Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 659 Die Namenlose Zone
Bio‐Imitatoren von Peter Griese
Die Wiederentdeckun...
13 downloads
421 Views
870KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 659 Die Namenlose Zone
Bio‐Imitatoren von Peter Griese
Die Wiederentdeckung der Lichtquelle
Es geschah im April 3808. Die entscheidende Auseinandersetzung zwischen Atlan und seinen Helfern auf der einen und Anti‐ES mit seinen zwangsrekrutierten Streitkräften auf der anderen Seite ging überraschend aus. Die von den Kosmokraten veranlaßte Verbannung von Anti‐ES wurde gegenstandslos, denn aus Wöbbeking und Anti‐ES entsteht ein neues Superwesen, das hinfort auf der Seite des Positiven agiert. Die neue Sachlage ist äußerst tröstlich, zumal die Chance besteht, daß in Bars‐2‐Bars nun endgültig der Friede einkehrt. Für Atlan jedoch ist die Situation alles andere als rosig. Der Besitz der Koordinaten von Varnhagher‐ Ghynnst, ohne die er nicht den Auftrag der Kosmokraten erfüllen kann, wird ihm nun ausgerechnet durch Chybrain vorenthalten. Ob er es will oder nicht, der Arkonide wird verpflichtet, die Namenlose Zone aufzusuchen. Als Atlan im Juni 3808 wieder zur SOL zurückkehren will, gelingt das nicht. Die MJAILAM, sein Expeditionsraumschiff, gerät in große Schwierigkeiten beim Zusammentreffen mit dem Planetoiden des Schreckens, und der Ausbruch aus der Falle fordert Schiff und Crew alles ab. Anschließend stößt Atlan auf die BIO‐IMITATOREN …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Der Arkonide macht einen bedeutsamen Fund. Insider ‐ Der Kowallek handelt eigenwillig. Fasto ‐ Ein Materietaucher. Minander ‐ Alles‐Chef der Quibbirger. Polisar ‐ Wissenschaftler der Bio‐Imitatoren. Kormath ‐ Ein besonnener Historiker.
1. Das Filigran strahlte aus sich heraus, denn nur so war es erkennbar. Es gab in der unendlichen Weite kein Objekt, das ihm Licht verliehen hätte. Die Namenlose Zone besaß für normale Sinne weder Licht noch Schatten, weder Materie noch Energie. Das Filigran schien das zu wissen, denn es leuchtete stärker, als es sich seinem Ziel näherte. Das Ziel war ein unansehnlicher Materiebrocken, der seine Schockfront verloren hatte. Die dunklen Löcher in dem unregelmäßigen, etwa zehn Kilometer durchmessenden Brocken unterschieden sich kaum von der eigentlichen Materie. Nur der schwache Widerschein, den das Filigran erzeugte, ließ erkennen, daß der Kleinplanetoid einer durchlöcherten Kartoffel glich und entfernt an einen Schwamm erinnerte. Das Filigran besaß eine exakte Kugelform, wenn man es aus einer gewissen Entfernung betrachtete. In Wirklichkeit befand sich jedoch nur in seinem Mittelpunkt ein faustgroßer und dichter Körper. Die schillernden Fäden, die von dieser kleinen Kugel ausgingen und sich mehrfach verzweigten, ließen jedoch den Eindruck entstehen, daß es sich bei dem seltsamen Körper um eine fast zwei Meter dicke Kugel handelte. Die feinen Bewegungen der bunten Fäden waren kaum festzustellen. Langsam senkte sich das Filigran auf den Planetoiden herab. Es bewegte sich mehrfach in seitlicher Richtung, als suche es etwas
Bestimmtes. Der kleine Himmelskörper zeigte jedoch keine Bewegung und kein Anzeichen von Leben. Die Fäden wechselten erneut ihre Farben. Ein Schauer der Regenbogenfarben wich einem Glitzern funkelnder Goldtöne. Für einen Moment schien es, als bestünde der Kugelkörper aus winzigen Kristallen, die sich zu bizarren Fäden geformt hatten. Dann erlosch alles Licht, und auch die dürftigen Reflexe des Planetoiden erstarben. Das Filigran hatte etwas entdeckt. Aber es war nicht das, wonach es suchen mußte. Unsicherheit befiel es, denn dieser Fall war von seinem Auftraggeber nicht vorhergesehen worden. Es gab keine Verhaltensanweisung für die ungewöhnliche Bewegung. Das Erlöschen des Eigenlichts war nichts anderes als eine automatische Schutzreaktion. Das sich Bewegende war fremd. Es stimmte nicht mit den Impulsen überein, die im Zentrumskörper auf ein passendes Echo warteten. Dennoch glitt das Filigran langsam weiter. Es fühlte sich wieder sicherer, denn das, was sich dort bewegte, konnte nichts sehen. Kantige Felsen glitten an dem Filigran vorbei. Halb verschüttete Krater und Schlünde rissen wie hungrige Tiere ihre gähnenden Mäuler weit auf. Die Sensoren im Zentrumskörper registrierten dies auch ohne Licht. Dort war wieder die Bewegung! Nun übermannte die Neugier das Filigran. Vielleicht handelte es sich doch um ein Objekt, das die geschickt hatten, nach denen er suchen mußte. Es glitt näher heran und begann wieder schwach zu strahlen. Sofort erstarb die Bewegung. Aber nun spürte das Filigran das echte Leben. Es hatte sich mit seiner letzten Vermutung also doch nicht geirrt. Es mußte sich um ein Mitglied derer handeln, nach denen er forschte. Ein halbkugelförmiger Kopf schoß plötzlich vor ihm empor. Der lange Körper, der ihm folgte, steckte zu einem Teil im Gestein des Planetoiden, so daß das Filigran ihn nicht sofort bemerkt hatte. Ein
breites Maul öffnete sich weit, in dem eine gespaltene Zunge zuckte. Dann packten mehrere Greifarme nach dem Kugelkörper und umschlangen ihn. Panik befiel das Filigran. So konnten doch die nicht handeln, denen es helfen sollte! Die Pranken waren mächtig. Wenn das Filigran nicht im letzten Augenblick seine Körpersubstanz verhärtet hätte, wäre es schon jetzt zerquetscht worden. Der Körper seines Gegners glitt nun zur Gänze aus dem Fels. Er besaß die Form einer dicken Schlange, deren Haut im Widerschein des immer heller strahlenden Filigrans grüne Töne annahm. Mehrere schwarze Zickzacklinien zogen sich vom Kopf über den Rumpf bis zum Schwanz. »Aufhören!« stieß das Filigran in der Sprache hervor, die ihm auf diesen Weg mitgegeben worden war. »Ich komme als Freund.« Das Schlangenwesen reagierte nicht. Die Atmosphäre war hier zu dünn, als daß es etwas hätte verstehen können. Dann schnappte das Maul gierig zu. Das Filigran lud seine Spitzen mit elektrischer Energie auf und ließ diese auf den Gegner überspringen. Grelle Blitze zuckten durch das Vakuum, fraßen sich in den Leib der dicken Riesenschlange und zerbröckelten den umgebenden Fels. Endlich ließ das Wesen von dem Filigran ab. Es machte einen Sprung in die Höhe, drehte sich halb über die Oberfläche und stürzte dann mit dem Kopf voran auf den Fels zu. Das Filigran erwartete einen harten Aufprall, aber das geschah zu seiner Verwunderung nicht. Die zehnbeinige Schlange tauchte elegant in das Gestein ein, als sei dieses keine feste Materie sondern eine Flüssigkeit. Sekunden später war sie mit rudernden Pranken verschwunden. Das Filigran erholte sich schnell von dieser Überraschung. Es aktivierte seine Sinne wieder, aber sein Gegner hatte sich schon zu weit entfernt, als daß es ihn noch hätte spüren können.
»Darauf hast du mich nicht vorbereitet, mein Herr!« sagte das Filigran zu sich selbst. »Darauf nicht! Vielleicht kannst du mir jetzt verraten, wie ich mein Ziel finden soll?« Es bekam keine Antwort, denn der, der es geschickt hatte, befand sich unendlich weit entfernt an einem anderen Ort der Namenlosen Zone. Das Filigran senkte sich in eine kleine Felsspalte herab und verankerte sich dort. Dann begann es zu überlegen, was es tun sollte. * Eine Woche war seit der geglückten Flucht der Space‐Jet MJAI‐B mit Brons Thermeck vergangen, und noch immer zeigte sich keine Spur von der sehnlichst erwarteten Hilfe durch die SOL. Wir hockten noch immer in der MJAILAM, die wiederum in dem löchrigen Kleinplanetoiden steckte, den Uster Brick »Schwammkartoffel« genannt hatte. Unser Kreuzer ähnelte mehr einem Wrack als einem Raumschiff. Er war eingekeilt zwischen Felsbrocken. Die wenigen Ausgänge zur Oberfläche waren entweder so verschüttet, daß wir sie mit den uns verbliebenen Hilfsmitteln auch in absehbarer Zeit nicht öffnen konnten, oder sie hatten sich durch die Ereignisse um die Zentrale des seltsamen 225‐Page so verengt, daß unser Schiff nicht mehr hineinpaßte Die MJAI‐A war kaum noch zu reparieren. Die MJAI‐B hatte uns ein paar letzte Informationen vor dem vermutlichen Passieren des Junk‐Nabels zukommen lassen, die unsere Hoffnungen noch mehr getrübt hatten. Immerhin herrschte in Schwammkartoffel nach dem Ausschalten der Roboter und ihrer Zentrale mit 225‐Page wieder Ruhe. Fasto, den wir den Hungrigen genannt hatten, mußte noch leben. Aber er traute sich wohl nicht mehr in unsere Nähe. Das andere Lebewesen
von Schwammkartoffel, Donku, der Verspielte, hatte einen tragischen Tod gefunden. Ich fragte mich, wovon Fasto nun leben würde, denn seine Nahrungsquellen, seltsame Pilzkulturen, die im Halbvakuum gediehen, mußten bei den Auseinandersetzungen auch zerstört worden sein. Wir unternahmen dennoch kaum noch Exkursionen nach draußen. Der Fels von Schwammkartoffel war brüchig, und überflüssigen Gefahren gingen wir lieber aus dem Weg. Außerdem gab es an Reparaturarbeiten noch auf lange Zeit genug zu tun. Es war in zweifacher Hinsicht fraglich, ob diese Maßnahmen überhaupt noch einen Sinn hatten. Zum einen war es ungewiß, ob wir es überhaupt schaffen würden, die MJAILAM wieder flottzumachen. Zum anderen war es selbst dann unklar, ob wir ohne erneute Schäden Schwammkartoffel würden verlassen können. Die Reserven an Material waren denkbar knapp. In vielen Fällen mußten wir uns mit Notbehelfen über die Schwierigkeiten hinwegsetzen. Besonders schwerwiegend war dabei, daß die MJAILAM‐Positronik auch deutliche Schäden zeigte. Wir vermochten nicht festzustellen, woran das lag. Gefährlich war diese Tatsache nicht, denn vor jeder Fehlhandlung schaltete eine separate Kleinpositronik, die Hage Nockemann mit dem Großrechner verbunden hatte, diesen ab. Die Kleinpositronik überprüfte jeden Befehl auf seine Richtigkeit und auf seinen Sinn. In Zweifelsfällen wurde einer aus der Führungsschicht um Entscheidung gefragt. All das führte zu erheblichen Verzögerungen und zu wiederholten Ausfällen in den beiden kleinen Werkstätten der MJAILAM. Dennoch versuchten die meisten Solaner die verzweifelte Situation zu vergessen, indem sie in die Reparaturarbeiten stürzten. An der niedergeschlagenen Stimmung änderte das jedoch wenig. Wir saßen ziemlich hoffnungslos in der Klemme. Eine reale Aussicht auf eine Befreiung mit eigenen Mitteln gab es nicht. Und wenn man uns von der SOL aus helfen wollte, so hätte das längst
geschehen sein müssen. Diese Ungewißheit kam zu unserer eigenen hinzu. Wir wußten nicht, was wirklich mit dem Junk‐Nabel, der Übergangsstelle aus der Namenlosen Zone in das Normaluniversum und damit zu unserer Heimat SOL, und mit dem Generationenschiff selbst geschehen war. Ich legte größten Wert darauf, daß alle intakten Funkempfänger pausenlos auf Empfang standen. Denn es stand für mich fest, daß wir ohne Hilfe von draußen hier umkommen würden. In diesem Punkt stimmte meine Meinung mit der des Extrasinns ausnahmsweise völlig überein. Und auch darüber, daß ich diese Ansicht besser für mich behielt, um nicht für noch mehr Unsicherheit zu sorgen. Ansonsten befaßte sich der Logiksektor sehr ausführlich mit Überlegungen zu unserem eigentlichen Gegner in der Namenlosen Zone, den ich kaum kannte. Ich verwies die Gedanken des Extrasinns in den Bereich der Spekulationen, was sich dieser energisch verbat. Was nützte es mir, mich in dieser Lage mit einem Feind zu befassen, wenn wir schon so gut wie absolut ausgeschaltet waren? Nichts! Gab es die organischen Weltraumzecken wirklich oder nicht? Der Extrasinn ging davon aus, daß sie identisch waren mit den Pagen und daß sie Lebewesen waren, die Roboter nach ihrem körperlichen Vorbild bauten. Einen schlüssigen Beweis konnte er jedoch nicht liefern. Die Zukunft würde zeigen, was der Wahrheit entsprach. Wenn wir noch eine Zukunft besaßen! Gemeinsam mit Tyari kontrollierte ich die Schicht an den Hyperfunkempfängern. Aus den Lautsprechern kam nicht einmal das gewohnte statische Rauschen, denn auch das fehlte weitgehend in der Namenlosen Zone. Meine Gedanken glitten kurz zurück in jene Zeit, die ich nur durch Wöbbekings Reinkarnationserlebnisse durchlebt hatte. Damals hatte ich die Namenlose Zone kennengelernt, als es mir zumindest zunächst mißlungen war, zu den Kosmokraten zu
gelangen. Mein Wissen um diese Zeit, die etwa dreizehn Jahre umfaßte, war groß, aber dennoch lückenhaft. Wöbbeking hatte mich nur die Phasen erleben lassen, die wirklich von Bedeutung waren. Die Erinnerungen waren dennoch überwältigend. Der Planetoid von Anti‐ES, Schwammkartoffel entfernt ähnlich, die Grenzwächter, die Basis des Ersten Zählers, die Zounts und ihre Neutralschweber, der andauernde Überlebenskampf, in dem Chybrains Entstehung rätselhaft wie so vieles eingebettet war, das unklare Ende mit dem vermeintlichen Verlassen der Namenlosen Zone in Richtung der Kosmokraten, alles Meilensteine, die eine kosmische Szene umrissen, die immer noch Geheimnisse für mich und meine jetzigen Begleiter und Freunde bereithielt. Wo mochte Chybrain jetzt stecken? Seine Motive waren mir hinreichend deutlich geworden. Dennoch akzeptierte ich sein Handeln nicht. Er besaß die Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst, jenem Ziel, das mir die Kosmokraten genannt hatten. Dort hatte ich meine eigentliche Aufgabe zu erfüllen! Nicht hier! Nicht in der scheinbaren Leere der Namenlosen Zone! »Du wirkst beunruhigt, Liebster.« Tyari schob ihren Arm unter meinen und zog mich zur ihr heran. »Es ist nichts.« Ich versuchte zu lächeln, aber es gelang mir wohl nicht so recht. »Manchmal gerate ich ins Träumen.« »Über die Vergangenheit?« Sie war eine ausgezeichnete Telepathin, aber sie schnüffelte meine Gedanken nie aus, außer wenn Not am Mann war. Ich schätzte auch das an ihr. Wie so vieles. In meiner unmittelbaren Nähe wäre es ihr sicher ein Leichtes gewesen, sich in meine Gedanken zu drängen, obwohl ich mentalstabilisiert und gegen telepathische Ausspähung fast immun war. Ich nickte. »Über die Vergangenheit. Die kenne ich fast vollständig. Die Zukunft kenne ich nicht.« »Es wird Hilfe von der SOL kommen.« »Es muß Hilfe von dort kommen.« Ich zog sie fort von den Frauen
und Männern an den Überwachungsempfängern. »Sonst sind wir bald … ach, lassen wir das. Was macht Fasto? Spürst du ihn noch? Lebt er noch?« Sie merkte, daß ich das Thema wechseln wollte, und sie ging sofort darauf ein. »Ich habe ihn lange nicht mehr gespürt. Du weißt ja, daß er meistens nur sehr schwer zu registrieren ist. Da er sich nicht mehr in unserer Nähe blicken läßt, stellt er keine Gefahr dar.« »Er muß doch einen Bärenhunger haben. Donkus Vorratssack konnte er nicht ergattern. Ob er jetzt Steine frißt?« »Wohl kaum.« Sie lachte. »Sein Metabolismus verträgt kein Gestein, sagt Blödel.« »Blödel! Der weiß auch nicht alles. Auch wenn Nockemann hier eine Hochleistungsmaschine gezüchtet hat.« »Gebaut«, korrigierte sie mich. »Sein Bioplasma wurde gezüchtet.« Ich merkte plötzlich, daß ich fast streitsüchtig war. Ursache ist der klaustrophobische Zustand, mischte sich der Extrasinn ein. Kümmere du dich lieber um Pagen und Zecken! gab ich lautlos zurück. Tatsächlich schwieg mein zweites Bewußtsein daraufhin. »Sein Plasma wurde gezüchtet. Stimmt.« Tyari zog mich zum Ausgang der Funkzentrale. »Aber nicht von Hage.« »Das ist doch Wortklauberei!« brauste ich auf. Sie blieb stehen und sah mich ernst an. »Ich glaube«, schmollte sie dann, »ich lasse dich jetzt besser allein. Vielleicht ruhst du dich ein wenig aus.« Dann drehte sie sich von mir ab und schritt durch das Schott. Idiot! erklärte der Logiksektor. Sie schritt mit erhobenem Haupt durch den Korridor auf den Antigravschacht zu, der zu unserer Kabine führte. Ich wartete darauf, daß sie sich einmal umdrehte, aber das tat sie nicht. Ich kämpfte mit mir. Sollte ich ihr folgen und mich entschuldigen?
Waren meine Nerven wirklich so überreizt? Klaustrophobie, Untätigkeit, bemerkte der Extrasinn. Es war ein Glück, daß der Antigravschacht in die entgegengesetzte Richtung gepolt war und die Benutzerlampe signalisierte, daß Tyari warten mußte. Jemand kam aus den unteren Decks nach oben. Ich schlenderte gemächlich durch den Korridor, bis ich neben ihr stand. »Also gut, mein Herz«, kam es über meine Lippen. »Ich mache eine Pause, aber nicht allein.« »Eine wirkliche Ruhepause muß man allein machen«, widersprach sie. »Ich habe Hage und Joscan versprochen, ihnen bei den Reparaturen der Positronik zu helfen. Vielleicht kann ich ein paar Gedanken der Plasmamasse erkennen, die uns bei der Fehlersuche helfen.« Ich wollte schon wieder aufbegehren, aber ich hörte mich sagen: »Auch gut. Ich ruhe allein.« »Danke«, antwortete sie und setzte ihr Lächeln wieder auf. Dann legte sie mir ihre Hände auf die Brust, drückte mir einen Kuß auf die Wange und meinte: »Es ist wirklich besser für dich und für mich.« »Was?« fragte jemand neben mir. Erst jetzt bemerkte ich, daß Insider aus dem Antigravschacht getreten war. Der vierarmige Extra war einer der wenigen an Bord, dem die Ausnahmesituation kaum etwas auszumachen schien. Er feixte mich herausfordernd an. »Nichts.« Ich winkte ab. »Um so besser.« Der Kowallek blickte zu mir hoch. »Ich habe eine Bitte.« »Heraus damit!« »Ich möchte nach draußen. Manchmal ist es ganz gut, wenn man allein ist.« »Klaustrophobie?« fragte ich und versuchte eine verständnisvolle Miene auf mein Gesicht zu zaubern.
»Vielleicht.« Sein ohnehin schon grünes Gesicht wurde noch grüner. »Ich brauche Abwechslung.« »Genehmigt. Aber sei vorsichtig. Du weißt, daß diese Riesenschlange, der gefräßige Fasto, dort herumgeistert. Und nimm eine vernünftige Ausrüstung mit.« »Klar.« Er wedelte zur Bestätigung mit allen vier Armen. »Und für Fasto nehme ich ein paar Zuckerplätzchen mit.« Als er ging, stellte ich fest, daß Tyari das kurze Gespräch benutzt hatte, um heimlich zu verschwinden. Ich seufzte und machte mich auf den Weg zu unserer Kabine. Etwas Ruhe konnte mir wirklich nicht schaden. 2. Sie nannten ihn Insider, aber sein richtiger Name war Zwzwko. Nur konnte kaum jemand an Bord der SOL diesen Namen aussprechen. Wenn jemand besonderen Wert darauf legte, ihn bei seinem wahren Namen zu nennen, so wich er meistens auf »Zwo« aus. Das kam leicht über die Lippen. Wenn sich Insider an seine Vergangenheit erinnerte, so war diese identisch mit einem Leben auf der SOL. Und doch war er kein eigentlicher Solaner, auch wenn ihn heute jeder als solchen akzeptierte. Er war der Bezeichnung nach ein Extra, genauer gesagt, ein Extrasolaner, einer von »außerhalb«. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, zu der es Tausende von Extras an Bord des Hantelschiffs gegeben hatte und zu der die Extras in erster Linie als Jagdobjekte gedient hatten. Zu irgendwelchen Gelegenheiten hatten die damals unter dem SOLAG‐Regime verrohten Angehörigen der sieben Führungskasten Fremdwesen an Bord genommen, um Diener, Haustiere, Jagdobjekte oder Abwechslung zu haben. Es war eine grausame Zeit gewesen, als Solaner wie Tineidbha Daraw oder Chart Deccon die
Diktatur ausübten und die Extras Freiwild gewesen waren. Insider hatte diese Zeit überlebt, und das grenzte schon fast an ein kleines Wunder. Er wußte, daß er dies seinen Fähigkeiten zu verdanken hatte. Eigentlich war er wenig mehr als ein stets auffassungsbereiter und lernfähiger Geist. Seine natürliche Intelligenz war von vielen Solanern jener vergangenen grausamen Zeiten unterschätzt worden. Er hatte viel gelernt, sogar Dinge, die damals nicht für Extras bestimmt gewesen waren. Psi‐Kräfte und Übersinnliches waren ihm unbekannt. Er kam ohne solche Besonderheiten aus, denn sein Verstand war hell, und sein Körper war schnell und durchtrainiert. Sogar mit dem katzengewandten Bjo Breiskoll konnte er es aufnehmen. Seine heutige Rolle im Atlan‐Team verdankte er eigentlich Solania von Terra, der früheren Magnidin Brooklyn. Sie hatte ihn nach dem Umschwung, den Breckcrown Hayes und Atlan herbeigeführt hatten, entdeckt und zu ihrem Helfer gemacht. Zu jener Zeit der neuen Freiheit, als die ständige Furcht vor jagdwütigen Pyrriden gewichen war, hatte Insider seine Fähigkeiten voll entfalten können. Durch die Ereignisse um Hidden‐X und den Pers‐Oggaren Oggar‐ Wysterein hatte er sich zwangsläufig in eine neue Rolle gedrängt gesehen. Atlan hatte ihn schätzen gelernt, denn Insider war nicht nur absolut loyal und treu. Er war auch ein Wesen, das vor keinem Risiko zurückschreckte. Der Zufall hatte es damals gewollt, daß er seine Herkunft erfuhr. Das Volk, dem er entstammte, war Kowalleks genannt worden. Und es war in einem grausamen Kampf untergegangen. So verdankte Zwzwko es letztlich den Solanern, die entweder seine Eltern oder ihn entführt hatten, daß er überhaupt existierte. Er sprach nie über die Gedanken, die ihn in diesem Punkt bewegten, aber er hielt eisern zu denen, die ihm eine Zukunft gegeben hatten, auch wenn viele von ihnen ihn einmal als Spielzeug oder Jagdobjekt betrachtet hatten.
Äußerlich fiel an Insider auf, daß er vier Arme besaß und eine grüne Haut seinen Körper zierte. Ansonsten glich er den Solanern. Vielleicht war er etwas zu klein, denn seine Körpergröße von 1,66 Metern entsprach deutlich nicht dem Durchschnitt der Solaner. Sein Gemüt war trotz der vielen Leiden, die er in seinem Leben hatte hinnehmen müsse, so stabil, daß es ihm nichts ausmachte, bei Gesprächen mit Solanern »nach oben« blicken zu müssen. Er war sich seiner Stärken bewußt, auch wenn er dies nicht zeigte. Verschweigen ließ sich allerdings nicht, daß er es nur allzu gern mit einem Translator aufnahm. Fremdsprachen, egal welchem seltsamen Idiom sie entsprangen, waren für Insider keine harten Nüsse. Sein Gehirn besaß die Fähigkeit der logischen Sprachanalyse. So erfaßte er andere Sprachen in fast unglaublicher Geschwindigkeit. Um diese Begabung herunterzuspielen, bediente er sich nur zu gern zweier simpler Ausdrücke. »Klatsch‐hurra!« stand für alle Bejahende und Positive. »Patsch‐uuh!« drückte das Gegenteil aus. Insider wählte seine Ausrüstung mit Bedacht und Sorgfalt. Er brauchte ein Aggregat zur Erzeugung künstlicher Schwerkraft, denn Schwammkartoffel bot wegen ihrer geringen Masse kaum eine merkbare Schwere. Um gegen Fasto oder zusammenstürzende Gesteinsmassen gefeit zu sein, benötigte er einen entsprechenden Schutzschirm. Auf Waffen jeglicher Art verzichtete er. Schwammkartoffel war ein schier unüberwindliches Hindernis, das der MJAILAM trotzen konnte, weil diese arg angeschlagen war, aber der Planetoid bot keine eigentliche Gefahr mehr. Dafür hatte Atlan gesorgt, indem er 225‐Page, Morbotix, und dessen Roboter und Zentrale ausgeschaltet hatte. Vor Fasto fürchtete sich der Kowallek nicht. Er streifte die Handschuhe über seine fünffingrigen Hände und betrachtete sich im Spiegel des Ausrüstungslagers. Das Sauerstoffpaket des leichten Raumanzugs zeigte Grünwerte und einen Vorrat für sieben Tage. So lange beabsichtigte er nicht, der
MJAILAM fernzubleiben. Schließlich streifte er ein Armbandtelekom über seinen linken unteren Arm und stellte eine Verbindung zu Joscan Hellmut her, der im Augenblick der verantwortliche Wachleiter war. Der Kybernetiker wußte bereits, daß Insider den Arkoniden um einen Ausflug in Schwammkartoffel gebeten hatte. »Viel Glück und viel Spaß!« sagte Joscan. »Wir versuchen unterdessen, die Positronik zu ölen. Paß gut auf. Und wenn du etwas mitbringst, dann bitte keine Schwämme. Lieber Kartoffeln.« »Klatsch‐uuh und Patsch‐hurra!« verdrehte Insider seine liebsten Worte, weil ihm nichts Besseres einfiel. Dann begab er sich zum zentralen Antigravschacht, der ihn zur Bodenschleuse brachte. Er verließ die MJAILAM und betrachtete nachdenklich die Steine, die wie im Zeitlupentempo von den nahen Felswänden bröckelten und den Kreuzer immer mehr einschlossen. Er hatte kein bestimmtes Ziel. Es kam ihm nur darauf an, einmal für ein paar Stunden allein zu sein, allein mit sich und seinen Gedanken. Er schaltete das Gravitationsaggregat ein und glitt von der MJAILAM fort in den nächsten Schacht hinein, den ihm Schwammkartoffel anbot. Irgendwo dort draußen mußte der freie Raum sein. Es war nicht sein Raum und nicht der der Solaner; es war die unheimliche und kalte Namenlose Zone, ein Raumsektor voller Fremdartigkeit und Geheimnisse und Gefahren. Er würde nichts sehen und nichts spüren, aber in seinem Innern würde er etwas fühlen, wenn er die ewige Dunkelheit dieses abscheulichen Nichts auf sich wirken lassen würde. Der Felsstollen verzweigte sich. Insider wählte nach dem Gefühl die Richtung, die ihn am schnellsten zur Oberfläche führen würde. »Heh, Zwo!« hörte er aus dem Telekom. »Hier spricht Sister Phoebe. Wir verlieren dich aus der Ortung.« »Patsch‐uhh!« stöhnte der Kowallek laut. »Schaltet eure Schnüffelmaschinen ab. Ich will allein sein! Und macht euch keine
Gedanken. Ich komme schon zurück. Das ist so sicher, wie es sicher ist, daß wir diesen Kartoffelschwamm wieder verlassen werden.« Er wartete keine Antwort ab und schaltete den Telekom aus. Dann folgten seine Blicke dem Licht des Helmscheinwerfers, bis er den Kopf sah. Es war Fastos Kopf. * »Ich habe mir Gedanken über dich gemacht.« Der Kowallek sprach über den Außenlautsprecher, als er festgestellt hatte, daß hier eine dünne Atmosphäre herrschte. Er wußte, daß dies in einigen Teilen von Schwammkartoffel so war, obwohl es keine physikalischlogische Erklärung dafür gab, seit die Robotstation von 225‐Page vernichtet war. Der Hungrige antwortete mit einem Grunzen, was seinen augenblicklichen Zustand verdeutlichte. Sein Kopf ragte aus einer seitlichen Felswand heraus, und die gespaltene Zunge führte einen wilden Tanz zwischen den mächtigen Rachenhälften auf. Insider schaltete den Schutzschirm ein, denn er wollte jedes Risiko vermeiden. Fasto würde diese Abwehrmaßnahme nicht bemerken. Sein Verstand war nach den bisherigen Erfahrungen zu gering dafür. Der Kowallek wiederholte den Satz, diesmal wählte er aber die Sprache der zehnbeinigen Schlange. Fasto stutzte, was sich dadurch äußerte, daß er in jeglicher Bewegung verharrte. Selbst seine gespaltene Zunge blieb bewegungslos stehen. »Du willst mit mir sprechen«, ertönte es schließlich aus dem Rachen des Zehnbeinigen. »Ich habe aber Hunger und Schmerzen. Ich will meinen Hunger stillen. An dir! Dann werden auch meine Schmerzen gelindert werden.« »Du weißt, daß du mich nicht fressen kannst?«
»Ich weiß es nicht. Ich versuche es.« Fasto schnellte plötzlich aus dem Gestein, das sich hinter ihm schloß. Eine logische Erklärung für diese Fähigkeit, die man an Bord der MJAILAM »Materietauchen« genannt hatte, gab es nicht. Das Schlangenwesen prallte gegen Insider, der seine Lage im gleichen Augenblick mit dem Gravo‐Aggregat fixierte. Fasto wurde zurückgeworfen. Sein ganzer Körper war jetzt in Insiders Scheinwerferlicht sichtbar, als er gegen ein Felssims donnerte und sich dort verkrümmte. Perlen aus blauem Blut bildeten sich in der Nähe des Schlangenkörpers. Sie traten zwischen den Schuppen des Leibes hervor, insbesondere an jenen Stellen, wo die natürliche Schutzhaut Fastos fast vollständig verschwunden war. Insider erkannte, daß Fasto schwer verwundet war. Das Schlangenwesen rollte sich zusammen und ließ von seinem vermeintlichen Opfer ab. Es war dem Extra klar, daß er oder sein Schutzschirm nicht die Ursache dieser Wunden sein konnten. Er fragte sich, was hier geschehen war. Fasto rührte sich kaum noch. Er mußte furchtbare Qualen erleiden, und vielleicht war er dem Tod schon nahe. Insider fühlte mit dem ewig Hungrigen. Er steuerte auf das Schlangenwesen zu und hielt in der Nähe seines Kopfes an. »Ich schätze, patsch‐uuh«, sagte er, »du brauchst Hilfe.« »Hunger! Schmerzen!« stammelte Fasto. Der Kowallek holte eine Sprühdose aus seiner Notpackung und behandelte damit die Wunden Fastos. Der ließ das alles willig über sich ergehen. Das Heilplasma besaß eine Funktion, die bei nahezu allen Lebewesen wirkte. Erst als das kleine Gefäß leer war, stellte Insider diese Aktivität ein. Dann räumte er die Notrationen aus dem leichten Raumanzug und legte sie Fasto auf den Unterkiefer. Viel war es nicht, aber für den Augenblick sollte es reichen. »Danke«, stieß der Hungrige hervor, bevor er den Happen verschlang.
Insider wartete, bis Fasto wieder zu Kräften kam. »Endlich einmal etwas anderes als Moderpilze.« Das klang, als ob Fasto sich wirklich freute. »Ich verspreche dir, daß ich dich nicht fressen werde. Wie heißt du, Hilfsbereiter?« »Nenne mich Insider, Fasto.« »Du kennst meinen Namen?« Der dicke Kopf des Materietauchers zuckte überrascht hin und her. »Wir alle kennen deinen Namen.« »Du gehörst zu der harten Kugel, ja?« Damit konnte nur die MJAILAM gemeint sein. »Woher sollte ich sonst kommen. Es gibt nur meine Freunde und mich. Und außerdem dich. Donku lebt ja nicht mehr.« »Stimmt.« Der Schädel wuchtete wieder auf den Fels. »Es ist ein Jammer, daß ich seinen Freßsack nicht ergattern konnte.« Dem Kowallek kam plötzlich eine Idee. Bislang war Fasto wegen seines aggressiven Verhaltens als Gegner betrachtet worden. Mit seinem jetzigen Hunger und seinen schweren Verletzungen war er vielleicht bereit, einzulenken und seine Haltung aufzugeben. »Du hast dich uns gegenüber nicht gerade friedlich verhalten«, warf er Fasto vor. »Da lag es auf der Hand, daß wir uns wehrten.« »Ich hatte Hunger, Insider.« Fastos Stimme klang wie ein heiseres Keuchen. »Es gibt auf der Welt nicht viel zu fressen.« »Bist du nie auf den Gedanken gekommen, daß wir dir freiwillig Nahrung gegeben hätten, wenn du nicht so brutal gewesen wärst?« »Soll das ein Scherz sein, wie ihn Donku so oft mit mir machte? Er gab mir auch nie etwas ab. Im Gegenteil. Er zerstörte sogar meine Pilzkulturen.« »Ich habe dir bewiesen, daß ich meine Nahrungsmittel mit dir teile. Es ist ein leichtes für mich, mehr davon zu besorgen.« Diese Aussicht belebte Fasto mehr als das Heilplasma. Er kletterte um Insider herum und fixierte ihn von allen Seiten. Seine mächtigen Krallen packten wieder fest und sicher in das Gestein. »Sicher verlangst du eine Gegenleistung.« Das klang enttäuscht,
aber immerhin war es Insider gelungen, Fasto von seinem guten Willen zu überzeugen. »Ich kann dir nichts bieten. Meine letzten Pilzkulturen wurden durch die Beben vernichtet. Ich brauche viel Zeit, um neue Pilze zu züchten. Wahrscheinlich verhungere ich vorher.« »Ich verlange nicht viel. Zeige mir den kürzesten Weg zur Oberfläche von Schwammkartoffel. Ich möchte den leeren Raum sehen, der uns umgibt. Das ist alles. Niemand kennt sich hier besser aus als du.« Fasto verharrte in jeder Bewegung, und der Grüne glaubte, daß er intensiv nachdachte. Sein Kopf war in die Höhe gereckt, aber plötzlich fiel er wieder zu Boden. »Das geht nicht, Insider«, klagte Fasto weinerlich. »So sehr mich auch der ewige Hunger plagt, ich betrete die Außenfläche nicht mehr.« »Du hast einen besonderen Grund für dieses Verhalten?« Fasto fauchte. »Du hast die Wunden geheilt, und dafür danke ich dir. Du weißt aber nicht, woher sie stammen.« Insider war im Nu hellwach. In der Tat hatte er etwas übersehen. Automatisch hatte er die Verletzungen des Materietauchers den jüngsten Kämpfen und den schweren Erschütterungen zugeschrieben, die Schwammkartoffel erlitten hatte. Das war natürlich ein Irrtum. Die Wunden waren zu frisch. Sie konnten höchstens einen Tag alt sein. Und die Materie des Planetoiden konnte Fasto nichts anhaben, denn er war ja ein Materietaucher. Folglich mußten die Verletzungen eine andere Ursache haben. Es gab aber nichts in oder auf Schwammkartoffel, das als Urheber in Betracht kam. Das hatte man auf dem Kreuzer zumindest bis jetzt angenommen. »Deine Verletzungen haben etwas damit zu tun«, sagte der Vierarmige vorsichtig, »daß du die Oberfläche nicht aufsuchen willst?«
Als Fasto nicht reagierte, fuhr Insider fort: »Ich finde den Weg auch allein. Natürlich dauert es etwas länger, aber du bekommst dann nichts zu futtern. Das ist dir klar.« »Bedauerlich. Aber ich rate dir davon ab, nach draußen zu gehen. Dort lauert ein Ungeheuer, das grelle Blitze versprüht. Es könnte dich töten. Ich entkam ihm nur mit knapper Not.« Damit war Insiders Verdacht bestätigt. Es gab doch noch ein anderes Wesen in Schwammkartoffel. Es mußte auf der Außenfläche leben, und deshalb war es wahrscheinlich den Beobachtungen der Solaner entgangen. »Wie sieht dieses Ungeheuer aus? Was tut es? Wie heißt es? Du mußt mir alles darüber berichten, dann bekommst du einen fetten Happen für deinen Magen.« Der Hungrige reagierte sofort. »Es ist groß und rund, und es schwebte aus der Schwärze herab und leuchtete. Als ich es fressen wollte, schleuderte es Blitze nach mir.« Sehr aufschlußreich war diese Schilderung nicht. Insider glaubte an einen Roboter, aber keinen der vernichteten Station von Schwammkartoffel, denn diese waren in keinem Fall kugelförmig gewesen. Sein Interesse war geweckt. Das war mehr, als er bei Beginn des Ausflugs erhofft hatte, den er eigentlich nur durchführte, um sich etwas zu zerstreuen. »Paß gut auf, mein Freund«, wandte er sich an den Materietaucher. »Du hast doch sicher bemerkt, daß meine Freunde und ich sehr starke Waffen besitzen. Wir brauchen uns vor dem Ungeheuer nicht zu fürchten. Du gehst also kein Risiko ein, wenn du mich zu ihm bringst. Als Belohnung dafür bekommst du ein Freßpaket, das hundert Tage reicht.« »Wie lange sind hundert Tage, Insider?« »Wir sind jetzt zehn Tage in Schwammkartoffel.« »Das genügt.« Fasto richtete sich auf. »Ich nehme das Angebot an.
Aber wenn du mich betrügst, werde ich dich auffressen, obwohl du mir bei der Versorgung meiner Verletzungen geholfen hast.« »Ich bin nicht Donku.« Insider lachte und hoffte, daß diese Geste weiteres Vertrauen bei dem Schlangenwesen weckte. »Und außerdem habe ich dir schon einmal gesagt, daß du mich nicht fressen kannst.« »Schon gut.« Fasto wedelte mit seinen vorderen Pranken. »Nimm auf meinem Rücken Platz. Ich bringe dich zu dem leuchtenden Ungeheuer.« Der Kowallek schwang sich auf den Schlangenkörper und krallte sich mit seinen Händen an den Schuppen fest, die kurz hinter der Schädeldecke Fastos begannen und bis zum Schwanz reichten. Er spürte ein seltsames Kribbeln, als sich der Zehnbeinige ruckartig in Bewegung setzte. Auf seinen Schutzschirm mußte der Kowallek verzichten, denn mit ihm wäre ein Reiten auf Fasto unmöglich gewesen. Wieder sah sich Insider in einer Annahme getäuscht. Er hatte automatisch erwartet, daß der Hungrige durch die teilweise verschütteten Stollen nach draußen klettern würde. Statt dessen schnellte Fasto nach vorn auf die nächste Felswand zu. »Halt!« schrie der Kowallek, aber da hüllte ihn der Fels schon ein. Er sah nichts mehr von sich, seiner Ausrüstung oder dem Materietaucher, der seine ungewöhnliche Eigenschaft nicht nur zur schnellen Fortbewegung einsetzte, sondern diese auch noch auf ihn übertrug. Insiders Beine und Hände klammerten sich an den Schlangenkörper. Er hatte das Gefühl, als würde er durch eine breiige Masse gleiten, die jede direkte Berührung mit ihm vermied. Dennoch kam Panik in ihm auf, denn darauf war er nicht vorbereitet gewesen. Er zwang sich zur Ruhe und rief nach Fasto. Die Antwort war ungewöhnlich laut. Auch klang die Stimme des Materietauchers jetzt anders, weil der umgebene Fels seine Worte anders übertrug als die dünne Atmosphäre im Innern von
Schwammkartoffel. »Mach dir keine Sorgen, mein Reiter. Durch den Fels geht der gerade Weg. Es wird auch so einige Zeit dauern, bis wir draußen sind.« Insider fügte sich in sein Schicksal und in das Abenteuer, in das er sich da eingelassen hatte. 3. Stunden später erst verschwand die schwammige Umgebung. Insider schaltete seine Scheinwerfer ein und leuchtete die Umgebung ab. Kein Zweifel, er befand sich an der Oberfläche von Schwammkartoffel. Von einem runden Ungeheuer war jedoch nichts zu sehen. Er rief Fasto etwas zu, aber der reagierte nicht. Erst jetzt bemerkte der Kowallek, daß sich sein Schutzanzug automatisch geschlossen hatte, denn er befand sich im absoluten Vakuum. Natürlich gab es hier auch keine Schallausbreitung, so daß eine normale Verständigung mit seinem neuen Freund unmöglich war. Er beugte sich nach vorn und legte seinen Kopf auf den blanken Schädel des Materietauchers. »Ich sehe kein Ungeheuer, Fasto!« brüllte er über die Außenlautsprecher. Ein Teil der Schallwellen übertrug sich direkt in Fastos Körper und gelangte so an seinen Hörsinn. »Es muß hier irgendwo sein«, hörte Insider verzerrt und sehr leise. »Hier war es, als ich ihm begegnete.« »Warte, Fasto! Ich sehe mich um.« Der Vierarmige schwang sich vom Rücken des Materietauchers. Das Gravo‐Aggregat erlaubte eine normale Fortbewegung zwischen den Felsbrocken und der rauhen Oberfläche. Er schwebte etwas in die Höhe und richtete seine Scheinwerfer nach unten. Hier gab es tatsächlich Spuren, die ungewöhnlich waren. Es schien, als ob hier elektrische Blitze in den
Boden geschlagen waren. Plötzlich spürte er einen leichten Ruck. Im gleichen Moment flog ein Stein vor seinen Augen vorbei. Er suchte nach Fasto. Der hatte sich mit den unteren zwei Dritteln seines Körpers in das Gestein begeben. Nur der Kopf und ein Prankenpaar ragten noch heraus. Insider sah, daß Fasto mit Steinen nach ihm warf. Er wollte ihn auf etwas aufmerksam machen. Als der Materietaucher bemerkte, daß er ihn beobachtete, deutete er wild gestikulierend zur Seite. Insiders Blicke folgten der Bewegung, und da sah er den schwach leuchtenden Kugelkörper. Die Farben, die er erkannte, lösten einen spontanen Schock aus. Das etwa zwei Meter durchmessende Ding strahlte hellrosa und fahlgrün. Es glitt schnell auf ihn zu. Für ein Ausweichen war es zu spät. Insider schaltete seine Abwehrsysteme auf volle Kapazität und wartete nun die unvermeidliche Begegnung ab. Das leuchtende Ding blieb dicht vor ihm stehen. Der Grüne erkannte den winzigen Körper in der Mitte und die unzähligen Fäden, die wie ein dreidimensionaler Fächer von ihm ausgingen. Einer dieser Fäden legte sich um seinen Schutzschirm und durchdrang ihn mühelos. Er hielt erst an, als er sich als Schlinge um seine Stirn gelegt hatte. »Du bist nicht Atlan«, hörte der Kowallek in fehlerfreiem Interkosmo. »Aber du bist ihm ähnlicher, als dieser Gefräßige. Wer bist du?« »Ich bin ein Freund Atlans.« Noch erkannte der Vierarmige nicht, was ihn hier erwartete. »Man nennt mich Insider, aber mein richtiger Name ist Zwzwko. Und wer bist du?« »Insider‐Zwzwko‐patsch‐uuh. Die Identifikation ist positiv. Ich bin das Filigran. Du würdest mich als Gerät bezeichnen, wenn du meinen wahren Charakter erkennen könntest. Ich bin dein Freund und der Freund Atlans. Ihn suche ich.« »Ich könnte dich zu ihm bringen.« Insiders natürliche Skepsis
erwachte. »Aber ich müßte wissen, was du willst und woher du kommst. Du mußt dich auch identifizieren.« »Programm KL‐63. Entschuldigung. Ich wurde sehr überstürzt angefertigt und habe daher ein paar Probleme. Es funktionierte nicht alles so, wie es sein sollte, aber ich werde es schaffen.« »Du mußt meine Fragen beantworten, Filigran.« Insider ließ sich auf die Oberfläche von Schwammkartoffel hinabgleiten. Das Filigran folgte ihm widerspruchslos und willig. »Natürlich. Ich muß den Sektor J aktivieren. Er hat etwas unter der Kälte der Namenlosen Zone gelitten. Jetzt ist er bereit. Was ich will? Ich bin gekommen, um Atlan zu helfen. Woher ich komme? Mein Schöpfer nennt sich Chybrain.« Insider pfiff durch die Zähne. Beim Anblick der Farben des Filigrans hatte er diese Hoffnung schon geschöpft. Jetzt leuchtete das Gerät – wie das Filigran sich bezeichnet hatte – in silbernen und goldenen Tönen. »Nimm mich zu dir hinein«, bat das Filigran. »Und dann bringe mich zu Atlan. Nur wenn ich ihn identifiziere, kann ich den Sektor A‐Null aktivieren.« »Du bist etwas zu groß für mich, Filigran«, wehrte Zwzwko ab. »Sonst hätte ich nichts gegen deine Bitte.« »Programm G‐4 läuft.« Der Kugelkörper schrumpfte plötzlich zusammen, bis er wenig größer war als die Faust eines Kindes. Nur der Faden, der um Insiders Stirn lag, behielt seine ursprüngliche Länge. An ihm zog sich das Filigran durch den Schutzschirm und den Anzug, bis es dicht unterhalb von Insiders Kinn als kleines Knäuel auf der Halskrause des Anzugs einen neuen Platz fand. Der Orientierungsfaden verschwand in dem nun hellblau schimmernden Miniaturkörper. »Einverstanden?« fragte das Filigran. »Einverstanden.« Insider lachte. Mit diesem Fang, der sicher noch eine Überraschung barg, würde er an Bord der MJAILAM die Niedergeschlagenheit beseitigen können. Dessen war er sich sicher.
Er steuerte zurück zu Fasto, der ihn mit seinen Pranken packte und auf den Rücken schob. Dann verschwand der Materietaucher im Gestein, und eine normale Unterhaltung war wieder möglich. »Phantastisch«, freute sich der Hungrige. »Du hast das Ungeheuer besiegt und aufgefressen. Du bist ein toller Kerl, Insider.« Der Kowallek verzichtete darauf, den Materietaucher über den wahren Sachverhalt aufzuklären. »Bringe mich jetzt zur harten Kugel, Fasto, damit ich dir das versprochene Freßpaket überreichen kann. Du hast mir sehr geholfen, und dafür möchte ich mich bedanken.« »Mein Magen knurrt, und ich bin schon auf dem Weg«, antwortete Fasto zufrieden. »Ich lege das höchste Tempo vor, denn eine gute Mahlzeit ist mehr wert als alles andere. Du weißt das sicher, wo du jetzt das leuchtende Ungeheuer in deinem Magen hast.« Insider erwiderte nichts, aber er zeigte Fasto seine Zustimmung, indem er ihm in der Dunkelheit des Gesteins auf den Kopf klopfte. »Notprogramm II«, teilte das Filigran dem Extra mit. »Identifikation unsicher, aber wahrscheinlich. Dieser Fasto ist einer der zufälligen Überlebenden aus einem Ursprungsvolk der Namenlosen Zone. Das muß eine wahrlich phantastische Rasse gewesen sein, die Materie durchqueren kann wie ein Schwimmer. Leider ist auch sie untergegangen.« »Ich denke«, antwortete Insider, »dein Schöpfer Chybrain kann das auch.« »Stimmt, aber er kann vieles nicht. Und wenn er durch die Materie gleitet, dann ist das Technik. Fasto kann es aus sich heraus. Das ist der Unterschied.« »Egal, ich verstehe es sowieso nicht.« »Verstehe nicht, Programm X‐Eins. Warum erkennen die Hohen Mächte meinen Schöpfer nicht an?« Darauf wußte Insider auch keine Antwort, aber er merkte, daß in dem Filigran eine Menge von dem steckte, was Chybrain ausmachte. Sollte sich Atlan damit herumschlagen. Er war es
schließlich, der für die Existenz dieses merkwürdigen. Wesens aus Jenseitsmaterie mitverantwortlich war. Der Arkonide würde begierig nach dieser Chance greifen, denn Chybrain war für ihn identisch mit den Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst, jenem Ziel, das ihm die Kosmokraten eingeimpft hatten. Fasto setzte seine letzten Kräfte ein, um möglichst schnell sein augenblickliches Ziel zu erreichen. Für Insider und das Filigran war dies der angeschlagene Kreuzer MJAILAM. Für den Materietaucher war es ein Freßpaket. * Insider konnte die zurückgelegte Entfernung nur grob abschätzen. Fasto passierte zwar ab und zu Hohlräume, die bei dem Kowallek ein Aufatmen hervorriefen, aber orientieren konnte er sich nicht. Eine solche Gelegenheit benutzte der Extra, um seine Funkanlage wieder einzuschalten. Als der Materietaucher wieder mit ihm und dem Filigran im Fels verschwand, bekam er Verbindung mit der MJAILAM. Der Ausbreitung der Hyperfunkwellen war auch jetzt kein Hindernis gesetzt, während der Normalfunk natürlich versagte. Uster Brick meldete sich. »Du Patsch‐Kartoffel!« schimpfte er. »Wo treibst du dich herum? Wir haben schon eine Suchmannschaft organisiert, die sich durch das Gestein frißt, um deinen Leichnam zu bergen. Blödel singt gerade deinen Grabgesang, und Schwammkartoffel soll dir zu Ehren in Zzzzwo oder so ähnlich umbenannt werden.« »Klatsch‐hurra. Du hast deinen Humor nicht ganz verloren, Kleiner. Ich werde Vorlan berichten, daß du dich ausnahmsweise einmal überzeugend verhalten hast.« Die Bezeichnung »Kleiner« für Uster Brick galt fast als Tabu. Nur
sein wesentlich größerer Zwillingsbruder Vorlan durfte diesen Namen benutzen. Entsprechend sauer wollte der Pilot reagieren, aber Insider unterbrach ihn. »Es gibt Wichtigeres zu tun, als uns Frotzeleien um die Ohren zu schlagen, Uster. Ich komme nicht allein.« Sofort reagierte der schwarzhäutige Solaner. »Sprich!« »Ich komme mit Fasto und dem Filigran. Fasto bekommt ein Freßpaket, an dem er sich für hundert Tage laben kann. Und das Filigran möchte unbedingt mit Atlan sprechen.« »Du machst keine Witze, Grüner? Deine Stimme hört sich so sachlich an.« »Keine Witze, Uster. Das Filigran ist ein höchst merkwürdiges Instrument, das uns Chybrain geschickt hat.« »Sagtest du eben ›Chybrain‹?« »Sagte ich.« »Kapiert, Insider. Ich veranlasse alles. Schade, daß ich Vorlan im Augenblick nicht zur Verfügung habe. Er gäbe ein prächtiges Freßpaket für deinen Fasto ab. Ist der jetzt friedlich?« »Jetzt ja. Ich weiß aber nicht, wie er reagiert, wenn er dich gleich sieht. Es ist also besser, wenn du einen schmackhaften Synthobrei zusammenmixen läßt.« »Und dieses Filigran? Kann es uns helfen?« »Klatsch‐hurra, ich denke, ja.« »Gut«, antwortete der Pilot. »Wir erwarten dich und deine Begleiter.« Damit war dieser Funkkontakt beendet. Auch wenn er bisweilen etwas seltsam geklungen hatte, so wußte Insider doch, daß nun alles Erwünschte vorbereitet wurde. »Programm F‐4 hakt«, teilte ihm das Filigran sichtlich verstört mit. »Ich muß es überprüfen. Jetzt ist alles klar. Identifikation positiv. Brick, Uster, Pilot, Solaner, klein, frech, fähig, Angehöriger des Atlan‐Teams. Die Zweifel des Programms HJ‐11 sind damit zerstreut.«
»Patsch‐uuh, Filigran«, antwortete Insider, während Fasto weiter durch das Gestein glitt. »Ich hoffe nur, daß eins deiner Programme nicht irgendwann einen Fehler macht und du überschnappst. Vielleicht sollte sich Blödel deiner annehmen.« »Blödel? Programm Z‐1A. Robotik mit organischem Plasma. Äußerst hoch gezüchtet. Exemplar von einmaliger Qualität. Unlogisches Verhalten ist nur Maske. Führt zu Atlan. Es könnte sein, daß ich ihm begegne, denn er neigt zu Extratouren.« »Du bist mir begegnet. Das genügt doch.« »Nichts genügt, Insider. Das Ziel ist erst erreicht, wenn die Hohen Mächte meinen Schöpfer als Existenz akzeptieren. Und wenn dann Atlan die Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst bekommt und mit der SOL diesen Raumsektor ansteuert, um dort seine freiwillig übernommene Aufgabe zum Wohl der positiven Mächte zu erfüllen. Um das zu erreichen, so sagt Chybrain, muß die Namenlose Zone aber ihre Namenlosigkeit verlieren und einer anderen Bestimmung zugeführt werden. Wenn das geschieht, werden die Hohen Mächte auch seine Wünsche respektieren.« »Oder nicht«, entfuhr es Insider ungewollt, denn in diesem Moment wich die Dunkelheit des durchquerten Gesteins, und die Rundungen der MJAILAM wölbten sich vor seinen Augen auf. »Hunger!« schrie Fasto. Er schleuderte mit einer schlangenhaften Bewegung Insider von seinem Rücken und stürzte sich auf den Berg aus Synthobrei, der neben der linken Bodenschleuse aufgetürmt war. Insider regulierte seinen plötzlichen Flug mit dem Gravo‐ Aggregat so, daß er neben Atlan und Tyari auf dem Boden landete. Das Schmatzen Fastos übertönte für einige Minuten jedes andere Geräusch. »Du sprachst von einem Filigran, das uns Chybrain geschickt hat«, sagte Atlan dann. »Wo ist es?« Insider blickte in seinem Raumanzug nach unten, aber er entdeckte den kleinen Klumpen nicht mehr.
»Hier bin ich.« Das Filigran schwebte dicht neben Atlan in dessen Kopfhöhe, und es besaß sein ursprüngliches Aussehen in den roten und grünen Farbtönen. Es wirkte bizarr und fremdartig im Scheinwerferlicht der MJAILAM. »Identifikation positiv. Informationsprogramm AU‐1 steht bereit. Atlan kann über mich verfügen, bis OZ‐OZ anläuft.« Der Arkonide betrachtete interessiert die flimmernden Haare des Filigrans. »Eine gewisse Ähnlichkeit«, meinte Tyari. »Ich denke an die Penetranz, die ja auch ein Wesen aus der Küche Anti‐ES‐Wöbbeking war.« * Ich ließ mir erst von Insider berichten, was er erlebt hatte. Fasto verschlang unterdessen den Brei, den Uster hatte zubereiten lassen. Er nahm dabei fast um ein Drittel seines Körperumfangs zu, aber an Beweglichkeit verlor er nichts. Ich hatte mich längst damit abgefunden, daß die Namenlose Zone an fremdartigen Wesen ein Angebot darlegte, das in manchen Details selbst meine Jahrtausende alten Erfahrungen verblassen ließ. Als Fastos gespaltene Zunge die letzten Reste vom Felsgestein geleckt hatte, setzte der Materietaucher zu einem Sprung an. Dann verschwand er irgendwo in Schwammkartoffel. »Programm L‐ll ausgefallen.« Die Worte des Filigrans lenkten mich wieder auf die aktuelle Situation zurück. Wir saßen tiefer in der Patsche, als es der Galgenhumor meiner solanischen Freunde ausdrücken konnte. Und tiefer, als es die trügerische Ruhe bewies. Mit der Beseitigung der Station des Pagen‐ Gehirns war nur ein Schritt zu unserer Sicherheit getan worden. Frei geworden waren wir dadurch nicht. Chybrains Filigran versprach jedoch neue Hoffnung.
»Ich möchte wissen, was du weißt«, wandte ich mich an das leuchtende Ding, dessen Schönheit mich nicht unberührt ließ. Auch Tyaris Augen glänzten. »Du weißt mehr als ich«, lautete die Antwort. Ich merkte auch ohne Kommentar des Extrasinns, daß dieses von mir gewollte Gespräch wieder seine eigenen Gesetze besaß und nicht ganz einfach werden würde. »Insider sagt, daß dich Chybrain geschickt hat, um uns zu helfen. Wir sitzen hier in Schwammkartoffel. Unser Raumschiff ist eher ein Wrack als ein Flugkörper. Das hast du sicher bemerkt.« »Ich habe nichts bemerkt. Programm L‐ll ist ausgefallen. Der Schaden ist irreparabel. Es besteht aber die Anweisung, daß du über das Gerät Filigran verfügen kannst.« »Wir wollen hier raus«, sagte ich ganz einfach. »Die erhoffte Hilfe von der SOL kam nicht. Wir wissen nicht, was mit dem Heimatschiff meiner Freunde geschehen ist. Wir wissen nicht, wo Chybrain steckt.« »Diese Fragen kann ich dir nicht beantworten. Chybrain verfolgt seine Ziele. Programm K‐9 besagt, daß du diese besser kennst als ich. Das Problem des Entkommens aus Schwammkartoffel läßt sich jedoch leicht lösen. Programm V‐4 erlaubt es mir, diesen Körper so zu zerteilen, daß dein Raumschiff frei ist.« Diese Mitteilung löste bei den Solanern berechtigte Freude aus. Die weitere Mitteilung des Filigrans wurde dadurch kaum wahrgenommen. »Folgeprogramm V‐5A ist gestört. Über die peripheren Auswirkungen kann daher keine Aussage gemacht werden.« »Wir machen uns startklar«, ordnete ich an. »Alle Mann an Bord! Ich vertraue diesem Filigran und gebe ihm die Anweisung, Schwammkartoffel zu zerstören und den Weg freizugeben, sobald wir alle an Bord sind. Es muß auch ohne Positronik klappen.« Als ich die Bodenschleuse betrat, schloß sich das Filigran mir an.
4. Die Begeisterung um die bevorstehende Befreiung aus Schwammkartoffel griff schnell um sich. Etwas zu schnell, meinte ich bisweilen. Aber ich verdrängte die skeptischen Gedanken. Während draußen die wenigen Güter, die zur Sicherung dem Kreuzer entladen worden waren, wieder an Bord geschafft wurden, wartete ich mit der Führungsmannschaft in der Zentrale auf den Moment, an dem alle Schleusen geschlossen sein würden. Das Filigran verhielt sich ruhig. Es beantwortete auch meine Fragen nun nur noch sehr kurz und ausweichend. Dieses Verhalten stimmte zwar nicht ganz mit Insiders Bericht überein, aber ich machte mir darüber keine weiteren Gedanken. Das Objekt, das uns Chybrain geschickt hatte, würde Schwammkartoffel zerstören. Nur das zählte. Übersiehst du nicht etwas! fragte mich mein Logiksektor. Ich sah von einer Antwort ab, denn wir waren intensiv mit den Startvorbereitungen beschäftigt. Vieles war noch ungewiß. Insbesondere wußten wir nicht, wie die MJAILAM nach den vielen und teils notdürftigen Reparaturen reagieren würde. Auf die Hilfe der Positronik mußten wir ganz verzichten. An ihren Einsatz war nicht zu denken. Sie hätte nur eine zusätzliche Gefahrenquelle dargestellt. Die Brick‐Zwillinge würden gemeinsam die Steuerung übernehmen, denn man wußte nicht, was sich in den nächsten Stunden ereignen würde. Ich stand ebenfalls bereit, um einzugreifen, wenn Not am Mann war. Schließlich kam die letzte Klarmeldung. Alle Wege nach draußen waren abgeriegelt. »Filigran«, sagte ich voller Erwartung. »Es kann losgehen. Zeige uns, mit welchen Kräften dich Chybrain ausgestattet hat. Zerstöre diesen Planetoiden.«
»Das wird es nicht tun!« erklang schneidend scharf eine Stimme hinter mir. Ich fuhr herum. Dort stand Insider. Er lehnte sich mit dem Rücken an einen Schaltschrank. In seinen Händen lagen vier Impulsstrahler, die fächerförmig auf die Anwesenden gerichtet waren. »Bist du übergeschnappt?« fragte ich ruhig. »Was soll das Theater?« »Patsch‐uuh, Atlan. Das ist kein Theater.« Der Kowallek wirkte nervös, eine Eigenschaft, die ich bei ihm gar nicht kannte. »Es ist mir bitterer Ernst. Ich kann eure Euphorie wegen der erwarteten Befreiung aus Schwammkartoffel ja verstehen, aber sie macht euch blind. Wir würden einen schweren Fehler begehen, wenn das Filigran den Planetoiden jetzt wirklich zerstört.« »Es läuft sowieso nicht alles so, wie Chybrain es sich gedacht hat«, meldete sich das leuchtende Gebilde. Seine langen Haare flimmerten unruhig. »Es ist mir gelungen, Programm X‐3 zu aktivieren. Seine Antwort lautet, daß die Zerstörung des Planetoiden auch mein Ende bedeutet. Das stimmt mich traurig.« »Wie kann eine Maschine Trauer empfinden!« rief einer der Solaner vom Funkerpult. »Wir wollen hier heraus. Das ist alles.« »Also gut«, versuchte ich einzulenken. »Wir haben die Folgen für das Filigran vielleicht nicht genügend bedacht. Es ist schließlich ein für uns völlig fremdartiges Instrument. Chybrain wird diesen Verlust verkraften können.« »Aber ich nicht«, erklärte die weiche Stimme aus den Flimmerhaaren. »Weißt du einen anderen Ausweg?« fragte ich den leuchtenden Ball, der wenige Schritte von mir entfernt unter der Decke schwebte. »Programm DC sagt nein.« »Na, bitte.« Ich war ungehalten, zumal ich mich mit Tyari auch noch nicht wieder vollständig ausgesöhnt hatte. Die Ereignisse hatten an unser aller Nerven gezehrt. So wandte ich mich wieder an Insider:
»Siehst du nun ein, daß es nicht anders geht?« »Du verstehst mich ganz falsch, Atlan.« Seine Waffen blieben unverändert auf uns gerichtet. »Es geht mir nicht um das Filigran. Es ist eine Maschine. Daran ändert sich auch nichts, daß seine merkwürdigen Programme Gefühle simulieren.« »Was willst du dann, Insider?« »Die Zerstörung von Schwammkartoffel bedeutet für uns die ersehnte Freiheit. Und für den Materietaucher Fasto bedeutet sie den Tod. Und das paßt mir nicht!« Ich zuckte zusammen. Das kommt davon, meldete sich der Extrasinn, wenn man nicht auf mich hört! »Willst du ihn etwa als Haustier mitnehmen«, schrie der vorwitzige Solaner von der Funkstation. »Ein Extra mit einem Extra als Schoßhund. Das wäre in der Tat einmal etwas Neues.« »Schluß damit!« Ich sah meinen Fehler ein. Zu entschuldigen war er nicht, denn auch in dieser Situation und nach der langen Gefangenschaft hätte ich einen klaren Kopf bewahren müssen. Insider war zwar etwas zu drastisch vorgegangen, aber er hatte recht. »Wir suchen Fasto und nehmen ihn mit. Die Aktionen des Filigrans und unser Start sind auf unbestimmte Zeit verschoben.« Ich sah ein paar lange Gesichter, aber Insider steckte wortlos seine Waffen in den Gürtel. »Eine kleine Daseinsverlängerung kann auch mir nicht schaden«, freute sich Chybrains seltsamer Bote. »Programm WZ‐3 erlaubt mir, Insider bei der Suche nach dem Hungrigen zu helfen, sofern Atlan keine Bedenken anzumelden hat.« »Einverstanden«, erklärte ich. * Ich fühlte mich sehr unwohl, und meinen Begleitern an Bord erging
es nicht anders. Es herrschte plötzlich wieder eine ausgesprochen schlechte Stimmung. Der Grund lag allein in der Verzögerung, die die Suche nach dem Materietaucher erforderlich gemacht hatte. Den Solanern paßte das einfach nicht, und die meisten von ihnen machten auch kein Geheimnis daraus. Die brisanten und aufreibenden Erlebnisse der letzten vierzehn Tage hatten an unseren Nerven gezehrt. Ich konnte meine Freunde gut verstehen, denn mir selbst erging es nur wenig anders. Auch Insiders heftige Reaktion ließ sich eigentlich nur so erklären. Er hätte sich doch denken können, daß er mit seinem Anliegen bei mir auf Verständnis gestoßen wäre. Das meinst du, belehrte mich der Extrasinn. Er hat dir durch seine konsequente Verhaltensweise doch erst die Augen geöffnet. Meine Blicke suchten Tyari, als ob ich bei ihr Halt finden könnte. Aber sie hatte die Zentrale verlassen, um Joscan Hellmuts Bemühungen zu unterstützen, die MJAILAM‐Positronik doch noch in den Griff zu bekommen. Eine Erfolgsmeldung ging jedoch nicht ein. Insider und das Filigran waren seit fast einer Stunde in Schwammkartoffel unterwegs, um Fasto zu finden. Sie wurden von zwei Robotern begleitet. Die Suche gestaltete sich nach den Auskünften des Kowalleks als schwierig, weil sich das Schlangenwesen mit vollem Bauch irgendwo in den Felsen verkrochen haben mußte. Auch das Filigran konnte es nicht genau orten. Der gesamte Rest der Besatzung hatte sich geweigert, Insider bei der Suche zu unterstützen. Auch diese Verweigerung war typisch für die Verfassung der Solaner. Unter normalen Umständen wäre so etwas undenkbar gewesen. Jetzt verlangten alle nur nach einer Freiheit, die eigentlich gar keine sein konnte, denn wir wußten nicht, was uns außerhalb von Schwammkartoffel erwartete. Es konnte sein, daß der Nabel zum heimatlichen Universum nicht mehr existierte. Auch war nicht auszuschließen, daß sich unsere unbekannten Gegner mit Erfolg gegen die SOL gewandt hatten.
Die Frauen und Männer in der Zentrale vermieden Gespräche darüber. Sie klammerten sich einfach an die Hoffnung, daß eine schnelle Rückkehr zur SOL gelingen würde. Die Anspannung gipfelte in einen neuen Höhepunkt, als Insider sich endlich wieder meldete. »Wir haben Fasto«, berichtete er. »Die Roboter bringen ihn zur MJAILAM. Zu verdanken haben wir das dem Filigran, denn das hat ihn aufgespürt und aus dem Felsen geschweißt. Allerdings hat es dabei einen nicht näher erklärbaren Schaden erlitten. Das Filigran sagt, es kehrt nicht mehr an Bord zurück.« Ich sprang an das Funkpult und zog den Mikrofonring zu mir heran. »Was hat das zu bedeuten, Insider?« schrie ich. »Ich weiß es nicht. Vermutlich sind seine Programme endgültig durcheinander. Ich habe nur verstanden, daß ich mich schleunigst an Bord begeben soll. Danach sagte das Filigran nichts mehr.« »Dann komm an Bord und hoffe, daß es sein Versprechen noch einlösen kann und Schwammkartoffel auflöst. Andernfalls …« Ich unterdrückte meinen Ärger. Mochte der Teufel wissen, was dort draußen geschehen war. Vielleicht wäre es doch richtiger gewesen, gegen Insiders Vorstellung zunächst die Befreiung mit Chybrains seltsamen Boten zu versuchen. Du trägst an der Verwirrung und der Entwicklung selbst die Schuld, behauptete der Logiksektor. Du hast sehr überstürzt reagiert. Ich versuchte, die aufgebrachten Solaner zu beruhigen, die ihre letzten Chancen auf eine erfolgreiche Flucht verspielt sahen. Es gelang mir nicht recht. Selbst Brick, der nie um ein humorvolles Wort verlegen war, schwieg. Die Minuten tropften wie ein zäher Brei dahin, bis endlich die Meldung von der Bodenschleuse kam, daß die Roboter mit dem schlafenden Fasto das Schiff erreicht hatten. Kurz darauf traf auch Insider ein. Er folgte meiner Aufforderung und begab sich direkt in die Zentrale.
Die Solaner empfingen ihn mit sichtlichem Unmut, denn sie sahen in ihm den Schuldigen für das Verschwinden des Filigrans. Dessen Fremdartigkeit hatte sie praktisch gar nicht gestört, denn schließlich war dieses seltsame Ding es gewesen, das ihnen die Befreiung aus dem planetoiden Gefängnis zugesichert hatte. »Patsch‐uuh!« stöhnte Insider sichtlich irritiert. »Du erwartest sicher eine Erklärung von mir, Atlan. Ich kann sie dir nicht geben. Ich hatte den Eindruck, daß das Filigran irgendwie gestört war. Es plapperte teilweise Widersprüchliches. Aber eins war klar. Es war sehr enttäuscht von dir.« »Wie soll ich das verstehen?« Ich runzelte die Stirn. »Du hast etwas von ihm verlangt, das es befolgen muß. Die Zerstörung der Schwammkartoffel verlangt wohl seine ganze Energie. Daher hast du mit deinem Verlangen gleichzeitig seinen Untergang bewirkt.« »Ich hatte das so verstanden, daß das Filigran ein Gerät oder eine Maschine ist. Was kann da der Untergang für eine Bedeutung haben?« Darauf wußte der Grüne auch keine Antwort. Wir hätten wahrscheinlich noch endlos weiter diese sinnlose Diskussion geführt, wenn sich draußen nicht etwas zu verändern begonnen hätte. Das Ortungspersonal stellte es zuerst fest. Die ohnehin kaum spürbare Gravitation des Planetoiden sank auf null. Dann trieben die Felsmassen auseinander. Es war ein gespenstischer Anblick, denn kein Lichtblitz und keine Explosion begleiteten den Vorgang. Schwammkartoffel zerbröckelte buchstäblich. Die Trümmer strebten in alle Richtungen auseinander. Irgendwo in dem Durcheinander zuckte ein rotgrünes Licht auf. Ich sah es und dachte an das Filigran. Da aber keiner der anderen etwas bemerkt zu haben schien, schwieg ich. Vielleicht war es auch nur eine Sinnestäuschung gewesen, die mir mein überreiztes Gehirn vorgegaukelt hatte. Nun kam aber Leben in die Solaner. Brick steuerte den Kreuzer
aus den verwehenden Trümmern in die Dunkelheit der Namenlosen Zone. Die MJAILAM gehorchte den Anweisungen auch ohne die noch immer nicht einsatzbereite Positronik. Die Defensivschirme durften wir mit nicht mehr als 25 Prozent belasten, weil einige Zusatzaggregate ausgefallen waren. Wenn jetzt ein Gegner auftauchen würde, hätten wir kaum eine Chance gehabt. In der Ortungsabteilung herrschte die größte Aktivität. Aber dort gab es schon bald lange Gesichter. Es wurde ein einziges Objekt festgestellt, die einsame Sonne Solist. Insbesondere fehlte jedoch jeglicher Hinweis auf die energetische Strahlung des Junk‐Nabels. Damit besaßen wir auch keinen Bezugspunkt, was wiederum bedeutete, daß wir nicht wußten, wo wir waren. »Heather Lleit und Wendy NʹColm müssen her«, erklärte ich. Die beiden sensiblen Buhrlos waren unsere Hoffnung. Es hatte sich ja herausgestellt, daß allein die Gläsernen in der Lage waren, Himmelskörper oder die sie verbergenden Schockfronten in der Namenlosen Zone zu entdecken. Warum das so war, blieb selbst unseren besten Wissenschaftlern ein Rätsel. Es mußte etwas Besonderes sein, das den Weltraummenschen von Natur aus mitgegeben worden war. Ihr besonderes Gespür für den mir so fremdartigen Lebensraum, das Vakuum, war oft deutlich geworden. Jeder Buhrlo wußte, wenn er sich außerhalb der SOL befand, in welcher Richtung diese zu finden war. Er brauchte dazu keinen seiner natürlichen Sinne. Ihre Verbundenheit mit dem Weltraum drückte sich in der Namenlosen Zone so aus, daß sie hier Dinge wahrnehmen konnten, die selbst unsere modernen Ortungssysteme nicht sahen. Nach den Entdeckern dieser Besonderheit war diese Erscheinung der Teppelhoff‐Effekt genannt worden. Darauf hofften wir auch jetzt, als sich der 46jährige Heather Lleit, seine 42jährige Lebensgefährtin Wendy NʹColm und drei Ortungsspezialisten in die Polkuppel begaben. Von dort sollten die Buhrlos Ausschau halten. Ihre Angaben würden korrekt sein, aber ungenau, da sie nur
Richtungen zeigen konnten, aber keine exakten Positionsdaten zu vermitteln vermochten. Die MJAILAM glitt unterdessen in langsamer Fahrt voran. Eine Richtung war im Augenblick so gut oder so schlecht wie jede andere. Es kam eigentlich nur darauf an, den Solanern das Gefühl zu vermitteln, daß sie sich wieder im freien Flug befanden. Hage Nockemann und sein Hochleistungsroboter Blödel hatten in einem Nebenraum der Zentrale eine Positronik installiert und diese mit den Reservedaten der MJAILAM‐Positronik gefüttert. Dieses Befehlssystem besaß zwei große Nachteile oder Mängel. Es verfügte über keinen Plasmazusatz. Blödel schaltete sich zwar hinzu. Sein geringes Zellplasma und seine doch etwas ausgefallene Grundprogrammierung waren aber nicht gut geeignet, um die defekte MJAILAM‐Positronik an Leistungsfähigkeit ausreichend zu ersetzen. Selbst wenn das möglich gewesen wäre, hätte es nur bedingt geholfen, denn diese Positronik war vollkommen isoliert von den anderen Systemen des Kreuzers. Gerade das war aber der entscheidende Vorteil einer normalen. Bordpositronik. Sie verfügte praktisch ständig über alle wichtigen Daten, die die Schiffsführung betrafen, und sie konnte von sich aus in Not‐ oder Extremfällen zeitverzugslos und sicher eingreifen. Immerhin gelang es dem Scientologenteam innerhalb einer halben Stunde, aus den Angaben der beiden Buhrlos ein Bild zu konstruieren, aus dem wir grob ersahen, wo wir waren. Geholfen war uns dadurch nur wenig, denn das Ergebnis gab neue Rätsel auf. Mit der Auflösung des Planetoiden Schwammkartoffel waren wir an einem Ort der Namenlosen Zone aufgetaucht, der uns weder bekannt war, noch annähernd mit dem übereinstimmte, an dem wir auf den kleinen Himmelskörper gestoßen waren. Das war in unmittelbarer Nähe des Junk‐Nabels gewesen. Jetzt befanden wir uns jedoch mindestens 34.000 Lichtjahre von diesem entfernt. Die Solaner stießen wütende Flüche aus, als sie die
Zusammenhänge erkannt und begriffen hatten. Auch mich beschlich erneut ein ungutes Gefühl. Hatten wir uns nun bewegt? Oder Schwammkartoffel? Oder hatte gar das Filigran diese nicht unerhebliche Ortsveränderung bewirkt? Mir war klar, daß wir, wie so oft in den letzten Wochen, keine eindeutige Antwort auf diese Frage bekommen würden. Die Antwort war eigentlich auch unwichtig. Es genügte zu erkennen, daß wohl kaum eine fremde Macht – ich mußte wieder an den unheimlichen Gegner denken, der hier irgendwo in der Namenlosen Zone unbegreifliche Ziele verfolgte – der Verursacher der Ortsveränderung sein konnte. Denn wenn das der Fall gewesen wäre, so hätte sich diese schon zeigen müssen. Wirklich bedeutsam waren jedoch die Folgerungen aus der erkannten Position. Es sah nun ganz so aus, als ob wir den Junk‐ Nabel aus eigener Kraft nicht erreichen würden. Die Antriebssysteme hatten arg gelitten. Es war äußerst fraglich, ob wir mit der angeschlagenen MJAILAM überhaupt einen Linearflug riskieren könnten. Nockemann verkündete diese traurige Erkenntnis mit betretener Miene. »Es muß weiter repariert werden«, fügte er hinzu. »Dann müssen Tests folgen, kurze Etappen. Wenn wir dann sehen, daß diese Schrottkugel noch flugtüchtig ist, werden wir auch wieder in die Nähe des Nabels gelangen können.« »Das bedeutet«, folgerte Uster Brick, »wir sind aus dem Regen in die Traufe gekommen.« »Wir haben einen schlechten Tausch gemacht«, entgegnete ich. »Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Der Planetoid bot uns einen gewissen Schutz; auch wenn er uns festhielt. Diesen Schutz haben wir jetzt nicht mehr. Das nächste Sonnensystem ist über 80 Lichtjahre entfernt. Es ist fraglich, ob wir es unbeschadet erreichen können. Und es ist noch fraglicher, ob wir dort Hilfe finden. Unsere bisherigen Erfahrungen mit den Welten hinter den Schockfronten
lassen das nicht erwarten.« Damit war unsere Lage umrissen. An den betretenen Gesichtern konnte ich auch nichts ändern. Und ein Beschönigen der Situation wäre sicher ganz falsch gewesen. Erstaunlicherweise kehrte dennoch schnell Ruhe ein. Ich sah fragende Blicke und auch manchen Hoffnungsschimmer. Die Solaner schenkten mir wieder ihr ganzes Vertrauen, und das war eine wirklich wundersame Reaktion. Die Befreiung aus Schwammkartoffel hatte die klaustrophischen Gefühle verdrängt. Vielleicht war das die Ursache. Eine Lösung wußte auch ich nicht. Ich kam auch gar nicht mehr dazu, etwas zu sagen, denn Insider, der an den Ortungsanzeigen stand, stieß sein »Patsch‐uuh!« aus und hieb eine Faust auf die Alarmtaste. Die Sirenen heulten auf. »Ortung!« schrie der Kowallek. »Ein großes Objekt in nur wenigen tausend Kilometern Entfernung. Es tauchte buchstäblich aus dem Nichts auf.« Sekunden später war das Ortungsbild auf dem Hauptschirm. »Länge etwa 1500 Meter«, teilte der Kowallek mit. »Breite vielleicht 600. Verschiedene energetische Aktivitäten, aber ein Raumschiff ist das nicht.« Er stürzte plötzlich auf mich zu, packte mich mit allen vier Armen und zerrte mich zum Bildschirm, als ob ich dort mehr sehen würde. »Atlan!« keuchte er. »Du mußt das Objekt identifizieren. Ich kenne es nur aus deiner Beschreibung. Sag doch was!« Ich war noch zu benommen, denn in Sekundenbruchteilen schossen die wildesten Erinnerungen in meinen Kopf. Dreizehn Jahre Gefangenschaft durch Anti‐ES, das ewige Vergessen, Laupertyn, Janv‐Zount, Pit und Rico, die Quelle der Jenseitsmaterie, Kik, Beyl Transot, Janvrin … »Es gibt keinen Zweifel«, hörte ich mich sagen. »Das ist die Basis des Ersten Zählers, jenes Objekt, das die Lichtquelle beherbergt und
auf dem ich eine lange Gefangenschaft verbringen mußte.« Das Objekt, auf dessen Oberseite sich eine natürliche Landschaft erstreckte, trieb langsam auf uns zu. Noch waren keine Einzelheiten zu erkennen, aber es gab keinen Zweifel. Das war die Basis des Ersten Zählers! 5. Minanders Laune war auf einem Tiefpunkt, als er aus dem Hauptwrack trat und in die trübe Dämmerung starrte. Zu dieser Zeit waren die wenigen künstlichen Lichter der Quibbirger fast alle abgeschaltet, denn die Ruheperiode dauerte noch an. Der Alles‐Chef der Quibbirger erinnerte sich noch gut daran, als auf dieser Festungswelt ein natürliches Licht ohne Unterbrechung geschienen hatte. Dann hatte sich dieses aber aus unerfindlichen Gründen abgeschaltet. Seit dieser Zeit mußten sie selbst mit den Energievorräten ihrer Wracks dafür sorgen, daß man wenigstens von Zeit zu Zeit etwas sah. Er sah hinab zur Kuppel, von der früher das Licht ausgegangen war. Dort regte sich nichts, aber der Alles‐Chef meinte auch jetzt noch, daß er in der Dunkelheit den einen oder anderen Roboter erkennen würde. Er haßte diese Maschinen, denn sie verwehrten ihm und seinen rund 800 gestrandeten Artgenossen den Zutritt in das Innere dieser Welt. Minander schaltete einen Scheinwerfer ein und leuchtete die Umgebung ab. Es war alles ruhig, und auch die Roboter ließen sich nicht blicken. Die Wände des Hauptwracks besaßen noch immer ihren Glanz, und darin spiegelten sich seine Körperumrisse im matten Licht des Notscheinwerfers. Der Alles‐Chef war ein eitles Wesen. Dabei unterschied er sich kaum von den anderen Quibbirgern. Er war etwa 1,60 Meter groß,
und man konnte ihn noch als hominid bezeichnen, denn er besaß zwei Arme, zwei Beine und einen Kopf. Die weiteren Einzelheiten waren jedoch nicht menschenähnlich. Der Kopf machte rund ein Drittel der Körpermasse aus. Wenn sich ein Quibbirger bewegte, erschien einem Unbedarften das, als ob der Rumpf unter der Last des Kopfes zusammenbrechen könnte. Das flaumartige Fell, das den Körper überall bedeckte, ließ diesen dabei noch kräftiger erscheinen, als er es tatsächlich war. Die Haare des Felles waren so dünn gesät, daß man auf die weißgraue Haut blicken konnte. Diese wirkte durchschimmernd. Selbst jetzt in der Dunkelheit sah Minander aus, als könne man durch ihn hindurchblicken. Auf der Kopfoberseite war das Fell etwas dichter. Hier bildete es Haarknäuel, die zu kunstvollen Ornamenten geformt waren. An dieser von Quibbirger zu Quibbirger verschiedenen Haarpracht konnte man die Wesen dieses Volkes gut voneinander unterscheiden. Der Alles‐Chef, ehemals Kommandant der kleinen Flotte, die hier gestrandet war, legte größten Wert darauf, daß seine Haarformen stets extrem anders aussahen als die seiner Artgenossen der näheren Umgebung. Und damit waren praktisch alle 800 Quibbirger gemeint, denn diese halb künstliche, halb technische Welt war so klein, daß man über kurz oder lang jedem anderen begegnen mußte. Einer, dem Minander gar nicht gern begegnen wollte, war Polisar, der Erste Wissenschaftler. In ihm sah er einen ewigen Widersacher, der von der Führung des restlichen Volkes nichts verstand. Der Alles‐Chef rieb dem Wissenschaftler bei jeder Gelegenheit unter die Nase, daß er auf der Heimatwelt nur Sechsundvierzigster Wissenschaftler gewesen war. Bei den Leuten, denen mit Minander die Flucht gelungen war, genoß er dennoch einen hohen Stellenwert. Als der Führer der Quibbirger ein paar Schritte durch die nur von wenigen Lichtern durchbrochene Dunkelheit machte und seine Blicke auf das hohe Felsmassiv richtete, das sich hinter dem
Hauptwrack erhob, kam ihm ausgerechnet dieser Polisar entgegen. Ein weiterer Mann befand sich in seiner Begleitung. Der Alles‐Chef erkannte Kormath, den Historiker. Allein das weckte sein Mißtrauen, denn Kormath war ihm als besonnener und ruhiger Zeitgenosse in Erinnerung. Er schrieb die Geschichte des kleinen Restvolkes sorgsam auf, sprach darüber und sah sich überall um. In die Führungsangelegenheiten oder die Machenschaften Polisars hatte sich der Historiker noch nie eingemischt. »Wer zu so später Stunde noch unterwegs ist«, begrüßte der Alles‐ Chef die beiden unfreundlich, »der führt nichts Gutes im Sinn.« »Du siehst Gespenster.« Polisar lachte selbstbewußt. »Es ist an der Zeit, daß wir einen neuen Chef bestimmen.« »Wenn du es noch einmal wagen solltest, so etwas zu behaupten«, drohte Minander, »dann drehe ich dir die Gurgel um!« »Bitte, bitte!« Der Historiker schob sich zwischen die beiden. »Ihr müßt euch doch nicht gleich wieder streiten. Jeder Zank verschlechtert unsere Situation nur. Habt ihr vergessen, daß wir alle einmal die wenigen Positiven unseres Volkes waren? Beruhigt euch! Ich werde dir alles erklären, Alles‐Chef.« Minander liebte es, mit seinem Titel angesprochen zu werden. Er lenkte ein. »Da bin ich aber einmal gespannt, Schreiber. Was hast du mir mitzuteilen?« »Oh, oh«, stammelte der alte Quibbirger. »Polisar hat die Bio‐ Imitatoren kontrolliert. Da habe ich ihn begleitet, um ein paar Informationen über seine Arbeit für meine Werke zu bekommen.« »Sicher hat er wieder über mich gelästert!« »Nein, nein!« Kormath versank vor dem Alles‐Chef fast im Boden. »Von dir war gar nicht die Rede. Ich wollte mir ein Bild von den Bio‐Imitatoren machen. Nur darum ging es.« Polisar packte den Historiker im Nacken, dicht über der einteiligen Kombination, die den Körper des Quibbirgers bedeckte,
und zog ihn hoch. »Du brauchst vor ihm nicht zu kuschen, Bücherschreiber«, erklärte der Wissenschaftler hart. »Der Chef hat keine Ahnung, welche Bedeutung die Bio‐Imitatoren haben.« »Ich verbitte mir diesen frechen Ton, Sechsundvierzigster!« »Im Unterschied zu dir bin ich von unserem Volk zum Ersten Wissenschaftler ernannt worden, Chef. Und ich bin der Herr der Bio‐Imitatoren. Du solltest allmählich erkennen, was das bedeutet. Du bist nicht gewählt worden. Du hast dich ernannt.« »Deine Bio‐Imitatoren haben sich als wertlos herausgestellt.« Der Führer der Quibbirger wich geschickt dem Vorwurf aus und ging selbst zum Angriff über. »Der Emulator hatte die Wahrheit erkannt. Es gibt kein anderes Leben in der Namenlosen Zone. Deine Waffe ist sinnlos und überflüssig.« »Da bin ich ganz anderer Meinung. Notfalls könnte ich sie benutzen, um dich unauffällig durch einen anderen zu ersetzen.« »Das wirst du nicht wagen!« Kormath schrie entsetzt auf. »Es würde bedeuten, daß das Schlechte in uns wieder die Oberhand gewinnt. Wir würden erneut in eine Schockfront gehüllt werden, und alles wäre verloren. Sogar meine ganze Arbeit für unsere Nachkommen wäre sinnlos.« »Bist du sicher, daß wir noch Nachkommen haben werden?« spöttelte der Wissenschaftler. »Es gibt keinen Weg mehr von dieser kleinen Welt. Unsere Schiffe sind Wracks. Die Roboter dieser Welt kapseln sich hermetisch von uns ab. Die unteren Regionen und ihre technischen Geheimnisse bleiben uns verborgen. Organisches Leben haben wir nicht entdeckt. Da haben auch die Taster der Bio‐ Imitatoren versagt. Du solltest endlich einmal einsehen, Historiker, daß dies hier unsere letzte Station ist. Wir sterben auf diesem Brocken aus.« »Das kann nicht wahr sein«, lehnte Kormath ab. »Dann wäre unsere Flucht von Quibbirg ja sinnlos gewesen.« »Sie war es!« bekräftigte der Alles‐Chef.
»Der Emulator hat vor seinem Tod, der uns eine Öffnung in der Schockfront schuf, etwas anderes gesagt. Und ihm vertraue ich, auch wenn du hier der Alles‐Chef bist.« »Sehr gut, Kormath«, lobte Polisar. »Es kann dir und deiner Schreiberei nur nützen, wenn du die Zeichen der Zeit erkennst.« »Wage es, meine Leute aufzuwiegeln!« Minander ballte seine Fäuste. Aber der Wissenschaftler drehte sich einfach zur Seite und setzte seinen Weg fort. Kormath zögerte noch. Ihn befriedigte das abrupte Ende des Gespräches nicht. Nach wenigen Schritten blieb Polisar stehen und stieß einen spitzen Pfiff aus, aus dem seine Überraschung zu erkennen war. »Da!« Seine Hand wies in die Höhe. Nun sahen es auch die beiden anderen Quibbirger. Der Schutzschirm der Kleinwelt war zu erkennen, weil er beleuchtet wurde. »Die Bugscheinwerfer!« folgerte Polisar. »Die Roboter müssen sie eingeschaltet haben. Dafür kann es nur einen Grund geben. Es kommt etwas.« Auch an anderen Stellen der Oberseite flammten Lichter auf. Die eigentliche Beleuchtung aus dem Kuppeldom fehlte jedoch. »Ich muß unsere Leute alarmieren.« Der Alles‐Chef rannte in Richtung des Hauptwracks davon. »Ich werde die Bio‐Imitatoren aktivieren.« Auch der Wissenschaftler spurtete davon. Kormath war allein. Im Lager der sieben Raumschiffswracks wurde es lebendig. Rufe waren zu hören, und Gestalten hasteten durch das Halbdunkel. Dann flammten die Scheinwerfer der Quibbirger auf und schufen einen künstlichen Tag. »Es tut sich etwas«, murmelte der Historiker. »Das wird ein paar Seiten meiner Bücher füllen.« Er beachtete die Alarmsignale nicht, denn er besaß keine Aufgabe, wenn Gefahr drohte oder sich etwas Ungewöhnliches anbahnte. Er
suchte sein Wrack auf und hockte sich vor seine Bücher, die er sorgfältig mit Notizen füllte. Aus dem Lautsprecher des Internnetzes kamen weitere Informationen, die eine kleine Automatik aufzeichnete. Er würde diese Dinge später auswerten. »Wenn es ein Später gibt.« Kormath war nachdenklich geworden, denn, die Quibbirger hatten ein Kugelschiff entdeckt, das sich der Kleinwelt näherte. Ein dunkles Gefühl sagte ihm, daß die Zukunft nichts Gutes bringen würde. * Die Lage für sein kleines Restvolk von rund 800 Seelen war alles andere als rosig. Der Alles‐Chef setzte alles daran, um eine Verbesserung zu erzielen, aber dabei boten sich ihm kaum Chancen. Er wußte auch, daß das Scheitern der Flucht der Positiven von Quibbirg und der Wechsel von der Diktatur der Negativen in die Gefangenschaft auf dieser Kleinwelt der Grund dafür, daß alle – auch er – gereizt reagierten. Früher hatte es einmal eine Zeit gegeben, da hatten Polisar und er gut zusammengearbeitet, um die Flucht vorzubereiten. Damals hätte er es auch nicht gewagt, etwas Negatives gegen die Bio‐Imitatoren zu sagen. Als Minander in seiner Zentrale im Hauptwrack stand, das früher einmal das Führungsschiff der Flüchtlinge gewesen war, wurde ihm erst bewußt, wie sehr er nun Polisars Hilfe brauchte. Er schaltete eine Verbindung im Internnetz zu dem Wissenschaftler, aber der hatte die Bio‐Imitatoren noch nicht erreicht. Dafür lagen die Ortungsergebnisse aus dem Nebenwrack II vor. Es bestand kein Zweifel. Ein fremdes Raumschiff näherte sich der Kleinwelt. Minander ließ sich die ersten Bilder überspielen. Das Schiff besaß Kugelform und sah recht attraktiv aus. Allein die
Tatsache, daß es sich bewegte, ließ seinen Puls höher schlagen. Das war es, worauf man seit einer kleinen Ewigkeit gewartet hatte. Vielleicht war es nicht groß genug, um alle Quibbirger zu befördern, aber in mehreren Etappen würde man die ungastliche Kleinwelt mit ihren kontaktverweigernden Robotern verlassen können. Er setzte bereits stillschweigend voraus, daß es gelingen würde, das Kugelschiff in seinen Besitz zu bringen. Seine Anweisungen an die Außenposten, die nach der Alarmierung längst alle besetzt waren, kamen schnell und genau. Das Schiff durfte auf keinen Fall beschädigt werden. Also mußten die verbliebenen Waffen schweigen. Da auch die Roboter der Kleinwelt den Ankömmling bemerkt haben mußten, drohte von dort die gleiche Gefahr. Sie besaßen starke Waffen, das wußte niemand besser als Minander, denn ihnen waren viele seiner Schiffe zum Opfer gefallen, und nur ganze sieben hatten sich in Notlandungen auf die Kleinwelt retten können. Auch waren die Abwehrschirme der Kleinwelt auf Vollast geschaltet worden. Dadurch wurde es fraglich, ob das fremde Schiff überhaupt landen können würde. Sorgen gab es also genug, und der erwünschte Erfolg lag noch in weiter Ferne. Sie hatten Quibbirg verlassen können. Der Emulator hatte sein Leben geopfert. Eine neue und bessere Zukunft schien vor ihnen zu liegen, aber es hatte nicht lange gedauert, bis sie ihren Irrtum eingesehen hatten. Die Namenlose Zone bot für heimatlose Flüchtlinge, die ihrer verkommenen Welt den Rücken gekehrt hatten, keinen neuen Aufenthaltsort. Es gab keine Planeten, keine Sterne. Die Namenlose Zone war das Nichts. Das war ein Rätsel gewesen, auf das nur Kormath eine Antwort gewußt hatte. Da man auch Quibbirg und seine Sonne nicht mehr sah, mußte diese von außen durch die Schockfront unsichtbar sein. Der Historiker hatte gefolgert, daß es mit all den anderen Welten ebenso sein mußte. Diese Erkenntnis war niederschmetternd genug
gewesen, denn wie sollte man etwas finden, was sich perfekt tarnte? Dann war man auf die Kleinwelt gestoßen, sich mit ihr in Kämpfen aufgerieben, bis die Roboter die Oberfläche mehr oder weniger freiwillig preisgaben und die Lichtquelle abgeschaltet wurde. Es war ein schlechter Tausch gewesen, der viele überflüssige Opfer gebracht hatte und keine neue Heimat. Statt dessen war man gefangen. An die Reparatur auch nur eines einzigen Schiffes war nicht zu denken. Die Schäden waren immens, und Minander war froh, daß wenigstens noch ein paar Energiesysteme funktionierten. Polisar hatte die Geräte der Bio‐Imitatoren retten können und auch eine Handvoll Ghausts, um diese im Notfall wieder zu aktivieren. Aber auf der Kleinwelt gab es nichts, wogegen die Bio‐Imitatoren hätten eingesetzt werden können. Hier gab es kein organisches und intelligentes Leben. Vielleicht würde sich das jetzt ändern. Minander und seine Assistenten beobachteten, wie das Kugelschiff immer näher kam. Es schien die Schutz schirme der Kleinwelt bemerkt zu haben, denn es hielt sich in sicherer Entfernung davon. »Es sieht auch angeschlagen aus«, meinte Pratt, einer der Assistenten, und deutete auf eine vergrößerte Bildwiedergabe. »Unsinn!« wischte der Alles‐Chef diesen unliebsamen Gedanken zur Seite. »Du weißt ja nicht, wozu diese Löcher und Schrammen dienen.« Pratt zog es vor zu schweigen. »Funksprüche!« konnte er kurz darauf melden. »Die Fremden funken uns an. Symbolische Bitströme, soweit ich es erkenne.« »Leite sie weiter zum Nebenwrack V. Dort funktioniert noch ein Teil der Maschinenintelligenz. Vielleicht kann sie etwas entschlüsseln. Im übrigen müssen wir damit rechnen, daß die Fremden nicht uns, sondern die Roboter meinen.« Ein anderer Assistent des Alles‐Chefs machte diesen auf eine Beobachtung aufmerksam:
»Als wir so nah an der Kleinwelt waren, haben die Roboter schon auf uns geschossen und unsere Schiffe verfolgt. Jetzt tun sie es nicht. Warum ist das so? Vielleicht gehört das fremde Schiff zu ihnen.« Dieser Gedanke gefiel Minander gar nicht. Er fand auch sofort eine passende Antwort. »Ein einzelnes Schiff brauchen sie nicht zu fürchten, Karg. Deshalb warten sie ab. Und wenn es eins von ihnen wäre, hätten sie längst den Schutzschirm geöffnet.« Der Kugelraumer umrundete die Kleinwelt. Dabei näherte er sich immer mehr der schimmernden Energiehülle. Die Funksprüche gingen ununterbrochen weiter. Sie wurden jedoch nicht beantwortet. Die Roboter verzichteten offensichtlich darauf. Und die Quibbirger besaßen keine Möglichkeit mehr dazu. Auch verstanden sie den Sinn der Nachricht noch nicht. »Die Kleinwelt nimmt Fahrt auf«, wurde vom Nebenwrack VII mitgeteilt. »Der Fremde folgt der Bewegung nur zögernd.« Noch während der Alles‐Chef herumrätselte, was das zu bedeuten haben könnte, gingen kurz hintereinander zwei Meldungen in seiner Befehlszentrale ein. »Hier Nebenwrack V. Wir haben den Symbolfunkspruch entschlüsselt. Er lautet: Atlan an die Basis des Ersten Zählers. Rico, Pit, erkennt ihr mich noch? Wir kommen als Freunde. Wir brauchen Hilfe. Unser Schiff ist schwer angeschlagen. Ohne Unterstützung können wir die Namenlose Zone nicht mehr verlassen. Grüßt die schlafende Lichtquelle von mir. Und öffnet den Schirm, damit wir landen können.« Minander verstand nur einen Teil dieser Botschaft. Als er hörte, daß das Kugelschiff angeschlagen sei, sah er schon alle Hoffnungen fahren. Er überhörte die zweite Meldung, weil sie von Polisar kam. Außerdem wurde eine neue Funknachricht aufgefangen, die die Maschinenintelligenz des Nebenwracks V sofort simultan übersetzte.
»Nebula an Atlan. Ich bin der Diensthabende. Ich weiß von dir, obwohl viel Zeit seit deinem Hiersein vergangen ist. Die Lichtquelle hat sich selbst abgeschaltet, weil wir Parasiten an Bord der Basis haben. Unsere Logik warnt uns, denn es gibt viele Feinde. Bevor wir den Schirm öffnen, mußt du dich identifizieren. Nenne Namen, die nur du und wir kennen können!« Gespannt wartete der Alles‐Chef, während sich Polisar erneut meldete. Minander drehte die Lautstärke herab und zischte kurz: »Warte gefälligst, Sechsundvierzigster!« Die Antwort des Kugelschiffes kam schnell. »Janvrin, Kik, Quelle der Jenseitsmaterie, Born …« »Es genügt, Atlan«, wurde die Nachricht unterbrochen. »Wir öffnen den Schirm. Aber hüte dich vor den Parasiten. Sie sind gefährlich. Die Lichtquelle kann sich nicht ohne guten Grund desaktiviert haben.« Damit war das Gespräch vorerst beendet. »Hörst du mir jetzt endlich zu, Chef?« Der Wissenschaftler war ungehalten, als sich Minander ihm auf dem Bildschirm des Internetzes zuwandte. »Sie werden landen. Das hast du gehört. Wir brauchen ihr, Kugelschiff. Das ist dir klar. Ich biete dir jede Hilfe an.« »Die Frage ist doch«, meinte der Alles‐Chef, »was du anzubieten hast.« »Ich will Zusammenarbeit, Minander. Wir müssen jetzt unseren Streit begraben, denn es bietet sich uns eine Chance. Hör bitte zu. Ich habe die Bio‐Imitatoren aktiviert. Sie funktionieren fehlerfrei. Sie können durch den Schutzschirm hindurch die Impulse aufnehmen. Sie haben etwa fünfzig intelligente Lebewesen geortet, die sich an Bord des Kugelraumers befinden. Sie lassen sich mit Leichtigkeit imitieren, bevor sie auf der Kleinwelt landen. Das ist unsere Chance. Was sagst du dazu?« Der Führer der Quibbirger brauchte nicht lange zu überlegen. Er streckte seine Hand symbolisch in Richtung der Aufnahmeoptik des
Internnetzes und sagte: »Einverstanden, mein alter Freund. Ich verzeihe dir alles, und ich bitte dich, mir zu verzeihen, wenn ich dir Unrecht tat. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir wieder gemeinsam handeln können. Handle schnell. Die Fremden müssen hier sein, bevor sie gelandet sind. Hast du das verstanden?« »Hab ich, Alles‐Chef Minander. Du kannst dich auf mich verlassen. Denk daran, daß die Bio‐Imitatoren besonders geschützt werden müssen.« »Natürlich. Und unser Dank ist dir gewiß, Erster Wissenschaftler.« Minander war sehr zuversichtlich, als er sich wieder den wenigen Bildschirmen zuwandte, die noch arbeiteten. Auf einem war zu sehen, daß die Schirme der Kleinwelt erloschen. Das Kugelschiff senkte sich langsam herab. Sein Flug war unregelmäßig und stockend, bis es den Boden berührte. »Aktionsplan Tarnfang!« brüllte der Alles‐Chef in das Mikro des Internnetzes. »Und daß es mir keinen Versager gibt. Es geht um unsere Zukunft.« Dann wartete Minander darauf, daß die aus dem Schiff stiegen, die schon da waren. Er fühlte sich nun sehr sicher, zumal Polisar bestätigte, daß alles fehlerfrei funktioniert hatte. Daß sich ein Wesen nicht imitieren ließ, verschwieg der Wissenschaftler, denn es handelte sich eher um ein halbintelligentes Tier. Und um solche Kleinigkeiten brauchte er sich nicht zu kümmern. 6. Ich ging mit der gebotenen Vorsicht an die Sache heran, denn die wenigen Worte der Roboter forderten das. Die Maschinenwesen der Basis waren ganz offensichtlich nicht in der Lage, die, die sie als Parasiten bezeichnet hatten, abzuwehren. Technisch wären sie wohl
nicht vor Probleme gestellt worden. Wahrscheinlich fehlte ihnen für die derzeitige Situation die geeignete Programmierung oder einer, der ihnen sagte, was sie zu tun hatten. Ihre Hilflosigkeit und ihre Neigung zur Resignation hatten sie ja schon in der Vergangenheit bewiesen. Schmerzlich wurde mir bewußt, daß es sich dabei um einen kleinen Teil meiner Vergangenheit handelte, den ich »nur nacherlebt« hatte, weil er in jene Zeitspanne meines Lebens gehörte, an die ich keine direkte Erinnerung besaß – wohl, weil es die Kosmokraten so gewollt hatten. Während der Umrandungen der Basis des Ersten Zählers machten wir verschiedene Beobachtungen. An wesentlichen Veränderungen gegenüber der Erinnerung aus den Reinkarnationserlebnissen waren zwei Punkte zu nennen. Die Quelle der Jenseitsmaterie war erloschen. Ich interpretierte das vorsichtig in unserem Funkspruch als »Schlafen«, aber ich hatte keine Ahnung, was dort wirklich geschehen war. Äußerlich sah der Dom der Lichtquelle unversehrt aus. Die sprudelnden Brocken aus dem unfaßbaren Stoff gab es jedoch nicht mehr. Auch das wandernde Licht, das keine Schatten warf, existierte damit nicht mehr. Die zweite Veränderung konnte nur jene betreffen, die als Parasiten bezeichnet worden waren. Klar war, daß sich Fremde auf der Basis eingenistet hatten. Wahrscheinlich sind sie es auch, die die Lichtquelle zur Abschaltung veranlaßt haben, meinte mein Extrasinn. Uster Brick steuerte unterdessen die bockende MJAILAM auf das Zentrum der Basis zu. Genau dort wollte ich aber nicht landen, denn hier waren in dem Dreieck, das aus dem sogenannten Gästehaus, dem Felsmassiv und Geburtsort Chybrains, sowie dem Dom der erloschenen Lichtquellen gebildet wurde, sieben Raumschiffe zu erkennen. Es handelte sich um Halbkugeln, und aus ihrer unregelmäßigen Lage und den Löchern in den Wänden war zu schließen, daß sie nicht
mehr flugtauglich waren. Eine Gefahr konnten sie dennoch darstellen. Ich gab dem Piloten die Anweisung, in Richtung des Bugs der Basis auszuweichen. Auch dort gab es Abschnitte auf der Oberfläche, die nicht so dicht mit Bäumen bewachsen waren, daß die lädierte MJAILAM dort sicher landen konnte. Es war wohl geboten, nicht in unmittelbarer Nähe der Parasiten Kontakt zu suchen. Vorlan schimpfte, weil er während des holprigen Landeanflugs kurz vor der Bodenberührung noch eine Kursänderung durchführen mußte, aber das Manöver gelang. Die Roboter oder ihr mir unbekannter Führer Nebula meldeten sich nicht mehr. Auch auf Anrufe reagierten sie nicht. Das entsprach auch ihrem früheren Verhalten. Ohne Kopf waren sie kopflos. Damals hatten sie mich nach einigen Anfangs Schwierigkeiten anerkannt. Aber das war doch lange her, etwa 200 Jahre. Was mochte sich in dieser Zeit hier alles zugetragen haben! Ich hatte in dieser Zeit die Kosmokraten besucht. Anti‐ES hatte in der Namenlosen Zone noch seine erste Relativ‐Einheit abgesessen und weiter seine bösen Pläne gesponnen, die wir erst vor kurzem entscheidend zum Positiven hatten wandeln können. Die Zähler waren nach den Reinkarnationserlebnissen irgendwann alle in Anti‐ ESʹ Gewalt geraten. Als Manifeste, als mißbrauchte Umgestaltete, hatten wir ihnen die Freiheit, aber auch sicher einen anderen Lebensstatus geben können. In einem Moment wie diesem beschlich mich ein leises Grauen, wenn ich überdachte, welche Veränderungen ich bewirkt hatte. Unangenehm daran war, daß ich manche Einzelheit nicht in aller Konsequenz begriff. Auch der Extrasinn wußte dann keine Antwort. Aber damit mußte ich leben. Mein Dasein war vor langer Zeit dadurch bestimmt worden, daß ES, der Schirmherr der Menschheit, mir einen Zellschwingungsaktivator gegeben hatte, der mir nicht primär eine relative Unsterblichkeit verlieh, sondern mir vor allem
bewußt machte, daß ich für Aufgaben bestimmt worden war, die mein sehr erfahrener geistiger Horizont dennoch nicht in allen Einzelheiten verstand. Es gab keinen Grund, mit meinem Schicksal zu hadern, trotz dieser Ungewöhnlichkeiten. Uster brachte trotz aller technischer Schwierigkeiten den Kreuzer sicher zu Boden. Die Schweißperlen, die über sein schwarzes Gesicht perlten, besagten aber, wie schwer er es dabei hatte. Wir streiften ein paar Bäume, aber das machte der MJAILAM nichts aus. Schließlich setzten wir auf, und meine Gedanken konzentrierten sich wieder ganz auf die augenblickliche Realität. Unweit von uns zuckten Scheinwerferlichter durch die Dunkelheit. Das waren die Parasiten. Es mußte sich um eine erfahrene und technisch versierte Lebensform handeln, das bewiesen ihre Raumschiffe. Da sie auf unsere Funkanrufe nicht reagiert hatten und da die Namenlose Zone uns bislang nur unfreundliche und feindselige Völker beschert hatte, dachte ich nicht daran, mit übertriebenem Vertrauen auf sie zuzugehen. Erst mußte festgestellt werden, was sich hier eingenistet hatte. »Ihr bleibt erst einmal an Bord«, teilte ich den Leuten in der Zentrale und gleichzeitig über Interkom der restlichen Mannschaft mit. »Ein Erkundungskommando versucht, Kontakt mit den Robotern der Basis aufzunehmen. Wenn diese mich akzeptieren, brauchen wir nichts zu befürchten. Es gibt hier in der Nähe einen Einstieg in das Innere der Basis. Dort hoffe ich die Roboter zu treffen.« »Das heißt also«, sagte Tyari, »daß du nach draußen gehen wirst. Wen nimmst du mit?« »Wer will? Das ist doch die Frage.« Zwei meldeten sich spontan, Insider und Nockemanns Roboter Blödel. Beide erschienen mir für eine erste Erkundung sehr passend. Insider hatte sich offensichtlich wieder gefangen, und die mobile Hochleistungspositronik konnte mir bei einer Kontaktaufnahme mit
den Robotern der Basis des Ersten Zählers auch nur behilflich sein. »Einverstanden«, sagte ich. »Wir drei. Joscan hat das Kommando. Wartet, bis wir uns melden. Bleibt an Bord. Und beobachtet die Umgebung genau. Wir wissen nicht, was hier los ist.« Ich wunderte mich schon, daß Hage Nockemann keinen Protest eingelegt hatte, als sich sein robotischer Adlatus gemeldet hatte. Als ich mit Blödel und Insider den Antigravschacht zur Bodenschleuse betrat, verstand ich das aber, denn der Wissenschaftler bemerkte bissig: »Allen Raumgeistern sei Dank, daß sie mich für ein paar Minuten von der Gegenwart dieses Vollidioten befreien.« Blödel verharrte kurz und drehte seinen eckigen Kopf in Richtung seines Herrn. »Atlan kannst du damit wohl nicht gemeint haben«, sagte er. »Zwzwko auch nicht. Also meinst du mich. William Somerset Maugham sagte einmal vor rund zweitausend Jahren: ,Ich weiß recht gut, daß man über die menschliche Natur nie alles wissen kann, was man wissen sollte.ʹ Leider weiß ich aber über dich, du Halbscientologe, schon zuviel. Deshalb erspare ich mir eine Antwort. Mit Schrott macht man Geschäfte. Man streitet sich aber nicht mit ihm.« Als sich das Schott hinter uns schloß, hörte ich noch, wie ein harter Gegenstand auf der Innenseite gegen das Metall prallte. »Widmen wir uns nun höheren Aufgaben?« fragte Blödel. »Wichtigeren«, antwortete ich ihm. Insider glitt schon vor uns im Antigravschacht nach unten, und Joscan Hellmut gab über Interkom die erforderlichen Instruktionen an die Mannschaft. Ich bekam weiche Knie, als meine Füße den Boden der Basis des Ersten Zählers berührten. Nur mit Mühe konnte ich die Erinnerungen verdrängen, die mich zu überwältigen drohten.
* Ich fand den Eingang in das Innere der Basis schnell. Das bewies, daß die Erinnerungen aus den Reinkarnationserlebnissen auch in den Einzelheiten der Wahrheit entsprachen. Eigentlich hatte ich daran auch nie gezweifelt. Dennoch erlebte ich eine Enttäuschung. Der Einstieg war nicht nur fest verschlossen. Die Metallplatte war auch noch zusätzlich mit einer stahlharten Plastikmasse verschweißt, und von den erwarteten Robotern zeigte sich keine Spur. Über Funk erfuhr ich von Joscan, daß diese auch weiterhin auf keinen Funkanruf reagierten. Typisch, meinte der Extrasinn. Sie wollen erst einmal sehen, was du erreichst. Sie sind verunsichert. Ich pflichtete dieser Feststellung stillschweigend bei. »Um diesen Eingang zu öffnen«, teilte mir Blödel mit, »brauche ich mit chemischen Mitteln zwei Stunden. Wuschel braucht dafür aber nur zwei Minuten. Soll ich ihn herauslassen?« Der Bakwer konnte fast alles durch Fressen beseitigen. Blödels kleiner Freund war ein wahres Wunder. Aber diesmal wollte ich das nicht. Die Roboter waren vorsichtig, und sie waren verunsichert. Jede falsche Handlung konnte sie dazu verleiten, sich gegen uns zu stellen. Das hätte unser Ende bedeuten können. »Laß Wuschel erst einmal da, wo er ist«, sagte ich. »Gewalt könnte uns im Augenblick nur schaden. Versuche lieber, eine Spur der Basis‐Roboter zu finden.« »Ein richtiger Entschluß, Atlan. Du kannst noch denken. Warum kann Hage das nicht?« Ich verzichtete auf eine Entgegnung und sah mich um. In der Nähe gab es noch zwei weitere Schächte in die Tiefe. Ich wollte ganz sicher gehen und auch diese untersuchen. »Blödel bleibt hier«, erklärte ich. »Du auch, Insider. Ich gehe etwa
dreißig Schritte in diese Richtung, um zwei weitere Einstiege zu überprüfen. Danach komme ich zurück.« »Allein gehen ist riskant«, meinte der Kowallek. »Oder hast du einen besonderen Grund für diese Maßnahme?« »Hat er.« Blödel hatte meine Gedanken biopositronisch und logisch erkannt. »Die Roboter der Basis kennen Atlan. Dich nicht. Und mich nicht. Vielleicht reagieren sie dann etwas weniger ablehnend, wenn er allein kommt.« Insider war damit zufrieden. Ich ging los, aber ich erwartete nicht, daß sich mir nun buchstäblich Tür und Tor öffneten. Es dauerte eine Weile, bis ich den nächsten Einstieg gefunden hatte. Mein fotografisches Gedächtnis reagierte in Bezug auf die Erinnerungen aus den Reinkarnationserlebnissen nicht mit der gewohnten Präzision. Aber ich fand die Metallplatte. Sie war in der gleichen Weise hermetisch versiegelt wie die erste. Ich stolperte durch die Büsche, versuchte, die nun viel höheren und breiteren Bäume mit jenen zu identifizieren, die ich aus der Erinnerung kannte, und suchte den anderen Einstieg. Bevor ich ihn fand, erlebte ich eine Verrücktheit, die in kein Gruselkabinett des Kosmos gepaßt hätte. Das einzig Erfreuliche daran war, daß selbst mein Extrasinn mit keinem Wort etwas von sich gab. * »Du läufst hier in der Dunkelheit herum«, sagte Insider und packte mich an den Schultern. Er stand wie aus dem Boden gewachsen vor mir. »Dabei hat Tyari längst die Quibbirger telepathisch ausgespäht und ihr Wohlwollen erkannt. Frag sie doch selbst!« »Insider hat recht«, erklärte Tyari. Sie stand ebenso plötzlich neben mir. »Du gehst den falschen Weg. Laß dir doch helfen.«
Ich war vollkommen perplex, und mir verschlug es die Sprache. »Du solltest doch an Bord bleiben«, quälte ich mir über die Lippen. »Unwichtig.« Sie lächelte mich faszinierend im Scheinwerferlicht an. »Schließlich gibt es wesentliche Neuigkeiten.« Ich war noch immer geistig benebelt. Es war doch unmöglich, daß Insider oder gar Tyari mich hier finden konnten. Eine Funkpeilung war auszuschließen, denn die Verbindung zur MJAILAM hielt Blödel. Warum war er nicht da? »Wir sollten zu den Quibbirgern gehen«, drängte Tyari. Sie kam mir irgendwie fremd vor. »Alle sollten wir gehen. Wir brauchen doch Hilfe.« »An Bord der MJAILAM hast du aber keinen telepathischen Kontakt gehabt«, versuchte ich Zeit zu gewinnen. Eine große Unsicherheit befiel mich. Eigentlich war das nur eine Ausrede, denn ich verstand die Situation nicht. »Wo ist Blödel?« fragte ich. »Alles zu seiner Zeit, Atlan.« Tyari lachte herzerfrischend. »Vergiß nicht, daß sich niemand näher steht als wir.« »Wer sind die Quibbirger?« Allmählich setzte sich mein logischer Verstand wieder durch. »Na, die, die von den Robotern der Kleinwelt Parasiten genannt worden waren.« »Kleinwelt?« »Natürlich meint Tyari die Basis des Ersten Zählers«, griff Insider schnell ein. »Aha«, sagte ich, aber ich war immer noch von einer Verwirrung befallen. Seit langer Zeit bedauerte ich es einmal wieder, daß der Logiksektor beharrlich schwieg. »Was soll ich jetzt tun?« hakte ich ein. »Wie gesagt«, meinte Insider. Er zwirbelte so merkwürdig in seinen grünen Haaren herum. »Wir gehen zu den Quibbirgern, alle. Du mußt Joscan eine entsprechende Anweisung geben. An Bord der CHY, hmm, MJAILAM wird keiner benötigt.«
Ein ungeheuerlicher Verdacht drängte sich mir auf. Dieser Versprecher konnte auch Zufall sein, aber er weckte mein Mißtrauen. Ich kam nicht dazu, weiter zu fragen oder gar zu handeln. Die Ereignisse überstürzten sich. Heather Lleit klopfte mir plötzlich auf die Schultern. Der Buhrlo sagte etwas, aber ich verstand es nicht mehr, denn etwas riß mich in die Höhe. Der Boden wölbte sich vor meinen Füßen auf, und ein schriller Pfeifton durchbrach die Dunkelheit. Ein massiger Kopf schoß aus dem Erdreich und schnellte dicht vor mir hoch. Der Luftdruck warf mich zurück, und ich fiel zu Boden. Insider, Tyari und Heather reagierten mit verwunderten Mienen. Dann schoß der Leib eines Ungeheuers aus dem Boden, an mir vorbei. Ich erkannte den ewig hungrigen Materietaucher Fasto von Schwammkartoffel, den ich sicher verwahrt in einem Hangar der MJAILAM wähnte. Fastos Leib machte einen Satz, und bevor ich reagieren konnte, hatten seine vorderen Pranken Insider und Tyari gepackt. Ich griff nach meinen Waffen, aber ein Schwanzhieb des Materietauchers fegte mich zu Boden. Ich mußte benommen mit ansehen, wie Fasto seine beiden Opfer mit gierigen Bissen verschlang. Es war alles irgendwie so unwirklich, daß ich an einen Traum glaubte. Dabei sagte mir mein Verstand, daß es keiner war. Zu klar war die Kette der Ereignisse, als daß ich mich getäuscht hätte. Tyaris Tod löste in mir seelische Schmerzen aus. Mein Zellaktivator hämmerte seine Impulse in meinen Körper, aber die Schmerzen des Schwanzhiebes Fastos konnte er nicht so schnell beseitigen. Was in mir gebrochen war, saß tiefer. Es war ein seelischer Schmerz, kein körperlicher. Auch wenn dieser im Augenblick dominierte. Heather Lleit floh und verschwand irgendwo in der Dunkelheit. Mein heruntergefallener Handscheinwerfer erleuchtete die
Umgebung nur spärlich. Das Licht der Basis erreichte diesen Ort nur wenig, denn die Lichtbatterien strahlten nach außen in den Raum. Fasto wischte sich mit seinen vorderen Pranken die Reste aus dem Maul. Dann drehte sich der Schlangenleib in meine Richtung. Ich sprang auf, denn endlich wich die Verwirrung von mir. Irgendwo im Gras mußten meine Waffen liegen. Die galt es zu holen. Fasto war schnell. Er packte mich und riß sein Maul auf. »Gut, danke, gut, ja, Atlan«, keuchte er. Und dann setzte er mich wieder auf dem Boden ab. Ein Strahlschuß pfiff an meinem Kopf vorbei. Fasto tauchte in das Erdreich unter. Meine Verwirrung wuchs wieder. Ich fand meinen Kombistrahler mehr durch Zufall als durch eine gezielte Suche. Blindlings schoß ich in die Richtung, aus der das Feuer gekommen war. »Sehen auf der LAIKAM, ja?« Fastos Kopf ragte ein paar Zentimeter neben mir aus dem Boden. Sein Interkosmo war schrecklich. »Inseiding auch, ja?« Die Lichter der Basis des Ersten Zählers erloschen. Ein Schatten huschte vor mir vorbei und ergriff meinen Scheinwerfer. Ein Lichtstrahl zuckte auf, und ich sah zwei Gestalten. Da ich mich weigerte, noch irgend etwas als real anzuerkennen, kapitulierte mein Gehirn auch davor, daß einer der beiden Schatten die Konturen des vierarmigen Insiders besaß. Dann traf mich etwas auf den Hinterkopf. Die Erinnerung setzte aus. 7. »Schwierigkeiten«, sagte Pratt, der aus der Zentrale des Hauptwracks die Maßnahmen koordinierte. »Polisar verliert die Kontrolle, weil einige Ghausts sich nicht mehr kontrollieren lassen.« »Sie werden gestorben sein.« Der Alles‐Chef blieb gelassen. Daß er dabei vergaß, daß es sich um Angehörige seines Restvolkes
handelte, war seltsam. Es schien den Führer der Quibbirger aber nicht zu berühren. »Wir gehen nun in jeder Hinsicht zum Angriff über. Polisar soll alle Imitationen in Marsch setzen. Das lockt die Fremden aus dem Kugelschiff. Auf ein paar Ghausts mehr oder weniger kommt es nicht an. Es passen ja auch nicht alle Quibbirger in unser neues Kugelschiff. Und Opfer braucht jeder Kampf.« Die Anweisungen zum Angriff gingen hinaus zu den wartenden Kämpfern. Und die von den Bio‐Imitatoren erzeugten Geschöpfe setzten sich in Marsch. Kormath registrierte jede Handlung in seinen Aufzeichnungen, denn das Internnetz lieferte alle Informationen über das Geschehen. Dann ging es plötzlich wie ein Ruck durch ihn, als er hörte, daß sich der Alles‐Chef der Fremden in der Gewalt Minanders befand. Der Historiker klappte seine Bücher zu und schaltete die Aufzeichnungsgeräte ab. »Ihr habt die Gedanken des Emulators verraten«, murmelte er in sich hinein. »Und ihr habt einen alten Mann dazu gebracht, daß er einmal in seinem traurigen Leben versucht zu handeln.« Kormath verließ sein Wrack und schritt hinaus in die Dunkelheit, die von den Bahnen der Scheinwerfer in ein bizarres und unregelmäßiges Mosaik aus Schwarz und Weiß verwandelt wurde. Er ging nah an der toten Lichtquelle vorbei und schlug einen Weg ein, der die Nähe des Lagers seines Volkes vermied. Er würde Zeit brauchen, um an sein Ziel zu gelangen, aber er würde nicht mehr umkehren. Das Böse griff wieder nach seinem Volk, nach dem kleinen positiven Rest seines Volkes. Die Worte Minanders hallten noch in seinem Kopf wider, als er durch die Büsche der Kleinwelt stolperte. Er schloß die Augen, denn der, der diesen Weg ging, mußte ihn auch blind gehen können. Mehrmals fiel er der Länge nach hin, aber er raffte sich immer wieder auf und setzte seinen Weg fort. Egal, was dort geschah, wo die Bio‐Imitatoren sich in andere
Wesen verwandelten, weil ein Minander oder ein Polisar es so wollten, er mußte seinen Weg gehen. Verstehen würde man ihn jetzt nicht. Und ob es eine Zukunft für die verbliebenen Quibbirger gab, war sehr ungewiß. Die Fremden würden ihn auf der Stelle erschießen, sagte sein logischer Verstand. Sie konnten auch nur einer Welt der Namenlosen Zone entstammen und dementsprechend machthungrig, brutal und niederträchtig sein. Trotzdem setzte er seinen Weg fort. Es mußte irgendwo eine Chance für sein Volk geben. Er fiel erneut. Diesmal war es eins der verschweißten Stahlvierecke, aus denen tödliche Blitze zuckten, wenn man sie öffnen wollte. Es gab keine Alternative, entweder hörten ihn die Fremden an oder nicht. Zu den Robotern brauchte er nicht zu gehen, denn die hatten jeden Kontakt mit den Worten »Janvjanv« abgelehnt. Die riesige Kugel des fremden Schiffes tauchte vor ihm auf. Die hiesigen Lichter waren mild, empfand Kormath. Hoffentlich waren es die Fremden auch. Andernfalls hätte er die einzige Chance, die er in seinem Leben durch persönliche Aktivität gesucht hatte, mit Sicherheit verspielt. Er trat aus der Dunkelheit und schritt gemächlich auf die beiden Wachposten zu. Erst als er in ihrer unmittelbaren Nähe war, gewahrte er, daß es sich um Roboter handelte. Sein Herz setzte für einen Moment aus. Er wollte umkehren, denn er erinnerte sich nur zu gut an die rücksichtslosen Maschinen von Quibbirg und an die der Kleinwelt. »Komm ruhig näher, Fremder.« Der Scheinwerfer der Roboter flammte auf und zeichnete einen Pfad auf den Boden. »Sei willkommen. Wir freuen uns über jeden, der guten Willens ist. Und wenn du das nicht bist, dann kannst du ruhig umkehren; wir erwischen dich auch dann.« Der quibbirgische Historiker blieb erst einmal stehen und streifte
seinen einteiligen Umhang glatt. »Ich komme«, sagte er dann. »In Frieden. Übermittle deinen Herrn, ob sie auch bereit sind, mit einem Verräter zu sprechen. Und sag ihnen, daß ich nicht wegen meines Vorteils gekommen bin. Ich bin hier, um dem Rest der Quibbirger eine Überlebenschance im Guten zu geben.« Die Roboter wiesen einladend auf die beleuchtete Öffnung, in der ein Antigravschacht flimmerte. Ein Wesen der Fremden trat daraus hervor, zweifellos ein weibliches. Kormath hörte ihre überstürzenden Worte, in denen immer wieder der Name »Atlan« erwähnt wurde. Die Fremden kannten längst seine Sprache, wie die Roboter es bewiesen hatten. Sie mußten stark sein – und hoffentlich nicht so negativ. »Ich heiße Tyari«, sagte die Fremde und faßte ihn sanft an. »Weißt du, was mit Atlan geschehen ist? Weißt du, wo er jetzt ist?« »Vielleicht«, antwortete Kormath. »Weißt du, was Bio‐Imitatoren alles können?« »Bio‐Imitatoren?« fragte die Frau. Inzwischen hatten sich weitere Fremde um sie herum geschart. »Wo ist Atlan?« »Du sprichst von eurem Alles‐Chef, nicht wahr?« Kormath wunderte sich über die Ruhe, die ihn plötzlich ergriff. »So könnte man ihn nennen«, entgegnete Tyari. »Er bedeutet mir aber viel mehr.« »Es ist riskant hier draußen«, wich der Quibbirger aus. »Es laufen viele von euch hier herum. Wenn sie mich sehen, werden sie mich töten.« »Bestimmt nicht. Von uns sind zwei Mann und ein Roboter außerhalb des Schiffes. Und die tun keinem etwas. Wie heißt du? Wir haben euer Internnetz auffangen können und kennen daher eure Sprache für unsere Übersetzungsmaschinen. Du sprichst ähnlich wie Minander.« »Minander ist unser Alles‐Chef.« Kormath schob sich zwischen die
Roboter und blickte sich ängstlich um, als könne ihn ein Heckenschütze erwischen. »In seiner Gewalt befindet sich Atlan. Das weiß ich ganz sicher und gewiß. Und das mit denen, die hier herumschleichen, habt ihr falsch verstanden. Ich sprach von den Bio‐Imitatoren. Polisar, unser Wissenschaftler, hat sie erzeugt. Das war, noch bevor ihr hier gelandet seid.« »Atlan in der Gewalt der Parasiten?« Tyaris Augen funkelten aufgeregt. »Nenne endlich deinen Namen, Quibbirger!« »Er ist doch unwichtig, Tyari.« Wieder schob sich der Quibbirger ein Stück näher an den Eingang des Raumschiffes. »Es geht um die Existenz meines Volkes. Und um eure. Versteht ihr denn nicht, daß ihr alle doppelt vorhanden seid? Die Bio‐Imitatoren werden euch Stück für Stück ablösen. Es ist zu grausam.« Die Fremden sprachen miteinander, bis ein Schuß aufpeitschte. Er kam irgendwo aus der Dunkelheit und traf Kormath mitten in die Brust. Das folgende Durcheinander war unbeschreiblich. Mehrere Roboter stürzten aus dem Raumschiff und verschwanden zwischen den Büschen und Bäumen im Halbdunkel. Andere kümmerten sich um den getroffenen Quibbirger und brachten ihn ins Innere der MJAILAM. In der Nähe tobten Kämpfe, denn immer wieder zuckten Blitze durch die Dunkelheit. Nur Tyari stand unbeweglich in dem Getümmel, bis Joscan Hellmut neben ihr auftauchte. »Beordere alles sofort ins Schiff zurück!« verlangte Tyari hart. »Atlan, Insider und Blödel müssen draußen bleiben. Das gilt unter allen Umständen. Hage muß versuchen, diesen Quibbirger am Leben zu erhalten. Ich erkläre alles später.« Der Kybernetiker gab die Anweisungen. Mit dem letzten Trupp Roboter schleppte sich Atlan heran. Er winkte Tyari zu. Sein Overall war zerfetzt, aber sein Lächeln bewies Zuversicht und Hoffnung. Als Tyari nach ihrem Paralysator griff, zischte ein Schatten aus der
Schleuse und strich mit seinen breiten Flügeln an ihr vorbei. »Ticker!« Der adlerähnliche Vogel des Arsenalplaneten stürzte sich auf Atlan und packte ihn mit seinen Krallen. Er schleppte den sich sträubenden Arkoniden mit kräftigen Flügelschlägen in die Höhe, und dann ließ er ihn aus gut zwanzig Metern fallen. Joscan Hellmut beobachtete das unbegreifliche Geschehen mit aufgerissenem Mund. Seine Hand umkrampfte Tyaris Arm. Ticker kreiste noch in der Höhe, als Atlans Körper mit einem dumpfen Knall auf die Oberfläche der Basis prallte. Fastos fetter Leib schnellte aus dem Boden und verschlang den Körper, bevor Hellmut zu einer Reaktion fähig war. »Keine Panik«, sagte Tyari ruhig. »Wenn das mein Atlan war, dann bin ich ab sofort eine Materiequelle. Komm rein. Ich erkläre euch alles. Und sorge dafür, daß niemand mehr die MJAILAM betreten kann.« Joscan Hellmut stolperte hinter Tyari her. Und allmählich begriff auch er, was hier geschah. * »Ich bin eine gute Telepathin«, sagte Tyari. Es waren alle wichtigen Mitglieder des Atlan‐Teams und der Crew der MJAILAM versammelt. »Aber die Gedanken der Quibbirger bleiben auch mir schleierhaft und verschwommen. Ich konnte jedoch erkennen, daß der, der zu uns kam, die Wahrheit sagte. Er wirkte verstört, aber er kam, um seinem Volk und uns zu helfen. Wir müssen schnell handeln, denn Atlan ist in Gefahr. Oder besser gesagt, er befindet sich in den Händen der Quibbirger. Diese Parasiten besitzen etwas, was sie Bio‐Imitatoren nennen. Das sind Nachbildungen unserer Körper mit allem, was dazu gehört. Ich konnte den falschen Atlan nicht vom echten unterscheiden. Keiner konnte das, außer Ticker
und Fasto. Wenn ich den alten Quibbirger richtig verstanden habe, dann gibt es uns alle dort draußen mindestens noch einmal, vielleicht sogar öfter. Ich brauche nicht weiter zu erklären, was das bedeutet.« Die Solaner verstanden. »Der Materietaucher von Schwammkartoffel hat sich auf unsere Seite geschlagen«, fuhr Tyari fort. »Das habe ich deutlich gespürt. Und wir haben es Insider zu verdanken, der dort draußen in der gleichen Gefahr schwebt wie Atlan und Blödel.« »Blödel?« Nockemann kam in den Vorraum der Hauptzentrale, wo man sich versammelt hatte. »Den kann man nicht imitieren. Übrigens eine hochinteressante Methode, die die Quibbies da entwickelt haben.« »Woher weißt du das?« fuhr ihn Uster Brick mißtrauisch an. »Von Kormath.« Der Scientologe zwirbelte an seinem Schnauzbart. »Er hängt an einer Lebenserhaltungsmaschine, die sieben zerstörte Organe ersetzt. Sein Tod ist sicher. Er hat noch fünf oder sechs Stunden, schätze ich. Es war nicht einfach, ohne Blödel das zu bewerkstelligen.« Hage berichtete dann in kurzen Worten, was er noch von dem Quibbirger erfahren hatte. Wichtig daran war, daß es irgendwo auf der Basis des Ersten Zählers ein Versteck gab, in dem eine Maschine und die Ghausts, die Seelen verstorbener Quibbirger, aufbewahrt wurden. Beide zusammen stellten das dar, was Kormath »Bio‐ Imitatoren« genannt hatte. »Duplizieren von intelligenten Wesen«, schloß Hage Nockemann. »Die Idee ist nicht neu, aber das Verfahren ist es.« »Wir müssen handeln«, drängte Tyari. »Gibt es noch keinen Funkkontakt nach draußen?« Weder die Roboter der Basis, noch Atlan, Insider oder Blödel meldeten sich. »Zwei Ziele.« Tyari sprach abgehackt. »Erstens, Atlan, Insider und Blödel. Natürlich die echten. Ich nehme Ticker mit. Auf ihn kann ich
mich verlassen. Zweitens, den Ort, an dem die Bio‐Imitatoren sind. Diese Gefahr muß beseitigt werden. Die Zeit drängt. Atlan ist in Gefahr.« »Atlan?« grunzte es dumpf. Fastos Kopf schob sich aus der Wandverkleidung. »Mach nix putting, aber jetzt Tauchonn durch LAIKAM, ja? Hab alle fressing, die Atlan wollten. Aber verloring, weil viele Falsche.« Der Materietaucher machte noch einen Satz vorwärts, so daß sein erstes Prankenpaar sichtbar wurde. Damit tauchten auch Insider und Blödel auf, die beide reichlich verwirrt reagierten. »Der schleppt einen durch dick und dünn«, klagte der Roboter. »Und nebenbei vertilgt er zwei Ausgaben von Tyari.« »Keiner raus, oder reining, außer Fasto«, brummte das Schlangenwesen, das deutlich an Körperumfang zugenommen hatte. »Laß Feuerschlag aus, sonst bin ich draußing.« »Er meint die Schutzschirme«, erklärte Insider. »Wißt ihr, was hier geschieht?« Sie tauschten ihre Erkenntnisse aus, und Insider erklärte sich sofort bereit, mit einem Trupp nach dem Ort der Bio‐Imitatoren zu suchen. Fasto sagte nichts mehr und verschwand. Bei den Ortern hatte man sich inzwischen auf ihn eingestellt. So wurde verfolgt, daß er die MJAILAM wieder verließ. Damit verlor sich auch seine Spur. »Ticker und ich suchen Atlan«, erklärte Tyari. »Ein paar Helfer könnte ich brauchen.« »Damit werden wir noch etwas warten müssen.« Im Durchgang zur Hauptzentrale stand einer der Funker. »Wir haben Kontakt mit den Quibbirgern. Sie sprechen über Atlans Telekom. Sie verlangen, daß wir die MJAILAM aufgeben und das Schiff verlassen. Andernfalls werden sie Atlan töten. Ihre Sprecher sind ein gewisser Minander, der sich auch Alles‐Chef nennt, und ein hochnäsiger Typ namens Polisar, der sich mit ›Herr die Bio‐Imitatoren‹ betiteln läßt.«
»Dann bleibt erst einmal alles an Bord!« entschied Tyari sofort. »Wir dürfen Atlans Leben nicht gefährden. Wir müssen einen neuen Plan entwickeln und mit den Quibbirgern verhandeln.« »Du kannst machen, was du willst.« Insiders Gesicht wurde wieder einmal noch grüner, als es sowieso schon war. »Mir tut ihr nur einen Gefallen, wenn ihr euch hinter Terkonitstahl verkriecht. Ich gehe.« »Nein!« Tyaris Stirnadern schwollen zornig an. Der Kowallek stieß einen schrillen Pfiff aus. Dann faltete er seine beiden Armpaare zusammen und verharrte still. Eine Pranke Fastos tauchte neben ihm auf und zerrte ihn durch den Boden. Als er verschwunden war, reckte der Materietaucher seinen Schädel zwischen Joscan Hellmut und Tyari aus dem Boden. »Hab mich an LAIKAM‐Massing gewöhnt. Gut, ja?« Dann streckte er noch einmal einen Arm heraus und wartete, bis Ticker darin Platz genommen hatte. Der Adler starrte Tyari an, die sofort versuchte, seine Instinktströmungen in sich aufzunehmen. Aber das mißlang. Sie war zu verwirrt durch die sich zu schnell überstürzenden Ereignisse. Erst als Insider, Ticker und Fasto verschwunden waren, kam sie wieder zu sich. »Vielleicht ist es besser«, sagte sie leise. »Antwortet den Quibbirgern, daß wir ihre Bedingungen akzeptieren und um Verhandlungen bitten. Das gibt den dreien etwas Zeit. Ich bezweifle, daß ein Materietaucher etwas gegen diese hinterlistigen Bio‐ Imitatoren ausrichten kann. Aber wir haben wohl keinen anderen Weg.« »Komm, Scientologe und Hochleistungspositronik«, wandte sich Hage Nockemann an seinen Roboter Blödel. Er erntete von allen Seiten erstaunte Blicke, aber er tat so, als ob er sie nicht bemerkte. »Wir müssen uns um Kormath kümmern. Seine Überlebenschancen stehen eins zu einer Million oder schlechter.« »Das«, antwortete Blödel, der auf den freundlichen Ton nicht
reagierte, »liegt wohl daran, daß du allein an seinem Korpus herumgebastelt hast. Es wird wohl Zeit, daß sich eine Kapazität mit diesem Problem beschäftigt.« »Grrr!« dröhnte Nockemann. Als er sich durch das Schott schieben wollte, drängelte sich Blödel an ihm vorbei. »Bitte die Reihenfolge einhalten«, keifte der Roboter. »Und du hast schließlich bewiesen, daß du nach mir kommst.« Tyari sah den beiden Entschwindenden schweigend nach. Ihre Gedanken waren bei Atlan. Sie bereute, daß sie sich in den letzten Stunden im Planetoiden Schwammkartoffel so stur und hart verhalten hatte, und daß dadurch ein kleiner Riß in die gegenseitige Innigkeit geraten war. Sie mußte sich auf den eigenwillig gewordenen Insider verlassen, der in diesen Situationen vielleicht vernünftiger handelte als alle anderen. Und auf Ticker und Fasto. Zu Ticker bestand ein festes Band. Das Schlangenwesen von Schwammkartoffel war ihr fremd. In diesem Punkt war ihr der Grüne mehr als einen Schritt voraus. Sie ging in die Funkzentrale, während Joscan Hellmut sich um die Ordnung an Bord kümmerte. Der fünfundzwanzigprozentige Defensivschirm blieb bestehen. Er war für Fasto kein Hindernis gewesen, denn sonst hätte er hier nicht erscheinen können. Tyaris Gedanken wurden vielfältig. Sie kreuzten sich in den Überlegungen, gemischt aus Gefühlen der Sorge und Liebe einerseits und den Versuchen, klar und logisch zu bleiben, andererseits »Eine Nachricht mit Bild und Ton von den Quibbirgern«, teilte ihr die diensthabende Chefin der Funker mit. »Sie benutzen noch immer Atlans Telekom, wie die Fingerprint‐ Auswertung der Signalparameter eindeutig ergibt. Sie haben Fasto getötet.« Tyari sah sich die Bilder an. Der Materietaucher rannte in ein Energienetz, aus dem es kein Entkommen gab. Dann zerstrahlten ihn grüne Energiefinger.
Ihr Trost war, daß in dieser Szene von Insider und Ticker nichts zu sehen war. Aber sie spürte etwas anderes in sich. Es war eine tiefe und durchdringende Sympathie für das Schlangenwesen, das sich nach erheblichen Anfangsschwierigkeiten ganz auf die Seite der Solaner geschlagen hatte. Sie schämte sich nicht, den anderen in der Zentrale ihre Tränen zu zeigen. 8. Insider besaß keine gefühlsmäßige Bindung zu dem Adlerähnlichen vom Arsenalplaneten. Ticker war ihm fremd und etwas unheimlich, denn die Kräfte des Vogels gehörten jenem Bereich an, den er als unnormal empfand, obwohl er schon viele Berührungen damit gehabt hatte. Oggar war eine Intelligenz gewesen, die in ähnlicher Weise mit einer unbegreiflichen Selbstverständlichkeit mit psionischen Kräften umgehen konnte, wie sie auch Ticker anhafteten. So gesehen, war Insider gefühlsmäßig befreit, als sich Ticker sofort aus Fastos Pranken löste, als dieser die Oberfläche der Basis passierte. Sollte der Riesenvogel seine Wege gehen. Sie würden zweifellos zu Atlan führen, und der konnte Hilfe bestimmt gebrauchen. Das Ziel des Kowalleks war der Ort der Bio‐Imitatoren. Ihn reizte nicht die Gefahr. Er war auch nicht neugierig, das Geheimnis dieser unheimlichen Waffe zu entschlüsseln. Er wollte sie nicht einmal zerstören, auch wenn das allen seinen Freunden von der SOL sehr geholfen hätte. Ihn beseelte seit der Begegnung mit dem Filigran ein ganz anderer Gedanke. Es waren Überlegungen, die er ganz bewußt nicht in Worte faßte, nach denen er aber mit aller Konsequenz handelte. Eine Spur hatte er nicht, aber die Basis des Ersten Zählers war
nicht so groß, als daß er schon jetzt hätte verzagen müssen. »Magische Kräfte sind mir fremd, Fasto«, sagte er in dessen Sprache zu dem Materietaucher, der sich behutsam durch das Buschwerk schob. »Wir müssen aber etwas finden, was magisch ist. Ich spreche von dem Ort, an dem die Bio‐Imitationen erzeugt werden. Ich weiß nicht genau, was Ghausts sind oder wie man sie aktiviert. Aber da ist etwas. Ich will es einfach sehen und erleben. Wenn das vorbei ist, kann ich entscheiden, was ich zu tun habe.« »Kann man Bio‐Imitationen oder Bio‐Imitatoren fressen?« fragte Fasto zurück. Er durchquerte einen riesigen Felsbrocken, der auf ihrem Weg lag, als sei dessen Nähe genußvoller als frische Luft. »Hast du eigentlich etwas anderes im Kopf als Fressen?« fragte der Kowallek zurück. »Nein«, antwortete der Materietaucher. »Ich habe 8000 Jahre gehungert. Verstehst du das?« »Woher weißt du, was ein Jahr ist?« »Du hast mir erklärt, was 100 Tage sind. Dadurch habe ich einen Zeitbegriff. Ich bin nicht so primitiv, wie ich wirke. Die anderen Informationen habe ich von dem Scientologen des Kosmos.« Sie bewegten sich am Ostrand der Basis, fern von den Lichtern und Aktivitäten. »Du sprichst von Blödel, ja?« »So nennt man ihn, aber er ist mehr.« »Hat er dir ein Freßpaket versprochen?« Die bizarren Felsen, der Geburtsort Chybrains, schälten sich aus dem Dunkel. »Nein, zwei.« Plötzlich waren sie von Gestalten umringt. Es handelte sich um Quibbirger und Solaner, also Imitationen. Fasto tat das einzig Richtige gegen diese Übermacht. Er schnappte sich den Kowallek und tauchte in das Innere der Basis ein. Die Schüsse der Gegner verpufften wirkungslos. Sie gelangten in einen Hohlraum, der schwach beleuchtet war.
»Stopp!« bellte eine blecherne Stimme. Insider wand sich aus Fastos Griff und drehte sich den Robotern zu. »Ich komme von Atlan und als euer Freund«, sagte er schnell, als er die Waffen erkannte, die sich auf Fasto und ihn richteten. Die Roboter zögerten, bis ein weiterer von ihnen erschien. »Nenne mich Nebula«, erklärte dieser. »Und sage mir, wie es möglich war, daß du bis hierher vordringen konntest. Wir haben alles hermetisch abgeriegelt.« »Der kann das halt.« Der Grüne deutete auf den Materietaucher. »Mach es ihnen vor.« Fasto gab eine Kostprobe seiner Fähigkeit, und Nebula war zufrieden. Er wollte von Insider wissen, welche Anweisungen Atlan übermittelt hätte. Der Kowallek erkannte aus dieser merkwürdigen Frage, daß die Roboter bereit waren, den Arkoniden als Führer zu akzeptieren. Noch schienen sie sich aber unsicher zu sein. Insider schilderte die Lage, wie er sie kannte. Dabei erwähnte er auch, daß Atlan in Gefangenschaft geraten sei und daß er nach dem Herkunftsort der Bio‐Imitationen suchte. Nebula antwortete nicht sofort. Er kommunizierte lautlos mit den anderen Robotern. »Du hast eine Gefahr erkannt, Insider«, erklärte Nebula dann. »Die Bio‐Imitatoren müßt ihr beseitigen. Wir dürfen unseren Bereich und die hermetische Abriegelung nicht verlassen, weil sonst die zweite Gefahr eine Gelegenheit bekäme, sich auszuwirken.« »Du sprichst in Rätseln«, entgegnete der Extra. »Es gibt ein böses Objekt auf der Basis, das nichts mit den Parasiten zu tun hat. Es will die informieren, die uns vernichten wollen. Hüte dich vor ihm!« Mit diesen Worten konnte Insider wenig anfangen. »Atlan würde sie verstehen«, meinte Nebula. »Dann werde ich den Arkoniden herbeischaffen.«
* Die Schmerzen in meinem Kopf ließen schnell nach. Mein Zellaktivator versorgte die geschädigten Zellen mit seinen Impulsen. Ich sah mich um. In der fast vollständigen Dunkelheit war nur wenig zu erkennen. Es mußte sich um einen kleinen Raum handeln, in den man mich gesperrt hatte. Meine Hände und Füße waren gefesselt. Ich konnte mich mit Mühe aufrichten, dann aber nicht mehr bewegen. »Heh!« brüllte ich. Tatsächlich öffnete sich wenige Schritte von mir entfernt eine Tür. Die künstliche Beleuchtung zeichnete die Konturen eines Quibbirgers in den Rahmen. »Alles‐Chef Minander«, stellte sich der Fremde vor. Er sprach in ein Mikrofon, das an einem Kabel befestigt war. Seine Stimme wurde zweifach hörbar, einmal im Original und einmal in holprigen Interkosmo. »Atlan«, antwortete ich. »Ich verlange meine sofortige Freilassung. Meine Leute und ich werden euch behilflich sein, wenn ihr alle Kampfhandlungen sofort einstellt.« »Du weißt, daß wir über die Bio‐Imitatoren verfügen?« fragte Minander lauernd. Mein Extrasinn hatte so etwas vermutet, und so war ich nicht ganz unvorbereitet. »Gegen sie habt ihr keine Chance. Wir brauchen euer Raumschiff, um diese Kleinwelt wieder verlassen zu können.« »Ihr seid Narren«, schimpfte ich. »Wenn ihr euch friedlich verhalten würdet, könnten die Roboter der Basis und wir euch helfen. Befreit mich von meinen Fesseln.« »Niemals!« Der Quibbirger wollte die Tür schließen, als ein mächtiger Schatten über seinem Kopf auftauchte. Ein Flügelschlag Tickers warf den Alles‐Chef zu Boden. Schüsse peitschten auf, und Stimmen
schrien durcheinander. Ticker handelte jedoch schnell. Seine Krallen packten mich und rissen mich hoch. Ich konnte erkennen, daß man mich in eines der Raumschiffswracks gebracht hatte, die wir beim Anflug beobachtet hatten. Der Adler wählte seinen Weg so geschickt, daß er dem Feuer immer wieder ausweichen konnte. Er trug mich durch halb zerstörte Gänge und Hallen, bis wir das Wrack verließen. »Zurück zur MJAILAM!« rief ich Ticker zu, aber der reagierte anders. Er steuerte das Felsmassiv auf der Ostseite an. Kurz bevor er es erreichte, setzte er mich auf dem Boden ab. Das Licht des Lagers der Quibbirger erhellte die Oberfläche der Basis so stark, daß ich mühelos alle Einzelheiten in der Umgebung erkennen konnte. Von meinen Gegnern war niemand in der Nähe. Tickers Hakenschnabel hatte wenig Mühe, mich von meinen Fesseln zu befreien. Ich rieb mir erst die Hände, damit das Blut wieder zirkulieren konnte. Dann kraulte ich den Adlerähnlichen dankbar im Nacken. »Ich würde gern wissen, warum du mich an diesen Ort gebracht hast«, sagte ich nachdenklich und überprüfte meine Ausrüstung. Meine Waffen und das Telekomgerät waren verschwunden. Ein Geräusch ließ mich herumfahren. Wenige Meter neben mir brach Fastos Kopf aus dem Boden. Dann tauchte auch Insider auf. Er informierte mich über das Geschehene und reichte mir sein Funkgerät. Sofort bekam ich Verbindung mit dem Kreuzer. »Die Roboter der Basis warten auf dich«, erinnerte mich der Kowallek. »Mit ihrer Hilfe sollten wir hier schnell Ordnung bekommen.« Ich wies Joscan Hellmut an, mit allen Mann vorerst an Bord zu bleiben, weil die Gefahr einer Verwechslung der eigenen Leute mit den Imitationen zu groß war. Ich war überrascht, als man mir sagte, Fasto sei von den Quibbirgern vernichtet worden, denn dieser hockte mit seinem dicken Bauch neben mir.
»Da hat man euch etwas vorgemacht«, sagte ich. »Ich mache mich jetzt auf den Weg zu den Basis‐Robotern. Insider hat eine heiße Spur.« Der Materietaucher brachte uns in die Tiefe, während Ticker zur MJAILAM flog. Die Roboter identifizierten mich sofort und unterstellten sich meinem Kommando. »Allerdings«, so verlangte Nebula, »erwarten wir von dir, daß du den Ersten Zähler wiederfindest. Wir brauchen unseren eigentlichen Herrn.« Da stand ich vor einem unlösbaren Problem, denn Janv‐Zount existierte vielleicht noch irgendwo, mit seiner Aufgabe als Zähler hatte er jedoch bestimmt nichts mehr im Sinn. Ich teilte mein dürftiges Wissen über den Zähler den Robotern mit. »Für diesen Fall sind wir gehalten, die Basis zu zerstören, denn sie erfüllt keine Funktion mehr«, erklärte der Sprecher der Roboter. »Falsch! Die Basis wird noch für die Lichtquelle benötigt.« »Die Lichtquelle hat sich desaktiviert. Sie braucht uns und die Basis nicht. Notfalls könnte sie auch ohne Basis existieren. Wir nehmen aber an, daß sie sich aufgegeben hat.« »Ich verlange von euch, daß ihr mir etwas Zeit gebt, um die hiesigen Verhältnisse zu normalisieren. Ich denke, daß es auch einen Weg gibt, die Quelle zu erwecken.« Nebula beriet sich mit den anderen Robotern, ohne daß ich etwas davon hören konnte. »Wir sind einverstanden. Für zwei Tage deiner Zeitrechnung werden wir dich in jeder Hinsicht unterstützen. Wenn du bis dahin die Lichtquelle nicht aktiviert hast und jenes böse Objekt beseitigen kannst, von dem wir Insider schon berichtet haben, wird die Basis gesprengt.« Mit diesem Teilerfolg konnte ich zufrieden sein. »Zuerst klären wir die Sache mit den Bio‐Imitatoren«, entschied ich. »Sie stiften die größte Unruhe.« »Dann komm.« Nebula, deutete auf den Ausgang. »Ich zeige euch,
wo diese Anlagen sind. Meine Begleiter werden euch gegen die Parasiten schützen.« Fasto konnten wir nicht mitnehmen. Insider schickte ihn zur MJAILAM zurück. Mit etwa zwei Dutzend Robotern machten Insider und ich uns auf den Weg. * Minander tobte. Seine Helfer in der Zentrale des Hauptwracks wichen ihm aus, denn der Alles‐Chef warf mit Gegenständen durch den Raum. Der wichtige Gefangene war entführt worden. Kormath hatte einen entsetzlichen Verrat begangen. Durch ihn wußten seine Feinde nun mit Sicherheit über alle wichtigen Dinge Bescheid. Am schlimmsten aber war, daß die Bio‐Imitatoren versagt hatten. Sie hatten zwar die Lebewesen des fremden Schiffes nachbilden können, aber damit hatte man nichts erreicht. Etwas war schiefgegangen, denn die Solaner besaßen eine oder mehrere Möglichkeiten, zwischen Originalen und Nachbildungen zu unterscheiden. Auch sein Plan, den Tod des Riesenwesens vorzugaukeln, war gescheitert. In der dicken Schlange hatte man eins der Wesen erkannt, die die Imitationen erkannten. Der Bluff war schlecht gewesen. Als Polisar zu ihm kam, entlud sich seine ganze Verärgerung auf den Wissenschaftler. »Du und deine Ausgeburten, ihr seid schuld daran, daß wir auf der Verliererseite stehen!« kreischte der Alles‐Chef. »Du bist verrückt, Alles‐Chef.« Polisar wich einem Wurfgeschoß aus. »Dein Plan war falsch. Der Versager bist du.« Es kehrte erst Ruhe ein, als einer der Helfer mitteilte, daß die Solaner den Alles‐Chef über Funk zu sprechen wünschten. Mit Hilfe von Atlans Telekom war nun sogar Bildfunk möglich.
Die beiden Quibbirger stellten sich vor die Aufnahmeoptik. »Euer Artgenosse Kormath wünscht euch zu sprechen«, teilte einer der Solaner mit. »Ich schalte jetzt um.« Ein kleiner Raum wurde erkennbar. Kormath hockte in einem Stuhl. Mehrere Schläuche führten aus Maschinen in seinen Körper. Der Historiker lächelte matt. »Ich habe noch ein paar Stunden zu leben, meine Freunde. Eine von Polisars Schöpfungen hat mich erwischt. Mein Verstand arbeitet aber noch klar, und deshalb möchte ich euch mitteilen, was ihr zu tun habt. Ihr habt alles falsch gemacht.« »Mit Verrätern spreche ich nicht!« lehnte Minander schroff ab. Auch Polisar machte eine Geste der Zustimmung zu dieser Feststellung. »Es ist die letzte Chance für unser Volk.« Der tödlich verletzte Historiker blieb beharrlich. »Die Solaner sind uns nicht feindlich gesinnt. Ich habe von ihnen erfahren, daß sie schon anderen Völkern der Namenlosen Zone geholfen haben, wenn diese Ansätze zum Positiven zeigten. Sie werden auch uns helfen, wenn wir alle Aktionen gegen sie einstellen. Im übrigen nützt euch ihr Schiff wenig, denn es ist selbst zu stark beschädigt. Gebt den sinnlosen Kampf auf, den ihr nicht gewinnen könnt. Vertraut euch den Solanern an. Sie können mit den Robotern der Kleinwelt sprechen. Und diese könnten auch unsere Schiffe reparieren.« »Ich glaube dir kein Wort, Schreiber«, stieß Polisar verächtlich hervor. »Außerdem ist es unmöglich, die Bio‐Imitationen noch zu stoppen. Das solltest du wissen.« »Die Imitationen kannst du dadurch beseitigen, indem du die unselige Anlage vernichtest.« Kormath sank erschöpft zurück. »Hört auf mich! Ich flehe euch an! Denk doch einmal an die friedliche Zukunft, die wir alle gewollt haben.« »Wir werden uns beraten«, entschied der Alles‐Chef. Ihn hatten die Worte des Sterbenden beeindruckt. Dann unterbrach er den Funkkontakt.
Der Streit zwischen den beiden führenden Quibbirgern drohte erneut aufzuflammen, aber diesmal lenkte Minander sofort ein. »Beschimpfungen helfen uns nicht, Polisar«, erklärte er hart. »Wir müssen entweder Kormath glauben oder uns etwas Neues einfallen lassen. Es hat wirklich keinen Sinn, uns in Streitigkeiten auszutoben.« Die umherstehenden und verunsicherten Quibbirger spendeten spontan Beifall. Polisar sah sich plötzlich in eine einsame Position gedrängt. »Verräter bleibt Verräter«, preßte er hervor. »Er ist kein Verräter«, meinte einer der Umherstehenden. »Er hatte den Mut, für uns eine friedliche Lösung zu finden. Und einer deiner Kreaturen hat auf ihn geschossen. Der Verräter bist du!« »Ich verbitte mir derartige Äußerungen!« Wutentbrannt zerrte der Wissenschaftler seine Waffe aus dem Gürtel. In dem Getümmel, das entstand, fiel ein einziger Schuß. Er traf Polisar in den Kopf. »Jetzt sollten wir mit den Solanern verhandeln«, drängte eine junge Quibbirgerin. Minander stand noch fassungslos da und starrte auf Polisars toten Körper. Das hatte er nicht gewollt. Die Situation war seinen Händen entglitten. Das sah er ein. Es war ein Fehler gewesen, den Ersten Wissenschaftler des kleinen Restvolks zu töten, denn nun besaß niemand mehr Zugang zu den Bio‐Imitatoren. Er teilte dies den Quibbirgern mit, die daraufhin lange Gesichter aufsetzten. »Wir haben keine Möglichkeit, den Solanern unseren Meinungswechsel zu bekunden, denn wir können Polisars Spukgestalten nicht mehr entfernen.« Aus dem Nebenraum kam einer der Wachhabenden. »Das ist wohl auch nicht mehr erforderlich«, rief er. »Die Solaner dringen gemeinsam mit den Robotern der Kleinwelt zu den Bio‐ Imitatoren vor. Sie packen das Problem selbst an.« »Sie werden an den Sicherungssystemen scheitern«, vermutete der
Alles‐Chef. »Ich weise alle Quibbirger an, sich gegenüber den Fremden ab sofort friedlich zu verhalten. Ich habe keine Einwände dagegen, wenn sie diesen Ort des Frevels vernichten.« Die Nachricht ging über das Internnetz in alle Wracks und auch zu Polisars Versteck bei den Felsen. Nun konnte der Alles‐Chef nur noch hoffen und warten, daß sich noch etwas zum Guten wendete. 9. »Der ganze Komplex liegt unter einem Tarnschirm«, erklärte mir Nebula. »Wir umgehen diesen, indem wir direkt von unten in den Bezirk eindringen. Meine Begleiter führen transportable Schirmfelder mit, so daß wir gegen Gefahren geschützt sind.« Ich verließ mich auf den Roboter, dem es deutlich anzumerken war, daß er heilfroh war, jemand zu haben, der Anweisungen gab. Sie waren auch damals nette Kerle gewesen, aber schrecklich unselbständig, wenn ihr Herr, der Erste Zähler Janv‐Zount, nicht da war, wußten sie nicht, was sie tun sollten. Mit Desintegratoren schweißten sie den Weg frei. Insider, der sich stets in meiner Nähe aufhielt, zeigte sich merkwürdig mürrisch und verschlossen. Irgend etwas ging in ihm vor. Wir gelangten in eine halbdunkle Halle. Von der gegenüberliegenden Seite peitschten Schüsse auf, aber sie erzielten keine Wirkung. Nebulas Helfer arbeiteten schnell und sicher. »Sollen wir das Feuer erwidern?« fragte mich der Führungsroboter. »Nein«, erklärte der Kowallek hart und schob sich an mir vorbei. »Es wird nicht auf harmlose Gestrandete gefeuert.« Ich blickte den Grünen verwundert an. Was er tat, grenzte schon fast an Ungehorsam. Er hat recht, meldete sich mein Logiksektor. Du darfst dich nicht von der allgemeinen Stimmung anheizen lassen.
»Wer gibt hier die Befehle?« fragte mich Nebula verunsichert. Ich unterdrückte meinen Ärger. Am liebsten hätte ich dieses Nest ausradiert, aber Insider und mein Extrasinn dachten wohl vernünftiger. Wir hatten einfach zuviel Ärger gehabt und zu viele Gefahren durchstanden. Mein Nervenkostüm war angekratzt. »Was Insider sagt«, wandte ich mich an die Roboter, »ist so gut wie das, was ich sage. Wir wollen versuchen, die Maschine zu beseitigen, aber es soll kein Leben zu Schaden kommen.« Die Gesichtszüge des Grünen glätteten sich wieder. Zu meiner Überraschung stellten die Quibbirger das Feuer plötzlich ein. Sie winkten uns sogar zu, und dann verschwanden sie bis auf einen. Der warf seine Waffen weg und kam auf uns zu. »Komm!« Ich packte Insider an einem Arm und gab den Robotern ein Zeichen zu warten. Dann gingen wir dem Quibbirger entgegen. »Ich heiße Mom«, stellte sich dieser vor. Er trug keine Waffen mehr. »Unser Alles‐Chef hat die Anweisung gegeben, daß wir uns euch gegenüber friedlich verhalten sollen. Es bestehen auch keine Bedenken dagegen, daß ihr die Bio‐Imitatoren vernichtet. Wir wollen sie nicht mehr haben. Ihr Herr Polisar wurde eliminiert. Leider ist es aber so, daß selbst wir Assistenten keinen Zugang zu den Ghausts haben.« »Sehr vernünftig«, stellte ich fest. »Wir werden einen Weg finden, dieses Problem zu lösen und auch euch zu helfen. Dafür muß ich aber wissen, was diese Bio‐Imitatoren überhaupt darstellen.« Mom nickte. Er fühlte sich nicht wohl. Man hatte ihn dazu bestimmt, mit uns zu sprechen, und das bestimmt ziemlich überstürzt. »Die ganze Wahrheit weiß nur Polisar. Und der ist tot. Die Ghausts sind so etwas wie die Seelen verstorbener Quibbirger, denen man die ewige Ruhe nicht gegönnt hat. Die Maschine verwandelt die Ghausts und die Plasmamasse in Wesen, die über die Bio‐Sensoren ermittelt wurden. So entstehen die Doppelwesen,
die sich gegen ihre Vorbilder stellen. Es gibt keine Möglichkeit, sie wieder zu beseitigen, denn die Ghausts wollen leben.« Das klang noch reichlich wirr. »Ich habe es geahnt«, stöhnte Insider neben mir. »Sie basteln etwas aus den Seelen der Toten. Ich habe es geahnt. Das Problem, Atlan, besteht nicht darin, diese Anlage zu zerstören. Es muß einen Weg geben, diesen Seelen ihre verdiente Ruhe zu geben.« »Es macht mich staunen, mein Freund, daß du so etwas sagst. Woher hast du diese Kenntnisse?« »Das Filigran deutete etwas in dieser Richtung an, als du es zum Tod verurteiltest.« »Es konnte von den hiesigen Geschehnissen doch nichts wissen«, widersprach ich. »Vielleicht doch«, meinte der Grüne. »Ich verstehe es auch nicht, aber ich verstehe, daß wir solchen Frevel unterbinden müssen.« Stimmt! sagte der Extrasinn. Ich bat Nebula, die ganze Anlage untersuchen zu lassen. Das dauerte einige Zeit, die ich nutzte, um mit Mom über das Internnetz der Quibbirger mit dem Alles‐Chef zu sprechen. Über Insiders Funkgerät hielt ich auch Kontakt zur MJAILAM, wo man die neue Entwicklung natürlich auch begrüßte. Kormath, dem wir diese Wende zu verdanken hatten, war allerdings in der Zwischenzeit verstorben, und die Imitationen ließen sich nicht aufhalten. In die MJAILAM gelangten sie aber auch nicht. Insider ging es nur um das, was er die Rettung der Seelen nannte. Er begleitete Nebula und die anderen Roboter durch die Anlage Polisars. Als der Kowallek wieder zu mir kam, wirkte er sehr zuversichtlich. »Es gibt eine Lösung«, teilte er mir mit. »Nebula arbeitet schon daran. Die Maschine wird zerstört, die noch gefangenen Seelen werden freigesetzt. Sie haben zugesagt, daß sie dafür sorgen werden, daß die Nachbildungen unserer Mannschaft sich durch ihr Einwirken auflösen werden.«
»Das klingt gut«, meinte ich, »aber ich verstehe es nicht.« »Ich auch nicht«, bekannte der Kowallek. »Aber das will ich auch gar nicht. Ich frage mich, wie jemand so etwas machen darf, ohne zu den Negativfaktoren der Namenlosen Zone zu zählen.« »Wir können niemals alle Rätsel lösen, Insider. Das ist schon richtig. Auf mich wartet eine andere Aufgabe. Also lassen wir es damit bewenden und vertrauen einer vernünftigen Lösung.« Nebula bat uns wenig später nach draußen. Über schmale Stollen gelangten wir wieder an die Oberfläche der Basis. Eine dumpfe Explosion unter unseren Füßen verriet, daß sich dort etwas ereignet hatte. Die Solaner, die aus allen Richtungen auf uns zuströmten, stufte ich sofort als Produkte der Bio‐Imitatoren ein, denn ich erkannte mich selbst unter ihnen. Sie brachen auf halbem Weg zusammen und lösten sich dann auf. Ein geistiges Wispern lag in der Luft. Es waren unverständliche Worte und Begriffe, aber ich erfaßte das Gefühl, das sie trug. Es war ein Gemisch aus Freude und Dank. Auch Insider nahm dies wahr, wie ich an seinem Gesicht sah. »Diesmal warst du besser als ich«, sagte ich und drückte eine seiner vier Hände. »Es gibt noch genug zu tun«, lautete seine Antwort. »Das Objekt des Bösen«, erinnerte mich Nebula. »Und die Lichtquelle«, ergänzte ich. »Laß uns gehen. Erst einmal muß ich mich informieren und dann mit diesem Alles‐Chef ein ernstes Wörtchen reden.« * Sechsunddreißig Stunden später hatte sich unsere Lage ganz entscheidend verbessert, wenngleich noch lange nicht alle Probleme gelöst waren.
Am wichtigsten war, daß die Bio‐Imitationen restlos verschwunden waren, und daß die Quibbirger eine ehrliche Bereitschaft zum Verhandeln zeigten. Wir hatten eine Kommission zusammengestellt, zu deren Chef Insider ernannt worden war. Sie legte fest, was mit diesem Volk, das auf der Basis gestrandet war, geschehen sollte. Ich selbst kümmerte mich zunächst ausschließlich um Nebula und seine Roboter. Mit etwas List und Tücke konnte ich die Maschinen dazu bewegen, ihr schier unerschöpfliches Arsenal an Werkstätten und Materialreserven zur Reparatur der MJAILAM einzusetzen. Auch drei Schiffe der Quibbirger sollten wieder flugtauglich gemacht werden. Nebula haderte immer wieder mit seinem Schicksal, weil es den Ersten Zähler nicht mehr gab. Diese Gespräche führten zu einem der beiden ungelösten Probleme, nämlich zu der schlafenden Quelle der Jenseitsmaterie. Die Roboter blieben bei ihrer Vermutung, daß diese sich zwar wegen der Anwesenheit der Quibbirger desaktiviert hatte, sich aber dennoch nicht wieder melden würde, weil sich inzwischen ein böser Fremdkörper auf der Basis eingeschlichen hätte. Etwas Genaues erfuhr ich zu diesem Punkt nicht. Nebula und seine Genossen besaßen nur dürftige Informationen. Ich setzte die Telepathen an, aber die fanden auch nichts. Und Minander wußte überhaupt nichts von dieser Geschichte. Als ich dieses Problem anpacken wollte, bestand Nebula darauf, daß erst die Quibbirger die Basis verlassen müßten. Bei dem unglaublichen Tempo, das bei den Reparaturarbeiten vorgelegt wurde, war dieser Zeitpunkt bald gekommen. Ich überschritt zwar die von Nebula ursprünglich eingeräumte Frist von zwei Tagen zur Erweckung der Lichtquelle, aber da zeigten sich die Roboter großzügig. Zweifellos lag das daran, daß sie seit unserem Eingreifen erstmals wieder positive Veränderungen erlebten. Der Abschied von den Quibbirgern verlief etwas unpersönlich. Die Zeit hatte nicht ausgereicht, einen tieferen Kontakt herzustellen.
Der Alles‐Chef und sein kleines Volk wußten außerdem, daß sie einer ungewissen Zukunft entgegen flogen. Insider, der alle Verhandlungen erfolgreich abgewickelt hatte, war der einzige, der beim Start der drei Schiffe etwas empfand. Als ich ihn darauf ansprach, lächelte er verlegen. »Es sind nicht die Quibbirger«, erklärte er mir, »die mich etwas traurig stimmen. Es geht um Fasto. Er ist mit ihnen abgeflogen. Sie haben sich angefreundet. Der Materietaucher kann den Quibbirgern sehr nützlich sein. Das haben sie erkannt, und bekanntlich kann man Fasto ja jederzeit mit Freßpaketen zu allem überreden.« Die Roboter konzentrierten ihre Arbeiten nun ganz auf die MJAILAM. So dauerte es auch nur noch weitere 24 Stunden, bis hier alles wieder in Ordnung war. Sie fanden auch den Schaden an der Positronik und ersetzten die beschädigten Beiboote durch fast völlige Neubauten. Ich suchte unterdessen allein die schlafende Lichtquelle auf. Irgendwie mußte es mir gelingen, sie zu einer Reaktion zu bewegen. Sie kannte mich ja schließlich aus der Vergangenheit. Was sich hinter diesem Objekt wirklich verbarg, wußte ich allerdings auch nicht. Die Bezeichnung »Maschine« traf so wenig den Kern der Wahrheit wie »Lebewesen« oder etwas Ähnliches. * Ich stand am Rand des Beckens, über dem sich der von Bögen gehaltene offene Dom der Lichtquelle wölbte, und starrte in die Tiefe. Etwa zehn Meter unterhalb glänzte eine stumpfe Masse. Dort waren früher die Kaskaden und Fontänen aus dem unbegreiflichen Stoff namens Jenseitsmaterie gesprudelt. Jetzt herrschte Totenstille. Ich leuchtete mit einem Handscheinwerfer alles ab, aber ich fand keinen brauchbaren Hinweis. Schließlich entschloß ich mich, in das Innere der Quelle zu klettern. Die notwendige Ausrüstung dafür
hatte ich mir von Bord der MJAILAM mitgebracht. Die stumpfe Masse auf dem Boden fühlte sich wie Metall an. Nickel oder etwas Ähnliches, vermutete der Extrasinn. Du erinnerst dich an die seltsamen Ähnlichkeiten zwischen diesem Metall und der Jenseitsmaterie. Ich suchte nach einer Öffnung in dem Rund, aber auch diese Versuche waren vergeblich. Da regte sich plötzlich eine leise Stimme in meinem Kopf. Ich blieb stehen. »Atlan? Du bist es wirklich? Ich darf mich nicht zeigen, denn dann bekäme die Sonde eine Möglichkeit, ihre Auftraggeber zu informieren. Beseitige die Gefahr, und ich werde wieder leuchten.« »Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, entgegnete ich. »Du wirst einen Hinweis bekommen. Nun geh! Das Risiko der völligen Vernichtung meiner Existenz, der der Basis und der deines Schiffes ist zu groß.« Die Lichtquelle schwieg wieder. Zufrieden mit meinem Teilerfolg, aber verwirrt von den Aussagen über eine »Sonde« begab ich mich zurück zur MJAI‐LAM. Nebula erwartete mich an der Bodenschleuse. Ich berichtete ihm, was ich erfahren hatte. Meine Hoffnung, er würde die Nachricht mit Freude aufnehmen, erfüllte sich nicht. »Die Quelle hat einen schweren Fehler begangen«, stieß der Roboterführer aus. Die Metallplättchen in seinem Gesicht verschoben sich. »Das böse Objekt wird die Gelegenheit ihres Sprechens benutzt haben, um unbemerkt eine Nachricht abzustrahlen. Das kann unser Ende bedeuten.« »Du sprichst in Rätseln«, entgegnete ich nicht gerade freundlich. »Es ist an der Zeit, daß du mir alles sagst, was du über dieses sogenannte böse Objekt weißt. Ich vermute, es ist identisch mit dem, was die Quelle der Jenseitsmaterie ›Sonde‹ genannt hat.« »Das stimmt«, gab Nebula zu. »Weiter! Ich will alles wissen. Sonst kann ich euch nicht helfen.« Wir glitten gemeinsam durch den zentralen Antigravschacht hinauf
in die Hauptzentrale des Kreuzers, wo mich meine Freunde erwarteten. »Ich weiß nicht«, meinte der Roboter nachdenklich, »ob es einen Sinn hat, das zu sagen, was wir wissen. Viel ist es ohnehin nicht, denn es stammt von der Lichtquelle. Dein Schiff ist startklar. Ich empfehle dir, sofort von der Basis zu verschwinden. Meine Roboter sind bereits alarmiert. Der Feind kann jeden Augenblick hier sein.« Ich vermochte keine Gefahr zu erkennen, und auch mein Logiksektor, der in solchen Situationen stets vorsichtiger war als ich, schwieg. In der Zentrale berichtete ich den anderen von meiner halben Begegnung mit der Lichtquelle und von Nebulas Zurückhaltung. Wieder war es Insider, der zu einer ungewöhnlichen Maßnahme griff. Nockemann und Blödel unterstützten ihn dabei. Um Nebula baute sich plötzlich ein Fessel‐ und Schirmfeld auf. Der Roboter verlor damit jede Bewegungsmöglichkeit. Auch konnte er keinen Kontakt mehr zu seinen Artgenossen aufnehmen. »Ich werde dir sagen, was jetzt geschieht«, drohte der Kowallek der Maschine. »Wenn du nicht freiwillig alle Informationen herausrückst, holen wir sie uns mit Gewalt. Wir werden dich zerlegen und deine Speicher auf den Kopf stellen. Hast du das verstanden?« Eine Öffnung zur normalen akustischen Sprachübertragung entstand in dem doppelten Energiefeld, so daß Nebula antworten konnte. »Es geschieht nur zu eurem Schutz, wenn ich schweige«, sagte er trotzig. »Aber wenn ihr darauf besteht, werde ich reden.« »Wir hören«, sagte der Grüne. »Erst löse diese Fesseln. Mein Wort gilt.« Insider blickte mich fragend an. Als ich nickte, schaltete er die Energien ab. »Es ist so«, begann Nebula, »wie ich es Atlan gegenüber schon andeutete. Etwas Genaues wissen wir nicht. Es gibt in der
Namenlosen Zone eine beherrschende böse Kraft. Woraus sie wirklich besteht, weiß ich nicht. Die Lichtquelle scheint sie besser zu kennen, aber sie sprach kaum mit uns darüber. Sie kann feststellen, daß etwas von dieser Macht, eben jenes böse Objekt, vor kurzem zur Basis gelangte. Es nistete sich irgendwo im Innern ein. Wir gewahrten Spuren davon, kurze Energieechos, die aber genau die Charakteristik besaßen, vor der uns die Lichtquelle eindringlich seit langem gewarnt hatte. Sie selbst war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr aktiv. Das war ihr Glück, denn wenn das Objekt ihre geistige Ausstrahlung spürt, wird es seine Auftraggeber informieren. Nach Aussage der Lichtquelle kann das das Ende der Basis bedeuten. Die Macht der Namenlosen Zone hat ein großes Interesse an der Quelle. Sie will sie nicht für sich. Sie will sie zerstören. Das muß etwas mit der fernen Vergangenheit und der Entstehung der Lichtquelle zu tun haben. Nach dem Eindringen des bösen Objekts verriegelten wir alle in Betracht kommenden Abschnitte der Basis. Wir wissen, daß das Ding noch da ist, aber wir wissen nicht, wo es steckt. Es ist vielsagend, daß die Quelle das Objekt nun als Sonde bezeichnet hat. Unser Ende ist nah.« Gespannt hatten wir diesen Ausführungen zugehört. Nebula schien tatsächlich von einer panischen Angst befallen zu sein. Mir war das unverständlich, denn nach allem, was ich über die Basis des Ersten Zählers wußte, war diese in ihrer Defensiv‐ und Offensivbewaffnung sogar der SOL haushoch überlegen. »Auf unsere Schleuder können wir nicht bauen.« Nebula schien meine Gedanken erraten zu haben, denn ich hatte tatsächlich an jene Wurfvorrichtung gedacht, mit der Jenseitsmaterie in reiner Energieform verschossen werden konnte. »Unsere Vorräte sind minimal, und von der Quelle können wir keinen Nachschub erwarten. Es ist also besser, ihr verschwindet jetzt.« Diese Basis als Stützpunkt in der Namenlosen Zone, in der ich Chybrain finden mußte, um die Koordinate von Varnhagher‐ Ghynnst wieder in meinen Besitz zu kriegen, wollte ich nicht so
schnell aufgeben. Ich wagte es kaum, diese Überlegungen laut zu sagen, denn ich mußte wieder einmal mit dem Widerstand der Besatzung rechnen. Der Zufall kam mir zu Hilfe. Besser gesagt, es war die Aufmerksamkeit unseres Ortungspersonals. »Wir haben vor einer halben Stunde ein seltsames Spiel aus dem Innern der Basis aufgenommen«, berichtete Uster Brick. »Keiner hat sich dabei etwas gedacht. Nur paßte dieses Echo nicht in die vielen Muster, die die Basis und die Roboter erzeugen.« Ich ließ die Fachleute von der Ortung kommen. Die Signale waren genau aufgezeichnet worden. Es gab sogar eine Einstrahlpeilung. Mit Hilfe der MJAILAM‐Positronik wurde der Inhalt ausgewertet und die Peilung auf ein dreidimensionales Bild der Basis übertragen. Man konnte auf den ersten Blick sehen, daß es nur einen Ort geben konnte, von dem aus die Nachricht gesendet worden war, denn der Peilstrahl berührte nur an einer Stelle die Materie der Basis. Auch Nebula erkannte das. »Das böse Objekt sitzt im ehemaligen Haus des Ersten Zählers!« Er deutete auf das schlanke Gebäude mit der Plattform und der Gondel, in der ich seinerzeit auch gewesen war. »Startklar machen!« befahl ich. Ein harter Zug lag auf meinen Lippen. Für ein paar Sekunden fühlte ich mich in jene Zeit versetzt, als Arkon den erbarmungslosen Kampf gegen die Methanatmer geführt hatte. Ich wußte nicht, was sich dort in der Gondel eingenistet hatte, aber es mußte etwas Schreckliches sein, wenn die Lichtquelle sich davor verkroch und die Roboter der mächtigen Basis davor zitterten. 10. Wir gingen auf kurze Distanz zu unserem Ziel. Ein Schuß aus dem
mittleren Desintegrator sollte genügen, um es so zu zerstören, daß darin nichts mehr funktionsfähig blieb. Dazu war es allerdings erforderlich, daß zu einem genau zu fixierenden Zeitpunkt die energetischen Sperren abgeschaltet wurden, die die Roboter auch dort errichtet hatten. Ich sprach mich mit Nebula ab, der wiederum mit den Robotern im Innern der Basis in ständiger Verbindung stand. Wir einigten uns darauf, daß Nebula das Geschütz auslöste, weil so am besten sicherzustellen war, daß zwischen dem Abschalten der Energiefelder und dem Eröffnen des Feuers keine meßbare Zeitspanne verging. Das unbekannte Objekt wäre sonst, so behauptete Nebula, in der Lage zu fliehen. Es konnte eigentlich nichts schiefgehen. Der Roboter hob seinen Arm, um auf den Auslösesensor zu drücken, und dann verharrte er. Er drehte seinen Kopf in meine Richtung und sagte: »Sie kommen.« Im gleichen Moment löste die Ortungszentrale die erste Alarmstufe aus. »Etwa fünfzig unbekannte Objekte sind aus einem Überraum in der Nähe der Basis aufgetaucht«, wurde gemeldet. »Länge etwa 150 Meter. Sie ähneln in ihrer Form … sie sehen aus wie diese Raumzecken!« »Ich gebe auf«, stammelte der Roboter. »Ich habe gewußt, daß es so kommen würde.« »Nichts da, mein Freund!« Ich sprang an seine Seite. »Ich übernehme in dieser Lage das Kommando über die Basis, denn ihr seid nicht in der Lage, einen wirklichen Kampf zu führen. Schalte für mich eine Verbindung zu deinen Robotern.« »Sprich hier hinein.« Nebula nahm ein kleines Gerät aus seinem Unterarm. »Sie werden tun, was du sagst.« »Energiesperren der Gondel abschalten«, schrie ich in das kleine Gerät. Gleichzeitig donnerte meine Faust auf den Auslöser.
Der Flammenstrahl zerbarst an dem Gebäude, ohne daß eine Beschädigung erkennbar wurde. »Abschalten!« brüllte ich noch einmal, und wieder löste ich den Desintegratorstrahl aus. Diesmal funktionierte es, denn Nebulas Genossen hatten endlich reagiert. Die Gondel splitterte auseinander. Das Hauptgebäude selbst stürzte unter der Druckwelle zusammen. »Alle Defensivschirme der Basis auf Vollast!« wies ich die Roboter an. »Aber achtet darauf, daß die MJAILAM im Innern der Schutzschirme ist.« »Wird ausgeführt«, kam erstmals eine Bestätigung aus Nebulas Kommunikationsgerät. »Gut so. Alle Waffen gefechtsklar machen. Wenn die Raumzecken angreifen, wird zurückgeschossen.« »Verstanden«, hörte ich. Damit waren die wichtigsten Schritte zur Verteidigung der Basis eingeleitet. Nun mußte ich mich um die Sicherheit der MJAILAM kümmern. »Wir bleiben über der Mitte der Basis«, rief ich Uster Brick zu. »Bevor wir diese Position einnehmen, fliegen wir über das zerstörte Gebäude und setzen die Scientologen und Insider ab. Versucht herauszufinden, was wir zerstört haben. Ich möchte diesem unbekannten Feind endlich auf die Schliche kommen.« Nockemann, Blödel und Insider stürmten aus der Zentrale, während der Kreuzer die erste Position anflog. Ich betrachtete die Gesichter der Solaner. Jetzt, wo sie handeln mußten, waren sie wieder ganz die alten Haudegen, auf die man sich verlassen konnte. Jeder spürte, daß es wieder einmal um Kopf und Kragen gehen würde. Wir hatten uns nicht getäuscht. Gerade als die Meldung einging, daß das Scientologenteam und Insider von Bord gegangen waren, blitzten die ersten Schüsse auf. Nebula schlug die Hände gegen seinen Kopf. Er wirkte wieder einmal allzu menschlich. Ich packte ihn an seinen stählernen Armen.
»Ich muß in eure Zentrale«, schrie ich ihn an, denn er reagierte kaum. »Es könnte sein, daß wir Fluchtmanöver durchführen müssen. Ich muß dahin, wo alle Fäden zusammenlaufen.« »Warum?« fragte er ziemlich dümmlich. »Frage nicht! Handle! Können wir unseren Transmitter auf einen der euren schalten?« »Nein«, bedauerte er, »aber es gibt einen anderen Weg, nämlich den Egotransmitter für den dimensionsinternen Flug. Er kann halbfiktiv gegen mich eingesetzt werden. Halte dich an mir fest. Ich bringe dich hinunter.« Ich nahm ein Telekom an mich und übergab Joscan das Kommando. Dann schlang der Roboter seine Arme um mich. Die gewohnte Umgebung verschwand von einer Sekunde zur anderen. * Der Kampf mit den riesigen Raumzecken dauerte über eine Stunde. Tyari verfolgte ihn mit bangem Herzen, denn von Atlan war während dieser Zeit nur einmal etwas zu hören, als er anordnete, daß die MJAILAM landen sollte. Die Basis setzte sich kurz ab, als die Abwehrschirme zusammenzubrechen drohten. Die Raumzecken erwiesen sich in der Tat als brandgefährlich. Joscan Hellmut, der schon in Erwägung gezogen hatte, mit der MJAILAM direkt in den Kampf einzugreifen, sah davon ab. Die Positronik bezifferte die Überlebenschance mit null. Allmählich wurde aber erkennbar, daß jemand die Möglichkeiten der Basis sinnvoll nutzte und sich auch auf den Gegner einstellte. Die hochgezüchteten Roboter waren ohne geistigen Führer hilflos. Jetzt hatten sie einen, dessen ordnende Hand und dessen Umsicht das Blatt bald wendete. Da auf Funkanrufe und Versuche einer friedlichen Verständigung von den Zeckenschiffen keine Antwort einging, wurde der Kampf
unerbittlich bis zum Ende geführt. An verschiedenen Stellen wurden die Schirme der Basis durchschlagen, aber die Energien waren dann schon so sehr verpufft, daß der Schaden gering war. Die Raumzecken verfügten über ganz verschiedene Waffen. Damit konnten sie sogar die Hülle der Basis zerstören, die außer durch Schutzschirme noch mit verdichteter Jenseitsmaterie verkleidet waren. Gegen den letzten Pulk aus zwölf Schiffen, die einen gemeinsamen Angriff gegen den Bug der Basis flogen, wurde die Schleuder eingesetzt. Rotgrüne Kaskaden zeichneten ihre tödlichen Spuren in den Leerraum. Danach gab es nur noch zwei flugtaugliche Zecken, und diese wandten sich zur Flucht. Der Angriff war abgeschlagen. Auf der MJAILAM gab es das große Aufatmen. Atlan kündigte seine Rückkehr an. * Ich hörte die Stimme in meinem Kopf, als ich mit Nebula den Egotransmitter betrat. Wieder war es so, als ob ein Schlaftrunkener sich meldete. Aber diesmal schwoll die Stimme deutlich an. Noch verstand ich kein Wort, denn die Lichtquelle stammelte alles Mögliche in mir teilweise unbekannten Sprachen. Wir materialisierten in der Hauptzentrale der MJAILAM. Tyari stürzte auf mich zu, aber ich wehrte sie ab, denn ich war fix und fertig. »Einen Sessel, eine Tasse Kaffee und Ruhe«, bat ich. »Die Lichtquelle meldet sich.« Man verstand. Joscan schob eine Sitzgelegenheit heran, und ich sank hinein. »Große Etappe«, hörte ich die Lichtquelle. »Schnell! Sie werden wiederkommen. Wir müssen uns entfernen.« »Ich habe es verstanden«, sagte Nebula. »Die Quelle erwacht. Wir
werden in die höhere Dimension gehen und erst einmal verschwinden. Vielleicht gelingt es, unsere Spur zu verwischen.« »Schaffst du das allein?« fragte ich den Roboter. »Aber ja«, antwortete er mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte er soeben die Angreifer abgeschlagen. »Die Anweisungen sind schon erteilt.« »Gut so«, hörte ich wenig später die Lichtquelle. Ihre Stimme war jetzt so klar, daß sie jeder an Bord verstand. »Schaltet nun alle Deflektoren ein und kehrt in die Namenlose Zone zurück. Wir sind wieder für eine Weile sicher. Aber bleibt wachsam.« Auf den Bildschirmen vollzog sich eine Veränderung. Die Oberfläche der Basis erstrahlte wieder in dem Licht, das ich aus den Reinkarnationserlebnissen kannte. Ich stand auf und schwenkte eine Aufnahmeoptik herum. Nebula stieß einen Pfiff aus, als er die gleißenden Kaskaden der Quelle der Jenseitsmaterie sah, die den offenen Dom ausfüllten. »Es ist ein Jammer«, sagte er, »daß Janv‐Zount das nicht mehr erleben kann. Er hat sich mit ihr immer gut verstanden. Er beschützte sie, und sie half ihm. Aber das gehört wohl für immer der Vergangenheit an.« Er kam auf mich zu. »Du hast dein Wort gehalten, Atlan«, sprach er mit gekünstelter Würde. »Im Namen aller Roboter möchte ich dir danken. Du hast unserer Zukunft wieder einen Sinn gegeben. Das ist wichtiger als der Sieg über das Böse. Du kannst über die Basis verfügen. Wir sind nun endgültig deine Diener.« Ich wußte nicht so recht, was ich darauf antworten sollte. So war ich ganz froh, als Insider die Zentrale betrat und damit die Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Kowallek baute sich breitbeinig vor mir auf und stemmte seine beiden Armpaare in die Hüften. »Auftrag ist ausgeführt«, bellte er mich an. »Aber es war das letzte Mal, daß ich mit diesen beiden Wirrköpfen etwas gemeinsam
unternommen habe. Lieber lasse ich mich von Fasto verspeisen, als daß ich mich noch einmal in die Streitereien einmische.« »Schon gut.« Ich lächelte den Grünen freundlich an. »Was habt ihr gefunden?« »Ein paar Reste einer Maschine und etwas, was die beiden Idioten als Reste organischer Masse identifiziert haben wollen. Ich sage dir aber, das sind Verrückte!« »Sind wir das nicht irgendwo alle?« fragte ihn Tyari. Und da schwieg Insider. »Sie sind damit in ihrem Labor verschwunden«, sagte er nach einer Weile. »Was geschieht jetzt?« »Ich bitte Atlan, zu mir zu kommen«, erklang die Lichtquelle. »Ich habe ein wichtiges Gespräch mit ihm zu führen.« »Ich komme«, antwortete ich. * Ich stand an dem Becken und dicht unter den sprühenden Fontänen. Der Anblick war so faszinierend, daß ich fast den Grund meines Hierseins vergaß. Das Licht, das keine Schatten warf, weil es praktisch an jedem Ort leuchtete, erfüllte wieder die Landschaft. »Ich begrüße dich, Atlan«, sagte die Lichtquelle leise. Die Stimme klang feminin und zuversichtlich. »Du hast sicher viele Fragen.« »Auch ich begrüße dich. Wenn du meine Fragen beantworten willst, dann sage mir, wer oder was du bist.« »Das ist etwas, was im Augenblick völlig unwichtig ist. Daher werde ich über diesen Punkt schweigen. Noch besitzt du nicht das erforderliche Verständnis und das notwendige Wissen, um die Namenlose Zone zu verstehen. Wichtig aber ist, daß ich neue Hoffnung schöpfen kann.« »Das verstehe ich nicht«, gab ich wahrheitsgemäß zur Antwort. »Du verstehst mehr, als du dir eingestehst.« Die Lichtquelle lachte
freundlich. »Frage dein zweites Bewußtsein, das du Extrasinn nennst. Aber ich werde es dir erklären. Ich habe lange geschlafen, weil die Gefahr der Entdeckung durch die Sonde zu groß war. Daher fehlten mir viele Informationen. Jetzt besitze ich sie wieder, und daher bin ich mit neuer Zuversicht gefüllt. Weißt du, daß die Namenlose Zone ihren Ursprung im negativen Chaos hatte? Ja, das hast du erkannt. Was schlimmer ist als dieser Ursprung, ist folgendes. Eine besonders schlimme Macht hat sich diese Gesetze angeeignet, um daraus für sich Vorteile zu ziehen. Diese Macht hast du bereits zu spüren bekommen. Sie lebt von dem Ungleichgewicht zwischen dem, was du vereinfacht Böse und Gut oder Negativ und Positiv nennst. Dabei sind das nur Begriffe, die willkürlich geprägt wurden. Das Böse hat immer haushoch überwogen, auch noch als ich in den Schlaf sank. Und nun, nach meinem Erwachen, ist das anders geworden. Es ist immer noch viel zu stark, aber es hat an Substanz verloren. Das gibt zu neuer Hoffnung Anlaß. Man sollte es wagen, ein entscheidendes Gewicht in die Namenlose Zone zu holen, um vielleicht einen Ausgleich der Waagschalen zu erzielen.« Die Lichtquelle machte eine Pause. Ich sagte nichts, denn es war sicher besser, sie sprechen zu lassen. Bei den letzten Worten mußte ich aber unwillkürlich an die SOL und die Solaner denken. »Sie könnten helfen«, fuhr die weiche Stimme fort. »Aber nicht entscheidend. Ihre Anwesenheit hier wäre nützlich, aber dort, wo sie jetzt sind, werden sie dringender gebraucht. Die Solaner müssen von draußen helfen.« »Wie soll ich das verstehen, Lichtquelle?« »Ich gebe dir einen Auftrag, Atlan, obwohl ich dazu nicht befugt bin. Es ist also in dein Ermessen gestellt, ob du ihn erfüllst, du und deine Solaner, denn wir werden handeln müssen. Das entscheidende Gegengewicht gegen das Chaos muß in die Namenlose Zone geschafft werden, das ganze Restvolk der Vulnurer. Möglichkeiten dafür gibt es. Ich habe Vorsorge getroffen. Also, Atlan, bringe mir die Vulnurer. Dann sehen wir weiter.«
Meine Gedanken überstürzten sich. Die Vulnurer, jene Ameisenähnlichen, waren uns damals bei den Kämpfen gegen Hidden‐X begegnet. Sie waren ein freundliches, aber heimatloses Volk, das ähnlich wie die Solaner nur mit seinen drei Raumschiffen im Weltraum lebte. Und aus den Reinkarnationserlebnissen wußte ich, daß es eine Verbindung zwischen den Vulnurern und der Lichtquelle geben mußte, denn ich hatte zwei – die letzten zwei – hier auf der Basis getroffen! Eine besondere Bedeutung hatte ich diesem Umstand nicht beigemessen, denn schließlich hatte hier sogar ein Haluter meinen Weg gekreuzt. »Berichte weiter«, bat ich die Lichtquelle. »Es ist alles gesagt, was im Augenblick gesagt werden muß. Andere Erkenntnisse mußt du selbst gewinnen, sonst ist der ohnehin fragliche Erfolg noch mehr gefährdet. Hole die Vulnurer!« Danach schwieg die Lichtquelle, und ich merkte, daß es keinen Sinn hatte, unbeantwortete Fragen zu stellen. Sehr nachdenklich ging ich zur MJAILAM zurück. Die Basis würde ich nicht aufgeben, denn nun besaß ich endlich einen Stützpunkt in der Namenlosen Zone. Die wieder intakte Ortung hatte nach dem Dimensionsflug den Junk‐Nabel aufgespürt. Der Rückweg zur SOL war frei. Ich wollte aber hier bleiben. Es würde mich Mühe kosten, die müden Solaner noch einmal zu motivieren, aber ich scheute nicht davor zurück. Die MJAI‐A war wieder vollkommen in Ordnung, und das hatten wir den Robotern zu verdanken. Ich würde Insider und ein paar ganz Müde damit zu Hayes schicken, damit er berichten konnte. Die Solaner sollten die Vulnurer suchen. Diese Aufgabe im heimischen Universum würden sie mir kaum verweigern. Ich wollte den Wunsch der Lichtquelle erfüllen. Dafür gab es zwei Gründe. Einmal war ich mir sicher, daß ich dadurch den kosmischen Kräften half, denen ich mich nun einmal verschrieben hatte. Zum
anderen sah ich so einen Weg zu Chybrain und den Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst. Ich berichtete nur kurz, was ich erfahren hatte. Keiner der anderen hatte etwas vom Gespräch zwischen der Lichtquelle und mir vernommen, auch Nebula nicht. So war es besser, wenn ich die ganzen Umstände erst einmal überdachte und nur Insider informierte, der mit dem vorgesehenen Auftrag einverstanden war. Er startete kurz darauf mit der Space‐Jet MJAI‐A und gelangte auch ohne Behinderung durch den Nabel, wie sein letzter Hyperfunkspruch auswies. Dann stand plötzlich Blödel vor mir. Er hielt mir ein Bild unter die Nase, auf dem eine Raumzecke abgebildet war. »So sahen die Dinger aus, die Bjo Breiskoll verfolgten«, erklärte Hage Nockemann. »So sah das aus, was wir auf Schwammkartoffel gesehen haben, und so sahen die Raumschiffe aus, die die Basis angriffen. Das hier aber, Atlan, ist die Rekonstruktion eines Lebewesens, das in der zerstörten Sonde steckte, aufgebaut aus den Genstrukturen der gefundenen Reste. Damit wissen wir, wie die Macht der Namenlosen Zone wirklich aussieht.« Ich nahm das Bild in die Hand. »Sie bauen alles nach ihrem biologischen Vorbild«, ergänzte Blödel. »Das kann bedeuten, daß sie nichts anderes kennen wollen oder kennen können. Ihre Roboter und Sonden, sogar ihre Raumschiffe, egal, welche Größe sie haben, sehen so aus wie sie selbst. Das ist nicht nur der Ausdruck eines schrecklichen Egoismus. Es weist auch darauf hin, daß hier skrupellose und machthungrige Wesen am Werk sind, die sich so schreckliche Dinge ausmalen, wie wir sie uns nicht vorstellen können.« Ich habe keine Vorurteile gegen Insektoiden. Wahrscheinlich gab es dort auch von jeder Sorte Positive‐Ordnende – wie die Vulnurer – und Negativ‐Chaotische – wie die Raumzecken. Das siehst du einmal wieder ganz unvollständig, behauptete der Extrasinn.
Ich sollte erst viel später erfahren, daß ich in diesem Augenblick besser auf ihn gehört hätte. ENDE Schauplatz des nächsten Atlan‐Bandes ist wieder das Junk‐System in Bars‐2‐ Bars. Es geht um Zelenzos, des Verschwörers, Aktivitäten am TATORT SOL … TATORT SOL – so lautet auch der Titel des Atlan‐Bandes 660. Der Roman wurde von Hans Kneifel geschrieben.