in der frühen Embryonalentwicklung und wird ganz allgemein durch ein Wechselspiel zwischen zelleigenen Programmen und Zell-Zell-Interaktionen gesteuert. Aufgrund von in vitro-Experimenten kann angenommen werden, dass die Säugetier-Eizelle a priori keine Determinanten der weiteren Entwicklung enthält, die in dieser Zelle unterschiedlich lokalisiert wären. Diese ist zunächst also nicht polarisiert. Bis zum Acht-Zell-Stadium sind alle Zellen des Säugetierembryos gleich und omnipotent (Abbildung 6.1). Aus jeder der Zellen kann also grundsätzlich jeder Zelltyp des späteren Embryos oder des erwachsenen Organsimus entstehen. Mit der nächsten Teilung, das heißt beim Übergang vom Acht- zum Sechzehn-Zell-Stadium, ändert sich die Wechselwirkung der Zellen untereinander. Es kommt zu einer Umordnung der Zell-Zell-Kontakte, und es manifestieren sich erste Unterschiede zwischen den Zellen. In der Folge werden Mechanismen aktiviert, die bewirken, dass in den unterschiedlichen Zellen des wachsenden Embryos unterschiedliche aktive Gene exprimiert werden. Die Kontrolle der Genexpression bei höheren Eukaryoten ist ein außerordentlich komplexer Vorgang und bei weitem nicht in allen Einzelheiten geklärt. Die meisten Gene der höheren Eukaryotenzelle dürften vor allem durch einen Satz diffusibler Genregulatorproteine kontrolliert werden, die für jeden Zelltyp einzigartig sind. Ein bestimmtes Genregulatorprotein kann selbst unter verschiedenen Umständen exprimiert werden, und ist typischerweise für die Regulierung mehrerer Gene zuständig.
befruchtetes Säugetierei
Zona pellucida
6.1
Zwei-ZellStadium
Acht-ZellStadium (Morula)
Sechzehn-ZellStadium
mütterliche und väterliche Pronuclei
Frühe Stadien der Entwicklung eines Säugetierembryos
Blastocyste
6 Die Entwicklung von Organen als evolutionärer Fortschritt
297
Zusätzlich kann die Expression von Genen durch Umwandlung der Chromatinstruktur in eine mehr oder minder konzentrierte Form beeinflusst werden. Bei den Vertebraten dürfte die DNA-Methylierung, durch die die Transkription von Genen unterdrückt wird, ebenfalls eine Rolle spielen. Dadurch besteht vor allem die Möglichkeit zur Stabilisierung von Entwicklungsentscheidungen, die durch andere Faktoren bestimmt wurden. Eukaryotische Zellen und ihre Abkömmlinge müssen auch dann in ihren unterschiedlichen spezialisierten Zuständen verbleiben, wenn die Einflussfaktoren, die die Differenzierung hervorgerufen haben, verschwunden sind. Das Zellgedächtnis sorgt dafür, dass die Gen-Regulator-Mechanismen, die zur Entstehung verschiedener Zelltypen führen, auch weiterhin stabil bleiben und vererbbar sind. Die Zelle sollte normalerweise nicht entdifferenzieren. Als molekulare Mechanismen des Zellgedächtnisses kommen cytoplasmatische und nucleare in Frage. Beim cytoplasmatischen Gedächtnis enthält das Cytosol – oder die extrazelluläre Umgebung – Komponenten, die durch einen Satz aktiver Gene codiert werden. Diese wirken direkt oder indirekt auf das Genom zurück und halten die selektive Expression dieses bestimmten Gensatzes aufrecht. Verschiedene Zelltypen haben verschiedene cytoplasmatische Kontrollfaktoren. Beim nuclearen Zellgedächtnis handelt es sich, um eine sich selbst erhaltende Veränderung (Modifikation) der Chromosomen. Dabei ändert sich nicht die DNA-Sequenz, jedoch ein Satz von Genen wird aktiv exprimiert. In diesem Zusammenhang spielt vermutlich die DNA-Methylierung eine wichtige Rolle. Auf der Ebene der Transkription findet nicht die einzige, biochemische und damit funktionelle Ausprägung einer Zelle statt. Ihre weitere Verwendbarkeit innerhalb eines arbeitsteiligen Organismus erfordert, dass sie auf zahlreiche inrazelluläre und extrazelluläre Signale flexibel reagiert. Die Produkte der Genexpression, das heißt die Proteine der Zelle, müssen in qualitativer und quantitativer Hinsicht den aktuellen Erfordernissen des Organismus entsprechend vielfältig modifiziert werden. In Abbildung 6.2 sind sechs regulatorische Ebenen, die zu diesem Ziel führen, schematisch dargestellt. Auf der Ebene der Transkription (1) wird bestimmt, ob und wie oft die Information eines Gens in mRNA umgeschrieben wird. Bei der Kontrolle der mRNA-Prozessierung (2) kann entschieden werden, wie das primäre RNA-Transkript gespleißt oder sonstwie prozessiert wird. Der Export der reifen mRNA in das Cytosol (3) bietet eine weitere Kontrollmöglichkeit; genauso wie die translationale Kontrolle (4), bei der die mRNAs ausgewählt werden, die an den Ribosomen zur Translation kommen. Eine weitere Steuerung ist möglich bei der selektiven Destabilisierung von mRNA-Molekülen (5), die abgebaut und nicht weiter translatiert werden. Schließlich kann eine der StoffwechCYTOSOL
KERN primäres RNA Transkript
DNA Kontrolle der Transkription 1
6.2
5 mRNA
Kontrolle der RNAProzessierung 2
inaktive mRNA
Kontrolle des RNA-Abbaus
mRNA Kontrolle des RNATransportes 3
Translationskontrolle Protein 4
Kontrollebenen der Genexpression eukaryotischer Zellen
6 Aktivitätskontrolle aktives/inaktivesProtein
298
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
selsituation angepasste Aktivitätskontrolle (6), insbesondere im Falle von Enzymen, wirksam werden. Die Diversifikation von Eukaryotenzellen wird also zwar durch die Differenzierung im frühen Embryonalstadium eingeleitet, ihr endgültiger Charakter jedoch durch eine vielfältige Sequenz von späteren Einflüssen geprägt. Mit fortschreitender Entwicklung der Lebewesen kam es zu einer immer stärkeren Spezialisierung der Zellen. Der Oganismus des Menschen – und der höheren Säugetiere – setzt sich aus mehr als 200 unterschiedlichen Zelltypen zusammen, von denen es noch eine große Anzahl von Varianten gibt. Die Zelltypen des Menschen lassen sich nach unterschiedlichen Gesichtspunkten klassifizieren: nach histologischen, nach entwicklungsgeschichtlichen, nach biochemischen, nach immuno-histochemischen und vielen anderen mehr. Bei der in Tabelle 6.1 vorgenommenen Einteilung wurde der funktionelle Tabelle 6.1: Funktionelle Kategorien von Zellen des menschlichen Organismus 1. Keratinisierte epitheliale Zellen Basalzelle der Epidermis* 2. Zellen der feuchten mehrschichtigen Schutzepithelien Zelle des Harnwegepithels* 3. Auf exokrine Sekretion spezialisierte Epithelzellen Zelle der Speicheldrüse*; Belegzelle des Magens* 4. Auf Hormonsekretion spezialisierte Zellen Zellen der Nebenniere*; Zellen der Schilddrüse* 5. Epitheliale resorbierende Zellen des Darms, der exokrinen Drüsen und des Urogenitaltrakts Bürstensaumzelle des Darms*; Epithelzelle der Gallenblase* 6. Auf Stoffwechsel und Speicherung spezialisierte Zellen Hepatocyt*; Fettzelle* 7. Epithelzellen der Lunge, des Darmes, der exokrinen Drüsen und des Urogenitaltrakts mit Schutzfunktion Kleine Alveolarzelle der Lunge*; Zelle des renalen Sammelrohrs* 8. Epithelzellen von geschlossenen inneren Körperhöhlen Vasculäre Endothelzelle*
10. Extrazelluläre Matrix sezernierende Zellen Osteoblast* 11. Kontraktile Zellen Skelettmuskelzelle*; glatte Muskelzelle* 12. Zellen des Blutes und des Immunsystems Erythrocyt*; Lymphozyten* 13. Sinnesvermittler Geschmackszelle*; olfaktorische Zelle* 14. Autonome Neuronen cholinerg*; adrenerg*, peptiderge* 15. Stützzellen der Sinnesorgane und der peripheren Neuronen Stützzelle des Riechepithels*; Schwannsche Zelle* 16. Neuronen und Gliazellen des Zentralnervensystems Neuronen* 17. Linsenzellen Linsenepithelzelle 18. Pigmentzellen Melanocyt* 19. Keimzellen Oocyte; Spermatocyt*
9. Begeisselte Zellen mit treibender Funktion im Atmungstrakt* * ausgewählte Beispiele Quelle: Alberts, B., Bray, D., Lewis, J., Raff, M., Roberts, K., Watson, J.D. (1990) Molekularbiologie der Zelle 2. Aufl. VCH-Verlagsgesellschaft S. 1189-1191 (stark gekürzt)
6 Die Entwicklung von Organen als evolutionärer Fortschritt
299
Aspekt in den Vordergrund gestellt. In den insgesamt 20 Kategorien gibt es unterschiedlich viele Vertreter. So besteht die Gruppe der auf Hormonsekretion spezialisierten Zellen aus mehr als 30 Vertretern. Jede dieser Zelltypen produziert ein anderes Hormon und unterscheidet sich somit zumindest in ihrer biochemischen Potenz grundlegend von den anderen Zellen dieser Gruppe. Dagegen sind beim Menschen nur zwei Typen von Pigmentzellen bekannt: die Melanocyten und die pigmentierten Zellen der Retina. In der Tabelle werden für jede Zellkategorie jeweils nur ein bis zwei Beispiele für die Zelltypen angeführt.
6.2 Die Zellen bilden hochdifferenzierte Funktionseinheiten: Die Gewebe und Organe Der menschliche Organismus besteht aus 1012 bis 1014 Zellen. Nur ganz wenige der somatischen Zelltypen des Menschen führen ein scheinbar unabhängiges „Single-Dasein“ und üben ihre Funktion in diesem Zustand aus. Zu diesen Ausnahmen gehören neben den reifen Erythrocyten einige weitere korpuskuläre Bestandteile des Blutes. Alle anderen aggregieren zu Geweben und Organen. Die Entwicklung eines komplexen Organismus wird durch ein „soziales Kontrollsystem“ gesteuert, das nicht nur die Zelldifferenzierung, sondern auch das Anordnen der verschiedenen Zelltypen nach dem vorgegebenen Muster der Organe garantiert. Es gehört zu den reizvollsten und noch lange nicht gelösten Aufgaben der Zellbiologie, die Einzelheiten dieses Kontrollsystems zu klären. Im folgenden sollen einige wenige Aspekte der Morphogenese angesprochen werden, ohne ins Detail gehen zu können. Wie in Abbildung 6.1 dargestellt, entsteht in der Embryonalentwicklung – nachdem mit dem Sechzehn-Zell-Stadium die Zelldifferenzierung eingeleitet worden war – die Blastocyte. Diese weist bereits eine ausgeprägte Asymmetrie auf, die für die weitere Entwicklung von besonderer Bedeutung ist. Aus den Zellen, die die Blastocyte innen auskleiden, dem Trophoderm oder Trophoblasten, entstehen im wesentlichen der Amnionsack und die Plazenta. Diese Strukturen umhüllen das Embryo und sorgen für den Stoffaustausch mit dem mütterlichen Organismus. Sie sind extraembryonal, da sie bei der Geburt abgestoßen werden. Aus der Ansammlung von Zellen an einem Pol des Eies, die Embryoblast (innere Zellmasse) genannt wird, entsteht alles, was zum eigentlichen Embryo gehört. Nachdem die Zona pellucida (Eihülle) abgestoßen worden ist, beginnen die Zellen des Embryoblasten sich weiter zu differenzieren. Nach einigen Zwischenstadien hat sich – etwa 14 Tage nach der Befruchtung – die dreiblättrige Keimscheibe ausgebildet (Abbildung 6.3). Alle Gewebegruppen entstehen aus dieser dreischichtigen Keimscheibe. Jedes der Keimblätter hat ganz bestimmte Aufgaben, keines besitzt jedoch eine histogenetische Spezifität, denn die einzelnen Gewebetypen können sich aus verschiedenen Keimblättern entwickeln. So kann Epithelgewebe aus allen drei Keimblättern entstehen, das Nervengewebe geht fast ausschließlich aus dem Ektoderm hervor, vom Mesoderm leiten sich die Binde-, Stütz- und Muskelgewebe ab. Unter dem Begriff Gewebe versteht man im allgemeinen einen Verband gleichartig differenzierter Zellen, die durch spezifische, nicht zelluläre Strukturen, die extrazelluläre Matrix, zusammengehalten werden. Dieses komplexe Geflecht von Makromolekülen bildet ein Gerüst, in dem Zellen wandern und miteinander in Kontakt treten können. Manche Zellen sind mit der Matrix über spezielle Abschnitte der Plasmamembran
300
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Blastocyte
Dreiblättrige Keimscheibe
1
2
6.3
3
Die dreiblättrige Keimscheibe bei der Entwicklung des Säugetierembryos
verbunden (Zell-Matrix-Verbindungen). Zellen, die unmittelbar nebeneinander liegen, stehen oft über besondere Zell-Zell-Verbindungen miteinander in Kontakt. Die Histologen unterscheiden vier große Klassen von Gewebetypen, die den Körper des Menschen aufbauen: 1. das Epithelgewebe (mit den Unterabteilungen Oberflächen- oder Deckepithelien; Drüsenepithelien; Sinnesepithelien); 2. das Binde- und Stützgewebe; 3. das Muskelgewebe und 4. das Nervengewebe. Manche Gewebe des menschlichen Organismus behalten einen hinsichtlich Form und Umfang relativ diffusen Charakter, wie dies zum Beispiel beim Fettgewebe der Fall ist. Dennoch sind auch solche Gewebe nicht beliebig verteilt, sondern haben eine charakteristische räumliche Anordnung. Andere Gewebearten – wie das Blutgefäßsystem oder das Nervensystem – durchziehen in wohlgeordneten Bahnen den gesamten Organismus und dienen damit der Kommunikation über weite Strecken. Andere Gewebe bilden Organe, deren Form und Größe artspezifisch vorgegeben ist und nur innerhalb geringfügiger Grenzen variieren kann, wie dies das Beispiel der Niere oder der Leber zeigt. Organe sind funktionelle Einheiten eines arbeitsteiligen Organismus. Fast alle Organe des Menschen bestehen aus mehreren Gewebetypen, die selbst verschiedene Zellen enthalten. Alle Organe werden durch das Gefäßsystem mit Nährstoffen versorgt und von den Endprodukten des Stoffwechsels entsorgt. Gefäß- und Nervensystem versorgen sie mit Informationen, die erst das Funktionieren eines komplexen Organismus ermöglichen. Die Entwicklung, die für das koordinierte Zusammenfinden von Zellen zu Geweben und Organen notwendig ist, beginnt bereits in der Embryonalphase. Die molekularen Steuerungsmechanismen dieses Phänomens, das als Morphogenese bezeichnet wird, bleiben jedoch – mit gewissen altersabhängigen Variationen – während der gesamten Lebenszeit des Organismus erhalten. Die Morphogenese wird einerseits endogen durch das Erbgut gesteuert, andererseits exogen durch verschiedene äußere Faktoren, die innerhalb eines durch das Genom festgelegten Rahmens die Formentwicklung beeinflussen können. Als wesentliche gestaltbildende Faktoren gelten die Zellteilungsrate sowie die Kontakte der Zellen untereinander – der Zell-Zell-Kontakt – sowie mit der extrazellulären Matrix – der Zell-Matrix-Kontakt. Es gibt mehrere Arten von Verbindungen zwischen Zellen untereinander und zwischen Zellen mit der extrazellulären Matrix. Sollen Zellen untereinander zu mechanisch stabilen Gewebeverbänden zusammengefügt werden, oder sollen sie auf der extrazellulären Matrix – des öfteren an der Basalmem-
6 Die Entwicklung von Organen als evolutionärer Fortschritt
301
Actin-Filament Cadherine
Catenine
Actin-Filament Adapter
Integrine
Kollagen-Faser
6.4
Zell-Zell- und Zell-Matrix-Kontakte
bran – befestigt werden, so ist auch das Cytoskelett (Abschnitt 1.2.7.1) an der Verbindung beteiligt. Abbildung 6.4 zeigt das Zustandekommen derartiger Verbindungen. Beim Zell-Zell-Kontakt kommt es zur Ausbildung einer Kontaktstelle zwischen der Plasmamembran der beiden Zellen, die als Zonula adherens (bei Epithelzellen) oder Punctus adherens bezeichnet wird. An dieser Stelle werden durch integrale Membranproteine, Cadherine genannt, Actinfilamente des Cytoskeletts beider Zellen miteinander verbunden. Cadherine sind Membranproteine, über deren N-terminale extrazelluläre Domäne die Ca2+-abhängige Zelladhäsion ermöglicht wird. Die Assoziation des C-terminalen Endes mit den intrazellulären Actin-Filamenten erfolgt über ein weiteres Protein, das Catenin. Da der Zell-Zell-Kontakt über je ein Cadherin-Molekül der benachbarten Zellen zustande kommt, handelt es sich um eine homophile Bindung. Wie ebenfalls in Abbildung 6.4 gezeigt wird, haben wir es im Falle des Zell-MatrixKontaktes mit einer heterophilen Bindung zu tun. Die intrazellulären Partner sind auch in diesem Falle die Actin-Filamente des Cytoskeletts. Extrazellulär dienen Kollagen-Fasern der Anknüpfung, die durch Integrine vermittelt wird. Die Integrine sind heterotrimere Transmembranproteine, die außer mit Kollagen auch mit Fibronectin und Laminin interagieren können, wobei auch in diesem Falle divalente Kationen benötigt werden. Bei der intrazellulären Anknüpfung an das Actin-Filament bedarf es eines „Adapters“, der unter anderem das Vinculin sein kann (Abschnitt 1.2.7.1). Die Zell-Zell- und Zell-Matrix-Adhäsionsproteine werden in verschiedenen Geweben nach unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Mustern exprimiert. Es wird angenommen, dass diese Proteine entscheidende Vermittler zwischen den im Genom festgelegten Positionsinformationen und den morphogenetischen Bewegungen von Zellen sind. Ein relativ einfaches Beispiel für die Morphogenese ist die Bildung einer Epithelschicht und ihre Umwandlung in ein durch Epithel ausgekleidetes Rohr (Abbildung 6.5). Ausgehend von einer „Gründerzelle“ verbinden sich die Zellen nach einigen Tei-
302
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Gründerzelle
Zellverbindung
Basalmembran Epitheliale Zell-Lage
Gürteldesmosom mit assoziierten Actin-Filamenten
Invagination der epithelialen Zell-Lage durch eine geordnete Verkürzung an den Adhäsionsgürteln bestimmter Regionen der Zell-Lage
Epithelrohr löst sich von darüberliegender Zell-Lage ab
Epithelrohr
6.5
Bildung einer Epithelschicht und eines Epithelrohres
lungsschritten sowohl untereinander als auch mit der extrazellulären Matrix der Basalmembran. Die zwischen den Cadherin-Molekülen und den Actinfilamenten zustandegekommene Verbindung bildet bei den Epithelzellen einen Adhäsionsgürtel, der parallel zur Plasmamembran verläuft und die eng anliegenden Zellen zusammenhält. Das zellübergreifende Geflecht ist wahrscheinlich an einem grundlegenden Vorgang der Morphogenese beteiligt, der die Faltung von Epithelschichten zu Röhren und ähnlichen Strukturen ermöglicht, wie sie im Darm oder in den Nierentubuli vorkommen. Wahrscheinlich kommt es hierbei zu gerichteten Kontraktionen der Actin-Filamentbündel des Adhäsionsgürtels an bestimmten Regionen der Zellschicht. Dadurch werden die Zellen
6 Die Entwicklung von Organen als evolutionärer Fortschritt
303
Tabelle 6.2: Für die Genese von Geweben und Organen wichtige Wachstumsfaktoren Wachstumsfaktor (WF)
Hauptsächliche Funktion
Kompetenzfaktoren Epidermaler WF (EGF)
Stimulierung der Proliferation verschiedener Zellen; induktives Signal der Embryonalentwicklung
Transformierender WF (TGF β) – mehrere Subtypen –
Potenzierung/Inhibierung der Wirkung anderer WF; Regulation der Zelldifferenzierung; induktives Signal der Embryonalentwicklung
Fibroblasten-WF (FGF) – mehrere Subtypen –
Stimulierung der Proliferation verschiedener Zellen; Inhibierung der Differenzierung verschiedener Stammzellen; induktives Signal der Embryonalentwicklung
Plättchen-WF (PDGF) – 3 Subtypen –
Stimulierung der Proliferation von Bindegewebs- und Glia-Zellen
Progressionsfaktoren Insulinähnlicher WF-I (IGF-I)
Stimulierung der Zellproliferation in Interaktion mit anderen WF; Förderung des Überlebens von Zellen
an der Spitze schmaler und das Epithel rollt sich zu einer Röhre zusammen, die sich von der Epithelschicht ablöst. Die Ausbildung des Epithels spielt bei der Zusammenfügung tierischer Gewebe eine große Rolle. Man misst der Entstehung der Epithelschicht annähernd die gleiche evolutionäre Bedeutung bei, wie der Zellmembran, die die Entwicklung von Zellen überhaupt ermöglichte. Epitheliale Zellschichten überziehen Körperoberflächen sowohl innen als auch außen und schaffen so Kompartimente mit geregelten inneren Bedingungen. Wichtige Komponenten des „Sozial-Kontrollsystems“ bei der Zellteilung und Positionssteuerung sind auch die diffusionsfähigen Wachstumsfaktoren. Diese Polypeptide werden durch Protoonkogene* codiert und von verschiedenen Zellen gebildet. Sie wirken auf das Zellwachstum regulierend, indem sie den Übergang von Zellen aus der G0beziehungsweise G1-Phase in den Zellzyklus bewirken. Dabei fungieren sie entweder als Kompetenz- oder als Progressionsfaktoren. Tabelle 6.2 enthält eine Liste von Wachstumsfaktoren, die bei der Genese von Geweben und Organen eine Rolle spielen. Es sind relativ wenige Wachstumsfaktoren, die in immer anderer Kombination selektiv auf die Vermehrung vieler verschiedenartiger Zellen Einfluss nehmen. Diese hochspezifischen Proteine, die sich auch an der Zelldifferenzierung beteiligen, wirken in meist sehr niedriger Konzentration von 10–9 bis 10–11 * Oncogene (Krebsgene) entstehen durch Mutation aus Protooncogenen.
304
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
mol × L–1. Um auf die Wachstumsfaktoren anzusprechen, müssen die betreffenden Zellen spezifische Rezeptoren haben, die größtenteils ebenfalls zu den Produkten der Protoonkogene gehören. In fast allen Organen findet ein ständiger Zellverschleiß statt, wobei Zellverlust und Zellentstehung im Gleichgewicht stehen. Auch dieses Phänomen unterliegt dem „sozialen Kontrollmechanismus“. Die Zellen des menschlichen Organismus haben einen unterschiedlichen turnover, das heißt sie teilen sich unterschiedlich häufig. Neuronen vermehren sich überhaupt nicht, Leberzellen teilen sich ein- bis zweimal im Jahr, Darmepithelzellen verdoppeln sich zweimal täglich. Wie lange Zellen in einem nicht-teilungsfähigen Stadium verharren, hängt allerdings nicht allein vom Zelltyp ab, sondern auch von äußeren Umständen. Wird beispielsweise die Leber geschädigt, so setzt innerhalb eines Tages eine Welle von Zellteilungen ein, und das verlorengegangene Gewebe wird sehr schnell ersetzt. Ähnliche Regenerationsvorgänge lassen sich auch bei anderen Organen beobachten. Normalerweise werden die Zelltypen dem Gewebemuster des betreffenden Organs entsprechend ersetzt, was für eine komplexe Wachstumsregulation spricht. Zur Aufrechterhaltung einer konstanten Organgröße und bei physiologischer Involution bestimmter Organe ist es auch notwendig, dass Zellen planmäßig eliminiert werden. Dieser Vorgang wird als programmierter Zelltod oder Apoptose bezeichnet. Bereits während der Embryonalentwicklung kommt es zur Ausschaltung funktionslos gewordener Neuronen oder zur Eliminierung autoreaktiver Lymphocyten. Auch beim Erwachsenen gibt es, wie Tabelle 6.3 beispielhaft zeigt, Organe, bei denen eine programmierte und meistens durch die Konzentration von Hormonen gesteuerte Eliminierung von Zellen durch Apoptose stattfindet. Tabelle 6.3: Einige Organe, bei denen Apoptose stattfindet Organ
Initiator
Leber
Hunger
Lymphocyten
Glucocorticoide
Neuronen
Mangel an Nervenwachstumsfaktor
Laktierende Milchdrüse
Abfall der Prolactin-Sekretion
Prostata
Mangel an Androgenen
Charakteristisch für die Apoptose, die wahrscheinlich in allen Organen vorkommt, ist, dass nur einzelne Zellen in einem sonst gesunden Organ absterben. Die Apoptose beginnt – mikroskopisch sichtbar – mit der Schrumpfung des Zellkerns, der der Zerfall der Zellmembran in Vesikel und die Auflösung der Zelle folgt. Das Zellmaterial wird von Makrophagen aufgenommen, ohne dass es zu einer Entzündungsreaktion oder zur Antikörperbildung käme. Die Apoptose unterscheidet sich somit von der Zellnekrose und dient unter anderem auch der Beseitigung von virusbefallenen Zellen und von manchen Tumorzellen. Dies erklärt das starke aktuelle Interesse an der Erforschung der Apoptose. Änderungen physikalischer und chemischer Natur, die von einer bestimmten Zelle eines Vielzellers registriert werden, müssen anderen Zellen, die sich oft in beträchtlicher Entfernung befinden, gemeldet werden. Die Kommunikation zwischen den Zellen ist
6 Die Entwicklung von Organen als evolutionärer Fortschritt
305
eine Grundbedingung für die präzise Abstimmung und Steuerung der Prozesse in einem komplexen arbeitsteiligen Organismus und schließlich die Grundlage seines Überlebens. Informationen werden natürlich auch von Zelle zu Zelle über diffusible Metaboliten oder Signalmoleküle sowie über Änderungen der elektrischen Felder als Folge von Ionenwanderungen weitergegeben. Im Prinzip werden die gleichen Elemente auch bei der Informationsvermittlung über längere Distanzen eingesetzt. Die Diffusion als Mechanismus der Übertragung reicht allerdings in diesem Falle nicht mehr aus. Weite Strecken müssen durch extrazelluläre Informationsströme, zum Beispiel über das Blut als effektiven Transportvermittler (Abschnitt 8.1), überbrückt werden. Zahlreiche chemische Botenstoffe – Hormone, Mediatoren, Metaboliten – benutzen diesen Weg. Die klassischen Hormone werden von speziellen Hormondrüsen oder Zellgruppen ausgeschüttet und gelangen auf dem Blutweg zu ihren Zielorten, das heißt zu Organen und Geweben, deren Zellen über entsprechende Rezeptoren verfügen. Bei einem größeren Organismus würden jedoch auf diese Weise übermittelte Signale noch immer relativ lange Zeiträume benötigen, um ihre Ziele zu erreichen. Wenn ein chemisches Signal schnell übertragen werden soll, muss der stoffliche Signalträger als solcher am Zielort entstehen. Auf diesem Prinzip beruht die Informationsübertragung mittels Neuronen und Neurotransmitter. Das physikalische oder chemische Signal löst in diesem Falle an einem Ende einer Nervenzelle eine elektrische Erregung aus, die schnell zum anderen Ende der axonalen Leitung gelangt. Am Zielort wird die Abgabe chemischer Signale in Form von Neurotransmittern ausgelöst, die über den synaptischen Spalt in der unmittelbaren Umgebung wirksam werden. Sie erreichen dort im Gegensatz zu den Hormonen nur wenige Zielzellen.
6.3 Die morphologische Differenzierung wird von der Diversifizierung des Zellstoffwechsels begleitet Wie bereits diskutiert, dient die Entstehung unterschiedlicher Gewebe und Organe im Verlauf der Morphogenese dazu, die Leistung eines hochkomplexen Organismus durch Arbeitsteilung zu optimieren. Um diesem Zweck zu genügen, sind die einzelnen spezialisierten Gewebe und Organe nicht nur morphologisch unterschiedlich, sondern auch die biochemische Potenz ihrer Zellen weist recht große Differenzen auf. Im Zusammenhang mit der Regulation des Stoffwechsels auf der Stufe der enzymatischen Katalyse wurde bereits darauf hingewiesen, dass die biochemische Individualität der Zellen vor allem durch ihre spezifische enzymatische Ausstattung geprägt ist (Abschnitt 1.3.1). Es sei jedoch nochmals daran erinnert, dass eine noch so ausgeprägte Spezialisierung nicht dazu führen kann, dass die einzelne Zelle auf bestimmte Grundfunktionen, die zu den Charakteristika lebender Systeme gehören, verzichtet. Zu diesen, über die gesamte Evolution konservierten, Leistungen gehören: die Gewinnung biologischer Energie durch Transformation physikalischer und chemischer Energie aus der Umgebung; die Synthese und der Abbau von Zellsubstanz, verbunden mit der Erhaltung charakteristischer Strukturen; die Aufrechterhaltung eines bestimmten intrazellulären – bei Mehrzellern auch extrazellulären – Milieus und des dafür notwendigen Stofftransportes zur Schaffung von Ionengradienten und schließlich die identische Replikation. Letzteres gilt zumindest für alle teilungsfähigen Zellen, zu denen auch die
306
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
meisten Zelltypen des Menschen gehören. Somit hat jede Zelle die für diese Grundleistungen notwendige enzymatische Ausstattung. Als Beispiel einer derartigen Grundfunktion wurde im Kapitel 5 die oxidative Energiegewinnung der Eukaryoten im Vergleich zur Substratkettenphosphorylierung besprochen. Die biochemische Uniformität verschiedener Zelltypen hinsichtlich ihrer Grundfunktionen ist allerdings nur qualitativer Natur. Die Intensität der Leistungen kann nicht nur zwischen einzelnen Lebewesen, sondern auch zwischen den Zellen ein und desselben Organismus beträchtliche Unterschiede aufweisen. Ein Beispiel möge dies deutlich machen: An der inneren Membran eines Lebermitochondrions gibt es über 10 000 einzelne Elektronentransportsysteme, die Membran eines Mitochondrions aus der Herzmuskelzelle enthält etwa dreimal soviele. Dies zeigt, dass die Energiegewinnung von der Intensität energieverbrauchender Prozesse abhängt, die wiederum in den einzelnen Organen stark differieren kann. Obwohl die Leber als ein sehr stoffwechselintensives Organ gilt, benötigt die Herzmuskelzelle für ihre kontinuierlichen Kontraktionen sehr viel mehr Energie. Auch sonstige für jede Zelle obligatorische Stoffwechselwege, zum Beispiel die Glykolyse, zeigen Unterschiede hinsichtlich ihrer Intensität, die nicht zuletzt wiederum an den Energiebedarf gekoppelt ist.
6.3.1 Der Stoffwechsel der Hauptnährstoffe hat organspezifische Charakteristika Die folgenden Kapitel 7 bis 12 werden sich mit dem Stoffwechsel der Hauptnährstoffe auf der Ebene von sechs Organen beziehungsweise Organsystemen befassen. Bei der Auswahl aus der Vielzahl von Organen des Menschen wurde in erster Linie die Bedeutung für den Metabolismus der Hauptnährstoffe berücksichtigt. Wie aus den Kapitelüberschriften hervorgeht, steht zwar die jeweilige organspezifische Rolle im Vordergrund der Betrachtung, allerdings lässt sich diese nicht isoliert behandeln, ohne den Grundstoffwechsel, der allen Zellen und Organen eigen ist, einzubeziehen. Zwei Beispiele sollen dies zeigen: Die Gluconeogenese ist eine Stoffwechselleistung, zu der – fast – ausschließlich die Leber und die Nieren befähigt sind. Dieser Prozess lässt sich jedoch nur im Zusammenhang mit der Glykolyse, als dem gegenläufigen Glucose verbrauchenden Stoffwechselweg, betrachten. Deshalb wird auch diese grundlegende metabolische Kette im Zusammenhang mit der Multifunktionalität der Leber besprochen. Die quantitativ überwiegende Rolle des Fettgewebes ist die Speicherung von Energie in Form von Triglyceriden. Der Fettstoffwechsel, der ebenfalls zu den basalen Leistungen jeder Zelle gehört, wird daher im Zusammenhang mit dem Fettgewebe berücksichtigt. Trotz der in einigen Fällen sehr stark ausgeprägten Organspezifität gibt es im hochentwickelten und differenzierten Organismus des Menschen kaum eine metabolische Leistung, die isoliert dasteht. Zwischen Zellen, Geweben und Organen findet auf den bereits besprochenen Wegen eine ständige Kommunikation und gegenseitige Beeinflussung statt. Alle anabolen und katabolen Prozesse auch des Nährstoffmetabolismus sind zu einem komplexen Netzwerk verbunden.
7
Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus
Mit einer Oberfläche von mehreren hundert Quadratmetern stellen die Epithelien des Magendarmtrakts den Kontakt des Organismus mit der aufgenommenen Nahrung her. Der stufenweisen Verdauung der komplexen Nahrungsinhaltsstoffe in Magen und Darm folgt die Resorption der Nährstoffe, aber auch die der Fremdstoffe. Zu den quantitativ bedeutendsten Leistungen der Darmschleimhaut zählt auch die Aufnahme von Wasser, die an die Resorption von Elektrolyten und Nicht-Elektrolyten – vor allem Glucose – gekoppelt ist. Einen wichtigen Beitrag zum koordinierten Ablauf von Verdauung und Resorption liefert die gastrointestinale Motilität, die durch neural programmierte Kontraktionen von Ring- und Längsmuskulatur den von oral nach aboral verlaufenden Transport des Nahrungschymus bewirkt. Meistens wird die Existenz dieser vielfältigen Leistungen des Gastrointestinaltraktes nicht wahrgenommen. Dies beruht auf der Autonomie der komplexen Regulation gastrointestinaler Prozesse. Die große Bedeutung des Magendarmtraktes wird jedoch dadurch deutlich, dass dieser Organverbund eines der größten endokrinen und neural innervierten Systeme im Organismus darstellt. Obwohl der Magendarmtrakt auch vom Zentralnervensystem (ZNS) und anderen Geweben Signale empfängt, kann er aufgrund seiner intrinsischen Kontrollsysteme auch autark arbeiten. Magen und Darm können ihre Funktionen direkt an alimentäre Nahrungszufuhr und metabolische Notwendigkeiten anpassen. Dazu werden unter anderem mehrere Dutzend Peptidhormone in enteroendokrinen Zellen gebildet. Sie fungieren als Signalgeber und sind meist im Organ selbst wirksam. Gleichzeitig können diese Hormone jedoch auch integrierend die gastrointestinalen Vorgänge mit Reaktionen in peripheren Geweben und im ZNS koordinieren. Darüber hinaus besitzt das darmassoziierte Immunsystem auch für die Immunantwort des Körpers eine große Bedeutung. Die anatomischen Grundlagen für die vielfältigen Aufgaben des Magendarmtrakts bilden spezifische, epitheliale Strukturen mit unterschiedlichen Zelltypen, die gleichzeitig die extreme Oberflächenvergrößerung der Schleimhaut herbeiführen. Darüber hinaus sind exokrine Drüsensysteme für die Bildung von Sekreten mit charakteristischer Zusammensetzung verantwortlich, durch die entlang des Magendarmtraktes Kompartimente mit unterschiedlichen physiologisch-chemischen Eigenschaften geschaffen werden können.
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Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
7.1 Die gastrointestinalen Funktionen werden komplex geregelt Nahezu jede Funktion des Gastrointestinaltraktes – wie Motilität, Flüssigkeits- und Enzymsekretion exokriner Drüsen, Resorptions- und Sekretionsprozesse des Epithels sowie Proliferation und Differenzierung gastrointestinaler Zellen – unterliegt einer Regulation durch Hormone und hormonähnliche Verbindungen. Die regulatorischen Faktoren gehören zu den Stoffklassen der Steroide, Peptide, Aminosäureabkömmlinge und Fettsäurederivate. Gastrointestinale Hormone werden zu einer Gruppe zusammengefasst, da sie vorwiegend – aber nicht ausschließlich – im Magendarmtrakt gebildet werden. Die wichtigsten Hormone dieser Gruppe sind die Gastrine und Cholecystokinine sowie verschiedene Peptide der Sekretin- und Glucagonfamilie. Dazu zählen unter anderem Sekretin, GLP-1 (glucagon like peptide 1), VIP (vasoaktives intestinales Polypeptid) und GIP (glucose dependent insulinotropic peptide). Darüber hinaus werden Substanz P, Bombesin, GRP (gastrin releasing polypeptide), Motilin und die der pankreatischen Polypeptidfamilie zugehörigen Verbindungen Neuropeptid Y, Peptid YY und pankreatisches Polypeptid im Darm nachgewiesen. Die Familienzugehörigkeit basiert auf Homologien und Identitäten in der Aminosäurensequenz einer Reihe dieser Peptide. Meist bestehen sie aus einfachen Peptidketten, wobei jedoch etwa die Hälfte der Hormone – ähnlich wie die hypothalamischen Peptide – ein amidiertes Carboxylende aufweisen. Dies ist gleichermaßen für die Stabilität und die biologische Funktion dieser Peptide wichtig. Die Synthese der gastrointestinalen Peptidhormone erfolgt in spezifischen polarisierten, endokrinen Zellen der Schleimhaut. Diese Zellen weisen meist eine trianguläre Struktur auf. Sie tragen Mikrovilli an der schmalen, zum Darmlumen orientierten Zellseite und besitzen basal (zur Blutseite orientiert) Speichervesikel mit den präformierten Hormonen. Die Freisetzung der Hormone wird einerseits neural vermittelt, andererseits unter der Wirkung von Signalen aus dem Darmlumen wie pH-Wert und Nährstoffzusammensetzung des Chymus. Bemerkenswert ist, dass die endokrinen Zellen, die einzelne Peptidhormone bilden und sezernieren, meist nur in bestimmten Abschnitten des Magendarmtraktes vorkommen. Sie sind somit in der Lage, lokal auf die Veränderungen der Zusammensetzung des Chymus im Darm zu reagieren und erlauben eine Feinsteuerung der unterschiedlichen physiologischen Funktionen. Abbildung 7.1 zeigt die Syntheseorte einiger ausgewählter Peptidhormone im Gastrointestinaltrakt sowie ihre wichtigsten Wirkungen. Auf die Bedeutung individueller Hormone wird bei der Besprechung physiologischer Vorgänge, die sie beeinflussen, eingegangen. Unter den regulatorisch bedeutenden Nicht-Peptiden in Magen und Darm sind vor allem das Stickstoffmonoxid (NO), die biogenen Amine Histamin und Serotonin sowie die Catecholamine und Eikosanoide zu nennen. Sie sind lokale Mediatoren von Sekretions- und Motilitätsvorgängen. Gleichzeitig sind sie wichtige Bindeglieder bei der Kommunikation zwischen dem gastrointestinalen Nervensystem und dem Epithel. Grundsätzlich unterscheiden sich die Mechanismen, mit denen diese Botenstoffe in Magen und Darm ihre Signale an ihre Empfängerzellen weitergeben, nicht von denen in anderen Organen. Das heißt, dass eine Vielzahl von Membranrezeptoren mit ihren nachgeschalteten Signaltransduktionsprozessen die spezifischen Zellantworten vermitteln. Im Zusammenhang mit der Wirkung des Choleratoxins wird die Bedeutung dieser zellulären Signalvermittlungsvorgänge bei der Kontrolle von Resorptions- und Sekretionsprozessen des Darms besonders deutlich. Die durch Choleratoxin ausgelöste
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 309
VIP Somatostatin Enteroglucagon CCK Sekretin GIP Gastrin Motilin
Neurotensin GLP-1 Guanylin
Magen Hormon
Duodenum Jejunum Bildungsort (Zelltyp)
Ileum
Colon
Rectum
Hauptwirkung
Gastrin
G-Zellen
Stimulation der HCl-Sekretion
CCK
I-Zellen
Stimulation der Sekretion von Pankreasenzymen, Gallenblasenkontraktion
Sekretin
S-Zellen
Hemmung der HCl-Sekretion, Stimulation der Volumen- und Bicarbonatsekretion des exokrinen Pankreas
Somatostatin
D-Zellen
Hemmung der Gastrin- u. Pepsinogen-Sekretion, Stimulation der Mucusproduktion, Unterdrückung der VIP- und Neurotensin-Sekretion
VIP
D1-Zellen
Hemmung der Volumen- und HCl-Sekretion im Magen, Stimulation des exokrinen Pankreas, Steigerung der Durchblutung im Darm und Stimulierung der Wasser- und Elektrolytsekretion im Darm
Neurotensin
N-Zellen
Hemmung der Sekretion im Magen und der Magenentleerung
Motilin
MO-Zellen
Stimulierung der Motorik des Magens und der Pepsinogen-Sekretion
GIP
K-Zellen
Förderung der Insulinfreisetzung nach oraler Kohlenhydratzufuhr
L-Zellen
Förderung der Insulinfreisetzung nach oraler Kohlenhydratzufuhr
Enteroglucagon
A-Zellen L-Zellen
Hemmung der Sekretion des Magens und der Magen-Darm-Motilität
Guanylin
div. Zellen
Stimulierung der Chlorid- und Flüssigkeitssekretion im Darm
(Vasoaktives intestinales Polypeptid)
(Glucose-abhängiges insulinotropes Peptid)
GLP-1 (Glucagon-ähnliches Peptid)
7.1
Bildungsorte und Hauptwirkungen der wichtigsten gastrointestinalen Peptidhormone
Flüssigkeitssekretion mit starker Diarrhoe beruht auf der ADP-Ribosylierung von Gsα-Untereinheiten der heterotrimeren G-Proteine in den Epithelzellen (Abschnitt 1.1.3.6). Dies verhindert die Reassoziation von Gs- α mit den β-γ-Untereinheiten zu einem inaktiven Gs-Protein. In der Folge kommt es durch Gs- α zu einer permanent aktivierten Adenylat-Cyclase. Der resultierende hohe cAMP-Spiegel in den Epithelzellen führt unter anderem über Proteinkinase A zu einer Sekretion von Cl–-Ionen und von Wasser sowie einer Steigerung der Motilität.
310
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Da auch Toxine von pathogenen E. coli Stämmen – wenn über die Nahrung aufgenommen – sehr schnell eine Elektrolyt- und Wassersekretion im Darm auslösen, suchte man nach den zellulären Reaktionspartnern dieser Toxine. Dabei zeigte sich, dass Epithelzellen einen Guanylat-Cyclase-Rezeptor für Peptidtoxine exprimieren und die Diarrhoe über eine Erhöhung des zellulären cGMP-Spiegels ausgelöst wird (Abschnitt 1.1.3.6). Gleichzeitig stellte sich aber die Frage, was der natürliche, das heißt körpereigene Ligand dieses Rezeptors ist. Erst vor kurzer Zeit wurde das Peptid Guanylin als Ligand identifiziert, so dass davon ausgegangen werden muss, dass das in Epithelzellen gebildete Guanylin eine wichtige Rolle bei der physiologischen Regulation der Elektrolyt- und Wasserresorption im Darm hat. Abschließend muss nochmals betont werden, dass es sich bei der Regulation nahezu aller physiologischer Vorgänge im Magen sowie Dünn- und Dickdarm um ein äußerst komplexes Geschehen handelt. Abbildung 7.2 gibt vereinfacht den integrativen Charakter dieses Regulationsgeschehens wieder. Epithelzellen, endokrine Zellen, subepitheliale Fibroblasten, Muskelfasern der Ring- und Längsmuskelschicht sowie der Blutgefäße können über die Neuronen des gastrointestinalen Nervensystems und deren Transmitter erreicht werden. Peptidhormone sowie Nicht-Peptidbotenstoffe werden auf spezifische Signale hin freigesetzt und vermögen ihrerseits, stimulatorisch oder inhibitorisch, im Wechselspiel mit dem Nervensystem die Magen-Darm-Motilität sowie die Digestions- und Resorptionsprozesse zu steuern. Die Abgabe von Peptidhormonen in das Blutgefäßsystem ermöglicht die Informationsweitergabe an periphere Gewebe, während gleichzeitig vom ZNS modulatorische Signale an das gastrointestinale Nervensystem übermittelt werden. Signale
Signale endokrine Zelle
Enterocyten
Myofibroblasten afferente Neuronen empfangen chemische oder mechanische Reize
Freisetzung von Peptidhormonen
Blutgefäße
efferente Neuronen modulatorische Signale vom ZNS
Hormone
periphere Gewebe
Muskulatur der Ring- und Längsmuskelschicht
7.2
Wechselwirkungen verschiedener Zelltypen beim Empfang und bei der Verarbeitung von Steuersignalen zur Beeinflussung intestinaler Funktionen
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 311
Aufbauend auf diesen Betrachtungen werden nachfolgend abschnittsweise – von oral nach aboral – die einzelnen physiologischen und biochemischen Vorgänge besprochen, die die Grundlage der Digestion der Makronährstoffe und der Resorption einzelner Nähr- und Inhaltsstoffe der Nahrung bilden.
7.2 Die Nahrung wird in der Mundhöhle nicht nur zerkleinert Die Nahrung wird in Form von Bissen sehr unterschiedlicher Größe in den Mund aufgenommen, zerkleinert und mit Speichel durchmischt. Bis zu welchem Ausmaß die Nahrung im Munde zerkaut wird, hängt von ihrer Art ab, aber auch von Gewohnheiten und Erziehung und davon, ob beim Essen gesprochen wird. Auf die Qualität der nachfolgenden Verdauung hat das Ausmaß des Kauens, entgegen der Volksmeinung, nur einen sehr geringen Einfluss. Während der Kauakt noch teilweise der Willkür unterliegt, ist der Schluckakt – wenn eingeleitet – ausschließlich reflektorisch. Von der im Mund befindlichen Nahrung wird eine Fraktion von 5–15 ml separiert und in den hinteren Rachenraum verlagert. Von einem stereotypen Schluckreflex aufgenommen wird dieser Bolus in den Oesophagus bewegt. Durch die Schwerkraft und durch eine peristaltische Welle im Oesophagus weiterbewegt, gelangt der Bolus durch den unteren Oesophagus-Sphinkter, der sich vor ihm öffnet und nach ihm wieder schließt, in den Magen. Für den Schluckakt ist die Speichelsekretion von sehr großer Bedeutung. Die Abgabe des Speichels unterliegt keiner hormonellen Kontrolle, kann aber dennoch zwischen gerade wahrnehmbaren Mengen (etwa 0,5 ml/min) und etwa 7,5 ml pro Minute nach maximaler Stimulation variieren. Die Speicheldrüsen des Menschen sondern pro Tag etwa 1–2 Liter Speichelflüsssigkeit ab. Durch ständiges Benetzen der Mundhöhle erleichtert der Speichel das Sprechen und spielt eine wichtige Rolle bei der Zahngesundheit. Eine fehlende Speichelsekretion begünstigt die Kariesentstehung. Der Speichel spielt auch bei der Geschmackswahrnehmung eine zentrale Rolle, da er Geschmacksstoffe löst, sie verdünnt und den Geschmacksrezeptoren zuführt (Abschnitt 3.1). Der hohe Bicarbonatgehalt des Speichels trägt darüber hinaus zur Neutralisation von Säuren bei. Der menschliche Speichel enthält eine Reihe von Enzymen. Quantitativ bedeutend ist vor allem die α-Amylase. Sobald diese durch das Kauen der Nahrung beigemischt wird, beginnt die Hydrolyse der α-1,4-glykosidischen Bindungen der Kohlenhydratpolymere. Bereits die Hydrolyse von nur 0,1 % aller glykosidischen Bindungen in Stärke genügt, um deren Partikelgröße um den Faktor 100 zu reduzieren. Dies führt zu einer drastischen Senkung der Viskosität des Speisebreis und verbessert das Abschlucken des Bolus. Darin scheint die primäre Bedeutung der Speichelamylase zu liegen.
7.2.1 Die Innervierung der Speicheldrüsen lässt „das Wasser im Munde zusammenlaufen“ Die Hauptmenge des Speichels wird von drei paarigen großen Drüsen gebildet: Glandula parotis, Gl. submandibularis und Gl. sublingualis. Die Parotisdrüsen entsprechen dem serösen Typ, da ihre Acinuszellen keine Mucine exprimieren. Ihr Sekret ist daher
312
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
wässrig im Vergleich zum mucinhaltigen Sekret der Submandibular- und Sublingualdrüsen. Sie gehören dem gemischten Typ an, da ihre Acinuszellen diverse Mucusproteine bilden und sezernieren. Darüber hinaus enthält die Mundhöhle zahlreiche kleine bukkale Drüsen sowie einige rein muköse Drüsen an der Unterfläche und dem Rand der Zunge. Entsprechend dem generellen Aufbau von Drüsen gehen auch bei den Speicheldrüsen die Acini in kurze Schaltstücke über, welche zunächst in intralobuläre Sekrettubuli und dann in die interlobulären Ausführungsgänge einmünden. Die Zellen der Acini und beider Tubulusabschnitte ähneln in ihrer Ultrastruktur anderen sekretorischen Zellen. Alle drei Abschnitte einer Speicheldrüse sind an der Speichelbildung und der Einstellung der Elektrolytkonzentration des Sekrets beteiligt. Die drei paarigen Drüsen sind mit sympathischen Nerven vom Ganglion cervicale superius versorgt. Diese Fasern setzen sämtlich Adrenalin frei. Sie ziehen zu den Blutgefäßen und den sekretorischen Zellen. Reizung dieser zuführenden sympathischen Fasern löst in allen Drüsen eine Gefäßkonstriktion aus (stressbedingte Austrockung des Mundes). Beim Menschen verursacht die Injektion von Adrenalin eine moderate Sekretion der Submandibulardrüsen, nicht aber der Parotisdrüsen. Parasympathisch werden die Drüsen von Fasern aus kranialen Zentren versorgt, wobei hier postganglionär Acetylcholin als wichtigster Neurotransmitter dient. Die gesamte Speichelsekretion wird beim Menschen ausschließlich neural reguliert. Wie schon erwähnt, wird die Speichelsekretion durch starke Wasserverluste, Angst und Furcht sowie andere starke psychische Belastungen vermindert. Die Speichelsekretionsrate kann jedoch auch bis zum 15-fachen gesteigert werden, wenn die Drüsen maximal innerviert werden. Bedingte Reflexe – ähnlich wie beim Pawlowschen Hund – sind bei der Speichelsekretion des Menschen nur von geringer Bedeutung. Nach Kanulierung der Ausführungsgänge der Speicheldrüsen zur genauen Erfassung der Sekretionsrate, zeigte sich bei Versuchspersonen keine oder nur eine minimale Sekretionssteigerung durch jene Dinge, die uns – wie wir glauben – das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Vielmehr scheint der Eindruck, dass uns der Mund wässrig wird, dadurch erklärbar, dass im Wachzustand die Mundhöhle immer Speichel enthält, obwohl wir uns dessen für gewöhnlich nicht bewusst sind. Der Gedanke ans Essen ruft uns die Anwesenheit des Speichels ins Bewusstsein und daraus schließen wir, dass wir soeben den Speichel abgesondert haben. Eine effektive Stimulation der Speichelsekretion wird erreicht, wenn die neuronalen Signale in die entsprechende physiologische Antwort übersetzt werden. Dazu müssen unter anderem die Blut- und Sauerstoffversorgung der Speicheldrüsen drastisch (etwa 20-fach) erhöht, die Stoffwechselrate der Zellen gesteigert und eine Vielzahl von Absorptions- und Sekretionsprozessen angepasst werden. Entsprechend wird der Gefäßtonus im versorgenden arteriellen Blutsystem reduziert, um den Blutfluss, die Sauerstoff- und die Nährstoffzufuhr zu erhöhen. Die Stoffwechselleistung der Zellen steigt in der Folge stark an. Auf der Grundlage der Anatomie des Drüsenkörpers mit seiner charakteristischen Blutgefäßarchitektur kann im Gegenstromaustausch (Abbildung 7.3.) nun die Komposition des Speichels und seine Sekretionsrate verändert werden. Das von den Acinuszellen im Drüsenkopf gebildete Primärsekret stellt prinzipiell ein Ultrafiltrat des Plasmas dar, das heißt, die Elektrolytzusammensetzung entspricht weitgehend der des intravasalen Raumes. In den Schaltstücken und den Ausführungsgängen der Drüsen erfährt dieses Primärsekret jedoch durch eine Vielzahl von elektroneutralen und elektrogenen Transportprozessen charakteristische Veränderungen. Bei basaler Sekretionsrate wird dadurch eine sehr effiziente, fast vollständige Reabsorption aller
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 313
Acinuskapillaren
venöses Blut
H2O
K+
Cl
_
Acinuskapillaren
Primärsekret der Acinuszellen
H 2O _ HCO 3
Tubuluskapillaren
Tubuluskapillaren
arterielles Blut
Sekret
7.3
Na+ K+ _ Cl
H2O
Schematischer Aufbau einer Speicheldrüse und der wichtigsten Elektrolyttransportprozesse bei der Sekretion des Speichels
Hauptelektrolyte (Na+, Cl–, HCO3–) mit Ausnahme von K+ ermöglicht. Daran osmotisch gekoppelt wird auch das Wasser reabsorbiert, so dass das Sekret einer unstimulierten Drüse eine stark hypotone Flüssigkeit darstellt. Die Reabsorption von Bicarbonat führt gleichzeitig dazu, dass der pH-Wert des Speichels bei etwa 5,5 bis 6,1 liegt. Nach dem Austritt in die Mundhöhle wird der Speichel jedoch durch Verlust an gelöstem CO2 alkalischer. Erfolgt eine Stimulation der Speicheldrüse mit gleichzeitiger Erhöhung des Blutflusses, ist die Flussrate des Sekrets im Drüsenkörper so hoch, dass die Verweilzeit des Primärsekrets in den Ausführungsgängen extrem kurz und die Kapazität zur Reabsorption der Elektrolyte überschritten ist. In der Folge nähert sich die Elektrolytkonzentration des Sekrets der des Plasmas an. Der Speichel weist dann eine Osmolarität von etwa 2/3 des Plasmawertes auf. Die Bicarbonatkonzentration liegt nach maximaler Stimulation der Speicheldrüsen sogar bei etwa 55 mmol × L–1 und ist damit etwa doppelt so hoch wie die des Plasmas. Dies ist auch die Ursache für den dann recht alkalischen pHWert im Speichel bei konstantem pCO2. Zu den Besonderheiten der Zellen in den Ausführungsgängen der Parotis- und Submandibulardrüsen gehört die Fähigkeit zur Akkumulation und Sekretion von Jodid, Nitrat und Thiocyanat. Deren Konzentration kann daher im Speichel weit über der des Plasmas liegen. Offenbar benutzen die Anionen hierbei denselben Transportmechanismus für die Sekretion, da sie sich gegenseitig behindern können. Ein ähnlicher oder identischer Transporter dient auch der Jodidaufnahme in die Schilddrüse. Eine Bedeutung erlangt die Sekretion von Nitrat in den Speichel vor allem im Magen. Einerseits
314
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
könnte das Nitrat zur Bildung von Stickstoffmonoxid dienen, andererseits spielt es möglicherweise eine Rolle bei der intrinsischen Nitrosaminbildung. Mit der Sekretion von Thiocyanat durch die Speicheldrüsen erhält der Speichel auch eine bakteriostatische Funktion in der Mundhöhle.
7.3 Der Magen erfüllt in erster Linie Kontrollfunktionen Als Hohlorgan dient der Magen in erster Linie der vorübergehenden Speicherung der abgeschluckten festen Nahrung und Flüssigkeit, um sie nach Durchmischung fraktioniert, das heißt portionsweise in das Duodenum zu entleeren. Er gliedert sich anatomisch und funktionell in den kuppelförmigen Fundusbereich, der oberhalb des Eintritts der Speiseröhre (Kardiabereich) liegt, den eigentlichen Magenköper (Corpus) und den, dem Pylorus (Magenausgang) vorgelagerten, Antrumabschnitt. Die Muskelschichten der Magenwand sind verhältnismäßig dünn und verdicken sich erst im Pylorusbereich stark. Sie verlaufen in Längs- und Querrichtung sowie schräg abwärts und bilden so eine dreischichtige Lage glatter Muskelfasern. Dies erlaubt eine schnelle Anpassung der Magenwanddehnung an den Füllungszustand. Im nüchternen Zustand, das heißt, bei leerem Magen, liegen die Innenwände dicht beieinander und nur im Fundusbereich lässt sich ein mit Gas gefüllter Raum nachweisen. Bei Füllung des Magens kommt es zur Dehnung der Wände, jedoch steigt aufgrund der rezeptiven Relaxation der Fasern der Druck im Lumen kaum an. Nach Aufnahme fester Nahrung weist der Mageninhalt eine deutliche Schichtung auf. Die zuletzt aufgenommene Nahrung liegt in der kleinen Kurvatur, also zwischen Kardia und Antrum, während die am längsten im Magen befindliche, sich im Pylorusbereich aufhält. Die Durchmischung des Mageninhalts erfolgt durch peristaltische Kontraktionen, die von einer Schrittmacherzone im unteren Corpusbereich ausgehen und mit einer Frequenz von circa 20 Sekunden als ringförmige Einschnürungen propagiert werden. Ist der Pylorus geschlossen, führen die wellenförmigen Bewegungen zu einer Verteilung des Chymus entlang der Innenwände nach oben, was zu einer starken Durchmischung führt. Wird der Pylorus geöffnet, kommt es als Folge der kräftigen Kontraktionen im Antrumbereich zu einer schnellen Entleerung, die sofort danach wieder zu einem Verschluß des Pylorus führt. Die Regulation der Entleerung ist ein außerordentlich komplexer Vorgang, der die Integration einer Vielzahl von Messgrößen zugrunde liegt. Die Motilität und fraktionelle Entleerung werden durch den in der Magenwand gelegenen Nerven-Plexus sowie den Nervus vagus und eine Reihe gastrointestinaler Hormone gesteuert. So wird die mechanische Magendehnung bereits unmittelbar in eine peristaltische Kontraktion übersetzt. Diese wird durch parasympathische Nervenimpulse über den Nervus vagus stark erhöht und kann daher durch Atropin als Parasympatholytikum gehemmt werden. Auch Gastrin erhöht die Entleerungsrate, wobei seine Freisetzung aus den G-Zellen der Antrumschleimhaut wiederum durch Magendehnung und zum Beispiel einen hohen Proteingehalt der Kost stimuliert wird. Auch die Partikelgröße des Chymus führt zu einer Förderung der Entleerung, wenn sie unter etwa 2 mm sinkt. Im Sinne einer Rückkopplung wird die Magenentleerung verlangsamt, wenn es zum Beispiel zu einem Abfall des pH-Werts im Duodenum kommt. Dies wird vorwiegend über die Sekretinfreisetzung vermittelt. Auch ein hoher Fett- und Energiegehalt im Duodenum reduziert über die ausgelöste CCK- und GIP-Freisetzung die Entleerung. Als re-
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 315
flektorische Hemmung wird die Magenentleerung auch bei hypertonem Duodenalinhalt und bei einer Dehnung des oberen Dünndarms vermindert. Darüber hinaus wirken auch die Temperatur der aufgenommenen Nahrung sowie die Lage des Körpers modulierend auf die Magenfüllung und Entleerungskinetik. Generell werden Flüssigkeiten sehr viel schneller entleert als feste Nahrungsbestandteile oder eine halbflüssige Kost. Teilweise lässt sich auch eine partielle Entmischung der Nahrung beobachten, so dass die flüssige Phase entlang der kleinen Kurvatur schneller zur Entleerung gelangt, als die gleichzeitig aufgenommene feste Nahrung. Im zeitlichen Verlauf zeigt die Entleerungskinetik nach Nahrungsaufnahme initial die höchste fraktionelle Rate mit bis zu 70–100 ml pro 10 min-Intervall. Nachfolgend sinkt die Entleerungsrate etwa im Verlauf von ein bis zwei Stunden exponentiell mit der Zeit. Dabei ändert sich aufgrund der Sekretionsprozesse im Magen auch die Zusammensetzung des in das Duodenum entleerten Chymus kontinuierlich.
7.3.1 Magenfunktionen werden mit intestinalen Sekretionsprozessen koordiniert Die Motilität des Magens und des Dünndarms ist einschließlich der Magenentleerung in einen Regelkreis, der auch die Sekretionsvorgänge des Magen-, Dünndarmund Pankreasgewebes einbezieht, eingebunden. Im Mittelpunkt der Steuerung steht die Sekretion der Salzsäure, die über ein komplexes Rückkopplungssystem reguliert wird. Morphologische Grundlage der spezifischen Sekretionsprozesse der Magenschleimhaut sind die tubulösen Drüseneinheiten, die auf eine Muskelschicht und die Submucosa aufgelagert sind (Abbildung 7.4). Eine Magendrüse wird von mehreren Zellarten gebildet. Auf der Magenoberfläche finden sich überwiegend einfache Epithelzellen mit der Fähigkeit zur Sekretion von Bicarbonat. Im Drüsenhals liegen sehr viele Nebenzellen, die „muc“-Gene exprimieren und Mucus sezernieren. Im Sinne einer funktionellen Kompartimentierung finden sich im unteren Teil des Drüsenkörpers (Abbildung 7.4) nebeneinander angeordnet Parietalzellen (Belegzellen) und Hauptzellen sowie auf dem Drüsenboden gelegen, basal-granulierte endokrine Zellen. Die apikalen Granula der Hauptzellen enthalten vor allem Pepsinogen. Die Parietalzellen spielen in vielfacher Hinsicht eine sehr wichtige Rolle im Sekretionsgeschehen des Magens. Sie sind der Ort der HCl-Sekretion und bilden den für die Cobalaminresorption im Ileum benötigten Intrinsic-Faktor (Abschnitt 7.8.2). Morphologisch fallen die Parietalzellen durch ihre Größe und starke Einfurchungen mit intrazellulären Kanälchen (Canaliculi) auf. Grundsätzlich lassen sich Förderung und Hemmung der gastralen Salzsäuresekretion in eine kephale, eine gastrale und eine intestinale Phase gliedern (Abbildung 7.5). Neben einer Hypoglykämie sind es Geruch, Geschmack sowie Kau- und Schluckvorgang, die bereits vor dem Eintreffen der Nahrung im Magen in der kephalen Phase die Sekretion von HCl fördern. Diese nervalen Signale werden über eine Acetylcholin- und GRP-Freisetzung (gastrin releasing peptide) vermittelt. Letzteres stimuliert die Gastrinfreisetzung aus den G-Zellen des Antrums und oberen Dünndarms, wobei Acetylcholin und Gastrin direkt an der Parietalzelle wirken. Es soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass es nicht nur ein Gastrin gibt, sondern dass im Plasma Gastrine unterschiedlicher Kettenlänge zirkulieren, die jedoch alle dieselbe C-terminale Sequenz tragen, die ihre biologische Aktivität bestimmt.
316
7.4
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Aufbau einer Magendrüse und Lokalisation der für die Sekretion entscheidenden Zelltypen Quelle: Krstic´, R. V. (1978) Die Gewebe des Menschen und der Säugetiere, Springer Vlg. S. 77
Nach Eintreffen der Nahrung im Magen (gastrale Phase) kann über die Dehnungsrezeptoren und unter Einbeziehung des ZNS die HCl-Sekretion über die Acetylcholinabgabe weiter verstärkt werden. Gleiches gilt für die Gastrinfreisetzung, so dass sich die Signalprozesse der kephalen und gastralen Phase stark überlagern. Verstärkend wirken zudem intestinale Signale, die nach dem Eintreffen des Chymus im Duodenum sowohl über Dehnungsreize, als auch chemisch – über Proteine und Aminosäuren – die HCl-Sekretion zusätzlich fördern (intestinale Phase). Ein weiterer wichtiger Botenstoff bei der Förderung der gastralen HCl-Sekretion ist das Histamin (Abbildung 7.6). Dessen Freisetzung aus enterochromaffinen (ECL-)Zellen des Magenepithels wird sowohl durch Acetylcholin als auch durch Gastrin gefördert, so dass ein weiterer Verstärkungsmechanismus zum Tragen kommt. Alle drei Botenstoffe, Gastrin, Acetylcholin und Histamin wirken über membranständige Rezeptoren auf die Sekretion der Parietalzelle. Im Falle des Histamins vermittelt der H2-Rezeptor die Aktivierung des Adenylat-Cyclase-Systems mit nachfolgendem Anstieg des cAMP-Spiegels und Aktivierung der Proteinkinase A. Gastrin und Acetylcholin stimulieren nach Rezeptoraktivierung die InsP3-Signalkaskade mit ei-
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 317
Kephale Phase
Gastrale Phase ZNS
C hy m us
Dehnungsrezeptoren
Geruch Geschmack Kauvorgang Schluckvorgang Hypoglykämie
HCl-Sekretion
Ausschüttung von Gastrin
IntestinalePhase
Acetylcholin Stimulation der HCl-Sekretion
Acetylcholin GRP (gastrin releasing peptide)
Ausschüttung von Gastrin
resorbierte Aminosäuren
+ HCl-Sekretion
+ erhöhter luminaler Druck
7.5
Wichtigste Stimulatoren der Salzsäuresekretion des Menschen in der kephalen, gastralen und intestinalen Phase
nem nachfolgenden Anstieg des cytosolischen freien Ca2+-Spiegels und einer Aktivierung calcium-/calmodulinabhängiger Proteinkinasen. Die Stimulierung der Parietalzelle führt zu einer dramatischen Veränderung des zellulären Stoffwechsels und der Morphologie. So zeigen stimulierte Zellen eine Veränderung des Erscheinungsbildes mit aufgefächerten Canaliculi, die nun alle zum Drüsenlumen hin geöffnet sind und somit eine große apikale Zelloberfläche exponieren. Die Sauerstoffaufnahme der Parietalzelle steigt in Verbindung mit dem ebenfalls erhöhten Blufluss im Gefäßsystem stark an und die Zelle produziert in großem Umfang ATP. Die molekulare Grundlage der nun stark stimulierten HCl-Sekretion ist die Bereitstellung von H+ und HCO3– aus der Carboanhydrase-Reaktion, wobei die Separierung der Ionen dem vektoriellen Export dient. Der Efflux der Protonen erfolgt über die apikale Membran durch den elektroneutralen K+/H+ Antiporter, die K+/H+-ATPase, eine zur Gruppe der Transport-ATPasen gehörendes Membranprotein (Ausschnitt Abbildung 7.6). Unter Verbrauch von ATP über die kovalente Modifikation des Transportproteins wird H+ gegen einen sehr hohen Protonengradienten in das Magenlumen überführt. Gleichzeitig werden Kaliumionen in einem stöchiometrischen Verhältnis aufgenommen; das Membranpotential ändert sich nicht. Damit sind die aus der Carboanhydrase-Reaktion hervorgegangenen Protonen eliminiert. Das im Cytosol verbliebene HCO3– wird durch Efflux über die baso-laterale Membran im Austausch gegen Cl–-Ionen mittels eines elektroneutralen Anionenaustauschers eliminiert. Mit dem Export von HCO3– und H+ geht zunächst eine Akkumulation von K+-Ionen und von Cl–-Ionen einher. Beide Ionenspezies verlassen jedoch die Parietalzelle entsprechend ihrem Gradienten durch die apikale Membran über selektive Ionenkanäle, wobei die K+-Ionen über die K+/H+-ATPase im Sinne eines Recycling wieder in die
318
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
HCl-Sekretion
Cytosol
Magenlumen
Cl
K+
Parietal-Zelle
noradrenerge Neuronen
H+
K+/H+-ATPase
K+
HCl
H+
+ Acetylcholin
Gastrin
+
Gefäße
+
Histamin ECL-Zelle
+ Gastrin
7.6
+
D-Zelle
Acetylcholin cholinerge Neuronen
Somatostatin
An der Regulation der HCl-Sekretion von Parietalzellen beteiligte Zelltypen und Botenstoffe (Inlay: HCl-Abgabe durch die apikale Membran der Parietalzelle) ECL-Zelle = enterochromaffine Zelle, unter anderem auch Mastzellen
Zelle aufgenommen werden können. In der Bilanz erfolgt eine stöchiometrische Abgabe von H+ und Cl– in das Drüsenlumen und damit in den Mageninhalt gegen einen bereits existierenden Konzentrationsgradienten. Neben den Signalbotenstoffen Gastrin, Acteylcholin und Histamin und der Carboanhydrase spielt die K+/H+-ATPase damit eine zentrale Rolle in der Salzsäuresekretion des Magens. Sie ist somit auch das Ziel moderner Pharmaka, die als Inhibitoren der ATPase die HCl-Sekretion vollständig blockieren können. Auch wenn alle Prozesse der Stimulation in einer sich verstärkenden Signalkaskade ablaufen, finden sich auch inhibitorisch wirkende Substanzen (Abbildung 7.6). So hemmt Noradrenalin zum Beispiel die Freisetzung von Histamin aus den ECL-Zellen und dämpft damit die Stimulation der Parietalzelle. Gleichzeitig stimulieren die cholinergen Neuronen auch D-Zellen im Fundus und im Antrum, die daraufhin Somatostatin sezernieren. Die Somatostatinsekretion wird darüber hinaus auch durch das calcitoningene related peptide (CGRP) und einen pH-Abfall unter 3,0 gefördert. Im Fundus bewirkt die Freisetzung von Somatostatin die Hemmung der Histaminabgabe durch die ECL-Zellen und im Antrum die Hemmung der Freisetzung von Gastrin aus den G-Zellen. Damit sinkt die Konzentration zweier wichtiger Stimulatoren der Salzsäuresekretion. Wesentlich für die Integration der Salzsäuresekretion in den Regelkreis von Magen und Dünndarm sind die Rückkopplungsschleifen, die vom Duodenum ausgehen. Der im Duodenum angelangte Chymus stellt mit seiner Menge und Komposition die Stellgröße für die Stimulation der Sekretion des exokrinen Pankreas dar, die durch die Abgabe von Sekretin und CCK aus enteroendokrinen Zellen im oberen Dünndarm vermittelt wird. Gleichzeitig werden damit auch Signale in die Sekretion inhibitorischer
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 319
Hormone umgesetzt, die im Magen die Somatostatinfreisetzung fördern und damit die Salzsäuresekretion hemmen. Dazu zählen das von S-Zellen des Antrums und Duodenums sezernierte Sekretin, das in EG-Zellen des Darms gebildete Enteroglucagon, das aus D1-Zellen freigesetzte VIP sowie das in N-Zellen produzierte Neurotensin. Wichtigstes Signal für die Freisetzung dieser für die HCl-Sekretion inhibitorischen Peptide, ist der intraduodenale pH-Wert, der nicht unter einen Schwellenwert absinken sollte, da dies zur Schädigung des Epithels führt. Um die pH-Homöostase zu erreichen, wird in der Rückkopplung zum Magen adaptativ die Salzsäuresekretion und die Entleerungsrate über die entsprechenden Hormone reduziert. Weitere relevante Sekretionsprozesse des Magenepithels sind die Enzymsekretion aus den Hauptzellen, die Volumen- und Bicarbonat-Sekretion der Oberflächenepithelzellen und die Mucus-Sekretion der Nebenzellen. Auch diese Prozesse unterliegen vielfältigen Regulationsvorgängen. So wirken zum Beispiel Gastrin, CCK und GIP über den InsP3-Weg sowie Sekretin, VIP, Prostaglandine (vor allem PGE) und Catecholamine über den cAMP-Weg stimulatorisch auf die Pepsinogensekretion. Prostaglandine spielen darüber hinaus eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Schutzfunktion des Magenepithels gegenüber einem Säure- und Proteasenangriff, weil sie die Mucussekretion und die Bicarbonatsekretion fördern, wodurch ein pH-neutrales Milieu der Magenwand in der Mucusschicht aufrechterhalten werden kann. Hemmt man die Prostanoidbildung zum Beispiel durch hoch dosierte nicht-steroidale Antiphlogistika, wie Aspirin, wird die Barrierefunktion beeinträchtigt und gastrointestinale Nebenwirkungen wie Gastritis und Schleimhautblutungen sind die Folge.
7.3.2 Die Digestionsleistungen des Magens sind vermutlich nicht sehr bedeutend Mit der Sekretion von HCl und Pepsinogen werden bereits im Magen Digestionsprozesse eingeleitet. Pepsinogen wird als Zymogen vom Magen selbst synthetisiert. Nach seiner Freisetzung aus den Zymogengranula wird ein aminoendständiges Vorstufensegment aus 44 Aminosäuren im Ausführungsgang des Drüsenkörpers säurehydrolytisch bei einem pH-Optimum von < 2 aktiviert und so seine katalytische Domäne freigesetzt (Abschnitt 1.3.3). In der Folge kann es nun autokatalytisch, das heißt proteolytisch, zur weiteren Bildung aktiven Pepsins beitragen und so sehr schnell eine hohe aktive Enzymmenge bereitstellen. Pepsin gehört zur Gruppe der Aspartatproteasen und besitzt ein pH-Optimum von 2. Immunologisch lassen sich zwei Pepsinogenvarianten nachweisen, die auch aus unterschiedlichen Zelltypen stammen. Pepsin besitzt vor allem eine hohe Aktivität gegenüber Kollagen und scheint insgesamt eine größere Rolle für die Proteolyse tierischer als pflanzlicher Proteine zu spielen. Pepsin besitzt auch im Zusammenhang mit der Entstehung von Ulcera eine große Bedeutung, da Salzsäure nur in Kombination mit Pepsin – nicht aber allein – zu einer Magenschleimhautschädigung führt. Untersucht man den Mageninhalt zu verschiedenen Zeitpunkten nach Verabreichung definierter Mahlzeiten, wird deutlich, dass die Proteindigestion im Magen nur in begrenztem Umfang stattfindet. Zwar führt Pepsin zu einer Verkleinerung der Nahrungspartikel, zur Lyse von Zellmembranen und zur partiellen Aufspaltung makromolekularer Proteine in Oligopeptide, doch werden praktisch keine kurzkettigen Peptide oder Aminosäuren freigesetzt. Auch wird der Einfluss des intragastralen pH-Werts auf die Proteinverdauung, insbesondere die Denaturierung der Nahrungsproteine, häufig überbewertet. Dass die Digestion der Proteine im Magen für die Proteinverwertung insge-
320
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Mahlzeit intragastraler pH
A
1
2
3
4
80 60 40 20
7.7
400 ml halb-flüssig, pH 6.0 1920 kJ 40 Energie% Kohlenhydrate 40 Energie% Fett 20 Energie% Protein
C
2
3
h
4
Mahlzeit
B
100
0
Mahlzeit
1
h
Mahlzeit
ml
D
intraduodenaler pH
Entleerungsrate
ml 10 min 120
intragastales Volumen
samt, das heißt deren weitere intestinale Hydrolyse und die Resorption der Abbauprodukte, keine große Rolle spielt, wird auch daran deutlich, dass bei Menschen mit pharmakologischer Blockade der HCl-Sekretion und damit auch verminderter Pepsinogenaktivierung keine Beeinträchtigungen der Proteinverwertung bekannt geworden sind. Aspiriert man den Mageninhalt nach einer Mahlzeit und bestimmt den Grad der Kohlenhydratdigestion, kann man im Gegensatz zu den Proteinen eine signifikant fortschreitende Hydrolyse oligomerer Kohlenhydrate beobachten. Dies geht im wesentlichen auf die Aktivität der Speichel-Amylase zurück, die offenbar im Magen auch bei einem pH 2 aktiv ist. Ähnliches gilt auch für die Wirkung der Lipase des Speichels. Auch diese ist im Magen aktiv und hydrolysiert vor allem Triglyceride mit kurz- und mittelkettigen Fettsäuren, die typisch für das Milchfett sind. Aus diesem Grund wird der Speichel-Lipase besonders beim Säugling, dessen Magen-pH-Wert insgesamt weniger sauer ist, eine wichtige Rolle bei der Milchfetthydrolyse beigemessen. Die Ausprägung der katalytischen Aktivität von Amylase und Lipase steht damit jedoch scheinbar im Widerspruch zum intragastralen pH-Milieu, denn beide Enzyme weisen ein pH-Optimum im neutralen Bereich auf und werden bei niedrigem pH schnell inaktiviert. Allerdings herrschen über den pH-Wert im Magen nach Nahrungsaufnahme häufig falsche Vorstellungen. Der Mageninhalt ist nämlich dann am sauersten, wenn keine Nahrung enthalten ist. Die basale Sekretion der Salzsäure führt dazu, dass das sehr geringe Flüssigkeitsvolumen (circa 20–50 ml) im nüchternen Zustand extrem niedrige pHWerte von 1,9–2,5 aufweist. Abbildung 7.7 zeigt an einem Beispiel die Veränderungen des pH-Werts im Magen und Duodenum sowie das Volumen des Mageninhalts und die Entleerungsrate nach Verabreichung von 400 ml einer halb-flüssigen Kost definierter Zusammensetzung an Probanden. Nach Nahrungsaufnahme steigt der pH-Wert im Magen zunächst sprunghaft an (Abbildung 7.7 A). Abhängig von der Pufferkapazität der zugeführten Nahrung kann sich der pH-Wert auf 4,5 bis 6,5 erhöhen. Die Pufferkapazität des Chymus wird dabei neben den titrierbaren Basen vor allem von der aufge-
0
1
2
3
h
0
1
2
3
h
Veränderungen des intragastralen und intraduodenalen pH sowie des Magenvolumens und der Entleerungsrate vor und nach Aufnahme einer definierten Kost (modifiziert nach Malagelada et al., In: Gastroenterology 70 (1976) S. 203–210)
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 321
nommenen Proteinmenge bestimmt, da Proteine bekanntlich gut puffern. Obwohl das Magenepithel über die beschriebenen Mechanismen nach Nahrungsaufnahme in starkem Umfang Salzsäure und Flüssigkeit sezerniert, bleibt zunächst der pH-Wert des Inhalts davon wenig beeinflusst. In einer zeitabhängigen Reaktion kommt es nun zu charakteristischen Veränderungen im Mageninhalt. Trotz einer sofort eintretenden Entleerung relativ hoher Chymusmengen in das Duodenum (Abbildung 7.7 B), bleibt das Gesamtvolumen des Mageninhalts über etwa 1 Stunde recht konstant (Abbildung 7.7 C). Dies beruht auf der Volumensekretion des Magens, die die entleerte Chymusmenge substituiert. Da mit der Entleerung jedoch auch Puffer (Proteine) in das Duodenum abgegeben werden, reduziert sich die Pufferkapazität des Mageninhalts. Bei gleichbleibend hoher Sekretionsrate der HCl sinkt der pH-Wert im Magenlumen nun exponentiell ab, um circa 30 bis 60 min nach Nahrungsaufnahme den Ausgangswert des nüchternen Magens zu erreichen (Abbildung 7.7 A). Dies heißt, dass erst zu späteren Zeitpunkten nach Nahrungsaufnahme ein sehr saurer Mageninhalt in das Duodenum entleert wird und die oben beschriebenen Regulationsmechanismen dann zur Hemmung der HCl- und Pepsinogensekretion führen. Der intragastrale pH-Wert zeigt damit ausgeprägte, durch die Mahlzeiten bedingte Schwankungen, die zusätzlich von der Menge und Zuammensetzung der aufgenommenen Nahrung abhängen. Während Proteine – wie erwähnt – über eine starke Pufferwirkung den pH-Wert in Richtung neutral verschieben, kann ein hoher Fett- und Energiegehalt der Kost über die signifikant reduzierte Magenentleerungsrate zu einem niedrigeren pH-Wert im Magenchymus führen. Verglichen mit den nachgeschalteten Prozessen der Digestion im Darm, spielen die Verdauungsvorgänge im Magen insgesamt eine nur untergeordnete Rolle. Viel wichtiger scheint dagegen die entleerte Chymusmenge, da sie das Substratangebot für die Enzyme von Pankreas und Darmepithel darstellt und damit regulierend auf den Umfang der Digestion wirkt. In diesem Zusammenhang muss auch darauf hingewiesen werden, dass die Verweilzeit des Chymus im Duodenum außerordentlich kurz ist, da unter anderem aufgrund hoher Flüssigkeitssekretionsraten des Epithels und des Pankreas, sehr hohe Flussraten des Chymus erreicht werden. Anatomisch werden Pankreas und Darm im Duodenum durch den Einmündungsgang des Pankreas verbunden. Gleichzeitig wird meist auch das Sekret der Gallenblase über diesen Ausführungsgang in das Duodenum entleert. Unmittelbar am Ausgang des Pylorus des Magens erweitert sich das Duodenum herzförmig zum Bulbus duodeni, der danach in das deutlich engere Darmrohr übergeht. Während im Bulbus duodeni noch extreme Schwankungen des pH-Wertes zu beobachten sind, die unmittelbar vom Mageninhalt bestimmt werden, kann bereits wenige Zentimeter unterhalb davon ein weniger stark fluktuierender pH-Verlauf registriert werden. Dies ist die Folge der kompensatorischen Titration des Duodenalinhalts durch Bicarbonationen aus dem exokrinen Pankreas und der Sekretion der Duodenaldrüsen oder Brunnerschen Drüsen. Diese sind anatomisch den Magendrüsen ähnlich in die Duodenalschleimhaut eingebettet. Sie sezernieren ein an Bicarbonat und Mucinen reiches Sekret. Auch die Oberflächenepithelzellen sind zu einer umfangreichen Bicarbonatsekretion befähigt.
322
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
7.4 Verschiedene morphologische Strukturen führen zu einer extremen Vergrößerung der inneren Darmoberfläche Der gesamte Dünndarm des erwachsenen Menschen weist bei einer Länge von etwa 6–8 Metern einen morphologisch einheitlichen Aufbau auf (Abbildung 7.8). Auf die äußere Serosa (Tunica serosa), in die dem Darm anliegenden Blutgefäße einziehen, lagert sich eine Längsmuskelschicht auf (Lamina muscularis). Zwischen dieser und der nachfolgenden Ringmuskelschicht liegen Fasern des intestinalen Nervengewebes mit dem Plexus myentericus, die unter anderem für die autonome Steuerung von Motilitätsvorgängen verantwortlich sind. In diesem Bereich der Muskelschicht lassen sich auch einzelne Lymphgefäße nachweisen. An der Grenzfläche zwischen Submucosa und der nun folgenden dünnen Muskelschicht der Mucosa (Muscularis mucosae) zeigt sich das ausgeprägte Nervengeflecht des Plexus submucosus (Meissner-Plexus), aus dem heraus einzelne Nervenfasern in die Zotten bis unmittelbar unter die Epithelzellen ziehen. Eingebettet in die mucosale Muskelschicht sind auch einzelne Lymphgefäßansammlungen, die als Drainagesystem die Lymphflüssigkeit aus dem Zottenbereich sammeln. Ein noch eindrucksvolleres Netzwerk von Blutgefäßen durchzieht die einzelnen Gewebeschichten. Die epithelialen Zellen auf den Zotten werden dabei meist von einer zentralen, in der Zotte aufsteigenden Arterie versorgt, während das venöse Abflusssystem von der Zottenspitze zur Basis korbartig das Resorbat sammelt und zentralen Venen zuführt.
7.8
Oberflächenvergrößernde Faktoren der Darmschleimhaut einschließlich der Gewebeschichtung und Architektur der die Zotten versorgenden Nerven sowie der Blut- und Lymphgefäße
Vergößerung der Oberfläche Kerckringsche Falten
Lymphgef„áe
Blutgef„áe
Nervensystem
x3 Zotten
x30
Zotten
Tunica mucosa
Mikrovilli
Muscularis mucosae
x600
Lymphknoten
Tela submucosa Pl. submucosus Lamina muscularis Lamina muscularis
Pl. myentericus
Tunica serosa
Enterocyt
Blut-
und
Lymphgefäße
Nerven
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 323
Funktionsträger der vielfältigen Aufgaben des Intestinaltrakts bei Digestion, Resorption, als immunbiologische Kontaktfläche und als größtes endokrines Organ sind die unterschiedlichen Zelltypen, die seine innere Oberfläche auskleiden. Neben den dominierenden Saumzellen, den Enterocyten, zählen dazu undifferenzierte Kryptenzellen, Zwischenzellen, Becherzellen, Paneth-Zellen, M-Zellen, eine Vielzahl verschiedener entero-endokriner Zellen und epithelassoziierte Zellen, wie intraepitheliale Lymphocyten. Das Besondere der Dünndarmschleimhaut ist die starke Oberflächenvergrößerung durch Schleimhautfalten (Kerkringsche Falten), Zotten und Mikrovilli. Durch die unterschiedliche Ausprägung von Strukturen entlang des Dünndarms nimmt die Kontaktoberfläche von proximal nach distal stark ab. So reduziert sich die Zahl der segelförmigen, in das Darmlumen ragenden, Kerkringschen Falten vom Duodenum zum Ileum. Auch die Zahl der Zotten pro Flächen- oder Längeneinheit sowie ihre Größe sinkt von proximal nach distal und entsprechend sinkt auch die Zahl der Enterocyten. Abbildung 7.8 zeigt die unterschiedliche Ausprägung der oberflächenvergrößernden Strukturen. Die letzte Substruktur, die die Kontaktoberfläche vergrößert, sind die Mikrovilli, von denen ein reifer Enterocyt im Bereich der Zottenspitze etwa 700 bis 3000 trägt. Während eine Epithelzelle etwa 6–9 μm breit und 20–30 μm lang ist, sind Mikrovilli nur noch 0,5 bis 1,5 μm lang und maximal 0,15 μm breit. Ihre Struktur und Stabilität wird von einem dichten und verwobenem Netz von Filamenten des Cytoskeletts ermöglicht (Abschnitt 1.2.7.1), das mit dem restlichen Cytoskelett des Zellkörpers verbunden ist. Die Bürstensaummembran der Mikrovilli stellt als Phospholipid-Doppelschicht mit integralen Membrantransportpoteinen und an der Membran verankerten Enzymproteinen die kleinste funktionelle Einheit dar. Durch die unterschiedliche Anzahl und Größe von Falten, Zotten, Enterocyten und Mikrovilli pro Zelle im oberen und unteren Dünndarm ist es sehr schwer die Kontaktoberfläche genau zu bestimmen. Gegenüber einem einfachen Zylinder wird sie jedoch durch die Substrukturen etwa 600-fach vergrößert (Abbildung 7.8). Auf den gesamten Dünndarm übertragen, ergibt sich daraus eine Oberfläche von etwa 300 bis 400 m2. Das Dünndarmepithel ist ein außerordentlich dynamisches Gewebe, das einen ständigen Umbau erfährt. Aus der Kryptenregion, der Proliferationszone des Epithels, erneuert sich die Mucosaoberfläche in circa 3–6 Tagen (Ileum, 3–4 Tage, Duodenum, 5–6 Tage) vollständig. Aus Stammzellen beziehungsweise multipotenten Kryptenzellen entstehen durch Teilung die neuen Zellen, die in Richtung Zottenspitze wandern. Beim Aufstieg zur Spitze der Zotte durchlaufen die Zellen ein umfangreiches Differenzierungsprogramm mit zunehmender Ausprägung der phänotypischen Eigenschaften (Abbildung 7.9). So finden sich in Enterocyten die Oberflächenenzyme (zum Beispiel Disaccharidasen) als Indikator der Differenzierung erstmals, wenn die Zellen den Kryptenbereich verlassen. Die höchste Aktivität der Enzyme kann gemessen werden, wenn die Zellen das obere Zottendrittel erreicht haben. In der Extrusionszone an der Zottenspitze werden die reifen Enterocyten in das Darmlumen abgestoßen. An dieser Abstoßung sind Signalwege der Apoptose (programmierter Zelltod, Abschnitt 6.2) beteiligt. Eine Vielzahl von Steuersignalen sind für das Proliferations- und Differenzierungsprogramm sowie die Apoptose in intestinalen Zellen verantwortlich. Neben den klassischen Peptidwachstumsfaktoren (EGF und TGF) zählen auch viele der gastrointestinalen Hormone zu den Signalgebern, die die Morphologie des Epithels beeinflussen. Da ihre Freisetzung vom luminalen Nahrungsangebot beziehungsweise der Zu-
324
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Digestion und Resoption
ProliferierendeZellen
Zotte
KRYPTE
Stammzellen
Ort der Sekretion
Proliferationszone
Differenzierungszone
reifer Enterocyt
Panethsche Zellen
7.9
Funktionelle Kompartimentierung der Sekretions- sowie der Digestions- und Resorptionsvorgänge entlang der Krypten-Zottenachse im Dünndarm
sammensetzung des Chymus beeinflusst wird, kommt es beim Fehlen dieser Signale, zum Beispiel bei längerfristiger parenteraler Ernährung, zu einer Schleimhautatrophie.
7.4.1 Der obere Dünndarm funktioniert wie ein Bioreaktor mit Prozessüberwachung Primäre Aufgabe des oberen Dünndarms ist die Verdauung der aus dem Magen angelieferten und noch immer komplexen Makronährstoffe. Deren Hydrolyse unter Beteiligung einer Vielzahl von Enzymen erfordert für den Ablauf der Reaktionen ein weitgehend konstantes Milieu, eine entsprechende Enzymmenge, eine Solubilisierung von lipophilen Bestandteilen und ein Entfernen der Reaktionsprodukte der Enzymkatalyse. Über ein entsprechendes Regulationssystem erfolgt die Prozesskontrolle, das heißt, Art und Umfang der Digestion müssen registriert und durch verminderte oder vermehrte Freisetzung von Enzymen, Gallensekret oder Bicarbonat zur Optimierung des Prozessablaufs angepasst werden. Eine zentrale Rolle nimmt dabei das Pankreas ein. Es ist ein exkretorisches Organ, in das innersekretorische Zellverbände, die sogenannten Langerhansschen Inseln, inselartig eingestreut sind. Das langgestreckte, etwa 100 g schwere Organ liegt in der Duodenalschleife und wird in seiner ganzen Länge von einem Ausführungsgang durchzogen. Vom Pankreas werden pro Tag etwa 0,7 bis 2,5 Liter Sekret mit einem pH-Wert von circa 7,7 (7,5 bis 8,8) – aufgrund seines hohen Bicarbonatgehalts – produziert. Das Organ besteht aus einer Vielzahl von Läppchen, die wiederum in kleinere Läppchen unterteilt sind. In diesen finden sich viele Gangverzweigungen, die in beerenförmigen Drüsenköpfen, den Acini, enden. Mit über 80 % der Zellmasse bilden die Acinuszellen die wichtigste Organkomponente. Zwischen den Ausführungsgängen und den Acini fin-
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 325
den sich Schaltstücke mit den für das exokrine Pankreas typischen zentroacinären Zellen. Die Enzyme beziehungsweise die inaktiven Proenzyme des Pankreassekretes werden in den Acinuszellen gebildet und in deren apikal gelegenen Zymogengranula gespeichert. Der Bauchspeichel enthält kohlenhydrat-, eiweiß- und fettspaltende Enzyme (Abbildung 7.10). Bei einer Reihe der Enzyme lassen sich noch unterschiedliche Isoformen nachweisen. Um den Acinus und die Schaltstücke vor einem proteolytischen Angriff und Selbstverdauung zu schützen, werden alle proteolytischen Enzyme als inaktive Vorstufen, die Zymogene, gebildet. Diesem Schutz dient auch die Sekretion von cysteinreichen Proteinen mit Trypsininhibitoraktivität. Erst unter Wirkung der Enterokinase, einer am Dünndarmepithel nachweisbaren Endopeptidase, wird durch partielle Proteolyse die Aktivierung des Trypsinogens eingeleitet. Die Enterokinase besitzt nur ein Substrat, nämlich Trypsinogen, und wird in Gegenwart von Gallensäuren vom Epithel abgelöst. Durch Enterokinase aktiviertes Trypsin kann sehr schnell durch gezielte Proteolyse autokatalytisch Trypsinogen sowie die anderen Enzyme aktivieren. Die zweite Hauptfraktion des Pankreassekrets ist die Volumen- beziehungsweise Elektrolytphase. Sie dient vor allem der pH-Homöostase im Duodenum. Ihre Sekretion erfolgt im Acinus und den Schaltstücken, wobei das Sekret charakteristische Veränderungen seiner Zusammensetzung auf dem Weg in das Duodenallumen erfährt. Zunächst wird ein Primärsekret mit plasmaähnlicher Elektrolytzusammensetzung und Sekretion
Azinus
Protein-Kinasen + cGMP
+
NO
+
ProteolytischeEnzyme Trypsinogen Chymotr ypsinogen Proelastase Procarboxypeptidase
2+
Ca in +
R
NOS L - Arg
cAMP
InsP3 AC PIP2
Rezeptoren
Rezeptoren
+ Acetylcholin CCK Bombesin Substanz P
+ Sekretin VIP
NOS: Stickstoffmonoxid-Synthase PIP2: Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat InsP3: Inositol-trisphosphat AC: Adenylatcyclase R: InsP3-Rezeptor
7.10
LipolytischeEnzyme Lipase Phospholipasen Carboxylesterase AmylolytischeEnzyme -Amylase Nucleasen DNasen RNasen Andere Procolipase Trypsin-Inhibitor
Enzymsekretion des exokrinen Pankreas und Signaltransduktionsprozesse in Acinuszellen nach Stimulation mit gastrointestinalen Hormonen
326
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Osmolarität gebildet. Bei den Elektrolyten dominieren Na+, Cl– und HCO3–. Abhängig vom Grad der Stimulation sinkt die Chloridkonzentration spiegelbildlich zum Anstieg der Bicabonatkonzentration, während Natrium- und Kaliumkonzentration unverändert bleiben. Auch die Osmolarität bleibt unbeeinflusst von der Sekretionsrate. Aufgrund der hyperbolisch zur Sekretionsrate steigenden HCO3–-Konzentration kommt es bei annähernd konstantem CO2-Partialdruck in den Ausführungsgängen zu einem pH-WertAnstieg im Sekret bis auf 8,8. Auch ohne spezifische Sekretionssignale kann eine basale Sekretion des exokrinen Pankreas beobachtet werden, wobei die Abgabe des Sekrets mit der gastrointestinalen Motilität verbunden ist. Die Regulation der Pankreassekretion erfolgt neural und humoral. Die Stimulation der Sekretion des exokrinen Pankreas kann, vergleichbar der gastralen Sekretion, in eine kephale, eine gastrale und eine intestinale Phase unterteilt werden (Abbildung 7.11). Als kephalische Sekretionsphase wird der Anteil der Bauchspeichelsekretion bezeichnet, der unter dem Einfluss neuraler Impulse steht. Vor und während der Nahrungsaufnahme lösen Geruchs- und Geschmacksreize reflektorisch eine Sekretion aus. Ebenso wirkt der Anblick oder die Vorstellung von Speisen sekretionsfördernd. Die anschließende gastrale Phase wird ausgelöst, wenn die Nahrung in den Magen gelangt. Vor allem durch einen mechanischen Dehnungsreiz erfolgt eine Sekretionssteigerung über lokale Reflexe und die Freisetzung der gastrointestinalen Hormone Sekretin, CCK und Gastrin. Sekretin bewirkt die Ausscheidung größerer Mengen eines stark alkalischen, aber enzymarmen Pankreassekrets. CCK und Gastrin steigern die Enzymabgabe der Drüsenacini. Die intestinale Phase wird durch den Übertritt sauren Mageninhalts beziehungsweise von Fett- und Eiweißabbauprodukten in das Duodenum ausgelöst. Der intestinale Reiz fördert die Pankreassekretion über die Freisetzung von CCK, Sekretin und VIP. Auch Gallensalze sollen die exokrine Pankreasfunktion stimulieren. In den I-Zellen des oberen Dünndarms wird das Cholecystokinin (CCK) gebildet. Es erscheint im Blut in verschieden großen Peptidfragmenten, wobei die Hauptfraktion 33 Aminosäurereste aufweist. Die Sequenz zeigt in seinem carboxyterminalen Bereich eine auffallende Identität mit Gastrinen. Gastrine, wie auch CCK, sind sulfatiert und besitzen einen amidierten Carboxyterminus. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Gastrine genauso wie CCK die Sekretion des Pankreas stimulieren können. Sekretin wird in den S-Zellen des oberen Dünndarms gebildet. Es besteht aus 27 Aminosäuren und weist sowohl hinsichtlich Größe als auch hinsichtlich Sequenz Ähnlichkeiten zum VIP auf, das aus 28 Aminosäuren besteht. VIP wird in D1-Zellen des Gastrointestinaltrakts gebildet. Auch Sekretin und VIP sind C-terminal amidiert. Aufgrund unterschiedlicher Ausstattung mit Rezeptoren (verschiedene Isoformen und Dichte) für diese Peptide zeigen Zellen der Acini und der Ausführungsgänge der Drüsen eine unterschiedlich starke Antwort auf die Stimulation mit diesen Hormonen. Während CCK an den Zellen der Schaltstücke allein praktisch keine Wirkung besitzt, stimuliert es stark die Acinuszellen. Sekretin wirkt im Gegensatz dazu auch allein an beiden Zellpopulationen, wenngleich es bei geringeren Plasmakonzentrationen zunächst in den Gangsystemen die Sekretion beeinflusst. Stark vereinfacht gilt CCK als der Förderer der Enzymsekretion und Sekretin in erster Linie als Stimulator der Volumen- und Bicarbonatabgabe. VIP wirkt wie Sekretin auf beide Prozesse. Auf molekularer Ebene vermitteln VIP und Sekretin ihre Aktivität über Gs-Protein gekoppelte Rezeptoren mit einem Anstieg des cAMP-Spiegels und der Aktivierung von Proteinkinase A. CCK, Acetylcholin, aber auch andere Peptide wie Bombesin und Substanz P, beeinflussen die Pankreassekretion dagegen über die Aktivierung des InsP3-Weges und der Proteinkinase C (Abbildung 7.10). Mit dem Anstieg des intra-
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 327
Gastrale Phase
Kephale Phase
Intestinale Phase
bis max.10% der Stimulation
kann bis zu 50% der maximalen Stimulation betragen
Geruch Geschmack Kauvorgang
Vagus-Nerv Vagusafferenz
Vagusafferenz
Vagusefferenz
Volumenzunahme
Vagusefferenz
+ +
C
hy m us
+
Gastrin CCK Stimulation der Proteinsekretion Stimulation der Volumensekretion
7.11
Stimulation der Proteinsekretion
+ Fettsäuren>C8 pH Aminosäuren Peptide
Stimulation der Volumensekretion
Stimulation der Sekretion des exokrinen Pankreas in der kephalen, gastralen und intestinalen Phase
zellulären Spiegels an Calciumionen erfolgt auch die Aktivierung der NO-Synthase und über das gebildete NO ein Anstieg des cGMP-Spiegels. Am Ende dieser Signalkaskaden steht einerseits die Entleerung der Zymogengranula mit Freisetzung der Enzyme und Proenzyme (Abbildung 7.10), andererseits die Beeinflussung der für den Elektrolyttransport verantwortlichen Membranproteine. Signale für die Freisetzung der verschiedenen Peptidhormone aus den endokrinen Zellen der Dünndarmschleimhaut werden offenbar über luminale Rezeptoren in diesen Zellen erfasst, wobei die Natur der Rezeptoren und der Mechanismus ihrer Stimulation bisher nicht bekannt sind. Wichtige Signalgeber für die Hormonfreisetzung und damit die Stimulation der exokrinen Funktion des Pankreas sind der duodenale pHWert und die Anwesenheit von Aminosäuren, Peptiden und Fett. Weder Glucose noch Kohlenhydratpolymere scheinen die exokrine Pankreassekretion zu beeinflussen, wenn sie ins Duodenum gelangen. Im Gegensatz dazu üben Proteine und Oligopeptidgemische, aber auch Aminosäuren eine starke Wirkung auf die Enzymsekretion aus. Unter den freien Aminosäuren scheinen Phenylalanin und Tryptophan eine besondere Rolle einzunehmen. Allerdings wird die Bedeutung der einzelnen Komponenten für die Stimulation der Sekretion kontrovers diskutiert. Sowohl freie Fettsäuren mit mehr als 8 C-Atomen, als auch ihre korrespondierenden Monoglyceride stimulieren nach intraduodenaler Gabe die Volumen- und Enzym-
328
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
sekretion des Pankreas. Sowohl die Sekretionswirkung der Lipide, als auch die der Proteinfraktion des Chymus, werden in erster Linie über die CCK-Freisetzung vermittelt. Verstärkt wird in jedem Fall der Effekt der Inhaltstoffe des Chymus durch einen pH-Abfall im Duodenum unter pH 4,5, der dann zu einem drastischen Anstieg der Bicarbonatund Volumensekretion beiträgt. Hinweise darauf, dass im postresorptiven Zustand, das heißt, nach dem Einströmen von Nährstoffen in die Zirkulation auch eine Rückkopplungswirkung auf die Pankreassekretion erfolgt, gibt es vor allem aus tierexperimentellen Studien.
7.5 Das Gallensekret dient primär der Solubilisierung der Lipide des Chymus Für die Fettresorption im Dünndarm ist neben dem Pankreassekret vor allem die Gallensekretion wichtig. Die Galle ist ein Sekret der Leber und wird konstant gebildet. Sie wird zwischen den Mahlzeiten in der Gallenblase gesammelt. Die von den Hepatocyten über die kanalikuläre Membran sezernierten Bestandteile (Abschnitt 9.5.3.1) werden über den zentralen Lebergallengang der birnenförmigen 8–12 cm langen und etwa 4–5 cm breiten Gallenblase zugeführt und hier konzentriert. Lebergalle und Blasengalle unterscheiden sich daher in ihrer Zusammensetzung (Abschnitt 9.5.3). In der Verdauungsphase kann die Lebergalle über den Ductus hepaticus und den Ductus choledochus unmittelbar in das Duodenum abfließen. Freigesetztes Sekretin fördert die Gallensekretion, ebenso wie Gallensäuren, die durch die Rückresorption aus dem Ileum wieder zur Leber gelangen. Durch Aktivierung des Nervus vagus kommt es über eine Förderung der Leberdurchblutung ebenfalls zur Stimulation der Gallensekretion. Die Blasengalle wird dagegen vor allem durch Kontraktionsreize und Öffnung des Sphinkters unter Wirkung von CCK in das Duodenum entleert. Die Ausscheidung der Gallensäuren und anderer Substrate wie Bilirubin und organische Anionen erzeugen einen osmotischen Gradienten, der die Abgabe von Wasser aus dem Hepatocyten in die Gallenkapillaren nach sich zieht. Dies wird als die gallensäureabhängige Sekretion bezeichnet. Die gallensäureunabhängige Sekretion wird dagegen vorwiegend durch die Wasserbewegungen entlang des Na+-Gradienten bestimmt. Das täglich produzierte Volumen an Gallensekret beträgt etwa 600–1000 ml, wobei circa 550 ml aus der hepatocytären Sekretion und der Rest durch eine zusätzliche Flüssigkeitsabgabe in die Ausführungsgänge zustande kommt. Bleibt der Schließmuskel direkt vor der Vereinigung von Gallen- und Pankreasgang (Sphinkter Oddi) während Phasen ohne Nahrungsaufnahme geschlossen, konzentriert die Gallenblase das hier gespeicherte Sekret beträchtlich. Allerdings können nur circa 50–70 ml Sekret in der Blase gespeichert werden. Für die Konzentrierung der Gallenflüssigkeit dient die aktive Natriumresorption durch die Epithelzellen der Wand der Gallenblase als treibende Kraft. Ihr folgt eine isotonische, das heißt dem osmotischen Gradienten folgende Wasserresorption. Durch die Elektrolyt- und Wasserresorption kann der Inhalt der Blase etwa 5- bis 10-fach konzentriert werden. Aufgrund der konstanten Gallensekretion durch die Leber kann auch bei Menschen nach operativer Entfernung der Gallenblase meist noch eine ausreichende Funktion bei der Digestion erreicht werden. Gallensäuren sind polare Abkömmlinge des Cholesterins (Abschnitt 9.5.3). Diese Verbindungen sind hocheffektive Detergentien, da sie neben polaren auch unpolare Regionen besitzen. Sie sind die Hauptbestandteile der Gallenflüssigkeit und machen die
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 329
Lipide der Nahrung löslich. Sie fördern die Hydrolyse der Lipide durch Lipasen und erleichtern ihre Resorption im Dünndarm. Gallensäuren stellen außerdem die Hauptabbauprodukte des Cholesterins dar. Die Solubilisierung und Stabilisierung des Cholesterins in der gemischten micellaren Lösung mit Gallensäuren verhindert dessen Auskristallisierung und damit die Bildung von Gallensteinen. Über die Gallenblase werden pro Tag etwa 2–4 g Gallensäuren in das Duodenum abgegeben und zu etwa 90 % im Ileum rückresorbiert, wobei der Pool etwa 6–10 mal pro Tag rezirkuliert (Abbildung 7.12). Analysiert man die Fraktion der Gallensäuren im Pool, findet man Gallensäuren mit unterschiedlicher Anzahl von Hydroxylgruppen sowie sulfatierte Formen. Nachdem die Gallensäuren ihre Funktion bei der Fettverdauung und -resorption erfüllt haben, werden sie im Ileum durch einen Na+-abhängigen Cotransporter (ISBAT: ileal sodium-dependent bile acid transporter) rückresorbiert. Dieses Transportsystem weist die höchste Transportkapazität (Vmax) für Trihydroxy-Gallensäuren, wie Cholsäure, auf und zeigt eine höhere Affinität (Km) für konjugierte Gallensäuren wie Taurocholsäure. Der Efflux der Gallensäuren über die baso-laterale Zellmembran erfolgt über Anionenaustauscher, die Triebkraft der Resorption liefert die Na+/K+-ATPase, die den Na+-Gradienten für die apikale Aufnahme erzeugt. Über die Portalvene gelangen die Leber
Gallenblase
de novo Synthese ca. 0,1 g/Tag
Sekretion 2-4g/Tag Micellenbildung im oberen Dünndarm
Blutseite
Ileum
0,6 bis 1g/Tag
Epithelzelle im Ileum K
Lumen
+
Na GS
Ausscheidung in Fäzes
Na +
+
GS
ISBAT
Anion
GS Gallensäure- Anion HO C=O R
HO
GS = Gallensäure
7.12
ISBAT: ileal sodium-dependent bile acid transporter
OH
Trihydroxy-coprostanat
Enterohepatischer Kreislauf der Gallensäuren und zelluläre Transportvorgänge der Gallensäureresorption im Ileum
330
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Substrate zurück in den Hepatocyten und stehen für eine erneute Sekretion zur Verfügung. Abbildung 7.12 fasst das Schicksal der Gallensäuren im enterohepatischen Kreislauf zusammen.
7.6 Die enzymatische Hydrolyse der Nährstoffpolymere im oberen Dünndarm hat eine luminale und eine membrangebundene Phase Die luminalen Prozesse der Digestion beginnen mit der Einstellung eines pH-Milieus im Chymus (pH 6,0 bis 7,0), das dem pH-Optimum der meisten pankreatischen Enzyme nahekommt. Hierzu dient das bicarbonatreiche Pankreassekret, aber auch – wie bereits erwähnt – die HCO3–-Sekretion durch das Duodenalepithel. Durch das gastrale und pankreatische Sekret wird das Chymusvolumen in der Digestionsphase auf etwa 2 Liter eingestellt. Die aufgenommene Nahrung erreicht somit das Duodenum bereits verdünnt. Im wässrigen Chymus liegen die Nahrungslipide meist noch in unterschiedlich großen Tröpfchen vor, wobei sie häufig von einer Phospholipidschicht umgeben sind. Aufgrund der Verdünnung und durch die komplex regulierte Magenentleerung weist der Chymus im Duodenum eine relativ konstante Zusammensetzung auf. Zwar beginnen alle Digestionsprozesse im Lumen des Duodenums, doch setzen sie sich bis ins Jejunum fort. Unter der Wirkung der Pankreasenzyme werden in der luminalen Phase zunächst die hochmolekularen Speicherkohlenhydrate und Proteine in kürzerkettige Oligomere zerlegt sowie die Triglyceride gespalten. Diese Prozesse verlaufen teilweise auch direkt am Epithel, weil Pankreasenzyme an das Darmepithel binden beziehungsweise adhärieren. Die membrangebundene Phase der Digestion wird jedoch vor allem durch eine Vielzahl von Enzymen katalysiert, die in der Epithelzelle synthetisiert und in der Bürstensaummembran der Zelle verankert werden. Ihr katalytisches Zentrum ist zum Darmlumen hin orientiert und die Enzyme zeigen eine ausgeprägte Spezifität für die meist kleineren, das heißt niedermolekularen Substrate.
7.6.1 Die Digestion und Resorption von Kohlenhydraten erfolgt mit rasanter Geschwindigkeit Zwar sind Kohlenhydratpolymere durch die Speichelamylase bereits teilweise hydrolysiert worden, doch findet ihre quantitativ bedeutendste Aufspaltung erst im Duodenum und Jejunum statt. Die Endprodukte stellen immer noch kleinere Oligomere dar, die erst in der membrangebundenen Phase der Digestion zu Monomeren gespalten werden. Die alimentär zugeführten Kohlenhydrate können entsprechend der Natur der glykosidischen Bindungen zwischen ihren Monomeren in zwei Gruppen eingeteilt werden: Kohlenhydrate, die verfügbare, das heißt, resorbierbare Monomere im Dünndarm liefern, sind vorwiegend solche, die α-1,2-, α-1,4-, α-1,6- oder β-1,4-glykosidische Bindungen aufweisen. Oligo- und Polysaccharide vom Typ der Raffinose, der Cellulose, der Hemicellulosen und der Pektine ergeben dagegen keine resorbierbaren Monomere. Gegenwärtig werden viele Kohlenhydrate mit sogenannten präbiotischen Eigenschaften in Lebensmittel eingeführt, die gezielt zur Fermentation im Dickdarm führen, und die
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nur in sehr geringem Umfang im Dünndarm durch körpereigene Enzyme gespalten werden können. Zu diesen sogenannten präbiotischen Kohlenhydratpolymeren zählen vor allem Inulin, Oligofructosen, Oligogalactosen und Neozucker. Bei der Hydrolyse der primären Speicherkohlenhydrate der Lebensmittel, wie den strukturgleichen Verbindungen Glykogen und Amylopektin, sowie der unverzweigten Amylose, spaltet die α-Amylase des Pankreas nur α-1,4-glykosidische Bindungen. Der Zugang des Enzyms zu Stärkesubstraten wird durch deren physikalisch-chemische Vorbehandlung signifikant beeinflusst. Zwar wird auch α-Amylase in so großen Mengen, respektive Aktivitäten, aus dem Pankreas abgegeben, dass ein sehr großer Überschuss an Spaltungskapazität da ist, doch kann bei rohen, das heißt nicht mit Wasser behandelten und gekochten Stärken der Angriff des Enzyms auf die zu spaltenden Bindungen erschwert sein. Gleiches gilt natürlich auch für wenig zerkleinerte Getreideoder Hülsenfrüchtezubereitungen. Aufgrund der dadurch zeitlich verzögerten Spaltung der Stärke zeigen solche Produkte häufig einen niedrigeren glykämischen Index und eine erhöhte colorectale (im Dickdarm und Rectum stattfindende) Fermentation. Bei hitzebehandelten und löslichen Stärken erfolgt die Hydrolyse dagegen extrem schnell. Mittlerweile werden Stärken technisch so modifiziert (zum Beispiel retrogradiert), dass ihre Spaltung ebenfalls nur noch sehr langsam erfolgt und sie damit kaum mehr als Quelle von Glucose im Dünndarm dienen können. Ziel des Einsatzes solcher modifizierter Stärken ist, – neben der Nutzung ihrer besonderen technologischen Eigenschaften in der Lebensmittelproduktion – fermentierbare „Präbiotica“ oder auch nicht-fermentierbare Ballaststoffe zu erzeugen. Als Endoenzym greift die α-Amylase an vielen Stellen im Inneren der Stärkemoleküle gleichzeitig an, wobei aufgrund ihrer Spezifität für die α-1,4-glykosidischen Bindungen aus dem Amylopektin und Glykogen sogenannte α-Grenzdextrine freigesetzt werden. Die katalytische Aktivität der Amylase sinkt umso stärker, je näher sie sich den Verzweigungsstellen mit α-1,6-glykosidischen Bindungen nähert. Als Produkte der Hydrolyse entstehen Maltose und Maltotriose sowie Grenzdextrine, die durchschnittlich aus etwa 6 Glucoseeinheiten bestehen. Die intermediär auftretenden Maltooligosaccharide (Maltodextrine) mit unterschiedlicher Kettenlänge sind experimentell schwer zu erfassen, da sie sehr schnell zu den kurzkettigen Oligosacchariden gespalten werden. Obwohl die Hydrolyse der hochpolymeren Kohlenhydrate überwiegend im Lumen des oberen Dünndarms erfolgt, kann die α-Amylase offenbar auch an die Glykocalix der Membran der Epithelzellen binden und hier die Hydrolyse fortsetzen. Dadurch werden die Produkte der Amylasereaktion unmittelbar den an der Membran gebundenen Enzymen der zweiten Phase der Digestion zugeführt. Die membrangebundene Phase besteht vorwiegend in der Spaltung der Disaccharide, der kurzkettigen Oligosacharide und der α-Grenzdextrine (Abbildung 7.13). Während α-Grenzdextrine als Produkte der Amylasewirkung betrachtet werden können, stammen die Disaccharide vorwiegend direkt aus der Nahrung. Nur im Falle von Maltose, deren alimentäre Zufuhr recht gering ist, entspringt die größte Menge dem Abbau der Stärken. Saccharose, Maltose und Lactose sowie die α-Grenzdextrine werden von verschiedenen Oberflächenhydrolasen der Epithelzelle umgesetzt. Die verschiedenen Enzyme und einige ihrer Eigenschaften zeigt Tabelle 7.1. Die Glucosidasen und Galactosidasen an der Bürstensaummembran von Epithelzellen lassen sich proteinchemisch und nach ihrer Spaltungsspezifität unterscheiden. Sie sind Proteine unterschiedlicher molarer Masse, die meist über einen helikalen Membranabschnitt aus hydrophoben Aminosäuren in der Bürstensaummembran verankert sind. Ihr kurzer aminoterminaler Bereich liegt im Cytosol, während über 90 % der Pro-
332
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 7.1: Kohlenhydratspaltende Enzyme der intestinalen Bürstensaummembran Km(mmol × L–1)
Enzym
Spezifität
Substrate
Produkte
Maltase
α-1,4 Bindung
Maltose Maltooligosaccharide
Glucose
1–4
Saccharase-Isomaltase-Komplex Saccharase
α-1,2 Bindung Saccharose (α-1,4 Bindung)*
Glucose Fructose
ca. 20
Isomaltase (Grenzdextrinase)
α-1,6 Bindung α-Grenzdextrine (α-1,4 Bindung)*
Glucose
5 – 11
Grenzdextrinase
α-1,6 Bindung
größere α-Grenzdextrine
α-Grenzdextrine
0,5 – 1,5
Lactase
β-1,4 Bindung
Lactose (β-Glucoside)* (β -Galactoside)*
Glucose Galactose
ca. 18
Trehalase
α-1,1 Bindung
Trehalose
Glucose
ca. 5
* weniger bevorzugte Bindungsformen und Substrate
teinmasse extrazellulär lokalisiert ist. Alle Enzyme sind hochgradig glykosyliert und bilden die Hauptkomponente der Glykocalix, einer bürstenartigen Struktur auf der Außenfläche der Zellmembran. Besonders an der Membrangrenzfläche weist die Peptidkette der Enzyme eine dichte Glykosylierung auf, die vermutlich die Enzyme vor einer proteolytischen Abspaltung aus der Membran durch die Pankreasproteasen schützt. Im Falle des Saccharase-Isomaltase-Komplexes findet jedoch eine solche Proteolyse durch Pankreasenzyme statt. Dieser Enzymkomplex stellt ein Heterodimer aus zwei funktionellen Untereinheiten dar, der nach dem Erscheinen in der Bürstensaummembran durch Pankreasproteasen (vor allem Elastase) in die Monomere gespalten wird. Bei einer Reihe von Menschen sind genetische Defekte bekannt geworden, die mit dem teilweisen oder vollständigen Verlust von Glucosidasen und Galactosidasen einhergehen. Aufgrund von Mutationen kommt es unter anderem zu einer fehlerhaften posttranslationalen Prozessierung, zur Fehlleitung in andere Zellkompartimente oder zur Synthese inaktiver Membranenzyme. In allen Fällen können die Di- und Oligosaccharide nicht oder nur unzureichend hydrolysiert werden und führen zu osmotisch bedingten Diarrhöen. Die Ursache individueller Lactoseintoleranz bei Erwachsenen liegt ebenfalls häufig in einer fehlerhaften intrazellulären Prozessierung des Lactaseproteins. Die nach Entwöhnung des Säuglings oder Kleinkindes in vielen Populationen zu beobachtende verminderte Expression des Lactasegens stellt ein interessantes nutritivevolutionäres Phänomen dar. Aufgrund eines möglichen Selektionsvorteils durch alimentäre Lactosezufuhr und Milchaufnahme findet sich in Bevölkerungen der nördlichen Hemisphäre konstitutiv exprimiert eine höhere Lactaseaktivität. Dennoch ist die katalytische Aktivität der Lactase im Vergleich zur Aktivität der anderen Glucosidasen am Epithel sehr viel niedriger. Alle Enzyme der membrangebundenen Oligosaccharidspaltung zeigen eine schnelle Anpassung ihrer Aktivität an diätetische Maßnahmen, wobei die Enzyme generell auch eine sehr kurze Lebenszeit aufweisen.
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 333
Amylose Amylopektin Glykogen -AMYLASE
membrangebundene Di- und Oligosaccharid-Hydrolasen
-Grenzdextrine Malto-Oligosaccharide Maltose
Glucose
Glucose
Energiestoffwechsel
Glut2
Saccharose Lactose Glucose Galactose Fructose
+
K
Glucose
+
Na
Na +
SGLT1 Na +
Glucose Galactose
Glut2 Glucose Galactose
Glut2
Fructose Glut5 Fructose
Glut2
Fructose
Portalvene 7.13
Membrangebundene Digestionsvorgänge der Kohlenhydrate und Transportvorgänge für Aufnahme und Abgabe von Monosacchariden in intestinalen Epithelzellen SGLT 1 = sodium dependent glucose transporter, Glut 2 und Glut 5 = Isoformen der GlutFamilie der Glucosetransporter
Abschließend sei erwähnt, dass spezifische, hochaffine und kompetitiv an die Saccharase bindende Inhibitoren, zum Beispiel Acarbose, als orale Antidiabetika eingesetzt werden, da sie die Freisetzung der Glucose behindern, und so deren Resorption stark mindern. Aus den Digestionsprozessen an der Zellmembran gehen die Monosaccharide Glucose, Galactose und Fructose hervor, die als Monomere den quantitativ wichtigsten Teil der zu resorbierenden Kohlenhydrate ausmachen. Die Resorptionsprozesse für die Monosaccharide zeigt Abbildung 7.13. Der durch den SGLT1-Transporter (Abschnitt 1.1.2.10) vermittelte elektrogene Na+-abhängige Influx von Glucose und Galactose stellt einen wichtigen Vorgang dar, an den osmotisch gekoppelt große Mengen an Wasser resorbiert werden können. Allein durch die Aufnahme der Glucose aus den alimentär zugeführten Kohlenhydraten können pro Tag etwa 5 Liter Wasser resorbiert werden. Entsprechend bedeutsam ist das Transportsystem auch für die orale Rehydrierung bei Diarrhöen, bei denen Elektrolyt-Glucose-Gemische verabreicht werden, um über SGLT1 osmotisch wirksame Substanzen und in der Folge Wasser zu resorbieren. Bei Fehlfunktionen des Transporters, zum Beispiel bei der hereditären Glucose-GalactoseMalabsorption, bei der Mutationen im SGLT1-Gen vorliegen, zeigen die Patienten nach Zufuhr von Kohlenhydraten ausgeprägte Diarrhöen.
334
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Im Gegensatz zu Glucose und Galactose, wird die Fructose über den GLUT 5-Transporter aufgenommen. Dabei handelt es sich um eine erleichterte Diffusion, die nicht zu einem Bergauf-Transport wie im Falle von Glucose und Galactose führt. Wenngleich Fructose und Galactose in geringem Umfang in der Epithelzelle in Glucose überführt werden und ein kleinerer Teil der Glucose auch metabolisch verwertet wird, gelangen die Monosaccharide überwiegend intakt in die Blutbahn. Der Efflux über die baso-laterale Membran erfolgt entlang des Konzentrationsgradienten durch den GLUT 2Transporter, der keine Monosaccharidspezifität zeigt. In Phasen zwischen der Nahrungsaufnahme kann über das GLUT 2-Protein auch Glucose entlang des nun umgekehrten Konzentrationsgradienten (niedriger zellulärer Glucosespiegel) aus dem Blut in die Zelle aufgenommen werden, um dort als energielieferndes Substrat zu dienen. Die Darmepithelzellen besitzen auch die Fähigkeit zur Bildung geringer Mengen an Glykogen. Erst in letzter Zeit zeigte sich, dass die Monosaccharidtransporter in der Epithelzelle einer diätetischen Adaptation und der Regulation durch eine Reihe von gastrointestinalen Hormonen unterliegen.
7.6.2 Im menschlichen Dünndarm existiert während der Fettverdauung ein Zwei-Phasensystem Betrachten wir zunächst die enzymatischen Prozesse bei der Aufspaltung der Lipide, die zur Bildung resorbierbarer Abbauprodukte führen. Hauptkomponenten der mit tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln aufgenommenen Lipide sind die als Fetttröpfchen der Speicherlipide zugeführten Triglyceride. Darüber hinaus werden mit den Zellmembranen Phospholipide, Sterole, Sphingo- und Glykolipide sowie andere Oberflächenlipide, Terpene und freie Fettsäuren zugeführt. Stets mit der Lipidphase assoziiert, finden sich auch die fettlöslichen Vitamine sowie eine große Zahl hydrophober Fremdstoffe. Die Lipide des Chymus unterliegen im Darm einem sehr schnellen Umbau und einer Umverteilung der Komponenten zwischen Wasser- und Öl- beziehungsweise Gallensäurenphase. Die enorme Kapazität des menschlichen Dünndarms zur Hydrolyse der Triglyceride wird daran erkennbar, dass im Duodenalinhalt für die Lipasen eine Spaltungsrate von etwa 70 mg × ml–1 × min–1 gemessen werden kann. Auf das Volumen von circa 2 Liter Darminhalt bezogen, ergibt sich eine Kapazität von etwa 140 g Fett, das pro Minute hydrolysierbar ist. Bei einer durchschnittlichen Zufuhr an Nahrungsfett errechnet sich ein Überschuss vom 500- bis 1000-fachen der notwendigen Hydrolysekapazität. Konsequenterweise werden beim Gesunden die Nahrungslipide zu 90–95 % im Dünndarm gespalten und resorbiert. Nur etwa 5–10 % gelangen – offenbar weil für Lipasen nicht zugänglich – in den Dickdarm, wo ihre weitere Degradierung erfolgen kann. Die Lipase (obwohl mehrere Isoformen beschrieben sind, wird nachfolgend der Begriff Lipase als einheitlicher Enzymbegriff verwendet) stellt etwa 3 % des Proteinanteils des Pankreassekretes dar. Sie zeigt gegenüber Triglyceriden mit kurz- oder mittelkettigen Fettsäuren eine deutlich höhere Aktivität, als gegenüber solchen mit langkettigen Fettsäureresten. Sie ist nach Sekretion in Gegenwart hoher Gallensäurekonzentration zunächst inaktiv und benötigt zur Aktivierung einen Protein-Cofaktor mit 96 Aminosäuren, die Colipase. Ohne die Colipase ist, wie aus der Röntgenstrukturanalyse der Lipase erkennbar wurde, das katalytische Zentrum des Enzyms deckelartig verschlossen, und erst nach Assoziation mit der Colipase kommt es durch eine Konformationsveränderung zur Freilegung des katalytischen Zentrums.
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 335
Für die Katalyse durch die Lipase müssen die Triglyceride als Substrate aggregiert sein, das heißt als Öl-Wasser-Emulsion vorliegen (Abbildung 7.14). Physiologischerweise vorkommende Konzentrationen von Gallensäuren (etwa 8 bis 10 mmol × L–1) führen dazu, dass deren kritische micellare Konzentration überschritten wird und die Gallensäuren die Lipase sofort von den aggregierten Substraten verdrängen. Erst in Anwesenheit der Colipase wird es der Lipase ermöglicht, wieder an ihre Substrate zu binden. Lipase, Colipase und Gallensäurenmicellen zeigen meist eine stöchiometrische Bindung von 1:1:1 und erst dieser Komplex kann an der Öl-Wassergrenzfläche verankert werden. Die katalytisch aktive Lipase wirkt auf die Esterbindungen der Triglyceride mit einer hohen Spezifität für die 1- und 3-(α)-Positionen unter Bildung von 1,2-Diacylglyceriden und danach von 2-(sn2)-Monoacylglyceriden. Die Spaltprodukte, freie Fettsäuren und sn2-Monoglyceride, werden letzlich als solche resorbiert (Abbildung 7.15). Die bevorzugte Bildung der 2-Monoglyceride und deren effizientere Resorption im Vergleich zu freien Fettsäuren ermöglicht es, dass Fettsäuren in sn-2 Position mit einem kinetischen Vorteil resorbiert werden. Darüber hinaus können sie nicht, wie freie Fettsäuren, durch Verseifung umgesetzt werden. Durch Umesterung von Triglyceriden können heute technisch mittels gezielter Positionierung in sn2 einzelne Fettsäuren spezifischer zur Resorption gebracht werden. Entscheidend für das weitere Schicksal der Hydrolyseprodukte ist die Überführung der wenig löslichen langkettigen Fettsäuren und Monoglyceride in eine stabile Lösung im wässrigen Darminhalt. Hierzu dienen die konjugierten Gallensäuren, aber auch Proteine. In den entstehenden gemischten Micellen orientieren sich Gallensäuren und hydrophile Kopfgruppen der Monoglyceride und Fettsäuren zur wässrigen Phase und hydrophobe Reste entsprechend zum Inneren der Micelle. Auch Cholesterin, durch Esterasen des Pankreas aus Cholesterinestern freigesetzt, sowie Phospholipide der Nahrung und aus dem Gallensekret stammende Phospholipide werden in die gemischten Micellen inkorporiert. Im menschlichen Dünndarm existiert bei der Fettverdauung also ein Zwei-Phasensystem aus einer instabilen Ölemulsion und einer stabileren wässrig-micellaren Phase. Die Micellen dienen vor allem als Transportvehikel, die die zur Resorption bestimmten Substrate durch die wässrige Phase des Darminhalts zur Membran der Epithelzellen gelangen lassen. Unmittelbar bei Kontakt mit der Membran der Epithelzelle dissoziieren die Micellen, so dass Monoacylglyceride, Fettsäuren und an-
Gallensäuren
Lipid-Tropfen
Co-Lipase
Lipase
Lipase Lipase Lipase
Lipase Lipase
Lipase
7.14
Lipase
Lipase
Lipase
Co-Lipase
Lipase Lipase Lipase
Lipase assoziiert mit Lipid-Tropfen
Co-Lipase
Co-Lipase
Lipase
Lipase
Co-Lipase
Gallensäuren überziehen den Lipid-Tropfen und verdrängen die Lipase
Lipase Co-Lipase
Lipase Co-Lipase
Lipase Co-Lipase
Die Co-Lipase verankert die Lipase an der Oberfläche der Gallensäuren
Intraluminale Triglyceridhydrolyse durch den Lipase-Colipase-Komplex an gemischten Micellen
336
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
dere Komponenten resorbiert werden können, während die Gallensäuren extrazellulär verbleiben und erst im Ileum resorbiert werden. Entsprechend der Lipaseaktivität werden die Triglyceridkomponenten zu etwa 70 % in Form der 2-Monoacylglyceride aufgenommen. Eine enzymatische Umpositionierung der Fettsäuren am Glycerinrückgrat ist am Darmepithel experimentell auch beobachtet worden, spielt aber unter quantitativen Aspekten keine Rolle. Die Resorptionsprozesse für fettlösliche Komponenten der Nahrung sind bei weitem nicht so gut verstanden, wie die für wasserlösliche Verbindungen. Zunächst muss davon ausgegangen werden, dass Fettsäuren, Monoacylglyceride, Cholesterin, Phospholipide und fettlösliche Vitamine aufgrund ihrer intrinsischen Hydrophobizität sehr leicht in die Zellmembran der Epithelzelle eindringen können. Für sie stellt letztlich die Diffusionsstrecke aus dem Darmlumen zur Zellmembran eine sehr viel stärkere Barriere dar, als die biologische Membran selbst. Der Membrandurchtritt der meisten Lipidkomponenten erfolgt nach experimentellen Befunden passiv, andererseits durch integrale Carrierproteine. So werden spezifische Transportproteine für freie Fettsäuren (FATP4: fatty acid transport protein 4) ebenso wie für Cholesterol vorgefunden. Als entscheidender Schritt gilt jedoch der Austritt fettlöslicher Komponenten an der Membraninnenseite in das Cytosol. Hierfür hält die Zelle eine ganze Reihe spezifischer cytosolischer Proteine bereit, die einzelne Komponenten binden können und so deren Übertritt ins Cytosol erst möglich machen. Neben mehreren fettsäurebindenden Proteinen (FSBP) lassen sich auch solche für fettlösliche Vitamine und Carotinoide nachweisen. Die zellulären Transportproteine dienen unter anderem als Vehikel zur Anlieferung der Fettsäuren an die Enzyme, die deren Aktivierung und Reveresterung zu Triglyceriden ermöglichen. Die Triglyceridsynthese in der Darmepithelzelle (Abbildung 7.15) läuft ähnlich wie in der Leber oder im Adipocyten ab. Das Glycerinrückgrat stellen jedoch überwiegend 2-Monoacylglyceride bereit, auf die sukzessive aktivierte Fettsäuren (Acyl-CoA) übertragen werden, wobei intermediär ein 1,2-Diacylglycerid entsteht. Resorbiertes freies Glycerin wird, wie in anderen Geweben, zunächst ATP-abhängig zu Glycero-3-phosphat phosphoryliert. Das Glycero-3-phosphat wird schrittweise durch Acyltransferase mit aktivierten Fettsäuren acyliert. Das entstehende 1,2-Diacyl-glycerol-3-phosphat (Phosphatidsäure) wird durch die Phosphatidphosphatase dephosphoryliert und es entsteht 1,2-Diacylglycerin. Dieses wird durch die 1,2 DiacylglceridAcyl-CoA-Acyltransferase zum Triglycerid umgesetzt. Entscheidend für die Bereitstellung der CoA-Thioester der aufgenommenen freien Fettsäuren ist die Thiokinase, die in der Mucosa mit hoher Aktivität gefunden wird. Diese Aktivierung der Fettsäuren wie auch die Resynthese der Triglyceride finden am endoplasmatischen Reticulum der Epithelzelle statt. Die Aktivität der Thiokinase und der Acyltransferasen ist am höchsten in Epithelzellen der Zottenspitze, die auch die höchste Resorptionsrate aufweisen. Bemerkenswert ist, dass die Thiokinase eine ausgeprägte Affinität zu langkettigen Fettsäuren aufweist, das heißt zu Fettsäuren, deren Kettenlänge mehr als 14 C-Atome beträgt. Kurz- oder mittelkettige Fettsäuren werden nur in geringem Umfang umgesetzt. Für das weitere Schicksal der resorbierten Lipidkomponenten ist deren Inkorporierung in Chylomikronen entscheidend (Abbildung 7.16). Obwohl Proteine nur etwa 1 % der Chylomikronenmasse ausmachen, sind sie von fundamentaler Bedeutung für den Chylomikronentransport. Die Epithelzelle besitzt die Fähigkeit zur Synthese einer ganzen Reihe von Apolipoproteinen (ApoA-, ApoB-, ApoC- und ApoE-Klassen). Die Apolipoproteine haben zwei Funktionen: (1) Sie komplexieren die Lipide und (2) sie stellen die Liganden für spezifische Lipoproteinrezeptoren oder für Lipasen dar, die in
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 337
FS FS FS
LIPASE
Triglyceride mit langkettigen Fettsäuren
BP
FS
FS-BP
FS FS
ca .10%
LIPASE
FS
Blutgefäße
THIOKINASE
OH ISOMERASE
ATP CoA-SH
OH
AMP+PPi FS-SCoA
FS
FS
OH
OH FS
ca .70%
Acyl-TRANSFERASEN
CoA-SH
OH
FS FS
LIPASE
FS
FS OH OH OH
Triglyceride mit kurz- und mittelkettigen Fettsäuren
Lymphgefäße
ca .20% Apolipoproteine
FS
Lymphgefäße
FS FS
Lipase
Glycerin
FS
7.15
Blutgefäße
Intestinale Aufnahme der Abbauprodukte der Triglyceridhydrolyse und zelluläre Resynthese von Triglyceriden in Enterocyten. BP/FS-BP = intestinale Fettsäurebindungsproteine, FS = freie Fettsäuren
der Konversion der Lipoproteinpartikel eine große Rolle spielen. Das ApoB (B48) spielt für die Abgabe von Chylomikronen aus der Schleimhaut eine zentrale Rolle. Das große (240 kDa) Apolipoprotein B-48 bildet eine amphipathische Hülle um das Fettkügelchen, die äußere Schicht dieser Hülle ist hydrophil. Bei Patienten mit einem Synthesedefekt für ApoB können in der Resorptionsphase keine Chylomikronen gebildet werden. Beeindruckend ist die Geschwindigkeit, mit der resorbierte Fettsäuren in die Triglyceride der Chylomikronen eingebaut werden. Dies konnte anhand der Inkorporation radioaktiv markierter Fettsäuren verfolgt werden (Abbildung 7.16). Ihr Einbau in Triglyceride und die Assoziation mit Apolipoproteinen am rauhen endoplasmatischen Reticulum sowie der Transfer zum glatten ER dauert nur etwa 2 bis 5 Minuten. Der weitere Weg über den Golgi-Apparat sowie der Transport der Chylomikronenvesikel über Mikrotubuli zur baso-lateralen Membran benötigen nochmals etwa 5 bis 7 Minuten. Durch Exocytose gelangen die Chylomikronen nach Kontakt mit der Plasmamembran in die, den Epithelzellen anliegenden Lymphgefäße und von dort über den zentralen Sammelgang, den Ductus thoracicus, in die Zirkulation. Ähnlich den Fettsäuren können auch Phospholipide in der Epithelzelle sowohl über den α-Glycerophosphatweg als auch über direkte Veresterung von Fettsäuren mit dem
338
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
rauhes ER
Golgi-Apparat
Fettsäuren Veresterung Apolipoproteine
Kopplung
Sekretion der Chylomikronen
Transfer zu Golgi-Vakuolen
glattes ER
Mikrotubuli
ca .2-5min
Lymphgefäße
ca .10-12 min
7.16
Chylomikronensynthese in intestinalen Epithelzellen und beteiligte Zellkompartimente
resorbierten Lysolecithin gebildet werden. Auch Phospholipide und andere Lipidkomponenten werden nach zellulärer Synthese oder Umbau in Chylomikronen inkorporiert. Die Resorptionsprozesse fettlöslicher Vitamine aus der Nahrung sind stets mit denen der anderen Lipide verbunden. Wenngleich eine Resorption von fettlöslichen Vitaminen und Carotinoiden auch ohne Nahrungsfett stattfinden kann, wird die Resorptionsrate fast aller fettlöslicher Verbindungen in Gegenwart von Nahrungsfett stark erhöht. Die verschiedenen Prozesse, die der Resportion der fettlöslichen Vitamine der A-, E-, D- und K-Gruppe zugrunde liegen, zeigt zusammenfassend Abbildung 7.17. Da beträchtliche Mengen an Phospholipiden, Cholesterin, Fettsäuren, Monoacylglyceriden und anderen Lipidkomponenten endogenen Ursprungs über Galle, Pankreassekret und Epithelzellen in das Darmlumen gelangen, finden sie sich anschließend ebenfalls in den Chylomikronen wieder, die das Epithel verlassen. Über den Resorptionsprozess und Transfer in das Gefäßsystem der diätetisch besonders interessanten Triglyceride mit kurz- oder mittelkettigen Fettsäuren (MCT) bestehen nach wie vor kontroverse Ansichten. Ihre Aufnahme ins Epithel erfordert nicht die Anwesenheit des Pankreas- und Gallensekrets. Darüber hinaus zeigen sie eine höhere Resorptionsgeschwindigkeit als Triglyceride mit langkettigen Fettsäuren, doch sie werden offenbar nicht exklusiv über das Blutgefäßsystem, sondern ebenfalls in größeren Mengen über das Lymphsystem in die Zirkulation gebracht. MCT werden durch die verschiedenen Lipasen gespalten, wobei die freigesetzten mittelkettigen Fettsäuren sehr schnell resorbiert werden. Eine intraepitheliale Lipase vermag auch einen Teil der intakt aufgenommenen MCT zu hydrolysieren, wobei eine Reveresterung der Fettsäuren kaum stattfindet, da die Thiokinase zu diesen Substraten nur eine sehr geringe Affinität besitzt. Auch viele hydrophobe Fremdstoffe gelangen auf den gleichen Wegen in das Epithel und von dort in die Zirkulation. Allerdings lässt die Anwesenheit des MDR (multi drug resistance)-1-Proteins, eines ATP-abhängigen Transporters der ABCFamilie, in der Bürstensaummembran von Epithelzellen vermuten, dass einige der hydrophoben Fremdstoffe über diese Exportpumpe wieder in das Darmlumen sezerniert
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 339
7.17
Aufnahme, metabolische Umwandlung und Abgabe von fettlöslichen Vitaminen in intestinalen Epithelzellen
werden (Abschnitt 1.1.2.9). Damit würde dieses Transportprotein einen Schutzmechanismus für die Aufnahme von lipophilen Fremdstoffen in den Körper darstellen. Die intestinale Resorption von Nahrungsfett als wichtigem Energielieferant rückt zunehmend auch in das Interesse der Adipositastherapie. So werden einerseits sogenannte Fett-Mimetika entwickelt, die sensorische wie technische Eigenschaften von Fett aufweisen, aber nicht hydrolysierbar und resorbierbar sind. Andererseits befindet sich auch eine Reihe von Lipaseinhibitoren in Entwicklung und klinischer Prüfung, die zur Hemmung der intestinalen Triglyceridspaltung eingesetzt werden können. Konsequenz dieser Inhibierung ist, dass das nicht-hydrolysierte Fett im Dünndarm verbleibt, in den Dickdarm gelangt und zu fettreichen Fäzes führt. Bei den Fettmimetika des Sucrose-Polyestertyps tritt im Darm eine Partition aller fettlöslichen Komponenten aus den gemischten Micellen in die Sucrose-Polyesterphase auf, so dass bei hoher Zufuhr auch eine Malabsorption fettlöslicher Vitamine beobachtet werden kann. Entsprechend werden die Produkte mit fettlöslichen Vitaminen angereichert, um einem Mangel vorzubeugen.
340
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
EXKURS 7.1 Die intestinale Resorption von Cholesterin wird durch spezifische Membranproteine begrenzt Bekanntlich stellt die Cholesterinaufnahme mit der Nahrung einen wesentlichen Faktor in der Genese der Hypercholesterinämie dar. Bemerkenswerterweise verändern sich jedoch die postprandialen Plasmaspiegel des Cholesterins bei unterschiedlich hoher Zufuhr von Cholesterin mit der Mahlzeit nur geringfügig. Die Frage, wie und in welchem Umfang das Cholesterin der Nahrung resorbiert werden kann, ist daher nicht nur für das Verständnis der Cholesterinhomöostase sondern ebenso auch für eine therapeutische Intervention von Interesse. Aufgrund seiner lipophilen Eigenschaften möchte man vermuten, dass das Cholesterin durch einfache Diffusion in das intestinale Epithel gelangt und somit seine Resorptionsrate nicht begrenzt ist. Dass jedoch spezifische Resorptionsprozesse involviert sein müssen, lassen die stark unterschiedlichen Resorptionsraten für strukturell ähnliche Sterine vermuten. So weist das dem Cholesterin verwandte pflanzliche Sitosterin nur eine Resorptionsrate von ca. 2 % auf, die des Cholesterins variiert dagegen je nach Individuum zwischen 30 und 60 %. Sitosterin unterscheidet sich vom Cholesterin nur durch eine in der Seitenkette angefügte Ethylgruppe (C2H5), durch die das Molekül noch lipophiler als Cholesterin wird. Daher wäre zu erwarten, dass die Resorptionsrate des Sitosterins noch höher ist als die des Cholesterins, Sitosterin wird jedoch beim Stoffwechselgesunden kaum resorbiert. Bei einer autosomal rezessiven Erkrankung, der Sitosterinämie, kann dagegen eine stark erhöhte Resorption von Sitosterin, aber auch von Cholesterin und verwandten Sterinen beobachtet werden. Die übermäßige Resorption des Cholesterins führt bei den Erkrankten zu Cholesterinablagerungen in der Haut (Xanthomen) sowie frühzeitiger Arteriosklerose und Herzerkrankungen. Sie weisen auch im Vergleich zu Stoffwechselgesunden bis zu 30-fach erhöhte Blutspiegel der pflanzlichen Sterine auf. Diese können nicht – wie beim Stoffwechselgesunden – über die Leber und Galle ausgeschieden werden und reichern sich daher im Organismus an. Die Suche nach den genetischen Ursachen der Sitosterinämie führte zur Entdeckung von Genen, die für sog. ABC-Transportproteine codieren. Die im Säugergenom in großer Zahl vorhandenen ABC-Transportergene codieren für integrale Plasmamembranproteine, die meist zwei ATP-Bindungsstellen, sogenannte WalkerMotive, besitzen. Sie vermitteln unter ATP-Verbrauch die Aufnahme oder Abgabe von Nährstoffen und Fremdstoffen durch die Zellmembran. Die auf dem menschlichen Chromosom 2p21 lokalisierten Gene des Sitosterinämie-Locus entsprechen zwei ABC-Transportproteinen, die vor allem in der Leber und im Dünndarmepithel exprimiert werden. Sie zeigen auf der Ebene der Aminosäurensequenz Homologien zu einer Reihe von ABC-Transportern, die auch in anderen Geweben als Cholesterin- oder Phospholipidtransportproteine identifiziert worden sind. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die bei der Sitosterinämie identifizierten Gene für Proteine codieren, die für den transmembranären Transport von Cholesterin, Sitosterin und anderen Sterinen in Darm und Leber verantwortlich sind. Die bei Patienten nachgewiesenen Mutationen bedingen meist einen Funktionsverlust der Proteine, die in der Folge zu einer erhöhten Sterinresorption im Darm und einer verminderten biliären Sekretion führen. Die Transporter sind demnach unter physiologischen Bedingungen als Effluxtransporter zu sehen, die die Sterine nach ihrem passiven Eindringen durch die Zellmembran unter ATP-Verbrauch wieder aus der Zelle in den Extrazellulärraum transportieren. Im Darmepithel führt dies zu einer Begrenzung der Resorption des Cholesterins und pflanzlicher Sterine, in der Leber-
䊳
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 341 zelle können die Sterine damit offenbar effizient über die canaliculäre Membran in die Galle abgegeben werden. Ein kürzlich identifiziertes weiteres Protein in der apikalen Zellmembran scheint im Gegensatz zu den ABC-Transportern für die Cholesterinaufnahme in die Darmzelle verantwortlich zu sein (NPC1L1: Niemann-Pick C1 like Protein 1). Mit dem Wirkstoff Ezetemibe kann dieses Protein erfolgreich gehemmt werden und somit die Cholesterinaufnahme im Darm neuerdings auch pharmakologisch beeinflusst werden. Bemerkenswerterweise steht die Expresssion der Gene unter Kontrolle der alimentären Zufuhr an Cholesterin. Das heißt, bei einer längerfristig erhöhten Zufuhr an Nahrungscholesterin wird die Bildung der Proteine verstärkt und durch die erhöhte Effluxkapazität die intestinale Resorption des Cholesterins adaptativ reduziert. Die gemeinsame Nutzung des Transportweges durch verschiedene Sterine erklärt auch die Möglichkeit, durch eine hohe Zufuhr an pflanzlichen Sterinen (Sitosterin, Sigmasterol, Campesterol) die intestinale Cholesterinresorption zu reduzieren und damit den LDL-Cholesterinspiegel im Blut zu senken. Dies wird u.a. bei der als „Novel Food“ zugelassenen phytosterinesterhaltigen Margarine genutzt. Da die Cholesterinresorption bei verschiedenen Menschen eine sehr große Variabilität aufweist, ist zu vermuten, dass neben der Anpassung der Genexpression an die alimentäre Zufuhr an Sterinen auch eine genetische Heterogenität zu unterschiedlich hoher Effizienz der Transporter beitragen kann.
7.6.3 Die Digestion der Proteine liefert vielfältige Produkte Auch die Nahrungsproteine erreichen das Duodenum teilweise bereits in hydrolysierter Form. Umfang beziehungsweise Grad der Hydrolyse hängen dabei stark von der Zusammensetzung der aufgenommenen Nahrung und der Verweilzeit im Magen ab. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass besonders in der Initialphase nach Nahrungsaufnahme der Mageninhalt wenig sauer ist und gleichzeitig die höchste fraktionelle Entleerungsrate beobachtet werden kann. Dies heißt, dass Proteine in erheblichem Umfang ohne Denaturierung durch Säureeinfluss oder Spaltung durch Pepsin in den Dünndarm gelangen können. Dies erklärt auch die Fähigkeit von Proteinen als Allergene zu wirken. Nach Hydrolyse zu Peptiden mit weniger als 8–10 Aminosäuren verlieren sie diese Fähigkeit. Es soll aber bereits hier darauf hingewiesen werden, dass eine Resorption von Oligopeptiden beziehungsweise Proteinen in geringem Umfang immer stattfindet. Die Resorption bestimmter Proteine und Peptide wird auch durch eingeschränkte Hydrolyse, zum Beispiel als Folge einer Glykosylierung oder der Anwesenheit vieler Prolinreste im Molekül, begünstigt. Generell werden die Nahrungsproteine, sowie die in erheblichen Mengen mit den Sekreten in den Magendarmtrakt gelangenden Proteine im Dünndarm zu 85–95 % hydrolysiert und resorbiert. Die in den Dickdarm übertretenden Aminosäuren und Peptide können von den Mikroorganismen utilisiert werden. Die Hydrolyse der aus dem Magen in das Duodenum übergetretenen Proteine oder Hydrolyseprodukte erfolgt zunächst ebenfalls luminal und zwar durch Trypsin, Chymotrypsin, Elastase sowie Carboxypeptidasen. Die Endopeptidaseaktivität von Trypsin und Chymotrypsin weist jeweils eine Spezifität gegenüber einzelnen flankierenden Aminosäuren in den Peptidbindungen auf. Trypsin spaltet selektiv Peptidbindungen auf der Carboxylseite von Lysin- oder Argininresten, während Chymotrypsin eine aromatische oder eine sperrige unpolare Seitenkette benötigt. Elastase greift spezifisch an Resten mit kleineren, ungeladenen Seitengruppen (Alanin, Valin, Leucin, Isoleucin) im Innern der Proteine an. Trypsin, Chymotrypsin und Elastase gehören zu den
342
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Serinproteasen. Die Zink-Metalloproteasen Carboxypeptidase A und B hydrolysieren die carboxylendständigen Peptidbindungen in Polypeptidketten. Die Hydrolyse erfolgt am schnellsten, wenn der C-terminale Aminosäurerest eine aromatische oder eine große aliphatische Seitenkette besitzt. Lediglich Peptidbindungen mit Prolylresten zeigen eine recht hohe Stabilität. Dies beruht darauf, dass die Natur der Peptidbindung hier leicht verändert ist und der die Peptidbindung formende Stickstoff im Ringsystem des Prolins liegt. Entsprechend können prolinreiche Proteine und Oligopeptide im Lumen nur sehr langsam gespalten werden. Dies ist auch der Grund für die recht hohe Stabilität der Gliadinpeptide, deren Freisetzung mit der Genese der Zöliakie in Verbindung steht. Peptide mit Prolinresten werden erst durch mucosale, prolinspezifische Peptidasen, wie die Dipeptidylpeptidase IV gespalten. Endprodukte der luminalen Phase der Digestion der Proteine sind entsprechend der Spaltungsspezifitäten der Proteasen Polypeptide und Oligopeptide. Exopeptidasen, die im Pankreassekret und am Bürstensaum der Enterocyten vorkommen, haben dann die Aufgabe, Aminosäuren am C- oder N-terminalen Ende abzuspalten und auf diese Weise die Poly- beziehungsweise Oligopeptide schrittweise weiter abzubauen. Angaben über die Menge an freien Aminosäuren im Chymus schwanken zwischen 20 und 50 % des Gesamtstickstoffs. Die membrangebundene Phase der Digestion der Proteinabbauprodukte sowie die nachgeschalteten Resorptionsprozesse zeigt zusammenfassend Abbildung 7.18. Berücksichtigt man, dass der luminale Abbau eine unendlich große Anzahl unterschiedlicher Oligopeptide mit extrem unterschiedlichen physikochemischen Eigenschaften liefert, wird verständlich, dass eine große Zahl von Membranenzymen notwendig ist, um die Vielfalt der Strukturen zu hydrolysieren. Im Gegensatz zu den Kohlenhydrat spaltenden Hydrolasen finden wir daher an der Membran der Epithelzelle Proteine Pankreasproteasen
membrangebundene Peptidhydrolasen
Glutamin
Oligopeptide Energiestoffwechsel
Alanin, Citrullin Di- und Tripeptide PepT1
cytosolische Hydrolasen
?
Di- und Tripeptide Aminosäuren
Aminosäuren
Aminosäuren IMINO
B
β B X-AG b 0.+
Aminosäuren-Pool
ASC
L
Aminosäuren
y+
Portalvene 7.18
Membrangebundene Hydrolyse von Oligopeptiden und die an der Aufnahme und Abgabe von Di- und Tripeptiden sowie von freien Aminosäuren in Darmepithelzellen beteiligten Transportsysteme
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 343
mehr als 20 verschiedene Peptidhydrolasen. Generell lassen sie sich entsprechend ihrer Spaltungsspezifität in vier Klassen unterteilen. Die Endopeptidasen greifen komplexe Oligopeptide im Inneren der Struktur an und liefern kleinere Peptidbruchstücke. Eine große Zahl von Aminopeptidasen hydrolysiert die Peptidbindungen von Oligopeptiden vom aminoterminalen Ende her. Die Klasse der Aminopeptidasen kann hinsichtlich ihrer Spezifität für einzelne Aminosäurereste weiter unterschieden werden. Membranständige Carboxypeptidasen entfernen Aminosäurereste spezifisch vom carboxyterminalen Ende, darunter auch γ-verknüpfte Glutamatreste der Folat-Polyglutamate (Abschnitt 4.4.2.5). Dipeptidasen verwenden als Substrate dagegen Di- und Tripeptide, um daraus Aminosäuren freizusetzen. Aminopeptidase N, die sequentiell Aminosäuren aminoterminal von Oligopeptiden abspaltet, gehört zu den dominierenden Enzymen der Bürstensaummembran des intestinalen Epithels. Nahezu alle membrangebundenen Hydrolasen sind Dimere und enthalten Zink im katalytischen Zentrum, das die Polarisierung des Wassers ermöglicht, mit dem die Peptidbindung gelöst wird. Sie sind entweder über eine hydrophobe α-helikale membrandurchspannende Domäne oder über einen Glykosyl-Phosphatidylinositol-Anker (GPIAnker) in der Zellmembran insertiert. Die Expression der Bürstensaummembranenzyme unterliegt einer diätetischen Regulation. Sie dienen als Marker für die Differenzierung der Epithelzellen. Entsprechend finden sich die höchsten Enzymaktivitäten im oberen Bereich der Dünndarmzotten, im Kompartiment mit reifen Enterocyten. Bemerkenswert ist, dass auch im Cytosol der Epithelzelle eine beträchtliche Peptidasenaktivität nachgewiesen werden kann. Hierfür sind im wesentlichen vier Enzyme verantwortlich, die alle gemeinsam eine hohe Affinität gegenüber Di- und Tripeptiden aufweisen, aber kaum größere Peptide zu spalten vermögen. Die Notwendigkeit für diese cytosolischen Hydrolasen wurde erst mit dem Nachweis der Aufnahme intakter Di- und Tripeptide in die Epithelzelle erkannt, die als Substrate dieser Peptidasen dienen. Während für die Aufnahme der Monosaccharide in die Darmepithelzelle nur zwei Transportsysteme benötigt werden, sind die Membrantransportprozesse für die Aufnahme der Abbauprodukte der Proteine außerordentlich vielfältig. Erst in letzter Zeit wurde durch die Klonierung der Gene für die Carrierproteine der Aminosäuren und Peptide verständlich, wie auf molekularer Ebene der Membrandurchtritt der Proteinabbauprodukte ermöglicht wird.
7.6.4 Die Resorption von Aminosäuren erfolgt über eine Vielzahl von Transportsystemen Die überlicherweise mit Buchstaben, meist nach ihrer Erstbeschreibung bezeichneten Transportsysteme für Aminosäuren (Abbildung 7.18) lassen leider nur in wenigen Fällen ihre Spezifität erkennen. Darüber hinaus verbergen sich hinter den Systemen meist mehrere Carrierproteine mit ähnlicher Funktion. So können allein für bipolare αAminosäuren drei Systeme identifiziert werden (B, Bo+,bo+), von denen zwei auch zur Aufnahme von Cystin (Bo+, bo+) befähigt sind. Für die Aufnahme von Glutamat und As– zur Verfügung. Prolin und zum Teil auch Glycin werden partat steht das System XAG über einen Iminosäurentransporter und β-Alanin und Taurin über ein weiteres spezifisches System aufgenommen. Während bo+ als Na+-unabhängiges Carriersystem fungiert, nutzen alle anderen Transporter den zelleinwärts gerichteten Na+-Gradienten für die Aufnahme der Aminosäuren. Dabei spielen zusätzlich Chloridionen bei den Syste-
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Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
men für β-Aminosäuren und Prolin und Kaliumionen beim System X—AG eine wichtige Rolle. Der Transport der meisten Aminosäuren erfolgt elektrogen und ist über den Na+Gradienten und damit die Na+/K+-ATPase energetisiert, also sekundär aktiv. Erst mit der Klonierung der Gene für die Transportproteine wurde deutlich, dass deren Transportmechanismus weitaus komplizierter sein kann. Das rBAT-Protein (renal basic amino acid transporter) zum Beispiel stellt eine funktionelle Untereinheit eines Aminosäuretransporters für neutrale und basische Aminosäuren dar, über den der Aminosäureinflux in die Zelle im Austausch gegen zelluläre Aminosäuren vermittelt wird. So kann die Aufnahme von Alanin durch den Efflux von Lysin oder die Lysinaufnahme im Austausch gegen Alanin erfolgen. Gleichzeitig kann der dimere Transporter auch Cystein und Cystin transportieren. Die Analyse des rBAT-Gens hat zu der Erkenntnis geführt, dass dieses Protein für die Mehrzahl der Cystinurie-Fälle verantwortlich ist. Diese hereditäre Stoffwechselerkrankung beruht auf Mutationen im rBAT-Gen und führt zur verminderten oder ausbleibenden Resorption von basischen Aminosäuren und Cystin sowohl im Dünndarm als auch im Nierentubulus. Der Befund, dass bei Trägern des Gendefekts unter anderem auch die essentielle Aminosäure Lysin im Darm nicht oder nur unzureichend resorbiert werden kann, ohne dass ein Lysinmangel auftritt, ließ vermuten, dass ein weiteres Transportsystem für diese Aminosäure existiert. Tatsächlich konnte demonstriert werden, dass bei Cystinuriepatienten basische Aminosäuren dann resorbiert werden, wenn sie in Form von Dipeptiden dem Darmepithel angeboten werden. Dies lieferte einen überzeugenden Hinweis auf die Existenz eines Transportsystems für Di- und Tripeptide (PepT1). Das in reifen Enterocyten vorkommende PepT1-Protein vermittelt die Aufnahme aller möglichen Di- und Tripeptide aus dem Abbau der größeren Oligopeptide (Abbildung 7.18). Als Besonderheit nutzt der Transporter einen zelleinwärts gerichteten H+-Ionengradienten, um den elektrogenen und bergauf erfolgenden Peptidtransport zu ermöglichen. Der Protonengradient wird unter anderem vom apikal gelegenen Na+/H+-Austauscher erzeugt, der die in die Zelle durch PepT1 aufgenommenen Protonen im Austausch gegen Na+-Ionen zur Außenseite der Membran zurückführt. Damit stellt PepT1 ein tertiär aktives System dar, das über die Na+/K+-ATPase und den Na+/H+-Austauscher energetisiert wird. Die über den Transporter in die Zelle aufgenommenen kurzkettigen Peptide werden nachfolgend sehr schnell durch die cytosolischen Peptidhydrolasen gespalten, wenngleich Di- und Tripeptide auch intakt über einen baso-lateralen Transporter die Zelle verlassen können und ins Blut gelangen. Über die physiologische Bedeutung dieser transepithelialen Resorption von Peptiden mit Transport in das Gefäßsystem, kann gegenwärtig noch keine verlässliche Angabe gemacht werden. Auch über den Umfang der Resorption von Aminosäuren in Form von Peptiden im Vergleich zur Aufnahme freier Aminosäuren herrscht noch Unklarheit, die Angaben schwanken zwischen 20 und 80 %. Ganz ohne Zweifel bietet aber die Aufnahme in Form kurzkettiger Peptide in der klinischen enteralen Ernährung einen Vorteil, da die Aminosäuren in Peptidform schneller aufgenommen werden und die Hydrolysatlösungen einen geringeren osmotischen Wert besitzen. Aus diesem Grund haben sich Proteinhydrolysate mit hohem Anteil an Di- und Tripeptiden in der enteralen Ernährung, zum Beispiel bei Pankreasinsuffizienz gegenüber den sogenannten Elementardiäten mit Gemischen aus freien Aminosäuren, durchgesetzt. Die aus den Peptiden in der Darmepithelzelle freigesetzten Aminosäuren verlassen, ähnlich wie die in freier Form resorbierten Aminosäuren, die Zelle über eine ganze Reihe von spezifischen Transportern in der baso-lateralen Membran. Die Carriersysteme in der baso-lateralen Membran (Abbildung 7.18) können auch in vielen anderen
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Zellmembranen nachgewiesen werden. Sie vermitteln den Aminosäureefflux meist entlang eines Konzentrationsgradienten, also im Sinne einer erleichterten Diffusion. Damit spielen sie jedoch auch für die Versorgung der Zelle mit Aminosäuren aus dem Blut eine wichtige Rolle. In der Darmepithelzelle ist dies in den Phasen zwischen den Mahlzeiten von besonderer Bedeutung, da Enterocyten im Interorganstoffwechsel des Glutamins als NettoVerbraucher fungieren. Zirkulierendes Glutamin wird im Darm in großen Mengen aus dem arteriellen Blut extrahiert und metabolisiert. Über die Glutaminasereaktion wird Glutamat in Transaminierungsreaktionen eingeführt und NH3 aus der Zelle abgegeben. Zwar werden Alanin und Citrullin aus der Epithelzelle ins Blut entlassen, doch wird das Glutamat vorwiegend zur Energiegewinnung nach Transaminierung zu α-Ketoglutarat genutzt. Die Bedeutung von Glutamin als wichtiges Energiesubstrat im Stoffwechsel des Enterocyten wird vor allem im Zusammenhang mit eingeschränkter funktioneller Integrität des Epithels bei kataboler Stoffwechsellage und eingeschränkter Verfügbarkeit von Glutamin klinisch intensiv erforscht. Es sei an dieser Stelle auch erwähnt, dass ein Metabolismus von Aminosäuren, vor allem Transaminierungen, während der Resorptionsprozesse auftritt, so dass die im Blut erscheinenden Mengen individueller Aminosäuren nicht absolut mit den resorbierten Mengen übereinstimmen.
7.6.5 Auch größere Oligopeptide und Proteine werden vom Darmepithel intakt aufgenommen Die Aufnahme von Oligopeptiden und Proteinen mit Molmassen von über 1 kDa ist unter nutritiven Gesichtspunkten vernachlässigbar. Dennoch sind diese Vorgänge für die Auslösung von allergenen Reaktionen oder auch für die Aufnahme von Toxinen relevant. Die Resorption intakter hochmolekularer Strukturen erfolgt vor allem durch spezialisierte Epithelzellen, die microfold-Zellen (M-Zellen), die in den sogenannten Peyerschen Plaques lokalisiert sind. Darüber hinaus können Proteine und Oligopeptide offenbar auch durch Enterocyten oder über die tight-junctions, die Zell-Zell-Verbindungen zwischen Epithelzellen, aufgenommen werden. In Einzelfällen erfolgt die Aufnahme von Oligopeptiden auch unter Beteiligung spezifischer Rezeptoren. Voraussetzung für solche Prozesse ist die Stabilität des Proteins oder Oligopeptids gegenüber Enzymen im Gastrointestinaltrakt. Besonders beim Säugling, dessen Darmepithel erst nach der Geburt strukturell und funktionell ausreift, sind die Aufnahmeprozesse zum Beispiel von Immunglobulinen (vor allem IgA) aus der Muttermilch von großer Bedeutung. Unverträglichkeiten und Allergien nach oraler Zufuhr von Nahrungsproteinen zeigen, dass die Aufnahme von Proteinen und Oligopeptiden mit allergenen Epitopen auch beim Erwachsenen stattfinden kann. Die Rolle der Prozessierung der Proteine im Magendarmtrakt ist bei der Vielzahl der möglichen Allergene sowie der individuellen Prädispositionen für eine allergene Reaktion nach alimentärer Zufuhr eines Proteins noch weitgehend ungeklärt. Ganz ohne Zweifel stellt der Intestinaltrakt das größte immunbiologische Organ dar. So finden sich lymphoide Zellen im gesamten Gastrointestinaltrakt insbesondere als diffuse Ansammlung von Lymphocyten und Plasmazellen im Schleimhautbindegewebe. Darüber hinaus liegen Lymphocyten auch intraepithelial, also zwischen den Epithelzellen vor. Dieses als GALT (Darm-assoziiertes lymphoides Gewebe, engl. gut associated lymphoid tissue) bezeichnete Gewebe ist von zentraler Bedeutung für die Aufnahme und Prozessierung von Antigenen und die Sekretion von Antikörpern.
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Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Antigen
M-Zelle sekretorisches IgA
R
Makrophagen
Epithel
Plasmazellen T-Lymphozyten
+ T-Lymphozyten B-Lymphozyten mesenteriale Lymphknoten
Ductus thoracicus
Antigen
B-Lymphozyten
R 7.19
Blut Poly-Immunglobulinrezeptor
Aufnahme von Antigenen durch microfold-Zellen (M-Zellen), nachgeschaltete Sensibilisierungsvorgänge von Lymphocyten im darmassoziierten lymphoiden Gewebe (GALT) und in den mesenterialen Lymphknoten sowie Einwanderung von Plasmazellen in das Schleimhautstroma
So werden unter anderem die – nach der Transcytose durch die M-Zellen aufgenommenen – antigenen Makromoleküle von Makrophagen internalisiert, prozessiert und zusammen mit MHC-II-Molekülen (Haupt-Histokompatibilitäts-Komplex; engl. major histocompatibility complex) den intraepithelialen T-Lymphocyten präsentiert (Abbildung 7.19). Diese aktivieren entsprechende B-Lymphocyten, die über die mesenterialen Lymphknoten die Blutzirkulation erreichen und in sekundären Lymphorganen wie der Milz weiter differenzieren. Im Darm treten die B-Lymphocyten schließlich wieder aus den Blutgefäßen aus und siedeln sich im Schleimhautbindegewebe an. Treffen sie dort auf das Antigen, das ursprünglich von den Makrophagen präsentiert wurde, so reifen sie zu IgA-produzierenden Plasmazellen. Die produzierten IgA-Moleküle werden nach Bindung an einen membranständigen Poly-Immunglobulinrezeptor in die Epithelzellen aufgenommen und über Transcytose auf die mukosale Oberfläche transportiert. Wärend des transzellulären Transports wird der Immunglobulinrezeptor abgespalten, wobei sein extrazellulärer Teil mit dem IgA-Molekül verbunden bleibt. Das sekretorische IgA dient im Darmlumen vor allem der Verminderung der Aufnahme bakterieller Toxine, Viren und Bakterien. Eine zweite wichtige Komponente des intestinalen Abwehrsystems beruht auf IgEvermittelten Prozessen. Hierbei kommt den intraepithelialen Mastzellen eine wichtige Rolle zu. Ihre Stimulation führt zur Freisetzung einer Reihe von Entzündungsmediatoren (Eikosanoide, Serotonin, Histamin), die der Eliminierung des Antigens und vor allem von Parasiten dienen sollen. Eine durch die Mediatoren ausgelöste Chloridsekretion des Epithels mit nachfolgender massiver Wassersekretion scheint darüber hinaus
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dem Ausschwemmen der Fremdkörper zu dienen. Gleichzeitig wird das Motilitätsmuster der gastrointestinalen Muskulatur verändert, so dass durch Erbrechen und/oder Diarrhöe das Agens eliminiert werden kann. IgE-vermittelte Reaktionen sind jedoch auch für die Mehrzahl der echten Nahrungsmittelallergien verantwortlich.
EXKURS 7.2 Gastrointestinales Schicksal von DNA und RNA Mit fast jedem Nahrungsmittel werden unterschiedlich große Mengen von DNA und RNA sowie von Nucleotiden und Nucleosiden aufgenommen. So liefert eine gemischte Kost etwa 1 g DNA pro Tag, die sich aus pflanzlichen, tierischen und bakteriellen Quellen stammt. Die in den Lebensmitteln enthaltene DNA oder RNA ist, abhängig von der Prozessierung des jeweiligen Produktes durch physikalisch-chemische und enzymatische Prozesse, bereits unterschiedlich stark degradiert, kann aber auch noch intakte Gensequenzen enthalten. Die Frage inwieweit intakte, codierende DNA beziehungsweise größere DNA-Fragmente aus der Nahrung im Darm zur Resorption gelangen, hat im Zusammenhang mit der Bewertung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit gentechnisch veränderter Lebensmittel einen wichtigen Stellenwert bekommen. Bemerkenswerterweise gibt es jedoch über das Schicksal der alimentär zugeführten DNA und RNA kaum wissenschaftliche Studien. Aufgrund der allgemeinen Erfahrung, dass die mit der Kost zugeführte Menge und Vielfalt an DNA und RNA vom menschlichen und tierischen Organismus ohne besondere Wirkung toleriert wird, erübrigte sich offenbar eine wissenschaftliche Bearbeitung des Themas. Erst im Zusammenhang mit der Sicherheitsbewertung transgener Produkte wurde die Frage nach dem Verbleib der DNA gestellt, wenngleich dies a priori kein besonderer Problembereich der Gentechnik ist. Nach Aufnahme in den Gastrointestinaltrakt werden die bereits durch die Lebensmittelbe- und verarbeitung unterschiedlich stark fragmentierten DNA- und RNA-Moleküle durch enzymatische Hydrolyse im oberen Dünndarm weiter gespalten. Die verantwortlichen Enzyme, Desoxyribonuclease und Ribonuclease (DNAase, RNAase) werden mit dem Pankreassekret nach Stimulation der Enzymsekretion in das Darmlumen ausgeschüttet. Im Sekret konnten bis zu vier Isoenzyme mit Ribonucleaseaktivität und sechs Isoenzyme mit Desoxyribonuclease-aktivität nachgewiesen werden. DNAasen sind Endonucleasen, die doppelsträngige DNA zu spalten vermögen. DNAase I, das bedeutendste Enzym im Pankreassekret, wird unter anderem auch im Serum – vor allem bei Entzündungen des Pankreas – und im menschlichen Urin gefunden. Auch die RNAase I kann als Marker bei Pankreaskarzinomen verstärkt im Blut nachgewiesen werden. RNAasen spalten bevorzugt langkettige Polynucleotide, gefolgt von Oligonucleotiden und zeigen eine gewisse Spaltungspräferenz für Phosphodiesterbindungen der Pyrimidinbasen am 3⬘-Ende und der Purinbasen am 5⬘-Ende der RNA-Kette. Da beträchtliche Aktivitäten der DNAasen und RNAasen im Pankreassekret vorkommen, kann davon ausgegangen werde, dass alle DNA und RNA, die mit der Nahrung, aber auch mit den Sekreten in den oberen Dünndarm gelangen, sehr schnell zu ihren Monomeren, den Pyrimidinnucleosiden und Purinnucleosiden abgebaut werden. Die mit der Nahrung ebenfalls aufgenommenen Nucleosidphosphate (Nucleotide) werden durch verschiedene Phosphatasen an der Bürstensaummembran der Epithelzellen unter Abspaltung des Phosphosäurerestes in die Nucleoside überführt. Das heißt, die zentralen Endprodukte des luminalen und des membrangebundenen Abbaus von DNA und RNA sowie der Nucleotide sind die diversen Nucleoside. Für die Aufnahme dieser hydrophilen Moleküle in die Zelle bedarf es spezieller Transportproteine. Da die
䊳
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Nucleoside im Intermediärstoffwechsel als Bausteine für die Synthese neuer DNA und RNA sowie von Nucleotiden dienen, besitzen praktisch alle Zellen Nucleosidtransporter in den Zellmembranen. Für die Aufnahme der Nucleoside in die Darmepithelzellen stehen zwei Na+abhängige Systeme zur Verfügung. Sie koppeln die Aufnahme der Nucleoside an den Kotransport von Na+-Ionen, die entlang des zelleinwärtsgerichteten Na+-Gradienten damit die Aufnahme der Nucleoside in den Enterozyten gegen einen Konzentrationsgradienten ermöglichen. Diese beiden Na+-abhängigen, elektrogenen Systeme werden daher als CNT-Gruppe (concentrative nucleoside transporters) bezeichnet. Das System CNT1 transportiert Nucleoside mit Pyrimidinbasen, CNT2 diejenigen mit Purinbasen. Der Efflux der Nucleoside aus der Darmepithelzelle in das Blut erfolgt durch äquilibrierende Nucleosidtransporter (ENT’s). Sie wirken als Uniporter, sind Na+-unabhängig und können – abhängig vom jeweiligen Substratgradienten – die Nucleoside in beide Richtungen durch die Membran transportieren. Auch die verschiedenen Transporter der ENT-Familie lassen eine gewisse Spezifität für Pyrimidin- oder Purinbasen erkennen. In anderen Körperzellen sind weitere Proteine der CNT- und ENT-Familien nachgewiesen worden, die unterschiedliche, zum Teil aber auch überlappende Spezifitäten für die verschiedenen Nucleosidklassen besitzen. Die Gene dieser Membranproteine für den Nucleosidtransport sind in den letzten Jahren kloniert worden. Sie alle codieren für Proteine mit etwa 650 Aminosäuren, die vermutlich mit 13 Transmembrandomänen in die Zellmembran integriert sind. Wichtig sind die ENT- und CNT-Proteine auch für die Aufnahme von Pharmaka, vor allem von zytostatisch und antiviral wirkenden Abkömmlingen der Nucleoside, die mittels der Transportproteine gezielt in die entsprechenden Zellen eingeschleust werden können. Kommen wir zurück zu der Frage, ob DNA oder RNA aus der Nahrung in intakter Form auch in den menschlichen Körper gelangen kann. Wie beschrieben, werden die Oligomere im Darmlumen hydrolysiert, gefolgt von der Resorption der Monomere. Durch PCR-Techniken stehen heute Werkzeuge zur Verfügung, mit dem das Schicksal einer bekannten DNA-Sequenz nach oraler Aufnahme verfolgt werden kann. Mittels spezifischer Primer kann die Amplifizierung einer bekannten DNASequenz nach Gewinnung von Darminhalt oder auch von Körperzellen vorgenommen werden. Voraussetzung ist, dass die Sequenz nicht im Säugergenom vorkommt und somit ein spezifischer Nachweis der in diesem Falle körperfremden DNA möglich ist. Solche Studien sind in letzter Zeit an Mäusen, aber auch Nutztieren wie Rind und Huhn durchgeführt worden. Dazu wurde zum Beispiel die DNA des Bakteriophagen M13 oder die klonierte DNA des grün-fluoreszierenden Proteins (green fluorescent protein: GFP) an Mäuse verfüttert. Zur großen Überraschung konnte die jeweilige Sequenz beziehungsweise ihre unterschiedlich großen Fragmente im Darminhalt sehr lange nachgewiesen werden. Noch erstaunlicher war der Nachweis im Darmgewebe, in peripheren weißen Blutkörperchen, in der Leber und Milz, ja sogar in der Plazenta und in neugeborenen Mäusen. Auch nach Fütterung von Sojablättern an Mäuse konnte DNA beziehungsweise größere Fragmente einer sojaspezifischen DNA in den gleichen Geweben und Zellen bestimmt werden. Auch bei Rindern gelang nach Verfütterung von Bt-Mais (eines transgenen Mais mit dem Bacillus thuringiensis Toxin) der Nachweis von Chloroplasten-DNA in Lymphocyten. Größere DNA-Fragmente des cryIa-Gens (der im Bt-Mais zur Expression gebrachten Sequenz) ließen sich jedoch in peripheren Körperzellen der Tiere nicht amplifizieren. Aus diesen Modellstudien wird deutlich, dass alimentär zugeführte DNA im Gastrointestinaltrakt durchaus eine beträchtliche Resistenz besitzt, insbesondere, wenn sie in rohem pflanzlichem Material eingeschlossen ist. Es ist anzunehmen, dass die DNA-Fragmente durch Bindung an Proteine über die M-Zellen in den Payer’schen Platten resorbiert werden und dann über das Lymphsystem in die Milz 䊳
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und die Leber gelangen, von wo aus sie vermutlich über die Galle wieder in den Darm eliminiert werden. Die zentrale Frage ist natürlich, ob die DNA nach Zufuhr über die Nahrung und Aufnahme in den Organismus in das Genom des Wirts integriert sowie repliziert und exprimiert wird. Dafür gibt es jedoch keine Evidenz. So führte auch die tägliche orale Verabreichung der GFP-DNA an Mäuse über acht Generationen hinweg in keinem Fall zum Nachweis der DNA oder ihrer Fragmente im Genom der Tiere.
7.7 Die Resorptionsprozesse von Elektrolyten und von Wasser sind osmotisch gekoppelt Selbst während der Nahrungskarenz bedarf der Organismus der Zufuhr von Wasser und Elektrolyten. Unter physiologischen Bedingungen werden 90–99 % der Flüssigkeit, die in den Dünndarm gelangt, resorbiert. Nur etwa 100 ml Wasser werden durchschnittlich mit den Fäzes ausgeschieden. Neben dem mit Lebensmitteln einschließlich Getränken zugeführten Wasser, das zusammen im Mittel etwa ein Volumen von 2 L ausmacht, gelangen aus den Sekretionsprozessen circa 7–8 L Flüssigkeit in den oberen Dünndarm. Diese Menge setzt sich zusammen aus dem Sekret der Speicheldrüsen mit etwa 1 L, des Magens mit etwa 2 L, des Pankreas mit etwa 2 L, der Galle mit etwa 1,5 L und des Darmepithels mit etwa 1 L. Durchschnittlich werden damit pro Tag etwa 10 L Wasser im Darm resorbiert und anteilig erneut sezerniert. Darüber hinaus kann bekanntlich die Zufuhr an Getränken nahezu beliebig gesteigert werden, ohne dass die Resorptionskapazität des Darmes ausgeschöpft wird. Die 10 L Flüssigkeit werden bereits etwa zur Hälfte resorbiert, bevor der Chymus das Ileum erreicht. Im Ileum werden nochmals circa 3,5 L aufgenommen, so dass pro Tag nur circa 1,5 L in den Dickdarm gelangen. Die Gesamtkapazität des Dickdarms zur Resorption von Wasser ist jedoch etwa dreimal so hoch und wird nur dann überschritten, wenn die einströmende Flüssigkeitsmenge, zum Beispiel während einer Diarrhöe, im Dünndarm 5 L überschreitet. pd
Darmlumen
Blutseite
elektrochemische Potentialdifferenz
osmotisch wirksame organische Substanzen (vor allem Glucose)
Na + +
Na
+
K
Glucose
H2O NaCl
Na+ H2O
Osm/L H
+
Na+ _
Glucose andere organische Substanzen
NaCl
Cl _ HCO3
7.20
Intestinale Wasserresorption in Folge der Aufnahme osmotisch wirksamer Substanzen
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Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Die Resorption von Wasser ist stets mit der Aufnahme von Elektrolyten und Nicht-Elektrolyten (vor allem Glucose und Aminosäuren) verbunden. So resorbiert der gesamte Darm etwa 800 mmol Na+, 700 mmol Cl– und 100 mmol K+ pro Tag, wobei 75–80 % dieser Elektrolyte bereits im Dünndarm aufgenommen werden. Die zugrundeliegenden Mechanismen dieser eindrucksvollen Resorptionsleistung sind in Abbildung 7.20 vereinfacht dargestellt. Das Dünndarmepithel unterscheidet sich vom Dickdarmepithel durch seine geringere elektrische „Dichtigkeit“. Darunter versteht man den elektrischen Gewebewiderstand der Mucosa, der ein indirektes Maß für die Ionenpermeation beziehungsweise die Leitfähigkeit darstellt. Die elektrochemische Potentialdifferenz über der Mucosa (Blutseite negativ zum Darmlumen) ist für die Permeation der Ionen, vor allem für NaCl von großer Bedeutung. Ionenbewegungen aus dem Darm in die Blutbahn, aber auch in umgekehrter Richtung, werden im Darm primär durch Membranproteine, und in geringem Umfang durch die tight junctions, also die apikalen Zellkontaktbereiche vermittelt. Letztere zeigen eine selektive Durchlässigkeit für Kationen. Quantitativ bedeutend ist die Resorption von NaCl durch spezialisierte Carrierproteine. Die Aufnahme in die Epithelzelle erfolgt an der Bürstensaummembran vor allem durch zwei elektroneutrale Austauschsysteme für Na+ und H+ sowie Cl– und HCO3– beziehungsweise OH–. Als treibende Kräfte dienen der zelleinwärtsgerichtete elektrochemische Na+-Gradient und ein nach extrazellulär gerichteter Gradient für Bicarbonationen, der die Cl–-Aufnahme vermittelt. Da beide Systeme einen 1:1-Austausch katalysieren, werden für 1 mol in die Zelle aufgenommenes NaCl ein mol H2O und ein mol CO2 (H++HCO3–⇔H2O+CO2) abgegeben. Das Wasser kann anschließend wieder aufgenommen werden. Es folgt dabei dem durch den Elektrolyttransport erzeugten osmotischen Gradienten zum Blut. Voraussetzung dafür ist die vorübergehende Anreicherung von osmotisch aktiven Teilchen im Bereich des Interzellularraumes. Da alle resorbierten Ionen und Nicht-Ionen die Zelle über die laterale und basale Seite verlassen, kommt es zu dieser Anreicherung osmotisch wirksamer Substanzen in den Zellzwischenräumen. Aufgrund der Hypertonizität in diesem Kompartiment erfolgt ein Einstrom von Wasser aus dem Lumen durch die Zellen, beziehungsweise durch die tight junctions. Dadurch erweitern sich zunächst die Zellzwischenräume und mit dem weiteren Anstieg des hydrostatischen Drucks kann das Resorbat aus dem Interzellularraum in die Blut- und Lymphgefäße abgeführt werden. Entscheidend für den Export des NaCl aus der Zelle in den Interzellularraum ist die Na+/K+-ATPase, die den vektoriellen Na+Transport gegen den Na+-Gradienten ermöglicht, wobei die Cl–-Ionen passiv entlang der Potentialdifferenz, durch Kanalproteine vermittelt, den Natriumionen folgen. Neben dem Transport von NaCl dienen auch die an den Na+-Ionengradienten gekoppelten Transportsysteme für Glucose, Aminosäuren und andere organische Substrate als indirekte „Wasserpumpen“. Auch durch diese Transportprozesse werden große Mengen osmotisch wirksamer Teilchen in die Zelle und von dort in die Interzellularräume transportiert, denen das Wasser zum Ausgleich der Osmolarität folgt (Abbildung 7.20). Im Dickdarmepithel, das einen höheren elektrischen Widerstand zeigt, werden Na+Ionen zusätzlich durch apikale Na+-Kanäle (ENAC-Kanäle) aufgenommen. Die Expression der Kanäle kann – ähnlich wie der Na+/K+-ATPase – durch Mineralcorticoide erhöht werden. Dies führt zu einer adaptativen Steigerung der intestinalen Na+-Resorption. Die Elektrolyttransportsysteme in den Epithelzellen unterliegen einer komplexen Regulation durch das intestinale Nervensystem in Verbindung mit dem ZNS. Darüber
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hinaus sind eine Reihe gastrointestinaler Hormone, biogener Amine wie Histamin und Serotonin sowie NO und Eikosanoide an der Regulation beteiligt. Dies erklärt zum Beispiel auch das Auftreten stressbedingter Diarrhöen. Darüber hinaus können Viren und Toxine pathogener E. coli-Stämme oder auch Choleratoxin durch direkte Wirkung auf zelluläre Signaltransduktionsvorgänge Sekretionsprozesse und Motilitätsteigerungen auslösen, die zu massiven Diarrhöen mit lebensbedrohlichem Verlauf führen. Allerdings stehen heute höchst wirksame Medikamente zur Verfügung, die diese Wirkungen auf die Sekretion und Motilität antagonisieren können.
7.7.1 Die Resorption der Mengenelemente Calcium, Magnesium und Phosphat wird von Wechselwirkungen bestimmt Während die Resorptionsvorgänge der monovalenten Ionen nur wenige direkte Interaktionen erkennen lassen, sind die Resorptionsprozesse bei divalenten Ionen wie Ca2+, Mg2+ und HPO42– von einer Reihe komplexer Wechselwirkungen geprägt. Insbesondere zur intestinalen Resorption des Calciums liegen dazu umfangreiche Studien vor. Das Interesse an dieser Frage ist verständlich, da die Verfügbarkeit des Calciums aus der Nahrung für die Calciumversorgung von eminenter Bedeutung ist. Die Resorption von Ca2+-Ionen erfolgt in Abhängigkeit von der zugeführten Calciummenge mit einer Sättigungskinetik. Dies bedeutet, dass ab einer Zufuhr von etwa 1 g die Netto-Calciumaufnahme nur noch wenig gesteigert werden kann. Der Begriff Netto-Resorption ist so zu verstehen, dass es im Gastrointestinaltrakt auch eine endogene Sekretion von Calcium gibt, und dass das in den Fäzes nachweisbare Calcium nicht nur das nicht-resorbierte Nahrungscalcium beinhaltet, sondern einen Summenbetrag wiedergibt. Im Schnitt beträgt die Resorptionsrate des Calciums etwa 20–35 %. Die Verfügbarkeit des Calciums wird stark von sogenannten Matrixeffekten bestimmt, das heißt davon, welche Begleitstoffe im Chymus vorhanden sind. Dies beruht darauf, dass Begleitsubstanzen und der pH-Wert maßgeblich die Löslichkeit bestimmen und Calcium sehr leicht komplexiert werden kann. So können unter anderem Calciumseifen oder Chelate gebildet werden, die eine geringe Verfügbarkeit bedingen. Umgekehrt können bestimmte Komplexe, unter anderem mit MCT-Fetten, die Verfügbarkeit scheinbar auch erhöhen. Recht widersprüchliche Befunde lieferten Studien am Menschen zur Aufnahme von Ca2+ aus Kostformen, die höhere Mengen an Phytaten, Oxalat und Phosphaten aufwiesen. Bei einem Überschuss von Phosphaten besteht die Möglichkeit der Bildung schwer löslicher Calciumphosphate mit geringer Resorptionsrate. Auch Mg2+Ionen haben in experimentellen Studien eine Interaktion mit den Resorptionsprozessen des Calciums erkennen lassen. Calcium wird aus den verschiedenen Darmabschnitten etwa gleich gut resorbiert. Auf epithelialer Ebene können zwei Transportrouten identifiziert werden. Neben einem dosisproportionalen parazellulären Weg erfolgt die Aufnahme durch die Bürstensaummembran mittels Carrierproteine beziehungsweise durch Calciumkanäle entlang des sehr hohen Konzentrationsgradienten (im Lumen circa 2–3 mol × L–1; in der Epithelzelle circa 0,1 μmol × L–1) und der elektrochemischen Potentialdifferenz. Für diesen transzellulären Weg wird jedoch auch eine Aufnahme über endocytotische Vesikel diskutiert. Ganz ohne Zweifel stellt der transzelluläre Weg den Prozess dar, der unter Kontrolle des 1,25-(OH)2-Cholecalciferols (Calcitriols) steht und die adaptative Anpassung der Calciumresorption an einen Abfall der Konzentration an ionisiertem Ca2+ im Plasma er-
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möglicht. Die durch Calcitriol induzierte Expression des Calbindin-Gens stellt dabei ein zentrales Ereignis dar. Das vermehrt gebildete Calbindin kann offenbar den Aufnahmeprozess für Ca2+ steigern und besitzt als Calciumbindungsprotein eine wichtige Rolle beim intrazellulären Transfer des Ions zur baso-lateralen Membran und bei dessen Ausschleusung aus der Zelle. Sowohl bei Patienten mit Hypercalciurie, als auch beim Hyperparathyreodismus wird häufig eine erhöhte intestinale Calciumresorption beobachtet. Eine Erhöhung der Calciumresorption führt jedoch nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung der Netto-Resorption im Organismus. Dies ist dadurch erklärbar, dass sowohl die Calciumkonzentration im Plasma als auch der extra-intestinale Pool durch das Parathormon und das Thyreocalcitonin in engen Grenzen reguliert werden (Abschnitt 8.3.5). Als zweiwertiges Kation folgt auch Magnesium bei seiner Aufnahme in die Zelle der elektrischen Potentialdifferenz, wenngleich seine intrazelluläre Konzentration kaum unter der des Darmlumens liegt. Die Resorptionskinetik des Magnesiums zeigt einen biphasischen Verlauf, der bei niedrigen Konzentrationen im Lumen komplexe Transportprozesse erkennen lässt. Hinweise auf spezifische – bisher aber molekular nicht identifizierte – Transportprozesse liefern klinische Befunde bei Kindern mit primärem Magnesiummangel, die deutlich verminderte Resorptionsraten für Magnesium bei gleichzeitig normaler Calciumresorption erkennen lassen. Auch der Resorptionsprozess für Phosphat ist bisher nur funktionell, nicht aber molekular zu beschreiben. Phosphat wird einerseits in anorganischer Form, andererseits in vielen organischen Bindungsformen mit der Nahrung zugeführt. Die Freisetzung des Phosphats aus seinen Bindungen erfolgt in der Digestionsphase vor allem durch unspezifische Phosphatasen. In Inositolen gebundenes Phosphat (Phytate) wird vergleichsweise schlecht freigesetzt. Die Aufnahme des HPO42– beziehungsweise H2PO4– in die Epithelzelle ist pH-abhängig und erfolgt im Cotransport mit Na+-Ionen, womit die Bewegung des Anions gegen den elektrochemischen Gradienten ermöglicht wird. Auch die Phosphatresorption wird durch Calcitriol gefördert, diese Wirkung steht aber nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dessen Effekten auf die Calciumresorption. Neben dem transzellulären Transport des Phosphats lässt sich auch ein parazellulärer Transfer nachweisen, der bidirektional ist und damit auch zu einer Abgabe in das Darmlumen führen kann. Diese Komponente der Phosphatbewegungen am Epithel ist unabhängig vom Calcitriol, zeigt aber eine Beziehung zum Transport anderer Elektrolyte und von Wasser. Der Phosphatstoffwechsel wird, ähnlich wie der Calciumstoffwechsel, durch Vitamin D und das Parathormon beeinflusst.
7.7.2 Die Resorption von Eisen zeigt eine eindrucksvolle Adaptation an die Versorgungslage des Organismus Die intestinale Resorption des Eisens hat in der klinischen Forschung ein weitaus größeres Interesse gefunden als die anderer Elemente. Dies beruht auf der ausgeprägten Anpassung der Resorptionsvorgänge an den klinisch relevanten Eisenmangel oder die Überversorgung. Trotz Jahrzehnten intensiver Forschungsaktivität sind jedoch die molekularen Ereignisse, die zu diesen Adaptationsphänomenen führen, noch nicht im Detail aufgeklärt. Eisen wird bekanntlich mit der Nahrung als organisches porphyringebundenes Eisen (Hämeisen) oder als Eisenhydroxid zugeführt. Da Fe2+/Fe3+ ein Redox-System darstellt und die beiden Ionenspezies unterschiedliches physikochemisches Verhalten auf-
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weisen, wird auch die Resorption von der Wertigkeit stark beeinflusst. Während Fe3+ bei pH-Werten > 4 praktisch unlöslich ist, steigt die Löslichkeit des Eisens in hämgebundener Form sprunghaft bei pH-Werten über 6 an. Im Gegensatz dazu sinkt die Löslichkeit von Fe2+ bei pH-Werten über 6, und ab pH 9 ist es völlig unlöslich. Allein aus den Löslichkeitprofilen in Abhängigkeit vom pH-Wert und der Bindungsform wird deutlich, dass pH-Veränderungen im Milieu des Magendarmtrakts sowie die Anwesenheit von reduzierenden Substanzen und Komplexbildnern beträchtliche Auswirkungen auf die Verfügbarkeit des Eisens haben können. Zwar wird häufig der Magen-Salzsäure eine wichtige Rolle bei der Solubilisierung des Nahrungseisens zugeschrieben, doch gibt es hierfür keine überzeugenden Befunde. So findet sich zum Beispiel auch kein Hinweis auf eine defizitäre Eisenversorgung bei Menschen nach langfristiger Therapie mit Säureblockern. Während reduzierende Substanzen in der Kost, wie freie Ascorbinsäure oder die SH-Gruppen der Proteine, die Umwandlung von Fe3+ in Fe2+ begünstigen und seine Löslichkeit verbessern, können Oxalate, Phytate, Tannine und Phosphate durch Komplexbildung und Veränderung der Löslichkeit die Resorption ungünstig beeinflussen. Die Komplexchemie des Eisens bedingt, dass es in der Digestions- und Resorptionsphase durch eine große Zahl von Liganden (unter anderem organische Säuren, Aminosäuren, Peptide, Fettsäuren), die die Fähigkeit zur Eisenbindung besitzen, ständig umverteilt wird. In diesem Sinne sind auch Mucusproteine sowie die Membranproteine der Epithelzelle als Liganden zu verstehen, die in einer Konkurrenz mit den löslichen luminalen Liganden stehen. Trotz einer großen Zahl von möglichen Variablen lassen sich reproduzierbare Befunde zum Einfluss der Art der Nahrung und der Bindungsform des Eisens auf die Verfügbarkeit feststellen. Wird zum Beispiel die gleiche Menge Eisen als Eisensulfat oder hämgebundenes Eisen ohne Nahrung verabreicht, sind die Resorptionsraten mit circa 18–20 % etwa gleich hoch. Wird der Versuch jedoch mit einer gemischten Kost wiederholt, sinkt die Resorptionsrate bei Eisensulfatgabe auf weniger als 5 % der Dosis, während im Falle des Hämeisens weiterhin etwa 18 % resorbiert werden. Die begrenzte Resorptionskapazität für Eisen wird auch daran erkennbar, dass eine tausendfache Erhöhung einer oralen Dosis eines Eisensalzes (von 0,1 mg auf 100 mg) nur zu einer Steigerung der resorbierten Menge von etwa 0,1 mg auf maximal 10 mg führt. Betrachten wir den Resorptionsschritt an der Bürstensaummembran der Epithelzelle, so werden verschiedene Membranproteine als Vermittler der Aufnahme von freiem Eisen diskutiert. Die Identifizierung eines Integrins (β 3-Integrin) als eisenbindendes Protein in der apikalen Membran von Epithelzellen führte zur Annahme, dass es als Trägerprotein für den Membrandurchtritt des Eisens dient. Erst kürzlich wurde ein weiteres Membranprotein beschrieben, dessen mRNA in Duodenalzellen bei Eisenmangel dramatisch erhöht ist. Es fungiert als elektrogener Carrier für Eisen beziehungsweise Eisenchelate. Der identifizierte Transporter (DCT1: divalent cation transporter 1) kann in Gegenwart von Ascorbat neben Fe2+ auch viele andere divalente Kationen (unter anderem Zn, Mn, Co, Cd, Cu, Pb) transportieren. Dies könnte einen Teil der berichteten Wechselwirkungen solcher Metalle mit der Eisenresorption erklären. Als Triebkraft dient dem DCT1 ein Protonengradient und das Membranpotential. Das Protein wird offenbar bei Eisenmangel adaptativ vermehrt gebildet, was die im Mangel signifikant erhöhte Eisenresorption verständlich werden lässt. Inwieweit noch andere Transportcarrier an der Resorption von freiem Eisen, vor allem auch von Fe3+ beteiligt sind, bleibt noch zu prüfen.
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Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Die Proteolyse von Myoglobin und Hämoglobin aus tierischen Produkten führt intraluminal zur Freisetzung des Häms, in dem das Eisen koordinativ gebunden ist. Komplexbildner, die die Resorption des freien Eisens stark beeinflussen, üben auf die Aufnahme des Hämeisens in die Darmzelle kaum Einfluss aus. Die Resorption des hämgebundenen Eisens erfolgt vermutlich über einen vesikulären Mechanismus und möglicherweise einen spezifischen Häm-Transporter. Aus dem Häm wird Eisen in der Epithelzelle durch eine Hämoxygenase freigesetzt und gelangt zusammen mit den über Carrierproteine aufgenommenen Eisenionen in den cytosolischen Pool mit seinen spezifischen Bindungsproteinen. In der Epithelzelle wird das Eisen von dem 56 kDa großen Mobilferrin sowie einem 520 kDa großen Komplex gebunden, der als Paraferritin bezeichnet wird. Dieser hochmolekulare Proteinverband enthält neben Mobilferritin auch das Integrin und eine Flavinmonooxygenase. Der Komplex besitzt damit auch die Fähigkeit zur Reduktion des Fe3+ zu Fe2+. Bei einer Erhöhung der Eisenspiegels in der Epithelzelle wird vermehrt Ferritin gebildet, vermutlich um einer oxidativen Schädigung zellulärer Proteine durch ionisiertes Eisen entgegenzuwirken. Durch die umfangreiche Bindung des Eisens im Ferritin kann das Darmepithel auch als Speicher von Körpereisen angesehen werden. Die in der baso-lateralen Membran der Epithelzelle gelegenen Rezeptoren für das Eisentransportprotein des Plasmas, das Transferrin, vermitteln nach Bindung des Transferrins an diese Rezeptoren die Übertragung des intrazellulären, proteingebundenen Eisens auf das Transferrin. Der Anstieg der Eisenresorption bei Eisenmangel ist gegenwärtig am einfachsten mit der vermehrten Bildung von Transport- und Bindungsproteinen in der Epithelzelle erklärbar. Die Transkription der entsprechenden Gene wird über eisenempfindliche regulatorische Proteine, die als Transkriptionsfaktoren wirken, vermittelt. Die Mechanismen, die eine Verminderung der Resorption bei Eisenüberladung des Organismus hervorrufen, sind dagegen nur unzureichend geklärt. Hierbei muss aber berücksichtigt werden, dass in der Mucosa gebundenes Eisen bei der Abschilferung der kurzlebigen Epithelzellen in beträchtlichen Mengen verloren geht und zur Elimination aus dem Organismus führt. Alle Spurenelemente der Gruppe der Übergangsmetalle zeigen mit ihrer Fähigkeit zur Bildung von Komplexverbindungen ein ähnliches Verhalten bei ihrer Resorption im Gastrointestinaltrakt. Auch ihre Verfügbarkeit wird von anderen Nahrungsinhaltstoffen, von Substanzen aus Sekretionsprozessen und vom physikochemischen Milieu im Darm stark beeinflusst. So lassen sich Wirkungen vieler niedermolekularer Liganden (unter anderem Aminosäuren, Citrat, Peptide) auf die Resorptionsprozesse von Zink, Kupfer, Cobalt, Selen und vielen anderen Metallen nachweisen. Auf Interaktionen der Metalle bei ihrer Aufnahme ins Epithel sowie den Transfer ins Blut wurde schon im Zusammenhang mit der Eisenresorption hingewiesen. Schwermetalle wie Cadmium oder Blei nutzen für ihre Resorption ebenfalls ähnliche Wege, so dass die intestinale Resorption essentieller Spurenelemente durch diese, in hohen Dosen toxischen Metalle, negativ beeinflusst wird.
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7.8 Die gastrointestinalen Vorgänge bei der Resorption von wasserlöslichen Vitaminen sind so vielgestaltig wie deren chemische Struktur Neben der Resorption von Hauptnährstoffen, Mengen- und Spurenelementen sowie Wasser spielt der Magendarmtrakt natürlich auch eine wichtige Rolle bei der Versorgung des Organimus mit wasserlöslichen Vitaminen. Die herausragende Bedeutung dieses Organs für die Bedarfsdeckung wird auch in diesem Falle aufgrund von Adaptationsphänomenen deutlich, bei denen Resorptionsprozesse an einen erhöhten oder verminderten Bedarf angepasst werden. Da Vitamine nur in Mikro- oder Milligrammmengen mit der Kost zugeführt werden, betragen die Konzentrationen dieser Verbindungen im Gastrointestinaltrakt nur etwa 10–6 bis 10–8 mol × L–1. Will man sich mit den Resorptionsmechanismen der Vitamine beschäftigen, so ist man darauf angewiesen, in den physiologisch vorkommenden Konzentrationen zu arbeiten. Die Verabreichung sehr hoher Dosen, wie sie mit Nahrungsergänzungspräparaten und Vitaminpharmaka erreicht werden, führt dazu, dass bei den meisten Vitaminen ausschließlich dosisproportionale Resorptionsvorgänge auftreten, die die physiologisch relevanten Prozesse bei der Aufnahme aus der Nahrung maskieren. Trotz intensiver Forschungsaktivität sind die Mechanismen der intestinalen Resorption bei der Mehrzahl der wasserlöslichen Vitamine nicht vollständig geklärt. Es würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen, wollte man jeden dieser Mikronährstoffe im Detail behandeln. Es werden aus diesem Grund nur allgemeine Prinzipien dargestellt und auf einige Besonderheiten bei einzelnen Vitaminen eingegangen. Tabelle 7.2 enthält einige Daten zur intestinalen Resorption und Prozessierung der wasserlöslichen Vitamine.
7.8.1 Die meisten wasserlöslichen Vitamine werden vor und nach der Resorption enzymatisch verändert Entsprechend ihrer Funktion im Intermediärstoffwechsel liegen die meisten Vitamine in den Zellen als Coenzyme vor, da sie in dieser Form bei enzymatischen Reaktionen an der Katalyse beteiligt sind. Eine Ausnahme bildet die Ascorbinsäure, die neben ihrer Cofaktorrolle bei Hydroxylierungsreaktionen primär antioxidative Funktionen im wässrigen Milieu erfüllt (Abschnitt 4.4.2.9). Mit der Nahrung aufgenommene Vitamine gelangen also in Formen in den Gastrointestinaltrakt, in denen sie in pflanzlichen und tierischen Zellen ihre biologischen Funktionen erfüllen; das heißt als Coenzyme und/oder an Proteine gebunden. In diesen Bindungsformen sind sie aber in der Regel nicht bioverfügbar, das heißt, sie können als solche nicht resorbiert werden. Darüber hinaus sind eine ganze Reihe von Vitaminen integrale Bestandteile von hochmolekularen Proteinen (zum Beispiel Flavoproteinen), so dass ihre Bioverfügbarkeit an die Hydrolyse des Proteins gebunden ist. Im Gegensatz dazu sind in Vitaminpräparaten für die Nahrungsergänzung oder in pharmazeutischen Zubereitungen die Vitamine in freier Form – meist als Salze – enthalten. Die Fähigkeit zur Resorption setzt bei vielen wasserlöslichen Vitaminen die enzymatische Freisetzung aus den Proteinbindungen beziehungsweise den Coenzymformen voraus. Dies gilt auch für die diversen Bindungsproteine, wie sie zum Beispiel in Mutter- oder Kuhmilch unter anderem für Folate nachgewiesen worden sind. Im Falle
Proteingebundenes Biotin, Proteolyse Biocytin (Lysylbiotin), freies Biotin
NAD, NADP
Biotin
Niacin
Proteolyse und Übertragung auf spezielle Bindungsproteine
Cobalamin
Proteingebundene Cobalamine, Methyl-, Adenosyl-, Aqua-, Cyanocobalamin
Hydrolyse zu Pantothensäure mit Beteiligung von Phosphatasen
keine
Hydrolyse durch Pyrophosphatase und Nucleosidase nur in geringem Umfang gespalten
Hydrolyse durch Polyglutamathydrolase (Konjugase)
Proteolyse Hydrolyse durch Phosphatasen vermutlich nicht gespalten
Pantothensäure CoA, Phosphopantothein, Pantethein
Ascorbat, Dehydroascorbat
Glykokonjugate der Nicotinsäure
Mono- u. Polyglutamatformen red. und oxid. Formen versch. substituierte Formen
Folate
Ascorbat
Proteingebundene Formen, Phosphatester; (PALP, PAMP) glykosylierte Formen
Rephosphorylierung zu PALP
rezeptorvermittelte Endocytose im Ileum
Transzellulärer Transfer durch Bindungsproteine
Resynthese von CoA
Prozess
Na+-abhängiger sowie Diffusion
Redox-Vorgänge
Na+-abhängiger Prozess
über Anionenaustauscher Resynthese der sowie Diffusion Coenzymformen
Na+-abhängiger Prozess, – Diffusion
Monoglutamatformen Reduktion und über Anionenaustauscher Synthese von (sättigbar) 5-CH3-THF
Diffusion
Rephosphorylierung zu TMP, TDP
Pyridoxin
Kationenaustauscher (sättigbar)
Flavinadeninmononucleotid (FMN), Hydrolyse der Phosphatester Na+-abhängiger Prozess, Resynthese von FMN Flavinadenindinucleotid (FAD), durch Phosphatasen (sättigbar) und FAD Flavoproteine, Proteolyse nur in geringem Umfang glykosylierte Formen
Hydrolyse der Phosphatester durch Phosphatasen
Riboflavin
Primäre Umwandlungsreaktionen in der Epithelzelle
Thiaminmonophosphat, Thiamindiphosphat, Thiamintriphosphat
Physiologischer Resorptionsvorgang
Thiamin
Freisetzungsprozesse im Magen-Darmtrakt
Mit der Nahrung zugeführte Formen
Vitamin
Tabelle 7.2: Intestinale Resorption und Prozessierung wasserlöslicher Vitamine
356 Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 357
glykosylierter Transport- und Bindungsproteine ist die Verfügbarkeit der Vitamine durch die begrenzte Hydrolyse des Glykoproteinanteils in besonderer Weise eingeschränkt. Letzteres stellt jedoch eine wichtige Voraussetzung für die Resorption von Cobalaminen dar.
7.8.2 Cobalamine der Nahrung werden über einen exklusiven Weg resorbiert Cobalamine werden mit der Nahrung fast ausschließlich in proteingebundener Form aufgenommen. Bereits im Magen erfolgt eine pH-abhängige Umverteilung der Cobalamine auf Haptocorrine (sogenannte R-Typ-Binder; R-Proteine), die vor allem aus den Speicheldrüsen stammen. Durch partielle Proteolyse der R-Proteine im Dünndarm werden die Cobalamine freigesetzt und auf den intrinsic factor (IF) übertragen, der von den Parietalzellen des Magens sezerniert wird. Dieses 48–50 kDa Glykoprotein besitzt eine beträchtliche Proteolyseresistenz und kann daher als Cobalamin-IF-Komplex das Ileum erreichen. Dort bindet der Komplex Ca2+-abhängig an einen vermutlich als Dimer vorliegenden spezifischen Rezeptor in der Bürstensaummembran der Epithelzellen des Ileums. Die Bindung an den Rezeptor findet unter Beteiligung von Sialinsäureresten des IF statt. Nach Endocytose und endosomaler beziehungsweise lysosomaler Freisetzung der Cobalamine werden diese auf zelluläres Transcobalamin übertragen und über sekretorische Vesikel in einem sehr langsamen Prozess aus der Epithelzelle ausgeschleust. Für die Umverteilung der Cobalamine zwischen den Bindungsproteinen der Nahrung und dem IF spielen die HCl-Sekretion und die gastrointestinalen Proteasen eine wichtige Rolle. Bei Patienten mit stark eingeschränkter Salzsäure- und Pepsinsekretion kann gelegentlich eine verminderte Resorption von Vitamin B12 aus der Nahrung beobachtet werden, wenngleich die Patienten freies Cobalamin durchaus resorbieren können. Der Erfassung von Malabsorptionsprozessen für das B12 der Nahrung dient der sogenannte Schilling-Test, bei dem radioaktives Cobalamin in freier Form oder an IFgebunden verabreicht wird. Anhand der Ausscheidung des Cobalamins im Urin kann beurteilt werden, ob die Malabsorption zum Beispiel bei einer perniziösen Anämie aufgrund eines Mangels an IF auftritt, oder ob der Resorptionsprozess im terminalen Ileum beeinträchtigt ist. Bei letzterem würde auch bei der Gabe des Cobalamin-IF-Komplexes nur wenig B12 resorbiert werden. Während die Resorption der proteingebundenen Cobalamine im Ileum erfolgt, wird freies Cobalamin aus pharmazeutischen Präparaten im oberen Dünndarm aufgenommen. Die Resorption erfolgt aber nur in geringem Umfang und erfordert daher eine sehr hohe orale Zufuhr. Da Vegetarier beziehungsweise Veganer alimentär extrem wenig B12 aufnehmen, wird die Empfehlung für entsprechende Algenpräparationen als Cobalaminquellen ausgesprochen. Allerdings ist das Cobalamin in mehreren dieser Algen in Bindungsformen enthalten, die ebenfalls nur eine geringe Bioverfügbarkeit und damit Bioaktivität besitzen.
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Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
7.8.3 Die Freisetzung der Vitamine aus den Coenzymformen erfordert vor allem membrangebundene Hydrolasen Wie erwähnt, müssen die in Coenzymform zugeführten Vitamine für ihre Aufnahme in das Epithel und den Organismus hydrolytisch freigesetzt werden. Für diese Funktion stehen an der Bürstensaummembran der Epithelzellen gebundene Enzyme zur Verfügung. Im Falle der Phosphatester-Formen des Thiamins, des Pyridoxins und der Pantothensäure erfolgt die Abspaltung der Phosphorsäurereste vor allem durch die alkalische Phosphatase, die mit sehr hoher Aktivität an der apikalen Zellmembran gebunden vorkommt. Sie ist auch an der Freisetzung von Riboflavin aus FMN und FAD beteiligt. Pyrophosphatase- und Nucleosidaseaktivitäten gegenüber NAD und NADP ermöglichen darüber hinaus die Freisetzung der Nicotinsäure aus den Coenzymen. Die Abspaltung der Monoglutamatformen der Folsäure aus den Folyl-Polyglutamaten erfordert dagegen eine Carboxypeptidase (sogenannte Konjugase) am Epithel. Die Konjugase kann die über γ-Carboxylgruppen peptidisch gebundenen Glutamatreste abspalten und die Monoglutamatformen der Folate freisetzen. Sowohl in pflanzlichen als auch tierischen Lebensmitteln liegen die Folate zu circa 50 % als Polyglutamate mit 4–10 Glutamatresten vor. Teilweise enstehen schon während der Be- und Verarbeitung der Lebensmittel die Folyl-Monoglutamate und verkürzte Polyglutamatformen, da bei der Zerstörung der Zellen und Organellen im Lebensmittel Konjugasen freigesetzt werden. Proteingebundenes Biotin, das fast ausschließlich kovalent mit Lysinresten verknüpft vorkommt, wird ebenfalls hydrolytisch im Rahmen der Proteolyse freigesetzt. Eine besondere Bindungsform des Biotins findet sich dagegen im Biotin-Avidinkomplex. Beim Avidin handelt es sich um ein wasserlösliches basisches Glykoprotein, das in Eiern von Vögeln, Amphibien und Reptilien vorkommt. Es bildet mit Biotin stöchiometrisch einen oligomeren Komplex mit der stärksten bisher bekannten nicht-kovalenten Bindung. Da der Komplex im Darm nicht hydrolysiert werden kann, ist das Biotin, unter anderem aus rohen Eiern, nicht verfügbar. Mit exzessiver Zufuhr von rohem Ei kann daher ein klinisch relevanter Biotinmangel erzeugt werden. Bei Erhitzung auf über 100 oC wird das Avidin denaturiert und das Biotin freigesetzt.
7.8.4 Die wasserlöslichen Vitamine sind überwiegend schwache Elektrolyte Mit Ausnahme der Cobalamine und des Riboflavins liegen alle wasserlöslichen Vitamine nach ihrer Freisetzung aus den Coenzym- beziehungsweise Proteinkomplexen als schwache Säuren oder schwache Basen vor, das heißt, ihre Netto-Ladung hängt vom pk-Wert ihrer ionisierbaren Gruppen und dem pH-Wert im Darm ab. Für die vergleichsweise kleinen Moleküle mit geringen Molmassen resultiert daraus, dass sie in ungeladenener Form leicht durch biologische Membranen diffundieren können. Das erklärt auch die Dosisproportionalität ihrer Resorption bei Zufuhr größerer Mengen in kristalliner Form. Für einige der Vitamine sind jedoch auch sättigbare Resorptionsprozesse in den physiologisch vorkommenden Konzentrationsbereichen beschrieben worden. In der Mehrzahl der Fälle kennzeichnet daher die Resorptionsrate eines Vitamins als Funktion seiner intraluminalen Konzentration eine sogenannte duale Kinetik. Dies heißt, dass bei geringer Konzentration spezifische und sättigbare carriervermittelte Transportvorgänge dominieren und bei hohen Konzentrationen dann zunehmend die dosisproportionale Aufnahme überwiegt. Die für die verschiedenen Vitamine beschriebenen
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 359
Resorptionsvorgänge fasst Tabelle 7.2 zusammen. Sie sind vorwiegend als Na+-abhängige Prozesse dokumentiert oder erfolgen durch elektroneutrale Austauschvorgänge, wie im Falle des kationischen Thiamins oder den anionischen Folyl-Monoglutamaten. Der Aufnahme in die Epithelzelle folgt meist eine metabolische Umwandlung in die entsprechenden Coenzymformen. Dieser Vorgang wird als metabolisches trapping bezeichnet und weist darauf hin, dass mit der enzymatischen Umwandlung ein „Einfangen“ des Vitamins erfolgt. Die Coenzymformen dienen damit als vorübergehender Speicher in der Epithelzelle und verhindern ein schnelles Auswaschen der Substanzen. Für ihren Efflux aus der Epithelzelle in die Zirkulation werden die Vitamine meist wieder in die freie Form überführt und über noch unbekannte Transportproteine durch die baso-laterale Membran der Zelle ausgeschleust. Für etliche wasserlösliche Vitamine ist ein enterohepatischer Kreislauf nachgewiesen. Nach ihrer Aufnahme in die Leber und Sekretion in die Gallenflüssigkeit können sie im Dünndarm erneut zur Resorption gelangen. Inwieweit Vitamine, die von Mikroorganismen im Dickdarm produziert werden, zur Bedarfsdeckung des Organismus beitragen, wird noch immer kontrovers diskutiert. Voraussetzung für ihre Bioverfügbarkeit ist, dass sie von den Bakterien sezerniert werden und tatsächlich für eine Aufnahme in das Colonepithel zur Verfügung stehen. Dies scheint im Falle von Folaten und Biotin der Fall zu sein. Aus tierexperimentellen Studien lässt sich ableiten, dass bis etwa 10 % des Bedarfs, zum Beispiel an Biotin, durch die Resorption von Biotin aus mikrobiellem Ursprung gedeckt werden kann. Insgesamt spielt aber die Resorption der Vitamine aus dem Dickdarm – mit Ausnahme des mikrobiellen fettlöslichen Vitamin K – für die Bedarfsdeckung keine bedeutende Rolle.
7.9 Der Dickdarm dient als Fermentationskammer Der Dickdarm wird anatomisch in das Caecum, Colon ascendencs, Colon transversum, Colon sigmoideum, Colon descendens und Rectum unterteilt. Durch die Valva ileocoecalis erfolgt der Übertritt des Chymus aus dem terminalen Ileum in den Dickdarm. Hier verbleibt der Darminhalt im Vergleich zu seiner schnellen Passage durch den Dünndarm recht lange (20–50 Stunden) und erfährt nochmals charakteristische Veränderungen seiner Zusammensetzung. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Dickdarm eine beträchtliche Kapazität zur Resorption von Elektrolyten und Wasser besitzt und entscheidend für die Konzentrierung der Fäzes ist. Insgesamt ist die innere Oberfläche des Colons nicht sehr groß. Die für den Dünndarm charakteristischen oberflächenvergrößernden Strukturen der Schleimhaut (Zotten und Mikrovilli) sind hier nicht mehr nachweisbar. Bezieht man die innere Oberfläche des Dickdarms auf die Gesamtkörpermasse, kann der Mensch beim Vergleich mit anderen Spezies eher den Carnivoren als den Herbivoren zugeordnet werden. Zum gleichen Resultat kommt man, wenn die Fäzesmenge ins Verhältnis zur Körpermasse gesetzt wird. Dies weist darauf hin, dass die Fermentationskapazität des Dickdarms beim Menschen recht gering ist, insbesondere beim Vergleich mit Spezies, die auch signifikante Energiemengen aus den Fermentationsprodukten beziehen. Dennoch spielen die im Dickdarm ablaufenden Fermentationsprozesse eine wichtige Rolle, da sie die Struktur und Funktion des Epithels beeinflussen. Die Mikroorganismenbesiedelung des Dickdarms weist eine beträchtliche Konstanz auf. Sie lässt sich in eine Lumenflora und eine wandständige Flora unterteilen.
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Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Letztere dient im Sinne eines individuellen Inokulats der stetigen Regeneration der luminalen Flora. Während in einem Individuum das Keimspektrum eine gewisse Konstanz zeigt, können zwischen einzelnen Individuen beträchtliche Unterschiede in den Spezies nachgewiesen werden. Die Bakterienmasse macht etwa 40 % des Darminhalts im Colon aus und zeigt mit bis zu 1011 Keimen × g–1 hier die höchste Populationsdichte im Darm. Etwa 300 bis 400 verschiedene Keimspezies können identifiziert werden, wovon circa 90 % Anaerobier sind. Dominant sind die gramnegativen BacteroidesStämme, gefolgt von den grampositiven strikt anaeroben Bifido- und Eubacteria-Arten. Es folgen die Gattungen der Streptococci und Lactobacilli, die in ihrer Zahl die Gattung der E. coli und Enterococcen übertreffen. In sehr viel geringeren Keimdichten kommen dagegen Clostridien, Staphylococcen, Proteus- und Pseudomonas-Arten im Colon vor.
7.9.1 Die Stoffwechselleistungen der Flora beeinflussen das Darmepithel Alle Keime stehen im Dickdarm als Ökosystem in einer wechselseitigen Beeinflussung ihrer Wachstumsbedingungen und in Konkurrenz um Nährstoffe und Wachstumsfaktoren. Ihre metabolische Aktivität, die in der Gesamtheit der Keime etwa der der Leber entspricht, führt vor allem zur Bildung von kurzkettigen Fettsäuren und Lactat aus der Fermentation von Substraten, die dem Abbau und der Resorption im Dünndarm entgangen sind. Darüber hinaus fallen aus dem mikrobiellen Stoffwechsel auch Gase wie CO2 und H2, bei einzelnen Individuen aber auch Methan an. Besonders die Bildung von H2 aus fermentierbaren Substraten kann genutzt werden, um zum Beispiel die orocaecale Transitzeit mittels einer H2-Exhalationsmessung nach Gabe von Lactulose zu bestimmen. Andere, quantitativ weniger bedeutende Produkte des mikrobiellen Stoffwechsels sind verzweigtkettige Fettsäuren, Ammoniak, Amine, Phenole und Indole sowie weitere organische Verbindungen. Aufgrund ihrer speziellen Enzymausstattung mit β-Glucuronidasen, β-Glucosidasen, Azo- und Nitroreductasen sowie 7-α-Dehydroxylasen bilden diverse Bakterienspezies auch Verbindungen, die als toxisch und kanzerogen eingestuft werden. Dieser Stoffwechselleistung wird in den letzten Jahren zunehmend Bedeutung geschenkt, da die Zahl der Colon- und Rectumkarzinome in den nordeuropäischen Ländern stark gestiegen ist. Dies wird ursächlich mit den Ernährungsgewohnheiten in Verbindung gebracht. Zwar ist man noch nicht in der Lage eine Kausalitäskette zu erstellen, doch gibt es dazu eine Reihe von Hypothesen. Die erbliche Komponente wird für mindestens 5 % der Colonkarzinome verantwortlich gemacht. Eine Vielzahl von Gendefekten, unter anderem in Tumorsuppressorgenen und DNA-Reparaturgenen, sind in diesem Zusammenhang nachgewiesen. Auch bei den sporadischen Formen des Colonkarzinoms kommt es offenbar zu einer Akkumulation somatischer Mutationen in Tumorsuppressorgenen und Protoonkogenen. Dies lässt im Laufe des Lebens das Risiko zum Erwerb eines Colon- oder Rectumkarzinoms stark ansteigen. Zentrale Bedeutung erhalten im Zusammenhang mit der Colonkarzinogenese die sekundären Gallensäuren und die kurzkettigen Fettsäuren als Produkte der Fermentationsprozesse. Durch Bakterien werden die primären Gallensäuren, wie Cholsäure und Chenodesoxycholsäure, zu sekundären Gallensäuren umgewandelt. Vor allem Desoxycholsäure und Lithocholsäure haben im Tierexperiment tumorpromovierende Wirkungen erkennen lassen. Auch verschiedene mehrfach ungesättigte diätetische Fettsäu-
7 Der Gastrointestinaltrakt – Vermittler zwischen Außen- und Innenwelt des Organismus 361
ren zeigen eine solche Wirkung. Da die Abgabe von Gallensäuren in den Darm proportional zur Fettzufuhr ansteigt, werden in der Folge auch vermehrt sekundäre Gallensäuren gebildet. Darin wird ein wichtiges ätiologisches Bindeglied zwischen dem Entstehen von Colonkarzinomen und einer hohen Zufuhr von Nahrungsfett gesehen. Protektive Wirkungen werden dagegen den kurzkettigen Fettsäuren, primär dem Butyrat zugeschrieben. Mit Gesamtkonzentrationen von bis zu 100 mmol × L–1 stellen die kurzkettigen Fettsäuren Butyrat, Proprionat und Acetat die Hauptmetaboliten des mikrobiellen Stoffwechsels im Dickdarm dar. Ihre hohe Konzentration führt dazu, dass der pH-Wert im Lumen auf Werte unter 6,5 absinken kann. Das Verhältnis der kurzkettigen Fettsäuren zueinander kann durch die Qualität der fermentierbaren Substrate verändert werden. So können resistente Stärken die Butyratbildung begünstigen, während Pektin vor allem die Acetatbildung fördert. Butyrat weist ungewöhnliche Wirkungen am Dickdarmepithel auf. So fördert es in normalen Kryptenzellen des Colons die Zellproliferation, reduziert die Differenzierungsprozesse und unterdrückt die Apoptose. Darüber hinaus ist es ein bevorzugtes Energiesubstrat im Stoffwechsel der Colonocyten. In Colontumorzellen kann es dagegen die Zellteilungsrate reduzieren, die Differenzierung fördern und zum Beispiel die Expression mutierter Protooncogene vermindern. Damit schützt es in seiner Gesamtheit vor einer weiteren Progression des Tumors. Die kurzkettigen Fettsäuren werden im Dickdarm durch Prozesse der nicht-ionischen Diffusion und über Anionenaustauschvorgänge resorbiert. Während Butyrat vorwiegend in den Colonocyten metabolisch verwertet wird, stehen Acetat und Propionat auch peripheren Geweben als Energiesubstrate zur Verfügung. Die Bedeutung der Fermentationsprodukte an der Gesamtenergiezufuhr des Menschen kann mit etwa 2–10 %, je nach Art und Menge der fermentierbaren Substrate, angesetzt werden. Der Inhalt des Dickdarms beträgt etwa 300 bis 500 ml und wird durch knetende Bewegungen gewendet, durchmischt und außerdem weitertransportiert. Gleichzeitig wird er durch die Wasserresorption langsam eingedickt. Drei- bis viermal am Tag wird ein Teil des Inhalts durch massive Kontraktionen von Caecum und proximalem Colon in das Colon descendens und das Rectum befördert. Dazu tragen neben langsamen peristaltischen Wellen der Ringmuskulatur über kürzere Darmabschnitte auch vom Caecum ausgehende und bis zum Sigmoid ziehende peristaltische Wellen bei. Der in Fäzes umgewandelte Inhalt löst im Rectum einen Defäkationsreflex aus, dessen nervöses Zentrum im Rückenmark liegt. Ist der Reflex eingeleitet und wird er nicht spezifisch gehemmt, kommt es zum Defäkationsakt, an dem koordinierte Kontraktionen willkürlicher und unwillkürlicher Muskeln beteiligt sind.
8
Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
Das Volumen des Blutes nimmt bei Männern etwa 7 %, bei Frauen etwa 8 % des gesamten Flüssigkeitsraumes ein und beträgt bei einem Erwachsenen etwa fünf Liter. Dieses „flüssige Organ“ zirkuliert in einem geschlossenen Konvektionssystem, dem Kreislauf. Das Funktionsprinzip des Blutkreislaufs beruht auf der Erzeugung eines Druckgefälles zwischen Arterien und Venen, das die Strömung innerhalb des Gefäßsystems unterhält. Eine der Hauptaufgaben des Blutkreislaufs, der alle Organe miteinander verbindet, ist der schnelle Substanztransport über weite Strecken. Die Diffusion allein würde bei Lebewesen von der Größe des Menschen die Verteilung der Atemgase – des Sauerstoffs und Kohlendioxids –, der Substrate, Metaboliten und Endprodukte des Stoffwechsels sowie der Signalträger nicht im Entferntesten gewährleisten. Die Distribution der Substanzen bedarf der viel effektiveren Konvektion. Der Stoffaustausch zwischen dem Blut und den Zellen der Organe über die relativ geringfügigen Distanzen des interstitiellen Raumes kommt dagegen hauptsächlich durch Diffusion zustande. Die Transportfunktion des Blutes ist untrennbar mit der Aufgabe verbunden, für ein stabiles inneres Milieu zu sorgen. Das Blut ist einer der Hauptträger der homöostatischen* Regulationsmechanismen des Körpers. Neben der zentralen Rolle als Trägermedium für die humorale Kommunikation nimmt das Blut erheblichen Anteil an der Regulation des Wasserhaushaltes und der Körpertemperatur. Weiterhin bestreitet es wesentliche Teile der Abwehrreaktionen. Diese Funktionen sind jedoch nicht Gegenstand dieses Kapitels. Ebenso unberücksichtigt bleibt die Blutkoagulation, die als Selbstschutz der Bewahrung des Blutbestandes dient.
8.1 Das Blut ist ein sehr effektives Verteilersystem Der Stofftransport über das zirkulierende Blut zeichnet sich durch eine außerordentliche Effektivität aus. Der wesentliche Teil des Austausches zwischen dem Blut und dem Interstitialraum findet im Bereich der terminalen Strombahn, auch Mikrozirkulation genannt, statt, wo das Blut eine relativ geringe Strömungsgeschwindigkeit hat. Zur Mikrozirkulation werden alle Blutgefäße gerechnet, deren Durchmesser kleiner als 30 bis 50 μm ist, das heißt die terminalen Arteriolen, die Metaarteriolen, die Kapillaren, die postkapillären Venolen und die Sammelvenolen. Ihre Wände sind relativ dünn. Sie bieten für den Austausch eine sehr große Oberfläche, die etwa dreimal so groß ist wie die des Epithels im Magendarmtrakt (Abschnitt 7.4) und zehnmal so groß wie die Oberfläche aller Alveolen der Lunge. * Homöostase = Systemeigenschaft von Zellen beziehungsweise Organismen, die die Gesamtheit der endogenen Regelvorgänge, die für ein stabiles inneres Milieu sorgen, umfasst. (Quelle: Lexikon der Biochemie und Molekularbiologie (1991) Band 2; S. 139)
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Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Prinzipiell verbindet der Blutkreislauf mehr oder minder direkt alle Zellen des Organismus miteinander. Die Gefäßdichte ist jedoch in den einzelnen Geweben unterschiedlich, wodurch auch der maximal mögliche Stoffaustausch verschieden ist. Im allgemeinen korreliert die Kapillardichte mit der Stoffwechselaktivität der Organe, was besonders für die Sauerstoffversorgung, aber auch für die Versorgung mit energetisch verwertbaren Substraten bedeutsam ist. Eine längerfristige, funktionelle Beanspruchung ruft – im Sinne einer Adaptation – in einigen Organen ein vermehrtes Wachstum des Gefäßsystems hervor. Zur Erfüllung der Aufgabe als Vermittler von Stoffaustausch und Homöostase müssen bestimmte Substanzen den Blutkreislauf selektiv verlassen beziehungsweise in ihn eintreten können. Für den Durchtritt von Substanzen durch die Gefäßwand stellt das Gefäßendothel die wichtigste Barriere dar, dessen Struktur und Durchlässigkeit in verschiedenen Organen unterschiedlich sein kann. Die entscheidenden Austauschvorgänge durch die Gefäßwand sind vorwiegend passiv. So können Sauerstoff und Kohlendioxid entlang dem Konzentrationsgradienten ungehindert durch die Gefäßwand in die Gewebe und in die andere Richtung diffundieren. Aktive Transportvorgänge, die an Epithelien von Darm (Abschnitt 7.6 bis 7.8) und Nierentubuli (Abschnitt 12.2.2) von großer Bedeutung sind, finden am Endothel nur begrenzt statt. Sie sind für den Substanzaustausch nur dort wesentlich, wo die Gefäßwand ausgeprägt undurchlässig ist, und damit der Transport stark behindert wird. Dies ist insbesondere bei der Blut-HirnSchranke des Gehirns der Fall. Für den Durchtritt von Substanzen ist die Dicke und die Feinstruktur des Endothels ausschlaggebend. Wie in Abbildung 8.1 skizziert, gibt es mehrere Möglichkeiten zur Überwindung der Barriere des Endothels. Lipidlösliche Substanzen durchdringen ohne weiteres die luminale und kontraluminale Membran der Endothelzelle, sie werden
Passage durch Endocytose/Exocytose
Passage durch Fenestration mit Diaphragma parazelluläre Passage transzelluläre Passage lipidlöslicher Substanzen Endothelzelle Basalmembran
8.1
Möglichkeiten des Substanzdurchtritts durch das Kapillarendothel
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
Kapillare
Pivas
365
iF
Interstitium
PiF
8.2
ivas
Treibende Kräfte für die Flüssigkeitsbewegung über die Kapillarwand P = hydrostatischer Druck; π = kolloidosmotischer Druck; ivas = intravasal; iF = interstitiell
transzellulär transportiert. Für wasserlösliche Moleküle und Ionen kommt die parazelluläre Passage durch die Räume zwischen den Endothelzellen in Frage, deren Durchmesser je nach Endotheltyp mit zwei bis fünf nm angenommen wird. Größere „funktionelle Poren“ mit einem Durchmesser von 20 bis 80 nm sind die Fenestrationen mit einem halbdurchlässigen Diaphragma, deren Anzahl in Richtung auf das venöse Kapillarende zunimmt. Schließlich kommt auch ein transzellulärer Stofftransport durch endocytotische beziehungsweise exocytotische Vesikel in Frage. Die Druckverhältnisse im Blutgefäßsystem sind ebenfalls von großer Bedeutung, insbesondere für die Bewegung des Wassers und der darin gelösten Substanzen. Treibende Kräfte für den Wasserfluss durch die „funktionellen Poren“ der Kapillarwand sind hydrostatische und kolloidosmotische (onkotische) Druckdifferenzen über die Gefäßwand. Wie in Abbildung 8.2 skizziert, ist der intravasale hydrostatische Druck (Pivas) – der durch die Herztätigkeit erzeugt wird – normalerweise viel höher als der hydrostatische Druck in der interstitiellen Flüssigkeit (PiF). Dadurch würde die Blutflüssigkeit durch die für Wasser relativ durchlässige Gefäßwand in das extravasale Gewebe „versickern“. Dass dies nicht eintritt, ist der Tatsache zuzuschreiben, dass der hydrostatischen Druckdifferenz zwischen Innen- und Außenseite der Kapillarwand die kolloidosmotische Druckdifferenz entgegensteht. Der intravasale kolloidosmotische Druck (πivas) wird durch die Plasmaproteine (Abschnitt 8.3.1) hervorgerufen, für die die Kapillarwand eine wirksame Barriere darstellt. Die in der interstitiellen Flüssigkeit ebenfalls vorhandenen Proteine üben entsprechend ihrer niedrigeren Konzentration einen geringeren kolloidosmotischen Druck aus. Die transmurale Flüssigkeitsströmung, die als Folge ungleicher hydrostatischer und kolloidosmotischer Kräfte entsteht, wird als Filtration bezeichnet. Der effektive Filtrationsdruck berechnet sich aus Gleichung 8.1 V/t = (Pivas + πiF – PiF – πivas) × K
(Gl 8.1)
wobei V/t = Volumen pro Zeiteinheit; P = hydrostatischer Druck; π = kolloidosmotischer Druck; ivas = intravasal; iF = interstitielle Flüssigkeit und K = Filtrationskoeffizient ist. Der Filtrationskoeffizient K ist für Kapillaren mit großen funktionellen Poren zum Beispiel in der Leber groß, bei Gehirnkapillaren dagegen klein. Ist die Filtration gewebewärts gerichtet, spricht man von Auswärtsfiltration. Die lumenwärts gerichtete Strömung wird Einwärtsfiltration oder Rückresorption (Reabsorption) genannt. Das normalerweise geringfügige Überwiegen der Auswärtsfiltration gegenüber der Einwärtsfiltration wird durch den Lymphfluss ausgeglichen.
366
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Der kolloidosmotische Druck des Blutplasmas ist im wesentlichen von der Proteinkonzentration des Plasmas abhängig. Bei Proteinmangel jeglicher Genese fällt die Konzentration der Plasmaproteine und damit auch der intravasale kolloidosmotische Druck ab. Dies bewirkt, dass Wasser im Überschuss in das Gewebe abgegeben wird, und es kommt zum Eiweißmangelödem. Durch die Gefäßwand werden je nach Art der Substanz sehr unterschiedliche Stoffmengen transportiert. Im gesamten Kreislaufsystem werden pro Tag etwa 75 000 Liter Wasser in beide Richtungen durch Diffusion ausgetauscht. Außerdem kann das Wasser durch Filtration in das Gewebe übertreten. Die filtrierte Menge ist mit 20 Liter pro Tag relativ gering im Vergleich zur diffundierenden Wassermenge. Mit dem Wasserstrom diffundieren auch im Wasser gelöste Moleküle hin und her. Man errechnete, dass etwa 20 000 g Glucose pro Tag in beide Richtungen „fließt“. Allerdings bewegen sich im Tagesdurchschnitt nur etwa 400 g Glucose in die Blutbahn zurück; der überwiegende Anteil wird von den Geweben zurückgehalten und verstoffwechselt.
8.2 Das Blut lässt sich in zwei Hauptfraktionen trennen Zentrifugiert man ungerinnbar gemachtes Blut scharf ab, so erhält man zwei Fraktionen: Eine eiweißreiche, flüssige Fraktion, das Blutplasma, und eine Fraktion aus korpuskulären Elementen, die die Blutzellen enthält. Abbildung 8.3 enthält quantitative Daten zur Zusammensetzung der beiden Fraktionen. Wie aus den Angaben der x- und y-Achse errechnet werden kann, beträgt das Gewicht von einem Liter Blut etwa 1,07 kg.
Blut (kg) 5
2,75 l Plasma
4
11
15 x 10 Thrombocyten
3
10
3 x 10 Leukocyten
2 12
25 x 10 Erythrocyten
1
0
8.3
0
2
Quantitative Zusammensetzung des Blutes
4
(Liter)
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
367
Der prozentuale Anteil der Blutzellen – zu 99 % Erythrocyten – am Blutvolumen wird als Hämatokrit bezeichnet und beträgt beim Mann durchschnittlich 45 %, bei der Frau 42 %. Aus Abbildung 8.3 lässt sich ein Hämatokritwert von etwa 45 % ermitteln. Lässt man das Blut vor dem Zentrifugieren gerinnen, so erhält man durch anschließende Zentrifugation das Blutserum als flüssige Fraktion. Es unterscheidet sich vom Blutplasma lediglich durch das Fehlen des Fibrinogens. Dieses Protein bildet bei der Gerinnung ein faseriges Netzwerk aus unlöslichen Polymeren, das geringe Mengen weiterer unlöslich gewordener Gerinnungsfaktoren einschließt.
8.3 Das Blutplasma enthält eine große Vielfalt unterschiedlicher Substanzen Sowohl das Blutplasma als auch die Blutzellen übernehmen den Stofftransport. Erythrocyten übernehmen den Transport von Sauerstoff und Kohlendioxid. Das Blutplasma transportiert lösliche Substanzen, zum Beispiel Nährstoffe, Arzneimittel oder zufällig inkorporierte Xenobiotica. Sie können aber ebenso gut endogenen Ursprungs sein und sollen beispielsweise als Hormone der Informationsübermittlung dienen, oder als Stoffwechselendprodukte der Exkretion zugeführt werden. Wie Abbildung 8.4 zeigt, haben drei Liter Blutplasma ein Gewicht von 2,75 kg. Das von eins abweichende spezifische Gewicht des Plasmas ist bedingt durch die spezifisch leichten, suspendierten Lipidfraktionen. Das Plasmawasser bildet den größten Anteil des Blutplasmas, gefolgt vom Proteinanteil, der mit 190 g etwa 6,9 Gewichtsprozent
Plasma (kg) 2,5 2585 g Wasser
2
1,5 25 g Elektrolyte und niedermolekulare organische Substanzen
1
0,5
0
8.4
190 g Protein 0
2
Quantitative Zusammensetzung des Blutplasmas
(Liter)
368
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
ausmacht. Elektrolyte und niedermolekulare organische Substanzen sind in 2,75 kg Plasma mit etwa 25 g vertreten. Die im Blutplasma enthaltenen Substanzen können in ihm gelöst, suspendiert oder an Plasmabestandteile, insbesondere an Proteine gebunden, vorkommen.
8.3.1 Die einzelnen Plasmaproteine haben verschiedene biologische Funktionen Die Konzentration der Proteine im Plasma liegt zwischen 60 und 80 g × L–1. Somit ergibt sich bei drei Liter Blutplasma eine Proteinmenge zwischen 180 und 240 g, die in diesem Kompartiment zirkuliert. Die Plasmaproteine bilden nur einen Teil des extrazellulären Proteinbestandes. Der sehr viel größere interstitielle Flüssigkeitsraum (Abschnitt 4.6.2) enthält – bei wesentlich niedrigerer Proteinkonzentration – ungefähr weitere 150 g Protein. Somit ergibt sich eine Gesamtmenge von rund 400 g Protein, die extrazellulär lokalisiert ist. Setzt man den ungefähren Proteinbestand des Erwachsenen mit 10 kg an, so entfallen etwa 4 % dieser Proteinmenge auf den extrazellulären Raum. In Anbetracht zahlreicher essentieller Funktionen, die den Proteinen des Blutplasmas zukommen, ist es nicht überraschend, dass zwischen ihrer Biosynthese und dem Abbau beziehungsweise der Eliminierung ein genau geregeltes dynamisches Gleichgewicht aufrechterhalten wird. Zur Ermittlung des Plasmaproteinstatus wird üblicherweise die Proteinkonzentration bestimmt. Schwankungen des Plasmawassergehaltes können hierbei zu falsch positiven oder falsch negativen Resultaten führen. Es ist daher unerlässlich, dass gleichzeitig der Hämatokritwert (Abschnitt 8.2) ermittelt wird. Für diagnostische Zwecke ist es häufig nicht ausreichend, die Proteinkonzentration im Plasma zu bestimmen, sondern es ist in Anbetracht der sehr unterschiedlichen Funktionen der einzelnen Proteinarten notwendig, sie differenziert zu quantifizieren. Das Blutplasma enthält mindestens hundert verschiedene Plasmaproteine. Etwa die Hälfte von ihnen ist bereits mit molekularbiologischen Methoden charakterisiert worden. Tabelle 8.1 enthält eine Auswahl der auch quantitativ bedeutenden Plasmaproteine. Mittels Trägerelektrophorese, die in jedem klinischen Laboratorium routinemäßig durchgeführt wird, lassen sie sich in fünf Fraktionen auftrennen: Albumine, α1-Globuline, α2-Globuline, β-Globuline und γ -Globuline (Abbildung 8.5). Mit einem Anteil von 60 % überwiegt die Fraktion der Albumine stark gegenüber den übrigen Fraktionen. Zur weiteren Trennung der Proteine dient vor allem die Immunpräzipitation. Durch die Elektrophorese werden die Proteine nach ihrer elektrischen Nettoladung und der Teilchengröße getrennt, wobei die Albuminfraktion infolge ihres negativen Ladungsüberschusses zur Anode wandert. Bei der anschließenden Immunpräzipitation handelt es sich um Antigen-Antikörper-Reaktionen. Durch die Kombination beider Methoden lassen sich etwa 40 unterschiedliche Proteine nachweisen und anschließend beispielsweise durch radioimmunologische (RIA) oder enzymimmunologische (EIA) Bestimmung quantifizieren. Bei der elektrophoretischen Trennung erscheint vor dem Hauptbestandteil der Albuminfraktion eine kleine Menge eines Proteins, das Transthyretin, das früher als thyroxinbindendes Präalbumin bezeichnet wurde. Der Name weist darauf hin, dass dieses Protein das Schilddrüsenhormon T4 spezifisch, wenn auch mit geringer Affinität bindet. Die Bindung des T4 an dieses – und auch weitere Proteine – dient der Depotbildung von Schilddrüsenhormonen im Blut. Das Hormon wird bei Bedarf von den
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
Transcortin
369
Immunglobuline
Transcobalamin
Fibrinogen
Prothrombin
Haptoglobin β-Lipoproteine Transferrin α2-Makroglobulin Plasminogen
Albumin
α1
α a22
Anode 8.5
β
γ
Kathode
Elektropherogramm der Plasmaproteine
Bindungsproteinen in der biologisch wirksamen freien Form abgegeben (Abschnitt 1.4.4.3). Bei sehr hoher Konzentration der Schilddrüsenhormone im Blut werden sie auch vom Albumin gebunden. Das Albumin, dessen Konzentration im Blutplasma die der übrigen Proteine bei weitem übertrifft, ist im Gegensatz zu allen anderen Eiweißen des Plasmas kein Glykoprotein (Tabelle 8.1). Syntheseort des Albumins – und auch der meisten anderen Plasmaproteine – ist die Leber. Die täglich synthetisierte Menge dieses Proteins beträgt beim Mann 120 bis 200 bei der Frau 120 bis150 mg pro kg Körpergewicht. Das Albumin wird als Präproprotein synthetisiert. Die Entfernung des Signalpeptids erfolgt beim Durchtritt in die Zisternen des endoplasmatischen Reticulums. Während des Sekretionsprozesses wird vom N-terminalen Ende ein Hexapeptid abgespalten. Das so entstandene „reife“ Albumin besteht aus 585 Aminosäuren und enthält 17 Disulfidbrücken. Bei der Faltung des Albumins entsteht ein dicht gepacktes Molekül von ellipsoider Form, das zur Viskosität des Blutes wenig beiträgt. Das Albumin, dessen biologische Halbwertszeit auf 17 bis 27 Tage geschätzt wird, macht einen wesentlichen Teil (etwa 25 %) der von den Hepatocyten synthetisierten und sezernierten Proteine aus. Die Albuminkonzentration des Plasmas gilt daher als Parameter zur Beurteilung der Leberfuktion. Die Syntheserate hängt allerdings auch von äußeren Faktoren, vor allem von der Proteinversorgung ab. Außerdem wird die Biosynthese des Albumins, deren Regulation nicht vollends geklärt ist, auch hormonell gesteuert. Im Plasma befinden sich nur etwa 40 % des gesamten Albumins, der Rest verteilt sich auf die interstitiellen Flüssigkeitsräume, mit besonderer Bevorzugung des Hautgewebes. In kleinen Mengen kommt Albumin in jeder Körperflüssigkeit vor. Der
Transthyretin Albumin
saures α1-Glykoprotein (Orosomucoid) α1-Antitrypsin α1-Lipoprotein (high density lipoprotein) Transcortin Thyroxin-bindendes Globulin α1-Antichymotrypsin Coeruloplasmin (Ferrioxidase I) α2-Haptoglobin α2-Makroglobulin Serum-Cholinesterase (Pseudocholinesterase) β-Lipoprotein (low density lipoprotein) Transferrin (Siderophilin) Fibrinogen IgG-Globulin IgA-Globulin IgM-Globulin IgD-Globulin IgE-Globulin
Albumine (60)
α1-Globuline (4)
γ-Globuline (16)
β-Globuline (12)
α2-Globuline (8)
Einzelne Vertreter
Fraktion (Prozent)
2,0–4,5 8,0–18,0 0,9–4,5 0,6–2,8 <0,15 <6 × 10–4
341 150 160 900 170 190
0,8–3,0 1,5–3,5
100 820 348
2,0–4,0
0,3–0,6 0,2–0,6
68 160
90
2,9–7,7
200 45 45
2,5–8,0
2,0–4,0
54
3 200
0,7–1,1
0,1–0,4 39–55
Konzentration (g × L–1)
44
55 69
Mr (kDa)
Tabelle 8.1: Proteinmuster des menschlichen Blutplasmas (Auswahl)
3 2,9 8,1 10,9 12 11
5
1,8 (81)
19 7,7 24
27 11
1,4 14,0
12,2
41,4
0,4 0
Kohlenhydrat (Prozent)
Blutgerinnung Antikörper Antikörper Antikörper Antikörper Antikörper
Bindung u. Transport v. Eisen
Transport v. Lipiden
Bindung v. Hämoglobin Plasmin- u. Trypsininhibitor Spaltung v. Cholinestern
Chymotrypsininhibitor Oxidation v. Eisen; Transport v. Kupfer
Transport v. Lipiden u. Hormonen Transport v. Cortisol Bindung v. Schilddrüsenhormonen
Proteaseinhibitor
Bindung v. Schilddrüsenhormonen Proteindepot; kolloid-osmotischer Druck d. Plasmas; Bindung u. Transport versch. Liganden Transport v. Progesteron
Biologische Funktion
370 Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
371
Ort des Abbaus ist nicht bekannt. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass Leber, Niere und Blutplasma dafür nicht in Frage kommen. Das Albumin ist der quantitativ weit überragende Vertreter der Plasmaproteine. Das lässt dieses mobile Eiweiß als Proteinreserve geeignet erscheinen. Dank seiner Masse liefert das Albumin auch den Hauptbeitrag zur Pufferkapazität der Plasmaproteine. Seine relativ kleine molare Masse und seine hohe Konzentration führen dazu, dass das Albumin zu 75 bis 80 % für den kolloidosmotischen Druck des Blutplasmas verantwortlich ist. Das Albumin bindet eine große Anzahl verschiedener Liganden. Zu ihnen gehören so unterschiedliche Substanzen wie freie Fettsäuren, Tryptophan, Steroidhormone, Bilirubin, sowie die Vitamine Pyridoxin, Riboflavin, Ascorbinsäure und die Metalle Calcium, Zink und Kupfer. Im Falle der hydrophoben Liganden dient die Bindung an das Albumin dazu, die Verteilung dieser Moleküle auf die einzelnen Gewebe im wässerigen Medium des Blutes überhaupt zu ermöglichen. Im Falle wasserlöslicher Liganden gewährleistet die Bindung an das Transportprotein eine gewisse Depotbildung und einen Schutz gegen die unkontrollierte glomeruläre Filtration. Eine Reihe unterschiedlicher Arzneimittel, wie Sulfonamide, Penicilline, Acetylsalicylsäure und viele andere, werden ebenfalls an das Albumin gebunden an ihre Zielorgane verteilt, wodurch ihre pharmakokinetischen Eigenschaften wesentlich beeinflusst werden. Wie aus Tabelle 8.1 zu entnehmen ist, ergeben sich bei der elektrophoretischen Trennung der Plasmaproteine außer den Albuminen vier Globulinfraktionen. Die Einteilung in Albumine und Globuline hat keine funktionelle Bedeutung, sondern dient nur der groben Unterscheidung aufgrund des Löslichkeitsverhaltens der Proteine. Die α1-, α2- und β-Globuline werden, wie das Albumin, in den Leberzellen synthetisiert. Dagegen sind die γ-Globuline Syntheseprodukte der aus B-Lymphocyten ausdifferenzierten Plasmazellen. Die Globuline repräsentieren 40 % der Plasmaeiweiße. Daraus ergibt sich, dass ihnen bei der Entstehung des kolloidosmotischen Druckes und der Pufferungskapazität des Plasmas eine entsprechende Bedeutung zukommt. Diese unspezifischen Aufgaben des Plasmas werden von allen Proteinen gemeinsam erfüllt. Im Gegensatz zum Albumin sind die Globuline stets glykosyliert, wobei die Oligosaccharide je nach Glykoprotein N- oder O-gekoppelt vorkommen (Abschnitte 1.2.2.4 und 1.2.3.2). Die Oligosaccharide dieser Proteine haben unterschiedliche, bislang nicht vollständig geklärte Funktionen. Unter anderem dürften sie zur Stabilität der Plasmaglobuline gegenüber dem proteolytischen Abbau beitragen. Die α1-, α2- und β-Globulinfraktionen enthalten eine Reihe von Proteinen mit spezifischen Aufgaben. Die wichtigsten dieser Proteine sind in Tabelle 8.1 aufgelistet. Einige von ihnen, besonders solche, die Transportfunktionen haben, sollen näher vorgestellt werden. Wie bereits erwähnt, werden die Schilddrüsenhormone an mehrere Plasmaproteine gebunden transportiert. Das wichtigste Trägerprotein für diese Hormone ist das thyroxinbindende Globulin (TBG). Änderung der Konzentration dieses Bindungsproteins hat Konsequenzen für den Plasmaspiegel der freien Form der Schilddrüsenhormone und damit für ihre biologische Wirksamkeit. Die TBG-Konzentration im Plasma gilt als wichtiger Parameter des Schilddrüsenhormonhaushaltes. Das hydrophobe Cortisol wird, gebunden an dem spezifischen Bindungsprotein Transcortin, zu den Zielorganen transportiert. Eine bedeutende Rolle für den Stoffwechsel einiger Mineralstoffe kommt den metallbindenden Proteinen der Globulinfraktion zu. Durch die Bindung an Transportpro-
372
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
teine wird unter anderem die ungezielte und übermäßige Ablagerung von Metallen in den Geweben verhindert. Zu den α2-Globulinen gehört das Coeruloplasmin, das Kupfer bindet. Es hat gleichzeitig eine enzymatische Funktion, worauf die Bezeichnung Ferrioxidase I hinweist. Es dient der enzymatischen Reoxidierung des Eisens, die gegenüber der nicht-enzymatischen Reaktion den Vorteil bietet, dass dabei keine Sauerstoffradikale und kein H2O2 entstehen. Diese enzymatische Reaktion ist das molekulare Bindeglied zwischen dem Eisen- und Kupferstoffwechsel. Das Coeruloplasmin, das in mehreren genetischen Varianten auftritt, oxidiert auch die aromatischen Diamine Adrenalin, Noradrenalin und Serotonin. Mit der β-Globulinfraktion wandert das Eisen-Transportprotein, Transferrin, von dem 20 genetische Varianten bekannt sind. Bei gleichzeitiger Aufnahme von einem Bicarbonat-Anion bindet das Transferrin zwei dreiwertige Eisenionen. Diese Bindung führt zu einer Konformationsänderung des Proteins, wodurch die Bindung an Rezeptoren auf den Zielzellen des Eisens erleichtert wird. Der Kohlenhydratanteil des Proteins scheint für diese Bindung ebenfalls wesentlich zu sein. Das Transferrin hat eine Halbwertszeit (t/2) von acht bis zehn Tagen. Seine Konzentration im Blutplasma wird mit immunochemischen Methoden ermittelt. Aus ihr und der Eisenkonzentration des Plasmas wird die prozentuale Eisen-Transferrin-Sättigung errechnet, die ein aussagekräftiger Parameter des Eisenversorgungszustandes ist. Unter den α- und β-Globulinen befinden sich mehrere Proteaseinhibitoren. Ihre Aufgabe ist die Vorbeugung von Gewebsschädigungen, die durch überschießende Wirkung von Proteasen zustande kommen. Die α- und β-Globulinfraktionen enthalten des weiteren mehrere Proteine, die an der Blutgerinnung und an den Abwehrreaktionen beteiligt sind. Die Vertreter der γ-Globulinfraktion werden auch Immunglobuline genannt. Dies weist auf ihre spezifische Funktion als Antikörper hin. Sie sind Träger der humoralen Immunantwort. Durch Immunelektrophorese werden sie weiter differenziert in IgG-, IgA-, IgM-, IgD- und IgE-Immunglobuline. Die γ-Globuline repräsentieren mit einem Anteil von 16 % einen relativ hohen Anteil der Plasmaproteine. Bei ausgelöster Immunantwort erhöht sich der prozentuale Anteil der γ-Globulinfraktion erheblich. Weiterhin enthält das Blutplasma zahlreiche Proteine in wechselnder Menge, die in diesem Kompartiment keine eigentliche Funktion haben. Dazu gehören die Proteohormone. Andere stammen aus Gewebezellen, die abgestorben sind, oder deren Plasmamembran permeabel geworden ist, und die dann in den Blutkreislauf übergetreten sind. Unter diesen Proteinen befinden sich auch zahlreiche „Zellenzyme“. Abweichungen des Plasmaenzymmusters von der Norm ist von großer Bedeutung für die Differenzialdiagnose innerer Erkrankungen (Abschnitt 1.3.4)
8.3.2 Das Blutplasma transportiert die Lipide in Form von Lipoprotein-Komplexen Das Blutplasma enthält – wie aus Tabelle 8.2 zu ersehen ist – freie Fettsäuren, Triglyceride, Phospholipide sowie Cholesterin in freier und veresterter Form. Diese stark hydrophoben Moleküle sind im wässrigen Milieu des Plasmas unlöslich, weshalb ihr Transport Probleme bereitet. Wie bereits erwähnt, dient im Falle der freien Fettsäuren das Albumin mit seinen wenig spezifischen Bindungsstellen als Transportvermittler. Andere Vertreter der Plasmalipide, für die diese Möglichkeit nicht gegeben ist, zirkulieren in Form von Lipoprotein-Komplexen im Blut. Vereinfachend werden diese als
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
373
Tabelle 8.2: Lipide im Blutplasma Lipid Freie Fettsäuren
Konzentrationsbereich (g × L–1) (mmol × L–1) 0,14–0,22
0,5–0,8
Triglyceride
0,5–1,5
0,62–2,5
Phospholipide
1,6–2,5*
2,2–3,4*
Cholesterin (frei und verestert)
1,5–2,2*
3,9–6,2*
* Zunahme der Normalwerte mit steigendem Lebensalter.
Lipoproteine* bezeichnet, obwohl dies insofern nicht korrekt ist, als bei echten Lipoproteinen das Lipid kovalent und in genau definiertem molaren Verhältnis an das Protein gebunden ist. Bei den Lipoprotein-Komplexen handelt es sich dagegen um Anlagerungsverbindungen (Aggregate) von Lipiden mit bestimmten Proteinen, den Apolipoproteinen. Die quantitative Zusammensetzung ist wechselnd. Daher ist der relative Anteil der verschiedenen Lipide in den Lipoprotein-Komplexen nicht exakt definiert, sondern nur innerhalb bestimmter Grenzen anzugeben. Diese variable Zusammensetzung entspricht auch der Funktion der Lipoproteine, da sie Lipide aufnehmen, befördern und abgeben sollen. Auch die Proteinkomponente wird in einem relativ großen Umfang ausgetauscht. Die Art der Apolipoproteine ist für die Lipoproteine insofern von Bedeutung, als sie als Liganden für membranständige Rezeptoren fungieren. Einen Eindruck über den generellen Aufbau der Lipoproteine vermittelt Abbildung 8.6. Ein typisches Lipoprotein – beispielsweise ein very low density lipoprotein (VLDL) – stellt einen sphärischen (pseudomicellaren) Partikel mit einem hydrophoben Kern (Cholesterinester, Triglyceride) und einer hydrophilen Hülle (Phospholipide, Cholesterin) dar. Die Lipoproteine unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Protein- und Lipidkomposition, ihrer Größe und ihrer physiologischen und pathophysiologischen Aktivitäten. Die Apolipoproteine komplexieren die Lipide. Sie werden entweder als peripheres Protein an der Oberfläche des Komplexes locker angelagert oder in die Monolayer integriert. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Protein- und Lipidkompositionen besitzen die Lipoproteine unterschiedliche Dichten. Dies machte man sich zu ihrer Isolierung sowie bei der Einteilung der Lipoproteine in Dichteklassen zunutze (Abbildung 8.7). Die mit VLDL (very low density lipoprotein) bezeichnete Dichteklasse lässt sich in zwei Unterklassen einteilen: die Chylomikronen und die VLDL. Zwischen der VLDL und LDL-(low density lipoprotein-)Fraktion findet man gelegentlich noch eine IDL-(intermediate density lipoprotein-)Fraktion. Alle Eigenschaften der Vertreter dieser Fraktion repräsentieren einen Übergang zwischen den VLDL und LDL. Die mit 100 bis 1 000 nm relativ großen Aggregate der Chylomikronen bestehen zu 85 bis 90 % aus Lipiden und besitzen daher die niedrigste Dichte. Erwartungsgemäß nimmt die Dichte der Lipoproteine mit steigendem Proteinanteil zu. Die Größe der Par-
* Die Bezeichnung Lipoproteine ist weitgehend eingebürgert, weshalb sie auch hier benutzt wird.
374
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
peripheres Apolipoprotein
freies Cholesterin
Phospholipid Cholesterinester
Triglycerid
Kern aus unpolaren Lipiden Monolayer vor allem aus amphipathischen Lipiden
integrales Apolipoprotein
8.6
Allgemeiner Aufbau eines Lipoproteins
tikel verhält sich invers; mit 7,5 bis 10 nm sind die HDL (high density lipoprotein) die kleinsten Aggregate. Wie aus Abbildung 8.7 ebenfalls hervorgeht, ist die Proteinkomponente der Lipoproteine nicht einheitlich. Tabelle 8.3 enthält eine Liste von zehn Proteinen, die als Apolipoproteine bezeichnet werden. Sie besitzen unterschiedliche Funktionen: 1) Sie komplexieren die Lipide in den Lipoproteinen, 2) sie sind Aktivatorproteine für verschiedene
Dichte [g/ml]
VLDL
0,9
ApolipoproteinZusammensetzung A (Al, AIl, A IV ) B (B 48, B100) C (Cl, Cll, Clll) D E
8.7
LDL
1,063
1,21
HDL
Chylomikronen
Very-low-densityLipoproteine
Low-densityLipoproteine
High-densityLipoproteine
100-1000
30-70
15-25
7,5-10
∅ [nm]
Protein-LipidZusammensetzung in Gew.-%
1,006
8-10 18 13 60
1 4 6 85-90
Protein Phospholipid Cholesterin Triglycerid (Fett)
A,D,E
50 30 18 2-5
20 23 45 10 C,D,E
C,E
B 100
A
A C
E B 48
C
B 100
Physikalische Eigenschaften und chemische Zusammensetzung der Plasmalipoproteine
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
375
die Lipoproteine modifizierende Enzyme und 3) sie stellen die Liganden für spezifische Lipoproteinrezeptoren dar. Abbildung 8.7 zeigt, dass die einzelnen Apolipoproteine in den Lipoprotein-Komplexen mit unterschiedlichen Anteilen repräsentiert sind. Einzelne Apolipoproteine weisen mehrere genetische Varianten auf, die möglicherweise mit Störungen des Fettstoffwechsels im Zusammenhang stehen. Die Verschiedenheit der Proteinzusammensetzung bewirkt, dass die Lipoproteinfraktionen ein unterschiedliches elektrophoretisches Verhalten zeigen. Die Chylomikronen bewegen sich im elektrischen Feld gar nicht. Die HDL wandern mit der α1-Globulinfraktion, die LDL mit der β-Globulinfraktion, weshalb sie auch als α- beziehungsweise β-Lipoproteine bezeichnet werden. Da die LDL bei der elektrophoretischen Trennung den β-Globulinen vorauswandern, erhielten sie den Namen Prä-β-Lipoproteine. Die Klassifizierung aufgrund ihrer elektrophoretischen Mobilität in der AgarosegelElektrophorese führt zu einer ähnlichen Nomenklatur wie ihre Einteilung in Dichteklassen.
8.3.3 Die Lipoprotein-Komplexe werden im Blutplasma vielfältig modifiziert Die triglyceridreichen Chylomikronen dienen dem Transport der Nahrungsfette und werden in den Mucosazellen des duodenalen Epithels gebildet (Abschnitt7.6.2). Von dort gelangen sie durch Exocytose in den extrazellulären Raum, werden in den intestinalen Lymphgängen gesammelt und gelangen über den Ductus thoracicus in den Kreislauf. Bald nach dem Übertritt in die Blutbahn werden die Chylomikronen abgebaut. Als erstes übernehmen sie von den im Blut zirkulierenden HDL-Partikeln – die Syntheseprodukte der Leber sind – Apolipoprotein E und vor allem Apolipoprotein CII, das als Tabelle 8.3: Apolipoproteine des menschlichen Plasmas Apolipoproteintyp
Proteinbestandteil hauptsächlich in
AI
HDL, Chylomikronen
28
aktiviert LCAT1)
AII
HDL
17
strukturell
AIV
HDL
46
strukturell
B48
Chylomikronen
265
strukturell
B100
VLDL, LDL
549
Rezeptorligand
CI
VLDL, HDL
7
aktiviert LCAT1)
CII
VLDL, HDL
8,5
aktiviert LPL2)
CIII
VLDL, HDL
8,9
–
D
VLDL, LDL
21
aktiviert LCAT1)
E
Chylomikronen, VLDL, HDL
39
Rezeptorligand
1) LCAT = Lecithin-Cholesterin-Acyl-Transferase 2) LPL = Lipoproteinlipase
Molekulargewicht (kDa)
Funktion
376
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Aktivator der Lipoproteinlipase (LPL) fungiert (siehe Tabelle 8.3). Dieses Enzym ist an die Blutseite des Gefäßendothels gebunden und hydrolysiert 70 bis 90 % der in den Chylomikronen enthaltenen Triglyceride. Die freigesetzten Fettsäuren werden hauptsächlich an Albumin gebunden transportiert. Sie werden im Fettgewebe oder in sonstigen extrahepatischen Geweben utilisiert. Das Apolipoprotein A der Proteinhülle der Chylomikronen wird auf das HDL übertagen. Der cholesterinreiche Rest, den man Chylomikronen-Remnant nennt, wird von der Leber aufgenommen und abgebaut (Abbildung 8.8). VLDL werden auch in der intestinalen Mucosa aber zum größten Teil in der Leber synthetisiert. Sie transportieren endogen gebildete Triglyceride aus der Leber zu den extrahepatischen Geweben. Auch diese Komplexe sind mit bis zu 90 % Lipidanteil sehr fettreich. Diese Partikel werden von zwei Apolipoproteinen stabilisiert, ApoB-100 und ApoE. Während der Synthese des ApoB-100 in den Hepatocyten, werden die Lipide und die Apolipoproteine bereits zusammengefügt. Anschließend werden die Aggregate in Sekretgranula gespeichert und über das mikrotubuläre System (Abschnitt 1.2.7.1) exocytotisch in die Blutbahn abgegeben. Ähnlich den Chylomikronen unterliegt auch die VLDL einem Interkonversionsprozess (Abbildung 8.9). Es werden ApoE und ApoCII von HDL auf das von der Leber se-
8.8
Abbau der Chylomikronen im Blut LPL = Lipoproteinlipase; FFS = freie Fettsäuren
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
8.9
377
Interkonversion des VLDL im Blut LPL = Lipoproteinlipase; LCAT = Lecithin-Cholesterin-Acyl-Transferase; nVLDL = naszierendes (unreifes) VLDL; rVLDL = reifes VLDL; FFS = freie Fettsäuren
378
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
H3C H3C
HO Cholesterin
O 2
R
1
H2C O C
O
R
CH3 CH3 H C2 + N H2C O P O C CH3 H2 – Lecithin O
C O
CH
O
Lecithin-CholesterinAcyl-Transferase (LCAT)
H3C H3C O
C
O Cholesterin-Linolat
O H2C O C
1
R
CH3 CH3 H C2 + N H2C O P O C CH3 H2 – O
HO
CH
O
Lysolecithin
8.10
Umwandlung von Cholesterin in Cholesterinester durch die Lecithin-Cholesterin-Acyl-Transferase (LCAT)
zernierte naszierende (unreife) VLDL übertragen. Es entsteht das reife VLDL. Das ApoCII aktiviert eine Lipoproteinlipase (LPL), welche die Triglyceride zu Fettsäuren und Glycerin hydrolysiert. Zugleich wird das unveresterte Cholesterin durch die Lecithin-Cholesterin-Acyl-Transferase (LCAT) verestert. Als Übergangsform entsteht das IDL. Es kommt in der Regel nur in sehr geringen Konzentrationen vor. Durch die fortschreitende Hydrolyse der Triglyceride sowie die Veresterung des Cholesterins entsteht das LDL. Während des Interkonversionsprozesses wird das ApoB-100 der VLDLPartikel nicht ausgetauscht, so dass das ApoB der LDL-Partikel quantitativ dem VLDL-
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
379
Stoffwechsel entstammt. Hingegen werden die C-Apolipoproteine, ApoE, Cholesterin, Cholesterinester und Phospholipide während der Lipolyse abgespalten beziehungsweise auf HDL übertragen. Abbildung 8.10 stellt die durch das Enzym LCAT katalysierte Veresterung des Cholesterins dar. Als Coaktivator dieser Reaktion dient das ApoA des HDL. Die Proteinhülle des LDL besteht fast ausschließlich aus ApoB-100 und macht etwa 20 Gewichtsprozent des Partikels aus. Der Kern enthält neben Phospholipiden Cholesterin und Cholesterinester. Von allen Lipoproteinen des Blutplasmas enthalten die LDL-Partikel mit etwa 45 % das meiste Gesamtcholesterin, das aus der Leber stammt und vor allem für die Synthese der biologischen Membranen verwendet wird. Die Zielzellen internalisieren die LDL-Partikel mit Hilfe spezifischer LDL-Rezeptoren (Abschnitt 1.1.3.11). Die HDL-Fraktion weist mehrere Subfraktionen auf, deren Vertreter sich sowohl im Lipidgehalt als auch in der Art der Apolipoproteine unterscheiden. Die kleinen HDL, deren Proteinhülle etwa 50 % ihrer Masse ausmacht, bilden die proteinreichste Lipoproteinfraktion. Sie enthalten nur 3–5 % Triglyceride und 30 % Phospholipide. Die Hüllproteine Apoprotein CII und Apoprotein E werden – wie bereits besprochen – mit anderen Lipoproteinen ausgetauscht. Auch die HDL interagieren mit LCAT, wodurch freies Cholesterin in Cholesterinester umgewandelt und gespeichert wird. Außerdem sind die HDL befähigt, aus den cholesterinhaltigen Plaques des Gefäßendothels Cholesterin zu extrahieren und zur Leber zu transportieren. Die Hepatocyten internalisieren die HDL ebenfalls mittels spezifischer Rezeptoren.
8.3.4 Im Plasmawasser sind zahlreiche hydrophile, organische Verbindungen gelöst Mit Ausnahme der Lipide der Nahrung gelangen die resorbierten Nährstoffe unmittelbar in das Blut der Portalvene, die sie der Leber zuleitet. Durch die Leberpassage kann sich die Konzentration der resorbierten Substanzen im Blut – der Nährstoffe genauso wie beispielsweise die der Pharmaka – oft beträchtlich ändern. Dieses Phänomen, das auf die Stoffwechselaktivität der Leber zurückzuführen ist, wird als first pass effect bezeichnet. Die Zusammensetzung des Portalvenenblutes kann also mit der des peripheren* Blutes im Systemkreislauf (großen Kreislauf) nicht a priori gleichgesetzt werden. Es existiert eine „portal-periphere-Differenz“. Je nach Löslichkeit im wässrigen Milieu befördert das Blut die in ihm vorhandenen Substanzen entweder gelöst oder mit Hilfe von Transportvermittlern zu den Zielorganen, wo sie mehr oder minder organspezifisch abgegeben werden. Die Rolle der Plasmaproteine und der Lipoproteine als Transportvermittler wurde in den Abschnitten 8.3.1 und 8.3.2 detailliert besprochen. Es gibt jedoch auch zahlreiche Substanzen im Blut, die so hydrophil sind, dass sie – ohne Transportvermittler – im Plasmawasser gelöst sind. Tabelle 8.4 enthält eine Auswahl solcher niedermolekularen Substanzen. Vom funktionellen Aspekt gehören sie teilweise zu der Gruppe der Nährstoffe, die den peripheren Organen als Bausubstanz und als Energielieferanten dienen. Beispiele hierfür sind die Aminosäuren, die Ketonkörper und die Glucose. Auch Zwischenprodukte des Stoffwechsels, wie Pyruvat und Lactat, können so der weiteren Verwertung zugeleitet wer* Vom Standpunkt des Intermediärstoffwechsels wird die Leber als zentrales Organ, alle anderen Organe werden als periphere Organe betrachtet.
380
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 8.4: Im Blutplasma gelöste niedermolekulare Verbindungen (Auswahl) Verbindung
Glucose Pyruvat Lactat
Physiologischer Konzentrationsbereich mmol × L–1 4,4–6,6 0,07–0,11 0,4–1,8
Funktion/Ursprung
Energieträger Metabolit Metabolit
Ketonkörper*
0,08–0,2
Aminosäuren
2,3–4,0
Energieträger Proteinbaustein, N-Lieferant
Harnstoff
3,5–9,0
Endprodukt des N-Stoffwechsels
Ammoniak
0,02–0,06
Endprodukt des N-Stoffwechsels
Kreatinin
0,06–0,13
Ausscheidungsform des Kreatins/Muskel
Harnsäure
0,18–0,54
Endprodukt des Purinstoffwechsels
* 12–16 Stunden nüchtern; [β-Hydroxybutyrat]:[Acetoacetat] = 3:1
den. Andere der aufgelisteten Verbindungen sind Endprodukte des Stoffwechsels und sollen hauptsächlich der Ausscheidung durch die Niere zugeführt werden. Außer den in der Tabelle erfassten Verbindungen enthält das Blut zahlreiche weitere Substanzen in Lösung, beispielsweise eine Reihe von Enzymen, von Hormonen und sonstigen Signalstoffen sowie Xenobiotica, die absichtlich oder zufällig in den Organismus gelangten. Nicht nur die Anzahl, sondern auch die Konzentration der im Blut gelösten Verbindungen kann je nach Versorgungs- und Stoffwechsellage außerordentlich stark schwanken. Sogar bei essentiellen Bestandteilen, wie bei der Glucose, ist die Schwankungsbreite der Konzentration je nach Zufuhr und aktueller hormoneller Situation recht groß.
8.3.5 Der Plasmaspiegel der meisten essentiellen Mineralstoffe wird in engen Grenzen konstant gehalten Außer den bereits erwähnten organischen Verbindungen enthält das Blutplasma eine Vielzahl anorganischer Bestandteile, die – als Nährstoffe betrachtet – zu den Mineralstoffen, das heißt den Mengen- und Spurenelementen gerechnet werden. Unter ihnen befinden sich selbstverständlich einige, die in wechselnder Menge zufällig inkorporiert worden sind, ohne dass sie eine definierte physiologische Aufgabe haben. Andere, deren Bedeutung im folgenden behandelt werden soll, haben lebensnotwendige Funktionen zu erfüllen, sie sind essentiell. Es gehört zum Charakteristikum dieser anorganischen Bestandteile des Blutplasmas – zu denen bekanntlich Metalle und NichtMetalle gehören –, dass die Ausübung der Funktionen in hohem Maße von der Konzentration abhängt. Ein Abweichen vom relativ eng gesteckten physiologischen Konzentrationsbereich, der aus Tabelle 8.5 ersichtlich ist, wird weder nach oben noch nach unten toleriert. Der Plasmaspiegel der meisten essentiellen Mineralstoffe unterliegt daher einer strikten, oft mehrfach abgesicherten hormonellen Regulation. Allein
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
381
Tabelle 8.5: Konzentration sowie ionisierte und gebundene Anteile der quantitativ überwiegenden Mineralstoffe im Blutplasma Konzentration mmol × L–1
Prozentualer Anteil ionisiert gebunden
Metalle Natrium
135–145
98,5
1,5
Kalium
3,5–5,1
100
–
Calcium
2,15–2,55
5 50
5 50
Magnesium
0,65–1,05
5 70
5 30
Eisen
0,018
Spuren
5 100
Zink
0,018
–
100
Kupfer
0,016
–
100
100
–
0,87–1,45
90
10
0,5–1,5
100
–
Nicht-Metalle Chlorid Phosphat, anorganisch Sulfat, anorganisch
98–106
diese Tatsache weist auf die besondere Bedeutung der physiologischen Konzentration für die Funktion hin. Das Blutplasma ist ein komplex zusammengesetztes Milieu, dessen Komponenten einen wesentlichen Einfluss darauf haben, in welcher Form die einzelnen Mineralstoffe darin vorkommen. Einige der physiologisch relevanten Mineralstoffe sind vollständig, oder fast vollständig, dissoziiert und bilden die Gruppe der Elektrolyte. Andere bilden mit organischen oder anorganischen Liganden, die im Plasma in zahlreichen Varianten vorkommen, Komplexe. Weitere werden wiederum an Plasmaproteine gebunden transportiert. Welche dieser Formen bevorzugt wird, hängt von den chemischen Eigenschaften der einzelnen Elemente ab, insbesondere von ihrer Neigung zur Komplexbildung. Die Form, in der die Mineralstoffe im Plasma existenzfähig sind, bestimmt weitgehend auch ihre Funktion. Die Elektrolyte sind Träger der Bioelektrizität, steuern aber auch wesentlich zur Osmolalität und zur Pufferungskapazität (Abschnitt 8.3.7) des Blutes bei. Komplexbildner wie Calcium und Magnesium stabilisieren organische Strukturen und beteiligen sich an der Informationsvermittlung. Metalle mit hoher Bereitschaft zur Anlagerung an Proteine haben katalytische Aufgaben (Abschnitt 1.3.2.3). Bekanntlich dissoziieren durch Ionenbindung aufgebaute Verbindungen im wässerigen, polaren Milieu des Blutplasmas in die entsprechenden Anionen und Kationen. Verbindungen, die im Wasser vollständig dissoziiert sind, werden als starke Elektrolyte, und diejenigen, die nur teilweise dissoziiert sind, als schwache Elektrolyte bezeichnet. Es sei vermerkt, dass im Blut auch dissoziierte organische Verbindungen – beispielsweise Milchsäure, Oxalessigsäure, β-Hydroxybuttersäure und insbesondere die ampholytischen Proteine – ebenfalls als schwache Elektrolyte vorkommen, wodurch die
382
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
komplex u. an Protein gebunden
von den anorganischen Ionen verursachten Phänomene erheblich modifiziert werden können. Von den in Tabelle 8.5 enthaltenen Mineralstoffen sind die Alkalimetalle Natrium und Kalium, die Erdalkalimetalle Calcium und Magnesium sowie die Nicht-Metalle Chlor, Phosphor und Schwefel starke Elektrolyte, da ihre Salze in wässerigen Lösungen vollständig dissoziiert sind. Allerdings gilt dies nur für stark verdünnte Lösungen. Im Blut liegt jedoch die Konzentration der starken Elektrolyte über 0,01 mol × L–1. In diesem Medium verhalten sie sich daher so, als wären sie nicht vollständig dissoziiert, da die Ionen miteinander elektrostatisch interagieren. Wie wirksam diese Wechselwirkungen ausfallen, hängt im wässrigen Milieu nicht allein vom Kristallionenradius, sondern weit mehr vom Radius der Hydrathülle ab. Die Hydrathülle entsteht dadurch, dass Ionen Wasserdipole anziehen und sich mit diesen „umkleiden“. Der effektive Hydrationsradius ist umso größer, je kleiner der Kristallionenradius ist. Beispielsweise hat das Na+ einen Kristallionenradius von 0,095 nm und einen Hydratationsradius von 0,34 nm. Der Kristallionenradius des K+ ist mit 0,133 nm größer, der Radius der Hydrathülle dagegen mit 0,22 nm kleiner als der entsprechende Radius des Na+. Dies ist einer der Gründe für die wasserretinierende Wirkung des Natriums. Mit zunehmender Ladung erhöht sich die Größe der Hydrathülle: Das zweifach positiv geladene Ca2+, dessen Kristallionenradius (0,099 nm) dem des Na+ gleicht, hat mit 0,45 nm einen wesentlich größeren Hydratationsradius als das Na+. In Abbildung 8.11 sind die einzelnen Formen des Natriums im Blutserum dargestellt: 98,5 % des Gesamt-Natriums sind freies (ionisiertes) Natrium. Die restlichen 1,5 %
80
60
Gesamt-Natrium
100
40
20
8.11
Natrium-Fraktionen des Blutplasmas
freies („ionisiertes“) Natrium
120
„aktives“ Natrium
elektrostatisch inaktiviert
mmol × L–1 140
% 100 98,5
73
50
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
383
verteilen sich auf die Natriumkomplexe (0,5 %) – vor allem Na2CO3 – und NaHCO3, und den an Plasmaproteine gebundenen Anteil von 1 %. Die Möglichkeit mit anderen Ionen elektrostatische Wechselwirkungen einzugehen, wirkt sich im Falle des Na+ trotz sehr großer Hydratationshülle relativ stark aus. Etwa 27 % der Na+-Ionen sind dadurch „inaktiviert“, das heißt, es bleiben nur etwa 73 % des freien Natriums als „aktives“ Na+ übrig. Bei anderen Ionen fällt der Anteil, der elektrostatisch inaktiviert ist, noch wesentlich höher aus. Im Falle des Calciums (Abbildung 8.12) liegt nur etwas mehr als die Hälfte des Gesamtcalciums als freies (ionisiertes) Calcium vor. Durch elektrostatische Interaktion mit anderen Ionen wird ein Großteil dieser Fraktion inaktiviert, so dass schließlich nur etwa 30 % der freien Ca2+ als aktives Ca2+ übrigbleiben. Gut die Hälfte des Plasma-Calciums ist gebunden, der größte Anteil an Plasmaproteinen, eine Folge der hohen Affinität des Calciums zu sauerstoffhaltigen Liganden. Der Rest bildet Komplexe, hauptsächlich als CaHCO3+. Zwischen dem nicht-kovalent an Proteine – insbesondere an Albumin – gebundenen Anteil und dem ionisierten Anteil des Plasma-Calciums besteht ein dynamisches, pH-abhängiges Geichgewicht nach Gleichung 8.2. bei pH < 7,4:
bei pH > 7,4: –2H+ 2[Albumin–-H+] + [Ca2+] s [2 Albumin–-Ca2+] +2H+
Gl. (8.2)
Ein hoher Plasma-pH-Wert begünstigt also die Bindung des Calciums an die Plasmaproteine.
mmol × L–1 2,40
8.12
Calcium-Fraktionen des Blutplasmas Kompl. geb. = komplexiert gebunden
an Proteine gebunden
an Proteine gebunden kompl. geb.
100
62,5
elektrostatisch inaktiviert
52,1
„aktives“ Calcium
0,38
kompl. geb. freies („ionisiertes“) Calcium
1,25
Gesamt-Calcium
1,50
%
15,8
384
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Etwa 70 % des Magnesiums ist in freier (ionisierter) Form im Blutplasma. Von den restlichen 30 % ist etwa ein Viertel an Albumin angelagert, während der größere Anteil mit Citrat, Phosphat und einigen anderen Liganden Komplexe bildet. Die in Tabelle 8.5 aufgelisteten Übergangsmetalle – Eisen, Zink und Kupfer – sind starke Komplexbildner und von ihnen liegen höchstens Spuren im Plasma als Ionen vor. Die Plasmaproteine, die sie spezifisch binden, zeigte bereits Tabelle 8.1. Im Falle des Eisens ist es das Transferrin, für das Kupfer das Coeruloplasmin. Zink wird vor allem an das Albumin gebunden, an das auch ein Teil des Kupfers anlagert (Abschnitt 8.3.1). Das Chlorid ist infolge seiner hohen Konzentration im Blutplasma das wichtigste Gegenion des Natriums. Es spielt eine wesentliche Rolle bei der Aufrechterhaltung der Elektroneutralität des Extrazellulärraumes. Eine Änderung der Natriumkonzentration innerhalb des physiologischen Bereichs zieht eine entsprechende Änderung des Chloridspiegels nach sich. Eine nicht proportionale Konzentrationsverschiebung bei einem der beiden Elektrolyte lässt auf eine Störung des Säure-Basen-Gleichgewichtes schließen, da der relative Abfall der Chloridkonzentration von einer Erhöhung der Bicarbonatkonzentration – und von Alkalose – begleitet wird. Eine relative Erhöhung des Chloridspiegels führt zum Abfall der Bicarbonatkonzentration – und zur Acidose (Abschnitt 8.3.6). Unter anorganischem Phosphat werden das freie (ionisierte), das komplex- und das proteingebundene Phosphat subsummiert. Bei einem Plasma-pH-Wert von 7,4 ist das Phosphat zu 80 % als Hydrogenphosphat (HPO42–) und zu 20 % als Dihydrogenphosphat (H2PO4–) existent. Neben dem freien (ionisierten) Phosphat sind 10 % des anorganischen Phosphates nicht-kovalent an Proteine gebunden. Zusätzlich zum anorganischen Phosphat gibt es im Plasma auch organische Phosphatverbindungen in Form von Phosphatestern und lipidgebundenen Phosphaten. Im Gegensatz zu anderen essentiellen Mineralstoffen des Blutplasmas variiert die Konzentration des Phosphates in relativ weiten Grenzen und widerspiegelt die aktuelle alimentäre Zufuhr. Weiterhin ist sie auch altersabhängig, wobei sie bei älteren Menschen niedriger als bei jüngeren ist. Sie weist auch einen – nicht durch Parathormon beeinflussten – Tag-Nacht-Rhythmus auf. Auch die Konzentration des anorganischen Sulfates im Blutplasma hängt von der Zufuhr mit der Nahrung ab. Da es ein Endprodukt der Verstoffwechselung der schwefelhaltigen Aminosäuren Methionin und Cystein darstellt, ist dies verständlich. Das abgespaltene H2S der beiden Aminosäuren wird enzymatisch zu SO42– oxidiert und steht dann hauptsächlich der Leber für Konjugationsreaktionen sowie dem Binde- und Stützgewebe für Biosynthese sulfatierter Mucopolysaccharide zur Verfügung. Wie bereits wiederholt betont, wird der Plasmaspiegel der meisten essentiellen Mineralstoffe innerhalb enger Grenzen konstant gehalten. Dies ist umso überraschender als die alimentäre Zufuhr selbstverständlich erheblich variieren kann. Hinzu kommt die starke Vernetzung der Funktionen, insbesondere der Elektrolyte. Jeder Faktor, der die Flussrate einer Ionenart verändert, führt zur Umverteilung anderer miteinander in Wechselbeziehung stehender Ionen. Eine wirkungsvolle Regulation des Elektrolytspiegels im Plasma ist unerlässlich. Prinzipiell ist sie auf mehreren Ebenen möglich, die je nach Element mehr oder minder stark bevorzugt werden. Als regulatorische Ebenen kommen der Magendarmtrakt als Ort der Aufnahme und die Niere als Organ der Exkretion und Depotorgane, vor allem der Knochen in Frage, von denen aus eine Umverteilung eingeleitet wird. In den meisten Fällen lösen Hormone als Informationsvermittler die regulatorische Maß-
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
385
nahme aus. An dieser Stelle soll nur eine kurze Übersicht über die Regulation des Elektrolytstoffwechsels gegeben werden. Detaillierte Mechanismen werden auf der Ebene des Organs, an dem die hormonelle Wirkung angreift, – vor allem des Magendarmtraktes und der Niere – besprochen. Der Umsatz des Natriums, dessen intestinale Resorption fast vollständig ist, wird durch die Niere geregelt. Im proximalen Tubulus werden etwa 70 % des glomerulär filtrierten Natriums rückresorbiert. Gefolgt wird dies von der Feinregulation der Rückresorption im distalen Tubulus, wo das Mineralocorticoid Aldosteron sowie der antagonistisch wirksame atriale natriuretische Faktor (ANF) die Rückgewinnung des Natriums präzise dem physiologischen Bedarf anpassen (Abschnitt 12.2.2.2). Wie bereits bei der Besprechung der Homöostase des Wasserhaushaltes betont, ist jede Bewegung des Natriums untrennbar mit einer Wasserbewegung verknüpft und alle Faktoren, die auf den Wasserhaushalt einen Effekt ausüben, beeinflussen auch den Natriumbestand und die Natriumverteilung im Organismus. Mit dem Natriumhaushalt ebefalls eng verbunden ist der des Chlorids als des Hauptbegleitanions des Natriums. Das Natrium wird fast ausschließlich als NaCl aufgenommen, und dieses Salz ist auch die Hauptausscheidungsform der beiden Elektrolyte im Urin. Somit wirken fast alle Faktoren, die die Natrium-Homöostase beeinflussen, auch auf die des Chlorids. Die Hauptebene der Regulation stellt auch für dieses Anion die Niere dar. Die Kaliumkonzentration im Blutplasma korreliert mit dem Kaliumbestand des Organismus. Die Kaliumbilanz wird ebenfalls durch die Niere reguliert. Bei Kaliumüberschuss erfolgt eine Aldosteron-induzierte Sekretion im distalen Tubulus. Bei Kaliummangel wird die renale Exkretion bereits auf der Stufe der glomerulären Filtration gedrosselt. Insgesamt sind die regulatorischen Mechanismen im Falle des Kaliums weniger effektiv als für das Natrium. Die Regulation der extrazellulären Calciumkonzentration geschieht durch eine hochkomplexe Interaktion dreier Hormone, des 1,25-Dihydroxycholecalciferols, des Parathormons aus der Nebenschilddrüse und des Thyreocalcitonins der Schilddrüse. Zielorgane dieses hormonellen Trias sind der Intestinaltrakt, die Niere und die Knochen. An der außerordentlich präzisen Regulation der extrazellulären Calciumkonzentration sind somit die Ebene der Aufnahme, der Exkretion und der Umverteilung beteiligt. Die extrazelluläre Magnesiumkonzentration wird hauptsächlich durch die Nierenfunktion geregelt. Der genaue Regulationsmechanismus ist nicht vollständig geklärt. Es besteht eine enge Interaktion zwischen der Calcium- und der Magnesium-Homöostase, wobei Magnesium als physiologischer Calciumantagonist gilt. Da – wie erwähnt – die Phosphatkonzentration des Blutplasmas durch die alimentäre Zufuhr variiert, ist eine weniger genaue Einstellung des Plasmaspiegels zu erwarten. Auf der Ebene der Niere inhibiert das Parathormon die tubuläre Rückresorption des Phosphates. Phosphat ist das physiologische Gegenion des Calciums. Der Nettoeffekt des Parathormons führt zu einer Erhöhung des Calcium- und einer Erniedrigung des Phosphatspiegels im Plasma. Wesentliche Konsequenz dieser Wirkung ist, dass einer Übersättigung der Calcium- und Phosphatkonzentration im Blutplasma vorgebeugt wird. Das Eisen gehört zwar nicht zu den Elektrolyten, es sei dennoch kurz erwähnt, dass sein Plasmaspiegel nicht unter hormoneller Kontrolle steht. Der Bestand wird auf der Ebene der intestinalen Resorption geregelt. Für die Konzentration im Plasma ist das Eisen-Transportprotein Transferrin von wesentlicher Bedeutung (Abschnitt 8.3.1).
386
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
8.3.6 Die Konzentration der Elektrolyte ist im intravasalen, im interstitiellen und im intrazellulären Raum unterschiedlich Wie unter 8.1 besprochen, bereitet der Durchtritt von Wasser und von kleinen Ionen durch das Endothel der kleinen Gefäße keine Schwierigkeiten. Dennoch weicht die Konzentration beinahe aller Elektrolyte bereits in der interstitiellen Flüssigkeit mehr oder minder stark von der Konzentration im Blutplasma ab, wie dies aus Tabelle 8.6 ersichtlich ist*. In einem noch weitaus größeren Umfang ist dies der Fall, wenn man die Konzentrationen im Plasma mit denen im intrazellulären Raum vergleicht. Die stark unterschiedliche Verteilung der Elektrolyte in diesen beiden Flüssigkeitsräumen scheint obligatorisch zu sein. Es seien zunächst die Differenzen zwischen den Elektrolytkonzentrationen im Plasma und im interstitiellen Raum betrachtet: Die Konzentration der Alkalimetalle Natrium und Kalium, die fast ausschließlich als freie Ionen im Plasma vorhanden sind,
Tabelle 8.6: Konzentration der wichtigsten Elektrolyte im Blutplasma, in der interstitiellen und in der intrazellulären Flüssigkeit Elektrolyte
Plasma mmol × L–1
Interstitielle Flüssigkeit mmol × L–1
Intrazelluläre Flüssigkeit mmol × kg–1H2O1)
Kationen Natrium (Na+) Kalium (K+) Calcium (Ca2+) Magnesium (Mg2+)
142 4 2,5 1,5
144 4 1,25 0,75
10 150 1 13
Summe
150
150
174
103
114
3 50
Anionen Chlorid (Cl–) Phosphat, anorganisch (HP042–) Sulfat, anorganisch (SO42–) Bicarbonat (HCO3–) Organische Säuren (A–) Proteinat (Prn–)
1 0,5
1 0,5
10
27 5 2
30 5 0
10 352) 6,52)
Summe
138,5
150,5
114,52)
Summe von Kationen und Anionen
288,5
288,5
1) Skelettmuskel, intrazelluläres Wasser 74 %; 2) ungefähre Schätzung Quelle: Löffler, G., Petrides, P.E. (1997) Biochemie und Pathobiochemie Springer-Vlg 5. Aufl. S. 686
* Die Fragestellung dieses Abschnittes erfordert, dass auch die organischen Anionen – Bicarbonat, organische Säuren und Proteinat – in die Betrachtung einbezogen werden.
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
387
ist in beiden Kompartimenten annähernd gleich. Ebenfalls identisch ist die Konzentration des anorganischen Phosphats, des Sulfats sowie der organischen Säuren. Anders verhalten sich das Calcium und das Magnesium, deren Konzentration in der interstitiellen Flüssigkeit nur etwa halb so hoch ist wie im Plasma. Da das Endothel größere Proteinmoleküle nicht durchtreten lässt, ist der interstitielle Raum relativ proteinarm. Darauf ist auch die niedrige Konzentration des Calciums und Magnesiums zurückzuführen, die je zur Hälfte an Plasmaproteine gebunden sind und daher nicht vollständig in das Interstitium übertreten können. Beim Vergleich der Anionenkonzentrationen im intravasalen und interstitiellen Raum fällt auf, dass die Konzentration des Chlorids und des Bicarbonats in der interstitiellen Flüssigkeit um jeweils etwa 10 % höher liegt als im Blutplasma. Dies ist insofern bemerkenswert, als die Kapillarmembran für beide Anionen vollständig durchlässig ist. (Das gleiche gilt, wenn auch in wesentlich geringerem Maße, für das Natrium). Diese ungleiche Verteilung diffusibler Ionen in den beiden Räumen ist darauf zurückzuführen, dass sich in einem der Räume, nämlich im Intravasalraum, nicht-diffusible Ladungsträger befinden. Die Proteine des Blutplasmas, die infolge ihrer Größe in diesem Kompartiment fixiert sind, weisen nämlich eine negative Nettoladung auf. Zur Wahrung der Elektroneutralität wird eine der Ladung der Proteinate entsprechende Anzahl von Kationen – es sind vor allem Na+-Ionen – im Plasma zurückgehalten und damit der Gleichgewichtseinstellung durch Diffusion entzogen. Die diffusiblen Kationen und Anionen – im Blutplasma handelt es sich vor allem um die mengenmäßig überwiegenden Na+ und Cl–-Ionen – verteilen sich nun so, dass folgende Bedingungen erfüllt sind: 1) Auf beiden Seiten der Membran (des Endothels) muss die Summe der positiven und negativen Ladungen gleich sein, damit das Gesetz der Elektroneutralität erfüllt ist. 2) Das Produkt der diffusiblen Kationen und Anionen muss auf beiden Seiten gleich sein entsprechend Gleichung 8.3, [Na+]P × [Cl–]P = [Na+]I × [Cl–]I
(Gl. 8.3)
wobei P = Plasma, I = Interstitium bedeutet. Die asymmetrische Verteilung fixierter Ladungsträger auf zwei Räume (Intravasalraum und Interstitium), die durch eine semipermeable Membran (Endothel) voneinander getrennt sind, verursacht also eine ungleiche Verteilung diffusibler Ionen (vor allem Na+ und Cl–), die auch Donnan-Verteilung bezeichnet wird. Wie Tabelle 8.6 zu entnehmen ist, ist die Konzentration der Anionen im interstitiellen Raum mit 150,5 mmol × L– 1 höher als im Plasma (138,5 mmol × L–1). Die Daten der Tabelle 8.6 ermöglichen auch einen Vergleich zwischen den Elektrolytkonzentrationen in den beiden extrazellulären Räumen – Intravasalraum und interstitieller Raum – und dem Intrazellulärraum. Bereits ein kurzer Blick lässt vermuten, dass es sich bei der völlig ungleichen Verteilung aller Elektrolyte zwischen den extrazellulären Flüssigkeiten und dem Intrazellulärraum nicht um eine Gleichgewichtseinstellung aufgrund von Diffusion oder elektrostatischem Ausgleich handeln kann, sondern um aktive Vorgänge, die Ionengradienten schaffen. Es wurde bereits unter Abschnitt 1.1.2.8 ausführlich diskutiert, dass es für lebende Systeme unerlässlich ist, eine derartige ungleiche Verteilung bestimmter Elektrolyte – unter Aufwendung erheblicher Energiebeträge – aufrechtzuerhalten. Die Konzentration des Kaliums ist in der intrazellulären Flüssigkeit mehr als 37fach höher als im Extrazellulärraum. Während im Plasma das Natrium das vorherrschende Kation ist, haben intrazellulär die K+-Ionen diese Funktion. Das Ruhepotential der Zell-
388
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
membran ist ein Kalium-Gleichgewichtspotential. Neben ihrer Rolle als Träger der Bioelektrizität der Zelle aktiviert das Kalium zahlreiche Enzyme und ist Hauptträger der intrazellulären Osmolalität. Die intrazelluläre Natriumkonzentration ist mit 10 mmol × kg–1 H2O etwa 14fach niedriger als die extrazelluläre. Für diese exakt gesteuerte ungleiche Verteilung der beiden Hauptkationen sorgt die Na+/K+-ATPase. Das Funktionieren und die biologische Bedeutung dieses primär aktiven Transportsystems wurden im Zusammenhang mit der biologischen Membran detailliert besprochen (Abschnitte 1.1.2.6, 1.1.2.7 und 1.1.2.8). Von den beiden weiteren Kationen, die in Tabelle 8.6 aufgelistet sind, ist das Calcium im Plasma 2,5fach höher konzentriert als in der intrazellulären Flüssigkeit. Korrekterweise ist jedoch zu bemerken, dass sich im Zellraum noch weitere erhebliche Mengen an komplex gebundenem und auf subzelluläre Kompartimente verteiltem Calcium befinden. Die Aufrechterhaltung des Calcium-Gradienten zwischen dem Extra- und Intrazellulärraum sowie die Kompartimentierung des Calciums in der Zelle erfolgen mittels spezifischer Ionen-Transport-ATPasen (Abschnitt 1.1.2.9). Das Magnesium ist an mehreren Hundert enzymatischen Reaktionen – vor allem solchen, bei denen es sich um Übertragung von Phosphatgruppen handelt – beteiligt. Dieser Funktion entsprechend ist die intrazelluläre Konzentration dieses Erdalkalimetalls etwa neunfach höher als die extrazelluläre. Auch das Phosphat, das bekanntlich eine tragende Rolle bei der Übertragung der biologischen Energie hat, ist ein typisch intrazelluläres Anion. Das gilt auch für das Sulfat, das in Biosynthesen Verwendung findet. Das Chlorid ist als Begleitanion des Natriums hauptsächlich in der Extrazellulärflüssigkeit lokalisiert. Das Konzentrationsverhältnis extrazellulär zu intrazellulär beträgt etwa 37 zu 1. Auch das Bicarbonat, ein Partner bei Anionenaustauschvorgängen mit Chlorid, ist in extrazellulären Flüssigkeiten höher konzentriert als in der Zelle, wenn auch der Gradient in diesem Falle nur etwa 3 zu 1 beträgt. Die organischen Säuren sind Produkte des Zellstoffwechsels und werden auch zum größten Teil intrazellulär verstoffwechselt. Es ist also verständlich, dass ihre intrazelluläre Konzentration das siebenfache der extrazellulären beträgt. Ebenso evident ist es, dass die intrazelluläre Proteinkonzentration das Mehrfache der Konzentration im Plasma beträgt. Durch Addition der in Tabelle 8.6 enthaltenen Daten ergibt sich die Summe der Kationen und Anionen in den beiden Hauptkompartimenten, dem Extrazellulärraum und dem Intrazellulärraum. Es zeigt sich, dass der Extrazellulärraum weniger Kationen (150 mmol × L–1) enthält als der Intrazellulärraum (174 mmol × L–1). Ein inverses Bild ergibt die Summe der Anionen. Addiert man die Konzentration der Kationen und Anionen, so ergibt sich, dass die Summe der Konzentration beiderlei Ionen im Extra- und Intrazellulärraum mit 288,5 mmol × L–1 identisch ist. Zwischen den beiden Räumen besteht somit kein osmotischer Gradient. Die Ladungsdifferenz wird durch die Proteinatanionen ausgeglichen. Wie im einzelnen besprochen, weisen der extrazelluläre und der intrazelluläre Flüssigkeitsraum jeweils charakteristische Ionenkonzentrationen auf. Ihre Aufrechterhaltung ist für den Zellstoffwechsel essentiell. Die Regulation der Elektrolytkonzentration in den beiden Kompartimenten weist im Großen und Ganzen prinzipielle Unterschiede auf. Die Elektrolytbilanz des Extrazellulärraumes wird durch Steuerung der Aufnahme und Abgabe ausgeglichen. Hormone spielen insbesondere bei der renalen Exkretion, in einigen Fällen auch bei der intestinalen Aufnahme eine Schlüsselrolle. Bei der Regulation der intrazellulären Konzentration der Elektrolyte handelt es
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389
sich in der Hauptsache um eine Autoregulation auf zellulärer Ebene mit Hilfe von aktiven und sekundär aktiven Transportprozessen sowie durch Komplexbildung und Freigabe aus den Depots.
8.3.7 Der pH-Wert des Blutes dient als Indikator für den SäureBasen-Status des Organismus Die Bedeutung des pH-Wertes für die enzymatische Katalyse wurde in Abschnitt 1.3.2.7 bereits eingehend diskutiert. Der Einfluss der H+-Konzentration beschränkt sich jedoch nicht allein auf die enzymatischen Reaktionen, sondern betrifft praktisch alle biochemischen Prozesse, vor allem die, bei denen elektrostatische Wechselwirkungen im Spiele sind. Derartige Interaktionen finden in jeder Zelle in unendlicher Vielfalt statt. Damit sie koordiniert ablaufen können, muss die intrazelluläre H+-Konzentration innerhalb enger Grenzen konstant gehalten werden; der Säure-Basen-Haushalt der Zelle muss ausgeglichen sein. Zweifelsohne besitzt jede Zelle eigene autonome Mechanismen, die für die Feinregulation des pH-Wertes eingesetzt werden. Sie dürften allerdings schon in Anbetracht der Unterschiede zwischen den einzelnen Zelltypen schwierig zu analysieren sein. Besondere Bedeutung kommt hierbei den Na+/H+-Austauschern zu. Da das Blut mit allen Zellen des Organismus in direktem oder indirektem Kontakt steht, widerspiegelt der pH-Wert des Blutplasmas einen mittleren Zustand des Säure-BasenStatus des Gesamtorganismus. Es dient daher – schon wegen seiner einfachen Entnahme – als Indikatorgewebe. Der mittlere physiologische pH-Wert des Extrazellulärraumes beträgt 7,40. Dies entspricht einer H+-Konzentration von 40 nmol × L–1. Die physiologische Schwankungsbreite ist gering: Die Grenzwerte liegen zwischen pH 7,36 (= 44 nmol H+ × L–1) und pH 7,44 (= 36 nmol H+ × L–1). Bei einem extrazellulären pH-Wert unterhalb von 7,36 spricht man von Acidose (Acidämie). Bei einem pH-Wert über 7,44 liegt eine Alkalose (Alkaliämie) vor. Mit dem Leben noch vereinbar sind pH-Werte bis 6,80 (= 160 nmol H+ × L–1), beziehungsweise 7,70 (= 20 nmol H+ × L–1). Abweichungen vom physiologischen Bereich in beiderlei Richtungen verursachen schwerwiegende Stoffwechselkomplikationen, wobei im Falle der Acidose eine vierfache Erhöhung der H+-Konzentration gegenüber der Norm toleriert wird, während im Falle der Alkalose das Absinken der H+-Konzentration auf die Hälfte des Normwertes bereits fatale Konsequenzen hat. Der pH-Wert des Intrazellulärraumes, dessen genaue Ermittlung experimentelle Schwierigkeiten bereitet, wird durchschnittlich mit 6,8 bis 7,2 angegeben. Es steht jedoch fest, dass in bestimmten Mikrobereichen und Kompartimenten auch davon stark differierende H+-Konzentrationen auftreten können. Eine besonders auffällige Abweichung vom mittleren intrazellulären pH-Wert weist der Innenraum der Lysosomen auf, dessen pH-Wert 5,0 beträgt (Abschnitt 1.2.4). Bei der Einstellung des pH-Wertes auf die physiologische Norm handelt es sich bei allen lebenden Systemen um eine Daueraufgabe, da der Stoffwechsel zwangsläufig Endprodukte generiert, die den pH-Status verändern. Das Endprodukt aller organischen Verbindungen, die einem oxidativen Abbau unterliegen, ist das CO2. Das Kohlendioxid entsteht hauptsächlich bei der dehydrierenden Decarboxylierung der α-Ketosäuren und der nicht-dehydrierenden Decarboxylierung der β-Ketosäuren. Ein geringer Anteil des CO2 wird im Stoffwechsel bei den Carboxylierungsreaktionen wieder verwendet (Abschnitt 9.3.3). Der beachtliche Rest – es handelt sich beim normal
390
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
aktiven Erwachsenen um circa 24 mol CO2 pro Tag – wird über die Lunge abgegeben. Es gehört zu den Aufgaben der Blutzirkulation diese große CO2-Menge an das Ausscheidungsorgan zu befördern. Wie dies im einzelnen geschieht, wird in Abschnitt 8.4 besprochen. Hier sei nur vorausgeschickt, dass im wässrigen Milieu des Blutplasmas der größte Teil des CO2 zu Kohlensäure (H2CO3) hydratisiert ist. Das H2CO3 dissoziiert zu Hydrogencarbonat (HCO3–; Bicarbonat*) und H+. Diese Protonen werden im Blut intermediär zu 100 % – vor allem durch das Hämoglobin – abgepuffert, so dass sie den Säure-Basen-Haushalt nicht belasten (Abschnitt 8.4). Voraussetzung für die Aufrechterhaltung eines physiologischen pH-Wertes im Extrazellulärraum ist eine normale Lungenfunktion. Sowohl eine erhöhte als auch eine verminderte CO2-Abgabe beeinflusst den Blut-pH-Wert im Sinne einer respiratorischen Alkalose beziehungsweise respiratorischen Acidose (Abschnitt 8.3.9). Wird ein Teil der Glucose im Zellstoffwechsel nicht-oxidativ, sondern anaerob, abgebaut, entsteht Milchsäure, die zu Lactat– und H+ dissoziiert. Beide Ionen werden dann durch einen elektroneutralen Symport ins Blut abgegeben. Die bei dieser Reaktion entstandenen H+ werden ebenfalls intermediär abgepuffert und normalerweise bei der Gluconeogenese reutilisiert (Abschnitt 9.3.3). Hält die Lactatproduktion über längere Zeit hindurch an, wie dies bei forcierter Muskeltätigkeit der Fall ist, übersteigt die Produktion der Protonen den Verbrauch bei der Neubildung von Glucose. Die H+-Konzentration des Extrazellulärraumes steigt über die Norm an (Lactatacidose), das heißt, es bleiben ausscheidungspflichtige Protonen übrig, die durch die Niere eliminiert werden müssen. Der gleiche Fall tritt ein, wenn die Ketonkörper Acetessigsäure und βHydroxybuttersäure (Abschnitt 9.5.1) in Mengen entstehen, die oxidativ nicht verwertet werden können. Die bei der Dissoziation dieser beiden Ketonkörper entstandenen H+ müssen ebenfalls durch die Niere entsorgt werden. Übersteigt die Menge der renal auszuscheidenden H+ die Pufferungskapazität des Blutes, so spricht man von Ketoacidose. Bei der Lactatacidose und der Ketoacidose handelt es sich um nichtrespiratorische (metabolische) Acidosen. Relativ große Mengen ausscheidungspflichtiger H+ entstehen beim Abbau der schwefelhaltigen Aminosäuren Methionin und Cystein. Die SH-Gruppen dieser proteinogenen Aminosäuren werden im Stoffwechsel zu H2SO4 oxidiert, die als starke Säure vollständig zu SO42– und 2H+ dissoziiert. Pro mol Methionin beziehungsweise Cystein entstehen je zwei mol H+, die im Stoffwechsel nicht wiederverwertet werden können. Eine Nahrung, die vor allem reich an tierischen Proteinen ist, liefert also ausscheidungspflichtige Protonen, die jedoch durch die gesunde Niere ohne weiteres eliminiert werden können (Abschnitt 12.2.3). Auch beim Abbau sulfatierter Glucosaminoglucane und sonstiger SO42–-Gruppen tragender Moleküle werden ausscheidungspflichtige Protonen freigesetzt, die jedoch quantitativ nicht ins Gewicht fallen. Ebenfalls H+-Lieferanten sind die in der Nahrung enthaltenen freien Säuren, zum Beispiel Citronensäure oder Apfelsäure. Weitere Protonen werden in wechselnder Menge in Form anorganischer Phosphate, die in sauren Säften überwiegend als Dihydrogenphosphat enthalten sind, zugeführt. Eine lactovegetabile Kostform ist basenüberschüssig und führt entsprechend zur Alkalisierung des Urins, da auch OH–im großen Umfang renal ausgeschieden werden können. Die durchschnittliche Mischkost ist protonenüberschüssig. Die tägliche Aufnahme an Protonen beträgt im Mittel etwa 60 ± 20 mmol H+. Bei ausgeprägt einseitiger Ernährung können Überschüsse an Säure- beziehungsweise Basenäquivalenten bis * Es hat sich allgemein eingebürgert, den Ausdruck Bicarbonat zu verwenden.
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
391
150 mmol pro Tag zugeführt werden. Die gesunde menschliche Niere kann täglich bis zu 1 000 mmol H+ ausscheiden oder 300 bis 400 mmol einsparen. Das Gleichgewicht des Säure-Basen-Haushaltes wird somit auch durch eine noch so einseitige Ernährung nicht gefährdet.
8.3.8 Die Puffersysteme des Blutes halten den pH-Wert im extrazellulären Kompartiment im physiologischen Bereich Um den pH-Wert innerhalb der eng bemessenen physiologischen Grenzen zu halten, müssen die im Überschuss entstehenden sauren beziehungsweise basischen Äquivalente aus dem Organismus entfernt werden. Meistens handelt es sich um Ausscheidung von Protonen, da – wie bereits erwähnt – die Metabolisierung der Nährstoffe der üblichen Mischkost einen Überschuss an H+ erzeugt. Gleichgültig, ob die entstandenen Protonen reutilisiert oder der renalen Exkretion zugeführt werden, gelangen sie zunächst ins Blut, wo sie auf dem Weg zu den Organen zunächst intermediär abgepuffert werden müssen. Puffer sind bekanntlich Substanzen, die H+- oder OH–-Ionen zu binden oder abzugeben vermögen, wodurch sie die pH-Änderungen, die bei Zusatz oder Entfernen von H+- oder OH–-Ionen in einem Medium eintreten würden, gering halten. Bei den biologischen Puffern handelt es sich um Systeme aus einer schwachen Säure und ihrer konjugierten Base. In den komplexen biologischen Flüssigkeiten stehen stets mehrere Puffer miteinander im Gleichgewicht. Die Effektivität eines Puffers hängt von seiner Pufferkapazität ab. Die Pufferkapazität ist definiert als diejenige Menge an H+ (oder OH–) in mol, die einem Liter Pufferlösung zugefügt werden muss, um den pH-Wert dieser Lösung um eine pH-Einheit zu verschieben. Die Pufferkapazität hat also die Dimension mol × L–1 × pH–1. Jeder Puffer wirkt in einem bestimmten pH-Bereich und ist bei dem pH-Wert am wirksamsten, der dem pK’*-Wert der am Puffersystem beteiligten Säure entspricht. Anders ausgedrückt, ist die Pufferkapazität am pK’-Wert des Systems am größten. Im Falle der Pufferung im Blutplasma sollte der betreffende pK’-Wert möglichst nahe dem Blut-pHWert von 7,4 liegen – oder zumindest zwischen 6,0 und 8,0. Es ist evident, dass die Fähigkeit zur Pufferung auch von der Konzentration des Puffers in der Pufferlösung abhängt. Zur Einstellung des physiologischen pH-Wertes im Blut dienen vier Puffersysteme: 1. Das Kohlendioxid/Bicarbonat-System (HCO3–-Puffer), 2. das desoxygenierte Hämoglobin (Hb–) und das oxygenierte Hämoglobin (O2-Hb–), 3. die Plasmaproteine (Pr–) sowie 4. der Dihydrogen/ Hydrogenphosphat-Puffer (HPO42–-Puffer). Das Hämoglobin befindet sich bekanntlich in den roten Blutkörperchen und seine Funktion als Puffer wird unter Abschnitt 8.4 detailliert besprochen. Die übrigen drei Puffer sind Bestandteile des Blutplasmas. Die einzelnen Puffer des Extrazellulärraumes unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Konzentration und ihrer Pufferkapazität beträchtlich. In Tabelle 8.7 werden die Pufferanionen, deren Gesamtkonzentration im Blut 48 mmol × L–1 beträgt, in zwei distinkte Gruppen eingeteilt: der Bicarbonat-Puffer (HCO3–) und die Nicht-Bicarbonat-Puffer (Hb–, O2-Hb–, Pr– und HPO42–). Die für die Puffereigenschaft wichtigen pK’-Werte be* K’ = Dissoziationskonstante einer Säure („Säurekonstante“) in biologischen Flüssigkeiten, die durch Einfluss verschiedener Ionen von der Dissoziationskonstante K der betreffenden Säure in Wasser abweicht.
392
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 8.7: Puffersysteme des Blutes Pufferanionen
pK’-Wert
Konzentration mmol × L–1
Prozent der Gesamtkonzentration
Prozent der Pufferkapazität
Bicarbonat-Puffer HCO3–
6,10
24
50
ca. 75
24
50
ca. 25
Nicht-Bicarbonat-Puffer Desoxygeniertes Hämoglobin (Hb–)
8,25
Oxygeniertes Hämoglobin (O2-Hb–)
6,95
Proteine (Pr–) Hydrogenphosphat (HPO42–)
? 6,80
Quelle: Löffler, G., Petrides, P.E. (1997) Biochemie und Pathobiochemie Springer Vlg 5. Aufl. S. 936
wegen sich zwischen 6,10 und 8,25. Die Konzentration der Bicarbonat- und NichtBicarbonat-Puffer ist absolut und prozentual völlig gleich. Die Pufferkapazität der beiden Puffer-Gruppen ist jedoch unterschiedlich; der prozentuale Anteil des Bicarbonat-Puffers an der Pufferkapazität beträgt etwa 75 %. Dies erscheint zunächst überraschend, da der pK’-Wert des Bicarbonat-Systems 6,10 beträgt und damit weit entfernt von dem einzustellenden pH-Wert von 7,4 liegt. Tatsächlich wäre dieses Puffersystem des Blutes von geringer Bedeutung, handelte es sich nicht um ein „offenes“ Puffersystem. „Offen“ ist dieses System insofern, als es mit der Gasphase des Alveolarraumes in Verbindung steht. Das Volumen dieser Phase ist groß genug, um eine konstante CO2 Konzentration im System zu gewährleisten, wodurch auch die Konzentration des Pufferanions HCO3– weitgehend konstant gehalten werden kann. Das offene Bicarbonat-System ist trotz des ungünstigen pK’-Wertes das wichtigste Puffersystem des Extrazellulärraumes. Hierzu trägt auch bei, dass die Konzentration des HCO3–/ CO2-Systems mit 25,2 mmol × L–1 im Extrazellulärraum im Vergleich zu den anderen Puffern hoch ist. Der pH-Wert einer gepufferten Lösung lässt sich anhand der Henderson-Hasselbalchschen Gleichung (Gl. 8.4) berechnen: pH = pK’ + log
[konjugierten Base] [Säure]
(Gl. 8.4)
Diese Funktion beschreibt die Beziehung zwischen dem pK’-Wert des Pufferanions und dem (logarithmischen) Verhältnis zwischen der Konzentration der konjugierten Base und der Konzentration der Säure, woraus sich der pH-Wert des gepufferten Systems ergibt. Die normale Bicarbonatkonzentration beträgt 24 mmol × L–1, die des gelösten CO2 1,2 mmol × L–1. Dies ergibt ein Konzentrationsverhältnis von 20:1. Wie aus Tabelle 8.8 abzulesen ist, errechnet sich daraus unter Zugrundelegung von Gl 8.4 der
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
393
Tabelle 8.8: Verhältnis von Bicarbonat zu Kohlendioxid und die daraus resultierenden pH-Werte und Protonenkonzentrationen Verhältnis HCO3– : CO2
8:1
10:1
12,5:1
16:1
20:1
25:1
32:1
40:1
50:1
Resultierender pH-Wert
7,0
7,1
7,2
7,3
7,4
7,5
7,6
7,7
7,8
H+-Konzentration 100 (nmol × L–1)
80
64
50
40
32
25
20
16
Quelle: Löffler, G., Petrides, P.E. (1997) Biochemie und Pathobiochemie Springer Vlg 5. Aufl. S. 935
normale Plasma-pH-Wert von 7,4. Wie aus Tabelle 8.8 ebenfalls zu entnehmen ist, resultiert aus jeder Änderung des Verhältnisses HCO3– zu CO2 eine entsprechende Änderung des pH-Wertes beziehungsweise der H+-Konzentration im Plasma, wodurch bewiesen ist, welche Bedeutung die Aufrechterhaltung dieses Konzentrationsverhältnisses im „offenen“ HCO3–/CO2-System hat. In Tabelle 8.9 ist die Pufferkapazität der Einzelkomponenten im Blut aufgeschlüsselt. Das Plasmaphosphat trägt trotz seines vorteilhaften pK’-Wertes von 6,80 infolge seiner geringen Konzentration im Extrazellulärraum (1 mmol × L–1) nur 1 % zur Pufferkapazität bei. Der pK’-Wert der Plasmaproteine lässt sich kaum exakt berechTabelle 8.9: Absolute und prozentuale Pufferkapazität der Puffersysteme des Blutes Bestandteil
Pufferkapazität (mmol × L–1 × pH–1)
%
Plasmaphosphat
0,4
1
Plasmaproteine
5,0
6
Plasmabicarbonat
2,6
3
Puffer im Blutplasma Σ Hämoglobin in Erythrocyten
8,0
10
16,2
21
Puffer im Gesamtblut Σ (als geschlossenes System)
24,2
31
Normale Ventilation
52,6
69
(als offenes System einschließlich normaler Ventilation)
76,8
100
Kompensatorische Atemregulation
41,6
Puffer im Gesamtblut Σ
Maximalwert
118,4
Quelle: Löffler, G., Petrides, P.E. (1997) Biochemie und Pathobiochemie Springer Vlg 5. Aufl. S. 936
394
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
nen. Die sauren Seitengruppen von Glutamat und Aspartat (pK ~ 4) sowie die basischen von Lysin und Arginin (pK ~ 10,5) tragen zur Pufferung kaum bei. Hauptträger der Pufferung dürften der Imidazolring des Histidins (pK ~ 6) und die SH-Gruppen des Cysteins (pK ~ 8) sein. Die Pufferkapazität der Plasmaproteine wird mit 6 % angenommen. Das Bicarbonat des Plasmas trägt weitere 3 % zur Pufferkapazität bei. In der Tabelle nicht berücksichtigt ist das NH3/NH4+-System, das wegen sehr geringer Konzentration und des ungünstigen pK-Wertes von 9,4 kaum zur Pufferung beitragen dürfte. Die Pufferkapazität der im Plasma vorhandenen Systeme trägt also lediglich 10 % zur Gesamtpufferkapazität bei. Die in den Erythrocyten lokalisierten Hämoglobine steuern aufgrund ihrer hohen Konzentration weitere 21 % zur Pufferkapazität bei. Als geschlossenes System betrachtet ergeben alle aufgelisteten Systeme lediglich 31 % der Pufferkapazität des Blutes. Die restlichen 69 % sind dem bereits besprochenen Umstand zu verdanken, dass es sich bei der Pufferung im Blut um ein offenes System handelt. In absoluten Zahlen ausgedrückt beträgt die Pufferkapazität des Blutes als offenes System 76,8 mmol × L–1 × pH–1. Hierbei wird die Atemfrequenz als normal vorausgesetzt. Durch kompensatorische Atemregulation lässt sich dieser Wert auf maximal 118,4 mol × L–1 × pH–1 steigern (Abschnitt 8.3.9). Vollständigkeitshalber sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Puffersysteme des Extrazellulärraumes etwa die Hälfte der gesamten Pufferkapazität des Organismus darstellen. Im wesentlich größeren Intrazellulärraum sind die restlichen 50 % lokalisiert. In diesem Kompartiment spielt neben den Proteinen vor allem das Dihydrogen/Hydrogenphosphat-System infolge des günstigen pK’-Wertes und der hohen intrazellulären Konzentration eine eminente Rolle.
8.3.9 Um ihrer Aufgabe zu genügen, müssen die Puffersysteme des Blutes regeneriert werden Der im Stoffwechsel täglich entstehende Protonenüberschuss von 40 bis 80 mmol lässt sich durch die Puffersysteme des Extrazellulärraumes ohne weiteres abpuffern. Da jedoch H+-Ionen kontinuierlich gebildet werden, müssen sie aus dem Organismus entfernt werden, damit die Puffer regeneriert, das heißt wieder aufnahmefähig werden. Zur Eliminierung von Protonen ist nur die Niere befähigt. Die Einzelheiten dieser wichtigen renalen Funktion – einschließlich der Puffersysteme im Urin – werden in Abschnitt 12.2.3 besprochen. Obwohl die Lunge an der Protonenausscheidung nicht beteiligt ist, kann dieses Organ den pH-Wert des Blutplasmas durch Änderung der alveolären Belüftung, die als kompensatorische Atemregulation bezeichnet wird, schnell und wirksam beeinflussen. Bei der Atemregulation handelt es sich um eine Anpassung der Lungenleistung an die Änderung von Faktoren des inneren Milieus – vor allem des pH-Wertes – und/oder des O2- und/oder CO2-Partialdruckes. Oft ist dies mit einer zusätzlichen Anpassung des Blutkreislaufs verbunden. Während der O2-Partialdruck an der Schlagader am Carotissinus gemessen wird, wird der CO2-Partialdruck in bestimmten Regionen der Medulla oblongata registriert. Die Werte werden durch Neuronen an das Atemzentrum weitergleitet, das bei den Wirbeltieren ebenfalls in der Medulla oblongata lokalisiert ist. Geregelt wird die Atemtiefe, die Atemfrequenz und die Atemform. Eine Hypoventilation (herabgesetzte Atmung) führt zu einem erhöhten CO2-Partialdruck in den Alveolen, der das Zwei- bis Dreifache des normalen Druckes (40 mm Hg) betragen kann. Durch die unmittelbare räumliche Verbindung zwischen dem Al-
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
395
veolar- und dem Intravasalraum kommt es zu entsprechender Erhöhung der CO2-Konzentration im Blutplasma. Dies führt zur Zunahme der H+-Konzentration im Plasma, das heißt zum Absinken des pH-Wertes (Acidose). Die Konzentration des Bicarbonats steigt ebenfalls an. Ein Teil der bei der Dissoziation der Kohlensäure gebildeten H+ wird durch Nicht-Bicarbonat-Pufferanionen abgepuffert. Somit ändert sich die Konzentration der Gesamt-Pufferanionen – trotz Erhöhung der HCO3–-Konzentration – nicht. Bei einer Hyperventilation (erhöhte Atmung) sinkt als Folge der forcierten Abgabe der CO2-Partialdruck im Alveolarraum. Infolgedessen fällt die CO2-Konzentration im Blutplasma ebenfalls ab. Dem Massenwirkungsgesetz folgend kommt es zur Nachbildung von CO2 aus HCO3– und H+, die im gleichen Verhältnis verbraucht werden. Es kommt zu einem Absinken der H+-Konzentration mit entsprechender Erhöhung des pH-Wertes (Alkalose). Ein Teil der H+ wird von Nicht-Bicarbonat-Puffern – insbesondere Hämoglobin – nachgeliefert. Dadurch erhöht sich der Anteil des dissoziierten Hb–. Somit ändert sich die Konzentration der Gesamt-Pufferanionen – trotz Abfall der HCO3–-Konzentration – auch in diesem Falle nicht. Bei beiden Arten der respiratorischen Regulation handelt es sich also um eine Umverteilung der Aufgabe der Pufferung zwischen den Puffersystemen des Blutes, ohne dass sich die Gesamtkonzentration der Pufferanionen ändern würde. Auch die Protonenbilanz bleibt dabei unbeeinflusst. Die beiden respiratorischen Änderungen, die Hypo- und die Hyperventilation, können als Folgen einer gestörten Lungenfunktion unterschiedlicher Genese als Primärereignisse auftreten. In diesen Fällen handelt es sich um eine respiratorische Acidose beziehungsweise respiratorische Alkalose. Wie bereits erwähnt (Abschnitt 8.3.7), kann jedoch auch eine Überproduktion von Protonen im Stoffwechsel, die die Pufferungsfähigkeit des Blutes übersteigt, eine nicht-respiratorische (metabolische) Acidose verursachen. Das gleiche gilt für eine nicht-respiratorische (metabolische) Alkalose, die jedoch wesentlich seltener vorkommt als die Acidose. Bei diesen Störungen des Säure-Basen-Haushaltes wird die Änderung der Lungenfunktion zur respiratorischen Kompensation eingesetzt. Allgemein gilt, dass nicht-respiratorische Störungen des Säure-Basen-Haushaltes primär durch respiratorische Maßnahmen ausgeglichen werden, respiratorische Störungen dagegen durch metabolische Maßnahmen, indem die renale Ausscheidung von Säure – beziehungsweise von Basenäquivalenten – zur Kompensation genutzt wird. Aus Tabelle 8.10 ist zu entnehmen, dass es zwischen den beiden Arten der Störungen des Säure-Basen-Haushaltes Unterschiede gibt. Beiderlei Typen von Acidose bezieTabelle 8.10: Verhalten von CO2-Partialdruck, Bicarbonatkonzentration und pHWert bei respiratorischer und nicht-respiratorischer Acidose und Alkalose Acidose respiratorisch nichtrespiratorisch
Alkalose respiratorisch nichtrespiratorisch
↑
⎯
↓
⎯
aktuelle [HCO3–]
↑
↓
↓
↑
pH
↓
↓
↑
↑
PCO
2
↑ = Erhöhung; ↓ = Abfall; ⎯ = keine Änderung gegenüber der Norm
396
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
hungsweise Alkalose sind durch Absinken beziehungsweise Erhöhung des Blut-pHWertes charakterisiert. Änderungen des CO2-Partialdruckes kommen nur bei den respiratorischen Störungen und respiratorischen Kompensationsmaßnahmen vor. Die Bicarbonatkonzentration im Blut verhält sich bei den beiden Typen von Störungen unterschiedlich: Bei der respiratorischen Acidose steigt sie, bei der nicht-respiratorischen Acidose fällt sie gegenüber der Norm ab. Bei den beiden Typen der Alkalose ist es umgekehrt. Ziel der kompensatorischen Maßnahmen ist es, die pH-Balance durch weitgehende Normalisierung des Konzentrationsverhältnisses von HCO3– zu CO2 im Blut wiederherzustellen. Es bleibt jedoch stets eine Restabweichung des Blut-pH-Wertes übrig, die durch Anpassung der renalen Ausscheidung beziehungsweise Retention von H+-Ionen ausgeglichen wird.
8.4 Die Erythrocyten sind auf den Transport von Sauerstoff und Kohlendioxid spezialisiert Zur Aufrechterhaltung des aeroben Stoffwechsels der Zellen müssen große Mengen von Sauerstoff (O2) von der Lunge über das Blut zu den Sauerstoff-verbrauchenden Geweben und Organen transportiert werden. Im Austausch wird Kohlendioxid (CO2) zu den Lungenalveolen befördert, wo es eliminiert wird. Im aeroben Stoffwechsel entstehen pro verbrauchtem O2-Molekül etwa 0,8 Moleküle CO2. Es werden über das Blut beträchtliche Mengen der beiden Atemgase transportiert, so werden täglich unter Grundumsatzbedingungen etwa 600 g (= 12 × 100 mmol) CO2 produziert. Beide Atemgase sind aufgrund ihrer geringen Löslichkeit im polaren Plasmawasser nur zu einem geringen Teil physikalisch gelöst. Ihr Transport ist gekoppelt an das spezifische sauerstofftransportierende Protein, das Hämoglobin (Hb), das in den Erythrocyten lokalisiert ist. Im Gegensatz zu den bisher besprochenen Transportproteinen des Blutes gehört das Hämoglobin nicht zu den Plasmaproteinen, sondern ist in den roten Blutkörperchen, den Erythrocyten, eingeschlossen. Beim erwachsenen Mann beträgt die Hb-Konzentration 140 bis 180 g × L–1, bei der erwachsenen Frau 120 bis 160 g × L–1 Vollblut. Das Hb ist somit das quantitativ vorwiegende Protein im Blut. Wäre das Hb im Blutplasma gelöst, würde es einen beträchtlichen kolloidosmotischen Druck, mit entsprechenden Konsequenzen für die Wasserverteilung, entfalten (Abschnitt 8.1). Durch Einschluss in die Erythrocyten wird dem vorgebeugt, ohne dass die Transportfunktion beeinträchtigt wäre.
8.4.1 Die Synthese des Hämoglobins erfolgt während der Erythropoese Die Hb-Konzentration des Blutes wird bei Gesunden ebenso konstant gehalten wie die Anzahl der Erythrocyten. Ein einzelner Erythrocyt enthält durchschnittlich 32 pg Hb, was etwa einem Drittel seiner Zellmasse entspricht. Entsprechend hoch ist mit etwa 800 g der Hb-Bestand des Erwachsenen. Etwa ein Prozent dieses Proteins wird täglich abgebaut und muss neu synthetisiert werden. Die Biosynthese des Hb erfolgt in den Erythroblasten des Knochenmarks während des Reifungsprozesses der Erythrocyten. Auch bereits in die Blutbahn übergetretene
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
397
junge Erythrocyten haben die Fähigkeit zur Hämoglobinsynthese, solange sie sich noch im Stadium des Reticulocyten befinden. Im reifen Zustand sind sie vollgepackt mit Hämoglobin und enthalten praktisch keine der üblichen Zellorganellen. Bei einem erwachsenen Säuger fehlen den Erythrocyten Zellkern, ER, Mitochondrion und Ribosomen, die im Laufe ihrer Entwicklung aus der Zelle herausgestoßen werden. Das Hämoglobin ist ein globuläres Molekül, das aus vier Untereinheiten aufgebaut ist: aus zwei α- und zwei β-Globinketten. Das α-Globin-Gen ist beim Menschen auf Chromosom 16p13 in zwei Kopien lokalisiert, das β-Globin-Gen kommt auf Chromosom 11p15.5 in nur einer Kopie vor. Das reife mRNA beider Ketten tritt aus dem Zellkern des Erythroblasten in das Cytosol über, wo die Translation der Ketten, die jeweils ein Molekulargewicht von etwa 17 kDa haben, stattfindet. Die beiden Globine unterscheiden sich in ihrer Aminosäuresequenz, sind jedoch strukturhomolog. Anschließend wird in jede Untereinheit die für die Funktion des Hb essentielle prosthetische Gruppe, das eisenhaltige Hämmolekül, eingefügt. Schließlich assoziieren je zwei α- und β-Globinketten zum Hämoglobintetramer. Bei dem aus zwei α- und zwei β-Untereinheiten aufgebauten Molekül handelt es sich um das normale Hb eines Erwachsenen, um das Hämoglobin A (A steht für Adult), das
His NH
N
CH2 CH3
CH
C
C
C 1 C N
HC CH3
C C 4
–
OOC
CH2
CH2
C
C HC
C C
C C
N
CH3
C
CH
CH2
C CH
3
C CH3
CH2
C
N 2
Fe
N
CH
CH2
O2
Globin
–
COO
N
NH His
8.13
Bindung des Hämmoleküls im Hämoglobin
398
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
auch als Hbα2β2 abgekürzt wird. In der embryonalen und fetalen Lebensphase werden von den postnatalen abweichende Globinketten synthetisiert. Das in das Hb integrierte Hämmolekül gehört zu der Gruppe der Porphyrine. Es besteht aus vier Pyrrolringen, die verschiedene Seitenketten haben und in deren Mitte ein zweiwertiges Eisenatom komplex gebunden wird. Die konjugierten Doppelbindungen des Moleküls absorbieren Licht am unteren Ende des sichtbaren Spektrums und verleihen dem Molekül – und damit dem Blut – eine tiefrote Färbung. Wie in Abbildung 8.13 dargestellt, ist das Eisenatom im Häm an die vier Stickstoffatome im Zentrum des Protoporphyrinringes gebunden. Es kann darüber hinaus zwei weitere Bindungen eingehen, die beidseitig senkrecht auf der Hämebene stehen. Es handelt sich dabei um eine Bindung an den Imidazolring eines Histidins im Globinmolekül, α-His-87 beziehungsweise β-His-92. Die sechste Koordinationstelle ist für die Anlagerung eines O2-Moleküls verfügbar. Da jede Globin-Untereinheit des Hb ein Hämmolekül enthält, kann jedes Hb-Molekül vier Moleküle O2 binden. Das Häm ist nur ein Vertreter der Porphyrine, deren Biosynthese in fast jeder Zelle des Organismus stattfindet. Außer ihrer Rolle als prosthetische Gruppe im Hb kommen unterschiedliche Hämgruppen in den Enzymen der Atmungskette (Abschnitt 5.2.2.1) sowie in Monooxygenasen und Peroxidasen vor. Während das Hb-gebundene Fe2+-Ion bei der Bindung an O2 seine Wertigkeit nicht ändert, ist dies bei den Redox-Cofaktoren enzymatischer Reaktionen der Fall und Grundlage der Funktion. Das ebenfalls Eisenporphyrinhaltige Myoglobin dient als Sauerstoffspeicher des Muskelgewebes. An der Photosynthese ist bekanntlich ebenfalls ein Porphyrinderivat, das Chlorophyll, beteiligt, dessen Zentralatom das Magnesium ist.
8.4.2 Sauerstoffaufnahme und -abgabe werden von Änderungen der Quartärstruktur des Hämoglobins begleitet Das Hämoglobin (Hb) ist ein sehr effektiver Lösungsvermittler, da es im Inneren in Form des Porphyringerüstes einen hydrophoben Kern enthält, während die dem Plasmawasser zugewandte Oberfläche hydrophil ist. Ein Liter Blut transportiert bei einem O2-Partialdruck von 100 mm Hg –entsprechend 13,3 Kilopascal (kPa)* – nur 3 ml O2 in physikalischer Lösung. Durch Vermittlung des Hb werden dagegen 200 bis 210 ml O2 × L–1 befördert. Die Transportkapazität des Blutes für O2 wird also auf das Siebzigfache erhöht. Voraussetzung hierfür ist, dass die Hb-Konzentration im Blut den normalen Wert von 160 g × L–1 beträgt, und dass sich fast alle Hb-Moleküle in einem zur O2-Aufnahme fähigen Zustand befinden. Im Blut jedes Menschen gibt es in kleinen Mengen auch Hb-Formen, die O2 nicht anlagern können. Zwei dieser Formen sind von besonderer Bedeutung: das Methämoglobin (MetHb oder Hämiglobin) und das Carboxyhämoglobin (HbCO). Bei der Entstehung von MetHb sind Oxidationsmittel – zum Beispiel Nitrat und manche Medikamente – verantwortlich, die das Fe2+ des Häms in Fe3+ überführen. Das dreiwertige Eisen ist nicht in der Lage O2 reversibel anzulagern und ist somit für den O2Transport ungeeignet. Die Reduktion des MetHb, das in kleinen Mengen von 1–2 % des Gesamt-Hb stets entsteht, erfolgt physiologischerweise durch die intraerythrocytäre NADH-abhängige Methämoglobinreductase. * Als Einheit des Druckes wird in Deutschland neben der SI-Einheit Pascal (Pa) auch mm Hg verwendet. 1 mm Hg = 133,3 Pa oder 0,1333 kPa.
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
399
Das Carboxyhämoglobin (HbCO) entsteht dann, wenn sich Kohlenmonoxid (CO) an Stelle des O2 an das Hb-Molekül anlagert. Da die Affinität des Hb zum CO etwa dreihundertmal höher ist als zum O2, blockieren bereits relativ geringe CO-Mengen den O2Transport. Zusätzlich erschwert das CO die O2-Abgabe an das Gewebe. Umwandlung von rund 60 % des Hb in HbCO ist tödlich. Obwohl die physikalische Löslichkeit des O2 im Blut gering ist, ist seine Lösung als Durchgangszustand unerlässlich, da O2 in dieser Form die Alveolarmembran und das Gefäßendothel passiert, von den Erythrocyten aufgenommen und von diesen an die Gewebe abgegeben wird. Es ist einleuchtend, dass für den O2-Austausch zwischen diesen Räumen der O2-Partialdruck (pO2) als treibende Kraft für die Diffusion entscheidend ist. Als Normalwert gelten für den alveolären O2-Partialdruck 100 mm Hg (13,3 kPa). In Gewebe, die mit O2 versorgt werden sollen, ist der pO2 mit durchschnittlich 40 mm Hg wesentlich niedriger. Der Vorgang der Anlagerung von O2 an das Hb wird als Oxygenierung bezeichnet, bei der HbO2 gebildet wird. Bei diesem reversiblen Prozess handelt es sich nicht um eine chemische Bindung. Daher ist die O2-Abgabe, die Desoxygenierung, nicht energieaufwendig. Trotz der Anlagerung des O2 wird das zweiwertige Eisen des Porphyrins nicht oxidiert, da die Globinketten des Hb einen schützenden Effekt auf das Zentralatom ausüben. Die Menge des O2, die das Blut bei einem bestimmten pO2 im Lungenkreislauf aufnimmt und an die Zellen der Gewebe abgibt, hängt von zwei Größen, der Sauerstoffkapazität und der Sauerstoffaffinität des Blutes, ab. Die O2-Kapazität ist als die maximale O2-Aufnahmefähigkeit pro Liter Blut definiert. Unter physiologischen Bedingungen, das heißt bei einem alveolaren pO2 von 100 mm Hg und einer Körpertemperatur von 37 °C, hängt diese Größe fast ausschließlich von der Konzentration des O2-anlagerungsfähigen Hb ab. Als O2-Affinität versteht man das Verhältnis zwischen dem pO2 (im Bereich der Lunge beziehungsweise der Gewebe) und der Beladung des Hb mit O2. Sie gibt also an, wieviel Prozent des Hämoglobins mit O2 beladen sind. Für Vergleichszwecke hat sich die Angabe des Halbsättigungsdruckes (P50) bewährt. Dieser ist definiert als O2-Partialdruck, bei dem die Hälfte der Hb-Moleküle mit O2 gesättigt ist. Er beträgt bei pH 7,4 und einer Körpertemperatur von 37° C bei einem gesunden Erwachsenen 26,6 mm Hg. Trägt man, wie in Abbildung 8.14 gezeigt, die O2-Sättigung in Prozent gegen den O2Partialdruck (in mm Hg beziehungsweise kPa) auf, erhält man eine sigmoidale Kurvenform. Die rot gezeichnete Kurve gilt für Bedingungen, die für das arterielle Blut „normal“ sind. Die beiden anderen, ebenfalls sigmoidalen Kurven zeigen, dass die O2Sättigung durch verschiedene Faktoren beeinflusst wird. Die rot-gestrichelte, hyperbole Kurve gilt für die O2-Anlagerung an eine einzelne β-Globin-Untereinheit. Die sigmoidale Form der O2-Sättigungskurve des Hb-Tetramers im Vergleich zur hyperbolen Kurve für eine einzelne β-Globulin-Untereinheit ist ein Indiz für eine kooperative Sauerstoffbindung des Hämoglobin-Tetramers. Das Phänomen der Kooperativität wurde bereits im Zusammenhang mit der enzymatischen Katalyse besprochen (Abschnitt 1.3.2.5). Ganz allgemein versteht man unter Kooperativität, dass die einzelnen Untereinheiten von Proteinen mit Quartärstruktur miteinander in Wechselwirkung treten. Im Falle des Hb bedeutet dies, dass die Bindung eines O2-Moleküls die Bindung weiterer O2-Moleküle an die anderen Häm-Untereinheiten des Tetramers erleichtert. Umgekehrt bewirkt die Abgabe von O2 an einem Häm die leichtere Freisetzung von O2 von den anderen. Durch die kooperative Bindung des O2 wird die Effektivität von Hb als
400
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
100
Hämoglobin
Prozentuale O2-Sättigung
β-Globinkette
50
100 13,3
26,6 3,54
(mmHg) (kPa)
O2-Partialdruck Affinitätsabnahme (Rechtsverschiebung) bei: CO2-Konzentration H+-Konzentration 2,3-BPG-Konzentration Temperatur 8.14
Affinitätszunahme (Linksverschiebung) bei: CO2-Konzentration H+-Konzentration 2,3-BPG-Konzentration Temperatur
Sauerstoffanlagerung an das Hämoglobin-Tetramer und an die isolierte β-Untereinheit des Hämoglobins 2,3-BPG = 2,3-Bisphosphoglycerat
Sauerstoffträger wesentlich gesteigert, denn mit einer Änderung des Sauerstoffpartialdruckes verändert sich die Sauerstoffsättigung des Hb schneller, als dies bei voneinander unabhängigen Bindungszentren der Fall wäre. Das kooperative Verhalten des Hb ist eine Folge der Quartärstruktur dieses Proteins. Das Hb-Tetramer besitzt eine hochflexible Konformation, deren sehr komplexe reversible Änderung durch Oxygenierung beziehungsweise Desoxygenierung bis auf die molekularen Einzelheiten geklärt ist (Exkurs 8.1). Die Kooperativität des Hb bei der O2-Anlagerung hat weitreichende biologische Konsequenzen. Abbildung 8.14 zeigt, dass der P50 des Hb etwa 26 mm Hg beträgt. Eine einzelne Globinkette ist bereits bei 1 mm Hg zur Hälfte gesättigt. In den Lungenalveolen beträgt der pO2 etwa 100 mm Hg. Das reicht aus, das Hb mit O2 zu sättigen. Der pO2 im Kapillarblut, das die Gewebe versorgt, beträgt 20 bis 40 mm Hg. Dies bedeutet eine relativ schwache Anlagerung, so dass im Gewebe O2 abgegeben statt angelagert wird. Dies ist im Einklang mit der Funktion des Hb als Vermittler des O2-Transportes. Wäre der O2 an einzelne Globinketten angelagert, wäre die O2-Abgabe an die Gewebszellen nicht möglich. Abbildung 8.14 zeigt auch weitere Phänomene, die die Folge der Kooperativität sind. Die Sauerstoffbindung des Hb wird durch vier Faktoren beeinflusst: durch den pH-Wert
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
401
des Blutplasmas, die CO2- und 2,3 Bisphosphoglycerat (2,3 BPG)-Konzentration sowie die Temperatur. Infolgedessen führt die Änderung eines oder mehrerer Faktoren zu einer Änderung im Sauerstoffbindungsverhalten. Eine Erniedrigung der Konzentrationen an CO2, H+ und 2,3 BPG sowie der Temperatur führt zu einer Linksverschiebung der O2-Sättigungskurve. Die Erhöhung dieser Größen bewirkt eine Rechtsverschiebung der Kurve, das heißt zu einer Verminderung der Sauerstoffaffinität gleichbedeutend mit einer Förderung der Sauerstofffreisetzung.
EXKURS 8.1 Das Hämoglobin – Funktionieren eines O2-transportierenden allosterischen Proteins Um die Zellen ihres hochentwickelten Organismus mit einem kontinuierlichen und ausreichenden Sauerstoffstrom zu versorgen, entwickelten die Vertebraten neben einem Kreislaufsystem auch sauerstofftransportierende Moleküle. Das wichtigste derartige Molekül, das Hämoglobin, ist eines der am gründlichsten studierten Proteine. Seine dreidimensionale Struktur ist bis in die atomaren Details bekannt und viele grundlegende Prinzipien der Konformation, Dynamik und Regulation von Proteinen sind am Hämoglobin als Modell erforscht worden. Das Hämoglobin ist auch das am besten verstandene allosterische Protein. Das Binden von O2 an eine der Hämoglobinketten begünstigt die Bindung von Sauerstoffmolekülen an die weiteren Ketten ein und desselben Hämoglobinmoleküls. Die O2-Bindung hat also kooperativen Charakter. Wie diese Kooperation auf molekularer Ebene zustande kommt, soll im Folgenden näher betrachtet werden. Abbildung 1 stellt die einzelnen Schritte bei der Anlagerung von O2 an die Untereinheiten des Hämoglobins schematisch in sechs Schritten dar. Die Betrachtung geht von der Desoxyform des Hämoglobins aus (Zustand 1). Diese Form wird venöse Desoxyform genannt, da sie im venösen Bereich, nach Abgabe von O2 an das Gewebe vorherrscht. In diesem Zustand sind die vier Untereinheiten des Hämoglobins durch elektrostatische Wechselwirkungen fest miteinander verbunden. Ihre Beweglichkeit gegeneinander ist damit weitgehend eingeschränkt. An dieser elektrostatischen Verbindung beteiligen sich einzelne Aminosäuren aus allen vier Ketten des Hämoglobins. Die negativ geladene Carboxylgruppe und der positiv geladene Guanidylrest des C-terminalen Arginins der α2-Kette treten in Wechselwirkung mit der positiv geladenen Aminogruppe des N-terminalen Valins und mit der negativ geladenen Carboxylgruppe eines Aspartylrestes der α1-Kette. Die negativ geladene Carboxylgruppe und der positiv geladene Imidazolylrest eines Histidins in der β1-Kette interagieren mit der Carboxylgruppe der eigenen Kette und mit der positiv geladenen ε-Aminogruppe von Lysin in der α2-Kette. Zwischen den Aminosäuren der benachbarten β1- und β2-Ketten besteht keine direkte elektrostatische Wechselwirkung. Hier dienen die negativ geladenen Phosphatreste sowie die Carboxylgruppe des 2,3-Bisphosphoglycerates als elektrostatische „Klammern“ zwischen den beiden β-Ketten. Bei allen vier Ketten des Hämoglobins ist am C-terminalen Ende Tyrosin die vorletzte Aminosäure. Bei der Desoxyform des Hämoglobins ist dieses Tyrosin zwischen zwei Helixabschnitten in einer Art „Tasche“ lokalisiert und wird in dieser Stellung durch hydrophobe Wechselwirkungen des Benzolringes in seiner Umgebung fixiert. Weiterhin trägt eine Wasserstoffbrückenbindung der Hydroxylgruppe zur Stabilisierung bei. Durch diese Fixierung wird erreicht, dass alle erwähnten geladenen
䊳
402
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Abb. 1 Stufenweise Anlagerung des Sauerstoffs an die Untereinheiten des Hämoglobins Quelle: Perutz, M.F. (1970) Nature 228, 726 (modifiziert)
Gruppen genau in der Position festgehalten werden, die für das Zustandekommen der elektrostatischen Wechselwirkungen notwendig ist. Die Anlagerung des Sauerstoffs erfolgt als Erstes an die α1-Untereinheit des Hämoglobins (Abbildung 1, Zustand 2). Dieser als Oxygenierung bezeichneter Prozess hat weitreichende sterische Konsequenz für das gesamte Hämoglobinmolekül. Wie Abbildung 2 zeigt, befindet sich das Eisen beim desoxygenierten Hämoglobin etwas außerhalb der Ebene der vier Pyrrolringe des Porphyringerüstes und das Histidin, an das es im Globin gebunden ist, ist leicht abgeknickt gegenüber der Porphyrinebene. Die Anlagerung des O2 bewirkt eine Verschiebung der Elektronen innerhalb des Eisenatoms. Im desoxygenierten Zustand sind die Bahnen von zwei der sechs Bindungselektronen des Eisens in Richtung der chemischen Bindung orientiert, wodurch ein größerer Abstand eingehalten wird. Durch Anlagerung des O2-Moleküls werden die beiden Elektronen verlagert, der Radius des Eisenatoms verringert sich, es „schrumpft“ gewissermaßen. Das Eisen und das Porphyrin bewegen sich um etwa 0,075nm aufeinander zu und das Eisenatom wird in die Ebene des Porphyringerüstes hineingezogen. Diese an sich geringfügige Bewegung löst eine Konformationsänderung des gesamten Hämoglobinmoleküls aus: Die Verlagerung des Eisenatoms verursacht eine Bewegung des Globinanteils, da das Eisen über den proximalen Histidylrest mit der Peptidkette verbunden ist, und das Porphyringerüst über hydrophobe Wechselwirkungen mit der Peptidkette in Verbindung steht. Diese Verlagerungen verursachen eine Verengung der Tasche, in der sich der Tyrosylrest befindet, so dass dieser aus der Tasche herausgedrückt wird, wobei auch
䊳
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
403
Histidin
Porphyrinebene
Abb. 2 Verhalten des Eisenatoms bei der Oxygenierung des Hämoglobins.
weitere Aminosäuren, die an der elektrostatischen Verklammerung beteiligt sind, disloziert werden. Die elektrostatischen Wechselwirkungen, die von diesen Resten ausgehen, werden damit gelöst. Es ist anzunehmen, dass die Oxygenierung der Hämoglobinketten in der Reihenfolge α1, α2 , β1 und β2 erfolgt, da der Eintritt des O2-Moleküls in die Hämtaschen der α-Ketten leichter möglich ist als in die der β-Ketten. Gleichzeitig mit der Aufnahme von Sauerstoff und der Lösung der elektrostatischen Wechselwirkungen werden Protonen freigesetzt. Der gleiche Vorgang wiederholt sich bei der α2-Kette (Abbildung 1, Zustand 3), wobei die Lösung der elektrostatischen Bindungen auch in diesem Fall mit Abgabe von Protonen verbunden ist. Die α1- und α2-Kette befinden sich nun in der Oxyform und vier der sechs elektrostatischen Bindungen sind gelöst. Das Hämoglobinmolekül befindet sich nun in einem instabilen Zustand und auch die Verbindungen zwischen den Ketten α2 und β1 sowie α1 und β2 werden unterbrochen. Gleichzeitig wird das 2,3-Bisphosphoglycerat, das die beiden β-Ketten verbunden hatte, abgegeben. Bei der Lösung dieser Brücke werden keine Protonen freigesetzt (Abbildung 1, Zustand 4). Die nun vereinzelten β-Ketten lagern ebenfalls Sauerstoff in die Hämtaschen an (Abbildung 1, Zustand 5 und 6). Auch in diesem Falle werden Protonen freigesetzt und es treten die für die α-Ketten beschriebenen stereochemischen Veränderungen auf, wobei die Tyrosylreste aus ihren Taschen herausgedrückt werden. Die Oxygenierung des Hämoglobins und die Freisetzung der Protonen sind also aneinander gekoppelte Prozesse. Da es sich um einen reversiblen Vorgang handelt, fördert die Erhöhung der Protonenkonzentration die Abgabe von O2 vom Hämoglobinmolekül. Bei der O2-Abgabe werden die elektrostatischen Klammern wieder geschlossen und die Ketten nehmen wieder Protonen auf, wodurch die Abgabe des Sauerstoffs erleichtert wird. Die Kooperativität der Sauerstoffbindung ermöglicht es, dass das Hämoglobin unter physiologischen Bedingungen etwa 1,8mal mehr O2 transportieren kann als dies mit vier unabhängigen Bindungsstellen möglich wäre.
404
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Dies ist von signifikanter Bedeutung für die O2-Transportfunktion des Hb, denn im Gewebebereich, wo O2 abgegeben werden soll, ist die CO2- und H+-Konzentration hoch. Dieses ist die Folge eines intensiven Stoffwechsels. Ein kontrahierender Muskel beispielsweise erzeugt viel CO2 und H+. Dieses führt zu einer Erniedrigung der Sauerstoffaffinität des Hb und damit zu einer erhöhten Sauerstoffabgabe an das Gewebe. Diese vom CO2 und H+ gemeinsam hervorgerufene Wirkung wird als Bohr-Effekt bezeichnet. Der umgekehrte Effekt tritt in den Lungenalveolen auf. Hier führt eine hohe O2-Konzentration zu einer Freisetzung von H+ und CO2 aus dem Hämoglobin (Abschnitt 8.4.3). Der Anstieg der Temperatur verursacht einen erhöhten Zellstoffwechsel, der ebenfalls auf eine forcierte O2-Anlieferung angewiesen ist. Das 2,3-Bisphosphoglycerat entsteht auf einem Nebenweg der Glykolyse, der in den Erythrocyten besonders ausgeprägt ist. Dieser Signalmetabolit wirkt als Effektor beim Zustandekommen der Kooperativität mit. Die Variabilität der O2-Affinität ermöglicht die Anpassung der O2-Versorgung peripherer Gewebe in unterschiedlichen physiologischen Situationen. Eine Rechts- beziehungsweise Linksverschiebung der O2-Anlagerungskurve ändert nicht die Kurvenform, sondern ihre Lage. Dies weist darauf hin, dass die Bindungsstellen für die Signalmetaboliten nicht mit der Bindungsstelle für O2 identisch sind. Bei den Konformationsänderungen des Hb, die durch sie hervorgerufen werden, handelt es sich also um allosterische Effekte (Abschnitt 1.3.2.5).
8.4.3 Der Transport von Sauerstoff und von Kohlendioxid sind aneinander gekoppelte Prozesse Das im oxidativen Stoffwechsel der Zelle kontinuierlich entstehende CO2 diffundiert über den interstitiellen Raum in das Blut. Über den Blutkreislauf wird es zur Lunge transportiert, wo es abgeatmet werden soll. Das CO2 kommt im Blut in verschiedenen Formen und unterschiedlichen Kompartimenten vor, wie dies aus Tabelle 8.11 zu ersehen ist. Das CO2 ist im wässrigen Milieu des Plasmas nur wenig löslich. Aus dem molaren Löslichkeitskoeffizienten wurde berechnet, dass bei dem im venösen Blut herrschenden CO2-Partialdruck nur etwa 10 % des CO2 in physikalisch gelöster Form zur Lunge transportiert werden. Die restlichen 90 % werden in chemischer Bindung – als Carbamino-CO2 – und insbesondere als Bicarbonat-Ionen transportiert. Am gesamten Tabelle 8.11: Verteilung des Kohlendioxids im venösen Blut (mmol × L–1) Gesamt-CO2 im Vollblut Gesamt-CO2 im Plasma
23,2 17,0
als gelöstes CO2 als
0,8
HCO3–-Ionen
Gesamt-CO2 in den Erythrocyten
16,2 6,2
als gelöstes CO2
0,4
als Carbamino-CO2
1,4
HCO3–-Ionen
4,4
als
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
405
Transportvorgang kommt der Oxygenierung beziehungsweise Desoxygenierung des Hb eine signifikante Rolle zu. Nur ein sehr geringer Anteil des CO2 wird sofort nach dem Übertritt in das Plasma spontan zu Kohlensäure (H2CO3) hydratisiert, welche zu Bicarbonat (HCO3–) und H+ dissoziiert. Die Protonen werden durch die Plasmaproteine abgepuffert. Das meiste CO2, das ins venöse Blut gelangt, diffundiert jedoch zu den Erythrocyten. Dort wird ein Teil des CO2 an endständige Aminogruppen des Hb – wahrscheinlich vor allem an N-terminale Valylreste – gebunden. Dabei entsteht in einer nicht-enzymatischen Reaktion nach Gleichung 8.5 eine Carbamino-Verbindung. R – NH2 + CO2 s R – NHCOO– + H+
(Gl. 8.5)
Der weitaus höhere Anteil des in die Erythrocyten diffundierten CO2 wird durch die katalytische Wirksamkeit der hochaktiven Carboanhydrase I (Carbonat-Dehydratase) mit Hilfe von H2O zu Kohlensäure hydratisiert, die spontan zu HCO3– und H+ dissoziiert, wie dies in Abbildung 8.15 gezeigt wird. Die freiwerdenden Protonen werden durch das Hb aufgenommen. Dies wird dadurch ermöglicht, dass das Hb im Bereich der Gewebskapillaren O2 abgegeben hat, und damit zu einer schwachen Säure geworden ist. Die bei der Dissoziation entstandenden Bicarbonat-Anionen treten dem Konzentrationsgefälle folgend in das Plasmawasser über. Der Austritt der HCO3– aus den Erythrocyten erfolgt zur Wahrung der Elektroneutralität zwischen den beiden Räumen im Austausch gegen ein Cl–, das aus dem Plasma in den Erythrocyten gelangt. Dieser Vorgang wird durch den HCO3–/Cl–-Austauscher katalysiert, der auch Bande-3-Protein genannt wird. Das Bicarbonat, das durch diesen Austausch ständig in das Plasmawasser abgegeben wird, stellt die Haupttransportform des Kohlendioxids im Blut dar. Über die Blutzirkulation gelangt es in den Lungenkreislauf. Wie aus Abbildung 8.15 zu ersehen ist, kehrt sich hier der Vorgang, der sich in den Gewebskapillaren abgespielt hat, um. Mit Hilfe des HCO3–/Cl–-Austauschers wird das HCO3– wieder in die Erythrocyten transportiert, wobei Cl– in das Plasma abgegeben wird. Das HCO3– assoziiert mit H+-Ionen spontan zu H2CO3. Die hierzu notwendigen Protonen werden vom Hb wieder abgegeben, da das Hb durch die Oxygenierung eine stärkere Säure darstellt und daher die H+ nicht mehr binden kann. Durch Umkehrung der Carboanhydrase-Reaktion, zerfällt die Kohlensäure in CO2 und H2O. Das CO2 diffundiert aus den Erythrocyten in das Blutplasma und von dort in die Alveolarluft. Triebkräfte dieser Prozessfolge sind: 1) der niedrige PCO der Alveolarluft, 2 der durch das Atemzentrum auf 40 mm Hg eingestellt wird; und 2) die durch die O2Aufnahme bedingte Abspaltung der Protonen vom Hämoglobin. Beide Effekte verschieben das HCO3–/CO2-Gleichgewicht zugunsten der CO2-Freisetzung. Die Erythrocyten vermitteln also den überwiegenden Teil des CO2-Transportes. In den Erythrocyten entstehen durch die katalytische Aktivität der Carboanhydrase aus dem CO2, das gut wasserlösliche HCO3–, das über das Blut in die Lungenkapillaren transportiert wird. Dort wird das HCO3– ebenfalls durch die reversibel katalysierende Carboanhydrase der Erythrocyten in das gut diffusible, gasförmige CO2 zurückverwandelt, das abgeatmet wird. Die katalytische Wirkung der Carboanhydrase ist hierbei unabdingbar, da die Verweildauer der Erythrocyten in den Lungenkapillaren sehr kurz ist, und eine an sich mögliche nicht-enzymatische Entstehung von CO2 viel zu langsam abläuft.
406
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Lunge CO2
O2
O2
Hb O2 H+
Hb H+
Erythrocyt CO2 – 3
HCO
Venenblut
CA H2O
HCO3–
Cl
HCO3–
Cl
HCO3–
Arterienblut
CA
H2O
CO2 O2 Hb H O2
Erythrocyt +
+
H
Hb O2
CA = Carboanhydrase
O2 C6H12O6 8.15
oxidativer CO 2 Stoffwechsel Gewebe
H2O
Gewebe
Durch Hämoglobin vermittelter Transport von Sauerstoff und Kohlendioxid HbH+ = protoniertes Hämoglobin; HbO2 = oxygeniertes Hämoglobin; CA = Carboanhydrase
8 Das Blut – Transportsystem und Vermittler der Homöostase
407
Unter Abschnitt 8.3.8 wurde bereits detailliert besprochen, welche quantitative Bedeutung das oxygenierte/desoxygenierte Hb sowie das HCO3–/CO2, als „offenes“ System, für die Pufferung im Blut haben. Es wurde nun evident, dass die Prozesse, die sich bei O2-Aufnahme und bei CO2-Abgabe abspielen, mit dem Mechanismus der Pufferung gekoppelt sind.
9
Die Leber als multifunktionelles Organ
Als zentrales Organ des gesamten Metabolismus übt die Leber sehr vielfältige katabole und anabole Stoffwechselfunktionen aus. Die diskontinuierlich angefluteten Nährstoffe, insbesondere die Kohlenhydrate, werden in der Leber zunächst gespeichert und nach und nach zur Distribution an den Blutkreislauf abgegeben. Durch diesen homöostatischen Regelmechanismus sorgt die Leber für die Stabilität des inneren Milieus. Hierzu ist sie durch ihre anatomische Lage prädestiniert: Die resorbierten Kohlenhydrate, Aminosäuren, freie Fettsäuren und das Glycerin werden fast quantitativ im Pfortaderblut gesammelt und unmittelbar der Leber zugeführt. Eine Ausnahme bilden lediglich die in der Darmschleimhaut bereits resynthetisierten Triglyceride, die über den Ductus thoracicus dem Blut zugeleitet werden. Als Produktionsstätte der Galle ist die Leber auch eine exokrine Drüse. Durch ihre Fähigkeit Biotransformationsreaktionen durchzuführen, dient sie der Entgiftung und Eliminierung zahlreicher körpereigener und körperfremder Substanzen. Verschiedene Zelltypen der Leber beteiligen sich am Abwehrsystem, andere dienen der Speicherung, unter anderem von Vitaminen. Tabelle 9.1 bietet eine Übersicht über die zahlreichen Funktionen der Leber. Diese können in zwei Kategorien eingeteilt werden: Erstens solche, die als Dienstleistungen für sonstige Organe anzusehen sind, und zweitens solche, die der Bildung und Erhaltung der Leber selbst dienen.
9.1 Die Leber weist eine spezifische Feinstruktur auf Mit einem Gewicht von etwa 1,5 kg (im ausgebluteten Zustand) ist die Leber eines der größten Organe des Menschen. Ihre Blutversorgung erfolgt durch die Leberschlagader (Arteria hepatica) und die Pfortader (Vena portae), deren Blut sich in den Lebersinusoiden mischt. Der Abfluss des venösen Blutes erfolgt über die Lebervenen (Venae hepaticae) in die untere Hohlvene. Die Leber zeichnet sich durch eine außerordentliche metabolische Aktivität aus. Etwa 12 % des O2 wird aus dem Blut, das die Leber durchströmt, für den Stoffwechsel dieses Organs entnommen. Die Leber besitzt auch eine hochgradige Regenerationsfähigkeit, wodurch relativ starke akute Schädigungen überwunden werden können, solange noch keine stärkere Fibrosierung des Gewebes eingetreten ist. Die erstaunliche Leistungsfähigkeit der Leber steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der speziellen histologischen Struktur des Organs. Wie die meisten Organe besteht auch die Leber aus unterschiedlichen Zelltypen (Abbildung 9.1). Etwa 60 bis 70 % der Zellmasse entfallen auf die Leberparenchymzellen*, auch Hepatocyten genannt. * Als Parenchym wird das für die Hauptfunktion eines Organs wesentliche Gewebe bezeichnet (im Gegensatz beispielsweise zum interstitiellen Bindegewebe).
410
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 9.1: Die Leber als multifunktionelles Organ I. Dienstleistungsfunktionen für sonstige Organe
Zentrum des Intermediärstoffwechsels
Sensorfunktion
Glucose-Aufnahme und -Abgabe
(Glucose, Aminosäuren, Osmolalität, NaCl, Blutdruck)
Aminosäure-Aufnahme und -Abgabe Synthese und Abbau von Plasmaproteinen
Zentrum der Abwehrreaktionen
Harnstoffsynthese
Fremdstoffmetabolismus
Synthese und Prozessierung von Lipiden
(Oxidation, Reduktion, Konjugation von Xenobiotica)
Ketonkörpersynthese
Phagocytose
Bildung von Galle
Eliminierung von Tumorzellen Akut-Phase-Reaktion
Inaktivierung von Hormonen und Mediatoren Synthese und Abgabe von (Pro-) Hormonen und Mediatoren
Blut-Reservoir Aktive und passive Blutspeicherung
II. Bildung und Erhaltung der eigenen Struktur
Synthese und Abbau von intra- und extrazellulären Komponenten
Protektiver Stoffwechsel
(Biomembran, Nucleus, Cytoskelett, Biomatrix, Enzyme)
(Abfangen reaktiver O2-Intermediate und elektrophiler Intermediate)
Quelle: Jungermann, K., Kietzmann, T. Zonation of parenchymal and nonparenchymal metabolism of liver. In: Annual Review of Nutrition 16 (1996) S. 179-203 (modifiziert)
Die Cholangiocyten, die die Gallengänge auskleiden, sind genauso wie die Hepatocyten epitheliale Zellen. Zu den nicht-epithelialen Zelltypen zählen die Endothelzellen der Sinusoide, die Kupfferzellen, die zum reticuloendothelialen System gehören, sowie die fettspeichernden Sternzellen oder Ito-Zellen. Für die Architektur der Leber typisch sind die Leberläppchen als funktionelle Einheiten, die in Abbildung 9.2 schematisch dargestellt sind. Je nachdem, welche der Leitungsbahnen das Zentrum dieser Baueinheit bildet, unterscheidet man Zentralvenenläppchen und Portalvenenläppchen. Sie haben einen Durchmesser von 1 bis 1,5 mm und sind polygonale Zellanordnungen. Radiär vom Mittelpunkt des Läppchens ausgehend sind Hepatocyten als Platten von ein bis zwei Zellschichten angeordnet. Diese Zellplatten sind durch Sinusoide voneinander getrennt (Abbildung 9.1). Die Lebersinusoide sind besonders weite, mit Ausbuchtungen versehene 350 bis 500 mm lange Blutkapillaren. Sie führen venös-arterielles Mischblut. Die sehr dünne Wand der Sinusoide besteht aus einer einfachen, dünnen Schicht von Endothelzellen, zwischen denen vereinzelt die Makrophagen-ähnlichen Kupfferzellen lokalisiert sind. Kleine Löcher in der
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
411
Sinusoid E
V C
sinusoidale Membran
C
C
HEPATOCYT D E
Biliär-canaliculäre Membran
E
L
D
HEPATOCYT L K
Sinusoid E
K
E
L
C = Gallecaniliculus D = Disse’scher Raum E = Endothelzelle
9.1
K = Kupffer-Zelle L = Lymphocyt V = pericanaliculäre Vesikel
Histologisches Bild der Hepatocyten und sonstiger Leberzellen
Endothelschicht ermöglichen den Austausch von kleinen Partikeln und Nährstoffen zwischen Hepatocyten und Blutbahn. Allerdings sind die Hepatocyten nicht dem direkten Kontakt mit den zirkulierenden Blutzellen ausgesetzt.
9.2 Die „Filterwirkung“ der Leber sorgt für eine weitgehend konstante Nährstoffkonzentration im peripheren Blut Als offenes biologisches System ist der Organismus des Menschen sowohl bei der Aufnahme als auch bei der Abgabe starken und ständig wechselnden Änderungen ausgesetzt. Das Angebot an Nährstoffen, die als Energielieferanten und Baustoffe dienen und auch sonst zahlreiche Funktionen zu erfüllen haben, ist weder qualitativ noch quantita-
412
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
SchV ZV
LL
LA = Leberarterie LL = Leberläppchen GG = Gallengang
9.2
GG
PfA
LA
PfA = Pfortader SchV = Schaltvene ZV = Zentralvene
Anordnung eines Leberläppchens zwischen den Blutgefäßen
tiv konstant. Die Schwankungen der Nährstoffzufuhr kommen beim Menschen nicht allein dadurch zustande, dass er normalerweise „Mahlzeitenesser“ ist, sondern auch durch die mehrstündige Schlafphase. Neben diesen kurzen physiologischen Unterbrechungen der Aufnahme einer auch qualitativ sehr variablen Nahrung kann es auch zu längeren Nahrungskarenzen kommen, beispielsweise durch Mangel an Nahrung, durch Krankheitszustände und durch gewollte Einschränkung der Nahrungszufuhr beim Fasten. Genauso wenig konstant sind die Anforderungen an die Versorgung des Organismus mit Nährstoffen. Diese wechseln bekanntlich mit dem jeweiligen physiologischen Zustand, der einen recht unterschiedlichen Bedarf an Nährstoffen bedingen kann, mit der Intensität der körperlichen Arbeitsleistung, die große Unterschiede des Energiebedarfs nach sich zieht, mit physikalischen Gegebenheiten der Umgebung und vieles andere mehr. Trotz der starken Variationsbreite der Nährstoffzufuhr in qualitativer und quantitativer Hinsicht sowie des Nährstoffbedarfs in unterschiedlichen Stoffwechselsituationen ist dafür gesorgt, dass die Homöostase des Gesamtorganismus – als Grundlage seiner Lebensfähigkeit – erhalten bleibt. Den Hauptanteil an dieser großartigen Leistung übernimmt die Leber, da dieses Organ bereits aufgrund seiner anatomischen Lage als erstes mit dem schwankenden Angebot an resorbierten Nährstoffen konfrontiert wird. Alle Nährstoffe, außer dem Hauptanteil der Lipide, erreichen die Leber über die Portalvene. Im Falle der schnell resorbierbaren Nährstoffe, insbesondere der Monosaccharide, kommt es im Blut der Pfortader des öfteren – dem Angebot entsprechend – zu stark schwankenden Nährstoffspiegeln. Dieses Auf und Ab der Nährstoffkonzentration im
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
413
Portalblut wird im peripheren Blut nicht oder nur im geringen Umfang reflektiert. Auf die portal-periphere-Differenz* wurde bereits im Abschnitt 8.3.4 hingewiesen. Die ausgleichende Wirkung der Leber auf den Blutspiegel der Nährstoffe basiert auf zwei Grundlagen: Erstens auf der Fähigkeit der Leber, Nährstoffe zu speichern und sie aus den Depots bei Bedarf freizugeben; zweitens auf der Fähigkeit dieses Organs zur de novo-Synthese von Nährstoffen, zum Zwecke der bedarfsgerechten Versorgung anderer Organe. Von besonderer, häufig lebenserhaltender Bedeutung sind beide Prozesse für die Versorgung des Organismus mit Glucose. Speziell handelt es sich dabei um die Depotbildung in Form des Glucosepolymers Glykogen und um die de novo-Synthese von Glucose im Zuge der Gluconeogenese. Beide werden im folgenden noch detailliert besprochen. Die ausgleichende Wirkung der Leber betrifft jedoch nicht nur die Kohlenhydrate, sondern auch die Proteine beziehungsweise Aminosäuren und in geringem Maße auch die Lipide. Bei diesen Nährstoffen liegen die Verhältnisse allerdings weitaus komplexer als bei den Kohlenhydraten. Abbildung 9.3 zeigt stark schematisiert den Substanzfluss der Hauptnährstoffe nach der intestinalen Resorption, wobei sich die Leber als „Filter“ im Zentrum des Flusses befindet. Im Falle der Glucose können mit einiger Sicherheit Niere 5
peripheres Blut
Leber
Darmmucosa
PfortaderBlut 100
45
Gluc
Glyk
25 20
Lac
ZNS 15
CO 2
55
Gluc
Trigly
AS
prä β LP
Prot HSt
CO2
Muskel Glyk
FS
Lymphe
Ery 5
CO2
AS
Prot
10
CO 2
Prot
Fettgewebe 10
ChyMikr
CO 2
Trigly ChyMR FS
9.3
Die Leber als „Filter“ im Substratfluss der resorbierten Hauptnährstoffe Gluc = Glucose; Glyk = Glykogen; Prot = Protein; Trigly = Triglyceride; präβLP = prä-β-Lipoproteine; ChyMikr = Chylomikronen; ChyMR = Chylomikronen-Remnants; AS = Aminosäuren; HSt = Harnstoff Daten aus: Felig, P., Sherwin, R.: Carbohydrate Homeostasis, Liver and Diabetes. In: Progress in Liver Diseases 149-171, New York, 1976
* Bei Betrachtung des organbezogenen Stoffwechsels wird die Leber als das zentrale Organ, alle anderen Organe als peripher angesehen.
414
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
semi-quantitative prozentuelle Angaben über die in der Leber gespeicherte und verstoffwechselte Glucose gemacht werden. Die wesentlich komplexeren Verhältnisse bei den Aminosäuren und Lipiden ermöglichen derartige Angaben nicht. Um die Verteilung der Glucose abzuschätzen, wurde folgende Prämisse angenommen: 100 g Glucose beziehungsweise Glucoseäquivalente wurden innerhalb von 3 Stunden von einer in Ruhe befindlichen Versuchsperson aus einer gemischten Kost resorbiert. Etwas mehr als die Hälfte (55 %) der Glucose wurden in der Leber retiniert, und als Glykogen gespeichert sowie zur Energiegewinnung zu CO2 katabolisiert. Die restlichen 45 % verließen die Leber unverändert und dienten der Glucoseversorgung sonstiger Organe. Schätzungsweise verteilten sich 20 % der Glucose auf Muskel- und Fettgewebe, die restlichen auf die weiteren Gewebe und Organe, von denen ZNS, Erythrocyten und Nierengewebe aufgelistet sind. Im ZNS und in der Niere wird die Glucose aerob zu CO2 abgebaut, in den Erythrocyten anaerob zu Lactat. Derartige Angaben gelten natürlich nur für die vorgegebenen Bedingungen, im Falle des dargestellten Beispiels für die Resorptionsphase*. Auch die Aminosäuren werden zu einem bestimmten Anteil in der Leber retiniert. In der Leber findet eine sehr umfangreiche Proteinsynthese statt. Die Syntheseprodukte dienen nur zu einem relativ geringen Anteil für die Funktionen in der Leber selbst, sehr viele der Proteine werden exportiert. So werden täglich bis zu 20 g Blutplasmaeiweiße synthetisiert (Abschnitt 8.3.1). Der Eiweißstoffwechsel der Leber ist mit verschiedenartigen Umwandlungen, insbesondere mit der Desaminierung von Aminosäuren verbunden. Der Aminostickstoff wird zur Harnstoffsynthese verwendet, die eine spezifische Leistung der Leber ist.
9.3 In der Leber finden alle wichtigen anabolen und katabolen Prozesse des Kohlenhydrat-Stoffwechsels statt Wie im Zusammenhang mit der Nährstoffresorption detailliert dargelegt wurde (Abschnitt 7.6.1), gelangen die Nahrungskohlenhydrate in Form von Monosacchariden in das Pfortaderblut und damit in die Leber. Von quantitativer Bedeutung unter diesen Monomeren sind die D-Glucose, die D-Galactose und die D-Fructose. Alle drei Monosaccharide werden durch den GLUT 2-Transporter insulinunabhängig von der Leberzelle aufgenommen. Beim GLUT 2 handelt es sich um ein Transportsystem, das die Glucose mit niedriger Affinität (Km= 42 mmol × L–1), aber hoher Kapazität sowohl in die Leberzelle hinein transportiert als auch an ihrer Blutseite hinausbefördert. Die Aktivität des GLUT 2-Transporters wird je nachdem, ob eine glykolytische oder eine gluconeogenetische Stoffwechsellage vorherrscht, dem Bedarf an Förderkapazität angepasst. Die D-Glucose steht im Mittelpunkt des gesamten Kohlenhydrat-Stoffwechsels des Menschen. Nach Eintritt in die Zelle wird die Glucose mittels ATP zu Glucose-6-phosphat phosphoryliert und damit in einen reaktionsbereiten Zustand gebracht. Diese Reaktion wird in allen Zellen durch das Enzym Hexokinase katalysiert. In der Leber – und in den β-Zellen des Pankreas – existiert außer der in allen Zellen vorhandenen Hexo* Gelegentlich wird zwischen der „resorptiven“ und der „post-resorptiven“ Phase des Metabolismus der Nährstoffe unterschieden. Da die Grenzen zwischen den beiden Phasen fließend sind, wird im weiteren von dieser Differenzierung nur selten Gebrauch gemacht.
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
415
kinase eine organspezifische Isoform, die Glucokinase. Dieses in der Leber stark überwiegende Isoenzym hat charakteristische kinetische Eigenschaften, die sie für seine spezielle Aufgabe in der Leber besonders geeignet machen. Der Km-Wert der Glucokinase ist etwa zwanzigmal höher als der der Hexokinase und liegt damit im Konzentrationsbereich der Glucose im Pfortaderblut. Somit können im Hepatocyten auch größere Glucosemengen entsprechend ihrer Konzentration phosphoryliert werden. Damit wird die Glucose aus dem Diffusionsgleichgewicht entfernt, was ihren Hineintransport in den Hepatocyten fördert. Außerdem wird die Glucokinase – im Gegensatz zur Hexokinase – durch das Reaktionsprodukt, Glucose-6-phosphat, nicht inhibiert. Wie in Abbildung 9.4 gezeigt, zweigen von Glucose-6-phosphat mehrere Stoffwechselwege der Glucose ab, die im folgenden besprochen werden sollen. Ein Teil der Glucose wird in den Hepatocyten – wie in allen Eukaryotenzellen – in der glykolytischen Kette zu Pyruvat beziehungsweise Lactat metabolisiert und damit zur Energiegewinnung genutzt. Auf dem Weg zu diesem Abbau entsteht unter anderem auch Fructose-6-phosphat, die zweite wichtige Hexose in der Ernährung des Menschen. Das Glucose-6-phosphat kann nicht nur aus Glucose entstehen, sondern es ist auch eine Quelle für Glucose. Die Glucokinase-Reaktion ist – wie fast alle Kinase-Reaktionen – nicht umkehrbar. Zur Freisetzung der Glucose bedarf es eines anderen Enzyms, der Glucose-6-Phosphatase, die den Phosphatrest hydrolytisch abspaltet. Bekanntlich speichert die Leber auch größere Mengen des Glucosepolymers Glykogen. Dessen Synthese wird durch eine Isomerisierung des Glucose-6-phosphats zu Glucose-1-phosphat eingeleitet. Von einem der Zwischenprodukte des Glykogenaufbaus Glykogen UDP-Glucose
Galactose
Glucose-1- P ATP
ADP CO2 Glucose-6- P
Glucose
Pentose- P
Pi
Fructose-6- P
Pyruvat 9.4
Glucose-6-phosphat im Zentrum des Glucose-Stoffwechsels
416
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
zweigt die Synthese der dritten quantitativ interessanten Hexose, der Galactose, ab. Auf- und Abbau des Glykogens bilden einen hormonell gesteuerten Kreisprozess. Schließlich konkurriert der Pentosephosphat-Weg um das Glucose-6-phosphat als Ausgangssubstrat. Dieser Abbauweg führt nach mehrfachem Durchlauf zum vollständigen Abbau der Glucose zu CO2. Im Folgenden werden diese Wege des Glucosestoffwechsels besprochen, wobei vorausgesetzt wird, dass die einzelnen Reaktionsabläufe grundsätzlich bekannt sind. Somit wird das Hauptgewicht auf die Verknüpfung der Reaktionsketten im Zusammenspiel des Intermediärstoffwechsels gelegt. Weiterhin soll der regulatorische Aspekt im Vordergrund stehen, werden doch bei diesen Stoffwechselketten alle Mechanismen der enzymatischen und hormonellen Regulation verwirklicht.
9.3.1 Die Glykolyse ist der Hauptweg zur Verwertung von Glucose Die Glykolyse (griechisch: glykos = süß) ist eine zeitlich und räumlich geordnete Reaktionskette, in der der Abbau der Glucose unter anaeroben Bedingungen – das heißt, wenn das Endprodukt Lactat ist –, über 11 enzymkatalysierte Schritte verläuft. Die Gesamtreaktion bis zur Stufe des Lactats beschreibt Gleichung 9.1 Glucose + 2 ADP + 2 Pi → 2 Lactat + 2 ATP + 2 H2O
(Gl. 9.1)
Die Glykolyse ist entwicklungsgeschichtlich eine sehr alte Möglichkeit der Energiegewinnung aus Glucose. Sie ist sehr gut konserviert und verläuft in allen Eukaryotenzellen identisch. Sie ist also keineswegs eine Spezialität der Leberzelle. Allerdings unterscheidet sich die Aktivität der einzelnen glykolytischen Enzyme in verschiedenen Zellen und Geweben und auch speziesspezifisch unter Umständen beträchtlich. Im Organismus des Menschen werden die höchsten Aktivitäten in der Skelettmuskelzelle gemessen, die je nach Enzym bis zu einer Zehnerpotenz höher sein können als in den Zellen sonstiger Gewebe. Somit spielt die glykolytische Metabolisierung der Glucose je nach Zelle eine unterschiedlich große Rolle. Alle glykolytischen Enzyme befinden sich im Cytosol und galten lange Zeit als lösliche Enzyme. Nach neueren Untersuchungen ist allerdings anzunehmen, dass die pro Zelle errechneten 50 000 Moleküle der 11 glykolytischen Enzyme supramolekulare Assoziate bilden. Die Existenz derartiger, als Metabolon bezeichneter Gebilde ermöglicht einen schnellen und räumlich geordneten Fluss der Metaboliten von Enzym zu Enzym. Die Reaktionsfolge der glykolytischen Kette* ist in Abbildung 9.5 dargestellt. Sie lässt sich in zwei Abschnitte untergliedern: Im ersten wird die Glucose in zwei C-3-Metaboliten gespalten, im zweiten sind die beiden Reaktionen der Substratkettenphosphorylierung lokalisiert, die auch unter anaeroben Bedingungen zu einem Gewinn von 2 mol ATP führen (Abschnitt 5.1). Wie bereits in Abschnitt 1.3.1 erörtert, wird der Substratfluss durch enzymkatalysierte Reaktionsketten auf der Ebene der Schlüsselenzyme reguliert, deren Aktivität der jeweiligen metabolischen Situation des Organismus beziehungsweise der Zelle angepasst wird, ohne dass es notwendig wäre, die Aktivität aller Enzyme der Kette zu än-
* Die Einzelreaktionen der Glykolyse werden in jedem Lehrbuch der Biochemie detailliert beschrieben (siehe Literaturempfehlungen).
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
417
D-Glucose OH
H2C
O OH
HO
OH
OH
ATP Hexokinase/ Glucokinase ADP
Glucose-6-phosphat H2C
H2C
PhosphohexoseIsomerase
O HO
P
C O
H2C HO
OH OH
Fructose-1,6-bisphosphat
Fructose-6-phosphat
P
O
OH
H2C OH
Phosphofructokinase
O
OH
ATP
ADP
PhosphoglycerinaldehydDehydrogenase
P
O C HC
H2 C
C H
OH P
O
C H2C
Aldolase
OH O
P
Glycerinaldehyd-3-phosphat Phosphoglycerat-Kinase
NADH + H+
NAD+
NADH + H+
NAD+
Pi
ADP ATP ADP
3-Phosphoglycerat
O C
OH
HC
OH
H2C
O
ATP P
Phosphoglycerat-Mutase
2-Phosphoglycerat
O
OH C O
HC
P
OH
H2 C
H2O
Enolase
H2O Phosphoenolpyruvat
O
OH C C
O
P
C H2
ADP ATP
Pyruvat-Kinase Pyruvat
O
OH C CH3
9.5
O
C O
Lactat-Dehydrogenase
Die Reaktionsfolge der glykolytischen Kette
C
OH
HC CH3
Lactat
OH
OH
TriosephosphatIsomerase
O
H
P
O
HO
Aldolase
O
H2C
HO
HO
1,3-Bisphosphorglycerat
P
O
H2C
OH
C
O
H2C
O
P
Dihydroxyacetonphosphat
418
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
dern. Die Reaktionen der glykolytischen Kette sind grundsätzlich reversibel mit Ausnahme derer, die durch die Schlüsselenzyme katalysiert werden. In der glykolytischen Kette gibt es drei Schlüsselenzyme: die Glucokinase und die Phosphofructokinase im ersten und die Pyruvat-Kinase im zweiten Abschnitt. Die vielfältige Regulation dieser Enzyme wird im Zusammenhang mit der Regulation der Schlüsselenzyme der Gluconeogenese, die die Rolle von „Gegenenzymen“ haben, besprochen (Abschnitt 9.3.3.2).
9.3.2 Die Gluconeogenese ist zur Aufrechterhaltung der GlucoseHomöostase unerlässlich Die Verteilung der Glucose zwischen den Organen ist eine wichtige Aufgabe der Blutzirkulation. Eine ausgeglichene Nahrungszufuhr vorausgesetzt, beträgt die physiologische Konzentration der Glucose im Blut („Blutglucosespiegel“) 5 bis 6 mmol × L–1 (800 bis 1 200 mg × L–1). Bei Gesunden ist die Blutglucosekonzentration auffallend konstant, was in Anbetracht der Komplexität des Kohlenhydratstoffwechsels erstaunlich ist. Sinkt der Blutglucosespiegel unter 4 mmol × L–1 oder steigt er über 6,5 bis 7 mmol × L–1, so handelt es sich um die pathologische Stoffwechselsituation der Hypo- beziehungsweise Hyperglykämie. Zur Aufrechterhaltung der Blutglucosekonzentration tragen die alimentäre Glucosezufuhr als exogene Quelle und die endogene Glucoseproduktion bei. Tabelle 9.2 enthält eine Übersicht über die Glucose-liefernden und die Glucose-verbrauchenden Prozesse im Organismus des Menschen. Zwischen diesen gegenläufigen Prozessen besteht ein feinausgewogenes und durch unterschiedliche Kontrollsysteme abgesichertes Gleichgewicht. Es gehört zu den Hauptaufgaben der Leber die Glucoseversorgung der obligat auf Glucose angewiesenen Gewebe und Organe sicherzustellen, wenn keine Nahrung oder eine kohlenhydratfreie Nahrung aufgenommen wird und die begrenzten Glykogenreserven der Leber und des Muskels bereits verbraucht worden sind. Diese lebensnotwendige Syntheseleistung, zu der außer der Leber nur noch Teile der Niere befähigt
Tabelle 9.2: Bilanz Glucose-liefernder und Glucose-verbrauchender Prozesse Glucose-liefernd
g × Tag–1
exogene Quellen Nahrung
1)
Glucose-verbrauchend
g × Tag–1
obligat 300
Stoffwechsel von Nervengewebe, Nierenmark, Erythrocyten
200
fakultativ3)
endogene Quellen Glykogenolyse Leber2) Muskel2) Gluconeogenese
150 250 200
Stoffwechsel von Leber, Muskulatur, Fettgewebe, sonstige Gewebe
700
maximal:
900
maximal
900
1) bedarfsgerechte Mischkost; 2) bei maximal gefülltem Speicher; 3) je nach alimentärer Zufuhr
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
419
sind, wird als Gluconeogenese bezeichnet. Im engeren Sinne* versteht man unter Gluconeogenese die de novo-Synthese von Glucose aus Nicht-Kohlenhydrat-Vorstufen. Aufgrund ihrer Größe spielt die Leber eine wichtigere Rolle bei der Gluconeogenese als die Niere. Als gluconeogenetische Substrate benutzt die Leber das Lactat, das von der Muskulatur und von den Erythrocyten in größeren Mengen zur Verfügung gestellt wird, weiterhin das aus der Lipolyse stammende Glycerin und in großem Umfang die glucogenen Aminosäuren, die vor allem aus der Proteolyse in der Skelettmuskulatur stammen (Abschnitt 11.3). Es gibt drei Organsysteme, für die die Gluconeogenese von vitaler Bedeutung ist: das Nervengewebe, das Nierenmark und die Erythrocyten. Der Hauptanteil der in der Gluconeogenese de novo-synthetisierten Glucose dient – mit bis zu 150 g pro 24 Stunden – der Eneregieversorgung des Nervensystems, das auf die Glucose als Energiequelle angewiesen ist. Erst nach mehrtägigem Hungern stellt sich der Stoffwechsel des Gehirns auf die Verwertung von Ketonkörpern um (Abschnitt 9.5.1). Der Rest der endogen synthetisierten Glucose steht zur Energieversorgung der Erythrocyten und des Nierenmarks zur Verfügung. Beiden Geweben fehlen die Enzyme des Tricarbonsäurecyclus, beziehungsweise sie haben dort eine nur sehr geringe Aktivität. Bei der anaeroben Glykolyse entsteht in beiden Organen Lactat, das die Leber zur Gluconeogenese verwertet.
9.3.3 Die Schlüsselreaktionen von Glykolyse und Gluconeogenese werden durch verschiedene Enzyme katalysiert In Abbildung 9.6 sind die Reaktionsabläufe der glykolytischen und der gluconeogenetischen Kette gegenübergestellt. Wie die parallel verlaufenden Pfeile anzeigen, werden die meisten enzymatischen Schritte der Glykolyse mit umgekehrtem Vorzeichen auch von der Gluconeogenese benutzt. Drei Schritte der Glykolyse sind jedoch aus thermodynamischen Gründen quasi irreversibel: die Glucokinase (Hexokinase)-, die Phosphofructokinase- und die Pyruvat-Kinase-Reaktion. Wie bereits erwähnt, sind diese die Schlüsselenzyme der glykolytischen Kette. Die Änderung der freien Enthalpie, ΔG, dieser drei Reaktionen ist so negativ, dass ein Substratfluss in Richtung Gluconeogenese bei der in der Zelle vorkommenden Metabolitkonzentration nicht möglich ist. Diese Schritte müssen durch andere Enzyme, die Reaktionen mit anderen Gleichgewichtslagen katalysieren, umgangen werden. Diese Umgehungsreaktionen laufen ihrerseits nur bei der Gluconeogenese ab, die sie katalysierenden Enzyme sind gluconeogenetische Schlüsselenzyme. Das Vorhandensein einzelner irreversibler Schritte in sonst umkehrbaren Reaktionssequenzen hat durchaus einen biologischen Sinn. Würden der katabole und der anabole Weg durch einen vollkommen identischen Satz von Enzymen katalysiert, so wäre der Substratfluss allein durch die Massenwirkung determiniert und eine bedarfsgerechte Regulation der Richtung des Flusses wäre nicht möglich. Von Pyruvat als gluconeogenetischem Substrat ausgehend bedarf bereits der erste Schritt in die anabole Richtung einer Umgehungsreaktion, da die Pyruvat-KinaseReaktion irreversibel ist. Diese Umgehung besteht aus zwei enzymatischen Schritten, die in Abbildung 9.7 dargestellt sind. Im ersten Schritt wird das Pyruvat durch die Pyruvat-Carboxylase in einer Biotin- und ATP-abhängigen Reaktion in Oxalacetat umgewandelt. Im zweiten Schritt, den die Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase kata-
* Der Begriff wird gelegentlich auch im erweiterten Sinne verwendet, indem auch der Glykogenabbau einbezogen wird.
420
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Glucose Hexokinase/ Glucokinase
ATP
Pi
Glucose-6-phosphatase
H2O Glucose-6-phosphat
ADP
Fructose-6-phoshat Pi
ATP Phosphofructokinase
H2O ADP Fructose-1,6-bisphosphat
Fructose-1,6bisphosphatase
Dihydroxyacetonphosphat Glycerinaldehyd-3-phosphat NAD + Pi NADH + H+ 1,3-Bisphosphoglycerat ADP ATP 3-Phosphoglycerat
2-Phosphoglycerat – H2O
+ H2 O
Phosphoenolpyruvat
CO 2 GDP PhosphoenolpyruvatCarboxykinase
ADP
GTP
Pyruvat-Kinase
Oxalacetat
ATP
ADP Pyruvat
Pyruvat-Carboxylase CO2
9.6
ATP
Die Schlüsselenzyme der glykolytischen und der gluconeogenetischen Reaktionskette
lysiert, wird das Oxalacetat decarboxyliert. Gleichzeitig wird mittels GTP eine energiereiche Enolphosphat-Bindung in das Phosphoenolpyruvat eingeführt. Diese zweistufige Umgehungsreaktion wird dadurch kompliziert, dass sie auf zwei Zellkompartimente verteilt ist, wie dies Abbildung 9.8 zeigt. Das Pyruvat wird durch einen Monocarboxylat-Carrier in den mitochondrialen Matrix-Raum, den Lokalisationsort der Pyruvat-Carboxylase, befördert. Für das bei der Reaktion entstandene Oxalacetat existiert in der inneren Membran des Mitochondrions kein Transportsystem. Einen Teil des Oxalacetats reduziert die mitochondriale Malat-Dehydrogenase zu Malat, das durch den Dicarbonsäure-Carrier der mitochondrialen Membran in das
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
Pyruvat Carboxylase
Pyruvat –
O
O
421
Oxalacetat –
O
C
C
O
C
C
CH3
Phosphoenolpyruvat
ATP (Biotin)
ADP + Pi
O
–
C
C
O
O
O
O–
O
C
CH2
CO2 9.7
PhosphoenolpyruvatCarboxykinase
GTP
CO2
GDP
O
2–
PO 3
CH2
Umwandlung von Pyruvat in Phosphoenolpyruvat
Cytosol übertritt. Hier wird es durch die cytosolische Isoform der Malat-Dehydrogenase zu Oxalacetat dehydriert. Das Oxalacetat dient nun als Substrat für das zweite Enzym des Umgehungsweges, die Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase, das es in Phosphoenolpyruvat überführt. Zwei weitere Schlüsselenzyme der Gluconeogenese, die Fructose-1,6-Bisphosphatase und die Glucose-6-Phosphatase überbrücken die beiden Kinase-Reaktionen im ersten Teil der glykolytischen Kette. Beide Phosphatasen spalten den Phosphatrest von Glucose
PhosphoenolpyruvatCarboxykinase CO2
GDP
GTP Oxalacetat
Phosphoenolpyruvat
NADH + H+
Pyruvat-Kinase
Malat-Dehydrogenase c +
Pyruvat
CYTOSOL
T1
Malat C
NAD
Malat
MITOCHONDRION
NAD+ PyruvatCarboxylase
Malat-Dehydrogenase m
ADP + Pi
Pyruvat
CO2
CoA-SH + NAD
PyruvatDehydrogenase
NADH + H+ Oxalacetat
ATP
9.8
innere Membran des Mitochondrions
T2
Acetyl-CoA
T
= Transportsystem
NADH + H+
Kompartimentierung der Reaktionen zur Bildung von Phosphoenolpyruvat aus Pyruvat bei der Gluconeogenese T1 = Monocarboxylat-Carrier T2 = Dicarboxylat-Carrier
422
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
ihren Substraten – dem Fructose-1,6-bisphosphat beziehungsweise dem Glucose-6phosphat – hydrolytisch ab. Wie bereits in Abschnitt 1.2.2.1 erwähnt, ist die Glucose-6Phosphatase in die Membran des glatten endoplasmatischen Reticulums integriert. Durch Bindung des Glucose-6-phosphates an der cytosolischen Seite und Abgabe der Glucose in die Canaliculi ist eine vektoriell gerichtete Katalyse möglich und die freie Glucose gelangt unmittelbar in den Blutkreislauf. Die Glucose-6-Phosphatase ist nur in der Leber und der Niere – sowie mit geringer Aktivität in der intestinalen Mucosa – nachgewiesen. Nur diese Gewebe sind somit in der Lage, Glucose zur Versorgung anderer Organe zur Verfügung zu stellen. Die bei weitem wichtigste Rolle kommt hierbei der Leber zu. Die de novo-Synthese von Glucose erfordert, vom Pyruvat ausgehend 6 mol ATP pro mol Glucose. Auf dem Syntheseweg vom Pyruvat bis Glycerinaldehyd-3-phosphat muss bei drei Reaktionen je 1 mol ATP aufgewendet werden: bei der Pyruvat-Carboxylase, der Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase (in Form von GTP) und der Phosphoglycerat-Kinase. Da zur Glucosebildung je zwei Triosephosphate notwendig sind, ergeben sich also insgesamt 6 mol ATP pro mol de novo-synthetisierter Glucose. Es müssen also sechs energiereiche Phosphatverbindungen aufgewendet werden, um Glucose aus Pyruvat zu synthetisieren, während bei der Umwandlung von Glucose zu Pyruvat nur zwei Moleküle ATP entstehen.
9.3.3.1
Die Biosynthese der glykolytischen und gluconeogenetischen Schlüsselenzyme steht unter der Kontrolle von Hormonen und Signalmetaboliten
Wie in Abschnitt 1.3.1 grundsätzlich besprochen, wird der Intermediärstoffwechsel der Nährstoffe – neben anderen regulatorischen Maßnahmen – der aktuellen metabolischen Situation dadurch angepasst, dass die Menge von Enzymen variiert wird. Diese Kontrollmöglichkeit wird auch bei den Schlüsselenzymen der glykolytischen beziehungsweise gluconeogenetischen Kette genutzt. Die Induktion und Repression der Synthese dieser wenigen Enzymproteine macht es möglich, den Glucosestoffwechsel dem aktuellen Bedarf des Gesamtorganismus entsprechend zu lenken. Diese Art der Regulation ist – wie bereits erwähnt – dann sinnvoll, wenn eine längerfristige Adaptation erforderlich ist. Der Mechanismus der Induktion der Proteinbiosynthese ist in Abschnitt 1.3.1.1 detailliert beschrieben worden. Für die Induktion und Repression der glykolytischen und gluconeogenetischen Schlüsselenzyme kommen mehrere regulatorische Faktoren in Frage, die zu den Hormonen, den Signalmetaboliten und den Nährstoffen gehören und in Abbildung 9.9 erfasst sind. Die glykolytischen Schlüsselenzyme werden durch Insulin allein oder in Kombination mit Glucose induziert und durch cAMP reprimiert. Für alle vier gluconeogenetischen Schlüsselenzyme spielt das Insulin dagegen die Rolle eines Repressors. Induziert werden die Pyruvat-Carboxylase und die Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase durch cAMP und durch Glucocorticoide, die Fructose-1,6-Bisphosphatase und die Glucose6-Phosphatase allein durch die Glucocorticoide. Im Falle der Glucokinase übt das Insulin allein die induktive Wirkung aus, ohne auf Glucose angewiesen zu sein. Für die Induktion der Phosphofructokinase und der Pyruvat-Kinase ist neben dem Insulin auch die Glucose als Induktor notwendig. In der Promotorstruktur zumindest der Pyruvatkinase ist ein glucose-response-element gefun-
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
423
Insulin + Glucokinase
Glucose-6-phosphat
Insulin Glucocorticoide +
Fructose-6-phoshat Pi
ATP
H2O
ADP cAMP
Glucose-6-phosphatase
H2O
cAMP
Phosphofructokinase
+
Pi
ATP ADP
Insulin + Glucose +
Glucocorticoide
Glucose
Fructose-1,6bisphosphatase
Fructose-1,6-bisphosphat Insulin
cAMP, Glucocorticoide +
CO 2 GDP Phosphoenolpyruvat
Insulin + Glucose +
GTP
ADP
ADP
ATP Pyruvat
cAMP, Glucocorticoide +
Pyruvat-Carboxylase ATP CO2
9.9
Insulin
Oxalacetat
Pyruvat-Kinase
cAMP
PhosphoenolpyruvatCarboxykinase
Insulin
Regulation der glykolytischen und gluconeogenetischen Schlüsselenzyme durch Induktion und Repression
den worden. Welcher Metabolit der Glucose für die Induktion verantwortlich ist, ist nicht bekannt. Es wird angenommen, dass bei der Induktion der glykolytischen Schlüsselenzyme das Insulin auf der Ebene der Glucokinase die Hauptrolle spielt. Durch Induktion der Glucokinase werden – zumindest in der Leber – große Mengen an Glucose in die Zelle eingeschleust, wodurch sich der noch nicht identifizierte Glucosemetabolit anhäuft. Dieser dürfte schließlich für die Induktion der Phosphofructokinase und der Pyruvatkinase ausschlaggebend sein. Auf alle vier Schlüsselenzyme der Gluconeogenese, die Pyruvat-Carboxylase, die Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase, die Fructose-1,6-Bisphosphatase und die Glucose-6-Phosphatase übt das Insulin einen reprimierenden Effekt aus. Der molekulare Mechanismus dieser Wirkung ist nicht vollständig geklärt. Bekannt ist allerdings, dass der Promotor des Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase-Gens ein insulin-responsive-element enthält. Wie bereits lange bekannt, induzieren die als Insulin-Antagonisten geltenden Hormone – die Glucocorticoide, das Glucagon und die Catecholamine – die Schlüssel-
424
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
enzyme der Gluconeogenese. Die Glucocorticoide, die als lipophile Hormone intrazellulär lokalisierte Rezeptoren besitzen, interagieren direkt mit der DNA. Die Wirkung des Glucagons und der Catecholamine, deren Rezeptoren sich auf der Plasmamembran befinden, wird durch intrazelluäre second messenger vermittelt, sie wirken also indirekt. Die Promotoren der Gene der Pyruvat-Carboxylase, der Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase, der Fructose-1,6-Bisphosphatase und der Glucose-6-Phosphatase enthalten jeweils glucocorticoid-response-elements, die durch die Rezeptor-gebundenen Glucocorticoide aktiviert werden. Hierdurch wird die gesteigerte Transkription der Gene, die für diese Enzyme codieren, ausgelöst. Die Promotorregionen der Gene, die für die ersten beiden Schlüsselenzyme der Gluconeogenese – die Pyruvat-Carboxylase und die Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase – codieren, enthalten zusätzlich je ein cAMP-response-element. Zu diesem Element gehört ein DNA-Bindungsprotein, das als charakteristisches Motiv einen Leucin-Zipper enthält. Dieses Protein wird durch eine cAMP-abhängige Proteinkinase phosphoryliert und damit aktiviert. Die inaktivierende Dephosphorylierung katalysiert die Phosphoprotein-Phosphatase 1. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass auch weitere Hormone und auch Vitamine die Schlüsselenzyme der Glykolyse und Gluconeogenese im Sinne von Induktion und Repression regulieren. Dies lässt vermuten, dass die Strukturen der Promotoren außerordentlich komplex sind. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Insulin die Expression der Gene der glykolytischen Schlüsselenzyme stimuliert, die der gluconeogenetischen hemmt. Als echte Antagonisten des Insulins fungieren alle Hormone, die die cAMP-Konzentration in der Zelle erhöhen, da alle Insulin-stimulierbaren Gene durch cAMP reprimiert werden. Umgekehrt werden cAMP-reprimierbare Gene durch Insulin zur Expression des Genproduktes veranlasst. Die Menge der Schlüsselenzyme wird einerseits über die Genexpression mittels response-elements reguliert andererseits über die Änderung der Transkriptionsgeschwindigkeit mittels Beeinflussung der mRNA-Stabilität.
9.3.3.2
Auch allosterische Liganden tragen zur Regulation der Glykolyse und Gluconeogenese bei
Die allosterische Regulation der Enzymaktivität wurde in Abschnitt 1.3.2.5 ausführlich besprochen. Dieses Prinzip der kurzfristigen Steuerung der Enzymaktivität wird auch bei der gegenläufigen Regulation fast aller Schlüsselenzyme der Glykolyse und der Gluconeogenese angewendet. Eine Ausnahme bildet wahrscheinlich die Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase, bei deren Steuerung die Induktion beziehungsweise die Repression die dominierende Rolle spielt. Als allosterische Liganden fungieren sowohl einige Metaboliten der beiden Stoffwechselketten selbst als auch Verbindungen, die aus nachgeschalteten Prozessen stammen. Von besonderem Interesse als allosterischer Ligand ist das Fructose-2,6-bisphosphat (Fru-2,6-P2), das ausschließlich regulatorische Funktion hat, und insgesamt die Glykolyse fördert, dagegen die Gluconeogenese hemmt. Die Synthese und den Abbau dieses Regulatormetaboliten, die selbst geregelte Prozesse sind, zeigen die Abbildungen 9.10 und 9.11. Als Substrat zur Synthese von Fructose-2,6-bisphosphat dient das Fructose-6-phosphat, das der Glykolyse entnommen und mittels ATP in C-2-Stellung phosphoryliert wird. Für die hydrolytische Abspaltung dieses Phosphatrestes ist eine Phosphatase zuständig (Abbildung 9.10). Bei der Fructose-6-phosphat-2-Kinase (Fru-6-P-2-Kinase)
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
425
Fructose-6-phosphat --O PO C H 3 2
OH
O HO
CH2OH OH
Pi
ATP Fru-6-P2 Kinase
Fru-2,6-P2Phosphatase ADP
--O PO CH 3 2
H 2O
OPO 3--
O HO
CH2OH OH
Fructose-2,6-bisphosphat
9.10
Synthese und Abbau des regulatorischen Metaboliten Fructose-2,6-bisphosphat
Glucagon Catecholamine
Insulin
+
cAMP + Proteinkinase
Fru-6-P
ATP
ADP
Fru-6-P2-Kinase
Fru-2,6-P2
Fru-6-P Fru-2,6-P2Phosphatase
Pi
H2O
Phosphoproteinphosphatase-1
Fru-2,6-P2
9.11
Interkonvertierung von Fructose-6phosphat-2-Kinase und Fructose2,6-Bisphosphatase
426
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
und der Fructose-2,6-bisphosphat-Phosphatase (Fru-2,6-P2-Phosphatase) handelt es sich um ein und dasselbe Enzymprotein, das – wie dies in Abbildung 9.11 dargestellt ist – durch Interkonvertierung in die beiden Zustände – Kinase einerseits und Phosphatase andererseits – umgewandelt wird. Dieses bifunktionelle Enzym, oder Tandemenzym, besitzt eine N-terminale Regulatordomäne sowie eine Kinase- und eine Phosphatasedomäne. Die Interkonvertierung wird durch cAMP eingeleitet, dessen Entstehung durch Glucagon und/oder Catecholamine stimuliert wird. Die cAMP-abhängige Proteinkinase überträgt im aktivierten Zustand einen Phosphatrest vom ATP auf die Kinase, die dadurch zur Fructose-2,6-bisphosphat-Phosphatase interkonvertiert wird. Die Phosphoprotein-Phosphatase-1 spaltet hydrolytisch den Phosphatrest ab, wodurch das Enzymprotein seine Kinase-Aktivität wiedererlangt. Die durch die jeweilige Form des interkonvertierbaren Enzymproteins durchgehenden Pfeile zeigen die Reaktionen an, die das Enzym im betreffenden Zustand katalysiert. In Abbildung 9.12 sind die allosterischen Aktivatoren und Inhibitoren der Schlüsselenzyme der Glykolyse und Gluconeogenese erfasst. Wie bereits erwähnt, wird die Hexokinase durch das eigene Reaktionsprodukt, das Glucose-6-phosphat, rückkoppelnd gehemmt. Bei der Glucokinase ist dies nicht der Fall, so dass in der Leber das Einschleusen der Glucose in die Glykolyse proportional seiner Anlieferung durch das Portalblut erfolgt (Abschnitt 9.3.). Für die Glucokinase ist ein Regulatorprotein beschrieben worden, zu dessen Aktivierung eine erhöhte Fructose-6-phosphat-Konzentration notwendig ist. Die Bedeutung dieser Hemmung ist nicht vollständig geklärt. Die Aktivität des Gegenenzyms in der Gluconeogenese, der Glucose-6-Phosphatase, wird durch keinen allosterischen Liganden beeinflusst. Für die Regulation der Glykolyse ist die Phosphofructokinase das ausschlaggebende Enzym. Entsprechend zahlreich sind ihre allosterischen Aktivatoren und Inhibitoren. Als Aktivatoren fungieren ADP und AMP, als Inhibitor das ATP. Dies ist in Übereinstimmung mit der Annahme, dass der energetische Zustand der Zelle auf den Ablauf der Glykolyse rückwirkt (Abschnitt 5.2.1.2). In diesem Zusammenhang ist auch die inhibierende Wirkung des Citrats auf die Phosphofructokinase verständlich. Die physiologische Konzentration der genannten Aktivatoren und Inhibitoren wäre allerdings, insbesondere in der Leberzelle, nicht ausreichend, um den Substratfluss durch dieses wichtige regulatorische Enzym zu steuern. Hierzu bedarf es auch der viel potenteren aktivierenden Wirkung des regulatorischen Metaboliten, des Fructose-2,6-bisphosphates, dessen Bedeutung gerade im Zusammenhang mit der Aktivierung der Phosphofructokinase im Hepatocyten entdeckt worden ist. Das Gegenenzym der Phosphofructokinase in Richtung Gluconeogenese, die Fructose-1,6-Bisphosphatase, wird durch AMP gehemmt. In der Leber wird dieses Enzym zusätzlich besonders durch das Fructose-2,6-bisphosphat inhibiert. Beide allosterischen Liganden, die die Phosphofructokinase fördern, hemmen also das Gegenenzym. Wie bei der Besprechung der Regulation der Interkonvertierung der Fructose-6-phosphat-2-Kinase und der Fructose-2,6-Bisphosphatase gezeigt wurde, kommt bei diesem Kreisprozess der cAMP-Konzentration eine Schlüsselrolle zu. Vor dem Hintergrund der Wichtigkeit des Fructose-2,6-bisphosphats als allosterischer Ligand für die beiden Schlüsselenzyme der Glykolyse und der Gluconeogenese wird die Bedeutung des intrazellulären cAMP-Spiegels für die Regulation der Stoffwechselketten verständlich: Bei hoher cAMP-Konzentration ist die Fructose-2,6-Bisphosphatase aktiv, Fructose2,6-bisphosphat wird abgebaut und die Gluconeogenese ist bevorzugt. Bei niedrigem cAMP-Spiegel ist die Fructose-6-phosphat-2-Kinase aktiv, es wird Fructose-2,6-bis-
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
Hexokinase
427
Glucose Pi
ATP G-6-P Glucokinase
ADP
Glucose-6-Phosphatase
H2O Glucose-6-phosphat
F-6-P abhängiges Regulatorprotein ADP
AMP Fru-2,6-P2 +
+
Fructose-6-phosphat
+
Phosphofructokinase
Pi
ATP ADP
Citrat
ATP
H2O
Fructose-1,6Bisphosphatase
Fructose-1,6-bisphosphat AMP
Fru-2,6-P2
CO 2
+
GDP PhosphoenolpyruvatCarboxykinase
Phosphoenolpyruvat
Fru-1,6-P2 ADP
GTP Oxalacetat
Pyruvat-Kinase ATP ATP
Acetyl CoA
Alanin
9.12
ADP Acetyl CoA +
Pyruvat ATP CO2
Pyruvat-Carboxylase
Regulation der Aktivität der glykolytischen und gluconeogenetischen Schlüsselenzyme durch allosterische Liganden
phosphat synthetisiert und die Glykolyse gefördert. Da bekanntlich die intrazelluläre Konzentration des cAMP unter der Kontrolle des Insulins beziehungsweise des Insulinantagonistisch wirksamen Glucagons sowie der Catecholamine steht, wird verständlich, warum Insulin die Glykolyse fördert und die Gluconeogenese unterdrückt. Das letzte Schlüsselenzym der Glykolyse, die Pyruvat-Kinase, wird im Gegensatz zur Phosphofructokinase nicht durch das Fructose-2,6-bisphosphat, sondern durch das Fructose-1,6-bisphosphat allosterisch aktiviert. Die Anhäufung dieses Metaboliten fördert den Substratfluss durch die Pyruvatkinase direkt. Auch die Pyruvat-Kinase wird durch ATP allosterisch gehemmt, indem die Affinität zu ihrem Substrat, dem Phosphoenolpyruvat, abnimmt. Ferner hemmt auch das Acetyl-CoA in höherer Konzentration die Pyruvat-Kinase. Hemmende Acetyl-CoA-Konzentrationen treten dann auf,
428
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
wenn der Tricarbonsäurecyclus mit Acetyl-CoA ausreichend versorgt ist und damit reichlich ATP produziert wird. In einer derartigen Stoffwechselsituation ist eine weitere Gewinnung von ATP aus der Glykolyse überflüssig. Eine weitere Möglichkeit der Regulation der Pyruvat-Kinase sei noch erwähnt, obwohl sie primär nicht durch allosterische Liganden erfolgt. Als einziges Schlüsselenzym der glykolytisch/gluconeogenetischen Ketten wird die Pyruvat-Kinase der Leber interkonvertiert, indem sie durch die cAMP-abhängige Proteinkinase phosphoryliert und damit weitgehend inaktiviert wird. Die phosphorylierte Pyruvatkinase hat eine höhere Affinität für ihr Substrat Phosphoenolpyruvat und für ihre allosterischen Inhibitoren ATP und Alanin, während ihre Affinität zu ihrem allosterischen Aktivator Fructose-1,6-bisphosphat erniedrigt ist. Die Enzyme der Umgehungsschleife, ausgehend vom Pyruvat in Richtung Gluconeogenese, werden, wie in Abschnitt 9.3.3.1 besprochen, eher durch die induktive Wirkung des cAMP als durch allosterische Effekte gesteuert. Lediglich die Pyruvat-Carboxylase wird durch das Acetyl-CoA allosterisch aktiviert. Dies ist weniger für die Gluconeogenese als für den Tricarbonsäurecyclus von Bedeutung, der als Partner für die Citratsynthese Oxalacetat benötigt und zwar umso mehr, je mehr Acetyl-CoA vorhanden ist. Insgesamt ergibt sich, dass die Schlüsselenzyme der Glykolyse und Gluconeogenese sowohl auf der Ebene der Induktion und Repression als auch auf der Ebene der allosterischen Aktivierung und Hemmung reziprok reguliert werden: Dieselben Faktoren, die die Glykolyse fördern, drosseln die Gluconeogenese. Dadurch werden LeerlaufCyclen (futile cycles) vermieden, bei denen zur gleichen Zeit Glucose synthetisiert und abgebaut wird, was einer Verschwendung biologischer Energie gleichkäme.
9.3.4 Die aerobe Verwertung der Glucose führt über das Acetyl-CoA Wie in Abschnitt 5.2 ausführlich dargelegt, wird in jenen Organen, deren Zellen mit Mitochondrien ausgestattet sind, der überwiegende Teil der biologischen Energie über den oxidativen Abbau der Nährstoffe gewonnen. Zu diesen Organen gehört auch die Leber. Mengenmäßig trägt die oxidative Verwertung der Kohlenhydrate, vor allem der Glucose, den Hauptanteil an der aeroben Gewinnung biologischer Energie. Das Bindeglied zwischen der Glykolyse und dem Tricarbonsäurecyclus ist das Pyruvat. Es ist, wie in Abschnitt 9.3.1 gezeigt, das Endglied der glykolytischen Kette, wenn dieser Stoffwechselweg unter aeroben Bedingungen abläuft, wenn also das Pyruvat nicht zu Lactat reduziert wird*. Die Umwandlung des Pyruvats in die „aktivierte Essigsäure“, das Acetyl-CoA, erfolgt durch eine mehrstufige dehydrierende Decarboxylierung des Pyruvats. Die Reaktionsfolge wird von einem Multienzymkomplex, dem Pyruvat-DehydrogenaseKomplex, (PDH-Komplex), katalysiert, der mit einer molaren Masse von 4 × 103 kDa sehr groß ist. Der Pyruvat-Dehydrogenase-Komplex ist intramitochondrial lokalisiert. Das im Cytosol gebildete Pyruvat wird durch einen Symporter zusammen mit H+ über die innere Membran des Mitochondrions in den Matrixraum befördert. Die praktisch nicht umkehrbare Reaktionsfolge, die von Pyruvat zu Acetyl-CoA führt, ist in Abbildung 9.13 *
Gelegentlich – und nicht ganz zutreffend – wird die Überführung des Pyruvats in Acetyl CoA ebenfalls zur glykolytischen Kette gerechnet.
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
Pyruvat O
CH3 C
N+
C
C
C
429
CH3
Carbanion des Thiamindiphosphats
S
C O
–
O
PyruvatDecarboxylase
+
C
N
CH3 HO C
CH3
C
C S
C O
O
CO2 N
Hydroxyethylthiamin- P-P
C
CH3 HO C
CH3
CH3 H O C
C
C
N+
C
C
CH 3
C S
S
(CH2(4
S CH S CH2
CH2
C
NAD+
FADH2
S-Acetylhydrolipoylenzym
Enzym
O
CH3 O
C
(CH2(4
S CH HS CH2
CH2
C
Enzym
O
NADH + H+
FAD
LipoatTransacetylase
HS CoA
CH3 O
C
S CoA
SH
HS
(CH2(4
CH CH2
CH2
C
Enzym
O
DihydrolipoatDehydrogenase
Acetyl-CoA 9.13
Dehydrierende Decarboxylierung des Pyruvats durch den Pyruvat-Dehydrogenase-Komplex
dargestellt. Bei den grau unterlegten „Enzymen“ handelt es sich um die katalytische Aktivität einzelner Komponenten des Pyruvat-Dehydrogenase-Komplexes und nicht um einzelne isolierte Enzymproteine. Die Funktionen der vier Komponenten des Multienzymkomplexes – E1, E2, E3 und X – sind in Tabelle 9.3 aufgelistet. Im ersten Teil der Reaktionsfolge kommt es zur Decarboxylierung des Pyruvats. Hierzu ist Thiamindiphosphat* (Thiaminpyrophosphat; Abschnitt 4.4.2.1) als Coenzym notwendig, das als stark reaktionsbereites Carbanion in die Reaktion eintritt. Die *
In der Abbildung ist nur der für die Reaktion notwendige Thiazolring des Thiamins dargestellt.
430
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 9.3: Komponenten des Pyruvat-Dehydrogenase-Komplexes Komponente
Anzahl der Untereinheiten pro Enzymkomplex
Funktion
E1-Tetramer
20-30
Geschwindigkeitsbestimmend
α-Untereinheit
2 pro Komponente
Träger des Thiamindiphosphates
β-Untereinheit
2 pro Komponente
Träger der Phosphorylierungsstellen
E2-Kernenzym
60
Träger von 2 Lipoatresten
E3
6
Träger von FAD
X
6
Träger von 1 Lipoatrest
PDH-Kinase
Inaktiviert durch Phosphorylierung an α UE des E1
PDH-Phosphatase
Aktiviert durch Dephosphorylierung
PDH = Pyruvat-Dehydrogenase
Carbonylgruppe des Pyruvats wird an das dem N+-benachbarten C-Atom angelagert. Es kommt zu einer Elektronenverschiebung, bei der der Thiazolring als Elektronenakzeptor fungiert. Dieser stabilisiert die Bildung einer negativen Ladung, die zur Decarboxylierung notwendig ist. Durch Protonierung entsteht das Hydroxyethylthiaminpyrophosphat. Es kommt zur Abspaltung des CO2, wobei der Hydroxyethylrest des Pyruvats als „aktives Acetaldehyd“ am Thiamindiphosphat gebunden bleibt. Im nächsten Schritt tritt enzymgebundene Liponsäure in dehydrierter Form in die Reaktionsfolge ein. Der an Thiamindiphosphat gebundene Hydroxyethylrest wird zum Acetylrest dehydriert und auf die Liponsäure übertragen. Gleichzeitig dient die Liponsäure als Akzeptor des Elektronenpaares, das bei der Dehydrierung frei geworden ist. Der Thioester des S-Acetylliponamids stellt eine energiereiche Verbindung dar. Im dritten Schritt wird mittels der Lipoat-Transacetylase die Acetylgruppe des Acetylliponamids auf Coenzym A übertragen, wobei Acetyl-CoA entsteht. Für die Dehydrierung des reduzierten Lipoats ist die Dihydrolipoat-Dehydrogenase-Aktivität zuständig. Dieses FAD-haltige Enzym kann – im Gegensatz zu anderen Flavoenzymen – seine Reduktionsäquivalente auf NAD+ übertragen, da sein Redoxpotential negativer ist als das des NAD+/NADH-Systems. Da die dehydrierende Decarboxylierung des Pyruvats die Schlüsselreaktion des gesamten Energiestoffwechsels ist, muss der Aktivitätszustand der Pyruvat-Dehydrogenase dem jeweiligen Bedarf angepasst werden. Dabei wird die Pyruvat-Dehydrogenase hauptsächlich über die Interkonvertierung des Multienzymkomplexes durch Phosphorylierung und Dephosphorylierung reguliert (Abbildung 9.14). Die dephosphorylierte Pyruvat-Dehydrogenase ist die aktive, die phosphorylierte Pyruvat-Dehydrogenase die inaktive Form.
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
Mg H2O
+
2+
431
Ca 2+ Pi
+
Phosphatase
Phospho-PDH inaktiv
Dephospho-PDH aktiv NADH Acetyl-CoA
Kinase ADP
9.14
Pyruvat PPi Phosphatase ADP
ATP
Regulation des Pyruvat-Dehydrogenase-Komplexes durch Interkonvertierung
Eine spezifische Kinase phosphoryliert sequentiell drei Serylreste der α-Untereinheit der E1-Komponente. Eine spezifische Phosphatase ist, genauso wie die Kinase, Bestandteil des Multienzymkomplexes. Die Kinase wird durch Pyruvat, ADP und Pyrophosphat gehemmt, die Phosphatase durch Mg2+ und Ca2+ aktiviert. Acetyl-CoA und NADH hemmen allosterisch die katalytische Aktivität der dephosphorylierten PyruvatDehydrogenase. Es ist evident, dass, wie in allen vergleichbaren Fällen, sowohl die Kinase als auch die Phosphatase im Endeffekt durch den intrazellulären cAMP-Spiegel und damit durch das Wechselspiel zwischen dem Insulin und den Insulin-Antagonisten gesteuert wird. Der Katabolismus der Kohlenhydrate ist nicht die einzige Möglichkeit zur Gewinnung von Acetyl-CoA. Auch der Abbau der Fettsäuren, sonstiger Lipide, aber auch einiger Aminosäuren liefert „aktivierte Essigsäure“, deren Entstehung an entsprechender Stelle weiter berücksichtigt wird.
9.3.5 Die Leber speichert Glucose in Form von Glykogen Es wurde bereits öfters darauf hingewiesen, dass das Anlegen von Nährstoffspeichern auch für den Menschen lebensnotwendig ist. Das Homoglykan Glykogen ist das Reservekohlenhydrat des menschlichen Organismus. Neben der Skelettmuskulatur (Abschnitt 11.2.2) stellt die Leber den wichtigsten Glykogenspeicher dar. Entsprechend der Stoffwechsellage wird Glykogen synthetisiert oder zur Glucoseversorgung des Gesamtorganismus abgebaut. Die maximale Glykogenkonzentration der menschlichen Leber beträgt 100 g pro kg Gewebe, was einer Gesamtmenge von 150 g entspricht. Der Glykogengehalt der Leber hängt sehr stark vom Ernährungszustand ab. Kurz nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit ist die maximale Speicherkapazität erreicht, bereits nach einer Nahrungskarenz von 12 bis 18 Stunden ist die Leber fast glykogenfrei.
432
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Das Glykogen ist ein sehr großes verzweigtes Polysaccharid-Molekül, dessen Molekülmasse zwischen 103 und 1,6 × 104 kDa schwankt. Bei schonender Isolierung des Glykogens stellt man fest, dass das riesige Molekül aus Glucose-Einheiten stets auch kleinste Mengen an Protein enthält, das vom „Startermolekül“ Glykogenin stammt. Die Synthese des Glykogens, die in Abbildung 9.15 dargestellt ist, geht von Glucose6-phosphat aus, das durch eine intramolekulare Umlagerung des Phosphatrestes, die die Phosphoglucomutase katalysiert, in Glucose-1-phosphat umgewandelt wird. Als Glucose-6-phosphat Phosphoglucomutase H2C
OH O
OH
HO
Glucose-1-phosphat –– UTP OPO3
OH
Glc-1- P Glucose-1-phosphat UTP-Transferase O
H2C
HN
OH O
OH
HO
–
O
O O
O
P
O
N
CH2
O
O
OH
O
–
P
UDP-Glucose + PPi
O
OH H2C
OH
OH
H2C
OH
O HO
O
OH
OH
O
O
OH
(Glucose)n oder Glykogenin
OH
Starterglykogen
UDP
Glykogen-Synthase
H2C
OH
H2C O
HO
OH
H2C
OH
O O
OH
OH
OH
O O
OH
OH
Glykogen 9.15
Synthese des Glykogens durch Kettenverlängerung
O OH
(Glucose)n oder Glykogenin
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
433
Zwischenprodukt der Reaktion tritt Glucose-1,6-bisphosphat auf. Das Enzym Glucose1-phosphat-UTP-Transferase katalysiert die Synthese der UDP-Glucose aus Glucose1-phosphat und UTP. Dabei kommt es zwischen dem Phosphatrest des Glucose-1-phosphates und dem α-Phosphat des UTP zur Knüpfung einer Phosphorsäureanhydrid-Bindung. Das β- und γ-Phosphat des UTP werden als Pyrophosphat mittels unspezifischer Pyrophosphatasen abgespalten. Hierdurch wird das Gleichgewicht der Reaktion in Richtung Glykogensynthese verschoben. Die UDP-Glucose stellt eine aktivierte Form der Glucose dar. Die aktivierte UDP-Glucose wird anschließend auf ein Startermolekül übertragen. Bei Verlängerung einer bereits vorhandenen Glykogenkette spielt diese die Rolle des Starterglykogens. Wird die Synthese eines neuen Glykogenmoleküls begonnen, dient das Protein Glykogenin als Startermolekül. Nach neueren Untersuchungen ist das Glykogenin eine Untereinheit der Glykogen-Synthase. Das Glykogenin wird von der Glykogen-Initiator-Synthase an Tyrosylresten glykosyliert, und die Kette wird dann durch dasselbe Enzym verlängert. Die Oligosaccharidketten am Glykogenin dienen dann als Starter für die Glykogensynthese. Die Glykogen-Synthase ist das Schlüsselenzym der Glykogensynthese. Sie überträgt Glykosylreste von der UDP-Glucose auf bereits vorhandene Ketten in α1 → 4-glykosidischer Bindung, wodurch das Glykogenmolekül um je eine Glucose-Einheit verlängert wird. Hat die Kettenlänge 6 bis 11 Glucose-Einheiten erreicht, entsteht eine Verzweigungsstelle. Wie in Abbildung 9.16 dargestellt, wird dieser Vorgang durch die Amylo-1,4 → 1,6-Transglykosylase – auch branching enzyme genannt – katalysiert. Das Enzym überträgt einen aus 6 bis 11 Glucoseresten bestehenden Kettenteil von der 1,4-glykosidisch verknüpften Kette – unter Knüpfung einer 1,6-glykosidischen Bindung – auf eine benachbarte Kette. Durch diese Art der Übertragung kommt es zu der typischen, ebenfalls in Abbildung 9.16 dargestellten, „baumartigen“ Verzweigung der Glykogenkette. Mit Ausnahme der Phosphoglucomutase-Reaktion ist die Glykogensynthese nicht umkehrbar. Den Abbau des Moleküls katalysieren andere Enzyme. Der Abbau beginnt mit der Abspaltung einzelner Glucosereste vom nicht-reduzierenden Ende der „Glykogenzweige“. Es handelt sich um eine phosphorylytische Spaltung mittels Phosphorsäure, von der ein Phosphatrest auf das C1-Atom der Glucose übertragen wird, so dass Glucose-1-phosphat entsteht. Die Glykogen-Phosphorylase, die diese Reaktion katalysiert, ist das Schlüsselenzym der Glykogenolyse. Der Abbau des Glykogens durch die Phosphorylase stoppt vier Glucosereste vor einer Verzweigungsstelle. Der weitere Abbau wird an dieser Stelle durch eine Transglykosylase, die α(1,4) → α(1,4) Glucantransferase, fortgesetzt, die ein Trisaccharid aus drei Glucoseeinheiten ablöst und diese auf eine andere Kette in 1 → 4-Bindung überträgt. Es entsteht so ein längeres, durch die Phosphorylase spaltbares Stück. Am Verzweigungspunkt ist nun ein 1 → 6 glykosidisch gebundenes Glykosylrest übrig. Diese wird durch die Amylo-1,6-Glucosidase, das debranching enzyme, hydrolytisch als freie Glucose abgespalten. Bedingt durch das Vorhandensein der 1 → 6-Bindungsstellen entstünden theoretisch bei vollständiger Glykolyse etwa 10 % freie Glucose. Ein derartiger Abbau bis zur Stufe des Glykogenins dürfte jedoch kaum vorkommen.
434
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
A
1 1
4-glykosidische Bindung 6-glykosidische Bindung
Glucosemoleküle neue1 6 Bindung
neue GlucoseMoleküle
Branchingenzyme
GlykogenSynthase
B
Phosphorylase Glucosemoleküle 1 4-glykosidische Bindung 1 6-glykosidische Bindung
9.16
GlucanTransferase
Debranchingenzyme
C
Entstehung und Abbau der Verzweigungsstellen des Glykogenmoleküls A. Effekt des branching enzyme; B. Effekt des debranching enzyme; C. Verzweigtes Glykogenmolekül
9.3.5.1
Synthese und Abbau von Glykogen werden durch Interkonversion und allosterische Modulation der Schlüsselenzyme reguliert
Die Aufrechterhaltung des Glykogenspeichers ist für den Organismus von gleicher zentraler Bedeutung wie die bedarfsgerechte Mobilisierung dieser Kohlenhydratreserve. Anabolismus und Katabolismus des Glykogens unterliegen daher einer genau abgestimmten reziproken Regulation. Einziges Schlüsselenzym des Glykogenaufbaus ist die Glykogen-Synthase. Sie kommt in einer aktiven, als Glykogen-Synthase a bezeichneten, und einer inaktiven,
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
435
Glykogen-Synthase b genannten Form vor. Die aktive Synthase a ist nicht phosphoryliert, im Gegensatz zur Synthase b, die mehrere Phosphatreste trägt. Diese im Endeffekt einfache Tatsache wird dadurch kompliziert, dass es sich sowohl bei der Phosphorylierung als auch der Dephosphorylierung des Enzymproteins um Prozesse handelt, die selbst einer komplexen Regulation unterliegen (Abbildung 9.17). Die Glykogen-Synthase hat insgesamt 9 Serylreste, die durch mindestens 6 verschiedene Proteinkinasen phosphoryliert werden können. Besonders bedeutend unter diesen sind die cAMP-abhängige Proteinkinase A und die Glykogen-Synthase-Kinase 3. Durch Phosphatübertragung auf vier spezifische Serylreste bewirkt letztere eine fast vollständige Abnahme der Aktivität der Synthase. Die Aktivierung der Glykogen-Synthase geschieht durch Abspaltung der Phosphatreste durch die Phosphoprotein-Phosphatase-1. Auch dieses Enzym hat eine aktive und eine inaktive Form. Die Inaktivierung wird dadurch erzielt, dass die PhosphoproteinPhosphatase-1 mit einem spezifischen Inhibitor einen Komplex bildet. Um die Kaskade noch feiner zu steuern und damit noch komplexer zu machen: Das Inhibitorprotein wird auch selbst durch die cAMP-abhängige Proteinkinase phosphoryliert und damit aktiviert, während die nicht phosphorylierte b-Form inaktiv ist. Die Glykogen-Phosphosphorylase ist das Schlüsselenzym des Glykogenabbaus. Auch dieses Enzym existiert als aktive Phosphorylase a, die phosphoryliert ist, und als inaktive Phosphorylase b, die nicht phosphoryliert ist. Die Tatsache, dass das anabol wirksame Schlüsselenzym in der nicht phosphorylierten Form, das katabol wirksame dagegen in der phosphorylierten Form katalytisch aktiv ist, ist die Grundlage der reziproken Regulation der beiden gegenläufigen Prozessfolgen. Für die Phosphorylierung – und damit Interkonversion der inaktiven Glykogen-Phosphorylase b zur aktiven Phosphorylase a – ist die Phosphorylase-Kinase verantwortlich. Auch diese Kinase kommt in einer aktiven – an einem Serylrest phosphorylierten – GLYKOGEN-SYNTHASE a dephosphoryliert, aktiv sonstige Proteinkinasen
ATP
ADP 2C 2R Proteinkinase A aktiv
Pi
H2O
Glykogen-Synthase b phosphoryliert, inaktiv
aktive PhosphoproteinPhosphatase-1 dephosphoryliert
cAMP Proteinkinase A inaktiv R2 C2
Pi
PhosphoproteinPhosphatase-1Inhibitor a ATP
9.17
H2O
PhosphoproteinPhosphatase-1Inhibitor b
R = regulatorische Untereinheit der Proteinkinase A C = katalytische Untereinheit der Proteinkinase A
Regulatorische Kaskade der Glykogen-Synthase
inaktive PhosphoproteinPhosphatase-1 (komplexiert mit PhosphoproteinPhosphatase-1Inhibitor)
ADP
436
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Form vor und einer inaktiven, nicht phosphorylierten. Die Übertragung des Phosphatrestes auf die Phosphorylase-Kinase katalysiert eine relativ unspezifische cAMP-abhängige Proteinkinase A. Die mehrstufige Interkonversion der Glykogen-Phosphorylase ist in Abbildung 9.18 dargestellt. Die Abspaltung des Phosphatrestes beider Kinasen – was zu ihrer Inaktivierung führt – katalysiert auch in diesem Falle die Phosphoprotein-Phosphatase-1. Wie bereits im Zusammenhang mit der Interkonversion der Glykogen-Synthase besprochen und in Abbildung 9.17 gezeigt, wird dieses Enzym ebenfalls in mehreren Stufen geregelt. In Abbildung 9.19 ist die reziproke Regulation der Glykogensynthese und des Glykogenabbaus zusammenfassend in vereinfachter Form dargestellt. Am Beginn der Interkonversionskaskade steht sowohl beim anabolen als auch beim katabolen Prozess die cAMP-abhängige Proteinkinase A. Wie bereits in Abschnitt 1.1.3.6 detailliert besprochen, ist diese Proteinkinase eines der Enzyme, die das Signal des second messengers cAMP an weitere intrazelluläre Enzyme vermitteln. Somit spielt das cAMP – beziehungsweise spielen die Hormone, die die Adenylat-Cyclase G-Protein-vermittelt aktivieren – die Rolle eines Initialzünders für die gesamte regulatorische Kaskade. Diese Hormone sind beim Hepatocyten das Glucagon und die Catecholamine. Das Insulin hat die Funktion eines Gegenspielers, indem durch die Aktivierung der Phosphodiesterase der cAMP-Spiegel der Zelle herunterreguliert wird. Für die Glykogensynthese bedeutet dies, dass sie gefördert wird, während die Mobilisierung des Glykogendepots zu gleicher Zeit gestoppt ist. Zweifelsohne ist die Interkonversion der Schlüsselenzyme der Hauptmechanismus zur Regulation des Glykogenstoffwechsels. Dennoch spielen auch einige allosterische Liganden bei der Regulation der Aktivität dieser Enzyme eine Rolle. Die GlykogenSynthase b, die an sich kaum aktiv ist, wird durch physiologische Konzentrationen von AMP, ADP und ATP vollständig inaktiviert. Die dimere Glykogen-Phosphorylase b kann durch AMP aus der inaktiven T-Form in die katalytisch aktive R-Form übergeführt werden (Abschnitt 1.3.2.5). ATP und Glucose-6-phosphat stabilisieren dagegen die inaktive Phosphorylase b. Dieses bedeutet: Wenn der energetische Zustand der Zelle zufriedenstellend ist, wird der Abbau des Glykogens gedrosselt. Ebenfalls sinnvoll erscheint es, dass Glucose in hoher Konzentration zur allosterischen Inaktivierung der Phosphorylase a führt. Phosphorylasekinase b dephosphoryliert, inaktiv ATP 2C 2R Proteinkinase A aktiv
Pi aktive PhosphoproteinPhosphatase-1
Ca2+ ADP
H2 O
Phosphorylasekinase a phosphoryliert, aktiv
cAMP
Glykogen-Phosphorylase b dephosphoryliert, inaktiv ATP
Proteinkinase A inaktiv R2 C2 R = regulatorische Untereinheit der Proteinkinase A C = katalytische Untereinheit der Proteinkinase A
9.18
Regulatorische Kaskade der Glykogen-Phosphorylase
Pi aktive PhosphoproteinPhosphatase-1
ADP
H2 O
GLYKOGEN-PHOSPHORYLASE a phosphoryliert, aktiv
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
+
437
Adenylat-Cyclase
Catecholamine Glucagon
ATP +
Proteinkinase A inaktiv
+ ADP
+
3´,5´-cAMP
Proteinkinase A aktiv
+
ATP
ADP ATP
Phosphorylasekinase aktiv
Glykogen GlykogenSynthase inaktiv
P-Pi
GlykogenSynthase aktiv
Phosphorylasekinase inaktiv
Pi ADP
+ ATP
Pi
Pi GlykogenGlykogenPhosphorylase Phosphorylase inaktiv aktiv Pi Glucose-1- P
9.19
Reziproke Regulation der Glykogensynthese und des Glykogenabbaus
9.3.6 Der Abbau der Galactose findet ebenfalls in der Leber statt Die Aldohexose Galactose wird als Nahrungskohlenhydrat fast ausschließlich in Form von Lactose mit der Milch zugeführt. Glykolipide und Glykoproteine enthalten zwar auch Galactose, ihre Menge ist jedoch quantitativ unbedeutend. Die Lactose oder Milchzucker, ein aus β-Galactose und α- oder β-Glucose β-1,4-glykosidisch aufgebautes Disaccharid, wird im Darm durch die Lactase in ihre Monomere gespalten (Abschnitt 7.6.1). Über das Pfortaderblut gelangt die Galactose in die Leber. Nach Aufnahme in die Hepatocyten mittels der Monosaccharid-Transporter GLUT 2 und GLUT 3 wird die Galactose durch die spezifische Galactokinase mittels ATP in Galactose-1-phosphat umgewandelt. Eine weitere Aktivierung des Monosaccharids erfolgt durch Umwandlung in Uridyldiphosphat-Galactose. Wie Abbildung 9.20 zeigt, überträgt hierbei die Galac-
438
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
CH2OH
CH2OH
O OH
HO
OH
OH H
OH H
OH
OH
Galactose
ADP
O OH O
H
H
ATP
CH2OH
O
HO
Lactose
Galactokinase
Galactose-1- P
OH
UDP Glucose
UDP-Galactose
9.20
UDP Glucose UDP-Galactose4-Epimerase
Galactose-1- P Uridyltransferase UDP-Glucose
Heteroglykane
Glucose-1- P
GlykogenSynthase Glykogen
Stoffwechsel der Galactose
tose-1-phosphat-Uridyltransferase den Uridylrest von UDP-Glucose, die auch bei der Synthese des Glykogens entsteht (siehe Abbildung 9.15), auf das Galactose-1-phosphat. Die UDP-Galactose-4-Epimerase wandelt die UDP-Galactose durch Epimerisierung am C-4 in UDP-Glucose um, die in dieser Form direkt der Glykogensynthese dient und damit dem Glucosestoffwechsel zur Verfügung steht. Die Epimerase-Reaktion ist umkehrbar. Damit kann auch aus UDP-Glucose UDP-Galactose entstehen. Galactose ist Bestandteil einer Reihe von Heteroglykanen, weshalb ihre endogene Synthese stets notwendig ist, wenn die Nahrung keine Lactose enthält. Weiterhin dient die UDP-Galactose zur Synthese von Lactose in der laktierenden Milchdrüse, die die LactoseSynthase katalysiert. Die Aktivität dieser Synthase steht unter hormoneller Kontrolle. Der Abfall der Progesteronsekretion unmittelbar vor der Geburt enthemmt die katalytische Aktivität des Enzyms und ermöglicht die Lactose-Synthese.
9.3.7 Die Fructose ist als Bestandteil der Saccharose ein bedeutendes Kohlenhydrat der menschlichen Ernährung Die Ketohexose D-Fructose kommt in nur geringen Mengen in süßen Früchten und in Honig vor. Die eigentliche Fructosequelle in der Ernährung des Menschen ist die Saccharose. Dieses, aus je einem Molekül α-D-Glucose und β-D-Fructose aufgebaute, Disaccharid macht einen erheblichen Anteil der Nahrungskohlenhydrate aus. Die Spaltung der Saccharose durch membrangebundene Disaccharidasen des Dünndarms und die Aufnahme des Spaltproduktes Fructose durch GLUT 5 in die intestinale Epithelzelle wurde in Abschnitt 7.6.1 besprochen. Aus dem Pfortaderblut gelangt die Fructose mit dem GLUT 2-Transporter in den Hepatocyten. Zu einer effizienten Metabolisierung der Fructose ist nur die Leber befähigt, da nur sie die Fructose ohne vorherige Umwandlung in Glucose abbauen kann. Die für die Aktivierung der Fructose notwendige Phosphorylierung zu Fructose-1-phosphat katalysiert eine spezifische Fructokinase (Abbildung 9.21). Diese Kinase wird weder durch
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
439
CH2OH OH
O
Glucose-6- P
HO
H
PhosphohexoseIsomerase
H
ADP
ATP
HO
Fructose-6- P ATP
Fructose1,6-bisPhosphatase
H
β -D-Fructose
Hexokinase
Pi
CH2OH
ATP Fructokinase
PFK ADP
ADP
ADP
ATP
Fructose-1- P
Fructose-1,6-bis- P 1-Phosphofructokinase
Aldolase B
Dihydroxyaceton- P NADH + H+
α-Glycero- P Dehydrogenase
NAD+
α -Glycero- P
ADP
Glycerokinase
ATP Alkohol-Dehydrogenase +
NAD+ NADH + H+ Glycerinaldehyd-3- P
Glycerin ADP
D-Glycerinaldehyd ATP
Triosekinase +
NAD
NADH + H+ ADP
ATP
2-Phosphoglycerat
D-Glycerat Glyceratkinase
Pyruvat 9.21
Stoffwechsel der Fructose in der Leber
AldehydDehydrogenase
440
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
CH2OH OH
O H
HO
HO
H
β -D-Fructose 9.22
Glucose
Sorbitol
CH2OH
H
AldoseReductase
SorbitolDehydrogenase
NADH+H
+
NAD
NADP
NADPH + H2
Synthese und Abbau von Fructose über den Polyolweg
den Ernährungszustand noch durch Hormone beeinflusst. Die Fructose wird daher dem Angebot proportional auch in die Leber von Diabetikern aufgenommen. Die Aldolase B, eine Isoform des Enzyms, die nur in der Leber und der Niere vorkommt, spaltet das Fructose-1-phosphat in D-Glycerinaldehyd und Dihydroxyacetonphosphat. Das Dihydroxyacetonphosphat gehört zu den glykolytischen Metaboliten und kann entsprechend abgebaut, oder – je nach Stoffwechsellage – gluconeogenetisch genutzt werden. Das zweite Produkt der Aldolase-Reaktion, das D-Glycerinaldehyd hat drei Möglichkeiten, um ebenfalls in die glykolytische Kette eingeschleust zu werden. Der Hauptweg führt über die Phosphorylierung des D-Glycerinaldehyds durch die Triosekinase, wobei Glycerinaldehyd-3-phosphat entsteht. Zweitens kann das D-Glycerinaldehyd durch die Alkohol-Dehydrogenase zu Glycerin reduziert werden, welches dann die Glycerokinase zu α-Glycerophosphat phosphoryliert. Dieses wird anschließend durch die Glycerophosphat-Dehydrogenase zu Dihydroxyacetonphosphat dehydriert, das dann entweder als glykolytisches oder als gluconeogenetisches Substrat Verwendung findet. Die dritte Möglichkeit bietet die Dehydrierung des D-Glycerinaldehyds durch die Aldehyd-Dehydrogenase zu D-Glycerat. Dieses gelangt nach Phosphorylierung durch die Glyceratkinase auf der Stufe des 2-Phosphoglycerats in die Glykolyse. Auf allen diesen Wegen wird die Fructose schneller zu Pyruvat abgebaut als die Glucose, da zwei limitierende Reaktionen der Glykolyse – die durch die Glucokinase und die Phosphofructo-Kinase katalysierten – entfallen. Neben diesen Hauptabbauwegen der Fructose, die durch die Aldolase B eingeleitet werden, gibt es zwei weniger effektive Möglichkeiten, um die Fructose in den glykolytischen Abbauweg einzuschleusen: Erstens die Phosphorylierung des Fructose-1-phosphats durch die 1-Phosphofructokinase zu Fructose-1,6-bisphosphat, zweitens die Phosphorylierung von Fructose durch die in der Leber wenig aktive Hexokinase zu Fructose-6-phosphat. Die Manifestation der hereditären Fructoseintoleranz lässt darauf schließen, dass beide Nebenwege nur geringe Bedeutung für den Fructosestoffwechsel in der Leber haben. Bei diesem seltenen (1:130 000) genetischen Defekt wird in der Leber und der Niere statt der Aldolase B nur die Aldolase A exprimiert, die das Fructose-1-phosphat nur sehr langsam spaltet. Bei Zufuhr von Fructose akkumulieren daher in der Leber Fructose und Fructose-1-phosphat. Fructose-1-phosphat inhibiert die Fructose-1,6-Bisphosphatase und die Aldolase A, was zur Drosselung sowohl der Glykolyse als auch der Gluconeogenese führt. Die Leber kann keine Fructose aus Glucose synthetisieren. Vollständigkeitshalber sei jedoch erwähnt, dass viele Insulin-unabhängige Gewebe, insbesondere die Samenblasen, hierzu in der Lage sind. Wie in Abbildung 9.22 skizziert, entsteht auf dem Polyolweg Fructose aus Glucose. Das Enzym Aldose-Reductase hydriert mittels NADPH die
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
441
Glucose zum Zuckeralkohol Sorbitol, dessen Dehydrierung mit der NAD-abhängigen Sorbitol-Dehydrogenase zu Fructose führt. Diese Reaktionen laufen in der Samenblase unter der Wirkung des Testosterons besonders intensiv ab. Beide enzymatischen Reaktionen sind umkehrbar, daher kann auch Glucose aus Fructose entstehen. Der Polyolweg hat eine besondere Bedeutung für die Pathogenese des diabetischen Kataraktes, bei dem es zur Anhäufung von osmotisch wirksamen Mengen an Fructose im Linsengewebe des Auges kommt.
9.3.8 Im Pentosephosphat-Weg wird die Glucose direkt zu CO2 abgebaut Als letzter der Stoffwechselwege, die vom Glucose-6-phosphat als dem zentralen Metaboliten des Kohlenhydratstoffwechsels abzweigen (Abbildung 9.4), ist noch der Pentosephosphat-Weg zu erörtern* . Bei diesem alternativen Abbauweg der Glucose wird kein ATP gewonnen. Seine Bedeutung liegt in der Produktion von Pentosen, vor allem von D-Ribose, die für die Synthese von Nucleotiden und Nucleinsäuren essentiell sind. Weiterhin entsteht bei diesem katabolen Weg des Glucosestoffwechsels NADPH, das Coenzym für reduktive Synthesen, hauptsächlich von Fettsäuren und Steroiden. Im Pentosephosphat-Weg selbst gibt es keine Möglichkeit das NADPH wieder zu dehydrieren. Obwohl die cytosolisch lokalisierten Enzyme dieses Abbauweges in jeder Zelle exprimiert werden, sind nur in jenen Geweben höhere Aktivitäten feststellbar, die reduzierende Synthesen in bedeutendem Umfang durchführen, das heißt im Fettgewebe, in der laktierenden Milchdrüse, in der Nebennierenrinde, in den Testes und nicht zuletzt in der Leber. Auffallend hoch ist die Intensität des Pentosephosphat-Weges in den Erythrocyten, in denen das gewonnene NADPH als Coenzym der Glutathion-Reductase zur Rückreduktion des oxidierten Glutathions dient. Die Reaktionssequenz des Pentosephosphat-Weges lässt sich in zwei Abschnitte gliedern: Im nicht-reversiblen ersten Abschnitt wird Glucose-6-phosphat dehydriert und decarboxyliert, wobei neben zwei Reduktionsäquivalenten die Pentose Ribulose5-phosphat entsteht (Abbildung 9.23). Im reversiblen Abschnitt entstehen durch Kombination mehrerer Kettenverkürzungen und Kettenverlängerungen schließlich Fructose-6-phosphat und Glycerinaldehyd-3-phosphat (Abbildung 9.24). Durch Isomerisierung des Fructose-6-phosphates zu Glucose-6-phosphat besteht die Möglichkeit, das Glucose-6-phosphat wieder in den Abbauweg einzuschleusen. Da bei jedem Durchlauf durch den Pentosephosphat-Weg ein CO2-Molekül abgespalten wird, sind für ein bestimmtes Glucose-6-phosphat-Molekül sechs Cyclen notwendig, bis es vollständig zu CO2 „oxidiert“ worden ist. Die Gleichungen 2a und 2b stellen die Reaktionsprodukte nach einem beziehungsweise sechs Durchgängen dar: Glucose-6-phosphat + 2 NADP+ + H2O → → Ribulose-5-phosphat + CO2 + 2 NADPH + 2 H+
(Gl. 9.2a)
Glucose-6-phosphat + 12 NADP+ + 6 H2O → → 6 CO2 + 12 NADPH + 12 H+ + Pi
(Gl. 9.2b)
* Weitere, mehr oder minder zutreffende Bezeichnungen für diesen Abbauweg der Glucose sind: oxidativer Pentosephosphat-Cyclus, Hexosemonophosphat-Weg, Phosphogluconat-Weg, Warburg-Dickens-Horecker-Abbauweg.
442
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Die einzelnen Reaktionen des dehydrierenden Zweiges zeigt die Abbildung 9.23. Die Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase, das Schlüsselenzym des PentosephosphatWeges, dehydriert das Glucose-6-phosphat zu 6-Phosphoglucono-δ-lacton, das durch die spezifische Gluconolacton-Hydrolase (auch Lactonase genannt) zu 6-Phosphogluconat hydrolysiert wird. Als Elekronenakzeptor fungiert NADP+. Das Gesamtgleichgewicht liegt auf der Seite der Bildung von NADPH + H+, alle Reaktionen sind also irreversibel. Genauso verhält sich dies bei der nächsten Dehydrierung, die durch die 6-Phosphogluconat-Dehydrogenase katalysiert wird. Bei dieser Reaktion entsteht das zweite NADPH + H+ und als Zwischenprodukt β-Keto-6-phosphogluconat. Als β-Ketosäure ist diese Verbindung instabil und decarboxyliert spontan zu Ribulose-5phosphat. Aus der Hexose Glucose-6-phosphat ist also die Pentose Ribulose-5-phosphat entstanden. In der zweiten Phase des Pentosephosphat-Weges, die in Abbildung 9.24 dargestellt ist, findet eine Reihe von Umlagerungen zwischen den Kohlenstoffgerüsten der Phosphosaccharide statt. Das Ribulose-5-phosphat ist das Substrat zweier Enzyme: Die Ribulose-5-phosphat-Epimerase ändert die Konfiguration am C-3-Atom der Ribulose, wobei Xylulose-5-phosphat entsteht. Die Ribulose-5-phosphat-Ketoisomerase katalysiert die Umwandlung von Ribulose-5-phosphat über eine Endiolform in Ribose-5phosphat, eine Aldopentose. Die nächste Umsetzung wird durch die Transketolase katalysiert. Transketolasen übertragen die C-1- und C-2-Atome einer Ketose auf den Carbonyl-Kohlenstoff einer Aldose. Hierdurch entsteht aus einer Ketose eine um zwei C-Atome verkürzte Aldose und im Gegenzug aus einer Aldose eine um zwei C-Atome verlängerte Ketose. Wie bereits erwähnt, ist das Thiamindiphosphat essentieller Cofaktor der Transketolase-Reaktion (Abschnitt 4.4.2.1). Weiterhin benötigt die Reaktion Mg2+. Die beiden C-Atome der Ketose Xylulose-5-phosphat werden als aktives Glykolaldehyd vom Thiamindisphosphat übertragen. Als Produkte dieser Transketolase-Reaktion entstehen die Ketose Sedoheptulose-7-phosphat und die Aldose Glycerinaldehyd-3-phosphat. Diese beiden Verbindungen werden vom nächsten Enzym, der Transaldolase, umgesetzt. Diese überträgt, ohne auf ein Coenzym angewiesen zu sein, ein Dihydroxyaceton, bestehend aus den C-1-bis C-3-Atomen des Sedoheptulose-7-phosphats, auf das Aldose Glycerinaldehyd-3-phosphat. Es entstehen Fructose-6-phosphat und die Aldose Erythrose-4-phosphat. Nun tritt nochmals die Transketolase in Aktion. Ein weiteres Molekül Xylulose-5-phosphat fungiert als Donator des aktiven Glykolaldehyds, das auf Erythrose-5-phosphat übertragen wird. Es entstehen Fructose-6-phosphat und Glycerinaldehyd-3-phosphat. Das Fructose-6-phosphat wird, katalysiert durch das glykolytische Enzym Phosphohexose-Isomerase, zu Glucose-6-phosphat umgelagert. Damit ist das Glucose-6-phosphat sowohl Ausgangssubstrat als auch Endprodukt des Pentosephosphat-Weges. Diese Recyclisierung der Kohlenstoffatome durch den Pentosephosphat-Weg ist besonders für jene Gewebe interessant, in denen dieser alternative Abbauweg der Glucose vor allem der Gewinnung von NADPH dient und nur in zweiter Linie der Gewinnung von Pentosen. Das Schema in Abbildung 9.25 zeigt den Ablauf der Recyclisierung der Kohlenstoffatome in der zweiten Phase des Pentosephosphat-Weges. Es ist zu beachten, dass die im Abbildungsteil A skizzierten Umwandlungen im Teil B doppelt vertreten sind. Ist der Bedarf der Zelle an Pentosen hoch, so werden diese nach ihrer Entstehung in der ersten Phase des Pentosephosphat-Weges aus dem Reaktionsprozess entnommen, und es findet keine Recyclisierung statt. Gewebe, deren Zellen Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase und 6-Phosphogluconat-Dehydrogenase nur wenig exprimieren, sind dar-
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
H 2C
443
P
O O
H OH
H
Glucose-6-phosphat
H
OH
OH H
OH
NADP+ NADPH + H+ H 2C
Glucose-6-phosphat Dehydrogenase
P
O O
H
O
OH
H
OH H
OH
H2O H 2C
OH O
OH
OH
C
H C
C H
6-Phosphogluconat
OH
OH
NADP+ NADPH + H+ H2C O HC
Gluconolacton-Hydrolase
P
O
HC H C
6-Phosphogluconat Dehydrogenase
P
OH
H C
O
OH
6-Phosphoglucono- δ -lacton
C
H C OH C
O
OH
β -Keto-6-phosphogluconat
CO2 H 2C C
Ribulose-5-phosphat
O
HC
OH
HC
OH
H 2C
9.23
OH
O
P
Die nicht-reversible erste Phase des Pentosephosphat-Weges
444
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
H2C C
Ribulose-5- P
OH
HC
OH
HC
OH
H 2C
HC
O
OH
C
O
P
O
Endiolform
HC
OH
HC
OH
H 2C
O
P
Ribulose-5-phosphatEpimerase
Ribulose-5-phosphatKetoisomerase H 2C C HC H2C
O OH O
OH
HC
CH
HO
Xylulose-5- P
OH
HC
OH
HC
OH
O
Ribose-5- P
HC P
H2C
P
O
Transketolase H
Glycerinaldehyd-3- P
C HC
H2C
O
H2C
O
OH
C
OH
O
Sedoheptulose-7- P
HO C H
P
HC
OH
HC
OH
HC
OH
H2C
O
P
Transaldolase H2C
Fructose-6- P
C HO
OH
HC
OH
H2C
O
C HO
H2C
H C
HC OH H2C
O
P
P
OH O
OH O
P
Transketolase
H 2C
O
C
HC OH H2C
O
HO P
Die reversible zweite Phase des Pentosephosphat-Weges
OH O
Fructose-6- P
CH HC
OH
HC
OH
H 2C
9.24
Erythrose-4- P
HC OH
CH HC
Glycerinaldehyd-3- P
O C
CH HC
H2C
Xylulose-5- P
H
OH O
O
P
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
445
umkehrbare Reaktionen des Pentosephosphat-Weges
Ribulose-5phosphat
Sedoheptulose-7- Fructose-6phosphat phosphat
5C
7C
6C
5C
3C
4C
Glucose-6phosphat
Epimerase
6C
PhosphohexoseIsomerase Transketolase
Xylulose-5phosphat
Transaldolase
Glycerinaldehyd-3- Erythrose-4phosphat phosphat
Fructose-6phosphat
1xA
5C
3C
1xA
5C
3C
Fructose-1,6Bisphosphatase Aldolase Transketolase
TriosephosphatIsomerase
Xylulose-5- Glycerinaldehyd-3phosphat phosphat
5C
3C
4C
5C
7C
6C
(A)
9.25
(B)
Regenerierung der Pentosephosphate zu Hexosephosphaten in der zweiten Phase des Pentosephosphat-Weges A. Vereinfachtes Schema der reversiblen Reaktionen; B. Entstehung von fünf Hexosen aus sechs Pentosen
auf angewiesen, die für jede Zelle essentiellen Pentosen auf andere Art zu gewinnen. Zu diesen Geweben gehört die Muskulatur. Die Myocyten synthetisieren die Pentosen aus Fructose-6-phosphat durch Umkehrung der prinzipiell reversiblen Reaktionen in der zweiten Phase des Pentosephosphat-Weges.
9.4 Die Leber ist auch die Drehscheibe des Proteinstoffwechsels Der Proteinbestand einer 70 kg schweren männlichen „Referenzperson“ beträgt etwa 10 kg. Proteine werden, wie fast alle Makromoleküle des Organismus, ständig abgebaut und wieder durch de novo-Synthese ersetzt. Katabolismus und Anabolismus stehen in einem genau geregelten dynamischen Gleichgewicht, so dass beim gesunden Erwachsenen unter „normalen“ Bedingungen – das heißt bei ausgeglichener Ernährung und durchschnittlicher physischer Belastung – der gesamte Proteinbestand relativ geringen Schwankungen unterworfen ist. Da die Proteine auch die weitaus überwiegende Stickstoff-Quelle des Menschen darstellen, herrscht unter derartigen Bedingungen auch ein Stickstoff-Gleichgewicht. Bei der üblichen western style diet nimmt der Mensch täglich etwa 100 g Protein zu sich. Wie in Abschnitt 7.6.3 besprochen, werden die Proteine im Magendarmtrakt gespalten und als Aminosäuren sowie als Di- und Tripeptide resorbiert. Es überwinden zwar auch geringe Mengen an Oligopeptiden und Proteinen die Barriere des intestinalen Epithels, sie haben jedoch keine nutritive Bedeutung (Abschnitt 7.6.5). Außer den
6C
6C
446
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Nahrungsproteinen gelangen täglich 50 bis 70 g Proteine endogenen Ursprungs – beziehungsweise die entsprechende Menge an Aminosäuren und kleinen Peptiden – in den Verdauungstrakt. Diese setzen sich aus den proteinhaltigen Verdauungssäften sowie den abgeschilferten Epithelien zusammen. Es ist anzunehmen, dass der überwiegende Anteil der Proteinkataboliten – unabhängig davon, ob sie exogenen oder endogenen Ursprungs sind – resorbiert wird, da die fäkale Proteinausscheidung pro Tag nur etwa 10 g beträgt. Ein gewisser Teil der in das Darmepithel aufgenommenen Aminosäuren wird in diesem Gewebe verstoffwechselt, der Hauptanteil gelangt jedoch mit dem Portalblut in die Leber. Wie in Abschnitt 7.6.4 diskutiert, werden die in die Enterocyten aufgenommenen Di- und Tripeptide durch die Peptidhydrolasen des Cytosols gespalten. Dennoch dürften einige dieser kurzkettigen Peptide auch als solche über ein baso-laterales Transportsystem ins Portalblut gelangen. Verlässliche Angaben über ihre Menge sind zur Zeit noch nicht möglich. Es ist jedoch anzunehmen, dass der überwiegende Teil der resorbierten Proteinbausteine in Form freier Aminosäuren zur Leber transportiert wird. Nach einer proteinreichen Mahlzeit erreicht die Konzentration der Aminosäuren im Pfortaderblut Werte, die weit über denen liegen, die im Systemkreislauf gemessen werden. Die Leber übt also auch im Fall der Aminosäuren eine ausgleichende „Filterwirkung“ aus. Der Aminosäure-Pool der Leber wird nicht allein durch die Aminosäuren gespeist, die das Pfortaderblut anliefert, denn der Hepatocyt baut auch selbst zelleigene Proteine ab. Außerdem führt der Leber das Blut der Arteria hepatica große Mengen an Aminosäuren zu, die aus dem Proteinkatabolismus anderer Organe stammen. Aus dem Mischblut der Sinusoide gelangen die Aminosäuren über verschiedene Transportsysteme in die Leberzelle. Die meisten dieser Systeme sind gruppenspezifisch. Es sind einige Na+-unabhängige Carrier identifiziert worden, beispielsweise einer, der die Aufnahme von Leucin und Histidin katalysiert. Ein weiterer, in der sinusoidalen Membran des Hepatocyten verankerter, vermittelt als Austauscher den Transport von Glutamat. Häufiger sind jedoch die sekundär aktiven, Na+-abhängigen Transportsysteme. Ein derartiger Carrier nimmt beispielsweise Glutamin, Asparagin und Histidin als Substrate an. Ein Glycin-spezifischer Transporter befördert ein Glycinmolekül mit zwei Na+ in die Leberzelle. Von besonderem Interesse ist, dass manche der Transportsysteme unter hormoneller Kontrolle stehen. Es sind hepatocytäre Transporter beschrieben worden, deren Aktivität durch Glucagon gefördert wird, einerseits in Form eines Soforteffektes, andererseits mit einer Verzögerung von mehreren Stunden, was auf eine induktive Wirkung des Hormons hindeutet. Die periportal/perivenöse Zonierung des Leberstoffwechsels (Abschnitt 9.6) drückt sich bereits auf der Ebene der Zellmembran aus, indem die einzelnen Transportsysteme in beiden Zonen selektiv exprimiert werden. Die Zellen aller Gewebe haben einen mehr oder minder intensiven Aminosäurestoffwechsel, wobei einige Aminosäuren, die beim Abbau ihrer Proteine freiwerden, ineinander umgewandelt werden. Das erklärt, dass das Verhältnis der Aminosäuren im Systemkreislauf bei weitem nicht dem Konzentrationsverhältnis in den Gewebsproteinen entspricht. Die Muskulatur ist infolge ihrer großen Organmasse und des intensiven Proteinstoffwechsels in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die Myocyten übertragen die Aminogruppen der bei der Proteolyse freiwerdenden Aminosäuren teils auf Pyruvat, teils auf Glutamat, wobei Alanin beziehungsweise Glutamin entsteht (Abbildung 9.26). Wie Tabelle 9.4 zeigt, ist die Konzentration dieser beiden Aminosäuren im Blutplasma um ein Vielfaches höher als die der übrigen Aminosäuren. Das Alanin wird, wie auch in Abschnitt 11.3 erwähnt, von der Leber aufgenommen und zur Gluconeogenese
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
447
Tabelle 9.4: Konzentration der proteinogenen Aminosäuren im Blutplasma1) Konzentration2) μmol × L–1
Aminosäure
Konzentration2) μmol × L–1
Aminosäure
Glutamin
600–800
Histidin
73±4
Alanin
344±29
Arginin
69±8
Glycin
215±8
Isoleucin
59±2
Valin
212±8
Tyrosin
54±4
Prolin
175±13
Phenylalanin
49±2
Lysin
164±9
Tryptophan
39±6
Threonin
134±10
Glutamat
30–70
Leucin
112±4
Methionin
24±1
Serin
109±7
Aspartat
< 20
Cystein
92±5
1) gesunde Versuchspersonen; morgens 16 Stunden nach Nahrungsaufnahme 2) Mittelwerte ± Standardabweichung
verwendet. Im Falle des Glutamins ist die Situation insofern anders, als diese Aminosäure das bevorzugte energetische Substrat vor allem des Darmgewebes und der Niere ist. Diese beiden Organe haben die Fähigkeit, das Glutamin aus dem Blut selektiv zu „extrahieren“. Damit steht der Leber – im Verhältnis zur Konzentration im Blut – ein nur relativ geringer Anteil des Glutamins zur Verfügung. Sowohl Alanin als auch Glutamin haben die Funktion von Transportvehikeln bei der Verteilung des Aminostickstoffs zwischen den Organen.
BLUT
Glucose
LEBER
Glucose
-Ketoglutarat
Pyruvat
Harnstoff
+
NH3
Glucose
Pyruvat Alanin
Alanin
MUSKEL +
X NH3 Glutamat NH3
Glutamin Alanin
Aminosäuren
Glutamin
NIEREN 9.26
DARM
Unterschiedliche Rolle des Glutamins und Alanins als Transportvehikel von Aminogruppen
448
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
9.4.1 Der Hepatocyt katabolisiert und synthetisiert sowohl zelleigene als auch nicht-zelleigene Proteine Wie aus Stickstoffbilanzen errechnet wurde, baut der Organismus des erwachsenen Menschen täglich etwa 300 g Proteine ab und ersetzt diese Menge durch Neusynthese. Welcher Anteil dieser Abbau- beziehungsweise Syntheseleistung auf die einzelnen Organe entfällt, ist nur grob abschätzbar, da sich die beim Abbau freiwerdenden Aminosäuren zu einem Gesamtpool vereinigen. Zweifelsohne spielt bei diesen gegenläufigen Prozessen das Muskelgewebe als größter Proteinspeicher die Hauptrolle. Auf die hohe Umsatzrate der Proteine in der Leber lässt sich jedoch aus der täglich synthetisierten Menge einzelner Exportproteine schließen. Die biologische Halbwertszeit der Leberproteine liegt zwischen weniger als 30 Minuten und über 150 Stunden. Wie bereits erwähnt, werden einzelne Schlüsselenzyme sehr schnell abgebaut, was mit ihrer regulatorischen Funktion konform geht. Zu diesen Enzymen gehören beispielsweise die Tryptophan-Pyrrolase, die Tyrosin-Transaminase und die β-Hydroxy-β-Methyl-Glutaryl-CoA-Reductase (Abschnitt 9.5.2.1), deren Halbwertszeiten sich zwischen 0,5 und 2 Stunden bewegen. Die glykolytischen Enzyme Aldolase und Lactat-Dehydrogenase, die keine regulatorische Funktion haben, sind dagegen mit Halbwertszeiten von mehr als 100 Stunden sehr langlebig. Aus diesen wenigen Beispielen ist ersichtlich, dass die Proteolyse anscheinend sehr genau und bedarfsgerecht geregelt wird. Über die zugrundeliegenden Mechanismen ist relativ wenig bekannt. Die biologische Halbwertszeit eines Proteins ist häufig durch die Aminosäuren am N-terminalen Ende der Peptidkette bestimmt. Langlebige Proteine tragen einen „stabilisierenden“ Rest aus Methionin, Serin, Alanin, Threonin, Valin, Glycin oder Cystein. Proteine mit N-terminalen Abschnitten, die reich an Prolin, Glutamat, Leucin und Arginin sind, werden dagegen schnell abgebaut. Wie in jeder Eukaryotenzelle lassen sich auch im Hepatocyten eine Reihe unterschiedlicher Proteasen nachweisen. Die Exopeptidasen spalten Aminosäurereste vom Ende einer Peptidkette ab. Sie gehören entweder zu den Carboxy- oder zu den Aminopeptidasen. Die Endopeptidasen spalten innerhalb einer Peptidkette, wobei die Spaltung Aminosäure-spezifisch erfolgt. Wie bereits besprochen, findet bei den Eukaryoten der intrazelluläre Proteinabbau entweder in den Lysosomen (Abschnitt 1.2.4.1) oder im Cytosol statt (Abschnitt 1.2.7.3). Die Lysosomen enthalten neben zahlreichen anderen Hydrolasen auch eine Gruppe von Proteasen, die Cathepsine. Sollen zelleigene Proteine abgebaut werden, so werden diese mit einer Membran, die vom ER stammt, umhüllt. Das entstandene Autophagosom fusioniert mit einem Lysosom, dessen Proteasen das Protein hydrolytisch abbauen. Extrazelluläre Proteine gelangen durch Endocytose in den Hepatocyten und werden dann in reifen Endolysosomen katabolisiert. Die freiwerdenden Aminosäuren werden in beiden Fällen dem Aminosäure-Pool der Zelle hinzugefügt. Der lysosomale Proteinabbau galt lange als nicht selektiv. Nach neueren Untersuchungen sind jedoch die Lysosomen nach längeren Hungerperioden zu einem selektiven Proteinkatabolismus fähig. Unter diesen Bedingungen tragen die zur Hydrolyse vorgesehenen Proteine ein spezifisches Polypeptidmotiv, mit dem sie sich an ein Peptiderkennungsprotein binden. Die Synthese dieses Proteins erfolgt fast ausschließlich unter Hungerbedingungen. Beim Abbau im Cytosol werden die Proteine durch kovalente Verknüpfung mit Ubiquitin für die nachfolgende Proteolyse markiert. Die betreffenden Moleküle tragen am N-terminalen Ende eine „destabilisierende“ Aminosäure als Signal. Der Verknüpfung mit dem Protein geht eine ATP-abhängige komplizierte Aktivierung des Ubiquitins vor-
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
449
aus (Abschnitt 1.2.7.3). Das mit Ubiquitin markierte Protein wird von einem Proteasom – einem großen Protease-Komplex – in einem ebenfalls ATP-abhängigen Prozess gespalten. Wie erwähnt, katabolisiert die Leberzelle nicht nur zelleigene Proteine, sondern hat auch die Aufgabe, bestimmte extrazelluläre Proteine abzubauen. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Abbau des Proteohormons Insulin. Neben anderen Zellen internalisieren vor allem die Hepatocyten den Insulin-Rezeptor-Komplex durch Endocytose. Im entstandenen Endolysosom spaltet die Glutathion-Insulin-Transhydrogenase reduktiv die Disulfid-Brücken zwischen der A- und B-Kette des Insulins (Abschnitt 1.4.3.1). Die nun vereinzelten Ketten werden durch Insulin-spezifische Proteasen gespalten. Glykoproteine des Blutplasmas, die selbst Syntheseprodukte der Leber sind, werden – nachdem sie gealtert sind – über spezielle Galactose-spezifische-Rezeptoren der Hepatocyten aufgenommen und zu Aminosäuren abgebaut. Diese Rezeptoren binden Asialo-Glykoproteine, bei denen die Galactose-Einheiten durch Abspalten terminaler N-Acetyl-Neuraminsäure-Gruppen freigelegt worden sind. Die Bedeutung der Leber für den Katabolismus zellfremder Proteine könnte durch zahllose weitere Beispiele belegt werden. Es soll jedoch genügen, auf den Abbau der Remnants, der Überbleibsel der Chylomikronen, hinzuweisen, deren Internalisierung über Rezeptoren für die Apolipoproteine B und E erfolgt. Die Leber zeichnet sich nicht nur durch einen intensiven Proteinkatabolismus aus, sondern ist auch ein Ort lebhafter Proteinbiosynthese. Ein Teil der Syntheseprodukte verbleibt in der Leberzelle und dient als Ersatz für Strukturbausteine, die ständig umgesetzt werden. Andere Proteine sind für den Export vorgesehen. Es ist sehr schwer abzuschätzen, wieviel von den neu synthesierten Proteinen für die Leberzelle selbst bestimmt ist, im Vergleich zur Menge, die abgegeben wird. In Anbetracht dessen, dass fast alle quantitativ bedeutenden Stoffwechselwege auch in der Leber – oder ausschließlich in ihr – lokalisiert sind, dürfte der Bedarf an de novo-Synthese von zelleigenen Enzymproteinen ziemlich hoch sein. Dies kann insbesondere daraus gefolgert werden, dass diese metabolischen Ketten und Cyclen durch mehrere regulatorische Enzyme gesteuert werden, die allesamt kurzlebige Proteine darstellen. Die Rate der de novo-Synthese zelleigener Proteine ist mit Sicherheit nicht konstant, sondern wird stark von der hormonellen Gesamtsituation des Organsimus beeinflusst. Mehrere hepatische Enzyme, wie Transaminasen und Enzyme des Harnstoffcyclus, sind in den Katabolismus der Aminosäuren involviert. Obwohl sie keine regulatorischen Enzyme im eigentlichen Sinne sind, variiert die Notwendigkeit, sie abzubauen beziehungsweise neu zu synthetisieren, je nach Menge des alimentär zugeführten Proteins. Die Menge der Proteine, die die Hepatocyten an andere Organsysteme abgeben, dürfte diejenige, die sie für den Eigenbedarf synthetisieren, bei weitem übertreffen. Hauptabnehmer dieser Proteine ist das Blut. Wie in Abschnitt 8.3.1 dargestellt (Tabelle 8.1), sind alle Proteine des Blutplasmas, mit Ausnahme der γ-Globuline, Syntheseprodukte der Leber. Allein die Menge des täglich synthetisierten Albumins beträgt beim Mann 8,4 bis 14 g. Weiterhin werden 2 g Fibrinogen an das Plasma abgegeben. Wie in Abschnitt 1.2.2.2 beschrieben, entstehen jene Proteine, die in der synthetisierenden Zelle verbleiben, an freien Ribosomen. Die für den Export determinierten Proteinmoleküle werden dagegen an Ribosomen synthetisiert, die an der Membran des rauhen endoplasmatischen Reticulums verankert sind. Das elektronenmikroskopische Bild zeigt, dass in der Leberzelle beide Ribosomenpopulationen reichlich vertreten sind. Mit Ausnahme des Albumins sind alle Plasmaproteine glykosyliert und durchlaufen vor der Exocytose mehrere Modifizierungsschritte im Golgi-Apparat (Abschnitt 1.2.3).
450
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
9.4.2 Ein Teil der Aminosäuren wird von allen Zellen abgebaut Wie bereits erwähnt, bereitet es Schwierigkeiten, exakte Angaben über den Anteil der Aminosäuren zu machen, die die Leber für die Synthese von Proteinen verwendet. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass bei ausgeglichener Proteinversorgung etwa die Hälfte der im Lebergewebe retinierten Aminosäuren diesem Zweck dienen. Bei Unterversorgung mit Proteinen kann sich dieser Anteil erhöhen. Neben ihrer Rolle als monomere Einheiten von Proteinen dienen α-Aminosäuren in jeder Zelle auch als Stickstoffdonatoren für die Synthese zahlreicher N-haltiger Verbindungen. Die quantitativ wichtigsten sind die Purine, Pyrimidine und Porphyrine. Dennoch bleiben stets auch freie Aminosäuren übrig, die als solche weder speicherbar sind, noch in größeren Mengen renal ausgeschieden werden. Die überschüssigen Aminosäuren werden abgebaut. Hierbei unterscheidet sich das metabolische Schicksal der Aminogruppe von dem des Kohlenstoffgerüstes. Der tierische Organismus scheidet den Stickstoff, der zum größten Teil aus den Aminogruppen der Aminosäuren, zum kleineren aus sonstigen N-haltigen Verbindungen stammt, in Form von drei Endprodukten aus: als Ammoniak, als Harnsäure und als Harnstoff. Welche dieser Verbindungen die Hauptrolle bei der N-Ausscheidung spielt, entschied sich im Verlauf der Evolution durch die Verfügbarkeit von Wasser für die betreffenden Organismengruppen. Ammonotelische Tiere, zu denen Knochenfische und Amphibienlarven gehören, scheiden in das sie stets umgebende Wasser Ammoniak aus. Die uricotelischen Vögel und Reptilien exkretieren die relativ unlösliche Harnsäure. Die ureotelischen Landwirbeltiere – somit auch der Mensch –, aber auch die Haie, synthetisieren aus dem Ammoiak den nicht toxischen, gut wasserlöslichen Harnstoff, der sich mit relativ wenig Wasser eliminieren lässt.
9.4.2.1
Für die Abspaltung der Aminogruppe gibt es mehrere Möglichkeiten
Der erste Schritt beim Abbau der Aminosäuren ist im allgemeinen die Abspaltung der Aminogruppe in Form von Ammoniak (NH3). Der übrigbleibende Rest ist bei einfach aufgebauten Aminosäuren eine Keto-Carbonsäure – im Falle des Alanins beispielsweise ist diese das Pyruvat, im Falle des Glutamats das α-Ketoglutarat. Bei komplizierter aufgebauten Aminosäuren (Abbildung 4.2) ist der nach der Abspaltung der Aminogruppe verbleibende Rest entsprechend komplexer. Der Freisetzung von NH3 aus den Aminosäuren geht im allgemeinen eine Transaminierung voraus, bei der die Aminogruppe einer Aminosäure auf α-Ketoglutarat übertragen wird. Der Mechanismus der Transaminierung, insbesondere die Rolle des Pyridoxalphosphates bei dieser und auch bei anderen Reaktionen im Aminosäurestoffwechsel, wurde unter 4.4.2.4 ausführlich behandelt. Mit Ausnahme von Glycin, Threonin, Prolin und Lysin können alle anderen Aminosäuren transaminiert werden. Die durch Transaminasen (Aminotransferasen) katalysierten Reaktionen sind reversibel und die Gleichgewichtskonstante beträgt etwa 1. Somit können durch Transaminierungen Aminosäuren auch aufgebaut werden, vorausgesetzt, dass die entsprechenden αKetosäuren zur Verfügung stehen. Die häufigsten Transaminierungen werden durch die Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GPT; Alanin-Amino-Transferase) und die Glutamat-Oxalacetat-Transaminase (GOT; Aspartat-Amino-Transferase) katalysiert. Wie Abbildung 9.27 zeigt, wird im ersten Fall die Aminogruppe des Glutamats auf Pyruvat übertragen und es entsteht Alanin.
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
451
Alanin
Pyruvat NH 3 Glutamin NH 3
GPT
Gnase
GS
α -Ketoglutarat
Glutamat
Oxalacetat
GDH
GOT Aspartat
α -Ketoglutarat Harnstoffsynthese
NH 3
Harnstoff GPT = Glutamat-Pyruvat-Transaminase GOT = Glutamat-Oxalacetat-Transaminase GDH = Glutamat-Dehydrogenase 9.27
GS = Glutamin-Synthetase Gnase = Glutaminase
Zentrale Rolle des Glutamats im Stoffwechsel der Aminogruppen
Bei der GOT-Reaktion wird die Aminogruppe des Glutamats auf Oxalacetat übertragen, wobei Aspartat entsteht. Selbstverständlich sind beide Reaktionen reversibel. Jede Transaminase ist für ein bestimmtes Substratpaar spezifisch. GPT und GOT kommen als unterschiedlich regulierbare Isoformen im Cytosol und im Mitochondrion vor. Diese sind für die Diagnose von Lebererkrankungen von Bedeutung. Beide Transaminasen sind für den Aminosäure-Stoffwechsel von besonderem Interesse. Das durch die GPT-Reaktion entstehende Alanin ist die Haupttransportform der Aminogruppen im Blut (Tabelle 9.4). Das Aspartat, das durch die Transaminierung mittels GOT entsteht, liefert die NH2-Gruppe bei der Synthese zahlreicher stickstoffhaltiger Verbindungen. Von quantitativ höchster Bedeutung ist jedoch das bei den Transaminierungen entstehende Glutamat als Sammelstelle für Aminogruppen, die in Form von Ammoniak (NH3), als Endprodukt des N-Stoffwechsels, aus dieser Aminosäure abgespalten werden. Diese Reaktion wird durch die Glutamat-Dehydrogenase katalysiert und ist in Abbildung 9.28 dargestellt. Die dehydrierende Desaminierung, bei der als Zwischenprodukt eine Iminoverbindung entsteht, ist ebenfalls eine umkehrbare Reaktion, die auch der NH3-Fixierung dient. Das Gleichgewicht der Reaktion ist in Richtung der Synthese von Glutamat gegenüber dessen Desaminierung verschoben. Dennoch liefert die Reaktion auch große Mengen an NH3, besonders in der Leber, in deren Mitochondrien die Glutamat-Dehydrogenase in hoher Konzentration vorkommt. Aus Glutamin und Asparagin wird die Aminogruppe, die sich in δ- beziehungsweise γ-Position in Säure-Amid-Bindung befindet, ebenfalls als NH3 freigesetzt. Die hydrolytische Spaltung katalysiert die Glutaminase, beziehungsweise Asparaginase, und es bleiben Glutamat und Aspartat übrig. Eine weitere Möglichkeit NH3 freizusetzen, bietet sich bei der α, β-Eliminierung im Falle des Serins, Threonins und Cysteins. Diese Rekationsfolge wird im Zusammen-
452
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Glutamat -Dehydrogenase NAD(P)+
CO O +
NAD(P)H + H+
CO O
CO O
H3 N
C
H
H 2N
C
H
C
H
H
C
H
H
C
H
H
C
H
CO O
-
CO O
L-Glutamat 9.28
H2O
O
C
H
C
H
H
C
H
NH3
-Iminoglutarat
CO O
-Ketoglutarat
Dehydrierende Desaminierung des Glutamats
hang mit der Metabolisierung von Kohlenstoff-Gerüsten der Aminosäuren besprochen (Abschnitt 9.4.3.1). Kleine Mengen von NH3 entstehen auch durch die Tätigkeit der Aminosäure-Oxidasen, die in Leber- und Nierengewebe nachweisbar sind. Die im endoplasmatischen Reticulum lokalisierte L-Aminosäure-Oxidase katalysiert die durch Gleichung 9.3a dargestellte irreversible Reaktion:
α-Aminosäure + FAD + H2O → α-Ketosäure + NH3 + FADH2
(Gl. 9.3a)
FADH2 + O2 → FAD + H2O2
(Gl. 9.3b)
Dieses Enzym überträgt die Protonen auf FAD – anstelle von NAD(P). Das FADH2 wird durch molekularen Sauerstoff rückoxidiert, woher sich der Name des Enzyms ableitet. Das entstandene H2O2 wird durch die Katalase der Peroxisomen zu H2O und 1⁄2 O2 umgesetzt (Gl. 1.3; Abschnitt 1.2.5.1). Wahrscheinlich ist das Glycin die einzige Aminosäure, die das Substrat dieser Reaktion ist. Die D-Aminosäure-Oxidase kommt in den Peroxisomen vor und überträgt den Wasserstoff auf FMN. Die Funktion der D-Aminosäure-Oxidase dürfte in der „Entgiftung“ der D-Aminosäuren liegen (Abschnitt 4.3.1.1).
9.4.2.2
Ein Teil des Ammoniaks wird zur Biosynthese stickstoffhaltiger Moleküle reutilisiert
Das NH3 ist eine Base, die in Lipiden gut löslich ist, und damit durch biologische Membranen leicht hindurchtritt. Im sauren Milieu entsteht aus NH3 durch Aufnahme eines H+ das Ammoniumion (NH+4 ), das als geladenes Teilchen durch die Zellmembran schlecht diffundiert. Der pK’-Wert des NH3/NH+4 -Systems liegt bei 9,1. Beim pH-Wert des Blutes (7,40) beziehungsweise der Intrazellularräume (6,0 bis 7,1) liegen etwa 99 % des NH3 als NH+4 -Ion vor (Abschnitt 8.3.7). Das Blut des Menschen enthält stets auch freies NH3. Je nach Kreislaufregionen ist seine Konzentration im Blut sehr unterschiedlich: Arterielles Blut enthält etwa 38 μmol × L–1, Lebervenenblut 57 μmol × L–1, Nierenvenenblut 72 μmol × L–1 und das Pfortaderblut 178 μmol × L–1. Diese Werte gelten für den gesunden Menschen nach einer kurzen Nahrungskarenz. Die Ursachen der Unterschiede werden noch besprochen. Bei Er-
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
453
höhung des Blut-pH-Wertes (Alkaliämie) verschiebt sich die Relation von NH3 zu NH+4 zugunsten des freien Ammoniaks. Bereits bei einem relativ geringfügigen Anstieg des NH3-Spiegels im Blut kommt es zu schwerwiegenden cerebralen Störungen. Der Organismus des Menschen ist daher bestrebt, das anfallende hochtoxische freie NH3 durch kovalente Fixierung zu entgiften. Das reaktionsfreudige NH3 ist nicht nur ein Zellgift, sondern auch ein essentieller Baustein bei zahlreichen Biosynthesen. Für die direkte kovalente Fixierung verfügt der Organismus des Menschen allerdings nur über drei Möglichkeiten. Die erste ist die bereits besprochene reversible Glutamat-Dehydrogenase-Reaktion. Bei dieser hydrierenden Aminierung entsteht aus α-Ketoglutarat – wie dies Abbildung 9.28 zeigt – das Glutamat. Die zweite Möglichkeit wird bei der Glutamin-Synthetase-Reaktion realisiert. Wie in Abbildung 9.29 dargestellt, handelt es sich dabei um eine ATP-abhängige, irreversible Reaktion, bei der als instabiles Zwischenprodukt δ-Glutamylphosphat auftritt. Akzeptor für das NH3 ist der δ-Kohlenstoff des Glutamats, an dem eine Säureamid-Konfiguration entsteht.
+
NH3 OOC
CH2
CH2
CH
COO
L-Glutamat ATP GlutaminSynthetase ADP O O
P
+
O O
C
NH3 CH2
CH2
CH
COO
δ -Glutamylphosphat
O
NH+4 GlutaminSynthetase Pi +
NH3
O C H2N 9.29
Die Synthese des Glutamins
CH2
CH2
CH
L-Glutamin
COO
454
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Wie bereits erwähnt, hat nicht nur das Glutamat, sondern auch das Glutamin eine hervorragende Stellung im Stoffwechsel der Aminosäuren. Das Ammoniak, gegen dessen toxische Wirkung das ZNS besonders empfindlich ist, wird im Gehirn durch Fixierung an Glutamat entgiftet. Entsprechend entfallen bis zu 60 % der freien Aminosäuren in den Gehirnzellen auf Glutamat und Glutamin. Wie Tabelle 9.4 zeigt, ist das Glutamin die Aminosäure mit der höchsten Konzentration im Blutplasma. Hauptproduzent des Glutamins ist – durch ihre Organgröße bedingt – die Muskulatur. Das Glutamin sammelt und transportiert nicht nur die Aminogruppen, sondern dient auch als Vehikel zur Verteilung des Kohlenstoffgerüstes der Aminosäuren zwischen den Organen. Im intestinalen Gewebe werden diese bevorzugt energetisch verwertet. Auch die Nieren entnehmen dem Blutplasma größere Mengen an Glutamin und verwerten es sowohl zur Energiegewinnung als auch zur Gluconeogenese. Das dabei freigesetzte NH3 ist eine Komponente des renalen Puffersystems (Abschnitt 12.2.3.1). In der Leber wird das Kohlenstoffgerüst vor allem in der Gluconeogenese verwertet. Das Glutamin ist nicht zuletzt Aminogruppendonator für die Synthese zahlreicher – auch quantitativ bedeutender – N-haltiger Verbindungen. Tabelle 9.5 fasst die wichtigsten dieser Biosynthesen zusammen, bei denen die Übertragung der Aminogruppe nicht direkt, sondern über Vermittlung des Glutamins stattfindet. Interessanterweise entsteht das Homolog des Glutamins, das Asparagin, nicht durch eine Synthetase-Reaktion – wie dies in Analogie zum Glutamin zu erwarten wäre –, sondern durch Aminierung des Aspartats mittels Glutamin. Tabelle 9.5: Glutamin als Aminogruppendonator bei wichtigen Biosynthesen Syntheseprodukt
Akzeptor der NH2-Gruppe
Zwischenprodukt
Purine
Phosphoribosylpyrophosphat
5-Phosphoribosylamin
Pyrimidin
Bicarbonat und ATP
Carbamylphosphat
Aminozucker
Fructose-6-phosphat
Glucosamin-6-phosphat
Nicotinadenindinucleotid
Desamido-NAD
–
Guanosinmonophospat
Xanthosinmonophosphat
–
Asparagin
Aspartat
–
Die dritte und quantitativ bedeutendste Möglichkeit freies NH3 zu fixieren, bietet schließlich die Harnstoffsynthese in der Leber. Bei ausgeglichener Ernährung bildet eine 70 kg schwere Person täglich etwa 0,5 mol, entsprechend 30 g Harnstoff. Bei sehr proteinreicher Ernährung kann diese Menge bis auf 1,5 mol ansteigen. Die de novo-Synthese von Glucose durch die Gluconeogenese in der Leber und der Niere liegt mit täglich 0,5 bis 1 mol in der gleichen Größenordnung. Übertroffen werden diese Syntheseleistungen lediglich von der ATP-Synthese, die bei einem Umsatz von 3 000 kcal 180 mol ATP pro Tag beträgt.
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
9.4.2.3
455
Der cyclische Prozess der Harnstoffsynthese ist auf zwei Zellkompartimente verteilt
Die Leber ist das einzige Organ des Menschen, das die enzymatische Ausstattung besitzt, um die vollständige Synthese des Harnstoffs in quantitativ ausschlaggebendem Umfang durchzuführen. Ausgangssubstrate der Harnstoffsynthese sind das Ammoniak (NH3) und das Bicarbonat (HCO3–). In einem auf zwei Zellkompartimente verteilten Kreisprozess wird diesen eine zweite Aminogruppe, die vom Aspartat stammt, hinzugefügt. Die in Abbildung 9.30 dargestellte Harnstoffsynthese beginnt im Mitochondrion, wo die Carbamoylphosphat-Synthetase die Reaktion von NH3 und HCO3– zu Carbamoylphosphat – einem Phosphorsäureanhydrid der Carbaminsäure – katalysiert. Die Reaktion verbraucht 2 mol ATP: Eines für die Aktivierung des HCO3–, das zweite für die Knüpfung der kovalenten Bindung zwischen dem HCO3– und dem NH3. Das HCO3– ist ein Produkt der mitochondrialen Carboanhydrase. Die irreversible Reaktion ist auf NAcetyl-Glutamat als allosterischen Aktivator angewiesen. Im nächsten Schritt, den die Ornithin-Transcarbamoylase katalysiert, wird das Carbamoylphosphat auf Ornithin als Akzeptor übertragen, wobei Citrullin entsteht. Das Citrullin wird über einen Ornithin/Citrullin-Antiporter aus dem Mitochondrion ins Cytosol heraustransportiert, wo die weiteren Schritte des Kreisprozesses stattfinden. Auf Citrullin wird eine weitere Aminogruppe vom Aspartat als Donator übertragen, und es entsteht Argininosuccinat. Diese von der Argininosuccinat-Synthetase katalysierte Reaktion ist ebenfalls ATP-abhängig. Anschließend spaltet die ArgininosuccinatLyase die Bindung zur NH2-Gruppe des Aspartats, die nun als zweite Aminogruppe am entstandenen Arginin verbleibt. Das zweite Produkt der Lyase-Reaktion, das Fumarat, verlässt den Cyclus. Im letzten Schritt spaltet die Arginase hydrolytisch die Guanidinogruppe des Arginins ab, das als Harnstoff aus dem Cyclus austritt. Das bei dieser Reaktion entstandene zweite Spaltungsprodukt, das Ornithin, kehrt mit Hilfe des Ornithin/Citrullin-Antiporters in das Mitochondrion zurück und steht weiteren Harnstoffcyclen zur Verfügung. Die Intensität der Harnstoffsynthese hängt in erster Reihe von der Menge der Aminosäuren ab, die das Portalblut zur Leber liefert. Zwischen der Stickstoffkonzentration im Blutplasma und der Harnstoffsynthese besteht eine annähernd lineare Beziehung. Vermutlich erklärt sich vor allem hierdurch die ausgleichende Wirkung der Leberpassage auf die Plasmakonzentration der Aminosäuren. Bei unzureichender Aminosäurezufuhr ist allerdings die Intensität der Harnstoffsynthese überproportional stark eingeschränkt. Hierdurch wird einem zu starken Absinken des Körper-Aminosäurepools wirkungsvoll vorgebeugt. Eine regulatorische Funktion im Sinne einer akuten Anpassung an die Aminosäurezufuhr kommt nur der Carbamoylphosphat-Synthetase zu. Dieses Schlüsselenzym des Syntheseweges ist in Abwesenheit seines allosterischen Aktivators, des N-Acetylglutamats, inaktiv. Zur Bildung dieses Signalmetaboliten bedarf es einer bestimmten Erhöhung der Glutamatkonzentration im Blut. Als Anpassung an eine länger dauernde Erhöhung der Proteinzufuhr nimmt die Menge fast aller Enzyme des Harnstoffcyclus zu, wodurch eine sehr starke Steigerung der Syntheserate ermöglicht wird. Die Glucocorticoide induzieren die Enzyme des Harnstoffcyclus. Wie einleitend erwähnt, ist die Synthese des Harnstoffs eine zentrale Aufgabe der Leber. Allerdings können fast alle Enzyme des Harnstoffcyclus auch in extrahepati-
456
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
MITOCHONDRION O
1
2ATP + HCO3 + NH3 +
H2 N
OPO32– +
C
Carbamoylphosphat
2ADP + Pi Pi
N-Acetyl-Glutamat
O
CH2
Citrullin
T
+
NH3
H
CH2
3
C
H3 NH
CO O
-
Harnstoff
CO O
H2O N H2
H2N
Arginin
NH CH2 C
3
Argininosuccinat
C
NH
CO O
Aspartat
CH2 N H CO O
+ 3
+
NH2 C NH CH2
CO O HC
CYTOSOL
+
NH3
CO O
CO O
HC
4
3
CH2 HC
AMP + Pi
5
+
ATP
HarnstoffCyclus
Ornithin NH2
H
+
NH3
Citrullin
O C
3
HC
T
+
CO O
H2 N
NH2
NH
2
Ornithin
C
HC
3 +
NH3
CO O
CH CO O
Fumarat
9.30
1 Carbamoylphosphat-Synthetase
4 Arginino-Succinat-Lyase
2 Ornithin-Transcarbamoylase
5 Arginase
3 Argininosuccinat-Synthetase
T Ornithin/Citrullin-Antiporter
Die Synthese des Harnstoffs
schen Geweben nachgewiesen werden, jedoch mit so niedrigen Aktivitäten, dass ihre Syntheseleistung für die Harnstoffproduktion als Maßnahme zur Eliminierung von Ammoniak nicht ins Gewicht fällt. Die Arginase ist unter anderem in der Niere, der Haut, der Brustdrüse, dem Gehirn und den neutrophilen Leukocyten vorhanden. In diesen Geweben dient die Arginase-Reaktion wahrscheinlich allein zur Bereitstellung von Ornithin als Vorstufe zur Synthese von Polyaminen.
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
457
In den proximalen Nierentubuli und den Fibroblasten sind die ArgininosuccinatSynthetase und -Lyase nachweisbar. Das für die Synthetase-Reaktion notwendige Citrullin wird in diesem Falle von den Mucosazellen des Dünndarms zur Verfügung gestellt. Die Harnstoff-synthetisierende Leistung der Niere ist allerdings vernachlässigbar gering, da infolge sehr niedriger Arginase-Aktivität das Arginin das Endprodukt der Reaktionen darstellt. Wie in Abbildung 9.31 gezeigt wird, bestehen zwischen dem Harnstoffcyclus und dem Tricarbonsäurecyclus Verbindungen, die über mehrere Zwischenmetaboliten vermittelt werden. Das bei der Argininosuccinat-Lyase freigesetzte Fumarat tritt in den Tricarbonsäurecyclus ein und wird über Malat in Oxalacetat überführt (Abschnitt 5.2.1). Diese Teilsequenz des Tricarbonsäurecyclus findet auch im Cytosol statt, da die Isoformen der entsprechenden Enzyme auch außerhalb des Mitochondrions vorkommen. Die anschließende Transaminierung des Oxalacetats zu Aspartat spielt sich ebenfalls im Cytosol ab, wo auch die Kondensation des Aspartats mit Citrullin abläuft. Somit werden energieverbrauchende Transportvorgänge eingespart. Der Energieaufwand für die Biosynthese des Harnstoffs ist relativ hoch. Wie bereits erwähnt, werden 3 mol ATP pro mol Harnstoff verbraucht. Zwei von diesen werden zu ADP und Pi gespalten. Das dritte, bei der Übertragung der Aminogruppe des Aspartats eingesetzte ATP wird zu AMP und Pyrophosphat abgebaut. Das Pyrophosphat wird durch eine Pyrophosphatase zu 2 Pi umgesetzt. Somit müssen vier energiereiche Verbindungen regeneriert werden. Allerdings entsteht bei der Umwandlung von Fumarat zu Oxalacetat im Tricarbonsäurecyclus ein Reduktionsäquivalent, woraus in der Atmungskette 3 Moleküle ATP gewonnen werden können. In der Endbilanz wird für die
R
O H2N
NH2
C
Harnstoff
-Ketoglutarat O
Ornithin H2N
HarnstoffCyclus
H2O
Citrullin 6
Arginin Argininosuccinat
OPO23
C
Carbamoylphosphat 2 ADP Pi + Pi
C H
COO
2 ATP
1
Glutamat
4
CH
CH2
CH2
Tricarbonsäurecyclus
CH
COO
COO
R
NAD+
Malat
3 NADH
3 Glutamat
OOC
CH2
C
COO
Oxalacetat 1 = Fumarase 2 = Malat-Dehydrogenase 3 = Transaminase
COO
NH3
Aminosäure R
O
CH +
-Ketoglutarat
2
3
Aminosäure CH
COO
O
-Ketocarbonsäure
OH
OOC
COO
+
NH3
R
NAD(P)+
NAD(P)H
Aspartat
Fumarat
9.31
NH3
NH3
OOC OOC
5
+
ATP
AMP + PPi H C
HCO3
CH
CH
COO
O
-Ketocarbonsäure
4 = Glutamat-Dehydrogenase 5 = Carbamoyl-phosphat-Synthetase 6 = Argininosuccinat-Synthetase
Die Verknüpfung des Harnstoff- und des Tricarbonsäurecyclus
458
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Synthese von 1 mol Harnstoff aus 1 mol NH3 und der Aminogruppe des Aspartats 1 mol ATP verbraucht. In Anbetracht der Menge des täglich synthetisierten Harnstoffs ist der Energieaufwand dennoch beträchtlich. Trotzdem leistet sich der menschliche Organismus diesen Aufwand zur Synthese des nicht toxischen und gut wasserlöslichen Harnstoffs. Es werden 90–95 % des Ammoniaks, das nicht für die erwähnten Biosynthesen benötigt wird, zur Harnstoffsynthese verwendet. Nur die restlichen 5 bis 10 % werden als NH3 beziehungsweise NH+4 im Urin ausgeschieden. Bei länger andauerndem Hunger wird in der Leber weniger Harnstoff gebildet und mehr NH3 als solches renal eliminiert. Die im 24-Stunden-Urin ausgeschiedene Harnstoffmenge beträgt je nach Proteinaufnahme 0,33 bis 0,5 mol. Dies ist nur ein Teil der täglich synthetisierten Menge von 0,5 bis 1,5 mol. Der Rest des Harnstoffs gelangt vor allem mit den Sekreten in den Magendarmtrakt und wird dort durch die Darmflora mittels der mikrobiellen Urease zu Ammoniak und CO2 gespalten. Das entstandene Ammoniak tritt in das Pfortaderblut über. Dies erklärt, dass – wie erwähnt – die NH3-Konzentration in Portalblut um ein Mehrfaches höher ist als im Blut anderer Kreislaufregionen. Das NH3 wird somit in die Leber recyclisiert und dient dort zum wiederholten Male zur Harnstoffsynthese. Zur Hydrolyse des Harnstoffs befähigt sind zahlreiche Mikroorganismen im Magen (zum Beispiel Helicobacter pylori), im Dünndarm und besonders im Dickdarm, so dass die fäkale Ausscheidung von Harnstoff geringfügig ist.
9.4.3 Aus dem Kohlenstoffgerüst der Aminosäuren entstehen Intermediate des Tricarbonsäurecyclus Die Kohlenstoffgerüste der Aminosäuren werden in der Leber, je nach Stoffwechsellage, entweder als Substrate der Gluconeogenese eingesetzt oder zur Gewinnung von Energie verwertet. Unabhängig davon, welchem Zweck sie schließlich dienen sollen, führt der Abbau der Aminosäuren zu Intermediaten des Tricarbonsäurecyclus. Dies entspricht der in Abschnitt 5.2.1.1 besprochenen amphibolen Rolle dieses zentralen Cyclus. Werden die Intermediate für den anabolen Weg der Glucosegewinnung nicht benötigt, so werden sie zu CO2 und H2O abgebaut und dienen damit der oxidativen Energiegewinnung in der Atmungskette (Abschnitt 5.2). Man schätzt, dass bis zu 10 % der im Stoffwechsel erzeugten Energie aus dem Katabolismus der Aminosäuren stammt. Bei länger dauerndem Hunger, wenn es zum Abbau wesentlicher Mengen an Muskelprotein kommt, steigt dieser Anteil erheblich an. Alle 20 proteinogenen Aminosäuren können in den Tricarbonsäurecyclus eingeschleust werden. Da die Aminosäuren recht unterschiedliche Kohlenstoffgerüste besitzen (Abbildung 4.2), werden sie auf verschiedenen Wegen in Intermediate des Tricarbonsäurecyclus umgewandelt. Wie Abbildung 9.32 zeigt, lassen sich die Aminosäuren, je nachdem welche dieser Wege für sie in Frage kommen, in Gruppen einteilen, wobei es Aminosäuren gibt, die in mehr als einer Gruppe auftauchen, da ihr Abbau mehrere Produkte generiert, über die ihr Eintritt in den Tricarbonsäurecyclus möglich ist. Die erste Hauptgruppe umfasst diejenigen Aminosäuren, deren Metabolisierung direkt oder auf Umwegen zu Acetyl-CoA führt, das nach Kondensation mit Oxalacetat als Citrat in den Tricarbonsäurecyclus eingeschleust wird. Die Aminosäuren dieser Hauptgruppe lassen sich wiederum in drei Untergruppen gliedern: Der Abbau von Threonin, Leucin, Isoleucin, Lysin und Tryptophan liefert direkt Acetyl-CoA. Aus sechs Aminosäuren – Alanin, Tryptophan, Serin, Cystein, Glycin und Threonin – ent-
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
Threonin Tryptophan Lysin Isoleucin Leucin
Alanin Tryptophan Serin Cystein Glycin Threonin
459
Arginin Prolin Histidin Glutamin
Glutamat
α-Ketoglutarat
Pyruvat
Citrat
Acetyl-CoA
Oxalacetat
Tricarbonsäurecyclus
Succinyl-CoA
Fumarat
Threonin Methionin Isoleucin Valin
Phenylalanin Tyrosin
Acetacetyl-CoA Aspartat Phenylalanin Tyrosin Tryptophan Lysin Leucin
9.32
Asparagin
Gruppierung der Aminosäuren nach den Intermediaten, über die ihre Kohlenstoffgerüste in den Tricarbonsäurecyclus gelangen
steht Pyruvat, das durch die Pyruvat-Dehydrogenase-Reaktion (Abschnitt 9.3.4) in Acetyl-CoA umgewandelt wird. Die dritte Untergruppe bilden die Aminosäuren Lysin, Phenylalanin, Tyrosin, Tryptophan und Leucin, deren Abbau Acetoacetat liefert, das nachfolgend in Acetyl-CoA gespalten wird. Einziger Vertreter der zweiten Hauptgruppe ist das Asparagin, das über das Aspartat und Oxalacetat direkt in den Tricarbonsäurecyclus eintritt. Die dritte Hauptgruppe umfasst die Aminosäuren Glutamin, Arginin, Histidin und Prolin, die über das Glutamat in α-Ketoglutarat umgewandelt werden und über diese Ketosäure in den Tricarbonsäurecyclus gelangen. Die vierte Hauptgruppe besteht aus den Aminosäuren Threonin, Methionin, Isoleucin und Valin, deren Abbauprodukt, das Succinyl-CoA, ebenfalls ein Intermediat des Tricarbonsäurecyclus ist. Zur fünften Hauptgruppe gehören Phenylalanin und Tyrosin, die über ihr Abbauprodukt Fumarat ebenfalls einen direkten Eingang in den Cyclus finden. Im folgenden werden die Abbauwege der Kohlenstoffgerüste der Aminosäuren entsprechend dieser Einteilung besprochen. Eine detailllierte Darstellung der dabei auftretenden, oft sehr komplexen Reaktionsmechanismen ist leider nicht möglich; es soll nur auf das Prinzipielle eingegangen* werden.
* Der Katabolismus der Aminosäuren wird in den großen Lehrbüchern der Biochemie detailliert berücksichtigt (siehe Literaturempfehlungen).
460
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Der Abbau der Aminosäuren ist prinzipiell in den Zellen fast aller Organe möglich. Der Hepatocyt hat jedoch eine dominierende Rolle bei diesen katabolen Prozessen. Eine Ausnahme bilden die verzweigtkettigen Aminosäuren, die hauptsächlich in den Myocyten verstoffwechselt werden. Sie werden im Zusammenhang mit dem Stoffwechsel der Muskulatur besprochen (Abschnitt 11.3).
9.4.3.1
Das Pyruvat spielt auch beim Katabolismus von Aminosäuren eine zentrale Rolle
Abbildung 9.33 bietet eine kumulative Darstellung der Abbauwege, über die die Aminosäuren Alanin, Serin, Cystein, Glycin und Threonin in Pyruvat umgewandelt werden. Im Falle des Alanins handelt es sich um eine einfache Transaminierung, die von der Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GPT) katalysiert wird. In Abbildung 9.32 ist auch das Tryptophan unter die Pyruvat liefernden Aminosäuren eingereiht. Dies ist insofern zutreffend, als das Tryptophan eine Alanin-Seitenkette trägt, die während der Katabolisierung abgespalten wird und das weitere Schicksal des Alanins teilt. Serin und Cystein werden über die α, β-Eliminierung in Pyruvat umgewandelt. Abbildung 9.34 zeigt die Grundzüge dieser Reaktion, die die Serin/Threonin-Dehydratase katalysiert am Beispiel des Serins. Als Coenzym dieser Reaktion fungiert das Pyridoxalphosphat (PALP). Der Reaktionsmechanismus der PALP-abhängigen Umwandlungen und deren Bedeutung für den Stoffwechsel der Aminosäuren wurde bereits in Abschnitt 4.4.2.4 detailliert dargestellt. Im Falle des Serins wird zunächst der Wasserstoff am α-Kohlenstoff eliminiert, im zweiten Schritt die OH-Gruppe am β-Kohlenstoff. Es handelt sich insgesamt um eine Abspaltung von H2O, worauf auch die Bezeichnung des Enzyms als Dehydratase hinweist. Das Produkt dieser Eliminierung, das Aminoacrylat, trägt noch eine NH2Gruppe. Diese Gruppe wird hydrolytisch als NH3 abgespalten und es entsteht als Endprodukt Pyruvat. Analog verläuft die α, β-Eliminierung beim Cystein, dessen β-Kohlenstoff allerdings statt einer OH–-Gruppe eine SH–-Gruppe trägt, so dass anstelle von H2O Schwefelwasserstoff, H2S entsteht. Das Enzym trägt in diesem Fall den Namen Cystein-Desulfhydrase. Wie oben erwähnt, katalysiert die Serin/Threonin-Dehydratase die α, β-Eliminierung beim Serin. Das Enzym akzeptiert auch das Threonin als Substrat und als erstes Produkt der Reaktion entsteht auch beim Threonin Wasser. Statt des α-Aminoacrylats bleibt da jedoch α-Aminobutyrat als Zwischenprodukt der Reaktion übrig. Die hydrolytische Abspaltung der Aminogruppe führt zu α-Ketobutyrat, das über Propionyl-CoA und zwei weitere Schritte Succinyl-CoA ergibt (Abschnitt 4.4.2.6; Abbildung 4.23)*. Glycin kann durch enzymatische Addition einer Hydroxymethylgruppe in Serin umgewandelt werden, das dann zu Pyruvat katabolisiert wird. Wie bereits im Zusammenhang mit der metabolischen Rolle der Folsäure als Coenzym enzymatischer Reaktionen besprochen wurde, wird ein Hydroxymethylrest auf Glycin durch die N5, N10-Methylen-Tetrahydrofolsäure übertragen (Abschnitt 4.4.2.5; Abbildung 4.21). Die Reaktion ist PALP-abhängig. Das entstandene Serin schleust also das Kohlenstoffgerüst des Glycins in die α, β-Eliminierung ein.
* Die Reaktion wurde nur aus Gründen des analogen Reaktionsablaufs bereits hier behandelt.
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
461
H 3C
HO
H
C
C
H
+ NH3
COO
Threonin O
1 = Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GPT)
4
H 3C
2 = Serin-Threonin-Dehydratase
Acetaldehyd
H
3 = Hydroxymethyl-Transferase H
4 = Threonin-Aldolase
CH
C
COO +
NH3
Glycin N,5N10-Methylen-THF
O H3C
C
SCoA
Acetyl-CoA
3 THF HS
H
H2C
C
COO
HO
H
H2C
C
Serin
Cystein H2O mehrere 2
(H2S, SO3, od. SCN) + NH3
2 H3C
C
COO
NH3
O
Wege
COO +
NH3
+ NH3
Pyruvat Glutamat 1 H H3C
C
α-Ketoglutarat COO
+ NH3
Alanin 9.33
Umwandlung von Alanin, Serin, Cystein, Glycin und Threonin in Pyruvat
Auch ein Teil des Kohlenstoffgerüstes von Threonin gelangt auf Umwegen in das Pyruvat. Bei der ebenfalls PALP-abhängigen Aldolspaltung des Threonins entsteht als eines der Spaltprodukte Glycin, das wie soeben beschrieben, in Serin und damit in Pyruvat umgewandelt wird.
462
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
H
Serin
O
H
H2 C
C
H
1
H CO O
N +
C
-
H
H
H O
O C
H2 C
+
N +
C
2
-
COO
-
O
-
+
Pyridoxalphosphat
+
+
CH3
N
H
H
H
H 2O
4
COO
6
H3C
C
O
Pyruvat
+
3 = β-Eliminierung von OH
9.34
5
H2C
C
COO 2
Aminoacrylat
1 = Verbindung von Serin und PALP zur Schiff-Base 2 = α-Eliminierung von H
COO + 2
HN
C
Pyridoxalphosphat
H+
H2O
HN
H3C
H O-
CH 3
N
NH3
-
P
CH3
N
+
C
3
P
P
CO O
N H
H
C
H 2C
OH
4 = Hydrolyse 5 = Tautomerisierung zum Imin
–
6 = Hydrolyse
Der Reaktionsmechanismus der α-β-Eliminierung, dargestellt am Beispiel des Serins
9.4.3.2
Das Kohlenstoffgerüst der meisten Aminosäuren lässt sich ganz oder teilweise für die Gluconeogenese verwenden
Das Pyruvat gilt als Ausgangssubstrat für die de novo-Synthese von Glucose (Abschnitt 9.3.3). Diejenigen Aminosäuren, deren Katabolismus auf den vorhin beschriebenen Wegen zu Pyruvat führt, werden glucogene Aminosäuren bezeichnet. Alle Kohlenstoffatome von Alanin, Serin, Cystein und Glycin erscheinen als Bausteine des Pyruvats. Diese vier Aminosäuren sind vollständig glucogen. Die beiden anderen Vertreter der Untergruppe – Threonin und Tryptophan – sind dagegen nur teilweise glucogen, da – wie vorhin gezeigt – nur ein Teil ihrer Kohlenstoffatome im Pyruvat wiederzufinden ist. Fast alle Aminosäuren gehören zu den vollständig oder teilweise glucogenen Aminosäuren. Charakteristisch für alle ist, dass sie den „Einstieg“ in die Gluconeogenese als Intermediate des Tricarbonsäurecyclus finden. Dem amphibolen Charakter des Cyclus entsprechend, dienen sie je nach Stoffwechsellage der Gluconeogenese oder der Energiegewinnung. Das Asparagin (Abbildung 9.35) geht nach Abspaltung der Amidgruppe am γ-Kohlenstoffatom in Aspartat über. Dieses wird durch die Glutamat-Oxalacetat-Transaminase (GOT) in Oxalacetat umgewandelt. Das Oxalacetat ist sowohl ein Intermediat des Tricarbonsäurecyclus als auch der Gluconeogenese. Alle Kohlenstoffatome des Asparagins und des Aspartats erscheinen in der de novo-synthetisierten Glucose; beide Aminosäuren sind also vollständig glucogen. Wie Abbildung 9.36 zeigt, besitzen die vier Aminosäuren – Arginin, Prolin, Histidin und Glutamin –, die über das α -Ketoglutarat ihren Weg in den Tricarbonsäurecyclus
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
463
H C
CH2
C
C
O
+ 3
HN
O
O
H2N
Asparagin H2O
Asparaginase
+ NH4 H C
CH2
C
C
O
+ 3
HN
O
O
O
Aspartat α-Ketoglutarat
Glutamat -OxalacetatTransaminase
Glutamat O
C O
O CH2
C
C
O
O
Oxalacetat 9.35
Katabolismus des Asparagins und Aspartats
finden, recht unterschiedliche molekulare Strukturen. Wie bereits bei der Harnstoffsynthese (Abschnitt 9.4.2.3) besprochen, entsteht aus dem Arginin nach Abspaltung des Harnstoffs die nicht proteinogene Aminosäure Ornithin. Wenn diese nicht wieder in den Harnstoffcyclus eintritt, wird sie zu Glutamat-γ-semialdehyd transaminiert und anschließend zu Glutamat dehydriert. Ebenfalls über das Glutamat-γ-semialdehyd verläuft der Abbau der cyclischen Aminosäure Prolin, dessen Kohlenstoffatome auch im Glutamat gesammelt werden. Etwas komplizierter verläuft die Katabolisierung des Histidins. Ein Kohlenstoffatom aus dem Gerüst dieser Aminosäure wird in Form eines Formininorestes auf Tetrahydrofolsäure übertragen (Abschnitt 4.4.2.5). Die restlichen fünf münden ebenfalls in das Glutamat. Die vierte Aminosäure dieser Gruppe, das Glutamin, gibt in einer von der Glutaminase katalysierten Reaktion seine δ-ständige Amidgruppe ab und geht ebenfalls in Glutamat über. Das Glutamat dient also als Sammelstelle des Kohlenstoffgerüstes dieser Aminosäuren und geht schließlich in der Glutamat-Dehydrogenase-Reaktion (Abschnitt 9.4.2.1) in α -Ketoglutarat über. Diese Verbindung ist ein Intermediat des Tricarbonsäurecyclus und kann nach entsprechenden Umwandlungen als gluconeogenetisches Substrat verwertet werden. Mit Ausnahme des Histidins, das ein Kohlenstoff-
464
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
= Glutamat-Dehydrogenase = Glutaminase = Arginase = Ornithin-d- Aminotransferase = Glutamatsemialdehyd-Dehydrogenase = Prolin-Dehydrogenase = spontane Hydrolyse = Histidase = Urocanase = Imidazolonpropionat-Hydrolase = Glutamatformimino-Transferase
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
H HC
C
N
NH C H
8 HC
C
NH3+
NH2
3
Urocanat
N H3
OOC
NH2+
Prolin
9
NAD
6
Harnstoff
C
C
N CH2 CH2 CH2 NH3+
Ornithin α -Ketoglutarat Glutamat 4 OOC C
Imidazolonpropionat
Pyrrolin5-carboxylat HO 2
7
H
10
O CH2 CH2 C
NH3+
HN
H2O
CH2 CH2
COO
NH C H
N -Formiminoglutamat
NAD(P)+ NAD(P)H
5
H C
OOC H
Glutamat γ-semialdehyd
CH2 CH2 COO
NH C H
+
N H
OOC
NH3+
H2O
O
NADH
H OOC C
CH CH COO
C H
+
Arginin
+
NH4
NH
H CH2 CH2 CH2 NH C
COO
NH3+
Histidin
N OOC C
CH2 C
11 THF
N 5-Formimino-THF -F THF H
O
OOC C
CH2 CH2 C
H
2
NH2
OOC C
Glutamin
CH2 CH2 COO
NH3+
NH3+
H2O
NH3
Glutamat NAD(P)+
1 NAD(P)H+NH 3 OOC C
CH2 CH2 COO
O
α-Ketoglutarat 9.36
Abbauwege der Aminosäuren zu α-Ketoglutarat
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
465
atom an die Tetrahydrofolsäure abgibt, sind die Aminosäuren dieser Gruppe vollständig glucogen. Die Mitglieder der vierten Gruppe – Threonin, Methionin, Isoleucin und Valin – gelangen über das Succinyl-CoA in den Tricarbonsäurecyclus. Bei der Besprechung der α, β-Eliminierung (Abschnitt 9.4.3.2) wurde bereits erwähnt, dass beim Abbau des Threonins auf diesem Weg α-Ketobutyrat als Endprodukt der Reaktionsfolge übrig bleibt. Diese Verbindung wird dehydrierend decarboxyliert zu Propionyl-CoA. Das Propionyl-CoA wird in drei weiteren enzymatischen Schritten, von denen der erste Biotinund der dritte Cobalamin-abhängig ist, in Succinyl-CoA umgewandelt (Abschnitt 4.4.2.6; Abbildung 4.23). Die komplizierte Katabolisierung des Methionins, dessen Endprodukt ebenfalls das Succinyl-CoA ist, zeigt Abbildung 9.37. Das Methionin ist der bedeutendste Methylgruppen-Donator im Stoffwechsel. Für die Übertragung der Methylgruppe wird das Methionin mittels ATP zu S-Adenosyl-Methionin aktiviert. Das demethylierte Methionin wird als Homocystein bezeichnet. Dieses geht mit Serin eine Kondensationsreaktion ein. Das entstandene Zwischenprodukt, das Cystathionin, wird durch die Cystathionase zu Cystein und α-Ketobutyrat gespalten. Dieser Weg bietet die Möglichkeit aus der essentiellen Aminosäure Methionin die zweite schwefelhaltige Aminosäure, das Cystein, zu gewinnen. Solange im Stoffwechsel genügend Methionin zur Verfügung steht, ist also das Cystein eine nicht essentielle Aminosäure. Das zweite Spaltprodukt, das α-Ketobutyrat geht über die oben erwähnte Reaktionsfolge in Succinyl-CoA über. Außer der abgespaltenen CH3-Gruppe erscheinen alle Kohlenstoffatome des Methionins im glucogenen Endprodukt Succinyl-CoA. Das Kohlenstoffgerüst des ebenfalls glucogenen zweiten Endproduktes, des Cysteins, stammt vom Serin. Die Entstehung von Succinyl-CoA aus Isoleucin und Valin ist in Abbildung 11.11 dargestellt im Zusammenhang mit dem Abbau der verzweigtkettigen Aminosäuren in der Muskulatur. Der Abbau von Valin liefert direkt Succinyl-CoA als Endprodukt. Im Falle des Isoleucins gibt es zwei Endprodukte: Das Propionyl-CoA, das auf dem oben beschriebenen Weg in Succinyl-CoA übergeführt wird, und das Acetyl-CoA, das kein glucogenes Substrat ist. Das Isoleucin ist somit eine teilweise glucogene Aminosäure. Ebenfalls teilweise glucogen sind die beiden Aminosäuren, die über das Fumarat in den Tricarbonsäurecyclus gelangen, das Phenylalanin und das Tyrosin. Wie Abbildung 9.38 zeigt, entsteht das Tyrosin aus dem Phenylalanin, indem in den aromatischen Ring des Phenylalanins eine Hydroxylgruppe in para-Stellung eingeführt wird. Das Enzym, das diese Reaktion katalysiert, ist die Phenylalanin-Hydroxylase, eine mischfunktionelle Oxygenase. Dieses Enzym führt ein Sauerstoffatom des O2 in die entstehende Hydroxylgruppe ein, das zweite Sauerstoffatom reagiert zu H2O, wobei Tetrahydrobiopterin als Wasserstoffdonator fungiert. Die Phenylalanin-Hydroxylase ist ein durch reversible Phosphorylierung interkonvertierbares Enzym, das beim Menschen nur in der Leber vorkommt. Das auf Chromosom 12 lokalisierte Gen des Enzymproteins weist sehr häufig einen Defekt auf, der dazu führt, dass die Phenylalanin-Hydroxylase nicht oder nur in geringen Mengen synthetisiert wird. Hierdurch kommt es zur häufigsten Anomalie des Aminosäurestoffwechsels, zur Phenylketonurie*. Da beim Fehlen dieses Enzyms die irreversible Umwandlung von Phenylalanin in Tyrosin nicht stattfindet, wird das Tyrosin zur essentiellen Aminosäure. * Über Einzelheiten dieser auch vom Standpunkt der Ernährungspathologie interessanten genetischen Störung informieren die Lehrbücher der Pathobiochemie (siehe Literaturempfehlungen).
466
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
H +
CH3
CH2
H
Adenin
1
COO
C OO
NH3+
PPi
H2O
C
CH2
CH2
P+ i
ATP+
CH3 S CH2 CH2 C
S
O
NH3+
H
H
H
L-Methionin
H HO
OH
S-Adenosylmethionin Methyl-Akzeptor
THF biosynthetische Methylierung 2
4
methylierterAkzeptor
N5 -Methyl-THF
H H
Adenosin
HS CH2 CH2 C
COO
S
HO 2
CH2
C
C H2
3
NH3+
CH2
Homocystein
C OO
NH3
+
O H
H
H
Serin
H HO
5
OH
S-Adenosylhomocystein H2O H
S
C H2 C H2
C
COO
H2O
H C OO
H
6
NH3+ C H2 C
NH3 H2C CH2 C
CysteinBiosynthese
-
NH3+
COO
+
HS CH2 C
α-Ketobutyrat
Cystein
+
Cystathionin
CoA-SH + NAD NADH + CO2
H2C CH2 C
SCoA
7
8
9
10
OOC
O
CH2 CH2 C
SCoA
O
Succinyl-CoA
Propionyl-CoA 1 = Methionin-Adenosyl-Transferase
6 = Cystathionase
2 = Methylase
7 =α-Ketobutyrat-Dehydrogenase
3 = Adenosyl-Homocysteinase
8 = Propionyl-CoA-Carboxylase
4 = Homocystein-Methyl-Transferase
9 = Methylmalonyl-CoA-Racemase
5 = Cystathionin-Synthase
10 = Methylmalonyl-CoA-Mutase
9.37
Abbau des Methionins zu Succinyl-CoA
COO
NH3+
O
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
467
NH3+ CH2
CH
COO
Phenylalanin Tetrahydrobiopterin + O2
1 Dihydrobiopterin + H2O
NH3+ CH2
HO
CH
COO
Tyrosin α-Ketoglutarat
2 Glutamat CH2
HO
C
COO
O
p -Hydroxyphenylpyruvat Ascorbat + O2
3
1 = Phenylalanin-Hydroxylase
Dehydroascorbat + H2O + CO2 HO
2 = Tyrosin-Transaminase CH2
COO
3 = p-HydroxyphenylpyruvatHydroxylase 4 = Homogentisat-Dioxygenase
Homogentisat
HO
O2
4
5 = Maleylacetoacetat-cis-transIsomerase 6 = Fumarylacetoacetat-Hydrolase
H C COO H C
C CH2 C
CH2 COO
O
O
Maleylacetoacetat 5 C CH2 C O
CH2 COO
O
H2 O
OOC C H H C
CH3 C
CH2 COO
O
Acetoacetat
6
Fumarylacetoacetat
OOC C H H C COO
Fumarat 9.38
Abbau des Phenylalanins und des Tyrosins zu Fumarat und Acetoacetat
468
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Die Katabolisierung des Phenylalanins beziehungsweise Tyrosins führt über eine Transaminierung, mehrere intramolekulare Umlagerungen und eine oxidative Ringsprengung schließlich zu Fumarylacetoacetat. Dieses Molekül wird hydrolytisch zu Fumarat und Acetoacetat gespalten. Das Fumarat ist im Gegensatz zu Acetoacetat ein Intermediat des Tricarbonsäurecyclus und kann zur Gluconeogenese verwendet werden. Phenylalanin und Tyrosin sind also teils glucogene, teils ketogene Aminosäuren.
9.4.3.3
Einige Aminosäuren sind hauptsächlich oder vollständig ketogen
Wie bereits Abbildung 9.33 zeigte, entstehen bei der Aldolspaltung des Threonins zwei Produkte: Das Glycin, aus dem Pyruvat entsteht, und das Acetaldehyd. Das Acetaldehyd wird zu Acetat oxidiert und in einer Thiokinase-Reaktion in Acetyl-CoA überführt. Das Threonin ist also teils glucogen, teils ketogen. Der komplizierte Abbau des Tryptophans ist in Abbildung 9.39 dargestellt. Wie bereits in Abschnitt 9.4.3.1 besprochen, trägt diese Aminosäure eine Alanin-Seitenkette, die während des Abbauweges abgespalten wird. Das Alanin wird zu Pyruvat transaminiert, worin der teilweise glucogene Charakter des Tryptophans begründet ist. Der Hauptanteil des Kohlenstoffgerüstes erscheint allerdings in den Endprodukten Acetyl-CoA und Acetoacetat, weshalb das Tryptophan als ketogene Aminosäure angesehen wird. Das Acetoacetat ist an sich ein Ketonkörper (Abschnitt 9.5.1). Das Acetyl-CoA kann einerseits zur Ketogenese verwendet werden, anderseits ist es auch Ausgangssubstrat für andere Synthesen, von denen in der Leber die Fettsäure- und die Cholesterin-Biosynthese die wichtigsten sind. Im Zusammenhang mit der Katabolisierung des Tryptophans ist es interessant, daran zu erinnern, dass – wie in Abschnitt 4.4.2.3 erwähnt – in einem Nebenweg des Tryptophanabbaus das Semi-Vitamin Niacin entsteht. Wie aus der Abbildung zu entnehmen ist, zweigt dieser Nebenweg vom Acroleyl-β-aminofumarat ab. Die Katabolisierung des Lysins führt ebenfalls über zahlreiche Intermediate, die nicht im einzelnen besprochen werden sollen, zu Acetyl-CoA und Acetoacetat (Abbildung 9.40). Der Abbau dieser Aminosäure liefert keinerlei glucogene Endprodukte, das Lysin ist ausschließlich ketogen. Das gleiche gilt für die verzweigtkettige Aminosäure Leucin (Abbildung 11.11), die ebenfalls zu Acetyl-CoA und Acetoacetat abgebaut wird.
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
CH
C
COO +
NH3
N H
O
O2
H
469
C
1
H CH2
N H H
L-Tryptophan
H
C
COO +
NH3
O
O
HCOO
H2 O
C
C
COO +
NH3
2
CH
CH2
NH2 H
N-Formylkynurenin
Kynurenin O2 + NADPH
3 H2O + NADP+
H H3 C
C
+
COO
O
H2 O
COO
H CH2
C
C
COO +
+
NH3
NH3
4
NH2
3-Hydroxykynurenin
3-Hydroxyanthranilat
Alanin
O2
NH2 H
OH
OH
5
+
zu NAD und NADP +
H2O
CO 2
COO
N
COO
Chinolinat
COO
spontan
O
CH OOC
H
6 CH OOC
O
NH2
NH2
α -Aminomuconatδ -semialdehyd
Acroleyl- β -aminofumarat
NADP +
7
AcetylCoA NH3 + + NAD(P)
O CH3
C
CH2
COO
Acetoacetat
9
16 15 14 13 12 11 10 CO2
CO2
NAD(P)H
OOC OOC
1 = Tryptophan-Dioxygenase 2 = Kynurenin-Formylase
O
NADPH
H2 O
8
α-Ketoadipat
OOC OOC
NH2
α-Aminomuconat
6 = Acroleyl-β-aminofumarat-Decarboxylase 7 = Aminomuconat-semialdehyd-Dehydrogenase
3 = Kynurenin-Monooxygenase 4 = Kynureninase
8 = Dehyratase 9 = Dehydrogenase
5 = 3-Hydroxyanthranilat-Dioxygenase
10 bis 16 = wie 5 bis 11 beim Lysinabbau
9.39
Katabolisierung des Tryptophans
470
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
COO
NADH
CH2
+
α-Ketoglutarat
H +
CH2 CH2 CH2 CH2
H 3N
C
COO
1
+
NH3
Lysin
CH2
H C
COO +
COO
NAD+
CH2 CH2 CH2 CH2
NH
C
H
NH3
Saccharopin
H2O + NAD+
2 NAD(P)H
NAD(P)
O
H OOC
CH2 CH2 CH2
Glutamat
NADH
+
C
3
COO
H
HC
CH2 CH2 CH2
C
COO +
+
NH3
NH3
α-Aminoadipat
α-Aminoadipatsemialdehyd
α-Ketoglutarat
4
NAD+
Glutamat
NADH
+
+
CO 2
CoA
O
5 OOC
CH2 CH2 CH2
C
α -Ketoadipat
O
OOC
COO
CH2 CH2 CH2
C
SCoA
Glutaryl-CoA FAD
6 FADH 2 CO 2 O H3C
CH
CH
C
O SCoA
7
Crotonyl-CoA H2O
H3C
CH
O CH2
CH2CH
CH
C
SCoA
Glutaconyl-CoA
8 NAD+
OH
OOC
C
SCoA
NADH
9
O H3C
Hydroxybutyryl-CoA
C
O C
CH2
SCoA
Acetoacetyl-CoA Acetyl-CoA
10 CoA-SH
Acetyl-CoA
CH3
O CH3
C
CH2
COO
Acetoacetat
11
OOC
2
9.40
Katabolisierung des Lysins
C
O CH2
C
OH
β-Hydroxy-β-Methyl-Glutaryl-CoA
= Lysin-α-Ketoglutarat-Dehydrogenase = Saccharopin-Dehydrogenase 3 = α-Aminoadipat-semialdehyd-Dehydrogenase 4 = α-Aminoadipat-Transaminase 5 = α-Ketoadipat-Dehydrogenase 6 = Glutaryl-CoA-Dehydrogenase 7 = Glutaconyl-CoA-Decarboxylase 8 = Enoyl-CoA-Hydratase 9 = β-Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase 10 = HMG-CoA-Synthase 11 = HMG-CoA-Lyase 1
CH2
SCoA
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
471
9.5 Die Leber spielt auch im Lipidstoffwechsel eine zentrale Rolle Zweifelsohne ist das Fettgewebe das für die Energiespeicherung und Energiemobilisierung wichtigste Organ des Menschen. Die metabolischen Prozesse, die mit diesen Funktionen in direktem Zusammenhang stehen, – die Synthese und der Abbau der Fettsäuren sowie der Triglyceride – werden in Kapitel 10 detailliert besprochen. Die genannten Vorgänge des Lipidstoffwechsels finden jedoch in jeder Zelle und somit auch in den multifunktionellen Hepatocyten statt, sind jedoch quantitativ bei weitem nicht so bedeutend wie in den Adipocyten. In der Leber spielen sich dagegen einige spezielle Prozesse des Lipidstoffwechsels ab, auf die sich dieses Kapitel konzentrieren wird. So ist die Synthese der Ketonkörper absolut leberspezifisch; zur Synthese von Cholesterin sind zwar auch andere Organe befähigt, jedoch die Umwandlung des Cholesterins in die Gallensäuren ist ebenfalls eine spezifische Leistung der Leber; schließlich sind die meisten Lipoproteine des Blutplasmas Syntheseprodukte der Leber. Im Zentrum des Lipidstoffwechsels steht auch in den Hepatocyten das Acetyl-CoA. Bekanntlich kann diese wichtige Verbindung des gesamten Metabolismus aus verschiedenen Quellen stammen, die je nach Stoffwechsellage von unterschiedlicher quantitativer Bedeutung sind. Wie bereits besprochen, entsteht über die Reaktionsfolge, die der Pyruvat-Dehydrogenase-Komplex katalysiert, Acetyl-CoA aus Pyruvat (Abschnitt 9.3.4). Zu den Hauptlieferanten von Acetyl-CoA zählen auch die Fettsäuren, die in der β -Oxidation abgebaut werden (Abschnitt 10.2.3.2). Die Fettsäuren können sowohl Produkte der endogenen Synthese der Leberzelle als auch extrahepatischen Ursprungs sein. Kleinere Mengen an Acetyl-CoA entstehen schließlich durch Abbau der ketogenen Aminosäuren, wie in Abschnitt 9.4.3.3 gezeigt. Der aus verschiedenen Quellen gespeiste Acetyl-CoA-Pool wird von der Leberzelle je nach Stoffwechsellage für unterschiedliche Zwecke genutzt. Acetyl-CoA wird nach Kondensation mit Oxalacetat als Citrat in den Tricarbonsäurecyclus eingeführt, zu CO2 abgebaut, und dient damit der oxidativen Gewinnung biologischer Energie (Abschnitt 5.2). Diese Verwendung hat Vorrang, solange die Anlieferung von Fettsäuren an die Leber – und damit die Entstehung von Acetyl-CoA – unterhalb einer bestimmten Grenze bleibt. Wird diese überschritten, so wird das Acetyl-CoA in überdurchschnittlichem Umfang zur Synthese von Ketonkörpern herangezogen. Ist die exogene Anlieferung von Fettsäuren nicht ausreichend, so muss auch die Leberzelle Acetyl-CoA zur Synthese von Fettsäuren verwenden, die dann zum Aufbau von Triglyceriden, Phospholipiden und anderen Lipidabkömmlingen genutzt werden. Schließlich wird ein gewisser Anteil des Acetyl-CoA-Vorrats für die Synthese von Cholesterin aufgewendet, woraus unter anderem auch Gallensäuren gebildet werden. Es besteht somit eine Konkurrenz der einzelnen Prozesse um das gemeinsame Substrat Acetyl-CoA. Dies setzt eine dem Bedarf entsprechende Regulation voraus, die im weiteren besprochen wird.
9.5.1 Die Bildung von Ketonkörpern dient der Energiekonservierung Als einziges Körperorgan besitzt die Leber die komplette enzymatische Ausstattung zur Synthese der Ketonkörper Acetoacetat und β -Hydroxybutyrat. Auch Aceton wird zu den Ketonkörpern gerechnet, allerdings ist dessen Synthese unabhängig von Enzymen. Die Enzyme der Ketonkörpersynthese sind im Mitochondrion lokalisiert, an dem Ort
472
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
also, wo auch die überwiegende Menge des Acetyl-CoA entsteht, das als ausschließlicher Baustein der Ketonkörper fungiert. In Abbildung 9.41 ist der Syntheseweg der Ketonkörper dargestellt. Im ersten Schritt, den eine β-Ketothiolase katalysiert, kondensieren zwei Moleküle Acetyl-CoA zu Acetoacetyl-CoA. An dessen Carbonyl-Kohlenstoff wird durch die β-Hydroxy-βmethylglutaryl-CoA-Synthase ein weiteres Molekül Acetyl-CoA angefügt. Das entstandene β-Hydroxy-β-methylglutaryl-CoA wird durch eine Lyase zu Acetoacetat und Acetyl-CoA gespalten, das somit für weitere Synthesen zur Verfügung steht. Die β-Hydroxybutyrat-Dehydrogenase hydriert das Acetoacetat zu β-Hydroxybutyrat, dem
O CH3
O
C
+
SCoA
CH3
Acetyl-CoA
C
SCoA
Acetyl-CoA Thiolase (Acetyl-CoA-Acetyltransferase)
CoA-SH O CH3
CH2
C
SCoA
Acetoacetyl-CoA
O CH3
O
C
C
SCoA
Hydroxymethylglutaryl-CoA-Synthase (HMG-CoA-Synthase)
CoA-SH
OH O2C
CH2
C
O CH2
C
SCoA
CH3
β-Hydroxy-β-methylglutaryl-CoA (HMG-CoA) O CH3
C
Aceton
Hydroxymethylglutaryl-CoA-Lyase
CH3
(HMG-CoA-Lyase)
CO2 O
O O2C
CH2
C
+
CH3
CH3
C
SCoA
Acetyl-CoA
Acetoacetat H+ + NADH
β-Hydroxybutyrat -Dehydrogenase NAD+ OH O2C
CH2
C
CH3
H
β-Hydroxybutyrat
9.41
Syntheseweg der Ketonkörper
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
473
zweiten Ketonkörper. Das flüchtige Aceton entsteht durch spontane Decarboxylierung des Acetoacetats. Die Ketonkörper werden ausschließlich in extrahepatischen Geweben zur Energiegewinnung verwertet. Sie stellen keine Abfallprodukte von geringem physiologischen Wert dar, sondern sind als normale Brennstoffe der Zellatmung und als Energiequellen quantitativ bedeutsam. So bevorzugen der Herzmuskel und die Nierenrinde Acetoacetat gegenüber Glucose. Alle nicht obligat auf Glucose angewiesenen Organe vermögen sie als leicht oxidierbare Substrate zu nutzen. Sogar das ZNS, das seinen Energiebedarf normalerweise durch Metabolisierung von Glucose deckt, erhält nach einigen Tagen Nahrungskarenz die Fähigkeit Ketonkörper zu utilisieren. Die Rücküberführung der Ketonkörper in Acetyl-CoA, als energetisch verwertbares Substrat, ist in Abbildung 9.42 dargestellt. Die reversibel katalysierende β-Hydroxybutyrat-Dehydrogenase dehydriert das β-Hydroxybutyrat zu Acetoacetat. Die Ketoacyl-CoA-Transferase katalysiert eine Transacylierung, bei der der CoA-Rest von Succinyl-CoA auf das Acetoacetat übertragen wird. Das Acetoacetyl-CoA wird dann von einer Thiolase gespalten, wobei zwei Moleküle Acetyl-CoA entstehen, die in verschiedene Stoffwechselwege eingespeist werden können. OH CH 3
C
CH2
CO 2
H
β -Hydroxybutyrat NAD+ β -Hydroxybutyrat-Dehydrogenase NADH + H+ O CH3
C
CH2
CO 2
Acetoacetat
O O2C
CH2
CH2
C
SCoA
Succinyl-CoA
Ketoacyl-CoA-Transferase O2C O CH3
C
CH2
O CH2
C
CH2
CO2
Succinat
SCoA
Acetoacetyl-CoA CoA-SH Thiolase
O C3H
C
O SCoA
Acetyl-CoA
+
CH3
C
SCoA
Acetyl-CoA
9.42
Gewinnung von Acetyl-CoA aus den Ketonkörpern
474
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Neben dieser Succinyl-CoA-abhängigen Aktivierung der Ketonkörper ist auch eine direkte ATP-abhängige Aktivierung möglich, die jedoch weniger bedeutend ist. Dabei erfolgt die Anfügung des CoA an das Acetoacetat mit Hilfe der Acetoacetat-Thiokinase. Die Ketogenese ist eine metabolische Leistung der Leber, die in einer engen Beziehung zum Fettsäurestoffwechsel steht und in geringem Umfang bei jeder Stoffwechsellage stattfindet. Welche Intensität sie annimmt, hängt allein von dem Fettsäureangebot für die Hepatocyten ab. Im Hungerzustand steigt der Spiegel an freien Fettsäuren, da die Lipasen der Fettzellen durch Hormone wie Adrenalin und Glucagon stimuliert werden. Insulin hemmt dagegen die Lipolyse. In einem sehr weiten Bereich ist die Aufnahme der Fettsäuren in die Leberzelle der Konzentration im Blut direkt proportional. Ist die Kapazität zur Verwertung der Fettsäuren zur Energiegewinnung in der Leber überschritten, wird das aus der β-Oxidation entstehende Acetyl-CoA bevorzugt zur Synthese der Ketonkörper verwendet. Die Frage nach den Ursachen dieser Erscheinung beschäftigte Jahrzehnte hindurch mehrere Arbeitsgruppen, ohne dass es gelungen wäre, eine allgemein akzeptierte Antwort zu finden. Die Lipolyse im Fettgewebe ist also die erste Ebene, auf der ein Einfluss auf die Intensität der Ketonkörpersynthese ausgeübt wird. Aus diesem Gewebe stammt die weitaus größte Menge der im Blut zirkulierenden Fettsäuren. Somit beeinflussen alle Faktoren, die den Abbau der Triglyceride steuern (Abschnitt 10.3.3), auch die Ketogenese. Die Leberzelle verwendet einen Teil der Fettsäuren –gleichgültig, ob sie exogenen oder endogenen Ursprungs sind – nach Aktivierung zu Acyl-CoA zur Bildung von Triglyceriden, Phospholipiden und Cholesterinestern. Die für die Triglycerid-Synthese aufgewendete Menge an Fettsäuren ist gering, weil die Leber keine nennenswerte Mengen an Triglyceriden speichert. Es wird auch diskutiert, dass unter den hormonellen Bedingungen, die zu einer gesteigerten Fettmobilisierung führen, die Triglyceridsynthese wenig Bedeutung hat. Als Ursache hierfür wird angenommen, dass vor allem die geringe Verfügbarkeit des α-Glycerophosphats in dieser Situation der begrenzende Faktor ist. Es besteht keine einheitliche Meinung darüber, wie bedeutend dieser Effekt ist. Es wird auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass bei lipolytischer Stoffwechsellage der Eintritt von aktivierten Fettsäuren in das Mitochondrion mit Hilfe der Carnitin-Palmitoyl-Transferase erleichtert ist, und so die Fettsäuren der Esterbildung entzogen werden. Sind genügend energiereiche Verbindungen für die Verbrennung vorhanden, ist Malonyl-CoA in großen Mengen vorhanden. Es ist bekannt, das MalonylCoA die Carnitin-Acyltransferase hemmt. Damit ist in Zeiten des Überflusses der Transport aktivierter Fettsäuren in das Mitochondrion erschwert. Jener Anteil der Fettsäuren, der für die cytosolische Esterbildung nicht benötigt wird, gelangt in die Mitochondrien und wird im Zuge der β-Oxidation zu Acetyl-CoA abgebaut. Auf dieser Stufe fällt dann die Entscheidung, ob Acetyl-CoA über den Tricarbonsäurecyclus zur Energiegewinnung genutzt oder zur Ketogenese verwendet wird. Es gibt mehrere, experimentell untermauerte Erklärungsansätze, wie Acetyl-CoA zwischen den Prozessen der Energiegewinnung und der Ketogenese verteilt wird. Je mehr Fettsäuren in der β-Oxidation abgebaut werden, umso höher ist auch der Bedarf an oxidierten Coenzymen, NAD und FAD. Der Tricarbonsäurecyclus ist bekanntlich auf diese Cofaktoren ebenfalls angewiesen. Damit erscheint es plausibel, dass der Mangel an oxidierten Coenzymen zu einer Schwächung des Tricarbonsäurecyclus führt. Das dadurch übrigbleibende Acetyl-CoA ist somit für die Ketogenese verfügbar. Eine besondere Bedeutung misst man in diesem Zusammenhang der Verschiebung des Gleichgewichtes der Malat-Dehydrogenase-Reaktion zu. Die Zunahme der Menge an reduzierten Coenzymen ist gleichbedeutend mit einem Abfall der Oxalacetat-Kon-
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
475
zentration. Es fehlt somit der Kondensationspartner für die Bildung von Citrat, und der weitere Ablauf des Tricarbonsäurecyclus wird bereits initial unterbunden. Ein Mangel an Oxalacetat bedeutet gleichzeitig eine reduzierte Gluconeogenese. Weiterhin wird angenommen, dass die Leber bestrebt ist, die ATP-Menge, die sie durch Oxidation von Fettsäuren gewinnt, in bestimmten Grenzen zu halten. Die Synthese von Ketonkörpern stellt somit eine energiekonservierende Maßnahme dar. Statt ATP in Mengen zu produzieren, die weit über dem Bedarf des Organs liegen, werden energetisch gut verwertbare „Energieträger“ in Form von Ketonkörpern synthetisiert. Diese haben gegenüber den Fettsäuren, die die meisten Zellen ebenfalls zur Energiegewinnung nutzen, den erheblichen Vorteil einer beinahe unbegrenzten Löslichkeit in der Wasserphase des Blutplasmas. Man kann Acetoacetat auch als wasserlösliche, transportable Form von Acetyleinheiten betrachten. Dagegen werden Fettsäuren mittels Transportvermittler über das Blutkompartiment verteilt. Als solcher fungiert vor allem das Albumin des Plasmas, dessen Bindungsstellen für Fettsäuren – um die auch weitere Liganden konkurrieren – allerdings begrenzt sind. Die Ketogenese hat somit eine besondere, unter Umständen lebensrettende Funktion im Falle mehrwöchiger Fastenperioden, in denen das gesamte Depotfett abgebaut wird. Da, wie bereits erwähnt, die Leber selbst keine Ketonkörper verwertet, werden diese an das Blut abgegeben. Die Ketonkörperkonzentration im Blutplasma eines Erwachsenen beträgt nach 12 bis 16 Stunden Nahrungskarenz 0,08 bis 0,2 mmol × L–1. Das Verhältnis von β-Hydroxybutyrat zu Acetoacetat ist etwa 3 zu 1. Die Verwertung der Ketonkörper in den extrahepatischen Geweben ist bis zu einer Plasmakonzentration von 7 mmol × L–1 dem Angebot proportional. Bei maximaler Auslastung der Ketonkörperverwertung können bis zu 90 % des Sauerstoffs für die Ketonkörperoxidation verwendet werden. Bei einem weiteren Anstieg der Ketonkörper im Blut werden diese renal eliminiert, und es kommt zu einer Ketonurie. Allerdings haben die Nieren nur eine begrenzte Fähigkeit zur Eliminierung von Ketonkörpern. Totaler Insulinmangel und starkes Überwiegen der lipolytischen Hormone kann bei Diabetikern zu einer akuten Entgleisung der Stoffwechsellage mit Mobilisierung sehr großer Fettsäuremengen führen. Die Ketonkörper-Synthese überschreitet in dieser Situation bei weitem die Grenzen der Verwertung und der renalen Ausscheidung. Sie verbleiben dann im Blut. Da die Ketonkörper im Plasma vollständig dissoziieren, werden die Puffersysteme des Blutes überfordert, und es kommt zu einem Absinken des pHWertes unter 7. Diese schwere metabolische Acidose ist ein oft lebensbedrohender Zustand beim Coma diabeticum.
9.5.2 Die Leber synthetisiert einen großen Teil des endogenen Cholesterins Das Isoprenderivat Cholesterin ist ein Steroid tierischer Organismen, zu dessen Synthese, je nach Gewebe, mehr oder minder große Anteile des zellulären Acetyl-CoAPools verwendet werden. Alle Membranen der tierischen Zelle enthalten Cholesterin (Abschnitt 1.1.1.1). Weiterhin ist Cholesterin das Ausgangssubstrat zahlreicher sonstiger Steroide, einschließlich der Gallensäuren. Prinzipiell sind alle Gewebe zur Synthese von Cholesterin befähigt, von quantitativer Bedetung als Orte der Synthese sind jedoch die Leber und das intestinale Gewebe. Bereits der fötale Organismus ist dazu imstande, das komplexe Molekül aufzubauen. Neuere Untersuchungen lassen die Annahme zu, dass das Cholesterin eine spezifische
476
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Funktion bei der Regulation der Organogenese des Fötus hat. Die intrauterine Syntheserate liegt höher als jene unmittelbar nach der Geburt, und sie hat einen Höhepunkt gleich nach dem Abstillen. Beim Erwachsenen variiert die Syntheserate in Abhängigkeit von verschiedenen endogenen und exogenen Faktoren. Es ist evident, dass die Intensität der Cholesterin-Biosynthese beträchtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Gewebearten aufweist. Intrazellulärer Ort der Cholesterin-Synthese ist das glatte endoplasmatische Reticulum (Abschnitt 1.2.2.1). Der recht komplizierte Syntheseweg lässt sich in drei Phasen einteilen*. In der ersten Phase, die in Abbildung 9.43A dargestellt ist, entsteht aus insgesamt 3 Molekülen Acetyl-CoA zunächst das β-Hydroxy-β-methylglutaryl-CoA (HMG-CoA). Dieses wird anschließend von dem Schlüsselenzym der Cholesterin-Biosynthese, der β-Hydroxy-β-methyl-glutaryl-CoA-Reductase mittels NADPH unter gleichzeitiger Abspaltung des CoA-Restes reduziert. Die Reduktion findet an der Carboxylgruppe statt, die den Thioester trägt. Es entsteht die Mevalonsäure, eine verzweigtkettige Verbindung aus 6 Kohlenstoffatomen.
O C~ S
CH3
CoA
2 Acetyl-CoA
Thiolase CoA-SH
O CH2
C
C~ S
CH2
CoA
O
Acetacetyl-CoA O CH3
H2O
C~ S
CoA
HMG-CoA-Synthase CoA-SH CH3 OOC
CH2
C
O CH2
C~ S
CoA
OH
β-Hydroxy-β-methylglutaryl-CoA (HMG-CoA) 2 NADPH + 2H
+
HMG-CoA-Reductase 2 NADP+ CoA-SH CH3 OOC
CH2
C
CH2
OH
Mevalonat
CH2
OH
9.43A Erste Phase der CholesterinBiosynthese
* Die einzelnen Reaktionen der Cholesterin-Biosynthese werden in größeren Lehrbüchern der Biochemie detailliert beschrieben (siehe Literaturempfehlungen).
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
ADP
ATP H3C
OH C
OOC
Mg
H3C
Mevalonat Kinase
CH2
P CH2
CH2
O
Mg P
CH2
CH2
H3C
2+
P
OH C
OOC
Kinase
CH2
Mevalonat -3-phospho-5pyrophosphat
CH2 CH2
O
P
P
Mevalonat -5pyrophosphat CO2 + Pi
Pyrophosphomevalonat Decarboxylase CH3 C
CH2
O P Mevalonat -5-phosphat ATP Phosphomevalonat Mg 2+ Kinase ADP ATP ADP
OH
OH O C
OH C
OOC
Mevalonat
OOC
H3C
2+
CH2 CH2
CH2
477
CH3 CH2
P
CH O P 3,3-Dimethylallylpyrophosphat
H3C
IsopentenylC CH2 pyrophosphat CH O H C P 2 2 Isomerase Isopentenylpyrophosphat
Cis-PrenylTransferase
PPi
CH3 C H3C
CH3 CH2
C
CH2
O P Geranyl-pyrophosphat CH
CH2
Cis-PrenylTransferase
CH2
P
PPi CH2 O
P
Farnesyl-pyrophosphat NADPH + H 2+
Squalen-Synthetase
+
2+
Mg , Mn 2PPi
+
NADP
CH2
CH2
Squalen 9.43B Zweite Phase der Cholesterin-Biosynthese
P
P
478
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
CH2
CH3
CH
C
18
26
CH3 CH2
HC
H2C CH3
CH2 H2C
HC
CH
CH2
C
CH2
C
C
HC
CH3
HC
1/2
O2
3
C
14
27
D
8
A
5
B
4
CH2
HO
CH2
C
19 1
Schritt 1
CH3 CH3
HC
24
C
CH3
Lanosterin
CH3
Schritt 2
Squalen
3 CH3 21 21 18
26 24
19
C
1
3
A
14
5
B
26 24
D
19
8
C
1
Schritt 3 NADPH + H+
4
3
A
14
D
8
5
B
4
HO Cholesterin
9.43C
18
27
HO
Zymosterin
Dritte Phase der Cholesterin-Biosynthese
In der zweiten Phase (Abbildung 9.43B) der Biosynthese wird das Mevalonat in drei enzymkatalysierten Schritten zu Mevalonat-3-phospho-5-pyrophosphat phosphoryliert. Diese instabile Zwischenverbindung wird durch eine spezifische Decarboxylase – bei gleichzeitiger Abspaltung eines Phosphatrestes – decarboxyliert. Das entstandene aktive Isopren, Isopentenylpyrophosphat, isomerisiert zu 3,3-Dimethylallylpyrophosphat. Die beiden isomeren C5-Einheiten, Dimethylallylpyrophosphat und Isopentenylpyrophosphat, kondensieren zu einer C10-Verbindung, dem Geranylpyrophosphat. Die gleiche Reaktion bestehend aus Isomerisierung, Kondensation und Elimination, findet noch einmal statt, und es entsteht das aus 15 Kohlenstoffatomen bestehende Farnesylpyrophosphat. Derartige Kopf-Schwanz-Kondensationen von aktivierten Isoprenmolekülen spielen häufig eine Rolle bei der Biosynthese von Naturprodukten, beispielsweise von Ubichinon (Abschnitt 5.2.2.1), Dolichol, Carotinoiden und vielen anderen. Der nächste Reaktionsschritt ist eine reduktive Kondensation zweier Farnesylpyrophosphate und führt zum unmittelbaren Vorläufer des Cholesterins, zum Squalen. Diese aus 30 Kohlenstoffatomen bestehende Verbindung ist das Produkt einer KopfKopf-Kondensation von zwei Farnesylpyrophosphaten. Bei dieser Reaktion werden beide Pyrophosphatreste abgespalten, und es erfolgt eine Reduktion mittels NADPH. Das Squalen ist letztlich eine Verbindung, die durch stufenweise Kondensation aus sechs Isoprenresten entsteht, wobei bei zwei Reaktionsschritten je ein NADPH verwendet wird. Alle 30 Kohlenstoffatome des Squalens stellen die Acetyl-CoA-Moleküle zur Verfügung. In der dritten Phase der Cholesterin-Biosynthese entsteht aus dem linearen Squalen das cyclische System des Sterangerüstes. In der linken oberen Ecke von Abbildung 9.43C ist die Struktur des Squalens bereits entsprechend „zurechtgebogen“. Die Bildung des Cholesterins aus Squalen, – für die bis zu 20 enzymatische Reaktionen not-
27
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
479
wendig sind –, lässt sich in drei Schritte gliedern. Im ersten Schritt wird, wahrscheinlich über ein Epoxid, eine OH-Gruppe am C-3 eingeführt. Weiterhin finden verschiedene Umlagerungen von Hydrid-Ionen und CH3-Gruppen statt. Durch Ringschluss entsteht das erste cyclische Zwischenprodukt, das Lanosterin. Im Schritt 2 werden 3 CH3-Gruppen eliminiert und es entsteht das Zymosterin. Im Schritt 3 kommt es zur Sättigung der Seitenkette und zur Wanderung der Doppelbindung in Ring B. Das entstandene Cholesterin besteht aus 27 Kohlenstoffatomen, die die Ringe A, B, C und D sowie die Seitenkette bilden.
9.5.2.1
Die β-Hydroxy-β-methyl-glutaryl-CoA-Reductase ist das Schlüsselenzym der Cholesterin-Biosynthese
Die Synthese des Cholesterins ist ein hochkomplizierter, energieverbrauchender Prozess. Es ist daher verständlich, dass alle Möglichkeiten der enzymatischen Regulation ausgeschöpft werden, um die Intensität der Synthese dem aktuellen Bedarf des Organismus anzupassen. Das bedeutet, sie weitgehend zu drosseln, wenn die alimentäre Cholesterinzufuhr hoch genug ist. Endogenes Cholesterin soll in dieser Situation lediglich zur Ergänzung des exogenen dienen. Eine nicht regulierte Cholesterinprodukton, – wie dies beispielsweise bei der hereditären Hypercholesterinämie in dramatischer Ausprägung auftritt –, führt zur Ablagerung von atherosklerotischen Plaques in den Blutgefäßen. Wie weltweite epidemiologische Studien zeigen, gehört die Hypercholesterinämie ganz allgemein – das gilt nicht nur für diese Erbkrankheit – zu den wichtigsten Risikofaktoren der Koronarsklerose. Dies erklärt das Interesse, das der Regulation der Cholesterin-Biosynthese auch von Seiten der Kliniker entgegengebracht wird. Die Cholesterin-Konzentration im Blut wird allerdings nicht allein von der Intensität der Synthese determiniert. Sie ist vielmehr das Resultat der Menge des alimentär zugeführten und des endogen synthetisierten Cholesterins sowie des Cholesterinumsatzes und der Cholesterinausscheidung. Die Regulation der Synthese kann daher nicht isoliert betrachtet werden, ohne die anderen Einflussfaktoren einzubeziehen. Zu den ersten Beobachtungen im Zusammenhang mit der Regulation der Cholesterin-Synthese gehörte die deutliche Abnahme der Aktivität der β-Hydroxy-β-methylglutaryl-CoA-Reductase (HMG-CoA-Reductase) bei längerer Nahrungskarenz, die von entsprechendem Absinken des Blut-Cholesterin-Spiegels begleitet ist. Wie bereits erwähnt, ist die HMG-CoA-Reductase das geschwindigkeitsbestimmende Schlüsselenzym der Cholesterin-Biosynthese, wenn auch nach neueren Untersuchungen noch zwei weitere Enzyme der Synthesekette Einfluss auf die Syntheserate haben könnten. Die Regulation der Aktivität der HMG-CoA-Reductase erfolgt sowohl auf der Ebene der Transkription als auch posttranslational durch Interkonversion und durch kompetitive Hemmung. Durch den Einsatz mehrerer Regulationsmöglichkeiten kann die Aktivität dieses Enzyms um mehrere Größenordnungen variiert werden. Die sehr kurze biologische Halbwertszeit des Enzyms von 2 bis 3 Stunden begünstigt eine effektive Regulation auf der Transkriptionsebene. Die gleichen Faktoren, die die Transkription der HMG-CoA-Reductase steuern, beeinflussen auch die Expression zweier Gene, die für weitere Enzyme der Synthesekette codieren, die HMG-CoA-Synthase und die cisPrenyl-Transferase (Abbildung 9.43B). Das gilt auch für die Expression des Gens für den LDL-Rezeptor, der eine wesentliche Rolle beim Cholesterinumsatz spielt. Cholesterin, sonstige Sterine, Gallensäuren und der Zwischenmetabolit der Synthese, die Mevalonsäure, unterdrücken die Transkription der Gene der genannten En-
480
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
zymproteine, während Cholesterinmangel ihre Transkription fördert. In der Promotorregion dieser Gene ist inzwischen das Sterolregulationselement 1 (SRE1) identifiziert worden, das aus 8 Nucleotiden besteht (Abschnitt 1.3.1.1). Auch verschiedene Bindungsproteine für das SRE1 sind nachgewiesen worden, die möglicherweise durch das 25-Hydroxy-Cholesterin aktiviert werden und dann die Transkription der Gene herabsetzen. Es ist bereits lange bekannt, dass die Gallensäuren nicht nur Abbauprodukte des Cholesterins sind (Abschnitt 9.5.3), sondern auch eine bedeutende Rolle bei der Regulation der Cholesterin-Biosynthese spielen, indem sie diese stark hemmen. Verabreicht man ein nicht resorbierbares Austauscherharz (Cholestyramin), das die Gallensäuren im Darm bindet und ihre Rückresorption vermindert, nimmt die Cholesterin-Biosynthese erwartungsgemäß zu, da der Hemmeffekt der Gallensäuren wegfällt. Dennoch lässt sich durch diese Maßnahme die Konzentration des Cholesterins im Blutplasma erheblich senken. Dieser paradox erscheinende Effekt kommt dadurch zustande, dass durch Reduktion der Gallensäure-Rückresorption und der dadurch bedingten Verminderung der Gallensäure-Konzentration in der Leber die Umwandlung des Cholesterins in Gallensäuren stark beschleunigt wird. Hierbei überwiegt der Cholesterin-Abbau deutlich gegenüber der Cholesterin-de novo-Synthese. Für eine pharmakologische Intervention eignen sich spezifische Pilzmetaboliten oder von ihnen abgeleitete Verbindungen. Diese sind höher molekulare Verbindungen, die kovalent gebundene Mevalonsäure enthalten. Sie binden sich mit hoher Affinität an das aktive Zentrum der HMG-CoA-Reductase und hemmen entsprechend einer posttranslationalen Regulation die Cholesterin-Biosynthese vollständig. Interessanterweise erhöht sich gleichzeitig die Menge des Enzymproteins, da die Translation der mRNA der Reductase um das Fünffache zunimmt, und der Abbau sich so stark verlangsamt, dass die biologische Halbwertszeit auf etwa 11 Stunden ansteigt. Hydroxysterole und Mevalonsäure verkürzen dagegen die t/2 auf weniger als 40 Minuten. Über den Mechanismus dieser Effekte besteht noch Unklarheit. Man vermutet jedoch, dass sie über die sieben Transmembran-Domänen der Reductase vermittelt werden. Diese Domänen, mit denen das Enzym in der Membran des endoplasmatischen Reticulums verankert ist, sind wahrscheinlich für die Regulation der biologischen Halbwertszeit der HMG-CoA-Reductase zuständig. Eine weitere Möglichkeit der Regulation des Schlüsselenzyms ergibt sich dadurch, dass es interkonvertierbar ist. Die aktive HMG-CoA-Reductase ist nicht phosphoryliert. Eine 5’-AMP-abhängige Proteinkinase phosphoryliert das Enzymprotein, wodurch es in die inaktive Form übergeht. Die Dephosphorylierung katalysiert eine Phosphoprotein-Phosphatase. Die 5’AMP-abhängige Proteinkinase hat wahrscheinlich nicht nur für die HMGCoA-Reductase eine wichtige regulatorische Funktion. Ein erhöhter intrazelluärer 5’AMP-Spiegel ist stets ein Signal für die Erschöpfung der ATP-Reserven, eine Situation, in der energieverbrauchende Prozesse – wie die Cholesterin-Biosynthese einer ist – möglichst gedrosselt werden sollten. Durch Phosphorylierung und damit Inaktivierung der HMG-CoA-Reductase durch diese Kinase wird dieses Ziel erreicht.
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
9.5.2.2
481
Der Cholesterin-Austausch zwischen den Geweben wird durch Lipoprotein-Komplexe vermittelt
Wie einleitend erwähnt, ist Cholesterin essentieller Bestandteil tierischer Membranen, Vorstufe für die Synthese von Steroiden und –- im Falle der Hepatocyten – auch zur Bildung von Gallensäuren. Da der Mensch täglich etwa 1 g Cholesterin – jeweils zur Hälfte als Cholesterin selbst und zur Hälfte als Gallensäuren – eliminiert, muss diese Menge ersetzt werden. Die tägliche alimentäre Cholesterin-Zufuhr beträgt bei gemischter Kost zwischen 300 und 500 mg. Die Differenz kann ohne weiteres endogen synthetisiert werden. Etwa die Hälfte des endogenen Cholesterins wird in der Leber gebildet, die andere Hälfte wird im Darmgewebe und in der Haut synthetisiert. Im vorherigen Abschnitt wurden die Regulationsmechanismen beschrieben, die auf molekularer Ebene für die Anpassung der Cholesterin-Biosynthese an den Bedarf des Organismus sorgen. Auf der Ebene des Organismus betrachtet sind es zwei Hormone, das Insulin und die Schilddrüsenhormone, die die Biosynthese fördern, während die Insulin-Antagonisten, die Catecholamine und in gewissem Umfang auch die Corticosteroide die Biosynthese reduzieren. Entsprechend ist die Cholesterin-Synthese bei Diabetes mellitus stark herabgesetzt. Trotzdem kann der Blut-Cholesterin-Spiegel von Diabetikern hoch sein, da gleichzeitig der Umsatz und die Ausscheidung verlangsamt sind. Eine ähnliche Situation findet man bei der Hypothyreose, während bei SchilddrüsenÜberfunktion sowohl Biosynthese als auch Cholesterin-Umsatz gesteigert sind. Der Cholesterin-Status des Organismus wird anhand der Konzentration des Cholesterins im Blutplasma beurteilt. Diese variiert in Abhängigkeit von der Cholesterin-Aufnahme mit der Nahrung und der endogenen Cholesterin-Synthese. Außerdem hängt sie von Alter und Geschlecht ab. Beim Mann steigt der Plasma-Cholesterin-Spiegel beginnend mit der Pubertät bis zur fünften Lebensdekade an. Bei der Frau dauert der allmähliche Anstieg bis zum siebten Lebensjahrzehnt an. Im Allgemeinen ist die PlasmaCholesterin-Konzentration bei der Frau bis zum mittleren Lebensalter etwas niedriger als beim Mann. Der Plasma-Cholesterin-Spiegel des Erwachsenen wird bei einer in den westlichen Ländern üblichen Ernährung mit 3,2 bis 7,1 mmol × L–1 (1 250 bis 2 750 mg × L–1) angegeben*. Das in der Leber und in sonstigen Geweben synthetisierte sowie das alimentär zugeführte Cholesterin werden im Blut in Form von Lipoproteinpartikeln transportiert. In den Abschnitten 8.3.2 und 8.3.3 wurde der Transport der Lipide, einschließlich des Cholesterins, sowie die Eigenschaften und Zusammensetzung der Lipoproteine, ihre vielfältige Modifikation im Blutplasma und die Rolle der Leber als zentraler Ort des Umsatzes ausführlich dargestellt. Die Verteilung des Cholesterins – und sonstiger Lipide – zwischen der Leber und den extrahepatischen Geweben ist sehr komplex. Allgemein erhalten Zellen außerhalb von Leber und Darm das Cholesterin aus dem Plasma über Lipoproteine und nicht durch Neusynthese. Triglyceride, Cholesterin und andere Lipide aus der Nahrung werden durch Chylomikronen vom Darm zum Fettgewebe und zur Leber transportiert. In den Gefäßwänden der Blutkapillaren, im Muskel und anderen Geweben lokalisierte Lipoproteinlipasen hydrolysieren die Triglyceride der Chylomikronen und es entstehen sogenannte Chylomikronen-Remnants. Diese sind sehr cholesterinreich und werden durch die Apolipoproteine B100 und E stabilisiert. Diese sind zugleich die Liganden spe* Die pathophysiologische Relevanz des Plasma-Cholesterin-Spiegels beziehungsweise der Lipoproteine des Blutes werden in den Lehrbüchern der Pathophysiologie eingehend behandelt (siehe Literaturempfehlung).
482
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
zifischer Lipoprotein-Rezeptoren der Hepatocyten, und der Rezeptor-LipoproteinKomplex wird durch Endocytose aufgenommen. Das bei ihrem Abbau freiwerdende Cholesterin wird dem Pool der Leber zugefügt. Von der Leber nicht benötigte Triglyceride und Cholesterin sowie de novo-synthetisiertes Cholesterin werden in Form von VLDL in das Blut abgegeben. Diese Partikel enthalten sowohl freies Cholesterin als auch mit langkettigen Fettsäuren verestertes Cholesterin. Deren Synthese katalysiert die Lecithin-Cholesterin-Acyl-Transferase (LCAT) (Abbildung 8.10). Die Assemblierung der VLDL-Partikel mit ihren Apolipoproteinen – hauptsächlich vom Typ CI, CII, CIII, B100 und E – erfolgt im Golgi-Apparat der Hepatocyten. Die in Sekretgranula gespeicherten nascierenden VLDL gibt der Hepatocyt in das Blutplasma ab. Dort unterliegen diese einem Interkonversionsprozess unter Beteiligung der Lipoproteinlipase. Als Übergangsform tritt IDL (intermediate density lipoprotein) auf, aus dem schließlich das LDL (low density lipoprotein) entsteht (Abschnitt 8.3.3). Die LDL (low density lipoprotein) enthalten von allen Lipoproteinen des Plasmas das meiste Cholesterin und Cholesterin-Ester. Auch die LDL sind Produkte der Leber, und ihre Hauptaufgabe besteht darin, die extrahepatischen Gewebe mit Cholesterin zu versorgen, wo es vor allem als Membranbaustein dient. Wie bereits kurz erwähnt (Abschnitt 1.1.3.11), erfolgt die Aufnahme der LDL-Partikel in die Zielzellen durch Rezeptor-vermittelte Endocytose. Als Ligand des LDL-Rezeptors fungiert das Apolipoprotein B100. Die internalisierten LDL-Partikel werden lysosomal abgebaut. Der Proteinanteil wird durch Proteasen hydrolysiert, und lysosomale saure Hydrolasen spalten die Cholesterinester. Das freigesetzte Cholesterin hemmt die Cholesterinbiosynthese an den Membranen des endoplasmatischen Reticulums der Zielzellen. Gleichzeitig wird die Reveresterung des Cholesterins durch die Lecithin-Cholesterin-Acyl-Transferase gefördert, wodurch die Speicherform des Cholesterins entsteht. Die LDL-Rezeptor-vermittelten Prozesse spielen vor allem in den extrahepatischen Geweben eine Rolle für die Steuerung des Cholesterinstoffwechsels der Zielzellen. Die Hepatocyten besitzen ebenfalls LDL-Rezeptoren, und in bestimmten Situationen kommt auch für sie die LDL-Rezeptor-vermittelte Versorgung mit Cholesterin beziehungsweise die entsprechende Steuerung der Biosynthese in Frage. Cholesterin extrahepatischen Ursprungs wird zum größten Teil von HDL-Partikeln zur Leber transportiert. Es wird angenommen, dass eine der Hauptfunktionen der HDL (high density lipoprotein) in diesem sogenannten reversen Cholesterin-Transport besteht, wodurch extrahepatisch synthetisiertes und auch alimentäres Cholesterin der Umwandlung in Gallensäuren zugeführt wird.
9.5.3 Das Cholesterin ist die Muttersubstanz der Gallensäuren Die Hepatocyten der menschlichen Leber produzieren in Zusammenarbeit mit den Cholangiocyten, die die Gallengänge bilden, täglich 600 bis 700 ml Gallenflüssigkeit. Die von der Leber sezernierte Lebergalle wird beim Menschen in der Gallenblase gespeichert. In diesem beutelförmigen Organ aus lockerem Bindegewebe und einer dünnen Muskelschicht wird die Lebergalle konzentriert, so dass die Zusammensetzung von Leber- und Blasengalle – wie dies Tabelle 9.6 zeigt – etwas voneinander abweicht. Der höchste Anteil an Festsubstanzen entfällt sowohl in der Lebergalle – als auch in der Blasengalle – auf die Gallensäuren, deren Funktion im Zusammenhang mit der Lipidresorption detailliert erörtert wurde (Abschnitt 7.5). Die Gallensäuren sind polare
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
483
Tabelle 9.6: Hauptbestandteile der Leber- und Blasengalle Lebergalle Blasengalle % des Gesamtgewichtes Wasser
96,60
86,76
Gallensäuren
1,90
9,10
Gallenfarbstoffe und Mucine
0,50
2,98
Cholesterin
0,06
0,26
Fettsäuren (verestert und nicht-verestert)
0,14
0,30
Anorganische Salze
0,80
0,60
Abkömmlinge des Cholesterins und werden in den Hepatocyten gebildet. Die Entstehung der beiden wichtigsten Gallensäuren in der Galle des Menschen ist in Abbildung 9.44 dargestellt. Der erste Schritt des Reaktionsweges wird durch die Cholesterin-7α-Hydroxylase, eine mikrosomale Monooxygenase, die wahrscheinlich kein Cytochrom P450 benötigt, katalysiert. Neben 1⁄2 O2 und NADPH als Reduktionsäquivalent benötigt diese Reaktion Ascorbinsäure als Cofaktor. Die Cholesterin-7α-Hydroxylase ist das geschwindigkeitsbestimmende Schlüsselenzym der Gallensäure-Synthese. Cholesterin induziert selbst die Synthese der 7α-Hydroxylase. Nach neueren Untersuchungen ist zur Induktion der Transkription des 7α-Hydroxylase-Gens ein nuclearer Oxysterol-Rezeptor (LXRα-Rezeptor) notwendig. In wahrscheinlich mehreren Schritten wird anschließend die Seitenkette des 7α-Hydroxy-Cholesterins oxidativ um 3 C-Atome verkürzt und mit einem CoA-Rest verestert. Weiterhin wird das Ringsystem reduktiv gesättigt. Es entsteht das ChenodesoxycholylCoA. Als zweite wichtige Gallensäure gilt das Cholyl-CoA, bei dem durch eine 12αHydroxylase eine zusätzliche dritte OH-Gruppe in den Steranring eingeführt wird. Die Aktivierung der Seitenkette durch Veresterung mit CoA ermöglicht die Konjugation beider Verbindungen sowohl mit der Aminosäure Glycin als auch mit Taurin, einem decarboxylierten Derivat des Cysteins. Die vier Konjugate – Glyco- und TauroChenodesoxy-Cholsäure sowie Glyco- und Tauro-Cholsäure – sind die primären Gallensäuren. Das Verhältnis der Glycin- zu Taurin-Konjugaten beträgt in der Gallenflüssigkeit 3:1. Die primären Gallensäuren werden im Darm durch die Tätigkeit von Bakterien dekonjugiert und in 7α-Stellung dehydroxyliert, wodurch die sekundären Gallensäuren entstehen: aus der Glyco- und Tauro-Chenodesoxy-Cholsäure die Litocholsäure, aus der Glyco- und Tauro-Cholsäure die Desoxycholsäure. Die Bedeutung der Gallensäuren für die Solubilisierung der Lipide des Chymus wurde bereits im Zusammenhang mit der Funktion des Gastrointestinaltraktes besprochen (Abschnitt 7.5). Wie dort ebenfalls erwähnt, durchlaufen die Gallensäuren einen enterohepatischen Kreislauf. Die mit der Gallenflüssigkeit in das Duodenum abgegebenen Gallensäuren werden zu 90 % im Ileum mit Hilfe eines aktiven Transportsystems rückresorbiert und über das Pfortadersystem zur Leber zurückgeführt. Hier stehen sie erneut für die Sekretion zur Verfügung. Berechnungen haben ergeben, dass täglich etwa 10 g Gallensäuren umgesetzt werden. Die täglich durch Umwandlung von Cholesterin
484
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
12
Ascorbinsäure
17
NADPH + H+ NADP+ 1
7
3
2 O2
7
HO
OH
HO
7α-Hydroxylase
Cholesterin
7α -Hydroxycholesterin O2
O2 NADPH + H+
12α-Hydroxylase
NADPH+H +
CoA-SH
CoA-SH
Propionyl-CoA OH
Propionyl-CoA
H C
N
CH 2 CH2
SO3H
C
O
CoA-SH
OH
HO
S
CoA
O
OH
HO
H
H
Taurocholsäure
Chenodesoxycholyl-CoA OH
Taurin
C
12
S
Taurin oder Glycin
CoA
O
Glycin
CoA-SH OH
HO H
CoA-SH
Tauro- und GlycoChenodesoxycholsäure
Cholyl-CoA
OH
H C
N
CH2COOH
Dekonjugation + 7 α-Dehydroxylierung
O
OH
HO H
OH
Glycocholsäure
OH COOH
Dekonjugation HO + 7 α-Dehydroxylierung
H
Desoxycholsäure
9.44
COOH
HO H
Litocholsäure
Umwandlung des Cholesterins in die primären und sekundären Gallensäuren
produzierte Menge an Gallensäuren ist jedoch mit 200 bis 500 mg um ein Vielfaches geringer, so dass das einzelne Gallensäuremolekül entsprechend häufig im enterohepatischen Kreislauf recyclisiert wird. Die Tagesproduktion an Gallensäuren entspricht der Menge, die täglich mit den Fäzes ausgeschieden wird, einschließlich der bakteriell modifizierten sekundären Gallensäuren. Da der Organismus keine enzymatische Ausstattung zum Abbau des Sterangerüstes besitzt, stellen die Gallensäuren die Form dar, in der der Hauptanteil des
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
485
Cholesterins eliminiert wird. Die Menge des Cholesterins, das als solches oder nach bakterieller Reduktion zu Koprostan fäkal ausgeschieden wird, ist im Vergleich zu den Gallensäuren sehr gering.
9.5.3.1
An der exkretorischen Funktion der Leberzelle sind mehrere Transportsysteme beteiligt
Der Hepatocyt ist eine polare Epithelzelle, deren Plasmamembran zwei histologisch und funktionell unterschiedliche Bezirke aufweist. Der viel größere baso-laterale Anteil wird als sinusoidale Membran bezeichnet, da sie an die Lebersinusoide angrenzt. Der weniger ausgedehnte apikale Teil bietet nicht das von anderen Epithelzellen gewohnte histologische Erscheinungsbild. Er ist zum Zellinneren hin stark eingedellt und hat zahlreiche Einbuchtungen, die seine Oberfläche vergrößern. Die apikalen Membranen zweier benachbarter Hepatocyten sind so gegeneinander angeordnet, dass sie Hohlräume bilden, die als Canaliculi oder Gallenkapillaren bezeichnet werden (Abbildung 9.1 und 9.45). Dieser Membranabschnitt wird daher biliäre canaliculäre Membran genannt. Die Grenze zwischen den beiden Membranabschnitten bilden die tight junctions, die gleichzeitig zwei benachbarte Hepatocyten miteinander verbinden. Mehrere Gallenkapillaren vereinigen sich zu den Gallengängen. Diese sind mit einem speziellen Epithel aus Cholangiocyten ausgekleidet. Ihren unterschiedlichen Funktionen entsprechend besitzen die beiden Membranabschnitte verschiedene Transportsysteme. Diese umfassen sowohl aktive und sekundäre aktive Systeme als auch Austauscher und Co-Transporter. In Abbildung 9.45 sind die wichtigsten Transportsysteme dargestellt*. Die aus dem enterohepatischen Kreislauf stammenden Gallensäuren, die über das Portalblut zu den Hepatocyten transportiert werden, gelangen über die sinusoidale Membran in die Zelle. Ihre Aufnahme wird durch ein sekundär aktives System in Form eines Gallensäure/Na+-Cotransportes vermittelt. Den erforderlichen Natrium-Gradienten hält die Na+/K+-ATPase aufrecht. Ebenfalls in der sinusoidalen Membran ist ein Na+/H+-Austauscher lokalisiert, der an die Carboanhydrase des Hepatocyten gekoppelt ist, und H+ im Austausch gegen Na+ aus der Zelle befördert. Das zweite Produkt der Carboanhydrase-Reaktion, das Bicarbonat, wird über einen HCO3–/Cl–-Austauscher des canaliculären Membranabschnittes in die Gallenkapillare gebracht. Die Anreicherung der Gallenflüssigkeit mit Bicarbonat ist die Voraussetzung für den Gallensäuren-unabhängigen Mechanismus der Gallensekretion (Abschnitt 7.5). Weitere HCO3–-Ionen treten aus dem Blut über einen HCO3–/Na+-Cotransporter in den Hepatocyten über. Ein Chlorid-Kanal des canaliculären Membranabschnittes sorgt für die Rückführung der Cl–-Ionen in die Gallenflüssigkeit. Als Besonderheit des canaliculären Membranabschnittes gelten die zahlreichen durch ATP-Spaltung betriebenen aktiven Transportsysteme. Unter anderem sind dort drei Isoformen des primär aktiven multi drug resistance transporter (MDR-Transporter) lokalisiert. Die Isoformen MDR-1 und MDR-3 eliminieren konjugierte Xenobiotica in die Gallenflüssigkeit, während MDR-2 Phospholipide in den canaliculären Raum transportiert. Der ebenfalls ATP-spaltende multispezifische organische Anionentransporter (MOAT) pumpt viele verschiedene organische Anionen in die Gallenflüssigkeit. * Um die Abbildung übersichtlich zu gestalten, wurde ein unterschiedlicher Satz an Transportern auf die beiden benachbarten Hepatocyten verteilt, obwohl beide eine identische Ausstattung haben. Außerdem wurden die Einbuchtungen der canaliculären Membran nicht dargestellt.
486
9.45
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Transportsysteme der Hepatocyten, die an der Gallenbildung beteiligt sind
Der canaliculäre Membranabschnitt enthält nicht nur Systeme, die für den Export von Substanzen in die Gallenflüssigkeit zuständig sind, sondern auch solche für die Rückgewinnung, zum Beispiel von Pyrimidinen, Purinen und Aminosäuren. In diesen Membranabschnitt integriert oder mit ihm assoziiert sind auch mehrere Enzyme, meistens Peptidasen. In die Gallenflüssigkeit gelangen auch einige Vitamine, vor allem die Folsäure und das Riboflavin, die ebenfalls in einem enterohepatischen Kreislauf recyclisiert werden.
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
487
Eine modifizierende Rolle für die Zusammensetzung der Gallenflüssigkeit spielen auch die Cholangiocyten, die als Epithelschicht die Gallengänge auskleiden. Sie sezernieren unter dem stimulierenden Einfluss von Sekretin Wasser und HCO3–-Ionen in die Gallenflüssigkeit. Außerdem geben sie verschiedene Proteine, zum Beispiel das Cubindende Coeruloplasmin, ab. Ein in der Membran der Cholangiocyten lokalisiertes Na+-abhängiges Glucose-Transportsystem sorgt für die Rückgewinnung von Glucose. Über Wasserkanäle, die Aquaporine, wird auch Wasser rückresorbiert und damit die Gallenflüssigkeit konzentriert.
9.6 Der Leberstoffwechsel weist eine periportal-perivenöse Zonierung auf Das Lebergewebe, das aus den Parenchymzellen und vier Typen von Nicht-Parenchymzellen aufgebaut ist (Abschnitt 9.1), bietet ein einheitliches histologisches Bild. Die Uniformität widerspiegelt sich jedoch nicht auf histochemischer Ebene, da die Stoffwechselprozesse der Leber auf bestimmte Mikrobezirke unterschiedlich verteilt sind. Diese metabolische Heterogenität steht im Zusammenhang mit der Position der einzelnen Zellen innerhalb der funktionellen Einheit des Gewebes und beruht im Endeffekt auf ihrer unterschiedlichen Blutversorgung.
Tabelle 9.7: Zonierung der metabolischen Prozesse in den Parenchymzellen der Leber Periportale Zone
Perivenöse Zone
Oxidative Energiegewinnung
Glucose-Verbrauch
Fettsäure-Oxidation
Glykolyse
Tricarbonsäurecyclus
Glykogen-Synthese
Atmungskette
Liponeogenese
Glucose-Produktion
NH3-Entgiftung
Gluconeogenese
Glutamin-Synthese
Glykogenabbau
Verwertung von Aminosäuren Abbau gluconeogenetischer Aminosäuren Harnstoffsynthese Cholesterin-Biosynthese Gallensäure-Produktion
Biosynthese von Plasmaproteinen Albumin Fibrinogen
488
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Die Hepatocyten der periportalen, das heißt afferenten, und der perivenösen, das heißt efferenten, Zone des Leberparenchyms unterscheiden sich in ihrer subzellulären Struktur, in ihrer Ausstattung mit Schlüsselenzymen, mit Transportproteinen und Rezeptoren. Sie haben daher unterschiedliche metabolische Kapazitäten, der Leberstoffwechsel weist eine „metabolische Zonierung“ auf. Diese Erscheinung wurde zuerst im Zusammenhang mit dem Kohlenhydratstoffwechsel beobachtet. Die Untersuchungen der letzten Jahre zeigten aber, dass sie für fast alle Stoffwechselwege gilt. Tabelle 9.7 fasst die metabolische Zonierung der wichtigsten Vorgänge zusammen. Die Intensität der metabolischen Prozesse steht in den Hepatocyten – wie auch in anderen Zellen – unter der Kontrolle von zirkulierenden Substraten und Produkten, von Hormonen und gewebeeigenen Mediatoren. Die Konzentration dieser Faktoren verändert sich während der Leberpassage. Beispielsweise fällt die Konzentration des Ammoniaks oder der Gallensäuren um 85 %, während die Konzentration der Ketonkörper sich verdoppelt. Es wird angenommen, dass dem periportal-perivenösen O2-Gradienten eine besondere Rolle als Determinante der Zonierung zukommt. Der O2-Partialdruck beträgt in der periportalen Zone etwa 65 mm Hg und fällt auf etwa 35 mm Hg in der perivenösen Zone ab. Neuere Studien konzentrieren sich auf die molekulare Charakterisierung des Einflusses, den der O2-Partialdruck einerseits, die Relation der Glucagon-/Insulin-Konzentration andererseits auf der Ebene der Genexpression beim Zustandekommen des interessanten Phänomens der metabolischen Zonierung ausübt.
EXKURS 9.1 Ethanol – Energielieferant, Genussmittel, Suchtdroge Das Ethanol (Ethylalkohol; CH3CH2OH) – in der Alltagssprache Alkohol genannt – kommt in einigen Früchten in Spuren vor. Außerdem produzieren verschiedene Mikroorganismen der menschlichen Darmflora, die ihre Energie durch Vergärung von Zuckern gewinnen, geringe Mengen an Ethanol, das resorbiert wird. Der Organismus des Menschen wird also natürlicherweise mit Alkohol konfrontiert und hat Abbaumechanismen entwickelt, die allerdings auf minimale Mengen an Ethanol ausgelegt sind. Alkoholische Produkte, – meistens sind es Getränke – werden von Menschen aufgrund ihrer euphorisierenden und berauschenden Wirkung von altersher als Genussmittel geschätzt. Schon in vorgeschichtlicher Zeit wurde die alkoholische Gärung als eines der ältesten technologischen Verfahren auf mikrobiologischer Grundlage „erfunden“. Als Rohstoffe zur Alkoholherstellung dienen Produkte mit vergärbaren Zuckern oder mit Inhaltsstoffen, beispielweise Stärke, die sich durch enzymatische oder chemische Behandlung in Saccharide umwandeln lassen. Der Ethanolgehalt der alkoholischen Getränke, der bekanntlich sehr unterschiedlich ist, wird üblicherweise als Volumenanteil in Prozent angegeben. Angaben über Alkoholkonsum und Blutalkoholspiegel sollten in Gramm beziehungsweise in Gramm pro Volumeneinheit erfolgen, wobei die Dichte des reinen Ethanols mit 0,79 g · ml–1 einzusetzen ist. Der Brennwert von Ethanol beträgt 7,1 kcal · g–1 (29,7 kJ · g–1). Reines Ethanol ist also erheblich energiereicher als Kohlenhydrate. Verschiedene Begleitstoffe in alkoholischen Getränken erhöhen den Energiegehalt mehr oder minder stark. Es wird geschätzt, dass der Alkohol konsumierende Teil der Bevölkerung der BRD im Durch-
䊳
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
489
schnitt 8 % der gesamten Energiezufuhr durch Alkohol deckt. Aufgrund dieser Tatsache müsste das Ethanol unter die Hauptnährstoffe eingereiht werden. Es dürften lediglich psychologische Gründe dafür sprechen, dies im Falle einer hochtoxischen Substanz nicht in Erwägung zu ziehen. Das Ethanol wird durch Diffusion im gesamten Magendarmtrakt, einschließlich der Mundhöhle resorbiert. Am schnellsten erfolgt die Aufnahme, wenn der Magen leer ist. Die Geschwindigkeit der Resorption wird erhöht in Gegenwart von Zucker und Kohlensäure sowie aus warmen Getränken. Schwer verdauliche, insbesondere fettreiche Mahlzeiten verzögern die Resorption. Nach Aufnahme in das Pfortaderblut wird das Ethanol schnell auf alle wasserhaltigen Kompartimente des Körpers, das heißt auf ein Volumen von etwa 70 % der Körpermasse verteilt. Während Fettgewebe und Knochen kaum Alkohol aufnehmen, gelangt relativ viel davon in das Gehirn, die Leber und die Muskulatur. Die schnelle und vollständige Resorption von 16 g Ethanol, das beispielsweise in einer Flasche Bier enthalten ist, führt bei einem 70 kg schweren Mann zu einem Blutalkoholspiegel von 0,33 Promille (7,2 mM). Im allgemeinen wird der maximale Blutspiegel 60 bis 90 Minuten nach der Aufnahme des Getränks erreicht. Die letale Ethanolkonzentration im Blut liegt bei etwa 4 bis 5 Promille (87 bis 110 mM). Ungefähr 5 % des Ethanols werden im Urin, im Schweiß und in der Atemluft ausgeschieden. Die überwiegende Menge des Ethanols wird in der Leber katabolisiert. Drei in unterschiedlichen Zellkompartimenten lokalisierte Enzymsysteme katalysieren den Abbau: Die cytosolische Alkohol-Dehydrogenase (ADH), die „Alkohol-Oxidase“ oder MEOS (microsomal ethanol oxidizing system), das sich am endoplasmatische Reticulum befindet, und die Peroxidase, die in den Peroxysomen lokalisiert ist. Abbildung 1 stellt diese Reaktionen dar (A,B,C) und zeigt, dass alle drei zu AcetaldeA.
NAD+ H3C
NADH + H+
CH2OH
O H3C
AlkoholDehydrogenase
Ethanol
B.
C
NADPH + H+ NADP+ H3C
O H3C
CH2OH + O2 MEOS
Ethanol
H
Acetaldehyd
C
H
Acetaldehyd
C. O H3C
H3C
CH2OH + H2O2 Peroxidase
Ethanol
D.
NAD+
O H3C
C
H
Acetaldehyd
C
O H3C
AldehydDehydrogenase
Abb. 1 Abbau des Ethanols und des Acetaldehyds
+ 2 H2 O
Acetaldehyd
NADH + H+
+ H2O
H
C
OH
Essigsäure
䊳
490
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
hyd führen. Dieser hochtoxische Metabolit wird durch die mitochondriale AldehydDehydrogenase (AldDH), zu Acetat dehydriert (D), das dann in Form von AcetylCoA dem Intermediärstoffwechsel zugeführt wird. Die ADH ist ein Zink-haltiges Metalloenzym mit acht unterschiedlichen Untereinheiten, aus deren Kombination fünf Isoenzymklassen resultieren. Auch in der Magenschleimhaut des Menschen wurden einige ADH-Isoenzyme nachgewiesen. Möglicherweise wird ein geringer Anteil des Ethanols bereits im Magendarmtrakt zu Acetaldehyd abgebaut. Auch in der Lunge und in der Niere existieren ADH-Isoenzyme, deren quantitative Bedeutung jedoch gering sein dürfte. Das Muster der ADHIsoenzyme ist individuell recht unterschiedlich. Diese Tatsache dürfte die genetische Basis sein dafür, dass die Alkoholtoleranz sowohl zwischen einzelnen Individuen als auch zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen erhebliche Differenzen aufweist. Man nimmt an, dass auch die unterschiedlich starke Suchtgefährdung des Einzelnen auf die Verschiedenheit des individuellen Isoenzymmusters zurückführbar ist. Das in der Magenschleimhaut vorkommende Isoenzym der ADH ist bei den Frauen um etwa 60 % weniger aktiv als bei den Männern. Dieser Befund könnte die geringere Alkoholtoleranz der Frau erklären. Der Hauptweg des Ethanolabbaus läuft zwar über die ADH, bei einem Blutalkoholspiegel über 0,5 Promille erfolgt der Abbau jedoch in größerem Umfang auch über das an die Membran des endoplasmatischen Reticulums gebundene MEOS (Abbildung 1B). Im Gegensatz zur ADH ist dieses P450-abhängige Enzym induzierbar, wodurch bei chronischem Alkoholkonsum der Abbau beschleunigt ist. Das MEOS ist nicht Ethanol-spezifisch, sondern oxidiert eine Reihe anderer Substanzen, aus denen sehr häufig stark toxische Metaboliten entstehen. Die quantitative Bedeutung des Abbaus von Ethanol über die Peroxidase (Abbildung 1C) ist unklar. Er könnte sich prinzipiell in den Peroxisomen aller Zellen abspielen. Das bei allen drei Abbauwegen entstehende Acetaldehyd wird durch die intramitochondriale Aldehyd-Dehydrogenase (AldDH) in Acetat überführt (Abbildung 1D). Genau wie bei der ADH-Reaktion wird der Wasserstoff auf NAD übertragen. Hauptort der Reaktion ist auch in diesem Falle die Leber. Bei fast allen Völkern der Erde nehmen alkoholische Getränke einen hervorragenden Platz unter den Genussmitteln ein. Meistens gelten sie als Kulturgut – von Dichtern besungen, den Göttern geweiht. Diesen Status verdanken sie ihrer Eigenschaft als Drogen, die nach einer Definition der WHO „eine starke Einwirkung auf das zentrale Nervensystem besitzen und bei Zuführung einen als mangelhaft empfundenen Zustand mindern oder zum Verschwinden bringen, oder die einen subjektiv als angenehm empfundenen Zustand herbeiführen“. Zielorgan der akuten Wirkung von Alkohol ist das Gehirn. Mittels 1H-NMR(nuclear magnetic resonance) Spektroskopie kann die Aufnahme von Ethanol in vivo analysiert werden. Bereits 12 Minuten nach dem Trinkakt ist das NMR-Signal von Ethanol nachweisbar, etwa gleichzeitig mit den typischen Veränderungen der Stimmung und der Sprache. Die maximalen Konzentrationen werden in der grauen Substanz nach 40 bis 45 Minuten erreicht, gefolgt von einem langsamen Abfall der Gewebekonzentration. Trotz eingehender Studien ist der akute Wirkungsmechanismus des Alkohols im ZNS nicht eindeutig geklärt. Die Effekte sind auf die Membransysteme der Neuronen gerichtet und ähneln denen von Narkotika. Möglicherweise ist nicht das Ethanol das eigentliche Agens, sondern dessen Metabolit das Acetaldehyd beziehungsweise die Kondensationsprodukte, die das Acetaldehyd mit Neurotransmittern, insbesondere mit Catecholaminen und mit Serotonin bildet. Über mehrere Jahre andauernde übermäßige Aufnahme der Suchtdroge Ethanol ruft Alkoholismus hervor. Der Alkoholismus wird auch versicherungsrechtlich als typische Suchtkrankheit mit ständig steigendem Verlangen nach Suchtbefriedi-
䊳
9 Die Leber als multifunktionelles Organ
491
Ethanol
H2O2
NAD+ O2 Alkoholdehydrogenase
NADPH/H+
Peroxidase
EthanolOxidase
H2O
NADH/H+ NADP+
NAD+
Acetaldehyd
Aldehyddehydrogenase
Aldehydoxidase Xanthinoxidase Acetat
Triacylglycerine
AcetaldehydProteinaddukte
Kollagengenexpression
Fettleber
Fibrose
O2, OH•, H2O2
Lipidperoxidation
Oxidativer Streß
Funktionelle Störung
Abb. 2 Entstehung der Abbauprodukte des Ethanols und deren Effekte in der Leber
gung und Entzugserscheinungen nach Absetzen der Droge anerkannt. Nach aktuellen Angaben (Mai 2001) der Deutschen Hauptstelle für Suchtgefahren trinken in der BRD rund 9,3 Millionen Menschen gefährlich viel Alkohol, wobei für Männer täglich mehr als 30 bis 40 Gramm reinen Ethanols als riskant gelten. Für Frauen wird diese Grenze bei 20 Gramm Ethanol pro Tag angesetzt, eine Menge, die etwa in einem Viertelliter Wein enthalten ist. Allgemein wird die Grenze, ab der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Alkoholabhängigkeit kommt, für Männer mit 80 Gramm reinen Ethanols angegeben. Als alkoholabhängig gelten in der BRD zur Zeit 1,6 Millionen Menschen, wobei die Dunkelziffer erheblich sein dürfte. Eine Heilung von dieser Suchtkrankheit ist nur durch völlige Abstinenz im Anschluss an eine akute Entgiftung möglich. Auch für die Suchtauslösung ist wahrscheinlich nicht das Ethanol sondern das Acetaldehyd verantwortlich. Chronischer Genuss von Alkohol führt zu multiplen Organschädigungen, wobei neben dem Gehirn vor allem die Leber betroffen ist. Die toxische Wirkung geht auch in diesem Falle nicht vom Ethanol selbst aus, vielmehr vom beim Abbau entstehenden Acetaldehyd. Vom besonderer Bedeutung für den Stoffwechsel der Leber ist weiterhin die beim Abbau des Ethanols auftretende starke Erhöhung des NADH/NAD-Quotienten. Abbildung 2 fasst schematisch die metabolischen Schritte zusammen, die zur fatalen Schädigung des Hepatocyten führen. Wie bereits mehrfach erwähnt, entsteht sowohl bei der ADH- als auch bei der AldDH-Reaktion proportional zur Menge des dehydrierten Ethanols beziehungsweise Acetaldehyds NADH+H+, wodurch der NADH/NAD-Quotient entsprechend ansteigt. Die Erhöhung des Redoxpotentials der Pyridinnucleotide hemmt den Tricarbonsäurecyclus. Das Acetyl-CoA dient in dieser Situation in erhöhtem Umfang zur Fettsäuresynthese. Die erhöhte Verfügbarkeit reduzierender Äquivalente führt dazu, dass vermehrt αGlycerophosphat entsteht und zur Veresterung der Fettsäuren zur Verfügung
492
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
steht. Es kommt zu einer starken Erhöhung der Triglyceridsynthese. Die auf diese Weise entstehende Fettleber ist ein Phänomen, das für den Beginn des chronischen Alkoholismus charakteristisch ist. Während die normale Triglyceridkonzentration der Leber etwa 5 % der Lebermasse beträgt, steigt sie in der Fettleber auf über 50 % an. Im Anfangszustand ist die Fetteinlagerung voll reversibel. Bei Fortbestand des Alkoholismus kommt es zur Leberzirrhose, die irreversibel zum progressiven Ausfall der Leberfunktion führt. Ausgelöst wird die Entstehung der Leberzirrhose durch das Acetaldehyd, das verschiedene Proteinaddukte bildet, die die Kupfferzellen der Leber aktivieren. Diese reticuloendothelialen Zellen sezernieren daraufhin verschiedene Cytokine, wodurch eine vermehrte Synthese von Substanzen der extrazellulären Matrix ausgelöst wird. Die fibrotischen Veränderungen der Hepatocyten sind nicht reversibel und führen schließlich zum Zusammenbruch der Leberfunktionen mit letalem Ausgang. Weiterhin geht vom Acetaldehyd die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies aus, die die Schädigung der Leber durch Lipidperoxidation erheblich verstärken. Von gravierendem Nachteil für den Verlauf der Alkoholkrankheit ist der meistens sehr schlechte Ernährungszustand von Individuen, die 30 % und mehr der Energie in Form von Ethanol aufnehmen. Appetitverlust und Schädigung des Magendarmtraktes führen zu einem generalisierten Mangel an essentiellen Nährstoffen, wodurch die toxischen Effekte des Ethanols potenziert werden.
10
Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels
Das Fettgewebe einer 70 kg schweren Referenzperson wiegt etwa 15 kg, wovon etwa 12 kg auf den Lipidanteil entfallen. Unter den Lipiden des Fettgewebes überwiegen bei weitem die Triglyceride, die bekanntlich auch ein wichtiger Bestandteil insbesondere der tierischen, aber auch einer ölreichen pflanzlichen Nahrung sind. Die beinahe 12 kg Triglyceride, die eine normalgewichtige Person im Fettgewebe speichert, entsprechen einem Energievorrat von etwa 112 800 kcal (473 760 kJ). Übergewichtige und Adipöse haben je nach Fettgewebsmasse entsprechend höhere Energiereserven. Ein ausreichend ernährter Mensch, der täglich 1 800 kcal (7 560 kJ) umsetzt, oxidiert im Nüchternzustand 160 g Fettgewebstriglyceride. Theoretisch – vollständiger und gleichmässiger Abbau der Triglyceridreserven vorausgesetzt – würde also die energetische Verwertung der gespeicherten Triglyceridmenge 75 Tage beanspruchen. Zwei Fakten ermöglichen die Speicherung dieser beträchtlichen Energiemenge in Form von Triglyceriden: Erstens ist der Brennwert der Triglyceride (Tristearat) mit 9,3 kcal × g– 1 im Vergleich zu anderen oxidierbaren Substraten* sehr hoch, zweitens beansprucht die Speicherung der Lipide kein Lösungswasser, was den Vorteil eines relativ geringen Speichervolumens bedeutet. Entsprechend ist das Fettgewebe mit einem Wassergehalt von etwa 30 % das wasserärmste Weichgewebe des menschlichen Organismus. Im Vergleich zu den Triglyceriden sind die Masse und der Brennwert des Muskel- und Leberglykogens** mit ungefähr 225g verschwindend gering. Die 225g Glykogen entsprechen einem Brennwert von circa 900 kcal (3 780 kJ).
10.1 Das histologische Bild widerspiegelt die spezifische Aufgabe des Fettgewebes Das Fettgewebe ist eine auf Speicherung spezialisierte Form des reticulären Gewebes. Man unterscheidet weißes und braunes Fettgewebe. Das weiße Fettgewebe hat als Baufettgewebe zwei Aufgaben zu erfüllen: Es umhüllt die Organe, um sie in einer bestimmten Lage zu fixieren und sie zugleich als druckelastisches Polstermaterial vor mechanischen Einwirkungen zu schützen. Diese Art von Baufettgewebe umhüllt die Nieren, den Augapfel, bestimmte Gelenke und ist am Handteller und an den Fußsohlen anzutreffen. Es bleibt auch bei starkem Gewichtsverlust erhalten. Die zweite Art von weißem Fettgewebe dient der Speicherung von Energie in Form von Triglyceriden und wirkt als thermischer Isolator. Es kommt hauptsächlich subkutan vor, wobei seine Verteilung geschlechts- und altersspezifisch ist. *
Die physikalischen und physiologischen Brennwerte der Nährstoffe sind in den Lehrbüchern der Ernährungsphysiologie aufgeführt. ** Muskelglykogen 150 g; Leberglykogen (im Nüchternzustand) 75 g.
494
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Abbildung 10.1 zeigt das schematische histologische Bild des weißen und – im Vergleich dazu – des braunen Fettgewebes. Die Fettzellen (Adipocyten) sind 40 bis 120 μm groß und haben im weißen Fettgewebe (Abbildung 10.1.A) eine sehr große Fettvakuole, die das Cytoplasma und den Zellkern gegen die Plasmamembran des Adipocyten drückt. Die Fettvakuolen sind von Mikrofibrillen umgeben und in Form gehalten. Mehrere Blut- und Lymphgefäße ziehen durch die Bindegewebssepten der meistens zu Läppchen zusammengefassten Fettzellen. Carotinoide und Lipochrome geben dem Fettgewebe eine gelbliche Färbung. Bei Abmagerung kommt es zu einer Entspeicherung der Fettvakuolen, sie werden kleiner und es bilden sich mehrere verschieden lange Zellausläufer. Die entfetteten Adipocyten ähneln den Reticulocyten, von denen sie abstammen. Das braune Fettgewebe (Abbildung 10.1.B) kommt beim Erwachsenen hauptsächlich in der Halsregion, in der Rückenhaut, in den Achselhöhlen und an den Nierenkappen vor. Beim Neugeborenen ist es viel stärker verbreitet und bei den Winterschläfern stark ausgeprägt. Die Zellen des braunen Fettgewebes haben zahlreiche kleinere, fettgefüllte Vakuolen, die in das Cytosol eingestreut sind. Die Zellen sind ebenfalls zu Läppchen zusammengefasst. Blut- und Lymphgefäße sowie Nervenfasern dringen auch hier durch interlobuläre Septen in das Gewebe ein. Die Zellen des braunen Fettgewebes haben auffallend viele Mitochondrien, auf welche ihre dunkle Färbung zurückzuführen ist. Hauptaufgabe des braunen Fettgewebes ist die Wärmeproduktion, der beim Neugeborenen eine Funktion bei der Adaptation an die Umgebungstemperatur zugeschrieben wird. Beim Winterschläfer dient sie der Erhaltung der Körpertemperatur während der Schlafperiode.
Fettvakuole
Fettvakuole
B.
A.
Zellkern Blutgefäße
10.1
Cytoplasma
Histologisches Bild des Fettgewebes A. Weißes Fettgewebe; B. Braunes Fettgewebe
Zellkern
Blutgefäße
weißer Adipocyt Cytoplasma
10 Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels
495
10.1.1 Die Entwicklung des Fettgewebes ist für die Pathogenese der Adipositas von größtem Interesse Die reifen, mit Triglyceriden gefüllten Adipocyten repräsentieren nur etwa ein Drittel der Zellen im Fettgewebe. Die restlichen sind verschiedene Blutzellen, Endothelzellen, Fibroblasten und Vorläuferzellen der Adipocyten in verschiedenen Entwicklungsstadien. Die Vorstadien der Adipocyten entwickeln sich aus pluripotenten Stammzellen reticulären Ursprungs. Die Präadipocyten sind Fettzellen, die keine Triglyceridspeicher besitzen. Während des zweiten Trimesters der Embryonalentwicklung und unmittelbar post-partum ist beim Menschen weißes Fettgewebe makroskopisch nachweisbar. Die Entwicklung des Fettgewebes ist mit der Dichte des Blutkapillarnetzes positiv korreliert. Spezifische Wachstumsfaktoren scheinen sowohl die Angiogenese als auch die Entwicklung der Fettzellen zu steuern, wobei die Adipocyten selbst angiogenetische Faktoren absondern. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Adipositas ist es von besonderem Interesse zu klären, ob sich die Zahl ausgereifter Adipocyten – insbesondere bei Wiederauffütterung nach Fastenperioden – erhöht, oder ob sich lediglich der Füllungszustand der Zellen mit Triglyceriden ändert. Diese Frage wird kontrovers diskutiert. Lange Zeit nahm man an, dass die Zellen mit zunehmender Fetteinlagerung lediglich größer werden, während ihre Zahl unverändert bleibt. Aus neueren Untersuchungen, die durch in vitro-Befunde untermauert werden, schließt man, dass – zumindest bei älteren Personen – die Präadipocyten ernährungsabhängig reifen und zu mit Triglyceriden gefüllten Adipocyten ausdifferenzieren können. Die terminale Differenzierung der reifen Adipocyten steht unter hormoneller Kontrolle. Ziel neuerer Untersuchungen ist es, mit Hilfe molekularbiologischer Methoden zu klären, welche initialen Faktoren zur Hyperplasie des Fettgewebes bei der Adipositas führen. Es wird auch angestrebt, eine Möglichkeit der „Reaktivierung“ des braunen Fettgewebes zu finden, das beim Menschen nach der Geburt beinahe vollständig verschwindet. Im Tierversuch ist es bereits gelungen, durch adrenerge Stimulation die Konzentration des uncoupling proteins im Fettgewebe zu erhöhen (Abschnitt 10.5). Dieser Effekt scheint eher durch Vermehrung der Zellzahl im braunen Fettgewebe als durch die Erhöhung der Konzentration des Entkoppler-Proteins in der einzelnen Zelle zustandezukommen. Großes Interesse beansprucht auch die endokrine Aktivität des Fettgewebes, insbesondere die Wirkung des Leptins (Abschnitt 2.1.6), worin eine direkte Kontrolle des Cholesterinstoffwechsels und der Energiebilanz gesehen wird (Abschnitt 10.6).
10.2 Im Fettgewebe finden fast alle anabolen und katabolen Prozesse des Lipidstoffwechsels statt Die Synthese der Triglyceride (Triacylglycerine), – die bekanntlich Ester aus einem dreiwertigen Alkohol, dem Glycerin, und aus drei Fettsäuren sind, – und deren Abbau sind die quantitativ überwiegenden metabolischen Leistungen des Fettgewebes. Dies entspricht seiner Aufgabe als Speicherorgan für das Depotfett, den hochkonzentrierten Speicher für Stoffwechselenergie. Der Adipocyt besitzt sowohl die enzymatische Ausstattung zur Synthese als auch zum Abbau der Fettsäuren, wenn auch die Intensität der beiden Reaktionswege im
496
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Fettgewebe des Menschen überraschend niedrig ist. Im Folgenden werden auch diese beiden gegenläufigen Wege im großen Zusammenhang des Lipidstoffwechsels besprochen, unabhängig davon, welche quantitative Bedeutung sie im Endeffekt für das Speicherorgan selbst haben. Außer dem Auf- und Abbau der Triglyceride sind auch die der Phosphoglyceride und Sphingolipide Gegenstand dieses Kapitels. Die Bedeutung dieser beiden polaren Lipide als Membranbausteine wurde bereits erörtert (Abschnitt 1.1.1.1). Die Biosynthese des Cholesterins, die im geringen Umfang auch im Fettgewebe möglich ist, wurde genauso wie dessen Umwandlung in Gallensäuren bereits beim Leberstoffwechsel beschrieben (Abschnitt 9.5.2; 9.5.3). Das gleiche gilt für einen weiteren Prozess des Lipidstoffwechsels, die Ketonkörpersynthese, die absolut leberspezifisch ist (Abschnitt 9.5.1).
10.2.1 Die Biosynthese der Fettsäuren findet im Cytosol statt Die meisten Gewebe, hauptsächlich jedoch die Leber, das Fettgewebe, die Niere, die Lunge und die laktierende Milchdrüse sind fähig zur Fettsäuresynthese. Die Intensität der Fettsäurebiosynthese ist allerdings– wie dies noch besprochen wird – spezies- und ernährungsabhängig. Die wachsende Fettsäurekette wird durch die aufeinanderfolgende Addition von C2Einheiten verlängert, die alle vom Acetyl-CoA abstammen. Ihre Kondensation findet an einem im Cytosol lokalisierten Multienzym-Komplex, dem Fettsäure-SynthaseKomplex statt. Mitochondrien besitzen keine freie Permeabilität für Acetyl-CoA, das fast ausschließlich intramitochondrial entsteht. Deshalb werden die Acetylgruppen über Citrat durch die innere Mitochondrienmembran transportiert. Das Citrat entsteht in der mitochondrialen Matrix durch Kondensation von Acetyl-CoA und Oxalacetat (Abschnitt 5.2.1). Wenn es in hoher Konzentration vorliegt, wird das Citrat in Antiport gegen Malat in das Cytosol transportiert und dort durch die ATP- Citrat-Lyase entsprechend der Reaktionsgleichung 10.1 gespalten: Citrat + ATP + CoA - SH ⎯ATP-Citrat-Lyase ⎯⎯⎯⎯⎯⎯→ Acetyl - CoA + Oxalatacetat + ADP + Pi
(Gl. 10.1)
Das Oxalacetat kehrt nach Reduktion zu Malat über den Antiporter wieder ins Mitochondrion zurück, während das Acetyl-CoA der Fettsäuresynthese zur Verfügung steht. Der entscheidende Schritt in der Fettsäuresynthese ist die Bildung von Malonyl-CoA. Dieses entsteht durch eine Biotin-abhängige Carboxylierung von Acetyl-CoA, die auf Anwesenheit von CO2 angewiesen ist. Die Acetyl-CoA-Carboxylase, die diese Reaktion katalysiert und das geschwindigkeitsbestimmende Enyzm der Fettsäuresynthese ist, ist nicht Teil des multifunktionellen Enzymkomplexes der Fettsäuresynthese. Die katalysierte Reaktion wurde bereits in Abschnitt 4.4.2.7 (Abbildung 4.26) beschrieben. Die reduktive Synthese der Fettsäure benötigt Reduktionsäquivalente in Form von NADPH+H+. Dieses Coenzym kann aus mehreren Quellen stammen: Den Hauptanteil liefern die beiden Dehydrogenase-Reaktionen des Pentosephosphat-Weges, die Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase und die 6-Phosphogluconat-Dehydrogenase (Abschnitt 9.3.8). Geringe Mengen an NADPH+H+ liefert die cytosolische Isoform der NADP-abhängigen Isocitrat-Dehydrogenase. Bei intensiver Fettsäurebiosynthese entstehen außerdem relativ große Mengen an Reduktionsäquivalenten in der vom MalatEnzym katalysierten Reaktion nach Gleichung 10.2:
10 Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels
Malat + NADP ⎯Malat-Enzym ⎯⎯⎯⎯ ⎯→
497
(Gl. 10.2)
Pyruvat + CO2 + NADPH + H +
10.2.1.1 Die Fettsäure-Synthase ist ein Enzymkomplex Der Fettsäure-Synthase-Komplex tierischer Organismen ist ein Homodimer aus zwei identischen Untereinheiten, die – wie in Abbildung 10.2 gezeigt wird– in Schwanz-zuKopf-Anordnung gegenüber stehen. Jedes der beiden Monomere enthält sieben, auf der Peptidkette hintereinander angeordnete, funktionelle Domänen und damit alle enzymatischen Aktivitäten, die für die vollständige Synthese einer Fettsäurekette notwendig sind (Abschnitt 10.2.1.2). Die Domänen sind in der Abbildung mit den abgekürzten enzymatischen Aktivitäten bezeichnet. Eine weitere große Domäne, jeweils in der Mitte der Ketten, hat keine katalytische, sondern eine strukturgebende Funktion. Oberhalb
A.
COOH
NH2
Thioesterase
Ketoacyl-Synthase Acylcarrierprotein
SH
Malonyl/Acetyl-Transferase
Ketoreductase
SH
Dehydratase
Enoyl-Reductase
Dehydratase
Enoyl-Reductase
HS
Ketoreductase
Malonyl/Acetyl-Transferase
HS
Acylcarrierprotein
Ketoacyl-Synthase Thioesterase
NH2
B.
10.2
Polypeptid
COOH O Ser
O
P OH
O
CH2
CH3 OH O
H
C
N
C
C
CH2
CH2
O
H
C
N
CH2
CH2
CH3 H
Der Fettsäure-Synthase-Komplex A. Anordnung der Domänen; B. 4’-Phosphopantheteinrest des Acylcarrierproteins
SH
498
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
dieser Domäne befindet sich ein vollständiger (rot unterlegter) Satz der funktionellen Domänen, unterhalb von ihr (weiß) ein zweiter identischer Satz des Syntheseapparats. Die einzelne, isolierte Untereinheit ist katalytisch inaktiv, da erst durch die Zusammenlagerung der beiden Monomere zwei katalytische Zentren entstehen, in die die 4’Phosphopantheteinreste des Acylcarrierproteins (Abschnitt 4.4.2.8) hineinragen. Diese tragen als „Schwingarme“ die wachsende Fettsäurekette während des gesamten Reaktionsablaufs. Durch die Organisation als multifunktioneller Enzymkomplex wird eine koordinierte Synthese erreicht, in der die jeweiligen Zwischenstufen von einem aktiven Zentrum zum nächsten weitergereicht werden, ohne den Komplex zu verlassen. Die Synthese beginnt an der Ketoacyl-Synthase-Domäne, die sich am N-terminalen Ende der Polypeptidkette befindet. Es folgt die Domäne der Malonyl/Acetyl-Transferase und die Domäne der Dehydratase. Der nächste Schritt findet an der Enoyl-Reductase-Domäne der rechten Untereinheit statt, gefolgt von der Reaktion an der Ketoreductase-Domäne. Zwischen dieser und der Thioesterase-Domäne am C-terminalen Ende der Polypeptidkette befindet sich das Acylcarrierprotein (ACP). Die etwa 0,2 μm lange Polypeptidkette des Fettsäure-Synthase-Komplexes besteht aus 2 500 Aminosäureresten. Die molare Masse einer Untereinheit ist > 270 kDa. Ein einziges Gen codiert die gesamte Sequenz des Polypeptids. Durch Klonierungs- und Sequenzierungstechniken ist es gelungen, die einzelnen Domänen den 43 Exons des Gens zuzuordnen. Man geht davon aus, dass das Gen des tierischen Fettsäure-Synthase-Komplexes im Verlauf der Evolution durch Genfusion entstanden ist, da Mikroorganismen für jedes Enzym ein eigenes Gen besitzen.
10.2.1.2 Die gesamte Reaktionssequenz der Fettsäuresynthese katalysiert der Multienzymkomplex Der Fettsäure-Synthase-Komplex katalysiert sämtliche Reaktionsschritte, die zur Entstehung gesättigter, geradzahliger Fettsäuren führen. Prinzipiell handelt es sich bei dieser Synthese um eine sequentielle Verlängerung der Kohlenstoffkette der Fettsäuren um jeweils zwei Kohlenstoffatome, die ursprünglich vom Acetyl-CoA stammen. Als aktivierter Donor dieser C2-Einheiten tritt Malonyl-ACP, das heißt, eine C-3-Verbindung, auf. Somit ist die Fettsäuresynthese keine Umkehr der β-Oxidation, da bei diesem Abbauweg ausschließlich Acetyl-CoA entsteht. Die Bildung einer neuen C-C-Bindung während der Synthese wird durch die Abspaltung der Carboxylgruppe des MalonylCoA angetrieben. Hierdurch wird die thermodynamische Barriere, die die Kondensation zweier Acetyl-CoA-Moleküle darstellt, überwunden. Das weitaus überwiegende Produkt der Fettsäuresynthese ist beim Menschen eine C16-Fettsäure, die Palmitinsäure. Die Summengleichung der Palmitinsynthese lautet: Acetyl-CoA + 7 Malonyl-CoA + 14 NADPH + 14 H+ → Palmitinsäure + 7 CO2 + 8 CoA + 14 NADP+ + 6 H2O
(Gl. 10.3)
Zur Biosynthese der Fettsäuren ist ein „Starter“ notwendig. Wird die Synthese der Kette gerade begonnen, fungiert das Acetyl-CoA als solcher, bei Verlängerung einer begonnenen Kette dagegen das bereits synthetisierte Acyl-CoA. Die Synthese einer Fettsäurekette ist in Abbildung 10.3 dargestellt. Im Initialschritt werden die Acetyl- und die Malonylgruppe aus ihren jeweiligen Coenzym A-Bindungen freigesetzt und auf spezifische Sulfhydrylgruppen der Fettsäure-Synthase übertragen. Der Fettsäure-Synthase-
10 Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels
Acetyl-CoA
ACP-SH
499
Malonyl-CoA
ACP-SH
O
O
C
S
CoA
CH3
O
1
C
CoA-SH Palmitinsäure H CH3
H
H
HH
HH
HH
HH
HH
O S ACP
H O
C C C C C C C C C C C C C C H H H H H H H H H H H H H H
OH
C
ACP -SH
7
H
S ACP
CoA-SH O
Cys
O
C
CH3
CO2
CH3
C
1 2
H
H +
NADPH + H
nächster Cyclus
4 NADP
nach 7 Cyclen
= [ACP]-S-Acetyl-Transferase = [ACP]-S-Malonyl-Transferase
3
= β-Ketoacyl-[ACP]-Synthase
4
= β-Ketoacyl-[ACP]-Reductase
5
= β-Hydroxypalmitoyl-[ACP]-
6
-Dehydratase = Enoyl-[ACP]-Reductase
7
S ACP
C
H2O
= Protein
H
H
3 S
= Acyl-[ACP]-Hydrolase
H H
O
C
C
CH3 H
H OH
O
C
S ACP
CH3
C
H
H
C
S ACP
C H
NADP
6
5
+
NADPH + H
H
O
C
C
S ACP
HOH
CH3 C H
10.3
S CoA
C
2
C
3
C
C
HOOC
CH3
H O
C
HOOC
Reaktionsfolge der Biosynthese langkettiger, geradzahliger, gesättigter Fettsäuren
Komplex besitzt zwei für die Funktion essentielle SH-Gruppen: Eine sogenannte zentrale SH-Gruppe, die zum 4’-Phosphopanthetein gehört, das mit dem Acylcarrierprotein (ACP) des Fettsäure-Synthase-Komplexes verknüpft ist. Die zweite, die periphere SH-Gruppe, liefert ein Cysteylrest, der sich im aktiven Zentrum der kondensierenden Domäne des Komplexes, der Ketoacyl-Synthase, befindet. Die Translokation der Acetylgruppe geschieht in zwei Teilschritten. Zunächst wird die Acetylgruppe durch die [ACP]-S-Acetyl-Transferase auf die SH-Gruppe des ACP übertragen (1) und anschließend auf die SH-Gruppe im aktiven Zentrum der β-Ketoacyl-[ACP]-Synthase (3). Der zweite Schritt wird als Nebenreaktion durch die Synthase katalysiert. Der Malonylrest wird durch die [ACP]-S-Malonyl-Transferase auf die SHGruppe des ACP der anderen Kette des Dimers übertragen (2). Möglicherweise werden der Acetyl-Transfer und der Malonyl-Transfer durch ein und dieselbe Enzymdomäne katalysiert, weshalb diese auch als Malonyl-Acetyl-Transferase bezeichnet wird. Anschließend findet die Kondensation statt, indem die Acetyleinheit mit dem C-2Teil der Malonyleinheit am ACP unter gleichzeitiger Freisetzung von CO2 verknüpft wird. Diese Schritte katalysiert die β-Ketoacyl-[ACP]-Synthase (3) und es entsteht ein Acetoacetyl-S-Phosphopantetheinrest am ACP. Während der weiteren Reaktionsschritte verbleibt die Acetoacetylgruppe am ACP. Es folgen die Reduktion dieses Restes mittels NADPH durch die β-Ketoacyl-[ACP]-Reductase (4) und eine Wasserabspaltung durch die β-Hydroxypalmitoyl-[ACP]-Dehydratase (5). Dabei entsteht ein Δ2Enoylrest, der durch die Enoyl-[ACP]-Reductase (6) ebenfalls mittels NADPH zu einem gesättigten Acylrest reduziert wird.
500
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Im Falle einer Kettenverlängerung dient dieser Rest als „Starter“ und wird von der zentralen SH-Gruppe auf die periphere SH-Gruppe des Cysteylrestes übertragen. Die nun frei gewordene zentrale SH-Gruppe des ACP übernimmt einen neuen Malonylrest und der Cyclus beginnt von neuem. Die Verlängerung durch den Fettsäure-SynthaseKomplex stoppt meistens nach der Bildung von Palmitinsäure (C16), selten von Stearinsäure (C18). Die langkettige, geradzahlige, gesättigte Fettsäure wird aus ihrer Thioesterbindung am 4’-Phosphopanthetein durch eine Acyl-[ACP]-Hydrolase (7) als freie Fettsäure abgespalten. Die beiden ersten Methyl-terminalen Kohlenstoffatome stammen vom Acetyl-CoA, die restlichen vom Malonyl-CoA ab. Warum die Kettenverlängerung der Fettsäuren beim Menschen nach sieben oder acht Cyclen und nicht früher oder später beendet wird, bedarf einer Erklärung. Experimentelle Befunde weisen darauf hin, dass die Elongation von Fettsäureketten mit mittlerer Länge wesentlich effektiver vor sich geht, als die ersten Schritte der Kondensation. Dies begünstigt das Fortschreiten der Reaktion in Richtung weiterer Kettenverlängerung. Erreicht die Kette eine Länge von 16 oder höchstens 18 Kohlenstoffatomen, treten im Reaktionsraum zwischen den beiden Untereinheiten des Fettsäure-SynthaseKomplexes (Abschnitt 10.2.1.1) sterische Bedingungen auf, die eine weitere Verlängerung der Kette behindern und die Abspaltung der Palmitin- beziehungsweise Stearinsäure durch die Acyl-[ACP]-Hydrolase erleichtern. Fettsäuren mit kurzen und mittellangen Kohlenstoffketten spielen für die Ernährung des Menschen durchaus eine Rolle. Sie sind jedoch fast ausschließlich exogenen Ursprungs, das heißt sie werden mit der Nahrung zugeführt. Viele von ihnen sind Syntheseprodukte von Mikroorganismen, die entweder im Pansen von Wiederkäuern oder in der Dickdarmflora des Menschen vorkommen. Auf die diätetische Bedeutung der Triglyceride mit mittelkettigen C-8 bis C-11-Fettsäuren wurde bereits in Abschnitt 7.6.2 hingewiesen. Eine Verlängerung der Fettsäurekette durch den Fettsäure-Synthase-Komplex ist, wie erwähnt, nicht möglich. Es existiert jedoch auch beim Menschen ein mikrosomales Fettsäure-Elongase-System, das dazu befähigt ist. Die Enzyme dieses Systems sind auf der cytosolischen Seite des glatten endoplasmatischen Reticulums lokalisiert. Auch dieses System benutzt Malonyl-CoA als C2-Donor bei der Verlängerung von CoA-gebundenen Fettsäuren. Die Decarboxylierung des Malonyl-CoA treibt die Kondensation dieser Einheiten an. Die Verlängerung des C-18 Stearyl-CoA zu C-22- und C-24Fettsäuren spielt bei der Myelinisierung im ZNS eine Rolle, da diese langkettigen Fettsäuren Bestandteile der Sphingolipide (Abschnitt 1.1.1.1) sind.
10.2.1.3 Einfach ungesättigte Fettsäuren werden aus gesättigten durch Desaturierung gewonnen Es ist bekannt, dass die Membranfluidität von der Zahl der Doppelbindungen und der Länge der Fettsäuren in den Membranlipiden abhängt. Die Regulation der Membranfluidität ist von zentraler Bedeutung für alle biochemischen Prozesse, die an oder über Membranen stattfinden. Daher benötigt jede Zelle ungesättigte Fettsäuren. Wie in Abschnitt 4.2.1 bereits erwähnt, können ungesättigte Fettsäuren eine Doppelbindung oder mehrere Doppelbindungen haben und damit einfach oder mehrfach ungesättigt sein. In Tabelle 10.1 sind die für den Menschen wichtigen ungesättigten Fettsäuren aufgelistet.
10 Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels
501
Tabelle 10.1: Für den menschlichen Organismus wichtige ungesättigte Fettsäuren Trivialname
Summenformel
Vorkommen
Palmitoleinsäure
C16H30O2
Depotfett, Milchfett, Pflanzenöle
Ölsäure
C18H34O2
alle Fette (Hauptbestandteil)
Nervonsäure
C24H46O2
Cerebroside
Einfach ungesättigte Fettsäuren
Mehrfach ungesättigte Fettsäuren Linolsäure (C18:2)
C18H32O2
Pflanzenöle, Depotfett
Linolensäure (C18:3)
C18H30O2
Pflanzenöle
Arachidonsäure (C20:4)
C20H32O2
Fischöle, Phosphoglyceride
Nur zwei der einfach ungesättigten Fettsäuren, die C-16 Palmitoleinsäure und die C-18 Ölsäure, kann der Mensch aus den entsprechenden gesättigten Fettsäuren, das heißt aus Palmitin- beziehungsweise Stearinsäure durch Desaturierung herstellen; diese sind also nicht essentiell. Von besonderer quantitativer Bedeutung ist die Ölsäure. Die zweifach ungesättigte Linolsäure und die dreifach ungesättigte Linolensäure sind dagegen absolut essentiell; sie müssen mit der Nahrung aufgenommen werden. Die Synthese der vierfach ungesättigten Arachidonsäure ist auch beim Menschen durch Kettenverlängerung und Desaturierung der Linolsäure möglich, vorausgesetzt es steht genügend Linolsäure als Ausgangssubstanz zur Verfügung; sie ist also semi-essentiell. Die Synthese der beiden einfach ungesättigten Fettsäuren, Palmitoleinsäure und Ölsäure kann in jedem Organ stattfinden, wenn auch der Hepatocyt die höchste Synthesekapazität aufweist. Abbildung 10.4 veranschaulicht am Beispiel der Entstehung von Oleyl-CoA aus Stearyl-CoA den Reaktionsmechanismus einer Desaturierung. Dabei führt die Acyl-CoA-Desaturase in die Kette der gesättigten Fettsäuren eine einzelne cis-Doppelbindung in der Δ9-Position, das heißt zwischen dem C-9 und dem C-10 (vom Carboxylende aus gerechnet) ein. Die Reaktion verläuft wahrscheinlich nach dem Muster der durch die mischfunktionellen Oxidasen katalysierten Reaktionen. Der genaue Reaktionsablauf ist allerdings nicht vollständig geklärt. Es handelt sich um eine ZweiElektronen-Oxidation, an der das Cytochrom b5 und ein Flavoprotein, die Cytochrom b5-Reductase (in der Abbildung nicht gezeigt), beteiligt sind. Während des gesamten Reaktionsablaufs bleiben die Fettsäuren an der Desaturase gebunden, die sich an der Innenseite des glatten endoplasmatischen Reticulums befindet. Bei der Anlagerung der aktivierten Stearinsäure an das Enzymprotein wird der CoA-Rest abgespalten. Anschließend wird ein 1⁄2 O2 als Hydroxylgruppe am C-9 eingeführt. Im nächsten Schritt werden die OH-Gruppe und ein Wasserstoff in Form von H2O eliminiert. Der zweite Sauerstoff wird mittels NADPH+H+ zu Wasser reduziert. Bei dieser Reaktion findet ein Valenzwechsel des Hämeisens des Cytochrom b5 statt.
502
H C
H
H
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
HH
HH
HH
HH
HH
H O
C C C C C C C C C C C C C C H H H H H HH HH H H H H H
CH3
S-CoA SH
Enzym
Stearyl-CoA SH-CoA H H H H H HH H H H H H O H H C C C C C C C C C C C C C C CH3 C H H H H H H H HH H H H H H
Enzym
S
2Cytb 5 Fe 2+ O2
H H H H OH HH H H H H H O H H C C C C C C C C C C C C C C CH3 C H H H H H H H HH H H H H H
H2O
H CH3
H C
H
HH
H HH
C
HH
HH
C
C C C H H H HH
C
C C
H
C C
HH
HH
C
C C
O
H2O NADPH + H+
SH-CoA
SH
H O
2e-
Fe3+ 2Cytb 5
Enzym
S
2-
NADP+
Enzym
S-CoA
C HH
H
Oleyl-CoA
10.4
Reaktionsmechanismus der Acyl-CoA-Desaturase
10.2.1.4 Die tierische Zelle kann mehrfach ungesättigte Fettsäuren nicht synthetisieren Es ist für die Desaturasen tierischer Zellen charakteristisch, dass sie keine Doppelbindungen in Positionen einführen können, die weiter als neun Kohlenstoffatome von der Carboxylgruppe entfernt liegen. Somit können sie die Linolsäure mit einer Doppelbindung in Position 9 und einer weiteren in Position 12 nicht durch zweifache Desaturierung aus Stearinsäure herstellen. Das gleich gilt für die Linolensäure, die drei Doppelbindungen in den Positionen 9, 12, und 15 aufweist. Die Desaturasen pflanzlicher Zellen sind dagegen hierzu befähigt. Die pflanzlichen Fette sind daher die Quelle dieser für den Menschen essentiellen Fettsäuren.
10.2.1.5 Aus Linolsäure entsteht durch weitere Desaturierung und durch Kettenverlängerung die Arachidonsäure Die vierfach ungesättigte Arachidonsäure, die in die Phospholipide der Plasmamembran integriert ist, ist die Vorstufe der Prostaglandine, Prostacycline, Thromboxane und Leukotriene. Die Biosynthese dieser Eikosanoide und deren vielfältigen Funktionen als Mediatoren wurde in Abschnitt 1.4.7 ausführlich dargestellt. Die Arachidonsäure ist es-
10 Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels
503
O
9
12
Linoleoyl-CoA
Fe 2+
O2
6
9
12
2Cytb 5
S-CoA
C
C
2–
O
2e–
NADP+
H2O
Fe3+ 2Cytb 5
S-CoA
NADPH + H+
O
Malonyl-CoA 2 NADPH + H+
mikrosomale Kettenverlängerung
14
11
2 NADP CoA-SH CO 2
8 C
2Cytb 5
S-CoA
Fe 2+
O O2
14
11
8
Arachidonyl-CoA
10.5
5
2–
O
Fe3+
C
S-CoA
2Cytb 5
2e–
NADP+
H2O NADPH + H+
O
Synthese von Arachidonyl-CoA aus Linoleyl-CoA durch Desaturierung und Kettenverlängerung
sentieller Bestandteil jeder Zellmembran, kann jedoch als Δ5, 8, 11, 14-Fettsäure nur dann von der tierischen Zelle synthetisiert werden, wenn die essentielle Linolsäure als Ausgangssubstanz zur Verfügung steht. Der Verlauf der Synthese der Arachidonsäure aus Linolsäure ist in Abbildung 10.5 dargestellt. Neben der Desaturierung kommt es dabei zu einer Kettenverlängerung um zwei Kohlenstoffatome. In die aktivierte Linolsäure wird zunächst durch die in Abschnitt 10.2.1.3 beschriebene Desaturase-Reaktion eine dritte Doppelbindung in Position 6 eingeführt. Diese Reaktion ist, wie bereits erwähnt, auch in der tierischen Zelle möglich, da sich die einzuführende Doppelbindung vor dem C-9 befindet. Anschließend wird die Kette durch das bereits erwähnte mikrosomale Fettsäure-Elongase-System auf 20 Kohlenstoffatome verlängert. Als Donator der C2-Einheit dient auch in diesem Falle das Malonyl-CoA, die Reduktionsäquivalente stammen vom NADPH+H+. Durch die Verlängerung, die stets vom Carboxylende her erfolgt, verschieben sich die Doppelbindungen in die Positionen Δ8, 11, 14. Anschließend führt die Desaturase die vierte Doppelbindung in Position 5 ein, und Arachidonyl-CoA wird freigesetzt.
10.2.2 Der katabolen und anabolen Verwertung der Fettsäuren geht stets eine Aktivierung voraus Unabhängig davon, ob die Fettsäuren aus endogenen Quellen oder aus der Nahrung stammen, werden sie im Blut an Albumin gebunden transportiert und zwischen den Organen verteilt. Bei der Aufnahme in die Zellen dissoziieren sie vom Transportprotein
504
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
ab und gelangen als freie Fettsäuren in das Cytosol. Als erster Schritt zur Verwertung der Fettsäuren werden sie durch die Acyl-CoA-Synthetase, auch Thiokinase genannt, nach folgender stark exergoner Reaktion aktiviert: Fettsäure + CoA + ATP → Acyl-CoA + AMP + PPi
(Gl. 10.4)
Es handelt sich dabei um eine zweistufige Reaktion: Zunächst reagiert die Carboxylgruppe der Fettsäure mit der α-Phosphatgruppe des ATP unter Bildung von Acyladenylat (Acyl-AMP) und Freisetzung von Pyrophosphat. Die anschließende Spaltung des Pyrophosphates durch Pyrophosphatasen liefert die Energie zur Knüpfung der Thioesterbindung. Es gibt mehrere Isoenzyme der Acyl-CoA-Synthetase, die kurz-, mittellang- und langkettige Fettsäuren als Substrate akzeptieren. Die Aktivierung der Fettsäuren zu Acyl-CoA-Estern ist notwendig, unabhängig davon, ob ihr weiterer Weg katabol oder anabol verläuft, da durch sie die relative Stabilität der C-C-Bindung der Fettsäuren geschwächt wird.
10.2.3 Die Verwertung der Fettsäuren zur Energiegewinnung beginnt mit ihrem intramitochondrialen Abbau zu Acetyl-CoA Der oxidative Abbau langkettiger Fettsäuren zu Acetyl-CoA ist die erste Stufe eines Weges der Energiegewinnung, der für die meisten Organe des Menschen von großer Bedeutung ist. Wie in Abschnitt 5.2 besprochen, werden in der zweiten Stufe dieses Prozesses die aktivierten Acetylreste in den Tricarbonsäurecyclus eingespeist und zu CO2 abgebaut. Die dabei entstandenen Protonen und Elektronen durchlaufen die Atmungskette und setzen die ATP-Synthese in Gang (Abschnitt 5.2.2.2).
10.2.3.1 Die aktivierten Fettsäuren gelangen als Acyl-Carnitin-Ester in den mitochondrialen Matrixraum Die Coenzym-A-Ester langkettiger Fettsäuren können nicht als solche durch die innere Mitochondrienmembran in den Matrixraum gelangen, wo alle Enzyme des Fettsäureabbaus lokalisiert sind. Um die Barriere zu überwinden, werden sie – wie in Abbildung 10.6B dargestellt – im Intermembranraum durch die Carnitin-Acyl-Transferase I, die an die Außenseite der inneren Membran gebunden ist, umverestert. Dabei wird die Acylgruppe von der OH-Gruppe des Carnitins, einer Trimethylammonium-β-Hydroxybuttersäure, unter Bildung eines Acylcarnitins, übernommen, und das Coenzym-A freigesetzt (Abbildung 10.6A). Die innere Membran des Mitochondrions besitzt einen Acyl-Carnitin/Carnitin-Antiporter, der das Acyl-Carnitin in den Matrixraum befördert. Dort katalysiert die Carnitin-Acyl-Transfersase II die Reveresterung der Fettsäure mit Coenzym A. Diese Isoform des Enzyms ist an der Innenseite der inneren Membran lokalisiert. Der Antiporter befördert das frei gewordene Carnitin wieder in den Intermembranraum. Dieser Transport sorgt gleichzeitig für die Trennung des cytosolischen und mitochondrialen Coenzym-A-Pools.
10 Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels
A.
505
Acyl-CoA R
C CH2 HO
O –
O
O
S
CoA
N+
C
CoA-SH
CH
CH2
O R
CH2 H3C
C
C
O
O O–
CH CH2
CH3
CH3
Carnitin-AcylC H3 Transferase
Carnitin
H3C
N+
CH3
CH3
Acylcarnitin
B. IntermembranRaum Acyl-CoA
CoA-SH äußere MitochondrienMembran
CarnitinAcyl-Transferase I 10.6
Carnitin
AcylCarnitin
Carnitin
Acyl-CoA
AcylCarnitin
CoA-SH
innere MitochondrienMembran
CarnitinAcylcarnitinAntiporter
Matrix-Raum CarnitinAcyl-Transferase II
Carnitin-vermittelter Transport langkettiger Fettsäuren in den Matrix-Raum A. Umkehrbare Veresterung des Acylrestes mit Carnitin; B. Der Acyl-Carnitin/Carnitin-Antiport
10.2.3.2 Die β-Oxidation gesättigter Fettsäuren umfasst vier Reaktionsschritte Beim intramitochondrialen Abbau der Fettsäuren handelt es sich um die sukzessive oxidative Abspaltung von Zwei-Kohlenstoffresten ausgehend vom Carboxylende der aktivierten Acylkette. Da sich die Spaltungsstelle jeweils am β-C-Atom der Fettsäuren
506
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
befindet, wird dieser mehrstufige Prozess, der in Abbildung 10.7 dargestellt ist, auch als β -Oxidation bezeichnet. Der erste Schritt der Reaktionsfolge wird von der Acyl-CoA-Dehydrogenase, die als Coenzym FAD enthält, katalysiert. Dabei wird das Acyl-CoA an den C-Atomen 2 und 3 (α und β) unter Bildung eines Enoyl-CoAs dehydriert, und der Wasserstoff auf das FAD übertragen. Das entstandene FADH2 gibt die Reduktionsäquivalente über mehrere
CoA-SH
CoA-SH
10.7
β-Oxidation der Fettsäuren
10 Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels
507
Zwischenschritte an das Ubichinon weiter; sie treten also direkt in die Elektronentransportkette ein (Abschnitt 5.2.2.1; Abbildung 5.7). Das Produkt der ersten Reaktion, das trans-Δ2-Enoyl-CoA, ist der Thioester einer 2,3ungesättigten Fettsäure. Die Enoyl-CoA-Hydratase führt ein H2O in diese trans-isomere Fettsäure ein, wodurch das L-β-Hydroxyacyl-CoA entsteht. Die Dehydrierung dieses Produktes katalysiert die L-β-Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase. Bei dieser zweiten Dehydrierung wird der Wasserstoff auf NAD+ übertragen. Das dabei entstandene β-Ketoacyl-CoA ist Substrat der β -Ketothiolase, die als Endprodukt eines Durchgangs durch die β-Oxidation das Acetyl-CoA abspaltet. Die β-Ketothiolase katalysiert eine thiolytische Spaltung. Das bedeutet, dass auch der nach der Abgabe des Acetyl-CoA zurückbleibende Rest der Fettsäure ein CoenzymA trägt. Er kann somit ohne weitere Aktivierung in den nächsten Cyclus der β-Oxidation eintreten. Die intramitochondrial lokalisierten Enzyme der β-Oxidation werden nicht durch die mitochondriale DNA, sondern im Zellkern codiert. Sie werden im Cytosol in Form von Vorläuferproteinen exprimiert, die am N-terminalen Ende der Peptidkette eine Signalsequenz tragen, die die Translokation in den Matrixraum des Mitochondrions ermöglicht (Abschnitt 1.2.6.7).
10.2.3.3 Für den Abbau ungesättigter Fettsäuren sind Modifikationen im Ablauf der β-Oxidation notwendig Die beschriebene Reaktionsfolge der β-Oxidation trifft unverändert nur für gesättigte Fettsäuren zu. Die Kette der einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren wird durch die Enzyme der β-Oxidation nur soweit abgebaut, bis – je nach Lage der Doppelbindungen – entweder ein Δ3-cis-Enoyl-CoA oder ein Δ2-cis-Enoyl-CoA entstanden ist. Da die Enoyl-CoA-Hydratase die Δ3-cis-Konfiguration des Substrates nicht umsetzt, wird dieses durch eine Isomerase in Δ2-trans-Enoyl-CoA umgewandelt. Dieses ist das normale Substrat der Hydratase und wird als L-(+)-β-Hydroxyacyl-CoA dem weiteren Abbau zugeführt (Abbildung 10.8A). Dieser Fall tritt beispielsweise beim Abbau der Ölsäure auf, nachdem drei Acetyl-CoA abgespalten worden sind. A. O
3
C
3
S
CoA
C
S
CoA
Hydratase
2 3
R
2
2
-trans-Enoyl-CoA
-cis-Enoyl-CoA
C
OH
4
3
R
S
CoA
O
Isomerase
R
L-(+)- -Hydroxyacyl-CoA
B.
-Oxidation
O 2
-cis-Enoyl-CoA
10.8
CoA
R
3
Epimerase
2
C
S
CoA
2
R
O
S
D-( )- -Hydroxyacyl-CoA
3
C
OH
C
O
Hydratase
2
HO
3
R
S
CoA
L-(+)- -Hydroxyacyl-CoA
Hilfsreaktionen bei der Einführung ungesättigter Fettsäuren in die β-Oxidation
508
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tritt ein Δ2-cis-Enoyl-CoA als Zwischenprodukt auf, kann dieses zwar durch die Enoyl-CoA-Hydratase umgesetzt werden, es entsteht jedoch D-(-)-β-HydroxyacylCoA anstelle der L-Form des Produktes. Um die β-Oxidation fortzusetzen, muss dieses durch eine Epimerase in L-(+)-β-Hydroxyacyl-CoA umgewandelt werden (Abbildung 10.8B). 10.2.3.4 Bei der β-Oxidation von Fettsäuren mit einer ungeraden Zahl von Kohlenstoffatomen entsteht Propionyl-CoA Der Mensch synthetisiert keine Fettsäuren, die aus einer ungeraden Zahl von C-Atomen bestehen, nimmt jedoch derartige Fettsäuren mit der Nahrung auf, da sie in pflanzlichen Ölen und in Lipiden verschiedener mariner Organismen vorkommen. Auch diese Fettsäuren werden durch die β -Oxidation abgebaut. Da in diesem Prozess bei jedem Durchgang ein Acetyl-CoA, also eine Verbindung aus zwei C-Atomen abgespalten wird, bleibt beim Einsatz von Fettsäuren mit einer ungeraden Zahl von Kohlenstoffatomen zwangsläufig eine Fettsäure aus drei C-Atomen, das Propionyl-CoA, übrig. Auch das Propionyl-CoA kann in den Tricarbonsäurecyclus eingeschleust werden, nachdem es in einer dreistufigen Reaktion in Succinyl-CoA umgewandelt wurde. Diese Reaktionsfolge, zu der Biotin und Cobalamin benötigt werden, wurde im Zusammenhang mit der Funktion dieser Vitamine in Abschnitt 4.4.2.6 (Abbildung 4.23) beschrieben.
10.2.4 Eine β-Oxidation von Fettsäuren findet auch in den Peroxisomen statt Die intramitochondriale β-Oxidation ist zwar der quantitativ weitaus überwiegende Weg zum Abbau der Fettsäuren, jedoch findet dieser Prozess in etwas abgewandelter Form auch in den Peroxisomen statt (Abschnitt 1.2.5). Der wesentliche Unterschied liegt im ersten Reaktionsschritt: Die Acyl-CoA-Dehydrogenase – die zutreffender auch als Acyl-CoA-Oxidase bezeichnet wird – katalysiert die folgende Reaktion: Acyl-CoA + O2 → trans-Δ2-Enoyl-CoA + H2O
(Gl. 10.5)
An der Reaktion ist FAD als Cofaktor beteiligt. Die Reduktionsäquivalente werden jedoch nicht an die Atmungskette weitergeleitet, sondern es entsteht H2O2, das durch die peroxisomale Katalase zu H2O und O2 abgebaut wird (Abschnitt 1.2.5.1; Gl. 1.3). Weiterhin akzeptiert die Ketothiolase der Peroxisomen als Substrat nur Acyl-CoA, die eine Kettenlänge von 8 oder mehr C-Atomen haben, so dass der peroxisomale Abbau der Fettsäuren nur unvollständig ist. Die „alternative β-Oxidation“ der Fettsäuren in den Peroxisomen dürfte überhaupt vor allem der Kettenverkürzung sehr langkettiger Fettsäuren (> 18 C-Atome) dienen und damit deren weiteren Abbau in den Mitochondrien erleichtern. Die verkürzten Fettsäuren werden noch in den Peroxisomen in die entsprechenden Carnitin-Ester überführt und als solche an die Mitochondrien weitergegeben. Der Eintritt der Fettsäuren in die Peroxisomen ist jedoch nicht auf Carnitin angewiesen. Die Peroxisomen verfügen nicht über die Enzyme des Tricarbonsäurecyclus. Die abgespaltenen Acetyl-CoA werden, genauso wie das NADH, aus den Organellen abgege-
10 Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels
509
ben. Interessanterweise führt eine fettreiche Ernährung zu einer Vergrößerung der Peroxisomen und zu einer erhöhten Synthese der Enzyme der β-Oxidation.
10.3 Im Fettgewebe werden die Fettsäuren vorwiegend zur Synthese der Triglyceride verwendet Wie bereits wiederholt diskutiert, sind die Fettsäuren potentielle Lieferanten biologischer Energie, wobei es gleichgültig ist, ob sie endogenen Ursprungs sind oder aus der Nahrung stammen. Je nach Ernährungs- und Stoffwechsellage können sie entweder zur sofortigen Gewinnung von Energie genutzt oder als Energiedepot gespeichert werden. Freie Fettsäuren sind als solche allerdings nicht speicherungsfähig. Ihre biologische Halbwertszeit im Serum beträgt 1 bis 2 Minuten, was ihren raschen Umsatz deutlich macht. Sie werden aus dem Blut, das ihrer Verteilung zwischen den Organen dient, bevorzugt von der Leber, dem Myocard, der Nierenrinde und dem Muskel aufgenommen und dem oxidativen Abbau zugeführt. Im Fettgewebe spielt die Energiegewinnung aus Fettsäuren gegenüber der aus Glucose eine geringe Rolle. In diesem Gewebe werden sie vor allem in eine Form übergeführt, die zur Speicherung der Energie geeignet ist: Sie werden mit Glycerin zu Triglyceriden (Triacylglycerinen) verestert. Antiparallel zu diesem als Lipogenese bezeichneten Vorgang findet im Adipocyten der Abbau der Triglyceride, die Lipolyse statt, durch die das Energiedepot mobilisiert wird.
10.3.1 Zur Biosynthese der Triglyceride dienen aktiviertes Glycerin und aktivierte Fettsäuren Die aktive Form des Glycerins ist das α -Glycerophosphat, das auf zwei Wegen gewonnen werden kann. In den meisten Geweben – auch im Fettgewebe – entsteht es aus einem glykolytischen Metaboliten, dem Dihydroxyacetonphosphat (Abschnitt 9.3.1; Abbildung 9.5) nach dessen Reduktion durch die α-Glycerophosphat-Dehydrogenase. In der Leber, der Niere und der Darmmucosa ist die Glycerokinase mit hoher Aktivität vertreten, wodurch in diesen Geweben die direkte ATP-abhängige Phosphorylierung des Glycerins möglich ist. Die „aktivierten“ Fettsäuren, die Acyl-CoA, entstehen durch die ATP-abhängige Anfügung eines Coenzym A an das Carboxylende der Fettsäurekette, wie dies bereits im Zusammenhang mit der Verwertung der Fettsäuren in Abschnitt 10.2.2 (Gl. 10.4) beschrieben wurde. Den dreistufigen Prozess der Triglyceridsynthese stellt Abbildung 10.9 dar. Im ersten Schritt verknüpft die Acyl-CoA-Glycerin-3-phosphat-Acyl-Transferase zwei Moleküle Acyl-CoA mit α-Glycerophosphat. Bevorzugt werden bei dieser Reaktion Fettsäuren mit einer Kettenlänge von 16 bis 18 Kohlenstoffatomen. Es entsteht die Phosphatidsäure, ein zweifach acyliertes Glycerophosphat. Im zweiten Schritt spaltet die Phosphatidat-Phosphohydrolase den Phosphatrest ab. An das entstandene α, βDiacylglycerin heftet die Diacylglycerin-Acyl-Transferase das dritte Acyl-CoA an. Diese Enzyme sind in einem Triacylglycerin-Synthase-Komplex vereinigt, der an die Membran des endoplasmatischen Reticulums gebunden ist.
510
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
H2C
OH
HC
OH
H2C
O
O
+
2 CH3
(CH2)n C
PO32–
S
CoA
2 Acyl-CoA
α-Glycerophosphat Acyl-CoA-Glycerin3-phosphat-Acyl-Transferase
2CoA -SH O
H2C
O
C
(CH2)n
CH3
(CH2)n
CH3
O HC
O
C
H2C
O
PO32–
Phosphatidsäure H2O PhosphatidatPhosphohydrolase
PO43– O
H2C
O
C
(CH2)n
CH3
(CH2)n
CH3
O HC H2C
O
C
OH
Diacylglycerin
O CH3
(CH2)n C
DiacylglycerinAcyl-Transferase
S
CoA
Acyl-CoA CoA-SH O
H2C
O
C
(CH2)n
CH3
(CH2)n
CH3
(CH2)n
CH3
O HC
O
C O
H2C
O
C
Triacylglycerin
10.9
Biosynthese der Triglyceride
10.3.2 Der Abbau der Triglyceride wird durch Lipasen katalysiert Zur Mobilisierung der gespeicherten Energiereserven werden die Triglyceride durch drei hintereinander geschaltete intrazelluläre Lipasen zu Fettsäuren und Glycerin hydrolysiert (Abbildung 10.10). Die Triacylglycerin-Lipase reagiert spezifisch nur mit Triglyceriden und bevorzugt solche mit langkettigen Fettsäureresten. Das interkonvertierbare, in phosphorylierter Form aktive Enzym bestimmt die Geschwindigkeit der sukzessiven Spaltungsschritte. Die Diacyl- und Monoacyl-Lipasen sind relativ unspezifisch. Alle drei Lipasen haben ihr pH-Optimum im neutralen Bereich. Eine weitere Triacylglycerin-Lipase mit einem Optimum nahe pH 8 spaltet kurzkettige Fettsäuren ab.
10 Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels
511
O H 2C
O
C
(CH2)n
CH3
(CH2)n
CH3
(CH2)n
CH3
O HC
O
C O
H 2C
O
C
Triacylglycerin H2O TriacylglycerinLipase
Fettsäuren O
H 2C
O
C
(CH2)n
CH3
(CH2)n
CH3
O HC H 2C
O
C
OH
Diacylglycerin H2O
DiacylglycerinLipase
Fettsäuren H 2C
OH O
HC H 2C
O
C
(CH2)n
CH3
OH
Monoacylglycerin H2O
MonoacylglycerinLipase
Fettsäuren H 2C
OH
HC
OH
H 2C
OH
Glycerin
10.10
Stufenweiser Abbau der Triglyceride
Die abgespaltenen Fettsäuren können im Adipocyten auch reverestert werden. Der größte Teil wird jedoch an das Blut abgegeben und den Organen zugeführt, die ihren Energiebedarf bevorzugt durch den Abbau von Fettsäuren decken. Das Glycerin wird aus dem Blut vor allem von der Leber und der Darmmucosa aufgenommen, wo es nach Aktivierung zu α-Glycerophosphat verwertet wird – in der Leber hauptsächlich zur Gluconeogenese. Außer den intrazellulären Lipasen, die eine Rolle bei der Fettmobilisierung spielen, kommen in vielen Geweben – so auch im Fettgewebe – Lipoproteinlipasen mit hoher Aktivität vor. Sie sind an der Außenseite der Plasmamembran der Adipocyten und an den Endothelzellen der Blutkapillaren lokalisiert. Es sind jedoch auch intrazelluläre Lipoproteinlipasen nachweisbar. Die Lipoproteinlipasen spalten die besonders triglyceridreichen Lipoproteine, die VLDL und die Chylomikronen (Abschnitt 8.3.2). Die Tri-
512
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
glyceride der Nahrung werden hauptsächlich mit den Chylomikronen zum Fettgewebe transportiert. Da die Lipoproteine vom Adipocyten nicht internalisiert werden können, spaltet sie die Lipoproteinlipase in Fettsäuren und Glycerin, die die Zelle dann reverestert. Es sei daran erinnert, dass im Lumen des Dünndarms eine dritte Lipase, die Pankreaslipase, für die Hydrolyse der Nahrungstriglyceride zuständig ist (Abschnitt 7.6.2).
10.3.3 Synthese und Abbau der Triglyceride werden in einer konzertierten Aktion von Hormonen gesteuert Durch Speicherung von Energie in Form von Triglyceriden und durch deren bedarfsgerechte Mobilisierung hat das Fettgewebe einen aktiven, unter Umständen sehr bedeutenden Anteil am Gesamtstoffumsatz eines Organismus. Es ist evident, dass die beiden gegenläufigen Prozesse, die Lipogenese und die Lipolyse, einer Regulation bedürfen. Beide finden im Cytosol des Adipocyten statt. Die Möglichkeit der Regulation durch Kompartimentierung ist somit nicht gegeben. Damit verlagert sich die Steuerung auf die Ebene der Enzyme, deren Aktivität durch invers wirkende Hormone so eingestellt wird, dass der anabole und der katabole Stoffwechsel der Speicherlipide nicht gleichzeitig ablaufen kann. Abbildung 10.11 bietet einen schematischen Überblick über die Regulation der Triglyceridsynthese (rechts) und des Triglyceridabbaus (links) in den Adipocyten. Bei der Synthese haben zwei Enzyme eine regulatorische Funktion: Die Lipoproteinlipase, die an der Außenseite der Plasmamembran des Adipocyten beziehungsweise des Kapillarendothels lokalisiert ist, und die Acetyl-CoA-Carboxylase als intrazelluäres Enzym. Die Triglyceride, die im Fettgewebe des Menschen gespeichert werden, stammen in erster Linie aus der Nahrung. Wie bereits erwähnt, gelangen sie nach der intestinalen Resorption als Triglycerid-reiche Chylomikronen an die Adipocyten, wo sie durch die Lipoproteinlipase gespalten werden. Die Aktivität dieses Enzyms ist bestimmend für die Geschwindigkeit der Resynthese der Triglyceride aus alimentären Quellen. Insulin ist ein potenter Induktor der Lipoproteinlipase. Der Funktion als Schlüsselenzym entspricht ihre kurze Halbwertszeit von etwa einer Stunde. Die Aktivität der Lipoproteinlipase widerspiegelt somit die Schwankungen des Insulinspiegels im Blut. Die aus der Hydrolyse hervorgegangenen Fettsäuren werden unter Beteiligung von zellulären Bindungsproteinen schnell von den Adipocyten aufgenommen und als AcylCoA aktiviert. Das zweite Produkt der Spaltung, das Glycerin, kann in den Adipocyten nur in geringem Maße zur Reveresterung der Triglyceride verwendet werden, da dieser Zelltyp kaum Glycerokinase-Aktivität aufweist. Das Glycerin wird also durch Reduktion des Dihydroxyacetonphosphats der glykolytischen Kette entnommen (Abschnitt 10.3.1), deren Intensität ebenfalls durch Insulin gefördert wird. Der Adipocyt bildet ein acylation stimulating protein, das Adipsin. Dieses trimere Protein fungiert als Aktivator der Acyl-Transferasen und verstärkt somit die Triglyceridsynthese. Wie Abbildung 10.11 ebenfalls zeigt, wirkt das Insulin auch bei weiteren Prozessen, die mit der Triglyceridsynthese in Zusammenhang stehen, stimulierend. Das ist der Fall bei der GLUT 4-vermittelten Aufnahme der Glucose in die Fettzelle (Abschnitt 1.1.2.10), beim glykolytischen Abbau der Glucose, woraus nicht nur das α-Glycerophosphat resultiert, sondern auch das Acetyl-CoA, nachdem das Pyruvat durch die Pyruvat-Dehydrogenase dehydrierend decarboxyliert worden ist.
10 Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels
Triglyceridabbau
Triglyceridsynthese
513
Chylomikronen VLDL
Triglyceride Adipsin
ENDOTHEL
Triacylglycerin-Lipase
Acyltransferasen
Di-/Monoacylglycerin-Lipasen
Insulin FFS
FFS
10.11
Gluconeogenese
Oxidation
Glycerin
Glycerin
Acyl-CoA FFS -Glycerophosphat Fettsäure-Synthase
Acetyl-CoA Carboxylase
ADIPOCYT
Acetyl-CoA
Insulin* Catecholamine
Lipoproteinlipase
Catecholamine
Insulin*
Glycerin
Glucose
Abbau
Insulin
Insulin * = Expression
Hormonelle Regulation des Triglyceridabbaus und der Triglyceridsynthese FFS = freie Fettsäuren; Schlüsselenzyme rot umrahmt
Der zentrale Metabolit Acetyl-CoA ist bekanntlich das unmittelbare Substrat zur Synthese der Fettsäuren. Wie in Abschnitt 10.2.1 erörtert, ist die Gewinnung von MalonylCoA der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der Fettsäuresynthese. Er wird durch die Acetyl-CoA-Carboxylase katalysiert, deren Aktivität – wenn auch indirekt – ebenfalls unter dem stimulierenden Effekt des Insulins steht. Der Bedeutung der Acetyl-CoA-Carboxylase entsprechend unterliegt dieses Schlüsselenzym einer multiplen Regulation. Auf der Ebene der Transkription wirkt Insulin in Gegenwart von Glucose als potenter Induktor der Acetyl-CoA-Carboxylase-Expression. Glucocorticoide unterdrücken diesen Effekt. Eine Repressorwirkung entfalten auch Hormone, die den cAMP-Spiegel erhöhen, das heißt die Catecholamine und das Glucagon. Es sind auch eine Reihe akut wirksamer Regulationsmöglichkeiten bekannt, die Abbildung 10.12 zusammenfasst. Die Acetyl-CoA-Carboxylase besitzt eine Quartärstruktur. Das Monomer, das eine molare Masse von 410 kDa hat, ist inaktiv. Durch Zusammenlagerung von 10 bis 20 Monomeren entsteht das aktive hochmolekulare Polymer. Die Aggregation der Monomere wird – zumindest in vitro – durch Citrat und sonstige Tricarboxylat-Anionen gefördert. Über die physiologische Bedeutung des Citrat-Effektes herrscht Unklarheit, da die erforderliche Citrat-Konzentration sehr hoch ist. Von größerer Bedeutung für die Regulation der Aktivität der Acetyl-CoA-Carboxylase dürfte es sein, dass es sich dabei um ein interkonvertierbares Enzym handelt. Die aktive Form ist nicht phosporyliert, die inaktive trägt drei Phosphatreste. Drei Enzyme spielen bei der Interkonvertierung eine Rolle: Zwei Proteinkinasen, die phosphorylierend und damit inaktivierend wirken, und eine Protein-Phosphatase, die durch Abspaltung der Phosphatreste den aktiven Zustand herstellt. Die 5’AMP-abhängige-Protein-
514
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Insulin
+
Mitochondrion
AMP
ATP Oxalacetat
ATP
+
ADP
Citrat ATP-Citrat-Lyase
Acetyl-CoA
Acyl-CoA Bindungsproteine
cAMP
5'AMP-abhängige cAMP-abhängige Proteinkinase Proteinkinase
ATP
+
Catecholamine
Acetyl-CoA-Carboxylase aktiv
ADP
P
P
P
Acetyl-CoA-Carboxylase inaktiv
Protein-Phosphatase
Acyl-CoA Malonyl-CoA
Fettsäuren der Nahrung
COOH Thiokinase COOH
CO 2
Fettsäure-Synthase-Komplex COOH
langkettige Fettsäure
angefügter C2-Körper
10.12
Regulation der Aktivität der Acetyl-CoA-Carboxylase
kinase wird durch AMP aktiviert und durch ATP gehemmt. Die zweite, cAMP-abhängige-Proteinkinase (PKA) ist hormonsensitiv. Catecholamine und auch Glucagon, die zur Erhöhung des cAMP-Spiegels führen, aktivieren diese Kinase und inaktivieren entsprechend die Acetyl-CoA-Carboxylase. Das Insulin bewirkt das Gegenteil, indem es die Konzentration des cAMP senkt. Diese durch Interkonvertierung vermittelte Aktivierung beziehungsweise Inaktivierung der Acetyl-CoA-Carboxylayse wird mit der Reassoziation beziehungsweise Dissoziation der Enzymmonomere in Zusammenhang gebracht. Langkettige Acyl-CoA hemmen im Sinne einer allosterischen Rückkopplung die Acetyl-CoA-Carboxylase. Hierbei ist es gleichgültig, ob die langkettigen Fettsäuren Produkte der intrazellulären Synthese durch den Fettsäure-Synthase-Komplex sind oder aus den Triglyceriden der Nahrung stammen. Dies hat zur Konsequenz, dass bei ausreichender alimentärer Fettzufuhr die de novo-Synthese von Fettsäuren aus Glucose eine nur sehr geringe Bedeutung hat. Der Fettgehalt der menschlichen Nahrung mit durchschnittlich 40 Energieprozent ist hoch genug, um für die Triglyceridsynthese im Fettgewebe reichlich Fettsäuren zur Verfügung zu stellen. Beim Menschen dürfte die Kapazität des Adipocyten zur Synthese von Fettsäuren sehr begrenzt sein. Darauf deutet auch hin, dass alle Enzyme, die mit der Fettsäuresynthese im Zusammenhang stehen – die Pyruvat-Dehydrogenase, die ATP-Citrat-Lyase, die Acetyl-CoA-Carboxylase und die Fettsäure-Synthase – sehr niedrige Aktivitäten aufweisen. Bereits ein Fettgehalt von 2 bis 3 % in der Nahrung führt zu einer beinahe vollständigen Drosselung der Lipacidogenese aus Kohlenhydraten.
10 Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels
515
Beim Menschen dürfte unter physiologischen Bedingungen die hepatische de novoSynthese von Fettsäuren eine untergeordnete Rolle spielen. Bei Tierspezies dagegen, deren Nahrung physiologischerweise wenig Fett enthält – also bei allen Herbivoren – ist die Kapazität der Fettsäuresynthese aus Glucose sehr ausgeprägt. Hiervon wird bei der sogenannten Kohlenhydratmast von Nutztieren Gebrauch gemacht. Die Lipolyse wird – wie in Abschnitt 10.3.2 besprochen – durch drei intrazelluläre Lipasen katalysiert, von denen die Triacylglycerin-Lipase die Rolle eines Schlüsselenzyms hat. Die linke Hälfte von Abbildung 10.11 zeigt, dass dieses Enzym durch die Catecholamine aktiviert und durch das Insulin gehemmt wird. Die Triglycerid-Lipase (Triacylglycerin-Lipase) ist ein interkonvertierbares Enzym, das im phosphorylierten Zustand aktiv ist. Die Stimulierung der Lipolyse weist somit gewisse Analogien zur Mobilisierung der Glykogenvorräte auf (Abschnitt 9.3.5.1). Die Adipocyten exprimieren mehrere unterschiedliche Catecholamin-Rezeptoren, von denen die β2- und β3-Rezeptoren von besonderem Interesse sind. Die β3Rezeptoren haben eine bemerkenswert hohe Dichte im viszeralen und braunen Fettgewebe (Abschnitt 10.5). Die Bindung der Catecholamine an die β -Rezeptoren, die sieben TransmembranDomänen aufweisen, löst die Weitergabe der Signale über heterotrimere G-Proteine an die Adenylatcyclase aus (Abschnitt 1.1.3.6). Die intrazelluläre cAMP-Konzentration erhöht sich. Dies führt zur Aktivierung der Proteinkinase A, die die Triglycerid-Lipase des Adipocyten phosphoryliert und damit in den aktiven Zustand überführt. Das Insulin übt seine inhibierende Wirkung auf die Lipolyse dadurch aus, das es die cAMPPhosphodiesterase aktiviert und damit die intrazelluläre Konzentration des cAMP herunterreguliert. Die gynoiden Fettzellen, die beim weiblichen Geschlecht am Oberschenkel und am Gesäß besonders gehäuft vorkommen, besitzen auch α2-Rezeptoren. Die Bindung von Catecholaminen an diesen Rezeptortyp führt zur Stimulierung eines inhibitorischen GProteins und damit zur Hemmung des Adenylatcyclase-Systems. Das gynoide Fettgewebe ist dadurch relativ unempfindlich gegenüber der lipolytischen Wirkung der Catecholamine. Weitere Hormone, die zur Steigerung der Lipolyse beitragen, sind die Schilddrüsenhormone und die Glucocorticoide. Diese haben erwartungsgemäß einen anderen Wirkungsmechanismus (Abschnitt 1.4.4.4 und 1.4.5.3) und stimulieren wahrscheinlich die Synthese mehrerer Proteine, die an der Lipolyse beteiligt sind, deren Natur jedoch noch nicht geklärt ist.
10.4 Die Phosphatidsäure ist auch die Vorstufe der meisten Phospholipide Die Phospholipide sind eine Untergruppe der polaren Lipide, für die eine Phosphosäureester-Gruppierung charakteristisch ist. Es gibt zwei Klassen von Phospholipiden: Glycerophospholipide und Sphingophospholipide. Die Alkoholkomponente der Glycerophospholipide ist das Glycerin, die der Sphingophospholipide der zweiwertige Aminoalkohol Sphingosin (Abschnitt 1.1.1.1). Bekanntlich sind Phospholipide Hauptbestandteile der Zellmembranen. Sie sind für die Erhaltung der Membranstruktur und -funktion unabdingbar. Neben dieser bereits lange bekannten Rolle hat sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass die Phospholi-
516
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
pide eine sehr vielfältige Aufgabe bei der Übertragung extrazellulärer Signale in intrazelluläre metabolische Aktivitäten ausüben. Als Beispiel sei an die Rolle der Phosphatidylinositolphosphate – beziehungsweise ihrer Spaltprodukte, des Inositoltriphosphates und des Diacylglycerins – für die Ca2+-Mobilisierung beziehungsweise die Aktivierung der Proteinkinase C erinnert (Abschnitt 1.1.3.9). Die Glycerophospholipide sind Bestandteil aller biologischen Membranen und übertreffen schon quantitativ die Bedeutung der Sphingolipide. Sphingomyelin ist neben Phosphatidylcholin, Phosphatidylethanolamin und Phosphatidylserin ein Haupttyp von Membranlipiden, der bevorzugt auf der Außenseite der Lipid-Doppelschicht enthalten ist. Sphingomyelin hat, verglichen mit anderen Membranen, einen höheren Massenanteil in neuralen Membranen. Die ersten Schritte der Synthese der Glycerophospholipide (Phosphoglyceride) sind mit denen der Triglyceridsynthese bis zur Entstehung der Phosphatidsäure identisch (Abbildung 10.9). Für die Bildung von Phosphatidylcholin und Phosphatidylethanolamin (Abbildung 10.13) wird – wie bei der Triglyceridsynthese – der Phosphatrest abgespalten und das 1,2 Diacylglycerin dient zur Verknüpfung mit Cholin beziehungsweise Ethanolamin. Diese beiden Substituenten – und auch das Serin – werden zunächst in einer ATP-abhängigen Reaktion phosphoryliert. Ihre Aktivierung geht mittels Cytidyltriphosphat weiter, wobei Pyrophosphat abgespalten wird. Die CDP-Cholin/-Ethanolamin/(-Serin)-Diacylglycerin-Transferase überträgt unter Abspaltung von Cytidylmonophosphat das Cholin beziehungsweise Ethanolamin (Serin) auf die dritte OH-Gruppe des 1,2 Diacylglycerins. Bei der Synthese des Phosphatidylinositols wird nicht der Substituent, das heißt der cyclische Alkohol Inositol, aktiviert, sondern der Cytidylrest wird auf die PhosphatidO R1
C
O
CH2
R2 C
O
CH
O
H2C
CTP O
Phosphatidsäure PO3– 4
Cholin ATP ADP +
CTP
N
O
R1 C
O
CH2
O
P
R2 C
O
CH H2C
(CH2)2
CH2
R2 C
O
CH H2C
Transferase
–
O
CMP
O– P
O
O
Cholin
OH
CMP
O
C
O
CH2
R2 C
O
CH
O
H2C
R1 O O
P O
Ethanolamin Phosphatidylethanolamin
H H
OH H HO
C
O
CH2
R2 C
O
CH
O
H2C
–
O O
P O O
Inositol Phosphatidylinositol
Biosynthese der Phosphoglyceride CTP = Cytidyltriphosphat; CDP = Cytidyldiphosphat; CMP = Cytidylmonophosphat
H
OH
HO
P-Pi
O–
Phosphatidylcholin
O
Cytidin
CMP
CMP R1
O
10.13
P O
O
P O
Transferase
O O
O
P O
CTP
O
O R1 C
–
O–
OH
NH2
CMP
O
H
Phosphorylethanolamin
CH3
O
CH H2 C
ADP
O
O
O
CH2
Ethanolamin ATP
O –
O
O
(CH2)2
P-Pi
O
R2 C
Phosphatidcytidyl-Transferase
1,2-Diacylglycerin
CH3 H3C
O R1 C
CDP-Diacylglycerin
O
Phosphorylcholin
PO2– 3
P-Pi
H
Inositol
10 Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels
517
säure übertragen. Das entstandene CDP-Diacylglycerin wird anschließend mit dem Inositol zu Phosphatidylinositol verknüpft. Für die Funktion der biologischen Membran ist die quantitative Relation der einzelnen Phosphoglyceride von Bedeutung. Außer durch de novo-Synthese besteht die Möglichkeit, diese durch Umwandlung der Glycerolipide zu modifizieren. Das Phosphatidylethanolamin spielt bei diesen Prozessen eine zentrale Rolle. Es lässt sich beispielsweise durch Methylierung mittels S-Adenosyl-Methionin als CH3-Donator in Phosphatidylcholin umwandeln. Phosphatidylserin kann zu Phosphatidylethanolamin decarboxyliert werden. Die Phosphoglyceride werden durch Phospholipasen mit unterschiedlicher Spezifität abgebaut. Von besonderem Interesse ist die membrangebundene Phospholipase C (PLC), die Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat (PIP2) zu zwei intrazellulären Signalmolekülen hydrolysiert – zu Inositol-1,4,5-triphosphat und Diacylglycerin – , sowie die Phospholipase A2, die die Arachidonsäure als Ausgangssubstrat zur Synthese der Eikosanoide freisetzt (Abschnitt 1.4.7).
10.5 Im braunen Fettgewebe findet eine „zitterfreie Thermogenese“ statt Bei der Beschreibung des histologischen Bildes des Fettgewebes wurde bereits auf die Spezialitäten des braunen Fettgewebes und seine Funktion bei der Wärmeproduktion kurz hingewiesen (Abschnitt 10.1; Abbildung 10.1B). Im folgenden soll auf die metabolischen Besonderheiten dieser Fettgewebsart, die beim adulten Menschen nur in sehr geringer Menge vorkommt, detailliert eingegangen werden. Die Wärmeproduktion ist beim erwachsenen Menschen ein „Nebenprodukt“ der ATP-Spaltung, die bekanntlich im höchsten Umfang im arbeitenden Muskel stattfindet. Ist die Umgebungstemperatur niedrig und eine willkürliche Erhöhung der Wärmeerzeugung durch Muskelarbeit nicht möglich, so behilft sich der Organismus durch das sogenannte Kältezittern. Es handelt sich dabei um unwillkürliche rhythmische Kontraktionen des Muskels, wodurch die Wärmeproduktion kurzfristig auf das Mehrfache des Ruhewertes gesteigert werden kann. Als einziges Gewebe der Säugetiere besitzt das braune Fettgewebe die Fähigkeit, durch intramitochondriale Substratoxidation direkt Wärme zu erzeugen. Es findet kein Muskelzittern statt, weshalb das Phänomen als „zitterfreie Thermogenese“ bezeichnet wird. Es ist in den letzten Jahren gelungen, die komplexe Ursachenkette dieser Wärmeproduktion, die für den Neugeborenen sehr bedeutend ist, weitgehend zu klären. Wie im Zusammenhang mit der Gewinnung biologischer Energie besprochen wurde, sind der Elektronentransport (die intramitochondriale Oxidation von NADH und FADH2 durch O2) und die oxidative Phosphorylierung (die ATP-Synthese) eng gekoppelt. Wie man aus zahlreichen einschlägigen in vitro-Experimenten weiß, lassen sich die beiden Prozesse entkoppeln, indem man Substanzen einsetzt, die die Permeabilität der inneren Membran des Mitochondrions für H+ erhöhen. Dadurch wird der elektrochemische Protonengradient abgebaut, ohne dass eine ATP-Synthese stattfindet. Bei einem derartigen „entkoppelten“ Abbau des elektrochemischen Gradienten entsteht Wärme. Der Mechanismus der Wärmeproduktion im braunen Fettgewebe beruht ebenfalls auf einer derartigen, jedoch regulierten Entkopplung der oxidativen Phosphorylierung in den Mitochondrien dieser Fettzellen. Die Rolle des Entkopplers spielt dabei ein spezi-
518
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
NORADRENALIN ADRENALIN β-adrenerger Rezeptor
ADIPOCYT
Zellmembran Gαs
G-Protein
Adenylatcyclase
Gαs
ATP
cAMP
cAMP cAMP cAMP cAMP
Triglyceride
P
aktive PKA
ATP ADP
+ Lipase
Lipase
+
Fettsäuren H+
H+ H+
O2
P
CREBP
UCP
e–
ATP
innere Mitochondrienmembran
+ +
UCP-Gen Transkription
ZELLKERN
äußere Mitochondrienmembran 10.14
Mechanismus der Auslösung der Thermogenese im braunen Fettgewebe PKA = Proteinkinase A; UCP = uncoupling protein; CREBP = cAMP responsive element binding protein
elles Protein, das als Protonenkanal fungiert und als Thermogenin oder uncoupling protein bezeichnet wird. Die Kette der Regulationsschritte, die im braunen Fettgewebe zur Thermogenese führen, ist in Abbildung 10.14 dargestellt. Ausgelöst wird der komplexe Vorgang durch das Ausschütten von Catecholaminen, beispielsweise durch Kältereiz. Die Hormone binden an die gewebsspezifischen β3-Catecholamin-Rezeptoren. Es kommt zu einer G-Protein-vermittelten Aktivierung der Adenylatcyclase mit nachfolgender Erhöhung des intrazellulären cAMP-Spiegels (Abschnitt 1.1.3.6) sowie Aktivierung der Proteinkinase A. Dieses Enzym katalysiert die Phosphorylierung der hormonsensitiven Lipase, die damit in den aktiven Zustand übergeht und durch Spaltung von Triglyceriden Fettsäuren für die intramitochondriale β-Oxidation zur Verfügung stellt. Die aktivierte Proteinkinase A beeinflusst auch die Synthese des für den gesamten Vorgang ausschlaggebenden Proteins, des Thermogenins. Dabei spielt die Phosphorylierung und damit Aktivierung eines Transkriptionsfaktors, des cAMP-responsive element binding proteins (CREBP) eine Rolle. Dadurch wird die Transkriptionsrate des Gens, das das Thermogenin oder uncoupling protein 1 (UCP1) codiert, sowie die
10 Das Fettgewebe als Energiespeicher und Drehscheibe des Lipidstoffwechsels
519
Integration des Proteins in die innere Membran des Mitochondrions erhöht, und die Thermogenese nimmt ihren Lauf. Die Transportaktivität dieses Proteins wird durch ATP reduziert, durch freie Fettsäuren erhöht. In letzter Zeit fand man, dass UCP-1-ähnliche Entkopplungsproteine auch im weißen Fettgewebe und im Muskel exprimiert werden. Die Rolle dieser als UCP-2 und UCP-3 bezeichneten Proteine vermutet man nicht in der Entkopplung der oxidativen Phosphorylierung, sondern in der Modulation der Bereitstellung von Fettsäuren für die βOxidation. Die Expression von UCP-1 und UCP-2 sowie UCP-3 unterliegt offenbar unterschiedlichen Transkriptionskontrollen.
10.6 Das Fettgewebe entpuppt sich als endokrines Organ Zweifelsohne dient das Fettgewebe in erster Reihe der äußerst effektiven Speicherung von Energie. Diese Funktion beanspruchte Jahrhunderte hindurch die Aufmerksamkeit
Fettgewebe
Gewichtsabnahme
Gewichtszunahme
Leptin
Leptin
Hypothalamus
Hypothalamus
NPY Y5 Rezeptor
MSH MC-4 Rezeptor
Antwort auf Hungern
Antwort auf Übergewicht
Nahrungsaufnahme
Parasympathikustonus NahrungsEnergieSympathikusTemperatur aufnahme verbrauch tonus EnergieReproduktionsverbrauch funktion
10.15
Leptin-vermittelte physiologische Antworten bei Gewichtsabnahme und Gewichtszunahme
520
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
von Physiologen und Biochemikern. Auch dieses Kapitel des Lehrbuches befasste sich bislang mit den anabolen und katabolen Prozessen des Lipidstoffwechsels, die diesen Aspekt betrafen, mit Ausnahme der Phospholipide, die nicht als Energieträger, sondern vor allem als Bausteine biologischer Membranen von Interesse sind. Erst die Entdeckung des Leptins 1994 lenkte die Aufmerksamkeit auf eine völlig neuartige Rolle des Fettgewebes als endokrines Organ. Dieses Polypeptid ist im Zusammenhang mit dem Auftreten einer hochgradigen Fettsucht bei einem Mäusestamm entdeckt worden, dessen Vertreter durch unbegrenzte Futteraufnahme auffielen. Wie genetische Untersuchungen ergaben, können diese Tiere kein Leptin exprimieren, da beim ob-Gen, das das Leptin codiert, eine Spontanmutation aufgetreten war. Weitere Untersuchungen zeigten, dass das Leptin eine zentrale Rolle bei der Regulation von Hunger und Sättigung spielt. Dieser Rolle entsprechend wurden die Wirkungen des Leptins und seine Interaktionen mit zahlreichen weiteren regulatorischen Peptiden bereits in Abschnitt 2.1.6 im Zusammenhang mit der Regulation der Nahrungsaufnahme ausführlich besprochen. Bemerkenswert ist die Proportionalität zwischen der Fettgewebsmasse beziehungsweise dem bodymass index (BMI) eines Menschen und der im Blut zirkulierenden Leptinmenge. Entsprechend wird dem Leptin eine zentrale Rolle bei der Regulation des Körpergewichtes zugeschrieben. Es beeinflusst nicht nur die Nahrungsaufnahme über die Steuerung von Hunger und Sättigung, sondern übt auch Effekte auf die Energieausgabe über die Thermogenese aus. Leptin scheint damit ein zentrales Hormon bei der Kontrolle der Energiehomöostase zu sein. Abbildung 10.15 zeigt einen Regelkreis, in dem Veränderungen der Fettgewebsmasse zu Veränderungen des Leptinspiegels führen, und diese auf die Nahrungsaufnahme, die Thermogenese und die Reproduktionsfunktion rückwirken. Erhöhte Leptinspiegel bei stark übergewichtigen Personen zeigen eine Störung des Regelkreises an. Diese wird mit einer zunehmenden Desensibilisierung des Regulationssystems erklärt – vergleichbar mit der Insulinresistenz beim Diabetes Typ II. Die Unempfindlichkeit des ZNS gegenüber dem Leptin bei sehr hohen Leptinkonzentrationen im Blut beruht möglicherweise auf einer verminderten Permeabilität der Blut-HirnSchranke für das Hormon. Defekte auf der Ebene der Leptinrezeptoren und der von ihnen ausgehenden Signalwege sind als Ursache der Desensibilisierung ebenfalls denkbar.
11
Das Muskelgewebe – Energietransformator und Proteinspeicher
Die Muskulatur ist das größte Organsystem des Menschen, auf das 40 bis 50 % des Gesamtkörpergewichtes eines jungen Erwachsenen entfallen. Die relative Muskelmasse ändert sich während der Lebensphasen: Bei der Geburt macht sie nur etwa 25 % des Körpergewichtes aus, beim alten Menschen etwa 30 %. Da das extrazelluläre Kompartiment im Muskelgewebe im Vergleich zu sonstigen Geweben realtiv klein ist, entfallen 70 bis 80 % der gesamten Zellmasse des menschlichen Organismus auf das Muskelgewebe. Die Muskulatur ist ein System aus kontraktilen Zellen, die bei höher organisierten Tieren einen eigenen Gewebetyp ausbilden. Die spindel- und faserförmigen, seltener verzweigten Muskelzellen entstammen ontogenetisch dem Mesoderm. Sie können sich zu einzelnen Muskelsträngen, Muskelnetzen, epithelähnlichen Muskelschichten und kompliziert aufgebauten Muskelbündeln des Bewegungsapparates zusammenschließen. Die höher entwickelten Vertebraten – somit auch der Mensch – haben drei histologisch und funktionell unterschiedliche Muskeltypen: die Skelettmuskeln, die Herzmuskeln und die glatten Muskeln. Die Skelett- und Herzmuskeln erscheinen im mikroskopischen Bild als gestreift, die glatten Muskeln als nicht-gestreift. Die Skelettmuskulatur steht unter der willkürlichen Kontrolle des ZNS, im Gegensatz zur Herzmuskulatur und der glatten Muskulatur, die vegetativ innerviert sind und wesentlich langsamer kontrahieren als die Skelettmuskulatur (Tabelle 11.1). Die cytologische Nomenklatur der Muskelzelle weicht von der anderer Zellen ab. Die Muskelzelle, deren Länge mehrere Zentimeter betragen kann, wird als Muskelfaser bezeichnet, das Cytoplasma als Sarkoplasma, die Plasmamembran der Muskelzelle als Sarkolemm und das endoplasmatische Reticulum als sarkoplasmatisches Reticulum. Die quergestreifte Muskulatur besteht aus Zellen mit zahlreichen Zellkernen, die am Rande des Sarkoplasmas direkt unterhalb des Sarkolemm lokalisiert sind. Das Sarkoplasma selbst besteht hauptsächlich aus den Myofibrillen des kontraktilen Apparates. Die oft sehr lange, mehrkernige Muskelfaser, deren Durchmesser 10 bis 100 μm beträgt, entsteht durch Verschmelzen ursprünglich einkerniger Zellen zu syncytialen Muskelschläuchen während der Ontogenese. Die verschiedenen Muskeltypen unterscheiden sich in ihrer feinstrukturellen Erscheinung und in ihrer Ausstattung mit gewebespezifischen Isoformen der kontraktilen Proteine, der Ionenkanalproteine und der Regulatorproteine. Die Isofomen entstammen Multigenfamilien oder entstehen durch alternatives Spleißen. Die Isoformen machen es möglich, dass für spezielle Funktionen verschiedene Muskelfasern entstehen und ihre Strukturen durch Adaptation den Anforderungen entsprechend modifizierbar sind. Die Muskulatur spielt in erster Reihe die Rolle eines Energietransformators, der chemische Energie in Bewegungsenergie umwandelt. Bei der Bewegung kann es sich um Ortsveränderung (Lokomotion) handeln, die hauptsächlich durch die Skelettmuskulatur vermittelt wird, oder um Stofftransport durch Konvektion, zum Beispiel beim
522
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 11.1: Einige Charakteristika verschiedener Muskeltypen Eigenschaft
Skelettmuskel
Herzmuskel
glatter Muskel
Optische Erscheinung
gestreift
gestreift
nicht gestreift
Sarkoplasmatisches ausgeprägt Reticulum
vorhanden
oft rudimentär
T-Tubuli
klein
groß
meist rudimentär
Funktion der Ca2+-Pumpe
schnell
relativ schnell
langsam
Rezeptoren am Sarkolemm
wenige
viele unterschiedliche
viele unterschiedliche
Auslösen der Kontraktion
neurale Impulse
intrinsischer Rhythmus neurale Impulse, Hormone, Neurotransmitter
Bedeutung der [Ca2+]ex* für die Kontraktion
nicht wichtig
wichtig
wichtig
Blockierung der Kontraktion durch
TroponinSystem
Troponin-System
regulatorischer Myosinkopf
Caldesmon
beteiligt
nicht beteiligt
wichtiger Regulator
Cyclus der Quervernetzung
schnell
relativ schnell
langsam, prolongiert
ATP-Verbrauch
hoch (wechselnd)
hoch
weniger hoch
Ruhepotential (mV)
–90
–80 (Herzventrikel) –45 (Sinusknoten)
–70
* [Ca2+]ex = Calciumkonzentration im Extrazellulärraum
Flüssigkeitstransport des Herz-Kreislauf-Systems, beim Chymustransport im Magendarmtrakt oder beim Gastransport des Atmungssystems. Grundlage all dieser Prozesse ist die Fähigkeit der Muskelzelle zur Kontraktion. Etwa 60 % des gesamten Proteinbestandes eines Erwachsenen, der auf 10 kg geschätzt wird, befinden sich in der Muskulatur. Unter bestimmten physiologischen – und pathologischen – Bedingungen kann auf etwa ein Drittel des Bestandes vorübergehend zur Befriedigung eines vordringlichen Proteinbedarfs in anderen Organen verzichtet werden, ohne dass die Funktionsfähigkeit des Muskels besonders beeinträchtigt ist. Das Muskelgewebe ist also der bedeutendste Proteinspeicher des Organismus. Die durch hormonell gesteuerte Proteolyse freigesetzten Aminosäuren können beispielsweise bei erhöhten Anforderungen an die Proteinsynthese nach Verbrennungen, nach Operationen oder bei Infekten eingesetzt werden. Sie können jedoch auch als Substrate der Gluconeogenese im Hungerzustand Verwendung finden (Abschnitt 9.3.2).
11 Das Muskelgewebe – Energietransformator und Proteinspeicher
523
11.1 Die Kontraktion der Muskelzelle kommt durch die Interaktion der Myofilamente zustande Die Muskelkontraktion ist das Resultat zahlreicher asynchron verlaufender Verkürzungen der einzelnen Muskelfasern, die wiederum auf die Verkürzung der subzellulären kontraktilen Elemente der Myofibrillen zurückzuführen ist. Um den Kontraktionsvorgang, der bei allen Muskeltypen prinzipiell gleich abläuft, auf molekularer Ebene zu verstehen, ist es notwendig, sich über die Anordnung der Faserproteine der Myofibrillen, der Myofilamente, ein Bild zu verschaffen. Abbildung 11.1 zeigt stark schematisiert diese Anordnung aufgrund des elektronenmikroskopischen Bildes einer Skelettmuskelfaser. Die auch lichtmikroskopisch sichtbare Querstreifung der Skelettmuskelfaser kommt durch das Vorhandensein zweier Filamenttypen in teilweise überlappender Anordnung zustande. Die mit einem Durchmesser von 16 nm dickeren Faserproteine sind die Myosinfilamente, die mit einem Durchmesser von 6 nm dünneren die Actinfilamente. Die Myosinfilamente werden durch ein zu ihrem Verlauf senkrecht stehendes Gerüstprotein, die Mittelmembran (M-Linie), durch Quervernetzung in einer festen hexagonalen Anordnung fixiert. Die Actinfilamente sind mit einem Ende jeweils in der ebenfalls senkrecht zum Verlauf der Filamente angeordneten Z-Membran (Z-Scheibe) verankert. Z-Scheibe
M-Linie
Z-Scheibe
Sarkomer I-Bande
A-Bande
I-Bande
HZone
entspannt
kontrahiert dünnes Filament (Actin) 11.1
dickes Filament (Myosin)
Anordnung der Myofilamente einer Skelettmuskelfaser im entspannten und im kontrahierten Zustand
524
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Im entspannten Muskel erstrecken sich die Actinfilamente über die isotrope I*Bande (I-Zone) bis etwa zur Mitte der anisotropen A*-Bande aus Myosinfilamenten. Im mittleren Bereich der A-Bande findet im entspannten Zustand keine Überlappung der Filamente statt, weshalb dieser Bereich im mikroskopischen Bild hell bleibt (HZone). Bei der Kontraktion des Muskels gleiten die Actinfilamente stärker in die ABande, so dass die H-Zone ganz verschwindet und die I-Bande schmaler wird. Nach diesem Gleitfasermodell kommt die Kontraktion dadurch zustande, dass dicke Filamente an den dünnen vorbeigleiten, ohne dass es bei einem der beiden Filamenttypen zu einer Längenänderung kommt. Die funktionelle Einheit der Myofibrille ist der 1,5 bis 2 μm lange Abschnitt zwischen zwei Z-Linien, der als Sarkomer bezeichnet wird. Die Längenveränderung des Sarkomers verursacht im Endeffekt die Verkürzung beziehungsweise Verlängerung eines Muskels.
11.1.1 Bei der Muskelkontraktion spielen mehrere Proteine eine Rolle Myosin und Actin bilden mit 80 bis 85 Gewichtsprozent den Hauptanteil der Proteine der Muskelzelle. Wie Tabelle 11.2 zeigt, haben jedoch auch weitere Proteine – wenn auch mengemäßig unbedeutend – eine funktionelle Bedeutung. Das Myosin ist, wie bereits ausgeführt, das Hauptprotein der dicken Filamente und macht im Mittel 60 % des Proteinbestandes aus. Es ist ein Hexamer aus 2 schweren und 4 leichten Peptidketten. Die beiden schweren Ketten (je 223 kDa) winden sich mit ihren langen α-helikalen Bereichen umeinander und bilden den Schaft des Myosins (Abbildung 11.2). Die kleineren globulären Bereiche stellen den für die Funktion wichtigen Kopf des Myosins dar. In jede Kopfhälfte sind außerdem je zwei unterschiedliche leichte Myosinketten (je 20 kDa) integriert. Eine dieser globulären Ketten hat eine regulatorische Funktion und besitzt eine Phosphorylierungsstelle. Verschiedene Muskeltypen enthalten unterschiedliche Myosin-Isoformen, deren quantitative Relation zueinander insbesondere im Herzmuskel unter hormoneller Kontrolle steht. Länger dauernde erhöhte Exkretion von Schilddrüsenhormonen führt beispielsweise im Herzventrikel zur Vermehrung eines Isotyps mit höherer ATPase-Aktivität.
Tropomyosin
Troponinkomplex ICT
Actinmonomer Actinfilament
Myosinkopf ADP+Pi Schaft 11.2
Scharnier des Myosins
Myosinfilament
Actin- und Myosinfilamente, Tropomyosin und Troponin im ruhenden gestreiften Muskel
* A steht für anisotrop, das heißt stark doppelbrechend, I für isotrop, das heißt weniger doppelbrechend.
Baustein von
dickes Filament
dünnes Filament
dünnes Filament
dünnes Filament
M-Membran
Z-Membran
Z-Membran
dickes Filament
dünnes Filament
Membrancytoskelett
Protein
Myosin
F-Actin
Tropomyosin
Troponin I, C, T
M-Protein
α-Actinin
Desmin
Titin
Nebulin
Dystrophin
430
800
3 000
190
78
64
8 400
526
Molare Masse kDa
Tabelle 11.2: Spezifische Proteine der Muskelfaser
Heterotrimer
Heterodimer
etwa 200 G-ActinMoleküle
2 schwere Ketten 4 leichte Ketten
Untereinheiten
0,002
0,5
1,5
0,5
3–5
4,5
20–25
55–65
Gewichtsanteil am Myofilament %
Bindung des F-Actins an Glykoproteinkomplex
Struktur des Actins
Elastizität der Muskelfaser
Strukturbildung
Strukturbildung des Sarkomers
Strukturbildung des Sarkomers
Regulation der Interaktion zwischen Myosin und Actin
Regulation der Interaktion zwischen Myosin und Actin
Bückenbildung mit Myosin; Gleitprotein
Brückenbildung mit Actin; ATPase-Aktivität
Funktion
11 Das Muskelgewebe – Energietransformator und Proteinspeicher 525
526
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Das quantitativ überwiegende Protein der dünnen Filamente ist das Actin. Das Tropomyosin und der Troponinkomplex haben regulatorische Funktionen. Das Actinmonomer ist ein globuläres Protein, das manchmal deswegen auch als G-Actin bezeichnet wird. Es ist des weiteren mit einem nicht-kovalent gebundenen ATP-Molekül assoziiert. Das endständige Phosphat des ATP wird hydrolysiert, nachdem Actin zu Actin-Filamenten polymerisiert, die man auch filamentöses oder F-Actin nennt. Die Polymerisation findet in Gegenwart von Mg2+ statt. In den Windungen des Actinfilamentes eingebettet liegen die Tropomyosinmoleküle. Wie der Myosin-Schwanz ist Tropomyosin ein Heterodimer aus zwei helicalen Ketten, die sich in einer Doppelwendel umeinander winden. Die für Herz- und Skelettmuskel organspezifischen Tropomyosinmoleküle entstehen durch unterschiedliches Spleißen des Genproduktes. Am fadenförmigen Tropomyosinmolekül befinden sich in regelmäßigen Abständen aus I-, C- und T-Untereinheiten bestehende Troponinkomplexe. Diese Untereinheiten erhielten ihre Namen wegen ihrer Tropomyosin-, Inhibierungs- und Ca2+-Bindungsaktivitäten. Weitere Proteine der Muskelfaser wirken an der Strukturbildung des Sarkomers mit. Das M-Protein stabilisiert die räumliche Anordnung der dicken Filamente, das α -Actinin bildet zusammen mit dem Desmin die Z-Membran, an die das Ende der dünnen Filamente geknüpft ist. Die Endo-Sarkomer-Proteine Titin und Nebulin sind für die Elastizität des entspannten Muskels und für die Struktur des Actins zuständig. Von besonderem Interesse ist das Titin als „molekulare Feder“ der relaxierten Muskelfaser. Es ist das größte Proteinmolekül des menschlichen Organismus und überspannt als elastischer, mehr als 1 μm langer Molekülstrang die Halblänge eines Sarkomers. Dystrophin ist Bestandteil des Cytoskeletts und verbindet das F-Actin mit einem Glykoproteinkomplex.
11.1.2 Grundlage der Muskelkontraktion ist die Interaktion des Myosinkopfes mit dem Actinfilament Wie bereits erwähnt, gleiten bei der Kontraktion der Muskelfaser die Actinfilamente an den dicken Myosinfilamenten vorbei. Die entscheidenden strukturellen Elemente bei diesem Vorgang sind die aus den Myosinfilamenten hervorragenden, mit scharnierartigen Verbindungen versehenen Myosinköpfe. Die Myosinköpfe können in einem bestimmten Winkel oszillieren, mit bestimmten Stellen des Actinfilamentes Querbrücken bilden, aus dieser Bindung losgelöst und an einer benachbarten Stelle des Actinfilamentes wieder gebunden werden. Das Binden und Wiederloslassen der Myosinköpfe ist ein sich wiederholender cyclischer Vorgang, bei dem das Actinfilament bei jedem Durchlauf des Kreisprozesses um 10 nm gegen die Mitte des Sarkomers verschoben wird. Während die Myosinköpfe auf der Stelle bleiben und nur Oszillationsbewegungen durchführen, „gleitet“ das Actinfilament an ihnen vorbei. Grundlage dieser Bewegung ist die ATPase-Aktivität des Myosinkopfes, der in einer seiner beiden globulären Regionen eine ATP-Bindungsstelle besitzt. Abbildung 11.3 zeigt die einzelnen Schritte des Kontraktionscyclus. In Zustand 1 (1) ist die ATP-Bindungsstelle des Myosinkopfes nicht besetzt, die Bindung zwischen dem Myosinkopf und dem Actinfilament ist stark. Anschließend (2) wird in der sich öffnenden Spalte zwischen den beiden Kopfhälften ATP gebunden. Der Myosin-ATP-Komplex hat eine geringere Affinität zum Actin, was die Ablösung des Myosinkopfes vom dünnen Filament zur Folge hat. Die Spalte zwischen den beiden Kopfhälften schließt sich und das ATP wird hydrolysiert, ohne dass die Hydrolyseprodukte, ADP und Pi ab-
11 Das Muskelgewebe – Energietransformator und Proteinspeicher
527
2 ATP-Bindung
ATP
ATP-Hydrolyse
= Bindungsstelle
3
1
Myosin-ADPPi-Komplex
5
10 nm
= alte Bindungsstelle
Ca2+ 4
ADP
11.3
Pi
Cyclischer Prozess der Muskelkontraktion
gegeben werden (3). Der so entstandene Myosin-ADP-Pi-Komplex ist die sogenannte hochenergetische Konformation. Wenn die Muskelkontraktion stimuliert wird (unter Beteiligung von Ca2+, Tropomyosin und Troponin), bindet der Myosinkopf wieder an das Actinfilament unter Bildung eines Actin-Myosin-ADP-Pi-Komplexes (4). Die Abgabe des Pi und anschließend des ADP ruft eine Konformationsänderung des Myosinkopfes hervor. Damit ist die Öffnung der ATP-Bindungsstelle verbunden, die sich in eine Bewegung der Kopf-Schaft-Verbindung umsetzt. Da der Myosinkopf und das Actinfilament fest miteinander verbunden sind, wird diese Bewegung auf das Actinfilament übertragen und dieses wird 10 nm zum Sarkomerzentrum hin verschoben (5). Der Myosin-Actin-Komplex hat – mit Ausnahme der Rechts-Verlagerung der Bindungsstelle – den ursprünglichen Zustand erreicht und kann wieder ATP binden.
11.1.3 Calciumionen wirken als Mediatoren zwischen der Membranerregung und der Kontraktion und Relaxation der Myofibrillen Um die willkürliche Kontraktion des Skelettmuskels auszulösen, ist eine intakte neurale Verbindung zum ZNS erforderlich. Die motorischen Nervenfasern verzweigen sich am Ende mehrfach und bilden an beiden Enden eine neuromuskuläre Endplatte. An dieser findet die Erregungsübertragung mittels des Neurotransmitters Acetylcholin (Abschnitt 1.1.3.3) vom Nerv auf das Sarkolemm statt. Im Skelettmuskel kann die Erregung nicht von einer Muskelfaser auf eine benachbarte übergreifen, jede kontrahierende Zelle ist auf eine direkte neurale Verbindung angewiesen.
528
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Motorische Endplatten sind nur in der Skelettmuskulatur vorhanden. Die zur rhythmischen Tätigkeit des Herzmuskels notwendigen Aktionspotentiale werden im Herzen selbst erzeugt, die Herztätigkeit ist also automatisch. Die Erregung breitet sich in diesem Muskeltyp über Zell-Zell-Kontakte (gap junctions) auf die benachbarten Herzmuskelfasern aus. Das vegetative Nervensystem steuert über die Ausschüttung der Neurotransmitter Adrenalin und Noradrenalin (Abschnitt 1.4.4.2) die Leistung des Herzmuskels. Bei der glatten Muskulatur kommen Muskelzellen vor, bei denen die Erregung über interzelluläre Membranverbindungen von einer Zelle auf benachbarte Muskelfasern überspringt. Dieser Muskeltyp, dessen Tätigkeit durch Neurotransmitter und Gewebshormone gesteuert wird, ist im Magendarmtrakt, im Uterus und im Ureter vertreten. In größeren Blutgefäßen und in Bronchien kommen dagegen glatte Muskelzellen vor, deren Kontraktion an die Aktivität des vegetativen Nervensystems gekoppelt ist. Die einzelnen Muskeltypen weisen ein unterschiedliches Ruhepotential auf (Tabelle 11.1). Wird die Erregung von einem Nerv auf das Sarkolemm übertragen, so entsteht ein Aktionspotential. Dieser bioelektrische Vorgang, der an der Grenzfläche zwischen Extra- und Intrazellulärraum zustandekommt, muss in den mechanischen Prozess der Kontraktion, der sich intrazellulär abspielt, übersetzt werden. Als Mediatoren der Informationsvermittlung, das heißt der elektromechanischen Kopplung, dienen Calciumionen, deren Konzentration in der Nähe des kontraktilen Apparates im Endeffekt durch das Aktionspotential gesteuert wird. Zur Auslösung der Kontraktion ist eine Ca2+Konzentration von 10–5 mol × L–1 erforderlich. Ca2+-Ionen spielen bei allen Muskeltypen eine regulatorische Schlüsselrolle, wenn auch die Steuerung bei den gestreiften Muskeln etwas anders ausfällt als bei der glatten Muskulatur. Der Skelettmuskel ist im Ruhezustand gehemmt. Als Inhibitor dient der TroponinKomplex, der über das Tropomyosin an das Actinfilament gebunden ist. Wie in Abbildung 11.4 dargestellt, blockiert dieses aus den drei Untereinheiten T, C und I bestehende Protein die Bindungsstelle des Myosinkopfes, die sich am Actinfilament befindet. Als Mechanismus der Deblockade wird angenommen, dass sich Ca2+-Ionen mit der C-Untereinheit verbinden und die C-Untereinheit innerhalb des Komplexes verlagern. Der Komplex erfährt eine Konformationsänderung und wird räumlich etwas verschoben. Dadurch wird die Bindungsstelle des Myosinkopfes freigegeben und der Kontraktionsprozess kann beginnen. Um die Bindungsstelle des Myosinkopfes auf diese Weise zugänglich zu machen, bedarf es einer lokalen Erhöhung der Calciumkonzentration. Im Sarkoplasma der
Actinfilament Ca 2+ Tropomyosin T
c I ICT-TroponinKomplex 11.4
Ca 2+
T c
I Myosinbindungsstelle
Freisetzung der Bindungsstelle des Myosinkopfes am Actin durch Ca2+-Ionen
11 Das Muskelgewebe – Energietransformator und Proteinspeicher
529
ruhenden Muskelzelle beträgt die Konzentration des ionisierten Calciums 10–7 bis 10–8 mol × L–1. Diese niedrige intrazelluläre Calciumkonzentration wird durch die Tätigkeit der Ca2+-ATPase aufrechterhalten (Abbildung 11.5). Diese primär aktive Calciumpumpe ist in der Membran des sarkoplasmatischen Reticulums lokalisert und befördert die Ca2+-Ionen gegen einen sehr hohen Konzentrationsgradienten aus dem Sarkoplasma in das Innere des sarkoplasmatischen Reticulums, wo die Konzentration des ionisierten Calciums 10–3 mol × L–1 erreicht. Zur Aufrechterhaltung der gleichmäßig hohen Calciumkonzentration im sarkoplasmatischen Reticulum des Skelettmuskels trägt das Speicherprotein Calsequestrin bei. Es ist ein niedrig-affines Bindungsprotein mit hoher Kapazität, das im sarkoplasmatischen Reticulum der Muskelzelle die Funktion eines intrazellulären Calciumspeichers hat. Die Depolarisation des Sarkolemms der Muskelzelle führt zu einer erhöhten Permeabilität dieser Membran für Ca2+-Ionen. Während der Dauer der Erregung dringen Ca2+-Ionen über einen spannungsregulierten Ionenkanal vom L-Typ aus dem Extrazellulärraum in die Muskelzelle und aktivieren kontraktile Filamente in unmittelbarer Nähe. Bei den dicken Filamentbündeln der Skelettmuskulatur und des Myokards ist jedoch die Diffusionsstrecke von der Plasmamembran bis zum kontraktilen Apparat zu lang, um die Kontraktion schnell genug auszulösen. Bei derartigen Muskelzellen hat die Plasmamembran im Bereich der Z-Linien weit ins Faserinnere reichende Einstülpungen, transversale Tubuli genannt (Abbildung 11.5). Durch Verzweigungen in die Längsrichtung bilden die Tubuli im Myokard ein relativ dichtes Membrannetz in der Nähe der Fibrillenbündel. Durch das Tubulussystem werden die Ca2+-Ionen schnell an die Myofibrillen herangeführt. Die longitudinal angeordneten Elemente des sarkoplasmatischen Reticulums, in denen – wie bereits erwähnt – hohe Calciumvorräte gespeichert werden, tragen zusätzlich zur Calciumversorgung des kontraktilen Apparates in der Skelett- und Herzmuskulatur bei. Das sarkoplasmatische Reticulum wird über synapsenartige Kontaktstellen (SR-Fuß) zur Abgabe von Ca2+-Ionen veranlasst, die über spezifische Calciumkanäle mit Ryanodin-Rezeptoren freigesetzt werden (Abbildung EZ-Raum Ca2+
ATP
T-Tubulus
ADP
Pi
Sarkoplasma
sarkoplasmatisches Reticulum
Ca2+–10–3 M
SR-Fuß
Ca2+– Kanal
ATP 2+
Ca
Calsequestrin
ADP
Pi
Sarkoplasma
Ca2+ < 10–7 M
11.5
Speicherung und Abgabe von Calcium-Ionen durch das sarkoplasmatische Reticulum SR-Fuß = Protein zur Übertragung des Aktionspotentials auf die Membran des SR; EZ = Extrazellulärraum; T-Tubulus = transversale Tubuli
530
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
11.5). Das sarkoplasmatische Reticulum des Myokards ist weniger stark ausgeprägt als das des Skelettmuskels. Deshalb ist der Herzmuskel in hohem Maße auf das Angebot an extrazellulärem Calcium angewiesen. In der glatten Muskulatur erfolgt die calciumabhängige Regulation der Kontraktion nicht über das geschilderte Tropomyosin-Troponin-System, da dieser Muskeltyp kein Troponin enthält. Für die Inhibierung der Myosin-Actin-Interaktion ist hier eine Myosin-Leichtkette zuständig. Die Aufhebung der Hemmung – und damit das Einsetzen der Kontraktion – geschieht, wie in Abbildung 11.6 dargestellt, durch eine Ereigniskette, in der die Phosphorylierung der Myosin-Leichtkette im Mittelpunkt steht. Dieses regulatorische Protein übt nämlich die inhibitorische Wirkung nur in der nichtphosphorylierten Form aus. Die Phosphorylierung wird durch die Myosin-Kinase katalysiert, die wiederum nur in Form eines Ca2+-Calmodulin-Myosin-Kinase-Komplexes aktiv ist. Zur Bildung dieses Komplexes ist eine hohe Ca2+-Konzentration von mindestens 10–5 mol × L–1 notwendig. Erreicht also die Ca2+-Konzentration im Sarkoplasma diesen Wert, beginnt
Calmodulin
10–5 mol • L–1 Ca2+
10–7 mol • L–1 Ca2+
Ca2+• Calmodulin Myosin-Kinase (inaktiv)
ATP
Ca 2+
Calmodulin-Myosin-
ADP
Kinase (aktiv)
Myosin-Leichtkette (inhibierend)
P ~ Myosin-Leichtkette (nicht inhibierend)
Phosphatase Pi
11.6
Regulation der Kontraktion der glatten Muskulatur
11 Das Muskelgewebe – Energietransformator und Proteinspeicher
531
der Kontraktionscyclus. Fällt die Konzentration des Ca2+ unter diesen Wert, hört die Aktivierung der Kinase auf und eine calciumunabhängige, stets aktive Phosphatase dephosporyliert die Myosin-Leichtkette. Da diese die Myosin-Actin-Interaktion in der dephosphorylierten Form inhibiert, tritt eine Relaxation des glatten Muskels ein. Im Endeffekt steuert also auch im Fall des glatten Muskels primär die Ca2+-Konzentration die gegenläufigen Ereignisse von Kontraktion/Relaxation. Physiologischerweise relaxieren alle Muskelzellen und dies ist mit dem Entfernen der Ca2+-Ionen, – die bei allen Muskeltypen eine regulatorische Schlüsselfunktion haben, – vom kontraktilen Apparat verbunden. Es gibt mehrere Wege zur Erniedrigung der Calciumkonzentration im Sarkoplasma. Ein Teil der Ca2+-Ionen werden durch die bereits erwähnte Ca2+-ATPase in das sarkoplasmatische Reticulum zurückgepumpt. Dieses primär aktive Transportsystem wird durch das Phospholamban, ein interkonvertierbares saures Proteolipid, stimuliert. Ein Na+/Ca2+-Antiporter und eine in der Plasmamembran lokalisierte Ca2+-ATPase transportieren das Calcium aus dem Sarkoplasma in den Extrazellulärraum. Ein Teil der Ca2+-Ionen wird auch in das Mitochondrion befördert, wo sie eine Rolle bei der Anpassung des oxidativen Stoffwechsels an den Energiebedarf der Muskelzelle spielen. Die meisten Transportvorgänge, die der für die Muskelfunktion so bedeutsamen Einstellung des intrazellulären Calciumspiegels in den Myocyten dienen, verbrauchen Energie. Etwa 25 % der Energie, die für die Funktion des Muskels notwendig ist, entfallen auf diese Transportprozesse. Der Transport des Calciums durch das Sarkolemm und die Membran des sarkoplasmatischen Reticulums steht unter der Kontrolle von β -adrenergen Neurotransmittern, zum Beispiel von Adrenalin. Ihre Wirkung wird über cAMP-abhängige Proteinkinasen vermittelt (Abschnitt 1.4.4.2). Diese phosphorylieren Kanalproteine und Ca2+-ATPasen im Sarkolemm, das Phospholamban des sarkoplasmatischen Reticulums sowie das Troponin C. Beim Myokard kommt es hierdurch insgesamt zu einer positiv inotropen Modulation.
11.2 Die Energieversorgung der Muskulatur ist durch mehrere ATP-Quellen gesichert Sowohl die Muskelkontraktion als auch der Transport von Ca2+ durch Calciumpumpen sind energieverbrauchende Prozesse. Der Stoffwechsel des Myocyten ist darauf spezialisiert, den recht hohen Energiebedarf der Muskulatur zu befriedigen, indem er verschiedene Substrate sehr effektiv und der aktuellen Stoffwechselsituation angepasst zur ATP-Synthese nutzt. Abbildung 11.7 fasst die ATP-Quellen des Muskels zusammen. In Ruhe oder bei leichter Aktivität werden vom Muskel Substrate zur Energiegewinnung genutzt, die aus anderen Organen stammen: die Blutglucose und die Ketonkörper aus der Leber, die Fettsäuren aus dem Fettgewebe und der Leber. Bei plötzlich einsetzender starker Aktivität dient bevorzugt das eigene Reservekohlenhydrat, das Glykogen, zur Energiegewinnung. Für die ATP-Versorgung bei plötzlicher starker Belastung sorgen außerdem zwei Transphosphorylierungsreaktionen: durch die Adenylat-Kinase und die KreatinKinase. Bei unzureichender O2-Versorgung dient die Substratkettenphosphorylierung in der glykolytischen Kette der ATP-Produktion. Bei ausreichender O2-Zufuhr wird die weitaus effektivere oxidative Phosphorylierung zur ATP-Synthese genutzt (Abschnitt
532
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Kreatinphosphat
Muskel-Glykogen
KREATINKINASE
Kreatin
MuskelPhosphorylase
Glykolyse
ADP
Glucose 6-P
Hexokinase Glucose
ATP Oxidative Phosphorylierung
Myosin-ATPase Ca2+-ATPasen
Muskelkontraktion + Ca2+-Transport ADP + Pi
TCC AMP 2 ADP
Acetyl CoA Fettsäuren
11.7
Ketonkörper
AdenylatKinase
Möglichkeiten der ATP-Gewinnung durch den Muskel TCC = Tricarbonsäurecyclus
5.1 und 5.2). Welches der Substrate bevorzugt energetisch verwertet wird, hängt außer von der O2-Versorgung vom Typ der Muskelfaser ab. Nach der Funktion, für die sie vorgesehen sind und die sie ausüben, können zwei Muskelfasertypen auch biochemisch unterschieden werden: die TypI- und die TypII-Muskelfasern. Bei den TypI-Fasern, die Dauerarbeit und auch Haltearbeit ausführen, ist die Aktivität der Myosin-ATPase und der Ca2+-ATPase des sarkoplasmatischen Reticulums niedrig; sie kontrahieren und erschlaffen langsam. Sie enthalten viel Myoglobin als Sauerstoffspeicher, wie dies auch ihre tiefrote Färbung zeigt. Sie bevorzugen Fettsäuren zur Energiegewinnung. Entsprechend besitzen sie viele Mitochondrien und bilden wenig Lactat. Die Typ II-Fasern führen rasche Bewegungen aus. Bei diesen verhalten sich alle aufgezählten biochemischen Parameter anders. Sie bevorzugen Glucose als energetisches Substrat und produzieren bei ungenügender O2-Versorgung viel Lactat. Die beiden Muskelfaser-Typen unterscheiden sich auch durch verschiedene Isoformen der regulatorischen Proteine, Tropomyosin und Troponin. Die Skelettmuskeln des Menschen bestehen aus einer Mischung der beiden Fasertypen, wobei das Mischungsverhältnis je nach Funktion des betreffenden Muskels unterschiedlich ist und je nach Beanspruchung auch Variationen unterliegt.
11.2.1 Der Muskel kann das ATP aus Glucose anaerob oder aerob gewinnen Die Aufnahme der Glucose aus dem Blut in die Muskelzelle wird vom Glucosecarrier GLUT 4 vermittelt. Wie in Abschnitt 1.4.3.2 besprochen, steht dieses Transportsystem
11 Das Muskelgewebe – Energietransformator und Proteinspeicher
533
unter der positiven Kontrolle des Insulins, das die Transportkapazität des GLUT 4 drastisch erhöht. Infolge der großen Organmasse führt der Einstrom von Glucose in den Muskel auch zum Ausgleich einer nahrungsbedingten Hyperglykämie. Bei erhöhter Kohlenhydratzufuhr und entsprechend erhöhtem Insulinspiegel im Blut, entfallen unter Umständen 75 bis 95 % des Glucoseumsatzes auf den Skelettmuskel. Der Myocyt kann zum einen die Glucose zur ATP-Gewinnung und zum anderen bei hohem Angebot zur Auffüllung der Glykogenspeicher verwenden. Welche der beiden Möglichkeiten genutzt wird, hängt sowohl vom aktuellen Energiebedarf der Muskelzelle als auch von den Glykogenvorräten ab. Im Muskelgewebe können beträchtliche Glykogenvorräte angelegt werden. Der Muskel besitzt keine Glucose-6-Phosphatase und gibt daher keine Glucose an das Blut ab. Vielmehr hält der Muskel die Glucose, seinen bevorzugten Brennstoff für plötzliche Aktivität, zurück. Die ATP-Gewinnung aus Glucose kann in der Muskelzelle sowohl anaerob als auch aerob erfolgen. Welche der beiden Wege in Frage kommt, hängt – wie bereits erwähnt – von der O2-Versorgung und vom Muskelfasertyp ab. Das erste Enzym, das den Eintritt der Glucose in die glykolytische Kette katalysiert, ist die Hexokinase, die im Myocyten mit einem Km-Wert von 0,05 mmol × L–1 eine sehr hohe Affinität zur Glucose hat. Die normale Glucosekonzentration im Blut ist hoch genug, um die maximale katalytische Kapazität der Hexokinase auszulasten. Das Produkt der Hexokinase, das Glucose-6-phosphat, hemmt das Enzym reversibel, so dass sich ein Fließgleichgewicht einstellt. Dadurch wird einer Überflutung des Myocyten mit Glucose vorgebeugt, da die Glucose sowohl für den Eintritt in die Glykolyse als auch in die Glykogensynthese das Nadelöhr der Hexokinase passieren muss. In der anaeroben Glykolyse wird das Pyruvat am Ende der Kette durch die LactatDehydrogenase zu Lactat reduziert. Das in der Skelettmuskulatur vorkommende Isoenzym der Lactat-Dehydrogenase hat einen sehr niedrigen Km-Wert für Pyruvat, was eine sehr effiziente Umwandlung des Pyruvats in Lactat zur Folge hat. Die Lactatproduktion ist mit Entstehung von Protonen verbunden, da die Milchsäure beim pH-Wert der Zelle fast vollständig dissoziiert ist. Es wird angenommen, dass die Erhöhung der H+-Konzentration im Myocyten die eigentliche Ursache der „Muskelermüdung“ ist, die bei intensiver Muskeltätigkeit auftritt. Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht, dass durch eine erhöhte H+-Konzentration in der Zelle eines der Schlüsselenzyme der Glykolyse, die Phosphofructokinase, gehemmt wird, wodurch auch die ATP-Produktion gedrosselt ist. Weiterhin werden die Ca2+-Freisetzung aus dem sarkoplasmatischen Reticulum und die Aktivität der Myosin-ATPase durch einen niedrigen intrazellulären pH-Wert ungünstig beeinflusst. Beide Produkte der Lactat-Dehydrogenase-Reaktion, das Lactat und die H+ gelangen aus dem Myocyten über ein Transportsystem, das als Lactat-/H+-Symporter arbeitet, in das Blut. Hierdurch kann es zu einer Lactatämie kommen. Das Lactat wird von der Leber als gluconeogenetisches Substrat aufgenommen (Abschnitt 9.3.2). Dieser Weg, der Cori-Cyclus, verlagert einen Teil der Stoffwechsellast vom Muskel zur Leber. Im Ruhezustand beziehungsweise bei geringer Aktivität metabolisiert die Muskelzelle die Glucose aerob. Das in der Glykolyse entstandene Pyruvat wird durch die Pyruvat-Dehydrogenase in Acetyl-CoA überführt. Wie bereits ausführlich dargelegt, ist die ATP-Ausbeute im Falle der oxidativen Phosphorylierung mehrfach höher als bei der Substratkettenphosphorylierung (Abschnitt 5.2.1)
534
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
11.2.2 Der Muskel speichert Glykogen als Energiereserve und mobilisiert das Glucosepolymer bei Bedarf Alle Zellen, außer den Erythrocyten, enthalten geringe Mengen des Glucosepolymers Glykogen. Nennenswerte Mengen finden sich jedoch nur in der Leber und in der Muskulatur. Die Konzentration des Glykogens in der Muskulatur übersteigt nur selten 1 %. Durch die Größe des Organsystems bedingt, beträgt die Gesamtmenge des Muskelglykogens dennoch etwa 250 g. Im Sarkoplasma der Myocyten der gestreiften Muskulatur sind die Glykogengranula in der Nähe der I-Bande lokalisiert. Im Ruhezustand und bei ausreichender Kohlenhydratversorgung synthetisiert die Muskelzelle Glykogen als Energiereserve. Prinzipiell verläuft die Synthese des Glykogens im Myocyten und im Hepatocyten gleich. Dies gilt auch für die Regulation der Synthese. Während die Mobilisierung der Glykogenvorräte der Leber in erster Reihe der Versorgung des Gesamtorganismus mit Glucose dient, verwendet die Muskelzelle die aus dem Glykogen freigesetzte Glucose, um den eigenen Energiebedarf zu decken. Die Abgabe von Glucose aus den Muskelzellen ist nicht möglich, da die dazu notwendige Glucose-6-Phosphatase im Muskel nicht exprimiert wird. Prinzipiell wird das Muskelglykogen nach demselben Reaktionsmechanismus katabolisiert wie das Leberglykogen (Abschnitt 9.3.5). Wie bereits erwähnt, entsteht als Endprodukt des Abbaus an den 1,4-glykosidischen Bindungen Glucose-1-phosphat, das durch die Phosphoglucomutase sehr schnell zu Glucose-6-phophat isomerisiert wird. Für die energetische Verwertung in der Glykolyse besitzt das Glucose-1-phosphat insofern einen kinetischen Vorteil gegenüber der freien Glucose, als die HexokinaseReaktion umgangen wird. Auch im Muskel leitet die Glykogen-Phosphorylase, die aus dem Polymer das Glucose-1-phosphat abspaltet, die Reaktionskette ein. Die Glykogen-Phosphorylase des Muskels unterscheidet sich jedoch genetisch und immunologisch von der GlykogenPhosphorylase der Leber. Auch hinsichtlich der Regulation der beiden PhosphorylaseTypen gibt es Unterschiede. So wird die Kaskade des Glykogenabbaus in der Leber durch Adrenalin und Glucagon in Gang gebracht, im Muskel ist nur das Adrenalin wirksam. Die Regulation der Aktivität der Glykogen-Phosphorylase des Muskels erfolgt sowohl durch Interkonvertierung als auch allosterisch. Im Skelettmuskel existiert die Glykogen-Phosphorylase in zwei Formen: Phosphorylase a, die katalytisch aktiv ist, ohne dass sie eines allosterischen Aktivators bedarf, und Phosphorylase b, die in Abwesenheit ihres allosterischen Aktivators AMP inaktiv ist und im ruhenden Muskel überwiegt. Die Intensität des Glykogenabbaus hängt, zumindest teilweise, vom Verhältnis der aktiven Phosphorylase a und der weniger aktiven Phosphorylase b ab, und dieses wiederum steht unter der hormonelllen Kontrolle des Adrenalins. Das Enzym ist ein Dimer oder Tetramer aus 97 kDa-Untereinheiten. Die Phosphorylase b wird durch die Phosphorylierung eines einzigen Serinrestes in jeder Untereinheit in die Phosphorylase a umgewandelt. Die Phosphorylase b des Muskels ist nur in Gegenwart hoher AMP-Konzentrationen aktiv. AMP wirkt als positiver allosterischer Effektor, während ATP ein negativer allosterischer Effektor ist, indem es mit AMP um eine gemeinsame Bindungsstelle an der Phosphorylase b konkurriert. Die Phosphorylase-Kinase wird einerseits durch eine Adrenalin-induzierte Phosphorylierung aktiviert. Zum anderen wirkt Ca2+ über Calmodulin aktivierend. Diese Umwandlungsprozesse, die sich in Form einer regulatorischen Kaskade abspielen,
11 Das Muskelgewebe – Energietransformator und Proteinspeicher
535
sind in Abbildung 11.8 dargestellt. Es handelt sich um Interkonversionen durch enzymkatalysierte Übertragung und Abspaltung des Phosphatrestes durch Kinasen beziehungsweise Phosphatasen (Abschnitt 1.3.2.6). Ausgelöst wird die Kaskade durch Binden des Adrenalins an einen β-Rezeptor der Plasmamembran der Muskelzelle. Hierdurch wird die Adenylat-Cyclase aktiviert und die intrazelluläre cAMP-Konzentration erhöht sich (Abschnitt 1.4.4.2). Das cAMP überführt die inaktive cAMP-abhängige Protein-Kinase in die aktive Form (Abschnitt 1.1.3.6), welche dann die Phosphorylase-Kinase phosphoryliert und damit aktiviert. Im Muskel ist die Phosphorylierung des Serylrestes mit der Aggregation von zwei Phosphorylase b-Dimeren zu einem Tetramer verbunden. Beim Leberenzym sind die aktive und die inaktive Form Dimere. Es ist eine Spezialität der regulatorischen Kaskade in der Muskelzelle, dass die Regulation des Glykogenabbaus über die Ca2+-Konzentration mit der kontraktilen Aktivität des Myocyten synchronisiert wird. Das gleiche Signal, das die Muskelkontraktion auslöst, das heißt der Anstieg der sarkoplasmatischen Ca2+-Konzentration, erhöht auch die Glykogenolyse mehr als hundertfach. Erklärbar ist dieses Phänomen dadurch, dass eine der vier Untereinheiten der Phosphorylase-Kinase des Myocyten mit dem Ca2+bindenden Calmodulin identisch ist. Binden von 4 Ca2+ aktiviert diese Untereinheit. Auch die C-Untereinheit des Troponins, das ebenfalls 4 Ca2+-Ionen bindet (Abschnitt 11.1.3), scheint bei der Aktivierungskaskade eine Rolle zu spielen. Wie bei der Regulation der Glykogenolyse in der Leber wird der aktivierte Zustand der glykogenolytischen Kaskade auch in der Muskulatur dadurch rückgängig gemacht, dass die einzelnen Enzyme durch mehr oder minder spezifische Phosphatasen dephosphoryliert werden. Eine wichtige regulatorische Rolle dürfte dabei das Inhibitor-ProAdrenalin β-Rezeptor + AdenylatAdenylatCyclase Cyclase (inaktiv) (aktiv) + ATP
Insulin + Phosphodiesterase
Glykogen(n+1)
5‘-AMP
cAMP +
inaktive cAMP-abhängige Protein-Kinase
Inhibitor-Protein 1 (inaktiv) ATP
Pi aktive cAMP-abhängige Protein-Kinase
ADP
CalmodulinKomponente der PhosphorylaseKinase
ATP
Glucose-1-phosphat + Glykogen(n)
Phosphorylase a ADP
(aktiv)
ProteinPhosphatase
Phosphorylase-Kinase b + Ca2+ Phosphorylase-Kinase a (inaktiv)
H2O
(aktiv)
+ Ca Pi
ADP
2+
H2O
ProteinPhosphatase
P ~ Inhibitor-Protein 1 (aktiv)
11.8
Regulation der Glykogenolyse in der Muskelzelle
ATP
Phosphorylase b (inaktiv)
Pi
536
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
tein 1 spielen. Die hemmende Wirksamkeit dieses Proteins ist an seinen phosphorylierten Zustand gebunden. Da seine Phosphorylierung ebenfalls durch die aktive cAMP-abhängige Protein-Kinase katalysiert wird, übt es seine inhibierende Wirkung auf die Phosphatasen nur dann aus, wenn die glykogenolytische Kaskade aktiv ist. Es hat somit die Funktion eines Verstärkers. Eine weitere Spezifität der Regulation der Glykogenolyse im Muskel ist dadurch gegeben, dass die im ruhenden Muskel beinahe inaktive dephosphorylierte Phosphorylase b durch AMP allosterisch aktiviert wird. Hierzu ist es notwendig, dass der intrazelluläre AMP-Spiegel eine bestimmte Höhe erreicht. Dies tritt umso schneller ein, je höher der ATP-Verbrauch des Myocyten ist, eine Situation, in der die forcierte Nachlieferung von Energiesubstraten notwendig ist. Die allosterische Aktivierung der Phosphorylase b durch AMP erfolgt innerhalb von Millisekunden, während die Interkonversion Sekunden bis Minuten beansprucht.
11.2.3 Fettsäuren und Ketonkörper werden von der Muskelzelle zur aeroben Energiegewinnung verwendet Adrenerge Stimulation durch Wirkung der Catecholamine führt im Fettgewebe zu einer Steigerung der Lipolyse und Abgabe von freien Fettsäuren an das Blut. Die Fettsäuren gelangen proportional ihrer arteriellen Konzentration durch Diffusion in die Muskelzelle. Bei reichlicher Zufuhr wird ein bestimmter Anteil der Fettsäuren in Form von Triglyceriden als Energiereserve gespeichert. Das hierzu notwendige α-Glycerophosphat wird allerdings der Glykolyse entzogen, da die Aktivität der Glycerokinase im Myocyten sehr niedrig ist. Limitierte Glucose- und Glykogenverfügbarkeit begrenzen also die Triglyceridsynthese in der Muskelzelle, und die Fettsäuren werden in dieser Stoffwechsellage bevorzugt zur oxidativen Energiegewinnung herangezogen. Im ruhenden Muskel sind Fettsäuren der Hauptbrennstoff. Bei fortgesetzter mittelschwerer Muskeltätigkeit werden sie die hauptsächlichen Energielieferanten, da in dieser Situation die ebenfalls adrenerg stimulierte Glykogenolyse bald zur Erschöpfung des Glykogenbestandes führt. Die vermehrte Fettsäureoxidation hemmt die Aufnahme der Glucose in die Muskelzelle und ihren Durchsatz in der Glykolyse. Dieser Hemmeffekt wirkt also glucosesparend und ist hauptsächlich auf den erhöhten Acetyl-CoA-Spiegel in der Muskelzelle zurückzuführen. Prinzipiell kann die Muskelzelle auch die Ketonkörper β -Hydroxybutyrat und Acetoacetat zur oxidativen Energiegewinnung verwerten. Sie werden durch die in Abbildung 11.9 dargestellten Reaktionen in Acetyl-CoA überführt und in die β-Oxidation eingeschleust. Die Succinyl-CoA-Acetoacetyl-CoA-Transferase ist im Myocyten mit hoher Aktivität vertreten. Die Ketonkörper, die ausschließlich in der Leber synthetisiert werden, nimmt die Muskelzelle ebenfalls dosisproportional aus dem Blut auf. Ketonkörper entstehen in größerem Umfang allerdings nur bei Hunger und bei diabetischer Stoffwechsellage. Es sei nicht unerwähnt, dass auch der Abbau der verzweigtkettigen Aminosäuren Leucin und Isoleucin, der vor allem im Muskel stattfindet, Ketonkörper liefert (Abschnitt 11.3). Diese können im Muskel ebenfalls oxidativ verstoffwechselt werden, die dadurch gewonnene Energiemenge ist allerdings gering. Der Herzmuskel, der in einem regelmäßigen Rhythmus von Kontraktion und Erschlaffung aktiv ist, gewinnt die Energie ausschließlich aerob. Dieser Muskeltyp ist entsprechend außerordentlich reich an Mitochondrien. Die zur ATP-Produktion notwendi-
11 Das Muskelgewebe – Energietransformator und Proteinspeicher
537
CH3 HC
OH
CH2 COO
–
β-Hydroxybutyrat β-HydroxybutyratDehydrogenase
NAD+ NADH + H+
CH3 C
–
COO O
CH2
CH2 COO
CH2
–
C S
Acetoacetat
O
Succinyl-CoA-Acetoacetyl-CoA-Transferase CH3 C
Succinyl-CoA –
COO
O
CH2
CH2 C
CoA
S
CoA
O
CH2 COO
–
Succinat
Acetoacetyl-CoA CoA-SH
2 Acetyl-CoA
11.9
Überführung der Ketonkörper in Acetoacetyl-CoA
gen Substrate, Fettsäuren, Ketonkörper und Glucose, werden vom Blut angeliefert. Der Herzmuskel speichert weder Glykogen noch Triglyceride in nennenswerten Mengen.
11.2.4 Zur schnellen Regenerierung von ATP dienen Transphosphorylierungen In der Muskelzelle besteht die Möglichkeit, das ADP, das durch die katalytische Wirkung der Myosin-ATPase während der Kontraktion entstanden ist, durch Transphosphorylierung schnell wieder in ATP umzuwandeln. Das Enzym, das die Reaktion katalysiert, die Adenylat-Kinase, ist direkt mit der ATP-Hydrolyse gekoppelt. Aus 2 mol ADP entstehen 1 mol ATP und 1 mol AMP (Abbildung 11.7). Wesentlich effektiver als diese Transphosphorylierung, die durch die relativ niedrige Konzentration der Adenylreste limitiert wird, ist die Regeneration des ATP mittels Kreatinphosphat. Das Kreatin entsteht nicht im Stoffwechsel des Myocyten, sondern es wird in der Niere – wie Abbildung 11.10 zeigt – aus Arginin und Glycin über Guanidinoacetat synthetisiert, das in der Leber zu Kreatin methyliert wird. Das Kreatin ge-
538
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Niere
NH2
+
H2 N
Arginin-GlycinTransamidinase
C NH
+
H2N
CH2 +
H3N
CH2 C
CH2
–
COO
Ornithin
Glycin
NH3+
COO–
H N
O
Muskel nicht-enzymatisch
C CH2
CH3
N
Pi + HO2
CH2
CH3
N
COO–
ATP
ADP
Kreatin
P
NH C
HN
C
Kreatinin 11.10
Kreatin-Kinase
NH2 HN
N
Leber GuanidoacetatMethyltransferase
S-AdenosylHomocystein
C
COO–
CH2
Guanidinoacetat
S-AdenosylMethionin
L-Arginin
HN
NH 2 HN
CH2
H
C
CH2
CH3
Kreatinphosphat
Synthese von Kreatin und Kreatinphosphat
langt über das Blut in die Muskulatur. Die Kreatin-Kinase, die in der Muskelzelle mit hoher Aktivität vorkommt, katalysiert die reversible Phosphorylierung des Kreatins mittels ATP. Das Kreatinphosphat stellt eine sofort verfügbare Energiequelle dar, da sobald durch die Hydrolyse von ATP, ADP entsteht – sei es bei der Kontraktion, sei es bei Transportprozessen – die Kreatin-Kinase den Phosphatrest vom Kreatinphosphat auf das ADP überträgt. Wie die Daten der Tabelle 11.3 zeigen, ist das Konzentrationsverhältnis von ATP zu Kreatinphosphat in den einzelnen Muskeltypen unterschiedlich. Im Skelettmuskel stellt vor allem das Kreatinphosphat den Enrgiespeicher dar. Im Herzmuskel ist das Konzentrationsverhältnis ATP zu Kreatinphosphat nahezu 1. Der glatte Muskel enthält insgesamt weniger energiereiche Verbindungen als der Skelettmuskel und etwa dreimal mehr ATP als Kreatinphosphat.
Tabelle 11.3: ATP- und Kreatinphosphat-Konzentration in verschiedenen Muskeltypen
Muskeltyp
ATP mmol × kg–1 Gewebe
COO–
Kreatinphosphat mmol × kg–1 Gewebe
Skelettmuskel
5
20
Herzmuskel
1,5
2
Glatter Muskel
2
0,7
11 Das Muskelgewebe – Energietransformator und Proteinspeicher
539
Das Kreatin wird im Muskel durch nicht-enzymatische Wasserabspaltung in das Anhydrid des Kreatins, in das Kreatinin, umgewandelt und renal ausgeschieden. Die in 24 Stunden ausgeschiedene Menge an Kreatinin ist beim einzelnen Individuum bemerkenswert konstant und der Muskelmasse proportional. Dieser Parameter dient daher zur Abschätzung der Muskelmasse und wird außerdem als Bezugsgröße zur Beurteilung der renalen Exkretion verschiedener Substanzen verwendet.
11.3 Die Skelettmuskulatur enthält die größte Proteinreserve des Organismus Hauptaufgabe der Skelettmuskulatur ist es, die für Bewegungen jeglicher Art notwendige Kraft zur Verfügung zu stellen. Nebenbei hat sie jedoch auch eine bedeutende Stoffwechselfunktion, da sie mit etwa 60 % des Gesamteiweißbestandes den Hauptspeicher an Proteinen beziehungsweise Aminosäuren repräsentiert. Bekanntlich führt eine prolongierte kalorische Unterernährung, insbesondere beim Erwachsenen, zu beachtlichen Verlusten an Muskelprotein. Die beim Proteinabbau freiwerdenden Aminosäuren werden in dieser Situation teilweise zur Proteinsynthese in anderen Organen verwendet, um vitale Funktionen zu befriedigen, teilweise aber auch zur Energiegewinnung genutzt. Die in vivo-Bestimmung des Ursprungs der Aminosäuren, die in katabolen Stoffwechselsituationen freigesetzt werden, bereitet im allgemeinen Probleme. Die Aminosäuren werden umverteilt und eventuell in anderen Organen reutilisiert. Die Hauptmuskelproteine Myosin und Actin besitzen einen intrinsischen Marker, da zahlreiche Histidylreste des Peptidverbandes translational methyliert worden sind (Abschnitt 4.3.1.2). Das Methylhistidin kann zur Resynthese von Proteinen nicht verwendet werden und erscheint im Urin. Somit ist die Ausscheidung von Methylhistidin ein verlässlicher Indikator zur Bestimmung der Abbaurate der Myofibrillenproteine beim Menschen. Trotz dieser günstigen experimentellen Ausgangslage ist der Muskelproteinumsatz beim Menschen bei weitem nicht zufriedenstellend geklärt. Die Muskelproteine haben, wie die meisten hochmolekularen Biomoleküle einen ständigen turnover. Insbesondere die Skelettmuskulatur wird dabei der Beanspruchung entsprechend remodelliert. Ob beim turnover der Muskelproteine die anabolen oder die katabolen Prozesse übewiegen – und damit die „Bilanz“ positiv oder negativ ausfällt – , hängt nicht zuletzt von der hormonellen Situation ab. Tabelle 11.4 enthält eine Übersicht über die Wirkung der hauptsächlichen Hormone auf die Synthese und Abbau der Muskelproteine und über die „Bilanz“, die sich aufgrund der beiden gegenläufigen Prozesse ergibt. Die molekulare Wirkung der Hormone beim Metabolismus der Proteine ist mit Sicherheit sehr komplex und im Einzelnen nicht geklärt. Wahrscheinlich handelt es sich in den meisten Fällen nicht nur um direkte Effekte auf den Prozess der Synthese und des Abbaus. Aufgrund zahlreicher neuerer Studien erhöht das Insulin die Proteinbiosynthese beim Erwachsenen ausschließlich dann, wenn dem Muskel Aminosäuren in unphysiologisch hoher Konzentration angeboten werden. Der bekannte anabole Effekt des Insulins auf die Muskelmasse dürfte viel eher durch eine erhebliche Reduktion der Abbaurate als durch Förderung der Proteinsynthese erklärbar sein. Sowohl das Wachstumshormon als auch die Insulin-ähnlichen-Wachstumsfaktoren (IGF) stimulieren die Proteinsynthese im Muskel, wenn sie direkt in das Muskel-
540
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 11.4: Hormonelle Regulation des Muskelproteinumsatzes beim Menschen Hormone
Proteinsynthese
Proteinabbau
Bilanz
+/–
↓
↑
Insulin
↑
↓
↑↑
↑ oder +/–
?
↑
↑
+/– oder ↓
↑
Insulin + Aminosäuren Wachstumshormon Insulin like growth factor (IGF)
↑
?
↑
+/–
+/–
+/–
?
↑
↓
+/–
↓
↑
Glucagon + Glucocorticoide + Adrenalin
↑
↑↑
↓
Schildrüsenhormone
?
?
↓
Testosteron Glucagon Glucocorticoide Adrenalin
Quelle: Annual Review of Nutrition 17, 457–485 (1997)
gewebe injiziert werden. Unsicher ist der Effekt dieser Hormone bei systemischer Verabreichung. Während das Wachstumshormon den Proteinkatabolismus möglicherweise nicht beeinflusst, verlangsamt ihn der IGF wahrscheinlich. Insgesamt ergibt sich bei beiden Hormonen ein stimulierender Effekt auf die Entwicklung der Muskulatur. Testosteron übt seine anabole Wirkung nicht direkt aus, sondern über Förderung des IGF-Effektes. Das Glucagon, die Glucorticoide und die Catecholamine gelten insgesamt als katabole Hormone. Dennoch dürfte zumindest das Adrenalin den Proteinabbau des Muskels verlangsamen und damit zu einer positiven Bilanz des Proteinumsatzes führen. Bei gleichzeitiger Verabreichung aller drei Hormone – was auch dem physiologischen Zustand entspricht – kommt es zu einer eindeutigen Verstärkung des katabolen Effektes. Auch die Schilddrüsenhormone wirken sich negativ auf den Proteinumsatz aus, wenn auch die Ebene ihrer Wirkung unbekannt ist. Die Muskelzelle verwendet die bei der Proteolyse freigewordenen Aminosäuren nur zu einem verschwindend geringen Anteil zur Deckung ihres Energiebedarfs. Der Endabbau der Aminosäuren ist in erster Reihe auf die Leber konzentriert (Abschnitt 9.4.2). Lediglich die Gruppe der verzweigtkettigen Aminosäuren bildet eine Ausnahme. Diese werden außer in der Niere vor allem im Skelett- und Herzmuskel verstoffwechselt. Abbildung 11.11 zeigt die einzelnen Schritte des Abbaus von Valin, Isoleucin und Leucin. Die Abbauwege weisen mehrere gemeinsame enzymatische Reaktionen auf. Jede der drei Aminosäuren hat jedoch ihre Spezialitäten, die in der Abbildung mit roten Nummern gekennzeichnet sind. Die Endprodukte sind entweder direkt oder nach geringfügiger Umwandlung – wie das Propionyl-CoA (Abschnitt 4.4.2.6) – im Tricarbonsäurecyclus verwertbare Metaboliten. Sie tragen also – wenn auch in quantitativ unbedeutendem Maße – zur Energieversorgung des Myocyten bei. Die energetische Verwertung der verzweigtkettigen Aminosäuren ist im ruhenden Skelettmuskel stark eingeschränkt, da die α-Ketosäuredehydrogenase (in Abbildung
11 Das Muskelgewebe – Energietransformator und Proteinspeicher
Valin
–
OOC
–
H CH3 CH C CH3 + NH3
CH
O
CoA
S~C O
CoA
S~C O
CoA
S~C O
Leucin
Isoleucin
C
OOC
541
CH3 CH3
CH3
CH
–
OOC
CH2 CH3
CH
CH2 OH CH3
O
CH3 CH2 CH CH3
S~C O
CH3 CH2 CH CH3
–
C
OOC
CoA
CH3
C
CH3 H CH2 C CH CH3 + NH3
CoA
CoA
S~C O
CH3 CH CH CH3
S~C O
CH3 CHOH CH CH3
S~C O
CH3 CO CH CH3
–
OOC
H C CH2 + NH3
CH
CH3 CH3 1
–-
C O
CH2 CH
CoA-S ~ C O
CH2 CH
OOC
CH3 CH3
2
CH3 CH3 3
CoA-S ~ C O
CH
CoA-S~ C O
CH
CH
CH3 CH3 4 –
CH
CH2COO CH3 5
6 –
OOC
–
OOC
CH
CH
CH2OH CH3 CHO
CoA
CH3
OOC
CoA CH2 CH2
O C~S CoA
Succinyl-CoA 11.11
–
CoA-S~ C O
CH2 C
O
8
–
7
S~ C
CH3
O CoA
S~ C CH 2 CH3 Acetyl-CoA und Propionyl-CoA
CH2COO OH CH3 9
O CoA
S~ C
CH3
CH3—CO—CH2—COO –
Acetyl-CoA und Acetacetat
Abbau der verzweigtkettigen Aminosäuren 1 = Transaminierung; 2 = dehydrierende Decarboxylierung; 3 = Dehydrierung; 4 = Carboxylierung; 5 = Hydratisierung; 6 = Deacylierung; 7 = Dehydrierung; 8 = Acylierung mit CoA und Isomerisierung; 9 = C–C-Spaltung; Rote Nummern: für die betreffende Aminosäure spezifische Schritte Quelle: Löffler, G., Petrides P. E. (1997) Biochemie und Pathobiochemie 5. Aufl. S. 554 (modifiziert).
542
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Glucose
BLUT
LEBER
Glykogen
Glucose-6-phosphat
Glucose-6-phosphat Glykogen
Transaminierung
Harnstoff
Pyruvat
Alanin
Lactat
Lactat
Pyruvat
MUSKEL
Transaminierung Lactat Pyruvat Alanin
Alanin
BLUT 11.12
Substanzaustausch zwischen dem Muskel und der Leber (Alanin-Cyclus; Cori-Cyclus)
11.11 mit 2 bezeichnet) vorwiegend phosphoryliert und daher im inaktiven Zustand vorliegt. Die entstandenen verzweigtkettigen α -Ketosäuren werden in dieser Situation in den Herzmuskel, die Leber und die Niere aufgenommen und dort verstoffwechselt. Im arbeitenden Muskel wird die α-Ketosäuredehydrogenase dephosphoryliert und damit der Endabbau der verzweigtkettigen Aminosäuren ermöglicht. Wie bereits erwähnt, verwendet die Leber zur Gluconeogenese (Abschnitt 9.4.3.2) vor allem glucogene Aminosäuren. Hauptlieferant dieser gluconeogenetischen Substrate ist die Skelettmuskulatur, zumal die gluconeogenetische Stoffwechsellage im allgemeinen auch eine proteolytische Stoffwechselsituation ist. Die wichtigste glucogene Aminosäure ist das Alanin, das durch eine einfache Transaminierung in Pyruvat umgewandelt und damit direkt in die Gluconeogenese eingeschleust wird. Die Muskulatur gibt weit mehr Alanin an das Blut ab, als aus der Proteolyse der Muskelproteine entstehen könnte. Der restliche Anteil des Alanins entsteht durch Übertragung von Aminogruppen von anderen Aminosäuren, vor allem von den verzweigtkettigen, durch Transaminierung auf Pyruvat. Wie Abbildung 11.12 zeigt, ist das Pyruvat vor allem Endprodukt der Glykolyse, die sich an den Glykogenabbau anschließt. Das Alanin erreicht auf dem Blutweg die Leber und durch Umkehrung der Transaminierung entsteht daraus wieder Pyruvat, das gluconeogenetisch verwertet wird. Die entstandene Glucose wird über das Blut zum größten Teil der Muskulatur zur Verfügung gestellt. Dieser Austauschprozess zwischen den beiden Organen wird als GlucoseAlanin-Cyclus bezeichnet. Damit vergleichbar ist der Glucose-Lactat-Cyclus, auch Cori-Cyclus genannt. Dabei liefert die Muskulatur das Lactat, das in der Leber über die Lactat-Dehydrogenase-Reaktion zu Pyruvat dehydriert und damit ebenfalls zur Glucosesynthese vewendet wird. Die zweite Aminosäure, die aus der Muskulatur in überproportional hohen Mengen freigesetzt wird, ist das Glutamin. Das Glutamin, dessen Konzentration in der Muskelzelle mit etwa 20 mmol × L–1 sehr hoch ist, entsteht im Myocyten hauptsächlich aus Glutamat und Aspartat. Es gilt als Transportmetabolit für das Kohlenstoffgerüst von Aminosäuren, die bei der Proteolyse im Myocyten frei werden. Das Glutamin wird weniger von den Hepatocyten als von Zellen des Darms und der Niere aufgenommen.
12
Die Niere als Ausscheidungsorgan
Die beiden Nieren des Menschen haben gemeinsam ein Gewicht von etwa 300 g. Trotz der relativ geringen Größe dieses paarigen Organs extrahieren die Nieren pro Minute circa 20 ml Sauerstoff aus dem Blut, was für eine intensive oxidative Energiegewinnung spricht. Wie noch besprochen wird, dient ein erheblicher Anteil dieser Energie Transportvorgängen, die mit der renalen Ausscheidungsfunktion im Zusammenhang stehen. Die exzellente Sauerstoffversorgung der Nieren ist die Folge der reichlichen Blutzufuhr über ein dichtes Kapillarnetz. Mit etwa 1 200 ml Blut pro Minute entspricht sie etwa 25 % des Herzminutenvolumens, das heißt das gesamte Blutvolumen passiert alle 4 bis 5 Minuten die Nieren. Für die Funktion der Nieren ist es von Bedeutung, dass die renale Durchblutung einer Autoregulation unterliegt. Zwischen 75 und 200 mm Hg bleibt der Blutfluss durch das Organ trotz steigenden Druckes konstant. Dies ist dadurch möglich, dass der Gefäßwiderstand in den Nieren immer in dem Maße zunimmt, in dem der Perfusionsdruck steigt. Die Autoregulation des renalen Blutflusses zieht als Konsequenz die Autoregulation der glomerulären Filtration nach sich (Abschnitt 12.2.1). Wie bereits wiederholt erwähnt, ist die Konstanz der chemischen Zusammensetzung der extrazellulären Flüssigkeit die unbedingte Voraussetzung für die Funktion aller Körperzellen (siehe insbesondere Abschnitt 8.3.5). Ihre Aufrechterhaltung ist ganz generell die Hauptaufgabe der Nieren als Ausscheidungsorgan. Im einzelnen üben die Nieren folgende Funktionen aus, die näher besprochen werden: – – – – –
Kontrolle des Wasser- und Elektrolythaushaltes; Kontrolle des Säure-Basen-Haushaltes; Ausscheidung der Endprodukte des Stickstoffstoffwechsels; Ausscheidung von Fremdstoffen und Endokrine Funktionen.
12.1 Der spezifische histologische Aufbau ist die Grundlage der renalen Funktionen Die großartige exkretorische Leistung der Nieren ist an eine besondere Feinstruktur des Organs gebunden. Bereits makroskopisch lassen sich bei der durchschnittenen Niere mehrere Zonen unterscheiden, die stark schematisiert Abbildung 12.1 zeigt. Die 1 bis 1,5 cm breite äußere Zone, die Nierenrinde (Cortex), die direkt unterhalb der bindegewebigen Nierenkapsel liegt, ist bräunlich gefärbt. Das darunter liegende Nierenmark (Medulla) besteht aus 8 bis 10 großen pyramidenförmigen Lappen, deren Spitzen mit den feinen Öffnungen der Nierenpapillen versehen sind und in die Nierenkelche hin-
544
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Nierenpapillen
inneres Nierenmark
V. renalis
A. renalis
äußeres Nierenmark
Nierenbecken
Bindegewebe
Nierenrinde Nierenkapsel 12.1
Zonaler Aufbau der Niere
einragen. Das Nierenmark gliedert sich in das rötlich gefärbte äußere und in das hellere innere Mark. Die Zonen des Nierengewebes sind nicht nur histologisch verschieden, sondern weisen auch hinsichtlich ihres Stoffwechsels erhebliche Unterschiede auf. Die Nephrone stellen die funktionellen Einheiten der Nieren dar, von denen jede der beiden Nieren durchschnittlich eine Million enthält. Abbildung 12.2 zeigt den Aufbau eines Nephrons mit den zugehörigen Blutgefäßen. Das einzelne Nephron besteht aus dem Glomerulus (Nierenkörperchen) und den Tubuli (Nierenkanälchen). Der tubuläre Teil gliedert sich in den gewundenen proximalen Tubulus, die gestreckte absteigende und aufsteigende Henle-Schleife und den gewundenen distalen Tubulus. Die distalen Tubuli mehrerer Nephrone münden in ein gemeinsames gestrecktes Sammelrohr, das zum papillären Harnpol der Niere hinführt. Alle Nephrone sind fächerartig so angeordnet, dass sie mit ihren Längsachsen zu den Nierenkelchen hin orientiert sind (siehe Abbildung 12.1). Abbildung 12.3 verdeutlicht die topologische Anordnung der Nephrone in den Zonen des Nierengewebes. Je nach Lokalisation der Glomeruli und Ausdehnung der Tubulusschleifen unterscheidet man oberflächliche (corticale) und tiefe (juxtamedulläre) Nephrone. Wie die Skizze zeigt, stehen in Richtung Nierenkelch absteigende und in Richtung Rinde aufsteigende Tubulusabschnitte gegenüber, die sich in enger räumlicher Verbindung mit den Sammelrohren befinden. Auch die Blutgefäße, die jedes Nephron begleiten, verlaufen parallel zu den Tubulusabschnitten. Die Gesamtheit dieser Strukturen bildet das Gegenstromsystem, das die histologische Grundlage der Harnkonzentrierung nach dem Gegenstromprinzip bildet.*
* In den Lehrbüchern der Physiologie ausführlich behandelt (siehe Literaturempfehlungen).
12 Die Niere als Ausscheidungsorgan
12.2
545
Aufbau eines Nephrons mit den zugehörigen Blutgefäßen
Das Gefäßsystem der Nephrone hat eine nierenspezifische Anordnung. Das arterielle Blut gelangt über die Arteria renalis in die Arteria arcuata. Aus dieser zweigen senkrecht zur Nierenoberfläche weitere Arterien ab, von denen schließlich allseits afferente Arteriolen abgehen. Diese Arteriolen verzweigen sich in den Glomeruli zu den glomerulären Kapillaren. Diese treten aus dem Glomerulus zu efferenten Arteriolen vereinigt wieder aus und versorgen weitere Glomeruli der Nierenrinde mit Blut. Das Nierenmark wird, im Gegensatz zur Nierenrinde, nicht durch Arterien, sondern durch die efferenten Arteriolen der juxtamedullären (marknahen) Glomeruli versorgt. Über die aufsteigenden Vasa recta gelangt das venöse Blut über mehrere Venen in die Vena renalis und mündet schließlich in die Vena cava. Die bereits einleitend erwähnte außerordentlich gute Durchblutung der Nieren ist für die Filtrationstätigkeit ausschlaggebend. Sie ermöglicht damit die Aufrechterhaltung
546
12.3
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Topographische Anordnung zweier Nephrone
der Homöostase durch Exkretion ausscheidungspflichtiger Substanzen endogenen und exogenen Ursprungs. Für die Filtratbildung ist vor allem die Rinde zuständig, weshalb sie auch etwa 90 % des renalen Blutflusses erhält, während auf das äußere Mark etwa 8 bis 9 % und auf das innere 1 bis 2 % des Flusses entfallen. Die einzelnen Abschnitte des Nephrons weisen eine stark differenzierte, den unterschiedlichen Funktionen adäquate zelluläre Feinstruktur auf. Der Glomerulus ist das kapselartig geformte geschlossene obere Ende eines Tubulus (Bowman-Kapsel), in den ein Knäuel aus Blutkapillaren eingestülpt ist. Das Ultrafiltrat aus dem Kapillarblut tritt hier in das tubuläre System des Nephrons über, wozu es das fenestrierte Kapillarendothel, die Basalmembran und eine komplexe Epithelschicht überwinden muss. Der proximale Tubulus ist mit einer relativ durchlässigen Epithelschicht ausgekleidet, die dem Epithel des Dünndarms sehr ähnlich ist. Die Epithelzellen haben an der luminalen Seite eine Bürstensaummembran mit zahlreichen langen Mikrovilli. Hierdurch
12 Die Niere als Ausscheidungsorgan
547
wird die luminale Oberfläche der Zelle etwa sechzigfach vergrößert. Die basale Membran der Epithelzelle, die der Blutseite hin gewandt ist, ist mit der Basalmembran des Tubulus verbunden. Die strukturelle Integrität des Epithels wird durch den Schlussleistenkomplex, mit Desmosomen, tight junctions und zellulären Adhäsionsmolekülen gewährleistet. Zwischen den Epithelzellen sind Zwischenzellräume vorhanden, wodurch der parazelluläre Durchtritt von Substanzen in das Interstitium ermöglicht wird. Die Epithelzellen des proximalen Tubulus enthalten zahlreiche Mitochondrien, die für die Bereitstellung von ATP für die aktiven und sekundär aktiven Transportprozesse zuständig sind. Die Epithelzellen der dünnen absteigenden Henle-Schleife sind wesentlich flacher, haben nur wenige kurze Mikrovilli und auch nur wenige Mitochondrien. Die interzelluläre Zona occludens ist durchlässig. Das Epithel des dicken aufsteigenden Segmentes ist weniger durchlässig, und das Vorhandensein von relativ vielen Mitochondrien lässt auf aktive Transportprozesse schließen. Der distale Tubulus besitzt hohe Epithelzellen mit einem spärlichen Besatz von kurzen Mikrovilli. Die Zona occludens ist hier mehrreihig und dicht. Die Sammelrohre sind mit kubisch geformten Epithelzellen ausgekleidet, die wenige Mikrovilli haben. Zwei Drittel dieser Epithelzellen, die Hauptzellen, sind hell, während die Schaltzellen durch den Besitz zahlreicher Zellorganellen dunkler erscheinen. Für die endokrine und sonstige spezifische Funktionen der Nieren ist eine als juxtaglomerulärer Apparat bezeichnete Zellansammlung von Bedeutung. Diese Zone befindet sich am proximalen Ende des distalen Tubulus jedes Nephrons, wo dieser Kontakt mit den afferenten und efferenten Arteriolen des betreffenden Glomerulus hat. Zum juxtaglomerulären Apparat gehören die Renin produzierenden granulierten Zellen in der Wand des Vas afferens, die Macula densa-Zellen in der Wand des distalen Tubulus und die Mesangium-Zellen im Raum der Bowman-Kapsel.
12.2 Die Hauptaufgabe der Nieren ist die Ausscheidung von Wasser und wasserlöslichen Substanzen mit dem Harn Eine Blutzufuhr von 1 200 ml × min–1 entspricht ungefähr einem Plasmafluss von 600 bis 700 ml × min–1, wovon in den Glomeruli beider Nieren etwa 125 ml pro Minute filtriert werden. Dies ergibt die erstaunlich hohe Menge von etwa 180 l Primärharn in 24 Stunden. Bekanntlich ist jedoch das Volumen des täglich ausgeschiedenen Endharns mit 500 bis 2 000 ml sehr viel kleiner. Die Reduktion des Urinvolumens geschieht durch Rückresorption des Wassers im tubulären Apparat. Sie wird von der selektiven – in einigen Fällen hormonell gesteuerten – Wiedergewinnung der im Primärharn gelösten Substanzen begleitet. Außerdem werden einige Verbindungen in das Tubuluslumen sezerniert. Die quantitative Zusammensetzung des Endharns resultiert also aus der glomerulär filtrierten und tubulär sezernierten, abzüglich der tubulär rückresorbierten Substanzmenge. Da das Volumen des Endharns in den oben angegebenen Grenzen variieren kann, können die darin enthaltenen Ausscheidungsprodukte mehr oder minder konzentriert sein.
548
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
12.2.1 Die glomeruläre Filtration ist ein druckabhängiger passiver Prozess Durch die glomeruläre Filtration wird dem Blut, das die Glomeruli durchströmt, etwa ein Fünftel des Plasmawassers entzogen. Die hohe Filtrationsrate wird durch die relativ hohe Durchlässigkeit der glomerulären Kapillaren, durch die große Filterfläche und durch den effektiven Filtrationsdruck ermöglicht. Der Blutdruck in den glomerulären Kapillaren beträgt circa 48 mm Hg, ist jedoch für die Filtration nicht voll nutzbar, da ihm der Druck der relativ starren Bowman-Kapsel sowie der kolloidosmotische Druck der Plasmaproteine entgegen wirken. Somit beträgt der effektive Filtrationsdruck etwa 15 mm Hg, der jedoch ausreicht, um ein Ultrafiltrat des Blutplasmas zu erzeugen, das neben dem Lösungswasser alle kleinen, nicht an Makromoleküle gebundenen Bestandteile des Plasmas enthält. Die Poren, durch die das Plasmawasser durchtritt, haben einen mittleren Durchmesser von 3,0 nm (1,5 bis 4,5 nm). Das erlaubt allen Plasmabestandteilen bis zu einer molaren Masse von etwa 5 kDa ungehindert durchzutreten. Mit steigender Masse verringert sich die Wahrscheinlichkeit der Passage kontinuierlich, aber erst Partikel mit einer Masse > 68 kDa werden vollständig zurückgehalten. Die Plasmaproteine haben eine durchschnittliche Masse von 55 kDa, es finden sich daher nur geringe Proteinmengen im Primärharn. Ein erhöhter Durchtritt von Proteinen deutet meistens auf pathologische Veränderungen des Filtrationsapparates hin. Proteine, die den Filter nicht passiert haben, verlassen die Bowman-Kapsel durch die efferente Arteriole. Bei großmolekularen Ablagerungen ist es notwendig die Filter zu „reinigen“. Dies ist Aufgabe der Mesangium-Zellen (Abschnitt 12.1), die zur Phagocytose und zu anschließendem lysosmalen Abbau der Makromoleküle befähigt sind. Die Durchlässigkeit des glomerulären Filters für Moleküle mit einem Durchmesser < 4,5 nm ist auch ladungsabhängig. Bei gleichem Radius werden Moleküle mit einer negativen Ladung wesentlich schlechter durchgelassen als neutrale oder positiv geladene. Für dieses Phänomen sind die fixen negativen Ladungen der anionischen Glykosialoproteine verantwortlich, die an die glomerulären Filter gebunden sind.
12.2.2 Für die Resorption und Sekretion der Harnbestandteile haben die einzelnen Tubulusabschnitte vielfältige Transportmechanismen Wie erwähnt, ist der Primärharn ein Ultrafiltrat des Blutplasmas. Näherungsweise gilt deshalb, dass die Konzentration der kleinmolekularen Bestandteile im Plasma und im Glomerulusfiltrat übereinstimmt. Im riesigen Volumen des Primärharns befinden sich dementsprechend sehr große Mengen an anorganischen und organischen Plasmabestandteilen. Es ist evident, dass zur Aufrechterhaltung der Homöostase des extrazellulären Raumes nicht nur das Wasser, sondern auch ein großer Teil dieser Substanzen zurück gewonnen werden muss. Tabelle 12.1 zeigt einen Vergleich zwischen der täglich in den Primärharn filtrierten und der mit dem Endharn ausgeschiedenen Menge der wichtigsten Komponenten. Sowohl die glomerulär filtrierten als auch die zurück gewonnenen Substanzmengen unterliegen sehr starken physiologischen, nicht zuletzt ernährungsbedingten Schwankungen, weshalb die Daten in der Tabelle nur als Näherungswerte anzusehen sind. Dennoch ist aus ihnen zu entnehmen, dass die täglich im
12 Die Niere als Ausscheidungsorgan
549
Tabelle 12.1: Vergleich der täglich glomerulär filtrierten und im Endharn ausgeschiedenen Menge einiger Harnbestandteile Substanz Wasser Na+
Glomerulusfiltrat mol × Tag–1 9350 25
Endharn mol × Tag–1 83 0,1–0,3
K+
0,85
0,05–0,45
Ca2+
0,23
0,005–0,02
Cl–
20
0,1–0,5
HCO3–
4,25
0,001
Phosphat
0,34
0,005–0,03
Glucose
0,85
0,000–0,001
Aminosäuren
0,34
0,003–0,012
Harnstoff
0,85
0,42–0,60
Harnsäure
0,051
0,005
Kreatinin
0,017
0,017
Protonen
0
0,06
Endharn ausgeschiedene Menge an gelösten Substanzen nur etwa 10 % – oder weniger – der filtrierten Menge beträgt. Auf die Ausnahmen, beispielsweise im Falle der Glucose, des Harnstoffs, des Kreatinins und der Protonen, wird noch näher eingegangen. Die gewaltige Leistung der Rückgewinnung dieser Substanzen vollbringen die tubulären Abschnitte der Nephrone. Die Resorption (Rückresorption)* der gelösten Ionen und Moleküle geschieht in den einzelnen Abschnitten des tubulären Apparates selektiv durch unterschiedliche Mechanismen und mit unterschiedlicher Intensität. Das gleiche gilt für die Sekretion einiger Komponenten des Harns. Die Wiedergewinnung der im Primärharn gelösten Substanzen geschieht auf zwei prinzipiell unterschiedlichen Wegen: parazellulär durch Benutzung der Zellzwischenräume und transzellulär durch die Epithelzellen hindurch, wobei zwei Membranbarrieren, die lumenwärtige oder apikale Membran und die blutseitige baso-laterale Membran zu überwinden sind. Die quantitative Bedeutung der beiden Wege ist in den einzelnen Segmenten des Nephrons unterschiedlich. Der parazelluläre Weg wird in den proximalen Abschnitten, die mit einem relativ wenig dichten, „lecken“ Epithel ausgekleidet sind, besonders relevant, während in den distalen Segmenten der transzelluläre Transfer beherrschend ist. Treibende Kräfte der parazellulären Stoffbewegung sind osmotische und elektrochemische Gradienten. Für den transzellulären Substanzfluss sind im allgemeinen mehr oder minder spezifische Transportvermittler notwendig, die in den Membranen der Epithelzelle asymmetrisch angeordnet sind und damit einen vektoriellen (gerichteten) Transport bewirken. * Die Begriffe Resorption und Rückresorption werden in der Physiologie synonym gebraucht. Im weiteren soll der Ausdruck Resorption verwendet werden.
550
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Für die effektive Rückgewinnung der geladenen und ungeladenen Bestandteile des Glomerulusfiltrats werden im Nephron alle bekannten Systeme eingesetzt: primär aktive Pumpen, Carrier, die als Uniporter, Symporter und Antiporter fungieren (Abbildung 1.15), sowie Ionenkanäle. Wie auch bei sonstigen epithelialen Transportvorgängen spielt auch bei vielen nephronalen Resorptionsprozessen der Natriumgradient zwischen dem extra- und dem intrazellulären Raum der Epithelzelle eine Schlüsselrolle. Bekanntlich wird dieser Gradient durch die Na+/K+-ATPase, die in der baso-lateralen Membran der Epithelzelle integriert ist, aufrechterhalten (Abschnitt 1.1.2.6). Die Na+/K+-ATPase senkt mittels ATP-Spaltung die intrazelluläre Natriumkonzentration und generiert durch Akkumulierung von Kalium und nachfolgender K+-Auswärtsdiffusion durch K+-Kanäle ein Membranpotential. Der hierdurch aufgebaute elektrochemische Gradient bildet die Triebkraft für die Diffusion von Na+ durch Na+-Kanäle. Weiterhin kann er zur Energetisierung von sekundär aktiven Transportprozessen genutzt werden (Abschnitt 1.1.2.10). Der überwiegende Anteil des Energiebedarfs der renalen Resorption wird durch die Na+/K+-ATPase beansprucht.
12.2.2.1 Glucose und Aminosäuren werden im proximalen Tubulus physiologischerweise fast vollständig zurückgewonnen Wie aus den Daten der Tabelle 12.1 hervorgeht, bleiben die etwa 0,85 mol (153 g) Glucose, die täglich in den Primärharn gelangen, annähernd vollständig dem Organismus erhalten. Ort der Glucose-Resorption ist der proximale Abschnitt des Tubulus. Es handelt sich dabei um einen Na+-abhängigen Transportprozess, der als Triebkraft auf den von der Na+/K+-ATPase aufrechterhaltenen Na+-Gradienten angewiesen ist. An der transzellulären Glucose-Resorption durch das Nierenepithel sind zwei Glucose-Carrier beteiligt: das SGLT 2 und das GLUT 2. Wie Abibldung 12.4 zeigt, ist das SGLT 2 in der Bürstensaummembran der Epithelzellen lokalisiert und befördert als Na+-Glucose-Cotransporter ein Glucosemolekül mit 2 Na+-Ionen in den Zellinnenraum. Das GLUT 2 befindet sich an der baso-lateralen Membran und transportiert als Uniporter nach dem Prinzip einer erleichterten Diffusion die intrazellulär sich anhäufende Glucose Na+-unabhängig aus der Epithelzelle in das Blut. Das System funktioniert analog dem in der Bürstensaummembran der Dünndarmepithelzellen operierenden Transporter, der in Abschnitt 1.1.2.10 detailliert beschrieben wurde. Der Hauptanteil der Glucose wird bereits am Anfang des proximalen Tubulus resorbiert, wo die Epithelzellen eine besonders hohe Dichte an Transportproteinen aufweisen. Wenn bei hoher Glucose-Konzentration im Primärharn die Transportkapazität in diesem Bereich nicht ausreicht, übernehmen die hochaffinen Carrier der mehr distal gelegenen Bereiche des proximalen Tubulus die Aufgabe. Die maximale resorptive Kapazität der Niere liegt beim etwa Zwei- bis Dreifachen der normalerweise filtrierten Glucosemenge. Ab einer Plasmakonzentration von 10 mmol × L–1 (1,8 g × L–1) – und entsprechend hoher Konzentration der frei filtrierbaren Glucose im Primärfiltrat – wird das sogenannte Transportmaximum der Niere für Glucose überschritten; es kommt zu Glucosurie. Die Glucosurie kann prärenal, das heißt durch eine pathologisch erhöhte Blutglucose-Konzentration im Plasma bedingt sein, wie sie beim Diabetes vorkommt. Eine renale Glucosurie tritt dann auf, wenn die Glucosecarrier im proximalen Tubulus entweder eine zu geringe Transportkapazität oder eine verminderte Affinität zum Substrat
12 Die Niere als Ausscheidungsorgan
12.4
551
Transzelluläre Na+-abhängige Resorption von Glucose und von Aminosäuren durch die Epithelzelle des proximalen Tubulus
aufweisen. Eine herabgesetzte Aktivität der Na+/K+-ATPase, die eine Schwächung des Na+-Gradienten nach sich zieht, kann ebenfalls zu einer Störung der renalen GlucoseResorption führen. Die glomerulär filtrierten Aminosäuren werden durchschnittlich zu mehr als 98 % ebenfalls im proximalen Tubulus zurückgewonnen. Die Resorptionsrate ist je nach Aminosäure unterschiedlich: Für einige essentielle Aminosäuren beträgt sie beinahe 100 %, für das Histidin dagegen nur circa 94 %. Auch bei der Resorption der Aminosäuren handelt es sich meistens um einen Cotransport mit Na+-Ionen; sie ist also ebenfalls auf die Aufrechterhaltung eines Na+-Gradienten durch die Na+/K+-ATPase angewiesen. Ähnlich wie im Dünndarm (Abschnitt 7.6.4) gibt es an der lumenwärtigen Seite der tubulären Epithelzellen verschiedene L-Aminosäure-Transporter, die für bestimmte Gruppen strukturell verwandter Aminosäuren zuständig sind. Einer der Carrier transportiert anionische Aminosäuren (L-Glu–, L-Asp–), ein anderer kationische (LArg+, L-Lys+, L-Orn+), einige weitere verschiedene Gruppen neutraler Aminosäuren. Die Gruppenspezifität hat zur Folge, dass es je nach Konzentration der einzelnen Vertreter zu kompetitiver Hemmung des Transportes kommen kann. Die Aminosäuren verlassen die Epithelzelle durch erleichterte Diffusion mittels Carrier, die am baso-lateralen Pol der Zelle kokalisiert sind und Na+-unabhängig arbeiten. Je nach Konzentration der betreffenden Aminosäure in der Epithelzelle beziehungsweise im Blut kann sich die Transportrichtung umkehren und die Aminosäure zelleinwärts befördert werden (Abbildung 12.4). Außer freien Aminosäuren resorbiert das Epithel des proximalen Tubulus auch Diund Tripeptide, die entweder als solche glomerulär filtriert wurden oder durch die hydrolytische Spaltung größerer Peptide nach der Filtration entstanden sind. Die Resorption der Di- und Tripeptide vermittelt ein Transporter, der als PepT 2 bezeichnet wird. Dieses in der Bürstensaummembran lokalisierte Transportsystem ist ebenfalls ein Co-
552
12.5
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Resorption von Di- und Tripeptiden durch die Epithelzelle des proximalen Tubulus
transporter, der allerdings statt Na+-Ionen Protonen mit den Di- und Tripeptiden cotransportiert. Entsprechend ist er auf einen Protonengradienten angewiesen, der hauptsächlich durch einen luminalen Na+/H+-Antiporter generiert wird. Dieser fördert H+ aus der Zelle und Na+ in die Zelle. Ob die Di- und Tripeptide als solche aus der Epithelzelle in das Blut übertreten oder durch intrazelluläre Peptidasen in Aminosäuren gespalten werden, bevor sie die Epithelzelle verlassen, bedarf der Klärung (Abbildung 12.5).
12.6
Na+-abhängiger Transport von Mono- und Dicarboxylaten durch die Epithelzelle des Tubulus
12 Die Niere als Ausscheidungsorgan
553
Vollständigkeitshalber sei erwähnt, dass der Na+-Gradient der tubulären Epithelzelle auch für den Na+/Monocarboxylat-Cotransport genutzt wird (Abbildung 12.6). Dieser Cotransporter ist ebenfalls in die Bürstensaummembran integriert. Ein baso-lateral lokalisierter Na+/Dicarboxylat-Cotransporter nutzt den Na+-Gradienten für den Transport von Dicarboxylaten aus dem Blut in die Epithelzelle des Tubulus. Auch für die Rückgewinnung anorganischer Anionen aus dem Primärharn – wie HPO42– und SO42– – existieren Carrier, die diese mit Na+ cotransportieren und damit von einem Na+-Gradienten abhängig sind. Auf den Phosphat-Transporter wird bei der Resorption der Elektrolyte näher eingegangen.
12.2.2.2 Die Rückgewinnung von Natriumchlorid und von Wasser aus dem Primärharn hat den Charakter eines „Massentransportes“ Wie Tabelle 12.1 zeigt, werden 25 mol Na+ und 20 mol Cl– pro Tag glomerulär filtriert. Das Volumen des Primärfiltrates beträgt, wie bereits erwähnt, 180 L × d–1. Im tubulären Apparat der Nephrone werden täglich mehr als 90 % des glomerulär filtrierten Na+ und Cl– sowie ein etwa gleich großer Anteil des Lösungswassers zurückgewonnen. Daraus ergeben sich die ebenfalls in der Tabelle angegebene Menge und Zusammensetzung des Endharns. Die Daten der Tabelle 12.2 machen deutlich, dass die resorptive Leistung der einzelnen Nephronabschnitte recht unterschiedlich ist. Für beinahe alle in der Tabelle aufgelisteten Elektrolyte ist die Resorption im proximalen Tubulus die quantitativ überTabelle 12.2: Noch vorhandener prozentualer Anteil der glomerulär filtrierten Menge einiger Elektrolyte und deren Konzentration in verschiedenen Abschnitten des Nephrons und im Endharn
Glomerulus Na+
%
proximal*
frühdistal*
spätdistal*
100
30
10
Konzentration mmol × L–1
145
145
30
Cl–
100
30
10
3
Konzentration mmol × L–1
115
140
30
50
HCO3–
100
30
5
3
0
25
5
4
4
<1
100
30
20
10
10–100
4
4
10
20
30–300
100
45
10
5
1
70
20
10
10
%
%
Konzentration mmol × L–1 K+
%
Konzentration mmol × L–1 Ca2+
%
Mg2+
%
100
HPO42–
%
100
* am distalen Ende des betreffenden Abschnittes
5–25
2–20
3
Endharn*
50–100
2–20
<1 30–150 <1 30–150
2–20
554
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
wiegende Möglichkeit der Rückgewinnung. Beispielsweise resorbiert das proximale Konvolut täglich rund 700 g NaCl und 100 L Wasser, was im Falle des Na+ und des Cl– etwa 70 %, im Falle des Wassers rund 55 % der glomerulär filtrierten Menge entspricht. Der Transport derart großer Substanzmengen ist transzellulär nicht zu bewältigen, weshalb dafür der parazelluläre Durchtritt den quantitativ überwiegenden Mechanismus darstellt. Wie bereits erwähnt, ist die Wand des proximalen Tubulus mit einem relativ durchlässigen, „lecken“ Epithel ausgekleidet, wodurch sie eine der Voraussetzungen für den Transfer großer Stoffmengen erfüllt. Die Resorption des Na+, des Cl– und des diese Ionen begleitenden Wassers ist – auch wenn sie vorwiegend parazellulär erfolgt – ein außerordentlich komplexer Vorgang, der die Schaffung osmotischer, chemischer und elektrischer Gradienten voraussetzt. Er ist somit auf vielfache Weise mit dem aktiven und sekundär aktiven Transport zahlreicher geladener und ungeladener Substrate verbunden. Im folgenden soll nur der wesentliche Ablauf in den einzelnen Nephronabschnitten geschildert werden. Auf die detaillierte Darstellung der Einzelheiten muss verzichtet werden*. Wie bereits in Abschnitt 12.2.2. besprochen, wird das Na+ frühproximal – das heißt im oberen Viertel des proximalen Tubulus – in Cotransport mit Glucose, Aminosäuren und einigen Elektrolyten sowie durch einen Na+/H+-Austauscher aus dem Primärharn sekundär aktiv zurückgewonnen. Da viele dieser Cotransport-Prozesse elektrogen sind, entsteht eine auf der luminalen Seite negative transeptheliale Potentialdifferenz von etwa 1 mV. Dies bewirkt den parazellulären Durchtritt von Cl–, der – wie auch jede sonstige Substanzbewegung – einen osmotischen Wasserstrom auslöst. In diesem werden gelöste Substanzen als solvent drag passiv mittransportiert. Diese konvektive Transportform ist für den passiven Transfer größerer Stoffmengen sehr effektiv. Am Ende des proximalen Tubulus ist, wie Tabelle 12.2 zu entnehmen, die Konzentration von Na+ und K+ der Konzentration dieser Kationen im Primärfiltrat gleichgeblieben. Diese beiden Elektrolyte wurden also isoton resorbiert. Die Konzentration des Cl– zeigt sich dagegen leicht erhöht – von 115 auf 140 mmol × L–1 –, was heißt, dass die Resorption dieses Anions gegenüber dem Wasserstrom nachhinkt. Dieser frühproximale Anstieg der tubulären Cl–-Konzentration gegenüber der Plasmakonzentration erleichtert durch den entstandenen chemischen Gradienten in späteren Tubulusabschnitten den parazellulären Übertritt von Cl–-Ionen in das Blut. Damit wird auf der Seite des Tubuluslumens eine positive Potentialdifferenz von etwa 2mV generiert. Diese ist die Triebkraft für den weiteren parazellulären Transfer von Kationen – insbesondere von Na+ und Ca2+ – zur Blutseite. Zusätzlich wird im spätproximalen Tubulus das Na+ weiter aktiv transzellulär resorbiert. Die frühproximale Resorptionsrate des Bicarbonats beträgt ebenfalls etwa 70 %. Im Gegensatz zum Chlorid fällt jedoch dabei die tubuläre Konzentration des HCO3– auf ein Fünftel der Konzentration im Primärharn ab. Der Grund hierfür liegt in der sehr effektiven transzellulären Resorption dieses Anions, die mit dem bereits erwähnten Na+/H+-Austausch gekoppelt ist. Abbildung 12.7 illustriert diesen Vorgang, an dem zwei Isoformen der Carboanhydrase beteiligt sind. Wie bereits in Abschnitt 8.4.3 ausführlich besprochen, katalysiert die Carboanhydrase die Entstehung von Kohlensäure aus CO2 und H2O. Ein Isoenzym der Carboanhydrase – die Carboanhydrase IV – ist mit hoher Aktivität in den Zellen des proximalen Tubulus repräsentiert und hier an der Innenseite der Bürstensaummembran lokalisiert. Die Carboanhydrase II befindet sich intrazellulär. Das entstandene H2CO3 dissoziiert zu HCO3– und H+. Das Bicarbonat tritt * Diese werden in den Lehrbüchern der Physiologie ausführlich behandelt (siehe Literaturempfehlungen).
12 Die Niere als Ausscheidungsorgan
12.7
555
Kopplung der Bicarbonat-Resorption an den Na+/H+-Antiport in den Epithelzellen des proximalen Tubulus
mit Hilfe eines an der baso-lateralen Membran lokalisierten Na+/HCO3–/CO32–-Cotransporters in das Blut über. Die Protonen werden mit einem Na+/H+-Antiporter auf der luminalen Zellseite in das Tubuluslumen befördert. Das System dient also sowohl der transzellulären Resorption von Na+ und HCO3– als auch der Eliminierung von H+ aus der Zelle in den Harn. Aufgrund der hohen Aktivität der Carboanhydrasen arbeitet dieses gekoppelte System sehr effizient. Im absteigenden Schenkel der Henle-Schleife werden etwa weitere 25 % des filtrierten Wassers resorbiert, während der dicke aufsteigende Ast der Schleife für Wasser undurchlässig ist. In der luminalen Membran dieses Schleifenabschnitts befindet sich ein Cotransport-System, das 1 Na+, 1 K+ und 2 Cl– in die Zelle befördert. Wie Ab-
556
12.8
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Der Na+/K+/Cl–Cotransporter im aufsteigenden Schenkel der Henle-Schleife
bildung 12.8 zeigt, verlässt das Cl– die Epithelzelle durch einen blutseitigen Kanal, während das K+ durch einen lumenwärtigen Kanal in den Harn zurückdiffundiert. Das Na+ wird durch die Na+/K+-ATPase aus der Zelle befördert. Das lumenwärtig positive transepitheliale Potential, das hier etwa +6 mV beträgt, sorgt für weiteren parazellulären Durchtritt von Na+ und sonstigen Kationen. Da der Mensch die Wasserausscheidung seiner Wasserversorgung anpassen kann (Abschnitt 4.6.3), variiert die Zusammensetzung des Endharns in weiten Grenzen. Je nach Wasseraufnahme können 0,3 bis 20 % des glomerulär filtrierten Wassers ausgeschieden werden. Die Osmolalität des Harns schwankt entsprechend zwischen 1 300 mosm × kg–1 H2O – unter Bedingung der Antidiurese – und 50 mosm × kg–1 H2O – bei Wasserdiurese. Das Harnvolumen und die Menge der ausgeschiedenen Elektrolyte entscheiden sich durch Prozesse im distalen Konvolut, im Verbindungsstück sowie im Sammelrohr und stehen unter hormoneller Kontrolle. Im distalen Konvolut werden Na+ und Cl– weiter resorbiert und gelangen hier durch einen Na+/Cl– Cotransporter in die Epithelzellen. Im Sammelrohr dringt das Na+ durch Na+-Kanäle in die Zellen. Am Aufbau des intraluminalen osmotischen Gradienten beteiligt sich distalwärts im zunehmenden Maße vor allem der Harnstoff, der mittels Harnstofftransporter aus dem Mark in das Tubuluslumen gelangt. Das Mineralocorticoid Aldosteron, ein Steroidhormon der Nebennierenrinde (Abschnitt 1.4.5.2), erhöht die Resorption des Natriums hauptsächlich in den corticalen Abschnitten der Sammelrohre. Dem Wirkungsmechanismus der Steroide entsprechend wirkt das Aldosteron auf der Ebene der Transkription und bewirkt die vermehrte Synthese von Na+-Kanalproteinen. Die Resorption des Na+ aus dem Sammelrohr zieht einen osmotisch bedingten Wassereinstrom in das Blut und eine entsprechende Erhöhung des Blutdrucks nach sich. Gleichzeitig wird die Sekretion von K+ in das Lumen des
12 Die Niere als Ausscheidungsorgan
557
Sammelrohrs erhöht. Der atriale natriuretische Faktor (ANF) antagonisiert diese Wirkung, indem er die Na+-Resorption vor allem im medullären Sammelrohr vermindert. Im distalen Konvolut und vor allem im Sammelrohr erfolgt die Resorption des Wassers von der Na+-Resorption weitgehend unabhängig und wird durch das antidiuretische Hormon (Adiuretin) reguliert. Das Adiuretin, dessen Wirkungsmechanismus im Zusammenhang mit dem Wasserhaushalt in Abschnitt 4.6.3 (siehe Abbildung 4.36) detailliert erörtert wurde, bewirkt die Integration von Wasserkanälen (Aquaporin 2) in die Membran der Epithelzellen, die das Sammelrohr auskleiden. Durch diese Kanäle strömt das Wasser aus dem Tubuluslumen in die Zellen; es kommt zu einer drastischen Erhöhung der Wasserresorption durch das Sammelrohr, das in Abwesenheit von Adiuretin wasserundurchlässig ist. Unter diesen Bedingungen der Antidiurese kann der Harn bis zu seiner maximalen Konzentration von 1 300 mosm × kg–1 H2O konzentriert werden und das Wasser dem Organismus erhalten bleiben. Bei Wasserüberschuss wird die Sekretion des Aduretins aus dem Hypophysenhinterlappen eingestellt und die Undurchlässigkeit des Sammelrohrs für das Wasser wiederhergestellt. Der Harn bleibt in diesem Fall so hypoton, wie er die Henle-Schleife verlassen hat, beziehungsweise wird durch Resorption von NaCl im distalen Konvolut noch hypotoner. Bei einer derartigen Wasserdiurese ist es möglich große Wasservolumina auszuscheiden, ohne dass gleichzeitig NaCl verlorengeht. Von der Wasserdiurese ist die osmotische Diurese zu unterscheiden, die vor allem bei Patienten mit Diabetes mellitus auftritt. Die hohe Glucosekonzentration im Blutplasma dieser Patienten führt zu einer starken Erhöhung der glomerulären Filtration von Glucose, so dass die rückresorptive Kapazität der Niere für Glucose überschritten wird. Die osmotische Wirksamkeit der Glucose im Harn verhindert die Wasserresorption in starkem Maße, wodurch große Harnmengen ausgeschieden werden.
12.2.2.3 Die Kalium-Bilanz wird vor allem renal reguliert Das K+ ist bekanntlich das Hauptkation des Intrazellulärraumes, wo es durch seine Beteiligung an der enzymatischen Katalyse zahlreiche grundlegende Stoffwechselprozesse steuert. Diese Wirkungen sind stark konzentrationsabhängig, und größere Abweichungen des K+-Spiegels von der Norm sind lebensbedrohend. Die Aufrechterhaltung der physiologischen K+-Konzentration im Blutplasma, die 4,3 ± 0,7 mmol × L–1 beträgt, ist daher unbedingt notwendig und fast ausschließlich Aufgabe der Nieren. Insbesondere die distalen Abschnitte des Nephrons – das Verbindungsstück und das Sammelrohr – wirken korrigierend bei Schwankungen des K+-Spiegels, sowohl durch Anpassung der Resorption als auch durch Sekretion von K+ in das Tubuluslumen. Wie Tabelle 12.2 zeigt, enthält der Endharn, je nach Lage des K+-Haushaltes, 10 bis 100 % des glomerulär filtrierten Kaliums. Entsprechend bewegt sich die K+-Konzentration im Endharn zwischen 30 und 300 mmol × L–1. Diese Werte gelten für den normalen K+-Haushalt. Bei ausgeprägtem K+-Mangel (Hypokaliämie) kann die fraktionelle K+Ausscheidung auf 1 bis 3 % abfallen, bei sehr hoher K+-Aufnahme oder K+-Freisetzung (Hyperkaliämie) kann dieser Wert auf 150 bis 200 % ansteigen. Im proximalen Tubulus und in der Henle-Schleife werden unabhängig von den Anforderungen der K+-Bilanz insgesamt 80 bis 90 % des glomerulär filtrierten K+ zurückgewonnen. Dies erfolgt hauptsächlich durch parazellulären solvent drag. Treibende Kräfte dieser Transportform sind der chemische Gradient, der sich durch die Wasserre-
558
12.9
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Resorption von Kalium durch die H+/K+-ATPase der Schaltzellen im Sammelrohr
sorption aufbaut, sowie das blutseitig negative transepitheliale Potential, das vor allem spätproximal in der dicken aufsteigenden Henle-Schleife wirksam wird. Außerdem scheint der proximale Tubulus auch zur aktiven K+-Resorption befähigt zu sein. Das Ausmaß der Eliminierung beziehungsweise Retention des K+ entscheidet sich im distalen Nephron. Im Falle eines K+-Überschusses sezernieren die Hauptzellen des Verbindungsstückes und die Epithelzellen des Sammelrohres K+-Ionen. Dies wird durch das lumenwärtig negative transepitheliale Potential ermöglicht, das eine Folge der Aldosteron-abhängigen elektrogenen Na+-Resorption ist. Somit ist die K+-Sekretion an die Na+-Resorption gekoppelt und sekundär vom Aldosteron abhängig. Bei Kaliummangel werden die K+-Ionen resorptiv zurückgewonnen. Für die K+-Resorption sind die Schaltzellen in diesem distalen Bereich des Nephrons verantwortlich. Diese Zellen besitzen eine H+/K+-ATPase – ähnlich wie die Belegzellen des Magens (Abschnitt 7.3.1) – und nehmen die K+-Ionen primär aktiv auf, während die H+-Ionen in das Tubuluslumen sezerniert werden (Abbildung 12.9).
12.2.2.4 Die Niere ist auch an der Aufrechterhaltung der Calcium-, Magnesium- und Phosphat-Bilanz beteiligt Da das Calcium teilweise an die Plasmaproteine gebunden ist, beträgt die Ca2+-Konzentration im glomerulären Filtrat nur etwa 60 % der Konzentration im Plasma. Vom filtrierten Ca2+ werden im proximalen Tubulus etwa 55 %, frühdistal etwa 35 % und spätdistal weitere 5 bis 9 % zurückgewonnen, so dass im Endharn meistens 1 bis 2 %, maximal 5 % des filtrierten Ca2+ ausgeschieden werden. Im proximalen Tubulus und im dicken aufsteigenden Schenkel der Henle-Schleife wird das Ca2+ parazellulär resorbiert, wozu das blutseitig negative transepitheliale Potential die Triebkraft liefert. Ähnlich dem Dünndarm besitzt jedoch auch das Epithel der Nierentubuli die Möglichkeit Ca2+-Ionen transzellulär gegen einen Konzentrationsgradienten zu resorbieren. Diese Transportform setzt sich aus zwei Schritten zusammen: dem Eintritt in die Zelle an der luminalen Membran und dem Austritt aus der Zelle an
12 Die Niere als Ausscheidungsorgan
559
der baso-lateralen Seite. Der Einstrom des Ca2+ erfolgt im proximalen Tubulus hauptsächlich passiv durch verschiedene Ca2+-Kanäle. Das distale Konvolut besitzt eine aktiv transportierende Ca2+-ATPase. Nach Eintritt in die Zelle wird das Ca2+ an das Ca2+-bindende Protein Calbindin gebunden. Wie bereits erwähnt (Abschnitt 1.4.5.4), wird die Synthese des Calbindins durch das Calcitriol induziert und seine Synthese durch das Parathormon der Nebenschilddrüse stimuliert. Die beiden Hormone, das Calcitriol und das Parathormon, fördern also indirekt die Ca2+-Resorption in der Niere. Da auch ein Teil des Magnesiums an Plasmaproteine gebunden ist, werden nur etwa 75 % der Mg2+-Ionen glomerulär filtriert, von denen schließlich circa 10 % den Endharn erreichen und damit ausgeschieden werden. Im proximalen Tubulus werden nur 30 % des glomerulär filtrierten Mg2+ zurückgewonnen. Der größte Teil von etwa 50 % wird im dicken aufsteigenden Schenkel der Henle-Schleife ebenfalls parazellulär resorbiert. Das transepitheliale Potential, das die Resorption antreibt, wird von der NaCl-Resorption in dieser Region generiert, wodurch die Mg2+ und die NaCl-Resorption aneinander gekoppelt erscheinen. Die Resorption von Mg2+ und Ca2+ scheinen kompetitiv zu sein, da Ca2+-Mangel die renale Mg2+-Ausscheidung herabsetzt. Wie aus Tabelle 12.2 hervorgeht, spielt sich die renale Resorption des Phosphates hauptsächlich im proximalen und geringerem Umfang im frühdistalen Teil des Nephrons ab, während die spätdistalen Nephronabschnitte keine Rolle zu spielen scheinen. Die Ausscheidung im Endharn beträgt 10 bis höchstens 20 % der glomerulär filtrierten Menge. Ähnlich der Glucose, den Aminosäuren und anderen organischen Substraten wird das HPO42– im proximalen Konvolut sehr intensiv im Cotransport mit Na+ resorbiert. In letzter Zeit sind zwei Na+/HPO2– 4 -Cotransporter in der Bürstensaummembran der Epithelzellen dieser Region identifiziert und kloniert worden. Sie gehören zu den auch hinsichtlich ihrer Regulation am besten untersuchten Elektrolyt-Transportsystemen, weshalb auf sie näher eingegangen wird. Der TypI- und der TypII-Na+/HPO42–-Cotransporter sind in Abbildung 12.10 dargestellt. Der TypI-Transporter, der außer in der Niere auch in der Leber exprimiert wird, akzeptiert außer HPO42– auch andere Anionen als Substrat und die Anzahl der cotransportierten Na+-Ionen ist nicht bekannt. Die Resorption durch den TypI-Transporter ist nicht pH-abhängig und wird von der alimentären Aufnahme von Phosphaten nicht beeinflusst. Die physiologische Bedeutung dieses Transportsystems für die Rückgewinnung des Phosphates aus dem Primärharn bedarf der weiteren Klärung. Der TypII-Transporter ist für die physiologische Regulation der HPO42–-Resorption im proximalen Tubulus – und damit für die Phosphatbilanz – ausschlaggebend. Seine Funktion ist pH-abhängig, die Transportrate erhöht sich mit steigendem pH-Wert im Tubuluslumen. Der TypII-Transporter befördert 1 HPO42– mit 3 Na+-Ionen in die Epithelzelle, ist also elektrogen. Weiterhin steht er unter dem Einfluss des Parathormons. Die alimentäre Phosphatversorgung beeinflusst die Transportkapazität des TypII-Cotransporters im Sinne einer akuten und chronischen Adaptation. Bei niedriger Phosphatzufuhr erhöht sich die maximale Transportkapazität und damit die Rückgewinnung des Phosphates. Wahrscheinlich beruht dies darauf, dass unter diesen Bedingungen eine erhöhte Anzahl an Transportproteinen in die Bürstensaummembran eingefügt wird.
560
12.10
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
TypI- und TypII-Na+/HPO42–Cotransporter in den Epithelzellen des proximalen Tubulus
12.2.3 Der Organismus des Menschen kann Protonen ausschließlich über die Nieren eliminieren Es wurde bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass die Konstanthaltung des extraund intrazellulären pH-Wertes in einem relativ engen physiologischen Bereich von vitalem Interesse ist (siehe insbesondere Abschnitt 1.3.2.7 und 8.3.7 bis 8.3.9). Die Homöostase des Säure-Basen-Haushaltes wird vorübergehend durch die Existenz von extra- und intrazellulären Puffersystemen garantiert, die den täglich entstehenden Protonenüberschuss ohne weiteres abpuffern können. Um die Puffer zu regenerieren, müssen jedoch die Protonen aus dem Organismus eliminiert werden, wozu einzig und allein die Niere befähigt ist. Mehrere Wege der H+-Abgabe in das Tubuluslumen wurden bereits vor allem im Zusammenhang mit der Na+-Resorption erwähnt. Im folgenden sei die Ausschleusung der Protonen in den einzelnen Abschnitten des Tubulus systematisch zusammengefasst. Der pH-Wert des Primärharns entspricht dem Blut-pH-Wert von etwa 7,4. In das glomeruläre Filtrat werden kaum Protonen abgegeben. Die 0,06 mol Protonen, die im Durchschnitt täglich im Endharn zur Ausscheidung gelangen (Tabelle 12.1), werden in verschiedenen Abschnitten des Tubulus in das Lumen sezerniert.
12 Die Niere als Ausscheidungsorgan
561
Bereits frühproximal werden mit dem schon erwähnten Na+/H+-Antiporter Protonen in das Tubuluslumen transportiert. Es handelt sich dabei um einen elektroneutralen 1:1-Austausch, der sekundär aktiv ist und durch den von der Na+/K+-ATPase generierten Na+-Gradienten angetrieben wird. Ein Abfall des intrazellulären pH-Wertes fördert erwartungsgemäß den H+-Export. Spätproximale Tubuluszellen besitzen auch eine primär aktive H+-ATPase. Durch die Tätigkeit der H+-exportierenden Systeme sinkt der pH-Wert bereits im Filtrat des proximalen Tubulus auf 6,5 bis 6,8. Pro luminal sezernierten H+ bleibt jeweils ein Basenäquivalent in der Tubuluszelle zurück, woraus durch die katalytische Wirkung der cytosolischen Carboanhydrase II – wie in Abbildung 12.7 dargestellt – zunächst HCO3– und teilweise auch CO32– entsteht. Ein baso-lateral lokalisierter Symporter transportiert Na+, HCO3– und CO32– in einem 1:1:1-Verhältnis ins Blut. Das System dient also nicht nur zur Eliminierung von H+ in das Tubulusfiltrat, sondern auch zur Rückgewinnung von Bicarbonat, das bekanntlich Teil des wichtigsten Blutpuffers ist (Abschnitt 8.3.8). Es unterstützt somit mehrfach die Regulierung des Säure-Basen-Haushaltes. Auch im dicken aufsteigenden Teil der Henle-Schleife sorgt ein Na+/H+-Austauscher für weitere H+-Sekretion. Im Verbindungsstück und im Sammelrohr ist eine H+/K+-ATPase lokalisiert, die bereits im Zusammenhang mit der K+-Resorption erwähnt wurde (Abbildung 12.9), und die ebenfalls H+-Ionen in den Harn transportiert. Durch die zusätzliche Pumpwirkung einer H+-ATPase, die sich ebenfalls in der luminalen Membran dieser Zellen befindet, sinkt der pH-Wert des Endharns unter 5,0. Das Bicarbonat, das nach Abgabe des H+ auch in dieser Zelle zurückbleibt, wird durch einen baso-lateralen HCO3–/Cl–-Austauscher in das blutseitige Interstitium befördert. Das Cl– verlässt dann die Zelle durch Cl–-Kanäle.
12.2.3.1 Puffersysteme im Tubuluslumen verhüten die Übersäuerung des Harns Im Organismus eines Erwachsenen entstehen je nach Ernährungsweise 40 bis 80 mmol, das heißt im Durchschnitt 60 mmol Protonen pro Tag, die renal eliminiert werden müssen. Wäre diese Protonenmenge in dem durchschnittlichen täglichen Harnvolumen von 1,5 Liter auszuscheiden, so läge der pH-Wert in diesem Harn bei 1,4 (entsprechend 40 mmol H+ × L–1). Tatsächlich erreicht jedoch der pH des Harns niemals diesen niedrigen Wert, sondern schwankt zwischen 4,4 – als dem niedrigst möglichen pH-Wert – und 8,0. Bekanntlich liegt der mittlere physiologische pH-Wert des Blutplasmas – und damit auch des Primärharns – bei 7,4, was einer H+-Konzentration von 40 nmol × L–1 entspricht. Ein Harn mit dem niedrigst möglichen pH-Wert von 4,4 enthält entsprechend 40 000 nmol H+ pro Liter. Während des Durchgangs durch den tubulären Apparat kann sich somit die Protonenkonzentration maximal um den Faktor 1 000 erhöhen. Die täglich entstehende Menge von 60 mmol – das heißt 60 Millionen nmol – Protonen kann dennoch in einem Volumen von circa 1,5 Liter Endharn ausgeschieden werden. Dies ist auf die Anwesenheit von Puffern im Harn zurückzuführen, die die Protonen abfangen und damit die weitere Sekretion ermöglichen. Im Harn gibt es zwei Puffersysteme, die diese Aufgabe übernehmen: das Dihydrogenphosphat/Hydrogenphosphat-System und das Ammonium/Ammoniak-System. Der H2PO4–/HPO42–-Puffer ist bereits im Glomerulus-Filtrat in einer Konzentration von etwa 1 mmol × L–1 vorhanden und liegt bei pH 7,4 zu 80 % als HPO42– und zu 20 % als H2PO4– vor. Der pK’-Wert dieses Puffers von 6,80 ist für die Pufferung günstig (Abschnitt 8.3.8). Bei pH 4,5 werden bis zu 50 % der H+ im Harn durch dieses System ab-
562
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
gepuffert, das Phosphat wird dabei fast vollständig in H2PO42– umgewandelt. Die Menge der abgepufferten Protonen lässt sich durch Titration als titrierbare Acidität des Harns quantitativ erfassen. Die Kapazität des Phosphatpuffers ist allerdings trotz des günstigen pK’-Wertes relativ gering, da die Verfügbarkeit des Phosphates im Harn begrenzt ist. Der NH4/NH3-Puffer hat einen unvorteilhaften pK’-Wert von 9,4. Er wäre also – als geschlossenes System – kein guter Puffer. Da jedoch die gasförmige Komponente des Puffers, das NH3, durch den Stoffwechsel der Tubuluszellen beinahe unbegrenzt nachgeliefert werden kann, hat er den Charakter eines offenen Puffersystems und erlangt insbesondere bei acidotischer Stoffwechsellage große Bedeutung. Die NH3(NH+4 )* -Konzentration ist im arteriellen Blut mit 20 bis 60 μmol × L–1 sehr niedrig. Entsprechend niedrig ist auch seine Konzentration im Glomerulusfiltrat. Im Nierenvenenblut ist sie mit circa 70 μmol × L–1 höher, was bereits darauf hinweist, dass die Tubuluszellen NH3 produzieren, das auch in das peritubuläre Blut gelangt. Bei der Entstehung von NH3 in den Nieren handelt es sich um eine Kooperation des Organs mit der Leber, die in Abbildung 12.11 skizziert ist. In der Leber, in der sich bekanntlich ein lebhafter Aminosäure-Abbau abspielt, entstehen pro Tag etwa 1 000 mmol NH3, wovon normalerweise circa 95 % zur Harnstoffsynthese verwendet werden (Abschnitt 9.4.2.3). Von den restlichen 5 % wird ein kleiner Teil als NH3 abgegeben und die verbleibende Menge bei der Synthese von Glutamin auf Glumat fixiert (Abschnitt 9.4.2.2).
12.11
Interaktion zwischen Leber und Niere bei der Ammoniak-Produktion
* Im wässrigen Milieu liegt das Ammoniak (NH3) hauptsächlich als Ammonium-Ion (NH+4 ) vor.
12 Die Niere als Ausscheidungsorgan
563
Dieser Anteil ist bei acidotischer Stoffwechsellage etwas höher, da in diesem Fall ein relativer Mangel an Bicarbonat, das bei der Harnstoffsynthese als Reaktionspartner fungiert, gegeben ist. Somit erlangt die Synthese des Glutamins gegenüber der Harnstoffsynthese einen Vorteil. Das Glutamin gelangt aus der Leber in das Blut, wo es die Aminosäure mit der höchsten Konzentration darstellt (600 bis 800 μmol × L–1). Ähnlich dem intestinalen Gewebe entnehmen die Tubuluszellen der Nieren diese Aminosäure bevorzugt dem Blut und verwerten sie sowohl zur Energiegewinnung als auch zur Gluconeogenese (Abschnitt 9.3.2). Die Metabolisierung des Glutamins geht mit der Abspaltung sowohl des Amidals auch des Amino-Stickstoffs – in einem Verhältnis von zwei zu eins – einher. Etwa 60 % des NH3, das im Harn erscheint, stammt aus dem Abbau des Glutamins. Die restlichen 40 % werden von sonstigen, ebenfalls nicht essentiellen Aminosäuren – vor allem Alanin, Serin, Glycin und Aspartat – geliefert. Das Glutamin, das auf dem Blutweg an die Nieren gelangt, stammt überwiegend aus der Leber, wenn auch andere Organe Glutamin an das Blut abgeben. Das glomerulär filtrierte Glutamin wird durch die Epithelzellen des Tubulus aus dem Filtrat durch die luminale Membran resorbiert. Bei alkalotischer Stoffwechsellage tritt das Glutamin aus den Epithelzellen zum größten Teil unverändert in das peritubuläre Blut über. Bei acidotischer Stoffwechsellage dagegen wird zusätzliches Glutamin aus dem peritubulären Blut von der baso-lateralen Seite her in die Tubuluszellen aufgenommen. Da unter diesen Bedingungen zur Pufferung im Harn NH3 zur Verfügung gestellt werden muss, erfolgt eine intensive Desaminierung des Glutamins. Die Freisetzung der beiden NH3 aus dem Glutamin katalysieren in der Niere zwei Enzymsysteme: die Glutaminase I und die Glutaminase II. Die mitochondriale Glutaminase I spaltet das Amid-NH3 ab und das entstandene Glutamat wird dann durch die reversibel katalysierende Glutamat-Dehydrogenase in α-Ketoglutarat überführt, wobei das α -Amino-NH3 abgespalten wird (Abschnitt 9.4.2.1). Bei der Glutaminase II handelt es sich um einen Enzymkomplex, der die in Abbildung 12.12 dargestellte Re-
12.12
Freisetzung von Ammoniak aus Glutamin durch den Glutaminase II-Komplex
564
12.13
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Entstehung von Ammoniak aus Glutamin und seine Ausscheidung in das Tubuluslumen
aktionsfolge katalysiert. Bei der ersten Teilreaktion handelt es sich um eine Transaminierung, bei der zweiten um die hydrolytische Abspaltung des Amido-NH3 vom Zwischenprodukt α-Ketoglutaramat. Abbildung 12.13 fasst die zellulären Ereignisse nach der Desaminierung des Glutamins durch die Glutaminase I und nachfolgend durch die Glutamat-Dehydrogenase zusammen. Beide Möglichkeiten des Eintritts von Glutamin werden gezeigt: Luminal erfolgt er durch den gruppenspezifischen Na+/Aminosäure-Cotransporter, baso-lateral durch einen Uniporter, der prinzipiell in beiderlei Richtungen transportiert. Die abgespaltenen Aminogruppen liegen im wässerigen Milieu der Zelle als NH+4 vor. Nach
12 Die Niere als Ausscheidungsorgan
565
neueren Untersuchungen tritt ein erheblicher Anteil des NH+4 in ionisierter Form in das Tubuluslumen über und zwar über den Na+/H+-Austauscher, dessen H+-Bindungsstelle auch das NH+4 als Liganden akzeptiert. Ein Teil des NH+4 dissoziiert intrazellulär zu NH3 und H+. Beide Produkte erreichen getrennt voneinander das Tubuluslumen, das H+ durch den Na+/H+-Austauscher und das NH3 durch nicht-ionische Diffusion. Im Tubuluslumen treten sie wieder zu NH+4 zusammen. Die NH+4 -Sekretion im proximalen Tubulus erreicht eine so hohe Intensität, dass am Ende dieses Abschnitts etwa neunmal mehr NH+4 als im Ultrafiltrat vorhanden ist. Allerdings wird ein Teil des NH+4 in den distalen Abschnitten des Tubulus resorbiert und erst wieder in das Sammelrohr, wo meistens ein niedriger pH-Wert herrscht, sezerniert. Durchschnittlich erreichen etwa 80 % des proximal sezernierten NH+4 den Endharn. Die Menge des täglich im Harn ausgeschiedenen Ammoniaks schwankt zwischen 30 und 50 mmol. Die Ammoniakproduktion kann auf die Menge der zu eliminierenden Protonen eingestellt werden. Bei Alkalose kann sie vollkommen unterbrochen sein, bei schwerer Acidose auf bis zu 500 mmol pro Tag gesteigert werden. Für die längerfristige Regulation des Säure-Basen-Haushaltes ist es wichtig, dass die Bildung und Sekretion des NH+4 im proximalen Tubulus innerhalb von ein bis zwei Tagen auf das Mehrfache gesteigert werden kann, wenn – aus welchen Gründen auch immer – eine acidotische Stoffwechsellage eintritt. Es werden mehrere Faktoren diskutiert, die diese Erscheinung erklären könnten. Die bereits erwähnte Drosselung der Harnstoffsynthese als Folge eines relativen Bicarbonatmangels dürfte eine der Hauptursachen sein, da damit eine verstärkte Anlieferung von Glutamin an die Niere verbunden ist. Weiterhin wird der Aktivierung der Gluconeogenese aus dem α-Ketoglutaratrest des Glutamins (siehe Abbildung 12.13), die bei niedrigem intrazellulärem pH-Wert eintritt, eine Bedeutung beigemessen. Weiterhin steigt die Aktivität der Glutaminase, möglicherweise infolge induktiver Wirkung eines niedrigen pH-Wertes, an.
12.2.4 Die Nieren sind sowohl für die Ausscheidung zahlreicher Kataboliten des Stoffwechsels als auch für die Exkretion von Xenobiotica zuständig Beim ständigen Umsatz von Nährstoffen und von organischen Bausteinen des Organismus entstehen außer CO2 und H2O zahlreiche Produkte, deren Eliminierung einzig und allein oder zumindest überwiegend renal erfolgen muss, sie sind harnpflichtig. Ausreichende Löslichkeit im Wasser ist die Grundvoraussetzung dafür, dass eine Substanz im Harn ausgeschieden werden kann. Manche der im Harn enthaltenen Verbindungen sind a priori wasserlöslich, andere müssen durch entsprechende Modifikationen am Molekül in wasserlösliche Form umgewandelt werden. Der Menge nach dominieren unter den harnpflichtigen Substanzen die stickstoffhaltigen Verbindungen, deren Hauptvertreter in Tabelle 12.3 aufgelistet sind.
12.2.4.1 Harnstoff ist der quantitativ überwiegende Feststoff im Endharn Das Trockengewicht der im Harn täglich ausgeschiedenen Substanzen beträgt 50 bis 72 g, wovon etwa die Hälfte, das heißt 20 bis 35 g auf den Harnstoff entfällt. Wie in Abschnitt 9.4.2.3 ausführlich besprochen, wird der Harnstoff in der Leber synthetisiert
566
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 12.3: Im Endharn täglich ausgeschiedene Menge einiger stickstoffhaltiger Verbindungen Verbindung
Menge
Harnstoff1
20 bis 35 g
Harnsäure2
0,3 bis 2,0 g
Kreatinin3
1,0 bis 1,5 g
Porphobilinogen
< 2,4 mg
Koproporphyrine
< 280 μg
Uroporphyrine
< 20 μg
Aminosäuren
1 bis 2 g
Proteine
3 bis 40 mg
1) von der Proteinzufuhr und der Stoffwechsellage abhängig 2) von der alimentären Purinzufuhr abhängig 3) geschlechtsabhängig; Männer: 160 – 280 μmol × kg–1 KöGew. Frauen: 88 – 222 μmol × kg–1 KöGew.
und ist die Hauptausscheidungsform des Stickstoffs, der beim Abbau der Aminosäuren anfällt. Durch die kovalente Fixierung des Ammoniaks in sehr großen Mengen dient die Harnstoffsynthese beim Menschen vor allem der Eliminierung des hochtoxischen NH3. Wie Tabelle 12.1 zeigt, wird allerdings nicht die gesamte glomerulär filtrierte Menge des Harnstoffs im Endharn ausgeschieden, sondern nur etwa die Hälfte oder höchstens zwei Drittel davon. Ein Teil des Harnstoffs wird also im tubulären Apparat resorbiert. Für die Resorption des Harnstoffs existieren in bestimmten Bezirken des tubulären Apparates Harnstoff-Transporter, die als Uniporter nach dem Prinzip der erleichterten Diffusion funktionieren. Es sind bisher drei solche Transporter – UT 1, UT 2 und UT 3 – identifiziert und kloniert worden. UT 2 ist vor allem in der absteigenden HenleSchleife, UT 3 in dem absteigenden V. rectum lokalisiert. UT 1 befindet sich in der apikalen Membran der terminalen Sammelrohre des inneren Marks und vermittelt unter der Kontrolle des Adiuretins die Resorption des Harnstoffs. Die Rückgewinnung des Harnstoffs spielt eine zentrale Rolle im Prozess der Harnkonzentrierung. Etwa die Hälfte des glomerulär filtrierten Harnstoffs wird im proximalen Tubulus resorbiert. Die anschließende Henle-Schleife durchquert das Interstitium des Nierenmarks, wo die Harnstoff-Konzentration hoch ist, so dass der Harnstoff in das Lumen der dünnen Henle-Schleife eintritt. Die weiteren distalen Teile des Tubulus sowie die Sammelrohre im Cortex und im äußeren Mark sind für den Harnstoff undurchlässig. Da in diesen Teilen des Nephrons Wasser aus dem Lumen resorbiert wird, erhöht sich dort die Konzentration des Harnstoffs stark, so dass er weitgehend das NaCl als osmotisch wirksame Komponente der Tubulusflüssigkeit ersetzt. Die Wände des papillären Sammelrohres sind – in Gegenwart von Adiuretin – für den Harnstoff wieder durchlässig. Er strömt mit Hilfe des UT 1-Transporters entlang des hohen Harnstoffgradienten in das Interstitium des inneren Marks. Wieviel Harnstoff im Endharn schließlich ausgeschieden wird, hängt nicht zuletzt vom Harnfluss ab. Ein großes Harnvolumen ist mit der Exkretion von viel Harnstoff verbunden, ein geringes Volumen bewirkt das Gegenteil.
12 Die Niere als Ausscheidungsorgan
567
12.2.4.2 Auch zahlreiche andere Stoffwechselprodukte sind ausscheidungspflichtig Eine weitere N-haltige Verbindung, die mit 0,3 bis 2,0 g pro Tag in relativ großer Menge renal ausgeschieden wird, ist die Harnsäure (Urat). Die Harnsäure ist das Endprodukt des Purinstoffwechsels und die täglich ausgeschiedene Menge hängt sowohl von der alimentären Zufuhr als auch von der Rate der Wiederverwertung der Purinbasen im Organismus ab (Exkurs 12.1).
EXKURS 12.1 Woher stammt die Harnsäure? Als ureotelisches Lebewesen scheidet der Mensch den größten Teil des Stickstoffs, der nicht anabol wiederverwertet werden kann, in Form von Harnstoff im Urin aus. Bei der Harnstoffsynthese wird Ammoniak eingesetzt, das vor allem aus dem Katabolismus der Aminosäuren stammt. Weitere Gruppen von N-haltigen Verbindungen, die im Stoffwechsel in bedeutenden Mengen umgesetzt werden, sind die Pyrimidinund Purinnucleotide. Die Abbauwege der Pyrimidin- und Purinbasen unterscheiden sich voneinander. Der Pyrimidinring wird vollständig aufgespalten und als Endprodukt entstehen kurzkettige oxidierbare Verbindungen sowie NH3. Letzteres kann zur Harnstoffsynthese verwertet werden. Das Ringsystem der Purine wird nicht gespalten und die vier darin enthaltenen Stickstoffatome sind auch im Endprodukt des Purinabbaus, in der Harnsäure vorhanden. Abbildung 1 zeigt den Abbau der Purine am Beispiel des Adenosins und des Guanosins. Das Adenosin enthält neben den vier N-Atomen im Ringsystem eine NH2Gruppe am Sechserring. Diese wird im ersten Schritt durch die Adenosin-Desaminase als Ammoniak abgespalten. Vom dabei entstandenen Inosin spaltet die Purinnucleosid-Phosphorylase die Ribose phosphorylytisch ab. Das Produkt dieses Reaktionsschrittes, das Hypoxanthin wird durch die Xanthin-Oxidase, – ein Molybdän-haltiges Enzym – zu Xanthin oxidiert. Bei dieser Reaktion entsteht ein Superoxidradikal als Zwischenstufe, und daraus H2O2. In einem zweiten Schritt oxidiert dasselbe Enzym das Xanthin zur Harnsäure. Der Abbau des Guanosins beginnt mit der phosphorylytischen Abspaltung der Ribose durch die Purinnucleosid-Phosphorylase. Das entstandene Guanin hat am Sechserring eine NH2-Gruppe als Substituenten. Diese wird durch die Guanase als NH3 abgespalten, wobei ebenfalls Xanthin entsteht. Dessen Oxidation führt – wie im Falle des Adenosins – ebenfalls zu Harnsäure in der Ketoform. Diese Form steht mit der Enolform im Gleichgewicht, aus der beim physiologischen pH-Wert durch Abgabe eines H+ Urat gebildet wird. Die Harnsäure ist im Wasser weitgehend unlöslich. Auch die Uratsalze (pK⬘=5,4), die beim physiologischen pH-Wert vorherrschen, haben nur eine geringfügige Löslichkeit. Zur Katabolisierung von Purinen ist jede Zelle befähigt. Die Harnsäure wird im Blut an Proteine gebunden transportiert. Bei normaler Nierenfunktion wird sie im Urin quantitativ ausgeschieden, die intestinale Ausscheidung ist unbedeutend. Wie im Kapitel 12 erwähnt, wird die Harnsäure im proximalen Tubulus der Niere sowohl resorbiert als auch sezerniert. Das Transportsystem, das für die Harnsäuresekretion zuständig ist, ist relativ unspezifisch. Auch andere organische Säuren, wie Lactat, Acetoacetat, β-Hydroxybutyrat und verzweigtkettige Aminosäuren werden durch das
䊳
568
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
O
NH2 N
N N
H2O NH3 N 1
N
O N
N
Rib
N
N
N
H2N
N
Rib
Adenosin
N Rib
Guanosin
Inosin Pi
Pi 2
Rib
2 Rib
P O
N
O
O O2; H2O
N
N
P
N
N
N H
O2 2H+
O
N
NH3 H2O
N
N 4
N H
H2N
N
N H
3 Hypoxanthin
Guanin
Xanthin H2O O2 O2 2H+
OH N HO
OH N
N
N H
Harnsäure (dissoziiert: pk=5.4)
1 Adenosin-Desaminase
HO
O N
N
O- + H+
OH N
3
N H
Harnsäure (Enolform)
2 Nucleosid-Phosphorylase
H N
HN O
O N H
N H
Harnsäure (Ketoform)
3 Xanthin-Oxidase
4 Guanase
Abb. 1 Abbau der Purine zu Harnsäure
System sezerniert und interagieren mit der Harnsäuresekretion. In einem stark konzentrierten Urin kann die Harnsäure 20- bis 30-fach konzentrierter sein als im Blut. Infolgedessen können sich beachtliche Mengen an ebenfalls schwerlöslichen Caund Na-Uraten bilden, die sich im Nierenmark ablagern und zur Schädigung der Nierenfunktion führen. Bei hohem Harnsäureangebot, das auch alimentär bedingt sein kann, und/oder bei gestörter Harnsäureausscheidung kommt es zur Uricämie, mit Harnsäurespiegeln über 0,4 mmol · L–1 Blut. Die schwerlöslichen Uratkristalle lagern sich bevorzugt in den Gelenken und den Sehnenscheiden ab und es kommt zu sehr schmerzhaften Gichtanfällen. Man unterscheidet zwischen primärer und sekundärer Uricämie. Bei der primären Uricämie handelt es sich um angeborene Störungen des Purinstoffwechsels, wobei sowohl die Biosynthese als auch die Ausscheidung von Harnsäure betroffen sein kann. Bei den sekundären Formen handelt es sich um Folgen von Erkrankungen, bei denen vermehrt Zellen untergehen und damit übermäßig viel an Purinbasen zum Abbau bereit steht. Als weitere Ursachen der sekundären Uricämie kommen erworbene Nierenerkrankungen in Frage, durch die die Harnsäureausscheidung behindert ist.
12 Die Niere als Ausscheidungsorgan
569
Die Harnsäure wird im proximalen Tubulus sowohl resorbiert als auch sezerniert. Wie Tabelle 12.1 zeigt, werden von der täglich glomerulär filtrierten Menge etwa 10 % renal eliminiert. In stark konzentriertem Urin kann die Harnsäure-Konzentration 20- bis 30-fach höher liegen als im Blutplasma. Dies hat zur Folge, dass sich mit den Kationen im Harntrakt – insbesondere mit Na+ und Ca2+ – sehr schwer lösliche Urate bilden. Diese lagern sich als Uratsteine im Nierenmark ab und verursachen schwerwiegende Störungen der Nierenfunktion. Das Kreatinin, von dem täglich 1,0 bis 1,5 g im Endharn erscheinen, entsteht aus dem Kreatin, dessen Rolle im Muskelstoffwechsel eingehend besprochen wurde (Abschnitt 11.2.4). Das Kreatinin gelangt fast ausschließlich durch glomeruläre Filtration in den Harn, die tubulär sezernierte Menge fällt gegenüber der filtrierten bei der gesunden Niere nicht ins Gewicht. Da das Kreatinin auch nicht resorbiert wird, sind die täglich im Endharn ausgeschiedene Menge an Kreatinin und die glomerulär filtrierte Menge identisch. Das Kreatinin erfüllt somit – wenn auch nicht so ideal wie das Inulin – die Anforderungen, die an eine Substanz gestellt werden, mit deren Hilfe die glomeruläre Filtrationsrate und die renale Clearance* bestimmt werden. Eine derartige Substanz muss frei filtrierbar sein, nicht resorbiert und im Tubulus weder gebildet noch abgebaut werden. Die täglich ausgeschiedene Kreatininmenge ist direkt proportional der Muskelmasse und für ein bestimmtes Individuum konstant. Das Harn-Kreatinin dient daher als quantitative Bezugsgröße für andere Harnbestandteile. Die in der Tabelle 12.3 ebenfalls aufgelisteten Porphobilinogen, Koproporphyrine und Uroporphyrine sind Vorstufen bei der Hämsynthese und ihre Menge im Urin hat Indikatorcharakter bei der Differentialdiagnose der Störungen der Hämsynthese. Auch weitere in der Liste nicht erwähnte N-haltige und nicht-N-haltige Substanzen im Urin haben derartige Indikatorfunktionen, zum Beispiel Hydroxyprolin und Hydroxylysin für den Stoffwechsel des Bindegewebes, sowie das 3-Methylhistidin für den Muskelproteinumsatz. Eine erhöhte Menge der im Harn ausgeschiedenen Ketonkörper, die normalerweise zwischen 30 und 150 mmol liegt, kann auf eine diabetische Stoffwechsellage hindeuten. Die lange Reihe ausscheidungspflichtiger Substanzen umfasst unzählige körpereigene und körperfremde Moleküle und Ionen. Das sehr große Volumen des Primärharns ist wahrscheinlich teleologisch zu erklären, da diese riesige Menge an Lösungsmittel auch schlecht wasserlöslichen und nur in Spuren vorhandenen Substanzen die Gelegenheit bietet, den Organismus zu verlassen, bevor ihre Akkumulation Schaden anrichtet. Da die glomeruläre Filtration ein passiver Vorgang ist, ist sie auch nicht selektiv. Praktisch alle im Plasmawasser gelösten Substanzen, die die Filtrationsbedingungen hinsichtlich ihrer Größe erfüllen, erscheinen im Primärharn. Wesentlich effektiver gelingt die Elimination von Substanzen, wenn sie zusätzlich proximal sezerniert werden. Bei manchen Verbindungen übertrifft die sezernierte Menge die glomerulär filtrierte um das Vielfache. Tabelle 12.4 enthält einige wenige Beispiele von körpereigenen Verbindungen und von Xenobiotica, die in den proximalen Tubulus sezerniert werden. Sie sind als organische Anionen und Kationen sowie als Konjugate gruppiert. Die Konjugatbildung gehört zu den sogenannten Biotransformationsreaktionen, die hauptsächlich in der Leber stattfinden. Sie haben den Zweck apolare, lipophile und * Als renale Clearance wird jenes Plasmavolumen definiert, das pro Zeiteinheit von einer bestimmten Substanz befreit wird (Dimension: ml × min–1).
570
Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
Tabelle 12.4: Einige organische Säuren und Basen, sowie Konjugate, die im proximalen Tubulus sezerniert werden Endobiotica
Organische Anionen
Organische Kationen
Gallensalze, Oxalat, Prostaglandine, Hippursäure, cAMP
Adrenalin, Acetylcholin, Dopamin, Histamin, Serotonin, N’-Methylnicotinamid
Pharmaka und andere Xenobiotica Penicilline, Cephalosporine, Saccharin, Salicylat
Atropin, Chinin
Konjugate von Endo- und Xenobiotica x-Glucuronat, S-x-Glutathion, N-Acetyl-S(x)-Cystein, x-Sulfat, x-Taurin
damit in der wässrigen Phase des Harns nur außerordentlich langsam ausscheidbare Verbindungen in polare, wasserlösliche Substanzen umzuwandeln, die dann leicht über den Harn ausgeschieden werden können. Substrate der Konjugatbildung können sowohl Endobiotica, das heißt körpereigene Substanzen, wie Steroide oder Bilirubin sein, als auch Xenobiotica, wie Konservierungsmittel, Pharmaka oder Umweltkontaminanten. Die wichtigsten Konjugationspartner sind: Glucuronsäure, Sulfat, Taurin und Glycin.
12.3 Der renale Stoffwechsel weist einige Besonderheiten auf Wie in diesem Kapitel dargelegt, ist die gesamte hochspezifizierte Dauerleistung der Nieren auf die Exkretion ausgerichtet. Diese Funktion wirkt in mancherlei Hinsicht prägend auf den gesamten Stoffwechsel des Organs. Die Nieren haben einen hohen Bedarf an ATP, das fast ausschließlich zur Energieversorgung der Transportprozesse verwendet wird. Die Energiegewinnung erfolgt in der Nierenrinde ausschließlich auf oxidativem Weg, im Nierenmark teilweise auch anaerob. In der Nierenrinde dienen vor allem freie Fettsäuren und Ketonkörper als energetisch verwertbare Substrate. Da die Fettsäuren im Plasma an Albumin gebunden sind, werden sie glomerulär nicht filtriert. Sie treten also durch die baso-laterale Membran in die Epithelzellen ein. Die Ketonkörper dagegen, die in den Primärharn übertreten, werden sowohl von der Blutseite als auch vom Lumen aus durch MonocarboxylatTransporter in die Zelle aufgenommen. Bei ketotischer Stoffwechsellage (Hunger, Diabetes) werden bis zu 60 % der in der Niere resorbierten Ketonkörper energetisch verwertet. Wie bereits in Abschnitt 12.2.2.1 dargelegt, sind die Epithelzellen des proximalen Tubulus befähigt die glomerulär filtrierte Glucose beinahe vollständig zurückzugewinnen. Die Ausstattung dieser Zellen mit glykolytischen Enzymen ist allerdings minimal,
12 Die Niere als Ausscheidungsorgan
571
so dass sie die resorbierte Glucose nicht für den eigenen Stoffwechsel verwerten, sondern an das peritubuläre Blut weitergeben. Die Zellen dieses nephronalen Abschnittes wirken nicht nur Glucose konservierend, sondern synthetisieren auch Glucose, da sie eine hochaktive Ausstattung mit gluconeogenetischen Enzymen aufweisen. Die pro Zellmasse bezogene Gluconeogeneserate der proximalen Tubuluszellen übertrifft diejenige der Hepatocyten. Der Beitrag der renalen Gluconeogenese zur Glucoseversorgung des Gesamtorganismus soll bedeutend sein, obwohl die produzierende Zellmasse sehr klein ist. Die Gluconeogenese ist auf die Epithelzellen des proximalen Tubulus beschränkt und steigt, wie bereits erwähnt, bei acidotischer Stoffwechsellage an, da durch die Desaminierung des Glutamins und des Glutamats das α-Ketoglutarat als gluconeogenetisches Substrat übrigbleibt. Sonstige Substrate der renalen Gluconeogenese sind Lactat, Glycerin sowie Alanin und Serin. Die Niere gehört zu jenen Organen, die Fructose in Glucose umwandeln können. Die weiter distal gelegenen Bezirke des Nephrons sind zur Glykolyse befähigt. Die Aktivität der glykolytischen Enzyme steigt mit der Entfernung vom Glomerulus kontinuierlich an und ist in den Epithelzellen der Sammelrohre am höchsten. Der proximale Tubulus der Nieren ist der Hauptort für den Abbau von Peptidhormonen. Größere Peptide mit Disulfidbrücken, wie das Insulin, werden durch Endocytose in die Epithelzellen des proximalen Tubulus internalisiert und lysosomal zu Aminosäuren abgebaut. Die Bürstensaummembran dieser Zellen besitzt eine Reihe von Aminopeptidasen mit lumenwärts gerichteten Bindungsstellen, so dass auch eine intraluminale „Verdauung“ von Peptiden mit anschließender Resorption der Aminosäuren stattfindet.
12.4 Die Nieren haben auch endokrine Funktionen Im Verlauf der Besprechung der Nierenfuktionen wurden bereits einige Hormone erwähnt, die in diese regulierend eingreifen. Die Niere ist jedoch nicht nur Zielorgan sondern auch Produktionsstätte von Hormonen, die sie an das Blut abgibt; sie ist also auch eine endokrine Drüse. Die Synthese des 1α ,25-Dihydroxycholecalciferols oder Calcitriols und deren Regulation wurde in Abschnitt 1.4.5.4 ausführlich besprochen. An dem Syntheseprozess nehmen die Haut, die Leber und die Nieren teil. In der Niere findet die zweite Hydroxylierung des Steroids durch die mitochondriale 25(OH)D-1α-Hydroxylase statt, wobei die hormonell wirksame Form der Verbindung entsteht. Das Erythropoetin wird beim Erwachsenen zu 90 % wahrscheinlich in den Kapillarendothelzellen und/oder in den Fibroblasten in der Nierenrinde produziert. Welche Zellen die Aufgabe der Synthese haben, wird konträr diskutiert. Die restlichen 10 % des Erythropoetins stammen aus der Leber. Die Synthese und Exkretion werden durch Verminderung des O2-Partialdrucks im Interstitium des Nierencortex ausgelöst. Den gleichen Effekt hat die Verringerung der Hämoglobinkonzentration bei gleichbleibendem pO2. Es ist eine interessante Frage, warum gerade die Niere als Sensor für die Ausschüttung des Erythropoetins dient. Möglicherweise erklärt dies der bereits erwähnte, durch Autoregulation konstant gehaltene, Blutdruck in der Niere. Beim Erythropoetin handelt es sich um ein Glykoprotein aus 166 Aminosäuren, das seine hormonelle Wirkung bei der Erythropoese im Knochenmark entfaltet. Auch ein weiterer hämato-
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Teil II: Regulation des Metabolismus der Nährstoffe auf der Ebene des Organismus
poetischer Faktor, das Thrombopoetin, das die Bildung von Megakaryocyten und damit von Thrombocyten stimuliert, stammt wahrscheinlich aus der Niere. Die Granulazellen des juxtaglomerulären Apparates sind Syntheseorte des Renins. Renin ist allerdings kein Hormon, sondern ein proteolytisches Enzym, das – wie in Abschnitt 1.4.5.2 besprochen – das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System in Gang setzt, und damit für die Entstehung des Steroidhormons Aldosteron in der Nebennierenrinde als Initialzünder dient. Das Renin wird aus den Nieren in das Blut abgegeben, wenn der Druck in den renalen Arterien absinkt. Außer den systemisch wirkenden Hormonen produziert die Niere auch lokal, im Organ selbst wirksame Faktoren. Prostaglandine – vor allem PGE2 – werden im Nierenmark gebildet und wirken dort vasodilatatorisch. Hierdurch wird die Filtrationsleistung tiefer Nephrone gefördert.
Literaturempfehlungen
Die nachfolgende Liste kann verständlicherweise nur eine sehr begrenzte Anzahl von Publikationen auf dem Gebiet der allgemeinen und speziellen Biochemie sowie verwandter Disziplinen umfassen. Viele von ihnen dienten auch bei der Bearbeitung der „Biochemie der Ernährung“ als wertvolle Ratgeber.
1. Lehrbücher der Biochemie zur Einführung Karlson, P.; Doenecke, D.; Koolman, J. Kurzes Lehrbuch der Biochemie für Mediziner und Naturwissenschaftler. 14. Aufl. Stuttgart (Thieme) 1994. [verläßliche, laufend aktualisierte Einführung in den Aufbau und Stoffwechsel von Biomolekülen] Buddecke, E. Grundriss der Biochemie. 9. Aufl. Berlin (de Gruyter) 1994. [didaktisch gut aufgebautes einführendes Lehrbuch mit übersichtlichen Stoffwechselschemata] Müller-Esterl, W. Biochemie – Eine Einführung für Mediziner und Naturwissenschaftler. 1. Aufl. (Spektrum Akademischer Verlag) 2004.
2. Lehrbücher und Nachschlagewerke der Biochemie und Pathobiochemie zur Weiterbildung Löffler, G.; Petrides, P. E.; Heinrich, P. C. Biochemie und Pathobiochemie. 8. Aufl. Berlin, Heidelberg (Springer) 2007. [ausgezeichnetes, sehr umfangreiches Lehrbuch, das den Charakter eines Nachschlagewerkes hat; auch die Pathobiochemie wird ausführlich berücksichtigt] Alberts, B.; Johnson, A.; Lewis, J. Molekularbiologie der Zelle. 4. Aufl. Weinheim (Wiley-VCH) 2003. [umfangreiches, sehr gutes Nachschlagewerk der Zellbiologie] Lodish, H. et al. Molekulare Zellbiologie. 4. Aufl. Heidelberg, Berlin (Spektrum Akademischer Verlag) 2001. [modernstes und umfangreichstes Nachschlagewerk der Zellbiologie in deutscher Sprache] Lehninger, A. L.; Nelson, D. L.; Cox, M. M. Prinzipien der Biochemie. 3. Aufl. Heidelberg (Springer) 2009. [sehr gutes Lehrbuch der allgemeinen Biochemie, ohne speziellen Bezug zum Stoffwechsel des Menschen] Stryer, L.; Berg, M. J. Biochemie. 6. Aufl. Heidelberg, Berlin (Spektrum Akademischer Verlag) 2007. [sehr gutes Lehrbuch der allgemeinen Biochemie mit ausführlichen Kapiteln über Molekularbiologie und Proteinbiochemie]
574
Biochemie der Ernährung
Brigelius-Flohé, R.; Joost, H. G. (Hrsg.) Nutritional Genomics – Impact on Health and Disease. Weinheim (Wiley-VCH) 2006. [19 Artikel über das aktuelle Forschungsgebiet der Ernährungswissenschaft] Michal, G. (Hrsg.) Biochemical Pathways – Biochemie-Atlas. Heidelberg, Berlin (Spektrum Akademischer Verlag) 2005. [Ausgezeichnete vor allem graphische Darstellung des gesamten Stoffwechsels als Netzwerk, mit knappen verlässlichen Kommentaren] Koolman, J.; Röhm, K.-H. Taschenatlas der Biochemie. 3. Aufl. Stuttgart (Thieme) 2002. [zur schnellen Orientierung] Lexikon der Biochemie und Molekularbiologie. Heidelberg, Berlin (Spektrum Akademischer Verlag) 2005. [Ausgabe in mehreren Bänden] Greiling, H.; Gressner, A. M. (Hrsg.) Lehrbuch der Klinischen Chemie und Pathobiochemie. 3. Aufl. Stuttgart (Schattauer) 1995. Buddecke, E.; Fischer, M. Pathophysiologie, Pathobiochemie, Klinische Chemie. Berlin (de Gruyter) 1992. Lang, F. Pathophysiologie, Pathobiochemie. Eine Einführung. 4. Aufl. Stuttgart (Enke) 1992. Pfreundschuh, M.; Schölmerich J. Pathophysiologie, Pathobiochemie. 2. Aufl. München (Elsevier) 2004.
3. Lehrbücher der Physiologie Klinke, R.; Silbernagl, S. (Hrsg.) Lehrbuch der Physiologie. 4. Aufl. Stuttgart (Thieme) 2005. [sehr gutes Lehrbuch der allgemeinen Physiologie von mehreren Autoren] Deetjen, P.; Speckmann, E.-J. (Hrsg.) Physiologie. 5. Aufl. München (Elsevier) 2008. [sehr gutes Lehrbuch der allgemeinen Physiologie von mehreren Autoren]
4. Lehrbücher und Nachschlagewerke der Ernährungslehre und Ernährungsmedizin Ketz, H.-A. (Hrsg.) Grundriß der Ernährungslehre. 3.Aufl. Darmstadt (Steinkopff) 1990. [einführendes Lehrbuch] Biesalski, H. K. Taschenatlas der Ernährung. Stuttgart (Thieme) 2007. [zur schnellen Orientierung] Kasper, H. Ernährungsmedizin und Diätetik. 11. Aufl. München (Elsevier) 2009. [umfassende Übersicht über die Ernährung als prophylaktischer und therapeutischer Faktor]
Literaturempfehlungen
575
5. Serien und Periodika erscheinen jährlich – einige in größeren Zeitabständen – und enthalten Übersichten über aktuelle Themen des betreffenden Wissensgebietes Annual Review of Biochemistry Annual Review of Cell and Developmental Biology Annual Review of Physiology Annual Review of Nutrition Trends in Biochemical Sciences [jährlich 12 Hefte] Trends in Cell Biology [jährlich 12 Hefte] Ziegler, E.; Filer, L. J., Jr. (Hrsg.) Present Knowledge in Nutrition. 9. Aufl. (International Life Sciences Institute, ILSI Press) 2006. [erscheint in Abständen von 4 bis 5 Jahren; enthält 50 bis 60 Review-Artikel über jeweils aktuelle Themen der Ernährungsforschung, die von Experten des betreffenden Gebietes erstellt werden]
6. Elektronisch gespeicherte Informationen Die neuesten Ergebnisse der Biowissenschaften werden in Form von „Originalartikeln“ in zahlreichen Fachzeitschriften – fast ausschließlich in englischer Sprache – publiziert. Das außerordentlich umfangreiche Material wird heute in verschiedenen Datenbanken erfasst und ist über das INTERNET erhältlich. Wichtigste für die Recherche relevante Internet-Adresse: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/Entrez Die meisten Datenbanken sind miteinander über Hyperlinks verbunden. Englischsprachige Internetseiten: National Center for Biotechnology Information NCBI: Metasuchmaschine Entrez Gene: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/Entrez Europäisches Informationszentrum für Lebensmittel EUFIC: http://www.eufic.org/ Nutrition Data: http://www.nutritiondata.com/
Index
A A-Bande 523 ABC-Transportproteine 340 Acetacetat 541 Acetacetyl-CoA 476 Acetaldehyd 489, 491f Abbau 489 Acetessigsäure 390 Acetoacetat 89, 459, 467– 469, 471– 473, 475, 536f Struktur 470 Acetoacetyl-CoA 470, 472f, 537 Aceton 471, 473 Acetylcholin 30f, 315f, 318, 325f, 527 Acetylcholinrezeptor 31 nicotinischer 30 Acetyl-CoA 4, 86, 88f, 101, 221, 256, 279–282, 284, 428f, 431, 458, 468, 471, 476, 496, 498f, 507, 533, 541 Biotin-abhängige Carboxylierung 256 Gewinnung aus Ketonkörpern 473 Acetyl-CoA-Carboxylase 255, 496, 512f Quartärstruktur 513 Regulation 514 N-Acetyl-D-Galactosamin 74 N-Acetyl-D-Glucosamin 74 Acetyl-Glutamat 455 N-Acetylneuraminsäure 9 Acidose 395, 565 Acinus 324f Acinuszellen 312, 324f Signaltransduktionsprozesse 325 Aconitase 280f [ACP]-S-Malonyl-Transferase 499 Acroleyl-β-aminofumarat -Decarboxylase 469 Struktur 469 Actin 97 α-Actin 525f Actinfilament 97f, 301f, 523f, 528 α-Actinin 97 β-Actinin 97 acylating stimulating protein 512 Acylcarnitin 504 Acyl-Carnitin/Carnitin-Antiport 504ff Acyl-Carnitin-Ester 504 Acylcarrierprotein (ACP) 257, 498f Acyl-CoA 505, 508–510 -Dehydrogenase 505, 508 -Desaturase 501
Reaktionsmechanismus 502 -Glycerin-3-phosphat-Acyl-Transferase 509 langkettige 514 -Synthetase 504, 506 Adenin 46, 52 Adenohypophyse 135, 139f Adenosin 567f -Desaminase 568 Adenosinnucleotid-Translokator 90 Adenosintriphosphat, siehe ATP Adenosyl-Homocysteinase 466 S-Adenosylhomocystein, Struktur 466 S-Adenosylmethionin 253, 465 Struktur 466 Adenylat-Cyclase 33, 208, 535 G-Protein-vermittelte Aktivierung 34 Adenylat-Kinase 537 Adhäsionsgürtel 302 Adhäsionsproteine 301 Adipocyt 495, 512f, 515, 518 Adipositas 495 Adipositastherapie 339 Adipsin 512 Adiuretin 272, 566 Ausschüttung 273 Struktur 272 Wirkungsmechanismus 273 Zielorgan 273 ADP 284 Adrenalin 135, 152–155, 474, 531, 534f, 540 enzymatische Inaktivierung 155 α-adrenerge Rezeptoren 156 β-adrenerge Rezeptoren 156, 518 adrenerge Rezeptoren und vermittelte Prozesse 157 adrenocorticotropes Hormon (ACTH) 135, 140, 162f O2-Affinität 399 aglanduläre Hormone 134 AH-B-Theorie 213f Aktionspotentiale, Einfluss energieliefernder Substrate 185 aktiver Transport 17 aktives Zentrum 112 aktivierte Essigsäure 428 Aktivierungsenergie 103 Alanin 227, 230, 344, 447, 450f, 460, 468 als Transportvehikel von Aminogruppen 447 -Amino-Transferase 450 Enantiomere 232
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Geschmack 215 in der Muskulatur 542 Struktur 469 D-Alanin 232 L-Alanin 232 Albumin 369f, 503 biologische Halbwertszeit 369 Funktion 370f Synthese 369 Aldehyd-Dehydrogenase 439f, 489f Aldolase 417 Aldolase A 440 Aldolase B 439f Aldolspaltung 249 Aldose-Reductase 440 Aldosteron 135, 161, 164f, 270f, 385, 556 Biosynthese 165 -Halbacetal 164f Halbwertszeit 165 Struktur 162 Wirkung 166 Alkalische Phosphatase 118, 358 Alkalose 395, 565 Alkohol-Dehydrogenase 118, 439f, 489f Isoenyzme 490 Alkoholismus 490, 492 Alkoholtoleranz 490 allosterisch 124 allosterische Bindungsstelle 123 allosterische Effektoren 124f allosterische Enzyme 124, 126 Reaktionskinetik 125 allosterische Regulation 123, 126 allosterischer Ligand 424 all-trans-Retinal 169, 236 all-trans-Retinaldehyd 170 all-trans-Retinoat 169 all-trans-Retinol 169, 236 Biosynthese 170 all-trans-Retinsäure 236 Biosynthese 170 alternatives RNA-Spleißen 51 alternatives Spleißen 55 Aluminium 261 Amidhydrolase 563 Aminoacrylat 462 Aminoacyl-tRNA-Synthetase 67, 232 α-Aminoadipat 470 α-Aminoadipat-semialdehyd 470 -Dehydrogenase 470 α-Aminoadipat-Transaminase 470 p-Aminobenzoat, Strukturformel 250 γ-Aminobuttersäure 152 Aminomuconat-semialdehyd-Dehydrogenase 469 α-Aminomuconat-δ-semialdehyd, Struktur 469 α-Aminomuconat, Struktur 469 Aminopeptidasen 343 Aminosäuren 183, 380 Abbau 450–457 Abbauwege zu α-Ketoglutarat 464
Biochemie der Ernährung
Bedarf 225 bedingt essentielle 231 Decarboxylierung 249 Decarboxylierungsprodukte 152 destabilisierende 111 essentielle 231 Geschmack 215 glucogene 419, 462, 542 im Endharn 549, 566 in der Leber 414 ketogene 468 Konzentration im Blutplasma 447 Metabolisierung 458ff nichtessentielle 231f posttranslational modifizierte 233 proteinogene 226f Resorption 342f im proximalen Tubulus 551 schwefelhaltige Abbau 390 Verstoffwechselung 384 Seitenketten 226f Transaminierung 248 Transportsysteme 343f und Tricarbonsäurecyclus 459 verzweigtkettige 540 Abbau 541 L-Aminosäure 226–232 D-Aminosäure 232 Aminosäure-Oxidase 452 Aminosäure-Pool der Leber 446 Aminosäure-Transporter 446 Aminosäure-Uniporter 551 aminostatische Theorie 183 Aminotransferase 450 Aminpeptidase N 343 Ammoniak 380, 450, 452ff Ausscheidung 564f Entgiftung 454 Freisetzung aus Glutamin 563f Ammonium/Ammoniak-Puffer 562 ammonotelisch 450 AMP 276, 534 amphibol 283 Amylase 320 α-Amylase 311, 331, 333 Amylo-1,6-Glucosidase 433 Amylo-1,4 → 1,6-Transglykosylase 433 Amylopektin 331 anaboler Stoffwechsel 275f anaplerotische Reaktion 284 Angiotensin I 270f Angiotensin II 165, 270f Angiotensinogen 270 anorganisches Phosphat 384, 386f Anticodon 67 antidiuretisches Hormon (ADH) 135, 139, 557 siehe auch Adiuretin Antigenaufnahme 346 Antioxidans 257, 294
Index
Antiporter 26f ApoB 337, 378 ApoB-100 376 ApoCII 377 ApoE 376f, 379 Apoenzym 117 Apolipoprotein CII 375 Apolipoprotein E 375 Apolipoproteine 336–338, 373f, 379 des menschlichen Plasmas 375 Funktion 374f Apoprotein CII 379 Apoptose 304 Appetit Definition 178 kephalische Phase 180 Aquaporin-2 557 Aquaporine 14, 273f D-Arabinose 219 Arachidinsäure 501f Arachidonat 171f Arachidonsäure 9, 171, 224, 517 Arachidonyl-CoA, Synthese 503 Arachinsäure 224 Arginase 108, 118, 455f, 464 Arginin 152, 227, 447, 455f Abbau 464 Geschmack 215 Katabolismus 463 L-Arginin, Struktur 538 Argininosuccinat 455f -Lyase 456f -Synthetase 456f Arsen 261 Arteria arcuata 545 renalis 545 Ascorbat 467 intestinale Resorption und Prozessierung 356 Struktur 293 Ascorbat-Radikal, Struktur 293 Ascorbinsäure 257f, 294, 353 als Redox-System 257 L-Ascorbinsäure, Strukturformel 257 Asialo-Glykoproteine 449 Asparagin 227, 451, 454, 462 Geschmack 215 Katabolismus 463 Asparaginase 451, 463 Asparaginsäure 152 Geschmack 215 Aspartat 227, 234f, 447, 451, 455, 457, 462 Katabolismus 463 Aspartat-Amino-Transferase 450 A-Stelle 68 Atemgase 396 Atemregulation 394 Atmungskette 86, 280, 285f Enzymkomplexe 287 Komplexe 288
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Redoxsysteme 286f Atmungskettenphosphorylierung 285 Atmungskontrolle 291 ATP 86, 117, 276, 284 -Bildung, anaerobe 278 -Citrat-Lyase 496 -Gewinnung aus Glucose 532f -Produktion 277f, 280 in der Glykolyse 278 -Synthase 86, 286, 289 -Synthese 86, 91, 289f hypothetischer Mechanismus 290 atrialer natriuretischer Faktor (ANF) 36, 135, 272, 385, 557 atriales natriuretisches Peptid (ANP) 30 Ausscheidungswege von Syntheseprodukten 76 autokrin 134 Autophagie 78 Autophagosom 78 autotrophe Organismen 275 Avidin 358 A-Zellen 149f
B Bakterien der Darmflora 360 Bande-3-Protein 405 Barorezeptoren 272f basal-granulierte endokrine Zellen 315 Bauchspeicheldrüse, siehe Pankreas Becherzellen 323 Behensäure 224 Belegzellen 315 Bicarbonat 386–388, 390, 392–394, 405 frühproximale Resorptionsrate 554f Konzentration 396 Bicarbonat-Puffer 391f biliäre canaliculäre Membran 485f Bilirubin 328 Biocytin 255 Bioelemente 259ff biogene Amine 134, 152, 234, 249 Serotonin 189 Biokatalysator 103 Biokybernetik 133 biologische Energie 275 biologische Membran 3, 5–43 Anordnung der Membranproteine 11 Einteilung der Transportsysteme 26 Fluidität 12 fluid mosaic model 6 Lateraldiffusion 13 Lipidzusammensetzung 10 molekulare und strukturelle Organisation 5–13 Permeationsfähigkeit verschiedener Substanzen 15 Selbstorganisation 12 selektiver Stoffaustausch 13–27 Stoffaustausch durch einfache Diffusion 14f supramolekulare Organisation 12f Transportsysteme 16
580
transversale Diffusion 13 Biotin 255, 358 intestinale Resorption und Prozessierung 356 Resorption 359 Strukturformel 255 Biotin-abhängige Carboxylasen 255 ε-N-Biotinyllysin 255 1,3-Bisphosphatglycerat 277f 1,3-Bisphosphoglycerat 417 2,3-Bisphosphoglycerat (2,3 BPG) 401, 403f Bisubstrat-Reaktionen 116 Bitterstoff 204 Blasengalle, Hauptbestandteile 483 Blastocyte 299 Blattpapille 200f Blei 354 Blut 363–407 als Transportsystem 363–366 Aufgabe 363f Hauptfraktionen 366 Mikrozirkulation 363 pH-Wert 389f Puffersysteme 391f quantitative Zusammensetzung 366 Sauerstoffaffinität 399 Sauerstoffkapazität 399 Blutgefäßsystem, Druckverhältnisse 365 Blutgerinnungsfaktoren 241 Blutglucosekonzentration 418 Blut-Hirn-Schranke 364 Blutplasma 366 Auftrennung der Proteine 368 Calcium-Fraktionen 383 Elektrolyte 381f, 386 Regulation 384f gelöste niedermolekulare Verbindungen 380 kolloidosmotischer Druck 366 Lipide 373 Lipidtransport 372–375 Mineralstoffkonzentration 381f Natrium-Fraktionen 382f Proteinmuster 370 quantitative Zusammensetzung 367 Blutserum 367 Blutvolumen 270f, 363 B-Lymphocyten 346 bodymass index (BMI) 520 Bohr-Effekt 404 Bombesin 308, 325f Bowman-Kapsel 546 Bowmansche Drüse 206f branching enzyme 433f Brunnersche Drüsen 321 Bt-Mais 348 Bulbus duodeni 321 olfactorius 209f Bulimie 187 Burk 115 Bürstensaumenzyme 331f, 342f, 358
Biochemie der Ernährung
Bürstensaummembran 330 Buttersäure 224 Butyrat 361
C CAAT-Box 53 Ca2+-ATPase 22, 529, 531 Cadaverin 152 Cadherin 301f Cadmium 354 Caecum 359 Ca2+-Kanäle 31 Calbindin 168, 352, 559 Calcitonin 135 calcitoningene related peptide (CGRP) 318 Calcitriol 161f, 239, 351f, 559, 571 Struktur 162 Synthese 167 Zielorgane 168 Calcitriolrezeptor 168 Calcium 260f, 263, 386–388 als third messenger 38f extrazelluläres, Regulation 385 Hydradrationsradius 382 im Blutplasma 381 Resorption 351f im proximalen Tubulus 558 in der Henle-Schleife 558 und Muskelkontraktion 527f Calciumkanäle 351, 529 Calmodulin 23, 39, 98, 530, 535 Struktur 39 Calsequestrin 59, 529 cAMP 35, 426, 436 Struktur 34 cAMP-abhängige Protein-Kinase 535 Campesterol 341 cAMP-response-element 424 cAMP-responsive element binding proteins, siehe CREBP Canaliculi 485 Cap 54 Capping 54 Caprinsäure 224 Capronsäure 224 Caprylsäure 224 Carbamoylphosphat 455, 457 -Synthetase 455–457 Carboanhydrase 118, 554 Carboanhydrase I 405 Carboanhydrase II 554f, 561 Carboanydrase IV 554f γ-Carboxyglutamat 233 Carboxyhämoglobin 398f Carboxylase 242 Biotin-abhängige 255 γ-Carboxylierung, Vitamin K-abhängige 242 Carboxypeptidase 131, 342f, 358 Cardiolipin 7, 85 Strukturformel 8
Index
Carnitin 85, 504f Carnitin-Acyl-Transferase I 504f Carnitin-Acyl-Transferase II 504f Carnitin-Palmitoyl-Transferase 474 Carnitin-O-Palmitoyl-Transferase 85 Carnitin-vermittelter Transport 505 Carotin 236 α-Carotin, Strukturformel 237 β-Carotin 169f, 237, 294, 339 Strukturformel 237 γ-Carotin, Strukturformel 237 Carotinoide 223, 237, 478 Resorption 338 Catecholamine 136, 153, 308, 423f, 436f, 481, 515, 518, 540 biologische Halbwertszeit 153 Biosynthese 154 Catecholamin-Rezeptoren 156, 515 β3-Catecholamin-Rezeptoren 518 Catechol-O-Methyltransferase (COMT) 156 Catenin 301 Cathepsine 448 CCK 318f, 325 siehe auch Cholecystokinin CCK-8 187 CCK-33 187 CDP-Diacylglycerin 516f Cellobiose 220 Cellulose 220, 330 Ceramid 7 Cerebroside 9, 223 cGMP 36 Struktur 34 Chaperone 64, 95, 230f chemiosmotische Hypothese 289 Chenodesoxycholyl-CoA 483 Struktur 484 Chinolat, Struktur 469 Chinon -Reductase 242 Strukturformel 242 Chiralitätszentrum 232 Chlor 260f, 263 Chlorid 258, 386–388 im Blutplasma 381, 384 -Kanal 485f Chlorophyll 398 Cholangiocyten 410 Cholecalciferol 167, 236, 238, 339 Strukturformel 238 Cholecystokinin (CCK) 144, 186f, 308f, 325f Stimulierung durch eine „gemischte“ Kost 188 siehe auch CCK Choleratoxin 308, 351 Cholesterin 10, 13, 161f, 222, 335, 379, 475, 479 alimentäre Zufuhr 481 Austausch zwischen Geweben 481f Blutkonzentration 479f Resorption 340f -Status 481
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Struktur 161, 163, 378, 478, 484 Umwandlung 378 in Gallensäuren 484 Cholesterin-Biosynthese 475–479 dritte Phase 478 erste Phase 476 Schlüsselenzym 479f zweite Phase 477f Cholesterin-Desmolase 162 Cholesterin-7α-Hydroxylase 483 Cholesterin-Linolat, Struktur 378 Cholesterinsenker 480 Cholin 516 Cholyl-CoA 483f Chorion-Gonadotropin (HGC) 135 Chrom 260, 264 chromaffine Granula 153 Chromatin 44, 47 Chromosomen 3, 45 Chylomikronen 336f, 373, 375, 512 Abbau im Blut 376 -Remnants 481 Chylomikronensynthese 338 Chymotrypsin 131, 341 Aktivierung 130 Km 116 α-Chymotrypsin 130 π-Chymotrypsin 130 Chymotrypsinogen 130 Chymus 308, 330, 359 Pufferkapazität 320 cis-Aconitat 281 Δ2-cis-Enoyl-CoA 507f -Hydratase 506 Δ3-cis-Enoyl-CoA 507 cis-Prenyl-Transferase 477, 479 11-cis-Retinaldehyd 169 Biosynthese 170 9-cis-Retinoat 169 Citrat 89, 281f, 496 Citratcyclus 280 Citrat-Synthase 280f, 284 Citrullin 455f Clathrin 39f, 77 Clearance 569 CNT1 348 CNT2 348 CO2-Partialdruck 395f coated pits 40 coated vesicles 40 Cobalamin 252 intestinale Resorption und Prozessierung 356 Resorption 357 Cobalamin-IF-Komplex 357 Cobalt 258, 260, 264, 354 Codon 66 Coenzym A 256, 430 Strukturformel 256 Coenzym Q als Redox-System 288
582
siehe auch Ubichinon Coenzyme 117f, 242 5’-Desoxyadenosylcobalamin 252 Folsäure 250f gruppenübertragende 119 NAD 247 NADP 247 Pyridoxalphosphat 247 wasserstoffübertragende 119 Regenerieren 120 Coeruloplasmin 372 Cofaktoren 117 Colipase 334f Colon ascendencs 359 descendens 359, 361 sigmoideum 359 transversum 359 Colonkarzinome 360 concentrative nucleoside transporter (CNT) 348 Corticosteroide 109 Corticotropin, siehe adrenocorticotropes Hormon (CRH) 140, 163 Corticotropin-Releasing-Hormon (corticotropin releasing hormone; CRH) 140, 163, 193 Cortisol 161 Biosynthese 163 Reaktionen zur Inaktivierung 164 Struktur 162 Synthese 162–164 Cortisolsekretion, rückkoppelnde Steuerung 141 Cosubstrat 117 Co-Transporter 27 CREBP 518 Cristae 82 Crotonyl-CoA 470 Cyanocobalamin 252 3’,5’-cyclisches Adenosinmonophoshat, siehe cAMP 3’,5’-cyclisches Guanosinmonophosphat, siehe cGMP Cyclooxygenase 171 Cystathionase 465f Cystathionin 465f -Synthase 466 Cystein 152, 227, 231, 344, 447, 451, 465 Abbau 460f -Desulfhydrase 249 Geschmack 215 Struktur 466 Cystin 344 Cystinurie 344 Cytidyltriphosphat 516 Cytochrom c 286 Oxidase 286f Cytochrom-Oxidase 118 Cytochrom P450-haltige Enzyme 59, 163 Cytoplasma, Definition 96 cytoplasmatische Rezeptoren 27 Cytosin 46, 52
Biochemie der Ernährung
Cytoskelett 97 Filamenttypen 98 Cytosol 96–103 als Reaktionsraum des Zellstoffwechsels 100 Definition 96 Leitenzyme 43 Proteinfilamente 97–100
D Darm Aufnahme von Oligopeptiden 345 Weitergabe von Signalen 310 Zelltypen 323 Darm-assoziiertes lymphoides Gewebe 345f Darmepithelzellen 334 Darmflora 359f Stoffwechselleistungen 360 Darmschleimhaut, oberflächenvergrößernde Faktoren 322f Darmzellen, Apoptose 323 Darmzotten 322 DCl 319 DCT-1 (divalent cation transporter-1) 353 debranching enzyme 433f Decarboxylierung einer Aminosäure 249 Dehydratase 498 L-Dehydroascorbinsäure, Strukturformel 257 7-Dehydrocholesterin 167 photolytische Umwandlung 238 Strukturformel 238 Dehydrogenase 246, 469 Dehydrolipoat-Dehydrogenase 429 3-Dehydro-Retinol 236 Dehyratase 469 Dejodase 158 Depotfett 177, 183 Desmin 525 5’-Desoxyadenosylcobalamin 252 Strukturformel 253 Desoxycholsäure 483 Struktur 484 11-Desoxycorticosteron 164f 21-Desoxycortisol 163 Desoxyribonuclease, siehe DNAase Desoxyribonucleinsäure, siehe DNA D-Desoxyribose 219 β-D-2-Desoxyribose 46 Desturierung 503 Dextran 220 Diabetiker 475 1,2-Diacylglyceride 335f Diacylglycerin 509f Struktur 511 1,2-Diacylglycerin 336, 516 1,2-Diacylglycerin-Acyl-CoAAcyltransferase 336 Diacylglycerin-Acyl-Transferase 509f Diacylglycerin-Lipase 511 Diacylglycerol (DAG) 37f, 203 Diarrhöe 351
Index
Dicarboxylat, Na+-abhängiger Transport 552 Dickdarm 359–361 Fermentationskapazität 359 Inhalt 361 Dickdarmepithel 350 Digesion 330 Digitoxin 21 Dihydrogenphosphat/HydrogenphosphatPuffer 561f Dihydrolipoat-Dehydrogenase 430 Dihydroxyacetonphosphat 277f, 417, 440, 509 1,25-Dihydroxycholecalciferol 385 1α, 15-Dihydroxycholecalciferol Biosynthese 167 siehe auch Calcitriol 1α, 25-Dihydroxycholecalciferol 134–136, 167 Zielorgane 168 Dihydroxymandelsäure 155 3,4-Dihydroxyphenylalanin 152 siehe auch Dopa Dihydroxyphenylessigsäure 155 3,5-Dijodtyrosin (DIT), Struktur 159 3,3-Dimethylallylpyrophosphat 377, 478 Dioxygenase 339 Dipeptidasen 343 Dipeptide Resorption 342 im proximalen Tubulus 552 Dipeptidylpeptidase IV 342 Disaccharide 218f Spaltung 331 distaler Konvolut 556f, 559 distaler Tubulus 544–547 Disulfidbrücke 229 Diurese 557 DNA 45–49 Basenpaarung 47 Doppelhelix 47 Entspiralisierung bei der Replikation 48 Expression 48 große Furche 47 kleine Furche 47 Replikation 48f Resorption 347 Struktur 46 Transkription 51–55 Verbleib nach Verzehr 347f Watson-Crick-Modell 47 DNAase 347 DNA-Methylierung 297 DNA-Polymerase 49 DNA-Polymerase II 53 Dolichol 70, 478 Donnan-Verteilung 387 Dopa 154 -Decarboxylase 154 Dopamin 152–155 enzymatische Inaktivierung 155 Dopamin-β-Hydroxylase 153f Dopamin-β-Monooxygenase 257
583
dreiblättrige Keimscheibe 299 Ductus choledochus 328 hepticus 328 Dünndarm 322 Fettverdauung 328, 334–341 funktionelle Kompartimentierung 324 Funktionen 324–328 Krypten 322–324 Dünndarmepithel 323, 350 Dünndarmschleimhaut 323 Duodenaldrüsen 321 Duodenum 321, 323 Durst 269f, 272 Durstschwelle 270 Dynorphine 191 Dystrophin 525f D-Zellen 150, 318 D1-Zellen 319, 326
E E. coli 41 Eikosanoide 171–174, 223, 308, 346 biologische Wirkung 174 einfache Diffusion 15ff Kinetik 17 Eisen 258, 260f, 264, 398 im Blutplasma 381 im Hämoglobin 397, 402 Plasmaspiegel 385 Resorption 352ff Transportprotein 372 Verfügbarkeit 353 Eisenmangel 353f Eiweißmangelödem 366 Elastase 131, 341 elektrisches Signal, Übertragung 31 elektrochemischer Gradient 280 Elektrolyse, Resorption im Darm 349f Elektrolyte 381 intrazelluläre Konzentration, Regulation 388 schwache 381 starke 381 Elektrolytspiegel im Blutplasma 386 in der interstitiellen Flüssigkeit 386 in der intrazellulären Flüssigkeit 386 Regulation 384f Elektrolyttransportsysteme 350f elektromechanische Kopplung 528 Elektronentransportkette 87 Elektroneutralität 387 α β-Eliminierung 460 Abbau 465 Elongationsfaktor-1 68 Elongationsphase 68 Embryoblast 299 Embryonalentwicklung 299 ENAC-Kanäle 350 Enantiomere 232
584
Endharn 547, 549, 553, 565 stickstoffhaltige Verbindungen 566 Endocytose 39, 78 rezeptorvermittelte 39f endogene Opioide 191 endokrine Drüsen 134 Endokrinologie 138 Endolysosom 78 Endopeptidase 343, 448 endoplasmatisches Reticulum, siehe ER Endosom 39, 78 Endosymbionten -Hypothese 82 -Theorie 3, 278f Endosymbiose 3 Energiegewinnung 275–294 oxidative 279 Energieladung 275f Energieträger 275 energy charge 275f enhancer 110 -Sequenzen 53 Enoyl-[ACP]-Reductase 499 Enoyl-CoA-Hydratase 470, 507f Enoyl-Reductase 498 enterochromaffine (ECL-)Zellen 316, 318 Enterocyt 322f Oberflächenenzyme 323 Enteroglucagon 150, 309, 319 Enterokinase 325 Enterotoxin 36 Entkoppler 517 Entzündungsmediatoren 346 Enzmye aktives Zentrum 112f internationale Einheit 112 Enzymaktivität 112 Abhängigkeit von der Substratkonzentration 114 pH-Anhängigkeit 128f enzymatische Reaktion, Hemmtypen 121, 123 enzymatische Regulation 4 Enzyme Abbau 111 allosterische 124, 126 Reaktionskinetik 125 R-Form 126 T-Form 126 Bestimmung der katalytischen Effizienz 120 biologische Halbwertszeit 108 Bisubstrat-Reaktionen 116 Cofaktoren 117 Cytochrom P450-haltige 59 de novo Synthese 107 der Glykolyse 107 der intestinalen Bürstensaummembran 332 der Phospholipidsynthese 59 Endprodukthemmung 126 Gruppenspezifität 104 Halbsättigungskonstante 114
Biochemie der Ernährung
Induktion 422 Induktor 108f interkonventierbare 127 interkonvertierbare 35 irreversible Aktivierung 129 Iso- 131f Katalyse 103–107 kinetsiche Konstanten 115 Kooperativität 124 Sequenzmodell 126 Symmetriemodell 126 lysosomale 79 Maximalgeschwindigkeit 115 metallaktivierte 117 Metallo- 117 Michaelis-Konstante 116 mit Flavinnucleotiden 245 molekulare Aktivität 112 pH-Optimum 128 Reaktionsgeschwindigkeit 113–116 Regulation 103–132 Regulationsprinzipien 106 regulatorische 111 regulatorische Untereinheiten 126f Repression 422 RNA- 106 Stereospezifität 104 Substrataffinität 115 Substrat-Bindungsenergie 113 Substratspezifität 104 Wechselzahl 112 Enzymhemmung kompetitive 121, 123 Lineweaver-Burk-Darstellung 122 Michaelis-Menten-Darstellung 122 nicht kompetitive 121, 123 unkompetitive 121, 123 Enzyminhibitoren 120 Enzymkinetik 106 Enzymkomplexe der Atmungskette 287 Enzym-Substrat-Komplex 112 epidermaler WF (EGF) 303 Epimerase 508 Epiphyse 135 Epithelrohr 302 Epithelschicht, Bildung 301 Epithelzelle, intestinale 99 Epoxid 242 -Reductase 242 ER 57–71 glattes 58 enzymatische Ausstattung 59 Leitenzyme 43 Membran 57 Proteinsynthese 63f raues 57, 63 räumliche Anordnung in der Zelle 58 Übergangs- 58 Ergocalciferol 236, 238 Strukturformel 238
Index
585
Ergosterin photolytische Umwandlung 238 Strukturformel 238 erleichterte Diffusion 16f Kinetik 17 ER-Lumen 57 Ernährungsverhalten und Serotoninstoffwechsel 190 Erwachsener, Wasserverteilung 268 Erythroblasten 396 Erythrocyten 278, 396, 405f -Membran, Verteilung der Phospholipde 10 Erythropoese 396, 571 Erythropoetin (EPO) 134f, 571 Erythrose-4-phosphat 442, 444f essentielle Spurenelemente 259f Essigsäure 489 aktivierte 428 Esszentrum 179 E-Stelle 68 Estradiol 135, 161 Struktur 162 Ethanol 488 Abbau 489 Abbauprodukte 491 Brennwert 488 Resorption 489 Wirkung auf ZNS 490 Ethanolamin 516 Euchromatin 44 Eukaryoten, Transkription 54 Eukaryotenzelle Merkmale 41 räumliche Trennung von Transkription und Translation 50 Ribosomen 61 RNA-Polymerasen 52 eukaryotische Gene, Transkription 53 eukaryotische Zellen, relativer Anteil verschiedener Membrantypen 42 exokrine Drüsen 134 Exon 50 Exopeptidasen 342, 448 extrazelluläre Matrix, Bestandteile 74 Extrazellulärraum, Puffer 391
F F-Actin 97, 525f FAD 93, 244f FAD/FADH-System 120 FADH 282 β-Faltblatt 228 Farnesylpyrophosphat 477 FATP-4 (fatty acid transport protein-4) F-ATPase 22f Fäzes 359, 361 feed-back-Hemmung 126 Fenestration 365 Ferri-Ion 262 Ferrioxidase I 372
336
Ferritin 40 Fettgewebe 493–520 als endokrines Organ 519 braunes 494f, 517f Thermogenese 518 histologisches Bild 494 Masse 194 weißes 493f Fettgewebshormone 192 Fettleber 491f Fett-Mimetika 339 Fettsäure-Elongase-System 500, 503 Fettsäuren 222 Abbau zu Acetyl-CoA 504 aktivierte 504 Biosynthese 496–503 Biosynthese geradzahliger, gesättigter Fettsäuren 499f Carnitin-vermittelter Transport 505 einfach ungesättigte 500f essentielle 501 in pflanzlichen und tierischen Fetten 224 kurzkettige 360f Resorption 361 langkettige 9 mehrfach ungesättigte 502 mittelkettige (MCT) 338 β-Oxidation 505–507 Peroxisomen 508 semi-essentielle 501 ungeradzahlige, β-Oxidation 508 ungesättigte 222 Abbau 507 zur aeroben Energiegewinnung 536 Fettsäure-Synthase-Komplex 496–498, 500 Fettsucht 194 Fettvakuole 494 Fettverdauung 329 Fettzellen, gynoide 515 fibrilläre Proteine 225 Fibrinogen 369 Fibroblasten-WF (FGF) 303 Fibronectin 301 Filtrationsdruck 365 Filtrationskoeffizient 365 Fimbrim 98 first messenger 33 first pass effect 379 Flavinadenindinucleotid 118, 244f siehe auch FAD Flavinmononucleotid 244f siehe auch FMN Flavinnucleotide, Redoxzustände 244 flavour 200, 207 Wahrnehmung 210f Fließgleichgewicht 104f flip-flop 13 fluid mosaic model 6 Fluor 260, 264 FMN 244f
586
Folate, intestinale Resorption und Prozessierung 356 follikelstimulierendes Hormon (FSH) 135, 140 Folsäure 250, 358, 460, 486 N-Formiminoglutamat 464 N-Formylkynurenin, Struktur 469 Fragin 97 freie Enthalpie 275 Fructokinase 438f β-D-Fructopyranose 214 Fructose 333f, 438 Abbau über den Polyolweg 440f Stoffwechsel in der Leber 439 Synthese über den Polyolweg 440f D-Fructose 414, 438 β-D-Fructose 440 Struktur 439 Fructose-1,6-bisphosphat 277, 417, 440 Fructose-1,6-bisphosphatase 420–424, 426, 439f Regulation 427 Fructose-1-phosphat 438, 440 Fructose-2,6-bisphosphat 424–426 Fructose-2,6-bisphosphatase, Interkonvertierung 425f Fructose-2,6-bisphosphat-Phosphatase 424 Fructose-6-phosphat 277, 417, 424, 440–442, 444f Synthese und Abbau 425 Fructose-6-phosphat-2-Kinase 424 Interkonvertierung 425f Fructoseintoleranz 440 Fumarase 280f, 457 Fumarat 467, 281f, 455–457, 459, 468 Fumarylacetoacetat -Hydrolase 467 Struktur 467
G G-Actin 97 Galactokinase 437f Galactose 333f, 437f Abbau 437 Stoffwechsel 438 D-Galactose 414 Galactose-1-phosphat 437 -Uridyltransferase 438 Galactosidase 331 Verlust 332 β-Galactosidase, Km 116 Galanin 193 Galle 409 Gallenblase 328f Gallensäuren 328f, 335, 480, 482 enterohepatischer Kreislauf 329 primäre 483 sekundäre 360, 483 Gallensäure/Na+-Cotransport 485f Gallensäure-Synthese, Schlüsselenzym 483 Gallensekret 328f Gallensteine 329
Biochemie der Ernährung
GALT (gut associated lymphoid tissue) 345f Ganglion cervicale superius 312 Ganglioside 9, 223 Gastrin 144, 186, 308f, 315f, 318f, 327 gastrin releasing peptide 315 gastroinhibitorisches Peptid (GIP) 186 gastrointestinale Hormone 187, 308 Bildungsorte 309 Wirkung 309 gastrointestinale Motilität 307 Gastrointestinaltrakt 307–361 GC-Box 53 Gefäßwand 364 Stoffaustausch 364, 366 Gehirn, Ammoniakentgiftung 454 Gelsolin 97 Gene, Definition 45 genetischer Code 66 Degeneration 67 mitochondrialer 84 Genexpression eukaryotische Zellen, Kontrollebenen 297 Induktion 108 konstitutive 108 Kontrolle 296 Repression 108 selektive 295f Genlocus 49 Genom 45, 47 Genregulatorproteine 296 Geranylpyrophosphat 477f Geruch, Wahrnehmung 199, 216 Geruchsqualität und stereochemische Struktur 216 Geruchsreiz, neurale Verarbeitung 209f Geruchsrezeptoren 207f genetische Diversität 208 Signalübertragung 209 Geruchsstoffe 207 geschlossenes System 105 Geschmack, Wahrnehmung 199–216 Geschmacksbahnen 205 Geschmackskern 206 Geschmacksknospe 200f Aufbau 201 Geschmackspore 200f Geschmacksqualitäten 201, 203 primäre 213 und molekulare Struktur 212 unterschiedlicher Salzlösungen 213 Geschmacksrezeptor Signalübertragung nach Bitterstoffbindung 204 Signalübertragung nach Süßstoffbindung 203 Signalübertragung nach Zuckerbindung 202 Geschmackssinneszellen 200 Geschmackszellen 205 Gewebe 299 Definition 299 Gewebetypen 300 Gewebshormone 134
Index
Gewichtsabnahme 519 Gewichtszunahme 519 Ghrelin 195f Gicht 568 GIP (Glucose-abhängiges insulinotropes Peptid; glucose dependent insulinotropic peptide) 308f Glandula parotis 311 sublingualis 311 submandibularis 311 glanduläre Hormone 133, 140 des Menschen 135 glatte Muskulatur 528, 530 Regulation der Kontraktion 530 Relaxation 531 glatter Muskel 522 ATP- und Kreatinphosphat-Konzentration 538 glattes ER 58 enzymatische Ausstattung 59 Synthese des Phosphatidylcholins 60 Gleitfasermodell 524 β-Globin-Gen, Transkription 54 globuläre Proteine 225 Globuline 371f Funktion 370f α1-Globuline 368, 370ff α2-Globuline 368, 370ff β-Globuline 368, 370ff γ-Globuline 368, 370ff glomeruläre Filtration 548, 569 Glomerulus 544, 546 frühdistal 553 proximal 553 spätdistal 553 Glomerulusfiltrat 549 GLP-1 (Glucagon-ähnliches Peptid; glucagon like pepetide-1) 308f Glucagon 135, 140, 144, 149–151, 186, 423f, 436f, 446, 474, 534, 540 biochemische Wirkungen 151 biologische Halbwertszeit 151 Biosynthese 150 Primärstruktur 150 und Hunger 186f glucagon-like-peptide-1 (GLP-1) 193, 195 Glucocorticoide 135, 423, 515, 540 HRE 111 Wirkung 166 glucocorticoid-response-elements 424 glucogene Aminosäuren 419, 462 Glucokinase 59, 107f, 145, 147, 415, 417–420, 422f, 426 Km 116 Regulation 427 Gluconeogenese 90, 306, 418f, 462–467 Regulation 424, 426 renale 571 Schlüsselenzyme 419–428 Biosynthese 422 Regulation 423
587
Regulation durch allosterische Liganden 427 Gluconolacton-Hydrolase 442f Gluconsäure 219 Glucosamin 219 Glucose 333, 380, 414, 532f aerobe Verwertung 428–431 ATP-Ausbeute bei vollständiger Oxidation 88 -Carrier 550 de novo-Synthese 422 -Homöostase, Aufrechterhaltung 418 Konzentration im Blut 418 Nahrungskohlenhydrate 182 Pentosephosphat-Weg 441 Semi-Essentialität 221 -Stoffwechsel 415f zu Glucose-6-phosphat 146f D-Glucose 218, 414, 417 Glucose-1-phosphat 432, 534 -UTP-Transferase 432f Glucose-6-phosphat 145, 277, 414f, 417, 422, 432, 441, 443, 445, 533f Glucose-6-Phosphatase 59, 118, 415, 420–424, 426 -Dehydrogenase 442f Regulation 427 Glucosekataboliten 183 Glucoseresorption im proximalen Tubulus 550f glucose-response-element 422 Glucosesensor 145 Glucosetransport 146f Glucosetransporter 23 in der Leber 414 siehe auch GLUT 1-5, SGLT1 Glucosidase 331 Verlust 332 glucostatische Theorie 182 Glucosurie 550 GLUT-1 25 GLUT-2 25f, 144, 334, 414, 437f, 550f GLUT-3 25, 437 GLUT-4 25f, 146f, 512, 532 Translokation, Plasmamembran 148 GLUT-5 25, 334 Glutaconyl-CoA 470 -Decarboxylase 470 Glutamat 201, 227, 345, 447, 451, 454, 463, 562f Abbau 464 dehydrierende Desaminierung 452 -Dehydrogenase 451–453, 457, 464, 563f Strukturformel 250 zentrale Rolle im Stoffwechsel der Aminogruppen 451 L-Glutamat 452f Glutamatformimino-Transferase 464 Glutamat-Oxalacetat-Transaminase 93, 450f, 463 Glutamat-Pyruvat-Transaminase 450f, 461 Glutamat-γ-semialdehyd 463f Glutamatsemialdehyd-Dehydrogenase 464 Glutamin 227, 234f, 345, 447, 451, 454, 565 Abbau 464
588
als Aminogruppendonator 454 als Transportvehikel von Aminogruppen 447 Geschmack 215 in der Muskulatur 542 Metabolisierung 563 Synthese 453 -Synthetase 453 -Transaminase 563 L-Glutamin 453 Glutaminase 451, 464, 564 Glutaminase I 563f Glutaminase II 563 Glutaminase II-Komplex, Ammoniakfreisetzung aus Glutamin 563 Glutaminsäure 216 Geschmack 215 δ-Glutamyl-phosphat 453 Glutaryl-CoA 470 -Dehydrogenase 470 Glutathion-Insulin-Transhydrogenase 146, 449 Glutathion-Peroxidase 118 GLUT-Transporter Substratsepzifität 25 Vorkommen 25 D-Glycerat 439f Glyceratkinase 439f Glycerin 222, 419, 440, 512 Struktur 511 D-Glycerinaldehyd 440 Glycerinaldehyd-3-phosphat 277f, 417, 440–442, 444f α-Glycero-P-Dehydrogenase 439 Glycerokinase 439f Glycero-3-phosphat 336 α-Glycerophosphat 440, 509f -Austauscher 91ff -Dehydrogenase 93, 509 Glycerophosphat-Dehydrogenase 440 Glycerophospholipide 515f Glycin 227, 234f, 447, 468, 483, 538 Abbau 460f Geschmack 215 Glycocholsäure, Struktur 484 Glykocalix 332 Glykogen 177, 218, 220, 331, 413–415, 431–436 Abbau 433f im Muskel 534 Synthese 432f Verzweigungsstellen 434 Glykogenin 432f Glykogenolyse in der Muskelzelle 535f Regulation 437 Schlüsselenzym 433ff Glykogen-Phosphorylase 433, 437, 534 Interkonversion 435 regulatorische Kaskade 436 Glykogen-Synthase 432–438 Aktivierung 435 regulatorische Kaskade 435
Biochemie der Ernährung
Glykogensynthese Regulation 437 Schlüsselenzym 433f Glykolipide 8, 220, 223 Glykolyse 277f, 415f, 533 Reaktionsfolge 417 Regulation 424, 426 Schlüsselenzyme 419–428 Biosynthese 422 Regulation 423 Regulation durch allosterische Liganden 427 Glykoproteine 11, 220 Aufbau 73 Reifung 72 Glykosaminoglykane 74 glykosidische Bindungen 330 α-1,4-glykosidische Bindungen 331 α-1,6-glykosidische Bindungen 331 Glykosylphosphatidylinositol-Anker, siehe GPIAnker Glykosyltransferasen 72 Golgi-Apparat 4, 71–77 funktionelle Seiten 72 Glykosylierung der Proteoglykane 73 Leitenzyme 43 Lenkung von Proteinen 75f Modifizierung der Oligosaccharide 72 posttranslationale Proteolyse 75 räumliche Anordnung in der Zelle 58 Golgi-Vesikel 72 Golgi-Zisterne 71 Schema 71 GPI-Anker 11f, 71 G-Proteine 32, 37 inhibierende 35 G-Protein-gekoppeltze Rezeptoren 203 G-Protein-vermittelte Signalübertragung 202– 204, 209 Grenzdextrinase 332 α-Grenzdextrine 331 GRP (gastrin releasing polypeptide) 308 GTP 282 Guanase 568 Guanidinoacetat 538 Guanidoacetat-Methyltransferase 538 Guanin 46, 52, 568 Guanosin 568 Guanylat-Cyclase 36 -Rezeptor 310 Guanylin 309f gynoide Fettzellen 515 G-Zellen 315
H Halbsättigungsdruck 399 Halbsättigungskonstante 114 Häm 261, 397f katalytische Effizienz 262 Hämatokrit 367 Hämeisen 352
Index
Resorption 354 Hämoglobin 392, 396 Affinitätsänderung 404 als Puffer 391, 394, 407 Aufbau 397 Biosynthese 396–398 Desoxyform 401f Desoxygenierung 399 Funktionsweise 398–404 Kohlendioxidtransport 406 Kooperativität 124, 399f Oxygenierung 399 Proteolyse 354 Sauerstoffbindung 400–403 Sauerstofftransport 406 stufenweise Anlagerung des Sauerstoffs 402 Tetramer 399 Sauerstoffanlagerung 400 Verhalten des Eisens bei Oxygenierung 403 Hämoglobin A 397 Hämoxygenase 354 Haptocorrine 357 Haptoglobin 369 Harn Osmolalität 556 pH-Wert 560 Harnbestandteile im Endharn 549 im Glomerulusfiltrat 549 Harnkonzentrierung 566 Harnsäure 380, 450, 567, 569 im Endharn 566 Struktur 568 Harnstoff 380, 450, 457, 464 im Endharn 565f -Transporter 566 Harnstoff-Cyclus 456 Verknüpfung mit Tricarbonsäurecyclus 457 Harnstoffsynthese 454–458 Energieaufwand 457f Schlüsselenzym 455 Hauptnährstoffe 217 Hauptzellen 315, 319 Haushaltsgene 295 Hbα2β2 398 HCl-Sekretion 315f gastrische Phase 317 intestinale Phase 317 kephale Phase 317 Regulation 318 wichtigste Stimulatoren 317 HCO3–/(Cl–-Austauscher 405, 485f HCO3–/Cl–-Transporter 27 HCO3–/Na+-Cotransporter 485f H+/Di-/Tripeptid-Cotransporter 552 HDL (high density lipoprotein) 374f, 379, 482 α-Helix 228 Hemicellulose 330 Hemmkonstante 123 Henderson-Hasselbalchsche Gleichung 392
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Henle-Schleife 546f Calciumresorption 558 Magnesiumresorption 559 Hepatocyten 328, 409, 448, 482, 485, 488 histologisches Bild 411 Transporter 485f hereditäre Glucose-Galactose-Malabsorption 333 Herzglykoside 21 Herzmuskel 522, 528–530, 536 ATP- und Kreatinphosphat-Konzentration 538 siehe auch Myokard Heterochromatin 44 Heteroglykane 438 heterotrope Effektoren 124 heterotrophe Organismen 275 H2-Exhalationsmessung 360 Hexokinase 108, 118, 414, 420, 426, 439f, 533 Km 116 Regulation 427 Hexosemonophosphat-Weg 441 Hexose 219 Hill-Funktion 125 Hill-Koeffizient 125 Histamin 152, 308, 316, 318, 346 -Rezeptor 316 Histidase 464 Histidin 152, 227, 447 Abbau 463f Geschmack 215 Histone 45, 48 Hitzeschock-Proteine 95, 230 siehe auch hsp-Proteine HMG-CoA 472, 476 -Lyase 470, 472 -Reductase 476, 479f -Synthase 470, 472, 476, 479 hnRNA 51 Holoenzym 117 Homocystein 253, 465 Struktur 466 Strukturformel 255 Homocystein-Methyl-Transferase 466 Homogentisat -Dioxygenase 467 Struktur 467 Homöostase 3, 13, 363 homotrope Effektoren 124 Homovanillinsäure 155 hormonale Regulation 132–174 Hormondrüsen 134 Hormone 5, 132–174 aglanduläre 134 des Menschen, hierarchische Einordnung 138 die cAMP als second messenger haben 36 Effektivität 133 Entstehung durch modifizierte Aminosäuren 151 Fettgewebs- 192 gastrointestinale 187, 308 glanduläre 133, 140
590
des Menschen 135 hydrophile 136 Klassifikation 133–138 nach Wirkungsmechanismus 137 lipophile 136 Wirkmechanismus 110 mit intrazellulärem Rezeptor 137 mit membranständigem Rezeptor 137 pankreatische 186 Steroid- 161–168 hormone-response-elements (HRE) 109f für Glucocorticoide 111 Hormonrezeptor intrazellulärer 109 lipophiler, Hormone 109f house keeping genes 107 5-HPTE 171ff hsp60 96, 230 hsp70 40, 96, 230 -Familie 95 hsp90 110, 230 hsp-Proteine 103 Hunger Definition 178 spezifischer 184, 188 Einfluss von Serotonin 190 Wahrnehmung 178f Hydrathülle 382 Hydrationsradius 382 Hydrochinon, Strukturformel 242 Hydrolase 343 saure 77 hydrophile Hormone 136 hydrophobe Wechselwirkung 229 D-(–)-β-Hydroxyacyl-CoA 507 β-Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase 470 L-β-Hydroxyacyl-CoA 506 -Dehydrogenase 506f L-(+)-β-Hydroxyacyl-CoA 507 3-Hydroxyanthranilat 469 -Dioxygenase 469 β-Hydroxybuttersäure 390 β-Hydroxybutyrat 471–473, 536f -Dehydrogenase 472f Hydroxybutyryl-CoA 470 25-Hydroxycholecalciferol 167 7α-Hydroxycholesterin, Struktur 484 25-Hydroxy-Cholesterin 480 Hydroxycobalamin 252 18-Hydroxycorticosteron 164f 3-Hydroxykynurenin, Struktur 469 7α-Hydroxylase 483f 12α-Hydroxylase 484 Hydroxylysin 569 δ-Hydroxylysin 233 β-Hydroxy-β-methylglutaryl-CoA, siehe HMGCoA Hydroxymethylglutaryl-CoA-Lyase, siehe HMGCoA-Lyase Hydroxymethylglutaryl-CoA-Reductase 108
Biochemie der Ernährung
Hydroxymethylglutaryl-CoA-Synthase, siehe HMG-CoA-Synthase Hydroxymethyl-transferase 461 β-Hydroxypalmitoyl-[ACP]-Dehydratse 499 5-Hydroxyperoxy-Eikosatetraenoat, siehe 5-HPTE p-Hydroxyphenylpyruvat -Hydroxylase 467 Struktur 467 17-α-Hydroxyprogesteron 163 Hydroxyprolin 569 γ-Hydroxyprolin 233f 4-Hydroxypyruvat-Hydroxylase 257 Hydroxyradikal 292 5-Hydroxytryptamin, siehe Serotonin 5-Hydroxytryptophan 152, 189 -Decarboxylase 189 Hypercholesterinämie 340 Hyperglykämie 418 Hyperkaliämie 557 Hyperventialtion 395 Hypoglykämie 418 Hypokaliämie 557 Hypophyse 140 Hypothalamus 139 Esszentrum 179 Releasing- und Inhibiting-Faktoren 139 Sattheitszentrum 179 Hypoventilation 394 Hypoxanthin 568 H-Zone 523
I I-Bande 523f ICT-Troponin-Komplex 528 IDL (intermediate density lipoprotein) 373, 482 IgA 345f IgE-vermittelte Prozesse 346 ileal sodium-dependent bile acid transporter (ISBAT) 329 Ileum 323 Imidazolonpropionat 464 -Hydrolase 464 α-Iminoglutarat 452 Immunglobuline 369f, 372 Immunpräzipitation 368 Immunsystem des Darms 345 Induktion 422 Definition 108 Induktor 108f induzierte Konformationsänderung 113 inhibiting-Faktoren 134, 139 Inhibitor-Polypeptid (GIP) 144 Inhibitor-Protein-1 535f Initiationsfaktor-2 68 Initiationssignal 67 Inosin 568 Inositol 516 Inositol-trisphosphat (InsP3) 203 Inositol-1,4,5-triphosphat (InsP3) 37
Index
Insertionsprotein 96 Insulin 135, 140f, 150, 186, 190, 193, 195, 422, 424, 431, 436, 449, 474, 481, 512f, 515, 539f, 571 A-Kette 144 biologische Halbwertszeit 146 Biosynthese 142ff B-Kette 144 Blutkonzentration 145 C-Peptid 144 intrazelluläre Wirkungen 147 menschliches, Primärstruktur 142 mitogene Wirkungen 148 Reifung 144 und Aminosäurenaufnahme 147 und Hunger 186 und Transkriptionsfaktoren 149 Wirkungsspektrum 146 insulinähnliche Wachstumsfaktoren, siehe insulin like growth factor (IGF) Insulingen 142, 144 insulin like growth factor (IGF) 540 insulin-response-element 423 insulin responsive substrates, siehe IRS Insulinrezeptor 28, 146, 148 Mechanismus der Signaltransduktion 29 Insulinrezeptor-Substrat-1 (IRS-1) 28 Insulinsekretion 144 durch Glucose 145 β-3-Integrin 353 Integrine 301 Interkonversion 127 Prinzip 128 interkonvertierbare Enzyme 35, 127 Interkonvertierung 426 Intermediärfilamente 97–99 interstitielle Flüssigkeit 268 Elektrolyte 386 intestinale Elektrolytresorption 349f intestinale Epithelzelle 99 intestinale Wasserresorption 349 intragastraler pH-Wert 321 intravasale Flüssigkeit 268 intrazelluläre Flüssigkeit, Elektrolyte 386 intrinsic factor (IF) 357 Intron 50 Inulin 220 Ionenbindung 229 Ionenkanal ligandengesteuerter 30ff spannungsgesteuerter 31 spannungsregulierter 529 Ionentransport-ATPasen 22f Klassen 22 IRS-1 148 IRS-2 148 Isocitrat 281f -Dehydrogenase 280f, 284 Isoenzyme 51, 131f Isoleucin 227, 230, 447, 465, 540
591
Geschmack 215 Isomaltase 332 Isomerase 119, 507 Isopentenylpyrophosphat 477f -Isomerase 477 Isovaleriansäure 224 Ito-Zellen 410 I-Zellen 326
J Jejunum 330 Jod 157f, 260, 264 Jodmangel 159 Jodthyronine 135f juxtaglomerulärer Apparat 547
K Kalium 260f, 263, 386f Hydrathülle 382 im Blutplasma 381 Regulation 385 Resorption im Sammelrohr 557f O2-Kapazität 399 Kapillarendothel, Möglichkeiten des Substanzdurchtritts 364 Kapillarwand, treibende Kraft für die Flüssigkeitsbewegung 365 kataboler Stoffwechsel 275f Katal, Definition 112 Katalase 81, 118, 261 katalytische Effizienz 262 Km 116 Katalysator 103 Kauen 311 Keimscheibe 299f Kerckringsche Falten 322f Kernlamina 44, 56 Kernlokalisationssignale 56f Kernmembran 44, 56 Kernpore 44, 57 Aufbau 56 Ketoacidose 390 β-Ketoacyl-[ACP] -Reductase 499 -Synthase 499 β-Ketoacyl-CoA 506f Ketoacyl-CoA-Transferase 473 Ketoacyl-Synthase 498 α-Ketoadipat 469f -Dehydrogenase 470 α-Ketobutyrat 465f -Dehydrogenase 466 ketogene Aminosäuren 468 Ketogenese 474 α-Ketoglutamat 563 α-Ketoglutarat 281–283, 451f, 462–464 -Dehydrogenase 243, 284 -Dehydrogenase-Komplex 280f Ketonkörper 183, 380, 390 aerobe Energiegewinnung 536
592
Plasmakonzentration 475 Synthese 471–475 Syntheseweg 472 Überführung in Acetoacetyl-CoA 537 Verwertung 475 Ketonurie 475 β-Keto-6-phosphogluconat 442f α-Ketosäuredehydrogenase 540, 542 Ketothiolase 508 β-Ketothiolase 506f K+/H+-ATPase 317f Kinase 127 Kleinkind, Wasserverteilung 268 Kohlendioxid 389, 393, 396 im venösen Blut 404 Kohlendioxidtransport 404ff Kohlenhydratdigestion 320 Kohlenhydrate 217–221 Einteilung aufgrund glykosidischer Bindungen 330 Hydrolyse 330f metabolisch wichtige 219 Resorption 330 Verdauung 330 kohlenhydratreiche Nahrung, Einfluss auf Serotoninspiegel 190 Kollagen 257f -Faser 301 kompensatorische Atemregulation 394 kompetitive Hemmung 121, 123 kompetitiver Inhibitor 123 Konjugatbildung 569f konstitutive Genexpression 108 konstitutive Proteine 295 Konvolut distaler 556f, 559 proximaler 559 Kooperativität 124, 399f Kopplungsfaktor F0 289 Kopplungsfaktor F1 289f Koproporphyrine 569 im Endharn 566 Koprostan 485 Körnerzelle 209 Kreatin 537 -Kinase 538 Struktur 538 Kreatinin 380, 539 im Endharn 566, 569 Struktur 538 Kreatinphosphat, Synthese 538 Krebs-Cyclus 280 Kristallionenradius 382 Kryptenzellen 323 Kryptoxanthin 236 Kupfer 260, 264, 287, 354 im Blutplasma 381 Transportprotein 372 Kupfferzellen 410, 492 Kt-Wert 16
Biochemie der Ernährung
Definition 17 Kynurenin -Formylase 469 -Monooxygenase 469 Struktur 469 Kynureninase 469
L Lactase 332 Lactat 380, 390, 417, 419, 533 -Dehydrogenase 132, 417, 533 Km 116 Lactatacidose 390 Lactatämie 533 Lactonase 442 Lactose 219, 437f -Synthase 438 Lactoseintoleranz 332 lactovegetabile Kost 390 Lamina muscularis 322 Laminin 301 Langerhanssche Inseln 142 Lanosterin 479 Struktur 478 Lateraldiffusion 13 Laurinsäure 224 LDL (low density lipoprotein) 373ff, 378f, 482 -Rezeptor 40, 482 Leber als Kohlenhydratspeicher 431 als Nährstoffspeicher 413 Aminosäure-Pool 446 Cholesterinsynthese 475–479 Effekte durch Ethanol 491f Feinstruktur 409–411 Filterwirkung 411–414 Fructosestoffwechsel 439 Funktionen 410 Galactoseabbau 437 Glykogenolyse 432ff Glykogensynthese 432ff Harnstoffsynthese 454ff Interaktion mit Niere bei AmmoniakProduktion 562 Ketogenese 474 Kohlenhydrat-Stoffwechsel 414–445 Lipidstoffwechsel 471 Lipolyse 474 Proteinstoffwechsel 445–470 Proteinsynthese 449 Lebergalle, Hauptbestandteile 483 Leberläppchen 410 Lage 412 Leberproteine, biologische Halbwertszeit 448 Lebersinusoide 410 Leberstoffwechsel, Zonierung 487f Leberzelle Entgiftungsreaktionen 59 histologisches Bild 411
Index
relativer Anteil der intrazellulären Kompartimente 43 Transportsysteme 485 siehe auch Hepatocyt Leberzirrhose 492 Lecithin 59 Struktur 378 Lecithin-Cholesterin-Acyl-Transferase (LCAT) 377f, 482 Leerlauf-Cyclen 428 Leptin 191f, 495, 519f Wirkung 193 Leptinrezeptor 192f Leucin 227, 230, 447, 540 Abbau 468 Geschmack 215 Leucin-2,3-Amino-Mutase 252f Leukotrien 171, 174 Biosynthese 172 Liberine 139 Ligand, allosterischer 424 ligandengesteuerte Ionenkanäle 30ff Lignocerinsäure 224 Lineweaver 115 Lineweaver-Burk -Auftragung 123 -Gleichung 115 Linolensäure 9, 222, 224, 501f Linoleoyl-CoA 503 Linolsäure 9, 222, 224, 501f Lipase 320, 329, 334f, 337, 510f Lipiddoppelschicht 7 Lipide 221–224, 334 hydrolysierbare 223 Klassifizierung 223 nicht hydrolysierbare 223 Verdauung 329, 334–341 Lipidperoxidation 492 Lipidstoffwechsel, Metabolite 183 Lipoat-Transacetylase 429f Lipocortin 173 Lipogenese 512 Lipolyse 474, 512, 515 Liponsäure 430 lipophile Hormone 136 Lipoproteine 373 allgemeiner Aufbau 374 Modifikation im Blut 375 Lipoproteinlipase (LPL) 376–378, 511f lipostatische Theorie 183, 194 5-Lipoxygenase 171 Litocholsäure, Struktur 484 D-loop 84 Lunge 394 luteinisierendes Hormon (LH) 135, 140 Lutotropin, siehe luteinisierendes Hormon Lyase 119 Lymphfluss 365 Lymphocyten 345 Lysin 152, 227, 344, 447
593
Lysin Abbau 468, 470 Geschmack 215 Struktur 470 Lysin-α-Ketoglutarat-Dehydrogenase 470 Lysolecithin, Struktur 378 Lysosom 77–80, 448 Eingliederung der Hydrolasen 79 Leitenzyme 43 reifes 78 Subtypen 78
M Macula densa-Zellen 547 Magen 314 Dehnung 314 Digestion 319 Entleerungskinetik 314f Funktion 315 Muskel 314 pH-Wert 320f Magendrüse 315 Aufbau 316 Magenentleerung 321 Magenvolumen 320f Magnesium 260f, 263, 386–388 extrazelluläres, Regulation 385 im Blutplasma 381, 384 Resoprtionskinetik 352 Resorption 351f α-Makroglobulin 369 Makrophagen 292 Malat 93, 281f, 457, 497 Malat-Aspartat-Austauscher 91ff Malat-Dehydrogenase 93, 280f, 285, 420f, 457 Malat-α-Ketoglutarat-Austauscher 93 Maleylacetoacetat-cis-trans-Isomerase 467 Maleylacetoacetat, Struktur 467 Malonyl-Acetyl-Transferase 499 Malonyl-CoA 474, 498–500, 503, 513f Maltase 332 Maltose 219, 331 Maltotriose 331 Mangan 260, 264 Mannose-6-phosphat 79 Matrixeffekt 351 MDR-1 486 MDR-2 486 MDR-3 486 MDR-Protein 23 MDR (multi drug resistance)-1-Protein 338 MDR-Transporter 485f Medulla oblongata 394 Melanocortin 195 melanocytes stimulating hormon (MSH) 193 Melatonin 135 Membranen der Rattenleberzelle, Lipidzusammensetzung 9 Membranfluidität 500 Übergangstemperatur 13
594
membrangebundene Rezeptoren 28 Membranlipide 5 Membranpotential 21 Membranproteine 10f, 15 Membrantyp, Lipidzusammensetzung 7–10 Menachinon Resorption 339 Strukturformel 241 Menachinon-6 236 Menadion 241 Mengenelemente 259f, 262 im Meerwasser 261 physiologisch-biochemische Funktion 263 Mesangium-Zellen 547f messenger RNA, siehe mRNA metabolische Acidose 475 metabolisches trapping 359 metallaktivierte Enzyme 117 Metalle im Blutplasma 381 Metallionen 117 Metalloenzyme 117 Metanephrin 155 Methämoglobin 398 Methämoglobinreductase 398 Methionin 152, 227, 447 Abbau 465 zu Succinyl-CoA 466 Geschmack 215 L-Methionin Struktur 466 Strukturformel 255 Synthese aus L-Homocystein 255 Methionin-Adenosyl-Transferase 466 Methionin-Synthase 253, 255 3-Methoxy-4-hydroxymandelsäure 155 3-Methoxytyramin 155 Methylase 466 Methylcobalamin 252 β-Methylcrotonyl-CoA-Carboxylase 256 Methylhistidin 539 3-Methylhistidin 233f, 569 Methylmalonyl-CoA -Mutase 252, 466 -Racemase 254, 466 Umlagerung zu Succinyl-CoA 254 L-Methylmalonyl-CoA-Mutase 254 Mevalonat 476 -Kinase 477 Struktur 477 Mevalonat-5-phosphat 477 Mevalonat-3-phosphat-5-pyrophosphat 477 Mevalonat-3-phospho-5-pyrophosphat 478 Mevalonat-5-pyrophosphat 477 Mevalonsäure 480 MHC-II-Moleküle 346 Micellen 335 Michaelis-Konstante 114f Michaelis-Menten-Gleichung 114f Linearisierung 115 microfold-Zellen, siehe M-Zellen
Biochemie der Ernährung
microsomal ethanol oxidizing system 489f Mikrobodies 80 Mikrofilamente, siehe Actinfilamente Mikrosomen 58 Mikrotubuli 97–99 Mikrovilli 98, 322f Mikrozirkulation 363 Milchzucker 437 Mineralcorticoide 164 Wirkung 166 Mineralstoffe 258f, 262 Plasmaspiegel 380–385 Mischkost 390 mitochondriale DNA, siehe mtDNA Mitochondrien 4, 279, 496 innere Membran 287f Leitenzyme 43 Mitochondrion 82–96, 306 äußere Membran 85 Austauschersysteme 92 Besonderheiten des mitochondrialen Codes 84 Biosyntheseleistungen 89 Ca2+-Influx 93 Endosymbionten-Hypothese 82 Genomgröße 83 innere Membran 85 Intermembranraum 82, 85 Kopplung zwischen Tricarbonsäurecyclus und ATP-Synthese 87 Matrix 82 Membranen 82 oxidativer Stoffwechsel 86f Proteinimport 94–96 Transportvorgänge 90f Mitralzellen 209 M-Linie 523 Mobilferrin 354 molten globules 230 Molybdän 260, 264 2-Monoacylglyceride 336 Monoacylglycerin -Lipase 511 Struktur 511 Monoamin-Oxidase (MAO) 156 Monocarboxylat, Na+-abhängiger Transport 552 2-Monoglyceride 335 3-Monojodtyrosin (MIT), Struktur 159 Monosaccharide 218f Derivate 219 Resorption 333f Monosaccharid-Phosphate 219 Monosaccharidtransport 24 Morphogenese 299–301 Motilin 308f Motilität, gastrointestinale 315 M6P-Rezeptoren 80 M-Protein 525 mRNA 49 Caps am 5’-Ende 54 -Prozessierung 297
Index
reife 55 mtDNA 83f H-Strang 83f L-Strang 83f menschliche 84 Replikation 83 Transkription 84 Mucine 207 multi drug resistance 23 transporter, siehe MDR-Transporter Muskel, Substanzaustausch mit Leber 542 Muskelfaser, spezifische Proteine 525 Muskelfasertypen, ATP-Gewinnung aus Glucose 532f Muskelglykogen 534 Muskelkontraktion Kontraktionszyklus 526f Rolle der Calciumionen 528f Muskelmasse, relative 521 Muskelproteinumsatz, hormonelle Regulation 540 Muskeltypen 521 ATP- und Kreatinphosphat-Konzentration 538 Charakteristika 522 Muskelzelle 521 Kontraktion 523 Regulation der Glykogenolyse 535 Muskulatur 521–542 Energieversorgung 531–539 glatte 528, 530 Gleitfasermodell 524 Kontraktionscyclus 526f Möglichkeiten der ATP-Gewinnung 532 Muttermilch 345 Myocyt, siehe Muskelzelle Myofilamente 523 Anordnung 523 Myoglobin 398 Proteolyse 354 Myokard 529–531 Myosin 524f Myosinfilament 523f Myosin-Kinase 530 Myosinköpfe 526 Freisetzung der Bindungsstelle 528 Myosin-Leichtkette 530 Myristinsäure 224 M-Zellen 323, 345f
N Na+/Aminosäure-Cotransporter 551 Na+/ca2+-Antiporter 531 NaCl, Resorption 350 NAD 117f, 247 Strukturformel 246 Na+/Dicarboxylat-Cotransporter 552f NADH 91, 93, 278, 282 -Ubichinon-Oxidoreductase 286 NADH/NAD+-Konzentrationsverhältnis 285 NAD/NADH-System 120
595
NADP 117, 247 NADPH 441 Na+-Glucose-Cotransporter 23 Na+/H+ -Antiporter 552, 561 -Austauscher 27, 485f Na+(HCO3–(CO32–)-Cotransporter 555 Nährstoffe 217–274 akzessorische 217 anaerober Abbau 277 anorganische 258 Definition 217 essentielle 217 Haupt- 217 nicht-essentielle 217 oxidativer Abbau 278 Nahrungsaufnahme aminostatische Theorie 183 glucostatische Theorie 182 lipostatische Theorie 183 Regulation 177–198 thermostatische Theorie 185 Na+-Kanäle 31, 350 Na+/K+-ATPase 18f, 27, 184, 485f, 550–552 Anordnung der Untereinheiten 18 Aufbau der α-Untereinheit 19 Funktion 20f Konformationszustände während eines Zyklus 20 Modell des Wirkungsmechanismus 19–21 Na+/K+/Cl–-Cotransporter, Henle-Schleife 556 Na+/Monocarboxylat-Cotransporter 552f Naphthochinon 241 Natrium 258, 260f, 263, 385–387 Hydrathülle 382 im Blutplasma 381 Regulation 385 Rückresorption 270f Natriumhaushalt 385 Natriumkonzentration, intrazelluläre 388 Na+-unabhängiger Carrier 446 Nebennierenmark 135 Nebennierenrinde 135, 162 Nebenschilddrüse 135 Nebenzellen 319 Nebulin 525f Nephron 544 Aufbau 545 Gefäßsystem 545 topographische Anordnung 546 Nervonsäure 224, 501 Nervus vagus 314, 328 Neuraminsäure 219 Neurohormone 134 Neurohypophyse 135, 140 Neuromodulatoren der Nahrungsaufnahme 196 neuromuskuläre Endplatte 527f Neuropeptid Y (NPY) 192f, 308 Neurophysine 140 neurosekretorische Zellen 139
596
Neurotensin 309, 319 Neurotransmitter 134, 305 und Selektion der Makronährstoffe 188 neutral amino acids (NAAs) 189 Niacin 245, 468 intestinale Resorption und Prozessierung 356 nicht kompetitive Hemmung 121, 123 nicht kompetitiver Inhibitor 123 Nicht-Bicarbonat-Puffer 391f Nicht-Histonproteine 45 Nicht-Metalle im Blutplasma 381 nicht-respiratorische Acidose 390, 395f nicht-respiratorische Alkalose 395 Nickel 261 Nicolson 6 Nicotinamid, Strukturformel 246 Nicotinamid-Adenindinucleotid, siehe NAD Nicotinamid-Adenindinucleotidphosphat, siehe NADP nicotinischer Acetylcholinrezeptor 30 Nicotinsäure 245 Strukturformel 246 Niere 543–572 als endokrine Drüse 571 ATP-Bedarf 570 Funktionen 543 glomeruläre Filtration 548 Gluconeogenese 571 Glykolyse 571 histologischer Aufbau 543 Protonenausscheidung 561 Rückresorption 549f Wasserresorption 273 zonaler Aufbau 544 Nierenmark 543–546 Nierenrinde 543, 546 Noradrenalin 135, 152–155, 188, 318 enzymatische Inaktivierung 155 und Selektion der Makronährstoffe 190 Normetanephrin 155 NPC1L1 (Niemann-Pick C1 like Protein-1) 341 NPY-Gen 195 Nucleolus 44 Nucleoside, Aufnahme 348 Nucleosid-Phosphorylase 568 Nucleosomen 45, 48 Nucleus dorsalis 210 facialis 206 glossopharyngeus 206 gustatorius 206 olfactorius 206, 209 petrosus 206 solitarius 210 tractus solitarii 206 trigeminus 206 vagus 206, 210 N-Zellen 319
Biochemie der Ernährung
O Obestatin 196 ob-Gen 192f, 520 ob/ob-Mäuse 193f Ob-R, siehe Leptinrezeptor Odorantien 207 Oesophagus 311 offenes System 105 25-OH-Cholecalciferol 236 Oleyl-CoA 501f Olfaktomedine 208 Oligopeptide 226 membrangebundene Hydrolyse 342 Oligosaccharide Asparagin-gekoppelte 70 N-gekoppelte 72 komplexe 72 mannosereiche 73 Ölsäure 9, 224, 501 omnipotent 296 Organe, Definition 300 organische Säuren 388 organische Verbindungen, Grundbausteine 259 Organismen autotrophe 275 heterotrophe 275 Ornithin 152, 455f, 463f Ornithin-d-Aminotransferase 464 Ornithin-Transcarbamoylase 455f Osmorezeptoren 273 osmotische Diurese 557 Osteocalcin 241 Ouabain 21 Oxalacetat 93, 281f, 284, 421, 451, 457, 462, 496 Oxidase 81 β-Oxidation 471, 474, 505–507 Oxidationswasser 266 oxidative Phosphorylierung 86, 282, 290f Energieausbeute 88 oxidativer Pentosephosphat-Cyclus 441 oxidativer Stress 291–294 Oxidoreductasen 118 Oxygenierung 402 Oxytocin 135, 139 Oyruvat 420
P Palindrome 110 Palmitinsäure 9, 224, 498, 500 Palmitinsynthese 498 Palmitoleinsäure 501 Paneth-Zellen 323f Pankreas 135, 321, 324 Enzyme 325, 330 -Trypsininhibitor 131 Pankreaslipase 512 Pankreassekretion gastrale Phase 327 intestinale Phase 327 kephale Phase 327
Index
pankreatische Hormone 186 pankreatisches Polypeptid 308 Pantothensäure 256, 358 intestinale Resorption und Prozessierung 356 Strukturformel 256 Parabiose 181 Paraferritin 354 parakrin 134 Parathormon (PTH) 135, 385, 559 parazellulär 549 Parenchym, Definition 409 Parietalzellen 315, 317f, 357 Parotisdrüsen 311f O2-Partialdruck 399 P-ATPasen 22 PDH-Komplex, siehe Pyruvat-DehydrogenaseKomplex Pektine 330 Pentosen 219 Produktion 441 Pentosephosphat-Weg 441 erste Phase 443 Regenerierung der Pentodephosphate 445 Schlüsselenzym 442 zweite Phase 444 Pepsin 131, 319 Pepsinogen 315, 319 PepT1 344 Peptidbindung 226 Peptide, Hydrolyse 341f Peptidglykane 220 Peptidhormone 135, 141–151 Abbau im proximalen Tubulus 571 Peptidylglycin-amidierende-Monooxygenase 257 Peptidyltransferase 68 Peptid YY 308 periglomeruläre Zellen 209 periphere Proteine 11 Permeabilitätskoeffizient, Definition 14 perniziöse Anämie 357 Peroxidase 81, 489 Peroxisom 80f, 508 Enzyme 81 Leitenzyme 43 β-Oxidation 81 perspiratio insensibilis 265 Phagocyten 41 Phagocytose 41, 79 Phagolysosom 79 Phagosom 79 Phenylalanin 227, 447, 465 Abbau 467f Geschmack 215 -Hydroxylase 465, 467 Struktur 467 Phenylethanolamin-N-Methyltransferase 153f Phenylketonurie 465 Phosphat 386–388 im Blutplasma 381, 384 Regulation 385
597
Resorption 351f -Translokator 90 Phosphatase 127, 352 Phosphatidat-Phosphohydrolase 510 Phosphatidcytidyl-Transferase 516 Phosphatide 223 Phosphatidphosphatase 336 Phosphatidsäure 7, 223, 336, 509f, 515 Phosphatidylcholin 59, 516 Strukturformel 8 Synthese am glatten ER 60 Phosphatidylethanolamin 516f Strukturformel 8 Phosphatidylinositol 37, 516f Strukturformel 8 Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat (PIP2) 517 Phosphatidylinositolphosphate 516 Phosphatidylserin, Strukturformel 8 Phosphodiesterase 35, 203, 535 Phosphoenolpyruvat 277f, 417, 421 Phosphoenolpyruvat-Carboxykinase 419–424 Regulation 427 Phosphofructokinase 107, 285, 417–420, 422f, 426, 533 Regulation 427 1-Phosphofructokinase 439f Phosphoglucomutase 432 Phosphogluconat-Weg 441 6-Phosphogluconat 442f -Dehydrogenase 442f 6-Phosphoglucono-δ-lacton 443 Phosphoglycerat -Kinase 417 -Mutase 417 2-Phosphoglycerat 277, 417, 439f 3-Phosphoglycerat 277, 417 Phosphoglyceride 7 Biosynthese 516 Phosphoglycerinaldehyd-Dehydrogenase 417 Phosphohexose-Isomerase 417, 439, 442 Phospholipase 517 Phospholipase A2 171, 517 Phospholipase C (PLC) 203, 208, 517 G-Protein-vermittelte Aktivierung 38 Phospholipide 7, 222f, 515 Bildung 337 Phospholipidsynthese 60 Phospholipid-Translocatoren 60 Phosphomevalonat-Kinase 477 4-Phosphopantethein 257 Phosphoprotein-Phosphatase-1 426, 435 -1-Inhibitor 435 Phosphor 260f, 263 Phosphorylase a 534f Phosphorylase b 534–536 Phosphorylase-Kinase 436f, 534 Photorezeption 36 pH-Wert des Bluts 389 des Extrazellulärraumes 389
598
des Harns 560 des Intrazellulärraumes 389 einer gepufferten Lösung 392 Phyllochinon 236, 239 Resorption 339 Phytate 353 Phytomenadion, Strukturformel 241 Pilzpapille 200f Pinocytose 40 pK’-Wert 392 Plasma-Cholesterin-Spiegel 481 Plasmalipoproteine chemische Zusammensetzung 374 physikalische Eigenschaften 374 Plasmamembran 14 Leitenzyme 43 Plasmaproteine 368–372 Elektropherogramm 369 Plasmaproteinstatus 368 Plasmawasser 367, 379 Plasmazellen 346 Plasminogen 369 Plättchen-WF (PDGF) 303 Plavoproteine 245 Plexus myentericus 322 Polyadenylat-Schwanz 55 Polyadenylierung 55 Polymerase I 50 Polymerase II 50 Polymerase III 50 Polypeptide 226 Polyproteine 75 Polyribosome 61 Polysaccharide 218, 220 Polysomen 69 Porin 85 Porphobilinogen 569 im Endharn 566 Porphyrinring 397 Portalvenenblut 379 postresorptive Phase 181f Präadipocyt 495 Präcalciol 167 Prä-β-Lipoproteine 375 Präproglucagon 149 Prä-Proinsulin 144 Prä-Pro-Proteine 75 präresorptive Durststillung 274 Prä-RNA 54 Spleißen 55 Prävitamin D3 167 Pregnenolon 163, 165 primär aktiver Transport 18 Primärharn 547–549 Rückgewinnung von Natriumchlorid 553–557 Rückgewinnung von Wasser 553–557 Progesteron 135, 161, 163–165 Struktur 162 Proglucagon 150 proglucagon related polypeptide 150
Biochemie der Ernährung
programmierter Zelltod, siehe Apoptose Proinsulin 144 Prokaryotenzelle 41 Prolactin 135, 140 Prolin 227, 447 Abbau 463f -Dehydrogenase 464 Geschmack 215 Prolyl-cis-trans-Isomerase 230 Propionyl-CoA 465f, 508, 540f -Carboxylase 254, 256, 466 Pro-Protein, Definition 75 Prostacyclin 171, 173f Prostaglandin-15-Dehydrogenase 173 Prostaglandine 134, 173, 319, 572 Biosyntese 171 Prostaglandin E2 171, 174 Prostaglandin F2α 171 Prostaglandin H2 171 Prostaglandin L, siehe Prostacyclin prosthetische Gruppe 117, 225 Proteasom 449 28S Proteasom 103 Proteinabbau Aktivierung des Ubiquitins 102 im Cytosol 101 Proteinbedarf 225 Proteinbiosynthese Elongationsphase 68 Energiebedarf 69 Initiation 68 Termination 69 Proteindigestion 319 Protein-Disulfid-Isomerase 69, 75, 230 integrale 10 Proteine 224–235 biologische Halbwertszeit 225 Definition 226 extrinsische 10 β-Faltblatt 228, 230 fibrilläre 225 globuläre 225 Glykosylierung 69 α-Helix 228, 230 im Endharn 566 konstitutive 295 periphere 11 posttranslationale Modifikation 69–71, 101 posttranslationale Proteolyse 75 Primärstruktur 226, 228 Quartärstruktur 226, 229 Rückhalte-Signale 75 Sekundärstruktur 226, 228 Tertiärstruktur 226, 228f Bindungen zur Stabilisierung 229 Transmembran- 10f Ubiquitinierung 448 Verdauung 341f Proteinfaltung 228ff Proteinhydrolysat 344
Index
Proteinkinase A 35, 436f, 518 Aktivierung durch cAMP 35 Proteinkinase C 37f Proteinkinase G 36 Proteinphosphatase 29, 535 proteinreiche Nahrung, Einfluss auf Serotoninspiegel 190 Proteinstoffwechsel 445–470 Proteinsynthese 63 Proteoglykane 73f, 220 Prothrombin 369 Protonen, Ausscheidung 560f protonenmotorische Kraft 86, 91 Protoonkogene 303 Provitamine A 237 proximaler Konvolut 559 proximaler Tubulus 544–547, 554 Abbau von Peptidhormonen 571 Aminosäurenresorption 551 Ammoniakausscheidung 565 Bicarbonat-Resorption 555 Calciumresorption 558 Glucoseresorption 550 Magnesiumresorption 559 Phosphatresorption 559f Resorption von Di- und Tripeptiden 552 Sekretion von Endobiotica 570 Sekretion von Xenobiotica 570 P-Stelle 68 Pteridin, Strukturformel 250 Pteroylmonoglutaminsäure, Strukturformel 250 Puffer 391 Pufferkapazität 392 Definition 391 der Puffersysteme des Blutes 393 des Bluts 394 Puffersysteme des Bluts 392 Regenerierung 394 Punctus adherens 301 Purin-Derivate 46 Purine 567 Abbau zu Harnsäure 568 Herkunft des Purinkerns 234 Purinstoffwechsel 567f Putrescin 152 Pylorus 314, 321 Pyridoxal 247 Pyridoxalphosphat 247, 250, 460 Pyridoxamin 247 Pyridoxin 247, 358 intestinale Resorption und Prozessierung 356 -Vitamere, Strukturformel 247 Pyrimidin -Derivate 46 Herkunft des Pyrimidinkerns 235 Pyrophosphomevalonat-Decarboxylase 477 Pyrrolin-5-carboxylat 464 Pyrudioxalphosphat 462
599
Pyruvat 277f, 285, 380, 417, 419, 422, 428f, 451, 459, 462, 497 aus Aminosäurenabbau 461 beim Katabolismus von Aminosäuren 460 dehydrierende Decarboxylierung 429 Umwandlung in Phosphoenolpyruvat 421 Pyruvat-Carboxylase 255, 419–424, 428 Regulation 427 Pyruvat-Decarboxylase 429 Pyruvat-Dehydrogenase 127, 243, 278, 284, 421 dephosphorylierte 430 -Komplex 428 phosphorylierte 430 Pyruvat-Dehydrogenase-Komplex 429, 471 Komponenten 430 Regulation durch Interkonvertierung 431 Pyruvat-Kinase 107, 118, 417–423 Interkonvertierung 428 Regulation 427
Q quilibrierende Nucleosidtransporter (ENT) 348ff
R Radikalfänger 294 Raffinose 330 raues ER 57 rBAT-Protein (renal basic amino acid transporter) 344 reaktive Sauerstoffspezies, siehe ROS Rectumkarzinome 360 Redox-Systeme der Atmungskette 286 Reflexe der kephalischen Phase 211f Relaxin 135 releasing-Faktoren 134, 139 remnants 449 Renin 270, 547, 572 Renin-Angiotensin -Aldosteron-Adiuretin-System 271 -System 165 Replikation 48 Repression 108, 422 Resorption von Elektrolyten 350 von Wasser 350 respiratorische Acidose 390, 395f respiratorische Alkalose 390, 395 Restriktionspunkt 48 Reticulocyten 397 Retinal 237f Strukturformel 237 Retinaldehyd 237 -Dehydrogenase 170 Retinoatrezeptoren 169 Retinoat-X-Rezeptor (RXR) 170 retinoic acid receptor (RAR) 170 Retinoide 237 Retinol 169, 339 -Bindungsprotein (RBP) 169, 237 -Dehydrogenase 170
600
Strukturformel 237 Retinsäure 136, 237f Strukturformel 237 Retinylester 339 Retinylphosphat 169 H2-Rezeptor 316 T3-Rezeptor 160 T4-Rezeptor 160 Rezeptoren α-adrenerge 156 β-adrenerge 156 cytoplasmatische 27 Definition 27 first messenger 33 membrangebundene 28 α2-Rezeptoren 515 β-Rezeptoren 515, 535 rezeptorvermittelte Endocytose 39f R-Form 126 Rhodopsin 169, 238 Riboflavin 244, 358, 486 intestinale Resorption und Prozessierung 356 Ribonuclease, siehe RNAase Ribonucleinsäure, siehe RNA Ribonucleotid-Reductase 118 Ribose 51f D-Ribose 219, 441 Ribosom 49, 61–63, 67 Biogenese 62f der Eukaryotenzelle 61 dreidimensionales Modell 62 eukaryotisches, funktionelle Bezirke 68 Selbstorganisation 63 Untereinheiten 61f Zusammensetzung 61 Ribozym 55, 106 D-Ribulose 219 Ribulose-5-phosphat 441–445 -Epimerase 442, 444 -Ketoisomerase 442, 444 Riechepithel 206f Riechhirn 209 Riechzelle 206f RNA 51 Prozessierung 50, 55 Resorption 347 RNAase 347 RNAase I 347 RNA-Polymerase 52 der Eukaryotenzelle 52 DNA-abhängige 50, 52 RNA-Spleißen, alternatives 51 RNA-Synthese 52 ROS 291ff rRNA 61 Ryanodin-Rezeptoren 529
S Saccharase 332 -Isomaltase 332
Biochemie der Ernährung
Saccharin 214 Saccharopin 470 -Dehydrogenase 470 Saccharose 219, 438 Erkennungsschwelle 213 Salicylat 173 Salzsäuresekretion Phasen 315 siehe auxh HCl-Sekretion Sammelrohr 544, 546f H+/K+-ATPase 561 Kaliumresorption 557f Natriumresorption 556 sarcoplasmatisches Reticulum 59 Sarkolemm 521 Depolarisation 529 Sarkomer 523f Sarkoplasma 521 sarkoplasmatisches Reticulum 529 Speicherung und Abgabe von CalciumIonen 529 Sattheitszentrum 179 Sättigung 181 Definition 178 Wahrnehmung 178f Sauerstoff 280, 291, 396 in der Atmungskette 285 Singulett- 293 Sauerstofftransport 404ff Säugetierembryo, frühe Stadien 296 saure Hydrolasen 77 Säure-Basen -Haushalt 395 -Status 389f Säuren, organische 388 Schaltzellen 558 Schilddrüse 135, 156 Schilddrüsenhormone 136, 156–161, 481, 515, 540 Biosynthese 158 Struktur 159 Trägerprotein 371 Wirkung 160f Schilling-Test 357 Schluckakt 311 Schlüsselenzyme Definition 107 selektive Änderung der Syntheserate 108 Schwefel 260f, 263 second messenger 34f cAMP 35 cGMP 36 DAG 37 InsP3 37 Stickstoffmonoxid 36 Sedoheptulose-7-phosphat 442, 444f Sekretin 144, 150, 186, 308f, 318f, 326 Sekretion 328 sekretorische Granula 76 sekretorische Vesikel 76f
Index
Sekretproteine 64f Translokation ins ER-Lumen 64 sekundär aktiver Transport 18 Selbstmord-Inhibitoren 123f selektive Genexpression 295f selektive Permeabilität 3 Selen 260, 264, 354 Selenocystein 66, 232 self assembly 12 Semichinon, Struktur 288 L-Semidehydroascorbinsäure, Strukturformel 257 semikonservative Replikation 49 Semi-Vitamin 245 Sequenzmodell 126 Serin 152, 227, 447, 451 Abbau 460f Geschmack 215 Reaktionsmechanismus der α-βEliminierung 462 Serin-Threonin-Dehydratase 249, 460f Serotonin 152, 188, 308, 346 Biosynthese 189 Serotoninspiegel, Nahrungseinflüsse 190 SGLT-1 23f Modell der Sekundärstruktur 24 -Transporter 333 SGLT-2 25, 550f Sialinsäure 9 Sigmasterol 341 signal recognition particle 63 Signalerkennungspartikel (SRP) 63 Signalpeptid 63, 57 Signalpeptidase 96 Signalstoffe 133 Signaltransduktion 27 Rezeptoren 27 Silicium 261 Singer 6 Singulett-Sauerstoff 293 Sitosterin 340f Sitosterinämie 340 Skelettmuskel 522, 527f ATP- und Kreatinphosphat-Konzentration 538 Skelettmuskulatur 528f, 542 als Proteinspeicher 539 small nuclear ribonucleoprotein particles, siehe snRNp small nuclear RNA, siehe snRNA 2-(sn2)-Monoacylglyceride 335 snRNA 52 snRNP 55 soluble guanylat cyclase 36 solvent drag 557 Somatostatin 140, 144, 309, 318 Somatostatin-14 151 Somatostatin-28 150 Somatostatinrezeptor 35 Somatotropin (STH) 135, 140 Sorbitol 219, 441 -Dehydrogenase 440f
601
Sortiersignal 77 spannungsgesteuerte Ionenkanäle 31 Speichel 311 -Amylase 320 Enzyme 311 Funktion 311 -Lipase 320 Zusammensetzung 313 Speicheldrüsen 311f Aufbau 313 Speichelsekretion 312 Stimulation 312f wichtigste Elektrolyttransportprozesse 313 Spektrin 97 Sphingolipide 223 Sphingomyelin 7, 516 Strukturformel 9 Sphingophospholipide 7, 515 Sphingosin 7, 515 Strukturformel 9 Sphinkter Oddi 328 Spleißen 55 alternatives 55 Spleißosom 55 Spurenelemente 260 essentielle 259f im Meerwasser 261 physiologisch-biochemische Funktion 264 Resorption 354 Squalen 478 Struktur 477f -Synthetase 477 SRP-Rezeptor 63 Stachelsaumgrübchen 40 Stärke 218, 220, 331 Startcodon 68 Starter-Aminoacyl-tRNA 68 Statine 139 steady state 105 Stearinsäure 9, 224, 500 Stearyl-CoA 502 Sterine 223 Sternzellen 410 Steroide 136, 223 Steroidglykoside 21 Steroidhormone 161–168 molekulare Wirkung 165f Rolle der Enhancer-Sequenzen 53 Struktur 162 Steroid-Thyroid-HormonrezeptorSuperfamilie 166 Sterolregulationselement-1 (SRE1) 480 stickstoffhaltige Minerale, Biosynthese 452 Stickstoffmonoxid 308 Stoffwechsel anaboler 275f Definition 3 kataboler 275f Stoffwechselregulation 3–174 Stop-Codon 69
602
Struma 159 Sublingualdrüsen 312 Submandibulardrüsen 312 Substanz P 308, 325f Substrat-Bindungsenergie 113 Substratbindungsstelle 112 Substratkettenphosphorylierung 277, 282 Substratspezifität 104 Succinat 281f, 473, 537 -Dehydrogenase 280f -Ubichinon-Oxidoreductase 286 Succinyl-CoA 281–283, 459, 465f, 508, 537, 541 -Acetoacetyl-CoA-Transferase 536 -Synthetase 280f Sulfat 386, 388 im Blutplasma 381, 384 sulfatierte Glucosaminoglucane, Abbau 390 Superoxiddismutase 292 Superoxid-Radikal 291 Süßstoffe 203, 214 Symmetriemodell 126 Symporter 26 S-Zellen 326
T Tageswasserbilanz 265f Tannine 353 TATA-Box 52f Taurin 483 Taurocholsäure 329 Struktur 484 Terminationssignal 67 Testosteron 135, 161, 441, 540 Struktur 162 Tetrahydrofolat, Strukturformel 250 Tetrahydrofolsäure 250f Interkonversion der Ein-KohlenstoffEinheiten 251 Tetrajodthyronin (T4) 157f Konzentration im Blutplasma 160 Struktur 159 T-Form 126 Thermogenese, zitterfreie 517f Thermogenin 518 thermostatische Theorie 185 Thiamin 243, 358 intestinale Resorption und Prozessierung 356 Strukturformel 243 Thiamindiphosphat 429, 442 -abhängige Reaktionen 244 Strukturformel 243 Thiaminmangel 243 Thiaminmonophosphat (TMP) 243 Thiamintriphosphat (TTP) 243 Thioesterase 498 Thiokinase 336, 504 Thiolase 472f, 476 thiolytische Spaltung 507 third messenger 38 Threonin 152, 227, 447, 451, 461, 468
Biochemie der Ernährung
-Aldolase 461 Geschmack 215 Thrombopoetin 572 Thromboxan, Biosynthese 171 Thromboxan A2 171, 173f Thymin 46 Thymosin 135 Thyreocalcitonin 385 Thyreoglobulin 156f Thyreoideastimulierendes Hormon (TSH) 158 Thyreotropin (TSH) 135, 140 thyroxinbindendes Globulin (TBG) 159, 371 thyroxinbindendes Präalbumin (TBPA) 159, 368 tight junctions 350 Titin 525f T-Lymphocyten 346 Tocochinon, Strukturformel 240 Tocopherol 236, 239 -Radikal, Struktur 293 Resorption 339 Struktur 293 α-Tocopherol 239 als Radikalfänger 293 Redoxformen 240 Strukturformel 240 β-Tocopherol-Hydrochinon, Strukturformel 240 Tocotrienole 239 topogene Sequenzen 65 Tractus olfactorius 209 Transaldolase 442, 444 Transaminase 249, 450, 457 Transaminierung 450 einer Aminosäure 247–249 Transcobalamin 252, 357, 369 Transcortin 164, 369, 371 Transducin 33, 36 trans-Δ2-Enoyl-CoA 506, 508 Δ2-trans-Enoyl-CoA 507 transfer RNA, siehe tRNA Transferrin 354, 369, 372 Transfer-Startpeptide 65 Transfer-Stoppeptide 65 transformierender WF (TGF β) 303 Transketolase 243, 442, 444 Transkription 49, 51 Transkriptionsfaktoren 50 Translation 49, 66–69 Fehlerquote 102 Phasen 67 Transmembranproteine 10f, 64f Aquaporine 14 Ausbildung der Raumstruktur 65 Transphosphorylierung 537 Transport aktiver 17 -ATPasen 26 primär aktiver 18 sekundär aktiver 18 Transporter der Leberzelle 485
Index
Transportsysteme Na+-Ionengradienten-gekoppelte 350 zur Resorption von Aminosäuren 343ff Transportvesikel 76 Transthyretin 368, 370 transversale Diffusion 13 transversale Tubuli 529 Transzellulär 549 transzelluläres Wasser 268 Trehalase 332 Trehalose 220 Triacylglycerin 510f -Lipase 510f, 515 Struktur 511 Tricarbonsäurecyclus 86, 279f, 283f, 428, 474 Bilanz 282 Einzelreaktion 280 Entstehung von Reduktionsäquivalenten 282 Enzyme 281 Intermediate 458f Reaktionsschritte 281 Regulation 284f Verknüpfung mit Harnstoffcyclus 457 Tricarboxylat-Carrier 93 Triglyceride 183, 221f, 334, 493 Abbau 510f Biosynthese 509–515 hormonelle Steuerung des Auf- und Abbaus 512f Hydrolyse 334 Resoprtionsprozess 338 Triglyceridhydrolyse 335ff Triglyceridsynthese 336, 474 Trijodthyronin (T3) 157f Konzentration im Blutplasma 160 Struktur 159 3,3’,5’-Trijodthyronin (Revers T3 [tT3]), Struktur 159 Trinken 274 Trinkwasserbedarf 266 Triosekinase 439f Triosephosphat-Isomerase 278, 417 Tripeptide Resorption 342 im proximalen Tubulus 552 Triplett 66 tRNA 50f allgemeine Struktur 67 Aminosäurebindungsstelle 67 Trophoblast 299 Tropomyosin 524–526, 528 Troponin 524–526 Trypsin 131, 341 pH-abhängige Aktivität 129 Trypsinogen 325 Tryptamin 152 Tryptophan 152, 227, 231, 447, 460 Abbau 468f -Dioxygenase 469 Geschmack 215
603
NAA-Verhältnis 190 L-Tryptophan 189f -Hydroxylase 189 Struktur 469 TSH-Releasing-Hormon (TRH) 158 TSH-Rezeptor 158 Tubulin 99 Tubulus 544 distaler 544–547 proximaler 544–547, 554 Abbau von Peptidhormonen 571 Aminosäurenresorption 551 Ammoniakausscheidung 565 Bicarbonat-Resorption 555 Calciumresorption 558 Glucoseresorption 550 Magnesiumresorption 559 Resorption von Di- und Tripeptiden 552 Puffersysteme 561–565 Tubuluszellen, H+-ATPase 561 Tunica serosa 322 Typ-I-Rezeptoren 28f Typ-II-Rezeptoren 30 Typ-III-Rezeptoren 32 Tyramin 152 Tyrosin 152, 154, 227, 231, 447, 465 Abbau 467f -Abkömmlinge 153 Geschmack 215 -Hydroxylase 153f Struktur 467 -Transaminase 467 Tyrosinkinase -Aktivität 28 -Domäne 28 Tyroxin, siehe Tetrajodthyronin (T4) 159
U Übergangs-ER 58 Übergangsvesikel 72 Übergangszustand 104 Ubichinol, Struktur 288 Ubichinon 286, 478 -Cytochrom c Reductase 286f Struktur 288 Ubiquitin 102, 111, 448 Aktivierung für den Proteinabbau 102f UCP-1 518f UCP-2 519 UCP-3 519 UDP-Galactose 437f -4-Epimerase 438 UDP-Glucose 432f umami 201, 203, 216 uncoupling protein 495, 518 uncoupling protein-1, siehe UCP-1 Uniporter 26 Uniquitinierung 448 unkompetitive Hemmung 121, 123 Uracil 51f
604
ureotelisch 450 Uricämie 568 primäre 568 sekundäre 568 uricotelisch 450 Uridyldiphosphat-Galactose, siehe UDP-Galactose Urocanase 464 Urocanat 464 Uronsäuren 219 Uroporphyrine 569 im Endharn 566 UT-1 566 UT-2 566 UT-3 566
V Valin 227, 230, 447, 540 Abbau 465 Valva ileocoecalis 359 Vanadium 261 Vasa recta 545 Vasopressin 135, 139, 272 siehe auch Adiuretin V-ATPase 22f Vena cava 545 renalis 545 Villin 97f VIP (vasoaktives intestinales Polypeptid) 308f, 319 Vitamere 236 Vitamin A 169, 236f Vitamin B1 243 siehe auch Thiamin Vitamin B2 244 siehe auch Riboflavin Vitamin B6 247 Vitamin B12 251f Malabsorptionstest 357 Strukturformel 253 Vitamin C 257 siehe auch Ascorbinsäure Vitamin D 238 Vitamin D3 167 Biosynthese 167 siehe auch Calcitriol Vitamin E 239 Vitamin K 239, 241 Vitamin K1 239 Vitamin K2 239 Vitamin K3 239 Vitamin K4 236 Vitamine 235–258 fettlösliche 235f Resorption 338f Freisetzung aus den Coenzymformen 358 semi-essentielle 235 Strukturanaloga, relative biologische Wirksamkeit 236 wasserlösliche 119, 235f, 242, 358f
Biochemie der Ernährung
duale Kinetik 358 Resorption 355–359 VLDL (very low density lipoprotein) 373f Interkonversion im Blut 376–378, 482
W Wachse 223 Wachstumsfaktoren 303 Wachstumshormon 134f, 539 Wallpapille 200f Warburg-Dickens-Horecker-Abbauweg 441 Wärmeproduktion 517 Wasser 264–274 präformiertes 266 Resorption im Darm 349f transzelluläres 268 Wasserabgabe 269 Wasseraufnahme 269 Wasseraustausch zwischen den Flüssigkeitsräumen 269 Wasserbestand des Organismus 266–269 Wasserbilanz 265 Wasserdiurese 557 Wassergehalt einzelner Gewebe 267 Wasserhaushalt 265 Regulation 271 Wasserresorption im Sammelrohr 273 Wasserstoffbrücke 229 Wasserstoffperoxid 81, 292f Watson-Crick-Modell 47 western style diet 445
X Xanthin 567f -Oxidase 568 Xanthome 340 Xenobiotica 570 D-Xylose 219 Xylulose-5-phosphat 442, 444f
Z Zellatmung 279 Zellcortex 97 Zelldifferenzierung 296 Zellen als offenes System 104 basal-granulierte endokrine 315 biochemische Individualität 305 des Immunsystems 295 enterochromaffine (ECL-) 316, 318 Grundfunktionen 305 Koloniebildung 295 Kommunikation 304f Membrandomänen 77 neurosekretorische 139 Parietal- 317f turnover 304 Zellgedächtnis 297 Zellkern 44–57 Leitenzyme 43
Index
Zellkompartimente 3, 41 Leitmoleküle 43 Zellkompartimentierung 41–103 Zell-Matrix-Kontakte 301 Zelltypen 298 Zell-Zell-Kontakte 300f Zink 258, 260f, 264, 287, 354 -Finger 110 im Blutplasma 381 Zinn 261 Z-Membran 523 ZNS, an der Steuerung der Nahrungsaufnahme beteiligte Regionen 180
605
Zona fasciculata 162 glomerulosa 162 reticularis 162 adherens 301 Z-Scheibe 523 zweiter Hauptsatz der Thermodynamik 275 Zwischenzellen 323 Zymogene 129 gastrointestinale Enzyme 131 proteolytische Umwandlung 130 Zymosterin 479 Struktur 478